Forum Anthroposophie
Hans-Jürgen Bracker
Die Literatur über Pioniere der Anthroposophie nem Bruder – auch ein geistiges Erlebnis: »Eine
ist kaum übersehbar: Biografien und Memoiren erste Ahnung von dem helfenden Leben der To-
füllen diverse, auch virtuelle Regalmeter – aber ten«. (S. 36) Die elf Monate währende Kriegsge-
es gibt noch Lücken, d.h. Lebensläufe, über die fangenschaft bringt dann dem 21-jährigen Rath
man außer in verstreuten Nachrufen in alten durch einen Mitgefangenen die Begegnung mit
Zeitschriftenjahrgängen oder Erwähnungen in der Anthroposophie. Rath studiert im Gefange-
den Memoiren anderer wenig oder fast nichts nenlager Rudolf Steiners Schriften ›Die Schwel-
findet. Eine dieser Lücken betrifft Wilhelm Rath le der geistigen Welt‹ sowie ›Die Geheimwissen-
(1897–1973), dessen Name heute nicht mehr schaft im Umriß‹ – und wird Meditant.
vielen Anthroposophen geläufig sein dürfte. Raths selten einfache Lebens- und Schicksals-
Aufgrund der jahrelangen gründlichen Recher- wege zeichnet Schmidt in 13 Kapiteln nach. Sie
chen Benjamin Schmidts, der viele Nachlässe führen den Leser zugleich oft durch schwie-
sichtete und unveröffentlichtes Quellenmateri- rige Phasen deutsch-mitteleuropäisch-jüdischer
al aufspürte, kann diese Lücke mit dem vorlie- wie auch anthroposophischer Geschichte. Von
genden Buch als geschlossen gelten. entscheidenden Begegnungen mit Rudolf Stei-
Der 1897 in Wilmersdorf (heute Berlin) gebo- ner lesen wir, von der anthroposophischen
rene Wilhelm Rath gehörte der Generation an, Studentenarbeit Anfang der 1920er Jahre in
die durch den Ersten Weltkrieg ihrer Jugend Berlin und vom Jugendimpuls, der 1922 zum
beraubt wurde. Noch 17-jährig meldete er sich ›Pädagogischen Jugendkurs‹ (GA 217) führte.
Ende 1914 nach dem Kriegsabitur freiwillig Dieses Jahr – Rath ist mittlerweile 25 Jahre
zum Waffendienst und durchlief seine Ausbil- alt – markiert den Beginn des zweiten Drittels
dung bei der Marine in Kiel. Im Frühjahr 1915 seines Lebens und bringt weitere Schicksals-
kam er für seinen ersten Kriegseinsatz ins bel- begegnungen, aus denen teilweise lebenslan-
gische Brügge. Der frühe Verlust naher Freunde ge Freundschaften erwachsen; vor allem aber
im selben Jahr, der Tod der Mutter Anfang 1918 bringt es die Begegnung mit seiner späteren
und des geliebten älteren Bruders Wolfgang im Frau Maria Spira, einer jungen Wiener Jüdin,
Sommer desselben Jahres, eine bald danach die zuvor in der zionistischen Jugendbewegung
durch Kampfgas erlittene Vergiftung und zu- um Siegfried Bernfeld aktiv gewesen war. Na-
letzt die Gefangennahme durch englische Trup-
pen einen Monat vor Kriegsende sind äußere * Benjamin Schmidt: ›Wilhelm Rath – Ein Wegberei-
Markierungen seiner Jugendbiografie. Daneben ter der Jugend‹, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart
tritt aber – bei der letzten Begegnung mit sei- 2018, 520 Seiten, 29 EUR
www.diedrei.org
Forum Anthroposophie 55
hezu 50 Jahre war Raths Lebensweg mit dem können einer kommenden, geistgetragenen Zi-
ihren verbunden, bis zu Marias Tod Anfang vilisation«. (S. 345) Rosa Spira hatte wie Marias
1972. Das kenntnisreich und mit Sympathie Schwester Hella und deren Ehemann ebenfalls
geschriebene Kapitel über Marias Jugend, Her- zur Anthroposophie gefunden und unterstützte
kunft und Umfeld sowie ihren Weg zur Anthro- die junge Familie, wo sie nur konnte. 1938 er-
posophie beleuchtet in berührender Weise das folgte der sogenannte »Anschluss« Österreichs
Wiener jüdische Leben vor und nach dem Ende an das nationalsozialistische Deutschland. Das
des Habsburger Kaiserreichs. Leben der österreichischen Juden war nicht
Man erfährt von Raths anthroposophi schen mehr sicher, erst recht nicht nach dem Beginn
Aktivitäten, seinen literarischen Arbeiten so- des Zweiten Weltkrieges 1939. Rath versuchte,
wie eigenen spirituellen Impulsen und Frage- seine Schwiegermutter vor der Deportation zu
stellungen, und schließlich vom Einfluss einer bewahren, was ihm aber trotz großen Einsatzes
gewissen Erna Benthien, einer okkult begabten nicht gelang. Nachdem sie ihr Haus verlassen
Person, zu der vor allem Maria seit ca. 1926/27 musste, lebte sie in einer Wiener Sammelun-
großes Vertrauen gefasst hatte. Diese aus Meck terkunft, bevor sie im Juni 1942 nach Theresi-
lenburg stammende Frau, in deren unmittel- enstadt deportiert wurde, wo sie zwei Monate
barer Nähe das Ehepaar Rath 1930/31 einige später im Alter von 71 Jahren starb. Maria je-
Monate lebte (in Urfahrn am Chiemsee, wo sie doch vermochte Rath im abgelegenen Lavanttal
auch 1928 geheiratet hatten), war Anthroposo- vor jeglichem Zugriff zu schützen.
