Für das von den Indern so genannten „Dunkle Zeitalter“, das kali yuga, in dem wir uns seit geraumer
Zeit befinden und noch eine lange Zeit befinden werden, wurde geweissagt, dass es viele falsche
Propheten geben werde und viele falsche HeilerInnen und LehrerInnen sich selbst als wahrhaftig und
echt anpreisen würden. Auch unter den Methoden und Theorien beziehungsweise „Lehren“ dieses
Zeitalters sollten viele zu finden sein, die aus dem Verstand einzelner Personen formuliert werden
würden, anstatt – wie die wahre Überlieferung – aus dem Ewigen Einen zu stammen. Diesen Umstand
haben wir wohl alle schon bemerkt.
Als ich begann, mich mit Bewusstseinszuständen „jenseits der Schwelle“ jenes Zustandes, in dem sich
Normalsterbliche täglich befinden (nämlich des Alltagstrans) zu beschäftigen, lag das daran, dass ich
selbst von solch merkwürdigen Phänomenen heimgesucht wurde, dass mir gar keine andere Wahl
blieb, als diese zu erforschen, wenn ich nicht mein Leben gänzlich unbewusst leben wollte. Natürlich
begaben sich daraufhin die Normalsterblichen, allen voran meine damaligen Freunde, Nachbarn, ja
sogar die PsychologieprofessorInnen an der Uni, in den Zustand von distanzierten „Beobachtern“, in
dem sie zwischen Angst und Verurteilung hin und her schwankten. Auch diese Art von Erfahrung dürfte
den meisten von uns bekannt sein.
Im Aufbruch der späten 1970er und frühen 1980er Jahre nannte man alle Themen, die sich nicht in
normalsterbliche Kategorien einordnen ließen, „esoterisch“. Dafür gab es auch eine wunderbare
Erklärung – ich habe sie in meinem ersten veröffentlichten Buch „In die Tiefe wachsen“, das 1991 im
Hermann Bauer Verlag in Freiburg erschien, auf seriöse Weise darzustellen versucht.
Der Begriff „Esoterik“ leitet sich ab aus dem griechischen Wort „esoteros“, was soviel heißt wie
„der innere (Kreis)“. Gemeint war in alter Zeit ein Kreis von Eingeweihten, die sich dem
Mysterium der Wahrheit verpflichtet hatten.
Schon in alten babylonisch-sumerischen Texten, die vom Hervorgehen der Welt aus dem ‚nisch’
(Name, Logos) des Himmels und der Erde, aus dem reinen Geist, sprechen, heißt es: „Das weiß der
Wissende, der Wissende teilt es dem Wissenden mit; der Nicht-Wissende soll es nicht erfahren, denn
es ist das Geheimnis des Himmels und der Erde.“ Dieses Mysterium wird auch genannt „das Geheimnis
des Oberen und des Unteren“, weil alles irdische Sein und Geschehen seine Entsprechung im
himmlischen Sein und Geschehen hat.
Der esoterische Sprachgebrauch machte aus diesem hermetischen Gesetz die Kurzaussage: „Wie oben,
so unten.“ Das Gesetz nenne ich ‚hermetisch’, weil es erstmals überliefert wurde als Aussage des
großen ägyptischen Priesters und Eingeweihten Hermes Trismegistos, des Dreimalgroßen. Von ihm
stammen auch die Zitate.
Weil die Kurzaussage „wie oben, so unten“ zum Motto des New Age wurde, waren New Age und
Esoterik bald in einem Topf. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die einstige wirkliche Bedeutung von
„Esoterik“ weder begriffen noch ihr Motto verinnerlicht worden war.
