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17 Prophylaxen

17.2 Dekubitusprophylaxe
Definition Dekubitus
17.1 Kompetent pflegen Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere = sich nie-
derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder
Keine Prophylaxe ist wichtiger als die andere – der Kern der des darunterliegenden Gewebes, typischerweise über knöchernen
Prophylaxen ist jedoch immer die Bewegung, denn durch Vorsprüngen, infolge von erhöhter und/oder verlängerter Einwir-
Bewegung beginnt der Pflegeempfänger, wieder Kontakt kung von Druck in Verbindung mit Scherkräften (NPUAP, EPUAP &
zur Umwelt aufzunehmen, bewusst zu atmen, zu essen, zu PPPIA 2014, DNQP 2017b).
denken usw. Alle Prophylaxen zielen darauf ab, Krankheiten
vorzubeugen bzw. zu verhüten, bevor sie entstehen. Dafür
planen Pflegefachkräfte gezielt gemeinsam mit dem Pfle- 17.2.1 Makro- und
geempfänger Maßnahmen, die dem Erhalt und der Förde- Mikrobewegungen
rung der Gesundheit dienen.
In diesem Kapitel lernen Sie u. a., Definition Makro- und Mikrobewegungen
● welche verschiedenen Arten von Prophylaxen es gibt und ● Mikrobewegungen verringern den Druck und sind Körperbewe-
warum diese so wichtig sind. gungen, die der gesunde Mensch 12–40-mal pro Stunde durch-
● häufige Risikofaktoren und Ursachen für die Entstehung
führt, z. B. Kippen des Beckens, Aufstellen des Fußes, Abspreizen
einer Erkrankung bzw. eines Pflegephänomens kennen. des Arms. Der Mensch bleibt zwar sitzen, verlagert jedoch das Ge-
● was es für den Pflegeempfänger bedeutet, entsprechende
wicht z. B. von einer Gesäßhälfte auf die andere.
Einschränkungen zu erleben. ● Makrobewegungen dienen der vollständigen Druckentlastung
● wie Sie eine potenzielle Gefährdung bei einem Pflegeemp-
und sind komplette Körperpositionswechsel, die der gesunde
fänger erkennen und mittels eines geeigneten Assess- Mensch 4–8-mal pro Stunde durchführt, z. B. Aufstehen, Hinle-
mentinstruments erfassen können. gen, Drehen vom Rücken- in die Bauchlage. Hierzu zählen auch
● wie Sie prophylaktische Maßnahme gemeinsam mit dem
das Drehen und das ausschließliche Sitzen auf einer Gesäßhälfte,
Pflegeempfänger planen können und worauf Sie bei der sodass die andere entlastet wird.
Durchführung besonders achten müssen.
Wissenschaftlich wird zum Bewegungserhalt und zur -för-
derung nicht (mehr) zwischen Mikro- und Makrobewegun-
gen unterschieden (DNQP 2017b). Gleichwohl bleibt der
pflegefachliche Fokus bestehen, weil das individuelle Deku-
bitusrisiko zählt. Je weniger Eigenbewegungen ein Mensch
ausführt, desto höher ist sein Risiko für die Entstehung eines

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Kompetent pflegen ▶ S. 392

Dekubitusprophylaxe ▶ S. 392

Prophylaxe der Bettlägerigkeit ▶ S. 404

Intertrigoprophylaxe ▶ S. 407

Prophylaxe der Mangelernährung ▶ S. 408

Pneumonieprophylaxe ▶ S. 414

Thromboseprophylaxe ▶ S. 417

Kontrakturenprophylaxe ▶ S. 422

Harninkontinenzprophylaxe ▶ S. 425

Obstipationsprophylaxe ▶ S. 427

Das Kapitel vermittelt Soor- und Parotitisprophylaxe ▶ S. 431


Kompetenzen im
KB I (v.a. I.2 und I.3)
Deprivationsprophylaxe ▶ S. 434

Sturzprophylaxe ▶ S. 438

Dekubitus und desto größer ist sein Unterstützungsbedarf


bei der Mobilität.
17.2.2 Risikofaktoren und Ursachen
Hauptrisikofaktoren sind eine Beeinträchtigung der Mobili-
Definition Mobilität tät, eine Störung der Durchblutung und ein beeinträchtigter
Pflegefachkräfte schätzen die Mobilität von Pflegeempfängern ein, Hautzustand. Je stärker und häufiger zudem sog. Scherkräfte
um u. a. ein Dekubitusrisiko festzustellen (DNQP 2017b). Mobilität wirken bzw. je stärker und länger Druck auf Hautschichten
bezieht sich auf die Eigenbewegung eines Menschen. Er will sich stattfindet (von außen nach innen, z. B. harte Sitzunterlage,
fortbewegen oder seine Körperlage verändern (DNQP 2014). oder von innen nach außen, Knochenvorsprünge gegen
Hautschichten), desto eher entsteht ein Dekubitus.
Zentrale Fragen zur Mobilität sind (nach DNQP 2014):
Kann der Pflegeempfänger … ! Merke Scherkräfte
● sich von der Seite auf den Rücken drehen (oder umge- Scherkräfte entstehen durch eine Verschiebung verschiedener Haut-
kehrt) bzw. kann der Pflegeempfänger das Gesäß oder schichten gegeneinander. Dies geschieht häufig beim Versuch der
eine Schulter auch nur minimal versetzen? Bewegung, z. B. beim unsachgemäßen „Nach-oben-Ziehen“ des
● das Gesäß im Sitzen aktiv versetzen (hier ist kein Herun- Pflegeempfängers, beim Herunterrutschen im Bett oder Rollstuhl
terrutschen gemeint) oder eine Gesäßhälfte auch nur mi- oder in Seit- oder Rückenlage. Blutgefäße verdrillen sich und der
nimal anheben und nach vorn/hinten oder zur Seite ver- Stoffwechsel in den betroffenen Arealen wird gestört.
setzen?
● auf beiden Füßen stehen, kurzzeitig zum Umsetzen Stand Neben Druck und Scherkräften begünstigen weitere Fak-
übernehmen oder zumindest beim tiefen Transfer den toren die Dekubitusentstehung (DNQP 2017b) (▶ Abb. 17.1).
Oberkörper nach vorn bringen, um das Gesäß zu heben? Man unterscheidet:
● in Bezug auf die Mobilität seine Bedürfnisse mitteilen und ● personenbezogene Faktoren: z. B. Sensibilitäts- und Be-

verstehen (Hörgerät)? Nimmt er die Transfersituation wusstseinsstörungen, Beeinträchtigung der Mobilität (z. B.
wahr? Ist er bereit, beim Transfer oder Positionswechsel Immobilität, Schonhaltung), Störung der Durchblutung
mitzuhelfen → Adhärenz (S. 241)? (z. B. lokal: durch Immobilität; zentral: durch neurologi-
● Ist das für ihn geeignete Hilfsmittel (Rollator, Unterarm- sche Erkrankungen, Fieber oder länger andauernde Opera-
gehstützen) vorhanden, sind diese richtig eingestellt? tionen), beeinträchtigter Hautzustand bzw. bereits vor-
● Erfassen die Bezugspersonen die Notwendigkeit der Mobi- handener Dekubitus (z. B. altersbedingte Hautveränderun-
lisation und sind sie kognitiv und körperlich in der Lage, gen, traumatisierte oder mazerierte Haut), Unfähigkeit der
den Pflegeempfänger in der Mobilität zu unterstützen? Schmerz- und Bedürfnisäußerung (v. a. bei Kindern, Men-
● Nimmt der Pflegeempfänger Medikamente ein, die die Ei- schen mit Demenz), regressives und depressives Verhalten
genmobilität hemmen, gibt es Zu- und Ableitungen, die mit Gefahr der Deprivation (S. 434), niedriges Geburts-
bei der Mobilisation beachtet werden müssen? gewicht oder Körpergewicht (Kachexie, Adipositas)
● umgebungsbezogene Faktoren: z. B. knitterige Bettlaken,

Stöpsel, Fernbedienungen/Telefone im Bett oder Stuhl,


raue Unterlagen wie Frotteehandtücher bei Kindern, enge
Stühle, Matratzen mit zu hartem Druck gegen den Körper,

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17 Prophylaxen

Abb. 17.1 Dekubitusentstehung.

eingeschränkte Aktivität und Mobilität

personenbezogene Faktoren, z.B. Druck auf Gewebe


• Sensibilitäts- und führen zu
Bewusstseinsstörungen
• Schonhaltung Ischämie
• Immobilität
• Gewicht
gestörter Zellstoffwechsel
fördern

Sauerstoffmangel Gewebe- und Anhäufung


Nerven- saurer Stoff-
schädigungen wechselprodukte
umgebungsbezogene Faktoren, z.B.
• knittrige Bettlaken
• im Bett vergessene Azidose
Gegenstände und Materialien
• enge Stühle
• Matratzen mit zu hartem Druck Vasodilatation erhöhte Gefäß-
permeabilität

Flüssigkeitsverlust aus dem Intravasalraum

therapiebezogene Faktoren, z.B.


