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>> Die Politische Meinung

Das christliche Verständnis Zum Bildungsverständnis


vom Menschen begründet
eine Hinführung zu innerer
der CDU
Freiheit, verantwortungs- Jörg-Dieter Gauger
voller Persönlichkeit
und individueller Leistung

Im politischen Diskurs der letzten Jahre reicht nicht aus. Bei den anderen Parteien
hat der Begriff „Bildung“ eine quasi sucht man vergeblich nach parteioffi-
religiöse Färbung und Struktur ange- ziellen Aussagen dazu: die LINKE be-
nommen: Dem Weckruf – Wachet auf – schränkt sich in ihrem neuen Programm-
zur metanoia, zur Umkehr, weil uns gra- entwurf auf einen nichtssagenden Satz;
vierende weltweite Veränderungspro- SPD und Bündnis 90/Die Grünen greifen
zesse bedrohen (Globalisierung, „Wis- in ihren Grundsatzprogrammen nur ein-
sensgesellschaft“, China, Indien, demo- zelne, sie weltanschaulich tangierende
grafischer Wandel, Migration, Integra- Themen heraus, etwa die Gemeinschafts-
tionsprobleme und so fort) folgt der Anruf schule oder die Umweltbildung. In jüngs-
– niemand darf zurückbleiben –, die Ver- ter Zeit hat nur die CDU eine systemati-
heißung – all das ist nur durch eine sche und relativ umfassende Konzeption
neue „Bildung“ bewältigbar, weil unsere zur Diskussion gestellt, „Bildungsrepu-
Ressourcen in den Köpfen liegen –, die blik Deutschland“ (27. Juni 2011, im
Hoffnung – mangelnde „soziale Gerech- folgenden BD), was schon vom Titel her
tigkeit“ ist durch „Bildung“ behebbar –, Erwartungen weckt, denn das ist ja doch
die Heilung – „längeres gemeinsames Ler- mehr als die bekannte „Wissensgesell-
nen“ in der Grundschule hilft beiden schaft“: Wissen ist nur ein Element von
Problemen auf: mehr in den Köpfen und Bildung, aber sie erschöpft sich nach
mehr „soziale Gerechtigkeit“ –, schließ- Heraklit nicht in der „Vielwisserei“.
lich die Erlösung – die Gemeinschafts- Das Papier fällt in die dritte Phase
schule, sie hilft aus allem Übel und „siehe, der Unions-Bildungspolitik nach 1945.
es war alles neu“. Daher hat es auch Standen bis zu Beginn der 1960er-Jahre
die Bildungspolitik nicht mehr mit dem die Revitalisierung des Christentums
„Gebildeten“ zu tun, mit Bildung als Ver- und damit Menschenbild und Wertever-
gewisserung seiner selbst in der Welt, als mittlung im Zentrum, so verschiebt sich
Selbstzweck und bürgerliches Distinktiv der Akzent seit Mitte der 1960er-Jahre
gegenüber Adel und Unterschicht, „bil- auf (technokratische) Effizienzsteigerung
dungsbürgerlich“ ist hierzulande eher ne- durch Strukturreformen von der vor-
gativ konnotiert, sondern mit einem poli- schulischen bis zur Weiterbildung. Etwa
tisierten Bildungsbegriff, der eben diese ab 1975 setzt unter dem Eindruck von
quasi religiöse Funktion erfüllen soll. „1968“ eine Rückbesinnung auf Men-
Bildungspolitik ist daher zugleich Qua- schenbild und Werte ein, sodass pro-
lifizierungs-, Sozial-, Integrations-, Prä- grammatische Äußerungen seitdem zwi-
ventions-, Integrations- und so fort Poli- schen grundsätzlichen Äußerungen zum
tik. Was das für eine „Bildung“ sei, die Bildungsverständnis der Union (Bil-
all das bewirkt, ist dabei freilich noch zu dungsziele- und -inhalte) und konkreten
klären; nur das Mantra zu beschwören Strukturreformen vermitteln (siehe etwa

