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SUDOSTEUROPA-STUDIEN
herausgegeben im Auftrag der Südosteuropa-Gesellschaft
von Walter Althammer

B and 48

Klaus-Detlev Grothusen - 9783954796885


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Albanien
in Vergangenheit
und Gegenwart

Internationales Symposion der Südosteuropa-Gesellschaft


in Zusammenarbeit mit der
Albanischen Akademie der Wissenschaften
Winterscheider Mühle bei Bonn, 12. —15. September 1989

herausgegeben von Klaus-Detlev Grothusen

Südosteuropa-Gesellschaft
München 1991
Klaus-Detlev Grothusen - 9783954796885
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Die Deutsche Bibliothek ‫ ־־‬CIP-Einheitsaufnahme

Albanien in Vergangenheit und Gegenwart : internationales Symposion der


Südosteuropa-Gesellschaft in Zusammenarbeit m it der Albanischen Akadem ie
der Wissenschaften, W interscheider M ühle bei Bonn, 12.—15. September 1989 /
hrsg. von Klaus-D etlev Grothusen. — München : Südosteuropa-Ges., 1991
(Südosteuropa-Studien ; Bd. 48)
ISBN 3-925450-2Ф6
N E : Grothusen, Klaus-Detlev [H rsg.]; Südosteuropa-Gesellschaft «Deutschland»; G T

© C opyright 1991 by Südosteuropa-Gesellschaft, D-8000 München


A lle R e c h te V o rb eh alte n
Gesamtherstellung: J. P. H im m er G m b H , D-8900 Augsburg
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HERRN STAATSSEKRETÄR A .D . DR. RUDOLF VOGEL

E hrenm itglied der Südosteuropa-Gesellschaft


aus A nlaß seines 85. Geburtstages
herzlich zugeeignet

D er Südosteuropa-Gesellschaft ist es eine Ehre und eine Freude, diesen Band


der Südosteuropa-Studien zum Thema ‫ ״‬A lbanien in Vergangenheit und Gegen-
w a rt“ ihrem E hrenm itglied, H e rrn Staatssekretär a .D . R u d o lf Vogel, anläßlich
seines 85. Geburtstages am 18. A p ril 1991 widm en zu können. D r. Vogel hat einen
wesentlichen T e il seiner Lebensarbeit den Aufgaben und Zielen der Südosteu-
ropa-Gesellschaft gewidmet. In Beuthen/Oberschlesien geboren und aufgewach-
sen, studierte er Geographie, Zeitungswissenschaften und Soziologie in B erlin
und Leipzig und prom ovierte 1931 m it einer vielbeachteten A rb e it über den
oberschlesischen Abstim m ungskam pf. A ls junger, wacher und engagierter Jour-
nalist erlebte er in B erlin den Todeskam pf der ersten deutschen R epublik.
Seinen Einsatz fü r die Zentrum spartei und H einrich B rüning mußte er nach
H itlers M achtergreifung und der Gleichschaltung der Presse m it seiner Entlassung
als Redakteur büßen. E r schlug sich als freier M ita rb e ite r verschiedener Z e itun -
gen durch und pflegte schon damals seine Liebe zu Südosteuropa, schrieb viele
Reiseberichte und wurde zum Experten fü r diese interessante Region. A ls
überzeugter K a th o lik und D em okrat wurde er nie M itg lie d der N S D A P und
verzichtete so im D ritte n Reich auf eine K arriere , die ihm unter anderen
politischen Bedingungen aufgrund seines Wissens und seines Könnens offenge-
standen hätte. Den Zw eiten W eltkrie g verbrachte er als Soldat. Aus der Kriegsge-
fangenschaft nach A hlen entlassen, schloß er sich der C D U N ordw ürttem bergs an
und trat 1947 in das ‫ ״‬Deutsche B üro fü r Friedensfragen“ , einem der V o rlä u fe r des
Auswärtigen A m ts, ein. Dem Deutschen Bundestag gehörte er von 1949 bis 1964
an, Finanz- und H aushaltspolitik, aber auch Außen- und K u ltu rp o litik waren die
Schwerpunkte seiner politischen A rb e it. Seit 1964 w irkte R ud olf Vogel als
deutscher Botschafter bei der O E C D in Paris, bis ihn Bundeskanzler Kiesinger als
Staatssekretär im Bundesschatzministerium in sein K abinett berief, ein A m t, das
er bis zum Ende der Großen K o a litio n versah.
R udolf Vogel gehörte zu den G ründungsm itgliedern der Südosteuropa-Gesell-
schaft im Jahre 1952 und hat von A nfang an auf die Zielsetzung und A rb e it dieser
Organisation einen entscheidenden E in flu ß genommen. Gerade in dieser schwie-
rigen Anfangsphase, als sich die Südosteuropa-Gesellschaft wegen ihrer Bemü-
hungen um die W iederbelebung persönlicher K ontakte zu den südosteuropäi-
sehen Ländern Anfeindungen sowohl dort als auch im eigenen Lande ausgesetzt
sah, war es Persönlichkeiten wie R u d o lf Vogel zu verdanken, daß sich die
Gesellschaft ih re r wichtigen kulturpolitischen F unktion bewußt wurde und diese
auch im Deutschen Bundestag zu vertreten wußte. Nach dem Tode des ersten
Präsidenten Prof. G ülich im Jahre 1959 wurde D r. Vogel zu dessen Nachfolger
gewählt. U n te r seiner Präsidentschaft weitete die Organisation ih r Arbeitsgebiet
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beträchtlich aus. E r verstand es, Wissenschaftler m it den P raktikern aus P olitik


und W irtschaft zusammenzuführen und die wissenschaftliche Gesellschaft zu einer
international anerkannten M ittlerorganisation m it einer weitgefächerten Tätigkeit
auch auf wirtschafts- und kulturpolitischem G ebiet zu entw ickeln. M it seiner
Berufung zum Botschafter bei der O E C D legte R u d o lf Vogel das Präsidentenamt
nieder und w irkte fortan als aktiver Vizepräsident und Vorsitzender des K urato-
riums. D ie Südosteuropa-Gesellschaft hat ihm zahlreiche interessante Verbindun-
gen zu deutschen Banken und Industrieunternehm en zu danken. U nter seiner
Leitung wurden eine Reihe w ichtiger internationaler Wirtschaftstagungen durch-
geführt, darunter mehrere Konferenzen über die Probleme des Transitverkehrs
durch Südosteuropa, Fachtagungen über den Handel und die Kooperationsmög-
lichkeiten m it den südosteuropäischen Ländern sowie öffentliche Veranstaltun-
gen, die sich m it den Problemen der Integration jugoslawischer, griechischer und
türkischer G astarbeiter und ih re r Fam ilien in der Bundesrepublik beschäftigten.
Das heutige internationale Ansehen der Südosteuropa-Gesellschaft als M ittle r-
organisation fü r die deutschen K u ltu r-, W irtschafts- und Wissenschaftsbeziehun-
gen zu Südosteuropa ist auch dem langjährigen W irke n von R u d o lf Vogel wesent-
lieh zu verdanken.
Ihre D ankbarkeit und ihre A nerkennung hat die Südosteuropa-Gesellschaft
bereits im Jahre 1986 m it einer Festschrift fü r D r. Vogel über das Thema
‫ ״‬Südosteuropa - P o litik und W irtschaft“ zum Ausdruck gebracht. D ie M itg lie -
derversammlung der Gesellschaft berief R u d o lf Vogel 1988 einstimmig zum
E hrenm itglied. Es ist m ir eine große Freude, auch diesen Band der Südosteuropa-
Studien, der sich m it einem Land befaßt, dem D r. Vogel zeit seines Lebens
besondere A ufm erksam keit und Zuneigung entgegenbrachte, ihm anläßlich sei-
nes 85. Geburtstages m it den besten G lück- und Segenswünschen der Südosteu-
ropa-Gesellschaft zu widmen.

M ünchen, im A p r il 1991 D r. W alter A ltha m m e r


Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft

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INHALTSVERZEICHNIS

Klaus-Detlev Grothusen:
V o r w o r t ............................................................................................................. 9

Frühgeschichte und Mittelalter


Frano Prendi:
La continuité ethno-culturelle illyro-albanaise et la form ation du peuple
a lb a n a is ............................................................................................................ 11

Aleksander Meksi:
M erkm ale der albanischen Kunst des M itte la lte rs (12.-15. J h . ) .............. 18

Robert Elsie:
Tw o Irish Travellers in A lbania in 1322.......................................................... 24

Neuzeit
Michael Schmidt-Neke:
Skanderbeg als Thema der historisch-politischen P ublizistik des frühen
18. Jahrhunderts: David Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ zwischen Cyrus
und S k a n d e rb e g ............................................................................................... 28

Peter Bartl: »в

Albanien im Russisch-Österreichischen T ü rke n krie g 1787—1792 . . . . 47

Zamir Shtylla:
Probleme der Nationalbewegung bis zur Proklam ation der Unabhängig-
k e i t ................................................................................................................... 71

Außenpolitik
Klaus-Detlev Grothusen:
Zwischen Selbstbestimmung und Patronage: E in Beitrag zur Analyse
außenpolitischer Strukturen in Südosteuropa seit dem Zw eiten W elt-
krieg unter besonderer Berücksichtigung A lb a n ie n s .................................. 79

Xhelal Gjeçovi:
Der Unabhängigkeitsbegriff der A l b a n e r ................................................... 92

Jens Reuter:
Die jugoslawisch-albanischen Beziehungen seit dem A m tsa n tritt von
R am izA lia ...................................................................................................... 99
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Wirtschaft
Hekuran Mara:
Die S truktur der albanischen W irtschaft und die Perspektiven ihrer
weiteren E n tw ic k lu n g ..................................................................................... 106

Leontiev Çuçi:
Die Entw icklung der albanischen sozialistischen L a n d w irts c h a ft.............. 114

Franz Lothar Altmann:


D ie deutsch-albanischen Wirtschaftsbeziehungen und die Handelspoli-
tik der E G ......................................................................................................... 121

Sprache und Literatur


Miço Samara:
Die Wege der Herausbildung der albanischen L ite ra tu rs p ra c h e .............. 129

Armin Hetzer:
Die Frau im Unglück. Skizzen zu den Anfängen der albanischen
Prosaliteratur (Sami Frashëri und Pashko V a s a ) ......................................... 135

Gjergj Misha:
Tradition und Neuerung in der heutigen albanischen L ite r a tu r ................. 153

Ali Dhrimo:
D er Beitrag deutscher Forscher auf dem G ebiet des Albanischen . . . . 16()

Enriketa Kambo:
Charakteristische M erkm ale der E ntw icklung von B ildung und K u ltu r in
Albanien nach dem Zweiten W e l t k r i e g ....................................................... 173

A u to re n v e rze ic h n is ........................................................................................ 181

R e g is te r............................................................................................................ 183

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Vorwort

Klaus-D etlev Grothusen, Ham burg

Es ist fü r die Südosteuropa-Gesellschaft eine große Freude, daß sie m it dem


vorliegenden Band bereits zum zweiten Mal seit der Aufnahm e der diplom ati-
sehen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Albanien am
15. 9. 1987 die Ergebnisse einer gemeinsamen deutsch-albanischen Tagung in
D ruckform vorlegen kann. N ur zwei Monate nach dem September 1987 hatte in
der Industrie- und Handelskammer in München eine Fachtagung über die
M öglichkeiten der Kooperation beider Länder auf dem Gebiet der Landwirtschaft
stattgefunden. D ie Ergebnisse sind unter dem T ite l ‫ ״‬Agrarwirtschaftliche Zusam-
menarbeit m it A lba nien“ 1989 vom Präsidenten der Südosteuropa-Gesellschaft,
D r. W alter A ltha m m e r, als N um m er 5 der Reihe ‫ ״‬Südosteuropa A k tu e ll“
herausgegeben worden.
Die Tagung in der W interscheider Mühle bei Bonn vom September 1989 ist
dann den Problemen Albaniens in Vergangenheit und Gegenwart in weiterem
Rahmen gewidmet gewesen. Fachgelehrte aus A lbanien und der Bundesrepublik
Deutschland konnten hierbei in intensivem Gedankenaustausch über mehrere
Tage hinweg wissenschaftliche, aber auch menschliche Kontakte aufbauen und
intensivieren. Für die Südosteuropa-Gesellschaft war es eine besondere Freude,
daß die albanische Delegation ebenso wie bei der vorangehenden Tagung in
München unter der Leitung des Vizepräsidenten der Akadem ie der Wissenschaf-
ten der SVR A lbanien, Prof. D r. Hekuran Mara, stand. Es ergab sich dam it eine
K ontinuität zu freundschaftlichen Kontakten, die die Südosteuropa-Gesellschaft
schon Jahre zuvor speziell über den inzwischen leider schwer erkrankten Präsiden-
ten der albanischen Akadem ie der Wissenschaften, Prof. D r. Aleks Buda, hatte
anknüpfen können und die z. B. im A p ril 1982 einen erfreulichen Höhepunkt
durch die Reise einer Delegation von 35 M itgliedern der Südosteuropa-Gesell-
schaft nach A lbanien gefunden hatte.
Von der weiteren und zunehmend intensiven Zusammenarbeit m it Albanien sei
an dieser Stelle nur noch auf die wissenschaftlich bedeutsamen Beiträge von D r.
Shaban Çollaku und Prof. D r. Selami Pulaha in dem von Prof. D r. Hans Georg
M ajer herausgegebenen Band ‫ ״‬D ie Staaten Südosteuropas und die Osmanen“
(München 1989) hingewiesen, der die Ergebnisse der 28. Hochschulwoche der
Südosteuropa-Gesellschaft enthält.
Daß die Freude über diese positive Entw icklung der deutsch-albanischen
Beziehungen in gleicher Weise von beiden Seiten empfunden w ird, sei durch einen
abschließenden Hinweis verdeutlicht: auf die in jeder Hinsicht freundlichen und
erfreuenden Berichte über die Tagung in der W interscheider M ühle, die in
verschiedenen Zeitschriften der albanischen Akademie der Wissenschaft erschie-
nen sind, nämlich ‫ ״‬Studia A lbanica“ , ‫ ״‬Studime H istorike“ , ‫ ״‬Studime F ilo lo gjike“
u. a. Selbstverständlich ist schließlich, daß in diesem Band nur die Ergebnisse der
Tagung in der ‫ ״‬W interscheider M ü h le “ abgedruckt sind, d. h. daß die tiefgreifen-

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La continuité ethno-culturelle illyro-albanaise
et la formation du peuple albanais

Frano Prendi, Tirana

La form ation du peuple albanais et de la nationalité albanaise sur une base


ethnique ancienne, représente l ’ un des problèmes les plus cardinaux des sciences
albanologiques en général. A u centre de cette problém atique complexe réside la
question de la continuité illyro-albanaise.
A u début ce problème fu t principalem ent traité par les linguistes et historiens,
tandis que de nos jours l ’archéologie apporte une con trib utio n toujours plus
im portante à son complètement et à son éclaircissement avec d’abondantes
données relevant de la sphère de la culture m atérielle et spirituelle, qui ne cessent
de s’accroître avec l ’intensification des recherches effectuées en A lbanie. Les
résultats de ces recherches ont été exposés déjà dans une série de publications et
d’études de synthèse, ils ont fa it l ’objet de conférences et de symposiums nationaux
et internationaux, parmi lesquels il convient de m entionner la Conférence sur la
form ation du peuple albanais, sur sa langue et sa culture, qui tin t ses assises à
Tirana en 1982.
Le processus de form ation du peuple albanais comme une communauté
ethnique et culturelle, ayant sa propre langue, sa propre culture et son propre
te rrito ire , plonge ses racines dans la basse antiquité, dans les transform ations de
caractère économique social, ethnique et culturel qui caractérisent cette période.
Toutefois, ce processus est étroitem ent lié à d ’autres problèmes aussi appartenant
à des périodes plus anciennes et qui en général se rattachent à l’origine illyrienne
du peuple albanais, de sa langue et de sa culture, de son autochtonie dans les
régions où il habite même actuellem ent, etc.
C ’est un fait désormais connu sur le plan historique et archéologique que l ’ Illy rie
du Sud, qui comprend les contrées actuelles albanaises, se distingait par un niveau
économique, social et culturel élevé dès avant l ’occupation romaine. C ’est ici que
s’était développée une vie urbaine relativem ent intense et une organisation
puissante politique qui après avoir réuni durant quelques siècles les régions
illyriennes les plus avancées en un E ta t, o u vrit la voie à un processus de
convergence qui se prolongea même après l ’occupation romaine. Et cela en raison
du fait que dans le cadre de la vaste diversité illyrienne avait été crée une région
donnée se caractérisant par une unité avec des traits ethniques, linguistiques et
culturels particuliers. C ’est dans cette région que se développe aussi le processus
ethnogénétique des A lbanais1.
Après l’occupation de l'Illy rie par Rome, grâce à la forte résistance active et
passive des masses exploitées, l ’ancienne population autochtone réussit à affron ter
la pression d'assim ilation de !’E m pire rom ain et à conserver sa propre physiono­

A n am ali, S.; Prendi. F.: Vazhdimcsia e kultures ilire ne ku ltu rë n e hershmc mesjetare shqiptare (La
continuité dc la culture illyrienne dans la cu ltu re haute médiévale albanaise), en: Konferenca e pare e
studimeve albanologjike (1 5 -2 1 nëntor 1962). T iran e 1965. p. 468-473.

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12 F. Prendi

mie ethnique. Evidem m ent, à la suite des contacts intenses avec la culture et la
langue rom aine, dans la culture et la langue de la population illyrienne s’ introduisi-
rent de nouveaux éléments, mais elles ne réussirent pas cependant à la romaniser.
II s’agit d’un phénomene se rattachant à !'acculturation qui en Illy rie du Sud avait
un caractère lim ité et échelonné, compte tenu de la situation sociale et de la
position géographique de la population soumise.
Tous les arguments historiques, linguistiques et archéologiques indiquent que
les Iilyriens du Sud, jusqu’avant le déclin de Г Е т р іг е rom ain, constituaient une
masse ethnique compacte étroitem ent liée aux traditions de la culture m atérielle et
spirituelle et de la créativité artistique locale, indépendamment de la forte
influence exercée par la civilisation de l ’envahisseur, ce qui est to ut à fait naturel
dans les conditions de l’occupation rom aine2.
La continuité ethno-culturelle illyrienne se prolongea même pendant la période
de la basse A n tiq u ité , caractérisée par une situation politique non favorable due
aux troubles intérieurs et aux incursions barbares incessantes contre Г ІІІігіс и т .
Plusieurs villes des provinces méridionales de !'E m pire Byzantin-Prévalitanie,
Nouvelle E pire, Ancienne E p ir et D ardanie, continuèrent pendant cette période
d’être des centres relativem ent im portants habités par les indigènes prédominants
iilyriens. Telles sont p. ex. Scodra, Lissus, D yrrachium , Berat, Kanina, Buthro-
tum , B yllis etc., qui se distinguèrent encore aux V C- V I C siècle par une certaine
prospérité et un essor culturel qui variaient d’une cité à l ’autre suivant leurs
particularités locales de développement et leur importance économique et straté-
gique. Ils connaissent aussi à cette époque une activité de constructions plus ou
moins im portante de caractère laïque ou du cuit et même défensif. Beaucoup de
villes se transform ent à cette époque en sièges épiscopaux avec lesquels était liée la
construction d ’un grand nombre de basiliques paléochrétiennes aux dimensions
monumentales et d'un haut niveau architectonique et artistique.
La ville de Scodra, chef-lieu de la province de Prévalitanie était entourée à cette
époque par une puissante m uraille munie de tours et dans sa partie intérieure se
dressaient de nouveaux édifices. E lle représentait un centre im portant non
seulement au point de vue a d m in istra tif et m ilita ire , mais aussi économique.
Lissus n’avait plus les dimensions précédentes, toutefois il demeure encore une
ville relativem ent bien peuplée, un centre de production artisanale avec un ample
réseau de commerce et une activité constructrice archéologiquement bien docu-
mentée.
D yrrachium , chef-lieu de la Nouvelle E pire, était entourée, pendant la basse
antiquité d'un puissant m ur d ’enceinte de briques mis sur pied par l’empereur
Anastas I originaire de D yrrachium et on y avait construit aussi un parfait réseau
de canaux. Il demeure à cette époque une ville encore de grande portée au point de
vue économique et culturel, grâce à sa position très favorable géographique, et un
centre im portant a d m in istra tif et épiscopal.
B uthrotum a atteint à cette période sa plus grande extension. On y a construit
une série d'édifices laïques et ecclésiastiques, entre autres le baptistère paléochré­

2 A n a m a li.S .: Des Iilyrie n s aux A lbanais, en: Iliria . 1 ( 1985). p. 219-227.

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La continuité illyro-albanaise 13

tien avec son pavage de mosaïques polychrom e qui attire particulièrem ent
l'a tte n tio n du visiteur.
B yllis n'avait plus l'étendue de la ville de l'a n tiq u ité classique, cependant il
conserve encore à la basse antiquité, bien que dans des dimensions très réduites,
une certaine valeur économique et culturelle. A cette époque, il se transform e en
un centre ecclésiastique im portant, ce qui est attesté par les 4 basiliques de la ville,
dont deux se distinguent par leur aspect m onum ental et par leur form ation
architectonique et artistique excellente. A u V Ie siècle B yllis était entourée d'un
m ur d'enceinte, construit selon les données épigraphique par un certain V ic to rin ,
un stratège vraisemblablement éminent au temps du règne de Justinien, mais
inconnu dans les sources historiques écrites.
L'existence d'une vie urbaine plus ou moins intense dans les provinces illyrie n -
nés méridionales pendant la basse A n tiq u ité est confirm ée aussi par la tradition
historique écrite. Le Synechdemus de Hiérocles mentionne environ 20 centres
urbains, chiffre qui correspond aux données des conciles ecclésiastiques des V C- V I C
siècle.
O utre les grandes villes il existait aussi de petits habitats fortifiées ou non, créés
par la population indigène illyrienne. M entionnons de leur nombre Pogradec,
Blace, Zharrës, Symizë, Zvezde etc. D'après les résultats des fouilles effectuées
dans ces agglomérations, il résulte que certaines d'entre elles constituaient de
petits centres productifs et commerciaux, dotés d'une culture ne différant pas sous
ses principaux aspects de celle des centres plus grands.
A propos de tout ce qui a été d it ci-dessus, il convient de souligner que durant la
basse A n tiq u ité , partout dans les provinces illyriennes m éridionales, aussi bien
dans les villes que dans les agglomérations rurales, la population illyrienne
constituait leur élément ethnique prépondérant et compact. M algré les conditions
historiques non favorables de l'époque, cette population réussit à développer sa
vie et sa propre culture en se tenant aux traditions locales qu'elle enrichit de
nouvelles formes dues non seulement au développement socio-économique, mais
aussi aux contacts avec les autres groupes ethno-culturels voisins et surtout avec la
civilisation romaine et paléobyzantine.
Pendant la période de transition de la basse A n tiq u ité au haut M oyen Age,
certaines villes des provinces illyriennes méridionales, notamment les plus grandes
et renommées, continuèrent à représenter encore des centres artisanaux et
commerciaux, bien qu'avec une capacité réduit de production, voire de transmis-
sion de la tradition culturelle et spirituelle illyrienne de la basse A n tiq u ité au haut
Moyen A ge'.
M entionnons de leur nombre Scodra, Lissus, D yrrachium , Berat, B uthrotum
etc. Ces villes ont en commun avec les villes antiques quelques aspects urbains. Les
enceintes moyenâgeuses suivent à peu près la ligne de celles des antiques. Plusieurs
des villes conservent encore leurs noms antiques iilyriens, la même organisation
ecclésiastique, et se servent dans quelques cas des mêmes édifices de culte de la
basse A n tiq u ité .

5 A nam ali. S.: Basse A n tiq u ité et H aut M oyen Age dans les recherches albanais, en: lliria . 9/10 (1979/80).

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14 F. Prendi

A u point de vue démographique ces villes, comme en général la plupart des


régions de ГІПугіе du Sud, continuaient d ’être habitées par la même population
ethnique autochtone. Mais cette population, dans les conditions particulières de
son développement historique et p o litiq u e , dues aux incursions avaro-slaves et à
l ’affaiblissement de l ’autorité de l ’adm inistration byzantine et de ses liens avec
Constantinople, ainsi que par suite des processus de transform ations socio-
économiques et ethno-culturelles, qui se produisirent à l ’époque, devait perdre
son ancien nom des Iilyriens pour entrer dans son histoire médiévale sous le nom
des Albanais. C ’est un ethnonyme qui provient du nom de la trib u illyrienne
A lb a n o i, que le géographe alexandrin Ptolémée m entionne dès le I I e siècle avec
leur ville A lbanopolis située dans une région de l ’A lb a n ie centrale. Ce nom ne
figure plus dans les sources historiques relatives à la période allant du I I e au X Ie
siècle. Ce n’est que dans la m oitié du X I e siècle que ce nom apparaît de nouveau
dans les sources byzantines sous deux formes: Albanoi et Arbanitai pour indiquer
la population, et sous celle d ’Albánon désignant le te rrito ire qu’elle habitait. Ainsi
donc, l ’ancien nom d ’une trib u illyrienne acquiert maintenant un caractère
te rrito ria l et sert à dénom m er les habitants d ’une vaste région où pendant
l ’A n tiq u ité habitaient les Iilyriens du Sud. C ’est de là que provient le nom d ’A rbër-
Albanais, qui a été communément utilisé au Moyen Age pour les descendants des
Iilyrien s antiques.
La continuité illyro-albanaise se mainifeste également dans le phénomène de
déplacement des villes illyriennes et l ’apparition de nouvelles agglomérations, qui
se rattachent maintenant aux Arbërs. U n exemple sign ificatif en ce sens nous est
o ffe rt par K rujë du haut M oyen Age4, continuatrice de l ’ A lbanopolis illy rie n . ainsi
que par Ballsh du haut Moyen Age, continuateur de la ville illyrienne de Byllis.
Cette continuité ethno-culturelle de la basse A n tiq u ité au M oyen Age est
attestée aussi par le groupe culturel déjà connu de Koman (autrem ent appelé
civilisation haute médiévale albanaise), qui a été étudié à fond sur la base d'un
riche matériel archéologique provenant principalem ent des tombes5. A ctuelle-
ment, on connaît environ 30 nécropoles, grandes ou petites de cette culture mises
au jo u r dans les diverses régions de l’A lbanie et surtout dans celles septentrionale
et centrale. Dans toutes ces nécropoles, on a découvert des éléments culturels
communs tant pour ce qui concerne l ’ inventaire des tombes (les ou tils et les armes
en fer, les riches et variés ornements en bronze, fer et argent, la céramique aux
formes presque identiques, etc.), que pour ce qui regarde le rite d ’ inhum ation ou
les types de tombes, où prédomine celui en form e de caisse construite avec des
dalles de pierre, un élément qui appartient à une ancienne tra d itio n illyrien ne6.
L ’ archéologie albanaise a désormais prouvé que la culture de K om an, qui s’est
épanouie pendant les V I I C- V I I I Csiècle, est l'oeuvre des A rbërs. En plus, elle a

4 A n a m a li, S.; Spahiu, H .: Varreza arberore e K rujes (U ne nécropole albanais à K ru je ), en: lliria . 9/10(1979/
80). p. 47-92.
5 Spahiu. H .: Varreza arbërore e Kalasë së Dalmaces (La nécropole albanaise de la forteresse de Dalm ace),
en: lliria . 9/10(1979/80). p. 2JM 1.
6 Prendi, F.: Një varrezë e kulturës arbërore në Lezhë (U n e nécropole haute médievale albanaise à Lezhë).
en: llir ia 9/10 (1979/80). p. 123-146.

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La continuité illyro-albanaise 15

précisé clairem ent ses composants les plus caractéristiques, ce qui lui a permis aussi
de suivre le processus de sa fo rm atio n autochtone. Avec des nombreuses données
à Гарриі, elle a démontré que plusieurs des éléments de la culture de Kom an au
po int de vue typologique dérivent des formes artisanales de la période antérieure
des IV e- V I e siècles, ce qui m ettent en évidence les liens génétiques étroits entre la
culture des A rbërs du haut M oyen Age et celle illyrienne de la basse A n tiq u ité 7.
Evidem m ent, les produits de l ’artisanat paléobyzantin ont exercé une influence
particulière sur le processus de form ation de cette culture, répandue principale-
ment sur le te rrito ire de l'A lb a n ie .
Toutes les données exposées plus haut dém ontrent le caractère autochtone de
form ation de la culture de Kom an à p a rtir d ’ un substrat illy rie n de la basse
A n tiq u ité , fortem ent influencé par la culture byzantine.
Cette conclusion de l’archéologie albanaise sur l ’origine de la culture de Koman
a été déjà acceptée par nombre de chercheurs étrangers, y compris aussi quelques
archéologues yougoslaves qui, dernièrem ent, ont renoncé à l’ancienne thèse sur le
caractère slave de la culture de Kom an, adm ettant que dans cette culture se
remarque une tra dition m atérielle et spirituelle de la population aborigène qui est
formée comme une culture à part dans la tra d itio n de la Basse A n tiq u ité . D ’après
quelque autre auteur yougoslave, dans un espace déterm iné a été form é un groupe
archéologique avec des caractéristiques particulières beaucoup d ’im portation
byzantine, qui appartient à une ethnie.
A u po int de vue socio-économique, la culture de Kom an doit appartenir à
l'étape de développement protoféodal du pays, alors que dans le te rrito ire
historique des Albanais avait été déjà entamé, comme on vient de le dire, le
processus de transform ations socio-économiques, ethno-culturelles et linguisti-
ques au sein de la population illyrienne antique, qui conduisit graduellem ent à la
form ation de la population d ’A rbërs du M oyen Age8. V o ici pourquoi le groupe de
Koman est considérée comme une culture des anciens albanais. Compte tenu de ce
qui a été d it ci-dessus, nous pouvons a ffirm e r que cette culture se rapporte à
l’ancienne phase du processus historique de la form ation autochtone du peuple
albanais.
La continuité illyro-albanaise est bien attestée aussi par les données linguisti-
ques qui viennent confirm er l ’origine illyrienne du peuple albanais et de sa propre
langue.
En ce qui concerne l ’argum entation de la thèse sur l ’origine illyrienne de la
langue albanaise, une importance particulière revêt le fait qu'une partie du
matériel onomastique héritée de l’ illy rie n s'explique par des mots du lexique de
l’albanais. M entionnons à titre d'exem ple le cas du toponyme Dimale , le nom
d ’une ville illyrienne des partins (oppidum parthinorum ) dans l ’A lbanie centrale.
Ce toponyme s’explique par l ’albanais dy (sous la form e phonétique d i) et mal. De
même plusieurs hommes d ’étude ont expliqué par le mot albanais dardhë le nom de

7 Prendi. F .; Z heku. K .: Vazhdimësia ctn o -k u ltu ro re iliro -a rb ë ro re në q yte tin e L is it (L a co n tin u ité ethno-
culturelle illyro-albanaise dans la ville de Lissus), en: ІІІгіа. 1 (1983), p. 204-208.
8 Buda. A : Etnogjeneza e p o p u llit shqiptar në d ritë n e historisë (L'ethnogenèse du peuple albanais à la
lum ière de l'h is to ire ), en: Konferenca kom bëtare për fo rm im in e p o p u llit shqiptar të gjuhës dhe të kulturës
së tij (T irane 2 -5 k o rrik 1982). T iran e 1988. p. 15-30.

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16 F. Prendi

!,ancienne Dardanie et de ses habitants, les Dardans, une tribu illyrienne qui
habitait à Kosove aussi dans une partie de !,Albanie du nord-Est. On trouve même
aujourd’hui dans les contrées albanaises plusieurs lieux qui portent le nom de
Dardhë. En plus, il est fo rt possible que les noms iilyriens Bardus , Bardyllis aient à
leur base une ancienne forme du mot actuel albanais bardhë.
Plusieurs anciens anthroponymes iilyriens ont continué à être conservés même
chez les Albanais, en créant ainsi une tradition ininterrom pue illyro-albanaise.
La conservation de !,ancienne toponymie jusqu'à nos jours dans les contrées où
habitent des Albanais constitue un témoignage éloquent en faveur de la thèse du
caractère autochtone des Albanais et de leur origine illyrienne. La linguistique
albanaise et surtout notre linguiste connu, le prof. Eqrem Çabej, a dém ontré de
façon convaincante par une série d'études que l ’évolution phonétique de ces
toponymes depuis leur formes anciennes jusqu’à celles actuelles, a eu lieu en pleine
concordance avec les règles de la phonétique historique albanaise, ce qui prouve
que ces noms ont été utilisés sans interruption par les Albanais. C'est ainsi que
s’expliquent les égalités suivantes: Scodra: Shkodër , Scardus: Shar, Scup: Shkup ,
Naissus: Nish , Asdbus: Shtip , Lissus: Lesh , Isanmus: Is hem t Scampinus: S h ku m -
bint Drinus: Drin , Mathis: Mat, Ulcinum: Ulqin , Dyrrachium: Dürres, Aulon:
Vlonë, Thyamis: Çam , Albanoi: Arbën, Arbër, etc9.
La répartition géographique des toponymes, qui est témoignée depuis l'a n ti-
quité et a connu une évolution phonétique régulière selon les lois de la phonétique
historique de l’albanais dans tout !e te rritoire habité par les Albanais, y com pris les
contrées côtières et celles situées dans la partie Est, Nord-Est et Sud ainsi que les
autres données historiques et archéologiques permettent de tracer dans ses
grandes lignes la contrée où se sont trempés le peuple albanais et la langue
albanaise pendant la basse A n tiq u ité et le haut Moyen Age sur l’ancienne couche
ethnique illyrienne. Il convient de relever toutefois que cette contrée, par rapport
aux terres albanaises actuelles, a subi des contractions et non pas une expansion, ce
qui est dû aux motifs connus historiques des occupations étrangères et à leurs
conséquences10.
Un autre im portant argument, qui soutient l'origine illyrienne de la langue
albanaise et !’autochtonie des Albanais, consiste dans les rapports que cette langue
entretenait avec les langues classiques, !'ancien grec et la latin. La présence dans la
langue albanaise d'un certain nombre d'emprunts à l’ancien grec, surtout au
dialecte septentrional dorien, le nombre considérable d’emprunts au latin et leur
caractère souvent archaïque indiquent que les ancêtres des Albanais furent depuis
les temps anciens des voisins des Grecs dans leurs zones septentrionales et
continuellem ent en contact avec !es Latins et sous leur puissante pression
culturelle et linguistique ici sur les côtes de l ’A d ria tiq u e 11.
Les V I I C- X I I Csiècles constituent une étape im portante dans le développement et
la consolidation de l ’ethnie moyenâgeuse des Arbërs parce qu'ils marquent

9 Çabej. E .: I/illy r ie n et !,albanais, en: Les Iilyriens et la genèse des Albanais. Tirane 1971. p. 41-52.
10 Çabej, E .: I-e problèm e du te rrito ire de la form ation de la langue albanaise, en: lliria . 5 (1976). p. 7-22.
11 D o m i. M .: Problème de l'histoire de la form ation de la langue albanaise, résultats et tâches, en: llir ia . 1
(1983). p. 21-38.

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La continuité illyro-albanaise 17

également un développement plus élevé économique, social et politique dans


l ’histoire du peuple albanais. Cette période se caractérise aussi par de nouvelles
formes d ’organisation ethnique: on observe la fusion des différences tribales et de
leurs parlers ainsi que la création de plus grandes unités territoriales et de dialectes
régionaux ayant des traits linguistiques plus unitaires. Ces nouvelles formes
d ’organisation ont consolidé l ’unité ethnique et culturelle du peuple et l’ont rendue
plus stable. Cette ancienne base ethnique et culturelle, qui avait connu des
développements, réussit à affronter le danger d’assimilation provoqué par les
invasions slaves qui entraînèrent des conséquences funestes sur la situation
ethnique de la Péninsule balkanique. Certaines régions de l ’ Illy rie du N ord et de
l’ Est furent slavisées, tandis que la physionomie ethnique de l ’Illy rie du Sud ne
subit aucun changement. D urant les incursions et les invasions slaves, un grand
nombre de mots slaves entrèrent' dans la langue albanaise, des traces sensibles
restèrent même dans la toponym ie, tandis que la structure grammaticale de cette
langue ne subit aucun changement. Ces influences linguistiques slaves dans le
domaine du lexique et de la toponymie se rattachent principalement à l ’invasions
des Etats bulgare et serbe et non pas aux premières incursions slaves des V I c- V I I e
siècles12.
D urant les X l I c- X l I I esiècles, à l’époque de la form ation de l’ E tat féodal d’ A rb ë r
dans l’ A lbanie centrale, le processus de consolidation du peuple albanais, de sa
langue et de sa culture trouva des conditions plus favorables pour atteindre une
étape plus élevée de développement. Cet E tat, bien qu’ il n’englobait pas to ut le
te rrito ire des A rbërs, contribua au processus convergent unitaire ethno-culturel et
linguistique du pays.
L ’occupation pluriséculaire ottom ane, malgré ses effets négatifs sur la vie
albanaise et l ’activité d ’une série de facteurs divergents, ne réussit pas à m odifier
en substance la physionomie et la structure fondamentale ethno-culturelle déjà
consolidée du peuple albanais, ni à interrom pre son développement politique et
culturel. Même au cours de cette période, c’est la puissante résistance des masses
populaires qui, en organisant de temps en temps de violentes insurrections, réussit
à affronter la force assimilatrice de ce grand em pire, à conserver et à développer
davantage la culture matérielle et spirituelle crée des siècles durant.
Les nouvelles conditions socio-économiques et culturelles, qui virent le jo u r au
X IX e siècle pendant la Renaissance nationale, im prim èrent un puissant essor à la
form ation de la conscience nationale du peuple, à l'unification de sa langue et de sa
culture nationales, à l’union politique des Albanais. Ces conditions favorisèrent la
création d ’une form ation historique ethno-culturelle d'un type nouveau, plus haut,
la nation albanaise, qui atteint sans doute son degré le plus élevé de cohésion à
notre époque.

12 Mansaku. S.: A u to nom ia e Shqiptarëve n i dritën e të dhënave të toponim isë së lashtë (L 'a u to n o m ie des
Albanais, à la lum ière des données de l'ancienne toponym ie), en: Konferenca kombëtare (A n m . 8).
p. 191-200.

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Merkmale der albanischen Kunst des Mittelalters


(12.-15. Jahrhundert)

Aleksander M eksi, Tirana

D er Entw icklung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in Albanien


im 12.-15. Jahrhundert, die bis zur Befreiung von den fremden Besatzern durch
eine zunehmend aktive politische Rolle der A rb e r gekennzeichnet ist, entspricht
eine Blüte der Kunst. Dies kann auch heute noch durch eine nicht geringe Zahl an
Denkm älern aus dem M itte la lte r bezeugt werden. M it ih re r V erbreitung und
ihrem W ert machen sie uns mit vielen Aspekten der albanischen Z ivilisa tio n des
M ittelalters bekannt und geben uns die M ö g lich ke it, zu einem richtigen U rte il
über den Entwicklungsstand der albanischen Gesellschaft zu jener Z e it zu
kommen.
Die Studien der einzelnen Zweige in der A rc h ite k tu r- und Kunstgeschichte des
M ittelalters haben mehrere Seiten des Schaffens aufgezeigt und dazu beigetragen,
daß sie präziser in einen breiteren balkanisch-mediterranen Rahmen eingegliedert
werden können.
Vom architektonischen Standpunkt aus werden die sakralen Bauten aus dem
ersten T eil der hier erörterten Periode in drei Haupttypen jener Z e it gegliedert:
einschiffige Bauten, Basiliken und Kreuzkuppelbauten. D ie letzteren kamen in
zunächst noch prim itiven Formen auf, ohne sich von den T raditionen der Basiliken
zu trennen. So sind sie z. B. in Südalbanien (Ober-Peshkëpia, Kosina, Z ervat) zu
finden, während in Nordalbanien (R u b ik) und in Dürres bereits die ersten
Einflüsse der romanischen A rc h ite k tu r festzustellen sind. Vom 13. bis 15.
Jahrhundert, in der Z e it also, in der sich die Vereinigung des albanischen Volkes
vollzog - während ihre Ausbreitung insgesamt den auch heute noch von den
Albanern bewohnten Gebieten entspricht - zeigen sich die Unterschiede zwischen
den Bauten in Südalbanien und denen in N ord- und M ittelalbanien. W ie sich aus
einer Untersuchung der einzelnen M onum ente ergibt, hat das m it der Tatsache zu
tun, daß in Albanien der Einfluß der westlichen Mächte und der katholischen
Kirche zu spüren war. Neben den zahlenmäßig weniger vertretenen Basiliken, die
in beiden Zonen gleichmäßig anzutreffen sind, gibt es auch eine relativ große Zahl
einschiffiger Kirchen. U nte r ihnen weisen die Kirchen in M itte l- und Nordalba-
nien Elemente der romanisch-gotischen A rc h ite k tu r auf. In Südalbanien setzt sich
in dieser Periode der Kirchentyp m it eingeschriebenem Kreuz und m it auf einem
Tam bour ruhender Kuppel, also m it einer klaren Physiognomie fü r diese Gegen-
den durch.
Die einschiffigen Kirchen in Südalbanien sind Kapellen m it kleineren Ausma-
ßcn, während viele von ihnen im restlichen T e il des Landes, in dem sie den
vorherrschenden Typ darstellen, größere Dimensionen haben und so auch als
Kathedralen dienen. Im letzten T eil dieser Periode nehmen viele von ihnen
herausgebildete architektonische Formen an (Shkodra, Çeta). Dies kann man
auch an einigen Kapellen feststellen (V au i Dejës, R odon), jedoch nicht in
Südalbanien.

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Albanische Kunst des Mittelalters 19

V om 9. bis 11. Jahrhundert wurden weiterhin basilikale Kirchen gebaut, was


vom wissenschaftlichen Standpunkt aus besonders interessant ist. Zunächst lag das
•• _
daran, daß sie leicht zu bauen waren und daß sie den m it Ä sthetik und Funktion
verbundenen Ansprüchen am besten gerecht wurden. Sie waren aber auch der
einzige architektonisch entwickelte Typ, der den einheimischen Baumeistern zur
Verfügung stand. Diesem Typ gehörten auch die Kirchen aus dem 5.1b. Jahrhun-
dert an, die noch in Gebrauch waren, seien es auch wiederaufgebaute, die am
A nfang des Frühm ittelalters als V o rb ild dienten. Unseres Erachtens haben bei der
K o n tin u itä t dieses Typs auch die Kontakte zu Westeuropa (über Dyrrhachium )
einen nicht geringen A n te il, in dem die Basiliken in jener Z e it weithin in Gebrauch
waren. Später bew irkte die V orliebe für sie - als eine ständig lebendige T radition
- , daß die Basiliken auch w eiter gebaut wurden, als neue Typen aufkamen.
Für den Typ m it eingeschriebenem Kreuz ergab sich dieses Problem nur in
Südalbanien, wo er besonders zum Tragen kam. E r drang zunächst im 11.-12.
Jahrhundert m it schweren, prim itiven Formen ein, ohne sich von dem Basilika-
Typ richtig loszulösen. E r bildete sich dann im 13.-15. Jahrhundert in den
typischen Formen vollständig heraus, als er fortwährend und in allen Varianten
gebräuchlich wurde; diese V ie lfa lt spricht zugunsten einer lokalen Entw icklung
dieser A rc h ite k tu r und zeugt von hohem Niveau der einheimischen Baumeister.
E in Vergleich m it der damaligen zeitgenössischen A rc h ite k tu r der Nachbarländer
zeigt, daß es im H inb lick auf die A rch ite ktu r keinen Rückstand zu den anderen
byzantinischen Provinzen gab, es vielm ehr Verbindungen zu ihnen gab und
K ontakte der Baumeister und Bauhütten untereinander bestanden. G leichzeitig
fanden die aus Konstantinopel kommenden Impulse, die in einigen Fällen auch
m it den aus dem Westen kommenden Traditionen verflochten waren, einen
geeigneten Kulturboden bzw. rege Bautätigkeit vor, was das Schaffen von Werken
erm öglichte, die sich einerseits durch besondere Einzelelemente, andererseits
aber auch durch typische, regionalbedingte M erkm ale auszeichneten, wie in
Mesopotam und Labova.
Besondere Bedeutung hat die genaue Abgrenzung der architektonischen For-
men und Elemente; sic sind typisch fü r das Schaffen in den Provinzen, das
Schaffen in der hauptstädtischen Schule oder von völlig lokalen Besonderheiten,
oder auch aus Vorliebe fü r die M odelle der A rch ite ktu r jener Z e it, was unter den
Bedingungen starrer Gesetzmäßigkeiten der byzantinischen A rc h ite k tu r den W ert
einer eigenen Baukunstschule annim m t. Vergleichbar m it der A rc h ite k tu r der
anderen Provinzen sind die achtwandigen Kuppeln und die dreiwandigen Apsi-
den, die Überwölbung der eckigen Räume m it Tonnengewölben, die geraden
Linien der Dächer und G iebel, die Elemente der Bautechnik und die keramisch-
plastischen Dekorelem ente, insbesondere die provinziale Typenvariante. Was die
wechselseitigen Verbindungen und Beeinflussungen innerhalb der Provinzen
b e trifft, so gab es diese m it dem Despotat von Epirus, dessen wichtigste Gebiete
im Dreieck D urrë s-O hrid -A rta von Albanern bewohnt waren, sowie m it Makedo-
nien durch O h rid , denen ein T e il der Bistümer Albaniens im Rahmen der
Kirchenverwaltung unterstand. A u f diesen beiden Wegen dringen auch die
Einflüsse der Hauptstadt ein, die in einigen Fällen, wie in Mesopotam, auch durch
die direkte Abhängigkeit vom Patriarchat zu erklären sind. Dazu zählen der

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komplexe T yp in Pojani, der Portikus in Mesopotam, Pojan und K urjan und die
Kugelkappen in Berat.
A ls besondere M erkm ale seien der äußere Bau der M auern, die gediegenen
keramisch-plastischen Ornamente, die charakteristischen Tambours, an denen
sich Fenster und Nischen ablösen, und der einfache G rund- und A u friß genannt.
Bei der A rc h ite k tu r in Nordalbanien ist im ersten A bschnitt dieser Z e it der
E influß der westlichen A rc h ite k tu r zu erkennen, der später auch in Südalbanien
festzustellen ist. Etwa im 13. Jahrhundert fä llt die Bautätigkeit der Baukunst-
schule des süddalmatischen Küstenlandes und Nordalbaniens deutlich auf, in
denen die albanischen M eister den H auptanteil verzeichnen. Dazu gehören die
Bauten in Shkodra, Shirgji und Vau i Dejës, sowie viele sakrale Bauten, die heute
verschwunden sind, aber auch Wehranlagen und andere Bauten, die als W erke
dieser M eister auszumachen sind. Diese Bauten sind unter der romanisch-
gotischen A rc h ite k tu r einzugliedern. Kennzeichnend fü r diese Bauten sind die
einschiffigen Form en, die Mauern m it durch Blendbogen verbundenen Pfeilern,
die Spitzbögen und Gewölbe m it spitzem Querschnitt, die V e rtik a litä t des
Bauwerkes und das Fehlen einer Kuppel. A ls die Orden der D om inikaner und
Franziskaner in unser Land kamen, wurden einige sakrale Gebäude (K irchen)
errichtet, bei denen nur der A ltarraum durch ein Gewölbe überdacht war.
D ie Einflüsse der westlichen A rc h ite k tu r kamen auf zwei Wegen, einmal durch
unm ittelbare K ontakte der Küstenzonen und des Tieflandes Albaniens m it der
westlichen A driaküste, m it dem dalmatinischen Küstenland und m it Venedig und
zum anderen durch die Niederlassung der Anjous und anderer westlicher Feudal-
herren der katholischen Bistümer. Beispiele dafür sind der G lockenturm in
Perondi, die Skulpturen von Mesopotam und Pojan, die Spitzbögen in Pojan,
K urjan und Berat und die lombardischen Bogen in K urjan, Zvernec und Linxa.
Charakteristische Merkmale weist auch die Bautechnik auf. Die K o n tin u itä t der
Bauten und der Bautradition ein und derselben Bevölkerung wurde auch in
diesem besonderen Aspekt als eine der beständigsten Komponenten beobachtet,
die, was die Form b e trifft, auch m it den ästhetischen Ansprüchen der A rc h ite k tu r
zu vergleichen ist. In Nordalbanien ist Stein das wichtigste Baumaterial, und zwar
unbehauen oder als Quaderstein. Zunächst sind die verwendeten Steine länger als
höher. Im 15. Jahrhundert ist jedoch eine Tendenz zu quadratischen Formen
festzustellen. In Südalbanien wurde Stein als Zufallsm aterial verwendet, beson-
ders, wenn man weniger W ert auf den ästhetischen Eindruck legte. A llerdings
wurden fast überall auch Bruchstücke von Backsteinen und Dachziegeln zur
Schaffung ästhetischer Effekte benutzt. Ein im 12. Jahrhundert auftauchendes,
zunächst rudimentäres Schächtelmauerwerk (Kosine) ist zu Beginn des 13.
Jahrhunderts vollkom m en herausgebildet anzutreffen (Blachernen-Kirche in
Berat), stets m it zwei senkrecht gesetzten Ziegeln, als sichtbares Zeichen fü r eine
W eiterentw icklung dieser Technik. In der zweiten H älfte des 14. Jahrhunderts
begann diese Technik wieder zu verfallen und wurde durch zwei horizontale
Reihen ersetzt (Bezmishte). In Boboshtica wurden dann sogar die horizontalen
von den vertikalen Ziegeln getrennt, anscheinend um damit neue ästhetische
E ffekte zu erzielen.
In mehreren Fällen wurden Ziegel nur fü r den Bau des Tambours und der
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Albanische Kunsí des Mittelalters 21

Kuppel, der Apsiden und von M auerteilen verwendet. A ls besondere Fälle finden
w ir im Süden die Verwendung von Steinen in Pojan sowie von Ziegelgürteln in
Shirgji.
Sicherlich sind nicht alle Denkm äler von architektonischem W ert, ebenso wie
nicht im m er der Anspruch bestanden hat, Kunstwerke zu schaffen. Bei den
meisten stellt man deutlich die Sorge der Baumeister fest, den ästhetischen
Ansprüchen der Z e it gerecht zu werden. Bei einigen Werken w ar allein das
ästhetische Ergebnis das Hauptziel der Bauschaffenden und Auftraggeber (Meso-
potam, Shirgji u. a.).
Für den ästhetischen W ert war fü r die sakralen Bauten in Südalbanien, die zur
byzantinischen A rch ite ktu r zählen, ein endloser Raum im Innern und das
••

pittoreske Außere charakteristisch. D ie zahlenmäßig beschränkten Beispiele


erlauben uns, die Ansicht zu vertreten, daß es zweierlei Richtungen gab. Erstens
die D enkm äler, die man m it der frühchristlichen und frühbyzantinischen A rch i-
te ktu r in Verbindung setzen kann, m it einem mehr oder weniger statischen
Innenraum , in dem der m ittlere Teil m it Kuppel vorherrscht (Peshkëpia, Kosine,
Pojan), und zweitens die Denkm äler, bei denen der Innenraum die M erkm ale der
byzantinischen A rch ite ktu r trägt. Dies wurde sowohl in den kleinen, intim en
Kirchen erzielt (M borja, Berat), als auch in denen, in denen das Großartige
V ollkom m enheit erreicht hat (Mesopotam, Labova). Die V ervollkom m nung der
Formen erfolgte durch eine A uflockerung der einzelnen Elemente und durch die
zunehmende Höhe. Dieser Prozeß kann durch viele Beispiele verdeutlicht werden
und ist ein Beweis der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen E ntw icklung des
Landes.
Für Nordalbanien stellt sich das Problem anders. In den bedeutendsten
Bauwerken stellen w ir eine sehr saubere und elegante Bearbeitung der Mauern
fest, indem das gesamte Gebäude wie m it einem Mosaik verkleidet ist (S hirgji,
Vau i Dejës). Die Bearbeitung der Steine stellt ein G rundm erkm al der Schule des
Nordens dar. Besondere Sorgfalt wurde dort auch fü r die einzelnen Elemente
aufgebracht. Diese Kirchen haben ein Satteldach m it G iebel, und die M auern sind
durch Pfeiler aufgeteilt, wodurch die V e rtik a litä t betont w ird. Die Einflüsse der
westlichen A rc h ite k tu r sind am meisten in den königlichen Gründungen und
Klöstern auszumachen, in anderen Kirchen sind die Anklänge an den Westen
weniger deutlich zu spüren.
Bei den Ornamenten der m ittelalterlichen Kirchen in Albanien spielen unter
anderem die Wandmalereien, die Skulpturen und Kapitelle, die M osaiken,
Fußböden und Ikonostasen eine besondere Rolle. Fast alle Kirchen waren m it
Wandmalereien ausgeschmückt. In der M alerei dieser Jahrhunderte finden w ir
Meister und A teliers vor, die in ihrer Gesamtheit durch einen kräftigen schöpferi-
sehen Im puls, durch ständig innovatorische Erkundungen und durch hohe künstle-
rische W erte gekennzeichnet sind. Kein Element ist die W iederholung eines
anderen. Eine singuläre schöpferische Einstellung des Künstlers drückt sich auch
dann als hervorstechendes und wesentliches M erkm al aus, wenn es sich um W erke
aus ein und demselben A te lie r und derselben künstlerischen Schule handelt. D er
Kontakt zu großen Zentren der byzantinischen Kunst und ihrer fortgeschrittenen
Tradition ist ein typisches Charakteristikum der albanischen Kunst im M itte la lte r.
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Sie ist ein Zeichen der Reife der einheimischen M eister, die auch m it einer eigenen
künstlerischen Erziehung und T ra d itio n verbunden ist, sowie m it dem Anspruch,
W erke von hohem künstlerischem W ert zu schaffen. Eine Besonderheit stellen die
Fresken einiger Kirchen in Nordalbanien (R u b ik , K álim ét, Vau i Dejës) dar. Sie
müssen in Verbindung m it den Gemälden von Nerezi in Shkupi (Skopje) gesehen
werden. D er typisch komnenische Stil bei den Fresken von Nerezi verbreitete sich
sehr und war lange Z e it lebendig, ohne eine konservative Tendenz der Rückent-
w icklung zu durchlaufen. Dieser Stil wurde hier ganz im Gegenteil durch neue
Elemente bereichert. In Rubik ist er m it paläologischen M erkm alen verflochten,
wodurch er in gewissem Sinne m it der W andm alerei von A p o llo n ia sowie m it einer
Reihe von Einzelheiten der westlichen Kunst in V erbindung zu bringen ist.
Diese Freskengruppe, bei der das Interesse fü r die schöne und proportionale
künstlerische Figur an ihrem diskreten, zurückhaltenden C harakter zu erkennen
ist, en th üllt einen A nklang an die antike künstlerische T ra d itio n und deren enge
Beziehung zu ihr. D er paläologische Renaissance-Stil, in dem der größte T eil der
D enkm äler des 13.-15. Jahrhunderts in den von A lbanern besiedelten Gebieten
geschaffen worden ist, lieferte die M öglichkeit zu einer ausgeprägten Verbindung
zwischen der byzantinischen Kunst und den klassischen Kunsttraditionen und
zugleich zum Humanismus, der Philosophie und Weltanschauung der italienischen
Frührenaissance. Genau wie in der A rc h ite k tu r sind auch in der M alerei die
Einflüsse der westlichen K u ltu r zu erkennen. D ie die H eilige Barbara darstellen-
den Gemälde in Pllana sind W erke, bei denen die realistische Ausrichtung stärker
vertreten ist als bei den byzantinischen Gemälden. D er historische V erlauf der
Geschehnisse begünstigte jedoch keine W eiterentw icklung der der Frührenais-
sance eigenen M alerei in A lbanien. Ihre Anklänge sind in mehreren Aspekten
wiederzuerkennen. Die Gemälde in Berat, die M iniaturen in den Codices, die
Ikonen usw. tragen viele Elemente westlicher H e rku n ft. Durch diese für die
Frührenaissance typischen M erkm ale, die in die byzantinische S tru ktur eingcgan-
gen sind, wurden auch die Formen und der Inhalt dieser Kunst bereichert und die
eigenartige schöpferische K ra ft der einheimischen M eister auf ein höheres Niveau
gehoben. U nter diesen Umständen w ird die Tendenz zu Innovationen allmählich
zu einem wesentlichen M erkm al der albanischen Kunst im M itte la lte r. Dies läßt
sich unschwer an der jeweiligen Übernahme der byzantinischen Schemata, an den
Veränderungen in der Ikonenm alerei usw. erkennen. Diese Abänderungen und
Fortschritte stellen eine A rt Verbesserung dar, die m it dem Z ie l der einzelnen
M eister im Zusammenhang steht, eine eigene V ariante in die kanonische Kunst
einzubringen. Diese Variante hat ihren U rsprung in den Beziehungen zu den
Zeitgenossen und zur konkreten historischen S ituation. D ie Suche nach einer
schöpferisch-künstlerischen Einstellung ist fü r A p o llo n ia typisch.
E in interessantes M erkm al ist auch die D arstellung von realen Personen, die bei
dem Mosaik von Dürres beginnt und eine lange T ra d itio n vorweisen kann. Das
Interesse fü r die Darstellung realer, lebendiger Personen w irk t sich auch dahinge-
hend positiv aus, daß die Heiligen lebensnah und realistisch abgebildet werden.
Die historischen Umstände in der Kunst der europäischen Renaissance haben
diese Prozesse verzögert, jedoch nicht aufgehalten. D ie Kunst bereicherte sich
allm ählich durch im m er neue Elemente dank des ständigen Kontaktes m it der
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Albanische Kunst des Mittelalters 23

Volkskunst und dem blühenden Leben des Volkes. Die Wiedergabe von ethnogra-
phischen Gegenständen stellt das wichtigste vereinende M erkm al der M alerei im
1 3 .-I5 . Jahrhundert dar.
Parallel dazu spielte bei den bedeutendsten Bauwerken die architektonische
A usform ung eine wichtige R olle. Dies zeigt sich in den K apitellen, den dekorati-
ven Platten, den Reliefs oder den Ikonostasen, die heute nur noch in Fragmenten
vorhanden sind. V on Bedeutung ist in dieser Hinsicht die Kirche von K u rja n , bei
der die äußeren Wände des Bauwerks m it vielen Reliefs geschmückt sind, die
ihren künstlerischen W ert besonders steigern. Wie in der Baukunst und in der
M alerei gibt es auch in der Bildhauerei viele Beispiele romanisch-gotischer Kunst,
so in Mesopotam, Pojan und Dürres. Sie sind die Zeugen eines hohen künstleri-
sehen Niveaus.
Durch eine umfassende Betrachtung dieser Auswahl von Bauten, beruhend auf
ihren bedeutenden T raditionen und ihrem hohen künstlerischen W e rt, ist das
künstlerische Schaffen des albanischen Volkes im M itte la lte r deutlich zu erken-
nen. Diese Bauten können in verschiedene größere künstlerische Ausrichtungen
eingegliedert werden, jedoch haben sie ein jeweils eigenes Gesicht, was bereits von
einer eigenständigen albanischen Kunst im M itte la lte r zeugt. D ie besonderen
M erkm ale dieser Kunst sind das Ergebnis von jahrhundertealten T ra d itio n e n ,
einer eigenständigen kulturellen und künstlerischen Prägung und von einer
allgemeinen sozialökonomischen E ntw icklung des Landes, die von den histori-
sehen Gegebenheiten nicht wegzudenken ist. Sie sprechen auch dafür, daß die
albanische Bevölkerung, tiefverw urzelt in dieser T ra d itio n , eine eigene K u ltu r auf
einem Niveau geschaffen hat, das ih r erlaubte, darin den Stürmen der Zeiten zu
trotzen.

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Two Irish Travellers in Albania in 1322

Robert Elsie, O lzheim

Despite intensive research and impassioned interest on the part o f Albanian


scholars, the origins o f the Albanians as a people remain shrouded in mystery. The
crucial second h a lf o f the first m illenium , i. e. 500-1000 A . D ., which might
provide the missing lin k to the Illy ria n inhabitants o f the region in antiquity, yields
virtu a lly no inform ation and linguistic records o f the earlier stages o f the Albanian
language, which could serve as a reliable guide, are missing. Throughout the
M iddle Ages, A lba nia form ed the cultural and often political fro n tie r between the
Roman and Venetian West using L a tin as its o fficia l language and the Byzantine
East using G reek and later to an extent Serbian. Indeed there are no substantial
traces o f the A lbanian language predating the fifteenth century when the first texts
occur: the somewhat mysterious B e llifo rtis text from 1405', the w ell-known
Baptismal Form ula o f Paulus Angelus o f 14622, a curse from the year 1483\ the so-
called Easter Gospel o r Pericope4 which is generally thought to date from the end
o f the fifteenth century and the short vocabulary o f A rn o ld von H a rff5, a German
pilgrim on his way to the H o ly Land w ho, during a stopover in Durres in the spring
o f 1497, recorded twenty-six words, eight phrases and twelve numbers o f
A lbanian.
Though Byzantine historians, upon whom we must rely fo r much o f our
knowledge o f the southwestern Balkans in the centuries preceding these texts,
have left details o f battles, revolts and political changes in this region and
elsewhere, they are often strangely silent as to the customs and languages o f the
non-Greek inhabitants o f their peripheral territories, an indifference to the
,barbarians‘ they may have inherited from the A ncient Greeks.
It is generally assumed that the early A lbanian tribes, facilitated by the collapse
o f the great Bulgarian em pire at the end o f the 10th century, began expanding from
th eir m ountain homeland in the 11th and 12th centuries where they had lived as
nomadic shepherds, in itia lly taking fu ll possession o f the northern and central
A lbanian coast and by the 13th century spreading southward towards what is now
southern A lba nia and into western Macedonia. They first entered the annals o f
post-classical recorded history in the second half o f the 11th century and it is only at
this tim e that we may speak w ith any degree o f certainty about an A lbanian people.
In his ,H isto ry‘ w ritte n in 1079-1080, Byzantine historian Michael A ttaliates was

1 cf. Elsie. R obert: The B e llifo rtis text and early A lb a n ia n , in : Z eitschrift fü r Balkanologie. 22 (1986) 2. p.
158-162.
2 cf. Elsie, R obert: D ictio n a ry o f A lban ian lite ra tu re . New Y o rk 1986.
‫י־‬ cf. Braun, Lu dw ig; C am aj, M a rtin : E in albanischer Satz aus dem Jahre 1483, in: Z eitsch rift fü r
Vergleichende Sprachforschung. 86 (1972). p. 1-6.
4 cf. Borgia. N ilo : Pericope evangelica in lingua albanese del secolo X IV da un m anoscritto greco della
B iblioteca Am brosiana. Scuola tipografica italo-orientale. G ro tta fe rra ta 1930.
5 cf. Elsie. R obert: The A lban ian lexicon o f A rn o ld von H a rff, 1497. in: Z eitschrift fü r Vergleichende
Sprachforschung. 97 (1984) 1, p. 113-122.

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Two Irish Travellers in Albania 25

first to refer to the Albanoi as having taken part in a revolt against Constantinople
in 1043 and to the Arbanitai as subjects o f the duke o f D yrrachium .
The period o f crystallization, to avoid the much more d iffic u lt term ethnogene-
sis, o f the A lbanian people as we know them today can therefore be set in the
eleventh and tw elfth centuries and any reference to o r inform ation about them
from this period up to the first recorded texts in A lbanian in the fifteenth century
must be the focus o f particular attention.
W hile the crusades and the resulting A ngevin conquest o f A lbania in 1269
provided the Western world w ith some inform ation about A lbania as a geopolitical
region, surprisingly few references are made in works o f history and in travel
narratives to the Albanians themselves. W hat is known o f the period has been
com piled by A la in D ucellier in a series o f articles and in his masterful 701-page
monograph on the Albanian coastline from the 11th to the 15th centuries6.
A prim ary source o f inform ation fo r much o f the eastern M editerranean in the
first half o f the second m illenium are the narratives o f pilgrimages to the H oly
Land. A lthough unlike A rn o ld von H a rff in 1497, most pilgrim s showed no more
than passing interest in the lands they visited en route to th e ir goal, tw o A n g lo-Irish
pilgrim s, Symon Semeonis and H ugo Illu m in a to r, whom we may refer to in
English as Simon Fitzsimons and Hugh the Illu m in a to r, visited A lbania in 1322 on
th e ir way to the H oly Land and the fo rm er v ivid ly recorded what he saw. His
account gives us a rare glimpse o f the A lbanian coast in the first h a lf o f the
fourteenth century.
Simon Fitzsimons o f the Franciscan O rd e r set out from Clonm el in Ireland in the
spring o f 1322 w ith his friend and com panion Hugh the Illu m in a to r, seized ” by a
desire to fo llo w the naked Christ in the way o f poverty and to run and wander
religiously in the course o f a most devout pilgrim age to the H o ly Land“ . They
travelled through northern Wales to London which he describes as the most
famous and richest o f all cities w ith in the sun’s o rb it, to C anterbury, D over,
Wissant, Am iens, Paris, Beaune, Lyon, A vign on , Nice, Genoa, B obbio, Pia-
cenza, Parma, Mantua, Verona and Vincenza to Venice. There they boarded a
merchant vessel fo r the H oly Land which stopped on its way in Pula, Zadar,
D u b ro vn ik, U lc in j, Durrës, C o rfu , Cephalonia and Crete, where they were first to
record the presence o f Gypsies on the island, before reaching A lexandria. Much o f
Simon’s travel narrative, known as the Itinerarium Sym onis Semeonis ab Hybernia
ad Terram Sanciam, deals w ith th e ir experiences in Egypt where Friar Hugh died
and where Simon provides much inform ation o f interest on Islam and the 'libello de
dottrina Machometi' (the book o f the doctrine o f M oham m ed). From Egypt,
Simon carried on alone through Gaza to Jerusalem to visit the holy shrines. A t this
point the narrative, now preserved in a manuscript (N o. 407) in the L ib ra ry o f
Corpus C hristi College, Cambridge U K , breaks off.
The 'Itin e ra ry ‘ o f Simon Fitzsimons was first published in Cambridge in 1778 in a
now rare edition by James Nasmith under the title Itinerarium Symonis Simeonis et

6 cf. D u ce llie r, A la in : La façade m aritim e de l'A lb a n ie au moyen age. Durazzo et Valona du X I e au X V e


siècle. Thessaloniki 1981; D ucellier. A la in : L 'A lb a n ie entre Byzance et Venise. X e -X V e siècles. London

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Hugonis Illuminatoris ad Terram Sanctam. It has been edited subsequently by
M a rio Esposito7 and Eugene Hoade*.
The ,Itin e ra ry ‘ contains a wealth o f inform ation on matters as varied as customs
inspections and procedures, costumes, coinage, raw materials and products o f the
countries he visited and o f course on churches and holy sites. O f his b rie f stay on
the A lbanian coast, Simon records the fo llo w in g impressions:
” £> inde post dies aliquot recedentes, transivimus per Dulcynam civitatem , que
est regis Rassie, et navigavimus Durachiam, civitatem olim fam osam et in mari et
in terra potentem , et imperatori Grecorum subjectam , nunc autem principi
Romanye fratri regis Jerusalem predicti, que est in provincia Albanie. Ubi
sciendum fest/ quod Albanya est provincia inter Sclavoniam et Rom anyam , per
se linguam habens , quam nuper predictus rex Rassie scismaticus suo dominio
subjugavit. Ipsi enim Albaneses scismatici sunt , Grecorum utentes ritu et eisdem
habitu et gestu in omnibus conformes. Nam Greci raro vel nunquam utuntur
caputio , sed capello albo quasi plano in parte anteriori humiliato et in posteriori
elevato , ut eorum crines intuentium oculis luculentius appareant, quoniam in
crinium longitudine et pulcritudine sum m e gloriantur; Sclavy vero , de quibus
superius dictum est, tamen capello albo oblongo et rotundo , in cujus summitate
nobiles pennam longam figunt , qua facilius a rusticis et villanis distingui valeant
atque cognosci. Ipsa autem civitas est in murorum ambitu amplissima et in
edificiis vilis et exigua, quia quondam terre motu fuerat funditus eversa , et in ejus
eversione ditissimi ejus cives et inhabitores propriis palatiis fuerant , ut dicitur,
bene xxiiii milia , et mortui sunt. Nunc autem in populo est sterilis, qui et est ritu ,
habitu et lingua divisus. Inhabitatur enim Latinis , Grecis , Judeis perfidis , et
barbaris Albanensibus. A pud quos currunt turonenses parvi e quibus xi valent
unum Venetum grossumf et currunt tantum valentes per totam Romániám. Et
distat a Ragusia per CC miliaria. Et inde flantibus secundis ventis, transeuntes
per Belonam castrum imperatoris Grecorum , et per Corfu insulam , in qua est
civitas nomine Corfu regis Jerusalem prefati , que distat a Durach ia per CC
miliaria . . . “
,,A n d then after spending a few days, we passed through the city o f U lcin j,
which belongs to the K ing o f Rascia1*, and sailed to Durrës, a city once famous
and m ighty by land and sea, subject to the E m peror o f the Greeks but now
belonging to the Prince o f Rom ania10, the brother o f the aforem entioned King
o f Jerusalem11, [this city] being in the province o f A lbania. It should be known
that A lbania is a province between Slavonia12and Rom ania, having a language
o f its own and which the aforem entioned schismatic K ing o f Rascia has

7 cf. Esposito, M ario: Itin e ra riu m Symonis Semeonis ab H ybernia ad Terram Sanctam. Scriptores L a tin i
H iberniae, vol. 4. D u b lin 196().
‫ א‬cf. Hoade, Eugene: Western Pilgrim s. The itineraries o f Fr. Simon Fitzsimons. O .F .M . 1322-23. a certain
Englishm an 1344-45, Thom as Brygge 1392 and notes on o th e r authors and pilgrim s. First impression 1952.
reprinted 1970. Publication o f the Studium B iblicum Franciscanum. No. 18. Jerusalem 1952. 1970.
4 Stephan Urosh 111 (1322-1333).
IW Rom ania refers here to te rrito rie s in possession o f the G reek E m p e ro r, especially the M orea, and has
nothing to do w ith m odem Romania. The Prince o f the M orea at the tim e was John, C ount o f G ravina (reign
1316-1335).
11 R obert the G ood (reign 1309-1343).
12 The term Slavonia refers here to the Slavic te rrito rie s o f D a lm atia and C roatia.

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Two Irish Travellers in Albania 27

subjected to his rule. For the Albanians themselves are schismatics, using the
rites o f the Greeks and are entirely like them in their dress and manner. For the
Greeks rarely if ever wear the cow l, but rather a white hat lowered almost flat to
the fro n t and raised at the back so that their hair, the length and beauty o f which
they are extrem ely proud, may appear more attractive to the eyes o f the
beholder. The Slavs on the other hand, o f whom m ention was made above,
wear a white hat, oblong and round, on the top o f which th e ir nobles stick a long
feather in order to be distinguished and recognized more easily by the peasants
and common people. The city itself is very extensive in the circuit o f its walls,
but small and unpretentious in its buildings because it was once razed to the
ground by an earthquake13, and in the destruction, its wealthiest citizens and
inhabitants were buried beneath th eir own palaces and indeed a good 24,00()
are reported to have died. It is now sparsely populated and divided in religion,
customs and language. For it is inhabited by Latins, Greeks, perfidious Jews
and barbaric Albanians. In use among them are small ,tournois’ coins o f which
eleven are w orth one Venetian ,grosso’ . They are in use at this rate in all o f
Romania. This city is 200 miles from D ub rovn ik. A nd then, taking advantage o f
favourable winds, we continued to V lo ra , a fortress o f the E m peror o f the
Greeks, and to the island o f C orfu on which there is a city called C orfu
belonging to the aforem entioned K ing o f Jerusalem, this place being two
hundred miles from D ürres.“
It is apparent from the narrative that in 1322 the port o f Durrës had not
recovered entirely from the disastrous earthquake which had struck it half a
century earlier. The original population o f the city was replaced to a certain extent
by an influx o f Albanians from the countryside. That A lbanian must have been
widely spoken on the coastal plains and m ountain regions at the tim e can be
inferred from Simon's in itia l observation that the province had a language o f its
ow n, i. e. A lbanian. W ith in the city o f Durrës, however, the ,barbaric Albanians'
are referred to only fo urth , after the urban Latins, Greeks and Jews, an indication
that they may not yet have form ed the m ajority group. Interestingly enough,
Simon refers to the A lbanian 'barbarians' in D u b ro vn ik, too, stating: "In eadem
dominantur Veneti, et ad eam confluunt Sciavi, Barbari, Paterini et alii scismatici
negotiatores qui sunt gestu, habitu et lingua Latinis in omnibus difform es “ (The
Venetians dominate in it (D u b ro vn ik] and Slavs, Barbarians, Paterines and other
schismatic merchants frequent it, who are entirely different from the Latins in their
customs, dress and language).
Throughout its history from antiquity to the beginning o f the tw entieth century,
Durrës had a very hybrid population structure w ith a strongly varying proportion
o f Albanians. O nly relatively recently have the Albanians come to constitute a
definitive m ajority there and only in the last quarter o f a century have the
ubiquitous white hats which Simon Fitzsimons marvelled at in 1322 come to
disappear.

14 The earthquake referred to occurred at the beginning o f M arch 1273, cf. Byzantine historian George
Pachymeres *History*, V . 7 and V I. 32.
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Skanderbeg als Thema der historisch-politischen
Publizistik des frühen 18. Jahrhunderts:
David Faßmanns ‫״‬Totengespräch“ zwischen Cyrus und Skanderbeg

Michael Schm idt-Neke, Ham burg

I. Skanderbeg als literarisches Thema — II. Skanderbeg bei Scudéry — I I I . David


Faßmann und die Totengespräche — IV . Das Vorspiel - V . Die Lebensbeschrei-
bungen - V I. Die Nachrichten — V I I . D ie W irkung der ‫״‬Totengespräche“ -
V III. Faßmanns Auffassung von Skanderbeg

I. Skanderbeg als literarisches Thema

Seit Marinus Barletius zwischen 1506 und 1510 in Rom die ‫ ״‬Geschichte des Lebens
und der Taten Skanderbegs, des Fürsten der E piroten“ 1 veröffentlichte, ist
Skanderbeg ein Thema der europäischen L ite ra tu r gewesen. Von einer wissen-
schaftlichen, kritisch-historischen Auseinandersetzung kann erst im 19. Jahrhun-
dert die Rede sein, wo sich m it Jakob P hilipp Fallmerayer die Loslösung von
Barletius als einziger Quelle durchsetzt2. Georges Petrovich verzeichnet rund 150
auf Skanderbeg bezugnehmende T ite l, die zwischen 1500 und 1800 in West- und
M itteleuropa erschienen sind1. W iederholt ist auf die Lückenhaftigkeit dieses
Werks hingewiesen worden4.
Doch reduziert sich die stattliche Zahl der T ite l, da es sich vielfach um
в# _
Neuausgaben, Übersetzungen und Bearbeitungen der ‫ ״‬klassischen“ Biographie
des Barletius handelt. Zahlreiche andere Schriften sind keine M onographien über
Skanderbeg, sondern osmanische Reichsgeschichten, in denen der albanische
Widerstand gewürdigt w ird. M it Scaramellis Gedichten von 1585, spätestens 1606
mit dem Heldenepos ‫ ״‬La Scanderbeide“ der M argheritta Sarocchi5 setzte sich der
albanische Nationalheld auch als belletristisches Sujet durch.
Neben den historischen und den belletristischen Bearbeitungen des Skander-
beg-Stoffs findet sich im späten 17. und 18. Jahrhundert ein neuer B lickw in kel auf
diese Them atik. ‫ ״‬Publizisten dieser Z e it behandeln die Gestalt Skanderbegs nicht
mehr um ihres historischen oder em otionalen Interesses w illen, sondern um ihre
eigenen philosophisch-politischen Anschauungen und Positionen darzulegen“ 6,
wie Aleks Buda m it B lick auf Faßmann und Zannovic feststellt. Dabei w ird

1 Çoba. A .; Prela. Z .: Albanica. I: Vepra tè botuara në shek. X V I - X V I I I (A lbanica. I: V e röffentlichungen


des 1 6 .-I8 . Jh.). T irane 1965, S. 9 f. u. T afel I.
2 Fallm erayer, J. P.: Das albanesische Elem ent in G riechenland. II. u. I I I . A b th lg . M ünchen 1860.
3 Pétrovïch. G .: Scanderbeg (Georges C astriota). Essai de bibliographie raisonnće. Paris 1881 (N achdruck
München 1967).
4 Kast ra ti. J.: Probleme tè bibliografisë retrospektive tè Skènderbeut (Problem e der retrospektiven
Bibliographie über Skanderbeg), in: Konferenca e dytè e studimeve albanologjike (Z w e ite Konferenz der
albanologischen Studien). T irane. 12-18 ja n a r 1968. Bd. 1, T irane 1969. S. 577-583.
5 Rom 1606. Scaramelli. В.: Due Canti del poema heroico di Scanderbec . . . Carmagnola 1585.
b Buda. A .: D iskutim rreth kumtesave tè F. Tiriesè dhe J. Irm sherit (Diskussionsbeitrag zu den Vorträgen
von F. T hiriez und J. Irm scher). in: Konferenca (A n m . 4 ), S. 593.

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 29

Skanderbeg in direkter oder indirekter K onfrontation m it anderen mehr oder


m inder berühm ten historischen Persönlichkeiten präsentiert, was zur Vorausset-
zung hat, daß dem gebildeten Publikum des 17. und 18. Jahrhunderts Skanderbeg
noch ein B e g riff war. Das Scheitern der osmanischen Offensive vor Wien 1683
erhöhte begreiflicherweise das Interesse an der Geschichte der Türken und
besonders am früheren christlichen W iderstand. 1683/84 erschienen Schriften über
den Sieger von W ien, Johann I I I . Sobieski, der als ‫ ״‬Scanderbeg redivivus“ gefeiert
w ird 7.

11. Skanderbeg bei Scudéry

D ie nach wie vor ungenügenden bibliographischen Vorarbeiten erlauben es nicht,


d e fin itiv zu bestimmen, welcher A u to r das Skanderbeg-Thema erstmals in der von
Buda skizzierten Weise behandelt hat. 1663 veröffentlichte Georges de Scudéry
(1601-1667) eine Sammlung von 20 fik tiv e n politischen Reden verstorbener
M onarchen8. Neben fü n f französischen, vier spanischen, einem portugiesischen,
drei englischen, einem schwedischen K önig sowie Kaiser K arl V . treten Matthias
Corvinus, Tam erlan, Mehmet II., Süleyman I . 9 und Skanderbeg als ‫ ״‬K önig von
A lb a n ie n “ auf.
Jede dieser Reden ist an einzelne oder mehrere H öflinge gerichtet (nur
Ludw ig IV . von Frankreich wendet sich an rebellierende U ntertanen) und stellt
eine Abhandlung über Grundsatzfragen der Regierung dar. A n diese Rede
schließt sich jeweils eine Beurteilung durch den A u to r an, der die Kernargumente
kritisch analysiert, um dann zum nächsten Redner überzuleiten.
Sultan Süleyman I. weist in einer Ansprache an seinen Großvezir und Schwie-
gersohn Rüstern Paça das Ansinnen zurück, nach militärischen Mißerfolgen das
Projekt der Einsetzung Johann Sigismunds auf den ungarischen Thron aufzuge-
ben. Sein zentrales Argum ent ist die Treueverpflichtung, die er gegenüber Johann
Sigismund eingegangen sei"1. Scudéry hält diese Grundsatztreue den Theorien
Machiavellis entgegen; der muslimische Monarch könne zahlreichen Christen-
herrschern als V o rb ild dienen. D am it leitet er über zu Skanderbeg, der die von
Süleyman kom promißlos bejahte Frage, ‫ ״‬ob Fürsten unverbrüchlich die Treue
halten müßten“ , einschränkt. Sein Thema besteht in der Rechtfertigung des
Ausnahmefalles, daß nämlich ‫ ״‬ein Fürst einem anderen Fürsten die Treue
brechen dürfe, wenn dieser sie ihm zuerst gebrochen hat“ . Scudéry führt den Leser
kurz in die Situation ein: Skanderbeg hatte M urat II. die Treue aufgekündigt und
sich selbst in den Besitz des ‫ ״‬Königreichs A lba nien“ gebracht, nachdem dieser
seine B rüder erm ordet hatte und ihn selbst um sein rechtmäßiges Erbe bringen

7 vgl. Pétrovich (A n m . 3). S. 84; Legrand. E .: B ibliographie Albanaise. Paris. A then 1912 (Nachdruck
Leipzig 1973), S. 32.
‫א‬ de Scudéry, G .: Discours politiques des Rois. Paris 1663; hier zitiert nach der englischen Ausgabe: C uria
p o litia e , o r The Apologies o f several Princes: Justifying to the W orld their most eminent A ctions by the
Strength o f Reason, and the most Exact Rules o f Policy. London 1673.
9 Irrtü m lic h als ..Soliman“ II. bezeichnet, w ohl in Gleichsetzung von Süleyman und Selim. Dieselbe
Verwechslung begeht David Faßmann in der 9. Entrevue zwischen H einrich V I I I und .,Soliman II**.
I‫״‬ Scudéry (A n m . 8), S. 113-119.

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30 M. Schmidt-Neke

w ollte. M urat schickte nach einigen m ilitärischen Niederlagen einen Boten zu


Skanderbeg, um ihn wegen seines Verrats zur Rede zu stellen11.
Diese Situation ist dem W erk des Barletius entnom m en, der im d ritte n Buch
einen langen B rie f des Sultans und eine kurze A n tw o rt Skanderbegs wiedergibt,
die selbstverständlich nicht als O riginaldokum ente zu verstehen sind12. Sie sind
Teil der Handlung, tragen konkrete Daten (15. Juni und 12. August 1444) und sind
Elemente des politischen Prozesses, an dem in dieser Situation nicht nur M urat
und Skanderbeg, sondern auch M urats Bote H ayredin und anonyme Fraktionen
auf der albanischen Seite teilnehm en, die sich darüber uneins sind, ob der
türkische Friedensappell ernst zu nehmen sei. Skanderbeg bewährt sich als
politischer Führer, der in der Lage ist, seinen Standpunkt argum entativ durchzu-
setzen.
Anders die literarische Fassung Scudérys. Skanderbegs Rede richtet sich an den
Rat der Kom m andeure, doch jede In te ra ktio n fehlt. Sie ist hier nicht Element
einer dramatischen Handlung (der Fortgang des Krieges w ird m it Recht als
bekannt vorausgesetzt), sondern eine A bhandlung zum Thema, ob es Fälle geben
könne, in denen der Treuebruch eines Fürsten gegenüber einem anderen mora-
lisch zu rechtfertigen sei. D ie Situation Skanderbegs beinhaltet diese R echtferti-
gung: E r war dazu berechtigt, weil M urat ihm selbst gegenüber untreu war und ihm
die geleisteten Dienste m it M o rd , Intrigen und Betrug vergolten hatte. Darüber
hinaus sei die Treue zum christlichen G o tt vorrangig vor der zu dem islamischen
‫״‬Tyrannen“ . Die Interessen seines Volkes, die w eltlichen wie die religiösen,
hätten seinen Schritt unbedingt e rfo rd e rt13.
In seiner ‫ ״‬B eurteilung" läßt Scudéry allein das religiöse, nicht aber das
politische M o tiv gelten. A ls Paradebeispiel fü r einen gerechtfertigten Treuebruch
nennt er die Verbrennung des Jan Hus tro tz des ihm zugesicherten freien Geleits;
was bei H äretikern zum Schutz des Glaubens erlaubt sei, müsse gegenüber
Ungläubigen erst recht statthaft sein14.
Scudéry läßt Skanderbeg als Gegner des Absolutism us auftreten; die Treuever-
pflichtung des Vasallen bedarf der wechselseitigen Treue des O berherren. Der
A u to r, der wegen seiner Verbindungen zu Condé von Mazarin aus Paris in die
Norm andie verbannt wurde, rechtfertigt Skanderbeg als historisch positive L e itfi-
gur m it H ilfe des politisch unverfänglichen religiösen Argum ents: D er Kam pf
gegen die ‫ ״‬U ngläubigen“ sanktioniert alles, so wie auch der französische Zentral-
Staat die Sonderstellung der Hugenotten beseitigte. Doch vom politischen Stand*
punkt aus erscheint Skanderbeg als V e rtre te r des feudalen Partikularism us, den
Scudéry vom absolutistischen Standpunkt aus ablehnt.

11 c h d .'S . U9f.
12 Im folgenden w ird B arletius nach der lateinischen Ausgabe von 1743 (V ita et res praeclare gestae Christi
A thletae G eorgii C a strio ti, Fipiratorum principis . . . Zagreb 1743) und de r deutschen Übersetzung von
Johannes Pinicianus (W a rh a fftc eigentliche und kurtze Beschreibung aller nam hafften R itterlichen
Schlachten und Thaten, so de r allcrstreytbarM und theurest Fürst und H e rr, H e rr G eorg C a strio t. genannt
Skanderbeg . . F ra n kfu rt 1577) zitie rt als Barletius 1743 bzw. B arletius 1577. H ie r B arletius 1743.
S. 61-66; B arletius 1577, 28v-30v.
15 Scudéry (A n m . 8). S. 121-129.

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch “ 31

///. David Faßmann und die Totengespräche

A ls D avid Faßmann fast 60 Jahre später Skanderbeg in die Publizistik einführte,


hatte der A lbanerfürst seit geraumer Z e it an Bedeutung fü r die L ite ra tu r verloren:
1664 brachte Gabriel Tzschimmer in Dresden eine neue Barletius-Übersetzung
heraus; Skanderbeg wurde in Darstellungen der türkischen Geschichte erwähnt
und als V o rlä u fe r Johann Sobieskis in E rinnerung gebracht. Das erneute A u ffla m -
men der Auseinandersetzung m it dem Osmanischen Reich, die Siege Prinz Eugens
und der Verlust christlich besiedelter türkischer Gebiete auf dem Balkan an
Österreich im Frieden von Passarowitz 1718 könnte ein A n re iz gewesen sein, das
alte Thema neu zu behandeln.
D avid Faßmann (1683 Wiesenthal/Sachsen - 1744 bei K arlsbad/B öhm en)15 war
von 1725 bis 1731 am H o f Friedrich W ilhelm s I. als ‫ ״‬Zeitungsreferent‘‘ des Königs
tätig; er war der lautstärkste Gegner Jakob von G undlings, der in seiner Stellung
als Akadem iepräsident als ‫״‬gelehrter H o fn a rr“ behandelt wurde; nach Gundlings
Tod übernahm Faßmann 1731 fü r ganz kurze Z e it dessen Nachfolge, aber wollte
sich nicht in die entwürdigende R olle G undlings drängen lassen, zu der er selbst
maßgeblich beigetragen hatte16. Seine wesentliche Leistung liegt im Bereich der
Publizistik. Neben einer großen Zahl von Büchern, unter denen eine 1735
erschienene Biographie Friedrich W ilhelm s 1. das wichtigste ist, steht die Heraus-
gäbe und alleinige Autorenschaft an nicht weniger als fü n f Zeitschriften.
1721-1733 erschien in Leipzig ‫ ״‬D er auf O rdre und Kosten seines Kaysers,
reisende Chineser, was er von dem Zustand und Begebnissen der W e lt, in
Sonderheit aber derer Europäischen Lande, dem Beherrscher des Chinesischen
Reichs, vor Bericht erstattet“ , m it insgesamt 102 Ausgaben, im wesentlichen eine
K om pilation von Nachrichten und Texten, ohne eine irgendwie originelle Per*
spektive auf die Vorgänge in Europa aus ‫ ״‬chinesischer Sicht“ zu erreichen17.
A ls wesentlich erfolgreicheres und originelleres V o rb ild hatte Faßmann wohl
die achtbändige Sammlung ‫ ״‬Briefe eines türkischen Spions, der 44 Jahre lang
unentdeckt in Paris lebte“ vor A ugen, die von dem Italiener G iovanni Paolo
Marana begonnen und wahrscheinlich von einem englischen A u to r fortgesetzt
w urde18. In B erlin brachte Faßmann zwischen 1727 und 1733 ‫ ״‬Sonderbahre
Nationengespräche oder curieuse Discourse über die jetzigen C onjuncturen und
wichtigsten Begebenheiten“ heraus1g, 1734 bis 1743 ‫ ״‬Angenehmes Passe-Tems,
durch welches zwei Freunde einander m it nützlichen und lustigen Discoursen
vergnügen“ , und 1735 bis 1742 ‫ ״‬D ie neu-entdeckten Elisäischen Felder“ , beide in
Frankfurt und Leipzig20.
Sein langlebigstes Projekt und sein größter Publikum serfolg war die in Leipzig
zwischen 1718 und 1740 ziemlich kon tinu ierlich in Monatsabständen produzierte

15 D ie genauen Daten sind nicht nachweisbar und in der L ite ra tu r um stritten.


|ft Lindenberg, L .: Leben und Schriften D avid Faßmanns (168Л-1744). B erlin (D is s .) 1937. S. 7-3().
17 ebd., S. 38-41.
'‫א‬ s. lY tro v ic h (A n m . 3). S. 92f.
|g Lindenberg (A n m . 16), S. 4 2 f.
-‫י י‬ ebd., S. 53-60.

