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Mateusz Stachura
Zusammenfassung: Im Beitrag wird die „Theorie der Frame-Selektion“ von Hartmut Esser unter
Bezugnahme auf Max Webers Handlungstheorie einer Revision unterzogen. Das wesentliche Defi-
zit der Theorie von Esser, das im fehlenden Geltungsbezug der Frames besteht, wird in seiner Kon-
zeptualisierung des wertrationalen Handelns besonders deutlich. Es betrifft aber das Gesamtmo-
dell. Um die utilitaristische Verengung der TdFS zu überwinden, wird der Vorschlag gemacht, die
Logik der Situationsdefinition von der Logik der Handlungsselektion stärker zu trennen. Die Defi-
nition der Situation folgt demnach nicht der Logik der Nutzenmaximierung, sondern der Logik
der Wertbeziehung und der Wertgeltung. Beide ebenenspezifischen Selektionsprozesse bleiben auf-
einander bezogen. Aber jede Ebene verfügt über eine Eigenlogik, deren Verletzung zu Rationalitäts-
verlusten des Handelns führt.*
I. Das Problem
Hartmut Essers Theorie der Frame-Selektion (TdFS) ist ein Versuch der Integration
zweier sozialwissenschaftlicher Paradigmata: der utilitaristischen Werterwartungstheorie
(SEU) und des interpretativen Theorems der Definition der Situation. Beide Paradigma-
ta haben ihre Stärken, und beide erweisen sich letztlich als unzulänglich für die Erklä-
rung sozialer Handlungen. Der interpretative Ansatz rekonstruiert den je spezifischen
kulturellen Kontext des Handelns, ohne damit aber den Erklärungsanspruch einzulö-
sen. In spiegelbildlicher Umkehrung bietet die SEU-Theorie präzise Erklärungsregeln
sozialen Handelns an, die den kulturellen Kontext jedoch außer Acht lassen. Die Ent-
wicklung einer allgemeinen Handlungstheorie, die soziales Handeln „deutend verstehen
und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“ (Weber
1976: 1), setzt aber die Aufhebung jener Einseitigkeiten voraus. Genau dieses Ziel ver-
folgt Esser mit der TdFS. Dabei wird das Entwerfen des Handelns auf zwei Ebenen
oder in zwei „Schritten“ modelliert: Auf der Ebene der Definition der Situation selek-
tiert der Akteur zwischen gedanklichen „Situationsmodellen“. Auf der Grundlage des
* Für kritische Hinweise und Anregung möchte ich mich bei Wolfgang Schluchter, Hartmut
Esser, Gert Albert und den Herausgebern bedanken.
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 58, Heft 3, 2006, S. 433–452.
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als gültig angenommenen „Modells“ oder „Frame“ der Situation wird dann im zweiten
Schritt die passende Handlungsalternative ausgewählt.
Es bleibt freilich offen, ob sich solche unterschiedlichen Theorietraditionen in ein
Modell integrieren lassen. Es stellt sich die Frage, ob das Zusammenspiel von „Verste-
hen“ und „Erklären“ bei Esser nicht durch die Dominanz der utilitaristischen Kompo-
nente gefährdet würde (vgl. dazu Srubar 1992; Prendergast 1993). Als ultimativen Test
für das Gelingen des Integrationsvorhabens kann die Konzeptualisierung der wertratio-
nalen Handlungsorientierung von Max Weber im Rahmen der TdFS angesehen wer-
den. Denn die Motivation wertrationalen Handelns liegt nicht in Nützlichkeitsüberle-
gungen, sondern im Wertglauben oder in Wertbindungen. Wertrationales Handeln im-
pliziert aber zugleich eine bewusste, rationale Anerkennung eines Wertes. Gelingt es der
TdFS, eine bewusste Wertorientierung jenseits der Nützlichkeitsüberlegungen zu mo-
dellieren, dann ist sie über jeden Verdacht einer utilitaristischen Voreingenommenheit
erhaben. Und sie bringt zugleich das Kunststück fertig, eine deutende und erklärende
Handlungstheorie zu entwickeln.
Zur Beantwortung dieser Frage wird in der vorliegenden Untersuchung auf Essers
Konzeptualisierung der wertrationalen Handlungsorientierung (Esser 2003) eingegan-
gen. Dabei wird die These vertreten, dass die speziell für die Erfassung der Wertratio-
nalität entwickelte Konstruktion der „Fixierung des Matches“ zwischen dem „Frame“
und der Situation nicht korrekt ist, zudem inkompatibel mit seiner Theorie der Selek-
tion des Modus der Informationsverarbeitung. Der Grund dafür wird in einem un-
deutlich gebliebenen Geltungsbezug der TdFS gesehen, was die Vermutung einer utili-
taristischen Grundausrichtung der Gesamtkonzeption bestätigt. Des weiteren wird eine
Lösung des konstatierten Problems vorgeschlagen, die zwischen Geltungs- und Pas-
sungsgrad sowie zwischen Eigenwert und instrumentellem Wert des Frame unterschei-
det.
Der Sinn der hier vorgelegten Analyse liegt jedoch nicht darin, bestimmte formale
Schwierigkeiten bei der Konzeptualisierung eines Handlungstypus zu verfolgen. Am Fall
der Wertrationalität sollen vielmehr allgemeine Erkenntnisse über den Mechanismus
der Selektion der Situationsdefinition und vor allem über deren Verhältnis zur Selekti-
on der Handlung gewonnen werden.
Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen dem Eigenwert und dem in-
strumentellen Wert der Rahmungen/Frames1 wird vorgeschlagen, die Logik der Defini-
tion der Situation stärker von der Logik der Handlungsselektion zu trennen. Die Logik
der Auslegung der Handlungssituation folgt nicht primär dem Prinzip der Nutzenma-
ximierung, sondern dem Prinzip der Wertbegründung. Die beiden ebenenspezifischen
Selektionsprozesse bleiben natürlich aufeinander bezogen. Aber jede Ebene verfügt über
eine Eigenlogik, deren Verletzung zu Rationalitätsverlusten des Handelns führt. Der ra-
tionale Akteur sucht auf der Ebene der Definition der Situation nicht nach dem Nut-
zen, sondern nach dem richtigen Wertmaßstab oder der richtigen Perspektive, aus der
die situativen Wertbeziehungen sichtbar werden. Er fragt sich nicht, mit welcher Deu-
tung seinem vorab bestimmten Zweck am besten gedient wird, mit welcher Deutung
seine feststehenden Pläne am geschicktesten zu legitimieren wären, sondern er fragt
sich, was ihm an der gegebenen Lage im Lichte seiner Werte „wirklich wichtig“ ist.
Auf der Ebene der Handlungsselektion versucht der rational Handelnde hingegen, die
wertbegründeten Ziele unter Einsatz des gesicherten Norm- und Zweckwissens im
größtmöglichen Umfang zu erreichen. Mit dieser auf Max Weber2 zurückgehenden In-
terpretation soll die Entwicklung einer verstehenden und erklärenden Handlungstheo-
rie ein Stück weiter vorangetrieben werden.
Nach der Darstellung der Konzeptualisierung der vier Typen sozialer Handlungs-
orientierungen im Rahmen der TdFS (II.) und der Diskussion der sich daraus ergeben-
den Probleme (III.) wird eine Reformulierung der Konzeption der Wertrationalität von
Esser vorgeschlagen (IV.). Die dabei gewonnene Erkenntnis, dass die wertrationale Be-
stimmung der Situation kein Gegentypus, sondern vielmehr ein Spezialfall des allge-
meinen Modells der Definition der Situation ist, wird zum Anlass genommen, die
Grundannahmen der TdFS zu überdenken. Dazu wird die Konzeptualisierung des Se-
lektionsmechanismus der Situationsmodelle im Ansatz von Max Weber untersucht (V.).
Als Ergebnis der Analyse wird ein alternatives Konzept der Definition der Situation
präsentiert (VI.).
Bevor auf das Problem der Wertrationalität eingegangen wird, sollen die Grundzüge
der TdFS knapp erläutert werden.3 Ihre zentrale Annahme ist, dass jedem Handeln
eine Definition der Situation vorangeht. Die Handlungsentscheidung ist durch die Se-
lektion der Situationsdefinition vorstrukturiert. Die Definition eines Ehebruchs in den
Kategorien „Ehrenverletzung“ oder „moralische Sünde“ anstatt in den Kategorien „Lie-
besaffäre“, „Bestätigungsbedürfnis“ oder „Abenteuer“ schließt bestimmte Handlungsal-
ternativen (z.B. „Neuanfang“) aus. Die Selektion der Situationsdefinition determiniert
aber die Handlungsentscheidung nicht. Der Akteur hat immer noch mehrere Alternati-
ven, auf die „Tatsache“ der verletzten Ehre zu reagieren. Die TdFS modelliert das Han-
deln also als Abfolge von zwei Selektionsschritten: Im ersten Schritt wird eine spezifi-
sche Definition der Situation (ein „Frame“) ausgewählt, im zweiten Schritt eine kon-
krete Vorgehensweise (ein „Skript“ des Handelns).
Wie entscheidet sich der Akteur für einen bestimmten Frame oder ein Skript? Zwei
Faktoren bestimmen die Selektion eines Frame: zum einen die Passung des gedankli-
chen Modells auf den konkreten Ausschnitt der Wirklichkeit, zum anderen die Bewer-
tung der Folgen, die sich aus der Anwendung des Frame für die Interessen des Akteurs
ergeben. Ein Frame passt auf die Wirklichkeit, wenn die im Gedächtnis des Akteurs
2 Zu Webers Kultur- und Handlungstheorie vgl. Schluchter (1998, 2000, 2005a), Albert et al.
(2003), Bienfait und Wagner (1998). Zur Debatte über das Verhältnis von Max Weber und der
Rational-Choice-Theorie vgl. Norkus (2001), Voss (1998), Schluchter (2005b), Greve (2003).
3 Zur Theorie der Frame-Selektion von Hartmut Esser vgl. Esser (2001: 261–284, 2003, 1991,
1996, 2000).
436 Mateusz Stachura
4 Auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs der traditionalen Handlungsorientierung hat Schluchter
hingewiesen (Schluchter 1988: 142; Döbert 1989). Diese kann entweder eine Orientierung an
Werten und Normen einer traditionalen Ordnung oder eine gewohnheitsmäßige Handlungs-
orientierung bedeuten. Da die erste Lesart nicht im handlungstheoretischen, sondern im ent-
wicklungsgeschichtlichen Kontext steht, schlägt Schluchter vor, konsequent von der gewohn-
heitsmäßigen Handlungsorientierung zu sprechen (Schluchter 2005a: 29).
