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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG

DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

GEISTESWIS SENSCHAFTEN

131. SITZUN G
AM 15. MÄRZ 1967
IN DüSSELDORF
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

GEISTESWISSENSCHAFTEN

HEFT 150

HAN S FLASCHE

Die Struktur des Auto Sacramental


»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n

Antiker Mythos
in christlicher Umpriigung

HERAUSGEGEBEN
IM AUFTRAGE DES MINISTERPRASIDENTEN HEINZ KüHN
VON STAATSSEKRETAR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT
HANS FLASCHE

Die Struktur des Auto Sacramental


»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n

Antiker Mythos
in christlicher Umprägung

WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN UND OPLADEN


ISBN 978-3-663-01038-8 ISBN 978-3-663-02951-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02951-9
Reprint of the original edition 1968
© 1968 by Westdeutscher Verlag GmbH, Köln und Opladen
Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag GmbH'
Inhalt

Hans Flasche, Hamburg


Die Struktur des Auto Sacramental "Los Encantos de la Culpa"
von Calderon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Anhang: Zum vierten Teil der Ausführungen. ... ... ... . .. . .. . .. . 49

Diskussionsbeiträge

Professor Dr. phil. Walter Franz Schirmer,. Professor Dr. phil.


Hans Flasche,. Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h.
Leo Brandt,. Professor Dr. phil. Tilemann Grimm,. Professor
Dr. phil., Dr. h. c. Günther fachmann,. Professor Dr. jur. Gerhard
Kegel j Professor Dr. phil. Arno Esch j Professor Dr. phi!. Paul
Egon Hübinger,. Professor D. theo!., Teol. D: r h. c. Kar! Heinrich
RengstorJ, D. D.; Dr. phi!. Klaus-Dieter Gottschalk ............ 53

Antiker Mythos in christlicher Umprägung


Andromeda und Perseus bei Calderon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Der spanische Dramatiker Pedro Calder6n de la Barca hat eine große
Anzahl von Theaterstücken geschrieben. Unter ihnen nehmen die einaktigen
Autos Sacramentales, meist kurz Autos genannt, welche dem Lob der Eucha-
ristie dienen, insofern einen besonderen Platz ein, als sie sich vor allen ande-
ren in verschiedensten Bereichen, Sprache, Fülle an neuen Einfällen und Ein-
fügung überlieferter Ideen auszeichnen. Sie harren größtenteils sorgfältiger
Analyse. Eines dieser Schauspiele, "Los Encantos de la Culpa" \ möge den
hier vorgetragenen Ausführungen die Basis für ein Eindringen in das Ge-
heimnis der Kunst Calder6ns bieten.
Wie im Thema des Vortrags zum Ausdruck gebracht, soll die Struktur des
calderonianischen Dramas herauskristallisiert werden. Erst jüngst hat der
Romanist Hugo Friedrich die Bedeutung dieses modisch gewordenen und
vielfach mißbräuchlich verwandten Terminus umrissen. "Seit Dilthey hat
sich, wie man weiß ... der Terminus Struktur - so schreibt Friedrich in sei-
ner Arbeit ,Strukturalismus und Struktur in literaturwissenschaftlicher Hin-
sicht' - in der Geisteswissenschaft und somit auch in der Literaturwissen-
schaft eingebürgert ... er meint ein Gefüge, bei dem jeder Teil vom Ganzen
her, das Ganze wiederum vom Zusammenstimmen seiner Teile aus sinnvoll
wird. Am häufigsten spricht man von der Struktur eines einzelnen literari-
schen Werkes, und dies mit Recht, da ja ein solches Werk kein bloßes Aggre-
gat ist. Seine Struktur zeigt sich in seiner Selbstgesetzlichkeit, nämlich seiner

* Der hier gedruckte Text gibt den am 15. März 1967 gehaltenen Vortrag im wesent-
lichen unverändert wieder. (Die deutschen übersetzungen der spanischen Zitate wurden
in möglichst wortgetreuem Sinne gegeben.) - Die Anmerkungen sind dem Material ent-
nommen, das der Vortragende im Hinblick auf eine kritische und kommentierte Aus-
gabe des Auto Sacramental "Los Encantos de la Culpa" (die sich auch und gerade bei
diesem calderonianischen Schauspiel lohnen würde) gesammelt hat. Sowohl im Vortrag
selbst wie in den nunmehr hinzugefügten Anmerkungen sollte die Fülle der sich dem
Interpreten darbietenden Schwierigkeiten vor Augen geführt und das Bewußtsein dafür
geschärft werden, daß manche Probleme noch einer befriedigenden Lösung harren.
Schon an dieser Stelle sei auf die demnächst erscheinende Dissertation meines Schülers
Bernhard Paetz aufmerksam gemacht, der "Die Deutungs- und überlicfcrungsgeschichte
des Mythos von Kirke und Odysseus und seine christlich vergeistigte Ausformung in der
spanischen Literatur des Siglo de Oro" analysiert.
8 Hans Flasche

ihm spezifischen Ordnung, die seine äußeren und inneren Merkmale in die-
jenige gegenseitige übereinstimmung bringt, die man auch Gestalt zu nen-
nen pflegt und an deren Gelingen die Qualität des Werkes aufgewiesen wer-
den kann ... " 1 Obgleich, wie ich auf Grund des hier ausgewählten Tex-
tes zeigen möchte, gerade die Autos für eine in solchem Sinne gemeinte Struk-
turforschung das ertragreichste Feld der spanischen Theaterkunst des Golde-
nen Zeitalters, d. h. des 16. und 17. Jahrhunderts darstellen, sind sie bislang
kaum, jedenfalls nicht auf die in den folgenden Darlegungen intendierte, eine
nach Möglichkeit jedes Detail einbeziehende Weise, untersucht worden. Zwar
hat, wie der Hispanist Sloman 1953 in einem Aufsatz über die comedia "La
Vida es Suefio" 2 und der Germanist Kayser 1957 in einer Studie über
das Drama religioso "EI Pdncipe Constante" 3, der spanische Gelehrte
Damaso Alonso in seiner Arbeit über die Korrelation im spanischen Theater
- sie enthält auch anderthalb dem Werk "Los Encantos de la Culpa" ge-
widmete Seiten 4 - von "Struktur" gesprochen. Doch kann auch hier von
einer Strukturanalyse in umfassendem Sinne (sie lag außerhalb der Absicht
des Verfassers) noch nicht die Rede sein. Alexander Parkers 1943 zum ersten-
mal veröffentlichtes, 1961 wiederum gedrucktes Werk "The allegorical
drama of Calder6n. An intro duc ti on to the Autos Sacramentales" 5 stellt
gewiß einen Markstein dar. Die in ihm enthaltenen Untersuchungen sind sol-
che struktureller Art. Da sie sich jedoch in der ersten Hälfte auf die Gesamt-
heit der Autos, in der zweiten auf drei Werke beziehen, konnte der Verfasser
sich nicht jene Berücksichtigung der Einzelheiten erlauben, die ich für meine
Interpretation des Textes als unerläßlich ansehe.
Das Auto "Los Encantos de la Culpa" habe ich aus folgenden Gründen
gewählt: Es ist ein Werk aus der mittleren Schaffensperiode des Meisters,
1649 verfaßt. Es zeigt ihn schon auf einem Höhepunkt des Wirkens. Vor
1630 hatte Calder6n "EI divino Jas6n", 1640 das Auto Mitol6gico "Psi-
quis y Cupido" (Toledo) geschrieben. "Los Encantos de la Culpa" gehört,
das ist der zweite Grund für die getroffene Entscheidung, zu den Schöpfun-
gen, die man als mythologische zu bezeichnen pflegt. In ihnen finden wir
jene Weise der dramatischen Auflösung, welche, wie Friedrich Schlegel sagt,

1 In: Europäische Aufklärung, Festschrift für Herbert Dieckmann, München 1966, S. 82.
I The structure of Calder6n's ,La Vida es Sueiio·. In: Modern Language Review 48
(1953), p. 293-300.
3 Zur Struktur des standhaften Prinzen von Calder6n. In: Gestaltprobleme der Dich-
tung, hrsg. von Richard Alewyn, Hans-Egon Hass, Clemens Heselhaus, Bonn 1957,
S.67-82.
4 D:S.maso Alonso y Carlos Bousoiio, Seis calas en la expresi6n literaria espaiiola,
Madrid 1963, p. 140.
5 Oxford and London.
"Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 9

"aus dem äußersten Leiden eine geistige Verklärung" (nicht also nur Unter-
gang oder Versöhnung) hervorgehen läßt 6. Ein dritter Grund ist die Tat-
sache, daß wir mit der Erklärung dieses Werkes ein noch weithin unerforsch-
tes Gebiet betreten. Nur selten hat man sich mit der Mythologie bei Calde-
r6n intensiv beschäftigt. Bestimmend für die getroffene Auswahl war auch
die Tatsache, daß "Los Encantos de la Culpa" die Umprägung einer schon
1635 entstandenen Co media "EI mayor Encanto - Amor" ("Der größte
Zauber - Liebe") darstellt und so die Möglichkeit des Vergleichs mit die-
sem Text wie mit anderen noch zu nennenden Quellen besteht, der zu besse-
rer Erkenntnis der Struktur verhilft.
Ich möchte den Stand der Forschung im Bereich der mythologischen Autos,
soweit er für meine heutige Absicht von Wichtigkeit ist, kurz darlegen und,
wo erforderlich, im Laufe meiner Ausführungen darauf zurückkommen.
Leopold Schmidt hat 1856 betont, daß Calder6n Ovid und die im 17. Jahr-
hundert vorhandenen Kompendien der Mythologie auswerte 7. Seine Ein-
sicht, die Behandlung antiker Mythen geschehe im Sinne einer Vergeisti-
gung 8, verdient besonders gewürdigt zu werden. Angel Valbuena Prat gab
1927 im 74. Band der Sammlung Clasicos Caste1lanos einen Conspectus der
für Calder6n maßgeblichen Quellen, die er in weit zurückliegende (fuentes
remotas) und unmittelbare (fuentes inmediatas) trennt 9. Ich werde auf sie
zurückkommen. 1946 schrieb Max Kommerell in seinen Beiträgen zu einem
deutschen Calder6n 10, die auch in zwei Abschnitten "Los Encantos de la
Culpa" einbeziehen 11: "Man hat nicht das Gefühl, das ihm einzelne My-
then durch einzelne Quellen nahegebracht sind; er besitzt alle zusammen in
einem fertigen Corpus, wie es erst durch römische Dichter literarisch ausge-
führt ist 12." Kommerell wies dann auf Ovid, den griechischen Roman, ge-
dichtete Mythologien der italienischen Renaissance, die Göttergenealogien
des Boccaccio und die gemalte Mythologie hin. Jose M. Osma hat im Vor-
wort zu seiner Ausgabe "EI verdadero Dios Pan", 1949 13, den Blick auf
die wahrscheinlich von Calder6n benutzten Sammelwerke des 16. Jahrhun-

8 Geschichte der alten und neuen Literatur (hrsg. und eingeleitet von Hans Eichner, Mün-
chen-Paderborn-Wien-Zürich 1961), 12. Vorlesung, S. 283.
7 über Calder6ns Behandlung antiker Mythen. Ein Beitrag zur Geschichte der Mytholo-
gie. In: Museum für Philologie, hrsg. von F. G. Welcker und F. Ritschi, 10, 1856, S. 313
bis 357.
8 Vgl. z. B. S. 348.
9 P. LXIII.
10 Beiträge zu einem deutschen Calder6n (I, Ir) Frankfurt/Main 1946.
11 I, S. 150-159; 251-258.
11 I, S. 134.
18 Lawrence: University of Kansas Press, 1949.
10 Hans Flasme

derts gelenkt 14. Der kolumbianische Philologe Paramo Pomareda endlich


machte 1957 darauf aufmerksam, daß Calder6ns etymologische Interpreta-
tionsmethode antiker Mythen in einer Tradition stehe, die von der Stoa über
Philo Judaeus und Isidor von Sevilla bis in die Renaissance und zu den spa-
nischen Mythographen des 17. Jahrhunderts reiche 111.
Unter Berücksichtigung der bisher erzielten Ergebnisse - sei es für Calde-
r6ns mythologische Theaterstücke im allgemeinen, sei es für "Los Encantos
de la Culpa" im besonderen - soll also die Struktur dieses Textes nunmehr
präzis analysiert werden. Als Grundlage für die Lösung mancher Fragen die-
nen die in der Biblioteca N acional zu Madrid aufbewahrten, bis in Einzel-
heiten untersuchten drei Manuskripte: 14772, wohl aus dem 17. Jahrhun-
dert, 3793 und 16282, beide wohl aus dem 18. Jahrhundert 18. Außerdem
benutzte ich die für mein Calder6n-Team und meine eigenen Untersuchun-
gen im Rechenzentrum Darmstadt erstellten Wortregister, Häufigkeitsregi-
ster, Kontextregister und eine Stellenkonkordanz.
Zum Verständnis der folgenden Darlegungen ist die Kenntnis des Inhaltes
des "Auto sacramental historical aleg6rico", wie die vollständigste Kenn-
zeichnung lautet 18a, unerläßlich.
In einem Schiff auf unruhigem Meer befindet sich der Mensch, auch Ulises

14 Vgl. besonders p. 40-41.


15 Consideraciones sobre los Autos Mitol6gicos de Calder6n de la Barca. In: Thesaurus,
Boletfn deI Instituto Caro y Cuervo, XII (1957), p. 51-80.
16 Wortlaut und Versziffer zitiere ich jeweils nach der bequem zu benutzenden Ausgabe
der CUsicos Castellanos 74 (Autos Sacramentales II, Madrid 1942, 2a. edici6n corre-
gida). Ich war und bin mir der Tatsache bewußt, daß die einzelnen Drucke dieser Aus-
gabe (der erste erschien 1927) nicht immer in der Wiedergabe des Textes übereinstimmen.
Ohne auf alle diese Differenzen achthaben zu können, prüfte ich dennoch - stichproben-
artig - die Edition des Jahres 1927 und die des Jahres 1958 (Quarta edici6n). Die
Gesamtheit der bei einem Calder6ntext zu berücksichtigenden Fragen kann erst in um-
fassenden, kritischen und kommentierten Ausgaben betramtet und gelöst werden. - Wie
wichtig die Berücksichtigung der zugänglichen Manuskriptformen ist, mag der Hinweis
auf Vers 41 zeigen. Das Manuskript 3793 bietet (statt des aum im Text der CUsicos
Castellanos-Ausgabe abgedruckten und syntaktisch nicht leicht zu interpretierenden
"dando") die Form "dan". Ein weiteres Beispiel bieten die Verse 222-224 Manuskript
14727: "Aunque dese~ I que halleis Penitencia ..." (Clasicos Castellanos: "halles").
Da der Verstand seine Aussage mit der Form "hallareis" schließt, scheint "haIIeis" pas-
sender als "hall~s" zu sein - und in den Pluralformen zugleich die Mehrheit der Sinne
besser zum Ausdruck zu kommen. Im Manuskript des 17. Jahrhunderts (14772) sowie
in 3793 liest man in Vers 337 "eI mandato" und "el ruego", im Manuskript 16282 "al
mandato" und "al ruego". Auch für Vers 402 liegen Varianten vor ("dichas" heißt es in
den Ausgaben von Pando y Mier - 1717 - und Valbuena Prat, "obras" in den Ma-
nuskripten 14772 und 16282. Das Manuskript 3793 bietet eine Korrektur und ist schwer
entzifferbar). Angesichts solcher Differenzen braucht ihre Bedeutung für die Interpreta-
tion des Textes nicht mehr akzentuiert zu werden.
1Sa Vgl. MS. 16282.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 11

genannt 17, der Verstand und die fünf Sinne. Ein Sturm zieht auf. Alle
Schiffsinsassen rufen, vom Verstand ermuntert, die Hilfe des Himmels an.
Darauf läßt das Unwetter nach, und der Verstand als Steuermann kann das
Schiff in einem unbekannten Hafen landen lassen. Von den Geretteten er-
hoffen sich die fünf Sinne im fremden Land die Erfüllung ihrer weltlichen
Sehnsüchte, während der Verstand des Menschen ihnen rät, dort die Buße zu
suchen und dem Menschen selbst empfiehlt (in Erinnerung - so sagt er - an
frühere Erfahrungen, den Brand Trojas nämlich 18, der hier die Erbsünde
symbolisieren kann) 19, den Sinnen nicht nachzugeben. Doch der Mensch be-
achtet die Warnung des Verstandes nicht und schickt die Sinne fort 20, nach
Möglichkeiten des Genusses Ausschau zu halten. Dann schläft er am Fuß
einer Zypresse ein, während der Verstand den fünf Sinnen folgt.
In schwerem Traum erscheinen dem Menschen wilde Tiere, die ihn nicht
töten, sondern ihm mit ängstlichen Gebärden zur Flucht zu raten scheinen.
Als der Verstand dann plötzlich zum nun wiedererwachten Menschen zu-
rückkehrt, berichtet er ihm, er habe mit den fünf Sinnen in einem prächtigen
Palast eine Dame und ihre Dienerinnen getroffen, die von ihm, dem Ver-
stande, sogleich als die Schuld (im Auto oft Circe genannt) mit ihren Lastern
erkannt worden sei. Die fünf Sinne jedoch hätten ahnungslos die ihnen von
den Lastern dargereichten Erfrischungen getrunken und seien so durch die
Schuld des Menschen, der sie schlecht bewacht und in Gefahr gebracht habe,
zu Tieren geworden. Wegen dieses Geschehens in großer Not will der Mensch
versuchen, seine Sinne aus der Gewalt der Schuld zu befreien. Dem Rat des
Verstandes folgend, bekennt und bereut er seine Vergehen. Darauf erscheint
als Botin des verzeihenden Gottes die Buße (auch Iris genannt) in einem
Regenbogen. Sie wirft dem Menschen einen Strauß von Blumen zu, die das
Blut eines Lammes gefärbt habe und verspricht dem Reuigen den Sieg über
den Zauber der Sünde und die Befreiung seiner fünf Sinne aus Tiergestalt,
wenn er - Calder6n denkt auch hier natürlich an die Odyssee (X, 287) -
mit den Blumen (welche die Tugenden symbolisieren) das Gift der Circe be-
rühre. Nachdem die Buße verschwunden ist, erscheint die Schuld mit der
Wollust und anderen Lastern. Sie kredenzt dem Menschen unter schmeicheln-

17 Es bliebe im einzelnen festzustellen, wann der Mensch "hombre", wann "Uliscs" genannt
wird (vgI. Vers 24, wo Entcndimiento "el hombre" sagt - ebenso Vers 253 -; Vers 290
sagt Entendimiento "Ulises").
18 Vers 174.
19 VgI. meine späteren Ausführungen!
zo über die von Calder6n (Vers 207 H.) beachtete Reihenfolge und die von ihm in seinen
Stücken zum Ausdruck gebrachten Gedanken zur Hierarchie der Sinne müßte in einer
Sonders tu die (unter Berücksichtigung antiker - Plato! - und patristisch-scholastischer
Quellen - Augustinus!, Thomas! -) gesprochen werden.
12 Hans Flasme

den Reden einen Becher zum Willkomm. Er senkt den Strauß der Buße in
diesen Becher, und sofort schlagen Flammen aus dem Gefäß. Darauf will der
Mensch die Schuld, die sich nun durchschaut sieht (wie es Odysseus mit Kirke
in Homers Epos tun will- X, 321 -), töten. Doch sie bittet ihn erfolgreich
um Schonung und gibt ihm seine fünf Sinne, über die sie, weil er den Tugend-
strauß besitzt, keine Macht mehr hat, zurück.
Nachdem der Mensch seinen Verstand zum Klarmachen des Schiffes fort-
geschickt hat, überredet Circe ihn und die zurückverwandelten fünf Sinne
dazu, sie in ihren Palast zu begleiten. Dort - sagt sie - würden ihn (der
während der langen Verführungsrede der Schuld die Tugendblumen aus der
Hand gleiten läßt) süße Wonnen erwarten. Ihnen gibt der Mensch sich nun
hin.
Während in den Gärten der Schuld ein Lied dazu auffordert, den Tod zu
vergessen, ertönt plötzlich Trompetenschall. Man hört Mahnungen des Ver-
standes und der Buße, die Ulises an seine Sterblichkeit erinnern sollen, um
ihn aus den Armen der Schuld zu befreien. Es folgt ein dramatisches Ringen
zwischen dieser und ihrer lockenden Musik einerseits und der Warnung des
Verstandes andererseits, zwischen denen der Mensch hin und her schwankt.
Das Eindringen des Verstandes in die Gärten der Schuld hilft dem Menschen
sich gegen jene und für die Buße zu entscheiden. (Diese hatte die seinen Hän-
den entglittenen Blumen aufgesammelt und für den Augenblick verwahrt, in
dem er sich wieder von der Schuld abwenden würde.) Die Buße erscheint nun
auf einem Triumphwagen und bietet dem Menschen auf einem Tisch die Sym-
bole des Sakramentes dar, der Speise, die allein in der Lage ist, den Zauber
der Schuld zu besiegen. So verläßt der Mensch mit Verstand und Sinnen die
Gärten der Schuld und begibt sich auf sein Schiff. Die Buße verhütet, daß
neuer Zauber die Wogen des Meeres aufwühlt. Das Schiff sticht in die glatte
See, die Schuld sieht in wilder Verzweiflung ihre Macht und ihren prächtigen
Palast versinken. Das Auto schließt mit der Aufforderung an die Welt und
besonders an die Stadt Madrid, mit tausend Festen das große Wunder der
Errettung des Menschen zu feiern.
Ein kurzer Rückblick auf dieses Geschehen soll den Personenkatalog noch
einmal deutlich erkennen lassen. Die Gestalt des Menschen kämpft gegen die
der Schuld. Sie hat eine Reihe von Lastern, der Mensch die Sinneskräfte und
den Verstand zu Gefährten. Der Verstand wird von der Buße in dem zu gun-
sten des Menschen geführten Kampf gegen die Schuld unterstützt. Zwölf
Personen und die Musik agieren auf der Bühne.
Die in der soeben vorgetragenen Inhaltsangabe genannten antiken Namen
lassen einen Hinweis auf Calder6ns Quellen - ein Vergleich mit dieser
oder jener von ihnen wird später strukturerhellend wirken - angezeigt er-
,.Los Encantos de la Culpac von Calder6n 13

scheinen. So war der 10. Gesang der Odyssee Homers ihm gewiß zumindest
in der zu Salamanca erstmalig 1550 erschienenen spanischen übersetzung
von Gonzalo Perez 20a und das 14. Buch der Metamorphosen Ovids in der
zu Madrid seit 1542 mehrfach (so z. B. 1622) veröffentlichten zugänglich.
Eine Reihe spanischer Autoren des 17. Jahrhunderts - Gongora, Ruiz
Alceo, Lope de Vega und Montalban - hatten die Erzählung von Odys-
seus und Circe schon in ihr Schaffen einbezogen 21. Calderon selbst (der
mit Mira de Amescua und Perez de Montalban die Comedia "Polifemo y
Circe" schrieb) verfaßte 1635 die schon erwähnte Comedia "EI mayor En-
canto - Amor" 22. Mythographen wie Juan Perez de Moya mit seiner
"Filosoffa Secreta" (Madrid 1585) 23 und Baltasar de Vitoria mit dem
"Teatro de los Dioses de la Gentilidad" 24 wurden im Siglo de Oro weit
bekannt. Seit 1549 gab es spanische Fassungen der Emblemata des Italieners
Andrea Alciato, der in seinem Abschnitt "Cavendum a meretricibus" (Em-
blema 76) die Gestalten Ulises und Circe behandelt 25.
In einem einaktigen Auto von nur 1354 Versen prägte nun Calderon den
antiken Mythos von Odysseus und Circe in ein christliches Drama um. Ob-
gleich begriffliche Instrumente, die im Hinblick auf das in Akte (spanisch
jornadas) gegliederte entsprechende profane Schauspiel erarbeitet wurden,
für ein liturgischen Charakter annehmendes Kunstwerk wohl nicht in glei-
cher Weise gebraucht werden können, so vermögen sie doch die Feinstruktur
des (als Einheit ablaufenden Geschehens) zu erhellen. Bei dem Versuch (der
freilich subjektiven Charakter tragen wird), das Auto "Los Encantos de la
Culpa" zu besserem Verständnis zu gliedern, kann man dort, wie schon in
meiner Inhaltsangabe erwähnt, einen ersten Einschnitt sehen (und eine dem
Sinn des Ganzen entsprechende Rück- und Vorschau erlaubende überlegung
einschalten), wo, nach Vers 270, der Mensch, des guten Gebrauchs seiner
Sinne und daher nach klassisch-scholastischer Lehre auch des Verstandes be-
raubt, einschläft und als ein "cadaver temporale" bezeichnet wird. Der
Traum, der ihm die Folgen seines Tuns vor Augen führt, d. h. die Verwand-
lung der Sinne in Tiere, die ihn nun warnen, der Bericht (sozusagen die Tei-
choskopie) des Verstandes, der die Verführung der Sinne ausführlich schil-

!Oa Vg1. nunmehr die Aussage Kommerells! (Anm. 12).


21 Vg1. Valbuena Prat 1. c. pag. LXIII.
22 V g1. ibidem.
23 Ich benutzte meine Ausgabe Madrid 1673.
U I (Salamanca 1620), 11 (ibid. 1623). Ich benutzte meine Ausgabe 1,11,111 (Barcelona 1702).
25 Vgl. seine Worte: "Per Vlyssem autem, qui nullo veneficio a pristina forma dimoueri
potest, mentem anime ducem, intelligimus. (Andreae Alciati Emblemata... Patavij
1651). Meine spanische Ausgabe trägt den Titel "Declaraci6n magistral sobre las em-
blemas de Andres Alciato", Valencia 1670.
14 Hans Flasme

dert und den Menschen zur Besserung anregt, dann diese in drei Stufen voll-
zogene Besserung, die mit Hilfe der als Iris erscheinenden Poenitentia zu
siegreicher Begegnung mit Culpa - der Schuld - führt, dürfen als zweite
Handlungskette bezeichnet werden. Doch zeigen sich schon vorher, d. h. vor
Vers 753, Anzeichen einer Wandlung. Dieser Wandlung gelten die folgenden
dreihundert Verse (bis 1076), d. h. die dritte Handlungskette. Nach der gro-
ßen Verführungsrede der Schuld (die man, wollte man herkömmliche Ter-
mini technici anwenden, etwa mit dem Namen Epithasis näher charakterisie-
ren könnte) fällt ihr der Mensch erneut so zum Opfer, daß er die Worte "de
mf me olvido" ("ich vergesse mich") 26 und sie das Wort "Vencf"
("ich siegte") 27 spricht. Der Zustand der gänzlichen Hingabe wird durch
die völlig unerwartete Ankündigung einer Art "fLe't"ß<xoA~" (Beginn der
vierten Handlungskette) erschüttert. Von hier, von Vers 1077 an bis zur Ka-
tastrophe als Lösung, als "conversio in tranquillitatem" (von der man je-
doch in den Autos Calder6ns, wie wir noch sehen werden, nicht mit Scaliger
sagen kann, daß sie "non expectata" sei )28 erstreckt sich das den Menschen
auf seinem Weg zur Rettung zeigende Bühnengeschehen bis zum Ende des
Autos.
Diese als eine Art Makroanalyse aufgefaßte Gliederung in vier Etappen
wurde, wie gesagt, zu besserem Verständnis aufgewiesen. Durch viele über-
gänge erst, besonders aber durch die nur auf Grund einer Mikroanalyse
wahrzunehmenden, das ganze Auto durchwirkenden Verbindungs fäden -
sie gehen z. B. zwischen mehrdeutigen, symbolbezeichnenden, den Hermetis-
mus des Textes erhöhenden Worten hin und her - erscheint die Struktur in
ihrem ganzen Reichtum, in ihrer ganzen Complexio. Das sei zunächst in dem
jetzt folgenden Teil der Strukturanalyse, dem zweiten Teil des Vortrags, ge-
zeigt.
Schon mit dem ersten "Nebentext" 29 will Calder6n auf eine von ihm
beabsichtigte Mehrschichtigkeit hindeuten. Die zu Beginn des Stückes gege-
bene Bühnenanweisung lautet nämlich: "Es ertönt eine Trompete und es
wird ein Schiff gezeigt und in ihm der Mensch, der Verstand, der Geschmacks-
sinn, der Geruchssinn, der Gesichtssinn, der Gehörsinn, und alle sprechen
innerhalb des Schiffes." 30 Das Bild des in einem Schiff befindlichen Men-
26 Vers 883.
27 Vers 889.
28 Vgl. zu den lateinismen Termini H. Lausberg, Handbum der literarischen Rhetorik
(München 1960) § 1194, 3.
29 Ich gebrauche diesen Terminus im Anschluß an das Werk von Roman Ingarden, "Das
literarische Kunstwerk" (Tübingen 31965), S. 403.
30 "Suena un clarfn y descubrese una nave y en ella EL HOMBRE, EL ENTENDI-
MIENTO, EL GUSTO, EL OLFATO, LA VISTA, EL 0100 y dicen todos dentro
de ella: ... " Das Verb "descubrir" nimmt im Wortschatz Calder6ns einen wichtigen
,.Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 15

schen erblickt man auch am Ende des Stückes. Dort heißt es nach Vers 1275
u. a.: " ... es wird noch einmal das Schiff sichtbar ... alle steigen in es ein." 31
Für diese die dramatische Handlung eingrenzenden und für andere zum glei-
chen Sinnbezirk gehörende, oft erneut ausdrücklich vor das geistige Auge
des Zuschauers geführte Bildvorstellungen konnte der Autor viele Beispiele
in seinen Quellentexten vorfinden. Er füllte sie aber mit einem Gehalt, der,
in langer antiker und christlicher Tradition meditiert, von seiner Epoche und
von ihm offenbar als sehr aktuell empfunden wurde. Der Vergleich des
menschlichen Lebens, der Seele mit einem Schiff und des Menschen selbst als
dem Lenker eines solchen - gubernator navis - gehörte seit eh und je zu
den gebräuchlichsten 32. Der zu Beginn des Auto als erster sprechende Ver-
stand (Entendimiento) sagt: "Auf der weiten Fläche des Meeres der Welt be-
droht dich, oh Mensch, heute ein großer Sturm." 33 Calder6n bringt damit
Platz ein. über das "entdecken" vgl. Kommerell a.a.O. I, S. 56-63 ("Das barocke Zei-
gen"). Schon hier sei die (noch zu beantwortende) Frage gestellt, ob man Entendimiento
sozusagen als "Spielleiter" des Stüdtes und als diejenige Person bezeichnen könne, wel-
che besonders enge Verbindung zum Publikum herstellt.
31 ,,[Tocan] clarines y descubrese otra vez la nave; llega al tablado yentran todos en
ella." Das Schiff wird hier erneut sichtbar, nachdem die Bühnenanweisung bei Vers 88
gelautet hatte: "Desembarcan y esc6ndese la nave."
32 Vgl. die bei Filippo Picinelli (geb. 1604) Mundus symbolicus I, 11 (4. Ausgabe, Köln)
zitierten (hier nur als vorläufiges Dokumentationsmaterial gebrachten und nicht in allen
Fällen - da sich dies als unmöglich erwies - auf ihre Echtheit geprüften) Belege!
Ambrosius / Iib. de Jaco. c. 8 (= I 8,36) / : "Perfecti est enim viri .•• quasi providum
gubernatorem navem in tempestate regere •.." / Picinelli 11, p. 143-144 /. Der die
Schiffsmetaphern liebende Gregor von Nazianz schreibt (Orat. 27): "Quisquis navigat,
naufragio propinquus est, eoque magis, quo audacius navigat: eodem modo quisque
corpore convestitus / Picinelli 11 p. 154 /. Augustinus bemerkt (Epist. 3 ad Jul.):
"Invidus vir, inquit similis est navi, qua iactatur fluctibus maris / Picinelli 11. p. 149 /.
Vgl. auch Augustinus Epist. 19: "Tu, tum tua navis in alto est, Hoc age, ne mutata
retrorsum te ferat aura." / Picinelli 11 p. 143. Das italienische Original des Werkes
"Mundus symbolicus" erschien zu Mailand 1653. (Mondo simbolico). - Der Diction-
naire d'Archeologie Chretienne et de Liturgie bietet (s. v. Navire) den Vergleich der
christlichen Seele mit einem Schiff (vgl. tome XII, 1, 1010-1011): "L'intention de faire
du navire un embleme de l'Ame apparah evidente sur un marbre du musee Kircher .••
Oll, dans le vaisseau, sont figures deux grands vases d'argile, reprl!sentation symbolique
des corps de deux chretiens enfermes dans / le meme tombeau. Toutefois, l'intention
est plus evidente encore sur deux inscriptions Oll le navire porte le monogramme
du Christ" (fig. 8791 - diese Abbildung befindet sich auf Spalte 1012 -). Zur
Schiffssymbolik vergleiche man auch Joannis Pierii Valeriani, Bellunensis Hieryglyphica
••• editio novissima ... Coloniae Agrippinae 1614, p. 568. (Auf diesen Autor bezieht
sich auch - z. B. bei der etymologischen Herleitung des Namens Ulises - Sebastian de
Covarrubias in seinem bekannten Wörterbuch.)
ss "En la anchurosa plaza / dei mar dei mundo, hoy, Hombre, te amenaza / gran tor-
menta." (Vgl. zu tormenta auch Vers 48!) Zur Parallelisierung von Welt und Meer
denke man unter vielen anderen Texten an den Traktat über den Antichrist des Hippo-
lytos von Rom, das 115. Emblema des Alciato und die Hinweise in Commentaria in Psal-
morum Davidicorum Analysim Auctore Thoma Le Blanc •.. Editio Hieronymo de An-
16 Hans Flasche

allen im Schiff des Menschen befindlichen Gefährten und vor allem den Zu-
schauern eine Situation deutlich durchs Wort zu Bewußtsein, die den Belese-
nen unter ihnen aus Schriftstellern alter oder neuer Zeit, z. B. Augustinus
oder Alciato bekannt sein konnte. Diese dem Publikum schon im ersten Büh-
nenbild absichtlich vorgehaltene Situation, die jeden einzelnen an seine eigene
in jedem Augenblick (hoy!) bedrohliche Lage erinnern sollte, wird später
immer wieder in mannigfacher Variation ausgemalt; denn der Dichter
spricht nicht nur vom Meer der Welt, sondern auch dem des Lebens, ja das
Leben selbst fährt auf einem Meer 34. Wie aber ist der Sturm, von dem zu
Anfang die Rede ist, zu deuten? An dieser Stelle wird der Schiffsmetapher
eine andere beigefügt. Der Sturm versinnbildlicht - so darf man im Hin-
blick auf die Thematik des Stücks annehmen - Versuchung 35, wie sich frei-
lich - ein Charakteristikum für Calder6ns Aufbaupraxis - erst später
deutlicher ergibt 36. Durch die von antiken und mittelalterlichen Autoren
expressis verbis empfohlene Anrufung des Himmels 37 wird das Unwetter
beendet und so die Möglichkeit zum Einlaufen in einen Hafen gegeben, der
in übereinstimmung mit der Komposition des Schauspiels aus allegorisch zu
interpretierenden und der dramatischen Spannung dienenden Strukturele-
menten erst zum Schluß des Stückes spezifiziert wird.
Der Mensch bezeichnet seinen Verstand als Pilot des Schiffes 38. Daher
wird an anderer Stelle vom "bajel deI entendimiento", vom Fahrzeug des
Verstandes, gesprochen 39. Hier ist man aber auch versucht - im Hinblick
auf die von Calder6n selbst später im Text in der "conversio in tranquilli-
tatem" 40 vollzogene Interpretation des Schiffes als Kirche und angesichts
drea Tomus IV. Neapoli 1859 (Commentaria in Psalmum LXVIII p. 165 H.). Dort auch
die Angabe von TextsteIlen, in denen vom Sturm auf dem Meer der Welt die Rede ist!
Neben Calder6ns Worte "eI mar del mundo" halte man noch den Satz "la humana vida /
navega" (Verse 29-30) und den Ausdruck "eI mar de la vida" (Verse 20, 765).
34 Vgl. Verse 25-301

85 Man vergleiche die Erwähnung der "traductio" (aguas für tribulaciones - Verse 25
bis 28 -)! Eine Erleichterung des Verständnisses wird durch den Text selbst ermöglicht.
36 Vgl. die Verse 45-48 und 176-179: "lYa te olvidas que despues / en una tormenta
viste / tus Sen ti dos padecer / con tantas tribulaciones?" Auf die Bemerkung von En-
tendimiento, daß den Menschen ein großer Sturm bedrohe, antwortet Ofdo: "Yo he sido /
de tus cinco sentidos el Oido;" (Verse 3-4). Der Gebrauch des Preterito perfecto com-
puesto bei Calderon wäre einer Untersuchung wert. Ist hier "he sido siempre" gemeint
oder etwa eine Hervorhebung des besonderen Rang beanspruchenden "auditus" (vgl.
seine Bewertung bei Thomas von Aquin!) eingeflochten? Vgl. aber auch die Tatsache,
daß wenige Zeilen später der Gesichtssinn die gleiche Form gebraucht!
37 Vgl. die Verse 24, 56, 66. Bei Picinelli 11 p. 143 findet man eine Reihe von die oben
gemachte Aussage beweisenden Belegen (Ovid, Plinius, Lactantius). Vgl. auch im Neuen
Testament Markus VI, 47-511
38 Vgl. die Verse 78 und 752.
39 Vers 724.

