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Humboldt-Universität zu Berlin

54030 Modul 1 (Master; AGSP): Lernen und Lehren im institutionalisierten Kontext „Grundschule
als Ort von Sozialisation und Bildung“
Seminar: Institutionelle Einflüsse im pädagogischen Feld
Wintersemester 21/22
Dozentin: Dr. Cornelie Dietrich
Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät,
Institut für Erziehungswissenschaften, Allgemeine Grundschulpädagogik
Einreichung am: 31.03.2022

Hausarbeit
Soziologisch-konstruktivistische Perspektive auf den Lehrerhabitus in
der Schulpraxis des Klassenraums

Magdalena Schrenk Lukas Koehnke


MA Bildung an Grundschulen/ MA Lehramt an Grundschulen
Allgemeine Grundschule Quereinstieg Lehramt
Matrikelnummer.: 586525 Matrikelnummer: 166984
E-Mail: Srenkmag@hu-berlin.de E-Mail: Koehnkel@hu-berlin.de
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG ............................................................................................................... 3

PERSPEKTIVE ÜBER DIE SCHULPRAXIS ANHAND DER METHODEN DER INSTITUTIONELLEN


ETHNOGRAPHIE ......................................................................................................... 4

BEDINGUNGEN UND FORMUNGSPROZESSE DER LEHRPRAXIS ALS GRUNDLAGE DES


PÄDAGOGISCHEN VOKABULARS DER LEHRKRAFT ........................................................ 5

EIN QUALITATIVES REGELWERK FÜR EINE INTERAKTIONSORDNUNG ZWISCHEN


LEHRKRAFT UND SCHÜLER*INNEN IM KLASSENRAUM ................................................... 8

DIE ORGANISATION DES UNTERRICHTS IN DER PÄDAGOGISCHEN INSTITUTION DER


SCHULE IM SPANNUNGSFELD VON AUTONOMIE UND INDIVIDUALITÄT ............................11

UNTERSCHIEDE IM KÖNNEN, HANDELN UND WISSEN DER LEHRKRÄFTE VON EXPERTEN


UND NOVIZEN .......................................................................................................... 13

FAZIT ...................................................................................................................... 16

LITERATURVERZEICHNIS ........................................................................................... 18

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG................................................................................. 20

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Einleitung

Auf der Suche nach den goldenen Regeln, die die Lehrkraft für die Umsetzung einer
optimalen Schulpraxis befolgen muss, sieht man sich unweigerlich mit einer Vielzahl von
zu berücksichtigenden Dimensionen, Aspekten und Interdependenzen konfrontiert.
Zahlreiche pädagogischen Konzepte und didaktische Modelle wurden dazu entworfen,
Methoden und Techniken aus Sozial- und Kulturtheorien entlehnt, sowie praktische
Studien und theoretische Abhandlungen produziert, um die Interaktionen im Klassenraum
zwischen Lehrkraft und Schüler*innen bestmöglich auf die individuellen Ziele und
Bedürfnisse der Beteiligten, insbesondere der Schüler*innen, auszurichten.

Die Lehrkraft muss dabei, neben den fachlichen und sozialen Aufgaben im Unterricht
auch die den Einflüssen Rechnung tragen, die außerhalb des Klassenraums auf sie und
die Schüler*innen einwirken. Sie sollte verstehen, wie sie gesellschaftliche, institutionelle,
organisatorische und individuelle Vorgaben nicht nur berücksichtigt, sondern im besten
Fall sinnvoll im Lehrplan einbindet und das pädagogisch-didaktische Wissen, welches sie
im Rahmen der Lehrerbildung und Weiterbildung oder auch persönlich im privaten oder
beruflichen Umfeld aufgenommen hat, in die Praxis zu übersetzt.

Diese Mannigfaltigkeit an Anforderungen kann verständlicherweise zu einer


Überforderung führen und dafür sorgen, dass der Fokus auf die zentrale Ordnung der
Institution Schule, nämlich die Beziehung der Lehrkraft zu den Schüler*innen, verloren
gehen kann. Die formalen und informellen Anforderungen der Institution, in welcher die
Lehrkraft gemeinsam mit der Klasse eingebettet sind, wirken oftmals, wenn nicht
hinderlich, so doch sehr selten förderlich auf die praktischen Notwendigkeiten und
Gegebenheiten im Klassenraum.

Es wäre für die Lehrkraft wünschenswert ein optimales Handlungs- und Denkmuster
entwickeln zu können, welches mit diesen komplexen Herausforderungen in
angemessener Weise umgehen könnte. Ein strukturierter, wissenschaftlicher Zugang
sollte in der Lage sein, die Organisation und die Institution Schule derart zu begreifen,
dass die Aufgabe, die aus dieser erwachsen, ersichtlich und entsprechende Ziele
ableitbar sind. Die schulpraktischen Entscheidungen und Verhaltensweisen der Lehrkraft
sollten sich dann daraus ergeben.

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Perspektive über die Schulpraxis anhand der Methoden der
institutionellen Ethnographie

Eine solch institutionelle, organsiatorische Betrachtungsweise schließt aber das Subjekt,

zentrale Größe in der Erziehungswissenschaft (vgl Höhne, 2013, S. 263), ersteinmal aus.

Damit wird theoretisch wie auch praktisch der Spielraum und die Einflußmöglichkeiten der

Schüler*innen und der Lehrkraft auf die Unterrichtssituation im Klassenraum beschränkt.

