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Nur wenige Kilometer südlich

von Marseille ragt die felsige


Spitze des Cap Croisette weit
hinaus ins Mittelmeer.
Marseille
und Meer
Moloch oder Sehnsuchtsziel? Marseille genießt ein
ausgesprochen zweifelhaftes Image. Angelika und Michael
Engelke (Text & Fotos) fuhren trotzdem hin und entdeckten
nicht nur das betörende Flair einer alten Hafenstadt, sondern
sondern auch eine Berg- und Küstenlandschaft, die zu den
schönsten Motorrad-Reisezielen Europas zählt.

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M
Das idyllische Nans-les-Pins arseille – was habe ich nicht al­ fröhliche Menschen und spielende Kinder,
liegt direkt zu Füßen des les schon gehört über diese den täglichen Fischmarkt und ein munteres
Gebirgszugs Massif de la Stadt? Gefährlich, düster, ein Treiben, das so gar nicht nach Gefahr oder
Sainte-Baume. Hort der Kriminalität soll sie Ungemach aussieht.
sein. Die verruchte Altstadt ein übles Pflas­ Hinter unserem Rücken, gleich nördlich
ter, um das man lieber einen ganz großen des Hafens, liegt Marseilles Altstadtviertel
Bogen machen sollte. Und jetzt sitzen wir Le Panier. Ein enorm widersprüchliches
hier, Kiki und ich, auf den Treppenstufen Terrain. Aber eines vorweg: Unsicher ha­
am Quai du Port direkt am alten Hafen und ben wir uns dort nie gefühlt. Selbst gestern
genießen in der strahlenden Sonne den Abend nicht, als wir durch die engen Gas­
herrlichen Blick über Hunderte Boote, über sen und über die unzähligen Treppen und

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DEM CHARME
SÜDFRANKREICHS
WIDERSTEHEN?
UNMÖGLICH

Stufen bummelten, in den einladenden Geld floss in den Jahren seit 1989 in die
Cafés und Bars freundlich bedient wurden Stadt. Erst die Stadterneuerungsprojekte,
und entlang verblichener Fassaden, bunter dann 2013, als Marseille Kulturhauptstadt
Graffitis und plakatierter Hauswände Europas war. Nicht jeder profitierte davon,
schlenderten. Le Panier, das ist Authentizi­ aber der Stadt und ihrem Image tat es gut,
tät und Avantgarde, Marseiller und Migran­ sehr gut sogar.
ten, modernder Sperrmüll und moderne »Reisen bildet!«, sage ich gerade zu
Boutiquen. Gleich neben dem hippen Sze­ Kiki und setze an, meiner Begeisterung
nelokal blättert der Putz von der Hauswand über das attraktive Marseille Ausdruck zu
und zugemauerte Fenster wechseln sich verleihen, als uns Théo anspricht. Mit
mit farbenfrohen Schaufenstern ab. Viel Helm unter dem Arm unschwer als Motor­

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Marseille ist das mediterrane Street-Art-Mekka schlechthin,
nirgendwo rund ums Mittelmeer finden sich mehr Graffitis
und Murals als hier (ganz oben).
Treffpunkt, Sehenswürdigkeit, historischer Ankerplatz:
Marseilles »Vieux Port« ist das quirlige Zentrum und eines
der Wahrzeichen der Hafenstadt (oben.).

