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54030 Modul 1 (Master; AGSP): Lernen und Lehren im institutionalisierten Kontext „Grundschule
als Ort von Sozialisation und Bildung“
Seminar: Institutionelle Einflüsse im pädagogischen Feld
Wintersemester 21/22
Dozentin: Dr. Cornelie Dietrich
Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät,
Institut für Erziehungswissenschaften, Allgemeine Grundschulpädagogik
Einreichung am: 31.03.2022
Hausarbeit
Soziologisch-konstruktivistische Perspektive auf den Lehrerhabitus in
der Schulpraxis des Klassenraums
FAZIT ...................................................................................................................... 16
LITERATURVERZEICHNIS ........................................................................................... 18
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG................................................................................. 20
2
Einleitung
Auf der Suche nach den goldenen Regeln, die die Lehrkraft für die Umsetzung einer
optimalen Schulpraxis befolgen muss, sieht man sich unweigerlich mit einer Vielzahl von
zu berücksichtigenden Dimensionen, Aspekten und Interdependenzen konfrontiert.
Zahlreiche pädagogischen Konzepte und didaktische Modelle wurden dazu entworfen,
Methoden und Techniken aus Sozial- und Kulturtheorien entlehnt, sowie praktische
Studien und theoretische Abhandlungen produziert, um die Interaktionen im Klassenraum
zwischen Lehrkraft und Schüler*innen bestmöglich auf die individuellen Ziele und
Bedürfnisse der Beteiligten, insbesondere der Schüler*innen, auszurichten.
Die Lehrkraft muss dabei, neben den fachlichen und sozialen Aufgaben im Unterricht
auch die den Einflüssen Rechnung tragen, die außerhalb des Klassenraums auf sie und
die Schüler*innen einwirken. Sie sollte verstehen, wie sie gesellschaftliche, institutionelle,
organisatorische und individuelle Vorgaben nicht nur berücksichtigt, sondern im besten
Fall sinnvoll im Lehrplan einbindet und das pädagogisch-didaktische Wissen, welches sie
im Rahmen der Lehrerbildung und Weiterbildung oder auch persönlich im privaten oder
beruflichen Umfeld aufgenommen hat, in die Praxis zu übersetzt.
Es wäre für die Lehrkraft wünschenswert ein optimales Handlungs- und Denkmuster
entwickeln zu können, welches mit diesen komplexen Herausforderungen in
angemessener Weise umgehen könnte. Ein strukturierter, wissenschaftlicher Zugang
sollte in der Lage sein, die Organisation und die Institution Schule derart zu begreifen,
dass die Aufgabe, die aus dieser erwachsen, ersichtlich und entsprechende Ziele
ableitbar sind. Die schulpraktischen Entscheidungen und Verhaltensweisen der Lehrkraft
sollten sich dann daraus ergeben.
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Perspektive über die Schulpraxis anhand der Methoden der
institutionellen Ethnographie
zentrale Größe in der Erziehungswissenschaft (vgl Höhne, 2013, S. 263), ersteinmal aus.
Damit wird theoretisch wie auch praktisch der Spielraum und die Einflußmöglichkeiten der
diesem speziellen Fall die Schulethnografie, einer Perspektive, welche die innere Logik
unter die Lupe nimmt. Dies erlaubt eine klare Feldbegrenzung des zu untersuchenden
Objekts und eine akteurs- und interaktionszentrierte Konzentration auf die Mikroebene.
Praxis in einem konkreten Kontext” (Nadai, 2012, S. 141 zit. n. Schitow, 2018, S. 40) zu
Hier sollen aber die weitreichenden Aspekte der institutionellen Strukturen, Diskurse und
Praktiken jenseits der durch die direkt beteiligten, personellen Akteure erzeugten, nicht
berücksichtigt werden, denn es gilt nicht die Institution Schule an sich zu analysieren,
Endes sollen Aussagen über die Fähigkeiten der Lehrkraft, diese Praktiken gezielt und im
Sinne der Institution, aber auch im Sinne der Schüler*innen, anzuwenden, getroffen
werden.