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Konstrukten des Modells der Frame-Selektion leicht identifizierbar: Es muss ein hohes
Reflexionsmotiv vorhanden sein, das es aber nur geben kann, wenn der Match gestört
ist und wenn die Opportunitäten für die rationale Reflexion gegeben/oder die Kosten
dafür nicht zu hoch sind“ (Esser 2003: 163). Der Akteur nimmt den hohen Aufwand
der reflexiven Definition der Situation und des Abwägens zwischen alternativen Hand-
lungsentwürfen nur dann auf sich, wenn ihm die routinemäßige Deutung zweifelhaft
erscheint und Alternativlösungen verfügbar sind.
III. Kritik
Drei Probleme sind hier identifizierbar, die sich um die Konzeption der „Fixierung des
Matches“ zentrieren.
1. Esser zufolge kann der Match zwischen der Rahmung und der Wirklichkeit entweder
„gegeben“ sein oder vom Akteur „fixiert“ werden. Der Frame stellt entweder ein „Mo-
dell der Wirklichkeit“ oder ein „Modell für die Wirklichkeit“ dar. Diese Alternative ist
jedoch nicht plausibel. Die Anerkennung der absoluten Geltung der Menschenrechte
z.B., also in der Terminologie von Esser: die Fixierung des Matches des entsprechenden
Frame auf eins, befreit den Akteur nicht davon, über den Geltungsanspruch der Men-
schenrechte in einer konkreten Situation zu entscheiden. Sicherlich rahmen die men-
schenrechtlichen Ideen auch kontrafaktisch Handlungssituationen, wo es faktisch gra-
vierende Menschenrechtsverletzungen (also einen faktischen Mismatch) gibt. Der abso-
lute Wertglaube zwingt den Akteur, Kriegsverbrechen immer und bedingungslos als
Menschenrechtsverletzung anzuerkennen. Zwingt ihn der Glaube aber auch, einen An-
spruch auf Sterbehilfe, auf Asylrecht oder Recht auf Arbeit als menschenrechtliches
Problem anzusehen? Hat die Anerkennung der absoluten Geltung eines Wertes für den
Akteur die Konsequenz, dass er alle Objekte auf diesen Wert bezieht oder dass er alle
Situationen ausschließlich unter diesem Wertgesichtspunkt definiert? Offensichtlich
nicht.
Die Anerkennung einer absoluten Wertgeltung reicht nicht dafür aus, die Hand-
lung in einer konkreten Situation an diesem Wert auszurichten. Er muss nicht nur gel-
ten, sondern auf den gegebenen Wirklichkeitsausschnitt auch passen. Eine Wertidee
muss sich auf ein Objekt beziehen5 lassen, um als Grundlage des Werturteils zu fungie-
ren. Ein Objekt muss erst die Kriterien erfüllen, die in der Wertidee enthalten sind,
damit der Wert zur Geltung kommt.
2. Eine damit zusammenhängende Schwierigkeit ergibt sich bei der Frage, wann Men-
schen wertrational handeln, d.h. sich reflexiv und bewusst an bestimmten Werten
orientieren. Die Theorie der „Fixierung“ legt die Annahme nahe, dass rationale Werte
konstant und kontextunabhängig geltend. Damit geht das Erklärungspotential des Mo-
dells der Frame-Selektion weitgehend verloren, das in der präzisen Benennung der Be-
dingungen liegt, unter denen es zum Rahmenwechsel oder zum Wechsel des Modus
der Informationsverarbeitung kommt. Solange unklar bleibt, wann Menschen bestimm-
te Rahmungen fixieren, bleibt die Erklärung tautologisch.
5 Der Begriff der Wertbeziehung wird an dieser Stelle nicht im Sinne der „theoretischen Wertbe-
ziehung“ von Heinrich Rickert verwendet. Rickert hat im methodologischen Kontext die
„theoretische Wertbeziehung“ von der „praktischen Bewertung“ unterschieden, um den Objek-
tivitätsanspruch der Kulturwissenschaften abzusichern (Rickert 1902: 275ff., 1928). Diese
Konstruktion wurde kritisiert (Oakes 1990, 1988). In dem hier wichtigen Kontext geht es aber
nicht um eine theoretische, sondern um eine „praktische“ Wertbeziehung (Schluchter 1996:
249). Dabei wird nicht gefragt, welche Werte einen Forschungsgegenstand konstituieren, son-
dern welche Werte eine Handlungssituation bestimmen. Die praktische Wertbeziehung ist auf
der anderen Seite von der praktischen Wertung zu unterscheiden, die eine subjektive Einstel-
lung mit einschließt.
440 Mateusz Stachura
6 „Die Frage ist die nach der Entstehung von festen Überzeugungen, dass es für die Geltung des
betreffenden Wertes eine Reihe unhintergehbarer ,guter Gründe‘ gibt, die jedoch mit irgend-
welchen ,Konsequenzen‘ oder gar einem ,Erfolg‘ nichts zu tun haben dürfen – denn sonst wäre
es ja wieder nur irgendeine Variante der Zweckrationalität“ (Esser 2003: 170).
7 Die Anerkennung von Pflichten, Idealen oder Ideen lässt sich nicht sinnvoller Weise als „Nut-
zen“ explizieren. Zwar kann der Eigenwert einer Handlung als ein spezifischer, unmittelbarer
Nutzen (z.B. „persönliches Wohlsein“) verstanden werden (Esser 1997: 319). Der Eigenwert
einer Rahmung entzieht sich aber diesem Terminus. Bedeutungen oder Pflichten können per se
wahr oder falsch, richtig oder verwerflich sein. Nützlich können sie erst in einem Handlungs-
kontext werden. Bei der Definition der Situation stehen sie jedoch nicht in einem praktischen,
sondern in einem „theoretischen“ Kontext. Es geht dem Handelnden dabei vor allem um die
Erkenntnis, welche Geltungsansprüche in der gegebenen Situation anerkannt werden sollen.