radfahrer zu erkennen, interessiert er sich unschlüssig in den Gassen der Stadt her­
für unsere Africa Twin. Wir palavern ein umstanden. Marseille, das ist eine freund­
bisschen auf Englisch. Ich fummele meine liche Stadt.
Straßenkarte aus dem Tankrucksack und Wenig später sitzen wir auf unserem
zielsicher zeigt Théo auf den Col de l’Espi­ Motorrad, umrunden den Alten Hafen
goulier im Massif de la Sainte Baume öst­ »Vieux Port« entlang des Quai des Belges
lich der Stadt. Gestenreich schwärmt er und des Quai de Rive Neuve. Am un­
von der »Rennstrecke«. Zuerst denke ich, scheinbaren Quai Marcel Pagnol biege ich
er meint den nur wenige Kilometer entfernt rechts ab. Hier schlängelt sich die Straße
liegenden »Circuit Paul Ricard«. Aber zu Füßen des mächtigen Forts direkt zu ei­
nein, winkt er ab, die D 2 sei viel spannen­ nem kleinen Parkplatz am Ufer der engen
der. Ganz nebenbei bemerkt, Théo ist nicht Hafeneinfahrt hindurch. Gegenüber wacht
der einzige kommunikative Marseiller. der wehrhafte Turm Tour du Roi René über
Gleich zweimal wurde uns Hilfe angebo­ den Zugang ins Hafenbecken – ein idylli­
ten, als wir mit dem Stadtplan in der Hand scher Platz, den auch gleich ein paar Ang­

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Die malerische Bucht Calanque GEBANNT SCHAUEN
Marseilleveyre mit dem ehema-
ligen Fischerdorf Callelongue
WIR AUFS TIEFBLAUE
lockt mit glasklarem Wasser. MITTELMEER HINAUS

ler in Beschlag genommen haben. Wir und ich wuchte das schwere Zweirad rück­
schauen noch ein wenig den Freizeitkapitä­ wärts die Straße hinunter. Hätte der Polizist
nen bei ihren Manövern zu, beglückwün­ nur ein paar Sekunden gewartet – so wer­
schen einen der Petrijünger zu seinem Fang. den es mindestens zwei Minuten.
Dann zieht es uns wieder zurück auf den Schnell erreichen wir über die Rue des
Quai de Rive Neuve. Catalans die Küste. Vorbei am Stadtstrand
In den schmalen Straßen kommt mir ein Plage des Catalans führt die Corniche di­
Polizeitransporter entgegen. Ich habe keine rekt am felsigen Ufer entlang. Weit fällt
Zeit mehr, in eine Parklücke auszuweichen. unser Blick hinaus aufs Mittelmeer, wo ein
Denn mit wilder Gestik rast der Uniformier­ paar Boote lange weiße Linien durchs tief­
te mit seinem Kleinbus auf mich zu. Der hü­ blaue Wasser ziehen. Wir passieren die
nenhafte Beifahrer sieht aus wie eine franzö­ Plage du Prado, den größten Strand von
sische Ausgabe von Bud Spencer und droht Marseille, und einige weitere einladende
mit seiner Faust. Marseille, eine freundliche Badestrände. Einige nette Strandcafés war­
Stadt, denke ich. Dann steigen wir beide ab ten hier auf Gäste.

