Mitten in Aarau, einer Stadt mit gut 20.000 Ein- Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden können.
önnen. de immer wieder in Frage gestellt, hat sich am
wohnern, eine halbe Zugstunde von Zürich ent- Die jungen Architekten, damals frisch vom Stu- Ende aber als richtig erwiesen
Alte Reithalle in Aarau
fernt, befindet sich der ehemalige Militärbau. dium, haben dieses radikal in Frage gestellt. Am Anfang des Projekts im Jahr 2006 stand Der einzige Raum, 22 Meter breit und 80 Meter Die Idee zeichnete sich schon bei der ersten ein Nutzungswettbewerb um eine zentrale Thea- lang, ist überspannt von einem historischen Begehung ab. „Von außen wirkte das Haus auf terbühne im Kanton Aargau mit 200 Plätzen. Die Sprengwerk und eingefasst von alten, von der uns kleiner, fast unspektakulär.“ Erst von innen Stadt Aarau, die sich mit einem Konzept in der Zeit gezeichneten Mauern. entfaltet das freispannende Dach seine Wirkung. ehemalig militärischen Reithalle beworben hatte, Text Jasmin Kunst Fotos Luca Zanier Dank dem Beitrag des Ateliers Barão-Hutter Die Idee, die Halle möglichst freizuspielen, ent- erhielt den Zuschlag. Der Prozess war von vielen im offenen Wettbewerb von 2012, ist der Raum sprang einer architektonischen und atmosphäri- personellen Wechseln in der Politik und auf Bau- weitgehend frei geblieben. Nur durch schwere schen Absicht: „Wir konnten uns nicht vorstellen, herrenseite geprägt. Außerdem wurden die Bür- Vorhänge ist im mittleren Teil ein mobiles Foyer diese Leere zu verstellen.“, erklärt Architekt ger und Bürgerinnen in die Entwicklung mit Der Saal ist 22 Meter breit abgetrennt, das die Halle in zwei Zonen unter- Peter Hutter. „Vielleicht war es Naivität, vielleicht einbezogen. Zu der ursprünglichen Nutzung als und 80 Meter lang. Von au- ßen wirkt der Bau unspek- teilt: Eine für das Theater, eine für das Orchester. aber auch schlicht das technische Unvermögen, Theater kam eine weitere hinzu, die mit massiv takulär. Innen ist man von An beiden Stirnseiten steht ein Betonkubus in diesen Dachstuhl eine schalldichte Wand ein- höheren Ansprüchen an Akustik einherging: der eindrucksvollen Dach- zubauen.“ Diese Grundidee, die in den zehn Jah- die eines Konzertsaals für klassische Musik. In mit Nebenräumen. Das Raumprogramm hätte ei- konstruktion überrascht. Die neue Nutzung war lange gentlich zwei Bühnenräume gefordert, die akus- ren, die zwischen dem Wettbewerb und der Er- diesem Zusammenhang diskutierten Akustiker umstritten. tisch so voneinander abgetrennt sind, dass zwei öffnung im letzten Oktober vergangen sind, wur- immer wieder die Idee eines Box-in-Box Konzepts.
Fast alles ist in dieser Reithalle im
schweizerischen Aarau anders, als in einem klassischen Theater. Unter dem gewaltigen, hölzernen Dachstuhl, wo einst Soldaten ihre Pferde trainierten, ist heute eine Bühne für Theater, klassi- sche Musik und zeitgenössischen Zirkus. „Ein gutes Theater muss ein bisschen unangenehm sein,“ sagt Peter Hutter über das be- sondere Einraumtheater, zu dem er diese Halle mit seinem Büro- partner Ivo Barão umgebaut hat.
