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Christian Stadler · Sabine Kern

Psychodrama
Christian Stadler
Sabine Kern

Psychodrama
Eine Einführung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2010

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Lektorat: Kea S. Brahms

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Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16539-4
Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...................................................................................................................... 9

Einleitung .................................................................................................................11

1 Was ist Psychodrama? .....................................................................................13


1.1 Das Psychodrama Morenos und seine Wurzeln .............................................16
1.2 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie.................18
1.3 Die theologische Wurzel: Chassidismus und Kabbala ...................................22
1.4 Die Wurzel Psychotherapie..............................................................................24
1.5 Die zweite soziologische Wurzel und ein eigenes Anwendungsfeld:
die Soziometrie .................................................................................................28
1.6 Rollen von PsychodramatikerInnen ................................................................30
1.7 Das Psychodrama heute ...................................................................................31

2 Die Instrumente des Psychodramas...............................................................35


2.1 Die Bühne..........................................................................................................35
2.2 Die Psychodrama-LeiterIn ...............................................................................39
2.3 Die ProtagonistIn..............................................................................................42
2.4 Die MitspielerInnen, Hilfs-Iche........................................................................44
2.5 Die Gruppe........................................................................................................47

3 Psychodramatische Arrangements.................................................................51
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama................................................51
3.2 Das Rollenspiel .................................................................................................87
3.3 Das Gruppenspiel.............................................................................................96
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater,
Soziodrama .....................................................................................................102

4 Die Psychodrama-Techniken .......................................................................111


4.1 Szenenaufbau..................................................................................................112
4.2 Doppeln...........................................................................................................116
4.3 Rollenspiel in der eigenen Rolle.....................................................................121
6 Inhaltsverzeichnis

4.4 Rollenwechsel, Rollenspiel in der Rolle eines anderen Menschen und


Rollenfeedback................................................................................................123
4.5 Das Spiegeln .................................................................................................. 125
4.6 Rollentausch....................................................................................................127
4.7 Szenenwechsel und Amplifikation ................................................................130
4.8 Sharing ............................................................................................................131

5 Rollentheorie..................................................................................................135
5.1 Definitionen des Rollenbegriffs .....................................................................136
5.2 Die vier Rollendimensionen...........................................................................137
5.3 Die Eigenschaften von Rollen ........................................................................138
5.4 St€rungen und Beeintr•chtigungen im Zusammenhang mit Rollen und
Rollenkonfiguration........................................................................................150
5.5 Die psychodramatische Diagnostik ...............................................................156

6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer


Fragestellungen..............................................................................................167
6.1 Soziometrische Grundprinzipien...................................................................168
6.2 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen..........................................173
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom ...................................176
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm...........183

7 Anwendungsfelder oder Formate ................................................................191


7.1 Behandlung .....................................................................................................191
7.2 Beratung ..........................................................................................................199
7.3 Bildung ............................................................................................................203
7.4 Selbsterfahrung ...............................................................................................204
7.5 Psychodrama ohne Gruppe ...........................................................................204

8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren..............211


8.1 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren.........................211
8.2 Das Psychodrama und die Verhaltenstherapie.............................................214
8.3 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren ............................216
8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung .................220

9 Der Weg zur PsychdramatikerIn..................................................................227


9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in ƒsterreich .........................................227
9.2 Weiterbildungsangebote in Deutschland ......................................................233
9.3 Weiterbildungsangebote in der Schweiz.......................................................237
Inhaltsverzeichnis 7

10 Empfohlene Literatur ....................................................................................241


10.1 Psychodrama ..................................................................................................241
10.2 Empfohlene methodenübergreifende Literatur ............................................243
10.3 Zeitschriften ....................................................................................................244

Anhang....................................................................................................................245

Glossar ....................................................................................................................249

Stichwortverzeichnis .............................................................................................259
Einleitung 9

Vorwortȱ

Psychodrama, Soziometrie, Rollenspiel – so nennt sich das Triadische System im


Blick auf die Anwendungsfelder Beratung, Behandlung und Bildung. Liegt der
Akzent auf dem Anwendungsfeld Psychotherapie und dort auf der allem
menschlichen Handeln zugrunde liegenden sozialen Interaktion, greift man auf
die Trias Psychodrama, Soziometrie, Gruppenpsychotherapie zu. In der Fachwelt
wird kurz von Psychodrama gesprochen. Historisch gesehen, kann man Psycho-
drama als die klassische erlebnisorientierte Aktionsmethode für Beratung, Be-
handlung und Bildung bezeichnen.
Alle, die Psychodrama als handlungsorientiertes Verfahren erlernt oder
kennengelernt haben, wissen den Wert seines Potenzials und die Wirksamkeit
seiner Techniken zu schätzen, besonders in der Gruppe, aber auch in der Triade
und der Dyade. Psychodrama wird über die Zielgruppe der Psychodramatike-
rInnen hinaus auch von prominenten VertreterInnen anderer Verfahren ge-
schätzt. So wird von Ericȱ Berne, dem geistigen Vater der Transaktionsanalyse,
berichtet, wie er vom Moreno-Problem sprach. Damit soll er das Phänomen be-
zeichnet haben, dass jeder „aktive“, d.h. handlungsorientierte Psychotherapeut
damit konfrontiert sei, dass praktisch alle „aktiven“ Techniken bereits von MoreȬ
no ausprobiert worden seien (vgl. A.ȱBadaines in: J.ȱRowanȱund W.ȱDrydenȱ(1990):
Neue Entwicklungen der Psychotherapie, S. 126). Bei der verhaltenstherapeuti-
schen Standardmethode Rollenspiel benennt SteffenȱFliegel eindeutig die psycho-
dramatischen Wurzeln dieser Vorgehensweise, um ein weiteres Beispiel zu nen-
nen (SteffenȱFliegelȱin: J.ȱMargraf (Hrsg.) (2002²): Lehrbuch der Verhaltenstherapie
Bd. 1, S. 465).
Andere sind weniger deutlich in der Darstellung ihrer Wurzeln. Sie bedie-
nen sich aber dennoch vielerlei psychodramatischer Techniken, allerdings ohne
diese zu benennen, und, was bedenklicher ist, auch ohne sich auf das Menschen-
bild des Psychodramas zu beziehen.
Verfolgt man die Diskussion über die Ergebnisse der Kleinkindforschung,
der Neurobiologie, der Hirnforschung und der Epigenetik findet man dort er-
staunliche Entsprechungen zum Gedankengut und zur Konzeption des Triadi-
schen Systems. Mit dem Triadischen System wurde vor rund 100 Jahren von
10 Vorwort

J.ȱL.ȱMoreno in genialer Weise ein Verfahren begründet, dessen zukunftsweisende


Grundgedanken sowie die damit verbundenen Techniken heute als modern auf-
gefasst werden können.
Angesichts dieser Lage ist es sinnvoll und notwendig, stetig und beharrlich
auf das Potenzial des Verfahrens hinzuweisen, dafür Neugierde zu wecken und
Zugänge zu ebnen. Christianȱ Stadler und Sabineȱ Kern haben mit ihrem Psycho-
drama-Buch zum rechten Zeitpunkt eine aktuelle Einführung in das Psychodra-
ma geschrieben. Mögen manche bisher den Zugang zum Psychodrama gemieden
haben, weil ihnen das Verfahren zu komplex und die Vielfalt der Techniken zu
verwirrend erschienen, so können sie sich nun mit der neuen Einführung ins
Psychodrama einen gut lesbaren Überblick verschaffen. Den AutorInnen ist ge-
lungen, Geschichte und Geist des Psychodramas zu beschreiben und die daraus
entwickelten Arbeitsformen, Instrumente und Techniken anschaulich darzustel-
len. Die vielfältigen Praxisbeispiele leisten, was man sich von einem szenischen
Verfahren wünscht: sinnliche Anschaulichkeit. Die AutorInnen geben aber nicht
nur eine anschauliche Einführung in das Verfahren. Anhand geschickt ausge-
wählter Themen zeigen sie auf, wie sich das Grundkonzept bisher weiter entwi-
ckelt hat. Sie zeigen aber auch auf, welche Themen in der fachlichen Diskussion
sind und bedacht, beforscht und weiter entwickelt werden sollten.
Die Einbettung der Einführung in eine verfahrensübergreifende Perspektive,
die sowohl zum Dialog mit anderen Verfahren anregt, als auch die Ergebnisse
anderer Forschungsrichtungen berücksichtigt, gibt den LeserInnen Orientierung
und weckt Lust auf eigene Erkundungen.
Psychodrama ist nach den Worten seines Begründers eine Einladung zur
Begegnung. Die vorliegende Einführung von ChristianȱStadler und SabineȱKern ist
in diesem Geist eine gelungene Einladung, dem Psychodrama zu begegnen. Dem
Buch sind viele neugierige, aber auch handlungslustige LeserInnen zu wünschen.
LeserInnen, die es nicht nur beim Lesen belassen, sondern sich auch aufmachen,
das kreative Potenzial des Psychodramas selbst zu erfahren.

HelmutȱSchwehmȱ
Vorsitzender des Deutschen Fachverbandes für Psychodrama und der Sektion
Psychodrama im DAGG
Einleitung 11

Einleitungȱ

Kreativität ist eines der Schlüsselworte, um das Verfahren Psychodrama und seine
Wirkmechanismen zu verstehen. Wenn sich die Kreativität frei entfalten kann, ist
alles gesund. Wo sie blockiert ist, wird alles „krank“: der Mensch, die Gesellschaft,
Familiensysteme. Um kreativ bleiben zu können, müssen zuweilen alte Muster dem
Neuen weichen. Der indische Künstler Anishȱ Kapoor pointiert, wie es der Psy-
chodramagründer Moreno zu Lebzeiten auch gerne getan hat: „Orderȱisȱdeath.ȱCreaȬ
tivityȱisȱchaotic.ȱIȱmustȱbreakȱtheȱsystemȱIȱhaveȱbuilt.“ (2008, Boston). Moreno verwandte
den Begriff kulturelle Konserve für die kristallinen, festgefahrenen Strukturen, die
immer wieder neu aufgebrochen, verändert werden müssen, damit Systeme leben-
dig bleiben. In diesem Sinn haben wir uns als AutorInnenteam die überlieferten
psychodramatischen Kulturkonserven durchgesehen, sortiert, zum Teil übernom-
men, zum Teil neu beschrieben und wieder in eine Form gegossen. Sie halten damit
wieder eine Kulturkonserve in Händen, und sind eingeladen, sie zu öffnen, wo nötig,
wieder aufzubrechen und für sich neu zu gestalten. Wir hoffen, dass das Buch Sie
zu vielen kreativen Prozessen anregt.
Es ist als Einführung in das Verfahren Psychodrama gedacht und soll inte-
ressierten StudentInnen, WeiterbildungskandidatInnen, aber auch KollegInnen
aus anderen Verfahren und Gebieten die Möglichkeit bieten, sich einen ersten
Einblick in das Psychodrama zu verschaffen. Jedes der Kapitel im Buch ist in sich
abgeschlossen und kann daher auch unabhängig von den anderen gelesen wer-
den. Gleichwohl haben wir uns beim Schreiben über die Reihenfolge Gedanken
gemacht, und dabei das Buch so aufgebaut, wie es uns am sinnvollsten erschien.
In Anlehnung an die psychodramatischen Prinzipien der Kreativität und Sponta-
neität empfehlen wir Ihnen jedoch, das Buch so zu lesen, wie es Ihren persönli-
chen Bedürfnissen entspricht.
Damit auch Neulinge sich schnell mit den Begrifflichkeiten zurechtfinden,
haben wir am Ende des Bandes ein Glossar der wichtigsten Begriffe sowie ein
Stichwortverzeichnis eingefügt. Die Literatur zu den einzelnen Themen finden
Sie jeweils am Ende des Kapitels; weiterführende Literatur, die wir persönlich
empfehlen können, steht am Ende im Literaturverzeichnis. Da das Buch einen
Einführungscharakter hat, haben wir auch den Aus- und Weiterbildungsmög-
12 Einleitung

lichkeiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein eigenes Kapitel ge-
widmet.
Danken möchten wir an dieser Stelle den zahlreichen HelferInnen im Hinter-
grund, die an der Entstehung des Buches beteiligt waren. An erster Stelle sei unse-
ren KlientInnen gedankt, denn die beste Theorie bleibt leer ohne den Bezug zur
Praxis. Von ihnen haben wir am meisten gelernt, und unser Dank gilt auch für das
Einverständnis, hier konkrete Beispiele – natürlich anonymisiert – verwenden zu
dürfen. Dann gilt der Dank all jenen, die uns als Psychodrama-LehrerInnen und
KollegInnen inspiriert haben: wir verneigen uns im Geiste vor dem Gründer des
Verfahrens, J.L.ȱ Moreno. Ohne ihn gäbe es das Psychodrama nicht. Gretelȱ Leutz,ȱ
Reinhardȱ Krüger,ȱ Michaelȱ Schacht,ȱ Helmutȱ Schwehm,ȱ Thomasȱ Schwinger,ȱ Jörgȱ BurȬ
meister,ȱ Hildegardȱ Pruckner,ȱ Barbaraȱ ErlacherȬFarkas,ȱ Juttaȱ Fürst,ȱ Helmutȱ Haselbacher,ȱ
KarolineȱZeintlingerȬHochreiter,ȱKlausȱOttomeyer,ȱNorbertȱNeuretter,ȱAnnelieseȱSchigutt,ȱ
Mariaȱ Schönherr,ȱ Manfredȱ Stelzig,ȱ Ferdiȱ Buer,ȱ Susanneȱ HeidelbergerȬHeidegger und
Edithȱ Reißmann sei namentlich gedankt, dass sie uns psychodramatisch beflügelt
haben. Für die Erstellung von Zeichnungen danken wir ElkeȱSchönberger, für Foto-
grafien YvonneȱSaltzmannȱund für die Gestaltung von Grafiken SabineȱSpitzer und
MarionȱPiaȱWolff. Für die geduldige und ermunternde Durchsicht sowie viele hilf-
reiche Anregungen danken wir ChristophȱBecker,ȱSonjaȱHintermeier, KerstinȱRapelius,ȱ
Christianeȱ Schlüter,ȱ Reinholdȱ Schrappeneder,ȱ Ernstȱ Silbermayrȱ undȱ Sabineȱ Spitzer;ȱ für
die Unterstützung des gesamten Projektes der Redaktion der ZeitschriftȱfürȱPsychoȬ
dramaȱundȱSoziometrie sowie KeaȱBrahms vom VSȱVerlag.
Last not least geht unser Dank an unsere Nächsten, die uns mit großem Her-
zen Zeit, Geduld und Unterstützung für die Realisierung dieses Buchprojektes
geschenkt haben: Claudia, Simon, Hannah, Paula und Andreas.
Sie haben es schon bemerkt: wir haben uns entschlossen, das Buch in der
Schreibweise mit dem großen „I“ zu verfassen, da wir diese für die am besten
lesbare geschlechterfaire Schreibweise halten.
Da auch ein solches Projekt in ständiger Weiterentwicklung begriffen ist,
freuen wir uns über Anregungen, Ergänzungsvorschläge, Kommentare und Kri-
tik zu den Inhalten.
1 Was ist Psychodrama? 13

1
1 WasȱistȱPsychodrama?ȱ

Psychodrama ist …? In dem Versuch, den Gegenstand Psychodrama zu erfassen,


fallen uns die Beschreibungen des Elefanten ein, der von verschiedenen Perso-
nen, die das Tier mit geschlossenen Augen an unterschiedlichen Körperstellen
berühren sollten, zwar sehr klar, aber eben auch recht unterschiedlich charakteri-
siert wurde: Diejenigen, die an die Beine fassten, schilderten den Elefanten als
„säulenartiges Wesen“, diejenigen an der Flanke erlebten ihn als „groß und flä-
chig“, diejenigen, die das Ohr berührten, empfanden ihn als „dünn“, die an den
Stoßzähnen als „hart“. Alle haben sie recht. Und allen fehlen Teile in ihren Be-
schreibungen. So verhält es sich auch mit dem Psychodrama und seinen Definiti-
onen. Selbst wer bei Psychodrama nicht an Fernsehen und Kino oder bestenfalls
Theater denkt, sondern an einen Begriff aus dem Feld der Psychologie, ist noch
mit einer Vielzahl unterschiedlicher Definitionen und Zuordnungen konfrontiert.
In diesem ersten Kapitel soll versucht werden, eine handhabbare Definition des
Verfahrens Psychodrama zu geben. Im gleichen Zug werden die Wurzeln des
Verfahrens und mögliche Anwendungsbereiche des Psychodramas deutlich ge-
macht.
Wenn wir weit genug vom Elefanten Psychodrama Abstand nehmen, könn-
te eine allgemeine Definition von Psychodrama so lauten:

Das Verfahren Psychodrama in all seinen Anwendungsfeldern ist


die handelnde oder szenische Darstellung
des inneren Erlebens einer oder mehrerer Personen
sowie deren äußerer Situationen.
14 1 Was ist Psychodrama?

Abbildungȱ1: Der Psychodrama-Elefant

Das bedeutet zunächst einmal, dass im Psychodrama nicht nur gesprochen, son-
dern auch gehandelt wird. Weiter geht es dabei sowohl um das innere Erleben
der betreffenden Personen als auch um die jeweils subjektiven Gedanken, Gefüh-
le und Impulse sowie um die äußere Situation, in der sich die betreffenden Per-
sonen befinden. Dabei wird eine Klärung und Veränderung des persönlichen
Erlebens ebenso angestrebt wie das Verstehen und Verändern der äußeren Lage,
in der sich die betreffenden Personen befinden.
Der Arzt, Theologe, Sozialforscher und Schriftsteller Jakobȱ Leviȱ Moreno, der
Mann, mit dessen Namen man das Verfahren bis heute in erster Linie verbindet,
wird gerne mit dem prägnanten Satz zitiert, das Psychodrama sei „diejenige
Methode […], welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet“ (Moreno
2008: 77).
Ergänzen können wir diesen Satz entsprechend dem obigen Definitionsver-
such so: Das Psychodrama untersucht Interaktionen und Situationen durch szeni-
sche Darstellungen. Und: Durch Psychodrama werden Personen und Situationen,
im Fachjargon auch Lagen genannt, mithilfe kreativer Prozesse verändert.
Wikipedia weist Psychodrama (von griechisch ΜΙΛ΋ psyche „Seele“, und
ΈΕΣΐ΅ drama „Handlung, Vorgang“) als eine Methode der Gruppenpsychothe-
rapie aus. Historisch gesehen ist dies richtig:ȱMoreno erfand zu Beginn des letzten
1 Was ist Psychodrama? 15

Jahrhunderts sowohl das Psychodrama als auch die Gruppentherapie; Psychodrama


und Gruppenpsychotherapie waren danach lange Zeit ein Junktim, jedoch gilt
dies heute nicht mehr uneingeschränkt. Psychodrama wird heute sowohl als
Gruppenverfahren wie auch im Einzelsetting angewendet. Karp, eine bekannte
britische Psychodramatikerin unserer Tage, betont den experimentellen Charak-
ter des Psychodramas: Sie beschreibt es als „eine Art Lebenspraxis, bei der man
nicht dafür bestraft wird, wenn einem Fehler unterlaufen“ (Karp 1998: 3).
Einige wesentliche Bestandteile des Psychodramas sind in obigen, relativ
allgemeinen Definitionen enthalten: Das Psychodrama ist ein Verfahren, welches
zunächst ausschließlich in der Gruppe angewandt wurde, das Anwendungsge-
biet oder Format war zunächst vor allem die Psychotherapie, es beinhaltet eine
fehlerfreundliche und experimentierfreudige Haltung, es setzt auf das Primat der
Handlung und beschäftigt sich mit der Suche nach den Ursachen menschlichen
Fühlens, Denkens und Handelns. Aus der Sicht des heutigen Psychodramas ist
dies jedoch nur ein kleiner Ausschnitt. Bereits Moreno hatte das Psychodrama
immer in Kombination mit zwei anderen Begriffen genannt, der Soziometrie und
der Gruppenpsychotherapie, also im Kontext von Messung und Behandlung
sozialer Beziehungen und Gefüge und der Heilung psychischer Symptome mit-
hilfe mehrerer Menschen. Über die Jahrzehnte hat es sich eingebürgert, das ge-
samte Verfahren mit dem Oberbegriff Psychodrama zu bezeichnen, auch wenn
damit meist die Trias Psychodrama, Soziometrie, Gruppenpsychotherapie oder in
neuerer Zeit auch die Trias Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel gemeint
ist. Damit ist Psychodrama gleichzeitig Name für das gesamte Verfahren wie für
ein spezielles Arrangement (siehe Kapitel 3) innerhalb des Verfahrens, welches
heute neben dem Feld der Psychotherapie und Beratung auch in vielen anderen
Anwendungsfeldern zum Einsatz kommt.
Für den Moment können wir unter Psychodrama verstehen: Es ist eine krea-
tive Methode, die mit Einzelnen oder in der Arbeit mit Gruppen eingesetzt wird.
Dabei wird sowohl das Verhalten als auch die Entwicklung von Gedanken, Ge-
fühlen und Haltungen fokussiert. Eine Besonderheit liegt darin, dass das Verfah-
ren einerseits Erlebnis aktivierend und Spontaneität fördernd wirkt, also eine
deutliche Handlungsorientierung aufweist, zum anderen den Menschen in Rollen
beschreibt und in diesen handeln lässt. Dabei können sowohl vergangene als
auch gegenwärtige und sogar auch zukünftige Situationen in Szene gesetzt wer-
den. Entscheidend ist die innere Wirklichkeit der betreffenden Person, die sze-
nisch dargestellt wird.
16 1 Was ist Psychodrama?

DasȱheutigeȱPsychodramaȱkommtȱzurȱAnwendungȱin:ȱ
ƒ Psychotherapie im Einzel- und im Gruppensetting
ƒ Beratungsangeboten im klinischen Bereich (Familie, Sucht, Psychiatrie)
ƒ Schulischer und außerschulischer Bildung (Erwachsenenbildung)
ƒ Personal- und Organisationsentwicklung
ƒ Supervision und Coaching
ƒ Seelsorge
ƒ Fort- und Weiterbildungen als didaktische Methode
ƒ Soziometrischen Untersuchungen der Feld- und Aktionsforschung
ƒ Universitärer Forschung (Psychologie, Soziologie, Soziale Arbeit)

Tabelleȱ1: Heutige Anwendungsfelder des Psychodramas

Fallbeispiel:ȱ

Herr Maier möchte gerne einen Konflikt mit seiner älteren Schwester klären. Er wird
dazu vom Leiter der Gruppe aufgefordert, für seine Schwester eine Person aus dem
Kreis der Gruppe zu wählen. Nach der Festlegung, wo und wann das Konfliktge-
spräch stattfinden soll (Samstagnachmittag in einem Cafe), gibt Herr Maier der Mit-
spielerin ein paar Informationen zur Person der Schwester (Alter, beruflicher und fa-
miliärer Hintergrund, Beziehung zueinander). Danach setzen sich Herr Maier und
seine Schwester (vertreten durch eine Mitspielerin) auf die zuvor definierten Plätze.
Herr Maier wird nun aufgefordert, das Gespräch zu beginnen. Nach den ersten Sätzen
wird er vom Leiter aufgefordert, mit der Schwester die Rolle zu tauschen. Dazu wech-
seln Herr Maier und die Mitspielerin die Plätze. Herr Maier antwortet nun in der Rol-
le der Schwester, während die Mitspielerin in der Zwischenzeit den Part von Herrn
Maier übernimmt. Danach wird wieder zurückgetauscht. Dieser Prozess kann mehr-
mals hin und her gehen, bis sich die Konfliktlage verändert hat.

1.1 DasȱPsychodramaȱMorenosȱundȱseineȱWurzelnȱ

Wie es nun zu den verschiedenen Facetten im Psychodrama kam, wird anschau-


lich, wenn wir die Wurzeln des Psychodramas ins Auge fassen. Das Verfahren
Psychodrama hat im Wesentlichen vier Wurzeln: das Theater, die Medizin und
hierbei die zu Beginn des letzten Jahrhunderts neue Disziplin der Psychotherapie,
die Soziologie und die jüdische Theologie bzw. Philosophie. Der Psychodrama-
1.1 Das Psychodrama Morenos und seine Wurzeln 17

Gründer Moreno war ein vielseitig interessierter und gebildeter Mann, dem es
gelang, aus diesen Wurzeln ein eigenes Verfahren zu entwickeln, ähnlich wie es
seinem Zeitgenossen Freud mit der Entwicklung der Psychoanalyse kurze Zeit
zuvor gelungen war. Einige der Wurzeln, wie das Theater oder die Theologie,
muten heute im Kontext eines solchen Verfahrens seltsam an, da die wissen-
schaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Menschen beschäftigen, sich immer
neuen Positivismen verschrieben haben, zuletzt zum Beispiel den Aufsehen erre-
genden Darstellungen der Neurobiologie.

Philosophie

Soziologie Theologie

Kultur- Anthro-
wissen- pologie
schaften Der
Mensch

Pädagogik
Ökologie & Recht

Medizin &
Biologie Psycho-
logie

Abbildungȱ2: Perspektiven auf den Menschen

Der Psychologe und Arzt Tretter beschreibt jedoch in seinem Buch Ökologieȱ derȱ
Personȱanschaulich, wie sehr die Perspektiven einer Systemphilosophie und einer
ökologischen Anthropologie vonnöten sind, soll der Mensch nicht reduktio-
nistisch betrachtet und behandelt werden (Tretter 2008). Menschen leben früher
wie heute in Systemen, sind Umwelten ausgesetzt und gestalten diese, und jegli-
che Wissenschaft, die sich mit Menschen beschäftigt, hat zugrunde liegende Axi-
ome, die die Untersuchungen und Handlungsweisen prägen. So wird der psy-
chodramatische Ansatz heute wieder modern.
18 1 Was ist Psychodrama?

Um ein Bild von der Entwicklung des heutigen Psychodramas zu bekom-


men, ist es hilfreich, zumindest in groben Zügen von den Wurzeln des Verfah-
rens zu wissen, unabhängig davon, wie stark sie jeweils in die eigene Arbeit mit
einbezogen werden.

1.2 DieȱWurzelnȱdesȱPsychodramasȱinȱSpiel,ȱTheaterȱundȱSoziologieȱ

Gerne wird die Geschichte erzählt, dass Moreno schon als Kind „Theater“ gespielt
habe. Im Alter von etwa fünf Jahren schlug er seinen Wiener Nachbarskindern vor,
man solle „Gott und die Engel“ spielen. Er selbst nahm die Rolle Gottes ein, der auf
einem Turm aus Tischen und Stühlen quasi im Himmel thronte, bis zu dem Mo-
ment, als er sich auf Bitte eines Engels zum Flug aufmachte und sich dabei, wie
nicht anders zu erwarten, den Arm brach. Zu Gründern gehören Mythen; so be-
zeichnete Moreno diese Geschichte später als eine wesentliche für sein Leben und
für die Entwicklung des Psychodramas. Auch trafen hier Theaterspiel und Religion
zum ersten Mal aufeinander. Dies ist vermutlich die Geburtsstunde einer Sonder-
form des Psychodramas, des Bibliodramas1, einer Variante, bei der biblische Erzäh-
lungen im Rollenspiel reinszeniert werden. In seiner Anthropologie und der später
entwickelten psychotherapeutischen Philosophie findet sich diese Idee wieder:
erstens, Gott zu spielen, und zweitens, Gott ähnlich oder gleich zu sein. Dabei stellt
das Spiel den Bezug zum Theater, der Aspekt der Gott-Ähnlichkeit den Bezug zur
Theologie dar. Moreno versteht dabei Gott nicht als unerreichbares Gegenüber,
sondern sieht in jedem Menschen das Göttliche oder einen Anteil Gottes: Gott und
Mensch tragen beide schöpferische, kreative Kräfte in sich; auf diesen philoso-
phisch-theologischen Aspekt wird später noch ausführlicher eingegangen. Die
zentrale Rolle, die diese Art von Kreativität in Morenos Werk einnimmt, hat hier
ihre Grundlage. So ist das kreative Moment im Menschen das, was im psychothe-
rapeutisch orientierten Psychodrama heilt, den Menschen aus der Krise führt, und
allgemeiner gesagt das, was dem Menschen an Energie, sich weiter zu entwickeln,
also an Potential innewohnt. Moreno war mit dieser Sicht nicht allein. Je nach philo-
sophischem Hintergrund wurden dafür andere Begriffe verwendet: Spinoza nannte
diese kreative Kraft die Ursubstanz des Universums2, Freudianischeȱ PsychotherapeuȬ
tInnen könnten dies als Libido bezeichnen, physikalisch orientiertere AutorInnen als

1 Stangier (1997) beschreibt Entstehung und Anwendung des Bibliodramas ausführlich


und anschaulich.
2 TomaschekȬHabrina (2004) beschreibt die jüdischen Wurzeln von Morenos Theater- und
Therapiekonzepten ausführlich.
1.2 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie 19

Materie oder Energie, dualistisch geprägte Menschen als Geist. Es gibt eine Reihe
bekannter Philosophen, deren Konzepte verwandt sind mit dem Kreativitätskon-
zept Morenos: AlfredȱNorth Whitehead,ȱGottfriedȱWilhelmȱLeibniz,ȱHenriȱBergson,ȱPierreȱ
TeilhardȱdeȱChardin und Ken Wilber3.
Das Interesse an der Kreativität des Menschen und am Theaterspiel blieb ein
zentraler Bestandteil in Morenos Leben, der ihn wenig später auch zur Entwick-
lung seiner soziologischen Perspektive auf den Menschen brachte. Als Medizin-
student spielte er mit Kindern im Wiener Augarten Theater. Zunächst erfand er
selbst Fantasiegeschichten, in denen es um die Suche nach dem König ging, spä-
ter wurden auch Szenen gespielt, die die Kinder von zu Hause erzählten; er griff
aber auch Märchen aus dem jeweiligen kulturellen Hintergrund der Kinder auf.
Die Kinder hörten zunächst die Geschichten und nahmen dann die darin vor-
kommenden Rollen ein. Sie lernten sich in diesen vorgegebenen Rollen zu bewe-
gen und zu verhalten, aber auch durch diese Rollenübernahmen etwas Neues
auszuprobieren; dies waren Vorgehensweisen, die für die Entwicklung des Ver-
fahrens Psychodrama von großer Bedeutung sein sollten. Die Ansicht, dass Men-
schen auch in Rollenkategorien beschrieben werden können, wie sie die Soziolo-
gie von Mead (1934) und Dahrendorf (2006) und darauf aufbauend die Sozialpsy-
chologie vertreten, hat hier ihre Vorläufer4. Während aber die Soziologie die
Rollen als deskriptive Konzepte verwendet, betonte Moreno den Aspekt der
Veränderung dieses Konstrukts. Menschen können sich gegenseitig in Rollen
wahrnehmen, aber sie können sich auch in Rollen verhalten: Sie können Dinge
spielen, die sie im echten Leben (noch) nicht machen würden. Hier nehmen das
Rollenspiel5 und das Rollentraining ihren Ausgang.
Um sich einen anschaulichen Begriff dieser Wahrnehmung in Rollen zu ma-
chen, können Sie sich einmal eine Arbeitskollegin, wie sie in der nachstehenden
Tabelle beschrieben wird, vorstellen. Sie können sie, je nach situativem Kontext,
in unterschiedlichen Rollen sehen:

3 Wilber nennt dies: „GEIST-in-Aktion“; vgl. auch Blatners (1988) Ausführungen zu dem
Thema.
4 Vgl. Kippers (1996) Ausführungen zur Geschichte der Betrachtung des Menschen in
Rollen.
5 Die Entwicklung des Rollenspiels und seine Bedeutung für das Psychodrama werden
ausführlich beschrieben bei Stadler und Spörrle (2008).
20 1 Was ist Psychodrama?

Kontextȱ Rollenȱ Handlungsebeneȱ


Arbeitȱ Kollegin auf gleicher Kollegialer Austausch
hierarchischer Ebene
Personalberaterin in großer Firma Einstellungsgespräche führen
Familieȱ Schwester Ihrer Freundin Familienfest vorbereiten
Single Partnersuche
Wohnenȱ Berlinerin Großstadt genießen
WG-Bewohnerin Gemeinsames Kochen
Freizeitȱ Mitspielerin in einem Beach- Turnier planen
Volleyball-Team
Sopranistin in einem Laienchor Öffentlich auftreten
Werthaltungenȱ Aktivistin bei Amnesty Brief an einen
International Gefangenen schreiben

Tabelleȱ2: Wahrnehmung in Rollenȱ

Selbstverständlich haben Menschen schon seit jeher in ihrer Kindheit und Jugend
Rollenspiele gemacht; vermutlich haben auch schon im Mittelalter Kinder so
etwas wie „ich wär’ jetzt mal der Knappe“ oder „ich wäre jetzt mal die Marke-
tenderin“ gespielt, aber der gezielte Einsatz des Rollenspieles als Technik oder
Arrangement zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit gründet hier. Der sozio-
logische Ansatz, den Mensch in Rollen zu beschreiben, half Moreno in seiner spä-
teren Theorieentwicklung maßgeblich. Die Beschreibungen der Entwicklung von
Rollen im Laufe eines Menschenlebens und der Versuch, die Rollen eines Men-
schen zu einem gegebenen Zeitpunkt zu erfassen, sind zentrale Bestandteile psy-
chodramatischer Anthropologie geworden, aus denen sich praktische Hand-
lungsweisen für das psychodramatische Vorgehen ableiten lassen.

Abbildungȱ3: Beispiel für das Spielen in kulturell vorgegebenen Rollen anhand


des Märchens von Hänsel und Gretel
1.2 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie 21

Aber nicht nur im Rahmen der „Kinderspiele“ setzte sich Moreno mit dem Rollen-
spiel und dem Theater auseinander. Das Theater war ihm Mittel, sich mit dem
Menschen zu beschäftigen und dessen Kreativität anzuregen. So war es nur fol-
gerichtig, dass er nicht Gefallen daran fand, Stücke anderen AutorInnen einfach
nur nachzuspielen, sondern dass es ihm um das kreativeȱMoment im Theaterspiel
ging. Ein dritter Bezugspunkt zum Theater ist damit Morenos Interesse und Ori-
entierung an der Tradition des Stegreiftheaters. Theater und Leben sollten nicht
voneinander getrennt sein: Hier wie dort lehnte er falsche, das heißt nicht passen-
de, Rollen ab.

UnterȱStegreiftheaterȱwirdȱimȱWesentlichenȱverstanden:ȱ
ƒ Es gibt keinen Theaterschriftsteller und auch kein fertig geschriebenes Stück.
ƒ Die komplette Darstellung wird improvisiert, von den Texten bis zur Gesamthand-
lung.
ƒ Die klassische Bühne ist nicht vorhanden; an ihre Stelle tritt die zum Alltagsleben
offene Bühne.
ƒ Es gibt keine ZuschauerInnen im klassischen Sinne, alle sind MitspielerInnen.

Tabelleȱ3: Definition des Stegreiftheaters

1922 gründete Moreno sein eigenes Stegreiftheater in der Maysedergasse in Wien.


In einem kleinen Raum, der kaum mehr als 30 Personen fasste, kamen zwei- bis
dreimal die Woche Menschen zusammen, die von der Rolle der ZuschauerInnen
in die Rolle der AkteurInnen wechselten. Gespielt wurden entweder persönlich
erlebte oder erzählte Geschichten der „ZuschauerInnen“ – wie bereits im Spiel
mit den Kindern – oder aber, in Form der „Lebendigen Zeitung“, Ereignisse, die
in der Tagespresse standen.

LebendigeȱZeitungȱ
Unter Lebendiger Zeitung versteht man eine Technik, aktuelles Tagesgeschehen,
das in Zeitungsartikeln beschrieben ist, auf der Psychodramabühne nachzuspielen.
Dabei wird zunächst ein Artikel ausgesucht, dann gemeinsam gelesen. Die im Arti-
kel vorkommenden Rollen werden an die MitspielerInnen vergeben, danach wird
das beschriebene Geschehen gemeinsam in freiem Spiel szenisch umgesetzt.

Es gab im Stegreiftheater keine ZuschauerInnen im eigentlichen Sinn: Alle, die


kamen, waren potentielle SpielerInnen bzw. MitspielerInnen. Hier sammelte
Moreno erste Erfahrungen mit dem Theaterspiel Erwachsener als Ausdrucks-,
aber auch als Heilmittel; die Brücke zur Psychotherapie war geschlagen: „Absichtȱ
ist,ȱdieȱKrankheitȱsichtbarȱzuȱmachen,ȱnichtȱgesund,ȱsondernȱkrankȱzuȱwerden.ȱDerȱKranȬ
22 1 Was ist Psychodrama?

keȱ selbstȱ treibtȱ seineȱ Krankheitȱ aus.ȱ Dieȱ Wiederholungȱ inȱ derȱ Illusionȱ machtȱ ihnȱ frei.“
(Moreno 1970: 71) Es konnte alles gespielt und gezeigt werden, und es war dabei
nicht entscheidend, ob etwas krank oder gesund war. In der Welt der Bühne
konnten die SpielerInnen eine heilsame, distanzierende Erfahrung machen. „Jedesȱ
wahreȱzweiteȱMalȱbefreitȱvomȱersten“ (Moreno 1980: 28), eines der bekanntesten MoȬ
reno-Zitate, gehört in den Kontext dieser Theater-Form. Psychodrama beschreibt
hier ein Arrangement: Nach bestimmten Regeln wird ein Erlebnis, eine Erfahrung
oder, im Falle von Krankheit, ein Symptom szenisch dargestellt. Durch das Nach-
spielen in der von Moreno sogenannten Surplus-Realität der Bühne wird der
Selbstheilungsprozess der ProtagonistIn angestoßen. In dieser anderen Wirklich-
keit der Psychodrama-Bühne können die ErzählerInnen ihre Erlebnisse noch
einmal in sicherem Rahmen erleben und sich gleichzeitig davon distanzieren,
indem sie die Situation von außen betrachten.

„Die Zuschauer waren meine Mitwirkenden. Die Menschen im Publikum waren wie
Tausende unbewusste Bühnenautoren. Das Stück war die Situation, in die sie durch
die historischen Ereignisse hineingeworfen worden waren, in der jeder von ihnen ei-
nen wirklichen Part spielen musste. […] Wenn es mir gelänge, das Publikum in Ak-
teure zu verwandeln, in Akteure ihres eigenen kollektiven Dramas, des kollektiven
Dramas sozialer Konflikte, in das sie in der Tat täglich verwickelt waren, dann würde
meine Kühnheit belohnt werden.“ (Moreno 1995: 80)

Auch als Schriftsteller und Herausgeber machte sich Moreno einen Namen. Es war
die Zeit des Expressionismus. Aufbruchstimmung herrschte, man gab sich mit dem
bürgerlichen Leben nicht mehr zufrieden. Der Schein wurde hinterfragt, das commeȱ
ilȱ faut war nicht mehr so wichtig wie die Echtheit und die Wahrhaftigkeit, heute
würde man sagen: die Authentizität. Der Humanismus wurde Programm, es war
eine Zeit der Manifeste und Zeitschriften, in denen das Menschsein in Prosa, Lyrik,
bildender und darstellender Kunst zum Ausdruck gebracht wurde. Moreno schrieb
sehr viel und seine Frühschriften haben durchaus ihren eigenen literarischen Wert.
Der Daimon und der Neueȱ Daimon waren Zeitschriften, die von Moreno ab 1918
herausgegeben wurden und in denen Prominente wie FranzȱWerfel, MaxȱBrod, MarȬ
tinȱBuber, PaulȱClaudel und andere veröffentlichten.

1.3 DieȱtheologischeȱWurzel:ȱChassidismusȱundȱKabbalaȱ

Neben dem Einfluss des Theaters auf die Entwicklung des Psychodramas war das
Interesse Morenos an seiner jüdischen Herkunft, hier besonders am Chassidismus
und der Kabbala, von Bedeutung, auch wenn Moreno kein frommer Synagogengän-
1.3 Die theologische Wurzel: Chassidismus und Kabbala 23

ger war. Von der Kabbala übernahm er das Bild des handelnden Gottes, eines Got-
tes in Aktion, der sich im Menschen zeigt. Gott entwickelt sich nach Moreno dann
im Menschen weiter, wenn jener kreativ und schöpferisch ist. Er bezeichnete diese
Art von Gottheit als IchȬGott, also als Gott in jedem Menschen. Der Mensch steht
damit nicht nur als Teil der Schöpfung einem „DuȬGott“ gegenüber, sondern er ist
auch Teil des Schöpfers und damit „IchȬGott“: „DerȱIchȬGottȱistȱderȱMensch,ȱderȱdiesenȱ
Rollentauschȱ vollzogenȱ hatȱ undȱ dadurchȱ inȱ derȱ Lageȱ ist,ȱ dieȱ Verantwortung,ȱ dieȱ ausȱ derȱ
BegegnungȱmitȱderȱGottheitȱerwächst,ȱzuȱübernehmen.“ (Hutter 2002: 326) Die Lehre der
Kabbala, dass jegliches Lebewesen eine Emanation der Gottheit ist, berührte Moreno
zutiefst. Diese Haltung verlieh ihm eine positive Grundhaltung gegenüber dem
Menschen und dessen Entwicklungsfähigkeit. „Ichȱmöchteȱihnenȱ[denȱMenschen]ȱMutȱ
zuȱneuenȱTräumenȱgeben.ȱ[…]ȱIchȱbringeȱdenȱMenschenȱbei,ȱwieȱsieȱGottȱspielenȱkönnen.“
(Moreno in Leutz 1986: 139) Und Gott spielen bedeutet in diesem Fall keine Blas-
phemie, sondern es ging Moreno um die Tatsache, dass jeder Mensch sich stetig
neu erschaffen oder mit heutigen Worten weiterentwickeln kann.
Aus der Tradition des Chassidismus rührt die Betonung eines weiteren zent-
ralen Aspektes des Psychodramas her: der Begegnung. Sie war für Moreno elemen-
tar. Ebenso wie das dialogische Prinzip Bubers ist Morenos Betonung der Begeg-
nung, sei es mit Gott, sei es mit den Mitmenschen, auf chassidische Wurzeln
rückführbar. In seinen lyrisch-geprägten Frühschriften finden sich hierzu folgen-
de Zeilen (Moreno 1922: 15):

„O wer mich sehen will,


Muss mir begegnen.
Wer mir begegnen will,
Muss sich beeilen.“

Und bereits 1915 formulierte er in deutlichen Worten, was er als Einladungȱ zuȱ
einerȱBegegnung bezeichnete:

„Ein Gang zu zwei: Auge vor Auge, Mund vor Mund. Und du bist bei mir, so will ich
dir die Augen aus den Höhlen reißen und an die Stelle der meinen setzen, und du
wirst die meinen ausbrechen und an Stelle der deinen setzen, dann will ich dich mit
den deinen und du wirst mich mit meinen Augen anschauen.“ (Moreno 1915: 5)

Die Sprache erscheint uns heute fremd, die Begrifflichkeit an dieser Stelle auch
drastisch und der klare Bezug des psychodramatischen Verfahrens zur Theologie
unwissenschaftlich für ein Verfahren, das in den nächsten Jahrzehnten vor allem
im psychotherapeutischen Bereich beheimatet sein sollte; dennoch findet sich
hierin die Herkunft psychodramatischen Handelns, auch wenn dieses mittlerwei-
24 1 Was ist Psychodrama?

le längst in eine wissenschaftliche Sprache und entsprechende Kategorien über-


setzt ist. Das oben beschriebene Prinzip des Rollentauschs ist neben dem Faktor
Kreativität eines der Markenzeichen des gesamten Psychodramas geworden6.
Bevor wir zu den medizinischen bzw. psychologischen Wurzeln des Psy-
chodramas kommen, soll Moreno noch einmal mit einem Zitat zu Wort kommen,
das den Zusammenhang seines Gottesbildes mit dem Konzept der Kreativität
deutlich macht:

„Es gibt keine Notwendigkeit, zu beweisen, dass Gott existiert und die Welt geschaf-
fen hat, wenn dieselben Ichs, die er geschaffen hat, teil hatten daran, sich selbst und
auch alles andere zu erschaffen […] Die Gottes-Idee ist revolutionär, man muss sie a-
ber vom Beginn der Zeit in die Gegenwart zurückholen, in das Selbst, in jedes Ich. Der
Er-Gott der Schöpfung muss vielleicht seine Existenz beweisen. Der Du-Gott der
christlichen Bibel muss vielleicht den Beweis der Begegnung erbringen. Der Ich-Gott
des Selbst aber ist selbst-verständlich. Das neue „Ich“ kann sich nicht vorstellen, gebo-
ren zu werden, ohne sein eigener Schöpfer zu sein. Es kann sich nicht irgendjemand
anderen vorstellen, der geboren wird, ohne sein eigener Schöpfer zu sein. Noch kann
es sich irgendeine zukünftige Welt vorstellen, die entsteht, ohne ihr eigener Schöpfer
zu sein. Es kann sich nicht irgendeine zukünftige Welt vorstellen, ohne persönlich
verantwortlich zu sein für das, was sie hervorbringt.“ (Moreno 1947: 13)

1.4 DieȱWurzelȱPsychotherapieȱ

Die Psychotherapie ist heute ein eigenständiges Format, welches sich aus den
Disziplinen Medizin und Psychologie entwickelt hat. Sie ist säkular (geworden).
Damit verlassen wir den Bereich der Theologie und kommen zur Psychotherapie
als weiterer Quelle des Psychodramas. Moreno verstand darunter die „Heilung“
von Seele, Körper und Gesellschaft. Mit 20 Jahren nahm er in Wien sein Medizin-
studium auf. Zuvor hatte er sechs Jahre lang ohne seine Familie als Untermieter
bei einer Wiener Familie gelebt und seinen Lebensunterhalt durch eine Hausleh-
rertätigkeit verdient. Während seines Studiums gründete er mit Freunden ein
Wohnheim für MigrantInnen und Flüchtlinge und eine Selbsthilfegruppe für
Prostituierte, die er medizinisch und sozial-therapeutisch begleitete. Sein medizi-
nischer wie psychotherapeutischer Zugang zu den Menschen war immer schon
mit einer sozialen Fragestellung verbunden. Nach Abschluss des Studiums arbei-
tete er ab seinem 30. Lebensjahr als Arzt in einem Flüchtlingslager für Südtirole-
rInnen in Mitterndorf/Österreich. Auch hier verband sich für ihn die Medizin
und die Psychotherapie mit einer sozialen Fragestellung: Er machte Sozialthera-

6 Vgl. Schacht und Pruckner (2003)


1.4 Die Wurzel Psychotherapie 25

pie. Die Behandlung des Einzelnen sollte in einen größeren Rahmen eingebettet
sein, in die Behandlung der ganzen Gesellschaft bzw. in Morenos – nicht immer
bescheidener – Wortwahl: der Behandlung der ganzen Menschheit. Nach seiner
Emigration in die USA 1925 verdichtete er diesen Ansatz zur Soziatrie, der Idee,
die Gesellschaft sei das Objekt der Heilung. Das klingt aus heutiger Perspektive
etwas vollmundig, wirkt beinahe totalitär. Nicht umsonst ist dies eine Idee der
20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Es darf Moreno jedoch bei aller Hybris, die
sich in diesem Satz zeigt, keine unlautere Absicht unterstellt werden; vielmehr
befreite er mit seinem sozialen Ansatz das seelische Leid Einzelner aus der da-
mals vorherrschenden individualistischen Sicht, wie sie seine psychotherapeuti-
schen, v.a. seine psychoanalytischen ZeitgenossInnen mehrheitlich vertraten. Das
System, welches Moreno mit seiner Methode im Auge hatte, war nicht ausschließ-
lich intrapsychisch, wie zum Beispiel das psychoanalytischeȱ Drei-Instanzen-
Modell von Es, Ich und Über-Ich, sondern interpsychisch und interaktionell. Der
psychodramatische Blick richtete sich auf den Raum zwischen den Menschen;
damit war die systemische Sichtweise in die Psychotherapie gekommen.
Im Psychodrama allgemein, aber auch besonders innerhalb des psychothera-
peutischen Zweiges sind die Konzepte von Kreativität und Spontaneität wesentliche
Bestandteile für die Entwicklung bzw. Gesundung des Menschen. Ein gesunder
Mensch ist kreativ, bzw. eine „gesunde“ Gesellschaft ist kreativ und in der Lage,
spontan zu handeln und sich weiterzuentwickeln. Unter Spontaneität verstand MoȬ
reno dabei nicht das, was heute landläufig unter spontan verstanden wird. Ein Sys-
tem, egal ob Mensch oder Gesellschaft, ist nach Moreno dann spontan, wenn es auf
eine neue Situation angemessen und auf eine bekannte (z.B. sich wiederholende)
Situation neu reagieren kann. An zwei Beispielen wird dies deutlich:
Herr Zill handelt – im Sinne des Psychodramas – spontan, wenn er die Um-
stellung des Archivs von Verkaufsdaten von Mikrofiches auf die elektronische
Datenverarbeitung per PC mit vollziehen kann; weniger spontan wäre es, wenn er
Probleme bei dieser Umstellung hätte. Nicht spontan wäre auch das Verhalten der
13-jährigen Tochter Vera, die trotz wiederholter Aufforderungen, ihre schmutzige
Wäsche in den Wäschekorb und nicht daneben auf den Fußboden zu werfen, ihr
Verhalten nicht ändert und deswegen mit Sanktionen in der Familie rechnen muss.
Allgemeiner werden gelingende spontane Prozesse in folgendem Flussdia-
gramm dargestellt.
Dieses von Moreno entwickelte Prozessmodell klingt zunächst einfach und
leuchtet den meisten Menschen „spontan“ ein. Es dient im Psychodrama dazu,
Veränderung menschlichen Verhaltens zu beschreiben. Bei näherer Betrachtung
erweist es sich als äußerst komplex, da es verschiedene Vorannahmen beinhaltet:
26 1 Was ist Psychodrama?

ƒ Menschen sind immer in eine Umgebung eingebettet: soziale und ökologi-


sche Perspektive.
ƒ Menschen haben Begegnungen und leben in Beziehungen: interaktionelle
Perspektive.
ƒ Menschen nehmen diese Umgebungsvariablen wahr und verarbeiten diese
auf unterschiedliche Weise: emotionale und kognitive Perspektive, und
ƒ sie ziehen daraus Schlüsse für ihr Handeln: anthropologische und aktionale
Perspektive.

2: Kreativer 3: Entwicklung
Prozess im und Anwendung
Zustand der neuen und / oder
Spontaneität adäquaten
Verhaltens

1: blockierende 4: Festigung des


Wiederholungs- neuen Verhaltens
Situation oder: oder:
neue situative Bestätigung des
Anforderung adäquaten
Verhaltens

5: regelhafte
Anwendung
erworbenen oder
bestätigten
Verhaltens

Abbildungȱ4: Verhaltensentwicklung bzw. -veränderung im Zustand der


Spontaneität

Wenn nur diese vier Perspektiven herangezogen werden, wird deutlich, wie viele
Faktoren auf menschliche Veränderungen Einfluss nehmen. Unterstützende Ge-
gebenheiten, aber auch Störfaktoren können an jeder beliebigen Stelle auftauchen
und den kreativen Prozess fördern oder gefährden. Die spontane Reaktion des
1.4 Die Wurzel Psychotherapie 27

Menschen wird dadurch optimiert oder aber der Mensch läuft Gefahr, aus der
Spontaneitätslage herauszufallen und dann nicht mehr angemessen reagieren zu
können. Klinisch zeigt sich dann neurotisches Verhalten.
Durch die bisherige Beschreibung der Wurzeln des Psychodramas zogen
sich verschiedene Fäden: die Rolle (Soziologie), das Spiel oder – allgemeiner – die
Handlung (Theater), die Kreativität (Theologie), die Spontaneität (Psychothera-
pie) und die Begegnung (Philosophie). Im Feld der Psychotherapie erfolgte für
Moreno und sein Psychodrama der wissenschaftliche Durchbruch allerdings erst
1932 in seiner neuen Heimat, in den USA, mit einer weiteren Neuerung. Bei ei-
nem Vortrag vor der Americanȱ Psychiatricȱ Association (APA) konnte er sein von
ihm entwickeltes GruppentherapieȬKonzept vorstellen.
Es beinhaltet verschiedene Aspekte: Es ist eine Therapie in der Gruppe, mit
der Gruppe und eine Therapie der Gruppe. Therapie in der Gruppe bedeutet,
dass eine einzelne Person, im Psychodrama ProtagonistIn genannt, innerhalb einer
Gruppe behandelt wird und nicht, wie in den anderen damals gängigen psycho-
therapeutischen Verfahren, ausschließlich im Einzelsetting. Die meisten psycho-
therapeutischen Behandlungen Morenos in Beacon, seiner Privatklinik in den USA,
wurden im Gruppensetting durchgeführt, wobei die Gruppe in der Regel aus
einer PatientIn und MitarbeiterInnen Morenos bestand (Buer 2007: 164). Therapie
mit der Gruppe heißt in diesem Kontext: Es werden andere Personen mit einbe-
zogen, die der ProtagonistIn beim Heilungsprozess helfen; diese Personen wur-
den von Moreno HilfsȬIche genannt. Diese Hilfs-Iche nehmen Rollen in der szeni-
schen Darstellung der ProtagonistIn ein. Hier zeigt sich wieder der für Moreno so
bedeutsame Aspekt der Begegnung der Menschen. Zu guter Letzt der dritte As-
pekt, die Therapie der Gruppe. Dieser Punkt ist besonders relevant für PatientIn-
nengruppen, d.h. Gruppen, in denen mehrere PatientInnen behandelt werden.
Jede einzelne Person in der Gruppe und die Gruppe als Ganze erleben einen
Veränderungs- oder Heilungsprozess, unabhängig davon, ob die Mitglieder als
MitspielerIn, als ZuschauerIn oder als ProtagonistIn beteiligt waren. Schließlich
unterliegt auch die Gruppe selbst einer Entwicklungsdynamik. Aber auch wenn
Morenos Durchbruch in den USA mit seinem Gruppenkonzept kam, da die Be-
handlung in der Gruppe den Heilungsprozess effektiver machte, ist sie damals
wie heute keine conditioȱ sineȱ quaȱ non für die psychodramatische Psychotherapie.
Wir werden dies an späterer Stelle ausführlicher beschreiben. Was zum Konzept
der Gruppenbehandlung dazugehört, ist neben dem Begriff der Begegnung das
gemeinsame Bewusste bzw. das gemeinsame Unbewusste. Diese beiden Felder
ergänzen die Konzepte Freuds und Jungs; Ersterer beschrieb ein individuelles
Unbewusstes in seinen Theorien, Letzterer ein kollektives. Das gemeinsame Be-
wusste und Unbewusste Morenos ist quasi dazwischen angesiedelt: Er ging davon
28 1 Was ist Psychodrama?

aus, dass Menschen nie isoliert von anderen auftreten und dass diese Dyaden,
Triaden, Klein- oder Großgruppen ein gemeinsames bewusstes sowie ein ge-
meinsames unbewusstes Feld haben. Dieses interpersonelle Feld des gemeinsamen
Bewussten und Unbewussten betrifft nicht nur die Familie und nahen Angehöri-
gen, sondern auch zum Beispiel FreundInnen, MitarbeiterInnen, Mitglieder in
Clubs und Vereinen. Es liegt zwischen der intrapsychischen und der soziokultu-
rellen Ebene, und es ist das klare Verdienst Morenos, dies in den Blick von Thera-
pie und Sozialforschung gerückt zu haben.

1.5 DieȱzweiteȱsoziologischeȱWurzelȱundȱeinȱeigenesȱAnwendungsfeld:ȱdieȱ
Soziometrieȱ

Über den Bereich Soziologie und das Instrument Gruppe ist das Feld der SozioȬ
metrie, der Messung und Beschreibung des Zwischenmenschlichen, schon in den
Blick gekommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese ausführlicher behan-
delt (siehe: Kapitel 6). Im Rahmen der Beschreibung des Verfahrens Psychodrama
und seiner Wurzeln soll sie aber auch hier kurz angesprochen sein.
Erste Erfahrungen mit der Messung von Beziehungen hatte Moreno bereits
im österreichischen Mitterndorf während seiner Tätigkeit in einem Flüchtlingsla-
ger gesammelt, als es darum ging, dort kooperative Gemeinschaften zu bilden.
Die österreichische Regierung hatte in einem Flüchtlingsdorf nahe Wien
Südtiroler BäuerInnen angesiedelt. Die Gruppen waren wahllos zusammenge-
stellt und es gab zahlreiche Konflikte. Moreno interessierte sich für die Strukturen,
die sich in diesen Gruppen bildeten, und untersuchte das Flüchtlingsdorf mit
seinen BewohnerInnen anhand unterschiedlicher Kriterien: nationale Identität,
Parteizugehörigkeit, geschlechtsspezifische Kriterien, Untergruppenzugehörig-
keiten etc. Anhand der entdeckten Untergruppen ließ er nach persönlicher Zu-
neigung neue Gruppen bilden und diese miteinander wohnen, in der Überzeu-
gung, dass sowohl die Zusammenarbeit als auch das allgemeine Zusammenleben
sich dann konfliktfreier gestalten sollten.
Seine spätere soziometrische Aktionsforschung im Gefängnis SingȬSing in
den USA hatte zum Ziel, die Rehabilitation der Sträflinge zu verbessern; auch
seine Anstellung als Forschungsdirektor in einer großen New Yorker Schule für
schwer erziehbare Mädchen war ein Feld, in dem er die Soziometrie anwandte
und weiterentwickelte. Einige der großen soziometrischen Untersuchungen sind
in seinem Buch „Whoȱshallȱsurvive?“ von 1934 zusammengefasst. Die Psychothe-
rapie und die Messung und Veränderung sozialer Gefüge wurden damit erstmals
systematisch zusammengeführt.
1.5 Die zweite soziologische Wurzel und ein eigenes Anwendungsfeld: die Soziometrie 29

Morenos Vision von Soziometrie war, dass Menschen ihre Umwelt aktiv er-
forschen und sie entsprechend ihren eigenen Bedürfnissen verändern. Hieraus
spricht der demokratische und humanistische Geist des Psychodramas. Mit den
Methoden der Soziometrie können Tiefenstrukturen innerhalb von Gruppen
untersucht und abgebildet werden, die sich nicht immer an der Oberfläche einer
Gemeinschaft, wie zum Beispiel durch ein Organigramm, ablesen lassen, sondern
dieser Oberfläche sogar manchmal zuwiderlaufen können; darüber hinaus kann
mit der Soziometrie innerhalb von Gruppen gruppendynamisch gearbeitet bzw.
sozialpsychologisch untersucht werden (vgl. Blatner 1988: 138 und ausführlicher
in diesem Band Kapitel 6).
Damit sind die Eckdaten des Psychodramas in ihrem historischen Kontext
beschrieben. Vertieft werden die einzelnen Punkte in den Kapiteln zu den Arran-
gements, Techniken und Anwendungsfeldern.
Die Gewichtung der einzelnen Satelliten in der folgenden zusammenfassen-
den Grafik obliegt den jeweiligen AnwenderInnen. PsychodramatikerInnen ver-
wenden die Bestandteile nicht alle gleich. Damit sind wir bei dem Punkt Psycho-
drama und seine AnwenderInnen angelangt.

Kreativität /
Schöpfer-
kraft

Spontaneität
/ adäquate
Rolle Person-
Umwelt-
Passung

Psycho-
drama

Begegnung / Szenisches
Inter- Spiel /
personalität / „als ob“
Soziometrie

Handlung

Abbildungȱ5: Bestandteile des Psychodramas


30 1 Was ist Psychodrama?

1.6 RollenȱvonȱPsychodramatikerInnenȱȱ

Auch wenn der Begriff PsychodramatikerIn umgangssprachlich anmutet, scheint es


derjenige zu sein, der am umfänglichsten und allgemeinsten trifft, womit Menschen
beschrieben werden können, die das Psychodrama anwenden. Von Moreno noch
Psychodrama-Direktorȱgenannt, wurde der Name im deutschsprachigen Raum später
je nach Anwendungsgebiet abgewandelt in PsychodramaȬTherapeutIn, PsychodramaȬ
LeiterIn oder PsychodramaȬPraktikerIn7; im englischsprachigen Raum hat sich der
Director und der Practioner gehalten. Aus dem oben Beschriebenen geht hervor,
dass eine PsychodramatikerIn Basiskompetenzen in den Bereichen der Psychologie,
der Soziologie einschließlich der Gruppendynamik sowie der Philosophie und
Theologie haben sollte. Es gibt selbstverständlich nicht viele PsychodramatikerIn-
nen, die alle Fächer im Sinne eines Studiumȱgenerale absolviert haben, ein Grundla-
genwissen in den genannten Bereichen ist jedoch hilfreich. Kellermann, ein israeli-
scher Psychodramatiker, fasst die spezifischen Rollenanforderungen an eine für
den Bereich Psychotherapie ausgebildete PsychodramatikerIn zusammen als: Ana-
lytikerIn, ProduzentIn, TherapeutIn und GruppenleiterIn, die jeweils verschiede-
nen Idealen unterworfen sind, einem hermeneutischen, einem ästhetischen, einem
heilenden sowie einem sozialen (Kellermann 2000: 46). Für die im Bereich der Psy-
chotherapie tätigen PsychodramatikerInnen ist selbstverständlich auch ein Grund-
wissen in den Bereichen Psychiatrie und Psychosomatik nützlich, wenn nicht un-
abdingbare Voraussetzung.
Fasst man die PsychodramatikerInnen allgemeiner, also nicht ausschließlich
als PsychotherapeutInnen, können in Anlehnung an die Aufstellung Kellermanns
PsychodramatikerInnen wie in der folgenden Tabelle beschrieben werden.
Selbstverständlich ist dies eine idealtypische Darstellung, und unterschiedliche
PsychodramatikerInnen haben entsprechend ihren Persönlichkeiten und Berufs-
ausbildungen ihre jeweiligen Schwerpunkte.

7 Der Deutscheȱ Fachverbandȱ fürȱ Psychodrama sieht für den Abschluss der ersten Ausbil-
dungsstufe nun den Titel der Psychodrama-PraktikerIn, für den Abschluss der zwei-
ten Ausbildungsstufe den Titel der Psychodrama-TherapeutIn bzw. -LeiterIn, abhän-
gig vom erlernten Grundberuf, vor.
1.7 Das Psychodrama heute 31

Rollenȱ Funktionenȱ Fertigkeitenȱ Idealeȱ


SchöpferInȱ Atmosphäre und stimulieren kreativ und
Energielevel schaffen spontan
AnalytikerInȱ Einsicht für verstehen hermeneutisch
Persönliches,
Interpersonelles und
Prozesse gewinnen
ProduzentInȱ Methoden zur szenisch umsetzen organisatorisch
Verfügung stellen und koordinieren
BeraterInȱ Situationen klären helfen und Prozesse konfrontierend
und verändern begleiten bis unterstüt-
zend
GruppenleiterInȱ Gruppenstruktur und leiten und koordinie- sozial
Klima managen ren

Tabelleȱ4: Allgemeine Qualifikationen einer PsychodramatikerIn

1.7 DasȱPsychodramaȱheuteȱ

Wir haben gesehen, dass das Psychodrama wie andere Verfahren vielfältige
Wurzeln hat, die heute jedoch nicht immer gleichermaßen zur Wirkung kommen.
Über die oben beschriebenen Rollen, Fertigkeiten und Ideale prototypischer Psy-
chodramatikerInnen sind wir in der Gegenwart des Psychodramas angelangt. Im
nachstehenden Psychodramabaum sind die Wurzeln und die aktuellen Anwen-
dungsfelder noch einmal in einem Bild zusammengefasst. Dabei kann man so-
wohl den Bereich der Wurzeln fokussieren als auch den Bereich der Krone. Auch
die Zielgruppe des Psychodramas erklärt sich zum Teil aus der Baumgrafik.
PsychodramatikerInnen kommen aus unterschiedlichen Grundberufen und
finden sich in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern, wie zum Beispiel als Psy-
chologInnen oder BetriebswirtInnen in Personalabteilungen großer Unterneh-
men, als PsychotherapeutInnen oder SozialarbeiterInnen in psychosomatischen
und psychiatrischen Krankenhäusern, in Suchtkliniken, in eigenen Praxen als
niedergelassene PsychotherapeutInnen, als BeraterInnen in Familien-, Paar-,
Lebens- sowie Suchtberatungsstellen, als PfarrerInnen im Bereich der Seelsorge,
als StreetworkerInnen, als freiberufliche OrganisationsberaterInnen, als Supervi-
sorInnen und MediatorInnen, als LehrerInnen oder ErwachsenenbildnerInnen
sowie als soziometrische ForscherInnen an Fachhochschulen und Universitäten.
Manchmal wird das gesamte Verfahren mit all seinen im Folgenden näher be-
schriebenen Arrangements und Techniken angewandt, manchmal sind es nur
Bausteine, die Verwendung finden. Ein besonders prominentes Beispiel für eine
32 1 Was ist Psychodrama?

Bausteinverwendung ist das Familienstellen, das in den letzten zehn Jahren be-
dauerlicherweise besonders mit Hellinger und seinen Schülern in Verbindung
gebracht wird (vgl. Buer 2005). Bedauerlicherweise, da die Tiefe und Hilfe, die
den Betroffenen zuteil werden könnte, durch zum Teil unsachgemäße Anwen-
dung des Arrangements und durch eine Einbettung in eine rigide, konservativ
geprägte Philosophie bei den PatientInnen oft mehr Schaden als Nutzen ange-
richtet hat. Das Familienstellen ist ein genuin psychodramatisches Arrangement,
das, gezielt und mit fundiertem Wissen und Können eingesetzt, äußerst effektiv
für die Betroffenen ist. Weitere Arrangements, Methoden und Techniken finden
sich in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben.

Bildung
Seelsorge
Supervision
Psychotherapie

Beratung
Mediation
Soziale Arbeit
Personal- und Organisati-
onsentwicklung

Psychodrama

Theater Theologie

Psychologie / Soziologie
Medizin

Abbildungȱ6: Wurzeln und Anwendungen des Psychodramas


1.7 Das Psychodrama heute 33

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2.1 Die Bühne 35

2
2 DieȱInstrumenteȱdesȱPsychodramasȱ

PsychodramatikerInnen stehen fünf Instrumente für ihre Arbeit an der Entfaltung


der Spontaneität und Kreativität ihrer KlientInnen zur Verfügung.

Die Instrumente des Psychodramas


ƒ Die Bühne
ƒ Die Psychodrama-LeiterIn
ƒ Die ProtagonistIn
ƒ Die Hilfs-Iche
ƒ Die Gruppe

Tabelleȱ5: Instrumente des Psychodramas

2.1 DieȱBühneȱ

„Die Bühne repräsentiert einen psychischen Raum,


einen Ausschnitt aus der Innenwelt des Protagonisten.“
Schönke (1991)8

Die Bühne ist das zentrale Instrument des Psychodramas. Für Moreno, der die Psy-
chodramatherapie aus seinen im Stegreifspiel mit Kindern und sozial benachteilig-
ten Bevölkerungsgruppen gesammelten Erfahrungen entwickelt hat, war es selbst-
verständlich, dass das, was im psychodramatischen Spiel dargestellt wird, eine
Bühne benötigt. Er wollte damit der Szene mehr Wert verschaffen und sie für ein
Publikum gut sichtbar machen, da manche Ereignisse die wohlwollende Zeugen-
schaft anderer benötigen, damit sie gut verarbeitet werden können. In seinem Insti-
tut in BeaconȱHill,ȱNewȱYork, ließ Morenoȱhierfürȱeine imposante Bühnenkonstrukti-

8 Schönke (1991, zitiert nach Haselbacher 2004)


36 2 Die Instrumente des Psychodramas

on errichten, die aus drei Ebenen und einem halbrunden Balkon besteht (Leutz 1986;
VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005) und die auch heute noch, wenngleich an einem
anderen Standort, für psychodramatische Inszenierungen genutzt wird.

Abbildungȱ7: Beacon Bühne9

Der spezielle Aufbau dieser Bühne spiegelt die verschiedenen Phasen und die
Symbolik eines psychodramatischen Spiels wider: So bietet die erste Ebene des
stufenförmigen Aufgangs Sitzgelegenheit für das Publikum, die zweite wird
während der Phase der Exploration benutzt und die dritte dient dem eigentlichen
Spiel. Der Balkon kommt dann zum Einsatz, wenn Transzendentes oder Göttli-
ches zum Ausdruck gebracht werden soll, aber auch, wenn strafende Instanzen
ihren Auftritt haben (Schacht 2005).
Aus heutiger Sicht bedarf es für ein psychodramatisches Spiel keiner eigens
dafür gebauten Bühne. Es ist ausreichend, wenn diese ein für alle Beteiligten
erkennbarer, klar abgegrenzter Bereich des Gruppenraumes ist, dessen Standort
von der Leitung bzw. von der HauptdarstellerIn eines psychodramatischen
Spiels, der sogenannten ProtagonistIn, als Bühne definiert wird. Damit kann die
Bühne von Spiel zu Spiel variieren. Die Anforderungen, die an eine psychodra-
matische Bühne gestellt werden, sind minimal: Der Umfang der Bühne muss
ausreichende Bewegungsfreiheit gewährleisten, um die psychodramatische Akti-

9 Gezeichnet von Schönberger (2010)


2.1 Die Bühne 37

on nicht zu behindern. Hilfreich sind einige wenige Requisiten wie ein Tisch und
Stühle und ein Fundus an Kleidungsstücken sowie Tücher, Kissen oder Seile.
Diese Utensilien können als Platzhalter für verschiedene Einrichtungsgegenstän-
de, als Abgrenzungen und vieles mehr dienen. In den Anfängen des Psychodra-
mas wurden veränderbare Lichtverhältnisse zur Verdichtung der in den Szenen
vorherrschenden Stimmungen als nützlich empfunden, heute ist dies in den Hin-
tergrund gerückt (vgl. Leutzȱ 1986; ZeintlingerȬHochreiter 1996; Schacht 2005). Die
Verwandlung der Bühne in den Raum oder die Umgebung, in der sich die Szene
abspielen soll, erfolgt durch die jeweilige ProtagonistIn selbst. Durch deren ge-
naue Schilderungen, zum Beispiel, wo sich in diesem Raum die Türen, die Fens-
ter und die Einrichtungsgegenstände befinden, entstehen in den Anwesenden
Bilder der äußeren Gegebenheiten, aber auch Eindrücke von der vorherrschen-
den Atmosphäre (Leutz 1986).

Psychodrama-Leiterin: „Wo auf der Bühne könnte sich Ihr Arbeitszimmer befinden?
Sollen wir dieses mit Seilen von den angrenzenden Räumen abtrennen? … Wo ist der
Eingang und wo die Fenster? … An dieser Wand steht also Ihr Schreibtisch, was
könnten wir als Platzhalter für ihn verwenden? …“

Ein sorgfältiges Einrichten der Bühne bewirkt bei der ProtagonistIn, aber auch bei
den MitspielerInnen, dass ihr Erwärmungsgrad steigt und sie sich mehr auf die
zu bearbeitende Szene einlassen können: Ziel ist es, dass die ProtagonistIn mög-
lichst im Hier und Jetzt der Szene ankommt. Die psychodramatische Bühne soll
für alles offen sein und gleichzeitig einen geschützten Raum bilden, in dem ohne
Angst vor Konsequenzen oder Verurteilungen innere und äußere Konflikte,
Ängste, Emotionen und Gedanken dargestellt werden können. Unbewältigte
Ereignisse aus der Vergangenheit, der Gegenwart, aber auch Zukunftsszenarien
können hier in Szene gesetzt werden. Spontan können Handlungsalternativen
erprobt und neue Wege eingeschlagen werden. Aber auch Wunschvorstellungen,
Fantasien und Träume können in diesem Rahmen belebt werden (ZeintlingerȬ
Hochreiter 1996). Für Moreno (1989, 2001: 45) „istȱderȱBühnenraumȱeineȱErweiterungȱ
desȱ Lebensȱ überȱ denȱ Realitätstestȱ desȱ Lebensȱ hinaus.ȱ Realitätȱ undȱ Phantasieȱ bekämpfenȱ
einanderȱnicht,ȱsondernȱsindȱbeideȱFunktionenȱinnerhalbȱeinerȱerweitertenȱSphäreȱ[…]“.ȱ
In diesem Fall wird von SurplusȬrealityȱgesprochen, da auf der Psychodramabüh-
ne mehr als nur das reale Leben Platz findet.
Auch im psychodramatischen Einzelsetting kommt die psychodramatische
Bühne zum Einsatz. In vielen psychodramatischen Praxen gibt es dafür einen
abgegrenzten Bereich, wie zum Beispiel einen Teppich. Häufig wird ein Tisch zur
Bühne umfunktioniert, er wird zur Tischbühneȱ(Krüger 2005: 250).
38 2 Die Instrumente des Psychodramas

Abbildungȱ8: Tischbühne

Mit Figuren oder Gegenständen aus dem Fundus der LeiterIn, die Personen,
Gefühlslagen oder innere Anteile symbolisieren, werden Szenen aus der Erleb-
niswelt der ProtagonistIn auf dem Tisch nachgestellt.
Nicht nur die „reale Bühne“, sondern auch „Bühne“ als Konstrukt stellt für
einige spezifische psychodramatische Anwendungsfelder einen bedeutenden
Eckpfeiler dar. So wird im Monodrama, und hier speziell in der psychodramati-
schen Therapie mit Kindern und Jugendlichen, häufig nach dem „DreiȬBühnenȬ
Modell“ (Pruckner 2001) gearbeitet. Dabei wird zwischen der Sozialenȱ Bühne, der
Begegnungsbühne und der Spielbühne unterschieden. Auf der Sozialen Bühne fin-
den Begegnungen mit den Angehörigen oder den Betreuungspersonen, dem
sogenannten sozialenȱ Atom des Kindes oder der Jugendlichen statt: dies wären
etwa Begrüßungsszenen beim Hinbringen, beim Abholen oder bei Elterngesprä-
chen. Auf der Begegnungsbühne steht die Interaktion zwischen der TherapeutIn
und der jungen KlientIn im Mittelpunkt des Geschehens. Hier werden Regeln
besprochen, Rahmen abgesteckt, Spielideen entwickelt, Rituale abgehalten und
die Qualität der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn besprochen. Auf
der Spielbühne findet das Symbolspiel statt, das je nach Thematik der KlientIn
unterschiedlich geartet sein kann und von Regelspielen bis zum freien Spiel, zum
Beispiel mit Handpuppen, gestaltet sein kann (BieglerȬVitek,ȱRiepl,ȱSageder 2004).
2.2 Die Psychodrama-LeiterIn 39

Abbildungȱ9: Beispiel für die Verwendung des Drei-Bühnen-Modells

2.2 DieȱPsychodramaȬLeiterInȱ

„Be with your protagonist.“


Elefthery10

Methodische Kompetenz, einfache Herzlichkeit, wahrer Mut, Flexibilität, sich auf


nicht vorhersehbare schwierige Situation einzulassen, schöpferische Fantasie
sowie Offensein für andere – das sind die Eigenschaften, über die eine Psycho-
drama-LeiterIn nach Ansicht Morenosȱ (zit. nach Leutz 1986: 86) verfügen sollte.
Diese Qualitäten können auch der PsychodramatikerIn von heute bei der Bewäl-
tigung ihrer Aufgaben als LeiterIn hilfreich sein. Als ExpertIn der Methode Psy-
chodrama besteht ihre Hauptaufgabe darin, mit dem von ihr erworbenen Wissen
um psychodramatische Techniken und Arrangements sowie ihrem Erfahrungs-
schatz die KlientInnen bei ihren Veränderungsprozessen zu unterstützen.
Allgemein wird zwischen der direktiven und den perzeptiven, den aus den
Wahrnehmungen der LeiterIn herzuleitenden, Aufgaben unterschieden. Bei Erste-
ren tritt die Psychodrama-LeiterIn sehr aktiv und bestimmend in Erscheinung, bei
Zweiteren nimmt sie sich als Personen zurück und stimmt sich auf die jeweilige
ProtagonistIn ein, begleitet diese und beobachtet und diagnostiziert das Geschehen.