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Bald geht es hinaus aus der Stadt und in Die Meeresbucht ist dann auch gleich
der Ferne taucht schon der mächtige Um­ unser nächstes Ziel am kommenden Mor­
riss des felsigen Cap Croisette auf. Unzäh­ gen. Der Wein war gut, aufgestanden wird
lige Park- und Picknickplätze liegen ent­ entsprechend etwas später. Macht aber
lang der reizvollen und kurvenreichen Küs­ nichts. Schnell ein leckeres Frühstück in
tenstraße. Kaum zu glauben, dass es sich einem der Straßencafés an der Küste bei
nur wenige Minuten außerhalb des quirli­ L’Estaque, dann sind wir automatisch
VIELE gen Marseille so entspannt cruisen lässt. schon auf der richtigen Strecke hinaus aus
MARSEILLER Am Port de Callelongue zu Füßen des
Massif de Marseilleveyre endet die Küs­
Marseille. Ganz in der Nähe der Pointe de
Corbière biegt die D 568 ab, mitten hinein
NUTZEN DEN tenstraße. Das schönste Panorama bietet in den Fels der Hügelkette Chaîne de
sich aber noch ein paar Meter davor, gleich l’Estaque. Die Bergkette schließt die Stadt
ABSCHNITT gegenüber der Île Maïre. Dorthin gelangt gen Westen ab und viele Großstadtbewoh­
man über den Port des Goudes und eine ner nutzen diesen Abschnitt der Côte
DER CÔTE kurze Stichstraße. Hier warten zudem eine Bleue für ihre kleinen Fluchten am Wo­
BLEUE FÜR ganze Reihe ansprechender Bars und Res­ chenende.
taurants auf den Reisenden. Niolon – was für ein schönes und be­
IHRE KLEINEN Zurück in Marseille über die gleiche schauliches Örtchen! Schon die steile und
Strecke parken wir am Nachmittag die kurvenreiche Zufahrt über die Chaîne de
FLUCHTEN Honda an unserer Unterkunft und stürzen l’Estaque gefällt uns gut und gleich in der
uns wieder zu Fuß ins Getümmel. Wie ersten knackigen Kurve oberhalb des Or­
sonst sollten wir die leckeren regionalen tes lasse ich die Africa Twin ausrollen. Der
Weine probieren können, die gleich west­ Blick über den natürlichen kleinen Hafen
lich der Hafenmetropole rund um das riesi­ und die Lage Niolons ist Idylle pur. Unten
ge Becken des Étang de Berre gedeihen? am azurblau leuchtenden Wasser setzen

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Ganz im Norden Mar-
seilles entführt die
Küstenstraße entlang
kleiner Badestrände
in die Bergkette von
l’Estaque (gr. Foto).
Kunstobjekte finden
sich in Marseille auf
Schritt und Tritt.
Für die weltberühmte
Seife »Savon de
Marseille« gilt ein
Reinheitsgebot:
72 Prozent Pflanzenöl
und nur natürliche
Farb- und Zusatz-
stoffe. Hier trifft sich
die Motorradszene:
Bistro nahe des
»Circuit Paul Ricard«
(von ganz links).

Kiki und ich uns auf die flache Kaimauer mit dem beruhigenden Rauschen der Wel­
und lassen die malerische Szenerie auf uns len im Hintergrund.
wirken. Hätten wir nicht gerade gefrüh­ Martigues, auf der Nordseite der Chaîne
stückt, würden wir sofort eines der beiden de l’Estaque und damit direkt am Étang de
gemütlichen Cafés entern. Berre gelegen, überrascht uns mit einer
Die tief in den Fels gehauene Stichstra­ bildschönen Altstadt. Nicht umsonst nen­
ße hinunter nach Niolon bringt uns wieder nen die Martégaux ihr Hafenstädtchen
auf die D 5. Nur wenige Meter weiter geht auch das Venedig der Provence. Mitten
es erneut hinab an die Küste. La Madrague durch den Ort verläuft der Canal de
de Gignac ist nicht viel mehr als ein klei­ Ca­ronte, die Verbindung zwischen dem
ner Hafen. Lange nicht so reizvoll wie Mittelmeer und dem Étang de Berre. Die­
Niolon. Großformatige Schilder weisen ser wiederum verzweigt sich in die auf
darauf hin, dass Grillen bei 750 Euro Stra­ einer Insel liegende Altstadt. Der histori­
fe verboten ist – ein teures Vergnügen. sche Stadtkern, einst ein florierendes
Kurz vor Carry-le-Rouet kehrt auch die Fischerviertel, besticht mit seinen charak­
D 5 wieder zurück an die Côte Bleue und teristischen Häusern und bunten Fassaden,
führt geradewegs an der Wasserlinie ent­ herrlichen Gassen und unzähligen in den
lang. Jede Menge einladender Plätze für Wellen dümpelnden Booten. Aber auch das
das erholsame Sonnenbaden oder gemüt­ wehrhafte Fort du Bouc und die beeindru­
liche Picknicks gibt es direkt am felsigen ckende Barockkirche Saint Genest laden
Meeresufer. Wir entscheiden uns bei Carro zum Staunen ein.
für einen Stopp am Wasser. Ein gutes Eher unspektakulär führt die gut ausge­
Stück weg von der Straße lasse ich das baute und vierspurige D 5 in nördlicher
Mopped auf den Felsen ausrollen und wir Richtung hinaus aus Martigues. Das ändert
genießen unser entspannendes Picknick sich erst wieder bei Istres. Dort wechseln

