Sie sind auf Seite 1von 13

Christoph Deutschmann

Geld als „absolutes Mittel"


Zur Aktualität von Simmels Geldtheorie
Folgt m an den immer zahlreicheren kritischen Stimmen, so kann der heutige Stand nicht nur der soziologi-
schen, sondern auch der ökonomischen Geldtheorie nicht be friedigen. Im folgenden Beitrag wird daher für
eine erneute Ausein andersetzung mit Simmel als einem Autor plädiert, dessen Denken noch nicht durch die
heute etablierte akademische Arbeitsteilung zwischen Wirtschaftswissenschaften und Soziologie bestimmt
war. Im Mittelpunkt der Simmel'schen Analyse steht die Auffassung des Geldes als „absolutes Mi ttel". Ge-
zeigt wird, dass diese Auffassung der in der heutigen Wirtschaftssoziologie gepflegten funktionalistischen
Interpretation des Geldes diametral widerspricht. Zugleich erlaubt sie es, viele der in der heutigen
Individualisierungs- und Modernisierungstheorien breit diskutie rten gesellschaftlichen Phänomene in einer
neuen und an alytisch schärferen Weise zu erfassen. Simmels Geldtheorie lässt sich darüber hinaus für eine
gegenwartsbezogene Analyse wi rtschaftlicher Wachstums- und Innovationsprozesse fruchtbar machen.

I. das scheint nach der Meinung nicht weniger


Vertreter dieser Disziplin (Barro/Fischer 1976;
Tobin 1982; Spahn 1986; Riese 1995;
Simmels „Philosophie des Geldes" (1989) Guttmann 1996; Heinsohn/Steiger 1996) eben-
wird seit einigen Jahren wieder verstärkt gele- so wenig der Fall zu sein. So gewinnt m an den
sen und diskutiert (Kintzeld/Schneider 1993; Eindruck, dass das Thema Geld in einem „Nie-
Dodd 1994; von Flotow 1995; Ganßmann mandsland" zwischen den Disziplinen Sozio-
1996). Aus soziologischer Sicht ist das zu be- logie und Volkswirtschaftslehre gelandet ist.
grüßen, denn der heutige Stand der Auseinan- Wir werden im Folgenden zunächst versu-
dersetzung der Wirtschaftssoziologie mit dem chen, die Schwierigkeiten zu rekapitulieren,
Thema Geld und Geldvermögen kann nicht die die Soziologie mit dem Thema Geld hat.
befriedigen. In den einschlägigen Lehr- und Unsere These wird lauten, dass diese Proble-
Textbüchern fehlt es zwar nicht. Man findet me zu einem guten Teil aus dem Zuschnitt
dogmengeschichtliche Überblicke über die der akademischen Arbeitsteilung zwischen
klassischen ökonomischen und soziologischen Soziologie und ökonomischer Theorie resul-
Lehrmeinungen, m an stößt auf z.T. recht um- tieren, wie sie sich nach dem ersten Welt-
fangreiche Kataloge von „Geldfunktionen", 1 krieg herausgebildet hat.
man wird über die Rolle des Geldes als Daraus ergibt sich die Forderung nach ei-
Kommunikationsmedium und über die insti- ner erneuten Auseinandersetzung mit jenen
tutionellen Voraussetzungen der Geldwert- klassischen Autoren, deren Denken noch
stabilität aufgeklärt. Das Problem dieser Über- nicht durch jene Arbeitsteilung geprägt war —
sichten liegt in ihrem eklektizistischen Zug. In unter ihnen vor allem mit Georg Simmel.
ihrem sachlichen Kern reduzieren sie sich oft Wir werden argumentieren, dass die Sim-
auf eine Rekapitulation ökonomischen Lehr- mel'sche Analyse zwar in wichtigen Punkten
buchwissens. Die wenigen Beiträge mit eige- ergänzungsbedürftig, gerade aus heutiger
nem systematischem Anspruch, neben den Sicht aber geeignet ist, der Soziologie des
schon erwähnten Arbeiten von Dodd und Geldes neue Impulse zu verleihen.
Ganßmann etwa die von Smelt (1980) oder
Heinsohn/Steiger (1996), Emden wenig Reso-
nanz. Dies wäre kein großes Problem, wenn
die Wirtschaftstheorie selbst eine befriedigen-
de Theorie des Geldes anzubieten hätte. Aber 301
C. Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"

II. higkeit „wirtschaftlich", das heißt, am Pro-


blem der „Knappheit" o rientierter Kommuni-
Worin bestehen die Probleme der Soziologie kation sicherzustellen. Das Geld wird als Mo-
mit dem Thema Geld? Sie bestehen zunächst dellfall funktional spezialisierter Kommunika-
in der oft unkritischen Übernahme ökonomi- tion in der Gesellschaft betrachtet, dem andere
schen Lehrbuchwissens. Was in der einschlä- Medien in anderen Subsystemen der Gesell-
gigen Literatur (z.B. Mizruchi/Steams 1994) schaft gegenüberstehen. So, wie sich d as Sub-
zum Thema Geld zu lesen ist, unterscheidet system Wirtschaft durch die Autopoesis des
sich oft kaum von den Darstellungen in öko- Geldes konstituiert (Luhmann 1988), konsti-
nomischen Textbüchern. Man liest die alte, tuiert sich das politische System durch das
auf Adam Smith zurückgehende Geschichte Medium Macht, die Wissenscha ft durch das
über den natürlichen Hang des Menschen zum Medium Wahrheit usw. G rundlage dieser me-
Austausch und dessen Erleichterung durch die dientheoretischen Erweiterungen bleibt frei-
Erfindung des Geldes. Mit Parsons und Par- lich die ungeprüfte Übernahme des ökonomi-
sons/Smelser (1956) wird das die ökonomi- schen Tauschmitteltheorems selbst, bei der
sche Theorie bis heute beherrschende Paradig- zwei Probleme unter den Tisch fallen:
ma des „Realtausches" ohne nähere Prüfung
übernommen. Die Wirtschaft gilt d anach als Übergangen wird die z.B. noch von Men-
ein soziales System, das auf die Funktionen ger eingehend diskutierte „klassische"
der Produktion, des Austausches und der Ver- Frage nach dem Verhältnis zwischen der
teilung von Gütern spezialisiert ist. Die von symbolischen Funktion des Geldes und
der Wirtschaft bereitgestellten Güter und seinem „inneren" Wert. Diese Frage mit
Dienstleistungen dienen ihrerseits der Befrie- Parsons und Luhmann einfach für gegen-
digung menschlicher Bedürfnisse als ihrem standslos zu erklären, heißt, die Vermö-
vermeintlich „natürlichen" Endzweck. Die genseigenschaft des Geldes zu ignorieren.
Wirtschaft wird stets so analysiert, als ob sie Wäre Geld wirklich nur ein symbolisches
nach dem Prinzip des direkten Warentausches Medium ohne inneren Wert, so wäre uner-
funktionierte. Weil die Wirtschaft auf gesell- klärlich, warum es zugleich „knapp" ge-
schaftlicher Arbeitsteilung beruht, ist Geld als halten werden muss, warum es völlig un-
Tauschmittel selbstverständlich unentbehr- abhängig von seiner metallischen oder
lich. Aber es tritt von vornherein nur in einer rein nominalen Verfassung stets so behan-
funktional beschränkten Perspektive in den delt werden muss, als ob es eine ausge-
Blick: Unter welchen Voraussetzungen kann dehnte Substanz wäre. Geld hat zwar die
es seine als evident unterstellte Hauptfunk- Eigenschaften einer Sprache, wird aber im
tion, nämlich den Austausch der Güter zu er- Gegensatz zu ihr nicht mitgeteilt, sondern
möglichen, am besten erfüllen? Neoklassische übertragen. Nur deshalb kann es, wieder-
und keynesianische Positionen unterscheiden um im Gegensatz zur Sprache und zu an
sich bekanntlich darin, dass die einen ein um im Gegensatz zur Sprache und zu -dernMi,pvatgenwrd
„neutrales" Funktionieren des Geldes für und stellt so mehr da als bloß ein Medium,
möglich halten, wenn nur bestimmte institu- nämlich ein „Vermögen". Geld ist das,
tionelle Rahmenbedingungen erfüllt sind, worauf es verweist. Es ist, wie Smelt
während die anderen unter Hinweis auf die (1980) zu Recht betont hat, Wertsymbol
Wertspeicherfunktion des Geldes Bedenken und Wertgegenstand zugleich so, als ob—

gegen diese Auffassung anmelden. das Schild, das vor dem bissigen Hund
Die Soziologie hat sich seit Parsons darauf warnt, mit dem Hund selbst identisch wä-
konzentriert, die neoklassische Interpretation re. Kein anderes Medium (abgesehen viel-
des Geldes als Tauschmittel kommunikations- leicht nur von der Religion) ist vergleich-
theoretisch zu reformulieren und zu einer all- bar paradox. Das sollte es verbieten, das
gemeinen Theorie symbolisch generalisierter Geld nur als einen Anwendungsfall der
Kommunikationsmedien zu erweitern. Als Theorie symbolisch generalisierter Me-
symbolisches Medium kommt dem Geld die dien unter anderen zu behandeln.
302 Funktion zu, die wechselseitige Anschlussfä-
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313