40 Vgl. Anm. 28 und Vers 13331


,.Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 17

der mit solcher Deutung identischen (schon altchristlichen) Auffassung des


Schiffs als Gemeinschaft der Gläubigen 41 - hinter Entendimiento (Ver-
stand) den Pilot Christus verborgen zu sehen.
Das gongoristisch anmutende, chiastisch gestellte, doppelte Oxymoron -
"sin escamas delHn, cisne sin plumas" 42 (das Schiff ist ein Delphin ohne
Schuppen, ein Schwan ohne Federn) -läßt den sich am Spiel möglicher Ge-
dankenverbindungen freuenden Interpreten daran denken, daß Ambrosius
über das Mysterium eines schwimmenden und vom Himmel kommenden
Schiffes schrieb, welches er Christus, der für die Gläubigen Schiff ist und des-
sen Geburt Maria durch das Wort verkündet wurde, gleichsetzt 42a, daß ein
Fisch (Delphin?) für Christus stehen 43 und daß schließlich das Schiff in
christlicher Symbolik einen Schwan als Vorderteil besitzen kann. In Calde-
r6ns Text ist jedoch vor Einfügung des erwähnten Oxymorons von "hu-
mana nave" 44, vom menschlichen Schiff, die Rede, das freilich im Aus-
klang des Auto zum Schiff der Kirche wird 45 und als solches dann Christus
gleichgesetzt werden konnte. Doch seien diese durch den Dichter oft nahe-
gelegten Konstruktionen ohne genaue Nachprüfung vorerst nur dem Bereich
der vielleicht weiterer Calder6nforschung dienlichen Arbeitshypothesen ein-
gegliedert. Würde man vermuten, daß die Zuschauer nach Landung der
Schiffsinsassen (und die Leser nach Lektüre der Bühnenanweisung "esc6n-
dese la nave" 48 / das Schiff wird verborgen /) der Aufmerksamkeit auf
den Bereich der Seefahrt enthoben seien, so ginge man ganz und gar fehl. Um
den weiteren Verlauf der actio vorzuzeichnen, aber auch um die Bedeutung
des Schiffssymbols erneut zu betonen, hält der Mensch an seine Gefährten,

41 Vgl. Dictionnaire d'Ar<Mologie Chretienne et de Liturgie s. v. Navire 1011: "Le na-


vire figure donc la vie humaine et il est en meme temps le symbole de l'Eglise qui
transporte les fideles qui se confient aelle jusqu'au port salutaire." Die Gemeinschaft der
Gläubigen wird zwar hier wörtlich nicht erwähnt, doch darf man sie in dem die Gläubi-
gen beherbergenden Schiff der Kirche symbolisiert sehen.
42 Vers 82.
43" Vgl. seinen Sermo 47 ("Christus est navis, in qua ascendunt omnium credentium animae,
quae ut tota firmitas in fluctibus habeatur, de ligno fabricatur, et de ferro infigitur, hoc
est Christus in cruce. Sed quod dicit navem sine vestigio, ideo quia Verbum Dei vehe-
mens per aurem penetravit ad viscera collecto homine suo inter homines nascitur, Maria
virgo generat. Transit navis per mare, et nulla in undis vestigia: venit Christus de coelo;
aure concipitur, utero tempore certo portatur.") (P L 17, 700).
43 Vgl. Dictionnaire d'Archeologie Chretienne et de Liturgie (s. v. Navire), wo ein Schiff
auf dem Rücken eines Fisches (der ein Delphin sein könnte, aber nicht als solcher be-
schrieben wird) sich in Abb. 8793 (Spalte 1013) befindet. Die Erklärung lautet in Spalte
1012: " .•• L'Eglise est representee sous le symbole d'un navire porte sur le dos d'un
poisson, lequel n'est autre que Notre Seigneur Jesus-Christ ..."
" Vers 79.
4S Vgl. Anm. 41.
" Die Bühnenanweisung ist nach Vers 88 eingefügt.
18 Hans Flasche

die ebenfalls ausstiegen, eine Rede 47. Der Verstand wird noch einmal als
Steuermann und das Schiff, das vom Winde getrieben dem Vogel, vom Was-
ser umflossen dem Fisch gleicht, wiederum als monstrum - monstruo -
charakterisiert 48.
" ... entremos" - so sagt der Mensch am Schluß seiner Ansprache -"a exa-
minar / estos montes que han de ser / puerto de nuestra fortuna" 49 (gehen wir
hinein, um diese Berge zu untersuchen, die Hafen unseres Glücks sein sollen) 50.
Wie der Fortgang der Ereignisse zeigt, wird die Hoffnung nicht erfüllt;
doch wäre Calder6n nicht Calder6n, wenn das Bild des Hafens 51, an dieser
Stelle scheinbar ohne besondere Absicht eingefügt, nicht mit der beim Autor
immer zu beobachtenden Konsequenz gedanklich beibehalten und an geeig-
netem Platz in neuer, überraschender Bedeutung eingefügt würde. Aber zu-
nächst dringen andere in den Bezirk der Schiffahrtsmetaphern verflochtene
Bezüge an das Ohr des Publikums. Als nämlich der Mensch seinen Sinnen die
Befriedigung ihrer Wünsche in jenem unbekannten Gebiet, in das sie sich
soeben retten konnten, gewähren wi11 52, sieht der Verstand sich zu einer
Warnrede veranlaßt, die u. a. folgende Fragen enthält: "Vergißt du schon
jenes vergangene Hin und Her der Fortuna, in welchem du das Troja der
Welt, aus dem ich dich herausholte, brennen sahst? Vergißt du schon, daß du
dann deine Sinne in einem Sturm mit vielen Widerwärtigkeiten hast leiden
47 Vers 89 und H. In dieser Rede wird vom "mundo pequeiio" der "republica deI Hombre"
gesprochen, von "generoso Entendimiento" als "piloto de este bajel", womit - jedenfalls
in diesem Kontext noch - in erster Linie "humano bajel" (Vers 88), "humana nave"
(Vers 79) gemeint ist.
48 Gegen die Verknüpfung von "rnar" und "monstruo" (Vers 95-96) im Sinne von "mar
monstruoso", für "bajel" als "monstruo" sprechen die Verse 81-82.
49 Verse 117-119.
50 Auch eine Untersuchung des Vorkommens und besonders der Wertung von Berg und
Gebirge (etwa als Symbol des Bösen) in diesem Auto (wie in anderen Calder6ntexten)
würde sich lohnen. Vgl. schon vor dem oben zitierten Vers 118 Vers 84. In den Versen
301-302 wird der Bereich der Circe "los palses del monte" genannt. In Vers 667 heißt
sie "Circe de estas montaiias". (Vgl. dazu: "La Ulyxea de Homero, traduzida de Griego
en lengua Castellana, por el Secretario Gons;alo Perez ... Anuers 1556 177 v!) (Die
Erinnerung an Homers !lias 6, 345 sei nur beiläufig evoziert). Die Verse 113-116 der
hier in Rede stehenden Ansprache sind nicht leicht verständlich. Die übersetzung muß
sich nach der jeweiligen Handschrift richten. In den Versen 115-116 verzeichnet das
Manuskript 16282 jedesmal das Pronomen le, während die Manuskripte 3793 und
14 772 nur die Form la kennen.
51 Vgl. schon die Verse 61-62: "Que el Cielo a humildes voces siempre abierto / al nau-
frago piloto es feliz puerto."
52 Es ist reizvoll zu beobachten, welchen Wechsels der Argumentation sich der Dramatiker
Calder6n bedient, bevor die durch die Sinne vollzogene Erkundung erwähnt wird
(Vers 202 und H.). Die Sinne bringen ihre Wünsche zum Ausdruck (120 und H.). Der
Verstand wendet sich gegen sie, der Mensch widerspricht dem Verstand, dieser dem Men-
schen. Der Geschmack tritt für den Menschen ein. - Es ist unmöglich (und würde zur Auf-
gabe einer kommentierten Edition gehören), auch nur die wichtigsten der in diesem Zu-
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 19

sehen?" 53 Das Bild des brennenden Troja, das Calder6n in sein aus der
Antike stammendes Bildungsgut aufgenommen hatte - der schon erwähnte
Homerübersetzer Gon~alo Perez 54 sprach vom "gran saco de Troya" 55,
der großen Plünderung Trojas - wird für den die Dunkelheit des Textes
durchleuchtenden Hörer oder Leser zu einem freilich kaum ganz transpa-
renten, doch mit der Geschichte der Deutung des Trojabrandes gut zu
vereinbarenden Hinweis auf ein anderes Geschehen 55a. Läßt Calder6n den
Verstand nämlich sagen, er habe den Menschen aus dem brennenden Troja
gerettet, so ist damit im Zusammenhang des Autotextes - innerhalb der
Gesamtheit aller in ihn hineinverwobenen Ereignisse - gewiß nicht die Er-

sammenhang schwierig zu verstehenden Textstellen hier zu erläutern oder wenigstens auf


alle hinzuweisen. Wenn der Geruchssinn (Vers 126) von "tanta altivez" spricht, so kann
man sich fragen, ob er sich auf den Tastsinn bezieht, der vor ihm sprach oder aber die
Gesamtheit der Sinne meint, ihre "altivez". (übrigens fehlt "a" - a tanta altivez - in
zwei der für diese Studie benutzten Manuskripte! Ohne "a" ergäbe die in Rede stehende
Passage insofern eine andere - dritte - Bedeutung als "tanta altivez" und "la gran
India de SaM." gleichgesetzt wären.) Abgesehen von den zahlreichen ihrer sprachlichen
Fassung wegen schwer verständlichen Stellen sind natürlich diejenigen immer wieder zu
erwähnen, die dem Hörer und Leser im Hinblick auf das Bildungsgut, das sie bei ihm
voraussetzen, rechtzeitig erfolgende Reaktion abnötigen. Wenn die Gestalt "Tacto" sich
nach "Tiro" sehnt (Vers 122), so soll der dieses Wort hörende Zuschauer antiker Tradi-
tion (vgl. Tibullus, Plinius, ja Isidorus Hispalensis!) erneut eingedenk werden. Zum Aus-
druck "India de Saba" (Vers 127) vg1. Dictionarium Historicum, Geographicum, Poeti-
cum ... Per Nicolaum LLoydium. Editio Novissima Genevae 1693 pag. 863 Spalte 1-2
(Saba, Indiae pop. vulgo putantur apud Dionysium, cuius verba sunt ... Id est, horum
autem (fluminum) medii habitant Saba ... Quippe in India Sabas nemo alius nominavit.)
Bei den Worten von Olfato "suavisimas aromas" (Vers 129) erinnerte sich der Kenner
des Alten Testaments der Jeremias-Stelle 6, 20: "Ut quid mihi thus de Saba affertis ..."
Die Worte "India Oriental" (Vers 131) gebraucht M. de Faria e Sousa, Asia Portuguesa
(Biblioteca Hist6rica, Serie Ultramarina / Porto 1945 /) I, pag. 100. - Vertrautheit
mit dem Alten Testament (vgl. 2. Mos. 16,3) setzten auch die Wünsche von Gusto (vg1.
die Verse 141-148) voraus, die ein noch heute geflügeltes Wort paraphrasieren. - Will
Entendimiento (d. h. Calder6n!) mit der Erwähnung der "cortes populosas" (Vers 157)
auf die Höfe des Barockzeitalters anspielen? Man ist versucht, in viele calderonianische
Verse antikes oder christliches Bildungsgut hineinzulegen. Vielleicht überschreitet es die
Grenze des Erlaubten (und auch des zur Interpretation Erforderlichen), wenn der Hin-
weis des Menschen auf die Mühen, denen seine Sinne ausgesetzt sind (Verse 168-169),
als eine Repristination der Klage Jobs (3,3): "Pereat dies in qua natus sum ..." angesehen
werden sollte.
53 " ••• ;,Ya olvidas / aquel pasado vaiven / de la fortuna en quien viste / la Troya deI
mundo ar der, / de adonde te saque yo? / ;,Ya te olvidas que despues / en una tor-
menta viste / tus Sentidos padecer / con tantas tribulaciones?" (Es sind die Verse 171
bis 179; vgl. auch Vers 595!).
56 Vg1. Anm. 50.
55 1. c. 175.
55a Man vergleiche die bei Antonio Ricciardi (in seinen Commentaria Symbolica... In
quibus explicantur arcana pene infinita ad mysticam naturalem et occultam rerum signi-
ficationem attinentia ... Venedig 1591) erwähnten Deutungen (254 r).
20 Hans Flasche

rettung des Odysseus, nicht die des Aeneas in den Vordergrund gerückt, son-
dern die Erlösung nach dem Sündenfall gemeint, und mit Entendimiento,
von dessen "Divino Ser" später gesprochen wird 58, in geheimnisvoller
Weise der Logos, Christus, eingeführt. In wenigen Worten vollzog Calde-
r6n die Mimesis eines mythisch-antiken und historisch-christlichen Gesche-
hens. Auf diese Rettung aber folgte die Befreiung der Gefährten des Men-
schen aus dem Seesturm - "tormenta" -, der zu Anfang des Stückes in
seinem Toben geschildert wurde 57. Auch hier ist "tormenta" als Bild für
den Kampf zu deuten, der sich im Innern des von der Erbsünde geschwäch-
ten Geschöpfes vollzieht. Da, wie schon aus der Skizze des Inhalts hervor-
ging, ein zweimaliger Fall des Menschen und eine zweimalige Rettung die
Brennpunkte der Gesamtheit der sichtbaren dramatischen actio ausmachen,
ergibt sich somit die calderonianische Konzeption einer sich an den nur an-
gedeuteten Sündenfall der Genesis anschließenden Reihe von übertretungen
und die Charakterisierung des Ulises als eines ständig in der Gefahr des Stur-
zes befindlichen Wesens. Freilich wird im Auto der Weg zum Aufstieg ge-
wiesen, die immer wieder erfolgende Metabasis von Unglück zu Glück ge-
zeigt. Daß das Unglück des sich der Herrschaft über seine Sinne begebenden
Menschen als Sturm dargestellt wird, zeigt in aller Klarheit die vom Ver-
58 Vers 324.
57 Man erinnere sich an die Verse: "t Y a no te acuerdas de que / el Cielo te libr6 de ellas /
sc. tribulaciones?" (Verse 180-181). Die auf die Worte des Verstandes folgenden des
Geschmackssinns zeigen deutlich, welche Ansprüche Calder6n an sein Publikum stellte. Zu
Beginn seiner Rede (Vers 182: "No tienes que responder;") wendet sich Gusto nicht an
denjenigen, der unmittelbar vorher sprach (den Verstand), sondern an den Menschen, rich-
tet sich aber dann ("prudentfsima vejez". - Vers 184 -), ohne daß dies dem heutigen Leser
durch eine Anweisung bekanntgegeben wird (also wohl mit einer Geste), an den Verstand
- in einer ironisierenden, versachlichenden ("vejez"!), und (für ihn, den Gracioso!) auf-
fallend gepflegten Sprache. (Es würde in diesem Zusammenhang und an dieser Stelle zu
weit führen, den in der Literatur des Siglo de Oro zentral stehenden Terminus "condi-
ci6n" in den - schon etymologisch gesehen - so manche begriffliche Elemente einflie-
ßen, zu analysieren.) Einem Wechsel des "Adressaten" begegnen wir auch in einer späte-
ren Aussage des Menschen. Mit den (vielleicht wiederum leicht ironisch gemeinten) Wor-
ten: ,,51, Entendimiento; y tu aviso / ha llegado a muy buen tiempo." (Verse 625-626)
wendet sich der Mensch an den Verstand und fährt dann (ohne daß dies besonders zum
Ausdruck gebracht wird), seine Worte an Culpa richtend, fort: "Estoy cobarde, estoy
mudo / tanto al cortes cumplimiento / que debo a vuestra beldad / y a vuestra hermo-
sura debo, / que aunque ret6rico fui, / al miraros enmudezco: /". (Vgl. zum "rhetori-
schen" Odysseus Ilias 111, 222-224) - Wenige Zeilen später liest man in der Ausgabe
von Valbuena Prat die Worte der Culpa: "jMortales furias! tQue es esto; / saber hoy
que mis encantos / desvanezca?" (Verse 646-648.) Bei Pando (also in der Ausgabe des
Jahres 1717) spricht Culpa die Worte "jMortales furias!", dann Hombre die Worte "lQUe
es esto?" und dann wiederum Culpa "Saber hoy que desvanezcas / mis encantos." (Auf
den Sinn dieser Worte muß in einer ausführlich kommentierenden Ausgabe eingegangen
werden.)
58 Verse 480-481.
»Los Eneantos de la Culpa« von Calder6n 21

stand gegebene Erklärung, die er nach dem Erscheinen der in dem Regen-
bogen schwebenden Buße gibt. Der Regenbogen verkünde, so heißt es, daß
"el rigor de la tormenta" 58, die Heftigkeit des Sturmes, sich gelegt habe.
Ein Terminus aus dem Bereich der Schiffahrt stellt sich dann wieder in der
Rede der Culpa ein 59, mit welcher sich der durch die Reue gereinigte Mensch
um seine verzauberten Sinne zu erlösen, unterhält. Wenn sie ihn, der so viele
gemäß der Bibel und den Vätern durch das Wasser versinnbildlichte "tribu-
lationes" erduldete, schon jetzt, freilich noch ohne Erfolg, mit verführe-
rischen Worten empfängt und ihm "dulce patria, amado centro, / noble
asilo, ilustre amparo, / blando albergue y feliz puerto" (süßes Vaterland,
geliebtes Zentrum, edlen Zufluchtsort, erhabenen Schutz, sanfte Herberge
und glücklichen Hafen) verheißt 60, so liegt hier wiederum insofern eine
vom Dichter Calder6n absichtlich eingearbeitete Mehrschichtigkeit vor, als
er mit dem Bild des Hafens auf die für ihn allein diese Bezeichnung ver-
dienende Eucharistie hin lenken will, sie, die Culpa, aber bewußt mit einer
Vorspiegelung des echten, natürlichen Hafens operiert 61. Auch sie spricht
davon, daß der Mensch dem brennenden Troja der Welt entflohen und zu
einem anderen Brand - damit ist das Feuer der Sünde, das er stets in sich
spürt und das sie in ihm zu entfachen wünscht, gemeint - gekommen sei 62.
Denjenigen, der auf dem Meere viele Qualen erlitt, so fährt die allegorische
Gestalt der Schuld fort, plage der Durst, obgleich es verwunderlich sei, daß
das wasserreiche Meer den Seefahrer Durst leiden lasse 63. Daher möge er,
der Mensch, sich von ihren Dienerinnen Getränke reichen lassen 64. In wenige
Zeilen sind - ohne auch nur ein einziges Metaphorik anzeigendes sprach-
liches Zeichen - Gedanken chiffriert, die nur aus der Struktur des Werkes
selbst und aus der Interpretation von Autoren, welche Calder6n und die
Meditation seiner Zeit befruchtet haben mögen, zu erkennen sind. "Mare per
quod Aeneas iactatus est, significat appetitum hominis ... qui duplex est vel
a sensu, vel a ratione ..." erläutert - wie zutreffend ist das für den

59 Auf Culpa macht Entendimiento schon in Vers 224 aufmerksam!


60 Verse 578-580. Vgl. zu puerto die Verse 61-62!
61 An einer Stelle (vgl. Vers 591 und die folgenden) erinnert die hier in Rede stehende
Begrüßungsansprache der Schuld an die übersetzung des Gonyalo Perez (vgl. 185 r:
"Tu deues eierto ser aquel Ulyxes / Tan sabio en todas eosas y disereto"). Calder6n
gibt wiederum seiner etymologisierenden Neigung nach, indem er Culpa sagen läßt:
" ... el valiente Ulises, / - que quiere decir en griego / "hombre ingenioso" (que al fin /
no hay sin eautelas ingenio) -". (Man vergleiche die Verse 31-34!). Im Manuskript
des 17. Jahrhunderts wird übrigens die durch vorsichtiges "al fin" eingeleitete Aussage in
der Form "non hay eautela sin ingenio" wiedergegeben.
62 Verse 595-598.
63 Verse 605-612.
64 Verse 613-616.
22 Hans Flasche

Calder6ntext! - Landino 65. Culpa, die Schuld, identifiziert also, ohne es


irgendwie anzudeuten, den die See befahrenden Ulises mit dem das Meer der
Leidenschaften durchquerenden Menschen. In diesem Stadium des Bühnen-
geschehens kommt es noch nicht, wie der Zuschauer vielleicht erwarten
könnte, zum Rückfall, so daß der Verstand die an den Menschen gerichtete
Aufforderung ausspricht, er möge zum Schiff kommen 66.
Der bislang von uns überblickte Teil der Handlung weist an vielen Stellen
die der Struktur des Werkes dienende, es, wie noch andere Elemente, zu
einem Ganzen zusammenschmiedende Kraft der Schiffahrtsmetaphorik auf.
Die gleiche Behauptung kann für die noch zu betrachtende Hälfte gemacht
werden. Die Sinne des Menschen wehren sich - und der Rückfall in die
Schuld kündigt sich damit an - gegen eine Weiterfahrt. So sagt der Gesichts-
sinn zum Verstande: "Wohin willst du uns führen? Wir werden auf jenem
Meere leiden." (lAd6nde quieres llevarnos / por ese mar padeciendo?) 87.
In dieser Äußerung soll keine Schicht erblickt werden, welche die Zahl der
bisher oft festgestellten, der Detailinterpretation tatsächlich zugänglichen um
eine neue vermehrt. Daher mag der Hinweis auf die augustinische Gleich-
setzung vom Schiff, das die Menschen trägt, auf der einen Seite, mit dem
Kreuz Christi, dem leidenden Christus auf der anderen Seite, nur als Sinnes-
verdichtung verstanden werden, die dem Dichter möglicherweise zur Verfü-
gung stand, von ihm jedoch wohl nicht wirklich intendiert wurde 68. Zu der
von den Sinnen angesichts des reizvoll verführerischen Aufenthaltes im Reich
der Culpa zum Ausdruck gebrachten Ablehnung weiterer Meeresabenteuer
paßt die in der nunmehr folgenden großen Verführungsrede der Schuld an-
gewandte Bezeichnung "ineonstante lefio" 69 (unbeständiges Holz) für
das Schiff des Ulises sehr gut. Denn sie will natürlich abfällig sprechen. Man
sieht, wie die immer wieder von Calder6n eingebaute Schiffsmetaphorik
bald in dieser, bald in jener Beleuchtung erscheint.
Eine Häufung der zum Schiffsbildbereich gehörenden Termini ist dann
noch einmal in dem Schlußteil unseres Werkes festzustellen, in welchem der
über die Schuld siegreiche Mensch und die unterlegene Schuld ihren nunmehr
eindeutig zutage tretenden und hellbeleuchteten Antagonismus vor den Augen
des Zuschauers ausbreiten. Die zu Beginn des Stückes unter Hinweis auf die

85 Dieses dem dritten Buch der Disputationes Camaldulenses des Cristoforo Landino ent-
nommene Zitat findet sich bei Antonio Ricciardi 1. c. pag. 8 v.
88 Vers 724.
87 Verse 729-730.
88"OpUS est ergo, ut in navi simus, hoc est ut in ligno portemur, ut mare hoc transire
valeamus. Hoc autem lignum, quo infirmitas nostra portatur crux est domini ..."
(Sermo 75 11, 21PL 38, 475/).
89 Vers 764.
,.Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 23

Bibel angerufene Kquivalenz von "aguas" und "tribulaciones" wird von


der Gestalt, die auch vom "unbeständigen Holz" gesprochen hatte, der
Schuld also, gegen ein Fliehen des Menschen aus ihrem Herrschaftsbereich
geltend gemacht. Sie wünsmt dem ausfahrenden Schiff ein "sepulcro de
plata" 70 und nimmt damit - ob vom Dimter so beabsichtigt oder nicht -
die antike Ausdrucksweise "unda argentea" wieder auf71 • Es ist erstaun-
lich, wie in diesem, dem abschließenden Höhepunkt des Stückes zugehörigen
Teil christlicher Prägung antike Terminologie eingeschmolzen wird. So heißt
das Smiff plötzlich - wohl in Anklang an virgilianisches oder ovidianismes
"pinus" - "pino" 71a. Die Verse, über die man ohne Berücksichtigung der
in sie von Calder6n auch hier ganz deutlich eingelassenen strukturellen Li-
nien hinwegzulesen geneigt ist - "Notos que venfs deI Austro / soplad
con süaves auras / porque hasta el puerto de Hostia / hoy a salvamento
saIga." 72 (Südwinde, die ihr vom Süden kommt, weht mit milden Lüften,
damit es / d. h. das Smiff / heute wohlbehütet bis zum Hafen Hostia hin-
ausfahre), bergen ein Gewebe von Allusionen. In unmittelbarer Anlehnung
an antike überlieferung wird die Rimtung der Fahrt bestimmt. Es geht vom
Süden nam Norden, vom homerismen "Trinakfa" 73 (= Sizilien) nam
dem Hafen von Ostia.
Mit dieser Hafenbezeichnung ist in typisch calderonianischer Art dreierlei
gleichzeitig gemeint: 1. der Hafen der Stadt Rom (vielleicht in Erinnerung
an Virgils Epos evoziert); 2. die Hostie im Hinblick auf das im Auto Sacra-
mental zentral stehende Geschehen; 3. Rom als Mittelpunkt der Ecclesia. Zu
diesem Hafen strebt das Smiff der jetzt die Gemeinschaft der Gläubigen dar-
stellenden Kirche. Ulises, der im ersten Bühnenbild nur als einzelner zu Han-
deln schien, wird nunmehr als Glied eines Corpus gesehen. Die Buße ("Peni-
tencia"), welche die oben zitierten Verse spricht, bringt dem handelnden
und seinem Heil zustrebenden Mensmen (und dem ihn betrachtenden Zu-
schauer) den ekklesiologischen Gehalt zu Bewußtsein, von dem sogar in der
das Auto absmließenden Rede der Smuld gesprochen wird 74, 71. Die Schuld
erkennt ihr Unvermögen, das vor den Augen der Zusmauer wie einst im
Geist Clemens von Alexandriens glücklich davonfahrende Schiff der Kirche 78
an seiner Fahrt zu hindern.
70 Vers 1292.
71 Vgl. z. B. Apuleius "undae argenteae" (met. 4, 6).
71a Vers 1299.
72 Verse 1301-1304.
73 Die drei Manuskripte (und Valbuena Prat) bieten die Form Trinacria. Auch Georges
führt die griechische Form mit rauf.
7US Vgl. Vers 1333.
70 Vgl. Jean Dani~lou. Les symboles chr~tiens primitifs (paris 1961), p. 74. (Die für uns
in Frage kommenden Ausführungen sind überschrieben "Le Navire de l'~glise").
24 Hans Flasche

Schon in diesem Auto "Los Encantos de la Culpa", wie später 1674 in


"La Nave de1 Mercader" (Das Schiff des Kaufmanns) hat der spanische
Dramatiker als Krönung seiner Vorliebe für die Schiffahrtsmetaphorik und
zugleich in Wiederaufnahme alter, uns jüngst von Rahner 77 und Danie-
lou 78 dargestellten Tradition (man denke an Hippolytos von Rom 79, Ter-
tullianus 80, Cassiodorus 81, Rhabanus Maurus 82) das Bild vom Schiff der
Kirche, an die die Spannung endgültig lösende Stelle gesetzt. Das Meer der
Welt, "mare ... saeculum" in Augustins Sprache 83, von dem zu Beginn
die Rede war, wird nunmehr von einem Schiff befahren, dessen Steuermann
wohl nicht mehr allein wie anfangs als "Entendimiento" (Verstand) ange-
sehen werden kann; er darf, das geht aus dem Zusammenhang hervor und
ergibt sich aus der Tatsache, daß nur rational abgrenzende Interpretation bei
symbolhaften Vorstellungen unangebracht ist, obwohl der Name "Entendi-
miento" erhalten bleibt, mit Christus identifiziert werden.
Wie bei den Termini der Schiffahrtsmetaphorik, so hat Calder6n die
Technik der Verknüpfung, des Verweises, der Voraus- und Rückwärtsdeu-
tung, der Bedeutungsambivalenz im Sinne struktureller Bindung auch bei
anderen Worten und in verschiedenartigster Weise angewandt. Der Mensch
sagt zu Beginn des Stückes - er befindet sich, wie wir hörten, in dem vom
Sturm bewegten Schiff - er neige zu "astucias" 84. Deshalb trage er den
Namen "Ulises" 85, welches im Griechischen die Bedeutung "cauteloso"
(vorsichtig, arglistig) habe 86. Solcher Hinweis konnte natürlich im Anschluß
an die Charakterisierung der Odyssee 87 gewählt werden, gehört aber wohl
77 H. Rahner, Antenna crucis III, "Das Schiff aus Holz". In: Zeitschrift für Katholische
Theologie (1942), S. 197-227.
78 Vg1. Anm. 76.
79 Vg1. Danielou 1. c. p. 67.
80 V g1. Danielou 1. c. p. 74.
81 Vg1. "In navibus autem (ut saepe diximus) Ecclesias signifieat, quae ligno erucis mundi
istius tempestates enavigant." (M. Aurelii Cassiodori expositio in psalterium, CVI,
23/PL 70, 772 I).
82 "Si autem naves spiritaliter eeclesias possunt signifieare, quae in salo istius mundi ver-
santur et fluetibus tentationum adque perseeutionum tempestatibus quassantur, non in-
congrue statio vel portus navium, fidei firmitas potest aceipi, ubi tranquillitatem quietis
sanetorum animae invenire desiderant." (De universo XXI, XVI: De Navalibus IPL
111,372/).
83 Aus den Textstellen, die man hier zitieren könnte, sei nur eine einzige ausgewählt. Es
heißt in der Enarratio zu Psalm LXIV, 9: "Mare enim in figura dicitur saeculum hoc ... "
(PL 36, 780).
84 Vers 31.
85 Vers 32. Vg1. auch die Worte in Vers 36: "de Ulises si ga en mi la alegorla".
88 Vers 34.
87 X, 330 (,,1tOA{),,'P01tO~"). Zum "Ulysses dolosus" bei Dares Phrygius vg1. Dietys
Cretensis, De Bello Troiano et Dares Phrygius, De Exeidio Troiae. Lutetiae Parisiorum
1680 p. 157 Zeile 26. Wenn es in den Versen 668-669 von Circe heißt: " - que quiere
"Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 25

eher zu der bei Calder6n beliebten Etymologisierungsmethode, die nicht aus


dem Wort selbst, sondern aus dem damit bezeichneten Objekt durch Rück-
schluß zu einem Ergebnis zu gelangen versucht.
Schon in der Exposition gegeben, deutet Calder6ns Etymologie auf das
spätere Geschehen, die ethische Schwäche des Menschen als Ursache seines
Falles und Rückfalles hin. Wenn - ein weiteres Beispiel - der dem Ver-
langen der Sinne widersprechende Verstand (Entendimiento) - diese wol-
len sich, wie erinnerlich, sofort nach der Landung ihrem Genuß widmen -
schon hier von "Penitencia" 88 (Buße) spricht und damit einen theologisch
bedeutsamen Terminus einflicht 89, so fällt das Wort, das später zweimal
die Bedeutung der den Menschen rettenden Gestalt bezeichnet. In eben der-
selben Mahnung nennt Entendimiento außerdem schon Culpa die Gegen-
spielerin des Menschen in seinem Kampf um die Sinne, diejenige allegorische
Figur, welche den Mittelpunkt der glänzendsten Szenen des Auto bildet,
wenn man bei solchem Urteil die Schönheit von Sprache und Vers und nicht
so sehr den in anderen Passagen bewundernswert synthetisierten Lehrgehalt
ins Auge fassen will. Auch dort, wo es nicht um einzelne Termini und die da-
durch angedeuteten umfassenden Zusammenhänge, sondern etwa um Wort-
gruppen und die durch sie charakterisierten Situationen geht, läßt Calder6n
den Willen zur Parallelisierung, zu scharf markiertem Aufbau erkennen. So
sind z. B. zwei prachtvolle Szenen, obgleich beträchtlich voneinander ge-
trennt, unverkennbar aufeinander bezogen. Die dem Menschen nach erstem
Vergehen (und dem dieses tilgenden Reueakt) erscheinende Poenitentia
schwebt auf dem Regenbogen, auf jenem seit Homer, Hesiod, Ovid, Plinius,
Vincentius Bellovacensis und Ravisius Textor bis in die Zeit des spanischen
Siglo de Oro meditierten und allegorisierten Phänomen zu ihm nieder. Als
sie verschwindet, spricht der Mensch: "Fuese dejandome impreso / un reng-
l6n de tres colores / en el papel de los Cielos." (Sie enteilte, ließ mir ge-
druckt zurück eine Zeile von drei Farben auf dem Blatt des Himmels) 90.
Diesem Bild soll, wie die Wahl der Worte deutlich erkennen läßt, ein anderes
und zwar dort 91 entsprechen, wo Poenitentia zum zweitenmal Retterin

decir en griego / maleficiosa hechicera -", so tauchen die homerischen Verse (Odyssee X,
227-289) vor dem geistigen Auge des Hörers bzw. Lesers auf.
88 Vers 223.
89 Vgl. Declaraci6n de los siete Psalmos penitenciales por el P. M. F. Pedro de Vega ...
(Salamanca 1606) p. 4: "Y ast dijeron con propiedad los Doctores, que la penitencia
mira a dos blancos: a los males pasados, llorandolos, y a los venideros, proponiendo
nunca mas cometerlos." (Am Rande stehen die Worte "Paenitentia est Janua Coeli".)
90 Verse 540-542.
u Vers 1196.
26 Hans Flasche

wird und sich als Siegerin über die Schuld bezeichnet: "Yo, que el arco de
paz he sido 92. / Que si hoy en carro triunfal / me llegas a ver sentada /
sustituyendo el dosel / de oro, de purpura y nacar / es porque a triunfar
de ti / vengo ... /." 93 (Ich, die ich der Friedensbogen gewesen bin. Denn,
wenn du mich heute auf einem Triumphwagen sitzen sehen kannst, der den
Baldachin VOn Gold, Purpur und Perlmutter ersetzt, so geschieht es, weil ich
über dich zu triumphieren komme.) Für Bedeutungsambivalenz im Sinne
struktureller Bindung bietet die lange Verführungsrede der Circe dort ein
gutes Paradigma, wo sie VOn "sabrosfsimos manjares" 94, die sie schenken
werde, berichtet. Der Künstler Calder6n hat hier daran gedacht, und ein
zuschauender homo religiosus tut desgleichen, daß an die Stelle des Brotes
der Verführung gegen Ende des Bühnengeschehens ein "manjar de1 alma
eterno" 95 treten wird. Profaner und sakraler Gebrauch des gleichen Wor-
tes stehen im Dienst einer Spannung zwischen zwei Textstellen und den bei-
den Polen des Stückes. Von den bisher genannten Verfahrensweisen unter-
scheiden sich schließlich diejenigen, die einen direkten Hinweis einfügen wol-
len. So sagt die Buße, daß sie den Blumenstrauß, der die Tugenden versinn-
bildlicht, so lange bewahren wolle, bis der Mensch reuevoll zu ihr zurück-
kehre 96.
Calder6n hat, wie alle bisher aufgedeckten Verbindungslinien erkennen
ließen, das Gefüge seines Werkes sowohl durch oft wiederholte Bezugnahme
auf einen für das ausgewählte Thema besonders geeigneten Sinnbezirk als
auch durch mannigfache Vorausdeutungen und Rückverweise kunstvoll kon-
struiert.
Von der Dichte, mit der auch in diesem Auto eine nur der Mikroanalyse
zugängliche Fülle von aufeinander abgestimmten Mosaiksteinen zusammen-
gefügt wurde, vermag man nur dann wirklich ausreichende Kenntnis zu ge-
winnen, wenn man diese oder jene längere Textstelle seziert und sie dann,
damit die ihr zugemessene Bedeutung ganz erkannt werde, wiederum in den
Gesamtzusammenhang des Stückes eingefügt. Als Beispiel hierfür sei im
zweiten Teil der Strukturanalyse, dem dritten Teil meines Vortrages, die 113
Verse umfassende Verführungsrede der Schuld und dann jener Teil, der den
92 Vgl. 1. Mos. 9, 12-17!
93 Verse 1191-1198. Auch nach Aussage eines Philologen mit Spanisch als Mutter-
sprache ist es unklar, ob "sustituyendo" sich auf "carro triunfal" oder "Yo" bezieht. Das
älteste Manuskript zeigt "nectar". Vgl. Vers 613: "brindadle con este nacar" und
Vers 633-634: "el nectar / con que me brindais acepto;"! über die Semantik der Farb-
bezeichnungen bei Calder6n, in die auch die Farben des Regenbogens einzubeziehen sind,
wird zur Zeit eine Hamburger Dissertation angefertigt.
94 Vers 841.
95 Vgl. Verse 1215-1216: "pues el manjar solamente / que es eterno es el deI Alma."
96 In Vers 935 wird also auf Vers 1191 hingewiesen.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 27

einzigartigen Dialog zwischen ihr 97 und dem Menschen enthält, unter-


sucht 98.
Der Mensch hat, das ist die Situation zu Beginn der Rede, seinen Ver-
stand fortgeschickt, damit dieser das Schiff zur Abfahrt vorbereite, er aber
in der Zwischenzeit - "aqueste breve instante" 99, der zu langer Dauer
werden wird - mit der Schuld, deren Verführungsgewalt sich bei ihm schon
bemerkbar macht, sprechen könne 100. Er nennt sie "esta deidad" 101, wie
Gonyalo Perez in seiner Odyssee-übersetzung die Circe im Anschluß an
Homer "diosa" nannte 102.
Die Schuld (die sich zuerst wohl an das Publikum wendet 103), legt ihre den
eigenen Zauber entfaltende Charakterisierung in einer Rede dar, in der sie,
als Frau und als Gegenspielerin des Verstandes, auf das Herz des Menschen
abzielend, sich der logischen Argumentation enthält. Daher entbehrt diese
Rede z. B. - sprachlich gesehen - der für Calder6n sonst, in beweisenden
Darlegungen, so charakteristischen logisch-juristischen Termini und Partikel.
Der Wille des spanischen Dichters, eine große Dokumentation seiner der
Circe freilich durchaus mit Recht in den Mund gelegten vielgestaltigen Kennt-
nisse zu präsentieren, tritt vor allem beim Vergleich mit den entsprechen-
den Zeilen der Odyssee hervor.
Vor diesen für die Aufbaukunst Calder6ns besonders aufschlußreichen
Ausführungen der Schuld befindet sich jedoch noch ein die äußere Situation
des Ulises bestimmender erster Teil 104, durch den er von der Weiterfahrt ab-
gehalten werden soll.
Die Notwendigkeit des Ineinandergreifens von sprachlicher und inhalt-
licher Interpretation - das will ich in einer Parenthese hervorheben - zeigt
sich gerade an dieser Stelle: "Setze deine Reise noch nicht fort", besagt die
Aufforderung der Schuld, "volviendo / de esas incultas montafias" 105
(indem du von diesen unwirtlichen Bergen die Rückfahrt antrittst), so liest
97 Sie tritt erst mit Vers 567 auf!
98 Vers 757 und H.
99 Vers 755.
100 Vorher sprach er zu seinem Verstand: " ... tu consejo / arrastrarme no podra; / mo-
verme sf, ya 10 has hecho." (Verse 748-750). Hier sieht sich der Interpret einer der
zahlreichen, zureichend nur philosophisch erklärbaren TextsteIlen gegenüber. Ist es mög-
lich "mover" auf die "scientia ut dirigens" (thomistisch gesprochen) zu beziehen? Vgl.
H. Meyer, Thomas von Aquin, 21961, S. 251: "Die praktische Vernunft bewegt den
Willen, sofern sie das Ziel in Gedanken vorausnimmt, die Objekte vorstellungs mäßig
darbietet."
tOl Vers 754. Vgl. 1001!
102 178 V.

