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Schmid-Lorch
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Wie genau der auf unseren Predigttext folgende Abschnitt Prediger 12,9-14 zu bewerten ist, ist in der Forschung
umstritten. Die Verse 12,9-11 werden gemeinhin als Nachwort beurteilt, doch Unklarheit herrscht im Blick auf
die Verse 12,12-14: Handelt es sich dabei um ein zweites Nachwort, z. B. eines Herausgebers?
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20. Sonntag nach Trinitatis Pfr. M. Schmid-Lorch
2 Bevor die Sonne, das Tageslicht, der Mond und die Sterne = der Lebensabend, wenn die Welt
finster werden und die Wolken zurückkommen nach dem fern rückt und das Dunkel
Regen, hereinbricht
3 in der Zeit, wenn die Hüter des Hauses erzittern = die schwächer werdenden Arme
und die starken Männer gebeugt gehen, = die gebeugt gehenden Beine
wenn jene, die das Getreide mahlen, ihre Arbeit niederlegen, = die weniger werdenden Zähne
weil sie wenige geworden sind,
und wenn jene, die an den Fenstern gucken, trübe geworden = die trüben Augen
sind,
4 und wenn die beiden Türflügel3 zur Straße geschlossen = die Ohren und das abnehmende
bleiben, während das Geräusch des Getreidemahlens nur Gehör
schwach zu hören ist und dünn wird wie eine Vogelstimme
und aller Gesang verstummt,
5 auch vor jeder Erhöhung fürchtet man sich und sieht = das Gehen wird schwerer, man
schreckliche Gefahren auf dem Weg. droht zu fallen
Wenn auch der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke = der Kreislauf der Natur wiederholt
macht sich mit Fressen voll und die Kaper springt auf, doch sich, doch der Weg des Menschen
wahrlich, der Mensch fährt dahin in sein Grab4 und die führt mit Gewissheit ins Grab
Klageleute5 ziehen durch die Straßen.
6 – noch bevor der silberne Faden6 reißt und die goldene = das alles sind Bilder für die
Schale bricht und bevor der Krug an der Quelle zu Scherben unausweichliche Begrenztheit der
zerbricht und das Schöpfrad kaputt in den Brunnen fällt menschlichen Lebensdauer
7 und der Staub zurückkehrt zur Erde als das, was er vorher
gewesen ist, und der Lebensgeist zu Gott zurückkehrt, der
ihn gegeben hat.7
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Verb נגע/naga, wörtlich: „berühren, erreichen, schlagen“.
3
Nomen דלת/delet steht im Dual, darum ist zu übersetzen: „die beiden Türflügel“.
4
אל־בית עולמו/el-bet olamo, wörtlich: „in sein ewiges Haus“; im Alten Orient ist das „ewige Haus“ ein
stehender Begriff (terminus technicus) für das Grab, etwa so wie wenn wir heute von der „letzten
Ruhestätte“ reden.
5
Teil der Bestattungskultur damals ist ein Trauerzug aus lautstark Klagenden. Es war durchaus üblich,
dass Menschen auch dafür gezahlt wurden, sich klagend und schreiend an diesem Zug zu beteiligen.
6
Gemeint ist der Lebensfaden als Maßschnur für die Länge der Lebensdauer.
7
Es ist an dieser Stelle keine Hoffnung auf eine Rückkehr zu Gott gemeint: Dass Gott den
Lebensatem/Geist zurückfordert, ist ein geprägtes Bild für das Sterben (vgl. Prediger 3,19-21 und Ps
104,29).
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