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Empirica 26: 151–167, 1999.

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© 1999 Kluwer Academic Publishers. Printed in the Netherlands.

Arbeitslosigkeit in Deutschland und Möglichkeiten


ihrer Überwindung: Eine Bestandsaufnahme und
Analyse aus der Sicht der wirtschaftspolitischen
Beratung∗

WOLFGANG FRANZ∗∗
Zentrum für Europaïsche Wirtschaftsforschung (ZEW), Universität Mannheim, Deutschland

Seit rund einem Vierteljahrhundert sieht sich Westdeutschland mit dem Prob-
lem einer zunehmenden und nunmehr erschreckend hohen und verhärteten
Arbeitslosigkeit konfrontiert und seit knapp einer Dekade hat sich ein Beschäf-
tigungsdefizit in Ostdeutschland hinzugesellt, welches die Erfahrungen in West-
deutschland noch in den Schatten stellt.
Derselbe Zeitraum ist durch intensive Forschungsanstrengungen zur Erklärung
der Unterbeschäftigung und einer Vielzahl von Vorschlägen für eine erfolgreiche
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Entsprechende Studien sind Le-
gion und es wäre nicht ohne Reiz, auch einmal die Kosten der Arbeitslosigkeit
zu quantifizieren, die mit wissenschaftlichen Arbeiten, Strategiepapieren, Kon-
ferenzen und Symposien einhergehen, bei denen dieses Thema zu behandeln
war.
Angesichts dieser Fülle von Aktivitäten stellt sich nicht nur die Frage, was denn
noch Neues gesagt werden kann. Vielmehr sind bittere Vorwürfe von Teilen der
Öffentlichkeit und Wirtschaftspolitik an die Adresse der Arbeitsmarktforschung
zu vernehmen, weil sie auch nach einem Vierteljahrhundert immer noch das
Phänomen der Arbeitslosigkeit zu erklären suche und bestenfalls Teilantworten
bieten könne, von einer überzeugenden Strategie ihrer Überwindung erst gar nicht
zu reden. Ziel dieses Beitrages ist es herauszuarbeiten, daß es unter Ökonomen
sehr wohl einen breiten Konsens über maßgebliche Ursachen und Bekämpfungs-
möglichkeiten der Arbeitslosigkeit gibt, der aber von den am Wirtschaftsprozeß
Beteiligten nur sehr zögerlich umgesetzt wird. Der Dissens zwischen den Ökono-
men bezieht sich hauptsächlich auf die Einschätzung der quantitativen Größenord-
nungen einzelner Fehlentwicklungen und Strategieelemente.
∗ Vortrag vor der Nationalökonomischen Gesellschaft in Österreich am 5. Juni 1998. Der
Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten.
∗∗ Der Beitrag liegt in der alleinigen Verantwortung des Verfassers, die hier vorgetragenen
Argumente geben nicht notwendigerweise die Auffassungen der genannten Institutionen wieder.
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Zunächst werden in aller Kürze einige wesentliche Fakten über die


Arbeitslosigkeit in Deutschland vorgestellt. Dann schließt sich die Diskussion
eines Konsensmodells zur Erklärung der Unterbeschäftigung an, gefolgt von Aus-
führungen über den quantitativen Stellenwert der einzelnen Bestimmungsgründe
der Arbeitslosigkeit für die Situation in Deutschland. Der im Titel erwähnte
wirtschaftspolitische Berater kommt abschließend zu Wort.

II. Einige stilisierte Fakten


Zwar ist das quantitative Ausmaß der Arbeitslosigkeit in Deutschland hinlänglich
bekannt, gleichwohl lohnt es sich, vier Charakteristika in Erinnerung zu rufen:

(i) Schaubild 1 vergleicht die OECD–standardisierten Arbeitslosenquoten West-


deutschlands mit denen der USA. Abgesehen davon, daß für einen be-
trächtlichen Zeitraum die Arbeitslosenquote der USA teilweise wesentlich
höher liegt, weist sie eine stärkere Volatilität und eine ausgeprägte Tendenz
auf, nach einem Schock zu ihrem annähernd gleichbleibenden Wert (in
Höhe von etwa 5 v.H. bis 6 v.H.) zurückzukehren. In Westdeutschland ist
die Arbeitslosigkeit hingegen schubweise gestiegen, mit klaren Beharrungs-
tendenzen auf dem höheren Niveau. Anders formuliert, die Auslöser der
deutschen Arbeitslosigkeit mögen (exogene) Schocks gewesen sein, jedoch
entwickelt sich daraus eine eher trendmäßige Verhärtung der Beschäfti-
gungslosigkeit.
(ii) Schaubild 2 wirft ein Schlaglicht auf die Dynamik des westdeutschen Arbeits-
marktes. Die jährlich kumulierten Zugänge bzw. Abgänge übertreffen die
Bestandszahlen beachtlich: Im Zeitraum der letzten zehn Jahre liegen sie
rund doppelt so hoch und dies bei einem Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit
in Höhe von rund einem Drittel. Mit anderen Worten, der deutsche Arbeits-
markt weist sowohl eine beträchtliche Dynamik auf, ist aber ebenso durch
Verhärtungserscheinungen gekennzeichnet.
(iii) Schaubild 3 weist auf die Instabilität der Beveridge–Kurve hin, also der
Relation zwischen offenen Stellen (korrigiert um den zeitvariablen Einschal-
tungsgrad der Arbeitsämter) und der Arbeitslosenquote.1 Bei allen Vorbe-
halten bezüglich der Beveridge–Kurve dürfte es unstrittig sein, daß sich der
Matching–Prozeß auf dem Arbeitsmarkt im Zeitablauf schwieriger gestaltet,
die Funktionsstörungen auf dem Arbeitsmarkt also gravierender geworden
sind. Einen ähnlichen Befund ergeben im übrigen Schätzungen der infla-
tionsstabilen Arbeitslosenquote (NAIRU).2

Ein viertes Charakteristikum läßt sich besser regressionsanalytisch als graphisch


belegen, nämlich die Hysterese- bzw. Persistenzeigenschaft der Arbeitslosigkeit
1 Vgl. dazu Franz (1992).
2 Siehe Franz (1987).
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 153

Schaubild 1. OECD–standardtisierte Arbeitslosenquoten.