Um diesen blinden Fleck zu vermeiden, bedient sich die institutionelle Ethnographie, in

diesem speziellen Fall die Schulethnografie, einer Perspektive, welche die innere Logik

und die soziale Ordnung in der Klassengemeinschaft und im Lehr-Lern-Arrangement

unter die Lupe nimmt. Dies erlaubt eine klare Feldbegrenzung des zu untersuchenden

Objekts und eine akteurs- und interaktionszentrierte Konzentration auf die Mikroebene.

Diese Methoden, Theorien und Forschungsstrategien ermöglichen es eine „konkrete

Praxis in einem konkreten Kontext” (Nadai, 2012, S. 141 zit. n. Schitow, 2018, S. 40) zu

studieren und dabei gleichzeitig auch die politischen und gesetzlichen

Rahmenbedingungen, sowie die spezifischen, institutionellen Strukturen und Praktiken in

die praxis- und diskursanalytische Rekonstruktion mit einzubeziehen (ebd. S.40).

Hier sollen aber die weitreichenden Aspekte der institutionellen Strukturen, Diskurse und

Praktiken jenseits der durch die direkt beteiligten, personellen Akteure erzeugten, nicht

berücksichtigt werden, denn es gilt nicht die Institution Schule an sich zu analysieren,

sondern eine Annäherung an die Schulpraxis im Klassenraum vorzunehmen. Letzten

Endes sollen Aussagen über die Fähigkeiten der Lehrkraft, diese Praktiken gezielt und im

Sinne der Institution, aber auch im Sinne der Schüler*innen, anzuwenden, getroffen

werden.

Dementsprechend kann man sich auf die “lokale Produktion von sozialer Ordnung in den

verkörperten Arbeitspraktiken” (Bergmann, 2006, S. 395 zit. n. Kelle, 2011, S. 228f.)

konzentrieren. Diese hier implizierte Körperlichkeit ist die soziale Praktik selbst. Sie stellt

die kleinste Einheit des Sozialen dar und wird durch implizites Verstehen um Situation,

Kontext und Rolle zusammengehalten (vgl. Reckwitz, 2003, S. 290).

Neben der ‚Performativität‘ des Handelns spielt bei der sozialen Praktik die

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‚Inkorporiertheit‘ von Wissen eine Rolle und damit die Fähigkeit der Lehrkraft zum Vollzug

einer Praktik. Diese Verkörperung des Wissens ermöglicht der Lehrkraft erst eine

Handlung als Sequenz von Körperbewegungen zu vollziehen und es in der Analyse als

Ausdruck seines knowhow und seines praktischen Verstehens zu interpretieren (vgl.

Reckwitz, 2003, S. 290) .

Um dies nun in einem theoretischen Diskurs zu verorten und ein wissenschaftlich-

akademisch fundiertes Vorgehen zu legitimieren, gilt es an bestehende Konzepte

anzuknüpfen, um das subjektive, inkorporierte Können der Lehrkraft objektiv analysieren

zu können, das in den Körpern der Lehrkräfte angelegte Wissen greifbarer zu machen

und daraus verwert-, reproduzier- und vermittelbare Handlungsanweisungen abzuleiten.

Bedingungen und Formungsprozesse der Lehrpraxis als Grundlage


des pädagogischen Vokabulars der Lehrkraft

Daran anknüpfend versteht die Praxistheorie die kollektiven Wissensordnungen als ein

praktisches Wissen, ein Können im Sinne des Knowhow und als ein Konglomerat von

Alltagstechniken, welches als soziale Praktik in den Körpern der Lehrkräfte angelegt ist

(vgl. Reckwitz, 2003, S.289). Ein derartig praxis-theoretisches Verständnis des Sozialen

und des Handelns differenziert sich grundlegend im Verständnis von Subjektivität,

Materialität und Rationalität von anderen Ansätzen (ebd. S. 286). Das zentrale Anliegen

des Ansatzes liegt in der Überwindung der Gegensätze von Subjektivismus und

Objektivismus und ist damit nicht weniger als ein “Paradigmenwechsel im

sozialwissenschaftlichen Denken, nämlich der Abkehr von einer Vorstellung vom sozialen

Handeln, die dieses als Resultat bewusster Entscheidungen beziehungsweise als das

Befolgen von Regeln begreift“ (Krais und Gebauer, 2002, S. 5 zit. n. Lenger, 2013, S. 18) .

Dementsprechend ist die grundlegende Frage, wie Menschen, auch wenn sie keiner

bewussten Regel oder formellen Anweisung folgen, strukturiert und geregelt handeln

können (Lenger, 2013, S. 21).

Neben der Inkorporiertheit von Wissen, dem praktischen Sinn der Tätigkeit und dem

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sozialen Feld, in welchem die Handlung stattfindet, ist der Habitusbegriff das zentrale, alle

anderen Theoriekomponente verbindende Konzept, nicht nur in Pierre Bordieu´s

ausdrücklich so genannter, umfänglicher ‚théorie de la pratique‘ oder

‚praxeologie‘ (Reckwitz, 2003, S. 283). In der Theorie der Praxis ergibt sich die Praxis aus

der Kombination von Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer bestimmten Struktur. Die

Handlungsmöglichkeiten setzen sich aus dem Habitus und dem vorhandenen Kapital,

sprich der zur Verfügung stehenden Ressourcen, zusammen, während die Struktur in der

Bourdieu’schen Theorie als Feld bezeichnet wird, welches durch Ausdifferenzierung

entstandener und von Machtstrukturen durchzogener, gesellschaftlicher Teilbereich ist.