phin, trat jedoch 1930 nach diversen Anschul- Es lohnt sich, im Einzelnen nachzulesen, welch
digungen gegen sie (vgl. S. 340) aus der Anthro- breit angelegte Wirksamkeit Rath im letzten
posophischen Gesellschaft aus. Rath folgte ihr. Drittel seines Lebens entfaltete. Nach dem Ende
Aber bald folgte auch die Lösung von Benthien, des Krieges beteiligte er sich am Wiederaufbau
nachdem diese sich 1933 zu den Zielen des Na- der anthroposophischen Arbeit in Österreich
tionalsozialismus bekannte und von einer Zu- und trat der Anthroposophischen Gesellschft
sammenarbeit mit dessen Führern sprach. (S. wieder bei. Neben dem Versuch einer Landwirt-
357) Diese größtenteils unbekannten Zusam- schaftsausbildung und zahlreichen Tagungen
menhänge und den Personenkreis um Benthien in Farrach sowie Vorträgen in ganz Österreich
erstmals ausführlich dargestellt zu haben, ist trat vermehrt auch wieder der Autor Wilhelm
ein besonderes Verdienst dieses Buches. Rath zutage: Er schrieb insbesondere Überset-
zungen aus dem Umkreis der Platoniker von
Chartres, aber auch zahlreiche Zeitschriftenbei-
Samen, Keime und der »Jugendkreis«
träge. Die Führung des Guts in wirtschaftlich
Vor der Benthien-Episode hatten Raths eine schwierigen Zeiten musste daneben auch noch
Zeitlang in Essen gelebt, wo Maria als Lehrerin bewältigt werden; schließlich übernahm in den
an der Waldorfschule wirkte, während Wilhelm 1960ern ein Sohn die Betriebsleitung.
sich in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets Die innere Mitte dieses Lebens aber bildete eine
im Aufbau der anthroposophischen Jugendar- vor der Öffentlichkeit lange verborgen gehal-
beit engagierte. Rath, der 1924 eher zufällig am tene Tatsache: die Bildung bzw. Begründung
Landwirtschaftlichen Kurs teilgenommen hatte, einer geistigen Gemeinschaft von zunächst
erwarb schließlich – nach der Geburt zweier zwölf Menschen im Oktober 1922, mit Rudolf
Söhne – 1935 mit finanzieller Unterstützung Steiners Hilfe, des sogenannten »Esoterischen
seiner Schwiegermutter Rosa Spira in Kärnten Jugendkreises«. Unter diesen zwölf Persönlich-
das Gut Farrach, auf dem er nun den landwirt- keiten sind bekannte Namen (Herbert Hahn,
schaftlichen und den Jugend-Impuls zugleich Ernst Lehrs, Wilhelm Rath), weniger bekannte
zur Entfaltung bringen wollte – mit dem Ziel, (René Maikowski, Albrecht Strohschein) und
»dass Pflegestätten eines neuen geistigen Le- unbekannte wie Maria Spira. Lehrs, Maikowski
bens auf dem Lande entstehen, die Keime sein und Hahn veröffentlichten in den 1960er und
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56 Forum Anthroposophie
70er Jahren Autobiografien, in denen aber die dessen unbekannten Lehrmeister, dem Gottes-
Stiftung des Jugendkreises keine Erwähnung freund vom Oberland. Am Ende von Schmidts
fand. 2012 erschien die deutsche Übersetzung Biografie klingen mit diesem Menschenkreis
der Biografie des holländischen Kreis-Mitgrün- verbundene karmische Aspekte an. Damit ist
ders und Rath-Freundes Daniel van Bemme- ein Ausblick geschaffen, an den sich 100 Jahre
len.1 Schmidt zitiert im 5. Kapitel, das dem Zu- nach Raths Begegnung mit der Anthroposophie
standekommen des Kreises gewidmet ist, aus Erwartungen und Hoffnungen knüpfen können
unveröffentlichen Texten, die bisher nur kreis- hinsichtlich der zahllos ausgestreuten Samen
intern zirkulierten, und bringt somit Licht in und Keime, die zu Lebzeiten dieses »Wegberei-
ein wichtiges, kaum zur Kenntnis genommenes ters der Jugend« nicht zur Entfaltung kamen.
Kapitel anthroposophischer Geschichte. Dem Buch von Benjamin Schmidt wünsche ich
50 Jahre lang lebte Rath mit den Inhalten des weite Verbreitung, besonders auch unter jün-
Kreises;2 die Mitgliederzahl wuchs durch per- geren Lesern. Es bleibt zum Schluss die Frage:
sönliche Kooptation nach und nach an. Die per- Warum gibt es keinen Namensindex?
sönliche Verbundenheit der Mitglieder reichte
in den ersten Jahrzehnten meist bis ins Private,
1 Frans Lutters: ›Daniel Johan van Bemmelen –
sodass von einem Freundesbund gesprochen
Wiedergeboren am Beginn des lichten Zeitalters‹,
werden mag. Der Anstoß für die Frage nach der Sammatz 2012.
Gründung einer solchen Meditationsgemein- 2 Diese Inhalte wurden veröffentlicht in Rudolf Stei-
schaft kam aus Raths Beschäftigung mit dem ner: ›Aus den Inhalten der esoterischen Stunden.
mittelalterlichen Prediger Johannes Tauler und Band III‹ (GA 266/III), Dornach 1998.
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