10 Mündliche Mitteilung zitiert nach Leutz (1986)


40 2 Die Instrumente des Psychodramas

In ihrer direktiven Rolle als LeiterIn ist sie aktiv am Aufbau einer Gruppen-
kultur beteiligt, indem sie die Rahmenbedingungen und Gruppennormen fest-
legt. In der Einstiegs- oder Erwärmungsphase ist es ihre Aufgabe, die Gruppen-
teilnehmerInnen dazu zu aktivieren, ihre derzeitigen Befindlichkeiten und Prob-
lemstellungen zu offenbaren, daraus die Gruppenthematik herauszufiltern und
die Form der folgenden Inszenierung zu bestimmen. Dazu gehört die Klärung, ob
die Gruppe zu einem Gruppenspiel eingeladen werden soll oder ob ein protago-
nistInnenzentriertes Spiel angesagt ist. Ausgehend von der Fragestellung der
Gruppe oder der ProtagonistIn entwickelt sie eine diagnostische Hypothese,
Prozessziele und eine Idee über den Ablauf des Spiels. Dieses Spiel leitet sie da-
nach unter Zuhilfenahme psychodramatischer Techniken. Dabei muss sie auf die
Zeiteinteilung und auf die Einhaltung von Regeln achten. Im Anschluss daran
stellt sie den Raum für das Feedback, das Sharingȱund die Prozessanalyse zur Verfü-
gung (zu diesen Begriffen später mehr).
Die perzeptive Funktion der Psychodrama-LeiterIn ist von ebenso großer
Bedeutung wie die direktive. Dazu zählt das Beobachten von bestimmten Abläu-
fen: etwa, die Abwicklung einer Szene oder die Reaktion der ProtagonistIn zu
erfassen und zu erkennen, was diese Szene bei den MitspielerInnen oder beim
Publikum auslöst, welche Gruppendynamik vorherrschend ist und welche Posi-
tionen die verschiedenen GruppenteilnehmerInnen einnehmen. Während des
Spieles ist es wichtig, dass sich die Psychodrama-LeiterIn in die Problematik der
ProtagonistIn einfühlt und mit ihr mitschwingt. Sie sollte, die wie auch immer
gearteten Äußerungen der ProtagonistIn, der MitspielerInnen und der Zuschaue-
rInnen wahrnehmen und im passenden Moment darauf reagieren.
Zu guter Letzt hat die Psychodrama-LeiterIn auch die Funktion einer „teil-
nehmenden ProtagonistIn“. Sie kann sich zum Beispiel durch Mitlachen oder
Mittrauern persönlich einbringen. Auch steht ihr das Äußern eines persönlichen
Sharings, das Mitteilen eigener Erfahrungen rund um das bearbeitete Thema,
offen, soweit dieses für den therapeutischen Fortschritt zweckdienlich ist und
soweit es die Gruppenmitglieder nicht belastet (ZeintlingerȬHochreiter 1996: 19).
Im Einzelsetting ist der Aufgabenbereich der Psychodrama-LeiterIn ein ähn-
licher. Hier ist naturgemäß der Fokus auf die Einzelperson gerichtet. Eine warme
und einladende Atmosphäre soll der KlientIn ermöglichen, sich in diesem Setting
wohlzufühlen, und klar strukturierte Rahmenbedingungen sollen für die nötige
Sicherheit und Vertrauensbasis sorgen (Fürst 2004). In der sogenannten War-
ming-up-Phase gilt es, das Thema der KlientIn zu identifizieren und sie zur Bear-
beitung dieser Problematik zu erwärmen. Die LeiterIn hat darauf aufbauend zu
entscheiden, welche monodramatischen Techniken zur Inszenierung dieser
Thematik am besten geeignet wären, und begleitet die KlientIn bei der Suche
2.2 Die Psychodrama-LeiterIn 41

Abbildungȱ10: Die direktive und perzeptive Funktion der LeiterIn11

nach Lösungsansätzen. In der Integrationsphase unterstützt die LeiterIn die Klien-


tIn beim Entdecken von Strategien, wie der soeben erfahrene Veränderungsprozess
in ihr reales Leben transferiert werden kann. Mehr als in der Gruppentherapie
kommt es in der Einzeltherapie zur Begegnung zwischen KlientIn und Therapeu-
tIn. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Qualität der Beziehung
zwischen TherapeutIn und KlientIn einen bedeutenden Einfluss auf den Thera-

11 Gezeichnet Schönberger (2010)


42 2 Die Instrumente des Psychodramas

pieerfolg hat, denn ohne positive therapeutische Beziehung sind keine erfolgrei-
chen Therapieresultate zu erwarten (Yalom 2005).

2.3 DieȱProtagonistInȱ

„Er ist Dichter, Regisseur und Schauspieler in einer Person.“


Moreno (1914)12

Die ProtagonistIn ist die Person, deren Lebensgeschichte, Problematik oder Wün-
sche auf der Psychodramabühne dargestellt werden, sie steht für einen begrenz-
ten Zeitraum im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Hervorheben persönli-
cher Themen einzelner Gruppenmitglieder charakterisiert das protagonistInnenȬ
zentrierteȱ Psychodrama. Es unterscheidet sich dadurch vom gruppenzentriertenȱ
Psychodrama und vom Soziodrama, bei denen der Fokus der Aufmerksamkeit wäh-
rend des gesamten Geschehens auf die Gruppe gerichtet ist.
Die ProtagonistIn entscheidet, welches ihrer Anliegen inszeniert werden
soll, nach ihren Vorstellungen wird die Bühne eingerichtet, sie wählt die Mitspie-
lerInnen aus und bestimmt, welche Rolle diese in ihrem psychodramatischen
Spiel übernehmen. In diesem Moment ist sie HauptempfängerIn der therapeu-
tisch-pädagogischen Effekte des Psychodramas.
Wann und wer ProtagonistIn wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Einerseits sollte die Person eine Fragestellung oder einen Wunsch haben, wie
zum Beispiel einmal die Rolle einer durchsetzungskräftigen Person einzunehmen
oder eine Szene aus der Vergangenheit nachzuspielen, um sie besser zu verste-
hen. Dann muss die potentielle ProtagonistIn auch bereit sein, ihr Anliegen auf
die Bühne zu bringen. Sie sollte so offen sein, dass es ihr möglich ist, anderen
einen Einblick in ihre Innenwelt zu gewähren, so mutig sein, dass sie sich auch
auf Unvorhergesehenes einlassen kann, und Interesse an neuen Erfahrungen
haben. In der Sprache des Psychodramas: Die jeweilige Person muss den nötigen
Grad an Erwärmung für ein Thema haben, um sich als ProtagonistIn zur Verfü-
gung stellen zu können.

Frau Riemer hat seit längerer Zeit Probleme mit ihrem pubertierenden Sohn, dessen
schulische Leistungen im letzten Jahr stark nachgelassen haben und der sich kaum
mehr an Vereinbarungen hält. Vor einer Woche wurde er mit einer Alkoholvergiftung
ins Krankenhaus eingeliefert. Frau Riemer belastet diese Situation schon seit Wochen,

12 Zitiert nach Leutz (1986)


2.3 Die ProtagonistIn 43

sie hatte aber bisher den Anspruch, mit dieser Problematik alleine fertig zu werden.
Beim Erzählen der derzeitigen familiären Situation fällt ihr auf, dass sich ihr ganzes
Leben derzeit nur um ihren ältesten Sohn dreht und sie keine Zeit zum Entspannen
hat, dass sie kaum Ruhe findet, um ein Buch zu lesen, und die Gespräche mit ihrem
Mann nur das eine Thema beinhalten. Obwohl Frau Riemer spürt, wie ihr beim Ge-
danken daran, dass ihre Problematik im Mittelpunkt dieser Gruppensitzung stehen
könnte, etwas mulmig wird, kündigt sie an, dass sie mit Hilfe eines ProtagonistInnen-
spiels erfahren möchte, wie sie trotz der Wirren, die die Pubertät ihres Sohnes in ihr
Familienleben bringt, auf sich und ihre Bedürfnisse achten kann.

Neben der ProtagonistIn müssen auch die übrigen TeilnehmerInnen für das
Thema erwärmt sein. Deshalb sollte die Gruppe bei der Auswahl der Protagonis-
tIn mitbestimmen können. Häufig wird dazu die Methode der soziometrischenȱ
Wahl (vgl. Kapitel 6 Soziometrie) herangezogen. Durch dieses Verfahren wird
sichtbar, wie viele Gruppenmitglieder mit welchen Anliegen der möglichen Pro-
tagonistIn am besten partizipieren können. Da die ProtagonistIn im Sinne MoreȬ
nos auch als RepräsentantIn der Gruppenthematik gesehen werden kann, bear-
beitet sie mit ihrer Inszenierung nicht nur ihre eigene Fragestellung, sondern in
gewissem Ausmaß auch die Probleme der anderen. Somit können auch die restli-
chen Gruppenmitglieder von der Essenz der auf der Bühne sich abspielenden
Veränderungsprozesse profitieren. Das bestätigt sich auch im Sharing, dasȱan die
Spielphase anschließt. Dort kommenȱ die übrigen TeilnehmerInnen zu Wort,
wenn sie diese oder eine ähnliche Thematik aus ihrer eigenen Lebenserfahrung
kennen.

Zwei Gruppenteilnehmerinnen können sich vorstellen, mittels eines ProtagonistIn-


nenspiels ihren Problematiken auf den Grund zu gehen. Frau Reithmayer beschäftigt
ein Konflikt mit ihrer Schwiegermutter, Frau Riemer, wie sie trotz der Schwierigkeiten
mit ihrem Sohn auf die eigenen Bedürfnisse achten kann. Indem sich die Teilnehme-
rInnen hinter die jeweiligen Personen stellen (eine Form der soziometrischen Wahl),
teilen die Gruppenmitglieder mit, welche Problematik mehr der ihren entspricht. Da
Frau Riemers Schwierigkeiten das Gruppenthema „wie kann ich meine Stresswaage
im Gleichgewicht halten“ besser trifft, wird Frau Riemer von der Gruppe mehrheitlich
zur nächsten Protagonistin gewählt.

Auch wenn mehrere Gruppenmitglieder von derselben Problematik betroffen


sind, ist es wichtig, dass nur eine Person die Rolle der ProtagonistIn innehat.
44 2 Die Instrumente des Psychodramas

2.4 DieȱMitspielerInnen,ȱHilfsȬIcheȱȱ

„Sie sind Extensionen des Leiters, indem sie wie er


erforschen und führen, aber sie sind auch
Extensionen des Spielers, indem sie
tatsächliche oder phantasierte Personen
aus dessen Leben darstellen.“
Moreno (2001: 47)

Die MitspielerInnen einer psychodramatischen Szene sind mit wenigen Ausnah-


men die Gruppenmitglieder selbst, die zur Darstellung einer bestimmten Rolle
von der ProtagonistIn gewählt werden. Sie werden auch als Hilfs-Iche bezeichnet,
weil sie durch ihre Rollenübernahmen zum Beispiel Teile des Umfeldes oder
Persönlichkeitsanteile der ProtagonistIn verkörpern. Sie haben mehrere wichtige
Funktionen zu erfüllen: Sie unterstützen die ProtagonistIn bei der Bearbeitung
ihrer Problematiken, helfen der LeiterIn bei ihrer diagnostischen und therapeuti-
schen Tätigkeit und ermöglichen den anderen Gruppenmitgliedern, einen Ein-
blick in die Welt und die Dynamik der ProtagonistIn zu bekommen, indem sie ihr
helfen, ihre ganz persönliche Szene auf die Bühne zu bringen.
Hilfs-Iche übernehmen die Rollen von Personen, die in der von der Protago-
nistIn dargestellten Szene von Bedeutung sind, wie zum Beispiel, die Mutter, der
Ehemann, die Chefin. Aber auch Persönlichkeitsanteile, Gefühle oder Wünsche
der ProtagonistIn, Tiere, Gegenstände oder für die Atmosphäre einer Begebenheit
relevante Faktoren können im Psychodrama von Hilfs-Ichen verkörpert werden.
Nicht zuletzt kann ein Hilfs-Ich die Rolle der ProtagonistIn als StellvertreterIn
übernehmen. Dann ist es ihre Aufgabe, der ProtagonistIn zu helfen, die Szene aus
einer anderen Perspektive zu betrachten.

Herr Kramer, ein junger, aufstrebender Mitarbeiter eines mittelgroßen Betriebes, be-
kommt eine Position angeboten, in der er zum ersten Mal eine leitende Funktion in-
nehat. Herr Kramer möchte wissen, welche Auswirkungen dieser Wechsel auf das Be-
ziehungsgeflecht innerhalb der Abteilung hat. Die psychodramatische Organisations-
beraterin Frau Raab bietet ihm an, sich dies in Form einer psychodramatischen Skulp-
turarbeit vor Augen zu führen. Aus dem Kreis der Gruppenmitglieder wählt Herr
Kramer eine Person, die seinen Chef darstellt, andere, die seine bisher gleichrangigen
KollegInnen mimen sollen, und auch ein Gruppenmitglied, das seine Rolle stellvertre-
tend für ihn in dieser Aufstellung übernehmen soll.

Eine ganz spezielle Funktion kommt der Darstellung der AntagonistIn zu. Die
AntagonistIn ist eine MitspielerIn, die als GegenspielerIn der ProtagonistIn in
2.4 Die MitspielerInnen, Hilfs-Iche 45

Erscheinung tritt. An ihr entfacht sich meist der Konflikt, sie ist aber auch die
Person, bei der durch eine Beziehungsveränderung ein Ausweg aus einer schwie-
rigen Lage gefunden werden kann.

Abbildungȱ11: Rollen, die durch Hilfs-Iche eingenommen werden können

Die Hilfs-Iche haben sich an das von der ProtagonistIn vorgegebene Skript sowie
an die Anweisungen der ProtagonistIn und der LeiterIn zu halten, dürfen aber
entsprechend ihrer Rollenvorgabe improvisieren, solange die ProtagonistIn nichts
Gegenteiliges äußert oder die LeiterIn nicht interveniert.
Durch die Rückmeldungen der Hilfs-Iche an die ProtagonistIn, welche Ge-
fühle während der Rollenübernahme bei ihnen aufgetreten sind, erfüllen sie wei-
tere wichtige Funktionen. Diese Rückmeldungen werden Rollenfeedbacks ge-
nannt und werden von den Hilfs-Ichen manchmal während des Spiels in Form
eines Interviews durch die LeiterIn, aber meist in einem dafür vorgesehenen
Abschnitt einer Psychodramasitzung, der sogenannten Integrationsphase, geäu-
ßert. Sie helfen der ProtagonistIn, die Gefühlswelt ihres Gegenübers zu erfassen,
und erweitern damit den Blick auf die Szene. Durch das Betrachten einer Situati-
46 2 Die Instrumente des Psychodramas

on aus verschiedensten Perspektiven kann das Eingefahrensein auf bestimmte


Strategien aufgelöst und neue Wege zur Lösung eines Problems entdeckt und
eingeschlagen werden.
Moreno verwendete für seine Inszenierungen professionelle Hilfs-Iche, psy-
chodramatisch geschultes Personal, welches für die ProtagonistIn die verschiede-
nen Rollen ihrer Szene übernahmen. In manchen Situationen wird auch heute
noch zu professionellen Hilfs-Ichen gegriffen oder bestimmte Rollen werden von
der Co-LeiterIn übernommen. Dies kann der Fall sein, wenn die Rolle für die
Gruppenmitglieder zu belastend wäre, wie etwa die Rolle eines Gewalttäters,
oder wenn die Gruppe aus Personen besteht, die aufgrund ihrer Krankheitsge-
schichte Probleme haben, sich in unterschiedliche Rollen einzuleben und diese
auch für längere Zeit einhalten zu können.
In psychodramatischen Einzelsitzungen wird das Problem, dass in diesem
Setting naturgemäß keine MitspielerInnen vorhanden sind, die als Hilfs-Iche
eingesetzt werden können, auf unterschiedliche Weise gelöst:
Am „Psychodramaȱ zuȱ dritt“, einer seltenen Form der psychodramatischen
Einzeltherapie, nimmt neben der TherapeutIn und der KlientIn ein professionel-
les Hilfs-Ich teil, das die Rollen der MitspielerInnen übernimmt. Eine Einzelthe-
rapievariante, in der die TherapeutIn in die Rolle der AntagonistInnen schlüpft,
wird als „Psychodramaȱ àȱ deux“ bezeichnet. Im Monodrama, dem Psychodrama
ohne Gruppe, werden alle für eine Darstellung nötigen Rollen zeitlich versetzt
von der KlientIn selbst übernommen (Fürst 2004: 283).
2.5 Die Gruppe 47

Thera-
Psychodrama zu dritt:
peutin
Therapeutin beobachtet
Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung!
Hilfs-Ich als Chefin: Wie soll sich die Firma das
Hilfs-Ich
leisten können? Klientin
als Chefin

Thera-
peutin
Psychodrama à deux:
Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung!
Therapeutin in der Rolle als Chefin: Wie soll sich
Thera-
die Firma das leisten können? Klientin peutin als
Chefin

Thera-
Monodrama: peutin
Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung!
Klientin in der Position als Chefin: Wie soll
sich die Firma das leisten können?
Klientin als
Klientin
Chefin

Abbildungȱ12: Formen psychodramatischer Einzeltherapie

2.5 DieȱGruppeȱ

„Psychodrama ist die Therapie in der Gruppe,


durch die Gruppe, für die Gruppe und der Gruppe.“
Moreno (1956)13

Morenos Definition sagt aus, dass eine psychodramatische Gruppentherapie nicht


nur als Einzeltherapie im Rahmen einer Gruppe gesehen werden darf, sondern

13 Zitiert nach Leutz (1986)


48 2 Die Instrumente des Psychodramas

dass der Gruppe selbst eine heilende Funktion zukommt und, dass die Gruppe
selbst Heilung erfährt. Der Faktor, der in einer Gruppe als Basis für die optimale
Entfaltung psychodramatischer Techniken dient und damit zum Erfolg einer psy-
chodramatischen Gruppe grundlegend beiträgt, ist die Kohäsion oder der GruppenȬ
zusammenhalt. Dieser entwickelt sich aus tragfähigen Beziehungen zwischen den
einzelnen Gruppenmitgliedern untereinander und zur Leitung, wird aber auch aus
der Beziehung zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen und der Gruppe als Ge-
samtheit genährt. Die Kohäsion bewirkt, dass sich die Angehörigen dieser Gruppe
wertgeschätzt, akzeptiert und angenommen fühlen, was zur Steigerung ihres
Selbstwertgefühls beiträgt (Yalom 2005). Durch die Gruppenzugehörigkeit wird das
Verantwortungsgefühl für andere gestärkt und durch die Erfahrung, dass das eige-
ne Handeln in der Gruppe auf andere eine positive Wirkung hat, kann das Gefühl
der Selbsteffektivität gehoben werden. Die Kohäsion ist es, die es den Gruppenteil-
nehmerInnen erleichtert, sich zu öffnen, authentisch über ihre Probleme und Kon-
flikte zu sprechen, sie erhöht die Selbstreflexion und unterstützt die Gruppe dabei,
spontan und kreativ zu handeln.
Durch die verschiedenen Lebenswelten der TeilnehmerInnen werden unter-
schiedliche Aspekte, Sichtweisen und Weltanschauungen in eine Gruppe einge-
bracht. Die Gruppe stellt somit im Kleinen einen größeren Kosmos dar, wodurch
sich ähnliche Gruppendynamiken wie im realen Leben widerspiegeln können.
Das bedeutet, dass sich nach einem gewissen Zeitabschnitt auch in der Gruppe
Problematiken und Verhaltensmuster zeigen, die die TeilnehmerInnen aus ande-
ren Lebensbereichen kennen. Durch die Kohäsion bildet die Gruppe einen ge-
schützten Rahmen, in dem sich deren Mitglieder weniger angstbesetzt als in
Alltagssituationen mit diesen Prozessen auseinandersetzen können. Dadurch
kann es den TeilnehmerInnen zum Beispiel leichter fallen, negative Gefühle ge-
genüber anderen Gruppenmitgliedern, aber auch gegenüber der LeiterIn auszu-
drücken. Im Übungsfeld der Gruppe können diese Konflikte erforscht und gege-
benenfalls Lösungsansätze erprobt werden. Eine solche Atmosphäre, in der Vie-
les erlaubt und ausprobiert werden darf, ermöglicht es den TeilnehmerInnen, sich
mit all ihren positiven und negativen Wesenzügen zu zeigen und sich selbst als
Personen mit vielfältigen Ausprägungen zu akzeptieren. Dass die Gruppe einen
Mikrokosmos darstellt, hat den Vorteil, dass die in ihr gemachten Erfahrungen
auch in die Welt außerhalb der Gruppe transferiert werden können.
Natürlich trägt nicht nur die Gruppe an sich, sondern auch jedes einzelne
Mitglied zum Erfolg der Gruppe bei. Durch authentische Begegnungen, die in-
nerhalb einer Gruppe zum Beispiel in Form von echter Anteilnahme, Rührung
oder Trost zustande kommen, kann Kraft geschöpft und die Gewissheit gestärkt
werden, dass man mit der Problematik nicht allein zu kämpfen hat.
2.5 Die Gruppe 49

Eine Gruppe hat noch weitere mannigfaltige Vorteile zu bieten, die oft un-
terschätzt werden. Durch die vielfältigen Themen, die verschiedenen Herange-
hensweisen oder die unterschiedlichen Temperamente der einzelnen Gruppen-
mitglieder können die TeilnehmerInnen Zusammenhänge erkennen, die sie, un-
ter Umständen, ohne den Input der anderen Gruppenmitglieder nicht erkannt
hätten, oder beobachten, wie andere mit ähnlichen Situationen auf eine ganz
andere Weise umgehen. Wie bereits erwähnt, können alle Gruppenmitglieder aus
der Inszenierung der Problematik Einzelner Nutzen ziehen, unabhängig davon,
ob sie selbst aktiv auf der Bühne beteiligt gewesen sind oder ob sie, als Beobach-
terInnen im Publikum sitzend, dem Szenenablauf gefolgt sind. Dabei kommen
die Spiegelneuronen zum Einsatz, die bewirken, dass beim Beobachten von Ver-
haltensabläufen ähnliche kortikale Prozesse wie bei den direkt Betroffenen ablau-
fen und so durch das Mitschwingen mit einer anderen Person eigene Lernprozes-
se vonstatten gehen (Hütherȱ2006).
In Wechselwirkung sind es aber hier nicht nur die TeilnehmerInnen, die
Veränderungsprozesse durchwandern, sondern auch die Gruppe selbst, die
durch die geteilten Emotionen eine Weiterentwicklung erfährt.
Diese positiven Gruppeneffekte lassen sich natürlich nicht nur in psychothe-
rapeutischen Psychodramagruppen beobachten, aus ihnen wird auch in psycho-
dramatischen Supervisionen, Coachings und Organisationsentwicklungen Nut-
zen gezogen.
Psychodramatische Gruppen können unterschiedlich groß sein, die Bandbreite
geht von Kleingruppen mit fünf Personen bis zu Großgruppen, die über 100 Teil-
nehmerInnen umfassen können. Sind so viele Personen beteiligt, wird meist ein
Soziodrama inszeniert, bei dem je nach Thema soziale und kulturelle Interaktionen
eines Systems, einer Organisation oder einer Gesellschaft und deren Auswirkungen
auf das Erleben und Handeln eines Individuums erkundet werden.
Die TeilnehmerInnen von psychodramatischen Gruppen können miteinan-
der bekannt sein, wie das in einem Team der Fall ist. Die Gruppe kann sehr ho-
mogen zusammengesetzt sein, wie zum Beispiel eine Supervisionsgruppe von
WeiterbildungskandidatInnen zum Thema „Psychodrama mit Kindern und Ju-
gendlichen“, oder auch heterogen wie bei einer psychodramatischen Jahresgrup-
pe für PatientInnen mit unterschiedlichen Störungsbildern.
Auch bei den Formen von Gruppen gibt es unterschiedliche Varianten. Eine
sehr häufige Gruppenform ist die Jahresgruppe. Dabei treffen sich die Gruppen-
teilnehmerInnen wöchentlich oder vierzehntägig über einen gewissen Zeitraum –
z.B. ein Jahr in einer gleichbleibenden Gruppenzusammensetzung, was als geȬ
schlosseneȱGruppe bezeichnet wird. Eine Gruppensitzung dauert in diesem Setting
üblicherweise zwischen 90 und 180 Minuten. In Institutionen wie Krankenhäu-
50 2 Die Instrumente des Psychodramas

sern, Rehabilitationszentren oder Beratungsstellen sind häufigȱ halboffeneȱ oderȱ


offeneȱGruppenȱanzutreffen. Diese Gruppen finden regelmäßig zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt statt. Der daran teilnehmende Personenkreis kann von Sitzung zu
Sitzung variieren.
Mehrtägige psychodramatische Seminare werden vor allem von Personen
bevorzugt, die eine Psychodramagruppe aus Selbsterfahrungsgründen, zur Su-
pervision, zur Organisationsentwicklung bzw. zur Fort- und Weiterbildung besu-
chen. Diese Gruppen sind häufig themenspezifisch, das bedeutet, dass die Grup-
pe unter ein bestimmtes Motto gestellt wird, das den inhaltlichen Rahmen bildet.

Literaturȱ

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Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996): KompendiumȱderȱPsychodramaȬTherapie. Köln: inScenario
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 51

3
3 PsychodramatischeȱArrangementsȱ

3.1 DasȱprotagonistInnenzentrierteȱPsychodramaȱ

In diesem Abschnitt werden wir uns speziell mit dem protagonistInnenzentriertenȱ


Psychodrama auseinandersetzen. Nachdem erörtert wurde, was unter dieser Ar-
beitsform des Psychodramas verstanden wird, werfen wir einen kurzen Blick auf
die Rahmenbedingungen einer protagonistInnenzentrierten Psychodrama-Gruppe.
Danach werden wir uns den verschiedenen Abschnitten einer Gruppensitzung wie
der Erwärmung, der Aktions- oder Spielphase und der Integrationsphase und
deren Funktionen widmen.

WasȱwirdȱunterȱprotagonistInnenzentriertemȱPsychodramaȱverstanden?ȱ

Im protagonistInnenzentrierten Psychodrama steht für einen bestimmten Zeit-


raum innerhalb einer Gruppensitzung eine Person im Mittelpunkt der Aufmerk-
samkeit, deren Thema in der Gruppe bearbeitet wird. Im Psychodrama wird
davon ausgegangen, dass das ProtagonistInnen-Thema gleichzeitig auch – quasi
stellvertretend – die aktuelle Fragestellung der Gruppe repräsentiert. Die anderen
Gruppenmitglieder unterstützen diese Person, indem sie sich für die Bearbeitung
ihrer Fragestellung als Hilfs-Iche zur Verfügung stellen. Das bedeutet, sie über-
nehmen die Rollen von InteraktionspartnerInnen, Gefühlszuständen oder Ge-
danken, wenn nötig auch von Gegenständen, die bei der Darstellung und der
Beantwortung der Fragestellung der ProtagonistIn von Bedeutung sind. Dabei
kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, z.B. der Szenenaufbau, das Dop-
peln und Spiegeln sowie Rollenwechsel, Rollentausch, Szenenwechsel, Rollen-
feedback und Sharing (siehe Kapitel 4).
52 3 Psychodramatische Arrangements

Rahmenbedingungenȱ

Bei der Planung und Gestaltung einer protagonistInnenzentrierten Psychodrama-


Gruppe müssen die Rahmenbedingungen und das Setting wohldurchdacht wer-
den. Es muss abgeklärt werden, welche Zielsetzung die Gruppe verfolgen soll,
für welche Klientel sie ausgerichtet wird, über welchen Zeitraum und mit wel-
cher Frequenz die Gruppensitzungen stattfinden sollen. In Kapitel 2 wurden
bereits einige Gruppenformen vorgestellt.
Die Gruppengröße hängt von äußeren Bedingungen ab, etwa von der Größe
des vorhandenen Gruppenraums oder davon, wie viele Personen Interesse an
dieser Gruppe zeigen. Ein weiterer, dabei nicht außer Acht zu lassender Faktor ist
die Höhe der emotionalenȱ Kapazitätȱ der LeiterIn (ZeintlingerȬHochreiterȱ 1996), das
heißt, zu wie vielen Personen sie, ohne überfordert zu sein, Beziehung aufneh-
men kann. Die Leitung muss das Gruppengeschehen zu jeder Zeit gut überbli-
cken können, damit ihr wichtige Informationen, die von den Gruppenteilnehme-
rInnen oft nonverbal oder verdeckt ausgesendet werden, nicht entgehen. Die
übliche Gruppengröße einer protagonistInnenzentrierten Psychodrama-Gruppe
besteht aus 6-15 TeilnehmerInnen. Wenn es die Gruppengröße oder die Aufga-
benstellung erfordert, wird eine Co-LeiterIn hinzugezogen. Bei thematisch ausge-
richteten Gruppen, bei denen z.B. der Genderaspekt eine Rolle spielt, empfiehlt es
sich, für die Co-Leitung eine gegengeschlechtliche Person einzusetzen.

PhasenȱeinerȱprotagonistInnenzentriertenȱpsychodramatischenȱAktionȱ

Unabhängig vom Anwendungsformat,ȱ z.B. Psychotherapie, Selbsterfahrung, Su-


pervision oder Organisationsberatung, setzt sich jede protagonistInnenzentrierte
psychodramatische Gruppensitzung aus der Erwärmungs-, der Aktions- oder
Spielphase und der Integrationsphase zusammen.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 53

Abbildungȱ13: Phasen einer psychodramatischen Aktion

3.1.1 DieȱErwärmungsphaseȱ

„Erwärmung ist ein universaler Begriff für die Anfangsphase eines


Interaktionsprozesses, eines Handlungsablaufes oder einer Entwicklung.“
Frohn (1994: 74)

Die Erwärmung leitet eine psychodramatische Sitzung ein. Sie wird auch als Initi-
al-, Anwärm- oder Warming-up-Phase bezeichnet. Sie bereitet auf die Aktions-
oder Spielphase vor.

DieȱZieleȱderȱErwärmungsphaseȱ

Die Aufgabe der Erwärmung besteht auf der individuellenȱEbeneȱdarin, dass mög-
lichst jedes Gruppenmitglied Zugang zu dem Thema findet, das es gerade am
meisten bewegt und dessen Bearbeitung seine Entwicklung fördern würde. Die
einzelnen TeilnehmerInnen sollten so weit aktiviert werden, dass sich etwaige
Spielhemmungen oder Spontaneitätsblockaden lösen, dass die Neugierde ge-
weckt, die Experimentierfreudigkeit angeregt und die Angst verringert werden.
Ziel der Erwärmung ist es, einen Zustand oder, wie PsychodramatikerInnen
sagen, eine Spontaneitätslage, also jenen Moment eines Aktivierungsprozesses zu
54 3 Psychodramatische Arrangements

erreichen, in dem eine Person bereit ist, neue Lösungsansätze zum ersten Mal zu
erproben. Wird diese Lage erreicht, kann es ein Mensch wagen, sich dem Unbe-
kannten und Neuen zu stellen (vgl. Schacht 2003).

Abbildungȱ14: Ziele der Erwärmungsphase

Auf der Gruppenebene dient die Erwärmungsphase dazu, dass sich durch ver-
schieden geartete Begegnungen – wie ein Gespräch, einen Blickkontakt, ein Mit-
schwingen mit der Problematik der anderen Person oder eine gemeinsame Akti-
vität zwischen den TeilnehmerInnen – ein Wir-Gefühl und eine Vertrauensbasis
bilden, die der Gruppe Tragkraft verleihen und sie auf die Aktionsphase vorbe-
reiten. Innerhalb der Gruppe fokussiert sich das Thema, welches von den meisten
GruppenteilnehmerInnen geteilt und akzeptiert wird. Damit ein gemeinschaftli-
ches Arbeiten an diesem Thema möglichst effektiv wird, sollte der Grad der Er-
wärmung der einzelnen TeilnehmerInnen in etwa gleich hoch sein.
Jede neue Gruppensituation stellt auch für die LeiterInnen eine Herausfor-
derung dar, da sie immer etwas Erstmaliges und Unvorhergesehenes in sich birgt
(Schwingerȱ1994). Die Erwärmungsphase dient somit auch der Gruppenleitung als
Einstimmung auf ihre Arbeit mit der Gruppe und die folgende Inszenierung. Mit
geschultem Blick erkundet die LeiterIn, mit welchen Fragestellungen sich die
TeilnehmerInnen derzeit auseinandersetzen, welche Problematiken ihnen even-
tuell zu schaffen machen, wie das Gruppenthema lautet und welches Gruppen-
mitglied dieses mit seiner Problematik am besten repräsentieren könnte.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 55

DieȱGestaltungȱderȱErwärmungsphaseȱȱ

Damit die in weiterer Folge beschriebenen Methoden zur Gestaltung der Erwär-
mungsphase Früchte tragen können, gilt es Ausgangsbedingungen zu schaffen,
die die Gruppe zu einem sicheren Raum werden lassen, in dem angstfrei Neues
erprobt werden kann. Dazu zählt, die Regeln und Rahmenbedingungen von
Psychodrama-Sitzungen zu vermitteln, wie etwa die zeitliche Struktur und das
Ziel der Gruppe, denn klare Regeln und das Wissen über den Ablauf der Gruppe
bieten Struktur und geben den TeilnehmerInnen Sicherheit. Eine kurze Einfüh-
rung in die Methode Psychodrama erhöht die Transparenz und das Verständnis
für bestimmte Handlungen und Abläufe. Die Klärung der Verschwiegenheits-
pflicht und die Erläuterung der Verantwortlichkeiten der LeiterInnen und der
Gruppenmitglieder ermöglichen erst einen offenen und vertrauensvollen Um-
gang miteinander. Ebenso müssen Interaktionsformen besprochen werden, wie
zum Beispiel, ob man sich gegenseitig siezt oder duzt.ȱ
Die individuelle Erwärmung beginnt meist schon Stunden, manchmal sogar
Tage vor der eigentlichen Gruppensitzung. Viele TeilnehmerInnen machen sich
bereits auf dem Weg zum Ort des Zusammentreffens Gedanken darüber, wie die
Sitzung verlaufen könnte, was sie sich davon erwarten und erhoffen, aber auch,
wovor sie sich unter Umständen fürchten. Ebenso stimmen sich die LeiterInnen
auf die Gruppe ein, indem sie z.B. den Gruppenraum gestalten, den Prozess frü-
herer Gruppensitzungen Revue passieren lassen oder sich mögliche Szenarien für
die nun folgende Gruppensituation überlegen. Dies sollte aber mehr der Aktivie-
rung dienen als der Planung eines starren, fix vorgegebenen Programms, welches
der Spontaneität der LeiterInnen und einem gezielten Anpassen an die Bedürf-
nisse der Gruppe abträglich wäre.
Häufig beginnen protagonistInnenzentrierte Psychodramagruppen mit einer
Befindlichkeitsrunde, bei der die TeilnehmerInnen nach ihren derzeitigen Stim-
mungslagen, zurückliegenden Erlebnissen, ihren aktuellen Bedürfnissen und
Wünschen an die Gruppe oder ihren innerpsychischen Konflikten befragt wer-
den. Daraus kann sich oft schon ein Spielwunsch nach einer psychodramatischen
Inszenierung entwickeln und es kann sich die nächste ProtagonistIn herauskris-
tallisieren.
Da von solchen Automatismen jedoch nicht immer ausgegangen werden
kann, bedarf es zudem bestimmter Arrangements oder bestimmter Anwärmtech-
niken, die den Übergang in die Aktionsphase erleichtern.
Gerade in der Anfangsphase eines Gruppenprozesses benötigen die Teil-
nehmerInnen, um für ein ProtagonistInnenspiel ausreichend erwärmt zu sein,
zusätzliche Impulse, damit sich die teilnehmenden Personen besser kennenlernen
56 3 Psychodramatische Arrangements

können und ein Vertrauensverhältnis zwischen den einzelnen Gruppenmitglie-


dern aufgebaut werden kann. Ohne diese Vertrauensbasis ist ein in die Tiefe
gehendes Spiel nicht möglich. Aber auch in späteren Phasen eines Gruppenpro-
zesses können Anwärmtechniken hilfreich sein, um das Gruppenthema bzw.
individuelle Problematiken besser herausfiltern zu können.
Allgemein gilt, dass die eingesetzten Erwärmungen der aktuellen Lage der
Gruppe entsprechen sollten und nicht nach einem vorgefertigten Schema oder,
wie es Schwinger ausdrückt (1994: 9), „aus der Konserve“ eingesetzt werden, da
sonst der Gruppenprozess überlagert bzw. künstlich gelenkt würde. Um hier
möglichst situationsadäquat reagieren zu können, ist es günstig, wenn die Leite-
rInnen eine Vielfalt an Erwärmungstechniken in petto haben und diese angepasst
an die Lage der Gruppe einsetzen können.

FormenȱvonȱArrangements,ȱdieȱderȱErwärmungȱdienenȱ

Es gibt eine Vielzahl von Arrangements, die der Erwärmung dienen, und eine
ebensolche Mannigfaltigkeit in der Form ihrer Kategorisierung. Moreno bezeich-
nete sie als Starter:

ƒ KörperlicheȱStarter: Die Erwärmung erfolgt durch Bewegung oder eine Körperhaltung.


ƒ Mentaleȱ undȱ psychischeȱ Starter: Die Erwärmung kommt durch Gefühle, innere Bilder
oder infolge der Anregung durch andere Personen zustande.
ƒ ChemischeȱStarter: Diese Form von Startern wird im Kontext des Psychodramas nicht
verwendet; die Erwärmung würde durch chemische Stimulantien wie etwa Medika-
mente oder Alkohol hervorgerufen.

Tabelleȱ6: Systematik von Startern

ZeintlingerȬHochreiter (1996) unterteilt die verschiedenen Arrangements anhand


der Rollenkategorien. So unterscheidet sie Erwärmungsübungen, die auf die
somatische, die psychosomatische, die psychische, die soziale und die transzen-
dente Rollenebene abzielen. Andere PsychodramatikerInnen wie Vonȱ Ameln,ȱ
Gerstmann,ȱ Kramer (2005) kategorisieren wiederum die unterschiedlichen Arran-
gements nach dem Ziel, das mit ihnen verfolgt wird: ob sie dem Kennenlernen
dienen oder eine Vorbereitung auf die Aktionsphase darstellen, ob sie sich an
Einzelpersonen oder an die Gruppe richten, ob sie offen oder themenspezifisch
sind oder welcher Wahrnehmungsbereich damit angesprochen werden soll.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 57

ZumȱKennenlernenȱ

Offen Themenspezifisch

Ein Symbol oder Hilfsobjekt „Treffen im Märchenwald“


„stellt die TeilnehmerIn vor“.

ZurȱVorbereitungȱaufȱdieȱAktionsphaseȱ

Offen Themenspezifisch

Auf Einzelpersonen Darstellung der derzeitigen „Mein Familienalbum“


bezogen Befindlichkeit mittels eines
Symbols
Auf die Gruppe „Ein Abend in Madame Tus- Darstellung von typischen
bezogen sauds Wachsfigurenkabinett“ Strukturen in der Firma mittels
einer Vignette

Tabelleȱ7: Verschiedene Formen von Arrangements

Bei offenen Arrangements werden die TeilnehmerInnen zu einer Verlagerung


ihrer Aufmerksamkeit auf innerpsychische Prozesse angeregt, um einen Zugang
zu den Themen zu erhalten, die zu diesem Zeitpunkt ihr Leben beeinflussen.
„Was läuft in Ihrem Leben derzeit nach Plan? In welchen Lebensbereichen gibt es
Irritationen?“ Da die GruppenleiterIn bei dieser Form der Erwärmung die Auf-
merksamkeit der TeilnehmerInnen nicht auf einen bestimmten Brennpunkt rich-
tet, haben die Gruppenmitglieder die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Frage-
stellungen darzulegen. Es ist dann Aufgabe der Leitung, den Prozess der Zu-
sammenführung zu moderieren. Themenspezifische Techniken führen, wie der
Name bereits verrät, durch die Art der Vorgabe auf das Thema hin, wodurch die
oben beschriebene Problematik umgangen wird. Sie bieten aber weniger Vielfalt.
Des Weiteren unterscheidet man, wie in Tabelle 7 zu sehen, zwischen Tech-
niken, die den Schwerpunkt auf die Erwärmung von Einzelpersonen legen und
damit individuelle Themen stärker in den Mittelpunkt stellen, und solchen, die
die Gruppe als Ganze zu erreichen suchen, die für Begegnungen innerhalb der
Gruppe sorgen und damit die Gruppenkohäsion unterstützen.
Es wird auch zwischen Arrangements differenziert, die unterschiedliche
Wahrnehmungsbereiche ansprechen, wie kognitiveȱ oder emotionale Arrange-
ments (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).
Soll zum Beispiel eine Fortbildungsgruppe auf die Auseinandersetzung mit
einer bestimmten Thematik eingestimmt werden, ist es ratsam, eine Erwär-
mungstechnik zu benutzen, die auf einen kognitiven Wahrnehmungsbereich
58 3 Psychodramatische Arrangements

abzielt. Bei Selbsterfahrungsgruppen wird eher ein die Emotionen ansprechendes


Arrangement zum Einsatz kommen. Werden dabei gefühlsmäßig tiefliegende
Aspekte aktiviert, muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, dass diese auch
bearbeitet werden können.
Im Folgenden wird eine kleine Auswahl unterschiedlicher Arrangements
vorgestellt:

ArrangementsȱzumȱKennenlernenȱundȱzurȱStärkungȱderȱGruppenkohäsionȱ

SoziometrischeȱExplorationȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offenȱoderȱthemenspezifischȱsein/EmotiȬ
onenȱansprechend):ȱ

Ein Arrangement, das zum Kennenlernen der TeilnehmerInnen in psychodrama-


tischen Gruppen häufig angewendet wird, ist die SoziometrischeȱExploration (Frohn
1994: 83) oder Aktionssoziometrie. Hierfür sollen sich die GruppenteilnehmerInnen
zur Beantwortung spezieller Fragen in dem dafür vorgesehenen Bereichen des
Gruppenraumes zusammenfinden, z.B. zu folgenden Aspekten:

ƒ „Die TeilnehmerInnen, die vorher noch nie eine Psychodrama-Gruppe besucht haben,
stellen sich bitte auf die linke Seite des Raumes, jene, die bereits eine solche absolviert
haben, auf die rechte.“
ƒ „Personen, die in ihrer Freizeit am liebsten Sport treiben, gruppieren sich bitte hier,
solche, die gerne ausgehen, da, und jene, die es vorziehen, sich zu Hause zu entspannen,
bitte in diesem Bereich des Gruppenraumes aufstellen.“
ƒ „Die TeilnehmerInnen, die dieses Seminar aus eigenem Interesse besuchen, finden
sich bitte hier ein, jene, denen dieses Seminar von Seiten ihrer ArbeitgeberInnen nahe-
gelegt worden ist, stellen sich bitte auf diese Seite des Gruppenraums.“

Auf diese Weise können Lebensumstände, Hobbies, die Motivation, aber auch
Geburts- oder Wohnorte erfragt werden. Damit bietet diese Methode eine rasche
und meist auflockernde Orientierungsmöglichkeit, welche Erfahrungshinter-
gründe, Wünsche und Erwartungen die TeilnehmerInnen in die Gruppe mitbrin-
gen. Durch das Zusammenfinden in Kleingruppen kann in kurzer Zeit ein Gefühl
von Gemeinsamkeit und in Folge auch von Nähe entstehen. Die Gruppenmit-
glieder können etwas von sich zeigen, ohne dabei bereits einen tiefen Einblick in
ihre Persönlichkeit geben zu müssen. Dieses Arrangement bietet sich vor allem
für Gruppenstarts und Seminarbeginne an, es wird auch gerne in Organisations-
beratungen eingesetzt (vgl. Kapitel 6 Soziometrie).
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 59

VorstellungȱüberȱeinȱSymbolȱoderȱHilfsobjektȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/Emotionenȱ
ansprechend):ȱ

Dafür wählen die TeilnehmerInnen einen Gegenstand, den sie mit sich führen
und der für sie von Bedeutung ist, wie ein Kalender oder ein Schmuckstück. Es
können dafür aber auch Handpuppen aus dem Fundus der Leitung gewählt
werden. Dann übernehmen die Gruppenmitglieder die Rollen dieser Symbole
und stellen sich selbst aus dieser Rolle heraus vor.

„Ich bin der Kugelschreiber von Helga. Sie hat mich als Abschiedsgeschenk von ihren
KollegInnen erhalten, als sie in die neue Abteilung gewechselt ist. Helga hält mich
sehr in Ehren und hat mich immer mit dabei, deshalb kann ich euch auch viel über sie
erzählen. Sie ist …“
Die anderen Gruppenmitglieder werden aufgefordert, mit dem ausgewählten Gegens-
tand in Kontakt zu treten und Fragen zur Person zu stellen. „Kugelschreiber, du
kennst Helga ja sehr gut, du kannst uns sicher berichten, wie Helga so lebt, was sie be-
ruflich macht und ob sie einen Partner und Kinder hat.“

Durch dieses Arrangement kann man ohne allzu große Überwindung in die Welt
des Psychodramas eintauchen und sich mit der Methode des Rollenwechsels
vertraut machen. Außerdem ist es, etwa für gehemmtere TeilnehmerInnen, leich-
ter, sich aus einer Außenperspektive heraus vorzustellen. Einen Gegenstand in
der Hand zu halten, kann im wahrsten Sinne des Wortes Halt bieten.

Julian besucht zum ersten Mal eine psychodramatische Jahresgruppe. In der ersten
Sitzung stellt er sich anhand seines Terminkalenders vor:
„Ich bin der Filofax von Julian. Julian geht selten ohne mich aus dem Haus, er ist näm-
lich sehr gewissenhaft und verlässlich, er kommt so gut wie nie zu spät, und in all den
Jahren, in denen ich ihn begleitet habe, habe ich es noch nie erlebt, dass er einen Ter-
min vergessen hat. Früher hat er in mir auch private Treffen und Ereignisse notiert.
Jetzt sind solche fast gar nicht mehr zu finden. Das ist seit einem guten halben Jahr so.
Seit dieser Zeit schläft er sehr schlecht, grübelt viel und fühlt sich gar nicht wohl. Die
Gruppe besucht Julian, weil er etwas gegen seinen niedergeschlagenen Zustand un-
ternehmen möchte. Außerdem möchte er lernen, sich etwas besser abzugrenzen.“

ErweitertesȱBefindlichkeitsbildȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/Emotionenȱansprechend):ȱ

Für dieses von Hintermeier, einer österreichischen Psychodramatikerin, entwickel-


te Arrangement haben die TeilnehmerInnen einige Minuten Zeit, ihre aktuelle
Befindlichkeit abstrakt oder gegenständlich zeichnerisch darzustellen. Zur Un-
termalung und Einstimmung kann Musik gespielt werden. Die Leitung sollte den
60 3 Psychodramatische Arrangements

TeilnehmerInnen vermitteln, dass es bei dieser Übung nicht wichtig ist, beson-
ders schön zu zeichnen, sondern dass die kreative und emotionale Ausein-
andersetzung im Mittelpunkt steht. Wenn die vereinbarte Zeit zu Ende ist, wird
die Zeichnung an das nächstsitzende Gruppenmitglied weitergereicht. Dieses hat
nun zwei Minuten Zeit, das hinzuzufügen, wozu es angesichts des bereits Abge-
bildeten inspiriert wurde. Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle Teil-
nehmerInnen auf jedem Werk etwas hinzugefügt haben. Dann erhalten die Per-
sonen ihr ursprünglich von ihnen gestaltetes Exemplar zurück. In der Bespre-
chungsphase können die TeilnehmerInnen berichten, was sie beim Betrachten
dieses nun neuen und veränderten Bildes empfinden, was ihnen gefällt und wel-
cher Aspekt dieser Zeichnung ihnen weniger behagt. Sie können auch die ande-
ren Anwesenden fragen, was sie bewegt hat, das Bild derart zu verändern oder
dieses und jenes hinzuzufügen.

„Mir gefällt das Bild in seiner neuen Form im Großen und Ganzen sehr gut, es ist viel
farbenfroher und ausdrucksstärker geworden. Für das ursprüngliche Bild habe ich
vorwiegend Pastellfarben verwendet, die sollten meine Unsicherheit und meine Angst
vor dieser neuen Gruppensituation darstellen. Besonders gut gefällt mir diese Blu-
mengirlande, etwas irritiert mich aber die schwarze Träne, wer hat sie gezeichnet?
Was wolltest du damit ausdrücken?“

Mit diesem Arrangement soll den TeilnehmerInnen vermittelt werden, dass


Gruppentherapie mehr ist als Einzeltherapie in einem Gruppenkontext. Denn
das, was die TeilnehmerInnen durch ihre Ansichten, Wesensarten und Vorge-
hensweisen in die Gruppe einbringen oder durch die Gruppe an Veränderungen
erleben, kann wiederum Einfluss auf jedes einzelne Gruppenmitglied und auf die
Gruppe selbst haben. Es ist aber auch wichtig, dass den TeilnehmerInnen vermit-
telt wird, dass sie nicht alle Anmerkungen oder Feedbacks der anderen anneh-
men müssen, sondern Inputs auch ablehnen können.
Für die Leitung stellt dieses Arrangement ein gutes Diagnosekriterium dar.
Die Sensibilität, die die TeilnehmerInnen beim Hinzufügen eigener Aspekte in
die fremden Bilder an den Tag legen, spiegelt sich oft im Umgang mit den ande-
ren Gruppenmitgliedern wider.

EinȱTreffenȱimȱMärchenwaldȱ(aufȱGruppeȱbezogen/themenspezifisch/Emotionenȱ
ansprechend):ȱ

Bei themenspezifischen Seminaren wie zum Beispiel einem Märchenseminar


kann dieses Gruppenspiel zum besseren Kennenlernen und zur Einstimmung auf
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 61

die Thematik dienen. Die Bühne wird imaginär zu einem Märchenwald gestaltet,
zur besseren Veranschaulichung können Requisiten herangezogen werden. Dann
werden die einzelnen TeilnehmerInnen dazu angeregt, sich zu erinnern, welches
Märchen sie als Kind am meisten in den Bann gezogen hat, mit welcher Märchen-
figur sie sich am stärksten identifiziert haben oder welches Märchenwesen für sie
eine abstoßende Wirkung hatte. In der Rolle einer dieser Märchengestalten sollen
sie nun auf die Bühne treten und mit den anderen Figuren, die auch nach und
nach den Märchenwald besuchen, interagieren. Für in der Methode des Psycho-
dramas ungeübte Personen stellt es eine Erleichterung dar, wenn dabei das Tref-
fen dieser Figuren unter ein bestimmtes Motto gestellt wird und über dieses dis-
kutiert werden kann, wie z.B. „Rettet den Märchenwald“. Im Anschluss wird
über die Rollenwahl und die in diesem Spiel gemachten Erfahrungen reflektiert.

Peter: „Für mich war klar, dass ich als Zwerg den Märchenwald betreten werde. Mich
faszinierten die Zwerge bei Schneeweißchen und Rosenrot immer sehr. Auf der einen Sei-
te waren sie mir unheimlich, weil sie unter der Erde lebten und dort tief verborgen ihre
Schätze bewachten. Auf der anderen Seite beeindruckte mich, dass sie sich, obwohl ih-
nen geholfen wurde und sie sich eigentlich hätten bedanken müssen, über den durch
die Hilfestellung entstanden Schaden, wie den abgeschnittenen Bart, beklagten. Als
Zwerg habe ich in der Diskussion um den Erhalt des Märchenwaldes beinhart meine
eigenen Interessen vertreten, ohne auf die Wünsche und Bedürfnisse der anderen auch
nur ein Stück weit einzugehen. Als Peter würde ich so nie auftreten.“

ArrangementsȱzurȱErwärmungȱfürȱdieȱAktionsphaseȱ

EinstiegsrundeȱmitȱderȱUnterstützungȱeinesȱSymbolsȱoderȱIntermediärȬObjektesȱ(aufȱ
Einzelpersonȱbezogen/offen/Emotionenȱansprechend):ȱ

Hierzu werden die TeilnehmerInnen gebeten, sich im Gruppenraum ein Symbol


wie z.B. etwa eine spezielle Ansichtskarte aus der Sammlung der LeiterIn oder
einen Gegenstand aus dem Gruppenraum auszuwählen, der ihrer derzeitigen
Stimmung am ehesten entspricht oder das Thema verkörpert, mit dem sie sich
gerade am intensivsten auseinandersetzen. Dieses Symbol wird vom spanischen
Psychodramatiker RojasȬBermúdezȱ (Prucknerȱ 2004: 267) als IntermediärȬObjekt be-
zeichnet, weil es die Person dabei unterstützt, innerpsychische Probleme, die
manchmal schwer in Worte zu fassen sind, nach außen zu tragen.

Julian hat einen Tannenzapfen gewählt: „Mir ist dieser Tannenzapfen sofort ins Auge
gestochen. Mit ihm verbinde ich einen unbeschwerten Spaziergang im Wald. Wie
62 3 Psychodramatische Arrangements

schön wäre es, einfach abschalten zu können und nur den Waldgeruch in der Nase zu
spüren. Derzeit habe ich unheimlich viel Stress in meinem Job. Meine Vorgesetzten
üben ständig Druck auf mich aus, weil das Projekt im nächsten Monat abgeschlossen
sein soll. Außerdem hatte ich einen Streit mit meiner Mutter. Vor einer Woche stand
sie ganz plötzlich ohne Vorankündigung in meiner Wohnung – sie hat ja einen Zweit-
schlüssel – da bin ich zum ersten Mal so richtig ausgerastet und habe sie angebrüllt.
Sie hat sich so aufgeregt, dass sie fast keine Luft mehr bekam und sich starke Schmer-
zen im Herzbereich einstellten. Ich musste den Notarzt rufen. Jetzt habe ich ein
schlechtes Gewissen. Ich befürchte, dass ich zu heftig reagiert habe.“

MeinȱFamilienalbumȱ(aufȱEinzelpersonȱbezogen/themenspezifisch/Emotionenȱ
ansprechend):ȱ

Die TeilnehmerInnen sollen auf das Thema, das den Schwerpunkt dieser Grup-
pensitzung oder des Seminars bildet, eingestimmt werden. Steht zum Beispiel die
Auseinandersetzung mit der Ursprungsfamilie im Brennpunkt dieser Zusam-
menkunft, können die Gruppenmitglieder aufgefordert werden, bedeutsame
Fotos aus ihrem Familienalbum mitzubringen und diese der Gruppe zu präsen-
tieren. Welchen Stellenwert haben diese Fotografien, welche Erinnerungen und
Gefühle lösen sie aus? Dies kann auch imaginativ ablaufen; in diesem Fall be-
schreiben die jeweiligen Gruppenmitglieder die für sie bedeutsamen Familienfo-
tos so detailreich wie möglich.

Klara: „Auf dem ersten Foto seht ihr meine Urgroßeltern im Kreise ihrer sechs Kinder
abgebildet, es ist schwarz-weiß und schon etwas vergilbt. Mein Urgroßvater trägt ei-
nen Schnauzbart und blickt sehr streng. Meine Urgroßmutter sitzt im hochgeschlosse-
nen Spitzenkleid neben ihm, auf ihrem Schoß thront der jüngste Sohn, das war mein
Großvater. Auch ihr scheint man kein Lächeln entlocken zu können … Dieses Bild
drückt für mich die unbeugsame Strenge und die Unfähigkeit, Liebe zu zeigen, aus,
Wesenszüge, die in der Familie meines Vaters vorherrschend und auch in seinem
Verhalten mir gegenüber zeitweise spürbar waren.“

StegreifȬȱoderȱGruppenspielȱalsȱArrangementȱderȱErwärmungȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/ȱ
Emotionenȱansprechend):ȱ

Stegreif- oder Gruppenspiele als Erwärmung dienen dem Kennenlernen der Me-
thode, dem Sich-Einlassen auf die Einnahme einer Rolle und natürlich der Grup-
penkohäsion. Die Beweggründe, die zur Rollenwahl geführt haben, und die Er-
fahrungen, die während der Rollenübernahme gesammelt wurden, können den
Anstoß zu einem protagonistInnenzentrierten Spiel geben.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 63

Hierfür gibt die Leitung nur ein Motto vor, das den Rahmen des nachfol-
genden Spiels bietet, wie z.B. „Eine Nacht in Madame Tussauds Wachsfigurenka-
binett, in der die Figuren zum Leben erweckt werden“, oder „Ein Marktplatz im
Mittelalter“ oder „Gestrandet auf einer einsamen Insel“. Die Gruppenteilnehme-
rInnen können eine wie immer geartete Rolle wählen, die sie in diesem Spiel
verkörpern wollen. Die einzige Voraussetzung ist, dass mit der gewählten Rolle
ein Bezug zum Thema hergestellt werden kann, zum Beispiel die Königin Victoria
im Wachsfigurenkabinett oder der Henker in der mittelalterlichen Szene oder der
Indigene auf der einsamen Insel. Die Handlung ist meist nicht vorgegeben, son-
dern entwickelt sich aus der Fantasie der MitspielerInnen oder entsteht aus der
Interaktion mit den anderen Beteiligten. Die Dauer des Gruppenspiels hängt
davon ab, ob neue Impulse hinzukommen oder ob sich die Handlungsabläufe
wiederholen. Das Ende eines Gruppenspiels wird von der Gruppenleitung vor-
gegeben, wobei die SpielerInnen im Vorfeld auf das baldige Ende aufmerksam
gemacht werden sollten. „Die ersten Lichtstrahlen dringen durch die Gardinen
des Wachsfigurenkabinetts. Langsam müssen die einzelnen Figuren wieder ihre
ursprüngliche Position einnehmen und erstarren“ oder „Ein Schiff nähert sich der
einsamen Insel. Die Rettung der Gestrandeten ist nahe.“
Aus diagnostischer Sicht kann ein Gruppenspiel Auskunft über die Persön-
lichkeitsstruktur einzelner TeilnehmerInnen sowie über die Stellung der Mitglie-
der im Gruppengeflecht geben. Lenkt die Person, die das Kommando auf der
einsamen Insel innehat, auch die Gruppendynamik im realen Gruppenkontext?
Steht der Mitspieler, der sich zum Suchen von Feuerholz zurückzieht, auch sonst
etwas außerhalb des Gruppengeschehens? Mehr zu Gruppenspielen folgt in Ab-
schnitt 3.3.

DarstellungȱeinesȱProblembereichsȱmittelsȱeinerȱVignetteȱ(kurzes,ȱausȱeinerȱeinzigenȱ
SzeneȱbestehendesȱSpiel):ȱ

Die GruppenteilnehmerInnen werden aufgefordert, sich in Zweier- oder Dreier-


gruppen zusammenzufinden. Sie sollen sich zum Beispiel darüber austauschen,
welche strukturellen Veränderungen der letzten Jahre zu einer Verbesserung der
Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen geführt haben. In Form einer kurzen
Szene sollen sie danach diese Veränderung den anderen GruppenteilnehmerIn-
nen zeigen.

War der Einsatz dieser Arrangements erfolgreich, sind die Aktivierungsniveaus


der einzelnen TeilnehmerInnen gestiegen, die Gruppe hat sich zu einer tragfähi-
gen Einheit formiert und das Vertrauen in die Leitung ist gefestigt. Der Zugang
64 3 Psychodramatische Arrangements

zu den derzeitigen Befindlichkeiten und der aktuellen Thematik ist geschaffen.


Nun muss entschieden werden, welches Thema bearbeitet wird, welche Arbeits-
form gewählt wird, welche Person als ProtagonistIn zum Zug kommt und in
welcher Form deren Fragestellung inszeniert wird.

DieȱWahlȱderȱArbeitsformȱ

Aus den Begebenheiten während der Erwärmungsphase sollte ersichtlich wer-


den, welche weitere Vorgehensweise angebracht wäre und von welcher Arbeits-
form die Gruppe am meisten profitieren könnte. Zur Wahl steht ein gruppenzentȬ
riertesȱoder ein protagonistInnenzentriertesȱSpiel. Woran erkennt die Psychodrama-
LeiterIn, welche Arbeitsform eingesetzt werden sollte?
Ein Gruppenspiel bietet sich dann an, wenn Fragestellungen, die sich aus dem
Gruppenthema ergeben, durch ein solches am besten bearbeitet und beantwortet
werden können, wenn die Gruppe zur Aktivierung für ein protagonistInnenzent-
riertes Spiel noch eine weitere Phase der Erwärmung benötigt oder wenn die
Gruppenkohäsion verstärkt werden soll (Genaueres über die Gestaltung eines
Gruppenspiels unter 3.3).
Ist eine oder sind mehrere TeilnehmerInnen dazu erwärmt, ihre Problem-
stellung auf der psychodramatischen Bühne zu bearbeiten, ist ein ProtagonistIn-
nenspiel angesagt. In diesem Fall muss als erster Schritt entschieden werden,
welche Person und welche Thematik in weiterer Folge in den Mittelpunkt des
Geschehens rückt. Hierbei gibt es verschiedene Vorgehensweisen, die im Folgen-
den dargestellt werden.

DieȱWahlȱderȱProtagonistInȱ

Zunächst wird die LeiterIn die einzelnen Gruppenmitglieder fragen, wer sein
oder ihr Anliegen mittels psychodramatischer Inszenierung klären möchte.
Dabei ist darauf zu achten, dass die in Frage kommende Person für die Be-
arbeitung der Thematik ausreichend erwärmt ist. Das bedeutet nicht nur, dass die
Person bereit sein muss, ihre Problematik szenisch auf der Bühne darzustellen,
sondern auch, dass sich aus der Thematik eine bestimmte Fragestellung ergeben
hat, deren Beantwortung für sie hilfreich wäre. Ist diese noch etwas diffus und
damit nicht ganz greifbar, spielt dies zunächst keine Rolle; jedoch sollte in solch
einer Lage die TeilnehmerIn die Bereitschaft zeigen, sich auf den nachfolgenden
Prozess einzulassen, sich also in der Spontaneitätslage befinden. Sind diese Fak-
toren nicht gegeben, kann die folgende psychodramatische Inszenierung in der
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 65

Regel nicht die gewünschte Antwort bieten und der erwartete Erfolg bleibt mög-
licherweise aus. Von großer Bedeutung ist, dass auch die Gruppenmitglieder für
die jeweilige Thematik erwärmt sind, denn die Gruppe muss der ProtagonistIn
bei der Lösung ihrer Problematik den nötigen Resonanzboden zur Verfügung
stellen und ihr Schutz bieten.
Oft sind mehrere TeilnehmerInnen einer Gruppe für ein psychodramati-
sches Spiel erwärmt. Einige äußern diese Bereitschaft nicht verbal, sondern auf
somatische Weise, indem sie etwa unruhig auf ihrem Stuhl hin- und herrutschen,
schwitzen oder indem sich ihre Gesichtsfarbe verändert. Auch solche „körperli-
chen Andeutungen“ können von der Leitung zum Anlass für eine Einladung
zum Spiel genommen werden (HollensteinȬBurtscher 2004).

HilfsmittelȱzurȱUnterstützungȱdesȱEntscheidungsprozessesȱ

Wenn mehrere Gruppenmitglieder einen Spielwunsch äußern, muss das Augen-


merk besonders auf den Gruppenprozess und die Bedeutsamkeit der angebotenen
Themen für die Gruppe selbst gelegt werden. Bestimmte Vorgehensweisen können
bei der Auswahl der geeignetsten ProtagonistInnen eine Unterstützung bieten.
Klassischerweise wird die Methode der soziometrischenȱ Wahl eingesetzt. Hierfür
verändern die potentiellen ProtagonistInnen ihre Sitzposition, indem sie sich in das
Innere des Stuhlkreises begeben und in kurzen Sätzen ihr Anliegen und ihre Frage-
stellung beschreiben. Nun können die übrigen Gruppenmitglieder ihre Wunsch-
kandidatInnen wählen, indem sie sich hinter das Gruppenmitglied stellen, bei des-
sen Fragestellung sie am stärksten mitschwingen können. Das Gruppenmitglied,
dessen Thematik die meisten Gruppenmitglieder berührt hat, wird bei diesem
Vorgehen die nächste ProtagonistIn. Um die nicht gewählten potentiellen Protago-
nistInnen zu entlasten, können die LeiterInnen erwähnen, dass es sich hierbei um
eine Themenwahl handelt. „DieȱEntscheidungȱgiltȱnurȱfürȱdenȱjetzigenȱZeitpunkt.ȱWirȱ
werdenȱ vielleichtȱ späterȱ verstehen,ȱ warumȱ diesesȱ Themaȱ (nicht die gewählte Person
nennen!)ȱ geradeȱ jetztȱ zumȱ Zugȱ kam.“ Die Nicht-Gewählten sollten gefragt werden,
was diese Entscheidung bei ihnen auslöst. Liegt eine Kränkung oder eine große
Verunsicherung vor, sollte dies vor dem ProtagonistInnenspiel geklärt werden, da
dieser Konflikt die Inszenierung überlagern könnte.
Eine andere Möglichkeit zur Bestimmung der nächsten ProtagonistIn besteht
darin, die GruppenteilnehmerInnen ihren Grad der Erwärmung darstellen zu las-
sen. Dafür sollen diese je nach Erwärmungsgrad ihre Sitzposition in das Innere des
Kreises verlagern: TeilnehmerInnen, die keinen Spielwunsch haben, bleiben mit
ihren Stühlen am Platz, diejenigen, die ihrer Problematik durch ein psychodramati-
66 3 Psychodramatische Arrangements

sches Spiel auf den Grund gehen wollen, begeben sich so weit in Richtung Kreis-
mittelpunkt, wie sie sich selbst für ein ProtagonistInnenspiel bereit empfinden.

Abbildungȱ15: Wahl einer ProtagonistIn14

Diese Methode kann auch Anwendung finden, wenn die GruppenteilnehmerIn-


nen wenig Spielbereitschaft zeigen oder noch Angst vor der „Ungewissheit der
Konsequenzen“ eines psychodramatischen Spiels haben. Dann kann man jene
Personen, die zumindest ein wenig mit einem ProtagonistInnenspiel liebäugeln,
dazu einladen, dies dadurch kundzutun, dass sie zum Beispiel ihre Beine in Rich-
tung Kreismitte strecken. Gerade zu Beginn eines Gruppenprozesses ist das Set-
zen solcher Zeichen etwas leichter als das verbale Äußern eines Spielwunsches.
Manchmal empfiehlt es sich, dass die LeiterIn einzelne Gruppenmitglieder di-
rekt darauf anspricht, ob bei ihnen ein Spielwunsch vorliegt. Das ist dann notwen-
dig, wenn TeilnehmerInnen bei der vorhergehenden ProtoganistInnenwahl nicht
zum Zug gekommen sind oder wenn sie im ProtagonistInnenspiel die Rolle der
AntagonistIn oder einer anderen sehr belastenden Rolle innehatten. Auch wenn die
Leitung den Eindruck hat, dass eine Person bereits sehr erwärmt ist, aus einem wie
auch immer gearteten Grund aber davor zurückscheut, ihre Thematik zu bearbei-
ten, sollte sie ihre Wahrnehmung rückmelden.
Wenn die Entscheidungsfindung abgeschlossen ist und die ProtagonistIn
feststeht, kann zur Spiel- oder Aktionsphase übergegangen werden.

14 Gezeichnet von Schönberger (2010)


3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 67

In unserem Fallbeispiel wurde Julian mittels soziometrischer Wahl von der


Mehrheit der GruppenteilnehmerInnen zum Protagonisten gewählt.

3.1.2 DieȱSpielȬȱoderȱAktionsphaseȱ

„Die Aktionsphase bietet den Rahmen


für die therapeutische oder beraterische Intervention.“
VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ(2005: 144)ȱ

ZieleȱderȱSpielȬȱoderȱAktionsphaseȱ

Das erste Teilziel der Aktionsphase ist, das eigentliche Thema der ProtagonistIn
und damit verbundene Problematik zu erfassen, zu konkretisieren und daraus
einen Arbeitsauftrag zu formulieren. Erst daraus wird ersichtlich, welcher Teilbe-
reich der „inneren Bühne“ auf die für andere sichtbare, psychodramatische Büh-
ne transferiert werden soll. Durch dieses Erfahrbar-Machen wird der Protagonis-
tIn ermöglicht, die Thematik aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten.
Es erlaubt aber auch ein tiefes emotionales Eintauchen, wodurch der Problematik
der ProtagonistIn auf den Grund gegangen werden kann.

Abbildungȱ16: Ziele der Aktionsphase

Die Hauptaufgabe der LeiterIn während der Aktionsphase eines protagonistIn-


nenzentrierten Spiels ist es, die ProtagonistIn mit Hilfe psychodramatischer
68 3 Psychodramatische Arrangements

Techniken so weit zu begleiten und zu unterstützen, dass sie Auswege aus der
Situation erkennt und bereit ist, Lösungsmöglichkeiten zu erproben.

PhasenȱderȱAktionsphaseȱ

Abbildungȱ17: Phasen der Aktionsphase (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005)15

15 Gezeichnet von Schönberger (2010)


3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 69

EröffnungȱderȱBühneȱ

Mit der Festlegung des Bühnenorts im Gruppenraum und der EröffnungȱderȱBühne


startet die Aktionsphase. Indem die ProtagonistIn die Bühne betritt, tritt sie aus
dem Gruppenkreis heraus und in den Handlungsraum des psychodramatischen
Interviews und in weiterer Folge in den Handlungsraum der Szene hinein (vgl.
VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005: 145).
Der Protagonist Julian betritt nun gemeinsam mit der Therapeutin den vor-
her festgelegten Bühnenbereich.

ErfassungȱderȱThematikȱ

Bevor es zum eigentlichen psychodramatischen Spiel kommt, findet eine Explora-


tion in Form eines Interviews statt. Dabei bewegt sich die Psychodrama-LeiterIn
in der Regel mit der ProtagonistIn durch den Bühnenraum, wiederholt die Frage-
stellung und klärt folgende Punkte:

ƒ Welche Themenbereiche umfasst die Fragestellung?


ƒ Gibt es innere Bilder oder Szenen zu diesem Thema?
ƒ Welche Wünsche existieren für und an das Spiel?
ƒ Was soll das Ziel der Inszenierung sein?

Tabelleȱ8: Fragen zur Erfassung der Thematik

Durch das empathische Nachfragen und Mitschwingen der LeiterIn vertieft sich
das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden. Das erleichtert es der Protagonis-
tIn, die Fragestellung mit all ihren Facetten darzulegen. So erhält die TherapeutIn
neben objektiven Angaben (z.B. welche Personen an dem Problem beteiligt sind)
und subjektiven Auskünften (z.B. Stärke des Leidensdrucks) auch szenische Infor-
mationen: wie sich zum Beispiel die Körperhaltung verändert, während die Pro-
tagonistIn die Geschehnisse schildert (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer,ȱ2005).

Therapeutin: „Julian, du hast angekündigt, dass du dir in dieser psychodramatischen


Inszenierung die Beziehung zu deiner Mutter näher ansehen möchtest. Kannst du uns
einen Einblick in eure Form der Beziehung gewähren?“
Julian: „Ich bin das einzige Kind meiner Mutter, und ich war immer ihr Ein und Alles.
Sie hat mir alles ermöglicht, war aber auch sehr streng, und ich musste mich stets gut
benehmen. Mein Vater hatte ein Alkoholproblem und hat sich wenig um uns geküm-
mert, er hatte auch einige Affären. Er ist vor sechs Jahren nach langer Krankheit ge-
storben, meine Mutter hat ihn sehr aufopfernd gepflegt. Seit dem Tod meines Vaters
70 3 Psychodramatische Arrangements

versucht sie ständig mit mir in Kontakt zu treten, sie dringt immer mehr in mein Le-
ben ein.“
Therapeutin: „Kannst du genauer beschreiben, wie deine Mutter in dein Leben ein-
dringt? Kannst du uns ein Beispiel nennen, wie das vor sich geht?“
Julian: „Meine Mutter telefoniert jeden Tag mit mir, manchmal auch mehrmals täglich.
Sie möchte ständig wissen, wie es mir geht und was ich so unternehme. Für sie ist es
selbstverständlich, dass ich immer für sie da sein sollte. Ich habe ja schon erzählt, dass
wir, weil sie vor Kurzem unangekündigt bei mir erschienen ist, einen heftigen Streit hat-
ten, der mit einer Spitalseinweisung aufgrund einer Panikattacke ihrerseits endete.“
Therapeutin: „Welche Gefühle werden durch diese Situationen bei dir wachgerufen?“
Julian: „Auf der einen Seite mache ich mir große Sorgen um ihren gesundheitlichen Zu-
stand, und ich empfinde Mitleid, weil sie einsam ist, auf der anderen Seite bin ich sehr
wütend. Vor allem habe ich das Gefühl, dass mir die Hände gebunden sind. Sie wird
sich nach wie vor in mein Leben einmischen, und ich wage nun nichts mehr zu sagen,
weil ich Angst habe, dass ich schuld bin, wenn es ihr gesundheitlich schlecht geht.“
Während dieser Schilderung beobachtet die Therapeutin, wie Julians Körper sich ver-
krampft und sich der Ausdruck von Ratlosigkeit in seinem Gesicht breit macht.
Im Kontakt mit Julian nimmt sie eine Form der Aggression wahr, die schwer zu kana-
lisieren ist und dadurch unterdrückt werden muss.

Dieses Interview kann als erster Schritt der Problembearbeitung betrachtet wer-
den. Denn mit Hilfe einer strukturierenden Gesprächsführung wird die Fragestel-
lung klarer erkannt, nicht beachtete Emotionen, die mit der Problematik einher-
gehen, können gesehen und benannt werden. Dadurch verändert sich die Per-
spektive auf die dargestellte Lage.
In weiterer Folge klärt die LeiterIn gemeinsam mit der ProtagonistIn, wel-
chen Auftrag es zu bearbeiten gilt.

FormulierungȱdesȱAuftragesȱ

Hierbei wird entschieden, welches Ergebnis durch die psychodramatische Insze-


nierung erzielt werden soll. Es gilt: Je konkreter ein Auftrag formuliert wird,
desto eher können die eingesetzten Techniken und Interventionen auf diesen
abgestimmt werden und desto eher kann auch ein befriedigendes Resultat erzielt
werden. Wünsche, die an die Inszenierung gerichtet sind, sollten nicht zu allge-
mein gefasst sein, wie etwa „WieȱkannȱichȱmeinȱGlückȱfinden?“, zudem sollten sie
widerspruchsfrei sein. Aufträge, die lauten: „Ichȱ möchteȱ mirȱ dieȱ Problematikȱ mitȱ
meinemȱuntreuenȱEhemannȱgenauerȱansehen,ȱaberȱdiesesȱSpielȱsollȱmichȱemotionalȱnichtȱ
aufwühlen“, sind nur schwer zu erfüllen. Bei der Festlegung der Aufträge hat die
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 71

Leitung auch darauf zu achten, dass die Inszenierung und die damit verbundene
Problemlösung in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bewerkstelligen sind.

Therapeutin: „Was soll durch dieses Spiel erreicht werden? Was möchtest du erfahren
haben, wenn du heute Abend nach Hause gehst?“
Julian: „Ich möchte einen Weg finden, die nötige Distanz zu meiner Mutter zu be-
kommen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.“

Selbstverständlich ist die Klarheit des Auftrages keine unabdingbare Vorausset-


zung für ein ProtagonistInnenspiel: Zuweilen dient das Spiel zur Präzisierung
einer Fragestellung, die dann in einem weiteren Spiel angegangen werden kann.
Ebenso können ambivalente Wünsche der ProtagonistIn wie der obige „Ichȱmöchteȱ
mirȱ dieȱ Problematikȱ mitȱ meinemȱ untreuenȱ Ehemannȱ genauerȱ ansehen,ȱ aberȱ diesesȱ Spielȱ
sollȱ michȱ emotionalȱ nichtȱ aufwühlen“ zunächst szenisch dargestellt werden, um
dadurch den Widerspruch deutlich und veränderbar zu machen.

Interventionsplanungȱ

Aus den im Interview gesammelten Informationen soll die LeiterIn nun Annah-
men über die Hintergründe und Zusammenhänge der Problematik erstellen
(Hypothesenbildung), um daraus Prozessziele, zu entwickeln, die der Protagonis-
tIn erleichtern, schrittweise das eigentliche Auftragsziel zu erreichen. Auf diesem
Gerüst soll ein provisorischer Plan über eine mögliche Vorgehensweise verfasst
werden: also welche Prozessschritte gesetzt werden und welche Arrangements
dafür zum Einsatz kommen sollen. Die Prozessschritte sollten durch einen roten
Faden verbunden sein. Im Folgenden werden die einzelnen Punkte der Interven-
tionsplanung genauer beschrieben.

