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Programm

Programm der Partei DIE LINKE


Beschluss des Parteitages der Partei DIE LINKE vom
21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt, bestätigt durch einen
Mitgliederentscheid im Dezember 2011.
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Bertolt Brecht
Fragen eines lesenden Arbeiters
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon –
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.


Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.


Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.
So viele Fragen.

Werkausgabe Edition Suhrkamp, Frankfurt /Main 1967, Auflage 1990 – Bd. 9;


Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Barbara Brecht-Schall
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Inhalt
Präambel – dafür steht DIE LINKE ���������������� 4

1. Woher wir kommen,


wer wir sind �������������������������������������������������������������������� 9

2. Krisen des Kapitalismus –


Krisen der Zivilisation ��������������������������������������� 14

3. Demokratischer Sozialismus
im 21. Jahrhundert ������������������������������������������������ 27

4. Linke Reformprojekte –
Schritte gesellschaftlicher
Umgestaltung ������������������������������������������������������������ 34
4.1 Wie wollen wir leben?
Gute Arbeit, soziale Sicherheit
und Gerechtigkeit ���������������������������������������������������� 35
4.2 Wie wollen wir entscheiden?
Demokratisierung der Gesellschaft �������� 45
4.3 Wie wollen wir lernen
und forschen? Freier Zugang
zu Bildung und Wissen ���������������������������������������� 57
4.4 Wie erhalten wir
Natur und Gesellschaft?
Sozial-ökologischer Umbau ���������������������������� 60
4.5 Wie wollen wir die Europäische
Union grundlegend umgestalten?
Demokratie, Sozialstaatlichkeit,
Ökologie und Frieden �������������������������������������������� 66
4.6 Wie schaffen wir Frieden?
Abrüstung, kollektive Sicherheit
und gemeinsame Entwicklung �������������������� 69

5. Gemeinsam für einen


Politikwechsel und eine
bessere Gesellschaft ���������������������������������������� 72
4 Präambel – dafür steht DIE LINKE

Präambel – dafür steht DIE LINKE


DIE LINKE als sozialistische Partei Wo vor allem der Profit regiert, bleibt
steht für Alternativen, für eine bessere wenig Raum für Demokratie. Die unge-
Zukunft. Wir, demokratische Sozialistin- bändigte Freiheit der großen Konzerne
nen und Sozialisten, demokratische Linke bedeutet Unfreiheit für die Mehrheit
mit unterschiedlichen politischen Bio­- der Menschen.
grafien, weltanschaulichen und religiösen
Einflüssen, Frauen und Männer, Alte und Wir gehen aus von den Traditionen
Junge, Alteingesessene und Eingewan- der Demokratie und des Sozialismus,
derte, Menschen mit und ohne Behinde- der Kämpfe für Menschenrechte und
rungen, haben uns in einer neuen linken Emanzipation, gegen Faschismus und
Partei zusammengeschlossen. Wir halten Rassismus, Imperialismus und Militaris-
an dem Menschheitstraum fest, dass mus. Wir wollen alle gesellschaftlichen
eine bessere Welt möglich ist. Verhältnisse überwinden, in denen
Menschen ausgebeutet, entrechtet und
Wir sind und werden nicht wie jene entmündigt werden und in denen ihre
Parteien, die sich devot den Wünschen sozialen und natürlichen Lebensgrund­
der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen lagen zerstört werden.
und gerade deshalb kaum noch von­
einander unterscheidbar sind. Wir wollen die neuen Möglichkeiten
der Wissensaneignung, des kulturellen
Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir Austauschs und der Kommunikation
kämpfen für eine Gesellschaft, in der für eine lebenswerte Zukunft nutzen.
kein Kind in Armut aufwachsen muss, Rechts- und Sozialstaatlichkeit wollen
in der alle Menschen selbstbestimmt in wir ausbauen, damit Frauen und Männer
Frieden, Würde und sozialer Sicherheit souverän über ihre Arbeits- und Lebens-
leben und die gesellschaftlichen Verhält- zeit entscheiden können, Chancen der
nisse demokratisch gestalten können. Beteiligung, der Bildung, des sozialen
Um dies zu erreichen, brauchen wir ein Füreinanders ergreifen können.
anderes Wirtschafts- und Gesellschafts-
system: den demokratischen Sozialismus. Grenzenloser Reichtum für die oberen
Zehntausend, Entwürdigung für immer
Wir wollen die großartigen Ideen, die mehr Arme und sinkender Wohlstand für
Visionen und schöpferischen Kräfte der die große Mehrheit sind nicht Ergebnis
Menschen für überzeugende politische der Internationalisierung von Produktion
Vorhaben nutzen, um Hunger und Armut und Handel, sondern des globalen
zu überwinden, um die Folgen des Klima­- Kapitalismus. Die Konsequenzen für
wandels und der Umweltkatastrophen in Deutschland sind allgegenwärtig: ein
den Griff zu bekommen. wachsender Niedriglohnsektor, Arbeits-
platzvernichtung, Abbau von sozialen
Wir finden uns nicht ab mit einer Welt, Leistungen, verarmte Kommunen,
in der Profitinteressen über die Lebens- fehlende Ausbildungsplätze, soziale
perspektive von Milliarden Menschen Bildungsprivilegien, Zwei-Klassen-
entscheiden und in der Ausbeutung, Medizin, alte Menschen in Armut oder
Kriege und Imperialismus ganze Länder ohne menschenwürdige Pflege. Die
von Hoffnung und Zukunft abschneiden. herrschende Politik hat sich den Interes-
Präambel – dafür steht DIE LINKE 5

sen der Konzernchefs und Vermögens­ Richtungswechsel der Politik, der den
besitzer untergeordnet. Diese Agenda Weg zu einer grundlegenden Umgestal-
ist gegen die Interessen der Mehrheit tung der Gesellschaft öffnet, die den
der Menschen gerichtet. Wir setzen auf Kapitalismus überwindet.
globale Kooperation und Solidarität statt
auf das Recht des Stärkeren. Eine Welt In unserem Programm werden
unter dem Diktat eines allmächtigen drei Grundideen verknüpft:
globalen Kapitalismus ist keine erstre-
benswerte Welt. Im Mittelpunkt von n Individuelle Freiheit und Entfaltung
Wirtschaft und Politik müssen die der Persönlichkeit für jede und jeden
Lebensbedürfnisse und Interessen durch sozial gleiche Teilhabe an den
der Mehrheit der Menschen stehen. Bedingungen eines selbstbestimmten
Lebens und Solidarität – das gilt uns
Wir wollen dazu beitragen, dass aus als erste Leitidee einer solidarischen
passivem Unmut aktive Gegenwehr wird. Gesellschaft. Darin ist die Dominanz
Wir setzen Lohndumping, Sozialraub und des Profits überwunden, und verläss­-
dem Ausverkauf öffentlichen Eigentums liche und gute Lebensbedingungen für
Widerstand entgegen. Wir wollen die alle sind das Ziel des Wirtschaftens.
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse
verändern und ringen um eine andere n Unterordnung der Wirtschaft unter
Politik. Demokratie, Freiheit, Gleichheit, die solidarische Entwicklung und den
Gerechtigkeit, Internationalismus und Erhalt der Natur – das betrachten wir
Solidarität gehören zu unseren grund­ als zweite Leitidee. Sie erfordert einen
legenden Werten. Sie sind untrennbar sozial-ökologischen Umbau zu nachhal­
mit Frieden, Bewahrung der Natur und tiger Entwicklung anstelle profitorien­
Emanzipation verbunden. Wir kämpfen tierten Wachstums.
für einen Systemwechsel, weil der
Kapitalismus, der auf Ungleichheit, n Die Verwirklichung dieser beiden
Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz Dimensionen ist ein längerer emanzi­­-
beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist. patorischer Prozess, in dem die Vorherr-
schaft des Kapitals durch demokratische,
Wir haben uns zusammengeschlossen soziale und ökologische Kräfte über­
zu einer neuen politischen Kraft, die für wunden wird und die Gesellschaft des
Freiheit und Gleichheit steht, konsequent demokratischen Sozialismus entsteht.
für Frieden kämpft, demokratisch und
sozial ist, ökologisch und feministisch, DIE LINKE kämpft
offen und plural, streitbar und tolerant.
Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern n für eine andere, demokratische
in Deutschland, in Europa und weltweit, Wirtschaftsordnung, die die Markt­
mit Gewerkschaften und Bewegungen steuerung von Produktion und Verteilung
suchen wir nach alternativen Lösungen der demokratischen, sozialen und öko­-
und gesellschaftlichen Alternativen. Wir logischen Rahmensetzung und Kontrolle
wollen eine Gesellschaft des demokrati- unterordnet. Sie muss auf öffentlichem
schen Sozialismus aufbauen, in der die und demokratisch kontrolliertem Eigen­-
wechselseitige Anerkennung der Freiheit tum in der Daseinsvorsorge, an der
und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen gesellschaftlichen Infrastruktur, in der
zur Bedingung der solidarischen Entwick- Energiewirtschaft und im Finanzsektor
lung aller wird. Wir kämpfen für einen beruhen. Wir wollen eine demokratische
6 Präambel – dafür steht DIE LINKE

Vergesellschaftung weiterer strukturbe- genügend Zeit für die Erwerbsarbeit,


stimmender Bereiche auf der Grundlage für Familie, die Sorge für Kinder, Partner
von staatlichem, kommunalem, genossen­ und Freunde, für politisches Engagement,
schaftlichem oder Belegschaftseigentum. für individuelle Weiterbildung, Muße und
Die Wirtschaft ist einer strikten Wettbe- Kultur sein. DIE LINKE tritt dafür ein, dass
werbskontrolle zu unterwerfen. In allen alle Menschen mehr Entscheidungsspiel-
Unternehmen sind wirksame Arbeitnehmer- raum darüber bekommen, wie sie ihre
und Mitbestimmungsrechte zu sichern. Lebenszeit verbringen. Das Eintreten
für die Verfügung über Zeit ist unsere
n für einen sozial-ökologischen Antwort auf die Geschichte von Unter­
Umbau in Richtung eines nachhaltigen, drückung, Herrschaft über Arbeit und
ressourcensparenden und umweltbewah- Verfügung über andere.
renden Wirtschaftens und Lebens. Wir
brauchen eine regulierte, nachhaltige n für ein Leben in sozialer Sicherheit,
Entwicklung in Verbindung mit mehr für eine sanktionsfreie Mindestsiche-
sozialer Gerechtigkeit. Wir wollen eine rung, die Armut tatsächlich verhindert,
Energiewende auf der Basis von erneu­ und umfassenden Kündigungsschutz.
erbaren Energien ohne Atomkraft, Hartz IV muss weg. Jeder und jede hat
die nicht zu Lasten der Menschen im das Recht auf Arbeit und das Recht,
globalen Süden geht und nicht durch konkrete Arbeitsangebote abzulehnen,
Zerstörung weiterer ökologischer ohne Sperrzeiten oder andere Sanktio-
Ressourcen erreicht wird. nen fürchten zu müssen.

n für ein Recht auf gute, existenz­ n für eine armutsfeste solidarische
sichernde Arbeit. Gute Arbeit für alle, gesetzliche Rente für alle, die paritä-
aber weniger Arbeit für die Einzelnen – tisch von Beschäftigten und Unterneh-
das wollen wir als neue Vollbeschäfti- men finanziert wird, den Lebensstan­-
gung. DIE LINKE steht für die Umver­- dard im Alter sichert und, anders als die
teilung von Arbeit durch Arbeitszeitver- private Vorsorge, nicht von den Launen
kürzung, für gleichen Lohn bei gleicher der Finanzmärkte abhängig ist. Eine
Arbeit und einen existenzsichernden, Gesellschaft, die Millionen alte Men-
gesetzlichen Mindestlohn. Wir setzen schen zu einem Leben in Armut ver-
uns für einen umfassenden Kündigungs- dammt, ist unmenschlich. Um Alters­-
schutz ein und kämpfen gegen Billig­- armut zu bekämpfen, wollen wir eine
jobs, Hungerlöhne und gegen den Ersatz armutsfeste, solidarische Mindestrente
regulärer Beschäftigung durch Leiharbeit für ältere Menschen im Rahmen der
oder Scheinselbstständigkeit. Rentenversicherung.

n für eine inklusive Gesellschaft, in der n für eine solidarische Bürgerver­


jeder Mensch Rahmenbedingungen findet, sicherung für Gesundheit und Pflege,
in denen er seine Fähigkeiten, Fertigkei- in die alle Menschen nach Maßgabe
ten und Talente entfalten kann, niemand ihrer Einkommen einzahlen und die
außerhalb der Gesellschaft steht und im Bedarfsfall alle medizinischen und
jede und jeder sich einbringen kann. pflegerischen Leistungen übernimmt.
Die medizinische Versorgung darf keine
n für eine gerechte Verteilung aller Frage der persönlichen Brieftasche
Arbeiten zwischen den Geschlechtern. sein – Ungleichbehandlung von
Im Leben von Männern und Frauen soll Patienten lehnen wir ab.
Präambel – dafür steht DIE LINKE 7

n für gute, gebührenfreie und für alle Deshalb sagen wir: Demokratie und
zugängliche Bildung von der Krippe Freiheit in einer Gesellschaft des
über Ausbildung und Studium bis zur demokratischen Sozialismus ohne
Weiterbildung. Bildung soll die Grund­ Ausbeutung und Unterdrückung.
lagen für ein selbstbestimmtes, solidari-
sches Leben, für aktive Teilhabe an der n für die Überwindung jeglicher
Gesellschaft und demokratisches Form der Diskriminierung aufgrund
Engagement schaffen. des Geschlechts, des Alters, des sozialen
Status, der Weltanschauung, der Religi-
n für kulturelle Vielfalt und die on, der ethnischen Herkunft, der sexuel-
Teilhabe aller am kulturellen Reich­- len Orientierung und Identität oder auf­-
tum der Gesellschaft, für kulturelle grund jedweder  Behinderungen. Für
Bildung von Anfang an. Alle Menschen DIE LINKE ist gelebter Antifaschismus
sollen die Möglichkeit zum kulturellen verbunden mit dem Kampf gegen Kriegs­-
Selbstausdruck und zur Teilnahme an treiberei, Antisemitismus, Islamfeindlich-
der kulturellen Kommunikation haben. keit, Rassismus und nationalen Dünkel.
Der Staat hat die Pflicht, Kultur zu
schützen und zu fördern. n für einen Neustart der Europä­-
ischen Union als demokratische, soziale,
n für ein gerechtes Steuersystem, ökologische und Friedensunion, für den
das Gering- und Mittelverdiener entlas- Vorrang sozialer Rechte vor den Binnen-
tet, Spitzenverdiener stärker belastet marktfreiheiten, für hohe und bessere
und große Vermögen, Erbschaften, europaweite Mindeststandards des sozia-
Kapital­erträge und Konzerngewinne len und Umweltschutzes sowie der Unter-
deutlich stärker zur Finanzierung des nehmens- und Vermögenssteuern, für
Gemein­wesens und des sozial-ökologi- eine demokratisch kontrollierte Europä­
schen Umbaus heranzieht. Wir wollen ische Zentralbank und eine koordinierte
Einkommen und Vermögen von oben und demokratisch kontrollierte Wirt-
nach unten umverteilen und die Finan­ schaftspolitik, die einer Unterbietungs-
zierung der öffentlichen Leistungen konkurrenz durch die Verschlechterung
sicherstellen und verbessern. von Löhnen und Arbeitsbedingungen,
sozialen Leistungen und Umweltstan-
n für die Durchsetzung von Demokra- dards entgegenwirkt. Eine EU, die vor
tie und Rechtsstaatlichkeit, gegen die allem auf Standortkonkurrenz, Wettbe-
Erpressungsmacht großer Konzerne, für werb und Dumpingwettlauf und deren
ein Verbot von Spenden von Unterneh- militärische Absicherung setzt, diskre­
men an Parteien, für die Unvereinbarkeit ditiert die europäische Idee.
von politischen und Wirtschaftsmanda-
ten, für mehr direkte Demokratie unter n für Frieden und Abrüstung, gegen
anderem in Form von Volksabstimmun- Imperialismus und Krieg, für eine Welt
gen, für die Einklagbarkeit von Recht ohne Massenvernichtungswaffen, ein
unabhängig vom eigenen Geldbeutel, Verbot von Rüstungsexporten sowie die
für politische Streiks und Generalstreik Umwandlung von Rüstungsindustrie in
als Kampfmittel der Beschäftigten, für zivile Produktion, das heißt die Förderung
den Ausbau der Bürgerrechte und die von Rüstungskonversion. DIE LINKE wird
Demokratisierung aller Gesellschafts­ niemals einer deutschen Beteiligung an
bereiche. Der Kapitalismus zerstört einem Krieg zustimmen. Krieg löst kein
Demokratie durch Wirtschaftsmacht. Problem, er ist immer Teil des Problems.
8 Präambel – dafür steht DIE LINKE

Die Bundeswehr muss aus allen


Auslands­einsätzen zurückgeholt werden,
ihr Einsatz im Inneren ist strikt zu unter­-
sagen, die Notstandsgesetze, die den
Einsatz der Bundeswehr im Inneren
vorsehen und ermöglichen, sind aufzu­
heben. DIE LINKE fordert die Achtung von
Völkerrecht und Menschenrechten, eine
Stärkung der zivilen Entwicklungsunter-
stützung, Konfliktprävention, friedliche
Konfliktlösung und ein Ende der ökono­
mischen Ausbeutung der Dritten Welt.

n für internationale Solidarität und


Kooperation zur Verbesserung der
Lebensbedingungen aller Menschen.
Die Welt ist reich genug, um die ganze
Menschheit vernünftig zu ernähren.
Wir solidarisieren uns mit allen, die für
Frieden, soziale und politische Gerechtig-
keit und die Verwirklichung der
Menschenwürde streiten.
Woher wir kommen, wer wir sind 9

1. Woher wir kommen, wer wir sind


DIE LINKE knüpft an linksdemokratische heftig bekämpft. Trotzdem wurde die
Positionen und Traditionen aus der Sozialdemokratie an der Schwelle zum
sozialistischen, sozialdemokratischen 20. Jahrhundert in Deutschland zu einer
und kommunistischen Arbeiterbewegung mächtigen politischen und kulturellen
sowie aus feministischen und anderen Kraft, deren Traditionen uns Verpflich-
emanzipatorischen Bewegungen an. Wir tung sind.
bündeln politische Erfahrungen aus der
Deutschen Demokratischen Republik Anfang des 19. Jahrhunderts erstarkte
und der Bundesrepublik Deutschland. die Frauenbewegung. Sie kämpfte für
die politische, ökonomische, soziale und
Die bürgerlichen Revolutionen des kulturelle Gleichberechtigung der Frauen
18. und 19. Jahrhunderts erstrebten und für eine Veränderung der Geschlech-
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit terverhältnisse auch im Privaten. Wir
gegen religiöse Dogmen und Privilegien beziehen uns auf politische Theorien
des Adels. Humanismus und Aufklärung, der Frauenbewegung und des Feminis-
Menschenrechte und Demokratie waren mus, die die Kritik an allen Herrschafts-
bestimmend für die Arbeiterbewegung verhältnissen, die Frauen unterdrücken
und die Frauenbewegung. Sie forderten und benachteiligen, in den Mittelpunkt
die Verwirklichung von Recht und Freiheit stellen und weltweit die Durchsetzung
für alle Menschen. Doch erst die Befrei- der Menschenrechte für die Frauen und
ung aus der Herrschaft des Kapitals und die Abschaffung jedweder Diskriminie-
aus patriarchalen Verhältnissen verwirk- rung aufgrund des Geschlechts fordern.
licht die sozialistische Perspektive der
Freiheit und Gleichheit für alle Menschen. 1914 spaltete die Haltung zum Krieg
Dies haben insbesondere Marx, Engels die deutsche Sozialdemokratie. Die
und Luxemburg gezeigt. SPD-Führung befürwortete die Politik
der nationalistischen Abgrenzung und
Im 19. Jahrhundert organisierten sich stimmte schließlich für den Krieg. Der
Arbeiterinnen und Arbeiter in Gewerk- europäische Zusammenhalt der Arbeiter-
schaften. Sie setzten der Ausbeutung schaft für den Frieden wurde aufgege-
durch das Kapital Widerstand entgegen, ben. Gegen diese verheerende Entwick­-
um ihre Interessen durchzusetzen. lung der deutschen Sozialdemokratie
Sie kämpften für bessere Arbeits- und leisteten neben vielen anderen Karl
Lebensbedingungen, für höhere Einkom- Liebknecht und Rosa Luxemburg Wider­-
men und Mitbestimmungsrechte. Sie stand, den sie mit ihrem Leben bezahlten.
bildeten Genossenschaften und Vereine,
um Alltag und Freizeit solidarisch zu Die Revolution 1918/1919 in Deutsch­-
gestalten und Kultur- und Bildungs­ land reihte sich ein in die revolutionären
ansprüche zu verwirklichen. Mit der Bewegungen und Erhebungen nach dem
zunehmenden Politisierung der Arbeiter- Ersten Weltkrieg, sowohl innerhalb als
milieus entwickelte die Arbeiterbewe- auch außerhalb Europas. Sie wurde mit
gung auch ihre politischen Interessen­- Hilfe der sozialdemokratischen Führung
vertretungen. Diese wurden von der niedergeschlagen. Gegensätzliche
Staatsmacht mit Zuckerbrot und Peitsche, Haltungen zur Revolution in Deutschland
mit Sozialreformen und Sozialistengesetz und später auch zur Sowjetunion
10 Woher wir kommen, wer wir sind

vertieften die Spaltung der Arbeiterbewe- größten Opfer. Nach dem Krieg wurden
gung. Die USPD, die KPD und linkssozi­ unter dem Einfluss der Siegermächte in
alistische Bewegungen gehören heute Westeuropa bürgerliche Demokratien mit
ebenso zum historischen Erbe der LINKEN kapitalistischer Wirtschaftsordnung und
wie die Geschichte der Sozialdemokratie. in Mittel- und Osteuropa Staaten mit
sozialistischem Anspruch aufgebaut.
Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich
Deutschland bis Sommer 1919 in einem Deutschland hat wegen der beispiel­-
blutigen Bürgerkrieg, der Tausende von losen Verbrechen der Deutschen an
Opfern forderte und große Bitterkeit den Jüdinnen und Juden während des
hinterließ. Die Konsequenzen waren deutschen Faschismus eine besondere
dramatisch. Denn die Spaltung der Verantwortung und muss jeder Art von
Arbeiterbewegung erleichterte den Antisemitismus, Rassismus, Unter­
Aufstieg der deutschen Faschisten und drückung und Krieg entgegentreten.
verhinderte gemeinsamen Widerstand Insbesondere diese Verantwortung
gegen ihre Machtübernahme. Im Reichs- verpflichtet auch uns, für das Existenz-
tag stimmten die Abgeordneten der recht Israels einzutreten. Zugleich stehen
bürgerlichen Parteien per Ermächti- wir für eine friedliche Beilegung des
gungsgesetz für Hitlers totale Macht und Nahostkonfliktes im Rahmen einer
damit das Ende der Weimarer Republik. Zwei-Staaten-Lösung und damit die
völkerrechtliche Anerkennung eines
Der Widerstand von Kommunistinnen eigenständigen und lebensfähigen
und Kommunisten, von Sozialdemo­ palästinensischen Staates auf der Basis
kratinnen und Sozialdemokraten, von der Resolutionen der Vereinten Nationen.
Gewerkschafterinnen und Gewerkschaf-
tern, religiös engagierten Menschen »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschis-
und anderen gegen die nun einsetzende mus« – der Schwur von Buchenwald
faschistische Barbarei wurde brutal hatte in den 50er Jahren nicht nur in
unterdrückt. Viele sind von den Nazis Ostdeutschland, sondern auch in West­-
ermordet worden, andere saßen in den deutschland eine große Ausstrahlung:
Gefängnissen und Lagern oder befanden »Die Vernichtung des Nazismus mit
sich auf der Flucht. Der Kampf gegen seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der
antidemokratische Positionen, gegen Aufbau einer neuen Welt des Friedens
Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen und der Freiheit ist unser Ziel.« Diesem
die Unterdrückung von Arbeiterorgani­ Ziel fühlen wir uns verpflichtet. Die
sationen und gegen Kriegstreiberei ist Erfahrungen der vom deutschen Faschis-
daher für uns mit einem gelebten mus Verfolgten prägten das ursprüng­
Antifaschismus verbunden. liche Asylrecht im Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland, das heute
Die Barbarei und der verbrecherische bis zur Unkenntlichkeit durchlöchert ist
Krieg der deutschen Faschisten zerstörten und das DIE LINKE wiederherstellen will.
weite Teile Europas. Millionen Jüdinnen
und Juden, Sinti und Roma, Menschen In Westdeutschland blieben, wie in
mit Behinderungen und Homosexuelle anderen Ländern Westeuropas, sozia­-
wurden systematisch ermordet. Gegen listische Neuordnungsbestrebungen
die Sowjetunion wurde ein Vernichtungs- nach dem Krieg erfolglos. Der begin­
krieg geführt. Sie erbrachte bei der nende Kalte Krieg diktierte die politische
Zerschlagung des Faschismus die Entwicklung. Die Kommunistische Partei
Woher wir kommen, wer wir sind 11

war in der 1949 gegründeten Bundes­ Eine neue Frauenbewegung bildete


republik Deutschland schwach und sich, um gegen patriarchale, Frauen
zunehmender Repression ausgesetzt, unterdrückende und benachteiligende
1956 wurde die KPD verboten. So litten Strukturen im Öffentlichen wie im
auch antifaschistische Widerstands- Privaten zu kämpfen. Auf dem Weg zur
kämpferinnen und Widerstandskämpfer Veränderung der Geschlechterverhält­
unter Repressionen wie erneuten Ver­- nisse mit dem Ziel einer geschlechter­
haftungen und Berufsverboten. Die gerechten Gesellschaft erwies sich die
Entnazifizierung in der Gesellschaft Gleichstellung von Männern und Frauen
blieb hingegen weitgehend aus. Die als ein wesentlicher Schritt. Die Erfah­
SPD war während der »Adenauer-Ära« rungen dieser Kämpfe zeigen jedoch,
in der Opposition. Ab 1959 gab sie Zug dass in der patriarchalen Gesellschaft
um Zug ihre Vorstellungen einer über den die Gleichstellung an der Haustür endet
Kapitalismus hinausweisenden Neuord- und Frauenbefreiung nur durch Aufhe-
nung von Wirtschaft und Gesellschaft auf. bung der ungleichen geschlechtlichen
Arbeitsteilung erreicht werden kann.
Zu den Erfahrungen der Menschen in
der Bundesrepublik gehörte zunehmender Die Umweltbewegung entstand und setzte
gesellschaftlicher Wohlstand, an dem alle sich für eine naturverträgliche Produk-
gesellschaftlichen Schichten teilhatten, tions- und Lebensweise und gegen die
sowie eine parlamentarische Demokra- Nutzung der Atomkraft ein. Internationa-
tie. Doch gleichzeitig bestanden autori­ listische Gruppen unterstützten Befrei-
täre und obrigkeitsstaatliche Strukturen ungsbewegungen in Afrika, Lateinamerika
fort. Seit den 60er Jahren entwickelte und Asien und stritten für eine solidarische
sich eine gesellschaftskritische außer- Entwicklungszusammenarbeit.
parlamentarische Opposition. Das war
eine Bewegung für mehr Demokratie und Die Friedensbewegung forderte Abrüs-
Solidarität, gegen autoritäre Tendenzen, tung und vor allem die Beseitigung von
für andere Lebensentwürfe, für mehr Massenvernichtungswaffen. Sie unter-
Selbstverwirklichung der Einzelnen, gegen stützte und prägte die Entspannungspo­
Bildungsprivilegien, Medien- und Kapital­- litik, der es in den 70er und 80er Jahren
macht und den Vietnam-Krieg der USA. gelang, die gefährliche Blockkonfrontati-
on der Nachkriegszeit aufzuweichen und
Die Gewerkschaften setzten in harten so zu entschärfen. Trotz der von Gewerk-
Auseinandersetzungen Lohnsteigerungen, schaften in harten Auseinandersetzun-
Arbeitszeitverkürzungen und verbesserte gen durchgesetzten Lohnsteigerungen,
sozialstaatliche Leistungen durch. Mehr Arbeitszeitverkürzungen und verbesser-
Demokratie sollte in Wirtschaft und ten sozialstaatlichen Leistungen blieb
Gesellschaft möglich sein. Die Erfahrungen durch die Notstandsgesetze und eine
dieser Kämpfe zeigen allerdings auch, repressive Innenpolitik im Zuge der
dass in einer kapitalistischen Gesell- Auseinandersetzung mit der RAF die
schaft die Demokratie an den Werktoren Erfüllung der Ansprüche der Demokratie-
und an den Büro- und Ladentüren endet. bewegung auf halber Strecke stehen.
Ständige Auseinandersetzungen sind
notwendig, um die Achtung der Men- Im Osten Deutschlands prägte der
schenwürde, akzeptable Arbeitsbedin- Sozialismusversuch die Lebensgeschichte
gungen und das Recht auf Privatsphäre der Menschen. Viele Ostdeutsche
auch in den Betrieben zu gewährleisten. setzten sich nach 1945 für den Aufbau
12 Woher wir kommen, wer wir sind

einer besseren Gesellschaftsordnung wieder autoritär abgewürgt. Die Demo-


und für ein friedliebendes, antifaschis­ kratie blieb auf der Strecke, und eine
tisches Deutschland ein. Mit der Verstaat­ ökologische Orientierung hatte wenig
lichung der Großindustrie, von Banken Chancen. Die Zentralisation der ökono­
und Versicherungen sowie mit der Boden­- mischen Entscheidungen und die büro­-
reform wurden Eigentumsverhältnisse kratisierte Form der Planung und Leitung
geschaffen, die eine Ausrichtung der der Volkswirtschaft sowie die weitgehende
wirtschaftlichen Tätigkeit auf das Gemein­- Einschränkung betrieblicher Selbst­
wohl und den Schutz der Beschäftigten ständigkeit führten langfristig zu einem
vor Ausbeutung sichern sollten. Zurückbleiben der Innovations- und
Leistungsfähigkeit. Damit sank die
Im April 1946 wurde die Sozialistische Anziehungskraft des ökonomischen
Einheitspartei Deutschlands gegründet. Modells der DDR.
Der Zusammenschluss von KPD und SPD
war eine Lehre aus der jahrzehntelangen Es ist deutlich geworden: Ein Sozialis-
Spaltung der Arbeiterbewegung und musversuch, der nicht von der großen
wurde auch mit dem gemeinsamen Mehrheit des Volkes demokratisch
Widerstand von Mitgliedern der SPD und gestaltet, sondern von einer Staats- und
KPD gegen den Faschismus begründet. Parteiführung autoritär gesteuert wird,
Die große Mehrheit der Mitglieder von muss früher oder später scheitern. Ohne
KPD und SPD waren für diesen notwen­ Demokratie kein Sozialismus. Deshalb
digen Zusammenschluss. Der Zusam- formulierten die Mitglieder der SED/PDS
menschluss war aber auch mit Druck auf einem außerordentlichen Parteitag
verbunden. Vor allem Sozialdemokratin- im Herbst 1989: »Wir brechen unwider­
nen und Sozialdemokraten, welche ihm ruflich mit dem Stalinismus als System«.
Widerstand entgegensetzten, wurden Dieser Bruch mit dem Stalinismus gilt für
verfolgt. DIE LINKE ebenso. Die Geschichte der
DDR, auch die der SED, auf den Stalinis-
Zu den Erfahrungen der Menschen mus zu verkürzen, ist jedoch unhistorisch
im Osten Deutschlands zählen die und unwahr. Auch in der DDR gab es in
Besei­tigung von Erwerbslosigkeit und unterschiedlichen Etappen eine leben­
die wirtschaftliche Eigenständigkeit der dige Sozialismus-Diskussion, eine reiche
Frauen, die weitgehende Überwindung kulturelle und geistige Landschaft, groß­-
von Armut, ein umfassendes soziales artige Filme, Romane, bildende Künste,
Sicherungssystem, ein hohes Maß an Musik und eine engagierte Vermittlung
sozialer Chancengleichheit im Bildungs- von Kunst, Kultur und Bildung in die
und Gesundheitswesen und in der Kultur Bevölkerung. Der Bruch mit dem Stalinis-
sowie die Umstrukturierung der Land- mus betrifft nicht nur den Osten, sondern
wirtschaft in genossenschaftliche und hat auch für den Westen hohe Bedeu-
staatliche Betriebe. Das Prinzip »Von tung. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
deutschem Boden darf nie wieder Krieg und Gewaltenteilung sind unverzichtbar.
ausgehen« war Staatsräson. Auf der
anderen Seite standen Erfahrungen Teile der Bürgerbewegung der DDR,
staatlicher Willkür und eingeschränkter darunter auch Reformerinnen und
Freiheiten, wie der Aufbau eines staatli- Reformer innerhalb der SED, setzten
chen Überwachungsapparates gegen die sich im Herbst 1989 für einen friedlichen,
eigene Bevölkerung. Wichtige Reforman- demokratischen, sozialen und ökologi-
sätze wurden nach kurzer Zeit immer schen Aufbruch und einen politischen
Woher wir kommen, wer wir sind 13

Wandel zu einem besseren Sozialismus zu einer Partei. Die in der zweiten Hälfte
ein. Doch 1990 scheiterte dieses Projekt. der 90er Jahre entstandene globalisie-
Es gelang ebenso wenig, eine demokra­ rungskritische Bewegung, die sich in
tische Neubegründung des vereinigten zahlreichen internationalen Mobilisierun-
Deutschlands durchzusetzen. Aus dem gen und Gipfelprotesten widerspiegelte
demokratischen Aufbruch im Osten und zugleich den Raum für eine politische
wurden ein bloßer Beitritt und ein für Kritik des Kapitalismus eröffnete, inspi­-
viele Menschen schmerzlicher sozialer rierte und ermutigte viele Linke in
Absturz. Auf der einen Seite gab es einen Deutschland.
Zugewinn an demokratischen Rechten,
individueller Freiheit, rechtsstaatlicher Das Projekt »Rot-Grün«, von vielen mit
Sicherheit und internationaler Öffnung, hohen Erwartungen begrüßt, enttäuschte
auf der anderen Seite einen wirtschaft­ ab 1999, da es soziale und ökologische
lichen und sozialen Niedergang vieler Ziele den Interessen des Kapitals unter­-
ostdeutscher Regionen und die Aneig- ordnete und die Tür für internationale
nung ostdeutschen Staatseigentums Kriegseinsätze deutscher Soldaten
durch nationale und internationale öffnete. In rasantem Tempo wandten
Konzerne mit Hilfe der Treuhandanstalt. sich SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
Im vereinten Deutschland wurden die von Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit,
Errungenschaften und Erfahrungen ökologischer Nachhaltigkeit und den
der Ostdeutschen kaum genutzt. Interessen der Bevölkerungsmehrheit an
einer friedlichen Welt ab. Das »Hartz-IV«-
In einem schwierigen und selbstkriti- Gesetz und die Agenda 2010 führten zum
schen Prozess ging aus der ehemaligen endgültigen Bruch vieler sozial und links
SED die Partei des Demokratischen gesinnter Menschen mit SPD und Grünen
Sozialismus hervor. Sie behauptete sich und zur Entwicklung einer neuen politi-
als unabhängige Kraft und erstarkte, je schen Kraft, der Wahlalternative Arbeit
mehr sie sich der konkreten Probleme und soziale Gerechtigkeit ( WASG).
der Menschen vor Ort annahm und für
demokratische Lösungen stritt. Wesent­ Im Jahr 2007 haben sich Linkspartei.PDS
licher Bestandteil dieses Engagements und WASG zur neuen Partei DIE LINKE
war der Anspruch, Interessen der vereinigt. DIE LINKE ist Teil der 2004
Menschen in Ostdeutschland politisch gegründeten Partei der Europäischen
zu vertreten. Ihre Versuche, Menschen Linken. Wir laden alle Menschen ein, die
in Westdeutschland zu gewinnen, hatten eine andere Politik und eine bessere Welt
jedoch nur geringe Erfolge. wollen, die für Freiheit und Gleichheit, für
Emanzipation, soziale Gerechtigkeit und
Die Linke in Deutschland war lange Zeit für internationale Solidarität, Frieden und
in der Defensive. Sie war schwach und Ökologie eintreten, daran mitzuwirken.
marginalisiert, und wenn sie innerhalb
der Sozialdemokratie politische Verände- Es gibt Alternativen zur herrschenden
rungen anstrebte, waren die Handlungs- Politik und zum kapitalistischen System,
möglichkeiten sehr eng. Teile der Linken zu seinen Krisen und Ungerechtigkeiten:
setzten auf die Grünen oder kleinere eine Gesellschaft im Einklang mit der
sozialistische und kommunistische Natur, die sich auf Freiheit und Gleichheit
Organisationen. Viele der in Gewerk- gründet, eine Gesellschaft ohne Ausbeu-
schaften und anderen sozialen Bewegun- tung und Unterdrückung. Wir wollen sie
gen aktiven Linken hatten keine Bindung gemeinsam erkämpfen.
14 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

