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DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS

Dies ist ein digitaler Sonderdruck des Beitrags / This is a digital offprint of the article

Karl-Ludwig Elvers
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne»: eine Edition von IGBulg. III 2, 1731

aus / from

Chiron

Ausgabe / Issue 24 • 1994


Seite / Page 241–266
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K A R L - L U D W I G ELVERS

Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne»:


eine Edition von IGBulg. I I I 2, 1731*

Bei der Erforschung des antiken Thrakien sind durch die archäologischen Neufun-
de der letzten Zeit, besonders den großen Fund v o n Silbergeschirr bei Rogozen i n
den Jahren 1985/86,' verstärkt die kulturellen Beziehungen zwischen Griechenland
und den Stämmen des thrakischen Binnenlandes i n vorrömischer Zeit i n den M i t t e l -
punkt des Interesses gerückt worden, insbesondere die Übernahme griechischen
Formengutes i n Kunst und Architektur, aber auch die Adaption griechischer
Kulte. 2 Einiges Licht auf das Phänomen der A k k u l t u r a t i o n und zugleich die politi-
sche Geschichte Thrakiens u m die Wende v o m 4. zum 3.Jh. wirft eine schon seit
vierzig Jahren auf G r u n d vorläufiger Präsentationen bekannte Inschrift, die i m f o l -
genden näher behandelt werden soll.
In den Jahren 1948-1954 legten bulgarische Archäologen unter Leitung von D i -
M I T U R P. D I M I T R O V i m sogenannten «Rosental» am Oberlauf des antiken Tonzos
(heute Tundza), der hier i n west-östlicher Richtung zwischen den Gebirgen des
Hämos (Balkan) i m N o r d e n und des Sredna Gora i m Süden verläuft, acht Kilometer
westlich der Stadt Kazanläk auf einem flachen Plateau am Flußufer die Reste einer

* Frau M A R I A CICIKOVA, in der Nachfolge ihres Mannes D I M I T U R P.DIMITROV derzeitig


verantwortlich für die Publikation der Ausgrabung von Seuthopolis, überließ im Winter
1991/92 der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik die im folgenden vorgelegte In-
schrift zur Veröffentlichung, die hier auf der Basis mehrerer Photos erfolgt. Erste Überlegun-
gen zur Interpretation des Textes entwickelten M I C H A E L WÖRRLE, H E L M U T MÜLLER und der
Verfasser gemeinsam mit Frau CICIKOVA, die dankenswerterweise die einschlägige bulgarische
Literatur übersetzte und weiteres Material aus dem Nachlaß ihres Mannes, darunter eine
deutsche Übersetzung von GÜNTHER KLAFFENBACH, zur Verfügung stellte. Die in der Zwi-
schenzeit erfolgte - in den Lesungen nicht immer korrekte - Veröffentlichung der Inschrift
durch V.VELKOvin seinem Corpus der Inschriften von Kabyle (in: Kabile 2, 1991, 7-11 Nr. 1
mit bulgarischem Kommentar) geschah ohne Absprache mit Frau CICIKOVA. - Bulgarische
Veröffentlichungen werden, soweit möglich, nach dem Titel ihres englischen oder französi-
schen Resümees zitiert.
1
Aus der inzwischen reichen Literatur vgl. nur A. FOL (Hrsg.), The Rogozen Treasure,
1989 und B . F . C O O K (Hrsg.), The Rogozen Treasure. Papers of the Anglo-Bulgarian Con-
ference, 12 March 1987, 1989.
2
Das disparate archäologische Material ist jetzt aufgearbeitet durch Ζ. Η . ARCHIBALD, The
Greeks in Thrace c. 500-270 B. C , Phil. Diss. Oxford 1983, für den im folgenden behandelten
Zeitraum besonders 508-526.
242 Karl-Ludwig Elvers

thrakischen Siedlung frei. 3 Die Ausgrabungen zeigten schnell, daß es sich u m eine
nach hellenistischem Vorbild über einem älteren thrakischen Siedlungsplatz angeleg-
te kleine Stadtanlage von etwa 5 ha Größe handelte, m i t einem rechtwinkligen Stra-
ßensystem nach hippodamischem Muster, einer zentralen Agora, Prostas- und Peri-
stylhäusern und einer m i t Türmen bewehrten Stadtmauer.4 N i c h t i n dieses Schema
fügt sich einzig der große, i m N o r d e n v o m Rest der Stadt durch eine Mauer abge-
trennte H o f , i n dem ein großes langgestrecktes Gebäude (36 χ 18 m) liegt, das ge­
wöhnlich als Herrscherresidenz angesehen w i r d . 5 Wie die dort gefundenen M ü n z e n
bald zeigten, war ihr Erbauer Seuthes, der bereits aus der literarischen Überlieferung
bekannte Thrakerdynast aus der Alexanderzeit. I m Zuge der Ausgrabungen kam
1953 eine Inschrift ans Licht, die demonstrierte, daß Seuthes die Stadt auch in der Ma-
nier hellenistischer Herrscher nach sich selbst benannt hatte: Seuthopolis.
Ihr Entdecker D.P. D I M I T R O V erkannte sogleich die Bedeutung des gesamten
Textes für die Geschichte Thrakiens i m frühen Hellenismus, veröffentlichte und
kommentierte aber nur den für i h n damals wichtigsten Abschnitt zur Religion der
Thraker (Z. 27-34) und behielt sich die vollständige Publikation vor, so daß die I n -
schrift bis heute zwar häufig erwähnt und mehrfach übersetzt oder abgebildet
wurde, aber sonst nur i n einer Teiledition den Weg i n die maßgebliche Sammlung
der griechischen Inschriften Bulgariens v o n G . M I H A I L O V ebenso wie in die weitere
wissenschaftliche Diskussion fand. 6 D a die unzureichende Kenntnis des Original-

3
Die geographische Situation veranschaulicht am besten die dem Band I I I 2 der von
G. MIHAILOV edierten Inscriptiones Graecae in Bulgaria repertae beigegebene Karte oder
Karte 24 bei N . G . L . H A M M O N D , Atlas of the Greek and Roman World in Antiquity, 1981.
Ein detaillierter Lageplan bei D.P.DIMITROV, Seuthopolis (Anm.4) Taf.9. Heute ist das Ge-
biet vom Georgi-Dimitrov-Stausee bedeckt.
4
Über die Grabungsergebnisse vgl. jetzt Sevtopolis 1/2, 1984; einen guten Überblick über
Stadtgeschichte und Funde geben D.P.DIMITROV - M.CICIKOVA, The Thracian City of
Seuthopolis, 1978; das Wesentliche bereits bei D.P.DIMITROV, Seuthopolis, Antiquity 35,
1961, 91-102 und CHR.DANOFF, Seuthopolis, RE Suppl. 9, 1962, 1370-1378. R . F . H O D -
DINOTT, Bulgaria in Antiquity, 1975, 122-124 und ders., The Thracians, 1981, 122-124 ist in
den historischen Details unzuverlässig.
5
Gebäude Nr. 16 auf dem in der Anm.4 genannten Grabungspublikation abgebildeten
Stadtplan.
6
D.P.DIMITROV, Sevtopol - trakiski gorod bliz s. Koprinka Kazanlykskogo rajona, So-
vjetskaja Archeologija 1, 1957, H. 1, 202-203 (mit Foto Abb.2, nur russische Übersetzung);
ders., Neuentdeckte epigraphische Denkmäler über die Religion der Thraker in der frühhelle-
nistischen Epoche, in: Hommages ä W.Deonna, 1957, 184-193 Nr.2 (Edition der Z.27-34) u.
Taf.31, 1 (Foto der Z.27-37, danach J. u. L.ROBERT, BE 1959, 255 und SEG 24, 937); ders.,
Materialnata kultura i izkustvoto na trakite prez rannoelinisticeskata epocha (IV—III v.), in:
Arheologiceski otkritija ν Balgaria, 1957, 71-72 (nur bulgarische Übersetzung); C H R . D A -
NOFF, Seuthopolis, RE Suppl. 9, 1962, 1376 (nur deutsche Übersetzung); G MIHAILOV, I G
Bulg. I I I 2, 1731 mit Foto (Z.27-34, Z. 1-26 und 34-37 in lateinischer Übersetzung; danach
S.G.COLE, Theoi Megaloi: The Cult of the Great Gods at Samothrace, 1984, 147 Nr.14);
DIMITROV - CICIKOVA (Anm.4) 43 (Z.27-34) und Taf.31 (Foto). ST.M.BURSTEINS auf
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 243

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ZG Ä«/g. 77/ 2, 773^


244 Karl-Ludwig Elvers

textes bereits mehrfach zu Mißverständnissen geführt hat und die allerjüngste Ge-
samtedition v o n V. V E L K O V unzulänglich, zudem an entlegener Stelle erschienen ist,
dürfte eine erneute Vorlage des Textes m i t knappen Hinweisen auf die nicht uner-
heblichen Interpretationsprobleme angebracht sein.
Der 37 Zeilen von ungleicher Länge umfassende Text befindet sich auf einer in drei
Teile gebrochenen, nach oben sich leicht verjüngenden Stele aus weißem Marmor, die
mit einem flachen Giebel, der durch Leisten gerahmt w i r d , auf der Vorderseite ab-
schließt. Die H ö h e beträgt 63 cm, die Breite unten 25 cm, oben 23 cm, die Tiefe 6 cm.
Der obere Rand des Giebels ist m i t den Akroteren fast ganz weggebrochen, leichte
Bestoßung des linken Randes und zwei größere Ausbrüche auf der Oberfläche am
linken und rechten Rand führen nur zu geringen Textverlusten, die sich trotzdem i n
Z. 10 auch auf das Textverständnis auswirken. 7 Die H ö h e der sorgfältig gemeißelten,
nach Angabe G. M I H A I L O V S ursprünglich mit roter Farbe ausgemalten Buchstaben
schwankt zwischen 0,6 und 1,1 cm (Omega 0,5). Der Stein wurde i n dem bereits ge-
nannten, als «Residenz» gedeuteten Gebäude i m nordwestlichen der beiden kleinen
mittleren Räume neben der Halle gefunden. Er befindet sich heute i m Archäologi-
schen Museum von Sofia (Inv.-Nr. 8408). Nach den Buchstabenformen gehört die In-
schrift i n die Zeit des frühen Hellenismus (Abb.).