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Grundsatzprogramm 2007), wobei in unter Koalitionsaspekten elegant gelöst:


jüngster Zeit wie auch in diesem Papier Jetzt ist eben noch mehr Differenzierung
der Akzent wieder quantitativ eher auf in der Sekundarstufe I angesagt: neben
Strukturverbesserung gelegt wird. Denn „respektierter“ Haupt- und Realschule
es sind geschätzte neunzig Prozent der und der Gesamtschule auch noch die Ge-
Inhalte und Vorschläge im Grundsatz meinschaftsschule und die Oberschule
konsensfähig, weil unmittelbar einleuch- (BD Seite 13). Auch die meisten Leitbil-
tend und allgemein wünschenswert. der der Union wie Durchlässigkeit, kein
Auch die LINKE dürfte wenig gegen Abschluss ohne Anschluss, auf die indi-
mehr frühkindliche Bildung (auch das viduelle Förderung der Schüler abzielen-
eine traditionelle CDU-Forderung), bes- der Unterricht, Bildungsföderalismus, ge-
sere Sprachförderung, Null-Toleranz meinsame Bildungsstandards, Stärkung
gegen Gewalt, internationale Abschlüs- der Autonomie von Schule und Hoch-
se, Ausbau der Ganztangsschule, das schule, Stärkung der kommunalen Bil-
E-Learning, die Steigerung der Bildungs- dungslandschaften und so fort sind loci
ausgaben (BD Seite 20), die Aufwertung communes.
des Lehrerberufs, Erziehungspartner- Daher wird sich aus weitgehendem
schaft zwischen Schule und Eltern (BD Konsens und geringem, pragmatisch über-
Seite 17) oder mehr ausländische Wissen- windbarem Dissens in Strukturfragen kein
schaftler einzuwenden haben. Erfreulich besonderes Profil der Union ableiten las-
sind wieder der Schwerpunkt auf der sen. Ihr „Markenkern“ beruht vielmehr
„gleichwertigen“ Berufsbildung (BD auch weiterhin auf jener Grundlage, die
Seite 22 ff.), seit jeher ein Markenzeichen ihrer Politik als Kompass seit 1945 zu-
der Union, und das Festhalten an Kopf- grunde liegt und eine tiefere Begründung
noten. Die Rolle der Grundschulgutach- liefern kann, als dies Tradition und Wis-
ten wird nur an einem Spezialaspekt the- senschaft zu leisten vermag, die daher, so-
matisiert (BD Seite 17), nicht ohne Frage- bald es um Normativität geht, nur sekun-
zeichen die bewusst gesteigerte Akade- där Geltung beanspruchen können.
misierung (BD Seite 28), und Nachsicht ist
geboten gegenüber dem Lob vorausge- Das christliche Menschenbild im
gangener Reformen (siehe BD Präambel; Kontext politischer Anthropologie
Seite 28): beim G 8 wird kräftig zurück- Für die CDU, die sich auf eine christlich
gerudert, die Bachelor-/Master-Frage ist fundierte Anthropologie als ihr genuines
noch lange nicht befriedigend gelöst. Das geistiges Fundament beruft, ist es un-
lästige Thema Studiengebühren wird umgänglich, zumindest die Grundlinien
jetzt bei den Hochschulen abgeladen (BD dieser spezifischen Anthropologie und
Seite 31), damit dürfte es tot sein; dass der ihre Konsequenzen für zentrale Politik-
Bildungsföderalismus für Mobilität und bereiche, also auch für Erziehung und Bil-
Vergleichbarkeit Probleme aufwirft, ist dung, darzulegen (vergleiche BD Seite 2)
richtig, dass sich der Wille zu gemein- – ungeachtet der teilweise erheblichen,
samen Bildungsstandards und Prüfun- auch konfessionell bedingten theologi-
gen einstellt (BD Seite 13), ist erfahrungs- schen Differenzen, die sich schon mit ein-
gemäß ebenso fraglich wie der geforderte zelnen Begrifflichkeiten verbinden. Be-
Bildungsrat (BD Seite 19), dessen Vorgän- griffe wie Person/Personalität, Solida-
ger allesamt gescheitert sind. rität (folgt aus der Nächstenliebe), Sub-
Grundsätzlicher Dissens bleibt daher sidiarität oder Gemeinwohl entstammen
nur bei der Gemeinschaftsschule, aber der katholischen Soziallehre, aber ihr
dieses Problem hat man in NRW auch geistiger Gehalt wie auch ihre Praktika-