Das New Age war ursprünglich aus einer Aufbruchstimmung heraus entstanden – der Begriff
wurde zum Kennzeichen einer Bewegung, in der alte Strukturen und verstaubte Konzepte vor
allem in Psychologie und Pädagogik „losgelassen“ wurden. Dann wandte man sich jenseitigen
Erfahrungen zu. In ernsthafter Absicht geschah das jedoch nur von wenigen mutigen Menschen
– die meisten anderen erwiesen sich nach kurzer Zeit als begeisterte Mitläufer, die einfach ihre
alten Ideen durch neue ersetzten. So wurde das New Age zum Zuhause der Mentalphantasten.
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© by: Shunyata Mahat: Esoterisch oder spirituell? - Wie Begriffe sich (uns) verändern | April 2009
Man spielte damit und mit seiner Gleichsetzung mit der ursprünglichen Esoterik und dieses Spiel wurde
immer oberflächlicher. Letzten Endes diente es nur noch dem Verstand, der sich auf alles einen Reim
machen und über alles Nächte lang philosophieren konnte. Dieser Verstand hielt sich gleichzeitig in
arroganter Weise für wissend.
Aber das Reimen und Philosophieren entbehrte einiger wichtiger, wenn nicht DER wichtigsten
Bedingungen, um noch wahrhaft und im hermetischen Sinn esoterisch zu sein:
• es ließ sich nicht erfahren,
• es hatte den Bezug zur Tiefe verloren
• und es zeigte keine Demut in dem Sinn, dass es das Geheimnis des Wesens und des Wesent-
lichen nicht achtete.
Damit war auch der Zugang zu seiner authentischen Wahrheit verbaut – und nun begann die
suggestive, manipulative, ‚positiv denkende’ Gemeinschaft des esoterischen New Age damit,
abweichend von der erleuchteten Perspektive des Trismegistos, der ein Eingeweihter war, ihr
oberflächliches, von rosaroten Jahresendfestflügelfiguren, klebrigen Besetzungsbildern und magisch-
manipulativen Besprechungsformeln bevölkertes Phantasieuniversum auszubreiten. Hier schien schon
allzu deutlich eine Grenze auf: die zwischen den Hinguckern und den Wegguckern – und bald schieden
sich beide voneinander.
Da die Weggucker in der Überzahl waren, erbten sie sozusagen den Begriff „esoterisch“. Jetzt wurde
dieses Wort nicht mehr nur für Normalsterbliche zum Schimpfwort, sondern es wurde auch für alle
Hingucker zum Zeichen dafür, dass man Vorsicht walten lassen musste, um nicht in ein Konzept
gezogen zu werden, das nicht der Wahrheit entspricht, sondern lediglich unangenehme oder
langweilige Lebenssituationen schön reden möchte. Auch das morphogenetische Feld der „Esoterik“
hat unter der Veroberflächlichung extrem gelitten – es ruft inzwischen sogar bei jenen aufgestellte
Nackenhaare hervor, die sich dem ursprünglichen Anliegen des Esoterischen tatsächlich nah und
verpflichtet fühlten.
Die Hingucker verpflichteten sich von hier aus einer Wahrheit, die sich jenseits von Phantastereien
auch dem „Alltag“ stellen wollte, der Schmerz, Projektion, Entbehrung und Selbstbetrug zu enthalten
schien. Sie benutzten daraufhin eher den Begriff „spirituell“ für ihre Lebenseinstellung und ihre Arbeit.
Der Begriff „spirituell“ beschreibt nicht so sehr einen Kreis von Ausgewählten, die sich vom
äußeren Kreis Unerwählter abgrenzen, sondern eher eine Ebene der Realisierung, die jenseits
der horizontalen Weltsicht des Materiellen und Psychischen (wobei hier emotionale und
mentale Ebenen umfasst sind) das Große Geheimnis ehrt und erfährt. Das schließt die Ahnung
ein, dass ein erster Schritt auf dem Boden der spirituellen Vertikalen eigentlich erst der Anfang
eines wahren Lebens ist, das sich der transpersonalen und unpersönlichen Wahrheit jenseits des
Egos verpflichtet – dem Selbst.