Schaubild 2. Strom- und Bestandsgrößen der Arbeitslosigkeit.


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Schaubild 3. Beveridge–Kurve.

in Westdeutschland, also die Zeitpfadabhängigkeit der funktionsstörungsbedingten


Arbeitslosigkeit. Der ökonometrische Test beruht auf folgender Spezifikation einer
Lohnfunktion:3
Ŵt = α0 + α1 (AQt − AQ) + · · · (1)
AQ = β0 + β1 AQt −1 . (2)
Einsetzen ergibt sofort:
Ŵt = α0 + α1 [(1 − β1 )AQt + β1 1AQt ] + · · · (3)
Folgende Fälle können unterschieden werden: β1 = 0: In diesen Fall ist AQ = β0 ,
dies entspricht der einfachen Philippskurve Ŵt = α0 +α1 AQt +· · ·; β1 = 1: Dies ist
der Fall der Hysterese; es gibt keinen Gleichgewichtswert einer Arbeitslosenquote,
weil – technisch gesprochen – in Ŵt = α0 + α1 1AQt + · · · nur Veränderungen
von Variablen enthalten sind; 0 < β1 < 1: Damit ist die “Zwischensituation” der
Persistenz gekennzeichnet, es gibt eine gleichgewichtige Arbeitslosenquote, zu der
das System letztlich tendiert.
Der ökonometrische Test besteht nun darin zu prüfen, ob in der geschätzten
Lohnfunktion (3) AQ und/oder 1AQ signifikante Variablen darstellen. Ergeb-
nisse von Franz und Gordon (1993) erbrachten signifikante Resultate für beide
Variablen, so daß sich als viertes Spezifikum des westdeutschen Arbeitsmarktes
festhalten läßt:
3 Ŵ = Lohnwachstumsrate, AQ und AQ = tatsächliche bzw. funktionsstörungsbedingte
t
Arbeitslosenquote.
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 155

(iv) Es herrscht eine Persistenz der Arbeitslosigkeit.

Eine Theorie der Arbeitslosigkeit, die diesen Namen verdienen will, muß mithin
den schubweisen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der auf Grund von zunehmenden
Funktionsstörungen auf Arbeitsmärkten und von Persistenzerscheinungen in einen
trendmäßigen Verlauf mündet, von rein konjunkturellen Störungen unterscheiden
und erklären können.

III. Ein theoretischer Analyserahmen


Damit man bei den zahlreichen möglichen Ursachen der Arbeitslosigkeit noch den
Wald vor lauter Bäumen sieht, ist ein theoretischer Analyserahmen erforderlich.
Angesichts meines wissenschaftlichen Engagements im Hinblick auf makroökono-
metrische Modelle temporärer Gleichgewichte bei Mengenrationierung (“Un-
gleichgewichtsmodelle”) hätte sich natürlich ein solcher Einstieg angeboten.4 Um
die zu erwartenden Kontroversen jedoch nicht – und in diesem Fall: unnötigerweise
– schon beim theoretischen Analyserahmen zu entzünden, beziehe ich mich auf das
konsensfähigere Modell der quasi-gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit. Das Modell
wird von den einzelnen Autoren in unterschiedlicher Weise formuliert und begrün-
det, so daß es sich hier um einen Prototyp einer Vielfalt von Ansätzen handelt.5
Als Minimalanforderung muß der Analyserahmen mithin Aussagen über Arbeits-
angebot und Arbeitsnachfrage sowie über den Lohnbildungsprozeß einschließlich
allfälliger Rigiditäten enthalten. Schaubild 4 illustriert diese drei Elemente des
theoretischen Ansatzes in einem traditionellen Preis–Mengen–Diagramm, wobei
als Preis der reale Produktlohn6 und als Menge die Arbeit in Personen dienen.7
Mit Hilfe einer ökonomisch fundierten Intuition lassen sich die Zusammenhänge
wie folgt begründen.

(i) Je nach Annahme über die Marktform auf den Produktmärkten reflektiert
die WD-Kurve entweder die traditionelle Arbeitsnachfragefunktion oder das
Preissetzungsverhalten der Unternehmen. Im ersten Fall wird Gewinnmaxi-
mierung unter vollständiger Konkurrenz auf Absatz- und Beschaffungsmärk-
ten bei Vernachlässigung von zeitlichen Anpassungsverzögerungen unter-
stellt; dann gibt die WD-Kurve die gewinnmaximale Arbeitsnachfrage in
Abhängigkeit des realen Produktlohnes an, wobei in der Steigung der WD-
Kurve die abnehmende Grenzproduktivität der Arbeit zum Ausdruck kommt.
4 Vgl. dazu Franz und König (1990) als Einstieg in diese Modellwelt.
5 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären in diesem Zusammenhang folgende Autoren zu
nennen: Alogoskoufis und Manning (1988a,b), Bean (1994a,b), Blanchard (1990), Layard, Nickell
und Jackman (1991), Lindbeck (1993).
6 Der reale Produktlohn umfaßt alle mit dem Einsatz des Faktors Arbeit verbundenen Kosten
und wird mit dem Outputpreis deflationiert. Sein Gegenstück ist der reale Konsumlohn als dem
Nettoentgelt für geleistete Arbeit deflationiert mit einem Kosumentenpreisindex.
7 Damit bleiben Aspekte der Arbeitszeit zunächst außer Betracht.
156 WOLFGANG FRANZ

Schaubild 4. Das theoretische Referenzmodell.