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32 M. Schmidt-Neke

Z eitschrift ‫ ״‬Gespräche in dem Reiche derer Todten“ , von der 240 Ausgaben
erschienen.
Faßmann belebte hierin eine alte Literaturgattung neu. D er griechisch-syrische
S atiriker Lukian von Samosata hatte in den ‫״‬Totengesprächen“ (N expioi
A iá X o yo i) und verwandten Schriften Mißstände seiner Z e it satirisch aufgespießt,
in denen er Tote in 30 kurzen Dialogszenen, die in der U nterw elt spielen, über
derartige Themen reden ließ21. Neben Typen (Philosoph, Soldat etc.) und
U nterw eltgottheiten (Herm es, Charon) ließ Lukian historische Tote (Diogenes,
M enippos, A lexander der Große, Scipio) und mythologische Gestalten (Herakles,
A chilleus, Tantalos) diskutieren.
Das ‫״‬Totengespräch“ lebt in der Renaissance und im Barock vereinzelt wieder
auf22, doch gelten zwei Franzosen als die eigentlichen V äter des neuzeitlichen
Dialogs in der U nterw elt. W ährend Fénélon als Lehrer des jungen Herzogs von
Burgund in didaktischer und pädagogischer Absicht berühmte Tote über die
Tugenden eines Herrschers debattieren ließ23, knüpfte Bem ard le Bouvier de
Fontenelle in seinen ‫ ״‬Dialogues des morts“ von 1683 erklärtermaßen an Lukian
an24.
Fontenelles W erk regte Faßmann nach dessen eigenen Angaben zur Heraus-
gäbe seiner ‫ ״‬Gespräche“ an, doch einen nachhaltigen E influß hat der Franzose auf
den deutschen A u to r nicht ausgeübt25.
Aus den kurzen Szenen Lukians und Fontenelles werden bei Faßmann 70-8üsei-
tige Begegnungsprotokolle, in einigen Fällen erstrecken sie sich über mehrere
Ausgaben auf 150-230 Seiten26.
1722 erscheint als 48. Ausgabe:
Gespräche/In/Dem Reiche derer Todten,/A cht und Viertzigste E ntrevüe,/Z w i-
schen/Dem grossen Orientalischen Monarchen,/C yro ,/Und/Dem w eltberühm ten,
starcken und/tapfern/Scanderbeg,/König und Hertzog von Albanien/und E p iro ,/
W orinnen die vortrefflich e H istorie beyder grossen/Printzen, Ih r erstaunenswür-
diges G lücke und Thaten, wie / auch sonst viele extraordinaire Begebenheiten /
enthalten./ Samt dem Kern derer neuesten M erckw ürdigkeiten, und da rü = / ber
gemachten curieusen R eflexionen./ Leipzig, bey denen Cörnerischen Erben auf
dem Neuen N e u -M a rckt,/ A n . 1722.27 1724 gab es eine zweite Auflage m it der
neuen Verlagsadresse ‫ ״‬in der Grimmischen Gasse unter / Hr.Joh.Schwabens
Hause“ .
W ie in jedem H e ft zeigt ein Stich die beiden Gesprächspartner. D e r Perserkönig
trägt eine A r t T urban, einen langen pelzbesetzten Umhang und eine A r t Tunika.
E in kleiner Junge hält einen Sonnenschirm über ihn. Skanderbeg trägt hingegen
kriegerische K leidung, die römischen V orbildern nachempfunden ist, dazu eine

21 L u kia n . Übers, von Ch. M . W ieland. B e rlin , W eim ar 1981, Bd. 1, S. 362-421.
22 R utledge, J.: The D ialogue o f lhe Dead in Eighleenth-C entury Germ any. Bern und F rankfurt 1974
(G erm an Studios in A m erica 17). S. 22-24.
23 vgl. K indlers L ite ra tu rle x ik o n . M ünchen 1974. Bd. 7. S. 2649f.
24 ebd., S. 2649.
25 Lindenberg (A n m . 16). S. 89-92.
26 2. В. Entrevue 54/55 (Tam erlan und A ttila ) oder Entrevue 154-156 (Augustus und Sokrates).
27 im folgenden CS. A ls letzte N um m er des d ritte n Bandes umfaßt das H e ft die Seiten 1155-123(). ohne das
T ite lb la tt und die Illu s tra tio n .

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 33

phrygische M ütze. D er lange B art, der auch im T ext erwähnt w ird, gehört zu den
üblichen ikonographischen A ttrib u te n , doch fehlt der legendäre H elm m it dem
Ziegenkopf. Das M ilitärische w ird dadurch betont, daß er in der rechten Hand
einen Säbel hält, dessen Schneide gegen Cyrus gerichtet ist; doch gleichzeitig
wendet er sich von diesem ab, so daß die Geste nicht als A ttacke auf den persischen
Herrscher mißzuverstehen ist. D ie beiden stehen in einer bewaldeten Landschaft,
im H intergrund sind Häuser und eine Festungsanlage zu erkennen. D ire k t hinter
den beiden Männern stehen ein Kamel und ein E lefant, doch beide in den
Ausmaßen eines großen Hundes. E in Spruchband über ihren Köpfen lautet:
‫ ״‬W ohl dem welchem der H im m el günstig ist.“ U n te r dem B ild findet sich der
übliche Vers:
‫ ״‬Wen G o tt und Glücke sucht wie Cyrum zu erhöhen.
Den stürzt der Menschen Haß und Boßheit nim m erm ehr,
Und w er m it starcken A rm soll zum M iracul stehen,
erlangt m it Scanderbeg bei Freund und Feinden E h r.“
Das B ild enthält die Elemente, die das ganze Gespräch charakterisieren: das
Orientalische als Verbindung und den Gegensatz zwischen dem zivilen und dem
kriegerischen Fürsten als Spannungsmoment zwischen den beiden D ia lo g p a rt‫־‬
nern2*.

IV. Das Vorspiel

D er A ufbau entspricht dem üblichen konsequent durchgehaltenen Schema, das in


den 22 Jahren des Erscheinens dieser Z e itschrift praktisch unverändert blieb29.
Das Gespräch w ird durch wenige Sätze eingeleitet; Cyrus sucht eine ‫ ״‬lange und
breite Wiese“ auf, wo die verstorbenen Helden ihresgleichen treffen können.
D am it ist der O rt der Handlung bereits charakterisiert; weitere Beschreibungen
folgen nicht. Faßmanns Totenreich entspricht weder dem Reich der Schatten aus
dem antiken M ythos, obwohl Charon die Toten aus dem Diesseits herbeitranspor-
tie rt30, noch den christlichen Vorstellungen von Paradies, Fegefeuer und H ölle.
N ur ausnahmsweise greift der A u to r auf Vorstellungen zurück, wonach ein böses
Leben dazu verdam m t, bis zum jüngsten Tag in der H ölle Qualen zu erdulden; er
konfro ntie rt den ‫ ״‬Kayser von Marocco, M uley Ismael, einen erschrecklichen
Tyrannen“ m it ‫ ״‬Ernesto, dem fromen und gottesfürchtigen Hertzog zu Sachsen-
G otha“ , um zwei Extrem fälle des guten und des schlechten Herrschers vorzufüh-
ren?I. Eine nicht genannte A u to ritä t weist den neu angekommenen Verstorbenen
eine W ohnung zu; diese Entscheidung gilt bis zum jüngsten G ericht. Diese
Wohnsitze richten sich meist nach dem Rang, den Lebensumständen und auch der
Religion des Toten und sind fast im m er irdischen Landschaften und Häusern
nachgebildet32. Sie sind nicht an ihre W ohnung gebunden, sondern können sich im

‫ ע‬Diese Beschreibung bezieht sich auf den Stich der 2. A uflage.


29 Lindenberg (A n m . 16). S. 88f.
30 vgl. 7. Entrevue (P atku l/G ö rtz).
11 45. E ntrevue; vgl. Lindenberg (A n m . 16). S. 96-98.
‫ מ‬Lindenberg (A n m . 16). S. 95-98. Die Illustrationen zeigen gepflegte Parklandschaften. G ä rte n . Schlösser

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34 M. Schmidt-Neke

allgemeinen frei bewegen, sich besuchen oder T re ffp u n kte wie die hier genannte
Wiese aufsuchen.
A u f dieser Wiese geht Cyrus spazieren, der als literarisches Thema durch
Madeleine und Georges de Scudéry entdeckt worden war; sie hatten 1649-1653
den Schlüsselroman ‫ ״‬Artam enes oder D e r große Cyrus“ in zehn Bänden veröf-
fe n tlich t; Cyrus steht dabei fü r den Führer der Fronde, Louis II. Fürst Condé33.
H ie r tr ifft er eine Person m it einem ‫ ״‬greulich grossen B a rth “ , an dessen ‫ ״‬noblem
Ansehen” er einen Helden erkennt und ihn anspricht, er stünde sicherlich im
‫ ״‬H eldenregister“ . D e r Angesprochene bestätigt dies und fügt hinzu, er sei auch im
‫ ״‬Stamm-Buch derer Fürsten“ verzeichnet; der Frager stünde wohl im ‫ ״‬M onar-
chen-Register“ . Cyrus stellt sich nun als Begründer der persischen M onarchie vor,
sein neuer Bekannter als ‫ ״‬Scanderbeg, ein Griechischer P rintz, K önig und
Hertzog von A lbanien und E p iro “ 34. D ie Unsicherheit über Land und T ite l löst
Faßmann durch ein solches Sammelsurium. A lbanien und Epirus werden (nicht
nur hier) als Teile Griechenlands aufgefaßt. Barletius hatte Skanderbeg »ф
als
‫ ״‬E pirotarum Princeps“ bezeichnet, woraus bei seinem ersten deutschen Uberset-
zer Pinicianus ‫ ״‬H ertzog in E piro und A lb a n ie n “ geworden w ar35. Schon frühere
A uto re n hatten daraus einen K önigstitel gemacht, u. a. Scudéry. A n diese, in
möglichst gestelzten Sätzen absolvierte V orstellung schließt sich ein D ialog an.
Cyrus erweist sich als gut in fo rm ie rt über Skanderbegs H eldentaten; er läßt sich
den von Barletius36 übernommenen Heldentopos, wonach Skanderbeg das B lut
aus den Lippen gesprungen sei, wenn er in Z o rn geraten sei, bestätigen, und
Skanderbeg antw ortet schon leicht karikaturistisch, es sei ihm sogar aus den
Augen gespritzt. Nachdem er Cyrus versichert hat, er habe eigenhändig über 2000
Türken erlegt und hätte sie aus Europa vertrieben, wenn er nur mehr Land und
größere Truppen besessen hätte, wechselt er schlagartig das Thema. E r fragt,
warum orientalische Herrscher sich m it Eunuchen umgäben. Cyrus klärt ihn
darüber auf, daß derartige M änner am loyalsten seien, weil sie weder durch T rieb
noch Fam ilienrücksichten abgelenkt würden, was eben nicht nur fü r die Harems-
Wächter gelte. W ährend Skanderbeg sein bei Barletius363 betontes Desinteresse an
Sexualität betont und die Anwesenheit von Frauen beim H eer fü r schädlich hält,
verm utet er doch etwas mehr als bloße ‫ ״‬W o llu st“ in der E inrichtung des Harems.
Cyrus begründet die Polygamie m it der N otw endigkeit fü r einen Herrscher,
möglichst viele M achtpositionen m it eigenen Söhnen oder Schwiegersöhnen zu
besetzen. Skanderbeg hält den Glauben an die besondere L o ya litä t eigener K inder
fü r eine Illusion. Dann wechselt er erneut das Thema und w ill wissen, was Cyrus
von den derzeitigen europäischen Trachten halte; Cyrus bevorzugt die lange
orientalische K leidung, die körperliche Mängel verberge37.

•‫י‬-‫י‬ K in d le r (A n m . 23), Bd. 4, S. 1187f.


14 CS. S. 1155.
vgl. die T ite l von B arletius 1743 und B arletius 1577.
* B arletius 1743, S. 229; 1577, S. 98v.
B arletius 1743, S. 251; 1577, S. 107v.

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>0063480

Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 35

Dieses ‫ ״‬V orspiel“ m otiviert m it der Auswahl der Themen (T ürkenkrieg,


Eunuchen, H arem , Trachten) die von Faßmann gewählte K om bination. Im
Gesamtkanon der ‫ ״‬Gespräche” ist die K om bination Cyrus/Skanderbeg eine der
räum lich und zeitlich entferntesten; eine Distanz von ca. 2000 Jahren kom m t sonst
nicht mehr vor. D er vordergründige Zusammenhang w ird durch das Stichwort
‫ ״‬O rie n t“ hergestellt; Cyrus w ird im T ite l und in den Einleitungssätzen nicht als
‫ ״‬persischer", sondern als ‫ ״‬orientalischer“ M onarch vorgestellt. Faßmann läßt
seine Protagonisten in diesem ‫ ״‬V orspiel“ populäre Assoziationen abspulen, die
m it dem übergeordneten Stichw ort verbunden sind.

V. Die Lebensbeschreibungen

A n das ‫ ״‬V orspiel“ schließen sich die Lebensbeschreibungen der Gesprächspart-


ner an. Cyrus geht ebenso un m o tivie rt, wie bisher Skanderbeg die Gesprächsthe-
men eingeführt hatte, zur Erzählung seines Lebens über3*. Daß sich das, was Cyrus
über die Geschichte seines Lebens zu berichten weiß, auf den Bericht im ersten
Buch von Herodots Geschichtswerk und auf Xenophons ‫ ״‬Erziehung des K yros“
stützt, ist nicht anders zu erwarten. Doch leistet Faßmann kaum m ehr, als die
Darstellung Herodots in die chronologische Reihenfolge zu bringen, die durch die
Kroisos-ErzählungM gestört ist, und sie m it Versatzstücken aus Xenophon zu
kom pilieren; den Gang der Lebensbeschreibung entnim m t er, teils zusammenfas-
send, teils w örtlich abschreibend, H e rodo t, die A nekdoten der Kyroupädie. Das
bei Xenophon stattfindende Lehrgespräch zwischen Cyrus und seinem V ater
Kambyses40 w ird verkürzt auf einige G rundregeln der H eerführung unter Verzicht
auf die politisch-philosophischen Aspekte des O riginals. Xenophons Schilderung
des vertraulichen Umgangs, den Cyrus m it seinen Soldaten pflegte41, gibt Skander-
beg Gelegenheit zu einer ersten Intervention; Fürsorge und Liebe des Feldherrn
fü r seine Soldaten hätte er nie zu ‫ ״‬einer allzugroßen F a m iliarité“ ausarten lassen.
Cyrus m eint, die V ertraulichkeit untergrabe die D isziplin nicht, sondern stärke
sie; die emotionale Bindung der Soldaten an ihren Feldherrn erhöhe ihren
Kampfgeist. Zum Beleg verweist er auf einen noch lebenden Fürsten, der es gern
habe, von seinen Soldaten m it ‫ ״‬V a te r“ , ‫ ״‬Papa“ und ‫ ״‬D u “ angeredet zu werden;
selbst freche Reden bewährter Soldaten lasse er ungestraft durchgehen. (Diese
Anspielung g ilt wohl dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau.) Doch meint
Cyrus auch, daß es von der persönlichen Veranlagung abhinge, ob sich ein
Befehlshaber eine solche ‫ ״‬F a m iliarité“ m it seinen Soldaten leisten könne, ohne
seine A u to ritä t zu ruinieren42.
Die Lebensbeschreibung hält sich dann wieder abwechselnd an die beiden
griechischen Vorlagen, bis zur Eroberung Babylons, wo Faßmann auf die Bibel
zurückgreift4'. Cyrus erlaubt den Juden die H eim kehr aus der Babylonischen

w cs, s. 1159-11x4.
39 H erodot I. 75-91.
40 Xenophon, K yroupädie, I 6.
41 Xenophon, K yroupädie. II 1.
42 CS, S. 1167/68.
4:1 Esra, D a niel, Jesaia.

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36 M. Schmidt-Neke

Gefangenschaft und gestattet den W iederaufbau des Tempels von Jerusalem, wie
es der Prophet Jesaja vorausgesagt habe; der Prophet D aniel bleibt als hoher
Beamter an seinem H o f. Skanderbeg unterbricht ihn m it der Frage, in welchem
K apitel des Jesaja diese Prophezeiung stehe; als Cyrus sich verw undert zeigt,
gesteht er ihm , nie in der Bibel gelesen zu haben, da zu seiner Z e it ‫ ״‬die Bibel unter
der Banck stack“ , wie auch viele gute Christen niemals eine Bibel gesehen hätten,
geschweige denn die Fundstelle von Z ita ten wüßten44. Das C hristentum sei ihm
durch K irche und G eistlichkeit sowie durch seine E ltern ve rm itte lt worden. Cyrus
glänzt durch bessere Bibelkenntnis. E r weiß die auf ihn bezogene Prophezeiung
nicht nur auf Buch, K apitel und Vers45 anzugeben; er zitie rt die Stelle auswendig46.
Dann fä h rt er parallel zu Xenophon47 m it der Schilderung des Hofes fo rt, handelt
das Thema der Sparsamkeit ab. D ie Schilderung seines Endes schöpft Faßmann
gleichzeitig aus H e rodo t, der ihn im K rieg gegen die Massageten umkommen
läßt4*, und Xenophon, der ihn friedlich im B ett sterben läßt44. E r übernim m t
H erodots Erzählung über die Kämpfe m it den Massageten, läßt ihn aber auf dem
Rückzug sterben. H erodots Darstellung, die K önigin Tom yris habe seinen K o p f in
einen Schlauch vo ll B lu t geworfen, dam it er seinen B lutdurst stillen könne, w ird
von Cyrus als D ichtung desavouiert. Diese Fassung w ird auch noch durch ein
Gedicht ‫ ״‬eines gewissen Poeten“ illu s trie rt, das Cyrus als Tyrannen bezeichnet,
was dieser nicht auf sich sitzen läßt. E r schließt m it der Geschichte seines Sohnes
Kambyses und gibt Skanderbeg Gelegenheit, über mißratene K inder anständiger
V äter zu klagen und nochmals Cyrus’ Bibelfestigkeit zu provozieren, indem er ihn
fragt, wieso er als Heide in der Bibel als Knecht G ottes bezeichnet w ürde; Cyrus
ergänzt das Jesaja-Zitat, wonach G o tt sich seine Werkzeuge frei auswählt50.
Nun beginnt Skanderbeg seine Lebensbeschreibung m it der W iederholung der
Behauptung, er hätte gegen die Türken Entscheidendes ausrichten können, ‫ ״‬wäre
nur mein Land und Macht so groß als mein Gemüthe gewesen“ 51. W ährend
Faßmann fü r Cyrus zwei Q uellen zur Verfügung standen, die er auswerten konnte
und auch mußte, wenn er seine sachkundigen Leser nicht enttäuschen und Wasser
auf die M ühlen seiner zahlreichen K ritik e r52 lenken w ollte , so gab es fü r Skander-
beg nur eine Vorlage, die auf Latein und Deutsch verfügbar war, nämlich die
Biographie des Barletius. Diese exzerpiert Faßmann über die 31 Seiten hinweg53.
Cyrus ist ein geduldigerer Z uhörer als Skanderbeg und unterbricht ihn kein
einziges M al.

*• cs. s. 1176.
4‫י־‬ Jesaja 45, 1-7 und 13/14.
*‫־‬ CS. S. 1177.
47 X enophon. K vroupädie V II и. V I I I .
4,1 H erodot I. 21І-214.
44 Xenophon. K yrou pädic V I I I , 7.
50 Jesaja 45. 9/1«.
51 CS. S. 1184.
‫מ‬ s. Rutledge (A n m . 22). S. 31 f.
53 CS. S. 1184-1215.

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch‘m 37

Konkordanz Faßmann - Barletius

Handlungselement CS Barletius Barletius


1577 1743

H e rk u n ft, G eburt, Vorzeichen 1184/85 lr /v 1/2


A usbildung als Geisel am Sultanshof 1185 2r/v 2/4
Erste Kriegstaten 1185/86 2v/3r 4/5
K a m p f m it dem Tataren 1186 3r/v 5/6
K a m p f m it den zwei Persern 1186/87 3v/4r 6/7
Schonung der Christen 1187 4v 7/8
T od des Johannes Castriotus, E rm or-
dung von Skanderbegs B rüdern, schein-
barer Verzicht Skanderbegs auf sein
Erbe 1187/88 4v/5r 8/9
Intrigen und neue M ordpläne des Sultans
und des Hofes 1188 5r/v 9/11
Entschluß zur Flucht 1188 6r 11
Ungarische O ffensive; Skanderbeg läßt
H unyadi siegen und flieht 1188/89 6v/7r 12/13
Einnahme Krujas; Erm ordung der tü rk i-
sehen Beamten 1189/90 7r/9r 13/17
E tablierung von Skanderbegs H err-
schaft, V orbereitung zur Verteidigung,
E rm ordung der Türken 1190 9r/v 17/18
Rekonversion, Schutz einer Festung
(Sfetigrad) 1190/91 13v 27/28
M urats Pläne gegen Skanderbeg 1191 14r/15v 28-31
Skanderbegs Fahne; die A llia n z von
Lezhë 1191 15v/16r 31-33
K am pf von 15000 A lbanern gegen 40000 19v/20r u. 41-43 u.
Türken 1191/92 22r/23v 47-50
Briefwechsel Murats und Skanderbegs 1192-1194 28v-30v 61-66
Krieg und Niederlage der Ungarn gegen
die Türken 1194/95 23v-27r 51-60
Lecha Duchaino (L e k D uka gjini) erm or-
t
det Zecha Zacharias (L ek Zaharja); E rb-
streit zwischen Venedig und Skanderbeg 1195/96 32v-37r 72-82
Neuer türkischer A n g riff;
Paulus Manessius besiegt seinen tü rk i-
sehen Herausforderer 1196/97 4 lr/v 91/92
Sieg über die Türken 1197 41v-42v 93-95
Friedensschluß m it Venedig 1197 42v-44r 95-97
Beutezüge Skanderbegs lösen Großan-
g riff M urats aus; Kämpfe 1197/98 4 4 rff. 98 ff.

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38 M. Schmidt-Neke

Handlungselement CS Barletius Barletius


1577 1743

Feribassa fo rd e rt Skanderbeg zum


K am pf heraus und fä llt; Niederlage der
Türken 1199 56v-58r 130-133
Sfetigrad fä llt durch V errat 1199 59r-62r 135-141
Heiratspläne Skanderbegs aufgescho-
ben; Belagerung Sfetigrads abgebro-
chen; Bündnisse m it Fürsten und Ve-
nedig 1200 64r-68r 145-156
M urat belagert das von Vranaconti ver-
teidigte K ru ja ; Skanderbeg greift von
außen an; immense Verluste der Türken 1200-1202 68r-76v 156-178
M urats Bestechungsversuch von den
V erteidigern abgelehnt 1202/03 76v-78r 178-181
Friedensangebot und Tod M urats II. 1203 78r-80v 181-189
M ehmet II. zieht nach A drianopel;
Skanderbeg residiert in K ru ja , heiratet
D onika A ria n iti und baut die Festung
Modrissus 1203/04 80v-85v 189-197
Kämpfe gegen Mehmets Kommandeure
Amesa und Debreas 1204 87r-90v 201-209
Skanderbeg schlichtet einen Streit um
das Lösegeld fü r einen Türken 1204/05 90v-91r 209-210
Beginnender V errat des Moses; H ilfe
von A lfon s von Neapel 1205 91v-93v 211-216
Niederlage bei Berat gegen Sebalias 1205/06 94v-99r 219-230
Skanderbegs Heldentaten im K am pf 1206/07 99r-100v 230-233
Desertion des Moses 1207 l(X)v-101v 233-236
Fall Konstantinopels; Beisetzung der To-
ten von Berat 1207/08 Ю Іѵ-Ю Зг 236-240
Moses käm pft erfolglos gegen Skander-
beg, fä llt in Ungnade und kehrt zurück zu
Skanderbeg 1208/09 103r-107r 240-250
Desertion eines Vetters (Am esa), der
zum K önig proklam iert w ird 1209 107v-112v 251-264
Vernichtung der türkischen Arm ee 1209/10 112v-l15v 264-273
Friedensverhandlungen; Herrscherwech-
sei in Neapel; Skanderbeg rettet Ferdi-
nands T h ro n ; kehrt nach neuem tü rki-
schem A n g riff heim; neue Siege 1210/11 П б г - ІЗ Іг 273-311
Neue Friedensverhandlungen und Frie-
densschluß 1211 131r-132v 311-313
Skanderbeg bricht den Frieden als Ver-
bündeter Venedigs und des Papstes 1211 132v-138v 313-331

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 39

Handlungselement CS Barletius Barletius


1577 1743

M ehrere Siege; Kämpfe m it Ballaban u.


Jakub 1211/12 138v-146v 331-352
M ehm et fü h rt ein neues Heer, w ill Skan-
derbeg ermorden lassen 1213 147r-149r 352-357
Skanderbeg bittet den Papst um H ilfe 1213 149r-150r 357-360
Niederlage und Tod Ballabans 1213 150r-151v 360-363
Neuer A n g riff Mehmets scheitert 1213/14 152r-152v 364
Skanderbeg erkrankt, setzt Venedig als
V orm und seines Sohnes ein, w ill einen
erneuten A n g riff abwehren, stirbt aber 1214/15 153-155r 366-372
Lecha Duchamus (L e k D ukagjini) be-
klagt seinen Tod als Ende von Albaniens
Freiheit; die Türken fertigen A m ulette
aus seinen Gebeinen 1215 155r 372-373

D ie Konkordanz zeigt, daß die Erzählung Skanderbegs kaum m ehr als eine
Epitom e der klassischen Vorlage ist. Dabei entkom pliziert Faßmann das ja nun
w irklich panegyrische B ild , das Barletius von Skanderbeg zeichnet, noch weiter.
E r erwähnt zwar die Erm ordung des Sekretärs und des türkischen Gouverneurs
von K ruja , läßt aber die breite Schilderung von der Einnahme Krujas, bei der alle
Türken vor die A lternative der Zwangsbekehrung zum C hristentum oder des
sofortigen Todes gestellt wurden, beiseite54, - Vorgänge, die in vielen Bearbeitun-
gen als dunkle Flecken auf dem strahlenden B ild Skanderbegs erscheinen55. Die
sich ständig wiederholenden Beschreibungen von Schlachten und Belagerungen
faßt er zusammen und generalisiert, indem er O rts- und Personennamen sowie
Daten wegläßt56.
Das Bündnis von Lezhë w ird auf einen Halbsatz verkürzt57. A uch die zu
Barletius’ rhetorischer Biographie gehörenden langen Reden entfallen. Neben-
handlungen wie Skanderbegs erfolgloses Bündnis m it K önig Ladislaus von Ungarn
bleiben unbehandelt58, nur die Niederlage der Ungarn w ird erw ähnt59. Je w eiter die
Erzählung voranschreitet, desto summarischer faßt der A u to r seine Vorlage
zusammen: Die ersten zehn Seiten bei Faßmann entsprechen ca. 30 Doppelseiten
in Barletius 1577, die zweiten und dritten zehn Seiten jeweils ca. 60 Doppelseiten
der Quelle.
Faßmann reduziert einerseits die Handlung völlig auf Skanderbegs Leben.
Andere Personen werden nur dann erwähnt, wenn sie fü r das Verständnis

M CS, S. U 8 9 f.
s5 s. z. B. Lo ngfellow , H . W .: Tales o f a Wayside In n , Part I I I , Spanish Jew’s Second Tale: Scanderbcg.
56 z. B. CS, S. 119() f., was Barletius 1577. S. 13v aufgreift und somit S. 10ѵ-13г zusammenfaßt.
57 ГЧ S 11QI
* Barletius 1577, S. 23v-27r.
I
54 CS. S. 1194f.
(

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40 M. Schmidt-Neke

unerläßlich sind. Im übrigen ist ih r Schicksal uninteressant. So taucht Lek


D uka gjini zweimal auf: als M örder des Lek Zaharja und dam it als Verursacher des
Krieges zwischen Venedig und Skanderbeg und schließlich als derjenige, der
voraussagt, daß Skanderbegs Tod das Ende des albanischen Widerstandes
bedeute60. W ährend Barletius den Namen bei beiden Erwähnungen im m erhin fast
identisch wiedergibt (1577: Leccha Duchainus/Leccha Duchaginus; 1743: Leccha
Duchainus/Lechas Duchaginus), ist die Id e n titä t bei Faßmann nicht mehr feststell-
bar: Im ersten Fall heißt er Lecha D uchaino (in Verwechslung des lateinischen
A b la tivs m it der N om inativendung), im zweiten Lecha Duchamus. Lek Zaharjas
Vornam e w ird gar zu Zecha abgeändert.
Für eine literarische Behandlung wäre das Schicksal der beiden V erräter M oisi
G olem i und Hamza K astrioti ein attraktives Thema gewesen, doch Faßmann läßt
M oisi G olem i lediglich enttäuscht und reum ütig zurückkehren und von Skander-
beg in Gnaden aufgenommen werden. Hamza w ird als Gefangener nach Neapel
geschickt. Die bei Barletius angedeuteten bündnispolitischen K o n flik te entfallen.
Sowohl der beschränkte Um fang, der fü r die Lebensgeschichte zur Verfügung
steht, als auch der fiktiv-autobiographische C harakter machen diese Reduktionen
qu an titativ wie qualitativ erforderlich. A u f der anderen Seite leistet Faßmann
gerade nicht, was diese Form nahelegt: nämlich den äußeren A b la u f der Ereig-
nisse durch eine persönliche Perspektive und innere M otivationen zu ergänzen. So
aber berichtet Skanderbeg über die H öhepunkte seines Lebens als P olitiker und
H eerführer m it der gleichen Distanz wie über Ereignisse, die sich nach seinem
Tode zugetragen haben. Durch rhetorische Elem ente, die eine karikaturistische
Note in das B ild Skanderbegs bringen, erzielt Faßmann eine größere Distanz;
Skanderbeg ist fü r ihn eine positive historische Persönlichkeit, doch keineswegs
der Heros im Sinne des Barletius.

VI. Die Nachrichten

A n die beiden Lebensbeschreibungen, die den Kern jeder ‫ ״‬E ntrevue" bilden,
schließt sich das Nachspiel an, dessen A ufbau ähnlich standardisiert ist. Cyrus
bescheinigt seinem Gesprächspartner, daß man nur m it ‫ ״‬Verwunderung und
Erstaunen" seiner Erzählung habe zuhören können; nun wollten sie sich die
aktuellen Neuigkeiten anhören und kom m entieren.
A u f diese A ufford eru ng hin erscheint wie stets nach den Lebensbeschreibungen
der ‫ ״‬Secretarius“ , dem M e rku r zu diesem Zw eck die neuesten Zeitungen überge-
ben hat, wie die 1. Entrevue noch ausdrücklich sagt. Die Existenz eines Nachrich-
tenwesens, auch von Büchern und Z e itschriften, im Totenreich beantwortet auch
die Frage, wieso sich längst Verstorbene so hervorragend über Dinge info rm ie rt
zeigen, die räum lich und zeitlich außerhalb ihres diesseitigen Erfahrungshorizonts
liegen.
In unserem Falle verliest der Secretarius 13 Nachrichten aus P olitik und
Gesellschaft, die jeweils zunächst von Cyrus, dann von Skanderbeg diskutiert und

CS. S. 1195. 1215.

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‫ו‬
Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 41

dabei meist auf eine allgemeine Ebene gehoben werden61. Folgende Themen
werden erörtert:
1) N achricht: Ein ansonsten gut beleumdeter M a jor tötet im Streit seinen
Bruder und w ird hingerichtet.
Cyrus: Z orn ist das V orrecht G ottes und derer, die er m it ‫ ״‬göttlichem
Z o rn “ begabt wie Skanderbeg gegen die Türken; bei allen
anderen ist er zerstörerisch und selbstzerstörerisch.
Skanderbeg: M ajore sind normalerweise bei ihren Soldaten verhaßt; dieser
ist also eine glückliche Ausnahme.
2) N achricht: D ie Beschreibung der kostbaren Puppe, die die französische
Regentin ( = die Frau des Regenten Herzog Philipp II. von
Orléans, Françoise-Marie) der jungen Königin ( = die m inder-
jährige spanische In fa n tin und kurzzeitige V erlobte Lud-
wigs X V ., M arie A nne V icto ire ) geschenkt hat.
Cyrus: Königskinder haben dieselben Schwächen wie alle K inder.
Skanderbeg: Auch ‫ ״‬erwachsene Jungfern“ spielen zu ihrer Schande m it
Puppen.
3) Nachricht: Eine Pariser Kirche muß wegen der Besudelung des A lta rs m it
Exkrementen durch einen Unbekannten neu geweiht werden.
Cyrus: N ur ein Monstrum kann so etwas tun.
Skanderbeg: D er Täter muß verbrannt werden.
4) Nachricht: D er holländische Botschafter lädt Ludwig X V . zu einem
Besuch Hollands ein, sofern er nicht m it so großem Gefolge wie
Ludwig X IV . käme.
Cyrus: Gemeint ist die Invasion m it einer 100000-Mann-Armee.
Skanderbeg: Französische Könige besuchen andere Länder nur in kriegeri-
scher Absicht.
5) Nachricht: Sturz des Gouverneurs des Königs, Marschall V ille ro y.
Cyrus: E r war dem Regenten zu mächtig geworden; Cyrus steuert
eigene Inform ationen bei-.
Skanderbeg: W eitere Details. V ille ro y ist alt genug, um sich zur Ruhe zu
setzen; seine A m tsführung als Gouverneur war untadelig.
6) Nachricht: V illeroys Nachfolger Charost. Politische Ausbildung des jun -
gen Königs durch Orléans und M inister Kardinal du Bois.
Cyrus: Interesse an diplomatischen Geheimnissen.
Skanderbeg: Politische Maximen der Staatsräson sind sicher nicht m it b ib li-
sehen Grundsätzen vereinbar.
7) Nachricht: D er Prokurator der Pariser Kartäuser ist m it 150000 Livres
unterschlagenem Ordensvermögen nach England geflohen.
D er Regent lehnt es ab, die Auslieferung zu verlangen.
Cyrus: Wahrscheinlich w ill der Kartäuser Protestant werden, um
heiraten zu können.
Skanderbeg: Es gibt viele Beispiele fü r ‫ ״‬leichtfertige Schälcke“ in der
Mönchskutte.

M cs. s. 1215- 123().

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42 Ai. Schmidt-Neke
_ ••
8) N achricht: D er Connetable Colonna stürzt bei der Überreichung eines
Schimmels an den Papst in Namen Neapels, ohne sich zu
verletzen.
Cyrus: N ur die Feinde Österreichs können aus einer solchen unwichti-
gen Begebenheit ein böses Omen konstruieren.
%%
Skanderbeg: Besonders fü r Spanien (das 1714 Neapel an Österreich verloren
hatte, d. V .) ist dies zu erwarten. Om ina können völlig kontro-
vers ausgelegt werden, z. B. der Fall W ilhelm s des Eroberers.
#%
Cyrus: D etails des Interessenausgleichs zwischen Österreich und dem
Papst wegen nicht e rfü llte r T ributpflichten Neapels an Rom.
•■
Skanderbeg: U nklarheiten der rechtlichen Situation; Österreich ist bei der
neapolitanischen Bevölkerung wenig beliebt.
9) Nachricht: D er 1653 m it 152 Jahren verstorbene Thomas Parr, der zehn
englische Könige erlebt hat, erhielt einen neuen Grabstein.
Cyrus: D enkw ürdigkeit eines solchen A lters.
Skanderbeg: Parr hat sogar 11 englische Könige einschließlich des exilierten
K arl I I . , erlebt.
(N .B .: Faßmanns Chronologie ist w irr. E rg ib t Parrs Lebensda-
ten m it 1483-1653 an. Wenn sein Gesamtalter 152 Jahre betrug,
müßte fü r 1653 1635 zu lesen sein. Dann aber wäre Karl II. kein
Zeitgenosse Parrs mehr gewesen. Solche plumpen und ganz
offensichtlichen Fehler machen deutlich, wie hastig und
unsorgfältig Faßmann sein M aterial kom pilieren mußte.)
10) Nachricht: D e ta illie rte Beschreibung der Beisetzungsfeierlichkeiten fü r
John C hurchill, Herzog von M arlborough.
Cyrus: D ie meisten englischen P olitiker waren sicher glücklich über
den Tod des Führers der ‫״‬strengen T o rris“ , der vom Königs-
haus über Whigs und ‫ ״‬moderate T o rris“ bis zum Bischof von
Rochester (Francis A tte rb u ry ) Feinde hinterließ.
Skanderbeg: Bezweifelt dies, da M arlborough wegen Krankheit und A lte r
schon lange keine Rolle mehr spielte.
Cyrus: Man wünscht seinen Feinden auch, wenn sie alt und schwach
sind, den Tod.
11) Nachricht: D e r erwähnte Bischof von Rochester w ird wenige Tage nach
der Beisetzung wegen seiner Verw icklung in eine Verschwö-
rung der Jakobiten verhaftet und im Tow er interniert.
Cyrus: Sein Sturz war schon lang überfällig.
Skanderbeg: D ie Jakobiten sind verblendet und sehen nicht, daß sie sich
durch Verschwörungen selbst schaden. E r wünscht, daß König
G eorg I. alle Verschwörungen aufdecken möge.
12) Nachricht: K önig Frederik und Königin U lrik e Eleonore von Schweden
bereisen Schonen. Eine Einladung des dänischen Königs leh-
nen sie ab und entsenden einige Generäle nach Kopenhagen.
Cyrus: D ie Freundschaft zwischen Schweden und Dänemark ist wich-
tig und erhaltenswert.
Skanderbeg: Beide Länder haben sich durch Kriege oft geschadet.
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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch “ 43

13) N achricht: Z a r Peter I. reist nach Astrachan, baut die Flotte aus und
empfängt einen Tatarenchan, der 103 Jahre alt ist.
Cyrus: Die Geographen müssen ihre fehlerhaften W erke über das
Kaspische Meer überarbeiten. Zu seiner Z e it lebten die Massa-
geten in der Gegend von Georgien. E r wünscht Peter mehr
G lück, als er selbst hatte.
Skanderbeg: Das wünscht er auch, doch ist der Ausgang solcher E xpeditio-
nen schwer vorauszusagen; die Russen können unvorhergese-
hene Probleme bekommen.
D am it verabschiedet er sich und beendet das Gespräch.

VII. Die Wirkung der ‫ ״‬Totengespräche“

Faßmanns ‫״‬Totengespräche“ sind in der L ite ra tu r auf sehr verschiedene Weisen


charakterisiert worden: ‫ ״‬M odeschriften“ . . . voll ‫ ״‬tiefster D evotion gegen die
Mächtigen der W e lt“ 62, ‫ ״‬feuilletonistisch und von jedem politischen Ehrgeiz
entfernt . . . ziemlich banales Zeug“ 63, ‫ ״‬auf (der) Grenze zwischen betont
unterhaltende(r) und politische(r) P ublizistik“ *4, ‫ ״‬eine A r t Enzyklopädie . . .
wußte geschickt U nterhaltung und Belehrung zu vereinigen . . . halb politische,
halb den Schundroman unserer Z e it ersetzende Z e itsch rift“ 65, ‫ ״‬ungewöhnlich
geschickt verkleidete K ritik an den herrschenden Zuständen . . . V o rb e re ite r der
politischen R e fo rm a rb e it. . . durch das Bürgertum “ 66; Käthe Kaschmieder sah sie
in dreifacher F unktion ‫״‬als Enzyklopädie . . . als Kulturgeschichte der Z e it . . .
als moralische W ochenschrift“ 67.
ln jedem Falle war diese Zeitschrift von Anfang an ein großer Publikum serfolg.
Bereits bei der Ankündigung des Registers zum ersten Band (also den Entrevuen
1-16) beschwerte sich Faßmann über mehrere Raubdrucke und wies darauf hin,
daß das Register fü r diese wegen ihrer anderen Paginierung unbrauchbar sei.
Schon nach wenigen Jahren setzten Im itationen, von denen sich Faßmann
distanzierte, und Parodien ein68.
Die Auflage soll durchschnittlich 3000 betragen haben6\ auch wurden die
meisten Num m ern sehr bald neu aufgelegt. Christian Daniel Schubart ließ (nicht
als einziger) Faßmann selbst in einem Totengespräch auftreten und schrieb:
‫ ״‬Faßmanns Todtengespräche waren die Lieblingsleserei der deutschen Fürsten,
M inister, Generale. Sie rumoren auch noch in den Wachtstuben. Sie las der Prälat
und der Dorfschulm eister, die M atrone und das Nähmädel m it gleichem Ent-
zücke n .“ 7()

62 Hirsch, T h .: Faßmann, D avid, in: Allgem eine Deutsche Biographie. Bd. 6, B erlin 1877, S. 58()f.
w E verth, E .: Die Ö ffe n tlich ke it in der A u ß e n p o litik von K arl V . bis Napoleon. Jena 1931, S. 265f.
M M ax, H .: Wesen und Gestalt der politischen Z e itsch rift. Essen 1942, S. 69.
65 d ’ Ester, K .: Faßmann, D avid, in: Handbuch der Zeitungswissenschaft. Hrsg. W . H eide. Bd. 1, Leipzig
194(). Sp. 973-976.
*‫י‬ Haacke. W .: D ie Z eitsch rift - Schrift der Z e it. Essen 1961, S. 4 3 f.
67 Kaschmieder, K .: D avid Faßmanns ‫ ״‬Gespräche im Reiche d e rT o te n " (1718-174()). Breslau (D iss.) 1934.
w Kaschmieder (A n m . 67), S. 65f.
m Lindenberg, L .: D avid Faßmann ( 1683-1744), in: Deutsche Publizisten des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg.
H .-D . Fischer, M ünchen. B erlin 1971, S. 96; Haacke (A n m . 66), S. 44.
70 zit. nach d'E ster (A n m . 65). Sp. 975.

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44 M. Schmidt-Neke

VIII. Faßmanns Auffassung von Skanderbeg

Diese enorme soziale B reitenw irkung der ‫ ״‬Totengespräche“ bedeutet für das
Skanderbeg-Thema, daß Faßmann hier gewiß den bedeutendsten Beitrag zur
Popularisierung von Skanderbegs Leben im 18. Jahrhundert und früher geschaffen
hat. E r gab auch einem breiten P ublikum , das nicht die finanziellen M öglichkeiten
zur Anschaffung einer Barletius-Ausgabe hatte und das auch vom Zeitaufwand
her weder in der Lage noch bereit gewesen wäre, sich in ein derart umfangreiches
Buch zu vertiefen, die M öglichkeit, sich erstens zu erschwinglichen Preisen,
zweitens in überschaubarem U m fang und drittens in unterhaltsamer, abwechs-
lungsreicher Form über Skanderbeg genauso wie über viel bekanntere und weit
unbekanntere Persönlichkeiten der Vergangenheit und der Zeitgeschichte zu
inform ieren.
W ir sahen am ‫ ״‬V orspiel“ , wie geschickt Faßmann den Erwartungen des
Publikum s entgegenkam und die beiden einander historisch denkbar fernstehen-
den Gesprächspartner zunächst einmal m it einer äußeren Klam m er, nämlich dem
Topos des O rients, m iteinander verband. D ie Lebensbeschreibungen liefern stark
reduzierte, aber darüber hinaus nicht wesentlich abgewandelte Zusammenfassun-
gen der klassischen Vorlagen, im Falle des Cyrus der W erke von Herodot und
Xenophon, im Falle Skanderbegs der Biographie des Barletius. In dieser Passage
jeder Entrevue bekom m t Faßmanns Z eitschrift m it ihren 240 Nummern in 15
Bänden sowie einem Ergänzungsband71 einer biographischen Enzyklopädie der
Weltgeschichte in der Tat sehr nahe. D ie Lebensbeschreibungen dienen ihm im
vorliegenden Fall aber auch dazu, dem historisch bewußten Leser auch eine innere
V erknüpfung der beiden Gesprächspartner zu liefern: Sie liegt in der bedingt
vergleichbaren politischen Situation beider. Cyrus' V ater Kambyses ist ‫ ״‬König in
Persien, oder vielm ehr, weil der Perser denen M edern zinnsbar worden waren,
(Astyages') Statthalter in Persien“ . Skanderbegs V ater ‫״‬Johannes Castriotus"
muß m it dem Sultan Frieden schließen m it dem Ergebnis, ‫ ״‬daß er das Türckische
Joch, als ein Vasall tragen . . . muste“ 72. Cyrus entgeht den Mordabsichten seines
Großvaters und wächst schließlich an dessen H o f auf. Skanderbeg kom m t als
Geisel im Rahmen der devçirme an M urats H o f nach Edirne. Cyrus hat ebenso wie
Skanderbeg m it seinem Monarchen eine Rechnung wegen dessen Mordplänen
gegen ihn zu begleichen. Beide kündigen ihm die Treue auf und setzen ihre
Interessen m ilitärisch durch. D am it sind w ir wieder bei der Frage, die Scudéry von
Skanderbeg bejahen ließ, die er selbst aber - m it der Ausnahme der Verteidigung
des Glaubens - s trik t verneinte: nämlich ob es Rechtfertigungsgründe fü r einen
Fürsten geben könne, ein Treueversprechen, das er einem anderen Fürsten gab,
zu brechen. Diese Frage w ird hier durch Cyrus und Skanderbeg durch ihren E rfolg
positiv beantw ortet; beide sind nicht nur moralisch und politisch, sondern daneben
auch religiös gerechtfertigt: Cyrus kann auf die Bibel als F reibrie f verweisen,
Skanderbeg als K äm pfer C hristi gegen die Ungläubigen. Doch ist der religiöse

71 Lindenberg (A n m . 16). S. 88.


72 CS, S. 1159. 1185.

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Skanderbeg in Faßmanns ‫ ״‬Totengespräch“ 45

A spekt fü r Faßmann, anders als fü r Scudéry, nicht die Hauptsache: Dies macht er
in der geradezu absurden Szene deutlich, in der der ‫ ״‬Heyde“ Cyrus auswendig aus
der Bibel zitiert wie ein D om prediger, der V erteidiger des Christentum s hingegen
den theologischen Offenbarungseid ablegen und zugeben muß, außer kirchlichen
Dogmen und frühkindlicher Belehrung durch seine E ltern keine tieferen Kennt-
nisse der von ihm m it dem Schwert verteidigten R eligion zu haben. Den
gegenteiligen Standpunkt ließ Faßmann schon früher zu W o rt kom men. Z . B.
äußerte Karl V . (als fre iw illig abgedankter Inhaber der höchsten Staatsgewalt)
gegenüber Franz 1., daß das ideale V erhältnis zwischen Fürst und U ntertanen das
des guten H irten und der Herde sei, daß aber die U ntertanen in jenem Falle ihrem
Fürsten Gehorsam schuldeten, ‫ ״‬wann es auch Nerones und Caligulae wären“ 73.
Die Kom m entierung der Nachrichten differenzieren das B ild der beiden
Diskutanten - jetzt nicht mehr historische Persönlichkeiten, sondern Sprachrohre
der Gegenwart - stärker. H ie r gewinnt Skanderbeg deutliche K onturen als
V e rtre te r einer starken O b rig ke it, die sich ihrer M achtm ittel bewußt ist und sie
auch einsetzt; er zeigt keine Neigung zu philosophischen Überlegungen, hat
Vorbehalte gegenüber klerikalen Einflüssen auf die P o litik , m ißtraut der katholi-
sehen Kirche und begegnet dem Aberglauben m it Rationalism us; Verschwen-
dungssucht der Fürstenhöfe hält er finanziell wie moralisch fü r abträglich. E r
unterstützt Georg I. gegen die katholischen Stuart-Prätendenten James Edward
und Charles Edward, sieht in Frankreich eine Bedrohung, tr itt fü r die Ansprüche
Habsburgs gegen Spanien ein, wünscht Frieden in N ordeuropa und betrachtet die
Eroberungszüge Peters I. m it M ißtrauen. Bündnistreue im internationalen
Bereich darf nicht einer Staatsraison zur Disposition gestellt werden.
Das B ild , das Faßmann von Cyrus zeichnet, weicht davon in einigen Punkten ab,
was besonders bei den Kom m entaren zu den ersten Nachrichten au ffä llt. Die
M eldung über den M a jor, der einen Totschlag an seinem B ruder begangen hat,
veranlaßt Cyrus zu einem moral-philosophischen Exkurs über den Jähzorn,
während Skanderbeg ganz pragmatisch die disziplinarischen Aufgaben der M ajore
und ihre daraus folgende U nbeliebtheit bei den Soldaten behandelt. M it fassungs-
losem Entsetzen reagiert der ‫ ״‬Heyde“ Cyrus auf die Pariser Kirchenschändung,
während Skanderbeg gleich grausamste Foltern und Todesarten fü r den Täter
vorschlägt. Doch soll dies nicht bedeuten, daß Cyrus einen weit- und lebensfrem-
den Herrschertyp verkörpern soll; deutlicher als Skanderbeg beweist er Sinn fü r
politische Intrigen. Sein Interesse fü r die Förderung der Wissenschaft, auch im
Zusammenhang m it Eroberungen, ist ausgeprägter als bei seinem Gesprächspart-
ner. Beide sind m ilitärisch an die Macht gekommen und führen zeitlebens K rieg,
doch besitzt Cyrus im Gegensatz zu Skanderbeg eine ausgeprägt zivile Dim ension.
Faßmanns politische G rundpositionen finden in den ‫ ״‬Totengesprächen“ ihren
Niederschlag, ohne daß man jede Äußerung eines D ialogpartners m it Faßmanns
eigenen Gedanken identifizieren dürfte. P rinzipiell war diese Form der Publizistik
«•
bestens dazu geeignet, die kritischen Überlegungen des A utors der Zensur und der
Justiz zu entziehen.

2 ‫יי‬. Entrevue S. 81: Lindenberg (A n m . 16). S. 133.

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46 M. Schmidt-Neke

E r war ein protestantischer Sachse, der lange Z e it im Dienst des preußischen


Königs stand. E r lehnt Frankreich als Bedrohung fü r den Protestantismus ab und
unterstützt sowohl den Kaiser als auch den sächsischen K urfürste n, die, obwohl
selbst K ath olike n, dem Protestantismus Schutz gewähren. Religiöse Toleranz
verbürge auch ein spannungsfreies Anwachsen von Reichen, w o fü r sowohl die
T ü rke i als auch England Beispiele seien, Spanien zeige hingegen, wie sich ein
großes Reich durch Verfolgungen selbst ruiniere. Einschränkungen solle es nur
bei der Zuwanderung von Konfessionsfremden geben. D er starke Staat, der
absolute M onarch, der m it B illig un g seiner loyalen U ntertanen aller Stände zum
allgemeinen W ohl herrscht, ist die Idealvorstellung71‫־‬. Sie ist nicht die R ealität, wie
ihm die alltägliche politische Gegenwart und Vergangenheit zeigt. Im K o n flik tfa ll
ergreift Faßmann meist die Partei des Fürsten (vgl. den K om m entar zur V er-
schwörung der Stuart und zahlreiche E ntrevuen). M itu n te r erlaubt es ihm der
R ü ckg riff auf historisch unum strittene Persönlichkeiten, Fälle zu konstruieren, wo ‫׳‬
der A ufstand gegen einen Herrscher legitim ist. Zw ei solcher Fälle finden sich im
D ialog zwischen Cyrus und Skanderbeg. Doch macht Faßmann dies noch längst
nicht zum A n w a lt des Rechts auf politischen W iderstand. Das prim äre Interesse
der D arstellung g ilt der U nterhaltung und Belehrung eines breiten Publikum s.
N icht sein Cyrus, aber noch viel weniger sein Skanderbeg sind Spiegelbilder eines
aufgeklärten M onarchen. D ie politischen Kom m entare, die Faßmann dem albani-
sehen Fürsten in den M und legt, stempeln ihn zum Absolutisten konservativsten
Schlages. D ie E ntw icklung vom Skanderbeg Scudérys zum Skanderbeg Faßmanns
fast 60 Jahre später ist noch nicht sehr weit vorangeschritten. Aus der allein
religiösen R echtfertigung der Illo y a litä t gegenüber dem Fürsten ist die A ne rken -
nung einer Vielzahl von M otivationen und Rechtfertigungen geworden. D er Weg
der Skanderbeg-Betrachtung vom V eteidiger des Christentum s zum historisch-
politischen Subjekt ist dam it im m erhin beschritten worden.

74 Lindenberg (A n m . 16), S. 130-135: d e ta illie rte r bei: D am berg. W .: D ie politische Aussage in den
Totengcsprächen D avid Faßmanns. M ünster (D iss.) 1952.
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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792

Peter B a rtl, München

Skanderbeg hatte 25 Jahre lang (1443-1468) dem türkischen V ordringen nach


Westen erfolgreich W iderstand geleistet. Sein K am pf, der im gesamten christli-
chen Europa Bewunderung erregte1, hatte die europäische Ö ffe n tlich ke it auf ein
V o lk aufmerksam gemacht, das man bisher kaum wahrgenommen hatte. Wenn es
später, im 16., 17. oder 18. Jahrhundert, darum ging, Bundesgenossen fü r den
T ürkenkam pf zu finden, dachte man im m er auch an die A lbaner, auf deren
m ilitärische Tüchtigkeit man sich glaubte verlassen zu können. Päpste, Kaiser,
Könige und kleinere europäische Herrscher planten sie in ihre Türkenkriegsstrate-
gie ein, und sie wurden dabei auch im m er wieder durch Meldungen bestärkt, daß
man in A lbanien zum Aufstand gegen die Türken bereit war2.
In der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts stellten die Türken nun allerdings
keine G efahr mehr fü r Europa dar. Sie hatten durch die Türkenkriege des Kaisers
und der Russen große Gebietsverluste hinnehmen müssen. Aus dem ‫ ״‬cane tu rco“
war der ‫ ״‬kranke Mann am Bosporus“ geworden. W ovon man in den vergangenen
Jahrhunderten von Seiten christlicher Fürsten geträumt hatte, nämlich die Türken
aus Europa zu vertreiben, schien W irk lic h k e it zu werden. M an begann sich jetzt
Gedanken darüber zu machen, wie man sich die Erbmasse des Osmanischen
Reiches in Europa teilen konnte. Seit dem Regierungsantritt der Z a rin Katharina
II. (1762) spielte Rußland bei diesen Teilungsplänen eine führende Rolle.
Katharina hatte ihren ersten T ü rken krieg (1768—1774) überaus erfolgreich
geführt. Duch den Frieden von Küçük Kaynarc! war die russische M achtposition
am Schwarzen M eer soweit ausgebaut w orden, daß die Z a rin daran gehen konnte,
weitergreifende Pläne zu entw ickeln, die eine endgültige Lösung der O rie nta li-
sehen Frage zum Ziele hatten. Sie beschloß dabei aber nicht alleine vorzugehen,
sondern Kaiser Joseph II. eine A u fte ilu n g der Europäischen T ü rk e i schmackhaft
zu machen. D ie Z arin hatte Joseph bereits 1780 in M ogilev getroffen und führte
seither m it ihm einen lebhaften Briefwechsel-'. In Form eines Briefaustausches war
bereits im M ai 1781 ein Bündnisvertrag geschlossen worden, in dem sich beide
Mächte ihre Besitzungen garantierten und fü r den Fall eines Krieges m it den
Türken gegenseitigen Beistand versprachen4. A m 10. September 1782 schlug die
Zarin dem Kaiser dann fü r diesen Fall einen gemeinsamen Feldzugsplan und den
Abschluß einer geheimen K onvention über Gebietserwerbungen auf Kosten des
Osmanischen Reiches vor. D er noch abzuschließenden K onvention vorgreifend,

1 V gl. Petrovitch. G .T .: Scanderbeg (Georges C astriota). Essai de bibliographie raisonnée. Paris 1881
(N achdruck m it E inleitung von Franz Babinger M ünchen 1%7 = Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und
des Nahen O rients 3).
2 Beispiele da für finden sich in B a rtl. P. : D e r W estbalkan zwischen Spanischer M onarchie und Osmanischem
Reich. Z u r T ürken kriegsprob lem atik an der W ende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1974. und
neuerdings bei Florístán Imízcoz. J .M .: Fuentespara la política oriental de los Austrias. La Docum entación
Griega del A rc h iv o de Simancas (1571-1621). 1 - 2 . León 1988.
5 A m e th , A . R itte r von (H rsg .): Joseph II. und K atharina von Russland. Ih r Briefwechsel. W ien 1869.
4 Ebenda, S. 7 2 -9 ().

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48 P. Baril

legte K atharina Joseph ihre Pläne dar, die auf die G ründung eines Pufferstaates
‫ ״‬D acien“ und die W iedereinrichtung des Griechischen Kaiserreiches hinzielten
und als ‫ ״‬Griechisches P ro je kt“ in die Geschichte eingegangen sind5.
Joseph II. war durchaus nicht abgeneigt, auf derartige Pläne einzugehen. E r war
nämlich nicht nur der aufgeklärte Herrscher, der die Habsburger M onarchie
reform ieren w o llte , er hatte auch den Ehrgeiz, den te rrito ria le n Bestand seines
Reiches zu verm ehren. Des Kaisers Bestrebungen waren dabei zwar vorrangig auf
M itte le u ro p a ausgerichtet (B ayern), grundsätzliche Einwendungen gegen südost-
europäische Erw erbungen scheint er aber nicht gehabt zu haben, denn er teilte am
13. N ovem ber 1782 K atharina die österreichischen Erwerbungswünsche auf dem
Balkan m it. Sie umfaßten die Kleine W alachei, einen T eil Serbiens, Montenegro
und einen kleinen T e il Nordalbaniens, Bosnien und die Herzegovina sowie das
bisher noch venezianische D alm atien und Istrien. D ie Südgrenze des kaiserlichen
Machtbereichs au f dem Balkan sollte die Donau von N ikop olis bis Belgrad und
von d o rt eine gerade L in ie bis zur Einm ündung des D rin in die A d ria sein6.
Daß der Kaiser es m it seinen Absichten ernst meinte, zeigte sich, als 1787 — von
Rußland provoziert und von der Pforte erklä rt — ein neuer T ü rken krieg ausbrach.
Joseph II. versuchte gar nicht erst zwischen Türken und Russen zu verm itteln,
sondern stand sofort zu seinen Bündnisverpflichtungen, die er 1781 übernommen
hatte, und zwar m it einem Einsatz, der die Zeitgenossen überraschte:
••
‫ ״‬M an hat die Bem erkung gemacht, daß das Haus Ö sterreich, so lange es
existiert, noch nie einen solchen A ufw and auf einen K rieg gemacht hat, als auf
den gegenwärtigen“ 7.
D er m it großen H offnungen begonnene K rieg erwies sich nun aber zunächst
weder fü r die Russen noch fü r die Ö sterreicher als sehr erfolgreich: Die russische
A rm e e, die auf dem Papier viel zahlreicher war als in W irk lic h k e it, litt wie üblich
unter Nachschubschwierigkeiten, es fehlte ih r auch an A rtille rie , und die junge
Schwarzm eerflotte war bereits im September 1787 vor Varna durch einen Sturm so
schwer beschädigt w orden, daß Potemkin bereits vom V erlust sprach und den
Gedanken äußerte, man müßte die K rim aufgeben. Erst am 17. Dezember 1788
erreichten die Russen ih r erstes Kriegsziel, die Eroberung der Festung Očakov,
allerdings unter großen V erlusten8. Bei den Kaiserlichen war die Lage nicht viel
besser. E in noch vo r der offizie lle n Kriegserklärung (9. Februar 1788) unternom -
mener Versuch, Belgrad m it H ilfe serbischer K ontaktleute zu überrum peln,
scheiterte kläglich4. Ä h n lich erfolglos verliefen auch die übrigen militärischen
_ •» __
O perationen der Ö sterreicher im ersten Kriegsjahr. Es gelang ihnen nicht, die
m ilitärische In itia tiv e an sich zu reißen. Lediglich Šabac konnte am 27. A p ril 1788
erobert werden. D a fü r verwüsteten türkische Truppen den ihnen schutzlos
preisgegebenen, gerade erst w ieder neubesiedelten Banat. Im kaiserlichen Heer

5 Ebenda, S. !4 3 —157: über die Entstehung des Planes vgl. Hösch. E .: Das sogenannte ‫ ״‬griechische P rojekt“
Katharinas 11., in : Jahrbücher fü r Geschichte Osteuropas N .F . 12 (1964), S. 168-206.
b A rn e th (A n m . 3 ). S. 169-175.
7 Geschichte des Ö sterreich-Russischen und Türkischen Krieges, in den Jahren von 1787 bis 1792. Nebst
A ktenstücke n und U rk u n d e n . Le ipzig 1792. S. 4 0 -4 1 .
‫א‬ V g l. ß rü c k n e r. A .: K a th a rina die Z w e ite . B e rlin 1883, S. 363 -3 6 4 .
9 s. Z in ke ise n . J .W .: Geschichte des osmanischen Reiches in Europa. B d. 6. G otha 1859, S. 642 -6 4 3 .

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 49

grassierten Seuchen, so daß im August 1788 bereits m ehr als ein D ritte l der
Soldaten in den Spitälern lag1".
U nte r diesen Umständen verw undert es nicht, daß man sowohl russischer- wie
auch kaiserlicherseits bereits zu Beginn des Feldzugs bem üht w ar, eine ‫ ״‬Fünfte
K olonne“ auf dem Balkan einzusetzen. Eine solche glaubte man aus den Angehö-
rigen jener B alkanvölker rekrutieren zu können, die m it der H errschaft des
Sultans unzufrieden waren.
Russischerseits hatte man den Plan, die T a k tik des letzten Türkenkrieges zu
wiederholen, nämlich die Ostseeflotte in das M itte lm e e r zu bringen und in der
Europäischen T ü rke i einen Aufstand zu entfachen". Kaiserlicherseits war man
zunächst daran interessiert ‫ ״‬Freypartisten, größtentheils aus Rascianern... und
anderen Bewohnern des türkischen Gebietes“ 12 zu gewinnen, die m it den Bedin-
gungen des Türkenkam pfes vertraut und fü r K rankheiten nicht so anfällig waren,
wie die Soldaten des Kaisers. Daneben war aber auch die W iener Regierung
bestrebt, den osmanischen Balkan in die Kriegsplanungen m iteinzubeziehen, als
M itte l zur ‫ ״‬D iversion“ (A blenkung) der osmanischen M acht. F ü r beide kriegfüh-
renden Mächte kam in diesem Zusammenhang auch A lbanien in Betracht.
ln der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts war A lbanien der Regierung des
Sultans fast vollständig aus den Händen geglitten. N ordalbanien wurde von der
Fam ilie Bushatlliu (auch Bušatlija, Bushatli) nahezu wie ein selbständiges Für-
stentum beherrscht. M itg lie de r dieser Fam ilie übten m ehr als ein dreiviertel
Jahrhundert lang als osmanische Statthalter die M acht in Skutari aus. Sie
beherrschten nicht nur den Sandschak von S kutari, sondern auch D ulcigno
(U lc in j)13, Alessio (Lezhë), Tirana und Elbasan, zeitweise auch Berat. Diese
Machtausweitung geschah ohne Genehmigung und o ft auch gegen den ausdrückli-
chen W illen der osmanischen Zentralregierung, wurde von dieser aber zumeist,
wenn sie die Truppen des Paschas von Skutari brauchte, nachträglich sanktioniert.
Charakteristisch fü r die Bushatlliu war, daß sie sich nicht nur auf die M uslim e,
sondern auch auf die Christen in ihrem Machtbereich stützten, besonders auf die
katholischen Bergstämme in Nordalbanien. Charakteristisch w ar w eiter, daß sie in
ihrem Herrschaftsgebiet Handel und Gewerbe förderten und dabei auch selbst
unternehmerisch tätig w aren14.
A ls D ritte r aus dieser Familie herrschte seit 1778 Kara M ahm ud Pascha in
Skutari, ein Mann der erstmals über den ethnisch albanischen Bereich hinausging
und als verm eintlicher Nachfahre der Crnojevidi (der letzten christlichen H e rr-

10 W o lf. A .; Zw iedineck-Südenhorst. H .v .: Ö sterreich un ter M aria Theresia. Josef II. und Le o p o ld II.
1740-1792. B e rlin 1884, S. 307.
11 s. B rückner. A .: Rußlands P o litik im M itte lm e e r 1788 und 1789. E in B e itra g zur Geschichte der
orientalischen Frage, in: Historische Z e itsch rift 27 (1872). S. 8 5 -1 1 5 .
12 Unpartheyische Geschichte des gegenwärtigen Kriegs zwischen der Pforte. R ußland, und den theilnehm en-
den M ächten. 1. Leipzig 1788. S. 4 L
1*‫י‬ D ie Schreibweise der O rts- und Personennamen folgt der in den zeitgenössischen A k te n üblichen Form .
D ie moderne Schreibung steht bei der ersten Erwähnung in Klam m ern.
14 Vgl. A r t . G .L .: A lb ā n ijā i E p ir v konce Х Ѵ І І І -načale X I X v. (Zapadnobalkanskie paSalyki Osmanskoj
im p e rii) (A lb a n ie n und E pirus Ende I 8 .- A n fa n g 19. Jahrhunderts (D ie westbalkanischen Paschaliks des
Osmanischen Reiches)). M oskva 1963 (z it. als: A r$ ); Naçi, S t.N .: Pashalleku i Shkodrës nën sundim in e
Bushatllive ne gjysmën e dyte të she kullit te X V 1 IÍ (1757 -1 797) (D as Paschalik von S kutari u n te r der
Herrschaft der B ushatlliu in der zweiten H ä lfte des 18. Jahrhunderts, 1 7 5 7 -1 7 % ). T iranë 1964.

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50 P. Bartl

scherfam ilie in M ontenegro vor der türkischen E roberung) A nsprüche au f M onte-


negro erhob. 1785 überfiel er Paštrovic, ein G ebiet, das zum T e rrito riu m der
R epublik Venedig gehörte, und drang von d o rt aus bis C etinje vo r. D ie Venezia-
ner konnten seinem V ordringen keinen ernsthaften W iderstand entgegensetzen.
Venezianische Beschwerden bei der Pforte blieben zwecklos, da diese erklärte,
Kara M ahm ud Pascha sei ein Rebell und sie fü r seine Taten nicht verantw ortlich.
D ie Sorge über einen weiteren Machtzuwachs des Paschas veranlaßte den Sultan
dann aber 1786 dennoch dazu, von Sofia aus Truppen gegen ihn in Marsch zu
setzen, die allerdings nur bis in das S hkum bi-Tal kamen und dann zurückbeordert
w urden, da es inzwischen an der bosnischen Grenze zu Zw ischenfällen m it den
Ö sterreichern gekommen war. D e r 1787 beginnende K rie g m it den Russen enthob
Kara M ahm ud Pascha zunächst w eiterer G efahr von Seiten der Regierung. E r
glaubte es sich sogar leisten zu können, die vom Sultan geforderten 10000 Mann
H ilfstru ppe n zu verweigern. Gegen ihn unter dem K om m ando des Beglerbegs von
Rum elien ausgesandte Truppen schlug er im M ai 1787 auf dem Kosovo polje,
danach plünderte und brandschatzte er das K oso vo-G ebie t15. Erst einer im August
1787 in Durazzo und D ulcigno gelandeten türkischen A rm e e , die von Çerkes
Hasan Pascha, einem gebürtigen A lb a n e r, befehligt w urde, gelang es, ihn in der
Festung von Skutari einzuschließen. Jetzt zeigte sich aber, daß Kara Mahmud
Pascha einen starken Anhang im Lande hatte. In N ordalbanien kam es zum
A ufstand, der auch von den christlichen Bergstämmen unterstützt w urde. A m 25.
N ovem ber 1787 gelang ihm ein A u sfa ll aus der belagerten Festung, w orauf die
Regierungstruppen die Flucht ergriffen. Es war dieser E rfo lg , der die kriegführen-
den Mächte Rußland und Österreich dazu bewog, K on takte zum Pascha von
S kutari aufzunehmen und ihn zur W iederaufnahm e des Kampfes zu erm utigen1'1.
E tw a zur gleichen Z e it begann die osmanische Regierung auch in Südalbanien
die K o n tro lle über die Lage zu verlieren. D o rt hatte sich 1784 der aus Tepelena
stammende Bandenführer A li m it E in w illig u n g der Regierung der Stadt Delvina
bem ächtigt. 1785 zum G ouverneur von T rik a la ernannt, wurde er m it der
Sicherung der thessalisch-epirotischen Gebirgspässe betraut. D urch seine T e il-
nähme am Feldzug gegen die Russen 1787 konnte er sich das W ohlw ollen des
Sultans sichern. Das kam ihm zustatten, als er sich 1788 in den Besitz von Janina
setzte. D ie osmanische Regierung b illig te nachträglich die eigenmächtige A k tio n
und ernannte A li zum Statthalter von Janina. A li Pascha baute schrittweise seine
Position in Südalbanien soweit aus, daß er zu einem ernsthaften K o n ku rre n te n der
B ushatlliu wurde. Bei seinen Bemühungen, die auf die E rrich tu n g einer von der
Zentralregierung weitgehend unabhängigen Stellung hinzielten, versuchte er auch
auf die Russen zu setzten. Zu einer ersten K ontaktaufnahm e kam es noch während

15 Ü b e r die Ereignisse in Kosovo finden sich zahlreiche Angaben in den geistlichen V isitation sberichten aus
dieser Z e it. V gl. B a rtl. P.: Kosova and M acedonia as Reflected in Ecclesiastical R eports, in : Pipa, A .;
R epishti, S. (H rs g .): Studies on Kosova. New Y o rk 1984. S. 35.
16 F ü r seine B iographic vgl. T o m ić, J .N .: M ahm ud Bu&atlija p a ia Skadarski. Prvi period njegova rada
(1 7 8 4 -1 7 8 6 ) (M ahm ud Bushatlliu Pascha von S kutari. D ie erste Periode seines W irke n s (1 7 8 4 -1 7 8 6 )). in:
Glas SA 76 (1908) S. 101 -2 1 2 ; Petkovič, В .: M ahm ud paia Buśatlija od 1 7 8 7 - 1796godine. P rilo g za jednu
m o nog rā fiju (M ah m u d Pascha B ushatlliu 1787—17%. B eitrag zu einer M o n o g ra p h ie ), in : Isto riski zapisi 13
(1957), S. 211-241 sowie die W erke von ArS und Naçi.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 51

des Türkenkrieges. A uch A li Pascha von Janina suchte und fand die U nterstüt-
zung der christlichen B evölkerung in seinem Herrschaftsbereich (wenn man von
den aufrührerischen Bewohnern der Berggebiete Suli und H im ara absieht, deren
Erhebungen er b lu tig unterdrückte). A n seinem H o f umgab er sich m it európai-
Щ»

sehen O ffizie re n , griechischen Ä rz te n , D ichtern und Derwischen (letztere standen


im Osmanischen Reich o ft in O pposition zur Z e ntralge w alt)17.
W ährend des russisch-österreichischen Türkenkrieges 1787-1792 wurden von
russischer und von österreichischer Seite mehrere Versuche unternom m en, um die
A lbaner fü r den K a m p f gegen den Sultan zu gewinnen: Beide verbündeten Mächte
nahmen, bezeichnenderweise getrennt voneinander, K ontakte zum Pascha von
Skutari auf. D ie Russen unternahm en, allerdings erst gegen Kriegsende, zusätz-
lieh einen V orstoß bei A li Pascha von Janina, und der Kaiser schickte, noch vo r
dem offenen Ausbruch der Feindseligkeiten, eine Gesandtschaft in das südalbani-
sehe Berggebiet H im ara.
Im M itte lp u n k t der Bem ühungen der kriegführenden Mächte stand zunächst
Kara M ahm ud Pascha von S kutari, von dessen H ilfe man sich in Wien und St.
Petersburg am meisten versprach. D ie russische und die kaiserliche Regierung
hatten dabei den gleichen Plan, näm lich die M ontenegriner und die Truppen des
Paschas von Skutari zum K a m p f gegen den Sultan zu vereinigen.
A m 4. Januar 1788 beauftragte der russische Vizekanzler G ra f I.A . Osterman
den russischen Geschäftsträger in V enedig, Flottenkapitän A .S . M ordvinov, den
Pascha zu w eiterem W iderstand gegen den Sultan zu erm untern und gleichzeitig
die M ontenegriner aufzufordern, ihm dabei bewaffnete H ilfe zu leisten. M o rd vi-
nov schickte daraufhin den ehemaligen Dragom an des russischen Generalkonsu-
lats im A rchipelag, G iovanni O liv ie ri, m it B riefen zum Bischof von Cetinje
(Petar I. Petrovic Njegoš) und zu Kara M ahm ud Pascha von Skutari. In dem
Schreiben an den Pascha kündigte M o rd vin o v das Erscheinen der russischen
Flotte im M itte lm e e r und deren Bereitschaft an, Kara Mahm ud Pascha vor
türkischen A n g riffe n zu schützen. O liv ie ri, der am 6. Februar 1788 von Venedig
nach Ragusa (D u b ro v n ik ) abreiste, lernte auf seiner Reise den Franziskanerpater
Erasmo Franchini di Bagno kennen, der ein V ertra u te r des Skutariner Paschas
war. P. Erasmo befand sich auf der Rückreise von Rom nach Skutari, um die
Leitung der dortigen Franziskaner-M ission zu übernehmen. A u f B itten O livieris
erklärte sich P. Erasmo bereit, Kara M ahm ud Pascha das Schreiben M ordvinovs
zu überm itteln. O liv ie ri blieb währenddessen in Ragusa, um von dort aus m it den
M ontenegrinern K o n ta kt aufzunehm en18.
A nfang A p r il meldete sich P. Erasm o aus Skutari und teilte O liv ie ri die A n tw o rt
des Paschas m it: Dieser sei über das russische Angebot sehr erfreut, könne jedoch

17 Vgl. Rem érand. G .: A li de T ć b ć le n . Pacha de Janina (1744—1822). Paris 1928: Ushtelenca, I.: D iplom acia
e A li Pashë Tepelenčs (1 7 8 6 - 1822) (D ie D ip lo m a tie von A li Pascha Tepelena (1 7 8 6 - 1822)). T ira n e 1983
sowie Ar$. A ls Zeitzeugnisse bedeutsam sind die Reisebeschreibungen von Pouqueville. F .C .H .L .: Voyage
en M oréé, à C onstantinople , en A lb a n ie , et dans plusieurs autres parties de !*Em pire O tho m a n... B d. 3.
Paris 1805. und Leake. W .M .: Travels in N o rth e rn Greece. Bd. 1. London 1835. sowie die Erinnerungen
von Ibra him M anzour: A li Pascha. T yrann von A lb a n ie n . E rinnerungen an seine Regierung. Stuttgart o.J.
18 A r t , S. 111 —112: A r$ stützt sich in seiner A rb e it a u f russische A rch iva lie n , deren Angaben durch die
W iener A k te n v o ll bestätigt werden =‫ ־‬B erichtschreiben Brognard N r. 5, Ragusa 6. Juni 1788. Haus-, H o f-
und Staatsarchiv W ien (fo rta n : H H S tA ). T ü rk e i V 20. K ond. 1, f. 197-207.

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im A ug en blick nichts unternehm en, da er sich zunächst einer sultanstreuen


O ppositionsgruppe zu entledigen hätte19. Nach dem, was O liv ie ri später dem
kaiserlichen U n te rh ä n d le r Brognard erzählte, ging der Pascha von Skutari aber
etwas w eiter: E r schlug vo r, die Russen sollten m it einigen Schiffen zum Schein die
Beschießung von Durazzo oder A n tiv a ri (B ar) aufnehmen, ‫ ״‬wodurch er Gelegen-
heit erhalten w ürde, allen seinen nächsten Colleguen zu ihrer eigenen Salvierung
ein Bündnis m it dem Feinde vorzuschlagen“ . D ie mächtigeren von ihnen w ollte er
durch G old gewinnen, und die schwächeren m it H ilfe der ersteren unterdrücken
oder durch G ift aus dem Weg räumen. D urch P. Erasmo soll er O liv ie ri um G ift
gebeten und auch erhalten haben2". A m 10. M ai 1788 erreichte O liv ie ri dann ein
neuer B rie f P. Erasmos, in dem dieser m itte ilte , der Paschasei je tzt zu Gesprächen
m it ihm bereit. D a O liv ie ri wegen K rankheit nicht in der Lage w ar, selbst nach
Skutari zu reisen, schickte er den M a jo r Sava M irko vich (M irk o v ic ) zu Kara
M ahm ud Pascha. M irk o v ic h stammte aus Castelnuovo (H ercegnovi)21 und war
einer der nicht wenigen Südslawen, die in der russischen A rm ee Dienst taten.
M irko vich verhandelte drei Tage in Skutari und kehrte danach m it einem
Schreiben des Paschas nach Ragusa zurück, ln dem Schreiben, das an M o rdvin ov
gerichtet w ar, erklä rte Kara M ahm ud Pascha seine Bereitschaft, zusammen m it
den Russen gegen den gemeinsamen Feind — den Sultan — zu käm pfen. D am it
dieses erfolgreich geschehen könnte, wäre es notwendig, daß die Russen 60000
D ukaten zur Bestechung der benachbarten Paschas zur V erfügung stellen.
Außerdem sollte Rußland 6 Linienschiffe und einige Fregatten seiner M ittelm eer-
flo tte vo r D urazzo und andere Küstenorte legen und diese nötigenfalls auch
beschießen. Nach E rh a lt des Geldes und E intreffen der russischen F lotte würde
er, Kara M ahm ud Pascha, ganz A lbanien und Makedonien in seine Gewalt
bringen, bis Saloniki und M onastir (B ito la ) Vordringen und so den russischen
Truppen den Weg nach Konstantinopel öffnen. Die von ihm — dem Pascha —
eroberten G ebiete sollten nach Friedensschluß dem Schutz der Z a rin unterstellt
werden. Rußland müßte sich verpflichten, den muslimischen G lauben und die
Gebräuche des Landes zu achten, wie es das auf der K rim und in anderen
russischen Provinzen tue22.
D am it endeten die direkten Beziehungen zwischen Rußland und dem Pascha
von Skutari. Das P rojekt v e rlie f im Sande, da Rußland E inigke it m it dem
österreichischen Verbündeten zu demonstrieren versuchte und da — das war
ausschlaggebender — die russische Flotte während des ganzen Krieges nicht im
M ittelm eerraum erschien.
Intensiver, aber letzten Endes ebenfalls erfolglos, waren die Bemühungen des
Kaisers, von A lb a n ie n aus eine neue Front gegen die Truppen des Sultans zu

14 A rś , S. 112.
20 B erichtschrciben B rognard N r. 5, f. 201v.
21 Stanojevic, G .: С т а G ora pred stvaranje države 1773—17% (M ontenegro vor der Schaffung des Staates
1 7 7 3 -1 7 % ). Beograd 1%2. S. 139.
22 A rś . A . 115; in de r Fassung, die B rognard berichtet, verlangte de r Pascha, daß ‫ ״‬alle durch seine G ew alt
unterjochten Provinzen ihm als sein Lehen Eigenthum verbleiben“ sollten = Berichtschreiben Brognard
N r. 5. f. 202 v.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 53

e rö ffn e n 2■'. In W ien plante man anfänglich eine kom binie rte A k tio n M ontenegro-
A lb a n ie n . A m 14. Januar 1788 wies Joseph II. seinen V izekanzler P hilipp G ra f von
Cobenzl an, eine Gesandtschaft nach M ontenegro vorzubereiten. Diese sollte
auch versuchen, dem Pascha von Skutari ein anonymes Schreiben in die Hände zu
spielen, ‫ ״‬und dadurch gegen die Türken seiner Z e it eine D iversion e rw irke n , die
unsere künftigen O perationen in Bosnien unendlich erleichtern w ürde“ . Cobenzl
w urde aufgefordert, den E n tw u rf fü r ein solches Schreiben ‫ ״‬nach dem o rie n ta li-
sehen Styl und Geschmack“ in türkischer Sprache anfertigen zu lassen24. Dieses
Schreiben wurde nach dem österreichischen K rie g s b e itritt dann nicht mehr
anonym und auch nicht mehr nur auf T ü rkisch, sondern in türkischer und
italienischer Sprache ausgefertigt. Cobenzl hatte näm lich in E rfahrung gebracht,
daß der Pascha besser Albanisch als T ürkisch sprach und ‫ ״‬in den dortigen
Gegenden auch die italienische Sprache ziem lich gemein ist“ 25. In dem Schreiben,
das die nach M ontenegro entsandten H auptleute P hilipp von Vukassovich (V u ka -
sovic) und Ludw ig von Pernet Unterzeichneten, wurde Kara M ahm ud Pascha
davon un te rrich te t, daß der Kaiser, ‫ ״‬qual fedele am ico, ed alleato della C orte di
Russia“ , der Pforte den K rieg e rklä rt hat. Dem Pascha wurde nahegelegt, die
günstige Gelegenheit zu benützen, um sich von der H errschaft des Sultans zu
befreien. D er Kaiser sei bereit, ihn dabei in je d e r Weise zu unterstützen. N u r
müßte ihm der Pascha seine Intentionen möglichst bald m itteilen. Eventuellen
Versprechungen der Pforte sollte er nicht trauen. Falls Kara M ahm ud Pascha das
kaiserliche A ngebot annehmen w ollte , wären sie — die beiden unterzeichnenden
H auptleute — bereit, persönlich nach Skutari zu kom m en und d o rt die weiteren
Verhandlungen zu führen26.
W ährend so die Vorbereitungen fü r die kaiserliche O ffiziersm ission nach
M ontenegro, die eventuell auch auf A lbanien ausgedehnt werden sollte, ihren
langsamen Fortgang nahmen, tauchte in Fium e (R ije k a ) ein M ann auf, der vorgab,
vom Pascha von Skutari m it einer Botschaft zum Kaiser gesandt worden zu sein. Es
handelte sich um einen gewissen Franz Pichler, der in den folgenden M onaten bei
der A lb a n ie n -A k tio n Josephs II. eine bedeutende R olle spielen sollte. Pichler
schrieb am 1. Februar 1783 einen längeren B rie f an den Kaiser27 und erzählte darin
eine abenteuerliche Geschichte: Nachdem er seine A nstellung beim M agistrat
seiner H eim atstadt (K arlstadt = Karlovac) verloren hatte, hätte er sich als ‫ ״‬V a te r
von 6 unversehenen K ind ern“ genötigt gesehen, fü r ein neues Auskom m en zu
sorgen. E r hätte deshalb den Entschluß gefaßt, ‫ ״‬sich auf einige Z e it aus seinem
V aterland zu entfernen, und indem er der orientalischen Sprache kundig ist in
türkischen Ländern durch die M editzin sein G lück zu versuchen“ . A m 24. August

‫ע‬ A u s fü h rlic h e r und m it D okum entation versehen w erden die kaiserlichen U nterhandlungen in S kutari in
meinem A u fsa tz ‫ ״‬Eine kaiserliche Gesandtschaft in S ku ta ri. 1788“ behandelt (M ü n c h n c r Z e its c h rift fü r
B alkankundc 6. im D ru ck).
*4 Joseph II. an V izekanzler P hilipp G ra f Cobenzl. W ien 14. Januar 1788 = H H S tA , T ü rk e i V 20, K o n d . 1,
f. I.
25 Cobenzl an Joseph 11., W ien 15. Januar 1788 = ebenda, f. 3 —3 v ., 8.
26 ‫ ״‬A ir ill. m o ed Ecc.m o Sig.re II Signore M ahm ud Bascia C om m andante generale e G overnatore
d 'A lb a n ia “ = ebenda, f. 4 - 5 .
27 Ebenda, f. 102-106.

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54 P. Bartl

1787 reiste er von Fiume nach A lb a n ie n . E r kam nach S kutari, erlebte die
Belagerung der Festung durch türkische T ruppen m it und wurde dann von Kara
M ahm ud Pascha m it einem B rie f zum Kaiser geschickt. A m 17. Dezember 1787
reiste er in R ichtung Ragusa ab, wurde aber bereits am A be nd des darauffolgen-
den Tages überfallen und ausgeraubt. D e r B rie f wurde ihm allerdings belassen, da
er vorgab, daß sich in ihm nur medizinische Rezepturen befänden. In Castelnuovo
wurde er dann von den venezianischen Behörden angehalten, und, da er keinen
Paß vorweisen konnte, der Spionage verdächtigt und in h a ftie rt. Da er eine
Leibesvisitation befürchtete und abzusehen w ar, daß er dann m itsam t dem B rie f
den türkischen Behörden übergeben werden w ürde, verbrannte Pichler das
Schreiben des Paschas. Nach tatsächlich e rfo lg te r Leibesvisitation konnte er seine
Reise fortsetzen und kam auf allerlei Irrw egen, die er in seinem B rie f ausführlich
schildert. Ende Januar 1788 in Fiume an. A m Schluß seines Schreibens machte
Pichler dann noch einige sehr vage Angaben über den B rie f, den er in Castelnuovo
verbrannt hatte: Den In ha lt kannte er angeblich nicht, er sei aber in arabischer
Sprache verfaßt gewesen. D e r Pascha hätte den Wunsch gehabt, den B rie f in die
Hände des Kaisers gelangen zu lassen, ‫ ״‬ohne von der C hristenheit der A lb a n y und
nächstgelegenen Gegenden beobachtet zu werden, welche E r Bassa samt ih r
••

d o rtig e r G e istlich keit fü r sehr verräterisch h ä lt“ . U b e r die Absichten des Paschas
hatte Pichler ein klares B ild : ‫ ״‬D er Haß und Abscheu gegen denen T ürken des
erwähnten Bassa ist kla r, und groß; daß er sich aber nach E uer Majestät
allerhöchster Gnade sehnlich bestrebet, war von allen seinen Fragen und Reden
abzunehm en.“
Pichlers Angaben klingen etwas unglaubw ürdig, sie werden aber durch W iener
und ragusanische A k te n zumindest teilweise bestätigt so z. B. sein A u fe n th a lt in
S kutari: A m 14. Januar 1788 verhörte der K leine Rat der R epublik Ragusa Toma
G abeljanin, der ebenfalls als A rz t bei Kara M ahm ud Pascha gewesen war und vor
Beendigung der Belagerung aus der Festung fliehen konnte. D arüber befragt, ob
er einen Fremden in der Festung gesehen hätte, bejahte er dies und erzählte von
einem U ngarn, der ihm als T rin k e r aufgefallen war, der schlecht gekleidet war und
unter ständigem Geldm angel litt. D ie ragusanischen Behörden stellten bald fest,
daß es sich bei dem Frem den, den G abeljanin in S kutari gesehen hatte, um Pichler
handelte, der sich gerade damals in Ragusa befand. Seltsamerweise versäumte
man es, Pichler vorzuladen, sondern beauftragte den ragusanischen Konsul in
Fium e, über ihn Erkundigungen einzuziehen2*. Pichlers V erhaftung in Castel-
nuovo ist gleichfalls durch ragusanische A k te n bezeugt24. A us ragusanischen
A k te n ist auch ersichtlich, daß Pichler am 5. M ärz 1788 m it dem Kaiser sprach, und
zwar in Fium e, wo Joseph II. gerade w eilte. A m 21. M ärz war er w ieder in Ragusa
Vecchia (Cavtat)•4'. W enig später dü rfte er im venezianischen Budua (Budva)
eingetroffen sein, wo ihn der Feldkaplan Joseph K erm potich (K rm p o tić ) tra f, der
der kaiserlichen O ffiziersm ission in M ontenegro zugeordnet w ar und deren Leiter

‫ע‬ M u lja ćić. Ż .: D u b ro v n ik i prva faza austriske akcije u C rn o j G o ri 1788 godine (D u b ro v n ik und die erste
Phase de r österreichischen A k tio n in M ontenegro 1788), in : Isto riski zapisi 11 (1958) S. 96.
29 Ebenda. S. 108.
» Ebenda. S. 102-103.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 55

Vukassovich als K u rie r diente. K erm potich hin terlie ß über die kaiserlichen
A k tiv itä te n in M ontenegro und A lb a n ie n einen um fangreichen, am 14. N ovem ber
1788 abgeschlossenen B erich t31, der leider aber keine Datumsangaben enthält.
Nach diesem ist Pichler von Budua aus nach Skutari w eitergereist32.
Beide A k tio n e n — die Bem ühungen der kaiserlichen O ffiziersm ission in
M ontenegro und die erneute Entsendung Pichlers nach Skutari — verliefen
unabhängig voneinander, zumindest in der Anfangsphase. Beide Seiten unterhiel-
ten nur soweit wie unbedingt notw endig K ontakte zueinander und scheinen sich
gegenseitig m ißtraut zu haben. Vukassovich und Pernet zw eifelten an der E h rlich -
keit der Absichten des Paschas von S kutari. ln einem Schreiben an Joseph II. vom
10. A p ril meinten sie zwar, daß Kara M ahm ud Pascha im A ugenblick nicht au f die
Seite des Sultans übergehen könnte, da er ‫ ״‬durch N iederw erfung des Befehlsha-
bers seiner Gegen-Partie in Skutari und des Pascha Ibrahim Parm akovich aus
Podgoricza sich näuerdings bey seinem H o ff verfänglich gemacht hatt und in seiner
Festung versperret ist“ . Jeder, der den Pascha kenne, würde aber versichern, daß
ihm nicht zu trauen sei33. Noch etwas deutlicher w urde Vukassovich in einem B rie f,
den er am 12. A p ril an den ihm befreundeten G eistlichen K erm potich richtete.
H ie r meinte er, daß es besser wäre, wenn der Pascha im K o n flik t zwischen Kaiser
und Sultan neutral bliebe. Es würde ausreichen, wenn er den in seinem H e rr-
schaftsgebiet lebenden Christen erlaubte, aufS eiten der Kaiserlichen zu käm pfen.
‫ ״‬Somit währe meine unmaßgebliche M einung, daß wenn uns einige hundert
Mentschen, G eld und Bescot [eine A r t Zw ieback] geschickt w ird , so werden w ir
ohne H ilfe des Bassa alles ausrichten, und die kayserliche A rm ee die Ehre haben
ohne einen türkischen General alles erobert zu haben“ 34.
Zum indest von Vukassovich war also wenig Bereitschaft zu erw arten, m it dem
Pascha zusammenzuarbeiten.
Inzwischen hatte Kara M ahm ud Pascha erneut die In itia tiv e e rg riffe n , um m it
Joseph II. in K o n ta kt zu treten. A m 27. M ärz (m it einem Zusatz vom 9. A p r il)
schrieb der E rzbischof von A n tiv a ri G io rg io A n g e li Radovani an den Kaiser. E r
teilte ihm m it, daß ihm am 18. M ärz der Pascha in Gegenwart der beiden
S kutariner P atrizier A n to n io und Giuseppe Rucca und des venezianischen Vize-
konsuls G iacom o Summa unter strengster G eheim haltung folgendes A ngebot an
Joseph II. unterbreitet habe: W enn ihm der Sultan verzeihe und ihm das
Kom m ando über ganz Rum elien oder A n a to lie n oder irgendeinen einträglichen
Sandschak anböte, so würde er das zum Schein annehmen. In W irk lic h k e it sei er
aber entschlossen, sich und A lb a n ie n dem Kaiser zu unterstellen, denn er
mißtraue der P forte. E r habe sich in der Festung von Skutari verschanzt, um die
Zustim m ung des Kaisers abzuwarten. Sowohl er als auch sein V a te r M ehm ed
Pascha wären den K atholiken im m er gewogen gewesen, die in seinem Herrschafts­

■*' A b g e d ru c k l bei D jo r d je v ii. V .: Izpisi iz B ečkih D ržavn ih A rh iv a . D o k u m e n ti za delo ‫ ״‬Crna G o ra i


A u s trija " (A b s c h rifte n aus W ien er Staatsarchiven. D okum ente zum W erk ‫ ״‬M ontenegro und Ö sterreich'*).
Beograd 1913, S. 14 7-195.
32 Ebenda. S. 150
33 Vukassovich und Pernet an Joseph H ., C e tinje 10. A p r il 1788 = H H S tA , T ü rk e i V 20, K ond. 1, f. 2 7 -2 7 v .:
ein fast identisches Schreiben vom gleichen Tage an K aunitz be fin d e t sich ebenda, f. 2 8 - 29v.
34 Vukassovich an K e rm p o tich . NjeguSi 12. A p r il 1788 = ebenda, f. 35.