— In einer entwickelten Geldwirtschaft ver- sich damals aus dem früheren „Methoden-
mittelt Geld nicht nur den Austausch von streit" zwischen den historisch und theore-
Gütern und Dienstleistungen, sondern tisch orientierten Richtungen der National-
auch die Bereitstellung der für ihre Her- ökonomie eine Phase mehr oder weniger in-
stellung erforderlichen Produktionsfakto- differenter „Koexistenz" (Swedberg 1991)
ren. Zugleich vermittelt es indirekt auch zwischen Sozial- und Wirtschaftswissen-
eine Vielzahl nichtökonomischer Funktio- schaften, in der beide sich um die Entwick-
nen und Leistungen in der Gesellschaft, lung eines je eigenständigen akademischen
von der Politik, der Wissenschaft, Kunst, Profils bemühten: Während die Wirtschafts-
bis hin zur Familie. Alle diese Subsysteme theorie sich auf die formale Analyse rationa-
der Gesellschaft müssen ungeachtet der ler Wahlhandlungen konzentrierte, speziali-
Eigenständigkeit ihrer symbolischen Co- sierte die Soziologie sich auf die Untersu-
des finanziert werden und erhalten ihren chung der nicht rationalen Kontextbedingun-
spezifisch modernen Charakter durch ge- gen des Wirtschaftshandelns, der sozialen
nau diesen Sachverhalt 2 Weitere Aspekte Normen und Institutionen. Dieses Arrange-
der Geldwirtschaft sind die Versachli- ment hatte zwar einen beruhigenden Effekt
chung sozialer Beziehungen, die Dynami- auf die früher m anchmal recht hitzigen Kon-
sierung sozialer Zeitordnungen, die „Ent- troversen und ebnete den Weg zu einer rela-
körperlichung" der sozialen Wahrneh- tiv geordneten Entwicklung der beiden Dis-
mung (Heinemann 1987). Welchen Sinn ziplinen. Aber seine „Kosten", insbesondere
hat die Bestimmung des Geldes als „wirt- die für die Soziologie, waren gleichfalls be-
schaftlich" spezialisie rtes Medium ange- trächtlich. Die seit den achtziger Jahren in
sichts seiner Allgegenwart in der Gesell- den USA von Autoren wie Granovetter,
schaft? Geld ist nicht nur wirtschaftliches Etzioni und Swedberg initiierte Debatte um
Austauschmittel, sondern „absolutes Mit- eine „neue" Wirtschaftssoziologie hat begon-
tel" (Simmel 1989: 298). So gern und so nen, diese Kosten zum Thema zu machen.
häufig diese Simmel'sche Formel in der Aber das wichtigste M anko der traditionellen
wirtschaftssoziologischen Literatur auch akademischen Arbeitsteilung ist noch immer
zitiert wird (Heinemann 1987: 326; Krae- relativ unbeachtet geblieben: Die Vernach-
mer 1997: 141), so wenig scheint die in ihr lässigung des Geldes. Geld ist ein Gegen-
angelegte Paradoxie bemerkt zu werden. stand mit sowohl „realen" als auch symboli-
Geld kann ein Mittel sein, dann ist es nicht schen Eigenscha ften, der genau zwischen
absolut, oder es ist absolut, d ann kann es den Forschungsfeldern von Soziologie und
nicht Mittel sein. Wenn Geld der Schlüs- Ökonomie angesiedelt ist. Es verbindet die
sel zur Verwirklichung nahezu aller Op- ökonomische Welt individueller Nutzenma-
tionen des Individuums ist — dies möchte ximierung mit der sozialen Welt der Normen
Simmel mit seiner Formulierung sagen —, und Institutionen — und stellt dennoch etwas
dann ist es zwangsläufig mehr als ein Drittes dar, das sich keiner der beiden Per-
bloßes Mi ttel, es ist vielmehr der End- spektiven subsumieren lässt.
zweck, in den alles soziale Handeln nolens So überrascht es nicht, dass das Thema
volens zurückläuft. Eine solche Auffas- Geld mit der historischen Trennung von So-
sung ist aber mit der in der Wirtschaftsso- zial- und Wirtschaftswissenschaften buch-
ziologie heute gepflegten funktionalen In- stäblich in ein „schwarzes Loch" fiel. Der
terpretation des Geldes als „Steuerungs- unbefriedigende aktuelle Zustand der Geld-
medium" schlechterdings unvereinbar. theorie ist Folge dieser Entwicklung. Für ei-
nen neuen Anlauf zu seiner Überwindung er-
Dass die Soziologie es verlernt hat, unbefan- scheint es sinnvoll, sich in die Epoche des
gen solchen Fragen nachzugehen, hat mit der „Methodenstreits" zurückzuversetzen und
in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhun- die Autoren dieser Periode neu zu lesen. Mit
derts entstandenen akademischen Arbeitstei- diesem Interesse wenden wir uns Simmel zu.
lung zwischen Sozial- und Wirtschaftswis-
senschaften zu tun. Bekanntlich entwickelte 303
C. Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"