2. Krisen des Kapitalismus –


Krisen der Zivilisation
Der Kapitalismus von heute ist räumlich Der Kapitalismus hat in den Jahrhunder-
und zeitlich entgrenzt, er hat sich die ten seiner Existenz unermesslichen Reich­-
ganze Welt untertan gemacht. Das Ver­- tum hervorgebracht und in vielen Ländern
hältnis zur Natur und fast alle mensch­ den Wohlstand großer Teile der Bevölke-
lichen Beziehungen werden zu Waren­- rung erhöht. Zugleich bleiben Milliarden
beziehungen. Pflanzliche, tierische und Menschen von diesem Reichtum ausge-
menschliche Gene werden patentiert, schlossen. Die soziale Ungleichheit ist
damit der Allgemeinheit entzogen, Saat­- größer geworden, die Kluft zwischen
gut ist nicht mehr frei verfügbar, von Armut und Reichtum klafft immer weiter
dörflichen Brunnen bis zu den Metropo- auseinander. Das gilt national und erst
len wird Wasser privatisiert, Mutterschaft recht international. Die Krisen der
wird zur Handelsware, Landraub zerstört kapitalistischen Marktwirtschaft haben
ganze Gemeinschaften. Nahrungsmittel Massenerwerbslosigkeit, Einkommens-
werden zu Spekulationsobjekten an verluste und Sozialstaatsabbau zur Folge.
den Börsen, ausreichende und gesunde Zwar hat der Kapitalismus die technologi-
Nahrung ist für Millionen Menschen schen Voraussetzungen geschaffen, um
nicht mehr erschwinglich, die Früchte Armut für immer zu überwinden. Doch er
des Bodens landen darüber hinaus als zementiert eine Weltordnung, in der alle
Kraftstoff in den Tanks der Reicheren. fünf Sekunden ein Kind verhungert und
Multinationale Konzerne bestimmen die mehr als eine Milliarde Menschen zu
Preise, bestimmen, was angebaut und wenig zu essen und keinen Zugang zu
gefördert wird, dominieren die Handels- sauberem Trinkwasser haben.
ketten. Sie üben maßgeblich Einfluss aus
auf die Welthandelsorganisation WTO, Auch in der westeuropäischen Nach-
auf die Weltbank und den Internationalen kriegsentwicklung lässt sich diese
Währungsfonds, die die internationalen Widersprüchlichkeit finden. Die Idee
Handelsflüsse, die Wirtschafts- und Sozial-­ einer »sozialen Marktwirtschaft« war
politiken weltweit bestimmen. Die Macht eine Antwort auf den Schock von Krise,
der multinationalen Konzerne muss Faschismus und Krieg und resultierte
begrenzt, eingeschränkt und gebrochen daher aus den Erfahrungen mit einem
werden. Land- und Boden­reformen entfesselten, barbarischen Kapitalismus.
stellen wichtige Schritte zur Sicherung Sie war die Antwort auf die Kämpfe
der Ernährungssouveränität und des starker Gewerkschaften, antikapitalis­
Rechts auf Nahrung dar. Unter den tischer Bewegungen und sozialdemo­
entfesselten kapitalistischen Bedingun- kratischer, sozialistischer und kommu­-
gen schlagen Produktivkräfte immer nistischer Parteien. Auch die Existenz
rascher und weitreichender in Destruktiv- des »sozialistischen Lagers« war eine
kräfte um. Zugleich werden Arbeitsplätze Herausforderung, auf die mit sozialstaat-
vernichtet, Wohlstand wird zerstört und lichen Zugeständnissen reagiert wurde.
an der Natur Raubbau betrieben. Auch Soziale Sicherungssysteme wurden
Kriege werden geführt, wenn auf diese ausgebaut, demokratische Rechte
Weise Profite gesteigert und gesichert ausgeweitet, der Wohlstand stieg.
werden können, notfalls auch unter Mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz
dem Deckmantel der humanitären Hilfe. hat sich das Kräfteverhältnis zwischen
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 15

Arbeit und Kapital zu Ungunsten der in der wenige über das Leben und die
abhängig Beschäftigten verändert. Zeit der vielen bestimmen, in der die Jagd
nach Profit alle Lebensbereiche erfasst
Die »soziale Marktwirtschaft« stellte hat und in der Frauen noch immer unter
einen Kompromiss zwischen Lohnarbeit alten Unterdrückungsverhältnissen leben.
und Kapital dar, der die Herrschaft des Die Grundlagen dieser Verhältnisse,
Kapitals nicht in Frage stellte. Das Modell die Fundamente von Kapitalismus und
funktionierte, solange schnelle Produkti- Patriarchat beginnen mit der Geschichte
vitätsfortschritte und hohe Wachstums- der Arbeit und ihrer Verteilung.
raten die Profite der großen Unternehmen
stabilisierten und starke gewerkschaftliche Mit zunehmender Teilung der Arbeit
und demokratische Gegenmächte existier­ konnte effektiver und mehr produziert
ten. Der Kompromiss zwischen Lohnarbeit werden und umgekehrt, die gestiegene
und Kapital beseitigte weder den Raubbau Produktivität ermöglichte weitere
an der Natur noch die patriarchalen Arbeitsteilung: Eine entscheidende
Verhältnisse im Öffentlichen und Privaten. Arbeitsteilung war die der Teilung in
»Frauen-« und »Männerarbeit«. Dabei
Die Wirtschaftskrise der 1970er Jahre wurden Männer in Produktionen tätig, in
markiert das Ende dieser »goldenen denen der technische Fortschritt voran­-
Jahre« hohen Wachstums. Der Kapitalis- getrieben wurde, die zunehmend außer­-
mus kehrte zu seiner Normalität zurück, häuslich in eigenen Produktionsstätten
einschließlich periodisch auftretender erfolgten und Einkommen ermöglichten,
Krisen- und Stagnationsphasen. Die Zahl während Frauen die Arbeiten rund ums
der aus dem Erwerbsleben Ausgegrenz- Haus und die Verantwortung für die Sorge
ten stieg und verfestigte sich zu struk­ und Pflege aller Familienmitglieder zuge­-
tureller Massenerwerbslosigkeit. Die wiesen wurden, also Arbeiten ohne Ein­-
gewonnene wachsende Individualität kommen. Bis heute erfährt die traditionelle
vieler Menschen wurde zunehmend »Männerarbeit« eine höhere gesellschaft-
zu Individualismus in der Konkurrenz liche Wertschätzung, während Arbeit,
gegeneinander. Mit wachsenden Erwerbs­- die traditionell als »Frauenarbeit« gilt,
­losenzahlen und schwächer werdenden weniger geschätzt und gar nicht oder
Gewerkschaften und politischen Gegen- schlechter entlohnt wird.
kräften wurden die Ansprüche der
Kapitaleigner wieder aggressiver. Sie Mit zunehmender Produktivität wurde
wurden untermauert durch die wachsen- es möglich, eine immer größere Zahl von
de Macht der Konzerne, deren Erpres- Menschen von der Gemeinschaft mit zu
sungspotenzial durch zunehmende versorgen. Zugleich aber gelang es einem
Aktivitäten auf dem internationalen Teil, sich die Arbeit anderer nutzbar zu
Markt stark gestiegen war. Sie konnten machen, über deren Zeit zu verfügen,
die Politik »ins Schlepptau« nehmen, und ihnen Tätigkeiten vorzuschreiben und
die hat es mit sich geschehen lassen. somit Klassen- und Herrschaftsverhält-
nisse zu begründen. Diese hierarchische
Patriarchale Unterdrückung Arbeitsteilung wurde zur Voraussetzung
und Arbeitsteilung der Unterdrückung der Frauen. Mit der
arbeitsteiligen Familie wurden Frauen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts finden und Kinder Eigentum des Mannes, der
wir eine Gesellschaft vor, in der einige über die Arbeitskraft und den Körper der
wenige sich auf Kosten vieler bereichern, Frau verfügte. Bis heute sind Eigentums-
16 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

und Klassenverhältnisse eng mit Familienarbeiten grundsätzlich nicht


der patriarchalen Familie verwoben. anders verteilt. Zahlreiche Frauen hatten
Leitungsfunktionen inne, in den höchsten
Patriarchale Unterdrückung gab es Führungsgremien waren sie jedoch nicht
lange vor der Einführung kapitalistischer angemessen vertreten. Bis heute sind
Produktion. Doch auch im Kapitalismus Frauen in deutlich größerer Zahl in
ist die Unterdrückung der Frau, das prekärer Beschäftigung, zu niedrigeren
Machtgefälle zwischen den Geschlech- Löhnen und in Teilzeit erwerbstätig.
tern in den ökonomischen, gesellschaft­
lichen und kulturellen Strukturen fest Das vorherrschende ernährerzentrierte
verankert und wird zur Sicherung der Modell der Arbeits- und Familienbezie-
Verhältnisse genutzt. Die erfolgreiche hung beruhte auf der Selbstverständ­
Verbreitung des Kapitalismus in alle lichkeit der Heterosexualität. Lesben,
Lebensbereiche und alle Winkel der Erde Schwule, Trans- und Intersexuelle
gelingt, indem tradierte Produktionswei- sowie Transgender haben bis heute mit
sen und bisher nicht kapitalistisch organi­- ständigen Diskriminierungen im Erwerbs-
sierte Bereiche verdrängt oder kapitalis­- leben zu kämpfen, zumeist müssen sie
tisch übernommen werden. In der Phase ihre Sexualität und ihre Beziehungsform
der Industrialisierung wurde die Arbeits- verheimlichen, um berufliche Aufstiegs-
kraft der Frauen so massiv ausgenutzt, möglichkeiten zu erreichen.
dass schließlich sogar die Reproduktion
der nächsten Generation gefährdet war. Geschlechterverhältnisse
In der nachfolgenden Phase wurden sind Produktionsverhältnisse
Frauen für die Wiederherstellung der
Arbeitskraft des Familienernährers und Die kapitalistische Produktion findet
die Erziehung der nächsten Generation statt als Warenproduktion und setzt
zuständig, während Männern der Erwerbs­- die beständige Reproduktion der in ihr
bereich zugeordnet wurde, im Gegenzug beschäftigten Arbeitskräfte voraus. In
für ein Einkommen, das die ganze Familie der Produktion der Güter und Lebensmit-
ernähren sollte, aber oft nicht ausreichte. tel findet eine rasante Entwicklung der
Produktivkräfte statt, wird ein Überschuss
Bis heute leisten Frauen den Großteil produziert und damit die Grundlage für
der Haus- und Familienarbeit. Die west­- die menschliche und gesellschaftliche
deutsche Nachkriegsordnung war geprägt Entwicklung gelegt. Die alte Geschlech-
vom Ideal der Hausfrauenehe, die bis teraufstellung wirkt weiter in der Organi-
heute steuerlich begünstigt wird. Frauen sation der Reproduktionsarbeiten. Im
waren in der Erwerbsarbeit gar nicht Bereich der Arbeit am Menschen, der
oder bestenfalls in der Rolle der »Zuver­ Erziehung, der Gesundheit, der Ernäh-
dienerin« vorgesehen, die ökonomisch rung, der Pflege sind vor allem Frauen
vom »Familienernährer« abhängig blieb. tätig, un- und unterbezahlt und oft
In der DDR waren Frauen im hohen Maße geringer geschätzt. In dieser Rolle
in die Erwerbsarbeit integriert, häufig werden Frauen zu einer gesellschaft­-
auch in traditionellen »Männerberufen« lich unbedeutenden Randgröße ohne
mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit. öffentlichen Einfluss.
Es gab einerseits eine deutlich bessere
Infrastruktur und eine deutlich bessere Die geschlechtsspezifische Teilung der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. gesellschaftlichen Arbeitsbereiche sowie
Anderseits waren jedoch Haus- und ihre hierarchische Anordnung haben bis
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 17

heute die gesellschaftliche Unterdrü- freier leben und die Familienplanung


ckung der Frauen zur Folge. Berufsspar- unabhängiger gestalten. Mädchen von
ten, in denen überwiegend Frauen tätig heute haben eine viel bessere Bildung
sind, weisen in der Regel ein geringeres als ihre Groß- und Urgroßmütter, sie
Lohnniveau auf. Unternehmen profitieren können studieren, Karriere machen,
von der Frauenunterdrückung, indem sie »Männerberufe« erlernen.
Frauen zu niedrigen Löhnen beschäftigen.
Frauen leisten zusätzlich zur Erwerbs­ Mittlerweile ist die Mehrheit der
arbeit eine ungeheure Anzahl von unbe­- Frauen erwerbstätig, doch ein großer
zahlten Stunden Arbeit pro Jahr in den Teil von ihnen hat lediglich eine Teilzeit-
Familien, in deutlich größerem Umfang stelle, die nicht ihre Existenz sichert
als ihre Männer. und die sie häufig unfreiwillig akzep­-
tieren müssen. In Deutschland verdie­-
Übersehen wird gern, dass die bezahlten nen Frauen über 20 Prozent weniger als
und unbezahlten Arbeiten für die Betreu­- Männer. Sie tragen die Doppelbelastung
ung von Kindern und pflegebedürftigen von Beruf und Familie fast alleine. Wenn
Erwachsenen sowie die Hausarbeit sie Erfolg haben wollen, müssen sie sich
von elementarer Bedeutung sind für einer männlich geprägten Welt anpassen.
das Funktionieren der kapitalistischen In Führungspositionen von Wirtschaft,
Gesellschaft und für gesellschaftlichen Wissenschaft und Politik sind Frauen
Wohlstand. DIE LINKE versteht sich als nach wie vor deutlich unterrepräsentiert.
sozialistische und feministische Partei, Steuer- und Sozialrecht sind noch immer
die patriarchale und kapitalistische auf die traditionelle Alleinernährerfamilie
Verhältnisse überwinden will. zugeschnitten. Das Patriarchat prägt
Sprache, Kultur, Körperlichkeit und
Geschlechterverhältnisse Politik. Noch immer werden Frauen und
im Umbruch Mädchen, insbesondere mit Behinde­
rungen, Opfer von Vergewaltigung und
In all dieser Zeit haben Frauen für ihre häuslicher Gewalt. Frauen mit Behinde-
Rechte gekämpft: Suffragetten erstritten rungen sind nach wie vor mehrfach
das Frauenwahlrecht. Die proletarische diskriminiert.
Frauenbewegung setzte sich für die
Rechte der Arbeiterinnen und die Erhal­- Die traditionelle bürgerliche Kleinfamilie
tung des Friedens ein. Ebenso wie die mit dem berufstätigen Ehemann und der
bürgerliche Frauenbewegung kämpfte abhängigen Hausfrau verliert an Bedeu-
sie um die rechtliche Gleichstellung von tung und wird zunehmend in Frage
Frauen und Männern. Nach 1968 kämpfte gestellt, da die Herausbildung neuer
die neue Frauenbewegung für umfassen- Produktionsweisen neue flexible Lebens-
de gesellschaftliche Emanzipation. Im weisen der Menschen mit sich bringt.
Ergebnis kann die Frauenbewegung Der alte Geschlechtervertrag des fordis­-
als eine der erfolgreichsten sozialen tischen Kapitalismus zwischen männ­
Bewegungen gelten. Frauen haben die lichem Ernährer und Hausfrau ist auf­-
Grenzen des angeblichen Frauenortes gekündigt. Das hat Frauen viele neue
Haushalt gesprengt, sie haben sich das Freiheiten und häufig ökonomische
Recht auf Bildung, auf eine eigenständige Unabhängigkeit von ihren Männern
berufliche Entwicklung und auf ökonomi- beschert. Doch die neoliberale Deregu­
sche Unabhängigkeit von ihren Männern lierung belastet Frauen mit Anforderun-
erkämpft. Frauen können ihre Sexualität gen nach Flexibilität, mit der Unfreiheit
18 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

durch prekäre und unstete Arbeitsbedin- der Beschäftigten. Die wirtschaftliche


gungen, mit Doppel- und Überbelastung. und die gesellschaftliche Entwicklung
Während in den Industrieländern immer werden ebenso wie das Staatshandeln
mehr Frauen erwerbstätig sind, geht der und die Politik entscheidend von den
Anteil der Haus- und Familienarbeit, den Interessen des Kapitals bestimmt.
Männer übernehmen, weit hinter den der Die Lebens- und Bildungschancen
Frauen zurück. Häufig werden Frauen mit der Menschen hängen in hohem Maße
schlechten Berufschancen oder Migran- von ihrer Klassenlage und sozialen
tinnen zu schlechten Löhnen und pre­- Herkunft ab.
kären Bedingungen für solche Arbeiten
beschäftigt. Dies führt zu neuen Un- Die Struktur der Arbeiterklasse hat
gleichheiten unter Frauen. Von wirklicher sich im Laufe der Entwicklung erheblich
Emanzipation sind wir weit entfernt. verändert. Der Anteil der Beschäftigten
in der Industrie und den großen Unter-
In dieser Lage reichen alle Forderungen nehmen sinkt, immer mehr Menschen
nach Gleichstellung, nach alternativen arbeiten in Dienstleistungsbereichen
Familienmodellen, nach Vereinbarkeit und kleinen und mittleren Unternehmen.
von Beruf und Familie nicht aus. Mehr- Auch die Tätigkeiten und Arbeitsinhalte
fachbelastung darf nicht individualisiert haben sich verändert. So ist der Anteil
werden. Die Schwierigkeit der Verein­ der manuellen und körperlichen Arbeit
barkeit von Beruf und Familie hat gesell­- zurückgegangen, während der Anteil der
schaftliche und ökonomische Ursachen. geistigen, überwachenden und planen-
Familie ist da, wo Menschen Verantwor- den Tätigkeiten zugenommen hat. Die
tung füreinander übernehmen, egal, ob Unterschiede zwischen Arbeitern und
als Lebensgemeinschaft, als Ehepaar, Angestellten sind schwächer geworden.
als Mehrgenerationenhaushalt oder Dabei haben sich zum Teil auch die
in anderen Formen der Gemeinschaft. Spielräume für eigenverantwortliche
Familie ist da, wo Menschen, egal welcher Tätigkeit erweitert.
sexuellen Orientierung, füreinander
da sind. Auch die Arbeitsverhältnisse haben
sich verändert. Der Anteil der regulären
Deutschland – Vollzeitbeschäftigung geht zurück. Immer
eine Klassengesellschaft mehr Arbeitsplätze werden nur noch
befristet besetzt, in Leiharbeitsplätze
Deutschland ist eine Klassengesellschaft. umgewandelt oder in mehrere Minijobs
Die Produktion von Waren und Dienst­ aufgespaltet. Der Anteil der Beschäftig-
leistungen findet überwiegend in privaten ten, die durch Tarifverträge geschützt
Unternehmen mit dem Ziel statt, mög- sind, hat abgenommen. Die Zahl der im
lichst hohe Gewinne zu erzielen. Die Niedriglohnsektor Beschäftigten weitet
große Mehrheit der Erwerbstätigen sich aus. Die prekäre Arbeit nimmt zu.
arbeitet als abhängig Beschäftigte. Auf der anderen Seite sind auch vermehrt
Sie erhalten nur einen Teil der von ihnen selbstständige Tätigkeiten entstanden.
geschaffenen Werte als Lohn, den Über­- Dabei handelt es sich aber nicht immer
schuss eignen sich die Kapitaleigner an. um wirkliche und freiwillige Selbststän-
Diese bestimmen über seine Verwen- digkeit, sondern oft um erzwungene und
dung, über die Investitionen und somit Schein-Selbstständigkeit mit geringer
über die wirtschaftliche Entwicklung Bezahlung und wirtschaftlicher
und die Arbeits- und Lebensbedingungen Unsicherheit.
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 19

Am schlechtesten ist die Lage der Wertorientierungen und politischen


Erwerbslosen, insbesondere, wenn sie Einstellungen innerhalb der Arbeiter­
schon längere Zeit ohne Erwerbsarbeit klasse. Unter dem Druck der Massen­
sind und kaum noch Chancen auf gute erwerbslosigkeit wird die Konkurrenz
Arbeit haben. Sie sind zunehmend Armut, unter den Lohnabhängigen verstärkt.
Repression und Ausgrenzung ausgesetzt. Ein gemeinsames Bewusstsein und
eine gemeinsame Interessenvertretung
Auch wenn die Arbeitsverhältnisse bilden sich am stärksten in den sozialen
und Tätigkeiten sehr differenziert sind, Auseinandersetzungen heraus.
so ergibt sich doch die gemeinsame
Klassenlage aus dem allgemeinen Auf der anderen Seite ist aber auch
Charakter der Lohnarbeit mit ihrer die Klasse der Kapitalisten keineswegs
Abhängigkeit vom Kapital. Die Lohn­ homogen. Kapital als Eigentum und
abhängigen haben das gemeinsame Kapital als Funktion sind häufig getrennt,
Interesse, ihre Einkommen, Arbeitsbe­ so dass zwischen Kapitaleignern und
dingungen und ihre soziale Absicherung ihren Beauftragten, dem Management,
durch betriebliche, tarifliche und gesetz­- zu unterscheiden ist. Dieser unterschied-
liche Regelungen zu verbessern und lichen Stellung können auch unterschied-
so die kapitalistische Herrschaft und liche Interessen entsprechen.
Ausbeutung zu beschränken.
Neben großen Kapitalbesitzern und
Frauen unterliegen zudem der Unter­ Finanzmagnaten gibt es aber auch viele
drückung durch patriarchale Strukturen. kleine und mittlere Unternehmer und
Die Unterdrückung der Frauen und das Freiberufler, die nicht durchweg von der
Machtgefälle zwischen den Geschlech- Ausbeutung fremder Arbeit leben. Sie
tern sind in Wirtschaft und Gesellschaft leiden zum Teil selbst unter der Über-
fest verankert. Die Geschlechterverhält- macht des großen Kapitals. Sie haben
nisse sind Bestandteil der Produktions- daher unterschiedliche Interessen und
verhältnisse und drücken sich insbe­- weisen durchaus auch Gemeinsamkeiten
sondere in der Organisation der Repro- mit der lohnabhängigen Mehrheit der
duktion aus. Frauen wird die Hauptver- Bevölkerung auf.
antwortung für die Kindererziehung und
die Pflege von Angehörigen aufgebürdet. Die neoliberale Wende –
Umverteilung und Spekulation
Aus der gemeinsamen Klassenlage
ergibt sich nicht unmittelbar auch eine Die neoliberale Wende seit den 70er
gemeinsame Interessenvertretung oder Jahren diente vor allem dem Ziel, die
gar ein Klassenbewusstsein. Dies wird Profitrate der großen Konzerne nach
insbe­sondere durch die Differenziertheit oben zu treiben. Zentrale Mittel zu
der Arbeits- und Lebensverhältnisse diesem Ziel waren die Deregulierung
erschwert. Unterschiede im Einkommen, der Arbeitsmärkte und die politische
der beruflichen Stellung, der Qualifika­ Schwächung der Gewerkschaften, um
tionen, familiäre Herkunft und verschie- das Lohnniveau zu drücken. Demokrati-
dene Migrationshintergründe prägen die sche und soziale Rechte sowie Leistun­-
verschiedenen Milieus der Lohnabhän­ gen wurden abgebaut und Steuern auf
gigen. Dies führt, zusammen mit weltan- Gewinne und Kapital gesenkt, um die
schaulichen, religiösen und politischen Unternehmen zu entlasten und ihre
Traditionen, zu unterschiedlichen Flexibilität zu erhöhen. Umfassende
20 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

Privatisierungen zuvor öffentlicher Weltmärkten, wie Wechselkurse und


Unternehmen und Dienstleistungen Zinsen, aus der Hand gegeben und der
sowie sozialer Sicherungen eröffneten Spekulation von Banken und Devisen-
dem Kapital zusätzliche profitable händlern überlassen. Der globale Kapital­-
Anlagesphären. Die herrschende kreislauf beträgt heute ein Vielfaches
Klasse versucht, sich den mit techno­ des Weltsozialprodukts. Plötzliche
logischen Umwälzungen weiter wach­ Richtungsänderungen der Kapitalströme
senden gesellschaftlichen Reichtum können ganze Volkswirtschaften in den
als Zuwachs ihres privaten Vermögens Abgrund reißen. Mit der Deregulierung
und ihrer Macht anzueignen. der Finanzmärkte wurde aber nicht nur
ein zusätzlicher Faktor der Instabilität
Die neoliberale Ausrichtung wurde mit erzeugt. Die deregulierten Finanzmärkte
dem Zusammenbruch des Währungs­ eröffneten zugleich ein weites Feld
systems der Nachkriegszeit und der spekulativer Profiterzielung, auf das
Aufgabe regulierter fixer Wechselkurse sich wachsende Teile der wirtschaft­
zu Beginn der 1970er Jahre eingeleitet. lichen Aktivität im globalen Kapitalismus
Zunächst wurden die Währungsmärkte konzentrieren.
und im Anschluss daran die globalen
Finanzmärkte mehr und mehr liberalisiert. Auch die Europäische Union, deren
Die Liberalisierungen der Finanzmärkte Gründung einst dazu beigetragen hatte,
wurden entscheidend mit über die EU den Frieden zwischen den EU-Mitglied-
vorangetrieben. Mit den EU-Verträgen – staaten zu sichern, entwickelte sich
vom Maastrichter bis hin zum Vertrag von zunehmend zu einem Motor der neoli­
Lissabon – und den EU-Richtlinien zur beralen Umgestaltung. Städte, Regionen
Liberalisierung im Bereich der öffentlichen und Länder konkurrieren auf einem
Daseinsvorsorge wurde die neoliberale gemeinsamen Binnenmarkt mit mög­-
Politik der Privatisierung, Deregulierung lichst niedrigen Steuersätzen und laschen
und Flexibilisierung zementiert, u. a. durch Umweltauflagen, mit niedrigen Löhnen
die Ausrichtung auf eine »offene Markt- und Sozialabgaben. Die Standortkonkur-
wirtschaft mit freiem Wettbewerb«. Die renz führt zu einem Dumpingwettlauf
Entwicklungsländer wurden zur Öffnung mit verheerenden Auswirkungen nicht zu­-
ihrer Volkswirtschaften, zum Abbau von letzt auf die Einnahmen der öffentlichen
Kapitalverkehrskontrollen, zur Beschrän- Haushalte. Damit waren die Absenkung
kung von Sozialausgaben und zur Priva­- der Staatsquote, umfassende Privatisie-
tisierung öffentlicher Güter gezwungen. rungen und die allmähliche Zerstörung
Viele wurden zum Abbau von Schutzme- der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten
chanismen für die eigene Landwirtschaft vorgezeichnet. Ganze Volkswirtschaften
und zum Aufbau agrarischer Exportpro- in der EU drohen zu kollabieren. Insbeson-
duktionen genötigt – mit der Folge des dere die deutsche Sozial- und Lohndum-
Verlustes ihrer Ernährungssouveränität. pingpolitik, aber auch die Ausplünderung
Der neoliberale Siegeszug fand seinen der Volkswirtschaften durch die Banken
Höhepunkt mit dem Übergang zu kapita- tragen dafür die Verantwortung.
listischen Marktwirtschaften in Mittel-,
Ost- und Südosteuropa und in den Finanzblase und soziale Spaltung
Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Der neoliberale Kapitalismus führt dazu,
Im Ergebnis haben die Nationalstaaten dass sich über der Realwirtschaft mit
die Bildung wichtiger Preise auf den schwachen Wachstumsraten eine
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 21

gewaltige Finanzblase aus Geldver­- zur Normalität. Mehr Eigenverantwortung


mögen und Schulden aufbläht. Steigende und Kreativität in der Arbeit hat sich für
Gewinne und die Umverteilung der viele unter diesem Druck mit verstärkter
Einkommen zugunsten von Kapitalbesit- Auslieferung und Selbstanpassung an
zern und Besserverdienenden bewirken Unterordnungs- und Herrschaftsverhält-
einen riesigen Überschuss an weltweit nisse verbunden; die Grenzen zwischen
anlagesuchendem Kapital. Zusätzlich Arbeit und Freizeit verschwimmen, und
verstärkt wird dies durch weltweite die persönlichen und gesellschaftlichen
Privatisierungstendenzen in der Alters- Lebensverhältnisse insgesamt sind
vorsorge und weiteren sozialen Siche- immer stärker eigennützigem Gewinn-
rungssystemen. streben und maximierten Rendite­
erwartungen unterworfen.
Zugleich verschärfen die Abkoppelung
der Löhne von der Entwicklung der Die neoliberale Politik hat keines ihrer
Produktivität und sinkende Sozialein­ Versprechen eingelöst. Statt für mehr
kommen das Problem industrieller Leistungsgerechtigkeit steht sie für
Überkapazitäten und entmutigen eine rabiate Umverteilung zu Lasten der
reale Investitionen. Eine Ökonomie Arbeitenden und zum Vorteil leistungs­
der Enteignung macht Mehrheiten loser Einkommen aus Kapital. Mehr
ärmer, um die Reichen reicher zu Eigenverantwortung statt Sozialstaat
machen. Dass wir in einer Klassen­ hat zu mehr Ausgrenzung und Armut
gesellschaft leben, lässt sich an der geführt. Nicht mehr Wettbewerb,
zunehmend ungleichen Verteilung von sondern eine beispiellose Konzentration
Einkommen und Vermögen ablesen. von Wirtschaftsmacht ist die Folge.