Text
Ά γ α θ ή ι Τύχτμ· "Ορκος Επιμένει
Βερενίκης κ α ι των υιών επειδή
Σεΰθης ύγιαίνων παρέδωκεν
4 Έπιμένην Σπαρτόκωι κ α ι τα
υπάρχοντα αύτοϋ και Σπάρτοκος
επί τούτοις τά πιστά έδωκεν
αύτώι, δεδόχθαι Βερενίκη και τοις
8 υίοΐς αυτής Εβρυζελμει κ α ι Τηρεί
και Σατοκωι κ α ι Σαδαλαι κ α ι τοις
[- 3-5 -]εσομένοις δεδόσθαι Έπιμένην
[Σπαρ]τόκωι, αυτόν και τά υπάρχοντα
12 αΰτοΰ εις άπαντα τον βίον,
παρέχεσθαι δε κ α ι Έπιμένην τήν
χρείαν Σπαρτόκωι ή οίς άν
Σπάρτοκος συντάσσηι, καθ' δ αν
16 δύνηται· έξαγαγέτωσαν δέ οι
Βερενίκης υίοί εκ τοΰ ίεροϋ τών

MIHAILOVS lateinischer Fassung beruhende englische Übersetzung ist in wesentlichen Teilen


fehlerhaft (Lysimachus and the Greek Cities: The Early Years, AncW 14, 1986, 22).
7
Dazu unten S.260f. Der Beginn von Z. 12 ist auf dem bei DIMITROV - CICIKOVA (Anm.4)
Abb. 71 publizierten Photo des ungereinigten Steines noch erkennbar.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 245

θεών των Σαμοθραικίων, εφ' ώι


άδικήσουσι Έπίμένηγ κ α τ ά
20 μηθένα τρόπομ μηθέν, αλλά
παραδότωσαν Σπαρτόκωι αυτόν
και τά υπάρχοντα αύτοΰ· μηδέ
των υπαρχόντων μηδέμ περι-
24 αιρείσθωσαν μηθέν άδικοϋντι·
εάν δε τ ι φαίνηται άδικων, υπέρ
τούτων έπιγνώμων έ'στω Σπάρτοκος·
τόν δέ δρκον τούτον γραφήναι
28 είστήλας λιθίνας κ α ι άνατεθήναι
[έ]μ μέγ Καβύληι εις τό Φωσφόριον κ α ι
εις τήν άγοράν παρά τόμ βωμόν τόν
τοΰ Απόλλωνος, εν δέ Σευθοπόλει εις τό
32 ιερόν τών Θεών τών Μεγάλων κ α ι
εις τήν άγοράν εν τώι τοΰ Διονύσου ί[ερώι]
παρά τόν βωμόν εύορκοΰσιν δέ κ α ι
εμμένουσιν εν τοις δρκοις εϊη αύτ[οΐς]
36 λώιογ κ α ι άμεινον, παρά δέ Βερενίκης
είναι αύτώι τους αρχαίους όρκους.

Übersetzung

Z u m guten Gelingen. E i d der Berenike und ihrer Söhne gegenüber Epimenes. D a


Seuthes bei voller Gesundheit den Epimenes und dessen Besitz dem Spartokos
überantwortet und Spartokos i h m dafür Garantien geleistet hat, soll es für Berenike
und ihre Söhne Ebryzelmis, Teres, Satokos und Sadalas und die — Beschluß sein,
den Epimenes dem Spartokos zu übergeben, i h n selbst und seinen Besitz auf Le-
benszeit, ferner, daß Epimenes dem Spartokos oder denjenigen, die dieser dazu be-
stimmt, den Dienst verrichte, so weit es i n seinen Kräften steht. Die Söhne der Be-
renike sollen (Epimenes) aus dem Heiligtum der Götter v o n Samothrake heraus-
führen unter der Bedingung, daß sie i h m auf keine Weise Unrecht zufügen, sondern
sie sollen i h n und seinen Besitz dem Spartokos übergeben. Von seinem Besitz sollen
sie i h m nichts wegnehmen, wenn er kein Unrecht tut. Wenn es aber den Anschein
hat, daß er Unrecht tut, soll diesbezüglich Spartokos Schiedsrichter sein. Dieser E i d
soll auf steinerne Stelen geschrieben werden und i n Kabyle i m Phosphorion und auf
der Agora neben dem Altar des Apollon, i n Seuthopolis i m Heiligtum der Großen
Götter und auf der Agora i m H e i l i g t u m des Dionysos neben dem Altar aufgestellt
werden. Wenn sie i n ehrlicher Absicht schwören und zu ihrem Eide stehen, soll es
vorteilhafter und besser für sie sein, von sehen der Berenike sollen i h m (Epimenes)
gegenüber die alten Eide bestehen bleiben.
246 Karl-Ludwig Elvers

Kommentar

I.

Eine erste chronologische Einordnung der Inschrift erlaubt die historiographische


und numismatische Parallelüberlieferung. Nach der Ermordung des letzten Ge-
samtherrschers in Thrakien, des Odrysen Kotys L, im Jahr 360 oder 359 v.Chr. kam
es alsbald zu einer Dreiteilung der Herrschaft; die drei Teilreiche wurden i n den
350er und 340er Jahren nacheinander von Philipp I L zerschlagen. Den Westteil des
alten odrysischen Königreiches schlug Philipp zu Makedonien; wie weit sich die di-
rekte makedonische Kontrolle über die Ebene des Hebros hinaus nach N o r d e n er-
streckte, ist unklar, ebenso die F o r m der makedonischen Herrschaftsausübung,
wahrscheinlich als Strategie.8 N o c h bei seinem Feldzug gegen die Triballer u n d
Geten i m Jahr 335 v. Chr. mußte Alexander d. Gr. den Übergang über den Hämos
mit Gewalt gegen die «autonomen Thraker» erzwingen, die w o h l nie Teil des alten
odrysischen Königreiches gewesen waren. 9 Wenn Alexander über den Shipka-Paß
nach N o r d e n zog, muß er damit auch das Gebiet berührt haben, i n dem vielleicht
wenige Jahre später der Odryse Seuthes mit dem Bau seiner Hauptstadt begann. 10
Er w i r d i n der Forschung gewöhnlich als Seuthes I I I . gezählt, denn innerhalb des
odrysischen Königshauses hatte es bereits vor i h m zwei Herrscher m i t diesem
Namen gegeben: Seuthes L , Neffe u n d Nachfolger des Sitalkes, hatte diesen
429 v. Chr. v o n einem großangelegten Einfall nach Makedonien abgehalten.
Seuthes I L , Teilherrscher über das thrakische Gebiet an der Propontis, hatte
400/399 v.Chr. einen Teil der «10000» unter Führung Xenophons in seine Dienste
genommen u n d sich später zur Sicherung seiner Herrschaft auch der Hilfe des
Atheners Iphikrates bedient." O b und wie Seuthes I I I . , i m folgenden als «Seuthes»
bezeichnet, ebenfalls mit der odrysischen Herrscherdynastie verwandt war, wie all-
gemein angenommen w i r d , ist nicht auszumachen.
Der Gründer von Seuthopolis begegnet i n der literarischen Überlieferung mehr-
mals als Gegner der makedonischen Eroberungspolitik in Thrakien i m letzten D r i t -
tel des 4Jh.s: 12 Nach dem Tod des Strategen von Thrakien, Zopyrion, i m Kampf