103 Verse 757-758: "Ahora podre hablarle, pues / apart6 su Entendimiento."


104 Er geht bis etwa Vers 789.
105 Vers 760-761.
28 Hans Flasche

man im Text der Edition Pando des Jahres 1717 und aller sich nach ihr rich-
tenden Ausgaben; dagegen "volviendo / de esas fnclitas montanas" (in-
dem du von diesen ruhmreichen Bergen die Rückfahrt antrittst) in denjeni-
gen aller drei Manuskripte. Man kann wohl im Hinblick auf andere Zeilen,
die man zum Vergleich heranziehen darf 106, nicht daran zweifeln, daß -
trotz des Demonstrativums "ese" 107 - die sprechende Person sich auf ihr
eigenes, sie umgebendes, von ihr natürlich gepriesenes Reich bezieht, um so
mehr als Berg und Gebirge in diesem Auto häufig negativ bewertet, als Sitz
des Bösen angesehen werden 108.
Wie ist aber dann die Form "incultas montanas", die der Text des Jah-
res 1717 aufweist und die nach Aussage eines Spaniers rhythmisch besser
klingt, zu deuten? Möglicherweise versucht die Verführerin durch die Cha-
rakterisierung ihres Gebietes als ein unwirtliches Mitleid zu erregen. So-
wohl diese Interpretation wie das durch drei Manuskripte nahe gelegte Ver-
ständnis der Worte Circes läßt sich gut mit der Absicht einer Verführung des
Angeredeten vereinbaren.
Von solchem Geschick, alle, selbst die anscheinend geringfügigsten Einzel-
heiten, einem Ziel dienen zu lassen, zeugt in dieser Rede auch zugleich die
ironisch-selbstsichere und raffiniert ausgesprochene überzeugung, dank des
von Iris der Buße übergebenen Tugendstraußes brauche der Mensch keine
Furcht vor einem Rückfall in die Schuld zu hegen 108. Der Aufforderung, in
Geborgenheit - albergue 109 - , Pracht - ricos palacios 110 - und Genuß -
estos montes de tantas delicias llenos 111 - zu verweilen, folgt der Angriff
Circes auf den Intellekt des Menschen, der in dem Auto, wie erwähnt, mit
dem wendigen Helden der Odyssee identifiziert ist.
In diesem zweiten, deutlich zu erkennenden und dennoch nahtlos an den
ersten angefügten Teil der Rede 112 legt der Dichter sein aus antiker, bibli-
scher, zeitgenössischer Quelle gespeistes Wissen in den Mund der sprechen-
den Circe. Es gelingt ihm, eine Fülle von Künsten so vorzuführen, daß nicht
nur die homerische Zauberin, sondern auch das person haft Böse der Hl.
Schrift für Zuschauer und Leser lebendig wird. Zur Kategorisierung ihres
Wirkens und ihrer Macht bedient sich "la Circe de es tos desiertos," wie sie

106 In Vers 764 heißt es "ese inconstante lefio".


107 Vgl. Anm. 106! Eine Analyse des Gebrauchs der Demonstrativpronomina bei Calde-
r6n soll so bald wie möglich in Angriff genommen werden.
108 Verse 772-776: "y pues te miras exento / de la magia de mi encanto, / en fe de este
ramo bello, / que te di6 la Iris, no quieras / volverte al aHn tan presto:".
109 Vers 777.
110 Vers 785.
111 Verse 779-780.
112 Verse 789 und ff.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 29

sich nunmehr nennt 113, denn sie ist ja auch "diabolus in deserto" 114 - eben
noch gebot sie über "montes / de tantas delicias lIenos" 1140 - der Ausdrücke
"portento" 115 und "ciencia" 116. Der erste führt lat. portentum fort und
bedeutet eine außerordentliche Erscheinung der unbelebten Natur; der
zweite wird bei Calder6n häufig, entsprechend der Bibel, "gracia" kon-
trastierend gegenübergestellt. Beide nehmen im Wortschatz des Dichters, und
zwar in allen seinen Werken, einen auffallend wichtigen Platz ein. Verbotene
Wissenschaften - "ciencias prohibidas" 117 - sind es, die dem zuhörenden
Ulises vorgeführt werden und ihn, wie den Menschen in der Genesis 118, zu
Fall bringen sollen. Mit verbotenen Büchern beschäftigte sich das Konzil von
Trient 119 nicht viele Jahrzehnte vor Calder6n. Verbotene Wissenschaften,
so hatten Kirchenschriftsteller, z. B. Clemens von Alexandrien, gelehrt, wer-
den von abtrünnigen Engeln übermittelt 119a. Tertullian kennt "artes ... ab
angelis desertoribus proditas et a Deo interdictas" 120. Verbotene Wissen-
schaften fand Calder6n in Handbüchern seiner Zeit ausführlich erörtert.
In einer Aufzählung, die sechsmal die Anrede "veras" (du wirst sehen)
enthält und die viermal durch beiseite gesprochene, nicht für den Angerede-
ten bestimmte Erklärungen unterbrochen wird, hörte Ulises, daß die Zaube-
rin, die sich mit David "Schatten" nennt 121, die Sonne verdunkeln 122, einen
Teil der Sterne vom Himmel holen 123, die Erde erschüttern kann 124, daß sie
Vogel- und Blumensprache beherrscht 125. Exempla für Mantik aus verschie-
denen Sphären der Schöpfung hatte Calder6n beständig vor Augen. So
113 Vers 794.
114 Vgl. Matthäus 4, 1.
11 4 a Verse 779-780.
115 Vers 790. Eine Dissertation über Calder6ns Terminologie 1m Bereich des Wunders
ist in Bearbeitung.
116 Vers 792.
117 Vers 795.
118 Vgl. II, 17.
119 Conc. T rid. IX 11 06 (de variis censuris ac libris, vel suspectis vel perniciosis.)
119" Vgl. das Reallexikon für Antike und Christentum Bd. 5 (s. v. Engel IV; B IX, Sp. 195).
120 Apologeticum 35, 12. Vgl. 22, 9.
121 Vgl. Vers 803 und den Terminus "umbra mortis" im Liber Psalmorum!
122 Vers 802.
123 Verse 809-810.
124 Verse 823-828.
125 Verse 829-836. Schon an dieser Stelle ist der übergang zum "lyrisch" geformten Teil
der Verführungsrede spürbar. Vgl. zur Interpretation von Vogelflug und Vogelstimmen
auch Francisco de Torreblanca Villalpando, Iuris spiritualis Practicabilium libri XV. Ex
lege Domini, sive revelatis a Deo, per Sacram Scripturam, vel in communi Ecclesiae,
vel in particulari hominum (C6rdoba 1635) p. 107 v. und Martfn del RIO, Disqui-
sitionum Magicarum Libri VI (Coloniae 1679) IV, II, VII, II, pag. 590. (Dieses Werk,
das schon 1599 zu erscheinen begann, stand mir nur in der Ausgabe des Vieira-Instituts
in Lissabon zur Verfügung.)
30 Hans Flasche

konnte er bei Francisco de Torreblanca Villalpando 126 den Satz lesen "ele-
menta concutere daemones possunt" 127. Auch über Nekromantie, die im
Anschluß an das 11. Buch der Odyssee und das Alte Testament 128 meditierte,
bei Tertullian 129 und vielen späteren Autoren (z. B. Rhabanus Maurus und
Thomas von Aquin) diskutierte Kunst der Totenbeschwörung war man -
insbesondere in Salamanca und Toledo - orientiert. Aus den Handbüchern
eines Mardn deI Rfo (1551-1608), eines Francisco de Torreblanca Villal-
pando läßt sich ersehen, daß auch die Pyromantik zu den im Spanien des 17.
Jahrhunderts gepflegten "ciencias prohibidas" gehörte 130. Einen Nach-
klang der zu Calder6ns Lebzeiten bekannten Auspizien begegnet man
schließlich bei Fray Andres Ferrer de Valdecebro in seinem Buch "Govierno
general, moral y poHtico. Hallado en las aves ..." 131. Die "botanoman-
da", wie sie Bulengerius 1621 nennt, war ebenfalls - das zeigen zahl-
reiche Quellen - weit verbreitet 132.
Die Art von Einflechtung, die Weise des Vorgehens der verführenden
Circe, Fülle und Dichte der in wenigen Versen enthaltenen Gedanken soll
noch an weiteren sechs Zeilen des zweiten Teiles der Rede aufgewiesen wer-
den und so die im Siglo de Oro wohl einmalig straffe Konsequenz der Struk-
turierung vor Augen geführt sein: "Vera.s a solo una Hnea / que corran
mis pensamientos, / desclavadas las estrellas / deI octavo firmamento: /
Aparte. - Y es verdad, pues tercer parte / de ellas aparte deI Cielo _." 133
(Du wirst, und dazu brauchen meine Gedanken nur eine Linie zu durchlau-
fen, die Sterne vom achten Himmel herab gerissen sehen. Und es ist Wahr-
126 P. 208 H. (De Necromantia).
121 P. 74 v.
128 Vg1. z. B. 1 Sam. 28 H. ("mulier pythonem habens in Endor").
129 De anima 57 (vgl besonders 8-9).
130 Vg1. Martfn del Rio 1. c. Libri IV C 11 Quest. VII Sect. I p. 582-584. In Vers 817
des calderonianischen Textes muß es statt "Quiromanda" "Piromanda" heißen. (Vg1.
die Verse 818-820 und Francisco de Torreblanca Villalpando p. 220 - Lib. VIII,
Cap. IV De Pyromantia). Bei Calder6n liest man auch: "La piromanda .•• / ... /
me escribe en papeles de humo / varias cifras con centellas." (Zitiert nach I. Schulte,
Buch- und Schriftwesen in Calder6ns weltlichem Theater, Dissertation Bonn 1938. S. 45).
131 Barcelona 1696. Nur diese Ausgabe stand mir zur Verfügung.
132 Iulii Caesaris Bulengeri ... Opusculorum systema, duobus tomis digestum (Lyon 1621)
Cap. XXIV, p. 215 (De Botanomantia). Vg1. auch Antonio Ricciardi 1. c. s. v. flos
1-18; Mardn deI Rio, 1. c. IV, 111, 11, p. 615; Picinelli 1. c. I, Lib. XI, p. 643 H.;
Emanuele Tesauro, 11 Cannocchiale Aristotelico 0 sia Idea delle Argutezze Heroiche
Vulgarmente chiamate Imprese (Torino 1654) p. 108 (Blumen werden hier als "Figure
eleganti, & viuaci Argutie dell'ingegnosa Natura" bezeichnet.) Man vg1. schließlich noch
den Tratado das significa~oes das plantas, flores e frutos que se referem na sagrada escri-
tura, tiradas de divinas e humanas letras, com suas breves considera~oes pelo padre Fr.
Isidoro de Barreyra, Lisboa 1698.
133 Verse 805-810. In den Manuskripten 14772 und 3793 liest man "sola", im Manu-
skript 16282 "solo".
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 31

heit, denn den dritten Teil von ihnen trennte ich vom Himmel.) Nur eine bis
in noch ganz unbeleuchtete Details eindringende Prüfung vermag zu einem
Verständnis des Inhalts dieser schönen Worte zu führen. Mit einer Metapher
aus der bei Calder6n so überaus häufig bewußt gemachten Sphäre des Bu-
ches, die ihm eine Reihe von Denkschemata liefert 134, rückt die überredende
Schuld ihre Kunst und Macht vor Augen. So schnell wie ihre Gedanken eine
Linie verfolgen, kann das durch sie Angekündigte geschehen. Eine Anzahl
von Sternen werden vom Himmel fallen. Daß dies Fixsterne sind, zeigt so-
wohl der Ausdruck "octavo firmamento" 135 als auch - und darin liegt
einer der zahllosen kleinsten Kunstgriffe Calder6ns beschlossen - das Ver-
bum "desclavar". Fixsterne sind gleichsam festgenagelt und müssen dem-
entsprechend gelöst werden. Die von der verführenden Zauberin Culpa bei-
seite gesprochenen Worte enthalten - das wird natürlich nicht ausdrücklich
gesagt - die in der Apokalypse 136-138 und dann von Kirchenschriftstellern
(z. B. Johannes Cassianus) 139 wiederaufgenommene Gleichsetzung von Ster-
nen und gefallenen Engeln. Die spanischen, in Ichform gesprochenen Verse 140
zeigen, daß der Dichter wenigstens die Aussage der Apokalypse "et cauda
eius" - gemeint ist "draco magnus" - "trahebat tertiam partem stella-
rum caeli, et misit eas in terram" 141 im Gedächtnis trug. Hier wie an ande-
ren Stellen ihrer Rede, wo sie sich Ulises als Hüterin geheimer Wissenschaf-
ten zeigt, erscheint die Schuld dem Zuschauer durch die beiseite gesproche-
nen Worte deutlich als zerstörende Macht 142, und als solche wird sie auch
gegen Ende der systematisch durchdachten Aufführung sich wieder offen-
baren 143. Ganz klar hebt sich von der farbenprächtigen Ausmalung der Zau-
berkräfte der dritte und letzte Teil ihrer Rede ab 144. Er vermittelt den Ein-
druck eines nicht vorbedachten Hin und Her der Argumentation, in der die
Genüsse, die sie schenken kann, bis zur Selbstdarbietung 145 aufgezählt sind.
Auch in diesem letzten Drittel ist ein gedanklicher Kontext zu entdecken, der
- mag er nun von Calder6n willentlich einbezogen, von ihm absichtslos
bewirkt oder gar erst vom heutigen Calder6n-Interpreten aus Vergleichs-

134 Vgl. Anm. 130.


135 Vgl. Dante, Paradiso II, 64.
136-138 12, 4.
139 Vgl. PL 49, 735 (Collatio VIII, 8).
140 Vgl. Vers 806 (mis pensamientos) und Vers 819 (aparte).
141 12, 4.
142 Vgl. z. B. die Verse 809-810, 815, 823.
143 Vgl. z. B. 1307-1310.
144 Vers 837 ff. Auch hier drängen sich Reminiszenzen an biblische Texte auf. Wenn in
Vers 839 von "suaves cantos de las aves" die Rede ist, so kommt dem Leser des Alten
Testamentes das Buch der Weisheit 17, 17 (avium sonus suavis) in den Sinn.
145 Verse 859-866.
32 Hans Flasche

texten erschlossen werden - weit über die ausgesprochenen Worte hinaus-


geht. Ein solches Hinausgehen gehört (das muß immer wieder betont wer-
den) zu den wesentlichsten Strukturelementen der Autos Sacramentales. Die
von Culpa verheißenen "sabroslsimos manjares" 146 weisen, das wurde
schon erwähnt, auf "manjar eterno" 147 hin. Die schönen Gärten, "jardines
bellos" 148, lassen erneut, wie es der Verstand in einem für den Menschen
bestimmten Bericht tat, die Schlange des Paradieses vor dem geistigen Auge
des Zuschauers erscheinen. Werden die Gärten aber als unsere Paradiese vor-
geführt 149, so geschieht es vielleicht mit ironischer Absicht. Die sogleich da-
nach erwähnten "delicias" 150 hat Calder6n möglicherweise der "vanitas
deliciarum", über die im zweiten Kapitel des Liber Ecclesiastes berichtet
wird, entnommen. Als Zerrbild vom "lectulus floridus" des "Canticum
Canticorum" mag er das "blando lecho en mullidas flores" in die Anzahl
der in Aussicht gestellten Schein güter eingereiht haben 151. Gehilfinnen der
Schuld (Calder6n nennt sie "damas" 152, die Homerübersetzung von Gon-
<;alo Perez spricht von "doncellas") werden den sich unter ihr Joch beu-
genden Menschen dienen; sie sind, wie die Verführerin sagt (die sich hier
wohl zum erstenmal selbst als Schuld 153, als Schuld im allgemeinen bezeich-
net und daher vielleicht - auch hier wie viermal vorher - beiseite spricht 154)
ihr als Repräsentanten für verschiedene Möglichkeiten der Sünde beigegeben.
Aus solchen Versen ist leicht eine plastische Form der Allegorie herauszulösen.
Jede Art Schuld erscheint in der Herrin der falschen Paradiesesgärten zu
einer Einheit gebündelt, in ihren Gefährtinnen aber in diverse Vergehen aus-
einandergefächert und wohl im Hinblick auf die überkommenen Lasterkata-
loge, etwa das thomistische Saligia-Schema 155, konkretisiert.
Noch vor Ende der Verführungsrede läßt der schwer bedrängte Mensch
die ihm von der Buße früher überreichten Blumen langsam fallen 156. Es folgt
eine 17 Glieder umfassende enumeratio von gegen Schluß immer schneller
146 Vers 841.
147 Verse 1215-1216.
148 Vers 846.
149 Vers 847.
150 Vers 848.
151 Mit den Worten " ... el Tacto, atento / a tu descanso, en mullidas / flores tendra
blando lecho." (Verse 850-852) konnte Culpa dem kenntnisreichen Hörer Canticum
Canticorum 1, 15 (lectulus noster floridus) ins Gedächtnis rufen.
152 Vers 854.
153 Vers 856.
154 Vgl. die Verse 855-858.
155 Vgl. Summa theologica H, 2 q. 84 (superbia, avaritia, luxuria, invidia, gula, ira, ace-
dia).
158 Die Bühnenanweisung lautet: "EI Hombre va dejando caer algunas flores del ramillete
mientras oye a la Culpa."
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 33

aufeinander folgenden und zugleich in ihrem Wert abfallenden Verlockun-


gen 157. Noch einmal, und hier vielleicht mit größerem Reiz als bisher, stellt
sich die Frage nach dem Sinn, den Calder6n in so einfach anmutende Verse
hineingelegt hat, eine Frage, die erneut auf der einen Seite die Struktur eines
Abschnittes, zugleich auf der anderen aber auch - im Hinblick auf das ganze
Auto - die Struktur des Werkes als solche betrifft. Schon ein einziges Glied
der Aufzählung kann die Berechtigung solchen Nachforschens beweisen: "Y
sobre todo tendras / ... / ... / .. , / ... / la verdad de mi deseo, /" 158
(und vor allem sollst du die Wahrheit meines Begehrens haben) spricht die
Schuld. Die Worte "verdad de mi deseo" vermitteln in diesem Kontext dem
Hörer bzw. Leser nicht nur den Gedanken "Wahrheit (Wirklichkeit) meines
Begehrens", sondern auch die Erkenntnis, daß die Schuld den Menschen ver-
führen will, daß also das Begehren sich auf die Verführung richtet. Sie, die,
wie bei Calder6n so oft der Fall, als Böses in der Gestalt des Guten erscheint,
bedient sich (wie in der darauffolgenden Kußerung) eines philosophisch wie
theologisch gleich werthaltigen Terminus (verdad - veritas). Möglicher-
weise hat der Dichter gerade ihn ferner darum gewählt, weil er, der die
Mehrschichtigkeit so sehr liebt, die Echtheit eines Liebesverlangens in die
allegorische Bühnenfigur einschmelzen wollte. In dieser Szene des Auto er-
schiene dann freilich die Schuld der Verführerin gemindert 159.
Auf die bisher vorgelegten Untersuchungen - die erste bezog sich im
wesentlichen auf eine das ganze Auto durchziehende Metaphorik, die zweite
auf die Struktur einer Rede - folge nunmehr als vierter Teil des Vortrages
die Analyse eines Dialogs, den Culpa und Hombre im Anschluß an nur vier
die Schönheit des Schuldparadieses 160 skizzierende, von der Musik vorgetra-
gene "volkstümliche Verse" miteinander führen 161. Sie schildern gemäß der
bei Calder6n so beliebten und gepflegten Entsprechungssystematik 162 einen
Wettbewerb zwischen Kreaturen. Wie die Blumen im Walde früh aufwachen,

157 Verse 867-870.


158 Verse 859-864.
159 Es wäre freilich auch denkbar - Calder6n läßt denjenigen, der ihn interpretiert, in
seiner Gedankenarbeit nicht zur Ruhe kommen -, daß die Vermittlung (oder die An-
deutung) der Erkenntnis beabsichtigt sei, es liege eine Umkehrung dessen vor, was Wahr-
heit (veritas) in sich begreife.
160 Die der Circe, der Schuld, dem Bösen zugeordnete Landschaft - das darf nicht unbe-
achtet bleiben - wechselt in Calder6ns hier analysiertem Auto häufig. Man denke
daran, daß von "jardines bellos" (Vers 846) die Rede ist, von "desiertos" (Vers 666) -
gewiß erinnerte sich der Dichter hier an biblisches "desertum"! -, von "montaiias" (v gl.
Anm.50!).
161 Verse 953-956.
162 Vgl. E. M. Wilson, The four elements in the imagery of Calder6n (Modern Language
Review 31/1936/ p. 34-47).
34 Hans Flasche

so versinnbildlichen die Vögel in der Luft mit ihren bunten Federn die frühe
Jahreszeit, den Frühling ("Compitiendo con las selvas /donde las flores
madrugan, / los pajaros en el viento / forman abriles de plumas. /" 163 -
Mit den Wäldern wetteifernd, wo die Blumen früh aufstehen, bilden die Vö-
gel im Winde Aprilmonate aus Federn -.) Die Schuld nimmt dies zum An-
laß, um ihren Zaubergarten auszumalen, mit dessen berückender Schönheit
dem Zuschauer der Bereich des Sündenfalls dargestellt wird. Dieser Zauber
besitzt, so sagt es die Schuld (und später noch einmal der Mensch) "varietas";
im spanischen Text heißt es "varia compostura" 164. (Man erinnert sich an
den Beginn des Stückes "EI gran Teatro deI Mundo": Hermosa compostura /
de esa varia inferior arquitectura, / ... /.) Die "varia compostura" erhält
nun den Namen "academia" 165. Damit wird, für den gebildeten Zuschauer
erkennbar, ein aus der Antike bekannter Garten zur Vergleichsmöglichkeit
eingeführt. Viel großartigere Bereicherung jedoch erhält das bislang entwor-
fene Bild durch den nunmehr vom verführten Menschen dargelegten neuen
Wettbewerb, den der Sphären 166. Die Sonne würde um Circes Sphäre willen
die ihrige verlassen. Der Himmel, d. h. in diesem Zusammenhang der Bereich
Gottes, hat - in der Sicht des gefallenen Menschen - den Sternen Glanz
verliehen, um sie den Blumen des Schuldparadieses gleichzustellen 167. Wie in
Calder6ns Schauspiel "EI Pdncipe Constante", so werden auch hier die
Sterne als "flores nocturnas" gesehen 168. Ihr Glanz währt vom Abenddun-
kel bis zur leuchtenden Aurora. Mit Aurora 169 hat der Mensch ein Wort aus-
gesprochen, das ihm die von der Musik begleitete Evokation der Morgen-
frühe sozusagen in den Mund gelegt hatte. Es wird nunmehr in einem Dia-
log, der sich über siebzig Verse erstreckt, umkreist und läßt den Dichter Calde-
r6n als einen Meister harmonischer Gedankenverzahnung in bild- und
wortspielreichen einzigartigen Versen erscheinen. Die Prüfung der Struktur
dieses Teils des Autos ist hervorragend dazu geeignet, die Kunst des spani-
schen Dramatikers in helles Licht zu rücken. üb mit der Einführung Auroras
- nur eine auf den Aufbau bezügliche Hypothese sei hier vorweggenom-

163 Verse 953-956. Vgl. Agusdn Moreto y Cabafia, EI Licenciado Vidriera I, 11 (hier
lautet die zweite Zeile: "Cuando las flores madrugan"). J. Wille spricht in ihrer Disser-
tation "Calder6ns Spiel der Erlösung. Eine spanische Bilderbibel des 17. Jahrhunderts"
(München 1932) von einem "bekannten volkstümlichen Reim" und fügt hinzu: "Calde-
r6n hat diese letra auch in anderen seiner Dramen, in autos und comedias, verwendet."
(5. 176).
164 Vers 962; vgl. 1012.
165 Vers 963.
166 Vers 965 H.
161 Vers 971.
168 Vgl. die Worte der Fenix zu Don Fernando (Segunda Jornada)!
169 Vers 975.
»Los Encantos de la Culpac von Calder6n 35

men - Erinnerung an die Gestalt der griechischen Mythologie wachgerufen


werden sollte, die sich in Liebeshändel mit jungen Sterblichen verstrickte,
bleibe dahingestellt.
Nachdem die Schuld, welche die ihr und ihrem Reich vom Menschen ge-
spendete Huldigung mit Freuden aufnimmt, sich selbst und ihre Göttlichkeit
gelobt 170 und der zweite Teil des volkstümlichen Vierzeilers ihren Panegyri-
kus abgeschlossen hat 171, so wie der erste Teil sie einleitete, hört man fol-
gende von der Musik begleitete Verse: "De una belleza engafiados / por
aurora la saludan / y, viendo sus bellos ojos, / quedan vanos de su Culpa." 172
(Ganz entzückt von einer Schönheit / als Aurora ihr sie huldigen, / und ihre
schönen Augen schauend, / rühmen stolz sie ihrer Schuld sich).
Eindeutig wird zunächst das schon früher vor Augen gestellte Bild der
Morgenröte mit dem Anblick, den die den Menschen verzaubernde Schuld
bietet, parallelisiert und diese Parallele im weiteren Verlauf des Dialogs um-
spielt. Dessen Verlauf ist aber nur dann verständlich, wenn die Zweideutig-
keit des letzten Achtsilbners des Vierzeilers im Bewußtsein des Zuschauers
erhalten bleibt. Die die Culpa als Aurora grüßenden Vögel rühmen sich ihrer
Schuld, und zwar sowohl der Schuld ihrer Verwechslung - sie sehen die
allegorische Gestalt der Culpa ja als Aurora an - wie der personifizierten
Schuld, welche in ihrer Schönheit mit der Morgenröte (d. h. der Zeit, da die
Vögel singen) identifiziert wird.
Der jetzt wiederum ins Gespräch eingreifende Mensch 173, dessen Ver-
zauberung in ihrem Anwachsen begreifbar gemacht werden soll, erweist sich
auch - in Calder6ns Worten - als erfindungsreicher Künstler. In seinem
nun länger ausgeführten Vergleich spricht er mehrsinnig davon, daß die
Natur zu allen Stunden des Tages (also nicht nur morgens) Culpa als Aurora,
d. h. als solche feiere, der sie ihre Schönheit verdanke 174. Nur ein Meister des
Konzeptismus, wie Calder6n es war, vermochte in wenige Zeilen eine Ver-
gleichsfülle einzuschließen, die erstens die Identifikation der Schuld mit der
Schönheit der Morgenröte, zweitens die Identifikation der Schuld mit der

170 Vers 1001. Da in den unmittelbar vorhergehenden Versen die Textform (wie sie etwa
bei Pando oder bei Valbuena Prat geboten wird) unverständlich erscheint (Valbuena
Prat: "y asf, cuanto entre esta suma / Deidad las flores y fuentes / de la tierra corno
industria / pajaros forman de rosas / por igualar su hermosura") sei hier bemerkt,
daß in zwei Manuskripten (3793, 14772) "cuando" (nicht "cuanto") und in allen drei
Manuskripten "con" (nidlt "como") zu finden ist. Setzt man "cuando" und "con" ein,
so ergibt sich ein durchaus annehmbarer Sinn.
171 Verse 105-106.
172 Verse 1007-1010.
173 Vers 1011.
174 Verse 1018-1019.
36 Hans Flasche

die Natur zu allen Tageszeiten wie eine Morgenröte verschönernde Kraft 175
und drittens - in einer nicht mehr durch Worte bezeichneten theologischen
Tiefenschicht - die Identifikation der immer latenten Verführungsmacht der
Schuld mit der zu allen Tageszeiten zu beobachtenden, der Morgenröte glei-
chen Naturschönheit umfaßt.
Das Spiel mit den sich ineinander verwebenden Vergleichen und Mehr-
deutigkeiten geht jedoch weiter. Der Dialogpartner Schuld bezeichnet die
Identifikation seiner Person mit Aurora (auf die früher unter Musik dar-
gebotenen Verse zurückgreifend) als Schuld der Vögel und Blumen 176. Sie
vollziehen, wie es heißt, eine Götterverwechslung, indem sie an die Stelle der
Gottheit Culpa die Gottheit Aurora setzen. Dafür gibt es - hier flicht der
Dichter wiederum ein Wortspiel ein - keine Entschuldigung: "disculpa" 177.
Wenn es jedoch auch Schuld wäre, so schließt nun der Mensch den Dialog
ab 178, so würden sich weder Vögel noch Blumen entschuldigen, da sie stolz
auf ihre Schuld sind, d. h. auf die ihre Verwechslung rechtfertigende Schön-
heit der mit der Aurora zu vergleichenden personifizierten Schuld. Vielleicht
hat Calder6n, wie er es so oft tut, auch hier noch insofern die ihm durch seine
Sprache gebotenen Möglichkeiten zeigen wollen, als der Satz "ni las aves /
ni las flores se disculpan / de esa Culpa" 179 "disculpar" nicht nur im Sinne
von "entschuldigen", sondern auch in der Bedeutung "sich von der Schuld
als Person trennen" enthalten mag.
An dem soeben nach einigen (längst nicht allen 180) Bauprinzipien unter-
suchten Teilstück des Auto sollte gezeigt werden, wie der spanische Dichter
der "co-naissance" im Sinne Claudels eine einzige Wahrheit - die in der
Genesis mit fünf Worten "lignum ... pulchrum oculis aspectuque delecta-
bile" ausgedrückt wird 181 - innerhalb des dramatischen Dialogs in dichte-
rische Form zu kleiden weiß. Das Einfügen der durch diese biblische Wahr-
heit der poetischen inventio geschenkten Gedanken, Worte, Bilder in ein
Netz von Beziehungen, die Natürlichkeit, mit der die verknüpfenden Fäden
gewoben, ja fast unsichtbar gemacht werden, das Ineinandergreifen der Ein-
zelteile dieser dialogisierten mit nur zwei Personen geschaffenen, oft wie eine
175 Vers 1018.
176 Vers 1031.
177 Vers 1034.
178 Verse 1035-1044.
179 Verse 1041-1043.
180 Ich denke z. B. an die Verse 1020-1028 (Manuskript 3793 enthält z. B. - dies sei er-
wähnt, um wiederum die Schwierigkeit, die schon die spanischen Worte als solche dar-
bieten, zu zeigen - die Folge "suplicada(s) las Purpureas / horas" statt, wie die ande-
ren Manuskripte und dann etwa die Ausgabe von Valbuena Pr at "salpicades las pur-
pureas / hojas").
181 Genesis III, 6.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 37

lyrische Komposition anmutenden Szene und ihre Eingliederung in das ge-


samte Geschehen (das vorhergehende - ein Gespräch zwischen Buße und
Verstand 182; das nachfolgende - ein "Liebes"-Mahl, an dem auch die per-
sonifizierten Laster teilnehmen 183) - all das kann das Erstaunen über solche
Architektur nur stärken.
Kaum hörbare, vielleicht aber vorhandene Entsprechungen sollen, der Ge-
fahr der überinterpretation wegen, nur erwähnt, nicht jedoch als Merkmal
der Struktur mitgezählt werden. Dachte Calder6n dort, wo vom Stolz der
Vögel und Blumen auf ihre Schuld die Rede ist 184 - eine einzige Frage in
bezug auf die soeben interpretierte Szene sei gestellt - an die paulinischen
Worte "Vanitati enim creatura subiecta est non volens ... ipsa creatura li-
berabitur a servitute corruptionis ... omnis creatura ingemiscit, et parturit
usque adhuc" 18S? Eine bejahende Antwort auf diese Frage dürfte angesichts
der immer wieder bei dem spanischen "intarsia tore" zu findenden Häufung
von Bedeutungen und Beziehungen, die nur zu erschließen sind, apriori nicht
abzuweisen sein.
Die Untersuchung der das Auto durchwaltenden Schiffahrtsmetaphorik,
die Prüfung des Aufbaus einer langen Rede und ihrer Funktion in der Ge-
samtheit des Opus, die Analyse des Dialogs zwischen Schuld und Mensch und
dessen Eingliederung haben einen Teil der Schwierigkeiten, welche die Inter-
pretation eines solchen Textes bietet, in aller Deutlichkeit bewußt werden
lassen. Es ist daher keineswegs verwunderlich, daß man häufig, wie wir es
jetzt im fünften Teil des Vortrags tun werden, die Frage nach der Versteh-
barkeit der calderonianischen Schauspiele durch die Zuschauer, welche nicht
in der Lage waren, die zahllosen Anspielungen und Verweise mitzudenken,
gestellt hat. Gewiß war bei ihnen eine durch religiöse Erziehung und
Umwelt vermittelte Erlebnisdisposition vorhanden, und auch der "Ohren-
schmaus", von dem Ernst Robert Curtius, auf Calder6n hinweisend, gele-
gentlich gesprochen hat, darf nicht zu gering eingeschätzt werden. Natürlich
hat der Dichter selbst überlegungen über die Wirkung seiner Stücke ange-
stellt und sich sowohl der "apariencias", der gewaltigen barocken Bühnen-
apparatur, wie der seit alters her an gewandten Hilfsmittel, z. B. der Büh-
nenanweisungen, bedient. In den von den Personen gesprochenen Haupttext
selbst werden hier und da erläuternde oder das Publikum wenigstens anspre-
chende Worte eingeflochten. Der Kunst der Schauspieler blieb es endlich