Drei Jahrzehnte Wirtschaftswachstum Um die Nachfrage trotz der Angriffe


sind nicht nur in Deutschland, sondern auf die Masseneinkommen zu steigern,
weltweit an vielen Menschen vorbei­ wurden in den USA, aber auch in anderen
gegangen. Zwar eröffneten sich in den Ländern Rahmenbedingungen für eine
Entwicklungsländern für Millionen exzessive Konsumentenverschuldung
Menschen, insbesondere für Frauen, geschaffen. Das amerikanische Modell,
Möglichkeiten der Erwerbsarbeit und sinkende Löhne durch steigende Schul-
damit der Emanzipation. Doch zugleich den auszugleichen, war zugleich die
wurden sie neuen kapitalistischen Voraussetzung für die riesigen Export-
Zwängen unterworfen. Gesellschaftlicher überschüsse anderer Länder, so der
Zusammenhalt und natürliche Lebens­ Bundesrepublik Deutschland. Auch
räume wurden zerstört. Die Lebensver- die steigende Staatsverschuldung der
hältnisse von Niedrigverdienern und USA zur Finanzierung von Rüstung und
Erwerbslosen, kleinen Selbstständigen Kriegen hat zum Aufblähen der Finanz­
und Kreativen in den Industrieländern blase beigetragen.
haben sich wesentlich verschlechtert.
Viele wissen nicht mehr, wie sie ihr In den großen Wirtschaftskonzernen
tägliches Leben und das ihrer Kinder selbst haben schuldenfinanzierte
finanzieren sollen. Viele junge Menschen Übernahmen und Aktienrückkaufpro-
sind von umfassender Bildung und Quali­- gramme zur Steigerung der kurzfristigen
fikation ausgeschlossen. Inzwischen Rendite zunehmend reale Investitionen
gehören informelle und prekäre, unter­ in neue Anlagen und Technologien sowie
bezahlte und sozial ungesicherte Arbeit innovative Forschung und Entwicklung
22 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

verdrängt. Großanleger und Finanzinves- »Giftmüll«-Papiere. Deutsche Unter­


toren nötigen Unternehmen, in deren nehmen und reiche Geldvermögens­
Aktien sie oft nur für kurze Zeit investie- besitzer haben so in erheblichem Maße
ren, zu rücksichtslosen Rationalisierungs- zur Finanzierung der US-Verschuldung
schüben, zur Abtrennung von weniger und damit zur Entwicklung der Welt­
rentablen Firmenteilen, zur Senkung von finanzkrise beigetragen.
Löhnen, Arbeits- und Sozialstandards.
Selbst hochproduktive Unternehmen Politisch geförderter Druck auf die
mit achtbaren Gewinnen und niedrigem Arbeitsentgelte hat das Exportwachs­-
Lohnkostenanteil werden so zur Entlas- tum begünstigt und die Binnennach­-
sung von Tausenden von Beschäftigten frage geschwächt. Die Kürzung öffent­-
oder gar zur Schließung von Betriebs­ licher Sozialausgaben hat in die gleiche
stätten getrieben. Richtung gewirkt, die Verteilung zu
Lasten der Lohn- und Gehaltsabhängigen
Die Weltwirtschaftskrise verschlechtert und die Binnennachfrage
am Beginn des 21. Jahrhunderts dauerhaft geschwächt. Deutschland
hat mittlerweile von allen Mitglieds­
Die tiefe Weltwirtschaftskrise, die im ländern der Europäischen Union einen
Jahr 2008 begann, ist die Krise einer der geringsten Beschäftigtenanteile im
Wirtschaftsordnung, die allein für den öffentlichen Dienst. Ergebnis war eine
Profit produziert und für die Bedarf nur schwache und gespaltene Wirtschafts-
dann existiert, wenn er sich als zahlungs- entwicklung. Sie dient nur dem Export-
kräftige Nachfrage geltend macht. Eine sektor, ist im Interesse der Konzerne
Konjunkturkrise, eine Strukturkrise und und des Finanzkapitals und erfolgt auf
die Krise der internationalen Finanzmärk- Kosten der Beschäftigten und der für
te haben sich zur schwersten kapitalis­ den inländischen Bedarf produzierenden,
tischen Weltwirtschaftskrise seit 1929 also der großen Mehrzahl der kleineren
zugespitzt. Mit dieser Krise ist ein globales und mittleren Betriebe. Schwache
Modell an seine Grenzen gelangt, das Wirtschaftsentwicklung und schwin­
die Entwicklung des Kapitalismus in den dende Steuereinnahmen aufgrund von
vergangenen drei Jahrzehnten geprägt Steuersenkungen für Unternehmen
und getragen hatte. und Reiche haben die Finanzkrise der
öffentlichen Haushalte verschärft. Diese
Das gilt auch für die Bundesrepublik wiederum dient zur Begründung weiterer
Deutschland. Die wirtschaftliche Ausgabenkürzungen, von Personalabbau
Entwicklung wurde in diesem Lande in und Privatisierung der noch verbliebenen
extremer Weise auf Exportsteigerung öffentlichen Güter und Unternehmen.
ausgerichtet und ist davon abhängig.
Gleichzeitig wurde die Binnennachfrage Die aggressive Exportorientierung
stranguliert und damit auch der Import Deutschlands verursacht in anderen
ausgebremst. Den Exportüberschüssen Ländern schwere wirtschaftliche
entsprechen enorme Kapitalexporte Schäden. Die Kehrseite deutscher
deutscher Unternehmen. Dabei geht Exportüberschüsse sind notwendiger­
es nicht nur um produktive Direktinves­- weise Defizite und höhere Arbeitslosen-
titionen, sondern in großem Umfang um quoten der anderen Länder. Deutschland
Kredite oder den Ankauf von Anleihen hat die Exportförderung (etwa durch
und Wertpapieren, darunter auch mas­- das Instrument der Hermesbürgschaften,
senhaft heute weitgehend wertloser durch eine Politik des Lohndumpings
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 23

bei uns etc.) einzustellen und statt­- Maß auch hoch qualifizierter Arbeits­
dessen eine ausgeglichene Handelsbilanz kräfte. Ausuferndes Gewinnstreben
anzustreben. und wachsende materielle Ungleichheit
zersetzen die Gesellschaft von innen.
Diese Entwicklungen zeigen: Der Kapi­ Konkurrenzkampf, Misstrauen, soziale
talismus ist nicht nur sozial ungerecht. Abgrenzung und Unsicherheit wachsen,
Er unterminiert auch die produktiven Kooperation, Vertrauen in gesellschaft­
Grundlagen der Ökonomie. Er führt zu liche Strukturen und die Bereitschaft,
einer systematischen Fehlsteuerung der soziale Verantwortung zu übernehmen,
Wirtschaft, zum Aufbau riesiger Überka- schwinden. Darunter leidet auch die
pazitäten und an anderer Stelle zu einer generationenübergreifende Solidarität,
gravierenden Unterversorgung und denn unsere Gesellschaft baut auf dem
zu gewaltigen ökologischen Schäden. auf, was die vorangegangene Generation
Sein Ergebnis sind bedrohliche globale geschaffen hat, und ist in ihrer Zukunft
Ungleichgewichte und die Zerstörung auf Bildung, Können, Arbeit und Verant-
von Produktion und Produktivität, von wortungsbewusstsein der kommenden
Arbeitsplätzen und Wohlstand, von Generation angewiesen. Das Bildungs-
Innovation und Kreativität. Er ruiniert system trägt zur sozialen und kulturellen
die Mittelschichten und bewirkt eine Spaltung der Gesellschaft bei. Rassismus
extreme Einkommens- und Vermögens- und faschistische Tendenzen, Antisemi-
konzentration bei den Reichsten, die die tismus und Islamfeindlichkeit nehmen
Finanzmärkte aufbläht und die Nachfrage zu. Migrantinnen und in die Illegalität
auf den Gütermärkten stranguliert. gezwungene Mädchen und Frauen mit
und ohne Behinderungen sind noch
Die neoliberale Politik hat durch Deregu- häufiger Opfer von Gewalt. Migrantin­-
lierung, Liberalisierung und Privatisierung nen und Migranten sind von menschen­
die Wurzeln für die gegenwärtige Krise rechtswidrigen Abschiebungen bedroht.
gelegt, die sich, wenn nicht politisch Repressive Elemente in der Innenpolitik
gegengesteuert wird, zur Katastrophe werden ausgeweitet.
auswachsen kann. Die Unterordnung
von Wirtschaft und Gesellschaft unter Aushöhlung der Demokratie
die Kapitalverwertung bedroht die
Existenz der menschlichen Zivilisation. Die Möglichkeit demokratischer Einfluss-
Der Finanzmarktkapitalismus hat die nahme und Mitgestaltung schwindet in
Elemente einer vierfachen Krise aufge- dem Maße, wie die Macht der Konzerne
häuft. Sie betreffen die Fragen von Macht und des Finanzkapitals zunimmt und
und Eigentum, das Verhältnis von Natur die Privatisierung und Liberalisierung
und Gesellschaft, die Produktions- und der Ökonomie politische und öffent­-
Lebensweise und die Fragen von Sicher- liche Gestaltungsspielräume verringern.
heit und Entwicklung. Die Gewinne der Globalisierung werden
privatisiert, die Verluste sozialisiert.
Krise des sozialen Zusammenhalts Gleichzeitig wird der repressive Überwa-
chungsstaat ausgebaut. Die Rechte von
Immer mehr Menschen werden in Staatsbürgerinnen und -bürgern werden
extreme Unsicherheit und wachsende geschwächt, und ihre Durchsetzung
Armut gezwungen. Angst vor sozialem hängt immer stärker vom persönlichen
Absturz prägt das Leben großer Teile der Einkommen ab. Wer davon zu wenig hat
Bevölkerung – darunter in zunehmendem und gleichzeitig von demokratischer
24 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

Teilhabe ausgeschlossen wird, reagiert Ideen entwickelt, um die Bürgerinnen


oft mit Politikverdrossenheit. So entsteht und Bürger zu überwachen und Strafen
ein gefährlicher Teufelskreis der Unter- besser durchsetzen zu können. Daten-
höhlung eines demokratischen Systems schutz wird ebenso ausgeblendet wie
durch ökonomische Macht und der Informations-, Presse- und Demonstrati-
hilflosen Reaktion darauf. onsfreiheit. Staat und Wirtschaft starten
immer neue Prozesse, um das Internet
Es entwickelt sich eine Krise der und die damit verbundenen Möglichkei-
Demokratie und der gesellschaftlichen ten für horizontale Kommunikation und
Regulation. Die globalen Herrschafts­ Meinungsbildung einzuhegen und zu
eliten entscheiden nicht im Interesse reglementieren.
der großen Mehrheit der Weltbevölke-
rung. Ihre Interessen laufen einer sozialen, Der Eindruck, die Politik kümmere sich
ökologischen und friedlichen globalen nicht um die Interessen der benachtei­
Entwicklung entgegen. Die Staaten und ligten Einwohnerinnen und Einwohner,
die Weltgesellschaft bleiben Geisel der sowie der Ausschluss von Mitentschei-
Vermögensbesitzer und Spekulanten. dungsmöglichkeiten führen zu Politiker-
Standortkonkurrenz und der Kampf und Parteienverdrossenheit. So entsteht
um knappe Ressourcen liefern ganze ein gefährlicher Teufelskreis der Unter-
Kontinente und große Teile der erwerbs- höhlung des demokratischen Systems.
tätigen Bevölkerung einem hemmungs­ Es entwickelt sich eine Krise der Demo-
losen Unterbietungswettbewerb, dem kratie und der gesellschaftlichen
Sozialabbau und der Ausplünderung aus. Ordnung.
Die erkämpfte Demokratie, die eroberten
individuellen Freiheiten und die sozial- Die Zentralität der
staatlichen Fortschritte werden durch ökologischen Frage
die Vorherrschaft einer globalen
Oligarchie untergraben. Der Kapitalismus wird sozialen Bedürf­
nissen, ökonomischen Herausforderun-
Doch auch auf der institutionellen Ebene gen und ökologischen Lösungen nicht
wird die Demokratie ausgehöhlt. Neue gerecht. Er orientiert Entscheidungen
Möglichkeiten der Einflussnahme auf auf immer kürzere Zeithorizonte. Es wird
politisches Handeln durch die Potenziale auf Wechselkursschwankungen, auf
des Internets bleiben ungenutzt. Mehr Kursänderungen von Wertpapieren und
direktdemokratische Einflussnahme Aktien, auf Zinsdifferenzen und Verände-
wird blockiert. Die soziale Spaltung der rungen von Preisen für Immobilien und
Gesellschaft führt zu einer Spaltung der Ressourcen spekuliert. Entscheidungen
demokratischen Gesellschaft. Ein großer mit längerfristiger Perspektive und
Teil der Bevölkerung bleibt von demokra- die Berücksichtigung langer Zyklen der
tischer Einflussnahme ausgeschlossen, Natur stehen in tiefem Widerspruch zum
weil ihm die Möglichkeiten zur Partizipa­ kurzfristigen Profitkalkül. Das Wachstum
tion fehlen. Mit geringem oder keinem der vergangenen 250 Jahre basierte vor
Einkommen sind die Spielräume für allem auf der Nutzung fossiler Energie­
politisches Engagement eingeengt und träger, zunächst der Kohle und seit dem
werden partiell unmöglich gemacht. Beginn des 20. Jahrhunderts von Erdöl
Gleichzeitig wird der repressive Über­ und Erdgas. Die Öl-, Kohle- und Gasreser-
wachungsstaat ausgebaut. Mit jedem ven sind jedoch begrenzt. Der Höhepunkt
technischen Fortschritt werden neue der Förderung wird in absehbarer Zeit
Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation 25

erreicht sein. Danach wird das Ange­- fossiler Energieträger radikal einge-
bot von fossiler Energie rückläufig sein, schränkt werden. Technische Lösungen
während die Nachfrage infolge des wie die Kohlendioxidspeicherung haben
immer noch riesigen Bedarfs an fossilen unkalkulierbare Risiken und Nebenwir-
Energien in den Industrie- und Schwellen- kungen und verzögern nur den notwen­
ländern steigt. Unter kapitalistischen digen Umbau. Wir fordern ein Verbot der
Bedingungen wird dies die Preise der Kohlendioxid-Abscheidung und -Speiche-
fossilen Energieträger und damit auch rung (CCS ). Auch die bisherigen Erfahrun-
die Profite der Energiekonzerne hoch­ gen mit dem EU-Emissionshandel sind
treiben und auf diese Weise auch ihre enttäuschend. Es ist zu befürchten, dass
gesellschaftliche und politische Macht die gehandelten Zertifikate als Wert­
weiter stärken. papiere, wie andere verbriefte Papiere
auch, zu spekulativen Zwecken genutzt
Es ist zu einer Krise der natürlichen werden. Der Erwerb von Emissionsrech-
und sozialen Lebensgrundlagen, einer ten durch die Verursacher von Treibhaus-
Krise der Reproduktion gekommen. Die gasen in den Industrieländern von den
Spekulation mit Nahrungsmitteln und Entwicklungsländern ist ein zynisches
Agrarflächen zerstört lokale landwirt- Tauschgeschäft von Umweltverschmut-
schaftliche Strukturen und verschärft zung gegen Armut. Immer deutlicher
Hunger und Unterernährung. Die heutigen wird: Eine ökologisch nachhaltige Ent-
Gesellschaften zehren von der Substanz. wicklung steht im Widerspruch zur kapi­-
Die kapitalistische Produktionsweise hat talistischen Wachstumslogik. Die öko­-
besonders auch im Bereich des Umgangs logische Frage ist zugleich eine ökono­-
mit Tieren zu einer industriellen Massen- mische, soziale und kulturelle – eine
produktion mit unethischen Haltungsfor- Systemfrage.
men und Überfischung der Weltmeere
geführt. Die drohende Klimakatastrophe, Imperialismus und Krieg
die schnelle Erschöpfung vieler natür­
licher Rohstoffe und die beschleunigte Die kapitalistischen Staaten sorgen
Vernichtung der biologischen Vielfalt dafür, dass ihre Unternehmen weltweit
einerseits und die Spaltung der Gesell- Zugriff auf alle Ressourcen haben, dass
schaften in Gewinner und Verlierer einer sie ihr Kapital weltweit investieren und
neoliberalen Globalisierung, in ausufern- verwerten sowie auf allen Märkten ihre
den Luxuskonsum und wachsenden Produkte absetzen können. Dazu nutzen
Hunger andererseits sind zwei Seiten sie ihre ökonomische und militärische
einer Medaille. Die soziale und die Vormachtstellung und ihre beherrschen-
ökologische Frage können nur gemein- de Rolle in den internationalen Handels-
sam gelöst werden. und Finanzinstitutionen. Der heutige
Imperialismus stützt sich vor allem auf
Die große Herausforderung zu Beginn ökonomische Abhängigkeit und
des 21. Jahrhunderts ist der Klimawandel. Verschuldung.
Dürregebiete weiten sich aus, Gletscher
schmelzen, Flusspegel sinken, der Imperiale Kriege erwachsen aus Kämpfen
Meeres­spiegel steigt, Landstriche um geopolitische Macht, um ökonomi-
werden überflutet. Menschen werden sche, politische und kulturelle Vorherr-
zur Migration gezwungen. Um den schaft, um Profite, Märkte und Rohstoffe.
Anstieg der Temperaturen auf der Erde Kriege entspringen darüber hinaus aus
zu begrenzen, muss der Verbrauch Armut und Unterdrückung, aus Klima-
26 Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation

wandel, aus Verknappung und unge­ zunehmend aggressiv, in der weltweiten


rechter Aneignung von Naturressourcen. Auseinandersetzung um Macht, Einfluss
Sie führen zu weiteren militärischen, und natürliche Ressourcen ihre Stellung
ethnischen und religiösen Konflikten, auszubauen. Kriege, einschließlich
zum Zerfall von Staaten, zu Fundamen­ präventiver Angriffskriege, gelten
talismus und Terrorismus sowie Um­ führenden Kräften der USA, der NATO
weltzerstörung. Unter Missachtung und der EU wieder als taugliche Mittel
der Charta der Vereinten Nationen sind der Politik. Das globale Netz von aus­
auch Gewalt und Kriege Mittel der Politik. ländischen Militärstützpunkten wurde
Oft geschieht dies unter dem Vorwand ausgebaut. Der Schutz der Menschen-
des Kampfes gegen den Terrorismus rechte wird dazu missbraucht, Kriege
oder gegen »Schurkenstaaten«. Beson- zu legitimieren.
ders fatal ist dabei die Begründung von
militärischen Interventionen mit dem Seit der Gründung der Europäischen
Schutz von Menschenrechten. Nach Gemeinschaft wurden Konflikte inner­-
dem Ende der Systemauseinanderset- halb der Gemeinschaft nicht mehr
zung ist in den 90er Jahren der Krieg mit militärischen Mitteln ausgetragen.
auch nach Europa zurückgekehrt. Heute führen die Europäische Union
Deutschland setzte erstmals seit dem und Staaten der EU außerhalb ihres
Faschismus wieder Soldaten im Aus­- Territoriums aber immer öfter Kriege:
land ein und war direkt oder indirekt Dem Krieg zur Zerschlagung Jugoslawi-
an zahlreichen illegalen Kriegen beteiligt. ens folgte die Beteiligung einer Mehrheit
Es war eine treibende Kraft im Krieg der EU-Mitgliedstaaten an den Aggres­
gegen Jugoslawien, unterstützt direkt sionen gegen Afghanistan und den Irak.
und indirekt den Krieg der USA im Die wachsende Bedeutung militärischer
Irak und beteiligt sich am Krieg in Mittel für die EU spiegelt sich im Vertrag
Afghanistan. von Lissabon wider. Er enthält nicht nur
eine Aufrüstungsverpflichtung, sondern
Aber in der Welt vollziehen sich grund­ ermöglicht auch die Beteiligung von
legende Veränderungen. Die Hegemonie EU-Kampfverbänden an internationalen
der USA als einzige nach der bipolaren Konflikten. Wir setzen uns dagegen für
Konfrontation verbliebene Supermacht eine Politik ein, die an Frieden, Abrüstung
ist infrage gestellt. Eine multipolare Welt und internationaler solidarischer Zusam-
ist im Entstehen. Auch die EU versucht menarbeit orientiert ist.
Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert 27

3. Demokratischer Sozialismus
im 21. Jahrhundert
Der Kapitalismus ist nicht das Ende Freiheit ohne Gleichheit führt zu
der Geschichte, sondern eine Etappe der Ausbeutung. Wir streben eine sozia­
Menschheitsentwicklung, in der sich zwar listische Gesellschaft an, in der jeder
viele Hoffnungen der Aufklärung erfüllten Mensch in Freiheit sein Leben selbst
und eine enorme Steigerung der mensch- bestimmen und es im Zusammenleben
lichen Produktivkräfte stattfand, die aber in einer solidarischen Gesellschaft
auch massenhafte Verelendung, Völker- verwirklichen kann.
mord und unvorstellbare Kriege über die
Menschheit brachte. Heute, da der Kapi­- Die Überwindung der Dominanz kapita­
talismus zu einem globalen System gewor-­ listischen Eigentums in der Wirtschaft
den ist, treibt sein Raubbau an Mensch und ein sozialer Rechtsstaat sind dafür
und Natur in eine globale, die menschliche die wichtigsten Grundlagen. Alle Men-
Zivilisation bedrohende Krise. Wir sind schen sollen am Reichtum teilhaben
davon überzeugt, dass den vielfachen können. Der sozial gleiche Zugang jedes
Krisenszenarien nur durch Überwindung Menschen zu den Bedingungen eines
des kapitalistischen Ausbeutungssys- freien Lebens und die Demokratisierung
tems, Veränderung der Produktions- und aller Lebensbereiche gehören zusam-
Lebensweise, durch globale Solidarität, men. Sozialismus und Demokratie sind
die Überwindung des Geschlechter­ untrennbar. Wir wollen eine andere Art
gegensatzes, die Demokratisierung aller von wirtschaftlicher Entwicklung und
Lebensbereiche und eine Veränderung wissenschaftlich-technischem Fort-
des Verhältnisses von Mensch und Natur schritt, um die natürliche Umwelt zu
entgegengewirkt werden kann. Der bewahren und den nachfolgenden
Kapitalismus kann überwunden werden, Generationen eine verbesserte Welt
wenn es gelingt, Mehrheiten zu gewinnen zu hinterlassen. Wir wollen, dass Rechts-
für einen Aufbruch zu einer anderen Art staat und Sozialstaat eine Einheit bilden,
zu arbeiten und zu leben. und streiten für eine weltweite Ordnung,
die durch Frieden, Solidarität und
Der erste große Versuch im 20. Jahrhun- Gerechtigkeit geprägt ist. So kann
dert, eine nichtkapitalistische Ordnung ein gutes Leben gestaltet, eine soziale
aufzubauen, ist an mangelnder Demokra- Demokratie hergestellt und erweitert
tie, Überzentralisation und ökonomischer werden.
Ineffizienz gescheitert. Unter Pervertie-
rung der sozialistischen Idee wurden Wir stehen mit unserem Kampf um
Verbrechen begangen. Dies verpflichtet gesellschaftliche Alternativen jenseits
uns, unser Verständnis von Sozialismus der kapitalistischen Produktions- und
neu zu bestimmen. Wir wollen einen Lebensweise nicht allein. Unterschied-
demokratischen Sozialismus, der den lichste Kräfte und verschiedene Bewe-
gesellschaftlichen und globalen Heraus- gungen sind davon überzeugt, dass eine
forderungen und Möglichkeiten des andere Welt möglich ist: eine Welt ohne
21. Jahrhunderts gerecht wird. Krieg, Ausbeutung, Fremdbestimmung
und ökologische Zerstörung. Sie suchen,
Für Rosa Luxemburg endet Gleichheit wie in Lateinamerika, nach neuen Wegen
ohne Freiheit in Unterdrückung, und für eine nichtkapitalistische Entwicklung
28 Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert

und fordern nicht nur unsere Solidarität, gemeinsame gesellschaftliche


sondern auch unsere Lernbereitschaft. Veränderungen schaffen. Wir wollen
In den Ländern des globalen Südens die Klassengesellschaft überwinden.
entwickeln sich neue Formen des Die neue und bessere Ordnung, die der
Eigentums und der Kooperation, die demokratische Sozialismus erstrebt,
wichtige Akzente gegen den Neolibe­ ist eine von Klassenschranken befreite
ralismus setzen. DIE LINKE beobachtet Gesellschaft.
mit großem Interesse das Modell der
ALBA-Staaten, die eine solidarische DIE LINKE lässt sich von dem Ziel leiten,
ökonomische Zusammenarbeit verein- dass alle Menschen, unabhängig davon,
bart haben. Die Kompliziertheit der in welcher Region der Erde sie leben,
Probleme und Ausgangsbedingungen selbstbestimmt, in Würde und Solidari­-
verbietet jeden Anspruch auf eine tät leben können. Diesem Ziel liegt ein
führende Rolle des einen oder anderen Menschenbild zugrunde, das von der
Landes, dieser oder jener Bewegung Universalität und Unteilbarkeit der
oder einer einzelnen Partei. Menschenrechte ausgeht und lediglich
eine Begründung braucht: Weil ich ein
Heute besteht die Möglichkeit, jedem Mensch bin. Es greift Marx’ Vision im
Menschen ein Leben in sozialer Sicher- Kommunistischen Manifest auf: »An die
heit und Würde zu gewährleisten. Not Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft
und Elend können überall auf der Welt mit ihren Klassen und Klassengegensät-
überwunden werden. zen tritt eine Assoziation, worin die freie
Entwicklung eines jeden die Bedingung
Wir streben eine neue, gerechte Vertei- für die freie Entwicklung aller ist.« Diese
lung der Erwerbsarbeit und der anderen Vision setzt die Abschaffung von Kriegen,
gesellschaftlich notwendigen Arbeiten den Stopp der Zerstörungen unserer
an. Wir wollen, dass alle Menschen am Umwelt und der natürlichen Lebens-
gesellschaftlich organisierten Arbeits­ grundlagen ebenso voraus wie die
prozess mitwirken, gleichberechtigt Beseitigung von Ausbeutung und
gesellschaftliche Entwicklung und Kultur Unterdrückung, von Diskriminierung,
mitgestalten und demokratische Ent- von Hunger, Armut und Unterentwick-
scheidungsprozesse beeinflussen können. lung. Sie wird nur über den Weg einer
Deshalb streiten wir für ein öffentliches umfassenden Demokratisierung aller
Bildungssystem, das niemanden aus­- Lebensbereiche möglich. Sie ist Utopie
grenzt, sondern alle bestmöglich fördert und Realismus zugleich. Unser Ziel
und in die Lage versetzt, ihren eigenen eines demokratischen Sozialismus
Berufs- und Lebensweg selbstständig im 21. Jahrhundert ist eine herrschafts­-
zu gestalten. Bildung darf nicht darauf freie Gesellschaft, in der alle Menschen
beschränkt bleiben, Menschen zu befä­- menschenwürdig leben können.
higen, sich in vorgegebene Strukturen
einzupassen. Ziel von Bildung muss es Demokratischer Sozialismus orientiert
sein, Menschen in die Lage zu versetzen, sich an den Werten der Freiheit, Gleich-
die Welt zu verändern, soziale, ökologi- heit, Solidarität, an Frieden und sozial-
sche und demokratische Reformen zu ökologischer Nachhaltigkeit. Diese
entwickeln und umzusetzen. Wir wollen bestimmen auch die Mittel auf dem Weg
Solidarität und gemeinsames, forschen- zu einer demokratisch-sozialistischen
des Lernen als Leitlinien in der Bildung Gesellschaft. Demokratischer Sozialis-
verankern und damit die Grund­lage für mus fördert die Entfaltung der zivilisato­
Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert 29

rischen Entwicklungspotenziale der DIE LINKE kämpft für die Veränderung


Gesellschaft und zielt auf grundlegende der Eigentumsverhältnisse. Wir wollen
Veränderungen der herrschenden eine radikale Erneuerung der Demokratie,
Eigentums-, Verfügungs- und Macht­ die sich auch auf wirtschaftliche Ent­-
verhältnisse. Er verbindet Protest und scheidungen erstreckt und sämtliche
Widerstand, den Einsatz für soziale Eigentumsformen emanzipatorischen,
Verbesserungen und linke Reformpro­ sozialen und ökologischen Maßstäben
jekte unter den gegebenen Verhältnissen unterwirft. Ohne Demokratie in der Wirt­-
und die Überschreitung der Grenzen schaft lassen sich die Interessen der
des Kapitalismus zu einem großen Allgemeinheit gegenüber engen Profit­
Prozess gesellschaftlicher Umgestal­- interessen nicht durchsetzen. Die Demo-
tung, der das 21. Jahrhundert bestim­- kratie bleibt unvollkommen. Deshalb
men wird. Er knüpft an ökonomische sehen wir in der Wirtschaftsdemokratie
Entwicklungen an, die bereits heute eine tragende Säule des demokratischen
über kapitalistische Produktionsformen Sozialismus. Mehr Demokratie in der Wirt­-
hinausweisen. schaft durchzusetzen war schon immer
ein wichtiges Anliegen der Arbeiterbewe-
DIE LINKE kämpft in einem großen trans­- gung. Wir sehen uns in dieser Tradition.
formatorischen Prozess gesellschaft­
licher Umgestaltung für den demokrati­- Unter den heutigen Bedingungen hat
schen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. die Durchsetzung von Wirtschaftsdemo-
Dieser Prozess wird von vielen kleinen kratie eine internationale, eine europäi-
und großen Reformschritten, von Brüchen sche, nationale und regionale Dimension.
und Umwälzungen mit revolutionärer Wirtschaftsdemokratie ist angesichts
Tiefe gekennzeichnet sein. Demokrati- der ökonomischen Internationalisierungs­
scher Sozialismus ist immer auch eine prozesse nicht mehr nur im nationalstaat-
demokratische Bewegung zur Befreiung lichen Rahmen durchsetzbar. Internati­-
der Menschen von jeglichen Unter­ onale Regeln sind unabdingbar, um
drückungsverhältnissen. Wirtschaftsmacht zu begrenzen und
zurückzudrängen.
Eigentumsfrage und
Wirtschaftsdemokratie Es geht hierbei auch darum, Wissen
und Information öffentlich zugänglich zu
Eine entscheidende Frage gesellschaft­ machen. Es ist nicht hinnehmbar, dass
licher Veränderung ist und bleibt die mit öffentlichen Geldern subventionierte
Eigentumsfrage. Wirtschaftliche Macht Forschungsergebnisse nicht öffentlich
bedeutet auch politische Macht. Solange zugänglich sind. Für eine friedliche, soli­-
die Entscheidungen großer Unternehmen darische und demokratische Gesellschaft
sich an den Renditewünschen statt ist der öffentliche Zugang zu Wissen und
am Wohl der Allgemeinheit orientieren, Information unumgänglich und darf nicht
ist Politik erpressbar und Demokratie Einzelnen vorbehalten bleiben. Wir wollen
wird ausgehöhlt. Eine soziale, friedliche, die Wirtschaft den Maßstäben des
umweltgerechte, demokratische Gesell- Gemeinwohls unterwerfen, damit sie
schaft erfordert, dass die ökonomische sozial und ökologisch verträglich wirkt.
Macht derer, die an Armut, Ausbeutung,
Naturzerstörung, Rüstung und Kriegen Demokratische Steuerung der Wirt-
verdienen, zurückgedrängt und über­ schaftsentwicklung setzt voraus, die
wunden wird. Finanzmärkte zu bändigen und auf ihre
30 Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert

eigentliche dienende Funktion für die setzungen einer demokratisch-sozialis­


Realwirtschaft zurückzuführen. Eine tischen Gesellschaft. Unsere Reform­-
Wirtschaft, die den Menschen und nicht vorschläge entwickeln wir mit der
dem Profit dient, hat vor allem folgende Perspektive einer gerechteren Gesell-
Funktionen zu erfüllen: Erstens soll sie schaft. Wir wollen schon im Hier und
die Bedürfnisse der Menschen befrie­ Heute einen lebenswerten Alltag.
digen und allen ein Leben in Wohlstand
und sozialer Sicherheit gewährleisten, Ein zentraler Punkt in der Auseinander-
zweitens ökologisch nachhaltig wirken, setzung zwischen Kapital und Arbeit
drittens innovativ auf neue Herausfor­ ist die Frage der Arbeitszeit. Wir fordern
derungen reagieren und viertens spar- als dringend notwendigen Schritt eine
sam die gesellschaftlichen Ressourcen drastische Verkürzung der Erwerbsar-
einsetzen. Darüber hinaus muss sie beitszeit, zugleich das Recht auf Arbeit
so organisiert sein, dass alle direkt und und gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
indirekt in der Wirtschaft tätigen Men- Dies ist Voraussetzung, damit die Arbeit
schen ihre Fähigkeiten frei entfalten und der Sorge und Pflege von Menschen um
sich in ihrer Tätigkeit bilden und weiter- das Leben und seine natürlichen Voraus-
bilden können. In einer solidarischen setzungen aus der Ecke der Vernachläs­
Wirtschaftsordnung, wie DIE LINKE sie sigung und unentgeltlichen Zuweisung
anstrebt, haben verschiedene Eigentums- an Frauen geholt wird, diese Tätigkeiten
formen Platz: staatliche und kommunale, gesellschaftlich organisiert und alle
gesellschaftliche, private und genossen- Gesellschaftsmitglieder beteiligt werden.
schaftliche Formen des Eigentums. Beleg-­
schaften, Verbraucherinnen und Verbrau­- Öffentliches und
cher, Repräsentanten der Gemeinwohl­ Belegschaftseigentum
interessen sollen eine starke demokra­-
tische Mitsprache haben und an den Wir wollen mehr öffentliches Eigentum
wirtschaftlichen Entscheidungen direkt in verschiedenen Formen. Strukturbe-
partizipieren. stimmende Großbetriebe der Wirtschaft
wollen wir in demokratische gesellschaft-
Es geht um eine global und geschlech­ liche Eigentumsformen überführen und
tergerecht fair geteilte Erledigung all kapitalistisches Eigentum überwinden.
dessen, was Menschen brauchen und Auf welche Bereiche, Unternehmen und
wünschen. Jede und jeder muss von den Betriebe sich die demokratische Verge-
Einkünften würdig leben können. Alle sellschaftung erstrecken und in welchen
sollen in der Lage sein, an allen gesell- öffentlichen oder kollektiven Eigentums-
schaftlichen Bereichen – der Erwerbs­ formen (staatliches oder kommunales
arbeit, der Familien-, Sorge- und Haus­- Eigentum, Genossenschaften, Beleg-
arbeit, der gesellschaftlichen Arbeit schaftseigentum) sie sich vollziehen
sowie der politischen Gestaltung – soll, muss im demokratischen Prozess
teilzuhaben. Jede Arbeit, bezahlte oder entschieden werden. DIE LINKE setzt
unbezahlte, soll Wertschätzung erfahren. sich dafür ein, geeignete Rechtsformen
zu schaffen, welche die gemeinschaft­
Eine gerechte Verteilung des gesell- liche Übernahme von Betrieben durch
schaftlichen Reichtums sowie aller die Beschäftigten erleichtern und
notwendiger Arbeiten und Teilhabe aller fördern. Allumfassendes Staatseigen­-
an den Entscheidungen über die Zukunft tum ist aufgrund bitterer historischer
der Gesellschaft gehören zu den Voraus- Erfahrungen nicht unser Ziel.
Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert 31

Die Beschäftigten müssen realen Einfluss Private Energieversorger begünstigen


auf die betrieblichen Entscheidungen industrielle Großkunden und belasten
bekommen. Wir setzen uns dafür ein, vor allem ärmere Haushalte. Statt­
dass Belegschaften ohne Lohnverzicht dessen muss Energie für industrielle
an dem von ihnen erarbeiteten Betriebs- Großverbraucher teuer sein, um den
vermögen kollektiv beteiligt werden. Einsatz energiesparender Technologien
In wichtigen Fragen, etwa wenn Massen­ zu begünstigen. Vor allem ärmere
entlassungen oder Betriebsschließungen Haushalte müssen dagegen von hohen
geplant sind, muss es Belegschaftsab- Energiekosten entlastet und bei der
stimmungen geben. Eigentumsverhält- Energieeinsparung unterstützt werden.
nisse sind mehr als nur Besitzverhält­- Ebenso gilt: Die Bahn und Unternehmen
nisse. Allein die Änderung der Eigentums­- des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs
titel ist unzureichend. Letztlich kommt dürfen sich nicht an der Rendite orien­
es auf die Verfügung und die Zugänge tieren. Entscheidend muss sein, dass
zum gesellschaftlichen Reichtum an. sie Mobilität – auch zwischen kleineren
Orten – ermöglichen und eine attraktive,
Die Daseinsvorsorge, die gesellschaft­ barrierefreie, preisgünstige und umwelt-
liche Infrastruktur, die Finanzinstitutio- verträgliche Alternative zum Individual-
nen und die Energiewirtschaft gehören verkehr darstellen. Es muss konsequent
in öffentliche Hand und müssen demo- die Zielsetzung verfolgt werden, den
kratisch kontrolliert werden. Sie dürfen Energieverbrauch im Verkehrs- und
nicht nach dem Profitkalkül privater Transportwesen entscheidend zu
Unternehmen geführt werden. Insbeson- senken: zum Beispiel durch Verlage­-
dere die Angriffe europäischer Instituti­ rung des Gütertransports von der
onen auf die Eigentumsordnungen der Straße auf die Schiene. Strom- und
Mitgliedstaaten und der massive Libera­ Gasver­sorgung, Wasserver- und -ent­
lisierungsdruck der EU auf den Bereich sorgung, Tele- und Internetkommuni­
der öffentlichen Daseinsvorsorge sind kation, Eisenbahnverkehr und andere
zu stoppen. Stattdessen muss die EU Dienste sind an bundesweite, regionale
dem Schutz öffentlicher Güter sowie und kommunale Netze gebunden, die
dem Zugang aller zu den Leistungen der natürliche Monopole bilden. Befinden
öffentlichen Daseinsvorsorge höchste sich solche Monopole in privater Hand,
Priorität einräumen. ist Preiswucher die nahezu unvermeid­
liche Folge. Oft führt das private Profit­-
Die Grundversorgung der Menschen kalkül auch dazu, dass die Wartung und
mit lebensnotwendigen Leistungen wie die Instandhaltung der Netze vernach­
Energie, Wasser und Mobilität, aber auch lässigt werden. Negative Langzeitfolgen
Wohnen, die soziale Infrastruktur, Gesund­- sind das Ergebnis. Die Netzneutralität
heit, Bildung, Kultur und Sport darf nicht in den digitalen Kom­munikationswegen
kapitalistischem Profitstreben überlassen muss gegen die Bestrebungen der
werden. Sie muss öffentlich organisiert großen Konzerne, große Anbieter zu
und garantiert werden. Denn renditeori- bevorzugen, verteidigt werden. Netz­
entierte Unternehmen richten ihr Ange­- gebundene Dienst­leistungen und
bot nicht am Bedarf der Menschen aus, Einrichtungen der Daseinsvorsorge
sondern ausschließlich an der zahlungs- müssen in öffentlichem Eigentum
kräftigen Nachfrage. Sie umwerben und bleiben oder in öffentliches Eigentum
privilegieren die Wohlhabenden und überführt werden und der demokra­
vernachlässigen die Finanzschwachen. tischen Kontrolle unterliegen.
32 Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert

Auch große Naturreichtümer gehören Im Unterschied zu privaten Unter­


allen und daher grundsätzlich in öffent­ nehmen sind öffentliche Unternehmen
liche Hand. Nach dem Grundgesetz soll nicht an kurzfristige Renditeerwartun­-
Eigentum dem Wohle der Allgemeinheit gen gebunden. Öffentliches Eigentum
dienen und nicht nur dem der oberen ist keine Garantie, aber die Vorausset-
Zehntausend. Dieser Verfassungsgrund- zung für neue Kriterien und Prioritäten
satz kann nur in einer Wirtschaft einge- des Wirtschaftens. Hinzu kommt:
löst werden, in der private Großanleger Gewinne öffentlicher Unternehmen
und Finanzinvestoren keine Vormacht stärken öffentliche Einnahmen, sei es
haben, sondern die auf einem starken auf kommunaler, Landes- oder Bundes-
öffentlichen Sektor beruht. Dabei sind ebene, und kommen damit der Allge-
starke und aktive Gewerkschaften und meinheit und nicht nur einer kleinen
zivilgesellschaftliche Organisationen Schicht von privaten Eigentümern
unverzichtbar. Nur mit ihnen lässt sich zugute.
die sozialstaatliche Regulierung demo-
kratisch gestalten. Solidarökonomie
DIE LINKE tritt für ein Bankensystem aus Genossenschaften und andere Formen
drei Säulen ein: Sparkassen, Genossen- solidarischer Selbsthilfe sind der Versuch,
schaftsbanken und staatliche Großban- bereits im Schoße des kapitalistischen
ken. Ein funktionierender Finanzsektor Systems neue ökonomische Strukturen
ist ein öffentliches Gut, seine Bereitstel- und Praktiken zu entwickeln, die sich
lung daher eine öffentliche Aufgabe. Das am Bedarf und an den Potenzialen der
europäische Banken- und Finanzsystem Menschen orientieren. Sie beruhen auf
gehört dauerhaft unter gesellschaftliche Gemeineigentum und egalitären Nut­-
Kontrolle. Die Zentralbanken sollen sich zungs- und Partizipationsrechten und
nicht nur an der Geldwert- und Wäh- zielen auf die Erhaltung oder Wieder­
rungsstabilität, sondern gleichberech- herstellung menschenwürdiger Lebens-
tigt auch am Beschäftigungsziel und bedingungen und solidarischer Bezie­-
dem Ziel nachhaltiger Entwicklung hungen im Gemeinwesen. Sie gehören
orientieren. zur Tradition der Arbeiterbewegung, der
neuen sozialen Bewegungen sowie der
Allein die Form des Eigentums, ob Befreiungs- und Aneignungsbewegungen
öffentlich oder privat, entscheidet in der ganzen Welt.
nicht über die soziale und ökologische
Qualität der Entwicklung. Auch Unter- Solidarökonomie leistet einen wich­-
nehmen im Eigentum von Bund, Ländern tigen Beitrag zur kurzfristigen Senkung
oder Kommunen bedürfen der Kontrolle. der Lebenshaltungskosten und zur
Sie müssen sozialen und ökologischen besseren Versorgung mit lebensnot­
Vorgaben unterliegen und dem Gemein- wendigen Gütern und Dienstleistungen.
wohl gesetzlich verpflichtet werden. Sie ist vielerorts Vorreiter für ökologi-
Den Belegschaften müssen starke Mit­- sche Produkte, Recycling und die Reali­-
bestimmungsrechte als Korrektiv zu sierung neuer solidarischer Arbeits- und
den Entscheidungen des Managements Lebensformen. DIE LINKE will solida­
garantiert werden. Die Bürgerinnen und rische Ökonomie durch geeignete
Bürger sollen wirksame Möglichkeiten Rahmenbedingungen, regionale Wirt-
der Partizipation an der Entwicklung der schaftspolitik und Existenzgründungs­
kommunalen Dienstleistungen erhalten. hilfen fördern. Insbesondere
Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert 33

Wohnungsgenossenschaften und Eine wirkungsvolle


andere gemeinschaftliche und demo­ demokratische, soziale und
kratisch organisierte Unternehmen und ökologische Rahmensetzung
Selbsthilfeorganisationen im Wohnungs-
sektor werden von der Partei DIE LINKE Wirtschaftliche Entwicklung darf nicht
unterstützt, sofern sie das soziale Ziel nur dem Markt und den Unternehmen
der bezahlbaren Wohnungsversorgung überlassen, sondern muss in ihren
breiter Schichten der Bevölkerung Grundrichtungen demokratisch
verfolgen. gesteuert werden. Erforderlich ist
neben leistungsfähigen öffentlichen
Kleine und mittlere Unternehmer Unter­nehmen eine zielgerichtete
öffentliche Investitionstätigkeit. Die
Ein Ausgleich der Interessen von freien Wirtschafts- und Finanzpolitik muss
Berufen, von Kleinunternehmen und Vollbeschäftigung anstreben, die
den gewerkschaftlichen Interessen der inlän­dische Nachfrage stärken und für
Lohnabhängigen ist lohnend für Demo- eine sozial und ökologisch nachhaltige
kratie und Volkswirtschaft. Ohne den Entwicklung sorgen. Dazu müssen die
Mut und die Ausdauer von Handwerks­ Arbeitszeiten bei zunehmender Produk­
betrieben, Erfinderinnen und Erfindern tivität ohne Einkommensverlust fort-
und Kleingewerbetreibenden wären schreitend verkürzt werden. Regionale
nachhaltig-ökologische Produkte oft und sektorale Wirtschaftspolitik muss
so nicht durchgesetzt worden und auf der Grundlage einer demokratischen
wäre der Ausbau regionaler Kreisläufe Rahmenplanung und einer strategisch
undenkbar. Zudem haben kleine und gestaltenden Strukturpolitik steuernden
mittlere Unternehmen sowie Selbst­ Einfluss auf die Investitionsentscheidun-
ständige oft ein hohes innovatives und gen der Unternehmen nehmen.
kreatives Potenzial. DIE LINKE beteiligt
sich daran mit Rat und Tat, um den DIE LINKE tritt neben dem Ausbau
gemeinsamen Streit für Binnenkaufkraft, direkter Demokratie für ihre Erweiterung
für Freiheit von monopolkapitalistischer durch Runde Tische und Wirtschafts-
Gängelung und von Bank-Diktaten zu und Sozialräte auf allen Ebenen ein. In
verbreitern. solchen Gremien sollten Gewerkschaf-
ten, Kommunen, Verbraucherinnen und
Selbstbewusste Selbstständige in Verbraucher, soziale, ökologische und
Handwerk, Kunst und anderer Dienst­ andere Interessenverbände vertreten
leistung sind unverzichtbar für einen sein. Sie können im Dialog erarbeiten,
demokratischen Sozialismus des was für die verschiedenen Aufgabenbe-
21. Jahrhunderts. Grundsätzlich gehört reiche jeweils als orientierendes allge-
zur pluralen Eigentumsordnung des meines Interesse angesehen werden
demokratischen Sozialismus das soll und gesellschaftlich zur Geltung zu
Privateigentum kleiner und mittlerer bringen ist. Sie sollen an der Entwicklung
Unternehmen. Das gilt auch für bäuer­ regionaler Leitbilder für die demokrati-
liches Eigentum an Grund und Boden. sche, soziale und ökologische Rahmen-
Wir wollen Rahmenbedingungen, die setzung beteiligt werden und Möglich­-
Selbstausbeutung und Druck auf keiten zu gesetzgeberischen Initiativen
Beschäftigte verhindern. erhalten.
34 Linke Reformprojekte – Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung

4. Linke Reformprojekte –
Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung
Der Kampf für eine andere, bessere soll ein demokratischer und sozialer
Welt, für den demokratischen Sozialis- Rechtsstaat sein. Er hat die Aufgabe,
mus, beginnt mit der Veränderung der die natürlichen Lebensgrundlagen zu
Gesellschaft, in der wir leben. DIE LINKE schützen. Alle Staatsgewalt soll vom Volke
setzt sich für die Verwirklichung sozialer ausgehen und in Wahlen und Abstimmun-
Gerechtigkeit, die friedliche Lösung gen ausgeübt werden. Vorbereitung oder
von Konflikten und die Demokratisierung Führung eines Angriffskrieges sind unter
der Gesellschaft ein. Einkommen und Strafe zu stellen.
Vermögen werden auf der Grundlage
von Natur, Wissen und Kultur durch DIE LINKE fordert die Durchsetzung
Arbeit erzeugt. Reichtum darf sich nicht von wirtschaftlichen, gesellschaft­-
länger bei den Kapital- und Großgrund­ lichen und politischen Reformen, die die
besitzern konzentrieren. Erwerbsarbeit, Bedürfnisse und Interessen der Bevölke-
Arbeit in der Familie, Sorge um Kinder, rung in den Mittelpunkt stellen und nicht
Partner und Freunde, Teilhabe am die Bereicherungsansprüche der oberen
kulturellen und politischen Leben und Zehntausend. Indem wir heute für linke
schließlich individuelle Weiterbildung Reformprojekte kämpfen, wirken wir
und Muße sind wesentliche Lebensbe­ zugleich für unser sozialistisches Ziel.
reiche. DIE LINKE will für alle Menschen
die Möglichkeit schaffen, diese Lebens­ Die nachhaltige Überwindung der
be­reiche in selbstbestimmter Balance wirtschaftlichen Krise und der Massen­
zu verbinden. Ihre demokratische Gestal­- erwerbslosigkeit, der sozialen Krise und
tung und geschlechtergerechte Vertei- der Energie- und Klimakrise erfordert
lung haben eine wichtige Rolle auch für eine andere Wirtschaftsordnung, die
die Gestaltung der gesellschaftlichen nicht mehr vom Streben nach maximalem
Lebensverhältnisse und des demokra­ Profit beherrscht wird. Als erster Schritt
tischen Sozialstaats. ist ein grundlegender Richtungswechsel
der ökonomischen und gesellschaft­-
Wir wollen die Grundrechte und An­ lichen Entwicklung notwendig, ein
sprüche verwirklichen, die das Grund­ sozial-ökologischer Umbau. Dazu muss
gesetz formuliert: Menschenwürde, freie die gesamte Wirtschafts- und Lebens­
Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichbe- weise und insbesondere das Energiesys-
rechtigung aller Menschen, freie Wahl tem naturverträglich umgestaltet und auf
von Beruf und Arbeitsplatz, Unverletzlich- regenerative Quellen umgestellt werden.
keit der Wohnung, Meinungs-, Bekennt- Dies muss verbunden werden mit einer
nis- und Vereinigungsfreiheit, Brief- und Politik zur Verbesserung der Arbeits- und
Telekommunikationsgeheimnis, Asylrecht Lebensbedingungen der Mehrheit. Die
für politisch Verfolgte. Eigentum ver- soziale Sicherung sowie öffentliche und
pflichtet und soll zugleich dem Wohl der soziale Dienstleistungen müssen aus-
Allgemeinheit dienen. Grund und Boden, statt abgebaut werden. Die Umverteilung
Naturschätze und Produktionsmittel von unten nach oben muss gestoppt und
können zum Zwecke der Vergesellschaf- umgekehrt werden. Der Finanzsektor
tung in Gemeineigentum überführt wer­- muss demokratischer Kontrolle unterwor-
den. Die Bundesrepublik Deutschland fen werden. Statt Privatisierung muss der
Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit 35

öffentliche und gemeinwirtschaft­liche friedlicher Kapitalismus nicht möglich


Sektor wieder erweitert werden. Demo- ist. Aber im Ergebnis gesellschaftlicher
kratische und soziale Rechte, Bildungs- und politischer Kämpfe und veränderter
und Beteiligungsmöglichkeiten aller Kräfteverhältnisse ist es möglich, eine
Menschen und insbesondere benachtei- andere Entwicklungsrichtung durchzuset-
ligter Gruppen müssen gestärkt werden. zen und so auch Ausgangsbedingungen
Notwendig sind friedliche und koopera­ für weitergehende demokratisch-sozialis-
tive Konfliktlösungen, Abrüstung und tische Umgestaltungen zu schaffen. In
globale Solidarität statt Kriegsführung solchen Auseinandersetzungen werden
unter welchem Deckmantel auch immer. die Konzepte, gesellschaftliche Kräfte
DIE LINKE ist der Überzeugung, dass ein und Mehrheiten für Alternativen zum
krisenfreier, sozialer, ökologischer und Kapitalismus entwickelt.

4.1 Wie wollen wir leben?


Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit
DIE LINKE will, dass jeder Mensch ein Perspektiven zur persönlichen und
selbstbestimmtes Leben in Würde und beruflichen Verwirklichung. Gute Arbeit
sozialer Sicherheit führen, sein Recht auf ist vereinbar mit Familie und sozialem
Arbeit, auf Bildung und Kultur wahrneh- Leben. Voraussetzungen für gute
men kann und nicht diskriminiert oder Erwerbsarbeit sind: Sie muss mit dem
ausgegrenzt wird. Gewissen aller Erwerbstätigen vereinbar
sein, ein gutes Einkommen sichern, die
Gute Arbeit berufliche Qualifikation in Wert stellen
und keine zu hohen Ansprüche an die
Menschliches Leben umfasst die Flexibilität und die Fahrzeiten bedeuten.
physische, kulturelle und geistige Repro­- Sie darf nicht gegen die politische und
duktion und reicht damit weit über den religiöse Gewissensfreiheit verstoßen.
Bereich der Erwerbs- und Lohnarbeit Erwerbsarbeit kann Quelle von Selbst­
hinaus. Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit, verwirklichung sein, aber für viele beginnt
denn ohne die täglich zu leistende Arbeit Selbstverwirklichung außerhalb ihrer
in der Haushaltung, in der Erziehung, Arbeitsverhältnisse.
Sorge und Pflege, im Ehrenamt und im
Kulturbereich könnte auch die in Lohn­ Massenerwerbslosigkeit ist erzwun­-
arbeit investierte Arbeitskraft sich im gene Erwerbslosigkeit und muss über-
gesellschaftlichen Maßstab nicht repro­- wunden werden. Sie ist erniedrigend
duzieren. Die Erwerbsarbeit hat die für die Betroffenen, und sie schwächt
spezifische Bedeutung, dass in ihr die die Position der Beschäftigten und der
Einkommen erwirtschaftet und die Güter Erwerbslosen und die Durchsetzungs-
und Dienstleistungen produziert werden, kraft ihrer Gewerkschaften gegenüber
die gekauft werden können. Die Weiter- dem Kapital. Sie verursacht großen
entwicklung der Produktivkräfte erfolgt finanziellen Druck auf den Sozialstaat.
überwiegend im Bereich der Erwerbsarbeit. Das führt unter anderem dazu, dass
soziale Aufgaben wie Pflege oder
Gute Erwerbsarbeit fördert die eigenen Betreuung von Alten, Kranken oder
Stärken, schöpft Potenziale und eröffnet Kindern verstärkt in den unbezahlten
36 Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

privaten Bereich verlagert werden. werden. Der Kündigungsschutz muss


In der Konsequenz bedeutet das vielfach verbessert und Befristungen müssen
einen Verlust an Professionalisierung gesetzlich eng eingeschränkt werden.
und insbesondere für Frauen verstärkte Inklusive Arbeitsverhältnisse für Men-
zeitliche und psychische Belastung. schen mit Behinderungen sind zu fördern.
Die Massenerwerbslosigkeit schwächt Auch Werkstattbeschäftigte brauchen
zudem alle politischen Bestrebungen für Löhne und Gehälter, die ein selbstbe-
eine soziale und ökologische Gestaltung stimmtes Leben ermöglichen.
der Produktions- und Lebensweise. Jeder
und jede hat das Recht auf Arbeit und Wir wollen regelmäßige Lohnzuwächse,
das Recht, konkrete Arbeitsangebote die mindestens den Produktivitäts­
abzulehnen, ohne Sperrzeiten oder zuwachs und die Preissteigerungen
Sanktionen fürchten zu müssen. Zwang ausgleichen. Die Managergehälter
zur Erwerbsarbeit lehnen wir ab. müssen auf das 20-fache der untersten
Lohngruppen im Unternehmen begrenzt,
DIE LINKE will gute Arbeit statt die Vergütung mit Aktienoptionen sowie
unge­sicherter, prekärer und unterbe­ übermäßige Abfindungen verboten
zahlter Beschäftigung. Deshalb soll jede werden.
Erwerbstätigkeit sozial versichert sein.
Wir kämpfen dagegen, dass reguläre Wir wollen die Arbeitszeiten bei vollem
Beschäftigung durch Leiharbeit, Schein- Lohn- und Personalausgleich verkürzen.
selbstständigkeit, Endlospraktika­ Gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit
schleifen oder Minijobs ersetzt wird. für die Einzelnen – das wollen wir als
Unabhängig von Geschlecht, Alter und neue Vollbeschäftigung. Die Vereinbar-
Erwerbsstatus muss gelten: Gleiches keit von Erwerbsarbeit mit Kinderer­
Entgelt und gleiche soziale Standards ziehung und Pflege muss verbessert
für gleiche und gleichwertige Arbeit. werden. Die Beschäftigten brauchen
Schluss mit Armutslöhnen und Lohndum- zudem größere Selbst- und Mitbestim-
ping. Die Enteignung der Beschäftigten mungsrechte in Bezug auf ihre Arbeits­-
muss gestoppt werden. Deshalb fordern zeit und genügend freie Zeit für Erholung,
wir einen gesetzlichen Mindestlohn in Muße und selbstbestimmte Tätigkeiten.
existenzsichernder Höhe. Dieser Min- Durch die Reform des Arbeitszeitgeset-
destlohn soll mindestens 60 Prozent des zes soll die höchstzulässige durchschnitt-
nationalen Durchschnittslohns betragen. liche Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden
begrenzt werden. Perspektivisch streben
Tarifverträge müssen leichter als bisher wir eine Obergrenze von 35 Stunden,
für allgemeinverbindlich erklärt werden längerfristig von 30 Stunden an. Wir
können. Öffentliche Aufträge dürfen nur wollen, dass dabei für die Beschäftigten
an Unternehmen vergeben werden, die ein voller Lohnausgleich gesichert wird.
die Tarifverträge und Schwerbehinder- Die Mitbestimmungsrechte von Personal-
tenquote einhalten, Mindestlöhne zahlen und Betriebsräten sind vor allem im
und soziale und ökologische Kriterien Hinblick auf Personal- und Stellenpläne
beachten. Tarifflucht muss bekämpft zu erweitern. So ist zu erreichen, dass
werden. Das Entsendegesetz muss die Verkürzung der Wochenarbeitszeit
künftig für sämtliche Branchen vorschrei- zu mehr Beschäftigung führt und der
ben, dass für alle Anbieter die Standards Leistungsdruck abgebaut wird. Den
des Ortes gelten, an dem die Arbeit betrieblichen Arbeits- und Gesundheits-
geleistet wird. Leiharbeit muss verboten schutz und das Jugendarbeitsschutz­
Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit 37

gesetz wollen wir verbessern. Die auszuüben. In der Kultur- und Kreativwirt-
Ansprüche der Beschäftigten auf schaft und im Softwarebereich sowie in
Weiterbildung wollen wir ausweiten. Callcentern sind ungeschützte Beschäfti-
Auch der Wiedereinstieg in den Beruf gungsverhältnisse, schlechte Bezahlung
nach einer schwangerschafts- und und Arbeitsbedingungen besonders
erziehungsbedingten Pause muss durch verbreitet. In großem Maße werden zu
kostenfreie Weiterbildungsangebote miesen Konditionen arbeitende Selbst-
erleichtert werden. ständige und Minijobber sowie Prakti­
kantinnen und Praktikanten ausgebeutet.
Gute Arbeit für jede und jeden DIE LINKE setzt sich dafür ein, Praktika
erfordert erweiterte Mitbestimmung als Lernverhältnisse zu regeln und
der Beschäftigten im Betrieb und im Mindestentgelte festzusetzen. Alle
Unternehmen. Wir sind für bindende Selbstständigen müssen in den Schutz
Veto-Rechte von Beschäftigten in der Sozialversicherungen einbezogen
bedeutenden sozialen, wirtschaftlichen werden, dabei sollen die Auftraggeber,
und ökologischen Belangen. Starke entsprechend den Arbeitgeberbeiträgen
und kämpferische Gewerkschaften bei Arbeitnehmern, zur Finanzierung
sind notwendig. DIE LINKE unterstützt herangezogen werden. Wo es möglich
sie in ihren Anstrengungen. Das unge­ ist, sind gemeinsame Vergütungsregeln
hinderte Streikrecht, einschließlich des für von Selbstständigen für Unternehmen
Rechts auf den politischen Streik und erbrachte Leistungen durchzusetzen.
den Generalstreik, muss gewährleistet
werden. Die Aussperrung als Kampf­ Aktive Wirtschafts-
instrument der Unternehmer gegen und Arbeitsmarktpolitik
die Gewerkschaften muss verboten,
der Antistreikparagraph muss abge- Die neoliberale Entstaatlichungs- und
schafft, die Tarifflucht muss gesetzlich Privatisierungspolitik der vergangenen
unterbunden und das Verbandsklage- Jahre hat in vielen Bereichen zu einer
recht für Gewerkschaften eingeführt massiven Unterversorgung geführt. Die
werden. Überwindung des öffentlichen Investiti-
onsstaus und der Ausbau öffentlicher
Die rasante Entwicklung der Informa- Beschäftigung sind überfällig. Es ist eine
tions- und Kommunikationstechniken, Schande, dass in einem reichen Land
darunter des Internets, bringt neue wie Deutschland Menschen in Armut
Möglichkeiten, Arbeit aus dem betrieb­ oder in Obdachlosigkeit leben, Kinder
lichen Zusammenhang zu lösen und und Jugendliche keine gute Bildung
mit eigenen Produktionsmitteln selbst­ erhalten, Pflegebedürftige vernachläs­-
bestimmt tätig zu sein. Insbesondere sigt werden, Bibliotheken oder Schwimm-
Soloselbstständige, die als Schein­ bäder geschlossen werden oder aus
selbstständige von einem Auftraggeber Geldmangel Schulgebäude verfallen
abhängig sind, sind bei Auftragseinbrü- und Straßen verrotten.
chen unmittelbar existenziell betroffen
und unzureichend sozial abgesichert. Wir brauchen einen Richtungswechsel
Gleichzeitig wachsen damit die Risiken, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
auch qualifizierte »Informationsarbeit« Sie muss eine neue Vollbeschäftigung,
zu verlagern, an billigere Anbieter im In- höhere Masseneinkommen und die
und Ausland zu vergeben und so Druck Stärkung der öffentlichen Finanzen
auf die Löhne und Arbeitsbedingungen anstreben. Dabei darf es keine sozial
38 Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

und ökologisch blinde Wachstums­ aber überlebensfähigen Unternehmen


fixierung geben, sondern dies muss geholfen und der sozial-ökologische
mit einem zukunftsfähigen Umbau der Umbau gefördert werden kann. Dabei
Strukturen, mit sinkendem Rohstoff­ dürfen staatliche Hilfen nur im Tausch
verbrauch und sinkenden Umweltbelas- gegen entsprechende Eigentumsanteile
tungen verbunden werden. Dazu muss der öffentlichen Hand oder Belegschafts-
die inländische Nachfrage durch eine anteile vergeben werden. Diese Eigen-
Umverteilung zugunsten kleiner und tumsrechte sind zu nutzen, um die
mittlerer Einkommen und eine Auswei- Kriterien der Unternehmensführung zu
tung öffentlicher Leistungen gestärkt verändern: Die heutige Renditefixierung,
werden. DIE LINKE fordert große öffent­ die ausschließlich den Eigentümern
liche Zukunfts- und Investitionsprogram- beziehungsweise Aktionären nützt,
me für Bildung, für soziale, ökologische muss abgelöst werden durch ein Wirt-
und barrierefreie Verkehrsinfrastruktur. schaften, das den Unternehmenserfolg
Dies schafft Nachfrage und Beschäfti- am langfristigen Wachstum, an den
gung in privaten Unternehmen ebenso Interessen der Beschäftigten sowie
wie im öffentlichen Dienst. der ökologischen Nachhaltigkeit misst.

Die Beschäftigung im Bereich öffent­- Wir wollen eine aktive Arbeitsmarkt­


licher und sozialer Dienstleistungen ist in politik, die sich in besonderem Maße für
Deutschland im internationalen Vergleich all diejenigen Menschen engagiert, die
stark unterentwickelt und zudem häufig schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt
schlecht bezahlt. Wir wollen in diesen haben. Die Kenntnisse, Kompetenzen und
Bereichen Millionen neue reguläre und Fähigkeiten älterer Mitarbeiterinnen und
tariflich bezahlte Arbeitsplätze schaffen Mitarbeiter müssen nachhaltig in den
und so zugleich dringende gesellschaft­ Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu
liche Bedürfnisse befriedigen. Dies kann gehören Regelungen, die Menschen im
und muss durch eine sozial gerechte und Alter von über 50 Jahren wirksam vor
ökologische Steuerpolitik, die Reiche Kündigung schützen und ihnen im Falle
und finanzstarke Unternehmen verstärkt der Erwerbslosigkeit eine ihren Kennt­
heranzieht und den Umweltverbrauch nissen und Fähigkeiten entsprechende
und den Ressourcenverbrauch beson­- tariflich bezahlte Beschäftigung zum
ders besteuert, solide finanziert werden. Wohle und zum Nutzen aller ermöglichen.
Öffentlich geförderte Beschäftigung
Eine aktive staatliche Industrie- und muss sinnvolle und tariflich bezahlte
Dienstleistungspolitik ist erforderlich, Arbeitsplätze anbieten. Diese sollten
um De-Industrialisierung zu verhindern besonders dort geschaffen werden,
und Arbeitsplätze im verarbeitenden wo der Markt Bedürfnisse im sozialen,
Gewerbe, im Handel und in anderen kulturellen und ökologischen Bereich
Dienstleistungsbereichen zu sichern. nicht abdeckt. Die Annahme dieser
Wir fordern ein Verbot von Massenent­ Arbeitsplätze ist freiwillig.
lassungen. Das wird in großem Umfang
sozial abgesicherte Übergänge von Wir diskutieren darüber, inwieweit mit
Beschäftigten aus schrumpfenden in einem öffentlich geförderten Beschäfti-
zukunftsfähige Branchen einschließen. gungssektor über die Arbeitsmarktpolitik
hinaus die Beschäftigung im Non-Profit-
Wir wollen einen öffentlichen Zukunfts- Bereich dauerhaft fortentwickelt und
fonds einrichten, mit dem bedrohten, gestärkt werden kann.
Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit 39

Den Finanzsektor demokratisch Bundesrepublik verbieten. Sämtliche


kontrollieren und dem Gemeinwohl Finanztransaktionen wie Börsenumsätze,
verpflichten außerbörslicher Handel oder Devisenge-
schäfte sind mit einer Steuer zu belegen,
Die privaten Banken sind für die Speku­ um Spekulation unattraktiv zu machen.
lationsblasen der vergangenen Jahre Hierzu gehört insbesondere das Verbot
und die entstandenen Milliardenver­- von Spekulationen mit landwirtschaft­
luste wesentlich verantwortlich. Private lichen Nutzflächen, Agrarrohstoffen
Banken müssen deshalb verstaatlicht, jeglicher Art einschließlich Wasser.
demokratischer Kontrolle unterworfen Leerverkäufe sind zu verbieten. Als
und auf das Gemeinwohl verpflichtet ersten Schritt fordern wir die Einführung
werden. Durch strikte Regulierung ist einer Börsenumsatzsteuer in Deutsch-
zu gewährleisten, dass der Bankensektor land. Die Wechselkurse der wichtigsten
in Zukunft wieder seinen öffentlichen Leitwährungen müssen durch Zielzonen
Auftrag erfüllt: die zinsgünstige Finan­ stabilisiert werden. Auf europäischer
zierung wirtschaftlich sinnvoller Investi­ Ebene müssen Regulierungs- und
tionen, insbesondere auch kleiner und Aufsichtsstrukturen aufgebaut und
mittlerer Unternehmen, die Abwicklung bestehende gestärkt werden. Wir setzen
des Zahlungsverkehrs und Bereitstel­- uns für eine Koordinierung der nationalen
lung eines kostenlosen Girokontos für Steuerpolitiken ein, um Steuerdumping
jedermann, sichere Anlage privater innerhalb der EU zu beenden. Steuer­
Ersparnisse. Das in den vergangenen oasen, in denen zudem keine wirksame
Jahren explosiv angewachsene Invest- Regulierung stattfindet, müssen ausge-
mentbanking ist abzuwickeln, der trocknet werden, indem Geschäfte mit
Eigenhandel mit Wertpapieren und ihnen unterbunden werden.
die Spekulation mit Derivaten sind
Banken zu verbieten, ebenso jegliche Nachhaltige Agrarwirtschaft
Geschäfte außerhalb der eigenen Bilanz und ländliche Entwicklung
und Geschäfte mit Unternehmen oder
Personen, die rechtlich in Steueroasen Die agrarwirtschaftliche Primärproduk­
registriert sind. Dringend erforderlich tion gehört zu den Schlüsselbereichen
sind Rahmenvorgaben für Kredit- und beim sozial-ökologischen Umbau und
Guthabenzinsen. Banken müssen zur Sicherung der Ernährungssouveräni-
gesetzlich verpflichtet werden, einen tät. Sie muss durch nachhaltige Produk­
festgelegten Mindestanteil ihrer Bilanz- tionsmethoden und -verfahren die
summe in Form von Kleinkrediten zu Nachfrage nach Rohstoffen für sichere,
niedrigen Zinsen an mittelständische gesunde Lebens- und Futtermittel sowie
Unternehmen zu vergeben. Biomasse zur energetischen und stoff­
lichen Nutzung decken. Zugleich soll
Wir fordern eine effektive Kontrolle und sie die Böden fruchtbar, das Wasser
Regulierung des internationalen Kapital- sauber und die Luft rein halten sowie
verkehrs, ein Verbot hochspekulativer die biologische Vielfalt in den Kulturland-
Investitionsvehikel, die die Stabilität des schaften bewahren. Wir wollen innova­
Finanzsystems und damit der gesamten tive, ressourcenschonende Land- und
Weltwirtschaft gefährden. Wir wollen Forstwirtschaft, Gartenbau und Fischerei
spekulative Investmentvehikel wie im Einklang mit der Natur. Wir sind gegen
Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesell- die fortschreitende Überfischung und
schaften die Geschäftstätigkeit in der Ausbeutung der Meere und Binnen­
40 Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

gewässer. Wir fordern eine deutliche oder konventionellem Anbau anderer-


Steigerung des ökologischen Landbaus seits ist nicht möglich. Sind transgene
und ein umweltverträgliches Wirtschaf- Pflanzen erst einmal freigesetzt, können
ten aller Landeswirtschaftsbetriebe, so sie nicht mehr zurückgeholt werden.
dass perspektivisch alle Nahrungsmittel
nachhaltig hergestellt werden. Damit DIE LINKE fordert ein unverzügliches
kann der Aufwand an Agrochemikalien, Verbot von Agrogentechnik – bei uns,
synthetischen Düngemitteln, Wasser auf europäischer Ebene und weltweit.
und Energie gesenkt werden. Die Nulltoleranz bei Saatgut muss
beibehalten werden. Terminator-Saatgut
Wir wollen nachhaltig wirtschaftende ist zu verbieten. DIE LINKE unterstützt
bäuerliche Familienbetriebe, genossen- die Einrichtung von gentechnikfreien
schaftliche und kommunale Betriebe Zonen und die Schaffung von Erzeuger-
stärken und einer Konzentration privaten und Vermarktungsgemeinschaften
Grundeigentums entgegenwirken, die für gentechnikfreie Produktion – aus
Errungenschaften der Bodenreform konventioneller oder biologischer
verteidigen und vielfältige Formen Landwirtschaft. Der einheimische Anbau
überbetrieblicher, regionaler und von Eiweißfuttermitteln muss gestärkt
überregionaler Zusammenarbeit der werden. Wir brauchen keine Gentechnik
Agrar- und Nahrungsmittelbetriebe auf dem Acker, im Futtertrog, auf dem
unterstützen. Wir setzen auf sozial- Teller oder im Tank. Die nachhaltige
ökologisch ausgerichteten Struktur­ und umweltschonende Erzeugung von
wandel durch Kooperation. gesunden Nahrungs- und Futtermitteln
sowie nachwachsenden Rohstoffen ist
Für eine gentechnikfreie nur mit gentechnikfreier Landwirtschaft
Landwirtschaft möglich. Die Agrogentechnik ist eine
Risikotechnologie und widerspricht
DIE LINKE setzt sich für eine gentech­ unserem Ziel des sozial-ökologischen
nikfreie Landwirtschaft ein. Die Agro- Umbaus.
gentechnik nutzt nur einigen wenigen
internationalen Saatgut- und Agroche- Förderung strukturschwacher
miekonzernen, die die globale Kontrolle Regionen. Verantwortung
über den landwirtschaftlichen Sektor in Ostdeutschland
und die Ernährung anstreben. Die
Agrogentechnik ist mit hohen gesund­ DIE LINKE strebt gleichwertig gute
heitlichen, ökologischen, ökonomischen Lebensbedingungen in allen Regionen
und sozialen Risiken für Landwirte, der Bundesrepublik Deutschland und
Gärtnerinnen und Gärtner, Imker und eine Angleichung der Lebensverhält­-
Imkerinnen, Verbraucherinnen und nisse in der Europäischen Union an.
Verbraucher behaftet. Der behauptete Die europäische Politik muss in diesem
Nutzen für die Landwirtschaft ist längst Zusammenhang die Regionen mit
durch die katastrophalen Erfahrungen gravierendem Entwicklungsrückstand
in anderen Ländern – wie Kanada und stärken und zugleich die Stabilität in allen
Indien – widerlegt. Die Agrogentechnik anderen Regionen stützen. Die Weiter-
kann weder den Pestizideinsatz verrin- entwicklung der EU-Strukturförderung
gern noch das Welternährungsproblem muss den Erfordernissen des Klima-
lösen. Eine Koexistenz von Gentech- schutzes und der Energiewende gerecht
Anbau einerseits und biologischem werden, sie muss den ökologischen
Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit 41