Hypothesenbildungȱ

Zeitgleich mit der Auftragsklärung bildet die Leitung Hypothesen darüber, wa-
rum die ProtagonistIn in dieser oder jener Situation so und nicht anders reagiert.
Ähnlich wie bei Klassifikationen von Störungsbildern im therapeutischen Format,
die dazu dienen, bestimmte Phänomene und Zustände besser zu verstehen und
einzuordnen, hat die Psychodrama-LeiterIn Deutungshilfen zur Verfügung, die
es ihr erleichtern, den Sachverhalt der ProtagonistIn besser erfassen zu können.
Buer (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005: 152) bezeichnet diese als InterpretationsȬ
folien: als theoretische Modelle, die ein Verstehen bestimmter Phänomene erleich-
72 3 Psychodramatische Arrangements

tern sollen. Den PsychodramatikerInnen dienen die Rollentheorie und die Spon-
taneitäts- und Kreativitätstheorie als ihre ureigensten Interpretationsfolien. Je
nach Vorlieben und Vorwissen der LeiterInnen können zusätzlich auch andere
Theorien und Modelle (z.B. entwicklungspsychologische oder feministische The-
orien, Kommunikationsmodelle etc.) herangezogen werden, mit deren Hilfe dia-
gnostische Hypothesen gebildet und Lösungsmöglichkeiten ins Auge gefasst
werden können (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).

Hypothese 1: Julian ist aufgrund seiner Erfahrungen mit seiner Mutter in seinem Rol-
lenrepertoire eingeschränkt. Die Rolle des erwachsenen Mannes, der sein Leben un-
abhängig von seiner Mutter gestaltet, konnte bisher kaum von ihm ergriffen werden.
Dadurch war es ihm nicht möglich, die nötigen Grenzen zu ziehen und seine eigenen
Bedürfnisse in ausreichendem Maß zu berücksichtigen.
Hypothese 2: Seine Spontaneität ist durch die frühere Strenge der Mutter und die
Reaktionsweise der Mutter zusätzlich beschnitten.
Hypothese 3: Julian verfolgt perfekte Ziele: „Ich möchte von allen wertgeschätzt und
geliebt werden“ und perfekte Vermeidungsziele: „Ich darf niemanden vergrämen und
gegen mich aufbringen.“

AbleitenȱvonȱProzesszielenȱ

Aus diesen Hypothesen lassen sich Prozessziele für die ProtagonistIn ableiten,
die ihr helfen, ihrem Auftragsziel ein Stück näherzukommen.

Im Falle von Julian könnte das sein:


ƒ Julian sollte erkennen, welche inneren Anteile und früheren Lebenserfahrungen für
sein Verhalten verantwortlich sind – Rollenanalyse – Erkennen von perfekten Zielen
ƒ Julian sollte im Perspektivenwechsel erfahren, was die Mutter in diesen Situationen
empfindet und was seine unterschiedlichen Reaktionen bei ihr auslösen – Perspekti-
venerweiterung
ƒ Julian sollte das Rollenverhalten erproben, das im Bezug auf seine Mutter für ihn
passend wäre – Rollenerweiterung
ƒ Stärkung des Rollenanteils, der Julian mehr Selbstbestimmtheit ermöglicht

FestsetzungȱbestimmterȱProzessschritteȱundȱihrȱDurchlaufenȱ

Um die Prozessziele erreichen zu können, muss die ProtagonistIn zuerst einzelne


Prozessschritte durchlaufen. Aus diesen Schritten ergeben sich die Arrangements
und psychodramatischen Techniken und Methoden, die in der Folge in unter-
schiedlicher Gewichtung zum Einsatz kommen können:
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 73

Prozessschritt 1: Durchspielen einer Situation, die für die geschilderte Problematik bei-
spielhaft ist, im therapeutischen Setting wäre dies die Symptomszene
Prozessschritt 2: Herausarbeiten, welche Erfahrungen (genetische oder Ursprungsszene),
Ängste, Wertvorstellungen und perfekten Ziele es sind, die die Prota-
gonIstin daran hindern, ihren Bedürfnissen und Anliegen nachzukom-
men
Prozessschritt 3: Erarbeiten von Handlungsalternativen
Prozessschritt 4: Zukunftsprobe
Prozessschritt 5: Erarbeiten von Maßnahmen, die einen Transfer ins reale Leben unter-
stützen könnten

FindenȱdesȱrotenȱFadensȱ

Die Abfolge der Prozessschritte entspricht einem „roten Faden“, der als implizi-
tes Drehbuch einer psychodramatischen Inszenierung dient, denn er bildet ein
methodisches Gerüst, an das sich die LeiterIn halten kann. Es handelt sich dabei
um kein starres Grundgerüst, vielmehr wird im Prozess immer wieder überprüft,
ob die Prozessziele und die daraus abgeleiteten Prozessschritte mit der inneren
Dynamik, den Wünschen und Bedürfnissen der ProtagonistIn übereinstimmen.
Die Psychodrama-LeiterIn muss sich bewusst sein, dass ihre diagnostischen
Hypothesen eben nur Hypothesen sind und damit nur Hilfskonstrukte darstel-
len, sowie bedenken, dass die ProtagonistIn als Individuum auf bestimmte Ereig-
nisse bzw. Umstände einzigartig reagiert. Stellt sich heraus, dass die Grundan-
nahmen nicht standhalten, muss die LeiterIn flexibel genug sein, Veränderungen
schnell vorzunehmen (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).

WahlȱderȱArrangementsȱ

Für die Umsetzung der einzelnen Prozessschritte muss das jeweils passende
Arrangement gefunden, also eine Entscheidung darüber getroffen werden, in
welcher Form die Thematik der ProtagonistIn auf die Bühne gebracht wird. Sol-
che Arrangements wären z.B. ein szenisches Spiel von biografischen oder fiktiven
Ereignissen, eine Vignette, eine Skulpturarbeit, der leere Stuhl, der Zauberladen
u.v.m. Mit Hilfe dieser Arrangements begibt sich die ProtagonistIn in eine
Surplus-reality. Denn in diesen verschieden gearteten Inszenierungen wird nicht
angestrebt, die objektive Realität widerzuspiegeln (was auch gar nicht möglich
wäre), sondern das subjektive Erleben der KlientIn. Darüber hinaus sind in einem
solchen Spiel Ereignisse möglich, die über die normale Lebensrealität hinausge-
hen, wie etwa das Erscheinen einer guten Fee, die einen Wunsch erfüllt.
74 3 Psychodramatische Arrangements

Häufig verwendete Varianten von Arrangements werden am Ende dieses


Abschnittes vorgestellt.
Im Falle Julians entscheidet sich die Therapeutin für den ersten Prozess-
schritt zu einer Reinszenierung eines biografischen Ereignisses: Julians Auseinan-
dersetzung mit seiner Mutter, die zu einer Spitaleinweisung der Mutter führte.

EinrichtenȱderȱBühneȱ–ȱSzenenaufbauȱ

Ist die Einstiegsszene festgelegt, wird zur Einrichtung der Bühne übergegangen.
Hierbei bieten einfache Fragen eine gute Orientierungshilfe:

ƒ Zu welchem Zeitpunkt findet die Szene statt?


ƒ Wo spielt sich die Szene ab?
ƒ Welche Personen sind daran beteiligt?
ƒ Welche Gegenstände sind von Bedeutung?
ƒ Wie ist die Atmosphäre?
ƒ Welche Stimmungslagen sind vorherrschend?
ƒ Welche Rollenanteile kommen zum Einsatz?

Tabelleȱ9: Einrichten der Bühne

Durch die Gestaltung der Bühne wird die ProtagonistIn weiter erwärmt. Die Lei-
tung wird mit der Szene vertraut, ebenso die MitspielerInnen und potentiellen
Hilfs-Iche. Als Erstes werden in der Regel Ort und Zeit abgefragt: Wo und wann
hat die Szene stattgefunden? Wer waren die beteiligten Personen? Nach diesem
Bericht wird die Bühne aufgebaut. Eine Decke kann Platzhalterin für ein Bett sein,
zwei Stühle können einen Eingang symbolisieren. Einige Dinge können auch ima-
giniert werden. „Anȱ dieserȱ Wandȱ hängtȱ dasȱ Hochzeitsbildȱ meinerȱ Elternȱ …“ oder:
„HierȱistȱeinȱFenster,ȱdurchȱdasȱmanȱaufȱeinenȱParkȱblicktȱ…“ Beim Szenenaufbau ist es
nicht wichtig, dass der Raum, in dem sich das Ereignis abgespielt hat, eins zu eins
auf die Bühne gebracht wird. Die Anzahl der Gegenstände auf der Bühne sollte so
gewählt werden, dass sich die ProtagonistIn, die MitspielerInnen und die Leitung
gut orientieren können, jedoch nicht durch eine allzu große Vielfalt vom Wesentli-
chen abgelenkt werden. Vor allem die Atmosphäre dieses Ortes sollte vermittelt
werden, also welche Ausstrahlung diese Umgebung für die ProtagonistIn hat und
welche Emotionen durch sie hervorgerufen werden. Die ProtagonistIn sollte durch
den Szenenaufbau im Hier und Jetzt der dargestellten Szene ankommen. Wie
ausführlich und detailreich die Szene exploriert und eingerichtet wird, hängt ne-
ben Indikationsfragen, auf die unter Techniken näher eingegangen wird, vom Mit-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 75

teilungsbedürfnis der ProtagonistIn und vom Leitungsstil ab. Manche LeiterInnen


zeigen beim Szenenaufbau eher ein spartanisches Vorgehen, andere legen beson-
deren Wert auf die Symbolisierung der Atmosphäre, wieder andere ermuntern die
ProtagonistIn, die Szene mit möglichst vielen Hilfs-Ichen anzureichern. Wenn
spezielle Gegenstände für den Szenenablauf von besonderer Bedeutung erschei-
nen, können diese durch MitspielerInnen dargestellt werden. Hier kann die
menschliche Fähigkeit genutzt werden, dass Informationen von einer Sinnesmoda-
lität in eine andere übertragen werden können.

Therapeutin: „Julian, du hast berichtet, dass sich die von dir gewählte Szene in deiner
Wohnung abgespielt hat. Wie sieht deine Wohnung aus? Welche Bereiche der Woh-
nung sind für diese Inszenierung von Bedeutung? Kannst du uns auf der Bühne einen
Einblick in sie gewähren?“
Julian: „Meine Wohnung besteht aus drei Zimmern. Für das Geschehen sind aller-
dings nur der Eingangsbereich und die Wohnküche wichtig. Vielleicht auch noch das
Schlafzimmer, in dem totales Chaos herrscht.“ Die Zimmer werden mit Seilen vonein-
ander abgegrenzt. Der Standort der Türen wird mit Tüchern dargestellt, die Fenster
werden angedeutet.
Therapeutin: „Welche Einrichtungsgegenstände spielen in dieser Szene eine Rolle?“
Julian: „Das Sofa, der Couchtisch und der Küchenbereich, da steht nämlich meine ita-
lienische Espressomaschine, die ein so angenehmes Aroma im Raum verbreitet. Das
liebe ich so an Tagen, an denen ich mich entspannen kann. Leider gibt es die bei mir
viel zu selten.“
Für das Sofa wird eine Matratze herangezogen, der Couchtisch wird durch einen Bei-
stelltisch verkörpert und der Küchenbereich durch eine Decke. Auf ihr thront die Kaf-
feemaschine, die durch eine Vase symbolisiert wird. Der Geruch des frisch gebrühten
Kaffees wird imaginiert. Das „Chaos“ repräsentieren Tücher.

WahlȱderȱHilfsȬIcheȱ

Die ProtagonistIn wählt beim Szenenaufbau auch die in der Szene vorkommen-
den InteraktionspartnerInnen aus dem Pool der GruppenteilnehmerInnen. Diese
werden so zu Hilfs-Ichen, die im Rahmen der Inszenierung die beteiligten Perso-
nen darstellen. Sie können aber auch StellvertreterInnen für Gefühle, Rollenantei-
le oder Metaphern sein, die in konkretisierter Form dargestellt werden, wie z.B.
eine „zugeschnürte Brust“ oder „ein ständiger Beobachter“.
Die Wahl der Hilfs-Iche folgt meist der unbewussten Wahrnehmung der TeleȬ
beziehung zwischen ProtagonistIn und Gruppenmitgliedern. Gewählte Teilnehmer-
Innen haben das Recht, die Rolle abzulehnen. Gründe für die Ablehnung könnten
zum Beispiel sein, dass die Rolle sie zu sehr an eigene Erfahrungen erinnert und die
76 3 Psychodramatische Arrangements

TeilnehmerIn befürchtet, dass sie in diesem Fall zu wenig auf die Bedürfnisse der
ProtagonistIn eingehen könnte, oder dass diese Rolle für die TeilnehmerIn zu nega-
tiv besetzt ist (zum Beispiel die Darstellung eines Gewalttäters). Die Entscheidung,
eine Rolle nicht übernehmen zu wollen, müssen die ProtagonistIn wie die LeiterIn
akzeptieren. Besonders konfliktträchtige, belastende oder sehr negativ besetzte
Rollen können auch von der Co-LeiterIn übernommen werden.

Therapeutin: „Wer von den anwesenden Gruppenmitgliedern könnte für diese Szene
die Rolle deiner Mutter übernehmen?“
Julian wählt zur Darstellung seiner Mutter Ulrike, eine Gruppenteilnehmerin, die um
die 60 Jahre alt ist und die Gruppe besucht, weil sie Probleme beim Eintritt in die Pen-
sionsphase hat. Ulrike willigt ein.
Therapeutin: „Jetzt brauchen wir noch die Rettungsmannschaft. Wie viele Personen
benötigen wir dafür?“
Julian: „Den Arzt und die Sanitäter.“
Therapeutin: „Wer wäre für diese Rollen passend?“

DieȱRolleneinführungȱderȱHilfsȬIcheȱ

Die gewählten MitspielerInnen oder Hilfs-Iche benötigen Informationen über die


jeweilige Person, die sie in der Szene verkörpern sollen. Dazu müssen sie etwa
erfahren, wie die Person heißt, deren Rolle sie übernehmen sollen, wie alt sie ist,
welche Eigenschaften sie hat und wie die Beziehung zwischen ihr und der Prota-
gonistIn geartet ist. In Österreich wird dieser Vorgang als Einkleiden oder Einrol-
len der Hilfs-Iche bezeichnet, in Deutschland sind diese Ausdrücke nicht ge-
bräuchlich.
Die nötigen Hinweise können die Hilfs-Iche auf unterschiedliche Weise er-
halten:

ƒ Das Hilfs-Ich hat durch die in der Explorationsphase berichteten Zusam-


menhänge bereits ausreichende Informationen über die Wesenszüge und
Beziehungsqualitäten der darzustellenden Person erhalten, oder
ƒ die ProtagonistIn berichtet den Hilfs-Ichen, wie die von ihnen gespielten
Personen aussehen, wie sie sich verhalten und welche Persönlichkeitszüge
sie auszeichnen.
ƒ Eine weitere gebräuchliche Art der Rolleneinführung ist das Doppeln. Dazu
treten die ProtagonistInnen hinter das Hilfs-Ich und führen es mittels dieser
Technik in ihre Rolle ein. In der Ich-Form wird die darzustellende Person
beschrieben und mit ihren typischen Attributen versehen (Näheres siehe
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 77

Technik Doppeln). Dies wird zuweilen verdeutlicht, indem die Protagonis-


tIn der einzudoppelnden Person eine Hand auf die Schulter legt.
ƒ Das Hilfs-Ich kann aber auch mittels Rollenwechsel in die darzustellende
Person eingewiesen werden. Dabei übernimmt die ProtagonistIn für diesen
Moment die jeweilige Rolle, zeigt die für diese Person charakteristische Kör-
perhaltung und nennt die für sie typischen Sätze. Die Psychodrama-LeiterIn
befragt die ProtagonistIn, die für diese Zeit die Rolle – etwa der Antagonis-
tIn – eingenommen hat, zu ihrer (der eingenommen Rolle) Person.

Tabelleȱ10: Formen der Rolleneinführung (ZeintlingerȬHochreiterȱ1996)

Durch Nachfragen können die Hilfs-Iche weitere Informationen einholen, die sie
noch zur Einstimmung auf die Rollenübernahme benötigen. An die von der Pro-
tagonistIn vorgegebenen Rollenanweisungen sollten sich die Hilfs-Iche so eng
wie möglich halten.

Therapeutin: „Tritt bitte hinter Ulrike und beschreibe in der Ich-Form deine Mutter.“
Julian: „Ich bin Margarete, ich bin 69 Jahre alt. Vor sechs Jahren ist mein Mann gestor-
ben. Jetzt lebe ich alleine in meiner Wohnung. Der einzige Sinn, der mir in meinem
Leben geblieben ist, ist mein Sohn. Auf den bin ich sehr stolz, er ist sehr erfolgreich
und sehr fleißig. Da er noch immer keine Frau gefunden hat, muss ich mich um ihn
kümmern, schauen, ob es ihm gut geht und ob er auch gut versorgt ist. Als ich an die-
sem Sonntag zu Julian gekommen bin mit dem großen Korb voll Essen, habe ich die
Welt nicht mehr verstanden, ich hab’s ja nur gut mit ihm gemeint, wollte ihm Arbeit
abnehmen. Dass er mich so anbrüllt, habe ich unerhört gefunden, mit einer Mutter
spricht man nicht so. Habe ich nicht alles für ihn getan? Mich wundert es nicht, dass
ich darauf mit so einer Attacke reagiert habe.“
Ulrike: „Habe ich als Margarete irgendwelche Hobbys?“
Julian doppelnd: „Früher habe ich gerne gestickt, aber das kann ich aufgrund meiner
Sehschwäche nicht mehr. Jetzt sehe ich gerne fern, und manchmal treffe ich mich mit
meiner Freundin auf einen Kaffee.“

DieȱszenischeȱAktionȱ

Wird nun mit dem Spielen einer Szene begonnen, taucht die ProtagonistIn ein
weiteres Stück in die Surplus-reality der psychodramatischen Erlebniswelt ein.

Julian ist nun vorwiegend Sohn und nicht mehr Teilnehmer einer Psychodramagruppe
– Rollenwechsel, er verlässt den Gruppenraum und lässt sich in seiner eigenen Woh-
nung nieder – Raumwechsel, und die Zeit wird um einige Wochen zurückgedreht –
Zeitwechsel.
78 3 Psychodramatische Arrangements

Das Ziel eines psychodramatischen Spiels ist es, dass die ProtagonistIn die nach-
gestellten Szenarien so erlebt, als würden sie im Hier und Jetzt stattfinden. Je
stärker sie sich im Moment des Spiels in ihre Problematik einfühlen kann, desto
leichter werden die damit verbundenen Gefühle in ihr wachgerufen. Sie bilden
die Ausgangslage für weitere psychodramatische Interventionen: „Was empfin-
den Sie jetzt?“ – „Was benötigen Sie, damit Sie sich weniger ohnmächtig fühlen?“
Gleichzeitig wird durch dieses tiefe emotionale Eintauchen in das Erlebte verhin-
dert, dass die ProtagonistIn ihr Thema nur intellektualisierend betrachtet. Verän-
derungsprozesse stellen sich in der Regel erst dann ein, wenn die ProtagonistIn
aktiv im Hier und Jetzt angesprochen ist. Wenn die Veränderungen gelingen, ist
die Dissonanz zwischen den Problemen aus kognitiver Sicht und den emotiona-
len Empfindungen aufgelöst. Wenn die Person zwar erkennt, dass es wichtig
wäre, in bestimmten Lebensbereichen auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und
sich abzugrenzen, gleichzeitig aber emotional das Ziel verfolgt: „Ich möchte es
allen recht machen, um von allen geliebt zu werden“, wird sie zwar unter Um-
ständen einige Versuche in Richtung Durchsetzung der eigenen Bedürfnisse
starten, eine längerfristige Verhaltensänderung und damit eine Verbesserung der
psychischen Symptomatik wird aber vermutlich ausbleiben.
Die geäußerten Empfindungen können auch als Basis einer weiteren psy-
chodramatischen Intervention, nämlich der Konkretisierung, dienen. Hierbei wer-
den die von der ProtagonistIn beschriebenen Metaphern in konkrete Handlungen
umgesetzt, um die Situation und die damit einhergehenden Gefühle zu verdich-
ten. „In dieser Situation fühle ich mich, als wären mir die Hände gebunden.“ Die
Leitung nimmt ein Seil oder eine Schnur und bindet der ProtagonistIn die Hände
zusammen. Oder: „Ich fühle mich ständig beobachtet.“ Ein Hilfs-Ich wird heran-
gezogen, das die Rolle des „Ständigen Beobachters“ mimt.

DurchspielenȱderȱSzeneȱ

Die ausgewählte Szene wird zunächst so nachgespielt, wie die ProtagonistIn


diese in der Explorationsphase beschrieben hat. Kommt es zur Interaktion mit
Hilfs-Ichen, muss die LeiterIn darauf achten, dass die Dialoge so stattfinden, wie
die ProtagonistIn sie als stimmig erachtet. Trifft dies nicht zu, kommt es zu einer
Korrektur durch die ProtagonistIn. In diesem Fall wechselt die ProtagonistIn in
die jeweilige Rolle des Hilfs-Ichs und gibt so vor, was die Person in diesem Fall
sagen oder antworten würde. Dann kehrt sie wieder in ihre eigene Rolle zurück.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 79

Therapeutin: „Es ist Sonntag, 10 Uhr morgens. Wir befinden uns in Julians Wohn-
zimmer.“
Julian liegt auf der Couch, liest die Zeitung und nippt immer wieder von seinem Kaf-
fee. Da tritt die Mutter (gespielt von der Mitspielerin Ulrike) mit einem Korb ins
Wohnzimmer.
Julian: „Was machst du denn da?“
Ulrike: „Ich hab’ mir gedacht, ich bring’ dir schnell was zu essen vorbei, damit du
nicht kochen musst.“
Julian springt auf und geht zur Mutter.
Julian: „Das war aber nicht ausgemacht. Ich will dein Essen nicht!“
Ulrike: „Ich hab’s ja nur gut gemeint, ich bleibe auch nicht lange. Schau, dadurch hast
du weniger Arbeit.“
Therapeutin: „Passt das so?“
Julian: „Nicht ganz, meine Mutter reagiert etwas schärfer.“
Therapeutin: „Julian, kannst du Ulrike zeigen, wie deine Mutter reagiert? Wechselt
einmal die Rollen. Ulrike, kannst du als Julian seinen letzten Satz wiederholen?“
Julian nimmt die Rolle der Mutter ein.
Ulrike als Julian: „Das war nicht ausgemacht! Ich will dein Essen nicht!“
Julian als Mutter: „Wie sprichst du mit deiner Mutter?! Führ dich nicht so auf! Ich ha-
be nicht vor, lange zu bleiben, und ein anständiges Mittagessen hat noch niemandem
geschadet.“
Julian und Ulrike kehren wieder in ihre ursprünglichen Rollen zurück. Ulrike wieder-
holt den Satz, den ihr Julian vorgegeben hat.
Julian in der eigenen Rolle heftig: „Was nimmst du dir heraus, ich habe dich nicht um
deine Hilfe gebeten! Ich möchte dich nicht ständig um mich haben. Verschwinde aus
meinem Leben und komm nicht mehr wieder!“
Nach einem heftigen Wortwechsel simuliert Ulrike als Mutter die Herzattacke. Julian
verständigt den Notarzt. Die TeilnehmerInnen, die die Rettungsmannschaft darstel-
len, bringen sie ins Krankenhaus.
Therapeutin zu Julian: „Wie fühlst du dich?“
Julian: „Ich fühle mich unheimlich schuldig und gleichzeitig auch sehr wütend. Noch
dazu erlebe ich mich total ohnmächtig, ich habe das Gefühl, der Situation total ausge-
liefert zu sein.“
Therapeutin: „Erinnern dich diese Gefühle an etwas?“
Nun kommt es zu einem Szenenwechsel, denn Julian berichtet: „Ja, als ich klein war, so
ungefähr fünf, haben meine Eltern sehr viel gestritten, mein Vater war ja dem Alkohol
nicht abgeneigt und er hat auch immer wieder etwas mit anderen Frauen gehabt …“
In diesem Austausch wird ersichtlich, dass Julian sich für die Streitigkeiten der Eltern
und für die Reaktion der Mutter verantwortlich gefühlt hatte.

Durch eine Inszenierung treten meist neue Aspekte einer Problematik zu Tage.
Um diese neu gewonnenen Erkenntnisse besser kognitiv erfassen zu können,
80 3 Psychodramatische Arrangements

wann die ProtagonistIn aufgefordert werden die Spielebene zu verlassen. Ge-


meinsam mit der LeiterIn werden die gemachten Erfahrungen besprochen, dar-
auf aufbauend die weiteren Prozessziele bestätigt oder adaptiert und die zum
Einsatz kommenden Arrangements abgestimmt.

Im Fallbeispiel von Julian ändert sich ein Prozessziel. Jetzt steht die Tröstung des irri-
tierten und verängstigten Knabens im Vordergrund, der den erwachsenen Julian in
seiner Spontaneität und in seinem Rollenrepertoire einengt. Im gemeinsamen Suchen
nach einer Ressource, die ihm damals die Situation erleichtert hätte, wird eine neue
Szene entwickelt, bei der das Arrangement der Surplus-reality herangezogen wird.
Denn es genügt nicht, dass Julian kognitiv erfasst, dass er am Streit der Eltern keinen
Anteil hat, er muss es emotional erfahren. In dieser zweiten Szene übernimmt ein
Hilfs-Ich die Rolle eines Spielzeugbären (der für Julian ein wichtiges Übergangsobjekt
war), der in dieser Inszenierung sprechen kann. Er tröstet Julian und macht ihm die Si-
tuation verständlich.
Durch diese beiden szenischen Darstellungen sind bereits zwei Prozessziele erreicht
worden: die Rollenanalyse, durch die Julian erkennen konnte, welche inneren Anteile
und früheren Denkmuster für sein heutiges Verhalten mitbestimmend sind, und die
Tröstung früherer Verletzungen.
Offen sind noch die Perspektivenerweiterung, also die Betrachtung der Situation aus
den Augen seiner Mutter, und die Rollenerweiterung, die durch die Erprobung neuer
Verhaltensmuster erreicht werden kann.
Deshalb bietet die Therapeutin Julian an, seine bisher in diesem Spiel gemachten Er-
fahrungen zu nutzen und seine Bedürfnisse in einem Gespräch mit der Mutter einzu-
fordern. Als Arrangement wird die Zukunftsprobe eingesetzt.
Im klärenden Gespräch, das auf „neutralem Boden“ in einem Restaurant stattfindet,
legt Julian der Mutter seine Gefühle und Bedürfnisse dar. Er versucht, seine Anliegen
sehr sachlich vorzubringen, ohne dabei heftig zu werden. Durch Doppeln wird er sei-
tens der ZuschauerInnen und der Co-Leitung unterstützt. Dann tauscht er in die Rolle
der Mutter und erkennt durch diesen Perspektivenwechsel, dass seine Mutter nicht so
fragil ist, wie er bisher angenommen hat, und eine sehr mächtige Position innehat. Mit
diesen Erkenntnissen gewappnet, nimmt er wieder seine Rolle ein und kann nun viel
bestimmter und selbstbewusster seine Forderungen darlegen.

Abschlussȱ

Eine psychodramatische Aktion wird dann beendet, wenn die von der Protago-
nistIn gestellte Frage befriedigend beantwortet wurde. Manchmal ist ein Ende
auch dann angezeigt, wenn die zur Verfügung stehende Zeit um ist. Aus ver-
schieden gearteten Gründen kann der Erfolg einer psychodramatischen Aktion
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 81

ausbleiben, zum Beispiel, weil das Thema zu vielschichtig war oder weil die
ProtagonistIn zur Klärung des Problems noch nicht bereit war. Worauf muss in
diesem Fall geachtet, welche Maßnahmen können ergriffen werden? Die oberste
Devise lautet, dass die ProtagonistIn nicht mit einer „offenen Wunde“ nach Hau-
se geschickt werden darf. Um den Prozess zumindest notdürftig abzuschließen,
kann, wenn alle Gruppenmitglieder damit einverstanden sind, eine Zeitverlänge-
rung beschlossen werden. Diese sollte zum Finden von Ressourcen genutzt wer-
den, die die ProtagonistIn bei der Bewältigung des noch nicht geklärten Problems
unterstützen sollen, oder es kann in der Reflexionsphase besprochen werden,
welche Faktoren dazu geführt haben, dass die Fragestellung nicht beantwortet
werden konnte. Wenn in absehbarer Zeit eine weitere Sitzung stattfindet, kann
auch an diesem Punkt ein Schnitt gemacht und die Aufarbeitung des Problems
auf den nächsten Termin verschoben werden. Manchmal kann es auch im Rah-
men eines anderen Settings, zum Beispiel in der Einzeltherapie, weiter bearbeitet
werden (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).

EntlassungȱderȱHilfsȬIcheȱausȱihrenȱRollenȱ(Entrollung)ȱundȱBühnenabbauȱ

Nachdem beschlossen wurde, das psychodramatische Spiel zu beenden, entlässt


die ProtagonistIn ihre MitspielerInnen aus ihren Rollen, psychodramatisch aus-
gedrückt: Sie werden entrollt. Dazu kann sich die ProtagonistIn bei jedem einzel-
nen Hilfs-Ich für die aktive Beteiligung an der Darstellung der Szene bedanken.
Sie nennt dabei die richtigen Namen der MitspielerInnen. Auch die Bühne muss
abgebaut werden. Diese Aufgabe sollte großteils von der ProtagonistIn selbst
übernommen werden, damit sie selbst leichter wieder im Hier und Jetzt der
Gruppensituation ankommen kann, aber auch, damit den Requisiten der Sym-
bolwert genommen wird und sie wieder zu neutralen Einrichtungsgegenständen
des Gruppenraumes werden.
Zum Abschluss dieses Abschnittes werden kurz die gängigsten Arrange-
ments angeführt, mit deren Hilfe die Thematik der ProtagonistIn auf der Bühne
inszeniert werden kann.

ReinszenierungȱbiografischerȱEreignisse:ȱ
Das wohl bekannteste und im therapeutischen Bereich am häufigsten eingesetzte
Arrangement ist die Darstellung biografischer Ereignisse. Hierbei wird eine be-
stimmte Begebenheit aus der Sicht der ProtagonistIn nachgespielt. Diese Szenen
können vergangene Ereignisse darstellen (Streit des Fünfjährigen mit der Schwes-
ter), aber auch Ereignisse, die in der Zukunft liegen (die Lebensgestaltung der
82 3 Psychodramatische Arrangements

ProtagonistIn nach der Pensionierung) oder Wunschszenen (z.B. eine Arbeitsstel-


le mit optimalen Bedingungen).
Bietet die ProtagonistIn mehrere Szenen an, so ist jene zu wählen, die von
der jeweiligen Person am emotionalsten besetzt ist, von der sie am längsten oder
von der sie zuerst berichtet hat.

Skulpturarbeit:ȱ
Ein im protagonistInnenzentrierten Psychodrama beliebtes Arrangement ist die
Arbeit mit Skulpturen. Dabei werden innere Befindlichkeiten oder Konflikte, aber
auch Systeme, wie das einer Familie oder einer Organisation, symbolisch-
abstrahierend dargestellt. Im Gegensatz zu einer bewegten psychodramatischen
Inszenierung stellt die Skulptur ein Standbild dar. Auf diese Weise kann zum
Beispiel der Gefühlszustand einer an Prüfungsangst leidenden Studentin darge-
stellt werden, indem unter Einsatz von Hilfs-Ichen die Symptome dieser Prü-
fungsangst als Standbild auf die Bühne gestellt werden. Einer mimt „das flaue
Gefühl im Magen“, eine andere „die Blockade, die den Zugang zum Gelernten
verwehrt“, ein Dritter „die innere Stimme, die der jungen Frau vermittelt, dass sie
diese Prüfung auf keinen Fall bestehen wird“. Vor allem in der Organisationsbe-
ratung wird der Arbeit mit Skulpturen neben den Aufstellungen, die dem Bereich
der Soziometrie zuzurechnen sind, eine große Bedeutung beigemessen, da da-
durch schnell und effektiv Themen angegangen werden können.

SzenischeȱAbbildungȱvonȱProzessverläufen:ȱ
Für die Umsetzung eines Prozessschrittes kann es auch notwendig sein, nicht nur
ein isoliertes Ereignis oder den Aufbau eines Systems zu betrachten, sondern sich
mit Hilfe von time-lines mit Prozessverläufen auseinanderzusetzen. Das wären
zum Beispiel die verschiedenen Lebensabschnitte und Entwicklungen einer Per-
son oder unterschiedliche Phasen bei Umstrukturierungsmaßnahmen einer Fir-
ma. So können diese verschiedenen Abschnitte mit Tüchern oder Seilen symboli-
siert werden und bedeutende Ereignisse mit Hilfs-Ichen oder Hilfs-Objekten
besetzt werden.

SurrealeȱArrangements:ȱ
Surreale Arrangements kommen dann zum Einsatz, wenn die „reale Welt“
scheinbar keine befriedigende Antwort auf einen inneren Konflikt, auf ein un-
gerechtes Ereignis oder unzureichend Schutz bietet. Wird zum Beispiel eine Per-
son bezüglich eines bestimmten Ereignisses schon lange Zeit von ambivalenten
Gefühlen gequält, die sich nur schwer auflösen lassen, so können die daran betei-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 83

ligten Anteile auf der Psychodrama-Bühne zu einer Podiumsdiskussion geladen


werden, die die Lösung des Problems zur Aufgabe hat.

Frau Binder überlegt sich seit geraumer Zeit, ob sie ihren sicheren Arbeitsplatz, der
mit viel Routine und einem geringen Gehalt verbunden ist, zugunsten einer neuen Tä-
tigkeit aufgeben soll, die viel Ungewissheit, aber auch eine neue Herausforderung
und vor allem ein höheres Entgelt bieten würde. Der Psychodrama-Leiter, Herr GrabȬ
ner, schlägt ihr vor, die Argumente und Gefühle, die dafür und dagegen sprechen, mit
Hilfs-Ichen zu besetzen und diese je nach Schweregrad zu gewichten. Dann wird mit
der auf der Psychodrama-Bühne symbolisch errichteten Waage abgewogen, welche
der Entscheidungsmöglichkeiten sich als gewichtiger herausstellt.

3.1.3 Integrationsphaseȱ(GesprächsphaseȱoderȱAbschlussphase)ȱ

„Jetzt übernimmt das Gruppendrama, das Publikum die Führung der Darstellung.“
Moreno (1959)16

DieȱZieleȱderȱIntegrationsphaseȱ

Das Ziel der Integrationsphase liegt – neben dem Abschluss von Prozessen durch
die Erweiterung der Perspektiven – in der Übertragung der im psychodramati-
schen Spiel gewonnenen Erkenntnisse ins reale Leben. Dies wird durch die psy-
chodramatischen Techniken des Rollen- und des Integrationsfeedbacks sowie des
Sharings ermöglicht.
In welcher Form Rollenfeedback und Sharing gegeben werden, unterliegt
bestimmten Regeln, auf deren Einhaltung die Gruppenleitung zu achten hat
(siehe dazu: Kapitel 4 Techniken). Dadurch soll verhindert werden, dass sich die
ProtagonistIn durch heftiges Interpretieren oder Rationalisieren seitens der
Gruppenmitglieder be- oder verurteilt fühlt (vgl. Leutz 1986). Im Regelfall wird
zunächst ein Sharing abgefragt, darauf folgen Rollenfeedback und zuweilen das
Identifikationsfeedback.

16 Zitiert nach Hutter & Schwehm (2009)


84 3 Psychodramatische Arrangements

Abbildungȱ18: Ziele der Integrationsphaseȱ

Rollenfeedbackȱ

Beim Rollenfeedback werden die MitspielerInnen gebeten, Rückmeldungen dar-


über zu geben, wie sie sich in den dargestellten Rollen gefühlt haben, welche
Empfindungen im Vordergrund standen und welche Gefühlsregungen, Impulse
und Gedanken sie in Bezug auf die ProtagonistIn bei sich wahrgenommen haben.
Durch diese Feedbacks erfährt die ProtagonistIn im Sinne eines Perspektiven-
wechsels, welche Reaktionen ihre Verhaltensweisen und Interaktionen bei ihren
Gegenübern ausgelöst haben. Ihr wird vermittelt, wie sie von anderen gesehen
und erlebt wird, worin sich das Selbst- mit dem Fremdbild vergleichen lässt und
wie nötige Korrekturen durchgeführt werden können. (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstman,ȱ
Kramer 2005)
Das Rollenfeedback ist aber nicht nur für die ProtagonistIn von Nutzen, es
dient auch den MitspielerInnen. Das Innehaben bestimmter Rollen ist ein sehr
gefühlsbetontes Geschehen, oft fiebern die TeilnehmerInnen danach, die Erfah-
rungen, die sie dabei gemacht haben, mitzuteilen und damit auch eine Erleichte-
rung zu erfahren. Je stärker bestimmte Rollen für TeilnehmerInnen emotional
besetzt sind, desto mehr besteht ein Zusammenhang zwischen der Rolle, die sie
gemimt haben, und den eigenen Themen; im Psychodrama spricht man in diesem
Fall von einer starken Telebeziehung bezüglich dieser Rollen. Wird durch die ü-
bernommene Figur die eigene Thematik stark berührt, fällt es den Gruppenteil-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama 85

nehmerInnen oftmals schwer, sich von diesen Rollen zu lösen, auch wenn sie
nach dem ProtagonistInnenspiel fachgemäß entrollt wurden. So kann die LeiterIn
an hochgradig emotionalen Wortmeldungen, aber auch an der Körpersprache
und Mimik einzelner TeilnehmerInnen erkennen, wenn jemand noch aus der
Sicht der zuvor übernommenen Rolle agiert. Diese Beobachtungen kann die Psy-
chodrama-LeiterIn ansprechen und die Betroffenen beim Aussteigen aus der
Rolle unterstützen. Oder sie kann der TeilnehmerIn das Feedback als Erwärmung
für ein eigenes Thema spiegeln. Beim Aussteigen kann der Vorschlag hilfreich
sein, sich „auszuschütteln“ oder sich um die eigene Achse zu drehen, um be-
wusst wieder die eigene Position einzunehmen.

Identifikationsfeedbackȱ

Auch die ZuschauerInnen, also Personen, die in der Szene nicht als Hilfs-Ich zum
Einsatz gekommen sind, können emotional ins Geschehen involviert gewesen
sein, weil sie sich mit einer Rolle der psychodramatischen Darstellung identifi-
ziert haben. Im Rahmen des Identifikationsfeedbacks können auch sie, neben den
MitspielerInnen Auskunft geben, mit welcher Figur der Inszenierung sie am
meisten emotional mitgeschwungen sind, welche Reaktionen für sie am stärksten
nachvollziehbar waren und welche Rolle für sie am vertrautesten war. Dieses
Identifikationsfeedback kann einerseits deutlich machen, dass TeilnehmerInnen
für ein bestimmtes Thema sehr erwärmt sind und daraus ein weiteres Protagonis-
tInnenspiel entstehen könnte, andererseits erhält die ProtagonistIn dadurch auch
wichtige Informationen, wie die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Interaktions-
partnerInnen außerhalb dieser Gruppe aussehen könnte. Das Identifikationsfeed-
back ist nicht immer unproblematisch, da durch diese Technik die Wahrnehmung
der ProtagonistIn auch stark in Frage gestellt werden kann, wenn zum Beispiel
eine TeilnehmerIn durch die Identifikation mit der AntagonistInnenrolle deren
Sichtweise vertritt. In der Integrationsphase ist die ProtagonistIn oft noch recht
dünnhäutig und kann Identifikationen mit anderen, vor allem KonfliktpartnerIn-
nen im Spiel schlecht ertragen. Daher wird im Sinne des ProtagonistInnenschut-
zes das Identifikationsfeedback nicht immer abgefragt.

Renate, die bei Julians ProtagonistInnenspiel im Publikum saß, gibt folgendes Identifi-
kationsfeedback: „Ich bin am meisten mit Julians Mutter mitgeschwungen: Ich habe
ihre Kränkung aufgrund von Julians Reaktion förmlich am eigenen Leib gespürt.“
86 3 Psychodramatische Arrangements

Sharingȱ

Bei einem psychodramatischen Spiel werden viele Facetten der Persönlichkeit der
ProtagonistIn sichtbar, auch solche, die sonst nicht allen Personen zugänglich sind,
weil sie aus Gründen der Scham nicht gezeigt werden oder weil sie als Zeichen
von Schwäche oder Unvermögen angesehen werden könnten und deshalb im
Verborgenen gehalten werden. Manche ProtagonistInnen fühlen sich nach der
Spielphase auch unbehaglich, weil sie aus ihrer Sicht viel Raum und Zeit innerhalb
der Gruppe in Anspruch genommen haben. Sie benötigen nun die Unterstützung
der anderen GruppenteilnehmerInnen (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). Beim
Sharing berichten die GruppenteilnehmerInnen von vergleichbaren Lebenserfah-
rungen oder Gefühlsregungen, wie sie die ProtagonistIn erlebt hat, zum Beispiel,
dass ihnen auch etwas ähnlich Peinliches oder Ärgerliches widerfahren ist oder
dass sie auch schon einmal mit ähnlichen Gefühlszuständen zu kämpfen hatten
und wie sie damit umgegangen sind. Dabei hat die Leitung darauf zu achten, dass
das Sharing aus eigenen Erlebnissen besteht, also in der Ich-Form formuliert wird,
und dass es keine Ratschläge, Deutungen oder Bewertungen beinhaltet. Das Sha-
ring dient einerseits der Entlastung der ProtagonistIn, und zwar dadurch, dass sie
wahrnehmen kann, dass sie mit ihren Erlebnissen und Empfindungen nicht alleine
ist, und andererseits der Entlastung der ZuschauerInnen, wenn sie – mitschwin-
gend mit der ProtagonistIn – tiefe Gefühle erlebt haben, die nach außen drängen.
Darüber hinaus dient es der Gruppenkohäsion, da das Teilen von tief gehenden
Erfahrungen und Erkenntnissen im Normalfall den Gruppenzusammenhalt stärkt
(Yalom 2005). Durch das Sharing erfolgt eine Wiedereingliederung der Protagonis-
tIn in den Kreis der Gruppe, da mit dem Sichtbarwerden der Probleme anderer
der Grad der Aufmerksamkeit von der ProtagonistIn abgezogen und auf alle
GruppenteilnehmerInnen gleichmäßiger verteilt wird. Nicht zuletzt kann sich aus
dem Sharing das nachfolgende Thema oder die nächste ProtagonistIn heraus kris-
tallisieren (HollensteinȬBurtscher 2004).

ProcessingȱoderȱProzessanalyseȱ

Als letzter Teil der Integrationsphase kann eine Prozessanalyse durchgeführt wer-
den. In dieser wird das vorangegangene Gruppengeschehen aus dem Blickwinkel
der theoretischen Grundmodelle des Psychodramas oder der Gruppendynamik
betrachtet, wie zum Beispiel der Rollentheorie oder der Soziometrie (Leutz 1986).
Mögliche Fragestellungen sind hierbei: WarumȱwurdeȱdiesesȱThemaȱgewählt?ȱWelchesȱ
GruppenthemaȱwurdeȱmitȱdieserȱInszenierungȱstellvertretendȱbehandelt?ȱWelchenȱEinflussȱ
hatteȱdieserȱLösungsansatzȱaufȱdieȱDynamikȱinȱderȱGruppe?
3.2 Das Rollenspiel 87

Meist wird die Prozessanalyse an das Ende der übergeordneten Gruppen-


einheit angehängt, z.B. an das Ende eines gesamten Kurses, und nicht unmittel-
bar an das Ende der Spieleinheit, da zu diesem Zeitpunkt die ProtagonistIn wie
auch die gesamte Gruppe von ihrer affektiven Gestimmtheit her meist nicht offen
für die kognitiven Vorgänge einer Prozessanalyse sind. Eine Ausnahme bilden
hier Weiterbildungsgruppen, in denen die TeilnehmerInnen explizit lernen sol-
len, Gruppenprozesse auch kognitiv zu erfassen.
Vom klassischen ProtagonistInnenspiel, bei dem eine ProtagonistIn in einer
Gruppe ein Thema bearbeitet, kommen wir nun zu einem Vorgehen, das weniger
ein spezielles Thema als vielmehr das Spielen an sich in den Fokus stellt.

3.2 DasȱRollenspielȱ

Das Spielen in Rollen ist neben dem oben beschriebenen ProtagonistInnenspiel


eines der Kernstücke des Psychodramas (Stadler und Spörrle 2008). Wie schon im
Einführungskapitel erwähnt, fand Moreno vielfältige Zugänge zum Thema Rol-
lenspiel. Er leitete selbst bereits sehr früh Rollenspiele mit Kindern und mit Er-
wachsenen, Rollenspiele mit vorgegebenen Rollen wie im Märchen oder spontan
entstehende Rollenspiele ohne vorgegebenen Plot in seinem Stegreiftheater. Man-
che spielten bei ihm Rollen zu Trainingszwecken, andere als PatientInnen, um
gesund zu werden, oder als Paare, um etwas über ihre Beziehung zu erfahren.
Das Wort Rolle selbst leitet sich von der lateinischen „Rotula“ ab, was „Räd-
chen“ bedeutet; um die Holzrollen der Antike wurden Papyrusblätter gewickelt,
damit diese nicht zerbrachen. Sie wurden in der Öffentlichkeit, bei Gericht und in
den Vorläufern der Parlamente als Textträger verwendet. Später fanden sie vor
allem für längere Texte im Theater Verwendung, damit die DarstellerInnen sich
ihre Texte einfacher merken konnten. Die Betrachtung der Menschen in Rollen,
also in dem, was sie situativ als Handlungsvorlage bzw. im Theater als Textvorla-
ge haben, hatte also schon eine längere Tradition, bevor Soziologie und Psycholo-
gie sie entdeckten. So schrieb Montaigne: „IchȱgebeȱmeinerȱSeeleȱbaldȱdieses,ȱbaldȱjenesȱ
Gesicht,ȱ jeȱ nachȱ welcherȱ Seiteȱ ichȱ esȱ wende.ȱ Wennȱ ichȱ unterschiedlichȱ vonȱ mirȱ spreche,ȱ
dannȱdeswegen,ȱweilȱichȱmichȱalsȱunterschiedlichȱbetrachte.“ (nach Keupp 2004: 1) Auch
Nietzsche greift diesen Blick auf den Menschen auf: „Scharfȱundȱmilde,ȱgrobȱundȱfein,ȱ
vertrautȱundȱseltsam,ȱschmutzigȱundȱrein,ȱderȱNarrenȱundȱWeisenȱStelldichein:ȱDiesȱAllesȱ
binȱich,ȱwillȱichȱsein,ȱTaubeȱzugleich,ȱSchlangeȱundȱSchwein.“ (nach Keupp 2004: 2) Aus
den beiden Zitaten wird deutlich, dass die rollenspezifische Betrachtung des Men-
schen und auch der Wechsel in ganz unterschiedliche Rollen und Identitäten nicht
erst eine Entdeckung des letzten Jahrhunderts waren.
88 3 Psychodramatische Arrangements

Der Mensch kann aber nicht nur in Rollen betrachtet werden, sondern er
kann auch in Rollen spielenȱ (Erfahrungsdimension). Im frühen kulturellen Kon-
text tauchen Rollenspiele in unterschiedlichen Gesellschaften als Rituale auf, zum
Beispiel in religiösen Zusammenhängen. Der amerikanische Psychodramatiker
Kipperȱ berichtet, dass diese frühen Rollenspiele meist mit der Bewältigung von
Hilflosigkeits- und Unsicherheitsgefühlen assoziiert wurden. Sie dienten auch
zur Reduzierung von unkomfortablen Gefühlen, etwa von Furcht oder unstillba-
ren Sehnsüchten; ebenso wurden sie mit Heilung und mit gegenseitigem Ver-
ständnis in Verbindung gebracht. Das Rollenspiel befriedigte damit von Anbe-
ginn grundlegende psychologische Bedürfnisse und erfüllte gleichzeitig wertvol-
le therapeutische Qualitäten (Kipper 1996: 101).
Nicht nur in der Phylogenese, also der Menschheitsgeschichte, auch in der
Ontogenese, also der Entwicklungsgeschichte eines einzelnen Menschen, tauchen
Rollenspiele früh auf, nämlich zwischen dem 8. und 16. Lebensmonat (Stern 2000:
25). In den ersten Lebensjahren, etwa bis zur Einschulung, ist es jedoch für Kin-
der uninteressant, sich selbst zu spielen. Wenn sie sich selbst spielen, dann mit
veränderten Eigenschaften, also in einer anderen Rolle. Dabei werden zunächst
einzelne Interaktionen nachgeahmt; in einem weiteren Entwicklungsschritt wer-
den Rollen mit komplexeren Interaktionsmustern mitsamt dem dazugehörigen
Handlungsrepertoire übernommen. Als letzter Schritt werden nicht nur die Rol-
len, sondern auch das dazugehörige Regelwerk gespielt. Zum Beispiel wird zu-
nächst eine Mama gespielt, dann eine Mama, die erst Essen kocht, dann in die
Arbeit fährt, dann vielleicht ein älteres Geschwisterkind aus dem Kindergarten
abholt. Mit zunehmender Reife der Kinder werden Rollen realitätsnäher und
vollständiger übernommen. Diese Entwicklungsschritte haben Bedeutung für die
störungsspezifische Anwendung des Rollenspiels im therapeutischen und berate-
rischen Kontext, worauf später noch eingegangen wird.
Jeder Mensch hat also im Laufe seines Lebens Erfahrungen mit Rollenspie-
len gemacht und daher auch mehr oder weniger konkrete Vorstellungen vom
Rollenspiel. Bei den meisten basieren diese Erfahrungen auf kindlichen Varianten
des Rollenspiels. Jedoch sind zunehmend, insbesondere bei jüngeren Erwachse-
nen, auch computerbasierte Rollenspiele verbreitet, bei denen eine mehr oder
weniger entfremdete, virtuelle Repräsentanz des eigenen Selbst, ein sogenannter
Avatar, die SpielerIn in einer Fantasiewelt vertritt. Im Erwachsenenalter werden
zudem in vielen Berufsausbildungen Rollenspiele eingesetzt.
Ein Beispiel, welches von Morenos Anwendungen überliefert ist, beschreibt
eine Rollenspielsituation, in der VerkäuferInnen zu Trainingszwecken eine Rolle
spielen; eine Frau spielt eine potentielle Kundin, die in einem Geschäft einen Hut
aussucht, während eine andere die Rolle der Freundin übernimmt, die an keinem
3.2 Das Rollenspiel 89

der Hüte Gefallen finden kann, und die dritte stellt eine Verkäuferin dar, deren
Aufgabe es ist, sich mit der beratenden Freundin auseinanderzusetzen und den-
noch einen Hut zu verkaufen. Die spielerische Darstellung hatte einen starken
positiven Einfluss auf das Klima bei der späteren, realen Verkaufssituation im
Geschäft (Moreno 1988: 148). Neben dieser Art des Einsatzes gab es bei Moreno
auch regelrechten Rollenspielunterricht, wo er in großen Einheiten, z. B. mit 40
bis 50 Personen, Übungskurse abhielt, in denen die teilnehmenden Personen
mehrere Tage in ihren Rollen blieben und dabei ein kleines Schild mit den Na-
men ihrer Rollen um den Hals trugen. Man kann sich vorstellen, wie intensiv so
etwas wirkt. Der Schauspieler Danielȱ DayȬLewis, bekannt unter anderem durch
seine Rollen in „DerȱletzteȱMohikaner“,ȱ„GangsȱofȱNewȱYork“,ȱ„MeinȱlinkerȱFuß“ȱoder
„Thereȱwillȱbeȱblood“, kann seine Filmrollen unter anderem deswegen so überzeu-
gend darstellen, weil er nach eigener Aussage für die Dauer des Drehs ständig in
seiner Filmrolle bleibt.
Möchte man Rollenspiel definieren, wird man bei dem Schweizer Pädago-
gen und Psychodramatiker Schaller fündig. Er beschreibt Rollenspiel allgemein
als „[…]ȱ forschendes,ȱ problemorientiertesȱ Lernen,ȱ beiȱ demȱ Fehlerȱ undȱ Misserfolgȱ alsȱ
Lernchanceȱ angesehenȱ werdenȱ […]ȱ Inȱ diesemȱ Sinneȱ istȱ Rollenspielȱ einȱ Instrumentȱ zurȱ
Weiterentwicklungȱ desȱ Selbstmanagements.“ (Schaller 2006: 9f) In der englisch-
sprachigen und vor allem älteren Psychodrama-Literatur werden beim Thema
Rollenspiel häufig drei Dimensionen des Rollenhandelns unterschieden (nach
ZeintlingerȬHochreiterȱ1996):

Das „role-taking“ oder „role-enactment“: Hierunter wird die Übernahme einer voll-
ständig vorgegebenen Rolle ohne Variationsfreiheit verstanden.
Das „role-playing“: Das Rollenspielen im engeren Sinn ist das Spiel einer vorgegebe-
nen Rolle, wobei ein gewisser Grad an freier Gestaltung möglich ist.
Das „role-creating“: Hierbei handelt es sich um eine schöpferische Gestaltung, also
um eine Erfindung neuen Rollenverhaltens mit einem hohen Grad an Gestaltungs-
freiheit.

Die Dimensionen variieren vor allem in den Freiheitsgraden der RollenspielerIn-


nen: Wie viel ist vorgegeben, bzw. wie viel kann frei selbst gestaltet werden.
Anhand einiger prototypischer Beispiele soll im Folgenden das psychodra-
matische Rollenspiel kurz veranschaulicht werden.
Alexander (A) hat bisher Erfahrungen in mehreren Rollen gemacht, bevor er im
Rahmen eines Psychodrama-Coachings mit weiteren Rollen konfrontiert wird.
Seine bisherigen sozialen Rollen sind: Partner und Geliebter seiner Freundin, Vater
eines Sohnes, Sohn seiner Eltern, Studienabsolvent, Mieter einer kleinen Wohnung,
Freund, Fußballspieler in einem Verein. Wenn man den psychischen Zustand eben-
90 3 Psychodramatische Arrangements

falls als Rolle beschreiben möchte, so wie dies zuweilen im therapeutischen Kontext
des Psychodramas geschieht, könnte sein psychisches Rollenrepertoire wie folgt
beschrieben werden: Es zeichnet sich aktuell besonders durch die Rolle des Unru-
higen aus, da er sich demnächst in einer Firma als Diplom-Ingenieur vorstellen
wird und der Gedanke an den Start ins Berufsleben ihm Sorge bereitet. Weitere
vorhandene psychische Rollen sind der Fürsorgliche und der Kollegiale.
Im Rahmen eines verhaltenstrainierenden Coachings werden ihm fünf zu-
sätzliche Rollen vorgeschlagen, in denen er probehandelnd tätig werden soll:
guter Erklärer, Diplom-Ingenieur, ideenreicher Kollege, kämpfender Freizeit-
sportler und Netzwerker (siehe Abb. 19).
Indem Alexander die neuen Rollen einnimmt, in ihnen aktiv spielt, erweitert
er zum einen sein Rollenrepertoire und es fällt ihm auch dadurch leichter, zu
einem späteren Zeitpunkt Rollen in anderen Zusammenhängen zu übernehmen
(MannȱundȱMann 1959). Durch häufiges Wiederholen von gespielten Rollen wer-
den neuronale Netzwerke geschaffen und gefestigt (Hüther 2008), die Alexander
im späteren Vorstellungsgespräch hilfreich sein können. Die neuen Rollen dürfen
ihm dabei nicht zu fremd, zu ich-dyston sein, sonst können neue Anknüpfungen
nicht dauerhaft gelingen; es wäre dann nur ein Spielen als-ob ohne Effekt. Der
Coaching-Prozess verläuft in der Regel mehrstufig: Zunächst fragt der Coach, wie
die neue Rolle aussehen könnte. Danach zeigt der Coach, wie er die Beschreibung
der Rolle durch den Coachee verstanden hat; dadurch sieht Alexander, wie die
Rolle in einem erfolgreich verlaufenden Gespräch somatisch gefüllt werden kann.
Damit werden bei ihm bereits entsprechende Hirnareale über die Spiegelneuro-
nen ohne eigenes aktives Verhalten seinerseits aktiviert (Storch 2006).
Im anschließenden eigenen Rollenspiel sammelt Alexander somato-psychisch
Erfahrungen in den unterschiedlichen Rollen und ankert diese in seinem RollenȬ
Selbst, sie werden damit Teil seines soziokulturellenȱAtoms. Dieses Vorgehen wird
mittlerweile auch in der neurologischen Rehabilitation von Schlaganfallpatien-
tInnen eingesetzt. Diese können, nachdem ihnen gelungene Bewegungsabläufe
anderer Personen in Videosequenzen gezeigt werden, die sie selbst erst noch
wieder erlernen müssen, deutlich schneller ihre Defizite kompensieren.
Alexander verlagert in dem beschriebenen Beispiel sein Gewicht von der Rol-
le des Studienabgängers hin zum Diplom-Ingenieur in einem konkreten Berufs-
feld. Obwohl dies im Sinne einer Zukunftshandlung via Rollenspiel geschehen
ist, also im „als-ob“-Modus, kann er Erfahrungen dazu abspeichern. Im Rollen-
spiel nimmt er bereits die Hürde, die im realen Leben noch vor ihm liegt. Im
strengen Sinne ist hier ein Rollenwechsel vollzogen worden, da die Rolle bislang
außerhalb seines Rollenrepertoires lag. Die Rolle des Studienabgängers beginnt
schwächer zu werden, da sie nicht mehr genutzt, also hirnphysiologisch abgeru-
3.2 Das Rollenspiel 91

fen wird. Die Verkörperung oder wie die Psychodramatikerin Storch (2006) es
neudeutsch nennt, das Embodiment, ist ein wesentlicher und äußerst effizienter
Bestandteil des Rollenspieles.

Rollenerweiterung
1: guter Erklärer

Rollenerweiterung
5: Netzwerker

Kern-Selbst von A
mit einer bestimm-
ten Anzahl bereits
bestehender Rollen Rollenerweiterung
2: Dipl.-Ingenieur

Rollenerw. 4:
kämpfender
Freizeitsportler Rollenerweiterung
3: ideenreicher
Kollege

Abbildungȱ19: Rollentraining im Coaching

Das oben beschriebene Beispiel von Alexander zeigt die einfachste Variante eines
Rollenspieles: das Spielen (in) einer neuen Rolle. Rollenspiel ist jedoch auch in
der Form möglich, dass eine Person, unser Beispiel zeigt Christine, eine bestimmte
Rolle einer anderen Person, Dorothea, spielt.
92 3 Psychodramatische Arrangements

Depressive

Spiel in der Rolle eines Persön-


lichkeitsanteils einer anderen
Person

Betriebs- Geliebte
wirtin

Dorotheaȱ

Christineȱ
mit ihrem
kulturellen
Leitende Atom
Angestellte Tochter

Abbildungȱ20: Rollenspiel in einer Rolle einer anderen Person

Christine spielt in der Beispielgrafik einen Anteil, eine bestimmte Rolle von DoroȬ
thea, nämlich die Rolle der Geliebten. Es wäre hier ebenso möglich, dass Christine
einen anderen Anteil spielt, etwa die Tochter oder die Angestellte. Es wäre auch
möglich, dass die verschiedenen Rollen Dorotheas von verschiedenen Mitspiele-
rInnen oder RollenträgerInnen gleichzeitig übernommen würden. In diesem Fall
wäre aber Dorothea die Protagonistin und würde die Rollenträgerin wählen.
Welche Variante zum Zug kommt, hängt von der Fragestellung ab, die gerade
behandelt werden soll. Für Dorothea als Protagonistin könnte es interessant sein,
ihre verschiedenen Rollen einmal lebendig zu erleben und zu befragen. Für ChrisȬ
tine als Protagonistin könnte es interessant sein, andere, ihr bislang fremde Rollen
auszuprobieren, die sie bei Dorothea bewundert.
Häufig wird eine Person in eine bestimmte Rolle gewählt, weil die Wählen-
de erkennt, dass die gewählte Person genau die passende Rolle in ihrem Rollen-
Repertoire oder kulturellem Atom zur Verfügung hat. Dorothea als Protagonistin
würde in dem Beispiel Christine als Verkörperung ihrer Geliebten-Rolle wählen,
weil sie unbewusst wahrnimmt, dass Christine zu dieser Rolle selbst einen starken
Bezug hat, und diese demnach für Dorothea am geeignetesten verkörpern kann.
3.2 Das Rollenspiel 93

Schach-
spieler

Schreinerȱ Ehemann

Georgȱ Franzȱ
mit seinem
kulturellen
Atom

Geselle Sohn

Abbildungȱ21: Rollenspiel in der Rolle eines anderen

Eine weitere Möglichkeit eines psychodramatischen Rollenspiels ist in Abb. 21


dargestellt. Franz spielt dort die Rolle von Georg. Er spielt damit nicht nur einen
Anteil, eine Rolle aus dem kulturellen Atom von Georg, sondern Franz spielt Georg.
Hier sprechen wir klassischerweise von einem Rollenwechsel. Wenn zusätzlich
Georg auch noch Franz spielt, wird von einem reziprokenȱRollenwechsel, von einem
Rollentausch, gesprochen. Es handelt sich dabei immer noch um ein Rollenspiel,
aber es ist um zusätzliche Komponenten erweitert worden. Vollständig müsste
dieses Vorgehen eigentlich Rollenspiel im Rollenwechsel bzw. Rollentausch be-
zeichnet werden.
Der Rollenvielfalt, die eingenommen werden kann, ist theoretisch keine
Grenze gesetzt. Einzig in den einzelnen RollenträgerInnen sind Realisierungs-
grenzen vorhanden. Die meisten Menschen aktivieren in ihren Alltagsroutinen
nur eine kleine Anzahl von Rollen, wären aber durchaus in der Lage, im Rahmen
eines Rollenspieles deutlich mehr und verschiedenartige Rollen einzunehmen.
Dieses Spiel in einer im Alltag nicht gewohnten Rolle bringt in den jeweiligen
RollenspielerInnen Kreativitätsprozesse in Gang, die Auswirkungen auf den
gesamten Menschen haben, nicht nur auf die augenblickliche Situation.
Die oben genannten Beispiele beziehen sich alle auf Rollenspiele einzelner
ProtagonistInnen im Psychodrama mit und ohne Gruppe. D.h. eine Person spielt,
94 3 Psychodramatische Arrangements

die anderen sind ZuschauerInnen. Es gibt im Psychodrama aber auch Rollenspiel


in der Gesamtgruppe. Hierbei spielen in der Regel alle Personen einer Gruppe
gleichzeitig. Es folgen einige Beispiele, welche sich auf das Rollenspiel einer
Gruppe beziehen.

1. Ein Stationsteam eines Krankenhauses kommt zu einer Supervisionssitzung und


möchte eine Konfliktsituation im Team bearbeiten. Der Supervisor fordert die Beteilig-
ten auf, die Situation, in der der Konflikt entstand, nachzuspielen; jede teilnehmende
Person nimmt dabei ihre eigene Rolle ein.
2. In derselben Supervisionssitzung bittet der Supervisor das Team, eine mögliche Lö-
sung des Konfliktes im Stegreif zu spielen.
3. In einer Weiterbildungsgruppe bittet die Leiterin die TeilnehmerInnen, sich eine Rolle
aus einem vorgegebenen Märchen zu wählen und diese Rolle zu spielen.
4. In einem Verband sollen Ziele bezüglich zukünftiger Marketingstrategien erarbeitet
werden. Die Mitglieder teilen sich in drei verschiedene Untergruppen (Anbietende,
KundInnen und Produkt) und spielen soziodramatisch in den durch die Untergrup-
pen definierten Rollen.

Was durch die vier Beispiele deutlich wird, ist die Tatsache, dass es Rollenspiel in
eigener und anderer,ȱ bzw.ȱ fremderȱ Rolle gibt, und dass es Rollenspiel in vorher
festgelegten Rollen mit oder ohne definierte Regeln – psychodramatisch: Konserven
– und in der Stegreifsituation geben kann. Schaller unterscheidet zusätzlich zwi-
schen Rollenspielen mit pädagogischer und solchen mit psychologischer Zielset-
zung (Schaller 2006: 67). Die Übergänge können teilweise fließend sein: Die Teil-
nehmerInnen der Weiterbildungsgruppe aus Beispiel 3 können in der festgeleg-
ten Rolle einer Märchenfigur beginnen, im Laufe des Spieles jedoch die Rolle
verändern, ihr eine eigene Note geben. Oder ein verkaufstrainierendes, also pä-
dagogisches Rollenspiel wird psychologisch nachbesprochen: Die TeilnehmerIn-
nen werden befragt, inwieweit sie sich bei welchen Szenen gehemmt oder beson-
ders frei fühlten und ob darin Bezüge zu anderen lebensgeschichtlichen Situatio-
nen enthalten waren.
Stadler und Spörrle (2008: 182) haben den Versuch unternommen, das psycho-
dramatische Rollenspiel anhand der oben genannten Unterscheidungen zu katego-
risieren, wobei die Unterscheidung pädagogisch/psychologisch nicht aufgenom-
men wurde. In der Tabelle wird Bezug genommen auf die unterschiedlichen Be-
zeichnungen bei Moreno, Krüger und denen des englischsprachigen Raumes.
3.2 Das Rollenspiel 95

ȱ Beispieleȱ ȱ Beispieleȱ
Mitȱfestgelegterȱȱ Mit festgelegter Ohneȱfestgelegteȱ Ohne festgelegte
Handlungȱ Handlung Handlungȱ Handlung
Diktion nach ȱ ȱ ȱ
Moreno Konserveȱ Stegreifȱ
Diktion nach gebundeneȱKreativität ȱ ȱ
Krüger freieȱKreativität
englische roleȬtaking,ȱ ȱ ȱ
Bezeichnung roleȬenactmentȱ roleȬcreatingȱ
ȱ x Soziales, kultu- x Klassische x Geschichte x Narration und
ȱ relles und sozio- ProtagonistIn in imaginieren / Geschichten-
ȱ kulturelles Atom Szenen der Ver- erfinden und Erfinden im
ȱ x Vignette und gangenheit, Ge- spielen protagonistIn-
ȱ ProtagonistIn- genwart oder x Stegreifspiele in nenzentrierten
ȱ nenspiel in der definierter Zu- eigener Rolle Spiel mit oder
Handelnȱinȱ Rolle der Prota- kunft x SpontaneitätsȬ ohne klar defi-
eigenerȱRolleȱ gonistIn x „Können Sie mir test: auf Zuruf nierte Aus-
x Probehandeln in bitte zeigen, wie spontan eine gangslage
festgelegtem Set- Sie das ma- eigene Rolle x „Wie könnte
ting und Ablauf chen…“ spielen das möglicher-
x Handpuppen- weise ausse-
spiel hen?“
x Handpuppen-
spiel
ȱ x Nachahmendes x Handeln in der x Stegreifspiel bei x „Wie würde es
ȱ Spiel, Perspekti- Mitspiel- oder vorgegebener aussehen, wenn
ȱ ven- und Rollen- Antagoni- Ausgangslage Ihr Chef für Sie
ȱ übernahme einer stInnenrolle und/oder vor- optimal reagie-
Handelnȱinȱ vorgegebenen x Anti-Rollenspiel gegebenem ren würde?“
derȱRolleȱdesȱ Rolle x „Wie hat das Rolleninventar x „Könnten Sie
anderenȱ x Spiel im Rollen- Ihre Frau/Kolle- x spontanes Spiel spontan aus der
wechsel gin gemacht?“ in Mitspiel- und Rolle heraus
x Playback- AntagonistIn- handeln…“
Theater nenposition
ȱ x Gemeinsame x Märchenspiel x Gemeinsames x Klassisches
ȱ Rollenübernah- x Bibliodrama Stegreif- Stegreifspiel in
ȱ me bei festgeleg- x Soziodrama Gruppenspiel Gruppen-
Handelnȱalsȱ ter Handlung x „lebende Zei- bei freier oder situation
Gruppeȱ tung“ festgelegter x Soziodrama
x Nachspielen Ausgangslage
einer Teamsitua-
tion als Team

Tabelleȱ11: Kategorisierung von psychodramatischen Rollenspielen

Das psychodramatische Rollenspiel ist in seiner Vielfalt immer ein äußerst wir-
kungsvolles Arrangement, da durch seine Anwendung ein neuronales Korrelat
des Handlungsmusters bei demjenigen geschaffen wird, der die Handlung aus-
führt; ebenso in den Köpfen der MitspielerInnen, der Psychodrama-LeiterIn und
der ZuschauerInnen; letztere über deren Spiegelneuronen (Becker 2008: 28ff). Im
96 3 Psychodramatische Arrangements

Rollenspiel werden motorische, sensorische und affektive Muster, seien es be-


kannte, seien es neue, aktiviert. Die neu geschaffenen Muster wiederum beein-
flussen alle mit diesen in Verbindung stehenden Verschaltungen, was die Neuro-
biologie als Kopplung bezeichnet (Hüther 2005 und 2006). Dabei wirken Hand-
lungsmuster, die öfters wiederholt und dadurch gestärkt werden, stärker hand-
lungsleitend als nur einmalig geübte Handlungsabläufe. Dies bedeutet, dass für
Rollenspiele die Wiederholung von entscheidender Bedeutung ist. So wie die
Kinder in ihrer Entwicklung Rollen spielen, bis sie internalisiert oder neuronal
repräsentiert sind, bzw. bis das enthaltene Thema „erledigt“ ist, so ist auch beim
psychodramatischen Rollenspiel im beraterischen oder therapeutischen Kontext
die Wiederholung elementar für eine stabile Verankerung.

3.3 DasȱGruppenspielȱ

An dieser Stelle soll noch einmal explizit auf das Arrangement Gruppenspiel einge-
gangen werden, auch wenn es in der Systematik des Rollenspiels bereits Erwäh-
nung gefunden hat. Wie im einführenden Kapitel beschrieben, wurden das Psy-
chodrama und die Gruppe lange Zeit als Junktim betrachtet. Historisch gesehen hat
Moreno beides verbunden, jedoch im psychotherapeutischen Kontext meist eine
Psychotherapie in der Gruppe durchgeführt. Dabei haben professionelle Hilfs-Iche,
also besonders geeignete MitarbeiterInnen von Moreno, die Gruppe gebildet und
die Rollen der MitspielerInnen übernommen. Dass Psychodrama nicht notwendig
ein Gruppenverfahren sein muss, hat sich erst in den letzten fünfzehn Jahren in der
Theoriebildung niedergeschlagen. Im deutschsprachigen Raum ist es Krüger (1997)
und ErlacherȬFarkas und Jorda (1996) zu verdanken, dass das Psychodrama auch als
Einzelverfahren in den Blick gerückt ist. Während im vorhergehenden Abschnitt
zum Protagonistenspiel deutlich wurde, welche Rolle die Gruppe für das protago-
nistInnenzentrierte Vorgehen hat, widmet sich der nun folgende Abschnitt aus-
schließlich dem Psychodrama als Gruppenverfahren, und hierbei dem sogenannten
Gruppenspiel. Wie der Name unschwer erkennen lässt, sind hier alle Gruppenteil-
nehmerInnen auf der Bühne, d.h. im Spiel.
Es soll zunächst eine Systematik vorgestellt werden, die Gruppenspiele auf
zwei Achsen unterscheidet, wobei die eine Achse den FreiheitsgradȱderȱHandlung
abbildet, den wir bereits im vorhergehenden Abschnitt beschrieben haben, und
die andere Achse den OrtȱderȱEntscheidungȱfürȱdieȱRollenwahl kennzeichnet.
3.3 Das Gruppenspiel 97

selbst gewählte Rolle

Maximale
Autonomie

1ȱ 2

Stegreif- kulturelle
Spiel Konserve


4
Maximale
Anpassung

fremdbestimmte oder
zugewiesene Rolle

Abbildungȱ22: Einteilung des Gruppenspieles

Betrachten wir nun die vier Quadranten anhand von Beispielen:

1. Nina, die Gruppenleiterin, soll für ein kleines, neu zusammengestelltes Pro-
jekt-Team die Teamfähigkeit verbessern. Dazu möchte sie zunächst verste-
hen, wie die Beziehungen, die Interaktionen und der Zusammenhalt inner-
halb des Teams sind. Sie gibt die Anweisung: „BitteȱstellenȱSieȱsichȱvor,ȱSieȱbeȬ
findenȱsichȱanȱeinemȱBahnhof.ȱEsȱistȱ8ȱUhrȱmorgens.ȱÜberlegenȱSieȱsichȱeineȱRolle,ȱ
dieȱSieȱeinnehmenȱmöchten.ȱSieȱhabenȱnunȱalleȱgemeinsamȱ20ȱMinutenȱZeit,ȱinȱdieȬ
serȱ Rolleȱ Erfahrungenȱ zuȱ sammeln.ȱ Wirȱ machenȱ danachȱ eineȱ kurzeȱ NachbespreȬ
chung.ȱIchȱgebeȱIhnenȱeinȱSignal,ȱwennȱdasȱSpielȱnochȱ3ȱMinutenȱdauert.“ Markus,
einer der Teilnehmer, nimmt die selbst gewählte Rolle Reiseleiter im begin-
nenden Stegreifspiel ein. Luisa wählt die Rolle einer pubertierendenȱ JugendliȬ
chen, die nicht mit ihrer Mutter verreisen möchte. Klara entscheidet sich
spontan für die Rolle der Mutter des pubertierenden Mädchens. Jan nimmt
die Rolle des Schaffners ein. Die Gruppenleiterin erfährt so, dass Markus in
neuen Situationen eher zu strukturierenden Handlungsmustern greift, Luisa
gerne der AdvocatusȱDiaboli ist, Klara gerne fürsorgliche Rollen im Team ein-
nimmt und Jan sich gerne mit Controlling beschäftigt. Selbstverständlich
98 3 Psychodramatische Arrangements

sind dies zunächst Arbeitshypothesen, die in der Nachbesprechung abge-


klärt werden müssen.
2. In einer Weiterbildungsgruppe für PsychotherapeutInnen entscheidet sich die
Gruppe, das Märchen Der Froschkönig zu spielen. Nach dem Vorlesen des Tex-
tes werden die vorkommenden Rollen gesammelt, auf ein Flipchart geschrie-
ben und jedeTeilnehmerIn sucht sich eine Rolle. Bernd meldet sich für die Rol-
le des Frosches, Karola für die Rolle der Prinzessin und Andrea für die Rolle des
Vaters. So werden alle Rollen nach und nach verteilt. Nachdem jede eine Rolle
hat, wird das Märchen nachgespielt. In der Nachbesprechung geht es auf
Gruppenebene darum, warum die Gruppe gerade dieses Märchen gewählt
hat, und auf individueller Ebene, warum Bernd gerade die Froschrolle wollte,
Karola die der Prinzessin usw. Es wird auch untersucht, was für die SpielerIn-
nen in ihren Rollen an neuen Handlungsmustern enthalten war und welche
Handlungsweisen aus der Märchenrolle sie aus ihrem Leben gut kennen.
3. In einer PatientInnengruppe einer Suchtklinik geht es darum, sich mit unlieb-
samen, auch zum Teil abgespaltenen Anteilen zu beschäftigen. Die Gruppe
überlegt sich daher gemeinsam, welche Rolle jede TeilnehmerIn einnehmen
könnte. Petra, eine ansonsten eher harmonisierende, junge Frau wird von der
Gruppe mit der Rolle lautȱ brüllenderȱ Hooligan bedacht. Die Gruppe möchte,
dass Petra eine ihrer AntiȬRollen kennenlernt. Kai, ein Lehrling in der Gastro-
nomie, der in der Gruppe als sehr vermittelnd erlebt wird, bekommt von der
Gruppe die Rolle des fürsorglichenȱPaters zugeschrieben. Hier ist die Absicht
der Gruppe, Kai durch Übertreibung einer bei ihm bereits vorhandenen Rolle
zu provozieren, damit er auch seine – bislang nicht gelebten, aber für die
Gruppe spürbaren – aggressiven Seiten entdecken kann.
4. Auf einer Station in einem psychiatrischen Krankenhaus wird in der wö-
chentlich stattfindenden psychodramatischen Gruppe für Menschen mit
Psychose-Erfahrung ein Gruppenspiel vereinbart. Am Abend zuvor hatten
alle gemeinsam den Film KönigȱArthur gesehen. Manuel, der Stationspsycho-
loge, schlägt der psychodrama-erfahrenen Gruppe vor, sie solle ihm kurz
die Handlung des Filmes szenisch zeigen. „Wer könnte denn den KönigȱArȬ
thur spielen?“ Die Gruppe schlägt spontan Ernst vor. Dieser nimmt die Rolle
gerne an. Die ansonsten aggressiv eher gehemmte Gruppe der Psychosebe-
troffenen, die zusätzlich noch durch Neuroleptika sediert sind, kann so lust-
voll symbolische Erfahrungen mit aggressiven Seiten sammeln. In der
Nachbesprechung wird deutlich, wie schwer es den PatientInnen im Alltag
fällt, auch einmal etwas aggressiver nach außen aufzutreten. Ernst überlegt,
dass es vielleicht gut wäre, ab und zu ein kleines bisschen von KönigȱArthurs
Wut und Kraft zu haben.
3.3 Das Gruppenspiel 99

Ablaufȱ

Die vier unterschiedlichen Beispiele für das psychodramatische Gruppenspiel


haben ein paar Gemeinsamkeiten.
Zunächst im Ablauf: Begonnen wird die Gruppenspielsitzung wie bereits im
protagonistInnenzentrierten Vorgehen mit der Phase der Erwärmung. Hierbei ist
jedoch zu beachten, dass nur so viel Anwärmung wie nötig eingesetzt wird. An-
wärmung ist kein Selbstzweck, sondern wird nur in dem Maße von der LeiterIn
vorgeschlagen, wie die Gruppe noch nicht bereit wäre, sich mit dem nun anste-
henden Thema zu beschäftigen. Das unter 1 genannte Team zum Beispiel ist zum
Zweck der Teambildung zusammen. Nach einem Eröffnungscafé und einer kur-
zen Vorstellung aller TeilnehmerInnen ist der LeiterIn klar, dass die Gruppe
bereit ist, gleich in Aktion zu gehen. Hier wäre eine weitere Anwärmung kontra-
produktiv.
Anders verhält es sich in Beispiel 2, der Weiterbildungsgruppe. Die gemein-
same Auswahl des Märchens sowie das Vorlesen wärmen auch die nicht-
märchen-versierten Gruppenmitglieder für das Thema an.
Auch im Beispiel 3 der Suchtgruppe kann eine körperliche Anwärmung hilf-
reich sein. Die TeilnehmerInnen werden von der Leitung aufgefordert, sich ent-
sprechend ihrem Gefühlszustand durch den Raum zu bewegen (schnell, langsam,
träge, gebeugt, etc.); danach sollen sie sich genau entgegen ihrem augenblickli-
chen Befinden bewegen. Die zuvor Trägen wären nun die Dynamischen, wer
zuvor gebeugt ging, geht nun bewusst aufrecht durch den Raum. Als letztes
werden sie gebeten, einmal ganz bewusst die anderen Gruppenmitglieder im
Raum zu betrachten. Mit dieser kurzen Abfolge wäre einerseits das Thema RolleȬ
Antirolle, andererseits das RollenȬZuweisen erwärmt.
Neben der Phase der Anwärmung ist den Gruppenspielen auch gemeinsam,
dass die LeiterIn zu Beginn der Spielphase einige Regeln benennt.