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wir auf die D 16, die uns entlang des Ufers den kompletten Étang de Berre. 3000 Son­
führt. Die riesige Wasserfläche des Étangs nenstunden im Jahr bei geringen Nieder­
glitzert rechter Hand in der Sonne. Istres schlagsmengen, das freut die Winzer der
ist vor allem durch einen der größten und Region und bringt östlich des Rhônetals
ältesten Militärflugplätze des Landes be­ köstliche Rosé- und Rotweine hervor. Klar,
kannt. Hier, auf diesem imposanten Gelän­ dass wir uns in Saint-Chamas noch zwei
de, wo schon 1915 die ersten Flieger star­ Flaschen dieses guten Tropfens in die Kof­
teten, ist heute ein Teil der nuklear bewaff­ fer packen, bevor wir die Rückfahrt nach
Vielversprechend: das Massif neten Force de frappe stationiert. Die mit Marseille antreten.
de la Sainte-Baume. rund 5000 Metern längste Start- und Lan­ Col de l’Espigoulier heißt er, der Pass
debahn Europas war lange Zeit als Aus­ an der Strecke, die uns Théo so heiß emp­
weich-Landeplatz in das Space-Shuttle-­ fohlen hat. Heute steht er auf dem Pro­
Programm integriert. Und kaum haben wir gramm. Aber der Reihe nach. Am frühen
die nördliche Spitze des Étang umrundet, Morgen geht es hinaus aus der Stadt –
bekommen Kiki und ich auch schon eine diesmal gen Osten. Ich folge den Schildern
Gratis-Vorführung der französischen Luft­ nach Cassis. Eine tolle Strecke, kurven­
waffe. Gleich acht Maschinen jagen in For­ reich führt die D 559 immer höher in die
mation quer über unsere Köpfe und als Berge und hinauf in Richtung des Col de la
Bonus werden zusätzlich die drei Farben Gineste. Griffig und gut ausgebaut ist die
der Trikolore in den Himmel gemalt. Straße. Das wissen nicht nur die heimi­
Mit dem von Kiki und mir so geschätz­ schen Motorradfahrer, das weiß auch die
ten Wein stoßen wir bei Saint-Chamas Gendarmerie – natürlich. Kurz unterhalb
Renn- und Spaßstrecke der schließlich auch noch an. Kein Wunder, des Passes stehen die beiden Motorrad­
Locals zwischen Gémenos umfasst das bekannte Anbaugebiet Côte­ polizisten und beobachten sehr genau die
und Plan-d’Aups. aux d’Aix-en-Provence doch schließlich Westrampe mit ihrer überwiegend durch­

Unterhalb des knapp


1150 m hohen Joug de
l’Aigle geht es östlich
von Marseille auf
fantastischen Strecken
durch die Bergland-
schaft (r.). Zwischen
Cassis und La Ciotat
offeriert die Route des
Crêtes grandiose
Aussichten (g. r.).