Der zweite Fall nimmt von der Annahme eines Mengenanpasserverhaltens auf
dem Produktmarkt Abstand. In diesen Ansätzen erfolgt bei unvollständiger
Konkurrenz auf dem Produktmarkt eine Zuschlagskalkulation auf die Grenz-
kosten (u.a. auch auf die der Arbeit), wobei der Zuschlagsfaktor positiv mit
der Output- und damit der Beschäftigungsentwicklung korreliert ist.8 M.a.W.
jetzt spiegelt die WD-Kurve das Preissetzungsverhalten von Firmen in Ab-
hängigkeit des Arbeitseinsatzes wieder: Eine höhere Beschäftigung führt zu
höheren Preisen und damit bei gegebenem Nominallohn zu einem niedrigeren
Reallohn.
(ii) Das Arbeitsangebot LS wird der Einfachheit halber als exogen angenom-
men, insbesondere ist es nicht vom Reallohn abhängig.9 Als Rechtfertigung
8 Diese Hypothese ist allerdings nicht unumstritten.
9 Hierbei ist zu beachten, daß beim Arbeitsangebot der Konsumlohn die relevante Erklärungs-
größe ist.
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 157

kann auf die empirisch ermittelte, meistens geringe Reallohnelastizität des


Arbeitsangebotes verwiesen werden.
(iii) Die WS-Kurve repräsentiert das Lohnsetzungsverhalten oder das “kollektive
Arbeitsangebot” im Gegensatz zum “individuellen Arbeitsangebot”, welches
der LS-Kurve zugrundeliegt.10 Löhne, die über kollektive Lohnverhandlungen
erzielt werden, liegen vermutlich höher als es bei individuellen Lohnver-
handlungen der Fall wäre. Folglich befindet sich die WS-Kurve links von
der LS-Kurve (bzw. oberhalb einer positiv verlaufenden LS-Kurve). Ihre
“normale” positive Steigung11 erklärt sich beispielsweise mit der stärkeren
Verhandlungsmacht der Gewerkschaften bei einer günstigeren Beschäfti-
gungssituation oder mit einem Rückgriff auf Elemente einer Effizienzlohnthe-
orie, nach der Unternehmen bei guter Arbeitsmarktlage höhere Löhne zahlen,
um eine unerwünschte Fluktuation oder Drückebergerei zu vermeiden.

Punkt A im Schaubild 4 reproduziert zunächst das Gleichgewicht auf dem Arbeits-


markt. Hier gibt es keine Arbeitslosigkeit, wofür bei voller Reallohnflexibilität
die Fiktion eines Walrasianischen Auktionators sorgt. Eher der Wirklichkeit ent-
sprechen kollektive Lohnverhandlungen mit dem Resultat einer Arbeitslosigkeit in
Höhe der Strecke EB E0 und eines Lohnsatzes wB anstelle von wA .
Die mit EB E0 einhergehende Arbeitslosenquote wird in der Literatur als quasi-
gleichgewichtige Arbeitslosenquote (“QERU”) bezeichnet, weil sie Konsistenz des
Preissetzungsverhaltens (oder der Arbeitsnachfrage) mit dem Lohnsetzungsverhal-
ten gewährleistet – daher die Bezeichnung “gleichgewichtig”. Da die WD-Kurve
den “mark-up” der Preise auf die Löhne und die WS-Kurve den der Löhne auf die
Preise beschreibt, kann der Punkt B auch als das Ergebnis eines “battle over mark-
ups” (Layard und Nickell 1986, S. 146) interpretiert werden. Dieses Gleichgewicht
ist anderseits mit einem Arbeitsangebotsüberschuß verbunden – deshalb der Zusatz
“quasi”. Wenig fruchtbar ist die Diskussion der Frage, ob EB E0 nun als freiwil-
lige oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu bezeichnen ist: Einereits wollen EB E0
Personen beim herrschenden Lohnsatz arbeiten, das würde “Unfreiwilligkeit” na-
helegen; andererseits müssen sich eben diese Arbeitslosen fragen lassen, warum sie
nicht qua Lohnkonzessionen die begehrten Arbeitsplätze erhalten (können); dies
ließe dann eher “Freiwilligkeit” vermuten.
Ergiebiger ist dann schon der Hinweis auf den “strukturellen” Charakter der
QERU.12 Sie ist das Resultat

− des Preissetzungsverhaltens, der Technologie, der produktiven Kapazitäten,


der Unternehmensbesteuerung und etwaiger Regulierungen des Arbeitsein-
satzes (über die WD-Kurve),
− institutioneller Regelungen und sozialer Arrangements (über die WS-Kurve),
10 Vgl. Wyplosz (1994).
11 Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine negative Steigung denkbar.
12 Vgl. Wyplosz (1994).
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− individueller Präferenzen und der direkten und indirekten Besteuerung der


Einkommen (über eine elastische LS-Kurve).