8
Zum Thrakienfeldzug Philipps 342-340 v.Chr. ausführlich G.T.GRIFFITH, in:
N . G . L . H A M M O N D - G . T . G R I F F I T H , A History of Macedonia 2, 1979, 554-566, und E.BA-
DIÁN, Philipp I I and Thrace, Pulpudeva 4, 1983, 66-70, besonders 68ff. zur Frage der make-
donischen Herrschaftsausübung.
9
Arr. Anab. 1, 1, 4-13; dazu BADIÁN (Anm.8) 69 und H A M M O N D , in: N . G . L . H A M M O N D
- F.W.WALBANK, A History of Macedonia 3, 1988, 34f.
10
Zur möglichen Marschroute Alexanders H A M M O N D (Anm. 9) 34.
11
Über beide vgl. H.SWOBODA, Seuthes Nr. 1, RE 2 A 2, 1923, 2019f., und Seuthes Nr.2,
ebd. 2020f.
12
Über ihn H.SWOBODA, Seuthes Nr.4 (STIL), RE 2 A 2, 1923, 2022f.; H.BERVE, Das
Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage 2, 1926, 353, Nr. 702, und jetzt ausführ-
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 247

gegen die Geten 325 v. Chr. nutzte er die Gelegenheit, die Odrysen zum Aufstand zu
bewegen, offenbar mit anfänglich großem Erfolg, denn Curtius spricht am Ende sei-
ner N o t i z von amissa propemodum Thracia (10, 1, 45). A u f G r u n d einer Lücke i m
Text des Curtius wissen w i r nicht, wie der Aufstand weiter verlief, aber offenbar kam
Thrakien nicht zur Ruhe. Nach Alexanders Tod versuchte Seuthes 323 v.Chr., Lysi-
machos an der Inbesitznahme der thrakischen Strategie zu hindern. Eine Schlacht
gegen die numerisch weit unterlegenen Truppen des Alexandernachfolgers verlief
unentschieden (Diod. 18, 14, 2-4; vgl. Arr. succ. Alex. 10 p.258 Roos; Paus. 1, 9, 6).
D i o d o r spricht von erneuten Rüstungen beider Seiten gegeneinander, ohne daß sich
aber in seinem erhaltenen Text eine Darstellung über weitere Auseinandersetzungen
findet. Zuletzt begegnet Seuthes i m Zusammenhang mit dem Aufstand der westpon-
tischen Griechenstädte unter Führung von Kaliatis gegen die Herrschaft des Lysi-
machos im Jahr 313 v. Chr., an dem sich auch die benachbarten Thraker und Skythen-
stämme am Schwarzen Meer beteiligten (Diod. 19, 73,1-5). 13 Während Lysimachos
Kallatis belagerte, rückte 312 ein von Amigónos Monophthalmus entsandtes Trup-
penkontingent nach N o r d e n vor, u m Kallatis Hilfe zu leisten. 14 Lysimachos mar-
schierte mit dem Hauptteil seiner Armee nach Süden, fand aber den Übergang über
den Hämos durch Seuthes gesperrt. I n einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht
wurde dieser geschlagen, und Lysimachos gelang es kurz darauf, auch die Truppen
des Antigonos zu besiegen (Diod. 19, 73, 6-10). O b Seuthes hier kurzentschlossen
aus eigener Initiative handelte oder ein förmliches Bündnis mit Antigonos eingegan-
gen war, geht aus Diodors kargen Angaben nicht hervor. 15
Einen Anhaltspunkt für das Ende der Herrschaft des Seuthes geben uns einzig die
Fundmünzen aus Seuthopolis. 16 Seuthes selbst emittierte i m Laufe seiner Regierung

lieh, aber auf Grund der schlechten Quellenlage in vielem spekulativ H. S. LUND, Lysimachus,
1992, 22-32; im ganzen unergiebig für die im folgenden erörterten Fragen ist F. LANDUCCI
GATTINONI, Lisimaco di Tracia nella prospettiva del primo ellenismo, 1992.
13
Vgl. dazu L U N D (Anm. 12) 40^3.
Zur Datierung dieser Ereignisse ins Jahr 312 v.Chr. vgl. G.SAITTA, Lisimaco di Tracia,
Kokalos 1,1955, 69; 109-114; R. M. ERRINGTON, The Chronology of the Early Diadochi, 320-
311, Hermes 105, 1977, 498 und R. A. BILLOWS, Antigonos the One-Eyed and the Creation of
the Hellenistic State, 1990, 122.
15
S. unten Anm. 39.
16
U m die Aufarbeitung und Auswertung der antiken Fundmünzen von Seuthopolis hat
sich K. DIMITROV besondere Verdienste erworben und sie in: Sevtopolis 2 (Anm. 4) 7-136 (mit
ausführlicher engl. Zusammenfassung) vollständig publiziert; die Ergebnisse sind von ihm be-
reits in: DIMITROV - CICIKOVA (Anm. 4) 33-42 im Überblick dargestellt, womit die Übersicht
bei Y.YOUROUKOVA, Coins of the Ancient Thracians, 1976,22-25 überholt ist; vgl. auch dens.,
Studies of the Numismatic Material Found at Seuthopolis: Problems, Research Methods, and
Basic Conclusions, ANSMusN 32, 1987, 1-10; Frappes dynastiques en Thrace au debut de
Pépoque hellénistique, in: Rythmes de la production monétaire, de l'antiquité ä nos jours,
1987, 31-38 und Dynastic Coinages in Thrace in the Early Hellenistic Age (340-270 B.C.):
Images, Traditions, Ideology, Bulg. Hist. Rev. 17, 1989, H.2, 67-74.
248 Karl-Ludwig Elvers

in erheblichem Umfang mehrere Serien v o n Bronzen, die aber nur lokale Verbrei-
tung fanden. Gleichzeitig überprägte er i n kleineren Mengen Bronzen Philipps I L ,
Alexanders d. Gr. und des Lysimachos, besonders zahlreich aber Bronzen Kassan-
ders.17 Diese Kassanderbronzen können i n die Jahre 310-305 v.Chr. bzw. - nach
Annahme des Königstitels durch den Diadochen - i n die Jahre 305-297 v.Chr. da-
tiert werden. 18 Die Überprägungen ermöglichen auf G r u n d der typologischen
Übereinstimmung auch eine Datierung der regulären Exemplare des Seuthes, und es
steht dadurch fest, daß der Dynast wenigstens bis ins erste Jahrzehnt des 3.Jh.s seine
Prägetätigkeit fortsetzte. Das wahrscheinliche Ende für die Münzprägung kann al-
lein aus dem archäologischen Befund erschlossen werden: Die Mehrzahl der in
Seuthopolis gefundenen M ü n z e n des Lysimachos gehört i n die Zeit zwischen der
Jahrhundertwende und seinem Tod i m Jahr 281 v. Chr. 19 Prägungen der Diadochen
nach 280 v. Chr. wurden nicht gefunden. 20 Die Datierung der zahlreich entdeckten
thasischen Amphorenstempel geht nicht über das Jahr 275 v.Chr. hinaus. 21 Unge-
fähr i n diese Zeit w i r d man auch das gewaltsame Ende der Stadt und der Herrschaft
des Seuthes oder seiner Nachfolger setzen: Seuthopolis wurde regelrecht belagert
und anschließend niedergebrannt. 22
Seuthes folgte i n der Ikonographie seiner Münzprägung deutlich makedonischen
Vorbildern, wie der den Prägungen Philipps IL entlehnte Zeuskopf mit Lorbeer-
kranz besonders eindrücklich zeigt. Spätere Stücke, die in die Zeit nach ca. 300 v. Chr.
gehören, weisen dabei eine stärkere Individualisierung der Gesichtszüge des Gottes
auf und werden daher i n der bulgarischen Forschung regelmäßig als Individualpor-
trät des Seuthes gedeutet.23 Diese These wurde besonders v o n K. D I M I T R O V dahinge-
hend weiterentwickelt, daß es sich dabei u m postume Prägungen der Erben des
Seuthes, also der Berenike und ihrer Söhne, mit dem Porträt des Verstorbenen hande-
le, Seuthes somit etwa gegen 300 v. Chr. gestorben sei.24 Tatsächlich sind aber die iko-

17
Vgl. die Übersicht über die Überprägungen bei K. DIMITROV, in: DIMITROV - CICIKOVA
(Anm.4) 37; ferner in: Sevtopolis 2 (Anm.4) 124 und Frappes (Anm. 16) 35.
18
Typen «Herakles/Löwe» (SNG Cop.ll38ff.) bzw. «Apollon/Dreifuß» (SNG Cop.
1160ff.).
19
Vgl. dazu die Liste bei K.DIMITROV, in: Sevtopolis 2 (Anm.4), 69ff., der der
von M.THOMPSON, The Mints of Lysimachus, in: C . M . K R A A Y - G.K.JENKINS (Hrsg.), Es-
says in Greek Coinage Presented to St. Robinson, 1968, 163-182 aufgestellten Chronologie
folgt.
20
Κ . D I M I T R O V , in: DIMITROV - CICIKOVA (Anm.4) 42.
21
A.BALKANSKA, in: Sevtopolis 1 (Anm.4) 115-157.
22
DIMITROV - CICIKOVA (Anm. 4) 7; andere Thesen, die die Zerstörung später ansetzen,
verzeichnet K.DIMITROV, Balkans and «East Celts», in: A Survey of Numismatic Research
1985-1990,1,1991,270.
T. GERASIMOV, Effigie de Seuthes I I I (323-311) sur monnaies (bulg.), in: Serta Kazaro-
viana2,1955,123-128 (deutsches Resümee in BCO 2,1957,132 f.), eine ältere Ansicht wieder-
belebend; YOUROUKOVA (Anm. 16) 23, der hierin H A M M O N D (Anm. 9) 55 Anm. 1 folgt.
24
In den Anm. 16 genannten Arbeiten.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 249