(vgl. Lenger, 2013, S. 21).

Dementsprechend lässt sich der Lehrerhabitus als Verkörperung und Ausdruck eines

praktischen Wissens aus der Schulpraxis extrahieren. Wissen ist hierbei nicht als ein

theoretisches Gegenstück zur Praxis oder der Praxis als zeitlich vorausgehend zu

verstehen, sondern als Bestandteil der Praktik selbst zu begreifen (vgl. schon Ryle 1949,

Polanyi 1966 nach Reckwitz S.292). Hierbei lässt sich wieder die Brücke zur

Ethnographie schlagen und das hier dargestellte Vorgehen rechtfertigen. Denn der

Habitus äußert sich in subtilen Verhaltensformen, die unscheinbar weitergegeben werden.

Die den spezifischen Habitus kennzeichnenden Merkmale sind impliziert und vorbewusst

und konstituieren sich in der Materialität des Körpers, können dementsprechend auch nur

über entsprechende Beobachtungsverfahren und Methoden zugänglich gemacht werden

(vgl. Höhne, 2013, S. 277).

Auch beim Habitus ist der Körper die zentrale Einheit, in der die soziale Praxis

“verkörpert” wird. Dies ist absolut sinnvoll und logisch, ist doch der Körper, das Objekt,

welches die grundsätzliche Einheitlichkeit der Person sicherstellt, dadurch dass der

Mensch existenziell an ihn gebunden ist (vgl. Lenger, Schneickert und Schumacher 2013,

S. 23). Ohne hier eine allzutiefe systematische Begriffsarbeit vorzunehmen, kann der

Habitus als das System verinnerlichter Muster verstanden werden, also als eine Art

Tiefenstruktur der Handlungsmuster (vgl. Bourdieu, 1999 [1992]) zit. n. Lenger et. al 2013,

S.19) die in dem Körper vorhanden sind. Nach Bordieu sind die Handlungen „Produkte

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des Habitus, an denen sich zeigen lässt, wie eine kleine, endliche Anzahl von Schemata

unendlich viele, an stets neue Situationen sich anpassende Praktiken zu erzeugen

gestattet, und ohne dass hierfür die Schemata als explizite Prinzipien formuliert werden

müssten“ (Bourdieu 1976 [1972], S. 204 zit. n. Lenger et. al 2013, S.19).

Um Verwirrung zu vermeiden, muss auf die Doppelfunktion des Habitus hingewiesen

werden. Neben der Bildung der Praxis selbst, dem ´modus operandi´, beschreibt der

Habitus auch die empirische Analyse der soziale Praxis, den sogenannten ´opus

operatum´, beschränkt sich darauf aber nicht (vgl. Lenger et. al 2013, S. 19). Der

ethnologische Ansatz mit dem Blick auf die Mikrologik des Sozialen und die daraus

resultierende ‚dichte Beschreibung‘, die für die Rekonstruktion von Praktiken hilfreich ist

(Amann/Hirschauer 1997, Berg/Fuchs 1993 zit. n. Lenger et. al 2013, S. 23) macht die

Trennung dieser beiden Modi schwierig (vgl. Liebsch 2002: 68f. zit. n. Lenger et. al 2013,

S. 22) Der Vorteil, der dadurch erwächst, dass der Habitus als `modus operandi´ zugleich

auch die Praxis generiert und als Erzeugungsprinzip der Praxis in die

sozialwissenschaftliche Analyse integriert werden kann, entsteht dadurch, dass der

Habitus das Innere und das Äußere gleichermaßen durchdringt und eine scharfe

Trennung erst einmal sinnlos erscheinen lässt (vgl. Lenger et. al 2013, S. 22). In diesem

Fall hier aber ist der Fokus auf eine innere 'Habitusformierung‘ (Bourdieu 1987. [1980], S.

122; vgl. auch Lenger / Schneickert 2009, S. 285, zit. n. Lenger et. al 2013, S. 23) gelegt

und damit auf das Habituskonzept als „theoretische Hilfskonstruktion“ (Barlösius 2006, S.

58 zit. n. Lenger et. al 2013, S. 23) ausreichend.

Der Habitus, und damit das praktische Wissen des Lehrers, produziert also die Denk-,

Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die das praxistheoretische Vokabular des

inkorporierten Wissens der Lehrkraft bilden. Festzuhalten ist dabei, dass

wundersamerweise dieses deutlich kohärenter und eleganter auf die Realität eingestellt

ist, als man von einem mechanischen, unbewussten Regelwerk unspezifizierter und nicht

verbalisierter Regeln vermuten lassen würde (vgl. Bourdieu 1987 [1980], S. 101 zit. n.

Lenger et. al 2013, S. 23).

Ein qualitatives Regelwerk für eine Interaktionsordnung zwischen

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Lehrkraft und Schüler*innen im Klassenraum

Ein Regelwerk aufzustellen, um die Entwicklung eines geeigneten Lehrerhabitus in der

Lehrkraft bewusst zu erzeugen und gezielt zu steuern, scheint schwierig, wenn der

Habitus als „geregelte Improvisation“ oder als „konditionierte und bedingte

Freiheit“ (Bordieu 1987 [1980], S. 103 & S. 106; vgl. auch Lenger et. al 2013 ,S. 20)

definiert wird. In dieser Freiheit und Ungeregeltheit liegt ja auch die Fähigkeit der Lehrkraft,

beziehungsweise eines jeglichen sozialen Akteurs, in unterschiedlichen Situationen

flexibel und vor allen Dingen schnell zu handeln und durch die Gewährleistung der

eigenen Kohärenz, auch die Kohärenz als Lehrkraft in der Schulpraxis sicherstellen zu

können (vgl. Lenger et. al 2013, S. 20). Aber hierin liegt auch die Herausforderung, dass

kann man den Habitus vom Individuum nicht vom Habitus der Lehrkraft und damit von der

sozialen Praxis unterscheiden kann.