Diese paradoxe Definition, in die das erste


Kapitel der „Philosophie des Geldes" mün-
Simmels Untersuchung ist in zwei Hauptab- det, macht den in Simmels Argumentation
schnitte gegliedert. Im ersten, als „analy- angelegten Zirkel offenbar: Ihre Prämisse,
tisch" titulierten Teil geht es um die Darstel- die Unterscheidung und wechselseitige Dis-
lung der gesellschaftlichen Voraussetzungen tanzierung von Subjekt und Objekt, kann ge-
des Geldes, die „sein Wesen und den Sinn nauso gut als ihr Resultat gelesen werden.
seines Daseins tragen", im zweiten, als „syn- Simmels Analyse demonstriert die Undurch-
thetisch" bezeichneten Teil umgekehrt um führbarkeit einer subjekttheoretischen Ablei-
die Untersuchung der Wirkungen des Geldes tung des Geldes, da das reflexiv sich gegen
„auf das Lebensgefühl der Individuen, auf die Welt abhebende Subjekt, das ihren Aus-
die Verkettung ihrer Schicksale, auf die all- gangspunkt bildet, selbst bereits als ein Re-
gemeine Kultur" (Simmel 1989: 10). Sim- sultat der Geldwirtschaft interpretie rt werden
mels geldtheoretische Überlegungen sind kann.
zwar unverkennbar durch die Auseinander- Anstatt uns weiter in dem von Simmel
setzung mit ökonomischen Theorien beein- vorgeführten Vexierspiel zu verstricken, zie-
flusst (von Flotow 1995: 23). Dennoch ist es hen wir es vor, gleich zum zweiten Teil sei-
sein ausdrückliches Ziel, das Phänomen des ner Analyse und dessen zentraler Fragestel-
Geldes nicht in ökonomischer Perspektive zu lung überzugehen: Was macht das Geld aus
analysieren, sondern zum Gegenst and einer den Menschen und der Gesellschaft? Simmel
„philosophischen" Betrachtung zu machen. betont hier (ebd.: 375f.) zunächst, dass die
Im ersten Teil seiner Untersuchung geht allgemeine Durchsetzung des Geldes als
es Simmel darum, das Geld in die seine ge- Tauschmittel in der modernen Wirtschaft
samte Analyse bestimmende relativistische nicht nur den Reichtum der Gesellschaft ver-
Weltsicht einzuordnen. Dabei verwickelt er mehrt, sondern zugleich umwälzende soziale
sich, wie der Autor selbst in einem Brief an Folgen hat: Geld ist Schrittmacher der „indi-
Heinrich Rickert (vgl. die editorische Notiz viduellen Freiheit". Auch das will auf den er-
in Simmel 1989: 727) anmerkte, in einen sten Blick nicht einleuchten. Mit der Geld-
„circulus vitiosus": Wenn man nur weit ge- wirtschaft wächst ja die gesellschaftliche Ar-
nug gehe, finde m an immer wieder, dass der beitsteilung und damit gerade nicht die
Wert von A auf den von B, oder der von B Freiheit, sondern die Abhängigkeit aller von
wiederum nur auf den von A begründet sei. allen. Es hat in der Geschichte noch nie eine
Der Autor klagt darüber, dass es ihm nicht Gesellschaft gegeben, in der die Menschen in
gelungen sei, einen Ausweg aus dieser einem so umfassenden Sinn voneinander ab-
Zwickmühle zu finden. Simmel leitet im er- hängig geworden sind wie in der modernen
sten Schritt den wirtschaftlichen Wert aus ei- Gesellschaft. Das Entscheidende ist aber
ner inneren Distanzierung zwischen Subjekt nach Simmel, dass das Geld den persönli-
und Objekt ab, die ihren Ausdruck im Aus- chen Charakter dieser Abhängigkeiten besei-
tausch findet, d.h. in der Bereitschaft, ein be- tigt und ihnen eine funktionale, damit aus-
stimmtes Objekt für ein anderes hinzugeben. tauschbare und anonyme Form gibt. „Nun
An die Stelle der subjektiven Begehrtheit ei- aber war der relativ ganz enge Kreis, von
nes bestimmten Gutes tritt nun die gegensei- dem der Mensch einer wenig oder gar nicht
tige Bestimmung des Wertes der Güter (ebd.: entwickelten Geldwirtschaft abhing, dafür
52f.). Diesem ersten Schritt der Objektivie- viel mehr personal festgelegt. Es waren diese
rung des wirtschaftlichen Wertes folgt ein bestimmten, persönlich bekannten, gleich-
zweiter: die Abbildung der Tauschwerte der sam unauswechselbaren Menschen, mit de-
Güter in einem Dritten, dem Geld. Geld ist nen der altgermanische Bauer oder der india-
für Simmel die höchste Form der Objektivie- nische Gentilgenosse, der Angehörige der
rung des wirtschaftlichen Wertes, die dem slavischen oder der indischen Hauskommun-
Prinzip sozialer Wechselwirkung seine denk- ion, ja vielfach noch der mittelalterliche
bar abstrakteste Fassung gibt. Es ist „sub- Mensch in wirtschaftlichen Abhängigkeits-
304 stanzgewordene Relativität" (1989: 134). verhältnissen stand; um so wenigere aufein-
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313

ander angewiesene Funktionen es sich han- und sachlichen Produktionsfaktoren über-


delt, um so beharrender und bedeutsamer wa- haupt nur Herstellbare. Das Geld wird zum
ren ihre Träger. Von wie vielen ,Lieferanten` Vehikel der Verlängerung der technischen
allein ist dagegen der geldwirtschaftliche Zweck-Mi tt el-Ke tt en, der Vermehrung und
Mensch abhängig! Aber von dem einzelnen, Vervielfältigung der Güter (Simmel 1989:
bestimmten derselben ist er unvergleichlich 254f.). Es gibt am Ende fast nichts mehr, was
unabhängiger und wechselt leicht und belie- nicht für Geld zu kaufen wäre: nicht nur ma-
big oft mit ihm" (ebd.: 396). terielle Güter, sondern auch Schönheit, Intel-
Das Geld ermöglicht es den Menschen al- ligenz usw. Ich kann alle meine wirklichen
so, sich in Gesellschaft zu vereinzeln. Das und imaginären Bedürfnisse befriedigen und
moderne Individuum ist kein Parzellenbauer, alle meine natürlichen menschlichen Schwä-
kein einsamer Siedler im Urwald, es lebt mit- chen kompensieren. Wenn ich hässlich bin,
ten in der Großstadt und ist mit allen Fasern unterziehe ich mich einer Schönheitsopera-
seines Wesens von der Gesellschaft abhän- tion, wenn ich dumm bin, kaufe ich mir „in-
gig. Das Geld ist es, was ihm das Kunststück telligente" Software oder einen Dokto rt itel.
ermöglicht, dennoch individuell frei zu sein. Aber selbst damit ist der Möglichkeits-
Es be freit den Einzelnen — Männer wie Frau- raum des Geldes noch nicht erschöpft: Für
en — aus persönlichen Verpflichtungen, löst Geld kann ich auch Zeit kaufen. Ich kann es
die Bindung an Traditionen und Gemein- jetzt ausgeben oder sparen und mir dadurch
schaften. Auch Frauenbefreiung und Femi- Optionen für die Zukunft sichern. Oder ich
nismus beispielsweise lassen sich in dieser kann Kredit aufnehmen und mir damit Optio-
Sicht als ein Phänomen der Geldwirtschaft nen, die ich sonst erst später hätte, schon jetzt
deuten (die Bedeutung „eigenen Geldes" für realisieren. Geld ist gespeicherte Zeit und
Frauen!). Geld ist, wie auch Heinsohn/Stei- Zeit ist Geld. Ich kann nicht nur wählen, was
ger (1996) zuletzt wieder betont haben, Trä- ich bei wem wo kaufe, sondern auch wann
ger abstrakter Eigentumsrechte, denen selbst- ich kaufe und gewinne damit Freiheit in der
verständlich Pflichten, nämlich Schulden ge- Zeitdimension. Das Geld macht mir mehr
genüberstehen. Indem es dem Individuum er- Güter je Zeiteinheit verfügbar. Es wirkt als
möglicht, seine Ansprüche an die Leistungen Hebel der Produktivitätssteigerung durch
anderer gleichsam in der Tasche mit sich her- technischen Fo rtschritt . Damit wächst auch
umzutragen, schafft es eine nie gekannte das „Tempo" des sozialen Lebens (ebd.:
Fülle neuer sozialer Optionen und Obligatio- 655f.). Das Gleiche gilt Mr die Dimension
nen. Letztere nehmen die Form von „Verträ- des Raumes: Geld be fr eit die sozialen Ak-
gen", nämlich zweckorientierter und auf der teure aus ihrer Abhängigkeit von lokalen
Basis des freien Willens der Beteiligten ge- Ressourcen und öffnet ihnen die g an ze Welt
schlossener Vereinbarungen an . als Feld ihrer Operationen. Geld erlaubt es,
Die Freiheit, die das Geld begründet, be- soziale Handlungsketten über immer weitere
schränkt sich jedoch nicht nur auf die soziale zeitliche wie räumliche Distanzen aufzubau-
Dimension des H an delns. Das Geld macht en. So wird „das Entfernteste näher, um den
dem Individuum auch den gesamten sachli- Preis, die Dist an z zum Näheren zu erwei-
chen Reichtum der Welt zugänglich. Was tern" (ebd.: 663).
immer es auf der Welt an Gütern gibt — ich Die Freiheit, die das Geld dem einzelnen
kann sie haben, wenn ich nur dafür zahle. Menschen vermittelt, umfasst mithin alle
Auch in diesem Punkt geht Simmel über die Dimensionen der menschlichen Existenz: die
konventionelle Auffassung hinaus. Denn in soziale ebenso wie die sachliche, zeitliche
der Ära des modernen Kapitalismus, der ja und räumliche. Noch mehr: es kombinie rt al-
nicht nur Produkte, sondern auch alle Mi ttel le diese Möglichkeiten in einem einzigen
zu ihrer Herstellung — Arbeit, Boden — zu Medium. In diesem Sinn ist Geld das „abso-
Waren gemacht hat, geht diese Wahlfreiheit lute" Mi tt el.
noch weiter: Sie erstreckt sich nicht mehr nur Das Problem mit dem Geld ist nur: m an
auf den Kreis der vorhandenen Güter, son- muss es haben. Der Arme, der froh ist, wenn
dern auf alles durch den Einsatz von Arbeit er mit seinem Einkommen über die Runden 305
C. Deutschm ann: Geld als „absolutes Mittel"