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bereich R eligionsfreiheit genössen. E r hätte ihnen sogar die R eparatur ihrer


Kirchen erlaubt, die andere Paschas zerstört hatten. Kara M ahm ud Pascha schlug
dem Kaiser vor, so schnell wie möglich seine Truppen nach M ontenegro und in das
Gebiet von Paštrovic zu schicken. E r seinerseits wäre be re it, die christlichen
Bergstämme zu den W affen zu rufen, die diesen Tag schon längst herbeisehnten.
D er Kaiser müßte sie allerdings m it W affen versorgen und durch Geldgeschenke
fü r sich einnehmen. Wenn die Bergstämme gewonnen seien, würde sich das Land
widerstandslos den kaiserlichen T ruppen unterw erfen. D e r Kaiser könnte so
Albanien gewinnen, ohne einen einzigen Soldaten zu verlieren. Das Gleiche
könnte auch m it Serbien geschehen, das er — der Pascha — erst kürzlich tro tz aller
Verbote des Sultans unterw orfen hätte. D ie Bedingungen, unter denen der Pascha
bereit war, sich unter kaiserliche O berhoheit zu begeben, waren folgende: 1.)
volle Freiheit fü r die muslimische Religionsausübung, 2.) der Pascha und seine
Familie erhalten auf allen ihren Besitzungen vollständige Steuer- und Abgaben-
freiheit. Radovani meinte, der Kaiser könnte auf dieses A ngebot eingehen. E r
sollte noch andere Privilegien hinzufügen, um so den großen Plan zu v e rw irk li-
chen, dem Christentum und der Casa di A u stria zwei Provinzen (A lb a n ie n und
Serbien) hinzuzugewinnen. In seinem Postscriptum vom 9. A p r il war der E rzbi-
schof dann allerdings etwas vorsichtiger: E r wies da ra uf hin, daß die vom
spanischen Botschafter bei der P forte, E lio d o ro de B ouligny e rw irk te Begnadi-
gung des Paschas durch den Sultan u n m itte lb a r bevorstünde. Kara M ahm ud
Pascha würde deshalb vom Kaiser m ehr fo rd e rn , näheres wüßte Pichler zu
berichten. Radovani riet je tzt zur V orsicht: ‫ ״‬L i T urchi e massime L u i [der Pascha)
attendono li evventi della Sorte, e niente si curano delle Promesse date“ ’5.
Pichler kam Ende A p ril wieder von S kutari zurück, überreichte dem Kaiser im
Feldlager vor Belgrad den B rie f Radovanis und erstattete ihm mündlichen
Bericht. D er E ind ruck, den sein B ericht auf Joseph I I . machte, war sehr positiv:
Man dürfe eine so günstige G elegenheit, der Pforte ‫ ״‬une diversion considerable“
zuzufügen, nicht vergehen lassen, schrieb Joseph seinem K anzler K aunitz. D ie
Bedingungen des Paschas, wie er sie im B rie f des Erzbischofs m itg ete ilt hätte,
seien so bescheiden, daß man ihm durchaus noch m ehr zugestehen könnte. E r
sollte nicht nur seine bisherigen Besitzungen als E igentum behalten, sondern
darüber hinaus auch noch einen T e il je n e r Gebiete bekom m en, an deren
Eroberung er m itgew irkt hatte. 100 000 D ukaten sollten dem Pascha zum K au f
m ilitärischer Ausrüstung zur V erfügung gestellt werden. A lle E inzelheiten sollten
Vukassovich und Pernet m it Kara M ahm ud Pascha in S kutari persönlich regeln36.
Kaunitz konferierte in der Folgezeit w iederholt m it Pichler, verglich dessen
Angaben m it denen der nach M ontenegro entsandten kaiserlichen O ffizie re und
kam zu dem Schluß, daß es je tzt notw endig sei, ‫ ״‬die H auptnegotiation nicht, wie es
bisher geschehen, bey den M ontegrinern, sondern bey dem Pascha von Scutari zu
führen“ . D e r Pascha sei in ‫ ״‬den dortigen Gegenden“ absoluter H e rr, und die

‫ע‬ Ebenda, f. 44 - 44v.; das Schreiben ist abgedruckt bei Schwanke R .: E in geschichtlich bedeutsamer
Briefwechsel des Jahres 1788. in: Shêjzat 13 (1969) S. 1 5 4 - !56.
36 Joseph II. an K a unitz, Semlin 27. A p ril 1788 = H H S tA . T ü rk e i V 20, K o n d . 1, f. 4 3 -4 6 .

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 57

M ontenegriner könnten nichts unternehm en, wenn er nicht wenigstens neutral


bliebe37.
Bei den Gesprächen m it K aunitz scheint es Pichler gelungen zu sein, den
K anzler davon zu überzeugen, daß Vukassovich und Pernet nicht die geeigneten
Leute waren, um m it dem Pascha zu verhandeln. Sie m ißtrauten ihm zu sehr und
hintertrieben dadurch das ganze G eschäft. Pichler schlug vor, den ‫ ״‬geheimen H of-
und Staatsofficialen“ Wenzel E d le r von Brognard als Sonderbeauftragten nach
Skutari zu schicken und ihm die Leitung der Verhandlungen anzuvertrauen.
Pichler muß Brognard also gekannt haben, w oher, ist nicht bekannt. Brognard war
der Sohn von Franz A n to n E d le r von Brognard, der 1760-1769 kaiserlicher
Internuntius in K onstantinopel gewesen war. E r hatte an der Orientalischen
A kadem ie in W ien studiert und war 1785 der kaiserlichen Botschaft in der
osmanischen H auptstadt zugeteilt worden. In Konstantinopel verfaßte er eine
Reihe von Berichten über türkische Befestigungsanlagen sowie eine — hauptsäch-
lieh m ilitärisch verw ertbare — Beschreibung der Westküste des Schwarzen
Meeres3“ . Im Sommer 1786 bereits kehrte er aus gesundheitlichen Gründen wieder
nach W ien zurück. Brognard beherrschte neben der türkischen auch die italieni-
sehe Sprache und hatte eine ‫ ״‬genaue praktische Kenntnis der T ürken, ihrer
Gebräuche, G ew ohnheiten, Denkungs- und Berechnungsart“ , sowie ‫ ״‬alle übrige
dem abgezielten Endzweck gemäße Fähigkeiten und Eigenschaften“ 39.
Pichlers Vorschlag wurde angenommen, und am 12. M ai Unterzeichnete Joseph
II. v o r Belgrad mehrere Schriftstücke in der albanischen Angelegenheit, darunter
das A ntw ortschreiben an E rzbischof R adovani, ein offizielles Schreiben an Kara
M ahm ud Pascha und einen B rie f an Vukassovich und Pernet. Dem Erzbischof
gegenüber betonte er seine B ereitschaft, den Pascha von Skutari in seinem K am pf
gegen den Sultan zu unterstützen. E r kündigte an, zusammen m it Pichler einen
Beamten seiner G eheim kanzlei (B ro gn ard ) nach Skutari zu schicken, der einen
genauen B ericht über die Lage in A lb a n ie n anfertigen sollte*1. In dem ausführli-
chen Schreiben an Kara M ahm ud Pascha41 begrüßte der Kaiser dessen Plan, die
Verzeihung des Sultans zum Schein anzunehmen. E r verwies auf die Falschheit der
Pforte, deren Versprechungen er nicht trauen solle. Sie würde sich nach Kriegs-
ende sofort m it allen K räften gegen den Pascha wenden, der ohne kaiserlichen
Schutz im m er vom Sultan bedroht sein würde. Joseph II. erklärte sich bereit, Kara
M ahm ud Pascha unter seinen Schutz zu nehmen. Dazu wäre es aber notwendig,
daß zwischen den Besitzungen des Kaisers und denen des Paschas eine unm ittel-
bare Nachbarschaft hergestellt würde. D er Pascha sollte sich deshalb m it allen
seinen K räften nach Bosnien wenden und dort zusammen m it den kaiserlichen
Truppen die T ürken bekäm pfen. W enn das gemeinsame Unternehm en E rfo lg

37 K a unitz an Joseph I I . , W ien 8. M ai 1788 = ebenda, f. 5 9 -6 0 v .. 89-9(1.


38 N ik o v . P.: E dno neizvestno opisanie na bülgarskija čem om orski brčg o t X V I I I včk (E ine unbekannte
Beschreibung der bulgarischen Schwarzm eerküste aus dem 18. Jahrhundert). Sofia 1932 = GodiŠnik na
S ofijskija U n ive rsite t. Isto risko -filo lo g iče ski fa k u lte t. K n j. X X V I I I , 3; d o rt. S. 5 —8. auch einige Angaben
zu ßrognards B iographie.
39 K a u nitz an Joseph I I . . W ien 8. M a i 1788 = H H S tA . T ü rk e i V 20 Kond. I . f. 5 9 -6 0 v .. 8 9 -9 0 .
40 Joseph II. an E rzbischof R adovani, ‫ ״‬C am po presso Belgrado*' 12. M ai 1788 = ebenda, f. 7 8 -7 8 v .,
8 0 - 80v., abgedruckt bei Schwanke. S. 156-158.
41 H H S tA , T ü rk e i V 20. K ond. 1, f. 7 2 -7 7 ; deutscher E n tw u rf f. 666.

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hätte, würde A lbanien unter kaiserliches P rotektorat kom m en. Für diesen Fall
versprach Joseph II. 1). volle F reiheit fü r den islamischen K u lt in A lb a n ie n , 2). der
Pascha und sein Besitz werden von allen Steuern und Abgaben ausgenommen.
3). der Pascha bleibt H e rr von S kuta ri, A n tiv a ri, D ulcigno und von allen von
M uslim en bewohnten O rten, deren Besitz au f seine N achkom m en übergehen soll,
4). der Kaiser als Lehensherr w ird den Pascha gegen alle A n g riffe der Pforte und
anderer Feinde unterstützen, Kara M ahm ud Pascha muß aber auch seinerseits
seinem kaiserlichen Lehensherren bei künftigen Kriegen Heeresfolge leisten.
Falls das Unternehm en mißlingen sollte, würde der Kaiser m it dem Sultan nur
Frieden schließen, wenn der Pascha von den T ü rken volle A m nestie und Erhal-
tung seiner Herrschaft auf Lebenszeit zugesichert erhält.
Das d ritte Schreiben, das Joseph II. am 12. M ai Unterzeichnete, w ar an die
beiden H auptleute gerichtet, die von M ontenegro aus äußerst u n w illig das
kaiserliche A lbanien-P rojekt verfolgten bzw. zu bo ykottiere n versuchten. D arin
wurde die Einschaltung Brognards näher begründet: D ie H o f- und Staatskanzlei
hätte es fü r nötig befunden, Pichler B rognard beizugeben, ‫ ״‬dam it solcher, da er
nicht allein der Sprache kündig, sondern auch in den politischen Geschäften
bewandert ist, m it dem Bassa von Scutari die den Umständen angemessenen
Verhandlungen ausführe“ . Vukassovich und Pernet sollten B rognard und Pichler
w illig zur Hand gehen und eine Sprache führen, ‫ ״‬weil bei einer so mißtrauischen
N azion, welche von den Russen schon einm al angeführt worden ist, nichts zu
erhalten wäre, wenn sie den mindesten U nterschied in Verheißungen und
Handlungen bei Läuten von der näm lichen Nazion und D ienern des nämlichen
H errn wahrnehmen sollte“ 42.
Pichler und Brognard reisten am 10. M ai von Fiume ab, versehen m it 100 000
D ukaten und ‫ ״‬Prungbüchsen“ als Geschenk fü r den Pascha, die vom H ofkriegsrat
extra angefordert worden waren43. D ie R ollenteilung w ar vorhe r in W ien abge-
sprachen worden: Brognard sollte in S kutari als B evollm ächtigter des Kaisers
auftreten, Pichler hatte die A ufgabe, den ‫ ״‬vorzüglich dem Pascha zugetanen
Geschäftsträger“ zu spielen44. A m 25. M ai trafen beide in Ragusa ein. Ursprüng-
lieh w ollten sie von dort aus dire kt nach S kutari Weiterreisen, sahen dann aber von
diesem Plan ab, da die Reise wegen v o r der albanischen Küste kreuzenden
Schiffen zu gefährlich gewesen wäre. B rognard entschied sich fü r den Landweg
über M ontenegro45. A m 12. Juni trafen B rognard und P ichler in C etinje ein. D o rt
hatte Brognard eine U nterredung m it den beiden H auptleuten, dem Bischof
(Petar I. Petrovič Njegoš) und dem ‫ ״‬G uvern ad ur“ 4* (Jovan R adonjić), die alle vor
dem Pascha warnten47. Danach reisten B rognard, H auptm ann Pernet, Pichler und

42 Joseph II. an Vukassovich und Pernet. Sem lin 12. M ai 1788 = ebenda, f. 9 I v . —92.
43 H o f- und Staatskanzlei an den Präsidenten des H o fkriegsrates o .D . = ebenda, f. 51.
44 K aunitz an Joseph I I . , W ien 8. M ai 1788 = ebenda, f. 59—60v., 8 9 -9 ().
45 B rognard an K aunitz, Ragusa 2. Juni 1788 = ebenda, f. 174-176.
46 Neben dem Bischof stehender z iv ile r Regent der M on ten e g rine r. Das A m t w ar seit 1718 in de r Fam ilie
R adonjić erblich, die dam it in K o nkurre nz zur F am ilie Petrovid NjcgoS tra t, die seit 1697 die Bischöfe von
C e tinje stellte. V g l. G lö tzn e r, V .: V om Stammesverband zum Staat. M ontenegro von 17% bis 1851. in:
B a rtl, P.; Glassi, H . (H rs g .): Südosteuropa un ter dem H albm ond. Untersuchungen über Geschichte und
K u ltu r de r südosteuropäischen V ö lk e r während de r T ü rk e n z e it. FS G eorg S tad tm üller. M ünchen 1975,
S. 8 0 -8 1 .
47 D jo rd je v ić , Izpisi. S. 156.

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__ «•

Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 59

ein ‫ ״‬walachischer Pop” , der den Pascha kannte (wahrscheinlich ein serbischer
G e istlicher), nach Skutari w eiter. D ie 100 000 D ukaten fü r den Pascha ließen sie
vorsichtshalber in C etinje zurück.
In Skutari logierten die kaiserlichen Abgesandten etwas außerhalb der Stadt, in
einem D o rf namens S iroko (S hirokë am Skutarisee), die Verhandlungen wurden
. _ ••
nachts in der Festung von Skutari geführt. U ber diese Verhaltungen berichten
Pichler als Augenzeuge48 und K erm potich aus zweiter H and44. Sie endeten dam it,
daß der Pascha versprach, binnen 20 Tagen 8 —10 000 Mann seiner T ruppen in die
Herzegovina zu schicken. Diese T ruppen, die noch durch 7000 (wahrscheinlich
christliche) A lb a n e r verstärkt werden sollten, hätten sich dort m it den M ontene-
grinern zu vereinigen50.
Danach begaben sich Pernet, Pichler und der ‫ ״‬walachische Pop“ nach C etinje
zurück, um das G eld und die Geschenke fü r den Pascha zu holen; B rognard blieb
in Skutari zurück.
•»

U be r die nachfolgenden Ereignisse weichen die Berichte Pichlers und K erm po-
tichs voneinander ab. Es ging dabei um die Frage: W er soll nach A lbanien
zurückreisen, um dem Pascha G eld und Geschenke zu überbringen? Nach Pichler
erklärte sich Pernet sofort nach der R ü ckku n ft in Cetinje am 16. Juni dazu bereit,
w ieder nach S kutari zu gehen51. K erm potich berichtet dagegen, Pichler und der
‫ ״‬walachische Pop“ hätten zunächst versucht, Vukassovich zu überrreden, selbst
nach Skutari zu reisen. Pichler hätte ‫ ״‬dieses Geschäft unter dem V orw and
verschiedener kleiner U npäßlichkeiten von sich abgelehnt“ . Erst dann hätte sich
Pernet b e re ite rklä rt, diese Aufgabe zu übernehmen52.
Pernet und seine kleine Begleitung (L eu tna nt Schönflug, ein M ontenegriner
und der ‫ ״‬walachische Pop“ ) kamen glücklich in Skutari an und übergaben dem
Pascha G eld und Geschenke. Dieser schien darüber hocherfreut, beschenkte
seinerseits die kaiserlichen Abgesandten, ‫ ״‬und führte sie auf diese listige A r t, wie
ein blutrünstiger Barbar auf das schändlichste hinter das L ic h t“ — so schilderte
K erm potich, das blutige Ende vorwegnehm end, den Abschluß der Gesandt-
schaftsreise nach Skutari.
Nach K erm potich soll zumindest Pernet von den finsteren A bsichten des
Paschas erfahren und Brognard vorgeschlagen haben, ‫ ״‬wenn sie schon zu G runde
gehen müsten“ , eine neue A ud ien z beim Pascha zu erbitten und diesen bei dieser
Gelegenheit zu töten. D er als gutgläubig geschilderte Brognard ve rw a rf aber
diesen Gedanken und redete m it dem Pascha, der ihm sicheres G eleit nach
M ontenegro schriftlich zusicherte. D araufhin reisten Brognard und seine Beglei-
tung aus Skutari ab, bis auf den ‫ ״‬walachischen Pop“ , der dort verblieb53. A u f ih re r
Rückreise wurden Brognard und G efährten von Gefolgsleuten Kara M ahm ud
Paschas überfallen und erm ordet, wie man in Ragusa e rfuh r, am 21. Juni
vorm ittags54. Den E rm ordeten wurden die Köpfe abgeschnitten, diese nach

48 Pichler: ‫ ״‬Aussage über den T o d fa l des H . B ro g n a rd “ . Fium e 6. Juli 1788 = H H S 1A . T ü rk e i V 20, K ond. 1,
f. 3 2 2 -3 2 3 : B e richt Pichler W ien 12. Juli 1788 = ebenda, f. 3 2 7-3 33v.
44 D jo rd je v ič . lzp isi. S. 147-195.
50 B ericht P ichler W ien 12. Ju li 1788 = H H S tA . T ü rk e i V 20. Kond. 1. f. 3 31-331v.
51 Ebenda, f. 332—332v.
52 D jo rd je v ii, Izpīsi. S. 158.
" Ebenda.
u M u lja ćić. S. 111.

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Skutari gebracht und von dort vom Pascha zum Beglerbeg von Rum elien
geschickt, um sich w ieder in dessen Gunst einzuschleichen. ‫ ״‬D ieser aber, wie w ir
es nachher aus zuverlässigen Q uellen schöpften, schikte sie ihm w ieder zurück, m it
dem Bedeuten, dass ihm solche niedrige Handlungen viel zu elend sayen, seyne
W ohlgewogenheit zu erw erben, der gegen seinen Keiser ebenso tükisch und
untreu handelt als gegen andere Fürsten ist ein m eineidiger T yrann , dessen
G rausam keit in M äuthereyen ausarten; und daher ist ihm auch nie zu trauen“ ,
schrieb K e rm p o tich 55. Das muß ein W unschdenken des kaiserlichen Feldkaplans
gewesen sein, denn die M o rd ta t war nicht umsonst geschehen, wie es K erm potich
darzustellen versucht. Kara M ahm ud Pascha tra t nämlich wenig später auf der
Seite des Sultans in den K rieg gegen den Kaiser ein, die E rm ordung der
kaiserlichen Abgesandten scheint ihm also doch w ieder das W ohlw o lle n seines
O berherren eingebracht zu haben.
Joseph II. e rfu h r im Feldlager v o r Belgrad vom unglücklichen Ausgang der
albanischen M ission. In einem Schreiben an K aunitz vom 17. Juli bedauerte er das
Schicksal Brognards und seiner G efährten: ‫ ״‬La trahison commise envers !'O ffic ia l
B rognard, le C apitaine Pernet et leur Compagnon m’a fait la plus grande peine, on
ne peut rien im aginer de plus abom inable, et quoique je n ’aie point connu
personnellem ent Brognard j ’en entends dire tant de bien de to u t le monde, que je
le regrete encore d ’avantage“ . Im gleichen B rie f versuchte er aber auch die ganze
A k tio n so darzustellen, als ob er im m er schon an ihrem E rfo lg gezweifelt hätte:
‫ ״‬...je ne puis com prendre com ment on a toujours pu tant vanter la bonne foi des
Turcs, après que dans plusieurs occasions deja je n’en ai vu que des atrocités,
manque de parole et la plus mauvaise fo i...“ 56. D ie kaiserliche A lb a n ie n -A k tio n in
Skutari war also gescheitert, über das W eshalb wurden bereits von Zeitgenossen
und später von H is to rik e rn Betrachtungen angestellt, w orauf noch zurückzukom -
men sein w ird.
Parallel zu der geschilderten Mission in Skutari verliefen Bemühungen der
W iener Regierung, die Bewohner des südalbanischen Berglandes H im ara (in
zeitgenössischen Q uellen C im ara, C im erà, Z im a ra ) fü r gemeinsame A k tio n e n zu
gewinnen. H ie r waren die K ontakte bereits lange vo r Kriegsausbruch geknüpft
w orden, was aufzeigt, daß Joseph II. m it der M ö g lich ke it eines Türkenkrieges
gerechnet hatte.
Südlich von V alona, im sogenannten A krokeraunischen Küstengebirge gele-
gen, umfaßt das G ebiet von H im ara heute 7 D ö rfe r: Palasa, D h ë rm i, V uno,
H im ara, P ilu ri, Kudhësi und Q eparo57. Sie liegen in einem etwa 20 km (L u ftlin ie )
langen Streifen an der Küste des Ionischen Meeres. Im 18. Jahrhundert wurde
unter H im ara ein m ehr als doppelt so großes G ebiet verstanden, das sich im Süden
bis nach Saranda erstreckte, eine Länge (L u ftlin ie ) von etwa 50 km hatte und 16

55 D jo rd je v ič , Izpīsi. S. 159—160.
56 B eer. A . (H rs g .): Joseph H ., Leopold II. und K a unitz. Ih r Briefw echsel. W ien 1873. S. 293.
57 Pepo, P.: M a te ria le për historinë e krahinëssë H im arës në v ite t 1785-1788 (M a te ria le n zur Geschichte des
G ebietes von H im ara in den Jahren 1785—1788), in : Studim e H is to rik e . 1 ( 1964) 3. S. 127: die A ufzählung
e rfo lg t von N o rd nach Süd.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 61

D ö rfe r zählte. 1787 hatte H im ara nach dem B ericht eines kaiserlichen Agenten
13 910 E inw ohner, w orunter 3 760 W affenfähige waren58.
D ie H im arioten waren durch ihre K riegstüchtigkeit bekannt. Da wegen der
U n w irtlic h k e it des Landes Landw irtschaft nur in bescheidenem Ausmaße betrie-
ben werden konnte, lebte die B evölkerung der H im ara vorwiegend von Raubzü-
gen, die in die nähere und weitere Um gebung unternom m en wurden. D ie
H im ario te n verdingten sich auch häufig als Söldner, zumeist im Dienste der
Spanier und Venezianer. A us ihnen re k ru tie rte sich auch hauptsächlich das
berühm te ‫ ״‬Reggim ento Real M acedone“ in Neapel, das bis in die Z e it der
Napoleonischen Kriege bestand54. D ie w irtschaftliche N o t fü hrte auch zu einer
Auswanderung nach Ita lie n . D ie Spuren dieser A usw anderer verlieren sich
zumeist in den verschiedenen schon bestehenden albanischen Siedlungen Südita-
liens. V on einer him ariotischen N eugründung in Ita lie n wissen w ir allerdings: V illa
Badessa (P rovinz Pescara) wurde 1746 von Flüchtlingen aus dem him ariotischen
D o rf Piqeras neubesiedelt6".
Das G ebiet von H im ara wurde — eine gewisse Parallele zu M ontenegro ist
unverkennbar — von der osmanischen V erw a ltun g kaum erfaßt. N u r gelegentlich
•♦

drangen türkische Truppen d o rth in vo r, um Steuern einzutreiben oder Ü berfälle


zu bestrafen. Diese scheinbare U nabhängigkeit und die von w irtschaftlicher N ot
d ik tie rte B e re itw ilig ke it der H im a rio te n , sich als H ilfstru ppe n fü r den T ü rken -
kam pf zur V erfügung zu stellen, machten diese kleine Landschaft fü r die Mächte
interessant, die m it dem Sultan im K rieg standen. D ie H im a rio te n selbst hatten
sich seit der türkischen E roberung im m er w ieder an die verschiedensten christli-
chen Fürsten gewandt, um ihre Dienste anzubieten,um W affen und A usrüstung zu
bitten oder um U nterstützung bei drohenden türkischen Strafexpeditionen anzu-
suchen. Adressaten solcher him ariotischer Angebote bzw. Hilfsgesuche waren die
Könige von Spanien, die Päpste, die R epublik Venedig und zuletzt das Zarenreich
gewesen61.
Im Sommer 1785 kam es dann auch zu einer K ontaktaufnahm e m it der
kaiserlichen Regierung. D ie In itia tiv e dazu ging von den H im a rio te n aus: A m 20.
Juli 1785 schrieb ein gewisser A ndrea G in i de Lazzari, der vorgab, aus einer alten
S tradiotenfam ilie zu stammen, die im Dienste der R epublik Venedig Bedeutendes
geleistet hatte, an den Kaiser und kündigte die Entsendung einer sechsköpfigen
Delegation aus der H im ara an62. G inis B rie f waren zwei weitere Schriftstücke

** ‫ ״‬Consignation Ü b e r deren O rthschaften. H äuser, Seelen, W affenfähigen M än ne r, deren R eligion und


Sprache, in der P rovinz Z im a ra " (A n la g e zur R elation des H auptm anns O edovich vom 3(). Ju li 1787) =
H H S tA , T ü rk e i I I I 13, f. 2 4 5 -2 4 7 .
59 V g l. Cenno sto rico dei servigi m ilita ri prestati nel Regno delle D ue Sicilie dai G reci E p iro ti Albanesi e
M acedoni in epoche diverse. C o rfù 1843.
M C am aj. M .: Sprachreste de r albanischen M u n d a rt von V illa Badessa in der Provinz Pescara, in: B a rtl, Glassi
(H rs g .). Südosteuropa un te r dem H a lbm on d. S. 37.
61 E ine wissenschaftliche D arstellung über die H im a rio te n und ihre Geschichte fehlt bisher. Ü b e r die
M issionsbemühungen italienischer B asilianer in der H im a ra b e rich te t, auch m it A b d ru c k von Q uellen m ate‫־‬
ria l, Borgia. N .: I monaci basiliani d 'Ita lia in A lb a n ia . A p p u n ti di storia m issionaria. Secoli Х Ѵ І - Х Ѵ И 1 .
1—2. Roma 1935. 1942; über die Beziehungen der H im a rio te n zu Spanien und zur Römischen K u rie finden
sich Hinw eise bei B a rtl, W estbalkan (A n m . 2), S. 1 2 4 -1 3 1 . 1 5 5 -1 56 ; über die Beziehungen der
H im a rio te n zu Rußland s. ders., A lb a n ie n — ein Randgebiet d e r russischen B a lk a n p o litik im 18.
Jahrhundert (1711 —1807), in : Saeculum. 17 ( 1966) S. 386—388.
A n drea G in i de Lazzari an Joseph I L , ‫ ״‬D a lla Provincia C im a rra M acedona“ 20. Ju li 1785 = H H S tA . T ü rk e i
I I I 13, f. I.

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62 P. Bani

beigefügt, die näheren Aufschluß darüber geben sollten, wie man sich in der
H im ara eine Zusam m enarbeit m it dem Kaiserreich vorstellte bzw. was man vom
Kaiser erw artete. In einer ‫ ״‬Nota de tu tti i villaggi della Provincia de Cim arra in
M acedonia“ wurde H im ara als eine Landschaft vorgestellt, die 48 D ö rfe r m it
10090 Häusern umfaßte. G in i dehnte H im ara dabei landeinwärts bis in Gebiete
aus, die sicher niemals dazu gehört hatten; das von ihm genannte Smoctina
(S m okthina) liegt ca. 20 km von der Küste e n tfe rn t!‘‘3 Das A ngebot, welches G in i
dann im Namen seiner Landsleute dem Kaiser unterbreitete, umfaßte ein M axi-
mal- und ein M inim alprogram m : Die U nterstellung der H im ara unter die kaiserli-
che H errschaft, oder, wenn dies vorerst nicht ginge, die A ufstellung einer eigenen
him ariotischen Truppenabteilung in kaiserlichen Diensten.
Das M axim alprogram m umfaßte 14 Punkte: 1). D ie H im arioten wollen sich
dem Kaiser unterw erfen ( ‫״‬dedicarsi sotto le gloriose Sue insegne“ ). Sie seien
keiner frem den M acht untertan. Wenn die Türken das Gegenteil behaupten, so sei
das falsch. Sie zahlten keinen T rib u t und befänden sich im ständigen K am pf m it
den T ü rke n in ih re r Umgebung. 2). D er Kaiser soll ihnen fü r den A nfang eine
kleinere Truppe m it alle r Ausrüstung, die zur A bw e hr eines türkischen A n g riffs
notw endig wäre, zur Verfügung stellen. 3). Im H au pto rt der H im ara soll ein
kaiserlicher Kom m andant seinen Sitz haben, dessen Aufgabe es auch sei, G ericht
zu halten und interne Streitigkeiten der H im arioten zu schlichten. 4). D ie
H im a rio te n sollen in frem den Häfen die kaiserliche Flagge führen dürfen. 5). D ie
im H a u p to rt der H im ara in beherrschender Lage befindliche alte Festung soll m it
H ilfe kaiserlicher Ingenieure wieder instandgesetzt werden. 6). Für die Söhne der
Primaten sollen Schulen eingerichtet werden. 7). Aus dem im Zentrum der
Provinz befindlichen N aturhafen ‫ ״‬Pallerm o“ (P orto Palerm o), der mehr als 2000
große Schiffe aufnehmen könnte, soll ein Freihafen gemacht werden. Man könnte
d o rt auch ein Arsenal errichten, da in der Umgebung ausreichend H o lz vorhanden
wäre. U n te r diesem Punkt machte G in i auch Angaben über die wirtschaftlichen
R eichtüm er der Provinz: Es gäbe Salinen, Getreide würde in großer Menge
prod uziert, es gäbe W ein, Haustiere aller A rt und es könnte dort auch m it der
••

H erstellung von O l begonnen werden. 8). Einige Primaten sollen Stipendiaten des
Kaisers werden. 9). D e r Hafen (Palerm o) solle fü r 10 Jahre von allen Abgaben
befreit sein, die der Stadt H im ara zugute kommen sollen. Die Punkte 10 und 11
betrafen w ieder die Prim aten: Sie sollen von der ‫ ״‬angaria" (Dienstleistungen)
befreit sein und nur den Zehnten zahlen. 12). D ie griechische Kirche in der
H im ara bleibt von der lateinischen unabhängig. Selbst wenn später dort ein
lateinischer Bischof eingesetzt würde, dürfte sich dieser nicht in die Angelegenhei-
ten der griechischen K irche einmischen. Punkt 13 betraf die 6 Abgesandten, die
auf eigene Kosten in das Kaiserreich gereist seien. Sie sollten mitsamt ihren Erben
von allen Abgaben be fre it sein und eine kaiserliche Pension erhalten. D ie Namen
dieser Abgesandten werden aufgeführt: Neben Andrea G in i de Lazzari waren es
Zaccaria Casnezzi, C ostantino P rifti, Spiridion Andrea Teodoro, Allessio P rifti
und C ostantino Casnezzi. In Punkt 14 wurde es dem Kaiser anheimgestellt, gegen

w Ebenda, f. 3.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 63

diese Vorschläge Einwände zu erheben oder neue hinzuzufügen; die H im ario te n


würden sich in allem den kaiserlichen Wünschen fügen.
Das M inim alprogram m beinhaltete 12 Punkte: 1). Wenn der Kaiser glaubt, der
A ugenblick wäre ve rfrü h t, um die H im ara unter seine direkte H errschaft zu
bringen, dann soll eine himariotische Truppenabteilung, bestehend aus 8 Kom pa-
nien zu je 50 M ann, aufgestellt werden. 2). A n fü h re r dieser T ruppe, die später au f
die doppelte Zahl vergrößert werden könnte, soll A ndrea G in i de Lazzari werden.
3). D er Kaiser soll ein Schiff m it einem W erbeoffizier nach Porto Palermo
schicken. D ie neuangeworbenen Soldaten und U nte ro ffiziere sollen ein Handgeld
von 32 F io rin i (G ulden) sowie U niform en erhalten. 4). H im ario te n sollen auch in
der kaiserlichen M arine — in T riest, Fium e, Segna (Senj) und Carlobago
(K arlobag) — Dienst leisten können. 5). D ie Bezahlung der H im a rio te n soll höher
sein als die der übrigen kaiserlichen Soldaten, weil sie sich soweit von ih re r H eim at
entfernt befinden. 6). D ie Angehörigen des him ariotischen K orps sollen sich, wie
die albanischen Söldner in Neapel, auf drei Jahre verpflichten. 7). Das K orps soll
sich ‫ ״‬Regimento Im periale“ nennen und nur dem Kaiser unterstellt sein. 8).
Kommandosprache soll Albanisch sein. 9). In K o rfu soll ein kaiserliches Konsulat
errichtet werden, das auch die Truppenrekrutierung in der H im ara zu überwachen
hätte. 10). D ie himariotische Truppe soll über eine eigene Kasse verfügen. 11).
Den O ffizieren können ihre Söhne im A m t nachfolgen. 12). O ffizie re können von
Z e it zu Z e it zur Rekrutenwerbung in ihre Heim at beurlaubt werden44‫׳‬.
A m W iener H o f war man an dem Angebot der H im arioten nicht uninteressiert,
aber gleichzeitig auch zurückhaltend, wußte man doch zu wenig über die entfernte
H im ara. A ls die himariotischen Abgesandten Ende N ovem ber 1785 in Fiume
auftauchten, versuchte man über sie zunächst Näheres über die Verhältnisse in
ih re r H eim atprovinz zu erfahren. Joseph II. gab die entsprechenden Anweisungen
am 11. Dezember 1785: Es sei von den Abgesandten m ündlich in E rfahrung zu
bringen, ob sie w irklich völlig unabhängig seien, oder, wie die M ontenegriner,
‫ ״‬sich so lange eines Tributs an die Pforte entziehen, als sie türkischerseits hierzu
m it Gewalt nicht gezwungen werden können?“ Grundsätzlich neigte der Kaiser
mehr dem M inim alprogram m der H im arioten zu, das die geringsten Risiken in
sich barg. Interessant wäre die ganze himariotische Angelegenheit nach M einung
Josephs II. nur, wenn es zu einem neuen K o n flik t m it dem Sultan käme:
‫ ״‬D ie Aufnahm e eines Corps Truppen von dieser Nazion in diesseitige Dienste,
welches entweder in 100 oder in 800 Mann bestünde ist kein Gegenstand fü r
unsere Kriegsmacht im ganzen, und zu Friedenszeiten wäre ihre U nterhaltung
ein ganz unnöthiger A ufw and. A u f den Fall hingegen, wenn es zu einem K rieg
m it der Pforte zu kommen hätte, würde es ungemein vo rth e ilh a ft seyn, wenn
man m it einem solchen V olke in einer V erbindung stünde, und entweder
w irklich das Land schon in der U n te rw ü rfig ke it, oder, nach dem zweyten
P rojekt, durch die beyhabende Truppen ihrer Nazion bereits einen Fuß im
Lande hätte: diese Truppe könnte in einem solchen Fall m it O ffizie rs,
A rtille rie , M u n itio n und Menschen dahin abgeschickt werden, man w ürde, von

‫ ״‬C a pitola/ion e a Sua Ccs.a. Maestà offe rta d a lli M acedoni Provincia della C im a rra “ = ebenda, f. 6 - 8 v .

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64 P. Bartl

da aus, Untersuchungen in die benachbarten türkischen Provinzen machen,


m ehr andere dergleichen Völkerschaften in dortigen Ländern an sich ziehen,
und hierdurch den T ü rken auf dieser Seite wenigstens so viel zu schaffen geben,
daß die dortige Bassen au f ihre eigene Sicherheit vordenken, m ith in jene in
Bosnien und Servien sich selbst überlassen müssen. Bios auf diesen Fall wäre
auch ein w irkliches Etablissement in dem Lande selbst, auch zu Friedenszeiten,
dadurch v o rth e ilh a ft, w eil man gleich einen Hafen an der Küste in Besitz hätte,
und gewissermaßen würde man hier besser, als bey den M ontenegrinern
fahren, weil man m it diesen letzteren keine K om m unikazion, ausgenommen
durch das venezianische G ebiet, hatte, m it der Provinz Cim ara aber diese
K om m unikazion directe zur See unterhalten werden kann. H ierdurch und
durch hin- und hergehende O ffizie rs würde man im Stande seyn, auch zu
Friedenszeiten sich von den vielerley V ölkerschaften in dem dortigen w eit-
schichtigen Strichlande, in M azedonien, A lb a n ie n etc. Kentnisse beyzulegen,
und seine Erkundigungen tie fe r in die türkische Länder fortzusetzen“ 65.
K aunitz hat auftragsgemäß die him ariotischen Abgesandten befragt und machte
darüber bereits am 15. Dezem ber 1785 Joseph I I . M itte ilu n g : D ie H im ara umfasse
ein G ebiet, das der Länge nach von V alona (Ѵ Іо гё ) bis B u trin t, in der B reite vom
M eer bis A rg yro ka stro (G jiro ka stë r) reiche und 50—60 D ö rfe r m it 40—50 000
E inw ohner zähle. D ie H im arioten wären wegen ih re r T a p fe rk e it, und weil das
G ebiet von der Landseite her schwer zugänglich sei, den T ü rke n niemals untertan
gewesen. A uch zum K önigreich Neapel bestünden keine vertragsmäßigen B in-
dungen. Neapel würde in der H im ara a lljä h rlich 50—100 M ann fü r das ‫ ״‬Reggi-
m ento Real M acedone“ anwerben, wie das auch Venedig in der Vergangenheit
getan hätte. K aunitz m einte, daß gegen kaiserliche Truppenwerbungen dort
politisch keine Bedenken bestünden und schlug vo r, zu diesem Zweck einige
geschickte O ffizie re in die H im ara zu schicken66.
Letzteres hielt Joseph II. allerdings fü r v e rfrü h t, wie aus den nicht gezeichneten,
aber sicher vom Kaiser stammenden Randbem erkungen zum Schreiben von
••

K aunitz67 ersichtlich ist. Ü berhaupt argwöhnte der Kaiser, daß es den him ario ti-
sehen Abgesandten hauptsächlich um Belohnung und Pensionen zu tun sei. Joseph
II. muß seine ursprünglich positive H altu ng zum H im a ra -P ro je kt innerhalb
weniger Tage vö llig re vidiert haben: D ie H im ara sei von der D onau, dem
Schauplatz eines künftigen Türkenkrieges, viel zu w eit en tfe rnt und zudem zu
wenig volkreich, um eine wirksame D iversion betreiben zu können. Gegen die
E rrich tu n g einer him ariotischen ‫ ״‬Freykom panie“ hatte der Kaiser nichts einzu-
wenden, wenn er sie auch fü r wenig geeignet h ie lt, um die W ehrkraft der
M onarchie zu erhöhen. Joseph II. w ar auch bereit, den H im a rio te n 3000 Gewehre
zum Geschenk zu machen, wenn diese ohne Aufsehen von Triest aus als
Handelsware verschifft würden. Ansonsten wünschte er den A u fe n th a lt der

65 Bem erkungen Josephs II. zu dem von K aunitz an ihn gerichteten Schreiben, W ien I I . Dezem ber 1785 =
ebenda, f. 3 7 -3 8 ; abgedruckt (allerdings m it zahlreichen Lese- und D ru c k fe h le rn ) bei Pepo, S. 128-13().
66 H H S tA . T ü rk e i I I I 13. f. 3 9 -4 1 v .
67 Ebenda, f. 4 0 v .—41v.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 65

him ariotischen Abgesandten in der M onarchie so schnell wie m öglich zu beenden


und wies K aunitz an, G eld fü r deren Rückreise zur V erfügung zu stellen.
D ie 6 H im ario te n kehrten A nfa ng Februar 1786 in ihre H eim at zurück68. Sie
brachten nicht viel mehr m it als die Zusicherung des Kaisers, zur A u fste llu n g einer
200 M ann starken him ariotischen ‫ ״‬Freykom panie“ bereit zu sein. Da der kaiserli-
chen Regierung die L e gitim a tion der Abgesandten nicht ausreichend erschienen
w ar, wurden sie aufgefordert, m it einer V o llm a ch t ih re r Landsleute nach W ien
zurückzukehren64. Diese V ollm a cht erteilte am 10. M ai 1786 eine im H a u p to rt
H im ara zusammengetretene Notabelnversam m lung A n d re a G in i de Lazzari70.
G in i d ü rfte sich A nfa ng Juni 1786 w ieder auf den Weg gemacht haben. A m 26.
Juni w ar er in Spalato (S p lit), am 14. Juli teilte er V izekanzler Cobenzl seine
A n k u n ft in Fium e m it. In seiner Begleitung befanden sich sein lO jähriger Sohn, fü r
den er in der M onarchie einen Ausbildungsplatz zu erhalten h o ffte , ein M önch und
zwei weitere Landsleute aus der H im a ra , die w ohl fü r seine G laubw ü rdig keit
zeugen sollten — G in i scheint sich also des M ißtrauens bewußt gewesen zu sein,
das man am kaiserlichen H o f gegenüber den him ariotischen Abgesandten hegte71.
Im A ugust w eilte G in i dann in W ie n, um m it der kaiserlichen Regierung über die
R ekrutierung und den T ransport der him ariotischen Kom panie zu verhandeln.
G in i schlug vo r, zusammen m it ihm eine Vertrauensperson der Regierung in die
H im ara zu schicken, die das H andgeld fü r die angeworbenen Truppen zu
überbringen hatte72. Für diese A ufgabe wählte die kaiserliche Regierung H aupt-
mann D edovich aus.
D edovich, über dessen Person nichts in E rfa hru ng zu bringen w ar73, reiste am
19. Januar 1787 von Fium e ab. In seiner Begleitung befanden sich G in i und seine
G efährten, ein O berleutnant D edovich von den H och- und Deutschm eistern, drei
U n te ro ffizie re sowie ein als K am m erdiener getarnter A rz t74. Das Schiff, das die
Reisenden in Fiume bestiegen, war als H andelsschiff d e kla rie rt und hatte fü r den
V e rk a u f bestimmte W aren (Eisenw aren, Leinw and) an B ord. Gemäß seiner
In stru ktio n sollte Dedovich sich nach Porto Palerm o begeben und d o rt, ohne

№ A n d re a G in i de Lazzari an Paolo A lm assi, H afenkom m andant von Fium e, Spalato 26. Juni 1786 = ebenda,
f. 6 4 - 6 4 v.
w Kobenzl an Joseph M ., W ien 9. August 1786 = ebenda, f. 6 7 -6 9 .
70 G em einde der Stadt C him arra an Joseph I I . . C'himara 10. M ai 1786 = ebenda, f. 55—55v., griechisches
O rig in a l ebenda, f. 5 6 -5 6 v .; deutsche Ü bersetzung abgedruckt bei Pepo. S. 131-132.
71 H H S tA , T ü rk e i I I I 13, f. 6 2 -6 2 v .
72 A n drea G in i de Lazzari an Joseph I I . , W ien 31. A ugust 1786 — ebenda, f. 84.
n D edovich zeichnete in säm tlichen Schriftstücken im m e r als ‫ ״‬D e dovich. H a u p tm a n n ", ohne Nennung eines
Vornam ens. M öglicherw eise entstam m te er de r gleichen O ffiz ie rs fa m ilie wie M a rtin von D edovich,
späterer F eldm arschall-Leutnant. der sich 1788 bei de r Belagerung von Bosanski N o v i einen Namen
gemacht hatte, vie lle ich t ist er auch m it ihm identisch. M a rtin v. D edovich w urde 1756 in H rtk o v c i
(S yrm ien) geboren, w o sich seit de r M itte des 18. Jahrhunderts eine albanische F lüchtlingskolonie
befand.die ihre Sprache bis in das 19. Jahrhundert bewahren konnte (vgl. B a rtl, P.: D ie K ëlm endi. Z u r
Geschichte eines nordalbanischen Bergstammes, in: Shêjzat (L e P leiadi). N u m čr P ë rku jtim u e r kushtuc
Prof. Ernest K o liq it (G edenknum m er fü r P rof. Ernest K o liq i) ( 1977), S. 135. In Frage kom m t auch Joseph
von D edovich. der 1827 in W ien ebenfalls als Feldm arschall-Leutnant starb und gleichfalls an der
Belagerung von Bosanski N o vi teilnah m , von dessen Festung er einen Prospekt zeichnete, der 1789 in Basel
p u b lizie rt w urde, vgl. Stanojevič, St. (H rs g .): N arodna e n ciklo pēd ija srpsko-hrvatsko-slovenačka (Ser-
bisch-Kroatisch-Slowenische N ational-F.nzyklopädie). 1. Zagreb о .J. S. 486. F ü r M a rtin von D edovich vgl.
die Biographie bei W urzbach. C .v .: Biographisches L e x ik o n des K aisertum s Ö sterreich. Bd 3. W ien 1858,
S. 197-198.
74 G ra f Stadion an C obenzl. W ien 14. D ezem ber 1786 = Pepo, S. 134.

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Aufsehen zu erregen, ‫ ״‬die Zustandebringung der Kom panie auf das baldigste
bew irken“ . Daneben sollte D edovich sein A ugenm erk aber auch auf ‫ ״‬die natürli-
che Beschaffenheit und die politischen Umstände der dortigen Gegenden“ richten
und darüber nach seiner R ückkehr einen ausführlichen B ericht erstatten. Insbe-
sondere sollte er folgende Punkte klären: Grenzen und Einwohnerzahl der
H im ara, leben die H im a rio te n m it T ü rke n verm ischt oder fü r sich allein, leben sie
im Lande verstreut oder in geschlossenen Ortschaften? Sind die H im a rio te n von
den benachbarten türkischen Statthaltern abhängig? W elchem E rw erb gehen sie
nach, wovon ernähren sie sich? Leben sie im Einvernehm en m iteinander, wer sind
ihre geistlichen und w eltlichen Vorsteher? U nte rh alte n sie ‫ ״‬eine G attung von
Kriegsm annschaft“ , wie hoch ist die Z a h l der W affenfähigen? W ie sind der Hafen
Palermo ( ‫ ״‬Panorm o“ ) und wie die Küste beschaffen, w ird der Hafen von T ürken,
Venezianern oder anderen europäischen N ationen frequentiert? Besitzen die
H im ario te n größere Schiffe und bauen sie selbst welche, gibt es in der H im ara
brauchbare Straßen, und w ohin führen sie? W ie ist das V erhältnis der H im arioten
zu den Venezianern und wie das zu den türkischen Befehlshabern in der
Nachbarschaft? Besonders eindringlich wurde D edovich nahegelegt, In fo rm a tio -
nen über Kara M ahm ud Pascha von Skutari einzuholen, ‫ ״‬da bekanntlich der
damalige türkische Befehlshaber von Skutari oder Skodra M ahm ud Pascha so
wohl durch sein unruhiges Betragen im Lande, als auch besonders durch seine
schon vo r mehreren Jahren gezeigte W iderspenstigkeit gegen die Befehle des
Ottom anischen Hofes, fast ganz A lb a n ie n , und Dalm azien in Bewegung gebracht
hat“ . E r sollte in E rfahrung bringen, wie stark die T ruppen des Paschas sind, ob sie
nur aus T ü rke n , oder auch aus ‫ ״‬eingeborenen Albanesen von der altgläubigen
R eligion“ bestehen, ob die türkischen Befehlshaber in der Nachbarschaft der
H im ario te n unter der Hand m it dem Pascha von Skutari zusammenarbeiteten.
D edovich sollte sich m it den H im ario te n auf keine weiteren Verhandlungen
einlassen und ihnen nahelegen, sich ruhig zu verhalten und untereinander in gutem
Einvernehm en zu leben, ‫ ״‬nur allein durch derley anständiges Benehmen, so wie
überhaupt durch alle nur im m er thunliche Devotionsbezeugung sie sich der
fürsorgenden Gnade und des mächtigen Schutzes des K .K . Hofes würdigmachen
können“ 75.
Ü be r Ragusa, C attaro, Durazzo und Valona gelangten Dedovich und seine
Reisegruppe in die H im ara, wo sie am 18. M ärz 1787 in Porto Palermo landete.
H ie r entpuppte sich G in i zunehmend als Schwindler: D ie von D edovich zusam-
mengerufenen Primaten versicherten, daß G in i ohne ih r Wissen gehandelt hätte.
Sie machten diesem auch V o rw ü rfe , daß er dem Kaiser gegenüber die Größe und
die Bedeutung der H im ara übertrieben hätte. Sie seien zwar bereit, wenn sie dazu
aufgefordert w ürden, fü r den Kaiser die W affen zu ergreifen. 20() Mann auf einmal
könnten sie aber nicht in die M onarchie schicken, ohne bei den T ü rken Aufsehen
zu erregen.

5 ..Instruktio nspu nkte n fü r H e rrn H auptm ann D edovich*‘ = H H S tA . T ü rk e i I I I 13. f. ! 6 4 - 17(h.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 67

Nachdem der Hauptzweck der Reise also h in fä llig geworden w ar, bemühte sich
D edovich, seiner Regierung wenigstens die gewünschten In form atio nen über die
H im ara zu verschaffen. E r tat das m it vollem E rfo lg . In seiner R ela tion76 finden
sich die ersten detaillierten und glaubwürdigen Angaben über G röße, Bevölke-
rungszahl77 und innere Verfassung der H im ara. Es w ird offen kun dig, daß diese
doch den T ürken untertan war, wenn sie auch nur in Ausnahm efällen und unter
Verw endung von W affengew alt Steuern zahlte.
Auftragsgemäß hatte D edovich auch über Kara M ahm ud Pascha von Skutari
E rkundigungen eingezogen, und zwar während des 9tägigen Zwischenaufenthal-
tes in Durazzo und in der H im ara. D e r Pascha w ird als ein M ann geschildert,
dessen M acht und Ansehen gerade bei den C hristen groß seien. Von den
türkischen Stadtbewohnern von A n tiv a ri, D ulcig no, Durazzo usw. würde er
deshalb gehaßt. Diese wünschten ihm alles Böse unter dem Zusatz: ‫ ״‬D er H und
w ill ein T ü rk seyn, und hälts m it denen C hristen“ ™.
Dedovich tra t seine Rückreise von K o rfu aus, wo er sicherheitshalber die meiste
Z e it geweilt hatte, am 12. M ai 1787 an. Das Fazit, das er über den fast
zweimonatigen A lb a n ie n -A u fe n th a lt in seinem B ericht zog, w ar fü r künftige
kaiserliche Kriegsplanungen und auch Truppenw erbungen nicht gerade erm uti-
gend: ‫ ״‬D ie R epublik Venedig und auch Rußland sind durch ihren letztens m it
denen T ürken gehabten K rieg sattsam überzeugt w orden, daß sowohl bei denen
Inw ohnern der Provinz Z im a ra , als auch der übrigen Griechischen V ölkerschaft
der wahre Kriegs Geist erloschen“ . Venedig habe deshalb sein ‫ ״‬Macedonisches
R egim ent“ , in dem vo r allem O ffizie re aus der H im ara Dienst tu n , reduziert —
wegen deren ‫ ״‬eigennützigen Handel und W andel“ , und w eil ‫ ״‬sie sich zu See
Diensten nicht gebrauchen lassen w o llte n “ 74.
Das H im ara-P rojekt hatte sich also bereits zerschlagen, bevor der vom Kaiser
als reale M öglichke it in Betracht gezogene T ü rke n krie g begonnen hatte. Daß man
trotzdem auch noch während des Krieges zumindest in der kaiserlichen A rm ee m it
dem Gedanken spielte, die H im ario te n als H ilfstru p p e zu gewinnen, davon zeugt
ein Schreiben, das die H auptleute Vukassovich und Pernet am 10. A p r il 1788 von
C etinje aus an Joseph II. richteten. D a rin war von der Falschheit des Paschas von
Skutari die Rede und von der M ö g lich ke it, in A lb a n ie n andere Bundesgenossen zu
gewinnen:
‫ ״‬A u f unser Nachforschen hatt sich ein K alugier gefunden der sich anerbotten
hatt zu denen C im erio te n, um so mehr als er von dorten gebohren ist,
abzugehen und ihre Gesinnungen einzuhollen, sollten sich diese also zum
helffen ergreiffen w olle n, anerbitten, so ist einer von uns bereit /: wenn es Euer

76 ‫ ״‬A lle ru n te rth a n ig ste R elation über die m ir in nachstehenden Instructions Punkten allergnädigst aufgetra*
gene Nachforschung in de r Provinz Z im a ra und de r dasigen G e g e n d ", W ien 3(). Ju li 1787 = ebenda, f.
223—240v.; abgedruckt, m it den genannten Fehlern und ohne die Beilagen bei Pepo, S. 135-144 und ders..
M ate riale per krahinat e H im arës dhe të Shkodrës në vite t 1787-1788 (M a te ria lie n über die G ebiete von
H im a ra und S ku ta ri in den Jahren 1787-1788). in : Studim e H is to rik e . 1 (1964) 4, S. 1 3 3 - 142.
77 s. A n m e rku n g 58.
w H H S tA , T ü rk e i I I I 13. f. 233.
74 Ebenda, f. 238.

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68 P. Bartl

M ajestät allergnädigst billige n :/ dahin abzugehen und auch von dorten das
fäuer anzugießen“ *0
W ar das zweite A lb a n ie n -P ro je kt des Kaisers vor dem Ausbruch des T ürken-
krieges angesiedelt, so unternahm en die Russen gegen Ende des Krieges noch
einm al einen Versuch, die M ita rb e it der A lba ner zu gewinnen. Adressat der
russischen Bemühungen war diesmal A li Pascha von Janina.
A li Pascha wußte um die Verbindungen, die Rußland zur orthodoxen Bevölke-
rung der Balkanhalbinsel u n te rh ie lt, und suchte wie sein K o n ku rre n t in Skutari
auch seinerseits K ontakte zu ausländischen Regierungen, um seine Position
gegenüber der Z entralgew alt zu stärken. Bereits 1789 war es zu Gesprächen
zwischen A li Pascha und dem russischen Konsul auf K o rfu L.P . Benaki gekom-
men. Im Februar 1791 wurden diese Gespräche auf Wunsch des Paschas von
Janina w ieder aufgenommen. E r ließ Benaki und den russischen Geschäftsträger
in S izilien, General A n to n Konstantinovič Psaro, wissen, daß er bereit sei. die
Russen gegen die Pforte zu unterstützen, wenn er dafür nach Kriegsende als
unabhängiger Herrscher anerkannt würde. Inzwischen hatte sich, nach der
Einnahm e K ilias und Ismails durch die Russen (am 29. O kto b e r bzw. 11.
Dezem ber 1790) die Lage auf dem Kriegsschauplatz fü r die T ü rken derart
verschlechtert, daß A li Pascha von der Pforte die dringende A u ffo rd e ru n g erhielt,
sich m it 20 000 M ann der A rm ee des Großvezirs anzuschließen. Daran waren
natürlich weder der Pascha von Janina noch die Russen interessiert. G eneral Psaro
e n tw a rf deshalb fü r A li Pascha einen B rie f, in dem alle griechischen und
albanischen Küstengemeinden aufgefordert wurden, der (aus griechischen und
albanischen Freibeutern bestehenden) russischen M itte lm e e rflo ttille bis zum 1.
M ärz 1791 H ilfstru p p e n zu stellen, anderenfalls ihre Siedlungen zerstört werden
würden. A li Pascha leitete diesen B rie f sofort an die Pforte w eiter m it der B itte , fü r
seine Lage Verständnis aufzubringen und ihn von der Entsendung von Truppen,
die er fü r die Küstenverteidigung dringend brauchte, zu entbinden1*1. W enig später
erklärte A li Pascha erneut seine Bereitschaft, m it den Russen ein Bündnis
abzuschließen. Im Juni 1791 kam es auf der Insel Kaļamos (bei Levkas) zu
Verhandlungen zwischen G eneral V asilij Stepanovič Tom ara, dem neuen Ober-
kom m andierenden der russischen F lo ttille , und V ertretern A li Paschas, während
derer ein B ündnisprojekt entw orfen wurde, das eine A r t von russischem Protekto-
rat über die Besitzungen des Paschas von Janina vorsah. Rußland verpfichtete sich
darin, den muslimischen G lauben in diesem Gebiet zu achten, A li Pascha
finanzielle und m aterielle H ilfe zu leisten sowie ein reguläres A rm eekorps auf
eigene Kosten zur U nterstützung des Paschas zu unterhalten. A li Pascha verpflich-
tete sich, von seinem Herrschaftsgebiet aus D iversion gegen die T ürken zu
betreiben, seine ‫ ״‬griechischen“ (griechisch-orthodoxen) und ‫ ״‬türkischen“ (m usli-
mischen) U ntertanen gleich zu behandeln, ein aus ‫ ״‬G riechen“ und ‫ ״‬T ü rk e n “
bestehendes gemischtes Regim ent aufzustellen und einen seiner Söhne als Garan-

“ H H S tA . T ü rk e i V 20. K ond. 1. f. 27v.


1,1 ArS. S. 152-153.

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Albanien im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg 1787—1792 69

ten fü r sein W ohlverhalten und seine Treue nach Rußland zu schicken82. A li


Pascha selbst unterhielt vom türkischen Feldlager in Šumla aus sogar direkte
K on takte zum Fürsten Potem kin, der ihm w ertvolle Geschenke zukom m en ließ83.
A usw irkungen auf den Kriegsverlauf hatten diese spät begonnenen Beziehungen
zwischen dem Pascha von Janina und den Russen nicht m ehr, da sich die Pforte am
9. Januar 1792 gezwungen sah, in Jassy m it Rußland Frieden zu schließen.
Abschließend muß festgestellt werden, daß alle Versuche der beiden V erbünde-
ten, von A lbanien aus eine D iversion gegen die T ü rke n zu betreiben, fehlschlu-
gen. D ie G ründe dafür waren unterschiedlich. F ü r die Russen mag entscheidend
gewesen sein, daß es ihnen während des ganzen Krieges nicht gelang, ihre
K riegsflotte in das M itte lm ee r zu bringen. D ie Russen verfügten einfach über
keine M a chtm ittel, um ihren potentiellen V erbündeten auf dem W estbalkan
U nterstützung zukommen zu lassen oder sie an sich zu binden. A nders lagen die
D inge beim Kaiser, zumindest was seine Beziehungen zu Kara M ahm ud Pascha
von Skutari b e trifft. H ie r w areine m ilitärische Zusam m enarbeit etwa in Bosnien
durchaus denkbar und von Joseph II. wohl auch ernsthaft angestrebt. D er Kaiser
gab sich allerdings einem Irrtu m hin, wenn er m einte, eine montenegrinisch-
albanische Zusammenarbeit gegen die Türken wäre m öglich. Es war der V ize-
kanzler Cobenzl, der bereits am 15. Januar 1788 Joseph I I . darauf aufmerksam
machte, ‫ ״‬daß die M ontenegriner m it dem Pascha von Scutari im m er in K rieg
gestanden, und von diesem jüngstens unterjocht worden sind, daß folglich eine
vorläufige A nbändlung m it dieser Nazion den Pascha schüchtern machen
d ü rfte “ 84.
D e r Kaiser ging auf diesen Einwand nicht ein und ignorierte v ö llig , daß fü r die
von ihm geplante gemeinsame montenegrinisch-albanische A k tio n eine V e rtra u -
ensbasis fehlte. Des weiteren hat Joseph II. sicher auch die Stellung Kara M ahm ud
Paschas in Skutari falsch eingeschätzt. Dessen K ontakte m it christlichen M ächten
wurden durchaus nicht von allen seinen Landsleuten m it W ohlw ollen betrachtet,
auf jeden Fall konnten sie von seinen zahlreichen innenpolitischen Gegnern gegen
ihn ausgenützt werden. D ie Verbindungen zum Kaiser ( und auch zu R ußland)
waren ein Instrum ent, das der Pascha nur m it äußerster V orsicht gebrauchen
konnte, und dann auch nur, wenn das Kriegsglück auf Seiten der christlichen
Mächte war — das war lange nicht der Fall. Für Kara M ahm ud Pascha w ar es
deshalb naheliegend, die Verhandlungen m it dem Kaiser und m it Rußland als
D ru ckm itte l gegen die Pforte einzusetzen, w om it er schließlich auch E rfo lg hatte.
D ie Bemühungen Josephs II. in A lbanien blieben eine Episode im letzten K rieg ,
den ein römisch-deutscher Kaiser gegen den Sultan fü h rte . Sie zeigen aber
gleichzeitig auch auf, daß A lbanien und die A lb a n e r auch Ende des 18. Jahrhun-
derts noch eine Rolle im politischen K a lkü l der europäischen Mächte spielten. In
Vergessenheit gerieten die A lbaner erst wieder danach, als sich die christlichen
V ö lk e r des Osmanischen Reiches gegen die H errschaft des Sultans zu erheben

82 E benda. S. 154—156: deutsche Übersetzung der 9 Punkte des B ündnisprojektes bei B a rtl, A lb a n ie n — ein
Randgebiet (A n m . 61). S. 391-3 92.
w ArS. S. 157.
111 Cobenzl an Joseph I I . , W ien 15. Januar 1788 = H H S tA . T ü rk e i V 20, K o nd. 1, f. 3.

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70 P. Bartl

begannen, während die überwiegend muslimischen A lb a n e r diesem die Treue


hielten. Erst das Jahr 1878, in dem sich die A lb a n e r gegen den A u sve rka u f ihres
Landes an die christlichen Nachbarstaaten zu wehren begannen, machte der
überraschten europäischen Ö ffe n tlic h k e it k la r, daß au f dem Balkan noch ein V o lk
existierte, das zwar m ehrheitlich muslim isch, aber nicht türkisch w ar und ein
politisches Eigenleben beanspruchte.

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Probleme der Nationalbewegung bis zur Proklamation der Unabhängigkeit

Z a m ir Shtylla, Tirana

D ie albanische Nationalbewegung, die unter dem Nam en ‫ ״‬N ationale W iederge-


b u rt“ bekannt ist, ist eine der bedeutendsten Epochen in der neueren Geschichte
des albanischen V olkes. Sie erstreckt sich über einige Jahrzehnte, angefangen in
den 30-40er Jahren des 19. Jahrhunderts, und reicht bis zur A usrufung eines
unabhängigen albanischen Staates 19121.
D ie albanische Nationalbewegung hatte in groben Zügen einige Gemeinsamkei-
ten m it vergleichbaren Bewegungen in anderen Ländern, besonders in anderen
Balkanstaaten. Sie entw ickelte sich in der Z e it der N ationenbildung, ih r Z ie l war
die B efreiung des Landes von der Fremdherrschaft und die staatliche Zusammen-
fassung der nationalen G ebiete, sie arbeitete fü r E ntw icklun g der eigenen Sprache
und deren Verw endung in der L ite ra tu r und K u ltu r. Sie wurde von der Bourgeoi-
sie und dem verbürgerlichten A d e l geführt, fü r die die B efreiung Bedingungen
schuf, den Binnenhandel v ö llig zu beherrschen, und stützte sich auf die Bauern
und unteren und m ittleren Schichten der städtischen Bourgeoisie, die unm ittelbar
an der nationalen B efreiung, an der freien w irtschaftlichen E ntw icklun g des
Landes etc. interessiert waren.
Doch aufgrund der konkreten inneren und äußeren Bedingungen, unter denen
sie heranwuchs, und tro tz alle r Gemeinsamkeiten m it den Nationalbewegungen
der Balkannachbarn, wies sie auch Besonderheiten auf, die sie in allen wichtigen
Bereichen auszeichnete: im ideologischen und politischen, sozialen und ku ltu re l-
len, organisatorischen und m ilitärischen Bereich.
1. D ie albanische N ationale W iedergeburt entstand und entw ickelte sich in
erster Linie auf G rund der wirtschaftlich-sozialen, politischen und kultu re lle n
U nterdrückung Albaniens durch das Osmanische Reich. Diese U nterdrückung
wurde im m er größer und so vo r allem im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu
einem unerträglichen Zustand fü r die überwiegende M ehrzahl der Bevölkerung
des Landes.
U n te r diesen Bedingungen bildete sich allm ählich ein nationales Bewußtsein
der A lb a n e r heraus, das eine höhere und dam it q u a lita tiv neue Etappe ihres
ethnischen Bewußtseins darstellte. Schon aus dem M itte la lte r kom m end, hatte der
große K am pf gegen die osmanische Besatzung unter Skanderbeg im 15. Jahrhun-
dert das ethnische Bewußtsein der A lbaner in solchem Maße gestärkt, daß es die
Jahrhunderte der osmanischen Besatzung, ja sogar die Islam isierung des größten
Teils des albanischen V olkes überlebt hatte2. Bei der Bewahrung dieses Bewußt-
seins haben, außer der Tatsache, daß der religiöse Glaube nur oberflächlich
wirksam war — ein kennzeichnendes M erkm al fü r die A lb a n e r — , auch die

1 H isto ria e Shqiperise. T ira n e 1984. Bd. I I , S. 99.


2 B a rtl, P.: D ie albanischen M uslim e zur Z e it der nationalen Unahhangigkeitsbewegung (1878-1912).
Wiesbaden 1968, S. 9. 108. 145.

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72 Z. Sh ty lia

ständigen antiosmanischen Aufstände eine wichtige R olle gespielt. D ie E rhaltung


des ethnischen Bewußtseins fand seinen Ausdruck einmal in der Bewahrung des
Namens des Landes und seiner Bewohner, A rb ë ria und A rbëresh, aber auch in der
schnellen V erbreitung des neuen Namens Shqipëri und Shqipëtarë, im W eiterle-
ben der ruhm reichen Z e it unter Skanderbeg von G eneration zu G eneration und in
der Anerkennung der A lba ne r als dessen Nachfahren, in der Bewahrung der
albanischen Sprache, der Abgrenzung der albanischen N atio n a litä t von anderen
N ationalitäten, den Bemühungen zur Vereinigung der A lb a n e r im antiosmani-
sehen Befreiungskam pf — losgelöst von der R eligion — , ihrer unauslöschlichen
Liebe zur Freiheit und v.a .m .3.
D urch das Entstehen des Nationalbewußtseins auf einer ethnischen Bewußt-
seinsbasis wurden dessen Hauptelemente auf ein höheres Niveau gehoben und
verlieh diesem so einen neuen, weiteren und umfassenderen C harakter. Es wurde
so zu einer gesunden Grundlage und A n trie b skra ft fü r die albanische Nationalbe-
wegung.
Unabhängig vom A u f und A b der antiosmanischen Volksbewegung vergrößerte
sich das nationale Bewußtsein und verbreitete sich in den verschiedenen Schichten
der albanischen Bevölkerung. D er Ausbruch m ehrerer antiosmanischer A u f-
stände gab der Herausbildung des nationalen Bewußtseins einen Ruck nach vorn.
D urch die Ausstattung m it Ideologie und nationalem Programm w irkte diese sich
selbst auch positiv auf die Verw andlung lokaler Bewegungen in überregionale und
ganz A lbanien umfassende Bewegungen aus. In diesem wechselseitigen Prozeß
w irkte n verlangsamend und beschleunigend, innere und äußere, politische und
ideologische Faktoren m it. A ußer der allgemeinen Rückständigkeit des Landes
waren die wichtigsten bremsenden Faktoren die religiöse Spaltung der A lbaner in
drei Glaubensrichtungen (M uslim e, O rthodoxe und K ath o like n ) und die ständi-
gen Versuche der Hohen Pforte und der benachbarten M onarchien, daraus einen
religiösen Zw ist entstehen zu lassen. Z u den wichtigsten treibenden Faktoren
gehörten die Tanzim atreform en, die die wirtschaftliche und politische Lage des
größten Teils der Bevölkerung verschlechterten, sowie die Selbstverteidigung vor
äußeren Aggressionen und vor der G efahr der Z ersplitterung des Landes.
D ie Ideen, die zur Herausbildung des nationalen Bewußtseins führten, kamen
am A nfang aus einem kleinen Kreis, der fortschrittlichsten V e rtre te r der verschie-
denen Schichten, die sich an die Spitze der albanischen Nationalbewegung stellten
und zu deren Ideologen wurden, wie z. B. N. V eq ilh arxhi, K . K ris to fo rid h i, Z .
Jubani, die B rüder Frashëri u.a. Innerhalb dieser Ideen wurden die Forderungen,
die die Volksbewegungen stellten, sehr klar und umfassend fo rm u lie rt, in den
meisten Fällen sogar weit darüber hinausgehend, doch im m er in Übereinstim -
mung m it der Z e it und den konkreten Bedingungen. O bw ohl die politischen Ideen
und Forderungen lokalen Charakters sehr dauerhaft waren und während der
ganzen Periode der W iedergeburt eine R olle spielten — eine Tatsache, die auch
fü r die Befreiungsbewegung der anderen V ö lk e r charakteristisch ist — , traten die
nationalen, patriotischen Ideen der 30-40er Jahre des 19. Jahrhunderts immer

J s. besonders Buda. A .: Shkrim e historike. Tirane 19X6. Bd. !.. S. 149. 242, 252. 291.

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Die Nationalbewegung bis zur Unabhängigkeit 73

mehr in den Vordergrund und wurden in der letzten Etappe der albanischen
nationalen Bewegung vorherrschend4.
Diese Erscheinung ist der Beweis fü r einen allm ählichen Anschluß der Einzel-
bewegungen, oder zumindest ihres größten Teils, an die allgemeine Nationalbe-
wegung und die Stärkung der gemeinsamen Interessen der meisten A lba ne r gegen
die osmanischen Besatzer und andere fremde Gegner. Dies wurde auch deutlich # ф

bei der E ntw icklung von Organisation und Führung der Bewegung, beim Uber-
gang von Räten und regionalen und überregionalen Bündnissen zu gesamtalbani-
sehen Leitungsorganisationen, wie der Liga von Prizren, der Liga von Peja und
dem N ationalkom itee in der letzten Phase der W iedergeburt5.
2. A n der albanischen Nationalbewegung nahmen verschiedene Klassen und
Schichten te il. Das G ew icht, die R olle und die Forderungen jeder von ihnen sind
von einer Reihe innerer und äußerer Faktoren bestim m t gewesen. Es gab fü r alle
Klassen und sozialen Schichten sowohl gemeinsame wie auch spezifische G ründe,
sich an der Bewegung zu beteiligen. D ie gemeinsamen Gründe wurden bedingt
durch die Auswirkungen des ökonomischen und gesellschaftlichen Systems, das
sich m it der D urchführung der Tanzim atreform en in Albanien in mehr oder
weniger hohem Maße herausgebildet hatte, durch die ökonomischen und p o liti-
sehen Interessen der albanischen Gesellschaft insgesamt und durch die Verzöge-
rung, in manchen Fällen sogar des Stillstandes in der E ntw icklung der neuen
kapitalistischen Verhältnisse. Dazu kam der Steuerraub durch die Hohe Pforte,
die P o litik der offenen T ü r, die den R uin der bäuerlichen und Handwerksprodu-
zenten vertiefte, die allgemeine U nzufriedenheit angesichts der Ablösung der
früheren albanischen V erw alter durch fremde türkische Angestellte, die Leug-
nung der albanischen N ationalität und das V erbot der U nterrichtung und Aus-
Übung der K u ltu r in der M uttersprache, das Anstacheln des religiösen Zwiespalts
und schließlich des U nfähigkeit des Reiches, die Gesamtheit des albanischen
Gebietes zu verteidigen, das von den expansionistischen Absichten der benach-
barten Monarchien bedroht wurde. Diese Faktoren waren zwar fü r alle gültig,
doch sie hatten nicht in allen Klassen und Schichten der albanischen Gesellschaft
die gleiche W irkung. D ie, die am meisten davon betroffen wurden, waren die
breiten Massen in Stadt und Land, die reichen Klassen dagegen weniger.
D ie Bauernschaft wurde zur wichtigsten Basis der albanischen nationalen
Bewegung und dam it zu ihrem kämpferischsten T e il. Sie hat aus den vergangenen
Jahrhunderten die reiche T ra d itio n des ständigen Widerstandes übernommen, der
sich über das ganze Land erstreckte.
D ie D urchführung der Tanzim atreform en, der wirtschaftliche D ruck und die
daraus folgende wirtschaftliche Zerstörung betraf ausnahmslos die Bauern.
Dadurch bekam der bäuerliche W iderstand einen intensiven C harakter und schuf
so die Bedingungen zu seiner überregionalen Ausdehnung auf ganz A lbanien6.

4 P olio, S.: Lidhja Shqiptare e P ri/rc n it dhe lu fta e saj per ç lirim in e bashkim in kom betar. Tirane 1978. S. 6.
5 H isto ria (s. A n m . I ) , S. 100.
ft K rye n g ritje t popullore nö vitet 30 të shekullit X I X (D oku m en te osmane). Hrsg. P. T h ë n g jilli. T iranë 1978,
S. 197/198. 220/221, 248/249. 253. 257/258.

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74 Z. Shtylla

O bw ohl die Bauernschaft als bewaffnete, größte und aktivste K ra ft die w ichtig-
ste Rolle in der Nationalbewegung spielte, konnte sie schon von ih re r N a tu r her
der kulturellen E ntw icklung und ideologischen Form ierung kein eigenes klares
und vollständiges Programm ihres Kampfes entgegenstellen.
D ie Beteiligung der H andw erker und der kleinen und m ittle re n H ändler an der
Nationalbewegung wurde von jenen allgemeinen Faktoren bedingt, die alle
Klassen und Schichten der albanischen Bevölkerung betrafen. Doch im Vergleich
zur Bauernschaft hatte ih r antiosmanischer W iderstand weder die Ausmaße noch
die Intensität der bäuerlichen Bewegung, da die Stadt u n m itte lb a r unter dem
D ruck der zivilen Verw altung der osmanischen Garnisonen stand und w eil die
w irtschaftliche Lage dieser Schichten vergleichsweise besser w ar als die der
Bauern. Trotzdem leisteten die H andw erker und H ändler der Stadt einen
bedeutenden Beitrag zur Nationalbewegung, denn sie stellten den größten T e il der
politischen Ideologen und Organisatoren, in manchen Fällen auch die m ilitā ri-
sehen Führer. Da diese Schichten w irtschaftlich nicht stark waren, gelang es ihnen
nicht, die führende K ra ft der Bewegung zu werden, und sie mußten som it die
Führung m it den Landbesitzern teilen7. Trotzdem war die R olle der bürgerlichen
Schichten schon in den antiosmanischen Bauern-Aufständen der 30er Jahre des
19. Jahrhunderts sichtbar, die einen großen Rückhalt in den Städten Berat,
Elbasan, Shkodra, Prizren, Gjakova etc. fanden. Einige dieser Städte waren sogar
Leitungszentren der Aufstände*. Das große Gewicht und die führende organisato-
rische Rolle der Stadt in der albanischen nationalen Bewegung kam v o r allem in
entscheidenden M om enten zum Ausdruck wie der Liga von Prizren (1878-1881),
der Liga von Peja (1899) und bei den antiosmanischen Aufständen der Jahre
1910—19124.
A n der Nationalbewegung nahm, auch wenn nur in beschränktem Maße und
nicht durchgehend, ebenfalls die Klasse der Landbesitzer te il, die w irtschaftlich
die stärkste und politisch die einflußreichste Schicht war. D ie A r t der D urchfüh-
rung der Tanzim atreform en in A lbanien und die daraus folgende S teuerw illkür
der fremden Verw altung, berührten in gewisser Weise auch die Landbesitzer, die
einen G roßteil von ihnen unzufrieden machte und oft sogar in offene O pposition
zur Hohen Pforte brachte10. Dieser fortschrittliche Teil der Feudalen, der den
Blick auf den Handel und die entwickelten europäischen Länder gerichtet hatte,
w ollte sich dennoch nicht völlig vom Reich trennen. Zusammen m it der handel-
treibenden Großbourgeoisie, die in A lbanien zahlenmäßig gering vertreten, aber
w irtschaftlich stark war, akzeptierten sie die Forderungen der nationalen Bewe-
gung zur Zusammenfassung der albanischen Gebiete zu einem autonom en V ila je t
sowie zur Entw icklung von Bildung und K u ltu r in albanischer Sprache.

7 Polio. S.: M b i disa tipare dallucse them elore té Lcvizjes Kom betare Shqiptare. in: S tudim c H isto rike .
(1970 )3 . S. 122.
8 Buda (s. A n m . 3 ). S. 241: K rye n g ritje t (s. A n m . 6). S. 4. 197/19«, 202.
9 Frashëri, K .: l.id h ja Shqiptare e P rizrenit. T irane 1989, Bd. I.. S. 52/53. 84; P rifti, K .: L id h ja e Pejes.
Levizja Kom betare Shqiptare me 1896-1900. T irane 1984, S. 286/287; Shkodra. Z .: Q y te ti shqiptar gjate
R ilindjes Kom betare. T irane 1984. S. 67. 72.
1(1 Polio (s. A n m . 7), S. 122: Buda (s. A n m . 3). S. 198.

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Die Nationalbewegung bis zur Unabhängigkeit 75

D ie Landbesitzer haben sehr aktiv und in großer Zahl vor allen Dingen während
der Ostkrise der Jahre 1878—1881 (an der Liga von Prizren) und während der
letzten Krise Ende des 19. Jahrhunderts (an der Liga von Peja) an der nationalen
Bewegung teilgenom m en, als die albanischen Gebiete von der Zerstückelung
durch die benachbarten M onarchien bedroht wurden und dadurch ihre eigenen
ökonom ischen und politischen Interessen stark berührt wurden. Insgesamt wuchs
ihre Teilnahm e an der Bewegung m it der drohenden Zerschlagung des Osmani-
sehen Reiches und seiner Zurückdrängung aus den besetzten Balkanländern.
3. Die kleine und m ittle re Stadtbourgeoisie und die Bauernschaft, die die größte
geistige und physische K ra ft der nationalen Bewegung darstellte, brachten die
D enker hervor, wie z. B. Z e f Jubani, T h im i M itk o , Spiro D ine, Kostandin
K ris to fo rid h i, Pashko Vasa, F ilip Shiroka, die aus der Stadt stammten, und Naum
V e q ilh a rxh i, Jani V re to , die B rüder Frashëri, A nd on Zako Ç ajupi, die vom D o rf
kamen. Ihre Ideologie wurde richtungsweisend fü r die Nationalbewegung, da sie
die Interessen der überwiegenden M ehrheit der N ation vertrat.
D ie ersten nationalen Ideen Albaniens entstanden während der Volksaufstände
der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. A m A nfang wurden sie von den bürgerlichen
Schichten vertreten, die am Aufstand teilnahm en, die Bauernschaft machte sie
sich aber schnell zu eigen. O bwohl eingeschränkt und nicht klar fo rm u lie rt,
enthielten die ersten nationalen Ideen im Kern die Forderung nach A u to n o m ie ".
H inzu kamen die ku ltu re lle n Forderungen, die in den Schriften von N. V eqil-
harxhi in den 40er Jahren unterbreitet wurden.
D ie grundlegende Idee, die das ganze Gedankengebäude der Ideologen der
albanischen nationalen Bewegung durchzieht, und die auf historischer, philoso-
phischer, politischer und ku ltu re lle r Ebene behandelt w ird , ist die Idee der
N ation, der F reiheit, des Vaterlandes und des m ateriellen und geistigen Fort-
schritts des Volkes.
D ie Bemühungen der V e rtre te r der W iedergeburt, die Idee der Nation und der
nationalen In d ivid u a litä t der A lbaner zu verfestigen, waren von großer Bedeu-
tung, wenn man sich die G efahr der kulturellen und nationalen Assim ilierung vor
Augen fü h rt, die die A lba ne r bedrohte. D ie größte G efahr ging von der P o litik der
Hohen Pforte aus, die die albanische N ationalität nicht anerkannte und versuchte,
sie glaubensmäßig in drei Teile spalten zu können, und von den expansionistischen
Zielen der benachbarten M onarchien. Anders als in den übrigen Balkanländern,
wo die christliche R eligion eine verstärkende Rolle bei der nationalen Vereinigung
im K am pf gegen die osmanisch-muslimischen Besatzer spielte, war in Albanien
die M ehrheit der Bevölkerung muslimisch, hatte dam it also dieselbe Religion wie
ihre Besatzer. Folglich konnte die Anerkennung der Nation und der nationalen
In d ivid u a litä t nicht über den G lauben, sondern durch die historisch-ethnische,
sprachliche und te rrito ria le Gemeinsamkeit erreicht werden12. D ie Idee der Nation
ist m it der Idee des Vaterlandes eng verbunden. Den B e g riff des Vaterlandes — als

11 Buda (s. A n m . 3), S. 243.


12 Polio, S.: M b i disa aspekte ideologjike e p o litiķ e të R ilindjes Kom bètare Shqiptare, in: Studime H istorike
( l% 5 ) \ . S ē 97: dors. (A n m . 7). S. 121.

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76 Z. Sluylta

ein historisch ununterbrochen von A lb a n e rn besiedeltes Gebiet — stellten die


V e rtre te r der W iedergeburt in das Z e n tru m ihres politischen und gesellschaftli-
chen Ideenbildes, um dadurch die Liebe dazu zu wecken, sie zu stärken und die
höherw ertigen Interessen des Vaterlandes über die regionalen oder klassenbe-
dingten Interessen zu stellen. D e r B e g riff des ganzen, unteilbaren Vaterlandes
verbreitete sich um so schneller, je m ehr die G efahr der Zerstückelung durch die
benachbarten M onarchien wuchs, besonders in den Z eiten der Ligen von Prizren
und Peja.
D ie B egriffe N atio n, V aterland und V aterlandsliebe bildeten den Kern der
großen Idee von F re ih e it, U nabhängigkeit und nationaler Souveränität, die das
endgültige Z ie l der albanischen nationalen Bewegung darstellte. D ie V ertre te r der
W iedergeburt haben dieses Problem im Geist der weitreichenden Ideen des 18.
Jahrhunderts über die natürliche F reiheit des Menschen theoretisch behandelt,
um dam it zur Freiheit und Souveränität der N atio n als einer historischen Notwen-
digkeit überzuleiten. Sie begriffen den W ert der F re ih e it als einen gesamtalbani-
sehen, in dem die Bestrebungen nach regionaler und lokaler Freiheit verschmol-
zen, die noch charakteristisch fü r die vorangegangenen Perioden gewesen waren,
so aber auch ihren Niederschlag in der Befreiungsbewegung fanden.
Wesentliches M e rkm a l der Ideologie der Nationalbewegung ist ihre D em okrati-
sierung und Internationalisierung. D ie V e rtre te r der W iedergeburt gaben dem zu
«»

gründenden freien Nationalstaat in Ü bereinstim m ung m it den Bedingungen des


Landes, seinem kultu re lle n Niveau und au f G ru n d der volkstüm lichen und
demokratischen T ra d itio n in der sozialen O rganisation einen politisch-gesell-
schaftlichen und demokratischen In h a lt. Dieser C harakter drückte sich auch in
dem Wunsch nach A ufnahm e von Freundschaftsbeziehungen zu anderen V öl-
kern, insbesondere zu den benachbarten V ö lk e rn aus. Eine Anzahl von A lbanern,
darunter auch berühm te V e rtre te r der W iedergeburt wie Naum V eqilharxhi,
Pashko Vasa und Jeronim de Rada nahmen ebenfalls als Freiw illige an den
nationalen demokratischen R evolutionen der benachbarten V ö lk e r te il13.
D ie D en ker der W iedergeburt, N . V e q ilh a rxh i und andere, die ihm folgten,
haben die entw ickelten Länder Europas geschätzt und als V o rb ild e r fü r die
A lba ne r als gangbaren Weg zum F o rtsch ritt betrachtet. Besonders würdigten sie
die Ideen der europäischen D em okra tie, v o r allem die aufklärerischen und
rationalistischen Ideen der Französischen R evolution im 18. Jahrhundert, und
machten sie sich zu eigen. D ie Bemühungen der V e rtre te r der W iedergeburt, mit
der westlichen K u ltu r in V erbindung zu treten und sie sich anzueignen, hatten das
Z ie l, die europäische Z ugehörigkeit des albanischen Volkes zu verdeutlichen,
während die osmanischen Besatzer die A lb a n e r m ittels der R eligion und ihrer
gesamten P o litik eindeutig an das islamische M orgenland anbinden w ollten.
4. D ie umfassende T ä tig ke it der V e rtre te r der W iedergeburt war von einem sehr
breiten und vielseitigen W irken geprägt. Sie diente nicht nur der Kulturbereiche-
rung der A lb a n e r, die in diesen, durch die frem de Besatzung bedingten, dunklen

IJ P olio S.; Puto, A .: H isto ire de l'A lb a n ie . Roanne 1974, S. 130; s.a. X h o li, Z .: M endim tarë të Rilindjes
Kom betare. T iran e 1987, S. 7.

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Die Nationalbewegung bis zur Unabhängigkeit 77

M om enten von großer Bedeutung w ar, sondern diente in erster L in ie der


politischen Stärkung. D ie V e rtre te r der W iedergeburt waren gleichzeitig Schrift-
steiler, Wissenschaftler, E rzieher und L e hrer, Verfasser literarischer und wissen-
schaftlicher W erke, A u to re n einfacher Schultexte, Publizisten und P o litik e r,
L e ite r und Organisatoren der nationalen Bewegung und nicht selten sogar
bewaffnete Käm pfer. D ie Geschichtsschreibung unseres V olkes, m it dem W ieder-
beleben der wichtigsten M om ente seiner Vergangenheit, w ar eine der wichtigsten
A ufgaben, die sich den V e rtre te rn der W iedergeburt bei ih re r T ä tig k e it stellte. Bei
der Beweisführung hinsichtlich der pelasgischen H e rk u n ft der Illy re r und A lba -
ner, die von der Verleugnung ih re r N a tio n a litä t und der G efahr der Zerstückelung
des Vaterlandes bedroht w urden, w ar es sehr entscheidend, darauf hinzuweisen,
daß sie eines der ältesten V ö lk e r Europas w aren14und autochthone und unbestreit-
bare H erren ihres T e rrito riu m s , daß sie te rrito ria l zusammengehörten und sich auf
vier V ilajets (K osovo, Shkodra, Janina und M anastir) ausdehnten, in denen sie die
M ehrheit der Bevölkerung ste llte n15.
Inzwischen diente die E rinnerung an die Skanderbeg-Epoche, die von Genera-
tion zu Generation im V o lke lebendig geblieben w ar, nicht nur als V o rb ild von
nationalem Stolz und V ertrauen au f die eigenen K rä fte , sondern auch als eine
Maßgabe fü r die erfolgreiche Lösung der wichtigsten Aufgabe fü r die Nationalbe-
wegung: die Vereinigung des V olkes unter einer einzigen Führung im K a m p f um
die nationale B efreiung und die G ründung eines albanischen Staates16.
E in e r der wichtigsten Aspekte in der aufklärerischen T ä tig k e it der W iederge-
burt w ar der K am pf um die H erausbildung einer neuen nationalen K u ltu r und die
V erbreitung von B ildung in albanischer Sprache. D er albanischen Sprache und
Schule kam dabei besondere A ufm erksa m keit zu. D ie albanische Sprache
betrachteten die V e rtre te r der W iedergeburt dabei als die stärkste W affe zur
Kennzeichnung und A ufrech terh altu ng der N a tio n 17. In der A usbildung der
Muttersprache sahen sie das H a u p tm itte l, das politische Bewußtsein der A lba ne r
zu wecken und zu vergrößern, das V o lk zu einem unabhängigen und staatlichen
Leben zu erziehen sowie der ku ltu re lle n und politischen A ssim ilierung zu w ider-
stehen, die den A lbanern im 19. Jahrhundert infolge der P o litik der Hohen Pforte
durch die von ih r to le rie rte T ä tig k e it der in A lbanien w irkenden ausländischen
kulturellen und politischen Z entren drohte. A us diesen G ründen bekam der
K am p f um Schule, Sprache und nationale K u ltu r einen stark politischen C harakter
und spielte während der ganzen Periode der albanischen N ationalbewegung eine
besondere Rolle. Diese T ä tig ke it wurde ein untrennbarer T e il des bewaffneten
Kampfes zur nationalen B efreiung, wobei die albanischen Schulen zu Z entren der
K u ltu r und des albanischen Patriotism us w urden. Gerade w eil sie eine solche
Rolle in der nationalen Bewegung spielten, w urde der albanischen B ild u n g und
K u ltu r ein erbarmungsloser K am p f von seiten der Hohen Pforte und der griechi-

14 Buda (s. A n m . 3). S. 28/29: X h o li (s. A n m . 13). S. 22.


15 H isto ria (s. A n m . 1). S. 49-52: Shkodra (s. A n m . 9 ), S. 9.
16 Buda. A .: Shkrim e h isto rike . T ira n e 1986. I. S. 291.
17 U ç i. A .: Lidhja Shqiptare e P rizren it si fa k to r k u ltu ro r ne R ilin d je n Kom betare. T iran e 1978, S. 8.