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gezogenen weißen Mittellinie. Bei den in ten. In La Ciotat endet der Spaß vorerst
Frankreich angesagten Bußgeldern dürfte und mit einer letzten Doppelkurve führt die
das ein einträgliches Geschäft sein. Unser Route des Crêtes in den Ort hinein. Lust
Gruß im Vorbeifahren wird freundlich auf einen Kaffee und eine Pause? Dann auf
erwidert. in den Port de La Ciotat. Am Quai Gante­
Gleich hinter Cassis zweigen wir auf die aume laden ein paar gastliche Cafés zum
Route des Crêtes ab, auch bekannt als Cor­ Relaxen mit Aussicht auf das Hafenpano­ EINE TOLLE
niche des Crêtes. Die D 141 gilt als eine rama ein.
der spannendsten Straßen der Region. Steil »Circuit Paul Ricard« – es gibt viel zu STRECKE!
geht es hinauf auf den Pas de la Colle, ab berichten über diese traditionsreiche
hier mäandert der Asphalt rund 15 Kilo­ Rennstrecke bei Le Castellet. Die Ge­ KURVENREICH
meter entlang der Steilküste der Falaises. schichte und all die Geschichten rund um FÜHRT DIE
Am Cap Canaille stellen wir die Honda ab. den »Paul Ricard High Tech Test Track«,
Klettern in den Felsen ist angesagt. Nicht wie sich die Anlage heute nennt. Legen­ D 559 IMMER
weniger als 362 Meter ragt das Kap über däre Events wie der Motorrad-Langstre­
dem Meer hoch in den Himmel und ist da­ cken-Klassiker Bol d’Or oder die französi­ HÖHER IN
mit die höchste Klippe Frankreichs. Nur
auf dem Bauch liegend wagt die beste So­
schen Läufe zur Motorrad-WM in den
Siebzigerjahren lockten einst Tausende in
DIE BERGE
zia der Welt einen Blick in die Tiefe, auf die Hochebene zwischen Toulon und Mar­
die unter uns tosenden Wellen des Mittel­ seille. Aktuell fährt hier seit zwei Jahren
meers. Heute riegeln schwere Steinblöcke wieder die Formel 1, meist dient der Rund­
die Straße von der Kante der Klippe ab. kurs aber zu Testzwecken.
Früher war das noch alles offen und so Vorbei an der Rennstrecke nehme ich
manches in Marseille geklaute Auto fand Kurs auf Toulon und mit einem kurzen
hier im Lauf der Jahre den Weg nach un­ Gastspiel auf der D 46 gelangen wir auf

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die Route Forestière von Solliès-Pont nach vence und bei Wanderern und Mountain­
Signes. Route Forestière würde in bikern sehr beliebt. Kein Wunder, herrliche
Deutschland wohl Forstwirtschaftsweg hei­ Wanderwege führen hier durch schroffen
ßen und wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit Karst, dichte Wälder und aussichtsreiche
nicht öffentlich zugänglich. Nicht so in Gipfelpfade. Und hier findet sich nun auch
Frankreich. Dort versprechen eben diese endlich der von uns so sehnsüchtig erwar­
Wege meist jede Menge Fahrspaß für Rei­ tete Col de l’Espigoulier. In 728 Metern
seenduro-Piloten. Der Asphalt ist bisweilen Höhe läutet der die Freizeit-Rennstrecke
recht mitgenommen oder verschmutzt, da­ der Locals ein. Dort steht man in der
für gibt’s reichlich Einsamkeit und eine Schaukurve, fachsimpelt über Schräglage
immer wieder faszinierende Landschaft. und Reifenwahl. Vor zwei, drei Kehren
Auf dem Plateau de Siou-Blanc muss sind scheinbar mehr Bremsstreifen auf
ich kräftig in die Eisen steigen. Hier wird dem Asphalt verewigt als auf so mancher
gerade ein langer Holztransporter beladen. Rennstrecke. Wir können es irgendwie
Doch wir sind hier nun einmal in Frank­ nachvollziehen, die Strecke hinunter nach
reich und mal wieder bestätigt sich, was Gémenos ist einfach fantastisch. Serpenti­
wir so oft bei unseren südwestlichen Nach­ ne folgt auf Serpentine, griffiger Asphalt
barn erleben: ein entspannter Umgang mit führt durch die fast menschenleere Land­
Gigantisch groß: Motorradreisenden. Schnell packt der Kran schaft – ein Gedicht!
Kathedrale von Marseille ein Bündel Äste und wie mit einem überdi­ Von Gémenos ist es nur noch ein Kat­
aus dem 19. Jahrhundert mensionierten Feger wischt uns der Kran­ zensprung zurück nach Marseille. Der
mit ihren mächtigen führer die Strecke frei. Ein freundlicher nächste kurzweilige Abend in Le Panier
Kuppeln. Wink und schon geht’s weiter durch die wartet auf uns. Vielleicht verbringen wir
Fernblick von der Basi- sonst völlig menschenleere und karstige ihn aber auch oben an der abends so toll
lika Notre-­Dame-de-la- Waldlandschaft. beleuchteten Kirche Notre-Dame-de-la-
Garde auf die Stadt. Signes und La Roquebrussanne sind die Garde, die einen spektakulären Blick auf
Gleich hinter dem letzten beiden Örtchen, bevor wir in das ganz Marseille bietet. Oder vielleicht doch
Küstenörtchen Niolon Massif de la Sainte-Baume eintauchen. Der lieber in der ehemaligen Prachtstraße Rue
geht es aussichtsreich ins bis zu 1150 Meter hohe Bergrücken ist die de la République? Die Auswahl ist groß –
Gebirge (u. v. l.). längste und höchste Gebirgskette der Pro­ in Marseille und um Marseille herum.

