gegen diese Auffassung anmelden. das Schild, das vor dem bissigen Hund
Die Soziologie hat sich seit Parsons darauf warnt, mit dem Hund selbst identisch wä-
konzentriert, die neoklassische Interpretation re. Kein anderes Medium (abgesehen viel-
des Geldes als Tauschmittel kommunikations- leicht nur von der Religion) ist vergleich-
theoretisch zu reformulieren und zu einer all- bar paradox. Das sollte es verbieten, das
gemeinen Theorie symbolisch generalisierter Geld nur als einen Anwendungsfall der
Kommunikationsmedien zu erweitern. Als Theorie symbolisch generalisierter Me-
symbolisches Medium kommt dem Geld die dien unter anderen zu behandeln.
302 Funktion zu, die wechselseitige Anschlussfä-
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313
— In einer entwickelten Geldwirtschaft ver- sich damals aus dem früheren „Methoden-
mittelt Geld nicht nur den Austausch von streit" zwischen den historisch und theore-
Gütern und Dienstleistungen, sondern tisch orientierten Richtungen der National-
auch die Bereitstellung der für ihre Her- ökonomie eine Phase mehr oder weniger in-
stellung erforderlichen Produktionsfakto- differenter „Koexistenz" (Swedberg 1991)
ren. Zugleich vermittelt es indirekt auch zwischen Sozial- und Wirtschaftswissen-
eine Vielzahl nichtökonomischer Funktio- schaften, in der beide sich um die Entwick-
nen und Leistungen in der Gesellschaft, lung eines je eigenständigen akademischen
von der Politik, der Wissenschaft, Kunst, Profils bemühten: Während die Wirtschafts-
bis hin zur Familie. Alle diese Subsysteme theorie sich auf die formale Analyse rationa-
der Gesellschaft müssen ungeachtet der ler Wahlhandlungen konzentrierte, speziali-
Eigenständigkeit ihrer symbolischen Co- sierte die Soziologie sich auf die Untersu-
des finanziert werden und erhalten ihren chung der nicht rationalen Kontextbedingun-
spezifisch modernen Charakter durch ge- gen des Wirtschaftshandelns, der sozialen
nau diesen Sachverhalt 2 Weitere Aspekte Normen und Institutionen. Dieses Arrange-
der Geldwirtschaft sind die Versachli- ment hatte zwar einen beruhigenden Effekt
chung sozialer Beziehungen, die Dynami- auf die früher m anchmal recht hitzigen Kon-
sierung sozialer Zeitordnungen, die „Ent- troversen und ebnete den Weg zu einer rela-
körperlichung" der sozialen Wahrneh- tiv geordneten Entwicklung der beiden Dis-
mung (Heinemann 1987). Welchen Sinn ziplinen. Aber seine „Kosten", insbesondere
hat die Bestimmung des Geldes als „wirt- die für die Soziologie, waren gleichfalls be-
schaftlich" spezialisie rtes Medium ange- trächtlich. Die seit den achtziger Jahren in
sichts seiner Allgegenwart in der Gesell- den USA von Autoren wie Granovetter,
schaft? Geld ist nicht nur wirtschaftliches Etzioni und Swedberg initiierte Debatte um
Austauschmittel, sondern „absolutes Mit- eine „neue" Wirtschaftssoziologie hat begon-
tel" (Simmel 1989: 298). So gern und so nen, diese Kosten zum Thema zu machen.
häufig diese Simmel'sche Formel in der Aber das wichtigste M anko der traditionellen
wirtschaftssoziologischen Literatur auch akademischen Arbeitsteilung ist noch immer
zitiert wird (Heinemann 1987: 326; Krae- relativ unbeachtet geblieben: Die Vernach-
mer 1997: 141), so wenig scheint die in ihr lässigung des Geldes. Geld ist ein Gegen-
angelegte Paradoxie bemerkt zu werden. stand mit sowohl „realen" als auch symboli-
Geld kann ein Mittel sein, dann ist es nicht schen Eigenscha ften, der genau zwischen
absolut, oder es ist absolut, d ann kann es den Forschungsfeldern von Soziologie und
nicht Mittel sein. Wenn Geld der Schlüs- Ökonomie angesiedelt ist. Es verbindet die
sel zur Verwirklichung nahezu aller Op- ökonomische Welt individueller Nutzenma-
tionen des Individuums ist — dies möchte ximierung mit der sozialen Welt der Normen
Simmel mit seiner Formulierung sagen —, und Institutionen — und stellt dennoch etwas
dann ist es zwangsläufig mehr als ein Drittes dar, das sich keiner der beiden Per-
bloßes Mi ttel, es ist vielmehr der End- spektiven subsumieren lässt.