Die Erkenntnis und die theoretische Erklärung der Reproduktion von Subjektivität in

sozialen Praktiken ist an und für sich erst einmal positiv. Das Wissen darum ermöglicht

letztendlich auch erst den Umgang damit. Eine im Gegensatz zu dieser

konstruktivistischer Perspektive funktionalistische Sicht auf Bildung, Erziehung und die

Schulpraxis würde nicht nur die Perspektive auf die Mikroebene außer acht lassen (vgl.

Höhne, 2013, S. 278), sondern auch in der Form die Makroebene ignorieren, die der

eigentliche Ort der gesellschaftlichen Reproduktion des Habitus ist. Auf der Makroebene

werden die unterschiedlichen Felder, Kapitalkonfigurationen und soziale Räume

konzeptionell verknüpft, die den spezifischen Habitus hervorbringen. Der Habitus stellt

sich so als ein komplexer relationaler Begriff dar, der für eine initiale Betrachtung weiter

eingegrenzt werden sollte.

Auf die gesellschaftliche Reproduktion des Habitus soll hier aber nicht eingegangen

werden, auch wenn dies starken Einfluss auf den individuellen Habitus der Lehrkraft hat.

Die begrenzte Betrachtung des Klassenraums und der darin angenommenen

pädagogisch-didaktischen Praktiken erlaubt es sich auf das lokal begrenzte Feld des

Unterrichtsraumes zu konzentrieren und die Rekonstruktion der vorgefundenen Praxis auf

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die situierte Interaktion zwischen Schüler*innen und Lehrkraft zu beschränken (vgl. Kelle,

2011, S. 228) Aus dieser Verbindung ethnografischer Methoden und praxis-theoretischer

Konzepte der Sozialwissenschaften kann sich nun eine Interaktionsordnung

herauskristallisieren, die den institutionellen Aufgaben und Zielen der Organisation Schule

entspricht und den Bedürfnissen und Rechten der Schüler*innen auf Bildung und soziale

Teilhabe gerecht wird.

Es wäre eine naheliegenden Schlußfolgerung diese sozialen Interaktionen im

Unbewussten zu belassen, da sie anscheinend auch nur so funktionieren, aber sie nicht

zu rationalisieren und sichtbar zu machen, wäre in diesem Fall aber nicht befriedigend.

Das würde nämlich bedeuten, die soziale Praxis nicht nur dem Zugriff der

wissenschaftlichen Beobachtung, sondern auch dem Zugriff der Akteure, insbesondere

der Lehrkräfte zu entziehen. Die Bewusstmachung ist letztendlich die einzige Möglichkeit

einen Lehrerhabitus aktiv zu entwickeln und ihn im positiven Sinne für die Schulpraxis im

Klassenraum nutzbar zu machen. Die Alternative wäre nach Bordieu, dass “Individuen

eher vom Habitus besessen sind, als dass sie ihn besitzen” (Bourdieu 1976 [1972], S.

209 zit n. Lenger et. al 2013 ,S. 22). Natürlich kann die Lehrkraft dem Habitus insoweit

nicht habhaft werden, als dass er der Lehrkraft nur als Organisationsprinzip im Verhalten

selbst erscheinen kann. Aber eine reflektierter Umgang erlaubt eine Selbsterkenntnis

hinsichtlich der an den Tag gelegten Haltungen (vgl. Bourdieu, 1987 [1980], S. 120; vgl.

auch Lenger et. al 2013, S. 22). Sich als Subjekt zu objektivieren und sich der

Unmöglichkeit der Erzeugung eines produktiven Habitus für das pädagogisch-didaktische

Feld zu stellen, scheint absurd, aber es geht gerade darum den Gegensatz von Subjekt

und Objekt aufzulösen, genauso wie den Gegensatz zwischen Individualität und

Kollektivität. Es kommt einer Kränkung des Egos gleich, sich vom scheinbaren

„Rechtsanspruch des schöpferischen Individuums“ (Bourdieu, 1970, S. 132) zu befreien,

aber würde das die Lehrkraft nicht tun, würde sie sich der Möglichkeit berauben „im

Zentrum des Individuellen selber Kollektives zu entdecken“ (ebd. S. 132; vgl. auch Höhne,

2013, S. 261).

Ein Lehrerhabitus, der in der Lage ist auf die zur Verfügung stehende Ressourcen aus

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Fachwissen, Psychologie, Didaktik und Pädagogik zugreifen zu können, ist das

gemeinsame Ziel, auf welches sich die gesamte Institution Schule einigen kann. Die

Lehrkraft soll in die Lage versetzt werden zwischen dem Individuellem und dem Sozialen

zu vermitteln und eine strukturelle Verknüpfung beider Dimensionen zu ermöglichen (vgl.