kommt, hat von der im Geld angelegten che erheblichere Geldmi tt el als ,Vermögen`
Wahl freiheit nichts (ebd.: 277). Was er mit — d.h. als das Können, das Imstandesein
seinem Geld anfan gen kann, wird zum schlechthin bezeichnet" (ebd.: 176).
größten Teil durch seine Subsistenzbedürf- Als Geldvermögen ist das Geld über sei-
nisse vorherbestimmt, und, wie man über nen „einfachen" Nutzen als Tauschmittel hi-
Simmel hinaus sagen müsste: Er ist mit der naus Träger eines Nutzens zweiter Ordnung,
negativen Seite des Geldvermögens, nämlich der Wahlfreiheit, der es über die Reihe der
der Schuld konfrontiert. Für ihn verwandelt gewöhnlichen Waren hinaushebt. Weil es das
sich Geld aus einem Vehikel der Freiheit in schlechthin allgemeine Mittel ist, ist es eben
ein Mittel sozialer Disziplinierung, das ihn mehr als ein bloßes Mittel es wird vielmehr

zum Verkauf seiner Arbeitskraft zwingt. 3 bewusst oder unbewusst zu dem Endzweck,
Der eigentliche „Nutzen" des Geldes, näm- in den alles Handeln zurückläuft. In diesem
lich die Wahlfreiheit, fängt erst do rt an, wo Sinne hat es entgegen der konventionellen
es über die Subsistenzbedürfnisse hinaus zur ökonomischen Auffassung sehr wohl einen
Verfügung steht. Das ökonomische Gesetz inneren, keineswegs nur einen äußeren Wert .
des mit zunehmender Menge abnehmenden Was immer wir mi tt els des Geldes tun oder
Grenznutzens, das für gewöhnliche Güter erwerben, erhält eine implizite oder explizite
gilt, trifft auf das Geld nicht zu. Im Bewe rtung unter dem Gesichtspunkt seiner
Gegenteil, das Geld gleicht, nach einem Rekonvertierung in Geld. Wenn Geld die in-
Wo rt von Schopenhauer, dem Seewasser: Je dividuelle Freiheit als den höchsten We rt des
mehr man davon trinkt, desto durstiger wird Menschen verkörpert, dann ist es das
man. Armut ist deshalb nicht nur eine „mate- schlechthin höchste Gut, d an n kann es keinen
rielle" Benachteiligung, nicht nur eine höheren Nutzen haben als eben den, wieder-
Diskriminierung in der „Verteilung" von um Geld und mehr Geld zu machen.
Gütern, wie es heutige Soziologen und Öko- Der Geizhals, der das Geld in seiner
nomen so gern hinstellen. Der Reiche ist, wie Schatzkammer speiche rt , glaubt, allein durch
Simmel (1989: 274f.) betont, dem Armen das Festhalten des Geldes in den Genuss sei-
nicht nur materiell-quantitativ, sondern qua- nes Vermögenscharakters zu kommen. Das
litativ überlegen. Er verfügt nicht einfach ist natürlich eine Illusion, denn Geld muss
über mehr Geld, sondern kommt über den ausgegeben werden. Es ist, was es „ist", nur
Nutzen der für Geld erworbenen Güter hin- in der Bewegung, die es vollzieht, in der
aus in den Genuss der mit dem Geld ver- Funktion, die es erfüllt. Wird es nicht irgend-
knüpften Wahlfreiheit. Simmel spricht von wann ausgegeben, erzeugt es keine Schul-
einem „Superadditum", also einer A rt „Zu- den, so löst es sich in bloßes Metall, Papier
gabe" des Geldreichtums. Was das Geld dem oder gar in Nichts auf. Wie aber gibt der
Reichen bietet, ist nicht nur Nutzen, sondern Vermögensbesitzer sein Geld aus? Es für or-
eine Fähigkeit die Fähigkeit des freien
— dinäre, bloß nützliche Güter auszugeben, hie-
Zugriffs auf den Reichtum der Welt. Freiheit ße, Perlen vor die Säue zu werfen; die Ver-
und Macht: das ist etwas ganz anderes als nur mögenseigenschaft des Geldes würde ver-
der „Nutzen" von Äpfeln oder Birnen! Ge- nichtet. Es muss ausgegeben werden, aber so,
nau das sagt bereits die Alltagssprache, wenn dass es zurückfließt, und zwar nicht nur ein-
sie Geld als „Vermögen" bezeichnet. Der fach (dann wäre die ganze Operation ebenso
Reiche wirkt, wie Simmel präzisiert, nicht sinnlos gewesen wie die bloße Hortung),
nur durch „das, was er tut, sondern auch sondern vermeh rt zurückfließt. Nicht zufällig
durch das, was er tun könnte: weit über das drängen sich hier Parallelen zur Theologie
hinaus, was er nun wirklich mit seinem Ein- und Religion auf, auf die Simmel immer wie-
kommen beschafft, und was andere davon der hinweist. Er zitiert Hans Sachs („Geld ist
profitieren, wird das Vermögen von einem auf Erden der irdische Go tt”) und Nikolaus
Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkei- Cusanus mit seinem Gedanken von Go tt als
ten umgeben, wie von einem Astralleib, der der „coincidentia oppositorum" (ebd.: 307,
über seinen konkreten Umfan g hinausstreckt; 305). Wie Go tt der letzte Ruhepunkt des
306 darauf weist unzweideutig hin, dass die Spra- Seins ist, in dem alle Gegensätze der Welt ihr
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313

Gemeinsames finden, finden die Dinge im Suppe oder das Schnitzel hinunter — nur, weil
Geld ihr Zentrum, aus dem sie hervorgehen es Geld gekostet hat! „Das Objekt, aus dem
und dem sie wieder zustreben. Und so, wie alles, was irgendwie Sinn und Zweck seiner
Gott nur noch sich selbst wollen kann, kennt Konsumption sein könnte, hinweggefallen
auch Geld keinen höheren Zweck, als sich ist, wird unter Unbequemlichkeiten und
selbst zu vermehren und zu verwe rten. Schädlichkeiten konsumiert, bloß weil das
Es muss freilich festgestellt werden, dass dafür ausgegebene Geld ihm einen absoluten
diese Auffassung des Geldes als Kapital von Wert verliehen hat" (Simmel 1989: 321).
Simmel, der Geld und Kapital nicht klar von- In ähnlicher Weise können Phänomene
einander unterschieden hat (Haesler 1993), so wie Geiz, Geldgier einerseits, Kauf- und
nicht formuliert worden ist. Sie geht vielmehr Verschwendungssucht andererseits gedeutet
auf Karl Marx zurück, der die Auflösung der werden (vgl. ebd.: 292f.). Auf den ersten
inneren Paradoxie des Geldes als Wertsymbol Blick scheinen wir es hier mit ganz heteroge-
und We rtgegenstand in der dynamischen nen und miteinander unvereinbaren Charak-
Form des Geldes als Kapital erblickte und tereigenschaften zu tun zu haben: der tyran-
letztere in der bekannten Formel G-W-G' fas- nische Hausvater einerseits, der eifersüchtig
ste. Auch Marx spricht in einem mehr als nur über das Haushaltseinkommen wacht und
metaphorischen Sinne von den religiösen mit jedem Pfennig geizt, hier, der konsum-
Qualitäten des Geldes: Das Geld als „das süchtige, ständig Schulden machende Teen-
Allerheiligste", als der „Go tt der Waren" ager oder Dandy dort. Es geht um Verhal-
(Marx 1953: 132). Auch wenn Simmel die dy- tensweisen mit manchmal stark pathologi-
namische Natur des Kapitals weit weniger schen Zügen, die heute Gerichten, Therapeu-
deutlich erkannte als Marx, hat er die im Geld ten und Schuldnerberatern reichlich Beschäf-
angelegte Tendenz zur selbstreferenziellen tigung verschaffen. In den USA ist die „Fi-
Verabsolutierung des wirtschaftlichen Wertes nanztherapie" dabei, sich als eigener Zweig
klar gesehen. Damit aber erweist sich die der Psychotherapie zu etablieren (Haubl
Vermögensnatur des Geldes, ebenso wie die 1996). Man könnte nun lange über die jewei-
ihr immer korrespondierende Verschuldung ligen psychologischen und sozialen Hinter-
(wiederum drängt sich die Affinität von fman- gründe debattieren: Ist Kaufsucht eher ein
zieller und religiöser Schuld auf!), als Problem von Frauen als von Männern?
Phänomen von weit mehr als nur „wirtschaft- Wächst die Neigung zum Geiz mit dem Alter
licher" Bedeutung. Sie ist in der ganzen — das Geld sozusagen als Ersatzbe friedigung
Gesellschaft gegenwärtig, durchdringt alle für die sich abschwächende Fähigkeit zum
Lebensbereiche von den unscheinbarsten sinnlichen Genuss? Welche sozialen Struk-
Alltagsphänomenen bis hin zu den großen po- turbedingungen und Pathologien sind es, die
litischen und sozialen Entwicklungen. Das die individuelle Fähigkeit zur Balance von
soll im Folgenden näher erläutert werden. Soll und Haben entweder in der einen oder in
der anderen Richtung unterminieren? 4 Uns
geht es hier nur darum, den Simmel'schen
IV. Gedanken hervorzuheben, dass in der g anzen
psychologischen Vielfalt der alltäglichen
Geldpathologien ein gemeinsamer objektiver
Beginnen wir mit den scheinbar ganz unbe- Kern steckt: die in der Vermögenseigen-
deutenden kleinen, alltäglichen Pathologien, schaft des Geldes angelegte Tendenz zur
bei deren Analyse sich wiederum Simmel als Verabsolutierung des wi rtschaftlichen Wer-
Meister erweist. „Lieber den Magen ver- tes. Die psychische Konstitution hat lediglich
renkt, als dem Wirt einen Kreuzer ge- einen Einfluss darauf, in welcher Phase des
schenkt" — an dieser Devise, deren Deutung Umgangs mit Geld uns dessen magische
Simmel fast zwei Seiten widmet, zeigt sich Aura überkommt: die einen, nämlich die
die im Geld angelegte Tendenz zur Verabso- Asketen und Geizigen im Augenblick des
lutierung des wirtschaftlichen Wertes in ihrer Einnehmens, die anderen die Kaufsüchtigen
vielleicht bizarrsten Form. Ich würge die und Verschwender im Augenblick des Aus- 307
C. Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"