Dementsprechend kann man sich auf die “lokale Produktion von sozialer Ordnung in den
konzentrieren. Diese hier implizierte Körperlichkeit ist die soziale Praktik selbst. Sie stellt
die kleinste Einheit des Sozialen dar und wird durch implizites Verstehen um Situation,
Neben der ‚Performativität‘ des Handelns spielt bei der sozialen Praktik die
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‚Inkorporiertheit‘ von Wissen eine Rolle und damit die Fähigkeit der Lehrkraft zum Vollzug
einer Praktik. Diese Verkörperung des Wissens ermöglicht der Lehrkraft erst eine
Handlung als Sequenz von Körperbewegungen zu vollziehen und es in der Analyse als
zu können, das in den Körpern der Lehrkräfte angelegte Wissen greifbarer zu machen
Daran anknüpfend versteht die Praxistheorie die kollektiven Wissensordnungen als ein
praktisches Wissen, ein Können im Sinne des Knowhow und als ein Konglomerat von
Alltagstechniken, welches als soziale Praktik in den Körpern der Lehrkräfte angelegt ist
(vgl. Reckwitz, 2003, S.289). Ein derartig praxis-theoretisches Verständnis des Sozialen
Materialität und Rationalität von anderen Ansätzen (ebd. S. 286). Das zentrale Anliegen
des Ansatzes liegt in der Überwindung der Gegensätze von Subjektivismus und
sozialwissenschaftlichen Denken, nämlich der Abkehr von einer Vorstellung vom sozialen
Handeln, die dieses als Resultat bewusster Entscheidungen beziehungsweise als das
Befolgen von Regeln begreift“ (Krais und Gebauer, 2002, S. 5 zit. n. Lenger, 2013, S. 18) .
Dementsprechend ist die grundlegende Frage, wie Menschen, auch wenn sie keiner
bewussten Regel oder formellen Anweisung folgen, strukturiert und geregelt handeln
Neben der Inkorporiertheit von Wissen, dem praktischen Sinn der Tätigkeit und dem
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sozialen Feld, in welchem die Handlung stattfindet, ist der Habitusbegriff das zentrale, alle
‚praxeologie‘ (Reckwitz, 2003, S. 283). In der Theorie der Praxis ergibt sich die Praxis aus
Handlungsmöglichkeiten setzen sich aus dem Habitus und dem vorhandenen Kapital,
sprich der zur Verfügung stehenden Ressourcen, zusammen, während die Struktur in der
Dementsprechend lässt sich der Lehrerhabitus als Verkörperung und Ausdruck eines
praktischen Wissens aus der Schulpraxis extrahieren. Wissen ist hierbei nicht als ein
theoretisches Gegenstück zur Praxis oder der Praxis als zeitlich vorausgehend zu
verstehen, sondern als Bestandteil der Praktik selbst zu begreifen (vgl. schon Ryle 1949,
Polanyi 1966 nach Reckwitz S.292). Hierbei lässt sich wieder die Brücke zur
Ethnographie schlagen und das hier dargestellte Vorgehen rechtfertigen. Denn der
Die den spezifischen Habitus kennzeichnenden Merkmale sind impliziert und vorbewusst
und konstituieren sich in der Materialität des Körpers, können dementsprechend auch nur
Auch beim Habitus ist der Körper die zentrale Einheit, in der die soziale Praxis
“verkörpert” wird. Dies ist absolut sinnvoll und logisch, ist doch der Körper, das Objekt,
welches die grundsätzliche Einheitlichkeit der Person sicherstellt, dadurch dass der
Mensch existenziell an ihn gebunden ist (vgl. Lenger, Schneickert und Schumacher 2013,
S. 23). Ohne hier eine allzutiefe systematische Begriffsarbeit vorzunehmen, kann der
Habitus als das System verinnerlichter Muster verstanden werden, also als eine Art
Tiefenstruktur der Handlungsmuster (vgl. Bourdieu, 1999 [1992]) zit. n. Lenger et. al 2013,
S.19) die in dem Körper vorhanden sind. Nach Bordieu sind die Handlungen „Produkte
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des Habitus, an denen sich zeigen lässt, wie eine kleine, endliche Anzahl von Schemata
gestattet, und ohne dass hierfür die Schemata als explizite Prinzipien formuliert werden
müssten“ (Bourdieu 1976 [1972], S. 204 zit. n. Lenger et. al 2013, S.19).