182 Verse 923-952.


183 Verse 1047-1072.
184 Vers 1010 und Vers 1046.
185 Rom. 8, 22.
38 Hans Flasche

überlassen, ein Begreifen des Gesagten, ein Verstehen des Vorganges auch
dort, und zwar durch Ton und Geste zu vermitteln, wo keine Vorschrift vor-
lag. Die Textfarmen des hier besprochenen Auto enthalten etwa vierzig Büh-
nenanweisungen. Die sprechenden allegorischen Gestalten lenken durch ihre
Worte und Gedanken die Zuschauer in diese oder jene Richtung, und darüber
hinaus ist - das muß der moderne Interpret vermuten - an einer Reihe von
Stellen ein dem Verständnis der Aufführung dienendes Verhalten (actio) des
Schauspielers mit Wahrscheinlichkeit oder sogar mit Notwendigkeit anzu-
nehmen.
Dort z. B., wo zu Beginn des Stückes der Mensch zum erstenmal das Wort
ergreift, wird dem Zuschauer eine Erleichterung des Verständnisses durch
den Text selbst gewährt. Das Wasser wird nämlich als Zeichen für Mühsal,
wie es den gebildeten Zeitgenossen Calder6ns aus den Kirchenvätern und
vielen anderen durch liturgische Wendungen bekannt war, gedeutet. "Wer es
wünscht", so ruft der Mensch den Zuschauern dann zu, "durchlaufe die Li-
nien meines Schicksals; er folge in mir der Allegorie des Odysseus" 186. Ein-
stimmung auf christliche wie antike Atmosphäre ist durch diese bei den aus-
drücklich im Haupttext des Schauspiels enthaltenen Hinweise in die Wege
geleitet. Einem vom modernen Leser, wie erwähnt, nur schwierig zu erschlie-
ßenden Wechsel der angesprochenen Person sah sich der Zuschauer dort
gegenüber, wo Gusto, der personifizierte Geschmack, sich in seiner Rede vor
den Menschen stellt, dann das Verhalten des Verstandes kritisiert 187. Hier
kommen also weder Nebentext (Bühnenanweisung) noch Haupttext dem
Verständnis zu Hilfe. Der Wechsel der gemeinten Person mußte - eine an-
dere Erklärung läßt sich kaum finden - durch Körperbewegung und Gestik
des Schauspielers markiert werden.
In den Bereich der Strukturanalyse unseres Textes gehört dort, wo die Dis-
kussion das Verhältnis von Bühnengeschehen und Publikum in das Blickfeld
rücken muß, nicht nur die Erörterung des Problems des Verstehens, sondern
auch - beides läßt sich freilich nicht streng voneinander trennen - dasjenige
der dem Verstehen dienenden Bühnenwirksamkeit. Nach der Rettung des
Schiffs und seiner Insassen schickt, wie wir sahen, der Mensch die Sinne fort,
für ihn nach Möglichkeiten des Genusses Ausschau zu halten. Das in diesem
Augenblick der Handlung zwischen Mensch und Sinnen geführte Gespräch
zieht insofern die Zuschauer ganz besonders in ihren Bann, als die immer
wieder mit "yo" (ich) beginnenden Aussagen - sechs Personen sprechen

186 Die Verse 34-36 lauten: " ... y asl, quien ya quisiere / corra las Hneas de la suerte
fita; / de Ulises siga en mlla alegorla; /."
181 Verse 182 und ff.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 39

miteinander - unmittelbar aufeinander folgen 188. Die Bereitwilligkeit der


Sinne, das Land zu erkunden, erscheint durch den raschen Wechsel der Aus-
sagen potenziert, und ein höchst effektvoller Gegensatz wird dadurch er-
reicht, daß der Mensch nach dieser schnellen und gehäuften Abfolge der Aus-
sagen allein auf der Bühne zurückbleibt. Er legt sich zu Füßen der Zypresse
nieder und schläft ein. Dem Bild der Aktivität folgt - so wollte Calder6n
strukturieren, so auf die Theaterbesucher wirken - ein solches der Passivität.
Das Ineinandergreifen von bühnentechnischer Darstellung der Ereignisse
auf der einen und Aufnahme des Geschehens durch den Zuschauer auf der
anderen Seite erfordert - eben im Hinblick auf das Thema dieses Vortrages
- in dem Teil des Stückes, der auf die eben erwähnte Szene folgt, erhöhte
Aufmerksamkeit. Nachdem der Mensch am Fuß der Zypresse 189 eingeschla-
fen ist und "sentido", seine geistige Mitte, wie man sagen könnte, einge-
büßt hat 190, geht der Verstand den Sinnen nach (da er ohne sie - wie es die
psychologische Einsicht lehrt - nicht tätig sein kann) 191. In schwerem Traum
erscheinen dem Menschen wilde Tiere, die ihn jedoch, zahm wie die bei
Homer erwähnten Löwen und Wölfe 192, nicht töten, ihm vielmehr mit ängst-
lichen Gebärden zur Flucht zu raten scheinen. Als der Verstand plötzlich zum
Menschen zurückkehrt, berichtet er ihm, er habe mit den Sinnen in einem
prächtigen Palast eine Dame und ihre Dienerinnen angetroffen, die er, der
Verstand, dank seines "natural conocimiento" 193 sogleich als die Schuld mit
18B Verse 225-233. Wenn Tacto (Vers 229) sagt: "Yo, si hay lecho en que descanses", so
ergibt sich das klare Verständnis der Worte im Sinne von "yo top are ..." aus der Si-
tuation.
189 In Vers 245 nennt der Verstand die Zypresse ,,;hbol de la muerte", in 246 wird
"sueno" als "sombra" des Todes bezeichnet. Dieser Vergleich geht auf Ovid zurück
(Amores 2, 9, 41) jener (z. B. im Wörterbuch von Covarrubias erwähnt) ist Teil einer
Vergleidmeihe; denn die Zypresse (die Calder6n z. B. ebenfalls in La Hija deI Aire
erwähnt) bedeutet auch Buße (vgl. Andres Ferrer de Valdecebro l.c. p. 268) und
Dauerhaftigkeit (Picinelli 1. c. / Lib. IX, Cap. XII, 157 / p. 560-561). über die alte
mit der Zypresse verknüpfte Gedankentradition berichtet Isidor von Sevilla in seinen
Etymologiae XVII, 7, 34.
190 Vers 253.
191 Die philologisch-philosophische Interpretation des zweiten Teils der Rede des Verstan-
des (die er, bevor er den Sinnen folgt, hält / Verse 253-270 /) kann hier nicht erfol-
gen. Sie muß einer kritischen und kommentierten Ausgabe vorbehalten bleiben. Ein sol-
cher Kommentar müßte die Termini "discurrir", "percibir", "entender" in ihrer Bedeu-
tung, die durch sie bezeichneten Akte in ihrer Reihenfolge erläutern. "Entendimiento"
kann ohne "sentidos" keine "actos de raz6n" vollbringen (man vergleiche intellectus
als origo rationis!). (In Vers 317 bezeichnet "entendimiento" "el uso de la raz6n" als
seine Domäne!) Man sieht, wie Calder6n seine Kenntnis der PsydlOlogie in das Drama
einbaut.
192 X, 214.
193 Vers 326. Auf die Vielfalt der Bedeutungen des Wortes "natural" - und damit auf
seinen Sinn in diesem Zusammenhang - soll ebenfalls in einer kommentierten Ausgabe
eingegangen werden.
40 Hans Flasche

ihren Lastern erkannt habe. Die Sinne freilich hätten dargereichte Erfri-
schungen ahnungslos getrunken und seien so durch die Schuld des Menschen,
der seine Kräfte schlecht bewacht und in Gefahr gebracht habe, zu Tieren ge-
worden.
Calder6n hat ein Geschehen - das in der Odyssee ganz kurz beschrieben
wird - in einer gestalt- und farbenreichen, die Spannung des Zuschauers er-
regenden, sein Kombinationsvermögen anstrengenden und die Struktur des
Schauspiels bereichernden Art ausgemalt. Denn die Verwandlung der Sinne
in Tiere wird im Traum des Menschen nur skizziert und darauf durch den
berichtenden Verstand in allen Einzelheiten dargelegt. Betrachtet man zu-
nächst die Auflösung eines Geschehens (die der Verwandlung der Sinne) in
zwei ihrem Umfang nach freilich sehr voneinander verschiedene Bühnenbil-
der, so besteht der Kunstgriff des Dramatikers darin, daß das erste ein dem
Zuschauer rätselhaftes Ereignis vor Augen führt. Der auf der Bühne befind-
liche Mensch erblickt im Traum die in Tiergestalt das Podium wirklich betre-
tenden Sinne und weiß dieses Erlebnis nicht zu verarbeiten. Sein Ausruf
"Was sehen meine Augen - ohne Sehvermögen?" 194, welcher Vorahnung
der Aufklärung und Gleichzeitigkeit von Traum und wirklichem Ereignis
andeutet, leitet einen in seinem weiteren Verlauf dunklen, den Zuhörer mit
Spannung erfüllenden Monolog ein. Falls der in ihm geschilderte Umschwung
im Verhalten der Tiere auf der Bühne dargestellt werden sollte (sie wollten
angreifen, tun es aber - wie bei Homer 195 - dann doch nicht, denn sie sind
ja - was der Mensch noch nicht weiß - seine Sinne 196), würde die beträcht-
liche Zahl der in diesem Auto in nuce enthaltenen wirkungsstarken Effekte
noch um einen weiteren vermehrt werden. Auf diesen rätselhaften Monolog
des Menschen nun läßt Calder6n den 141 Verse umfassenden Botenbericht
des Verstandes (der wie Homers Eurylochos zurückkehrt) folgen, d. h. eine
überraschende Abwechslung bringende Teichoskopie. Der Verstand schildert
dem der Kräfte seiner Sinne, nicht aber seiner Seele beraubten Ulises 197 -

194 lQue es 10 que mis Ojos ven / sin vista? (Verse 274-275).
195 Odyssee X, 214.
198 Von den in Gestalt wilder Tiere dem Menschen erscheinenden Sinnen heißt es in den
Versen 285-287: "por sefias dicen que huya, / que los quiero conocer / parece ...".
Man sieht sich an dieser TextsteIle wie an so vielen anderen vor Fragen gestellt. Ist mit
den Worten "quiero conocer" wirklich ein Wollen oder (man vgl. ältere spanische Sprach-
praxis!) ein schon vorhandenes, sprachlich ausgedehnter formuliertes "Erkennen" ge-
meint? Handelt es sich bei "parece" um einen das zuschauende Publikum anvisierenden
Ausdruck?
197Vgl. die Verse 293-294: " .•. brutos tus Sentidos, / y entorpecidos se ven" und zu-
gleich die Verse 297-298: "mas los del Alma / fuerza es que velando esten." Man ist
geneigt, "los / sc. sentidos / del Alma" zu ergänzen und "sentidos" im Sinne von
"facultates" oder "potentiae" zu interpretieren.
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 41

und natürlich auch dem Zuschauer - den Palast der Circe 198, die Verfüh-
rung der Sinne durch die ihr dienenden Laster 199 und die Verwandlung der
Sinne in Tiere. Er tut dies in einer Form, welche wiederum, wie die Verfüh-
rungsrede der Circe selbst, Gelegenheit zur Ausbreitung, aber auch künstle-
rischen Auswertung von Kenntnissen gibt, deren Beschreibung und Interpre-
tation den Inhalt eines zweiten Vortrags bilden könnte.
"Ce qu'on ne doit point voir qu'un nkit nous l'expose" hat Boileau in
seiner Schrift Art poetique gesagt 200. Soll das Publikum das vom Verstand
dargelegte Geschehen nicht tatsächlich auf der Bühne sehen, also nur vorge-
tragen bekommen? Es gibt kein Anzeichen dafür, daß Calder6n es anders
gewollt habe. Doch darf man sich die Frage vorlegen, ob diese Szene (und
ähnliche) - wenngleich hier die dem detailliert ausmalenden Text entspre-
chenden, Feinstruktur zeichnenden Anweisungen fehlen - in irgendeiner
Form auf dem Schauplatz (nicht nur also im Bericht) vor die Farben und For-
men erfassenden Augen des Publikums gebracht werden könnte. Aber die für
eine Aufführung des Auto in unserer Zeit vielleicht mögliche oder gar rat-
same bühnentechnische Aktualisierung soll in diesem Vortrag, der die Struk-
tur des calderonianischen, auf die damalige Zeit zugeschnittenen Textes
analysiert, nicht weiter erörtert werden. Für das Publikum des 17. Jahrhun-
derts war die in Rede stehende Teichoskopie wohl nicht zu lang, um so weni-
ger, als die eingeflochtenen Bilder, Vergleiche und "Theatertermini" ein
farbenprächtiges, zusammenhängendes Bild entwickelten und der Zuschauer
selbst sich wirklich oft angesprochen fühlen konnte oder sogar mußte 201.
198 Er erzählt (Vers 315 und H.), wie er Circe "de paso" den Weg der Begleiter des Ulises
zu ihrem Palast beschreibt. Soll man "de paso" wirklich nur als "beiläufig" oder als An-
schlußpartikel (wie sonst wohl bei Calder6n anzutreffen) fassen? Auch hier liegt eine
der zahllosen Detailfragen vor, die der Text dem Interpreten zu lösen aufgibt. Circe
bezeichnet sich in ihrer Antwort (so berichtet Entendimiento weiter) als "de es tos cam-
pos la Diana" (Vers 322). Durch die Einflechtung dieses antiken Namens konnte Calde-
r6n im Zuschauer eine Fülle von Bedeutungen wachrufen, hatte Diana doch (neben vie-
len anderen Funktionen, die uns die Geschichte der Mythologie überliefert und die hier
aufzuzählen wiederum zu weit führen würde) als Luna die Funktion einer Zauber-
göttin, dann diejenige einer Göttin der Flur usw. (Vgl. zu dieser wie zu jener Funktion
unseren Text!).
199 Calder6ns Lasterkatalog (und seine Terminologie) verdiente eine Sonderstudie, die
antike, patristisch-scholastische und spanische Gedankengänge umfassen müßte (darunter
auch solche, die sich auf das Zeitkolorit beziehen könnten - vgl. die Verse 367-370).
Das von mir zusammengetragene Material wird an anderer Stelle ausgewertet werden.
In den auf diesen Teil des calderonianischen Werkes bezüglichen Ausführungen müßte
natürlich auch die Szene interpretiert werden, welche die Rückverwandlung der Tiere in
Sinneskräfte zum Gegenstand hat (Vers 689 und ff.). Hier wäre z. B. auf die Genesis der
Charakterisierung des Löwen als eines Tieres mit schlechtem Mundgeruch (vgl. Plinius,
Chrysostomos, Beda) hinzuweisen.
200 3,51.
201 Vgl. die Verse 387-390, 1217, 1229.
42 Hans Flasche

Calder6n erwies sich auch unmittelbar nach der Teichoskopie als Meister
der Abwechslung. Im Anschluß an einen Dialog zwischen dem reuigen Men-
schen und seinem Verstand wird erneut ein in hohem Maß fesselndes, sehr
bühnenwirksames Bild eingebaut. Die Buße nähert sich auf einem Regen-
bogen 202. So wie die Stimme des besserungswilligen Menschen auf den Stu-
fen des Windes, wie es im Drama heißt, hinaufsteigt 203, so kommt die Botin
Gottes zu ihm herab. Gerade hier läßt sich eine der strukturellen Interpreta-
tion hervorragend dienliche Feststellung einfügen. Die Frage, ob Calder6n
bei der Konstruktion seines Stückes eine durch die zu Gebote stehende Ma-
schinerie erreichbare Bühnenwirksamkeit zum Ausgangspunkt seiner Kom-
position machte und den Text wenigstens zum Teil erst danach formte oder
ob er, umgekehrt, dichterische Bilder und die seiner Gelehrsamkeit entsprin-
genden Reminiszenzen in Verse goß und dann nach figürlicher Darstellung
suchte, ist müßig und eines Genius unwürdig. Man wird der Wirklichkeit des
Schaffensprozesses wohl eher gerecht, wenn man sein Wissen, die es dichte-
risch formende Kraft und die Kenntnis der Bühnentechnik damaliger Zeit zu
gleicher Zeit in seinem Geist bereit gestellt sieht. Nach einem Teilstück von
solcher poetischer Schönheit und solchem gedanklichen Reichtum, wie es die
schon analysierte Beschreibung des Paradieses der Schuld darstellt, baut der
mit Bühnentechnik vertraute Calder6n eine kleine Brueghel-Szene ein: ein
Tisch mit vielen Speisen steigt aus dem Boden 204; der Mensch setzt sich in
Gemeinschaft seiner "vitia" zum Mahle hin. Wenn, wie schon erwähnt, bis zu
vierzig Bühnenanweisungen bei einem Gesamtumfang von nur 1354 Versen
das Szenenbild jeweils verändern oder verändern können, so ist für Substanz
und Tiefe der Verse ein, wenn auch natürlich nicht gleichwertiges, Gegen-
gewicht geschaffen.
In den calderonianischen Bühnenanweisugen selbst wird nicht selten die
Musik genannt 205. Abgesehen von einer Untersuchung 206, die sich jedoch
in erster Linie mit Fragen theoretischer Art und solchen der Genesis der
Musikinterpretation des spanischen Dichters (Pythagoras, Platon, Plotin,
Augustinus, Boethius) befaßt 207, besitzen wir noch keine grundlegende
202 Verse 471-473.
203 Verse 502-503.
204 Vgl. die Bühnenanweisung nach Vers 1060: "Sale la mesa por debajo del tablado con
muchas viandas ..."
205 Vgl. z. B. die nach der Anweisung "Tocan chirimfas y cantan" folgende "Darbie-
tung" der "Musica" selbst: "Ya que el hombre confiesa su culpa, / ... / ... / ... /.
(Verse 467-470).
206 Jack Sage, Calder6n y la musica teatral (Bulletin Hispanique LVIII, 1956, p. 275
bis 300).
207 Der augustinische Gedanke, daß die wahre Musik (im Gegensatz zur falschen) Stimme
Gottes für den Menschen sei, spiegelt sich wohl in der Antwort des Verstandes auf die
"Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 43

Untersuchung zur Funktion der Instrumente und des Klanges in Calderons


Werken 208.
Hier mag nur der in diesem Zusammenhang freilich und für strukturelle
Perspektiven bedeutsame Hinweis gegeben werden, daß dem Zuschauer die
Dichte des Wissens und das gedankliche Gewicht des Auto auch durch musi-
kalische Entspannung, musikalische Ausdrucks- und Erlebnisformen erheb-
lich leichter tragbar gemacht wird.
Blicken wir nunmehr im sechsten und letzten Teil unserer Vberlegungen
zusammenfassend auf die Ergebnisse zurück, die vier analysierende Einzel-
abschnitte gebracht haben, so können wir feststellen, daß es Calderon auch
in diesem Auto gelungen ist, sich auf jenem Wege künstlerischer Leistung zu
bewegen, die seine anderen geistlichen Schauspiele auszeichnen. Er hat sei-
nem Werk - abgesehen vom Zentralthema der Eucharistie - u. a. durch
häufigen Bezug auf einen metaphorischen Sinnbezirk Einheit verliehen. Er
hat der in diesem Vortrag geprüften einzelnen Rede (und manchen anderen)
den Charakter eines mit dem Schauspiel ganz verwobenen, der Situation vor-
züglich angepaßten, aber auch für sich bewertbaren kleinen Kunstwerks ver-

Frage des Menschen: "Mas, lque musica sonora / es la que olmos los dos?" Der Ver-
stand antwortet: "Auxilio es que te da Dios."
208 Wenn Culpa (nach der "Außerung" - es sei absichtlich dieses neutrale Wort gewählt

- von Musica: "En hora dichosa venga [So muß es statt "vengo" - wie dies Wort
in der Ausgabe Chlsicos Castellanos lautet - heißen!] / a estos jardines amenos / el
peregrino deI mar, / donde halle seguro puerto. /" - Verse 563-566) ausruft: "En
hora dichosa venga, / digan los dulces aeentos / una y mil veces, sin que / nada les
usurpe el eeo, / bandolero de los aires, I que se queda eon los medios. /", so handelt es
sich wohl um gesungene Worte der im Auto auftretenden Musiker. Nachdem der Mensch
durch die lange Verführungsrede der Schuld zu Fall gebramt worden ist, sagt diese:
"Vend. La Musica vuelva / a repetir sus acentos;" (Verse 889-890). Solche Auf-
forderung bedeutet, daß die Worte "En hora dichosa venga ..." erneut erklingen sollen.
Aum hier stellt sim die Frage (die man natürlim zunämst in gleicher Weise, wie soeben
geschehen, beantworten könnte), wer mit Musica gemeint sei. Ist es ein (kleiner) Chor?
Ist es ein Chor auf der Bühne? Besteht er etwa, was hier nimt wahrscheinlich ist, aus
einer Gruppe der mitspielenden Personen? (Vgl. auch die in "Eco y Narciso" singenden
Smauspieler!) - Im Hinblidt auf eine wirklich zutreffende (und bislang selbst mit Hilfe
Spanism als Muttersprache sprechender Leser nicht erzielte) Interpretation der Worte
"Sin que ... medios" sei hier (abgesehen von Ovids Metamorphosen 3, 361) wenigstens
auf den Text eines 1644 gestorbenen Autors aufmerksam gemacht. Es handelt sich um
"Homo Indivisus Et Integer Figuratus Et Symbolicus ... " opera et studio Octavii Scar-
latini Tomus Secundus ... Nunc primum ex Italico Idiomate Latinitati datus a Matthia
Honcamp-Augustae Videlicorum et Dilingae Anno 1695 p. 133 - b: "Echo descrip-
tum ab Augustino Mascardo. An unquam alienae vocis aemulum Emo audistis? jam enirrt
eertus sum, nunquam illud a vobis visum. Quid rei est: Respondet Ausonius: Quod filia
Iinguae sit, et aeris, mater vani indieii, quae voeem habet sine intellectu, habitans in
auribus hominum, et quae in transitu stans ultima ratiocinantis verba furatur: quae alte-
rius sermoni male accepto, male intellectu iIludit: Haec vocum interturbatrix est, quae
multa promittit, nil observans." (Unterstreichung durch Verfasser dieser Studie!)
44 Hans Flasche

liehen. Dem Dialog zwischen Schuld und Mensch in den Gärten des irdischen
Paradieses wird ein Kosmos von Beziehungen, die sich aus dem Auto her-
leiten, eingesponnen, der in gleicher Weise von Agilität des Denkens wie
Subtilität des Sprachgefühls zeugt. Die dem Zuschauer gestellte Aufgabe,
nämlich während der Aufführung den Reichtum der aus antiker Quelle und
christlichem Denken entlehnten und miteinander verknüpften Probleme auf-
zunehmen, bemüht sich der Dichter durch die von mir genannten mannig-
fachen Hilfen zu erleichtern.
Trotz dieser vom Philologen nachgewiesenen und ihm außergewöhnlich
erscheinenden, einen großen Dichter kennzeichnenden Qualitäten wird sich
bei dem an andersartiges, psychologisches, modernes Theater gewöhnten Be-
trachter vielleicht ein Zweifel am Wert solcher dramatischer Kunst einstellen.
Ist nicht der Handlungsverlauf zu einfach, ja geradezu vorausschaubar? Der
durch die Sünde Adams belastete Mensch fällt in Schuld, erhebt sich durch die
dem Leben neue Richtung gebende Reue, fällt erneut 209 und ergreift wieder-
um die ihm gebotene Hilfe in Buße und Eucharistie.
Es ist das Bild des Auf und Ab der Vita spiritualis, das Calderon in die-
sem Auto wie in seinen anderen geistlichen Schauspielen darbietet. Stellt sich
- so wird man im Hinblick auf jede andere Schauspiel art fragen - auch
angesichts der Titelerläuterung "Auto sacramental historial alegorico" 209a
überhaupt noch die Frage nach dem Ausgang? Erscheint sie nicht von vorn-
herein überflüssig und damit das Stück als solches ohne Spannung? Ist nicht
überdies - und auch das deutet die Gattungsbezeichnung an - der Schöp-
fungswiIle des Autors, der eine Lehre seines Glaubens auf der Bühne dar-
stellen will und daher viel Didaktik bietet, so stark, daß die Aktionslinie
des Werkes vorgezeichnet und darüber hinaus Aktivität und Beweglichkeit
von Regisseur und Schauspieler erheblich beschränkt bleiben? Gibt es, abge-
sehen von den die "repraesentatio" betreffenden und durch sie wirkenden
Faktoren, wirklich diverse und Spannung weckende Aufführungsmäglichkei-
ten? Es gibt sie! Freilich in einem dem Charakter eines solchen Werkes ent-
sprechenden Maße. Wenn gegen Ende des Autos - nur ein Beispiel! - der
sich schon auf dem rettenden Schiff der Kirche befindende Mensch der zu-
rückbleibenden Schuld Abschiedsworte zuruft, die noch eine Spur von Bin-
dung an die Sünde verraten 210, so muß man von dieser besonders eindrucks-

209 Die diesbezüglichen TextsteIlen müßten in einer kommentierenden Ausgabe im Hin-


blick auf die über den Rückfall aufgestellten Lehren (vgl. z. B. den Hirten des Hermas,
Augustinus usw.) erläutert werden.
209a Im Ms. 3793 wird unser Stück "Auto sacramental" genannt; im Ms. 14 772 "Auto
sacramental aleg6rico"; im Ms. 16282 "Auto sacramental his tori al aleg6rico".
210 Verse 1317-1320: "Circe, poco tus Encantos / han podido, pues me saca / (jay de
»Los Encantos de la Culpa« von Calder6n 45

vollen Stelle ausgehend, die Möglichkeit einbeziehen, daß, von Anfang des
Stückes an, die Hinwendung des Menschen zum Guten oder zum Bösen, der
Kampf in seinem Inneren (auch wenn er den Worten des Textes direkt nicht
zu entnehmen ist) höchst dramatisch geformt werden konnte. Damit ist auch
dem möglicherweise formulierten Einwand, ein Auto sacramental entbehre
der Spannung, seine Bedeutung genommen, denn auch das Wissen um den
Ausgang durch die sakramentale Wirkung kann den langen Weg, der zu sol-
chem Ausgang führt, lange Zeit im Dunkeln lassen.
Eine scharfe Herausarbeitung der Gegnerschaft von Entendimiento (Ver-
stand) und Culpa (Schuld) - beide streiten sich um den Menschen (und auch
das Publikum) - wäre desgleichen als eine der Inszenierungskunst überlas-
sene Aufgabe unter vielen anderen anzusehen.
Doch wird man endlich die - legitime - Frage stellen müssen, ob das
Auto sacramental Calderons und auch dieses ("Los Encantos de la Culpa")
überhaupt am Gesetz der comedia oder des drama profano gemessen werden
solle. Aus den von uns vorgenommenen Analysen und ihrem Resultat scheint
uns die Notwendigkeit hervorzugehen, diese Frage negativ zu beantworten.
Die für das Corpus Christi-Fest komponierten Autos sacramentales wurden
gewiß, wie gesagt, für jeden Gläubigen, durch Erziehung und Umwelt mit
einer Erlebnisdisposition begabten Spanier geschrieben. Schon durch ihre alle-
gorischen Figuren besaßen sie für ihn besondere Wirkkraft. Sie waren jedoch,
da sie wirklich und insofern sie echte Kunstwerke darstellen, wohl noch eher
für die mit philosophisch-theologischen Fragen eng Vertrauten bestimmt. In
solcher Hinsicht handelt es sich - manche Prologe (Loas) zeigen übrigens
deutlich, daß die Spitzen der Gesellschaft in besonderer Weise angesprochen
wurden - um aristokratisch exklusive Literatur. Calderons Genialität in
diesem Schaffensbereich besteht in einzigartiger (freilich nicht nach Art eines
Polyhistors vollzogener) dichterischer Erarbeitung theologischer Doktrin in
minutiöser Darstellung. In dieser Darstellung mit ihren dauernden Bezügen
aber ist jener Mangel an Spannung - von dem man im Vergleich zu anders-
artiger Theaterkunst sprechen zu müssen glauben könnte - aufgehoben.
Denn die sozusagen von der ersten Zeile an intendierten, zunächst nur ange-
deuteten Verknüpfungen rufen, je weiter vorangeschritten wird, Spannung
hervor, auf deren Lösung man wartet.
Diese Lösung aber wird durch das Bewußtsein der erreichten Harmonisie-
rung aller Aussagen gezeitigt, z. B. auch dort, wo es um den Bereich der Theo-
logisierung antiken Substrates geht. Daß die Detailkunst Calderons nicht

mf!) la Iris Divina / coronado de esperanzas." Auf die Bedeutung dieses "ay de mf"
weist aum mit Remt der Spanier Valbuena Prat namdrücklim in einer Anmerkung hin.
46 Hans Flasche

selten mehrdeutige Interpretation zuläßt oder sogar bezwe<kt, wurde im


Laufe unserer Untersuchungen oft hervorgehoben. Daß sich darüber hinaus
beim modernen Leser die Neigung regt, in den Text bei tiefdringender
Analyse noch mehr hineinzulegen, als die schon erwähnte mehrdeutige Inter-
pretation zunächst erkennen läßt, ergibt sich letztlich aus dem Anspruch, den
jede große Dichtung zu stellen vermag 211. Will man die Detailkunst Calde-
r6ns in dem als Ganzes betrachteten Auto um ein weiteres näher charakteri-
sieren, so darf man in ihr eine sonst nur bei wenigen Autoren im gleichen Aus-
maße erreichte Einheit von "inspiration" und "fabrication" sehen, eine so-
wohl der "Ksthetisierung" wie der "Entpoetisierung" entgehende For-
mung abstrakter Gehalte. Von einer Unterordnung der "poesie pure" unter
rationale intentio kann man also nicht - und gewiß nicht generell - spre-
chen, wenn es auch vielleicht möglich wäre, in diesem Auto sacramental die
Schönheit solcher Verse, in denen - ich nenne ein Beispiel - der Glanz des
Schuldparadieses geschildert wird 212, von der Eigenart derjenigen abzuhe-
ben, in welche theologische Substanz - etwa die Lehre von der Reue oder
vom Verdienst - eingeschmolzen wird 213.
Als Endergebnis der hier vorgetragenen Strukturanalyse seien zwei als
Thesen gefaßte Erkenntnisse dargeboten: 1. Calder6n hat das einaktige
Auto "Los Encantos de la Culpa" so aufgebaut, daß es die Totalität seiner
Bedeutung, alle in es eingefügten Bezüge nur einer Mikroanalyse erschließt.
2. Er hat dieses sich ganz nur der Mikroanalyse erschließende Opus nicht
allein als Zeugnis, sondern in gleichem Ausmaß als Kunstwerk geschaffen.
Der von Max Kommerell im Hinbli<k auf unser Auto geschriebene Satz:
"Was in sich besteht und bedeutend ist, das ist Kunst und hat in den immer
anderen Auslegungen des Menschen eine unverwüstliche Zukunft. Was nicht
durch sich, sondern durch eine festgelegte Bedeutung besteht, ist ein Zeugnis
und erzählt von der Vergangenheit des menschlichen Geistes" 214, scheint
mir - wenigstens in dieser Schärfe - nicht zutreffend zu sein. Calder6ns Auto
ist Zeugnis und Kunst, Poesie und Theologie - Poesie der Theologie.