8 Dies bedeutet natürlich nicht, dass ein wertrationaler Frame keinen „Wert“ für den Handeln-
Logik der Situationsdefinition und Logik der Handlungsselektion 441
Reflexionsmotiv 2U(j) – (m/[1 – m]) U(i) immer, d.h. unabhängig von der Ausprä-
gung des Matches mi, einen negativen Wert auf. Da das Verhältnis der Reflexionskos-
ten C zur Wahrscheinlichkeit p hingegen einen positiven Wert aufweist, gilt 2U(j) –
(m/[1 – m]) U(i) < C/p, also: EU(as) > EU(rc). Das Umschalten in den rc-Modus fin-
det nicht statt.
Am Grenzfall der Wertrationalität wird ein Engpass der gesamten TdFS sichtbar. Es
zeigt sich, dass der Wechsel in den rc-Modus der Informationsverarbeitung bestimmte
Nutzenerwartungen voraussetzt (vgl. dazu auch Rohwer 2003: 345). Da „Pflicht, Wür-
de, Schönheit und religiöse Weisung“ keinen instrumentellen Nutzen haben, scheiden
sie als Motive der Reflexion aus.
IV. Reformulierung
Zentral für weitere Ausführungen ist die logische Unterscheidung zwischen dem Gel-
tungsgrad einer Rahmung, die zur Auslegung der Situation herangezogen wird, und
der Übereinstimmung oder Passung dieser Rahmung auf den gegebenen Wirklichkeits-
ausschnitt – kurz: zwischen Geltungsgrad und Passungsgrad. Die Rahmungspassung lässt
sich ganz im Sinne der TdFS auf die kognitive Verankerung des Modells im Gedächt-
nis des Akteurs und das Auftreten entsprechender Situationsmerkmale zurückführen.
Der Geltungsgrad eines Rahmungswertes hängt hingegen von der Art relevanter Werte
ab. Bei abstrakten, bewusst herausgearbeiteten „letzten Richtpunkten“ des Handelns
handelt es sich um Werte, die für den Akteur einen sehr hohen bis „absoluten“ Gel-
tungsgrad haben. Werte, die niedriger in der Werthierarchie rangieren, erheben diesen
absoluten Geltungsanspruch nicht. Sie lassen sich gegen andere Werte abwägen und
ohne fundamentale Konflikte zurücksetzen. Der Geltungsgrad eines Wertes hängt also
ab von seiner Position in der Hierarchie der Wertsphäre9 und von seinem Verhältnis zu
anderen kulturellen Werten.
Erst durch die Differenzierung zwischen dem Geltungsgrad und dem Passungsgrad
einer Rahmung findet die TdFS Anschluss an die Ebene gesellschaftlich geteilter, kul-
turkreisspezifischer Werte. Denn der Geltungsrang eines Wertes wird nicht privat von
dem Handelnden, sondern kulturell festgelegt (Etzrodt 2000: 770). Dieser gesellschaft-
lich festgelegte Rang eines Wertes spiegelt sich in der individuellen Definition der Si-
tuation wider. Die Einbettung der TdFS in ein Mehr-Ebenen-Modell, das zwischen
Handlung, Kultur und Ordnung unterscheidet, setzt also eine differenzierte Analyse
der Faktoren der Bestimmung der Situation voraus.
Die Rahmungspassung und die Rahmungsgeltung sind nicht nur logisch differente,
den aufweist. Ganz im Gegenteil. Der Wert, um den sich hier handelt, ist aber kein instrumen-
teller Wert, kein „Nutzen“, der sich aus der Relation zu anderen Zielen ergibt, sondern der Ei-
genwert einer Rahmung.
9 Webers Theorie des absoluten Polyteismus der Werte führt zu einer Theorie der Wertsphären.
Diese wird durch zwei Annahmen strukturiert. Zum einen sind Werte unterschiedlicher Sphä-
ren nicht aufeinander reduzierbar oder gegeneinander austauschbar. Sphärenintern sind aber
Werte nach ihrem Generalisierungsgrad hierarchisch geordnet und systematisiert.
442 Mateusz Stachura
sondern beide konstitutive Momente der Definition der Situation. Die Begriffe vom
„Modell der Wirklichkeit“ und „Modell für die Wirklichkeit“ beziehen sich nicht auf
unterschiedliche Sachverhalte, sondern auf unterschiedliche Aspekte der Kultur. Es wäre
unzulässig, diese auseinander zu reißen oder aufeinander zu reduzieren (Schluchter
2000: 98ff.).