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Zum Bildungsverständnis der CDU

bilität sind Protestanten ebenso zugäng- Einzigartigkeit, Einzigkeit und damit


lich wie Nichtchristen. Orientieren kann Eigensein (Persönlichkeit), unmittelbare
man sich dafür unter anderem an den Bezogenheit auf andere und die Eigen-
2001 vorgelegten, aber kaum rezipierten schaft, Träger rationaler wie irrationaler
Überlegungen der Wertekommission der Akte zu sein (Vernunft, Gesinnung, Ge-
CDU: „Die neue Aktualität des christ- fühle, Werte und so weiter), all dies
lichen Menschenbildes“, die bislang aus- spiegelt sich im Begriff der „Person“: Jede
führlichste parteioffizielle Darstellung. Lebenspraxis vollzieht sich immer im
Dabei konzentriert sich diese politi- Zusammenleben mit anderen und deren
sche Anthropologie auf politik-ethische Freiheit, die der je eigenen Grenzen set-
Vorgaben, die großenteils auch nicht zen. Daraus folgt sozialethisch eine die
christlich (rational) begründet werden Entfaltung individueller Freiheit ermög-
können (etwa die goldene Regel) bezie- lichende und fördernde Staats- und Ge-
hungsweise zunächst sogar unabhängig sellschaftsordnung mit Anerkennung der
vom Christentum entwickelt wurden (jü- Menschenrechte als Grundfreiheiten und
disch die Zehn Gebote/heidnisch: antike die Verpflichtung sozialen Ausgleichs.
Tugendlehren), aber in die christliche Die Bestimmung des Menschen als sitt-
(paulinische) Theologie überführt wur- liches Subjekt mit Entscheidungsfreiheit
den. Diese verleiht ihnen dann, als von kann nicht nur christlich oder allgemein
Gott geboten, ein anderes Gewicht, zu- religiös (viele Religionen bieten sowohl
mal eine solche politische Anthropologie individual- wie sozialethische Gebote)
nicht nur christlich begründbar ist, son- begründet werden: Das „Doppelwesen“
dern auch mit anderen religiösen Ange- Mensch ist mehr als Natur (animal/
boten konform geht und sich zugleich mit Objekt es gewinnt vielmehr seine einzig-
der großen europäischen moralphiloso- artige Sonderstellung schon dadurch,
phischen Tradition verbinden lässt, also allein animal rationale) und Subjekt von
auch für Nicht-Christen ein plausibles Wissenschaft und Erkenntnis zu sein.
Angebot darstellt. Das Christentum rezi- Dieser Ansatz geht dem der Praktischen
piert ja nur antike „Tugenden“, genuin Philosophie voraus, der nach Platon und
christlich dürften nur die Liebe und die der Stoa bei Kant seinen modernen Aus-
Demut sein. druck findet in der Vorstellung der juri-
Das bildungspolitische Fundament dischen und moralischen Gesetzgebung
der CDU bleibt das christliche Verständ- durch die eigene (autonome) reine prakti-
nis vom Menschen, das dem Menschen sche Vernunft.
als Gattung Geschöpflichkeit nach dem In dieser einzigartigen Sonderstellung
„Bild Gottes“ zuspricht, wodurch „die gründet die ebenfalls nur ihm zukom-
„Sinndimension der endlichen Wirklich- mende „Würde des Menschen“, und
keit in ihrem Verhältnis zu Gott“ in den zwar jedes Menschen als Individuum,
Blick kommt, ihn als ethisches Subjekt und die zuzuordnenden Menschenrechte
bestimmt und ihn entsprechend fordert: als oberster Maßstab aller Politik, die man
„Der Mensch ist zur Freiheit gerufen“ freilich ebenfalls nicht nur religiös be-
(Gal 5,13) – Freiheit als Auftrag und Fä- gründen kann, sondern auch über den
higkeit zur sittlichen Selbstbestimmung. Weg eines wirkmächtigen Stranges euro-
Daher ist Freiheit nicht Willkür, sondern päischer Philosophie.
wertgebunden durch Pflichten und Ver-
antwortung gegen sich selbst, gegenüber Markenkern Werterziehung
dem Mitmenschen, gegenüber der mit- Das große Problem bleibt durchweg die
geschöpflichen Natur. Frage, was den Menschen in der Daseins-