Höhne, 2013, S. 261). Der Habitus sollte im positiven Sinne diese Zwänge als „zur

zweiten Natur gewordene, in motorischen Schemata und körperlichen Automatismen

verwandelte gesellschaftliche Notwendigkeit“ (Bourdieu, 1982 [1979], S. 739; vgl. auch

Lenger et. al 2013, S. 23) aufnehmen. Dementsprechend muss die Lehrerbildung die

Lehrkraft in die Lage versetzen durch gegebene Konditionierungsprozesse das

gewünschte Verhältnis zum sozialen Feld des Klassenraums und der sozialen Praxis des

Unterrichts dauerhaft und allgemein einzuverleiben und ihr damit das benötigte soziale

Profil zu verleihen, welches die Lehrkraft für die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe im

Klassenraum benötigt (ebd. S. 739; vgl. auch Lenger et. al 2013, S. 23).

Der Lehrkraft dieses Dispositionssystem zur Verfügung zu stellen, ist natürlich leichter

gesagt als getan. Auf viele Aspekte, die es in der Habitustransformation zu beachten gilt,

kann hier gar nicht im Detail eingegangen werden. Festzuhalten bleibt aber, dass es der

Habitus ist, der die Prozesse der Verinnerlichung der sozialen Praxis repräsentiert (vgl.

Lenger et. al 2013, S. 23)

Und auch wenn diese Ordnungsleistung basal und häufig vor- oder unbewusst verläuft, so

gibt es bestimmte Ansätze, über welche eine konstruktive Habitustransformation hin zu

einem erfolgreichen Lehrerhabitus verlaufen kann. Dabei gilt es in jeglicher Hinsicht, aber

wie schon geschrieben, insbesondere in der Interaktionsordnung zwischen Schüler*innen

und Lehrern darum, eine kollektiv geteilte Wissensordnung über das gemeinsame Feld

und den Inhalt dieses Feldes zu gewinnen, gemeinsame Symbolsysteme, kulturelle

Codes und Sinnhorizonte zu etablieren, die für alle Akteure realistisch und relevant sind

und die in der Kollektivität dieser sinnhaften Ordnungen und ihrer symbolischen

Organisation der Wirklichkeit Widerhall finden. Dabei muss man es nicht komplizierter

machen als es ist. Letztendlich geht dem Können in der sozialen Praxis des

Klassenraums die Schaffung einer angemessenen Kultur voraus, die die Lebenswelt der

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Schüler*innen und die Institution Schule mit symbolisch-sinnhaften Regeln verknüpft (vgl.

Reckwitz, 2003, S. 288).

Die Organisation des Unterrichts in der pädagogischen Institution der


Schule im Spannungsfeld von Autonomie und Individualität

Um konkreter zu werden, müssen die zuvor getätigten Betrachtungen in der Schule als
Organisation beziehungsweise als pädagogische Institution verortet und mit den Praktiken
des Unterrichts verbunden werden. Daraus können dann konkrete Anforderungen und
Ziele des Bildungsbereich an die Lehrkraft herausgearbeitet werden.

Zuallererst muss die Schule aber von anderen Organisationen unterschieden und damit
auf die Besonderheiten dieser Organisation eingegangen werden. Pädagogische Prozess
sind nur begrenzt technologisierbar und auch kontrollierbar. Es existiert nur wenig Wissen
darüber welche Vorgehensweise mit Sicherheit Erfolg bietet, und gleichzeitig,
beziehungsweise eng damit verbunden ist es schwer das erfolgreiche oder -lose Handeln
der Lehrkraft objektiv und quantitativ zu erfassen. Das unterstreicht natürlich die
Autonomie der Lehrkraft, aber erschwert gleichzeitig das Handeln da pädagogische Zielen
dadurch grundsätzlich unbegrenzt, widersprüchlich und reflexiv zugleich sind. Das erklärt
natürlich auch den professionellen Berufszuschnitt, der diesen speziellen Anforderungen
gerecht werden soll. Die damit implizierte Annahme von einer außergewöhnlichen
Professionalität von Lehrkräften an Schulen und Pädagog*innen, die über hinreichend
Wissen verfügen, durch Lehrprozesse optimale Lerngewinne zu ermöglichen versperrt
aber weiterhin den direkten Zugang zu diesem Wissen (vgl. Merkens, 2006, S. 23).

Diffuser und schwerer zu greifen wird es dadurch, dass sich der Bogen noch weiter

spannen lässt und Schule als pädagogische Institution mit dem Anspruch konfrontiert ist

„die allgemeine Bildung der Vielen“ (ebd. S. 29) zu bieten. Außerdem sollen pädagogische

und zielgerichtete Handlungen (ebd. S. 77) mit einer zur Eigentätigkeit der Lernenden

anregend gestaltete Lernumwelt (ebd. S. 66) einhergehen. Andererseits wird die Schule

als „eine Insel institutionalisierter Bildung im Meer anderer – institutionalisierter und

informeller – Formen der Bildung und des Lernens“ (Alkemeyer und Brümmer, 2019, S. 12)

beschrieben. Schule beinhaltet eine eigenen Schuldidaktik, innerschulische

Leistungsmaßstäbe, aber auch pädagogisch-didaktische Diskurse, Lehrpläne,

Raumordnungen sowie eigene Gerüche und Geräusche (ebd. S. 12).

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Grundsätzlich werden in Institutionen Rollen definiert, welche die Handlungsmöglichkeiten

des Individuums und damit auch der Lehrkraft einschränken (Merkens, 2009, S. 31).

Diese Spannung tritt zu Tage wenn die Regeln des Handelns in Institutionen „gegenüber

den Besonderheiten der einzelnen Situationen, in denen gehandelt wird, als fremd und

„im Rücken wirkend“ (Herv. i. O.) empfunden” (Merkens, 2009, S. 37) werden. Das schafft

Distanz und ist in Bezug auf konkrete pädagogische Anliegen hinderlich (ebd. S. 37) .