• Sonden, Drainagen Ödembildung Blasenbildung Gefäß-
• Katheter thrombosen
• Pflaster
• Medikamente (Sedativa)
Dekubitus

z. B. vereinzelt zu stark aufgeblasene Zellen von Wechsel- Dekubitus Kategorie I • Durch Druckeinwirkung auf die Haut
druckmatratzen kommt es zu einer Minderdurchblutung im Gewebe, wo-
● therapiebezogene Faktoren: z. B. Zu- oder Ableitungen von durch der Austausch zwischen den Kapillaren und dem um-
Drainagen, Infusionen/Perfusionen, Kathetern (bei Kin- liegenden Gewebe gestört wird (Ischämie). Sauerstoff und
dern insbesondere Trachealkanülen, Tuben, Sonden), Nährstoffe können nicht zugeführt und Kohlenstoffdioxid
Pflaster o. Ä. auf der Haut, Medikamente wie Sedativa sowie Abfallprodukte (Schlackenstoffe) nicht abtranspor-
tiert werden. Nerven- und Gewebszellen sterben ab, der Be-
Häufig lässt sich nicht eindeutig sagen, welche Faktoren ur- troffene verliert den Reiz, der ihn dazu animiert, sich umzu-
sächlich für die Dekubitusentstehung bei einem Pflegeemp- setzen bzw. sich zu drehen (Druck-Schmerz-Mechanismus).
fänger gewesen sind. Daher ist es wichtig, das individuelle Die Stoffwechselstörung führt zu einer Anhäufung von
Risiko für einen Dekubitus herauszufinden. Daraus lassen sauren Stoffwechselprodukten im Gewebe (Azidose). Um die
sich die richtigen Maßnahmen ableiten. Kinder haben ande- Minderdurchblutung auszugleichen, stellen sich die Gefäße
re Risikofaktoren als Erwachsene. Neugeborene, Säuglinge weit, v. a. die venösen Kapillaren (Vasodilatation). Es bildet
und Kleinkinder können Druck als solchen nicht lokal wahr- sich eine von außen sichtbare gerötete Stelle bei noch intak-
nehmen und genau mitteilen, wo es ihnen wehtut (DNQP ter Haut. Die Hautrötung ist nicht „wegdrückbar“ und bleibt
2017b). Ein erstes Anzeichen für eine mögliche Dekubitus- auch nach der Druckentlastung bestehen: positiver Finger-
entstehung, z. B. am Hinterkopf, ist die erhöhte Schmerz- test (S. 399). Ein Dekubitus Kategorie I ist entstanden. Bei
empfindlichkeit beim Berühren des Kopfes. dunkel pigmentierter Haut ist die Farbveränderung undeut-
licher und schwieriger zu klassifizieren. Hier sind zusätzli-
che Faktoren zu prüfen wie Schmerzen, Hauttemperatur
17.2.3 Einteilung in Kategorien (Kälte/Wärme), Konsistenz der Haut (Härte/Weiche) (DNQP
Der Schweregrad eines Dekubitus richtet sich nach seiner 2017b).
Ausdehnung in die Tiefe des Gewebes. Nach EPUAP werden
4 Kategorien unterschieden (▶ Abb. 17.2). Zudem gibt es 2 Dekubitus Kategorie II • Durch die Anhäufung der sauren
weitere Kategorien, die keiner Klassifikation zugeordnet Stoffwechselprodukte im Gewebe wird die Durchlässigkeit
werden. der Gefäßmembran (Gefäßpermeabilität) erhöht und Flüs-

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Dekubitusprophylaxe

Abb. 17.2 Dekubituskategorien.

Rötung
Kategorie I
Epidemis
• umschriebene, persistierende Rötung
Dermis
• kein Hautdefekt
Subkutis
Muskulatur
Knochen
Kategorie II
• Schädigung von Epidermis und Dermis
• ggf. Blasenbildung
• nässender, oberflächlicher Hautdefekt

Kategorie III
• Schädigung von Epidermis, Dermis
und Subkutis
• Nekrosenbildung
• ggf. Ausbildung von Wundtaschen

Kategorie IV
• wie Kategorie III
• zusätzlich Schädigung von Muskeln,
Sehnen und Knochen
• ggf. septische Komplikationen

Fotos: PAUL HARTMANN AG

sigkeit wird aus dem Blut in das Gewebe abgegeben (um die Scherkräfte geschädigtem darunterliegendem Weichgewe-
Konzentration auszugleichen). An der betroffenen Stelle bil- be. Es kann auch eine dünne Blase auf dunklem Wundbett
den sich Ödeme und Blasen, die Kapillaren werden dadurch entstehen. Dem voraus war der betreffende Gewebsbereich
zusätzlich komprimiert und geschädigt (Gefäßthrombosen). fest, breiig oder matschig fühlbar, mit Schmerzen und verän-
Die Schädigung beschränkt sich auf Dermis und Lederhaut. derter Temperatur (Kälte/Wärme) (DNQP 2017b).
Neben dem geschlossenen Dekubitus mit einer serumgefüll-
ten Blase kann es sich auch um ein flaches, offenes Ulcus
(Geschwür) mit einem roten oder rosafarbenen Wundbett 17.2.4 Dekubitusgefährdete
ohne Beläge oder eine rupturierte Blase handeln. Dies kenn- Körperstellen
zeichnet den Dekubitus Kategorie II (DNQP 2017b).
Das menschliche Unterhautfettgewebe (Subkutis) schützt
Dekubitus Kategorie III und IV • Beim Dekubitus der 3. Kate- vor Stößen und Drücken. Manche Körperstellen haben ge-
gorie besteht ein vollständiger Hautverlust. Subkutanes Fett ringe schützende Schichten und sind deshalb prädestinierte
liegt offen. Beläge sind vorhanden. Taschen und Unterminie- Orte für Dekubitalgeschwüre, sog. Prädilektionsstellen
rungen können vorliegen. Die Tiefe ist je nach Lokalisation, (▶ Abb. 17.3). Sie befinden sich bei Erwachsenen und älteren
Alter und Körpergewicht verschieden; es sind aber keine Menschen vor allem über Knochenvorsprüngen bzw. mit
Muskeln, Sehnen oder Bänder offen sichtbar. Beim Dekubi- dünner Unterhautschicht wie Ferse, Kreuzbein, Sitzbein,
tus der 4. Kategorie ist der Gewebeverlust vollständig, mit Knöchel, Trochanter. Bei kranken oder in ihrer Mobilität ein-
freiliegenden Knochen, Sehnen oder Muskeln. Beläge und geschränkten Kindern kann es v. a. am Hinterkopf oder bei
Schorf sind erkennbar, ebenso Taschen und Unterminierun- nasal liegenden Sonden zu Druckstellen kommen. Früh- und
gen (DNQP 2017b). Neugeborene können bereits einen Dekubitus erleiden, z. B.
wenn ihnen Elektroden auf die Haut geklebt werden (DNQP
Tiefe unbekannt (ohne Kategorie) • Es besteht ein vollständi- 2017b).
ger Gewebeverlust mit gelben, hellbraunen, grauen, grünen
und braunen Belägen auf der Basis. Durch diese lässt sich die
Tiefe nicht genau feststellen. Dazu gehört auch der stabile
Schorf (trocken, festhaftend) an den Fersen, der als „biologi-
scher Schutz“ haften bleiben sollte (DNQP 2017b).

Tiefe unbekannt (vermutete tiefe Gewebsschädigung) • Es exis-


tiert lokal eine livide oder rötlich braune verfärbte, intakte
Haut oder blutgefüllte Blase mit durch Druck und/oder

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17 Prophylaxen

Abb. 17.3 Prädilektionsstellen für einen Dekubitus bei Menschen jeden Alters.

Hinterhaupt- Stirn Jochbein


knochen Jochbein Ohrmuschel

Schulter- Schulter- Schultergelenke Hinterhaupt


blätter gelenke
Brust- Rippen
Schulterblatt
bein
Ellenbogen
Dornfortsätze Ellen- Dornfortsätze
bogen großer
Ellenbogen
Darmbein- Rollhügel
Kreuzbein stachel
Knie- Kniegelenk
Sitzbeinhöcker
scheibe
Wadenbein

seitliche
Fersen Fußspitzen Fersen
Knöchel
a Rückenlage b Bauchlage c 90°-Seitenlage d im Sitzen

17.2.5 Häufigkeit und


WISSEN TO GO Auswirkungen
Dekubitus sind in der Gesellschaft angekommen. Der Bedarf
Dekubitus – Grundlagen an speziellen Pflegebetten, Material zur Dekubitusversor-
Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der gung und Inkontinenzhilfsmitteln steigt zunehmend. Schät-
Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, insbeson- zungen zufolge wird ausgehend vom Jahr 2007 die Nachfra-
dere an Knochenvorsprüngen, verursacht durch zu lange ge nach entsprechenden Hilfsmitteln bis zum Jahr 2050 um
und/oder zu starke Einwirkung von Druck oder Scherkräf- 78 % ansteigen (Spectaris 2012). Bereits allein eine Kranken-
ten (NPUAP, EPUAP & PPPIA 2014). kasse hat 2016 circa 11,65 Mio. Euro für Hilfsmittel gegen
Dekubitus ausgegeben (BARMER 2018). Von den 2013
Risikofaktoren knapp 1,86 Mio. ambulant versorgten Pflegebedürftigen
● Hauptrisikofaktoren sind Beeinträchtigung der Mobilität,
hatten 3,2 % einen Dekubitus. Im stationären Pflegebereich
Störung der Durchblutung und beeinträchtigter Haut- waren es im selben Jahr 3,8 % der 764 000 Pflegeempfänger
zustand. (Statistisches Bundesamt 2017c, MDS 2014a, MDS 2014b).
● Weitere Risikofaktoren sind personen-, umgebungs- und

therapiebezogene wie Sensibilitätsstörungen, kognitive


und kommunikative Unfähigkeiten, harte Unterlagen
oder Matratzen mit zu hartem Druck gegen den Körper, Beispiel Ein Teufelskreis
z. B. vereinzelt zu stark aufgeblasene Zellen von Wechsel-
druckmatratzen. Kinder haben wegen ihrer unreifen Frau K. ist 95 Jahre alt und war bis jetzt in der Lage, sich selbst
Haut andere Risikofaktoren als Erwachsene, z. B. Sonden zu versorgen – mit etwas Unterstützung. Dann erlitt sie einen
und Drainagen oder Elektroden. Schlaganfall, der Klinikaufenthalt dauerte einen Monat. Nach ihrer
Entlassung hat sie einen Dekubitus am Steißbein und unterhalb
Dekubituskategorien
des Knies. Wegen der Wundschmerzen kann Frau K. ihren ge-
● Kategorie I: von außen sichtbare gerötete Stelle bei
wohnten Alltag nicht mehr aufnehmen. Weitere Dekubitalulzera
noch intakter Haut, Hautrötung ist nicht „wegdrückbar“
treten auf. Sie muss wieder in die Klinik, die Dekubitalgeschwüre
● Kategorie II: Schädigung der Epidermis und von Antei-
müssen operativ versorgt werden – Frau K. muss wegen der zer-
len der Dermis, flaches, offenes Ulkus
störten knöchernen Strukturen ein Bein amputiert werden. Frau
● Kategorie III: Schädigung aller Hautschichten
K. ist mittlerweile vollständig immobil und bettlägerig.
● Kategorie IV: kompletter Gewebsverlust, Sehnen, Bän-