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realität dazu bewegen soll, sittlich zu han- wenn man Erziehung als „vormund-
deln. Denn das Wissen darum ist zwar schaftliches Handeln“, als „unentbehr-
Voraussetzung (an dieser Stelle ist der Ort liche pädagogische Hilfe für den Heran-
des Gewissens, antik wie christlich), aber wachsenden auf dessen Weg zur ‚inneren
der Wille, sich entsprechend zu verhal- Freiheit‘“ versteht. Denn „innerlich frei“
ten, ist ja keineswegs ausgeprägt. Zwar sei nicht, wer „dauernd momentanen
öffnen sich Erkennen, Urteilen und Han- Impulsen unterliege und an die Laune
deln der Fähigkeit zur Unterscheidung des Augenblicks gebunden bleibe, son-
von Richtig und Falsch, von Gut und dern wer sich selbst durch vernünftige
Böse, unterliegen aber stets auch Nei- Überlegungen bestimmen könne. Erzie-
gungen, Trieben, Bedürfnissen, Launen, hung soll den eigenen Willen mit dem
Emotionen und anderen nicht vernünf- durch Bildung entwickelten eigenen Ver-
tigen und ungezügelten Regungen. stand in Übereinstimmung bringen“.
Die biblischen Erzählungen führen ja
wie die historische und alltägliche Er- Ganzheitliches Bildungsverständnis
fahrung die ganze Bandbreite mensch- in der res publica
licher Verhaltensweisen und daher ein Die Intensität der aktuellen Debatte um
realistisches Menschenbild in seiner gan- Erziehung und Bildung ist vergleich-
zen Spannbreite vor, in der sich die Frei- bar den Diskussionen der späten 1960er-
heit des Menschen negativ konkretisiert, und 1970er-Jahre. Ging es aber damals
er in Unvollkommenheit und Fehlbarkeit einerseits um anpassende Strukturrefor-
seine ethische Bestimmung verfehlt. men an wirtschaftliche und gesellschaftli-
Die Frage ist daher: Was kann Politik, che Entwicklungen der Nachkriegsgesell-
näherhin Bildungspolitik über ihre Mitt- schaft und andererseits um die Abwehr
ler (vor allem die Schule) und auch einer neomarxistisch inspirierten Kultur-
nur Erfolg versprechend im Zusam- revolution, so stehen heute ökonomische
menwirken mit Elternhaus (in dem die Motive für Erziehung und Bildung im
erzieherischen und bildungsmotivieren- Vordergrund: die durch innovative For-
den Grundlagen gelegt werden), Lehrern schung, Technik und Produktion zu si-
(die als Vorbilder zentral sind) und „inne- chernde Wettbewerbsfähigkeit der „Wis-
rer Schulentwicklung“ dafür tun, um den sensgesellschaft“ Deutschland im Globa-
jungen Menschen als „werdende Frei- lisierungsprozess, durch eine von PISA
heit“ auf ein Leben in freier Selbstbe- 2000 angestoßene Qualitätssteigerung
stimmung in der Gesellschaft und auf des deutschen Schulwesens, durch ein
seine Verantwortung für die Gesellschaft ebenfalls zur Effizienzsteigerung neu or-
vorzubereiten? Wie können Erziehung ganisiertes Hochschulwesen und schließ-
und Bildung nicht nur zu Wissen und lich durch Maßnahmen, die die Rekrutie-
Können, sondern zugleich zu positiven rung von Arbeitskräften angesichts der
Wertentscheidungen motivieren, deren demografischen Entwicklung sicherzu-
Vermittlung die CDU sowohl zur For- stellen.
mung der individuellen Persönlichkeit Die CDU versteht gegen diesen einsei-
wie auch zur Integration in die Grund- tigen Trend auch weiterhin Erziehung
lagen des gesellschaftlichen Zusammen- und Bildung als umfassenderen Prozess,
lebens auch weiterhin eine zentrale Rolle dessen Elemente in der Vermittlung frei-
zumisst. lich untrennbar aufeinander bezogen
Daher bekennt sich die CDU auch sind: zum Ersten die freie Entfaltung der
zukünftig zur Zusammengehörigkeit von Persönlichkeit in all ihren sozialen Bezü-
Erziehung und Bildung (BD Seite 3), gen, für die Erziehung, Ausbildung und

