Kapitel 4
Das Klangspektrum ist bei weitem keine fixe Größe für ein Instrument. Seine Zusam-
mensetzung hängt stark von der Lautstärke sowie von der Höhe des gespielten Klanges
(das Spektrum kann sich innerhalb kleiner Intervalle ändern) ab. Auch das Auftreten von
Resonanzbereichen (Formanten) bewirkt eine Abhängigkeit des Spektrums von der
Klanghöhe.
Auch der zeitliche Verlauf eines Instrumentaltons ändert sein Spektrum oft wesentlich,
insbesondere während des Ein- und Ausschwingvorgangs. Außerdem sind unharmoni-
sche Teiltöne und Geräusche sowie deren zeitliche Änderung während des Tonverlaufes
zu berücksichtigen.
4.1 Lautstärke
Wie bereits in Kap. 3 erwähnt, steigt die Anzahl und die Stärke der Teiltöne mit der
Lautstärke des Instrumentaltones.
Viele Teiltöne kommen dadurch erst aus dem Rauschuntergrund heraus.
Häufig ist zu beobachten (z.B. bei der Trompete), dass höhere Teiltöne viel rascher mit
der Lautstärke des Tones ansteigen als die tieferen Teiltöne. Dadurch gewinnt der Klang
an Brillanz. Zu beachten ist ferner für das Gehör, dass höhere Teiltöne bei Lautstärkean-
stieg aus der Verdeckung durch tiefere heraustreten.
4.2 Klanghöhe
Aus den Spektren in Abb. 3.2 bis 3.6 ist ersichtlich, dass die Anzahl und die Stärke der
Teiltöne für alle Instrumente (ausgenommen Elektrophone) mit zunehmender Klanghöhe
immer weiter abnimmt. Es kann sich jedoch auch das Spektrum über den Tonumfang
des Instrumentes grundlegend ändern: So ist z.B. die Klarinette in tiefer Lage sehr klar
der Gruppe 4 (hohler Klang) zuzuordnen, in der Mittellage treten die ungeraden Teiltöne
nur mehr wenig hervor und in hoher Lage sind nur mehr wenig Teiltöne in abnehmender
Stärke vorhanden (Klangfarbengruppe 2).
Wie entscheidend es für die Klangcharakteristik eines Instrumentes ist, dass sich das
Spektrum mit der Klanghöhe ändert, zeigt das umgekehrte Beispiel:
Im Hörbeispiel wird anhand eines Geigentones demonstriert, wie unnatürlich die Über-
tragung des Spektrums der Tonhöhe g auf die auf die Tonhöhen d1 , a1 und e2 wirkt.
Ferner muss hier auf den Einfluss fixer Formantbereiche auf das Spektrum in Abhängig-
keit der Klanghöhe hingewiesen werden (Kap. 4.4).
Schließlich ist hier auch eine Eigenschaft des Gehörs, nämlich die Frequenzabhängigkeit
der Lautstärkenempfindung (siehe Kap. 6) zu berücksichtigen:
Selbst bei einem von der Klanghöhe unabhängigen, konstanten Spektrum werden die
Teiltöne verschieden stark empfunden.
Die Schwingung eines Instrumentalklanges setzt nicht abrupt ein, sondern benötigt ei-
ne gewisse Zeit, bis sie in voller Stärke vorhanden ist: die Einschwingzeit (Abb. 4.1
und 4.2).
Abbildung 4.2: Identifikation der Einschwingphase für den Ton einer Klarinette (c1 , for-
te).[Wei14, S. 182]
1
Quelle: https://lp.uni-goettingen.de/get/text/6073
Entsprechendes gilt auch für das Ausschwingen des Klanges. Viele Instrumente (z.B. mit
gezupften oder angeschlagenen Saiten) haben nur die zeitlichen Phasen des Ein- und
Ausschwingens, andere wiederum enthalten noch einen Abschnitt, in dem der Ton mit
gleicher Stärke ausgehalten wird: Sustain (Streicher und Bläser).