Umbau und den Ausbau der öffentlichen tions- und Strukturpolitik, um Entwick-
Daseinsvorsorge stimulieren. lungsnachteile Ostdeutschlands gezielt
auszugleichen. Dazu gehören verstärkte
Strukturschwache Länder und Regionen Investitionen in Bildung, Qualifikation und
müssen in einem kooperativen und sozia­- Forschung, die Förderung von Zukunfts-
len Bundesstaat unterstützt werden. Wir branchen und -unternehmen sowie von
wenden uns gegen Wettbewerbsfödera­ Zentren regionaler Wirtschaftsentwick-
lismus, in dem die Länder gegeneinander lung durch Kooperation von Wissen-
mit unterschiedlichen Steuern, Stan- schaftseinrichtungen und Unter­-
dards und Bedingungen im öffentlichen nehmensnetzen.
Dienst konkurrieren. Er nützt nur den
reichen Ländern sowie den mobilen Umverteilung und gerechte Steuern
Unternehmen und wohlhabenden
Bevölkerungsgruppen. Er schadet den DIE LINKE will soziale Sicherheit für alle
Menschen, deren Lebens- und Arbeits- und soziale Gerechtigkeit. Wir streben
bedingungen verschlechtert werden. deshalb eine soziale Umverteilung von
oben nach unten an. Gerechte, ausge­
Notwendig ist eine starke Regional­- glichene Verteilungsverhältnisse sind
politik, an der die Bürgerinnen und Bürger auch wichtig zur Stärkung der Demo­
vor Ort demokratisch beteiligt werden kratie, weil die Verfügung über große
und die alle vorhandenen lokalen und finanzielle Mittel auch politische Macht
regionalen Entwicklungspotenziale in verleiht.
Regionalentwicklungsplänen und Bürger­-
haushalten fördert. Erforderlich ist eine Die öffentlichen Finanzen wollen
verbesserte Zusammenarbeit und Ver­- wir mit einer gerechten Steuerpolitik
flechtung von Wachstumszentren und stärken, die zu höheren Einnahmen
strukturschwachen ländlichen Gebieten. führt. Nur Reiche können sich einen
Es geht darum, durch umfassende Ange­- armen Staat leisten. Die Profiteure des
bote in Bildung, Kultur, Freizeit- und Finanzkapitalismus, der Umverteilungs-
Kinderbetreuungseinrichtungen und mit politik und der Bankenrettungsaktionen
der Förderung attraktiver Arbeitsplätze der Staaten müssen an den Kosten der
lebenswerte Rahmenbedingungen – Krisenbewältigung und eines sozial-
besonders für junge Menschen – zu ökologischen Umbaus beteiligt werden.
schaffen, so dass es sich lohnt, in der Wir fordern die Wiedereinführung der
Region zu bleiben. Vermögenssteuer in Form einer Millio-
närssteuer in Höhe von fünf Prozent
Für DIE LINKE hat schon aufgrund ihrer jährlich auf private Millionenvermögen.
historischen Entwicklung die Vertretung Wir fordern zugleich eine deutliche
ostdeutscher Interessen besonderen Anhebung der Erbschaftssteuer auf
Stellenwert. Ostdeutschland bedarf eines große Vermögen. Dies alles ist auch
neuen Politikansatzes, um extrem hohe wichtig, um die extreme Ungleichheit
Erwerbslosigkeit, niedrigere Löhne als und Konzentration privater Vermögen
im Westen abzubauen und das weitere zu verringern. DIE LINKE tritt für öko-
Abwandern junger Menschen zu been- ­logische Steuern mit einer wirksamen
den. Neue Entwicklungswege für Ost­- Lenkungsfunktion in Richtung Senkung
deutschland erfordern Landesentwick­- des Ressourcenverbrauchs ein. Diese
lungskonzepte und eine langfristige Steuern müssen bei der Produktion
gesamtdeutsche Innovations-, Investi- statt beim Endverbraucher ansetzen.
42 Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

Konzerne und andere finanzstarke in Richtung eines Wohlfahrtsstaates


Unternehmen müssen wieder mehr entgegenzutreten, der nur auf gutem
Steuern zahlen. Steuerschlupflöcher Willen beruht. Deshalb müssen soziale
wollen wir schließen. Wir fordern die Grundrechte in der Verfassung festge-
kräftige Anhebung des Spitzensteuer­ schrieben werden. Hierzu bedarf es der
satzes der Einkommenssteuer. Wir Stärkung des Sozialstaatsprinzips im
verlangen die Kontrollmitteilungen der Grundgesetz durch die Einführung
Banken über Kapitalerträge und eine sozialer Grundrechte wie das Recht auf
Meldepflicht für Finanzanlagen im Arbeit, auf Bildung, auf Wohnen, sozio­
Ausland sowie mehr Personal in den kulturelle Existenzsicherung und gesund-
Finanzbehörden, um Steuerflucht und heitliche Versorgung.
-hinterziehung zu bekämpfen. Kapital­
einkommen müssen künftig wieder Wir wollen einen aktiven Sozialstaat, der
zum persönlichen Steuersatz versteuert die Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall,
werden, statt mit einer pauschalen Pflegebedürftigkeit und Behinderung
Ab­geltungssteuer von nur 25 Prozent. sowie Erwerbsunfähigkeit und Erwerbs­
Die Bezieherinnen und Bezieher niedriger losigkeit solidarisch absichert, vor Armut
und mittlerer Einkommen wollen wir schützt und im Alter ein selbstbestimm-
dagegen steuerlich entlasten. Wir fordern tes Leben in Würde garantiert. Wir setzen
die Abschaffung des Ehegattensplittings, auf die finanzielle Förderung der Selbst-
denn dieses fördert die traditionelle organisation aus öffentlichen Mitteln,
männlich dominierte Alleinverdienerehe insbesondere der Erwerbslosen. Sozial-
und hemmt die Erwerbstätigkeit von staatliche Leistungen müssen auf indi­-
Frauen. Andere Familienformen werden viduellen Rechtsansprüchen beruhen,
dadurch benachteiligt. Stattdessen sind um patriarchale Abhängigkeiten und
die öffentlichen Maßnahmen zur Förde- behördliche Willkür zu verhindern.
rung von Kindern auszuweiten. Wir wollen
eine vom jeweiligen Verkehrsmittel Die Politik der Entstaatlichung, Libera­
unabhängige Kilometerpauschale für lisierung und bedingungslosen Wett­
den Weg zur Arbeit einführen – auch für bewerbsorientierung ist rückgängig zu
Niedrigverdienerinnen und -verdiener, machen. Die Befriedigung menschlicher
die keine Steuern zahlen. DIE LINKE will Grundbedürfnisse wie Wohnen, Bildung
den ermäßigten Umsatzsteuersatz auf und Gesundheit muss für jeden Men-
arbeitsintensive Dienstleistungen des schen unabhängig von seinem Geldbeu­-
Handwerks ausweiten. tel gewährleistet werden. Die Daseins­-
vorsorge in der Versorgung mit Wasser,
Soziale Sicherheit im Energie, Transport- und Kommunikati­
demokratischen Sozialstaat onsdiensten flächendeckend, für alle
erschwinglich und in hoher Qualität zu
Jede und jeder braucht soziale Sicher­- sichern, ist eine öffentliche Aufgabe.
heit, um selbstbestimmt leben und das Sie muss ebenso wie Krankenhäuser,
Recht auf demokratische Mitgestaltung Schulen und Hochschulen in öffent­-
umfassend wahrnehmen zu können. lichen, nicht profitorientierten Unter­
DIE LINKE steht konsequent für die nehmen organisiert werden. Das Recht
Erweiterung und Präzisierung des auf menschenwürdiges Wohnen muss
Sozialstaatsgebotes im Grundgesetz. gesetzlich verankert werden. Die Teil­-
Insbesondere geht es auch darum, habe an Kultur muss gesichert werden.
schon heute vorhandenen Entwicklungen Wir wollen, dass Betreuungs- und
Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit 43

Freizeit­angebote für Kinder und Jugend­ Verteilung weiter steigende Renten


liche problemlos erreichbar sind, ebenso ebenso wie Arbeitseinkommen trotz
wie soziale Dienste der Familien- und eines wachsenden Anteils Älterer an
Erziehungshilfe. Ausnahmslos alle in der Bevölkerung.
Deutschland Lebenden, unabhängig von
ihrer Staatsangehörigkeit, müssen durch Wir wollen eine solidarische Renten­
den demokratischen Sozialstaat gegen versicherung als Alterssicherung, die
Ausgrenzungen geschützt werden. zu einer gesetzlichen Rente deutlich
über der Armutsgrenze führt und den
Eine angemessene Wohnung und selbst­- erarbeiteten Lebensstandard weit­-
bestimmtes Wohnen für alle Generationen gehend sichert. Sie macht eine staat­-
gehören zu den wichtigsten Bedingun- liche Förderung der privaten Altersvor-
gen sozialer Sicherheit und Menschen- sorge überflüssig. Diese kann drohende
würde. Wohnen muss für alle langfristig Altersarmut nicht vermeiden und hat zur
bezahlbar sein. Dazu gehören ein sozial Aufblähung der Finanzsphäre wesentlich
ausgewogenes Mietrecht, wohnwertbe- beigetragen. Wir fordern eine solidari-
zogene Mieten und ein regelmäßig ange­- sche Rentenversicherung, die alle Frauen
passtes Wohngeld. Wir fordern einen und Männer in eine paritätisch finanzierte,
barrierefreien sozialen Wohnungsbau gesetzliche Rentenversicherung einbe-
sowie die gleichberechtigte Förderung zieht, sowie eine solidarische Mindest­
aller Wohneigentums­formen und einen rente im Rahmen Rentenversicherung,
aktive Städtebauförderung. Eine gemein- um Altersarmut zu verhindern. Die
nützige Wohnungswirtschaft soll Träger solidarische Mindestrente speist sich
des Wohnens als Daseins­vorsorge sein zum einen aus den eigenen beitragsbe-
und zur ausgewogenen Entwicklung des gründeten Rentenansprüchen und zum
Wohnungsmarktes beitragen. DIE LINKE anderen aus Steuermitteln für diejeni­-
wird weiterhin dafür streiten, das Grund­- gen, deren Einkommen und Vermögen
recht auf Wohnen ins Grundgesetz zu einem Leben unterhalb der Armuts-
aufzunehmen. grenze führen würden.

Ein wichtiger Grund für die Finanz­ Wir wollen den Solidarausgleich in der
probleme der Sozialkassen ist die gesetzlichen Rente stärken, darum auch
Massenerwerbslosigkeit. Hinzu kommen die Beitragsbemessungsgrenzen erst
politische Entscheidungen zu Lasten deutlich an- und letztlich aufheben
der Sozialversicherungen, Lohndumping und die Rentenansprüche für die hohen
und die Vernichtung sozialversicherungs- Einkommen abflachen. Wir streiten für
pflichtiger Arbeitsplätze. Diese Entwick- die Angleichung der Rentenwerte Ost
lungen haben zur Erosion der Beitrags­- auf das Westniveau. Die Rente erst ab
einnahmen geführt. Es gibt auch keinen 67 lehnen wir ohne Wenn und Aber ab.
demografischen Grund für Rentenkür­ Wir fordern den ungekürzten Rentenzu-
zungen. Trotz eines wachsenden Anteils gang nach 40 Beitragsjahren einschließ-
Älterer an der Bevölkerung sind steigen- lich gleichgestellter Zeiten und die
de Renten realisierbar. Diese Möglichkeit Möglichkeit, schon ab 60 bis 65 Jahre
beruht auf steigender Produktivität der ohne Abschläge aus dem Erwerbsleben
Arbeit und voller Ausschöpfung des auszusteigen.
gesellschaftlichen Arbeitspotenzials.
Denn die steigende Produktivität der Auch bei Erwerbslosigkeit müssen die
Arbeit ermöglicht bei solidarischer sozialen Leistungen den vorher erreich-
44 Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

ten Lebensstandard annähernd sicher- auf Wiederherstellung der Parität und


stellen. Wir fordern daher: Hartz IV muss der Abschaffung der Zuzahlungen.
weg. DIE LINKE fordert stattdessen ein
am vergangenen Einkommen orientiertes Unter Gesundheit verstehen wir, wie
Arbeitslosengeld, mindestens aber eine die Weltgesundheitsorganisation WHO,
bedarfsdeckende und sanktionsfreie den Zustand vollkommenen körperlichen,
Mindestsicherung, die Armut tatsäch­- geistigen und sozialen Wohlbefindens
lich verhindert und die Bürgerrechte und nicht bloß die Abwesenheit von
der Betroffenen achtet. Dazu gehören Krankheit oder Gebrechen. Die Leistun-
die Abschaffung der Sanktionen, der gen des Gesundheitswesens müssen
Sonderregelungen für junge Menschen uneingeschränkt der bedarfsgerechten,
bis zum 25. Lebensjahr, der Bedarfs- flächendeckenden, wohnort- und
und Einsatzgemeinschaften und die zeitnahen gesundheitlichen Versor­-
Einführung des Individualprinzips auf gung der Bevölkerung dienen und allen
der Basis der gesetzlichen Unterhalts­ Menschen, unabhängig von ihrer sozia-
verpflichtungen. len, finanziellen und aufenthaltsrecht­
lichen Situation zur Verfügung stehen.
Teile der LINKEN vertreten darüber
hinaus das Konzept des bedingungs­- Gesundheit ist keine Ware. Die öffent­
losen Grundeinkommens, um das Recht lichen Eigentumsverhältnisse und
auf eine gesicherte Existenz und gesell- Struk­turen des Gesundheitswesens
schaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von sind als Bereich der öffentlichen Da­
der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Dieses seinsvorsorge zu organisieren. Arznei­
Konzept wird in der Partei kontrovers mittelpreise sind gesetzlich zu kontrol­-
diskutiert. Diese Diskussion wollen wir lieren. Die demokratische Mitbestim­-
weiterführen. mung der Versicherten, der unabhän­-
gigen Patientenvertretungen und der
DIE LINKE streitet für eine Kindergrund­ Beschäftigten im Gesundheitswesen
sicherung für alle Kinder und Jugend­ ist entsprechend gesetzlich zu regeln.
lichen, die Kinder- und Jugendarmut Im Gesundheitswesen erzielte wirtschaft-
verhindert, allen Kindern und Jugend­ liche Überschüsse sind zum Wohle der
lichen gute Teilhabe- und Entfaltungs- Versicherten und Beschäftigten einzu­
möglichkeiten bietet und vor Ausgren­- setzen. Zweckentfremdungen wie Speku­-
zungen und Diskriminierungen schützt. lationsgeschäfte mit Versichertenbei­-
trägen sind zu verbieten. Dienste der
DIE LINKE kämpft für ein demokra­- stationären und ambulanten medizini-
tisches Gesundheitswesen, das auf schen Versorgung, der Rehabilitation
der Solidarischen Bürgerversicherung und der Pflege sind als Integrierte
als allgemeiner Kranken- und Pflege­ Versorgung sektorenübergreifend zu
versicherung und einer öffentlichen organisieren. Wir wollen poliklinische
Gesundheitsversorgung basiert. In Strukturen, die Einrichtung ambulanter
eine Solidarische Bürgerversicherung Behandlungszentren mit angestellten
zahlen alle Menschen entsprechend Fachärzten verschiedener Fachrichtun-
ihrer Einkünfte (Erwerbs-, Kapital- und gen fördern, um einen vernünftigen
andere Einkommen) ein. Die Solidarische Umgang mit Ressourcen statt Leistungs-
Bürgerver­sicherung hebt die Trennung kürzungen zu garantieren. Gesundheits-
von Gesetzlicher und Privater Kranken- förderung und Krankheitsprävention
und Pflegeversicherung auf und basiert müssen als eigenständige Säule des
Demokratisierung der Gesellschaft 45

Gesundheitswesens entwickelt und für eine rationale und humane Drogen­


in einem Präventionsgesetz verankert politik ein, was eine Entkriminalisierung
werden. des Drogenkonsums und langfristig eine
Legalisierung aller Drogen beinhaltet.
Wir wollen eine liberale und aufgeklärte Das bedeutet die Entkriminalisierung der
Drogenpolitik in Deutschland. Drogen Abhängigen und die Organisierung von
sind eine Alltagserscheinung. Der Hilfe und einer legalen und kontrollierten
Alkoholmissbrauch ist ein gesellschaft­ Abgabe von Drogen an diese. Im Grund-
liches Problem. Die Unterscheidung in satz wollen wir eine Gesellschaft, die
legale und illegalisierte Substanzen ist nicht auf Strafe und Repression gegen
willkürlich. Drogen sowie deren Miss- Drogenkonsumentinnen und -konsumen-
brauch können zu schweren gesund­ ten setzt, sondern mit Prävention und
heitlichen, sozialen und materiellen Aufklärung dem Drogenmissbrauch
Problemen führen. Wir treten daher vorbeugt.

4.2 Wie wollen wir entscheiden?


Demokratisierung der Gesellschaft
Die Bundesrepublik Deutschland Finanz­investoren sein. Deshalb setzen
bedarf der Erneuerung als demokrati- wir uns für die Erweiterung der paritäti-
scher und sozialer Rechtsstaat. Deshalb schen Mitbestimmung und für die Durch­-
muss die repräsentative parlamentari- setzung des Vetorechts der Belegschaf-
sche Demokratie durch direkte Demokra- ten gegen die Schließung von Betrieben
tie erweitert werden. Der Volksentscheid ein, die nicht von Insolvenz bedroht sind.
soll dafür ein wichtiges Mittel werden.
Die Veränderung der Eigentumsverhält- Der Kapitalismus hat die Grundlagen
nisse, insbesondere auch im Finanzsek- von Demokratie als Herrschaft des
tor, die Stärkung des Öffentlichen und Volkes untergraben. Wahlen werden
einer demokratischen Öffentlichkeit zur Farce, wenn sich die Gewählten ihre
sind unsere Alternativen zu neoliberaler Entscheidungen von Großunternehmen
Privatisierung und einem autoritären und den Vermögenden diktieren lassen
Sicherheitsstaat. und so der demokratischen Kontrolle
entziehen. Deshalb fordern wir, dass
Stärkung der Parlamente Wirtschaftsverbände und Unternehmen
und partizipative Demokratie nicht an Parteien spenden dürfen und
es ihnen verboten wird, Abgeordnete in
Für DIE LINKE gehören politische Landtagen, im Bundestag oder Europa-
und soziale, individuelle und kollektive parlament auf ihren Gehaltslisten zu
Freiheits- und Teilhaberechte zusammen. führen. Auch Großspenden von Privat­
DIE LINKE will demokratische Kontrolle personen müssen begrenzt werden,
und Mitbestimmung in der Wirtschaft um die Demokratie vor dem Einfluss
und im Staat, in den Massenmedien, des großen Geldes zu schützen.
in Bildung, Wissenschaft und anderen
Gesellschaftsbereichen ausbauen. Wir treten für eine Stärkung aller Vertre-
Betriebe und Belegschaften dürfen tungskörperschaften – von der Gemein-
nicht länger die Verfügungsmasse von devertretung bis zum Europäischen
46 Demokratisierung der Gesellschaft

Parlament – als demokratische Entschei- die EU-Verträge eingeführt werden; die


dungsgremien ein. Dafür brauchen die Bürgerinnen und Bürger müssen EU-weit
Vertretungskörperschaften entspre­ das Recht erhalten, über Bürgerinitiati-
chende Rechte und Ressourcen, um ven, -begehren und -entscheide auf
auf gleicher Augenhöhe mit Regierungen europäische Entscheidungen wirksam
und Verwaltungen agieren zu können. Einfluss zu nehmen.
Die Parlamente müssen durch die
Regierungen nicht nur frühzeitiger und Demokratische Kommunen
umfassender über die Entscheidungs­
vorbereitung informiert, sondern auch Die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger,
in sie einbezogen werden. Die parlamen- über ihr eigenes Leben selbst zu bestim-
tarische Öffentlichkeitsarbeit ist zu men, hängt in hohem Maße von den
qualifizieren. Positionen von Gewerk- Kommunen ab. Dort werden wichtige
schaften, Sozial-, Umwelt-, Verbraucher-, Fragen des Alltags wie auch der Zukunft
Mieter- und Behindertenverbänden, der Gesellschaft entschieden. DIE LINKE
Selbsthilfeorganisationen und demo­ engagiert sich deshalb für die Stärkung
kratischen Bewegungen müssen früh­ kommunaler Selbstverwaltung, für
zeitig gehört werden. Die Rechte der starkes kommunales Eigentum und eine
Ausschüsse und Abgeordneten auf leistungsfähige Entwicklung der öffent­
Unterrichtung und Akteneinsicht sind lichen Daseinsvorsorge. Damit Demo­
zu stärken. Das Europäische Parlament kratie keine leere Hülle wird, brauchen
muss ein eigenständiges Initiativrecht Kommunen hinreichende finanzielle
erhalten. In dem Maße, in dem die Mittel und Einwirkungsmöglichkeiten
Europäische Union geographisch, auf wirtschaftliche und soziale Prozesse.
gesellschaftlich, kulturell, aber auch Auch deshalb lehnen wir die Privatisie-
administrativ größer und komplexer rung öffentlicher Daseinsvorsorge und
geworden ist und ihre Entscheidungs­ sozialer Sicherungssysteme ab und
befugnisse umfangreicher werden, fordern eine Stärkung öffentlichen
sind erweiterte Kontroll- und Mitwir- Eigentums.
kungsrechte des Bundestages und
der Landesparlamente im Prozess Für DIE LINKE sind die Kommunen
der europäischen Gesetzgebung not­ nicht nur eine Verwaltungs-, sondern
wendiges und unverzichtbares Element. auch eine entscheidende Gestaltungs-
ebene. Hier erleben Bürgerinnen und
DIE LINKE fordert weiter, das Wahl­- Bürger alle Widersprüche der gesell-
alter bei allen Wahlen auf 16 Jahre schaftlichen Entwicklung unmittelbar
abzusenken. Wir setzen uns dafür ein, und erfahren, wie Politik funktioniert.
neue Formen einer Politik von unten Mit den Instrumenten der direkten
zu entwickeln. Dazu gehören auch der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger
politische Streik und der Generalstreik. können sie Veränderungen bewirken.
Eine lebendige Demokratie muss Kommunen müssen eine stärkere
erweiterte Möglichkeiten direkter Stellung im föderalen System erhalten.
demokratischer Entscheidung und Dadurch erhalten Bürgerinnen und
Mitwirkung über Volksinitiativen, Bürger größeren Einfluss auf die Lösung
Volksbegehren und Volksentscheide lokaler und regionaler Probleme. In den
sowie Bürgerbegehren und Bürger­ Kommunen gibt es die Chance, neue
entscheide schaffen. Zugleich sollen Lebensformen zu erproben. Dafür
obligatorische Volksentscheide über müssen Räume zur politischen,
Demokratisierung der Gesellschaft 47

sozialen und kulturellen Selbstorgani­ Die zivilgesellschaftliche Selbstverwal-


sation geschaffen werden. Leistungen tung ist ein wichtiges Feld für demokra­
der Daseinsvorsorge müssen durch tische Mitbestimmung. Sie festigt den
die Kommunen selbst wahrgenommen sozialen Zusammenhalt in den Städten,
werden. Für Profitinteressen darf dabei Dörfern und Gemeinden. Vereine,
kein Platz sein. Deshalb gilt es im Verbände und Initiativen ermöglichen
Interesse des Gemeinwohls, das öffent­ vielen Bürgerinnen und Bürgern, Verant-
liche Eigentum zu erhalten und keine wortung für gesellschaftliche Aufgaben
weitere Privatisierung kommunaler in vielfältigen Bereichen zu übernehmen.
Leistungen zuzulassen. Vielmehr sind DIE LINKE setzt sich deshalb dafür ein,
Rekommunalisierungen für die Stärkung zivilgesellschaftliche Akteure, die gesell­-
der Daseinsvorsorge notwendig. schaftliche Aufgaben übernehmen, zu
fördern. Sie fordert dabei Transparenz
Für eine stärkere Stellung der Kom­- und öffentliche Kontrolle, um die Einhal-
munen im föderalen System müssen tung sozialer und ökologischer Standards
Veränderungen in mindestens drei zu sichern. Voraussetzung sind die demo­-
Bereichen vorgenommen werden. Das kratische Legitimation und eine aus­
kommunale Verfassungsrecht muss so reichende Finanzierung.
ausgestaltet werden, dass Kommunen
im stärkeren Maße in eigener Verant­ Konsequente Umsetzung der
wortung Aufgaben wahrnehmen können. Gewaltenteilung – Selbstverwaltung
Notwendig ist eine Finanzverfassung, der Justiz einführen
die eine bedarfsgerechte Finanzierung
der Kommunen sichert. Das kommunale Im europäischen Maßstab ist Deutsch-
Wirtschaftsrecht muss so ausgestaltet land Schlusslicht und wurde von der
werden, dass kommunale Unternehmen Parlamentarischen Versammlung des
gleich­berechtigt am Wirtschaftsleben Europarates aufgefordert, dem Vorbild
teilnehmen können. Öffentliche Unter- der überwiegenden Mehrheit der euro­-
nehmen müssen so gestärkt werden, päischen Staaten zu folgen und zur
dass sich regionale Wirtschaftskreisläufe Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz
besser entwickeln können. Zur Umset- die Selbstverwaltung der Gerichte und
zung dieser drei Bereiche ist es notwen- Staatsanwaltschaften durch Justizräte
dig, die kommunale Demokratie auszu­- zu ermöglichen.
bauen. Die damit verbundene Stärkung
der Beteiligung der Bürger an den DIE LINKE setzt sich darum auf Bundes-
Entscheidungsprozessen sichert die und Landesebene für die konsequente
kommunale Daseinsvorsorge. Durchsetzung des Gewaltenteilungsprin-
zips und Demokratisierung der Justiz ein.
DIE LINKE wirkt für eine partizipative Die zu bildenden Justizräte sind partei­
Haushaltspolitik, für Bürgerhaushalte politisch unabhängig und ausschließlich
als wichtige Form der kommunalen der Umsetzung des grundgesetzlichen
Demokratie. Unsere Vision sind solida­ Justizgewährungsanspruchs verpflichtet.
rische Bürgerkommunen, in denen die Die Bestellung von Richterinnen und
Menschen ihre Angelegenheiten selbst Richtern, Staatsanwältinnen und
entscheiden und gestalten und die Staatsanwälten soll ausschließlich
soziale und ökologische Umgestaltung durch Richterwahlausschüsse erfolgen.
ihrer Gemeinschaften eigenständig Dabei ist sicherzustellen, dass die
in die Hand nehmen. ausgewählten Kandidatinnen und
48 Demokratisierung der Gesellschaft

Kandidaten alle gesellschaftlichen Viele Menschen haben keinen Zugang


Schichten angemessen repräsentieren. zu modernen Medien und können somit
Nur eine repräsentative Zusammen­ nicht die Möglichkeiten nutzen, die mit
setzung der Justiz bietet Gewähr, dass moderner Informationstechnologie
tatsächlich im Namen des Volkes Recht verbunden sind. Die Massenmedien
gesprochen wird. Die Stärkung des befinden sich überwiegend im Besitz
Rechtsstaates erfordert außerdem eine weniger Konzerne und Finanzinvestoren.
den Richterinnen und Richtern gleiche Sie bestimmen mit, was wir lernen und
Unabhängigkeit der Staatsanwältinnen wissen, worüber wir reden und was wir
und Staatsanwälte. meinen sollten. Mediennutzung und
Kontrolle durch Medien überlappen sich
Demokratisch kontrollierte Medien immer mehr. DIE LINKE kämpft gegen
diese Spaltung, gegen Überwachung
Medienmacht und Medienmanipulation und Kontrolle, für Informations- und
sind eine Gefahr für die Demokratie. Meinungsäußerungsfreiheit und für die
Umso wichtiger ist die Bewahrung eines Stärkung öffentlich-rechtlicher Medien.
freien Internets ohne Zensur und mit
festgeschriebener Netzneutralität. Das Demokratie in der
Internet ist für DIE LINKE ein öffentliches digitalen Gesellschaft
Gut, die Netzinfrastruktur gehört unter
gesellschaftliche Kontrolle und muss Das Netz bietet für Partizipation, Offen-
demokratisiert werden. Demokratische heit und Transparenz neue Möglichkeiten.
Medien erfordern demokratische Dort findet mehr und mehr öffentliche
Redaktionsstatuten, die Stärkung einer Meinungsbildung statt. Die Möglichkeiten
breiten Gegenöffentlichkeit sowie die für mehr gesellschaftliche Teilhabe an
Anwendung des Kartellrechts auf den politischen Entscheidungen im digitalen
Mediensektor. Zeitalter muss DIE LINKE aufgreifen – im
Sinne auch von Bürgerinnen und Bürgern,
Medienbildung muss im digitalen die sich von der Politik abgewandt haben.
Zeitalter als gesamtgesellschaftliche DIE LINKE öffnet sich für das demo-
Aufgabe begriffen werden. DIE LINKE kra­tische Potenzial des Netzes, um
fordert Medienbildungsangebote, die für gesellschaftliche Teilhabe durch Open
alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig Government und E-Demokratie ( bei-
von Alter, sozialer Lage und Region, zur spielsweise Online-Petitionen, Bürger-
Verfügung stehen und Kompetenz im haushalte) zu verteidigen und auszu­-
Umgang mit dem Internet und digitalen bauen. Wir setzen uns ein für ein ver-
Medien vermitteln. Bürgerinnen und stärktes Angebot und die Nutzung von
Bürger müssen analytische Fähigkeiten Open Data, also nicht genuin schützens-
entwickeln, um digitale Medien und werten Daten wie Archiven und Haus-
Inhalte zu verstehen, kritisch zu bewerten haltsdaten oder Rechtstexten.
sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu
kommunizieren. Eine patriarchal gedach- Auch Soziale Netzwerke im Internet,
te Verbots- und Bewahrpädagogik, die Suchmaschinen, Geodatendienste,
auf Basis eines repressiv verstandenen Online-Shops und andere Inhalte-Anbie-
Jugendschutzes kompetenten Medienum- ter sammeln weltweit persönliche Daten
gang zu beschränken versucht, ist nicht von Millionen Menschen, auch gegen
im Sinne eines emanzipatorischen Men­- deren Willen, und verknüpfen diese.
schenbildes – dies lehnt DIE LINKE ab. Immer vielfältigere Datenprofile von
Demokratisierung der Gesellschaft 49

Nutzerinnen und Nutzern entstehen und Internets und damit die Gleichheit und
werden privatwirtschaftlich verwertet. Freiheit im Netz. Wir treten für die Vielfalt
Der Vorteil frei zugänglicher Information der Netze ein. Wir lehnen Netzsperren
und sozialer Interaktion wird durch die sowie das Durchleuchten und Filtern von
Ausbeutung privater Daten aufgehoben. Inhalten ab. Informationen müssen frei
Die Welt als ein mediales Dorf benötigt sein. Mit der digitalen Technologie wurde
Schutzmechanismen, damit der Mensch der Zugang zu Wissens- und Kulturgütern
im digitalen Zeitalter nicht unter den geöffnet und erweitert. Ihr Verständnis
Datenmengen und ihrer Verwertung als öffentliche Güter ist inzwischen
begraben wird. alltäglich. Statt Nutzerinnen und Nutzer
zu kriminalisieren, sind politische
Gleichheit und Freiheit im Netz Lösungen für neue Vergütungsmodelle
der Kreativ- und Kulturschaffenden zu
Information ist zu einer noch entschei- entwickeln.
denderen Ressource und Produktiv­-
kraft geworden. In den Netzwerken der Das Internet kann als Plattform zur freien
digitalen Informationsproduktion und Selbstorganisation, zur Umgehung von
Kommunikation haben Nutzerinnen und Konzernzwängen und Meinungsmacht
Nutzer weltweit dezentrale Wissensbe- genutzt werden. Es ermöglicht allen,
stände abrufbar gemacht, Zugangsmög- selbst kreativ zu werden und Gegenöf-
lichkeiten zum kulturellen Gedächtnis fentlichkeiten zu schaffen. Wir unterstüt-
demokratisiert und neue Formen von zen Nutzerinnen und Nutzer, denen es
Öffentlichkeit geschaffen. Der Zugang um die Freiheit geht, sich zu informieren
zur Wissensproduktion, die Entschei- und zu äußern.
dungsmacht über Auswahl und Einsatz
von Informationen bestimmen darüber, Stärkung der individuellen Rechte
von wem und wie die Netzwerke digitaler
Kommunikation künftig beherrscht Gegen den Abbau von Bürgerrechten
werden. Der Zugang zu Kommunikation und den Ausbau des Sicherheitsstaates
und Information, als die Eigentumsfrage, setzen wir auf die Stärkung der individu-
und die Möglichkeiten zum Erwerb ellen Rechte, den Schutz persönlicher
digitaler Kulturtechniken bilden die Daten, Partizipationsmöglichkeiten
Grundlage für Demokratie, Pluralismus sozialer Organisationen und Bewegungen
und Meinungsbildung im Internet. und auf eine unabhängige demokratische
DIE LINKE fordert, die Infrastruktur Kontrolle der staatlichen Sicherheits­
für ein schnelles Internet als Grund­ organe. Wir unterstützen Initiativen
versorgung für alle bereitzustellen. der demokratischen Selbstverwaltung
öffentlicher Räume. Wir lehnen den
Wir wollen die Freiheit des Wissens in Ausbau des Überwachungsstaates ab
der digitalen Welt verteidigen und aus­- und fordern die strikte Trennung und
bauen. Das System der offenen Informa- demokratische Kontrolle von Polizei,
tionsbereitstellung stößt zunehmend Bundeswehr und Geheimdiensten. Wir
auf den Widerstand von Kontroll- und wollen die Geheimdienste abschaffen.
Geschäftsinteressen. Es soll weitreichen-
den Beschränkungen unterworfen Wir setzen uns ein für gleiche politische
werden. Privatwirtschaftliche Oligopole und soziale Rechte für alle in Deutsch-
und staatliche Überwachungsinteressen land und der Europäischen Union leben­-
bedrohen die dezentrale Struktur des den Menschen, denn politische und
50 Demokratisierung der Gesellschaft

soziale Rechte sind Menschenrechte. Der mehr als die Hälfte aller Arbeit in
Rechtsstaat muss sozial werden. Heute der Gesellschaft, insbesondere nicht
ist die Bedingung einer lebendigen Demo- entlohnte Haus-, Pflege- und Reproduk­
kratie, dass Gleichheit vor dem Gesetz tionsarbeit, aber ihre Arbeit wird weniger
gesichert ist, materiell nicht erfüllt. Ein anerkannt, und sie werden im Bereich
Gerichtsverfahren über einen höheren der Erwerbsarbeit immer noch wesent-
Streitwert kann sich nur leisten, wer über lich geringer entlohnt als die männlichen
die nötigen finanziellen Mittel verfügt. Kollegen. Entsprechend niedriger fallen
Dies muss korrigiert werden, damit alle ihre Sozialleistungsansprüche aus.
Menschen vor Gericht gleichgestellt sind. Insbesondere die Arbeitsbedingungen,
die schlechtere Bezahlung und lange
Das Recht auf informationelle Selbstbe- Arbeitszeiten benachteiligen Frauen und
stimmung gerät zunehmend in Gefahr. verfestigen das traditionelle Geschlech-
Die Vorstellung von gläsernen Bürgerin- terverhältnis. Folge ist, dass Frauen
nen und Bürgern erschreckt uns. Das häufig ihre Existenz nicht selbst sichern
Recht auf Privatsphäre und informa- können. Ökonomische Abhängigkeiten
tionelle Selbstbestimmung ist für uns begünstigen auch das Entstehen von
unverzichtbare Voraussetzung demo­ Gewaltverhältnissen.
kratischer Staatlichkeit. Der »Datenstrip-
tease« stellt die ganze Bevölkerung unter Jede dritte Frau weltweit, jede vierte
Generalverdacht, in besonderem Maße in Deutschland und Europa ist Gewalt
betroffen sind sozial Benachteiligte beim ausgesetzt. Gewalt gegen Frauen ist
Leistungsantrag und politisch aktive ein wichtiges Mittel der Kriegsführung.
Linke, die einer Totalüberwachung Doch auch im privaten Bereich und in
unterworfen werden. Wir setzen uns für der Familie erleben Frauen Gewalt von
die Sparsamkeit bei der Erfassung von Männern. Auch am Arbeitsplatz werden
Daten, für umfassende Verfahrensrechte Frauen sexuell belästigt. Gewalt hat viele
bei der Verarbeitung und ihre Sicherheit Gesichter. Verletzung des Rechts auf
ein. Konkret stehen wir gegen den Aufbau Selbstbestimmung, körperliche und
von Zensurinfrastrukturen im Internet seelische Schikane, Demütigung und
und Onlinedurchsuchungen, gegen den Diskriminierung. Migrantinnen und in
Ausbau von Videoüberwachung und die die Illegalität gezwungene Frauen sind
umfassende Speicherung von Telekom- noch häufiger Opfer von Gewalt. Deshalb
munikationsdaten. will DIE LINKE Prävention ausbauen,
unabhängige Frauenhäuser und Gewalt-
Gleichheit und schutzeinrichtungen dauerhaft finanziell
Geschlechtergerechtigkeit absichern. Geschlechtsspezifische Gewalt
muss umfassend als Asylgrund anerkannt,
Es gibt immer noch kein ausgeglichenes Opferschutz ausgebaut werden. Das gilt
und gerechtes Verhältnis zwischen den nicht nur für geschlechtsspezifische
Geschlechtern. Nach wie vor beeinflus- Verfolgungen von staatlicher Seite,
sen die traditionellen Rollenklischees sondern auch für solche im familiären
das Leben von Frauen und Männern, und gesellschaft­lichen Bereich – etwa
beeinträchtigen ihre Lebensqualität und Zwangsheirat oder Genitalverstümme-
Chancen in der beruflichen und sozialen lung. Opfer von Frauenhandel müssen
Entwicklung. Patriarchale Strukturen Bleiberecht erhalten. Sexuelle Verstüm-
durchziehen nach wie vor alle gesell- melung und Zwangsheirat wollen wir
schaftlichen Bereiche. Frauen erbringen wirksam bekämpfen. DIE LINKE weist
Demokratisierung der Gesellschaft 51

die Instrumentalisierung von Frauen­ Kindergärten und Kindertagesstätten


rechten zur Begründung von Rassismus für alle Kinder. Dies ist eine grundlegende
und Kriegen zurück. Voraussetzung für eine gute frühkindliche
Förderung aller Kinder und ist erforder-
DIE LINKE versteht sich als Partei mit lich, damit Frauen und Männer gleich­
sozialistischem und feministischem berechtigt Erwerbsarbeit und Familien­-
Anspruch. Wir setzen uns für ein selbst- leben miteinander vereinbaren können.
bestimmtes, solidarisches Leben ein, Quotierung bleibt ein wichtiges Mittel zur
in dem Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Förderung der Geschlechtergerechtig-
gesellschaftliches und politisches keit. Wir setzen uns für ein selbstbe-
Engagement für Männer und Frauen stimmtes solidarisches Leben und für
miteinander vereinbar werden. Wir treten die Streichung des Schwangerschafts­
dafür ein, die sozialen Sicherungssyste- abbruches als Straftatbestand (§ 218)
me, die Gestaltung der Arbeitswelt, das aus dem Strafgesetzbuch ein.
Angebot an öffentlichen Dienstleistungen
und die Rahmenbedingungen für die Sexuelle Vielfalt
politische Beteiligung in Wirtschaft und und Selbstbestimmung
Politik so zu verändern, dass Benachteili-
gungen beseitigt werden. Alle politischen DIE LINKE steht für eine emanzipato­
Entscheidungen und Vorschläge müssen rische Politik, die die unterschiedlichen
systematisch danach beurteilt werden, Lebensweisen berücksichtigt und
welche Auswirkungen sie auf Frauen unterstützt. Heterosexualität und die
und auf Männer haben. Vorstellung, dass es ausschließlich zwei
Geschlechter gibt, gilt stillschweigend
Wir unterstützen Maßnahmen, die als Maßstab politischer und gesellschaft-
zur Erhöhung der Frauenerwerbsquote licher Norm. Diese Norm grenzt aus.
beitragen, streiten für gleichen Lohn für DIE LINKE unterstützt das Recht auf
gleiche und gleichwertige Arbeit, für die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
Verkürzung der Arbeitszeit und für die in der Gesellschaft. Dazu gehört die
gerechte Verteilung von Erwerbs- und gesellschaftliche Gleichstellung und
Familienarbeit auf Männer und Frauen. Akzeptanz der Grundrechte von Lesben,
Wir fordern ein Gleichstellungsgesetz Schwulen, Transsexuellen, Transgendern
auch für die Privatwirtschaft. Die Flexi­- und Intersexuellen. Das Personenstands-
bilisierung der Arbeit darf nicht dazu recht muss den Menschenrechten
führen, dass das soziale Miteinander insbesondere von Intersexuellen und
und die Freizeit dem Diktat der ständigen Transsexuellen gerecht werden. Ge-
Abrufbarkeit unterworfen wird. Wir schlechtsangleichende Operationen
lehnen prekäre, ungesicherte Beschäf­ im Kindesalter sind zu unterbinden.
tigung und eine zunehmende Flexibili­ Wir fordern die rechtliche Gleichstellung
sierung der Arbeit auch deshalb ab, weil in allen Rechtsbereichen und bei allen
solche Arbeitsverhältnisse familien- und Rechtsinstituten.
kinderfeindlich sind. Vielmehr wollen wir
Arbeitszeit und Arbeitsmöglichkeiten in Migration und Integration als soziale
der Weise flexibel gestalten und sozial und demokratische Frage – offene
absichern, dass sie familien- und Grenzen für Menschen in Not!
kinderfreundlich sind. Wir fordern das
Recht auf ganztägige gebührenfreie Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Betreuung und Bildung in Krippen, DIE LINKE lehnt eine Migrations- und
52 Demokratisierung der Gesellschaft