nographischen Unterschiede zum vorher geprägten Typ des Zeuskopfes nicht so si-
gnifikant, daß man hieraus m i t Sicherheit auf ein Individualporträt schließen kann. 25
Es spricht daher nichts dagegen, daß Seuthes bis weit ins erste, vielleicht sogar bis i n
das zweite Jahrzehnt des 3. Jh.s lebte. I n Z. 2 der Inschrift ist nun von einer bereits ver-
gangenen Zeit die Rede, i n der Seuthes als ύγιαίνων bezeichnet w i r d , also noch am
Leben war. Die Inschrift w i r d gewöhnlich, und sicher m i t Recht, an das Ende v o n
Seuthes' Regierung oder i n die Zeit unmittelbar nach seinem Tod gesetzt, i n der Be-
renike die Regentschaft für ihre Söhne führte. Der Anfang des 3. Jh.s ist dabei gegen-
über dem Ende des 4. Jh.s fraglos als möglicher Zeitansatz vorzuziehen.
Ist auch das exakte Todesdatum des Seuthes nicht festzustellen und bildet einzig
die Zerstörung der Stadt gegen 280/275 v.Chr. einen verhältnismäßig sicheren ter-
minus ante quem, so wirft doch die Möglichkeit, den Tod des Seuthes weiter
herabzurücken als bisher angenommen, die Frage nach der Verbindung einer weite-
ren, lange bekannten Inschrift m i t der Person des thrakischen Dynasten auf: I n den
Monat Juni des Jahres 330 v. Chr. fällt das athenische Ehrendekret für Τηβούλας
Σεύθου ύός, Κότυος αδελφός, Άνγελ[ήθεν], v o n dem weiter nur noch die Datierung
und die Sanktionsformel erhalten sind. 26 Für eben dieses Jahr berichtet D i o d o r v o m
Aufstand Memnons, des Strategen i n Thrakien, gegen Alexanders Stellvertreter i n
Europa, Antipater (17, 62, 4-6). 27 N a c h D i o d o r wiegelte Memnon auch thrakische
Stämme auf, und Antipater hatte einige Mühe, den Aufstand zu beenden. Allgemein
w i r d davon ausgegangen, daß es sich bei Rhebulas u m den Sohn Seuthes' I I I . han-
delte, der i n Zusammenhang mit diesem Aufstand nach Athen gesandt worden sei,
u m die Hilfe der Stadt für die Odrysen zu gewinnen. 28 Diese Identifizierung setzt

25
Dies zeigt die Gegenüberstellung der Typen bei DIMITROV - CICIKOVA (Anm. 4) Abb. 69
und 70 deutlich; zudem spricht der Lorbeerkranz gegen ein (auch postumes) Porträt (vgl. jetzt
auch die Vorbehalte von O . M O R K H O L M , Early Hellenistic Coinage from the Death of Alex-
ander the Great to the Peace of Apamea, 1991, 83).
26
I G I I 2 349 ( M . N . T O D , G H I 193; C.J.SCHWENK, Athens in the Age of Alexander. The
Dated Laws and Decrees of the <Lykourgan Era> 332-322 B.C., 1985, 223-227 Nr.45; vgl.
auch M.MEYER, Die griechischen Urkundenreliefs, 1989, 103; 295 A 105 mit Taf.33, 2).
U . KOEHLERS Ergänzung der Z. 1 zu ανγελ[ος] hat keine Zustimmung gefunden.
27
Zu den Vorgängen vgl. BERVE (Anm. 12) 254, Nr. 499.
28
So zuerst J.G.DROYSEN, Geschichte des Hellenismus 1, 21877, 392-395 (NDr. 1952,
250-252), der allerdings den Aufstand des Seuthes nach dem Tod des Zopyrion und die Erhe-
bung des Memnon chronologisch zusammenzog, gefolgt von A. SCHÄFER, Demosthenes und
seine Zeit 3,21887, 200 Anm. 1 und noch T O D (Anm.26) im Kommentar; Swo BODA (Anm. 12)
2023; BERVE (Anm. 12) 346, Nr.686; 353, Nr.702; J.WIESNER, Die Thraker, 1963, 139f.;
CHR.DANOV, Die Thraker auf dem Ostbalkan von der hellenistischen Zeit bis zur Gründung
Konstantinopels, A N R W I I 7, 1, 1979,42; W. W I L L , Athen und Alexander, 1983,101 f.; L U N D
(Anm. 12) 22; zurückhaltend M I H A I L O V im Kommentar und R.M. ERRINGTON, Geschichte
Makedoniens, 1986, 59 mit Anm. 35. - Da der Aufstand des Memnon gleichzeitig mit der Er-
hebung des Agis stattfand und damit ins Jahr 331 v. Chr. fiel, hat E. BADIÁN, Agis I I I , Hermes
95, 1967, 191 f., den Zusammenhang des athenischen Dekretes mit der Revolte in Thrakien zu
Recht bestritten.
250 Karl-Ludwig Elvers

voraus, daß Seuthes i m Jahr 330 v. Chr. bereits zwei erwachsene Söhne besaß, also
wenigstens 40 Jahre alt war. Sollte er, wie oben vermutet wurde, bis ca. 290 v. Chr.
gelebt haben, müßte er bei seinem T o d etwa 80 Jahre alt gewesen sein. M . O S B O R N E
hat indessen kürzlich auf das D e m o t i k o n des Rhebulas aufmerksam gemacht und
daraus geschlossen, daß Rhebulas nicht erst 330 v.Chr. athenisches Bürgerrecht er-
langt habe, sondern bereits einige Zeit zuvor. 29 Trifft dies zu, war Rhebulas selbst
330 v. Chr. kein junger M a n n mehr; damit ist es unwahrscheinlich, daß Seuthes I I I .
sein Vater war, denn dieser müßte dann wenigstens 90-100 Jahre alt geworden sein.
Völlige Sicherheit w i r d man hierin nicht gewinnen können, aber es dürfte deutlich
geworden sein, daß die exakte historische Einordnung des athenischen Dekretes
vorläufig offen bleiben muß.
A u c h über Spartokos, einen der weiteren Hauptbeteiligten an den Ereignissen i n
Seuthopolis, informieren unabhängig von der Inschrift ebenfalls die Münzfunde. I n
Zeile 29 w i r d als Aufstellungsort für zwei der Stelen das etwa 100 k m östlich v o n
Seuthopolis am Tonzos i n der Nähe des heutigen Jambol liegende Kabyle genannt.
Die thrakische Siedlung Kabyle, die von Philipp I I . auf seinem letzten Thrakienfeld-
zug befestigt und mit Kolonisten besiedelt worden war, 30 war offenbar Prägeort und
Sitz des Spartokos: Die Ausgrabungen i n Seuthopolis und Kabyle förderten auch
eine kleine Anzahl v o n Bronzemünzen ans Licht, die auf der Vorderseite einen D o p -
pelkopf m i t einem Männerporträt nach rechts und einem L ö w e n k o p f nach links,
darunter eine Keule, auf der Rückseite, wie es scheint, Artemis m i t kurzer Fackel
oder Patera i n der erhobenen Rechten und die Umschrift βασιλέως Σπαρτάκου zei­
gen.31 Während die außergewöhnliche Ikonographie des Averses bisher keine befrie-
digende Erklärung gefunden hat,32 fügt sich die Rückseite von der Ikonographie her
in die Reversdarstellungen der fackeltragenden Artemis in der autonomen Bronze-

29
M.OSBORNE, Naturalization in Athens 3/4, 1983, 66f. (T66). OSBORNE selbst folgt
A. HOCK, Das Odrysenreich in Thrakien, Hermes 26, 1896, 89 f. in der Identifizierung des Va-
ters von Rhebulas und Kotys mit Seuthes IL (gest. 383) und hält Kotys selbst für den 360/59
v. Chr. ermordeten letzten thrakischen Gesamtherrscher. Seiner Meinung nach soll Rhebulas
nach der Ermordung seines Bruders oder in der Folge des letzten Thrakienfeldzuges Phi-
lipps I I . nach Athen gekommen sein. Damit kommt er für die Bürgerrechtsverleihung auf
einen möglichen Zeitraum von ca. 360-342 v. Chr.
30
GRIFFITH (Anm. 8) 557. Zur Stadtgeschichte vgl. O.E.OBERHUMMER, Kabyle, RE 10, 2,
1919, 1455 f.; V. VELKOV, The Thracian City of Cabyle, in: Ancient Bulgaria l , 1983,233-238.
Zu den Ausgrabungen jetzt: Kabile 1/2, 1982-91.
31
Vgl. zur Beschreibung K. DIMITROV, The Coinage of Spartocus and Some Problems in
the Political Development of Thrace in the Beginning of the Hellenistic Age, Etudes Balka-
niques 17, 1981, H.3, 99f., und Frappes (Anm.16) 36f. mit Taf. 1 Nr.4; gute Abbildung des-
selben Stückes auch Studies (Anm. 16) Taf. 1 Nr. 11.
32
Vgl. dazu die Diskussion bei K.DIMITROV, The Coinage of Spartocus (Anm.31) 102f.;
Dynastie Coinages (Anm.16) 69 und Balkans and «East Celts» (Anm.22) 270. Gegen die
Deutung des Männerkopfes als Individualporträt des Spartokos gelten dieselben Vorbehalte
wie beim vermeintlichen Seuthesporträt.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne 251