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78 Z. Shtylla

sehen Patriarchen von Istanbul entgegengesetzt, die darin gefährliche Gegner


ih re r P o litik und Pläne sahen18.
C harakteristisch fü r die Periode der Nationalbewegung w ar die Auseinander-
Setzung m it den drei R eligionen, die in A lb a n ie n existierten. Sie waren ausländi-
sehen Zentren untergeordnet — dem Sheh U l Islam i, dem Patriarchat in Istanbul
und dem Papst in Rom — , wurden von ihnen gesteuert und verfolgten die P o litik
der jew eiligen Staaten, die sie vertraten. Das wichtigste Z ie l dieser P o litik w ar es,
wie schon erw ähnt, die religiöse Z e rsp litte ru n g der A lb a n e r zu einem religiösen
Zw iespalt auszuweiten, um dadurch leichter die H errschaft zu gewinnen und die
Zerstückelung des Landes zu realisieren. A us diesem G ru n d w ar die religiöse
Frage von besonderer Bedeutung und eng m it der Lösung der wichtigsten
Aufgaben der Nationalbewegung verbunden.
Bei ih re r vielseitigen T ä tigke it bem ühten sich die V e rtre te r der W iedergeburt,
der religiösen M o ra l und dem religiösen Aberglauben entgegenzuwirken. Sie
•»

argum entierten m it der absoluten Ü berlegenheit der N a tio n a litä t über die Reli-
gion, m it dem N ationalgefühl als das dem religiösen G efühl überlegene und
propagierten und käm pften fü r die V ereinigung der A lb a n e r, losgelöst von ihrem
religiösen G lauben.
5. D ie Programme der albanischen nationalen Bewegung enthielten die w irt-
schaftlichen, politischen und ku ltu re lle n Forderungen der daran teilnehm enden
K rä fte . V on den ersten programmatischen Ideen der 30er und 40er Jahre des 19.
Jahrhunderts bis zur E rklärung der U nabhängigkeit im Jahre 1912 ist eine
natürliche E ntw icklun g zu sehen und innerhalb dieser auch eine gewisse V erein-
h e itlich u n g d e r Programme. T ro tz Unterschiede in den Programmen werden sie in
je d e r Etappe der nationalen Bewegung von zwei großen Ideen durchzogen: von
der Idee der A u to n o m ie und der der Bewahrung der te rrito ria le n E in h e it des
Vaterlandes19. D ie zweite Forderung blieb bis zum Jahre 1912 unverändert, die
Idee der U nabhängigkeit dagegen entw ickelte sich ständig, unabhängig von den
Umständen und ihren konkreten inneren und äußeren Bedingungen. Sie wurde
hauptsächlich von drei Formen bestim m t: a) der ku ltu re lle n A u to n o m ie , b) der
provinziellen A u to n o m ie unter albanischer V erw altung und c) der staatlichen
A u to n o m ie unter der V erw altung von Parlament und albanischer Regierung. Die
wichtigste Forderung war die E rrich tu n g einer autonom en albanischen Provinz,
die unter den inneren und äußeren Bedingungen des Landes als leicht zu
realisieren angesehen wurde. In bestim m ten A ugenblicken der nationalen Be-
wegung wurden auch Forderungen nach vollständiger U nabhängigkeit laut, doch
4 ft

die geeigneten Bedingungen zum Übergang von der A u to n o m ie zur Unabhängig-


keit wurden erst nach Beginn des Ersten Balkankrieges gelegt. D ie Grundlage
wurde am 28. N ovem ber 1912 geschaffen, als die Versam m lung von V lo ra — von
Ismail Q em ali geleitet und unter Teilnahm e von V e rtre te rn a lle r albanischen
Bezirke — A lba n ie n zu einem freien und unabhängigen Staat erklä rte .

P olio (s. A n m . 12). S. 97.


14 H isto ria (s. A n m . I) . S. 101.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage:
Ein Beitrag
zur Analyse außenpolitischer Strukturen
in Südosteuropa seit dem Zweiten Weltkrieg
unter besonderer Berücksichtigung Albaniens

K laus-D etlev G rothusen, H am burg

I. S trukturen und M odelle als Problem von Geschichts- und Politikwissenschaft —


II. ‫ ״‬Ist A u ß e n p o litik A u ß e n p o litik ? “ — I I I . ‫ ״‬Selbstbestimmung“ und ‫ ״‬Patro-
nage“ als außenpolitische Kategorien — IV . D e r B e g riff ‫ ״‬Südosteuropa“ —
V . A nw endung I: Südosteuropa seit dem Z w eiten W e ltkrie g — V I. A nw endung
II: A lbanien — V II. Zusammenfassung

I. Strukturen und Modelle als Problem von Geschichts- und Politikwissenschaft

W enn im vorliegenden B eitrag von den B egriffen ‫ ״‬Selbstbestimmung“ und


‫ ״‬Patronage“ ausgegangen w ird , um außenpolitische Zusammenhänge der E nt-
w icklung Südosteuropas im A llgem einen und A lbaniens im Besonderen seit dem
Zw eiten W e ltkrie g verständlich zu machen, so ist dam it der methodische Ansatz-
punkt kla r, ja , er soll es bewußt auch sein: nicht die N a rra tio , die Erzählung
dessen, was ‫ ״‬eigentlich gewesen“ 1, soll am A nfang stehen, sondern die V e rd e u tli-
chung eines geschichtstheoretischen Ausgangspunktes. A lle in der letztere ver-
diente weitaus m ehr Raum, als hier zur V erfügung steht, erscheint das V erhältnis
zwischen Theorie und Erzählung in der Geschichte tro tz intensiver Bemühungen
in den letzten Jahren doch noch keineswegs allgemein konsensfähig, wenn allein
schon auf die Grundthese hingewiesen sei, daß T heorien im Prinzip nicht aus
Q uellen ableitbar seien2.
Dasselbe g ilt fü r die Verw endung von S trukturen und M odellen als der N a rra tio
vorausgehende Kategorien historischer Forschung. S trukturen wie M odelle gehö-
ren ko n stitu tiv zum W eg, den der ‫ ״‬progressive“ T e il der Geschichtswissenschaft in
der Bundesrepublik Deutschland von den 60er Jahren an gegangen ist.
Geschichtswissenschaft als ‫ ״‬Historische Sozialwissenschaft“ gegen ‫ ״‬H istorism us“
lautet seitdem die Devise1. U nd was die A nw endung auf die Ereignisgeschichte
b e trifft, so seien nur H ans-U lrich W ehlers ‫ ״‬Deutsche Gesellschaftsgeschichte“
und C hristoph Kleßmanns ‫ ״‬Deutsche Geschichte 1955—1970“ als Beispiele

1 R anke, L .: Geschichten de r romanischen und eermanischen V ö lk e r von 1494 bis 1536. Leipzig. B e rlin 1824,
S. V I.
2 G rundlegend: T he orie der Geschichte. Beiträge zur H is to rik . B d. 1—5. M ünchen 1977-1988. fü r das Z ita t
s. Bd. 3: T he orie und Erzählung in der G eschichte. Hrsg. v. J. К о с ка и. T h. N ip p crd cy. 1979, S. 9. — Aus
philosophischer Sicht: M eran, J.: T he o rie n in der Geschichtswissenschaft. G öttin gen 1985 (K ritisc h e
Studien zur Geschichtswissenschaft).
3 S yw ottek. A .: Geschichtswissenschaft in de r Legitim ation skrise. E in Ü b e rb lic k über die D iskussion um
TTieorie und D id a k tik de r Geschichte in de r B undesrepublik Deutschland 1969-1973. B o n n , Bad
Godesberg 1974 (A rc h iv f. Sozialgeschichte. B e iheft 1): Schulze. W .: Deutsche Geschichtswissenschaft
nach 1945. M ünchen 1989.

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genannt4, w eil sich auch in den ihnen zuteil gewordenen Rezensionen die
H e ftig k e it des Streites verdeutlicht. O b ‫ ״‬knochentrockenes G ebräu“ oder ‫ ״‬men-
schenleere S trukturlandschaft“ 5, die A blehnung des S truktur- und Modellansatzes
w ird kla r. Wenn an dieser Stelle dennoch vom Letzteren ausgegangen werden soll,
dann deswegen, w eil er tro tz mancher berechtigter K ritik im Einzelnen im Prinzip
als der überlegene, weil methodisch klarere erscheint. Essei insofern abschließend
als ausgleichender K ritik e r von seiten der Rechts- und Politikwissenschaft Georg
B runner z itie rt: ‫ ״‬D ie R ealität kom m unistischer Herrschaftssysteme ist äußerst
kom plex, und ihre Bewegung ist keineswegs geradlinig... Dabei ist h ilfre ich , wenn
S tru kturm od elle der H errschaft zur V erfügung stehen, um mögliche E ntw ick-
lungsstadien kategorial einzufangen... N u r gegenüber Verlaufsm odellen, die eine
m ehr oder weniger zwangsläufige E ntw icklun g suggerieren, ist V orsicht ge-
bo te n .“ 6

II. ‫ ״‬Ist Außenpolitik A ußenpolitik?“7

Vergleichbares wie über den Streit um Strukturen und M odelle auf der einen
Seite und ‫ ״‬re in e r“ N a rra tio auf der anderen läßt sich über die A lte rn a tive von
Außen- und In n e n p o litik sagen. K om prom ißlos, so scheint es, stehen sich auch in
der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland die beiden Lager
einander gegenüber, wenn W ehler im ‫ ״‬Deutschen Kaiserreich 1871 —1918“
schreibt: ‫ ״‬D ie labile M echanik der A u ß e n p o litik , die blutleere Bewegungsphysik
von A k tio n und R eaktion, die diplom atische Prozedur der K on fliktberein igun g
oder -Verschärfung — sie werden hier bewußt nicht ve rfo lg t“ 8, und dagegen G olo
M ann: ‫ ״‬Diese Ansicht erscheint m ir beinahe komisch: irrig e r als die Grundthese
vom Prim at der In n e n p o litik , die E rklä ru n g der äußeren P o litik durch die innere
Situation im allgem einen.“ 9.
A ls Stam m vater der Theorie vom Prim at der In n e n p o litik g ilt Eckart K e h r1",
während der Prim at der A u ß e n p o litik m it deutlicher K ritik auch von seiten der
Politikwissenschaft auf Ranke und dam it den Historismus zurückgeführt w ird 11.
Speziell im Fall der Politikwissenschaft erscheint diese H altung allerdings beson-
ders fragw ürdig — abgesehen davon, daß Ranke hier in dieser Generalisierung
U nrecht geschieht — , da die ‫ ״‬Internationalen Beziehungen“ zum Kanon von
Lehre und Forschung der internationalen Politikwissenschaft gehören.

4 W ehler, H .- U .: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1. M ünchen 1987 ff: Kleßm ann, C h.: Z w ei Staaten,
eine N a tio n . Deutsche Geschichte 1955-1970. G ö ttin g e n 1988.
5 V g l. die Besprechungen durch H .-D . Sand (zu W e h le r), in: D ie W e ll. 26. 11. 1987 und von D . K o e rfe r (zu
K leß m ann), in: F A Z . 1. 8. 1989.
6 B run ner, G .: Ü b e r Sinn und U nsinn von Verfassungs- und Herrschaftsm odellen in der O steuropafor-
schung, in : Sowjetsystem und O strecht. Festschrift f. Boris Meissner zum 70. G eburtstag hrsg. v. G.
B ru n n e r u.a. B e rlin 1985, S. 43/44.
7 K rip p e n d o rf. E .: Ist A u ß e n p o litik A u ß e n p o litik ? , in: Politische V ierteljahresschrift. 4 (1963). S. 2 4 3-2 66.
8 W ehler, a .a .O . 2. A u fl. G öttin gen 1975, S. 184/85.
4 M ann, G .: Plädoyer fü r die historische E rzählung, in: T heorie und Erzählung in der Geschichte. M ünchen
1979, S. 47 (T h e o rie de r Geschichte. 3).
10 K e h r, E .: D e r P rim at de r In n e n p o litik . G esam melte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im
19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. u. eingel. v. H . U . W ehler. 2. АиП. F ra n k fu rt/M . u.a. 1970.
11 A u ß e r K rip p e n d o rf (A n m . 7) vgl. C zem piel, E .O .: Das Prim at der auswärtigen P o litik . Kritische
W ürdig ung einer Staatsm axim e, ebd., S. 266—287.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 81

N icht bestritten sei allerdings selbstverständlich, daß eine R elation zwischen


Außen- und In n e n p o litik besteht. N ur das theoretische wie praktisch genau
definierbare ,W ie ‘ dieser Relation erscheint nach wie v o r ungeklärt. Dies g ilt
sowohl fü r allgemeine M odelle wie fü r Anwendungen au f die Gesam theit auch nur
der heutigen internationalen Beziehungen. U m so erfolgversprechender dü rfte es
daher sein, m it dieser Fragestellung an einen begrenzten und in seinen S trukturen
überschaubaren Raum wie Südosteuropa heranzugehen. D ie G rundlage h ie rfü r
können die K apitel ‫ ״‬A u ß e n p o litik “ und ‫ ״‬In n e n p o litik “ des ‫ ״‬Südosteuropa-
Handbuchs“ 12 bilden, die sich stets um den modelltheoretisch-systematischen wie
den ereignisgeschichtlichen Ansatz bemühen. Das Ergebnis w ird sich nach
Abschluß des Gesamtwerkes hoffentlich in einer Typologie außenpolitischer
Strukturen Südosteuropas zusammenfassen lassen. Schon heute, d. h. nach
Abschluß der 6 Bände Jugoslawien, Rum änien, G riechenland, T ü rk e i, Ungarn
und Bulgarien, ist allerdings soviel kla r geworden, daß es keine E in h e itlich ke it in
der Zuordnung, geschweige denn eines Primats von Innen- oder A u ß e n p o litik
auch nur in diesem begrenzten Raum Europas gibt. A ls Beispiele, wo sich
zumindest eine deutliche K orrelation ergeben hat, seien G riechenland und
Ungarn genannt, als Gegenbeispiel die T ü rk e i13.

/ / / . ‫ ״‬Selbstbestimmung“ und ‫ ״‬Patronage“ als außenpolitische Kategorien

Wenn das Phänomen ‫ ״‬A u ß e n p o litik “ dam it zumindest als A rb e its b e g riff akzep-
tie rt ist, so erweist es sich bei einem Versuch in h a ltlich e r D ifferenzierung rasch,
daß eine der fruchtbarsten sich h ie rfü r anbietenden Kategorien die Trennung der
Träger außenpolitischen Geschehens in Großmächte und K le in - und M ittelstaaten
ist. A lice Teichovas neuer B uchtitel ‫ ״‬Kleinstaaten im Spannungsfeld der G roß-
machte. W irtschaft und P o litik in M itte l- und Südosteuropa in der Zwischen-
kriegszeit“ 14 ist hier nur ein signifikantes Beispiel. O der es sei von den V orträgen
auf dem V I. Internationalen Südosteuropa-Kongreß der Regionalkom m ission der
U N ESC O , der A IE S E E , in Sofia (30. 8 . - 5 . 9. 1989) A rn o ld Suppan m it seinen
instruktiven Ausführungen über ‫ ״‬Internationale P o litik und W irtschaft in Südost-
europa zwischen den beiden W eltkriegen, 1918—1939“ genannt, wo vom ‫ ״‬K am p f
der Großmächte um Südosteuropa“ gesprochen w ird 15. O b vom theoriebezogenen
Ansatz der zahlreichen Veröffentlichungen zum Them a Im perialism us der letzten
Jahre16 oder ereignisgeschichtlich: D er Ausgangspunkt ist deutlich und ebenso
seine selbstverständliche Anwendung auf den uns hier näher interessierenden
Zusammenhang der südosteuropäischen Geschichte seit dem Zw eiten W eltkrie g.

12 Südosteuropa-Handbuch. Hrsg. v. K .-D . G rothusen. Bd. I: Jugoslawien. Bd. II: R um änien. Bd. I I I :
G riechenland, Bd. IV : T ü rk e i. Bd. V : Ungarn, Bd. V I: B ulgarien. G ö ttin gen 1975-199(). W e ite r werden
noch die Bände V I I : A lbanien und V I I I : Z ype rn erscheinen.
15 Vgl. die K apitel Außen- und In n e n p o litik (im Falle G riechenlands: Politisches System) d e r betreffenden
Bände des Südosteuropa-Handbuchs.
14 M ünchen 1988 (S o zia l-u n d wirtschaftshistorische Studien. 18).
15 Ms. W ien, Sofia І989. speziell S. 9.
16 Schöllgen, G .: Das Z e ita lte r des Im perialism us. M ünchen 1986 (O ld e n b o u rg G ru n d riß der Geschichte. 15);
M ommsen, W . J.: Im perialism ustheorien. E in Ü b e rb lick über die neueren Im pe rialism u sinterpretationen.
3 .,e rw . A u fl. G öttingen 1987.

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82 K.-D. Grothusen

U nd dennoch genügt diese Feststellung keinesfalls, um die Relevanz dieser


Kategorisierung zu verdeutlichen. Es fe hlt noch der zweite S chritt, nämlich die
erstaunliche em otionale, ja moralische G ew ichtung der beiden Bereiche. Der
B e g riff G roßm acht ist eindeutig überwiegend negativ besetzt, der B e g riff Klein-
oder M itte lstaa t dagegen positiv. Südosteuropa ist h ie rfü r ein klassischer Beweis,
wenn das Selbstverständnis dort untrennbar m it dem B e g riff des nationalen
Erwachens und der Schaffung von Nationalstaaten verbunden ist. A ls Beispiel sei
nur N ik o ła j T o d o ro v als führender Repräsentant Bulgariens aus seinem E röff-
nungsvortrag auf dem V I. Internationalen Südosteuropa-Kongreß in Sofia am
30. 8. 1989 z itie rt: ‫ ״‬II est bien connu que la R évolution française a proclamé la
‫ ״‬Patrie“ et la ‫ ״‬N a tio n “ en tant que principaux a ttrib u ts de l'E ta t nouvellement
créé. C ’est de la France que p rit son départ la marche solennelle dans le monde
entier de l ’idée nationale, en tant que stim ulant nouveau dans les mouvements de
lib é ra tio n , dans la lutte pour l ’équité sociale et pour la transform ation démocrati-
que de la société“ 17. Z u erwähnen ist aber auch der kenntnisreiche V o rtra g Arben
Putos, T ira na, vom selben Tag — ‫ ״‬Les Balkans et les Grandes Puissances“ —, weil
sich in der anschließenden Diskussion zeigte, w ieviel hier an methodischer
A u fa rb e itu n g noch zu tun bleibt. U nd v o r allem ist natürlich au f die im vorliegen-
den Band abgedruckten weiteren Beiträge albanischer H is to rik e r hinzuweisen,
die ebenfalls alle in dieselbe Richtung argum entieren.
Was die methodische A ufa rb eitun g b e trifft, so hätte diese m it der theoretischen
Bestim m ung des B egriffs ‫ ״‬G roßm acht“ zu beginnen — Ita lie n wurde in Sofia z. В .
ohne weitere E rklä ru n g als ‫ ״‬kleine G roßm acht“ bezeichnet — und würde rasch zu
der ereignisgeschichtlichen E rkenntnis führen, daß auch die K le in - und M ittelstaa-
ten untereinander zu differenzieren sind: als Beispiel seien die hegemonialen
Tendenzen Serbiens bzw. Jugoslawiens gegenüber A lb a n ie n von 1912 bis 1948
genannt. V on d o rt käme man rasch zu einer Auseinandersetzung m it der speziell
in Südosteuropa häufig anzutreffenden moralischen V e ru rte ilu n g der Großmächte
und ih re r P o litik , w o fü r sich denn auch schlagende, ja geradezu abenteuerliche
Beweise aus der jüngsten Geschichte erbringen lassen: C hurchills und Stalins
‫ ״‬Prozentabkom m en“ vom 9. 10. 1944, durch das m it einem Federstrich über das
Nachkriegsschicksal der südosteuropäischen Staaten entschieden w urde18, oder
Stalins atemberaubende Selbstverständlichkeit, m it der er kurz vo r dem Bruch m it
Jugoslawien im Januar 1948 diesem A lb a n ie n zum ‫ ״‬Schlucken“ anbot und au f
D jila s’ Entgegnung, man wolle doch nur freundschaftliche und vertragliche
Beziehungen, von M o lo to v geantwortet w urde, das sei doch dasselbe19. Dagegen
•* _
stehen aber auch denkwürdige Überlegungen G ordon A . Craigs anläßlich des « •

Ausbruchs des Z w eiten W eltkrieges unter der nachdenklich stimmenden Uber*


schrift ‫ ״‬D ie O hnm acht der G roßm ächte“ , die m it dem Satz enden: ‫ ״‬Nach langen

17 T o d o ro v . N .: Discours d'in a u g u ra tio n . Sofia 1989. S. 2 (T y p o s k rip t).


Iił A ls Q uelle s. C h u rc h ill, W . S.: The Second W o rld W ar. V o l. V I: T riu m p h and Tragedy. London u.a. 1954,
S. 197/98. — D ie beste D arstellung gibt Resis, A .: The C h u rc h ill — S talin ‫ ״‬Percentages'* Agreem ent on the
Balkans, M oscow , O cto b e r 1944, in: The A m erican H isto rical Review . 83 (1978), S. 3 6 8-3 87.
14 D e d ije r. V I.: T ito . New Y o rk 1953, S. 311; fe rn e r D jila s . M .: Gespräche m it S talin. F ra n kfu rt a. M . 1962.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 83

und geduldigen Versuchen m it dem Appeasement hatten sich die B rite n daran
e rin n e rt, daß Großm ächte wie Großm ächte handeln müssen“ 20. U n d tatsächlich
sollte die These d isku tie rt werden, ob die P o litik der G roßm ächte speziell in
Südosteuropa in den letzten zwei Jahrhunderten, d. h. seit dem von der Französi-
sehen R evolution ausgehenden Bestreben zur Schaffung kleinerer Nationalstaa-
ten, nicht viel eher auf E rh a lt des status quo gerichtet gewesen ist als auf die
Inbrandsetzung von Pulverfässern. Dies fü h rt zu dem weiteren G edanken, wie oft
denn die G roßm ächte die außenpolitische R ichtlinienkom petenz über die von
ihnen abhängigen K le in - und M ittelstaaten tatsächlich gehabt haben und wie o ft es
nicht gerade um gekehrt gewesen ist, daß außenpolitische A k tio n e n der K le in - und
M ittelstaaten ihre ‫ ״‬Großen B rü d e r“ auf durchaus ungewollte Wege geführt
haben. Es sei an Serbien und Rußland im Zusammenhang des Ausbruchs des
Ersten W eltkrieges erinne rt. Noch w eiter ging die in den Diskussionen während
des Symposions in der ‫ ״‬W interscheider M ü hle“ von Gisela R heker gestellte,
interessante Frage, wie o ft denn nicht der Weg der südosteuropäischen K le in - und
M ittelstaaten geradezu durch die Patronage zur Selbstbestimmung geführt habe?
»»

Eine letzte fü r unseren Zusammenhang zentrale Ü berlegung kom m t hinzu, und


zwar die Frage nach der Q u a lifizie ru n g des Verhältnisses von außer-südosteuro-
päischen Großm ächten und südosteuropäischen K le in - oder allenfalls M ittelstaa-
ten. Für den Sow jetblock als Ganzes haben R ichard Löw enthal und Boris
Meissner die Form ulierung ‫ ״‬Zwischen V o rm a ch tko n tro lle und A u to n o m ie “
gewählt21. Ebenso verwendbar ist aber auch das Begriffspaar ‫ ״‬Zwischen Souve-
ränität und Sozialistischem Internationalism us“ 22 oder, wie fü r unseren Zusam-
menhang je tzt vorgeschlagen, ‫ ״‬Zwischen Selbstbestimmung und Patronage“ .
Letzteres ergibt sich daraus, daß es sich im Gegensatz zu den beiden ersteren
Form ulierungen hier um den Versuch handelt, ganz Südosteuropa zu erfassen,
d. h. im Speziellen auch G riechenland und die T ü rk e i m it ihrem V erhältnis zur
Führungsmacht erst Englands und dann der U S A im westlichen Bündnissystem
mit einzubeziehen. Bei einer näheren Analyse müßte es darum gehen, eine Fülle
in der Forschung geläufiger, kaum je aber d e fin ie rte r B egriffe zu klären und zu
koordinieren, von denen der ‫ ״‬S a te llit“ besonders häufig verwendet w ird —
einschließlich des ‫ ״‬Subsatelliten“ fü r A lbanien speziell wegen des Verhältnisses zu
Jugoslawien23 — , dazu aber auch ‫ ״‬P ro te k to r“ , ‫ ״‬H egem onialm acht“ u. a.

IV. Der B egriff ‫״‬Südosteuropa“

Die Frage nach dem B e g riff ‫ ״‬Südosteuropa“ sei einerseits nur der V ollständig-
keit halber gestellt, andererseits im Gefolge des V I. Internationalen Kongresses

31 Craig. G . A .: D ie O hnm acht de r G roßm ächte. D ie gescheiterten Versuche A m e rika s und G ro ß b rita n -
niens, den Z w e ite n W e ltk rie g 7.u verh in d e rn , in: F A Z . B ild e r und Z e ite n . 26. 8. 1989.
21 K öln 1984.
22 G rothusen, K .-D .: D ie ungarische A u ß e n p o litik zwischen Souveränität und Sozialistischem Internationa-
lismus, in: Südosteuropa. P o litik und W irtsch a ft. Festschrift fü r R u d o lf V ogel hrsg. v. W . G um pel u. R.
Schönfeld. M ünchen 1986, S. 45 - 54 (Südosteuropa-Jahrbuch. 16).
‫ע‬ Lendvai, P.: D e r Rote Balkan zwischen N ationalism us und Kom m unism us. F ra n k fu rt a. M . 1969, S. 208.

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84 K.-D. Grothusen

der ‫ ״‬Association Internationale des Études du Sud-Est Européen“ in Sofia


(30. 8 . - 5 . 9. 1989) aber auch deswegen, weil er international nach wie vor nicht so
ganz eindeutig ist, wie es aus deutscher Sicht erscheinen möchte. Diese deutsche
Sicht w ird einhellig von der deutschen Südosteuropa-Forschung vertreten, ein-
schließlich — selbstverständlich — der Südosteuropa-Gesellschaft24. Sie besagt,
daß Südosteuropa im Rahmen der Zeitgeschichte, wie der H is to rik e r sagt, die
Gesam theit von 8 Ländern bedeutet: Jugoslawien, Rum änien, Griechenland,
T ü rk e i, U ngarn, B ulgarien, A lbanien und Zypern. W eiter zurück in der
Geschichte w ird die A n tw o rt schon schwieriger, weil weder das ganze Osmanische
Reich noch die gesamte Habsburger M onarchie eingeschlossen werden können25.
Daß die K rite rie n fü r diesen Südoste u ropa-B e g riff — und dam it erneut ein
Beispiel fü r Begriffserklärungen, die sinnvollerweise vor der Anwendung auf
Ereignisgeschichte vollzogen sein sollten — nicht leicht zu erarbeiten sind, sei an
dieser Stelle nur betont. W ie gerade in Sofia wieder deutlich geworden ist, lehnt
U ngarn es z. B. nach wie v o r ab, sich als südosteuropäisches Land im Rahmen der
U N E S C O -A rb e it einstufen zu lassen. U nd außerdem zeigte sich erneut, daß der
wesentlich leichter zu definierende, dafür aber bei uns wohl noch im m er negativ
besetzte B a lka n -B e g riff dieses pejorative Verständnis in den betreffenden Län-
dern weitgehend verloren hat und gern fast synonym m it Südosteuropa verwandt
w ird bzw. doch an Stelle des Südosteuropa-Begriffs2\ фф

Davon abgesehen bleibt es aber natürlich fü r die hier vorzutragenden Uberle-


gungen bei dem in der deutschen Südosteuropa-Forschung eingeführten
8-Länder-B egriff.

V. A nw endung 1: Südosteuropa seit dem Zweiten Weltkrieg

Es kann an dieser Stelle nur darum gehen, Hinweise fü r die Anw endung der bis
je tzt genannten m odell- und strukturtheoretischen Überlegungen, und zwar
vorrangig unter dem G esichtspunkt von Selbstbestimmung und Patronage auf die
A u ß e n p o litik der südosteuropäischen Länder seit dem Ende des Z w eiten W elt-
krieges zu geben. Das später zu erreichende Z ie l w ird eine systematische Synthese
sein, deren Quintessenz die Form von ein oder zwei detaillierten Tableaus haben
könnte.
Auszugehen ist dabei von zwei Tatsachen: D ie erste ist, daß das Spannungsver-
hältnis von Selbstbestimmung und Patronage als ungewöhnlich ertragreicher
Frageansatz fü r die Geschichte alle r südosteuropäischen V ö lk e r seit der W iederer-
richtung ih re r eigenen Staaten im Zusammenhang der nationalstaatlichen Bewe-

24 G rothu sen, K .- D .: Südosteuropa und Südosteuropa-Forschung. Z u r Lage der Südosteuropa-Forschung in


de r B undesrepublik Deutschland, in: O steuropa in Geschichte und G egenwart. Festschrift fü r G ü n th e r
S töki zum 60. G eburtstag. Hrsg. v. H . Lem berg u.a. K ö ln . W ien 1977, S. 4 0 8 -4 2 6 .
25 V g l. die vom S ü dost-lnstitut M ünchen, laufend herausgegebenen ‫ ״‬Südost-Forschungen" sowie die
‫ ״‬S üdosteuropa-B ibliographie*4.
26 V g l. das um fangreiche gedruckte Program m des Kongresses in Sofia. Sofia 1989.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 85

gungen von 1804 (Serbien) an gelten kann27. A lle europäischen Großm ächte des
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sind hieran beteiligt gewesen. U nd zweitens
bedeutet das Ende des Zweiten W eltkrieges unter eben diesem A spekt eine
erneute, tiefe Zäsur: D ie nie zuvor so massive deutsche Patronage über ganz
Südosteuropa endet unw iderruflich und macht einer v ö llig neuen K onstellation
Platz.
Diese neue Konstellation erweist sich nun von 1944/45 an bis heute als einm alig
facettenreich in der gesamten Zeitgeschichte. Es gibt keinen anderen Raum der
W elt, wo alle 5 M öglichkeiten außenpolitischer Wege so un m itte lba r nebeneinan-
der vertreten gewesen wären:
1.) Zugehörigkeit zum Sowjetblock m it der Patronage-Vorm acht Sowjetunion
2.) Zugehörigkeit zum W estblock m it zunächst England als Patronagevormacht
und von der T ru m a n -D o ktrin (12. 3. 1947) an28 m it den U S A
3.) Zugehörigkeit zur Bewegung des D ritte n Weges der B lo ckfre ih e it
4.) Bemühungen um regionale Zusammenschlüsse
5.) A u ß e n p o litik der totalen splendid isolation
Die Wege 3 - 5 können dabei als das Bemühen um den V orrang der Selbstbe-
Stimmung gelten, während die Wege 1 und 2 deutlich von der Patronage durch
Großmächte ausgehen. D ie typische V ariationsbreite südosteuropäischer
Geschichte zeigt sich aber auch hier schon: Ländern, in denen die Rote A rm ee die
Nachfolge deutscher Truppen antrat — U ngarn, R um änien, Bulgarien — ,standen
solche gegenüber, die den Beginn der Nachkriegsgeschichte ganz oder doch fast
ganz ohne diese erreichten (Jugoslawien, A lb a n ie n , G riechenland). U nd schließ-
lieh ist die neutrale T ü rke i und die britische K ro n ko lo n ie Z ypern zu nennen.
Die größte Bedeutung kom m t unter unserem Frageansatz von Selbstbestim-
murig und Patronage als Ausgangspunkt sicherlich dem bereits genannten
‫ ״‬Prozentabkommen“ zwischen C hurchill und Stalin vom 9. 10. 1944 zu, das im
Sinne klassischer G roßm achtpolitik exemplarische Bedeutung beanspruchen darf.
Churchill selbst beschreibt seinen Abschluß unter der Ü berschrift ‫ ״‬A Half-Sheet
o f Paper“ , auf dem er notiert hatte24:
.Roum ania
R u s s ia ............................................................................ 90%
The o th e rs ....................................................................... 10%
Greece
G reat B r it a in ................................................................. 90%
(in accord w ith the U .S .A .)
R u s s ia ............................................................................ 10%
Yugoslavia............................................................................ 50—50%

27 Die besten Zusammenfassungen finden sich bei: Stavrianos. L.S .: The Balkans sincc 1453. New Y o rk 1959:
V o lff, R. L .: The Balkans in our tim e. Rev. ed. C am bridge. Mass. 1974; Jclavich, B.: History■ o f the
iaikans. V o l. 1.2. Cambridge u.a. 1984; Seton-W atson. H .: The East European R evolution. B oulder,
London 1985; Hösch, E .; Geschichte der Balkanlander. V on der Frühzeit bis zur G egenwart. München
988.
21 D erText ist leicht zugänglich in: E u ropa-A rchiv. 2. Jg.: Juli 1947 - Dezem ber 1947. First repr. 1965. S. 819/

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H u n g a r y ................................................................................ 50—50%
Bulgaria
R u s s ia ............................................................................. 75%
The o th e rs ....................................................................... 25 % “
D ie ereignisgeschichtliche weitere E ntw icklun g, die, wie W ilfrie d Loth es
genannt hat, zur ‫״‬T eilung der W e lt“ *' gerade auch in Südosteuropa fü hrte , spielt
hier keine R olle. W ich tig ist nur die W eitergabe der Stafette als westliche
Patronage-Macht 1947 von England an die U S A , als Trum an in seiner Kongreß-
botschaft vom 12.3.1947 u. a. fo rm u lie rte : ‫ ״‬W enn w ir in unserer Führung zögern,
können w ir den Frieden der W elt gefährden . . . D ie schnelle E ntw icklung der
Ereignisse hat uns große V erantw ortung auferlegt. Ich bin gewiß, daß sich der
Kongreß dieser V erantw ortung nicht entziehen w ird .“ 31 U nd was die östliche
Patronage-Macht der Sowjetunion b e trifft, so sind die Niederschlagung des
ungarischen Volksaufstandes (23. 10.—4. 11. 1956) und 1968 die ‫ ״‬Brežnev-Dok-
tr in “ m arkante E ckp fe ile r lange nach dem A u fb a u des Sowjetblocks durch Stalin32.
V on dieser Basis aus könnte sich die M öglichke it zu einer Fülle von E inzelinter-
pretationen ergeben, die erweisen würden, daß nur aus der K om bination von
m odelltheoretischen Ansätzen und Ereignisgeschichte das B ild lebendiger W irk-
lichke it zu gewinnen ist.
Es seien aus dem Bereich des Sowjetblocks lange vor der neuen Situation seit
1985 durch Gorbačev genannt:
— Jugoslawiens Sonderweg seit 1948, der den ‫ ״‬Z e rfa ll des W eltkom m unism us“
unter sowjetischer Patronage eingeleitet hat33
— Rumäniens außenpolitischer Sonderweg seit dem M a ch ta n tritt Ceau§escus
1965*
— und vor allem natürlich als imponierendstes Beispiel A lb a n ie n , auf das im
A bschnitt V I gesondert einzugehen sein w ird.
A b e r auch im W estblock lassen sich vergleichbare Vorgänge finden, wenn
zunächst einm al ein Vergleich des Patronage-Systems von England bzw. der U S A
als Führungsmächte m it demjenigen der Sowjetunion vorgenommen worden ist.
G riechenland wie die T ü rke i bieten höchst instruktive Beispiele fü r das Span-
nungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Patronage im westlichen Bünd-
nissystem, wobei in beiden Fällen Zypern den ersten Platz e in n im m t35.
N u r hingewiesen werden kann schließlich an dieser Stelle auf die sehr unter-
schiedlichen Bemühungen der südosteuropäischen Länder, ihre außenpolitische
Selbstbestimmung in die eigenen Hände zu nehmen: A n erster Stelle ist die
G ründung der blockfreien Bewegung durch T ito zusammen m it N ehru und Nasser
1954/55 zu nennen, die ohne Z w eifel zu den genialen Ideen der Nachkriegsge-

‫י־‬° M ünchen 1980 (d tv W eltgeschichte des 20. Jahrhunderts).


•‫י י‬ A n m . 28.
32 Für den ungarischen Volksaufstand s. G rothu sen, K .-D .: A u ß e n p o litik , in: Südosteuropa-H andbuch. Bd.
V : U ngarn. 1987, S. 129134 ‫ ; ך‬fü r die B re Ž n e v-D o ktrin : M eissner, B .: D ie ‫ ״‬B re s h n e w -D o k trin ". Das
P rinzip des ‫ ״‬proletarisch-sozialistischen Internationalism us** und die T heorie von den ‫ ״‬verschiedenen
Wegen zum Sozialismus“ . D o ku m e n ta tio n . K ö ln 1969.
‫מ‬ N o lla u , G .: D e r Z e rfa ll des W eltkom m unism us — E in h e it oder Polyzenirism us. K ö ln . B e rlin 1963.
** A lle E inzelheiten im Südosteuropa-H andbuch. Bd. II: R um änien. 1977.
55 Südosteuropa-H andbuch. Bd I I I : G riechenland. 1980; Bd. IV : T ü rk e i. 1985.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 87

schichte in unserem Zusammenhang gehört, so enttäuschend die Ergebnisse heute


auch in vieler Beziehung erscheinen m ögen*1. Da auch Z ypern m it Erzbischof
M akarios hier seinen Platz einnahm , sind 2 der 8 südosteuropäischen Länder an
der Bewegung beteiligt. D ie R olle Jugoslawiens kann im K a m p f gegen die
Patronage der Sowjetunion ohnehin nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist
der denkw ürdige 7. Parteitag in Lju bljan a/Laib ach , wo das neue Parteiprogram m
des B dK J verabschiedet worden ist, in dem sich die F orm ulierung fin d e t,
Jugoslawien lehne jeden ‫ ״‬ideologischen M onopolism us und politischen Hegemo-
nismus“ ab37.
E her sekundär erscheinen demgegenüber Bem ühungen um rein südosteuropäi-
sehe Zusammenschlüsse und Kooperationen. Dies g ilt fü r den Balkanpakt von
1953/54 zwischen Jugoslawien, G riechenland und der T ü rk e i, der sich im m erhin
dadurch auszeichnete, daß er zum einzigen M al in der Nachkriegsgeschichte
Südosteuropas pakt- bzw. patronagegebundene Länder m it einem blockfreien
Land vertraglich zusammenband, sonst aber nie größere Bedeutung gewann3".
U nd es g ilt zumindest bis heute auch fü r die Idee von Balkankonferenzen, die der
rumänische Staatspräsident C hivu Stoica 1957 als erster zu verw irklich en ver-
suchte. Erst m it der Belgrader K onferenz vom 2 4 .-2 6 . 2. 1988 gelang es jedoch,
tatsächlich alle 6 Balkanländer vollständig an den Verhandlungstisch zu bringen34.
D ie Z u k u n ft w ird lehren müssen, ob von hier aus das Z ie l größerer regionaler
Selbstbestimmung als Gegengewicht gegen die Patronage der beiden Großm ächte
zu erreichen sein w ird . D ie erneuten Spannungen zwischen Bulgarien und der
T ü rk e i 1989 wegen der bulgarischen türkischen M in d e rh e it geben zunächst wenig
A n la ß zu O ptim ism us4*'.
Das m it Abstand interessanteste Beispiel fü r die D ichotom ie von Selbstbestim-
mung und Patronage in der Nachkriegsgeschichte Südosteuropas bildet jedoch
ohne jeden Z w e ife l A lbanien.

VI. A nw endung II: Albanien

Es fä llt schwer, eine zureichende Begründung fü r das nicht nur m it südosteuro-


päischen Maßstäben gemessen w ahrhaft erstaunliche ‫ ״‬phénomène albanais“ zu
finden. Das nach Zypern m it Abstand kleinste Land Südosteuropas, das ökono-
misch und sozial unverändert w eit unter dem europäischen Durchschnittsstandard

-V1 Eine zuverlässige D arstellung fü r die Z e it A n fa n g der 70er Jahre aus jugoslawischer Sicht g ib t: M ates. L .:
N onalignm ent. T h e o ry and current policy. Belgrade 1972. — N euerdings ist ebenfalls fü r die jugoslawische
Sicht zu nennen: P etkovič, R.: N o n -A lig n e d Yugoslavia and the C o ntem p orary W o rld . The Foreign Policy
o f Yugoslavia 1945-1985. Zagreb 1986.
37 D ie wichtigsten Partien des Programms sind le icht zugänglich in : D ie feindlichen B rüd er. Jugoslawiens
neuer K o n flik t m it dem O stblock 1958. E in D okum entenband red. u. eingel. v. C . G asteyger. Bern 1960.
S. 2 8 4 -3 0 4 .
-** G rothusen. K .* D .: D e r B alkanpakt als Instrum ent der Friedenssicherung fü r Südosteuropa nach dem
Zw eiten W e ltk rie g , in: Friedenssicherung in Südosteuropa. Föderationsprojekte und A llia n ze n seit dem
Beginn der nationalen E igenstaatlichkeit. Hrsg. v. M . B em ath u. K . N ehring. M ünchen 1985. S. 179-19(»
(Südosteuropa-Studien. 34).
w Schlegel. D .: Rücken die Balkan-Staaten enger zusammen?, in: A u ß e n p o litik . 39 (1988), S. 4 0 0 -4 1 5 .
40 G rothusen, K .* D .: A u ß e n p o litik , in: Südosteuropa-H andbuch. Bd. V I: B ulgarien. 1990, S. 137-139.

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88 K.-D. Сìrothusen

liegt und weder durch Bodenschätze noch durch seine geostrategische Lage
besticht‫ "־‬, kann allenfalls den ‫ ״‬trotzigen N ationalism us“ seiner Bewohner42 als
C harakteristikum ins Feld führen, obw ohl auch dieser in Südosteuropa so
ungewöhnlich nicht ist. U nd das andere sofort auffällige und nun ohne Z w e ifel in
Südosteuropa einm alige M e rkm a l des albanischen V olkes, daß nämlich nur 56,5%
der A lb a n e r innerhalb der Landesgrenzen wohnen, dagegen allein 36,4% im
benachbarten Jugoslawien43, beweist eher ein Scheitern jener allen südosteuropäi-
sehen Staaten gemeinsamen Idee der Sammlung einer möglichst großen Z a h l von
Volksangehörigen im eigenen Nationalstaat. Daß sich an diesem Zustand in
absehbarer Z e it etwas ändern w ird , ist nach w iederholten, ausdrücklichen V er-
zichtserklärungen gegenüber Jugoslawien auf Grenzänderungen kaum wahr-
scheinlich.
V on der Grenzfrage abgesehen ist es nun aber speziell die hier zu behandelnde
P roblem atik von Selbstbestimmung und Patronage, durch die sich A lb a n ie n vor
allen anderen Ländern Südosteuropas in einer nur als atemberaubend zu bezeich-
nenden Weise auszeichnet: Von der Staatsgründung 1912/13 an w ird A lbanien
schon bis zum Z w eiten W e ltkrie g von einer ununterbrochenen Reihe von Patro-
nen begleitet, wobei sich eindrucksvoll erw eist, daß es schlicht falsch ist, die P o litik
der Großm ächte gegenüber den K le in - und M ittelstaaten als im P rinzip negativ
% Щ

einzustufen, denn ohne die In te rve n tio n Ö sterreich-Ungarns und Italiens zugun-
sten der A lb a n e r wäre es gegen den W iderstand Serbiens, Englands und Frank-
reichs auf keinen Fall zur Staatsgründung auch nur Kleinalbaniens 1912/13
gekommen. Daß diese In terve ntio n p rim ä r durchaus in eigenen Interessen der
beiden Staaten begründet w ar, ist nur selbstverständlich und ändert nichts am
Ergebnis. 1919/1920 sind es die U S A gewesen, die sich te rrito ria le n Forderungen
Jugoslawiens m it E rfo lg entgegenstellten, wobei es in diesem Fall schon schwerer
sein d ü rfte , das prim äre Großmachteigeninteresse nachzuweisen. U nd auch die
M achtergreifung Zogus 1924/25 m it H ilfe Jugoslawiens könnte hier zur Diskussion
gestellt werden44. U nbestreitbar negativ ist dafür die folgende Patronage durch
Ita lie n , die im A p ril 1939 zum V erlust der albanischen E igenstaatlichkeit führte.
Im m erhin muß aber auch in diesem Fall erwähnt werden, daß nur auf diesem
Wege nach dem A n g riff Italiens au f G riechenland 1940 und noch einm al 1943 nach
dem Patronagewechsel von Ita lie n zu Deutschland der Traum eines G roßalbanien
auf Kosten Griechenlands und Jugoslawiens hat v e rw irk lic h t werden können45.
W enn der Wechsel der Patrone so schon fü r die Z e it bis zum Z w eiten W eltkrie g
erstaunlich ist, so w ird er vom Z w e iten W e ltkrie g an zum einm aligen Phänomen:
— 1941 bis 1948 Jugoslawien

41 Was die geustratcgische Lage b e trifft, so reichen weder die M ög lich ke it der Sperrung des nu r 67 km breiten
G olfes von O tra n to im K riegsfall noch die Position »im R ücken‘* Jugoslawiens und G riechenlands fü r eine
tatsächlich ungewöhnliche Bedeutung aus.
42 Lendvai (A n m . 23), S. 223.
45 Es folgen Ita lie n m it 1,8% , die U S A m it 1,3% , G riechenland m it 0,7% und A rg e n tin ie n m it 0,6% .
A u fg ru n d verschiedener Angaben vom Verfasser zusammengestellt.
44 Eine solide D arstellung gibt: S chm idt-N eke, M .: E ntstehung und Ausbau der K ö n ig s d ik ta tu r in A lban ien
(1 9 1 2 -1 9 3 9 ). R egierungsbildungen. Herrschaftsweise und M achteliten in einem jungen Balkanstaat.
M ünchen 1987 (Südosteuropaische A rb e ite n . 84).
45 V g l. die in s tru k tiv e K a rte bei Ruches. P. J.: A lb a n ia 's Captives. Chicago 1965, vo r S. I.

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 89

— 1948 bis 1959/61 die Sow jetunion


- 1959/61 bis 1978 China.
Die albanische Geschichte ze rfä llt dam it in zwei kla r voneinander getrennte
Perioden:
1.) Die Periode der Patronage: 1912—1978
2.) Die Periode der Selbstbestimmung seit 1978
A usdrücklich betont sei dabei im Sinne einer m odelltheoretischen Herange-
hensweise an die Phänomene Selbstbestimmung und Patronage, daß alle drei
Beispiele der Nachkriegszeit — Jugoslawien, die Sow jetunion und C hina — m it
zunehmender Intensität zeigen, daß Patronage keineswegs identisch m it dem
Verzicht auf Selbstbestimmung zu sein hat. Ja, gerade um gekehrt sollten diese drei
Beispiele verdeutlichen, daß innerhalb des Begriffsrahm ens Patronage und Selbst-
bestimmung in jedem E in ze lfa ll eine Analyse q u a n tita tive r und q u a lita tive r
Unterschiede einzusetzen hat. W enn 1948 nach dem W ille n Stalins noch das
‫ ״‬Schlucken“ A lbaniens durch Jugoslawien eine reale M ö g lich ke it w ar, die ohne
jedes Z u tu n A lbaniens durch den K o m in fo rm k o n flik t aus der Diskussion genom-
men w urde4*', so w ar der Wechsel von der Sow jetunion zu China 1959/61 ein freier
Entschluß A lbaniens, ebenso wie die Lösung von China seit 1974, die 1978
endgültig vollzogen w urde47. E in d e u tig dü rfte so denn auch sein, daß das Traum a
nicht nur einer Patronage Jugoslawiens über A lb a n ie n , sondern der realen G efahr
des ‫ ״‬Geschlucktwerdens“ als G rundphänom en des außenpolitischen Selbstver-
ständnisses E nver Hoxhas anzusehen ist, und zwar gerade auch noch bei der
A bw endung von der Sow jetunion 1959/61 und von China 1978.
••

Im Rahmen m odelltheoretischer Überlegungen ist jedoch noch auf ein anderes


C harakteristikum der albanischen E n tw icklu n g hinzuweisen: Internationale
Bedeutung und Selbstbestimmung stehen im Falle Albaniens offenbar im umge-
kehrten V erhältnis zueinander. A ls mögliches O b je kt jugoslawischer Expansions-
und Föderationspläne 1944 bis 1948 ist A lb a n ie n ebenso von Interesse fü r die
internationale P o litik gewesen wie als ‫ ״‬south-west bastion o f Soviet E uro pe“ , als
‫ ״‬K irghizistan o f the A d ria tic “ , das m it dem G o lf von O tra n to die A d ria fü r die
N A T O sperren konnte48, oder schließlich als einziger europäischer V erbündeter
Chinas in der bitteren Auseinandersetzung m it der Sowjetunion seit 1959/61. Seit
1978 und der Erlangung der vollen Selbstbestimmung, die von der Führung in
Tirana deutlich im Sinne einer splendid isolation verstanden w ird , ist das interna-
tionale Interesse an A lb a n ie n dafür fast erloschen bzw. beschränkt sich au f das
Maß, das den natürlichen Gegebenheiten des Landes entspricht. Im m erhin ist
aber festzustellen, daß dieser Weg der splendid isolation wiederum ein U n iku m in
der Nachkriegsgeschichte Südosteuropas darstellt: Neben der Z ugehörigkeit zum
Ost- oder W estblock sowie Jugoslawiens und Zyperns D ritte m Weg der Zugehö-

46 Zuverlässig ist Tonnes, В .: S onderfall A lb a n ie n . E nver Hoxhas ‫ ״‬eigener Weg** und die historischen
Ursprünge seiner Ideologie. M ünchen 1980 (U ntersuchungen zur G egenwartskunde Südosteuropas. 16).
47 B ib era j. E .: A lb a n ia and C hina. A Study o f an U nequal A llia n ce . B o u ld e r. Lo ndon 1986. — ln de r
B ibliographie S. 177 leicht zugänglich eine Zusam m enstellung de r w ichtigsten der vielen W erke E nver
Hoxhas.
48 Seton-W atson (A n m . 27), S. 229.

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90 K.-D. Grothusen

rig ke it zur Bewegung der B lockfreien b ild e t A lbaniens splendid isolation deutlich
eine grundsätzlich vierte M ö g lich ke it außenpolitischer O p tio n . Jugoslawien und
Z ypern au f der einen Seite, A lbanien au f der anderen können so als zwei M odelle
patronagefreier, selbstbestim m ter A u ß e n p o litik in Südosteuropa gelten.
Es kann im übrigen an dieser Stelle nur noch au f einige weitere Gesichtspunkte
hingewiesen werden.
D e r erste b e trifft ein Phänomen, daß als ‫ ״‬A lb a n ie n als ,forgotten c o u n try '“
bezeichnet werden kann. Dies beginnt m it dem in der Forschung im m er wieder
zitierten — obw ohl höchstwahrscheinlich so nie geäußerten! — B ism arck-Z ita t,
der es während des B e rlin e r Kongresses abgelehnt haben soll, eine albanische
N ation zu kennen44. U nbestreitbar ist dafür, daß C hurchill wie Stalin beide
anläßlich ihres ‫ ״‬Prozentabkom m ens“ vom 9. 10. 1944, das sich ausdrücklich auf
die Balkanstaaten bezog, A lb a n ie n ‫ ״‬vergessen“ haben50. A ls nächstes ergeben die
P ro to ko lle , daß au f den Konferenzen von Teheran und Jalta über alle südosteuro-
päischen Länder und ih r weiteres Schicksal d isku tie rt worden ist — m it der einen
Ausnahme A lbaniens51. Noch erstaunlicher ist, daß die K P A als einzige Partei des
sich bildenden Sowjetblocks nicht zur G ründung des K o m in fo rm im Herbst 1947
eingeladen worden ist und auch nachträglich nicht aufgenommen wurde. A uch der
von A lb a n ie n höchst erwünschte Kom inform ausschluß Jugoslawiens durch die
Bukarester E rklä ru n g vom 28. 6. 194852 fand so ohne A lb a n ie n statt. U nd
schließlich ist auch die G ründung des R G W ( 5 . - 8 . I. 1949) ohne A lbanien
e rfo lg t53. A lbanien hat daraufhin von sich aus am 1. 2. 1949 um A ufnahm e gebeten,
eine B itte , der am 23. 2. 1949 entsprochen wurde.
E in zw eiter G esichtspunkt b e trifft das V erhältnis zu Jugoslawien, wo das
G ew icht der Patronage speziell schon im Z w eiten W e ltkrie g , aber auch in der
Folgezeit bis 1948 noch w eiterer Forschung zu bedürfen scheint. Daß albanische
A u ß e n p o litik wie diejenige aller anderen südosteuropäischen Staaten vorrangig
R eg ion alpo litik ist, was die eigenen Interessen b e trifft, und daß Jugoslawien dabei
an erster Stelle steht, ist zwar klar. Fraglich erscheint aber z. B. noch, wie weit
Stalins Desinteresse und seine B ereitschaft. A lb a n ie n Jugoslawien als ‫ ״‬Subsatel-
lit “ 54 zu überlassen, tatsächlich gegangen ist und ob Jugoslawiens E in flu ß im
Z w eiten W e ltkrie g u. a. soweit gereicht hat, daß man die G ründung der K P A
schlicht als W erk der KPJ bezeichnen kann55.

4v F ür die im m er w ie de rh olte Z ita tio n in der Forschung vgl. z. B. W o lff (A n m . 27). S. 91. — Gegen die
E ch th eit des Z ita ts b rie flic h e Stellungnahm e L. G alls an m ich vom 13. 9. 1989.
S.o.S. 85/86 die Länderauflistung des A bkom m ens.
51 Foreign R elations o f the U n ite d States. D ip lo m a tie Papers. T he Conferences o f C a iro and Teheran 1943.
W ashington 1961: The Conference at M alta and Y a lta 1945. W ashington 1955.
52 D ie feindlichen B rü d e r (A n m . 37). S. 1—9.
53 Das O stpakt-System . D okum entensam m lung. Hrsg. v. B. Meissner. F ra n k fu rt a. M .. B e rlin 1955, S. 108/
109.
54 Lendvai (A n m . 23). S. 208.
55 R euter. J.: D ie A lb a n e r in Jugoslawien. M ünchen 1982. S. 35 (U ntersuchungen zur G egenwartskunde
Südosteuropas. 20).

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Zwischen Selbstbestimmung und Patronage 91

U nd schließlich w ird es sicherlich eine lohnende A ufgabe sein, sich bei einem
erst noch zu erarbeitenden ‫ ״‬K om pendium ro te r B a lk a n rh e to rik “ 56 speziell m it
A lba n ie n zu befassen. K ein anderes B alkanland hat die Kunst einer solchen
R h e to rik in der Nachkriegszeit soweit entw ickelt wie A lb a n ie n , w o fü r die
zahlreichen W erke E nver Hoxhas eine unvergleichliche Q uelle bilden: ob er
Bulgarien als ‫ ״‬eine wahre K o lo n ie der sowjetischen Sozialim perialisten“ bezeich-
nete und das bulgarische V o lk als ‫ ״‬K a n o n e n fu tte r“ fü r die Sow jetunion oder von
Brežnev und seinen G efolgsleuten schrieb: ‫ ״‬Sie schalteten Chruschtschow aus, um
den Chruschtschowismus v o r der D iskre d itie ru n g durch die endlosen N arreteien
des M eisters selbst zu bewahren . . . Dabei erwiesen sich Breschnew und Konsor-
ten als ‫ ״‬würdige Schüler“ ihres anrüchigen Lehrers“ 57.

VII. Zusam menfassung


•♦

D ie vorstehenden Überlegungen sollten den Versuch einer A nregung bilden,


m odelltheoretische Überlegungen zur A u ß e n p o litik Südosteuropas seit dem
Z w eiten W e ltkrie g und ihre A nw endung auf die Ereignisgeschichte einen Schritt
w eiterzubringen. A ls Beispiel ist das speziell fü r Südosteuropa ungewöhnlich
w ichtige Phänomen von Selbstbestimmung und Patronage in der A u ß e n p o litik
gewählt w orden, dazu A lbanien fü r die A nw endung. Fernziel sollte eine T ypolo-
gie der A u ß e n p o litik der so außerordentlich reizvoll unterschiedlichen Länder
Südosteuropas sein, wobei das V erhältnis von A ußen- und In n e n p o litik als zweiter
G esichtspunkt ohne Z w e ife l m it einzubeziehen wäre. N ich t vergessen werden
sollte aber auch eine Q u a lifizie ru n g der F u n ktio n der G roßm ächte wie der
angeblich unter ih re r Patronage stehenden K le in - und M ittelstaaten, da speziell
hier nach wie vo r erhebliche Klischeevorstellungen und Schwarz-W eiß-M alerei
m it m oralischen Kategorien zu Lasten der Großm ächte anzutreffen sind. Daß
A lbanien schließlich kein zufälliges Beispiel war, sondern zurecht im Rahmen des
gewählten Frageansatzes den ersten Platz im Interesse der Forschung an der
südosteuropäischen Nachkriegsgeschichte beanspruchen d a rf, sollte als Letztes
nochmals betont werden, wobei Élez Biberaj wohl die beste F orm ulierung
gefunden hat, wenn er fo rm u lie rt: ‫ ״‬A lb a n ia : A Small Power in Search o f
Security“ 58.

56 O schlies. W .: B ulgarien — nahe de r S ow jetunion, fern dem W esten?, in: D e r S ow jetblock zwischen
V o rm a c h tk o n tro lle und A u to n o m ie (A n m . 21), S. 252.
57 Z è ri i P o p u llit. 5. 10. 1974; H o xha. E .: D ie C'hruschtschowianer. E rinnerungen. T iran a 1980, S. 9.
-‫* י‬ B ib e ra j (A n m . 47), S. 13.

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Der Unabhängigkeitsbegriff der Albaner

X helal G jeçovi, Tirana

Unser Jahrhundert ist Zeuge des allgemeinen Erwachens, der allgemeinen


Em anzipation der V ö lk e r und der K rönung ih re r Käm pfe im Streben nach Freiheit
und U nabhängigkeit. Dieser sich besonders nach dem Zw eiten W e ltkrie g w eiter
vertiefende Vorgang fü hrte zur Veränderung der politischen W eltkarte, zur
Abschaffung des Kolonialsystem s und zur G ründung neuer, unabhängiger Staa-
ten. Dennoch b le ib t die U nabhängigkeit auch heute noch eine brennende Frage
nicht nur fü r jene V ö lk e r, die sie noch im m er nicht erreicht haben, sondern auch
fü r diejenigen V ö lk e r, die die V erteidigung ih re r U nabhängigkeit permanent
durch die expansionistischen Z ie le und P o litik , insbesondere der beiden Super-
machte, bedroht sehen. Dies g ilt nicht nur fü r die kleinen und Entw icklungslän-
der, sondern auch fü r diejenigen, die auf eine sehr alte Z iv ilis a tio n und eine hohe
und sehr umfassende K u ltu re n tw icklu n g zurückblicken können.
V o r diesem H in te rg ru n d verfolg t man in A lbanien sorgfältig die Problem e, die
aus den derzeitigen Integrationsprozessen erwachsen. Unser Staat hält an dem
Standpunkt fest, daß die fortw ährende Bewahrung der einzelnen Nationen
hinsichtlich ih re r In d iv id u a litä t, ihrer K u ltu r und ih re r besonderen nationalen
M erkm ale dem allgemeinen F ortschritt der Menschheit und ih re r wahrhaften
Em anzipation dient.
Das sozialistische A lb a n ie n hat den K a m p f der verschiedenen V ö lk e r zur
Erlangung ih re r U nabhängigkeit und allseitigen E ntw icklung, zur W ahrung und
K onsolidierung der unabhängigen Staaten und zur Beseitigung der W unden und
Überbleibsel des K olonialism us und N eokolonialism us vorbehaltlos unterstützt.
In unserem V o rtra g werden w ir auf diese Fragen nicht besonders eingehen, da
w ir nicht die allgemeine Behandlung des U nabhängigkeitsbegriffes zum Gegen-
stand haben, sondern vielm ehr die D arstellung der B egriffe und Fragen, die in
dieser H insicht in unserem Land bestehen. W ir möchten schon von vornherein
unterstreichen, daß unsere Ansichten und Einstellungen zu dieser Frage ohne
Kenntnis der Geschichte und Vergangenheit Albaniens nicht richtig verstanden
werden können. D enn das, was w ir weiter unten vortragen werden, steht nicht nur
m it der G egenw art, der aktuellen Lage, sondern auch m it der Vergangenheit, der
ganzen Geschichte in V erbindung, wobei aus dieser Geschichte wichtige Lehren
gezogen worden sind.
A u f seinem langen und schwierigen Weg zur U nabhängigkeit hatte sich
A lbanien m it einer Reihe spezifischer Bedingungen auseinanderzusetzen. Da es
ein kleines Land ist, sich aber im m er in einer strategisch wichtigen Lage an der
Kreuzung von Interessen und Z ielen ausländischer Mächte befand, war A lbanien
zahlreichen Invasionen und Besetzungen ausgesetzt und mußte letztlich dauernd
Kriege zur Erlangung und V erteidigung seiner Freiheit und Unabhängigkeit
führen. Im Laufe dieser Käm pfe hat unser V o lk eine beispiellose V ita litä t an den
Tag gelegt.
D ie Geschichte beweist, daß ganze Jahrhunderte lang, als die anderen V ö lk e r
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Unabhängigkeitsbegriff der Albaner 93

des europäischen K ontinents unaufhaltsame Schritte auf dem Weg zu E ntw icklung
und F o rtsch ritt machten, die A lb a n e r zum K a m p f ums Ü berleben gezwungen
waren. D aher bedeuteten fü r unser V o lk Freiheit und U nabhängigkeit nicht bloß
einen innigen W unsch, ein anzustrebendes Z ie l, sondern diese W erte stellten
vielm ehr jene Achse dar, um die sich im Laufe der Jahrhunderte sein ganzes Leben
gedreht hat; sie waren die G rundlage, au f der sich sein politisches D enken, seine
soziale Psyche und seine nationale K u ltu r aufbauten. ‫ ״‬N ich t ich habe euch die
Freiheit gebracht! Ich habe sie hie r, unter euch, gefunden!” Diese W orte richtete
unser N ationalheld G jergj K astrioti-Skanderbeg an die B evölkerung Krujas und
ganz A lbaniens, und nannte dam it gleichsam die Synthese des Sieges über die
Osmanen im 15. Jahrhundert1.
Freilich haben die A lb a n e r, wie andere V ö lk e r auch, den B e g riff der Unabhän-
gigkeit nicht zu jeder Z e it in gleicher Weise aufgefaßt. Das Verständnis von
Unabhängigkeit war sowohl in der Vergangenheit als auch in m oderner Z e it durch
die historischen Umstände bedingt, unter denen der K a m p f um die Unabhängig-
keit selbst geführt wurde. So haben unsere bekannten Patrioten der N ationalen
W iedergeburt unter den Bedingungen der großen und zahlreichen G efahren,
denen A lbanien durch die einverleibenden Bestrebungen der benachbarten
Chauvinisten ausgesetzt war, die A u to n o m ie innerhalb des Osmanischen Reichs
als einen unerläßlichen Schritt au f dem Weg zur U nabhängigkeit betrachtet und
darin die einzige M öglichke it gesehen, A lbanien unter jenen schwierigen V e rh ä lt-
nissen vo r der Zerstückelung und E inverleibung zu retten.
Später führte das Erstarken der nationalen Bewegung dazu, daß die Bedingun-
gen und folglich auch der Gedanke fü r eine vollkom m ene U nabhängigkeit
Albaniens re if wurden und schließlich zur G ründung und P roklam ierung eines
unabhängigen albanischen Staates führten.
Die U nabhängigkeit A lbaniens wurde jedoch unter äußerst kom plizierten
externen und internen Bedingungen e rk lä rt, die der B alkankrieg geschaffen hatte:
Die A rm een der benachbarten M onarchien hatten bei der V erfolgung der
osmanischen Truppen einen beachtlichen T e il der albanischen Gebiete besetzt,
die sie, an Hand schon lange ausgearbeiteter Pläne, zu annektieren versuchten.
Die Lage verw ickelte sich noch m ehr durch die Intervention der G roßm ächte und
deren Schachereien, was zur Folge hatte, daß die H ä lfte des T e rrito riu m s und der
Bevölkerung Albaniens außerhalb des soeben gegründeten albanischen Staates
blieb.
So w ar die 1912 in der Stadt V lo ra verkündete U nabhängigkeit A lbaniens, trotz
ihrer historischen Bedeutung, weder umfassend noch längerfristig gewährleistet.
D er albanische Staat entstand in einer Region, in der die im perialistischen und
chauvinistischen Expansionsneigungen auf der Tagesordnung standen. Das kleine
A lbanien blieb in den darauffolgenden Jahren w eiterhin ein Gegenstand dieser
Neigungen - zuerst durch die frem den Eroberungen während des 1. W eltkriegs,
dann durch die Verw andlung A lbaniens in eine T e ilk o lo n ie Italiens und schließlich
durch die faschistische und nazistische Besetzung des Landes. D aher blieb der

B a rle ti. M .: H isto ria e Skenderbeut (G eschichte Skanderbegs). T ira n a I% 7 . S. 67.

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94 Xh. Gjeçovi

K a m p f zur Sicherung und V erteidigung der U nabhängigkeit nach wie vor eine
brennende Frage, eine Konstante unserer Geschichte.
Eine neue Epoche bei der Behandlung und Lösung der Unabhängigkeitsfrage
eröffneten der Antifaschistische N ationale B efreiungskam pf und die V olksrevolu-
tio n , die in A lbanien von der Kom m unistischen Partei - der heutigen ‫ ״‬Partei der
A rb e it A lbaniens“ - geführt wurde.
D urch den L a u f der Erfahrungen unserer nationalen Geschichte hatte die
Führung unseres N ationalen Befreiungskam pfes den w eitblickenden Schluß gezo-
gen, daß zur G ewährleistung der w irkliche n B efreiung und U nabhängigkeit des
Landes nicht nur der bewaffnete K a m p f - an dem es auch in der Vergangenheit
nicht gemangelt hatte - , sondern auch die E rrich tu n g einer neuen M acht, der
V olksm acht, nötig war.
D ie albanische N ationale Befreiungsbewegung konnte ihre Z ie le auf diesem
G ebiet erreichen, w eil sie es unter anderem verstand, gänzlich neue Prinzipien
betreffs der politischen und w irtschaftlichen U nabhängigkeit des Landes, der
nationalen Souveränität des V olkes, der Beziehungen zum Ausland etc. auszuar-
beiten und in die T at umzusetzen. Da sie eine neue K onzeption über diese Fragen
besaßen, ließen es die N ationale Befreiungsbewegung und der aus ihren Reihen
hervorgegangene neue albanische Staat nicht zu, daß die m it dem Leben und der
Z u k u n ft Albaniens zusammenhängenden Fragen von anderen beschlossen wur-
den, sondern sie lösten sie selbst, entsprechend den souveränen Interessen des
V olkes. D er vom 1. Antifaschistischen Kongreß im M ai des Jahres 1944 gefaßte
Beschluß, die zwischen dem alten Staat und fremden Staaten abgeschlossenen
ungleichen A b ko m m e n , die auch im Gegensatz zu den souveränen Interessen und
Rechten des albanischen V olkes standen, nicht anzuerkennen, m arkierte eine
wichtige historische Wende in den internationalen Beziehungen Albaniens.
Dieser Beschluß sollte zeigen, daß die Z e ite n , als man über die Geschicke
A lbaniens im Ausland entschied, nun ein fü r alle M ale vorbei seien und daß die
A u ß e n p o litik A lbaniens eine P o litik im Dienste der souveränen Interessen des
Landes und der V erteidigung seiner vollständigen politischen und wirtschaftlichen
U nabhängigkeit sein würde.
M it der B efreiung des Landes, der E rrich tu n g der Volksm acht und dem
sozialistischen A u fb a u sicherte sich die U nabhängigkeit A lbaniens eine noch nie
dagewesene feste Stütze und erhielt einen neuen C harakter m it neuen Dimensio-
nen. Sie ist nun eine vollkom m ene langfristig gewährleistete und stabile Unabhän-
gig keit, fähig, jede Situation erfolgreich zu bew ältigen, da der neue albanische
Staat, indem er die P o litik der V erteidigung der souveränen Rechte des Landes
konsequent befolgt, sich stets und unter allen Umständen der breiten, entschlösse-
nen und vorbehaltlosen U nterstützung des albanischen Volkes gewiß sein kann.
Zugleich hat sich diese P o litik ebenfalls großer Sympathie bei den anderen
V ö lke rn und Ländern e rfre u t, da die unabhängige E n tw icklu n g Albaniens auch
ein F a k to r der S tabilität und Sicherheit in der Region und darüber hinaus ist.
D ie Geschichte A lbaniens ist die einer unabhängigen w irtschaftlichen, gesell-
schaftlichen und ku ltu re lle n E ntw icklun g des Landes. In diesem Zusammenhang
wurden der B e g riff der U nabhängigkeit selbst, wie auch die M öglichkeiten zu
dessen vollständiger V e rw irk lic h u n g en tw ickelt. A u fg ru n d dieses B egriffs kann
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Unabhängigkeitsbegriff der Albaner 95

die politische U nabhängigkeit nicht losgelöst von der w irtschaftlichen Unabhän-


gigkeit verstanden werden. D ie w irtschaftliche U nabhängigkeit liegt der p o liti-
sehen U nabhängigkeit zugrunde und gewährleistet diese. D ie enge V erbindung
zwischen beiden w ird erst dadurch gew ährleistet, daß sich sowohl die W irtschaft
als auch die P o litik fest auf das nationale Besitztum , au f die M öglichkeiten,
Fähigkeiten und Interessen des V olkes und auf die inneren Ressourcen und
Schätze des Landes stützen. D a rin liegt die tiefere Bedeutung des Kurses, an dem
A lbanien nach wie vo r konsequent festhält - der K urs, ‫ ״‬sich au f die eigenen K räfte
zu stützen“ .
Dieses P rinzip ist nicht eine konjunkturbedingte Parole, sondern eine objektive
Entwicklungsgesetzm äßigkeit, die unter bestimmten Bedingungen in eine im pera-
tive N otw endigkeit verw andelt worden ist. Dieses P rinzip liegt den B egriffen
unseres Staates über die wahre F reiheit und U nabhängigkeit zugrunde. Sich daran
haltend, hat A lbanien zu keiner Z e it seinen Sieg im K a m p f und seine E ntw icklun g
auf dem Weg zum Sozialismus auf äußere Faktoren gestützt und noch weniger auf
H ilfe n und K red ite. In je d e r Phase unserer E ntw icklun g, ja sogar auch z u rZ e it, als
w ir soeben aus dem K rie g hervorgegangen waren und alles auf die von ihm
zurückgelassenen Ruinen aufgebaut werden mußte, bildeten die K redite aus der
Sowjetunion und den anderen einst sozialistischen Ländern nur einen geringen
A n te il im Vergleich zu den eingesetzten m ateriellen, monetären und menschli-
chen M itte ln des eigenen Landes. Folglich haben sie auch niemals unsere
E ntw icklung und unser Wachstum au f dem Wege zum Sozialismus m itbestim m t.
Dieser G rundsatz hat die internationale Zusam m enarbeit niemals ausgeschlos-
sen, fü r A lb a n ie n aber waren und sind jene Zusam m enarbeitsform en und
-praktiken, die die nationale U nabhängigkeit und Souveränität auch nur im
geringsten antasten, unannehmbar. So wurden durch die Veränderung der
historischen Verhältnisse in den einst sozialistischen Ländern, einhergehend m it
der A nw endung eines neuen Kurses, der m it unseren B egriffen und Grundsätzen
nicht in E inklang stand, die uns vorgeschlagenen sogenannten H ilfe n und K redite
unmöglich und unannehm bar, als deutlich wurde, daß dam it bestim m te politische
Ziele verbunden werden sollten. D arüber hinaus stärkte sich durch diesen Trend
der Ereignisse noch mehr die Überzeugung, daß einzig ein umfassendes ‫ ״‬Sich-
Stützen-auf-die-eigenen-Kräfte“ die unabhängige, solide und stabile E ntw icklung
der W irtschaft und des gesamten Lebens des Landes gewährleisten könne. Dieses
führte wiederum dazu, daß w ir dieses Prinzip sogar zum Verfassungsgrundsatz
erhoben, w odurch auch in juristischer Hinsicht sanktioniert w urde, daß sich die
Sozialistische V o lksre p u b lik A lb a n ie n beim A ufb au des Sozialismus hauptsäch-
lieh auf die eigenen K rä fte stützt2. Das konsequente V erfolgen eines solchen
Kurses hat A lbanien zu einem gänzlich unabhängigen und souveränen Land
gemacht. A lb a n ie n schuldet niemandem etwas; es hat dem Ausland gegenüber
keine w irtschaftliche, moralische oder sonstige Schuld. Unser V o lk ist vor allem
deshalb unabhängig, w eil die M acht in seiner Hand liegt, w eil es H e rr über seine

2 Verfassung der S V R A , A r !. 14.

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96 Xh. Gjeçovi

eigenen Ressourcen ist und w eil es souverän ist und selbst darüber entscheidet, wie
und in welchem Maße es diese V orko m m e n nutzt.
Neben der Festigung und K onsolidierung der politischen und wirtschaftlichen
U nabhängigkeit des Landes haben sich unaufhörlich auch die internationalen
Beziehungen und der internationale Austausch verstärkt und erw eitert. Unser
Land unterhält derzeit diplom atische, w irtschaftliche, k u ltu re lle und Wissenschaft-
lich-technische Beziehungen zu einer großen A nzahl von Ländern und ist darum
bem üht, diese Beziehungen permanent zu erw eitern, auf der Grundlage des
bekannten Prinzips der Respektierung der nationalen Souveränität und des
gesellschaftlichen Systems, der N ichteinm ischung in die inneren Angelegenhei-
ten, der allgemeinen G leichheit und des gegenseitigen V o rte ils. Unserer Ansicht
nach b ild e t die Existenz verschiedener gesellschaftlicher Systeme keinerlei G rund,
die Beziehungen und den Austausch auf G ebieten von gegenseitigem Interesse zu
behindern oder sogar auszuschließen; die Gesellschaftsordnung hat eine innere
Angelegenheit eines jeden Landes und V olkes zu sein. D ie Beziehungen zu
anderen Ländern betrachten w ir aus dialektischem B lic k w in k e l, und in diesem
Rahmen bringt unsere W irtschaft und K u ltu r alles ein, was dem gesellschaftlichen
F o rtsch ritt sowie der Annäherung und der Freundschaft zu anderen V ölkern
dienlich ist.
A us diesem B lic kw in k e l betrachten w ir auch die V o rte ile und M öglichkeiten des
Ausbaus der Beziehungen zur B undesrepublik Deutschland, die in den letzten
Jahren durch den guten W ille n beider Seiten einen beachtlichen F ortschritt erzielt
haben und die M öglichkeiten aufzeigen, auf diesem Weg w eiter zu gehen.
Des öfteren findet man in der ausländischen Presse aufgrund mangelnder
Kenntnisse unserer R ealität Ausführungen und M einungen, die unsere P o litik der
eigenständigen E ntw icklung und des ‫ ״‬Sich-Stützen-auf-die-eigenen-Kräfte“ als
eine O rie n tie ru n g auslegen, die zur ‫ ״‬Iso la tio n “ oder zur ‫ ״‬A u ta rk ie “ , zum
technologischen Rückstand, zur ‫ ״‬Trennung von der übrigen W e lt“ etc. führe -
Anschuldigungen, die nicht nur in H ü lle und F ü lle, sondern auch ganz zu Unrecht
an A lb a n ie n adressiert werden. Es versteht sich von selbst, daß es unmöglich ist,
alles, was fü r die W irtschaft und den Verbrauch eines V olkes in Gegenwart und
Z u k u n ft benötigt w ird , allein durch die inneren K rä fte und die P roduktion im
Lande zu sichern. W eder war es, noch ist dies die P o litik unseres Staates. So etwas
setzt das P rinzip des ‫ ״‬Sich-Stützen-auf-die-eigenen-Kräfte“ nicht voraus. Trotz-
dem ist fü r A lbanien die Tatsache von immenser Bedeutung, daß das Problem der
Bedarfsdeckung bei W irtschaft und B evölkerung im Bereich der lebenswichtig-
sten Erzeugnisse, wie B ro t und Lebensm ittel und Brennstoffe und Elektroenergie,
bislang gelöst worden ist. Was eine Reihe von anderen Produkten wie Gußeisen,
verschiedene Stahlsorten und Ersatzteile etc. b e trifft, so befindet sich dieses
Problem bereits au f dem Wege der Lösung. Im Gesamtvergleich werden derzeit
nur etwa 15% der R ohstoffe, der Maschinen und der Ausrüstungen aus dem
Ausland bezogen3.
W ie seine gesamte w irtschaftliche, gesellschaftliche und ku ltu re lle Entw icklung
stützt sich A lbanien auch im Bereich der Landesverteidigung nicht auf M ilitä r­

■' A lia . R .: E nveri yne (U n se r E n ver). T iran a 1989, S. 345f.

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Unabhängigkeitsbegriff der Albaner 97

bündnisse und -pakte m it anderen Ländern, sondern lediglich au f die eigenen


K rä fte , auf die V orb e reitu n g und die Bereitschaft seines eigenen V olkes und
seiner eigenen A rm ee. A uch hier enthält unsere Verfassung Verfügungen von
grundsätzlicher und lebenswichtiger Bedeutung fü r die Sicherung der Unabhän-
gigkeit unseres Vaterlandes. So ist laut Verfassung auf dem T e rrito riu m der
Sozialistischen V o lksre p u b lik A lb a n ie n die S tationierung ausländischer M ilitä r-
Stützpunkte und Truppen unzulässig1. Ebenfalls d a rf laut Verfassung niemand
anderes als die vertretenen Volksorgane in der Sozialistischen V o lksre p u b lik
A lbanien die Souveränität des V olkes ausüben, und niemandem w ird das Recht
zuerkannt, ‫ ״‬H ilfe “ anzufordern, m it dem Z ie l, eine In terve ntion von außen zu
rechtfertigen5. A u f diese Weise unterbindet die Verfassung jedwede G rundlage
und M ö g lich ke it, eine Aggression von außen zu verschleiern und zu rechtfertigen,
M ethoden, derer sich die Supermächte m ehr als einmal bedient haben.
D ie in unserer Verfassung verankerten Grundsätze bringen kla r und eindeutig
das souveräne Recht und die Entschlossenheit des albanischen V olkes zum
A usdruck, die U nabhängigkeit seines Vaterlandes bis zuletzt zu verteidigen.
Zugleich bilden diese Grundsätze, vo r allem der der Nichtzulassung frem der
Stützpunkte und T ruppen, die G arantie dafür, daß das T e rrito riu m A lbaniens,
unter welchem Um stand auch im m er, niemals als eine Aggressionsbasis gegen
andere Länder benutzt werden w ird .
Das Festhalten solcher Verfügungen in der Verfassung ist verbunden m it einer
tiefen R eflexion der eigenen historischen E rfahrung. Bekannt sind die Versuche
der Jugoslawen in den ersten Jahren nach der B efreiung, unter dem fingierten
V orw and, uns v o r einer angeblich drohenden G efahr ‫ ״‬zu re tte n “ , ihre Divisionen
nach A lbanien zu verlegen, was in W irk lic h k e it au f die m ilitärische Besetzung
Albaniens abzielte. M it solchen Z ie len wurden w ir auch von seiten der Sowjet-
union im Falle des M ilitä rstü tzp u n kts von V lo ra k o n fro n tie rt. D ie Lehre, die aus
diesen Erfahrungen gezogen w urde, ist bedeutsam: D ie frem den M ilitä rstü tz-
punkte und T ruppen garantieren nicht nur nicht die U nabhängigkeit, sondern im
G egenteil, sie gefährden und bedrohen sie.
Unser Land verfolgt eine aktive A u ß e n p o litik , und bem üht sich in diesem
Rahmen, seinen Beitrag bei der Lösung in te rn atio nale r Fragen zu leisten.
A lbanien hat die Auffassung verw orfen, wonach die internationale P o litik ein
M onopol der beiden Supermächte zu sein hat. Es hält an dem Standpunkt fest, daß
die verschiedenen Staaten und N ationen, ob klein oder groß, nicht zulassen
können und dü rfe n, vom G eflecht der internationalen Beziehungen beiseite
geschoben oder gar ausgeschlossen zu werden und von ihrem unbestreitbaren
Recht und ih re r historischen P flicht abzulassen, fü r eine friedliche O rdnung der
W elt zu käm pfen und ihren Beitrag zu leisten.
D ie Position und die E instellung unseres Staates zu dieser Frage kla r form ulie-
rend, hat der Führer des albanischen Volkes, Genosse E nver H oxha, gesagt: ‫ ״‬D ie
Sozialistische V o lksre p u b lik A lbanien hat ihre eigenen Auffassungen, und ihre

Verfassung (A n m . 2). A rt. 91. f R . . "X


Verfassung (A n m . 2). A rt. 5 und A rt. 9(1 o a y e riS C n Ø \
ļ Staatsbibliothek I
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konstruktive P o litik betreibt sie offe n , unter dem L ich t der Sonne. Keine Frage ist
ih r fre m d, und sie gestattet niem andem , ih r den M und zu stopfen. Jeder Staat,
jedes V o lk hat sein eigenes Recht darauf, seine Gedanken offen auszusprechen
und sich denen der anderen, m it denen es nicht einverstanden ist, entgegenzustel-
len, ebenso wie auch die anderen ein Recht da ra uf haben, die G edanken, die sie
nicht akzeptieren können, zu verw erfen. Es ist ganz und gar falsch, m it vér-
schränkten A rm e n und geschlossenem M und dazustehen, wenn die anderen zum
Schaden der V ö lk e r und Staaten handeln, oder zuzugeben - wie es manche gerne
möchten - , daß, da man eben nur ein kleiner Staat oder ein kleines V o lk ist, es sehr
anspruchsvoll klingen w ürde, ein eigenes W o rt zu sagen, das eigene Recht zu
verteidigen oder m it eigenen Standpunkten vo r die ‫ ״‬G roßen“ zu treten. D ie
falsche Bescheidenheit und die opportunistische Sklavenseele sind der P o litik
unseres Staates fre m d “ 6.
H ie rin ist nicht nur eines der kennzeichnendsten M erkm ale unseres sozialisti-
sehen Staates zum A usdruck gebracht, sondern auch der K ern einer äußerst
w ichtigen Frage im heutigen internationalen Leben aufgegriffen w orden. In der
T at gibt es fü r eine konstruktive E n tfa ltu n g der zwischenstaatlichen Beziehungen
keinen anderen Weg als den der vollständigen G leichheit und uneingeschränkten
Respektierung der Unabhängigkeit aller Staaten, ungeachtet ih re r ‫ ״‬G röß e“ oder
ihres ‫ ״‬Potentials“ . Diesen Trend und dieses ob jektive G ebot der heutigen
E n tw icklu n g der internationalen Beziehungen zum A usdruck bringend, w ird in
unserer Verfassung e rk lä rt, daß ‫ ״‬sich die Sozialistische V o lksre p u b lik A lbanien
je d e r Form der Aggression, der kolonialen Ausbeutung, der V orm undschaft, des
D ikta ts und der Hegem onie, der nationalen U nterdrückung und der Rassentren-
nung widersetzt. Sie hält an dem P rinzip der Selbstbestimmung der V ö lk e r, der
Ausübung der vollen nationalen Souveränität und der G leichheit aller Länder in
den internationalen Beziehungen fest“ 7.
D ie Verfassung der S V R A , als ein A usdruck des theoretisch-wissenschaftlichen
Denkens der Partei und des albanischen Staates über die kardinalen Fragen der
•«

gesellschaftlichen E ntw icklun g, enthält Verfügungen die, laut Überzeugung des


gesamten albanischen V olkes, die entscheidende G arantie dafür bilden, daß die
Unabhängigkeit und Souveränität verteid ig t und ohne Einschränkungen und
Hindernisse w irkungsvoll im Leben v e rw irk lic h t w ird . Diese Verfügungen sind
ausgearbeitet worden aufgrund der langwierigen historischen Erfahrungen sowohl
unserer inneren E n tw icklu n g als auch der der internationalen Beziehungen. Sie
entsprechen dam it am besten unseren historischen Bedingungen und den Interes-
sen und Besorgnissen unseres Staates, um die nationale U nabhängigkeit und
Souveränität unangetastet zu erhalten und gleichzeitig einen B eitrag fü r Frieden
und Sicherheit in der gesamten W elt zu leisten.