zweck, in den alles soziale Handeln nolens So überrascht es nicht, dass das Thema
volens zurückläuft. Eine solche Auffas- Geld mit der historischen Trennung von So-
sung ist aber mit der in der Wirtschaftsso- zial- und Wirtschaftswissenschaften buch-
ziologie heute gepflegten funktionalen In- stäblich in ein „schwarzes Loch" fiel. Der
terpretation des Geldes als „Steuerungs- unbefriedigende aktuelle Zustand der Geld-
medium" schlechterdings unvereinbar. theorie ist Folge dieser Entwicklung. Für ei-
nen neuen Anlauf zu seiner Überwindung er-
Dass die Soziologie es verlernt hat, unbefan- scheint es sinnvoll, sich in die Epoche des
gen solchen Fragen nachzugehen, hat mit der „Methodenstreits" zurückzuversetzen und
in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhun- die Autoren dieser Periode neu zu lesen. Mit
derts entstandenen akademischen Arbeitstei- diesem Interesse wenden wir uns Simmel zu.
lung zwischen Sozial- und Wirtschaftswis-
senschaften zu tun. Bekanntlich entwickelte 303
C. Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"
kommt, hat von der im Geld angelegten che erheblichere Geldmi tt el als ,Vermögen`
Wahl freiheit nichts (ebd.: 277). Was er mit — d.h. als das Können, das Imstandesein
seinem Geld anfan gen kann, wird zum schlechthin bezeichnet" (ebd.: 176).
größten Teil durch seine Subsistenzbedürf- Als Geldvermögen ist das Geld über sei-
nisse vorherbestimmt, und, wie man über nen „einfachen" Nutzen als Tauschmittel hi-
Simmel hinaus sagen müsste: Er ist mit der naus Träger eines Nutzens zweiter Ordnung,
negativen Seite des Geldvermögens, nämlich der Wahlfreiheit, der es über die Reihe der
der Schuld konfrontiert. Für ihn verwandelt gewöhnlichen Waren hinaushebt. Weil es das
sich Geld aus einem Vehikel der Freiheit in schlechthin allgemeine Mittel ist, ist es eben
ein Mittel sozialer Disziplinierung, das ihn mehr als ein bloßes Mittel es wird vielmehr
—
zum Verkauf seiner Arbeitskraft zwingt. 3 bewusst oder unbewusst zu dem Endzweck,
Der eigentliche „Nutzen" des Geldes, näm- in den alles Handeln zurückläuft. In diesem
lich die Wahlfreiheit, fängt erst do rt an, wo Sinne hat es entgegen der konventionellen
es über die Subsistenzbedürfnisse hinaus zur ökonomischen Auffassung sehr wohl einen
Verfügung steht. Das ökonomische Gesetz inneren, keineswegs nur einen äußeren Wert .
des mit zunehmender Menge abnehmenden Was immer wir mi tt els des Geldes tun oder
Grenznutzens, das für gewöhnliche Güter erwerben, erhält eine implizite oder explizite
gilt, trifft auf das Geld nicht zu. Im Bewe rtung unter dem Gesichtspunkt seiner
Gegenteil, das Geld gleicht, nach einem Rekonvertierung in Geld. Wenn Geld die in-
Wo rt von Schopenhauer, dem Seewasser: Je dividuelle Freiheit als den höchsten We rt des
mehr man davon trinkt, desto durstiger wird Menschen verkörpert, dann ist es das
man. Armut ist deshalb nicht nur eine „mate- schlechthin höchste Gut, d an n kann es keinen
rielle" Benachteiligung, nicht nur eine höheren Nutzen haben als eben den, wieder-
Diskriminierung in der „Verteilung" von um Geld und mehr Geld zu machen.