ƒ Begrenzung der Bühne und Definition eines Raumes, wo sich die Gruppen-
spielerInnen zurückziehen können, wenn sie eine „Auszeit“ brauchen.
ƒ Nennung des zeitlichen Rahmens (durchschnittliche Spieldauer 30 Minu-
ten).
ƒ Benennung körperlicher Grenzen: keine reale Gewaltanwendung und keine
reale Berührung primärer und sekundärer Geschlechtsorgane.
ƒ Möglichkeit, die Rolle zu verändern.
ƒ Möglichkeit, sich mit evtl. vorhandenem Material zu „verkleiden“.
100 3 Psychodramatische Arrangements

In der Spielphase achtet die LeiterIn darauf, dass möglichst alle im Spiel sind.
D.h. sie kann evtl. auch kurzfristig selbst eine Rolle einnehmen, um einer spielge-
hemmten MitspielerIn in den Spielfluss zu helfen. Daneben achtet sie darauf,
dass in den beiden Stegreifvarianten niemand symbolisch getötet wird. In den
kulturellen Konserven dagegen finden sich häufig Personen (Rollen), die sterben,
wie etwa die leibliche Mutter im Märchen Schneewittchen. Hier ist in der Nach-
spielphase besonders darauf zu achten, dass die SpielerInnen gut entrollt werden.
Spiele können unterschiedlich lange dauern. Es ist wichtig, nicht beim ersten
Abflachen der Spieldynamik gleich das Signal zum Beenden des Spiels zu geben.
Häufig befindet sich die Gruppe hier in einer vorspontanen Phase, die zu einer
Vertiefung führt. Ein bisschen Frustration für die TeilnehmerInnen darf also
durchaus sein. Grundsätzlich gilt: Je stabiler und entwickelter die Persönlich-
keitsstruktur der TeilnehmerInnen ist, desto länger können sie spielen. Bei Patien-
tInnen mit einem gering integrierten Strukturniveau bzw. PatientInnen mit
schweren Störungen oder entsprechenden Defiziten wird ein Gruppenspiel zum
Teil nach wenigen Minuten beendet sein.
In der Phase der Nachbesprechung gibt es Unterschiede für die Auswer-
tung, je nach Art des Spieles.

FragenȱnachȱselbstȱgewähltenȱRollen:ȱ
1. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, kennst du aus
deinem Leben?
2. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, war neu? Wo
hast du etwas Neues erfahren oder ausprobiert?
3. Mit wem hattest du im Spiel Kontakt?

FragenȱnachȱzugewiesenenȱRollen:ȱ
1. Wie ging es dir mit deiner Rolle?
2. Warum denkst du, dass dir die Gruppe diese Rolle zugewiesen hat?
3. Möchtest du jemand fragen, warum er/sie dir diese Rolle gegeben hat?
4. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, kennst du aus
deinem Leben?
5. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, war neu? Wo
hast du etwas Neues erfahren oder ausprobiert?

Auf eine Besonderheit bei der Nachbesprechung von Märchenspielen soll noch
eingegangen werden. Der in Schweden lebende Psychodramatiker Franzke hat
dazu spezielle Vorgehensweisen entwickelt.
3.3 Das Gruppenspiel 101

Im Märchenspiel, bzw. in jedwedem vorstrukturierten Gruppenspiel, bietet


sich die Möglichkeit, das Spiel direkt hintereinander in zwei Varianten durchzu-
spielen. Das „Drehbuch“ bleibt dabei gleich, während die DarstellerInnen der Rol-
len wechseln. Dazu wählt die Gruppe zu Beginn für jede Rolle zwei Rollenspiele-
rInnen, eine für die erste Version, eine für die zweite. Die Spiele werden dann
nacheinander durchgeführt, ohne eine Nachbesprechung nach dem ersten Spiel.
Nach dem zweiten Durchgang werden beide Spiele unter Einbeziehung der Unter-
schiede nachbesprochen. Nachdem die beiden Varianten sehr dicht aufeinander
folgen, werden die Unterschiede sehr klar deutlich. Die SpielerInnen sehen ihre
eigene Rolle im Spiegel, sie können Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den
jeweils anderen RollenträgerInnen erkennen, und gruppendynamische Prozesse,
wie etwa Rivalitätsthemen, werden dadurch ansprechbar. Eine weitere Möglich-
keit, die sich ausschließlich auf die Nachbesprechung bezieht, besteht darin, die
SpielerInnen auf ihre emotionale Betroffenheit hin zu fokussieren. Sie werden dazu
nach dem Märchenspiel gebeten, sich entlang des roten Fadens der Märchenhand-
lung aufzustellen. Mit einem Seil wird eine Linie gelegt, die den Märchenverlauf im
Raum darstellt, und jede SpielerIn stellt sich unabhängig von der selbst gerade
gespielten Rolle auf dem Zeitstrahl dorthin, wo sie sich am meisten emotional an-
gesprochen gefühlt hat (Identifikationspunkte). Hier werden häufig ganz persönli-
che Lebensthemen, seien sie aktueller Natur, seien es vergangene, deutlich.

Indikationȱ

Nach der Darstellung des Ablaufs von Gruppenspielen kommen wir nun zu
Fragen der Indikation. Allgemein lässt sich sagen, dass sich ein Gruppenspiel
dann anbietet, wenn auftauchende Fragestellungen offensichtlich die gesamte
Gruppe betreffen, wenn gruppendynamische Prozesse zu bearbeiten sind oder
allgemein die Gruppenkohäsion verstärkt werden soll.
Die oben vorgestellten vier Typen von Gruppenspielen legen noch spezielle-
re Indikationen nahe.

Typ 1: Stegreifspiel mit selbst gewählten Rollen


Typ 2: Spiel kulturell vorgegebener Handlungen mit selbst gewählten Rollen
Typ 3: Stegreifspiel mit zugewiesenen Rollen
Typ 4: Spiel kulturell vorgegebener Handlungen mit zugewiesenen Rollen

Grundsätzlich gilt: Je ausgereifter die Persönlichkeitsstruktur (Rudolf 2006) oder


der aktuelle Status der Person, desto eher gelingt ein Stegreifspiel. Je einsichtsfä-
102 3 Psychodramatische Arrangements

higer, oder psychodramatisch ausgedrückt, je besser das AutoȬTele der Person,


desto eher gelingen Spiele mit selbst gewählten Rollen. Umgekehrt bedeutet dies,
dass man als SpielleiterIn in Gruppen mit wenig strukturierten Personen eher
kulturell vorgegebene Handlungen vorschlagen wird. Stegreifspiele werden in
der Regel als emotionale Herausforderung verstanden im Sinne von „Jetzt muss
ich etwas produzieren“ und können zu Beginn von Gruppen dadurch auch über-
fordern. „Sei spontan“, ist die klassische Falle hierzu. Hier ist es als Gruppenlei-
tung wichtig, den Maßstab nicht künstlich hoch zu halten. Im Wesentlichen geht
es um den Anstoß kreativer Prozesse in der Gruppe und in jedem Einzelnen.
Vorstrukturierte Spiele wie zum Beispiel Märchen muten den SpielerInnen einen
festen Plot zu und induzieren eher Fragen von „Mache ich es richtig?“, „Habe ich
nichts vergessen?“, aber evtl. auch „Muss ich mich jetzt eigentlich daran halten?“
Wie bereits in der Grafik zu sehen war, bewegen sich die SpielerInnen im Feld
zwischen Autonomie und Anpassung, wobei das Ziel nicht die maximale Auto-
nomie ist, sondern eine situationsadäquate Balance zwischen beiden Polen. Das
hat zur Folge, dass prinzipiell mit jeder Gruppe jede Art von Gruppenspiel
durchgeführt werden kann, das Anforderungsniveau jedoch auf die Teilnehme-
rInnen und die Gruppenphase genau zugeschnitten sein sollte.

3.4 SpezielleȱGruppenȬArrangements:ȱClapȬTheater,ȱPlaybackȬTheater,ȱ
Soziodramaȱȱ

Im folgenden Abschnitt werden Arrangements beschrieben, die sich zum Teil


eigenständig (weiter-)entwickelt haben. Am stärksten verbunden mit dem Psy-
chodrama ist das Soziodrama, es wurde aber längere Zeit stiefmütterlich behan-
delt. Erst in neuerer Zeit ist es wieder ins Interessensfeld der Psychodrama-
Gemeinde gerückt, im deutschsprachigen Raum durch den Sammelband von
Wittinger (2005), im englischsprachigen durch die Bücher von Wiener (1997;
deutsch: 2001) und Kellermann (2007 und 2009).
Das Playback- und das ClapȬTheater tragen das Theater bereits im Namen.
Beide Arrangements stellen Misch- bzw. Sonderformen psychodramatischer und
theatraler Vorgehensweisen dar.

1) Das Clap-Theater oder: „Immer nur zwei“


Für das ClapȬTheater wird eine Bühne festgelegt, die ZuschauerInnen sitzen im
Halbkreis gegenüber. Die LeiterIn sitzt am Rand an der Grenze zwischen Bühne
und Zuschauerraum. Es handelt sich um ein Stegreif-Arrangement, d.h. es wird
ohne vorher festgelegtes Skript gespielt und die SpielerInnen wählen sich ihre
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama 103

Rollen spontan in der Situation selbst, vor oder bei dem Betreten der Bühne,
manchmal erst auf der Bühne. Das ClapȬTheater beginnt damit, dass eine Person
aus dem Zuschauerraum die Bühne betritt und spontan zu spielen beginnt. Eine
zweite Person kommt dazu und beide spielen nun so lange gemeinsam, bis eine
dritte Person mit einem Händeklatschen, einem Clap, die Bühne betritt, und da-
mit das Signal gibt, dass die erste Person, also diejenige, die am längsten von den
Dreien auf der Bühne ist, wieder zur ZuschauerIn wird und sich setzt. Kommt
die vierte Person, geht die zweite usw. Die Geschwindigkeit des Spiels wird aus-
schließlich durch die Wechsel der MitspielerInnen bestimmt; ebenso die mögli-
chen Rollenveränderungen und Szenenwechsel. So ist es möglich, dass Albert auf
der Bühne zunächst ein Zugschaffner ist, durch das Hinzukommen von Clara
aber unversehens als kleiner Lausbub angesprochen wird. Es gibt dabei keine
Regel, wer die Rollen und Situationen vorgibt: Alles ist dem freien, spontanen
Spiel der Kräfte überlassen.
Neben der klassischen Variante, bei der die abklatschende Person den Zeit-
punkt des Auf-die-Bühne-Kommens bestimmt, besteht die Möglichkeit, dass die
Person, die am längsten auf der Bühne ist, nach eigenem Impuls eine neue Person
aus dem Zuschauerkreis bestimmt, die damit aufgefordert ist, auf die Bühne zu
gehen und zu spielen.
Es handelt sich beim ClapȬTheater nicht um ein eindeutiges Gruppen-
Arrangement, sondern um eine Mischform zwischen Kleingruppen- und Ge-
samtgruppen-Arrangement. Aus dem Stegreif werden in der Dyade auf der Büh-
ne Szenen entwickelt, die sich aus dem Unbewussten der Einzelnen, der Dyade,
aber auch aus dem Gruppen-Unbewussten ableiten.

2) Das Playback-Theater: „Schauen Sie mal …“


Wesentlich bekannter und elaborierter als das ClapȬTheater ist das Playback, wie es
manchmal knapp genannt wird. Aus psychodramatischer Sicht handelt es sich
beim PlaybackȬTheater ebenfalls um eine Mischform. Eigentlich ist es eine prota-
gonistenzentrierte Arbeitsform, aber die ProtagonistIn spielt auf eine besondere
Weise nicht selbst, sie sieht vielmehr als DrehbuchautorIn und RegisseurIn zu
und lässt spielen.
Das PlaybackȬTheater ist vor allem mit dem Namen JonathanȱFox verbunden,
der dieses Arrangement in den USA der 1970er-Jahre entwickelte. Daneben sind
JoȱSalas in den USA und DanielȱFeldhendler sowie MarliesȱArping im deutschspra-
chigen Raum bedeutende VertreterInnen dieses Vorgehens. PlaybackȬTheater ist
als Arrangement bis heute eigenständig geblieben, d.h. es ist nie ganz im PsychoȬ
drama aufgegangen. Gleichwohl soll es an dieser Stelle als psychodramatische
Arbeitsform beschrieben werden.
104 3 Psychodramatische Arrangements

Vereinfacht gesprochen geht es beim PlaybackȬTheater darum, dass erzählte


Geschichten von einer Gruppe von DarstellerInnen in Szene gesetzt werden, wäh-
rend die ProtagonistIn, also die eigentliche ErzählerIn der Geschichte, zusieht. Dies
kann in Form von Szenen, fließendenȱSkulpturen oder Paararbeiten geschehen. Nach
einer kurzen Einführung durch die LeiterIn, was PlaybackȬTheater ist, wird die ge-
samte Gruppe zunächst gebeten, zu verschiedenen Themen fließendeȱ Skulpturen
darzustellen. Hierbei handelt es sich um ein kurzes, abstraktes Zusammenspiel von
Tönen und Bewegungen. Nach dieser Anwärmung wird den ZuschauerInnen, die
sich abgegrenzt gegenüber der Bühne befinden, eine Frage in der Richtung „Werȱ
erzähltȱeineȱbzw.ȱdieȱnächsteȱGeschichte?“ gestellt. Ist die Person gefunden, nimmt sie
neben der LeiterIn Platz und erzählt ihre Geschichte. Auf der Bühne befinden sich
indessen vier bis fünf DarstellerInnen, die der Geschichte aufmerksam folgen. Die
LeiterIn hilft der ProtagonistIn, die Geschichte mit ihren wesentlichen Details und
ihrem Spannungsbogen zu erkunden. Die ProtagonistIn verteilt dann im klassi-
schen PlaybackȬTheater die Rollen an die DarstellerInnen. Danach beginnen diese die
erzählte Szene so zu spielen, wie sie sie verstanden haben. Hierzu können sie sich
kürzer oder länger absprechen, was aber nicht unbedingt notwendig ist. Nach
Abschluss der Spielszene hat die ProtagonistIn noch einmal das Wort: Auf die
Frage der Leitung „War das Ihrer Geschichte ähnlich?“ kann sie dazu Stellung
nehmen, bzw. auch Änderungen vorschlagen, die die DarstellerInnen dann noch
einmal in Szene setzen können. Auch sind grundsätzliche Veränderungen möglich;
die ProtagonistIn kann sich zum Beispiel ein anderes Ende wünschen.
Was zunächst wie ein einfaches Arrangement klingt, stellt sich bei näherer
Betrachtung als ein komplexes und unter Umständen auch störanfälliges Setting
heraus: Geschichte, Assoziationshintergrund der ErzählerIn (Gedanken, Gefühle,
Impulse), Fokus der Leitung und die Art der Darstellung müssen harmonieren,
wenn die PlaybackȬSzene gelingen soll. Auf welche Feinheiten dabei zu achten ist,
kann eindrücklich bei Salas (1998) nachgelesen werden.
Schließlich reihen sich im klassischen PlaybackȬTheater Geschichten an Ge-
schichten, wie Perlen auf einer Schnur, und bilden so gleichzeitig den meist un-
bewussten Prozess einer Gruppe ab. Es wird also bei dieser Arbeitsform sowohl
protagonistInnenzentriert als auch gruppenzentriert gearbeitet. Es sollte bei dem
Arrangement Playback darauf geachtet werden, dass die ProtagonistInnen sich
durch die Art der Darstellung nicht bloßgestellt fühlen; so können durch persif-
lierende Inszenierungen leicht Schamgrenzen erreicht werden; aber auch, wenn
sich die ProtagonistInnen in der Darstellung ihrer Geschichte nicht richtig wie-
dergegeben fühlen, ist das Risiko einer psychischen Verletzung gegeben.
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama 105

Abbildungȱ23: Playback-Spiel

Im Arrangement PlaybackȬTheater müssen nicht zwangsläufig die schrecklichen,


belastenden Geschichten zur Erzählung und damit auf die Bühne gebracht wer-
den. Kleine Geschichten, die für die ProtagonistIn Bedeutung haben, durchaus
auch im positiven Sinne, können ebenfalls auf die Bühne gelangen.

KlassischerȱAblaufȱimȱPlaybackȬTheaterȱ
1 Anwärmung (z.B. durch FließendeȱSkulpturen)
2 Geschichte, Interview und Wahl der RollenträgerInnen
3 Szenenaufbau und Darstellung
4 Anerkennung
5 Rückgabe der Geschichte an die ErzählerIn
6 Änderungen und Transformationen

Tabelleȱ12: Playback-Theater-Ablauf

3) Das Soziodrama: „Gruppen als Thema “


Das Soziodrama ist eine Arbeitsform, die sich mit Gruppen, Gruppenphänome-
nen und Beziehungen zwischen Gruppen und kollektiven Ideologien beschäftigt.
Das Subjekt ist in diesem Fall also nicht eine einzelne ProtagonistIn oder eine
einzelne Gruppe, sondern Gruppen, repräsentative Typen, Kulturen und deren
106 3 Psychodramatische Arrangements

Beziehungen untereinander. Eine Gruppe bzw. eine RepräsentantIn einer Gruppe


spielt nicht im Spiel einer ProtagonistIn als Hilfs-Iche oder ZuschauerInnen mit,
sie spielt auch nicht ein Thema wie bei einem Märchenspiel, sondern eine Gruppe
bzw. die RepräsentantIn spielt Gruppen oder Typen. Als Beispiel kann sich eine
Gruppe soziodramatisch mit dem Thema LehrerInȬSchülerIn oder MännerȬFrauen
auseinandersetzen, oder die Gruppe inszeniert gemeinsam den Typus Macho, den
Typus ManagerIn oder den Typus MigrantIn. Im Bereich der Team- und Organisa-
tionsentwicklung kann ein Soziodrama zum Einsatz kommen, um interne Abläu-
fe zu verbessern oder das Zusammenspiel von potentiellen KundInnen, Lieferan-
tInnen, KonkurrentInnen und MitarbeiterInnen zu untersuchen.
Das Ziel soziodramatischen Arbeitens ist dementsprechend, die komplexe
Dynamik sozialer Zusammenhänge und Interaktionen verstehen zu lernen. Dabei
wird von unterschiedlich vorhandenen Interessen, Perspektiven und Handlungs-
optionen ausgegangen, die im soziodramatischen Spiel erschlossen werden kön-
nen. In Erweiterung von Wieners Darstellung der Ziele von Soziodramen (1997:
11) können folgende Ziele systematisch erfasst werden:

ZieleȱvonȱSoziodramen
1 Soziale Szenarien wie Gruppen, Typen und Kulturen besser verstehen lernen
2 Allen Beteiligten neue Erkenntnisse zu den verschiedenen Rollen (eigenen wie
fremden) verschaffen, die mit den betr. Szenarien verbunden sind
3 Den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zur Öffnung und Auseinandersetzung
bieten, indem die Gefühle, Gedanken und Handlungsimpulse, die mit dem
Szenario verbunden sind, ausgedrückt und erkundet werden
4 Entwicklung neuer Rollenkompetenzen und Performanzen in den betreffenden
sozialen Szenarien

Tabelleȱ13: Ziele von Soziodramen

AblaufȱeinesȱSoziodramasȱ

Auch im soziodramatischen Vorgehen gibt es Phasen, die bereits von Moreno vor-
geschlagen wurden: „ErwärmungȱundȱdieȱWahlȱdesȱsozialenȱPlans,ȱdieȱProduktionȱundȱ
dieȱAnalyse“ (HutterȱundȱSchwehm 2009: 353). Zuerst sollen die TeilnehmerInnen für
ein gemeinsam zu bearbeitendes Thema erwärmt werden. Zuweilen ergibt sich
dies von allein, z. B. durch einen äußeren Anlass, der die Gruppe beschäftigt: Ein
bekannter Sänger ist gestorben oder ein Attentat mit weitreichenden Folgen ist
bekannt geworden (9/11). Ist dies nicht der Fall und ist die Gruppe auch nicht von
vornherein zur soziodramatischen Bearbeitung eines Themas zusammengekom-
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama 107

men (Bsp. Teamentwicklungstag in einer sozialen Einrichtung), wird die LeiterIn


Zeit darauf verwenden müssen, um das Thema gemeinsam mit der Gruppe her-
auszuarbeiten: Welche Art von sozialem Szenario spricht die Gruppe an? Wenn
das Thema klar ist, wird es durch die Gruppe bzw. eine GruppenvertreterIn durch
ein Rollenspiel in Szene gesetzt. Abhängig von dem Thema wird sich dies entwe-
der mehr im Stegreifbereich bewegen (Bsp. Typusdarstellungen: Männer-Frauen),
oder aber ein Nachspielen vorgegebener Erlebnisse sein (Bsp. Tschernobyl, „9/11“).
Verschiedene Anwendungsformen sowie das jeweils angezeigte Vorgehen finden
sich bei Kellermann (2007) und Wittinger (2005). Eine Form der soziodramatischen
Darstellung ist die Teilung der Gruppe in zwei Untergruppen, die danach kollek-
tiv die Rollen tauschen und das Szenario mit vertauschten Rollen noch einmal
spielen. In der das Soziodrama abschließenden Analyse werden Sharings gegeben
sowie der Prozess und dessen Ergebnis reflektiert.

Indikationȱ

Die Indikationen ergeben sich aus dem oben Dargestellten. Eine soziodramati-
sche Inszenierung sollte dann in Erwägung gezogen werden, wenn das Gruppen-
thema oder die Problematik einer Einzelperson mehr mit kulturellen, sozialen
und gesellschaftlichen Belangen verwoben ist als mit individuellen, einzelnen
innerpsychischen Faktoren, etwa wenn TeilnehmerInnen unter den Vorurteilen
leiden, die ihnen aufgrund ihres MigrantInnen-Hintergrundes entgegengebracht
werden, oder wenn zum Beispiel ein politisches Ereignis das Gruppengeschehen
überschattet.

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3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama 111

4
4 DieȱPsychodramaȬTechnikenȱ

„So lass uns gehen, du aber gehe alsdann immer voraus.


Und gib mir, wenn dir irgendwo ein Stecken geschnitten ist,
dass ich mich darauf stütze,
da Ihr ja sagt, es sei der Weg sehr schlüpfrig“
(Homer17)

Nach den Arbeitsformen, den Arrangements des Psychodramas kommen wir


nun zu den psychodramatischen Techniken, den Hilfsmitteln. Unter den Techni-
ken verstehen wir das konkrete Vorgehen innerhalb bestimmter Arbeitsformen.
Die im Folgenden beschriebenen Techniken bauen aufeinander auf und nehmen
im Komplexitätsgrad zu. In der psychodramatischen Theoriebildung der ersten
Jahre wurden die Psychodrama-Techniken ausschließlich entwicklungspsycholo-
gisch hergeleitet. Auf diese Darstellung sei an dieser Stelle verzichtet und auf die
entsprechende Literatur verwiesen (Leutz 1986). Krüger (2009) hat aktuell acht
aufeinander aufbauende zentrale Psychodrama-Techniken in seinem Modell der
Allgemeinenȱ Theorieȱ derȱ Psychodramatechniken gefasst, das die Grundbedürfnisse
des Menschen, bestimmte Störungsbilder, Ich-Funktionen, funktionelle Rollen
sowie Bezüge zum Störungskonzept der psychoanalytischen Techniken verdeut-
licht (siehe Abbildung „Kreismodell der Psychodrama-Techniken“ im Anhang).
Wir wollen an dieser Stelle keine vertiefende Darstellung vornehmen, sondern
nur die zentralen Psychodrama-Techniken nacheinander in Anlehnung an die
Krüger’sche Systematik kurz beschreiben: den Szenenaufbau, das Doppeln, das Spielȱ
inȱderȱ eigenenȱ Rolle und das SpielȱinȱderȱRolleȱeinesȱanderen, den Rollenwechsel, das
Spiegeln, den Rollentausch sowie das dazugehörige Rollenfeedback, den SzenenwechȬ
sel, die Amplifikation und das Sharing. VonȱAmeln,ȱGerstmann und Kramer benennen
im Bereich der Techniken noch weitere Varianten, auf die wir an dieser Stelle
nicht näher eingehen wollen, die aber der Vollständigkeit halber Erwähnung
finden sollen: Verkörperungȱ vonȱ Metaphern und Gefühlen, Zeitlupe, Zeitraffer und

17 aus Homer, Die Odyssee (2004: 301)


112 4 Die Psychodrama-Techniken

das EinfrierenȱeinerȱSzene (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2009: 71ff). Unter Regie-


techniken beschreibt Schaller darüber hinaus das Rückwärts- und Vorwärtsspulen
von Szenen, den Stummfilm und die Maximierung (Schaller 2009).

4.1 Szenenaufbauȱ

„Ich kann [...] nicht genügend betonen, dass die Konstellationen


des Raumes als Teil des therapeutischen Prozesses
nach unserer Forschung von höchster Bedeutsamkeit sind.
Sie erwärmen den Protagonisten dafür,
in einer Umgebung zu sein und zu handeln [...]
(Moreno 1989: 35)

Die grundlegendste Technik ist der Szenenaufbau. Im Arrangement des Protago-


nistInnenspiels beschreibt die ProtagonistIn, wie im letzten Kapitel ausführlich
geschildert, zunächst die Szene und die daran beteiligten Personen. Was dann auf
die Beschreibung folgt, der Szenenaufbau, ist bereits Teil des Spiels und damit
auch ein technisches Vorgehen. Es werden Rollen benannt und mit MitspielerIn-
nen besetzt, Kontexte werden erfragt und szenisch eingerichtet, Rahmen wie Ort
und Zeit werden auf der Bühne verankert. Durch den Szenenaufbau wird das
innere Bild der ProtagonistIn nach außen auf die Bühne gebracht. Alles, was
innen ist, wird nun außen, für LeiterIn und ZuschauerInnen sichtbar, verortet.
Die ProtagonistIn sucht zusammen mit der Psychodrama-LeiterIn Orte auf der
Bühne für alles, was mit dem Thema in Zusammenhang steht. Dieses Vorgehen
schafft eine äußere Ordnung, die der inneren der ProtagonistIn entspricht: Die
MitspielerIn, die den Vater der ProtagonistIn auf der Bühne repräsentiert, steht
ebendort so weit von der ProtagonistIn entfernt, wie es dem inneren Erleben der
ProtagonistIn entspricht. Aber auch umgekehrt schafft das äußere Platzieren und
Symbolisieren eine veränderte innere Ordnung: Indem die ProtagonistIn dem
(durch den Mitspieler repräsentierten) Vater einen bestimmten Platz auf der
Bühne gibt, erhellt sich ihr eigenes Verständnis von ihrer Beziehung zum Vater.
Durch den Szenenaufbau wird die Systemorganisation der ProtagonistIn
angeregt. „Der Protagonist organisiert durch Szenenaufbau mit Hilfe des Thera-
peuten seine innere Vorstellung vom Konfliktsystem als äußere Wahrnehmung
und lässt ihn dabei prüfen, wer und was in dem Konfliktraum existent ist und
dazugehört. Durch Konkretisieren und Positionieren der zum Konflikt dazuge-
hörigen inneren Bilder im Raum der Bühne organisiert der Szenenaufbau die
energetische und räumliche Bezogenheit des Protagonisten in seinem Konflikt-
4.1 Szenenaufbau 113

feld […] als Voraussetzung für die spielerische psychodramatische Bearbeitung


des Konfliktes.“ (Krüger 2005: S. 257).

Fallbeispiel:ȱ
Herr Bald: „Ich habe Probleme mit meinem Chef. Er ist super-penibel: In den Morgen-
besprechungen gibt er mir jedes Mal meine Schriftstücke zurück und dann
macht er mich vor allen Kollegen wegen meiner Rechtschreibfehler zur
Schnecke. Am liebsten würde ich dann alles hinschmeißen und heimgehen.
Oder wenigstens im Boden versinken. Es ist mir so peinlich. Was die Kolle-
gen dann von mir denken! Letzten Montag habe ich in der Besprechung ei-
nen Schweißausbruch bekommen, dass ich direkt zum Duschen hätte gehen
können.“
PD-Leiter: „OK, wenn Sie einverstanden sind, beginnen wir einmal mit der Szene, die
Sie schildern. Können Sie bitte aus der Gruppe Mitspieler für die Rollen Ih-
res Chefs und für Ihre Kollegen aussuchen.“
Herr Bald: [Wählt Florian für seinen Chef, und zwei weitere Mitspieler für zwei Kolle-
gen aus]
PD-Leiter: „Gut, können Sie jetzt zunächst hier auf der Bühne markieren, wo der
Besprechungsraum ist. Wie ist der eingerichtet? Gibt es da Stühle, Tische,
Fenster, andere wichtige Gegenstände? Wo ist denn die Tür, durch die Sie
hereinkommen?“ [NachdemȱderȱRaumȱeingerichtetȱist,ȱdieȱMitspielerȱvonȱHerrnȱ
Baldȱ aufȱ ihreȱ Positionenȱ gebrachtȱ wurden:] „Können Sie bitte den Mitspielern
ein paar Sätze zu ihrer Rolle sagen, wie alt sie sind, wie lange sie schon in
der Firma arbeiten, was ihre Funktion ist etc.“
Herr Bald: [Gibt ein paar knappe Informationen an die Rollenträger]
PD-Leiter: „Sie haben auch davon gesprochen, dass Sie Schriftstücke zurückbekom-
men, und dass Sie einen Schweißausbruch bekommen haben, so dass Sie
am liebsten zum Duschen gegangen wären. Können Sie bitte jemand
auswählen, der für die Schriftstücke steht, und eine weitere Person für den
Schweißausbruch, und zu guter Letzt eine Person für die Dusche.“[Nachȱderȱ
entsprechendenȱInstallation] „Welche Gefühle oder Gedanken nehmen Sie bei
den anderen wahr? Können Sie bitte jeweils das überwiegende Gefühl den
anderen Personen zuordnen?“
Herr Bald: [Wählt für den Chef das Gefühl Macht, für den Kollegen 1 das Gefühl
Angst und für den Kollegen 2 das Gefühl Häme]

Auf der Bühne entsteht die Szene, wie sie in Abbildung 24 zu sehen ist.
114 4 Die Psychodrama-Techniken

Dusche
Chef (zuhause)

Macht

Angst Schrift-
K1 stück

Schweiß-
Ausbruch
Häme „Am liebsten würde ich heimgehen… was die
K2 B Kollegen denken … peinlich …ich könnte
jetzt duschen…“

Abbildungȱ24: Szenenaufbau

Im Szenenaufbau wird die gesamte Szene erfasst, nicht nur einzelne Aspekte,
und die vorhandenen Bestandteile werden in ihren Bedeutungen exploriert. Der
Klient, im Beispiel Herr Bald, nimmt wahr, dass er von seinem Chef vor allem die
Macht wahrnimmt, während die Häme des Kollegenȱ2 für ihn nicht so klar fassbar
ist. Auch die Angst des Kollegenȱ 1 ist nicht so deutlich sichtbar; die Gefühle der
Kollegen sind im Gegensatz zu seinen eigenen eher für die anderen Personen
verborgen. Sein Schweißausbruch, den er als Ausdruck seiner Angst und Pein
verstehen kann, ist jedoch für alle anderen klar sichtbar, ebenso sein fehlerhaftes
Schriftstück. Nach den Qualitäten des Schriftstückes und der Dusche befragt,
beschreibt Herr Bald, dass das Schriftstück mit viel Anstrengung in Verbindung
gebracht wird und gleichzeitig mit Mängeln versehen ist. Die Dusche beschreibt
er als einen Ort der Sicherheit vor Angriffen, einen Ort, wo er abkühlen kann und
sich wieder von Fehlern gereinigt sieht.
In der Nachbesprechung wird Herrn Bald klar, dass er in seinem Schriftstück
sich selbst sieht mit seinem Lebensgefühl, dass er sich immer anstrengen muss,
und sich dennoch mit Mängeln behaftet fühlt. Zur Dusche fällt ihm ein, dass er
sich ähnlich bei seiner Lebensgefährtin fühle, die ihm immer wieder sage, was für
Qualitäten er habe, und die ihn immer wieder animiere, raus in die Natur zu
gehen, damit er sich erholen könne.
4.1 Szenenaufbau 115

Beim Szenenaufbau ergeben sich folgende Fragestellungen und damit verbunde-


ne Funktionen:

ƒ Wo soll die Bühne sein?


Durch die Bühnendefinition wird für die ProtagonistIn ein neuer Hand-
lungsraum eröffnet, der durch seine klare Definition, seine eindeutige Be-
grenzung und seinen experimentellen Charakter Sicherheit verleiht.
ƒ Wer und Was gehört alles zu Ihrem inneren Bild?
Das innere Bild der ProtagonistIn mit all seinen Bestandteilen wird außen in
seiner Komplexität sichtbar.
ƒ Was gehört wo hin? Wo stehen Sie selbst in dieser Landschaft?
Die ProtagonistIn ordnet sich selbst, andere Personen, Gegenstände, Gefüh-
le, Gedanken, Impulse, Räume auf der Bühne entsprechend ihrer inneren
Welt. Sie erhält damit Orientierung und gewinnt zusätzlich Regie- oder
Selbststeuerungskompetenz.
ƒ Was verbinden Sie mit den verschiedenen Bestandteilen, die hier auf der
Bühne zu sehen sind?
Die Psychodrama-LeiterIn exploriert zusammen mit der ProtagonistIn die
verschiedenen Rollen und die eigene, innere Struktur des gesamten darge-
stellten Systems oder der Situation.
ƒ Wer oder was fehlt noch?
Abklärung, inwieweit die Darstellung das innere Bild vollständig wieder-
gibt.
ƒ Was sehen, fühlen, denken Sie jetzt?
Exploration der Reaktion der ProtagonistIn auf das Erleben der gesamten Si-
tuation.

In Abhängigkeit von der Strukturiertheit der ProtagonistIn dient der Szenenauf-


bau auch der Erwärmung zum Handeln durch Belebung der Szene. In diesem
Fall würde die Exploration nicht so ausführlich stattfinden, wie wenn der Sze-
nenaufbau die einzige Maßnahme bleibt. Pauschal gesagt: Je reifer die Persön-
lichkeitsstruktur der Person, desto eher wird der Szenenaufbau nur die Anwär-
mung für ein weiteres Handeln sein. In der Arbeit mit psychoseerkrankten Men-
schen, mit Menschen, die an einer Suchterkrankung leiden oder eine schwere
Traumatisierung erlebt haben, werden in der Regel der Szenenaufbau und das
darauf folgende Doppeln die Techniken der Wahl sein, die zur Anwendung ge-
bracht werden können. Eine ausführliche Systematik zu Indikations- und Herlei-
tungsfragen, die vor allem für therapeutisch und beraterisch tätige Psychodrama-
tikerInnen von Nutzen ist, findet sich bei Krüger (1997 und 2009).
116 4 Die Psychodrama-Techniken

4.2 Doppelnȱ

„Zusammen ist man weniger allein“


(Gavalda)ȱ

Aufbauend auf der Psychodrama-Technik Szenenaufbau folgt als nächster Schritt


das Doppeln, das von PsychodramatikerInnen häufig als Chiffre für drei Techni-
ken verwendet wird: das Doppeln selbst, die DoppelgängerIn oder das Double und
die StellvertreterIn oder das StandȬIn (vgl. Tabelle Doppeln,ȱ DoppelgängerIn,ȱ StellȬ
vertreterIn im Anhang).

Doppelnȱ

„Sie sehen zwei Menschen, die in Wirklichkeit die gleiche Person sind. Eine Person
hält den Arm so (Moreno macht es vor). Und die andere macht das gleiche. Wenn die
eine ihren Kopf beugt, macht die andere das gleiche. Das Doppel ist eine geschulte
Person, geschult darin, die gleichen Verhaltensmuster, die gleichen Gefühlsmuster,
die gleichen Gedankenmuster, die gleichen Muster verbaler Kommunikation, die der
Patient hervorbringt, zu produzieren. Nun brauchen wir dieses Doppel natürlich
nicht nur als ästhetisch Handelnden, sondern um Zutritt zum Bewusstsein dieser Per-
son zu erhalten und um diese Person zu beeinflussen“ (Moreno 2009: 323).

Was Moreno hier zum Doppeln gesagt hat, gilt heute nahezu unverändert. Es gibt
im Wesentlichen eine Einschränkung: „geschultes“ Personal für das Doppeln
findet sich heute nur äußerst selten, da Psychodrama-LeiterInnen aus Kosten-
gründen meist alleine mit ihren KlientInnen arbeiten. So sind die doppelnden
Personen meist selbst Gruppenmitglieder und im klinischen Bereich damit Pati-
entInnen. Geschult wird der Personenkreis insofern, als erklärt und geübt wird,
wie beim Doppeln vorzugehen ist.
Doppeln ist nicht einfaches Nachmachen, sondern es beinhaltet eine Einfüh-
lung der doppelnden Person in die ProtagonistIn, und bis zu einem gewissen
Grad auch umgekehrt ein Einschwingen der ProtagonistIn in das Doppel. Es
handelt sich also um eine wechselseitige Einfühlung. Entwicklungspsychologisch
leitete Moreno diese Technik aus der frühen Eltern-Kind-Interaktion ab, wo sich
die Mutter oder der Vater im günstigen Fall als Doppel zur Verfügung stellen,
wenn sie zum Beispiel Gefühle nachempfindend zum Säugling sagen: „Gell, das
freut dich…“ oder beim Stillen: „Das schmeckt fein, gell…?“
Um zu doppeln, geht ein anderes Gruppenmitglied oder nach Ankündigung
auch die Psychodrama-LeiterIn schräg hinter die ProtagonistIn und versucht sich
4.2 Doppeln 117

in diese einzufühlen. Dies gelingt leichter, wenn die gleiche Körperhaltung, Mi-
mik und Gestik eingenommen wird. Das Doppel verbalisiert dann aus der Sicht
der ProtagonistIn deren inneres Erleben. Dies kann sich auf die äußere Situation
beziehen („Ich sitze hier alleine an einem Tisch…“), auf Gedanken („Es wäre
schön, wenn jemand da wäre…“), auf Gefühle („Ich fühle mich alleine…“), aber
auch auf Wünsche, Absichten und Impulse („Am liebsten würde ich jetzt aufste-
hen und bei der Nachbarin klingeln…“). Das Doppeln wird eingesetzt, um das
blockierte innere (Selbst-) Gespräch der ProtagonistIn wieder in Gang zu bringen.
Die Selbst-, Fremd- und Situationswahrnehmung, das Sich-Gewahr-Werden der
eigenen Lage wird dadurch verbessert: Die ProtagonistIn kommt wieder in Kon-
takt mit sich selbst oder, psychodramatisch ausgedrückt, das AutoȬTele wird op-
timiert. Das Doppel spricht in der Ich-Form und dabei die MitspielerInnen nur in
der 3. Person an („Meine Kollegin sieht mich jetzt an wie…“ statt: „Du siehst
mich jetzt an wie…“). Durch diese Technik wird es der ProtagonistIn leichter
gemacht, den Fokus auf das eigene Befinden zu legen und weniger auf die Inter-
aktion bzw. die MitspielerIn. Wichtig beim Doppeln ist, dass die ProtagonistIn,
die gedoppelt wurde, ausreichend Gelegenheit erhält, den Inhalt, soweit er
stimmt, in eigenen Worten wiederzugeben. Was nicht stimmt, wird verneint oder
einfach nicht aufgegriffen. Dementsprechend ist das Doppeln in der Regel nur
eine kurze Intervention, die nur solange angewandt wird, bis die ProtagonistIn
wieder ihren eigenen inneren Faden aufgenommen hat, sich selbst Klarheit über
die innere und äußere Lage verschafft hat und handeln kann. Doppeln fördert im
Allgemeinen die Regression; wir erinnern uns, dass Moreno die Idee zum Dop-
peln aus der frühen Eltern-Kind-Interaktion ableitete. Sehen wir hier von spezifi-
schen Indikationsfragen ab, gilt für das Doppeln allgemein: so viel wie nötig, so
wenig wie möglich. Wie Krüger (1997) beschreibt, ist die Psychodrama-LeiterIn
hier wie eine Hebamme tätig, die nicht aktiv werden muss, wenn das Kind gut
von alleine auf die Welt kommt oder sich in ihr bereits bewegen kann. Auch
wenn der Spielverlauf der Szene dynamisch angelegt ist, muss mit Doppeln spär-
lich umgegangen werden, da es eine Technik der Innerlichkeit ist, welche äußere,
dynamische Prozesse entschleunigt.

Fallbeispiel:ȱ
Herr Kurz: [Steht in einer Szene seiner Frau gegenüber und schweigt]
PD-Leiterin: „Kann jemand aus der Gruppe doppeln? Hat jemand eine Idee, was in
Herrn Kurz vor sich gehen könnte?“
Herr Doppel: „Hier stehe ich jetzt vor ihr und kann nichts sagen…“
Herr Kurz: „Ja genau, so ist es immer! Mir fällt nichts ein, obwohl mir gerade noch alles
klar war, was ich dir sagen wollte.“
118 4 Die Psychodrama-Techniken

Frau Kurz: „Was möchtest du mir denn sagen? Das kannst du doch nicht einfach ver-
gessen haben!“
Herr Kurz: [Schweigt mit zusammengekniffenen Lippen]
Herr Doppel: [kneift zunächst auch die Lippen zusammen] „Doch, genau so ist es. Es ist,
als ob ich alles vergesse, wenn ich vor ihr stehe. Ich bin dann so wütend auf
mich selbst, dass ich das nicht schaffe…“
Herr Kurz: „Ja, das stimmt: Ich komme mir dann so klein vor, wenn ich vor dir stehe
und kein Wort herausbringe. [Schweigt mit leicht gerötetem Gesicht; die
Augen jetzt direkt auf seine Frau gerichtet]
Herr Doppel: „Und eigentlich bin ich auch ärgerlich auf sie. Am liebsten würde ich mal
auf den Tisch hauen und ihr sagen…“
Herr Kurz: „Nein, auf den Tisch hauen würde ich nicht, aber mal einen Teller auf den
Boden werfen. Lieber soll mal ein Teller kaputt gehen, als dass ich mich
weiter von dir kaputt machen lasse von deinen ständigen Vorwürfen!“
PD-Leiterin: „Herr Kurz, können Sie Ihrer Frau mal sagen, was das für Vorwürfe sind,
die sie nicht mehr hören möchten?“

An dieser Stelle wird das Doppeln beendet, da der Protagonist sich selbst in sei-
nem Denken, Fühlen und Wollen wieder vollständiger wahrnimmt und damit
die Voraussetzung erfüllt, handeln zu können. Doppeln ist in der Regel eine
unterstützende Technik; manche AutorInnen unterscheiden viele verschiedene
Unterformen. Die prominenteste ist das so genannte AmbivalenzȬDoppeln. Hierbei
werden die zwei Seiten der Ambivalenz bei der ProtagonistIn von zwei Mitspie-
lerInnen gedoppelt. Die gedoppelte Person erlebt dadurch anschaulich das Hin-
und-her-gerissen-Sein zwischen den beiden Positionen. Im psychodramatischen
Einzelsetting werden die beiden Rollen von der LeiterIn nacheinander einge-
nommen. Eine weitere Unterform ist das explorierendeȱDoppeln: Hier werden nur
Satzanfänge angeboten, die die ProtagonistIn ermutigen, diese Sätze selbst zu
vollenden. Es wird also nur ein Aufmerksamkeitsfokus angeboten wie „…ȱ amȱ
liebstenȱwürdeȱichȱjetztȱ…“ oder „Ichȱfühleȱmichȱ…“. Diese Form des Doppelns lässt
der ProtagonstIn einen großen Freiraum, was den Inhalt anbelangt, lenkt sie aber
deutlich in Richtung Selbstwahrnehmung.
Indiziert ist das Doppeln besonders bei Menschen, deren Selbstwahrneh-
mung eingeschränkt ist oder deren Selbstbezug unterbrochen ist. Dies gilt für alle
Formate, also für die Beratung und Supervision ebenso wie für Bildungs- und
Psychotherapieprozesse. Für letztere ordnet Krüger (2002: 277ff; Sturmȱ2009: 122f;
siehe „Kreismodell“ im Anhang) in seiner Systematik der Psychodramatechniken
das Doppeln ebenso wie den Szenenaufbau den Diagnosen Psychose, Trauma,
Sucht und Borderline zu.
4.2 Doppeln 119

Allgemeiner schreibt Moreno: „Die Doppeltechnik ist die wichtigste Thera-


pie für einsame Menschen und deshalb wichtig für isolierte und zurückgewiese-
ne Kinder. Ein einsames Kind wird ebenso wie ein schizophrener Patient viel-
leicht nie in der Lage sein, einen Rollentausch zu machen, aber es wird ein Dop-
pel akzeptieren.“ (Moreno 2009: 325).

DieȱDoppelgängerInȱoderȱdasȱDoubleȱ

Die DoppelgängerIn ist eine Erweiterung der Doppelrolle. Während das Doppeln
ein punktuelles Zur-Sprache-Bringen der Innenwelt der ProtagonistIn ist, handelt
es sich bei der DoppelgängerIn um eine, mindestens eine Szene, manchmal auch
das ganze Spiel begleitende Rolle. Hierbei übernimmt ein durch die ProtagonistIn
gewähltes Gruppenmitglied die Rolle einer mithandelnden BegleiterIn, die diesel-
ben Situationen erlebt wie die ProtagonistIn, jedoch mit ihren eigenen Gedanken,
Gefühlen und Impulsen. Aufgrund der gefühlten Ähnlichkeit zwischen Protago-
nistIn und DoppelgängerIn und der Differenz zwischen den Gedanken, Gefühlen
und Impulsen der DoppelgängerIn zu denen der ProtagonistIn entsteht das hilf-
reiche Moment. Die DoppelgängerIn kann so zum Beispiel Handlungen zum Posi-
tiven hin verändern, Impulse geben für neue Lösungen, unterstützen durch die
bloße Anwesenheit oder aktiven Schutz bieten vor bislang nicht bewussten Bedro-
hungen. Die DoppelgängerIn kann im alltäglichen Sinn eine echte DoppelgängerIn
sein, also die ProtagonistIn schlicht verdoppeln; sie kann aber auch in einer ande-
ren Rolle in Erscheinung treten, zum Beispiel in der Rolle eines Schutzengels, einer
engen FreundIn oder einer imaginierten HelferIn. Die Doppelgängerrolle ist also
eine zweifache Erweiterung des reinen Doppelns. Erstens ist sie von zeitlich länge-
rer Dauer, zweitens zeichnet sie sich durch einen stärkeren Handlungsbezug aus.
Die DoppelgängerIn wird meist zu Beginn einer Szene, bzw. zu Beginn eines Pro-
tagonistInnenspieles gewählt und als Rolle besetzt, sobald klar ist, dass es für die
Thematik angezeigt erscheint. Der Vorschlag, eine DoppelgängerIn einzusetzen,
kommt von der Psychodrama-LeiterIn, die Wahl der betreffenden RollenträgerIn
erfolgt selbstverständlich durch die ProtagonistIn.
Besonders indiziert ist die Besetzung der Rolle der DoppelgängerIn bei Situ-
ationen, in denen die ProtagonistIn Unterstützung und Hilfe benötigt, da zum
Beispiel eine starke Bedrohung vorliegt. Die DoppelgängerIn kann aber auch
dabei helfen, den Dialog mit sich selbst wieder in Gang zu bringen bzw. alterna-
tive Handlungswege aufzuzeigen.
120 4 Die Psychodrama-Techniken

DieȱStellvertreterInȱoderȱdasȱStandȬInȱ

Die letzte Variante des Doppelns ist die StellvertreterIn bzw. das StandȬIn. Das Be-
sondere an dieser Variante ist, dass die ProtagonistIn in dem Moment, wo die Stell-
vertreterIn sich in der Szene befindet, selbst außerhalb der Szene ist. Auch wird die
StellvertreterIn in der Regel ausschließlich das doppeln, was ihr von der Protago-
nistIn gesagt oder gezeigt wurde. Anders als bei der DoppelgängerIn, die mehr
Spielräume für eigene Impulse hat, ist damit bei diesem Vorgehen die Stellvertrete-
rIn von Ausnahmen abgesehen sehr stark an die Vorgaben der ProtagonistIn ge-
bunden. Hier ist der Übergang zu einer weiteren Psychodrama-Technik, dem SpieȬ
geln (siehe unten): das Stand-In entspricht der Rolle der MitspielerIn beim Spiegeln.

Fallbeispiel:ȱ
Die Protagonistin Frau Blau berichtet in einer Psychodrama-Sitzung während des Szenen-
aufbaus von einer Situation, die der Trennung von ihrem alkoholkranken Ex-Mann vor
einem Jahr vorausging. Die Szene spielt in der Küche nach dem Abendessen; anwesend
sind ihre siebenjährige Tochter Klara und ihr damaliger Ehemann in alkoholisiertem Zu-
stand.

Frau Blau: „Ernst [der Ehemann] steht da drüben neben dem Esstisch und Klara möch-
te gerade in ihr Zimmer gehen. Aus heiterem Himmel fängt Ernst an zu
schreien, Klara soll erst das Geschirr abspülen. Ich weiß nicht mehr genau,
was dann passiert ist, ob Klara irgendwie reagiert hat oder einfach nur zur
Tür gegangen ist. Ich weiß nur noch, dass er plötzlich die schmutzigen Tel-
ler genommen hat und gegen die Wand bei der Tür geworfen hat. Ich weiß,
dass dann alle durcheinander geschrieen haben und Klara geweint hat. Als
mein Mann dann fluchend aus dem Haus ist, bin ich mit Klara hoch, habe
ein paar Kleider für uns in einen Koffer gepackt und bin zu meiner Freun-
din gefahren.“
PD-Therapeut: „Das war gut, dass Sie das gemacht haben, ich kann mir gut vorstellen, wie
schlimm es gewesen sein muss.“
Frau Blau: „Um ehrlich zu sein, ich weiß es gar nicht. Ich habe damals nichts gespürt,
auch heute nicht. Ich weiß nicht einmal, ob es richtig war, was ich damals
getan habe.“
PD-Therapeut: „Ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie eine Stellvertreterin für sich in dieser
Situation suchen, die für Sie in die Szene geht. Dann können wir danach hö-
ren, wie es sich für Ihre StellvertreterIn angefühlt hat. Vielleicht erkennen Sie
dann einige Gefühle bei sich wieder. Sind Sie damit einverstanden?“

In dem Beispiel hat die Protagonistin eine Gefühllosigkeit nach einem traumati-
schen Erlebnis. Gefühle, die in der Traumasituation übermächtig erlebt werden,
können nicht verarbeitet werden. Die Stellvertreterin, die die ProtagonistIn dop-
4.3 Rollenspiel in der eigenen Rolle 121

pelnd vertritt, kann diese abgespaltenen und verkapselten Gefühle, die zu der
Situation gehören, bei sich erleben und wiedergeben.
Indiziert ist der Einsatz eines Stand-Ins in allen Situationen, wo ein stellver-
tretendes Erleben für die ProtagonistIn hilfreich sein kann. Dies kann einmal
dann sein, wenn Distanz aufgrund von Unübersichtlichkeit oder Bedrohung
notwendig ist, aber auch dann, wenn der innere Prozess situationsinadäquat
abläuft, die ProtagonistIn also aufgrund (hilfreicher und notwendiger) Abwehr-
mechanismen die Situation kognitiv und affektiv nicht mehr angemessen verar-
beiten kann. Die StellvertreterIn kann demgegenüber in der Realität der Psycho-
drama-Szene Gedanken, Gefühle und Impulse, die zur Situation im Sinne einer
gesunden psychischen Verarbeitung gehören, wahrnehmen und verbalisieren.
Durch dieses Doppeln kann die ProtagonistIn wieder an das eigene Erleben an-
schließen und das Erlebte weiter verarbeiten.

DasȱZurȬSeiteȬSprechenȱ

Diese Technik ist im weitesten Sinn auch dem Doppeln zuzuordnen. Hierbei
wird die ProtagonistIn gebeten, einen eigentlich inneren, leisen Monolog über die
eigene Befindlichkeit laut zur Seite zu sprechen, während die äußere Situation
ruht. Das Zur-Seite-Sprechen hilft besonders in den Lagen, wo die AntagonistIn
oder die gesamte Szene den Handlungsfluss unterbrechen. Die ProtagonistIn
kann über diese Maßnahme quasi sich selbst doppeln; über das Verbalisieren
lockert sich die Blockade und sie gelangt wieder in eine Spontaneitätslage, die
den FadenȱderȱinnerenȱHandlung frei gibt.
Auf die folgenden zwei Psychodrama-Techniken wurde bereits im Kapitel
„Arrangements“ eingegangen: Das Rollenspiel in der eigenen Rolle und das Rol-
lenspiel in der Rolle eines anderen Menschen. Es handelt sich dabei sowohl um
eine Arbeitsform als auch um eine Technik.

4.3 RollenspielȱinȱderȱeigenenȱRolleȱ

„Als die Bilder laufen lernten“

Während mit den bisherigen Techniken Szenenaufbau und Doppeln ein mehr oder
weniger statisches Szenario gegeben ist, kommt mit dem Schritt zum Rollenspiel
das Handeln auf die Bühne. Die ProtagonistIn tritt als Handelnde in Erscheinung.
Ein klassischer Satz der Psychodrama-LeiterIn in diesem Kontext lautet: „Können
122 4 Die Psychodrama-Techniken

Sie mir mal bitte zeigen, wie Sie das machen?“, oder „…, wie Sie das gemacht
haben?“, oder „…, wie Sie das gern machen würden?“. Szenenaufbau und Dop-
peln sind als Techniken wie Fotografien, Veranschaulichungen ohne einen zeitli-
chen Verlauf. Mit dem Rollenspiel reihen sich für die ProtagonistInnen Bilder
aneinander, werden zu einem Film, der einer inneren und äußeren Logik folgt.
Damit tauchen der Faktor Zeit und eine Chronologie bzw. eine Choreografie der
Szenen auf. In der Technik des Rollenspiels erweitert sich der Raum durch die
Zeitachse: es gibt ein Vorher, ein Nachher, aber auch ein Nebenher. Der salutoge-
ne Faktor dieser Technik ist die Bewegung auf der Zeitachse. Die ProtagonistIn
macht die Erfahrung, dass sie Handlungen und damit auch sich selbst entwickeln
kann. Sie kann ausprobieren, noch einmal zurück hinter eine Szene zu gehen, aber
auch, dass es ein Danach gibt, dass das Leben sich kreativ weiterentwickeln kann.
Rollenspiel in der eigenen Rolle bedeutet, die ProtagonistIn spielt sich bei
dieser Technik selbst, sie wechselt nicht die Person und verlässt damit nicht ihr
eigenes soziokulturelles Atom. Bei den Arbeitsformen wurde beim Rollenspiel
bereits unterschieden zwischen dem Spiel von etwas Vergangenem, klar Definier-
tem, psychodramatisch der Konserve, und dem Spiel von etwas Neuem, dem Spiel
in der Stegreiflage. Diese Unterscheidung gilt auch für das Rollenspiel als Technik.
So kann eine ProtagonistIn etwas nachspielen, was sie erlebt hat oder was kultu-
rell überliefert ist (Märchen, Sage, Krimihandlung, Kinofilm, Theaterstück), aber
sie kann auch eine neue Szene im Stegreif erschaffen.

Fallbeispielȱ
Frau Holt berichtet, dass sie in ihren Beziehungen immer wieder das Gleiche erlebt. Sie
gerate immer an Männer, die sich vor ihr zurückziehen würden. Früher oder später werde
sie dann eifersüchtig, und je eifersüchtiger sie auf ihre Partner sei, desto angriffslustiger
werde sie.
Der Therapeut fordert Frau Holt auf, eine typische Interaktion ihrer aktuellen Ehe
darzustellen. Frau Holt zeigt darauf eine kurze Sequenz eines Konfliktes mit ihrem Mann,
bevor dieser sich an den Computer im Keller zurückgezogen hat, um seiner Leidenschaft
Computerspiel nachzugehen.
Anschließend bittet der Therapeut Frau Holt zu zeigen, was dieser Szene vorausging.
Es folgt eine Szene, in der sie ihrem Mann beim Abendessen viele Vorwürfe macht, immer
wieder stichelt, dass er so spät abends nach Hause komme. Während sie die Szene nach-
spielt, spürt sie die Angst, dass sie ihren Mann verlieren könnte. Sie versteht, wie ihre eige-
ne Angst sie anstachelt und aggressiv macht.
Anschließend fordert der Therapeut Frau Holt auf, sich eine ähnliche Szene in der
Zukunft vorzustellen. Frau Holt erfindet im Spiel eine neue, veränderte Szene, wie sie trotz
ihrer Angst auf ihren Mann zugehen kann.
4.4 Rollenwechsel, Rollenspiel in der Rolle eines anderen Menschen und Rollenfeedback 123

In den Spielsequenzen hat die Patientin das Zusammenwirken ihrer Kogni-


tionen, Affekte und Handlungen mit denen ihres Mannes verstanden. In einem
zweiten Schritt konnte sie dieses Zusammenspiel in einem Zukunftshandeln
verändern. Sie musste dazu nicht die Rolle wechseln, Frau Holt blieb dabei immer
Frau Holt, sie nahm nicht die Rolle ihres Mannes ein, verstand aber dennoch ihre
Beteiligung an der Situation und bekam dadurch die Möglichkeit an die Hand,
sie zu verändern.
Durch das RollenspielȱinȱderȱeigenenȱRolle werden die Selbstreflexion und das
Verständnis für eigene Anteile an einer Problematik gefördert, ebenso wie das
der Chronologie von Konflikten. Dadurch können die ProtagonistInnen leichter
zu neuen, kreativen Handlungsweisen bewegt werden. Nirgends ist das MoreȬ
no’sche Diktum „jedesȱ wahreȱzweiteȱMalȱistȱdieȱBefreiungȱvomȱersten“ (Moreno 2009:
139) so treffend wie hier. Im Rollenspiel in der eigenen Rolle erkennt sich der
Mensch selbst. Deshalb ist es in sich wiederholenden Konflikten besonders hilf-
reich, so zum Beispiel auch in jeglicher klinischen Symptomatik, die mit Zwang
assoziiert ist.

4.4 Rollenwechsel,ȱRollenspielȱinȱderȱRolleȱeinesȱanderenȱMenschenȱundȱ
Rollenfeedbackȱ

„Wir wissen wohl, was wir sind,


aber nicht, was wir werden können.“
(Shakespeare)

Während das Rollenspiel in der eigenen Rolle die Selbsterkenntnis und die eigene
Beteiligung in den Fokus stellt, zeigt sich im Rollenwechsel und dem Spiel in der
Rolle einer anderen Person das Du. Die ProtagonistIn macht die Erfahrung, wie
es sich anfühlt, in der Haut eines anderen zu stecken und darin zu handeln. Das
Ziel ist damit ein Zweifaches: Einerseits vergrößert die ProtagonistIn ihr eigenes
Rollenrepertoire, indem sie sich eine neue Rolle zu eigen macht, andererseits lernt
sie auch ein wenig von der Welt des anderen kennen. Die Möglichkeiten, in der
Rolle eines Anderen zu spielen, in eine andere Rolle zu wechseln, sind nahezu
unerschöpflich. Es gibt nichts, was man als PsychodramatikerIn nicht spielen
könnte: den eigenen Vater oder die Mutter, die eigene Tochter oder den Sohn, die
PartnerIn, ein verstorbenes Kind oder einen toten Großvater, den Dackel Paula,
den Baum im Garten, den Esstisch in der Küche oder die Gitterstäbe am Tigerkä-
fig im Tierpark. Auch kulturell bedeutsame und überlieferte Rollen sind ein
dankbares Material: Moses,ȱMartinȱLuther,ȱWillyȱBrandt,ȱdieȱJesusmutterȱMaria,ȱFridaȱ
124 4 Die Psychodrama-Techniken

Kahlo,ȱ Monaȱ Lisa,ȱ Mercedesȱ Sosa oder ein Lied von Janisȱ Joplin. Beliebt und Ehr-
furcht gebietend sind unter PsychodramatikerInnen natürlich Darstellungen von
Moreno. Jede RollenträgerIn entfaltet in der übernommenen Rolle ihre eigene
Dynamik, zeigt den anderen damit etwas über sich und erfährt gleichzeitig etwas
über sich selbst wie über die Rolle. Eine simple Technik mit großer Wirkung!
Wenn die Rede davon ist, welcher Rollenreichtum zur Verfügung steht, liegt
die Mahnung nahe, an die Grenzen zu denken. Nach eventuell vorhandener
Spielhemmnis übernehmen die meisten Menschen gerne lustvolle Rollen, auch
Rollen, in denen „man einmal richtig die Sau rauslassen darf“. Jedoch ist als Psy-
chodrama-LeiterIn eine sorgfältige Abklärung nötig, wenn Rollen wie Hitler,ȱ
Goebbels oder Stalin, eine KZ-AufseherIn, ein Selbstmord-Attentäter, ein Verge-
waltiger oder eine MörderIn gespielt werden sollen. Hier sind ethische Grenzen
zu berücksichtigen, Fragen der Belastbarkeit der RollenträgerInnen im Vorhinein
abzuschätzen und gegebenenfalls ist auf das Erleben in der Rolle zu verzichten
zugunsten einer symbolischen Darstellung.
Auch für das Rollenspiel in der Rolle eines Anderen gilt wie schon für das
Rollenspiel in der eigenen Rolle, dass es zwei Varianten gibt, die Konserve und
das Stegreifspiel,ȱ das Bekannte und das Neue. Psychodrama-Neulingen fällt es
meist leichter, vorgegebene Szenen mit den dazugehörigen Rollen nachzuspielen.
Hierzu waren im Kapitel zu den Arrangements Beispiele zu lesen.
Handeln und Wechseln sind die Schlüsselbegriffe zu dieser Technik, und ent-
sprechend den oben beschriebenen Zielen der Erweiterung des eigenen Rollenre-
pertoires und der Erkenntnis des Anderen liegt die Hauptindikation für diese Art
des Rollenspiels bei Menschen, die in ihren eigenen, sich wiederholenden Mustern
festgefahren scheinen; im klinischen Bereich sind dies Menschen mit so genannten
frühen Störungen oder mit einer Zwangssymptomatik im Denken, Fühlen oder
Handeln. Aber es gibt kaum Menschen, die nicht an der einen oder anderen Stelle
festgefahren sind, es muss nicht immer eine klinische Symptomatik sein, die ein
Rollenspiel in der Rolle eines Anderen hilfreich werden lässt. Und Krüger mahnt zu
recht, wenn er schreibt: „WirȱsindȱalsȱPsychodramaȬTherapeutenȱimmerȱwiederȱverführt,ȱ
inȱderȱTherapieȱdasȱfreieȱRollenspielȱinȱderȱRolleȱandererȱzuȱvernachlässigen.ȱDieȱ(berechtigȬ
te)ȱErwartungȱvonȱPatienten,ȱihreȱKonflikteȱdirektȱzuȱbearbeitenȱundȱzuȱlösenȱverleitetȱunsȱ
nurȱallzuȱoftȱzuȱ„nur“ȱprotagonistenzentriertemȱVorgehen.“ (Krügerȱ2004: 27)

Rollenfeedbackȱ

Beim Rollenfeedback handelt es sich um eine Technik, die bereits beim Ablauf
des ProtagonistInnen-Spieles besprochen wurde. In der Regel wird es am Ende
4.5 Das Spiegeln 125

des Spieles gegeben. Die RollenspielerIn wechselt in der Integrationsphase noch


einmal innerlich in die zuvor gespielte Rolle und berichtet daraus: „InȱderȱRolleȱderȱ
TochterȱvonȱFrauȱBlauȱhabeȱichȱerlebt,ȱdassȱ…“ȱoder „ObwohlȱmeineȱHandlungsinstrukȬ
tionȱsoȱwar,ȱdassȱichȱmichȱnichtȱbewegenȱsollte,ȱwollteȱichȱamȱliebstenȱweglaufen“. Wenn
das Rollenfeedback während des Spiels gegeben wird, spricht man vom RolleninȬ
terview. Für die RollenträgerIn, also die MitspielerIn ist es ein erneuter Rollen-
wechsel, für die ProtagonistIn ist es ein Feedback, was zu einem Abgleich der
eigenen Wahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung eines Anderen führt. Pro-
jektionen können damit teilweise aufgelöst werden.

4.5 DasȱSpiegelnȱ

Er stellt sich vor sein Spiegelglas


Und arrangiert noch dies und das. […]
Probiert auch mal, wie sich das macht,
Wenn er so herzgewinnend lacht […]“
18
(Busch )ȱ

Um die Technik des Spiegelns einzusetzen, braucht es eine StellvertreterIn. Dieser


Begriff wurde weiter oben bereits erläutert. Während in jenem Abschnitt die
Funktion der StelllvertreterIn im Fokus stand, geht es nun um die ProtagonistIn;
sie verlässt die Szene, um sie von außen, wie in einem Spiegel zu betrachten.
Beim Blick auf die Szene erfährt sie eine Sicherheit gebende Distanz und kann
sich im Geflecht ihrer aktuellen sozialen Bezüge und Interaktionen ohne Hand-
lungsdruck betrachten. Das Stand-In übernimmt inzwischen ihre Rolle, wobei
nur das gezeigt wird, was die ProtagonistIn zuvor selbst auf der Bühne darge-
stellt hatte. Die Fragen der Psychodrama-LeiterIn an die ProtagonistIn kreisen
um Themen wie: „WasȱsehenȱSieȱvonȱhier?“ȱ„WasȱdenkenȱoderȱfühlenȱSieȱhierȱüberȱdieȱ
Situation,ȱdieȱSieȱdortȱsehen?“ oder „WasȱkönnenȱSieȱderȱPersonȱinȱdieserȱSituationȱfürȱ
einenȱRatȱgeben?“
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Fallbeispiel von Frau Blau aus
dem Abschnitt StellvertreterIn.

Fallbeispiel:ȱ
Die Protagonistin Frau Blau berichtete während des Szenenaufbaus von einer Situation, die
der Trennung von ihrem alkoholkranken Ex-Mann vor einem Jahr vorausging. Die Szene

18 WilhelmȱBusch, Gedichte (1999: 49)


126 4 Die Psychodrama-Techniken

spielte in der Küche nach dem Abendessen; anwesend waren ihre siebenjährige Tochter
Klara und ihr damaliger Ehemann in alkoholisiertem Zustand. Die letzte geschilderte Inter-
vention des Therapeuten war der Vorschlag, eine StellvertreterIn in die Szene zu schicken.

PD-Therapeut: „Ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie eine Stellvertreterin für sich in dieser
Situation suchen, die für Sie in die Szene geht. Dann können wir danach hö-
ren, wie es sich für Ihre StellvertreterIn angefühlt hat. Vielleicht erkennen Sie
dann einige Gefühle bei sich wieder. Sind Sie damit einverstanden?“
Frau Blau: [ist einverstanden und wählt eine Mitspielerin, mit der sie viel Kontakt in
der Gruppe hat als Stellvertreterin; diese geht anstelle von Frau Blau in die
Szene]
PD-Therapeut: [Therapeut und Frau Blau stehen abseits der Bühne und betrachten die
szenische Handlung] „Wie geht es Ihnen, wenn Sie das von hier draußen
sehen?“
Frau Blau: „Ich bin so froh, dass es vorbei ist. Und ich bin auch froh, dass ich hier
draußen außerhalb der Handlung bin.“
PD-Therapeut: „Das kann ich mir gut vorstellen, denn es war ja auch wirklich schlimm. Sie
haben ja gesagt, dass Sie in der Szene damals und auch in der hier gezeig-
ten keine Gefühle hatten. Wie geht es Ihnen jetzt hier draußen?“
Frau Blau: „Wenn ich mir das so anschaue, habe ich ein bisschen Angst um die beiden
[Frau Blau und ihre Tochter]. Aber wenn ich hier stehe, weiß ich genau,
dass es richtig war, damals zu gehen. Ich würde ihr am liebsten sagen, dass
sie sich deswegen keine Gedanken mehr machen soll. Sie hat so viel und so
lange ausgehalten. Es ist Zeit geworden, dass sie gegangen ist und auch ih-
re Tochter in Sicherheit gebracht hat.“

In der Spiegelposition gewinnt die Protagonistin Abstand zur Bedrohung und


kann dadurch ihre Gefühllosigkeit etwas zurücknehmen. Sie spürt etwas mehr
und kann die Situation anders bewerten. Zusätzlich konnte sie im gezeigten Bei-
spiel einen stärkenden Handlungsimpuls entwickeln. Die Stellvertreterin erlebte
die Angstgefühle, aber auch die Wut sehr deutlich bei sich und konnte dies der
Protagonistin in der Nachbesprechung mitteilen.
Durch den Blick von außen erkennt die ProtagonistIn, was nicht stimmig ist
in der Situation und kann aus dieser BeobachterIn- und Regieposition korrigie-
rend eingreifen. Wo sie nicht weiterkommt, hat sie die Psychodrama-LeiterIn an
der Seite, um sich zu besprechen.
Das Beispiel von Frau Blau zeigt, dass das Spiegeln eine hilfreiche Interven-
tion bei traumatisierten Menschen sein kann. Hier ist wieder besonders auf die
Stärkung des Selbstbewusstseins oder die Ich-Stärkung zu achten. Für andere
Menschen kann das konfrontative Element des Spiegelns nützlich sein: Rationali-
sierungen und Störungen in der Anpassung an eine Situation lassen sich damit
4.6 Rollentausch 127

ebenfalls gut behandeln. Auch im Bereich der Supervision und der Organisati-
ons- bzw. Teamberatung ist das Spiegeln eine beliebte Technik: Die Betroffenen
können in der Spiegelposition eigene Verstrickungen erkennen und aus dem Off
neue Impulse entwickeln.

4.6 Rollentauschȱ

„Ein Teil von dir


Steckt für immer in mir.
Und ein Teil von mir
Steckt für immer in dir“
(DieȱTotenȱHosen)ȱ

Hinsichtlich der Begrifflichkeit dieser Technik gibt es immer wieder Unklarhei-


ten. Im englischsprachigen Raum wird der Begriff roleȱ reversal sowohl für den
Rollenwechsel als auch für den Rollentausch verwendet. Deshalb sei an dieser
Stelle eine Definition vorangestellt: Um einen Rollenwechsel im psychodramati-
schen Sinne handelt es sich, wenn die RollenspielerIn von einer Rolle in eine
andere wechselt, so wie es z.B. bei dem Spiel in der Rolle eines Anderen beschrie-
ben wurde. Von Rollentausch sprechen wir, wenn zwei RollenspielerInnen wechȬ
selseitig ihre Rolle tauschen, also einen reziproken Rollenwechsel vornehmen: A
übernimmt die Rolle von B und B übernimmt gleichzeitig die Rolle von A. Dazu
begibt sich im Psychodrama A auch an die Position von B und umgekehrt.

Abbildungȱ25: Rollentausch
128 4 Die Psychodrama-Techniken

Das klassische Moreno-Zitat, welches den Rollentausch veranschaulicht, wurde


bereits im ersten Kapitel zitiert, es sei aber an dieser Stelle noch einmal angeführt:
„Undȱbistȱduȱbeiȱmir,ȱsoȱwillȱichȱdirȱdieȱAugenȱausȱdenȱHöhlenȱreißenȱundȱanȱStelleȱderȱ
meinenȱsetzen,ȱundȱduȱwirstȱdieȱmeinenȱausbrechenȱundȱanȱStelleȱderȱdeinenȱsetzen,ȱdannȱ
willȱichȱdichȱmitȱdenȱdeinenȱundȱduȱwirstȱmichȱmitȱmeinenȱAugenȱanschauen“ȱ(Moreno
1915: 5). Es versteht sich von selbst, dass PsychodramatikerInnen sich nicht auf
der Bühne gegenseitig Augen ausreißen und wieder einsetzen, aber in der plasti-
schen Beschreibung wird deutlich, dass ein Rollentausch eine Technik ist, die
nicht ohne Spuren zu hinterlassen angewandt werden kann.
Die Wirkungen des Rollentauschs sind vielfältig. Um dies zu veranschauli-
chen, stellen wir uns zwei Personen A und B vor. Wenn A und B die Rolle tau-
schen und dann wieder zurück in ihrer eigenen Rolle sind, ist Folgendes passiert:

ƒ A hat einen Einblick (somatisch, kognitiv, affektiv, willens- und absichtsmä-


ßig) in das Innenleben von B bekommen (Du-Erkenntnis).
ƒ B hat umgekehrt einen Einblick (somatisch, kognitiv, affektiv, willens- und
absichtsmäßig) in das Innenleben von A bekommen (Du-Erkenntnis).
ƒ A hat einen Blick aus der Perspektive von B auf sich selbst und ihre gemein-
same Beziehung bekommen (Selbst- und Beziehungserkenntnis).
ƒ B hat einen Blick aus der Perspektive von A auf sich selbst und ihre gemein-
same Beziehung bekommen (Selbst- und Beziehungserkenntnis).
ƒ A hat einen „inneren Abdruck“ von B in sein Innenleben mitgenommen
(Selbstveränderung und Distanzierung).
ƒ B hat einen „inneren Abdruck“ von A in sein Innenleben mitgenommen
(Selbstveränderung und Distanzierung).