werden. Neben der Bildung der Praxis selbst, dem ´modus operandi´, beschreibt der
Habitus auch die empirische Analyse der soziale Praxis, den sogenannten ´opus
operatum´, beschränkt sich darauf aber nicht (vgl. Lenger et. al 2013, S. 19). Der
ethnologische Ansatz mit dem Blick auf die Mikrologik des Sozialen und die daraus
resultierende ‚dichte Beschreibung‘, die für die Rekonstruktion von Praktiken hilfreich ist
(Amann/Hirschauer 1997, Berg/Fuchs 1993 zit. n. Lenger et. al 2013, S. 23) macht die
Trennung dieser beiden Modi schwierig (vgl. Liebsch 2002: 68f. zit. n. Lenger et. al 2013,
S. 22) Der Vorteil, der dadurch erwächst, dass der Habitus als `modus operandi´ zugleich
auch die Praxis generiert und als Erzeugungsprinzip der Praxis in die
Habitus das Innere und das Äußere gleichermaßen durchdringt und eine scharfe
Trennung erst einmal sinnlos erscheinen lässt (vgl. Lenger et. al 2013, S. 22). In diesem
Fall hier aber ist der Fokus auf eine innere 'Habitusformierung‘ (Bourdieu 1987. [1980], S.
122; vgl. auch Lenger / Schneickert 2009, S. 285, zit. n. Lenger et. al 2013, S. 23) gelegt
und damit auf das Habituskonzept als „theoretische Hilfskonstruktion“ (Barlösius 2006, S.
Der Habitus, und damit das praktische Wissen des Lehrers, produziert also die Denk-,
wundersamerweise dieses deutlich kohärenter und eleganter auf die Realität eingestellt
ist, als man von einem mechanischen, unbewussten Regelwerk unspezifizierter und nicht
verbalisierter Regeln vermuten lassen würde (vgl. Bourdieu 1987 [1980], S. 101 zit. n.
7
Lehrkraft und Schüler*innen im Klassenraum
Lehrkraft bewusst zu erzeugen und gezielt zu steuern, scheint schwierig, wenn der
Freiheit“ (Bordieu 1987 [1980], S. 103 & S. 106; vgl. auch Lenger et. al 2013 ,S. 20)
definiert wird. In dieser Freiheit und Ungeregeltheit liegt ja auch die Fähigkeit der Lehrkraft,
flexibel und vor allen Dingen schnell zu handeln und durch die Gewährleistung der
eigenen Kohärenz, auch die Kohärenz als Lehrkraft in der Schulpraxis sicherstellen zu
können (vgl. Lenger et. al 2013, S. 20). Aber hierin liegt auch die Herausforderung, dass
kann man den Habitus vom Individuum nicht vom Habitus der Lehrkraft und damit von der
Die Erkenntnis und die theoretische Erklärung der Reproduktion von Subjektivität in
sozialen Praktiken ist an und für sich erst einmal positiv. Das Wissen darum ermöglicht
Schulpraxis würde nicht nur die Perspektive auf die Mikroebene außer acht lassen (vgl.
Höhne, 2013, S. 278), sondern auch in der Form die Makroebene ignorieren, die der
eigentliche Ort der gesellschaftlichen Reproduktion des Habitus ist. Auf der Makroebene
konzeptionell verknüpft, die den spezifischen Habitus hervorbringen. Der Habitus stellt
sich so als ein komplexer relationaler Begriff dar, der für eine initiale Betrachtung weiter
Auf die gesellschaftliche Reproduktion des Habitus soll hier aber nicht eingegangen
werden, auch wenn dies starken Einfluss auf den individuellen Habitus der Lehrkraft hat.
pädagogisch-didaktischen Praktiken erlaubt es sich auf das lokal begrenzte Feld des
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die situierte Interaktion zwischen Schüler*innen und Lehrkraft zu beschränken (vgl. Kelle,
herauskristallisieren, die den institutionellen Aufgaben und Zielen der Organisation Schule
entspricht und den Bedürfnissen und Rechten der Schüler*innen auf Bildung und soziale
Unbewussten zu belassen, da sie anscheinend auch nur so funktionieren, aber sie nicht
zu rationalisieren und sichtbar zu machen, wäre in diesem Fall aber nicht befriedigend.