der und Knochen liegen frei


● Tiefe unbekannt (ohne Kategorie): vollständiger Ge-
Traurige Zahlen: Für den Krankenhausbereich stieg die An-
websverlust mit gelb bis braun verfärbten Belägen am zahl der erwachsenen Menschen mit einer Primärdiagnose
Wundgrund „Dekubitus“ von 2005 bis 2011 um 26,5 % auf 12 581 Pfle-
● Tiefe unbekannt (vermutete tiefe Gewebsschädi-
geempfänger. Für die Zusatzdiagnose „Dekubitus“ wuchs die
gung): auf geschädigtem Weichgewebe befindet sich Zahl um 71,8 % auf 412 029 Menschen mit besonderem An-
dunkel verfärbte Hautstelle mit geschlossener Blase stieg der Dekubitus Kategorie II (Heinhold et al. 2014). Bei
Dekubitusgefährdete Stellen Kindern sind 2–35 % von mindestens einem Dekubitus be-
Prädilektionsstellen befinden sich vor allem über Knochen- troffen. Besonders auf pädiatrischen Intensivstationen tre-
vorsprüngen und dünner Haut. Bei Erwachsenen vorwie- ten Dekubitus vermehrt auf (Kottner et al. 2010; Schlüer et
gend an Steißbein und Ferse, bei Kindern Hinterkopf und al. 2012). Die Behandlung eines im Krankenhaus entstande-
Naseninnenbereich (▶ Abb. 17.3). nen Dekubitus kostet zwischen 28 450 und 64 010 Euro. Das
sind bis zu 9-mal höhere Behandlungskosten als die Behand-

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Dekubitusprophylaxe

lung eines bereits bestehenden, „mitgebrachten“ Dekubitus Dokumentation • Anschließend wird das Ergebnis der Ein-
(Chan et al. 2013). Zusätzlich verlängert sich die Verweil- schätzung bewertet und dokumentiert. Aus der Dokumenta-
dauer im Krankenhaus um durchschnittlich 10 Tage (Thei- tion muss klar ersichtlich sein, welche Risikofaktoren identi-
sen et al. 2012). Jeder fünfte Pflegeempfänger wird mit fiziert wurden und warum. Die Dokumentation muss allen
einem Dekubitus aus dem Krankenhaus in den stationären an der Pflege und Versorgung beteiligten Personen zugäng-
Bereich entlassen (Nowack 2011). lich sein. Jede Einrichtung hat ein eigenes Vorgehen, hat sich
z. B. für ein bestimmtes Assessmentinstrument entschieden
und/oder hat definierte Zeiträume, in denen Pflegefachkräf-
17.2.6 Dekubitusrisiko erkennen/ te das Dekubitusrisiko einschätzen sollen.
einschätzen
Zeitpunkt • Bei allen Pflegeempfängern oder Bewohnern Assessmentinstrumente zur
wird das individuelle Dekubitusrisiko systematisch einge- Risikoeinschätzung
schätzt
Für Kinder und Erwachsene existieren derzeit keine stan-
● bei der Aufnahme mit initialem, anschließend ggf. mit
dardisierten Instrumente zur Einschätzung des Dekubitusri-
einem weiterführenden, differenzierten Assessment,
sikos (Skalen), durch deren Nutzung Vorteile für die Pfle-
● nach dem individuellen Dekubitusrisiko entsprechenden
geempfänger entstehen. Dies gilt derzeit als wissenschaft-
Zeitabständen und
lich belegt (DNQP 2017b). Die Pflegefachkraft muss ihre Ein-
● bei jeder Veränderung der Mobilität, Durchblutung oder
schätzung klinisch vornehmen, d. h. auf der Basis ihres Fach-
des Hautzustands, z. B. Feuchtigkeit durch Fieber oder bei
wissens. Sie kann eine standardisierte Skala hinzuziehen.
veränderten personenbezogenen Faktoren wie erhöhter
Hierfür wird jedoch für Kinder und Erwachsene keine expli-
Müdigkeit oder umgebungs- und therapiebedingten Fak-
zit empfohlen (DNQP 2017b). Beim Einsatz eines Assess-
toren, z. B. Anlage oder Entfernung von Schienen, Kathe-
mentinstruments muss die Pflegefachkraft prüfen, ob die
tern, Sonden.
Skala zum Pflegeempfänger (Frühgeborenes, Schulkind, adi-

! Merke Initiales und differenziertes Assessment pöse Erwachsene, geriatrischer Pflegeempfänger) passt und
welche Dekubitusrisikofaktoren über die standardisierte Er-
● Initiales Assessment bedeutet, dass der Pflegeempfänger neu in fassung hinaus beobachtet oder erfragt werden müssen. Für
den Pflegeprozess eintritt. Die Pflegefachkraft prüft auf mögliche Erwachsene wird am häufigsten die gute Vorhersagekraft
Druck- und Scherkräfte und inspiziert die Haut des Pflegeempfän- der Braden-Skala beschrieben (Petzold et al. 2014; Jin et al.
gers. Die Inspektion erstreckt sich über die gesamte Körperoberflä- 2015; Park et al. 2015), die aber nicht für alle Erwachsenen-
che des Pflegeempfängers (DNQP 2017b), insbesondere über die gruppen gilt (DNQP 2017b). Für Kinder zeigt die Braden-Q-
Prädilektionsstellen. Die Pflegefachkraft prüft auch Besonderhei- Skala eine gute Vorhersagekraft und hat sich in der Praxis
ten wie Deformitäten, z. B. Kyphosen und Kontrakturen, auf mög- bewährt (Garcia-Fernandez et al. 2011; Ebling 2016).
liche Druckstellen.
● Differenziertes Assessment schließt sich an, wenn das initiale Empfehlung • Die Kriterien standardisierter Skalen lassen
Assessment Risikokriterien bejaht. Die Pflegefachkraft muss nun sich erst einigermaßen sicher beantworten, wenn der Pfle-
alle weiteren, individuellen Dekubitusrisikofaktoren herausfinden. geempfänger über 24 Stunden beobachtet wurde. Es emp-
fiehlt sich deshalb, den Hauptrisikofaktor „eingeschränkte
Klinische Risikoeinschätzung • Klinische Risikoeinschätzung Mobilität“ bereits bei der Pflegeanamnese einzuschätzen
bedeutet, dass die Pflegefachkraft unabhängig vom jeweili- und mit ersten Maßnahmen zu beginnen, z. B. bei bewusst-
gen Setting, in dem sich der Pflegeempfänger befindet (egal losen Pflegeempfängern ein spezielles Matratzensystem an-
ob im Krankenhaus, in stationären Pflegeeinrichtung der zufordern. Bei Kindern steht aufgrund der hohen Vulnerabi-
ambulanten Pflege etc.), den Pflegeempfänger zu seinen Ri- lität ihrer unreifen Haut die Verwendung notwendiger Son-
sikofaktoren systematisch befragt und untersucht, z. B. mit den und Drainagen im Fokus (▶ Abb. 17.4). Hier sollte sofort
dem Fingertest (S. 399), bzw. beobachtet (siehe auch: initia- mit geeignetem Material abgepolstert werden, ohne viel
les und differenziertes Assessment). Dazu nutzt sie ihr Fach- Haut zu verkleben. Skalen spielen dabei eine nachgeordnete
wissen und holt Informationen beim Pflegeempfänger, bei
seinen Bezugspersonen und anderen beteiligten Berufsgrup- Abb. 17.4 Regelmäßiger Sensorwechsel.
pen ein. Als besonders praktikabel erscheint das zweistufige
Vorgehen nach Coleman et al. (2014):
1. Immobilität und Dekubitusstatus prüfen
2. Bei Vorliegen von Immobilität und Dekubitusrisiko → Prü-
fen von weiteren Faktoren: Allgemeiner Gesundheits-
zustand, Durchblutung und Sauerstoffversorgung der
Haut, Diabetes, sensorische Wahrnehmung, Hautfeuchtig-
keit und Ernährungszustand

Insbesondere für Kinder spielt auch die Dauer des Kranken-


hausaufenthalts eine Rolle (NICE 2014). Nach welchen Krite-
rien die Haut beobachtet und beurteilt wird, lesen Sie im Kap.
„Körperpflege und Bekleidung (S. 370)“. Jede Abweichung
vom Normalzustand muss dokumentiert und dem Arzt mit-
geteilt werden. Liegen Abweichungen vor, sollte der Pfle-
geempfänger zu den Anomalitäten befragt werden, damit in
Absprache mit ihm und dem gesamten Pflegeteam adäquate In regelmäßigen Zeitabständen wird der Sensor auf ein neues
pflegerische Maßnahmen eingeleitet werden können. Hautareal aufgeklebt. So sollen Druckstellen vermieden werden.
Foto: K. Oborny, Thieme