Integrationspolitik ab, die soziale und von zertifizierten, im Ausland erworbenen


politische Rechte danach vergibt, ob Qualifikationen für alle Migrantengruppen.
Menschen für das Kapital als »nützlich«
oder »unnütz« gelten. Wir wollen die Menschen, die vor Menschenrechts­
soziale und politische Teilhabe für alle verletzungen, Kriegen und politischer
in Deutschland lebenden Menschen Verfolgung geflohen sind, dürfen nicht
erreichen. abgewiesen oder abgeschoben werden.
Wir fordern die Wiederherstellung des
Der Familiennachzug muss sowohl Grundrechts auf Asyl und kämpfen gegen
Kindern als auch gleich- und anders­ die Illegalisierung von Flüchtlingen, gegen
geschlechtlichen Lebenspartnerinnen Abschiebungen, gegen jede Form von
und -partnern sowie Familienangehöri­- Sondergesetzen wie die Residenzpflicht
gen zweiten Grades möglich sein. Die sowie gegen Sammellager. Die Abschot-
Förderung der sprachlichen Entwicklung tungspolitik der EU ist unmenschlich – wir
und die Förderung des Bildungserfolges wollen keine Festung Europa. DIE LINKE
sind wichtig, aber nicht ausreichend für richtet ihre Flüchtlingspolitik nach
die Integration. Wir wollen die struktu­ Humanität und Menschenrechten, so
rellen Diskriminierungen beim Zugang zu dass der Schutz von Menschen in Not im
Bildung, zum Ausbildungs- und Arbeits- Vordergrund steht und nicht ordnungs­
markt und zu sozialen Dienstleistungen politische oder ökonomische Überlegun-
beseitigen. Allen in Deutschland leben- gen. Deshalb setzt sich DIE LINKE für
den Menschen ist unabhängig von ihrem die Abschaffung der Grenzschutzagentur
Aufenthaltsstatus eine Gesundheits­ FRONTEX ein, die das wichtigste Ab-
versorgung zu garantieren. Schutz­ schottungsinstrument der EU darstellt.
suchende dürfen nicht abgewiesen
werden. Wir fordern offene Grenzen Antidiskriminierungspolitik
für alle Menschen.
DIE LINKE wendet sich gegen jede
DIE LINKE setzt sich für ein respekt­- Diskriminierung aufgrund des Ge-
volles gesellschaftliches Miteinander in schlechts, des Alters, der Weltan­
Anerkennung der Verschiedenheit aller schauung oder Religion, der ethnischen
Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, der sexuellen Orientierung
Herkunft ein. Das erfordert vor allem und Identität oder aufgrund jedweder
demokratische Mitbestimmung von körperlicher, geistiger oder psychischer
Migrantinnen und Migranten in allen Beeinträchtigung. Alle Barrieren – in der
gesellschaftlichen Entscheidungen. Mobilität, in schulischer und beruflicher
DIE LINKE setzt sich für das aktive und Bildung, im Beruf und in der Kommunika-
passive Wahlrecht für all jene ein, die tion – wollen wir unter aktiver Einbezie-
ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hung der von Behinderung betroffenen
haben, sowie für gleiche Rechte beim Menschen und ihrer Angehörigen gezielt
Zugang zum Arbeitsmarkt. Alle Kinder, abbauen und überwinden. Wir wollen,
die hier geboren werden und deren dass die Vielfalt unterschiedlicher
Eltern in Deutschland leben, sollen die Formen des Zusammenlebens gleicher-
deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. maßen respektiert, geachtet und
Die Einbürgerung muss wieder erleichtert geschützt wird. Ein Paradigmenwechsel
werden. Doppelte Staatsbürgerschaften in der Familienpolitik ist dringend
sollen grundsätzlich möglich sein. notwendig und erfordert ein neues
DIE LINKE ist für die Anerkennung Familienbild. Neben verheirateten
Demokratisierung der Gesellschaft 53

sind unverheiratete Eltern, Patchwork- Linke Behindertenpolitik versteht sich als


Familien und auch die Partnerschaften bereichernde Querschnittsaufgabe in allen
von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Politikfeldern und bei allen Planungen. Es
Intersexuelle/n sowie anderen, die sich geht dabei nicht nur um geeignete Maß­-
nicht in die gängigen Geschlechterrollen nahmen der Gesetzgebung zur Herstellung
einfügen, als Erziehende anzuerkennen. von Chancengerechtigkeit, den bedarfs­
DIE LINKE streitet für eine aktive Anti­ gerechten Ausgleich von Nachteilen oder
diskriminierungspolitik, die rechtliche eine aktive Antidiskri­minierungspolitik.
Gleichstellung von Lesben, Schwulen Wir wollen zu einer positiven Bewusst-
und derjenigen, die nicht den üblichen seinsbildung beitragen, die besondere
Geschlechterrollen entsprechen, und Stärken und Kompetenzen schätzt sowie
für die Förderung ihrer zivilgesellschaft­ respektvollen Umgang im Miteinander
lichen Strukturen. fördert. Es geht um den Schutz der Würde
und Gerechtigkeit, um Autonomie und
Gleichheit und Gerechtigkeit bürger­liche Freiheitsrechte, um den
für Menschen mit Behinderung Abbau von Vorurteilen. Es geht um
gelebte Vielfalt. Die volle Umsetzung
Um Menschen mit Behinderung die der »UN-Konvention für die Rechte der
gleichberechtigte Teilhabe am gesell- Menschen mit Behinderung« in unserem
schaftlichen Leben zu ermöglichen, Land ist Wille und Ziel der LINKEN, ihrer
sind Nachteilsausgleiche und das Recht Mitglieder und Mandats­träger/innen.
auf Selbstvertretung auf allen Ebenen
unerlässlich. DIE LINKE steht für eine Neofaschismus und Rassismus
Politik, die in allen gesellschaftlichen bekämpfen
Bereichen die Rechte der Menschen mit
Behinderung beachtet und durchsetzt. Wir treten Neofaschismus, Rechtspo­
In allen Verwaltungen, in den Kommunen, pulismus, Rassismus, Antisemitismus,
in den Bildungseinrichtungen, in den Antiziganismus, Islamfeindlichkeit,
Einrichtungen der Fürsorge und Wohl- Homophobie und anderen Formen der
fahrt, im Gesundheitswesen, in den Menschenfeindlichkeit aktiv entgegen.
Parteien, Vereinen, Interessenverbänden Wir beteiligen uns aktiv in demokrati-
und in der Wirtschaft – überall müssen schen Bündnissen, arbeiten in Bürger­
die Bürgerrechte Barrierefreiheit, bewegungen und -initiativen mit all
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, denen zusammen, die sich gegen
Recht auf Teilhabe ( Partizipation ), extreme Rechte, Rechtspopulismus
Emanzipation, Inklusion und Solidarität und Rassismus engagieren. Wir kämpfen
gelebt werden. gegen Neofaschismus, Rechtspopulis-
mus und Rassismus auf der Straße und
DIE LINKE setzt sich für die freie Entwick- in politischen Gremien. Wir fordern das
lung und Entfaltung der Persönlichkeit Verbot aller Organisationen der extremen
und die uneingeschränkte Teilhabe aller Rechten; dabei sind wir uns bewusst,
Menschen an unserer Gesellschaft ein. dass ein Verbot die gesellschaftliche
Sozial( istisch)e Politik bezieht alle Auseinandersetzung nicht ersetzt. Wir
Menschen ein. Wir verlangen Menschen- setzen uns ein für die Stärkung anti­
rechte für alle: für Menschen mit und rassistischer und antifaschistischer
ohne Behinderung ebenso wie für Bildungsarbeit, sowohl in der Schule
Männer und Frauen und für Menschen als auch im außerschulischen Bereich.
jeglicher Herkunft oder Ethnie. Wir setzen uns für eine aktive Antidis­
54 Demokratisierung der Gesellschaft

kriminierungspolitik ein und für mehr artikulieren und realisieren können.


Demokratie, Partizipation und Bürger­ Die Politik hat Rahmenbedingungen zu
beteiligung auf allen Ebenen. schaffen, die die Wahrung und Weiterent-
wicklung der Identität, Sprache und Kultur
DIE LINKE ist sich mit anderen demo- der Minderheiten sichern. Notwendig ist
kratischen Kräften darin einig, dass die die Erarbeitung entsprechender bundes-
Bekämpfung von Neofaschismus und politischer Grundsätze, die mittelfristig in
Rassismus eine Aufgabe ist, die allerorts einen Grundgesetzartikel münden müssen.
in Deutschland und stets mit Zivilcourage DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass die
und in aller Öffentlichkeit geführt werden Rechte dieser Minderheiten, insbeson-
muss. Dabei wenden wir uns entschieden dere ihr Recht auf Selbstbestimmung,
gegen rassistisch motivierte Gewalt, geschützt werden und ihre Repräsentanz
gegen staatlichen Rassismus und auch und Mitwirkung im gesellschaftlichen
gegen Alltagsrassismus und fremden- Meinungs- und Willensbildungsprozess
feindliche Positionen aus der Mitte der gefördert wird. In der Bundesrepublik
Gesellschaft. muss sich die Politik – im Bund wie in den
Ländern – endlich an den international
Antifaschismus ist eine Grundhaltung der anerkannten Maßstäben ausrichten.
Partei DIE LINKE. Für uns bedeutet das:
Zurückdrängen aller extrem rechten, Partizipation von Beginn an –
rechtspopulistischen und rassistischen Aktive Mitwirkung Jugendlicher
Ideologien, Parteien und Bewegungen;
Bekämpfung aller althergebrachten und Die aktive Beteiligung junger Menschen
neuen Formen des Antisemitismus; die an gesellschaftlichen Entscheidungs­
Auseinandersetzung mit Geschichtsrevi- prozessen ist für uns eine unabdingbare
sionismus und mit allen Ideologien, die Grundlage einer emanzipatorischen
von Ungleichwertigkeit der Menschen Demokratie. Junge Menschen sollen ihr
ausgehen; Pflege des politischen, Leben eigenverantwortlich gestalten und
wissenschaftlichen und kulturellen Erbes aktiv an der Veränderung von gesellschaft-
der antifaschistischen Bewegung. lichen Verhältnissen mitwirken können.
Die politische Bildung zur Stärkung
DIE LINKE setzt sich vehement gegen die demokratischer Partizipation, etwa in
Gleichsetzung linker Ideen mit faschis- Form von Jugendparlamenten oder -foren,
tischem Gedankengut durch Totalitaris- nimmt für uns einen hohen Stellenwert
musdoktrin und Extremismustheorie ein. ein. Diese müssen über Kompetenzen
Unsere Vorstellung von einer friedlichen, verfügen und nicht nur Showveranstaltun-
gerechteren und demokratischen Welt gen sein. Wir setzen uns dafür ein, dass
ist in keiner Weise mit dem menschenver- Kinder und Jugendliche an sie betreffen-
achtenden Weltbild der (Neo- )Faschisten den Entscheidungen mitwirken und sich
gleichzusetzen. an der Gestaltung von Jugend- und Freizeit­-
einrichtungen aktiv beteiligen können.
Gleichberechtigung für Dänen,
Friesen, Sorben, Sinti und Roma Altern, aktiv und in Würde
Die in Deutschland lebenden Minder­ Ältere Menschen verfügen über reiches
heiten – Dänen, Friesen, Sinti und Roma Wissen und interessante Lebenserfah-
sowie Sorben – müssen gleichberechtigt rungen. Sie wollen ihr Leben individuell
ihre spezifischen Belange und Ansprüche gestalten und sich in der Gemeinschaft
Demokratisierung der Gesellschaft 55

engagieren. Sie müssen nach Zeiten Günstige Rahmenbedingungen und


der Erwerbsarbeit selbstbestimmt und Freiräume für ihre Entwicklung zu
würdevoll leben können. Eine auskömm­ schaffen ist deshalb für uns als Linke
liche Rente, gute Gesundheitsversorgung wesentlicher Bestandteil unseres
und ein altersgerechtes Wohnumfeld, Ringens um eine demokratische und
welches einem erhöhten Sicherheitsbe- sozial gerechte Gesellschaft. Das
dürfnis genügt, sind Voraussetzungen Staatsziel Kultur gehört ins Grundgesetz.
für eine neue Kultur des Alters und des
Alterns. Doch Alter ist mehr als Rente, DIE LINKE tritt für eine demokratische
Gesundheitsvorsorge, Pflege und Kosten. Kultur ein, in der alle Gruppen und
Ein Umdenken in den Medien, der Politik, Milieus ihre kulturelle Identität finden
der Wirtschaft und der Gesellschaft muss und ausdrücken können. Alle Menschen
sich dem ganzen Alltag einer älter werden­- sollen die Möglichkeit zur Teilhabe am
den Gesellschaft und den Herausforderun- kulturellen Leben und dem kulturellen
gen des hohen Alters widmen. Wir setzen Reichtum dieser Gesellschaft haben.
auf einen lebendigen Zusammenhalt der Das erfordert kulturelle Bildung von
Generationen, auf mehr gesellschaftliche Anfang an. Der Zugang zu Bildung und
Teilhabe und Mitbestimmung. Kultur, zu den traditionsreichen wie auch
den modernen Kultur- und Kommuni-
DIE LINKE wird deshalb Seniorenvertre- ka­tionsformen ist eine der wichtigsten
tungen der Länder, Kreise und Kommu- sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts und
nen unterstützen, damit mehr Mittel und entscheidet wesentlich über die Entwick-
Möglichkeiten für Mobilität, Begegnung, lungsmöglichkeiten jedes Einzelnen und
Beratung und ein gutes Wohnumfeld der Gesellschaft als Ganzes. Kultur und
älterer Menschen erschlossen werden. kulturelle Bildung sind Voraussetzung
Wir setzen uns für selbstbestimmtes von Emanzipation.
Wohnen im Alter, für barrierefreie
Wohnformen ein. Wir wollen ältere Wir setzen uns für den Erhalt der öffent­
Menschen ermuntern, in Seniorenklubs, lichen Kulturförderung ein und wenden
Freizeitstätten und Seniorenakademien uns gegen eine schrankenlose Libera­
mitzuwirken, Bürger-, Heimat- und Sport­- lisierung und Verwertung kultureller
vereine zu nutzen sowie in BürgerInnenin- Leistungen, gegen Privatisierungen und
itiativen und politischen Organisationen den Abbau öffentlicher Infrastruktur. Wir
aktiv zu sein. wollen die Vielfalt der Träger kultureller
Produktion erhalten und fördern – von
Wir halten es für sinnvoll, in Diskussionen öffentlichen und frei-gemeinnützigen
zwischen älteren Menschen und Jugendli- Initiativen bis zu unabhängigen Verlagen,
chen, in Geschichtsprojekten, kulturellen Studios, Agenturen und künstlerischen
und sportlichen Veranstaltungen die Produktionsfirmen. Wir wollen das
Solidarität zwischen den Generationen kulturelle Leben in allen Regionen und
aktiver zu gestalten. Milieus fördern. Wir wollen gute, exis-
tenzsichernde Arbeit im Kulturbereich.
Kultur für eine gerechte und Künstlerinnen und Künstler, alle Kultur-
dialogfähige Gesellschaft schaffenden sollen von ihrer Arbeit leben
können und sozial abgesichert sein.
Kulturelle Vielfalt und die Künste in allen
ihren Ausdrucksformen sind unverzicht- Durch die Künste in der Vielfalt ihrer
bar für eine lebendige Demokratie. Richtungen werden die Freiheit der
56 Demokratisierung der Gesellschaft

Einzelnen und ihre soziale Gebundenheit Der Sport erfüllt eine wichtige gesell-
in aller Widersprüchlichkeit gedacht schaftliche Funktion. DIE LINKE setzt
und erlebt. Weil Kunst ein wesentliches sich dafür ein, die Kommerzialisierung des
Moment der großen gesellschaftlichen Sports zum Zwecke der Profitmaximierung
Debatten ist, will DIE LINKE die eigenen zurückzudrängen und die Vermittlung von
Welten der Künste als autonome Räume, Werten wie Toleranz, Respekt und Fairness
Experimentierfelder und Refugien sichern im Sport zu stärken, den Schul- und
und schützen. Sie sieht in neuen künstleri- Berufsschulsport durch Qualitätsstan-
schen Tendenzen Impulse für ein erweiter- dards nachhaltig zu verbessern und
tes Welt- und Gesellschaftsverständnis, Kindern und Jugendlichen verstärkt
die nach Kräften zu fördern sind. Und sie Freude an Bewegung zu vermitteln,
braucht Anregungen, die von Künstlerin- Gewalt und Diskriminierungen zu bekämp-
nen und Künstlern ausgehen. fen und Menschen mit und ohne Behin­
derungen, unabhängig von sozialen,
DIE LINKE fühlt sich mit all jenen verbun- ethnischen, religiösen oder sexuellen
den, die diese Gesellschaft kritisch sehen Hintergründen, Zugang zum Sport zu
und auf ihre Veränderung dringen. Wir sichern und naturverträglichen, mani­-
sind offen für die verschiedenen Entwürfe pu­lationsfreien Sport für alle zu fördern.
eines anderen, menschenwürdigen
Lebens und wollen die emanzipato­ Kirchen, Religions- und
rischen Perspektiven stärken. Weltanschauungsgemeinschaften
In der Partei DIE LINKE finden Menschen DIE LINKE verteidigt das Recht aller
aus verschiedenen sozial-kulturellen Menschen auf ein Bekenntnis zu einer
Milieus und unterschiedlichen politischen Weltanschauung oder Religion. Sie tritt
Kulturen zusammen. Ihre Erfahrungen ein für den Schutz weltanschaulicher
sind eine Bereicherung auf dem Wege und religiöser Minderheiten. Laizismus
zu einem weiten Kulturverständnis einer bedeutet für uns die notwendige institu­
neuen gesellschaftlichen Linken. tionelle Trennung von Staat und Kirche.

Kultur ist Erinnerung. Kultur verbindet Wir stellen uns unserer historischen
Tradition mit dem Heute. Erst die Verantwortung und haben die Lehren
Besinnung auf das kulturelle Erbe lässt aus dem in der DDR begangenen Unrecht
ein differenziertes Kulturverständnis gegenüber Gläubigen gezogen. Bereits im
entstehen. Deshalb liegt in der Kultur Jahr 1990 hat der Parteivorstand der PDS
die Basis für Verständigung und Toleranz. sich zur Verantwortung an einer verfehl-
DIE LINKE wird ihren Beitrag für eine ten Politik der SED bekannt, die tragische
demokratische Erinnerungskultur leisten. Schicksale, Benachteiligung, Verdächti-
Wir wollen uns der Kulturgeschichte des gung und ohnmächtige Betroffenheit
früher geteilten Landes in seinem euro­- auslöste und die Gläubigen, Kirchen und
päischen Kontext vergewissern. Religionsgemeinschaften um Versöhnung
gebeten. Heute engagieren sich in der
Sport für alle LINKEN Christinnen und Christen neben
Angehörigen anderer Religionsgemein-
DIE LINKE will die gesellschaftlichen schaften, aber auch Atheistinnen und
Rahmenbedingungen ausbauen, die Atheisten für gemeinsame Ziele und
erforderlich sind, damit Sport als Teil Werte, die in den großen Religionen
der individuellen Entfaltung möglich ist. genauso ihre Wurzeln haben wie in den
Freier Zugang zu Bildung und Wissen 57

Ideen der Aufklärung und des Humanis- Niemand, der sich nicht bekennt, darf in
mus: Soziale Gerechtigkeit, Frieden, irgendeiner Weise benachteiligt werden.
Nächstenliebe und Toleranz. Wir wenden uns gegen jeglichen politi-
schen Missbrauch von Religion. Schulen
DIE LINKE achtet die Kirchen und Reli­- sollen Wissen über Religionen vermitteln
gionsgemeinschaften, ihre soziale Tätig­- und die wechselseitige Toleranz der
keit und ihre Unabhängigkeit. Allerdings Glaubensgemeinschaften fördern. Der
müssen Grundrechte und Arbeitnehmer- Unterricht ist im Rahmen des Bildungs-
rechte auch in den Kirchen und Religions- auftrags des Staates durch staatlich
gemeinschaften und in deren Einrich­- anerkannte Lehrkräfte zu leisten,
tungen Geltung haben, auch das Streik- unabhängig von kirchlicher oder religi-
recht und das Betriebsverfassungsgesetz. onsgemeinschaftlicher Einflussnahme.

4.3 Wie wollen wir lernen und forschen?


Freier Zugang zu Bildung und Wissen
Bildung ist ein Menschenrecht. Sie soll werden zementiert. Wir wollen inklusive
Menschen in die Lage versetzen, als Bildung als Grundrecht durchsetzen und
Individuen und gemeinsam mit anderen ein inklusives Bildungssystem schaffen,
ein freies, ein sozial verantwortliches und in dem alle Kinder und Jugendlichen
selbstbestimmtes Leben zu führen und möglichst lange gemeinsam lernen
die gesellschaftliche Entwicklung aktiv und bestmöglich gefördert werden.
mit zu gestalten. Eine solche emanzipa­
torische Bildung erfordert Selbstbestim- Bildung muss gebührenfrei sein. Dies
mung der Lernenden und fördert gilt von der frühkindlichen Bildung über
Kreativität, Kritik- und Handlungsfähig- Schulen und Berufsausbildung bis zum
keit, Solidarität und historisch-politi- Studium. Bildung ist ein öffentliches Gut,
sches Bewusstsein. Sie entwickelt die keine Ware. Sie muss öffentlich verant-
Kompetenzen zur Bearbeitung der gesell­- wortet und finanziert werden. Wir treten
schaftlichen und globalen Schlüsselprob- Privatisierungen im Bildungsbereich
leme der Menschheit. Bildung ist für uns entgegen, weil diese die Ungerechtig­
umfassende Persönlichkeitsentwicklung keiten in der Bildung verstärken und
und darf nicht auf den ökonomisch die öffentlichen Bildungsinstitutionen
verwertbaren Wissenserwerb verengt schwächen. Gleiche Bildungsmöglich­
werden. Auch auf europäischer Ebene keiten für alle erfordern eine erheblich
setzen wir uns für eine entsprechende bessere Finanzierung der öffentlichen
bildungspolitische Kehrtwende ein. Bildungsinstitutionen und eine bessere
Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Bildung für alle
Die Möglichkeiten von Kindern und
In kaum einem Industrieland bestimmt Jugendlichen, sich Bildung anzueignen,
die soziale Herkunft so sehr über den werden durch ihre Lebensbedingungen
Bildungserfolg wie hierzulande. Das bestimmt. Das Zusammenleben in der
Bildungssystem verstärkt die soziale Kommune, Freizeit- und Sportangebote
Ausgrenzung statt zu integrieren, sollen in öffentlicher Verantwortung
Bildungsprivilegien der oberen Klassen ausgebaut, für alle zugänglich und am
58 Freier Zugang zu Bildung und Wissen

Wohl von Kindern und Jugendlichen halt möglichst eigenständig bestreiten


orientiert werden. Gute Lernbedingungen können. Das duale System bildet für uns
erfordern ebenso gute Arbeitsbedingun- den Kern der Berufsausbildung. Wir wollen
gen für Lehrende. Prekäre Beschäftigung, die Qualität der Ausbildung verbessern
hohe Arbeitsbelastung, fehlende Zeit und und machen uns dafür stark, dass künf­-
schlechte Löhne gehören jedoch in vielen tig Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die
Bildungsbereichen zum Alltag. DIE LINKE Öffentliche Hand gleichberechtigt hieran
steht an der Seite der Gewerkschaften, mitwirken. Substanzielle Mitbestim-
die für bessere Arbeitsbedingungen mungsrechte von Auszubildenden im
und eine gute soziale Absicherung der Betrieb, in den Berufsschulen und am
Beschäftigten in der Bildung streiten. Arbeitsplatz müssen hergestellt werden.

Wir treten für die Demokratisierung aller DIE LINKE will die Hochschulen aus­-
Bildungsbereiche ein. Schülerinnen und bauen und die Zahl der Studierenden
Schüler, Auszubildende und Studierende deutlich erhöhen. Hierzu gehört auch
sollen über die Gestaltung der Bildungs- eine Öffnung der Hochschulen für
prozesse mitentscheiden können. beruflich Qualifizierte. Allen Studieren-
den muss die eigenständige inhaltliche
Gute Bildung von der Kita Schwerpunktsetzung und der Zugang
bis zur Weiterbildung zum Master gewährt werden. Bildung
und Forschung sollen eine Einheit bilden.
Wir treten für einen Rechtsanspruch Rüstungsforschung hat an Hochschulen
aller Kinder auf ganztägige frühkindliche und Forschungseinrichtungen nichts zu
Bildung und Betreuung ein, unabhängig suchen, ökonomische Einflussnahme und
vom Erwerbsstatus der Eltern. Für eine Verwertungsinteressen müssen zurück-
bessere Qualität der Förderung streben gedrängt werden. Bundeswehrwerbung
wir eine Ausbildung der Erzieherinnen an Bildungseinrichtungen, etwa durch
und Erzieher auf Hochschulniveau an. Jugendoffiziere, Planspiele und Unter-
richtsmaterialien, lehnt DIE LINKE
Ziel unserer Bildungspolitik ist die entschieden ab. Stattdessen sollen
Gemeinschaftsschule, die als inklusive Bildung und Wissenschaft im Dienst der
Schule des gemeinsamen Lernens auf Menschen und einer sozialen, ökologi-
die Aufteilung von Lernenden verzichtet. schen und friedlichen Entwicklung der
Gemeinschaftsschulen haben den Gesellschaft stehen. Wir wollen neue
Anspruch und entwickeln die Fähigkeit, Freiräume für kritische Wissenschaft
alle Kinder und Jugendlichen unabhängig erkämpfen.
von persönlichen und sozialen Voraus­
setzungen zum bestmöglichen Lern- Lernen endet nicht mit dem ersten Job.
fortschritt und zum höchstmöglichen Wir wollen Weiterbildung und lebens­
Schulabschluss zu führen. langes Lernen als öffentliche Aufgabe
und individuelles Recht ausbauen. Die
Wir fordern ein flächendeckendes und Betriebe müssen für die Fortbildung ihrer
auswahlfähiges Angebot an Ausbildungs- Beschäftigten stärker in die Verantwor-
plätzen. Daran müssen sich alle Betriebe tung genommen werden. Gleichzeitig
mit einer solidarischen Umlagefinanzie- brauchen wir umfassende öffentliche
rung beteiligen. Wir wollen gute Ausbil- Angebote, die gebührenfrei zugänglich
dungsvergütungen in allen Branchen, sind und auch allgemeine, kulturelle
damit Auszubildende ihren Lebensunter- und politische Weiterbildung umfassen.
Freier Zugang zu Bildung und Wissen 59

Die soziale Benachteiligung in der zum Internet ermöglicht werden.


Berufs- und Weiterbildung wollen wir Das ist ebenso eine öffentliche Aufgabe
durch eine Strukturreform der Ausbil- wie die Förderung von frei zugänglicher
dungsförderung hin zu einer öffentlich Software (Open Source), die Beschrän-
finanzierten Erwachsenenbildungsför­ kung digitaler Eigentumsrechte und die
derung bekämpfen. Alle Erwachsenen Sicherung großer und allgemein zugäng­
in Ausbildung sollen bei individuellem licher digitaler Wissensbestände. Die
Bedarf eine bedarfsdeckende und Rechte der Urheberinnen und Urheber
elternunabhängige Förderung erhalten. gegenüber den Verwertungsunterneh-
Diese soll ohne Rückzahlungsverpflich- men wollen wir stärken. DIE LINKE setzt
tung und perspektivisch auch über eine sich für ein Verbot von Verträgen ein,
Erstausbildung hinaus gewährt werden. bei denen sämtliche Nutzungsrechte
an Werken ohne räumliche und zeitliche
Wissensproduktion Begrenzung gegen ein fixes Honorar an
und Urheberrecht Verwerter abgetreten werden ( Total-Buy-
Out ). Wir setzen uns dafür ein, dass für
Wir wollen eine Wissenschaftsentwick- möglichst alle Gruppen von Urheberinnen
lung, die zu größerer gesellschaftlicher und Urhebern verbindliche Vergütungs­
Verantwortung der Wissenschaftler wie regeln bzw. Urhebertarifverträge ver­-
der Anwender führt und die es immer ein­bart werden. Wir wollen, dass die
mehr Menschen ermöglicht, an den Leistungen professionell schöpferisch
Erkenntnissen und Ergebnissen teilzu­ Tätiger angemessen vergütet werden
haben und ihre destruktiven Kräfte aus­- und zugleich einen Ausgleich finden,
zuschalten. Private Monopole über das damit nichtkommerzielle Nutzung und
gesellschaftliche Wissen widersprechen kreative Weiterverarbeitung möglichst
demokratischen Prinzipien des freien wenig eingeschränkt werden. In diesem
Zugangs zur Wissensallmende, des freien Sinne wollen wir das Urheberrecht für
Zugangs zum Gemeingut der Wissensbe- das Internetzeitalter weiterentwickeln.
stände der Menschheit. Wir lehnen daher
Privatisierungen von Wissenschaftsein- Keine Patente auf Leben
richtungen ebenso ab wie von Biblio­
theken, Museen, Theatern und anderen DIE LINKE setzt sich für ein weltweites
Stätten des Wissens und der Kultur. Das Verbot von Patenten auf Pflanzen, Tiere,
schließt die Nutzung der Wissenschaften Menschen und andere Lebewesen sowie
zur Erhaltung und Bewahrung der natür­- auf ihre Organe, Gene, Gensequenzen
lichen Umwelt sowie die Technikfolgen- und auf Zuchtverfahren ein. Wir brauchen
abschätzung ein. eine entsprechende Änderung internatio-
naler Abkommen, zum Beispiel des Über­-
DIE LINKE setzt sich ein für die Viel­- einkommens über handelsbezogene
falt und die Freiheit der Medien und Aspekte des Rechts am geistigen Eigen­-
der modernen Kommunikationsmittel tum ( TRIPS) oder der Patentgesetzge-
und für die freie Nutzung des Internets. bung auf europäischer Ebene (EPÜ).
Alle Nutzerinnen und Nutzer müssen
Daten ihrer Wahl senden und empfangen DIE LINKE ist solidarisch mit den Umwelt-
können. Die Neutralität des Netzes muss schutz-, Agrar-, Entwicklungshilfe- und
gesichert und allen Menschen, ob arm Verbraucherschutzorganisationen, die
oder reich, in der Stadt oder auf dem sich gegen die zunehmende Monopolisie-
Land, ein gleichberechtigter Zugang rung von Saatgut und landwirtschaftlichen
60 Sozial-ökologischer Umbau

Nutztieren durch Patente wenden. DIE LINKE bewertet die Biopatentie­-


Einige wenige gewinnorientierte Kon­- rung als grundsätzliches Übel, weil
zerne versuchen, weltweit auf Kosten sie die Biopiraterie fördert. Forscher
der Allgemeinheit möglichst umfassen­- und Firmen bemächtigen sich durch
den Patentschutz zu erlangen, damit sie die Patentierung der Verfügungsrechte
Lizenzgebühren für Anbau und Zucht, über Gene, die sie allenfalls entdeckt,
Untersuchungs- und Verarbeitungsverfah- aber eben nicht »erfunden« haben.
ren, Futter- und Nahrungsmittel kassieren Diese Form des »wissenschaftlichen
können – bei Landwirten, Erwerbs- und Kolonialismus« entbehrt jeder ethischen
Freizeitgärtnern, kleinen und mittelständi- Grundlage. Vor allem indigene Völker
schen Züchtern, Lebensmittelverarbeitern und Entwicklungsländer können sich
und Verbraucherinnen und Verbrauchern. kaum dagegen wehren. Das Erbgut
Es geht hier um die globale Beherrschung aller Lebewesen dieses Planeten,
des gesamten Agrar- und Ernährungssek- welches seit Millionen Jahren exis­-
tors, also um das ganz große Geschäft tiert, gehört niemandem. Diese Form
einiger Agrogentechnikkonzerne. Land­ der Biopiraterie muss verboten
wirte und Gärtner geraten immer mehr werden.
in deren Abhängigkeit. Biopatente tragen
zur Verringerung der Artenvielfalt und zu Patente auf Leben sind Werkzeuge
einer Verarmung an Pflanzensorten und der Unterdrückung und Profitsteigerung.
Nutztierrassen in der Landwirtschaft Dies widerspricht den Grundsätzen einer
bei. Der züchterische Fortschritt und die demokratisch-sozialistischen Gesell-
Agrarforschung werden durch Biopatente schaft. Deshalb darf es keine Patente
zunehmend behindert. auf Leben geben.