Das würde nämlich bedeuten, die soziale Praxis nicht nur dem Zugriff der
der Lehrkräfte zu entziehen. Die Bewusstmachung ist letztendlich die einzige Möglichkeit
einen Lehrerhabitus aktiv zu entwickeln und ihn im positiven Sinne für die Schulpraxis im
Klassenraum nutzbar zu machen. Die Alternative wäre nach Bordieu, dass “Individuen
eher vom Habitus besessen sind, als dass sie ihn besitzen” (Bourdieu 1976 [1972], S.
209 zit n. Lenger et. al 2013 ,S. 22). Natürlich kann die Lehrkraft dem Habitus insoweit
nicht habhaft werden, als dass er der Lehrkraft nur als Organisationsprinzip im Verhalten
selbst erscheinen kann. Aber eine reflektierter Umgang erlaubt eine Selbsterkenntnis
hinsichtlich der an den Tag gelegten Haltungen (vgl. Bourdieu, 1987 [1980], S. 120; vgl.
auch Lenger et. al 2013, S. 22). Sich als Subjekt zu objektivieren und sich der
Feld zu stellen, scheint absurd, aber es geht gerade darum den Gegensatz von Subjekt
und Objekt aufzulösen, genauso wie den Gegensatz zwischen Individualität und
Kollektivität. Es kommt einer Kränkung des Egos gleich, sich vom scheinbaren
aber würde das die Lehrkraft nicht tun, würde sie sich der Möglichkeit berauben „im
Zentrum des Individuellen selber Kollektives zu entdecken“ (ebd. S. 132; vgl. auch Höhne,
2013, S. 261).
Ein Lehrerhabitus, der in der Lage ist auf die zur Verfügung stehende Ressourcen aus
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Fachwissen, Psychologie, Didaktik und Pädagogik zugreifen zu können, ist das
gemeinsame Ziel, auf welches sich die gesamte Institution Schule einigen kann. Die
Lehrkraft soll in die Lage versetzt werden zwischen dem Individuellem und dem Sozialen
Höhne, 2013, S. 261). Der Habitus sollte im positiven Sinne diese Zwänge als „zur
Lenger et. al 2013, S. 23) aufnehmen. Dementsprechend muss die Lehrerbildung die
gewünschte Verhältnis zum sozialen Feld des Klassenraums und der sozialen Praxis des
Unterrichts dauerhaft und allgemein einzuverleiben und ihr damit das benötigte soziale
Profil zu verleihen, welches die Lehrkraft für die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe im
Klassenraum benötigt (ebd. S. 739; vgl. auch Lenger et. al 2013, S. 23).
Der Lehrkraft dieses Dispositionssystem zur Verfügung zu stellen, ist natürlich leichter
gesagt als getan. Auf viele Aspekte, die es in der Habitustransformation zu beachten gilt,
kann hier gar nicht im Detail eingegangen werden. Festzuhalten bleibt aber, dass es der
Habitus ist, der die Prozesse der Verinnerlichung der sozialen Praxis repräsentiert (vgl.
Und auch wenn diese Ordnungsleistung basal und häufig vor- oder unbewusst verläuft, so
einem erfolgreichen Lehrerhabitus verlaufen kann. Dabei gilt es in jeglicher Hinsicht, aber
und Lehrern darum, eine kollektiv geteilte Wissensordnung über das gemeinsame Feld
Codes und Sinnhorizonte zu etablieren, die für alle Akteure realistisch und relevant sind
und die in der Kollektivität dieser sinnhaften Ordnungen und ihrer symbolischen
Organisation der Wirklichkeit Widerhall finden. Dabei muss man es nicht komplizierter
machen als es ist. Letztendlich geht dem Können in der sozialen Praxis des
Klassenraums die Schaffung einer angemessenen Kultur voraus, die die Lebenswelt der
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Schüler*innen und die Institution Schule mit symbolisch-sinnhaften Regeln verknüpft (vgl.