Abbildung 4.3: Entwicklung der Teiltöne der Violine in der Einschwingzeit. [Sta76]
Insbesonders während der Einschwingzeit ändert sich bei vielen Instrumenten das Spek-
trum sehr stark (Abb. 4.3) und es können auch unharmonische Teiltöne in verschiedener
Dichte bis zum Geräusch auftreten. Damit wird der Einschwingvorgang zu einem we-
sentlichen Erkennungsmerkmal für ein Instrument.
Obwohl die Einschwingzeiten oft sehr kurz sind, ist das Gehör imstande, in dieser kurzen
Zeit Instrumente aufgrund dieses Charakteristikums weitgehend zu identifizieren. Daher
sind Instrumente auf Tonbandaufnahmen, bei denen der Einschwingvorgang verändert
wurde (Abspielen eines Bandes von rückwärts) oder überhaupt weggeschnitten wurde,
sehr häufig kaum mehr erkennbar (Hörbeispiel).
Wie sehr aber auch das Spektrum in der ausgehaltenen Phase eines Tones (bei Streichern
und Bläsern) dauernden Veränderungen unterworfen ist, erkennt man sofort am sterilen
Klang einer einzigen stets vollkommen gleich wiederholten Schwingung aus diesem Ab-
schnitt: Hörbeispiel (g auf der Violine). So gesehen bedeutet das übrigens auch, dass es
sich bei Instrumentalklängen streng genommen nicht um eine vollkommen periodische
Schwingung handelt.
4.4 Formanten
Der Nasalformant ist für den näselnden Klang bei den Nasallauten und bei den Um-
lauten ä, ö, ü verantwortlich.
Abbildung 4.5: Mittlere Schall-Energieverteilung im Vorspiel von Akt 1 der Oper „Die
Meistersinger von Nürnberg“ von Wagner (volle Kurve), sowie die Energieverteilung von
gesprochener Sprache (gestrichelte Linie). Die punktierte Linie zeigt die Analyse für einen
ausgebildeten Opernsänger in Begleitung eines Orchesters. [Deu99, S. 177]
Beispiel: Wird der Vokal a auf der Tonhöhe des kleinen g (ca. 200 Hz) gesungen, so
treten die Teiltöne Nr. 4, 5 und 6 (800, 1000 und 1200 Hz) besonders hervor.
Wird dieser Vokal a aber auf dem g1 (ca. 400 Hz) gesungen, so treten die Teiltöne Nr. 2
und 3 (800 und 1200 Hz) besonders hervor, d.h. das Klangspektrum ist vollkommen
anders.
Würde man das Spektrum beibehalten, wie das z.B. beim Abspielen eines Tonbandes
mit – gegenüber der Aufnahme – veränderter Bandgeschwindigkeit geschieht, so kommen
auch die Formanten in veränderte Bereiche; die Vokale ändern sich: aus einem o (400 –
600 Hz) wird bei doppelter Bandgeschwindigkeit ein a (800 – 1200 Hz), z.B. Mickymaus,
Schlümpfe.
Abb. 4.6 zeigt den Variationsumfang der ersten beiden Formanten für verschiedene Vo-
kale.
Abbildung 4.6: Schematische Darstellung des Variationsumfangs der ersten beiden For-
manten für verschiedene Vokale. Oberhalb ist Formant 1 in Notenschreibweise gegeben,
zusammen mit den Tonumfängen der Stimmlagen für Sänger. [Ros07, S. 691]
Bei Viola und Cello liegen diese Formanten tiefer (jedoch nicht im genauen Verhältnis
zur tieferen Stimmung).
