Im politischen Diskurs der letzten Jahre reicht nicht aus. Bei den anderen Parteien
hat der Begriff „Bildung“ eine quasi sucht man vergeblich nach parteioffi-
religiöse Färbung und Struktur ange- ziellen Aussagen dazu: die LINKE be-
nommen: Dem Weckruf – Wachet auf – schränkt sich in ihrem neuen Programm-
zur metanoia, zur Umkehr, weil uns gra- entwurf auf einen nichtssagenden Satz;
vierende weltweite Veränderungspro- SPD und Bündnis 90/Die Grünen greifen
zesse bedrohen (Globalisierung, „Wis- in ihren Grundsatzprogrammen nur ein-
sensgesellschaft“, China, Indien, demo- zelne, sie weltanschaulich tangierende
grafischer Wandel, Migration, Integra- Themen heraus, etwa die Gemeinschafts-
tionsprobleme und so fort) folgt der Anruf schule oder die Umweltbildung. In jüngs-
– niemand darf zurückbleiben –, die Ver- ter Zeit hat nur die CDU eine systemati-
heißung – all das ist nur durch eine sche und relativ umfassende Konzeption
neue „Bildung“ bewältigbar, weil unsere zur Diskussion gestellt, „Bildungsrepu-
Ressourcen in den Köpfen liegen –, die blik Deutschland“ (27. Juni 2011, im
Hoffnung – mangelnde „soziale Gerech- folgenden BD), was schon vom Titel her
tigkeit“ ist durch „Bildung“ behebbar –, Erwartungen weckt, denn das ist ja doch
die Heilung – „längeres gemeinsames Ler- mehr als die bekannte „Wissensgesell-
nen“ in der Grundschule hilft beiden schaft“: Wissen ist nur ein Element von
Problemen auf: mehr in den Köpfen und Bildung, aber sie erschöpft sich nach
mehr „soziale Gerechtigkeit“ –, schließ- Heraklit nicht in der „Vielwisserei“.
lich die Erlösung – die Gemeinschafts- Das Papier fällt in die dritte Phase
schule, sie hilft aus allem Übel und „siehe, der Unions-Bildungspolitik nach 1945.
es war alles neu“. Daher hat es auch Standen bis zu Beginn der 1960er-Jahre
die Bildungspolitik nicht mehr mit dem die Revitalisierung des Christentums
„Gebildeten“ zu tun, mit Bildung als Ver- und damit Menschenbild und Wertever-
gewisserung seiner selbst in der Welt, als mittlung im Zentrum, so verschiebt sich
Selbstzweck und bürgerliches Distinktiv der Akzent seit Mitte der 1960er-Jahre
gegenüber Adel und Unterschicht, „bil- auf (technokratische) Effizienzsteigerung
dungsbürgerlich“ ist hierzulande eher ne- durch Strukturreformen von der vor-
gativ konnotiert, sondern mit einem poli- schulischen bis zur Weiterbildung. Etwa
tisierten Bildungsbegriff, der eben diese ab 1975 setzt unter dem Eindruck von
quasi religiöse Funktion erfüllen soll. „1968“ eine Rückbesinnung auf Men-
Bildungspolitik ist daher zugleich Qua- schenbild und Werte ein, sodass pro-
lifizierungs-, Sozial-, Integrations-, Prä- grammatische Äußerungen seitdem zwi-
ventions-, Integrations- und so fort Poli- schen grundsätzlichen Äußerungen zum
tik. Was das für eine „Bildung“ sei, die Bildungsverständnis der Union (Bil-
all das bewirkt, ist dabei freilich noch zu dungsziele- und -inhalte) und konkreten
klären; nur das Mantra zu beschwören Strukturreformen vermitteln (siehe etwa
realität dazu bewegen soll, sittlich zu han- wenn man Erziehung als „vormund-
deln. Denn das Wissen darum ist zwar schaftliches Handeln“, als „unentbehr-
Voraussetzung (an dieser Stelle ist der Ort liche pädagogische Hilfe für den Heran-
des Gewissens, antik wie christlich), aber wachsenden auf dessen Weg zur ‚inneren
der Wille, sich entsprechend zu verhal- Freiheit‘“ versteht. Denn „innerlich frei“
ten, ist ja keineswegs ausgeprägt. Zwar sei nicht, wer „dauernd momentanen
öffnen sich Erkennen, Urteilen und Han- Impulsen unterliege und an die Laune
deln der Fähigkeit zur Unterscheidung des Augenblicks gebunden bleibe, son-
von Richtig und Falsch, von Gut und dern wer sich selbst durch vernünftige
Böse, unterliegen aber stets auch Nei- Überlegungen bestimmen könne. Erzie-
gungen, Trieben, Bedürfnissen, Launen, hung soll den eigenen Willen mit dem
Emotionen und anderen nicht vernünf- durch Bildung entwickelten eigenen Ver-
tigen und ungezügelten Regungen. stand in Übereinstimmung bringen“.