Mit der Zeit wurden dann die Worte „esoterisch“ und „spirituell“ immer öfter synonym benutzt –
jedoch habe ich dies meistens nur bei Menschen erlebt, die nicht wirklich spirituell waren (im Sinne
der oben gegebenen Definition), sondern sich für mich eher als „esoterisch“ erwiesen (im Sinne einer
veränderten Variante, die mit dem Ursprung der Esoterik nach Hermes nichts mehr zu tun hat). Die
Weggucker waren und sind keine schlechteren Menschen! Sie sollten auch von uns niemals verurteilt
werden, wenn sie lieber den Bildern der Hoffnung und den Projektionen von Wunschphantasien
folgen. Es ist so deutlich, dass das Weggucken in den meisten Fällen einer Konditionierung folgt, die
wir biologisch und psychologisch über Generationen immer weiter pflegten, und deren Ursache wir
karmisch aufgrund von großer spiritueller Verblendung schon vor vielen Zehntausenden von
Inkarnationen legten.
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Offenbar kam niemand darauf, dass die verblendete Art des Umgangs mit den alten Lehren vor allem
auf Angst basierte – dass es Angst war, die solches Handeln, solches Reimen und Philosophieren
motivierte. Nur die wenigsten stellten sich dieser Angst – und wurden spirituell. Viele aber gaben sich
mit blutleeren Theorien und verstiegenen Hoffnungen, die sie aus dem Motto „wie oben, so unten“
ableiteten, zufrieden – und blieben esoterisch. Die meisten aber waren einfach naiv-unwissend oder –
um es etwas positiver zu formulieren – sie waren „gutgläubig“. Sie übernahmen aufgrund einer
emotional-mentalen Faszination des Neuen Meinungen als Wahrheiten an und gaben sie ungeprüft
und unerforscht weiter.
Wie gefährlich das werden kann, das will ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: vor vielen Jahren
hatte ich eine Klientin, die sich bei mir in den ersten Grad des REIKI KU DO® einweihen ließ. Danach
ging es ihr unglaublich gut, sie fühlte sich klar und gesund. Zum zweiten Grad meldete sie sich jedoch
nicht an. Nach zirka einem halben Jahr bat sie mich um eine Einzelstunde. In dieser erzählte sie mir,
sie habe den Preis für den z weiten Grad gescheut und sich von einer sehr lieben Freundin überreden
lassen, bei dieser eine Einweihung in den zweiten Grad des („normalen“ Takata-) Reiki zu durchlaufen.
Das habe insgesamt nur die Hälfte gekostet. Aber kurz danach sei es ihr sehr schlecht gegangen. Eine
schwere psychische Krankheit, die seit einiger Zeit überwunden gewesen zu sein schien, war wieder
aufgetaucht und hatte sich schlimmer als jemals vorher manifestiert. Es handelte sich um eine Bulimia
nervosa, eine Ess-Brecht-Sucht.
Ich untersuchte die junge Frau und musste feststellen, dass durch das Darüberlegen des zweiten
(„normalen“!) Reiki-Grades über den ersten REIKI KU DO®-Grad ein völliges Abschneiden geschehen
war.1 Durch den ersten REIKI KU DO®-Grad – dort werden auch Hand- und Fuß-cakras sowie das Herz
eingeweiht – hatte sich ein Fluss, ein Lebendigsein, eine Verbundenheit bei der jungen Frau eingestellt,
die ihre unteren und oberen Körper- und Energiehälften miteinander verbunden hatte. Durch diese
Integration konnten alte Wunden zu heilen beginnen.
In der zweiten Einweihung im „normalen“ Reiki waren weder die Hand-, Fuß- und Herzeinweihungen
gegeben worden noch hatte die Frau das integrierende „Symbol“ des REIKI KU DO® erhalten. Schlimmer
noch: durch das Darüberlegen war die ursprüngliche Einweihung gelöscht gewesen – und die nicht
ganz „astreinen“ Rituale des inzwischen esoterisch gewordenen Takata-Reiki hatten die schon lange
vor dem Eintritt ins Reiki überwunden geglaubte Krankheit wieder aufleben lassen.