Mit dieser fast widersprüchlichen Zieldefinition, in der stärker als in anderen

Organisationen der Widerspruch eines institutionalisierten Prozesses zum einen und

eines autonomen Handlungsspielraums der personellen Akteure zum anderen, zu Tage

tritt, muss die Schulpraxis in ihrer direkten Interaktion zwischen Schüler*innen und

Lehrkraft analysiert werden. Laut Terhart (1995) beschreibt das Unterrichten wie folgt:

[Einen] Vorgang [...], in dessen Verlauf von Seiten der Unterrichtenden aus der
Versuch unternommen wird, eine Erweiterung des gegebenen Wissens-, Kenntnis-
und Erkenntnisstandes auf Seiten des bzw. der Unterrichteten hervorzurufen. Damit
dieser Vorgang zustande kommt, ist also zumindest das Vorhandensein einer
unterrichtenden und einer unterrichteten Seite notwendig. (S. 133)

Funktionalistisch gesehen handelt es sich beim Unterrichten also um eine professionell2

ausgeübte Tätigkeit mit Zuordnung von spezifischem und erlernbarem Wissen und

bestimmten Fähigkeiten (vgl. Merkens, 2006, S. 56). Damit ist aber weder die

pädagogische Absicht noch die institutionelle Rahmung berücksichtigt (vgl. Terhart, 1995,

S. 134). Auch haben wir es hier mit einer spezifischen sozialen Ordnung zu tun, in

welcher sich in interaktiv vollzogenen Unterrichtspraktiken, sich Umgebung und Praxis

verbinden und deren Subjekte sich selbst darstellen und produzieren (vgl. Alkemeyer und

Brümmer, 2019, S. 12).

Es gibt Ansätze diese individuelle, subjektive Interaktionsordnung zu regulieren. So

„stützen sich die tradierte räumliche Ordnung des Klassenzimmers und die Versuche des

Lehrers […], über Auftreten, Haltung und Gestik eine unmittelbar-sinnlich wirkende

Autorität aufzubauen, gegenseitig“ (ebd. S. 12). Das schulische Mobiliar ist ein

sogenanntes „Angebot [...] der Institution (ebd. S. 12), damit die Lehrkraft auf einer

bestimmten Entfernung den Schüler*innen, eine bestimmte Haltung, stehend oder sitzend,

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einnehmen kann. Dabei sind die Ordnungen des Unterrichts derartig komplex und

variabel, dass die Erstellung von Richtlinien nur für wenige Situationen möglich erscheint

(vgl. Pille, 2013, S. 116). „Zum einen unterscheiden sich die Situationen so nuanciert,

dass Differenzen zumeist kaum benannt werden können. Zum anderen ist die

Wahrnehmung des Geschehens nicht nur höchst subjektiv, sondern darüber hinaus

augenscheinlich tagesform- und stimmungsabhängig“ (ebd. S. 116). Zwar kristallisiert sich

ein Wissen, Können und Handeln der Lehrkraft heraus, doch ist es so allumfänglich und

facettenreich, dass eine klare Definition des Lehrerhabitus schwer erscheint.

Unterschiede im Können, Handeln und Wissen der Lehrkräfte von


Experten und Novizen

Um den Lehrerhabitus als Verkörperung und Ausdruck eines praktischen Wissens aus der

Schulpraxis abzuleiten, kann die Perspektive auf den Experten und den Novizen in

diesem Feld hilfreich sein. Denn die Differenzen zwischen diesen beiden stellen genau

dieses Wissen, Können und Handeln dar, dass für den Lehrerhabitus grundlegend ist.

Wichtig ist, wie sich der Prozess der ‘Inkorporierung von Körperlichkeiten’ bei Novizen

entwickelt.

Der Begriff des 'Experten' bezeichnet Personen, die berufliche Aufgaben bewältigen

müssen, für welche eine lange Ausbildung und praktische Erfahrung benötigt wird, um

diese Aufgaben erfolgreich lösen zu können (vgl. Bromme, 2014, S. 7f.). Im Bezug auf die

Lehrkraft, wird der Begriff des 'Experten' doppeldeutig verwendet (ebd. S. 8). Einerseits

hebt der Begriff den Unterschied zum Laien und Anfänger hervor, andererseits bezeichnet

er das besondere Wissen und Können, das Experten von anderen, ebenso

berufserfahrenen Mitgliedern derselben Berufsgruppe unterscheidet (ebd. S. 8). In

Studien wird auf einen unmittelbaren Vergleich zwischen Novize und Experte verzichtet,

sondern verstärkt getrennt beschrieben, wie sich der Umgang der beiden Gruppen mit

den für sie unterschiedlichen Anforderungen darstellt (ebd. S. 8).

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Professionelles Wissen besteht aus theoretischen Elementen (wie z.B. das Arrangement

der Unterrichtsform und der Sitzordnung, um besondere Ziele erreichen zu können), aus

Faustregeln und praktischen Erfahrungen (ebd. S. 9f.). Es umfasst neben bewusst

angeeigneten Fakten, Regeln und Theorien auch Erfahrungen und Einstellungen

(Wertevorstellungen) der Lehrkraft (ebd. S. 10).