Diese und weitere Aspekte verbergen sich hinter der häufig verwendeten Bezeich-
nung “strukturelle Arbeitslosigkeit”. Dieser Begriff wird mittlerweile in der
Literatur und erst recht in der Öffentlichkeit teilweise sehr einseitig, teilweise
außerordentlich extensiv interpretiert, so daß er nahezu inhaltsleer geworden ist.
Die tatsächlich beobachtete Arbeitslosigkeit entspricht nicht notwendigerweise
der QERU. Ein konjunkturell bedingtes Nachfragedefizit kann zu einer Links-
verschiebung der WD-Kurve führen, etwa zu W D 0 im Schaubild 4. Bei Rigi-
dität des Reallohnes wB ergibt sich zumindest kurzfristig eine Arbeitslosigkeit
insgesamt von EC E0 , wovon EC EB häufig als konjunkturell, weil von einem ge-
samtwirtschaftlichen Nachfragedefizit verursacht, und EB E0 als gleichgewichtig
(“strukturell”) bezeichnet werden. Hier wird die Problematik einer Komponenten-
zerlegung in “konjunkturelle” versus “strukturelle” Arbeitslosigkeit, aber natürlich
auch eine Schwäche des QERU-Models deutlich, weil prinzipiell die Lage der WD-
Kurve nicht unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und es nicht
einfach (aber andererseits auch nicht aussichtslos) ist, eine “konjunkturbereinigte
WD-Kurve” zu bestimmen. Anders ausgedrückt: Zwar ist das gesamtwirtschaft-
liche Nachfragedefizit der auslösende Faktor und eine solche Arbeitslosigkeit kann
– zumindest in der Theorie – durch eine geeignete Stabilisierungspolitik beseitigt
werden, aber die QERU kann auch durch eine Rechtsverschiebung der WS-Kurve
(bis zum Punkt D) wieder erreicht werden, d.h. die Tarifvertragsparteien wären ge-
fordert, die Reallohnrigidität bei wB zu beseitigen. Abgesehen von der Frage, wie
sie dazu gebracht werden sollen, wenn eben diese Rigidität ökonomisch rational
ist, beleuchtet dieser Fall scheinwerferartig, warum es so einfach ist, Alleinvertre-
tungsansprüche über “die” Ursache der Arbeitslosigkeit, nämlich die Entlohnung,
zu predigen.
Nach dieser kursorischen Darstellung des Modellrahmens soll nun der
grundlegende Gedankengang skizziert werden, mit dem die Entwicklung der
Arbeitslosigkeit in Westdeutschland aus theoretischer Sicht erklärt werden kann.
Im wesentlichen besteht der Analyserahmen aus den folgenden vier miteinander
verbundenen Hypothesen:

(i) Es existiert eine quasi-gleichgewichtige Unterbeschäftigung (QERU), weil


das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt nicht isoliert durch Arbeitsangebot
und -nachfrage bestimmt wird, sondern ebenfalls durch institutionelle Rege-
lungen und Praktiken des Lohnbildungsprozesses sowie durch Anreizwirku-
ngen, ein Arbeitsplatzangebot – so vorhanden – zu akzeptieren. Dabei lassen
sich diese zusätzlichen Einflußfaktoren ökonomisch rational begründen, es
ist daher nicht damit getan, nach Lohnkorrekturen zu rufen, wenn nicht
gleichzeitig dargelegt wird, wie rational handelnde Beteiligte entgegen eben
dieser Rationalität dazu gebracht werden sollen.
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 159

(ii) Die QERU ist im Zeitablauf gestiegen, d.h. in der Graphik 4 haben sich die
WS-Kurve und/oder die WD-Kurve nach links verschoben (und ggf. ihre
Steigung verändert).13 Verantwortlich dafür sind natürlich Veränderungen
der Variablen, welche die Lage und Steigung der Kurven bestimmen. Bei-
spielsweise können aus theoretischer Sicht eine verschlechterte Position im
internationalen Standortwettbewerb (zu hohe Stückkosten, wenig marktfähige
Produkte u.a.) oder größere Unsicherheiten in der Einschätzung der zukünfti-
gen Güternachfrage zu einer dauerhaften Linksverschiebung der WD-Kurve
und damit ceteris paribus zu einem Anstieg der QERU führen. Mögliche
Linksverschiebungen der WS-Kurve vermag diese Theorie beispielsweise
mit einer größeren Generosität der Arbeitslosenunterstützung oder durch zu-
nehmende Heterogenität in Form eines gestiegenen Mismatch’ in Verbindung
mit Mobilitätshemmnissen zu begründen. Die Theorie muß allerdings sicher-
stellen, daß säkulare Trendentwicklungen wie z.B. ein technischer Fortschritt
die QERU nicht über alle Grenzen wachsen lassen.
(iii) Die tatsächliche Arbeitslosigkeit weicht nicht nur auf Grund einer friktio-
nellen Komponente von der QERU ab, sondern vor allem deshalb, weil das
System durch Schocks auf den Gütermärkten und ein verändertes Arbeits-
angebot gestört wird. Typische Beispiele für solche Schocks sind konjunk-
turell bedingte gesamtwirtschaftliche Nachfragedefizite oder Importpreis-
bzw. Technologieschocks. Die entscheidende Frage lautet dann: Wie reagiert
eine Volkswirtschaft auf solche Schocks? Dieser Aspekt betrifft gleichfalls
den Anstieg des Arbeitsangebots, wie er in Westdeutschland z.B. in den
achtziger Jahren zu beobachten war. Anders herum und bezogen auf das
Arbeitsangebot formuliert: Die Feststellung, das Arbeitsangebot sei gestie-
gen, ist im Hinblick auf eine Erklärung der Arbeitslosigkeit ungenügend;
entscheidend ist vielmehr die Beantwortung der Frage, warum die zusätz-
lichen Arbeitsanbieter keine Arbeit gefunden haben. Deshalb verschleiern
Begriffe wie “bevölkerungsbedingte Arbeitslosigkeit” mehr als sie erhellen,
abgesehen davon, daß die auslösende Störung bei endogenem Arbeitsangebot
möglicherweise nicht korrekt identifiziert wurde.
(iv) Abweichungen der tatsächlichen Arbeitslosigkeit von der QERU können
langandauernde Effekte haben und auf die QERU selbst zurückwirken. Es
ist daher unzulässig, die Entwicklung der QERU einerseits und Fluktu-
ation um die QERU anderseits getrennt zu untersuchen und die jeweiligen
Resultate zu addieren. Mechanismen, die eine an sich temporär bedingte
Unterbeschäftigung in persistente Arbeitslosigkeit umwandeln, sind u.a.
“Hysteresis-Phänomene”, wie beispielsweise eine arbeitslosigkeitsbedingte
höhere Abschreibungsrate des Humankapitals, Entmutigungs- und Stigmati-
sierungseffekte sowie das Unvermögen der Arbeitslosen als den Außenseitern
13 Im Schaubild 4 wird eine mögliche Trendentwicklung der QERU nicht dargestellt: Ein (exo-
gener) technischer Fortschritt führt zu Verschiebungen der WD- und WS-Kurven nach oben und der
Reallohn steigt im Zeitablauf.
160 WOLFGANG FRANZ