Gütern, wie es heutige Soziologen und Öko- Der Geizhals, der das Geld in seiner
nomen so gern hinstellen. Der Reiche ist, wie Schatzkammer speiche rt , glaubt, allein durch
Simmel (1989: 274f.) betont, dem Armen das Festhalten des Geldes in den Genuss sei-
nicht nur materiell-quantitativ, sondern qua- nes Vermögenscharakters zu kommen. Das
litativ überlegen. Er verfügt nicht einfach ist natürlich eine Illusion, denn Geld muss
über mehr Geld, sondern kommt über den ausgegeben werden. Es ist, was es „ist", nur
Nutzen der für Geld erworbenen Güter hin- in der Bewegung, die es vollzieht, in der
aus in den Genuss der mit dem Geld ver- Funktion, die es erfüllt. Wird es nicht irgend-
knüpften Wahlfreiheit. Simmel spricht von wann ausgegeben, erzeugt es keine Schul-
einem „Superadditum", also einer A rt „Zu- den, so löst es sich in bloßes Metall, Papier
gabe" des Geldreichtums. Was das Geld dem oder gar in Nichts auf. Wie aber gibt der
Reichen bietet, ist nicht nur Nutzen, sondern Vermögensbesitzer sein Geld aus? Es für or-
eine Fähigkeit die Fähigkeit des freien
— dinäre, bloß nützliche Güter auszugeben, hie-
Zugriffs auf den Reichtum der Welt. Freiheit ße, Perlen vor die Säue zu werfen; die Ver-
und Macht: das ist etwas ganz anderes als nur mögenseigenschaft des Geldes würde ver-
der „Nutzen" von Äpfeln oder Birnen! Ge- nichtet. Es muss ausgegeben werden, aber so,
nau das sagt bereits die Alltagssprache, wenn dass es zurückfließt, und zwar nicht nur ein-
sie Geld als „Vermögen" bezeichnet. Der fach (dann wäre die ganze Operation ebenso
Reiche wirkt, wie Simmel präzisiert, nicht sinnlos gewesen wie die bloße Hortung),
nur durch „das, was er tut, sondern auch sondern vermeh rt zurückfließt. Nicht zufällig
durch das, was er tun könnte: weit über das drängen sich hier Parallelen zur Theologie
hinaus, was er nun wirklich mit seinem Ein- und Religion auf, auf die Simmel immer wie-
kommen beschafft, und was andere davon der hinweist. Er zitiert Hans Sachs („Geld ist
profitieren, wird das Vermögen von einem auf Erden der irdische Go tt”) und Nikolaus
Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkei- Cusanus mit seinem Gedanken von Go tt als
ten umgeben, wie von einem Astralleib, der der „coincidentia oppositorum" (ebd.: 307,
über seinen konkreten Umfan g hinausstreckt; 305). Wie Go tt der letzte Ruhepunkt des
306 darauf weist unzweideutig hin, dass die Spra- Seins ist, in dem alle Gegensätze der Welt ihr
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313
Gemeinsames finden, finden die Dinge im Suppe oder das Schnitzel hinunter — nur, weil
Geld ihr Zentrum, aus dem sie hervorgehen es Geld gekostet hat! „Das Objekt, aus dem
und dem sie wieder zustreben. Und so, wie alles, was irgendwie Sinn und Zweck seiner
Gott nur noch sich selbst wollen kann, kennt Konsumption sein könnte, hinweggefallen
auch Geld keinen höheren Zweck, als sich ist, wird unter Unbequemlichkeiten und
selbst zu vermehren und zu verwe rten. Schädlichkeiten konsumiert, bloß weil das
Es muss freilich festgestellt werden, dass dafür ausgegebene Geld ihm einen absoluten
diese Auffassung des Geldes als Kapital von Wert verliehen hat" (Simmel 1989: 321).