Die biblischen Erzählungen führen ja
wie die historische und alltägliche Er- Ganzheitliches Bildungsverständnis
fahrung die ganze Bandbreite mensch- in der res publica
licher Verhaltensweisen und daher ein Die Intensität der aktuellen Debatte um
realistisches Menschenbild in seiner gan- Erziehung und Bildung ist vergleich-
zen Spannbreite vor, in der sich die Frei- bar den Diskussionen der späten 1960er-
heit des Menschen negativ konkretisiert, und 1970er-Jahre. Ging es aber damals
er in Unvollkommenheit und Fehlbarkeit einerseits um anpassende Strukturrefor-
seine ethische Bestimmung verfehlt. men an wirtschaftliche und gesellschaftli-
Die Frage ist daher: Was kann Politik, che Entwicklungen der Nachkriegsgesell-
näherhin Bildungspolitik über ihre Mitt- schaft und andererseits um die Abwehr
ler (vor allem die Schule) und auch einer neomarxistisch inspirierten Kultur-
nur Erfolg versprechend im Zusam- revolution, so stehen heute ökonomische
menwirken mit Elternhaus (in dem die Motive für Erziehung und Bildung im
erzieherischen und bildungsmotivieren- Vordergrund: die durch innovative For-
den Grundlagen gelegt werden), Lehrern schung, Technik und Produktion zu si-
(die als Vorbilder zentral sind) und „inne- chernde Wettbewerbsfähigkeit der „Wis-
rer Schulentwicklung“ dafür tun, um den sensgesellschaft“ Deutschland im Globa-
jungen Menschen als „werdende Frei- lisierungsprozess, durch eine von PISA
heit“ auf ein Leben in freier Selbstbe- 2000 angestoßene Qualitätssteigerung
stimmung in der Gesellschaft und auf des deutschen Schulwesens, durch ein
seine Verantwortung für die Gesellschaft ebenfalls zur Effizienzsteigerung neu or-
vorzubereiten? Wie können Erziehung ganisiertes Hochschulwesen und schließ-
und Bildung nicht nur zu Wissen und lich durch Maßnahmen, die die Rekrutie-
Können, sondern zugleich zu positiven rung von Arbeitskräften angesichts der
Wertentscheidungen motivieren, deren demografischen Entwicklung sicherzu-
Vermittlung die CDU sowohl zur For- stellen.
mung der individuellen Persönlichkeit Die CDU versteht gegen diesen einsei-
wie auch zur Integration in die Grund- tigen Trend auch weiterhin Erziehung
lagen des gesellschaftlichen Zusammen- und Bildung als umfassenderen Prozess,
lebens auch weiterhin eine zentrale Rolle dessen Elemente in der Vermittlung frei-
zumisst. lich untrennbar aufeinander bezogen
Daher bekennt sich die CDU auch sind: zum Ersten die freie Entfaltung der
zukünftig zur Zusammengehörigkeit von Persönlichkeit in all ihren sozialen Bezü-
Erziehung und Bildung (BD Seite 3), gen, für die Erziehung, Ausbildung und