Um konkreter zu werden, müssen die zuvor getätigten Betrachtungen in der Schule als
Organisation beziehungsweise als pädagogische Institution verortet und mit den Praktiken
des Unterrichts verbunden werden. Daraus können dann konkrete Anforderungen und
Ziele des Bildungsbereich an die Lehrkraft herausgearbeitet werden.
Zuallererst muss die Schule aber von anderen Organisationen unterschieden und damit
auf die Besonderheiten dieser Organisation eingegangen werden. Pädagogische Prozess
sind nur begrenzt technologisierbar und auch kontrollierbar. Es existiert nur wenig Wissen
darüber welche Vorgehensweise mit Sicherheit Erfolg bietet, und gleichzeitig,
beziehungsweise eng damit verbunden ist es schwer das erfolgreiche oder -lose Handeln
der Lehrkraft objektiv und quantitativ zu erfassen. Das unterstreicht natürlich die
Autonomie der Lehrkraft, aber erschwert gleichzeitig das Handeln da pädagogische Zielen
dadurch grundsätzlich unbegrenzt, widersprüchlich und reflexiv zugleich sind. Das erklärt
natürlich auch den professionellen Berufszuschnitt, der diesen speziellen Anforderungen
gerecht werden soll. Die damit implizierte Annahme von einer außergewöhnlichen
Professionalität von Lehrkräften an Schulen und Pädagog*innen, die über hinreichend
Wissen verfügen, durch Lehrprozesse optimale Lerngewinne zu ermöglichen versperrt
aber weiterhin den direkten Zugang zu diesem Wissen (vgl. Merkens, 2006, S. 23).
Diffuser und schwerer zu greifen wird es dadurch, dass sich der Bogen noch weiter
spannen lässt und Schule als pädagogische Institution mit dem Anspruch konfrontiert ist
„die allgemeine Bildung der Vielen“ (ebd. S. 29) zu bieten. Außerdem sollen pädagogische
und zielgerichtete Handlungen (ebd. S. 77) mit einer zur Eigentätigkeit der Lernenden
anregend gestaltete Lernumwelt (ebd. S. 66) einhergehen. Andererseits wird die Schule
informeller – Formen der Bildung und des Lernens“ (Alkemeyer und Brümmer, 2019, S. 12)
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Grundsätzlich werden in Institutionen Rollen definiert, welche die Handlungsmöglichkeiten
des Individuums und damit auch der Lehrkraft einschränken (Merkens, 2009, S. 31).
Diese Spannung tritt zu Tage wenn die Regeln des Handelns in Institutionen „gegenüber
den Besonderheiten der einzelnen Situationen, in denen gehandelt wird, als fremd und
„im Rücken wirkend“ (Herv. i. O.) empfunden” (Merkens, 2009, S. 37) werden. Das schafft
Distanz und ist in Bezug auf konkrete pädagogische Anliegen hinderlich (ebd. S. 37) .
tritt, muss die Schulpraxis in ihrer direkten Interaktion zwischen Schüler*innen und
Lehrkraft analysiert werden. Laut Terhart (1995) beschreibt das Unterrichten wie folgt:
[Einen] Vorgang [...], in dessen Verlauf von Seiten der Unterrichtenden aus der
Versuch unternommen wird, eine Erweiterung des gegebenen Wissens-, Kenntnis-
und Erkenntnisstandes auf Seiten des bzw. der Unterrichteten hervorzurufen. Damit
dieser Vorgang zustande kommt, ist also zumindest das Vorhandensein einer
unterrichtenden und einer unterrichteten Seite notwendig. (S. 133)
ausgeübte Tätigkeit mit Zuordnung von spezifischem und erlernbarem Wissen und
bestimmten Fähigkeiten (vgl. Merkens, 2006, S. 56). Damit ist aber weder die
pädagogische Absicht noch die institutionelle Rahmung berücksichtigt (vgl. Terhart, 1995,
S. 134). Auch haben wir es hier mit einer spezifischen sozialen Ordnung zu tun, in
verbinden und deren Subjekte sich selbst darstellen und produzieren (vgl. Alkemeyer und
„stützen sich die tradierte räumliche Ordnung des Klassenzimmers und die Versuche des