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17 Prophylaxen

Rolle. Eine differenzierte Einschätzung für die Ableitung in- ● Welche Ressourcen und Hilfsmittel bringt der Pflegeemp-
dividuell geeigneter Maßnahmen gilt erst als beendet, wenn fänger mit, die für die Erweiterung der Mobilität bzw. zur
der Pflegeempfänger im Tagesverlauf beobachtet werden Dekubitusprophylaxe eingesetzt werden können?
konnte – spätestens allerdings nach 48 Stunden. ● Was wünscht sich der Pflegeempfänger zur Dekubituspro-
phylaxe? Wie stehen Zeiten des Lagewechsels oder be-
stimmte Positionen eventuell konträr zu Schlafbedürfnis,
WISSEN TO GO Dyspnoe oder Übelkeit?
● Welchen Einfluss hat das Körpergewicht, z. B. eine Adipo-
Dekubitusrisiko einschätzen sitas permagna (S. 1136), auf Art und Häufigkeit von Geh-
versuchen oder Positionswechseln?
● Das Dekubitusrisiko wird eingeschätzt bei: Aufnahme, in ● Welche Auflagenoberfläche (Weichlagerung, Wechsel-
individuell festzulegenden zeitlichen Abständen und bei druck etc.) eignet sich für den Pflegeempfänger in Abhän-
Veränderungen von Mobilität, Durchblutung und Haut- gigkeit seiner (wiederaufzunehmenden) Ressourcen der
zustand oder bei veränderten personen-, umgebungs- Eigenbewegung in den nächsten Tagen?
und therapiebedingten Faktoren.
● Alle Pflegeempfänger werden bei der Aufnahme initial Pflegefachkräfte betreuen auch Pflegeempfänger, bei denen
eingeschätzt. Dazu gehören die Identifizierung von Ursa- Eigenbewegung nur bedingt oder gar nicht möglich ist. In
chen und Risikofaktoren für erhöhte und/oder verlänger- diesen Fällen muss ein regelmäßiger Positionswechsel durch
te Einwirkung von Druck- und Scherkräften sowie die passive Mobilisation erfolgen – allerdings immer mit dem
Hautinspektion des Pflegeempfängers. Wird ein Risiko- Ziel, den Pflegeempfänger zur Eigenbewegung anzuregen.
faktor bejaht, erfolgt im nächsten Schritt eine differen-
zierte klinische Risikoeinschätzung. Häufigkeit der Maßnahmen • Sie richtet sich nach der aktuel-
● Anschließend dokumentiert die Pflegefachkraft die Er- len Situation des Pflegeempfängers. So sind z. B. direkt nach
gebnisse aus der initialen und ggf. differenzierten Ein- einer Operation häufigere bewegungsfördernde Maßnah-
schätzung. men nötig als einige Tage später, wenn der Zustand des Pfle-
geempfängers sich gebessert bzw. sich seine Eigenbewegung
deutlich erhöht hat. Es erfolgen dann eine neue Risikoein-
17.2.7 Maßnahmen zur schätzung und eine entsprechende Anpassung des Bewe-
gungsplans. Bei einem Pflegeempfänger mit einem sehr ho-
Dekubitusprophylaxe hen Dekubitusrisiko sollten Bewegungen möglichst häufig

! Merke Dekubitusprophylaxe stattfinden und Bewegungspausen möglichst kurz ausfallen.


Pflegefachkräfte kontrollieren, wie die Haut reagiert, und
Das Ziel der Dekubitusprophylaxe ist die Verhinderung eines Dekubi- verlängern bei physiologisch durchbluteter Haut die Zeit
tus. Pflegefachkräfte erreichen dies durch systematisches pflege- zwischen den Positionswechseln schrittweise.
fachliches Handeln. Dazu braucht es u. a. druck- und scherkraft-
arme Techniken (→ Kinästhetik) und Hilfsmittel, z. B. Rollstuhl mit Weniger ist manchmal mehr • Die Hightechmedizin lässt es
Weichlagerungsauflage. In Ausnahmefällen entscheiden sich Pflege- zu, dass der Körper über verschiedene Wege mit seinen
fachkräfte gegen kontinuierliches dekubitusprophylaktisches Han- Strukturen und Funktionen von außen genau beobachtet
deln (sog. begründetes Nichthandeln), z. B. bei lebensbedrohlichen werden kann. Sonden und Elektroden werden auf die Haut-
Zuständen oder sterbenden Menschen (DNQP 2017b). oberfläche geklebt oder in Körperöffnungen eingeführt. Sie
liegen „schwer“ auf der Haut; ihr Fixieren kann die Haut rei-
Bewegungsförderung zen. Durch Positionswechsel können Sonden und Elektroden
gegen die Haut drücken. Alles in allem gibt es mehrere Fak-
Wird ein Dekubitusrisiko ermittelt, wird für den Pflegeemp-
toren, die eine Dekubitusentstehung begünstigen. Das Risiko
fänger ein individueller Bewegungs(förderungs)plan erstellt,
kann minimiert werden, indem ein multiprofessioneller
in dem alle Maßnahmen der Bewegungsförderung sowie die
Austausch erfolgt, ob und welche Sonden und Elektroden
besonderen Vorlieben und Abneigungen des Pflegeempfän-
angebracht werden müssen. Pflegefachkräfte können darauf
gers festgehalten werden. Ziel ist „Bewegen vor Positionie-
achten, das Fixationsmaterial so wenig wie möglich, so viel
ren“! Das Konzept der Bewegungsförderung richtet sich
wie nötig auf der Haut anzubringen. Manchmal steht nicht
nach dem Grad der Selbstständigkeit des Pflegeempfängers
die Dekubitusprophylaxe im Vordergrund, sondern für die
bezüglich seiner Mobilität. Dazu gehört (DNQP 2017b):
Lebensqualität und -stabilität weit wichtigere Maßnahmen.
● stets Eigenbewegung des Pflegeempfängers fördern, z. B.
Pflegefachkräfte wenden bei Früh- und Neugeborenen
durch Kinästhetik (S. 342)
z. B. Optimal Handling (S. 888) oder NIDCAP an, um u. a. die
● bei unzureichender Eigenbewegung regelmäßige Positi-
Reifung des zentralen Nervensystems zu fördern. Potenziell
onswechsel im Liegen und Sitzen durchführen (Makro-
schmerz- oder stressbehaftete Interventionen finden nur
und Mikrobewegungen) und angemessene Körperpositio-
dann statt, wenn es wirklich notwendig ist. Gleiches gilt für
nen sicherstellen
beatmete Menschen, die zur besseren Lungenventilation auf
● stark gefährdete Körperstellen von äußerem Druck und
den Bauch gedreht werden müssen. Sie müssen möglicher-
Scherkrafteinwirkungen vollständig entlasten (Freilage)
weise länger in dieser Position liegen, als es gut für ihre
● therapiebedingte Druck- und Scherkrafteinwirkung reduzie-
Haut wäre, und möglicherweise drücken Elektroden, Son-
ren oder vermeiden, z. B. infolge von Zu- oder Ableitungen
den oder Drainagen dagegen. Es gilt berufsgruppenübergrei-
● Es ist wichtig, bei der Maßnahmenplanung nicht nur den
fend nach Abwägen sämtlicher Für und Wider individuell
nächsten Tag zu planen, sondern auch den weiteren, er-
für und mit dem Pflegeempfänger zu entscheiden.
warteten pflegerischen und medizinischen Therapiever-
lauf. Hilfreiche Fragen zur Maßnahmenplanung sind z. B.:
Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten • Gemeinsam mit dem
Wie werden sich die Mobilitätsfähigkeiten in den nächsten
Pflegeempfänger bzw. seinen Bezugspersonen erarbeitet die
Tagen weiterentwickeln? Welche Stressoren wirken auf
Pflegefachkraft die Pflegeplanung. Es ist wichtig, über die Ur-
Haut und Gewebe?
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Dekubitusprophylaxe

sachen des Dekubitus, dekubitusgefährdete Körperstellen und


die entsprechenden prophylaktischen Maßnahmen aufzuklä- ! Merke Vergessen Sie 2 Stunden
ren. Zusammen finden sie Maßnahmen und Hilfsmittel zur Pflegeempfänger im 2-stündlichen Wechsel von der 30°-Seitenlage
Dekubitusprophylaxe, die Pflegeempfänger und Bezugsper- links – in die Rückenlage – in die 30°-Seitenlage rechts neu zu posi-
sonen akzeptieren, sodass sie aktiv an der Pflege mitwirken. tionieren, gehört der Vergangenheit an. Sowohl die Vorlieben und
Wie Sie Pflegeempfänger bei der Mobilisation und dem individuellen Bedürfnisse des Pflegeempfängers als auch die indivi-
Positionswechsel unterstützen, lesen Sie im Kap. „Mobilisa- duelle Gewebetoleranz müssen bei der Bewegungsförderung bzw.
tion, Positionierung und Schlaf“ (S. 342). dem Positionswechsel berücksichtigt werden. Führt der Pflegeemp-
fänger (druckentlastende!) Eigenbewegungen durch, können die Po-
sitionierungsintervalle bis auf 6 Stunden erweitert werden (DNQP
Hautzustand kontrollieren
2017b). Bei stark beeinträchtigten Fähigkeiten zur Eigenbewegung
Während der Mobilisation bzw. beim Positionswechsel des hingegen und geringer Gewebetoleranz müssen die Positionswech-
Pflegeempfängers kontrollieren Pflegefachkräfte den Haut- sel mitunter sogar bis auf eine halbe Stunde reduziert werden.
zustand und fragen den Pflegeempfänger nach seinem Be-
finden (Schmerzen, Bequemlichkeit der Lage?). Je nach Er-
Positionierung – Makropositionswechsel
gebnis verlängern oder verkürzen sie daraufhin die Abstän-
de zwischen den Maßnahmen. Für den Positionswechsel gibt es unterschiedliche Möglich-
keiten:
ACHTUNG ● 30°-Seitenlage: Bei der 30°-Schräglage rechts wird die lin-