gebens. Beiden gemeinsam ist jedoch die die Fitness- und Askese-Wellen. So überträgt
subjektive Überwältigung durch die Magie sich die Vermögenseigenschaft des Geldes
des Geldes, die die Fähigkeit rationaler Kon- auf die Güter selbst. Ihre symbolisch-ästheti-
trolle des eigenen Handelns unterminiert. schen Qualitäten treten gegenüber ihren ma-
Ein dritter Kreis von Phänomenen ist die teriellen in den Vordergrund und dadurch al-
vom Geld ausgehende Tendenz zur Verfeine- lerdings wird dann in der Tat ihre natürliche
rung und Ästhetisierung der Bedürfnisse, die Sättigungsgrenze immer weiter hinausge-
ebenfalls bereits von Simmel (1989: 439f.) schoben: vom Luxus kann man genau wie
gesehen wurde. Veblen hat diesen Zusam- vom Geld nie genug bekommen. Die Dinge,
menhang nahezu zeitgleich mit Simmel in mit denen m an sich ausstattet, sollen an sich
seiner Theorie der „leisure class" (1899) aus- demonstrieren, dass man wählen kann, über
gearbeitet. Auch die neuere Soziologie hat Geldvermögen verfügt und sie werden damit
sich intensiv mit den Phänomenen des Lu- dem Geld selbst und seiner immateriellen
xuskonsums beschäftigt (Baudrillard 1970, Natur immer ähnlicher. Wie gründlich der
Corrigan 1997) und dabei über Veblen hin- hier vorliegende „money symbolism" die
aus nicht nur die sozialen Distinktionswir- gängige instrumentelle Geldauffassung der
kungen des Konsums, sondern auch seine ökonomischen Lehrbücher auf den Kopf
imaginativen und sogar „therapeutischen" stellt, hat Lane (1991) aufgezeigt. Anstatt
Funktionen betont (einen Überblick gibt den Nutzen der Güter zu symbolisieren, ge-
Stihler 1998). Den Zusammenhang mit dem winnt das Geld hier einen intrinsischen, ab-
Geldthema hat sie dabei freilich aus dem Au- soluten Wert, der seinerseits durch die Güter
ge verloren. Was ist „Luxus" überhaupt? Die nur symbolisiert wird. Die Frage nach dem
Wirtschaftswissenschaften mit ihrem einer- „Geldstoff" ist, sieht man es unter diesem
seits materialistischen, andererseits quantita- Blickwinkel, nicht so gleichgültig, wie o ft
tiv angelegten Reichtumsbegriff vermi tteln behauptet wird. Die symbolische Verkörpe-
davon eine ganz unzulängliche Vorstellung. rung des Reichtums in Form von Schmuck,
Es geht ja nicht um die bloße „Quantität" der Schätzen und Luxus ist nicht erst heute, son-
Konsumgüter. Der Gegensatz zwischen dem dern zu allen Zeiten eine Angelegenheit von
Reichen und dem Armen besteht gerade erstrangiger gesellschaftlicher Bedeutung ge-
nicht darin, dass der eine nur einmal, der an wesen.
nicht darin, dass der eine nur einmal, der -deragnzwiMlStekdr Luxus, das ist ein weiterer wichtiger As-
Woche isst. Der Kern des Luxusphänomens pekt, zeigt sich nicht allein in der Exklusivi-
ist vielmehr, dass der Reiche nach Unter- tät der Güter und Dienstleistungen, mit denen
scheidung, nach sozialer Distinktion strebt der Reiche sich umgibt, sondern auch in der
und dies in seinem Konsumverhalten, in sei- Weise, wie die soziale Umwelt mit ihm um-
nem ganzen Lebensstil zum Ausdruck brin- geht, nämlich in den vielen kleinen Rabatten
gen möchte. Er nutzt Güter in erster Linie und Sondervergünstigungen, die sie ihm of-
nicht materiell, sondern als Medium zur fen oder verdeckt zukommen lässt. Gerade
Kommunikation seines Vermögensstatus. weil sein Vermögen ihm immer die Freiheit
Die „feinen" Unterschiede sind es, auf die es gibt, woanders hinzugehen, muss man ihn
ihm ankommt. Das, wozu ihn das Geld be- ganz besonders hofieren, damit er sein Geld
fähigt, nämlich wählen zu können — Simmels hier und nicht woanders lässt. Das führt nicht
„Superadditum des Reichtums" —, soll auch nur dazu, dass den vermögenden Großkun-
in der Art der Kleidung, der Wohnung, den den — die es eigentlich am wenigsten nötig
Freizeitbetätigungen usw. sichtbar gemacht hätten — besondere Vergünstigungen einge-
und der sozialen Umwelt signalisiert werden räumt werden (siehe z.B. die „miles and mo-
(man braucht dafür allerdings, wie Bourdieu re"-Programme der Fluggesellschaften).
betont hat, neben Geld auch möglichst etwas Geldvermögen bedeutet auch politische
Geschmack). Im konkreten Fall kann das Macht, man denke nur an den Wettlauf der
Distinktionsbedürfnis sogar zur Folge haben, Kommunen oder Staaten um die Gunst der
dass der Reiche in einem rein materiellen Investoren, an den Dschungel der Steuersub-
308 Sinn weniger konsumiert — man denke nur an ventionen. Und nicht nur politische Macht,
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313