Bromme (2014) erläutert den Ansatz „Lehrer als Experte“ wie folgt:

Da offensichtlich eine Anzahl von Lehrern die relativ schwierigen und komplexen
Aufgaben des Unterrichts erfolgreich bewältigen, ist anzunehmen, daß diese Lehrer
über einen Bestand an professionellem Wissen verfügen, der für die
Aufgabenbewältigung gebraucht wird. Das Wissen liegt der Wahrnehmung, dem
Denken und auch dem Handeln zugrunde bzw. begleitet das Handeln. Das Wissen ist
zugleich durch diese Aufgabe inhaltlich und strukturell beeinflußt. (S. 10)

Was als professionelles Wissen des Experten bezeichnet werden kann, bleibt damit

erstmal unklar. In der Forschung darüber wird bei Experten eine „andere

Vorgehensweisen im Unterricht, die auf anderes inhaltliches Wissen über geeignete

Unterrichtsorganisation zurückzuführen sind“(ebd. S. 70) beobachtet. Interessant ist, dass

im Bereich des fachbezogenen curricularem Wissen auch Experten signifikante Lücken

zeigen (ebd. S. 70), so dass dieses Wissen als kennzeichnend für den Experten

ausgeschlossen werden kann. Das persönliche Können einer Lehrkraft wird vielmehr in

der Fähigkeit gesehen den Unterricht in besonderer Form zu gestalten. Es ist die

Flüssigkeit des Unterrichts, die die Qualität des Wissens über Darstellungs- und

Erarbeitungsweisen oder Unterrichtsmethoden (ebd. S. 70) veranschaulicht. Gut an

Erkenntnisse und Verhaltensweisen der Lernenden angepasst, folgt diese Art des

Unterrichts parallel dazu der „jeweiligen sachlich erforderlichen Logik des Inhaltes“ (ebd.

S. 70). 'Wissen' lässt sich in prozedurales und deklaratives Wissen unterteilen, wobei

Können auf prozedurales Wissen zurückzuführen ist (ebd. S. 70). Das Können wiederum

zeigt sich in der persönlichen Verfügbarkeit von individuellem routinierten Handeln (ebd. S.

70).

Das prozedurale Lehrerwissen organisiert sich in “Schemata und Skripts” (ebd. S. 71),

welche im Tun zu aktuellen Handlungsplänen zusammengebracht werden. Diese sind im

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schulischen Kontext überaus ungewiss und undurchschaubar, Spielregeln in der

Organisation Schule meist nur implizit, ohne exakte Kodifizierung, vorhanden (vgl. Pille,

2013, S. 116f.). Dementsprechend ist die hier auch immer wieder gestellte Frage, „welche

Wissensformen Lehrer zur Bewältigung der komplexen Aufgaben im Unterricht eigentlich

benötigen“ (ebd. S. 117), äußerst legitim. Die Logik der Praxis im Unterricht bleibt

unscharf.

So fällt es auch Lehrkräften schwer dieses Können genauer zu definieren. In einer Studie

zum Beispiel begründeten erfahrene Lehrkräfte die erfolgreichen

Handlungsentscheidungen mit einer „ausgereiften Lehrerpersönlichkeit“ (ebd. S. 117).

Auch der Begriff der 'Lehrerpersönlichkeit' bleibt sowohl ungreifbar und schwer allgemein

zu beschreiben (ebd. S. 117). Man müsse halt ein „Händchen für diesen Beruf“ (Bromme

und Haag, 2004, S. 777 zit. n. Pille, 2013, S. 117) mitbringen. Am besten lässt sich die

Lehrerpersönlichkeit beschreiben als „ein Ensemble von Eigenschaften, die erstens

zentral für eine erfolgreiche Berufsausbildung sind, sich zweitens nicht trennscharf

umreißen lassen und drittens den Charakter des Nicht-Erlernbaren tragen” (Bromme und

Haag, 2004, S. 777 zit n. Pille, 2013, S. 118). Für die die vielseitigen Herausforderungen

in der Schulpraxis ist also eine ausgesprochene Lehrerpersönlichkeit nötig, was diese

aber konkret konstituiert, bleibt unklar (ebd. S. 118).

Novizen hingegen scheinen vor unüberwindbaren Herausforderungen zu stehen. In

derselben Studie forderten die Mentor*innen, dass man „ein Gespür“ (ebd. S. 118) für die

Schüler*innen und die Lernphasen der einzelnen Lernenden entwickeln müsse.

Unmöglich lässt sich aber bisher ableiten, wie ein solches Gespür erworben werden kann

(ebd. S. 118). Konkrete Verhaltensanweisungen werden können nicht gegeben werden,

es sei vielmehr „ein Gefühl für die Situation” notwendig, beziehungsweise die Fähigkeit

“langfristig eine authentische Lehrerpersönlichkeit auszubilden“ (ebd. S. 118). Man kann

also festhalten: „Es scheint sich um eine spezifische Könnerschaft zu handeln, die sich

nicht ohne Probleme verbalisieren lässt“ (ebd. S. 118). Dabei gibt es so viele Aspekte im

Klassenraum, die Novizen berücksichtigen müssen. Sie sollten neben dem

Kleidungsstil „die Art und Geschwindigkeit ihres Gangs reflektieren, die Lautstärke ihrer

Stimme regulieren und werden plötzlich vor die Frage gestellt, wie man sich eigentlich

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möglichst angemessen auf eine Stuhl setzt“ (ebd. S. 110). Die entscheidende Aufgabe der