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Zum Bildungsverständnis der CDU

Bildung als notwendige Lernprozesse Primärziel öffentlich verantworteter Bil-


wesentliche Grundlagen darstellen. In dungsprozesse sein muss.
dieser Funktion müssen Erziehung und
Bildung den Menschen befähigen, sein Bildungsinhalte zwischen
Leben selbsstständig und verantwortlich „Sachlichkeit“ und „Sittlichkeit“
zu gestalten, Rechte wahrzunehmen und Bildungsprozesse sind im Sinne lebens-
Pflichten zu übernehmen, das Leben als langen Lernens niemals abgeschlossen.
Chance zu begreifen, seinen Platz in Fa- Schulbildung hingegen ist mit dem jewei-
milie, Gesellschaft und Beruf zu finden ligen Abschluss beendet. Daher kommt
und an Lebenswelt und Kultur teilzu- es darauf an, erreichbare Bildungsziele
haben. Zum Zweiten dienen Erziehung ebenso zu formulieren, altersgerecht und
und Bildung der Zukunftssicherung von schulformbezogen, wie die Inhalte fest-
Staat und Gesellschaft und des sozialen zulegen, die Schulbildung als „Basis-
Zusammenlebens. Dazu gehört die öko- lager“ für weitere Bildungsprozesse ver-
nomische Zukunftssicherung, die ganz mitteln soll. In der Frage nach dem „Was“
wesentlich auf der Qualität der Ausbil- des Lernens hat die Union gegenüber
dung in allen Stufen des Bildungswesens, allen anderen Parteien bis heute ein
insbesondere der beruflichen Bildung, Alleinstellungsmerkmal (BD Seite 15 f).
der Hochschule und der Weiterbildung, Das verlangt eine entsprechende didakti-
beruht. Dazu gehört aber auch die Zu- sche Reduktion von Inhalten, zuguns-
kunft des sozialen und freiheitlich-demo- ten nachhaltigen Lernens, verbunden mit
kratischen Rechtsstaats und der Werte, Einüben und Wiederholen. Dabei müs-
auf denen die Ordnung beruht und die im sen sich Inhalte, konkretisiert in der Fä-
Grundgesetz und in Länderverfassungen cherkultur der Schule, einerseits daran
festgelegt sind. orientieren, inwieweit sie der Entfaltung
Die Demokratie ist keine historische der anthropologischen Dimensionen des
Selbstverständlichkeit, sie ist vielmehr Menschen dienen und ihn dadurch
Ergebnis eines langen historischen und „lebenstüchtig“ machen und inwieweit
völlig gegenläufigen Prozesses, sie bedarf sich mit ihnen im Sinne erziehenden
daher des „mündigen“ Bürgers, der auf- Unterrichts individuell-persönlichkeits-
grund historisch-politischer Bildung die bildende oder gemeinschaftsbezogene
res publica als „seine Sache“ begreift und Werterfahrungen verbinden lassen, in
sich dafür engagiert, der verantwortlich der Verbindung von Wissen, Werten und
urteilt und handelt, der sich ihr rational moralischem Urteil, von „Sachlichkeit“
wie emotional wertgebunden verpflichtet und „Sittlichkeit“: der Mensch als ge-
weiß (vergleiche BD Seite 16). schichtliches (Geschichte/politisch-histo-
Daher verbinden sich im Erziehungs- rische Grundbildung), räumliches (Geo-
und Bildungsverständnis der CDU wert- grafie), sprachliches (Deutsch, Fremd-
erziehende, individuell-persönlichkeits- sprachen), naturerschließendes (Mathe-
bildende, gemeinwohlbezogene und be- matik, Naturwissenschaften), politisches
rufsbefähigende Bildungsziele und -in- und wirtschaftendes (politisch-ökonomi-
halte. Und daher wird das Bildungs- sche Grundbildung), ästhetisches (Kunst,
wesen insgesamt als affirmative Ein- Musik, Literatur), motorisches (Sport),
richtung in (und zugunsten) einer bei sinnsuchendes, sittliches und religiöses
allen Defiziten im Einzelnen grundsätz- (Religion, Philosophie) Wesen.
lich positiv bewerteten Staats- und Ge- Das zweite Kriterium ist die notwen-
sellschaftsordnung verstanden, deren Be- dige Grundlage für die Teilhabe an Kul-
jahung durch innere Überzeugung ein tur, Gesellschaft und Politik, in denen sich