Die Einweiherin, die meine Klientin überredet hatte, hatte keinerlei böse Absichten gehabt. Sie wollte
einfach nur ausprobieren, wie sie sich als neue „Reiki-Meisterin“ machte und wollte ihrer Freundin ein
wenig Geld ersparen. Sie war von ihren „Reiki-Meistern“, die sich für große Esoteriker hielten, so
instruiert worden, wie diese es gelernt hatten. Wo war der Ursprung?
Es ist schwierig, herauszufinden, wer mit dem esoterischen Billig-Reiki einmal angefangen hatte.
Sicherlich hat Frau Takata einen nicht unerheblichen Anteil daran2, aber sie ist es nicht allein.
Wir alle sind es.
Als ich das „normale“ Reiki empfing, dauerte es nicht lange und ich wurde hochgradig misstrauisch.
Das ist eine lange Geschichte und sie ist bereits in meinem Buch erzählt worden. Letzten Endes führte
mich meine Wahrheitsliebe dazu, dass ich die Kraft des Reiki selbst erforschte – und ich fand heraus,
dass es um etwas ganz Anderes dabei ging als um das, was uns die esoterischen Weggucker erzählten.
Natürlich ist nicht jeder sofort in der Lage, eine so tiefgreifende Methode und Energie selbst zu
erforschen – aber dann gebietet es die Verantwortung dem Leben und der Wahrheit gegenüber, dass
wir sie nicht anrühren, dass wir sie vor allem nicht weitergeben und uns dabei vielleicht noch mächtig
oder als Wissende fühlen!
1 So etwas kann geschehen, weil eine fortgeschrittenere Ebene des Feinstofflichen immer eine darunterliegende über-
schreibt, selbst wenn die darunterliegende Ebene ein höher qualifizierteres Mittel angewendet hatte. Umgekehrt ist es aber
so, dass auf einer gleichen feinstofflichen Ebene immer das höher qualifiziertere Mittel das niedrigere überschreibt.
2 Siehe mein Buch „Der Feuer-Flug der Reiki-Schamanin“, Raben-Verlag-Göttingen 1999
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© by: Shunyata Mahat: Esoterisch oder spirituell? - Wie Begriffe sich (uns) verändern | April 2009
Die junge Frau mit der Essstörung musste schließlich noch den Preis bezahlen – und im Endeffekt zahlte
sie dann das 1½-Fache –, da sie den zweiten REIKI KU DO®-Grad bei mir nachmachte, um wieder in den
Zustand von Integration und Lebendigsein zu kommen – und weil sie erstmalig begriffen hatte, dass
eine unvergleichlich höhere Qualität mit großem Einsatz und hoher energetischer Qualifikation
derjenigen verbunden ist, die diese Arbeit weitergeben, und dass solche Qualität ihren Preis hat.
Nicht umsonst sagte Buddha zu seinen SchülerInnen, sie sollten ihm nicht einfach glauben, sondern ES
für sich selbst realisieren! Das gilt nicht nur für die letzte Realisierung, sondern natürlich für alle Inhalte
des Bewusstseins. Wenn wir nicht selbst realisieren, was wir weitergeben, sind wir nichts weiter als
Papageien. Vielleicht sogar eher Papageien-Imitate. Doch selbst esoterische Papageien-Imitate können
das Mysterium des Lebens nicht weitergeben und auch niemanden an es heranführen.