Novizen liegt also darin, die etablierten Abläufe, Rituale und Zeichen zu erkennen und

einzuordnen, die zwischen etablierten Lehrkräften und Schüler*innen bereits vereinbart

wurden (ebd. S. 110). Das fordert von angehenden Lehrkräften „die eigenen

Gewohnheiten den in diesem Klassenraum ebenso wie in den Körpern der Etablierten

verankerten Ordnungen anzupassen“ (ebd. S. 110). Im Grunde findet in diesem Moment

eine Umkehrung der Schüler*in – Lehrer*inrolle statt (ebd. S. 110). Es sind die Lernenden,

die „intime Kenner“ (Pille, 2013, S. 147 zit. n. Alkemeyer und Brümmer, 2019, S. 15) sind

und die den Novizen durch explizite Adressierungen oder durch Mimik und Gestik oder

beiläufige Bemerkungen zeigen, wie der Unterricht zu führen ist (vgl. Alkemeyer und

Brümmer, 2019, S. 15). Die Novizen lernen mit der Zeit sich in den „derart performativ als

normal ‚ausgeflaggten‘ (Herv. i. O.) Regeln des Schulunterrichts zu orientieren, ihr

Auftreten am Maßstab der normativen Erwartungen auszurichten und ihr Tun

gegebenenfalls so zu korrigieren, dass es die Grenzen des Normalbereichs nicht

verletzt“ (ebd. S. 15). Selbstverständlich gibt es auch für die Lehrkraft einen gewissen

Handlungsspielraum, etablierte Unterrichtsordnungen „in einem gewissen, permanent

auszuhandelnden Rahmen eigensinnig zu bespielen anstatt sie schlicht zu

reproduzieren“ (ebd. S. 15). Das ist aber nur insofern möglich, wenn „ihre Performanzen

dem üblichen Lehrerhabitus entsprechen“ (ebd. S. 15).

Fazit

Auf der Suche nach den für den Lehrerhabitus normativen und wesentlichen Parametern

dreht man sich im Kreis. Anstatt ein Wissen zu definieren, auf deren Basis das benötigte

Können formuliert wird, welches zu einem konkreten Handeln führt, muss man feststellen,

dass der Lehrerhabitus begrifflich und in der Schulpraxis schwer zu fassen ist. Dabei

sollte die Analyse des “Lehrerhabitus” nur der Anfang einer viel weiter angelegten Arbeit

werden, in der letztendlich eine Schulpraxis entwickelt wird, in der Schüler*innen für den

Wissen- und Kompetenzerwerb in fachlich und sozialer Art bestmöglich befähigt werden.

Dementsprechend ist es sogar müßig über den Lehrerhabitus nachzudenken.

Ergiebiger scheint es sich den Schüler*innen zuzuwenden und zu verstehen, welche

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Schulpraxis die in jedem Klassenraum schlummernden Potentiale am effektivsten und

effizientesten aktivieren kann. Andererseits mag diese Erkenntnis bereits der erste Schritt

dahin sein, die benötigten Denk- , Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen

nachzuzeichnen, welche die Lehrkraft verinnerlichen muss, um ihrer Rolle gerecht zu

werden.

Was ebenfalls Hoffnung macht ist, dass diese Betrachtung doch einen richtigen Schritt auf

dem richtigen Weg an das richtige Ziel darstellt. Es zeigt, dass jegliche institutionelle

Analyse der Organisation Schule, die nicht in der Lage ist die einzigartigen

Besonderheiten der spezifischen Schulpraxis eines Klassenraums mit in Betracht zu

ziehen, keine valide Aussage über das hier umrissene Forschungsfeld machen kann. Die

soziale und individuelle Realität eines jeden Akteurs beeinflusst die Schulpraxis im

Klassenraum unweigerlich viel mehr, als es institutionale Richtlinien oder vorgegebene

Handlungsskripte in der Lage sind zu tun. Der Lehrerhabitus kann unmöglich von der

spezifischen Klassenlage unabhängig gemacht werden und wird auch durch die ganz

individuellen Verhaltensmuster, die die Lehrkraft im Laufe ihres Lebens übernommen hat,

beeinflusst. Wenn die Lehrkraft also ihrer Rolle gerecht werden will und einen korrekten,

dienlichen und seiner Rolle förderlichen Lehrerhabitus entwickeln möchte, dann sollte sie

mit der Beziehung zu den Schüler*innen anfangen.

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Eidesstattliche Erklärung

„Ich erkläre ausdrücklich, dass es sich bei der von mir eingereichten schriftlichen Arbeit
mit dem Titel „Soziologisch-konstruktivistische Perspektive auf den Lehrerhabitus in der
Schulpraxis des Klassenraums“ um eine von mir erstmalig, selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasste Arbeit handelt. Ich erkläre ausdrücklich, dass ich sämtliche in der
oben genannten Arbeit verwendeten fremden Quellen, auch aus dem Internet
(einschließlich Tabellen, Grafiken u. ä.) als solche kenntlich gemacht habe. Insbesondere
bestätige ich, dass ich ausnahmslos sowohl bei wörtlich übernommenen Aussagen bzw.
unverändert übernommenen Tabellen, Grafiken u. ä. (Zitaten) als auch bei in eigenen
Worten wiedergegebenen Aussagen bzw. von mit abgewandelten Tabellen, Grafiken u. ä.
andere Autorinnen und Autoren (Paraphrasen) die Quelle angegeben habe. Mir ist
bewusst, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Selbstständigkeit als Täuschung
betrachtet und entsprechend der Prüfungsordnung und/oder der Fächerübergreifenden
Satzung zur Regelung und Prüfung der Humboldt-Universität (ZSP-HU) geahndet
werden.”

Datum: 31.03.2022

Unterschrift: Unterschrift:

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