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www.bit.ly/tftourdb
Allgemeines A 51
Tourlänge:
Marseille ist die wichtigste französische Bouches-du-Rhône Mont
Saint-Chamas Sainte agne 16 km Tour 1
Hafenstadt und Hauptort des Départe- -Vict 149 km Tour 2
oire
ment Bouches-du-Rhône, das zur Region Istres 223 km Tour 3
Provence-Alpes-Côte d’Azur zählt. Mit Aix-en-Provence
A7
rund 870.000 Einwohnern ist das der Étang de Berre Provence-Alpes- Joug de l’Aigle
Sage nach von griechischen Seefahrern Pointe de Corbière
Martigues L’Estaque Côte d’Azur Nans-les-Pins(1147 m) A8
gegründete Marseille nach Paris die Plan-d’Aups
Canal de Niolon
zweitgrößte Stadt der Grande Nation. Col de l’Espigoulier
Caronte Chaîne de (728 m) La Roquebrussanne
Carro l’Estaque
Über viele Jahre hatte Marseille einen Gémenos
eher schlechten Ruf. Insbesondere der Cap Couronne Marseille e-Baume
Côte Bleue
La Madrague
Saint
Niedergang der traditionellen Industrie de Gignac
f d e la
Carry-le-Rouet Cassis ssi Signes
in Verbindung mit der Einwanderung Plage des Catalans Ma Solliès-
Zehntausender Algerienfranzosen infolge Cap Croisette
Plateau
Pont
Île Maïre A 50 de Siou-Blanc
der Unabhängigkeit der einstigen Kolonie Falaises
und der zunehmenden Kriminalität Callelongue / Cap La Ciotat
Port de Callelongue Canaille
führte in den Siebzigern zu rassistischen Calanque Marseilleveyre
Pas de la Colle / Toulon
Ausschreitungen und Konflikten.Das Route des Crêtes
Le Castellet
Stadterneuerungsprojekt Euromediter- Col de la Gineste
Circuit Paul Ricard
(326 m)
rannée und private Investoren stellen
M
seit den Neunzigerjahren erhebliche FRANKREICH
i t
Mittel zur Verfügung, was eine starke t e l
urbane Aufwertung bewirkt. Zudem trug Lyon m e e r
auch die Ernennung zur Kulturhauptstadt
20 km
Europas im Jahr 2013 mit den damit
verbundenen Investitionen zu einem
wirksamen ökonomischen, sozialen und Besonders bietet sich der Mai an, dann Cham­bres d’Hôtes, privat geführte
kulturellen Aufschwung Marseilles bei. ist es meist schon angenehm warm und Gäste­zimmer – die Übernachtungsmög-
nirgends überlaufen. Bis in den späten lichkeiten in Frankreich sind ungemein
Motorradfahren Herbst hinein gibt es viele sonnige und breit gefächert. Über die üblichen
Marseille hat jede Menge zu bieten und trockene Tage.– an die 3000 Sonnen- Online-Portale lassen sich von zu Hau-
lässt sich auch per Motorrad entdecken. stunden im Jahr sprechen für sich und se aus oder auch vor Ort ansprechende
Der Alte Hafen »Vieux Port«, die hoch sind französischer Rekord. Dank des Unterkunft finden. Dabei helfen auch