Die Reithalle ist Teil des
Kasernenareals von Aargau, das umgenutzt wird. Die Mauern sind fast unverän- dert geblieben. Das Dach erfuhr eine Aufdopplung mit Kupferblech. Foto oben: Jirì Makovec
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Die Halle verfügt nach den Umbauten über 10 Eingänge für eine größtmögliche Fle- xibilität. An den Seiten ist der Boden umlaufend hoch- geklappt und erinnert an den früheren Anreitschutz, der Pferde von der Wand ferngehalten hat. Darunter sind Lüftungsauslässe. Erdgeschoss, Schnitt und Ansicht im Maßstab 1:500
Bei einem Probekonzert des Orchesters Argovia
Philharmonics hat sich aber die Akustik in der Halle, so wie sie war, als sehr gut herausgestellt. Sie konnte mit nur wenigen, gezielten Eingriffen optimiert werden. Ab 2013 wurde die Halle als Theater zwischen- genutzt und das Konzept eines einzigen Büh- nenraums auf die Probe gestellt. Die vielen Auf führungen, insbesondere die Performances des zeitgenössischen Zirkus‘, die sich außerhalb von bekannten, klassischen Formen bewegten und sehr stark mit dem Raum interagiert haben, zeigten, welche Möglichkeiten die Halle bot. „Es waren die Künstler und Künstlerinnen, die diesen Militärbau, der durch seine Funktion maximal privat, abgeschottet und versteckt sein musste, in einen öffentlichen Publikumsbau verwandelt haben“, sagt Architekt Hutter. Auch in der Stadt Architekten/GP war man begeistert. 2016 wurde die öffentliche Barão-Hutter, St.Gallen; Finanzierung des Umbaus per Volksabstimmung Ivo Barão, Peter Hutter mit 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Baumanagement/Baulei- Am Ende der langen Vorlaufzeit, nach vielen tung/GP neuen und wieder verworfenen Ideen, hatte Ghisleni Partner, Zürich sich herauskristallisiert, was die Halle wirklich Tragwerksplanung brauchte: eine Fläche und zwei Körper. Einen Borgogno Eggenberger + klassischen Theaterabend, wo man von einem Partner, St.Gallen; Makiol gemütlichen Stoffsessel auf eine Guckkasten- Wiederkehr, Beinwil am See bühne schaut, darf man im Neuen Theater in der Alten Reithalle nicht erwarten. Die Besucherinnen TGA und Besucher sollen herausgefordert werden, anex Ingenieure, Zürich mit ihren Ritualen zu brechen. Theatertechnik Dieses Theater ist anders, angefangen bei Theaterplanung, Baar den Eingängen, denn davon gibt es zehn. Die Ar- chitekten vergleichen diese Idee mit der Bahn- Medientechnik hofshalle in Zürich: „Diese leere Halle ist eigent- Tingo, Muri lich auch eine Bühne. Von überall kommen und Lichtplanung gehen die Menschen.“ Daran, dass der Eingang Bartenbach, Aldrans ins Theater jeden Tag an einem anderen Ort ist, müssten sich die Leute aber erst gewöhnen. Für Bauherr die neuen Eingänge wurden die bestehenden Stadt Aarau Fensteröffnungen bis auf Bodenniveau vergrö-
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ßert. Auch die Signaletik muss mobil sein. Nach dem Eintreten steht man direkt auf der Bühne. Für den Einbau musste und Regiezimmer. Wenn das Orchester spielt, ist der Kubus hinter der Bühne der Backstage-Be- Denn die Bühne füllt den ganzen Raum. Die der weiche Untergrund der reich, die Gäste benutzen die Toilette auf der ge- „2000 Quadratmeter, die keinen Unterschied ma- Reithalle weichen, hunder- genüberliegenden Hallenseite. Bei einer Theater- chen zwischen Gast und Schauspieler, zwischen dem, der zahlt und dem, der nicht bezahlt, der te Kubikmeter Erde wurden aufführung umgekehrt. In diesen Einbauten öffnet sich eine Welt aus schwarzem Beton, Glas- zuschaut und der darstellt“, sind für Hutter die abgetragen und durch eine bausteinen und glänzend metallischen Oberflä- Essenz des Umbaus. Es gibt keine Trennung zwi- Ortbetonplatte ersetzt. chen. An den