Simmel, der Geld und Kapital nicht klar von- In ähnlicher Weise können Phänomene
einander unterschieden hat (Haesler 1993), so wie Geiz, Geldgier einerseits, Kauf- und
nicht formuliert worden ist. Sie geht vielmehr Verschwendungssucht andererseits gedeutet
auf Karl Marx zurück, der die Auflösung der werden (vgl. ebd.: 292f.). Auf den ersten
inneren Paradoxie des Geldes als Wertsymbol Blick scheinen wir es hier mit ganz heteroge-
und We rtgegenstand in der dynamischen nen und miteinander unvereinbaren Charak-
Form des Geldes als Kapital erblickte und tereigenschaften zu tun zu haben: der tyran-
letztere in der bekannten Formel G-W-G' fas- nische Hausvater einerseits, der eifersüchtig
ste. Auch Marx spricht in einem mehr als nur über das Haushaltseinkommen wacht und
metaphorischen Sinne von den religiösen mit jedem Pfennig geizt, hier, der konsum-
Qualitäten des Geldes: Das Geld als „das süchtige, ständig Schulden machende Teen-
Allerheiligste", als der „Go tt der Waren" ager oder Dandy dort. Es geht um Verhal-
(Marx 1953: 132). Auch wenn Simmel die dy- tensweisen mit manchmal stark pathologi-
namische Natur des Kapitals weit weniger schen Zügen, die heute Gerichten, Therapeu-
deutlich erkannte als Marx, hat er die im Geld ten und Schuldnerberatern reichlich Beschäf-
angelegte Tendenz zur selbstreferenziellen tigung verschaffen. In den USA ist die „Fi-
Verabsolutierung des wirtschaftlichen Wertes nanztherapie" dabei, sich als eigener Zweig
klar gesehen. Damit aber erweist sich die der Psychotherapie zu etablieren (Haubl
Vermögensnatur des Geldes, ebenso wie die 1996). Man könnte nun lange über die jewei-
ihr immer korrespondierende Verschuldung ligen psychologischen und sozialen Hinter-
(wiederum drängt sich die Affinität von fman- gründe debattieren: Ist Kaufsucht eher ein
zieller und religiöser Schuld auf!), als Problem von Frauen als von Männern?
Phänomen von weit mehr als nur „wirtschaft- Wächst die Neigung zum Geiz mit dem Alter
licher" Bedeutung. Sie ist in der ganzen — das Geld sozusagen als Ersatzbe friedigung
Gesellschaft gegenwärtig, durchdringt alle für die sich abschwächende Fähigkeit zum
Lebensbereiche von den unscheinbarsten sinnlichen Genuss? Welche sozialen Struk-
Alltagsphänomenen bis hin zu den großen po- turbedingungen und Pathologien sind es, die
litischen und sozialen Entwicklungen. Das die individuelle Fähigkeit zur Balance von
soll im Folgenden näher erläutert werden. Soll und Haben entweder in der einen oder in
der anderen Richtung unterminieren? 4 Uns
geht es hier nur darum, den Simmel'schen
IV. Gedanken hervorzuheben, dass in der g anzen
psychologischen Vielfalt der alltäglichen
Geldpathologien ein gemeinsamer objektiver
Beginnen wir mit den scheinbar ganz unbe- Kern steckt: die in der Vermögenseigen-
deutenden kleinen, alltäglichen Pathologien, schaft des Geldes angelegte Tendenz zur
bei deren Analyse sich wiederum Simmel als Verabsolutierung des wi rtschaftlichen Wer-
Meister erweist. „Lieber den Magen ver- tes. Die psychische Konstitution hat lediglich