6 H oxha, E .: V epra (W e rke ). B d. 53. T ira n a 1987, S. 155f.


7 Verfassung (A n m . 2), A r t. 15.

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Die jugoslawisch-albanischen Beziehungen
seit dem Amtsantritt von Ramiz Alia

Jens R euter, M ünchen

B evor w ir uns den albanisch-jugoslawischen Beziehungen seit dem A m ts a n tritt


von Ram iz A lia zuwenden, müssen w ir zunächst einen kurzen B lic k zurück
w erfen. D ie E ntw icklun g der letzten Jahre ist nur vo r dem H in te rg ru n d der
gesamten Nachkriegsperiode zu verstehen. Dies g ilt v o r allen Dingen deshalb,
w eil die K o n flik te und F e indbilder, die heute das bilaterale V erhältnis belasten,
aus der Z e it herrühren, als E nver H oxha und T ito an der Spitze der beiden
Nachbarstaaten standen. D ie historischen W urzeln des Kosovo-Problem s wären
sogar noch w eiter zurückzuverfolgen.
Schlagwortartig können die jugoslawisch-albanischen Beziehungen seit 1948
wie fo lg t charakterisiert werden: N o rm a litä t auf der staatlichen Ebene, unver-
söhnliche Feindschaft im ideologisch-politischen Bereich. N orm ale Beziehungen
auf staatlicher Ebene waren und sind zumindest aus albanischer Sicht lebenswich-
tig. D ie SFRJ ist tra d itio n e ll A lbaniens größter Handelspartner. E in erheblicher
Prozentsatz der A grarexporte Tiranas ist fü r die M ä rkte M itteleuropas bestim m t,
so daß Jugoslawien als Transitland eine Schlüsselrolle zu fä llt. D e r Anschluß
A lbaniens ans europäische Eisenbahnnetz fü h rt ebenfalls nur über die SFRJ.
Folglich nehmen die Beziehungen zu Jugoslawien aus objektiven G ründen einen
zentralen Platz in der albanischen A u ß e n p o litik ein.
A us der Sicht Belgrads haben die Beziehungen zu Tirana naturgemäß einen
erheblich geringeren Stellenw ert. Sie sind w irtschaftlich von sekundärer Bedeu-
tung, ih r politisches G ew icht wurde jahrzehntelang unterschätzt. Belgrad trug die
ideologische Kontroverse m it dem Stalinisten E nver Hoxha zwar aus, betrachtete
dies jedoch eher als P flichtübung denn als ernsthafte Auseinandersetzung. Diese
E instellung änderte sich erst im Zusammenhang m it den blutigen U nruhen in
Kosovo 1981, als Belgrad dazu überging, Tirana die V era ntw o rtu ng fü r die
anhaltende U nruhe unter den K osovo-A lbanern zuzuschreiben.
Im folgenden soll die H altu ng E nver Hoxhas zu Jugoslawien kurz skizziert
werden, da inzwischen deutlich geworden ist, daß grundlegende Positionen und
Perzeptionen des ehemaligen Parteichefs ihre G ü ltig k e it fü r die albanische
A u ß e n p o litik behalten haben. T ro tz der Kurswechsel, die E nver H oxha im Laufe
seiner langen A m tszeit vollzog, gab es eine Konstante in seiner A u ß e n p o litik ,
nämlich ihre prononciert antijugoslawische K om ponente. Hoxhas traumatisches
V erhältnis zum anscheinend übermächtigen Nachbarland hatte seine W urzel in
der zwischen 1945 und 1948 keineswegs unbegründeten Furcht, A lb a n ie n werde
dem jugoslawischen V orm achtstreben zum O p fe r fallen. D er Bruch zwischen T ito
und Stalin im Sommer 1948, dessen Folge der Ausschluß der jugoslawischen
Kom m unisten aus dem K o m in fo rm b ü ro w ar, leitete eine Periode ‫ ״‬unverbrüchli-
eher sowjetisch-albanischer Freundschaft“ ein, da Hoxha überzeugt war, in
Moskau einen ebenso mächtigen wie zuverlässigen A lliie rte n gegen Belgrad
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100 J. Reuter

gefunden zu haben. Folglich brachte er m it B illig u n g der UdSSR das ungelöste


Kosovo-Problem zur Sprache1.
D ie W iederherstellung norm aler Beziehungen zwischen der Sow jetunion und
Jugoslawien (1955/56) bezeichnete der albanische Parteichef rückblickend als
‫ ״‬V e rra t“ , der eine weitere Zusam m enarbeit seines Landes m it M oskau unm öglich
gemacht habe. Hoxhas Gedankengang w ar folgender: W er m it Belgrad freund-
schaftlich koo p e rie rt, ist ein Feind A lbaniens. W e r sich m it dem Revisionisten T ito
einläßt, ist selbst ein Revisionist. Dieser simplen L o g ik verlieh H oxha m it
folgenden W orten A usdruck: ‫ ״‬Für uns ist der K a m p f gegen den jugoslawischen
Titoism us der Prüfstein, an dem w ir vom marxistischen Standpunkt aus das
V erhalten einer Partei messen“ 2.
Hoxhas Bruch m it M oskau (1961) und seine H inw endung zu Peking ergab sich
fo lgerichtig aus dem oben zitie rte n Dogm a. Z u je n e r Z e it war die V R C hina der
härteste und unversöhnlichste Gegner der jugoslawischen K om m unisten, denen
Peking ‫ ״‬Revisionismus und offene A b k e h r vom M arxism us-Leninism us“ vorw arf.
A lb a n ie n ging erst in dem A u g e n b lick au f Distanz zu C hina, als sich 1978 eine
chinesisch-jugoslawische A nnäherung abzeichnete. H oxha hat sich m it dem
‫ ״‬K n ie fa ll der Maoisten vo r T ito “ , wie er es nannte, niemals abfinden können.
Nach dem Bruch m it beiden kom m unistischen G roßm ächten, die sich als
unzuverlässige A lliie rte gegen Belgrad erwiesen hatten, legte H oxha die G ru n d la -
gen seiner Iso la tio n sp o litik. Seine heftigen A n g riffe gegen Jugoslawien ließen
jedoch auch je tzt nicht nach. E r beschuldigte Belgrad oder vielm ehr die Serben,
die fü r ihn Jugoslawien personifizierten, die A lb a n e r in Kosovo zu unterdrücken.
Bei alle r Schärfe seiner verbalen A tta cke n unterließ er es jedoch w ohlw eislich,
te rrito ria le Ansprüche an das Nachbarland zu stellen.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die aus tiefem M ißtrauen resultierende
Feindschaft zu Jugoslawien eine Konstante in der A u ß e n p o litik E nver Hoxhas
darstellte. H ie r handelte es sich jedoch nicht um eine ind ividue lle Perzeption,
sondern um eine historisch tiefverw urzelte T ra d itio n . D ie antiserbischen Ressenti-
ments, die ohne weiteres in antijugoslawische G efühle Umschlägen, sind nicht nur
bei H oxha, sondern auch bei seinem N achfolger nachweislich vorhanden.
W enden w ir uns nun der Periode seit dem A m ts a n tritt von Ram iz A lia zu. Nach
dem Tode E nver Hoxhas am 11. A p r il 1985 machte man sich in Belgrad keine allzu
großen H offnungen auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu Tirana. Man
wußte sehr w ohl, daß der neue Parteichef von Hoxha selbst zum N achfolger
bestim m t worden war. D ie Parteizeitung B orba schrieb am 12. A p ril 1985: ‫ ״‬Ram iz
A lia hat Hoxhas politische L in ie geerbt, und daher ist es illusorisch, irgendeinen
dramatischen Kurswechsel zu erw arten“ .
Einige Elem ente in Ram iz A lia s B iographie ließen ohnehin nicht erw arten, daß
er die antijugoslawische Kom ponente in der albanischen A u ß e n p o litik m ildern
werde. D ie E ltern des heutigen Staats- und Parteichefs waren in Kosovo ansässig,
verließen ihre H eim at jedoch in der Zw ischenkriegszeit, weil sie die serbische

R euter, J.r D ie A lb a n e r in Jugoslawien. M ünchen 1982, S. 3 9 f.


H o xha. E .: D ie C hruschtschowianer. E rinnerungen. T ira n a 1980, S. 113.

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Jugoslawisch-albanische Beziehungen unter Ram iz Alia 101

U n te rd rücku ng spo litik gegenüber der albanischen M in d e rh e it nicht länger ertra-


gen konnten. Ram iz A lia selbst w ar als blutjunger Soldat m it einem hohen
jugoslawischen O rden ausgezeichnet w orden, den er stellvertretend fü r die ganze
D ivision 1944 erhielt. Doch nach dem Bruch zwischen T ira na und Belgrad im
Gefolge der K o m in fo rm krise wurden die m ilitärischen Verdienste der albanischen
Partisanen in den einschlägigen jugoslawischen P ublikationen herabgewürdigt
und die soldatischen Leistungen Ram iz A lia s m it H ohn und Spott bedacht.
Bereits in seiner Rede anläßlich der Beisetzung E nver Hoxhas machte Ramiz
A lia deutlich, daß er nicht gew illt w ar, über die ‫ ״‬ungelöste“ Kosovo-Frage m it
Schweigen hinwegzugehen. U n te r B erufung auf E nver Hoxha sprach Ramiz A lia
von der V e rp flich tu n g A lbaniens, sich fü r die ‫ ״‬nationalen und demokratischen
Rechte der albanischen B rüd er in Kosovo und in den anderen Regionen Jugosla-
wiens“ einzusetzen. A ußerdem legte E nver Hoxhas W itw e N exhm ije im Namen
alle r jugoslawischen A lb a n e r eine N ationalflagge in den offenen Sarg ihres
G atten, um m it dieser symbolischen Geste die V erbundenheit zwischen A lbanien
und den im Nachbarland lebenden Landsleuten zu unterstreichen3.
ln seiner ersten außenpolitischen Rede, die er als Parteichef der P A A im August
1985 in Korçë h ie lt, zerstörte Ram iz A lia jeden Gedanken an eine kurzfristige
Verbesserung der jugoslawisch-albanischen Beziehungen. E r bezeichnete die
jugoslawische A u ß e n p o litik als ‫ ״‬im K ern antialbanisch“ und bezichtigte Belgrad
außerdem, es w olle den albanischen Staat zu einer K olonie Jugoslawiens machen
und die A lb a n e r Jugoslawiens entnationalisieren4. ln Jugoslawien inte rp retie rte
man A lias A usführungen als Beweis dafür, daß die albanische A u ß e n p o litik
w eiterhin in jenem Geist geführt werde, der m ehr als vierzig Jahre lang die P o litik
Enver Hoxhas bestim m t habe5.
Z u r tra ditio ne lle n L in ie albanischer Jugoslaw ienpolitik gehört jedoch auch, die
Grenze zu Kosovo geschlossen zu halten, d. h. die Flucht von K osovo-A lbanern
ins M u tterla nd zu unterbinden. In A nlehnung an die unter Hoxha geübte Praxis
wurden A nfang O k to b e r 1985 zwei politische Gefangene albanischer N a tio n a litä t,
die aus dem Gefängnis in Peć ausgebrochen und nach A lb a n ie n geflohen waren,
den jugoslawischen Behörden au sg e lie fe rt\ Es wäre vö llig verfehlt anzunehmen,
daß Tirana hie rm it eine Geste des guten W illens gegenüber Belgrad machen
w ollte. D ie albanischen N ationalisten in Kosovo, die zumeist radikale, dem
albanischen Sozialismusmodell zuw iderlaufende Anschauungen vertreten, sind
dem Regime im M u tte rla n d zutiefst suspekt. Sie gelten als unzuverlässig, unbere-
chenbar und ideologisch nicht gefestigt.
A u f dem 9. Parteitag der P A A A nfa ng N ovem ber 1986 w iederholte Ram iz A lia
zwar seine scharfe K r itik an der ‫ ״‬D isk rim in ie ru n g und H erabw ürdigung der
A lba ne r in Jugoslawien“ , gleichzeitig gab er jedoch drei w ichtige Zusicherungen:
1. A lbanien erhebt keinerlei te rrito ria le Ansprüche gegenüber Jugoslawien.
2. A lbanien hat keinerlei Interesse daran, daß sich die Situation in Kosovo
verschlechtert.

‫י‬ A T A (albanische N achrichtenagentur), 15. 4. 1985.


4 B B C Summaries o f W o rld Broadcasts. Eastern E urope, E E 8ÍM1, 28. 8. 1985.
5 Danas (Z a g re b ), 10. 9. 1985.
6 F ra n k fu rte r A llg em e ine Z e itu n g . 19. 10. 1985.

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102 J. Reuter

3. A lb a n ie n ist ebensowenig an einer D estabilisierung Jugoslawiens insgesamt


interessiert7.
T ro tz dieser Zusicherungen verfestigte sich in Jugoslawien die Überzeugung,
Ram iz A lia setze die antijugoslawische P o litik seines Vorgängers fo rt. A uch die
albanischen Positionen im ideologischen G rabenkam pf blieben weitgehend unver-
ändert, so daß fü r eine frostige A tm osphäre gesorgt schien. D och wie schon in
früheren Jahrzehnten sollten weder das Kosovo-Problem noch scharfe ideologi-
sehe Gegnerschaft unüberw indliche Hindernisse fü r eine pragmatische Koopera-
tion au f den weniger sensitiven Gebieten sein.
Z u r Jahreswende 1986/87 entw ickelte Jugoslawien eine In itia tiv e fü r das
Zustandekom m en einer A ußenm inisterkonferenz alle r Balkanstaaten in Belgrad,
die zunächst fü r den Herbst 1987 geplant w ar, dann jedoch au f Ende Februar 1988
verschoben wurde. Tirana schien dieser Idee zunächst abgeneigt. Im September
1987 richtete Ramiz A lia scharfe A n g riffe gegen Belgrad und lehnte dessen
In itia tiv e p rin zip ie ll ab. Doch änderte A lb a n ie n bereits im O k to b e r seinen Kurs
und bestätigte seine Bereitschaft zur Teilnahm e an der B alkankonferenz1*.
D e r nächste überraschende Schritt ließ nicht auf sich w arten. A m 19. Februar
1988 - also un m itte lba r vor Beginn der B alkankonferenz - Unterzeichneten
Jugoslawien und A lbanien ein K ultu rab kom m en , das zuvor sieben Jahre lang auf
Eis gelegen hatte. 1984 w ar der Versuch, das seit drei Jahren unterschriftsreife
A bkom m en zu schließen, daran gescheitert, daß Jugoslawien ‫ ״‬G arantien fü r den
Schutz der kulturellen Id e n titä t der serbischen, m ontenegrinischen und mazedoni-
sehen M in derhe it in A lb a n ie n “ verlangte. Diese Forderung wurde je tzt ebenso
fallengelassen wie der albanische S tandpunkt, nach dem es einen ku ltu re lle n
Austausch nur m it Kosovo, Mazedonien und M ontenegro - also den jugoslaw i-
sehen Gebieten m it beträchtlichem albanischem Bevölkerungsanteil - geben
sollte9.
A u f der Balkankonferenz selbst nahm der albanische A uß enm inister Reis
M a lile in einer vielbeachteten Rede auch zur Frage der nationalen M inderheiten
auf dem Balkan Stellung. E r erklärte, die H altung gegenüber M in derhe iten und
ihre Behandlung sei die Sache des Landes, in dem die M in derheiten lebten.
Ausschlaggebend seien das politische System und die Gesetze dieses Landes.
U n te r deutlicher A nspielung auf das Kosovo-Problem erklä rte M a lile , A lb a n ie n
habe niemals die Forderung erhoben, ein derartiges Problem durch Ä nderungen
der Grenzen oder Einm ischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen
Landes zu lösen. Dieser Standpunkt schließe jedoch das ‫ ״‬legitim e Interesse des
Nachbarn an seiner M in d e rh e it“ nicht aus, sofern es au f dem aufrichtigen Wunsch
basiere, zur Freundschaft und zu gutnachbarlichen Beziehungen beizutragen10.
H ie r w ird ein bis heute gültiges C harakteristikum der albanischen A u ß e n p o litik
sichtbar. Tirana möchte sich wegen des Kosovo-Problem s nicht in eine K o n fro n ta ­

7 N IN (N edeljne in fo rm a tivn e n ovine), 16. I I . 1986.


H Schlegel. D .: Rücken die Balkan-Staaten enger zusammen? In : A u ß e n p o litik IV (1988). S. 400-415.
9 R euter, J.: D ie A u üen m inisterkonferenz der B a lkan län der in B elgrad, in: Südosteuropa. 37 (1988) 4,
S. 128-141.
10 ibidem .

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Jugoslawisch-albanische Beziehungen unter Ramiz Alia 103

tio n m it Belgrad hineintreiben lassen. Das besondere Interesse Tiranas am W ohl


und Wehe der in der SFRJ lebenden Landsleute ist zwar gegeben, doch das
In strum en tariu m zum Schutz der A lb a n e r in Jugoslawien ist äußerst begrenzt. Es
geht über A ppelle an die jugoslawische und die W e ltö ffe n tlic h k e it kaum hinaus.
K ritische Presseartikel und Rundfunksendungen zur Situation in Kosovo mögen
zw ar Verärgerung in Belgrad auslösen, sind jedoch die mildeste aller denkbaren
Form en von ‫ ״‬Einm ischung“ .
D ie Konferenz der stellvertretenden A uß enm inister der B alkanländer, die vom
18. bis zum 21. Januar 1989 in Tirana stattfand, ergab Fortschritte in den
bilateralen Beziehungen, vo r allem auf w irtschaftlichem G ebiet. D ie stellvertre-
tenden A uß enm inister vereinbarten die G ründung eines Gemeinsamen Kom itees
fü r w irtschaftliche Zusam m enarbeit, das m it der Aufgabe betraut w urde, die
Stagnation im jugoslawisch-albanischen Warenaustausch zu elim inieren. A lb a -
nien bot der SFRJ an, ein Bergw erk in A lbanien zu errichten und auszurüsten, das
Jugoslawien im Gegenzug m it Erzen versorgen solle. Gesprächsgegenstand war
auch die Eisenbahnlinie S h k o d ë r- T ito gra d, A lbaniens einzige Eisenbahnverbin-
dung zur A uß enw elt, die im September 1986 eröffn et worden war. D ie hohen
E rw artungen, die sich an diese L in ie knüpften, waren nicht annähernd e rfü llt
w orden. A us albanischer Sicht waren die von Jugoslawien erhobenen Frachtraten
zu teuer, aus jugoslawischer Sicht w ar die L in ie ein kostspieliges Verlustgeschäft11.
A u f der oben erwähnten Konferenz wurde nach o ffiz ie lle r Lesart auch das
M inderheitenproblem zwischen Belgrad und Tirana d isku tie rt, allerdings in sehr
behutsamer Form . D ie stellvertretenden A uß enm inister spezifizierten die K rite -
••

rien zur Ü berw indung des Problems in der Z u k u n ft, vorausgesetzt, daß ein
‫״‬günstiges K lim a und die adäquaten Voraussetzungen“ vorlägen.
E in günstiges K lim a sollte sich jedoch wegen der kritischen Zuspitzung der
Verhältnisse in Kosovo nicht ergeben. D er vie lzitie rte ‫ ״‬neue Geist der B alkanko-
operation“ war ernstlich bedroht. D ie sich abzeichnende Beseitigung der A u to n o -
mie Kosovos und die R eintegration der Provinz in die R epublik Serbien rie f
bereits im Februar 1989 eine scharfe albanische R eaktion hervor. Foto Ç am i,
damals Ramiz A lias rechte H and, kritisierte Jugoslawiens ‫ ״‬falsche P o litik “
gegenüber den ethnischen A lbanern. E r sagte, diese P o litik könne negative
Folgen fü r die Beziehungen beider Länder haben und sie nicht nur einschränken,
sondern auch gefährden. Belgrads P o litik übe einen schädlichen E in flu ß auf die
B alkan-K ooperation aus12.
In ganz A lbanien lie f eine Protestkampagne zur U nterstützung der streikenden
Bergleute in Trepča. D ie albanischen Schriftsteller- und Künstlerverbände prote-
stierten gegen die antialbanische P o litik im Nachbarland. Ü berall fanden Solida-
ritätsmeetings statt. D ie jugoslawische R eaktion erfolgte prom pt. Lazar M ojsov,
zu dieser Z e it Staatspräsident, erhob wilde A nklagen gegen das Nachbarland und
g riff dabei auf Stereotypen und F eindbilder längst vergangener Zeiten zurück. E r
rechnete m it A lbaniens A u ß e n p o litik der gesamten Nachkriegszeit in gewohnter

11 Danas, 12. 1. 1988.


'‫נ‬ A T A . 26. 2. 1989.

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104 J. Reuter

M a n ie r ab und bezeichnete den albanischen N achrichtendienst als einen T e il der


vielköpfigen ‫ ״‬konterrevolutionären H yd ra “ in K osovo13. E in Sprecher des albani-
sehen A uß enm inisterium s wies diese Beschuldigungen kategorisch zurück und
bezeichnete sie als absurd.
D ie dramatischen und tragischen Ereignisse, die Kosovo Ende M ärz dieses
Jahres erschütterten, und die nach offizie lle n Angaben 25 Menschenleben und 222
z. T . schwer V erletzte im G efolge hatten, führten naturgemäß zu einer weiteren
Eskalation. D ie Z e itsch rift ‫ ״‬K o m m u n ist“ - und nicht nur sie allein - beschuldigte
T ira n a , als D rahtzieher h in te r den Ereignissen in Kosovo zu stecken. D er
ehemalige Präsident und A uß enm inister der SFRJ, R a if D izdarevič, erklärte am
20. A p r il 1989:
‫ ״‬Es ist unfaßbar, daß sich die führenden M änner dieses Nachbarlandes in ihren
E rklärungen m it den albanischen N ationalisten id e n tifizie re n . Indem sie das tun,
propagieren sie in W irk lic h k e it H aß, rechtfertigen G ew alt und erm untern und
verteidigen Blutvergießen, das durch die albanischen N ationalisten und Separati-
sten verursacht w ird “ 14.
Ä h n lic h scharfe A n g riffe gegen A lb a n ie n richtete der frühere U N -B otschafter
M ilo ra d K om atina in der Z e itsch rift ‫ ״‬Internationale P o litik “ . G enerell läßt sich
feststellen, daß nicht nur die Sprachrohre Serbiens, sondern auch Zeitungen wie
‫ ״‬Nova M a ķed on ija“ und ‫ ״‬O slobodjenje“ (Sarajevo) auf K ollisionskurs gegenüber
Tirana gingen. D ie Abstem pelung A lbaniens zum Sündenbock erschien dabei
offe n ku n d ig w ichtiger als eine ob jektive Prüfung der P o litik des Nachbarlands.
W estliche Beobachter waren sich darüber einig, daß sich keinerlei Anhalts-
punkte fü r eine Einm ischung A lbaniens in Kosovo finden lassen. Tirana hat die
U nruhen in Kosovo weder geschürt noch die dortigen A lb a n e r in irgendeiner
Weise unterstützt. Entsprechende Behauptungen, die besonders in der serbischen
Presse im m er w ieder vorgebracht w urden, konnten durch keinen einzigen Beweis
erhärtet werden.
In einer ersten Stellungnahme zu den Ereignissen in Kosovo Ende M ärz 1989
verglich die Z e itu n g ‫ ״‬Z e ri i P o p u llit“ die Vorgänge in Kosovo m it den V erhältnis-
sen in Palästina oder S üdafrika15. D e r A rtik e l ließ an polem ischer Schärfe nichts zu
wünschen übrig und a rtik u lie rte Z o rn und E m pörung in schonungsloser Sprache.
In seiner Rede au f dem 6. Kongreß der Albanischen D em okratischen Front
ve ru rte ilte Parteichef Ram iz A lia die jugoslawische P o litik in Kosovo und wandte
sich in scharfer Form gegen den ‫ ״‬großserbischen N ationalism us“ . Bem erkenswert
ist, daß er nicht vergaß, auch die bulgarische P o litik gegenüber der türkischen
M in d e rh e it im eigenen Lande als H indernis fü r die Zusam m enarbeit au f dem
Balkan zu erw ähnen16.
G enerell können w ir ein beachtliches Maß an Z u rü ckh a ltu n g registrieren, wenn
w ir Tiranas H altu ng in der Kosovo-Frage prüfen. A lle m Anschein nach betrachtet

13 T A N J U G , 1. 3. 1989.
14 R e uter, J.: D ie jüngste E n tw icklu n g in K osovo, in : Südosteuropa. 38 (1989) 6. S. 333-343; D u d a . H .: Z u r
P o litik Tiranas nach E nver H o xha, in: O steuropa 39 (1989) 10, S. 913-921.
15 Z ë ri i P o p u llit, 29. 3. 1989.

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Jugoslawisch-albanische Beziehungen unter Ram iz Alia 105

sich A lbanien heute als V o rkä m p fe r der m ultilateralen Balkanzusam m enarbeit.


Gerade deswegen ist es bestrebt, das K osovo-Problem nicht so w eit eskalieren zu
lassen, daß es diese Zusam m enarbeit to rp e d ie rt. D ie jugoslawische Seite hingegen
ist offenkundig auf F eindbilder und Stereotypen vergangener Z eiten fix ie rt. Diese
H altu ng spiegelt sich darin w ieder, daß w ider besseres Wissen die Behauptung
aufgestellt w ird , A lbanien erhebe te rrito ria le Ansprüche gegen die SFRJ und habe
in der gesamten Nachkriegszeit eine entsprechende P o litik betrieben.
D ie sich abzeichnende Z w e ite ilu n g Jugoslawiens in den dogm atisch-orthodoxen
Süden unter Serbiens Führung und die eher westlich o rie n tie rte n R epubliken
Slowenien und K ro a tie n , die auch au f U nterstützung aus Bosnien-Herzegowina
hoffen können, hat ihre A usw irkungen auch au f das Kosovo-Problem nicht
ve rfeh lt. In dieser Frage gibt es keine einheitliche jugoslawische H altu ng mehr.
D er mäßigende E in flu ß der westlichen R epubliken auf Serbien ist ein F a kto r, der
auch aus albanischer Sicht möglichst lange erhalten bleiben muß. E in Jugoslawien,
das sich de facto in zwei Teile gespalten hätte, w ürde ein Serbien im Gefolge
haben, das in seiner K osovo-P olitik keinerlei Rücksicht a u f die M einung in den
übrigen Landesteilen zu nehmen hätte.

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Die Struktur der albanischen Wirtschaft


und die Perspektiven ihrer weiteren Entwicklung

H ekuran M ara, Tirana

Jeder, der sich fü r die w irtschaftliche E ntw icklun g A lbaniens in den letzten 45
Jahren interessiert, die zugleich die Periode des sozialistischen A ufbaus darstellt,
kann ohne weiteres die Tatsache feststellen, daß die wichtigste historische
Tendenz in dieser Zeitspanne die Steigerung der P roduktion m it einem hohen und
anhaltenden Tem po gewesen ist, sowie die grundsätzliche Veränderung der
sozialökonomischen S tru k tu r des Landes.
Im Jahr 1987 w ar das nom inale B ru tto so zia lp ro d u kt 14mal höher als das des
Jahres 1950; die landw irtschaftliche P roduktion wurde in der gleichen Zeitspanne
m ehr als 4mal gesteigert und die industrielle 20mal. Nach diesen K ennziffern ist
das durchschnittliche Tem po der W irtschaftsentw icklung innerhalb der 35 Jahre
(1951-1985) 2-3m al höher als das Tem po der Bevölkerungszunahm e. In den
Jahren 1945-1985 haben sich das gesamte N a tio n a lp ro d u kt und die N ationalein-
kommen alle 12-13 Jahre verdoppelt, während sich die Landesbevölkerung erst in
30 Jahren (1946-1975) verdoppelt und die Z w e i-M illio n e n -G re n ze erreicht hat1.
Innerhalb einer verhältnism äßig kurzen Z e it, bis Ende der 60er Jahre, wurde die
S tru ktu r der albanischen W irtschaft von G rund auf um gewandelt. D ie alte,
einseitige A g ra rs tru k tu r des Landes wurde durch eine vielseitige W irtschaftsstruk-
tu r ersetzt, der eine kom plexe Industrie und Landw irtschaft, moderne Transport-
arten und die betreffenden Dienstleistungen zugrunde liegen. Ende der 60er Jahre
wurde A lbanien zu einem industrialisierten A gra rlan d um gewandelt, während es
heute dabei ist, sich zu einem Industrieland m it Landw irtschaft um zuwandeln.
‫ ״‬Um dieses Z ie l erreichen zu können, haben die Partei und das V o lk fü r mehrere
Jahrzehnte danach gestrebt und dafür gekäm pft, ja sogar O p fe r gebracht“ 2.
Nach den bekannten und in der w irtschaftlichen L ite ra tu r allgem ein anerkann-
ten K rite rie n setzt das allgemeine M erkm al der W irtschaftsstruktur eines Landes
unbedingt die Bestim m ung des spezifischen Gewichtes voraus, das ihre verschie-
denen Zweige im B ru tto so zia lp ro d u kt, in der Schaffung der N ationaleinkom m en,
in der E instellung der aktiven Bevölkerung und in der E in fu h r-A u sfu h rb ila n z
einnehmen. G estützt auf dieser Basis geben uns die Angaben folgende E vo lu tio n
und Lage der W irtschaftsstruktur Albaniens an:

1 Diese Angaben sind aus: V je ta ri s ta tis tik o r i RPS lê Shqi|K‫־‬r 1sc 1988. T ira n e 1988. S. 24. 79. 87. 131 f.
2 A lia , K .: R aport në Kongresin IX te PPSH. T ira n e 1986. S. 66.

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Die Struktur der albanischen Wirtschaft 107

Tabelle Nr. 1
Zusammensetzung des Bruttosozialproduktes nach den Wirtschaftszweigen (zu
den Preisen von 1986)
in Prozenten

Zweige 1950 1960 1970 1980 1987

G esam tprodukt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0


Industrie 18,7 39,5 46,4 56,7 58,4
Landwirtschaft 66,0 34,0 27,9 24,4 25,2
Bauwesen 4,7 7,5 9,6 9,8 8,3
Transport, Handel usw. 10,6 19,0 16,1 9,1 8,1

Tabelle Nr. 2
Zusammensetzung des Nationaleinkommens nach den Wirtschaftszweigen (zu
den Preisen von 1986)
in Prozenten

Zweige 1950 1960 1970 1980 1987

Gesamtes N ationaleinkom m en 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0


Industrie 6,9 18,5 27,0 42,9 45,8
Landwirtschaft 74,2 39,0 35,4 33,6 33,3
Bauwesen 3,0 6,5 7,1 6,7 6,4
Transport, Handel usw. 15,9 36,0 29,6 16,8 14,5

Tabelle Nr. 3
Durchschnittszahl der Werktätigen nach den Wirtschaftszweigen
in Prozenten

Zweige 1960 1970 1980 1987

Insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0


InJustrie 15,1 19,2 21,8 22,9
Landwirtschaft 55,6 52,2 51,4 52,0
Bíuwesen 11,4 9,9 9,1 7,1
Transport, H andel, Erziehungs-
wesen, Gesundheitswesen usw. 17,9 18,7 19,7 18,0

Die E vo lu tio n , der Zustand und die Entwicklungstendenzen der W irtschafts-


struktur Albaniens sind weder zufällig noch spontan entstanden. Sie sind im
Gegenteil das Ergebnis einer einheitlichen sozialökonomischen P o litik , die unun-
terbrochen und stets angewandt worden ist, indem sie an den schon am A nfang
zun A ufb au des Sozialismus in unserem Land akzeptierten Prinzipien festhielt.
A i f dieser Basis sind eine Reihe von w irtschaftlich und sozial kom plizierten
Pnblem en gelöst w orden, indem man keine im provisierten und vorläufigen,
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108 H. Mara

sondern angemessene, wissenschaftliche und dauerhafte Lösungen gefunden hat,


die sich durch die Z e it und die albanische W irk lic h k e it G e ltung verschafft haben.
Es steht außer jedem Z w e ife l, daß sich in der vorhandenen S tru ktu r der
albanischen W irtschaft und in ihren Tendenzen m ehrere Faktoren politischen,
w irtschaftlichen und gesellschaftlichen C harakters m it einer ständigen W irkungs-
kra ft erfassen lassen. D ie wichtigsten unter diesen Faktoren bleiben jedoch nach
wie vor:
- Sicherung einer w irtschaftlichen U nabhängigkeit auf dem G ebiet der Volks-
Versorgung, Energieversorgung und der H a u ptroh stoffe , die fü r die erw eiterte
R ep rod uktio n nach dem P rinzip, ‫ ״‬sich auf die eigenen K rä fte zu stützen“ ,
notw endig sind, wobei die objektive L o g ik der internationalen A rbe itste ilu ng
und der internationalen Zusam m enarbeit natürlich unbedingt berücksichtigt
werden,
- im m er höhere, kom plexe und effektive Ausnutzung und B ew ertung alle r schon
bekannten und der erst später entdeckten R eichtüm er des Landes, indem sie so
gut wie möglich in die w irtschaftliche Z irk u la tio n eingesetzt werden,
- E ingliederung der aktiven B evölkerung in den A rbeitsprozeß im E inklang m it
den realen Bedürfnissen und M ö glichke iten , die zur E rw eiterung der vorhan-
denen W irtschaftszweige und der Dienstleistungen sowie zur Schaffung neuer
Zweige entstehen,
- systematische Hebung des m ateriellen W ohlstandes und des ku ltu re lle n N i-
veaus der W erktätigen, gestützt au f die anhaltende Steigerung der P roduktion
und des Verbrauchs pro K o p f der Bevölkerung.
W enn gemäß dem heutigen Erkenntnisstand dieses Problems das G ew icht eines
jeden der erwähnten Faktoren gemessen w ird , die die w irtschaftliche S tru ktu r
A lbaniens bestim m t haben, kann man sagen, daß der H a u p tfa k to r, der a u f diese
S tru k tu r ge w irkt hat, die Schaffung einer vielseitigen N atio na lin du strie w ar, stark
auf die Landesreichtüm er gestützt und m it klaren langfristigen E ntw icklungsper-
spektiven.
D e r historische Vorgang der Industrialisierung des Landes vollzog sich in zwei
Phasen: Ihre erste Phase strebte fast ausschließlich nach der H erstellung der
wichtigsten Produkte des Volksverbrauchs im eigenen Land, sowie einer Menge
von E xp o rtp ro d u kte n . Diese Phase war gegen Ende der 60er Jahre abgeschlossen.
D ie zweite Phase, die in den 70er Jahren begann, strebt nach der V era rb eitu ng der
Naturschätze des Landes sowohl fü r die inneren Bedürfnisse der W irtschaft als
auch fü r die A u sfu h r, gestützt auf eine höhere zeitgenössische Technologie m it
neuen Q ualitätsm erkm alen und m it einer auffälligen A bnahm e der H andarbeit,
wobei die E ffe k tiv itä t der P roduktion erhöht worden ist. W ährend der ganzen Z e it
der E n tw icklu n g der Industrie waren und bleiben die Förderung und V era rb eitu ng
der Bodenschätze und B rennstoffe, deren Z ahl au f 40 stieg, der dynamischste
Sektor der W irtschaftsstruktur A lbaniens. Z u r Begründung dieser Aussage
werden w ir folgende Daten erwähnen:
G egenwärtig werden in A lbanien jä h rlic h etwa 9 M illio n e n Tonnen Erze und
Brennstoffe gefördert3.
* A lia . R .: F ro n ti D c m o k ra tik - force e madhe p o litiķ e per p ë rp a rim in e A td h e u t tone socialist. T ira n e І98У.

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Die Struktur der albanischen Wirtschaft 109

D ie G esam tproduktion der Förder- und verarbeitenden Industrie der Boden-


schätze und Brennstoffe w ar im Jahr 1987 im V ergleich zu 1960 6,2mal größer.
Diese Industriezweige haben im Jahr 1987 53,5% des gesamten A usfuhrvolum ens
geschaffen. In diesen Zweigen waren 45% der Gesamtzahl der W erktätigen
beschäftigt, die überhaupt im Bereich der Industrie tätig waren.
D ie bekannten Bodenschätze, die schon ausgebeutet werden und die erst in
Z u k u n ft entdeckt werden, sind so zahlreich und so verschiedenartig, daß sie uns
erlauben, zuversichtlich in die Z u k u n ft zu schauen. Was die Ausbeutung der
Bodenschätze b e trifft, gibt es allerdings ein Problem , nämlich die Frage: W ie soll
man die Interessen der G enerationen besser und langfristiger aufeinander ab-
stim m en?
G estützt auf diese Daten und au f unsere E rfahrung sind w ir der M einung, daß
das H a u p tk rite riu m zur Lösung dieses Problems die Schaffung aller Bedingungen
sein muß, die zu einer Hebung des Lebensniveaus notw endig sind. Daraus ergibt
sich die Forderung, daß ein beachtlicher A n te il der E inko m m en , die durch die
Ausbeutung der nicht reproduzierbaren natürlichen R eichtüm er geschaffen wer-
den, bei reproduzierbaren R ohstoffen investiert werden sollen. D abei w ird die
Zunahm e der Rohstoffe die V erm inderung der ausgebeuteten natürlichen Reich-
tüm er ausgleichen. A u f diese Weise werden die künftigen G enerationen anstatt
der nicht reproduzierbaren natürlichen R eichtüm er über m ehr R ohstoffe und
Technologie zur Bearbeitung der reproduzierbaren R eichtüm er verfügen.
Es ist auch eine bekannte Tatsache, daß gegenwärtig die Ausbeutung solcher
natürlicher R eichtüm er wie Erze und Brennstoffe zu den teuersten Produktionsar-
ten gehört, w o fü r ein sehr großes V olum en an m ateriellen M itte ln und menschli-
che A rb e it angewandt w ird . U m eine hohe Q u a litä t und E ffe k tiv itä t in diesen
Produktionszweigen der Industrie erreichen zu können, nim m t demzufolge die
E infü hru ng der neuen Technologie den ersten Platz ein, da sie eine kom plexe
V erarbeitung, ohne Rückstände und U m w eltverschm utzung, erm öglicht.
W enn man die bisher erwähnten Erwägungen in bezug au f die Ausbeutung der
natürlichen R eichtüm er berücksichtigt, dann w ird es einem vollkom m en einleuch-
tend und klar, daß in der S tru k tu r unserer Industrie auch in Z u k u n ft die Förderung
und V erarbeitung der C hrom - und K upfererze, sowie des Eisennickels und der
anderen Erze das Schwergewicht haben werden. D arüber hinaus steht vo r uns die
A ufgabe, bis zum Jahre 2000 neben der auffälligen Steigerung der Förderung auch
zu einem vollen Verarbeitungszyklus dieser Erze in unserem Land zu gelangen.
Das w ird die M öglichkeiten vervielfachen, daß die albanische W irtschaft sowohl
fü r den inneren B edarf als auch fü r den E xport m ehr Gußeisen, Stahl, N ickel,
C hrom , chemische Rohstoffe und andere M ineralien sichern kann.
D ie albanische W irtschaft hat schon eine Energiebasis geschaffen, die ihre
garantierte dynamische E ntw icklung erm öglicht hat und es noch heute erm öglicht.
Ihre Gesamtbilanz war und bleibt po sitiv, sie hat nicht nur den im m er zunehmen-
____ ф 4

den B edarf des Landes gedeckt, sondern sogar auch einen Uberschuß fü r den
E xport ausgeliefert. V on den vier H auptenergiequellen (E rd ö l, Erdgas, Stein-
kohle. E lektroenergie), die in unserer W irtschaft genutzt werden, machen die drei
ersten das H auptgew icht aus. Im Jahr 1985 betrugen sie 82% der gesamten Menge
der Energieträger des Landes, während die E rd ö l- und Gasnebenprodukte ca.
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110 H. Mara

50% der verbrauchten Energie und die ausgeführten E nergieträger 9,2% des
gesamten E xports betrugen.
U n te r diesen Umständen versteht es sich, daß auch in Z u k u n ft die E ntw icklung
der Energiebasis der Steigerung des Sozialproduktes in höherem Tem po vorange-
hen soll, ln diesem Rahmen w ird genauso wie bisher die E rd ö l- und Gasförderung
und insbesondere die P roduktion der E lektroenergie durch W asserkraftwerke den
V orran g haben. D a fü r sind auch die realen M öglichkeiten vorhanden, da die
hydroenergetischen Q uellen des Landes beträchtlich sind und zu ih re r Ausnut-
zung schon reiche E rfahrungen gewonnen w urden. G egenw ärtig werden ca. ,A der
bekannten Energiequellen ausgenutzt.
Für die weitere Festigung und Verbesserung der E ne rgie stru ktur w ird auch in
Z u k u n ft die Steigerung der Förderung und V erw endung der Steinkohle eine
w ichtige R olle spielen. W enn auch die entsprechenden Maßnahmen ergriffen
worden sind, die flüssigen Brennstoffe durch feste zu ersetzen, haben die letzteren
in der Energiegesamtbilanz ein im m er noch niedrigeres G ew icht (ca. 25% der
prim ären Q uellen). Deshalb ist es fü r uns notw endig, die Steinkohle noch besser
zu schätzen, deren bekannte industrielle Reserven fü r mehrere Jahrzehnte mit
einem steigenden Verbrauch ausreichend sind.
W ährend man auf die vorrangige E ntw icklun g der fördernden und verarbeiten-
den Industrie beharrt hat, ist bei uns die E ntw icklun g der Leicht- und Lebensm it-
telindustrie keineswegs vernachlässigt worden. Diese zwei Industriezweige liefern
gegenwärtig 41% der industriellen G esam tproduktion und schaffen 85% des
Gesamtvolumens der G ebrauchsartikel des Binnenm arktes. Im Jahr 1986 waren in
den obenerwähnten Industriezweigen 46% der Gesamtzahl der Industriew erktäti-
gen beschäftigt.
D ie ständige Steigerung der K a u fkra ft der W erktätigen in Stadt und Land hat
aber auch Schwierigkeiten und Probleme bereitet. U m sie zu überw inden, ist die
objektive N otw endigkeit entstanden, die Leicht- und Lebensm ittelindustrie m it
V orran g zu entw ickeln, und die ganze W irtschaftsstruktur besser zu gestalten,
dam it sie der E rfü llu n g der Bedürfnisse der W erktätigen durch N ahrungsm ittel,
B ekleidung und W ohnung sowie der Verbesserung der Lebensweise dient. D afü r
ist seit 1986 vorgesehen, den Investitionen und R ekonstruktionen, der E inführung
von zeitgenössischen Technologien und der E rrich tu n g neuer O b je kte , sowie der
Produktionssteigerung und der Verbesserung der Q u a litä t der V olksbedarfsarti-
kel, wie T e xtilie n aus W olle und B aum w olle, Schuhe, W irkw a re n , K onfektions-
waren. Z ucker. Konserven, Fleisch, Baum aterialien usw., den V o rra n g zu geben.
Beim harm onisierten und proportionalen V e rla u f der albanischen W irtschafts-
s tru k tu r hat die Landw irtschaft eine unverzichtbare R olle gespielt. Diese Branche
hat in breitem Maße auch die E ntw icklung anderer W irtschaftszweige, wie die
Lösung des Unabhängigkeitsproblem s im Bereich der wichtigsten N ahrungsm ittel
fü r das V o lk , bedingt.
Um die landw irtschaftliche P roduktion zu steigern, wurde eine vielseitige
P roduktionsstruktur (m it B rotgetreide, Industriepflanzen, V iehzucht, Gemüse,
Obstbau usw.) aufgebaut. D ie O berfläche des Ackerbodens wurde e rw e ite rt, fast
vervierfacht im Vergleich zum Jahr 1938: es wurden fo rtsch rittlich e M ethoden der
modernen A gronom ie angewandt, u. a. hydraulische W erke, um den bewässerten
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Die Struktur der albanischen Wirtschaft 111

A ckerboden zu erw eitern, die heimischen Spezies und U nterarten wurden durch
ausgewählte im p o rtie rte Spezies und U nterarten ersetzt, das Mechanisierungsni-
veau und die Verw endung von organischen D üngern und Kunstdüngern wurden
aufgestockt.
In der gesamten P roduktion der Landw irtschaft nahm im Jahr 1987 der
A ckerbau 65,9% , die Viehzucht 30,5% und die Forstw irtschaft 3,6% ein. Im
selben Jahr erreichte die O berfläche des Ackerbodens 714000 ha oder 82% mehr
als im Jahr 1950, die Oberfläche des bewässerten Ackerbodens erreichte
409000 ha oder 57,3% des gesamten Ackerbodens, fü r einen H e kta r Ackerboden
wurden 133 kg Kunstdünger gebraucht und die motorische K ra ft erreichte
1100000 PS. In der Landw irtschaft ist über 40% der aktiven B evölkerung des
Landes beschäftigt. G estützt auf die vorhandene S tru ktu r der Produktionszweige
und auf das menschliche und materiell-technische P otential, das ständig wächst,
soll die Landw irtschaft auch in Z u k u n ft m it V o rra n g w eiterentw ickelt werden.
Das H auptziel dieser E ntw icklun g bleibt nach wie vor die Volksversorgung m it
Lebensm itteln aufgrund der wissenschaftlich festgelegten Konsum norm en. U n te r
den Bedingungen unseres Landes, wo die B evölkerung in re la tiv schnellem Tem po
(ca. 2% jä h rlic h ) wächst, während der A ckerboden pro Person ständig beschränkt
w ird , w ird dieses Z ie l im m er als ein brennendes Problem auf der Tagesordnung
stehen4.
Parallel dazu soll auch die P roduktion der fü r die A usw eitung der Leicht- und
Lebensm ittelindustrie erforderlichen landw irtschaftlichen und tierischen Pro-
dukte, und auch der B eitrag der Landw irtschaft an frischen und bearbeiteten
A usfuhrprodukten steigen. D ie Lösung dieser kom plexen A ufgaben w ird die
V erdopplung der heutigen landw irtschaftlichen G esam tproduktion bis zum Jahr
2000 verlangen. D e r Hauptweg dafür bleibt die weitere Intensivierung der
landwirtschaftlichen P roduktion in der Ebene, in den Hügelgebieten und G ebir-
gen, ohne auf eine bessere H arm onisierung der intensiven und extensiven
Entw icklungsfaktoren der Landw irtschaft zu verzichten, wobei die E rw eiterung
des Ackerbodens durch U rbarm achung von Neuland und die E rhöhung der
Haustier- und Viehzahl die größte Reserve bilden.
D ie in der Industrie und Landw irtschaft q u a n tita tiv und q u a lita tiv erfolgten
Veränderungen werden den Verbindungen von Ursache und W irku n g nach auch
in allen anderen W irtschaftsbranchen, im Bereich der D ienstleistungen, der
Beschäftigung der aktiven Bevölkerung, wie auch im V olum en und in der S tru ktu r
der G rundinvestitionen widergespiegelt. Das ist eine K ettenrea ktion, die auch in
Z u ku n ft in den charakterisierenden Tendenzen der S tru k tu r und E ntw icklung der
albanischen W irtschaft vorhanden sein w ird.
Bei allem Bemühen um theoretische G enauigkeit sollte man in diesem Falle
nicht diskutieren, wo die K ettenreaktion anfängt: bei den in der S tru ktu r der
W irtschaft erfolgten Veränderungen, die die Investitionen durch E rhöhung ihres
spezifischen Gewichtes im Sozialprodukt vorantreiben, oder bei dem beachtlichen
Gewicht der Investitionen im gesamten S ozialprodukt, die die Veränderungen in

4 A lia . R.: Plotësim i i nevojave ne rritje te p o p u llit - delyrë kryesore e Partise. T ira n e 1987. S. 19.

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112 H. Mara

der W irtschaftsstruktur bedingen. M an d a rf beide Hypothesen als rich tig betrach-


ten, ohne der einen oder der anderen den V o rra n g einzuräum en. N a tü rlich gibt es
auch einzelne Faktoren, die die Investitionen erhöhen, eine Veränderung der
W irtschaftsstruktur verursachen und das E ntw icklungstem po der gesellschaftli-
chen P roduktion beschleunigen. E in e r von diesen Faktoren ist insbesondere die
G ründung der neuen Produktions- und Dienstleistungsbranchen.
V on diesem Gesichtspunkt betrachtet, kann man den Entwicklungsgang des
Investitionsvolum ens in unserer W irtschaft in der Periode von 1951-1985 so
darstellen:

Tabelle Nr. 4
Investitionen nach den Branchen der Volkswirtschaft für jeden Fünfjahresplan (zu
den Preisen von 1986)5
In M illio n e n Lek

Branchen 1951-55 1956-60 1961-65 1966-70 1971-75 1976-80 1981-85

Investitionen
insgesamt 2076 4495 6364 10112 15062 18428 21622
Industrie 1092 1860 2871 4275 6849 7690 9472
Landw irtschaft 345 1372 1788 2964 4076 4803 6752
Transport 224 420 502 897 1060 1284 1322
A ndere 415 843 1213 1976 3077 4651 4077

D ie heutige S tru k tu r der W irtschaft und die systematische Steigerung des


gesamten Sozialproduktes haben die erforderlichen m ateriellen und finanziellen
Bedingungen dafür geschaffen, daß die ganze aktive B evölkerung beschäftigt
w ird. W ährend der Periode 1951-1987 sind in den staatlichen und genossenschaft-
liehen Sektoren 135000() A rbeitsplätze geschaffen w orden, geteilt nach den
W irtschaftsbranchen wie fo lg t: Industrie: 22,8% , Landw irtschaft: 51,4% , Bauwe-
sen: 7 ,7 % , Transport: 2,9% und D ienstleistungen: 15,4%.
Die demographischen Prozesse und die Beschäftigung der jungen G eneration
entw ickeln sich norm al. D ie Bevölkerung A lbaniens betrug nach der Volkszäh-
lung vom A p r il 1989 ca. 3200000 E inw oh ne r, und aufgrund des heutigen
stabilisierten Jahrestempos der Bevölkerungszunahm e w ird sie am Ende dieses
Jahrhunderts 4 M illio n e n betragen. D ie aktiven A rb e its krä fte dieser B evölkerung
und die Steigerung des Investitionspotentials sichern die dynamische E n tw icklu n g
der W irtschaft und der anderen Branchen der gesellschaftlichen T ä tig k e it. D ie
Unabhängigkeit des Landes und seine inneren Ressourcen als G rundlage der
W irtschaft sichern auch fü r die Z u k u n ft reale und stabile soziale und w irtsc h a ftli-
che E ntw icklungen.
Wenn w ir uns diese Perspektiven und das feste V ertrauen in die Z u k u n ft
bewahren, sind w ir uns dessen bewußt, daß in dem Entw icklungsgang der
albanischen W irtschaft und in der V e rw irk lich u n g der in ih re r S tru k tu r w irkenden

5 V je ta ri s ta tis tik o r i RPS Ić Shqipcrise 1988. Trrané 1988. S. 106f.

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Die Struktur der albanischen Wirtschaft 113

Tendenzen auch unvorhergesehene Probleme und Schwierigkeiten auftreten


werden. Doch auch in der Vergangenheit gab es solche Erscheinungen, gibt es
noch heute und w ird es auch in Z u k u n ft geben. Sie werden aber auch w eiterhin
durch M obilisierung, Schöpfergeist und In itia tiv e vom albanischen V o lk überwun-
den werden.

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Die Entwicklung der albanischen sozialistischen Landwirtschaft

Leontiev Ç uçi, Tirana

Jede sozialökonomische E ntw icklun g trägt in A lb a n ie n den Stempel einer Umwäl-


zung m it sozialistischem C harakter. W enn es aber einen Bereich g ib t, in dem sich
diese U m w älzung intensiver und dynam ischer vollzogen hat, so ist dies die
Landw irtschaft.
Eine solche E ntw icklun g ist weder Z u fa ll noch ein subjektiver Wunsch; sie
wurde von dem ausgeprägt agrarischen C harakter der albanischen W irtschaft, von
der großen R ückständigkeit, die insbesondere in der Landw irtschaft übernommen
w urde, sowie von der V orherrschaft der halbfeudalen Verhältnisse d ik tie rt.
Fügen w ir diesem Zustand noch die sehr niedrige und p rim itiv e E ntw icklung der
In d u strie p ro d u ktio n hinzu, w ird die P o litik deutlicher, die w ir verfolgt haben,
indem w ir die Landw irtschaft zum wichtigsten Zw eig der W irtschaft e rk lä rt haben.
In dieser R olle wurde die Landw irtschaft vo r die A ufgabe gestellt, das Problem
der Versorgung des V olkes m it N ahrungsm itteln zu lösen, die erforderliche
A k k u m u la tio n zur H ilfe der Industrialisierung, zur Versorgung der Leicht- und
N ahrungsm ittelindustrie m it pflanzlichen und tierischen R ohstoffen zu garantie-
ren und einen Überschuß fü r den E xp o rt zu erzielen.
F ü r die richtige Lösung dieser Probleme bot der M arxism us-Leninism us in
Theorie und Praxis die einzige A lte rn a tiv e in der K ooperative, die in den
Fundamenten der A g ra rp o litik der Partei zugrunde gelegt w urde; sie bestimmte
und bestim m t die ganze Strategie und P o litik , die fü r die Um gestaltung und
E ntw icklun g der Landw irtschaft verfolgt worden ist. In der Zuriickdrängung des
Privateigentums und als Entwicklungsprozeß zur Bekräftigung der eigenen Vitalität
stellt die Kooperative in zusammengefaßter Form die Geschichte der albanischen
Landwirtschaft dar1.
D ie wichtigste Voraussetzung fü r das Genossenschaftssystem w ar die D urchfüh-
rung der A g ra rre fo rm durch den Staat. Das da fü r entscheidende Gesetz wurde im
August 1945 verabschiedet und bereits im N ovem ber 1946 w ar die A g ra rre fo rm
abgeschlossen. Das H auptziel dieser A g ra rre fo rm lag darin, die vorhandenen
Eigentumsverhältnisse an G rund und Boden zu verändern. D ie wichtigste Maß-
nähme zur Durchsetzung dieser R eform unter unseren konkreten Bedingungen,
w ar die Enteignung durch die Beschlagnahmung des Großgrundbesitzes und die
kostenlose V e rte ilu n g der Böden an die landlosen Bauern oder die Bauern m it
wenig Boden.
D urch die A g ra rre fo rm wurden rund 173(KM) H e k ta r Boden, 474(XK) O liven-
bäume, 5900 Lasttiere u. a. enteignet. Diese grundlegenden Eigentumselemente
der landw irtschaftlichen P roduktion wurden über 7()(KK) B auernfam ilien ohne
Gegenleistung zur V erfügung gestellt; lediglich 10000 H e k ta r Land wurden fü r die
G ründung landw irtschaftlicher Staatsbetriebe verwendet. Diese N euverteilung

1 H oxha. E .: Per bujqësinc socialiste. Tirane 198(). veil. I.S . 159-178. 247-251: včll. U .S . 126-131.543-550.

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Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft 115

des Bodenfonds zugunsten der Bauern brachte im D urchschnitt je d e r Fam ilie 5


H e k ta r G rund und Boden; diese Fläche konnte nur durch Steigerung der Z a h l an
Fam ilienangehörigen vergrößert werden2.
Diese Errungenschaften gaben der A g ra rre fo rm den wahren C harakter einer
dem okratischen, antifeudalen und auch zugleich antikapitalistischen R evolution.
D e r Besitz von geringem G rund und Boden wurde zwar nicht verboten, gleichzei-
tig aber der weitere A n - und V e rk a u f von Boden; man d u rfte ihn nicht verpfänden,
als Erbe hinterlassen oder ihn verpachten. Dies alles hat den Prozeß der
w irtschaftlichen A u fs p litte ru n g unter den Bauern sehr begrenzt.
D ie A g ra rre fo rm wurde nicht nur als eine R evolution als solche angesehen und
realisiert, sondern auch als ein Weg in R ichtung der K o lle k tiv ie ru n g der L a n d w irt-
schaft. Sie stellte nur den ersten S chritt zum Genossenschaftssystem dar, der die
Vergesellschaftung der A rb e it, der M itte l der landw irtschaftlichen P roduktion
und des Bodens voraussetzt und der den A ufb au einer W irtschaft m it neuem In ha lt
realisiert3.
D ire k t nach der D urchführung der A g ra rre fo rm begann der Prozeß der
K o lle ktivie ru n g der K leinstproduzenten auf dem Land. Ende des Jahres 1946
wurden die ersten 7 landw irtschaftlichen Genossenschaften in der landw irtschaftli-
chen P roduktion errichtet. D er B e itritt der Bauern zur K ooperative basierte auf
dem P rinzip der F re iw illig k e it und der eigenen E instellung. Jede Form von Zwang
und Beeinflussung wurde als schadenbringend fü r die K o lle k tiv ie ru n g angesehen.
Eine wichtige R olle spielte während der gesamten K o lle k tiv ie ru n g die mate-
rielle und finanzielle H ilfe durch den Staat. E r übernahm große Ausgaben fü r die
Trockenlegung von Sümpfen und zur Neulandgew innung, zur Flurbereinigung
und fü r die Be- und Entwässerungsanlagen; er tätigte Investitionen zur E ntw ick-
lung je n e r Industriezweige, die u n m itte lb a r der Landw irtschaft zuarbeiten.
Das H auptziel dieser H ilfe w ar es, eine wahre technische R evolution bei den
landwirtschaftlichen P roduktionsm itteln durchzuführen. D ie K onzentrierung der
motorischen M itte l in den Händen des Staates durch B ildung spezieller Staatsbe-
triebe bzw. Maschinen- und T raktorenstationen (M T S ) wurde als ein w ichtiger
F aktor angesehen, die K om m andoposition des Staates in der landw irtschaftlich-
genossenschaftlichen P roduktion zu garantieren und die M ö g lich ke it der w irt-
schaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen zu
beseitigen.
Die B ildung von Genossenschaften vollzog sich in der Landw irtschaft aufgrund
seiner E ntw icklungsdialektik in zwei Etappen:
Die erste Etappe umfaßt den Z e itra u m zwischen 1946 und 1955 und zeichnet sich
durch die Schaffung der grundlegenden w irtschaftlichen, politischen und ideologi-
sehen Bedingungen aus.
Die zweite Etappe umfaßt die Zeitspanne zwischen 1955 und 1967 und wurde
ф%

durch den Übergang zur umfassenden K o lle k tiv ie ru n g der Landw irtschaft be-
stimmt.

2 Rusi. D .; Pepa. Z .: М Ы zgjidhjen kom plekse té n d e rtim it té sociali/.m it né fshat né RPS té Shqipcrise.
T iran e 1986, S. 74.
л H oxha. E. (A n m . 1), véli. I, S. 23-29.

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116 L. Çuçi

A m Ende der K o lle ktivie ru n g stand das sozialistische System der L a n d w irt-
schaft, das aus zwei Eigentum sform en besteht: aus dem Staatseigentum (den
landw irtschaftlichen Staatsbetrieben und den Maschinen- und T rakto ren statio -
nen) und dem genossenschaftlichen E igentum des K o lle ktivs. Dieses System
beseitigte jede Form von Privateigentum und kleiner P riva tp ro d u ktio n , und setzte
dam it jeder A r t von U nterdrückung und Ausbeutung ein Ende.
Eine besondere Eigentum sform innerhalb der Agrarverhältnisse der albani-
sehen Landw irtschaft ist der Genossenschafterhof. Bereits in den Anfängen der
K o lle k tiv ie ru n g wurde er als eine besondere Form des persönlichen Eigentum s,
als eine A r t ‫ ״‬H ilfs w irtsc h a ft“ betrachtet, um einen T e il der Bedürfnisse der
B auernfam ilien an pflanzlichen und tierischen Produkten d ire k t zu befriedigen.
D ie U nm öglich keit der Deckung des ganzen Bedarfes dieser Fam ilien durch die
K o lle k tiv w irtsc h a ft ist als einziger Rechtfertigungsgrund fü r die Existenz eines
solchen Hofes anzusehen. M it der E n tw icklu n g der genossenschaftlichen Produk-
tion und der Steigerung des Deckungsbedarfs der Bauernschaft durch die ko lle k-
tive Landw irtschaft ve rlie rt dieser H o f allm ählich im m er m ehr an w irtschaftlicher
Bedeutung.
A lle w irtschaftlichen Beziehungen dieser H öfe sind von der G esam tpolitik
bestim m t, ihn nicht in eine P rivatw irtschaft fü r den allgemeinen M a rk t zu
verwandeln. Deshalb haben ihn weder Staat noch K ooperative m it K red iten ,
P rod uktio nsm itteln, D ünger oder Saatgut unterstützt, um eine erw eiterte P roduk-
tion zu verm eiden, und um gleichzeitig den Weg zur allm ählichen Begrenzung
w eiter zu verfolgen. So verfügte jede Genossenschafterfamilie bis zum Jahr 1967
z. B. bei 3000 qm Boden ü b e re in e K uh m it einem K alb und über 15 Schafe oder
Ziegen etc. Nach 1967 betrug die Bodenfläche eines Hofes 10()() bis 150() qm.
Außerdem wurde der Besitz je d e r Fam ilie auf eine Kuh und bis zu 10 Schafe oder
Ziegen festgesetzt4.
_
___ _
__ »»

D ie genossenschaftliche O rdnung zeigte ihre Ü berlegenheit bereits in den


A nfängen. In den ersten G ründungsjahren erreichten die entstandenen Koopera-
tiven eine P ro d u ktio n , die 25 bis 30% über der in der P rivatw irtschaft lag. Im Jahr
1960 erhöhte sich die landw irtschaftliche P roduktion gegenüber 1945 au f das
doppelte und die Produktionserträge stiegen um 40% .
In den 70er Jahren befaßte sich die W irtsch a ftsp o litik in erster L in ie m it der
wirtschaftlichen Festigung der Kooperativen. D ie V ervo llkom m nun g der Eigen-
tumsverhältnisse, der Leitung und der O rganisierung und die E n tw icklu n g der
P ro d u ktivkrä fte in den landw irtschaftlichen Genossenschaften sind als die zwei
H auptm erkm ale dieser Stärkung anzusehen, wobei dem intensiven Weg der
V orrang eingeräum t w urde, ohne auf die Ausnutzung der Reserven zu verzichten,
die der extensive Weg anbietet.
A u f dem Weg zur V ervo llkom m nun g der W irtschaftsverhältnisse wurde
zunächst der Vereinigungsprozeß der K ooperativen vollzogen, indem große
A grarbetriebe m it einer höheren K onzentration und einer rationelleren P roduk­

4 Rusi. D .; Pepa. Z . (A n m . 2). S. 126.

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Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft 117

tionsstruktur geschaffen worden sind. V on 1484 K ooperativen, die im Jahr 1960


m it einer D urchschnittsfläche von 244 H e kta r geschaffen w urden, gibt es gegen-
w ärtig noch 417 K ooperative m it einer durchschnittlichen Bodenfläche von 1205
H ektar. Diese V ereinigung vollzog sich allm ählich und auf divergierende Weise,
wobei den ebenen G ebieten V o rra n g eingeräum t w urde, um d o rt die größeren
landw irtschaftlichen Genossenschaften zu schaffen.
Eine originäre E rfa hru ng bei der E n tw icklu n g der albanischen Landw irtschaft
ist auch das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und K ooperative durch die B ildung
von landw irtschaftlichen Genossenschaften höheren Typs5 und durch die Steige-
rung der Staatsinvestition im flachen Land auf einem G ebiet von 1tX)000 H e kta r,
auf denen Landw irtschaft besonders intensiv betrieben w ird . In die K ooperativen
dieses Gebietes investiert der Staat H aupt- und Umsatzfonds, wobei er zum
M itbesitzer der H auptfonds und des Umsatzes w ird , nicht aber zum M itbesitzer
des hergestellten Produktes. D reh- und A n g e lp u n kt dieser V erflechtung ist die
Teilnahm e der Gesellschaft durch nichtrückzahlbare Investitionen, die stufen-
weise der Steigerung des A n te ils des Staatsfonds an der Gesam theit des Produk-
tionsfonds dienen und so die G rundlage der landw irtschaftlichen Genossenschaf-
ten höheren Typs bilden. Seit 1971 sind 50 landw irtschaftliche Genossenschaften
höheren Typs gebildet w orden, wobei die Staatsinvestitionen dabei ca. 20% aller
bis heute getätigten Investitionen ausmachen.
Diese Kooperativen sind in den fruchtbarsten Gebieten des Landes geschaffen
w orden, um sich durch eine dam it garantierte S tabilität in der landw irtschaftlichen
P roduktion vom Standpunkt einer gesam twirtschaftlichen Betrachtung aus mög-
liehst schnell an den Stand der landw irtschaftlichen Staatsbetriebe annähern zu
können. Inzwischen hat auch die m aterielle U nterstützung fü r die landw irtschaftli-
che P roduktion in den H ügel- und Berggebieten zugenommen, um die U nter-
schiede zwischen den verschiedenen Gebieten w eiter abzubauen.
Ende der 60er Jahre haben sich auch hinsichtlich des Privathofes wichtige
Veränderungen vollzogen. D e r W ille zu seiner Begrenzung ist von der K o lle k tiv ie -
rung des Viehs begleitet worden. In den 70er Jahren wurde das gesamte K leinvieh
auf dem Land k o lle k tiv ie rt, in den 80er Jahren dagegen nur die Kühe im
Flachland. T ro tz der W ahrung des Rechts auf Privateigentum haben die Koopera-
tiven die w irtschaftliche H andlungsvollm acht übernom m en. D ie Produkte aus den
Viehbeständen werden nach A bzug der Ausgaben fü r Pflege und Züchtung den
Bauernfam ilien zugesprochen.
Die Tendenz zur Begrenzung des Privathofes ist m it einer einm aligen E ntw ick-
lung einhergegangen, indem auf der Ebene der landw irtschaftlichen Brigaden
kolle ktive H öfe geschaffen worden sind1‫׳‬. Jeder Brigade werden aus dem großen
kollektiven Eigentum einzig m it dem Recht zur eigenen Verw endung Viehbe-
stände und eine bestimmte Bodenfläche zugestanden, um die Bedürfnisse der
M itg lie d e r zu befriedigen. Im allgemeinen werden die D ienstarbeiten bei diesen
Höfen außerhalb der A rbeitszeit in der K ooperative geleistet und die Produkte

5 H oxha. E .: R aport në Kongresin V I të PPSH. T ira n e 1971. S. 80-X2.


6 A lia , R .: Plotcsim i i nevojavc në rritje të p o p u llit — detyrë kryesore с Partisë. T iran e !9X7. S. 21-32.

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entsprechend den Produktionskosten an die Fam ilien ve rte ilt. Ih r Z ie l ist es, die
Bauernbevölkerung gänzlich aus eigener K ra ft zu versorgen, in erster L in ie durch
die ko lle ktive n H öfe und dann auch durch die privaten H ö fe , während die
P roduktion der K ooperative einzig und allein fü r den Staatsmarkt bestim m t ist.
D ie V ereinigung der kleinen K ooperativen zu größeren landw irtschaftlichen
Genossenschaften, die V erflechtung der Beziehungen zwischen dem Staat und der
K ooperative durch Schaffung landw irtschaftlicher Genossenschaften höheren
Typs, die B ildung von ko lle ktive n Viehbeständen und ko lle ktive n H öfen - all dies
ist eine ureigene Lösung auf dem Weg zum Genossenschaftssystem, das dadurch
seine Lebenskraft in je d e r R ichtung der sozio-ökonomischen E n tw icklu n g auf
dem D o r f bekräftigt hat.
Diese V ita litä t kom m t in der unaufhaltsamen Steigerung der landw irtschaftli-
chen P roduktion zum A usdruck. D ie landw irtschaftliche G esam tproduktion hat
sich daraufhin vom ersten Fünfjahresplan ( 1951-1955) bis zum siebten Fünfjahres-
plan (1981 —1985) auf das 3,5fache erhö ht, während sich die B evölkerung in
diesem Z e itrau m nur um das 2,6fache vergrößert hat. O bw ohl in den Jahren nach
der B efreiung noch weitere ca. 400000 H e k ta r Neuland erschlossen worden sind,
haben w ir in diesen 44 Jahren mehr als die H älfte der landw irtschaftlichen
M e h rp ro d u ktio n durch die Steigerung der Erträge gewährleistet. D ie Erträge
haben sich in diesem Z e itrau m bei den wichtigsten landw irtschaftlichen K ulturen
verdoppelt bzw. vervierfacht. Z u dieser Intensivierung hat auch die Steigerung der
technischen Leistungsfähigkeit au ffä llig beigetragen. Dieses P otential hat sich im
Z eitraum von 1950 bis 1988 auf das 26fache erhöht. In dieser Zeitspanne haben
sich die V erw endung von Kunstdünger auf das 96fache und das Bewässerungspo-
tential auf das 6fache erhö ht, wobei es uns gelungen ist, 60% der Anbaufläche
regelmäßig künstlich zu bewässern7.
Dies schlägt sich auch darin nieder, daß bei der Hebung des W ohlstandes der
Bauernbevölkerung ebenfalls hohe und stabile Raten garantiert worden sind. Das
Realeinkom m en der Bevölkerung pro K o p f hat sich im Z e itra u m von 1960 bis 1985
im Jahresdurchschnitt um 7% erhöht. Diese Zuwachsrate w ar ungefähr l,7 m a l
höher als die in der Stadt. Große Veränderungen haben sich auch im kultu re lle n
und Bildungsniveau der Bauernschaft vollzogen. D ie Z a h l der acht Jahre dauern-
den Schulen hat sich im Z e itrau m von 1950 bis 1985 au f das 12fache e rh ö h t, die
Zahl der Schüler auf das D reifache. Gab es im Jahr 1950 au f dem D o rf keine
höhere Schule, so beträgt ihre Zahl heute 200. In diesen Schulen lernen zehntau-
sende Schüler, wohingegen sich die Z ahl der Schüler m it B auernherkunft au f den
Hochschulen aufs Dutzendfache erhöht h a t\
Eine wichtige R olle zur Verbesserung des W ohlstandes unter der Bauernschaft
spielt auch der soziale Konsum tionsfonds, der ca. 15% des gesamten Verbrauchs-
fonds ausmacht. D ie Ausgaben des Staatshaushaltes fü r diesen Fonds und fü r
sozio-kulturelle Maßnahmen haben sich von 1950 bis zum Jahr 1988 au f das
27fache erhöht. D urch diese Ausgaben übernim m t der Staat au f dem D o r f die

7 Statistical Y earbook o f P.S.R. o f A lb a n ia - 1988. T iran e 1988. S. 2.V24, 87. 92. 96-98.
* Statistical Y earbook (A n m . 7). S. 142-154.

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Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft 119

Kosten fü r den Bau und E rh a lt der G esundheitseinrichtungen, der Entbindungs-


heim e, der K indergärten und K in d e rkrip p e n , der Schulen und der K ulturhäuser,
des Strom - und Telefonnetzes, der Trinkw asserleitungen etc. Fügen w ir noch die
wachsenden Ausgaben der landw irtschaftlichen Genossenschaften fü r sozio-
ku ltu re lle Maßnahmen hinzu, so w ird das B ild über die Vergrößerung des
W ohlstandes auf dem D o rf noch deutlicher.
Davon zeugt auch die Tatsache, daß im genossenschaftlichen System ab dem
Jahr 1976 die Renten vereinh eitlich t worden sind; die niedrigsten Renten haben
sich erhöht, wobei sich die Renten der A rb e ite r in der Stadt annähern. Außerdem
ist die E ntlohnung fü r den M utterschaftsurlaub bei Frauen sowie fü r die G eburt
festgelegt worden. In den Berg- und Hügelgebieten des Landes werden bis zu 70%
dieser Ausgaben vom Staat gedeckt.
Diese Errungenschaften der genossenschaftlichen O rdnung in A lb a n ie n hätten
diesen Stand nicht erreicht, wäre das genossenschaftliche E igentum der Gruppe
nicht eng m it dem Staatseigentum verbunden. D ie Fundamente dieser V erb in-
dung liegen in der beträchtlichen und dauerhaften staatlichen U nterstützung des
Genossenschaftssystems, dessen Z ie l es ist, die Landgebiete zu stärken und
gleichmäßig zu entw ickeln, indem eine einheitliche Preis- und S ubventionspolitik
verfolgt w ird. D er Staat übernim m t die Ausgaben fü r die Investitionen beim Bau
der Be- und Entwässerungsanlagen, fü r die V erm ehrung und M odernisierung der
landw irtschaftlichen Technik und fü r die A usbildung von Fachkräften. E r unter-
stützt das Anlegen von Hainen fü r Obstbäum e, W ein und O liven und die
H erstellung von ausgewähltem Saatgut und setzt sich fü r die Züchtung von
ausgewählten Rassetieren ein. A ll dies ist stets als w ichtiger F a k to r fü r die künftige
E ntw icklung des Genossenschaftssystems anzusehen.
Durch die differenzierte P reispolitik bei der Sammlung von pflanzlichen und
tierischen P rodukten, bei D iensttarifen fü r die A rb e it der Maschinen- und
Traktorenstationen und durch die Vergabe von G ebühren beim Staatshaushalt ist
eine rationellere, erneute V e rte ilu n g des Einkom m ens und der A k k u m u la tio n
zwischen der W irtschaft und der Landw irtschaft und innerhalb der Landw irtschaft
selbst geleistet w orden, indem durch niedrigere Preise und T a rife sowohl die
Steigerung der P ro d u ktio n , als auch die V erringerung der sozio-ökonomischen
Unterschiede insgesamt gefördert wurde. M it B lic k auf dieses Z ie l haben w ir auch
die P o litik der Subventionen fü r die Produkte und deren strategische Bedeutung
verfolgt. A uch die P o litik zur Förderung der Seßhaftigkeit der D orfbe völkerun g
im allgemeinen und der B evölkerung in den H ügel- und Berggebieten im
besonderen ist unterstützt worden. D e r Lebensunterhalt des G roßteils der
albanischen Bevölkerung auf dem D o rf w ird zum einen durch den oben skizzierten
W ohlstand gesichert, zum anderen durch die Neuansiedlung von Industrie und
Dienstleistungsbereichen au f d ö rflic h e r Ebene, m it dem Z ie l, auch dort die
Produktion zu industrialisieren.
Dieser ganze Weg zur E ntw icklung der albanischen Landw irtschaft hat dazu
beigetragen, daß dieser W irtschaftszweig Fortschritte gemacht hat und über gute
Entwicklungsperspektiven verfügt. Dieser Bereich erzeugt heute ca. 25% der
gesellschaftlichen P roduktion des Landes, ca. 33% des N ationaleinkom m ens der
W irtschaft und ca. 44% des Exportes von frischen landw irtschaftlichen Produkten
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120 L. Çuçi

und industriell verarbeiteten A rtik e ln m it landw irtschaftlicher H e rk u n ft4. D ie


albanische Landw irtschaft garantiert seit m ehr als einem Jahrzehnt den allgemei-
nen B ro tb e d a rf und deckt auch über 85% des Bedarfes an sonstigen Nahrungsm it-
ф#

teln des Volkes aus eigener K ra ft; unsere Überzeugung ist es, daß allein das
Genossenschaftssystem die Probleme zur E n tw icklu n g der Landw irtschaft erfolg-
reich lösen und die Bedürfnisse der W irtschaft befriedigen kann.

я Statistical Y earbook (A n m . 7 ). S. 126, 131-132.

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Die deutsch-albanischen Wirtschaftsbeziehungen


und die Handelspolitik der EG

F ranz-Lothar A ltm a n n , München

1. D ie E ntw icklun g des Handels zwischen der Bundesrepublik Deutschland und


A lba n ie n - 11. Perspektiven der deutsch-albanischen W irtschaftsbeziehungen -
I I I . A lbaniens Westhandel und die Europäische Gem einschaft - IV . Probleme
und Chancen durch den europäischen B innenm arkt nach 1992

I. Die Entwicklung des Handels zwischen der Bundesrepublik Deutschland und


Albanien

Das bis M itte der 80er Jahre unveränderte Beharren auf Reparationsforderungen
in Höhe von 2 M illia rd e n US-$ seitens A lbaniens verzögerte die A ufnahm e
o ffiz ie lle r diplom atischer Beziehungen, zu denen es erst am 2. O k to b e r 1987 kam.
Bis zu diesem Z e itp u n k t gab es keine o ffizie lle n wirtschaftspolitischen K ontakte,
was andererseits nicht verhinderte, daß auf Firm en- und Verbandsebene bereits
vorher vorsichtige Annäherungsversuche erfolgten. B evor die erste albanische
Handelsdelegation im O kto b e r 1983 au f E inladung des Ostausschusses der
Deutschen W irtschaft K öln und Bonn besuchte, w ar der bilaterale Handel im
Jahre 1982 au f den bisherigen Höchststand von 128 M illio n e n D M Gesamtumsatz
angewachsen, eine Z a h l, die bis heute nicht m ehr erreicht w urde. A uch Besuche
des bayerischen M inisterpräsidenten Franz-Josef Strauß in den Jahren 1984 und
1986, sowie einer bayrischen W irtschaftsdelegation unter Le itung des Staatssekre-
tärs von W aldenfels im N ovem ber 1985 in Tirana verm ochten keine Belebung des
in absoluten Größen äußerst geringen Warenaustausches zu bew irken. Im Gegen-
teil, bis zum Jahre 1987 erfolgte sogar ein Rückgang des Umsatzes bis auf 56,5
M illion en D M 1.
Nach der A ufnahm e der diplom atischen Beziehungen bot die Bundesrepublik
Albanien H ilfe an, um dem Land zu erm öglichen, ohne gegen die eigene
Verfassung, insbesondere das K re d itve rb o t des A rtik e l 28 zu verstoßen, seine
Bezüge aus der Bundesrepublik auszuweiten. M inisterpräsident Strauß, der am
15. N ovem ber 1987 in Begleitung von Siegfried Lengi, dem Staatssekretär des
Bundesministeriums fü r w irtschaftliche Zusam m enarbeit, in A lb a n ie n zu einem
Freundschaftsbesuch w eilte, überreichte einen Scheck über 6 M illio n e n D M . m it
dem über die Gesellschaft fü r technische Zusam m enarbeit Beratung und der K au f
gebrauchter landw irtschaftlicher Geräte und Busse finanziert werden sollte2.
Die Bundesrepublik war es auch, die beim E ntw icklungshilfekom itee (D A C )
der O E C D den A n tra g auf A nerkennung A lbaniens als Entw icklungsland einge-
bracht hatte. A lle rd ing s wurde von bundesdeutscher Seite gegenüber den V orstel-

1 B M W I: D e r deutsche O sthandel 1988. Bonn 1989, S. 7, 74, 75.


2 D P A , 16. 11. 1987.

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122 F.-L. Altm ann

lungen der A lb a n e r deutlich K r itik geübt, nach der D A C -A n e rk e n n u n g die


M odernisierung des Landes zu einem wesentlichen T e il über E ntw icklungshilfe-
gelder zu bewerkstelligen. A m 1. Juli 1988 erfolgte dann in Bonn die U nterzeich-
nung des A bkom m ens über w irtschaftliche, technische und industrielle Zusam-
m enarbeit, in welchem 13 Bereiche speziell erwähnt w urden3.
E in G em ischter Ausschuß soll helfen, die notwendigen K on takte zu knüpfen,
die die industrielle K oo pe ratio n, den Austausch von technischem K n o w -H o w , von
P raktikanten und Fachleuten, sowie die Veranstaltung von Fachtagungen intensi-
vieren sollen. A nfa ng Dezem ber 1988 fand die erste Sitzung des Gemischten
Ausschusses in Tirana statt. Besprochen wurden die K ooperationen zwischen
deutschen und albanischen U nternehm en in den Bereichen Bergbau (A usbau der
C hrom erz- und K u p fe rin d u strie ), Energiegewinnung (W asserkraftw erk bei
B anja), Chemische Industrie (H ilfe ste llu n g bei der P roduktion von Soda-Asche,
P V C и. ä.) und N ahrungsm ittelindustrie. Zudem wurden noch fü r das Jahr 1988
10 M illio n e n D M als technische H ilfe entsprechend dem Rahm enabkom m en vom
21. O k to b e r 1988 über technische Zusam m enarbeit zur V erfügung gestellt. Bis
zum Z e itp u n k t der jetzigen Tagungsveranstaltung (September 1989) waren weder
diese 10 M illio n e n D M noch die fü r das Jahr 1989 zusätzlich bereitgestellten 10
M illio n e n D M K a p ita lh ilfe und 10 M illio n e n D M technische H ilfe abgerufen
w orden, da die albanische Seite offensichtlich Schwierigkeiten in der form alen
Realisierung hatte: W eder wurden entsprechende Notenwechsel beantw ortet,
noch Darlehensverträge unterzeichnet4.
Trotzdem kann fü r das Jahr 1988 von einer Belebung des Handels zwischen der
B undesrepublik Deutschland und A lb a n ie n gesprochen werden: D er Gesamtum-
satz stieg auf fast 92 M illio n e n D M , einen Betrag, der allerdings nur knappe 0,2%
des bundesdeutschen Osthandels ausmachte, der seinerseits nur 4,5% des bundes-
deutschen gesamten Außenhandels beanspruchte. U m gekehrt allerdings stellte
die B undesrepublik Deutschland nach Italien den wichtigsten W estpartner dar:
4,2% alle r E xporte Albaniens wurden 1988 in die B undesrepublik verbracht5.
W ie im gesamten Osthandel nehmen Maschinen unter den bundesdeutschen
A u sfu h rp ro d u kte n auch im A lbanienhandel die erste Stelle ein. 1988 betrug ihr
A n te il 23,3% , im gesamten Handel m it Staatshandelsländern war dieser A n te il
jedoch m it 32,3% deutlich höher. A uch der A n te il der elektrotechnischen
Erzeugnisse (8 ,7 % ) lag unter dem D urchschnittsanteil bei den E xporten in die
Staatshandelsländer (9 ,6 % ). W eitere wichtige Positionen waren 1988 noch Stahl-
röhren, chemische Erzeugnisse und - w ohl eher einm alig - Z ucker. In der
G robgliederung entfielen auf Erzeugnisse der Ernährungsw irtschaft 10,1% (im
Handel m it allen Staatshandelsländern 4,2% ) sowie auf P rodukte der gew erbli-
chen W irtschaft 89,9% (gegenüber 95,1% im Gesam texport in die Staatshandels-
länder).

•‫י‬ W irtschaftsabkom m en m it A lb a n ie n , in: N achrichten fü r A uß enhandel. 6. 6. 1988; K o o pe ra tio n m it


A lb a n ie n , in: N achrichten fü r A uß enhandel, 8. 12. 1988.
4 Bonn sagt A lb a n ie n W irtsch aftshilfe zu, in: F ra n k fu rte r A llgem eine Z e itu n g . 21. 3. 1989.
5 B M W I: D e r deutsche O sthandel 1988. Bonn 1989. S. 7, 74. 75; V jc ta ri S ta tis tik e r i R.P.S. te Shqiperisë
1989 (Statistisches Jahrbuch der Sozialistischen V o lk s re p u b lik A lb a n ie n ). T ira n e 1989, S. 12(1.

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Deutsch-albanische Wirtschaftsbeziehungen und EG 123

A u f der E infuhrseite bestanden 9,7% der Lieferungen A lbaniens aus Produkten


der Ernährungsw irtschaft (Staatshandelsländer: 9,5% ) und 89,8% aus Erzeugnis-
sen der gewerblichen W irtschaft (alle Staatshandelsländer: 87,9% ). A n Einzelpo-
sitionen sind dabei hervorzuheben:
Ferrolegierungen m it einem A n te il von 22,9% an den gesamten albanischen
Lieferungen in die B undesrepublik Deutschland. A n zw eiter Stelle lagen 1988
Chrom erze m it 8,6% , wobei diese albanischen Lieferungen 1988 12% der
gesamten bundesdeutschen Im p o rte von Chrom erzen erreichten. A u f Gemüse
entfielen 6,3% , auf R ohstoffe fü r chemische Erzeugnisse 6 ,1 % , au f Gewebe aus
W o lle 7,3% und auf K leidung aus Baum w olle 5,0% ft.

II. Perspektiven der deutsch-albanischen Wirtschaftsbeziehungen

W ie bei allen Staatshandelsländern stellt sich auch im Falle Albaniens das


grundsätzliche Problem , daß eine A usw eitung der Handelsbeziehungen seinen
A nfa ng bei einer V erstärkung der E xporte dieses Landes finden muß, da alle
Außenwirtschaftsbeziehungen s trik t bilateral gehalten werden, was wiederum auf
die nicht vorhandene K o n v e rtib ilitä t der jew eiligen Landeswährung zurückzufüh-
ren ist. E in Durchbrechen dieser K o n d itio n a litä t ist nur dann m öglich, wenn das
betreffende Staatshandelsland K red ite beim H andelspartner au fn im m t, um fü r
««

eine Übergangszeit Importüberschüsse zu finanzieren, die nach M ö g lich ke it zu


einer M odernisierung und V e rb re ite ru n g der eigenen Produktionsbasis dienen
und spätere Exportausweitungen erm öglichen. Im Falle A lbaniens steht diesem
Durchbrechen der K o n d itio n a litä t des G leichschritts von E xportausw eitung und
Im p ortm öglichkeiten das im m er noch bestehende absolute K reditaufnahm ever-
bot des A rtik e ls 28 der Verfassung im Wege.
D ie im vorangegangenen K apitel kurz skizzierte W a re nstru ktu r des albanischen
E xports, in welchem 61% auf R ohstoffe und H albw aren entfallen (im D urch-
schnitt aller Staatshandelsländer beträgt diese A nteilszahl 46% , wobei hier die
Sow jetunion m it ihren fast ausschließlichen R ohstofflieferungen diese Gesamtan-
teilszahl unverhältnism äßig hoch ausfallen läß t), läßt keineswegs große M öglich-
keiten eines autonom en Ausbaus der albanischen Lieferungen in die Bundesrepu-
b lik erw arten. Im m erhin werden m ittle rw e ile bereits Zahlungsziele akzeptiert, die
vom ausländischen Lieferanten eingeräum t werden. Nach noch unbestätigten
Berichten soll sich das Verschuldungsverbot in der Praxis nur auf ungebundene
Finanzkredite von Banken und Regierungen, nicht jedoch auf bestimmte Liefe-
rantenkredite beziehen. Im übrigen werden auf bundesdeutscher Seite A usfu hr-
bürgschaften durch Hermes übernom m en, wenn die vorgeschriebenen Vorausset-
zungen vorliegen, d. h. die V orlage einer Banksicherheit durch die N ationalbank
in Tirana.
Probleme fü r eine A usw eitung des deutsch-albanischen Handels stellen des
weiteren prinzipielle Kom pensationsforderungen seitens A lbaniens bei normalen
Handelsabschlüssen dar, insbesondere wegen des insgesamt doch sehr beschränk-

6 B M W I: D e r deutsche O sthandel 198«. Bonn 1989, S. 7 ,7 4 ,7 5 ; Kissner, E .: A lb a n ie n gestern und heute, in:
O st-W esi-C 'om m crz. 1/1988, S. 41-43.

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124 F.-L. Altm ann

ten kompensationsfähigen Warenangebots au f der albanischen Seite. Albaniens


bereits erw ähnter Wunsch, über E ntw icklungshilfegelder die som it durch norma-
len H andel nur schwer in Gang zu setzende M odernisierung zu beschleunigen,
muß angesichts des doch re la tiv geringen Finanzierungsvolumens als unrealistisch
angesehen werden. H ie ra u f hatte auch Staatssekretär Lengi im M ärz 1989 in
seinem Gespräch m it A uß enm inister M a lile in Tirana hingewiesen. Das Bundes-
W irtschaftsm inisterium hatte zudem gegenüber A lbanien mehrfach betont, daß
deutsche Firm en fü r die Zusam m enarbeit auf fre ifin a n zie rte r Basis gewonnen
werden sollten und industrielle K oo pe ratio n, soll sie Bestand haben, sich selbst
tragen muß.
Handelspolitische E rleichterungen sind seitens der B undesrepublik Deutsch-
land nicht mehr m öglich, da seit 1975 die Zuständigkeit in der Außenhandelspoli-
tik an die Europäische Gemeinschaft in Brüssel abgetreten wurde. Diese Feststei-
lung ist m it der einzigen Einschränkung zu versehen, daß im m er noch einzelne
E G -M itg lie d e r einzelstaatliche Schutzmaßnahmen gegenüber D rittlä n d e rn
ergreifen können. D ie Bundesrepublik Deutschland hat gegenüber Staatshandels-
ländern keine einzelstaatlichen, nichttarifären Regelungen zur Beschränkung des
Im ports m ehr vorzuweisen (Stand Februar 1989). D ie tatsächlich noch bestehen-
den Beschränkungen sind Gemeinschafts-Beschränkungen. Sie konzentrieren
sich allerdings auf A g ra r-. T e x til- und S tahlprodukte, also Bereiche, in denen auch
A lbanien als Lieferant a u ftritt.
N icht in Gemeinschaftskompetenz übergegangen ist der Bereich der Koopera-
tio n , der - wie das Beispiel Ungarn zeigt - durchaus eine w ichtige Ergänzung
b ila tera ler Liefergeschäfte sein kann. Kooperationen können zur D iversifizierung
der östlichen E xpo rt-S tru kturen beitragen und zu m arktgerechteren Angeboten
führen. G rundsätzlich stellen sich Kooperationsbeziehungen leichter und pro-
blem loser her, wenn die Partnerunternehm en in den Staatshandelsländern grö-
ßere außenwirtschaftliche Kompetenzen haben und somit d ire k te , kurzgeschal-
tete Beziehungen zwischen den K ooperationspartnern möglich sind. Im Falle
A lbaniens kann man hiervon allerdings noch nicht sprechen, geschweige denn an
die G ründung von Gemeinschaftsunternehmen (Joint V entures) wie in allen
anderen europäischen Staatshandelsländern denken. A uch das am 1. Juni 1988
über die w irtschaftliche, industrielle und technische Zusam m enarbeit geschlos-
sene A bkom m en hat bisher noch nicht verm ocht, Kooperationsbeziehungen auf
einer bereiteren Basis anzuregen.
V on den in diesem A bkom m en aufgezeigten 13 Kooperationsbereichen sollte
v o r allem der R ohstoffsektor wegen der umfangreichen V orkom m en (insbeson-
dere C hrom , K u p fe r, Eisen und N ic ke l), des hohen M odernisierungsbedarfs in der
extrahierenden und verarbeitenden Industrie und der hierbei vorhandenen Mög-
lich ke it von B uy-back-A bkom m en gute Kooperationschancen erw arten lassen.
A ls Beispiel kann das H üttenw erk in Elbasan erwähnt werden, dessen chinesische
Technologie zur N ickelgew innung bereits über 20 Jahre alt ist. H ie r erarbeitet die
S alzgitter-Industriebau derzeit praktische Vorschläge fü r eine Teilm odernisierung
der A nlage, wobei von den w eiter oben erwähnten fü r 1989 angebotenen M itte ln
fü r technische H ilfe 4 M illio n e n D M verwendet werden sollten. Es ist sowohl der
albanischen wie auch der bundesdeutschen Seite dabei kla r, daß es sich hierbei nur
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Deutsch-albanische Wirtschaftsbeziehungen und EG 125

um den Beginn einer überfälligen M odernisierung des gesamten G roßkom plexes


in Elbasan handeln kann.
W eitere Bereiche der Zusam m enarbeit finden sich in der E rd ö lfö rd e ru n g und
-Verarbeitung sowie beim Ausbau und der M odernisierung von W asserkraftwer-
ken (B anja). D arüber hinaus bestehen auch bereits intensivere K ontakte seitens
der chemischen und pharmazeutischen Industrie m it albanischen P artnern, des-
gleichen ist von D a im le r Benz zu erfahren, daß daran gedacht ist, fü r die nach
A lbanien gelieferten Gebrauchtbusse ein E rsatzteillager einzurichten und ein
Servicenetz aufzubauen7.
Begrenztes Interesse von bundesdeutscher Seite ist bisher auch fü r M ö glichkei-
ten der D rittla n d -K o o p e ra tio n m it A lbanien zu erkennen, wobei man hier
beispielsweise an albanische Zulieferungen fü r bundesdeutsche A uslandstöchter
in D rittlä n d e rn denken könnte.