Hartnäckig hält sich das Ritual bzw. der Ausdruck, den „Pflegeemp- ke Körperhälfte entlastet, v. a. das linke Schulterblatt, der
fänger 2-stündlich zu positionieren“. Die Haut jedes Menschen rea- linke Bereich des Sakrums (Kreuzbeins), die linke Ferse so-
giert anders – ein Dekubitus kann auch innerhalb 1 Stunde ent- wie linkes Sitzbein und linker Trochanter etwas mehr als
stehen. Deshalb ist die Kontrolle des Hautzustands engmaschig der rechte (▶ Abb. 17.5). Für Kinder wird explizit die 30°-
durchzuführen. Der sog. Fingertest ist die derzeit beste Methode, bzw. 40°-Seitenwechsellage empfohlen (The Royal Chil-
um herauszufinden, wann der nächste Makropositionswechsel für dren’s Hospital Melbourne 2012).
● 135°-Lage: Bei der 135°-Lage (S. 351) rechts wird die ge-
einen Pflegeempfänger spätestens notwendig wird (DNQP 2017b).
samte linke Körperhälfte entlastet: Ohr, Schulter, Schulter-
Fingertest • Mit dem Finger drückt man auf ein gerötetes blatt, Ellenbogen, Trochanter, Knieaußenseite sowie das
Hautareal – verfärbt sich die Stelle weiß und nimmt dann komplette Sakrum und beide Fersen.
● Bauchlage: Bei der Bauchlage wird die gesamte Rückseite
die ursprüngliche Farbe wieder an, besteht ein physiologi-
scher Stoffwechsel zwischen Gewebe und Kapillaren. Die des Körpers entlastet: Hinterkopf und Ohren, Schultern
Minderdurchblutung ist noch reversibel, bedarf jedoch er- und Schulterblätter, Ellenbogen, Sakrum, Fersen.
● V-Lage: Bei der V-Lage wird die Wirbelsäule druckentlas-
höhter Aufmerksamkeit (negativer Fingertest). Der Pfle-
geempfänger hat noch keinen Dekubitus, ist jedoch kurz da- tet. Sie gehört mit den A-, T-, I-Lagen primär zu den Dehn-
vor. Die Intervalle zum Positionswechsel sollten so ausfallen, lagen (S. 955).
● 90°-Seitenlage: Bei der 90°-Lage (S. 351) rechts werden die
dass erst gar keine roten Stellen entstehen.
Bleibt die Teststelle rot (positiver Fingertest), besteht be- gesamte linke Körperhälfte (vgl. 135°-Lage) sowie das
reits eine Gefäß- und Gewebsschädigung (persistierende Rö- komplette Sakrum und die Fersen druckentlastet. Das lin-
tung, Dekubitus Kategorie I). Bewegungen und Druckentlas- ke Knie wird mittig und außen entlastet.
● schiefe Ebene: Die schiefe Ebene vertikal entlastet die obe-
tungen müssen aktiv oder passiv noch häufiger stattfinden.
Bei dunkel pigmentierter Haut ist das Abblassen der Haut an ren Abschnitte des Körpers: Hinterkopf und Schulterblätter.
der lokal untersuchten Stelle oft nicht eindeutig zu erken- Da durch die Schwerkraft der Körper herunterrutschen
nen. Hier gilt es, auf weitere Symptome zu achten. kann, sollte entsprechend vorgebeugt werden (Rutsch-
bremse aus Handtüchern, Decken um die Sitzbeine sowie
Fußkissen). Bei der schiefen Ebene horizontal rechts wird
die linke Körperhälfte wie bei der 30°-Schräglage entlastet.
Beispiel Fingertest
Eine kachektische Pflegeempfängerin kommt liegend zur Auf- Abb. 17.5 30°-Seitenlage.
nahme. Sie kann aufgrund ihres schlechten Zustands das Bett
nicht selbstständig verlassen und benötigt auch zum Positions-
wechsel im Bett Hilfe. Die Pflegefachkräfte beginnen mit einem
Positionierungsintervall von 90 Minuten. Nach diesen 90 Minu-
ten führen sie eine Hautinspektion durch und stellen fest, dass
an den Prädilektionsstellen keine Rötungen aufgetreten sind. Es
ist nicht nötig, einen Fingertest zu machen, denn die Positio-
nierungsintervalle sind aktuell ausreichend. Die Pflegefachkräf-
te erhöhen das Positionierungsintervall auf 2 Stunden. Nach 2
Stunden bemerken sie, dass an den Prädilektionsstellen Rötun-
gen aufgetreten sind, und setzen den Fingertest ein. Daraufhin
verkürzen Sie das Positionierungsintervall um eine halbe Stun-
de. Nach 90 Minuten testen sie erneut. Sollte es trotz des ver-
kürzten Positionierungsintervalls zu einer bleibenden Rötung
kommen, muss die Positionierung stündlich erfolgen und um
Mikrobewegungen erweitert werden. Die linke Körperhälfte wird entlastet, v. a. das linke Schulterblatt,
der linke Bereich des Sakrums (Kreuzbeins), die linke Ferse sowie
linkes Sitzbein und linker Trochanter. Foto: W. Krüper, Thieme

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17 Prophylaxen

● Sitzen: Beim Sitzen wird der Hinterkopf entlastet, beim „Hüftknick“ des Bettes zu positionieren (das Becken befindet
aufrechten Sitzen auch die Schulterblätter und das Sa- sich oberhalb dieser Position) und somit den Steißbereich
krum. Das verändert sich, wenn der Pflegeempfänger mit zu entlasten.
dem Becken stuhlkantenwärts rutscht!
Positionswechsel bei therapiebedingter Lage • Bei einigen
! Merke Positionswechsel Krankheitsbildern oder nach Operationen müssen Pfle-
geempfänger eine bestimmte Position einhalten, z. B. halbe
Beim Positionswechsel sollten gewebeschonende Bewegungs- und
Transfertechniken angewendet werden und in der Endposition auf Oberkörperhochlage bei erhöhtem Hirndruck. Bei therapie-
eine flächige Unterpolsterung druckproduzierender Knochenvor- bedingter Lage können druckverteilende Hilfsmittel (S. 402),
sprünge geachtet werden, z. B. drückendes Sitzbein bei schiefem Be- z. B. Wechseldrucksysteme, und/oder kleine Hilfsmittel zum
cken. Mikropositionswechsel (S. 401) eingesetzt werden, um eine
Druckentlastung zu erreichen.
90°-Seitenlage • Welche Positionierungen ausgewählt wer-
den, richtet sich nach dem Pflegeempfänger. Die 90°-Seiten- Positionierungskissen für eine gute Lage • Positionierungskis-
lage ist z. B. für viele Menschen die natürliche Schlafposition sen sind Kissen unterschiedlicher Größe, die gut und gleich-
– die Haut über dem Trochanter ist dabei allerdings relativ mäßig gefüllt sind, am besten mit Daunenfedern. Sie
großem Druck ausgesetzt, weswegen diese Positionierung schmiegen sich an den Körper, nehmen seine Form auf und
im Rahmen der Dekubitusprophylaxe oft als ungeeignet an- geben Halt. Der Vorteil der Positionierungskissen ist, dass
gesehen wird. Bei der 30°-Seitenlage ist der Druck besser sie nicht nur der Dekubitusprophylaxe dienen, sondern auch
verteilt – es bettet sich aber selten jemand freiwillig in die- den Schlaf fördern. Der Pflegeempfänger fühlt sich erholt,
ser Position. So kann es passieren, dass ein Pflegeempfänger, seine Muskulatur bleibt geschmeidig und er kann am nächs-
der in der 30°-Seitenlage positioniert wurde, mit dieser Lage ten Morgen besser aufstehen (Bartels und Eckardt 2017).

! Merke Vorlieben
nicht einverstanden ist und sich automatisch „aus dieser La-
ge befreit“ und sich in seine natürliche Schlafposition begibt.
Wenn er seine Lage verändert, bewegt er sich! Das ist gut. Finden Sie heraus, welche Positionen die Pflegeempfänger individuell
Außerdem kann die 90°-Seitenlage im Rahmen des Bewe- am liebsten einnehmen, und berücksichtigen Sie sie bei der Bewe-
gungsplans Schritt für Schritt „entschärft werden“, indem gungsförderung bzw. dem Positionswechsel.
die im Rücken liegende Rolle in festen Zeitabständen suk-
zessive hervorgezogen und der Winkel dabei nach und nach Hohllage/Freilage • Hierbei werden dekubitusgefährdete
verringert wird. Körperstellen durch Hohllage komplett frei positioniert, z. B.
die Fersen. Als Hilfsmittel werden Kissen oder Handtücher
Oberkörperhochlage • Bei der Oberkörperhochlage im Bett verwendet. Bei einer Hohllage der Fersen muss darauf ge-
sollte z. B. wie folgt vorgegangen werden: Der Pflegeemp- achtet werden, dass die Knie nicht durchhängen, sondern
fänger befindet sich in bequemer Rückenlage im flachen ebenfalls unterstützt sind. Meist ist die Freilage der Fersen
Bett, d. h., er hat das Kopfkissen unterstützend in Schulter- mit einem gefalteten Handtuch statt eines Kissens günstiger,
blatt, Nacken- und Hinterkopfbereich. Das Fußteil des Bettes da dadurch der Winkel im Knie weniger beeinflusst wird.
wird betätigt, sodass sich die Knie und Hüften anwinkeln. Das gefaltete Handtuch kann für die Hohllage in Form einer
Dann wird das Bett im Gesamten hochgefahren, damit es als Brezel gelegt werden, d. h., die Enden sind nach außen ge-
Nächstes in eine Beintieflage gebracht werden kann. Manch- rollt, die Ferse sinkt in die weiche Fläche der Mitte ein. Bis-
mal muss das Fußteil nachjustiert werden, d. h., die Hüft- her ist keine Maßnahme der Fersenfreilage zur Dekubitus-
und Kniegelenke müssen noch mehr in Flexion (Beugung) prävention überlegen (DNQP 2017b).
gebracht werden. Dann wird das Kopfteil hochgefahren, bis
der Pflegeempfänger aufrecht sitzt. Diese Reihenfolge ver-
hindert ein Herunterrutschen und somit Scherkräfte und WISSEN TO GO
hohe Drücke im Sakralbereich. Das Bett muss daraufhin im
Gesamten unbedingt wieder nach unten gefahren werden, Dekubitusprophylaxe – Maßnahmen
um beim Aussteigen Stürze aus der Höhe zu verhindern. Es
sollten ausschließlich Matratzen/Betten verwendet werden, ● Ziel: Entlastung gefährdeter Körperstellen von Druck-
die einen physiologischen Hüftknick zulassen und für das und Scherkräften durch regelmäßige körperliche Bewe-
Sitzen geeignet sind. Die Hüftgelenke sind parallel zum gung und/oder Freilage gefährdeter Körperstellen
„Hüftknick“ des Bettes. Pflegeempfänger mit Hohlkreuz be- (DNQP 2010).
nötigen zusätzlich ein kleines Kissen oder ein Handtuch im ● Bewegungsförderung: Für jeden Pflegeempfänger wird
unteren Rückenbereich. Unter den Sitzbeinen des Pfle- ein individueller Bewegungsplan erstellt. Bewegungsför-
geempfängers sollten flächig gelegte Handtücher ange- derung heißt:
bracht werden. Zur physiologischen Sitzhaltung siehe auch – Eigenbewegung des Pflegeempfängers fördern
Kap. „Nachbereitung“ (S. 355). – regelmäßige Positionswechsel durchführen
– scherkräftearme Transfertechniken anwenden
Positionswechsel bei Hüft-TEP • Pflegeempfänger mit einer – Freilage stark gefährdeter Körperstellen
Hüftendoprothese können sich im Bett kopfwärts mobilisie- ● Die Pflegefachkraft wählt die Maßnahmen so, dass diese
ren, indem sie abwechselnd eine Gesäßhälfte entlasten den voraussichtlichen Pflege- und Therapieverlauf be-
(durch Gewichtsverlagerung) und die Gesäßhälfte ein Stück rücksichtigen, dazu gehören erwartetes Mobilitätsver-
in Richtung der gewünschten Bewegung schieben. Das geht halten, passende Hilfsmittel, Stressoren für und auf der
auch in liegender Position: Dann entlasten Pflegeempfänger Haut wie Zu- und Ableitungen.
eine Seite des Rumpfes und schieben sie in die gewünschte ● Bei Pflegeempfängern ohne Eigenbewegung erfolgt die
Richtung. Die Schlängelbewegung bzw. der „Schinkengang“ Mobilisation passiv. Die Häufigkeit der Maßnahmen rich-
ist generell sehr wichtig, um die Hüftgelenke genau im tet sich nach der aktuellen Situation des Pflegeempfän-