Lehrers […], über Auftreten, Haltung und Gestik eine unmittelbar-sinnlich wirkende
Autorität aufzubauen, gegenseitig“ (ebd. S. 12). Das schulische Mobiliar ist ein
sogenanntes „Angebot [...] der Institution (ebd. S. 12), damit die Lehrkraft auf einer
bestimmten Entfernung den Schüler*innen, eine bestimmte Haltung, stehend oder sitzend,
12
einnehmen kann. Dabei sind die Ordnungen des Unterrichts derartig komplex und
variabel, dass die Erstellung von Richtlinien nur für wenige Situationen möglich erscheint
(vgl. Pille, 2013, S. 116). „Zum einen unterscheiden sich die Situationen so nuanciert,
dass Differenzen zumeist kaum benannt werden können. Zum anderen ist die
Wahrnehmung des Geschehens nicht nur höchst subjektiv, sondern darüber hinaus
ein Wissen, Können und Handeln der Lehrkraft heraus, doch ist es so allumfänglich und
Um den Lehrerhabitus als Verkörperung und Ausdruck eines praktischen Wissens aus der
Schulpraxis abzuleiten, kann die Perspektive auf den Experten und den Novizen in
diesem Feld hilfreich sein. Denn die Differenzen zwischen diesen beiden stellen genau
dieses Wissen, Können und Handeln dar, dass für den Lehrerhabitus grundlegend ist.
Wichtig ist, wie sich der Prozess der ‘Inkorporierung von Körperlichkeiten’ bei Novizen
entwickelt.
Der Begriff des 'Experten' bezeichnet Personen, die berufliche Aufgaben bewältigen
müssen, für welche eine lange Ausbildung und praktische Erfahrung benötigt wird, um
diese Aufgaben erfolgreich lösen zu können (vgl. Bromme, 2014, S. 7f.). Im Bezug auf die
Lehrkraft, wird der Begriff des 'Experten' doppeldeutig verwendet (ebd. S. 8). Einerseits
hebt der Begriff den Unterschied zum Laien und Anfänger hervor, andererseits bezeichnet
er das besondere Wissen und Können, das Experten von anderen, ebenso
Studien wird auf einen unmittelbaren Vergleich zwischen Novize und Experte verzichtet,
sondern verstärkt getrennt beschrieben, wie sich der Umgang der beiden Gruppen mit
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Professionelles Wissen besteht aus theoretischen Elementen (wie z.B. das Arrangement
der Unterrichtsform und der Sitzordnung, um besondere Ziele erreichen zu können), aus
Bromme (2014) erläutert den Ansatz „Lehrer als Experte“ wie folgt:
Da offensichtlich eine Anzahl von Lehrern die relativ schwierigen und komplexen
Aufgaben des Unterrichts erfolgreich bewältigen, ist anzunehmen, daß diese Lehrer
über einen Bestand an professionellem Wissen verfügen, der für die
Aufgabenbewältigung gebraucht wird. Das Wissen liegt der Wahrnehmung, dem
Denken und auch dem Handeln zugrunde bzw. begleitet das Handeln. Das Wissen ist
zugleich durch diese Aufgabe inhaltlich und strukturell beeinflußt. (S. 10)
Was als professionelles Wissen des Experten bezeichnet werden kann, bleibt damit
erstmal unklar. In der Forschung darüber wird bei Experten eine „andere
zeigen (ebd. S. 70), so dass dieses Wissen als kennzeichnend für den Experten
ausgeschlossen werden kann. Das persönliche Können einer Lehrkraft wird vielmehr in
der Fähigkeit gesehen den Unterricht in besonderer Form zu gestalten. Es ist die
Flüssigkeit des Unterrichts, die die Qualität des Wissens über Darstellungs- und
Erkenntnisse und Verhaltensweisen der Lernenden angepasst, folgt diese Art des
Unterrichts parallel dazu der „jeweiligen sachlich erforderlichen Logik des Inhaltes“ (ebd.
S. 70). 'Wissen' lässt sich in prozedurales und deklaratives Wissen unterteilen, wobei
Können auf prozedurales Wissen zurückzuführen ist (ebd. S. 70). Das Können wiederum
zeigt sich in der persönlichen Verfügbarkeit von individuellem routinierten Handeln (ebd. S.