211 Daß freilidt die Parallelisierung calderonianisdter Aussagen mit Textstellen, die dem
theologisdt-philosophisdt gebildeten und philologisdt gesdtulten Interpreten bekannt
sind, Gefahren in sidt birgt und nur mit großer Zurückhaltung gebilligt werden sollte,
liegt auf der Hand. Der Kenner der Psalmen - ein Beispiel sei nodt genannt! - er-
innert sidt möglidterweise bei den an die Sdtuld geridtteten Worten des Mensdten ("a
darte la muerte vengo / y a rescatar mis sentidos / de la prisi6n de tus hierros." -
Verse 670-672) an 106, 14: "Et eduxit eos de tenebris et umbra mortis et vincula eorum
disrupit." Dodt führt eine solche Nebeneinanderstellung in einem wohl kaum mehr an-
nehmbaren Maße in den Bereidt des Hypothetisdten hinein.
212 Vgl. die oben gegebene Interpretation und audt z. B. die Verse 213-216!
213 Vgl. die Verse 447-458.
214 A.a.O., S. 258.
Summary

The lecture on "The Structure of the Auto Sacramental «Los Encantos


de la Culpa» (The Enchantment of Guilt) by Calder6n" is subdivided into
six parts. The introduction emphasizes, among other aspects, the importance
of mystery plays within the scope of the Spanish author's work and the pres-
ent state of literary research. Before entering into a microanalysis, the re-
viewer gives a macroanalysis for better understanding, i. e. a subdivision of
the work showing the chains of action. The following second part of the
explanations shows that the nautical metaphors pervading the Auto form an
essential factor in the whole structure of the play. The third part of the
lecture gives the dosest possible examination and interpretation of the se duc-
tive address of "Guilt", comprising 113 lines, in which Calder6n - as he
frequently does - gives a documentation of the poetical processing of his
educational and formative background. The fourth part deals with the study
of the dialogue between "Guilt" and "Man" following only four stanzas
accompanied by Music, which give an outline of the beauty of the Paradise
of Guilt. After the study of the nautical metaphors pervading the Auto
Sacramental has made dear some of the difficulties arising from the inter-
pretation of such a text and the insight into the structure of a long discourse,
and revealed its function within the whole of the opus as well as the under-
standing of the structure of the dialogue between "Guilt" and "Man", the
question arises whether the Calder6nian play meets with the understanding,
both visual and aural, of the spectators. Both the discussion of the problem
of understanding and that of the effectiveness of the stage performance serv-
ing understanding, are the subject of the fifth part of the lecture. The purpose
of the sixth and last part of the reflections set forth by the reviewer is to
give an insight - following all prior comments - into Calder6n's one-act
playas an opus having equal significance both as witness and as art.
Resume

La conference intitulee: «La structure de l'auto sacramentel < Les Char-


mes de la Faute> de Calder6n », se divise en six parties. Dans la premiere
partie, dont le but est d'introduire au sujet, l'auteur traite avant tout de
l'importance des drames religieux dans l'a:uvre de l'ecrivain espagnol et
rend compte de l'etat des recherches. Afin de rendre son expose plus acces-
sible et avant de s'engager dans une analyse de detail, il entreprend une
analyse generale ou il demonte l'a:uvre en suivant l'enchal'nement de l'ac-
tion. Dans une seconde partie, l'auteur s'attache a montrer que la metaphore
de la traversee, qui sous-tend l'a:uvre entiere, represente un facteur impor-
tant pour la structure de l'ensemble. La troisieme partie comprend une ana-
lyse aussi poussee que possible des 113 vers qui constituent les propos seduc-
teurs de la Faute, ou Calder6n revele, comme si souvent, jusqu'a quel point
ses vastes connaissances so nt sa matiere poetique meme. La quatrieme partie
est consacree a l'etude du dialogue entre la Faute et l'Homme, qui fait suite
a un court passage de quatre vers esquissant les enchantements du paradis de
la Faute et portes par la musique. L'examen de la metaphore de la traver-
see, qui impregne l'auto sacramentel et paral't conditionner l'agencement
d'un long discours tout en eclairant sa fonction dans l'ensemble de l'a:uvre,
de me me qu'il met en lumiere la structure du dialogue entre la Faute et
l'Homme - une partie de la difficulte presentee par un tel texte - amene le
spectateur a s'interroger sur la comprehensibilite du drame de Calder6n. La
cinquieme partie de la conference traite du probleme de la comprehension,
ainsi que des effets sceniques servant a l'intelligence de la piece. La sixieme
et derniere partie, qui veut etre la conclusion des reflexions proposees par
l'auteur, laisse sur la conviction que cette piece en un acte de Calder6n est une
a:uvre ou la force du temoignage ne le cede en rien a la valeur artistique.
Anhang
Zum vierten Teil der Ausführungen
(vgl. S. 33)

(Hervorhebungen durd!. Verfasser des Vortrags)

M6sIC. Compitiendo con las selvas 953


donde las flores madrugan, 954
los pajaros en el viento 955
forman abriles de plumas. 956
CULP. Yen por aquestos jardines 957
a donde crftica y culta 958
la Naturaleza ha hecho 959
entre jazmines y murtas, 960
alarde de sus primores, 961
pues su varia compostura 962
academia es, donde el mayo 963
de un ano para otro estudia. 964
ROMB. T an hermosa es esta estancia, 965
que el mismo sol que la alumbra, 966
su es/era dejara, a precio 967
de que fuera esfera suya. 968
Dfgalo el Cielo, que al ver 969
las flores que la dibujan 970
arrebo16 las estrellas 971
porque compitan las unas 972
con las otras; y asf estan 973
desde la tiniebla obscura 974
hasta la luciente aurora 975
esas estrellas ceruleas 976
donde en brazos de la noche 977
duermen las esferas mudas. 978
EL, Y Mus. Compitiendo con las selvas 979
donde las flores madrugan. 980
CULP. Todo el jardfn es delicias; 981
no hay planta, no hay hoja alguna 982
50 Hans Flasche

que, verde aroma, los mas 983


blandos perfumes no supla. 984
Y porque Vista y Olfato 985
la pompa no se atribuyan 986
para sf solos, objectos 987
son del Ofdo las puras 988
fuentes, siendo en el ruido 989
compas, que a coros se escucha 990
apacibles porque parlan, 991
y alegres porque murrnuran. 992
Envidioso todo el viento 993
al ver por la tierra en una 994
primavera solamente 995
tantas primaveras juntas, 996
de otras flores se ha poblado, 997
que aladas sus golfos surcan, 998
siendo ramilletes vivos; 999
y asf, cuanto entre esta suma 1000
Deidad las flores y fuentes 1001
de la tierra como industria 1002
pajaros forman de rosas 1003
por igualar su hermosura. 1004

ELLA, Y Mus. Los pajaros en el viento 1005


forman abriles de plumas. 1006

MUSIC. De una helleza engafiados 1007


por aurora la saludan, 1008
y, viendo sus hellos ojos, 1009
quedan vanos de su Culpa. 1010

ROMB. T oda esa belleza, toda 1011


esa varia compostura 1012
de vientos y cuadros que 1013
emulos siempre se usurpan 1014
la alabanza dignamente, 1015
sus trofeos asegura 1016
cuando al saludar tu vista 1017
a todas horas te juzga 1018
aurora de esas montafias 1019
haciendo que se confundan 1020
Anhang - Zum vierten Teil der Ausführungen 51

en los tormentos deI dia 1021


salpicadas las purpureas 1022
hojas; pu es aunque haya aves, 1023
y flores deI dia en la cuna, 1024
bebiendo a la aurora ell1anto 1025
que cendales de oro enjuga, 1026
el verte segunda vez, 1027
con nueva salva segunda, 1028
EL, Y Mus. De su belfeza engafiados 1029
por aurora la saludan. 1030
CULP. Culpa fuera de las aves, 1031
y las flores, porque nunca 1032
para equivocar Veidades 1033
halfar pudieran disculpa. 1034
HOMB. Si es culpa 0 acierto, no 1035
es justo que yo 10 arguya; 1036
pero bien se que mi amor 1037
hoy de su parte asegura 1038
que aunque Culpa decir sea 1039
que por aurora te anuncian 1040
flores y aves, ni las aves 1041
ni las flores se disculpan 1042
de esa Cu/pa, porque antes 1043
se que, con causa mas justa, 1044
EL, Y Mus. En viendo tus bellos ojos, 1045
quedan vanos de su Cu/pa. 1046
Diskussion

Professor Dr. phi!. Walter Franz Schirmer: Ich weiß von Calder6n nicht
viel und habe deshalb eine sehr naive Frage. Wann, wo und vor welchem
Publikum wurde so ein Stück aufgeführt?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Diese Stücke wurden durch das ganze
17. Jahrhundert hindurch und auch schon im 16. in großen und kleinen Städ-
ten Spaniens aufgeführt, und zwar am Fronleichnamstag, am Corpus-Christi-
Tage, vor einem Publikum, das sich sowohl aus Gebildeten wie auch aus Un-
gebildeten zusammensetzte. Gerade aus dieser Zusammensetzung erklärt sich
die oft und immer wieder gestellte Frage, ob es denn möglich gewesen sei,
daß nichtgebildete Zuschauer überhaupt folgen konnte'n. Man hat dieser
Frage viele Ausführungen gewidmet. Eine restlos befriedigende Antwort,
das ist meine persönliche überzeugung, ist bislang noch nicht gegeben wor-
den. Daß man sich sehr mit dieser Frage beschäftigt hat, mag zum Beispiel
daraus hervorgehen, daß Ernst Robert Curtius (z. B. in seinem Buche "Euro-
päische Literatur und lateinisches Mittelalter") ihr überlegungen gewidmet
und betont hat, daß dem Publikum die Fülle der Bilder, der Gestalten, auch
der Klang der Worte, der "Ohrenschmaus" Vergnügen bereitet habe.
Jedenfalls gehörte die Aufführung dieser Stücke - so möchte ich fast sa-
gen - zu einem Bestandteil der spanischen Kultur des Siglo de Oro, ins-
besondere des 17. Jahrhunderts. Die Forschung über die Ausführung der
autos sacramentales ist im übrigen noch sehr im Gange. Gerade die engli-
schen Gelehrten beschäftigen sich zur Zeit u. a. mit der Beantwortung der
Frage, die von Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Schirmer, eben gestellt
wurde.

Professor Dr. phil. Walter Franz Schirmer: Ich möchte noch eine Frage in
Hinsicht auf die englischen Mysterienspiele anschließen, die ja auch am Fron-
leichnamstag aufgeführt wurden. Sind die Darsteller Schauspieler oder sind
es Laien?
54 Diskussion

Prof. Dr. phil. Hans Flasche: Die Darsteller sind zum großen Teil Schau-
spieler!

Professor Dr. phil. Walter Franz Schirmer: Das ist also anders als in Eng-
land.

Staatssekretär Professor Dr. h. c.) Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Gab es auch


Schauspielergruppen, die sich dieser Aufgabe annahmen? Wenn ja, dann
offenbar mehrere. Wenn die Verbreitung dieser Spiele groß war, konnte es
ja nicht nur eine Gruppe sein.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Es gab in fast allen größeren Städten
Schauspielergruppen, die sich der Aufführung dieser Autos widmeten, ja
selbst in kleineren Städten Spaniens. Wir haben auch darüber eine Fülle von
Zeugnissen, die zugänglich sind.

Professor Dr. phil. Tilemann Grimm: Läßt sich die Frage der Verstehens-
möglichkeit dieser Stücke nicht von daher deutlicher erkennen, daß es sich um
die Tatsache des Fronleichnamstages handelt, also um ein Spiel, welches an
bestimmten Festtagen aufgeführt wurde, wahrscheinlich auch an bestimmten
Orten wie z. B. in Kirchen, so daß auch nichtgebildete Hörer auf Grund die-
ser Tatsache auf den Gang der Handlung eingestellt waren und womöglich
über Mehrdeutiges hinweggehört oder das Verständnis gar nicht vollzogen
haben, jedoch für das Stück als Ganzes ein grundsätzliches Verständnis hät-
ten aufbringen können?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Das ist gewiß richtig. Ich würde aber
auch zu bedenken geben, daß der Anteil der in die autos sacramentales ein-
gearbeiteten antiken und spätantiken Elemente beträchtlich ist. Ich habe hier
ein Auto gewählt, in dem das antike Element vielleicht noch nicht einmal
präponderant ist. Es gibt andere, in denen das antike Element an einer größe-
ren Anzahl von Stellen hervortritt. Insofern würde es also für die selbst dem
Fronleichnamstag aus ihrer Erlebnisdisposition zugetanen Zuhörer doch oft
schwierig gewesen sein, den in das Stück hineingeflochtenen Allusionen Sinn
zu geben.

Prof. Dr. phiI.) Dr. h. c. Günther .fachmann: Was ich fragen wollte, wurde
eigentlich schon behandelt. Ich wollte nämlich fragen, ob die Tatsache, daß
die Aufführungen, wenn ich Sie recht verstanden habe, nur am Fronleich-
namstag, also einmal im Jahre, stattfanden, dazu geführt hat, daß der christ-
Diskussion 55

liche Gedanke sehr stark ausgesponnen, hineingelegt oder angedeutet wurde,


eben wegen dieser äußerlich gesehenen chronologischen Gelegenheit. Das
scheint nicht der Fall zu sein, jedenfalls nicht unbedingt und nicht im beherr-
schenden Sinne.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Es stimmt, daß diese Stücke - im we-
sentlichen jedenfalls - nur am Fronleichnamstag (bzw. den diesem benach-
barten Tagen) aufgeführt wurden (vgl. z. B. Don Quijote II, 11). Woher
wissen wir das? Wir wissen es nicht nur aus dem Inhalt des Textes, sondern
auch aus der Tatsache, daß eine solche Aufführung die Finanzen der betref-
fenden Stadt oder des betreffenden Städtchens ganz erheblich in Anspruch
nahm. Es sind uns Berichte darüber erhalten, wie man das Geld für die Büh-
nenfiguren, die zu repräsentierenden Tiere usw. bereitstellen konnte. Das
finanzielle Problem allein war also schon so groß, daß sich die Aufführung
an einer Vielzahl von Tagen als schwer realisierbar herausstellte und im übri-
gen ja auch nicht dem Sinn des Festes (Corpus Christi) entsprochen hätte.
Was Ihre Frage nach der Auslegung des christlichen Gedankengutes angeht,
so stand diese - ungeachtet der Einarbeitung antiker, spätantiker, zeitge-
schichtlicher Elemente - doch gewiß zentra1.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Glauben Sie,


daß die Aufführungen in Kirchen stattgefunden haben, oder gab es so etwas
wie Theater? Oder hat man diese Stücke im Freien, möglicherweise in alten
römischen Theatern aufgeführt?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Diese Frage ist mir vor zwei Jahren in
Oxford von einem Calderonisten gestellt worden. Ich habe geantwortet, daß
die ältesten "autos" (Stücke religiösen Inhaltes) des 16. Jahrhunderts wohl
in der Kirche, die autos sacramentales der Blütezeit der Gattung auf beson-
deren Plätzen der Stadt, vor dem königlichen Palast, vor Häusern hoher
Persönlichkeiten dargeboten wurden.

Prof. Dr. jur. Gerhard Kegel: Sie erwähnten am Anfang, daß Sie sich
eines Rechenautomaten bedient haben. Aber Sie haben das nicht näher aus-
geführt. Meine Frage ist, ob man dann mit einem kompositorischen Bild, mit
einem Diagramm arbeiten kann und ob sich eine Art Harmonie aufstellen
läßt.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Das ist ganz gewiß zu überlegen. Vor-
läufig sind wir in Hamburg noch nicht ganz so weit. Bisher befinden sich
56 Diskussion

erst einige Calder6n-Stücke im Rechenzentrum Darmstadt, um Häufigkeit


von Worten festzustellen, Kontextprobleme anvisieren, eine Stellenkonkor-
danz auswerten zu können usw. Ich will die Möglichkeit dafür schaffen, fest-
zustellen, wie der Sprachgebrauch Calder6ns beschaffen ist, das heißt
welche Termini häufig vorkommen, in welchem Kontext sie auftauchen usw.

Prof. Dr. phil. Arno Esch: Ich habe noch eine Frage zu der von Ihnen er-
wähnten Mehrdeutigkeit bzw. Mehrschichtigkeit (wenn ich recht verstanden
habe, gebrauchten Sie die bei den Begriffe synonym): Sind für denjenigen,
der über die notwendige agudeza verfügt, die allegorischen Bezüge stets in-
tellektuell aufschlüsselbar, oder wird der Rahmen des Allegorischen gelegent-
lich gesprengt?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Die Frage ist nicht leicht zu beantwor-
ten. Für denjenigen, der über die notwendige agudeza verfügt, sind, so meine
ich, die allegorischen Bezüge aufschlüsselbar. Was die Sprengung des Rah-
mens des Allegorischen angeht, so versuchte ich, an einer Stelle meines Vor-
trages auf sie einzugehen. Es handelt sich um den letzten Teil der Verfüh-
rungsrede und den in ihr enthaltenen Ausdruck "la verdad de mi deseo". Es
wäre denkbar, so sagte ich, daß Calder6n ihn wählte, um die Echtheit eines
Liebesverlangens in die allegorische Bühnenfigur einzuschmelzen, die Figur
der Culpa als eine sich auf der Bühne wirklich in ihrer Liebe präsentierende
Frau erscheinen zu lassen. Damit aber wäre hier der Rahmen des Alle-
gorischen (wie Sie formulierten) gesprengt. Ich möchte aber hinzufügen,
daß meine Untersuchungen sich in dieser Hinsicht noch in statu nascendi
befinden.
Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Wie lange
Zeit sind derartige Werke aufgeführt worden, oder wann hat es aufgehört
und aus welchen Gründen hat es aufgehört? Waren die Leute nicht mehr so
gebildet, daß sie dieses etwas komplizierte dichterische Werk aufnehmen
konnten oder war vielleicht die Verbindung mit der Kirche nicht im gleichen
Maße gegeben? Das würde doch interessieren. Werden vielleicht diese Stücke
heute noch aufgeführt?
Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ich möchte gleich auf die letzte Frage
antworten. Diese Stücke werden heute noch aufgeführt. Ich habe selbst vor
einigen Jahren in Madrid das auto sacramental "EI Pleito Matrimonial" auf
der Bühne gesehen. Ich lasse mir von Bekannten auch immer wieder über
Süd amerika berichten. In Kolumbien z. B., aber auch in anderen Ländern,
werden diese Stücke heutzutage noch inszeniert.
Diskussion 57

Dann zur Dauer der Repräsentation dieser Stücke. Wir haben vor Calde-
ron schon Autoren, die autos sacramentales verfaßt haben. Calderon selbst
hat von 1600 bis 1681 gelebt und die frühesten Stücke etwa 1632-1634 ge-
schrieben. Man kann also einen terminus a quo für die Aufführung der calde-
ronianischen Stücke auf die genannten Jahre fixieren, einen terminus ad quem
aber auf die Mitte des 18. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert setzt eine starke
anticalderonianische Bewegung ein. Sie zu erklären würde in schwierige
Probleme führen. Aufgeführt werden diese Stücke aber, wie gesagt, noch
heute.

Professor Dr. phil. Paul Egon Hübinger: Ich möchte daran die Frage an-
knüpfen: Werden sie heute als religiöse Stücke aufgeführt oder aus ästheti-
schen, literaturhistorischen Gründen? Handelt es sich also um eine historisie-
rende Aufführung, oder sind sie heute noch so lebendig wie in der Zeit
Calderons?
Meine zweite Frage lautet: Wie hat die zeitgenössische Kritik diese Stücke
Calderons aufgenommen, und wie hat sie auf die Mehrschichtigkeit, die der
Vortragende hier überzeugend dargelegt hat, auf diesen Konzeptualismus
reagiert?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Die erste Frage ist nicht einheitlich zu
beantworten. Ich selbst sagte, daß ich autos sacramentales aufgeführt gese-
hen habe. Sie werden - in den letzten Jahren zum Beispiel - in den "nor-
malen" spanischen Theatern aufgeführt. Damit wäre gesagt, daß sie - sa-
gen wir - aus literaturkritischen, ästhetischen Gründen dargeboten wur-
den, nicht aber in bezug auf religiöse Problematik. Freilich ist die gestellte
Frage mit meiner Antwort noch zu einfach beantwortet, denn man bemüht
sich, die junge spanische Generation, vor allen Dingen die Schulkinder usw.,
mit diesen autos sacramentales vertraut zu machen. Man führt sie in die
autos sacramentales hinein. So könnte man sagen, daß doch auch eine Wir-
kung im Hinblick auf religiöse Problematik beabsichtigt ist.
Was die zweite Frage angeht, die Sie mir gestellt haben, so möchte ich
darauf antworten, daß diese Problematik meiner Meinung nach noch nicht
genügend untersucht worden ist. Wir sind ja im Bereich der Calderonfor-
schung - man darf das trotz aller Arbeit, die geleistet worden ist, sagen -
noch am Anfang. Doch hat der englische Hispanist Parker auf die positive,
freilich sehr spärlich bezeugte zeitgenössische Kritik hingewiesen.

Professor Dr. phii., Dr. h. c. Günther fachmann: Läuft das darauf hinaus
- wie man es am einfachsten formulieren kann -, daß das profane Element
58 Diskussion

bei Calder6n schon eine selbständige Bedeutung gewonnen hat, oder tritt es
vollständig hinter das religiöse Allegorische zurück?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Darauf ist zu antworten, daß das pro-
fane Element bei Calder6n durchaus eigenständige Bedeutung hat. Sie wis-
sen, er hat eine außerordentlich umfassende Produktion entfaltet. Wenn ich
mich recht erinnere, beträgt die Gesamtzahl der von ihm geschriebenen
Stücke über 200. Von diesen - ich möchte mich in diesem Moment nicht auf
die gen aue Zahl festlegen - beschäftigen sich über 100 mit profanen Pro-
blemen, um bei diesem terminus zu bleiben.
Vielleicht ist in diesem Zusammenhang wichtig, folgendes zu betonen:
Calder6n hat in einer ganzen Reihe von Fällen zunächst eine comedia,
ein profanes Stück also, geschrieben. In späteren Schaffensjahren hat er dann
versucht, die in diesem profanen Stück enthaltene Problematik in eine höhere,
abstraktere, religiöse Sphäre zu heben.

Professor Dr. phil. Tilemann Grimm: Sie deuteten vorhin an, daß Stücke
wie diese in den Schulen bei den Kindern wieder plausibel gemacht werden
sollen und verbanden damit den Hinweis, daß die religiöse Problematik die-
ser Stücke in der jungen Generation neu geweckt werden soll. Ich möChte Sie
fragen, welche Möglichkeiten Sie dafür sehen? Wie können Stücke, die so
sehr der europäischen Vergangenheit aufs Ganze angehören, heute den jun-
gen Menschen vom Religiösen her wieder lebendig werden?

Professor Dr. phi!. Hans Flasche: Auch diese Frage ist schwierig zu beant-
worten. Zunächst möchte ich folgendes sagen: Wie es im heutigen profanen
spanischen Theater Bemühungen gibt, ganz moderne Inszenierungen, wie
in Deutschland, Frankreich oder Belgien oder England durchzuführen, so
versucht man auch in Spanien, die autos sacramenta,les mit modernen Auf-
führungsmethoden, also durch Farbwirkungen, durch ungewohnt gestaltete
Kulissen usw., dem Publikum, auch dem jugendlichen Publikum, nahezu-
bringen.
Im übrigen möchte ich meine eben gemachte Bemerkung, man versuche die
junge Generation durch diese autos sacramentales im religiösen Sinne zu be-
einflussen, etwas restringieren. Ich habe selbst bei Madrider Aufführungen
gesehen, daß man Schulklassen in die Repräsentation der autos sacramentales
hineingeführt hat. Daraus habe ich den Schluß gezogen, man bemühe sich
von der Schule her, die junge Generation mit diesen Dingen vertraut zu
machen. In welchem Umfang das nun, aufs Ganze gesehen, geschieht, wage
ich nicht zu sagen.
Diskussion 59

Professor Dr. phil. Paul Egon Hübinger: Ist das nicht dasselbe wie bei uns,
wo geschlossene Schulklassen in Schillers "Tell" geführt werden, ohne daß
deshalb gleich zum Tyrannenmord und zum bewaffneten Aufstand aufgeru-
fen werden soll. Der "Tell" ist ja ein revolutionäres Stück. Bei den Auffüh-
rungen Calder6ns in Spanien geht es wohl auch um die Vergegenwärtigung
des klassischen Theaters, um die Konfrontierung der jungen Generation mit
den Klassikern der spanischen Bühne und der spanischen Literatur ohne reli-
giösen Hintersinn.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Im Anschluß


an das, was Herr Hübinger gesagt hat, müßte man doch fragen: Ist Calde-
r6n im jetzigen Spanien ein solcher Klassiker wie etwa bei uns unsere eige-
nen Klassiker, das heißt, gehen die Menschen mit einer inneren Beziehung
dorthin, mit dem Gedanken, hier spricht einer unserer größten Landsleute,
wir wollen unseren großen Nationaldichter unter uns wissen, seine Werke
hören und nicht einfach davon Abstand nehmen.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Darauf kann man durchaus mit Ja ant-
worten. Man müßte freilich auch von einer Wellenbewegung sprechen. In den
letzten Jahrzehnten ist es so gewesen: Ende des 19. Jahrhunderts hat durch
einen bedeutenden spanischen Literaturkritiker die Bevorzugung eines ande-
ren Zeitgenossen Calder6ns, nämlich Lope de Vega, eingesetzt. Infolge-
dessen haben die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, etwa von 1900 bis
1925 als den spanischen Klassiker des Theaters eher Lope de Vega ansehen
lassen. Dann ist vor allen Dingen durch einen spanischen Forscher, den ich
auch in meinem Vortrag zitiert habe, und durch ausländische Gelehrte eine
Calder6n-Renaissance herbeigeführt worden. Man legt sie heute, wenn man
ein Datum fixieren will, auf das Jahr 1927.
Man darf wohl sagen, daß Calder6n wie Lope de Vega als große und le-
bendige Klassiker des spanischen Theaters angesehen werden. Freilich müßte
man hinzufügen, daß innerhalb dieses Bereiches die profanen Stücke natür-
licherweise, weil sie viel leichter verstehbar sind, sich eines größeren Ruhmes
erfreuen.

Professor Dr. phil. Paul Egon Hübinger: Ich möchte diese Frage jetzt noch
einmal präzisieren. Gibt es auch negative Außerungen aus der Zeit über diese
autos? Aus ihnen würden sich ja interessante Erkenntnisse gewinnen lassen.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Mir persönlich, so kann ich nur auf diese
Frage antworten, sind keine solchen negativen Außerungen aus der Zeit Cal-
60 Diskussion

der6ns bekannt, womit ich aber nicht apriori sagen will, daß es sie nicht
gäbe. Aber die Tatsache, daß die autos sacramentales nicht nur häufig ge-
druckt, sondern in vielfältigen Abschriften vorhanden gewesen sind, immer
wieder zirkulierten und deren Aufführung durch Schauspielergruppen zur
Aufgabe gemacht wurde, läßt doch darauf schließen, daß das Echo ganz und
gar positiv gewesen ist.

ProfessorDr. phil. Paul Egon Hübinger: Goethe hat ja bekanntlich Calde-


r6n sehr hoch geschätzt. Hat er diese Schätzung auf die Kenntnis der autos
sacramentales gegründet oder auf die anderen Werke. Dazu die Frage: Wie
steht es denn mit der deutschen Romantik, die auch für Calder6n sehr viel
übrig gehabt hat?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Goethe selbst hat sich wohl in erster
Linie nicht mit den autos sacramentales, sondern mit anderen Stücken, etwa
mit dem "Principe Constante" befaßt, wobei freilich hervorzuheben ist,
daß gerade zwischen dem "Principe Constante" und den autos sacramen-
tales sowohl in Wortwahl wie auch in Bildern sich eine geradezu frappante
Ähnlichkeit ergibt. Ich hatte in meinem Text ein Parallelbeispiel zum "Prin-
cipe Constante",das ich dann aber nicht angeführt habe.
Die Schätzung der autos sacramentales ist vor allen Dingen durch die deut-
sche Romantik und da durch Friedrich Schlegel zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts inauguriert worden. Die vielleicht beste Äußerung über die autos aus
deutscher Feder stammt von Friedrich Schlegel.

Professor Dr. phil. Paul Egon Hübinger: Wo ist für dieses Neue bei Calde-
r6n die Wurzel zu suchen? Ist das literarisch oder theologisch zu verstehen?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Calder6ns Vorgehen ist sowohl theolo-
gisch wie literarisch zu verstehen. Theologisch insofern, als er mit den modi
procedendi der scholastischen Distinktion vertraut war. Literarisch insofern,
als er in einer Epoche des Konzeptismus, des Kultismus lebte. Es handelte sich
hier m. E. nicht zuletzt auch um eine Streitfrage innerhalb der Literaturkriti-
ker selbst. Es gibt Theoretiker, die Calder6n - ich will einmal einen etwas
abschätzigen Ausdruck gebrauchen - als Epigonen eines anderen großen
spanischen Dichters ansehen, nämlich des auch von mir zitierten G6ngora.
Er hat zwar keine autos geschrieben, nur wenige Theaterstücke, aber die
Sprache gehandhabt, wie Calder6n es auch getan hat. Ist es Calder6n ge-
lungen, über G6ngora hinauszugehen? Ich persönlich bin der überzeugung,
daß ihm das gelungen ist. Meine Analyse nicht nur der autos sacramentales,
Diskussion 61

sondern auch der comedias und der dramas wollen einen Beitrag zu diesem
Beweis liefern.

Professor Dr. phil. Walter Franz Schirmer: In England ist im 17. Jahr-
hundert dies vieldeutige Zergliedern im sogenannten "metaphysischen Stil"
von der Jesuitendichtung angeregt worden. Da wäre das Theologische in den
Vordergrund zu stellen.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ich danke Ihnen für diesen Hinweis.
Das würde auch für Calder6n zutreffen. Ich habe das in meinem Vortrag
nicht besonders ausgeführt. Man müßte seine Bildungsgeschichte noch heran-
ziehen. Dabei wäre zu erwähnen, daß er das Colegio Imperial in Madrid,
jenes große Bildungsinstitut der damaligen Zeit, besucht hat, und andere
Dinge mehr.

Professor Dr. phil. Arno Esch: Darf ich noch einmal das Stichwort der
Predigt aufgreifen? In England finden wir in der religiösen Literatur der
Zeit wiederholt Warnungen, nicht zur Kirche wie in ein Theater zu kommen.
In der Tat waren manche Predigten nicht nur theologische, sondern auch pu-
blizistische und schauspielerische Leistungen. Wie verhalten sich in dieser Hin-
sicht die spanischen Prediger der Zeit? Gibt es Verbindungslinien zwischen
der konzeptistischen Predigt und den autos sacramentales?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ich komme an dieser Stelle zunächst auf
die Bühnenanweisungen, die uns ja die Stücke bieten, zurück. Aus diesen
Bühnenanweisungen könnte man auf so etwas schließen, wie Sie es eben ge-
sagt haben. - Ich würde aber doch auch noch etwas hinzufügen, soweit
meine Kenntnis der Predigtliteratur der Pyrenäenhalbinsel ausreicht. Die
spanischen und portugiesischen Prediger der damaligen Zeit sind vielfach
ausgesprochen konzeptistische Prediger. Ich denke z. B. an einen Portugie-
sen mit Namen Vieira, der also - ich möchte sagen mutatis mutandis -
gen au in der gleichen Weise predigt, wie Calder6n seine autos sacramentales
aufführen läßt.

Professor D. theol., Teol. D:r h. c. Karl Heinrich Rengstorf, D. D.: Sind


solche Stücke von Calder6n auch im Auftrag geschrieben? Wenn ja, dann
würde das doch wichtige Konsequenzen haben.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ja, sie sind 1m Auftrag geschrieben
worden.
62 Diskussion

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Vr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Wer hat den
Auftrag gegeben?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Zuweilen der königliche Hof, zuweilen
die städtischen Behörden usw.

Professor D. theol., Teol. D:r h. c. Karl Heinrich Rengstorf, D. D.: Das


ist ein wichtiger Gesichtspunkt angesichts der Frage, ob sich mit Calder6ns
Stücken eine bestimmte Absicht auf die Zuschauer hin verbindet, und zwar in
der ganzen Breite von deren Zusammensetzung. Wir würden dann doch
wohl bei der religiösen Bindung, in der die Auftraggeber in diesem Zeitalter
stehen, in diesen Stücken durchaus so etwas wie eine ins Schauspiel umge-
setzte Predigt zu sehen haben.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Das kann man durchaus akzeptieren.

Professor D. theol., Teol. D:r h. c. Karl Heinrich Rengstorf, D. D.: Darf


man in diesem Zusammenhang etwa an die Bachschen Passionen erinnern?
Auch in ihnen liegt wenigstens eine Art Auftragsarbeit vor, wenn es sich auch
nicht um die Ausführung präziser Aufträge handelt. Immerhin ist unver-
kennbar, daß das, was Bach geschaffen hat, im Zeichen eines Auftrags steht,
der ihn verpflichtet und beeinflußt hat.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Sie sprachen


von den Schauspielertruppen. Sie können ja nicht nur einmal am Fronleich-
namstag gearbeitet haben. Wie war das zwischendurch? Haben sie andere
Stücke Calder6ns gespielt? Ist da ein Theaterleben gewesen, das diese Trup-
pen zusammengehalten hat?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Es gab natürlich, abgesehen von den
autos sacramentales, noch eine Fülle von anderen Stücken, die in Spanien
aufgeführt wurden. Damit waren Schauspiel gesellschaften zusammengehal-
ten und beschäftigt. - Im übrigen darf man freilich nicht vergessen, was uns
die von den englischen Forschern bereitgestellten Dokumente gezeigt haben,
daß die Vorbereitung für die Aufführung des auto sacramental eine geradezu
enorme Arbeit kostete.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Wenn sie


mehrere Monate gearbeitet haben, ist es erklärlich, daß sie zusammengehal-
ten werden konnten. Gab es auch ganz laienhafte Stücke, die mit religiösen
Dingen nichts zu tun hatten?
Diskussion 63

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Natürlich hat es das gegeben. Ich weiß
freilich im Augenblick nicht, wie es im einzelnen mit den Gruppen bestellt
war, die sich diesem Theater gewidmet haben.

Professor Dr. phil., Dr. h. c. Günther fachmann: Es ist interessant zu


hören, daß diese Aufführungen am Fronleichnamstag keineswegs die einzi-
gen Aufführungen in der damaligen Zeit waren. Sollte das so von Ihnen aus-
gedrückt werden?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Jawohl, Calder6n ist eine der großen
Figuren des spanischen geistlichen und weltlichen Theaters des 17. Jahrhun-
derts. Wir haben dazu eine Unzahl anderer bedeutender und weniger bedeu-
tender Autoren.

Professor Dr. phil., Dr. h. c. Günther fachmann: Seine Dramen wurden


stets an einem heiligen Tag aufgeführt?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Am Fronleichnamstag sind nicht nur die
autos sacramentales von Calder6n aufgeführt worden, sondern auch solche
von Lope de Vega.
Lope de Vega gilt in Spanien sozusagen als der Gegenpol des "konzeptisti-
schen" Calder6n. Etwas vereinfachend gesagt: Lope de Vega gilt als der
volkstümlichere spanische Dichter, Calder6n als der gelehrtere spanische
Dichter. Lope de Vega hat autos sacramentales geschrieben, die nicht so kom-
pliziert und nicht so vielschichtig sind wie diejenigen von Calder6n. Wir
haben also auch an jenem Corpus-Christi-Tag ohne Zweifel Aufführungen
aus der Feder anderer Autoren gehabt und nicht nur aus der Calder6ns.

Professor Dr. phil., Dr. h. c. Günther fachmann: Bei anderen Gelegenhei-


ten?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Bei der gleichen Gelegenheit. Wenn
Lope de Vega autos sacramentales geschrieben hat, also solche, die für diesen
Tag (oder in seiner Nähe liegende Tage, z. B. auch den Oktav tag) bestimmt
waren, so wurden sie natürlich auch an diesem Tag aufgeführt.

Professor Dr. phil., Dr. h. c. Günther fachmann: Waren das immer kirch-
liche Festtage?
64 Diskussion

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-lng. E. h. Leo Brandt: Die Frage


des Herrn Kollegen Jachmann geht dahin, ob dieses Theaterleben in Spanien
normalerweise an jedem beliebigen Tag stattfinden konnte, oder ob be-
stimmte Werke nur an hohen Festtagen aufgeführt wurden. Sie wollten doch
fragen, ob dieses allgemeine Theaterleben, das es damals gab und von dem
wir gehört haben, ganz normal unabhängig von den großen Festen vor sich
ging und nur bestimmte Werke an den großen Festtagen dargeboten wurden.

Professor Dr. phii., Dr. h. c. Günther fachmann: Und damit auch jene un-
abhängig waren von der geistlichen Stellung, wenn ich es so sagen soll, des
Tages der Aufführung, also ob es auch schon eine Autonomie des Weltlichen
in der spanischen Dramatik gab.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Natürlich hat es die seit früher Zeit ge-
geben, ja seit ganz früher Zeit, bereits seit Beginn des 16. Jahrhunderts. (Ich
sehe vom mittelalterlichen Theater hier einmal ab.)

Professor Dr. phil. Paul Egon Hübinger: Sie knüpften an das an, was im
Vortrag zu Beginn über den Stand der Forschung gesagt wurde. Es ist auf-
fallend, daß ein Autor, der vor 110 Jahren geschrieben hat - Schmidt hieß
er - zitiert wurde und dann nur junge Autoren. Wenn die Calder6nfor-
schung einmal auf sich selbst reflektiert, kann sie dann vielleicht gewisse Be-
ziehungen zwischen ihrem Blühen und der Aufmerksamkeit, die sie den autos
sacramentales offenbar nur in jüngerer Zeit (und zwar in dem Sinne, wie es
der Vortragende gezeigt hat) schenkte, einerseits und gewissen Erschei-
nungen der modernen Dichtungsgeschichte, etwa seit Mallarme bis zu T. S.
Eliot hin, die den po eta doctus wieder in einen Rang erhoben haben, den er
im 19. Jahrhundert nicht gehabt hat, feststellen. Goethe ist ein poeta doctus
gewesen. So ist es vielleicht nicht zufällig, daß er so viel Respekt vor Calde-
r6n gehabt hat. Mich interessiert aber, ob ein innerer Zusammenhang be-
steht zwischen dem spezifischen Interesse, das sich in dem heutigen Vortrag
sowie den weiteren Untersuchungen des Herrn Vortragenden und anderer
Calder6n-Forscher dokumentiert, und der neueren Dichtungsgeschichte wie
der gesamten modernen Kunstentwicklung. Wir sehen uns ja in erheblichem
Umfang einer metaphysischen Literatur und Malerei gegenüber. Ist den
Calder6nforschern ein solcher Zusammenhang aufgefallen?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Sie haben mich zunächst auf einen -
vielleicht entschuldbaren - Mangel hingewiesen, als ich einen großen Sprung
vom Jahre 1856 bis zu einer Publikation des 20. Jahrhunderts gemacht habe.
Diskussion 65

Ich hätte dazwischen natürlich noch eine ganze Reihe von anderen Calde-
r6nforschern zitieren können. Der bedeutendste aus der Mitte des 19. Jahr-
hunderts ist für meine Intention Leopold Schmidt gewesen, vor allen Din-
gen eben, weil er derjenige gewesen ist, der sich mit der Interpretation der
Vergeistigung der Mythen durch Calder6n beschäftigt hat. Es wäre also,
um auf Ihre Frage zu antworten, notwendig, zwischen Leopold Schmidt und
den dann von mir zitierten Autoren noch eine Reihe anderer anzuführen. Ich
glaube, man könnte das ohne jede Schwierigkeit tun. - Den Zusammenhang
den Sie aufzeigen, würde ich nicht für notwendig halten, es sei denn, man
denke an die (von mir erwähnte und erforschte) sprachliche Verwandtschaft
zwischen Calder6n und G6ngora auf der einen, zwischen moderner, meta-
phernreicher Dichtung (Garda Lorca) und G6ngora - damit auch Calde-
r6n - auf der anderen Seite.

Dr. phi!. Klaus-Dieter Gottschalk: Würden Sie von einer Analyse der
Versformen Aufschlüsse über die Struktur der autos sacramentales erwarten?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ich würde das für außerordentlich ergie-
big halten. Ich habe dieses Gebiet heute und hier nicht behandelt. Wir wissen
ja, daß Calder6n bestimmte Versformen etwa bei Berichten verwendet, daß
er bestimmte andere Versformen bei Liebeserlebnissen bringt usw. Im übri-
gen, das darf ich hinzufügen, hat ein kanadischer Forscher, nämlich Hilborn,
der Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, die Chronologie der gesamten Calde-
ronianischen Produktion auf die Untersuchung der Struktur der Versmaße
Calder6ns gegründet, und ist damit erstmalig zu wirklichen haltbaren, je-
denfalls wissenschaftlich diskutierbaren Ergebnissen gekommen, während
man bis dahin ziemlich im dunkeln getappt hat.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Sie haben


vorhin Südamerika erwähnt. Ist es so, daß dieses Südamerika in einer inne-
ren Verbindung mit der spanischen Kultur in einem solchen Maße steht oder
sie sucht, daß ein echtes Streben nach einem Zusammenklingen gegeben ist,
also in Argentinien oder Chile Calder6n auch als Klassiker dieser Nationen
angesehen wird?