renkt, als dem Wirt einen Kreuzer ge- einen Einfluss darauf, in welcher Phase des
schenkt" — an dieser Devise, deren Deutung Umgangs mit Geld uns dessen magische
Simmel fast zwei Seiten widmet, zeigt sich Aura überkommt: die einen, nämlich die
die im Geld angelegte Tendenz zur Verabso- Asketen und Geizigen im Augenblick des
lutierung des wirtschaftlichen Wertes in ihrer Einnehmens, die anderen die Kaufsüchtigen
vielleicht bizarrsten Form. Ich würge die und Verschwender im Augenblick des Aus- 307
C. Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"
gebens. Beiden gemeinsam ist jedoch die die Fitness- und Askese-Wellen. So überträgt
subjektive Überwältigung durch die Magie sich die Vermögenseigenschaft des Geldes
des Geldes, die die Fähigkeit rationaler Kon- auf die Güter selbst. Ihre symbolisch-ästheti-
trolle des eigenen Handelns unterminiert. schen Qualitäten treten gegenüber ihren ma-
Ein dritter Kreis von Phänomenen ist die teriellen in den Vordergrund und dadurch al-
vom Geld ausgehende Tendenz zur Verfeine- lerdings wird dann in der Tat ihre natürliche
rung und Ästhetisierung der Bedürfnisse, die Sättigungsgrenze immer weiter hinausge-
ebenfalls bereits von Simmel (1989: 439f.) schoben: vom Luxus kann man genau wie
gesehen wurde. Veblen hat diesen Zusam- vom Geld nie genug bekommen. Die Dinge,
menhang nahezu zeitgleich mit Simmel in mit denen m an sich ausstattet, sollen an sich
seiner Theorie der „leisure class" (1899) aus- demonstrieren, dass man wählen kann, über
gearbeitet. Auch die neuere Soziologie hat Geldvermögen verfügt und sie werden damit
sich intensiv mit den Phänomenen des Lu- dem Geld selbst und seiner immateriellen
xuskonsums beschäftigt (Baudrillard 1970, Natur immer ähnlicher. Wie gründlich der
Corrigan 1997) und dabei über Veblen hin- hier vorliegende „money symbolism" die
aus nicht nur die sozialen Distinktionswir- gängige instrumentelle Geldauffassung der
kungen des Konsums, sondern auch seine ökonomischen Lehrbücher auf den Kopf
imaginativen und sogar „therapeutischen" stellt, hat Lane (1991) aufgezeigt. Anstatt
Funktionen betont (einen Überblick gibt den Nutzen der Güter zu symbolisieren, ge-
Stihler 1998). Den Zusammenhang mit dem winnt das Geld hier einen intrinsischen, ab-
Geldthema hat sie dabei freilich aus dem Au- soluten Wert, der seinerseits durch die Güter
ge verloren. Was ist „Luxus" überhaupt? Die nur symbolisiert wird. Die Frage nach dem
Wirtschaftswissenschaften mit ihrem einer- „Geldstoff" ist, sieht man es unter diesem
seits materialistischen, andererseits quantita- Blickwinkel, nicht so gleichgültig, wie o ft
tiv angelegten Reichtumsbegriff vermi tteln behauptet wird. Die symbolische Verkörpe-
davon eine ganz unzulängliche Vorstellung. rung des Reichtums in Form von Schmuck,
Es geht ja nicht um die bloße „Quantität" der Schätzen und Luxus ist nicht erst heute, son-
Konsumgüter. Der Gegensatz zwischen dem dern zu allen Zeiten eine Angelegenheit von
Reichen und dem Armen besteht gerade erstrangiger gesellschaftlicher Bedeutung ge-
nicht darin, dass der eine nur einmal, der an wesen.