Dies legt Korrekturen für die Modellierung des wertrationalen Handelns im Rah-
men der TdFS nahe. Das Besondere an einer wertrationalen Definition der Situation
besteht nicht in der Fixierung des Matches einer Rahmung (m), sondern in der Fixie-
rung der Geltung des Wertes, der die Rahmung trägt. Der Passungsgrad zwischen der
Situation und dem wertrationalen Deutungsmuster kann zwischen 0 und 1 beliebig va-
riieren. Diese Konzeptualisierung ist im Rahmen des Esserschen Ansatzes möglich. Sie
ist im Begriff des Matches angedeutet, aber nicht durchgeführt. Der Match wird nach
Esser durch drei Faktoren bestimmt: durch die Verankerung des Frame im Bewusstsein
des Akteurs (a), durch das Vorhandensein der für das Frame relevanten Objekte (e)
und durch „die Abwesenheit von ,Störungen‘ u bei der Beobachtung der Objekte“ (Es-
ser 2001: 270). Insofern gilt: m = a × e × u. Die a-Variable lässt sich nun im Sinne
des Geltungsgrades eines Rahmungswertes interpretieren, während die e- und u-Kom-
ponenten den Passungsgrad bezeichnen (vgl. Kroneberg 2005: 351). Eine wertrationale
Bestimmung der Situation unterscheidet sich von sonstigen Auslegungsarten demnach
allein durch die Fixierung der a-Variablen auf eins. Es gibt hierbei aber keine weiteren
Besonderheiten.
Diese Interpretation der TdFS setzt freilich voraus, dass die „Zugänglichkeit“ oder
„Verankerung“ des Frame im Bewusstsein (a) nicht kognitivistisch und mentalistisch
verkürzt wird. Denn nicht alle kognitive Rahmungen, die im Bewusstsein gespeichert
sind, binden den Akteur im normativen Sinne. Es geht ja beim Geltungsgrad nicht
darum, wie deutlich ein Frame im Bewusstsein erscheint, sondern welchen Wert er für
den Handelnden hat.
Eine weitere wichtige Konsequenz ergibt sich hieraus für die Annahme, jede proble-
matische Situation werde durch zwei komplementäre Frames mi und mj strukturiert,
dass also mj = 1 – mi gilt. Tatsächlich können mehrere Frames gleich gut auf die Situa-
tion passen. Die Interpretation der Massenentlassungen bei florierenden Unternehmen
im Sinne der „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ passt auf die Problemlage gleich
gut wie die Interpretation im Sinne „sozialer Verantwortungslosigkeit der Manager“.
Wenn unterschiedliche Personen zu unterschiedlichen Auslegungen gelangen, dann nur
aufgrund der unterschiedlichen subjektiven Aneignung der Werte, die beide Frames
tragen.
Im Begriff der Rahmungsgeltung zeichnet sich zugleich schon auch die Lösung des
dritten hier angesprochenen Problems ab. Die Schwierigkeit besteht dabei darin, die
motivationale Grundlage für die Reflexion und die Übernahme einer wertrationalen
Rahmung jenseits konsequentialistischer Überlegungen herauszuarbeiten.
Der Akteur betrachtet die möglichen Interpretationen der Problemsituation nicht
Logik der Situationsdefinition und Logik der Handlungsselektion 443
aus der Perspektive eines unbeteiligten Teilnehmers, sondern von der Warte seiner
mehr oder weniger konkreten Interessen. Jede Interpretation bekommt auf diese Weise
für ihn einen spezifischen Wert, der sich aus der funktionalen Beziehung auf das Inte-
resse ergibt. Man kann diesen Wert als „funktional“ oder „instrumentell“ bezeichnen.
Auf diesen Wert (Ui) richtet sich auch die TdFS, wenn sie von den „Bewertungen“ ei-
nes Frame i spricht. Ihr entgeht aber ein anderer Wert, der bei der Definition der Si-
tuation eine Rolle spielt, nämlich der Eigenwert der Rahmung.10 Dieser ist nicht mit
der Präferenz gleichzusetzen, die sich aus der funktionalen Beziehung der Rahmung
auf das Interesse ergibt.11 Der instrumentelle Wert einer „demokratischen“ Definition
der Situation z.B. ergibt sich für eine oppositionelle Gruppierung aus der Zweckdien-
lichkeit der Demokratisierungsforderung für die politische Machtergreifung. Wenn die-
se Gruppierung es jedoch mit der Demokratie „ernst meint“, kann sie es nicht bei dem
instrumentellen Verständnis belassen, sondern muss an der demokratischen Idee auch
dann festhalten, wenn sie keinen instrumentellen Wert aufweist oder gar Kosten verur-
sacht.
Die Unterscheidung zwischen dem instrumentellen Wert und dem Eigenwert einer
Rahmung ist zentral für die weitere Argumentation. Sie soll daher gegen mögliche Ein-
wände verteidigt und dadurch besser erklärt werden. Der gewichtigste Einwand könnte
hier lauten, dass Werte nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf Objekte handlungsrele-
vant seien. Die Wertorientierungen (z.B. der Demokratieglaube) wirken praktisch nur
in Form von Zweckvorstellungen (Demokratisierung eines konkreten Regimes), die
Weil-Motive nur in Form von Um-zu-Motiven. Daher könne es keinen Eigenwert ge-
ben, der nicht zugleich einen instrumentellen Wert darstellen würde. Diese Argumen-
tation übersieht jedoch, dass:
– die Werte auch dann als geltend geglaubt werden können, wenn ihre Verwirklichung
in realistischer Zeitperspektive unwahrscheinlich erscheint, wenn sich also Wertvor-
stellungen nicht in Zweckvorstellungen übersetzen lassen. Auf diese Weise kann eine
antiautokratische Opposition an der Demokratieidee auch dann festhalten, wenn sie
alle Hoffnungen aufgegeben hat, die Demokratie selbst noch zu erleben. Ihre Moti-
vation entspringt in diesem Fall offensichtlich nicht der Vorstellung eines bestimm-
ten Wirklichkeitszustandes, sondern der Überzeugung über die Richtigkeit eines
Sinnzusammenhangs.12
Doch es ist klar, dass nicht diese offene Möglichkeit, sondern die Richtigkeitsüberzeugung das
Festhalten an der gegebenen Situationsdefinition motiviert. Das Entwerfen von Handlungen
unterscheidet sich vom unverbindlichen „Phantasieren“ durch die Motivation, „den Entwurf
zu verwirklichen“. „Die Ausführbarkeit des Entwurfs ist eine Bedingung jedes Entwerfens“
(Schütz 1971: 84). Da sich die Ausführbarkeit in unserem Beispiel nicht auf die diffuse
Zweckverwirklichung beziehen kann, sind es keine Um-zu-Motive, sondern Weil-Motive, die
das Handlungsentwerfen bewegen.