Der Rollentausch ist eine Erweiterung der vorhergehenden Techniken. Er bein-


haltet sowohl den Szenenaufbau als auch das Doppeln, als auch den Rollenwech-
sel und das Spiegeln. Obwohl das Vorgehen vordergründig sehr einfach aussieht
– zwei Menschen tauschen kurzfristig ihre Rollen – erfordert diese Technik, wenn
sie denn von den beiden Beteiligten richtig vollzogen werden soll, ein hohes Maß
an psychischer Strukturiertheit. Die oben beschriebenen Wirkungen machen
deutlich, dass ein Rollentausch nur dann vorgenommen werden sollte, wenn
beide Beteiligten die Bereitschaft und das Interesse haben, sich selbst in Frage zu
stellen, den anderen besser kennenzulernen sowie die Beziehung näher in Au-
genschein zu nehmen. „DerȱpsychodramatischeȱRollentauschȱstelltȱsichȱ[…]ȱalsȱTechȬ
nikȱ dar,ȱ mitȱ derenȱ Hilfeȱ dieȱ jederȱ Interaktionȱ zugrundeȱ liegendenȱ PerspektivverschränȬ
kungenȱrekonstruiert,ȱanalysiertȱundȱggf.ȱmitȱeinemȱneuenȱSkriptȱversehenȱwerdenȱkönȬ
nen“ (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2009: 59).
4.6 Rollentausch 129

Ein Rollentausch gibt es in zwei Varianten, als echten Rollentausch und als
stellvertretenden Rollentausch. Der Unterschied wird an den folgenden Beispie-
len deutlich.

Fallbeispieleȱ
Der echte Rollentausch
Herr Keil und Herr Köpf kommen gemeinsam zur betrieblichen Mediation. Nachdem die
beiden der Psychodrama-Leiterin von ihrer schwierigen Situation als Teamkollegen erzählt
haben, bittet sie diese, die letzte Situation, in der sich ihr Konflikt gezeigt hat, zu zeigen.
Zunächst zeigt Herr Keil die Situation aus seiner Sicht. Nachdem die Szene von ihm gezeigt
wurde, werden beide gebeten, ihre Rollen zu tauschen. Herr Köpf spielt nun nach den Vorga-
ben von Herrn Keil die Rolle von Herrn Keil und umgekehrt. Danach wird Herr Köpf gebeten,
die Szene aus seiner Sicht darzustellen. Wieder kommt es zum Rollentausch: Herr Keil spielt
nun nach den Vorgaben von Herrn Köpf die Rolle von Herrn Köpf und umgekehrt.

Der stellvertretende Rollentausch


Die bereits mehrfach erwähnte Frau Blau erzählt davon, dass sie ihre Tochter Klara manch-
mal einfach nicht versteht. Ihre Tochter sei jetzt acht Jahre alt, aber sie benehme sich
manchmal wie ein kleines Kind. Sie weiche ihr oft nicht von der Seite, wolle mit ihren acht
Jahren immer noch auf ihren Schoß sitzen, und dann sei sie plötzlich total aggressiv und
schmeiße die Tür zu ihrem Zimmer zu. Frau Blau wird vom Therapeuten gebeten, die Szene
einmal zu zeigen. Frau Blau wählt ein Gruppenmitglied in die Rolle ihrer Tochter Klara und
sagt ihr, was sie tun soll. Nachdem die Szene einmal durchgespielt ist, bittet der Therapeut
Frau Blau, einmal mit Klara die Rolle zu tauschen.

Im stellvertretenden Rollentausch ist also die „wirkliche“ zweite Person nicht in


der Szene, sondern eine RollenspielerIn.
Die Indikationen des Rollentauschs bestehen, wenn eine oder mehrere Per-
sonen Interesse haben, etwas über sich selbst in Bezug auf einen Anderen, etwas
über den Anderen oder etwas über die gemeinsame Beziehung erfahren zu wol-
len. Häufig wird er im Kontext von Beziehungsklärungen oder Konfliktlösungs-
interessen angewandt, daher auch das Fallbeispiel aus dem Bereich der Mediati-
on. Im klinischen Bereich wird der Rollentausch im Bereich der Depressionen
und Trauerreaktionen eingesetzt (vgl. Krüger 1989, 1997; Sturm 2009). Ein Rollen-
tausch wird in der Regel nicht gelingen, wenn die ProtagonistIn nicht bereit ist,
sich mit Fragen der Beziehungsklärung oder Konfliktlösung zu beschäftigen oder
Vorbehalte gegen die AntagonistIn hat, wie dies zum Beispiel bei traumatisierten
Menschen aus guten Gründen der Fall ist. Ebenso ist der Rollentausch kontrain-
diziert, wenn es sich um Menschen mit einer Suchterkrankung oder um Men-
schen mit psychotischen Erkrankungen handelt.
130 4 Die Psychodrama-Techniken

4.7 SzenenwechselȱundȱAmplifikationȱ

„Aus einer Mücke einen Elefanten machen“


(Sprichwort)

Der Szenenwechsel kann von der Ausgangsszene, also der Szene, mit der die
KlientIn zur BeraterIn kommt, sowohl in eine vergangene als auch in eine Paral-
lelszene in der Gegenwart oder in eine mögliche Zukunftsszene führen.
In der Abbildung „Szenenwechsel“ hat der Protagonist (das linke, eingefärb-
te Dreieck) Schwierigkeiten mit seinem Chef (Symptomszeneȱ inȱ derȱ Gegenwart);
parallel dazu fühlt er sich bei dem Trainer seines Fußballvereins an die Szene mit
dem Chef erinnert und reagiert ähnlich allergisch (ParallelszeneȱinȱderȱGegenwart).
Im Gespräch mit seinem Therapeuten erinnert sich der Protagonist, dass er mit
seinem Vater früher ähnliche Konflikte erlebt hat (genetischeȱoderȱfrühereȱSzene). In
dem darauf vom Therapeuten vorgeschlagenen Probehandeln in der Zukunft
testet der Protagonist mit seinem Chef einen anderen Umgang (Probehandelnȱ inȱ
derȱ Zukunft). Zurück in der Gegenwart geht der Protagonist gestärkt aus der
Szene in seine „realen“ aktuellen Szenen mit seinem Chef und seinem Trainer.
Im Gewand des Sharings, einer Parallelszene eines anderen Teilnehmers der
Gruppe zur Ursprungsszene des Protagonisten, ist auch ein Szenenwechsel ent-
halten. Dazu kommen wir bei der Vorstellung der letzten Technik.
Im therapeutischen Setting sprechen wir von der Symptomszene in der Ge-
genwart und der genetischen Szene in der Vergangenheit.
Unter Amplifikation wird verstanden, wenn der Szenenwechsel in eine der
nächst größeren Szenen stattfindet, d.h. das soziokulturelle Atom der Protagonis-
tIn verlassen wird. Hier bieten sich zunächst Abstraktionen, aber auch kulturelle
Konserven wie Romane, Kinofilme, Theaterstücke, aber auch Märchen oder Sa-
gen an. Der Effekt des Szenenwechsels ist ein mehrfacher: Zum einen kann die
ProtagonistIn durch Parallelen die Struktur einer Situation besser erfassen und
damit die Essenz des Konfliktes, zum anderen kann sie sich entlasten durch die
Erkenntnis, dass ihr Problem ein universales ist. Andere Menschen mussten oder
müssen mit ähnlichen Schwierigkeiten umgehen. Deswegen bietet sich der Sze-
nenwechsel im klinischen Bereich besonders bei Menschen mit einer Angstsym-
ptomatik an.
4.8 Sharing 131

Chef

Symptomszene inSymptomszene
der Gegenwart in der Gegenwart
Ch
f

Vergangenheit Zukunft

Trainer
Vergangenheit
Parallelszene in der Gegenwart
Vater Chef

Genetische od. frühere Szene


Probehandeln in der Zukunft

GT Chef

Parallelszene eines anderen


Teilnehmers

Abbildungȱ26: Szenenwechsel

4.8 Sharingȱ

„Geteiltes Leid ist halbes Leid“


(Sprichwort)

Das Sharing wird im Allgemeinen eingeführt durch die Frage der Psychodrama-
LeiterIn: „Was kennen Sie von dem eben (im Psychodrama-Spiel) Gezeigten aus
Ihrem eigenen Leben?“
In Abbildung 26 zum Szenenwechsel ist bereits das Sharing integriert. Ein
anderer Gruppenteilnehmer (GT) berichtete in dem Beispiel im Sharing, dass er
diese Art von Reaktion auf seinen Chef aus seiner aktuellen Berufssituation auch
kennt. Das Sharing beinhaltet demnach einen Szenenwechsel, nämlich in die
132 4 Die Psychodrama-Techniken

erinnerte Szene eines anderen Gruppenmitglieds (nicht mehr der ProtagonistIn),


die der Szene der ProtagonistIn aber ähnlich ist, und einen Rollenwechsel von der
MitspielerIn zur „ProtagonistIn“. Letztere wird hier in Anführungszeichen ge-
setzt, da die Sharing gebende MitspielerIn nur in ihrer eigenen, erinnerten Szene
ProtagonistIn sein kann.
Sharing entlastet durch die Erfahrung, mit den eigenen Gefühlen, Gedan-
ken, Impulsen und Erfahrungen nicht allein zu sein, sondern zu erleben, dass
andere Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht haben; es entlastet aber auch die
MitspielerInnen und ZuschauerInnen, da sie im Sharing die Möglichkeit haben,
Dinge mitzuteilen, die sie – angestoßen durch das Miterleben der Situation der
ProtagonistIn – belasten. Für das Verständnis dieses zweiten Prozesses sind die
Entdeckung und die Forschung zu den Spiegelneuronen hilfreich. Auch durch
bloßes Zuschauen werden kognitive, affektive und handlungsnahe Prozesse
innerlich in Gang gesetzt, die dazu führen, dass auch die ZuschauerInnen eine
Möglichkeit brauchen, sich der Gruppe mitzuteilen.

Literaturȱ

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4.8 Sharing 133

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4.8 Sharing 135

5
5 Rollentheorieȱ

„Denn jedes Individuum drängt danach, weitaus mehr Rollen zu verkörpern, als die,
die ihm im Leben gestattet sind zu spielen und sogar in ein und derselben Rolle
mehrere Variationen darzustellen.“
Morenoȱ(1934 in 2001: 106)

GeorgeȱHerbertȱMead und RalphȱLinton, die sich in den 30er Jahren des letzten Jahr-
hunderts mit den Zusammenhängen von menschlichem Verhalten und gesell-
schaftlichen Gegebenheiten beschäftigten, werden als die Urväter der modernen
sozialpsychologischen Rollentheorie gesehen. Moreno, der sich bereits ein Jahr-
zehnt früher mit derartigen Fragestellungen auseinandersetzte, bleibt in diesem
Zusammenhang meist unerwähnt (Petzoldȱ &ȱ Mathias 1982: 15). Das mag daran
liegen, dass seine poetische Wortwahl und seine komplizierte Darstellungsweise
seine theoretischen Konzepte schwer verständlich machen, aber auch daran, dass
es seinen rollentheoretischen Überlegungen mitunter an Struktur mangelt, sie
teilweise Widersprüchlichkeiten aufweisen und Morenoȱ mehr seinen spontanen
Eingebungen Folge leistete, als sich den wissenschaftlichen Vorgaben seiner Zeit
zu unterwerfen. Das hatte zur Folge, dass seine fortschrittlichen Gedanken zu
bestimmten Fragestellungen unbeachtet blieben, wie etwa seine Beiträge zum
Verständnis von menschlichem Verhalten und vor allem seine eigenständig ent-
wickelten und praxisnahen Theorien (Petzold &ȱMathias 1982).
Seinen SchülerInnen Leutz,ȱRojasȬBermúdez, PetzoldȱundȱMathias (Petzoldȱ&ȱMaȬ
thias 1982) ist es zu verdanken, dass sein rollentheoretisches Konzept systematisiert
und weiterentwickelt wurde. Auch Hochreiterȱ(1996,ȱ2004), Krotz (2008) und Schacht
(2003, 2009) haben – basierend auf den Gedanken Morenos und seiner Ehefrauen
Florenceȱund Zerka – eine Erweiterung der Rollentheorie vorgenommen.
RollentheorikerInnen bedienen sich bestimmter Bühnenmetaphern. Sie
schließen dabei an eine in der Renaissance und im Barock beliebte Tradition an,
das Leben und Ereignisse mit Begriffen aus der Theaterwelt zu beschreiben, wie
etwa „das Skript des Lebens“ oder „auf der Bühne dieser Welt“. In früheren Zei-
ten wurde davon ausgegangen, dass eine göttliche Macht oder das Schicksal
136 5 Rollentheorie

bestimmt, wie das Leben eines Menschen verläuft und damit, der oben erwähn-
ten Metaphorik folgend, was auf der „Bühne dieser Welt“ geschieht bzw. in wel-
cher Art „das Skript“ verfasst ist. Später wurden gesellschaftliche Umstände
dafür verantwortlich gemacht, welchen Status eine Person innehatte und wie
dadurch ihre Rollen determiniert waren. Durch soziale Sanktionen, so nahm man
an, würde ihr Verhalten gelenkt. Beide Weltanschauungen gehen davon aus, dass
der Mensch ein fremdbestimmtes Wesen ist (Petzold & Mathias 1982: 24). Inwie-
weit ist unter solchen Voraussetzungen eigenständiges Handeln möglich? Moreno
setzte sich im Laufe seines Schaffens mit diesen Fragen auseinander und kam zu
folgenden Ergebnissen:

5.1 DefinitionenȱdesȱRollenbegriffsȱ

Aus der Sicht Morenos ist der Mensch ein Rollenspieler. Jedes Individuum zeich-
net sich durch eine bestimmte Anzahl von Rollen aus, die sein Handeln prägen,
wie Tochter, Schwester, Beziehungspartnerin, Werktätige, Kollegin, Mitglied
eines Dorfverschönerungsvereins. Auch jede Kultur weist eine Reihe von Rollen
auf, die sie ihren Angehörigen mit unterschiedlichen Graden an Erfolg zu- oder
vorschreibt (Moreno 2001), denken wir zum Beispiel an den Auszählreim: „Kaiser,
König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann“. Menschen erleben sich in Rollen
und nehmen andere in solchen wahr. Ohne sie können wir auf spezifische Situa-
tionen mit anderen Personen oder Objekten nicht angemessen reagieren.

Rollenhandeln kann nur als ein Interagieren in einem sozialen Kontext verstanden
werden. In diesem Sinne definiert Krotz (2008) den Begriff „Rolle“ als eine Form, die
ein Individuum wählt, um mit sich selbst und mit anderen, die ihrerseits ebenso im
Rahmen ihrer Rollen agieren, in Beziehung zu treten. Auf diese Weise entsteht eine
situative Interaktion. Folglich wird Rolle aus psychodramatischer Sicht als ein fun-
damentaler Beziehungsmodus verstanden, der Menschen einen Rahmen gibt, um
sich auszudrücken und zu anderen Beziehung aufnehmen zu können. Dabei spie-
len nicht nur die eigenen Absichten im Umgang mit einer speziellen Situation eine
Rolle, ebenso orientiert sich die Person an den Erwartungen der anderen. „Nurȱausȱ
einerȱRolleȱherausȱistȱInteraktion,ȱalsoȱBeziehungȱmöglich,ȱundȱumgekehrtȱistȱjedeȱRolleȱinȱ
derȱ psychodramatischenȱ Szeneȱ inȱ einȱ konkretesȱ Beziehungsgefügeȱ eingebunden,ȱ dasȱ ausȱ
aufeinanderȱbezogenenȱRollenȱbesteht“ (Krotzȱ2008: 33).
Die psychodramatischen Definitionen des Rollenbegriffs ermöglichen es, in-
dividuelle und gesellschaftliche Einflüsse auf menschliche Verhaltensmuster zu
verbinden. Moreno unterscheidet sich hiermit von Rollentheoretikern wie Mead
5.2 Die vier Rollendimensionen 137

(1934, 1975) und Parsons (1951, zit. n. Petzold & Mathias 1982: 86), die die gesell-
schaftlichen Prägungen einer Rolle in den Vordergrund schieben. So geht Moreno
zwar vom prägenden Einfluss gesellschaftlicher Rollenmuster, Normen und
Werte aus, die dem „Spieler bis ins Fleisch dringen“ (Moreno 1939b, zit. n. Petzold
& Mathias 1982: 86) und sein Handeln prägen, doch dem Individuum obliegt es,
diese Rollen persönlich auszugestalten. Somit wird neben der gesellschaftlichen
Determination einer Rolle auch dem persönlichen Freiraum Bedeutung beige-
messen. Dazu Moreno (2001: 105): „JedeȱRolleȱistȱeineȱFusionȱpersönlicherȱundȱkollektiȬ
verȱElemente.ȱJedeȱRolleȱhatȱzweiȱSeiten,ȱeineȱpersönlicheȱundȱeineȱkollektiveȱSeite.“ PetȬ
zold (1982), der gemeinsam mit Mathias Morenos rollentheoretische Konzepte
zusammenfasste und systematisierte, bezeichnet den gesellschaftlich determinier-
ten Aspekt einer Handlungseinheit als die kategoriale Rolle und den individuell
geprägten Anteil als die aktionaleȱRolle.

5.2 DieȱvierȱRollendimensionenȱ

Wie oben erwähnt, werden Rollen sowohl von gesellschaftlichen als auch von
persönlichen Faktoren beeinflusst. Je nachdem, wie stark die gesellschaftliche und
die individuelle Komponente die Rollengestaltung beeinflussen, unterscheidet
ZeintlingerȬHochreiterȱ(1996: 125f) im Sinne Morenos vier Rollendimensionen.

1. Rollen als kollektive soziokulturelle Stereotypen


2. Rollen als vorgegebene individuelle Handlungsmuster
3. Rollen als individuell gestaltete, abrufbare Handlungsmuster
4. Rollen als tatsächliches Handeln in einer aktuellen Situation

Tabelleȱ14: Die vier Rollendimensionen

1) Rollen als kollektive soziokulturelle Stereotypen


Hierunter werden Rollen verstanden, die durch soziokulturelle Normierungen
geformt wurden und unabhängig von Personen und Situationen Bestand haben.
Dies sind zum Beispiel Berufsrollen wie die der ObstverkäuferIn, der RichterIn,
der HandwerkerIn oder der PolizistIn. Wir tragen in uns bestimmte Vorstellun-
gen und Erwartungshaltungen darüber, wie sich VertreterInnen bestimmter Be-
rufsgruppen zu verhalten haben, etwa wie eine PolizistIn den Verkehr regelt,
wenn die Ampel einer stark frequentierten Kreuzung ausgefallen ist, oder wie
eine ObstverkäuferIn ihre Ware feilbietet. Die individuelle Note dieser Handlung
ist dabei nicht von Belang.
138 5 Rollentheorie

2) Rollen als vorgegebene individuelle Handlungsmuster


Moreno bezeichnet diese auch als Rollenkonserven. Sie unterscheiden sich von den
soziokulturellen Stereotypen hinsichtlich der Vorgabe von Text und Rahmen.
Vorwiegend werden darunter Theaterrollen verstanden, wie die des Gretchens in
Goethes Faust.

3) Rollen als individuell gestaltete, abrufbare Handlungsmuster


Von ZeintlingerȬHochreiterȱ(1996) wird diese Form der Handlungsmuster als sozial-
psychologische Dimension des Rollenbegriffs angeführt. Werden soziokulturell
ausgeformte Rollen, wie die der BriefträgerIn, von Personen übernommen, steht es
in ihrer Macht, diese auch individuell zu gestalten. Ob die BriefträgerIn die Pakete
mit einem Lächeln und ein paar freundlichen Worten den AdressatInnen übergibt,
hängt unter anderem von ihrer Persönlichkeitsstruktur ab. Auf diese Weise kommt
es zu einem Zusammenspiel von kollektiven und privaten Elementen.

4) Rollen als tatsächliches Handeln in einer aktuellen Situation


Rollen dürfen nicht unabhängig vom sozialen Kontext gesehen werden. Sie wer-
den durch den bestimmten Rahmen einer Situation geformt, wie Zeit, Ort, anwe-
sende Personen und deren Beziehung untereinander und vieles mehr. Die Rol-
lengestaltung wird somit nicht nur durch gesellschaftliche Normen und Persön-
lichkeitsstrukturen beeinflusst, sondern auch durch die Form der Interaktion
zwischen den Beteiligten und die vorhandenen Rahmenbedingungen. Die Rolle
der Vortragenden wird in einem vertrauten Umfeld anders belebt als zum Bei-
spiel vor einem 100-köpfigen Publikum.

5.3 DieȱEigenschaftenȱvonȱRollenȱ

MorenosȱRollentheorie liegen bestimmte Annahmen zugrunde, die sie einzigartig


machen. Diese werden in der Folge – angelehnt an frühere diesbezügliche Aus-
führungen (vgl. Petzoldȱ &ȱ Mathiasȱ 1982; Hochreiter 2004) – aufgelistet und be-
schrieben:

1. Rollen werden verkörpert


2. Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess
3. Rollenhandeln wird als ganzheitliches Handeln verstanden; es wird zwischen vier
Rollenkategorien unterschieden
4. In der Rolle verschränken sich Individuum und Gesellschaft
5. Rollenhandeln ist immer eine Form der Interaktion
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 139

6. Die Rolle wird verstanden als eine inter- und intrapersonelle Erfahrung im Sinne einer
wechselseitigen Regulation von Anziehung und Abstoßung
7. Die Rolle ist abhängig von der Lage
8. Rollen haben eine Bedeutung in psychodramatischen Handlungs- und Pro-
blemlösungsmodellen
9. Die Rolle ist ein Ausdruck individueller und kultureller Kreativität

Tabelleȱ15: Eigenschaften von Rollen

1) Rollen werden verkörpert


In seinem 1934 erschienenen Werk „Who shall survive“ erwähnt Moreno zum
ersten Mal die Bedeutung des Körpers bei der Rollenübernahme. Er beobachtete,
dass jede Einnahme einer Rolle von entsprechenden körperlichen Ausdruckswei-
sen begleitet wird. Denn in einer spontanen Reaktion auf eine Situation oder Lage
werden nicht nur Emotionen freigesetzt, diese gehen auch mit körperlichen Reak-
tionen einher, die sich in einem Mienenspiel oder einer Veränderung der Körper-
haltung äußern können. Eine Person, die aufgrund einer bestimmten Situation
verängstigt ist, wird dieses Gefühl somit auch somatisch zum Ausdruck bringen:
Ihre Augen werden sich weit öffnen, ihr Herz wird schneller schlagen, und die
Muskelspannung wird sich erhöhen. Dieser Drang nach Verkörperung wurde in
der Psychodrama-Literatur zunächst als Aktionshunger bezeichnet. Vermag eine
Person nicht, einer Rolle einen passenden körperlichen Ausdruck zu verleihen,
wird in der Sprache Morenos vom „aus der Rolle Fallen“ gesprochen. In der aktu-
ellen Literatur wird die Verkörperung einer Rolle als Embodimentȱbezeichnet. Die
Schweizer Psychodramatikerin Storchȱ(2006), die diesem Thema ein ganzes Buch
gewidmet hat, betont darin die starke Wechselwirkung zwischen Körperhaltun-
gen, Gefühlsempfindungen und Handlungsweisen. Ihre Erkenntnisse stützt sie
auf psychologische Forschungsergebnisse, die bestätigen, dass bestimmte körper-
liche Ausdrucksformen das Auftreten bestimmter Gefühlslagen begünstigen oder
erschweren (z.B. Wellsȱ&ȱPetty 1980, Försterȱ&ȱStrack 1996 zit. n. Storch 2006). Zum
Beispiel wird das Einziehen des Kopfes und eine gebückte Körperhaltung das
Empfinden von Glücksgefühlen fast unmöglich machen. Ebenso wird gezeigt,
dass Personen, die mittels eines Tricks dazu gebracht werden, mit ihrem Kopf
nickende Bewegungen durchzuführen, eher einer bestimmten Aussage zustim-
men, als wenn sie dazu veranlasst werden, ihren Kopf horizontal, wie bei einem
Nein, hin und her zu bewegen.
140 5 Rollentheorie

2) Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess


Da der Mensch schon pränatal mit seiner Umwelt in Interaktion tritt, agiert er aus
der Sicht des Psychodramas bereits in Rollen. Es ist daher nicht verwunderlich,
dass Moreno und seine zweite Frau Florence versuchten, entwicklungspsychologi-
sche Abläufe aus dem Blickwinkel der Rollentheorie zu betrachten. Zuletzt ver-
knüpfte Schacht (2003) den aktuellen entwicklungspsychologischen Forschungs-
stand mit psychodramatischen Theorien. Aufbauend auf den rollentheoretischen
Erkenntnissen von Krotz (2008) unterscheidet er drei Rollenebenen menschlichen
Handelns, und zwar die psychosomatische, die psychodramatische und die soziodraȬ
matische Rollenebene. Diese drei Ebenen weisen charakteristische strukturelle
Merkmale auf, deren Fertigkeiten oder, in Schachts Begrifflichkeit, HandlungskomȬ
petenzen im Laufe der kindlichen Entwicklung erworben werden. All diese Hand-
lungskompetenzen sind für die Bewältigung der Anforderungen des Alltags
während des ganzen Lebens notwendig. In der folgenden Tabelle wird einerseits
gezeigt, welche Handlungskompetenzen in den Bereichen Rollenerwartungen,
Selbsterleben, Verarbeitung von Wissen und Sinngebung in den verschiedenen
Entwicklungsabschnitten erworben werden. Die Fertigkeiten, die mit ihrem Er-
werb einen Wechsel der Rollenebenen kennzeichnen, sind mit einem grauen
Balken unterlegt. Die Abbildung muss von unten nach oben gelesen werden.
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 141

Soziodramatische Rollenebene
Vom 4./6. Jahr bis zur Postadoleszenz

1. Aushandeln von Rollenerwartungen verbal, zunehmend mittels Perspektiven-


übernahme
2. Selbstreflexion, Denken über eigenes Denken
3. Konkret- bzw. formal-operatorisches Stadium, Verstehen psychischer Prozesse,
Denken
4. Sinngebung mittels diskursiver Symbolik

Übergang: Sprache als Werkzeug der Selbstinstruktion,


Personen können differenziert wahrgenommen werden

Psychodramatische Rollenebene
Vom 15./18. Monat zum bis 4./6. Lebensjahr

1. Rollenerwartungen können mittels Sprache ausgehandelt werden


2. Selbstbewusstsein konkret
3. Voroperatorisches, konkret anschauliches Denken, Verstehen psychischer Pro-
zesse, Wünsche
4. Sinngebung durch präsentative und diskursive Symbolik

Übergang: Das Kind erkennt sich selbst im Spiegel

Psychosomatische Rollenebene
Ab der Geburt bis zum 15./18. Lebensmonat

1. Aushandeln der Rollenerwartungen über Gestik und Mimik


2. Selbstempfinden implizit, Selbst-als-Subjekt
3. Implizites Wissen
4. Sinngebung durch affektives Erleben

Tabelleȱ16: Rollenebenen nach Schacht (2009)

Rollenentwicklung darf dabei nicht als Prozess verstanden werden, der mit der
Adoleszenz zum Erliegen kommt, sondern als einer, der sich bis ins hohe Alter
fortsetzt. Manche Rollen sind allerdings zeitbegrenzt, wie die der SchülerIn oder
der StudentIn. Sie haben eine Anfangs-, eine Reifephase und eine Phase des
Verblassens. Auch wenn die Rolle nach einem Zeitabschnitt nicht mehr gelebt
wird, so setzt sie sich doch als dynamischer Faktor im Leben fort. Sie kann eine
142 5 Rollentheorie

Matrix bilden, aus der eine neue Rolle Unterstützung und Stärkung erhält, bis die
neue Rolle sich in ihrer eigenen Sphäre und Berechtigung etabliert (Petzoldȱ &ȱ
Mathias 1982).

3) Rollenhandeln wird als ganzheitliches Handeln verstanden; es wird zwischen


vier Rollenkategorien unterschieden
Morenoȱ (1960)ȱ differenziert zwischen unterschiedlichen Kategorien von Rollen:
den somatischen,ȱpsychischenȱundȱsozialen. Später fügte Leutz (1986) die transzendenȬ
ten Rollen hinzu. Bei einer Rollenübernahme kommen meist alle Kategorien,
wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zum Einsatz. Deshalb wird im Psy-
chodrama unter Rollenhandeln ganzheitliches Handeln verstanden. Trotzdem
macht eine Unterscheidung dieser Rollenkategorien Sinn. Denn erst durch das
genaue Erkennen, worauf sich eine Rolle insbesondere bezieht, wird nachvoll-
ziehbar, woraus diese Rolle vorwiegend gespeist und wie sie stabilisiert wird.

4) In der Rolle verschränken sich Individuum und Gesellschaft


Wie bereits erwähnt, hat jede vollzogene Rolle Anteile, die durch gesellschaftliche
und kollektive Vorstellungen und Erfahrungen geprägt werden, und solche, die
auf individuellen Erlebnissen und subjektiver Auffassung beruhen. Kommt es zu
einer Akzentverschiebung, in der das Kollektive in den Vordergrund tritt, spricht
Moreno (1934 b, zit. n. Petzold,ȱMathias 1982: 94) von einer soziodramatischen RollenȬ
performanz, wird hingegen vor allem der persönlichen Auskleidung der Rolle Platz
geboten, dann bezeichnet Moreno dies als psychodramatischeȱRollenperformanz.ȱȱ

Die im europäischen Raum übliche kollektive Repräsentanz der Elternrolle sieht vor,
dass ein Elternpaar seine Nachkömmlinge liebevoll versorgt, unterstützt und erzieht.
In welcher Form dies im Alltag bei einem Elternpaar geschieht, hängt unter anderem
von den eigenen Erfahrungen mit den eigenen Eltern, von Rollenmodellen, ihren Ein-
stellungen zur Kindererziehung usw. ab. Wie viel Freiraum bei der Gestaltung dieser
Rollen geboten wird, steht wiederum in engem Zusammenhang damit, in welchem
gesellschaftlichen Umfeld dieses Paar Kinder geboren hat. Eine Gesellschaftsform, die
strikte Regeln über die Form und Zielsetzung der Erziehung vorschreibt, wird ihnen
weniger Möglichkeiten der individuellen Gestaltung dieser Rollen gewähren als ein
liberaler eingestelltes Gesellschaftssystem.

In diesem Sinne wird je nach der Höhe der Freiheitsgrade zwischen Rollenüber-
nahme und Rollengestaltung unterschieden. In diesem Abschnitt bezieht sich die
Einteilung auf die Gestaltung von persönlichen Rollen und orientiert sich an der
Interpretation dieser Kategorisierung nach der amerikanischen Psychodramatike-
rin Dayton (2005: 154f).
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 143

ƒ Die Rollenübernahme (role taking) zeichnet sich durch eine hohe Rollener-
wartung und geringe Freiheitsgrade aus. Hierbei spielt das Lernen am Mo-
dell eine große Rolle. In unserer Kindheit erleben wir, wie unsere Eltern mit
uns sprechen, wie sie uns im Arm halten, wie sie mit uns in Beziehung tre-
ten. Wir lernen so ein Muster, wie Eltern mit Kindern umgehen. Diese Inter-
aktionen werden in unserem Gedächtnis implizit gespeichert. Oft behandeln
Kinder ihre Übergangsobjekte wie Puppen oder Teddy-Bären in ähnlicher
Weise, wie sie selbst von Bezugspersonen behandelt werden. Auch als Er-
wachsene und selbst in der Elternrolle übernehmen wir unbewusst viele
Verhaltensmuster, die bereits unsere Eltern an den Tag gelegt haben. Je
mehr uns diese übernommenen Muster bewusst sind, desto eher ist es uns
möglich, unser Verhalten selbst zu gestalten.
ƒ Die Rollengestaltung (role creating) bietet einen hohen Freiheitsgrad, aber
eine geringe Rollenerwartung. Freie Rollengestaltung ist dann möglich,
wenn die erste Form voll integriert ist. Erst dann können Rollen neu gestal-
tet werden. Dayton (2005: 155f) vergleicht diesen Prozess mit dem Entwick-
lungsprozess von Picasso. Seine Anfangsphase zeichnete sich durch Bilder
aus, die sehr detailgetreue und gegenständliche Abbildungen seiner Umwelt
waren. Er wandte dabei Techniken an, die er sich in Kunstakademien ange-
eignet hatte. Als er allen bewiesen hatte, dass er die traditionelle Kunst des
Malens wunderbar beherrschte, warf er alle Regeln dieser Arbeitsweise über
Bord und entwickelte seine eigene, einzigartige Technik.

5) Rollenhandeln ist immer eine Form der Interaktion


Morenoȱ hebt die unumgängliche soziale Komponente des Rollenhandelns hervor.
Rollenhandeln istȱ„eineȱinterpersonelleȱErfahrungȱundȱbenötigtȱnormalerweiseȱzweiȱoderȱ
mehrȱIndividuen,ȱumȱaktualisiertȱzuȱwerden.ȱEsȱkannȱnieȱlosgelöstȱvonȱderȱjeweiligenȱSituaȬ
tionȱundȱdenȱentsprechendenȱkomplementärenȱRollenȱgesehenȱwerden.ȱRolleninteraktionenȱ
sindȱstetsȱalsȱ„IchȬundȬandereȬSysteme“ȱzuȱverstehen“ȱ(Moreno 1982, zit. n.ȱSchachtȱ2003:ȱ
13).ȱEine vorwiegend individuell geprägte Rolle, also eine aktionale Rolle, benötigt
immer ein Gegenüber, demnach eine MitspielerIn, zum Beispiel in Form von Kom-
plementär- oder AntagonistInnen-Rollen, damit die Rolle als solche eine Form
bekommt. Säuglinge benötigen die Mütter, die sie stillen, SchülerInnen die Lehre-
rInnen, die sie unterrichten, KommissarInnen die VerbrecherInnen, die sie überfüh-
ren, so wie das Gute auch das Böse braucht, um als solches wahrnehmbar zu sein.
Auch die autark erscheinenden EinsiedlerInnen benötigen die Nicht-Anwesenheit
von anderen um ihrer Definition gerecht zu werden.ȱ
144 5 Rollentheorie

Der Säugling bedarf aber nicht nur der Mutter, weil sie ihn nährt und er sich
selbst als Nahrungsaufnehmenden erleben kann. Er muss auch die Mutter in der
Rolle der Nährenden erleben, um diese Rollen in sein Selbst integrieren zu können.
Menschen treten somit ständig miteinander in Beziehung. Um sich aufein-
ander abzustimmen und den wechselseitigen Austausch in Fluss halten zu kön-
nen, muss bis zu einem gewissen Ausmaß vorhersehbar sein, wie das Gegenüber,
also die Komplementärrolle, auf ein bestimmtes Verhalten reagiert. Es werden
Rollenerwartungen an die andere Person gestellt, diese können verbal oder non-
verbal geäußert werden. Läuft ein Kleinkind weinend mit weit geöffneten Armen
zu seiner Mutter oder seinem Vater, weil es sich verletzt hat, so erwartet dieses
Kind, dass es in den Arm genommen und getröstet wird. Moreno und F.ȱMorenoȱ
(1944 zit. n. Schacht 2003: 14) führten für die Beschreibung dieser gegenseitigen
Rollenerwartungen die Begriffe roleȱ giver und roleȱ receiverȱ ein. Das nach Trost
suchende Kind agiert in deren Sinn als role giver, da es mit einer bestimmten
Erwartungshaltung an seine Betreuungsperson herantritt. Die Betreuungsperson
wird, wenn sie diese Rolle annimmt, zum role receiver. Lässt sich das Kind durch
die tröstenden Worte und die behagliche Atmosphäre der Umarmung beruhigen,
wird die Betreuungsperson zum role giver und das nun wieder ausgeglichene
Kind zum role receiver.
Damit Handeln gut aufeinander abgestimmt werden kann, sollte also ab-
sehbar sein, wie die InteraktionspartnerInnen auf ein bestimmtes Verhalten rea-
gieren werden; es bedarf somit gut etablierter Verhaltensstrukturen, sogenannter
Rollenkonserven. Nichts wäre irritierender als nicht zu wissen, ob auf einen
freundlichen Gruß mit einem ähnlich freundlichen Gegengruß, mit einer stürmi-
schen Umarmung oder mit einer heftigen Beschimpfung geantwortet wird. Sind
die Reaktionen des Gegenübers nicht vorhersehbar oder nachvollziehbar, bedarf
es eines genaueren Analysierens. Dabei muss miteinbezogen werden, dass Rollen
auch einem Interpretationsprozess unterliegen (Krotz 2008). Wie wird die Lage
oder Situation interpretiert, wie könnte diese Lage vom Gegenüber aufgefasst
werden, wie deutet der oder die andere dieses Handeln? Durch gegenseitiges
Einfühlen kann besser nachvollzogen werden, warum die AntagonistIn auf eine
andere Weise reagiert als üblich. Beantwortet der Nachbar einen freundlichen
Gruß mit einer mürrischen Abwendung, kann mit Hilfe eines imaginären Rol-
lenwechsels erkannt werden, dass sein Ärger über das mitternächtliche Trompe-
tenspiel ihn zu dieser Reaktion veranlasste. Solche Zusatzinformationen erleich-
tern das gegenseitige Abstimmen von Verhalten.
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 145

6) Die Rolle wird verstanden als eine inter- und intrapersonelle Erfahrung im
Sinne einer wechselseitigen Regulation von Anziehung und Abstoßung
Zwischen Individuen wirkt ein komplexer Prozess, den Moreno als den TeleȬ
Prozess bezeichnet. Dieser reguliert Anziehung und Abstoßung. Zwischen-
menschlich wird dies vor allem mittels Emotionen ausgedrückt, wobei es hier
nicht nur um Sympathie und Antipathie geht. Intrapsychisch werden dadurch
nicht nur Gefühle, wie Angst, Ärger, Freude, sondern auch Impulse, Wünsche,
Zielvorstellungen oder Vermeidungstendenzen wirksam, die Triebfedern unserer
Handlungen darstellen. Diese Formen des psychischen Antriebs haben eine
Spannweite von ungeregelten Impulsen bis zu einem zielgerichteten Streben und
können bewusst oder unbewusst verhaltenssteuernd wirken (Schachtȱ 2003). Die
oben erwähnten Teleprozesse, deren Wechselspiel mittels Emotionen, Handlun-
gen und Impulsen sowie Willens- und Motivationsaspekten seinen Ausdruck
findet, sind vor allem in die angelsächsische Literatur als Konation eingegangen
(Schacht, 2003: 16). Aber nicht nur Gefühlsregungen spielen bei der Regulation
von Anziehung und Abstoßung oder bei soziometrischen Wahlen eine Rolle.
Auch kognitive Aspekte beeinflussen diese Prozesse, wobei die emotionalen
Prozesse meist stärker handlungsleitend sind (Krotzȱ2008).

Der Schüler Timo nimmt sich vor, für den nächsten Mathematiktest intensiv zu ler-
nen, da er, wenn er in diesem Fach zum Jahresabschluss gut benotet würde, von sei-
ner Großmutter ein neues Skateboard geschenkt bekäme. Als er gerade sein Mathema-
tikbuch aufschlägt, hört er, wie sein bester Freund Sebastian mit Laurenz, einem
gleichaltrigen Schulkollegen, laut lachend an seinem Zimmerfenster mit dem Skate-
board vorbeifährt. Bei Timo macht sich ein negatives Gefühl breit. Er hat Angst, dass
Laurenz ihm seinen besten Freund „ausspannen“ könnte und dass die beiden in Zu-
kunft, wenn er zu Hause ist und lernt, viel mehr gemeinsam unternehmen könnten.
Timo schnappt sich sein altes Skateboard und folgt den beiden in Richtung Halfpipe.

7) Die Rolle ist abhängig von der Lage


Eine Rolle ist vom Kontext abhängig; wird eine Rolle ausgeführt, muss es für
diese Handlung auch einen Ausgangspunkt geben, einen locusȱnascendi. In seinen
deutschen Frühwerken verwendet Moreno dafür den Begriff Lage, später, in sei-
nen englischsprachigen Texten, wählt er den Ausdruck Situation (Schacht 2003).
Diese beiden Ausdrücke werden in der heutigen psychodramatischen Termino-
logie synonym verwendet. Krotz versteht unter Situation eine für das Individuum
sinnstiftende Einheit sozialen Geschehens: „Sieȱ stelltȱ einenȱ raumzeitlichenȱ AusȬ
schnittȱderȱWeltȱdar,ȱderȱinȱderȱPerspektiveȱdesȱhandelndenȱIndividuumsȱdenȱfürȱInterakȬ
tionenȱ undȱ Interpretationenȱ relevantenȱ Horizontȱ umreißtȱ undȱ damitȱ ausschließt,ȱ wasȱ
nicht,ȱundȱeinschließt,ȱwasȱdazugehört“ (Krotz 2008: 32 f). In einfachere Worte gefasst
146 5 Rollentheorie

heißt dies, dass wir Menschen nicht losgelöst von Raum, Zeit und Kontext han-
deln können, da uns die nötigen Orientierungshilfen, auf die wir unser Handeln
aufbauen können, fehlen würden.
Wie bestimmte Lagen oder Situationen einzuschätzen sind, definieren wir
selbst, wobei uns die Muster, nach welchen wir sie interpretieren, und die Regeln,
nach welchen wir die darauf folgenden Handlungen gestalten, meist nicht bewusst
sind.

Der Rufton eines Handys kann bei ein und derselben Person unterschiedliche Reakti-
onen auslösen: Läutet das Handy während der Vorstellung eines klassischen Konzer-
tes, wird es eine andere Reaktion auslösen, als wenn das Telefon an einem Arbeitstag
im Büro klingelt. Wartet die Person sehnsüchtig auf den Anruf ihres Liebsten, wird
das Erklingen des Ruftons anders interpretiert, als wenn sie vom ständigen Läuten
des Telefons bereits genervt ist, weil sie dadurch immer wieder aus einer Arbeit geris-
sen wird, die Konzentration abverlangt.

8) Rollen haben Bedeutung in psychodramatischen Handlungs- und Problemlö-


sungsmodellen
Menschliches Handeln baut nach Moreno immer auf Rollen auf. Im Umgang mit
Alltagsaufgaben greifen wir dabei auf Handlungsroutinen, sogenannte RollenkonȬ
serven zurück. Ohne lange nachdenken zu müssen, wissen wir, wie wir täglich in
die Arbeit kommen, wie wir Menschen begrüßen, die uns gerade vorgestellt
wurden, oder wie wir reagieren können, wenn eine Person sich an der Einkaufs-
kasse vordrängt. Wir bedienen uns dabei bestimmter Rollenkonserven.

WasȱsindȱRollenkonserven?ȱ
Moreno formte den Begriff der Rollenkonserve, worunter etablierte und gefestigte
Verhaltensmuster verstanden werden, und den der kulturellen Konserve, worunter
Brauchtum, Bücher oder Theaterstücke fallen. Obwohl beide essentielle Funktionen
ausfüllen, Orientierungshilfen bieten und das Eingebundensein in ein soziales
System erst gewährleisten, wurden sie von Moreno dem Spontanen und Neuzu-
schöpfenden nachgereiht, da er davon ausging, dass Menschen durch gesellschaft-
liche und kulturelle Vorgaben in ihrer Spontaneität stark eingeschränkt werden.
Aus kritischer Distanz betrachtet sind aber gerade diese Konserven für die Ausbil-
dung von inneren Repräsentationen generalisierter, prototypischer Rolleninterakti-
onen unumgänglich, ohne die ein sinnvolles und adäquates Interagieren mit ande-
ren nicht möglich ist. Im psychodramatischen Spiel wird es aufgrund dieser kollek-
tiven Muster den Hilfs-Ichen ermöglicht, empathisch in die Rolle einer völlig unbe-
kannten Person zu schlüpfen und spontan aus dieser Rolle heraus zu interagieren.
Kastenȱ1: Rollenkonserven
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 147

Aus dem oben Beschriebenen geht hervor, dass Rollenkonserven zur Interaktion
mit anderen und zum adäquaten, schnellen Reagieren auf bestimmte Situationen
benötigt werden. Was passiert aber, wenn sich neue Sachlagen bilden, wenn
Probleme entstehen, bei denen die üblicherweise angewendeten Rollenkonserven
nicht zum gewünschten Erfolg führen? Zum Lösen dieser Probleme ist im Sinne
des Psychodramas Spontaneität und Kreativität notwendig.

VerhaltensänderungȱalsȱkreativerȱProzessȱ
Durch Spontaneität und Kreativität können wir Lösungsstrategien für neu ent-
standene Problemlagen oder hemmende Wiederholungsrituale entwickeln und
sie, wenn sie sich als zweckdienlich erweisen, auch etablieren.

Abbildungȱ27: Verhaltensänderung als kreativer Prozess

Die Sozial- und Lebensberaterin Frau Lindner benutzt täglich die öffentlichen Ver-
kehrsbetriebe Wiens, um in ihre Praxis zu kommen. Vor einiger Zeit streikten in Wien
die MitarbeiterInnen der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Dieses Problem der veränder-
ten Ausgangssituation, nämlich dass Frau Lindner nicht auf gewohnte Art und Weise
148 5 Rollentheorie

den Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Praxis zurücklegen kann, wird als Starterȱeinesȱ
Erwärmungsprozesses gesehen. Es ist nun notwendig, mithilfe von Spontaneität und
Kreativität für diese neue Situation eine adäquate Lösung zu entwickeln. Dazu muss
das Problem definiert und nach Lösungen gesucht werden. Vorerst werden stabile
Rollenkonserven herangezogen, die vertraut sind. Sie könnte mit einem Auto fahren,
da aber auch viele andere Personen versuchen werden, mit dem Auto zu ihrem Ar-
beitsplatz zu gelangen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu Verkehrsstaus
kommen wird. Da es der Sozial- und Lebensberaterin sehr unangenehm ist, im Stau
zu stehen, kommt für sie diese Möglichkeit nicht in Frage. Die normalen Handlungs-
muster erweisen sich somit als nicht brauchbar, deshalb müssen neue gefunden wer-
den. Sie befindet sich nun in der PhaseȱderȱErwärmung.

Zu welchen Handlungsalternativen eine Person letztendlich greift, hängt von


vielen Faktoren ab. Hier spielen viele bewusste und unbewusste Bedürfnisse und
Wünsche herein, die auf Erfahrungen beruhen, die in den verschiedenen Ent-
wicklungsphasen gemacht wurden, und zwar nicht nur Erwartungen, die andere
tatsächlich an die Person haben, sondern auch solche, von denen sie nur an-
nimmt, dass andere sie haben könnten. Somit spielen die folgenden Faktoren eine
Rolle:

a. eigene Motive als roleȱgiver


b. die Berücksichtigung der Rollenerwartungen anderer als roleȱreceiver und
c. der Einfluss innerlich repräsentierter Rollenerwartungen

Tabelleȱ17: Handlungsmotive nach Schacht (2003: 287)

Diese Handlungsmotive müssen gegeneinander abgewogen werden.

Frau Lindner ist eine sehr pflichtbewusste Person, es wäre ihr sehr unangenehm,
wenn sie zu spät käme und ihre KundInnen auf sie warten müssten (a). Sie nimmt
auch an, dass ihre KundInnen von ihr erwarten, dass sie eine Möglichkeit findet, zeit-
gerecht in der Praxis zu erscheinen (b). Das Bild, das sie von einer guten Lebens- und
Sozialberaterin verinnerlicht hat, gibt vor, dass diese Berufsgruppe auch unter
schwierigen Umständen für ihre KundInnen da sein muss (c). Frau Lindner befindet
sich nun in einer Spontaneitätslage. Das bedeutet, dass sie sich in einer Spannungssitua-
tion befindet, in der es höchst angebracht ist, eine Handlung zu setzen. Welche Hand-
lungsmöglichkeiten jetzt in Frage kommen, hängt von ihren Fähigkeiten und den äu-
ßeren Umständen ab. Sie könnte theoretisch zu Fuß in die Praxis gehen, der Weg wäre
dafür aber zu weit. Sie besitzt aber ein Fahrrad. So wählt sie dieses Verkehrsmittel,
um in die Praxis zu kommen. Damit kommt es zu einem statusȱ nascendi. Der status
5.3 Die Eigenschaften von Rollen 149

nascendi schafft einen neuartigen Weg des Problemlösens in Form einer Verhaltens-
änderung oder der Annahme einer neuen Rolle.
Damit eine neue Handlungsstrategie ins Rollenrepertoire aufgenommen werden
kann, muss sie sich als zweckdienlich erweisen, positiv bewertet werden und sich e-
tablieren. Dies geschieht durch positive Rückkoppelungsmechanismen in der kreativenȱ
Phase. Wie ist das bei Frau Lindner? Durch das Benützen des Fahrrads kommt sie
schnell und pünktlich in die Praxis und bekommt zusätzlich noch Anerkennung auf-
grund ihrer Sportlichkeit. Dies veranlasst sie, immer häufiger mit dem Fahrrad zu
fahren, wodurch sich ihre Kondition steigert, was sie sehr begrüßt. Mittlerweile legt
sie den Weg zur Praxis meist mit dem Fahrrad zurück, wodurch dieses neue Rollen-
verhalten zur Rollenkonserve wird.

Abbildungȱ28: Verhaltensänderung als kreativer Prozess – Beispiel


150 5 Rollentheorie

9) Die Rolle ist ein Ausdruck individueller und kultureller Kreativität


In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass PsychodramatikerInnen Menschen als
Wesen verstehen, die in einem sozialen Geflecht eingebunden sind, in Rollen
agieren, mit Hilfe von Spontaneität und Kreativität neue Handlungsstrukturen
entwickeln, diese konservieren, aber auch wieder verändern und weiterentwi-
ckeln können. Um diese individuellen und kulturellen Leistungen sichtbar zu
machen werden im Psychodrama folgende Darstellungen bzw. Konstrukte ge-
nutzt: Die sozialen Beziehungen einer Person werden in der Abbildung des soziaȬ
lenȱAtoms erfasst. Die Rollen, die eine Person innehat, werden im kulturellenȱAtomȱ
dargestellt. Eine Verbindung vom sozialen und kulturellen Atom stellt das sozio-
kulturelle Atom dar. Es wurde von Schacht (2003) wie auch von Stimmer (2008)
entwickelt, weil sie davon ausgehen, dass das soziale und kulturelle Atom in
einer Wechselbeziehung miteinander stehen. Denn naturgemäß prägen die in
sozialen Beziehungen vorhandenen Teleprozesse, also von wem ich mich ange-
zogen oder abgestoßen fühle, mein Rollenverhalten. Näheres dazu kann in Kapi-
tel 6, das der Soziometrie gewidmet ist, in Erfahrung gebracht werden.
Unter dem inneren soziokulturellen Atom werden die inneren Repräsentati-
onen des Selbst, das sich aus einer Anhäufung von erfahrenen Rollenmustern
bildet, sowie aller emotional bedeutsamen Personen, Beziehungen und Rollen-
konfigurationen verstanden (Schachtȱ2009). Ohne diese inneren Bilder, den Selbst-
und Objektrepräsentanzen des soziokulturellen Atoms, kann sich eine Person
nicht als ein Wesen mit unterschiedlichen Eigenschaften wahrnehmen und zum
Beispiel auch keinen Perspektivenwechsel vornehmen.

5.4ȱ StörungenȱundȱBeeinträchtigungenȱimȱZusammenhangȱmitȱRollenȱundȱ
Rollenkonfigurationȱȱ
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit…
Aus psychodramatischer Sicht ist diejenige Person gesund, die in bestimmten sozia-
len Situationen auf eine passende Rolle aus ihrem soziokulturellen Atom zurück-
greifen oder, wenn nötig, spontan eine neue, passende Rolle entwickeln kann (Vonȱ
Ameln,ȱ Gerstmann,ȱKramerȱ 2005: 218). Ist dies nicht möglich, weil die Person keine
angemessenen Rollenkonfigurationen aktivieren kann oder sie in ihrer Spontaneität
blockiert ist, kann es zu gestörtem Erleben oder Handeln kommen.
Dies kann auf mehreren Ursachen beruhen, wie zum Beispiel auf einem priȬ
märenȱ Rollenmangel, der auf Störungen in der frühkindlichen Entwicklung zu-
rückzuführen ist, oder auf einem sekundärenȱ Rollenmangel, auch Rollenatrophie
genannt. Unter Letztgenanntem wird eine Verringerung des Rollenrepertoires
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit… 151

verstanden, die dadurch entsteht, dass bereits erworbene Rollen aufgrund be-
stimmter Einflüsse in der bisherigen Form nicht mehr ausgefüllt werden können.
Hierbei wird die pathologische von der physiologischenȱRollenatrophie unterschieden
(Leutzȱ1986).

Primärer Rollenmangel Sekundärer Rollenmangel


Rollendefizite Rollenatrophie

Pathologische Rollenatrophie Physiologische Rollenatrophie

Abbildungȱ29: Primärer und sekundärer Rollenmangel

5.4.1 PrimärerȱRollenmangelȱoderȱRollendefiziteȱ

Abgesehen von Ursachen wie genetischer Veranlagung oder somatischen Er-


krankungen während der kindlichen Entwicklung macht das Psychodrama heute
für die defizitäre Ausbildung von Rollen vor allem das nicht angemessene Be-
antworten von kindlichen Bedürfnissen verantwortlich. Das Psychodrama beruft
sich dabei auf die von Leutz zusammengefassten rollenpathologischen Theorien
(vgl. Leutz 1986) und die von Bowlbyȱ (2008) entwickelte Bindungstheorie. Men-
schen benötigen, um sich gut entwickeln zu können, von ihren engsten Bezugs-
personen ein ausreichendes Maß an Nähe, Versorgung, Förderung und Wahrge-
nommen-Werden. Die Bedürfnisse eines Kindes als role giver müssen erkannt
und verstanden und es muss adäquat auf sie reagiert werden. Wenn ein Kind z.B.
in der Nacht weint, weil es aufgewacht ist, sollten die Eltern auf dieses Bedürfnis
nach Trost reagieren, es in den Arm nehmen und beruhigen. So lernt es sich als
selbstwirksames Wesen zu fühlen. Geschieht dies nur mangelhaft, kann es zu
Entwicklungsstörungen kommen, die zu Rollendefiziten und in weiterer Folge zu
psychischen Störungen führen können.

5.4.2 PathologischeȱRollenatrophienȱ

Pathologische Rollenatrophien entstehen aufgrund einer regressiven Rollendyna-


mik. Können bestimmte Rollenaspekte aufgrund von psychiatrischen Erkrankun-
gen, Hospitalisierung oder anderen Formen sozialer Isolierung nicht mehr gelebt
werden, kommt es infolge zu einer deutlich sichtbaren Einengung (Stelzigȱ 2004).
152 5 Rollentheorie

Traumatisierende Erfahrungen, wie zum Beispiel der Tod einer nahestehenden


Person, Gewalterfahrungen, aber auch veränderte sozioökonomische Verhältnisse,
können ebenso zum Entstehen von pathologischen Rollenatrophien beitragen.

Das Denken und Handeln von Personen, die an Suchterkrankungen leiden, ist je nach
Stärke der Abhängigkeit auf das Suchtmittel fixiert. Aktivitäten, die nicht mit der
suchterzeugenden Substanz oder dem suchterzeugenden Verhalten in Zusammen-
hang stehen, werden immer mehr vernachlässigt. Besonders gut wird dies im „Kla-
viermodell“ (Koller 1994) veranschaulicht, das in der Suchtprävention gerne eingesetzt
wird: Die Tasten des Klaviers symbolisieren die Möglichkeiten und Ressourcen, die
ein Mensch zur Verfügung hat, um sein Leben zu gestalten und Probleme zu bewälti-
gen. Personen, die von einer Suchterkrankung betroffen sind, schlagen auf diesem
Klavier weniger Tasten und diese dafür häufiger an, als Personen, die nicht an einer
Abhängigkeitsproblematik leiden.

5.4.3 PhysiologischeȱRollenatrophienȱ

Verschiedene Lebensabschnitte stellen unterschiedliche Anforderungen an Per-


sonen. An neue Lebensumstände oder veränderte Lagen gilt es sich anzupassen,
indem neu erworbene Rollen ins kulturelle Atom aufgenommen werden und
andere in den Hintergrund treten. Diese natürlichen Veränderungen, wie das
Abnabeln von den Eltern, eintretende Elternschaft, das Altern an sich oder der
Übergang in den beruflichen Ruhestand können dann krisenhaft verlaufen, wenn
zum Beispiel der neue Lebensabschnitt – aus der Perspektive dieser Person – zu
wenig befriedigende Rollen zur Verfügung stellt. So können Eltern von heran-
wachsenden Kindern es als schmerzhaften Verlust erleben, wenn die Einnahme
bestimmter Rollen von ihnen als role receiver nicht mehr verlangt wird. Gerät
eine Person in eine Krise, weil es ihr nicht gelingt diesen Verlust durch das Akti-
vieren von anderen oder neuen Rollen zu kompensieren, wird von einer physio-
logischen Rollenatrophie gesprochen.
Die oben beschriebenen Störungen sind solche, die eine Person meist in ih-
rem ganzen Sein beeinträchtigen. Aber auch „ungünstige“ Kombinationen von
Rollen und -erwartungen, die im Psychodrama als Rollenkonflikte bezeichnet wer-
den, können für Menschen zur Belastung werden. Sie werden allerdings nur
dann als Problem erlebt, wenn sie als negative Stressoren wirksam werden (SchalȬ
ler 2006).
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit… 153

5.4.4 Rollenkonflikteȱ

Hierbei kommt es zu Kontroversen zwischen verschiedenen Rollen, die etwa eine


Person in sich vereint, oder auch zwischen Rollen, die zwei unterschiedliche
Personen in dieser Situation verkörpern.
Es gibt zahlreiche Formen und Unterformen von Rollenkonflikten; die wich-
tigsten werden in Folge hier vorgestellt:

1. Intra-Rollenkonflikt
2. Inter-Rollenkonflikt
3. Person-Rollen-Konflikt
4. Intrapersonaler Rollenkonflikt
5. Interpersonaler Rollenkonflikt

Tabelleȱ18: Formen von Rollenkonflikten

1) Intra-Rollenkonflikt
Unter einem Intra-Rollenkonflikt wird die Diskrepanz zwischen der Rolle, die
eine Person ausübt, den Anforderungen, die diese Rolle an die Person stellt und
dem Wertesystem dieser Person verstanden. Viele Rollen setzen sich ihrerseits
wieder aus (Sub-)Rollen zusammen (Cluster), die von sehr unterschiedlicher
Qualität sein können, und diese Art von Konflikt erzeugen können:

So besteht die Rolle der LehrerIn aus Unterrollen wie der der WissensvermittlerIn, der
Unterstützenden, der AnimateurIn, aber auch der Grenzen Setzenden. Nimmt zum
Beispiel eine LehrerIn die Rolle der Grenzen Setzenden nicht wahr, weil sie auf keinen
Fall als autoritär gelten möchte, wird sie in ihrer Rolle als LehrerIn wahrscheinlich auf
Probleme stoßen.

Rollenanteil Wertehaltung

Abbildungȱ30: Intra-Rollenkonflikt

2) Inter-Rollenkonflikt
Kommt es zu Widersprüchen zwischen unterschiedlichen Rollen eines Indivi-
duums, wird dies als Inter-Rollenkonflikt bezeichnet.
Berufstätige Eltern sind sehr häufig von dieser Form des Rollenkonflikts be-
troffen.
154 5 Rollentheorie

Der Bauingenieur Herr Mader wird immer unruhiger, weil der Abgabetermin eines
wichtigen Auftrages näher rückt und noch einige Dinge ausständig sind. Neben seiner
Rolle als verlässlicher Geschäftspartner möchte er auch seiner Rolle als verantwor-
tungsvoller Elternteil gerecht werden und sein Kind pünktlich vom Kindergarten ab-
holen. Seine Anspannung verstärkt sich.

ȱ
ȱ Eigene Rolle Eigene Rolle
ȱ

Abbildungȱ31: Inter-Rollenkonflikt

Wenn die Vielfalt oder Widersprüchlichkeiten von Rollenerwartungen an sich


selbst zur Überforderung führen, spricht man auch von Rollenüberlastung.

3) Person-Rollen-Konfliktȱȱ
Hierunter versteht man Widersprüche zwischen den Rollenerwartungen, die
jemand an sich selbst stellt, und dem, wie sich eine Person tatsächlich verhält.

Martha erwartet von sich selbst, dass sie ihre Interessen selbstbewusst durchsetzt, geht
aber jedem Konflikt aus dem Weg.

Eigenes Rollenerwartung an sich


Rollenverhalten selbst

Abbildungȱ32: Person-Rollen-Konflikt

4) Intrapersonaler Rollenkonflikt
Dieser Konflikt drückt die Diskrepanz zwischen der eigenen Rollendefinition und
den Erwartungen anderer aus.

Frau Moser wurde zur Leiterin der Einkaufsabteilung einer großen Firma ernannt, in
der sie selbst lange Zeit gleichberechtigt mit anderen MitarbeiterInnen tätig war. In
der Rolle als LeiterIn tritt sie sehr autoritär auf und ahndet disziplinäre Vergehen wie
Zuspätkommen rigoros. Ihre MitarbeiterInnen hätten sich aber gerade von ihr als frü-
herer Kollegin erwartet, dass sie in solchen Situationen mehr Verständnis zeigt und ab
und zu ein Auge zudrückt. Frau Moser ist enttäuscht, dass sie bei ihren MitarbeiterIn-
nen nicht beliebt ist.
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit… 155

Rollenerwartung an Rollenerwartung
sich selbst anderer

Abbildungȱ33: Intrapersonaler Rollenkonflikt

Werden unterschiedliche oder missverständliche Rollenerwartungen an eine Per-


son gestellt, wird dies als Inter-Sender-Konflikt bzw. als Rollenambiguität bezeich-
net. Sie können damit als Unterformen des Intrapersonalen Rollenkonflikts gesehen
werden.

InterȬSenderȬKonfliktȱ
Zu diesem Konflikt kommt es, wenn zwei verschiedene Bezugspersonen unver-
einbare Erwartungen an ein Individuum stellen.

Die Mutter eines Kindes ist nach der Scheidung von ihrem Ehemann eine neue Bezie-
hung eingegangen. Das Kind erwartet sich von der Mutter, dass sie ihr uneinge-
schränkt Aufmerksamkeit schenkt und ihre Freizeit mit ihr verbringt. Der neue Part-
ner der Frau wünscht sich, dass sie mehr in ihrer Rolle als Liebhaberin in Erscheinung
tritt und mehr Zeit für Stunden der Zweisamkeit freihält.

Rollenerwartung anderer
Person
Rollenerwartung anderer

Abbildungȱ34: Inter-Sender-Konflikt

Rollenambiguitätȱ
Darunter werden unpräzise, mehrdeutige und missverständliche Rollenerwar-
tungen an eine Person verstanden. Die RollenträgerIn weiß nicht, welches Verhal-
ten von ihr erwartet wird.

Tobias arbeitet seit zwei Tagen als Zivildiener bei einer sozial-medizinischen Einrich-
tung. Aufgrund des dort vorherrschenden Personalmangels war seine Einschulung sehr
mangelhaft. Ständig eilen MitarbeiterInnen an ihm vorbei, manche sehen ihn dabei er-
wartungsvoll, manche verärgert an, andere wiederum ignorieren ihn. Tobias weiß nun
nicht, ob von ihm erwartet wird, dass er selbstständig irgendwelche Tätigkeiten über-
nimmt oder ob er warten sollte, bis ihm bestimmte Aufgaben zugeteilt werden.
156 5 Rollentheorie

Person ? Rollenerwartung anderer

Abbildungȱ35: Rollenambiguität

5) Interpersonaler Rollenkonflikt
Hier kommt es zu einer Kontroverse zwischen zwei Personen und deren unter-
schiedlichen Rollen.

Nachdem ein guter Freund der Familie beim Mountainbiken tödlich verunglückt ist,
zeigt Johanna beim Ausüben von sportlichen Aktivitäten immer häufiger ein ängstli-
ches Verhalten. Mit ihrem Partner, der sehr abenteuerlustig ist und extreme Heraus-
forderungen liebt, kommt es deshalb bei der gemeinsamen sportlichen Freizeitgestal-
tung immer wieder zu Auseinandersetzungen.

Eigene Rolle Rolle einer anderen Person

Abbildungȱ36: Interpersonaler Rollenkonflikt

In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass Störungen im Rollenhaushalt und Irrita-


tionen zwischen eigenen Rollen, Rollenkonfigurationen und Rollenerwartungen
Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben können.
Derartige Beeinträchtigungen können mittels diagnostischer Verfahren sicht-
bar gemacht werden. Ein wichtiges Diagnoseinstrument des Psychodramas ist das
Rollenverhalten einer Person, weshalb die psychodramatische Diagnostik in diesem
Kapitel behandelt wird. Manche der nachfolgenden psychodramatischen Verfahren
zum Erkennen von Defiziten beziehen sich nicht nur auf die Rolle, werden aber im
Sinne der Vollständigkeit trotzdem aufgelistet und kurz vorgestellt.

5.5 DieȱpsychodramatischeȱDiagnostikȱ

Das Besondere an der psychodramatischen Diagnostik ist, dass die Symptome, an


denen KlientInnen mit bestimmten Problematiken leiden, nicht nur aufgelistet,
beschrieben und in ein übergeordnetes System eingeordnet werden. Sie richtet
ihr Augenmerk vielmehr auch auf die Form der Interaktion einer Person mit sich
selbst und mit anderen, darauf, welche Rollen sie zur Verfügung hat, wie sie mit
ihren verschiedenen Rollen verfährt und wie sie mit bestimmten Problemstellun-
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 157

gen umzugehen pflegt. Dabei wird die ganze bio-psycho-soziale Matrix mitein-
bezogen. Deshalb muss laut Burmeister (2004) psychodramatische Diagnostik als
prozessual verstanden werden. Die psychodramatische Diagnostik konzentriert
sich aber nicht nur auf das Individuum, sondern hat auch die Gruppe als Gegens-
tand. Zur Diagnostik einer Gruppe werden soziometrische Verfahren eingesetzt
(siehe auch Kapitel 6 Soziometrie).
Die Instrumente der psychodramatischen Diagnostik auf Einzelpersonen
bezogen sind:

1. Analyse des sozialen Atoms


2. Analyse des Rollensystems und des Rollenstatus
3. Analyse des Spontaneitätsniveaus
4. Die Beziehung KlientIn – Psychodrama-LeiterIn
5. Die psychodramatische Diagnostik des Strukturniveaus

Tabelleȱ19: Instrumente der psychodramatischen Diagnostik

1)ȱAnalyseȱdesȱsozialenȱAtomsȱ
Dazu kann das Sozialeȱ Netzwerkȱ Inventarȱ (SNI), auf das im Kapitel Soziometrie
näher eingegangen wird, eingesetzt werden. Es bietet eine Übersicht über die
subjektiv bedeutsamen Bezugspersonen einer Person zu verschiedenen Zeitpunk-
ten, zum Beispiel vor oder nach einer Erkrankung. Im Psychodrama können diese
interpersonalen Beziehungen szenisch konkretisiert werden. Die Prozesse, die sich
zwischen InteraktionspartnerInnen abspielen, können mittels einer psychodrama-
tischen Aufstellung oder eines psychodramatischen Spiels dargestellt werden,
aber auch innerpsychische Prozesse können zum Beispiel durch die Technik des
inneren Dialogs nach außen transferiert werden. Konflikte und Problemstellungen
innerhalb von Beziehungen und Beziehungsmuster werden dadurch erfasst.

2)ȱAnalyseȱdesȱRollensystemsȱundȱdesȱRollenstatusȱ
Das beobachtbare Rollenverhalten eignet sich besonders gut als Diagnosekriteri-
um, weil die implizite Auswahl von Rollenmustern, also auf welche Art und
Weise welche Handlungen gesetzt werden, Auskunft über die individuelle emo-
tionale Bewertung und die kognitive Einschätzung von Beziehungssituationen
gibt. Rigide Rollenkonserven, auf die immer wieder zurückgegriffen wird, ob-
wohl sie sich nicht mehr als zweckdienlich erweisen, können ebenso entlarvt
werden wie die Triebkräfte oder die Hemmungen, die bewirken, dass eine Spon-
taneitätslage nicht erreicht werden kann, die zu neuen Rollenmustern führen
könnte. Durch Beobachtungen von Rollenverhalten können auch Rückschlüsse
158 5 Rollentheorie

auf Rollenerwartungen und Rollendefizite gezogen werden. Das Psychodrama


benützt dazu verschiedenste Arrangements.

Planspieleȱ
Eine Möglichkeit des Messens von Rollenverhalten sah Moreno (1946) in der Analy-
se der Bewältigung einer gestellten Situation, die mehrere Personen gemeinsam vor
eine Aufgabe stellt, die sie lösen müssen. Moreno ließ dafür sechs Männer von glei-
chem militärischem Rang in einem Wald campieren. Plötzlich beobachteten diese,
wie ein feindlicher Fallschirmspringer landete. Wie sie darauf reagierten, wurde
von einer Jury anhand spezieller Kriterien durchleuchtet: a) Welche Beziehung
entwickelte sich zwischen diesen Männern? Wer übernahm die Initiative, wechsel-
ten sie sich dabei ab? b) Welche Maßnahmen wurden bezüglich der Invasion des
Feindes ergriffen? c) Wie und durch wen wurde diese Aktion abgeschlossen?
Diese Aufgabenstellung ist natürlich vor dem zeitgeschichtlichen Hinter-
grund zu betrachten. Planspiele in anderen Kontexten finden jedoch nach wie vor
ihre mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten.

Ein Team von LehrerInnen wird im Rahmen des Workshops „Soziales Lernen“ in
zwei Gruppen geteilt und aufgefordert, verschieden geartete Aufgaben, die Geschick-
lichkeit, Kreativität und Einfallsreichtum verlangen, gemeinsam in einer vorgegebe-
nen Zeiteinheit zu lösen. In der anschließenden Reflexionsphase wird erörtert, wer
dabei welche Rolle übernahm. Wer ergriff wann die Initiative, wer achtete auf den
zeitlichen Rahmen, wer übernahm wann eine Leitungsfunktion, wer hielt sich beim
Finden von Lösungen eher im Hintergrund? Wie haben sich die LehrerInnen dabei
gefühlt? Entsprach ihr Verhalten dem, wie sie auch in vergleichbaren realen Situatio-
nen agieren würden? Die Informationen, die durch solche Übungen gewonnen wer-
den, beziehen sich auf die Dynamik, die innerhalb der Gruppe herrscht, auf die Fer-
tigkeiten, Ressourcen oder Rollendefizite der ganzen Gruppe wie auch ihrer einzelnen
Mitglieder.

„Standardisierte“ȱRollenspieleȱ
Moreno (1940) entwickelte ein „standardisiertes“ Testverfahren, um zu erkennen,
ob bestimmte Reaktionsweisen seiner KlientInnen der Norm entsprachen oder
nicht. Zur Standardisierung ließ er geschulte Hilfs-Iche bestimmte, alltagsnahe
Situationen nachspielen. Durch soziometrische Wahl wurde ermittelt, welche
Reaktionsvariante die üblichste ist. Diese diente fortan als Richtwert.
Heute werden Verfahren, bei denen standardisierte Situationen herangezo-
gen werden, um zu erkennen, wie eine Person mit bestimmten Problemstellun-
gen verfährt, zum Beispiel in AssessmentȬCentern eingesetzt. Dort müssen sich
KandidatInnen, die sich für eine bestimmte Funktion in einem Unternehmen
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 159

bewerben, realitätsnahen Prüfungen unterziehen. Die Art und Weise, wie diese
Aufgaben bewältigt werden, gibt Aufschluss darüber, ob die KandidatIn den
notwendigen Anforderungen entspricht. Dabei werden Übungen verwendet, die
ihren Ursprung im Psychodrama haben. Mittels Rollenspielen, die Kundenre-
klamationen oder einen Konflikt mit einer MitarbeiterIn simulieren, wird er-
kennbar, wie die BewerberIn in stressreichen Situationen reagiert oder über wie
viel Feingefühl oder rhetorisches Geschick sie verfügt. Personen, die Leitungspo-
sitionen anstreben, können in einem derartigen Assessment-Center vor Aufgaben
gestellt werden, die ihre Führungsqualitäten testen. Wie gut kann die KandidatIn
die Problematik erfassen, wie schnell Entscheidungen treffen, wie leicht fällt es
ihr zu delegieren und wie gut behält sie dabei das Ziel im Auge? Auch das Grup-
penverhalten wird in Gruppendiskussionen analysiert: Wie viel Durchsetzungs-
kraft, Kompromissbereitschaft und soziale Kompetenz ist bei der zu beobachten-
den Person zu erkennen?

Das Rollendiagramm, das RoleȬRating, Rollentrainingȱ undȱ dieȱ Rollenveränderung sind


im Psychodrama häufig eingesetzte Verfahren, die dazu dienen, Rollenkonflikte,
Rollendefizite oder Rollenüberbelastung festzustellen. Im Psychodrama wird meist
zeitgleich mit dem Erfassen von Problemlagen nach Ressourcen und kreativen Lö-
sungsmöglichkeiten gesucht, was in den folgenden Darstellungen gut sichtbar wird. ȱ

DasȱRollendiagrammȱȱ
Zur Erstellung eines Rollendiagramms werden die KlientInnen aufgefordert, in die
Mitte eines Blattes einen Kreis zu zeichnen, in den sie ihren Namen schreiben. Um
diesen herum wird wiederum ein Kreis geformt, der in Segmente geteilt wird und
in dem sie die Rollen eintragen können, die sie zu diesem Zeitpunkt ausüben. Im
Anschluss daran wird eine dieser Rollen ausgewählt, die sie genauer unter die
Lupe nehmen möchten oder mit der sie im Konflikt stehen. Nun soll auf die gleiche
Art und Weise ein Innen- und ein Außenkreis gezeichnet werden. Diesmal wird die
zu analysierende Rolle in den Innenkreis geschrieben, im Außenkreis werden die
damit in Verbindung stehenden Subrollen (Dayton 2005) angeordnet.
Falls sich durch das Aufzeichnen des Rollendiagramms bestimmte Proble-
me, Irritationen oder Konflikte mit Subgruppen herauskristallisieren, kann dies
Ausgangspunkt eines psychodramatischen Spiels oder einer Vignette werden.
Durch dieses Arrangement sollen sich die TeilnehmerInnen ihrer Rollen
stärker bewusst werden und verstehen, warum in der Ausführung bestimmter
Rollen Irritationen auftreten.
Kastenȱ2:ȱȱ Rollendiagramm als Diagnose-Verfahren
160 5 Rollentheorie

Abbildungȱ37: Rollendiagramm 1

Abbildungȱ38: Rollendiagramm 2
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 161

Rollentrainingȱ
Dabei werden die TeilnehmerInnen unterstützt, die Rollen zu eruieren, bei deren
Übernahme sie noch Übung benötigen oder welche mit Angst oder Unsicherheit
verbunden sind und welche sie gerne auf eine andere Weise leben möchten. Dies
könnte zum Beispiel die Rolle der Durchsetzungsfähigen, der Person, die keine
Drogen mehr konsumiert oder die der hingebungsvollen LiebhaberIn sein.
Im Rahmen eines Gruppenspiels können die TeilnehmerInnen aufgefordert
werden in eine Angst machende Rolle zu schlüpfen und in dieser auf die psycho-
dramatische Bühne zu treten.