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Ich hatte vor 14 Tagen in Hamburg den
Besuch eines argentinischen Literaturkritikers, mit dem ich darüber gespro-
chen habe. Er hat auf eine solche, von mir gestellte Frage durchaus im positi-
ven Sinne geantwortet, wenn auch von den südamerikanischen Nationen
stets ins Feld geführt wird, daß sie über eine eigene Essentia verfügen.
66 Diskussion

Man versucht also, bei des miteinander zu verbinden. Wie Sie schon aus der
Tatsache der großartigen Feier des 12. Oktober in Spanien, in Südamerika
(und auch in Deutschland) sehen - an diesem Tage rückt man nämlich
die "hispanidad" ins Licht -, wird diese Einheit durchaus lebendig emp-
funden.

Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt: Ich halte das
für eine sehr wichtige Antwort. Man hört nämlich, wenn man in Südamerika
ist, manchmal: Die Spanier sprechen immer von der Hispanität, weil sie gro-
ßen Wert darauf legen, als das Mutterland anerkannt zu sein, und die Süd-
amerikaner sind gar nicht so sehr dafür. Aber wenn die Süd amerikaner mit
der älteren Kultur eine Verbindung haben wollen, dann muß es eben auf
diesem Wege sein; es geht gar nicht anders.

Professor Dr. phil. Hans Flasche: Sie haben diese Verbindung auf solchem
Wege. Aber was Sie hinzugefügt haben, Herr Staatssekretär, ist auch richtig.
Die Südamerikaner sind - wenn ich es einmal familiär ausdrücke - ein
wenig darüber erbost, daß man ihre eigenen Erzeugnisse im Bereich der Lite-
ratur in Spanien wie in Europa nicht ernst genug nimmt. Wir wissen ja in
der Tat meist noch zu wenig über die argentinische oder chilenische Literatur.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung
Andromeda und Perseus bei Calder6 1

"Eine Geschichte des spanischen Theaters und eine erschöpfende Charakte-


ristik des Calder6n kann bis jetzt nur sehr mangelhaft und unvollständig
ausfallen, da dieser Teil der spanischen Literatur noch mit zu entschiedenen
Vorurteilen angesehen und zu wenig gründlich untersucht worden ist" 2.
Die hier zitierten, von Friedrich Schlegel am 10. 2. 1804 in seiner 33. Pariser
Vorlesung zur Wissenschaft der europäischen Literatur ausgesprochenen
Worte haben, wenigstens soweit sie Calder6n betreffen, noch heute ihre Gel-
tung. Das ist um so bedauerlicher, als der spanische Dramatiker einen der
Gipfelpunkte der spanischen Literatur bildet. F. Schlegel spricht von ihm in
seiner 12. Vorlesung zur Geschichte der alten und neuen Literatur als "dem
... größten aller spanischen Dichter" 3. Mag auch solch enthusiastische
Bewertung in der Folgezeit mehr oder weniger eingeschränkt worden sein
- man denke an Menendez Pelayo und seine Lope de Vega-Studien zu Ende
des 19. Jahrhunderts! -, so wird dennoch heute Calder6ns Genialität wie-
derum voll und ganz anerkannt. In den letzten Dezennien, insbesondere seit
Valbuena Pr at eine Rückkehr zu ihm forderte, sind manche Bezirke im Schaf-
fen des spanischen Autors erhellt worden. Noch immer aber bietet sein Werk
eine Fülle ungelöster echter Probleme. Diejenigen seiner Schauspiele, die sich
vor allen anderen in verschiedensten Bereichen - Sprache, Fülle an Einfällen
und Einfügung überlieferter Ideen - auszeichnen, die einaktigen autos sa-
cramentales, welche dem Lob der Eucharistie dienen, harren größtenteils sorg-
fältiger Analyse. Eines dieser Schauspiele, Andromeda y Pcrseo, soll der hier
vorliegenden Studie die Basis für ein Eindringen in das Geheimnis der Kunst
Calder6ns bieten.

1 Erweiterte Form eines Vortrags, den der Verfasser in Hamburg (als Antrittsvorlesung)
in deutscher Sprache, an den Universitäten Bordeaux, Edinburgh, Leeds, Liverpool,
Oxford und im Instituto de Espafia (London) in spanischer Sprache gehalten hat. Zuerst
erschienen in: Romanistisches Jahrbuch XVI, 1965, S. 290-317; dieser Beitrag und der-
jenige von Erika Lorenz (ib. S. 318 H.) sind "Bausteine" im Rahmen eines umfassenden
hamburgischen Calder6nforschungsprojektes.
2 Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 11. Bd. (1958), S. 162.
3 Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 6. Bd. (1961), S. 280.
68 Hans Flasche

Andr6meda y Perseo sei aus folgenden Gründen gewählt. Es ist ein Werk
aus der letzten Schaffensperiode des Meisters, 1680, kurz vor seinem Tode
verfaßt 4. Es zeigt ihn auf hoher Ebene des Wirkens. Andr6meda y Perseo
gehört - das ist der zweite Grund für die getroffene Entscheidung - zu den-
jenigen Schöpfungen, die man als mythologische zu bezeichnen pflegt. In
ihnen aber finden wir jene "Weise der dramatischen Auflösung" - ich zitiere
ein letztes Mal F. Schlegel-, welche "aus dem äußersten Leiden eine geistige
Verklärung" (nicht also nur Untergang oder Versöhnung) hervorgehen
läßt 5. Der dritte Grund ist die Tatsache, daß wir mit Erklärung dieses
Werkes ein weithin unerforschtes Gebiet betreten. Nur selten hat man sich
mit der Mythologie bei Calder6n intensiv beschäftigt.
Ich möchte den Stand der Forschung, soweit er für meine Absicht von
Wichtigkeit ist, ganz kurz darlegen und, wo erforderlich, im Laufe meiner
Ausführungen darauf zurückkommen. Leopold Schmidt hat bereits 1856 be-
tont, daß Calder6n Ovid und die im 17. Jahrhundert vorhandenen Kompen-
dien der Mythologie auswerte 6. Auch seine Einsicht, die Behandlung antiker
Mythen geschehe im Sinne einer Vergeistigung, verdient gewürdigt zu wer-
den. 1946 schrieb Max Kommerell in seinen anregenden Beiträgen zu einem
deutschen Calder6n: "Man hat nicht das Gefühl, daß ihm einzelne Mythen
durch einzelne Quellen nahe gebracht sind; er besitzt alle zusammen in einem
fertigen Corpus, wie es erst durch römische Dichter literarisch ausgeführt
ist." 7 Kommerell wies dann auf Ovid, den griechischen Roman, gedichtete
Mythologien der italienischen Renaissance, die Göttergenealogien des Bocca-
cio und die gemalte Mythologie hin. Jose M. Osma hat im Vorwort zu seiner
Ausgabe EI Verdadero Dios Pan 1949 den Blick auf die wahrscheinlich von
Calder6n benutzten mythologischen Sammelwerke des 16. Jahrhunderts ge-
lenkt 8. Der kolumbianische Philologe Paramo Pomareda machte 1957 dar-
auf aufmerksam, daß Calder6ns etymologische Interpretationsmethode anti-
ker Mythen in einer Tradition stehe, die von der Stoa über Philo Judaeus
und Isidor von Sevilla bis in die Renaissance und zu den spanischen M ytho-
graphen des 17. Jahrhunderts reiche 9.
4 Vgl. H. w. Hilborn, A Chronology of the Plays of D. Pedro Calder6n de la Barca,
Toronto 1938 (Table).
5 Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 6. Bd. (1961), S 283.
6 über Calder6ns Behandlung antiker Mythen. Ein Beitrag zur Geschichte der Mythologie.
(Museum für Philologie, hrsg. v. F. G. Welcker und F. Ritschi X [1856], S. 333/357).
7 Beiträge zu einem deutschen Calder6n I: Etwas über die Kunst Calder6ns [Frankfurt
1946], S. 134.
8 EI verdadero Dios Pan. Auto sacramental aleg6rico. Texto y estudio por Jose M.Osma.
Lawrence, University of Kansas Press 1949, p. 3-52.
9 J. Paramo Pomareda, Consideraciones sobre los autos mito16gicos de Calder6n de la
Barca. (Thesaurus. BICC XII, 1958, p. 51-80).
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 69

In den hier vorgelegten Untersuchungen sei Calder6ns Aneignung des My-


thos von Andromeda und Perseus (die von ihm vorgenommene christliche
Umprägung und deren Bedeutung für die Interpretation des Mythos wie für
die Struktur des Werkes) möglichst präzis analysiert. Als ausschlaggebende
Text g run dIa g e dienen in erster Linie die in der Biblioteca Nacional zu
Madrid aufbewahrten Manuskripte 15333 (wohl aus dem Ende des 17.),
15077 und 16276 (beide wohl aus dem 18. Jahrhundert) 10. Dem Auto ist
eine Loa vorangestellt 10a. In diesem "opusculum" läßt Calder6n die sieben
Weisen die Frage nach dem kleinsten Seienden, welches das größte in sich
berge, beantworten. Die Antworten lauten: Auge, Ohr, Herz, Verstand,
Spiegel, Leib Mariens, Hostie. Die zuletzt gegebene Antwort wird von allen
Weisen als die richtige angesehen.
Wie sind Loa und Auto miteinander verknüpft? Gegen Ende der Loa sagt
Placer, die Figur des gracioso, das Thema des f 0 I gen den Stückes sei:
"Humanas letras, en que / aleg6rico el concepto / haga luz a las divi-
nas." 11 Freilich ist das ein Hinweis, der an die in der Loa dargestellte Dis-
putation erst an g e füg t ist. Aber die Einbettung der Disputation selbst in
griechische Atmosphäre paßt zum griechischen Mythos von Andromeda und
Perseus. Die Universität At h e n, so heißt es, ruft zur Beantwortung der
Frage nach dem kleinsten Seienden auf. Die sieben g r i e chi s ehe n Wei-
sen disputieren. Für die dritte der gegebenen Antworten, das Herz sei das
kleinste Seiende, welches das größte enthalte, wird das Verhalten des Make-
donen Ale x a n der s des G roß e n als Beweis angeführt: er habe ge-
weint, da sein Herz nicht von mehr Welten erfüllt werden konnte als von
denen, die er erobert hatte. Doch ist als eigentliches Bindeglied zum auto
sacramental die Antwort des siebenten Weisen anzusehen, der sich auf die
"hostia deI sacramento" bezieht.
Im folgenden Abschnitt sei der Leser mit dem Inhalt des Auto Sacramen-
tal bekannt gemacht. Andromeda erscheint auf der Bühne, begleitet von vier
Kräften, bedient von den vier Elementen und unterhalten vom freien Willen
( Albedrfo) in der Funktion des gracioso. Sie schmückt sich und lustwandelt
dann am Meer. Die sie begleitenden vier Kräfte werden als Gnade (La Gra-

10 Ich zitiere die TextsteIlen des Auto Andr6meda y Perseo nach der allgemein zugäng-
lichen, mir in meiner Bibliothek vorliegenden Ausgabe: Obras Completas Tomo III,
Autos Sacramentales. Recopilaci6n, Pr6logo y Notas por Angel Valbuena Prat, Madrid
1952. Ich gebe die Seitenzahl und die Spalte (1,2) an, also z. B. 1707-2. Je nach dem
Kontext dieser Studie sind spanische oder lateinische Namensformen (vgl. Andr6meda -
Andromeda, Perseo - Perseus) eingesetzt.
lOa Vgl. Ausgabe von Pando y Mier (IV, 1717) und die in Anm. 10 zitierte Ausgabe. Die
mir vorliegenden drei Manuskripte (Mikrofilme) enthalten die Loa nicht.
11 1694-1.
70 Hans Flasme

da), Unschuld (La Inocencia), Wille (La Voluntad) und Wissenschaft (La
Ciencia), bezeidmet. Die vier Elemente sind den vier Kräften zugeordnet,
wobei jeweils das Wasser der Gnade, das Feuer der Unschuld, die Erde dem
Willen und die Luft der Wissenschaft zugehörig ist. Die sich ihres Lebens und
ihrer Schönheit erfreuende Andromeda stellt die menschliche Natur vor dem
Sündenfall dar. In ihren Paradiesesfrieden dringt der Teufel, auch Phineus
(Fineo) genannt, in der Absicht ein, ihn mit Hilfe seiner Bundesgenossin, der
Medusa, zu zerstören. Medusa repräsentiert Schuld und Tod und soll Phineus
helfen, sich an Andromeda zu rächen. Beim Nahen des als Meeresungeheuer
verkleideten Phineus flieht Andromeda auf Anraten der Kräfte und fällt in
die Arme ihres Vaters, der durch die Gestalt des Zentrums der Erde darge-
stellt wird. Unterdessen gelingt es Medusa, in Andromedas Garten einzu-
dringen, mit ihrem Schlangengift einen Baum, der goldene Früchte trägt, zu
vergiften und sich in diesem Baume zu verstecken. Der vorwitzige gradoso
(Albedrfo), dessen Neugier von den goldenen Früchten geweckt wurde und
der sich deshalb von den geflüchteten Gespielinnen trennte, kehrt zum Baum
zurück. Phineus, der Teufel, will ihn hier gefangennehmen. Doch auf seinen
Hilferuf eilt Christus als Perseus herbei und gebietet, sein Antlitz verhüllt
haltend, dem Teufel, den freien Willen freizugeben. Der Teufel läßt von ihm
ab und verschwindet. Die nun herbeieilende Andromeda möchte das Antlitz
des Retters sehen. Doch Perseus will sich ihr, bevor eine festgesetzte Zeit
nicht gekommen ist, nicht zeigen. Er offenbart sich aber Andromeda als ein
Wesen, dessen Wille es ist, stets allen Gutes zu erweisen. Aus diesem Grund
warnt er sie vor dem giftigen Zauber der Früchte eines Baumes ihres Gartens,
deren Genuß sie des Todes sterben lassen werde. Dann entschwindet er wie-
der ganz ihren Blicken. Andromeda jedoch, angelockt von dem Glanz der
Frucht und verführt von den Worten der im Baum verborgenen Medusa,
schlägt die Warnung des Perseus und die der vier Kräfte in den Wind und
ißt. Im darauffolgenden Unglück wird sie von den Kräften verlassen, die
Elemente können ihr nur noch von ferne folgen und nicht mehr dienen, die
ganze Erde hat sich gegen sie verschworen. Der Cherub Merkur verkündet
die Strafe, die ihr Vater, das Zentrum, vollstrecken soll. Sie wird zwischen
Erde und Meer an einer Klippe geopfert werden. Während Andromeda fort-
geführt wird, bekämpft und tötet Perseus die Medusa. Dementsprechend be-
ginnt in Andromeda die Läuterung. Sie will sich jetzt freiwillig der Sühne
unterziehen; sie gibt sich selbst die Schuld an ihrem Unglück. Schließlich be-
reut sie und hofft auf Gott. Als der Teufel (Phineus) sich ihr wieder als Mee-
resungeheuer nähern will, ruft sie Perseus um Hilfe an. Dieser erscheint und
verkündet, daß er in Medusa die Schuld schon getötet habe - Andromeda
besiegte die Schuld durch ihre Reue! - und daß er Andromeda die Freiheit
Antiker Mythos in dlristlidler Umprägung 71

bringen werde. Perseus und Phineus kämpfen miteinander. Perseus siegt, wird
jedoch tödlich verwundet. Dennoch soll sich Andromeda ihm zum Dank für
ihre Befreiung als Braut schenken. Er will ihr, sterbend lebend und in ande-
rer Form wieder zurückkehrend, für immer ganz angehören. Nachdem er
dies gesagt, entschwindet er den Blicken und erscheint dann, den Teufel und
Medusa gefesselt zu seinen Füßen, Andromeda und allen anderen Personen
des Dramas. Er weist auf das Sakrament, in dessen Gestalt er von nun an mit
Andromeda leben will.
Der Mythos, der in Griechenland von den drei großen Tragikern, in Rom
von Livius Andronicus, Naevius, Ennius und dann Ovid bearbeitet, der im
Spanien des 16., 17. und 18. Jahrhunderts (z. B. bei Juan de la Cu eva und
Lope de Vega) durch canci6n, fabula, poema und roman ce verlebendigt
wurde, erscheint bei Calder6n in vorher unbekannter, ganz eigener Art. Mit
seinen autos sacramentales mitol6gicos schloß er sich, wie einige seiner Zeit-
genossen vor ihm, jener der bei den seit langem in Spanien nebeneinander be-
stehenden Rezeptionsformen an, die eine Nutzung antiken Gedankengutes
mit Hilfe christlichen Geistes für angezeigt hielt. Sie wurde durch die von
Italien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einströmende positive
Bewertung antiker Mythen als Träger christlicher Ideen der bildenden
Kunst 12 sowie durch die patristischen Studien der gleichen Epoche gestärkt.
Bekanntlich lehrte man damals, wie es schon die frühe Kirche tat, ein Durch-
schimmern der christlichen Wahrheit durch den antiken Mythos oder sogar
seine übereinstimmung mit ihr. Calder6n steht also hier in einer Tradition,
die von Hieronymus über Isidor von Sevilla, zu den Spaniern, Santillana im
15. Jahrhundert, Luis de Le6n und Melchor Cano im 16. Jahrhundert
reicht 13. Er macht sich die genannte Auffassung mehr als jeder andere Dich-
ter vor ihm zu eigen. Wie er nun bei der Umprägung eines antiken, und
zwar soteriologischen Mythos vorging, welche Züge er transformierte, welche
er in seiner christlichen Dichtung beibehielt, wie er Christliches und Antikes
miteinander harmonisierte, ist unter Berücksichtigung aller relevanten Ein-
zelheiten eines Textes bisher nicht gezeigt worden. Das wird, wie gesagt, die
Aufgabe der nun folgenden Darlegung sein und in erster Linie durch eine
Schau auf die Bühnenbilder geschehen.
Doch zeigt sich schon im Personalkatalog die dem Stück eigene Doppel-
schichtigkeit: hier die aus dem antiken Mythos bekannten Gestalten Andr6-
meda, Perseo, Medusa, dort aus christlichem Weltbild stammende Figuren,
z. B. La Inocencia, La Gracia. Nicht auf diese Gegenüberstellung aber kommt
11 VgI. die Einleitung von Walter Kosdlatzky zu Vincenzo Cartari, Imagini delli dei de
gl'antidli. Nadldrudt der Ausgabe Venedig 1647. Graz 1963, p. XV.
18 Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 11965, S. 250 f.
72 Hans Flasche

es hier an. Die ursprünglich antiken und nunmehr christianisierten Personen


sollen die Aufmerksamkeit besonders fesseln, so zum Beispiel Andromeda,
die im ersten Bühnenbild von den vier Elementen, vier Kräften sowie dem
gracioso begleitet wird. Sie tritt als eine von der Musik schön genannte und
sich in ihrer Schönheit spiegelnde Frau auf, die sich durch die ersten von ihr
selbst gesprochenen Worte als menschliche Natur charakterisiert und weiter-
hin zu verstehen gibt, sie sei "imago Gottes" im Paradiese. Daß Andromeda
die Elemente dienen, führt der Dichter in vierfacher Weise und unter ande-
rem so vor Augen, daß er ihr durch die Gestalt der Gnade einen Spiegel rei-
chen läßt, der dieser vom Wasser gegeben wird. Die Aussage der Genesis, die
ganze Erde möge dem Menschen untertan sein, hat Calder6n hier in die Idee
des dienenden Elements gekleidet und so mit der bei ihm immer wieder in
den verschiedensten Nuancen auftretenden Elementenspekulation verknüpft.
Diese mit ihren Wurzeln in die Theologie der frühen griechischen Denker rei-
chende Spekulation war der damaligen Zeit durch eine ganze Reihe von
Autoren - man denke z. B. an Oronce Fine 14, an Giovanni a. S. Gimigni-
ano 15, an Antonio Ricciardi 16 und - in Spanien - an Pedro Sim6n de
Abril 17 - besonders nahe gebracht worden.
Von den Elementen bedient und durch Schönheit ausgezeichnet präsentiert
sich Andromeda als eine stolze Frau: ,,~Que (Humana Naturaleza) / te falta
para divina?" 18 - so fragt sie sich selbst. Ihr Wesen ist Ausgangspunkt für
den von Calder6n geplanten dramatischen Ablauf. Er knüpft ihn nicht aus-
schließlich an eine durch die Worte "eritis sicut dii" verführte, der Hybris
erliegende, den Namen Andromeda tragende Eva, sondern an ein Geschöpf,
das in seiner äußeren Erscheinung so beschaffen ist, wie der Mythos es vor
Augen führt. Der in einer großen spanischen Ovidtradition 19 stehende Dich-

14 Orontii Finei Delphinatis ... protomathesis, opus uarium ... nune primum in lueem
foelieiter emissum, Parisiis, impensis Gerardi Morrhij, & Ioannis Petri, 1532, (fol. 103).
15 a
Summa de Exemplis et rerum similitudinibus loeupletissima ... Joanni S. Geminiano ..•
Auctore Venetiis 1576 (vgl. f. 2 v-f. 88 v: De celo & elementis).
16 Commentaria symbolica ... Antonio Rieciardo Brixiano auctore. In quibus explieantur
areana pene infinita ad mystieam naturalem & oecultam rerum signifieationem atinen-
tia ... T. 1.2. Venedig: de Franeischis 1591.
17 Vgl. die Monographie von Margherita Morreale, Pedro Sim6n de Abril (Madrid 1949),
S. 158 H.
18 1695-1.
19 Ich nenne nur die Ovidausgaben der Jahre 1595 und 1664. (Las transformaciones de
Ovidio en Iengua espaiiola eon alegorias. Antuerpia 1595 - Las Metamorfoses 0 trans-
formaeiones de Ovidio en quince libros traducidos de latin en castellano. Madrid 1664
[= übertragung des Jorge Bustamante]). Ich benutze das in der Bibliothek des Portu-
giesischen Instituts der Görres-Gesellschaft Lissabon vorhandene Exemplar der Busta-
man te übersetzung.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 73

ter greift nämlich das Bild der "forma" 20, wie es die Metamorphosen Ovids
und dann die aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert stammenden
Fabulae Hygini bieten 21, wohl bewußt auf. Andromeda verfügt so über
einen in der mosaischen Genesis dem Ebenbild Gottes ausdrücklich nicht ver-
liehenen, sondern aus antiker überlieferung geschöpften Zug, der als solcher
in die Person des auto mitoi6gico einging. Hier können wir also von Umprä-
gung nicht sprechen.
Den Stolz auf eigene Schönheit aber konnte Calder6n seiner Andromeda
auch im Hinblick auf den Stolz ihrer Mutter mitgeben. Denn Cassiopes Mei-
nung, sie überträfe die Nereiden und ihre Tochter an Schönheit, war, wie die
von Calder6n mutmaßlich benutzten Ovidkommentatoren, z. B. Natalis
Comes 22, deutlich betonten, Ursache des Unglücks der Tochter. Jorge Busta-
mante, der spanische Ovidübersetzer und -interpret des 16. Jahrhunderts,
sprimt sogar, sim mristlicher Terminologie bedienend, von der Sünde,
"pecado", Cassiopes 23 und gibt damit unserer Annahme, Calder6n habe
den Andromeda-Perseus-Mythos aum wegen des temeritas 24-Motivs und der
Möglichkeit seines Einbaus in ein biblisch-mristlimes Drama durm übertra-
gung auf eine andere Person gewählt, guten Halt.
Zu der Umprägung - Andr6meda selbst, nicht Cassiope Ursache allen
späteren Geschehens - kommt noch eine weitere: der Mythos nennt Cas-
siope und Cepheus als Eltern Andromedas. Bei Calder6n sind - in ganz
eigentümlicher Auffassung - Tierra (= Mutter Erde) und Centro (= Zen-
trum der Erde) Mutter und Vater. Mehrfach spricht das Alte Testament bild-
lich von der Erde als Mutter 25 - und daran denkt Calder6n hier gewiß in
erster Linie -, aber auch Ovid sagt: "magna parens terra est." 26 Der Ge-
danke an einen Austausm Cassiopes durm Tierra lag also nicht fern. Cen-
trum, den Mittelpunkt der Erde als persona dramatis an Stelle des Vaters
Cepheus zu setzen und dadurm stärker zum Ausdruck zu bringen, daß der
Mensch Andromeda ein Wesen aus Erde sei, darf hingegen als höchst per-
sönlicher Einfall des spanischen Dichters gelten. In einer später zu veröffent-
lichenden Arbeit, einem Kommentar zu Ei Gran Teatro dei Mundo, wird auf

20 met. 4,675; 4,794.


21 C. Julii Hygini Augusti Liberti Fabularum Liber (Auctores Mythographi Latini ...
Curante Augustino van Staveren ... 1742), p. 131.
22 Natalis Comitis, Mythologiae, sive explicationum fabularum, Iibri decem; Parisiis, 1583
Lib. VII, S. 808.
23 f. 82 v, 83 r.
24 Lib. VIII, p. 932.
25 Nudus egressus sum de utero matris meae [Job 1,21].
26 met. 1,393.
74 Hans Flasche

die Bedeutung dieser Gestalt zurückzukommen sein. Hat sich Calder6n -


diese Frage sei aber schon hier gestellt - durch die bei zahlreichen Autoren
vorzufindende (von ihm freilich nicht übernommene 27 Identifikation Cen-
trum = Gott a n r e gen lassen? Man denke an die von Dietrich M ahn k e
genannten Namen 28 (der die Gleichsetzung bis auf einen orphischen Hym-
nus zurückführt), darüber hinaus etwa an Antonio Ricciardi 29, Joannes Go-
ropius 30 und auch Dante 31.
Das erste Bühnenbild zeigt Andr6meda alsbald im Gespräch mit einem
ihrer Begleiter, Albedrfo, der aus mehrfachem Grund hier kurz betrachtet
werden soll. Er redet seine Herrin mit dem Worte "Infanta" an 32. Diese
relativ belanglos erscheinende Tatsache gewinnt möglicherweise dadurch an
Bedeutung, daß der gleiche Terminus für Andr6meda in einem der wichtig-
sten mythologischen Handbücher des spanischen siebzehnten Jahrhunderts,
dem Teatro de los dioses de la gentilidad von Baltasar de Vi tor i a (1645)
gebraucht wird 33. Auch mit ihm hat Calder6n seine Interpretation des My-
thos bilden können. Dann nimmt Albedrfo die "altivez" Andr6medas in
seine überlegungen auf 34. In diesem zweiten nachdrücklichen Hinweis auf
den Stolz liegt eine erneute Betonung der für Calder6n stets so wichtigen
"causa" eines Geschehens. Wenngleich Albedrfo - er ist, wie erwähnt, gra-
cioso, Narr, lustige Person - mit der Transformation des antiken Mythos als
solchem unmittelbar nichts zu tun hat, so entbehrt er doch für das Verständ-
nis des Ablaufs der Handlung und der Struktur des Auto - das muß hier
drittens bemerkt werden - keineswegs der Bedeutung. Albedrfo sagt nämlich
zu Andr6meda, sie würde ihn, falls sie sich dem Stolz hingebe, schlecht ge-
brauchen. Mit diesen Worten des gracioso soll eine facultas animi, das libe-
rum arbitrium, hell beleuchtet werden.
Aber kehren wir zur Analyse des ersten Bühnenbildes zurück! Die Reden

27 Vg1. die Worte des Centro: "Andr6meda, yo no puedo /oponerme a las divinas /
sentencias; ... /" (1708-1).
28 Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt. Beiträge zur Genealogie der mathematischen
Mystik (Halle 1957).
291.c.l f. 143 v CENTRUM sign. Deum. Quod Deus insit omnibus vnus penitus, simplex
atque immobilis, & contra ab ipso producta multa, multa composita & mobilia sinto
atque ut ab eo manant ita ad eum in star linearum, & circumferentiae refluant. Ita mens
anima natura & materia procedentes a Deo in eundem redire nituntur, seque vndiq; pro
uiribus in illum circumferunt. F i ein u s. in cap. 3. orat. 2. conuiuij Platonici.
(Bei Ficino ist der Gedanke breit ausgeführt.)
30 HIEROGLYPHICA / IOANNIS GOROPII / BECANI / ANTVERPIAE / Ex
officina Christhophori Plantini / Architypographi Regij. / MD LXXX, p. 97.
31 Vita Nuova, C. 12 ("Ego [sc. Gott Vater] tanquam centrum circuli ... ").
32 1695-2.
33 1.c.p. 261.
34 1695-2.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 75

aller in ihm auftretenden, mit Andr6meda sprechenden Personen - es sind


abgesehen von Albedrfo die vier ihr zugeteilten Kräfte - haben auf das eine
große, die schöne Frau ganz und gar gefangennehmende Thema Bezug: ihre
Vollkommenheit und den sich daraus ergebenden Stolz. Um dem Zuschauer
dieses, wie wir sahen, sich aus antik-mythischer und biblischer Quelle herlei-
tende Thema einzuprägen, erfindet Calder6n Farbenpracht und Gestenreich-
tum, zieht Rhetorik und Anspielungen heran und läßt so den Glanz der
menschlim-göttlichen Kreatur (die im Zenith des Gesmehens in sim zusam-
menfallen wird) schauen und vom schaulustigen Publikum begreifen. Er be-
dient sich auch außermythischer antiker, frühchristlicher und renaissancisti-
smer, mythische und biblische Weisheit einbettender Reminiszenzen. Wenn
die allegorische Gestalt der Unschuld, die Andr6meda den feuerfarbenen
Mantel überreimt, die Verse sprimt: "Real purpura su color / en jerogHfico
dice, / que eres la reina felice / deI Universo."35, so erinnert er hier wie oft
aum in seinem ganzen übrigen Werk an die Hieroglyphiklehre des 16. und
17. Jahrhunderts 38. Wenn die allegorische Gestalt der Wissenschaft im Ge-
spräch mit Andr6meda deren Namen durm eine angeblich von Isidorus
Hispalensis gegebene Etymologie, erklärt 37, wenn ferner im gleichen Ge-
spräch (der Thesaurus Linguae Graecae des) Henricus Stephanus bemüht
wird, der den Sinn von "blühendem Alter", "Gottheit", "Statue" und
"Ebenbild" rechtfertigen könne 38, so steht Calder6n in der Tradition der
hier wie sonst von ihm immer wieder dem christlichen Theater dienstbar ge-
mamten etymologischen Interpretationsmethode. Wenn ferner - wir wollen
die Art der Einschmelzung überlieferten Gedankengutes noch an zwei weite-
ren, in den ersten Dialogen des Stückes gemamten Aussagen zeigen - Andr6-
meda von Ciencia, einer ihrer Begleiterinnen, einen Federschmuck überreimt
bekommt, um, wie es heißt, in die höhere Sphäre zu fliegen und der gracioso
im gleichen Augenblick rät, sie möge nimt in den Schaum fallen, so mochte
der kundige Zuschauer, seine sutileza 39, sogleich an die von Ovid 40 und Hy-

35 1696-1.
88 Hier sei nur auf die Wirkung der Emblemata des Andrea Alciati auch in Spanien hin-
gewiesen. (Ich zitiere den Titel meines Exemplars: Declaracion Magistral sobre las
emblemas de Andres Alciato con todas las Historias /, Antiguedades, Moralidad, y
Doctrina, Tocante a las Buenas Costumbres Dedicadas a la muy noble insigne, leal, y
coronada ciudad de Valencia. Afio 1670).
87 1697-1. Gemeint ist "Androdama(s)", die schon bei Plinius 37,144 zitierte Edelsteinart.
(Die Isidorstelle lautet [XVI, XV, 8]: "Androdama(s) argenti nitorem habet et pene
adamans, quadrata sempertesseris.")
88 1697-1. Zu Calder6ns etymologischer Interpretationsmethode vgl. die zu Anfang dieser
Studie genannte Arbeit von Paramo Pomareda!
88 Vgl. 1697-2: " .•. la sutileza este atenta a este auto ..."
40 met. 8,195.
76 Hans Flasme

ginus 41 berichtete Ikarussage erinnert werden 42. Aber auch der ungebildete
Zuschauer konnte sich an den Bildern freuen. Man darf keinen Augenblick
vergessen, daß autos sacramentales wirklich aufgeführt wurden, wie erst
1961 N. D. Shergold und J. E. Varey wieder ins Gedächtnis gerufen
haben 43. Unmittelbar nach der Warnung durch AlbedrEo stellt sich Andro-
meda als "eI mas perfecto ejemplar que vi6 el sol" 44, als vollkommenstes
"exemplar", das die Sonne jemals sah, vor die sie umgebenden Gefährten.
Auch hier galt es aufzuhorchen, denn nichts ist ja, wie Leo Spitzer 1959 sagte,
bei Calder6n umsonst gesagt 45. Das Wort "ejemplar" soll wohl daran erin-
nern, daß der Mensch Andromeda im Paradiese Nachbild einer als exempla-
risch geltenden Form im Geist Gottes ist 46.
Dieses vollkommene Geschöpf, Andromeda, ergeht sich, nachdem alle Fa-
cetten seiner Schönheit geschildert sind, lustwandelnd am Meer. Dessen
Strand, Calder6n immer wieder (man denke an El Principe Constante!) als
Schauplatz der Handlung dienend, ihm in der ovidianischen Ausmahlung des
von Perseus besuchten atlantischen Herrschaftsbereichs nahegebracht 47 und
zur Vollziehung der Strafe durch das Meeresungeheuer erforderlich, erwei-
tert die Paradieseslandschaft der Genesis; des Meeres Stolz, von dem es
heißt "con suma / soberbia al cielo retrata" 48, entspricht dem Stolz der sich
an seinem Ufer ergehenden Frau. Auch hier fügt sich - mit dem Bild des
Meeres also - ein Prägezeichen antiker Schilderung in die calderonianische
Szenerie ein. Andr6medas Lustwandeln wird durch ein Erdbeben gestört.
Calder6n schiebt das der Meditation der damaligen Zeit vertraute Ereignis

41 fab. 40 (vgl. Anm. 21).