13 Zur Differenzierung des Begriffs der Emotion vgl. Elster (1999: 246ff.).
14 Der Eigenwert und der instrumentelle Wert fallen zusammen nur im Grenzfall des rein wertra-
tionalen Handelns.
15 Die Derivate müssen keine Werte sein. Auch instrumentelle oder technische Argumente taugen
als Scheinlegitimationen von Handlungen. Kulturelle Werte stellen aber besonders plausible
und legitimitätsfähige Derivate dar.
Logik der Situationsdefinition und Logik der Handlungsselektion 445
zeigt wurde –, kann sie diese wahre Motivationsquelle der Wertrationalität nicht sau-
ber herausarbeiten. Es zeigt sich also, dass alle hier identifizierten Konzeptualisierungs-
probleme eine gemeinsame Wurzel haben: den unscharf gebliebenen Geltungs- oder
Wertaspekt der Definition der Situation.
Mit der hier vorgelegten Interpretation lassen sich die oben angesprochenen Defizite
der TdFS ausgleichen. Zwei Probleme werden davon jedoch nicht berührt:
– Esser untersucht nur die Ebene der wertrationalen Selektion der Definition der Si-
tuation. Die Ebene der Selektion der Handlung ist hingegen nicht Gegenstand seiner
Analyse. Dabei bleibt das Zusammenspiel zwischen den beiden Ebenen unklar, was
bereits im letztgenannten Problemkreis deutlich wurde. Muss der alternative Frame j
mit Nützlichkeitserwartungen verbunden sein, um den Rahmungswechsel auszulö-
sen? Muss die Passung des bestehenden Frame (mi) fraglich werden, damit der Ak-
teur in den rc-Modus der Informationsverarbeitung umschaltet? Ließe sich nicht die
Annahme verteidigen, dass der Handelnde gerade dann seine Lage reflektiert, wenn
ihm das Ziel seines Tuns, das Interesse oder der „Nutzen“ gar nicht mehr klar sind?
Sucht er nach einem zweckdienlichen Frame, um die bestehenden Interessen zu be-
dienen, oder sucht er nach einer Deutung, welche der „aus den Fugen geratenen
Wirklichkeit“ neuen Sinn verleiht?
– Wenn die Begriffe „Modell der Wirklichkeit“ und „Modell für die Wirklichkeit“
zwei analytisch unterscheidbare, aber real untrennbare Aspekte der Kultur darstellen,
wenn die Identifizierung der wertrationalen Definition der Situation mit dem „Mo-
dell für die Wirklichkeit“ unhaltbar ist, dann gilt im Umkehrschluss, dass jede Defi-
nition der Situation durch beide Aspekte bestimmt wird. Hier stellt sich die Frage,
ob der Geltungs- und Wertbezug nicht als konstitutives Moment jeder Definition
der Situation anerkannt werden müsste.
Zur Beantwortung dieser Fragen wird in den folgenden Abschnitten (erneut) Bezug auf
Max Weber genommen. Dabei wird sich zeigen, dass in seinem Ansatz eine Konzepti-
on der Definition der Situation angelegt ist, die den utilitaristischen Engpass der TdFS
vermeidet.16
Auch Weber geht von der unreflektierten Routine des gewohnheitsmäßigen Handelns
aus. Zeichnet sich durch die Veränderung der ontologischen Situation oder der Bedürf-
nisse des Akteurs eine alternative Handlungsmöglichkeit ab, kann dieser in den ratio-
nalen Handlungsmodus umschalten. Dies geschieht, indem der Akteur die beiden Al-
ternativen mit Hilfe spezifischer Regeln des Handelns, die Weber als „Zweck-Maxi-
men“ bezeichnet, auf ein allgemeineres Ziel bezieht.17 Die Zweckrationalität bedeutet
hier, dass sich der Akteur für diejenige Alternative entscheidet, die, gemäß der Zweck-
16 Zur Handlungsrationalität bei Max Weber allgemein vgl. Brubaker (1984), Eisen (1978), Ha-
bermas (1981), Kalberg (1980), Spinner (1994), Sprondel and Seyfarth (1981), Vogel (1973),
Prewo (1979).
17 Die Zweck-Maximen basieren auf „,Erfahrungssätzen‘ des Typus: auf x folgt y“ (Weber 1988b:
330).
446 Mateusz Stachura
18 Webers Begriff der Handlungsrationalität fällt also nicht mit der „Rationalität“ zusammen, von
der die klassische RC-Theorie spricht. Auf diesen Unterschied hat bereits Raymond Boudon
(1998) hingewiesen.