Kastenȱ3:ȱ Rollentrainingȱ

RoleȬRatingȱȱ
Beim Role-Rating werden die wichtigsten Rollen, die eine Person derzeit ausübt,
reflektiert. Diese sollen dazu auf einem Blatt Papier aufgelistet werden. Die Teil-
nehmerInnen werden gebeten, sich zu überlegen, ob die Rollen in Balance sind,
welche Rollen dominant sind, welchen Rollen sie gerne mehr Zeit widmen wür-
den und in welcher Rolle sie sich besonders wohl fühlen, ferner welche Rolle sie
gerne hinzufügen würden, wenn dies durch Zauberei möglich wäre, und welche
sie von dieser Liste streichen würden, wenn dies möglich wäre.
Dann werden sie aufgefordert, ein Tortendiagramm zu zeichnen, in dem sie
ihre Rollen einfügen. Die Größe der Tortenstücke entspricht der Zeit, die diese
Rolle in ihrem Leben in Anspruch nimmt. Nun kann eine Rangreihung dieser
Rollen nach bestimmten Kriterien erfolgen, wie etwa dem Grad der Zufriedenheit
oder danach, wie auslaugend oder wie konfliktgeladen eine Rolle ist.
Wie könnte ein ideales Rollendiagramm aussehen, was müsste die Person
verändern, damit sie sich diesem annähern könnte? Natürlich kann dies auch
durch ein psychodramatisches Spiel erfasst werden.

Kastenȱ4: Role-Rating

Rollenveränderungȱ
In unterschiedlichen Lebensphasen sind unterschiedliche Rollen vorherrschend.
Veränderungen der Stärke und Präsenz von Rollen werden oft als belastend er-
lebt, wie zum Beispiel die Rolle der Eltern, wenn die Kinder flügge werden, oder
die Rolle als ErwerbstätigeR, wenn die Pensionierung ins Haus steht.
Zur Bearbeitung dieser Problematik kann wieder ein Rollendiagramm zu Hil-
fe genommen werden. Ein Kreis wird auf einem Blatt Papier platziert, in diesem
wird die Rolle notiert, die in Veränderung begriffen ist. Rundherum werden die
Subrollen geschrieben, die mit dieser in Verbindung stehen. Die Rolle als Erwerbs-
162 5 Rollentheorie

tätigeR kann verbunden sein mit der als geschätzteR MitarbeiterIn, als Erfolgsver-
wöhnteR, als FrühaufsteherIn u. a. m. Die ProtagonistInnen können nun in Dialog
mit den Rollen treten, die durch Hilfs-Iche oder durch Symbole dargestellt werden.
Von welchen Rollen muss sich diese Person verabschieden, welche können an die
neue Situation angepasst werden? Welche Rollenerwartungen hat der oder die
ProtagonstIn an sich als RentnerIn? Welche Rollen sind nun nicht mehr vorhanden,
welche neuen Rollen kommen hinzu, wie können die Lücken ausgefüllt werden?
Kastenȱ5: Diagnose von Rollenveränderungȱ

3)ȱAnalyseȱdesȱSpontaneitätsniveausȱ
Die von Moreno bereits in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelten
psychodramatischen Testverfahren finden auch heute noch in psychodramati-
schen Gruppen Anwendung. Innerhalb dieser wird erkennbar, wie leicht oder
wie schwer es Gruppenmitgliedern fällt, zum Beispiel in der Funktion als Hilfs-
Iche spontan, also unvorbereitet, verschiedene Gefühlszustände darzustellen
(Spontaneitätstest) oder inwieweit Personen zur spontanen unvorbereiteten Dar-
stellung komplexer sozialer Situationen mit unterschiedlichem Anforderungspro-
fil und verschiedenen sozialen Rollenkategorien fähig sind (Burmeisterȱ2004: 97).
Die Analyse der Rollenmatrix, dies ist die Darstellung der Rollen, die eine
Person in einem gewissen Zeitrahmen in einer Gruppe innehatte, kann sowohl als
Diagnosekriterium dienen als auch zur Reflexion anregen: „Welche Rollen habe
ich selbst gewählt, welche Rollen wurden mir in meiner Funktion als Hilfs-Ich
zugewiesen? Von welcher Qualität waren diese Rollen? Gibt es Rollen, für die ich
besonders häufig gewählt wurde? Wie häufig wurde ich als Double oder als An-
tagonistIn ausgesucht?“
Die Bearbeitung der Rollenmatrix gibt somit einen Einblick in die Spontanei-
tät und Rollenflexibilität. Sie gibt auch Auskunft, welchen Status ein Gruppen-
mitglied hat. Bekommt ein Gruppenmitglied häufig die AntagonistInnenrolle
zugeteilt, so kann dies einerseits bedeuten, dass diese Person auch im Gruppen-
gefüge eine Position inne hat, die für Kontroversen sorgt oder andererseits, dass
sie der Gruppe vermittelt hat, dass sie über ausreichende Ressourcen verfügt, um
die mitunter belastenden AntagonistInnenrollen ausfüllen zu können.
Die Rollenmatrix darf nicht losgelöst von der Dynamik gesehen werden, die
innerhalb dieser Gruppe vorherrscht. Die Gruppenzusammensetzung, wie zum
Beispiel der Anteil von Männern und Frauen oder die Anzahl von jüngeren und
älteren TeilnehmerInnen in der Gruppe, das Gruppenthema und die Dynamik
haben Einfluss auf die Wahl von Hilfs-Ichen.
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 163

4)ȱDieȱBeziehungȱKlientInȱ–ȱPsychodramaȬLeiterInȱ
Wie sich die therapeutische Beziehung gestaltet, wie sie sich anfühlt und was
durch sie bei den Beteiligten ausgelöst wird, kann Auskunft über die Problemla-
gen der KlientInnen geben. Hilfreich sind dabei Fragen wie: „Mittels welcher Rol-
len präsentiert sich die KlientIn im Rahmen dieser Beziehung, welche rückt sie in
den Vordergrund, welche werden nicht gezeigt? Welche Rollenerwartungen an
die LeiterIn gehen von den KlientInnen aus, welche Gefühle werden dadurch bei
der LeiterIn geweckt?“, aber auch: „In welche Rollen wird die KlientIn aufgrund
des Settings und der Form der Beziehung gebracht?“ Das Psychodrama bietet für
die Auseinandersetzung mit dieser Thematik die Begegnungsbühne an. Die Thera-
peutIn und KlientIn können sich hier im offenen Gespräch über ihre Beziehung
zueinander austauschen (siehe auch Kapitel Techniken: Szenenwechsel).

5)ȱDieȱpsychodramatischeȱDiagnostikȱdesȱStrukturniveausȱ
Auf diese Möglichkeit psychodramatischer Diagnostik wird hier nur kurz einge-
gangen, weil eine genauere Ausführung den Einführungscharakter dieses Buches
übersteigen würde.

ȱ ȱ ȱ
gutȱintegriertȱ mäßigȱintegriertȱ geringȱintegriertȱ
StrukturȬ
Niveauȱ

ȱ ȱ ȱ
alleȱNiveausȱȱȱNiveauȱ 2Ȭ3ȱȱȱNiveauȱ1Ȭ2ȱȱȱNiveauȱ 0Ȭ1ȱȱȱNiveauȱ0ȱ

Kann einen inneren Ein innerer Rollenwechsel Ein innerer Rollenwech-


Rollenwechsel mit dem ist nur eingeschränkt sel ist nur in spannungs-
InnererȱRollenȬȱ

Gegenüber vollziehen. möglich. Dieser wird freien Momenten mög-


wechselȱ

Kann sich in das Gegen- unter Belastung durch die lich, wenn er eigenen
über als eine eigenstän- eigene Perspektive ver- Bedürfnissen dient. Das
dige Person mit eigenen zerrt. Gegenüber wird nicht
Interessen, Gefühlen, wirklich als eigenständi-
Motiven und Bedürfnis- ge Person wahrgenom-
sen versetzen. men.

Tabelleȱ20: Psychodramatische Diagnostik des Strukturniveaus am Beispiel


Innerer Rollenwechsel (Schacht 2009)

Schacht (2009) hat aufbauend auf psychodramatischen Theoriekonzepten und in


Anlehnung an die von Rudolf und seiner Arbeitsgruppe (2006) entwickelte opera-
tionalisierte psychodynamische Diagnostik, einen Katalog erstellt, indem in psy-
chodramatischer Terminologie unterschiedliche strukturelle Fertigkeiten und
Defizite aufgelistet werden. Damit können die Kompetenzen, über welche eine
164 5 Rollentheorie

Person verfügt bzw. die Defizite, die es ihr erschweren, den Bezug zum eigenen
Selbst oder interpersonelle Beziehungen zu regulieren, beschrieben werden.
Der Grad der Integration dieser Handlungskompetenzen wird in Struktur-
niveaus ausgedrückt. Störungen auf diese Art zu beschreiben hat den Vorteil,
dass psychodramatische Behandlungskonzepte besser auf die Bedürfnisse der
betroffenen Person zugeschnitten werden können.

In diesem Kapitel haben wir uns mit zentralen Grundannahmen des Psychodra-
mas auseinandergesetzt: Menschen handeln in Rollen und können anhand von
Rollen beschrieben und untersucht werden. Aufgrund ihres ständigen Interagie-
rens mit anderen können sie nicht losgelöst von ihrer Umwelt betrachtet werden.
Diese Grundannahmen bilden das Gerüst für weiterführende psychodramatische
Theorien und psychodramatische Techniken. Ähnlich wie bei der Rollentheorie
handelt es sich bei der Soziometrie um ein Konstrukt, ohne das Psychodrama
nicht gedacht werden kann.

Literaturȱ

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U. (1982): RollenentwicklungȱundȱIdentität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollentheorieȱzumȱsozialȬ
psychiatrischenȱRollenkonzeptȱMorenos. Paderborn: Junfermann, S. 301-309
Moreno, J. L. (1946): Definition der Rollen. In: Petzold, H., Mathias, U. (1982): RollenentwickȬ
lungȱ undȱ Identität.ȱ Vonȱ denȱ Anfängenȱ derȱ Rollentheorieȱ zumȱ sozialpsychiatrischenȱ RollenȬ
konzeptȱMorenos. Paderborn: Junfermann, S. 277-285
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 165

Moreno, J. L. (1960): Rolle. In: Petzold, H., Mathias, U. (Hrsg.) (1982): Rollenentwicklungȱundȱ
Identität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollentheorieȱzumȱsozialpsychiatrischenȱRollenkonzeptȱMoȬ
renos. Paderborn: Junfermann, S. 259-266
Moreno, J. L. (2001): PsychodramaȱundȱSoziometrie. Köln: EHP
Petzold, H., Mathias, U. (1982): RollenentwicklungȱundȱIdentität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollenȬ
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Schaller,ȱ R.ȱ (2006):ȱ Dasȱ großeȱ RollenspielȬBuch.ȱ Grundtechniken,ȱ Anwendungsformen,ȱ PraxisbeiȬ
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tierte Aktionsmethoden in Psychotherapie und Pädagogik. Zeitschrift für Psychodra-
ma und Soziometrie. Sonderheft 1, S. 113-130
Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher W. (2006): Embodiment.ȱ Dieȱ Wechselwirkungȱ
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Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996): Kompendiumȱ derȱ PsychodramaȬTherapie.ȱ Analyse,ȱ PräzisieȬ
rungȱundȱReformulierungȱderȱAussagenȱzurȱpsychodramatischenȱTherapieȱnachȱJ.L.ȱMoreno.ȱ
Köln: inScenario
5.5 Die psychodramatische Diagnostik 167

6
6 SoziometrieȱundȱandereȱMethodenȱzurȱ
ErhebungȱsozialerȱFragestellungenȱ

„Die Vermessung der Welt“


(DanielȱKehlmann)ȱ

Zusammengesetzt aus Sozius, „der Mitmensch“ und Metrum, „das Maß“, versteht
man unter Soziometrie zunächst einmal die Messung zwischenmenschlicher
Beziehungen. Die Soziometrie im Rahmen des Verfahrens Psychodrama beinhal-
tet jedoch weit mehr: neben der Messung geht es auch um Abbildung und auch
um Intervention. Moreno beschreibt die Soziometrie als Befassung „mitȱdemȱmatheȬ
matischenȱStudiumȱpsychologischerȱEigenschaftenȱderȱBevölkerung,ȱmitȱdenȱexperimenȬ
tellenȱMethodenȱundȱdenȱErgebnissen,ȱdieȱausȱdenȱAnwendungenȱqualitativerȱPrinzipienȱ
resultieren.ȱ Sieȱ beginntȱ ihreȱ Untersuchungȱ mitȱ derȱ Erforschungȱ derȱ Entwicklungȱ undȱ
OrganisationȱderȱGruppeȱundȱderȱStellungȱderȱIndividuenȱinȱihr.ȱEineȱihrerȱHauptaufgaȬ
benȱistȱes,ȱdieȱZahlȱundȱdieȱAusdehnungȱpsychosozialerȱStrömungen,ȱwieȱsieȱinȱderȱBeȬ
völkerungȱ verlaufen,ȱ zuȱ ermitteln“ (Moreno 1996: 28f). Der einzelne Mensch ist im-
mer eingebunden in ein soziales Netz; wenn wir den Einzelnen verstehen und
verändern wollen, ist hierzu der Einbezug seines Umfeldes unabdingbar. Die
Soziometrie war von Moreno als Teil eines Gesamtsystems konzipiert, der SozioȬ
nomie. Unter Sozionomie versteht man die Wissenschaft sozialer Beziehungen
und ihrer Entwicklungsgesetze. Hierzu gehören neben der Soziometrie die Sozi-
odynamik und die Soziatrie. Während letztere, die von Moreno erwünschte Hei-
lung der Gesellschaft, ein Schattendasein fristet und die Soziodynamik in ver-
schiedene andere Verfahren eingegangen ist, wie zum Beispiel in die Gruppen-
dynamik, ist die Soziometrie eine eigenständige Richtung geblieben. Im Verfah-
ren Psychodrama war die Soziometrie lange Zeit das Stiefkind. Im Abstand von
knapp zehn Jahren schreiben Gellert (1996: 346ff) und Pruckner (2004: 161), die
Soziometrie erfahre nicht die Wertschätzung, die sie verdiene. Aber in Zeiten, da
die quantitativen Methoden in der Sozialforschung Zulauf haben, wird auch die
Soziometrie innerhalb des Verfahrens Psychodrama wieder populärer (vgl. auch
Stimmer und Stimmer 2008; Spörrle und Strobel 2007).
168 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

Sozionomieȱ Wissenschaft sozialer Beziehungen und sozialer


Entwicklungsgesetze
Soziatrieȱ Verständnis von Gesundheit und Krankheit als
gesellschaftliches Phänomen, in Abgrenzung zur Psychiatrie
Soziometrieȱ Messung sozialer Beziehungen
Soziodynamikȱ Entwicklung sozialer Beziehungen und Systeme
Gruppendynamikȱ Vorgänge und Abläufe innerhalb einer sozialen Gruppe

Tabelleȱ21: Begriffsklärungen

Welches sind nun die Grundprinzipien, auf denen die Soziometrie fußt?

6.1 SoziometrischeȱGrundprinzipienȱ

„Soziometrie – die Methode der Wahl“ hat Schwehm (1994) zweideutig die So-
ziometrie gekennzeichnet. Sie ist zentral im Verfahren Psychodrama und weist
als wesentliche Kennzeichen die Wahl bzw. Abwahl, die soziale Gravitation, den
soziodynamischen und den soziogenetischen Effekt auf. Im Psychodrama werden
Wahlen als grundlegende Tatsachen oder Tatsachenȱ ersterȱ Ordnung verstanden:
wir können nicht nicht wählen. Jeder Handlung, aber auch jeder Nicht-Handlung,
liegt eine Wahl zugrunde, unabhängig davon, ob den Personen die Wahlen be-
wusst oder nicht bewusst sind. „WahlenȱsindȱgrundlegendeȱFaktorenȱinȱallenȱmenschȬ
lichenȱ Beziehungen.ȱ Wahlenȱ betreffenȱ Menschenȱ oderȱ Gegenstände.ȱ Obȱ dieȱ Motiveȱ demȱ
Wählendenȱbekanntȱsindȱoderȱnicht,ȱistȱvonȱsekundärerȱBedeutung.ȱSieȱsindȱnurȱinȱHinȬ
blickȱaufȱdenȱkulturellenȱoderȱethischenȱIndexȱbedeutungsvoll.ȱEsȱistȱzunächstȱnebensächȬ
lich,ȱobȱsieȱunklarȱoderȱhöchstȱdeutlich,ȱirrationalȱoderȱrationalȱsind.ȱSolangeȱsieȱspontanȱ
undȱechtȱdasȱSelbstȱdesȱWählendenȱzumȱAusdruckȱbringen,ȱbedürfenȱsieȱkeinerȱbesondeȬ
renȱRechtfertigung“ (Moreno 1981: 446f)
Die klassische Soziometrie bezieht sich hier auf eine philosophische Traditi-
on, wie sie am pointiertesten von Sartreȱin seiner Philosophie desȱExistentialismus
beschrieben wird: der Mensch hat die Freiheit, aber auch die Pflicht, zu wählen.
Während die Wahl eine innere Bewegung auf etwas oder jemand hin zum Aus-
druck bringt, beinhaltet der Gegenbegriff Abwahl eine Bewegung von etwas oder
jemandem weg, eine Distanzierung. Diese Anziehungen oder Abstoßungen, bzw.
die neutrale Position dazwischen, zeichnen alle Beziehungen zu einem Gegen-
über aus, seien es Menschen, Tiere oder Gegenstände. Die Soziometrie untersucht
diese Beziehungen anhand bestimmter Kriterien. Je nach Kriterium verändern
sich die Wahlen und die soziometrischen Strukturen.
6.1 Soziometrische Grundprinzipien 169

BeispielȱeinerȱalltagsȬsoziometrischenȱFragestellungȱmitȱWahlenȱundȱAbwahlen:ȱ

Herr Müller arbeitet als Gymnasiallehrer in einem großen Kollegium. Er wird von
seinen KollegInnen häufiger angesprochen, als Zweitkraft Klassen auf ihren Klassen-
fahrten zu begleiten.
Soziometrischeȱ Fragestellungȱ 1ȱ anȱ dasȱ Kollegium: Welchen Ihrer KollegInnen wür-
den Sie am liebsten als BegleiterIn auf eine Klassenfahrt mitnehmen?
Wahl: Die Mehrheit der KollegInnen wählt Herrn Müller zum Kriterium „Mit-
fahrer bei Klassenfahrten“.
Mögliche Hintergründe der Wahlen könnten sein: Herrn Müllers Verantwor-
tungsbewusstsein, seine Autorität bei SchülerInnen oder seine Bereitschaft, sich auch
außerhalb der Unterrichtszeit für die Belange der Schule zu engagieren.
Herr Müller wird aber im selben Kollegium gemieden, wenn es darum geht, zu
einem gemeinsamen Mittagessen zu gehen.
SoziometrischeȱFragestellungȱ2ȱanȱdasȱKollegium:ȱWelche Ihrer KollegInnen würden
Sie am liebsten ansprechen, ob sie zu einem gemeinsamen Mittagessen mitgehen?
Abwahl: Die Mehrheit des Kollegiums wählt Herrn Müller zum Kriterium „ge-
meinsames Mittagessen“ ab.
Mögliche Hintergründe hierfür könnten sein: Herrn Müllers Duz-Freundschaft
mit dem als problematisch erlebten Rektor der Schule und die damit verbundene Sor-
ge, dass Tratsch an die falschen Ohren gelangen könne, Herrn Müllers Abneigung ge-
gen die asiatische und italienische Küche verbunden mit der Tatsache, dass die einzi-
gen beiden zu Fuß erreichbaren Essensmöglichkeiten genau diese Küche vertreten.

Mithilfe soziometrischer Techniken kann die Struktur einer Gruppe untersucht


werden, aber auch die Strukturen und Beziehungen von Gruppen zueinander. In
der untersuchten soziometrischen Struktur innerhalb einer Gruppe werden die
Anziehungs- und Abstoßungsprozesse einzelner Gruppenmitglieder untereinander
deutlich gemacht. Damit soll die Tiefenstruktur, oder wie sie Moreno nennt, die
„Verkehrswege der sozialen Beziehung“ (1959: 32) innerhalb der Gruppe sichtbar
gemacht werden, die sich von der Oberflächenstruktur unterscheiden kann.

BeispielȱfürȱsichȱunterscheidendeȱOberflächenȬȱundȱTiefenstrukturenȱ(vgl.ȱAbb.ȱ39):ȱ

Frau Arndt ist in einer Firma neu als Abteilungsleiterin eingesetzt worden und hat
Frau Ortler zu ihrer Stellvertreterin gemacht. In der Abteilung ist auch Frau Ullmann
beschäftigt, die von den KollegInnen häufig um Rat gefragt wird, wenn Probleme bei
Arbeitsabläufen bestehen, und die auch von der Mehrheit der KollegInnen wegen ih-
rer vermittelnden Art innerhalb der Firmenhierarchie geschätzt wird. Frau Ortler wird
von den KollegInnen eher geschnitten. Die Abteilungsleiterin Frau Arndt wird von
den meisten KollegInnen akzeptiert.
170 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

Arndt
Arndt

Ullmann

Ortler

Ullmann Ortler

Abbildungȱ39: Oberflächen- und Tiefenstruktur

DieȱsozialeȱGravitationȱ

Anziehung, Abstoßung und Neutralität sind die konstituierenden Bestandteile


der so genannten sozialenȱGravitation. Diese besagt, dass sich zwei Personen oder
zwei Gruppen umso mehr aufeinander zubewegen, je stärker die Anziehungs-
und je schwächer die Abstoßungskräfte zwischen den Personen bzw. den Grup-
pen sind. Der Zusammenhalt, die Gruppenkohäsion innerhalb einer Gruppe,
wächst demzufolge mit der Anzahl der positiven Wahlen, die innerhalb der
Gruppe bestehen, und mit dem Nichtvorhandensein von Abwahlen.

BeispielȱfürȱeineȱstarkeȱsozialeȱGravitationȱinnerhalbȱeinesȱTeamsȱ

Im Team von Herrn Markwart gibt es viele gegenseitige positive Wahlen. Zwei Drittel
der KollegInnen verstehen sich gut, arbeiten gerne zusammen, gehen gerne mittags ge-
meinsam essen und verabreden sich auch am Wochenende hin und wieder zu gemein-
samen Freizeitaktivitäten wie Mountainbike-Touren oder Schlauchbootfahrten. Die üb-
rigen Teammitglieder werden neutral gesehen, sind aber in den Arbeitsabläufen gut in-
tegriert. In diesem Team besteht eine ausgesprochen hohe soziale Gravitation.

DerȱsoziodynamischeȱEffektȱ

Neben der sozialen Gravitation beschrieb Moreno in seinen Schriften zur Sozio-
metrie den soziodynamischenȱ Effekt. Dieser beinhaltet – vereinfacht gesagt – zum
einen, dass Menschen, die von ihrer Umwelt viele positive Wahlen erhalten, diese
auch dann bekommen, wenn sich die Gruppe, in der gewählt wird, zahlenmäßig
oder stimmenmäßig vergrößert: Stars bleiben Stars. Zum zweiten bedeutet der
soziodynamische Effekt, dass Menschen, die in einem sozialen System isoliert
6.1 Soziometrische Grundprinzipien 171

sind, d.h. viele Abwahlen innerhalb einer Gruppe bekommen, auch beim Wach-
sen dieser Gruppe viele Abwahlen bekommen: Isolierte bleiben Isolierte.
Der soziodynamische Effekt ist von einer deterministischen Grundhaltung
geprägt, die pessimistisch stimmt, was die Entwicklung von Gruppen angeht.
Hat man einmal in einer Gruppe bezüglich eines Kriteriums eine Position, so
scheint sie nach den Untersuchungen Morenos in dieser Gruppe nicht veränder-
bar zu sein. Dies passt eigentlich nicht so recht in das insgesamt kreativitäts- und
veränderungsbetonende Verfahren Psychodrama, hat jedoch zuweilen eine ge-
wisse Evidenz. Wird zum Beispiel ein Schüler in einem Klassenverband als Stre-
ber angesehen, wird er diese Rolle innerhalb der Klasse schwer wieder los, auch
wenn jede SchülerIn statt drei Stimmen in einem neuerlichen Wahlgang fünf
Stimmen zu vergeben hat, und der Streberstatus ändert sich auch dann kaum,
wenn die Klasse um fünf SchülerInnen anwachsen sollte. Stimmer19 beschreibt
jedoch ein Beispiel, bei dem dieser Effekt gerade nicht eintritt: Wenn in einer
Handballmannschaft drei Neue hinzukommen, bleibt der ehemalige Star
manchmal nicht mehr in seiner Position, wenn von den drei Neuen einer besser
ist als der „erste“ Star und damit zum neuen Star aufsteigt. Eifersüchtiges Verhal-
ten des ehemaligen Stars kann sogar dazu führen, dass der ehemalige Star zum
Isolierten in der Mannschaft wird. Möglicherweise hat Moreno mit der Beschrei-
bung des soziodynamischen Effektes zu kurz gegriffen oder seine Sicht ist heute
zu relativieren, da Gruppen- und Gesellschaftsstrukturen allgemein durchlässi-
ger und damit offener für Veränderungen geworden sind20.

DasȱsoziogenetischeȱGesetzȱ

Zu guter Letzt beschäftigt sich die Soziometrie auch mit der Entwicklung von
Gruppen. Moreno beschreibt diese mit seinem soziogenetischenȱ Gesetz. Gruppen
haben nicht nur eine Geschichte, sondern sie unterliegen auch einer Entwicklung.
Moreno ging dabei davon aus, dass sich die Prozesse innerhalb der Gruppe immer
weiter differenzieren. Zunächst haben Gruppen einfache Strukturen, im Laufe
der Entwicklung erreichen sie höhere Organisationsformen, d.h. es differenzieren
sich Rollen innerhalb von Gruppen weiter aus. Am Anfang besteht eine organischeȱ
Isolation der Mitglieder, danach differenziert sich die Gruppe horizontalȱ(Kontakt
knüpfen), zuletzt vertikalȱ (Hierarchiebildung). Diese Entwicklung bezieht sich
nicht nur auf das Gruppenalter, sondern auch auf das Alter der Gruppenmitglie-

19 mündliche Mitteilung (2009)


20 vgl. Beck (1986) und Keupp (1988) Literatur zu Freisetzungsprozessen
172 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

der: Im Kindergartenalter werden eher einfache Ketten gebildet, in Schulklassen


kommt es dann auch zu Dreiecken, und im Erwachsenenalter sind auch komple-
xere Formen möglich. Je älter und differenzierter in ihrer Persönlichkeit die
Gruppenmitglieder sind, desto differenzierter kann die Gruppenstruktur werden.
Ein anderes, aktuelles Modell von Gruppenentwicklung ist das Modell von TuckȬ
mann (1965), das von Gellertȱund Nowak (2007) in ihrer Teamentwicklungsuhr diffe-
renziert beschrieben wird. Hier werden Prozesse als Kriterium für die Gruppen-
entwicklung herangezogen. Gruppen beginnen in einerȱOrientierungsphase, in der
ein vorsichtiges Kennenlernen die Arbeitsweise prägt; sie gelangen danach im
Uhrzeigersinn in dieȱPositionsfindungsphase für die Mitglieder, in der Konflikte und
Konfrontationen das sachbezogene Arbeiten häufig zu blockieren scheinen, auch
Cliquen und Untergruppen werden hier gebildet. Darauf folgt die OrganisationsȬ
phase, in der Normen und Umgangsweisen, sowie Arbeits- und Umgangskulturen
entwickelt werden, um schließlich die Arbeitsphase zu erreichen, in der die Arbeit
und gegenseitige Unterstützung im Vordergrund stehen. Für zeitlich begrenzte
Gruppen schließt sich daran die AbschiedsȬȱ oderȱ Trennungsphase an. Für Gruppen
wie zum Beispiel Teams, die länger bestehen, kann sich dann erneut eine Orientie-
rungs-Phase anschließen, die wiederum gefolgt wird von einer Positionsfindings-
Phase, usw. Die englischen Begriffe für die vier Grundphasen, durch die sich die
Gruppen bewegen, sind bekannter: Forming, Storming, Norming und Performing.
Ein anderes Modell soziogenetischer Entwicklung ist das von der amerikani-
schen Psychodramatikerin Hale (1994). Sie beschreibt den Zyklus soziometrischer
Verläufe, der herangezogen werden kann, um aktuelle und zukünftige soziometri-
sche Konstellationen innerhalb von Gruppen zu beschreiben. Sie lehnt sich dabei an
Jahreszeiten an und sieht als Schlüsselbegriffe in Gruppenentwicklungsprozessen:
Zugehörigkeit, Beständigkeit, Trennung und Wandlung21. So wie wir Jahreszeiten
nacheinander durchlaufen, so durchlaufen wir als GruppenteilnehmerInnen thema-
tische Prozesse von Zugehörigkeit (zwischen Winter und Frühling), Beständigkeit
(zwischen Frühling und Sommer), Trennung (zwischen Sommer und Herbst) und
Wandlung (zwischen Herbst und Winter), mit ihren jeweils eigenen Vor- und
Nachteilen. Aufgrund der von Hale beschriebenen Zyklen können Vorhersagen
getroffen werden, in welchem Feld sich die einzelne TeilnehmerIn, aber auch die
Gruppe als Ganzes, im nächsten Schritt befinden wird.

21 vgl. Hale (1994): Soziometrische Zyklen


6.2 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen 173

Abbildungȱ40: Teamentwicklungsuhr nach Gellert und Nowak (2007)

Nach dieser kurzen Einführung in die Grundgedanken der Soziometrie, kommen


wir nun zu den diversen Praxis-Feldern, in denen Soziometrie zur Anwendung
kommt.

6.2 Aktionssoziometrie,ȱSpektogrammeȱundȱSkalenȱ

Die einfachsten Formen soziometrischen Vorgehens werden in dem Begriff der


Aktionssoziometrie zusammengefasst. Dazu gehört die Anwendung von soziomet-
rischen Spektogrammen und Skalen. Hierbei werden die TeilnehmerInnen einer
Gruppe dazu aufgefordert, sich entsprechend eines Kriteriums in einem definier-
ten Raum aufzustellen. Klassischerweise wird mit eindimensionalen Skalen begon-
nen, wie zum Beispiel: Namen in alphabetischer Reihenfolge, Alter, Dauer der
Betriebszugehörigkeit, Erfahrung in einem Arbeitsfeld, aber auch subjektive
Kriterien wie die eigene Befindlichkeit werden genannt. Die LeiterIn gibt dabei
die räumliche Definition der Skala vor: „Hier rechts im Raum steht die jüngste-
TeilnehmerIn, links die älteste; bitte reihen Sie sich dazwischen so ein, dass sich
eine kontinuierliche Altersskala bildet“. Oder: „Hier rechts steht die Person, die
174 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

sich gerade sehr entspannt, hier links die Person, die sich sehr angespannt fühlt.“
Außer den kontinuierlichen Skalen gibt es die Möglichkeit, das Kriterium so zu
wählen, dass das Abbild eine polare Darstellung ist. Ein Beispiel wäre hierfür die
Frage: „Wer von Ihnen hat Kinder?“ In der einfachsten Variante gibt es hier nur
zwei Möglichkeiten, sprich zwei Positionen im Raum: eine für „Ich habe Kinder“,
eine für „Ich habe keine Kinder“.
Hinter scheinbar einfachen, polaren Kriterien können sich jedoch weitere
komplexe Differenzierungen verbergen. Nehmen wir einmal das Kriterium „Kin-
der“ von dem obigen Beispiel. Hier sind viele, biographisch hochsensible, Varian-
ten von „ich habe Kinder“ und „ich habe keine Kinder“ möglich, wie z. B: „Ich
hatte Kinder. Aber jetzt hat sie meine Frau und ich habe sie nicht mehr“ (ein vom
Umgang mit seinen Kindern ausgeschlossener Vater), oder: „Ich hatte ein Kind. Das
ist aber leider gestorben“ (ein verwaister Elternteil), oder: „Ich bin schwanger und
möchte es noch nicht allen erzählen…“. Es gibt Kriterien, die auf den ersten Blick
polar sind, aber bei denen sich innerhalb der polaren Gruppen weitere Differenzie-
rungen zeigen können, die von den TeilnehmerInnen aber nicht gleich in einer
Gruppe veröffentlicht werden, da sie kritische biographische Themen anschneiden.

mir geht es sehr gut … gut … mittel … schlecht mir geht es sehr schlecht

Kinder keine Kinder

Abbildungȱ41: Eindimensionale Skalen für Befindlichkeit und Vorhandensein


von Kindern

Weiter differenzierend können zweidimensionale Skalen eingeführt werden, so


genannte Vier-Quadranten-Aufstellungen. Ein Beispiel hierfür ist: „Wer von
Ihnen möchte sich jetzt mit dem Thema Vater beschäftigen (und wer nicht)?“ und
„Wer möchte sich mit einem persönlichen Thema als ProtagonistIn beschäftigen,
wer möchte sich mit einem Thema in der gesamten Gruppe beschäftigen?“
6.2 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen 175

Im Beispiel der Abbildung 42 möchte die gestreifte Figur links oben gerne
ein Protagonistenspiel machen, aber nicht zum Thema Vater, sondern zu einem
anderen Thema, während die karierte Figur rechts außen sich unbedingt mit dem
Thema Vater beschäftigen möchte, und dies auch in Form eines Protagonisten-
spiels.

Protagonistenspiel

Nicht- Vater
Vater

als Gruppe

Abbildungȱ42: Zweidimensionale Aufstellung

Als Nächstes sind die zweidimensionalenȱ nichtlinearen Skalen zu nennen. Zum


Beispiel kann die LeiterIn einer Gruppe danach fragen, wo die TeilnehmerInnen
wohnen und dies auf einer imaginären Landkarte aufstellen lassen (Abb. 43).
Zu den nicht-linearen Aktionssoziometrien gehören die Kreis-Soziometrien:
Hier stehen alle TeilnehmerInnen im Kreis und es werden verschiedene sozio-
metrische Kriterien genannt: „Wer isst gerne Spaghetti-Eis?“, „Wer fährt gerne
Fahrrad?“, „Wer ist von Beruf Schreiner?“ Wer dem Kriterium zustimmt, geht
einen Schritt vor in Richtung Kreismitte. Eine Variante ist, dass ein Gruppenmit-
glied eine Frage stellt, selbst vortritt und schaut, wer zu dem Kriterium mit vor-
tritt.
Ziele von Aktionssoziometrien sind in der Regel, sich einerseits als LeiterIn
einen schnellen Überblick über die Zusammensetzung bzw. den Zustand der
Gruppe und ihrer TeilnehmerInnen zu einem bestimmten Kriterium zu verschaf-
fen, andererseits die Mitglieder einer Gruppe miteinander in Kontakt zu bringen,
also die Gruppenkohäsion zu erhöhen. Besonders bei Gruppenbeginn, in der
Phase des Forming, ist die Aktionssoziometrie eine hilfreiche Methode. Für das
176 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

Kennenlernen sind die Kriterien so zu wählen, dass sie zum einen eine genügend
hohe Trennschärfe aufweisen, also die Individualität betonen und erkennbar
machen, zum anderen aber auch genügend Verbindendes herstellen. Nicht sinn-
voll wären demnach Kriterien, bei denen alle TeilnehmerInnen auf einem Platz
stehen, z.B. nach dem Mittagessen die Frage zu stellen: „Wer ist müde?“ oder vor
einer Prüfung zu fragen: „Wer ist aufgeregt?“; auch Kriterien zu wählen, bei
denen jede TeilnehmerIn an einem anderen Platz für sich allein steht, ist der
Gruppenkohäsion abträglich. Gerade bei Aktionssoziometrien zum Kennenler-
nen sind Kriterien hilfreich, die die Gruppenkohäsion fördern. Nichtlineare Ska-
len und Spektogramme („Wo wohnen Sie?“) sind hier gut geeignet, da sie nicht
so scharf trennen wie polare („Wer hat ein Haustier und wer hat keines?“).

Abbildungȱ43: Zweidimensionale nichtlineare Kriterien

6.3 SozialesȱAtomȱ–ȱkulturellesȱ–ȱsoziokulturellesȱAtomȱ

Die verschiedenen Formen der psychodramatischen Atome können auf unter-


schiedliche Weise dargestellt werden, als Zeichnung, als Aufstellung mit Symbo-
len oder Stühlen oder als Aufstellung mit Personen auf der Psychodrama-Bühne.
In der zeichnerischen Variante hat sich das Dreieck als Symbol für Männer, und
der Kreis als Symbol für Frauen eingebürgert.
Im klassischenȱsozialenȱAtom22 werden Personen erfasst, die für eine bestimm-
te Person A von Bedeutung sind. Die Person A steht im Zentrum und gruppiert
die Anderen unterschiedlich nah und fern um sich herum. Moreno wählte den

22 vgl. Moreno (1949): Die Atomtheorie in den Sozialwissenschaften. In: Moreno (1981):
Soziometrie als experimentelle Methode, S. 89
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom 177

Begriff Atom, da dieses zu seiner Zeit als die kleinste, unteilbare Einheit angese-
hen wurde. F•r ihn war das soziale Atom demgem‚ƒ die kleinste soziale Einheit,
in der sich das Individuum bewegt. Dem Atomkern entspricht dabei das Indivi-
duum, welches von anderen Individuen umgeben ist. Im sozialen Atom existie-
ren aber nicht nur lebende Personen, es befinden sich darin ebenso Tiere, Gegens-
t‚nde und auch verstorbene Menschen fr•herer Generationen. In der Darstellung
werden folgende Gruppen unterschieden: Im absoluten Zentrum steht die eigene
Person, im Inneren Kern befinden sich die Personen, mit denen Beziehungen un-
terhalten werden, im Äußeren Kern Personen, mit denen Beziehungen gew•nscht
werden. Das Ganze wird umrahmt vom Bekanntschaftsvolumen, also Personen, die
A bekannt sind und im emotionalen Sinne eine Bedeutung haben.

Innerer Kern:
Personen, mit
denen Bezie-
Bekanntschafts- hungen unter-
volumen halten werden

Äußerer Kern: Personen,


mit denen Beziehungen
gewünscht werden

Abbildung 44: Das klassische soziale Atom

Aus dieser klassischen Form haben sich Sonderformen entwickelt, aus denen im
Folgenden nur einige wenige herausgegriffen werden sollen.

Das dezentrale soziale Atom

W‚hrend beim klassischen sozialen Atom nach Moreno die eigene Person im
absoluten Mittelpunkt steht, kann in dieser Variante auch damit begonnen wer-
178 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

den, die eigene Position auf dem Blatt oder der Bühne frei zu bestimmen, und
danach die anderen Personen entsprechend ihrer Nähe und Distanz zuzuordnen.

eigene
Person

Abbildungȱ45: Dezentrales soziales Atom

DasȱsozialeȱAtomȱmitȱDarstellungȱderȱBeziehungsqualitätenȱ

Als Erweiterung der grafisch gestalteten sozialen Atome können nicht nur Nähe
und Distanz, sondern auch die Qualität der Beziehungen veranschaulicht wer-
den. Hierfür haben sich verschiedene grafische Darstellungen eingebürgert:

einseitige Anziehung

einseitige Abstoßung

wechselseitige Anziehung

wechselseitige Abstoßung

unterschiedliche Anziehung
bzw. Abstoßung; zwei Darstel-
lungsmöglichkeiten

Abbildungȱ46: Legende Beziehungsqualitäten


6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom 179

In dieser Form des sozialen Atoms werden nicht nur die Personen und deren
Nähe und Distanz zur ProtagonistIn auf einem Blatt aufgezeichnet, sondern auch
die Art der Beziehung, die zwischen ihnen besteht. Bei einer Bühnenaufstellung
mit StellvertreterInnen oder Symbolen können die Pfeile durch verschiedenfarbi-
ge Tücher oder Seile ersetzt werden.

DasȱSoziokulturelleȱAtomȱ

Von Stimmer ist diese Variante eines soziometrischen Atoms (2009). Hier werden
sowohl die eigenen Rollen, die eigenen Eigenschaften, Gefühle und Gedanken,
als auch die damit korrespondierenden Personen aufgestellt. Es werden das sozi-
ale und das kulturelle Atom einer Person zusammengefasst. Damit kann die
Komplexität des Interaktionsfeldes Innenwelt – Außenwelt lebendig anschaulich
gemacht werden.

P B

3
C

D 4

Abbildungȱ47: Soziokulturelles Atom

ErläuterungȱzuȱAbbildungȱ47:ȱ
In dem soziokulturellen Atom sind die aktuell bedeutsamen Beziehungen eines
Protagonisten (P), Herr Karlson, zu Männern, in diesem Fall vier Personen und
die vier dazugehörigen emotionalen Rollen sowie die Beziehungsqualitäten,
angegeben. In der gepunkteten Ellipse finden sich der 20-jährige Herr Karlson
und seine Rollen (A bis D). Außerhalb der Ellipse sind die vier Personen (1 bis 4)
180 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

dargestellt. Zu seinem Stiefbruder (1) hat er ein ablehnendes, distanziertes Ver-


hältnis (A – 1). Diese schlechte Beziehung beschäftigt ihn und er ist damit und
mit seiner Rolle in dieser Beziehung nicht zufrieden (P – A). Ähnlich geht es ihm
mit seinem Chef (4), nur, dass er den Chef weiter weg empfindet und ihm diese
Beziehung auch nicht so nahe geht. Zu seinem älteren Bruder (2) hat er ein enges
und positives Verhältnis (B – 2), und ist damit auch sehr zufrieden (P – B). Auch
sein Bruder schätzt ihn sehr (2 – B). Zu seinem Vater (3) hat Herr Karlson ein sehr
distanziertes Verhältnis (C – 3); auch fühlt er sich vom Vater abgelehnt (3 – C).
Mit seiner Rolle in dieser Konstellation mit dem Vater (distanziert und ableh-
nend) ist Herr Karlson zum Zeitpunkt der Erhebung ganz zufrieden (P – C).
Im Beispiel der Abbildung 47 sind als Rollen emotionale Rollen gewählt. Es
hätten hier auch soziale Rollen gewählt werden können, z.B. Stiefbruder, Mitar-
beiter, jüngerer Bruder, Sohn, oder es wären Rollen darstellbar gewesen, die
mehrere Ebenen abdecken: als Mitarbeiter fühlt er sich angespannt und verbis-
sen, ist distanziert und ablehnend gegenüber dem Chef, denkt, dass der Chef ihm
eine Gehaltserhöhung anbieten sollte. Die Rollen können in Aufstellungen des
soziokulturellen Atoms unterschiedlich stark exploriert werden. Dabei kann das
ganze soziokulturelle Atom im Fokus sein oder nur Teile davon, z.B. die eine
spezielle Beziehung, oder eine sich wiederholende eigene Rolle oder ein sich
wiederholendes Beziehungsmuster zu anderen Personen. Der Vertiefung sind
hier kaum Grenzen gesetzt. Eine populäre Anwendung dieses soziokulturellen
Atoms findet sich in den Büchern SchulzȱvonȱThunsȱ(2004), wo er seine Arbeit mit
„Inneren Teams“ beschreibt.

DasȱProjektȬAtomȱ

Eine weitere Sonderform ist das „Projekt-Atom“ (Strobusch 2004; Strobusch,ȱSpörrȬ


le,ȱStadler 2008). Dabei handelt es sich um die Anwendung des sozialen oder des
soziokulturellen Atoms in einem speziellen Kontext, hier dem Feld der Organisa-
tions- und Personalentwicklung. Das Arrangement basiert auf einer soziometri-
schen Analyse und soll im organisationalen Kontext soziale Gefüge und die da-
mit assoziierten Rollen in ihren Handlungen und Kommunikationskonstellatio-
nen deutlich machen und Interventionsansätze bieten.
Das Projekt-Atom ist wie die anderen Atome zunächst eine visuelle Darstel-
lung, die der Analyse der zwischenmenschlichen Beziehungen im Projekt dient.
In dieser visuellen Darstellung werden sowohl das Ausmaß sozialer Vernetzung
als auch die Qualität der Beziehungen abgebildet.
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom 181

TP
SM

BM
E

APL
PM
Org

S Projekt

Abbildungȱ48: Beispiel eines Projekt-Atoms (Strobusch, Spörrle, Stadler 2008)

ErläuterungȱzuȱAbbildungȱ48:ȱ
Durch den Vergleich seines Atoms mit dem anderer Projektmanager fällt dem
Projektmanager (PM) Herrn Weiher in dem Beispiel eine Besonderheit seines
Atoms auf: In seinem Projekt-Atom wird deutlich, dass er der einzige ist, der
Beziehungen zu den anderen Projektbeteiligten (S, E, SM) und den beteiligten
Abteilungen (Org, APL, TP) mit internen MitarbeiterInnen unterhält; zwischen
den anderen dargestellten Projektbeteiligten (BM, E, TP, SM, ASL, Org und S)
existieren wenige Beziehungen. Sein Projekt-Atom ist sternförmig ausgerichtet,
mit ihm im Zentrum. Die gestrichelten Wege stellen unsichere Verbindungen dar.

DasȱFamilienstellenȱoder:ȱdasȱSozialeȱAtomȱderȱFamilieȱ

Auf der gleichen Ebene wie das Projekt-Atom ist das so genannte „Familienstel-
len“ angesiedelt. Seine Definition leitet sich ebenfalls aus seinem Anwendungsbe-
reich ab. Familienmitglieder aus der Herkunfts- und/oder Gegenwartsfamilie
182 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

einer ProtagonistIn werden im Verhältnis zur eigenen Person aufgestellt. Eine


Sonderform innerhalb dieses Arrangements ist unter dem Logo „Familienstellen
nach Hellinger“ bekannt geworden. Hierbei handelt es sich nur noch in Grundzü-
gen um ein psychodramatisches Vorgehen, weil wesentliche Grundannahmen
und Regeln des Psychodramas dabei außer Acht gelassen werden23.

DasȱNetzwerkȱCoachingȱSystemȱ(NCS)ȱ

Eine der neuesten Entwicklungen zum Thema soziales Atom ist das von Stimmerȱ
undȱStimmer (2008) entwickelte NetzwerkȱCoachingȱSystem. Am Computer werden
Beziehungs- und Rollennetzwerke visualisiert. Die Psychodrama-Bühne wird
entweder auf den Bildschirm oder per Beamer auf die Wand projiziert; soziale
und kulturelle Atome werden so bearbeitbar. Wie bei den gezeichneten oder
gestalteten sozialen Atomen können die Computerdarstellungen sowohl zur
Analyse als auch für Veränderungsprozesse genutzt werden. Ist- und Wunsch-,
bzw. Soll-Zustände können verglichen werden, Zeitreihenanalysen erstellt und
verschiedene Paar- und Teamkonstellationen jeweils zueinander in Beziehung
gesetzt werden.
Die dabei sichtbar gemachten Netzwerke werden auch bei der Situations-
analyse und einer möglichen Evaluation in Problemlösungsprozessen in der
Beratung und der Therapie verwendet.

MöglicheȱFragestellungenȱzuȱdenȱverschiedenenȱAtomenȱ

Neben den nahe liegenden Fragen zu den Atomen, wie „Was fällt mir auf?“, „Was
erstaunt mich?“, „Was gefällt mir nicht?“ und „Was möchte ich verändern?“, die
bereits viel Veränderungsimpulse beim Zeichner setzen, hat Soppa (2001: 171f)
eine Liste von möglichen Fragestellungen aufgelistet, mit denen soziale und an-
dere Atome betrachtet werden können:

23 vgl. Buer (2005)


6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm 183

BetrachtungȱeinesȱeinzelnenȱAtomsȱ
ƒ Wer ist die Person?
ƒ Wo lebt die Person?
ƒ Welche Bedeutung hat die Person für dich?
ƒ Was macht die Beziehungsqualität aus?
ƒ Was bedeutet die Lage und Größe deines eigenen Symbols für dich?
ƒ Welchen Raum hast du in deinem sozialen Atom?
ƒ Zu welchen Personen geht deine Energie?
ƒ Welche Konstellation(en) würdest du gerne verändern?
ƒ Gibt es Personen, an die du gedacht, aber sie nicht gezeichnet hast?
ƒ Gibt es eine erkennbare Balance in deinem Atom?
ƒ Was fällt dir an den Konstellationen deines Bildes auf?
ƒ Wie wirkt es als Bild?
ƒ Gibt es eine Überschrift?

Tabelleȱ22: Auswertungsfragen Soziales Atom nach Soppa (2001)

Werden mehrere (soziale) Atome verglichen, wie es zum Beispiel mit dem NCS
möglich ist, kann man sich fragen, was ähnlich ist, was gleich geblieben ist und
was sich verändert hat. Wenn Personen fokussiert werden: Welche Personen sind
geblieben, welche sind nicht mehr im Atom, welche Beziehungen sind gleich
geblieben, welche haben sich verändert und in welche Richtung?

6.4 DerȱSoziometrischeȱTest,ȱderȱPerzeptionstestȱundȱdasȱSoziogrammȱ

Das soziale Atom hat das Individuum als Zentrum; der im Folgenden vorgestellte
soziometrischeȱTest fokussiert eine Gruppe von Individuen. Mithilfe eines soziomet-
rischen Tests werden die Tiefenstrukturen einer Gruppe in Bezug auf ein bestimm-
tes Kriterium deutlich. „Soziometrischeȱ Testsȱ zeigenȱ aufȱ dramatischeȱ undȱ exakteȱ Weise,ȱ
dassȱ jedeȱ Gruppeȱ unterȱ ihrerȱ oberflächlichen,ȱ greifbaren,ȱ sichtbaren,ȱ ablesbarenȱ Strukturȱ
eineȱzugrundeȱliegende,ȱnichtȱgreifbare,ȱunsichtbare,ȱinoffizielleȱ Strukturȱ besitzt,ȱ dieȱallerȬ
dingsȱlebendiger,ȱwirklicherȱundȱdynamischerȱistȱalsȱdieȱerste“ (Moreno 1981: 169). Diese
Tiefenstruktur soll sicht- und damit handhabbar gemacht werden, mit dem Ziel,
den Zusammenhalt der Gruppe und deren Produktivität zu steigern.
Für die Durchführung des Tests wird zunächst von der LeiterIn oder der
Gruppe als Ganzer ein Kriterium vorgeschlagen und festgelegt. Zum Beispiel
könnte sich ein Team, das vor die Aufgabe gestellt ist, in verschiedenen Projekten
zusammenzuarbeiten, das Kriterium wählen: „Mit wem arbeite ich am produk-
tivsten zusammen?“ Alle Gruppenmitglieder erhalten nun die gleiche Anzahl
von Stimmen und wählen dann, geheim oder offen, innerhalb der Gruppe durch
184 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

Verteilung ihrer Stimmen, wem sie für das Kriterium „produktivste Zusammen-
arbeit“ die meisten, die zweitmeisten etc. Stimmen geben möchten. Es gibt dabei
zwei Vorgehensweisen: entweder es werden nur positive Stimmen vergeben
(positive Rangreihen für die Plätze eins bis drei) oder es werden positive und
negative („Mit wem ist meine Zusammenarbeit am wenigsten produktiv?“) Wah-
len abgegeben (positive und negative Rangreihen, jeweils Plätze eins bis drei).
Eine Besonderheit kann noch in den Ablauf eingebaut werden: der Perzeptionstest.
Hierbei werden die TeilnehmerInnen gebeten, sich Gedanken zu machen, vom
wem sie denken, dass sie positive und negative Stimmen erhalten.
Nach der Auswertung anhand verschiedener Fragestellungen (siehe Tabelle
23) werden Tabellen (siehe Tabellen 24 und 25) und Soziogramme (siehe Abbildung
49) erstellt, die die Ergebnisse grafisch veranschaulichen. Anschließend erfolgt die
Besprechung der Ergebnisse, die den größten Teil des soziometrischen Tests ein-
nimmt.

Mögliche Auswertungsfragen für soziometrische Tests


ƒ Wer hat wen gewählt (positive Wahlen) bzw. abgewählt
(negative Wahlen)?
ƒ Wer hat wie viele Stimmen bekommen (Frage nach Stars oder Isolierten)?
ƒ Wer hat keine Stimmen bekommen (weder positive noch negative)?
ƒ Gibt es gegenseitige Wahlen (++ oder --)?
ƒ Gibt es entgegen gesetzte Wahlen (+- oder -+)?
ƒ Wie unterscheiden sich die Wahlen für Einzelne in Abhängigkeit von den festge-
legten Kriterien?
ƒ Stimmen die eigenen erhaltenen positiven und negativen Stimmen mit den eigenen
Erwartungen überein (Perzeption)?
ƒ Gibt es Ketten in der Stimmverteilung (A wählt B, B wählt C, C wählt D)?
ƒ Gibt es Kreise in der Stimmverteilung (A wählt B, B wählt C, C wählt A)?
ƒ Gibt es Sterne in der Stimmverteilung (A, B, C und D wählen alle E, aber sich nicht
gegenseitig)?

Tabelleȱ23: Soziometrische Auswertung

Entscheidend bei der Auswertung ist nicht nur die Offenlegung der abgegebenen
Stimmen. Dies allein bringt zwar eine starke Dynamik in die Gruppe, aber ent-
scheidender ist die Erläuterung der Motive der WählerInnen und die subjektive
Bedeutung, die das Ergebnis für die Gewählten hat: erst dadurch entstehen kon-
struktive Veränderungsimpulse in der Gruppe und in den Einzelnen. Die Effekti-
vität eines soziometrischen Tests wird damit von zwei Faktoren bestimmt: zum
einen von der Wahl eines geeigneten Kriteriums, also von einer passenden Frage-
stellung für die Wahl, und zum anderen von der adäquaten Besprechung der
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm 185

Ergebnisse. Selbstverständlich sind hier ethische Grenzen zu berücksichtigen.


Abwahlen, bzw. Nicht-Wahlen bei einem positiven Kriterium, bzw. Wahlen bei
einem negativen Kriterium, können sehr stark kränken. Die Soziometrie ist lange
Zeit das Stiefkind im Verfahren Psychodrama gewesen. Dies hängt auch mit der
zum Teil unsachgemäßen Anwendung der Soziometrie zusammen. Nicht selten
sind in Gruppen Verletzungen durch unpassende oder nicht gerechtfertigte Kri-
terien und Fragestellungen entstanden, die für die Einzelnen, bei positiv gewähl-
ten Kriterien besonders für die „Abgewählten“ oder die Personen ohne Stimmen,
schwer zu verkraften waren. Die „beliebte“ Fragestellung, welche der Anwesen-
den in einem vom Sinken bedrohten Schiff bleiben dürfen und welche als erste
ins Wasser geworfen würden, damit die Mehrheit überleben kann, mag in einer
Live-Situation im Ruderboot auf dem Nordatlantik gerechtfertigt sein, in einem
Team einer Beratungsstelle wird solch ein Kriterium jedoch zu Verwerfungen
führen, die sich für Einzelne und das Gesamtteam sicher nicht einfach auflösen
lassen. Das Kriterium sollte anwendungsbezogen und sozial- und ethisch ver-
träglich gewählt sein. Die Soziometrie hat schließlich zum Ziel, die Gruppenko-
häsion und Produktivität zu verbessern24, nicht die Isolierung einzelner Mitglie-
der offenzulegen oder gar sie zu verfestigen.

Alexȱ Dani Else Gabi Gerd Kevin Max Mara Maren Paul Werner
Alexȱ 2.1 1.1 0.1 0.1 0.2 -3.2 3.2 -2.-1 -1.-3 0.1
Dani 1.2 2.0 -1.-1 3.0 -2.1 -3.0 0.3
Else 1.1 0.2 -3.0 0.2 0.1 -2.0 2.1 -1.-2 3.2
Gabi 1.0 0.-3 -2.0 2.0 3.2 -3.0 -1.0
Gerd 1.0 -1.-1 2.0 0.-2 3.-2 -3.-1 0.-1 -2.0 0.-3
Kevin 2.0 1.0 0.2 -2.3 -3.3 0.3 -1.0 0.3 3.2
Max 2.-3 0.-2 -1.-3 3.-3 1.0 -3.0 -2.-1 0.-1
Mara 2.3 0.3 1.2 -1.0 3.0 0.1 -2.-2 -3.-2
Maren -1.-2 1.-2 -2.-1 2.3 0.-2 0.-1 0.-3 -3.1 3.0
Paul -3.-1 0.-3 2.3 0.-3 3.0 -1.-2 -2.-2 1.-3
Werner 1.0 3.0 0.-1 -3.0 2.3 -1.0 -2.-3 0.3
Al Da El Ga Ge Ke Max Mar Maren Pa We

Die Zahl vor dem Punkt ist jeweils die abgegebene Wahl, die Zahl nach dem Punkt die erhalȬ
tene Wahl.
Tabelleȱ24: Beispielwahlen in einem soziometrischen Test als Tabelle

24 vgl. Moreno (1996) S. 387


186 6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen

ErläuterungȱzuȱdenȱTabellenȱ24ȱundȱ25ȱ
Alex wählte in diesem Beispiel Else auf Platz 1, Dani auf Platz 2 und Mara auf
Platz 3. Umgekehrt wurde Alex von Dani, Else, Gabi, Gerd und Werner auf Platz 1
gewählt (die entsprechenden Zahlen sind in der Tabelle 24 fett und größer ge-
druckt). Alex hat Paul, Maren und Max in dieser Reihenfolge abgewählt. Insge-
samt hat Alex acht positive Wahlen bekommen, und ist damit in Bezug auf dieses
Kriterium der Star in der Gruppe, da sie die meisten positiven (8) und wenige
negative (2) Wahlen bekommen hat (Fettdruck in Tabelle 25). Dreimal hat sie
jemand positiv gewählt und wurde gleichzeitig von dieser Person positiv gewählt
(Dani, Else und Mara), zweimal hat sie Personen negativ gewählt, von denen sie
auch negativ gewählt wurde (Maren und Paul). Einmal hat sie jemand negativ
(Max) gewählt und wurde gleichzeitig von ihm positiv gewählt. Diese letzte Situ-
ation erfordert am dringendsten eine Klärung, da sie für beide Seiten eher irritie-
rend erlebt werden kann (grau hinterlegt in Tabelle 24).

Pos/Pos Neg/Neg Positiv gesamt Negativ gesamt Pos/Neg


Alexȱ 3 2 8ȱ 2ȱ 1
Dani 1 1 3 1 1
Else 3 1 6 1
Gabi 1 1 1
Gerd 2 6 1
Kevin 1 6 2
Max 2 6 2
Mara 2 2 4 2
Maren 1 2 2 6 2
Paul 1 3 1 6 1
Werner 1 1 2 2

Tabelleȱ25: Auswertung gegenseitige, einseitige und entgegen gesetzte Wahlen

Bei einer umfangreichen soziometrischen Erhebung wird auch ein Perzeptionstest


durchgeführt. Die Fragestellung bezieht sich auf die vorgestellte Fremdwahr-
nehmung der eigenen Person: „Wer, denkeȱ ich, hat mich als erste, zweite, dritte
Wahl genommen, und wer hat mich entsprechend abgewählt?“ Die Ergebnisse
werden verglichen mit den tatsächlich erhaltenen Wahlen und Abwahlen und
geben so dem einzelnen Gruppenmitglied Aufschluss über die Angemessenheit
der eigenen Selbstwahrnehmung und über die Fremdwahrnehmung in Bezug auf
die eigene Person. Der Perzeptionstest ist damit die soziometrische Variante des
Rollenwechsels.
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm 187

Im Beispiel der Tabelle 24 könnte Alex gedacht haben, dass Gabi sie als erste
Wahl nimmt, was auch tatsächlich der Fall ist. Alex hätte damit eine sehr gute
Wahrnehmung von Gabi in Bezug auf die eigene Person. Wenn hingegen Gerd
gedacht hat, Kevin habe ihn positiv gewählt oder maximal nicht gewählt, hätte er
eine schlechte Wahrnehmung von Kevin in Bezug auf die eigene Person, da dieser
in als zweite Abwahl genommen hat.
Das Soziogramm ist die grafische Darstellung sozialer bzw. soziometrischer Er-
hebungen. Es wird gezeichnet wie ein dezentrales soziales Atom, wobei die Wah-
len, also die positiven und negativen Stimmen, mit Pfeilen zwischen den Personen-
symbolen dargestellt werden. Soll die Rangreihe der Wahlen ebenfalls anschaulich
gemacht werden, werden diese Pfeile mit Nummern versehen (1 für erste Wahl, 2
für die zweite Wahl, usw., bzw. -1 für die erste Abwahl usw.). Moreno nannte das
Soziogramm die „psychologische Geographie einer Gemeinschaft“ (1981: 42). In der
rechten Spalte der folgenden Grafik stehen die Gesamtsummen der positiven Wah-
len für die betreffende Zeile.

Alex 8

Else Kevin 6

Mara 4

Dani 3

Werner Maren 2

Paul Gabi 1

Gerd Max 0

Abbildungȱ49: Soziogramm positiver Wahlen ohne Rangreihen

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7.1 Behandlung 191

7
7 AnwendungsfelderȱoderȱFormateȱ

In diesem Kapitel geben wir einen Einblick in einige klassische Anwendungsfel-


der von Psychodrama und Soziometrie. Anschließend werden wir noch einen
Abschnitt zur Thematik Monodrama einfügen, obwohl es kein Format, sondern ein
spezielles Vorgehen innerhalb des Verfahrens ist.
Die klassischen psychodramatischen Anwendungsfelder oder Formate sind
Behandlung, Beratung, Bildung und Training sowie Selbsterfahrung. Diese For-
mate werden im Weiteren differenziert.

7.1 Behandlungȱ

Unter Behandlung wird im Allgemeinen das Format Psychotherapie und die me-
dizinische Rehabilitation (Suchthilfe und Psychosomatik) verstanden. In beiden
Fällen ist das Psychodrama ein gängiges Verfahren und zwar sowohl im Einzel-
setting als auch in der Gruppe und im stationären Bereich wie auch im ambulan-
ten. Gängig bedeutet in diesem Fall, dass das Psychodrama auf diesen Gebieten
angewandt wird, und dass einige Kostenträger in Deutschland (v.a. im Feld der
Rehabilitation) auch die Kosten für die Behandlung tragen. In Österreich werden
die Kosten für Psychodramatherapie ohnehin unter bestimmten Voraussetzungen
und mit bestimmten Kontingenten von den Krankenkassen bezahlt.
Kellermann liefert für das psychotherapeutische Psychodrama, worunter im
Folgenden auch die Rehabilitation gefasst sein soll, eine umfassende Definition:

„Psychodrama ist eine Psychotherapiemethode, bei der Klienten ermutigt werden, ih-
re Handlungen durch Dramatisierung, Rollenspiel und dramatischem Selbstausdruck
fortzusetzen und zu vervollständigen. Dabei kommt sowohl verbale als auch nonver-
bale Kommunikation zum Einsatz. Eine Reihe von Szenen werden im Hier und Jetzt
gespielt oder dargestellt, zum Beispiel: Erinnerungen spezifischer Erlebnisse in der
Vergangenheit, unvollendete Situationen, innere Dramen, Phantasien, Träume, Vor-
192 7 Anwendungsfelder oder Formate

wegnahmen zukünftiger riskanter Situationen oder Ausdrücke innerer, psychischer


Befindlichkeiten. Diese Szenen entsprechen entweder Situationen des wirklichen Le-
bens oder bilden innere, geistige und psychische Prozesse ab. Soweit nötig, können
andere Rollen von Gruppenteilnehmern oder unbelebten Objekten (Symbolen) über-
nommen werden. Dabei kommen viele Techniken zum Einsatz, wie zum Beispiel der
Rollentausch, das Doppeln, das Spiegeln, die Konkretisierung, die Maximierung und
das Selbstgespräch“ (Kellermann 2000: 20).

Soweit zur allgemeinen Beschreibung des psychotherapeutischen Vorgehens,


welches sich damit nicht grundlegend vom Ablauf in anderen Anwendungsfel-
dern unterscheidet. Ein Therapieverfahren zeichnet sich durch drei Bestandteile
aus (Petzold 2003; Buer 2007): Praxeologie, wie sie sich in Teilen in dem Zitat KelȬ
lermanns und ausführlicher in den Kapiteln zu den Psychodrama-Techniken und
den Arbeitsformen abbildet. Weiter braucht es Interpretationsfolien, wie z.B. eine
Krankheits- und Gesundheitslehre, Persönlichkeits- und Entwicklungstheorien,
sowie Metatheorien, also eine Philosophie. In letzterer finden sich die Grundan-
nahmen eines Verfahrens; dies war eingehender bereits im Kapitel zur Rollenthe-
orie zu lesen.
Aus dem Bereich der Interpretationsfolien wollen wir die Krankheits- und Ge-
sundheitslehre herausgreifen, die entsprechend dem einführenden Charakter des
Buches an dieser Stelle nur kurz vorgestellt werden soll.
Im klassischen Psychodrama gibt es bezüglich der Krankheits- und Gesund-
heitslehre pointiert gesagt zwei Ausrichtungen: die kreativitäts- oder prozessorienȬ
tierten VertreterInnen und die RollentheoretikerInnen. Krüger (1997, 2002, 2004,
2007, 2009) ist im deutschsprachigen Raum der früheste Repräsentant einer die
Kreativität und den (Entwicklungs-)Prozess in den Mittelpunkt stellenden psy-
chodramatischen Krankheits- und Gesundheitslehre. Aber auch Schacht (2003,
2009) betrachtet die Prozessorientierung als herausragendes Merkmal der Psy-
chodrama-Therapie. Er unterstellt dabei, dass „jedes Handeln zielgerichtet ist“
(Schacht 2009: 12). Probleme tauchen entsprechend seiner Theorie dann auf, wenn
die kreative Selbststeuerung der Person durch „perfekte“ Ziele gestört wird.
Tendenziell betont sein Ansatz stärker die Kognition und die Motivation, wäh-
rend sich Krügers Prozess-Modell eher an psychodynamischen Modellen und
damit an unbewussten Strukturen und deren Entwicklungen orientiert. Krüger
stellt eine Verbindung zwischen Krankheitsbildern, Abwehrmechanismen und
der Salutogenese von Psychodrama-Techniken her, die im Kapitel über die TechȬ
niken zum Teil dargestellt wurde. Anders Burmeister (2001, 2009), der die Rollen-
theorie stark in den Vordergrund rückt. Störungen werden bei ihm in Rollenka-
tegorien beschrieben: die Diagnostik bedient sich dabei der Einschätzung des
Rollenstatus. Er unterscheidet ein funktionierendes Bewältigungs-Rollensystem
7.1 Behandlung 193

von einem dysfunktionalen (Burmeister 2009). Auch Leutz (1974: 158ff) zieht die
Rollentheorie für die Beschreibung von Störungen heran, wenn sie von RollenȬ
mangelsyndromen oder Rollenatrophien spricht (hierzu Näheres im Kapitel 5 zur
Rollentheorie).
In dem folgenden fiktiven Beispiel sollen die verschiedenen therapeutischen
Herangehensweisen des Psychodramas prototypisch veranschaulicht werden.
Selbstverständlich gibt es zwischen den Unterschieden im Vorgehen auch Ge-
meinsamkeiten. Das Beispiel würde so auch nicht in der therapeutischen Realität
stattfinden, einer KlientIn würden niemals vier TherapeutInnen gegenüberste-
hen. Die Namen geben nur Tendenzhinweise auf den Hintergrund der therapeu-
tischen Ausrichtung ähnlich klingender PsychodramatikerInnen wieder; die
skizzierten Vorgehensweisen bieten die Gelegenheit, vier sich ergänzende Stile
kennenzulernen.

FallbeispielȱPsychodramaȬTherapie:ȱ
Frau Gleich kommt mit einer depressiven Symptomatik in eine Psychodrama-Therapiegruppe.
Sie berichtet den vier anwesenden TherapeutInnen Burmeisterus,ȱKrügerix,ȱLeutzia und SchachȬ
tix und der Gruppe, dass sie seit ca. einem Jahr Probleme beim Durchschlafen habe, sich ge-
drückt fühle; auch habe sie keinen Antrieb und keinen Appetit. Sie sei nun 44 Jahre alt, ihre
zwei Töchter (Mara 20 und Katharina 17 Jahre) hätten letztes Jahr ihre Schulausbildungen
beendet; Mara würde nun in einer anderen Stadt Jura studieren, Katharina eine Lehre als
Raumausstatterin machen. Für die Lehrzeit wolle sie noch bei ihr wohnen bleiben. Die Tren-
nung von ihrem Mann liege nun fünf Jahre zurück. Im letzten Jahr habe sie zweimal eine
kurze Affäre gehabt, es sei jedoch leider nichts Ernstes daraus geworden. Die Technologiefir-
ma, für die sie arbeite, habe letztes Jahr die Insolvenz nur knapp abwenden können, dies aber
um den Preis, dass vielen Kolleginnen gekündigt wurde. Ihr eigener Arbeitsplatz sei nicht in
Gefahr gewesen, aber zwei ihrer Mitarbeiterinnen hätten gehen müssen. Auf Nachfrage eines
Gruppenmitglieds erzählt sie, dass sie bei all den Turbulenzen stetig vor sich hin gearbeitet
habe ohne groß nach rechts und links zu schauen. Nachdem sie vor ein paar Monaten plötz-
lich starke Kopf- und Rückenschmerzen bekommen habe, die über einen längeren Zeitraum
nicht weggingen, sei sie zum Hausarzt gegangen. Er habe ihr zu einer Therapie geraten, da ihr
körperlicher Befund unauffällig gewesen sei.

Krügerix eröffnet den Reigen therapeutischer Interventionen: „Frau Gleich, ich würde Ihnen
vorschlagen, dass Sie uns Ihre Situation einmal hier auf der Bühne zeigen. Ich würde gerne
damit anfangen, dass Sie aus dem Kreis der Gruppenmitglieder Menschen wählen, die die
Rollen, die Sie genannt haben, besetzen können. Da waren einmal Ihre beiden Töchter Mara
und Katharina, dann Ihr Exmann, dann die beiden Männer, die Sie im letzten Jahr kennen-
gelernt haben, dann die Kolleginnen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, aber auch Ihr
mangelnder Antrieb und ihr geringer Appetit, sowie Ihre Kopf- und Rückenschmerzen. Wir
194 7 Anwendungsfelder oder Formate

fangen damit an, dass Sie zunächst einen Platz für sich selbst auf der Bühne wählen und
danach den anderen RollenspielerInnen ihren Platz zuweisen. Es soll hier Ihre Seelenland-
schaft zu sehen sein.“
Frau Gleich stimmt dem Vorgehen zu, und es entsteht eine Szene, bei der die erwähnten
Menschen relativ weit entfernt von ihr stehen, während die körperliche Symptomatik sich
wie ein enger Ring um ihre Position schließt.
Krügerix: „Frau Gleich, können Sie einmal sagen, wie Sie sich an Ihrer Position inmitten Ihrer
Seelenlandschaft fühlen?“
Frau Gleich: „Ja, so ist mein Leben, aber … ich weiß nicht, wie es mir geht. Ich funktioniere
einfach.“
Krügerix: „Darf ich Sie hier einmal doppeln? Ich habe so eine Vorstellung, wie es Ihnen
gehen könnte.“
Frau Gleich: „Ja.“
Krügerix (an der Position von Frau Gleich) doppelt: „Mir tut alles weh, die Sorgen drücken
mich. Ich bin mir nicht sicher, wie es mit meiner Arbeit weitergeht. Ich bin traurig, dass
immer mehr Menschen aus meinem Leben verschwinden; erst mein Mann, dann meine
ältere Tochter, dann die Kolleginnen.“
Frau Gleich: „Ja, das stimmt. Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch Angst, dass ich meine
Arbeit noch verlieren könnte.“
Leutzia (übernimmt das Doppeln an dieser Stelle): „Ich habe Angst zu erleben, dass immer
mehr Menschen aus meinem Umfeld verschwinden. Ich habe immer weniger Kontakte und
meine Versuche, Kontakte zu neuen Menschen aufzunehmen, gelingen auch nicht so, wie
ich es mir wünsche.“
Frau Gleich (emotional jetzt sehr berührt): „Ja, meine größte Sorge ist, dass ich einmal ganz
alleine dastehe. Früher war ich so ein geselliger Mensch.“
Leutzia: „Ich möchte ihn vorschlagen, dass Sie einmal Ihr soziales Atom mit den Gruppen-
mitgliedern aufstellen, und zwar zunächst so, wie es früher war, als es Ihnen gut gegangen
ist, und danach so, wie es heute ist.“
Frau Gleich stellt nacheinander die beiden sozialen Atome auf. Das erste ist relativ umfang-
reich, mit unterschiedlichsten Kontakten, das zweite ähnlich der Seelenlandschaft.
Leutzia: „Heute haben Sie Angst, dass Sie am Ende ganz alleine dastehen.“ (Signalisiert den
anderen MitspielerInnen, die Bühne zu verlassen): „Jetzt sind Sie ganz alleine, wie alt füh-
len Sie sich jetzt?“
Frau Gleich: „Wie ein kleines Kind.“
Burmeisterus übernimmt an dieser Stelle: „Mir fällt auf, dass hier Bewältigungsrollen für
Ihre neue Situation fehlen. Wer könnte hier hilfreich sein?“
Frau Gleich: „Naja, als Kind wäre es gut gewesen, wenn meine Mama gekommen wäre.
Heute würde ich mir eine tröstende und eine zuversichtliche, anpackende Freundin an der
Seite wünschen, die mich aus dem Sumpf herauszieht.“
Burmeisterus: „Können Sie bitte einmal zwei MitspielerInnen auswählen, die diese Rollen
verkörpern.“ (Nachdem Frau Gleich diese gewählt und hinter bzw. neben sich aufgestellt
7.1 Behandlung 195

hat) „Spüren Sie jetzt einmal, wie sich das anfühlt, wenn die beiden bei Ihnen sind, hören
Sie mal die Botschaften, die diese Ihnen sagen.“
Frau Gleich wirkt nun entspannter.
Leutzia doppelt: „Ja, das fühlt sich jetzt schon viel besser an.“
Krügerix: „Können Sie mal bitte mit der Zuversichtlich-Anpackenden die Rolle tauschen?“
(Frau Gleich macht dies; danach Krügerix zu Frau Gleich in der Rolle der Z.-A.) „Jetzt spre-
chen Sie mal zu Ihrer Freundin Frau Gleich.“
Frau Gleich in der Rolle der Z.-A. spricht kraftvoll, aber zugewandt davon, dass sie jetzt
zusammen das Problem des Alleinseins anpacken werden.
Schachtix übernimmt an dieser Stelle: „Hm ja, die Frage des Alleinseins hat mich an Ihrer
Thematik angesprochen. Ich habe mich beim Betrachten Ihrer Situation gefragt, wie es
kommt, dass früher ja alles ganz gut geklappt hat. Sie waren ein kreativer und erfolgreicher
Mensch, Sie haben manche Schwellen gemeistert, es lief alles ganz gut in Ihrem Leben. Sie
scheinen einen starken Willen zu haben und ein gutes Durchsetzungsvermögen, sonst
hätten Sie sich in der aktuellen Firmensituation wahrscheinlich ja nicht halten können. Mich
würde daher besonders der Aspekt interessieren, dass Sie sagen, die beiden neuen Bekannt-
schaften hätten zu nichts Ernstem geführt: Können Sie mir mal beschreiben, wie Sie sich
dieses Ernste genau vorstellen? Wie soll eine gute Beziehung oder noch früher, wie soll ein
gutes Kennenlernen eines möglichen Partners für Sie aussehen?“
Frau Gleich beschreibt eine romantische Begegnung mit einem Mann, der zugleich sehr
einfühlsam ist, aber auch sehr genau weiß, was er will. Sie wünscht sich, dass er ihre Frei-
zeitinteressen teilt, aber auch gut Zeit für sich allein verbringen kann. Schließlich sollte er
ein gewisses Einkommen haben und das Wichtigste, er sollte keine negativen Beziehungser-
fahrungen gemacht haben.
Schachtix lässt Frau Gleich eine Person für den Traummann wählen und die Szene einrich-
ten. Nachdem Frau Gleich eine Zeit lang die Szene der romantischen Begegnung mit ihrem
Traummann genossen hat, bittet Schachtix Frau Gleich einmal die Rolle mit dem Traum-
mann zu tauschen.
Frau Gleich bemerkt, wie überfordernd die Rolle ist; sie könne unmöglich alle Anforderun-
gen erfüllen: „Am liebsten wäre mir eine unbeschwerte Beziehung. Das ist mir alles zu
perfekt, was ich hier als Anspruch spüre.“
Schachtix zu Frau Gleich (wieder zurück in ihrer eigenen Rolle): „Ich treffe immer wieder auf
das Phänomen, dass Menschen sich ihre Ziele und die Ansprüche an Andere zu hoch ste-
cken; ich nenne das nach perfektenȱZielen streben. Kann es sein, dass es sich in Ihrem Fall mit
den Partnern auch so verhält? Und wie ist es bei Ihrer Arbeit? Sind Sie dort sehr ehrgeizig?“
Frau Gleich: „Na klar, ich will immer perfekt sein. Und die Anderen sollen das natürlich
auch sein. Aber jetzt als Traummann habe ich zum ersten Mal die Anstrengung dabei ge-
spürt. Ich habe ja einen starken Willen, aber immer mal wieder geht mir die Kraft aus.“
Leutzia doppelt: „Und gerade merke ich, dass …“
Frau Gleich: „…ich die blöde Anstrengung nicht mehr möchte. Wozu eigentlich immer
perfekt sein?!“
Morenopterix meldet sich aus dem Off: „Wir müssen Meister des Imperfekten werden!“
196 7 Anwendungsfelder oder Formate

Psychodramatische Störungstheorie nach Schacht

Im Psychodrama wird gestörtes Erleben und Handeln als ein Versuch gesehen,
mit einer Problematik so gut wie in diesem Moment möglich umzugehen. Dies
stellt somit eine Anpassungsleistung an eine zu diesem Zeitpunkt nicht anders zu
bewältigende Lebensbedingung dar. Ebenso wie bei gesundem Erleben und Ver-
halten verläuft diese Anpassungsleistung über die Zyklen der Spontaneität und
Kreativität. Das Modell hierfür wurde weiter oben bereits vorgestellt. Die Ent-
wicklung einer Störung, aber auch die Art der Störung, hängt davon ab, welche
Belastungen eine Person während einer Entwicklung erlebt und welche Ressour-
cen einer Person zu Verfügung stehen, diese zu bewältigen. Bei der Verankerung
dieser Störung spielen zwei Kräfte eine Rolle: die Motivation, die zu dieser An-
passungsleistung geführt hat, und die selbstverstärkenden Rückkopplungen.
In der störungsspezifischen psychodramatischen Therapie muss laut Schacht
diesen beiden Aspekten Rechnung getragen werden. So müssen beim Finden
möglicher Ausstiegsszenarien zum einen die Beweggründe, die dazu geführt
haben (zum Beispiel das Streben nach perfekten Zielen) und die Stärke, mit der
diese Motive handlungsleitend sind (Volitionsstärke), zum anderen die vorhan-
denen Rückkopplungsmechanismen miteinbezogen werden.