prägung Kabyles i m 3.Jh. v.Chr. ein. 33 A u f G r u n d des Fundzusammenhanges steht


fest, daß die Prägung i n dieselbe Zeit wie die des Seuthes fällt - der Königstitel legt
nahe, sie in die Zeit nach 306/5 v. Chr. zu setzen. O b w o h l Kabyle auch im 3. Jh. v. Chr.
eine aktive Münzstätte blieb, dürfte die untere zeitliche Grenze die Kelteninvasion
von 279 v. Chr. darstellen. 34 M i t der Annahme des Königstitels imitierte Spartokos
dabei auf lokaler Ebene wie andere Stammeskönige zur selben Zeit, etwa Audoleon,
der Herrscher der damals v o n Makedonien unabhängigen Päonen,35 und spätere
thrakische Dynasten, die Nachfolger Alexanders. 36 Sicherlich sollte dadurch ein U n -
abhängigkeitsanspruch des Spartokos gegenüber Lysimachos dokumentiert werden;
Seuthes verzichtete i n seiner Münzprägung auf den Titel, und er fehlt ebenso i n der
Inschrift aus Seuthopolis bei beiden Dynasten, 37 ohne daß man daraus Schlüsse über
das Verhältnis der beiden Herrscher gegen Ende der Herrschaft des Seuthes ziehen
kann.
Seuthes ist der einzige Dynast unter den inzwischen durch die Münzfunde gesi-
cherten Lokalherrschern i n Thrakien dieser Zeit, 38 der namentlich i m Kampf gegen
die makedonische Herrschaft genannt w i r d . Wie seine Auseinandersetzungen m i t
Lysimachos zeigen, war er i n der Lage, wenigstens kurzfristig die strategisch w i c h -
tigen Übergänge über den Hämos zu blockieren. Seine Residenz i m Rosental blieb
zu seinen Lebzeiten vermutlich unzerstört - beides ist ein Indiz dafür, -wie -wenig
konsolidiert die Herrschaft der makedonischen Könige und später des Lysimachos
über Thrakien war und daß sich weite Teile des Binnenlandes der direkten K o n t r o l -
le durch Lysimachos während seiner gesamten Regierung entzogen. 39 Die G r ü n -

33
Typ A im Corpus von D. DRAGANOV und Z. POPOV, in: Kabile 1 (Anm. 30) 18-39 (eben-
falls abgebildet bei D.P.DIMITROV, Denkmäler [Anm. 6] 187 mit Taf.31).
34
Vgl. DRAGANOV - POPOV (Anm. 33) 39.
35
Vgl. M O R K H O L M (Anm.25) 83.
36
Einen Überblick über die thrakischen Dynasten gibt YOUROUKOVA (Anm. 16) 26-39; zu
den chronologischen Problemen s. K. DIMITROV, Balkans and «East Celts» (Anm.22) 270f.
Diodor nennt Seuthes in den oben im Text angeführten Passagen βασιλεύς bzw. βασι­
λεύς των Θρακών, ohne daß man selbstverständlich terminologische Zuverlässigkeit bei ihm
erwarten kann.
38
Durch die Fundmünzen aus Seuthopolis sind außer Spartokos zur gleichen Zeit der
thrakische Dynast Rhoigos und der Makedone Adaios, der wahrscheinlich in Kypsela prägte
(vgl. P.M.FRÄSER, Samothrace, 2, 1, 1960, 47 mit Anm.23), als Lokalherrscher bekannt, vgl.
die Überblicke bei K.DIMITROV, Frappes (Anm. 16) 32f.; 38, und dems., Balkans and «East
Celts» (Anm.22) 269-272. Alle Versuche zur genaueren Datierung der Herrscher sind natur-
gemäß auch hier hypothetisch.
39
So bereits G. MIHAILOV, La Thrace aux IV e et IIP siecles avant notre ere, Athenaeum
N.S. 39, 1961, 35f.; ders., La Thrace jusqu'ä l'invasion des Celtes, in: Archaia Makedonia 1,
1970, 84 und H.BENGTSON, Neues zur Geschichte des Hellenismus in Thrakien und der Do-
brudscha, Historia 11, 1961, 19; ausführlich GRIFFITH (Anm.8) 555; 559; BURSTEIN (Anm.6)
22-24 und LUND (Anm. 12) 27. Diodor nennt Seuthes 312 schlicht άφεστηκότα προς Άντίγο-
νον (19, 73, 8), was weder auf eine vorherige Unterwerfung durch Lysimachos (so FR. GEYER,
Lysimachos, RE 14, 1, 1928, 3; SAITTA [Anm. 14] 65 Anm.21; H A M M O N D [Anm.9] 111; 156
252 Karl-Ludwig Elvers

dung einer Hauptstadt nach griechischem Muster ist ohnehin eine für thrakische
Dynasten ungewöhnliche Maßnahme, die bisher ohne ein festes Herrschaftszen-
t r u m auskamen. 40 Die Benennung nach ihrem Gründer, dem direkten zeitlichen wie
geographischen Vorbild Philipps I I . (Philippopolis i n der Hebros-Ebene) und sei-
nes Sohnes Alexander (Alexandropolis i m Tal des Strymon) folgend, ebenso 'wie die
Münzprägung zeigen, daß Seuthes i m kleineren Maßstab die Selbstdarstellung der
makedonischen Könige u n d der Diadochen imitierte.

IL

Da auf G r u n d der spärlichen Quellen eine genauere zeitliche Einordnung unmög-


lich ist und damit der historische Zusammenhang fehlt, i n den die Inschrift zu stel-
len ist, kann eine Interpretation i m wesentlichen nur v o m Text selbst ausgehen. Er
deklariert seinen Inhalt überschriftartig i n Z . 1 f. als «Eid gegenüber Epimenes v o n
Seiten der Berenike und ihrer Söhne» (όρκος Επιμένει Βερενίκης κ α ϊ τ ώ ν υιών). I m
folgenden erfahren w i r Zweck und Inhalt dieses Eides: Epimenes befindet sich i m
Tempel der Samothrakischen Götter i n Seuthopolis, vermutlich hat er dort (aus
einem nicht genannten Grund) Asyl gesucht. Dieses A s y l soll nun unter Wahrung
der Unverletzlichkeit des Asylsuchenden beendet werden. Z u diesem Zweck leisten
Berenike, Frau des Seuthes, und ihre Söhne Ebryzelmis, Teres, Satokos und Sadalas
einen Eid gegenüber Epimenes und beschließen (wobei i n diesen Beschluß weitere
Personen eingeschlossen sind, deren Identität noch zu erörtern ist), Epimenes und
dessen Besitz auf Lebenszeit an Spartokos zu übergeben mit der Maßgabe, daß Epi-
menes Spartokos oder dessen Beauftragten «Dienst verrichten» soll. Weiterhin w i r d
die körperliche und materielle Unverletzlichkeit des Epimenes beim Verlassen des
Tempels seitens der Söhne der Berenike garantiert und Spartokos als Schiedsrichter
bestimmt, falls Epimenes «ein Unrecht begeht». M i t dieser Übergabe erfüllen Bere-
nike und ihre Söhne ein älteres, offenbar nicht vollzogenes Übergabeversprechen
von Seiten des Seuthes an Spartokos.
Vor einer Erörterung der inhaltlichen Fragen sollen am Anfang einige Beobach-
tungen zum Formular des Textes stehen. Nach der üblichen Wunschformel und der
«Überschrift» erwartet man die für Eide übliche Schwurformel in der ersten Person
mit der Anrufung der Götter, darauf den Inhalt des Schwures m i t den einzelnen
Verpflichtungen. 41 Es ist auffällig, vorläufig aber nicht zu erklären, daß die A n r u -
fung der Götter fehlt, deren drohende Rache am potentiellen Eidbrecher die E i n -

und noch jüngst ausführlich LANDUCCI GATTINONI [Anm. 12] 103f.; 110; 115f.; 122-124),
noch auf ein förmliches Bündnis mit Antigonos deuten muß (SAITTA [Anm. 14] 113; LUND
[Anm. 12] 28; 215 Anm.29).
40
Theopomp, FGrHist 115 F 31 über Kotys I . ; dazu B.LENK, Thrake (Geschichte), RE 6
A 1,1936, 422.
Aus den zahlreichen Belegen vgl. nur H . H . S C H M I T T , Die Staatsverträge des Altertums
3,1969 (im folgenden StV III), 468 Z. 14ff.; 481 Z.23ff., 51 ff.; 492 Z.60ff., 69ff. u.a.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 253