19 Die hier entwickelten Beziehungen zwischen Mitteln, Zielen und Werten entsprechen im We-
sentlichen dem Interpretationsvorschlag von Schluchter. Der Handelnde kann demnach unter-
schiedliche Handlungsaspekte reflexiv erfassen und dadurch gegeneinander abwägen. „Denn
im Übergang [der Handlungsreflexion – M.S.] vom Mittel zum Zweck werden die Mittel, im
Übergang vom Zweck zum Wert die Zwecke, im Übergang vom Wert zur Folge aber die Werte
selber zur Disposition gestellt“ (Schluchter 1998: 261). Eine Abweichung ergibt sich bei der
Einschätzung der Handlungsfolgen. Auf der einen Seite können die Folgen bereits auf der Ebe-
ne der Handlungsselektion relevant werden. Auf der anderen Seite sind es nicht Folgenüberle-
gungen allein, welche die Wertselektion auslösen und steuern, sondern auch andere Werte und
Wertprinzipien.
Logik der Situationsdefinition und Logik der Handlungsselektion 447
Nach welchem Mechanismus werden nun die Situationswerte ausgewählt, die als
Zwecke des Handelns dessen Verlauf bestimmen? Die Konzeptualisierung der Defini-
tion der Situation über die Nützlichkeitserwartungen erscheint unplausibel, da doch
gerade die Unsicherheit über die Zweckrangordnung den Akteur dazu bewegt, über den
Sinn der Situation nachzudenken. Bei klaren Präferenzen erübrigt sich die Reflexion.
Es wäre also unlogisch, die Unsicherheit auf der Ebene der Handlungsselektion in eine
Sicherheit auf der Ebene der Definition der Situation umzudeuten.20 Damit wird kei-
neswegs behauptet, dass die Definition der Situation in der „Luft der Interessenlosig-
keit“ hängt, sondern nur, dass der Akteur die bestehenden Interessen in keine Planhie-
rarchie einordnen kann. Die zentrale Bedeutung des Übergangs von der Zweck- zur
Wertanalyse besteht darin, dass die Zwecke zur Disposition gestellt werden (Schluchter
1998: 261). Da der Akteur nun wissen will, welche Wertbezüge die Situation bestim-
men, ist er auch bereit, die bestehenden Interessen und Bedürfnisse neutral zu betrach-
ten. Die Nützlichkeitsüberlegungen können also die Definition der Situation nicht er-
klären, da sie darin erst konstituiert oder ausgelesen werden.21
Der hier entwickelte Ansatz konzipiert die rationale Definition der Situation nicht
als einen nutzenmaximierenden Wahl-, sondern als einen Anerkennungsakt. Der Akteur
anerkennt die Gültigkeit eines Wertes für eine bestimmte Situation. In sozialen Hand-
lungssituationen spielen dabei nicht nur subjektive Wertbindungen eine Rolle, sondern
auch Wertgeltungsansprüche, die von anderen Akteuren in der Situation real erhoben
werden. Als erster Faktor der Definition der Situation kann der Passungsgrad einer
Wertidee auf die Wirklichkeit ausgemacht werden. Als zweiter Faktor muss der Gel-
tungsgrad eines Wertes als Faktor der Definition der Situation berücksichtigt werden.
Der Geltungsgrad hängt zum einen von der Stellung des Wertes in einem übergreifen-
den Sinnzusammenhang oder „Weltbild“, zum anderen von dem Rationalisierungsgrad
dieses Weltbildes ab.22 Die Geltungsgrade der Werte auf der Makro-Ebene der kultu-
rellen Sinnzusammenhänge finden ihre Entsprechung auf die Mikro-Ebene individuel-
ler Lebensführung. Damit ist die Ausrichtung des individuellen Handelns an „bestimm-
ten letzten ,Werten‘ und Lebens-,Bedeutungen‘“ gemeint (Weber 1988b: 132). Die ra-
tionale Lebensführung bedeutet nicht, dass vereinzelte Handlungen unter ein Wertprin-
zip gestellt werden, sondern dass ihre Gesamtheit wertkonsistent bleibt. Die Stellung
eines Wertes in dem Lebensführungsentwurf des Akteurs bestimmt somit seinen Wert-
geltungsgrad.
Die Bedeutung der Nutzenerwartung bei der rationalen Definition der Situation
besteht nicht in der Gewichtung der möglichen Rahmung, sondern nur in der Bestim-
mung der Richtung der Situationsdeutung. Bedingung dafür ist, dass der Akteur keine
unverrückbaren Zielvorstellungen hat, sondern lediglich Präferenzen, die gegebenenfalls
20 „In Essers Modell der ,Definition der Situation‘ ist der zukünftige erwartete Nutzen der Modelle
und der Modi die zentrale erklärende Variable. Dabei verkennt Esser, dass die Evaluation zu-
künftiger Nutzenterme nur innerhalb einer Situationsdefinition möglich ist“ (Etzrodt 2000:
774).
21 Dies schließt freilich die Möglichkeit einer Rechtfertigung von nicht legitimitätsfähigen Hand-
lungen oder Interessen nicht aus. Solch eine „nicht-rationale“ Definition der Situation muss
aber von ihrer rationalen Variante sauber unterschieden werden.
22 Zur theoretischen und empirischen Analyse der Wertmuster im Sinne des weberianischen For-
schungsprogramms (vgl. Stachura 2005, 2005a).