4.4 Wie erhalten wir Natur und Gesellschaft?


Sozial-ökologischer Umbau
DIE LINKE sieht den sozial-ökologischen lungsziele der UNO zur Minderung
Umbau in Deutschland und Europa als von Armut, Hunger, Kindersterblichkeit,
eines ihrer entscheidenden Ziele und als Analphabetismus, Unterentwicklung und
wesentliche Querschnittsaufgabe in allen Umweltzerstörung einzuhalten, sondern
Politikbereichen an. wegweisend voranzuschreiten. Dazu
gehört vor allem der sozial-ökologische
Jeder Mensch hat ein universell Umbau unserer Gesellschaft. Er ist nicht
gleiches Recht auf einen Anteil an dem, nur ökologisch geboten, sondern auch
was die Erde bietet, und eine universell eine ethische, soziale und wirtschaftliche
gleiche Pflicht, seine Lebensgrundlage Notwendigkeit. Unsere heutige Produk-
zu schützen. Die Gleichheit der Nutzungs- tions- und Konsumtionsweise ist nicht
rechte und die Gleichheit der Schutz- gerechtigkeitsfähig, auch weil sie zu
pflichten müssen zum Leitbild des unökologisch ist. Und sie ist nicht öko­-
globalen Handelns werden. Die Euro­ logiefähig, auch weil sie ungerecht ist.
päische Union und Deutschland müssen
international eine Vorreiterrolle einneh- Das inzwischen allgemein akzeptierte
men. Dabei geht es nicht nur darum, die Ziel einer deutlichen Reduktion von
Verpflichtungen im Rahmen der Entwick- Stoff- und Energieumsätzen wird nur
Sozial-ökologischer Umbau 61

dann erreicht werden, wenn die Gesell- rung von CO2, müssen die Ärmeren von
schaft gleichzeitig sozialer, demokrati- den entstehenden Einnahmen überpro-
scher und freier wird. Nur so wird die portional profitieren, sei es durch direkte
Herausbildung neuer, mit der Umwelt Zahlungen oder durch den Ausbau
verträglicher Lebensweisen und eines öffentlicher Dienstleistungen.
neuen Wohlstandstyps Akzeptanz finden
können. Soziale Sicherheit, verlässliche Eine an sozial-ökologischen Zielen
und ausreichende Einkommens- und ausgerichtete Wirtschaft strebt nicht
Berufsperspektiven, ein Weniger an Wachstum um des Wachstums willen
Herrschaft bei der Arbeit und in der an. Ein steigendes Bruttoinlandsprodukt
Gesellschaft sind die Basis für ein Mehr führt nicht automatisch zu mehr Wohl-
an zwischenmenschlichen Beziehungen, stand. Sozial-ökologischer Umbau
Gesundheit, Bildung, Kultur und Muße. bedeutet, den Wachstumsdruck, der
Eine glücklichere Gesellschaft, die aus übermäßiger Profitorientierung
weniger Ressourcen verschwendet, und ungerechten, bedrückenden
braucht mehr Gleichheit. DIE LINKE will Verhältnissen resultiert, aus Gesell-
dabei keineswegs bestimmte Lebenswei- schaft und Wirtschaft herauszunehmen.
sen vorschreiben, es gibt viele ökologi- Hohe Ungleichheit in der Verteilung von
sche Lebensstile. Entscheidend ist, dass Einkommen, Vermögen und Arbeitszei-
der ökologische Fußabdruck eines jeden ten, übermäßige Verschuldung öffent­
im global zulässigen Rahmen bleibt, also licher Haushalte und die unzureichende
nicht mehr als etwa eine Tonne Kohlen- Absicherung von Lebensrisiken durch
stoffdioxid pro Jahr verursacht. Wie er die sozialen Sicherungssysteme blockie-
entsteht, ist der individuellen Freiheit ren die Abkehr von der Wachstumsfixie-
überlassen, aber nicht allein individu­- rung. Herrschaftliche und konkurrenz­-
elle Aufgabe. Es kommt darauf an, die betonte Lebens- und Arbeitsverhältnisse
Rahmenbedingungen so zu gestalten, fördern ökologisch und sozial fragwür­
dass ein ressourcenleichtes Leben für dige wirtschaftliche Aktivitäten und
alle attraktiv wird. Konsumverhaltensweisen.

Zukunftsfähiges Wirtschaften erfordert Wir wollen sämtliche Politikbereiche


die Reduktion des Verbrauchs fossiler am sozial-ökologischen Umbau von
Ressourcen um 90 Prozent. Auch bei Wirtschaft und Gesellschaft orientieren.
anderen Ressourcen ist eine wesentliche, Dazu gehören vor allem Wirtschafts-
an den fossilen Ressourcen orientierte, und Finanzpolitik, Sozial- und Bildungs­
Reduzierung unumgänglich. DIE LINKE politik, Wissenschafts-, Forschungs-
will deshalb, dass die Produktion von und Technologiepolitik, Struktur- und
Gütern und Dienstleistungen nicht Regionalpolitik, aber auch Friedens-
mehr den Profit als oberste Maxime und Verkehrspolitik.
hat, sondern an sozial-ökologischen
Zielen ausgerichtet wird. Entscheidend Klimaschutz und Energiewende
wird die Verbindung ökologischer
Steuerung mit mehr sozialer Gerech­ DIE LINKE verbindet den Umbau der
tigkeit und mit einer Ausweitung persön­ Energiewirtschaft mit dezentralen
licher Entfaltungsmöglichkeiten sein. Energieerzeugungs- und -versorgungs-
Wenn zur ökologischen Steuerung strukturen. Dies muss zur Demokratisie-
der Verbrauch von Umweltressourcen rung der Energiewirtschaft führen, die
verteuert wird, etwa durch eine Besteue- Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern
62 Sozial-ökologischer Umbau

fördern und zur Reduzierung von CO2 erschwinglich für alle bleiben und von
beitragen. Langfristig entsteht so eine der Mehrzahlung der Vielverbraucher
sichere, umweltfreundliche, von Impor- finanziert werden.
ten unabhängige und für alle bezahlbare
Energieversorgung. Wir fordern die unverzügliche Stilllegung
aller Atomkraftwerke und ein Verbot für
DIE LINKE setzt sich dafür ein, die den Export von Atomtechnik. Im Grund-
Treibhausgas-Emissionen in Deutschland gesetz muss das Verbot jeglicher – fried­
ohne Vorbedingungen bis zum Jahr 2020 licher wie militärischer – Nutzung der
gegenüber 1990 zu halbieren. Auf ihre Atomenergie verankert werden. Die
Senkung um mindestens 90 Prozent Endlagersuche muss ergebnisoffen
bis Mitte des Jahrhunderts wollen wir und transparent, unter Einbeziehung
hinwirken. Unser Ziel ist die 100-prozen­ der Bevölkerung erfolgen, der Atommüll
tige Versorgung aus erneuerbaren Ener- auf Kosten der Verursacher an Orten mit
­gien vorrangig bei Ausschöpfung der den geringsten Risiken verwahrt werden.
regional nutzbaren Quellen bis zum Jahr
2050. Dies erreichen wir durch festge- Den Neubau von Kohlekraftwerken
legte Grenzwerte für den CO2 -Ausstoß sowie die Untertagespeicherung von
und nicht durch den marktbasierten Kohlendioxid wollen wir verhindern. Der
Emissionshandel. So können in den Einsatz von Kohle muss sich so verteu-
Regionen Arbeitsplätze entstehen ern, dass der Betrieb laufender und die
und die Kommunalhaushalte nach- Planung neuer Kohlekraftwerke unwirt-
haltig gestärkt werden. schaftlich werden.

Die Nutzung von Biomasse aus nach- Die Verbesserung der Energieeffizienz
wachsenden Rohstoffen zur Energie­ als Teil der Energiewende betrifft alle
erzeugung ist nur vertretbar, wenn gesellschaftlichen Bereiche. Vor allem
die vollständige Eigenversorgung mit bei der Optimierung des Energiever-
Nahrungs- und Futtermitteln sowie brauchs von Gebäuden gibt es große
Industrierohstoffen aus der Landwirt- Potenziale. Sanierungsmaßnahmen,
schaft gewährleistet ist. Wir lehnen die sich nicht durch geringere Energie­
den Import von Biomasse aus Raubbau kosten refinanzieren, müssen gefördert
und Monokulturen ab. Die energetische werden. Die Kosten sind dabei nicht von
Nutzung von Biomasse darf nicht zur den Mieterinnen und Mietern, sondern
Verteuerung von Nahrungsmitteln führen aus den Gewinnen der Energiewirtschaft
und muss in einer nachhaltigen Art und zu tragen. Wir fordern daher die Über­
Weise erfolgen. führung der Energiekonzerne in öffent­
liches Eigentum und die demokratische
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist Kontrolle der Unternehmen mit dem
ein erfolgreiches Umbau-Gesetz. Wir Ziel, einen ökologisch verantwortlichen
setzen uns für dessen Erhalt und Ausbau Umgang mit Energie und eine sozial
ein, auch, um den Einspeisevorrang von verantwortliche Finanzierung der
erneuerbaren Energien zu sichern. Die Umbaumaßnahmen zu erreichen.
Kosten für die mit dem ökologischen
Erfolg steigende Umlage müssen jedoch Zur Verbesserung der Energieeffizienz
vornehmlich von den Vielverbrauchern bei Elektrogeräten wollen wir gesetzliche
in Industrie und Privathaushalten gezahlt Regelungen einführen, die gewährleisten,
werden. Ein Basisverbrauch muss dass die Standards der Geräte mit dem
Sozial-ökologischer Umbau 63

geringsten Energie- und Ressourcen­ sowie Bürgerinnen und Bürger streben


einsatz während ihres gesamten Lebens- wir mehr demokratische Planungs-,
zyklus innerhalb kurzer Zeit zur Vorschrift Kontroll- und Einspruchsrechte an. Wir
werden. Als weiteres Kriterium soll die setzen uns für natürliche Flussläufe als
Reparaturfreundlichkeit mit in die Schutz vor Hochwasser ein, aber auch,
Bewertung einfließen. Diese Regelung um die typischen Tier- und Pflanzenarten
sollte auch auf andere Produkte über­ und den landschaftsästhetischen Wert
tragen werden. der Auenlandschaften zu erhalten.

Die bisher für Atomkraft, einschließlich Der fortschreitenden Versiegelung von


Kernfusion, und fossile Energiesysteme Landschaften für wachsende Siedlungs-
eingesetzten Forschungs- und Förder­ und Verkehrsflächen wollen wir durch
mittel sind in den Ausbau erneuerbarer eine verstärkte Innenentwicklung von
Energiesysteme und Speicherverfahren, Ortschaften, reduzierte Entfernungen
die Verbesserung der Energieeffizienz zwischen Wohn- und Arbeitsstätten
sowie in Ausbau und Regelung der Netze und den Ausbau des öffentlichen
umzuleiten. Besonders zu fördern ist Personennahverkehrs entgegenwirken.
der Umbau der Netzinfrastruktur mit Der Wandel in der Siedlungsstruktur
hohem Anteil schwankender erneuer­ muss mit einer geänderten Preisstruk­-
barer Energien, zum Beispiel durch die tur korrelieren. Wohnen, Handel und
Inte­gration von Kraft-Wärme-Kopplung. Gewerbe im Innenbereich lassen sich
etwa aus den Einnahmen einer Versie­
Natur ist unser Leben gelungsabgabe fördern. Gewolltes
muss vergünstigt und Unerwünschtes
Die Naturnutzung des einen ist auch erschwert werden, ohne dabei ärmere
der Nutzungsentzug für den anderen. Menschen in ihren Möglichkeiten zu
Wer stetigen Zuwachs fordert, gefähr­- beschränken. Innerstädtische Mieten
det das elementare Entwicklungsrecht und Grundstückspreise sind nach oben
anderer. Nachhaltiger Umgang mit zu begrenzen, so dass Siedlungen und
natürlichen Ressourcen ist kein lästiger Einkaufszentren auf der grünen Wiese
Kostenfaktor, sondern ein Türöffner an Attraktivität verlieren.
für eine lebenswertere Zukunft. Wir
wollen natürliche Lebensräume erhalten, Wir setzen uns für den Schutz frei­
in Deutschland, Europa und weltweit. lebender und in Obhut des Menschen
Die biologische Vielfalt muss bewahrt lebender Tiere ein, insbesondere für die
werden, um ihrer selbst willen und artgerechte Haltung landwirtschaftlicher
als Grundlage unseres Lebens. Dazu Nutztiere und die Ablösung von Tier­
gehören Bewahrung und Schutz der versuchen. Wir fördern eine deutliche
verbliebenen großen Naturräume der Steigerung des ökologischen Landbaus
Erde ebenso wie die Vernetzung von und fordern ein ökologisches Wirtschaf-
Schutzgebieten. Wälder, Meere und ten aller Betriebe. Um dies zu erreichen,
Landschaften sollen in öffentlicher wollen wir ökologischen Landbau –
Verantwortung so genutzt und geschützt ähnlich wie regenerative Energie-
werden, dass ihre natürliche Regene­ erzeugung – systematisch preislich
rationsfähigkeit erhalten bleibt. Eine bevorzugen, finanziert etwa durch
Übertragung von Schutzgebieten an Umlagen bei nicht-ökologischer Erzeu-
Privatpersonen ist diesem Ziel nicht gung. So wird der Kauf von Bio-Lebens-
förderlich. Für Umweltorganisationen mitteln für alle möglich.
64 Sozial-ökologischer Umbau

Obwohl er mittlerweile Staatsziel ist, Ziel ist ein Schienenverkehrssektor


sind wir von einem wirksamen Tier­- unter ausschließlich öffentlichem Ein­-
schutz weit entfernt. Wir treten ein für fluss. Der Bund hat den Erhalt und den
ein bundesweites Verbandsklagerecht erforderlichen Ausbau der Schienenwege
für Tierschutzverbände. Die Sozialge­ in vollem Umfang zu sichern und den
setzgebung sollte eine angemessene Ländern dauerhaft ausreichende Mittel
Tierhaltung ermöglichen. Transporte von für die Verkehrsleistungen und den
Tieren, ihre Züchtung und ihre Haltung Infrastrukturausbau im öffentlichen
in Zoos bedürfen strengerer Auflagen Personennahverkehr zur Verfügung zu
und demokratischer Kontrolle. DIE LINKE stellen. Den Aufbau eines konkurrieren-
setzt sich für ein Tierschutzsiegel auf den Busfernnetzes lehnen wir ab.
Lebensmitteln ein. Die Agro-Gentechnik
lehnen wir aufgrund unkalkulierbarer Bei der Planung von Verkehrsprojekten
Risiken ab, die Kennzeichnungspflicht müssen Bürgerinnen und Bürger sowie
ist bis auf die technisch mögliche Interessenvertretungen von den
Nach­weisgrenze zu senken. Tier- Planungsbehörden deutlich von Anfang
und Pflan­zenpatente lehnen wir ab. an und stärker einbezogen und Volks­
entscheide in einem frühen Stadium
Mobilität für alle – ermöglicht werden.
ökologische Verkehrswende
Wir wollen eine grundlegende Reform
Eine nachhaltige Infrastrukturentwick- der Bundesverkehrswegeplanung hin
lung setzt auf Verkehrsvermeidung, kurze zur umweltgerechten Mobilitätsplanung.
Wege und energiesparende Verkehrsmit- Das Rückgrat unseres Mobilitätskonzepts
tel. Befriedigung grundlegender Mobili- ist der Umweltverbund – zu Fuß, per
tätsbedürfnisse muss für alle unabhängig Rad, mit Bus und Bahn. Den Anteil der
vom Geldbeutel so umweltfreundlich im Umweltverbund zurückgelegten Wege
wie möglich gewährleistet werden. Sie wollen wir deutlich steigern und den
ist ein wesentlicher Teil der öffentlichen motorisierten Individualverkehr reduzie-
Daseinsvorsorge. Unser Ziel ist ein ren. Wir setzen uns in der Raumplanung
flächendeckendes und barrierefreies für kurze Wege zwischen den Orten von
Angebot des öffentlichen Verkehrs mit Wohnen, Freizeit, Arbeit und Bildung
attraktiver Taktung, guten Umsteige­ sowie für eine fuß- und fahrradfreund­
möglichkeiten sowie sozialverträglichen liche Siedlungsstruktur ein. Eine deutli-
Tarifen. Einen unentgeltlichen Nahver- che Steigerung der Lebensqualität wollen
kehr sehen wir als Vision, auf die wir wir durch eine Umwidmung von Verkehrs­
langfristig hinwirken wollen. Der öffent­ flächen erreichen: Naherholung statt
liche Personennah- und -fernverkehr Lärm- und Abgasbelastung.
muss unter Einbeziehung von Interessen-
vertretungen der Fahrgäste, Beschäftig- Die Erweiterung des Autobahn-
ten, Umweltverbände und anderen und Straßennetzes lehnen wir ab.
Betroffenen kooperativ und demokra- Wir sprechen uns für ein allgemeines
tisch reguliert und betrieben werden. Tempolimit von 120 km/h auf Auto­
bahnen aus. Elektroautos und Biosprit
Die Deutsche Bahn muss einer breiteren sind keine Lösung für die Probleme,
demokratischen Kontrolle unterliegen. die durch Energie- und Ressourcen­
Privatisierungen öffentlicher Verkehrsun- verbrauch sowie verstopfte Straßen
ternehmen lehnen wir ab. Langfristiges und Unfälle entstehen.
Sozial-ökologischer Umbau 65

Der innerdeutsche Flugverkehr ist Flugplätzen muss Verkehrslärm durch


weitestgehend und der innereuropäische strenge Grenzwerte und aktiven Lärm-
zu einem großen Teil auf die Schiene zu schutz deutlich verringert werden.
verlagern. Erste Schritte dazu sind die Wir treten für ein Nachtflugverbot ein.
Einführung einer EU-weit einheitlichen
Kerosinsteuer und eine internationale Regionale Wirtschaftskreisläufe
Flugticketabgabe. Die Subventionierung
von Flughäfen muss beendet werden. Wir wollen den Übergang zu regionalen,
Der Güterverkehr muss deutlich reduziert arbeitsplatzschaffenden Wirtschafts-
werden, wobei die externen Kosten den und Stoffkreisläufen schaffen. Dafür
Transportpreisen anzulasten sind. Mittel brauchen wir nicht nur selbstverwaltete
dazu sind eine höhere Mineralölsteuer regionale Entwicklungsfonds, einen
und eine verbindliche Lkw-Maut in ganz veränderten kommunalen Finanzaus-
Europa. Den verbleibenden Güterverkehr gleich sowie eine Struktur- und Anschub-
wollen wir vorrangig auf die Schiene und förderung, sondern auch eine dezentrale
auf eine umweltverträgliche See- und Nahrungsmittelproduktion und Energie-
Binnenschifffahrt verlagern. Mit einer versorgung und höhere Transportpreise.
möglichst weltweiten, alternativ europa- Auch andere Bereiche der öffentlichen
weiten Abgabe auf fossile Kraftstoffe Daseinsvorsorge wie Wasser/Abwasser,
wollen wir ressourcen- und umweltscho- Abfallentsorgung, Gesundheit und Kultur
nende Antriebe fördern. Durch Koope­ sind möglichst regional und dezentral zu
ration statt Konkurrenz zwischen den organisieren.
Hafenstandorten können wir Güter­
ströme gezielt lenken und vorhandene Wir treten für eine konsequente Um­
Kapazität und Infrastruktur optimal gestaltung der Abfallwirtschaft in eine
nutzen. Eine modernisierte Binnenschiff- energieeffiziente Ressourcenwirtschaft
fahrtsflotte wird zielorientiert eingesetzt, ein. Deshalb ist das Kreislaufwirtschafts-
nutzt sinnvolle Innovation und benötigt gesetz in Richtung gesteigerter Wieder-
keinen weiteren Flussausbau. verwendung, höherer Recycling-Quoten
und strengerer Anforderungen weiterzu-
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur entwickeln. Der Export von Abfällen ist
müssen wesentlich nachhaltiger und auf zu verbieten. Ziel ist die Verträglichkeit
Barrierefreiheit gerichtet erfolgen. Die menschengemachter mit natürlichen
Belastung und Gesundheitsgefährdung Kreisläufen. Das heißt, der Gebrauch
vieler Menschen durch Verkehrslärm von Rohstoffen und chemischen Erzeug-
und Luftschadstoffe wie Feinstaub und nissen ist nur soweit zulässig, wie er
Stickoxide müssen reduziert werden. natürliche Prozesse und Senken nicht
An bestehenden Verkehrswegen und überlastet.
66 Demokratie, Sozialstaatlichkeit, Ökologie und Frieden

4.5 Wie wollen wir die Europäische Union


grundlegend umgestalten? Demokratie,
Sozialstaatlichkeit, Ökologie und Frieden
Die Europäische Union beeinflusst das der EU-Sicherheits- und Verteidigungs-
Leben der Bürgerinnen und Bürger in allen politik, gegen die Grundausrichtung
Mitgliedstaaten unmittelbar und in wach­- der EU an den Maßstäben neoliberaler
sendem Umfang. Entscheidungen des Politik, gegen den Verzicht auf eine
Europäischen Parlaments, des von den Sozialstaatsklausel, gegen die angestrebte
Staats- und Regierungschefs der Mitglied­- Art der verstärkten Zusammenarbeit der
staaten gebildeten Europäischen Rates, Polizei- und Sicherheitsdienste sowie
des Rates, der Europäischen Kommission gegen das weiter bestehende Demokra-
und des Europäischen Gerichtshofes tiedefizit in der EU und ihren Institutionen.
bestimmen die Lebensbedingungen,
den Alltag der Menschen in der Bundes- Die Eurokrise hat einen weiteren Beleg
republik substanziell. Die auf EU-Ebene dafür erbracht, dass die EU-Verträge
getroffenen Entscheidungen sind von nicht für ein demokratisches, soziales,
zentraler Bedeutung für die Sicherung ökologisches und friedliches Europa
des Friedens, die wirtschaftliche und taugen, sondern ganz im Gegenteil
soziale Entwicklung und die Lösung der zur Verschärfung der Krise beitragen.
ökologischen Herausforderungen auf
dem Kontinent und darüber hinaus. Linke Die Europäische Union braucht einen
Politik in Deutschland muss angesichts Neustart mit einer vollständigen Revision
dessen heute mehr denn je die europäi- jener primärrechtlichen Grundelemente
sche Dimension mitdenken und für die der EU, die militaristisch, undemokra-
Gestaltung der europäischen Politik eigene tisch und neoliberal sind. Wir setzen uns
Vorschläge unterbreiten. Die Europäische deshalb weiter für eine Verfassung ein,
Union ist für DIE LINKE eine unverzicht- die von den Bürgerinnen und Bürgern
bare politische Handlungsebene. mitgestaltet wird und über die sie zeit­-
gleich in allen EU-Mitgliedstaaten in
Gemeinsam mit anderen linken einem Referendum abstimmen können.
Parteien stehen wir für einen grund­
legenden Politikwechsel in der Europä­ Wir wollen nicht weniger als einen
ischen Union. Wir wollen eine andere, grundlegenden Politikwechsel in
eine bessere EU. Die Europäische Union der Europäischen Union, der die euro-
muss zu einer tatsächlich demokrati- pä­ische Integration im Interesse der
schen, sozialen, ökologischen und großen Mehrheit der Menschen auf
friedlichen Union werden. ein neues Fundament stellt.

Die Vertragsgrundlagen der Europä­- Wir wollen eine Europäische Union,


ischen Union sind dafür nicht geeignet. die Demokratie und nationalstaatliche
Wir haben deshalb den Vertrag von Souveränität nicht den Finanzmärkten
Lissabon abgelehnt. Unsere Kritik opfert. Wir weisen alle Angriffe auf die
richtete und richtet sich weiterhin vor Demokratie in Europa, etwa durch die
allem gegen die in diesem Vertragstext Etablierung von Durchgriffsrechten auf
enthaltenen Aussagen zur Militarisierung nationalstaatliche Haushalte, zurück.
Demokratie, Sozialstaatlichkeit, Ökologie und Frieden 67

Wir wollen eine friedliche Europäische durch einen Pakt für nachhaltige Entwick-
Union, die im Sinne der Charta der lung, Vollbeschäftigung, soziale Sicher-
Vereinten Nationen Krieg ächtet, die heit und Umweltschutz ersetzt werden,
strukturell nicht angriffsfähig und frei der auch Maßnahmen zur außenwirt-
von Massenvernichtungswaffen ist, schaftlichen Stabilität einschließt. Die
die sowohl auf den Ausbau militärischer EU braucht eine koordinierte und demo­-
Stärke als auch auf eine weltweite mili­- kratisch kontrollierte Wirtschaftspolitik,
tärische Einsatzfähigkeit und weltweit die einer Unterbietungskonkurrenz durch
auf militärische Einsätze verzichtet. Wir die Verschlechterung von Löhnen, Arbeits­
setzen auf Abrüstung, zivile Kooperation bedingungen, sozialen Leistungen und
und die Entwicklung partnerschaftlicher Umweltstandards entgegenwirkt. Die
Beziehungen in Europa und weltweit. Europäische Zentralbank muss demokra-
tisch kontrolliert und ihr Wirken neben
Wir wollen eine Europäische Union ohne Preisstabilität auch auf Beschäftigung
Ausgrenzung und Armut, eine EU, in der und nachhaltige Entwicklung ausgerich-
gut entlohnte und sozial abgesicherte tet werden.
Arbeit und ein Leben in Würde für alle
gesichert sind. Sozialstaatlichkeit muss Wir wollen eine Gemeinsame Europäi-
zu den Werten und Zielen der EU gehören sche Agrarpolitik, die konsequent sozial
und höchste Priorität bei der Umsetzung und ökologisch ausgerichtet ist und
aller EU-Politiken haben. DIE LINKE stärker die Belange der Entwicklungs­
tritt für die Verankerung einer sozialen länder berücksichtigt. Unternehmen
Fortschrittsklausel im EU-Primärrecht der agrarischen Primärproduktion
ein. So wie in der EU der Wettbewerb müssen unabhängig von Betriebsgröße
kontrolliert wird, muss auch die Einhal- und Bewirtschaftungsform für soziale
tung von sozialen Vorschriften EU-weit und ökologische Leistungen unterstützt
überprüft und müssen Verstöße dagegen werden, um den Einfluss landwirtschafts-
geahndet werden. Um Steuerdumping fremden Kapitals zurückzudrängen.
zu verhindern, fordert DIE LINKE neben
einer Vereinheitlichung der Bemessungs- Wir wollen eine Europäische Union,
grundlage für Unternehmenssteuern die sich weltweit dafür einsetzt, die
die Festlegung eines EU-weiten Mindest­ Finanzmärkte einer strikten Kontrolle
steuersatzes für Unternehmensgewinne zu unterwerfen, damit sie wieder dem
in angemessener Höhe. Allgemeininteresse und nicht länger der
Spekulation dienen. Kapitalverkehrskon­
Wir wollen eine Europäische Union, trollen müssen auf europäischer Ebene
deren Rechtsgrundlagen wirtschafts­ ermöglicht werden. Die EU braucht
politisch neutral gestaltet sind und die eine öffentliche Institution, die Staaten
gegenüber einer gemischtwirtschaft­ Kredite ohne Umweg über private
lichen Ordnung mit einem bedeutenden Geschäftsbanken gewährt.
öffentlichen Sektor sowie künftigen
Gesellschaftsentwicklungen offen ist. Wir wollen eine Europäische Union mit
Die Wirtschaftspolitik der EU soll sozialen einem starken Europäischen Parlament
Fortschritt und ökologischen Struktur- und transparenten Entscheidungsprozes-
wandel befördern. Notwendig sind dafür sen in allen europäischen Institutionen
mehr öffentliche Investitionen und eine und mit mehr unmittelbarer Mitwirkung
Stärkung der Binnenwirtschaft. Der der Bürgerinnen und Bürger. In der euro­-
Stabilitäts- und Wachstumspakt muss päischen Politik müssen die Menschen-
68 Demokratie, Sozialstaatlichkeit, Ökologie und Frieden

und Grundrechte, die zu den Verfas- Wir wollen eine Europäische Union, die
sungstraditionen in Europa gehören, als Teil der einen Welt gleichberechtigte
Vorrang vor den Grundfreiheiten des internationale Beziehungen fördert,
Binnenmarktes bekommen. eine solidarische Weltwirtschaft anstrebt
und ihrer Verantwortung zur Lösung der
Wir wollen eine Europäische Union, in globalen Probleme gerecht wird.
der Frauen und Männer wirklich gleich­
berechtigt sind und die Diskriminierung Diese Grundsätze werden wir unserer
von Menschen wegen ihrer ethnischen gesamten politischen Arbeit zugrunde
Herkunft, ihres Geschlechts, der Religion legen.
oder Weltanschauung, einer Behinde-
rung, des Alters oder der sexuellen Die Linke in Europa ist gefordert, den
Identität ausgeschlossen ist. Wir wollen, Kampf um die Europäische Union aufzu­-
dass Frauen endlich die gleichen Mög- nehmen. Ein anderes Europa, eine EU, die
lichkeiten in Beruf und Gesellschaft ihr Gestaltungspotenzial im Interesse von
haben wie Männer. Dies erfordert Millionen Menschen in aller Welt nutzt,
gesetzliche Maßnahmen, um beispiels- ist möglich – wenn es gelingt, die Politik
weise Kinderbetreuung zu sichern und und Entwicklung der Europäischen Union
Lohndiskriminierung zu bekämpfen. zu verändern, sie an Frieden und zivilen
Konfliktlösungen zu orientieren, an Demo­-
Wir wollen eine solidarische Erweite­- kratie, an der Überwindung des Patriar-
rung der Europäischen Union, in der alle chats, an sozialer Sicherheit und ökolo­-
Fragen – insbesondere die Förder- und gischer Nachhaltigkeit und an einer Wirt­-
Investitionspolitik – so behandelt werden, schaft, die den Menschen dient. Dieses
dass die Regionen partnerschaftlich andere Europa kann entscheidend dazu
kooperieren und die Verbesserung von beitragen, dass eine andere Welt möglich
Arbeits- und Lebensverhältnissen im wird.
Vordergrund steht. Im EU-Haushalt
müssen durch Umverteilung der Mittel, DIE LINKE wird dazu beitragen, die Kämpfe
aber auch durch die Erhöhung der gegen neoliberale Politik in den Kommunen,
finanziellen Beiträge der Mitgliedstaaten Regionen und Mitgliedstaaten zunehmend
entsprechende Mittel zur Verfügung auch auf der Ebene der EU zu führen. Wir
gestellt werden. werden unsere europapolitischen Ansätze
in Protesten gegen die Politik der Euro­-
Wir wollen eine Europäische Union, in der päischen Union und der Mitgliedstaaten
Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicher- ebenso vertreten wie in den Parlamenten
heit garantiert sind und die Bekämpfung aller Ebenen. Wir wollen die Menschen
von Kriminalität nicht zu Lasten der Grund- mit überzeugenden konkreten Projek­-
und Menschenrechte geht. Die EU muss ten gewinnen, ihnen Mut machen, sich
sich zum Prinzip der Gewaltenteilung und wieder politisch zu beteiligen. So können
der Trennung von Polizei, Geheimdiens- wir unser politisches Ziel einer demo­
ten und Militär bekennen. Das Grund- kratischen, sozialen, ökologischen und
recht auf Asyl ist zu garantieren. Deshalb friedlichen Neugestaltung der Fundamen-
muss die Grenzschutzagentur FRONTEX te der Europäischen Union erreichen. So
aufgelöst werden. Neofaschismus, Frem­- verhindern wir, dass Neofaschisten und
denhass, Rassismus, religiöser Funda- Rassisten in den EU-Mitgliedstaaten
mentalismus, Sexismus und Homophobie Unterstützung für ihre menschenver­
müssen europaweit geächtet werden. achtenden Ideologien erhalten.
Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung 69