haltung des Eides gewährleisten soll. I n unserem Text folgt stattdessen das aus grie-
chischen Volksbeschlüssen wohlbekannte Antragsformular επειδή - δεδόχθαι, m i t
dem der Inhalt des Eides ausgedrückt w i r d , der δρκος der Berenike und ihrer Söhne
tritt hier also an die Stelle des Beschlußformulars εδοξε Βερενίκη κ α ι τοις υίοΐς
αυτής. Der mit επειδή eingeleitete Nebensatz (Z. 2-7) greift dabei begründend auf
die ältere Vereinbarung zwischen Seuthes und Spartokos zurück, erst die v o n
δεδόχθαι abhängigen Infinitive δεδόσθαι und παρέχεσθαι bezeichnen den Inhalt des
Beschlusses selbst (Z.7-16). Darauf folgen v o n Z. 16-26 i m Imperativ der dritten
Person Modalitäten, die die konkrete Umsetzung des Eides durch die Söhne der Be-
renike regeln. N a c h den i n den Z. 27-34 sich wieder i n indirekter Rede anschließen-
den Bestimmungen zur Aufzeichnung des Textes und zur Aufstellung der Stelen
folgt die für Eidesleistungen übliche Exsekrationsformel (Z. 34-36), 42 zum A b -
schluß w i r d noch einmal ausdrücklich das Weitergelten «der alten Eide der Bereni-
ke» an Epimenes garantiert.
Wie deutlich w i r d , verknüpfte hier der Verfasser des δρκος Elemente eines Volks­
beschlusses, eines Vertrages und der Eidesformel, so daß er mit einiger Wahrschein-
lichkeit an ein offizielles mehrteiliges Vertragsdossier gedacht hatte, das aus dem
Psephisma einer Gemeinde, dem eigentlichen Vertragstext und der abschließenden
Eidesleistung bestand. Hinter seinem freien Umgang m i t dem Formular griechi-
schen Dekretstils stand sicherlich die Absicht, dem E i d einen offiziellen Charakter
zu verleihen und gleichsam Berenike und ihre Söhne kollektiv den verantwortli-
chen Organen einer Polis gleichzustellen. Wie weit man dies als den Versuch verste-
hen soll, damit Anspruch auf ein sich auf Institutionen - i n diesem Fall eine A r t v o n
Familienrat - gründendes Stück «Staatlichkeit» erheben zu wollen, mag dahinge-
stellt bleiben. Die außergewöhnliche Urkundenform bleibt jedenfalls festzuhalten
und findet, soweit ich sehe, am ehesten noch eine Parallele in dem Proxeniedekret
des karischen Satrapen Maussolos und seiner Frau Artemisia für die Bewohner v o n
Knosos auf Kreta ungefähr v o m Jahr 357 v.Chr. 43 Hier folgt auf die Sanktionsfor-
mel εδοξε Μαυσσώλλωι καιΆρτεμισίηι die m i t επειδή eingeleitete Begründung, an-
schließend Privilegierung und Rechtsgarantie. P H . G A U T H I E R hat auf den Pasticcio-
charakter dieses Textes hingewiesen und m i t Recht als Intention für dieses F o r m u -
lar «la volonte d'affirmer, vis-ä-vis d'une cité grecque, le caractére hellénique et
quasi civique des privileges consentís» gesehen.44 Eine vergleichbare Absicht w i r d

42
Sie bildet hier eine verkürzende Zusammenziehung aus der eigentlichen Fluch- und Se-
gensformel, etwa εύορκοϋντι μέμ μοι εύ είναι αΰτώι και γένει, έπιορκοΰντι δέ τάναντία τούτων
(StV I I I 429, Ζ. 29 f.) nebst ihren zahlreichen Variationen und der Bekräftigung, den Vertag
oder Eid einzuhalten, gewöhnlich ausgedrückt mit έμμενώ έν τοις δρκοις, συνθήκαις usw.
43
I . Labraunda 40 (= S. HORNBLOWER, Mausolus, 1982, Μ 7).
PH. GAUTHIER, Les cites grecques et leur bienfaiteurs, 1985, 163. Auf die ungewöhnliche
Sanktionsformel hatten bereits vorher J. und L.ROBERT, BE 1973, 407 aufmerksam gemacht.
Bekanntlich ahmen auch Vereine und Familienverbände in ihren Beschlüssen den Dekretstil
griechischer Poleis nach (E.ZIEBARTH, Das griechische Vereinswesen, 1896, 183-185).
254 Karl-Ludwig Elvers

man auch dem unbekannten Verfasser des Eides an Epimenes unterstellen dürfen.
Die Aufhellung des sachlichen Hintergrundes der Versatzstücke, die er eklektisch
zusammengefügt hat, w i r d dadurch freilich nicht erleichtert.
Der Nebensatz (Z. 2-7) beginnt mit einem zeitlichen Rückgriff auf die Zeit, i n der
Seuthes als ύγιαίνων bezeichnet werden konnte, d.h. sich noch am Leben und i m
Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte befand. 45 I n dieser Zeit - -wobei offen bleibt,
wie weit sie zurückliegt - schlössen Seuthes und Spartokos eine Vereinbarung.
Diese Vereinbarung beinhaltete von Seiten des Seuthes die Übergabe des Epimenes
und dessen υπάρχοντα an Spartokos. A m Ende des Textes i m Anschluß an die Ex-
sekrationsformel w i r d Epimenes von sehen der Berenike die Einhaltung «der alten
Eide» (τους αρχαίους όρκους) garantiert (Ζ. 36 f.). M a n kann nur vermuten, daß die
Eide Berenikes i m Zusammenhang mit der alten Ubergabevereinbarung des Seuthes
standen und auch damals die Beendigung des Asyls zum Inhalt hatten. Sie werden
sich aber sicherlich v o m Inhalt des neuerlichen Eides der Berenike und ihrer Söhne
unterschieden haben, sonst wäre nicht noch einmal ausdrücklich ihre Einhaltung
zugesichert worden.
Auf dieses dann aber nicht erfüllte Auslieferungsversprechen h i n wurden Seuthes
von sehen des Spartokos Garantien (τα πιστά) geleistet. Die Formel (τα) πιστά δι-
δόναι oder häufiger πίστεις διδόναι findet sich in der Vertragssprache regelmäßig als
Bekräftigung rechtsverbindlicher Vereinbarungen durch die vertragschließenden
Parteien, w o m i t die Förmlichkeit des Abkommens zwischen Seuthes und Sparto-
kos unterstrichen w i r d . Die Leistung v o n πιστά beruht dabei auf Gegenseitigkeit:
Beide Seiten garantieren in Verbindung mit einem Eid die Einhaltung der geschlos­
senen Vereinbarung. D e m beiderseitigen «Geben» v o n Garantien entspricht das
beiderseitige «Empfangen», πίστεις oder (τά) πιστά λαμβάνειν. 46 Somit w i r d auch

45
Da Berenike und ihre Söhne im folgenden die verantwortlich handelnden Personen sind
und Seuthes nicht mehr erscheint, ist nicht ganz eindeutig, ob ύγιαίνων an dieser Stelle syn­
onym mit ζών zu verstehen ist, d.h. ob Seuthes bei der Abfassung des Eides bereits tot oder
tatsächlich bloß nicht mehr regierungsfähig war (so MIHAILOV im Kommentar: senex et ae-
grotus). In Testamenten aus hellenistischer Zeit bekundet der Erblasser mit ύγιαίνων häufiger
nach der offiziellen Bestätigung seiner Testierfähigkeit seinen Wunsch nach guter Gesundheit,
etwa im Testament der Epikteta I G X I I 3, 330 I Z.2ff. (Thera): τάδε διέθετο νοούσα και
φρονούσα Επίκτητα Γρίννου ... εϊη μέν μοι ύγιαίνουσαι και σωζομέναι τά ϊδια διοικεν . . . (vgl.
für die Papyri die Belege bei Ε PREISIGKE - E. KIESSLING, Wörterbuch der griechischen Papy-
rusurkunden I I , s.v. υγιαίνω und die Bemerkungen von B.KÜBLER, Testament, RE 5 A 1,
1934, 978 und R. TAUBENSCHLAG, The Law of Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri,
2
1955,191). Vielleicht ist auch in der Inschrift aus Seuthopolis an diesen Kontext gedacht.
6
So sagt Xenophon über die Einigung zwischen Jason von Pherai und Polydamas 374
v.Chr. über den Anschluß von Pharsalos an Jason: τά πιστά εδοσαν άλλήλοις (Hell.6, 1, 18).
Aus den übrigen zahlreichen Belegen, die die Historiker, namentlich Xenophon, und die In-
schriften bieten, sei wegen seiner zeitlichen Nähe zu unserem Text der Brief des Antigonos
Monophthalmos an Skepsis über den Frieden von 311 v.Chr. zitiert (StV I I I 428), in dem es
über die eigenen Gesandten und die des Ptolemaios heißt (Z.48ff.): ούτοι τε δή παρεγένοντο
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 255