Inzwischen hat auch der Begriff „spirituell“ einiges erlitten. In meiner mehr als 25-jährigen Erfahrung
als Psychotherapeutin, schamanische Heilerin und spirituelle Lehrerin sind mir sehr viele Menschen
begegnet, die von sich den Eindruck hatten, dass sie „spirituell“ waren, weil sie von Engeln redeten
und das Motto „wie oben, so unten“ anwenden zu können glaubten. Sie beschäftigten sich vielleicht
mit Inhalten der New-Age-Ideologie dergestalt, dass sie das Persönliche verleugneten oder vernach-
lässigten. Doch wenn wir von uns behaupten, dass wir „vollkommen bedürfnislos“ seien, weil wir nun
„das Licht kennen“, wenn wir glauben, in dieser Gesellschaft nichts mehr verloren zu haben, weil sie
nicht „heilig“ genug sei, wenn wir uns für erleuchtet halten, weil wir ein „Lichtarbeiter-Wochenend-
seminar“ belegt haben und uns nun um unsere emotionalen Strukturen nicht mehr kümmern müssen,
dann haben wir die Schwelle noch nicht einmal berührt.
Wenn wir versuchen – vielleicht aus der schon erwähnten Angst heraus –, die Schwierigkeiten und
Konflikte des vermeintlichen Widerspruchs zwischen persönlich, überpersönlich und unpersönlich zu
übergehen, endet das oft in unglaubhaftem esoterischem Getue, das als spirituell bezeichnet wird,
verbunden mit der Verleugnung der inneren Bedürfnisse und äußeren Alltagsumstände.
Ein seriöser spiritueller Therapeut schreibt dazu: „Das New Age schmückt sich gewöhnlich mit einer
Mischung aus transpersonaler Phantasie und wirklicher Erfahrung und verführt Menschen zu glauben,
dass es darum ginge, kontinuierlich die Visionen des Transpersonalen im Alltag zu realisieren.“3
Wenn ich Menschen begegnet bin, die dieser Ideologie etwas abgewinnen konnten, war mein Eindruck
in ALLEN Fällen, dass sie eine Blutleere, eine Scheinheiligkeit und/oder eine starke Verarmung ihres
persönlichen Gefühlslebens aufwiesen. Sehr häufig machte es auf mich auch den Anschein, als wollte
man mit einer vermeintlich spirituellen Übung narzisstischen Bedürfnissen dienen, indem außer-
ordentliche Erfahrungen gemacht werden und dadurch die Phantasie entsteht, jemand „Besonderes“
zu sein. Es kommt sogar recht oft vor, dass spirituelle Übungen als Widerstand gegen oder Flucht vor
den Herausforderungen der eigenen Geschichte benutzt werden.
Die einzige ernsthafte Möglichkeit, ein spirituelles Leben zu führen, hat meiner Erfahrung nach
nichts mit Verleugnung oder „Überwindung“ zu tun. Sie besteht vielmehr in der mutigen
Bereitwilligkeit, ALLES, was unser Leben aufsteigen lässt, kompromisslos zu konfrontieren, zu
umarmen und DA SEIN zu lassen – was übrigens gleichbedeutend ist mit „Loslassen“.
Immer wieder höre ich das Konzept, ein spirituelles Leben bestehe darin, dass WIR unser „Ego
auflösen“ oder „daran arbeiten“ müssten – doch wer will so etwas tun? Wollen wir nicht nur etwas
„los sein“, was uns scheinbar an der Phantasie unseres Weges hindert? Dann benutzen wir dazu
esoterische Werkzeuge – wo doch Möhrenschälen genügen würde, um wahrhaftig zu leben.
Mir fällt die Geschichte eines vermeintlich spirituellen (an Wahrheit interessierten) „Satsang-Lehrers“
ein, den ich hier als den „Goldenen“ bezeichnen will. Ein Schüler kam zu ihm auf das Kissen und
berichtete davon, dass es ihm immer dann schlecht ginge, wenn er die Tür zu seinem Büro öffnete.
3 Vermutlich war es Ken Wilber, aber leider finde ich das Zitat nicht wieder.
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© by: Shunyata Mahat: Esoterisch oder spirituell? - Wie Begriffe sich (uns) verändern | April 2009
„Warum?“ wollte der Lehrer wissen. Er werde dann daran erinnert, dass er so vielen Menschen Geld
schulde und ihm das so viel Arbeit mache, das Geld aufzutreiben und es zurückzuzahlen.