auf dem Arbeitsmarkt, in den Lohnbildungsprozeß einzugreifen oder Lohnun-


terbietung zu betreiben. Über solche und andere Transmissionsmechanismen
entsteht ein Teufelskreis: Arbeitslosigkeit erzeugt Arbeitslosigkeit.

IV. Empirischer Befund


In diesem Abschnitt soll eine Einschätzung der quantitativen Bedeutung der ein-
zelnen möglichen Ursachen der Arbeitslosigkeit versucht werden, so wie sie sich
aus dem im vorigen Abschnitt skizzierten Analyserahmen ergeben. Wie in der
Einleitung hervorgehoben, entzündet sich der Streit unter den Ökonomen in er-
ster Linie an diesen empirischen Gewichten und an den daraus zu ziehenden
wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen.

1. ABWEICHUNGEN VON DER QERU

Abweichungen von der QERU in Form von konjunktureller Arbeitslosigkeit als


Folge eines gesamtwirtschaftlichen Nachfragedefizits stellen in Deutschland einen
nicht zu vernachlässigenden Aspekt dar. So schätzte der deutsche Sachverständi-
genrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, daß in West-
deutschland im Jahre 1994 etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Arbeitslosigkeit
als konjunkturell bedingt zu bezeichnen sei.14 Das ifo-Institut für Wirtschafts-
forschung kommt auf Grund von ökonometrischen Untersuchungen mit Hilfe des
Okun’schen Gesetzes zu dem Ergebnis, daß im Jahre 1997 in Westdeutschland
etwa 40 v.H. der Arbeitslosigkeit “nicht strukturell, sondern konjunkturell bedingt”
sei.15 Wie im theoretischen Modell verdeutlicht wurde, sind solche Schätzungen
mit Unsicherheiten behaftet, weil sich auf Grund von Persistenzphänomenen aus
rein konjunktureller Beschäftigungslosigkeit eine verhärtete, nicht mehr als kon-
junkturell zu charakterisierende Arbeitslosigkeit herausbilden kann, die infolge
von Entmutigungseffekten und einer Entwertung des Humankapitals eben nicht
mehr ohne weiteres im Konjunkturaufschwung verschwindet.

2. BESTIMMUNGSFAKTOREN DER QERU

Auf der Grundlage des theoretischen Ansatzes sind zunächst Faktoren, welche das
Lohnsetzungsverhalten (die WS-Kurve) beschreiben, von solchen Einflußgrößen
zu unterscheiden, die an der Arbeitsnachfrage (der LD-Kurve) ansetzen.

14 Sachverständigenrat (1994), Textziffer 418.


15 Schalk, Lüschow und Untiedt (1997), S. 10.
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 161

2.1. Lohnsetzungsverhalten
(i) Gemäß des Insider-Outsider-Modells des Lohnsetzungsverhaltens setzen die
Arbeitsplatzbesitzer (die “Insider”) die Löhne so hoch, daß sie zwar selbst
beschäftigt bleiben, aber den Arbeitslosen (“Outsider”) durch (zusätzliche)
Lohnzurückhaltung keine Chancen auf einen Arbeitsplatz einräumen. An-
gesichts der massiven Zugänge in die Arbeitslosigkeit (vgl. Schaubild 2)
vor allem aus Beschäftigungsverhältnissen ist klar, daß dieser Ansatz nur
Teilerklärungen liefert. Gleichwohl weisen die zahlreichen Vereinbarungen
auf der betrieblichen Ebene, beispielsweise in Form von “Standortsiche-
rungsverträgen” auf ein solches Insider-Verhalten hin, da in der Regel die
Gegenleistung für die Lohnmoderation der Verzicht auf betriebsbedingte
Kündigungen ist, nicht aber eine Zusage über Neueinstellungen. Gegen eine
übermäßige empirische Bedeutung des Insider-Outsider-Modells spricht je-
doch auch, daß die Tarifvertragsparteien in den Jahren 1996 und 1997
Tarifabschlüsse teilweise deutlich unter der Produktivitätsentwicklung (um
den Beschäftigungsabbau bereinigt) vorgenommen haben.16
(ii) Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung und die Dauer der
Anspruchsberechtigung können ebenfalls die Lohnsetzung beeinflussen,
weil die Alternativkosten einer überzogenen Lohnpolitik mit steigender
Großzügigkeit dieser sozialen Absicherung sinken. Trotz zahlreicher (mi-
kroökonometrischer) Studien zum Zusammenhang zwischen der (Dauer
der) Arbeitslosigkeit und der Ausgestaltung der Arbeitslosenunterstützung
herrscht immer noch eine Unsicherheit über die tatsächlichen Effekte und
ihre quantitative Größenordnung. Mit dem Mut zur Vereinfachung läßt sich
aber auf Basis der Studien von Hujer und Schneider (1996), Hunt (1995)
und Steiner (1997) der vorsichtige Schluß ziehen, daß die zeitliche Länge der
Anspruchsberechtigung zwar einen signifikant positiven Einfluß auf die Dauer
der Arbeitslosigkeit aufweist, aber weniger die Höhe der Lohnersatzrate
selbst.17 Allerdings sind selbst diese signifikanten Effekte von der Größen-
ordnung her gesehen relativ gering und konzentrieren sich häufig auf spezielle
Gruppen von Arbeitslosen. Die Ausgestaltung der Arbeitslosenunterstützung
kann erst recht nicht als Erklärung des trendmäßigen Anstiegs der QERU
dienen, denn sie ist eben nicht ständig verbessert worden.
(iii) Ein höherer qualifikatorischer und/oder regionaler Mismatch zwischen ange-
botener und nachgefragter Arbeit führt ceteris paribus gleichfalls zu höheren
Löhnen, weil Arbeitslose, die auf Grund ihres Profils nicht auf Vakanzen ver-
mittelt werden können, einen geringeren Druck auf die Lohnhöhe ausüben. In
der Tat scheint Mismatch-Arbeitslosigkeit ein gravierendes Problem zu sein:

16 Vgl. dazu Sachverständigenrat (1997).


17 Nach neueren empirischen Ergebnissen von Hujer und Schneider (1998) spielt aber das zeitliche
Verlaufsmuster der Lohnersatzleistungen eine Rolle. Nur Kürzungen im Anfangsniveau verringern
die Arbeitslosigkeit, nicht aber Kürzungen im späteren Verlauf.
162 WOLFGANG FRANZ

So schätzte der Sachverständigenrat die Größenordnung für Westdeutschland


für das Jahr 1991 auf etwa ein Fünftel der Arbeitslosigkeit, ein Wert, welcher
durch eine Studie von Entorf (1996), die auf einer anderen methodischen
Vorgehensweise beruht, in etwa bestätigt wurde.
(iv) In zunehmendem Ausmaß wurde in den letzten Jahren in Deutschland ein
Keil zwischen den Konsumlohn (realer Nettolohn) und den Produktlohn (reale
Bruttoarbeitskosten) geschoben, vor allem durch höhere Steuern auf den Fak-
tor Arbeit und gestiegene Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
zu den Sozialversicherungssystemen. Zwischen 1993 und 1996 stiegen die
Produktlöhne um rund 7 v.H., während die Konsumlöhne um gut 1 v.H.
sanken (in Westdeutschland). Ceteris paribus führt dies zu höheren Löhnen
(die WS-Kurve verschiebt sich nach links) und einem größeren Wert der
QERU.
(v) Im Gegensatz etwa zu den USA oder zu Großbritannien hat sich die quali-
fikatorische Lohnstruktur in Westdeutschland im Verlauf der letzten Dekade
kaum verändert.18 Sicherlich gibt es ernsthafte Hinweise darauf, daß die
Lohnkosten im unteren Qualifikationsbereich zu hoch sind.19 Eine weitere
Spreizung der Lohnstruktur im unteren Qualifikationsbereich wird aber ver-
mutlich zusätzliche Arbeitsplätze eher im Dienstleistungsbereich schaffen,
denn im industriellen Bereich sind in Deutschland die bereits bestehenden
unteren Lohngruppen kaum mit Arbeitskräften besetzt. Eine weitere Lohndif-
ferenzierung sieht sich dem Problem konfrontiert, daß für eine Reihe von
Unterstützungs/empfängern (insbesondere von Sozialhilfe) eine Lohnsen-
kung (noch) weniger Anreize zur Arbeitsaufnahme bietet, von dem Prob-
lem der “working poor” einmal ganz abgesehen. Hier muß über Lösungen
nachgedacht werden, etwa in Form großzügigerer Regelungen bezüglich der
Anrechnung von Arbeitseinkommen auf die Unterstützungszahlungen.

2.2. Arbeitsnachfrage
(i) Kündigungsschutzregelungen stehen im Mittelpunkt der Kritik, wenn es
um institutionelle Regelungen als Hemmnisse für mehr Beschäftigung geht,
wobei darauf hinzuweisen ist, daß dafür in Deutschland in erster Linie
das Richterrecht, weniger die gesetzlichen Vorschriften verantwortlich zu
machen wären.20 Weiterhin ist eine Unterscheidung zwischen dem allge-
meinen und dem besonderen Kündigungsschutz hilfreich: Der besondere
Kündigungsschutz bezieht sich auf spezielle Gruppen, wie beispielsweise
ältere oder behinderte Beschäftigte oder Schwangere. Diese Unterscheidung
ist deshalb angebracht, weil vom allgemeinen Kündigungsschutz weniger
18 Siehe OECD (1996), Kapitel 3.
19 Vgl. Fitzenberger und Franz (1998).
20 Vgl. Franz (1992), Franz und Rüthers (1998).
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 163