Seuthes gegenüber Spartokos die Einhaltung der getroffenen Vereinbarung garan-


tiert und damit τά πιστά geleistet haben; i n der Sicht v o n Seuthes' Rechtsnachfol­
gern Berenike und ihren Söhnen verdiente aber nur die Garantieerklärung des Spar-
tokos ausdrücklich Erwähnung. "Welchen Inhalt sie besessen hat, d.h. ob Spartokos
für die Übergabe des Epimenes i m eigentlichen Wortsinn v o n πιστά ein «Treue­
pfand» gegeben oder eine andere nichtmaterielle Gegenleistung versprochen oder
erbracht hat, bleibt leider unklar; es ist allerdings ausdrücklich gesagt, daß das Ga-
rantieversprechen des Spartokos i n direktem Zusammenhang mit der Übergabe des
Epimenes stand. Aus der Formulierung, daß Spartokos gegenüber Seuthes «Garan-
tien geleistet» habe, kann nicht geschlossen werden, daß Spartokos irgendeine wei-
terreichende Verpflichtung gegenüber Seuthes eingegangen ist oder gar, einem mit-
telalterlichem Vasallen vergleichbar, einen «Gefolgschaftseid» abgelegt hat, und
m i t h i n hier auf ein politisches Bündnis angespielt wird. 4 7
In den Zeilen 16-26 folgen Modalitäten, nach denen die Söhne der Berenike Epime-
nes aus dem Tempel herausführen sollten. Diese Regelungen waren es m i t Sicherheit
auch, die den eigentlichen Inhalt des Eides der Berenike und ihrer Söhne gegenüber
Epimenes ausmachten,48 denn offensichtlich bestand sein Zweck darin, Epimenes zu
garantieren, daß seine Entfernung aus dem Tempel ohne Gewalt und damit ohne Ver-
stoß gegen das Asylrecht erfolgen würde (s. u.). Problematisch ist demgegenüber der
Inhalt der Zeilen 10-16 des Beschlusses der Berenike und ihrer Söhne. Es geht dort
um die Übergabe des Epimenes und seiner Habe an Spartokos auf Lebenszeit (Z. 10-
12) und die Bestimmung, daß Epimenes dem Spartokos oder seinen Beauftragten
«den Dienst leisten» soll (Z. 12-16). Der Wortlaut läßt die Entscheidung offen, ob es
sich dabei u m eine Konzession v o n Seiten der Berenike und ihrer Söhne gegenüber
Epimenes handelte, durch die Berenike und ihre Nachkommen ihren Anspruch auf
die Person, eventuell auch auf das Leben des Epimenes jetzt und i n Zukunft aufgaben,
oder ob es sich dabei u m eine Verfügung über die Person des Epimenes handelte, der

λαβόντες χά πιστά και οι παρά Πτολεμαίου οι περί Άριστόβουλον ήλθον ληψόμενοι παρ' ημών,
wegen ihrer räumlichen Nähe die Vereinbarung zwischen dem thrakischen Dynasten
Seuthes I I . und dem Stamm der Thynen vom Jahr 404 v. Chr. (Xen. Anab. 7, 4, 22): πιστά
λαμβάνειν έκέλευον (sc. oí Θυνοί). Mit der Formulierung der Inschrift vergleichbar sind wei­
ter Xen. Anab. 5, 4, 11: έπί τούτοις πιστά δόντες και λαβόντες φχοντο, und Polyb. 8, 25, 1:
αϋτο'ι τε τοις περί τον Άννίβαν εδοσαν πίστεις και παρ' εκείνων έλαβον έπί τούτοις ... (es fol­
gen die Bedingungen). Zur Verbindung von Eid und Garantieerklärung vgl. etwa Xen. Anab.
2, 2, 8-10 und S.CALDERONE, Πίστις -fides, 1964, 45-47 mit weiteren Zeugnissen.
Damit erledigt sich K. DIMITROVS mehrfach vorgetragene These, daß in der Inschrift von
einem «Loyalitätseid» des Spartokos gegenüber Seuthes die Rede sei und es sich dabei um ein
Bündnis thrakischer Stämme unter Führung des Seuthes gegen Lysimachos handele (etwa The
Coinage of Spartocus [Anm.31] 104-106).
4
Der Dativ Επιμένει in Ζ. 1 läßt keinen Zweifel daran, wie MIHAILOV mit seiner Überset-
zung: «iusiurandum . . . Epimeni datum» gesehen hat, daß Epimenes, nicht Spartokos der
Adressat des Eides ist (CHR.DANOFF, Seuthopolis, RE Suppl.9, 1962, 1376 übersetzt falsch
mit «bezüglich Epimenes»).
256 Karl-Ludwig Elvers

verpflichtet wurde, auf Lebenszeit i m Dienst des Spartokos zu stehen. I n erster Linie
ist dies eine Frage nach der Identität und dem personenrechtlichen Status des Epime-
nes und, damit verbunden, nach der Bedeutung v o n υπάρχοντα und dem konkreten
Inhalt der v o n Epimenes zu leistenden χρεία.
Da uns der historische Kontext fehlt, k o m m t man auch in dieser Frage über bloße
Mutmaßungen nicht hinaus. Welches Ereignis die Flucht des Epimenes i n den Tem-
pel der Samothrakischen Götter ausgelöst hat, etwa ein Kapitalverbrechen, wissen
w i r nicht. Es ist evident, daß es sich u m eine relativ wichtige Person gehandelt haben
muß. Dafür spricht nicht nur die Respektierung der Asylie des Tempels der Samo-
thrakischen Götter durch die Familie des Seuthes u n d ihre förmliche Beendigung
durch einen E i d gegenüber dem Asylsuchenden, sondern auch die umfängliche und
aufwendige Dokumentation durch insgesamt vier Inschriftstelen - je zwei i n Kaby-
le und Seuthopolis - und ihre Aufstellung i n den jeweiligen lokalen Heiligtümern.
Epimenes ist zweifelsfrei ein griechischer, kein thrakischer Name. Die übrigen,
nicht sehr häufigen Belege lassen leider keine näheren Rückschlüsse auf eine mögli-
che Herkunft zu. 49 Der einzige aus der Alexanderzeit bekannte Epimenes ist einer
der Teilnehmer an der sogenannten Pagenverschwörung gegen Alexander d. Gr. i m
Jahr 327 v. Chr.; nach ihrer Aufdeckung wurde er offenbar begnadigt, sein weiteres
Schicksal ist allerdings unbekannt, 50 so daß die Identität des i n der Inschrift genann-
ten Epimenes offen bleiben muß. Über seinen Status läßt sich nur feststellen, daß er
υπάρχοντα, also persönliche Habe besaß, und damit aller Wahrscheinlichkeit nach
kein Sklave war.
Nach dem Beschluß der Berenike und ihrer Söhne sollte Epimenes dem Sparto-
kos «auf Lebenszeit übergeben» werden (εις άπαντα τον βιον) und sollte er diesem
oder seinen Beauftragten «den Dienst verrichten» (παρέχεσθαι . .. τήν χρείαν).

49
Der Name ist vom 5.Jh. an für Zypern, Paros (?, vgl. die Belege bei P.FRÄSER U.
E. MATTHEWS, A Lexicon of Greek Personal Names 1,1987, s.v.), Argos (The Athenian Agora
X V I I 4 Z. 93) und Milet (Nie. Damasc., FGrHist 90 F 53) bezeugt. Geographisch am nächsten
liegen Belege für Amphipolis (IG I I 2 8080), Mesambria (SEG 24, 925, 3.Jh. v.Chr.), Thasos
(IG X I I 8, 335 Z. 14, aus hellenistischer Zeit?), Thessaloniki (IG X 2, 1, 68 Z. 16; 69 Z. 13; 133
Z. 14, alle kaiserzeitlich) und häufiger Thessalien (IG I X 2, 215 Z. 8 [Thaumakoi]; 1108 Z. 10
[Magnesia, 2.Jh. v.Chr.]; B.HELLY, Gonnoi I I Nr.29 Z . l l [30 Z.15f.]; 122 Z.2 [Gonnoi]).
Weiterhin P.HERRMANN, Anadolu 1965, 35 Z.32 (Teos); SEG 19, 296 (?); 32, 381 (Tiryns, ca.
200 v.Chr.) und mehrere Belege in den Papyri: UPZ 14 Z.128; 140 (157 v.Chr.); SB 6, 9564
Z. 10 (l.Jh.v.Chr.);P.Hib. 30 Z.26 (Anf. 3Jh. v.Chr.); 84(a) Z.2 (l.H.3.Jh. v.Chr.); F.UEBEL,
Die Kleruchen Ägyptens unter den ersten sechs Ptolemäern, 1968, 271 Nr. 1135); P.Hib. 81
Z.7 (?, vgl. UEBEL a.a.O., 50 Nr.61); P.Yale 26 Z.2 u.ö. (Anf. 3.Jh. v.Chr.); PSI 10, 1118 Z.7
(1.Jh. n.Chr.). Der Name fehlt, soweit ich sehe, in der Prosopographie von M.LAUNEY, Re-
cherches sur les armées hellénistiques 2, 1950, 1111-1267. - Wie allerdings die Namen der
Söhne des Kersebleptes aus dem 2.Jh. v.Chr. zeigen (Syll.3 195), konnten Kinder thrakischer
Könige auch griechische Namen tragen.
50
Vgl. BERVE (Anm.12) 150, Nr. 300; W.HECKEL, The Marshalls of Alexander's Empire,
1992,291.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 257