Was war wohl die Antwort des „spirituellen Lehrers“? Man glaubt es kaum; er sagte: „Lass die Tür doch
zu!“ Und im weiteren Gespräch riet er dem Schüler allen Ernstes, das Geld eben nicht zurückzuzahlen.
Es sei ja doch alles nur Illusion. Er müsse jetzt lernen, „loszulassen“ und verstehen, dass es „nur eine
Geschichte“ sei, mit der er sich da von seiner Meditation abhalte. Dieser Lehrer hat in Deutschland
übrigens mehr als 2000 Anhänger.4 Ist ja auch praktisch, sein Vermeidungsverhalten als höhere
Wahrheit zu verkaufen.
Eine mir bekannte seriöse Heilpraktikerin besuchte einmal die Esoterik-Messe in Göttingen-Weende.
Sie hatte das Pech, dass ihr Stand sich genau neben dem eines esoterischen Heilers befand – nennen
wir ihn den „Weißen“. Dieser verdiente sein Geld auf originelle Weise: Er hatte ein 100 x 100 cm großes
Foto von sich auf eine Leinwand gespannt, die er für 1000,-- € vier Wochen lang vermietete. Das Bild
zeigte ihn im weißen Gewand, mit weißer Mütze und einer in gebender Geste ausgestreckten rechten
Hand, die Linke zum Himmel erhoben. Wer es vier Wochen bei sich in der Wohnung habe, so der
„Heiler“, es täglich ansehe und sich vor ihm verneige, verliere alle Krankheiten. Nach vier Wochen
müsse das Bild allerdings wieder zum „Aufladen“ zu ihm zurückgebracht werden. Ebenso praktisch: wir
müssen uns nur einmal täglich verneigen, dann brauchen wir uns nicht mehr mit unseren eigenen
Themen zu beschäftigen. Wie viele Dumme dieser Mann gefunden hat, mag ich gar nicht sagen.
Das, worauf „Esoterik“ im Sinne des Hermes einmal hinweisen wollte, hat sich lange überholt.
Wahre Eingeweihte schätzen das immerwährende Geheimnis, das unendliche Mysterium, aus
dem alles Leben stammt. Ihr Wissen ist tief und profund, aber sie stellen sich nicht allwissend
wie der „Goldene“ oder allherrlich und allheilend wie der „Weiße“ dar. Sie haben große
Entschlossenheit und ein offenes Herz, während sie voller Klarheit auf die Dinge sowohl des
„spirituellen“ wie auch des „alltäglichen“ Lebens schauen – in Wahrheit sehen sie das Spirituelle
in allem Alltäglichen – und dies ist auch eine der tieferen Bedeutungen des Mottos „wie oben, so
unten“. Wenn wir genau hinschauen, begreifen wir, dass ihr Handeln niemals persönlich ist,
sondern von einer unpersönlichen, tiefen Stille herrührt, eben aus dem Mysterium der
unendlichen, unkennbaren Wahrheit, die sie als ihr eigenes Selbst realisiert haben. Sie kennen
allerdings ihre Grenzen im „Alltag“ und agieren ihre Verstrickungen nicht aus. Daher können wir
nicht nur ihrer Wärme und Klarheit, sondern sogar ihrer Leidenschaft und ihrem Zorn vertrauen!
Der Begriff des „Esoterischen“ wurde nach meinem Gefühl zu häufig im falschen Kontext des New Age
gebraucht, als dass wir ihn für wirkliche Eingeweihte noch anwenden können. Wie ich oben schon
schrieb, ist er fast zum Schimpfwort geworden.
Aufgrund dieser Misere sind viele Menschen, denen eine authentische Selbsterforschung zum Lebens-
weg geworden ist, dazu übergegangen, den Begriff des „Spirituellen“ zu benutzen. Auch hierüber sind
natürlich mittlerweile viele falsche und missverständliche Konzepte unterwegs. Und wer weiß –
vielleicht ist er in 10 Jahren ebenso zum Schimpfwort geworden. Aber noch können wir das verhindern.