4.6 Wie schaffen wir Frieden?


Abrüstung, kollektive Sicherheit
und gemeinsame Entwicklung
DIE LINKE ist eine internationalistische als ein zentrales Ziel hat. Unabhängig
Friedenspartei, die für Gewaltfreiheit von einer Entscheidung über den Verbleib
eintritt, ob im Inneren von Gesellschaften Deutschlands in der NATO wird DIE LINKE
oder zwischen Staaten. Daraus leiten wir in jeder politischen Konstellation dafür
unser Engagement gegen Krieg, Völker- eintreten, dass Deutschland aus den
rechtsbruch, Menschenrechtsverlet- militärischen Strukturen des Militär­
zungen und militärische Denklogiken bündnisses austritt und die Bundeswehr
im Umgang mit Konflikten ab. Neben der dem Oberkommando der NATO entzogen
Kritik an Gewaltakteuren und an gewalt- wird. Wir fordern das sofortige Ende aller
fördernden Machtstrukturen geht es Kampfeinsätze der Bundeswehr. Dazu
uns um die Aufklärung über tiefere gehören auch deutsche Beteiligungen
Zusammenhänge von Konfliktursachen. an UN-mandatierten Militäreinsätzen
Gemeinsam mit Friedensbewegungen nach Kapitel VII der UN-Charta, zumal
und allen friedensorientierten Partnern der Sicherheitsrat noch nie chartagemäß
ringen wir um Wege zu struktureller Beschlüsse gegen Aggressoren wie die
Gewaltprävention und für einen zivilen NATO beim Jugoslawienkrieg oder die
Konfliktaustrag. Unser Leitbild ist die USA beim Irakkrieg gefasst hat. Um
Idee des gerechten Friedens, der mehr Akzeptanz für die Militarisierung der
bedeutet als die bloße Abwesenheit von Außenpolitik zu erlangen, ist zunehmend
Gewalt, weil er soziale wie ökonomisch von »zivilmilitärischer Kooperation« und
und ökologisch nachhaltige Bedingungen von Konzepten zur »vernetzten Sicherheit«
als Voraussetzung für dauerhafte die Rede. DIE LINKE lehnt eine Verknüp-
friedliche Entwicklungen erachtet. fung von militärischen und zivilen Maß­-
nahmen ab. Sie will nicht, dass zivile Hilfe
DIE LINKE gründet ihre internationalis­ für militärische Zwecke instrumentalisiert
tische Politik auf vier Prinzipien: Frieden wird. Sie will, dass ein Rüstungsexport-
durch kollektive und gegen­seitige Sicher­- verbot im Grundgesetz verankert wird.
heit, Abrüstung und strukturelle Nicht­
angriffsfähigkeit. Solidarische Politik der Reform und Stärkung
Überwindung von Armut, Unterentwick- der Vereinten Nationen
lung und Umweltzerstörung. Einsatz für
eine demokratische, soziale, ökologische DIE LINKE erachtet als internationa­
und friedliche Europäische Union. Reform listische Partei das Völkerrecht und
und Stärkung der UNO. die Vereinten Nationen als wichtigste
Institution für die friedliche Verständigung
Frieden in Solidarität statt Kriege zwischen den Staaten und Gesellschaften
der Erde. Den globalen Herausforderun-
Für DIE LINKE ist Krieg kein Mittel gen kann die Menschheit nur friedlich, im
der Politik. Wir fordern die Auflösung Dialog und multilateral auf der Basis eines
der NATO und ihre Ersetzung durch ein sich konsensual fortentwickelnden recht­-
kollektives Sicherheitssystem unter lichen Rahmens begegnen. Die Vereinten
Beteiligung Russlands, das Abrüstung Nationen müssen auf die Basis ihrer
70 Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung

eigenen Charta zurückgebracht werden. Deutschland müssen auf alle Atomwaf-


Probleme und Herausforderungen wie fenoptionen verzichten, alle in Deutsch-
Armut, Klimawandel, Massenkrankheiten, land stationierten Atomwaffen müssen
Kriege, Ernährung, Wasserversorgung, abgezogen und vollständig vernichtet
Energiesicherheit, regulierter Globalisie- werden. Alle Massenvernichtungswaffen
rung oder gerechte Handelsstrukturen sind zu verbieten. Die Europäische Union
sind Themen für alle, und sie können nur sollte eine Vorreiterrolle bei der zivilen
im globalen Miteinander behandelt und Konfliktprävention einnehmen und dafür
einer Lösung näher gebracht werden. Die die notwendigen Kapazitäten schaffen.
zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen Ein militärisch-ziviler Europäischer
bleibt die Sicherung des Weltfriedens, das Auswärtiger Dienst, die Beteiligung an
heißt die Prävention, Streitbeilegung und militärischen Einsätzen im Rahmen der
nachhaltige zivile Konfliktlösung auf der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
Basis des Völkerrechts. Hierzu dienen politik (GASP) und der Europäischen
insbesondere die Grundsätze des Gewalt­- Sicherheits- und Verteidigungspolitik
verzichts und der gleichen Sicherheit, (ESVP ) sowie an EU-Battle Groups und
ferner die Regelungen zur friedlichen EU-Interventionsstreitkräften sind daher
Konfliktbeilegung in Übereinstimmung abzulehnen. DIE LINKE steht gegen die
mit Geist und Buch­staben der Charta. Militarisierung der EU.
Dafür bedarf es der überfälligen Reform,
was größere Rechte der UN, größere DIE LINKE lehnt den Umbau der Bundes-
ökono­mische Rechte, größere Effektivität wehr zu einer weltweit einzusetzenden
der UNO-Organisationen und eine Kriegsführungsarmee ab. DIE LINKE setzt
bessere Legitimation des UN-Sicherheits- sich für eine schrittweise Abrüstung
rates einschließt. Insbesondere fehlt eine der Bundeswehr ein, die kriegsführungs-
stärkere Repräsentanz afrikanischer und fähigsten Teile sollen zuerst abgerüstet
lateinamerikanischer Staaten. Notwendig werden. Die Abrüstung ist zu begleiten
ist auch die Verankerung größerer Rechte durch Konversionsprogramme für die
der größer gewordenen Generalversamm- Beschäftigten in der Rüstungsproduktion,
lung. Aber auch Regionalorganisationen für die Soldatinnen und Soldaten und für
wie die OSZE können spezifische Beiträge die Liegenschaften der Bundeswehr.
zur Verwirklichung der Charta-Ziele leisten.
DIE LINKE verfolgt langfristig das Ziel
Abrüstung und strukturelle eines Deutschlands, eines Europas ohne
Nichtangriffsfähigkeit Armeen, einer Welt ohne Kriege. Das
Grundgesetz verbietet die Vorbereitung
Statt Aufrüstung, militärischer Ausland- von und Teilhabe an Angriffskriegen. Von
seinsätze und EU-NATO-Partnerschaft, deutschem Boden darf nie wieder Krieg
also einer Kriegslogik, ist die Umkehr zu ausgehen – diesem Gebot muss wieder
einer friedlichen Außen- und Sicherheits- Geltung verschafft werden. Die Bundes-
politik notwendig, die sich strikt an das wehr muss aus allen Auslandseinsätzen
in der UN-Charta fixierte Gewaltverbot zurückgeholt werden, ihr Einsatz im
in den internationalen Beziehungen hält. Inneren jenseits notwendiger Katastro-
DIE LINKE setzt daher auf Abrüstung und phenhilfe ist strikt zu untersagen, die
Rüstungskontrolle, fordert ein striktes Notstandsgesetze, die den Einsatz der
Verbot von Rüstungsexporten und den Bundeswehr im Inneren vorsehen und
Umbau der Streitkräfte auf der Basis ermöglichen, sind aufzuheben. Statt der
strikter Defensivpotenziale. Die EU und Armee im Einsatz will DIE LINKE humani-
Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung 71

täre Hilfe. Die Milliarden, die bisher für weltweiten Exportmärkten voranzutrei-
Kriege ausgegeben werden, wollen wir ben. Direktinvestitionen und transnatio-
für Hilfe bei der Bewältigung internatio­ nale Konzerne müssen strengen Regeln
naler Krisen und Katastrophen einsetzen. und Kontrollen unterworfen werden.
Ein wirksamer Katastrophenschutz Die Einhaltung sozialer und ökologischer
benötigt ausgebildete Helferinnen und Standards muss gewährleistet sein.
Helfer: kein Militär, sondern Ärztinnen Internationale Institutionen müssen
und Ärzte, Technikerinnen und Techniker demokratisiert werden.
oder Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler. Wir schlagen daher die Ein­- Solidarische Entwicklung und Frieden
richtung eines zivilen Hilfskorps vor – bedingen einander. Öffentliche Entwick-
das Willy-Brandt-Korps für internationale lungszusammenarbeit muss endlich in
Katastrophenhilfe. Es ist die friedliche Höhe von mindestens 0,7 Prozent des
Alternative zur Armee im Einsatz. Bruttoinlandsprodukts geleistet werden,
wie es bereits vor Jahrzehnten vereinbart
DIE LINKE fordert die Beendigung der wurde. Insbesondere jene Länder, die
Beteiligung von Bundes- und Länder­ von Unterentwicklung, Staatszerfall und
polizei an internationalen Polizeieinsät- Bürgerkrieg besonders betroffen sind,
zen, die zur Unterstützung von Kriegen müssen gestärkt werden. Dazu können
und autoritären Regimen dienen. Auch Maßnahmen wie ein Schuldenerlass, die
Militärberatungsmissionen müssen schnelle Steigerung der Entwicklungshilfe,
beendet werden. DIE LINKE fordert die die Unterstützung beim Aufbau leistungs-
Etablierung eines zivilen Katastrophen- fähiger öffentlicher Dienste, insbesondere
schutzes mit eigenen zivilen Kapazitäten in den Bereichen von Bildung, Gesundheit
unter dem Dach der UNO. Deutschland und Daseinsvorsorge, sowie rechtsstaat­
soll sich auf internationaler Ebene für liche, demo­kratische Strukturen und ein
eine UN-geführte Katastrophenhilfe geeigneter Technologietransfer beitragen.
einsetzen. In diese soll das Willy-Brandt-
Korps langfristig integriert werden. Der sozial-ökologische Umbau des
21. Jahrhunderts wird nur global und
Alle ausländischen Militärbasen in solidarisch gelingen. Allein die Abwen-
Deutschland müssen geschlossen dung einer Klimakatastrophe erfordert
werden. Es darf nicht sein, dass die nach Expertenschätzungen jährlich rund
Infrastruktur in der Bundesrepublik 100 Milliarden Dollar Unterstützungs­
dazu genutzt wird, um völkerrechtswid­ leistungen des Nordens für den Süden –
rige Kriege und menschenrechtswidrige zusätzlich zu der längst überfälligen
Maßnahmen wie die Verschleppung Bereitstellung von 0,7 Prozent des Brutto­-
von Gefangenen zu ermöglichen. inlandsprodukts der reichen Länder für
die Entwicklungshilfe. DIE LINKE fordert,
Internationale Zusammenarbeit dass die Bundesrepublik und die Europäi-
und Solidarität sche Union ihren finanziellen und techni-
schen Beitrag zur Armutsbekämpfung und
Unser Ziel ist eine solidarische Weltwirt- zur Anpassung an den Klimawandel in
schaftsordnung, die nachhaltige Entwick- den Entwicklungsländern sowie zu dessen
lungsperspektiven für die ärmeren Länder Begrenzung ohne jede Vorbedingungen
schafft, globale und soziale, ökologische in der notwendigen Höhe leisten. Umwelt-
und demokratische Rechte durchsetzt, technologien sollen Entwicklungsländern
statt die Konkurrenz um Anteile an unentgeltlich oder zu günstigsten Son­-
72 Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft

derbedingungen zur Verfügung gestellt regionaler Reserven soll die Spekulation


werden. Wir wenden uns strikt gegen jede mit Nahrungsgütern unterbunden werden.
Verlagerung energie- und ressourcenauf- Importe von Agrarrohstoffen zur Biosprit­
wendiger Produktion aus dem Norden in erzeugung müssen ausgeschlossen
den Süden. Entwicklungspolitik muss die werden. Wir sind gegen die Subvention
Süd-Süd-Beziehungen sowie regionale von Exporten in die Entwicklungsländer
Märkte und die kleinbäuerliche Produk­ und treten dafür ein, diese bei der Sicher­-
tion stärken, die Verarbeitung der Roh­- stellung ihrer Ernährungssouveränität zu
stoffe in den Entwicklungsländern fördern, unterstützen. Energiepartnerschaften der
für faire Preise auf den Weltmärkten EU mit Ländern im globalen Süden sollten
sorgen, Geschlechtergerech­tigkeit als im Interesse eines gemeinsamen Einstiegs
entwicklungspolitischen Schwerpunkt in die Energiewende gestaltet werden. Vor­-
begünstigen und die Bildung von Mädchen haben, die die Überwindung von Armut,
und Frauen fördern. Durch die Regulie- Unterentwicklung und Umweltzerstörung
rung der Finanzmärkte und den Aufbau erschweren, müssen gestoppt werden.

5. Gemeinsam für einen Politikwechsel


und eine bessere Gesellschaft
DIE LINKE hat begonnen, die politischen Errungenschaften sowie ökologischen
Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik Regulierungen an, die in den sozialen
zu verändern. Sie trägt dazu bei, dass die und politischen Auseinandersetzungen
Kämpfe um höhere Löhne, ein öffentli- der Vergangenheit bereits durchgesetzt
ches Zukunftsinvestitionsprogramm, ein wurden. Wir wollen sie weiterentwickeln
gebührenfreies Studium, soziale Sicher- und als Ausgangspunkt für weitergehende
heit, eine nachhaltige Energiepolitik und Veränderungen nutzen.
um den Schutz der natürlichen Umwelt,
um Demokratie und Frieden mit neuer Die strategische Kernaufgabe der
Kraft geführt werden. Die Politik kann LINKEN besteht darin, zu einer Verände-
heute nicht mehr von einem Kartell der rung der gesellschaftlichen Kräfteverhält-
neoliberalen Parteien beherrscht werden. nisse beizutragen, um eine solidarische
Umgestaltung der Gesellschaft und eine
DIE LINKE steht in grundsätzlicher linke demokratische, soziale, ökologische
gesellschaftlicher und politischer und friedliche Politik durchzusetzen. Wir
Opposition zu Neoliberalismus und streben eine Veränderung der Macht- und
Kapitalherrschaft, imperialistischer Eigentumsverhältnisse an. Hierfür ist es
Politik und Krieg. Sie streitet für eine erforderlich, die Solidarität der Lohnab-
demokratische und soziale, emanzi- hängigen herzustellen, von den Kernbe­
pa­torische und friedliche Gesellschaft. legschaften bis zu den Erwerbs­losen und
Mit der Mobilisierung von gesellschaft­ prekär Beschäftigten. Eine wichtige Auf­-
lichem Widerstand und dem Einsatz gabe der LINKEN besteht darin, deren
für eine grundlegende Umgestaltung gemeinsame Interessen zu betonen. Die
machen wir uns auf den Weg zu einer traditionelle Arbeiter­bewegung mit ihrem
sozialistischen Gesellschaft. Dabei Zusammenhang von gewerkschaftlichen
knüpfen wir an die sozialstaatlichen, und politischen Massenorganisationen,
rechtsstaatlichen und demokratischen Bildungs- und Kulturvereinen, Konsumge-
Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft 73

nossenschaften, Frauen- und Jugendorga- zur solidarischen Umgestaltung der


nisationen und ihrer tiefen Verankerung in Gesellschaft. Dieses Bündnis soll sowohl
Arbeiterwohngebieten hat sich weitgehend Lohnabhängige und sozial Benachteiligte
aufgelöst. Das erschwert die Mobilisierung wie bedrohte Mittelschichten und andere
für große Massenbewegungen gegen sozial, libertär und humanitär orientierte
Sozialabbau und Entdemokrati­sierung und Milieus ansprechen. Wir gehen von den
für linke Alternativen. Wir erleben jedoch gemeinsamen Interessen abhängig
Konflikte, die ein neues Klassenbewusst- arbeitender, erwerbsloser und diskrimi-
sein entstehen lassen können. nierter Menschen in Deutschland sowie
im europäischen und internationalen Maß­-
Für die Entstehung und Durchsetzung stab und ihren konkreten Problemen aus.
von Klassenmacht sind gewerkschaftliche
und politische Organisationen erforder- Wir wollen ein Bündnis von Gewerk­
lich, in denen gemeinsame Interessen schaften, globalisierungskritischen
formuliert und Kämpfe zu ihrer Durchset- und gesellschaftskritischen Initiativen,
zung geführt werden. Es ist Aufgabe der sozialen Bewegungen, progressiven
Partei DIE LINKE, diesen Prozess bewusst Menschen aus Wissenschaft und Kultur
und aktiv zu fördern. und der parteipolitischen Linken ent­
wickeln. Wir unterstützen Zusammen-
Breite linke Bündnisse schlüsse gegen Neofaschismus, Rassis­-
mus, Antisemitismus und Islamfeindlich-
DIE LINKE versteht sich als lernende keit und wollen mit allen zusammenwir-
Partei. Sie will gemeinsam mit den ken, die sich für soziale Gerechtigkeit, für
Bürgerinnen und Bürgern Politik gestal- bessere Bildung, Emanzipation und mehr
ten. Wir wissen, dass wir unsere Vorstel- Demokratie, Frieden und für den Erhalt
lungen von einer besseren Gesellschaft der Natur einsetzen.
weder allein noch gegen gesellschaftliche
Mehrheiten umsetzen können. Wir wollen Für die Durchsetzung eines politischen
mit dem besseren Argument – öffentlich, Richtungswechsels und einer solidari-
transparent, kulturvoll und demokratisch – schen Umgestaltung brauchen wir starke,
streiten, Konzepte aus der Gesellschaft aktive, kämpferische und politisch eigen­-
aufgreifen, eigene entwickeln und breite ständig handelnde Gewerkschaften. Sie
gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen. agieren nicht nur in der Zivilgesellschaft,
Ein politischer Richtungswechsel lässt sondern sind auch in der Arbeitswelt
sich nicht allein auf parlamentarischer verankert. Dies verleiht den gewerkschaft-
Ebene durchsetzen. Er kann nur gelingen lich organisierten Beschäftigten eine
in einem Wechselspiel politischer Aus­- gesellschaftliche Machtposition, die von
einandersetzungen im außerparlamenta­ zentraler Bedeutung für die Durchsetzung
rischen und im parlamentarischen Bereich. sozialer und sozialistischer Umgestaltun-
gen ist. Soziale Bewegungen mit ihren
Sozialer Wandel und politische Verän­ beweglich agierenden, kampagnenfähigen
derung müssen aus der Gesellschaft Netzwerken und unabhän­gigen Strukturen
erwachsen und von vielen Menschen haben ebenfalls eine herausragende
getragen werden. Wir ringen daher um Bedeutung für die Durchsetzung gesell-
ein breites gesellschaftliches Bündnis schaftlicher Veränderungen.
gegen Neoliberalismus und Kapitalherr-
schaft und für eine linke demokratische, Ausgehend von ihrer Funktion als linke
soziale, ökologische und friedliche Politik Partei, bringt DIE LINKE ihre eigenen
74 Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft

Kompetenzen in politische Bündnisse ein im Alltagsleben verknüpfen und in der


und unterstützt sie mit ihren Ressourcen. öffentlichen Auseinandersetzung populär
Als Partei greifen wir die Anliegen und und offensiv vortragen. Die Zuspitzung
Aktivitäten unserer politischen Partner der wirtschaftlichen, ökologischen und
auf und nehmen unsere eigenen Funktio- sozialen Probleme verstehen wir vor
nen wahr. Wir bestärken unsere Mitglie- allem als Ergebnisse neoliberal geprägter
der, in Gewerkschaften, sozialen Orga- Antworten auf die neuen Herausforderun-
ni­sationen, Initiativen, Projekten und gen unter dem Einfluss von Kapitalinte­
globalisierungskritischen Bewegungen ressen sowie als Ausdruck von Krisen­-
aktiv mitzuwirken. prozessen und Widersprüchen, die die
kapitalistische Ökonomie hervorbringt.
Wir wollen Menschen ermutigen, sich Dabei macht DIE LINKE den Widerspruch
gegen Politik zur Wehr zu setzen, die ihren zwischen einzelwirtschaft­licher und
Interessen widerspricht – mit Demons­ gesamtgesellschaftlicher Perspektive
trationen, Bürgerbegehren und zivilem deutlich. Es geht um kritische Auseinan-
Ungehorsam, aber auch mit den Mitteln dersetzung, Öffent­lichkeitsarbeit und
politischer Streiks und des Generalstreiks. Aktionen, um breit angelegte Bildungs­
Letztere gehören, wie andere europä­- arbeit, um das Engagement in Netzwerken
ische Länder zeigen, zu den wirksamsten und um die Beteiligung an wissenschaft­
Kampfformen, um den Herrschenden lichen und publizistischen Diskussionen.
und dem Kapital Grenzen zu setzen und
Veränderungen zu erzwingen. Arbeit in den Parlamenten,
Volksvertretungen und Regierungen
Wir werden gemeinsam mit anderen
linken Kräften an zentralen alternativen Parlamentarische und außerparlamenta-
Projekten des Einstiegs in eine andere rische politische Arbeit sind für DIE LINKE
Richtung gesellschaftlicher Entwicklung untrennbar. In Wahlen und politischen
arbeiten und sie mit Nachdruck vertre- Kämpfen vertreten wir unsere alterna­
ten. Solche Projekte erwachsen aus den tiven Reformprojekte und wollen Mehr­
sozialen und politischen Auseinander­ heiten für ihre Durchsetzung gewinnen.
setzungen der Gegenwart und müssen Die parlamentarische Arbeit gestalten
in öffentlichen Diskussionen und in wir so, dass sie der Zusammenarbeit mit
Aktionen unterschiedlichster Kräfte außerparlamentarischen linken Kräften
entwickelt werden. Die Verbindung von und der öffentlichen Darstellung eigener
demokratischem und sozialem Protest, Reformvorschläge und damit letztlich
die politische Mitgestaltung in der Gegen- der Entwicklung neuer gesellschaft­-
wart und die Entwicklung von langfris- licher Kräfteverhältnisse und politischer
tigen Reformalternativen verstehen wir Mehr­heiten dient. Wir bemühen uns
als strategische Herausforderung. um Transparenz politischer Prozesse
und wollen Missbrauch politischer
Auseinandersetzung Macht aufdecken und verhindern.
mit neoliberaler Ideologie
Parlamentarische Opposition wie
DIE LINKE setzt der neoliberalen Ideologie auch das Wirken in Regierungen sind
alternative Positionen eines anderen Ent­- für DIE LINKE Mittel politischen Handelns
wicklungsweges entgegen. Diese wollen und gesellschaftlicher Gestaltung. Der
wir mit den Erfahrungen und Konflikten Kampf für die Verbesserung der Lage
in den Betrieben, den Kom­munen und von Benachteiligten, die Entwicklung
Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft 75

und Durchsetzung linker Projekte und vertrag treffen in diesem Sinne die
Reformvorhaben, die Veränderung der jeweils zuständigen Parteitage.
Kräfteverhältnisse und die Einleitung
eines Politikwechsels sind der Maß­- An einer Regierung, die Kriege führt
stab für den Erfolg unseres politischen und Kampfeinsätze der Bundeswehr
Handelns. Parlamentarische Bündnisse im Ausland zulässt, die Aufrüstung und
mit anderen politischen Kräften gehen Militarisierung vorantreibt, die Privati­
wir dann ein, wenn dies den von uns sierungen der Daseinsvorsorge oder
angestrebten Richtungswechsel in Sozialabbau betreibt, deren Politik die
Politik und Gesellschaft fördert. Den Aufgabenerfüllung des Öffentlichen
unterschiedlichen Möglichkeiten politi- Dienstes verschlechtert, werden wir
schen Wirkens auf kommunaler, Landes-, uns nicht beteiligen. Im Zentrum eines
Bundes- und europäischer Ebene tragen Politikwechsels stehen für uns auf
wir in unserer Politik Rechnung. Entschei- Bundesebene der Ausbau der finanziellen
dend für die Durchsetzung eines Politik- Spielräume der Öffentlichen Hand und
wechsels ist dabei die bundespolitische die Stärkung des Sozialstaates. Beson-
Ebene. Hier liegen die meisten Kompe- ders wichtig ist für uns ein gestärkter und
tenzen, die dafür notwendig sind, hier handlungsfähiger Öffentlicher Dienst, die
erfolgen die meisten Weichenstellungen. Durchsetzung des gesetz­lichen Mindest-
lohns, der Kampf gegen Lohndumping
Voraussetzung für die Ausstrahlung, und untertarifliche Bezahlung sowie die
den Rückhalt und den Erfolg der LINKEN Überwindung des Hartz-IV-Systems.
ist unsere Glaubwürdigkeit vor und nach DIE LINKE verlangt eine Politik, die so-
den Wahlen. DIE LINKE muss mit ihrem zi­ale und kulturelle Bildungsprivilegien
programmatischen Profil und ihren inhalt- überwindet und die Lage der ärmeren
lichen Grundpositionen in allen politi- Bevölkerungsgruppen verbessert. Sie
schen Konstellationen erkennbar sein. setzt sich für den Ausbau demokratischer
Wir wollen eine andere Politik und Rechte ein, wehrt sich gegen den Über­-
kämpfen dabei um die Hegemonie in der wachungsstaat und weitere Beschnei­
öffentlichen Diskussion. Regierungsbe- dungen der Bürgerrechte.
teiligungen der LINKEN sind nur sinnvoll,
wenn sie eine Abkehr vom neoliberalen Linke Politik muss sich stets, auch und
Politikmodell durchsetzen sowie einen gerade in Regierungen, auf die Gewerk-
sozial-ökologischen Richtungswechsel schaften und andere soziale Bewegungen
einleiten. DIE LINKE strebt dann eine und die Mobilisierung außerparlamenta­
Regierungsbeteiligung an, wenn wir rischen Drucks stützen können, um nicht
damit eine Verbesserung der Lebens­ der strukturellen Macht von Kapitalinte­
bedingungen der Menschen erreichen ressen und parlamentarischer Logik zu
können. So lässt sich die politische Kraft unterliegen. Wir wollen die Menschen
der LINKEN und der sozialen Bewegun- ermutigen, selbst für ihre Interessen
gen stärken und das bei vielen Menschen in Aktion zu treten.
existierende Gefühl von Ohnmacht
und Alternativlosigkeit zurückdrängen. Europäische und
Regierungsbeteiligungen sind konkret internationale Zusammenarbeit
unter den jeweiligen Bedingungen zu
diskutieren und an diesen politischen Gemeinsam mit der Partei der Europä­
Anforderungen zu messen. Die Entschei- ischen Linken, den Abgeordneten der
dung über Wahlprogramm und Koalitions- linken Fraktion im Europäischen Parlament,
76 Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft

Aktivistinnen und Aktivisten politischer und Veränderungen im Interesse der


und sozialer Organisationen und gesell- Mehrheit der Europäerinnen und Euro­
schaftlicher Bewegungen werden wir päer bewirken können.
weiter für ein demokratisches, soziales,
ökologisches und friedliches Europa Besondere Bedeutung messen wir den
kämpfen. Eine solche Neuausrichtung Partnerschaftsbeziehungen zu Gliede­
der EU kann nicht allein aus dem Par­ rungen linker Parteien in anderen euro­-
lament erzwungen werden. Ohne die päischen Ländern bei, insbesondere in
wirksame außerparlamentarische den Nachbarstaaten der Bundesrepublik.
Organisation von Gegenmacht sind DIE LINKE bricht unwiderruflich mit einer
sowohl die Demokratisierung der eurozentristischen Sichtweise. DIE LINKE
Institutionen als auch die Demokrati­ ist eine internationalistische Partei.
sierung von Wirtschaftsmacht in der Sie steht für weltweite Bündnisse mit
EU nicht zu erreichen. Aus diesem sozialen Bewegungen.
Grunde wollen wir eine europaweite
Vernetzung der außerparlamentarischen Ein neuer Politikstil
politischen Netzwerke und Projekte in
allen Sach­gebieten nach Kräften fördern. DIE LINKE steht für einen neuen Politik­-
stil der Transparenz, des gesellschaftli-
DIE LINKE wird ihren Beitrag dafür chen Dialogs und der direkten Bürgerbe­-
leisten, dass die Partei der Europäischen teiligung. Sie ist immer nur so stark, wie
Linken als ein wichtiger Faktor im poli­- sie in der Gesellschaft verankert ist und
tischen Leben Europas wirken kann. gesellschaftliche Unterstützung erfährt.
Ebenso wie unsere Partei in Deutsch­- Linke Politik in Parlamenten braucht
land ist sie ein Schritt zur Vereinigung treibende Kritik, öffentlichen Druck und
der Linken und kann die Kräfteverhält­ außerparlamentarische Mobilisierung.
nisse in Richtung eines demokratischen, Frauen müssen DIE LINKE als Vertreterin
sozi­alen, ökologischen und friedlichen ihrer Interessen erleben und in ihr einen
Europas verschieben. Wir stehen für die politischen Raum finden, in dem sie
Gleichberechtigung aller Linken innerhalb ungehindert durch patriarchale Ge-
unserer europäischen Partei. Wir wollen, schlechterverhältnisse für politische
dass die Partei der Europäischen Linken Veränderungen streiten können. Berufs-
ihre Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt politikerinnen und Berufspolitiker arbeiten
stellt, ohne bestehende Differenzen zu eng mit den ehrenamtlich für DIE LINKE
vergessen. Nur wenn wir auf der Grund­ aktiven Kräften zusammen. Alle Land-
lage unserer gemeinsamen Vorstellungen tags-, Bundestags- und Europaabgeord­
und politischen Ansätze zusammenfin- nete sind verpflichtet, Angaben über
den, werden wir stark sein. DIE LINKE Herkunft und Höhe ihrer Einkünfte zu
wird sich in diesem Sinne weiter mit veröffentlichen. Kein Parlamentsmitglied
eigenen Vorschlägen in die Arbeit der darf während der Ausübung des Mandats
Partei der Europäischen Linken und in auf der Lohnliste eines Unternehmens
die Gestaltung linker Politik in Europa oder Wirtschaftsverbandes stehen.
einbringen. Dabei sind wir auf der Suche Unsere Partei nimmt keine Spenden
nach Partnern, die mit uns gemeinsam von Konzernen und Banken entgegen.
für ein anderes Europa streiten wollen.
So entstehen Alternativen, die mehr- Die Potenziale der LINKEN liegen in
heitsfähig werden können, die in die den Fähigkeiten ihrer Mitglieder, ihrer
gesellschaftlichen Debatten eingreifen gesellschaftlichen Verankerung und
Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft 77

Lebenserfahrung. Politische Beteiligung Gemeinsam für eine


und Interesse entstehen durch selbst­ bessere Gesellschaft
bestimmtes und gleichberechtigtes
Handeln und demokratische Mitbestim- Immer mehr Menschen lehnen den
mung bei der Gestaltung und Entwicklung ungehemmten Kapitalismus ab und wollen
gesellschaftlicher Prozesse. Diese Vision eine Gesellschaft der Freiheit, der sozialen
wollen wir auch in der eigenen Partei Gleichheit, der Gerechtigkeit und der
leben. DIE LINKE entwickelt ihre Politik Solidarität. Gemeinsam mit ihnen will
im engen Zusammenwirken von gewählten DIE LINKE für eine demokratische, soziale
Führungsgremien und Mitgliedern in basis­- und ökologische Gesellschaft kämpfen,
demokratischer Verankerung. Pluralismus für den demokratischen Sozialismus.
und Transparenz sind tragende Säulen Die Alternative ist nicht »Freiheit oder
unserer Partei. Bei politischen Richtungs- Sozialismus«, sondern Demokratie und
entscheidungen muss DIE LINKE in der Freiheit in einer Gesellschaft des demo-
Partei und unter Beteiligung ihrer außer- kratischen Sozialismus ohne Ausbeutung
parlamentarischen Basis diskutieren und und Unterdrückung. Gemeinsam können
in bindenden Mitgliederentscheiden wir dieses Land verändern und eine
klären, wie sie sich verhält. bessere Gesellschaft aufbauen.

Impressum
Bundesgeschäftsführung der Partei DIE LINKE, 2020
Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin
E-Mail: parteivorstand@die-linke.de
Gedruckt auf profimatt, umweltfreundlichem
Bilderdruckpapier aus forstzertifizierter Herstellung.
Foto Titelseite: Dirk Anhalt
Machen Sie mit, werden
Sie Mitglied der LINKEN!
Sie wollen, dass dieses Land sozialer, gerechter und
lebenswerter wird? Dann machen Sie doch einfach
bei uns mit! Als Partei in Bewegung sind nicht nur
in den Parlamenten aktiv, sondern auch vor Ort,
auf der Straße. Zusammen erreicht man mehr als
allein! Wir sind weit mehr als 60 000 Mitglieder.
Gemeinsam kämpfen wir gegen den Rechtsruck
und verteidigen unsere demokratischen Grund-
rechte. Gemeinsam kämpfen wir für soziale
Gerechtigkeit, eine Umverteilung des Reichtums und den sozial-­
ökologischen Umbau. Wir machen Schluss mit Waffenexporten.
Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Geflüchteten.
Gemeinsam kämpfen wir für eine offene Gesellschaft, in der alle
selbstbestimmt und gleichberechtigt in Frieden, Würde und sozialer
Sicherheit leben können. Gemeinsam sind wir stark! Seien Sie dabei!
Weitere Infos finden Sie hier: www.die-linke.de/mitgliedwerden

Weil wir keine Konzernspenden


wollen, brauchen wir Sie
DIE LINKE ist die einzige große Partei, die keine
Großspenden von Konzernen und Millionären annimmt.
Wir lassen uns nicht kaufen! Umso wichtiger sind
deshalb Kleinspenden von Menschen wie Ihnen.
Ihre Spende ist wichtig, damit wir stark sein können
für eine gerechte und friedliche Politik.

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Kennwort: Spende
Bitte gib bei allen Spenden jeweils Deinen Namen, Vornamen
und die Anschrift an. Deine Daten behandeln wir vertraulich.
Auf Wunsch stellen wir gern Spendenbescheinigungen aus.
Nutzen Sie auch unser Onlineformular: www.die-linke.de/spenden

Kontakt: DIE LINKE, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin


Telefon 030/24 00 99 99
Eintrittserklärung
Hiermit erkläre ich,
Name, Vorname*

meinen Eintritt in die Partei DIE LINKE, Mitglied der Partei der Europäischen Linken (EL). Ich bekenne
mich zu den Grundsätzen des Programmes der Partei DIE LINKE, erkenne die Bundessatzung an und
bin nicht Mitglied einer anderen Partei im Sinne des Parteiengesetzes.

Weitere Angaben zu meiner Person


Straße, Hausnummer* PLZ, Ort*

Geburtsdatum Telefonnummer

E-Mail-Adresse

Beruf

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und Ihren Rechten unter www.die-linke.de/datenschutz

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parteiöffentlich bekannt gegeben wird. Parteiöffentliche Bekanntmachung bedeutet, dass
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des Kreisverbandes namentlich erwähnt werden.

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Mit dieser Bankeinzugsermächtigung berechtige ich die Partei DIE LINKE, bis auf Widerruf Zahlungen
des Mitgliedsbeitrages von unten genanntem Konto mittels Lastschrifteinzug einzuziehen. Zugleich
wird das Geldinstitut angewiesen, die auf das Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Innerhalb
von acht Wochen kann, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages
verlangt werden. Es gelten dabei die mit dem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.*

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Geburtsdatum Mitgliedsnummer

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Der Jahresbeitrag für die Europäische Linkspartei (EL) beträgt Euro,


(Mindestjahresbeitrag 6,– Euro), und ist jeweils im Monat Mai abzubuchen.
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Name und Unterschrift des Kontoinhabers/der Kontoinhaberin (wenn abweichend vom Mitglied)

Ort, Datum Unterschrift des Mitglieds

Bitte im Briefumschlag senden an: die zuständige Gliederung oder an DIE LINKE. Parteivorstand, Kleine Alexanderplatz 28,
10178 Berlin. Die personenbezogenen Daten werden auf der Grundlage des Parteiengesetzes § 23 und § 24 erhoben und weiter­
verarbeitet. Auskunft erteilt die jeweils einziehende Stelle. Bitte vermeidet Stornogebühren und teilt bei Änderungen des Kontos oder
Zahlungsschwierigkeiten dies der/dem Landesschatzmeister/in mit.
*) Mandatsreferenz und Gläubiger-Identifikationsnummer zum Lastschriftverfahren werden nachgereicht.
**) Siehe Beitragstabelle auf www.die-linke.de/mitgliedwerden
***) Anfallende Gebühren hat der Zahlungspflichtige zu entrichten.
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