nicht darin, dass der eine nur einmal, der -deragnzwiMlStekdr Luxus, das ist ein weiterer wichtiger As-
Woche isst. Der Kern des Luxusphänomens pekt, zeigt sich nicht allein in der Exklusivi-
ist vielmehr, dass der Reiche nach Unter- tät der Güter und Dienstleistungen, mit denen
scheidung, nach sozialer Distinktion strebt der Reiche sich umgibt, sondern auch in der
und dies in seinem Konsumverhalten, in sei- Weise, wie die soziale Umwelt mit ihm um-
nem ganzen Lebensstil zum Ausdruck brin- geht, nämlich in den vielen kleinen Rabatten
gen möchte. Er nutzt Güter in erster Linie und Sondervergünstigungen, die sie ihm of-
nicht materiell, sondern als Medium zur fen oder verdeckt zukommen lässt. Gerade
Kommunikation seines Vermögensstatus. weil sein Vermögen ihm immer die Freiheit
Die „feinen" Unterschiede sind es, auf die es gibt, woanders hinzugehen, muss man ihn
ihm ankommt. Das, wozu ihn das Geld be- ganz besonders hofieren, damit er sein Geld
fähigt, nämlich wählen zu können — Simmels hier und nicht woanders lässt. Das führt nicht
„Superadditum des Reichtums" —, soll auch nur dazu, dass den vermögenden Großkun-
in der Art der Kleidung, der Wohnung, den den — die es eigentlich am wenigsten nötig
Freizeitbetätigungen usw. sichtbar gemacht hätten — besondere Vergünstigungen einge-
und der sozialen Umwelt signalisiert werden räumt werden (siehe z.B. die „miles and mo-
(man braucht dafür allerdings, wie Bourdieu re"-Programme der Fluggesellschaften).
betont hat, neben Geld auch möglichst etwas Geldvermögen bedeutet auch politische
Geschmack). Im konkreten Fall kann das Macht, man denke nur an den Wettlauf der
Distinktionsbedürfnis sogar zur Folge haben, Kommunen oder Staaten um die Gunst der
dass der Reiche in einem rein materiellen Investoren, an den Dschungel der Steuersub-
308 Sinn weniger konsumiert — man denke nur an ventionen. Und nicht nur politische Macht,
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313
manchmal kann es darüber hinaus auch z.B. Laune. Der Unternehmer ist zwar der „Revo-
zur Verleihung der Ehrendoktorwürde füh- lutionär der Wirtschaft" (Schumpeter), aber
ren. Kurzum: Das im Vermögen angelegte deshalb kein Anarcho oder Chaot. Er erfüllt
„Superadditum des Reichtums" schlägt sich vielmehr eine höchst wichtige gesellschaftli-
in einer ganzen Reihe greifbarer materieller che Funktion, indem er die im Geld angeleg-
und immaterieller Vorteile nieder. Geld be- te Verheißung absoluten Reichtums deutet
deutet Macht, und darin liegt sein eigentli- und ihr eine praktisch orientierende Gestalt
cher „Nutzen". gibt. Das Geld weckt zwar Träume und
Die Macht des Geldes zeigt sich jedoch Phantasien, vermehrt sich aber gleichwohl
nicht nur in den bisher betrachteten Phäno- nicht von selbst. Es muss jemand geben, der
menen. Sie hat auch einen entscheidenden zeigt, wie das geschehen kann, der Projekte
Einfluss auf die Dynamik technischer Inno- definiert, Ressourcen beschafft und die
vationen und wi rtschaftlichen Wachstums Menschen fair seine Ziele mobilisiert — den
und die durch sie bedingten gesellschaftli- Unternehmer. Wie tut er das, wie gelingt ihm
chen Umwälzungen. Simmel hat sich in sei- das?