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Dekubitusprophylaxe

Abb. 17.6 Mikropositionierung.


gers und wird bei Änderungen angepasst. Der Pfle-
geempfänger wird in die Planung einbezogen und über
die Ursachen des Dekubitus, dekubitusgefährdete Kör-
perstellen und die prophylaktischen Maßnahmen auf-
geklärt.
● Hautzustand kontrollieren: Der Fingertest ist die der-
zeit beste Methode, um herauszufinden, wann der
nächste Makropositionswechsel für einen Pflegeempfän-
ger spätestens notwendig wird.
● Positionierung – Makropositionswechsel: Es werden
verschiedene Möglichkeiten der Positionierung genutzt.
Welche Positionierungen ausgewählt werden, richtet
sich nach dem Pflegeempfänger.
● Hohllage/Freilage: Dekubitusgefährdete Körperstellen
Die Mikroposition (im Bild die linke Hüfte) wird im Uhrzeigersinn
werden durch Hohllage mithilfe von Kissen/Handtüchern
alle 10–20 Minuten geändert: linke Schulter → linke Hüfte → lin-
komplett frei positioniert, z. B. die Fersen.
kes Knie → linke Ferse → rechte Ferse → rechtes Knie usw.
Foto: A. Fischer, Thieme

Positionierung – Mikropositionswechsel
geempfängers ausreicht – was meist für stabile, noch recht
Mikropositionierungen erreichen keine vollständige Druck- mobile Pflegeempfänger gilt.
entlastung einzelner Körperstellen und ersetzen nicht das
regelmäßige Umpositionieren. Sie dienen vielmehr der Be-
ACHTUNG
weglichkeits- und Durchblutungsförderung durch häufige
Hinterkopf-, Sitz- und Fersenringe erhöhen den Druck an den Seiten-
sanfte, minimale Positionswechsel einzelner Gliedmaßen
rändern des Rings und sind deshalb als Hilfsmittel zur Mikrolage-
(▶ Abb. 17.6). Sie sind besonders bei Schmerzbetroffenen
rung bei Kindern und Erwachsenen ungeeignet. Wattepolster und
sinnvoll, können aber auch in der Nacht förderlich sein. Auch
-verbände sind ebenfalls kontraindiziert, da sie keine stabile Form
bei kreislaufinstabilen kritisch kranken Menschen, für die
wahren und die Auflagefläche für die Wade nicht breit genug ist.
eine gründliche Lageveränderung zu gefährlich wäre, wird
Die Wirksamkeit von Echthaarfellen (medizinischen Schaffellen) als
so verfahren.
Ellenbogen- und Fersenschoner ist noch nicht genügend für höhere
Für die Mikropositionswechsel unter Schulter, Becken,
Dekubituskategorien belegt. Zur Vermeidung von Dekubitus Katego-
Bein usw. sind kleine Schaumstoffkissen (z. B. ROHO-Kis-
rie I scheinen sie zu wirken. Bei Kindern wird vom Einsatz von syn-
sen), Gelkissen oder Handtücher geeignet. Günstigstenfalls
thetischen und Echthaarfellen zur Dekubitusprävention abgeraten
wird die Mikroposition im Uhrzeigersinn alle 10–20 Minu-
(DNQP 2017b).
ten geändert oder alle 30 Minuten in Rückenlage abwech-
selnd auf der rechten und linken Körperseite mit Kopfdre-
hung positioniert. Gut geeignet sind auch der Körperform Bewegungsförderung schwer beeinträchtigter
entsprechend zugeschnittene Schaumstoffstücke. Ein gefal- Pflegeempfänger
tetes Handtuch unter einer Beckenseite führt z. B. zu einer Bei komatösen und anderen schwer beeinträchtigten Pfle-
Gewichtsverlagerung vom Kreuzbein weg. Ein kleines ge- geempfängern ist der Weg der Positionsveränderung noch
rolltes Handtuch unter einem Bein nimmt das Gewicht von wichtiger als die erreichte Lage. Denn die Positionsverände-
der Ferse (Jurkowitsch 2017). rung fördert und erhält die Beweglichkeit eines Menschen –
es werden Reize an bestimmten Druckpunkten gesetzt und
ACHTUNG afferente (zum Gehirn aufsteigende) Nervenbahnen stimu-
Viele Einrichtungen verwenden flüssigkeits- bzw. luftgefüllte Hilfs- liert.
mittel zur Dekubitusprävention. Wissenschaftlich wird davon abge- Pflegeempfänger sollten motorische Abläufe konsequent
raten (DNQP 2017b), diese bei Kindern und Erwachsenen zur Deku- wiederholen, z. B. vom Liegen auf dem Rücken über die
bitusprophylaxe einzusetzen, da oft nicht gewährleistet werden Oberkörperrotation zum Sitzen kommen. Das gibt bewusst-
kann, dass sich der Druck großflächig und gleichmäßig unter den seinsbeeinträchtigten Menschen Sicherheit, fördert ihre Ei-
Prädilektionsstellen verteilt. Einige Firmen bieten Gelkissen zur Deku- genwahrnehmung, beschleunigt die Wiederaufnahme akti-
bitusprophylaxe an. Die Pflegefachkraft muss prüfen, ob die ge- ver Bewegungen und vermeidet Druckgeschwüre als Sekun-
nannten Prinzipien (großflächige und gleichmäßige Druckvertei- därkomplikation. Dabei sollte Schritt für Schritt vorgegan-
lung) gegeben sind, bevor sie diese Materialien dauerhaft einsetzt. gen werden: Zwischen der Information „Ich helfe Ihnen jetzt
dabei, sich aufrecht im Bett hinzusetzen“ und zu Beginn der
Die Technik der Mikropositionierung können sich Pflege- Bewegung sollte eine Pause eingelegt werden, damit der be-
fachkräfte auch beim Positionieren zunutze machen, indem wusstseinseingetrübte Pflegeempfänger die Information
sie Pflegeempfängern z. B. ein zusammengerolltes Handtuch verarbeiten, sich an Bewegungsabläufe erinnern und sich
in den Rücken legen statt einer weichen Decke. Es gibt mehr vielleicht doch ein Stück weit selbst bewegen kann. Das Be-
Widerstand für Eigenbewegung. Auch können sie eine Un- wegungstempo ist entsprechend langsam.
terstützung im Rücken (sei es ein Handtuch oder eine De-
cke) 4-fach längs falten. Um dann eine Mikrobewegung
Gehhilfen einsetzen
nachzuahmen, ziehen sie nach einer Weile die 4-fache in
eine 2-fache Faltung. Das Verfahren eignet sich vor allem für Pflegefachkräfte sollten Hilfsmittel nutzen, die den Pfle-
nachts – viele Pflegeempfänger „verschlafen“ die kleine Be- geempfänger in seiner Aktivität und Mobilität fördern, z. B.
wegung einfach. Es muss nur anfangs kontrolliert werden, den großen und kleinen Gehwagen, Gehbock, Rollator, Un-
ob diese minimale Druckentlastung für die Haut des Pfle- terarmgehstützen (UAGS) (▶ Abb. 17.7). Pflegefachkräfte

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17 Prophylaxen

Abb. 17.7 Hilfsmittel einsetzen. der Mobilitätsgrad (wieder)hergestellt werden kann. Zu den
druckverteilenden Hilfsmitteln gehören (▶ Tab. 17.1):
● Weichlagerungssysteme: z. B. Schaumstoffmatratzen, Ge-

lauflagen, Luftkissen usw.


● Wechseldrucksysteme: z. B. klein- und großzellige Wech-

seldrucksysteme
● Mikro-Stimulationssysteme (MiS): wahrnehmungsför-
dernde, schmerzreduzierende, bewegungsfördernde Sys-
teme, z. B. ThevoautoActiv (ThevoAdapt plus), ThevoActiv

Weichlagerungssysteme • Sie wirken über eine Vergrößerung


der Auflagefläche und reduzieren dadurch den Auf-
lagedruck. Dabei muss beachtet werden: Der Körper sinkt in
die Matratze ein und verliert an Halt, Stabilität und Bewe-
gungsfähigkeit. Je weicher eine Matratze ist, umso weniger
sind Eigenbewegungen des Pflegeempfängers möglich – mit
Egal ob die Pflegeempfängerin nur kurzzeitig ein Hilfsmittel be- negativen Konsequenzen auf die Reizwahrnehmung und
nötigt oder ob sie es dauerhaft beanspruchen wird: Es ist wich- -verarbeitung und möglichem Verlust der Körpergrenzen
tig, die Hemmschwelle abzubauen und zur Nutzung zu animie- (Wo ende ich und wo beginnt meine Umgebung?). Deshalb
ren. Foto: K. Oborny, Thieme ist es bei der Auswahl eines Weichlagerungssystems sehr
wichtig, darauf zu achten, dass der Pflegeempfänger genü-
gend Halt auf der Matratze findet → siehe auch: Positionie-
sollten sicherstellen, dass der Pflegeempfänger mit den rungskissen für eine gute Lage (S. 400).
Hilfsmitteln umgehen und er sie z. B. auch an Schwellen und
Stufen einsetzen kann (Sturzprophylaxe!). Daher gilt es, den Wechseldrucksysteme • Bei diesen Systemen füllen sich Mat-
Pflegeempfänger stets in die Entscheidung miteinzubezie- ratzenzellen (Kammern) abwechselnd mit Luft. Ein dekubi-
hen, welches Hilfsmittel das beste für ihn ist. Die Pflegefach- tusprophylaktischer Effekt ist in mehreren Studien bereits
kraft berät entsprechend den Pflege- und Therapiezielen, nachgewiesen (Lozano-Montoya et al. 2016; McInnes et al.
sieht die Möglichkeiten der Eigenbewegung des Pflegeemp- 2015). Das System kann seine präventive Wirkung aber nur
fängers, beachtet sein Körpergewicht und wägt Kosten und entfalten, wenn sich die Prädilektionsstelle in der Mitte der
Nutzen ab (DNQP 2017b). jeweiligen Kammer befindet bzw. die Kammer und die