restriktive Wirkungen ausgehen dürften, denn Unternehmen sind im allge-


meinen an dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen interessiert, insbesondere
dann, wenn sie in die betriebliche Qualifikation ihrer Belegschaft investiert
haben. Von Einzelbeobachtungen abgesehen ist die quantitative Bedeutung
des Kündigungsschutzes als Einstellungshindernis schwierig zu bestimmen.
Schon gar nicht läßt sich dies an der Entwickung der Arbeitslosenzahlen
ablesen, weil sich geringere Zugänge (auf Grund der Restriktionswirkung
des Kündigungsschutzes) und Abgänge (auf Grund verhinderter Neueinstel-
lungen) in die bzw. aus der Arbeitslosigkeit teilweise ausgleichen können.
Die erheblichen Zugangszahlen (vgl. Schaubild 2) lassen aber die Vermu-
tung aufkommen, daß der Kündigungsschutz nicht prohibitiv wirkt. Inter-
nationale Vergleiche raten ebenfalls zur Zurückhaltung bei der quantitativen
Einschätzung. Obwohl Spanien und Portugal beide die restriktivsten Kündi-
gungsbestimmungen besessen haben, belief sich die Arbeitslosenquote in
Spanien auf etwa das Vierfache im Vergleich zu Portugal.21 Hinzu kommt,
daß in Deutschland seit 1985 die Befristung von Arbeitsverträgen wesent-
lich erleichtert und seit 1996 der Kündigungsschutz eingeengt wurde (nur
für größere Betriebe, restriktivere Regelungen bei der “Sozialauswahl”), ohne
daß es zu einer Einstellungswelle gekommen wäre, was selbstverständlich auf
Grund von Multikausalitäten keinen empirischen Beleg darstellt.
(ii) Angebotsschocks wie die exorbitante Erhöhung der Rohstoffpreise können
sicherlich zur Erklärung einer höheren QERU in den siebziger Jahren beitra-
gen, zumal die Lohnpolitik in jenen Jahren in Westdeutschland darauf falsch
reagiert hat.22 Da es schwerfällt, in den achtziger Jahren solch gravierende
Angebotsschocks zu identifizieren, helfen sie bei der Ursachenanalyse für
diese Zeit nicht viel weiter.
(iii) Arbeitssparendem technischen Fortschritt kann eine Plausibilität nicht abge-
sprochen werden, wenn es um die überproportional verringerten Beschäfti-
gungschancen gering qualifizierter Arbeitnehmer geht. Zwischen 1976 und
1985 stieg die Beschäftigung qualifizierter Arbeit in Westdeutschland um
etwa 30 v.H., während die gering qualifizierte Arbeit um rund 36 v.H. zurück-
ging.23 Darauf hat die Lohnpolitik nicht adäquat reagiert, obwohl auch hier
Einseitigkeiten zu vermeiden sind: Die Löhne gering qualifizierter Arbeits-
kräfte waren in Westdeutschland rund doppelt so hoch als in den USA,
gleichwohl unterschieden sich die Arbeitslosenquoten der gering Qualifizier-
ten in beiden Ländern nicht sehr stark.24 In die gleiche Richtung mag der
sich verschärfende internationale Wettbewerb wirken, welcher gering quali-
21 Vgl. Blanchard und Jimeno (1995).
22 Angebotsschocks verschieben die LD-Kurve nach links. Die dadurch herbeigeführte Erhöhung
der QERU kann durch Lohnzurückhaltung (die WS-Kurve verschiebt such nach rechts) wieder
abgemildert werden.
23 Quelle: Sachverständigenrat (1994), S. 257.
24 Vgl. Nickell (1997) für Einzelheiten.
164 WOLFGANG FRANZ

fizierte Arbeit in der Produktion handelbarer Güter verdrängt, obwohl nach


neueren ökonometrischen Studien dieser Effekt in Deutschland im Vergleich
zum arbeitssparenden technischen Fortschritt geringer zu veranschlagen sein
dürfte.25
(iv) Schließlich kann eine unzureichende Gründungsaktivität von Unternehmen
Ursache für eine verringerte Arbeitsnachfrage sein, wobei es auf den Net-
toeffekt (im Vergleich zu Betriebsschließungen) ankommt und darauf, wie
arbeitsintensiv die Produktionstechnologien sind. Wie Studien des Zentrums
für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nahelegen, war in Westdeutsch-
land in den vergangenen Jahren ein starker Rückgang der Neugründun-
gen von technologie-intensiven Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe
und Dienstleistungssektor Deutschlands festzustellen. Junge Existenzgründer
sahen sich demnach unter anderem mit einem unzureichenden Angebot an
Risikokapital konfrontiert.26

3. ÜBERTRAGUNGSEFFEKTE KONJUNKTURELLER ARBEITSLOSIGKEIT AUF


DIE QERU

Wie in Abschnitt 3 bereits dargelegt, kann sich zunächst rein konjunk-


turelle Arbeitslosigkeit verfestigen, d.h. die QERU ist nicht unabhängig von
Arbeitslosigkeit, die eigenlich anderen Ursprungs ist. Die Ursache dafür sind
die genannten Hysterese- oder Persistenzphänomene. Sie bewirken, daß sich
die Unterscheidung in angebots- und nachfrageseitige Determinanten der Un-
terbeschäftigung verwischt.27 Für sich genommen stellt Hysterese nur eine Chiffre
dar, hinter der sich eine Reihe von Einfußfaktoren verbergen, wie Entmutigungsef-
fekte oder eine Dequalifikation auf Grund eines sich mit zunehmender Dauer der
Arbeitslosigkeit entwertenden Humankapitals. Unter diesem Vorbehalt kommen
die meisten der zahlreichen ökonometrischen Studien zu diesem Thema zu dem
Schluß, daß in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern Europas, aber im
Gegensatz zu den USA, Hysterese- bzw. Persistenzphänomene nicht von der Hand
zu weisen sind, ohne daß genaue Kenntnis sowohl über den quantitativen Beitrag
zur Erklärung des Anstiegs der Arbeitslosigkeit wie auch über das Gewicht der
dahinter stehenden Faktoren erreicht wurde.28

V. Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit


Läßt man das theoretische Modell und den empirischen Befund Revue passieren,
so ergibt sich ungeachtet aller Detailfragen zwar ein halbwegs konsensfähiges
25 Vgl. Fitzenberger (1998).
26 Vgl. dazu Licht und Nerlinger (1997) sowie Beise et al. (1997).
27 Vgl. auch Stiglitz (1997).
28 Vgl. dazu den Sammelband von Franz (1990).
ARBEITSLOSIGKEIT IN DEUTSCHLAND UND MÖGLICHKEITEN IHRER ÜBERWINDUNG 165

Bild über prinzipielle Ursachen der Arbeitslosigkeit, weniger indessen über die
quantitativen Größenordnungen der einzelnen Bestimmungsfaktoren. So jämmer-
lich wie behauptet stellt sich die Arbeitsmarktforschung mithin nicht dar, ohne
eine lange Liste von Forschungsdesiderata in Abrede stellen zu wollen. Natürlich
wäre aus der Sicht der wirtschaftspolitischen Beratung ein Forschungsergeb-
nis höchst wünschenswert, das die einzelnen Ursachen der Arbeitslosigkeit fein
säuberlich prozentual auflistet (möglichst so, daß sich die Prozentzahlen dann
auf 100 aufsummieren), aber das ist Wunschdenken. Was also kommt dann als
wirtschaftspolitische Strategie in Frage?
Zwei Aspekte verdienen es, vorweg beantwortet zu werden. Der erste kommt
leider zu spät, nämlich daß auf Grund von Hysterese- und Persistenzphäno-
menen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um so schwieriger und teurer wird,
je zögerlicher sie angegangen wird. Zweitens bedarf es angesichts beträchtlicher
Unsicherheiten über das quantitative Ausmaß einzelner Determinanten der Un-
terbeschäftigung mehr Mut zum Experimentieren bis hin zu dem Risiko, daß eine
Maßnahme an einer potentiellen Ursache der Arbeitslosigkeit ansetzt, die sich
später als doch nicht so bedeutend herausstellen mag.
Vor diesem Hintergrund und dem der vorangegangenen theoretischen und em-
pirischen Analyse bietet sich ein Strategiebündel an, welches aus drei Elementen
besteht.

(i) Konjunkturelle Arbeitslosigkeit sollte durch eine antizyklische Finanzpolitik


eingedämmt werden, indem konjunkturbedingte Mindereinnahmen und
Mehrausgaben der öffentlichen Haushalte hingenommen werden. Deren Kon-
solidierung sollte aber glaubwürdig – gegebenenfalls durch Selbstbindungs-
klauseln – in einer konjunkturell besseren Phase verankert werden. Eine EU-
weite Koordinierung einer solchen antizyklischen Finanzpolitik macht aber
nur dann Sinn, wenn die EU-Kernländer in der Tat durch einen konjunkturel-
len Gleichlauf gekennzeichnet sind. Nationale Beschäftigungsprogramme im
Alleingang bleiben wirkungslos.
(ii) Funktionsstörungen auf Güter- und Arbeitsmärkten müssen beseitigt wer-
den. Eine besondere Verantwortung kommt dabei den Tarifvertragsparteien
zu, sie müssen die Lohnentwicklung, die Arbeitszeit und das institutionelle
Rahmenwerk hinreichend flexibilisieren. Angesichts der hohen bestehenden
Arbeitslosigkeit ist ein Abschlag von einer Produktivitätsregel für die Real-
lohnentwicklung vorzunehmen, wobei als Maßstab die um den Beschäfti-
gungsabbau bereinigte Entwicklung der Grenzproduktivität dient (und nicht
etwa der Verlauf der statistisch ermittelten Durchschnittsproduktivität). Man
braucht die Forderung nach mehr Flexibilität nicht zu überziehen: Zum
einen sollten die bestehenden Flexibilitätspotentiale von Unternehmen und
Betriebsräten voll ausgeschöpft werden – daran mangelt es derzeit immer
noch –, zum anderen bedeutet mehr Flexibilität nicht ein Kahlschlag aller
166 WOLFGANG FRANZ

institutionellen Regeln, weil eine Reihe davon durchaus effizienzsteigernd


wirken kann.
(iii) Für die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere für die
Langzeitarbeitslosen, müssen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergriffen
werden mit dem Ziel, eine (Re-)Integration in das Erwerbsleben zu er-
leichtern. Neuere mikroökonometrische Evaluationsstudien der deutschen
aktiven Arbeitsmarktpolitik lassen indes die Vermutung aufkommen, daß ihre
Effizienz noch steigerungsbedürftig ist. Auch sollte kein Vorschub der Illu-
sion geleistet werden, man könne jedem Arbeitslosen helfen. Abzulehnen
sind Vorschläge im Hinblick auf eine erzwungene, flächendeckende Arbeits-
zeitverkürzung (gegen eine freiwillige Reduktion der Arbeitszeit bei einem
entsprechenden Verzicht auf Einkommen und Sozialleistungen ist weniger
einzuwenden). Eine solche Defensivstrategie verkennt, daß das Arbeitsvolu-
men eben keine unveränderbare Größe ist, die es umzuverteilen gilt. Andere
Länder belegen eindrucksvoll, daß das Arbeitsvolumen sehr wohl und erheb-
lich gesteigert werden kann (die USA beispielsweise). Wachstum ist möglich
und allemal besser als Rationierung.

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