ner Untersuchung mit diesen gesamtgesell- Die wichtigste Voraussetzung ist: Er muss
schaftlichen Aspekten der Geldwirtschaft Arbeit einsetzen, denn nur Arbeit ist kreativ,
freilich kaum befasst. Es bietet sich an, sie an nicht Maschinen, Bürokratien und auch nicht
dieser Stelle zu erweitern, was wir hier nur in Computerprogramme, obwohl der Unterneh-
einigen knappen Strichen tun können (aus- mer die letzteren natürlich auch braucht. Nur
führlicher Deutschmann 1996, 1997, 1999). durch Arbeit lassen sich bestehende techno-
Wenn man dem Phänomen des wirtschaft- logische Routinen durchbrechen, nur durch
lichen Wachstums nachgeht, stößt man über Arbeit lässt sich genuin Neues schaffen. Das
kurz oder lang auf die soziale Figur des Un- ist der wahre Kern der von den Ökonomen so
ternehmers und auf Schumpeters Theorie des gescholtenen „Arbeitswerttheorie". 6 Aber
Unternehmers als des zentralen Agenten der Einsatz von Arbeit allein, die bloße
„schöpferischer Zerstörung". Uns kommt es Tatsache zeitlicher Verausgabung von Ar-
hier darauf an, den Zusammenhang zwischen beitskraft genügt natürlich nicht. Der Unter-
dieser Theorie und der gerade geführten Dis- nehmer muss Arbeit kreativ, schöpferisch
kussion über den Vermögenscharakter des einsetzen, und das heißt immer auch: beste-
Geldes herzustellen, was Schumpeter selbst hende Technologien und soziale Strukturen
überraschenderweise nicht tut. Dieser Zu- zerstören. Dafür braucht er Ideen über neue
sammenhang liegt ja schon deshalb nahe, Produkte und Technologien und muss diese
weil Geldvermögen, eigenes und/oder gelie- Ideen seiner sozialen Umwelt, seinen Be-
henes, der Ausgangspunkt und die Basis je- schäftigten, Lieferanten, Kunden usw. ver-
der unternehmerischen Aktivität ist. Geld als mitteln, was immer auch heißt: sie gegen die
Vermögen muss sich vermehren, und zwar dort sich regenden konservativen Widerstän-
nicht nur deshalb, weil der Unternehmer ei- de durchsetzen. Es kommt dabei nicht nur
nen ihm eventuell gewährten Kapitalkredit auf die große Idee des Unternehmers oder
verzinsen muss, sondern allein aufgrund der Erfinders an, sondern auch auf die tausend
immanenten Vermögenseigenschaft des Gel- kleinen der Ingenieure, Produktionsarbeiter,
des selbst (also auch dann, wenn es sich um Marketing-Spezialisten, Anwender. Wichtig
eigenes Kapital handelt; siehe das oben er- ist auch nicht nur die individuelle Durchset-
läuterte Dilemma des Geizhalses). Die Wirt- zungskraft des Unternehmers, sondern auch
schaft muss aus endogenen Gründen wach- seine Fähigkeit, wirtscha ftliche und politi-
sen, denn sie ist nicht einfach Marktwirt- sche Koalitionen zur Durchsetzung seiner
schaft, sondern kapitalistische Wi rtschaft. Projekte zu schmieden. Schöpferische Zer-
Nicht das Geld dreht sich um die Güter, son- störung — auch das hat Schumpeter vernach-
dern die Güter drehen sich um das Geld. 5 lässigt — ist immer ein sozialer Prozess, nie-
Was der Unternehmer tut, nämlich Innova- mals eine rein individuelle Leistung. Inno-
tion, Durchsetzung neuer Kombinationen, vation muss kommuniziert werden: darin
schöpferische Zerstörung, ist also nicht bloße liegt die Bedeutung der vielzitierten „Leit- 309
C. Deutschm ann: Geld als „absolutes Mittel"
auf das Imaginäre — dafür kann es viele g anz sche Revolutionen" und politische „Refor-
verschiedene, politische, gesellschaftliche, men" unter Druck gehalten. Der Erfolg dieser
ökologische, demographische Gründe geben Propaganda ist gerade in den „reifen" Indust-
— dann sinken die Gewinnerwartungen, und riegesellschaften des Westens mit ihrem hohen
das heißt: es wird nicht mehr investiert. Dann Anteil ökonomisch relativ saturie rter Bevöl-
wächst die Wirtschaft nicht mehr nur nicht, kerungsschichten alles andere als garantiert.
sie schrumpft, und damit tritt die auf der Der Wettlauf, der der Gesellschaft hier aufge-
Rückseite des Geldreichtums akkumulierte zwungen wird, muss enden wie der des Hasen
wechselseitige Bedürftigkeit der Individuen mit dem Igel: mit dem Tempo des Geldes wird
zu Tage. Es entsteht das paradoxe Phänomen sie letztlich nie Schritt halten können.