Deutliche Formanten treten auch bei Blechblasinstrumenten mit Dämpfern auf, z.B. bei
der Trompete:
cup mute (Hush-Hush Dämpfer) 800 – 1200 Hz
harmon mute (Wah-wah Dämpfer) 1500 – 2000 Hz
straight mute (Spitzer Dämpfer) 1800 – 3000 Hz
4.5 Resonanz
Das Mitschwingen einer Saite oder einer Luftsäule mit „ihrer“ Frequenz (=Eigenfre-
quenz) bei Anregung durch eine andere Saite oder Platte (z.B. beim Vibraphon) mit
der gleichen Frequenz nennt man Resonanz. Die erwähnten Resonatoren (Saite oder
Luftsäule) sind sehr gering gedämpft, sodass die Abstimmung sehr scharf ist:
weicht die anregende Frequenz nur wenig (ca. 1 Halbton bei der Luftsäule oder 1 Ach-
telton bei der Saite) von der Eigenfrequenz ab, so schwingt der Resonator nicht mehr
mit.
Diese Resonatoren ändern das Spektrum der primären Schallquelle, da sie den Teilton,
der auf ihre Eigenfrequenz fällt (das muss nicht immer der Grundton sein), auf Kosten
der anderen Teiltöne hervorhebt.
Resonanzsaiten kommen vor beim Aliquotflügel, daher auch „Aliquotsaiten“, sie be-
finden sich oberhalb der angeschlagenen Saiten und sind auf den 1. oder 2. Teilton
(=Aliquotton) abgestimmt, ferner bei einigen älteren Instrumenten wie Viola d’amore
und Baryton (Tenorgambe) sowie dem Sitar.
Beim Klavier werden durch Pedaldruck die Dämpfer aufgehoben und die den Teiltönen
des angeschlagenen Tones entsprechenden Saiten können als Resonanzsaiten mitschwin-
gen.
Luftsäulen in Resonanzröhren befinden sich z.B. beim Vibraphon und Marimbaphon
unter den Platten um den 1. Teilton insbesondere auf Kosten der unharmonischen Teil-
töne hervorzuheben. Die Resonanzröhren sind unten geschlossen (gedeckte Pfeifen, siehe
Kap. 7.4) und oft nur aus ästhetischen Gründen über das gedeckte Ende hinaus verlän-
gert.
Alle Idiophone, seien es transversal schwingende Stäbe oder Platten haben Spektren mit
unharmonischen Teiltönen. Sie erzeugen keinen Klang, sondern Tongemische (aus dem
Spektrum sofort durch unregelmäßige Frequenzabstände zu erkennen) oder Geräusche
(im Spektrum durch die dichte Lage der Teiltöne zu erkennen).
Während des Einschwingvorganges treten auch bei vielen anderen Instrumenten unhar-
monische Teiltöne auf.
4.7 Geräusche
Die Membranophone (z.B. Trommel) und einige Idiophone (z.B. Becken) weisen ein ge-
räuschartiges Spektrum auf.
Aber auch die meisten anderen Musikinstrumente enthalten außer den harmonischen
Teiltönen ein begleitendes Geräusch, das für den Klangeindruck sehr wichtig ist und das
Klangbild belebt. Insbesondere beim Spiel im hallarmen Raum oder im Freien erkennt
man, wie stark beispielsweise das Bogengeräusch bei Streichern, das Anblasgeräusch bei
Holzbläsern oder die Geräuschkomponente bei hohen Klaviertönen ist.
Eliminiert man dieses Geräusch, indem man nur den periodischen Anteil anhört (wie das
Literatur
[Deu99] Diana Deutsch, Hrsg. The Psychology of Music. 3. Aufl. Academic Press,
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[Mey95] J. Meyer. Akustik und musikalische Aufführungspraxis: Leitfaden für Akustiker,
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[Ros07] Thomas D. Rossing, Hrsg. Springer Handbook of Acoustics. 1st. Springer
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[Sta76] W. Stauder. Einführung in die Akustik. Taschenbücher zur Musikwissenschaft.
Heinrichshofen’s Verlag, 1976. url: https://books.google.at/books?
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[Wei14] Stefan Weinzierl, Hrsg. Akustische Grundlagen der Musik. Laaber Verlag,
2014.