manchmal kann es darüber hinaus auch z.B. Laune. Der Unternehmer ist zwar der „Revo-
zur Verleihung der Ehrendoktorwürde füh- lutionär der Wirtschaft" (Schumpeter), aber
ren. Kurzum: Das im Vermögen angelegte deshalb kein Anarcho oder Chaot. Er erfüllt
„Superadditum des Reichtums" schlägt sich vielmehr eine höchst wichtige gesellschaftli-
in einer ganzen Reihe greifbarer materieller che Funktion, indem er die im Geld angeleg-
und immaterieller Vorteile nieder. Geld be- te Verheißung absoluten Reichtums deutet
deutet Macht, und darin liegt sein eigentli- und ihr eine praktisch orientierende Gestalt
cher „Nutzen". gibt. Das Geld weckt zwar Träume und
Die Macht des Geldes zeigt sich jedoch Phantasien, vermehrt sich aber gleichwohl
nicht nur in den bisher betrachteten Phäno- nicht von selbst. Es muss jemand geben, der
menen. Sie hat auch einen entscheidenden zeigt, wie das geschehen kann, der Projekte
Einfluss auf die Dynamik technischer Inno- definiert, Ressourcen beschafft und die
vationen und wi rtschaftlichen Wachstums Menschen fair seine Ziele mobilisiert — den
und die durch sie bedingten gesellschaftli- Unternehmer. Wie tut er das, wie gelingt ihm
chen Umwälzungen. Simmel hat sich in sei- das?
ner Untersuchung mit diesen gesamtgesell- Die wichtigste Voraussetzung ist: Er muss
schaftlichen Aspekten der Geldwirtschaft Arbeit einsetzen, denn nur Arbeit ist kreativ,
freilich kaum befasst. Es bietet sich an, sie an nicht Maschinen, Bürokratien und auch nicht
dieser Stelle zu erweitern, was wir hier nur in Computerprogramme, obwohl der Unterneh-
einigen knappen Strichen tun können (aus- mer die letzteren natürlich auch braucht. Nur
führlicher Deutschmann 1996, 1997, 1999). durch Arbeit lassen sich bestehende techno-
Wenn man dem Phänomen des wirtschaft- logische Routinen durchbrechen, nur durch
lichen Wachstums nachgeht, stößt man über Arbeit lässt sich genuin Neues schaffen. Das
kurz oder lang auf die soziale Figur des Un- ist der wahre Kern der von den Ökonomen so
ternehmers und auf Schumpeters Theorie des gescholtenen „Arbeitswerttheorie". 6 Aber
Unternehmers als des zentralen Agenten der Einsatz von Arbeit allein, die bloße
„schöpferischer Zerstörung". Uns kommt es Tatsache zeitlicher Verausgabung von Ar-
hier darauf an, den Zusammenhang zwischen beitskraft genügt natürlich nicht. Der Unter-
dieser Theorie und der gerade geführten Dis- nehmer muss Arbeit kreativ, schöpferisch
kussion über den Vermögenscharakter des einsetzen, und das heißt immer auch: beste-
Geldes herzustellen, was Schumpeter selbst hende Technologien und soziale Strukturen
überraschenderweise nicht tut. Dieser Zu- zerstören. Dafür braucht er Ideen über neue
sammenhang liegt ja schon deshalb nahe, Produkte und Technologien und muss diese
weil Geldvermögen, eigenes und/oder gelie- Ideen seiner sozialen Umwelt, seinen Be-
henes, der Ausgangspunkt und die Basis je- schäftigten, Lieferanten, Kunden usw. ver-
der unternehmerischen Aktivität ist. Geld als mitteln, was immer auch heißt: sie gegen die
Vermögen muss sich vermehren, und zwar dort sich regenden konservativen Widerstän-
nicht nur deshalb, weil der Unternehmer ei- de durchsetzen. Es kommt dabei nicht nur
nen ihm eventuell gewährten Kapitalkredit auf die große Idee des Unternehmers oder
verzinsen muss, sondern allein aufgrund der Erfinders an, sondern auch auf die tausend
immanenten Vermögenseigenschaft des Gel- kleinen der Ingenieure, Produktionsarbeiter,
des selbst (also auch dann, wenn es sich um Marketing-Spezialisten, Anwender. Wichtig
eigenes Kapital handelt; siehe das oben er- ist auch nicht nur die individuelle Durchset-
läuterte Dilemma des Geizhalses). Die Wirt- zungskraft des Unternehmers, sondern auch
schaft muss aus endogenen Gründen wach- seine Fähigkeit, wirtscha ftliche und politi-
sen, denn sie ist nicht einfach Marktwirt- sche Koalitionen zur Durchsetzung seiner
schaft, sondern kapitalistische Wi rtschaft. Projekte zu schmieden. Schöpferische Zer-
Nicht das Geld dreht sich um die Güter, son- störung — auch das hat Schumpeter vernach-
dern die Güter drehen sich um das Geld. 5 lässigt — ist immer ein sozialer Prozess, nie-
Was der Unternehmer tut, nämlich Innova- mals eine rein individuelle Leistung. Inno-
tion, Durchsetzung neuer Kombinationen, vation muss kommuniziert werden: darin
schöpferische Zerstörung, ist also nicht bloße liegt die Bedeutung der vielzitierten „Leit- 309
C. Deutschm ann: Geld als „absolutes Mittel"

bilder" und „Visionen" des Managements Ästhetisierung der Konsumbedürfnisse und


(Dierkes et al. 1996). Sie lassen sich durch- Lebensstile, kann zum großen Teil auf sie
aus im Luhmann'schen Sinne als Kommu- zurückgeführt werden. Das Gleiche gilt für
nikationsmedien interpretieren, freilich als ebenfalls von vielen Autoren (z.B. Rosa
Medien nicht funktional spezifischer, son- 1999) beobachtete Tendenz zur „Beschleuni-
dern diffuser A rt (Mambrey et al. 1995). gung" sozialer Prozesse und für die Auswei-
Indem sie nicht nur technologische Entwick- tung der räumlichen Reichweite sozialer
lungslinien, sondern mit ihnen auch auf sie Handlungsketten. Alle diese vermeintlich
zugeschnittene neue Nutzungsformen und „neuen" Erscheinungen sind bereits von
Lebensstile antizipieren (z.B. unbegrenzte Simmel sehr präzise als Phänomene der
individuelle Mobilität durch das Automobil; Geldwirtschaft beschrieben und analysie rt
individuelle Allwissenheit durch die moder- worden, während die heutige Soziologie sich
nen Informationstechnologien) übermitteln damit begnügt, sie unter die blasse Floskel
sie mit der Botschaft zugleich die Bereit- der „Modernisierung" zu subsumieren. Zu-
schaft für ihre Akzeptanz. gleich erzeugt die Vermögensform des Gel-
Auch hier wieder drängt sich die bereits des, wie wir über Simmel hinaus zu zeigen
von Simmel betonte Parallele zur Religion versuchten, einen Zwang zu permanenter Re-
auf: Sowenig, wie der Gläubige die Unmit- volutionierung von Wirtschaft und Gesell-
telbarkeit Gottes aushalten kann, lässt sich schaft. Sie lässt soziale Figuren — den Erfin-
die Unendlichkeit der im Geldvermögen an- der, den Unternehmer — entstehen, die die-
gelegten Möglichkeiten im direkten Zugriff sem Zwang eine Gestalt geben und praktisch
des Handelns bewältigen. Was Propheten durchsetzen. Die Antriebskräfte des Kapita-
und Priester für die Religion leisten, leisten lismus liegen nicht nur in der Be friedigung
Erfinder, Managementgurus, Berater und bloß „gegebener" Konsumentenwünsche,
Unternehmer für die Wirtschaft: Sie interpre- und auch nicht nur in dem Streben nach Effi-
tieren die Verheißung des Reichtums, geben zienzsteigerung und „Rationalisierung". Sie
ihr eine konkrete, handlungsleitende Rich- liegen vielmehr in der zutiefst irrationalen
tung. Nicht auf „Wissen" kommt es dabei an, Faszination der Menschen durch die Mög-
sondern auf den Glauben an die Innovation lichkeiten des Geldes. Es ist deshalb keines-
und auf die Fähigkeit der Promotoren, sozia- wegs abwegig, den Kapitalismus als utopi-
le Resonanz für ihn zu erzeugen. Was sie sche Produktionsform zu betrachten, die alle
predigen und durchsetzen können, hat aber anderen Utopien überholt und in den Schat-
immer nur temporäre Gültigkeit, denn der ten stellt — auch den Sozialismus, wie wir
durch die Vermögensform des Geldes ange- heute wissen. Von einem „Ende der Utopi-
zeigte Möglichkeitsraum ist unendlich. Eine en", wie es Joachim Fest nach dem Fall des
Erfindung, ein neues Produkt, eine neue sozialistischen Systems feststellen zu können
Technologie, ein neues Organisationkonzept glaubte, sind wir noch weit entfernt. Die ei-
kommt auf, verbreitet sich, etablie rt sich — gentlich utopische Produktionsweise ist der
und gerät genau dadurch in die „Krise", muss siegreiche Kapitalismus selbst.
Neuem Platz machen. In ihrer von innen heraus erzeugten Dyna-
mik kann man die Stärke der kapitalistischen
Wi rt schaft erblicken. Aber in dieser Stärke
V. liegt zugleich auch ihre Schwäche. Denn die
kapitalistische Wi rt schaft ist nicht nur wie
kein anderes gesellschaftliches System zu
Die Vermögensform des Geldes, so lassen Wachstum und Innovation fähig, sie muss
sich unsere an Simmel anschließenden Über- auch wachsen. Das Wachstum erfolgt aber
legungen zusammenfassen, ist latent oder trotz der Sogwirkung der Utopie des Reich-
manifest in fast allen Bereichen der Gesell- tums keineswegs von allein und automatisch.
schaft präsent. Die vielzitierte „Individuali- Gelingt es nicht mehr, die Gesellschaft für
sierung" sozialer Verhältnisse, die heute als die Eroberung neuer technologischer Hori-
310 „Erlebnisorientierung" (Schulze) gehandelte zonte zu mobilisieren, erlahmt der Zugriff
Berl.J.Soziol., Heft 3 2000, S. 301-313