70).
Das prozedurale Lehrerwissen organisiert sich in “Schemata und Skripts” (ebd. S. 71),
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schulischen Kontext überaus ungewiss und undurchschaubar, Spielregeln in der
Organisation Schule meist nur implizit, ohne exakte Kodifizierung, vorhanden (vgl. Pille,
2013, S. 116f.). Dementsprechend ist die hier auch immer wieder gestellte Frage, „welche
benötigen“ (ebd. S. 117), äußerst legitim. Die Logik der Praxis im Unterricht bleibt
unscharf.
So fällt es auch Lehrkräften schwer dieses Können genauer zu definieren. In einer Studie
Auch der Begriff der 'Lehrerpersönlichkeit' bleibt sowohl ungreifbar und schwer allgemein
zu beschreiben (ebd. S. 117). Man müsse halt ein „Händchen für diesen Beruf“ (Bromme
und Haag, 2004, S. 777 zit. n. Pille, 2013, S. 117) mitbringen. Am besten lässt sich die
zentral für eine erfolgreiche Berufsausbildung sind, sich zweitens nicht trennscharf
umreißen lassen und drittens den Charakter des Nicht-Erlernbaren tragen” (Bromme und
Haag, 2004, S. 777 zit n. Pille, 2013, S. 118). Für die die vielseitigen Herausforderungen
in der Schulpraxis ist also eine ausgesprochene Lehrerpersönlichkeit nötig, was diese
derselben Studie forderten die Mentor*innen, dass man „ein Gespür“ (ebd. S. 118) für die
Unmöglich lässt sich aber bisher ableiten, wie ein solches Gespür erworben werden kann
es sei vielmehr „ein Gefühl für die Situation” notwendig, beziehungsweise die Fähigkeit
also festhalten: „Es scheint sich um eine spezifische Könnerschaft zu handeln, die sich
nicht ohne Probleme verbalisieren lässt“ (ebd. S. 118). Dabei gibt es so viele Aspekte im
Kleidungsstil „die Art und Geschwindigkeit ihres Gangs reflektieren, die Lautstärke ihrer
Stimme regulieren und werden plötzlich vor die Frage gestellt, wie man sich eigentlich
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möglichst angemessen auf eine Stuhl setzt“ (ebd. S. 110). Die entscheidende Aufgabe der
Novizen liegt also darin, die etablierten Abläufe, Rituale und Zeichen zu erkennen und
wurden (ebd. S. 110). Das fordert von angehenden Lehrkräften „die eigenen
Gewohnheiten den in diesem Klassenraum ebenso wie in den Körpern der Etablierten
eine Umkehrung der Schüler*in – Lehrer*inrolle statt (ebd. S. 110). Es sind die Lernenden,
die „intime Kenner“ (Pille, 2013, S. 147 zit. n. Alkemeyer und Brümmer, 2019, S. 15) sind
und die den Novizen durch explizite Adressierungen oder durch Mimik und Gestik oder
beiläufige Bemerkungen zeigen, wie der Unterricht zu führen ist (vgl. Alkemeyer und
Brümmer, 2019, S. 15). Die Novizen lernen mit der Zeit sich in den „derart performativ als
verletzt“ (ebd. S. 15). Selbstverständlich gibt es auch für die Lehrkraft einen gewissen
reproduzieren“ (ebd. S. 15). Das ist aber nur insofern möglich, wenn „ihre Performanzen
Fazit
Auf der Suche nach den für den Lehrerhabitus normativen und wesentlichen Parametern
dreht man sich im Kreis. Anstatt ein Wissen zu definieren, auf deren Basis das benötigte
Können formuliert wird, welches zu einem konkreten Handeln führt, muss man feststellen,
dass der Lehrerhabitus begrifflich und in der Schulpraxis schwer zu fassen ist. Dabei
sollte die Analyse des “Lehrerhabitus” nur der Anfang einer viel weiter angelegten Arbeit
werden, in der letztendlich eine Schulpraxis entwickelt wird, in der Schüler*innen für den
Wissen- und Kompetenzerwerb in fachlich und sozialer Art bestmöglich befähigt werden.