III. Albaniens Westhandel und die Europäische Gemeinschaft

W ie bereits erw ähnt, liegt die Kom petenz fü r die Bereiche der allgemeinen
A ußenhandelspolitik seit 1975 nicht m ehr bei den einzelnen M itgliedsländern der
E G , sondern in Brüssel. D ie Europäische Gemeinschaft schließt Handelsabkom -
men, die vor allem Zollbestim m ungen und Mengenbeschränkungen festlegen. M it
den meisten Staatshandelsländern wurden auch sektorale A ko m m e n , insbeson-
dere in den Bereichen Stahl, T e x til, B ekleidung und A g ra rp ro d u kte geschlossen.
Für eine Reihe von wichtigen albanischen E xpo rtp rod ukte n werden noch E G -
Zollsätze erhoben, die som it auch fü r Lieferungen in die B undesrepublik G ü ltig -
keit haben. So beträgt die E G -Z o llbe la stu ng beispielsweise bei Ferrochrom 8% ,
bei Stäben und P rofilen aus nichtlegiertem K u p fe r 6 % , bei O berhem den aus
Baum wolle 13% und bei Tom aten 18%, jew eils vom W ert. 1968 wurde auf der
zweiten U N C T A D -K o n fe re n z in N eu-D elhi den Industrieländern em pfohlen, den
Entw icklungsländern Präferenzzölle fü r gewerbliche H alb- und Fertigw aren ein-
zuräumen. D ie Europäische Gemeinschaft hat zum 1. 7. 1971 ein allgemeines
System von derartigen Präferenzzöllen eingeführt und gewährt fast allen E ntw ick-
lungsländern im Rahmen dieses von der U N C T A D in itiie rte n allgemeinen
Präferenzsystems Z o llv o rte ile . A lb a n ie n wurde auf bundesdeutschen A n tra g zwar
der Entwicklungsländerstatus bei der O E C D anerkannt, doch w ar die E instellung
Albaniens zur E G bisher eher negativ, so daß bisher noch keine Einbeziehung
Albaniens in die E G -Z ollpräferenzen erfolgte. Bieten sich demnach hier direkte
Verhandlungen m it Brüssel dringend an, so t r ifft dies noch mehr fü r die noch
vorhandenen nichttarifären Beschränkungsregelungen fü r Im porte der E G an.
Insgesamt bestehen noch 25 E G ‫־‬gem einschaftliche, nichttarifäre Beschränkungen
gegenüber Staatshandelsländern, denen nur noch 4 einzelstaatliche (3 durch
G roßbritannien und 1 durch D änem ark) gegenüberstehen, so daß sich auch hier
Verhandlungen m it der E G notwendigerweise aufdrängen*.

7 B M W I. Bonn.
8 K oopm ann. G .: H a n d e lsp o litik d e r E G im Zeichen des B innenm arktes, in: W irtschaftsdienst. (1989).
S. 405-412.

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126 F.-L. A lw uinn

IV. Probleme und Chancen durch den europäischen Binnenm arkt nach 1992

Im Januar 1985 schlug die Kom m ission der Europäischen Gemeinschaft v o r, bis
Ende 1992 das Z ie l eines M arktes ohne Binnengrenzen zu verw irklich en . Dieses
Z ie l wurde im Dezember 1985 in der E inheitlichen Europäischen A k te niederge-
legt. D ie V ollendung des europäischen B innenm arktes w ird tiefgreifende Struk-
turveränderungen in den W irtschaften der M itgliedsstaaten nach sich ziehen, w ird
den Spielraum fü r eine unabhängige W irtsch a ftsp o litik reduzieren und die grenz-
übergreifenden A usw irkungen von E ntw icklungen vergrößern, die ihren
U rsprung in den einzelnen M itgliedstaaten haben. In internationalen V erhandlun-
gen w ird die E rrich tun g einer W irtschafts- und W ährungsunion der Gemeinschaft
eine stärkere Stellung verschaffen und ihre M öglichkeiten, die w irtschaftlichen
Beziehungen zwischen den Industrie- und E ntw icklungsländern zu beeinflussen,
verbessern.
D er D elors-B ericht hat hierbei eindeutig festgestellt, daß die Beseitigung der
innergem einschaftlichen Handelsschranken auch einen Schritt zu einem liberale-
ren Welthandelssystem bilden sollte4. Ausländischen Lieferanten sollte der freie
Zugang zum G em einschaftsm arkt und um gekehrt den E xporteuren der Gem ein-
schaft der freie Zugang zu den ausländischen M ärkten garantiert werden, um das
erwartete w eltw eite W irtschaftswachstum spotential entsprechend zu stim ulieren.
D ie institu tion elle n Regelungen, die es der Gem einschaft gestatten w ürden, die
aus ihrem größeren G ew icht in der W eltw irtschaft erwachsende V erantw ortung
wahrzunehmen, sind teilweise schon vorhanden oder würden im Zuge der
E rrichtung einer W irtschafts- und W ährungsunion geschaffen. In der Außenhan-
d e lspo litik und bis zu einem gewissen Grade auch in der Zusam m enarbeit m it den
E ntw icklungsländern, liegt die Zuständigkeit bereits bei der G em einschaft. Dies
bedeutet, daß auch A lbanien sich bereits heute vö llig darauf einstellen muß, daß
der Z u tritt zum B innenm arkt 1992 bald ausschließlich über Brüssel und nicht mehr
über die einzelnen M itgliedsländer erfolgen kann. W elche ökonom ischen W irku n -
gen des Binnenm arktes müssen in diesem Zusammenhang neben den rein
handelspolitischen in Betracht gezogen w erden?1"
G rundsätzlich sollte man erkennen, daß bisher je d e r F o rtsch ritt in der westeuro-
päischen Integration auch W achstumsimpulse fü r die übrigen H andelspartner m it
sich gebracht h a t11. D e r C ecchini-R eport hatte von einem eindeutigen Im portsog
der europäischen Integrationszone gesprochen. Durchaus positiv sollte auch
bewertet werden, daß die V ie lfa lt der unterschiedlichen nationalen N orm en, die
sich auf unterschiedliche Sicherheits-, Gesundheits-, U m w elt- und Verbraucher-
schutzbestimmungen beziehen, eine überaus diversifizierte Anpassung erforder-
ten, die auch D rittlä n d e r-L ie fe ra n te n erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. So

9 K lo te n . N .: D e r .,D e lo rs-B e rich t“ . in: E u ro p a -A rc h iv . (19X9). S. 251-260; D e r ..D e lo rs -B e ric h t", in:
E u ro p a -A rc h iv . (1989). S. D 2 8 3 -D 3 0 4 .
10 F renke l. M .: Integrationsproblem e und ökonom ische W irku ng en de r europäischen B in n e n m a rk tlib e ra li-
sierung, in: E u ro p a -A rc h iv . (1989), S. 21 4 -2 5 (); H a rtle y , A .: Nach 1992: V ie le M ö g lich ke ite n , in:
Europäische Rundschau. (1989), S. 75-87.
‫״‬ Haussmann. H .: D ie außenw irtschaftlichen Perspektiven des E G -ß in n e n m a rkte s. in : W est-Ost Journal.
(1989)3/4. S. 3-4.

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Deutsch-albanische Wirtschaftsbeziehungen und E G 127

mußte beispielsweise an A u to s und Fernsehgeräten eine Unmenge an Verände-


rungen vorgenom m en werden, dam it sie all diesen unterschiedlichen nationalen
Norm en entsprechen. Jahrelang w ar die Europäische Gem einschaft bem üht, diese
Schranken durch H arm onisierung zu überw inden, d. h. durch die Anpassung der
nationalen Bestimm ungen an eine allgem eingültige Gem einschaftsnorm . M ehrere
U rte ile des Europäischen G erichtshofs haben einen T e il der Harm onisierungsbe-
mühungen erleichtert. D e r Neuansatz zur technischen H arm onisierung in der
Europäischen Gem einschaft geht davon aus, daß nur noch jene nationalen
Rechtsvorschriften, die wesentliche Forderungen fü r den Schutz der menschlichen
Gesundheit und Sicherheit betreffen, der Harmonisierungsgesetzgebung der
Gemeinschaft unterliegen sollen. A lle anderen nationalen Rechtsvorschriften
werden in der gem einschaftlichen Gesetzgebung nicht länger berücksichtigt und
fallen dam it automatisch unter die gegenseitige A nerkennung zwischen den
M itgliedstaaten. Dies bedeutet unter anderem auch fü r N ich t-E G -E xp o rte u re ,
daß sie sich in Z u k u n ft das E G -Land aussuchen können, dessen technische
V orschriften, Zulassungsbestimmungen, Prüf- und Zertifizierungsverfahren
ihnen am günstigsten erscheinen, und sie dann in alle Länder der EG ohne
Erneuerung dieser Form alitäten liefern können. Soweit eigene E G -N orm en
geschaffen werden, haben sie im P rinzip denselben kostensparenden E ffe k t. Es ist
allerdings durchaus m öglich, daß harm onisierte Standards und Industrienorm en
eine Höhe erreichen, die D ritta n b ie te r nicht einhalten können. W er also in den
90er Jahren in die EG exportieren w ill, tr ifft dort auf einen dynamischen und
einheitlichen A bsatzm arkt. D ie W aren werden überall in der Gemeinschaft frei
zirkulieren können. Dasselbe g ilt im G runde auch fü r Investitionsvorhaben: W er
in der EG investieren w ill, kann an je d e r Stelle m it W irku n g fü r die gesamte
Gemeinschaft investieren. Zahlreiche Rechtsvorschriften der M itgliedsländer
sollen hierbei harm onisiert werden, wobei insbesondere an das Gesellschafts-
recht, die Rechnungslegung, Unternehmenszusammenschlüsse und einen
Gemeinschaftsrahmen fü r das W arenzeichen-, Patent- und U rheberrecht gedacht
is t'2.
Andererseits muß man sich jedoch auch darüber im klaren sein, daß ein Europa
ohne Schranken au f den nationalen M ärkten zu einer deutlichen Zunahm e des
W ettbewerbs führen w ird . D e r Preiskam pf w ird m it Sicherheit härter, was im
C ecchini-Bericht dazu fü h rt, daß m it einer Senkung der Verbraucherpreise um 6%
gerechnet w ird 15. W eniger gut fü r den härteren W ettbew erb gerüstete U nterneh-
men werden es schwer haben, ihren M a rkta n te il zu behaupten, und nicht wenige
werden aus dem M a rk t ausscheiden, eine W irku n g , die durchaus auch m akroöko-
nomisch auf Volksw irtschaften übertragbar ist. Einzelne M itgliedsländer und auch
D rittlä n d e r werden sich stärker als bisher auf jene Produkte spezialisieren und auf
jene M ärkte konzentrieren müssen, fü r die sie besondere V o rte ile besitzen.
G leichzeitig ist m it einer Zunahm e der verschiedenen Form en der Unternehm ens-
kooperation zu rechnen.

12 Frenkel (A n m . 10).
‫ינ‬ F.hcnda.

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128 F.-L. Altm ann

Ebenfalls sollte man das Problem nicht übersehen, daß manche E G -P artner ihre
bisherigen nationalen Im portbeschränkungen durch Gemeinschaftsbeschränkun-
gen ersetzt haben w ollen werden. Gegenüber den D rittlä n d e rn entsteht schließlich
auch die G efahr der ‫ ״‬Pyramide der P rivilegien“ , wie sie bereits in bestehenden
Handelsverträgen der Gemeinschaft zu erkennen ist. Ihre derzeitige Form sieht
die E F T A -L ä n d e r, die im übrigen 1987 ein GemeinschaftsVertretungsbüro in
Brüssel etabliert haben, an der Spitze der P rivilegienpyram ide. A n zw eiter Stelle
folgen die sogenannten A K P -S taaten, darunter fallen die M ittelm eeranrainer,
dann die übrigen E ntw icklungsländer, die außereuropäischen Industriestaaten
und schließlich an letzter Stelle die R G W -L ä n d e r zu finden.
D ie V ollendung des europäischen B innenm arkts m it den zahlreichen V o rte ile n
fü r die 320 M illio n e n B ürger der Europäischen Gemeinschaft w ird sowohl
Wachstumsimpulse als auch N egativeffekte nach außen senden. Aus ökonom i-
scher Sicht sind letztere allgem ein sicher geringer einzuschätzen als die aufgezeig-
ten positiven A usw irkungen, doch ist dies im Ergebnis fü r das einzelne D rittla n d
auch sehr vom jew eiligen Verhandlungsstand m it der E G abhängig. D e r Integra-
tionsprozeß in E uropa, die H erstellung des gemeinsamen Binnenm arktes bis 1992,
sind eine R ealität, die akzeptiert werden muß, wenn A lbanien nicht auf dem toten
Gleis von Isolation und R ückständigkeit bleiben möchte. D er R G W hat die
In stitutio na lisie run g des politischen Dialogs m it der Europäischen Gemeinschaft
m it der Gemeinsamen E rklä ru n g vom Juni 1988 bereits begonnen1‫'־‬. Man hat in
M oskau sehr w ohl erkannt, daß fü r den künftigen eigenen W ohlstand die
A ngleichung von Industrienorm en, der Austausch statistischer Daten und
gemeinsame A bstim m ungen über U m weltschutzvorhaben - um nur einige wenige
Punkte zu nennen - unausweichlich sind. T rotzdem ist man sich auch in den R G W -
M itgliedsländern gleichzeitig darüber im klaren, daß der überwiegende T e il des
Anpassungsprozesses bilateral erfolgen muß. Ä hn lich e Einsichten sind bei den
Ländern des A S E A N -V e rba nd es, den m ittelam erikanischen Ländern und auch
der V R China zu erkennen. A lbanien sollte in seine handelspolitischen Strategie-
Überlegungen Europa 1992 sehr bewußt einbeziehen.

14 I n o ta i, A .: E G . E F T A und C O M E C O N , in: Europäische Rundschau. (1989). S. 35-47.

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129

Die Wege der Herausbildung der albanischen Literatursprache

M iço Samara, Tirana

D ie H erausbildung der albanischen nationalen Schriftsprache zählt zu den größten


Siegen, die nach der B efreiung auf dem G ebiet der K u ltu r errungen wurden.
D ie Geschichte der H erausbildung einer gemeinsamen Schriftsprache unserer
N atio n hat im V e rla u f von 5 Jahrhunderten einen weiten Weg zurückgelegt. D ie
Untersuchung dieses Weges hat schon lange die A ufm erksa m keit albanischer und
ausländischer Sprachwissenschaftler, darunter auch die der deutschen A lb a n o lo -
gen, auf sich gelenkt.
D ie ob jektive Sprachwissenschaft hat inzwischen die A nsicht vertreten , daß die
Fundamente der Schriftsprache in der Epoche der albanischen N ationalen W ie-
dergeburt gelegt w urden; dieses ist die erste Stufe ih re r H erausbildung. Sie beginnt
in der zweiten H älfte des 19. Jahrhunderts und endet im Jahr 1912. In dieser
Zeitspanne wurden auch die Ausrichtungen fü r die weitere E n tw icklun g der
albanischen Schriftsprache festgelegt. V o r dieser Etappe gab es statt einer
Schriftsprache einige parallele V aria nte n, denen eine M undart oder eine G ruppe
von M undarten zugrunde lag.
A ls nach der Periode der N ationalen W iedergeburt die U nabhängigkeit A lb a -
niens p ro kla m ie rt wurde (1912), wuchs das Interesse an der Schriftsprache. D am it
beginnt die zweite Stufe ih re r Form ierung. In dieser Z e it w ar die Frage der
nationalen Schriftsprache gleichbedeutend m it einer praktischen N otw endigkeit
des jungen albanischen Staates, denn er brauchte sie, um seine Aufgaben
wahrzunehmen. In dieser Etappe der U nabhängigkeit (1912-1939) wurden die
während der W iedergeburt gelegten G rundlagen zur B ildung einer gemeinsamen
albanischen Schriftsprache w eiter konsolidiert.
Eine positive Rolle spielten im Prozeß der H erausbildung der albanischen
Schriftsprache während dieser beiden Epochen die gezielten Bemühungen der
progressivsten K rä fte der albanischen Gesellschaft sowie Studien und A nsichten,
die z. B. Sami Frashëri, Jeronim de Rada, L u ig j G u ra ku q i und Aleksander
X huvani - um nur einige zu nennen - , zu diesem Problem geäußert haben. Sie alle
haben in ihren Schriften, manchmal sogar in Form von Polem iken, das Problem
von der praktischen Seite aus beleuchtet und untersucht. Es gab damals allerdings
auch viele A lbanologen und Sprachwissenschaftler, die fälschlicherweise versuch-
ten, den Entw icklungsprozeß zu einer gemeinsamen albanischen Schriftsprache in
die Schemata anderer Sprachen zu zwängen.
Im Zusammenhang m it den A nsichten, die in der Vergangenheit über diese
Frage bestanden haben, schrieb A n d ro k li K osta llari: ‫ ״‬Bei uns wurden neben den
objektiven und historisch gerechtfertigten Ansichten über dieses Problem zweier-
le i, diam etral entgegengesetzte Ansichten geäußert“ 1. Z u r ersten A rt bzw. Gruppe
gehören einige skeptisch klingende A nsichten, die nicht un m itte lba r, sondern nur

K o sta lla ri, A .: G juha e sotme le trare shqipe dhe disa problèm e të d re jls h k rim it te saj. T iran a 1973. S. 14.

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130 M. Samura

in d ire k t die M ö g lich ke it der Form ierung einer gemeinsamen albanischen Schrift-
spräche leugnen; zur zweiten Gruppe gehören die A nsichten, die die M öglichkeit
der H erausbildung in einer sehr kurzen Z e it, ja v o rfris tig , auf zwei Wegen
annehmen: a) durch die ‫ ״‬V ereinigung“ der D ialekte oder durch ihre ‫ ״‬V erm i-
schung“ (d a fü r traten Sami Frashëri und A sdreni ein) und b) durch das Anheben
eines D ialekts bzw. einer ‫ ״‬M u n d a rt“ auf das Niveau der gemeinsamen Schriftspra-
che. F ü r diesen zweiten Weg plädierte A leksander X hu van i, der bereits 1905
vorgeschlagen hatte, daß der albanischen Schriftsprache das Toskische (der
südalbanische D ia le k t) ‫״‬zugrunde“ 2 gelegt werden solle. A . X huvani dachte in
diesem Fall wahrscheinlich an die Form ierung der italienischen Schriftsprache auf
der G rundlage des D ialekts der Toskana. D ie ‫ ״‬Litera tur-K o m m ission von Shko-
dra“ (1916-1918) schlug das Südgegische (den D ia le kt von Elbasan)3vo r, de Rada
hingegen trat fü r das Arbëresh4 ein.
A lle Ansichten und M einungen, die über dieses Problem in der Vergangenheit
geäußert w urden, waren auch nach A nsicht von K o sta lla ri, ‫ ״‬A usdruck eines
mangelnden Verständnisses von einer historischen L in ie der E n tw icklun g unseres
V olkes und seiner Sprache, der A usdruck von Vorstellungen, wonach eine Lösung
des Problems einer gemeinsamen albanischen Schriftsprache in der Vergangenheit
zu suchen sei, und nicht in der Z u k u n ft, was manchmal m it unhistorischen
Vergleichen und Parallelen m it dem Ausland begründet w urde“ 5. Diese Stand-
punkte hatten eher subjektiven C harakter. Sie bauten nicht auf umfassenden und
profunden Studien auf. So eilte die Praxis der Theorie voraus. Dieses V erhältnis
zwischen Theorie und Praxis auf dem G ebiet der albanischen nationalen Schrift-
spräche verschob sich in der dritten Etappe nach der Befreiung des Landes (1944),
als alle objektiven und subjektiven Bedingungen fü r das Studium und für die
V e rvo llko m m n u n g ih re r S tru ktu r in allen Teilbereichen geschaffen wurden, ln
jener Z e it wurde auch eine ganze Reihe w ichtiger Studien von A n d ro k li Kostallari
ve rö ffe n tlich t. In ihnen erklärte er unter anderem auch das Problem des Weges,
auf dem sich die nationale Schriftsprache und ihre S tru ktu r- und Funktionsm erk-
male herausbildeten. W ie in diesen Studien begründet w ird , konnte sich das
Albanische bis zu dieser Etappe nicht als eine gemeinsame Schriftsprache
herausbilden. Es gab sie in zwei V arianten: in der südalbanischen V ariante (also in
der toskischen K oin e) und in der nordalbanischen V ariante (m it zwei Nebenva-
rianten - die südgegische V ariante und die nordwestgegische V aria nte ).
ln der d ritte n Etappe, der entscheidenden Etappe fü r die Form ierung der
albanischen nationalen Schriftsprache, spielten die sprachlichen und außersprach-
liehen Faktoren eine maßgebliche R olle. U n te r diesen Faktoren seien erwähnt:
1) die neuen M öglichkeiten, die durch das neue gesellschaftliche System fü r den
E rh a lt unserer Schriftsprache entstanden waren; die Beseitigung des A nalphabe­

2 s. X h u va n i. A .: V epra. Bd. I. T irana 1980, S. 3, 5.


3 s. Lajm et e Kom isisë L e tra rc shqipe ne S hkodër, 1918.
4 s. K o s ta lla ri. A .: M b i një pikëpam je të D e Radés per gjuhen letrare kom betare shqipe. in: Studim c
F ilo lo g jik e . 3 (1 9 8 1 ).
5 K o sta lla ri, A . (A n m . 1), S. 15.

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Herausbildung der Literatursprache 131

tentums und die schwungvolle E ntw icklun g von B ildung und K u ltu r in unserem
Land, dazu kam noch der E in flu ß von R adio und Fernsehen;
2) die qualitativen Veränderungen in der Bevölkerung: das W achstum des
A nte ils an gebildeten jungen Menschen und die Ausdehnung der W ohnsiedlungen
m it gemischter B evölkerung;
3) die zunehmende R olle der H auptstadt im gesamten Leben des Landes: D ie
Hauptstadt e rfü llte und e rfü llt auch heute noch die Aufgabe eines K o n tro lle u rs
und w ichtigen V e rm ittle rs der schriftsprachlichen N orm . Sie übt nachhaltig und
auf allen Ebenen ihren E in flu ß zur Standardisierung der gesprochenen Sprache
aller Städte des Landes aus;
4) die S prachpolitik unserer Partei und unseres sozialistischen Staates förderte
den Prozeß der H erausbildung einer gemeinsamen nationalen Schriftsprache und
unterstützte die Anstrengungen, dam it der sogenannte Prozeß und die bewußte
N orm alisierung möglichst vollkom m en m iteinander harm onierten.
W ir betrachten es als angebracht, hier zu erklären, was unter N orm alisierung zu
verstehen ist: Bewußte N o rm a lis ie ru n g -d a s sind hauptsächlich die außersprachli-
chen Faktoren (und überhaupt der gesamte Ü berbau in unserem Land nach der
B efreiung), die parallel g e w irkt haben, allerdings niemals gegen die innersprachli-
chen Gesetzmäßigkeiten, die die Eigenständigkeit des Überbaus und der E ntw ick-
lung der albanischen Schriftsprache darstellen. Anders ausgedrückt: D e r bewußt
subjektive und ordnende E in flu ß unserer Gesellschaft nach der B efreiung in
Bezug auf die H erausbildung der albanischen nationalen Schriftsprache (ein-
schließlich der R olle der heutigen albanischen Schriftsprache) v e rlie f stets im
E inklang m it der objektiven E ntw icklung.
Das bedeutendste Ergebnis der innersprachlichen E ntw icklun g des A lb a n i-
sehen unter dem E in flu ß der obengenannten Faktoren fü r die Schriftsprache war
der Rechtschreibungskongreß im Jahr 1972. A u f ihm wurde wissenschaftlich
nachgewiesen, daß ‫ ״‬das albanische V o lk inzwischen eine einheitliche Schriftspra-
che hat, deren nationale N orm sich bereits in allen ihren wichtigsten K ettenglie-
dem herauskristallisiert hat, nämlich in der phonetischen, gram m atikalischen,
w ortbildenden und lexikalischen S tru ktu r. In einigen einzelnen K ettengliedern
befindet sich diese H erauskristallisierung in ih re r Vollendungsphase“ 6.
D urch das Zusam m enw irken der beiden D ialekte entstand ein neues System
besonderen Typs, das keinem System der beiden früheren V arianten der S chrift-
spräche entspricht und auch nicht eine mechanische Fusion dieser V arianten ist.
W ie K ostallari schlußfolgerte, sind die gemeinsamen Elemente der beiden D ialekte
die Grundlage dieses neuen Systems. Diese gemeinsamen Elem ente machen die
M ehrheit aus. A ußerdem gibt es einige besondere Elem ente des einen wie des
anderen D ialekts, die au f verschiedene Weise Eingang gefunden haben7; sie
stellen allerdings nur einen geringen T e il dar, wie das Vorherrschen des Rhotazis-
mus, die Durchsetzung der O ralvokale und die Verdrängung der Nasalvokale

Aus de r R esolution des Rechtschreibungskongresses de r albanischen Sprache, in: D re jts h k rim i i gjuhes
shqipe. T iran a 1975, S. 15.
s. K o s ta lla ri. A .: M b i disa veçori s lru k tu ro re e funksionale le gjuhës letrare shqipe tö kohës sone. in:
Studime F ilo lo g jik e . 2 (1970). S. 3 0 f.

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132 M. Samara

(also bëj und báj, ulliri und nicht ullini). So brachte die wechselseitige W irkung der
D ia le kte eine gewisse D om inanz der kennzeichnenden M erkm ale des Toskischen,
also der südalbanischen V arianten, in die phonetische S tru ktu r der gemeinsamen
Schriftsprache ein.
Für das m undartliche System und die m undartliche Basis des heutigen A lb a n i-
sehen ist die Tatsache charakteristisch, daß viele dieser Elemente das Ergebnis von
K om binationen sind, das heißt: Neben den Elementen des einen D ialekts oder der
einen V ariante der Schriftsprache gibt es gleichbedeutend auch die entsprechen-
den Elemente des anderen D ialekts bzw. der anderen Variante. Zum Beispiel: a)
neben dem Rhotazismus des Toskischen (rëra, syri) gibt es auch den Nichtrhotazis-
mus (ranishte, tokë ranore, synoj); b) neben der Vokalgruppe ua (kam lexuar) des
Toskischen gibt es auch die entsprechende Vokalgruppe ue (i lexueshëm) aus dem
Gegischen. D urch dieses Ineinandergreifen von Rhotazismus und Nichtrhotazis-
mus oder der V okalgruppen ua und ue ist der W ert der Unterschiede zwischen den
D ialekten zusammengeschrumpft. D urch die phonetischen M erkm ale der heuti-
gen Schriftsprache hat sich ebenfalls die Tendenz verstärkt, die grammatikalische
S tru k tu r nicht durch die sie überlagernde phonetische S tru ktur im D unkeln zu
lassen, sondern sie ebenfalls so klar wie möglich darzustellen, um dam it auch den
semantischen W ert des W ortes hervorzuheben. Folglich erlebte das gegische
S uffix -(ë)ni (in W orten wie brezni, trysni) eine W iederbelebung, genau wie das
neue w ortbildende Suffix -ues, das w eiter nichts anderes als eine E rw eiterung des
gemeinsamen Suffixes (-(e)s ist, was der B ildung von nomina agentis (T yp lexues)
die nt, m it dem das entsprechende W ortbildungssuffix des Toskischen -onjës (T yp
lexonjës) verdrängt wurde. Außerdem gibt es in der gemeinsamen Schriftsprache
auch eine nicht geringe Z ahl von Elementen, die sich zum T eil (also nicht absolut!)
in beiden D ialekten oder den beiden ehemaligen Schriftsprachenvarianten dek-
ken. So stimmen zum Beispiel bei der unbestimmten Form des N om inativs und des
A kkusativs der W ö rte r elb, brez, breg (m it stim m haftem auslautendem Konso-
nant) die phonetischen Elem ente nicht überein (da sie in einigen M undarten m it
stimmlosem Konsonant ausgesprochen werden); in der bestimmten Form (elbi,
brezi, bregu) stimmen sie aber überein (denn sie werden überall m it stim m haftem
Konsonant ausgesprochen). Dies ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß die U nter-
schiede zwischen den beiden ehemaligen Varianten der Schriftsprache abnehmen.
D ie oben angeführten Beispiele beweisen auch, daß keine Schwierigkeiten oder
Hindernisse fü r ein gegenseitiges Verstehen zwischen den jew eiligen Trägern der
beiden D ia le kte bestehen. Bekanntlich zog H olger Pedersen daraus bereits im
Jahr 1917 die richtige Schlußfolgerung, daß ‫ ״‬der Unterschied zwischen den beiden
D ialekten des Albanischen vom praktischen Standpunkt aus nicht von Bedeutung
ist“ «.
A u f diese Weise p e rfe ktio n ie rt und bereichert sich das System der heutigen
albanischen Schriftsprache in jeder H insicht, besonders was den W ortschatz
angeht, im m er mehr durch eine wechselseitige E inw irku ng der D ialekte. ‫ ״‬Ein-
zelne und variable E lem ente“ , schreibt K ostallari, ‫ ״‬werden zu allgemeinen,

‫א‬ Pedersen, H .: G juha shqipe. in: Y1I' i M engjezit. 2 (1 9 1 7 )‫ א‬, S. 255 (z itie rt nach A . K o sta lla ri. S. 32).

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Herausbildung der Literatursprache 133

gemeinsamen und beständigen Elem enten“ 9, das nominale und das verbale System
(die Verbalklasse m it -oj w ird vorherrschend) vereinfachen sich, und es entstehen
neue Beziehungen zwischen den w ortbildenden Typen.
W ir w ollen hier nicht alles wiederholen, was bereits im Zusammenhang m it der
Entwicklungstendenz und der weiteren V ervollkom m nung des heutigen Systems
des A lbanischen1‫ ״‬gesagt worden ist, w ir w ollen nur darauf hinweisen, daß diese
E n tw icklu n g unserer Schriftsprache zum Fortschritt fü h rt. Parallel zum System
der Schriftsprache und in Gegenüberstellung zu ih re r N orm kristallisierte sich
auch das stilistische System des heutigen Albanischen heraus.
A us dieser kurz zusammengefaßten Schilderung des Werdegangs der albani-
sehen Schriftsprache und aus einer Analyse ihres Systems im V erhältnis zu den
m undartlichen Elementen ergibt sich, daß sich die heutige Schriftsprache nicht
etwa au f der Basis eines einzigen D ialekts herausgebildet hat, sondern auf einer
breiteren Basis, auf einer gewissermaßen überm undartlichen Basis. Dies w ider-
legt auch die A nsicht von J. B yron, die das Problem so behandelt, als hätten die
Schriftsprachenvarianten von N ord- und Südalbanien v o r 1944 keine V erbindung
zueinander gehabt und nach 1944 wäre dann das Toskische zur ‫ ״‬Standard“ -
spräche erhoben w orden11. In W irk lic h k e it gab es schon vo r der B efreiung eine
wechselseitige W irkung der albanischen Schriftsprachenvarianten. Gerade auf
dem Weg dieser wechselseitigen Beeinflussung entstanden zunächst - wie sich
K ostallari ausdrückt12 - zwei ‫ ״‬M ik ro k o in e “ oder zwei V arianten der Schriftspra-
che, die das Toskische bzw. das Gegische zur Grundlage hatten. Danach bildete
sich die gemeinsame albanische Schriftsprache als eine ‫ ״‬M a k ro k o in e “ oder als
eine ‫ ״‬Koinè sui generis“ heraus, die auch auf die anderen sprachlichen Bereiche
w irk te , die nicht zur Schriftsprache gehörten.
Daß diese Lösung des Problems der Herausbildung der Schriftsprache theore-
tisch und praktisch richtig war, hat die Z e it bestätigt. Jetzt, 45 Jahre nach der
Befreiung und 17 Jahre nach dem Rechtschreibungskongreß, ist sie die Hochspra-
che geworden, m it großer Lebenskraft und hohem Ansehen. In ih r hat sich eine
einheitliche N orm herauskristallisiert, die in mehreren fundam entalen W erken
verankert wurde, wie in der ‫ ״‬Rechtschreibung der albanischen Sprache“ (1973),
dem ‫ ״‬Rechtschreibungswörterbuch der albanischen Sprache“ ( 1976), der ‫ ״‬Phone-
tik und G ram m atik der heutigen albanischen Schriftsprache” (1976), dem ‫ ״‬W ör-
terbuch der heutigen albanischen Schriftsprache“ (1980) und dem ‫ ״‬W örterbuch
des heutigen A lbanisch“ (1984). Diese Sprache wurde dem okratisiert und in te lle k-
tualisiert und ist vollkom m en polyvalent. Ihre gesellschaftlichen Funktionen
wurden in die Breite und Tiefe ausgebaut. Im heutigen Albanisch sind ihre
hauptsächlichen Stile funktionsgemäß m arkiert. Neben der geschriebenen Form
der Schriftsprache steht ihre gesprochene Form . Dazu gehören die öffentlichen

4 K osta llari, A .: G juha letrare kom betare shqipe dhe epoka jone. T ira n a 1984, S. 24.
‫)״‬ K o stalla ri, A .: M b i disa drejtim e të sistemit e të strukturēs se gjuhës letrare shqipe, in: S tudim c F ilo lo g jik e .
(1982)2.
11 s. B yron , J.: Selection among A lternates in Language Standardization: The Case o f A lb a n ia n . M o u to n /
Hague-Paris 1976.
12 K o sta lla ri, A . (A n m . 9), S. 22.

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134 M. Samara

V orträge und die einfachen Gespräche m it m undartlichen Nuancen. Dies bedeu-


te t, daß die D ia le kte und M undarten des Albanischen eine relative Beständigkeit
haben und w eiterhin fo rtle b e n , die nationale Schriftsprache aber einen starken
D ru ck auf sie ausübt.
Einen Beweis fü r den Ausbau ih re r gesellschaftlichen F unktionen in horizonta-
••

1er R ichtung lie fe rt auch die rasche Übernahm e der N orm en von den in Jugosla-
wien lebenden A lba ne rn. D ie A nnahm e der vereinheitlichten albanischen
Schriftsprache in Kosova und in anderen von A lb a n e rn bewohnten Gebieten
Jugoslawiens w ird als eine Errungenschaft angesehen, die in der heutigen Z e it
kein Gegenstück in Europa hat. Daß die vereinheitlichte albanische nationale
Schriftsprache so um fangreich und so schnell in Kosova übernom m en wurde, ist
auch ein Zeichen dafür, daß diese Sprache eine solide wissenschaftliche Grundlage
hat. K ostallari schreibt: ‫ ״‬Diese Erscheinung stellt nicht nur eine ,räum lich‘
quantitative Ausdehnung der vereinheitlichten albanischen Schriftsprache dar. Es
handelt sich dabei vielm ehr um ein neues qualitatives W achstum von großem
gesellschaftlichem W e rt“ 13. E in Beweis dieses neuen qualitativen Wachstums sind
auch die fortw ährenden Anstrengungen der W issenschaftler und B earbeiter der
heutigen albanischen Sprache in jenen Bereichen und der B eitrag, den sie nach wie
vo r dazu leisten.
Im m er größere Anstrengungen fü r das Studium und die Pflege der vereinheit-
lichten albanischen M uttersprache machen auch die Arbereschen in Ita lie n , die
darin nicht nur einen Weg zur Selbsterhaltung ih re r Sprache sehen, sondern auch
ein notwendiges M itte l zur eigenen ku ltu re lle n E ntw icklun g. V iele S chriftsteller
der Arbereschen, vor allem D ich te r, haben ganze Bände in der vereinheitlichten
albanischen nationalen Schriftsprache ve rö ffe n tlich t.
Abschließend sei noch gesagt, daß w ir heute in der Epoche der vereinheitlichten
albanischen Schriftsprache leben, die allen Angehörigen unserer N atio n gemein-
sam ist. Diese Sprache hat inzwischen die M erkm ale einer fortgeschrittenen
Schriftsprache unserer Z e it erlangt, in der die vielseitigen W erte der heutigen
nationalen und internationalen K u ltu r ausgedrückt werden können. Ih r steht der
Weg zur weiteren E ntw icklun g au f allen gesellschaftlichen Gebieten offen.

13 K o s ta lla ri, A . (A n m . 9 ), S. 12.

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D ie Frau im Unglück

Skizzen zu den Anfängen der albanischen Prosaliteratur


(Sami Frashëri und Pashko Vasa)

A rm in H etzer, Bremen

1. E in le itu n g — II. Sami Frashëris ‫ ״‬Liebe zwischen Talat und F in e t“ : 1. Eine


traurige Fabel — 2. Frauen sind auch Menschen und sollten in te lle k tu e ll gefördert
werden — I I I . Wassa E ffendis ‫ ״‬Bardha von T em al“ : 1. Besser als die Erzählprosa
von Ndoc N ik a j und M ih a l G ram eno —2. D ie Suche nach dem persönlichen G lück
hat etwas Anrüchiges — IV . Rezeption der französischen R om antik: 1. D ie
bem itleidensw erte Frau als Rom anheldin — 2. D ie kämpferische Seite der
literarischen R om antik — V . Schlußfolgerungen

1. Einleitung

1.1 In den Geisteswissenschaften ist es üblich, einer A bhandlung eine Übersicht


über den Stand der Forschung voranzuschicken. D a m it soll der Stellenw ert der
Untersuchung im Rahmen des Forschungsprozesses herausgearbeitet werden. Es
kann dam it auch das A ufzeigen von D efiziten einhergehen, ohne daß dies einer
Schelte fü r die Fachkollegen gleichkäme. Festzustellen, daß die A lbanologie im
Westen an einer Vernachlässigung literaturw issenschaftlicher Fragestellungen
leide, stellt eine T riv ia litä t dar: die A lbanologie d e fin ie rt sich näm lich bei uns als
Anhängsel der Indogerm anistik, und darin kom m t die L ite ra tu r bekanntlich als
Thema gar nicht vor. W er dennoch etwas über albanische L ite ra tu r verlauten läßt,
tut dies sozusagen als A m a te u r oder Freizeitalbanologe. M an d a rf daher auch
nicht dieselben Maßstäbe anlegen oder Erw artungen hegen, wie wenn ein
Germanist oder A ng list etwas über die betreffenden L ite ra tu re n äußert.
Albanische Literaturgeschichten sind fü r ein breites P ublikum geschrieben,
dienen vielfach der A u fa rb e itu n g der nationalen Kulturgeschichte und erwähnen
spärlich die Beziehungen zu anderen L ite ra ture n. Im Westen erschienene Darstel-
lungen hingegen sind in der Regel summarisch, enthalten nicht viel m ehr als
Lexikonm aterial, das chronologisch aneinandergereiht ist. Insofern ist es dann
nicht abwegig gewesen, daß R obert Elsie tatsächlich ein Le xikon der albanischen
L ite ra tu r1 hergestellt hat, in dem unter den Namen der A u to re n die L ite ra tu r
knapp re ferie rt w ird ; bibliographische Hinweise schließen sich an. Dies ist ein
erfreulicher erster S chritt, um in einer ‫ ״‬lesbaren“ Sprache die Schatzkammer der
albanischen L ite ra tu r aufzuschließen. Das Nachschlagewerk enthält aber keine
Stichwörter zu Stilrichtungen oder Epochen, Them en, M o tiven und V erfahren.

1 Robert Elsie: D ic tio n a ry o f A lb a n ia n lite ra tu re . New Y o rk u.a. 1986. — W er A lbanisch zu lesen verm ag,
w ird nahezu alles, was bei Elsie sie ht, im Albanischen Enzyklopädischen W örte rb u ch fin d e n , das 1985
erschien. F ja lo r e n ciklo p e d ik shqiptar. T ira n e 1985.

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136 A . Hetzer

D arin unterscheidet es sich von L ite ra ture nzyklo pä dien , wie sie fü r die meisten
L ite ra ture n Osteuropas vorliegen. Es gibt tatsächlich wenig einschlägiges Schrift-
tum , das man hätte zusammenfassen können. A ls großartige Ausnahm e sei die
bisher in zwei Bänden ausgelieferte ‫ ״‬Geschichte der albanischen L ite ra tu r“ 2 von
Rexhep Qosja genannt, die allerdings nur das um faßt, was der A u to r als
‫ ״‬R o m a n tik“ bezeichnet.
1.2 W enn w ir diese A rb e it m it ‫ ״‬D ie Frau im U n g lü ck“ 3 überschrieben haben,
dann soll dam it angedeutet werden, daß nicht allgemein von A u to re n die Rede
sein soll, sondern von einem bestim m ten Them a. Soweit unsere K enntnis der
albanischen Literaturgeschichte reicht, handelt es sich um den inhaltlichen
Schwerpunkt bei denjenigen beiden W erken, die am A n fa n g der R om anschrift-
stellerei der A lb a n e r stehen. A b e r es handelt sich um Bücher, die im O rig in a l nicht
auf A lbanisch erschienen sind; erst in den letzten Jahren wurden moderne
фф

albanische Übersetzungen angefertigt. W ir gewinnen dam it einen ersten verallge-


m einerbaren G esichtspunkt: D ie albanische Literaturgeschichte handelt von der
L ite ra tu r der A lb a n e r, aber nicht unbedingt von Schriften in albanischer Sprache.
• »

Ä hnliche Verhältnisse haben w ir auch in M itte le u ro p a , wenn w ir an unser


lateinisches M itte la lte r* denken. Eine N a tio n a llite ra tu r kann nicht über Nacht
geschaffen werden, sondern setzt einen langsamen Prozeß voraus, in dessen
V e rla u f die M uttersprache erst fü r alle A rte n des Schrifttum s biegsam gemacht
werden muß. Im allgemeinen steht die gebundene Sprache am A n fa n g der
L ite ra tu r, und die Prosa ist ein Erzeugnis späterer Entw icklungsstufen.
So ve rh ie lt es sich auch bei den A lb a n e rn , und wenn w ir von religiösen
••

Übersetzungen5 absehen, dann gehören die ersten L ite ra tu rw e rk e der A lba ne r


auch der lyrischen G attung an. Das 19. Jahrhundert brachte allerdings schon eine
Reihe von epischen D ichtungen hervor, unter denen ein um 1820 geschaffenes

2 Rexhep Q osja: H is to ria e letërsisë shqipe. R om antizm i. I .-II. [G eschichte d e r alb. L ite ra tu r. Die
R o m a n tik. Im folgenden w ird Bd. 2 z itie rt: Q osja: H is to ria ] P rishtinć 1984. Z u ßardha de Tem al da rin Bd.
2 ., S. 3 2 6 -3 4 8 .
л D e r T ite l n im m t den letzten Satz in Sami Frasheris Rom an über T alat und F itne t auf: ,.[...) hem de bu
k ita b in ism i »M usibet-nam e« degil k i ...“ — Dieses Buch könnte man auch .M usibet-näm e* (Buch vom
U n g lü ck] nennen. S. 105 der tü rk . Ausgabe von 1979. vgl. A n m . 9. D ie unterschiedlichen Lesarten Fitnat
vs. F itn e t erklä re n sich daraus, daß die T ü rk e n heute in der Um gebung von arab. emphatischen
Konsonanten hintere V o ka le setzen. A n sich würde man sogar Fitnat e rw a rte n , und in dieser Form ist der
Rom an auch bibliographisch nachgewiesen: Seyfettin Özege: Eski h a rfle rle basilm iç türkçe eserler katalogu
I K atalog de r in arab. S ch rift gedruckten tü rk . B ücher]. Bd. 4. Istanbul 1977. S. 1676. A tilla O z k m m li: T ü rk
edebiyati ansiklopedisi [E nzyklop ä d ie de r türkischen L ite ra tu r]. Bd. 4. Istanbul 3. A u fl. 1984. S. 1072 f. In
seinem ,Türkisch-französischen W ö rte rb u c h ' (1885) um schreibt Sami selbst das W o rt la utlich m it fytnet
[fitn e t] .Scharfsinn* (S. 777). um cs von fitn e .V erfü hrung* (S. 763) abzusetzen.
4 Ich wähle den B e g riff absichtlich an A n leh nun g an Ernst R obert C u rtiu s: Europäische L ite ra tu r und
Lateinisches M itte la lte r. Bern-M ünchen 1948. D ie Z e it des Vorherrschens e in e r Fremdsprache — in
W ahrheit handelte es sich um die Kultsprache de r K irche — o ffe n b a rt eine k u ltu re lle E in h e it, von de r alle
V ö lk e r, die daran te ilh a tte n , bis heute p ro fitie re n . W'enn w ir diese E rke n n tn is a u f die Z e it der
Frem dsprachigkeit in der albanischen L ite ra tu r übenragen, dann ist die V e rte u fe lu n g alles O rientalischen
im Namen des Nationalgedankens ebenso tö ric h t wie abwegig.
5 Bereits 1685 erschien in Padua die theologische A b h a n d lu n g .,Cuneus p ro p h e ta ru m ” von Pjeter Bogdáni,
die seither als frü h e r Beleg fü r die M ö g lich ke ite n der albanischen Sprache zu abstrakter B e g riffsb ild u n g g ilt.
W e il es sich um ein katholisches Buch ha ndelt, die A lb a n e r im Laufe de r folgenden zwei Jahrhunderte aber
zu rund 70% den Islam annahm en, blieb dieser Strang ih re r schriftlich en Ü b e rlie fe ru n g erst einm al eine
Sackgasse. Cuneus P rophetarum a P ietro Bogdano. Patavii M D C L X X X V . N achdruck M ünchen 1977
(B eiträ ge zur K enntnis Südosteuropas und des Nahen O rie n ts . 24).

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Die Frau im Unglück 137

G edicht das Schicksal einer Frau behandelt: die ‫ ״‬E rveheja“ 6. Es ist im höchsten
G rade bem erkenswert, daß dieses kleine W erk hundertprozentig in der orientali-
sehen T ra d itio n steht, d. h. nicht nur der S to ff wurde der persisch-türkischen
Samm lung ‫״‬Tausendundein Tag“ (H ezär yek rüz) bzw. dem ‫ ״‬Papageienbuch“
(T ū tī-n ā m e ) entnom m en, sondern auch der gedankliche G ehalt läßt in der
O riginalfassung (um 1820) keinerlei europäischen E in flu ß erkennen. Erst die zwei
G enerationen später (1888) von Jani V re to vorgenommene B earbeitung wurde
dem inzwischen vorherrschenden ‫ ״‬nationalen“ Geist ein wenig angepaßt. Wenn
w ir aber die beiden Fassungen nach der Stellung der Frau hin befragen, dann
ergibt sich das K uriosum , daß die in arabischer S chrift überlieferte Urfassung
(1820) wesentlich weniger ,patriarchalisch‘ ist als die M odernisierung von Jani
V re to ! Dies mag an der märchenhaften D arstellung und der K o n fliktlö su n g der
albanischen Urfassung liegen: Erveheja kom m t vorübergehend ins U nglück;
nachdem ihre Keuschheit und G ottesfurcht erwiesen ist, w ird sie reich belohnt,
indem sie — so beim A u to r M uham et K yçyku — einen T h ro n e rb t, und ih r Mann
d a rf als Prinzgemahl am G lück teilhaben. W ahrscheinlich w ar das zur Z e it der
O rie n tkrise in den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts kein Schluß m ehr, den
man einem nun aufgeklärteren P ublikum zum uten konnte.
W ir gehen im folgenden das Them a au f zwei Ebenen an: Erstens w ird analysiert,
wie die beiden A u to re n der R ilin d ja -Z e it die Frauenfrage aufgreifen, welche
Tendenz sie dam it verfolgen, und dam it werden auch die grundlegenden U nter-
schiede zwischen dem W erk von Sami und demjenigen von Wassa deutlich.
Zweitens w ird die Frage nach der E inordnung in den literarischen Prozeß gestellt,
denn L ite ra tu r verfügt über eigene Voraussetzungen, sowohl in bezug auf die
P roduktion als auch die Rezeption durch den Leser. W er eine Botschaft literarisch
verpacken w ill, muß nämlich Rücksicht nehmen auf die Lesegewohnheiten seines
Publikums.

//. Sami Frashëris ‫ ״‬Liebe zwischen Talat und Fitnet"


11.0 A ls Koryphäen aus der Z e it der N ationalen W iedergeburt gelten neben
einigen anderen der Bibelübersetzer K ris to fo rid h i, der S tatthalter des Sultans im
Libanon, Pashko Vasa aus Shkodra, und die beiden B rüd er Frashëri. N aim , geb.
1846, ging in die albanische L ite ra tu r als D ich te r ein, sein jüngerer B ruder Sami
(geb. 1850) hingegen verewigte sich als Publizist. Daß letzterer auch belletristische
W erke schuf, ist im allgemeinen nur denjenigen geläufig, die sich m it türkischen
Dingen beschäftigten, denn Sami schrieb seine nicht zahlreichen im engeren Sinne
literarischen A rb e ite n nicht in der M uttersprache. 1872 veröffe ntlich te er einen
schmalen Rom an, der den T ürken zeigen sollte, daß man in volkstüm licher Prosa
Erzählwerke verfassen konnte, die m odern und verständlich waren. D ie L ite ra tu r-
geschichten bezeichnen ihn als ‫ ״‬ersten“ türkischen Roman (im europäischen

6 V g l. A rm in M etzer: D ie ‫ ״‬Erveheja*‫ ״‬von M uham et K yçyku (Ç a m i). Eine U ntersuchung zu r albanischen


L ite ra tu r in arabischer S chrift und deren Bedeutung im Rahmen de r N ationalbew egung des 19. Jahrhun-
derts. Siidost-Forschungen. 43 (1984), S. 181—239: d e r*.: Untersuchungen zur albanischen A lja m ia d o -
L ite ra tu r am Beispiel einer H andschrift von M uham et K yçyku -Ç am i's ‫ ״‬Erveheja*‫״‬, Z e its c h rift fü r
Balkanologie. 20(19 85) l. S . 1 2 -4 0 .

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138 A . Hetzer

Sinne). Das ist keineswegs sicher, denn zumindest einer w ar frü h e r, nämlich der
Roman ‫ ״‬A g a p i“ ( 1851 )7, der dem A rm e n ie r Vartan Howsepyan zugeschrieben
w ird . G ewiß ist aber, daß v o r ihm kein A lb a n e r einen Rom an in Prosa schrieb, und
wie nun auch Samis Stellung innerhalb der türkischen Literaturgeschichte* zu
bewerten sein mag: fü r die albanische L ite ra tu r g ilt ohne Frage, daß Taassuk -1
Tal'at ve Fitnat* das erste W erk dieser literarischen G attung w a r1". U nd weil damals
diejenigen, die überhaupt des Lesens und Schreibens m ächtig waren, die Am ts-
spräche des Osmanischen Reiches e rle rn t hatten, muß dieser Roman bei den
albanischen Zeitgenossen Samis auch seine Leser gefunden haben11.

II. I Eine traurige Fabel


‫ ״‬D ie Liebe zwischen Talat und F itn e t“ ist ein schmales W erk. D ie 180 Seiten der
ersten Buchausgabe kom m en nur durch das K le in o kta vfo rm a t zustande. W ir
würden nach unserer T erm inologie besser von einer N ovelle als von einem Roman
sprechen. Entsprechend kurz kann auch der In ha lt referiert werden. Im Istanbuler
Stadtteil A ksaray lebt eine Frau namens Saliha, die M itte 50 alt ist, m it einem
neunzehnjährigen Jungen namens Talat und einer aus K a iro stammenden Haus-
haltshilfe, Ayçe. D er Fam ilienvater, R ifat Bey, ist vor rund 13 Jahren gestorben.
Talat e rfäh rt von einem Mädchen m it Namen F itnet, das durch seinen Stiefvater
Hacibaba in Lä leli im Haus eingeschlossen gehalten w ird . E r sucht die Bekannt-
schaft dieses Mädchens und bedient sich dabei der V e rm ittlu n g einer Lehrerin fü r
B rokatstickerei (nakis), die zu F itnet Zugang hat. Da er als Junge nicht eingelas-
sen werden kann, verkleidet sich Talat als Mädchen, nim m t den Namen Ragibe an
und w ird durch die betriebsame Lehrerin Çerife als Gesellschafterin bei Fitnet
eingeführt. Diese hat schon frü he r ein Auge auf T alat gew orfen, den sie zu
regelmäßigen Zeiten vo r ihrem Hause Vorbeigehen sah, wenn er ins K o n to r12 nach

7 V gl. A rm in H etzer: DaCkeren-Texte. Eine C hrestom athie aus A rm e n ie rd ru cke n des 19. Jahrhunderts in
türkischer Sprache. U n te r dem G esichtspunkt der fu n ktio n a le n Stile des Osmanischen ausgewählt und
bearbeitet. W iesbaden 1987 (T urcologica. 2), darin zu » A gapi« besonders S. 77 f. D e r Name der T ite lh e ld in
ist eigentlich das griech. W o rt .L ie b e ‘ .
‫ א‬O bw o hl Hasan Kaleshi die T ite l von zwei w eiteren Romanen a n fü h rt, die Sami angeblich noch geschrieben
habe, gehen w ir davon aus, daß es bei seinem E rstlingsw erk blieb. E r e n tfa lte te seine Begabung a u f dem
G ebiet des Sachbuchs, nicht de r B e lle tris tik . V gl. A . S. Levend: Çemscttin Sami. A n ka ra 1969. S. 64, A n m .
1 (T ü rk D il K u ru m u Y a y m la ri, 287).
9 M oderne E d itio n in La teinschrift - Çemsettin Sami: Тааздик-і ТаГаі ve F itnat (D ie Liebschaft von Talat
und F itn e t, im folgenden z itie rt: Taa$$ukJ. 2. A u fl., bearb. von Sedit Y üksel. A n k a ra 1979 (A n k a ra
Ü niversitesi D il ve T arih-C ografya Fakültesi y a yin la n , 287). Albanische Übersetzung — Sami Frashëri:
Vepra (W e rke ]. Bd. 6 (D ashuria e T a la tit me Fitneten. Übers. M ehdi Polisi und R uzhdi L a ta ; im folgenden
z itie rt: D ashuria). Prishtine 1984. D ie alb. Übersetzer hängen dem Frauennam en ein -e an, dam it e r als
Fem ininum d e k lin ie rt werden kann.
10 Françesk A n to n Santori (1 8 1 9 -1 8 9 4 ), ein Ita lo -A lb a n e r. soll auch Romane geschrieben haben. Die
L ite ra tu r de r Arbereschcn stand jedoch nu r in wenigen Fällen in K o n ta kt zur L ite ra tu r im M u tte rla n d , und
im Falle Santoris kom m t noch hinzu, daß das wenigste von dem . was e r schrieb, auch gedruckt werden
konnte. Bestenfalls heute, ein Jahrhundert später, w ird sein literarisches E rbe in A lb a n ie n rezipiert.
11 D ie Übersetzer de r alb. Ausgabe behaupten in ihrem V o rw o rt, daß der R om an, o b w o h l von einem A lb a n e r
geschrieben und auf T ü rkisch zweim al in !S te in s c h rift nachgedruckt. ..dem alb. Leser unbekannt**
geblieben sei. Das ist natürlich insofern unzutreffend, als im 19. Jh. die gebildeten A lb a n e r gar keiner
Übersetzung bedurft hätten. H eute aber be darf der R om an, wenn schon keiner Ü bersetzung ins
T ü rke itu rkisch e . so doch eines um fangreichen Anm erkungsapparats fü r T ü rk e n , w eil sie dem Text
sprachlich nicht m ehr gewachsen sind. Beispielsweise schreibt Sami fü r .,sie u n te rric h te t“ — talirn eder, was
man heute m it o ģ rc ttr ausdrücken w ürde! D e r türkischen Ausgabe ist eine N achbem erkung des Verfassers
(ih ta r) angefügt, in der dieser sich quasi fü r die umgangssprachliche Schreibweise entschuldigt (agzindan
çiktig in a göre yaztlm i^); dies b e trifft aber in erster L in ie die d ire kte Rede. V o r allem die K a p ite lü b e rsch rift
ten, und auch die A u to re n re d e strotzen vo r gelehrten Phrasen, die heute v ö llig obsolet sind.
12 D ie alb. Ü bersetzung gibt kalem an einer Stelle m it .Schule* (S. 14), an anderer Stelle m it z y r i ,Büro* (S. 74)
wieder.

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Die Frau im Unglück 139


••

Beyazit zur A rb e it ging. Sie erkennt sofort die Ä h n lic h k e it zwischen ihrem
Schwarm Talat und Ragibe, ohne indes V erdacht zu schöpfen, daß die beiden
identisch seien.
N u r 10 Tage währen die glücklichen Besuche, da v e rm itte lt $erife einen
B räutigam , den reichen und ca. 40 Jahre alten A li Bey, der F itnet heiraten soll.
Hacibaba w illig t tro tz des Protestes von F itnet in die V erbindung ein, und als
Ragibe zu Besuch kom m t, te ilt F itnet ihre V erzw eiflung m it. Da offen ba rt sich
Talat als Junge, aber F itn e t sieht keine Aussicht auf E rfü llu n g ih re r Liebe. Durch
••

eine List w ird das Mädchen dazu gebracht, in A li Beys Haus nach U sküdar
(Scutari) auf der asiatischen Seite des Bosporus zu ziehen. Z u v o r konnte sie,
w ieder durch V e rm ittlu n g §erifes, Ragibe-Talat über ihren neuen A u fe n th a ltso rt
in K enntnis setzen. D erJunge ist vo r K um m er aber e rkra n kt. A ls sich A li Bey, der
•• __ __
sofort die Ä h n lic h k e it zwischen seiner früheren Frau und Fitnet erkennt, dem
Mädchen nähert, w ird er w iederholt abgewiesen. Schließlich behält er ein Band
(kaytan) m it einem A m u le tt ( m uska bzw. alb. nuskë) in der H and, als sich Fitnet
seinen Händen entwunden hat. Dieses A m u le tt ist nichts anderes als das Testa-
ment der früh verstorbenen M u tte r Z e kiye , in dem sie ih re r T o chte r e rö ffn e t, daß
ih r V ater A li Bey sei. D ie Frau war näm lich schwanger, als ih r M ann sie vo r die T ü r
setzte. A li Bey wußte nicht, daß ihm eine T ochter geboren worden w ar, sonst hätte
er sicher nach ih r geforscht. Es ist aber fü r diese günstige W endung der Ereignisse
bereits zu spät, denn inzwischen hat sich Fitnet erdolcht und ist verblutet. A ls A li
Bey die T ü r geöffnet hat, kom m t auch R agibe-Talat, und er kann nur noch tot
niedersinken. A li Bey ve rlie rt den Verstand, und Talats M u tte r Saliha w eint sich
die Augen aus.

/1.2 Frauen sind auch Menschen und sollten intellektuell gefördert werden.
M it etwas m ehr A rbeitaufw and hätte Sami aus dieser Fabel, so unwahrschein-
lieh sie im einzelnen auch sein mag, einen richtigen Gesellschaftsroman über A lt-
Stambuler Verhältnisse (die haute volée lebte damals in Pera/Beyoģlu, w ohin auch
der Sultan umgezogen w ar) machen können. So wie das W erkchen überliefert ist,
bietet es nur ansatzweise E inblicke in den A llta g der damaligen K leinbürger; w ir
erfahren kaum etwas über die E in kü n fte der wesentlichen Protagonisten, und daß
Talat in einer Schreibstube arbeitet, w ird nur an zwei Stellen knapp erwähnt.
Gesprächig und nahezu weitschweifig w ird Sami aber, wenn es um die G efühle
seiner Helden geht, und hier hören w ir keineswegs nur Liebesgeflüster, sondern
sogar harsche G esellschaftskritik. Talats M u tte r Saliha läßt sich (S. 26) über die
ungleiche Stellung von M ann und Frau aus13, indem sie ih re r H ilfe Ayçe erzählt,
wie sie ihren M ann gegen alle W iderstände schließlich doch bekommen habe.
Diese Geschichte ist ein H inw eis des A u to rs , wie die Fabel sich w eiterentw ickeln
könnte — aber das Happy E nd, das der M u tte r zuteil w urde, ist dem Sohn nicht

,•‫י‬ ‫ ״‬Oh, was sind w ir Frauen arm d ra n !... M an ste llt uns nicht den Menschen gleich! [...| Was seid ih r M änner
grausam und ungerecht! Wenn ein Mädchen ein w enig schielt od er ein bißchen h in k t, muß die arm e ehelos
bleiben; niem and geruh t, sie zu nehmen. A b e r man find et nichts dabei, wenn der übelste, lum pigste,
verkrüppeltste M ann das schönste und netteste M ädchen nim m t und wie eine Sklavin eingesperrt h ä lt.“
T a a ^ u k (1979), S. 11 f.

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14() A . Hetzer

vergönnt. Saliha hat nämlich ihren R ifat in der Schule kennengelernt, und diese
Liebe hielt auch dann noch, als das Mädchen von einem gewissen A lte r an die
Schule nicht mehr besuchen durfte. Eine zweite A nklage ergibt sich daraus, daß
T a la t, als Mädchen verkleide t, auf der Straße von einem M ann verfolg t w ird , der
sich nicht abschütteln läßt. Ihm w ird deutlich, daß man m it den Frauen wie m it
Puppen (kukla) umgehe, nicht wie m it Menschen14. T alat entkom m t der V e rfo l-
gung dadurch, daß er in das leerstehende Haus in Çehzadebaç geht, wo er sich
im m er umzieht.
In der A utorenrede w ird die Vorgeschichte von A li Bey und Z ekiye dargestellt.
Ohne triftig e n G rund habe A li vo r ca. 14 Jahren seine Frau aus dem Hause
getrieben (S. 59). Z ekiye w ar damals v e rb itte rt, w eil offen ba r die M änner Pferd
und Wagen höher schätzen als eine E h e fra u 15. A ls A li dann später eine V e rm ittle -
rin ins Haus der Schwiegerm utter schickte, um seine Frau zur R ückkehr zu
bewegen, erhielt er eine A b fu h r. D ie Schwiegerm utter ließ ihm ausrichten, sie
seien arme Leute, und sollte ihre Tochter sich noch einm al verehelichen, dann m it
einem Manne von gleichem Stand, also einem , der deutlich weniger begütert ist als
A li Bey. U nd A li solle sich auch eine Frau aus seinen Kreisen nehm en16.
Was w ir hier lesen, ist selbst in der heutigen türkischen Gesellschaft noch nicht
überholt; es zeugt fü r Samis entschieden aufklärerischen Geist und die unverm in-
derte A k tu a litä t seiner publizistischen Schriften. D ie V o rw ü rfe lassen sich wie
folgt Zusammentragen: (1) Lernen in Gesellschaft macht m ehr Spaß, deshalb sollte
man Mädchen m it G leichaltrigen unterrichten. U m unerwünschten K o m p lika tio -
nen aus dem Wege zu gehen, müßte man Mädchenschulen einrichten. (2) D am it
das im E inklang m it der Sitte geschehen kann, müßten die M änner auch ih r
♦_•

V erhalten gegenüber Frauen in der Ö ffe n tlic h k e it ändern. V ö llig unbekannten


Frauen bzw. jungen Mädchen gegenüber beginnen M änner nämlich in alberner
Weise zu flirte n . Dies ist fü r die M änner entw ürdigend und fü r die Frauen lästig, ja
kom pro m ittieren d. (3) In der Ehe nehmen sich die M änner alle Freiheiten,
während die Frauen nahezu rechtlos gegenüber dem Ehemann sind. E r besitzt die
ökonomische M acht und verfügt daher im m er über ein D ru c k m itte l. Sami läßt
bereits hier durch seine Figuren A rgum ente vortragen, die er später ( 1879) in einer
seiner aufklärerischen Broschüren breite r ausführte: Frauen müssen das Recht auf

‫ ״‬O h . was sind die Frauen arm dran, wie sollen sieda herauskom m en! W ir M anner benutzen sie wie Puppen.
W ir lassen sie nicht fre i und ungestört über die Straße gehen. Was fü r ein Skandal! W elche D re istig ke it!
W enn ein M ann einem anderen ihm unbekannten M ann begegnet, sta rrt er ihn nicht an. spricht ihn nicht an;
aber wenn sie eine Frau tre ffe n , die sie nicht kennen und noch nie gesehen haben, beginnen sie ein Gespräch
m it ih r und lächeln ih r zu, sie laufen h in te rh e r, und sie kann sie nicht abschütteln. Das bedeutet doch, daß
w ir die Frauen nicht wie Menschen behandeln. Z u unserem Am üsem ent unterdrucken w ir ih r Wesen,
hindern sie an der freien Bewegung und lassen ih r nicht das Vergnügen, draußen zu flan ie re n; andererseits
amüsieren w ir uns m it ihnen. D enn wenn manche Schlauberger a u f Frauen tre ffe n , sagen sie: ,D ie ist nicht
ubel. laßt un sein w enig Spaß m it ih r haben!* und wie A ffe n machen sie ih r schone A u g e n .“ Taa«$uk. S. 44.
‫ ״‬O h . w ir beklagenswerten Frauen! W ir denken zur Z e it de r H e ira t, ein Ehem ann und Partner w ürde uns
nehmen. A b e r die M anner sehen uns nicht in dieser Weise. Sie messen /.ur Z e it de r Eheschließung ihren
Frauen weniger Bedeutung bei als dem K a u f eines Zugpferdes od e r eines Wagens. Ja ...sie haben R e c h t....
denn wenn sie ein Pferd kaufen und es sich nicht bew ährt, sind sic gezwungen, es w iede r abzustoßen, aber
wahrscheinlich nicht zum selben Preis, den sie entrichten mußte. D aher haben sie A ngst v o r Schaden. A b e r
wenn es m it der Frau nicht kla p p t, ih r C harakte r nicht angenehm ist. verlassen sie sie ohne jegliche
finanzielle E inbuße; sie nehmen eine bessere. M an halt uns wie T ie re ; was sollen w ir dagegen u n te m e li-
men? Sie haben die M acht; wie sie es wünschen, so w ird 's gem acht.“ Taaççuk, S. 59f.
..M eine T o ch te r ist ein armes M ädchen. Sic soll einen M ann heiraten, de r so arm ist wie sie, dann leben sie
gleichgestellt. Sie sollten sich auch eine zu Ihnen passende Frau aussuchen.“ T a a ^ u k . S. 62.

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Die Frau im Unglück 141

B ild u n g zugestanden bekom m en, w eil gesellschaftlicher F o rtsch ritt ohne Einbe-
Ziehung der Frauen nicht m öglich sei17. D ie H a u p tin trig e der N ovelle von Talat
und F itnet ist ja auch nur m öglich, w eil Hacibabas S tieftochter bei Ragibe lesen
und schreiben lernen soll. §erife hat sich näm lich davon überzeugt, daß T alat im
N u eine Z e itu n g durchlesen konnte, was bei einer jungen Frau jener Z e it in der
Regel unm öglich erw artet werden konnte. V on F itnet heißt es, sie habe den Koran
zwei- bis dreim al ganz gelesen (S. 55), könne aber türkische Texte, zumal ohne
V okalzeichen, schlecht lesen. D ie damalige Praxis war, die Mädchen m it E rre i-
chen der Pubertät aus der Schule zu nehmen, denn es gab keine speziellen
M ädchenschulen'‫*׳‬.
Sami beschränkt sich nicht auf die G efühle von F itn e t, ja er w idm et ihnen
geradezu einen knappen Raum, soweit sie nicht ins A llgem eine zielen. Dadurch
daß keine der von m ir oben angeführten Textpassagen sich au f sie bezieht, sondern
au f Saliha, Talat und Z e kiye , w ird deutlich, daß auch gar nicht ih r Liebesglück der
eigentliche Gegenstand des Romans ist. E r soll von der Stellung der Frau handeln,
und w ir bedauern heute stark, daß Sami nicht w eiter in Einzelheiten ging, daß er
keinen realistischen Roman schrieb. E in Gesellschaftsroman aus dem Stambuł der
70er Jahre des vorigen Jahrhunderts wäre eine faszinierende Le ktü re . So aber, wie
das W erk nun einm al ist, muß man es eher als eine S tilübung w erten, die zweierlei
zum Z ie l hatte: (1) den literarischen Gebrauch der Umgangssprache zu erproben,
(2) eine larm oyante Fabel als Illu s tra tio n zu einigen grundlegenden gesellschafts-
kritischen Thesen zu benutzen. D e r Sachbuchautor Sami kündigt sich an; seine
Erzähltalente kamen bei ihm , aus welchen G ründen auch im m er, nicht v o ll zum
Tragen.

/ / / . Wassa E ffendis ‫ ״‬Bardha von Tenuti“


111.1 Besser als die Erzählprosa von N doc Nikaj und Mihal Grameno
Pashko Vasa ( 17. 9. 1825—29. 6. 1892) oder, wie er sich damals im internationalen
V erke hr nannte, Wassa E ffe n d i, stammte aus Shkodra (S cutari), hatte seine
Schulbildung in Venedig genossen14und, nach einer etwa vierjährigen T ä tig ke it im
britischen Konsulat in seiner H eim atstadt, begab er sich um 1847 w ieder nach
Italien, das damals um seine nationale E inigung käm pfte. E in Jahr später
unehrenhaft ausgewiesen, ging der junge M ann nach Istanbul, wo er im Laufe der

17 (...] und deshalb lastet auf den M ännern in d o p p e lte r Höhe die U n te rh a ltsve rp flich tu n g fü r ihre Frauen.
Wenn die M anner aber sterben, bleib t die W itw e m it ihren kleinen K in d e rn arm und b e d ü rftig zurück.
Andererseits w iederum fü h rt die U n tä tig k e it die Frauen zu r G ew öhnung an den M üßiggang, d e r aller
Laster A nfang ist. 1...J Bis je tz t herrschen M ißstände und V o ru rte ile , und um das zu ändern, m üßte man den
Frauen B ild ung und Erziehung angedeihen lassen, da m it sic eine Beschäftigung und Betätigung finden,
ihnen ein gutes W o rt zuteil w ird und sie G enugtuung daraus ziehen können, wenn sic einen B rie f schreiben
oder ein Haushaltsbuch führen. Çemsettin Sami: K a d in la rjD ie Frauenļ. Istanbul. 2. A u fl. H . 1311 (1893).
S. 31 f. Übersetzung z itie rt nach: A . H etzer: T urcica. ( .. .) K atalog zur A usstellung vom 15. M a i bis 11. Juni
1986 in der S uU B Brem en. Brem en 1986. S. 141.
18 ‫ ״‬Wenn ein M ädchen zehn-elf Jahre alt geworden ist. d a rf es nicht m ehr ohne T sch a d o ra u f die Straße gehen.
W ie sollten w ir uns außerhalb der Sitte stellen? [...1 Was sollen w ir auch machen, denn es gibt noch keine
speziellen Schulen und Lehrerinnen fü r uns. W ie könnte ein M ädchen m it 15 Jahren noch in eine
Jungenschule gehen?" Taa$$uk, S. 16 f.
|g K. B rahim i: Pashko Vasa, in: H isto ria e letérsise shqiptare. Oe nga fillim e t d e ri te L u fta A ntifashiste
Nacionalv'lirim tare [Geschichte der alb. L ite ra tu r von den A nfängen bis zum 2. W e ltk rie g ] T ira n e 1983. S.
149.

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142 A . Hetzer

Z e it im A uß enm inisterium eine Stellung fand. E r beendete seine osmanische


Beam tenlaufbahn au f dem neugeschaffenen Posten des Generalgouverneurs von
Libanon. D er U m stand, daß er katholisch war, trug sicher zu dieser Ernennung
bei, aber m it den von Frankreich protegierten M aroniten verstand sich Pashko
Vasa schlecht, und aus seinen W erken w ird deutlich, daß er zur K irche ein
distanziertes V erhältnis hatte. W arsie es doch, die im 19. Jh. als größtes Hemmnis
au f dem Wege einer nationalen E inigung Italiens betrachtet werden mußte2*1.
Wassa E ffendi hinterließ ein umfangreiches literarisches W erk, aber m it geringfü-
gigen Ausnahmen ist alles au f Italienisch oder Französisch ve rö ffe n tlich t worden.
Den Roman ‫ ״‬Bardha von T em al” veröffe ntlich te er erst kurz v o r seinem Tode,
und zwar unter dem Pseudonym A lbanus A lb a n o 1‫־‬. Daß Wassa sich dahinter
verb irg t, g ilt als unbestreitbare Tatsache; aber man kann sich doch fragen, (1)
warum Wassa als alter Mann noch einmal auf das albanische Bergland als
literarisches Thema zurückkam und (2) warum er seine Id e n titä t hin te r einem
Pseudonym versteckte. M ußte er auch m it 65 Jahren noch m it Repressionen von
Seiten A bdülham ids II. rechnen, wenn er auf die W illk ü r osmanischer S tatthalter
um 1842 (u nte r A b d ü lm e c it) hinwies?22. W ie eine Rückversicherung w irk t es,
wenn der Verfasser das Klischee vom guten Sultan, der von seinen bösen
S tellvertretern hintergangen w ird , im Roman bem üht23.
W ir wissen nicht, weshalb in der neuen albanischen Literaturgeschichte von
1983 unter ,Sami Frashëri’ die »Liebe zwischen Talat und Fitnet« nicht besprochen
w ird , der Roman Pashko Vasas über »Bardha von Temal« hingegen eine ziemlich
eingehende D arstellung erfäh rt. Es gibt zwei denkbare G ründe: (1) Samis Roman
w ar seinerzeit in Kosova noch nicht auf Albanisch erschienen; (2) das Thema des
Romans oder, besser gesagt, der S to ff von Samis Roman zeigt nichts speziell
Albanisches, sondern sozusagen allgemein-menschliche Probleme. Beide Bedin-

gungen waren fü r Wassa E ffendis Roman e rfü llt24, und in der neuen Übersetzung
von S. Caci liest er sich wie ein im O rig inal albanisch geschriebenes literarisches
W erk, voll L o k a lk o lo rit und volkskundlicher Inform ationen. D ie Romane und

20 Es ist daher auch abwegig. P. Vasas R echtfertigungsschrift ‫ ״‬La mia p rig io n ia ‘* (M e in e Gefangenschaft,
1850) m it S ilvio Pellicos ‫ ״‬Le m ie p rig io n i“ (M e in e Gefängnisse) zu vergleichen. Pellico wurde in de r H aft
(1820 -1 8 3 0 ) fro m m und gottesfürchtig, weshalb sein Buch /и einer katholischen Erbauungsschrift
avancierte.
21 A lbanus A lba n o : Bardha de T em al. Scènes de la vie albanaise. Paris 1890.
22 Daß der Roman aufrührerische T one e n th a lt, ist sicher. Da m ir aber die französische Ausgabe nicht
zugänglich w a r. urte ile ich allein nach der alb. Übersetzung, und die kann in Nuancen andere A kzente
gesetzt haben. Bardha e T e m a lit. Roman. Skena te jetés shqiptare (Bardha von T e m a l. Szenen aus dem
alban. Leben, im folgenden z itie rt: Bardha). E perktheu nga o rig jin a li S o tir Caci, in : Pashko Vasa. Vepra
letrare. Bd. 2. T irane 1987.
‫ע‬ M e h ill i Vlashajve sagt zu sich selbst: ‫ ״‬W erden w ir denn im m e r der G nade dieser Paschas ausgeliefert sein,
die die A bsichten des Souveräns verraten und sich so nied e rträ chtig verkaufen? U n d G e re ch tig ke it,
G leichheit? Das B lu t, das w ir fü r das Reich im m er vergossen haben und das w ir bereit sind, fü r das Reich zu
vergießen? U n d die Siege, die w ir über seine Feinde errungen haben? Soll das alles fü r uns verlo ren sein?
A lle s w ird ans L ich t kom m en, und der Sultan w ird zu der Überzeugung gelangen, daß die A lb a n e r seine
treuesten U ntertanen sind und nichts anderes erstreben als die E hre, die ruhm reichen T ra d itio n e n ih re r
V o rfahre n zum W ohle des Reichs und de r zukünftigen orientalischen Z iv ilis a tio n fortzusetzen“ . Bardha,
S. 72. A u f S. 241 zeigt die Übersetzung einen rätselhaften A nachronism us, indem a u f Sultan A b d ü lh a m it
II. hingewiesen w ird , de r der M acht der Paschas Grenzen gesetzt und Gesetze erlassen habe, die allen ihre
Rechte garantieren. D ie Stelle gibt nur Sinn, wenn es A u to re n re d e (statt eines inneren M onologs des
Paschas) sein soll.
24 D ie alb. Übersetzung von Y . Jaka. Prishtine 1969. lag der D arstellung von R. B ra h im i zugrunde.

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Die Frau im Unglück 143

Erzählungen, die Ndoc N ik a j, ein S kutariner Priester, und M ih a l G ram eno25, ein
toskischer Publizist aus der Z e it der Aufstände zu Beginn des 20. Jahrhunderts,
später au f A lbanisch verfaßten, verfehlen heute ihre literarische W irku n g ; sie
gehören der Literaturgeschichte an. Pashko Vasas Roman hingegen ist durch die
•«

moderne albanische Übersetzung zu neuem Leben erw eckt worden und w ird
sicher auch heute begeisterte Leser finden.

111.2 Die Suche nach dem persönlichen Glück hat etwas Anrüchiges
»Bardha von Tem al« ist ein v o ll en tfa lte te r Roman von fast 300 D ruckseiten m it
mehreren parallelen, ineinander verschlungenen H andlungen; er behandelt meh-
rere gesellschaftliche M ilieus in der Stadt und auf dem Lande ( ‫ ״‬im G ebirge“ ) und
weist eine V ie lfa lt von Themen auf. D ie Moslems werden darin allerdings nur
sozusagen von außen, aus dem B lic kw in k e l der nordalbanischen K atholiken
beschrieben. Einem Sprachgebrauch der Z e it folgend bezeichnet Wassa E ffendi
alle Moslems m it dem B e g riff ‫״‬T ü rk e n “ (turcs)2h, alle ‫ ״‬A lb a n e r“ sind dann durch
die W ortw ahl automatisch C hristen27! W ir geben im folgenden die Fabel nur
insoweit w ieder, wie sie sich auf die H au ptin trige A rad -B ardh a bezieht.
Die m it L u li von Tem al jungverm ählte Frau Bardha kom m t gemäß der Sitte des
Landes nach ih re r Hochzeit noch einm al ins E lternhaus, um sich von ihrer Fam ilie
und ihren Freundinnen zu verabschieden. D o rt le rn t sie A ra d , den Sohn eines
begüterten Skutariners kennen, und die beiden verlieben sich ineinander. A ls
A n u l, A rads Freund, m erkt, daß sich hier eine Tragödie anbahnt, veranlaßt er
Bardha dazu, Hals über K o p f ihre Fam ilie zu verlassen und ins Haus ihres G atten
zurückzukehren. Sobald A ra d davon e rfä h rt, e rkra n kt er, und er w ird erst wieder
gesund, als A n u l ihm als U nterpfand der Liebe ein Tüchlein von Bardha
überbringt. Inzwischen hat A n u l seinen Sinn geändert und w ill seinem Freund
behilflich sein, Bardha noch einmal zu sehen oder gar ihren M ann aus dem Weg zu
räumen. Dazu kom m t es indessen nicht m ehr, w eil A ra d in ein D u e ll verw ickelt
w ird, dessen Ausgang ihn zw ingt, nach Skopje zu seinem O nkel N ik o lla in die
Verbannung zu gehen. A ls A n u l noch einm al Bardha aufsucht, um ih r Arads
Schicksal zu berichten, findet man die Frau erschossen im B ett. A lle glauben an
Selbstmord, aber der A u to r stellt ausführlich dar, wie die Schwiegerm utter ihre
Tochter aus dem Weg geräumt hat, ‫ ״‬um den Fehler, den ih r Sohn begangen hat,
wieder gut zu machen“ . D er Fehler bestand da rin , daß ein G ebirgler eine

~s M ih a l G ram eno: Vepra. 2 Bde. Prishtine 1979. G ram enos um fangreichstes W erk ist allerdings non-
fic tio n a l: ein B c ric h t über den A ufstand un ter Ç erçiz T o p u lli.
26 D e r Übersetzer Caci setzt allerdings m ysiim an dann, wenn de u tlich ist. daß keine V o lkstum stürken gem eint
sind, und das t r iff t meistens zu. E igentlich ko m m t u n te r den handelnden Personen n u r der Pascha von
Shkodra als echter T ü rk e in Frage!
27 O b je k tiv falsch ist die Einschätzung, die der A u to r in einer d ire k te n Rede auf S. 231 g ib t, daß näm lich die
C hristen in d e r Ü berzahl seien. Das glaubte zwar seinerzeit das christliche A b e n d la n d , und es gab gute
G ründe, diesen G lauben nicht zu erschüttern. A b e r weder in S hkodra, w o der Rom an spielt, noch in allen
vier V iläyets d e r A lb a n e r waren die C hristen in der Ü berzahl. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatten
nämlich m ehr als die H a fte der A lb a n e r den Islam angenom m en. ‫ ״‬D ie C hristen sind ebenso bewaffnet wie
w ir: auch sie sind geboren un ter demselben H im m e l wie w ir: das B lu t, das in ihren A d e rn flie ß t, ist dasselbe
wie unseres; sie sind nicht w eniger A lb a n e r als w ir und andererseits, was die Z ah l angeht, sind sie
zahlreicher als w ir. Sic müssen vernichtet werden? ... Es ist le ich te r, das zu sagen, als zu tu n .“ Bardha.
S. 231.

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144 A . Hetzer

zartbesaitete Städterin heiratete2*! Das Ende Bardhas kündigt sich dadurch an,
daß diese in Shkodra von den näheren Umständen des Todes von D rande, der
Schwester A rads, erfäh rt. D ie M u tte r hat sie auf Geheiß ihres Mannes vo r einem
Jahr dazu gezwungen, G ift zu nehmen, w eil sie von einem jungen Burschen im
G arten durch einen unverhofften Kuß ,e nte hrt' w urde24.
In allen Handlungssträngen kom m en insgesamt acht Frauen vo r, denen der
A u to r besondere K on turen verleiht. Z w ei davon, eine G e b irg le rin in Tem al30 und
Lu lis M u tte r, werden nicht m it Namen genannt; die anderen heißen Bardha, D ila ,
D rande, G jela, Dava11‫־‬, Fatma-12. D e r gemeinsame Zug von allen außer Bardha ist,
daß sie sich dem »Gesetz«, dem kanun, beugen und ihre P flicht gegenüber der
Gesellschaft e rfü lle n , indem sie ihre G efühle hintanstellen. Bardha paßt nicht in
diese W e lt, die vom H erkom m en regiert w ird , weil sie das G lück sucht. D e r A u to r
legt dem Pater Leonard folgende W o rte in den M und: ‫ ״‬Das G lück! O, mein
Freund, das Glück ist ein sehr elastisches und relatives Wort, besonders in Albanien,
wo die Leidenschaften so heftig und die Sitten so wild sind! Das wahre Glück ist der
Frieden des Gewissens. “ (5. 262)
Samis Buch ist im Gewände einer rührseligen Geschichte eine A nklage gegen die
Gesellschaft, die den Frauen eine Stellung zuweist, die weniger g ilt als die von
Pferd und Wagen. Was aber w ill Wassa E ffe ndi m it seinem W e rk, das einen
M itte le u ro p ä e r stellenweise schaudern läßt? U m diese Frage zu beantw orten.

2,1 ‫ ״‬Das B lei hatte dieses einfache und feurige H e r/ durchschlagen. Sie litt nicht m ehr und hatte danach nichts,
weshalb sie z itte rn oder hoffen sollte! — Ich \4usch m it ihrem B lu t den Fehler meines Sohnes ab. m urm elte
die w iderliche M ö rd e rin und ließ die W affe ganz nah beim Lager des O pfers. U n d m it de r G eschw indigkeit
und B chcndheit des Tigers schlüpfte sie in das l^>ch, w oher sie gekom m en w a r, öffn ete die Luke und
verschwand in der Finsternis des Kellers.*' Bardha. S. 273.
29 ,.G leich m it den ersten W orten erzählte sie [D ila s T o ch te r( ih r alles. — A b e r ich habe keinerlei Schuld,
w iederholte sie m it kläglicher Stim m e. — ich habe k e in e rle i Schuld! Ich wußte nicht, daß d o rt je n e r Bursche
war. Das v\ar eine Überraschung, eine Falle, ein un glü cklich er Z u fa ll! — U n d es w einte das arme M ädchen
zum Steinerweichen. D ie M u tte r, finster, m it w ildem B lic k , rie f m it m itle iderre gen de r und sch rille r
Stim m e, in der sich der furchtbare K a m p f, de r in ihrem M c r/c n tobte, w iderspiegelte, aus: — Was denn? Da
du selbst zugibst, daß du dich m it ihm im G a rte n getroffen hast, w ird keiner an deine Unschuld glauben. D u
w eiß t, daß deinem V a te r die Ehre des Hauses m ehr am H erzen liegt als das Leben von uns allen. Dies ist ein
furchtbares .Schicksal, grausam, fa ta l, das uns ve rfo lg t und uns bestraft, aber w ir haben keine andere W ahl:
w ir müssen uns ihm un terw e rfen! ln dieser kleinen Flasche d o rt au f dem Tisch w a rtet a u f dich ein
ehrenvoller Tod; vor dieser T ü r, — und sie zeigte m it dem Finger h in , — w artet a uf dich das Leben, aber m it
Schande und E ntehrung. W ähle selbst, meine liebe T o c h te r! ... U nd sie ging hinaus, indem sie die T u r
offenstehen ließ und ohne der A rm e n Z e it zu einer A n tw o rt zu lassen.** Bardha. S. % f. (M e in e
H ervorhebungen. A .H .)
v> Ih r le tzte r noch verbliebener Sohn ist soeben in einem sinnlosen Z w e ik a m p f in Shkodra gefallen, w eil seine
Ehre von einem M uslim beleidigt w orden w ar (S. 29 f.). D ie M u tte r b ric h t, als man ih r den Leichnam v o r
das Haus legt, nicht etwa in Tränen aus. sondern stim m t eine albanische V a riante des M agnificat ( L k . 1.46
ff.) an: ‫ ״‬G elo bt sei der H e rr! Ich habe den letzten Sohn verlo ren , das H erz meines Lebens, aber wenigstens
w ird man nicht sagen, daß er sich nicht gerächt habe. N e in ! B lu t um B lu t, T o d um T o d !...“ Bardha. S. 44.
‫|י‬ Dava muß an Shaban Bey Rache fü r ihren M ann Jak K ola nehmen. D a sie selbst die Tat nicht ausführen
kann, nim m t sie sich einen ..punëlor*’ , in diesem Falle den alten G je to . Im Sinne des K anun ist dieser nur die
ausführende H and, nicht persönlich in die B lutschuld ve rw icke lt. Es zeigt die N iede rtra cht von Sulejm an
С a fi. daß e r m it T a h ir dem alten G je to auflauert und ihn entgegen den Regeln des Kanun heim tückisch
erschießt.
A ls A ra d im D u e ll den M uslim Sulejman C a fi getötet hat. m uß er sich verstecken, und nach den Sitten des
Kanun ist jeder v e rp flic h te t, einem ‫ ״‬vrascs'*. der darum b itte t. U n te rsch lu p f zu gewähren. Es ist nun
besonders grotesk, wie d e r A u to r diese Landessitte im Rom an vergegenständlicht: A ra d wendet sich an
Fatm a, die Frau des Hyscn Caci. Diese weiß sich keinen anderen R at, als den Flüchtigen in ihrem B ett zu
verstecken. W ohlg em erkt: sic liegen beide im B ett unter derselben D ecke, und als die Häscher ins Z im m e r
stürzen, weist die Frau sie em pört in die Schranken. A bends kom m t ih r M a n n , lobt sie. daß sie Schande vom
Haus abgewendet habe, und er fü h rt A ra d zu dem christlichen M itb ü rg e r G jo n M a rk ita . A ls sie sich
trennen, sagt Hysen zu A ra d , der getötete Sulejman sei sein V e tte r gewesen, aber de r Kanun habe ihm die
P flicht auferlegt, ihn v o r de r Rache der A ngehörigen in Sicherheit zu bringen. S. 228—230.

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Die Frau im Unglück 145

müssen w ir ein wenig ausholen und den Rom an in die literarische T ra d itio n des
Westens einordnen sowie den realhistorischen H in te rg ru n d der Fabel einbezie-
hen. D enn daß Bardha ein V o rb ild im realen Leben gehabt habe, verstanden die
Zeitgenossen, und bis heute w ird da ra uf in den Literaturgeschichten hingewiesen.

IV. Rezeption der französischen Rom antik


I V . 0 Nach Pashko Vasas Roman zog sich die E n tw icklu n g der fiktio n a le n
Erzählprosa bei den A lbanern nur schleppend hin. Le id e r ist es heute außeror-
dentlich schwierig, Ndoc Nikajs Bücher zu bekom m en; sie werden in A lbanien
nicht nachgedruckt. D aher müssen w ir darauf verzichten, diesen A u to r in unsere
B etrachtung m it einzubeziehen, obw ohl in der albanischen Literaturgeschichte
von 1975 ausdrücklich die L in ie von Pashko Vasa zu N ik a j (1864—1947) gezogen
w urde33. — D e r zweite nennenswerte A u to r ist M ih a l G ram eno, er verfaßte
1904—1909 drei rührselige Erzählungen ( ‫ ״‬N ovellen“ ), jedoch keinen Roman. D ie
Literaturgeschichte verm eldet, daß noch eine Reihe anderer, vornehm lich toski-
scher A u to re n um die Jahrhundertwende albanische Prosa ve rö ffe n tlich t hätten:
G jerasim und G jergj Q iria zi (1867—1984 bzw. 1866—1912), Petro N in i Luarasi
(1865—1911), Papa K risto Negovani (1875—1905) und M a ti Logoreci
(1867-1941). Dabei handelt es sich aber entw eder um Schulbuchtexte oder
Beiträge in der Zeitungs-Presse. A u ß e r in Shkodra und M o na stir (B ito la ) gab es
vo r 1912 keine technischen Voraussetzungen fü r Buchdruck in albanischer
Sprache.
Etwas rätselhaft verhält es sich m it einem 1910 in Paris au f A lbanisch veröffent-
lichten Band, den die albanische Literaturgeschichte standhaft ign o rie rt. Das
Buch ist toskisch m it gewissen modischen Beimengungen aus dem Gegischen
geschrieben und enthält einen kurzen Rom an — w ir würden sagen: N ovelle — , der
ein Auswandererschicksal behandelt. A ngefügt ist eine Räubergeschichte (Beli-
meles), die auf dem Balkan spielt34. D e r Name G jin K roja ist offensichtlich ein
Pseudonym, und dahinter könnte sich N. La ko verbergen, der fü r sich auf dem
Umschlag Reklame macht. V on den damals bekannten toskischen A u to re n , die
imstande gewesen wären, ein längeres W erk in Prosa zu schreiben (z. B . Faik
Konica, Fan S. N o li), kom m t keiner in Frage. Ih r S til, ebenso wie der U m kreis der
Them en, die sie au fgriffen, passen nicht zu »G üte und Bosheit«, wie der T ite l des
Werkchens auf Deutsch wiedergegeben werden könnte. W ir müssen daher davon
ausgehen, daß es außer den bekannten Namen noch andere A u to re n gab, die sich
zu Beginn unseres Jahrhunderts dam it beschäftigten, gehobene U nterhaltungslite-
ratur auf Albanisch zu schreiben. Solange die Literaturgeschichte solchen S ch rift­

‫מ‬ ‫ ״‬Di eses W erk von Pashko Vasa bahnte den vielen Romanen den W eg, die im ersten V ie rte l unseres
Jahrhunderts N doc (A n to n ) N ik a j veröffe n tlich e n würde.** H is to ria e letërsisë shqipe. I . - I l . B o tim i trete
(Geschichte de r alban. L ite ra tu r l - I L 3. A u fl.) . Prishtine 1975, S. 448.
w M iresia dhć Ligcsia prej G h in it Krojes [G üte und B osheit, von G jin K ro ja ). Paris 191U, 158 S. A u f S.
9 7 -1 5 8 ist abgedruckt: B ćlim ćlćsi. Te nghiarat ’ e nje ha jd u ti ndene sundim te H a ld u p it (B elim eles. Die
Geschichte von einem Räuber un te r der H errschaft de r T ü rk e n ]. D ie O rth o g ra p h ie wurde vom O rig in a l
übernom m en. Das E xem plar, von dem ich eine K o p ie zog. ist aufbew ahrt in de r Fan S. N o li-G e d e n kb ib lio *
thek bei de r K irche St. G eorge (Shtfn G je rg j) in Boston, ich m öchte an dieser Stelle Rev. A r th u r L io lin
danken, der m ich 1985 sehr freu ndlich aufnahm und den Fan S. N oli-N achlaß durchsehen ließ.