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diese humanen Dimensionen realisieren. schiedlichkeit des Menschen in seiner


Das heute gebräuchliche Ziel „Kompe- kognitiv-intellektuellen Grundausstat-
tenzerwerb“ lässt sich nur auf der Grund- tung und seinen unterschiedlichen Inte-
lage konkreten Wissens ausfüllen; Bil- ressen, Neigungen, Bedürfnissen, Leis-
dungsstandards als Output-Orientierung tungswillen und Lerntempi sowie der
bedürfen ebenfalls der Rückbindung an Wahlfreiheit der Eltern.
bildende Inhalte und damit an die Klä- Begründen lässt es sich aber auch
rung der Frage nach dem Fundamentalen durch eine nachweislich höhere pädago-
und Exemplarischen, dem notwendig gische Effizienz und ein nachweislich hö-
und nicht notwendig zu lernenden, nach heres Leistungsniveau, sowohl unter
der „Würde des Gegenstandes“ nach dem Aspekt des Förderns wie des For-
„wertvoll“ und „unwertvoll“. Jedes Fach, derns im Vergleich zu wie immer inte-
jeder Unterricht muss zu wertorientier- grierten Systemen, die nur mit dem
tem Verhalten „erziehen“: zum toleran- „Prinzip Hoffnung“ und Hauptschulver-
ten Umgang miteinander, zu Zusammen- meidungsstrategien der Eltern gestützt
arbeit, zu Disziplin, zu Genauigkeit, zu werden können. Daraus leitet sich not-
sogenannten Sekundärtugenden. wendig ein Bekenntnis zum Leistungs-
prinzip (durchgängig bei der CDU),
Leistungsgerechtigkeit welches objektiven Kriterien unterliegen
statt des „Prinzips Hoffnung“ muss und das damit das sozial gerech-
Rahmenbedingungen für „guten Unter- teste, als einziges einer freiheitlichen
richt“ wie Schulklima, Umgang mit ein- Demokratie angemessene Aufstiegs- und
ander, Führungsverhalten und so fort las- Differenzierungskriterium darstellt. Da-
sen sich leicht mit dem christlichen Men- her sind leistungsstarke (hier weist die
schenbild zusammenbringen. Das gilt CDU ein durchgängiges Bekenntnis zu
hingegen weniger für die äußere Struktur einer eigenen Begabtenförderung auf!)
des Bildungswesens. Auch jetzt bekennt und schwächere Schüler individuell zu
sich die CDU erneut zu einem geglie- fördern; behinderte Kinder müssen die
derten, vertikal wie horizontal durch- für sie besten Fördermöglichkeiten erhal-
lässigen Bildungssystem (immer auch ten. Daher lehnt die Union auch weiter-
unter Berücksichtigung privater Träger, hin Einheitsschulformen ab. Eher homo-
BD Seite 14, und durchgängiger Beto- gene Klassenstrukturen sind sowohl für
nung der gleichwertigen Rolle der beruf- leistungsschwache wie für leistungs-
lichen Bildung), neuerdings sogar unter starke Schüler von Vorteil, die Wirksam-
Einschluss der Gesamtschule. keit längeren gemeinsamen Lernens an
Das favorisierte „Zwei-Wege-Modell“ Grundschulen ist empirisch nirgends be-
will Haupt- und Realschulgang differen- legt.
ziert führen, ohne Oberstufe in der so- „Eine Schule für alle“ ist gerade nicht
genannten „Oberschule“, das grundstän- leistungsgerecht, bedeutet vielmehr
dige Gymnasium bleibt erhalten. Begrün- Gleichheit auf Kosten der individuellen
den lässt sich dieses Bekenntnis zur Leis- Freiheit und damit der je eigenen Ent-
tungsdifferenzierung durch die Unter- wicklung.

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