auf das Imaginäre — dafür kann es viele g anz sche Revolutionen" und politische „Refor-
verschiedene, politische, gesellschaftliche, men" unter Druck gehalten. Der Erfolg dieser
ökologische, demographische Gründe geben Propaganda ist gerade in den „reifen" Indust-
— dann sinken die Gewinnerwartungen, und riegesellschaften des Westens mit ihrem hohen
das heißt: es wird nicht mehr investiert. Dann Anteil ökonomisch relativ saturie rter Bevöl-
wächst die Wirtschaft nicht mehr nur nicht, kerungsschichten alles andere als garantiert.
sie schrumpft, und damit tritt die auf der Der Wettlauf, der der Gesellschaft hier aufge-
Rückseite des Geldreichtums akkumulierte zwungen wird, muss enden wie der des Hasen
wechselseitige Bedürftigkeit der Individuen mit dem Igel: mit dem Tempo des Geldes wird
zu Tage. Es entsteht das paradoxe Phänomen sie letztlich nie Schritt halten können.
der „Armut im Überfluss": Mitten in einer Die Vermögenseigenschaft des Geldes
Wirtschaft von überwältigender Produktivi- birgt in sich die Versuchung, diese Grenzen
tät, die rein technisch gesehen spielend in der der Macht des Geldes zu vergessen oder zu
Lage wäre, die gesamte Bevölkerung kom- verdrängen. Weil der Kapitalinvestor in jeder
fortabel mit allem Lebensnotwendigen zu konkreten Situation immer auch andere
versorgen, müssen gerade die Armen den Optionen hat, entsteht in ihm die Illusion, er
Gürtel noch enger schnallen. Die Arbeitslo- könne sich aus der Abhängigkeit von der Ge-
sen, so hieß es kürzlich in dem Bericht einer sellschaft überhaupt befreien und die Ver-
bayrisch-sächsischen Kommission (vgl. wandlung von G in G' am Ende doch direkt
Bergmann 1999), müssten sich wieder daran vollziehen. In der seit den achtziger Jahren zu
gewöhnen, als Dienstboten und Schuhputzer beobachtenden Tendenz zur „Entkoppelung"
ihr Auskommen zu finden; die Reichen dage- der Finanzmärkte (Guttmann 1996; Aglietta
gen daran, sich wieder bedienen zu lassen. 1998; Binswanger 1996) ist diese Illusion in
So bizarr diese These anmutet, zeigt sie aber einem Ausmaß zum Tragen gekommen, das
doch das Problem in seiner ganzen Schärfe historisch wohl ohne Beispiel ist. Neben der
auf. Die kapitalistische Wirtschaft ist nicht in durch den Einsatz elektronischer Medien er-
der Lage, im Zustand eines stabilen statischen möglichten Ausweitung der Kreditschöpfung
Gleichgewichts zu verharren, wie die ökono- des privaten Bankensystems hat die auf den
mischen Lehrbücher unterstellen. Sie ist eben Zusammenbruch des Bre tton-Woods-Systems
nicht nur eine harmlose Veranstaltung zur folgende Deregulierung und Internationalisie-
Befriedigung gegebener menschlicher „Be- rung der Finanzmärkte zu dieser Entwicklung
dürfnisse", sondern muss selbst immer neue beigetragen. Sie hat ein wahres Dorado welt-
Bedürfnisse erzeugen. Sie lebt aus dem Zugriff weiter Anlagemöglichkeiten für den Kapi-
auf das Imaginäre und kann daher entweder talinvestor geschaffen, das die konventionelle
nur wachsen oder schrumpfen. Wachstum ist unternehmerische Investition in reale Produk-
der oberste Imperativ nicht nur der Wirtschaft, te und Dienstleistungen immer unvo rteilhafter
sondern, aufgrund der Geldabhängigkeit auch dastehen lässt. Anstatt sich durch die schmale
der anderen gesellschaftlichen Subsysteme, Pforte der produktiven Direktinvestition zu
der ganzen Gesellschaft. Aber es lässt sich zwängen, strömt das anlagesuchende Kapital
nicht „machen", nicht technisch erzwingen auf den breiten Weg der mobilen Anlage auf
oder bürokratisch kommandieren. Auch unter den internationalen Finanzmärkten. Die stän-
dem Regime der modernen Informationstech- dig steigenden Börsenkurse sind nicht nur
niken erfordert der Schritt vom G zum G' noch Folge dieser Entwicklung, sondern treiben sie
immer den „Umweg" über die Produktion und ihrerseits weiter voran. Wozu überhaupt noch
den Verkauf von Waren, der den Kapital- den mühsamen Umweg des Unternehmers
investor zwingt, sich auf die notorisch zu über die reale Welt gehen, wenn der direkte
„langsame" gesellschaftlichen Umwelt, auf die Weg vom Geld zu mehr Geld so viel beque-
„Rigidität" ihrer Institutionen, die „Unsicher- mer und gewinnträchtiger ist?
heit" ihrer kommunikativen Prozesse ein- Simmels Theorem vom „Superadditum
zulassen. Um ihre natürliche Trägheit zu über- des Reichtums", von der inhärenten Überle-
winden, wird die Gesellschaft durch beständi- genheit des Geldes gegenüber allen fixen
ge Propaganda für immer neue „technologi- Formen des Vermögens, scheint sich in der 311
C. Deutschmann. Geld als „absolutes Mittel"

heutigen finanzkapitalistischen Revolution Politik um nichts anderes als um kollektiv bin-