42 Luis VeIez de Guevara, ein Zeitgenosse Calder6ns, hatte übrigens 1641 ein Icaro betitel-
tes Schauspiel verfaßt.
43 Los Autos Sacramentales en Madrid en la epoca de Calder6n 1637-1681. Estudio y
Documentos. Madrid 1961.
44 1696-2.
45 Vgl. Die Figur der Penix in Calder6ns Standhaftem Prinzen, RJb. X, 1959, S. 305-335.
46 Ich zitiere aus meiner Studie Baustein zu einer kritischen und kommentierten Ausgabe
Calder6ns. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, 21. Band, Münster
1963, S. 318-319: "Vorbehaltlich einer gen auen und umfassenden, alle Abhängigkeiten
prüfenden Untersumung der psychologischen Terminologie Calder6ns (in diesem Fall
idea) dürfen wir vermuten, daß in ,eI ejemplar de mi idea' Gedanken zusammenfließen,
die aus thomistischer und augustinischer, letztlich dann platonischer Quelle zusammen-
fließen. Zur thomistismen Lehre von der Exemplarursächlichkeit vgl. Lexikon für Theo-
logie und Kirme 111 (1959), Sp. 1294/95: "In diesem Sinn kann man die Wesensform des
Verursachten als das Nachbild der als ,exemplar' geltenden Form des verursachenden
Subjekts betrachten. Durm die formelle übereinkunft mit seiner causa exemplaris wird
dann ein Seiendes das, was es ist!" (Vgl. auch die weiteren a.a.O. gebotenen Ausfüh-
rungen!)
41 met. 4,631 H.
48 1697-2. - Ms. 15333: el cielo!
Antiker Mythos in mristlicher Umprägung 77

- man denke z. B. an die überlegungen zu prodigia, terrae motus und ful-


mina in des Julius Caesar Bulengerius Opusculorum Systema 49 - an die-
ser Stelle ein, um das Nahen des Meeresungeheuers anzukündigen. Wie-
derum wird eine Szene des Mythos von Andromeda und Perseus einbezogen
und transformiert. Für solche Form der Ankündigung haben - letztlich -
die Zeilen 4,688 und folgende der Metamorphosen Pate gestanden: " ... et
nondum memoratis omnibus unda / insonuit, veniensque inmenso belua
ponto / imminet et latum sub pectore possidet aequor." Doch vollzog sich
in zweifacher Richtung eine grundlegende Umwandlung. Trotz Beibehaltung
ovidianischer und Einflechtung anderer antiker Termini - z. B. auch eines
homerischen (prodigio, dclope, monstruo, fiera 50 entsprechen prodigium 51,
cyplops 52, monstrum 53, belua 54 , fera 55 ) - ist die Darstellung des römi-
schen Dichters ganz und gar in den typisch calderonianischen Zierstil mit vie-
len für diesen feststehenden, immer schönen Bildern umgewandelt. Die
zweite Neuerung jedoch erscheint mir wichtiger: eine der Begleiterinnen der
auf ihre Schönheit stolzen Frau, Gracia, erkennt im herannahenden mon-
strum eine Gefahr für die Seele: "Contra su safiuda guerra / huir, Andr6-
meda, conviene, / que s6lo se vence huyendo / enemigo tan cruel." 56
Die auf diesen Rat hin vor dem monstrum fliehende Andr6meda fällt in
die Arme ihres nunmehr auftretenden Vaters Centro, der sie an die Worte
der Genesis " ... pulvis es, et in pulverem reverteris" 57 erinnert, zur De-
mut ermahnt und der Hoffnung Ausdruck gibt, als Demütige werde sie das
Meeresungeheur (das, wie nunmehr ersichtlich, ihre superbia versinnbildlicht)
besiegen.
Es betritt als Demonio die Bühne und stellt sich selbst und seine Bundesge-
nossin Medusa vor, die aber erst nach ihrer Charakterisierung erscheinen
wird. Calder6n, Meister der Mythologie des Tieres, hat Ovids belua in das
persongewordene Böse, den Teufel, umgewandelt. Antike und christliche Ele-
mente vereinigen sich in der durch diesen vorgenommenen Präsentation wei-
terhin aufs bemerkenswerteste, da er seine Verkleidung als Meeresungeheuer
mit Hilfe biblischer und patristischer Bilder - z. B. Lucifer (lucero 58), bestia

49 Lugduni 1621 (Lib. V: De Prodigiis. Lib. VI: De terrae mo tu, & fulminibus.)
50 Alle Termini 1698-1.
51 Vgl. z. B. Georges!
52 Vgl. Homer, Od. 1,69.
53 Von Ovid für Medusa gebraucht met. 4,615.
54 Vgl. met. 4,689.
55 Vgl. met. 4,708.
56 1698-1.
57 111,19.
58 Is. XIV, 12-1968-2.
78 Hans Flasche

maris (bestia deI mar 59) -, die Gestalt der Medusa aber durch viele auf antike
Elemente bezogene allusiones (neben christlichen) erläutert. Diese sind z. T.
nicht leicht aufzuhellen. So wird Medusa als ein Wesen bezeichnet, das ohne
zu sein, sich zu sein erkühnt. Nur dauerndes Assoziieren antiker und christli-
cher Gedankengänge führen den heutigen Leser (oder auch Zuschauer), führ-
ten den Menschen damaliger Zeit zur Dechiffrierung. Für Calder6n als Dich-
ter des 17. Jahrhunderts ist Medusa die Gorgone der griechischen Sage, un-
wirklich, "sin ser" 60, für Calder6n als Christen stellt sie, umgeprägt, Sünde
und Tod dar und erlangt durch den Menschen und im Menschen Realität, wie
sich auf dem Theater zeigen wird 61. Die Gefährlichkeit dieser Realität er-
gibt sich aus der weiteren Zergliederung der Eigenschaften der Medusa. In
Ovids Metamorphosen 4,618 entstehen aus den "guttae capitis Gorgonei",
den Blutstropfen des Hauptes der Medusa, Schlangen. Apollodoros berichtet
im zweiten vorchristlichen Jahrhundert - und auf ihn bezieht sich der für
Calder6n anregende zeitgenössische Mythograph Baltasar de Vitoria -,
daß das Blut, welches aus der linken Seite des Kopfes der Medusa kam, Gift
gewesen sei 62. Schon in seine Comedia Fortunas de Andr6meda y Perseo, nach
der Berechnung des kanadischen Hispanisten Hilborn 1653 entstanden 63,
fügt Calder6n diese Version ein; in unserem Text ist dann ebenfalls von Me-
dusa als Giftträgerin die Rede 64. Sie bewohnt den giftigen Mondberg 65.
In Anlehnung an Ovid wird Medusa in der gleichen, litaneihaften Aufzäh-
lung des Demonio "furchtbare Mutter des Schlafes" genannt 68. Sie ist wei-
ter "huespeda de los reinos deI espanto", Gastgeberin in dem Reich des
Schreckens, d. h. der Unterwelt 87. Sie verwandelt in "piedra 0 bruto" 88.

59 Apoc. XIII,I: Et vidi de mari bestiam.


60 1699-1.
81 Medusa ist auch für den Christen unwirklich, solange der Mensch sie, durch seine Schuld,
nicht wirklich werden läßt.
82 l.c. Primera Parte p. 176.

63 Vgl. Anm. 4 dieser Studie!


84 1699-1. Vgl. die Studie von H. M. Martin, The Perseus Myth in Lope and Calder6n,
PMLA XLVI, 1931, p. 450-460. (Martin bezieht nur die comedia, nicht das auto sacra-
mental Calder6ns in seine Untersuchung ein.)
85 Meine Bemühungen um die Identifikation dieses bei Calder6n und darüber hinaus im
17. Jahrhundert (z. B. bei dem Portugiesen Francisco Manuel de Melo) eine Rolle spie-
lenden Ortes haben noch zu keinem endgültigen Ergebnis geführt. Sollte der im alten
Lusitania gelegene mons Tagrus gemeint sein? Vgl. Verf., Baustein III zu einer kritischen
und kommentierten Ausgabe Calder6ns (Vers 538-802 des Auto Sacramental La Vida
es Sueiio). Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, 22. Band, Münster 1965,
S.235-236.
88 "madre horrible del sueiio" (1699-1). Vgl. Ovid, Amores 11, IX, 41 ("somnus mortis
imago").
87 1699-1.
88 1699-1. Vgl. 1700-1.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 79

Was Calder6n mit diesen beiden Worten in die enumeratio des Demonio ein-
gefügt wissen wollte, wird wiederum nur demjenigen Interpreten ganz ein-
sichtig, der sich der Konkordanztheorie des spanischen Dramatikers, seiner
Harmonisierung von antik-mythologischem und christlichem Gedankengut
als Schlüssel bedient. Der tödlich-versteinernde BE&. der Medusa, zum ersten
Mal bei Pindar in der zehnten pythischen Ode erwähnt 69, wirkt mehrfach
in den Metamorphosen Ovids 70 und wird von seinen Kommentatoren be-
sprochen. Daher tötet auch wohl die die Funktion des Todes übernehmende
calderonianische Medusa durch Versteinerung. Einer der Ovidkommentato-
ren, Natalis Comes, hat für solche Versteinerung zwei explicationes - so
heißt der Untertitel seiner Mythologie - bereit, deren eine als Baustein für
die biblisch umgeprägte Andromeda vortrefflich zu unserem Texte paßt. Sie
lautet: arrogantia, eine Eigenschaft der Medusa also, die sich mit Pallas der
Schönheit des Haares wegen vergleichen wollte 71, bewirkt im Menschen Ver-
steinerung 72. Der vergeistigende Calder6n (so nennt ihn ja schon Leopold
Schmidt) wird also bei seiner Charakterisierung der Medusa durch Demonio
an ihre Einwirkung auf die sich in Stolz versteinernde Andromeda gedacht
und auf diese Weise eine seiner Gestalten durch Rückgriff auf antike Meta-
morphose geformt haben. Medusa als Tod versteinert, Medusa als Schuld
vertiert: "en ... bruto al racional convierte." 73 In diesem Fall mag, mit
dem eben erläuterten antik-mythischen Gedankengang verflochten, ein Psal-
mentext nachgewirkt haben 74. Endlich - und damit schließt die Präsenta-
tion durch Demonio ab - kommt das Schlangenhaar Medusas zur Sprache.
Das geschieht im (wiederum wohl durch Kommentare geförderten) Anschluß
an die "crinita draconibus ora" Ovids 75 und (freilich wage ich das nicht
mit Sicherheit zu behaupten) die aus dem fünften nachchristlichen Jahrhun-
dert stammende und im siebzehnten gewiß bekannte Mythologie des Fabius
Planciades Fulgentius, die das "serpentinum caput" als Zeichen der astutia
deutet 76.
Nach solch geheimnisvoller, das übliche "Oh tu" enthaltender 77, die
Spannung bis zum Höchstgrad steigernder Charakterisierung tritt Medusa

69 10,48. Vg1. 12,21.


70 Vg1. 4,660; 781.
71 Lib. VII, p. 742.
72 1.c. Lib. VII, p. 745 (superbia, arrogantia, temeritas).
73 1699-1.
74 31,9: Nolite fieri sicut equus et mulus, quibus non est intellectus.
75 met. 4,771.
76 Fabii Planciadis Fulgentii Mythologiarum ... Liber Primus p. 656 (Auctores Mytho-
graphi Latini, ed. Augustinus Van Staveren. Leyden-Amsterdall1 1742).
771699-1.
80 Hans Flasche

endlich auf die Bühne. In dem nunmehr folgenden langen Dialog wird der
Weg für den Fall der stolzen Andromeda bereitet. Dieser von Calder6n er-
sonnene Weg verdient deshalb besonderes Interesse, weil ein von ältester
christlicher Theologie meditiertes Theologumenon mit einem Zentralbegriff
des klassischen spanischen Theaters verknüpft wird. Jedermann weiß, daß
celo, die Eifersucht, ein von den Autoren des Siglo de Oro beständig umkrei-
stes Thema ist. Hier, im auto sacramental Andromeda y Perseo, stellt sie den
Ausgangspunkt dar, von dem Andromedas Verführung sich einzufädeln be-
ginnt. Demonio spricht von seiner Eifersucht auf die Schönheit der mensch-
lichen Natur 78, und Calder6n legt ihm seine Worte in übereinstimmung mit
patristischen überlegungen in den Mund. über den "zelus" des Teufels
äußert sich z. B. einer derjenigen Autoren, die sich am frühesten mit Proble-
men der Angelologie beschäftigt haben, Cyprian von Karthago, im vierten
Abschnitt seines kleinen Werkes De Zelo et Livore 79. Der zweite Grund unse-
res besonderen Interesses an dem von Calder6n für den Fall der Andro-
meda ausgewählten Weg ist folgender. Nachdem Demonio seiner Eifersucht
Ausdruck verliehen, sozusagen die von christlicher Seite betonte Komponente
seines Wesens dargelegt hat, beginnt er sich einer Gestalt des antiken Mythos
zu erinnern, die gleichfalls als Folie für das Verständnis seines Handeins die-
nen kann, nämlich des Phineus, und erwählt sich als Devise (empresa) 80 sei-
ner Wirksamkeit das Wort "Finis-Ero", weil er das Ende der Freuden An-
dromedas sein möchte. Finis-Ero jedoch und Fineo-Phineus werden als iden-
tisch erklärt. Die Etymologie als Denkform Calder6ns ist äußerer Anlaß
seiner Umprägung. Damit erfolgt erneut Anknüpfung an Ovid, und zwar
an das fünfte Buch der Metamorphosen, das den Kampf zwischen Perseus
und Phineus beschreibt. Von dieser ausführlichen, 249 Verse umfassenden
Schilderung 81 findet sich beim spanischen Dramatiker freilich nur die Gestalt

78 1699-1/2.
79 Vgl. Verf., Baustein zu einer kritischen und kommentierten Ausgabe Calder6ns. Ge-
sammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, 21. Band, Münster 1963, S. 320:
"über den zelus des Teufels in Bezug auf die Schönheit der menschlichen Natur äußert
sich (wie F. Lorinser, Don Pedro Calder6n de la Barca, Geistliche Festspiele ... 11, Re-
gensburg 1882, S. 341 hervorhebt) einer derjenigen Autoren, die sich am frühesten mit
Fragen der Angelologie beschäftigt haben, Cyprian von Karthago, im vierten Abschnitt
seines kleinen Werks De Zelo et Livore: "Ille angelica majestate subnixus, ille Deo
acceptus et charus, postquam hominem ad imaginem Dei factum conspexit, in ze1um
malivolo livore prorupit non prius alterum dejiciens instinctu zeli quam ipse zelo ante
dejectus, captivus antequam capiens, perditus antequam perdens, dum, stimulante livore,
homini gratiam datae immortalitatis eripit, ipse quoque id quod prius fuerat amisit."
(PL 4,640/41.)
80 1699-2.
81 met. 5,1-249.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 81

des "belli temerarius auctor" 82, die des Phineus selbst. Sie konnte ihm aber
gerade wegen ihrer "temeritas" - man sieht hier, wie ein Characteristicum
zur Auslösung der Transformation führt - als Skelett für seine Teufelsge-
stalt dienen. Demonio, der seines Thrones verlustig gegangene und auf den
Menschen, der ihn ersetzen soll, eifersüchtige Lucifer, identisch mit dem den
Krieg vom Zaune brechenden Phineus, formt nun seinerseits Medusa, auf
alttestamentliche Aussagen gestützt 83, hier - wir erinnern uns an ihre weit-
gehend antik geformte Präsentation - in eine Zauberin um, die Andromeda
tödlich vergiften soll.
Wie reagiert Medusa auf den Vorschlag, den Demonio ihr macht? Sie rea-
giert in auffallend gleichförmiger und für die Struktur des Auto aufschluß-
reicher Art insofern als auch sie, wie ihr Vorredner, zuerst über sich spricht,
freilich über das hinausgehend, was früher von ihr gesagt worden ist, und
erst dann zum vorgetragenen Plan Stellung nimmt. Sie hört, so sagt sie, die
Wünsche 'Demonios als die eines anderen, fühlt sie aber als die eigenen. Diese
Worte zeigen, wie der Dramatiker für die Bühne auseinanderfaltet, was nach
seinem theologischen Verständnis eines ist: der satanische Verführer der Ge-
nesis wird in eine biblische - Demonio - und eine antike, der Interpretation
der biblischen Komponente dienende Kraft - Medusa - gespalten. Calde-
r6n empfand die Notwendigkeit, das in der Loa angekündigte Programm,
"humanas letras" Licht auf "divinas letras" werfen zu lassen, im Verlauf
der dramatischen Handlung ins Gedächtnis zurückzurufen. Dies tritt in den
folgenden Worten Medusas klar zu Tage: "Jupiter, dios de los dioses / (si a
la metafora torno, / pu es ya de otros empezada [d. h. der Gestalt der Cien-
cia, die den antiken Namen Andromeda wählte] / fuerza es seguirla no so-
tros) / ... "84 Die durch antik-mythische Namen und Vorstellungen geschaf-
fene Illusion wird an dieser und auch an mancher anderen Stelle des Dramas
in Ergänzung der realisierten Einzelumprägungen durchbrochen; im ge-
nannten Beispiel ist mit Jupiter der Gott des Alten Testamentes gemeint. Das
ergibt sich indirekt aus seiner Charakterisierung als Allwissender, der das
später erfolgende Eindringen der Schlange - hier durch Medusa verkörpert-
in den Paradiesesgarten in seiner "divina idea" einplant 85. Göttliche pro-
videntia, bei Calder6n trotz seines den k bar e n Wissens um antike Vor-
formen etwa bei Quintilian 86, wesentlich christlicher Prägung, beschäftigt
ihn - man lese nur das Auto Sacramental La Vida es Sueno - immer wie-

82 met. 5,8.
83 Vgl. 1700-l.
84 1700-2.
85 1700-2.
86 VgJ. E. Bonnellus, Lexicon Quintilianeum, Hildesheim 1962, s. v. providentia.
82 Hans Flasche

der. Während aber in der Genesis bei Schilderung des Gesprächs zwischen
Serpens und Mulier die Häßlichkeit der Schlange nicht erwähnt wird 87, schil-
dert Medusa sich selbst im weiteren Verlauf ihrer Darstellung als diejenige,
die durch göttlichen Beschluß entstellt wurde. Ohne ihre frühere Schönheit
zu schildern 88, kleidet sie jenes Bild in Worte, das, durch Ovid überliefert 89,
aus der tarrakonensischen Plastik, den Gemälden der Zeitgenossen Calde-
rons Caravaggio und Rubens bekannt ist. Handelt es sich demnach nur um
eine Übernahme ohne Umprägung? Nein! Der aus der Antike überlieferte,
durch Minerva bewirkte Veränderungsprozeß erfährt Bereicherung durch
eine sich in die Symbolfülle des Mythos ausgezeichnet einfügende Nuance:
den Blick desjenigen Tieres, das, Calderon aus dem Psalmen text 90 und spä-
terer Tradition bekannt, in vielen seiner Theaterstücke auftaucht. Wenn Me-
dusa also sagt, daß sie sich, wie der Basilisk, nicht selbst anschauen könne,
ohne sich zu töten, so macht sie sich damit eine Meinung zu eigen, die, in lan-
ger Tradition geprägt, zum Ausdruck bringt, daß Erkenntnis der Schuld Be-
ginn ihrer Vernichtung ist. Mit dieser Analyse sind jedoch die gedanklichen
Bestandteile, die sich hinter den Worten der Verführerin Andromedas ver-
bergen, noch nicht restlos ins Licht gerückt. Bevor sie nämlich auf das Ansin-
nen von Demonio eingeht, erwähnt sie die Rache für die ihr angetane
Schmach. In dieser Erwähnung des "opprobrium" k a n n man wiederum
ein biblisches und ein antikes Element entdecken: die Identifizierung mit Lu-
cifer, der die durch den Menschen eingenommene Position als Schande an-
sieht 91, und die Betonung der Vergeltung für die von Minerva verhängte
Strafe.
Jetzt erst wird Demonio als "valiente Fineo" 92 angeredet, (" valiente"
in Übereinstimmung mit dem von Ovid gezeichneten Bild des Perseusgeg-
ners 93). Auf seinen Rat wird Medusa das Gift nunmehr durch eines ihrer
Haare, d. h. also mit der Genesis theriomorph gesprochen, die Schlange des
Paradieses, in die "causas naturales", die - thomistisch so genannten-
vom Naturtrieb geleiteten Ursachen verspritzen. Sie schließt ihre ihr Einver-
ständnis gebenden Worte mit einem Hinweis auf die im ersten Bühnenbild
durch Ciencia in Übereinstimmung mit Henricus Stephanus dargebotene
Etymologie des Namens Andromeda und einer ebenfalls schwer zu enträt-

87 Gen. !II, 1-5.


88 Vgl. die Worte "clarissima forma" bei Ovid, met. 4,784.
89 Vgl. met. 4,801: "Gorgoneum crinem turpes mutavit in hydros."
90 90,13. Vgl. Symbolica Aegyptiorum Sapientia Authore Nicolao Caussino, Paris 1647
(p. 526: Basiliscus ad speculum moriens).
91 Vgl. 1700-2: " ... tus ahogos /, que los oigo corno ajenos / y los siento corno propios.l"
92 1700-2.
93 Vgl. met. 5,1-249.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 83

seinden ihres eigenen Namens. "Ven, que si a ella el nombre di6 / de Andro-
meda un blando tono, / por ser juventud florida, / simulacro 0 mauseolo, /
por agricultura a mf, / menos b1ando y m;is ruidoso, / otro me di6 el de
Medusa, / que significa 10 propio." 94 Wie kommt Calder6n zu der die
richtige Bedeutung "Herrscherin" (vgl. Griech. (J.Eow)außer acht lassenden
Worterklärung? Er folgt in diesem Fall (und zu solcher Vermutung gibt auch
die Comedia Fortunas de Andromeda y Perseo Anlaß) einer schon bei Fabius
P1anciades Fu1gentius 95 und später z. B. im Ovide M oralise 96 zu finden-
den Interpretation. Als Ackerbäuerin ist Medusa in der Lage, ihr Gift in die
Natur einfließen zu lassen. Sie entscheidet sich nach mehreren vergeblichen
Versuchen für einen Baum, den Baum des Todes.
An ihm sieht in einem allegorischen Zwischenspiel das die Bühne betre-
tende personifizierte liberum arbitrium Andromedas Apfel (manzanas) hän-
gen 97. Es ist die Frucht (fructus), von der die Genesis spricht 98. Vielleicht
erinnerte sich der spanische Dichter auch der "poma ex auro" der Metamor-
phosen 99. Bustamante schreibt von Atlas: "EI era Rey de todo Occidente,
y tenia una huerta que habia un manzano de oro cuyas hojas eran asimismo
de oro." 100 Als der Teufel den gracioso in seine Knechtschaft bringen will
und dieser daher um Hilfe ruft, tritt Perseus auf.
Der Dramatiker Calder6n schafft jetzt durch eine in der Genesis nicht
enthaltene retardatio den Raum für neue Einzelumformungen. Perseus be-
zeichnet sich selbst als Retter, der die Sphäre der Luft geflügelt durch-
quert 10\ zeigt sich also dem einfachen Mann unter den Zuschauern als ein
außergewöhnliches Wesen, dem mit antikem Mythos vertrauten als auf ge-
flügeltem Pegasus reitender Perseus 102. Unmittelbar nach der Evokation die-

94 1701-1. (mauseolo in allen drei Manuskripten!) Ich gebe die nicht leicht verständlichen
Zeilen in deutscher übersetzung: "Komm, denn wenn ein weicher Ton ihr den Namen
Andromeda gab, weil sie blühende Jugend, Bildnis oder Mausoleum ist, gab mir ein
anderer, weniger weicher und lauterer Ton [d. h. der Teufel - vgl. 1700-1: "como a
Medusa te nombro" -] wegen des Ackerbaus den der Medusa, was das Gleiche bedeu-
tet." - Ms. 15333: bien que si ..•
95 Medusa wird a.a.O. (p. 656) als "Gorgon, quasi georgon" gedeutet "nam y~wpyo~
Graece agricultores dicuntur".
96 Ovide moralise. Poeme du commencement du quatorzieme siede publie .•• par C. de
Boer, Amsterdam 1920, p. 130 (4,5729).
97 1702-1.
98 Gen. III, 2.
99 met. 4,638.
lO°l.c.f. 81 r.
101 "en alada exhalaci6n / la esfera dei aire rompo." (1702-1).
1020 vid hatte von des Perseus "alae stridentes" (met. 4,616), von Pegasus "pcnnisque
fugax" (ibid. 785/786) gesprochen. Natalis Comes schrieb (I.c. Lib. VII, p. 743): "Ex
capite Medusae desecto Pegasus alatus equus repente prosiliit ..."
84 Hans Flasche

ses antiken Bildes - und solch unmittelbare Folge ist für seine Technik hier
wie sonst typisch - setzt Calder6n das umprägende Element ein. Auf die
Frage des Teufels, wer er sei, antwortet Perseus: "Soy quien soy." 103 Damit
wird dem Kenner des Bibelworts "Ego sum qui sum" 104 sofort deutlich, wen
Perseus versinnbildlicht. Diese Textstelle darf als indicium der wesentlich-
sten Eigenart des calderonianischen Theaters gelten, seiner Theozentrik, der
gegenüber die psychologisierende Mytheninterpretation eines Natalis Comes,
der den Heros als "ratio animae nostrae et prudentia" erklärt 105, ad acta
gelegt ist. Die theozentrische Aussage bleibt freilich für den Gesprächspart-
ner Demonio geheimnisvoll. Eine Wolke verhüllt das Gesicht des Perseus,
und damit wird die Dunkelheit seiner Aussage durch ein Bild bestätigt. Eine
Wolke verhüllte den Gott des Alten und des Neuen Testamentes 106. Ein
christliches Attribut 107 ist Perseus beigegeben. Zum zweitenmal ergreift der
Teufel - in Calder6ns Phantasie - die Flucht, nachdem er als Lucifer vom
Himmel gefallen war 108. Er tut es, da er ja in diesem Schauspiel im Hinblick
auf die belua Ovids eingeführt wurde, als "piloto" eines Fabeltiers, das wir
aus G6ngoras Dichtung kennen, des bucentoro 109. Es handelt sich um jenen
Ochsenzentaur, der den Galeeren der Dogen von Venedig die Form gab. Da
wir z. B. aus einer Schrift des ]osephus Laurentius Lucensis (1666) wissen,
daß solche Schiffe ein "opertorium purpureum" hatten 110, dürfte an dieser
Stelle des Calder6ntextes die Lesung "encarnado bucentoro" des Manu-
skriptes 16276 - hier sei einmal eine Differenz der Manuskripte erwähnt -
neben derjenigen von escamado bucentoro der Manuskripte 15 077 und
15333 bestehen können.
Nach der Flucht des Meeresungeheuers tritt, durch den geretteten gracioso
herbeigerufen, Andromeda vor Perseus. Es ist die erste von zwei Begegnun-
gen; sie findet vor dem Fall Andromedas statt. Perseus stellt sich vor und
bezeichnet sich als den Bräutigam, der erst zu späterer, im voraus festgesetz-
ter Zeit (dem "XIXLp6c;;" der Ankunft) erkennen lassen wolle, wer er sei.
Hier in dieser unmythischen, Vergangenheit und Zukunft bewußt trennenden
Atmosphäre fällt der die Umprägung festigende, ein Ich-Du-Verhältnis
schaffende Terminus aus der Brautmystik des Canticum Canticorum - spon-

103 1702-1.
104 Ex. 111, 14.
1051.C•p. 810-811.
106 Numeri XI,25; XII,5 - Matth. XVII,5.
107 Dazu kommt noch "acero" (1702-2), das "telum uncum" des Ovid (met. 4,166).
108 Vgl. Is. XIV,12.
109 1702-2. Vgl. bei G6ngora, Romance 74 (Obras Completas, Madrid [Aguilar] 1961,

p.214).
110 Polymathia (Lugduni 1666), p. 4-2.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 85

sus / esposo zum erstenma1 111 ; die dadurch hervorgerufene Spannung


löst sich erst am Schluß des Stückes. Ob in der blauen, wolkenartigen Ver-
hüllung des Bräutigams 112 die "galea Plutonis", welche Natalis Comes er-
wähnt 113 bzw. die durch Merkur empfangene "galea", von der Fulgentius
spricht 114 wiederzuerkennen sei, ist kaum zu entscheiden. Eher mag man in
den Worten des Perseus, er suche "aventuras" 115, ein Nachleben des Ovid-
verses (" ... sive es mirator rerum, mirabere nostras" ... 116), den Busta-
mante sehr sinngemäß umformte 117, erblicken, am ehesten den Ausdruck der
Leistungen eines ritterlichen Helden ("siempre heroico") 118. Zu den schon
bei der Befreiung des Albedrio vom Meeresungeheuer genannten Flügeln
fügt Perseus nun zwei andere Attribute seiner Ausrüstung: den von Minerva
geschenkten kristallenen Schild und das von Merkur geschenkte Schwert 119.
Zwar hatte Ovid vom spiegelnden "Erz" des Schildes gesprochen 120; den
k r ist a 11 e n e n Schild konnte Calder6n aus dem Traditionsstrom, der
z. B. durch die Namen Baltasar de Vitoria 121 und Jorge Bustamante 122 be-
zeichnet wird, entnehmen. Das "telum uncum" des Ovid 123, die "falx"
der Mythographen 124 wird bei ihm zum "templado acero" 125. Der mit
dem Schild der Minerva und dem Schwert des Merkur gewappnete Perseus
nennt sich Sohn des Jupiter 126, der - wie Calder6n in Vers 610/611 der
Metamorphosen Ovids nachlesen und bei Tizian schauen konnte - durch
Goldregen in Danae gezeugt wurde. Das ist seine Selbstinterpretation gemäß
"humanas letras", gemäß der Weisheit der Antike. Der Weisheit der Bibel,
den "divinas letras" zu folge stellt sich, wie Perseus sagt, seine Empfängnis

1111703-1.
112 "eon los azules rebozos, / que a imitaci6n son de nubes u (1703-1). Vgl. 1702-1.
113 Lib. VII, p. 742.
1Ul.C.p. 656: " ... praeterea galeam, qua indutus ex adverso non poterat videri. u
115 1703-1.
118 met. 4,641.
117I.c.f. 81 r: "Tu que eres conocedor de las maravillas del mundo, maravillarte has de las
mfas cuando las vieres ...U

118 1703-1.
119 1703-1.
120 met. 4,783 ("aere repercussoU ) .
121l.C. Lib. II, p. 175.
122 I.c.f. 80 v, 81 r, 84 v.
123 Vgl. Anm. 100.
124 Vgl. z. B. Natalis Comes l.c.p. 750 und Baltasar de Vitoria l.c. Lib. II, p. 175 ("alfange
diamantino U
).

125 1703-1. Die Ausrüstung des Perseus spielt, wie der Archäologe Konrad Schauenburg
festgestellt hat (Perseus in der Kunst des Altertums, Bonn 1960), in der Literatur eine
größere Rolle als in der Kunst (S. 19). Vgl. über die Attribute in der letzteren Cartari l.c.
12S "Jupiter ... me engendr6 ... U (1703-1/2).
86 Hans Flasche

als durch Tautropfen auf weißem Vlies verursacht dar. Die von Calder6n so
oft erwähnte (und sogar in einem den Titel La piel de Gede6n tragenden
Werk behandelte) Szene aus dem Buch der Richter 127 ist hier - wiederum
unmittelbar - nach der Fabel vom Goldregen eingesetzt. Cornelius a
Lapide, der 1637 gestorbene Bibelexeget - man bemerke das Datum im
Hinblick auf Calder6n! - deutet im Anschluß an die Kirchenväter: "ros in
vellere est Christus in Virgine" 128. Perseus als Christus - das ist neben An-
dr6meda als Eva eine zweite zentral stehende Umprägung in diesem Werke
Calder6ns. Für die Parallelisierung Orpheus-Christus, die er in seinem Schau-
spiel EI Divino Or/eo auf die Bühne brachte, konnte er sich auf jahrhun-
dertealte, an Dokumenten der Literatur und bildenden Kunst reichhaltige
Tradition stützen. Für die, wie wir sahen, durch Vergleich von Bibelexegese
und Ovidtext schon nahegelegte Repräsentation Christi durch Perseus sind
u. a. folgende Zeugnisse von Wert. Der um 200 nach Christus lebende Kir-
chenschriftsteller Hippolytos von Rom hat in seiner Schrift Philosophumena
oder Re/utatio IV 46-50 die Sternbilder (darunter diejenigen, welche die
Namen der in unserem Mythos vorkommenden Personen trugen) christlich
umgedeutet und eine Identifikation des Vaters der Andromeda, Cepheus,
mit Adam, der Mutter der Andromeda, Cassiope, mit Eva und des Perseus
mit dem Logos erwähnt 129. Vor allem aber müssen für allegorische Inter-
pretation die verschiedenen Formen des moralisierten Ovid hier genannt
werden. Ober sie mag die Verknüpfung der Gestalt Christi mit der des Per-
seus zu Calder6n gelangt sein 130. Mit dieser Eigencharakterisierung gibt sich
Perseus jedoch nicht zufrieden. Der Dichter, der ihn sprechen läßt, will, wie
im ganzen Drama, so auch hier, die Fülle seiner Kenntnisse wie die Anwend-
barkeit seiner der Transformation dienenden etymologisierenden Methode
zur Geltung bringen. Im Anschluß an die Worte des Canon Missae "per
ipsum et cum ipso et in ipso" identifiziert sich Perseus als den durch sich
Seienden, da sein Name "per se" bedeute 131. Perseus reitet dieses Mal nicht
auf dem geflügelten Pegasus, sondern auf einem "blanco generoso caba-
110" 132, dem "equus albus" der Apokalypse 133. Nach derart reichlich vorge-

127 Vgl. Judic. 6,36-40.


128 Commentarius in Josue, Judicum ... Antverpiae 1718, p. 128-130 (Erstausgabe nach
Sommervogel 1642).
120 Vgl. P. Wendland, Die griechischen christlichen Schriftsteller ... XXVI, Leipzig 1916,
S. 73 und J. Seznec, La survivance des dieux antiques, London 1940.
130 Vgl. auch Anm. 96 dieser Studie und Ovide moralise en prose (Texte du quinzieme
siede). Edition critique avec introduction par C. de Boer. Amsterdam 1954, p. 168.
131 1703-2.
132 1703-2.
133 Zach. 1,8 und Apoc. XIX,l1.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 87

nommener umprägender Legitimation als erste und zweite Person der Trini-
tät übernimmt er jetzt die Rolle des warnenden "Dominus Deus" 134 des
Alten Testaments und damit erfährt die Szene der Genesis n,17 eine einzig-
artige Palingenesie. Als Dank für die Befreiung des gracioso Albedrfo aus
drohender unwürdiger Knechtschaft soll Andromeda ihren freien Willen so
gebrauchen, daß sie den in Baum und Meer verborgenen Gefahren nicht er-
liegt 135. Wird die Warnung in den Wind geschlagen, so droht das "des Todes
Sterben" des Alten Testamentes 138, Tod der Seele und des Leibes, wie die
Exegese 137, ein "morir muriendo", wie der genau entsprechend formulierte
spanische Text sagt 138.
Trotz der von Perseus ausgesprochenen eindringlichen Warnung und ob-
wohl die ihr beigegebenen Kräfte - Wissenschaft, Gnade, Unschuld, Wille-
abraten, erliegt Andromeda der Versuchung, die von der Frucht des Bau-
mes, ihrer "pompa" 139 ausgeht 140. Unmittelbar vor dem endgültigen Nach-
geben bezeichnet sie in der Diskussion mit Gracia diejenige, die ihr, ohne
sichtbar zu werden, zugerufen hat "Come y se ras corno Dios ..." 141 - es
war Medusa - als "otra Gracia" 142. Sie will sich damit selbst als eine zwi-
schen zwei Gnadenkräften stehende, kämpfende Person zeigen und ihre Tat
schon vorsorglich rechtfertigen. Die Differenz zwischen antikem Mythos und
calderonianisch-biblischer Darstellung tritt nach dem Zugriff Andromedas
ganz deutlich in Erscheinung: Sie ist schuldig geworden und muß dafür ge-
rechterweise persönlich gestraft werden. In den Metamorphosen Ovids heißt
die Tochter der eigentlich schuldigen Cassiope "inmerita Andromeda" 143
und der spanische Mythograph Juan Perez de Moya wird in seiner Philoso-

134 Gen. II, 15-17.


135 In ein er Zeile werden hier biblisches und antikes Landschaftsrequisit nebeneinander-
gestellt (1703-2: " ... son todos / vuestros riesgos esos mares, / ese arbol y esc escollo.").
188 morte morieris (Gen. 11, 17).
137 Vgl. Cornelius a Lapidc, Commentaria in Pentateuchum Mosis (Neapoli 1854), p. 60
col. 2 D.
138 1703-2.
139 "pompa verde" (1705-1).
140 Wie Calder6n die einzelnen allegorischen Gestalten den Lehren der Psychologie ent-
sprechend handeln läßt - Ciencia verläßt in dem Augenblick die Bühne, als Andr6-
meda sich in die Irre zu gehen anschickt; die Elemente loben die Schönheit der Frucht,
um darzutun, wie die Rechtfertigung der Sünde durch den nur aufs Irdische gerichtete
Blick geschieht -, braucht, da Christianisierung antiker Tradition in diesem Abschnitt
des Auto Sacramental kaum erfolgt, nicht dargelegt zu werden. Gegenwärtig sind die
beiden Sphären - mythische und biblisch-christliche - freilich immer.
141 1704-2.
142 1705-1.
143 met. 4,670/71.
88 Hans Flasche

phia Secreta von Jupiter sagen: " ... injustamente mand6 que pusiesen a su
hija Andr6meda atada a una roca en la costa del mar ... " 144
Die Andromeda Calder6ns sieht sich, sobald sie das Gebot übertreten hat,
dem "horrible aspecto" der Medusa gegenüber 145, die Schuld und Tod zu-
gleich, antik-mythisches Wesen 146 und auch biblisches ist; sie liegt nach Art
der Schlange um einen Baumstamm und spricht von demjenigen, der, ihr
anderes Ich, den Verführungsplan ausheckte. Das Wesen des Teufels und das
der Andromeda ist gleicher Art; also muß auch die Sühne gleich sein 147. Die
im Mythos bei Ovid berichtete Schuld des Phineus wurde hier, da "Fineo"
und "Demonio" identisch sind, in diejenige umgeprägt, die Teufel und erster
Mensch auf sich luden, die superbia 148, deren Sühne der Tod ist. Die Folgen
des Vergehens zeigen sich sofort im Kosmos; er gerät in unabsehbare, in der
Genesis nicht geschilderte, von Calder6ns Dichterphantasie im Hinblick auf
wirksame Theateraufführung erfundene Unordnung.
Als die laut klagende Andromeda in die Gärten, aus denen sie, ohne daß
es besonders gesagt wurde, die Frucht herauslockte, zurückkehren will, tritt
ihr Merkur entgegen 149. Wie mit Perseus, Andromeda, Medusa, hat Calder6n
auch mit ihm einen Handlungspartner geschaffen, der, ursprünglich in anti-
ker Vorstellungswelt beheimatet, umgeprägt im christlichen Drama seine
Aufgabe erfüllen kann. In unserem Mythos spielt er zwar nur eine unter-
geordnete Rolle. Nachdem Perseus Andromeda befreit hat, errichtet er, wie
Ovid erzählt 150, Merkur einen Altar. Perseus empfängt von ihm, so sagen die
Mythographen, Flügelschuhe und Schwert 151. Im Auto Sacramental hat
Merkur am Strafgeschehen beträchtlichen Anteil. Wie erklärt sich diese
transformatio? Die Frage, die Andromeda an ihn richtet "lQuien eres, alado
joven /, que con espada de Fuego, / ... / me amenazas?" 152 und seine
eigene, lange Antwortrede geben darüber Aufschluß. Ein geflügelter Jüng-
ling mit Flammenschwert verwehrt den Eintritt zum Paradiesesgarten. Der
bei den Mythographen und in der gemalten Mythologie über Schwert und

144 Ich ZItIere nach meiner Ausgabe: Philosophia Secreta ... por ... Joan Perez de
Moya ... <;arago~a 1599, p. 319 V.
145 1705-2.