der „Armut im Überfluss": Mitten in einer Die Vermögenseigenschaft des Geldes
Wirtschaft von überwältigender Produktivi- birgt in sich die Versuchung, diese Grenzen
tät, die rein technisch gesehen spielend in der der Macht des Geldes zu vergessen oder zu
Lage wäre, die gesamte Bevölkerung kom- verdrängen. Weil der Kapitalinvestor in jeder
fortabel mit allem Lebensnotwendigen zu konkreten Situation immer auch andere
versorgen, müssen gerade die Armen den Optionen hat, entsteht in ihm die Illusion, er
Gürtel noch enger schnallen. Die Arbeitslo- könne sich aus der Abhängigkeit von der Ge-
sen, so hieß es kürzlich in dem Bericht einer sellschaft überhaupt befreien und die Ver-
bayrisch-sächsischen Kommission (vgl. wandlung von G in G' am Ende doch direkt
Bergmann 1999), müssten sich wieder daran vollziehen. In der seit den achtziger Jahren zu
gewöhnen, als Dienstboten und Schuhputzer beobachtenden Tendenz zur „Entkoppelung"
ihr Auskommen zu finden; die Reichen dage- der Finanzmärkte (Guttmann 1996; Aglietta
gen daran, sich wieder bedienen zu lassen. 1998; Binswanger 1996) ist diese Illusion in
So bizarr diese These anmutet, zeigt sie aber einem Ausmaß zum Tragen gekommen, das
doch das Problem in seiner ganzen Schärfe historisch wohl ohne Beispiel ist. Neben der
auf. Die kapitalistische Wirtschaft ist nicht in durch den Einsatz elektronischer Medien er-
der Lage, im Zustand eines stabilen statischen möglichten Ausweitung der Kreditschöpfung
Gleichgewichts zu verharren, wie die ökono- des privaten Bankensystems hat die auf den
mischen Lehrbücher unterstellen. Sie ist eben Zusammenbruch des Bre tton-Woods-Systems
nicht nur eine harmlose Veranstaltung zur folgende Deregulierung und Internationalisie-
Befriedigung gegebener menschlicher „Be- rung der Finanzmärkte zu dieser Entwicklung
dürfnisse", sondern muss selbst immer neue beigetragen. Sie hat ein wahres Dorado welt-
Bedürfnisse erzeugen. Sie lebt aus dem Zugriff weiter Anlagemöglichkeiten für den Kapi-
auf das Imaginäre und kann daher entweder talinvestor geschaffen, das die konventionelle
nur wachsen oder schrumpfen. Wachstum ist unternehmerische Investition in reale Produk-
der oberste Imperativ nicht nur der Wirtschaft, te und Dienstleistungen immer unvo rteilhafter
sondern, aufgrund der Geldabhängigkeit auch dastehen lässt. Anstatt sich durch die schmale
der anderen gesellschaftlichen Subsysteme, Pforte der produktiven Direktinvestition zu
der ganzen Gesellschaft. Aber es lässt sich zwängen, strömt das anlagesuchende Kapital
nicht „machen", nicht technisch erzwingen auf den breiten Weg der mobilen Anlage auf
oder bürokratisch kommandieren. Auch unter den internationalen Finanzmärkten. Die stän-
dem Regime der modernen Informationstech- dig steigenden Börsenkurse sind nicht nur
niken erfordert der Schritt vom G zum G' noch Folge dieser Entwicklung, sondern treiben sie
immer den „Umweg" über die Produktion und ihrerseits weiter voran. Wozu überhaupt noch
den Verkauf von Waren, der den Kapital- den mühsamen Umweg des Unternehmers
investor zwingt, sich auf die notorisch zu über die reale Welt gehen, wenn der direkte
„langsame" gesellschaftlichen Umwelt, auf die Weg vom Geld zu mehr Geld so viel beque-
„Rigidität" ihrer Institutionen, die „Unsicher- mer und gewinnträchtiger ist?
heit" ihrer kommunikativen Prozesse ein- Simmels Theorem vom „Superadditum
zulassen. Um ihre natürliche Trägheit zu über- des Reichtums", von der inhärenten Überle-
winden, wird die Gesellschaft durch beständi- genheit des Geldes gegenüber allen fixen
ge Propaganda für immer neue „technologi- Formen des Vermögens, scheint sich in der 311
C. Deutschmann. Geld als „absolutes Mittel"