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146 A . Hetzer

steilem keine A ufm erksam keit schenkt, w ird das B ild unausgewogen bleiben;
andererseits w ird man im m er noch m it ,T rou vaillen‘ rechnen dürfen, wenn man
alte Bestände durchflöht. Unsere Überlegungen zu den Anfängen der albanischen
Erzählprosa haben daher im m er den C harakter der V o rlä u fig ke it, solange nicht
genug Anschauungsmaterial gesammelt ist.
1921 veröffentlichte Fan S. N oli in Boston auf Albanisch eine ‫ ״‬Geschichte
Skanderbegs“ , die — wegen des ausgiebigen Fußnotenapparats — den E indruck
h e rvo rru ft, es handele sich um eine wissenschaftliche A bhandlung35. In W ahrheit
aber haben w ir es m it einer romancierten Biographie zu tun, und dam it w urde Fan
S. N o li zum Begründer des historischen Romans bei den A lbanern. Diese Genre
verdrängte bis auf den heutigen Tag nachhaltig solche W erke, die sich m it der
privaten Seite des Lebens in der Gegenwart auseinandersetzen. D inge von
nationalem Interesse und die Helden der Freiheitskäm pfe der Vergangenheit —
das sind die vorherrschenden Themen in der albanischen L ite ra tu r geworden.
F reilich, ein Schriftsteller be g riff noch in den dreißiger Jahren, daß auch die
Veränderung in der Stellung der Frau von öffentlichem und nationalem Interesse
sei: H aki S tërm illi. E r veröffentlichte 1936 einen Roman in Tagebuchform , der zu
den eindringlichsten Zeugnissen der albanischen L ite ra tu r vor der »Befreiung«
zählt. Sikur t ’isha djalë (W enn ich ein Knabe wäre) w ird im m er noch nachge-
d ru ckt16‫ ־‬und sorgt m it seiner Präsenz im Lesekanon der A lb a n e r dafür, daß das
Gegische als Schriftsprache nicht ganz vergessen und verlernt w ird.

IV. I Die bemitleidenswerte Frau als Romanheldin


A m Beginn der albanischen Erzählprosa stehen Geschichten von Frauen, deren
Schicksal die genannten A utoren in m itfühlender Weise so beschreiben, daß der
Leser Abscheu vor den gesellschaftlichen Verhältnissen em pfindet und sich zur
Щ«

Ä nderung der Zustände aufgerufen fü h lt. D am it stehen die A lba ne r keineswegs


allein. A ls Beispiele aus Südosteuropa seien nur Borisav Stankovič's Roman
Nečista krv (Unreines B lu t, 1910) und die Novelle des neugriechischen Roman-
ciers Alexandros Papadiamantēs He phonissa (D ie M ö rd e rin , 1903) genannt. Es
wäre nicht ohne Reiz, in den anderen N ationalliteraturen des Balkans nachzusu-
chen, wieviele Erzählungen und Romane m it vergleichbaren Sujets man noch
findet. W ir wissen jedoch, daß dies bestenfalls fü r typologische Untersuchungen
von Belang sein könnte, denn in bezug auf die K un stlitera tur verhält es sich bei den
V ölke rn des Südostens anders als auf dem Gebiete der Sprache und der Volks-
kunde: wenn Gemeinsamkeiten feststellbar sind, dann beruhen sie in der Regel

v (Fan S. N o li): H istoria e Skënderbeut <Gjergj K a s trio tit•. M b rc tit të Shqipërisë 1412-1468. Prej Peshkopil
Theofan. E B otuar prej Shoqërisë Korchare ,.Arësimi** |D ie Geschichte von Skanderbeg *Georg Kasinota>
des Königs von A lba n ie n 1412-1468. V on Bischof Theophan. V e rö ff. von der K o rça re r Gesellschaft
‫ ״‬A n tim i‘*]. Boston 1921. (B o tim e të Federates Pan-Shqiptare ‫ ״‬V a tra “ ). N o li ve rö ffe n tlich te 1947 und 1950
noch jew eils eine M onographie zu Skanderbeg. A lle drei W erke sind inzwischen auf A lbanisch zusammen
im Bd. 4 der Werkausgabe nachgedruckt erschienen. Fan S. N o li: Vepro. 4: Shkrim e histo rike (W erke. Bd.
4: Historische Schriften). T irane 1989.
-6‫י‬ H a ki S të rm illi: Vepra letrare (Literarische W erke). 3 Bde. Tirane 1982. D e r erste Band dieser W erkaus-
gäbe enthält neben ‫ ״‬S ikur t'isha djalë (W enn ich ein Knabe wäre)‘4noch den postum (1967) ve rö ffe n tlich te n
Skanderbeg'Kom an .,Kaloresi i Skënderbeut'* [D e r R itte r des Skanderbeg). W ie man sieht, konnte sich
auch S të rm illi nicht dem Zeitgeist entziehen, der heroische D ichtung und moralische V o rb ild e r fo rd e rt.

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Die Frau im Unglück 147

nicht au f »Angleichung im K ontakt«, d. h. auf gegenseitiger Beeinflussung,


sondern au f der parallelen Rezeption von V o rb ild e rn aus Ita lie n , Frankreich oder
aus den germanischen Ländern. A ls Drehscheibe fungierten im allgemeinen Paris
und W ien; d o rt wurden die K ontakte ve rm itte lt. Wenn keine Studienaufenthalte
oder Reisen im Spiel waren, dann sind die modischen Zeitschriften als D istribu-
tionskanäle zu veranschlagen.
Z u r Z e it des fin de siècle, also in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
(m it einer gewissen zeitlichen Verzögerung bis zum Ausbruch des 1. W eltkriegs),
herrschte in den europäischen Literaturen ein großes Interesse an Fragen der
Beziehung zwischen den Geschlechtern. Es ist jedoch in erster L in ie an jene
R ichtung zu denken, fü r die Ibsen und Strindberg stellvertretend stehen mögen.
D o rt w ird das Zusammenleben in einer K le in fa m ilie unter psychologischen
Vorzeichen problem atisiert. Eine Rezeption Strindbergs im albanischen M ilieu
um 1890 anzunehmen, wäre völlig verfehlt. N icht nur fehlten jegliche gesellschaft-
liehen Voraussetzungen, die Themen der Skandinavier zeitgleich als aktuell zu
erkennen; überdies lebte ja Pashko Vasa (damals 65 Jahre alt) gar nicht in
Shkodra, sondern in B eyrouth! U nd fü r Sami scheidet der Gedanke an die
Übernahm e seines Themas aus der zeitgenössischen skandinavischen L ite ra tu r
deshalb aus, weil 1872 Ibsen noch keinerlei Ruhm genoß. W ir müssen uns also
nach anderen V o rb ild e rn umsehen, die in Istanbul oder Beyrouth hätten W irk -
samkeit entfalten können.
Wenn w ir von Manon Lescaut (1753) bis zu Madame Bovary (1857) die
Frauentypen, die in der europäischen L ite ra tu r en vogue waren, zu klassifizieren
versuchen, dann unterscheiden w ir drei: (1) das M annweib, (2) die V erfüh rerin ,
die den Mann lo ckt, ihn aber letztlich in den A bgrund zieht, (3) die vom A u to r
verständisvoll dargestellte Ehebrecherin. Schildert der A u to r ein M annweib
positiv, dann haben w ir es m it einer H eldin zu tun; e rfü llt er den Leser m it Grauen
oder Abscheu vo r der betreffenden Frau, dann handelt es sich um eine Megäre.
A ls Megäre würde ich die Colomba (1840) ansehen, die Prosper M érimée im
••

korsischen M ilie u agieren läßt. Aus dieser Übersicht erkennt man rasch, daß der
Stoff, den Sami gestaltet, darunter nicht zu subsummieren ist — ebenso wenig wie
die Gestalt der Agapi jenes anonymen A u to rs, der 1851 in Istanbul einen
Gesellschaftsroman in türkischer Volkssprache herausbrachte37. W ir finden aber
sehr rasch V o rb ild e r in der seinerzeit bekannten orientalischen L ite ra tu r, wenn
w ir das M o tiv des Selbstmords aus V erzw eiflung über eine durch gesellschaftliche
Kräfte verhinderte Liebesheirat verfolgen3". D ie Geschichte von Leyla und
Mecnün in der epischen Form , die ih r der persisch-aserbaidschanische D ichter
NizämT (1141 —1209) gab, war jedem gebildeten Türken — und erst recht Sami

-‫ד‬
‫י‬ V g l. A n m . 7. Daß V . Howsepyan der A u to r sei. entspricht einer V erm utung von K e vork B ardakjian
(H a rv a rd ).
w Man muß auch an Shakespeares Romeo und Julia bzw. dessen italienische Renaissance-Vorlage denken.
Ich halte es jedoch fü r abwegig, solche Beziehungen zu konstruieren, wenn ein S to ff aus der einheimischen
T ra d itio n genauso gut e rk lä rt werden kann.

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148 A . Hetzer

Frashëri — bekannt39. W ir sollten deshalb davon ausgehen, daß die Larmoyanz


nicht auf der K opie von V o rb ild e rn aus der ‫ ״‬sentim entalen“ L ite ra tu r französi-
scher Salons beruht, sondern m itten aus dem Lebensstrom der alten orientalischen
E rzä h ltra d itio n fließ t. D ie neuen E lem ente, die sowohl Sami als auch sein
Vorgänger, der anonyme A rm e n ie r, in die türkische L ite ra tu r einführen, haben
nichts m it der H a u p tin trig e zu tun, denn die ist klassisch.
W esentlich schwieriger ist der Fall Pashko Vasa einzuordnen. Erstens ist der
A u to r K a th o lik , zweitens verbrachte er seine jungen Jahre unter italienischen
Liberalen, drittens veröffe ntlich te er seine H auptw erke auf Italienisch oder
Französisch (so gut wie nichts von ihm ist au f A lbanisch erhalten40) und schließlich
ist Pashko Vasas Rom an wesentlich kom plexer angelegt als das schmale W erk von
Sami. D e r wichtigste G esichtspunkt besteht aber da rin , daß die Zeitgenossen in
Bardha de Temal einen Schlüsselroman sahen, m it dem die bigotte Sippe der
_ «• __ __
G jo n m a rka j, die im V erein m it den M ird ite n -A b te n (zur Z e it des Erscheinens des
Romans fungierte Prenk D o ç i, 1846—1917) die S kutariner Szene beherrschte,
desavouiert wurde. D ie M u tte r des M irditen-K apedans Bibë D oda soll nicht davor
zurückgeschreckt haben, ihre Schwiegertochter zu erm orden41. N u r um diesen
Zusammenhang herzustellen, setzt Pashko Vasa in die erste Z e ile seines Romans
die Jahreszahl 1842. Indem beispielsweise Rexhep Qosja bei seiner ‫ ״‬literaturw is-
senschaftlichen“ Analyse dieses M om ent außer A c h t läßt, verfeh lt er v ö llig den
C harakter des Romans als politischer E nthüllungsschrift.

IV .2 Die kämpferische Seite der literarischen Romantik


Seinen vö llig tra ditio ne lle n S to ff gestaltet Sami Frashëri in geradezu revolutionä-
rer Weise, indem er sich einer stark der Istanbuler Umgangssprache angepaßten
Sprachvariante42 bedient, D ialoge in d ire k te r Rede in die A utorenrede einfügt und
den A llta g von Durchschnittsmenschen beschreibt. H ie r handelt es sich nicht mehr
um Angehörige der herrschenden Klasse, sondern der Roman spielt im (k le in )b ü r-
gerlichen M ilie u , und das Problem , das dargestellt w ird , könnte jeden M itm en-
sehen betreffen. S ku rril w irken allerdings D etails der H andlung, z. B. daß sich der

w V g l. die deutsche Übersetzung — N izam i: L e ila und M adschnun. D e r berühm te Liebesrom an des
M orgenlandes. Erstm als aus dem Persischen verdeutscht und m it einen! N achw ort versehen von R u d o lf
G elp ke. Z ü ric h 1963. D a rin w ird Leyla an einen alten M ann verh eira te t, w e lkt vo r K u m m e rd a h in und stirbt
schließlich. M ccnun (M a £ n ü n ). d e r ‫ ״‬Besessene“ , s tirb t dann über ihrem G rabe. Ä h n lic h endet das längere
Epos von N izam i, Husrev ü Çîrîn. aber darin w ird de r M ann von seinem m ißratenen Sohn Schiroye (ÿ u riy e )
erstochen, w eil er m ein t, um Çîrîn erfo lgreich werben zu können, sobald der V a te r tot ist Statt dessen
n im m t sich die G eliebte das Leben. N izam i: Chosrou und Schirin. Ü bertragung aus dem Persischen,
N achw ort und Erläuterungen von J. C hristoph B ürgel. Z ü rich 198(). Bei den T ü rk e n heißt das Epos
‫ ״‬Ferhatnam e" (B uch von F crhad), w eil A li $Іг Nevài ( A li $er N a vo i) eine eigene Fassung m it diesem
T ite lh e ld e n nach Firdousis ,.Schahname“ dichtete.
40 Das G edicht ‫ ״‬M o ri Shqypni. e m jera Shqypni“ (O A lb a n ie n , armes A lb a n ie n ), das Pashko Vasa
zugeschrieben w ird und w o rin der Verfasser die Losung ausgibt: ‫ ״‬D ie R eligion des A lbaners ist das
A lb a n e rtu m “ , z irk u lie rte seinerzeit als F lugblatt und blieb nur deshalb e rhalte n, w eil J. U . Jarnik es als
sprachliche Illu s tra tio n zu seinen linguistischen Beiträgen ‫ ״‬Z u r albanischen Sprachenkunde“ (I-eipzig
1881 )a b d ru c k te . Da .A lb a n ie n ' fe m inin ist. bietet sich die A lle g o rie einer Frau an. die w ir im Deutschen m it
der G erm ania ja auch kennen, ln neuerer Z e it hat D . A g o lli die G estalt der .M u tte r A lb a n ie n ‘ in einem
Poem festgehalten.
41 V e h b i Baia: Pashko Vasa. P o rlre t-m o n o g ra fi. T iran e 1979, S. 195 f.
D e r A gapi-R om an (1851) ist in de r Sprachvariante vo lkstü m lich e r: d o rt fehlen v o r allem in der
A u to re n re d e die A ttrib u t-In v e rs io n e n (pers. E zafei) und gebrochenen arabischen P lurale, die Samis Stil
tro tz aller Bemühungen um V o lk s tü m lic h k e it noch schw erfällig erscheinen lassen.

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Die h a u im Unglück 149

Liebhaber als Mädchen verkleidet in das Haus der G eliebten einschleicht,


phantastisch ist die Geschichte von dem (wahrscheinlich der G e ntry angehören-
den) V a te r, der nicht weiß, daß er eine Tochter hat. Das Testament als Lösung des
Problem knotens gibt sich als Requisit der romantischen L ite ra tu r zu erkennen;
fre ilich zu spät, um dem Roman eine glückliche W endung geben zu können.
W ir haben es demnach m it einer M ischung von phantastischen und ‫ ״‬realisti-
sehen" Elem enten zu tun, und diese ist charakteristisch fü r die L ite ra tu r der
französischen R om antik. N u r Deutsche oder E ngländer assoziieren m it dem
B e g riff fü r die betreffende S tilrichtung die Blaue Blum e oder ein W o lke n ku k-
kucksheim. D ie Romane eines A lexandre Dumas (père), V ic to r H ugo oder
Eugène Sue stellen engagierte Literatur dar, deren Tendenz gleichwohl in span-
nende, kurzw eilige und stellenweise phantastische Geschichten verpackt ist. Das
M o tiv der V erw andlung und V erkle idu ng , des späten gegenseitigen W iedererken-
nens der Protagonisten bildet ein wichtiges S trukturelem ent sowohl des »Grafen
von M onte Christo« (1845 f.) , als auch von Sues »Geheimnissen von Paris« (1842
f.). W ir können daher die »Liebe zwischen T alat und Fitnet« (1872) als eine
Kreuzung aus Elementen der einheimischen L ite ra tu r der T ü rken (tragischer
Ausgang) und der französischen R om antik (P hantastik, G esellschaftskritik)
bezeichnen. E r stellt ein gutes Beispiel fü r die schöpferische Übernahm e westli-
eher Techniken m it einer zeitlichen Verzögerung von knapp 30 Jahren dar.
M it Pashko Vasa steht die Sache insofern anders, als er sich an ein westliches
Leserpublikum wendet. E r hat es einerseits leichter als Sami, w eil er sich nicht erst
um ein adäquates sprachliches Ausdrucksm edium zu bemühen braucht. A nderer-
seits aber w ird der S kutariner A u to r dann auch an seinen französischen Vorgän-
gern gemessen, und das ist dem Rom an zum U nh eil ausgeschlagen. E r ist heute
vergessen, denn in Frankreich konnte er nicht am literarischen Prozeß teilnehm en.
Um 1890 bestimmten Z o la und Maupassant den Geschmack in bezug auf
Prosaliteratur. Behält man dies im A uge, dann kam Bardha de Tentai um ein
halbes Jahrhundert zu spät. Es muß jedoch die Frage gestellt werden, ob Pashko
Vasa m it seinem W erk überhaupt literarische A m b itio n e n verfolgte. Da der A u to r
auf ein erfülltes Leben der aktiven P o litik zurückblicken konnte, sollten w ir das
Buch eher als eine A r t Testament ansehen, m it dem er noch einm al auf die
Geschicke seiner H eim at E in flu ß zu nehmen versuchte.
Pashko Vasa bedient sich der Form des rom antisch-ethnographischen Romans
im Stil eines M érim ée, um im Ausland publizistisch wirksam zu werden. M it seiner
Schrift La vérité sur l'Albanie et les Albanais (Paris 1879), die seinerzeit auch
umgehend ins Deutsche übersetzt w urde4’ , lieferte e r eine dürre A bhandlung, die
während der O rientkrise bei den Großm ächten um Verständis fü r das A nliegen
der Liga von Prizren werben sollte. Ein Jahrzehnt später w ar die Liga zusammen-
gebrochen und A lb a n ie n , d. h. die vie r »albanischen Vilayets« (K osovo, M ona-
stir, Skutari und Janina), bereits vollständig zum Spielball inte rn atio nale r K räfte
geworden. D ie Frage war je tz t, bei welcher G roßm acht w ohl die albanischen
Interessen am relativ besten aufgehoben waren. Sieht man die A k te n des W iener

43 Wassa E ffe n d i: A lb a n ie n und die Albanesen. Eine historisch-kritische Studie. B e rlin 1879.

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150 A . Hetzer

Haus-, H of- und Staatsarchivs durch, dann stellt sich leicht der E in d ru ck ein, als
bestünde A lbanien vornehm lich aus katholischen Stämmen, die ab und zu mit
ihren muslimischen Landsleuten in Streit gerieten, und diese Einschätzung finden
w ir merkwürdigerweise an einer Stelle (S. 231) in Wassa E ffendis Rom an wieder.
Es gab keine bessere Handhabe, in die T ü rk e i hineinzuregieren, als wenn man
alles, was die K atholiken Nordalbaniens betraf, in seiner Bedeutung aufbauschte
und zum Gegenstand von diplomatischen Dem archen machte. D ie lokalen
4 ф

Stammesführer genossen diese Ü berbew ertung, und einer, der zum Gegenstand
internationaler Verhandlungen aufrückte, w ar Prenk Bibë D oda, der E nkel jener
Frau, die Bardha (wie sie im Roman heißt) heim tückisch erstach. D e r Skutariner
Pashko Vasa siedelt die Handlung seines Romans in diesem M ilie u der Berg-
stamme44 an, indem er die rechtschaffenen Menschen v e rh e rrlich t, gleichzeitig
aber die traditionelle Führung, die B ajraktare und im einzelnen den M ird ite n -
Kapedan, total ko m p ro m ittie rt. L u li von Tem al macht ja im Rom an keine gute
Figur.
Rexhep Qosja hat sicher nicht recht, wenn er in bezug au f die rein literatische
Ebene behauptet, im Roman Bardha de Temal überwiege die Erzählzeit vo r der
O bjektzeit45. D er literarische Text bietet keine A nh altsp un kte dafür, daß der
A u to r nicht die Ereignisse des Jahres 1842, sondern die Situation von 1890
schildere. V ielm ehr hat man den E ind ruck, daß tro tz der exakten D atierung auf
1842 die Handlung in ein zeitloses ethnographisches M ilie u plaziert sei. Fraglos
recht hat Qosja aber dann, wenn w ir uns nicht m it einer textim m anenten Analyse
begnügen, sondern den historischen K ontext der V e rö ffe n tlich u n g ebenso wie
Vasas Biographie m it berücksichtigen. Was sollte schon eine rührselige Liebesge-
schichte, die selbst in einer bürgerlichen Gesellschaft damals nicht hätte gut
ausgehen können, dem französischen Leser von 1890 fü r eine Botschaft überbrin-
gen? Da der A u to r sich hinter dem Pseudonym A lbanus A lb a n o versteckt, w ird
sein Anliegen kaum der literarische Ruhm gewesen sein. D ie Botschaft des
Romans ist m einer M einung nach in etwas anderem zu suchen: D ie unglückliche
Braut Bardha, die einem unwürdigen Bräutigam anverm ählt w urde, ohne daß sie
dazu gefragt worden wäre, ist eine A lle g o rie fü r A lb a n ie n . Bardha bedeutet ‫ ״‬die
W eiße", und nach einer gängigen Etym ologie hängt der Landesname A lbanien
m it albus ,weiß' zusammen. So betrachtet wäre die gedankliche Aussage des
Romans nicht nur eine Verschlüsselung in bezug auf die Fam ilientragödie bei den
D odaj, sondern auf einer höheren Ebene fü r A lb a n ie n als O p fe r der Stammesfüh-
rer, die nur um persönliche V orteile buhlen, indem sie sich verschiedenen
ausländischen Mächten ausliefern.
Da Pashko Vasa 1848 in der Festung Venedig auf der Seite der italienischen
Liberalen gegen Österreich käm pfte, dü rfte hinlänglich kla r sein, welches seine

44 Tem al ist verm utlich ein Anagram m fü r rnalvt, was nicht nur .die Berge*, sondern in einem spezielleren
Sinne metonymisch .die patriarchalisch verfaßten Sippen der Berge* bedeutet.
4* Qosja: H isto ria . S. 33() f. W ir haben allerdings gesehen, d a li man an einer Stelle (S. 241 ) überlegen muß.
wem der A u to r den Satz über A b dülh am id II. in den M u n d legt — o d er ob es sich um A u to re n re d e handele.
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Die Frau im Unglück 151

Überzeugungen w a re n *. So ist es tro tz der recht dürftigen Quellenlage auch mehr


als sicher, daß er w irk lic h der A u to r des Gedichts ‫ ״‬Arm es A lb a n ie n “ (1880)47 ist.
U nd was ist plausibler als daß dieser selbe A u to r sich wiederum ein Jahrzehnt
später in verschlüsselter Form gegen das K ultusprotektorat wendet, das auf
diplom atischer Ebene den Hebel darstellte, m it dem die Donaumonarchie ständig
in die albanischen Angelegenheiten hineinpfuschte? D er Roman ‫ ״‬Bardha von
Tem al“ ist eine vielschichtige S treitschrift, in der romantische Episoden und
gefühlvolle Beschreibungen die Verpackung fü r eine brisante politische Partei-
nähme darstellen.

V. Schlußfolgerungen
Sami Frashëris Roman »D ie Liebe von Talat und Fitnet« ( 1872) behandelt in der
Form des sentim entalen Liebesromans das ernste Thema der gesellschaftlichen
Benachteiligung der Frau. Dies w ird an drei Frauenschicksalen exem plifiziert: der
M u tte r von T a la t, der M u tte r von Fitnet und Fitnet selbst. Das U nglück, das Fitnet
w id e rfä h rt, näm lich gegen ihren W ille n m it einem älteren Mann verheiratet zu
werden, w ar damals allgemein verbreitet. — Wassa Effendis »Bardha von Temal«
behandelt in der Form des romantisch-ethnographischen Romans die sinnlosen
Blutfehden unter der Bevölkerung Albaniens. D ie Frauen leiden darunter, aber
dieses Leid müssen sie nach den Regeln des strengen Ehrenkodex der Berge in
Stolz ertragen; selbst die T rauer ist in festen Formen reglem entiert. Außerhalb
dieser Regeln des gesellschaftlichen Komments stellt sich Bardha, die, obwohl
verheiratet, einer schwärmerischen Liebe nachtrauert, weil sie von ihrer rauhen
U m w elt nicht akzeptiert und vom Ehemann nicht gestützt w ird. Es ist zu
verm uten, daß der A u to r diese literarische Figur, obwohl sie ein historisches
V o rb ild hat, als S innbild fü r A lbanien einsetzt. Entlang dieser Interpretationslinie
ergibt sich in bezug auf die Frauenfrage keinerlei E rkenntnis, vielm ehr bestünde
die Botschaft des vordergründig sentimental wirkenden Romans in einer ver-
schlüsselten A nklage gegen die politischen Führer des Landes und ihre ausländi-
sehen H interm änner.
Die albanische Literaturgeschichtsschreibung verwendet die Epithete ‫ ״‬roman-
tisch“ und ‫ ״‬sentim ental“ als uneingeschränkt negativ, indem sie von einem
zeitlosen Konzept des Realismus ausgeht, an dem alles gemessen w ird. Das
Phantastische, G roteske oder Hyperbolische w ird bestensfalls in der Satire
geduldet, jedoch auf keinen Fall in ernster B elletristik. So verfällt Pashko Vasa,
obwohl man ihm gewisse Verdienste nicht absprechen kann, einer V erurteilung,
die sich auch au f die späteren A u to re n Ndoc N ik a j, M ihal Gram eno, Foqion

46 Die A u lo re n re d e ergeh! sich zumeist in schwülstigen Beschreibungen der Sitten des Landes, und
W eltanschauung w ird nu r sehr de/.ent v c rm itle ll. Dem Pater l^eonard, fü r den Leonardo de M a rtin o Pale
gestanden hat. legt de r A u to r folgende bem erkenswerte Überlegung in den Sinn (e r spricht sie nicht aus):
..Ist es denn w irk lic h ein V erbrechen, wenn man einen Menschen tö te t, um sich fü r eine Beleidigung zu
rächen oder einem Freund zu helfen? — fragte ersieh im Stillen. U nd nach kurzem Zaudern sagt er bei sich
selbst: N ein, das ist kein V erbrechen, denn die Könige verursachen in den Kriegen und Schlachten, die sie
führen, den T o d von Tausenden und Abertausenden von Menschen. A uch die Päpste haben, um den
G lauben zu retten , ih re V o rrechte zu bewahren und ihre M acht zu stärken, veranlaßt, daß w er weiß w ieviel
Menschen u m ko m m e n .“ Bardha. S. 262.
47 Vgl. A n m . 40.
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152 A . Hetzer

Postoli und Mustafa G reblleshi erstreckt4*. In d ire kt läßt sich schließen, daß auch
Sami Frashëris Rom an von Talat und Fitnet in diese verabscheuenswerte Katego-
rie fä llt, obw ohl sein Rom an nicht eigens zum Gegenstand literaturgeschichtlicher
Bew ertung gemacht w ird . M an kann jedoch nicht übersehen, daß auch Jahrzehnte
nach Erscheinen der beiden Bücher die albanische L ite ra tu r keinerlei Werke
aufzuweisen hatte, die es an K un stfertigke it der Gestaltung und K om plexität der
H andlung m it Wassa E ffe ndi oder Sami Bey hätten aufnehmen können. Schmale
Lyrik-B ändchen oder H eldenlieder im Stile der Malsoren bestimmten den Litera-
tu rb e trie b in A lb a n ie n bis zum 2. W eltkrieg. D ie beiden A u to re n , denen in
besonderer Weise die positiven E pithete ‫ ״‬Realist“ und ‫ ״‬P atrio t“ angeheftet
werden, lebten im A usland; Ç ajupi in Ä gypten, A sdreni in Rumänien. Überdies
waren sie auch nicht in der G attung der Erzählprosa a ktiv, sondern schrieben
vornehm lich Verse. Es soll deshalb hier der Versuch gemacht werden, Pashko
Vasa und Sami Frashëri einen sichtbareren Platz im literarischen Erbe der A lbaner
zuzuweisen, als dies bisher geschehen ist. A ls Verfasser eines einzigen Gedichts
(‫ ״‬A rm es A lb a n ie n “ ) gehörte der S kutariner bisher auch schon zum Lesekanon,
und von Sami schätzt man besonders die ihm zugeschriebene anonym erschienene
S chrift ‫ ״‬A lb a n ie n , was es w ar, was es ist und was es sein w ird “ (Bukarest 1899)44.
A b e r das genügt bestenfalls fü r einen Platz im Geschichtsbuch, nicht in der
L/'/eramrgeschichte. ln ihren ‫ ״‬sentim entalen“ Romanen jedoch trafen die beiden
Koryphäen der N ationalen W iedergeburt einen T on, der den Lesegewohnheiten
des gebildeten Publikum s ihrer Z e it entsprach. Samis Roman, der klassisch-
orientalische und westliche Elemente verbindet, lag vö llig im Trend der Z e it und
deckt sich in wesentlichen Zügen, einschließlich der Phantastik, m it dem Roman
Agapi (1851). Pashko Vasa kn ü p ft an die romantisch-ethnographische Prosa der
Franzosen an, indem er die V olkssitten seiner Heim at beschreibt. Die romantische
«•

Ü berhöhung, die ihm dabei un terläuft, dient dem Zw eck, den A lbanern im
A usland Ansehen zu verschaffen. Im übrigen aber handelt es sich genau um das,
was die E uropäer an den Schilderungen aus dem M orgenland schätzten: Die
Ü bertreibung gehört zum G enre50.
A u f jeden Fall schafften die beiden A utoren etwas in hervorragender Weise,
was längst nicht alle späteren S chriftsteller von sich behaupten können: M an liest
ihre W erke m it Vergnügen, w eil sie dem Leser einen anspruchsvollen In ha lt in
kurzw eiliger Form bieten.

48 Q osja: H is to ria . S. 348.


49 Das W erk w urde seinerzeit ins Deutsche übersetzt: Was w ar A lb a n ie n , was ist es. was w ird es werden?
G edanken und Betrachtungen über die unser geheiligtes V aterland A lbanien bedrohenden G efahren und
deren Abw endung. A us dem T ürkischen übersetzt von A . T raxle r. W ien , Leipzig 1913. Them atisch handelt
es sich um eine A r t W iederaufnahm e und F ortführung der Broschüre von Wassa E ffendi (1879). vgl. A n m .
20. Besonders pikant ist, daß aus dem Türkischen übersetzt wurde. Diese Fassung hatte die W iener
Regierung bei Shahin K o lo n ja in A u ftra g gegeben!
50 Q osja macht sich lustig, daß Pashko Vasa das S kutariner Mädchen Bardha m it den K ö niginnen des
A lte rtu m s , m it Semiramis. K le op atra und Zenobia vergleicht. H is to ria . S. 339.

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Tradition und Neuerung in der heutigen albanischen Literatur

G jergj M isha, Tirana

D ie T ra d itio n spielt in der E ntw icklung der albanischen L ite ra tu r in den verschie-
densten Richtungen, in verschiedenster A r t und Weise, in ihren allgemeinen
Prozessen und Tendenzen sowie in einzelnen Gattungen und A rte n , im In h a lt und
in der Form eine Rolle. V iele wesentliche M erkm ale unserer neuen L ite ra tu r, die
sich nicht nur im Geist und in den Ideen ausdrücken, die die L ite ra tu r prägen,
sondern auch in ihrem inhaltlichen Reichtum und der K la rh e it der Form en, kann
man, losgelöst von der T ra d itio n der Vergangenheit, nicht begreifen. So kann man
auch den ganzen Prozeß der Entstehung und E ntw icklung des Sozialistischen
Realismus in der heutigen albanischen L ite ra tu r, getrennt von den früheren
Prozessen der Literaturentw icklung in A lbanien, die zur H erausbildung einer
demokratischen und realistischen L ite ra tu r geführt hatten, nicht verstehen.
T ro tz alledem ist die Frage über den Platz, den die T ra d itio n in der heutigen
L ite ra tu r ein nim m t, sehr kom plex, da die Beziehungen zur T ra d itio n — zu dieser
‫ ״‬heiligen K ette, die die Menschen m it der Vergangenheit verbindet“ , wie H erder
sagte — nicht nur tie f, sondern auch vie lfä ltig sind. Deshalb haben w ir im
folgenden die A ufm erksam keit vorwiegend auf einen der wichtigsten Aspekte
dieser Beziehungen konzentriert, nämlich auf die V erbundenheit unserer Lite ra -
tu r m it dem Erbe der Folklore als einem Kennzeichen, das von ih re r K o n tin u itä t
zeugt. Ohne den Zusammenhang dieser Beziehungen aus den Augen zu verlieren,
werden w ir auch einige schöpferische Neuerungen e rö rte rn , die sich in der
heutigen albanischen L ite ra tu r finden.
A u fg ru n d der historischen und gesellschaftlichen Um stände, unter denen
unsere nationale K u ltu r entstand und sich entw ickelte, bildeten in ih r die
mündliche Volkskunst und das mündliche Volksschaffen w ichtige Bestandteile.
Die F olklore wurde im Laufe der Jahrhunderte zum H o rt der Lebenserfahrungen
unserer ethnisch-nationalen Gemeinschaft. M it ihren charakteristischen Formen
und ihrem charakteristischen In ha lt, in denen die F o lklo re die Psychologie und die
ethnischen M erkm ale unseres Volkes zum A usdruck gebracht hat, stellte sie
Jahrhunderte lang die nationale H au pttrad ition im Bereich des Kunstschaffens
dar. U n te r Bedingungen, in denen eine entw ickelte T ra d itio n der ku ltiv ie rte n
nationalen Kunst fehlte, diente die Folklore auch als Stützpunkt fü r die Entste-
hung und das Gedeihen der kultivie rten Kunst.
Wenn w ir auf die schriftliche albanische L ite ra tu r, deren Anfänge ins 16. Jahr-
hundert zurückreichen, einen B lick w erfen, stellen w ir fest, daß sie sich in engen
Beziehungen zum Volksschaffen entw ickelte. W ie auch E. Çabej hervorhebt,
geschah dies, weil bei uns, wie überall auf dem B alkan, ‫ ״‬die beiden Keim e (der
V o lk s ku ltu r und der H och kultu r) innerlich m iteinander verbunden sind; ihre
Grenzen zueinander verschwinden hier mehr als anderswo“ 1. N atü rlich waren der

1 Çabej. E .: Per gjenezën e literatures shqipe. in: Ç abej. F.., Studim e gjuhesore. Bd. 5. Prishtine 1975. S. 117.

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154 С . Misha

C harakter und die Formen der V erbindungen, die die L ite ra tu r m it der Folklore
eingegangen ist, nicht im m er gleich. D ie Verhältnisse und Beziehungen zwischen
ihnen haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Diese Verbindungen zeigen
sich bereits in den ersten W erken, die die Geschichte unserer schriftlichen
L ite ra tu r kennt, also in der alten L ite ra tu r, unter der w ir hauptsächlich die
L ite ra tu r aus der Z e it des Feudalismus verstehen. U m m it dem einheimischen
M ilie u kom m unizieren zu können, fand diese L ite ra tu r, obw ohl sie im Kern eine
L ite ra tu r m it einem religiös-didaktischen C harakter war. eine sichere U nterstüt-
zung im Schaffen unserer F o lklo re . Bereits bei den ersten V ertre te rn der
albanischen L ite ra tu r im Z e itra u m zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert machte
sich in zahlreichen W erken der E in flu ß der F o lklore au f die Sprache, die M e trik ,
die In ton atio n und die Figuration bem erkbar2. Zw eifelsohne führte die alten
S chriftsteller nicht die them atisch-ideelle Ä h n lic h k e it zur F o lklo re , sondern der
B edarf, sich auf konsolidierte Sprachmodelle und A usdrucksm ittel zu stützen, die
unter den Bedingungen des Mangels einer V o rlä u fe r-T ra d itio n nur das V olks-
schaffen anbieten konnte. A uch als diese A u to re n sich m ehr auf fremde M odelle
stützten, haben sie nicht jegliche V erbindung m it der albanischen Folklore
abgebrochen, denn die fremde E rfahrung konnte nicht alle die Probleme lösen,
die vo r ihnen standen. A u f der anderen Seite strebten auch diese A u to re n wie alle
kulturschaffenden K räfte danach, ein Lesepublikum fü r albanischsprachige Lite -
ra tu r zu gewinnen.
D ie V erbindung zur F o lklo re , ein C harakteristikum fü r alle neuen L ite ra tu re n
und fü r die literarische R ichtung der R om antik, w ar sehr eng in der albanischen
L ite ra tu rtra d itio n , insbesondere in der Z e it unserer N ationalen W iedergeburt
( 1830-1912). In dieser Z e it machte sich eine interessante Erscheinung bem erkbar:
die H erausbildung unserer L ite ra tu r als w ahrhaft nationaler und schöngeistiger
L ite ra tu r fiel m it der Entstehung und der E ntw icklun g der R om antik zusammen.
Diese L ite ra tu r spiegelte das Leben und die Bestrebungen des V olkes, die Züge
seiner historischen gesellschaftlichen und geistigen E ntw icklung w ider und
gewann dadurch o rig in ä r nationale M erkm ale. Diese M erkm ale wurden in unserer
L ite ra tu r der W iedergeburt noch deutlicher aufgrund der Tatsache, daß sie in
ihrem K a m p f um die H ervorhebung der historischen nationalen W erte unseres
V olkes ihren B lick auch au f die V o lk s k u ltu r und das Volksschaffen als einen der
wesentlichsten Bestandteile der neuen nationalen K u ltu r w arf. D ie S chriftsteller
der W iedergeburt haben die G rundlage des W iderstandes gegen die A ssim ilierung
frem der Einflüsse im V o lk gesehen, die Fundamente dieses Widerstandes hinge-
gen im Bereich der K u ltu r, in der V o lk s k u ltu r; deshalb haben sie die Frage nach
der albanischen N a tio n a litä t auch als eine Frage nach den ‫ ״‬V o lkslie d e rn “ betrach-
tet. D e r R ü c k g riff der S chriftsteller auf die V olkskunst w ar in dieser Z e it bei den
Arbereschen Italiens noch ausgeprägter, da diese sich bem ühten, durch die

2 Bei dem früheren D ichtungsw erk von P. B u d i bem erken w ir. daß der Vers seiner G edichte eine ähnliche
m etrische S tru k tu r wie der albanische V olksvers hat. A u ch die P rosa literatur dieser Z e it hat sich sehr a u f
das Sprachgut gestützt, w iedas W erk von P. Bogdáni beweist. A u ch die religiöse D ichtung des A rbereschen
J. V ariboba ist. tro tz des Einflusses der italienischen L ite ra tu r, der m ündlichen V olkskunst so nahe
geblieben, daß seine W erke im V o lk große V e rb re itu n g finden konnten.

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Tradition und Neuerung 155

V olksd ich tu ng ihre Existenz und ihre nationale Id e n titä t zu beweisen. Deshalb hat
ihre schriftliche Poesie aus der Volkspoesie geschöpft. Sie ähnelt ih r in vielen
Fällen sogar sehr.
Die tra d itio n e lle K u ltu r hat die A ufm erksa m keit der S chriftsteller der albani-
sehen W iedergeburt nicht nur auf G ru n d von M erkm alen wie der jahrhunderteal-
••

ten Lebensweise, dem Wunsch zum Ü berleben oder aufgrund der ethnischen
E in h e it, die sie in sich ve rkö rp e rt, au f sich gezogen, sondern auch aufgrund ihrer
schon langen Genese. In den G ebieten, in denen die A lb a n e r lebten, haben die
alten W urzeln, das A lte r der Sprache und die Sitten und Bräuche unseres Volkes
o ft den ersten Platz in ihren literarischen W erken eingenommen. Fast in all ihren
Schriften richteten S chriftsteller der W iedergeburt ihren B lic k au f die historische
Vergangenheit, indem sie ihre W erte verherrlichten und m it Nachdruck bekräftig-
ten, was beim Erwachen des N ationalbewußtseins eine wichtige R olle spielen
sollte. A uch in diesen Fällen kam ihnen das Erbe der F o lklo re zu H ilfe . Bei vielen
A u to re n , wie De Rada, P. Vasa, N. Frashëri etc. vollzog sich die O ffenlegung der
Vergangenheit in ihrer ganzen W e rtb re ite in den Fällen, bei denen es an
eigentlichen historischen Beweisen und D okum enten fehlte, durch die harm oni-
sehe V erbindung von realen Elem enten m it historischen Sagen, die o ft noch in den
Erinnerungen des V olkes lebendig waren■’ . V erbunden m it feurigen G efühlen der
Vaterlandsliebe w ird die L ite ra tu r der ‫ ״‬historischen O ffenbarung” auf diese
Weise bewußt aus dem Q uell der V o lk s tra d itio n gespeist. Unsere Nationale
W iedergeburt verzeichnete dank einiger ih re r hervorragendsten Persönlichkeiten
wie G . de Rada, N. Frashëri und A n d o n Z a ko Ç ajupi eine wahre Wende in der
Geschichte unserer L ite ra tu r, indem sie diesen Volksgeist stärkte. D ie Erneue-
rung, die sie brachten, verbindet sich in erster L in ie m it neuem In ha lt in der
L ite ra tu r, denn gerade diese A u to re n schufen die wahre L ite ra tu r m it dem V o lk
als G rundlage. Diese A u to re n nutzten m eisterhaft die D ichtkunst der mündlichen
Ü berlieferung aus und legten dam it die Fundamente zu einer nationalen Sprache
und L ite ra tu r. Einem von ihnen, N. Frashëri, gebührt auch das V erdienst, einen
neuen Weg in unserer nationalen T ra d itio n bei der V erbindung von k u ltiv ie rte r
L ite ra tu r und F olklore gefunden zu haben, einschließlich der ständigen Berufung
auf sie. Diesen Weg haben viele S chriftsteller später, bis in unsere Tage hinein,
eingeschlagen.
A u f der Basis der engen V erbindung zur V o lk s k u ltu r und zum Folkloreschaffen
entw ickelte sich auch unsere ganze fo rtsch rittlich e L ite ra tu r aus der Z e it der
Unabhängigkeit (1912—1939). In den Schriften der besten A u to re n dieser Z e it,
die sich durch einen scharfen realistischen Geist und eine kritisch-ablehnende
Haltung gegenüber zahlreichen negativen Aspekten der R ealität ih re r Z e it
auszeichneten, haben die M erkm ale des m ateriellen und geistigen Lebens unseres
Volkes, die O rig in a litä t seiner historischen, sozialen und ideologischen E ntw ick-
lung ihren A usdruck gefunden. In den 30er Jahren entw ickelte sich die albanische
L ite ra tu r unter den neuen historischen Bedingungen, wobei als wesentliche

•‫י‬ V gl. u.a. De Rada. J.: C anti di M ilosao. N a p o li 1836: Vasa. P.: La v ir it d sur l'A lb a n ie e les A lbanais. Paris
1879: Frashëri. N .: Isto ri e Skenücrbeut. Bukarest 1898.

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156 G. Misha

M erkm ale die Stärkung des sozialen Klassenunterschiedes und die Herausbildung
der ideell-ästhetischen Kontraste zu nennen sind. N a tü rlich hat dieser Kontrast
auch die V erbindungen zwischen L ite ra tu r und F o lklo re be rü hrt, ln der L ite ra tu r
der 20er und 30er Jahre zeichneten sich gegenüberstehende Tendenzen und
H altungen ab, vo r allem in bezug au f Platz und R olle der M ythologie in der
ku ltiv ie rte n L ite ra tu r, bei der F olklore insbesondere im Zusammenhang m it der
ideologischen In te rp re ta tio n des mythologischen Stoffes4.
D ie L ite ra tu r nach der B efreiung, die als eine neue L ite ra tu r zu sehen ist, die
unter neuen sozial-historischen Bedingungen entstand und sich herausbildete, und
als eine L ite ra tu r, die sich auf die ideellen und künstlerischen P rinzipien des
Sozialistischen Realismus stützt und davon leiten läßt, mußte ihre Verbindungen
zum Folkloreschaffen aufrechterhalten; doch die Beziehungen zwischen ihnen
haben nun einen spezifischeren C harakter. O bw ohl der Sozialistische Realismus
eine neue Etappe in der Geschichte der albanischen L ite ra tu r darstellt, ist er nicht
losgelöst zu betrachten. E r bekam ein eigenes G esicht, indem er alles W ertvolle
bewahrte und fortsetzte, was im literarischen Bereich in der Vergangenheit
geschaffen worden war. D e r patriotische G eist, die enge V erbindung zum Leben,
sein volkstüm licher C harakter und Realismus, all dies stellt einige der gesunden
W erte dar, die die heutige L ite ra tu r übernommen hat. Im Vergleich zu den
vorherigen Perioden hat die neue albanische L ite ra tu r aber auch einige neue
M erkm ale hinzugewonnen, die in erster L in ie aus dem Im puls stammen, den der
neue In h a lt der künstlerischen Form gab. Unsere neuere L ite ra tu r hatte das Z iel
jene tiefen U m wälzungen, die m it dem revolutionären C harakter einhergingen, zu
schildern, die unser Land nach der V o lksre vo lu tio n durchm achte. Sie entw ickelte
und konsolidierte sich w eiterhin als eine L ite ra tu r m it realistischer A usrichtung,
die durch die künstlerische D arstellung des Lebens die V erbindung von Einzelcha-
rakteren zu ihren historischen und sozialen Umständen vertiefte . D ie lntensivie-
rung des Realismus gab der albanischen L ite ra tu r größere Verallgem einerungs-
m öglichkeiten, gleichzeitig aber einen ausgeprägteren analytischen sowie synthe-
tischen C harakter. Neues H auptm erkm al des Realismus in der heutigen L ite ra tu r
ist die D arstellung der sich vorwärtsbewegenden Gesellschaft. Diese Betonung
des inhaltlichen M om ents hat dazu geführt, daß die L ite ra tu r ihre M öglichkeiten
in der ästhetischen D arstellung bereichern und so das künstlerische System
erw eitern konnte, indem sie jene künstlerischen Form en und Weisen ausnutzte,
die sie von der progressiv-demokratischen L ite ra tu r der Vergangenheit übernom -
men hatte, um sie dann fü r alle sichtbar um neue Formen zu bereichern. A u f dieser
G rundlage sollte die neue L ite ra tu r auch eine U nterstützung durch die künstleri-
sehen und ästhetischen Erfahrungen aus der F o lklore erhalten. N atü rlich waren
die V erbindungen zwischen der neuen albanischen L ite ra tu r und dem künstleri-
sehen Volksschaffen au f den verschiedenen Entw icklungsstufen nicht im m er
gleich.

B etreffs de r Beziehungen zwischen der L ite ra tu r und V olkskunde während dieser Z e it. vgl. U c i, A .:
M ito lo g ia , fo lk lo ri, letcrsia. T ira n e 1982. S. 279-361.

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Tradition und Neuerung 157

D er C harakter dieser V erbindungen hat sich im E inklan g m it der E ntw icklun g


und der Schilderung des künstlerischen und literarischen Schaffens verändert. D ie
erste Periode der albanischen Literaturgeschichte in der Z e it nach der B efreiung,
die bis zum Ende der 50er Jahre andauerte, w ar geprägt von einer intensiven
Beschäftigung m it der m ündlichen D ichtkunst. Dies ist nicht nur auf die Tatsache
zurückzuführen, daß damals in diesem Bereich eine lebendige T ra d itio n existierte,
sondern muß auch aus den Bedürfnissen der Z e it heraus gesehen w erden, als man
auf der Suche nach einer Kunst w ar, die sowohl im In ha lt als auch in der Form m it
dem Geist des V olkes identisch war. G leichzeitig muß man unterstreichen, daß die
weitgehende E ntlehnung der Subjekte, der Gestalten und M o tive der F olklore
oder auch die D arstellung von Ereignissen der Z e it durch S tilm itte l der V olkspoe-
sie von der Situation geprägt w urde, in der sich die neue L ite ra tu r befand; denn
ihre eigene E rfahrung w ar in den ersten Jahren nach der B efreiung noch
unzureichend fü r die ganze epische W iderspiegelung des Lebens, vo r allem fü r
breitangelegte künstlerische A bstraktio nen . D ie S chriftsteller bem ühten sich, den
Mangel an E rfahrung w ett zu machen, indem sie M o tive und Situationen aus der
Folklore übernahmen oder indem sie aus dem Leben genommenen S toff in
Anpassung an M odelle der F o lklore um gearbeitet haben. In einigen W erken
dieser S chriftsteller sind z. T . Subjekte und M o tive des m ündlichen dichterischen
Schaffens auf der G rundlage der D ichtkunst und der S tilistik der F o lklore
behandelt w orden, die dies z. B. bei N. P rifti und F. G jata der Fall ist. In anderen
W erken sind die von der F o lklore übernommenen Subjekte auf der G rundlage der
kultivierten literarischen T ra d itio n bearbeitet, so bei Halil und Hajria von Kolë
Jakova. Das Fundament dieses W erkes ist ein historisches Ereignis aus dem 18.
Jahrhundert, das der A u to r einem V olkslied entnom m en hat. Dieser A u to r hat
auch einige Gedichte m it einem Sujet aus dem heutigen Leben geschaffen, doch sie
wurden jew eils im E inklang m it den Form anforderungen der F olklorew erke
geschrieben. Sein G edicht Die Helden von Vigu zum Beispiel, das vom Standpunkt
der Form über alle A ttrib u te einer großen epischen Poesie verfügt, reiht sich in
eine folkloristische V ision der W elt ein, die dem Sinn nach das Heroische im
Menschen aus dem B lickw in ke l eines stark optim istischen Realismus sieht. Dies
sind typische M erkm ale fü r die breite S tru k tu r des albanischen Folkloreschaffens.
I rotzdem verbreitete sich die Form der unm ittelbaren Ausnutzung der Stoffe
und der folkloristischen A usdrucksm ittel in dieser Z e it in begrenztem Rahmen
und in den verschiedensten W erken zu einem historisch relevanten Punkt.
Ausgehend von den 60er Jahren haben sich die E ntw icklungsform en von
L ite ra tu r und F o lklo re w eite re n tw icke lt; in dieser Phase zeigt sich der E in flu ß des
mündlichen dichterischen Schaffens nicht an äußeren M erkm alen der Sprache, des
Stils und des Inhalts, sondern am Prozeß des Kunstschaffens selber. D ie D ich te r
und S chriftsteller nutzten die A r t und Weise der künstlerischen D arstellung von
Erscheinungen und Ereignissen, m it denen man die historischen E rfahrungen des
Volkes wiedergegeben hat, aus, ebenso wie In to n a tio n und Stil bei der vo lkstü m li-
chen Erzählweise und die allgemeinen Prinzipien der O rganisierung von Kunst-
spräche in folkloristischen W erken. Dieses E lem ent, das in den Lite ra turw e rken
dieser Z e it präsent ist, w ird w eitläufiger und verschm ilzt so bestens m it fo lk lo ris ti-
sehen Elem enten. Diese Erscheinung ist einmal aus der E ntw icklun g unserer
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158 G. Misha

schöngeistigen L ite ra tu r insgesamt und zum anderen aus der Tatsache heraus zu
erklären, daß sie breitere M öglichkeiten gewonnen hat, die Ereignisse künstle-
risch zum A usdruck zu bringen. M it dem Erscheinen neuer Talente, die eine
ausgeprägte Schaffensoriginalität vorweisen können, wie I . Kadaré, D . A g o lli, F.
A ra p i etc. hat sich der künstlerische Erfahrungshorizont der L ite ra tu r sehr
erw eitert. U n te r diesen Bedingungen veränderte sich auch das V erhältnis unserer
S chriftsteller zur F o lklo re . Haben in der ersten Phase viele Schriftsteller verschie-
dene Themen aus der F o lklo re übernommen, so richteten sie sich nun an
festgelegte M odelle der T ra d itio n , die ihren dichterischen Ideen eine allgemeine
A u ra geben sollten.
In den W erken unserer besten heutigen A u to re n finden w ir keine direkten
Entlehnungen von M o tiven oder Situationen aus der V o lk slite ra tu r, obw ohl man
nicht um hin kann, den E in flu ß des dichterischen Volksgenius zu konstatieren.
D ritë ro A g o lli hat es in seinem W erk meisterhaft verstanden, eine der bezeich-
nendsten m ündlichen E rzählform auszunützen, die ihm zur Charakterisierung und
Typisierung von Personen und Situationen zur Verfügung stand. In seinem
G edicht ‫ ״‬M u tte r A lb a n ie n “ benutzt er neben den traditionellen poetischen
Formen auch diese aufhebende Form eln oder sogar Volkssprüche. Um ein
größeres Bedeutungsfeld wiederzugeben, nim m t D . A g o lli in seinem Gedicht als
L e itm o tiv eine V olksfabel auf, gibt ih r dann allerdings eine größere semantische
und ästhetische Bedeutung.
Ismail Kadaré stellt in seinem W erk eine besondere V erbindung zum Folklore-
schaffen her. Seine W erke nähert er der Folklore nicht auf G rund irgendwelcher
V olksm otive als äußerem Bestandteil eines Werkes an, sondern macht im
Gegenteil das folkloristische Subjekt zur Grundlage des W erkes, wobei er ihm
eine neue A usrichtung gib t. V on Z e it zu Z e it h ilft die Folklore Kadaré dabei,
einen literarischen G ru n d , gewissermaßen einen Übergang, zu finden, von dem
aus seine E inbildungskraft und Phantasie eine ganze Kaskade von Vorstellungen
entw ickelt. O ft geht Ismail Kadaré vom Schema der Ballade aus, dann findet er
wieder einen V orw and, die K onventionen der G attung zu verlassen, um sich der
realistischen modernen Prosa zuzuwenden. In Wer brachte Doruntina? beschreibt
Kadaré den Weg der universalen L ite ra tu r. E r bearbeitet die albanische Version
eines allgemein europäischen M otives — das Thema der Reise des Toten —, ein
Them a, das seit der Z e it der meisterhaften Behandlung durch G. A . Bürger
berühm t ist. D ie H auptidee in der albanischen Version der Ballade ist, anders als
in vergleichbaren V arianten auf dem Balkan, der Respektierung der Bedeutung
eines feststehenden Wertes. Dies macht auch eines der vorherrschenden ethnisch-
psychologischen C harakteristika unseres Volkes deutlich. Ismail Kadaré m odifi-
ziert aber dieses Volksschaffen. E r stellt es in einen bestimmten zeitlichen und
historischen Rahmen und verw andelt so seine Idee in ein großes gewichtiges
Ganzes. U n te r den schweren Bedingungen vor der osmanischen Besatzung sahen
die A lb a n e r verstärkt ihre A ufgabe darin, sowohl die hohen Tugenden als auch die
feststehenden W ertbegriffe in den Dienst fü r das V aterland zu stellen.
In einem anderen Fall richtet sich Kadaré in d ire kt an die Sagen, die ihm durch
ihren ethnologischen In ha lt die M öglichke it geben, M otive m it einem ausgepräg-
ten ethnisch-m ythologischen C harakter auf eine sich davon unterscheidende

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Tradition und Neuerung 159

symbolische Ebene oder auf eine vergleichbare Ebene im volkstüm lichen M o d e ll


zu heben. Kadaré hat Die Brücke mit drei Bögen in der E rzählform eines
Chronisten verfaßt. D ie Atm osphäre des M itte la lte rs , der Z e it vo r der osmani-
sehen Besatzung, hat der A u to r unter anderem durch umfangreiche realhistori-
sehe Angaben und Gestalten geschaffen; die In trig e , die sich im W erk widerspie-
gelt, baut er m it der H ilfe einer fiktive n Beschreibung der alten albanischen Sage,
der Sage vom Bauopfer durch Einm auerung, auf.
D ie Frage der Aneignung von künstlerischen E rfahrungen aus der V o lkslite ra -
tu r betrachten unsere Schriftsteller nicht als eine rein ästhetische Frage, ebenso-
wenig wie sie sie nur als eine Q uelle der Inspiration fü r ihre W erke betrachten. Im
Gegenteil verbindet sich dies vielm ehr m it dem Wunsch nach Bewahrung und
Stärkung der nationalen Physiognomie im Bereich der volkstüm lichen L ite ra tu r
und unserer Kunst insgesamt. Gewiß bemüht sich die zeitgenössische albanische
L ite ra tu r darum , von unserem mündlichen Kunstschaffen zu p ro fitie re n , und
stützt sich daher nicht nur auf die ästhetischen Erfahrungen der F o lklo re . Sie
reicht darüber hinaus und versucht, die allgemeine ästhetische E rfahrung unserer
vergangenen T ra d itio n und der fortschrittlichen W e ltlite ra tu r zu verwenden und
auszubauen.

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Der Beitrag deutscher Forscher auf dem G ebiet des Albanischen

A li D h rim o , Tirana

1. Das Albanische, eine der ältesten, zugleich erst sehr spät dokum entierten
Sprache unseres Kontinentes, die ihre O rig in a litä t und In d ivid u a litä t durch die
Jahrhunderte bewahrte, bot seit längerer Z e it - und bietet noch - sowohl aufgrund
seiner eigenartigen lautgeschichtlichen und grammatischen E ntw icklung als auch
wegen seines Verhältnisses zu den Nachbarsprachen ein wichtiges A rbeitsfeld fü r
die Vorindogerm anisten bzw. Indogermanisten. Es ist eine bekannte und nicht zu
leugnende Tatsache, daß unter den ausländischen Forschern die deutschen in
dieser sich über fast drei Jahrhunderte erstreckenden Forschungstätigkeit den
wichtigsten Platz einnehmen.
Zunächst möchte ich die Ideen und Forschungseinrichtungen darstellen, die von
den deutschen Forschern fü r die E ntw icklung der A lbanologie von Bedeutung
waren, in denen sie m iteinander gestritten und sich vollständig oder teilweise
w iderlegt haben. U n te r den vielen deutschen A utoren werde ich zuerst diejenigen
diskutieren, die als die interessantesten V e rtre te r der verschiedenen Richtungen
angesehen werden. D ie deutsche Albanienforschung umfaßt so gut wie alle
Bereiche und Fragen, die sich um das Albanische ranken, sowohl was vergangene
Z e ite n , als auch was gegenwärtige Situationen be trifft*. Das Interesse der deut-
sehen Forscher hat mehr der Untersuchung der äußeren Geschichte gegolten als
der der inneren und der Darstellung der gegenwärtigen Form . Heute w ird aber
auch die moderne Form unserer Sprache genau untersucht.
2. In der äußeren Geschichte des Albanischen nim m t die Frage nach der
Fam ilienzugehörigkeit und der verwandtschaftlichen Beziehungen einen bedeu-
tenden Platz ein. Den allerersten Hinweis auf das Albanische im deutschen Raum
gibt der R itte r A rn o ld von H a rff, der sich auf seiner Pilgerfahrt im Jahr 1497 in
U lq in , D ürres und Sazan aufgehalten hat. Seine Notizen wurden leider erst 1860 in
K ö ln ve rö ffe n tlich t2. D er erste, der den Funken der indogermanischen H e rku n ft
des Albanischen entfachte, war der deutsche O ffiz ie r R itte r von X ylander im Jahr
18353. O bw ohl er kein Sprachforscher und nie im Land der Shqiptaren gewesen
war, wies er, nachdem er das W erk von A delung und V a te r4, Bopps ‫ ״‬V erglei-
chende G ra m m a tik“ 5, Potts ‫ ״‬Etymologische Forschungen“ 6 und Schlegels ‫ ״‬Obser-
vations sur la langue et la littérature provençales“ 7 gelesen hatte, m it einer Reihe

1 A ufschlußreich fü r den Leser wären dabei auch folgende Aufsätze: D ö lg e r, F.: D ie Leistung der deutschen
Wissenschaft fü r die Erforschung des Balkan im letzten Jahrhundert. M ünchen 194(); K ra lle n , G .; S attler;
Kertész, M .: Albanische B ibliographie 1966-70, in: Z e itsch rift der deutschen morgenländischen G esell-
schaft. 129 (1979). S. 184-85; Haarm ann, H .: B alkanlinguistik. Bd. 1-2, Tübingen 1978, sowie die
Rezension in: Z e itsch rift fü r Balkanologie. 15 (1979), S. 226-29, von R. Rohr.
2 s. d a fü r u. a. Hetzer. A .: W ie ist A rn o ld von H arffs W örterverzeichnis (14% ) zu lesen?; Elsie, R.: The
A lb a n ia n Lexicon o f A rn o ld von H a rff, 1497, in: K Z . 97 (1984). S. 113-122.
‫י־‬ R itte r von X yland er. J.: D ie Sprache der Albanesen oder Schkipetaren. F ra n kfu rt 1835.
4 A d e lu n g , J.: M ithridates oder allgemeine Sprachkunde. 2. Theyl. B e rlin 1809, S. 792-#03.
5 B opp, F.: Vergleichende G ram m atik des Sanskritischen. A rm enischen, G riechischen, Lateinischen,
Litauischen. A ltslavischen. Gotischen und Germanischen. B erlin 1833-1852.
6 P ott, A .: Etym ologische Forschungen. Lem go 1833.
7 Schlegel. A . W .: Observations sur la langue et la litté ra tu re provençales. Paris 1818.

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 161

von etymologischen Vergleichen nach, daß das Albanische m it dem Indogerm ani-
sehen verwandt sein müsse und eine Reihe von Parallelen zum Sanskrit aufweise*;
dam it müsse es eine alte Stammessprache sein, zumal das Albanische typologisch
zum älteren synthetischen, nicht aber zum jüngeren analytischen Typus gehöre. E r
hat dam it den indogermanischen C harakter des Albanischen nachgewiesen und so
einen wesentlichen Grundstein zur albanologischen Forschung gelegt, auch wenn
seine Schlußfolgerungen mehr auf einer ‫ ״‬nebelhaften“ A hnung beruhen, aller-
dings bereits einen richtigen Kern in sich tragen. D ie Größe seiner Leistung läßt
sich an einem Vergleich zu dem großen Sprachforscher A . Pott ermessen, der zwei
Jahre früher4 das Albanische von den anderen europäischen Sprachen des
Sanskritstammes absonderte und 1836 schrieb: ‫ ״‬D ie A lbaner des heutigen G rie-
chenlands reden eine eigenthümliche Sprache, welche noch niemand einem
größeren Sprachstamme anzuschließen vermocht hat, und viel wahrscheinlicher
hält man sie fü r spärliche in den Gebirgen gerettete Überbleibsel alte r U reinw oh-
11er. als eine der nördlichen, zur Z e it der Byzantiner eingefallenen Barbarenvöl-
ke r“ . Für ihn ist das Albanische eine der drei einzigen noch bekannten Sprachen
Europas, ‫ ״‬bei denen sich noch keine innige Verwandtschaft m it Asiatischen
Idiom en hat ausfindig machen lassen“ 10. D er Fachgelehrte Pott ordnete also das
Albanische noch nicht der indogermanischen Sprachgruppe zu.
Derjenige, der auf einer wissenschaftlichen Basis den indogermanischen Cha-
raktér des Albanischen ein fü r allemal bewiesen hat, war der berühm te deutsche
Indogermanist F. Bopp in seinem V ortrag über die ‫ ״‬Z a h lw ö rte r und Pronom ina
im Albanischen“ (1843). Dieser V ortrag wurde nie veröffe ntlich t, aber er berich-
tet davon in einem B rie f vom 6. Juni 1843 an L . Diefenbach: ‫ ״‬P ott hat diese
Sprache zu Unrecht aus dem Indisch-Europäischen Sprachgebiet ausgeschlossen;
ich ziehe sie m it Haut und Haaren in dasselbe hinein“ 11. Sein grundlegendes
«•

Pionierwerk ‫ ״‬U ber das Albanesische in seinen verwandtschaftlichen Beziehun-


gen“ (1854, erschienen 1855) - der erste und einzige Versuch, das System des
Albanischen in seiner Vollständigkeit zu betrachten - ist die umfassendste A rb e it,
die die Zugehörigkeit des Albanischen zum indogermanischen Sprachstamm
endgültig absicherte. Dennoch erhoben sich zur gleichen Z e it manche Z w e ife l; so
schreibt im selben Jahr G. Stier den Aufsatz: ‫ ״‬Ist die albanesische Sprache eine
indogermanische?“
3. Eine andere fü r die Albanologie wichtige Frage war es, den Verwandtschafts-
grad des Albanischen zu den Schwestersprachen zu erm itteln und festzustellen,
mit welchen von diesen es engere Beziehungen unterhielt. Besondere Verdienste
fü r die Klärung dieser Frage hat sich der große Philosoph G . Leibniz erw orben,
der schon A nfang des 18. Jhs. in seinem zehnjährigen Briefwechsel m it M . V . la
Crosse12das richtige Prinzip aufstellte, wonach man zuerst das einheimisch ererbte

8 Xylander (s. A n m . 3). S. 198.


4 Pott (s. A nm . 6 ), I. T e il. S. X X X I II .
I‫״‬ Ebenda. T e il 2 (1836). S. 435. X I.
11 Lefmann. S.: Franz Bopp. sein Leben und seine Wissenschaft. Nachtrag. A nhang: A u s den B rie fe n und
inderen Schriften. B erlin 1897, S. 234.
12 Siehe die eingehende Beschreibung dieser B riefe von R eiter. N .: l.eibniz*ens A lb a n e rb rie fe , in: Z e itsch rift
für ßalkanologie. 62 (198()). S. 82-97.

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162 A . D hrimo

Elem ent von dem aus den anderen Sprachen entlehnten T e il abtrennen müsse. E r
stellte auch A nalogien und W ortgleichungen zwischen dem A lbanischen, Germ a-
nischen, Keltischen und Lateinischen fest, lenkte aber auch die A ufm erksam keit
auf die Selbständigkeit des Albanischen als eine eigentüm liche und vom Slavi-
sehen. Magyarischen, Griechischen und Türkischen unterscheidbare Sprache.
J. A delung bem erkt in seinem berühm ten ‫ ״‬M ith rid a te s“ , ‫ ״‬man könnte denken,
«%

daß die heutigen A lb a n e r ein vermischtes Überbleibsel dieses V olkes (d. h. der
Bulgaren) wären. A lle in näher liegt doch die V erm utung eines Zusammenhanges
zwischen diesen A lba ne rn und den A lb a n e rn im Osten des Schwarzen Meeres
zwischen dem Kaukasus und dem Flusse K yrus“ 13. A uch im A rtik e l ‫ ״‬A lb a n e r“
schwanken die A u to re n der ‫ ״‬A llgem einen Enzyklopädie der Wissenschaften und
K ünste“ (1819) zwischen dieser These und der illyrischen These von J. Thun-
m ann14. Bopps Schüler A . Schleicher hing 1850 der damals verbreiteten M einung
an, das Albanische sei zwar zweifelsohne eine indogermanische Sprache, habe
jedoch im pelasgischen Fam ilienpaar seine W urzel, d. h. es stünde in enger
Beziehung zum Griechischen . . . A lle rd in g s - m eint er - sprächen wieder
verschiedene grammatische Form en gegen eine engere B indung ans Griechische
oder seien höchstens eine ‫ ״‬uralte A b tre n n u n g vom G riechischen“ 15.
Bopp selbst hebt 1854 hervor, ‫ ״‬in seinen G rundelem enten hat das Albanische
keine engere, geschweige denn Derivationsbeziehungen m it irgendeiner von den
Schwestersprachen unseres K ontinentes“ . Schleicher w iederholt seine Auffassung
im Jahr 1863 in seinem genealogischen Baum der indogermanischen Sprachen. E r
ordnet das Albanische dem Zw eig der indogermanischen Sprachen Südeuropas
zu, zwischen dem Griechischen und Lateinischen, näher dem Griechischen. Die
spätere Forschung hat bewiesen, daß das Albanische keine besondere V erw andt-
schaft m it diesen beiden Sprachen aufweist.
1871 stellte J. Schmidt durch seine W ellentheorie das Albanische in einen
gemeinsamen K reis m it den baltoslavischen Sprachen einerseits und dem A rm e n i-
sehen und Thrako-Phrygischen andererseits. D ie Hauptm ängel der beiden von
Schleicher und Schmidt aufgestellten Theorien sind inzwischen bekannt. A uch 13
Jahre später lebt diese A nsicht noch w eiter. G . M eyer, der - wie gezeigt werden
soll - die Hauptperson in der A lbanologie ist, v e rtritt 1884 die gleiche M einung,
nämlich daß das Albanische in einem ganz besonders nahen verwandtschaftlichen
V erhältnis zum Griechischen oder gar zum Pelasgischen stehe. D ie W iderlegung
dieser These ist ein Verdienst der späteren Forschung, darunter auch der
deutschen.
4. Neben der Frage der verwandtschaftlichen Stellung besteht die der F ilia tio n :
V on welcher nichtgriechischen Balkansprache des A lte rtu m s stam m t das A lb a n i-
sehe ab? W elchen ethnisch-sprachlichen Vorgängen aus jener Z e it hat es seine
Entstehung zu verdanken?16 M it dieser Frage haben sich u. a. L e ib n iz, D iefen-

‫״‬ A d e lu n g (A n m . 4), S. 793.


14 E rsel, J. S.: G ru b e r, J. G .: A llgem eine E nzyklopädie de r W issenschaft und Künste. 2. T e il, 1819, S. 340.
15 Schleicher, A .: D ie Sprachen Europas in systematischer Ü bersicht. 1850. S. 138f.
16 s. auch S teinke, K .: B e itra g ..D e r U rsprung des A lbanischen im Spiegel de r deutschen Forschung“ bei der
K ö ln e r Tagung über ‫ ״‬Stand und A ufgaben de r A lb a n o lo g ie heute" (1988).

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 163

bach, H ahn, Schuchardt, S tier, M eyer, Paul, Zeus und W eigand beschäftigt. H ie r
stehen sich seit geraumer Z e it drei Thesen gegenüber: 1) Im Albanischen sieht
man die direkte Fortsetzung des Illyrischen, 2) das Albanische ist vom Illyrischen
getrennt und w ird als T o chte r des Thrakischen betrachtet, und 3) das Albanische
w ird als eine Sprache illyro-thrakischen Ursprungs oder als eine illyrische Sprache
m it thrakischen Elem enten betrachtet.
zu I). D e r erste Deutsche, der im Albanischen eine T o chte r des Illyrischen
gesehen hat, w ar Leibniz. A uch der deutsche H is to rik e r G . B. N ie b u h r e rk lä rt den
Namen der illyrischen Stadt Dimallum m it dem albanischen dy/di ‫ ״‬zwei“ und mal
‫ ״‬B erg“ 17. V o n den Illy re rn spricht auch der H is to rik e r T h. M om m sen, der
unterstreicht, daß in den inneren Gebieten M akedoniens neben Griechisch und
Lateinisch auch das Illyrische als Volkssprache bewahrt sein s o ll‫*״‬.
Eine besondere Bedeutung nim m t in dieser Frage das W erk ‫ ״‬Albanesische
Studien“ (Jena 1853-54) des Frankfurters J. G . von Hahn ein, der sich Ende der
40er Jahre des 19. Jhs. als österreichischer D ip lo m a t in Joanina aufgehaiten hat.
Nach Fallm erayer gehört dieses W erk ‫ ״‬in die Classe je n e r literarischen Ereignisse,
die in ih re r A r t Epoche machen und zugleich einer langen Dynastie von Exegesen,
C om entarien, Erläuterungen und historisch-philologischen Sätzen und Gegensät-
zen auf M enschenalter als Ausgangspunkt, als W affenhaus und als W alstatt
dienen“ 19. Hahn war der größte Albanologe der vorlinguistischen Periode, der zu
Recht als der V ater der A lbanologie betrachtet w ird . E r w ar der erste wissen-
schaftlich gebildete E uropäer, der ganz A lbanien bereist und G em ütsart, Sitte,
D enk- und Lebensweise der A lb a n e r erlauscht und das Albanische gelernt hat.
Nachdem er alle verfügbaren Q uellen der antiken A u to re n gelesen, die Parallelen
von makedonischen und albanischen Glossen kon kre t untersucht und die K o n ti-
nuität alter geographischer Namen Albaniens und der umliegenden Gegenden
aufs Albanische hin festgestellt hat, zog er die Schlußfolgerung, daß die Sprache
der heutigen A lb a n e r eine Tochter des Illyrischen ist. Im Illyrischen sah er eine
pelasgische Sprache im weitesten Sinne des W ortes.
M it einer breiteren und tieferen wissenschaftlichen A rgu m e nta tion verteidigte
die These der illyrischen H e rk u n ft des Albanischen in den 80er Jahren des 19. Jhs.
Gustav M eyer, Professor in G raz, der Bahnbrechendes geleistet und die älteren
Theorien w iderlegt hat, die das Albanische m it dem Pelasgischen verbanden. E r
arbeitete heraus, daß diese Sprache als direkte Fortsetzung des Illyrischen
entstanden ist, eine T h eo rie, die heute noch besonders von der albanischen
Sprachwissenschaft vertreten w ird. E r w ar der M einung, das Albanische sei die
moderne Form des A ltilly ris c h e n bzw. die jüngere Form einer der illyrischen
M undarten. M eyer ist der erste vollausgebildete Indogerm anist, der das A lb a n i-
sehe als Forschungsschwerpunkt gewählt und es fü r die vergleichende Sprachwis-
senschaft erschlossen hat, oder - wie Çabej es noch besser sagt - ‫ ״‬e rob ert“ hat.
Den ‫ ״‬M eister der albanischen Sprachwissenschaft“ , wie er von Jokl genannt w ird ,
betrachtet die heutige albanische Sprachwissenschaft als den eigentlichen Begrün-

17 N ieb u h r, Ci. B .: Römische Geschichte. 1811-1832.


IK M om m sen. T h .: Römische G eschichle. 1854-1885. S. 185.
14 Fallm erayer. J. Ph.: Das albanesische Elem ent in G riechenland. 1. A b th . 1857. S. 435.

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der der A lbanologie. Für die illyrische H e rk u n ft des Albanischen sind u. a. auch фф

A . T h um b , C. K arstien, T h. Benfey und L . Diefenbach eingetreten. U ber die


illyrische Frage haben weitere A u to re n Aufsätze m it ganz verschiedenen H aitun-
gen geschrieben, wie z. B. H . H irt, P. Kretschm er, M . Vasm er, J. Schnetz, S.
G utenbrunner, F. L ö h n e r, H . R ix, B. Rosenkranz, J. P okorny, A . Blum enthal
und S. S terner-R ainer2*'.
zu 2). D er erste, der das Albanische vom Illyrischen trennte und in ihm eine
T ochter des Thrakischen sah, war K a rl Paul Ende des 19. Jhs. Für ihn war das
Albanische eine thrakische Sprache au f illyrischem Boden. T ro tz ih re r Mängel hat
Pauls T heorie den V erdienst, den thrakischen T e il bei der H erausbildung des
Albanischen hervorzuheben. Pauls Weg verfolgte H . H irt m it dem A rg u m e n t, daß
sowohl das Thrakische als auch das Albanische östliche, also Satem-Sprachen
seien, während das Illyrische eine westliche, also Kentum -Sprache sei, mit
anderen W o rte n , das Albanische könne keine Fortsetzung des Illyrischen sein,
sondern nur eine T o chte r des Thrakischen. Dieser These hat sich auch Pokorny
angeschlossen. Diese Theorie hat in ih re r vollständigsten Form der Leipziger
Romanist und A lbanologe G . W eigand 1927 fo rm u lie rt21. W eigand beherrschte
das Albanische und ist selbst zweimal in A lbanien gewesen. D ie gemeinsamen
Erscheinungen des Rumänischen, Bulgarischen und Albanischen hat er m it einem
‫״‬gemeinsamen thrakischen Substrat“ e rk lä rt. Sein A ufsatz enthält 12 Argum ente
sprachlicher N atur. W eigand zieht die Schlußfolgerung, daß die A lb a n e r T hraker
seien und Nachkom m en des Stammes der Bessen, die im 6. Jh. rom anisiert worden
waren. Diese Theorie hat das V erdienst, das Problem der H e rk u n ft des A lb a n i-
sehen au f einer breiten Basis darzulegen, sie aus balkanischer Sicht und nicht nur
sprachlich, sondern auch ethnographisch zu betrachten. Ihre negative Seite ist die
M ißachtung der auffälligen illyro-albanischen Beziehungen. D urch die spätere
Forschung hat sich erwiesen, daß nicht alle A rgum ente Weigands stichhaltig sind
und seine These jeglicher historischer G rundlage entbehrt. In jün ge rer Z e it haben
auch W . Giese und Steinke Aufsätze über das ‫ ״‬thrakische Substrat“ veröffent-
lich t, wobei auch Probleme des Albanischen angegangen worden sind22.

‫וג‬ M . Vasm er hat sich, gestützt auf die O rtsnam en, m it de r V e rb re itu n g de r Illy re r im N ordosten in
vorgeschichtlicher Z e it beschäftigt, während J. P okorny das gleiche Problem im N ordwesten v e rfo lg t hat.
K retschm er. P.: E in le itu n g in die Geschichte de r griechischen Sprache. 1896. Es sei hier b e to n t, daß
Kretschm ers geistreiche Ausführungen über das Messapische und Illyrisch e inzwischen ü b e rh o lt sind.
Schnetz. J.: W ar das Illyrische eine kentum - oder satem-Sprache?, in: Z e its c h rift fü r N am enforschung. 14
(1938), S. 2 2 1 -2 6 ; H ir t. H .: D ie sprachliche Stellung des Illyrischen. Beitrage z u r alten Geschichte und
G eographie. B e rlin 1898. S. 179-188: G u te n b ru n n e r. S.: N ordgerm anisch-illyrische Isoglossen, in : Bei-
träge zur N am enforschung. 3(1968). S. 19-24; L o c h n e r-H ü tte n b a c h . F .: Illy rie r und Illy r is c h - Rückschau.
Synthese und A u s b lic k , in : Das A lte rtu m . 16 ( 1970) 4. S. 216-228: R ix . H .: B rundusium und das illyrische
W o rt fü r ‫ ״‬H irs c h ", in: Beiträge zur N am enforschung. 5 (1953) 2. S. 115-129; Rosenkranz. B .: D er
albanische C harakter des Uralbanischen - Z u einigen albanischen Pronom ina, in : Studia albanica. 11 ( 1974)
1. S. 93-102: U hlisch. G .: Sind die A lb a n e r N achfahrcn der Illy rie r? , in: Das A lte rtu m . 19 (1973) I.
S. 31-38: S terner-R ainer. S.: Illyrische O rtsnam en und illyrische Siedlungen. Le ipzig 1940.
21 W eigand. G .: Sind die A lb a n e r Nachkom m en de r Illy rie r oder der T hra ke r? Le ipzig 1927. Es ist zu
erw ähnen, daü auch eine These der engen Verw andtschaft zwischen dem Illyrisch en und Thrakischen
existiert - siehe u. a. C K tir. K .: Illyro-T hrakisches. in : A rh iv za arbanasku stariņ u, je z ik i e tn o lo g iju . 1
(1923) 1-2. S. 78-137, und Illyro-Pelasgica. ebd. 2 (1924) 16. S. 21-69.
22 Giese. W .: Balkansyntax o d er (hrakisches Substrat, in : Studia N e ophilologica. 24 (1951-1952). S. 40-54;
Steinke, K .: Z u r Frage de r thrakischen Sprachreste. in: Actes du I I e conerès in te rn a tio n a l de Thracologie.
Bukarest 1980, S. 141-146.

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 165

zu 3). Z u r d ritte n These, deren K eim schon der Schwede J. Thunm ann gelegt
hat, äußert sich - sei es auch notgedrungen - J. R itte r von X yla n d e r, der das
A lbanische dem Thrakisch-Illyrischen zuordnet. E r m eint, das Albanische und das
Bulgarische haben ein gemeinsames balkanisches Substrat. Für die thrakisch-
illyrische H e rk u n ft des Albanischen sind auch Leskien und S treitberg23.
5. M it der Frage der verwandtschaftlichen Beziehungen des Albanischen hängt
die Frage nach dem vorbalkanischen U rsprung der albanischen V o rfa h re n , m it
dem Problem des Ursprungs des Albanischen wiederum die Frage nach der
B alkanheim at des Albanischen zusammen - m it dem G ebiet, in dem diese Sprache
a u f der Balkaninsel entstanden ist. D a m it setzt sich zuerst J. G . von Hahn
auseinander. E r folgt dem W eg J. Thunm anns, wenn er sagt: ‫ ״‬da die A lba ne r
keine Slaven sind und m it keinem anderen bekannten V o lk e nähere V erw andt-
schaft zeigen, da die fre ilich küm m erlichen Q uellen außer der slavischen Einwan-
derung keine andere aufweisen, die bedeutend genug wäre, um ein großes V o lk zu
schaffen, so d a rf man annehmen, daß die heutigen A lb a n e r Nachkom m en der
vorslavischen U re in w oh ne r des Landes sind“ 24. E r verteidigt entschlossen die
illyrische A u to ch th o n ie der A lb a n e r. U m das beweisen zu können, untersucht er
außer den geschichtlichen Q uellen auch eine Reihe alte rtü m lich e r Ortsnam en und
e rk lä rt sie m it A p p e lla tiva des heutigen Albanischen. Dieser These schließt sich
auch P. Kretschm er an. W eigand betrachtet dagegen das östliche D reieck
N iš-S o fia -S ko p je als Wiege der A lb a n e r, da seiner M einung nach die albanisch-
rumänischen Beziehungen, die nicht lateinischen Ursprungs sind, den Beweis
dafür lie fe rn , daß die A lb a n e r und W alachen irgendwo zusammen gelebt haben.
Das Albanische soll sich danach irgendw o in einem G ebiet herausgebildet haben,
in dem das Rumänische entstanden ist, aber in keinem Fall in llly rie n , sondern in
einem thrakischen G ebiet25.
Vasmer zw eifelt an der H altung Jokls, nach der die A lb a n e r autochthon seien,
ihre erste Wiege jedoch D ardanien sei. G . S tadtm üller spricht sich auch dagegen
aus und denkt eher an ein gegen die R om anisierung gut geschütztes G ebiet nicht
weit von der griechischen Sprachgrenze, nämlich M a ti. M it dieser Frage hat sich
später auch W olfgang Z e itle r auseinandergesetzt. D ie heutige albanische Sprach-
Wissenschaft hat betont, daß die Auffassung Stadtm üllers zu eng ist und zugleich
bewiesen, daß sich die heutige Aussprache der aus dem A lte rtu m übernommenen
Ortsnamen m it den Regeln der albanischen Lautgeschichte erklären läßt, woraus
sich die Schlußfolgerung ziehen läßt, daß der alte A u fe n th a ltso rt der A lb a n e r und
ihre heutigen W ohnsitze übereinstim m en26.

‫ע‬ ln einem B rie f, den S treitberg an N . Jokl am 7. 9. 1924 geschrieben hat. lesen w ir: ‫ ״‬Ihre D arlegung freut
mich um so m ehr, als Sie durch eigene Forschung zu derselben A n sicht gelangt sind, die Leskien stets
vertreten hat, daß das Albanische nicht nur m it dem Illyrisch en, sondern auch m it dem Thrakischen in
engster V e rb in d u n g steht und daß es u n ric h tig sei, die A lb a n e r nach dem V organg Gustav M eyers einfach
als Nachkom m en der Illy rie r zu betrachten“ - z itie rt nach D o d ić , L .: D ie Beziehungen N . Jokls zu den
zeitgenössischen A lban olo gen und albanischen S chriftstellern anhand seines Nachlasses, in: A k te n des
Internationalen Albanologischen K o llo q u iu m s in Innsbruck 1972. Innsbruck 1977, S. 35-55.
24 von H ahn, J. G .: Albanesische Studien. Jena 1854, S. 213.
25 Siehe Ç abej, E .: Studim e gjuhesore. B d. 3. P rishtinč 1976, S. 38.
26 vgl. dazu: E benda, S. 39f.

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6. Eine weitere zentrale Frage der A lba no lo gie ste llt sich in den Beziehungen
des Albanischen zu den anderen Nachbarsprachen im Laufe seiner historischen
E n tw icklu n g dar. Besondere A ufm erksa m keit hat man dabei den Beziehungen
des Albanischen zum Griechischen und Lateinischen geschenkt. H ie r nim m t die
Beschäftigung m it Lehnw orten einen w ichtigen Platz ein27.
M it den griechischen Lehnw örtern des Albanischen hat sich als erster G . Stier in
seiner Untersuchung über albanische Tiernam en (1862) beschäftigt. E r hat die
griechischen Le hn w ö rte r in alt-, m itte l- und neugriechische u n te rte ilt28, ln seinen
‫ ״‬Albanesischen Studien“ und besonders in seinen Aufsätzen zum Neugriechi-
sehen zieht M eyer im m er w ieder das Albanische heran. E r ist der erste, der auch
die leihende R olle des Albanischen gegenüber dem Griechischen erkannt hat. E r
erw ähnt 64 W ö rte r, die vom modernen Albanischen in das moderne Griechisch
übernom m en worden sind. D er H auptverdienst fü r die chronologische E ino rd-
nung der griechischen Lehn w örter ins Albanische gehört A . T h um b , dessen
K rite rie n auch heute noch maßgebend sind. E r hat auch die Anwesenheit
altgriechischer Le hn w ö rte r im Albanischen nachgewiesen, was von G . M eyer
geleugnet w urde24.
Eine Reihe von Abhandlungen über dieses Problem , die auch nach dem
bekannten P rinzip der ‫ ״‬W ö rte r und Sachen“ betrachtet w urden, stammen aus der
Feder des berühm ten Forschers G . R ohlfs, der den Beziehungen zwischen
G riechen und Lateinern in U n te rita lie n - d o rt sind auch unsere Arbëreschen zu
H ause-besondere A ufm erksam keit geschenkt hat30. E in e r eingehenden U ntersu-
chung der griechischen, insbesondere der neugriechischen Le hn w ö rte r des A lb a -
nischen hat sich G . U hlisch gew idm et31. Sehr viel um fangreicher und b re ite r
angelegt wurde das Problem der lateinisch-albanischen Le hn w ö rte r behandelt.
M it diesen Untersuchungen haben sich F. B opp, H . Schuchardt, G . S tier, G.
M eyer, G. R ohlfs, G . R eichenkron, H . H aarm ann, W . Z e itle r, R. H e lb ig und R.

27 E. Çabej b e m e rkt, daß es bei einer Sprache, in de r die L e h n w ö rte r übenviegen. auch verständlich sei. wenn
das V e rh ä ltn is L e h n w o rt - E rb w o rt in zahlenm äßiger H insicht bei dem jetzigen Stand d e r Forschung einer
Revision bedürfe, in: A k te n (s. A n m . 23). S. 257f.
M K Z . 11 (1862), S. 1 3 2 -1 5 0 .2 0 6 - 253.
29 Siehe Ç abej. E. (s. A n m . 25). S. 47; T h u m b . A .: A ltgriechische Elem ente des Albanesischen. IF . 2 6 ( 1909).
S. 1 -2 0 ; ders.: U b e r griechische Elem ente in den alten Barbarsprachen und im Albanesischen. 1903.
‫יי‬° R o hlfs. G .: G riechen und Romanen in U n te rita lie n . Scavi lin g u istici nella Magna G recia. 1922; Neue
Beiträge zur K enntnis de r unteritalienischen G rä z itä t: Etym ologisches W örterbuch de r unteritalienischen
G rä z itä t. H alle 1930; Lexicon G raecorum Ita lia e in fe rio ris . 1984; H istorische G ra m m a tik der u n te rita lie n i-
sehen G rä zitä t. M ünchen 1950; G ram m atica storica dei d ia le tti italo -g rcci (C alabresi e del Salento);
D iz io n a rio toponom astico del Salento. 1976; N o vo d iz io n a rio diale ttale della C alabria. 1977; Piccolo
A tla n te lingu istico panrom ano. 1986; Sprach- und Sachatlas Italiens und de r Südschweiz. 8 Bde.
‫יי־‬ U hlisch, G .: D ie neugriechischen L e h n w ö rte r im A lbanischen. (D iss.) B e rlin 1964. S. 258; Z u r Problem a-
tik de r griechischen L e h n w ö rte r im A lbanischen, in: A ctes du p rem ier congrès in te rn a tio n a l des études
balkaniques et sud-est européennes V I. Lin gu istiqu e. Sofia 1968. S. 795-803; D ie griechischen l^ehnw örter
im A lbanischen. E in Ü b e rb lic k , in: A lte rtu m 15 (1969), S. 169-175; Problem e të gjuhësisë h a llka n ike dhe
m arredheniet e saj me Ita lin ë e Jugut. in: Studim e filo lo g jik c . 2 ( 1966). S. 43-49; O rig in i e fo n ti dei cognom i
in Ita lia con speciale rig u a rd o alla C alab ria, in : A n n u a rio 1966-67 del Liceo gim nasio statale ..T.
C am panella“ d i Reggio C alabria. S. 179. 188. 190.