Begriffe sind nicht einfach „nur Worte“ – wie viele Esoteriker uns erzählen. Begriffe sind ein Teil
unseres menschlichen Bewusstseins. Persönliches Bewusstsein und Sprache haben sich zeitgleich
entwickelt – und jedes Mal, wenn menschliches Bewusstsein sich verändert oder ausdehnt, werden
neue Begriffe geprägt. Der Grund dafür liegt darin, dass Absolutes Bewusstsein und die Höchste
Sprache – die eigentlich reine Weisheit ist (auf Sanskrit heißt sie „parā“) – eins sind.
Wenn wir den Begriff, den wir benutzen, schützen möchten, dann tun wir das, weil wir das, was wir im
Bewusstsein damit verbinden, wertschätzen. Ein Begriff kann genauso ein morphogenetisches Feld
haben wie jede andere Kraft. Das morphogenetische Feld von „Spiritualität“ ist noch recht rein, aber
viel Unwissen, viele unbewusst bedürftige Narzissmustendenzen, viele Machtansprüche und
Manipulationsversuche greifen es an. Dagegen stehen allerdings heute Kräfte, die sich nicht mehr so
einfach rationalisieren lassen: die heilsame Präsenz des spirituellen Herzens der Erde – Arunācala –,
die tiefe Stille des Heiligen Śri Ramana Maharṣi vom Arunācala, die aufbrechende Kraft der Erde, die
sich – noch – in Katastrophen und Krisen zeigt, aber in sich die Tendenz zur Befreiung trägt, und all
jene LehrerInnen und MeisterInnen, die den Weg zur wahren Selbstergründung und Freiheit weisen –
der in unseren Spirituellen Herzen liegt.
In dem Moment, in dem ein Wesen WIRKLICH BEREIT ist, sich der (zunächst relativen und dann auch
der Absoluten) Wahrheit, die dieses Herz in sich birgt, entschlossen und konsequent zu stellen, hört
das Interesse für Esoterik oder New Age schlagartig auf. Dann gibt es keine Bindung mehr an das
Lustprinzip, das nur für „ich“, „mich“, „mein“ einsteht, sondern wir erarbeiten uns und erhalten nach
und nach eine Reife, die uns die Möglichkeit gibt, nicht mehr unsere Ängste und Schatten nach außen
zu projizieren, sondern ihnen im Inneren zu begegnen. Wir werden reif für eine Transformative Innere
Arbeit – jenseits von herkömmlicher Therapie, jenseits von esoterischen Konzepten. Wir werden reif
für uns Selbst.
Im Namen dieser Reife und Schönheit, die selbstverständlich jenseits von Begriffen ist, möchte ich
jedes Wesen darin unterstützen, sich selbst genau zu prüfen, ob DIE WAHRHEIT, die nur eine ist, in
unserem Leben einen angemessenen Ausdruck finden kann, ein reines Gefäß, ein klares Zuhause, das
uns lebendig und still zugleich macht.
Es war Yeshua von Judäa, der sagte, DIE WAHRHEIT werde uns frei machen. Diese Freiheit schließt ein
unbedingtes Glück ein, ein tiefes Einverstandensein mit dem Leben und seinen Facetten, und sie führt
in einen Einklang, der weiß und begreift, was jetzt und hier stimmig ist. Ob es sich dabei um
Esoterisches oder Exoterisches handelt, mag ununtersucht bleiben – denn was ist der Unterschied?
Aber ein solcher Einklang ist wahrhaftig spirituell - er ehrt das Mysterium des Lebens in allem Leben,
er ist dieses Leben. Und darum kennt er die Masken und blutleeren Imitate und weiß, was er nicht ist.
Shunyata Mahat
(Iti Śivaḥ)