! Merke Sicherheit geht vor Hautstelle dieselbe Fläche haben (besser sogar Kammerflä-
che > Prädilektionsstelle). Bei einer 90°-Positionierung soll-
Ist der Pflegeempfänger unkonzentriert, will er schnell zur Toilette, ten z. B. Trochanter, Schulter und Ohr jeweils möglichst mit-
ist aber (noch) „wackelig auf den Beinen“, sollten Sie stets das ein- tig auf einer Luftparzelle platziert werden. In unangepasster
fachere Hilfsmittel wählen, z. B. den Gehwagen statt der Unterarm- Lage würde die luftgefüllte Kammer auf die Prädilektions-
gehstützen, und den Pflegeempfänger beim Aufstehen, Gehen und stelle drücken und einen Dekubitalprozess begünstigen. Bei
Hinsetzen begleiten bzw. anleiten. Kindern ist es wichtig, dass nur Wechseldrucksysteme ver-
wendet werden, die laut Herstellerangaben ihrem Gewicht
Gehhilfen sollten in den täglichen Alltag eingebunden wer- entsprechen. Das System kann seine dekubituspräventive
den, z. B. Toilettengang, Körperpflege, Wasser holen, auf Wirkung entfalten und das Kind rutscht nicht in die Spalten
dem Weg zur Diagnostik. Das macht die Hilfe irgendwann der nicht belüfteten Kammern. Bei kleinen Kindern kann die
„normal“ und der Pflegeempfänger nutzt sie dann auch zu durchgehend gefüllte Kopfkammer ein erhöhtes Druckrisiko
Hause und erhält seinen Bewegungsradius. für den Hinterkopf auslösen (DNQP 2017b). Pflegefachkräfte
bewegen die Kinder alle 1–2 Stunden auf den Wechsel-
Umgang mit Zu- und Ableitungen druckmatratzen (Schlüer 2013).
Eine Mischung aus Wechseldruck- und Weichlagerungs-
Zu- und Ableitungen (Sonden, Drainagen, Infusions-, Per-
matratze ist das Anti-Dekubitus-System, das den Auf-
fusions- und Katheterschläuche) sollten neben statt auf dem
lagedruck eines liegenden Menschen erkennt. Es misst, wo
Körper platziert werden. Die Pflegefachkraft kontrolliert die
die Knochenvorsprünge stark in die Matratze drücken (z. B.
passende und korrekte Stellung der Zu- und Ableitungen
Trochanter major in Seitenlage), und reguliert an dieser Stel-
mindestens alle 2–4 Stunden. So kann Aufliegedruck verrin-
le den Auflagedruck bis zu einem bestimmten Sollwert.
gert oder vermieden werden. Insbesondere bei Menschen
Wird dieser überschritten und es besteht noch immer Auf-
mit stark beeinträchtigter Haut oder bei Früh- bzw. Neu-
lagedruck, alarmiert das System das Pflegepersonal.
geborenen mit unreifer Haut reicht der Aufliegedruck be-
reits für einen Dekubitus. Die Pflegefachkraft ergreift Haut-
schutzmaßnahmen an den Eingangs- und Austrittsstellen
! Merke Zusätzliche Maßnahmen
(→ Umgang mit Kathetern, → Intertrigo, → Wundschutz am Beide Systeme reduzieren zwar den Auflagedruck, heben ihn aber
Anus praeter) und nutzt praxiserprobte polsternde Auflagen nicht komplett auf. Ihr Einsatz reicht somit als alleinige druckpräven-
zur Druckverteilung (DNQP 2017b). Regelmäßig evaluiert tive Maßnahme nicht aus – es müssen zusätzlich weitere druckentlas-
die Pflegefachkraft, ob die Zu- und Ableitung überhaupt tende Maßnahmen wie Positionswechsel durchgeführt werden.
(noch) nötig sind (S. 398). Weichlagerungs- und Wechseldrucksysteme sind eine Medaille mit 2
Seiten: Sie dienen zwar der Dekubitusprophylaxe, erhöhen aber gleich-
zeitig das Dekubitusrisiko – denn zu langes Liegen stört die Körper-
Druckverteilende Hilfsmittel einsetzen wahrnehmung und fördert Immobilität. Hier schließt sich erneut der
Druckverteilende Hilfsmittel sollten nur bei Pflegeempfän- Teufelskreis. Deshalb sollten Pflegefachkräfte regelmäßig kontrollieren,
gern eingesetzt werden, bei denen kein druckausgleichen- ob der Pflegeempfänger das Hilfsmittel tatsächlich noch braucht.

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Dekubitusprophylaxe

Tab. 17.1 Aktive und reaktive Systeme zur Weich- und Wechseldruckpositionierung im Liegen und Sitzen (DNQP 2017b).

Funktion Anwendungsbereich Art Beispiel

intermittierende Ent- Ganzkörper Wechseldruckmatratzen oder -auf- automatische oder manuelle Wechsel-
lastung (aktiv) lagen druckmatratzen bzw. Auflagen mit oder
ohne Luftstrom, Glaskugelbetten, Seiten-
positionierungssysteme (ein- oder mehr-
teilig)

kontinuierliche Weich- Ganzkörper Weichlagerungsmatratzen oder Schaumstoffmatratzen, luftgefüllte Mat-


lage (reaktiv) -auflagen ratzen, Seitenlagerungssysteme (ein- oder
mehrteilig), Polymer-, Elastomer-, Fluid-
Gelmatratzen, OP-Tisch-Auflagen, Low-
Air-Loss

kombinierte Systeme Ganzkörper Kombination aus Wechseldrucksys- automatische oder manuelle Schaumstoff-
temen und Weichlagerungssyste- Luftkissenmatratzen, kombinierte Weich-
men (Matratzen oder Auflagen) lagerungs- und Wechseldrucksysteme,
multizelluläre oder modulare Systeme

intermittierende Ent- Teilkörper: Gesäß, Rücken, Wechseldruckauflagen oder Kissen luftgefüllte Wechseldruckkissen
lastung (aktiv) Ferse

kontinuierliche Weich- Teilkörper: Gesäß, Rücken, Weichlagerungsauflagen oder Kis- Weichpolsterkissen, Schaumstoffkissen,
lage (reaktiv) Ferse, Hüfte sen Polymer-, Elastomer-, Fluid-Gelkissen, Hy-
bridsysteme, Schaffell, Hüftprotektoren

kombinierte Systeme Teilkörper: Gesäß, Rücken, Kombination aus Wechseldrucksys- kombinierte Weichlagerungs- und Wech-
Ferse temen und Weichlagerungssyste- seldrucksysteme, multizelluläre oder mo-
men (Auflagen, Kissen) dulare Systeme

Die Pflegefachkraft zieht bei dekubitusgefährdeten Pflegeempfängern Weichlagerungssysteme den Standardmatratzen vor. Kann der
Pflegeempfänger nicht viel bewegt werden, z. B. aus gesundheitlichen Gründen, kommen alternativ zum Weichlagerungssystem Wechseldruck-
matratzen zum Einsatz. Neben der Druckentlastung spielen für die Entscheidung zwischen Wechseldruck- und Weichlagerungssystem auch andere
Faktoren eine Rolle, wie Geräuschempfindlichkeit und Körpergewicht. Pflegeempfänger mit Querschnittslähmung sollten grundsätzlich auf einer
druckverteilenden Unterlage sitzen (DNQP 2017b).