Kastenȱ6:ȱȱ Psychodramatisches Störungsmodell nach Schacht

Abbildungȱ50: Störungsdynamik
7.1 Behandlung 197

Grundlagen störungsspezifischer Psychodramatherapie nach Krüger

Krüger geht davon aus, dass die Rollentheorie zur vollständigen Erfassung inner-
psychischer Vorgänge nicht ausreicht. Deshalb ergänzt er das rollenzentrierte
Psychodrama mit der von ihm entwickelten Theorie des kreativitäts- oder pro-
zessorientierten Psychodramas. Dieses bezieht psychodramatische Techniken
und deren Relation zu Selbstorganisationsprozessen, bzw. deren Blockaden und
Abwehrmechanismen ein (siehe Abbildung Anhang 2).
Er konstatiert bei den verschiedenen Krankheitsbildern eine Blockade des
kreativen Selbstorganisationsprozesses auf unterschiedlichen Funktionsebenen
(Systemorganisation, Realitätsorganisation, Kausalitätsorganisation und Finali-
tätsorganisation). So zeigt er, dass zum Beispiel bei Psychosen, Suchterkrankun-
gen oder Traumatisierungen der Bereich der Systemorganisation gestört ist. Bei
dem störungsorientierten therapeutischen Vorgehen kommen, abgestimmt auf
die jeweilige diagnostizierte Problematik, entsprechende spezifisch psychodra-
matische Techniken zur Anwendung. Die TherapeutIn unterstützt bei Bedarf als
Mithandelnde die ProtagonistIn beim Gestalten der eigenen Rolle, hilft salutoge-
nes Verhalten zu entwickeln und kann durch das Zur-Verfügung-Stellen des
eigenen, gesunden Repertoires an Handlungen, Gefühlen und Gedanken stellver-
tretend Blockaden lösen und der PatientIn helfen, wieder ihre Grundbedürfnisse
nach Zugehörigkeit, Handeln, Wirkung und Lösung zu verwirklichen.

Kastenȱ7:ȱȱ Grundlagen störungsspezifischer Psychodramatherapie nach Krügerȱ

Wir möchten nun noch einen Aspekt aus dem Bereich der Metatheorie herausgrei-
fen. Dazu wollen wir versuchen, das Psychodrama als Therapieverfahren entspre-
chend seiner philosophischen Grundlagen in einem Koordinatensystem von The-
rapieverfahren zu verorten. Es sollen hierzu drei Achsen vorgestellt werden: eine
Achse „Psychodynamische Therapie“, eine „Verhaltenstherapie“ und eine dritte
„Systemische Therapie“. Die klassische Zuordnung des Psychodramas zu den
humanistischen Therapieformen, wie sie in jüngster Zeit Eberwein (2009) wieder
vorgeschlagen hat, ist historisch und in Fragen des Menschenbildes sicherlich
richtig, differenziert jedoch durch den weiten Begriff des Humanismus an dieser
Stelle nicht ausreichend. Schacht (2009) sieht das Psychodrama als komplett eigen-
ständiges Verfahren, was in seiner Herleitung auch seine Berechtigung hat, aber
die historischen Entwicklungswege und Berührungspunkte vernachlässigt.
198 7 Anwendungsfelder oder Formate

Verhaltensorientierung, Training,
Lösungsorientierung

Systemorientierung

Psychodynamische und
hermeneutische Orientierung

Abbildungȱ51: Koordinatensystem

Je nachdem, wie die einzelnen Psychodrama-TherapeutInnen ihre therapeutische


Grundhaltung und daraus abgeleitet ihre Interventionen setzen, können sie in
dem Koordinatensystem verortet werden. Je stärker zum Beispiel die Soziometrie
in Form von sozialen Atomen Eingang findet, desto betonter ist die Achse Sys-
temorientierung. Je stärker der Aspekt Rollentraining, etwa in der psychodrama-
tischen Exposition einer bedrohlichen Situation, zum Tragen kommt, desto beton-
ter ist die Achse der Verhaltens- und Lösungsorientierung. Je mehr die Entste-
hungsgeschichte einer Symptomatik betrachtet wird, je mehr Hypothesen über
eine Szene und deren Genese gebildet werden, desto mehr hält man sich im Feld
der psychodynamischen Orientierung auf (Siehe auch Kapitel 4 Techniken unter
Szenenwechsel). In der Regel finden sich in der therapeutischen Arbeit einer Psy-
chodramatikerIn immer Mischformen. Diese sind nicht beliebig, sondern leiten
sich aus den spezifischen Indikationen der Störungen der PatientInnen und dem
therapeutischen Prozess ab.
Im Beispiel Frau Gleichs wird ein Ablauf deutlich, der als therapeutischeȱSpiraȬ
le bezeichnet wird: ausgehend von einer Symptomszene in der Gegenwart (Frau
Gleichs Depression) wird ein Umfeld untersucht (relevante Personen im sozialen
Atom), evtl. Parallelszenen entdeckt (Angst um den Arbeitsplatz), die Genese in
der Vergangenheit exploriert (Kind, welches die Mutter vermisst), eine Lösung
für die Situation damals (Mutter) und heute gesucht (Freundinnen), wieder zu-
rück in die Gegenwart gegangen und die blockierenden Vorgänge wie Gedanken,
7.2 Beratung 199

Affekte, Impulse (verdrängte Angst, perfekte Ziele) mentalisiert. In den Katego-


rien des Koordinatensystems beschrieben: die Systemachse wurde angesprochen
durch die sozialen Atome, die psychodynamische und hermeneutische Achse
durch die Untersuchung der zugrundliegenden Entwicklungsdynamiken mithilfe
von Seelenlandschaft, Doppeln und der Regression auf der Zeitachse, die Verhal-
tens- und Lösungsachse durch die Einführung hilfreicher Anderer wie der Mutter
und der Freundin.
Im Format Psychotherapie werden mithilfe von Psychodrama und Sozio-
metrie KlientInnen aus den Bereichen der Psychiatrie, der Psychosomatik, der
allgemeinen Psychotherapie sowie der Suchthilfe versorgt. Dies betrifft Erwach-
sene. Für Kinder und Jugendliche wurde ein spezielles Vorgehen entwickelt, das
im deutschsprachigen Raum mit den Namen Aichinger, Holl, Krall und Pruckner
verbunden ist.
Die Versorgung findet je nach Setting – ambulant oder stationär – in Grup-
pen von sechs bis zwölf Personen, als Paar oder alleine statt.

7.2 Beratungȱ

Beratung ist ein noch weiterer Begriff als Behandlung. In jüngster Zeit wird des-
halb, ähnlich wie bereits in den Jahren zuvor für das Format Psychotherapie, der
Versuch unternommen, Beratung zu definieren. In Deutschland hat sich die DeutȬ
scheȱGesellschaftȱfürȱBeratungȱ(DGfB) konstituiert, die versucht, dieses Meta-Format
in seinen verschiedenen Ausprägungen zu erfassen und zu vertreten. Für das
Verfahren Psychodrama hat Buer (2007: 152) eine Beratungslandkarte entworfen,
wo er den Oberbegriff in die Teilgebiete auffächerte:

ƒ Psycho-soziale Beratung mit den Arbeitsfeldern sozialpsychiatrische Bera-


tung, Suchtberatung, Erziehungsberatung, Familienberatung, Ehe- und
Paarberatung, Mediation und Lebensberatung.
ƒ Consulting, worunter z.B. die Studienberatung, Karriereberatung oder die
Unternehmensberatung fallen, und
ƒ Supervision, Coaching sowie Organisationsentwicklung und -beratung.

Das Psychodrama kommt in diesen unterschiedlichen Feldern zum Einsatz, wo-


bei entsprechend des formatinhärenten Beratungsauftrages der psychodynami-
sche Aspekt weniger stark ausgeprägt ist als im oben vorgestellten Format Psy-
chotherapie. Bei der psychosozialen Beratung kommt die psychodynamische
Sichtweise zuweilen zwar auch zur Anwendung; dies orientiert sich aber an den
200 7 Anwendungsfelder oder Formate

persönlichen Stilen und evtl. zusätzlichen psychodynamischen Weiterbildungen


der BeraterInnen sowie an den Fragestellungen im Einzelfall. In der Regel über-
wiegen jedoch die Achsen Lösungs- und Verhaltensorientierung sowie System-
orientierung. Bei Consulting, Supervision, Coaching und Organisationsberatung
ist die psychodynamische Herangehensweise im Allgemeinen kontraindiziert.
Aufdeckendes, auf die eigene Lebensgeschichte reflektierendes Arbeiten und
selbsterfahrungsorientierte Anamnesen sind im Kontext zukunftsorientierter und
mehrheitlich berufsbezogener Anfragen selten passend. Gellert und Nowak (2007)
haben in ihrem Handbuch zu Teamarbeit und -Beratung anschaulich dokumen-
tiert, wie in diesem Bereich der Team- und Organisationsentwicklung psycho-
dramatisch praktisch vorgegangen werden kann.
Im Rahmen der psychosozialen Beratung wird das Psychodrama besonders
in der Suchthilfe und im Bereich der ambulanten bzw. teilstationären Angebote
für psychische Gesundheit (Beratungsstellen, Tagesstätten, Betreute Wohnformen
wie Therapeutische Wohngemeinschaften) als Gruppenverfahren angeboten. Die
anderen Subformate wie zum Beispiel die Ehe-, Familien- und Lebensberatung
finden meist im Einzel-, zuweilen auch im Paarsetting wie bei der Eheberatung
und der Mediation statt.
Es folgen zwei Beispiele, wie Beratung psychodramatisch gestaltet werden
kann.

FallbeispielȱSuchtberatungȱinȱderȱGruppe:ȱ
Herr Bald berichtet in der Suchthilfe-Gruppe von seiner zurückliegenden Zeit, als er regel-
mäßig getrunken hat. Der Psychodrama-Therapeut Herr Stein bittet Herrn Bald zu beschrei-
ben, wie sich die Situation gegenwärtig für ihn darstelle.
Herr Bald erzählt, dass er seit vier Monaten wieder einen neuen Arbeitsplatz habe. Er
arbeite in einem Team mit drei anderen KollegInnen; seinen Teamleiter empfinde er als
unterstützend, aber eine Kollegin würde ihn immer provozieren. Getrunken habe er schon
lange nicht mehr, sehe sich da auch nicht gefährdet. An den Wochenenden sehe er manch-
mal seinen Sohn Andreas, der jetzt 7 Jahre alt sei.

Herr Stein: „Können Sie bitte mal mit Hilfe der Gruppenmitglieder zeigen, wie Ihr
Umfeld aussieht?“
Herr Bald stellt sich selbst etwa einen Meter entfernt vom Rand der Bühne hin, den
Teamleiter leicht versetzt links in seinem Rücken, daneben die anderen KollegInnen.
Die Kollegin, von der er sich provoziert fühlt, steht an seiner linken Seite und blickt
ihn an. Auf der rechten Seite, in größerem Abstand, steht sein Sohn Andreas, der ihn
ebenfalls anblickt.
Herr Stein: „Können Sie jetzt bitte den Alkohol noch dazu stellen?“
Herr Bald wählt ein anderes Gruppenmitglied als Alkohol und stellt diesen ebenfalls
ein wenig widerwillig hinter sich an den äußersten Rand.
7.2 Beratung 201

Herr Stein: „Wenn Sie jetzt einmal die provozierende Kollegin anschauen, passiert
dann etwas mit dem Alkohol? Ändert er seine Position?“
Über mehrere Rollentausche mit der provozierenden Kollegin, dem Alkohol und dem
Teamleiter kommt Herr Bald zu der Erkenntnis, dass der unausgesprochene Konflikt
mit der Kollegin Rückfallimpulse in ihm triggert. Er möchte deshalb um ein Dreierge-
spräch mit der Kollegin, dem Teamleiter und ihm selbst ersuchen, damit er wieder ent-
spannter an seinem Arbeitsplatz sein kann. Im Rollenfeedback berichtet das Gruppen-
mitglied, welches den Alkohol verkörpert hat, dass er immer dann Macht über Herrn
Bald empfunden habe, wenn die Kollegin ihn von der Seite fixiert habe. Mehrere Grup-
penmitglieder gaben Herrn Bald ein Sharing, dass sie ebenfalls solche Situationen aus
ihrer Arbeit kennen und sich besonders in der Probezeit unter Druck gefühlt hätten.

Am Beispiel der Suchtberatung wird deutlich, wie durch die Besetzung der Rolle
des Suchtmittels wertvolle Informationen gewonnen werden können.

FallbeispielȱfürȱConsultingȱimȱEinzelsetting:ȱ
Herr Sedlmair kommt zur Schuldnerberatung, um mithilfe einer Expertin seine finanzielle
Situation zu klären. Nachdem er in jungen Jahren eine größere Erbschaft gemacht hatte,
konnte er sich einen höheren Lebensstandard leisten, als er durch sein Einkommen hätte
erwirtschaften können. Er tätigte ein paar umfangreichere Anschaffungen wie ein eigenes
Haus, ein großes Auto und teure Urlaube. Das Haus finanzierte er zum Teil über ein Darle-
hen, das Auto über einen Leasingvertrag. Er kam zur Schuldnerberaterin, nachdem er
zuerst seinen Job und im Rahmen eines Börsencrashs sein gesamtes Vermögen verloren
hatte und die Raten für das Auto und die Wohnung nicht mehr bezahlen konnte. Ein kurz-
fristig aufgenommener Kredit brachte sein persönliches Wirtschaften durcheinander. Er
suchte bei der Schuldnerberaterin einen Expertenrat, wie er sein akutes Problem der fälli-
gen Kredit- und Kaufraten, die ihn immer weiter in die roten Zahlen trieben, lösen könne.
Fragen wie Folgenabwägung und Entscheidungsfindung standen an, für die er dringend
Unterstützung brauchte.
Die Schuldnerberaterin ließ Herrn Sedlmaier die verschiedenen Posten von Ein- und
Ausgängen auf der Tischbühne mit unterschiedlich großen Holzklötzen aufbauen und
versah die Symbole mit Post-Its, auf denen sie die jeweiligen Minus- und Plusbeträge no-
tierte. Es folgte eine Priorisierung: die Symbole der dringenden Angelegenheiten lagen
danach auf der Bühne näher bei ihm, die weniger dringenden weiter hinten. Anschließend
erarbeitete sie zusammen mit Herrn Sedlmaier die nächsten zwei Schritte für die jeweiligen
Problemfelder, die in den jeweiligen Fragen zu unternehmen waren. Auf Karteikarten
notiert wurden sie neben den Symbolen abgelegt. Am Schluss wurde ein Abschlussbild
erstellt, das Herr Sedlmaier mit nach Hause bekam, um bis zum nächsten Mal die entspre-
chenden Schritte in den Alltag umzusetzen.
Psychodramatisches Consulting wird szenisch dargestellt; dadurch prägen sich die
wichtigen Schritte beim Klienten besser ein.
202 7 Anwendungsfelder oder Formate

CoachingȱundȱSupervisionȱ

Coaching und Supervision werden in dieser Darstellung als Subformate von


Beratung betrachtet.
Fachleute für Coaching werden meist herangezogen, wenn es um die Bewäl-
tigung einzelner, umschriebener Aufgaben geht. Die Ausbildung ist bislang nicht
standardisiert, der Titel „Coach“ auch nicht geschützt. Es besteht jedoch Einig-
keit, dass es im Wesentlichen um Befähigung zu einer Aufgabe und/oder Leis-
tungssteigerung geht (vgl. Behrendt 2006). In der Regel handelt es sich bei dem
Coach um eine BeraterIn mit Feldkompetenz. Eine Möglichkeit für ein Psycho-
drama-Coaching ist die Probehandlung. Hier werden zukünftige Begebenheiten
in der SurplusȬRealität inszeniert und ein möglichst situationsadäquates Verhalten
mit der KlientIn erarbeitet und eingeübt: ein bevorstehendes Bewerbungsge-
spräch, ein Aufstiegsszenario in der Firma oder aber die Vorbereitung auf eine
schwierige Verhandlung mit neuen VertragspartnerInnen. Besonders der Rol-
lenwechsel in die Position relevanter Anderer bietet hier die Chance, Einschät-
zungen und Entwicklungen einfühlend vorwegzunehmen und so besser vorbe-
reitet in kommende Situationen zu gehen.
Während das Coaching sich meist auf zukünftige Herausforderungen be-
zieht, ist die Supervision, oder die kollegiale Form, die Intervision, meist auf
bereits zurückliegende und bis in die Gegenwart reichende Erfahrungen bezogen.
Bereits vollzogene Handlungen werden reflektiert, um die Qualität der berufsbe-
zogenen Anwendung eines Verfahrens zu überprüfen, zu sichern und gegebe-
nenfalls zu verbessern. Wenn es sich nicht um eine einzelne Person handelt, son-
dern um ein ganzes Team, eine Abteilung, eine Firma, wird in diesem Kontext
eher von Organisationsberatung gesprochen. Fragestellungen wie: „Wie haben
wir den Prozess gestaltet?“, „Wer war mit welcher Kompetenz beteiligt?“, „Wel-
che Diagnosen und Metatheorien über die Person, das Team, den Prozess können
wir daraus ableiten?“ und „Wie können wir den Prozess in der Zukunft anders
gestalten?“ spielen dabei eine Rolle. Psychodramatisch wird dies unter Zuhilfe-
nahme von den entsprechenden Techniken (siehe Kapitel 4) szenisch umgesetzt.
Situationen und Entwicklungen werden dazu noch einmal durchgespielt und aus
der dadurch entstehenden Distanz kann es zu einer Neueinschätzung kommen,
die auch neue Handlungsmuster einleiten kann. Im Bereich der Psychotherapie
gibt es z.B. meist zahlreiche Aha-Momente, wenn die TherapeutIn einmal die
Rolle ihrer PatientIn eingenommen hat. Aber auch im Bereich Coaching innerhalb
von Unternehmen können sich Problemlagen schnell und äußerst effektiv durch
einen passenden Rollenwechsel zwischen ChefIn und MitarbeiterIn klären.
7.3 Bildung 203

7.3 Bildungȱ

Das Format Bildung beinhaltet wie bereits bei den anderen Formaten zu sehen
war diverse Subformate. Diese leiten sich ab aus dem Kontext, in dem Bildung
vermittelt wird. Zu nennen sind hier Schul-und Hochschulbildung, die Erwach-
senenbildung, Fort- und Weiterbildungen, aber auch so spezifische Bildungsan-
gebote wie das Bibliodrama beinhaltet. Unter den deutschsprachigen Psycho-
dramatikerInnen haben sich in neuerer Zeit vor allem Wittinger (2000) und
Szczyrba (2006) mit dem Thema Bildung beschäftigt.
Das Psychodrama wird dabei einerseits als didaktische Methode eingesetzt,
das heißt, Inhalte können mithilfe von Psychodramatechniken vermittelt werden.
LehrerInnen setzen im Schulunterricht zum Beispiel die Technik des Doppelns ein,
um Wissenslücken von SchülerInnen in unterstützender, nicht beschämender Wei-
se zu füllen. Auch im Sprachunterricht der Erwachsenenbildung kommt das Dop-
peln zum Einsatz. In der Hochschulausbildung mancher Fachgebiete wird das
Wissen in psychodramatisch-szenischer Form an die StudentInnen weitergegeben,
wodurch sich die vermittelten Inhalte besser einprägen. Daneben gibt es die Mög-
lichkeit, gemalte Bilder oder innere Bilder im Szenenaufbau anderen zu zeigen, z.B.
zum Thema Angst oder Geborgenheit, oder auch inhaltlich orientiert z.B. im Religi-
onsunterricht zum Thema „Reich Gottes“, im Ethikunterricht beim Thema „Jugend
und Gewalt“ zu Rollenwechseln in verschiedene Positionen einzuladen und deren
Bedeutung von innen heraus zu erkunden; moralische Fragestellungen einer Per-
son im Ambivalenzdoppel zu explorieren, Stegreifspiele zu gesellschaftlichen Frage-
stellungen durchzuführen. Auch im Bereich Schule und Erwachsenenbildung fast
alle Techniken möglich, die weiter vorne beschrieben waren.
In manchen Studienfächern wie zum Beispiel der Sozialpädagogik oder der
Medizin werden Rollenspiele eingesetzt, um die Studentinnen besser auf den
Berufsalltag vorzubereiten. Im Bereich der Fort- und Weiterbildung für therapeu-
tische und sozialarbeiterische Berufe ist das Rollenspiel eine Standardkomponen-
te geworden. Auch im Rahmen innerbetrieblicher Fortbildungsmaßnahmen, wie
zum Beispiel Verkaufsschulungen für AußendienstmitarbeiterInnen, ist die sze-
nische Darstellung nicht mehr wegzudenken. Hierzu gehört auch das anschlie-
ßende Rollenfeedback der MitspielerInnen, damit die potentiellen VerkäuferIn-
nen etwas darüber erfahren, wie ihre Präsentation bei den potentiellen KundIn-
nen angekommen ist.
Eine Sonderform bildet das Bibliodrama (Stangier 1997). Unter den Arbeits-
formen war bereits von diesem die Rede. Wenn das Bibliodrama unter dem For-
mat Bildung eingesetzt wird, geht es um einen dynamischen Prozess des Leben-
digwerdenlassen biblischer Texte in der Beziehung zwischen dem historischen
204 7 Anwendungsfelder oder Formate

Text und dem heutigen Leben und den Erfahrungen der SpielerInnen. Es geht
damit nicht allein um die Weitergabe von Wissen, also kulturellen Konserven,
sondern zentral wird die Schnittstelle zwischen Text und Leben, das Wiederfin-
den eigener Erfahrungen im Text oder die Bereicherung von Erfahrungen in der
Rolle für das eigene Leben, das Entwickeln von Wertesystemen und die Bereit-
schaft, sich auf moralische Fragestellungen einzulassen. Im Fall des Bibliodramas
handelt es sich um eine Spezialform psychodramatischen Vorgehens, ähnlich
dem Märchenspiel, bei dem der Inhalt durch einen Text klar definiert ist.

7.4 Selbsterfahrungȱ

Selbsterfahrung ist ein therapie- und beratungsnahes Format. Es gehört zum


Pflichtprogramm im Rahmen von Weiterbildungen für psychotherapeutische
oder beraterische Verfahren. Daneben gibt es die Möglichkeit, an frei angebote-
nen Selbsterfahrungsgruppen teilzunehmen. Letztere haben gegenüber therapeu-
tischen Gruppen den Vorteil, dass sie keine Krankheitsdiagnose voraussetzen.
Selbsterfahrung findet meist in Gruppen statt, daher erscheint das Verfahren
Psychodrama ähnlich wie andere Gruppenverfahren besonders geeignet. Die
Vorgehensweise im Format Selbsterfahrung unterscheidet sich nicht wesentlich
von dem im Format Psychotherapie, was bedeutet, dass in der Regel alle drei
Achsen des oben beschriebenen Koordinatensystems bedient werden. In der
Selbsterfahrung geht es um die Entwicklung eines Verständnisses für das SoȬSein
eines Menschen und um die Erklärung dieses Prozesses, also um die psychody-
namische und hermeneutische Komponente, es geht weiter um die Einbettung in
einem sozialen System, also um die systemische Sichtweise, und nicht zuletzt
geht es um konkretes Verhalten und dessen Optimierung, also um die Verhal-
tens- und Lösungsperspektive.
Nach der Darstellung einiger Formate kommen wir wie bereits angekündigt
an dieser Stelle noch einmal zum Psychodrama ohne Gruppe, also im Einzelset-
ting.

7.5 PsychodramaȱohneȱGruppeȱ

Psychodrama wurde in seinen Anfängen als Gruppenverfahren konzipiert, in der


Praxis wird es aber häufig auch als Einzelmethode eingesetzt. Wie funktioniert
Psychodrama, wenn diesem Verfahren wichtige Instrumente wie Hilfs-Iche und
die Gruppe nicht zur Verfügung stehen? Durch welche Veränderungen der Vor-
7.5 Psychodrama ohne Gruppe 205

gehensweise in der psychodramatischen Einzeltherapie dieses Problem gelöst


wird, wurde im Kapitel InstrumenteȱdesȱPsychodramas bereits kurz angerissen. Wir
erinnern uns an die von Fürst (2004) vorgenommene Einteilung: Im Psychodramaȱ
zuȱdritt wird für die Besetzung von Rollen ein professionelles Hilfs-Ich herange-
zogen, im Psychodramaȱàȱdeux wechselt die LeiterIn selbst in die Gegenrolle, und
im Monodrama übernimmt die KlientIn alle Rollen in einer etwas zeitversetzten
Abfolge. PsychodramatikerInnen gehen unterschiedlich mit diesen Möglichkeiten
um. Darf je nach Situation einmal das Monodrama und das andere Mal Psycho-
drama à deux eingesetzt werden oder ist nur eine Methode das Mittel der Wahl?
Für eine Übernahme der AntagonistInnenrolle seitens der LeiterIn spricht, dass
es dadurch der KlientIn erleichtert wird in die Szene einzusteigen und dass wich-
tige Informationen aus dem Rollenfeedback der AntagonistInnenrolle gewonnen
werden könnten. Andere wiederum empfinden diese Vorgehensweise als Kunst-
fehler, weil dadurch die LeiterIn ihre Leitungsfunktion abgibt, diese Rollenüber-
nahme zur Konfusion führen oder die negativen Qualitäten der Gegenrolle an
der LeiterIn haften bleiben könnten (vgl. Fürstȱ2004). Es würde den Rahmen des
Buches sprengen, hier spezielle Indikationsfragen zu erörtern, die einem Ent-
scheidungsrichtlinien an die Hand geben.
Unabhängig von diesem Methodenstreit gilt, dass die psychodramatische
Einzeltherapie ein wirksames Verfahren ist, das nur einzelner Modifikationen der
gruppentherapeutischen Techniken bedarf. Im Folgenden wird die spezielle Vor-
gehensweise in der psychodramatischen Einzeltherapie und im Monodrama
aufgelistet.

DieȱRolleȱderȱLeiterInȱȱ

Im Gruppensetting entsteht, wenn die Gruppenkohäsion ihre Wirkung zeitigt, eine


warme und vertrauensvolle Atmosphäre. Im Einzelsetting muss die LeiterIn neben
ihren sonstigen Aufgaben, wie zum Beispiel die KlientIn bei der Themenfindung
und beim Szenenaufbau zu unterstützen und zu begleiten, für ein vergleichbares
Klima sorgen. Durch das Fehlen anderer GruppenteilnehmerInnen kommt es dabei
verstärkt zu einer Begegnung zwischen der KlientIn und der LeiterIn. Krüger (2000)
beschreibt diese als „existenzielle Begegnung“ und Pruckner (2001) hat, um diesem
Effekt Rechnung zu tragen, das Konstrukt der „Begegnungsbühne“ eingeführt.
206 7 Anwendungsfelder oder Formate

DieȱRaumgestaltungȱ

Für psychodramatische Einzelarbeit sollte der Raum so beschaffen sein, dass er


zur Aktion einlädt. Er sollte nicht zu klein sein, sodass, wenn man in der Spiel-
phase den Gesprächsplatz verlässt und in Aktion tritt, noch ausreichend Raum
für Stühle oder eine Bühne ist. Im Einzelsetting und natürlich besonders im Mo-
nodrama werden für die Darstellung von Rollen im Szenenaufbau, die im Grup-
pensetting mit Hilfs-Ichen besetzt werden, meist Gegenstände verwendet. Dazu
sollten Utensilien wie Stühle, Kissen, Steine oder etwa Handpuppen im Praxis-
raum vorhanden sein. Ein Tisch, der zur Tischbühne umfunktioniert werden
kann, ist ebenso hilfreich.

Ablaufȱ

Auch in der psychodramatischen Einzeltherapie gibt es die im protagonistInnen-


zentrierten Psychodrama beschriebenen Phasen einer Sitzung: Erwärmung, Akti-
ons- oder Spielphase, Integrationsphase.

GestaltungȱderȱErwärmungsphaseȱ
Vielfach kommen die KlientInnen bereits mit einem bestimmten Anliegen zur
psychodramatischen Einzelsitzung. Ist dies nicht der Fall, können auf Einzelper-
sonen abgestimmte Arrangements zur Erwärmung herangezogen werden. Durch
diese und die aus der Reflexion der Geschehnisse auf der Begegnungsbühne
gewonnenen Informationen wird – wie auch in der Gruppe – das Thema heraus-
gefiltert, der Auftrag fixiert, Hypothesen erfasst und das passende Arrangement
gewählt.

GestaltungȱderȱAktionsphaseȱ
Diese ist im Vergleich zu Gruppensitzungen meist etwas kürzer, da die Spielpha-
se für die ProtagonistIn ohnehin länger ist durch die Tatsache, dass sie alle beleb-
ten Rollen selbst spielen muss. Manchmal kommen in psychodramatischen Ein-
zelsitzungen nur bestimmte Elemente aus dem Repertoire psychodramatischer
Arrangements zur Anwendung, wie zum Beispiel die Technik des leerenȱStuhls.
Der Coach Herr Brand stellt einen leeren Stuhl neben Frau Schmidt, die auf-
grund von Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg nach der Karenz die Unterstüt-
zung von Herrn Brand in Anspruch nimmt.

Herr Brand: „Stellen Sie sich vor, Ihre Kollegin würde auf diesem Stuhl sitzen. Was
würde sie zu der von Ihnen geschilderten Situation sagen? Frau Schmidt, würden Sie
sich bitte mal auf diesen Stuhl setzen ...“
7.5 Psychodrama ohne Gruppe 207

Frau Schmidt nimmt auf dem Stuhl Platz.


Herr Brand: „Frau Schmidt, könnten Sie sich bitte in die Rolle Ihrer Kollegin Frau LindȬ
ner hineinversetzen? (Rollenwechsel). Haben Sie als Frau Lindner bereits mit Frau
Schmidt zusammengearbeitet, bevor diese in Karenz ging?“
Frau Schmidtȱin der Rolle von FrauȱLindner: „Ja, ich kenne Frau Schmidt schon sehr lange.
Bevor sie ihr Baby bekam, war sie von früh bis spät in der Firma anzutreffen …“

Wird die Methode des Monodramas herangezogen, wird am Anfang der Akti-
onsphase, vergleichbar mit dem protagonistInnenzentrierten Psychodrama, sym-
bolisch die Bühne eröffnet, indem zum Beispiel der Tisch zur Tischbühne um-
funktioniert oder ein bestimmter Bereich im Praxisraum dafür festgelegt wird.
Statt Hilfs-Ichen werden Gegenstände als Platzhalter für die Rollen anderer Per-
sonen, Rollenanteile oder Gefühle gewählt. Im Gegensatz zum protagonistInnen-
zentrierten Psychodrama spielt die ProtagonistIn alle Rollen selbst, indem sie
ständig zwischen ihnen hin und her wechselt. Dadurch entsteht im Vergleich zur
oben beschriebenen Methode eine stärkere Erlebnisdichte (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱ
Kramer 2005: 91).
Dora, eine junge Klientin, die an Magersucht leidet, kämpft mit inneren An-
teilen, die bewirken, dass sie an dieser Erkrankung festhält, und anderen Instan-
zen, die sich sehnlichst einen Ausstieg aus dieser wünschen. In der Erwärmungs-
phase wird vereinbart, diesen inneren Konflikt auf der monodramatischen Bühne
darzustellen. Nun werden für die in dieser Inszenierung nötigen Rollen passende
Hilfsobjekte gewählt.

TherapeutIn: „Welcher Gegenstand könnte für deine Angst stehen, dick zu werden,
welcher für deinen Wunsch, endlich an etwas anderes als an Essen denken zu kön-
nen?“
„Positioniere diese Gegenstände nun so, wie sich das in dir drinnen anfühlt.“
„Such dir nun bitte auch einen Gegenstand, der dich als Person repräsentieren könnte.“
Für die Angst, dick zu werden, wählt sie einen kugelförmigen Stein, für den Wunsch,
auch an etwas anderes als an Essen denken zu können, eine Filzblume.

Wie auch im Gruppensetting können die Hilfsobjekte durch Zuschreibung oder


mit Hilfe des Doppelns (Einrollens oder Einkleidens) ihre Rollenzuweisung er-
halten. Im nun folgenden monodramatischen Spiel können die meisten psycho-
dramatischen Techniken und Arrangements, die auch in Gruppentherapie zur
Anwendung kommen, eingesetzt werden. In dem oben beschriebenen Fall wech-
selt Dora in die verschiedenen Rollen und stellt so deren Position in ihrem inne-
ren Konflikt dar. Beim Hin-und-her-Wechseln unterstützt sie die TherapeutIn,
indem sie zwar nicht die Rollen einnimmt, aber den letzten Satz wiederholt, um
208 7 Anwendungsfelder oder Formate

den Fluss der Szene nicht zu unterbrechen und die Begegnung aufrechtzuerhal-
ten (vgl. ErlacherȬFarkasȱundȱJorda 1996).

Dora in der Rolle der Angst,ȱdickȱzuȱwerden spricht zu sich selbst: „Wenn ich da nach-
gäbe, das wäre eine Katastrophe. Wenn ich nicht ständig darauf achtete, dass du dich
nicht in Situationen begibst, in denen du fressen kannst, wärst du schon ein Koloss!“
Dora wechselt in eine andere Rolle ihres kulturellen Atoms, in die Position des Wun-
sches, endlich wieder auf Partys gehen zu können.
Therapeutin wiederholt den Satz der Angstȱvon Dora: „Ich muss ständig auf dich auf-
passen, sonst wärst du schon ein Koloss!“

Für ErlacherȬFarkas (1996) ist es von großer Bedeutung, dass die KlientIn die
Rückstellung der Hilfsobjekte selbst übernimmt, sie entrollt dabei die Gegenstän-
de und bringt sich selbst in die Hier-und-Jetzt-Realität des Praxisraums zurück.

Integrationsphaseȱ
Da der Nachbesprechung im Monodrama ein ganz besonderer Stellenwert zu-
kommt, die KlientIn muss sich nämlich das Rollenfeedback aus den verschiede-
nen Rollen selbst erarbeiten, sollte für sie ein längerer Zeitraum eingeplant wer-
den. Im Rollenfeedback berichtet die Klientin aus den verschiedenen Positionen,
wie auch aus der eigenen, was sie in den jeweiligen Rollen wahrgenommen hat.
Die Begründung, warum welcher Gegenstand gewählt wurde (RollenwahlbegrünȬ
dung), kann einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bieten. Das Sharing erfolgt
durch die Leiterin. Wie bereits betont, sollte dies nur therapeutischen Zwecken
dienen und nicht der eigenen Erleichterung.

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8.1 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren 211

8
8 DasȱPsychodramaȱundȱandereȱ
psychotherapeutischeȱVerfahrenȱ

8.1 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱpsychodynamischenȱVerfahrenȱ

DieȱPsychoanalyseȱ
Psychoanalyse bedeutet – vom Griechischen ins Deutsche übersetzt – die Zerlegung
der Seele. Sie ist ein Verfahren, das vom in Mähren geborenen Neurologen Sigmund
Freud um 1890 zur Erkundung psychischer Prozesse ins Leben gerufen wurde. Ei-
nerseits wird dieser Begriff zur Beschreibung und Erklärung psychischer Phänome-
ne rund um das menschliche Denken, Fühlen und Handeln verwendet. Auf der
anderen Seite steht er für eine psychotherapeutische Methode, die die Lösung inne-
rer oder zwischenmenschlicher Konflikte durch das Erkennen von oft unbewussten
Dynamiken und Zusammenhängen zum Ziel hat. Als solche zählt die Psychoanalyse
zu den aufdeckenden Verfahren, die durch das Verständnis für diese Prozesse zu
einer Veränderung der Erlebnis-, Denk- und Beziehungsfähigkeit führen soll. In der
klassischen Psychoanalyse liegen die zu Analysierenden meist auf der Couch, sie
erzählen über Ereignisse und Gedanken in Form des sogenannten freien Assoziie-
rens, indem sie das verbalisieren, was sie derzeit beschäftigt. Die TherapeutIn nimmt
mit der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit die Aussagen der Analy-
sandInnen auf und deutet diese. Techniken, die dabei zur Anwendung kommen,
sind zum Beispiel die Bearbeitung von Übertragungsphänomenen oder die Traum-
deutung. Solche Sitzungen finden über mehrere Jahre hinweg in der Regel drei- bis
maximal fünfmal pro Woche statt. Heute können auch analytische Kurzzeitthera-
pien, die eine wesentlich geringere Dauer (zehn bis 50 Sitzungen) haben oder psy-
choanalytische Psychotherapien, mit einer Sitzungsfrequenz von ein bis zwei Stun-
den pro Woche, in Anspruch genommen werden (Kriz 2007).

Kastenȱ8:ȱȱ Psychoanalyse
212 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ

Schon zu Freuds Lebzeiten kam es aufgrund von theoretischen und methodischen


Kontroversen zu zahlreichen Abspaltungen und Weiterentwicklungen (Adler,ȱ
Jung,ȱFerenczi). Die Schulen, die sich auf das Fundament der psychoanalytischen
Theorie berufen, werden im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff „tiefen-
psychologisch fundierte und analytische Psychotherapien“ subsummiert, im
internationalen Rahmen unter „psychodynamische Therapien“ gefasst.
Für Moreno, dessen Weltanschauung sich in vielerlei Hinsicht von der Freuds
unterschied, war es von großer Bedeutung sich von der klassischen Psychoanalyse
zu distanzieren (vgl. Buerȱ&ȱSchmitz 1989, TomaschekȬHabrina 2004). Dadurch gibt
es auf den ersten Blick mehr Trennendes, bei genauerer Betrachtung, aber auch
manch Verbindendes (vgl. Hutter 2010). Die Unterschiede, aber auch die kleinen,
verbindenden Elemente, sollen hier anhand der Triebtheorie und der Gestaltung
der Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn erläutert werden: Die Trieb-
theorie ist ein wichtiger Teil des psychoanalytischen Theoriegebäudes. Sehr ver-
einfacht ausgedrückt, versuchte Freud damit zu erklären, welche Kräfte und Dy-
namiken Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen motivieren. Freud (1920)
ging in diesem Konzept von zwei gegeneinander wirkenden Kräften aus, Eros und
Thanatos, dem Liebes- und dem Destruktionstrieb. Als Libidoȱwird die Energie des
Eros bezeichnet. Durch widerstreitende Instanzen und Impulse oder durch Hem-
mungen oder Fixierungen während der psychosexuellen Entwicklung kann es zu
Neurosen oder Symptombildungen kommen (Morschitzky 2007). Für Moreno sind
Spontaneität und Kreativität die Triebfedern menschlichen Handelns. Kreativität
stellt für Moreno eine Art „Ursubstanz“ dar, eine schier unerschöpfliche Energie-
quelle, die durch die Spontaneität angezapft und in Bahnen gelenkt wird (Hutterȱ&ȱ
Schwehm 2009: 297). Störungen werden als Blockaden der Spontaneität gesehen,
wodurch der Zugang zur Kreativität unterbunden wird. Die Libido sah Moreno als
eine Unterform der Kreativität an. Diese wird, seiner Meinung nach, aber nicht
nur durch sexuelle, sondern auch durch kulturelle, zwischenmenschliche, ökono-
mische und physische Faktoren beeinflusst. Destruktivität wurde von Moreno
nicht als primärer Trieb aufgefasst, sondern „als sekundäre Reaktion auf Hem-
mung von Selbstentfaltung“ (Buerȱ&ȱSchmitz 1989: 124).
In der Psychoanalyse ist die therapeutische Grundhaltung durch Abstinenz,
das Einnehmen einer neutralen Haltung gegenüber den AnalysandInnen, ge-
prägt. Damit bieten die AnalytikerInnen ihren AnalysandInnen eine breite Pro-
jektionsfläche, wodurch Gefühle der KlientInnen gegenüber ihren AnalytikerIn-
nen entstehen können, die nur zu einem geringen Anteil auf der realen zwi-
schenmenschlichen Beziehung zwischen diesen beiden Personen beruhen, son-
8.1 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren 213

dern mehr Beziehungsmuster aus der Kindheit der PatientInnen spiegeln. Diese
Gefühlsregungen werden als Übertragung bezeichnet und bieten, der psychoana-
lytischen Theorie folgend, häufig Einblick in die Grundstörung der AnalysandIn-
nen. Moreno nutzte die Gruppe um derartige Phänomene offen zu legen; in sei-
nem 1946 (zit. n. Hutter 2010) verfassten Werk Psychodrama legte Moreno – um
Übertragungsphänomene und Teleprozesse zu umschiffen – den LeiterInnen
nahe, den größtmöglichen Abstand zu den ProtagonistInnen einzuhalten und
deren Bedürfnis nach Nähe durch Hilfs-Iche stillen zu lassen. In einem anderen
Aufsatz (1957b zit. n. Hutter 2010) betonte er, dass die LeiterIn im Sozialgefüge
einer Gruppe keine abstinente Haltung einnehmen darf, sondern in den jeweili-
gen Begegnungen als Person sichtbar sein müsse. Übertragung definierte er „als
pathologische Form des zugrundeliegenden Teleprozesses“ (Buerȱ&ȱSchmitz 1989:
135). In der heute gängigen psychodramatischen Theorie wird die Übertragung
als unbewusste Aktivierung einer Rolle aus der Vergangenheit definiert, die mit
der gegenwärtigen Rolle in einem Rollencluster verbunden ist. Dieses Phänomen
sollte aber nicht speziell zwischen LeiterIn und KlientIn forciert werden, sondern
durch „Umleitung“ auf Hilfs-Iche in der Gruppe bearbeitbar gemacht werden.
Die Techniken des Rollenspiels, des Rollenfeedbacks, des Sharings und der Pro-
zessanalyse bieten die Möglichkeit, Übertragungen sichtbar und damit auch
veränderbar zu machen (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).
Bei den SchülerInnen Freuds, die eigene Schulen entwickelten, gibt es – me-
thodisch und mitunter vom Weltbild her gesehen – deutlichere Berührungspunk-
te mit dem Psychodrama. Adlers Positionspsychologie, mit der er den Einfluss der
Stellung in einem Beziehungsgeflecht erforschte, kann in ihren Grundgedanken
mit MorenosȱSoziometrie verglichen werden (Yablonsky 1989). Die Jung´sche Defi-
nition der Libido ist dem Kreativitäts- und Spontaneitäts-Konzept Morenos nicht
unähnlich und Ferenczi baute Rollenspiele in seine Behandlungen ein (Buerȱ &ȱ
Schmitz 1989).
Seine negative Einstellung zur klassischen Psychoanalyse änderte Moreno
1944. Er selbst schlug eine Verbindung von psychodramatischen Methoden und
der psychoanalytischen Theorie vor (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱ Kramer 2005). Diese
Idee wurde von den BegründerInnen des Analytischenȱ Psychodramas,ȱ wie dem
Ehepaarȱ Limoineȱ oderȱ Sergeȱ Leboviciȱ (Anzieuȱ 1984) aufgegriffen. Sie versuchen
durch psychodramatische Techniken Prozesse in Gang zu setzen, die Ausgangs-
lagen für psychoanalytische Deutungen werden können. Im analytischen Psy-
chodrama wählt die Gruppe ohne vorhergehende Erwärmung ein Thema. Die
TeilnehmerInnen suchen sich ihre Rollen selbst und teilen auch der Gruppenlei-
terIn eine Rolle zu. Damit wird sie zur AkteurIn im Rollenspiel, wobei sie nicht
ihren eigenen Impulsen folgt, sondern nach den Wünschen der Gruppe handelt,
214 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

wodurch die LeiterIn dem analytischen Abstinenzgebot Folge leisten kann. Das
Agieren im Rollenspiel wird als eine Form des freien Assoziierens gesehen, das
von der Gruppe gewählte Thema und die Rollenzuweisung an die LeiterIn wer-
den als Basalübertragungen betrachtet. Zur psychoanalytischen Deutung dieser
Phänomene wird die Nachbesprechung genutzt (Ruhs 1994). Nicht nur analyti-
sche PsychodramatikerInnen, sondern auch manche VertreterInnen des klassi-
schen Psychodramas nach Moreno greifen zur Erklärung bestimmter Phänomene
auf die psychoanalytische Terminologie und deren theoretische Modelle zurück,
wie zum Beispiel Krüger.
Eine weitere tiefenpsychologische Methode, die auch die Vorzüge eines
Gruppensettings nutzt, ist die analytischeȱ Gruppentherapie. Wie im Psychodrama
wird im Hier und Jetzt gearbeitet, Konflikte und Problemstellungen werden mit
und durch die Gruppe reinszeniert und gelöst und sie wird auch als Großgrup-
penmethode eingesetzt. Unterschiede gibt es, abgesehen vom theoretischen Un-
terbau, in der Vorgehensweise: Die analytische GruppentherapeutIn bringt keine
Themen ein, zeigt wenig von sich selbst als Person und greift kaum ins Gruppen-
geschehen ein um Übertragungsprozesse zu ermöglichen. Sie ermutigt die Teil-
nehmerInnen spontan, in Form des freien Assoziierens Gedanken, Gefühle, Wün-
sche und Träume in die Gruppe einzubringen. Dadurch soll verdrängtes, unbe-
wusstes Material und Übertragungen für die TeilnehmerInnen zugänglich ge-
macht werden (Morschitzkyȱ2007).

8.2 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱVerhaltenstherapieȱ

DieȱVerhaltenstherapieȱ
Die Verhaltenstherapie ist eine Methode die traditioneller Weise ihre Konzepte
und Techniken auf Erkenntnissen der empirischen Psychologie aufbaut. Den
Ausgangspunkt bot das lerntheoretische Konzept der 1930er-Jahre, das von der
Annahme ausging, dass die meisten psychischen Problematiken erlernt und des-
halb mit Hilfe von systematisch angewandten Interventionsmethoden auch wie-
der verlernt werden können. Die daraus resultierenden verhaltenstherapeuti-
schen Techniken entstanden aber erst Jahre später. Aus der Kritik, dass diese
behavioristischen Ansätze bestimmte Aspekte der menschlichen Natur, wie Ge-
fühle oder Gedankengänge außer Acht ließen, kam es in den 60er- und 70er-
Jahren des letzten Jahrhunderts zur „kognitiven Wende“. Durch diese gewannen
Kognitionen und Emotionen bei den Erklärungsmodellen der Genese von Stö-
rungen an Einfluss. In den 1980er-Jahren wurde das verhaltenstherapeutische
Modell um sozialpsychologische Aspekte erweitert. In den letzten Jahren ver-
8.2 Das Psychodrama und die Verhaltenstherapie 215

suchte man verstärkt andere psychotherapeutische Techniken und Modelle zu


integrieren, wie zum Beispiel die Systemtheorie (Kriz 2007).
Die Verhaltenstherapie wird im Einzel-, im Paar- und im Gruppen-Setting
angeboten. Das Behandlungskonzept baut auf einer vorhergehenden Verhaltens-
analyse auf, bei der die Mechanismen, die eine Störung verursachen und auf-
rechterhalten, eruiert werden. Häufig kommen standardisierte und evaluierte
Behandlungsprogramme für bestimmte Störungsformen zum Einsatz. Bekannte
verhaltenstherapeutische Techniken sind die systematische Desensibilisierung,
die Reizkonfrontation, der Einsatz von Entspannungstechniken, soziale Kompe-
tenz- und Problemlösungstrainings und das Rollenspiel (Morschitzky 2007).

Kastenȱ9: Verhaltenstherapieȱ

VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ

Vergleichen wir die Anfänge der Verhaltenstherapie mit den Ursprüngen des Psy-
chodramas, ungeachtet dessen, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu datie-
ren sind, ist als Gemeinsamkeit hervorzuheben, dass sich beide Verfahren als Ge-
genkonzept zur Psychoanalyse sahen. Viel mehr Parallelen sind vorerst nicht zu
erkennen, da die Verhaltenstherapie den Menschen als ein Wesen sah, dessen Ver-
halten rein auf lerntheoretische Prinzipien zurückzuführen ist. Aus der Sicht des
Psychodramas hingegen lässt sich menschliches Verhalten aus den eingenomme-
nen Rollen und den Rollenerwartungen herleiten. Zur Annäherung der beiden
Verfahren kam es nach der „kognitiven Wende“. Diese Anknüpfungspunkte sind
vor allem konzeptueller Natur. So wird auf der Basis der Faktoren, die zur Störung
führten bzw. diese aufrechterhalten, versucht einen Zuwachs an Handlungs- bzw.
Rollenkompetenzen zu erreichen, die einen Weg aus der Störung bahnen sollen.
Dies erfolgt durch den Einsatz methodenspezifischer Techniken.
In der Verhaltenstherapie wird mit ähnlichen Wirkmechanismen wie in be-
stimmten Bereichen des Psychodramas gearbeitet, wie zum Beispiel mit ModelllerȬ
nen, das auf den Erkenntnissen von Banduraȱ (1969 zit. n.ȱ Krizȱ 2007) beruht. Das
Konzept besagt, dass nicht nur durch positive oder negative Verstärkung gelernt
wird, sondern auch durch Beobachtung von Handlungen anderer. Besonders wirk-
sam ist diese Methode, wenn die nachzuahmende Person anwesend ist und nicht
nur über einen Bildschirm beobachtet wird, wenn die Person die zu vollführende
Handlung nicht sofort perfekt beherrscht, wenn ein positiver Kontext vorhanden ist
und wenn die Person dieses Verhalten im Anschluss gleich selbst erproben kann
(Kriz 2007: 132). Diese Form des Lernens kommt auch im Psychodrama zum Ein-
satz. Durch das Beobachten und Miterleben eines statusȱnascendi, in dem eine Per-
216 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

son zum ersten Mal einen neuen Lösungsansatz erprobt, können auch die anderen
GruppenteilnehmerInnen neue Erfahrungen sammeln, die sie wiederum im realen
Leben umsetzen können. Durch den Einsatz psychodramatischer Arrangements,
wie zum Beispiel einem Gruppenspiel, ist das Einüben dieser neuen Verhaltenmus-
ter möglich. Auch für die ProtagonistIn kann Lernen durch das Beobachten anderer
hilfreich bei der Beantwortung ihrer eigenen Fragestellung sein. Hierfür werden im
Psychodrama DoppelgängerInnen eingesetzt, die der ProtagonistIn alternative
Vorgehensweisen vorzeigen können. Im Anschluss können die Handlungsalterna-
tiven von der ProtagonistIn eingeübt werden.
Das psychodramatische Repertoire an Arrangements und Techniken bietet
vielfältige Möglichkeiten, um soziale Kompetenzen zu erlernen oder neu erwor-
bene Fertigkeiten zu trainieren. So haben sich einige dieser Methoden, wie das
Rollenspiel, auch in der Verhaltenstherapie etabliert, selten wird allerdings auf
deren Ursprünge hingewiesen.
Divergenzen zwischen der Verhaltenstherapie und dem Psychodrama lassen
sich insbesondere im Einsatz von Intuition ausmachen. Die Verhaltenstherapie
stützt sich bei der Wahl ihrer Techniken auf evidenzbasierte Studien; intuitives
Vorgehen wird als unwissenschaftlich angesehen. Im Psychodrama werden in
den seltensten Fällen standardisierte Ablaufschemata verwendet und die Leite-
rInnen orientieren sich bis zu einem gewissen Ausmaß am Prozess der Protago-
nistInnen und werden darin durch ihre Intuition, Spontaneität und Kreativität
unterstützt.

8.3 DasȱPsychodramaȱundȱandereȱhumanistischeȱVerfahrenȱ

Unter dem Oberbegriff „humanistische psychotherapeutische Verfahren“ werden


verschiedene Schulen zusammengefasst, deren Gemeinsamkeiten weniger in
einem einheitlichen Therapiegebäude zu finden sind, als in der gleichen Art und
Weise, das Wesen des Menschen zu betrachten und die Beziehung zu den Klien-
tInnen zu gestalten. So sehen sie den Menschen als ein Wesen, das nach Sinn und
Entwicklung sucht und sprechen der zwischenmenschlichen Begegnung eine
zentrale Rolle zu (Kriz 2007). Zu den bedeutendsten Vertreterinnen gehören die
Gestalttherapie nach Perls, die Gesprächspsychotherapie oder personenzentrierte
Psychotherapie nach Rogersȱund das Psychodrama nach Moreno. In Folge werden
Vergleiche zwischen diesen gezogen.
8.3 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren 217

DieȱGestalttherapieȱ
Die Gestalttherapie ist eine hermeneutisch-phänomenologisch orientierte Metho-
de, was bedeutet, dass Menschen so, wie sie sich zeigen, mit all ihren sichtbaren
Phänomenen, wie Sprache, Mimik oder Körperhaltung erfasst und angenommen
werden. Sie gilt als erlebnisaktivierende und ganzheitliche Methode. Die Grund-
lagen dieses Verfahrens beruhen auf den Ideen und Theorien von FrederickȱSaloȬ
monȱPerlsȱund LauraȱPerls,ȱbeide ausgebildete PsychoanalytikerInnen, PaulȱGoodȬ
mansȱund den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie. Ein bedeutender Eckpfeiler
des gestalttherapeutischen Verständnisses ist die Annahme, dass Organismen
dazu tendieren im Austausch mit ihrer Umwelt ein inneres Gleichgewicht zu
erreichen, was als organismischeȱ Selbstregulation bezeichnet wird (Boeckh 2006).
Charakteristische Interventionsmethoden sind „der leere Stuhl“, der Einsatz
kreativer Medien, wie Ton, Malen oder die Arbeit mit Symbolen. Durch die
Technik des Gewahrseins (awareness) werden die KlientInnen darin geschult, mit
der Umwelt und den Befindlichkeiten im ständigen Kontakt zu bleiben (Perls,ȱ
Hefferline,ȱGoodmann 2007). Das Ziel der Gestalttherapie ist es „offene Gestalten“,
wie ungeklärte Konflikte, zu schließen und ein inneres Gleichgewicht herzustel-
len. Die Weiterentwicklung soll gefördert werden, indem Blockaden gelöst und
lebendige Potentiale der Persönlichkeit freigelegt werden (Boeckhȱ2006).

Kastenȱ10: Gestalttherapieȱ

DieȱGesprächspsychotherapieȱoderȱPersonenzentrierteȱPsychotherapieȱ
In Deutschland ist sie unter dem Namen Gesprächspsychotherapie bekannt, in
Österreich und in der Schweiz ist die Bezeichnung Personenzentrierte Psychothe-
rapie geläufiger. Carlȱ Rogers wird als ihr geistiger Vater betrachtet. Wie andere
humanistische Verfahren wird sie stark vom philosophischen Gedankengut KierȬ
kegaards (es geht um das Selbstsein) und Bubers (alles wirkliche Leben ist Bezie-
hung) beeinflusst. Die wichtigsten therapeutischen Grundprinzipien sind:

ƒ Kongruenz (Echtheit des Verhaltens)


ƒ Empathie (einfühlendes, nicht wertendes Verstehen)
ƒ Wertschätzung und bedingungsloses Akzeptieren

Die Gesprächspsychotherapie geht von einer Aktualisierungstendenz aus, die be-


sagt, dass der Organismus im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Auto-
nomie nach Gesundheit, Bedürfnisbefriedigung und Wachstum strebt. In diesem
Sinne werden Störungen weniger als Krankheit, sondern als Defizit an Bewusst-
heit und Wachstum gesehen. Selbstöffnung und Selbstauseinandersetzung sowie
218 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

die Erfahrungen des Verstandenwerdens und echte Anteilnahme in der Bezie-


hung zur helfenden Person, bewirken eine Weiterentwicklung und eine Redukti-
on seelischen Leidens (Tauschȱ&ȱTausch 1990). Um 1960 wurde die gesprächspsy-
chotherapeutische Theorie um die Konzepte Experiencing und Focusing erweitert.

Kastenȱ11: Gesprächspsychotherapie oder Personenzentrierte Psychotherapie

Vorerst werden wir die Gemeinsamkeiten der Gestalttherapie, der Gesprächspsy-


chotherapie und des Psychodramas hervorheben, die sich aus den gemeinsamen
ideologischen Wurzeln ableiten lassen, und in späterer Folge auf die Parallelen
und Unterschiede zwischen den einzelnen Methoden eingehen.

DasȱgemeinsameȱWeltbildȱundȱdieȱdarausȱresultierendenȱGrundhaltungenȱ

In der Beziehungsgestaltung zwischen TherapeutIn und KlientIn spielt in allen


drei Therapierichtungen die von Buberȱ in Anlehnung anȱ Morenoȱ (Geisler 1989)
postulierte IchȬDuȬBegegnung eine bedeutende Rolle. In einer Ich-Du-Begegnung
bringen sich die Beteiligten mit ihrem innersten und gesamten Wesen ein. Sie
steht im Gegensatz zu einer IchȬEsȬBegegnung, die in Alltagssituationen häufig
vorkommt und die von Oberflächlichkeit geprägt ist. In diesem Sinne legen diese
drei humanistischen Verfahren einen starken Fokus auf die Beschaffenheit der
therapeutischen Beziehung, die gleichberechtigt und authentisch verlaufen soll.
Das uneingeschränkte Echtsein, also das Bestreben den KlientInnen ohne Fassade
gegenüberzutreten, galt für Rogers als der bedeutendste Wirkfaktor der Ge-
sprächspsychotherapie. Damit nahm er eine wichtige Erkenntnis der aktuellen
Wirksamkeitsforschung vorweg. Diese besagt, dass ein starker Zusammenhang
zwischen der Qualität einer therapeutischen Beziehung und dem Erfolg einer
psychotherapeutischen Behandlung besteht.
Alle drei Richtungen sehen den Menschen als eine Einheit von Körper, Seele
und Geist, der im ständigen Austausch mit seiner Umwelt steht und nach Selbst-
entfaltung strebt.ȱ Im Gegensatz zum Psychodrama geht die Gestalttherapie da-
von aus, dass sich Menschen zwar im andauernden Kontakt mit ihrer Umgebung
befinden, aber mit ihr keine Einheit bilden. Persönliches Wachstum entsteht
durch die Abgrenzung von Einflüssen, die den Menschen in seiner Selbstbestim-
mung einschränken. Im Psychodrama wird eine derartige Grenzziehung als nicht
möglich erachtet, da Menschen Teil eines soziodynamischen Prozesses sind und
sich davon nicht lösen können (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005: 257).
Das Arbeiten im HierȬundȬJetzt ist ein Prinzip, das ausgehend vom Psycho-
drama zur Grundlage aller humanistischer Therapieformen wurde (Kriz 2007). Im
8.3 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren 219

Gegensatz zu einer analytischen Herangehensweise, bei der die Aufarbeitung


weit zurückliegender Beziehungsmuster einen Schwerpunkt bildet, ist bei diesen
Therapierichtungen die gegenwärtige Situation einer KlientIn die Ausgangslage.
Es gibt aber auch Unterschiede in der Auslegung der Bedeutung des Hier-und-
Jetzt zwischen der Gestalttherapie und dem Psychodrama. Während Gestaltthe-
rapeutInnen bei der Bearbeitung von Thematiken dem Prinzip des Hier-und-Jetzt
wortgetreu Folge leisten, geht das Psychodrama von einer etwas weiter gefächer-
ten Definition dieses Begriffs aus. Da all das, was im Hier-und-Jetzt geschieht,
auch im Zusammenhang mit Vergangenem und Zukünftigen steht, dürfen auch
zurückliegende oder zukünftige Ereignisse auf der psychodramatischen Bühne
thematisiert werden (Yablonsky 1998).
1947 und 1949 kam es jeweils zu einem Zusammentreffen von Perls und MoȬ
reno;ȱ Rogersȱ und Moreno dürften sich nie begegnet sein. Perls lernte bei diesen
Treffen die Methode des Psychodramas kennen und baute im Anschluss einige
Elemente, wie das Rollenspiel, die Techniken des Rollenwechsels und des leeren
Stuhlsȱin sein Verfahren einȱ(Krizȱ2007: 160).

VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ

Methodisch werden in allen drei Verfahren Einzelpsychotherapie, Gruppenthera-


pie, Beratung, Supervision und Coaching angeboten. Parallelen und Unterschiede
in der Gestaltung und im Ablauf von Gruppensitzungen werden im Folgenden
aufgezeigt. Das Psychodrama ist von seinen Ursprüngen her ein Gruppenverfah-
ren. Im Gegensatz dazu hat sich die Gestalttherapie sowie die Gesprächspsychothe-
rapie als ein Einzelverfahren entwickelt, was sich darin widerspiegelt, wie in Grup-
pen gearbeitet und wie die Gruppe genutzt wird. Das Spezifische einer psycho-
dramatischen Gruppentherapie ist der Grundgedanke, dass sie Therapie in der
Gruppe, durch die Gruppe, für die Gruppe ist. Damit wird hervorgehoben, dass
nicht nur die TherapeutIn, sondern auch die Gruppe an sich und jede einzelne
TeilnehmerIn gleichberechtigt zur heilenden Wirkung einer Gruppentherapie bei-
tragen. Die klassische Form einer gestalttherapeutischen Gruppentherapie ist EinȬ
zelarbeitȱinȱderȱGruppe (Boeckh 2006). Somit wird bei der Bearbeitung der Problematik
einer GruppenteilnehmerIn nicht auf die Hilfestellung der anderen Gruppenmit-
glieder zurückgegriffen, sondern die dafür notwendigen Personen werden durch
leere Stühle ersetzt. Um dem Faktor gerecht zu werden, dass diese subjektiv so
dargestellt werden, wie die KlientIn sie verinnerlicht hat, also Repräsentanzen der
KlientIn sind, werden sie nur von dieser gespielt. Die GruppenteilnehmerInnen
werden auf die Funktion der ZuschauerInnen beschränkt, sie stellen den Reso-
220 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

nanzboden dar (Boeckh 2006). In einer gestalttherapeutischen Gruppe ist die Funkti-
on der LeiterIn eine eher exponierte, da die Bearbeitung der Thematik, wie bereits
erwähnt, vor allem in der Zweierbeziehung TherapeutIn- KlientIn abläuft und
damit der LeiterIn eine höhere Bedeutung zukommt, als im Psychodrama, bei dem
auch den TeilnehmerInnen als Hilfs-Ichen eine wichtige Rolle bei der Lösung der
Problematik zugesprochen wird.
In der Gesprächspsychotherapie nimmt sich die LeiterIn noch mehr zurück.
Sie versteht sich als ein engagiertes Gruppenmitglied, das eine für den Prozess
förderliche Funktion innehat, in dem sie die Gruppenkohäsion fördert und die
Gruppe funktions- und arbeitsfähig erhält. Sie vertraut dabei auf das Potential
des Einzelnen und der Gruppe (Stumm,ȱ Wiltschko,ȱ Keil 2003: 86f). Die augen-
scheinlichste Divergenz zwischen der Gesprächspsychotherapie und dem Psy-
chodrama ist, dass die erstgenannte Methode vorwiegend durch Verbalisierung
ihrer Empfindungen und Gedanken Einblick in ihre Innenwelt und Beziehungs-
geflechte gewährt, während das Psychodrama auf vielfältigere Methoden zurück
greift, um die innere Bühne eines Menschen nach außen zu bringen.

8.4 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱsystemischeȱTherapieȱundȱBeratungȱȱ

DieȱsystemischeȱTherapieȱ
Die Familientherapie, die Vorläuferin der systemischen Therapie, hat sich in den
50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Ihre Theorie baut auf dem Grundge-
danken auf, dass ein Individuum immer Teil eines übergeordneten Systems ist
und deswegen nicht losgelöst von diesem betrachtet und behandelt werden darf.
Durch das Einbeziehen jeweils aktueller wissenschaftlicher Strömungen und
Weltanschauungen unterzog sich die Familientherapie zahlreichen Veränderun-
gen und Neuorientierungen. Für die derzeit relevante systemische Therapie sind
zwei neuere Ansätze von großer Bedeutung: Der lösungsorientierteȱAnsatz, der auf
den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe um Steveȱ deȱ Shazer in Milwaukee beruht
und die narrativeȱFamilientherapie rund um HarryȱGoolishian und HarleneȱAnderson.
Systemische Methoden sind z.B. das zirkuläre Fragen, Reframing, der selbst-
reflexive Dialog, der Einsatz eines reflektierenden Teams, die Arbeit mit dem
Familienbrett, Aufstellungsarbeit oder das Neuschreiben der eigenen Geschichte.
Systemische Therapien haben normalerweise einen Zeitumfang zwischen fünf
und 25 Stunden, die Sitzungen finden meist in niederer Frequenz statt.

Kastenȱ12: Systemische Therapieȱ


8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung 221

VerbindendesȱinȱTheorieȱundȱMethodikȱ

Wie das Psychodrama kann sich auch der systemische Ansatz auf eine lange
Tradition berufen, den Menschen als ein Wesen zu betrachten, das nicht abge-
trennt von seinem Lebenskontext gesehen werden kann. Morenoȱ selbst arbeitete
bereits in den 30er-Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts mit Paaren und
Familien und formulierte daraus systemtheoretische Überlegungen (Farmerȱ1995).
Moreno könnte also mit Fug und Recht als einer der Begründer der systemischen
Therapie genannt werden. Auf jeden Fall kann aber davon ausgegangen werden,
dass das Psychodrama die systemische Therapie und Beratung beeinflusste, wie
ganz besonders in der systemischen Arbeit mit Familienskulpturen sichtbar wird;
auf der anderen Seite zog auch das spätere Psychodrama von Synergieeffekten
zwischen den beiden Verfahren Nutzen, was sich zum Beispiel bei der Arbeit mit
Zeitlinien zeigt.
Der offensichtlichste Schnittpunkt zwischen dem systemischen Ansatz und
dem Psychodrama liegt in der Methodik der Externalisierung innerer Prozesse
oder der Visualisierung von Wechselwirkungen in sozialen Systemen in Form
von Aufstellungsarbeit. So ist das Stellen von Familienskulpturen ein Verfahren,
das sowohl im systemischen Ansatz wie im Psychodrama zum Standardreper-
toire gehört. Hierbei werden Beziehungsmuster mittels symbolisierter Körperhal-
tungen ausgedrückt und bestimmte Dynamiken durch diese Form der Konkreti-
sierung sichtbar und veränderbar gemacht. In der Familientherapie wird das
Stellen von Familienskulpturen mit Virginiaȱ Satir in Verbindung gebracht, einer
der GründerInnen des MentalȱResearchȱInstituteȱin PaloȱAlto, die unter anderem für
eine wertschätzende und kongruente Haltung der TherapeutInnen gegenüber
ihren KlientInnen eintrat (BrandlȬNebehay 1998). 1978 führte Ludewig das „Famili-
enbrett“ in den systemischen Ansatz ein, er bezeichnete es als eine Miniaturversi-
on einer Familienskulptur, eine Aufstellung auf dem Brett, das eine symbolische,
gewissermaßen virtuelle Kommunikationsebene erzeugt (Ludewig 2002: 214).
Mittels abstrakt geformten Holzfiguren, die auf ein Brett platziert werden, sollen
familiäre Beziehungsgeflechte dargestellt werden, eine Methode, die mit dem im
Psychodrama eingesetzten sozialen Atom vergleichbar ist. Da das Familienbrett
in vielerlei Hinsicht erweitert werden kann und andere Hilfsmittel, wie Bausteine
oder Spielfiguren als Platzhalter verwendet werden können (vgl. Oestereich 2005),
drängt sich die Parallele zum Konzept der psychodramatischen Tischbühne auf.
In den letzten Jahren gewann die systemische Aufstellungsarbeit, vor allem
in Form von Familienaufstellungen, an Popularität. Auch das Arrangement der
psychodramatischen Aufstellungsarbeit, das lange Zeit ungerechtfertigterweise
im Schatten des protagonistInnenzentrierten szenischen Spiels gestanden hat,
222 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

erfährt insbesondere in der Personal- und Organisationsberatung einen Auf-


schwung. Die psychodramatische Aufstellungsarbeit beruft sich dabei auf die
soziometrische Aktionsforschung, was sich darin widerspiegelt, dass nicht mit
Rollen gearbeitet wird, sondern mit Positionen in einer soziometrischen Matrix
(Buer 2005: 296).
Als Nächstes wird auf Techniken eingegangen, die in den jeweiligen Verfah-
ren zur Anwendung kommen und trotz unterschiedlicher Herangehensweise ein
ähnliches Ziel verfolgen. Zirkularitätȱist ein wichtiger Begriff in der systemischen
Theorie. Diese geht davon aus, dass „Dinge“ nicht nur mit anderen „Dingen“ in
Beziehung stehen, sondern zwischen diesen auch eine ständige Wechselwirkung
besteht. Dieser Effekt wird als „Rückkopplungsmechanismus“ bezeichnet (vgl.
Kriz 2007). Zirkuläres Fragen bezieht dieses Konstrukt mit ein: „WasȱglaubenȱSie,ȱ
HerrȱC,ȱgehtȱimȱKollegenȱAȱvor,ȱwennȱerȱsieht,ȱdassȱKolleginȱBȱenttäuschtȱist,ȱwennȱihrȱ
Vorschlagȱ vonȱ derȱ Geschäftsführungȱ nichtȱ angenommenȱ wird?“ Ähnliches wird im
Psychodrama mit der szenischen Darstellung der Problemlage erzielt. Die betei-
ligten Personen werden durch Hilfs-Iche besetzt und stellen auf der Bühne das
Geschehen nach. Durch das Rolleninterview in der Szene und ganz besonders
durch das Rollenfeedback wird sichtbar, wie eine bestimmte Szene mit den darin
vorkommenden Handlungen von anderen Beteiligten aufgefasst wird.
In der von deȱ Shazer entwickelten lösungsorientierten Kurzzeittherapie ge-
hört die Wunderfrage zum Standardrepertoire an Interventionstechniken: „Stellenȱ
Sieȱsichȱvor,ȱesȱgeschiehtȱeinȱWunderȱundȱSieȱsindȱgeheilt.ȱWoranȱwürdenȱSieȱdiesȱbemerȬ
ken?“ Im Psychodrama wird eine ähnliche Wirkung durch den Einsatz der
Surplus-reality erzielt. Diese ermöglicht, dass im psychodramatischen Spiel mehr
dargestellt wird, als in der Realität existiert. Ein psychodramatisches Äquivalent
zur Wunderfrage auf der psychodramatischen Bühne wäre: „SpielenȱwirȱeineȱSzeneȱ
ausȱIhremȱzukünftigenȱLeben,ȱinȱderȱdasȱSieȱbelastendeȱProblemȱkeineȱRolleȱmehrȱspielt.ȱWieȱ
könnteȱesȱsichȱanfühlen,ȱwennȱsichȱIhreȱProblematikȱplötzlichȱverändertȱhätte,ȱwelcheȱKörȬ
perhaltungȱwürdenȱSieȱdannȱeinnehmen,ȱwieȱwürdeȱIhreȱUmgebungȱdaraufȱreagierenȱ…?“
In der narrativen Familientherapie spielt der Konstruktivismus eine bedeu-
tende Rolle. Die Sichtweise auf die eigene Geschichte ist stark durch die Bedeu-
tungsgebung, Werthaltungen und Interpretationen geprägt. In diesem Ansatz der
systemischen Therapie geht es darum, dass dem Blick auf die eigene Geschichte
neue Perspektiven eröffnet werden und dadurch die eigene Geschichte eine Ver-
änderung erfährt, die weniger schmerzhaft oder problematisch ist. Im Psycho-
drama kommen dafür Techniken, wie der Rollentausch, der Rollenwechsel, das
Spiegeln oder auch wieder die Surplus-reality, zum Einsatz.
8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung 223

Bestimmte Richtungen der systemischen Therapie und Beratung sind stark


ressourcenorientiert; es wird davon ausgegangen, dass die ratsuchende Person
die Antwort in Form von Ressourcen aus früheren Situationen bereits in sich
trägt. Dies ist eine Sichtweise, die sich mit der humanistischen Position deckt und
auch von PsychodramatikerInnen geteilt wird (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱ Kramerȱ
2005). Desgleichen gibt es Parallelen zwischen dem Störungsverständnis der
beiden Richtungen. Der systemische Ansatz distanziert sich vom gängigen
Krankheitsbegriff: Psychische Erkrankungen werden nicht alleine aus der Sicht
der Betroffenen betrachtet, sondern werden vor dem Hintergrund des ganzen
Systems erörtert. Ein Symptom dient dazu, in einer Krisensituation die Homö-
ostase eines Systems aufrecht zu erhalten (Kriz 2007). Auch in der psychodrama-
tischen Krankheitslehre und Diagnostik wird das soziale Umfeld der betroffenen
Person immer miteinbezogen. Für Moreno soll nicht die einzelne Person selbst
das Ziel der therapeutischen Behandlung sein, sondern sein soziales Atom, das er
als kleinste soziale Einheit ansieht (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).

TrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ

Unterschiede zwischen dem systemischen Ansatz und dem Psychodrama sind in


der Haltung der TherapeutInnen oder BeraterInnen zu beobachten. Im Psycho-
drama wird auf eine aufrichtige LeiterIn-KlientIn-Beziehung, die auf authenti-
schen Gefühlen beruht, Wert gelegt. Im systemischen Ansatz gab es diesbezüg-
lich einen Paradigmenwechsel. Anfänglich wurden die TherapeutInnen als Ex-
pertInnen betrachtet, später wurde diese Rolle den KlientInnen zugeschrieben.
Heute bezeichnen sie sich als BegleiterInnen, Wissende oder Verantwortliche
(Scholze 1998: 146). Aufgrund ihrer Form der Fragestellung und dadurch, dass sie
mitunter die KlientInnen durch paradoxe Interventionen gewollt verstören, neh-
men sie eine etwas distanzierte Haltung ein.
Divergenzen lassen sich auch in der bevorzugten Vorgangsweise zur Erfas-
sung der Grundproblematik erkennen. Während im Psychodrama dazu meist die
Darstellung von Szenen genutzt wird, sind in der systemischen Therapie oder
Beratung die Sprache und bestimmte Fragetechniken die Mittel der Wahl um
einen besseren Einblick in die Problemstellung zu bekommen.
Der Konstruktivismus, der ein wichtiger Grundgedanke des systemischen
Ansatzes ist und der von der Realität als etwas Subjektivem und Konstruiertem
ausgeht, wird im Psychodrama nicht in dieser radikalen Ausprägung verfolgt.
Die psychodramatische Handlungstheorie geht davon aus, dass die Wirk-
lichkeit nicht alleine im Kopf konstruiert wird, sondern auch durch Handlungs-
224 8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren

prozesse, die nicht nur individuell, sondern immer auch sozial geprägt sind und
vor allem auch unerwartete Nebenwirkungen auf andere Akteure haben können
(Buerȱ2005: 292).