146 V gl. 1699-1: " ... un aspid cada crin de tu cabello ... ".
147 1705-2: "Su delito y tu delito / de un mismo parto nacieron; / y aSl, tu pena y su

pena / tendran un castigo mesmo."


148 Vgl. Eccli. 10-15: " ... initium omnis peccati est superbia."
149 1707-1.

150 met. 4,753/54.


151 Vgl. Natalis Comes l.c. Lib. VII, p. 742.
152 1707-1.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 89

Flügel verfügende Götterbote 153 verschmilzt mit einem der Cherubim der
Genesis; die Worte "espada de fuego" nehmen "flammeum gladium" des
biblischen Textes wieder auf 154. Merkur selbst nennt sich in seiner Entgeg-
nung Cherub. Als "dueiio de las Ciencias" 155 besitzt er sowohl die ihm tra-
ditionsgemäß zugeschriebene antike Redekunst wie das den Engeln seiner
Art verliehene übernatürliche Wissen 156. Sein in der Mythologiegeschichte
verschiedenartig gedeuteter schlangenumwundener "caduceus" - mit diesem
wie mit den Flügelschuhen (talaria) 157 versieht ihn Calder6n 158 - wird hier
zum Schwert der Gerechtigkeit, dessen eine Schlange das Vergehen, dessen
andere den Urteilsspruch symbolisiert. Der mit diesen Attributen ausgerü-
stete Merkur verkündet die Strafe für jene, in die, wie er sagt, die Weisheit
Jupiters den Inbegriff ("cifra") seiner Macht gelegt hatte 159. Andromeda
wird, wie die Andromeda Ovids, an eine Klippe zwischen Erde und Meer
angekettet. Den scopuli der Metamorphosen 160 entspricht Calder6ns es-
coUo 161, den catenae 162 die cadenas.
Die Parallelisierung beziehungsweise Umformung läßt sich auch an die-
ser Stelle weiterführen. Dem "genitor lugubris" beim römischen Dichter 163
entspricht die merkwürdigste Gestalt in Calder6ns Schauspiel, Centro, der
Vater Andromedas. Er, der vom Dichter wohl im Hinblick auf das antike
Elternpaar Cepheus und Cassiope der Erde (Tierra) zugestellt wurde und
Ovid und seinen Interpreten kaum eine andere Funktion außer der Klage um
die Tochter entlehnen konnte, wird im christlichen Drama zum Vollstrecker
der Sühne, zum Propheten, der Sündflut und Weltende ("diluvio" und
"llama") 164 voraussagt, die Folgen des durch Andromeda hervorgerufenen
Elends. Gleich der ovidianischen Schwester beweint diese ihr Unglück
(" ... tepido manabant lumina fletu") 165, geht aber dank Calder6ns voraus-

153 Vgl. Natalis Comes (I.c. p. 742, 749) und Pantheum Mythicum ... Auctore Francisco
Pomey. Editio Septima 1717 p. 263, Pars VI. - Zur gemalten Mythologie vgl. Cartari
I.c. 154.
154 Gen. III, 24.
155 1707-2.

156 Vgl. Calder6ns Zeitgenossen Ant6nio de Vasconcellos, Tratado do Anjo da Guarda.


Primeira Parte. Da Natureza, ordern, e ocupas;ao dos anjos, Evora 1621, p. 263: " ... os
Cherubins sao dotados singularmente da gras;a de sabedoria sobrenatural."
157 Vgl. met. 4, 667. "caducifer" wird Mercurius 2, 708 und 8, 627 genannt.
158 1707-2.
159 1707-1.
160 met. 4,709.
161 1707-2.
162 met. 4,678.
163 met. 4,691.
164 1708-1.
165 met. 4,674.
90 Hans Flasme

schauend retardierender Erfindung in ihrer Reaktion weiter als die mytho-


logische Andromeda und erbittet, wie die Tochter Jephtes im Buch der Rich-
ter - auch sie sollte vom Vater geopfert werden 166 - , Aufschub. Nicht nur
aus der die Basis des Schauspiels bildenden Genesis, auch aus anderen Teilen
des Alten Testamentes werden wieder Umprägungselemente herbeigeholt,
hier erneut ein solches, das im Gegensatz zu mythischem Denken eine dem
Dichter und seinem Geschöpf Andromeda bewußte Trennung in Gegenwart
und rettungbringende Zukunft vollzieht.
Die Bitte um Aufschub ruft Medusa, welche sie nicht gewähren, und Per-
seus, der sie gewähren will, auf die Bühne. Während jedoch der Perseus des
Mythos das H;1'lpt der Medusa im Spiegel des Schildes sieht und es der Schla-
fenden abschlät ~ 167, legt Calder6n deutlich umprägend dieses Geschehen auf
eine höhere geisLige Ebene. Medusas verwunderte Aussage, ihr Blick töte, wie
sie sehe, Perseus nicht 168, erfährt durch ihre eigenen, freilich nicht leicht zu
interpretierenden Worte Erklärung. Sie, die doppelten Tod - Tod der Seele
und Tod des Leibes - bedeutet 169, figuriert - sie glaubt Andromedas Seele
getötet zu haben - in dieser Szene der Begegnung mit Perseus als Tod des
leiblichen Lebens. Sie kann aber der vor ihr stehenden Gestalt nichts an-
haben, da diese ihr mit Worten, die an das Johannesevangelium anklingen,
die Macht zu töten aberkennt 170. Darauf zeigt Perseus ihr den Spiegelschild,
damit sie, sich selbst als Schuld erkennend, sich vernichte. Sie aber stemmt
sich dagegen und will, vom Schwert getötet, durch ihr Blut neue Schlangen
entstehen lassen, wie es im Mythos - man lese es bei Ovid 171, Natalis Comes
oder Jorge Bustamente nach! - geschah. Zwei Möglichkeiten der Bewältigung
von Schuld scheinen sich einen Augenblick die Waage zu halten. Doch die
überwindung mythischer Sicht, die Historisierung des Mythos durch klare
Bezugnahme auf ein zukünftiges endgültiges Ereignis, den Erlösertod Chri-
sti, wird unmittelbar darauf vollzogen 172, denn Perseus weist auf das leben-
bringende Anschauen der ehernen Schlange im Buche Numeri, des "serpens
aeneus" als Christi typus (wie Samuel Bochart, Calder6ns Zeitgenosse, sagen
wird 173), deutlich hin und tötet Medusa, was er allein als Christus vermag.
166 XI,37.
167 met. 4,782-85.
168 1708-2.
169 Vgl. Anm. 136 und 137 dieser Studie!
170 "Non haberes potestatem adversum me, nisi tibi datum esset desuper." (Jo. XIX,l1).
171 met. 4,617/619.
172 Calder6n liebt, wie man weiß, die Bezugnahme auf zukünftige Ereignisse aus der Per-
spektive der Genesis.
173 Vgl. (ich zitiere nach meinem Exemplar) Hierozoicon sive Bipartitum opus de animali-
bus Sanctae Scripturae II (Editio Tertia) Lugduni Batavorum - Trajecti ad Rhenum
1692 Sp. 427: Serpens aeneus, Christi typus. (Die erste Auflage ersmien 1663.)
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 91

Der erste Schritt zur Rettung Andromedas (die in Begleitung von zwei
an antikes Drama gemahnenden Chören, in Begleitung der Elemente und
Kräfte sowie ihrer Eltern die Bühne betritt) ist getan, Medusa, die Schuld,
beseitigt, d. h. die Schlange des Mythos durch die Schlange des Alten Testa-
mentes und so den Christus des Neuen, überwunden. Daß solche sichtbar auf
der Bühne dargestellte Beseitigung der Schuld durch Perseus Ausdruck eines
parallel gehenden inneren Reueerlebnisses in der "peccatrix" war, zeigt sich
in den Gesprächen und Ereignissen, die nunmehr die Situation klären. Den
Beginn des Umschwungs bezeichnet die freiwillige Anerkennung der Sühne,
das Ende die besonders durch den zweiten Chor 174 angebahnte, während
eines zweiten Erdbebens an den als (j(ij~C; erkannten Perseus gerichtete Bitte
Andromedas um Hilfe: " ... miro irritarse las ondas / de esa azul seI va tur-
quf, / que siendo jardfn de espumas / es ya de llamas jardfn. / ... / ... /
••• / ••• / j Oh t6, embozado Perseo, pues tu asunto es discurrir / el orbe,
para hacer bien, duelete, Senor, de mll" 175
Es erscheint - der Teufel auf dem Tiere, das in Ovids Metamorphosen als
Hüter des Gartens des Atlas auftritt 176, an anderen Stellen seines Werkes
mit Flügeln ausgestattet ist 177 und im christlichen Bereich die Macht des Sa-
tanischen verkörpert, dem Drachen 178. Auch der calderonianische "drag6n"
verfügt über Flügel 179. Die Worte der Metamorphosen "Conclamat vir-
go ... " 180 haben im Text des spanischen Dramas ihre Entsprechung und
rufen den Retter Perseus nun wirklich herbei 181.
Es ist nur natürlich, daß nach allem bisher Berichteten - im Hinblick auf
die in den entsprechenden Abschnitten völlig voneinander verschiedenen Si-
tuationen - von dem bei Ovid geschilderten Kampf des Phineus gegen Per-
seus bei Calder6n nicht viel übrigbleibt, oder, anders ausgedrückt, daß es
sich nicht mehr um die Ebene des Kampfes eines Helden gegen das Gefolge
des Frevlers handelt. Die Umprägung des Mythos erreicht ihren Kulmina-
tionspunkt. Während Perseus sich bei der ersten Begegnung mit Demonio
-Fineo nicht zu erkennen gab und auf die Frage nach seinem Wesen "Ego sum

174 Von ihm läßt sich sagen, daß er freundschaftlich rät (vgl. die Ars Poetica des Horaz
196: " ... consilietur amiee ...").
175 1711-1. - Ms. 15333: erizarse - por haeer.
176 met. 4,647.
177 Im Hierozoieon (vgl. Anm. 173 dieser Studie!) II,432 heißt es: "His (sc. draconibus)
enim pedes, eristas & alas multi tribuunt." Es wird auf Ovid, met. 5, Fabula undeeima
und Fast. IV hingewiesen. (Vgl. met. 7,218, 234.)
178 Vgl. Apoe. XII,9 und XX,2 und wiederum Hierozoicon II, col. 439.
179 1711-1.
180 met. 4,691.
181 "Ya se aeerea, piedad, eielos!"
92 Hans Flasche

qui sum" antwortete, bezeichnet er sich jetzt als göttlichen Perseus, der (wie
der ovidianische mit dem Haupt der Medusa) den ganzen Erdkreis durchzog.
"EI Divino Perseo soy, / que hasta ahora discurd / embozado cuantos rum-
bos / mi ra el sol desde el cenit, / en cuya abrasada cuna / nace encendido
rubf, / hasta donde en urna helada / del contrapuesto nadir / muere palido
topacio, / ..." 182 Er rettet Andromeda vor der durch den Teufel bzw.
Phineus repräsentierten "mors secunda" der Apokalypse 183, d. h. dem ewi-
gen Verderben, indem er seine Lanze auf Phineus richtet 184. Die von Cal-
der6n durchgeführte transformatio bezieht sich zunächst auf eine Außerlich-
keit. Bei Ovid (und z. B. auch bei Jorge Bustamante) wirft Phineus die Lanze
auf Perseus und dieser sie dann zurück 185. Bei Calder6n schleudert Perseus
als erster die Lanze, besiegt seinen Gegner und erbittet Andromeda zur
Braut. Während aber der Perseus des römischen Dichters, dem Phineus "vin-
cis" zuruft 186, sein Leben nicht dahingibt, erleidet der Perseus-Christus
Calder6ns - und darin besteht entscheidendes Umdenken! - für Andromeda
den Tod. In dieser Szene des Bühnengeschehens ist durch Gestalten des My-
thos das in der berühmten mittelalterlichen Sequenz Wipos (Victimae pa-
schali Laudes) mit den Worten "Mors et vita duello conflixere mirando"
zusammengefaßte Heilsdrama realisiert worden. Die von Perseus erbetene
Hochzeit 187, das "religioso festtn" Calder6ns 188 wird in einer von der
christlichen Andromeda ungeahnten Form gefeiert: in ihrer Vereinigung mit
den Gestalten von Brot und Wein - und damit erst erhält das auto seinen
sakramental-kultischen Charakter. Die Metamorphose der durch Andromeda
verkörperten "humana naturaleza", nicht nur die eines einzelnen Menschen,
ist gewährleistet.
Die hier zum erstenmal vorgenommene Analyse des Calder6ntextes
wurde in der Absicht gegeben, durch vergleichende Methode in einer Fülle
der Anschauung neben Gemeinsamkeiten die Unterschiede zwischen antikem,
in erster Linie durch Ovid geformten Mythos und calderonianischer Umprä-
gung erkennen zu lassen. So sollte die Basis für ein die Einzelheiten nicht
außer acht lassendes Gesamtbild der vom spanischen Dichter vorgenommenen
Transformation, für eine "Fülle der Anschauung" ablösende, im dritten und

182 1711-2.
183 Vgl. Apoc. XX, 14: "Et infernus et mors missi sunt in stagnum ignis. Haec est mors
secunda."
184 Medusa stellt, wie erinnerlich, in unserem auto sacramental den Tod der Seele und den
Tod des Leibes dar.
185 met. 5,32-33,90. - Bustamente l.c. Lib. V, f. 86.
186 met. 5,216.
187 met. 4,703: "ut mea sit servata mea virtute, paciscor".
188 1713-1.
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 93

letzten Teil dieser Studie darzubietende "Allgemeinheit der Anschauung"


gelegt werden 189.
Den 450 Andromeda und Perseus gewidmeten Versen des ovidianischen,
von späteren Mythographen verarbeiteten Kunstepos steht das aus Mythos
und Gegebenheiten des Alten und Neuen Testamentes gewobene einaktige
Drama Calder6ns gegenüber. Sein Kunstwollen benutzt den Mythos ganz be-
wußt, wie es in der Loa heißt, um durch antike Weisheit Licht auf die Bibel
werfen zu lassen. Er will nicht nur seine künstlerische Potenz, sondern auch
das ihm eigene Streben und die ihm eigene Kraft zu christlicher Führung
exemplifizieren. Mythisches Weltbild dient ihm als Werkzeug für die Erhel-
lung der im Alten und Neuen Testament gemachten, von ihm als endgültig
anerkannten Offenbarung. Die Gestalten des Mythos werden, wie ich darzu-
legen versuchte, zwar ihres antiken Beiwerks, der für mythische Erzählungen
so wichtigen Attribute vielfach nicht entkleidet, in allem Wesentlichen aber
und ganz individuell als christliche vergegenwärtigt. Man erinnere sich an
die beiden Zentralgestalten, Andromeda und Perseus! Gewiß weist der Stolz
der sich bei Ovid mit Frevel beladenden und derjenige der sich bei Calder6n
in Schuld verstrickenden weiblichen Gestalt Parallelisierungsmöglichkeiten
auf. Nur in der Darstellung Calder6ns jedoch tritt Andromeda als eine Per-
son auf, die sich existentiell - hier ist das Wort einmal am Platz - entschei-
det und als sittliches Subjekt Verantwortung trägt. Am deutlichsten zeigt sich
die Differenz zwischen Mythos und Auto Sacramental bei Perseus. " ... tra-
hit inscius ignes ..." heißt es bei Ovid 190 und " ... et stupet et visae correp-
tus imagine formae" 191, als er den Helden schildert, der Andromeda schaut.
Calder6n hat solches Ergriffensein durch Schönheit mit den Worten: " ...
mire su hermosura / ... con ... afecto ... " repristiniert 192, seinen Per-
seus-Christus aber außerdem als höchsten Sendungsanspruchs ganz bewußten
Heilbringer charakterisiert.
Die in diesem auto sacramental durchgeführten Umprägungen (die wir
im zweiten Teil der Studie sozusagen auf der Bühne betrachteten) lassen sich
zum Zwecke besserer Übersicht kategorisieren. Calder6n greift - nur einige
Beispiele seien genannt - zur permutatio von Gestalten (Cepheus-Centro),

189 Vgl. zu diesen von F. Meinecke gebrauchten Termini E. Rothacker, Logik und Systema-
tik der Geisteswissenschaften, Bonn 1948, S. 104.
190 met. 4,675.
191 ibid. 4,676. Natalis Comes (I.c. Lib. VIII, p. 933), F. Pomey (I.c. Pars VI, p. 263) und
Juan Perez de Moya (I.c. Libro IV, Cap. XXXIV) heben in diesem Zusammenhang die
Schönheit Andromedas nicht besonders hervor. Baltasar de Vitoria (I.c. Libro III,
p. 261) aber spricht davon, daß Perseus die "hermosura tan mal lograda" Andromedas
sah.
192 1711_2.
94 Hans Flasche

zur Jictio personae (monstrum-Teufel), zur allegoria (Medusa-Sünde), zur


variatio von Eigenschaften (die reuige Andromeda). Im Dienst der Umprä-
gung stehen ferner u. a. die etymologisierende Interpretation 193, als Durch-
brechen der für mythenhafte Darstellung typischen Identifikation von Dar-
gestelltem und Darzustellendem, von Sein und Bedeutung 194 und schließlich
die Historisierung 195, der sich ein gerade für Calder6n charakteristisches,
höchst reflektiertes Spielen mit Zeitstufen zugesellt.
Die Benutzung des antiken Mythos als Folie für christliche Botschaft ge-
schah durch einen Autor, der, wie wir zu Beginn der Ausführungen sahen,
die Berechtigung einer Antike und Christentum harmonisierenden Tradition
anerkannte. Unmittelbarer Anlaß für sein Wirken im Sinne dieser Tradition
war die Erkenntnis, daß er sich in seinen Schauspielen des Anschauungsreich-
tums der Mythen mit Nutzen werde bedienen können als einer Möglichkeit
des Ahnens dessen, von dem es im KorintherbrieJ heißt: "Nunc cognosco ex
parte ... " 196 Die Darstellung des Sündenfalls im Alten Testament - um
wiederum nur ein Beispiel anzuführen - konnte in ihrer Bildhaftigkeit durch
die von Calder6n aus dem Mythos übernommene Szenerie nur gewinnen.
Der Erfolg, den der spanische Meister mit seinen autos mito16gicos beim
Publikum hatte - er durfte bei ihm eine Erlebnisdisposition voraussetzen -,
ermutigte ihn, diesen Schaffensbereich zu pflegen 197. Den Gebildeten unter
den Zuschauern war - bei aller Anerkennung von Entsprechungen - die
grundsätzliche Unvereinbarkeit von Offenbarung und Mythos gegenwärtig.
Den Nichtgebildeten wurde durch Titel (Auto Sacramental), Vorspiel und
die von Anfang an agierenden Figuren christlicher Provenienz die Intention
des Autors eingeprägt.
Der Hinweis auf die von allen Zuschauern begehrte Anschauungsfülle des
auto sacramental mitol6gico leitet uns zu einem neuen Abschnitt der Zusam-
menfassung dieser Untersuchung hin. Richtet man das Augenmerk mehr auf
Formales, so sind - wenn man wiederum das Werk Ovids und nicht nur die
Mythographen zum Vergleich heranzieht - manche Unterschiede (z. T. schon
aus den Genera herzuleiten), aber doch auch Gemeinsamkeiten festzustellen.

193 Vgl. den Text zu Anm. 33, 73, 86, 127.


194 Vgl. den Text zu Anm. 77 und E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen,
II. Teil: Das mythische Denken, Oxford 1958.
195 Vgl. den Text zu Anm. 168.
196 XIII, 12.
197 Man vgl. auch die von Hilborn l.c. (für autos mitol6gicos) angegebenen Daten: Psiquis
y Cupido (Toledo) (1640) - Los encantos de la culpa (1649) - EI sacro Parnaso
(1659) - EI laberinto de! mundo (c. 1660) - EI divino Orfeo (1663) - Psiquis y
Cupido (Madrid) (1665) - EI verdadero Dios Pan (1670) - Andr6meda y Perseo
(1680).
Antiker Mythos in christlicher Umprägung 95

Zu letzteren darf man die soeben erwähnte Anschauungsfülle - beide Dichter


wollen Unsichtbares vor Augen führen - und die Formvollendung zählen,
welche sowohl den römischen (ich erinnere an Herders Urteil in Goethes
Dichtung und Wahrheit 198) wie den spanischen Dichter als manierierten
Autor erscheinen ließ. Doch sind dem Drama Calder6ns darüber hinaus
Eigenschaften inhärent, die in ihrer Gesamtheit sich so nur bei ihm finden.
Einheit in der Mannigfaltigkeit oder - besser noch - Einheit bei vor Cal-
der6n in der spanischen Literatur ungekannter Mannigfaltigkeit scheint mir
die Polarität zu sein, in der sich seine Kunst, auch seine Kunst der Umprä-
gung am besten fassen läßt.
Der die Handlung des Dramas Andromeda y Perseo umklammernde eine
große Gedanke ist die sichtbar gemachte Realisierung der Erlösung, die Ver-
klammerung von peccatum originale und redemptio. In dem von Calder6n
ersonnenen und dann in strenger Bauart durchgeführten dramatischen Ablauf
des Geschehens arbeitet er mit den der Theaterkunst von jeher gegebenen
Möglichkeiten, wie wir sie bei den Einzelfakten der Umprägung erwähnten:
Spannung, Umschwung, entscheidende Bedeutung des Schlusses. Aber nicht
diese aller echten dramatischen Kunst eigenen Werte geben dem calderoni-
anischen Schauspiel seinen unverkennbaren Stempel. Auch nicht das für ihn
und sein auto sacramental so charakteristische Leiten der allegorischen Ge-
stalten nach seinen psychologischen Einsichten möchte ich hier in die Waag-
schale werfen. Durch eine andere Fähigkeit ragt Calder6n über wohl alle
Autoren der spanischen Literatur hinaus. Er, in dessen Werk die Edelsteine
einen so bedeutsamen Platz einnehmen, ist ein Meister der Mosaikkunst.
Diese Mosaikkunst, die sich z. B. in der Verflechtung von gelehrter und
volkstümlicher Dichtung, in der Häufung von leicht oder schwer verständ-
lichen Anspielungen, in immer wieder erneutem Systematisieren der Aussa-
gen über Gestalten, in der Wiederaufnahme von Zuschauern und Lesern
schon bekannten Formulierungen zeigt, erreicht in den autos mitologicos in-
sofern einen Höhepunkt, als hier auch christliche und antike Mosaiksteine so
zusammengefügt sind, daß der im Vorspiel ins Licht gerückte Plan verwirk-
licht wird. Wie oft konnten wir bei unserer Einzelanalyse farbigen "Kon-
trast" (um in der Sprache der Mosaiktechnik zu bleiben) zwischen Bestand·
teilen antiker und christlicher Herkunft feststellen. Immer aber sind die
assoziativen Kompositionen Calder6ns von einer sie zusammenschmelzenden
Grundidee überwölbt. Einheit in der Mannigfaltigkeit! Eine der Leistungen
des Verfassers von Andromeda y Perseo besteht darin, daß seine mytholo-
gischen Bühnenstücke bei aller Erudition aus antiker und christlicher Quelle

198 11. Teil, Zehntes Buch. (Vgl. Hamburl!:er Ausgabe Bd. 9, S. 413).
96 Hans Flasche

- und die s e Erudition trennt seine Umprägung noch beträchtlicher von


der Verarbeitung des in Rede stehenden Mythos durch den so kenntnis-
reichen Ovid - ganz ausgewogene und formvollendete Gebilde sind.
Gewiß, die Worte Jean Seznecs in seinem Buch La survivance des dieux
antiques über das Schicksal der Mythologie im 17. Jahrhundert gelten auch
für einen Calder6n: "De plus en plus erudite et de moins en moins vivante,
de moins en moins sentie et de plus en plus raisonnee, teIle est desormais,
semble-t-il, son evolution fatale. C'est que desormais le monde antique est
irrevocablement detache du n8tre: il est devenu comme une ile enchan-
tee ... " 199 Aber diese Ferne des Mythos verliert für den spanischen Autor
ihre Bedeutung, denn die den Mythos kennzeichnenden Eigenschaften sind
in dem Geschehen eingeholt, dem er den Mythos dienstbar macht. Er tut es,
wie der Leser sah, auf einzigartig tiefsinnige und kunstvolle Weise. Wenn
irgendwo im Verlauf seines dramatischen Schaffens, so dürfen wir im Hin-
blick auf die autos sacramentales mitol6gicos mit Ernst Robert Curtius sagen,
daß Calder6ns Genius eine "strahlende Bahn" durchlaufen hat 200.

Hamburg, im März 1966

199 London 1940, p. 289 ... 290.


200 A.a.O. S. 151.
VERÖFFENTLICHUNGEN
DER ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

Neuerscheinungen 1965 bis 1968

AGF-G GEISTESWISSENSCHAFTEN
HeftNr.
101 Ivor Jenningst, Die Umwandlung von Geschichte in Gesetz
Cambridge (England)
120 Eleamr von Erdberg-Conslen, Kunst und Religion in Indien, China und Japan
Aachen
122 Franz Wieacker, Göllingen Zum heutigen Stand der Naturrechtsdiskussion
123 Bernhard KÖlling, Münsler Der frühchristliche Reliquienkult und die Bestattung im
Kirchengebäude
124 Günlher Slökl, Köln Das Bild des Abendlandes in den altrussischen Chroniken
125 Joseph HöjJner, Münsler Selbstverständnis und Perspektiven
des Z weiten Vatikanischen Konzils
126 JOSI Trier, Münsler Wortgeschichten aus alten Gemeinden
127 Herberl Dieckmann, Die künstlerische Form des Reve de D'Alembert
Cambridge (USA)
128 Hans Wetzei, Bonn An den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung
129 Paill Mikat, Dümltlorl Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-
Westfalen in Geschichte und Gegenwart
130 Ernsl LanglolZ, Bonn Die kulturelle und künstlerische Hellenisierung der Küsten
des Mittelmeers durch die Stadt Phokaia
131 Harry Wesl,rmann, Münsler Das Verhältnis zwischen Bergbau und öffentlichen Verkehrs-
anstalten als Gegenstand richterlicher und gesetzgeberischer
Bewertung
132 Werntr Schulemann, Bonn Die Kunst Zentralasiens als Ausdrucksform religiösen Denkens
Wallher Heissig, Bonn Tibet und die Mongolei als literarische Provinzen
133 Til,mann Grimm, Bochum China und Südostasien in Geschichte und Gegenwart
134 Peter Berghaus und Anglo-friesische Runensolidi im Lichte des Neufundes von
Karl Schneider, Münsler Schweindorf (Ostfriesland)
135 Benno von Wiese, Bonn Goethe und Schiller im wechselseitigen Vor-Urteil
136 Gollhard Günther, Logik, Zeit, Emanation und Evolution
University olIl/inoi! (USA)
137 Kar! Heinrich RengslorJ, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichnis-
Miinsler erzählung Jesu Luk. 15,11-32
138 Gerhard Gloege, Bonn Die Todesstrafe als theologisches Problem
139 Joseph Ratzinger, Tübingen Das Problem der Dogmengeschichte in der Sicht der katho-
lischen Theologie
140 Herberlvon Einem, Bonn Masaccios "Zinsgroschen"
141 Karl Gustav Feilerer, Köln Klang und Struktur in der abendländischen Musik
142 Job. Leo Weisgerber, Bonn Die Sprachgemeinschaft als Gegenstand sprachwissenschaftlicher
Forschung
143 Wi/helm Ebe!, Göttingen Lübisches Recht im Ostseeraum
144 Albrecht Dihle, Köln Der Kanon der zwei Tugenden
145 Heinz- Dietrich Wendlanti, Die Ökumenische Bewegung und das H. Vatikanische Konzil
Münster
146 Hubert Jedin, Bonn Vaticanum H und Tridentinum
147 Helmut Sche/sky, Münster Schwerpunktbildung der Forschung in einem Lande
Ludwig E. Feinendegen, Jülich Forschungszusammenarbeit benachbarter Disziplinen am Beispiel
der Lebenswissenschaften in ihrem Zusammenhang mit dem Atom-
gebiet
148 Herbl!f't von Einem, Bonn Die Tragödie der Karlsfresken Alfred Rethels
150 Hans Flasche, Hamburg Die Struktur des Auto Sacramental "Los Encantos de la Culpa"
von Calderon
Antiker Mythos in christlicher Umprägung
AGF-WA WISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN
BondNr.

Wolfgang Priesler, Radiobeobachtungen des ersten künstlichen Erdsatelliten


Hans-Gerhard Bennewitz lind
Peler Lengrüßer, Bonn
2 Joh. Leo Weisgerber, Bann Verschiebungen in der sprachlichen Einschätzung von Men-
schen und Sachen
3 Brich Meulhen, Marburg Die letzten Jahre des Nikolaus von Kues
4 Hans-Georg Kirchhoj[, Die staatliche Sozialpolitik im Ruhrbergbau 1871-1914
Rommerskirchen
5 Günlber Jachmann, Köln Der homerische Schiffskatalog und die Dias
6 Peler Harlmann, Miinsler Das Wort als Name (Struktur, Konstitution und Leistung der
benennenden Bestimmung)
7 Anton Moortgal, Berlin Archäologische Forschungen der Max-Freiberr-von-Oppen-
heim-Stiftung im nördlichen Mesopotamien 1956
8 Wolfgang Priesler lind Bahnbestimmung von Erdsatelliten aus Doppler-Effekt
Gerhard Hergenhahn, Bann Messungen
9 Harry Weslermann, Münster Welche gesetzlichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur
Verbesserung des Nachharrechts sind erforderlich?
10 Hermann Conrad und Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez
Gerd Kleinheyer, Bann (1746-1798)
11 Georg Schreiber t, Miinsler Die Wochentage im Erlebnis der Ostkirche und des christlichen
Abendlandes
12 Günther Bandmann, Bann Melancholie und Musik. Ikonographische Studien
13 Wilhelm Goerdl, Münster Fragen der Philosophie. Ein Materialbeitrag zur Erforschung
der Sowjetphilosophie im Spiegel der Zeitschrift "Voprosy
Filosofii" 1947-1956
14 Anion Moorigai, Berlin Tell Chuera in Nordost-Syrien. Vorläufiger Bericht über die
Grabung 1958
15 Gerd Dicke, Krefeld Der Identitätsgedanke bei Feuerbach und Mau
16a Helmllt Gipper, Bonn, lind Bibliographisches Handbuch zur Sprachinhaltsforschung, Teil I.
Hans Schwarz, Münster Schrifttum zur Sprachinhaltsforschung in alphabetischer Folge
nach Verfassern - mit Besprechungen und Inhaltshinweisen
(Erscheint in Lieferungen: bisher Bd. I, Lfg. 1-7; Lfg.8-10)
17 Thea Bllyken, Bonn Das römische Recht in den Constitutionen von Mclfi
18 Lu B. Farr, Brookha.en, Nuklearmedizin in der Klinik. Symposion in Köln und Jülich
Hligo Wilhe1m Knipping,Köln, lind unter besonderer Berücksichtigung der Krebs- und Kreislauf-
William H.üwü, New York krankheiten
19 Hans Schwipperl ,Düsse/dorj, Das Karl-Arnold-Haus. Haus der Wissenschaften der Arbeits-
Volker Aschoj[, Aacben, 11. a. gemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen
in Düsseldorf. Planungs- und Bauberichte (Herausgegeben von
Leo Brandt, Düsseldorf)
20 Tbeodor Schieder, Köln Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat
21 Georg Schreiber t. Miinster Der Bergbau in Geschichte, Ethos und Sakralkultur
22 Max Braubach, Bonn Die Geheimdiplomatie des Prinzen Eugen von Savoyen
23 Waller F. Schirmer, Bonn, und Studien zum literarischen Patronat im England des 12. Jahr-
Vlrich Broich, Göttingen hunderts
24 Anion Moorigai, Berlin Tell Chuera in Nordost-Syrien. Vorläufiger Bericht über die
dritte Grabungskampagne 1960
25 Margarele Newels, Bonn Poetica de Aristoteles traducida de latin. llustrada y comentada
por Juan Pablo Martir Rizo (erste kritische Ausgabe des
spanischen Textes)
26 Vilho Niilemaa, Tllrkll, Finnland - gestern und heute
Pentti Ren.all, Helsinki,
Brich Kunze, Helsinki. und
Oscar Nikllla, Abo
27 AhtUller von Brandt, Heitklherg, Die Deutsche Hanse als Mittler zwischen Ost und West
PatliJohansen, Hamburg,
Hansvan Werveke, Gent,
Kjell Kumlien, Stockho/m,
Hermann Kelknbenz, Köln
28 Hermann Conratl, Gerd K/einheyer, Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias.
Thea Buyken und Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur-
Martin Herold, Bonn und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lebnrecht
29 Brich Dink/er, Heide/berg Das Apsismosaik von S. Apo11inare in Classe
30 Walther Hubatsch, Bonn, Deutsche Universitäten und Hochschulen im Osten
Bernhard StlZSie1llski, Bonn,
Reinhard Willram, Göttingen,
Llll/1IIig Petry, Mainz, und
Brich Keyser, Marburg (Lahn)
31 Anton Moorigai, Berlin Tell Cbuen in Nordost-Syrien. Bericht über die vierte Gra-
bungskampagne 1963
32 A/brechl Dible, Köln Umstrittene Daten. Untersuchungen zum Auftreten der Grie-
chen am Roten Meer
33 Heinrich Behnke und Festschrift zur Gedächtnisfeier für Kar! Weierstraß 1815-1965
Klau! Kopfermann (Hrlgb.),
Miinster
34 Joh. uo Weilgerber, Bonn Die Namen der Ubier
35 0110 Sandrock, Bonn Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und inter-
nationalen Schuldvertragsrecht. Metbodologische Untersu-
chungen zur Rechtsqudlen1ehre im Schuldverttagsrecht
36 Inlin Gundermann, Bonn Untersuchungen zum Gebetbücblein der Herzogin Dorotbea
von Preußen
37 U/rich Bitewardl, Bonn Die wdtliche Gerichtsbarkeit der Offizialate in Köln, Bonn
und Wer! im 18. Jahrhundert
38 Max Braubach, Bonn Bonner Professoren und Studenten in den Revolutionsjahren
1848/49

Sonderreihe
PAPYROLOGICA COLONIENSIA

Vol.I Der Psalmenkommentar von Tura, Quaternio IX


AloYI Kehl, Köln (Pap. Colon. Theo1.1)
Vol.III
Siephanie Wetl, Oxford The Ptolemaic Papyri of Homer

SONDERVERÖFFENTLICHUNGEN

Herausgeber: Der Ministerpräsident


des Landes Nordrhein-Westfalen Jahrbuch 1963, 1964, 1965, 1966 und 1967
- Landesamt für Forschung - des Landesamtes für Forschung

Verzeichnisse sämdicher Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft


für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen können beim
Westdeutschen Verlag GmbH, 567 Opladen, Ophovener Str. 1-3, angefordert werden.

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