Mikro-Stimulationssysteme (MiS) • Passive Systeme erhalten phylaktisch wirken. Der Sauerstoff steigt im lokalen Gewebe,
die Eigenbewegung des Pflegeempfängers durch Rückkopp- die Muskeln werden dicker. Die Entstehung eines Dekubitus
lung des Systems mit dem Pflegeempfänger: Sie haben spe- verringert sich, weil sich der Auflagedruck reduziert. Von
zielle Flügelfedern im Lattenrost, die sich bei Eigenbewe- einer Langzeitanwendung ist aufgrund der lokalen Hautrei-
gungen des Pflegeempfängers bewegen und so wiederum zung abzuraten (Liu et al. 2014; NPUAP, EPUAP & PPPIA
für Bewegungsimpulse beim Pflegeempfänger sorgen. Akti- 2014).
ve Systeme haben einen Motor, der über die Federn ver-
schiedene Stimulationsmuster über die Matratze auf den
Pflegeempfänger überträgt.
Ernährung und Hautpflege
Laut DNQP (2017b) fehlen Studien, die für Ernährungs- und
! Merke Bewusst entscheiden Hautpflegemaßnahmen dekubituspräventive Effekte nach-
weisen. Allerdings sind sie eine Ergänzung zu druckentlas-
Die Pflegefachkräfte müssen zur Dekubitusprophylaxe bewusst ent-
scheiden, ob aktive oder reaktive Systeme beim Pflegeempfänger tenden und -verteilenden Maßnahmen. Es sollten stets indi-
eingesetzt werden sollen. Dabei sind Wünsche und Fähigkeiten der viduelle Hautreinigung, -schutz und -pflege erfolgen. Die
Pflegeempfänger zu beachten. Weichlagerungs- und Wechseldruck- Haut sollte sauber und trocken sein. Die Pflegefachkraft ver-
systeme existieren für die liegende und sitzende Position wendet milde, pH-neutrale Hautreinigungsmittel und bei
(▶ Tab. 17.1). bestehender Inkontinenz des Pflegeempfängers Produkte
zum Schutz der Hautbarriere (DNQP 2017b). Die Pflegefach-
kraft benutzt bei Säuglingen bzw. Kleinkindern Windeln mit
Präventive Auflagen und Elektrostimula- hoher Saugkraft und wickelt so häufig wie nötig (Schlüer
tion 2013). Massieren oder kräftiges Reiben der Prädilektions-
stellen hilft nicht gegen Dekubitus (DNQP 2017b). Für eine
Pflegefachkräfte setzen zunehmend Silikonschaumauflagen
gesunde Haut und auch Mobilität ist eine eiweiß-, vitamin-
ein, die die Scherkraft an lokalen Prädilektionsstellen mini-
(A und C) und mineralstoffreiche (Zink) Kost besonders
mieren sollen. Sie werden an Knochenvorsprüngen z. B. an
wichtig. Bei dekubitusgefährdeten Pflegeempfängern liegt
Fersen-, Nasen- und Kreuzbein angebracht (DNQP 2017b).
der tägliche Bedarf an Eiweiß bei 1,2–1,5 g pro kg Körper-
Forscher vermuten, dass die Auflagen einen „Polsterungs-
gewicht (Rieger 2007). Ein dekubitusgefährdeter Pfle-
effekt“ haben (Levy et al. 2015) und das Entstehen eines De-
geempfänger, der z. B. 80 kg wiegt, sollte demnach täglich
kubitus senken (Moore und Webster 2013).
96–120 g Eiweiß zu sich nehmen. Tierisches Eiweiß (z. B.
Forscher haben bei querschnittsgelähmten Pflegeempfän-
Fleisch, Eier, Joghurt) ist am besten, weil es der Körper zu
gern die Erfahrung gemacht, dass Elektrostimulationen an
80–100 % zu eigenem Eiweiß umwandelt. Der Ernährungs-
Gesäß und hinterer Oberschenkelmuskulatur dekubituspro-

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17 Prophylaxen

berater des jeweiligen Hauses spielt in der Dekubituspräven-


tion eine wichtige Rolle. Er kann die „Top 20“ der eiweiß-
17.3 Prophylaxe der
reichsten Nahrungsmittel auflisten, z. B. haben 100 g Steak
21,6 g Eiweiß. So können Pflegefachkräfte täglich prüfen, ob
Bettlägerigkeit
der dekubitusgefährdete Pflegeempfänger seine erforderli- Eine allgemeingültige Definition von „Bettlägerigkeit“ exis-
che Eiweißmenge aufgenommen hat. Allgemein gilt: Viel tiert nicht (Zegelin 2013), obwohl Pflege den Begriff ständig
Wasser trinken und hochkalorisch, aber ausgeglichen essen – schriftlich oder mündlich – im Alltag benutzt. Daher könn-
helfen gegen Dekubitus. Je jünger die Menschen, desto zügi- ten Pflegefachkräfte auch Unterschiedliches meinen, wenn
ger sollte mit der Flüssigkeits- und (möglichst enteralen) sie einen Pflegeempfänger als bettlägerig bezeichnen: Es
Nahrungssubstitution begonnen werden. Folgeschäden tre- könnte z. B. bedeuten, dass ein Pflegeempfänger mit Hilfe
ten sonst viel früher und gravierender auf (DNQP 2017b). am Tag 3-mal zum Essen aufsteht und sich danach sofort ins
Eine an die Haut des Pflegeempfängers angepasste Haut- Bett zurückzieht oder dass ein Patient 4 Stunden am Tag au-
pflege sollte selbstverständlich sein – bei feuchter Haut eine ßerhalb des Bettes am Tisch sitzend verbringt, aber auch ein
O/W-Emulsion, bei trockener Haut eine W/O-Emulsion, sie- tage-, wochen-, monate- oder jahrelanger Aufenthalt in aus-
he Kap. „Körperpflege und Bekleidung (S. 373)“. schließlich liegender Position kann gemeint sein. Zu beach-
ten ist: Bettlägerigkeit unterscheidet sich von ärztlich ver-
! Merke Kontraindizierte Präparate ordneter Bettruhe (Zegelin 2013).
Hyperämisierende Salben, alkoholische Präparate (Franzbrannt-
wein), hautabdeckende Pasten (Zink) und Puder (Babypuder), po- Definition Bettlägerigkeit
renverstopfende Fettsubstanzen (Vaseline), farbige Mixturen (Mercu- Der Versuch einer Definition: Bettlägerigkeit ist ein längerfristiger
chrom) und Desinfektionsmittel sind kontraindiziert. Darauf ist zu Zustand, bei dem sich ein Mensch bei Tag und bei Nacht überwie-
achten, wenn ein dekubitusgefährdeter Pflegeempfänger, der über- gend im Bett oder auf anderen Liegemöbeln aufhält. Dabei kann er
wiegend auf dem Rücken liegt, selbigen eingerieben haben möchte. sitzen, liegen oder sich auch halbhoch gegen ein Kissen lehnen.
Manchmal wünschen sich Pflegeempfänger zur Erfrischung Franz- Bettlägerigkeit beginnt, wenn sich ein Mensch nicht mehr ohne per-
branntwein auf den Rücken. Dagegen ist nichts einzuwenden, so- sonelle Hilfe von einem Ort zum nächsten bewegen kann. Dieser Zu-
lange der Pflegeempfänger gehfähig ist (d. h., die Prädilektionsstel- stand heißt Ortsfixierung (Zegelin 2013). Das passive Umsetzen
len „belüftet“ werden) und die Haut mit einer W/O-Emulsion nach- eines Pflegeempfängers, z. B. vom Bett in den Rollstuhl und zurück,
behandelt wird. kommt Bettlägerigkeit gleich.

WISSEN TO GO 17.3.1 Risikofaktoren und Ursachen


Die meisten Menschen werden bettlägerig, nachdem sie
Dekubitusprophylaxe – Maßnahmen (schwer) gestürzt sind. Typisches Beispiel: Immobilität nach
einer Fraktur der Hüfte, (meist) Oberschenkelhalsfraktur.
● Mikropositionierung: Sie dient der Beweglichkeits- und Oft bahnt sich Bettlägerigkeit aber auch an: Ältere Men-
Durchblutungsförderung durch häufige sanfte, minimale schen schränken ihre Bewegung wegen Schmerzen in den
Positionswechsel einzelner Gliedmaßen. Sie erreicht kei- Beinen oder Gelenksteifigkeit ein oder unterlassen sie sogar
ne vollständige Druckentlastung. Regelmäßige Makro- ganz. Die abnehmende Mobilität führt dazu, dass sich Ske-
positionierungen sind trotzdem notwendig. lettmuskulatur und Knochenmasse verringern und der Be-
● Bewegungsförderung schwer beeinträchtigter Pfle- troffene sich zunehmend nicht mehr selbstständig auf den
geempfänger: Der Weg der Positionsveränderung ist Beinen halten kann. Auch die Denkprozesse können durch
letztlich hier noch wichtiger als die Lage. Die Positions- weniger Bewegung abnehmen, gleichzeitig gibt es Gemüts-
veränderung dient nicht nur der Dekubitusprophylaxe. schwankungen (Zegelin 2013). Ähnliche Risikofaktoren tre-
Wenn motorische Abläufe konsequent wiederholt wer- ten bei Menschen auf, die Operationen, z. B. des Bewegungs-
den, wird die Eigenwahrnehmung gefördert und die apparates, hinter sich haben oder die kritisch erkrankt sind
Wiederaufnahme aktiver Bewegungen beschleunigt. wie Pflegeempfänger auf einer Intensivstation. Werden sie
● Gehhilfen einsetzen: Hilfsmittel nutzen, die den Pfle- nicht frühzeitig mobilisiert, manifestiert sich Bettlägerigkeit
geempfänger in seiner Aktivität und Mobilität fördern. (Motiu 2014; Matheis und Stöggl 2016).
● Druckverteilende Hilfsmittel einsetzen: nur bei Pfle-
geempfängern, bei denen kein druckausgleichender Mo- Beeinflussende Faktoren • Jungen Menschen und Menschen
bilitätsgrad (wieder)hergestellt werden kann. Zusätzlich mit normalem Körpergewicht gelingt es am ehesten, selbst
weitere druckentlastende Maßnahmen durchführen: nach einem Sturz wieder eine gute oder normale Beweglich-
– Weichlagerungssysteme: z. B. Schaumstoffmatrat- keit zu erreichen. Zusätzlich wird der Mobilitätsgrad durch
zen, Gelauflagen, Luftkissen die Beschaffenheit des Sofas bzw. Bettes, die Dauer der bis-
– Wechseldrucksysteme: z. B. klein- und großzellige herigen Bettlägerigkeit bzw. des erfolgten Krankenhausauf-
Wechseldrucksysteme enthalts, die Verfügbarkeit über materielle und personelle
– Mikro-Stimulationssysteme (MiS): wahrnehmungs- Hilfe bzw. soziale Beziehungen sowie den Willen zum „Wie-
fördernde, schmerzreduzierende, bewegungsfördern- der-auf-die-Beine-Kommen“ beeinflusst. Das Wohnen in
de Systeme den eigenen 4 Wänden kann ebenfalls helfen, Bettlägerigkeit
● Silikonschaumauflagen werden „abpolsternd“ an Kno- zu vermeiden (Zegelin 2013).
chenvorsprüngen eingesetzt, z. B. Sakralbereich.
● Ernährung und Hautpflege ergänzen die dekubitusprä-
ventive Wirkung druckverteilender oder -entlastender
! Merke Beeinflussende Faktoren
Besonderen Einfluss auf Zustandekommen, Dauer und Manifesta-
Maßnahmen. tion von Bettlägerigkeit haben Kompetenz und Einstellung der Pfle-
gefachkräfte zu regelmäßiger Mobilisation auch von älteren bzw. al-
ten Menschen und zu Frühmobilisation von kritisch kranken Men-
schen (Zegelin 2013; Motiu 2014; Haubner et al. 2015).
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