Psychodrama hat, wie in diesem Kapitel zu sehen war, große Schnittmengen mit
anderen Therapieverfahren; aber es sind auch deutliche Unterschiede festzustel-
len, die sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis niederschlagen.

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9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich 227

9
9 DerȱWegȱzurȱPsychdramatikerInȱȱ

Wir beziehen uns in diesem Kapitel ausschließlich auf deutschsprachige Angebo-


te, also auf Psychodrama-Aus- und Weiterbildungen in Deutschland, Österreich
und der Schweiz, und in diesen Ländern wiederum nur auf AnbieterInnen, die
einem Qualitätskriterium eines Fachverbandes unterliegen. Beginnen werden wir
mit Österreich, da dies das einzige Land ist, in dem das Psychodrama an Hoch-
schulen als Ausbildung angeboten wird.

9.1 AusȬȱundȱWeiterbildungsangeboteȱinȱÖsterreichȱȱ

In Österreich wird die Ausbildung zur Psychodrama-TherapeutIn auch psychotheȬ


rapeutisches Fachspezifikum genannt und von der Fachsektion PsychodramaȱimȱÖsterȬ
reichischenȱ Arbeitskreisȱ fürȱ Gruppendynamikȱ undȱ Gruppentherapieȱ (ÖAGG) angebo-
ten. Die Ausbildung zur Psychodrama-TherapeutIn wird in Kooperation mit der
DonauȬUniversitätȱ Kremsȱ (DUK) durchgeführt. Ein psychotherapeutisches Fach-
spezifikum im Therapieverfahren Psychodrama kann auch an der Universitätȱ
Innsbruck absolviert werden.
Die Fachsektion PsychodramaȱimȱÖAGG bietet außerdem eine Ausbildung zur
RollenspielleiterIn, Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich psychodramatischer
Aufstellungsarbeit, psychodramatische Psychotherapie mit Kindern und Jugend-
lichen und eine Fortbildung in Supervision und Coaching an. Ab Herbst 2010
werden zusätzlich ein Ausbildungscurriculum für Lebens- und Sozialbera-
tung/Methode: Psychodrama und ein Lehrgang Psychodrama Pädagogik angebo-
ten. Sowohl das erfolgreiche Absolvieren des Fachspezifikums als auch die Aus-
bildung zur Lebens- und SozialberaterIn führen zu einer gesetzlich anerkannten
Berufsberechtigung.
228 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

Abbildungȱ52: Aus- und Weiterbildungsangebote der FachsektionȱPsychodramaȱimȱ


ÖAGGȱ

9.1.1 DieȱAusbildungȱzurȱPsychodramaȬPsychotherapeutInȱȱ

GrundsätzlichesȱzurȱPsychotherapieausbildungȱinȱÖsterreichȱ

Die Psychotherapieausbildung ist in Österreich durch das Psychotherapiegesetz


geregelt (BGBL.Nr. 361/1990). Sie umfasst zwei Teile, einen allgemeinen, der von
allen KandidatInnen absolviert werden muss, unabhängig davon, mit welcher
Therapiemethode sie in Zukunft arbeiten wollen, dieser Teil wird psychotherapeutiȬ
schesȱPropädeutikum genannt. Die darauf aufbauende Stufe, das psychotherapeutischeȱ
Fachspezifikum, ist speziell auf die gewünschte Psychotherapiemethode ausgerich-
tet und wird in den jeweiligen Instituten dieser Therapieverfahren angeboten.

DasȱpsychotherapeutischeȱPropädeutikumȱ

Das Propädeutikum setzt sich aus einem theoretischen und einem praktischen
Teil zusammen und dauert, wenn keine Inhalte aus zuvor absolvierten Ausbil-
dungen angerechnet werden können, im Durchschnitt zwei Jahre. Es gibt in Ös-
9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich 229

terreich zahlreiche Einrichtungen, die eine Propädeutikum-Ausbildung anbieten.


Eine aktuelle Liste der möglichen Ausbildungseinrichtungen für das psychothe-
rapeutische Propädeutikum kann über die Datenbank des österreichischen Bun-
desministeriums für Gesundheit bezogen werden.

DasȱpsychotherapeutischeȱFachspezifikumȱȱ

Das psychotherapeutische Fachspezifikum in der Methode Psychodrama wird in


Österreich als Universitätslehrgang geführt, der sieben bzw. acht Semester um-
fasst. Mit dem Abschluss erwerben die AbsolventInnen den akademischen Grad
Masterȱ ofȱ Scienceȱ (MSc) bzw. Akademischeȱ PsychotherapeutIn, wenn keine Studien-
berechtigung vorhanden ist.

Voraussetzungenȱȱ
Um ein Fachspezifikum absolvieren zu können gelten allgemein folgende Vor-
aussetzungen:

ƒ Erfolgreicher Abschluss des psychotherapeutischen Propädeutikums


ƒ Vollendung des 24. Lebensjahres
ƒ Eine Studienberechtigung, die aber auch während der Ausbildung nachgeholt werden
kann
ƒ Wenn keine Ausbildung in einem Grundberuf, wie Psychologie, Pädagogik, Medizin,
Krankenpflege, Theologie u.v.m. besteht, bedarf es einer Eignungserklärung seitens des
Bundesministeriums
ƒ Eigenberechtigungȱ

Tabelleȱ26: Voraussetzung für die Absolvierung des Fachspezifikums

Für die Aufnahme zum psychodramatischen Fachspezifikum müssen im Vorfeld


noch zusätzlich ein Auswahlseminar und zwei Einzelgespräche mit Lehrthera-
peutInnen besucht werden.

Ausbildungsablaufȱ
Die Ausbildung beinhaltet einen theoretischen und einen praktischen Teil. Im
theoretischen Teil wird Wissen in den Bereichen theoretische Grundlagen, psy-
chotherapeutische Diagnostik, psychodramatische Störungstheorien, Methodik
und Technik in Form von Seminaren vermittelt. Der praktische Teil beinhaltet
Selbsterfahrung im Rahmen von Einzel- und Gruppentherapie, den Erwerb prak-
tischer psychotherapeutischer Kenntnisse und Erfahrungen durch Praktika in
psychosozialen und/oder facheinschlägigen Einrichtungen des Gesundheitswe-
230 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

sens unter Supervision. Der praktische Teil der Ausbildung schließt ab dem Er-
reichen des Status PsychodramaȬPsychotherapeutInȱ inȱ Ausbildungȱ unterȱ Supervision,
der meist im 5. Semester erworben wird, die eigenständige Durchführung von
psychodramatischen Einzel- und Gruppentherapien mit ein.
Im Rahmen der Ausbildung sind zwei wissenschaftliche Arbeiten zu verfas-
sen: Eine Hausarbeit und eine Masterthese, die psychodramatische Theorie ver-
schränkt mit Erfahrung aus der psychodramatherapeutischen Praxis beinhalten
sollte.

Abschlussȱ
Mit der erfolgreichen Absolvierung der vorgeschriebenen Ausbildungselemente,
des Abschlusskolloquiums und der positiven Benotung der Masterthese kann die

ƒ Graduierung zum/r Psychodrama-PsychotherapeutIn erfolgen,


ƒ um die Eintragung in die Liste der PsychotherapeutInnen des Gesundheitsministeri-
ums angesucht werden, und
ƒ der akademische Grad MasterȱofȱScience bzw. die Bezeichnung AkademischeȱPsychotheȬ
rapeutIn verliehen werden.

Tabelleȱ27: Abschluss der Ausbildung

Kostenȱ
Die Kosten des Ausbildungslehrgangs des ÖAGG in Kooperation mit der DonauȬ
Universitätȱbetragen derzeit insgesamt € 27.900,-25. In diesem Betrag sind, abgese-
hen von Aufenthaltskosten, alle Seminare, Selbsterfahrungsteile und die Betreu-
ungs- und Prüfungsgebühren beinhaltet.
Die UniversitätȱInnsbruck stellt eine Gebühr von € 1.700,- pro Semester (Stu-
diendauer acht Semester) in Rechnung, wobei hier bestimmte Kosten, wie zum
Beispiel die Einzelselbsterfahrung, die einen Umfang von 90 Stunden umfasst
und das Aufnahmeverfahren, nicht beinhaltet sind.

25 Alle für Österreich angegebenen Kosten beziehen sich auf den Stand Dezember 2009
und können Veränderungen unterliegen.
9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich 231

9.1.2 WeitereȱAusbildungsȬAngeboteȱ

AusbildungȱzurȱRollenspielleiterInȱ

Diese Ausbildung der Fachsektion Psychodramaȱ imȱ ÖAGG befähigt zum Leiten von
psychodramatischen Gruppen, die in Abgrenzung zu psychodrama-psychothera-
peutischen Gruppen nicht die Bearbeitung von tiefliegenden psychischen oder
psychiatrischen Störungen zur Aufgabe haben.

ƒ Zielgruppen:ȱ Personen, die in und mit Gruppen arbeiten und/oder im Bil-


dungs- oder Beratungsbereich tätig sind.
ƒ DieȱKosten für diesen Lehrgang betragen ca. € 3.000,-

Ab Herbst 2010 wird in der Fachsektionȱ Psychodramaȱ imȱ ÖAGGȱ eine Ausbildung
zur LebensȬȱundȱSozialberaterIn/Methode:ȱPsychodramaȱangeboten.

9.1.3 PsychodramatischesȱWeiterbildungsangebotȱderȱFachsektionȱPsychodramaȱimȱ
ÖAGGȱ

Psychodramaȱ–ȱPsychotherapieȱmitȱKindernȱundȱJugendlichenȱ

In dieser Weiterbildung werden die Grundlagen und spezifischen Techniken für


die psychodramatisch – psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendli-
chen sowohl im Einzel- wie auch im Gruppensetting vermittelt.

ƒ Zielgruppe: PsychotherapeutInnen und PsychotherapeutInnen in Ausbildung


unter Supervision.
ƒ Voraussetzung: Berufserfahrung mit Kindern und Jugendlichen.
ƒ Kostenȱfür die gesamte Weiterbildung: € 3.925,-

PsychodramatischeȱAufstellungsarbeitȱ

Ziel dieser Weiterbildung ist es, auf Basis kompakter innovativer Psychodrama-
Konzepte die Grundtechniken der psychodramatischen Organisations- und
Teamaufstellung zu erlernen. Es wird sowohl die Anwendung für das Einzel- wie
auch für das Gruppensetting vermittelt.
232 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

ƒ Zielgruppen:ȱ UnternehmensberaterInnen, TrainerInnen, SupervisorInnen,


Coaches, MediatorInnen, Führungskräfte, Personal- und Organisationsent-
wicklerInnen, Lebens- und SozialberaterInnen, PsychotherapeutInnen.
ƒ Kosten:ȱfür 212 AE: € 3.710,- (excl. dem Auswahlgespräch und Supervision).

SupervisionȱundȱCoachingȱ

Der Lehrgang bietet den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, psychodramatische


Techniken in der Supervision und in der arbeitsplatz- und organisationsbezogenen
Beratung kennenzulernen und Kompetenzen in diesen Bereichen zu erwerben.

ƒ Zielgruppen: PsychotherapeutInnen, BeraterInnen, OrganisationsberaterInnen,


PersonalentwicklerInnen, KommunikationstrainerInnen, MediatorInnen etc.
ƒ Kostenȱpro Block € 295,-

Der LehrgangȱPsychodramaȱPädagogik kann ab Herbst 2010 in Anspruch genommen


werden.

Kontaktadressen

Fachsektion Psychodrama im ÖAGG


Lenaugasse 3/8
A-1080 Wien
Tel.: +43 (0)1 255 99 88
E-Mail: psychodrama@oeagg.at
Internet: www.psychodrama-austria.at

Donau-Universität Krems
Department für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30
A-3500 Krems
Tel.: +43 (0) 27 32 893-4630
E-Mail: ingeborg.kreibich@donau-uni.ac.at
Internet: www.donau-uni.ac.at/psymed/oeaggpd

Universität Innsbruck
Institut für Kommunikation im Berufsleben und Psychotherapie
Schöpfstraße 3
9.2 Weiterbildungsangebote in Deutschland 233

A-6020 Innsbruck
Tel.: +34 (0) 512 507-8682, -8688
E-Mail: zwiko@uibk.ac.at
Internet: ww.uibk.ac.at/zwiko/lehre/universitaetslehrgaenge

Die Liste der Einrichtungen, die eine Propädeutikums-Ausbildung anbieten,


kann über die Datenbank des österreichischen Ministeriums für Gesundheit be-
zogen werden.

9.2 WeiterbildungsangeboteȱinȱDeutschlandȱ

In Deutschland ist eine Psychodrama-Ausbildung an einer Hochschule bislang


nicht möglich. Wir sind guter Hoffnung, dass dies ähnlich dem österreichischen
Modell eine Möglichkeit für die Zukunft ist, wo Psychodrama als Ausbildung im
Rahmen eines Masterstudienganges an Fachhochschulen und Universitäten in
Kooperation mit Weiterbildungsinstituten angeboten werden kann. Bislang sind
der Deutscheȱ Fachverbandȱ fürȱ Psychodramaȱ (DFP) und die Sektionȱ Psychodramaȱ derȱ
DeutschenȱArbeitsgemeinschaftȱfürȱGruppentherapieȱundȱGruppendynamikȱ(DAGG) die
Institutionen, welche die Einhaltung von Qualitätsstandards in der psychodrama-
tischen Weiterbildung kontrollieren. Gegenwärtig sind sieben Weiterbildungsin-
stitute vom DFP anerkannt, die eine curricular aufgebaute Psychodrama-
Weiterbildung anbieten, zwei weitere sind im Anerkennungsverfahren.
Die vom DFP anerkannte Psychodrama-Weiterbildung wird in verschiede-
nen Weiterbildungsgängen für unterschiedliche berufliche Arbeitsfelder angebo-
ten. Sie unterscheiden sich durch Ziele, Umfang und Abschlüsse. Die Weiterbil-
dung beinhaltet eine Grund- und eine Oberstufe. Die Grundstufe der Weiterbil-
dung, die mit dem Abschluss PsychodramaȬPraktikerInȱ fürȱ Gruppenleitungȱ undȱ
Beratung endet, dient in erster Linie der Entwicklung persönlicher und methodi-
scher Basiskompetenzen; sie führt in die Grundlagen des Verfahrens ein und
vermittelt darüber hinaus anwendungsrelevante Techniken, die im Rahmen von
Selbsterfahrung, Theorie- und Praxiseinheiten sowie in Trainings erlernt werden.
Die Oberstufe der Weiterbildung mit den Abschlüssen Psychodrama-
TherapeutIn26, Psychodrama-Kinder-und-Jugendlichen-TherapeutIn und Psycho-
drama-LeiterIn befähigt zur Anwendung des Verfahrens in komplexeren Lagen
beruflicher Anwendung im Bereich von Beratung und Bildung bzw. in psycho-
therapeutischen Prozessen.

26 Dieser Abschluss ist nur möglich aufbauend auf den Grundberufen Medizin oder
Psychologie
234 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

Für den Beginn aller drei Weiterbildungsgänge ist ein Mindestalter von 22
Jahren Voraussetzung. Vor der Zulassung zur Weiterbildung erfolgt gemäß den
Standards des DFP ein Zulassungsinterview oder ein entsprechendes Seminar.
Zulassungsvoraussetzungen sind entweder ein Hochschulabschluss oder für
die Weiterbildung zur PsychodramaȬPraktikerInȱ fürȱ Gruppenleitungȱ undȱ Beratung
eine abgeschlossene Ausbildung in einem Beruf der psycho-sozialen Versorgung
auf Fachschulebene. Der Umfang der Weiterbildung zur PsychodramaȬPraktikerInȱ
fürȱGruppenleitungȱundȱBeratung umfasst mindestens 516 Unterrichtsstunden à 45
Minuten in einem zeitlichen Gesamtverlauf von etwa zwei Jahren. Die Gesamt-
dauer der Weiterbildung zur PsychodramaȬLeiterIn bzw. PsychodramaȬTherapeutInȱ
und derȱ PsychodramaȬKinderȬundȬJugendlichenȬTherapeutIn umfasst mindestens
1253 bzw. 1333 Unterrichtsstunden einschließlich der nachzuweisenden Fallpra-
xis innerhalb von etwa vier Jahren.
Alternativ zur allgemein qualifizierenden Oberstufe gibt es vom Moreno In-
stitut Goslar Überlingen in Kooperation mit dem Fachverband Drogen Rausch-
mittel (FDR) sowie vom Moreno Institut Stuttgart in Kooperation mit dem Insti-
tut Szenen eine Weiterbildung zur SuchttherapeutInȱ Psychodrama, die von der
Deutschen Rentenversicherung Bund anerkannt ist.

Inhaltȱȱ Grundstufeȱȱ Oberstufeȱȱ Summeȱȱ


Selbsterfahrung 200 80 280
Theorie 70 70 140
Methodik incl. Anwendungstraining 90 160 250
Anwendungstraining unter Supervision 80 80
Theorie / Methodik Selbststudium 70 120 190
Fallpraxis
PD-Therapie & PD-KJ-Th 200 200
PDȬLeitungȱ 120 120
Kontrolle 107
Supervision 6 80 113
Dokumentationȱ&ȱAuswertungȱ 80
Summenȱȱ
PD-Therapie & KJ-Therapie 516 817 1333
PD-Leitungȱ 516 737 125327

Tabelleȱ28: Unterrichtsstunden28 (Quelle: www.psychodrama-deutschland.de)

27 Die Kosten hierfür belaufen sich nach dem gegenwärtigen Stand etwa auf €16'000,-.
Das entspricht dem Preis einer Unterrichtsstunde von € 12,50 (Stand März 2010). Ak-
tuelle Daten entnehmen Sie bitte den Internetauftritten der Weiterbildungsinstitute.
28 Unterrichtsstunden à 45 Minuten
9.2 Weiterbildungsangebote in Deutschland 235

Alle weiteren Informationen finden sich auf der Homepage des DFP bzw. bei den
anbietendenden Weiterbildungsinstituten:

DFP Deutscher Fachverband für Psychodrama e. V.


Sektion Psychodrama im DAGG
Geschäftsstelle
Alte Heerstraße 15b
D-38644 Goslar
Telefon (0 53 21) 31 93 25
Telefax (0 53 21) 31 93 93
E-Mail: info@psychodrama-deutschland.de
Internet http://www.psychodrama-deutschland.de

Im Folgenden werden die gegenwärtig anerkannten Psychodrama-Weiterbildungs-


institute bzw. Institute im Anerkennungsverfahren aufgelistet:

moreno institut Goslar-Überlingen gGmbH


Institutsleitung: Hans-Werner-Laufhütte, Jürgen Rabold, Helmut Schwehm
Alte Heerstraße 15b
D-38644 Goslar
Telefon (0 53 21) 31 93 17
Telefax (0 53 21) 31 93 93
E-Mail: info@moreno-goslar-ueberlingen.de
Internet: http://moreno-goslar-ueberlingen.de

Moreno Institut Stuttgart gGmbH


Geschäftsführung und Leitung: Winfried Jancovius
Gebelsbergstraße 9
D-70199 Stuttgart
Telefon: (07 11) 60 67 07
Telefax: (07 11) 60 67 08
E-Mail: mail@morenoinstitut.de
Internet: http://www.morenoinstitut.de

Psychodrama-Institut für Europa -


Landesverband Deutschland e.V.
Ordulfstraße 15
D-22459 Hamburg
Telefon: (040) 74 32 16 42
236 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

E-Mail: geschaeftsstelle@psychodramainstitut.de
Internet: http://www.psychodrama-soziometrie.de

SZENEN – Institut für Psychodrama


Geschäftsführung und Leitung: Agnes Dudler
Meckenheimer Allee 131
D-53115 Bonn
Telefon und Telefax (02 28) 69 84 02
oder (02 28) 69 19 09
E-Mail: szenen@gmx.de
Internet: http://www.szenen-institut.de

ISI – Institut für Soziale Interaktion


Geschäftsführung und Leitung: Paul Gerhard Grapentin
Bei der Christuskirche 4
D-20259 Hamburg
Telefon (040) 43 18 04 77
Telefax (040) 87 88 17 22
E-Mail: service@isi-hamburg.org
Internet: http://www.isi-hamburg.org

PSYCHODRAMA INSTITUT RHEINLAND


Geschäftsführung und Leitung: Ernst Diebels
Märkische Str. 8
D-42281 Wuppertal
Telefon (02 02) 25 26 40
Telefax (02 02) 25 26 430
E-Mail: info@psychodrama-institut-rheinland.de
Internet: http://www.psychodrama-institut-rheinland.de

Institut für Psychodrama Dr. Ella Mae Shearon GbR


Geschäftsführung und Leitung: Bernadette Buthe & Thomas Masselink
In der Rehr 12
31832 Springe
Telefon (0 50 45) 91 18 87
Telefax (0 12 120) 28 66 76
E-Mail: info@psychodrama-ems.de
Internet: http://www.psychodrama-ems.de
9.3 Weiterbildungsangebote in der Schweiz 237

Soziogenetik Institut29
Leitung: Uwe Seeger
Kurfürstenstraße 10-12
34117 Kassel
Telefon (05 61) 52 01 764
Telefax (0 56 26) 92 27 37
E-Mail: info@soziogenetik.de
Internet: www.soziogenetik.de

psychodramaforum berlin30
Geschäftsführung und Leitung: Gabriele Stiegler
Giesebrechtstraße 11
D-10629 Berlin
Telefon (030) 88 91 79 56
Telefax (030) 88 91 79 57
E-Mail stiegler@psychodramaforum.de
Internet: http://www.psychodramaforum.de

Die Weiterbildungsinstitute bieten an unterschiedlichen Orten in Deutschland,


und zum Teil auch an anderen europäischen und außereuropäischen Orten, ihre
Weiterbildungen an. Darüber hinaus halten sie ein zum Teil umfangreiches An-
gebot an Fortbildungen, also einzeln buchbaren Seminaren für Psychodrama-
Interessierte, bereit, die auf den jeweiligen Internetseiten eingesehen und gebucht
werden können.

9.3 WeiterbildungsangeboteȱinȱderȱSchweizȱ

Die Schweiz ist das jüngste der Psychodrama-Anbieter-Länder, das sich um eine
einheitliche Weiterbildung bemüht hat. Das Psychodrama wurde 2009 in die
Charta für Psychotherapie aufgenommen.

29 Dieses Institut befindet sich gegenwärtig im Überprüfungs- und Anerkennungsver-


fahren des DFP
30 Dieses Institut befindet sich gegenwärtig im Anerkennungsverfahren des DFP
238 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

WeiterbildungȱzurȱPsychodramaȬPsychotherapeutInȱ

Fortbildung
Integrale Weiterbildung
GrundausbildungȱVarianteȱaȱ GrundausbildungȱVarianteȱbȱ

Abbildungȱ53: Ausbildung zur Psychotherapeutin in der Schweiz

Grundausbildungȱ

Voraussetzung, um in der Schweiz PsychotherapeutIn zu werden, ist ein abge-


schlossenes Studium der Psychologie oder der Medizin (Variante a). Eine weitere
Grundlage für eine Psychotherapieausbildung bietet das erfolgreiche Absolvieren
eines anderen sozial- oder humanwissenschaftlichen Universitäts- oder Fach-
hochschulstudiums mit einem ergänzenden Universitätslehrgang für Psychothe-
rapeutische Psychologie (Variante b).

IntegraleȱWeiterbildungȱ

Darunter wird die eigentliche Ausbildung zur PsychotherapeutIn verstanden. Sie


kann in der Fachrichtung Psychodrama in den unten angeführten Instituten
durchgeführt werden. Die integrale Weiterbildung verläuft berufsbegleitend zur
klinischen Praxis, die ein Jahr lang in einer psychiatrischen, medizinischen, psy-
chotherapeutischen oder psychosozialen Einrichtung absolviert werden muss.
Hierbei soll Einsicht in ein breites Spektrum an psychischen Erkrankungen gebo-
ten werden. Die Ausbildung selbst umfasst Selbsterfahrung, Theorie und Super-
vision. Sie wird mit dem Erreichen des FachtitelsȱPsychotherapie abgeschlossen.

Fortbildungȱ

Nach dem Abschluss der psychodramatischen Integralen-Weiterbildung ver-


pflichtet sich die Psychodrama-TherapeutIn ihre praktische Tätigkeit durch Fort-
und Weiterbildungen, Supervisionen und Intervisionen zu optimieren und Sorge
zu tragen auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse der Psycho-
therapieforschung zu bleiben.
9.3 Weiterbildungsangebote in der Schweiz 239

DieȱSchweizerȱChartaȱfürȱPsychotherapieȱ

Die Schweizer Institute, die psychodramatische Fort- und Weiterbildungen anbie-


ten, unterliegen der Schweizerȱ Chartaȱ fürȱ Psychotherapie. Diese versteht sich als
Dachverband, der dafür sorgt, dass in der Schweiz die methodische Vielfalt von
psychotherapeutischen Verfahren erhalten bleibt und die Richtlinien zur Quali-
tätssicherung der Ausbildung eingehalten werden.

Instituteȱ

Im Aufbau begriffen ist das Institutȱ fürȱ Psychodrama,ȱ Soziometrieȱ undȱ Rollenspielȱ
(IPSR). Es wurde vom Berufsverband der Schweizer PsychodramatikerInnen –
PsychodramaȱHelvetiaȱ(PDH) – beauftragt, ein von der SchweizerȱChartaȱfürȱPsychoȬ
therapie anerkanntes Curriculum für die integrale Weiterbildung in Richtung
Psychodrama zu erstellen.
In der französischen Schweiz ist das Psychodrama-Institut, Ouvertures, Déve-
loppement, Formation (OdeF) ansässig, das von der Charta für Psychotherapie
anerkannt ist. OdeF beinhaltet die Schweizer Schule für Aktionsmethoden und
humanistisches Psychodrama (Ecole Suisse de Méthodes d’Action et de Psycho-
drame humanistes). Diese bietet Selbsterfahrungsseminare und spezifische Trai-
nings für Teams und Organisationen in französischer und englischer Sprache an.

Es folgen die Kontaktadressen von Schweizer Weiterbildungsinstituten:

Berufsverband der Schweizer PsychodramatikerInnen


Psychodrama Helvetia (PDH)
Sekretariat Eva Gal
Freiestrasse 11
CH-3604 Thun
Internet: www.pdh.ch

Institut für Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel (IPSR.ch)


Sekretariat: Susanne Kunz-Mehlstaub
Glockengasse 4
CH-9000 St. Gallen
Internet: www.ipsr.ch (zum Zeitpunkt der Herausgabe des Buches noch nicht
online)
240 9 Der Weg zur PsychdramatikerIn

Ouvertures, Developpement, Formation (ODeF)


65, rue de Lausanne
CH-1202 Geneve
Telefon +41 (0) 22 74 11 600
E-Mail: odef@odef.ch
Internet : www.odef.ch
10.1 Psychodrama 241

10
10 EmpfohleneȱLiteraturȱ

Neben den in den jeweiligen Kapiteln genannten Büchern stellen wir hier eine
kurze Literaturliste vor, die wir für interessant halten. Fett gedruckt sind jeweils
die einführenden oder Grundlagenbücher. Die übrigen sind zur Vertiefung sehr
gut geeignet. Soweit englischsprachige Literatur aufgelistet ist, handelt es sich
dabei um gut lesbare Bücher.

10.1 Psychodramaȱ

Aichinger, A. und Holl, W. (2010): Gruppentherapie mit Kindern. Kinderpsychodrama


Band 1. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (2. akt. u. überarb. Aufl.)
Aichinger, A. und Holl, W. (2002): Kinder-Psychodrama in der Familien- und Einzelthera-
pie, im Kindergarten und in der Schule. Mainz: Matthias-Grünewald
Ameln,ȱ F.ȱ v.,ȱ Gerstmann,ȱ R.,ȱ Kramer,ȱ J.,ȱ (2009):ȱ Psychodrama.ȱ Heidelberg:ȱ Springerȱ (2.ȱ
überarb.ȱAuflage)ȱ
Blatner,ȱ A.ȱ undȱ Blatner,ȱ A.ȱ (1988):ȱ Foundationsȱ ofȱ Psychodrama.ȱ History,ȱ Theoryȱ andȱ
Practice.ȱNewȱYork:ȱSpringerȱ
Bosselmann,ȱ R.,ȱ LüffeȬLeonhart,ȱ E.,ȱ Gellert,ȱ M.,ȱ (Hrsg.)ȱ (1992):ȱ Variationenȱ desȱ PsychoȬ
dramas.ȱMeezen:ȱLimmerȱ
Buer,ȱ F.ȱ (Hrsg.)ȱ (1999):ȱ Morenosȱ therapeutischeȱ Philosophie.ȱ Dieȱ Grundideenȱ vonȱ PsyȬ
chodramaȱundȱSoziometrie.ȱOpladen:ȱLeskeȱ+ȱBudrich
Buer, F. (1999): Lehrbuch der Supervision. Münster: Votum
Buer, F. (Hrsg.) (2004): Praxis der Psychodramatischen Supervision. Ein Handbuch. Wies-
baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (2. Aufl.)
Clark, B., Burmeister, J., Maciel, M. (Eds.) (2007): Psychodrama. Advances in Theory and
Practice. London, New York: Routledge
Dayton, T. (2005): The Living Stage. A Step-by-Step Guide to Psychodrama, Sociometry and
Experiential Group Therapy. Deerfield Beach: Health Communication
Djuric,ȱ Z.,ȱ Velikovic,ȱ J.,ȱ Tomic,ȱ M.ȱ (2006):ȱ Psychodrama.ȱ Aȱ beginner’sȱ guide.ȱ London:ȱ
JessicaȱKingsleyȱPublishersȱ
242 10 Empfohlene Literatur

Erlacher-Farkas, B. und Jorda, C. (Hrsg.) (1996): Monodrama. Heilende Begegnung. Vom


Psychodrama zur Einzeltherapie. Wien, New York: Springer
Fox, J. (Hrsg.) (1989): J.L. Moreno – Psychodrama und Soziometrie, Köln: Inszenario
Fürst,ȱJ.,ȱOttomeyer,ȱK.,ȱPruckner,ȱH.ȱ(Hrsg.)ȱ(2004):ȱPsychodramatherapie.ȱEinȱHandbuch.ȱ
Wien:ȱFacultasȱ
Hutter, C. (2002): Psychodrama als experimentelle Theologie. Rekonstruktion der therapeu-
tischen Philosophie Morenos aus praktisch-theologischer Perspektive. Münster: LIT
Hutter,ȱC.ȱ undȱ Schwehm,ȱH.ȱ(2009):ȱJ.ȱL.ȱ MorenoȱWerkȱinȱSchlüsselbegriffen.ȱWiesbaden:ȱ
VSȱVerlagȱfürȱSozialwissenschaftenȱ
Kellermann P. F. (1992): Focus on Psychodrama. The Therapeutic Aspects of Psychodrama.
London: Jessica Kingsley Publishers
Kellermann, P. F. und Hudgins, M. K. (Hrsg.) (2000): Psychodrama with Trauma Survivors.
London: Jessica Kingsley Publishers
Kellermann P. F. (2007): Sociodrama and Collective Trauma. London: Jessica Kingsley
Publishers.
Krall, H. (2007): Trauma bei Kindern und Jugendlichen. Szenische Arbeit in Psychotherapie
und Pädagogik. Münster: LIT
Krüger, R. T. (1997): Kreative Interaktion. Tiefenpsychologische Theorie und Methoden des
klassischen Psychodramas. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Leutz,ȱG.ȱA.ȱ(1974).ȱDasȱklassischeȱPsychodramaȱnachȱJ.ȱL.ȱMoreno.ȱHeidelberg:ȱSpringer.ȱ
Leveton, E. (2000): Mut zum Psychodrama. Ein praktischer Leitfaden. Salzhausen, Isko-
Press
Marineau, R. F. (1989): Jakob Levy Moreno. New York
Moreno, J. D. (Hrsg.) (1995): Jakob L. Moreno. Auszüge aus der Autobiographie. Köln:
InScenario
Moreno, J. L. (1974). Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesell-
schaft. Opladen: Leske + Budrich
Moreno, J. L. (1981). Soziometrie als experimentelle Methode. H. Petzold (Hrsg.), J.L. Mo-
reno. Ausgewählte Werke (Band 1). Paderborn: Junfermann
Moreno,ȱJ.ȱL.ȱ(2008).ȱGruppenpsychotherapieȱundȱPsychodrama.ȱEinleitungȱinȱdieȱTheoȬ
rieȱundȱPraxis.ȱStuttgart:ȱThiemeȱ
Pruckner, H. (2001): Das Spiel ist der Königsweg der Kinder – Psychodrama, Soziometrie
und Rollenspiel mit Kindern. München: inScenario
Schacht, M. (2003): Spontaneität und Begegnung. Zur Persönlichkeitsentwicklung aus der
Sicht des Psychodramas. München: InScenario
Schacht, M. (2009): Das Ziel ist im Weg. Störungsverständnis und Therapieprozess im Psy-
chodrama. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Schaller,ȱR.ȱ(2001):ȱDasȱgroßeȱRollenspielbuch.ȱWeinheim:ȱBeltzȱȱ
Tomaschek-Habrina, L. (2004): Die Begegnung mit dem Augenblick. Jakob Levy Morenos
Theater- und Therapiekonzept im Lichte der jüdischen Tradition. Marburg: Tectum
Wiener, R. (2001): Soziodrama praktisch. Soziale Kompetenz szenisch vermitteln. München:
InScenario
10.2 Empfohlene methodenübergreifende Literatur 243

Wittinger, T. (Hrsg.) (2005): Handbuch Soziodrama: Die ganze Welt auf der Bühne. Wies-
baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Yablonsky, L. (1992). Psychodrama. Die Lösung emotionaler Probleme durch Rollenspiel.
Frankfurt a.M.: Fischer
ZeintlingerȬHochreiter,ȱ K.ȱ (1996):ȱ Kompendiumȱ derȱ PsychodramaȬTherapie.ȱ Analyse,ȱ
PräzisierungȱundȱReformulierungȱderȱAussagenȱzurȱpsychodramatischenȱTherapieȱ
nachȱJ.ȱL.ȱMoreno.ȱMünchen:ȱInScenarioȱ

10.2 EmpfohleneȱmethodenübergreifendeȱLiteraturȱȱ

Bleckwedel, J. (2008): Systemische Therapie in Aktion. Kreative Methoden in der Arbeit mit
Familien und Paaren. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Buer, F. und Schmidt-Lellek, C. (Hrsg.) (2008): Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Ver-
antwortung in der Arbeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Dollase, R. (1976). Soziometrische Techniken. Weinheim: Beltz.
Eberwein, W. (2009): Humanistische Psychotherapie. Quellen, Theorien und Techniken.
Stuttgart, New York: Thieme
Edding,ȱ C.ȱ undȱ Schattenhofer,ȱ K.ȱ (2009):ȱ Handbuchȱ Allesȱ überȱ Gruppen.ȱ Theorie,ȱ AnȬ
wendung,ȱPraxis.ȱWeinheim:ȱBeltzȱ
Förstl,ȱ H.ȱ (Hrsg.)ȱ (2007):ȱ Theoryȱ ofȱ Mind.ȱ Neurobiologieȱ undȱ Psychologieȱ sozialenȱ VerȬ
haltens.ȱHeidelberg:ȱSpringerȱ
Gellert,ȱM.ȱundȱNowak,ȱC.ȱ(2002):ȱTeamarbeitȱ–ȱTeamentwicklungȱ–ȱTeamberatung.ȱEinȱ
PraxisbuchȱfürȱdieȱArbeitȱinȱundȱmitȱTeams.ȱMeezen:ȱLimmerȱ
Goleman D. (1997): Kreativität entdecken, München: Carl Hanser
König, O. (1996): Macht in Gruppen. Gruppendynamische Prozesse und Interventionen.
München: Pfeiffer
Kriz, J. (2007): Grundkonzepte der Psychotherapie. Weinheim: Beltz (6)
Lauterbach, M. (2008): Wie Salz in der Suppe. Aktionsmethoden für den beraterischen
Alltag. Heidelberg: Carl Auer
Mattke, D., Reddemann, L., Strauß, B. (2009): Keine Angst vor Gruppen. Gruppenpsycho-
therapie in Praxis und Forschung. Stuttgart: Klett-Cotta
Schaller, R. (2005): Wege, an sie ranzukommen: Selbstmanagement- und Psychodrama-
Training mit gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen. Weinheim: Juventa
Schaller,ȱR.ȱ(2009):ȱStellenȱSieȱsichȱvor,ȱSieȱsind…ȱDasȱEinȬPersonenȬRollenspielȱinȱBeraȬ
tung,ȱCoachingȱundȱTherapie.ȱBern:ȱHuberȱ
SchulzȱvonȱThun,ȱF.ȱ(2004):ȱMiteinanderȱreden.ȱDasȱ„InnereȱTeam“ȱundȱsituationsgerechȬ
teȱKommunikation.ȱReinbek:ȱRowohltȱ
Storch,ȱM.,ȱCantieni,ȱB.,ȱHüther,ȱG.,ȱTschacher,ȱW.ȱ(2006):ȱEmbodiment.ȱDieȱWechselwirȬ
kungȱvonȱKörperȱundȱPsycheȱverstehenȱundȱnutzen.ȱBern:ȱHuberȱ
Storch M. und Krause F. (2002): Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Bern: Huber
244 10 Empfohlene Literatur

Tretter,ȱF.ȱ(2008):ȱÖkologieȱderȱPerson.ȱAufȱdemȱWegȱzuȱeinemȱsystemischenȱMenschenȬ
bild.ȱ PerspektivenȱeinerȱSystemphilosophieȱ undȱökologischȬsystemischenȱ AnthroȬ
pologie.ȱLengerich:ȱPabstȱ
Weidenmann, B. (2008): Handbuch Active Training. Die besten Methoden für lebendige
Seminare. Weinheim: Beltz
Yalom, I. D. (2007): Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. Ein Lehrbuch. Stutt-
gart: Klett-Cotta
Zaboura, N. (2009): Das empathische Gehirn. Spiegelneurone als Grundlage menschlicher
Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

10.3 Zeitschriftenȱ

Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. Beiträge zur Sozialpsychologie und thera-


peutischen Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
OSC. Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-
senschaften
ZPS.ȱZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie.ȱWiesbaden:ȱVSȱVerlagȱfürȱSozialwisȬ
senschaftenȱ
Anhang 245

Anhangȱ

Prinzipien der psychodramatischen Techniken nach Blatner (1988: 151ff)

1. Handeln Sie lieber als dass Sie erzählen lassen: „Können Sie mir die Situati-
on zeigen…“
2. Sprechen Sie die Menschen direkt an, sprechen Sie nicht über sie.
3. Ermuntern Sie die MitspielerInnen zu so aktivem Verhalten wie es der Situa-
tion der ProtagonistIn angemessen ist; dies ruft spontanes und direktes
Verhalten der MitspielerInnen hervor.
4. Machen Sie abstrakte Situationen so konkret wie möglich; arbeiten Sie mit
konkreten Szenen.
5. Fördern Sie authentische Begegnungen so oft als möglich.
6. Ermutigen Sie die TeilnehmerInnen, affirmative Statements über Sehnsüch-
te, Fürchte und Absichten als Ich-Botschaften abzugeben.
7. Behandeln Sie Situationen der Vergangenheit und Zukunft, so als ob sie in
der Gegenwart im Hier und Jetzt passieren würden.
8. Schätzen Sie das Potential für Umentscheidungen, Neuverhandlungen und
korrigierende Erfahrungen in der Gegenwart wert.
9. Beachten Sie die non-verbalen Botschaften in der Kommunikation: Tonfall,
Stimmlage, Gestik, Ausdruck.
10. Lassen Sie die TeilnehmerInnen Empathie-Übungen durch Rollentausch
machen.
11. Arbeiten Sie in Richtung Selbstenthüllung und Wahrhaftigkeit, besonders in
Bezug auf Gefühle.
12. Respektieren Sie interpersonelle Vorlieben beim Arbeiten in den Kursen.
13. Installieren Sie in Gruppen Möglichkeiten, ihre kollektiven Vorlieben im
Umgang mit den Aufgaben von Kohäsion und Konfliktlösung auszuleben
(z.B. durch Soziometrie).
14. Gestalten Sie Situationen zu einem bestimmten Grad spielerisch.
15. Variieren Sie die Identitäten der TeilnehmerInnen (z.B. durch die Vergabe
symbolischer Rollen) oder variieren Sie die Situationen, um eine zu starke
Verwicklung zu vermeiden, und um die Offenheit für alternative Möglich-
keiten zu fördern.
246 Anhang

16. Benutzen Sie Symbole und Metaphern, personifizieren Sie sie und machen
Sie sie lebendig.
17. Beziehen Sie andere künstlerische Prinzipien und Hilfsmittel ein, wie zum
Beispiel Bewegung, theatralische Darstellung, Verkleidung, Poesie, Kunst,
Musik, Klang oder Licht.
18. Übertreiben oder verstärken Sie das Verhalten, um eine größere Bandbreite
an Antworten zu bekommen.
19. Beachten und verwenden Sie die Technik der Anwärmung als ein Vorgän-
ger für kreatives Verhalten.
20. Benutzen Sie dramatische Techniken und den realitätserweiternden Kontext
des Dramas als Hilfsmittel, um die Imagination für konkrete Situationen zu
erweitern.
21. Sprechen Sie gezielt die Prozesse von Begeisterung, Enthusiasmus und Vita-
lität an und verstärken Sie sie.
22. Benutzen und kultivieren Sie aktiv die Sublimierung als Kanal für kreative
Energien, um Alternativen für neurotisches Verhalten aufzuzeigen.
23. Nutzen Sie die therapeutischen Faktoren der Gruppentherapie.
Anhang 247
248 Anhang
Glossar 249

Glossarȱ

Aktionshunger Ein innerer Impuls, der nach Handlung und Vervollständigung


drängt
Aktionssoziometrie Eine Übung zur Erhebung des sozialen Gefüges einer Gruppe:
Gemeinsamkeiten, Einstellungen oder Strukturen innerhalb
einer Gruppe werden erfasst, in dem sich die Gruppenmitglie-
der auf Anweisung der Leitung nach bestimmten Kriterien im
Raum aufstellen
Amplifikation Die Erweiterung einer Szene über ihren Ursprung hinaus, z.B.
in Form eines Märchens, einer Sage, eines Filmes
AntagonistIn Eine Person, die als Hilfs-Ich die Gegenrolle der ProtagonistIn
in einer Szene einnimmt
Arrangement Die Form, in der das zu Bearbeitende in Szene gesetzt wird,
wie z.B. ein Rollenspiel, die Zukunftsprobe oder der Zauberla-
den
Aufstellung Meist eine statische Darstellung einer Problemstellung mithilfe
von Personen oder Symbolen, die die Positionen innerhalb
eines Gefüges und verkörperte Haltungen deutlich macht. Z.B.
Familien- oder Organisationsaufstellungen
Befindlichkeitsrunde Ein Abschnitt einer psychodramatischen Gruppensitzung, in
der die TeilnehmerInnen explizit nach deren aktuellem Befin-
den befragt werden
Beziehungsklärung Die Klärung einer Konfliktlage zwischen zwei oder mehr
Gruppenmitgliedern
Blitzlicht Runde in der Gruppe, in der jede TeilnehmerIn in knapper
Form – blitzlichtartig – etwas zur Fragestellung sagt
Bühne Ein vorher festgelegter, abgegrenzter Bereich, der während der
psychodramatischen Aktion zur szenischen Darstellung ge-
nutzt wird. Die Bühne bietet die Möglichkeit die innere Welt
der Protagonistin für andere erfahrbar zu machen
Cluster Eine Bündelung von zusammengehörigen Merkmalen, z.B.
Rollen oder Reaktionen
250 Glossar

DoppelgängerIn oder Eine Person, die der ProtagonistIn während des psychodrama-
Double tischen Spiels zur Seite steht, in dem sie sich kontinuierlich in
die ProtagonistIn einfühlt
Doppeln Die Einfühlung einer Person in die ProtagonistIn, welche deren
innere Vorgänge sprachlich zum Ausdruck bringt
Einfrieren Das Anhalten einer szenischen Abfolge, um z.B. eine Befind-
lichkeit abzufragen (siehe Rolleninterview)
Erwärmung, Erwär- Erster Abschnitt einer psychodramatischen Sitzung oder Ein-
mungsphase, Warm- heit, in dem die einzelnen Gruppenmitglieder und die Leitung
up auf die psychodramatische Aktions- oder Spielphase vorberei-
tet werden sollen. Durch die Erwärmung soll der Zugang zu
den Themen erleichtert, Spontaneitäts- und Spielhemmungen
gelöst, Neugierde und Experimentierfreudigkeit geweckt
werden.
Erwärmung ist auch eine Bezeichnung für eine Phase des
kreativen Zirkels, die durch die Suche nach Lösungsmöglich-
keiten für eine Problemlage charakterisiert ist
Familienstellen (nach Ein Spezialfall der Darstellung des sozialen Atoms, das mit
Moreno) Personen besetzt und auf der Bühne szenisch inszeniert wird
Feedbackrunde Die einzelnen GruppenteilnehmerInnen werden aufgefordert
Rückmeldung über ihre positiven und negativen Empfindun-
gen z.B. bezüglich der Gestaltung und den Verlauf eines
Selbsterfahrungs-Seminars zu geben
Format Ein Anwendungsfeld eines Verfahrens wie z.B. Psychotherapie,
Beratung, Supervision
Gruppe Ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu einem
bestimmten Zweck bzw. mit einem bestimmten gemeinsamen
Ziel
Gruppenkohäsion Damit werden der Zusammenhalt einer Gruppe und das Zu-
gehörigkeitsgefühl zu dieser ausgedrückt. Sie kann als Grad-
messer der Attraktivität der Gruppe für ihre TeilnehmerInnen
gesehen werden. Davon ist z.B. abhängig wie viel Anerken-
nung, Wärme oder Trost Einzelne aus der Gruppe ziehen
können
Gruppenzentriertes Im Gegensatz zum protagonistInnenzentrierten Spiel ist wäh-
Spiel rend des gesamten Ablaufs dieses Spiels der Fokus der Auf-
merksamkeit gleichbleibend auf die Gruppe gerichtet
Glossar 251

Hilfs-Iche Die Personen, die im protagonistInnenzentrierten Spiel die


Rollen übernehmen, die zur Darstellung einer Szene oder
Aufstellung notwendig sind
Identifikationsfeed- Rückmeldungen der ZuschauerInnen und MitspielerInnen, die
back darauf zielen, mit welcher Figur der Inszenierung – außer der
ProtagonistIn – sie am meisten mitgeschwungen sind (emotio-
nal) und welche Reaktionen für sie am stärksten nachvollzieh-
bar waren (kognitiv)
Identität Eine Person nimmt sich selbst und wird von anderen aus ihrem
sozialen Umfeld in ihrem Erleben und Handeln als ein und
dieselbe wahrgenommen, unabhängig davon in welchem
Kontext oder in welcher Situation sie agiert
Innerer Monolog Das Selbstgespräch einer SpielerIn, welches in Form des Zur-
Seite-Sprechens für die Anderen öffentlich gemacht wird
Integrationsphase Der letzte Teil einer psychodramatischen Sitzung oder Einheit,
der sich aus Sharing, Rollen- und Identifikationsfeedback,
zuweilen einer Prozessanalyse zusammensetzt
Intermediär-Objekt Von der TherapeutIn vorgegebene Objekte, wie Ansichtskarten
oder Handpuppen, die die KlientInnen unterstützen sollen,
Zugang zu ihren inneren Prozessen zu erhalten. Mittels dieser
Objekte kann das innerpsychische Geschehen auf die äußere
Bühne transferiert werden
Intraintermediär- Hier wählen oder kreieren die KlientInnen die Objekte selbst,
Objekt mit deren Hilfe sie innere Prozesse externalisieren, wie z. B.
selbst verfasste Gedichte
Konation Ein im angelsächsischen Raum verwendeter Begriff, der den
Teleprozess erweitert, in dem er Formen des psychischen
Antriebs, wie Impulse, Bedürfnisse und Wünsche als Aus-
drucksweise von Anziehung und Abstoßung mit einbezieht
Kreativer Zirkel, Eine Abfolge, welche beschreibt, wie Menschen zu neuen
kreative Spirale Verhaltensmustern kommen. Bestandteile sind: Ausgangslage,
Erwärmung, Spontaneitätslage, Kreativitätslage (kreative
Phase), (Verhaltens-)Konserve, (neue) Lage
Kreative Phase Ein Abschnitt des kreativen Zirkels, in dem das neue Verhal-
tensmuster konsolidiert oder wieder verworfen wird
Kreativität Für Moreno ist sie die schöpferische Urkraft, die bewirkt, dass
Leben entsteht und Neues erschaffen werden kann
252 Glossar

Kulturelle Konserve Kulturgüter mit definierten Handlungsabläufen wie z.B.


Brauchtum, Bücher, Theaterstücke. Sie entstehen im Rahmen
kreativer Prozesse und werden durch häufige Nutzung zu
Konserven
Kulturelles Atom Netz von Rollen einer Person
Lage Die Situation einer Person unter Einbeziehung innerer wie
äußerer Determinanten
Locus Nascendi Der Ausgangspunkt einer Handlung
Maximierung Vergrößerung zum Zwecke der Verdeutlichung, z.B. kann eine
Bewegung verstärkt werden, um deren emotionalen Gehalt
besser zu verstehen
Monodrama Im engeren Sinne: Psychodrama im Einzelsetting. Hilfsobjekte,
wie Gegenstände, werden an Stelle von Hilfs-Ichen zur Darstel-
lung an der Szene Beteiligter oder innerer Instanzen herange-
zogen. Im umfassenderen Sinn: Psychodrama ohne Gruppe
Perspektivenwechsel Die Fähigkeit, sich und Andere, bzw. bestimmte Gegebenhei-
ten aus einem anderen Blickwinkel, als dem eigenen zu be-
trachten; Voraussetzung für einen Rollenwechsel
Playback-Theater Ein Ereignis aus dem Leben einer Person wird von den Play-
back-DarstellerInnen nach einer Erzählung der ProtagonistIn
spontan inszeniert. Die Protagonistin beobachtet die Darstel-
lung aus der Regieperspektive
Probehandeln Siehe: Zukunftsprobe
ProtagonistIn Die Person, deren Thematik im protagonistInnenzentrierten
Spiel szenisch bearbeitet wird
ProtagonistInnen- Dabei wird die Aufmerksamkeit des Geschehens einer Grup-
zentriertes Psycho- pensitzung für einen begrenzten Zeitraum auf eine Person
drama zentriert, die mithilfe der Gruppenmitglieder, aber auch stell-
vertretend für eine aktuelle Fragestellung der Gruppe ein
Thema bearbeitet
Prozessanalyse Das Reflektieren eines psychodramatischen Prozesses in der
Integrationsphase bzw. am Ende einer Einheit
Prozessschritte Methodische unterteilte Abschnitte einer psychodramatischen
Aktion, die durchlaufen werden um das Auftragsziel der Pro-
tagonistIn zu erreichen
Glossar 253

Prozessziele Geplante Etappenziele, die auf den diagnostischen Hypothesen


der TherapeutIn beruhen. Deren Erreichen bewirkt, dass die
ProtagonistIn ein tieferes Verständnis für die Ursache oder die
Dynamik der Problematik erhält und infolge eine Lösung für
ihrer ursprüngliche Fragestellung gefunden werden kann
Psychodrama- Eine psychodramatisch ausgebildete Person, die sich für die
LeiterIn, Psychodra- Gestaltung und den Ablauf einer psychodramatischen Grup-
ma-TherapeutIn pen- oder Einzelsitzung verantwortlich zeigt. Sie unterstützt
die TeilnehmerInnen bei ihren gewünschten Veränderungs-
und Selbsterfahrungsprozessen
Regieposition Eine besondere Art der Spiegelposition im Playback bzw. bei
bestimmten therapeutischen Vorgehensweisen
Role giver Eine Person, die durch ihre Rollenerwartung an Andere und
ihre Form des Handelns bei einer anderen Person ein bestimm-
tes Rollenverhalten auslöst
Role receiver Eine Person, die durch die Erwartungshaltung und das Han-
deln einer InteraktionspartnerIn ein bestimmtes Rollenverhal-
ten zeigt
Rolle Ein System, das verschiedene Handlungsmuster und Verhal-
tensweisen einer Person zu einer Einheit zusammenfügt. Jede
Rolle hat unterschiedliche Grade an individuellen und an
kollektiven Prägungen, die durch Rollenerwartungen beein-
flusst werden
Rollenatrophie Auch sekundärer Rollenmangel genannt, bedeutet eine Verrin-
gerung des Rollenrepertoires einer Person durch bestimmte
Einflüsse, wie etwa psychiatrische Erkrankungen (pathologi-
sche Rollenatrophie) oder veränderte Lebensumstände, wie
z.B. eine krisenhaft verlaufende Pensionierung (physiologische
Rollenatrophie)
Rollencluster oder Die Summe von Subrollen, aus denen sich eine Rolle zusam-
Rollenkonglomerat mensetzt.
Die Rolle der Mutter kann z.B. aus den Unterrollen, der Gebä-
renden, der Nährenden, der sich liebevoll Zuwendenden, der
streng Grenzen Setzenden oder der Herumtollenden aufgebaut
sein
Rollendistanz Fähigkeit, aus einer Rolle auszusteigen und sie aus einer Au-
ßenperspektive zu betrachten und zu reflektieren
Rollenfeedback Die Rückmeldungen der MitspielerInnen an die ProtagonistIn
darüber, was sie in ihren Rollen empfunden und wie sie das
Dargestellte erlebt haben. Teil der Integrationsphase
254 Glossar

Rollenfixierung Aufgrund einer Blockade der Spontaneität und Kreativität


kommen nur bestimmte Rollen aus dem Rollenrepertoire zum
Einsatz
Rollengestaltung – Die Einnahme einer Rolle geht mit einer geringen Rollenerwar-
role creating tung und einem hohen Grad an individueller Gestaltungsmög-
lichkeit einher
Rolleninterview Die Erhebung des Rollenfeedbacks während des Spieles durch
Befragung einer RollenträgerIn durch die LeiterIn
Rolleninventar All jene Rollen, die bereits einmal ausgeführt wurden, derzeit
nicht gelebt werden, aber wieder abrufbar wären
Rollenkreativität Die Fähigkeit, neuartige Rollen bzw. Rollenvariationen zu
schaffen
Rollenkonflikte Kommt es z.B. aufgrund von Kontroversen zwischen Rollen,
die ein Mensch in sich vereint oder durch widersprüchlichen
Rollenerwartungen an eine Person zu Belastungszuständen, die
als Stressoren wirksam werden, wird von einem Rollenkonflikt
gesprochen
Rollenkonserven Etablierte und gefestigte Verhaltensmuster in einem bestimm-
ten Kontext
Rollenmangel Auch als Rollendefizite bezeichnet. Eine Person verfügt über
eine zu geringe Rollenvielfalt um auf bestimmte Situationen
oder Lagen angemessen reagieren zu können. Es wird zwi-
schen primärem (verursacht durch angeborene oder frühkind-
liche Entwicklungsstörungen) oder sekundärem (durch äußere
Einflüsse: Erkrankung, Veränderung der Lebenssituation)
Rollenmangel unterschieden
Rollenrepertoire oder Die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügba-
Rollenmatrix ren Rollen eines Individuums. Die Rollenmatrix kann aber
auch die Summe aller während eines definierten Zeitraumes,
z.B. einer psychodramatischen Jahresgruppe oder Seminars
verkörperten Rollen darstellen
Rollenspiel Ein Spiel in einer Rolle, das in unterschiedlichen Settings statt-
finden kann, z.B. in vorgegebenen Rollen, im Stegreif-Modus,
als ProtagonistIn oder MitspielerIn
Rollentausch Reziproker Rollenwechsel: A geht in die Rolle von B, während
gleichzeitig B in die Rolle von A geht. Nicht mit Symbolen
möglich
Rollentraining Die Erprobung neuer Möglichkeiten des Rollenhandelns
Glossar 255

Rollenübernahme – Die Einnahme der Rolle ist mit einer hohen Rollenerwartung
role taking und wenig Möglichkeiten der individuellen Gestaltung ver-
bunden
Rollenwechsel Einseitige Rollenübernahme: A geht in eine Rolle B, entweder
von einer anderen Person oder aus einem anderen Kontext
Selbst Aus der Sicht des Psychodramas setzt sich das Selbst aus einer
Bündelung von Rollen (Rollenclustern) zusammen
Semirealität Form des psychodramatischen Handelns im „Als-ob-Modus“.
SpielerInnen sind sich beim Ausführen von Handlungen in der
Semirealität bewusst, dass es „nur“ Handlungen „als ob“ sind,
diese aber dennoch einen Einfluss auf ihre Alltagsrealität haben.
Sharing Im Sharing berichten die TeilnehmerInnen einer psychodrama-
tischen Sitzung von eigenen, ähnlichen Erfahrungen und Ge-
fühlszuständen, wie sie die ProtagonistIn erlebt und im psy-
chodramatischen Spiel gezeigt hat. Damit erfährt die Protago-
nistIn Unterstützung und Verständnis durch die anderen
Gruppenmitglieder. Das Sharing ist Teil der Integrationsphase,
die an die psychodramatische Aktionsphase anschließt
Soziales Atom Einerseits wird so das soziale Beziehungsnetz eines Menschen
bezeichnet, andererseits wird darunter auch die Technik zum
Ermitteln des Beziehungsgeflechts einer Person zum Beispiel
mittels einer Zeichnung, Symbolen oder Hilfs-Ichen verstanden
Soziales Netzwerk Fragebogenverfahren, mit dem das soziale Netzwerk einer
Inventar (SNI) Person erfasst werden kann
Soziodrama Szenische Darstellung von Gruppenphänomenen: Ein kollekti-
ves Thema wird aus der Sichtweise einer oder mehrerer Grup-
pen durch eine Gruppe oder eine VertreterIn einer Gruppe
dargestellt und bearbeitet
Soziogramm Grafische Darstellung von den aus den soziometrischen Verfah-
ren gewonnenen Erkenntnissen. Damit können Beziehungsmus-
ter und Gruppenstrukturen sichtbar gemacht werden
Soziokulturelles Die sozialen Bezüge einer Person unter Einbeziehung der
Atom entsprechenden eigenen Rollen
Soziometrie Die Messung und Darstellung sozialer Bezüge
Soziometrischer Test Damit werden die positiven (Vorlieben) und negativen Wahlen
(Ablehnungen) von Gruppenmitgliedern bezogen auf be-
stimmte Kriterien erfasst. Diese können mithilfe eines Sozio-
gramms dargestellt werden
256 Glossar

Spiegeln Darstellung des Verhaltens der ProtagonistIn durch eine Mit-


spielerIn, während die ProtagonistIn sich außerhalb der Szene
befindet. Auch: Dritte Position
Spielphase, Aktions- In diesem Abschnitt wird das zu bearbeitende Thema festge-
phase legt und szenisch bearbeitet
Spontaneität Ein Zustand, der beschreibt, dass Menschen situationsadäquat
auf neue Situationen reagieren, bzw. neue Reaktionen auf
bekannte, sich wiederholende Situationen erproben
Spontaneitätslage Ein Abschnitt des kreativen Zirkels, in dem eine Person bereit
ist, Neues zu erfassen, zuzulassen und/oder zu erproben
Spontaneitätstest Ein von Moreno entwickeltes Verfahren um zu erkennen, wie
leicht oder schwer es Personen fällt z.B. ohne Vorbereitung
komplexe soziale Situationen mit unterschiedlichen Anforde-
rungsprofilen nachzuspielen oder verschiedene Gefühlslagen
darzustellen
Skulptur Eine unbewegte, abstrahierende Darstellung einer Lage oder
Befindlichkeit der ProtagonistIn
Status nascendi Das Finden einer neuen Problemlösung im Moment des Ent-
stehens
Stegreifspiel Spontanes Spiel einer Person oder Gruppe ohne vorher defi-
nierten Ablauf
StellvertreterIn / Hilfs-Ich, das in bestimmten Spielsequenzen die Rolle der
Stand-In ProtagonistIn übernimmt, während die ProtagonistIn die Szene
verlässt
Surplus-Reality Da auf der psychodramatischen Bühne die Erlebniswelt der
ProtagonistIn abgebildet wird, ist jede Inszenierung naturge-
mäß subjektiv gefärbt. Das Psychodrama trägt dem Rechnung
und spricht deshalb von der Surplus-Reality
Szene Eine in sich geschlossene Spielsequenz
Szenenaufbau Grundlage für das szenische Spiel. Die darzustellende Szene
wird festgelegt, die Bühne eingerichtet und die Rollen mit Hilfs-
Ichen besetzt. Durch den Szenenaufbau wird die innere Welt der
ProtagonistInnen nach außen gekehrt und sichtbar gemacht
Szenenwechsel Eine psychodramatische Aktion kann aus mehreren Szenen
bestehen; im tiefenpsychologisch-explorierenden Setting wird
die nächste, lebensgeschichtlich weiter zurückliegende Szene
z.B. mit der Frage der LeiterIn eingeleitet: „Woher kennen Sie
das noch?“
Glossar 257

Tele Ein komplexer, wechselseitiger bewusster sowie unbewusster


Prozess zwischen Individuen, der Anziehung und Abstoßung
zum Ausdruck bringt
Verfahren Ein Verfahren wie zum Beispiel das Psychodrama oder die
Psychoanalyse umfasst eine Philosophie oder Meta-Theorie,
Interpretationsfolien, die ein Verständnis der Geschehnisse
erlauben, und ein Methodenset mit speziellen Arrangements
und Techniken, die in der Praxeologie zusammengefasst sind
Vignette Ein kurzes, meist aus nur einer Szene bestehendes Spiel
Zeitlupe Eine Technik, bei der Abläufe einer Szene langsamer darge-
stellt werden, als sie der Realität entsprechen würden, um
bestimmte, sich darin abspielende Prozesse sichtbarer und
reflektierbarer zu machen, aber auch um eine Distanzierungs-
möglichkeit durch Verfremdung im Fall einer Traumatherapie
zu erzielen
Zukunftsprojektion, Ein Spiel eines in der Zukunft liegenden Ereignisses. Damit
Zukunfsprobe können z.B. die Auswirkungen von neu erworbenen Rollen-
qualitäten erprobt oder erkundet werden, welche Konsequen-
zen mit einer getroffenen Entscheidung einher gehen könnten
ZuschauerIn Personen, die sich während eines Psychodrama-Spieles nicht in
Rollen auf der Bühne befinden, die aber die Geschehnisse
beobachten und dabei mitschwingen. Damit sind sie Teil der
psychodramatischen Aktion
Glossar 259

Stichwortverzeichnisȱ

Aktionshunger 139, 249 Double 116, 119, 163, 250


Aktionsphase 54-57, 61, 66-69, 206f., Einfühlung 116, 250
255f. Embodiment 50, 91, 139, 166, 243
Aktionssoziometrie 58, 173, 175, 249 Empathie 217, 245
Ambivalenz 118 Erwärmung 42, 51, 53-57, 61f., 64f., 85,
Amplifikation 111, 130, 249 99, 106, 109, 115, 148, 206, 213, 250f.
AntagonistIn 44, 66, 77, 121, 129, 144, Erwärmungsphase 40, 53-55, 64, 206f.,
163, 249 250
Arrangements 29, 31, 39, 51, 55- 58, 61, Exploration 36, 58, 69, 115
63, 71-74, 80-82, 102, 111, 121, 124, Feedback 40, 85, 125
158, 182, 206f., 216, 257 Format 15, 24, 71, 191, 199, 203f., 250
Atom 38, 92f., 130, 150, 152, 176-181, Fremdwahrnehmung 125, 186
183, 189, 198, 221 Gesellschaft 11, 24f., 33, 49, 138, 142,
Aufstellung 30, 33, 44, 157, 175f., 187, 165, 167, 188, 199, 242
221, 224, 249, 251 Gestalttherapie 216-219, 224
Begegnung 10, 23, 24, 27, 33f., 41, 107, Gesundheit 156, 168, 200, 217, 224, 229,
109, 165, 195, 205, 208-210, 216, 218, 233
224f., 242 Gruppe 9, 15f., 27f., 35, 40, 42f., 46-52,
Begegnungsbühne 38, 163, 205, 206 54-60, 62-65, 76, 85-87, 93, 95f., 98-102,
Beratung 9, 15, 33, 118, 132, 182, 191, 104-106, 113, 117, 126, 130, 132, 157f.,
199, 200, 202, 209f., 219-221, 223, 225, 163, 167-175, 183f., 186, 191, 193, 200,
232-234, 243, 250 204, 206, 213f., 219f., 249f., 252, 255f.
Beziehungsklärung 129, 249 Gruppendynamik 30, 40, 63, 86, 167f.,
Bildung 9, 16, 191, 203, 234 227, 233, 244
Bühne 21f., 35-38, 42-44, 49f., 61, 64, 67, Gruppenkohäsion 57f., 62, 64, 86, 101,
69, 73-75, 81-83, 96, 99, 102-105, 107, 170, 175, 185, 205, 220, 250
112f., 115, 121, 125f., 128, 135, 161, Gruppenprozess 56, 65
176, 178, 182, 193f., 200f., 206f., 219f., Gruppenspiel 40, 60, 62-64, 95f., 98-102,
222, 224, 243, 249-251, 256f. 216
Chronologie 122f. Gruppentherapie 15, 27, 41, 47, 60, 207f.,
Clap-Theater 102f. 214, 219, 227, 229, 233, 241, 246
Cluster 153, 249 Handeln 9, 14, 26, 48f., 95, 115, 121, 124,
Co-LeiterIn 46, 52, 76 136-138, 142, 144, 146, 150, 152, 192,
DoppelgängerIn 116, 119f., 250 196f., 211, 245, 251, 253
Doppeln 51, 76, 80, 111, 115-119, 121, Handlung 14f., 27, 63, 95-98, 121, 126,
128, 192, 194, 199, 203, 250 137, 145, 148, 168, 215, 249, 252
Doppeltechnik 119
260 Stichwortverzeichnis

Hier und Jetzt 37, 74, 78, 81, 191, 214, Philosophie 16, 18, 27, 30, 32f., 107, 168,
245 192, 224, 241f., 257
Hilfs-Iche 27, 35, 44-46, 51, 74-78, 81-83, Playback-Theater 95, 102-105, 107, 109,
96, 106, 146, 158, 162f., 204, 206f., 213, 252
220, 222, 251f., 255f. Processing 86
Hypothesenbildung 71 ProtagonistIn 27, 35-40, 42-46, 51, 55, 64-
Ich-Gott 23f. 67, 69-78, 80-87, 95, 103-105, 112, 115f.,
Identifikation 85 118-123, 125f., 129f., 132, 174, 179, 182,
Identifikationsfeedback 83, 85, 251 197, 206f., 216, 249-256
Identität 28, 108f., 165, 251 Prozess 16, 26, 55, 57, 64, 73, 90, 104, 107,
Indikation 101, 107 121, 132, 138, 140f., 143, 145, 147, 149,
Inszenierung 40, 43, 49, 54f., 64f., 69f., 192, 198, 202f., 209, 216, 220, 257
73, 75, 79f., 82, 85f., 107, 207, 251, 256 Prozessanalyse 40, 86, 87, 213, 251f.
Integration 164 Prozessschritte 71-73, 252
Integrationsphase 41, 45, 51f., 83-86, 125, Prozessziele 40, 71-73, 80, 253
206, 208, 251-253, 255 Psychodrama-Leiterin 37, 129
Interaktion 9, 38, 63, 78, 108, 116f., 122, Psychodrama-Sitzung 55, 120
128, 132, 136, 138, 140, 143, 147, 156, Psychodrama-TherapeutIn 30, 198, 227,
165, 209, 236, 242 233f., 239, 253
Interpretationsfolien 71, 192, 257 Psychodrama-Therapie 50, 108f., 165f.,
Intraintermediär-Objekt 251 189, 192f., 209, 243
Kohäsion 48, 245 Raum 21, 25, 30, 35, 37, 40, 55, 74f., 86,
Konflikt 16, 43, 45, 65, 82, 94, 112, 129, 96, 99, 101-103, 108, 112f., 122, 127,
153-155, 159, 201, 207 142, 146, 173, 183, 192, 199, 206, 212,
Konserve 11, 56, 95, 109, 122, 124, 146, 249, 251
251 RegisseurIn 103
Kreativität 11, 18f., 21, 24f., 27, 35, 95, Rehabilitation 28, 90, 191, 209
108, 132, 139, 147f., 150, 158, 192, 196, Role creating 143, 254
209, 212, 216, 243, 251, 254 Role giver 253
Kulturelle Konserve 252 Role receiver 253
Kulturelles Atom 252 Role taking 143, 255
Lage 10, 14, 23, 25, 45, 54, 56, 64, 70, 93, Rolle 16, 18, 21, 27, 40, 42-44, 46, 52, 59,
117, 119, 139, 144f., 183, 251f., 256 61-64, 66, 72, 75-80, 84f., 87-101, 109,
Maximierung 112, 192, 252 111, 113, 119-121, 123-125, 127-129,
Mediation 129, 133, 199f., 209, 210 135-139, 141-146, 148-150, 153-156,
Menschenbild 9, 34, 197, 244 158f., 161f., 165, 171, 180, 192, 195-197,
MitspielerIn 27, 44, 100, 112, 117, 120, 201f., 204f., 207f., 213, 216, 218, 220,
125, 132, 143, 254, 256 222f., 253-256
Monodrama 38, 46, 191, 205f., 208, 209, Rollenatrophie 150, 152f.
242, 252 Rollencluster 213, 253
Netzwerk 157, 182, 189, 255 Rollenerwartung 143, 253-255
Pädagogik 165f., 188, 209, 229, 242 Rollenfeedback 51, 83f., 111, 123f., 201,
Persönlichkeit 20, 58, 86, 172, 217 203, 205, 208, 222, 253
Persönlichkeitsstruktur 63, 100f., 115, Rollenflexibilität 163
138 Rollengestaltung 137f., 142f., 254
Rollenhandeln 136, 138, 142f.
Stichwortverzeichnis 261

Rolleninventar 95, 254 164-168, 170f., 173, 176, 185, 187-189,


Rollenkonflikt 153-156, 254 191, 198f., 208-210, 213, 224, 239-242,
Rollenkonserve 146, 149 244f., 255
Rollenmangel 150f., 253f. Soziometrischer Test 255
Rollenmatrix 163, 254 Spiegeln 51, 111, 120, 125f., 128, 192,
Rollenpathologie 165 222, 256
Rollenrepertoire 72, 80, 90, 123, 149, 254 Spiel 18, 21, 27, 35f., 38, 40, 42, 50, 56, 61-
Rollenspiel 9, 15, 18, 19, 21, 34, 50, 87-95, 67, 69-71, 73, 80, 81, 83, 85, 86, 89, 93,
107, 109, 121-124, 132f., 165, 188f., 191, 95-97, 100f., 103, 105f., 108, 111, 119,
203, 209f., 213, 215f., 219, 225, 239f., 122f., 127, 131, 146, 162, 207, 210, 222,
242f., 249, 254 242, 250-252, 254-257
Rollenspiel in der eigenen Rolle 121-124 Spielbühne 38
RollenspielerIn 125, 127, 129 Spielphase 43, 51-53, 86, 99, 100, 206,
Rollenstatus 157, 192 250, 256
Rollentausch 23, 34, 51, 93, 111, 119, 127- Spontaneität 11, 15, 25-27, 35, 55, 72, 80,
129, 132, 192, 209, 222, 245, 254 109, 146-148, 150, 163, 165, 196, 210,
Rollentheorie 72, 86, 109, 135, 138, 140, 212, 216, 242, 254, 256
164f., 192, 197 Spontaneitätslage 27, 53, 64, 121, 148,
Rollentraining 19, 91, 159, 161, 198, 254 158, 251, 256
Rollenübernahme 45, 62, 77, 95, 139, Spontaneitätstest 95, 162, 256
142f., 205, 255 Stand-In (StellvertreterIn) 44, 116, 120f.,
Rollenwechsel 34, 51, 77, 90, 93, 95, 111, 125f., 256
123, 125, 127f., 132, 164, 202, 207, 222, Status nascendi 256
252, 254f. Stegreif 62, 94f., 102f., 122, 254
Schöpfer 24 Stegreiflage 122
Selbsterfahrung 52, 191, 204, 229, 233, Stegreifspiel 35, 95, 97, 101, 124, 256
234, 239 Stegreiftheater 21, 34, 87, 108
Selbstwahrnehmung 118, 186 Supervision 16, 33, 50, 52, 118, 127,
Sharing 40, 43, 51, 83, 86, 111, 131f., 201, 199f., 202, 209, 219, 227, 230-232, 234,
208, 251, 255 239, 241, 244, 250
Situation 14, 22, 25, 39, 42, 68, 71, 73, 78- Surplus-Realität 22, 202
80, 93f., 103, 115, 117, 120f., 123, 125f., Surplus-Reality 256
129f., 132, 136-139, 143-145, 148, 153, Symptomszene 73, 130, 198
158, 162, 185f., 193-195, 198, 200f., 205, Systemische Therapie 197, 220, 243
206, 219, 245, 251f. Szene 15, 35, 37, 40, 42, 44-46, 63, 69, 74-
Skulptur 82, 256 77, 78, 80f., 85, 104, 107, 112-115, 117,
Soziales Atom 176, 178, 182f., 187, 194, 119, 120-122, 125f., 129f., 132, 136,
223, 255 194f., 198, 205, 208, 222, 249, 251, 252,
Soziales Netzwerk Inventar (SNI) 255 256f.
Soziodrama 42, 49, 95, 102, 105, 107, 109, Szene einrichten 195
210, 242f., 255 Szenenaufbau 33, 50f., 74f., 105, 111f.,
Soziogramm 183, 187, 255 114-116, 118, 121, 128, 132, 203, 205f.,
Soziokulturelles Atom 95, 122, 176, 179, 256
255 Szenenwechsel 51, 79, 103, 111, 130f.,
Soziometrie 9, 12, 15, 28, 29, 33, 34, 43, 163, 198, 256
50, 58, 82, 86, 107-109, 132f., 150, 157, Tele 102, 117, 145, 257
262 Stichwortverzeichnis

Telebeziehung 75, 84 Verhalten 15, 25, 27, 62, 72, 80, 90, 135f.,
Teleprozess 251 143f., 152, 155d., 158, 171, 196f., 202,
Theater 13, 16, 18f., 21f., 27, 33f., 50, 87, 204, 215, 245f.
102-104, 107, 225, 242 Verhaltenstherapie 9, 107, 197, 214-216
TherapeutIn 30, 38, 41, 46, 69, 163, 197, Vignette 57, 63, 73, 95, 159, 257
202, 207, 211f., 218f., 227, 233f., 251, Wahl 43, 64-67, 73, 75, 105f., 115, 119,
253 158, 163, 168f., 184-188, 205, 216, 223
Therapie 27, 38, 42, 47, 119, 124, 132, Warm-up 250
165f., 182, 189, 193, 196f., 210, 219- Zauberladen 73, 249
224, 234, 243 Zeit 12, 15, 17, 22, 24, 42, 46, 52, 58f., 71,
Tischbühne 37f., 201, 206f., 221 74, 77, 80, 82f., 86, 96f., 102, 107f., 112,
Übertragung 83, 213 122, 126, 135, 138, 146f., 154f., 161f.,
Veränderung 14, 19, 25, 28, 63, 139, 162, 167, 177, 185, 195, 197, 199f., 203, 221
211, 222, 254 Zeitachse 122, 199
Verantwortung 23, 243 Zeitlupe 111, 257
Verfahren 9, 10, 11, 13-16, 23, 27, 31, 43, Zukunftsprojektion 257
156-160, 167f., 171, 185, 191, 197, 199, Zur-Seite-Sprechen 121, 251
204f., 211, 215-219, 221f., 239, 255-257 ZuschauerIn 27, 103, 257

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