448 Mateusz Stachura
zurückgenommen oder modifiziert werden können. Geht der Handelnde hingegen von
nichtmodifizierbaren Zielvorstellungen aus, verkommt die „Definition der Situation“
zu einer nichtrationalen Legitimationsbeschaffungsmaßnahme, von der keine selektive
Wirkung zu erwarten ist. Die Nützlichkeitsüberlegungen dürfen die Rationalität der
Analyse der Situationswerte also nicht außer Kraft setzen, sondern lediglich initiieren.
Diese Interpretation trägt der (berechtigten) Kritik an der TdFS von Christian Lüde-
mann und Heinz Rothgang Rechnung. Demnach ist es äußerst unwahrscheinlich, dass
eine Rahmung mit einer hohen Nutzenerwartung, aber einer geringeren Geltungswahr-
scheinlichkeit ausgewählt wird (Lüdemann und Rothgang 1996: 284).23
Schwieriger gestaltet sich die Lage, wenn mehrere generalisierte Wertbezüge fest-
stellbar sind.24 In diesem Fall kann der Akteur in der Tat eine Strategie der „Wertmaxi-
mierung“ verfolgen. Dies bedeutet, dass die Rahmung als gültig anerkannt wird, wel-
che die Verwirklichung unterschiedlicher, aufeinander nicht reduzierbarer Werte im
größtmöglichen Umfang verspricht.
Der rationale Akteur im Sinne von Weber sucht primär nach der richtigen Perspek-
tive, aus der die Situationswerte sichtbar werden. Bei mehreren Wertbezügen versucht
er ein rationales Wertsystem oder eine Wertrangordnung aufzubauen, um die wider-
streitenden Werte, welche „Geltung erheischend“ an ihn herantreten, zu versöhnen
oder zu verwerfen.
Nicht nur die Logik der Definition der Situation, sondern auch die Motive der Si-
tuationsreflexion müssen abweichend von Esser konzeptualisiert werden. Nicht nur
eine Zielkollision, sondern auch eine Wertkollision kann die Reflexion über den Sinn
der Situation auslösen. Die Werte müssen nicht mit konkreten Zielvorstellungen ver-
bunden sein, um die Geltung eines Frame in Frage zu stellen. Wenn z.B. das Demo-
kratisierungsziel den Einsatz der Gewalt verlangt, die vom Akteur aus wertprinzipiellen
Gründen abgelehnt wird, dann ist diese Ablehnung kein „Ziel“, das vom Akteur mit
irgendwelchem „Nützlichkeitswert“ verbunden wird. Die Erschütterung der Geltung
der Rahmung und des daraus folgenden Ziels ergibt sich hier vielmehr aus einem Ziel-
Wert-Konflikt. Das Beispiel des „Gewaltverbots“ lässt sich um beliebige religiöse, wirt-
schaftliche oder kulturell-ästhetische Wertprinzipien und Pflichten erweitern, die alle-
samt keine Ziele, d.h. keine erstrebten Wirklichkeitszustände, sondern Sinnzusammen-
hänge darstellen, die aber das Potential haben, das „Recht“ bestimmter Zielsetzungen
herauszufordern. Bei bestimmten – nämlich rein wertrationalen – Handlungen können
die Konsequenzen einer prinzipiellen Wertorientierung vom Akteur sogar subjektiv ab-
gelehnt werden. Und dennoch müssen diese Orientierungen als Faktoren des Umschal-
tens in den reflexiven Modus der Informationsverarbeitung und der Rahmungsselek-
23 Vgl. auch den Lösungsvorschlag von Clemens Kroneberg, der freilich genau in die umgekehrte
Richtung geht und nicht die U-, sondern die m-Variable im rc-Modus der Frame-Selektion
„streicht“ (Kroneberg 2005: 350ff.).
24 Webers Theorie des „absoluten Wertpluralismus“ schließt die Möglichkeit aus, dass alle gesell-
schaftlichen Werte in ein zusammenhängendes System gebracht werden können (Schluchter
1988: 284ff.). Eine geschlossene Rangordnung der Werte ist also nicht möglich. Gleichwohl
lassen sich die Werte in ihren Sphären rationalisieren, d.h. in logisch geschlossene und wider-
spruchsfreie Systeme bringen. Zur Rationalisierung der Wertsphären vgl. Oakes (2003), Har-
rington (2000).
Logik der Situationsdefinition und Logik der Handlungsselektion 449
tion berücksichtigt werden. Der Akteur schaltet „in die Reflexivität“ bei jeder absehba-
ren Verletzung eines mit hoher Geltung ausgestatteten Wertes.
der Welt lässt sich nach Weber – anders als beim Utilitarismus – nicht auf das mate-
rielle Interesse reduzieren oder instrumentalistisch in seine Dienste stellen. Nicht nur
der Fall der wertrationalen Definition der Situation, wie von der TdFS behauptet, son-
dern jede rationale Situationsdefinition wird also durch den Bezug auf geltende Werte
mitbestimmt.
Da Menschen aber nicht in einer Ideenwelt, sondern in der kontingenten Wirklich-
keit handeln, orientieren sie sich nicht nur an Werten, sondern auch an konkreten
Zielvorstellungen und versuchen, diese unter dem Einsatz des gesicherten Zweckwis-
sens zu verwirklichen. Wie das Zweckwissen nicht durch Ideenwissen ersetzbar ist, so
lässt sich umgekehrt das gesicherte Wertwissen nicht durch Nützlichkeitsüberlegungen
substituieren. Webers Handlungstheorie hält an beiden Wissensarten unter der Prämis-
se fest, dass es die „Weltbilder“ sind, welche „als Weichensteller die Bahnen“ bestim-
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