über der Stadt liegende Basilika Notre- mediterranen Klimas fällt zudem recht gern die örtlichen Touristinfos. Außer
Dame-de-la-Garde, die Stadtstrände und wenig Regen. Der August ist weniger zu im Ferienmonat August funktioniert
nicht zuletzt das ansprechende Motor- empfehlen. Dann hat ganz Frankreich das meist auch kurzfristig. Die Autoren
radmuseum mit über 250 Exponaten in der Urlaub und es ist überall richtig voll. haben ohne Reservierungen immer
Traverse Saint-Paul 18 sind kurzweilige Vorsicht ist geboten, wenn der Mistral eine Bleibe für die Nacht gefunden.
Ziele – ein Navi macht die Sache leichter. weht. Meist im Winter, jedoch bisweilen In Frankreich locken zudem un-
Gleich rund um die Hafenstadt locken auch zwischendurch, zieht der kalte Luft- zählige, landschaftlich oft sehr schön
abwechslungsreiche Routen und Regio- strom das Rhônetal herunter und erreicht gelegene Campingplätze. Die Autoren
nen: Im Westen die Hügelkette Chaîne de in Böen über 130 km/h – dann wird es haben sich auf dem »Camping du Gar-
l‘Estaque und die Camargue, östlich die gefährlich auf dem Mopped. laban« in Aubagne nur wenige Minuten
Route (Corniche) des Crêtes an der Steil- außerhalb Marseilles sehr wohlgefühlt
küste, das Massiv de la Sainte-Beaume Anreise (www.camping-garlaban.com).
mit der Rennstrecke »Circuit Paul Ricard« Zügig geht es über Lyon und durch das
und das Plateau de Siou-Blanc. Nördlich Rhônetal gen Süden. Genussfahrer Literatur / Karte
liegen die reizvollen Montagne Sainte-­ mit genügend Zeit reisen durch die Michaela Beimfohr: CityTrip Marseille,
Victoire bei Aix-en-Provence. Schweiz oder durch Norditalien an. Dann Reise Know-How Verlag, 7. Auflage
Achtung: In Frankreich besteht Hand- lassen sich auch gleich die herrlichen (2019), ISBN: 978-3-8317-3209-8,
schuhpflicht, diese müssen CE-konform Strecken der französischen Alpen und 12,95 Euro – mit Stadtplan zum Heraus-
gelabelt sein. Zudem muss eine Warn- der Provence auskosten. Aus dem Süden nehmen, vielen Details und kostenloser
weste mitgeführt und bei einer Panne Deutschlands oder Österreich kommend, Web-App.
getragen werden. bietet sich auch die Tour entlang der Michelin Regionalkarte 527:
italienischen Mittelmeerküste an. Provence-­A lpes-Côte-d’Azur 2020,
Klima / Reisezeit M.: 1:200.000, ISBN: 978-9-60-212692-9,
Die Autoren empfehlen eine Reisezeit Unterkünfte 10,95 Euro – mit Stadtplan von Mar­
von Mitte April bis Mitte Oktober. Im Hotels von einfach bis komfortabel, seille, zahlreichen Details und Sehens­
Frühjahr blüht und grünt es überall. gemütliche Pensionen oder die würdigkeiten.

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