Wänden im Gang hängen kleine schen Publikum und Bühne, alle sind im gleichen Spiegel. Zuschauer, die sich in der Pause frisch Raum, stehen auf dem selben Boden. Musikern platziert. Auch das Foyer selbst lässt machen, werden hier zum Ereignis. Für den Einbau mussten hunderte Kubikme- sich in seiner Größe an die Publikumsmasse an- Die Tribünen sind verschiebbare Blöcke. Über- ter weicher Untergrund abgetragen und durch passen. Die Außenmauer aus Jurakalkstein ist haupt sind alle Elemente fahrbar. Die Leere for- eine Ortbetonplatte ersetzt werden. Der Büh- fast unverändert geblieben, nur größere Löcher dert heraus, nicht nur die Besucher, auch dieje- nenboden ist aus amerikanischem Schwarzkie- wurden ausgebessert. Die fleckige Oberfläche nigen, die den Raum bespielen. Aus der großen ferholz gefertigt und stellte eine handwerklich bleibt, verblichene Buchstaben der früheren Reit Flexibilität ergeben sich unzählige Möglichkeiten, anspruchsvolle Aufgabe dar. Darunter verborgen anordnung sind noch sichtbar. Die alten Fens- den Raum zu organisieren. verläuft ein Netzwerk aus Kabeln, die fast jeden ter sind ertüchtigt, nicht überstrichen. An ihren Direkt neben der Reithalle, in den alten Stallun- beliebigen Punkt der Halle mit Strom versorgen. Außenseiten sind feuerverzinkte Läden ange- gen, ist eine kleine Bar, die zum beliebten Treff- An der Seite ist der Boden hochgeklappt und bracht, die einerseits Schallschutz, andererseits punkt geworden ist. Hier wurde lediglich der Bo- formt einen umlaufenden Täfer entlang der Au- Verdunkelung ermöglichen. den erneuert, eine Stahl-Glas-Trennwand ein- ßenwand. Dieser erinnert an den früheren Anreit- Auch der Dachstuhl ist sehr gut erhalten, seine gezogen und Beleuchtung angebracht. Für ihre schutz, der Pferde von der Wand ferngehalten Funktion ist allerdings neu. Die Bühnentechnik, Vision zeigten die Architekten den Bauherren hat. Darunter befinden sich Lüftungsauslässe. In sprich Lautsprecher und Scheinwerfer, ist an vier Szenen aus dem Film „Soul Kitchen“. „Film ist für einem Abstand von zwei Metern zur Wand kann durchlaufenden Schwerlastschienen an der his- uns ein Arbeitsinstrument. Im Planungsprozess eine weitere Schicht des Bodens hochgeklappt torischen Dachkonstruktion aufgehängt. Die gibt es viele Sachzwänge, oftmals drehen sich werden, um mit der Außenwand eine Gasse auf- klimatische Abschirmung, Wind- und Schneelas- Diskussionen um Zeitpläne und Budget. Filme er- zuspannen und Menschenströme zu lenken. ten nimmt das neue Überdach auf, das auf der öffnen die Möglichkeit, Diskussionen auf einer Die textilen Raumteiler, die man anfangs vor al- bestehenden Außenmauer steht. Von außen ist anderen Ebene zu führen.“ Das Kino bringt viele lem aus atmosphärischen Gründen gewählt hat- die Aufdopplung des Dachs in Form eines 70 Zen- Dinge zusammen, die auf Plänen schwierig dar- te, wurden auch zum akustischen Werkzeug. timeter hohen Kupferblechs über der erhaltenen zustellen sind, von denen dieses Projekt aber Die Stofflagen wirken schallabsorbierend, durch Traufe sichtbar. lebt: Licht, Geräusche, Menschen die sich bewe- Im mittleren Teil ist durch sie wird der Raum stimmbar. Je nach Orchester- In den zwei Betoneinbauten an den Stirnseiten gen. schwere Vorhänge ein mo- biles Foyer abgetrennt, das größe werden sie näher oder weiter weg von den befinden sich Garderoben, Toiletten, Solisten- die Halle in zwei Zonen un- terteilt: eine für das kleine Theater, eine für den Musik- saal mit Orchesterbühne. Um die Tiefe nutzen zu kön- nen, ist auch eine Zuschau- ertribüne möglich.
Linke Seite: Im Inneren der
Einbauten öffnet sich eine Welt aus schwarzem Beton, Glasbausteinen und glän- zend metallischen Oberflä- chen.