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 167

R o h r beschäftigt32. O bw ohl schon X ylan de r die Auffassung k ritis ie rt hatte, das


Albanische sei eine ‫ ״‬Mischsprache“ , charakterisierte sie Bopp als eine gemischte,
halbrom anisierte Sprache. Diese A nsich t haben besonders Schuchardt, Stier und
M eyer verfolgt. Bemerkenswert ist dabei die V orahnung Schuchardts, die er vor
einem Jahrhundert so geäußert hat: ‫ ״‬W enn einm al dem Albanischen ein fester
und unbeweglicher Platz innerhalb des Indogermanischen zugewiesen ist, dann
kann es gut möglich sein, daß w ir uns gezwungen sehen werden, ihm viele W ö rte r,
die w ir heute m it vollem Recht als L e h n w ö rte r betrachten, w ieder als sein geerbtes
G u t zurückzugeben“ 33.
Es ist bekannt, daß M eyer in seinen zwei A rb e ite n über den lateinischen E in flu ß
au f das Albanische und in seinem ‫ ״‬Etym ologischen W örterbuch des Albanesi-
sehen“ das lateinische Elem ent in La utle h re , Form enlehre und W o rtb ild u n g des
Albanischen überschätzt hat und den lateinischen A n te il am Albanischen zu hoch
angesetzt hat. Für ihn w ar das Albanische eine ‫ ״‬halbrom anisierte Mischsprache“ .
D ie spätere Forschung von Pedersen und Jokl und besonders die A rb e ite n von
Çabej haben indes bewiesen, daß der lateinische E in flu ß auf das Albanische bei
weitem nicht so stark gewesen ist.
N icht unberücksichtigt sind auch die Beziehungen des Albanischen zum T ü rk i-
sehen und Slavischen geblieben. M it den letzteren hat sich unter anderem im m er
wieder M . Vasmer beschäftigt34. K . G utschm idt hat ebenfalls die albanischen
Tiernam en südslavischer H e rk u n ft untersucht3-'. E in e r eingehenden Studie über
den türkischen E in flu ß au f das Albanische hat sich N . B oretzky gew idm et36.
W ichtig ist auch sein B eitrag über die Erscheinungen, denen die Italianism en,
Turzismen und Slavismen im Albanischen unterlegen sind37. A . M e id h o f ist dem
E influ ß albanischer W ö rte r auf das Türkische nachgegangen38. Verschiedene
Bemerkungen in bezug auf das Albanische werden im Rahmen ih re r Balkanstu-

-‫ י‬- Bopp, F. (s. A n m . 5). H . Schuchardt: V okalism us des V u lg ä rlatein s. Bd. I I I . S. 46-55 und passim: Stier.
G ., a. a. O . (S tier hat dabei auch die romanischen L e h n w ö rte r des Albanischen chronologisch geschichtet);
M eyer, G .: Albanesische Studien. Bd. 1-6. W ien 1883-1897; ders.: D e r E in flu ß des Lateinischen a u f die
albanesische Form enlehre; ders.: Die lateinischen Elem ente im Albanesischen; ders.: Etym ologisches
W örterbuch des Albanesischen. Straßburg 1891; R ohlfs (A n m . 3()); R eichenkron, G .: Das Problem der
rumänisch-albanischen W ortgleichungen, in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 3 (1963), S. 157-168; ders.:
Grundsätzliches zum W ortzusam m enfall, in: ebenda. 4 (1966) 1-2, S. 8-1 9 (D ie Belege sind hier
hauptsächlich aus dem Rumänischen und A lban ische n); H aarm ann, H .: D e r lateinische Lehnw ortschatz im
Albanischen. H am burg 1972, S. 174; ders.: D ie P roblem atik de r A bgrenzung des lateinischen Elementes
im romanischen und albanischen W ortschatz, in: A k te n (s. A n m . 23) а. а. O .; H e lb ig , R .: D ie italienischen
Elem ente im Albanesischen. (D iss.) Le ipzig 1903; R o h r, R .: Z u den albanisch-rum änischen W o rtg le ich u n -
gen, in: Q uatrièm e congrès in te rn a tio n a l des études du sud-est européenne. A n k a ra 1979, S. 9.
‫י־ י־‬ K Z . 20 (1872), S. 302ff. . Z itie rt nach Ç abej. E .: Studim e e tim o lo g jik e në fushë të shqipes. Bd. 1, T ira n a
1982, S. 35.
w Vasmer, M .: E in albanisches Lehn w ort im S erbokroatischen, in : Z e its c h rift fü r slavische P hilologie. 1937,
S. 59-60; D ie Slaven in G riechenland. B e rlin 1941.
•5‫י‬ G utschm idt. K .: Albanische T iernam en südslavischer H e rk u n ft, in: Z e its c h rift fü r S law istik. 11 (1966) 1,
S. 54-60.
36 B oretzky, N .: D e r türkische E in flu ß a u f das A lbanische, T e il Ы І . W iesbaden, 1975/1976 (siehe auch die
Rezension von A . Tietze darüber in: O rientalische L ite ra tu rz e itu n g . 74 (1979) 3, S. 258).
•‫די‬ Ders.: Analoge Lautveränderungen in den Le h n w ö rte rn des Albanischen und ih re Bedeutung fü r die
R ekonstruktion de r albanischen Sprachgeschichte, in: A k te n (s. A n m . 23), S. 313-329.
48 Siehe Ç abej, E. (s. A n m . 33) S. 74.

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dien u. a. von H aebler, Bahner, B oretzky, R eiter, Schaller und Fritsche ge-
macht39.
7. Sehr groß, sowohl an U m fang als auch an In h a lt, ist fü r die A lbanologie der
B eitrag deutscher Forscher auf dem G ebiet der W ortforschung und der E tym olo-
gie. D ie allererste W örtersam m lung H arffs enthält 26 W ö rte r, 8 Wendungen und
12 Zahlen. Xylanders W örtersam m lung deutsch-albanisch/albanisch-deutsch
erstreckt sich auf einige hundert W ö rte r. E r hat auch den ersten Versuch
unternom m en, den albanischen W ortbestand nach seiner H e rk u n ft zu erörtern.
Dazu untersuchte er 1800 W ö rte r und ist zu der Schlußfolgerung gekom m en, daß
die H ä lfte des albanischen Wortschatzes entlehnt worden ist. W enn man den
Versuch Meyers heranzieht, der von 5140 W ö rte rn seines W örterbuches nur 400,
also 7,77% , dem indogermanischen Erbe zuschrieb, sieht man, wie Çabej schon
bewiesen hat, daß X yla n d e r in seiner Schätzung w eitb lickend er w a r40. Das erste
ausführliche und verläßliche W örterbuch legte Hahn vor. Einen riesigen Sprung
nach vorn stellt fü r die etymologischen Studien des Albanischen das ‫ ״‬E tym ologi-
sehe W örterbuch des A lbanischen“ von M eyer (1891) dar, das leider tro tz seiner
••

U berarbeitungsbedürftigkeit im m er noch das einzige ist. A uch W eigand veröf-


fentlichte 1914 ein deutsch-albanisch/albanisch-deutsches W örterbuch. W ichtig
fü r seine Z e it w ar das W örterbuch von M . A . v. G odin ( 1930)41. Einen Versuch zu
einem W örterbuch hat auch E. H einrich 1959 unternom m en42. D e r wichtigste
S chritt wurde jedoch erst 1976 getan, als O . Buchholz, W . F iedler und G. Uhlisch
das ‫ ״‬W örterbuch A lbanisch-D eutsch“ m it etwa 30000 W örte rn herausgegeben
haben. O bw ohl es im G runde den W ortschatz von ‫ ״‬F ja lo r i gjuhës shqipe“ (1954)
e n th ält, ist es das einzige von N ichtalbanern verfaßte W örte rbu ch, das den
heutigen Stand des albanischen Wortschatzes in angemessener Weise widerspie-
gelt. In diesem Bereich haben u. a. auch M . Vasmer43, K . D ie tric h 44, W . Giese45, 0 .

•4‫י‬ H a ebler, C .: E in balkanischer H irte n te rm in u s , in: K Z . 77 (1 % 1 ), S. 117-128: B ahner, W .: D ie Icxikali-


sehen Besonderheiten des Frührom anischen in Südosteuropa. B e rlin 1970; B o re tz k y . N .: Lexikalisch•
semantische Beziehungen zwischen ‫ ״‬W aise“ und ‫ ״‬a rm “ in den Balkansprachen (m it besonderer Berück-
sichtigung des A lban ische n), in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 13 (1977). S. 9 -1 9 ; ders.: Eine Lehnüberset-
zung fü r ‫ ״‬Schlüssel“ auf dem Südlichen B alkan, in: ebenda. 2/3 (1971-72). S. 21-26; ders.: Ein
semantischer Turzism us in den Balkansprachen. in: ebenda. (1969/70) 1-2. S. 16-21; R e ite r. N .: Das W ort
‫ ״‬K irsche“ in den Sprachen Südosteuropas, in : ebenda. S. 130-140; Schaller. H .: M ö g lich ke ite n einer
inneren G lie derun g des Balkansprachbundes. in : Bałkańsko E zikoznanic. 20 (1977) 1-2, S. 45-51; ders.:
D ie geographischen Namen der B a lkan län der - E n tw ic k lu n g d e r Forschung und ihre P ro b le m a tik, in:
S üdosteurop a-M itteilung en. (1978) 4. S. 42-52; Fritsche, M .: Semantische S tru k tu r und S o zia lstru ktu r am
Beispiel der V erw andtschaftsterm inologic de r Balkansprachen. F alkenthal 1977.
40 Solche Versuche haben auch der Ö sterreicher F. Nopcsa und der Schweizer M e y e r-L ü b ke unternom m en -
siehe Ç abej. E . (s. A n m . 33 ). S. 113.
41 von G o d in , M . A .: W örterbu ch der albanischen und deutschen Sprache. Le ipzig 1930; siehe dazu auch:
Indogermanisches Jahrbuch. 16(1932). S. 166, u. 23 (1939). S. 230.
42 H e in ric h . E .: W ö rterbu ch D eutsch-A lbanisch. Leipzig 1959 (M a n u s k rip t).
43 Vasm er. M .: Studien zur albanischen W ortforschung I. D o rp a t 1921.
44 D ie tric h . K .: D ie S u ffix b ild u n g im Neugriechischen, in: B alkanarchiv. 4 (1928), S. 104-167.
45 G iese. W .: D ie Namen de r W ochentage und M onate im A lbanischen, in : H om enaje a F ritz K rüger.
M endoza 1954, Bd. 2. S. 59-<>9.

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 169

B uchholz und W . Fiedler46, R. R oh r47, A . H etzer4*, E. E u le r49 und C. H aebler50


einen w ichtigen B eitrag geleistet.
8. Das um fangreichste Forschungsgebiet au f deutscher Seite von den Anfängen
bis heute ist die Betrachtung des grammatischen Systems im Albanischen geblie-
ben. D a die Z e it drängt, werde ich mich hauptsächlich auf die E rw ähnung der
Nam en je n e r Forscher beschränken, die auf diesem G ebiet Bleibendes geleistet
haben. M ehrere deutsche Indogerm anisten haben bei ihren W ortforschungen
nicht selten lautliche und m orphologische Fragen des Albanischen m iteinander
verbunden. Erste Verdienste hat sich auch hier X ylander erw orben. U m fangrei-
eher und in je d e r H insicht tiefergehend w ar die D arstellung von H ahn. D ie
Beschäftigung m it der M orphologie aus indogerm anischer Sicht ist ein Verdienst
von S tier, umfassender behandelt von Bopp und ve rtie ft und vervollständigt von
M eyer, der zugleich auch die albanische Lautlehre aus indogerm anischer Sicht
bearbeitet hat. Besonderen W ert fü r seine Z e it hat Meyers ‫ ״‬Kurzgefaßte albanesi-
sehe G ra m m a tik “ ( 1888). N icht unerwähnt bleiben d a rf der B eitrag des deutschen
A rztes C. T h. R einhold, der in seinem Buch ‫ ״‬Noctes Pelasgicae“ (1855) auch eine
grammatische Betrachtung des Albanischen der A rvan iten Griechenlands veröf-
fe ntlicht hat. W ichtige Beiträge hat auch W eigand g e liefe rt51.
A uch in der zweiten H ä lfte dieses Jahrhunderts arbeiteten zahlreiche deutsche
Sprachwissenschaftler auf diesem G ebiet. Manche dieser Forscher, wie z. B.
Buchholz und Fiedler, haben es sogar zum Schwerpunkt ih re r Forschungstätigkeit

46 Buchholz. O .; F iedler, W .: Monatsnamen im A lbanischen, in : Studim e per nder të A leksan de r X h u va n it.


T ira n a 1986. S. 577-617.
47 R o h r. R.: Z u M ethoden und A ufgaben de r B a lka n lin g u istik im Bereich des Le xikon s, in: Z e its c h rift fü r
B alkanologie. 16 (1980). S. 98-117.
48 H etzer, A .: S trafrechtliche T e rm in o lo g ie in d e r albanischen Sprache (E ty m o lo g ie . W o rtb ild u n g . Seman-
tik ) , in : Z e its c h rift fü r B alkanologie. 16(1980). S. 25-60.
49 E u le r, E .: D ie K ö rp e rte iln a m e n im A lbanischen (V o rtra g a u f dem W issenschaftlichen T re ffe n in
A lb a n ie n ). 1983.
50 H a eb ler, C .: K o p u la tive N om inalko m po sita im A lbanischen, in: K Z . 77 (1961), S. 112-116.
51 W eigand, G .: Albanische G ra m m a tik im südgegischen D ia le k t. Le ipzig 1913; Das Albanische in A ttik a , in:
B alkanarchiv. 2 (1926), S. 167-220; Texte z u r vergleichenden Syntax de r Balkansprachen, in: B alkanar-
chiv. 4 (1928), S. 53-94; D e r gegische D ia le k t von B orgo Erizzo. Leipzig 1911; Bem erkungen über die
A lb a n e r und das Albanische in N o rdm akedonien und A ltse rb ie n , in : B alkan archiv. 2 (1926); P e rd orim i i
a b la tiv i! ne lib rin e B ogdánit ‫ ״‬Cuneus P rophetarum “ , in : D itu ríja . 1 (1927) 5.

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gemacht und dam it einen w ichtigen B eitrag geleistet52. Krönung ihrer A rb e it ist
ihre ‫ ״‬Albanische G ra m m a tik“ (B e rlin 1987), die in ‫ ״‬Studia albanica“ (1989) 1
besprochen worden ist. Es ist die umfassendste von ausländischen Forschern
verfaßte G ra m m a tik, die nach streng wissenschaftlichen Prinzipien das System
unserer literarischen Gegenwartssprache beschreibt, ohne den G rundfaden der
heutigen Sprachnorm aus den Augen zu verlieren. W ichtig ist auch Haeblers
‫ ״‬G ram m atik der albanischen M u nd art von Salamis“ (1965)5\ Probleme des
albanischen Verbalsystems, des Kasus, des A rtik e ls , des A d je ktivs, der Lautge-
schichte und des heutigen Standes unserer vereinheitlichten Literatursprache in
der SVR A lbanien und in Kosova, sowie des Albanischen in der Diaspora, sind im
Laufe der letzten Jahre von mehreren deutschen Forschern behandelt worden, die
das Albanische nicht zum H auptgebiet ih re r Studien gewählt haben, wie R ohlfs54,

52 Fiedler, W .: Untersuchungen zur P luralb ildu ng im Albanischen. (D iss.) B e rlin 1%1, S. 21,433; Das Genus
im A lbanischen, in : Beiträge zur Sprachwissenschaft, V olkskunde und Literaturforschung. B e rlin 1965,
S. 87-102; Z e its c h rift der K a rl-M a rx -U n iv e rs itä t. 15 (1966), S. 561-566; Franz Bopps Verdienste um die
Forschung de r albanischen M o rp h o lo g ie , in : Wissenschaftliche Z e its c h rift der H u m b o ld t-U n iv e rs itä t.
(1969) 2, S. 313-314; Z u einigen P roblem endes A d m ira tiv s in d e n Balkansprachen, in: Actes (s. A n m . 31),
S. 367-369; Z u r K ategorie des Aspekts in den Balkansprachen, in: Z e itsch rift fü r Slaw istik. 15 (1970) І,
S. 60-77; A lbanologische P ublikationen von A lbanologen der D D R , in: A k te n (s. A n m . 23), S. 107-112;
Interferenzbedingte grammatische Synonym ie und H om onym ie (zu den Perfektbildungen in westmakedo-
nischcn M u n d a rte n ), in: Z e its c h rift fü r Slaw istik. 17 (1972), S. 62-88; Z h v illim i i in fin itiv it gege nga aspekti
i ballkanologjisë, in: G ju rm im e alb a n o lo g jike . SSHF. 5 (1975); D ie P luralbildung bei den türkischen
Elem enten des A lbanischen, in : B ałkańsko Ezikoznanie. (1977) 1-2, S. 125-145; S uplctivizm i në sistemin
fo ljo r tè gjuhës së B u zu ku t, in : G ju rm im e albanolo gjike. SSHF 7 (1977); Disa m endime rreth sistem it të
genus verbit nëgjuhësinë b a llka n ike , in: Sem inar n d ë rko m b ë ta rp ë rg ju h ë n letersinedhc ku ltu re n shqiptarc
7 (1980), Prishtine 1982, S. 187-200; Z u einigen Tendenzen der P luralb ildung de r Fem inina - V o rtra g auf
der Tagung ‫ ״‬G juha letrare shqipe dhe epoka jo n e ‫ \״‬Tirane 1984; Buchholz. O .; F iedle r, W .: Z u r
H erausbildung des m odernen W ortschatzes im A lbanischen, in: Linguistische Studien 58, B e rlin 1979,
S. 102-178; dies.: Z u r Stellung de r O bjektzeichen in de r albanischen Literatursprache der G egenw art und
bei G jo n ß u zu ku , in: A k te n (s. A n m . 23), S. 433-458.
Buchholz. O .: Z u r V e rd oppelun g de r O b je kte im A lbanischen, in: Actes (s. A n m . 31), S. 711-772; Z u r
Verdoppelung de r O b je kte im A lbanischen. (D is s .) B e rlin . T e il I, S. 1-168. T e il I I . S. 169-219; Z u den
V erben, die durch ein O b je k t o d er O b je k tp rä d ik a t ergänzt werden, in: Bałkańsko Ezikoznanie, 20 (1977)
1-2, S. 147-159; M b i gërshetim in e aspekteve m o rfo lo g jik e e sintaksore tek rasat në gjuhën shqipe. in:
G ju rm im e a lb a n o lo g jike , SSHF. 1978, S. 145—156; M b i kategorinë gram atikore të shquarësisë/pashquarë-
sisë dhe kategorinë sem antiko-funksionale të d e te rm in a tiv ite tit/in d e te rm in a tiv ite tit. Seminar nderkom be-
ta r (s. oben), S. 85-93.
53 A uch C . H aebler hat m ehrere A rb e ite n im Bereich der albanischen G ram m atik verfaßt, w ie: Eine
albanische W ortstellungsregel, in: M ünchner Studien zur Sprachwissenschaft. M ünchen 1957.S. 49-61. Z u
den Pronom ina im ukraino-albanischen D ia le k t. Ebenda. 1959. S. 8 5 - HK); siehe auch seine Rezensionen
über albanische V e rö ffe n tlich u n g e n in: K ratylo s. 9 (1964) I . S. 108 und in: Südostforschungen. 23 ( 1964),
S. 425-426.
54 R ohlfs. G .: La perdita d e ll’in fin itiv o nelle lingue balkaniche e nelP Ita lia m eridionale, in: S tudii $i cercetäri
linguistice, Bucuresti 1985, S. 733-744.

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Beitrag deutscher Forscher zum Albanischen 171

Seidel55, B oretzky56, Sasse57, B reu58, Schaller54, Schmaus*', A lb re c h t*1, Steinke62,


Koschmieder63, Uhlisch4*‫׳‬, R eiter'15, R ohr6‫’׳‬, Ködderitzsch67, Glaser6*, W alter64,
Sötling™, R eichenkron71, Faensen72, H etzer73 und N o lte 74.

55 Seidel, E .: Probleme und M ethoden der B a lk a n lin g u is tik , in: Ebenda. S. 777-788; Prolegomena zur
T h e orie der S atzkonstruktion, in: Revue Roum aine de Lin gu istiqu e. 25 (198()) 4, S. 401-408.
*‫י‬ B o re tzky. N .: Perfekt und Plusquam perfekt in einem nordalbanischen D ia le k t, in : Beiträge zur Südosteu-
ropa-Forschung. München 1966; D er bestim m te A r tik e l nach Präpositionen im A lbanischen, in: K Z . 82
(1968). S. 129-152; Zusam m enrückungcn m it dem M o d a lve rb ‫ ״‬können“ in den Balkansprachen, in:
Z e its c h rift fü r Balkanologie. 8 (1971-72). S. 12-20; D ie M o rp h o lo g ie des albanischen V erbum s, in:
Z e its c h rift fü r Balkanologie. 13 (1977); E in fü h ru n g in die historische L in g u is tik . H am burg 1977.
57 Sasse. H .-J .: A rva n itica . 4 Bde. Wiesbaden (im D ru c k ); Z u r S ituation der E rforschung des A rvanitischen
(V o rtra g a u f de r K ö lne r Tagung). O k to b e r 1988.
** B reu, W .: Z u r jetzigen Situation des Ita lo-A lban isch en (V o rtra g a u f der K ö ln e r Tagung). O kto b e r 1988.
A uch in einer Reihe von Studien über den slavischen A spekt geht er diese Frage im Albanischen an.
59 Schaller, H .: D er B e g riff ‫ ״‬B alkanism us". M ö g lich ke ite n und G renzen seiner A nw endung a uf die
Balkansprachen, in: Q uatrièm e congrès (s. A n m . 32), S. 10; Balkansprachen. E in fü h ru n g in die B alkanolo-
gie. H e ide lberg 1975; D ie Formen des A p p e lla tiv n o m c n s in den Balkansprachen, in: Cest na akadem ik
V la d im ir G eorgiev ezikovedski poučavanija po slučaj sedemdeset godin o t rożdeniet mu. Sofia 1980,
S. 199-205.
Schmaus. A .: Beobachtungen zu Bedeutung und G ebrauch des albanischen A d m ira tiv s , in: Beiträge zur
Südosteuropa-Forschung. M ünchen 1966, S. 103-124.
61 A lb re c h t, H .: Kosova und die vereinheitlich te albanische Schriftsprache, in: K u ltu re lle E ntw icklungen.
H eidelberg 1983.
Steinke, K .: D iachronie und Synchronie in de r B a lk a n lin g u is tik , in: Z iele und Wege de r B alkanlinguistik.
B e rlin 1983, S. 229/230; Versuch zur P eriodisierung des O bjektbereiches in de r B a lka n lin g u istik, in:
Bałkańsko Ezikoznanie. 22 (1979) 4, S. 11-12; B e itra g zu r D e fin itio n des B e griffs ,.Balkanism us“ , in:
Bałkańsko Ezikoznanie. 20 (1977) 1-2. S. 32-43; siehe auch seine Rezensionen über verschiedene
albanische P ublikationen, besonders über: Studim e e tim o lo g jik e né fushè té shqipes A - В . in: Z e its c h rift fü r
Balkanologie. 15 (1979), S. 229-234.
w Koschm ieder, E .: Zu den Z eitkonzeptionen in den balkanischen Sprachen, in : Beiträge zur Südosteuropa-
Forschung. M ünchen 1966. S. 23-34.
M U hlisch. G .: Untersuchungen zum adnom inalen A ttrib u t in d e r albanischen Gegenwartssprache. (D iss.)
1979. T e il I S. 1-143. T e il I I , S. 144-262.
** R eiter, N .: D e r A rtik e l in den Balkansprachen. in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 5 (1967). S. 103-119; Z u r
S tru ktu r albanischer Verbalendungen, in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 6 (1968) 2, S. 132-152.
** R ohr. R.: Z u m Albanischen in Acquaform osa (K a la b rie n ), in: D ie K u ltu r Südosteuropas, ihre Geschichte
und ihre A usdrucksform en. Wiesbaden 1964. S. 254-276; Beiträge zur M o rp h o lo g ie und Syntax des
Albanischen in Acquaform osa, in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 6 (1968) 2. S. 153-170; Z u r Flexion der
Substantive des Albanischen in A cquaform osa (K a la b rie n ), in : Beiträge zur Südosteuropa-Forschung.
M ünchen 1966, S. 79-90.
67 Ködderitzsch, R.: Zu den sprachgeschichtlichen G rundlagen des A lbanischen von heute, in: Studia
A lbanica. 2 (1985), S. 109-131; Historische Phonologie des A lbanischen. V o rtra g a u f d e r K ö lne r Tagung.
O k to b e r 1988.
** G laser. E .: Italo-albanische K o n ju n ktivb ild u n g e n im V erg leich. V o rtra g auf de r K ö ln e r Tagung, O k to b e r
1988.
** W alter. W .: Z u m Problem der sogenannten verdoppelten O b je k te in den Balkansprachen. Ie* congrès
international des études balkaniques et sud-est européennes. Sofia 1966.
70 S oiling, W .: Das A rtikelsystem im A lbanischen und Rum änischen, in : Beitrage zu r Südosteuropa-
Forschung. M ünchen 1966, S. 48-78; Beiträge zur Geschichte des A rtik e ls im Bulgarischen. 1970. (D e r
Verfasser hat hier allerdings ein sehr ungenaues B ild von dem A rtike lsyste m des Albanischen und seiner
Entstehung).
71 R eichenkron, G .: D e r Typus Balkansprachen, in: Z e its c h rift fü r B alkanologie. 1 (1963). S. 91-122.
72 Faensen. J.: G e n itiv und A d je k tiv im A lban ische n, in : Z e its c h rift fü r B alkanologie. 11 (1975). S. 40—47;
Die albanische Nationalbewegung. B erlin 1980 (Siehe K a p ite l 3 und 11).
‫מ‬ H etzer. A .: Lehrbuch der vereinheitlichten albanischen Schriftsprache m it einem deutsch-albanischen
W örterbuch. H am burg 1978; O rthographie versus O rth o e p ie . Z u r S ituation de r albanischen Schriftsprache
nachdem Rechtschreibungskongreß vom 25. I I . 1972 in T ira n a , in: Z e its c h rift fü r Balkanologie. 14(1978),
S. 42—49.
74 N o lte, F.: Besondere Probleme des A lbanischen. V o rtra g auf der K ö ln e r Tagung, O k to b e r 1988.

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172 A . Dhrimo

Z um Abschluß meines bescheidenen Beitrags möchte ich noch einm al unter-


streichen, daß das Studium unserer Sprache von deutschen Forschern sehr früh
begonnen wurde und daran d ire kt oder in d ire k t die berühmtesten Indogerm ani-
sten teilgenom m en haben. Ih r B eitrag ist grundlegend gewesen und bewahrt
seinen W ert in m ehrerer H insicht noch heute. M an kann aber m it Freude
feststellen, daß auch in unserer Z e it, sei es auch ein bißchen verstreut und nicht so
intensiv, die albanischen Studien in Deutschland erfolgreich fortgesetzt werden.
Sie konzentrieren sich m ehr auf die E rforschung der Gegenwartssprache. Diesen
B eitrag wissen bei uns sowohl die Sprachforscher als auch die K ulturrepräsentan-
ten insgesamt, die Lehrer und Studenten u. v. a. m. sehr hoch zu w ürdigen. Es ist
auch ein w ichtiger B eitrag zum guten gegenseitigen Kennenlernen unserer beiden
befreundeten V ö lk e r.

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Charakteristische Merkmale der Entwicklung


von Bildung und Kultur in Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg

E nrike ta K am bo, Tirana

K u ltu r und B ildung, zwei bedeutende und kom plizierte, vielfä ltige und mannigfa-
che Erscheinungen, sind von großer Bedeutung fü r die geistige Em anzipation
eines V olkes, ln keiner historischen Periode kann die w ichtige R olle der Präsenz
eines fo rtsch rittlich e n Ideals übersehen werden. D arüber hinaus konnten sich
K u ltu r und B ildung in bestim m ten Situationen sozialen Anstiegs fast im m er, allen
Schwierigkeiten zum T ro tz , den Weg zum F o rtsch ritt bahnen. W ie fü r viele
Länder Europas kann die Z e it nach dem Z w eiten W e ltk rie g auch fü r A lbanien als
eine solche Periode betrachtet werden.
D ank seiner V o lksre vo lu tio n konnte sich A lb a n ie n zu einer vö llig neuen, bis
dahin nicht gekannten R olle em anzipieren, die weder m it der alten sozialökono-
•»

mischen Basis noch m it ihrem Ü berbau vereinbar war. Im Rahmen der vielen
Problem e, die aus der Beseitigung der alten Basis und aus der Schaffung einer
ф»

neuen Basis und eines neuen Überbaus entstanden, erhob sich auch die Forde-
rung, das Land in beschleunigtem Tem po auf den Weg seiner Em anzipation im
Bereich der B ildung und K u ltu r zu bringen. Im Zuge dieses Prozesses w irk te n ,
neben den vielen Ländern gemeinsamen und allgemeinen Faktoren, auch einige
besondere Faktoren m it förderndem bzw. bremsendem C harakter, die den
besonderen Entw icklungsw eg A lbaniens bedingten. Nun sei gleich am A nfang
unterstrichen, daß die E n tw icklu n g im Bereich von B ildung und K u ltu r nach dem
Zw eiten W e ltkrie g auf dem Boden einer sehr tiefen sozialökonomischen Rück-
ständigkeit im allgemeinen und im Bereich der B ild u n g und K u ltu r im besonderen
vonstatten ging, woraus auch der sehr weite Kreis von vorrangigen Problemen und
Erscheinungen zu erklären ist.
In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts w ar A lb a n ie n , was die sozioöko-
nomische E ntw icklung b e trifft, das rückständigste Land in Europa. Es vermochte
nicht die Phase des entw ickelten industriellen Kapitalism us zu erlangen. Im Jahr
1938 kam die Industrie lediglich fü r 4,5% des N ationaleinkom m ens a u f1.
D ie sozialökonomische R ückständigkeit spiegelt sich auch im Bildungs- und
K ulturniveau des V olkes und dessen Bewußtsein w ider. U n te r diesen Bedingun-
gen wurden auch die Aufgaben im Bereich von B ildung und K u ltu r, die sonst
durch bürgerlich-dem okratische R evolutionen und entw ickelten Kapitalism us
realisiert werden, nicht gelöst und konnten auch nicht gelöst werden. Das Erbe auf
diesem G ebiet war sehr ärm lich. K u ltu r- und Bildungseinrichtungen gab es nur
m inim al: lediglich 643 G rundschulen, 11 M ittelschulen und 5 Berufsschulen m it
insgesamt 58839 Schülern und 166() Lehrern. 80% der B evölkerung waren
Analphabeten, unter den Bauern und Frauen sogar 90% : . D e r Wissensdurst des

1 М ага. H .: Periudha с k a lim it dhe veçoritë e n d e rtim it socialist nii RPSH. T ira n a 1%3. S. 6 f.
2 A n u a ri s ta tis lik o r i RPSH . 1958. Kap. X . S. 140f.

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174 E. ku n ib a

V olkes und der In te lle ktu e lle n wurde niedergedrückt und verküm m erte, da es
keinen Boden fü r diese E ntw icklung gab. Folglich waren B ildung und K u ltu r
durch ein sehr langsames Entw icklungstem po gekennzeichnet. Dieser Prozeß
d u rc h lie f viele Schwierigkeiten, zu denen sich noch die Zerstörungen des Zw eiten
W eltkriegs gesellten.
So bestand das dringendste Problem d a rin , den Weg einer raschen E ntw icklung
einzuschlagen. Es ging darum , ein ganzes V o lk geistig und seelisch zu befreien, ein
V o lk , das, wie ein bekannter D ich te r unseres Landes gesagt hat, ‫ ״‬neben dem
Wissen unwissend“ lebte. Eine rasche Lösung der Probleme auf diesem Gebiet
wurde aus mehreren G ründen erschwert: Erstens galt es, einige Problem e, die von
der bürgerlich-dem okratischen R evolution ungelöst zurückgelassen wurden,
gleichzeitig m it denen zu lösen, die je tzt durch die V o lksre vo lu tio n erwuchsen.
Zweitens entstand die dringende N otw endigkeit, B ildung und K u ltu r gleich in
doppelter Weise zu fö rd e rn , nämlich sowohl durch Q u a litä t als auch durch
Q u a n titä t, wobei schwierige, durch die Rückständigkeit entstandene Bedingun-
gen zu überwinden waren, wie das Fehlen von E inrichtungen und Personal im
Bereich von B ildung und K u ltu r. Drittens w ar der K am p f um die Erneuerung von
B ild u n g und K u ltu r eng m it der N otw endigkeit verbunden, das ganze geistige
Leben des Volkes zu verwandeln, seine D enk- und Lebensweise, seine M e n ta litä t,
seine Sitten und seine T ra d itio n .
U n te r diesen Umständen nahm der Entwicklungsprozeß von B ildung und
K u ltu r einige G rundm erkm ale an. Eine Analyse der bezeichnendsten M erkm ale
stellt den Hauptgegenstand dieser A bhandlung dar.
1. U n te r den Bedingungen des Aufbaus einer neuen Gesellschaft unterstanden
der Entwicklungsprozeß von B ildung und K u ltu r der gesamten sozioökonom i-
sehen E ntw icklun g des Landes: sie entsprachen dieser E ntw icklung, sie spielten
zugleich eine aktive R olle und übten ihren E in flu ß auf diese E n tw icklu n g aus.
Diese dialektische Interdependenz stellt eines der wesentlichen M erkm ale des
Entwicklungsprozesses unserer B ildung und K u ltu r dar. Sie wurden eng m it der
Gesam theit der sozialökonomischen Um gestaltung, m it den Fundamenten der
neuen Gesellschaft, m it der Verw andlung des Landes von einem A g ra rla n d in ein
A gra r-In du strie la nd und danach in ein In du strie-A g rarla nd und m it dem raschen
A ufb au der materiell-technischen Basis verbunden. D ie sozialistische In d u stria li-
sierung ist hier das wichtigste Verbindungsglied. Dieser Prozeß konnte jedoch
nicht m it Analphabeten und Halbanalphabeten ve rw irk lic h t werden. Parallel dazu
bildete die sozialistische K o lle ktivie ru n g der Landw irtschaft einen unabdingbaren
F aktor. H ie r sollten K u ltu r und B ildung die Idee der K o lle k tiv ie ru n g unter die
Bauern tragen, insbesondere unter die junge G eneration der Landbevölkerung.
D e r albanische Staat maß diesen Problemen die gebührende Bedeutung bei,
und zwar nicht nur als von der P roduktion getrennte Bereiche der T heorie,
sondern als Probleme der W irtschaft und der Basis, aber zugleich auch des
••

Überbaus. Dieser Prozeß stellte also nicht m ehr, wie in der Vergangenheit, ein
G ebiet von W idersprüchen und divergierenden k u ltu re lle n , ideologischen und
politischen Ausrichtungen dar, sondern er w ar vielm ehr der Gegenstand eines
strategischen Plans der Partei der A rb e it A lbaniens, bei dem auf wissenschaftli-
eher G rundlage die w irkenden Klassenkräfte und Wege zur w irtschaftlichen.
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Bildung und Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg 175

sozialen, politischen und ku ltu re lle n E ntw icklun g des Landes berücksichtigt
w urden. Folglich verflochten sich die wichtigsten Stadien der E n tw icklu n g von
B ild u n g und K u ltu r des Landes m it denen seiner sozialökonom ischen E ntw ick-
lung.
Das erste Stadium begann un m itte lba r nach dem K rieg und dauerte zwei
Jahrzehnte. K u ltu r und B ildung erhielten einen dem okratischen und sozialisti-
sehen C harakter und In h a lt, ih r kennzeichnendes M e rkm a l w ar das auffallende
Vorherrschen einer quantitativen E n tw icklu n g , begleitet von einer Vergleichs-
weise qualitativen R ückständigkeit. Folglich gab es auch em pfindliche Wachs-
tum sschwierigkeiten. Im Zuge seiner allgemeinen E n tw icklu n g d u rch lie f das Land
die historische Periode, in der die Fundamente der sozialistischen Gesellschaft
gelegt wurden. Im M itte lp u n k t dieser A rb e it war der A ufb au der Wirtschaftsbasis.
In dieser Z e it erhielten die Bildungs- und K ultureinrichtungen breiten Massencha-
ra kté r, und im V ergleich zur V orkriegszeit verzeichneten sie ein beträchtliches
W achstum. Im Jahr 1960 gab es 434 K indergärten, 557 allgem einbildende
Achtjahresschulen, 69 höhere Schulen und 6 Hochschulen m it insgesamt 312000
Schülern und Studenten und 10874 Lehrern und D ozenten3.
Das zweite Stadium begann M itte der sechziger Jahre. Dieses Stadium ist noch
nicht abgeschlossen; es dauert an und ist durch die ständige V e rtie fu n g der
Leistungen des ersten Stadiums gekennzeichnet, besonders durch die Anstrengun-
gen, diese Leistungen zu konsolidieren und w eiter voranzutreiben, wobei zugleich
dem B edarf des Landes an Fachkräften der verschiedenen Stufen entsprochen
w ird.
B ildung und K u ltu r wurden zu H a u p tp ro d u ktio n sm itte ln fü r die Schaffung einer
neuen Intelligenz, zur A usbildung von technischen Fachkräften und qu alifizierten
A rb e ite rn . A u f diese Weise erhielt die rasche und ununterbrochene E ntw icklung
der W irtschaft einen weiteren Im puls, und gleichzeitig stieg die A rb e its p ro d u k tiv i-
tat in allen Lebensbereichen.
Im V e rla u f dieser beiden Stadien wurde die E ntw icklun g und O rganisation von
Bildung und K u ltu r im m er besser geplant. Dadurch konnten die Fachgebiete und
die wissenschaftlichen D isziplinen Aufschw ung erhalten, derer die W irtschaft am
meisten bedurfte. Zwischen der A usb ild un g von Mädchen und Jungen wurde ein
gleichrangiges V erhältnis gesichert. Ebenso wurde die achtjährige Schulpflicht
eingeführt. Den nationalen M inderheiten wurde das Recht zuerkannt, Schulen in
ihrer M uttersprache zu unterhalten. A ußerdem w urde eine gleichmäßigere V er-
teilung der Bildungs- und K ultureinrichtungen über das gesamte Landesgebiet
vorgenommen. Im m e r m ehr Jugendliche aus allen Gegenden des Landes wurden
in höheren Schulen und zum Hochschulstudium herangezogen. D ie ausgebildeten
Fachkräfte wurden in Ü bereinstim m ung m it den Bedürfnissen der einzelnen
Gegenden ve rte ilt.
2. A ls das Land in beschleunigtem Tem po auf den Weg der E m anzipation im
Bereich B ildung und K u ltu r gebracht w urde, erwuchsen viele Problem e, denn die
Masse des V olkes sollte aus der Rückständigkeit herausgeholt und ih r K u ltu rn i-

3 Statistical yearbook o f P.S.R. o f A lb a n ia . T iran a 1988. S. 141 f.

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176 E. Kambo

veau erhöht werden, ln der ersten Nachkriegszeit mußte der albanische Staat seine
A ufm erksam keit auf die Beseitigung des A nalphabetentum s konzentrieren,
parallel dazu mußten alle Teilbereiche der Schulbildung stufenweise entw ickelt
werden, das Netz der Bildungs- und K u ltu rein richtu ng en sollte das ganze Land
umspannen, insbesondere die D ö rfe r, und zugleich mußten alle den Fortschritt
behindernden B arrieren niedergerissen werden. D a m it w urde auch die D em okra-
tisierung und der Massencharakter von B ildung und K u ltu r gew ährleistet, sie
wurden zum G em eingut der Massen gemacht. D e r tiefgehende volksdem okrati-
sehe C harakter der E ntw icklung von B ild u n g und K u ltu r in der Nachkriegszeit
stellt ein weiteres wesentliches M erkm al dieses Prozesses dar.
Man verfolgte hier den revolutionären W eg, wonach sich die K ader sowohl bei
der A rb e it als auch durch die A rb e it form ieren und entw ickeln sollten. Für ihre
A usbildung wurden neben den norm alen Form en die beschleunigten M ethoden
angewendet, wobei man eine Z eitlang auch eine gewisse eher quantitative als
qualitative E ntw icklun g in K a u f nahm. A u f diese Weise haben B ildung und K u ltu r
in den beiden ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit im m erhin eine breite
Ausdehnung erfahren, allerdings konnte nicht im m er die gebührende Q u alität bei
der T ä tig ke it von B ildung und K u ltu r gewährleistet werden. In den folgenden
шШ

Jahrzehnten unternahm unser Staat alle Anstrengungen zur Ü berw indung dieser
Erscheinung: D ie Bildungs- und K ultu re in rich tu n g e n wurden verm ehrt und die
Q u a litä t ih re r A rb e it verbessert.
Im Zuge der A rb e it, B ildung und K u ltu r in kurzer Z e it Massencharakter zu
verleihen und sie zu dem okratisieren, haben auch die Investitionen des Staates
eine bedeutende R olle gespielt. Jedes Land nim m t Ausgaben im Rahmen des
Staatshaushaltes fü r die E ntw icklung von B ild u n g und K u ltu r vor. In A lbanien
waren aber zusätzliche Ausgaben notw endig, hatte doch das Land aus der
Vergangenheit ein sehr niedriges Niveau eben dieser Bereiche übernom m en. In
diesem K om plex von Problemen ergaben sich damals - und ergeben sich in einem
gewissen Maße auch heute noch - große Schwierigkeiten aufgrund der Tatsache,
daß die Bauernschaft den größten T e il der Landesbevölkerung ausmacht. Für die
H eranbildung der neuen Intelligenz sollten in die höheren Fachschulen und zum
Hochschulstudium die K in d e r von W erktätigen herangezogen w erden, in erster
L in ie K ind er von Bauern, da die Bauernschaft nach dem Kriege 84,6% der
Bevölkerung ausmachte4. Dem wurde durch ein breites System von Internaten und
Staatsstipendien entsprochen. In den beiden ersten Jahrzehnten nach dem K rieg
erhielten -У4 der Schüler der höheren Fachschulen und der Hochschulstudenten ein
staatliches Stipendium .
In A lbanien ist das G ebirge vorherrschend. So w ar die E rö ffn u n g von Schulen
und K ultureinrichtungen in den Bergzonen m it verstreuten und spärlich bevölker-
ten D ö rfe rn zwar unbedingt notw endig, aber auch kostspielig.
D ank einer raschen D em okratisierung der Schule und der K u ltu r und dank ihres
Massencharakters stand in den achtziger Jahren jeder vierte E inw ohner des
Landes in einem Lernverhältnis, vo r dem Kriege hingegen w ar es nur jeder

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Bildung und Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg 177

achtzehnte. D ie Z ahl der K u ltu r- und Bildungseinrichtungen ist ständig gewach-


sen. Im Jahr 1987 gab es 3170 K indergärten, davon 1437 in den D ö rfe rn , m it
insgesamt 118000 K ind ern und 5 171 K indergärtnerinnen; außerdem gab es 1668
A chtjahresschulen, 446 höhere Schulen und 8 Hochschulen m it insgesamt 755000
Schülern und Studenten und 42535 Lehrern und D ozenten5.
D ie Z a h l der K un stinstitutionen lag in diesem Jahr bei 28; ferner gab es 2262
K ultu rhä use r und K u ltu rh e im e , 45 B ib lio th e ke n (m it 4019000 Bänden) und 2165
Museen6. D e r Schulungskoeffizient, der das V erhältnis zwischen Schülern und
Studenten in allen Teilbereichen des Bildungssystems im Schulungsalter (6-23
Jahre) ausdrückt, lag im Jahr 1979 in unserem Land bei 63,5% fü r das männliche
Geschlecht und bei 64,5% fü r das w eibliche Geschlecht; das ist im V ergleich zu
den anderen Ländern Europas, den U N E S C O -D aten zufolge7, ein beachtlicher
Index. D e r A n te il der Mädchen in allen Schulkategorien, von den untersten
Stufen bis zu den Hochschulen, nim m t ständig zu. Im Jahr 1987 machten sie 49,4%
der Studentenschaft aus, als dieser A n te il beispielsweise in der Schweiz im Jahr
1980 lediglich bei 31% lag8.
Bereits während des Krieges wurde das fü r unser Land so drückende Problem
des Analphabetism us angegangen, denn es war nicht nur ein kulturelles oder
adm inistratives Problem , sondern eine gewaltige gesellschaftliche A ufgabe. In der
ersten Phase der Kampagne zur A lphabetisierung, die bis 1949 dauerte, wurde
hauptsächlich die M ethode von Kurzlehrgängen angewandt, die bei allen Mängeln
doch bedeutende Ergebnisse zeitigten. 1949 tra t die A k tio n dann in ihre zweite
Phase ein. Einem Gesetz zufolge mußte je d e r B ürger bis zum 40. Lebensjahr lesen
und schreiben lernen. Z u diesem Zw eck wurde eine Z entrale Kom m ission
gebildet. Ih r oblag die A ufgabe, die Organe der V o lksb ild u n g bei der D urchfüh-
rung dieser A k tio n zu organisieren und zu koordinieren. D ie L e hrer — hauptbe-
rufliche ebenso wie F reiw illig e — e rteilte n nicht nur in den Schulen, sondern auch
in jeder verfügbaren R äum lichkeit U n te rrich t.
In raschem Tem po, innerhalb eines Jahrzehnts, wurde dieses Problem in weiten
Gebieten endgültig gelöst. Im Zusamm enhang m it den Resultaten kam es auch zu
breiten Diskussionen über den aktuellen Stand auf diesem G ebiet.
Nach Abschluß der Alphabetisierungslehrgänge bemühte man sich darum , daß
ihre A bsolventen eine Schule ohne U nterbrechung der B erufstätigkeit besuchten,
insbesondere eine G rundschule, und dann den norm alen Bildungsweg verfolgten.
Selbstverständlich besuchten in den ersten Jahren viele W erktätige nach dem
Alphabetisierungslehrgang keine w eiterführende Schule m ehr. Dies hatte seine
G ründe in der R ückständigkeit, besonders in der konservativen und fanatischen
M e n ta litä t, besonders bei den Frauen au f dem Lande. A uch sind manche
W erktätige tro tz des Alphabetisierungskurses A nalphabeten oder H albanalpha-
beten geblieben.

5 Ebenda. S. 141. 142. 143.


6 Ebenda. S. 161.
7 Analyse com parative de la scolarisation er de ! ,analphabétisme fém inin et m asculin. Ed. U N E S C O , Paris.
S. 73 ff.
8 L ’ enseignement supérieur en Suisse. Ed. U N E S C O . Cepes. Bucharest 1981. S. 56. 79.

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178 E. Kambo

D arüber hinaus gab es in den ersten Jahrzehnten nach der B efreiung aus
verschiedenen sozialpädagogischen Gründen auch K in d e r, die die Pflichtschule, ja
o ft genug sogar die G rundschule, nicht regelmäßig m it E rfo lg absolvieren
konnten. Einige gaben die Schule auf und haben auch später keine m ehr besucht,
so daß sie zu Halbanalphabeten wurden. Angesichts dieser Erscheinung stellte der
albanische Staat auch nach Beseitigung des Analphabetentum s im nationalen
•»

Maßstab die A ufgabe, den K am p f gegen seine Überreste fortzusetzen, und tra f
dafür konkrete Maßnahm en. Dennoch sei betont, daß der K a m p f gegen das
A nalphabetentum au f schwierigem G rund vor sich ging, denn es gab auch vom
pädagogischen Standpunkt aus ‫״‬schwierige“ Elem ente9. Das ist die W ahrheit
bezüglich der R ückfälle ins A nalphabetentum , besonders in den beiden ersten
Jahrzehnten nach der Befreiung. Dieser Zustand ist jedoch in den aktiven
A ltersgruppen der B evölkerung inzwischen überwunden worden.
3. Schließlich gab es nach dem Kriege noch das brennende Problem des
Charakters der neuen K u ltu r und Bildung. Ih r Formierungsprozeß stellte an sich
ein sehr komplexes Problem dar. Zu Beginn drängt sich natürlicherweise die Frage
auf, was die neue B ildung und K u ltu r darzustellen hatten und w o ra u f sie sich
stützen würden. Was fü r eine R olle sollte die T ra d itio n im Binom ‫ ״‬neue K u ltu r/
T ra d itio n “ im Zuge der Herausbildung der sozialistischen B ildung und K u ltu r
spielen? D e r albanische Staat nahm eine korrekte H altung bei der Behandlung
und praktischen Lösung dieser Probleme ein, die den Weg der historischen
E ntw icklun g von B ild u n g und K u ltu r nach dem Kriege bedingte und zugleich
unter anderem auch eine weitere wichtige Besonderheit dieser E lem ente, ihren
tiefgehenden nationalen C harakter, bestimmt hat. Die prekären sozialökonom i-
sehen Bedingungen hatten zwar einen raschen Fortschritt gebremst, dennoch sind
die positiven T ra d itio n e n nicht verblaßt. So entw ickelte sich die neue K u ltu r und
B ildung nicht au f ‫ ״‬B rachland" und auch nicht auf einer ‫ ״‬tabula rasa“. Ih r
revolutionärer G eist, in dem die patriotischen, w eltlichen, dem okratisch-fort-
schrittlichen, auf die A u fk lä ru n g bezogenen T raditionen unserer nationalen
W iedergeburt einen H auptplatz einnahmen, die so reiche m ündliche Ü berliefe-
rung, die vom V o lk zur Kunst erhobenen N ationaltrachten und V o lkslie d e r und
-tänze, wurde zum Fundament der neuen K u ltu r und Bildung.
Diesem Erbe gegenüber wurde eine bewußt dialektische H altung eingenom-
men, man lehnte sowohl den Kosm opolitism us ab als auch N ihilism us und
M ißachtung der besten T raditio ne n unseres Volkes und der anderen V ö lk e r.
D urch diese dialektische H altung konnte allm ählich und ohne U nterbrechung der
volkstüm liche und nationale Geist in der B ildung und K u ltu r nach dem K rieg
verstärkt werden. D urch sie wurden die positiven T raditionen auch unter den
neuen historisch-sozialen Bedingungen erhalten; durch K ontakte des Nehmens
und des Gebens m it der W e ltk u ltu r wurden sie um neue fortgeschrittenere
T ra d itio n e n bereichert, und daraus bildete sich dann eine neue T ra d itio n .

v Beqja, M .: Në lu fte per një shkoilë e peüagogji socialiste. Tirana 19S6, S. 9().

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Bildung und Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg 179

D ie Anstrengungen des albanischen Staates in dieser H insicht konzentrierten


sich außerdem auf die Organisation einer umfangreichen praktischen T ä tig ke it fü r
die Erziehung der heranwachsenden Generation zu patriotischen Ideen. Das
Hervorheben der Vergangenheit und die W ürdigung der T ra d itio n e n in den nach
dem Kriege herausgegebenen neuen Schulbüchern bew irkte eine Stärkung des
nationalen Bewußtseins der jungen Generation als geistige Kategorie. Schon in
dieser Periode und ununterbrochen auch in der Folgezeit wurde der inhaltlichen
Festigung der humanistischen Lehrfächer, insbesondere der Geschichte des
Vaterlandes, einem eingehenderen Studium der M uttersprache sowie der albani-
sehen und der ausländischen L ite ra tu r zusätzliche Bedeutung beigemessen. So
erhielten in allen Schulbüchern die hervorragendsten Gestalten der P o litik ,
K u ltu r, L ite ra tu r und des Bildungswesens den gebührenden Platz. Das W erk
dieser Personen wurde in sämtlichen politischen, wissenschaftlichen und lite ra ri-
sehen Publikationen nach dem Kriege in neuen Dim ensionen gew ürdigt. Es
wurden eine ‫ ״‬Geschichte Albaniens“ und eine ‫ ״‬Geschichte der albanischen
L ite ra tu r“ sowie verschiedene M onographien darüber herausgegeben. V ollstän-
dige oder ausgewählte W erke dieser Figuren wurden gesammelt und aufbewahrt
bzw. neu aufgelegt. Das war keine Zufallsentscheidung oder eine vorübergehende
Sorge und A ufm erksam keit. Es handelte sich vielm ehr darum , den objektiven
Erfordernissen gerecht zu werden, m it denen die gesamte A rb e it und der K am pf
um die Schaffung einer K u ltu r und B ildung m it tiefem nationalem C harakter
verbunden war. Es handelte sich außerdem um eine ko rre kte V orstellung von
T raditionen, aber nicht einfach als etwas, was der Vergangenheit angehört,
sondern als Bestandteil der Gegenwart, um der Z u k u n ft zu dienen. Neben den
Studien über die bekannten albanischen Gestalten, die m it Feder und G ewehr
gekämpft haben, wurden W erke des wissenschaftlichen Sozialismus sowie die
Hauptwerke der W e ltlite ra tu r übersetzt und verbreitet.
Einen wichtigen Platz nahmen im Rahmen der T ä tig ke it fü r die E ntw icklung
und Festigung des nationalen Geistes auch die Anstrengungen dafür ein, die
geistige K u ltu r des Volkes - die Folklore - zu erhalten, als eine Q uelle der
Begeisterung und als Ausgangspunkt fü r eine neue K u ltu r. K urz nach Kriegsende
begannen die Anstrengungen, die Reste der F o lklore zu sammeln und zu
studieren. Diese A rb e it v e rlie f parallel zu den Studien über die m aterielle K u ltu r
unseres Volkes. D ie Sorge des jungen Staates spiegelte sich in seiner intensiven
A rb e it fü r die Sammlung, die A ufbew ahrung und danach die Untersuchung des
gesammelten M aterials und der archäologischen Funde w ider. A llm ä h lich gewann
auch die entsprechende Gesetzlichkeit an Gestalt und kam zur Anw endung: ,.A lle
beweglichen und unbeweglichen kultu re lle n, historischen und ethnographischen
Denkm äler und O bjekte des Landes werden unter Denkm alschutz gestellt“ .
In vielen Zentren wurden viele gegenständliche W erte gesammelt, woraus die
■■

M öglichkeit entstand, sie der Ö ffe n tlich ke it in besonderen Ausstellungen vorzu-


stellen und sie zu studieren. A u f dieser Grundlage wurden mehrere zentrale und
lokale Museen errichtet, z. B. historische, ethnographische und archäologische
Museen. D ie geistige und m aterielle K u ltu r unseres V olkes konnte som it den
breiten Massen erschlossen und in ihren Dienst gestellt werden. D am it wurden
auch unsere besten Traditionen erhalten und hervorgehoben, die inzwischen das
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180 E. Kambo

Recht haben, sich fre i zu entw ickeln und fortzuschreiten und durch die neue
B ildung und K u ltu r bereichert zu werden. Sie wurden zu einer Basis, au f die sich
die ganze k u ltu re lle F ortentw icklung stützt.
Das waren in groben Zügen einige charakteristische M erkm ale der kulturellen
und bildungsmäßigen E ntw icklun g unseres Landes. Abschließend sei noch gesagt,
daß die E n tw icklu n g von B ildung und K u ltu r nach dem Kriege in A lbanien
stufenweise v e rlie f. Es w ar ein langer und k o m p liz ie rte r Prozeß, der seine
Perioden quantitativen und qualitativen Wachstums, auch seine Wachstums-
Schwierigkeiten hatte, allerdings inzwischen ein noch nie dagewesenes Niveau
erreicht hat.

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Autorenverzeichnis

Dr. Franz-Lothar Altm ann,


S üdost-Institut, M ünchen

Prof. Dr. Peter Bartl,


U niversität M ünchen, In s titu t fü r Geschichte Osteuropas und Südosteuropas;
A lb a n ie n -In s titu t, M ünchen

Leontiev Çuçi,
K andidat der historischen Wissenschaften, Institut fü r internationale Beziehun-
gen, Tirana

D ozent A li Dhrimo,
A kadem ie der Wissenschaften der SVR A lbanien, In s titu t fü r Sprachwissenschaft
und L ite ra tu r, Tirana

Dr. Robert Elsie,


O lzheim

Xhelal Gjeçovi,
Kandidat der historischen Wissenschaften, A kadem ie der Wissenschaften der
SVR A lb a n ie n , In s titu t fü r Geschichte, Tirana

Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus-Detlev Grothusen,


Historisches Seminar, U niversität Ham burg

Dr. A rm in Hetzer,
Staats- und U niversitätsbibliothek Bremen

Enriketa Kambo,
Kandidat der historischen Wissenschaften, A kadem ie der Wissenschaften der
SVR A lb a n ie n , In s titu t fü r Geschichte, Tirana

Prof. Dr. Hekuran Mara,


Vizepräsident der A kadem ie der Wissenschaften der S V R A lb a n ie n , Tirana

Dr. Aleksandër Me ksi,


Akadem ie der Wissenschaften der SVR A lbanien, Archäologisches Z e n tru m ,
Tirana

Gjergj Misha,
Wissenschaftlicher M ita rb e ite r, Akadem ie der Wissenschaften der S V R A lba -
nien, In stitu t fü r V olkskunde. Tirana
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182

D ozent Frano Prendi,


A kadem ie der Wissenschaften der S V R A lb a n ie n , Archäologisches Z e n tru m ,
Tirana

Jens Reuter,
S üdost-Institut, M ünchen

D ozent Miço Samara,


A kadem ie der Wissenschaften der SV R A lb a n ie n , In s titu t fü r Sprachwissenschaft
und L ite ra tu r, Tirana

Dr. Michael Schmidt-Neke,


Historisches Seminar, U niversität H am burg

Zam ir Shtylla,
K andidat der historischen Wissenschaften, A kadem ie der Wissenschaften der
SVR A lb a n ie n , In s titu t fü r Geschichte, Tirana

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O rts - und P ersonennam enregister

A b d ü lh a m id I., 50, 52, 57/58, 60, 63, Banat, 48


69 Banja, 77, 122
A b d ü lh a m id I I . , 142 B ar (A n tiv a ri), 52, 58, 67
A b d ü lm e c it, 142 Barbara (H e ilig e ), 22
A d e lu n g , Johann C hristoph, 160, 162 B ardakijan, K e vo rk, 147
A d ria , 16, 48, 89 Bardus (B a rd y llis ), 16
A d ria n o p e l, 38 B arletius, M arinus, 28, 30/31, 34,
A g o lli, D ritë ro , 158 3 6 -4 0 , 44
Ä g yp te n , 25, 152 Bayern, 48
A lb a n o p o lis, 14 Beaune, 25
A lb re c h t, H ., 171 B e iru t, 147
A lexa nd er der G roße, 32 Belgrad, 48, 56/57, 60, 87, 9 9 -1 0 3
A le xa n d ria , 25 B enaki, L . P., 68
A lfo n s von Neapel, 38 Benfey, T h eo do r, 164
A li Pascha von Janina, 50/51, 68/69 B erat, 12/13, 2 0 -2 2 , 38, 49, 74
A lia , Ram iz, 100-104 B e rlin , 31, 90
A lth a m m e r, W a lte r, 9 Bezmishte, 20
A m iens, 25 B iberaj, Elez, 91
Anastasios I., 12 Bism arck, O tto von, 90
A n a to lie n , 55 Blace, 13
A n jo u , 20 B lum enthal, A ., 164
A p o llo n ia , 22 B obbio, 25
A ra p i, Fatos, 158 Boboshtica, 20
A rb ë r, 1 4 -1 8 ,7 2 , 154, 166 Bogdáni, Pjetër, 136
A rb ë ria , 72 du Bois, G u illa um e , 41
A ria n iti, D o n ika , 38 Bonn, 121/122
A rta , 19 Bopp, Franz, 16 0-16 2, 166/167, 169
Asdreni (A leksander S. D renova), B ore tzky, N o rb e rt, 167/168, 171
130, 152 Bosnien, Bosnien-H erzegovina, 48,
Aserbaidschan, 147 53, 57, 59, 64, 69, 105
Astrachan, 43 Bosporus, 47
A ttaliates, M ichael, 24 Boston, 145/146
A tte rb u ry , Francis (B ischof von de B ou lig ny, E lio d o ro , 56
Rochester), 42 Breu, W alter, 171
A vignon, 25 Brežnev, Leonid I., 86, 91
Brognard, Franz A n to n von, 57
Babylon, 35 Brognard, Wenzel E dle r von, 52,
Bahner, W erner, 168 5 7 -6 0
Balaban Pascha (B allaban), 39 B runner, G eorg, 80
Balkan, 17, 24, 31, 48/49, 68, 70/71, Brüssel, 124-126, 128
84, 90/91, 102-105, 145/146, 153, Buchholz, O da, 168/169
165 Buda, A le ks, 9, 28/29
Ballsh, 14 Budva (B u d u a ), 54/55
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184 Register

Bukarest, 90, 152 D acien, 48


B ulgarien, bulgarisch, 17, 24, 81/82, D alm atien, 20, 26, 48, 66
8 4 -8 7 , 90/91, 104 D änem ark, 42, 127
B ürger, G o ttfrie d A ugust, 159 D ardanien, 12, 15, 165
B ushatlliu (B u ša tlija ) s. a. Kara M ah- D ardhë, 16
mud Pascha, 49/50 Debreas, 38
B u trin t (B u th ro tu m ), 12/13, 64 D edovich, 65—67
B yllis (B allsh), 1 2 -1 4 D edovich, Joseph von, 65
B yron , Janet, 133 D edovich, M a rtin von, 65
Byzanz s. a. K onstantinopel, 12, 15, D elors, Jacques, 126
24 D elvina, 50
D en Haag, 127
Çabej, E qrem , 16, 153, 163, 167/168 D eutschland, B undesrepublik, 9, 24,
Caci, S., 142/143 79/80, 88, 96, 12 1-12 5, 145, 148/
Ç ajupi, A nd on Z a k o , 75, 152, 155 149, 152, 160, 172
Çam, 15 D h ë rm i, 60
Cam bridge, 25 D iefenbach, Lorenz, 161 —164
Ç am i, Foto, 103 D ie tric h , K ., 168
C anterbury, 25 D im a llu m , 163
Casnezzi, C onstantino, 62 D in e , S piro, 75
Casnezzi, Zaccaria, 62 Diogenes, 32
Cavtat (Ragusa Vecchia), 54 D izdarevič, R a if, 104
Ceauçescu, N icolae, 86 D jila s, M ilo v a n , 82
Cecchini, 126/127 D o çi, Prenk, 148
Çerkes Hasan Pascha, 50 D oda, Prenk B ibë, 148, 150
Çeta, 18 D onau, 48, 64
C etinje, 50, 58/59, 67 D o ve r, 25
Charles E dw ard, 45 D rin , 16, 48
Charost, A rm a n d Joseph de Béthu- D u b ro v n ik (Ragusa), 25, 27, 51—54,
ne, 41 58/59,66, 122-125
China, 3 1 ,8 9 , 100, 128 D u ce llie r, A la in , 25
Chruščev, N ik ita , 91 D u k a g jin i, L e k (Lecha D uchaino),
C h u rch ill, John Herzog von M a rlbo - 37, 39/40
ro u g h ,42 Dum as, A lexandre, 149
C h u rch ill, W inston, 82, 85, 90 D urrës (D urazzo), 12/13, 16, 18/19,
C lonm el (Irla n d ), 25 2 2 -2 7 , 50, 52, 66/67, 160
C oblenzl, P hilipp G ra f von, 53,
65 ,6 9 E d irn e , 44
Ç o lla ku , Shaban, 9 Elbasan, 49, 74, 124
C olonna, 42 Elsie, R ob ert, 134
C orvinus, M atthias, 29 England s. G roß britannien
C raig, G ordon A ., 82 E piru s, 12, 19, 34
C rnojevici, 49 Erasm o, P., 51/52
la Crosse, M . V ., 161 E rnst H erzog zu Sachsen-Gotha, 33
C urtius, E rnst R obert, 136 Esposito, M a rio , 26
Cyrus (K y ro s ), 3 2 -3 6 , 4 0 -4 6 Eugen, Prinz von Savoyen, 31
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Register 185

E u le r, E ., 169 G ram eno, M ih a l, 141, 143, 145, 151


E uropa, 22, 47, 69/70, 76, 125-128, G ravina, Johannes G ra f von, 26
136, 147, 152, 161, 173, 177 G raz, 163
— M itte le u ro p a , 144 G rebleshi, M ustafa, 152
— N ordeuropa, 45, 147 G riechenland, griechisch, 16, 24, 26/
— Südosteuropa, 7 9 ,81/82, 8 4 -9 1 , 146 2 7 ,3 4 ,4 8 , 81, 8 3 -8 8 , 146, 161, 169
G ro ß b rita n n ie n , 42 ,4 6 , 83, 85/86, 88,
Faensen, Johannes, 171 125, 149
Fallm erayer, Jakob P hilipp , 28 G u n d lin g , Jakob von, 31
Faßmann, D a vid , 28, 31—37, 39/40, G u ra k u q i, L u ig j, 129
4 2 -4 6 G u tenbrunner, Siegfried, 164
Fénelon, François de Salignae de la G utschm idt, K a rl, 167
M othe, 32
Ferdinand von Neapel, 38 H aarm ann, H a ra ld , 166
F e rit Pascha (Feribassa), 38 H aebler, Claus, 168—170
Fiedler, W ilfrie d , 168/169 H ahn, Johann G eorg von, 163, 165,
Firdousi, 148 168/169
Fontenelle, B em a rd le B ouvier de, 32 H a rff, A rn o ld von, 24/25, 160, 168
Franchini di Bagno, Erasm o, 51 H ayredin , 30
Françoise-M arie, H erzogin von O rlé- Heiliges Land, 24/25
ans, 41 H e in ric h , E ., 168
F ra n k fu rt, 31 H e lb ig , R ob ert, 166
Frankreich, französisch, 29, 4 1 /4 6 , H ercegnovi (C astelnuovo), 52, 54
82, 88, 142, 145, 147-150, 152 H erd e r, Johann G o ttfrie d von, 153
Franz I., 45 H e ro d o t, 35/36, 44
Frashëri, N aim , 72, 75, 137, 155 Herzegovina s. Bosnien-Herzegovina
Frashëri, Sami, 72, 75, 129/130, H etzer, A rm in , 169, 171
137-139, 14 1-14 4, 147/148, 151/ H ie ro kle s, 13
152 H im ara (C im ara, Cemera, Z im a ra ),
Frederik von Schweden, 42 5 1 ,6 0 -6 7
Friedrich W ilh elm I . , 31 H ir t, H erm ann, 164
Fritsche, M ichael, 168 H oade, Eugene, 26
H o lla n d , 41
G abeljanin, Tom a, 54 Howsepyan, V artan, 138, 147
Gaza, 25 H oxha, E nver, 89/90, 97, 9 9 -1 0 1
Genua, 25 H oxha, N exhm ije, 101
Georg I., 42, 45 H ugenotten, 30
Georgien, 43 Hugh the Illu m in a to r (H ugo Illu m i-
Giese, W ilh e lm , 164, 168 n a to r), 25/26
G jakova, 74 H ugo, V ic to r, 149
G jata, F a tm ir, 157 H unyadi, János, 37
G jirokastër (A rg y ro k a s tro ), 64 Hus, Jan, 30
Glaser, E lv ira , 171
G odin, M a rie -A m e lie von, 168 Ibsen, H e n rik , 147
G olem i, M oisi (M oses), 38, 40 Illy re r, Illy rie n , 1 1 -1 7 , 24, 77.
Gorbačev, M ich ail S., 86 163-165
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Ionisches M eer, 60 K aunitz, Wenzel von, 56/57, 60, 64/65


Irla n d , 25 K ehr, E ckart, 80
Ishem, 16 K ephalonia, 25
Ism ail, 68 K erm potich, Joseph (K rm p o tić ), 54/
Istanbul, 78, 138/139, 141, 147/148 55, 59/60
Istrien, 48 K ilia , 68
Ita lie n , 61, 82, 88, 93, 122, 134, 141/ Kleßm ann, C hristoph, 79
142, 147/148, 150, 154 Ködderitzsch, R o lf, 171
K ö ln , 121, 160
Jakova, K olë, 157 K o lo n ja , Shahin, 152
Jalta, 90 K om an, 14/15
James E dw ard, 45 K om atina, M ilo ra d , 104
Janina, 50, 149 K onica, Faik, 145
Jaqup Pascha, 39 K onstantinopel, 14, 19, 21/22, 25, 38,
Ja rn ik, J. U ., 148 52,57
Jassy (Ia $i), 69 Kopenhagen, 42
J e n a ,163 Korçë, 101
Jerusalem, 25—27, 36 K o rfu , 25, 27, 64, 68
Joanina, 163 K orsika, 147
Johann Sigismund, 29 Koschm ieder, E rw in , 171
Jo kl, N o rb e rt, 163, 165, 167 Kosina, 18, 20/21
Joseph H ., 47/48, 5 3 -5 8 , 6 0 -6 5 , Kosovo, Kosova, 15, 50, 77, 99 —105,
6 7 -6 9 134, 142, 149, 170
Jubani, Z e f, 72, 75 Kosovo polje, 50
J u d e n ,27,35 K osta llari, A n d ro k li, 129—134
Jugoslawien, 81—90, 97, 99—105, 134 K o to r (C a tta ro ), 66
K reta, 25
Kadaré, Ism ail, 158/159 Kretschm er, Paul, 164/165
Kalemos (K aļam os), 68 K rim , 48
Kaleshi, Hasan, 138 K ris to fo rid h i, Konstandin, 72, 75,
K a llm e t, 22 137
Kambyses, 35/36, 44 K ro a tie n , 26, 105
K anina, 12 K ru jë , 14, 3 7 -3 9 , 93
Kara M ahm ud Pascha von S kutari, K üçük, K aynarci, 47
4 9 -7 0 Kudhësi, 60
K arl I I . , 42 K u rja n , 20, 23
K arl V ., 29, 44 K yçyku, M uham et, 137
K arlobag (C arlobago), 53, 63 Kyros s. Cyrus
K arstien, C ., 164 Kyrus (F lu ß ), 162
Kaschmieder, K äthe, 43
Kaspisches M eer, 43 Labova, 19,21
K a s trio ti, G jergj s. Skanderbeg Ladislaus von U ngarn, 39
K a s trio ti, Hamza, 38, 40 de Lazzri, A ndrea G in i, 6 1 - 6 3 , 65/66
K a s trio ti, Ivan (G jo n ), 37, 44 Leibniz, G o ttfrie d W ilh e lm , 161 —163
K atharina I I . , 47/48 Leipzig, 31/32
Kaukasus, 162 Lengi, Siegfried, 121, 124
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Register 187

Leopold von Anhalt-D essau, 35 M esopotam , 19—21 ,2 3


Lesh, 16 M eyer, Gustav, 162/163, 166-169
Leskien, August, 165 M eyer-Lübke, W ilh e lm , 168
Lezhë (A lessio), 37, 39, 49 M irk o v ic (M irk o v ic h ), Sava, 52
Libanon, 137, 142 M itk o , T h im i, 75
Linxa, 20 M itte lm e e r, 25, 52
L io lin , A rth u r, 145 Modrissus, 38
Lissus, 12, 13 M ogilev, 47
Ljubljana (Laibach), 87 M ojsov, Lazar, 103
Logoreci, M a ti, 145 M o lo to v , Vjačeslav, 82
Löhner, F ., 164 M om m sen, T heodor, 163
L o n d o n ,25 M onastir (B ito la ), 52, 77, 145, 149
Lo th , W ilfrie d , 86 M ontenegro, 4 8 ,50/51,5 3 - 5 6 , 58/59,
Louis I L , Condé, 34 61, 102
Löw enthal, R ichard, 83 M o rd vin o v, A . S., 51/52
Luarasi, Petro N in i, 145 M orea, 26
Ludwig IV ., 29 M oskau, 99/100, 128
Ludwig X IV ., 41 M uley Ismael, 33
Ludwig X V ., 41 M ünchen, 9
Lukian von Samosata, 32 M u ra t I I . , 29/30, 37/38, 44
Luko, N ., 145
Lyons, 25 N asm ith, James, 25
Nasser, Gamal A b d e l, 86
M achiavelli, N iccolo, 29 Neapel, 38, 40, 42, 61, 63/64
M ajer, Hans Georg, 9 Negovani, Papa K ris to , 145
Makarios I I I . , 87 N ehru, Jawarlahal, 86
M alile, Reis, 102, 124 Nerezi, 22
Manessius, Paulus 37 N eu -D eh li, 125
Mann, G o lo , 80 N ie b u h r, B arthold G eorg, 163
Mantua, 25 N ik a j, Ndoc, 141, 143/144, 151
Mara, H ekuran, 9 N iko p o lis, 48
Marana, G iovanni Paolo, 31 Niš, 16, 165
Marie Anne V icto ire , 41 N izām ī, 147/148
de M a rtin o , Leonardo, 151 Nizza, 25
Massageten, 43 N o li, Fan S., 145/146
M ati, 16, 165 N o lte , F ., 171
Maupassant, G uy de, 149 Nopcsa, Franz Baron von, 168
Mazarin, Jules, 30 N orm andie, 30
Mazedonien, 19, 24, 52, 64, 102, 163
M borjë, 21 O čakov, 48
Mehmed Pascha, 55 O h rid , 19
Mehmet II., 29, 38/39 O liv ie ri, G iovanni, 51/52
M eidhof, A ., 167 Orléans, 41
Meissner, Boris, 83 Osmanisches Reich, 17, 4 7 -5 1 ,
Menippos, 32 5 5 - 5 8 , 63/64,6 6 ,68/69,7 1 -7 8 ,8 4 ,
Mérimée Prosper, 147, 149 93, 138, 142
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188 Register

Osterman, 1. A ., 51 Pott, August, 160/161


Österreich, 31, 42, 4 8 -5 0 , 53, 61/62, Praevalitania, 12
84, 88, 150 P rifti, Allessio, 62
O tra n to , G o lf von, 89 P rifti, Constantino, 62
P rifti, Naum , 157
Pachymeres, Georgios, 27 Prizren, 74
P a d u a ,136 Prizren, Liga von, 7 3 -7 6 , 149
Palasa, 60 Psaro, A n to n Konstantinovic, 68
Palästina, 104 Ptolemaeus, Claudius, 14
Papadiamantēs, Alexandras, 146 Pula, 25
Paris, 25,41, 145, 147 Pulaha, Selami, 9
Parma, 25 Puto, A rb e n , 82
Parmakovich, Ibrahim , 55
Parr, Thomas, 42 Q eparo, 60
Passarowitz, Friede von, 31 Q iria z i, Gjerasim , 145
Paštrovic, 50, 56 Q iria zi, G jergj, 145
Paul, K arl, 163/164 Qosja, Rexhep, 136, 148,
Paulus Angelus, 24 150, 152
Peć, 101
Pedersen, H olger, 132, 167 de Rada, Jeronim , 76, 129/130,
Peja, Liga von, 7 3 -7 6 155
Peking, 100 R adonjić, Jovan, 58
Pellico, Silvio, 142 Radovani, G iorgia A n g e li, 55—57
Pera/Beyoglu, 139 Ranke, Leopold von, 80
Pernet, Ludwig von, 53, 5 5 -6 0 , 67 Rascia, 26
Perondi, 20 Reichenkron, G ünter, 166, 171
Persien, 37, 44, 147/148 R einhold, C arl-Theodor, 169
Pescara, 61 R eiter, N orbert, 168, 171
Peshkëpia, 18, 21 Rheker, Gisela, 83
Petar I. (Petar Petrovié Njegoš), 51, Rijeka (Fium e), 53/54, 58, 64/65
58 R ix, H elm ut, 164
Peter L , 43, 45 Robert der G ute, 26
Pétrovich, Georges, 28 R o d o n ,18
Philipp II. von Orléans, 41 Rohlfs, G erhard, 166, 170
Piacenza, 25 R ohr, R uprecht, 167, 169, 171
Pichler, Franz, 53—59 R om , 11/1 2,4 2 ,5 1 ,7 8
P ilu ri, 60 Rosenkranz, Bernhard, 164
Piqeras, 61 R ub ik, 18, 22
Pllana, 22 Rucca, A n to n io , 55
Podgorica (Podgoricza), 55 Rucca, Guiseppe, 55
Podgradec, 13 Rumänien, rumänisch, 26/27, 60, 81,
Pojan, 20/21, 23 8 4 -8 6 , 152
Pokorny, Julius, 164 Rum elien, 50, 55
Porto Palermo, 62, 65/66 Rußland, Russen, 43, 47/48, 5 0 -5 2 ,
Postoli, Foqion, 151/152 5 8 ,6 1 ,6 7 - 69, 83
Potem kin, G rig o rij A ., 48, 69 Rüstern Pascha, 29
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Register 189

Šabac, 48 Simon Fitzsimons (Symon Semeo-


Sachsen, 46 nis), 2 5 -2 7
Salamis, 170 Sizilien, 68
Saloniki, 52 Skanderbeg, 28, 46/47, 71/72, 77, 93,
Santori, Francesco, 138 146
Sarajevo, 104 Skopje, 22, 165
Saranda, 60 Slavonien s. D alm atien s. Kroatien
Sarocchi, M argheritta, 28 Slowenien, 105
Sasse, Hans-Jürgen, 171 Smoctina (S m okthina), 62
Sazan, 160 Sobieski, Johann (Jan) I I I . , 29, 31
Scaramelli, Baldassare, 28 Sofia, 50, 81/82, 84, 165
Schaller, H e lm u t, 168, 171 Sötling, W ilfrie d , 171
Schlegel, August W ilh e lm , 160 Sowjetunion, UdSSR, 8 5 -8 7 , 89, 91,
Schleicher, A ugust, 162 95, 97, 100, 123
Schmaus, A lo is , 171 Spanien, 42, 45/46, 61
Schmidt, Johannes, 162 Split (Spalato), 65
Schnetz, Joseph, 164 Stadtm üller, Georg, 165
S chonen,42 Stalin, Josef, 82, 85/86, 89/90, 99
Schönflug, 59 Stankovic, Borisav, 146
Schubart, C hristian D aniel, 43 Steinke, Klaus, 164, 171
Schuchardt, H ugo, 163, 166/167 Stephan Uroš I I I . , 26
Schwaben, H einrich Johann, 32 S të rm illi, H a k i, 146
Schwarzes M eer, 47, 162 Sterner-Rainer, Sigrid, 164
Schweden, 42 Stier, Gustav, 161, 163, 166/167, 169
Schweiz, 177 Stoica, C hivu, 87
Sci pio, 32 St. Petersburg, 51
de Scudéry, Georges, 29/30, 34, Strauß, Franz-Josef, 121
4 4 -4 6 Streitberg, W ilh elm , 165
de Scudéry, M adeleine, 34 Strindberg, A ugust, 147
Seidel, Eugen, 171 Stuart, 45/46
Senj (Segna), 63 Südafrika, 104
Serbien, 24,48, 56, 64, 82/83,88, 100, Sue, Eugène, 149
102-105 Süleyman I., 29
Sfetigrad, 37/38 Suli, 51
Shakespeare, W illia m , 147 Šumla, 69
Shar, 16 Summa, Giacom o, 55
Shirgji, 20/21 Suppan, A rn o ld , 81
Shiroka, F ilip , 75 Symizë, 13
Shirokë (S iro ko), 59
Shkodra (S kutari), 12/13, 16, 18, Tam erlan, 29
20, 49 - 6 0 , 6 6 -6 8 , 74, 77, Tantalos, 32
103, 130, 137, 141, 143, 145, Tataren, 37, 43
147-150, 152 Teheran, 90
Shkumbin, 16, 50 Teichova, A lice , 81
Shkup (Scup), 16 Teodore, Spiridion A ndrea, 62
Shtip, 16 Tepelena, 50
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T h ra kie n , thrakisch, 162—165 V icto rin u s, 13
T h um b , A lb e rt, 164, 166 V illa Badessa, 61
Thunm ann, Johann, 162, 165 V ille ro y (V ille ro i) Francoiç de Neuf-
T ira na , 11,49,89. 100-104, 121-124 v ille , 41
T ito , Josip B roz, 86, 99/100 Vincenza, 25
T ito g ra d , 103 V lo ra , Ism ail Qemal B ej, 27, 78, 93,
T o d o ro v, N ik o ła j, 82 97
T om ara, V a silij Stepanovič, 68 V lo rë (V a lo n a ), 16, 64, 78
T o m yris, 36 V re to , Jani, 75, 137
Toskana, 130 Vukasovic (V ukassivich), P hilipp
Trepča, 103 von, 53/54, 56—59, 67
T rie st, 63—64 V u n o , 6()
T rik a la , 51
T rum a n, H a rry S., 85/86 W alachei (W alachen), 48, 165
T ü rke n , türkisch, 29, 31, 36—39, 41, W aldenfels, G eorg von, 121
4 6 -4 9 , 51, 54, 57/58, 6 0 -6 2 , 64, Wales, 25
6 6 -6 9 , 7 1 -7 8 , 81, 83 - 8 7 , 104, W a lte r, W ., 171
137/138, 141, 143, 147/148, 150, W ehler, H ans-U lrich, 79
152, 162 W eigand, Gustav, 163—165, 168/169
Tzschim m er, G a b rie l, 31 W ien, 29, 51, 53/54, 57, 6(), 63, 65,
147, 149, 152
U hlisch, G erda, 166, 168, 171 W ilhelm der E roberer, 42
U lcin j (D u lc ig n o ), 15, 25/26, 49/50, W issant, 25
58, 67.160
U lrik e Eleonore von Schweden, 42 X enophon, 35/36, 44
U ngarn, 37, 39, 81, 8 4 -8 6 , 124 X hu van i, A leksander, 129/130
U rani (K o n t, V ran aco nti), 38 X yla n d e r, Joseph R itte r von, 160,
U S A , 83, 85/86, 88 165, 167-169

V alona, 60, 66 Z adar, 25


Varna, 48 Z aharja, Lek (Zecha Zacharias), 37,
Vasa, Pashko, 75/76, 137, 141 — 145, 40
147-152, 155 Zannovic, Stepan, 28
Vasm er, M ax, 164, 167/168 Z e itle r, W olfgang, 165/166
V a te r, Johann Severin, 160 Z e rva t, 18
V a tik a n , 61, 78 Zeuss, Johann Kaspar, 163
Vau i Dejës, 18, 20—22 Zharrës, 13
Venedig, venezianisch, 20, 24/25, 27, Z ogu, A h m e t (K ö n ig ), 88
3 7 -4 0 , 50/51, 54, 60/61, 67, 141, Z o la , E m ile , 149
150 Zvernec, 20
V e q ilh a rx h i, N aum , 72, 75/76 Zvezde, 13
V erona, 25 Z yp e rn , 8 4 -8 7 , 89/90

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Veröffentlichungen der Südosteuropa-Gesellschaft


Eine vollständige Liste der bisher von der SOG herausgegebenen Publikationen ist über die
Geschäftsstelle, Widenmaverstraße 49, D-8000 München 22 zu beziehen.

S Ü D O STEU R O PA JA H R B Ü C H E R

Im Namen der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von Walter Althammer


Band 17: Die V ölker Südosteuropas im 6.-8. Jahrhundert. Hrsg. von Bernhard Hansel.
308 S., München 1987. (D M 85,-)
Band 18: Zwischen Zentralisierung und Selbstverwaltung - Bürokratische Systeme in
Südosteuropa. Hrsg. von Franz Ronneberger. 161 S., München 1988. (D M 34,-)
Band 19: Die Staaten Südosteuropas und die Osmanen. Hrsg. von Hans Georg Majer.
382 S., 61 Abb., München 1989. (D M 68,-)

Band 20: Der Modernismus in den Litera turen Südosteuropas. Hrsg. von Reinhard Lauer.
Erscheinungstermin: Juli 1991

Band 21 : Wandlungen in der Eigentumsverfassung der sozialistischen Länder Südosteuro-


pas. Hrsg. von Georg Brunner und Dieter Pfaff. 111 S., München 1990. (D M 28,-)

SÜ D O STEU R O PA S T U D IE N

Im Namen der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von Walter Althammer


Band 40: Volksmusik und Kunstm usik in Südosteuropa. Hrsg. von Cornelius Eberhardt
und Günther Weiß. 193 S., München 1989. (= Schriftenreihe der Hochschule für
Musik in München, Bd. 9) (D M 49,-)

Band 41: Südosteuropa-Veröffentlichungen aus der Bundesrepublik Deutschland


1984-1988. Hrsg. von Klaus-Detlev Grothusen. 128 S., München 1989. (D M 22,-)
Band 42: Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel in Südosteuropa. Hrsg. von
Roland Schönfeld. 139 S., München 1989. (D M 22,-)
Band 43: Bulgaristik-Sym posium M arburg. Hrsg. von Wolfgang Gesemann, K y rill Hara-
lampieff und Helmut Schaller. 288 S., München 1990. (= Bulgarische Sammlung
Bd. 7) (D M 45,-)

Band 44: 110 Jahre W iedererrichtung des bulgarischen Staates 1878-1988. Hrsg. von
Klaus-Detlev Grothusen. 192 S., München 1990. (D M 36,-)
Band 45: Die Deutschen in U ngarn. Hrsg. von Georg Brunner.
132 S., München 1989. (D M 22,-)
Band 46: Die E ntw icklung Griechenlands und die deutsch-griechischen Beziehungen im
19. und 20.Jahrhundert. Hrsg. von Bernhard Hansel. 160. S., München 1990.
(D M 32,-)

Band 47: Südosteuropa in der W ahrnehm ung der deutschen Ö ffentlichkeit vom Wiener
Kongress (1815) bis zum Pariser Frieden (1856). Hrsg. von Josip Matesić und
Klaus Heitmann. 180 S., München 1990. (D M 34,-)
Band 48: Albanien in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. von Klaus-Detlev Grothusen.
Erscheinungstermin: Mai 1991
Band 49: Politischer Pluralismus und Verfassungsstaat in Deutschland und U ngarn.
Hrsg. von Georg Brunner. Erscheinungstermin: Juli 1991

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SÜ D O STEU R O PA A K T U E L L
Im Namen der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von Walter Althammer

Heft 1: Fragen der Finanzierung des Handels m it Südosteuropa. Hrsg. von Walter A lt-
hammer. 82 S., München 1987. (D M 7,-)
Heft 2: Südosteuropa in der Ä ra Gorbatschow. Auswirkungen der sowjetischen Reform-
p o litik auf die südosteuropäischen Länder. Hrsg. von Walter Althammer.
159 S., München 1987. (D M 15,-)
H eft 3: Die T ürkei und die Europäische Gemeinschaft. Hrsg. von Werner Gumpel.
120 S., München 1988. (D M 12,50)
Heft 4: Die jugoslawische W irtschaft - Gegenwart und Z u ku n ft. Hrsg. von Werner Gum-
pel. 105 S., München 1988. (D M 10,-)
H eft 5: A grarw irtschaftliche Zusammenarbeit m it Albanien. Hrsg. von Walter Altham-
mer. 126 S., München 1989. (D M 12,50)
Heft 6: Landesentwicklung und Um weltschutz im Donauraum . Hrsg. von Karl Ruppert.
138 S., München 1989. (D M 15,-)
Heft 7: In te rku ltu re lle K om m unikation in Südosteuropa. Hrsg. von Franz Ronneberger.
132 S., München 1989. (D M 15,-)
H eft 8: Die Interessen der Anliegerstaaten am Rhein-M ain-Donau-Kanal. Hrsg. von
Werner Gumpel. 72 S., München 1990. (D M 7,-)
H eft 9: Vom Plan zum M a rk t. Stand und Aussichten der W irtschaftsreformen in Südost‫־‬
europa. Hrsg. von Walter Althammer. 75 S., München 1990. (D M 7,-)
H eft 10: Die Verfassung als Katalysator zwischen Gesellschaft und Staat. Hrsg. von Ádám
Antal und Heinrich Scholler. 201 S., München 1990. (D M 17,50)
H eft 11: Europa und die T ürkei in den neunziger Jahren. Hrsg. von Werner Gumpel.
82 S., München 1991. (D M 7,‫) ־‬
H eft 12: Das vereinte Deutschland als Partner O stm itte l‫ ־‬und Südosteuropas. Hrsg. von
Walter Althammer. Erscheinungstermin: Juni 1991

SÜ D O STEU R O PA S C H R IFTE N
Im Namen der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von Walter Althammer
Band 10: Von der Pruth-Ebene zum Gipfel des Ida. Studien zur Geschichte, Literatur,
Volkskunde und Wissenschaftsgeschichte des Donau-Balkan-Raumes. Hrsg. von
Gerhard Grimm. 294 S., München 1989. (D M 28,-)

Bayerische
Staatsbibliothek
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