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Das Konzert fand zum ersten Mal nicht am Neujahrsmorgen, sondern am 31.

Dezember
1939 statt. Zeitungsankündigungen zufolge war es ein von den Wiener Philharmonikern
dem von Adolf Hitler am 10. Oktober 1939 eröffneten Kriegswinterhilfswerk (Kriegs-
WHW) zur Gänze gewidmetes „Außerordentliches Konzert“, zu dem am 30. Dezember eine
öffentliche Generalprobe veranstaltet wurde. Der Historiker Fritz Trümpi belegte,
dass das Konzert Bestandteil von Joseph Goebbels’ Propagandamaschinerie war.[1][2]
[3][4] Das Neujahrskonzert fand (und findet bis heute) im Großen Musikvereinssaal
in Wien, der etwa 2.000 Personen fasst, statt.

Die Liebe des Dirigenten Clemens Krauss zur Walzermusik, insbesondere der der
Familie Strauss – „und wohl auch sein Drang zu großen Auftritten“[5] einerseits,
jedoch auch seine Aufnahme von Hitlers und Goebbels Gnaden in die Gottbegnadeten-
Liste nach dem Anschluss Österreichs – verbanden sich in seiner Person mit
Goebbels’ Absicht, Wien als Stadt „des Optimismus, der Musik und der Geselligkeit“
zu inszenieren. Trümpi belegt in seinem Buch Politisierte Orchester, dass in der
Zeit des Nationalsozialismus die Zahl der Aufführungen von Werken der Strauss-
Familie durch die Wiener Philharmoniker sprunghaft zunahm. Das Orchester war nach
der Annexion Österreichs zwar Goebbels zugeordnet worden, diesem aber, anders als
die Berliner Philharmoniker nicht unterstellt: Das Engagement für den NS-Staat war
also von den Wiener Philharmonikern weitestgehend eigenbestimmt und
eigenverantwortet. Trümpi zitiert aus einem Vertrag zwischen den Wiener
Philharmonikern und der Reichsrundfunkgesellschaft:

„[…] das Orchester verpflichtet sich, Schwarzplatten-Aufnahmen für den


Großdeutschen Rundfunk mit Wiener Musik, in erster Linie natürlich mit Werken
Johann Strauß' mit einem, die Wiener Note besonders beherrschenden Dirigenten, zu
machen“

– Prot. KS, 7. Oktober 1940, HAWPh, A-Pr-030, 17.: Hier zit. nach Trümpi:
Politisierte Orchester, 257

Die NS-Machthaber hatten bereits vor der Zeit des Zweiten Weltkrieges die Idee
entwickelt, „mittels so genannter ‚leichter Musik‘, die ‚Volksgemeinschaft‘ zu
stärken“. Die „Moral an der Front und in der Heimat“ aufrechtzuerhalten, trat
historisch erst ab etwa 1940/41 (also erst nach dem ersten Neujahrskonzert) dazu:
Das erste Neujahrskonzert – noch nicht so bezeichnet – fand also in Wien zugunsten
des Winterhilfswerkes des Deutschen Volkes statt, dem sich Zehntausende Wiener auch
innerlich verpflichtet fühlten.

Die ersten sechs Neujahrskonzerte – und nach dem Untergang des NS-Regimes weitere
sieben – standen unter der Leitung von Clemens Krauss. Seit dem zweiten Konzert am
1. Jänner 1941 fand und findet das Konzert am Neujahrstag statt. 1941 spielten die
Wiener Philharmoniker laut Zeitungsankündigung in ihrer zweiten Akademie, die nun
schon zur Tradition geworden ist, zugunsten der NS-Gemeinschaft „Kraft durch
Freude“,[6] wie es dann auch als Benefizkonzert bis zum Neujahrskonzert 1945 der
Fall war. Die Zählung der Neujahrskonzerte durch die Wiener Philharmoniker beginnt
mit dem in NS-Tradition stehenden Konzert des Neujahrstages 1941.

Dabei war damals die Programmwahl auch unfreiwillig Zeitgeschichte, wie der
langjährige Chronist der Neujahrskonzerte, Kurt Diemann, nachweist:[7]

Im Neujahrskonzert 1941 wurde der Russische Marsch erstmals aufgeführt und


sollte eine Reverenz an den im August 1939 abgeschlossenen deutsch-sowjetischen
Nichtangriffspakt sein; 1941 wurde aber das Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion.
Im Neujahrskonzert 1945 wurde der Walzer O schöner Mai! von Johann Strauss
(Sohn) erstmals gespielt; im Mai des gleichen Jahres kapitulierten Nazi-Deutschland
und mit ihm die ihm angehörenden Alpen- und Donau-Reichsgaue, also das in Gaue
aufgeteilte und ihm angeschlossene Österreich.
Das Neujahrskonzert 1955 wiederum nahm den Walzer Mein Lebenslauf ist Lieb und
Lust von Josef Strauss als Auftakt ins Programm, im Mai 1955 wurde durch
Staatsvertrag die Unabhängigkeit Österreichs wieder hergestellt.

Erst seit dem Dirigat von Josef Krips am 1. Jänner 1946 heißt dieses Konzert
tatsächlich „Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker“. Er initiierte schon 1946
ein „Arbeiter-Neujahrs-Konzert“, um die für das „originale“ Neujahrskonzert schon
damals für die „normalen“ Einkommensbezieher unerschwinglichen Preise (die
preiswerteste Konzertkarte kostete damals schon mehr als einen Wochenlohn eines
Wiener Arbeiters) ein Zeichen dagegen zu setzen und die Idee des Konzertes in die
(breite) Wiener Bevölkerung, gerade angesichts der damaligen Trostlosigkeit des
halbzerstörten und hungernden Wiens zu tragen: Nach seinem Ausscheiden und der
Rückkehr von Clemens Krauss wurde dies stillschweigend schon 1947 beendet. Seit 31.
Dezember 1952 wird das Programm des Neujahrskonzerts am Silvesterabend als
Silvesterkonzert voraufgeführt. Am 30. Dezember 1962 wurde erstmals eine zweite
Voraufführung angesetzt; diese war bis 1997 jeweils eine geschlossene Veranstaltung
für Angehörige des österreichischen Bundesheeres, seit 1998 wird ein Teil der
Karten verkauft.[8]

Der Blumenschmuck für das Neujahrskonzert war von 1980 bis 2013 traditionell ein
Geschenk der italienischen Stadt Sanremo.[9] 2014 wurden die Blumen erstmals von
den Wiener Philharmonikern zur Verfügung gestellt.[10] Der Konzertsaal wird von den
Floristen jedes Jahr mit rund 30.000 Blumen dekoriert, 2015 erstmals in Kooperation
mit den Wiener Stadtgärten.[11]

2008 wurde erstmals live im Goldenen Saal getanzt, ebenso wieder 2011, als 15-
jährige Eleven (Mädchen und Burschen) der Ballettschule der Wiener Staatsoper
auftraten. 2014 haben Kathrin Menzinger und Vadim Garbuzov nach ihrer eigenen
Choreographie im Saal zum Walzer An der schönen blauen Donau live getanzt.[12]

Anlässlich des 75-Jahre-Jubiläums des Konzertes wurde 2015 die Edition


Neujahrskonzert: Die gesamten Werke veröffentlicht, eine aus 23 Compact Discs
bestehende Sammlung aller 319 Werke, die seit 1941 bei der Veranstaltung gespielt
wurden.[13]

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