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Schulpraxis die in jedem Klassenraum schlummernden Potentiale am effektivsten und
effizientesten aktivieren kann. Andererseits mag diese Erkenntnis bereits der erste Schritt
werden.
Was ebenfalls Hoffnung macht ist, dass diese Betrachtung doch einen richtigen Schritt auf
dem richtigen Weg an das richtige Ziel darstellt. Es zeigt, dass jegliche institutionelle
Analyse der Organisation Schule, die nicht in der Lage ist die einzigartigen
ziehen, keine valide Aussage über das hier umrissene Forschungsfeld machen kann. Die
soziale und individuelle Realität eines jeden Akteurs beeinflusst die Schulpraxis im
Handlungsskripte in der Lage sind zu tun. Der Lehrerhabitus kann unmöglich von der
spezifischen Klassenlage unabhängig gemacht werden und wird auch durch die ganz
individuellen Verhaltensmuster, die die Lehrkraft im Laufe ihres Lebens übernommen hat,
beeinflusst. Wenn die Lehrkraft also ihrer Rolle gerecht werden will und einen korrekten,
dienlichen und seiner Rolle förderlichen Lehrerhabitus entwickeln möchte, dann sollte sie
17
Literaturverzeichnis
Alkemeyer, T. & Pille, T. (2008). Schule und ihre Lehrkörper. Das Referendariat als
Trainingsprozess. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 2, 137-154.
Bromme, R. (2014). Der Lehrer als Experte.Zur Psychologie des professionellen Wissens.
In D. H. Rost (Hrsg.), Standardwerke aus Psychologie und Pädagogik. Reprints, Bd. 7,
München New York: Waxmann.
Lenger, A., Schneickert, C.& Schumacher F. (2013). Pierre Bourdieus Konzeption des
Habitus (13- 44). In A. Lenger, C. Schneickert, & F. Schumacher (Hrsg.), Pierre Bourdieus
Konzeption des Habitus. (S. 13-44). Wiesbaden: VS Verlag.
Pille, T. (2013). Das Referendariat. Eine ethnografische Studie zu den Praktiken der
Lehrerbildung. Dissertation, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Bielefeld:
Transkript Verlag. Druck Majuskel Medienproduktion GmbH.
18
Reckwitz, A. (2003). Grundelemente Einer Theorie Sozialer Praktiken: Eine
Sozialtheoretische Perspektive. Zeitschrift Für Soziologie, 32 (4), 282–301.
Schitow K. (2018). Der Ansatz der Institutional Ethnography als Zugang zu institutionellen
Praktiken der Organisation von Beschulung sogenannter neu zugewanderter
Schüler*innen. In SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik (Hrsg.), eBook
Veröffentlichung (S.38-48). München.
19
Eidesstattliche Erklärung
„Ich erkläre ausdrücklich, dass es sich bei der von mir eingereichten schriftlichen Arbeit
mit dem Titel „Soziologisch-konstruktivistische Perspektive auf den Lehrerhabitus in der
Schulpraxis des Klassenraums“ um eine von mir erstmalig, selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasste Arbeit handelt. Ich erkläre ausdrücklich, dass ich sämtliche in der
oben genannten Arbeit verwendeten fremden Quellen, auch aus dem Internet
(einschließlich Tabellen, Grafiken u. ä.) als solche kenntlich gemacht habe. Insbesondere
bestätige ich, dass ich ausnahmslos sowohl bei wörtlich übernommenen Aussagen bzw.
unverändert übernommenen Tabellen, Grafiken u. ä. (Zitaten) als auch bei in eigenen
Worten wiedergegebenen Aussagen bzw. von mit abgewandelten Tabellen, Grafiken u. ä.
andere Autorinnen und Autoren (Paraphrasen) die Quelle angegeben habe. Mir ist
bewusst, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Selbstständigkeit als Täuschung
betrachtet und entsprechend der Prüfungsordnung und/oder der Fächerübergreifenden
Satzung zur Regelung und Prüfung der Humboldt-Universität (ZSP-HU) geahndet
werden.”
Datum: 31.03.2022
Unterschrift: Unterschrift:
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