und ihrer Parole des „Shareholder Value" auf dende Entscheidungen und in der Wissenschaft
um Wahrheit gehe. Die soziologische Theorie
eine neue Weise zu bestätigen: in der immer freilich sollte sich darum bemühen, solchen
drückenderen Überlegenheit des weltweit Fiktionen, so notwendig sie sein mögen, nicht
mobilen Finanzinvestors gegenüber dem einfach aufzusitzen.
noch sich in der lokalen Welt abmühenden 3 Dazu zuletzt Reddy (1987) und Ganßmann
Unternehmer, seinen Führungskräften, An- (1996).
gestellten und Arbeitern. Er drängt sie durch 4 Günter Schmölders (1966) hat sich vor mehr
nicht enden wollende Forderungen nach als vierzig Jahren in seiner heute noch lesens-
Flexibilisierung, Deregulierung, Beschleu- werten, freilich eher psychologisch als soziolo-
nigung in die Defensive und kon frontiert sie gisch ansetzenden empirischen Studie mit die-
sen Fragen befasst.
mit unerfüllbaren Renditeforderungen. Die
5 „Unser Wirtschaftssystem dreht sich im Kern
„alten" Industrien sind für ihn ohnehin passe. ums Geld. Alle wachstumsfördernden Maß-
Nur die virtuelle Ökonomie des Internet kann nahmen erfordern Akteure, die be reit sind, jetzt
— so scheint es — dem von den Finanzmärkten Geld auszugeben, um später mehr Geld einzu-
geforderten Tempo vorläufig noch folgen. nehmen" (Guttmann 1996: 166).
Aber lässt sich mit „Informationen", einem 6 Gescholten wird sie, um genauer zu sein, nur
zwar höchst flexiblen, aber zugleich seiner von theoretischen Ökonomen. In der betriebs-
Natur nach öffentlichen und hinsichtlich sei- wirtschaftlichen Managementlehre dagegen
ner privaten Eigentumsrechte schwer zu findet man wahre Hymnen auf die „human re-
schützenden Gut, wirklich das große Geld sources" und ihren Beitrag zur Wertschöpfung.
Dem unbefangenen Beobachter muss sich hier
machen? Was wird geschehen, wenn eines
der Eindruck aufdrängen, dass die linke H and
Tages das ganze Ausmaß der Entkoppelung nicht weiß, was die rechte tut.
offen zu Tage treten sollte?
Durch Gesundbeten und Seelenmassage
werden sich die Probleme nicht lösen lassen.
Aus den Krisen, die der Gesellschaft viel- Literatur
leicht bevorstehen, werden auch keine neuen
Utopien heraushelfen. Was dann auf der Aglietta, Michel (1998): Capitalism at the Turn of
Tagesordnung steht, könnte vielmehr das the Century: Regulation Theory and the
Challenge of Social Change. In: New Left
Gegenteil sein, nämlich Ernüchterung und
Review 232, S. 41-90.
Entwöhnung. Es könnte sein, dass der Ge- Barro, Robert J./S. Fischer (1976): Recent deve-
sellschaft nach dem Niedergang der traditio- lopments in monetary theory. In: Journal of
nellen Religionen die eigentliche religiöse Monetary Economics 2, S. 133-167.
Desillusionierung erst noch bevorsteht — der Baudrillard, Jean (1970): La societ6 de consom-
Abschied von der Religion des Geldes. mation. Paris: Denoel (engl.: The Consumer
Society, London 1988: SAGE).
Bergmann, Joachim (1998): Die negative Utopie
des Neoliberalismus oder die Rendite muß
Anmerkungen stimmen. Der Bericht der bayrisch-sächsischen
Zukunftskommission. In: Leviathan 26, S.
1 So zählte Buß in der ersten Auflage seines 318-340.
Lehrbuchs „Wirtschaftssoziologie" (1985) Binswanger, Matthias (1996): Money Creation,
nicht weniger als 15, in der zweiten Auflage Profits, and Growth: Monetary Aspects of
(1996) immerhin noch 7 „Geldfunktionen" auf. Economic Evolution. In: Ernst Helmstaedter
2 Nicht immer k ann darüber freilich offen ge- (Hrsg.), Behavioural norms, technological
sprochen werden. Bis zu einem gewissen Grad progress, and economic dynamics. Ann
dürfte die Tabuisierung des Geldes in moder- Arbor: University of Michigan Press, S. 413-
nen Gesellschaften unvermeidlich sein. Politi- 417.
ker mögen faktisch nicht „für", sondern „von" Buß, Eugen (1985): Lehrbuch der Wirtschaftsso-
der Politik leben, Wissenschaftler in ihrer Ar- ziologie. Berlin/New York: De Gruyter; 2.
beit weniger nach Erkenntnis als nach finanzi- neubearbeitete Auflage 1996.
ellem Gewinn streben — es muss immer die Corrigan, Peter (1997): The Sociology of Con-
312 Fiktion aufrechterhalten werden, dass es in der sumption. An Introduction. London: SAGE.
Deutschmann: Geld als „absolutes Mittel"

Deutschmann (1996): Marx, Schumpeter und Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.


Mythen ökonomischer Rationalität. In: Levia- Mambrey, Peter/Michael Pateau/August Tepper
than 24, S. 323-338. (1995): Technikentwicklung durch Leitbilder.
Deutschmann, Christoph (1997): Die Mythenspi- Neue Steuerungs- und Bewertungsinstrumente.
rale. Eine wissenssoziologische Interpretation Frankfurt a.M./New York: Campus.
industrieller Rationalisierung. In: Soziale Welt Marx, Karl (1953): Grundrisse der Kritik der
47, S. 55-70. Politischen Ökonomie (Rohentwurf 1857-58),
Deutschmann, Christoph (1999): Die Verheißung Berlin: Dietz.
des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur Mizruchi, Mark S./Linda Brewster Stearns
des Kapitalismus. Campus. (1994): Money, Banking and Financial Mar-
Dierkes, Meinolf/Ute Hoffmann/Lutz Marz kets. In: Neil J. Smelser/Richard Swedberg
(1996): Visions of Technology. Social and In- (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociolo-
stitutional Factors Shaping the Development of gy. Princeton N.J.: Princeton University Press,
New Technologies. Frankfurt a.M./New York: S. 313-341.
Campus. Parsons, Talcott/Neil Smelser (1956): Economy
Dodd, Nigel (1994): The Sociology of Money. and Society. A Study in the Integration of
Economics and Reason in Contemporary So- Economic and Social Theory. London: Rout-
ciety. Cambridge: Polity Press. ledge.
Flotow, Paschen von (1995): Geld, Wirtschaft und Reddy, William M. (1987): Money and Liberty in
Gesellschaft. Georg Simmels Philosophie des modern Europe. A critique of historical under-
Geldes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. standing. Cambridge: Cambridge University
Ganßmann, Heiner (1996): Geld und Arbeit. Wirt- Press.
schaftssoziologische Grundlagen einer Theorie Riese, Hajo (1995): Geld — das letzte Rätsel der
der modernen Gesellschaft. Frankfurt a.M./ Nationalökonomie. In: Waltraud Schelkle/
New York: Campus. Manfred Nitsch (Hrsg.), Rätsel Geld. Annähe-
Guttmann, Robert (1996): Die Transformation des rungen aus ökonomischer, historischer und so-
Finanzkapitals. In: PROKLA 103, S. 165-196. ziologischer Sicht. Marburg: Metropolis, S.
Haesler, Aldo J. (1993): Das Ende der Wechsel- 45-62.
wirkung — Prolegomena zu einer „Philosophie Rosa, Hartmut (1999): Bewegung und Beharrung.
des (unsichtbaren) Geldes ". In: Kintzeld/ Überlegungen zu einer sozialen Theorie der
Schneider (Hrsg.), S. 221-263. Beschleunigung. In: Leviathan 27, S. 386-414.
Haubi, Rolf (1996): Geldpathologien und Ober- Schmölders, Günter (1966): Psychologie des
schuldung: am Beispiel Kaufsucht. Ein von der Geldes. Reinbek: Rowohlt.
Psychoanalyse vernachlässigtes Thema. In: Simmel, Georg (1989): Philosophie des Geldes.
Psyche 50, 2. Hj. S. 916-953. Gesamtausgabe, hrsg. von Otthein Rammstedt.
Heinemann, Klaus (1987): Soziologie des Geldes. Bd. 6. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
In: Klaus Heinemann (Hrsg.): Soziologie wirt- Smelt, Simon (1980): Money's place in society. In:
schaftlichen H andelns. Sonderheft 28 der British Journal of Sociology 31, S. 204-223.
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozial- Spahn, Heinz-Peter (1986): Stagnation in der
psychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag, Geldwirtschaft. Dogmengeschichte, Theorie
S. 322-338. und Politik aus keynesianischer Sicht. Frank-
Heinsohn, Gunnar/Otto Steiger (1996): Eigentum, furt a. M. New York: Campus.
Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirt- Stihler, Ariane (1998): Die Entstehung des moder-
schaftswissenschaft. Reinbek: Rowohlt. nen Konsums. Darstellung und Erklärungsan-
Kintzeld, Jeff/Peter Schneider (Hrsg.) (1993): sätze. Berlin: Duncker & Humblot.
Georg Simmels Philosophie des Geldes. Swedberg, Richard (1991): „The Battle of Me-
Frankfurt a.M.: Anton Hain. thods": Towards a Paradigm Shift? In: Amitai
Kraemer, Klaus (1997): Der Markt der Gesell- Etzioni/Paul Lawrence (Hrsg.), Socio-Econo-
schaft. Zu einer soziologischen Theorie der mics. Toward a New Synthesis. Armonk:
Marktvergesellschaftung. Opladen: Westdeut- Sharpe, S. 13-34.
scher Verlag. Tobin, James (1982): Money and finance in the
Lane, Robert E. (1991): Money Symbolism and macroeconomic process. In: Journal of Money,
Economic Rationality. In: Richard M. Cough- Credit and Banking 14, S. 171-204.
lin (Hrsg.), Morality, Rationality and Efficien- Veblen, Thorstein (1899): The Theory of the Lei-
cy. New Perspectives on Socio-Economics. sure Class. An Economic Study of Institutions,
Armonk: Sharpe, S. 79-102. New York: Macmillan.
Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der

Das könnte Ihnen auch gefallen