Diese Formulierung läßt zunächst vermuten, daß hier v o n einem persönlichen A b -


hängigkeitsverhältnis des Epimenes gegenüber Spartokos die Rede ist, und der be-
stimmte Artikel bei χρεία deutet darauf hin, daß es sich dabei u m eine ganz spezi-
fische, den Beteiligten bekannte A r t von «Dienst» handeln muß, den Epimenes als
«Abhängiger» des Spartokos zu leisten hatte, ohne daß man aber seinen Inhalt
auch nur annäherungsweise bestimmen könnte. 51 D i e Kenntnisse der gern als
feudal bezeichneten thrakischen Stammesstruktur 52 reichen leider nicht so weit,
um definitiv feststellen zu können, i n welcher F o r m personale Bindungen
zwischen dem Herrscher u n d seinem Gefolgsmann zustande kamen, welche
gegenseitige Verpflichtung beide Seiten damit eingingen, u n d welches «Verfü-
gungsrecht» eventuell der Dynast besaß. Die Schilderung Xenophons i m 7. Buch
der Anabasis (bes. 7, 3, 21 ff.) v o m «Hof» Seuthes' I L und die Nachrichten des De-
mosthenes i n seiner Rede «Gegen Aristokrates» (or.23) über die Söldnerführer
Iphikrates, Charidemos und Athenodoros, die sich bei verschiedenen thrakischen
Königen verdingten, 53 lassen höchstens eine A r t v o n freiwilligem Dienst der Grie-
chen für die thrakischen Fürsten erkennen, den diese durch Sold, Anteil an der
Beute oder «Belehnung» m i t festen Plätzen an der Küste entgalten, nicht aber
einen dynastisch oder religiös-charismatisch begründeten Herrschaftsanspruch
mittelalterlicher Prägung des thrakischen «Herren» gegenüber seinen griechischen
«Vasallen». Die Frage, wie derartige Bestimmungen über die Person des Epimenes
überhaupt getroffen werden konnten, ist daher vorläufig nicht z u beantworten.
Da der Inhalt der χρεία nicht weiter spezifiziert w i r d , bleibt auch unklar, w a r u m
Spartokos ein so großes Interesse am «Dienst» des Epimenes besaß. Unter den
υπάρχοντα des Epimenes können grundsätzlich sowohl bewegliche wie unbewegli-

51
Im Sprachgebrauch vergleichbar ist etwa der Vertrag Eumenes' I L mit kretischen Städ-
ten aus dem Jahr 183 v.Chr. (I. Cret. IV 179 [Syll.3 627]), wo es Z. 14 f. heißt, daß Eumenes für
Waffen, Verpflegung und Sold der kretischen Söldner aufkommen werde, όσον [αν χρόνον]
τήγ χρείαν παρέχωνται, solange sie also ihren Militärdienst versehen, oder der von L. ROBERT
BCH 52, 1928, 166 Anm.4 angeführte Volksbeschluß aus Assos für ausländische Richter und
einen γραμματεύς (J.R.S.STERRET, PASA 1, 1882-83 [1885], 11 Nr.7 [I. Assos 7], Z. 16-18):
στεφανώισαί δέ [κ]αί τόγ γρ[αμμα]τέα Μέλαγχρον Μελάγχρου θαλερώι στεφάνωι έπί τώι πα-
ρασχ[έ]σθαιτήν καθ' αυτόν χρείαν; ähnlich auch Syll.3 409 Z.27f. und 538 Α Ζ. 15 f.; vgl. auch
PREISIGKE - KIESSLING I I (Anm.45) s.v. χρεία. Für die mit ή οίς αν Σπάρτοκος συντάσστμ be­
zeichneten Beauftragen vgl. die Formulierung im Eid der Truppen von Philetaireia und At-
taleia an Eumenes I . (StV I I I 481 Z.38-40): αποδώσω ορθώς [και] δικαίως Εύμένειτώι Φιλε-
ταίρου ή ώι αν ούτος προστάσσει, ποιούντος [αύτ]ού τά ώμολογημένα.
52
Etwa Β. LENK, Thrake (Geschichte), RE 6 A 1, 1936, 422 und WIESNER (Anm. 28) 35.
53
U.KAHRSTEDT, Iphikrates N r . l , RE 9, 2, 1916, 2019-21; J.KIRCHNER, Charidemos
Nr. 5, RE 3, 2, 1899, 2135-38; W.JUDEICH, Athenodoros Nr.2, RE 2, 2, 1896, 2043; vgl. auch
Nymphodoros aus Abdera, δυνάμενος bei König Sitalkes I . (Thuk. 2, 29, 1; K.ZIEGLER,
Nymphodoros, RE Suppl. 10, 1965, 430) und Herakleides aus Maroneia, der für Seuthes IL
den Verkauf von dessen Beute an der Propontisküste organisierte (Xen. Anab. 7, 3, 16-20; 4,
2; 5, 4-8; 6, 2-7; 7, 35 f.).
258 Karl-Ludwig Elvers

che Habe, also auch Landbesitz verstanden werden. Letztere Möglichkeit (omnia
bona cum loco) wurde v o n G. M I H A I L O V i n seinem Kommentar favorisiert, der i n
Epimenes einen Militärkommandanten vermutete, der, ursprünglich i n den Dien-
sten des Lysimachos, i m Tonzostal eine eigene Herrschaft habe errichten wollen, i n
die Abhängigkeit von beiden Dynasten geraten sei und schließlich einen M o r d a n -
schlag auf Seuthes in dessen Palast unternommen habe. Dies ist nicht nur historisch
schwer nachzuvollziehen; es spricht auch die Bestimmung des Eides dagegen, daß
die Söhne der Berenike nichts v o m Besitz des Epimenes wegnehmen sollten, wenn
sie ihn aus dem Tempel herausführten. Das Verbot der Wegnahme deutet darauf hin,
daß mit υπάρχοντα derjenige Besitz gemeint ist, den Epimenes bei sich trug, also
seine bewegliche Habe. 54
Bemerkenswert sind i n jedem Fall die Regelungen, nach denen die Söhne der Be-
renike Epimenes aus dem Tempel der Samothrakischen Götter herausführen, d. h.
die Asylie beenden sollten (Z. 16-27). Sie bestehen zunächst i n der Bestimmung,
dem Epimenes «auf keine Weise ein Unrecht zuzufügen», dann i m Vollzug der be-
reits i m Beschluß genannten Übergabe mitsamt seinem Besitz an Spartokos, und
schließlich in der Verfügung, sich nicht an der Habe des Epimenes zu vergreifen,
wenn dieser «sich nichts zuschulden kommen läßt». M i t der letzten Bestimmung
dürfte gemeint sein, daß Epimenes keinen Widerstand gegen seine Übergabe leisten,
nichts von seiner Habe unterschlagen und nichts aus dem Tempel mitnehmen oder
zerstören soll. Die i m folgenden m i t έπιγνώμων bezeichnete Funktion des Sparto­
kos als «Schiedsrichter», 55 wenn Epimenes diese Bestimmungen nicht einhält, 56 läßt

Völlig abwegig ist in jedem Fall die auf einem sprachlichen Mißverständnis der von ihr
herangezogenen Parallelen beruhende, schon von L. OGNENOVA-MARINOVA, Quis autem erat
Epimenes, Klio 62, 1980, 47 f. angeregte Interpretation von M.TACEVA, Vekove 10,1981, H.3,
47f., modifiziert wiederholt von ders., Istorija na Balgarskite 2: Eemi ν dreviostta (Ancient
History of the Bulgarian Lands 2: Development and Flourishment of the Slave Society), 1987,
17-19 (vgl. die engl. Zusammenfassung, 267f.) als «religiöse Funktionen», die bereits G . M I -
HAILOV, Epigraphica Thracica, Philologia 16, 1984 (Sofia), 3-5 zurückgewiesen hat (vgl. auch
SEG31,678).
3
Die Verwendung des Begriffes έπιγνώμων ist in jedem Fall auffällig. Das insgesamt nicht
sehr häufige Wort, in seiner Grundbedeutung «Schiedsrichter» oder «Schätzer» (vgl. De-
mosth. 37, 40), bezeichnet gewöhnlich einen städtischen «Richter» (im Plural ein Richterkol-
legium), dessen institutioneller Status und Aufgabenbereich sich aus den Belegen nicht immer
zweifelsfrei ergeben, der sich aber in der Regel offenbar mit der Festsetzung von Abgaben und
der Kontrolle von Vertragsbedingungen, etwa im Zusammenhang mit Land Verpachtung, be-
schäftigte; vgl. dazu die Diskussion des Materials vom 4.-1 .Jh. v. Chr. bei F. SALVIAT, Bail tha-
sien pour un terrain planté, B C H 96,1972, 364-367 (mit den Einwänden von CL. VATIN, B C H
100,1976, 562), die von U. FANTASIA, Document! d'afitto delle terre dei Klytidai (Chio, IV sec.
a. C ) , ANSP 7, 1977, 52 nicht ersetzt wird. Zu den dort genannten epigraphischen und litera-
rischen Belegen, von denen diejenigen aus Thasos (IG X I I Suppl. 353 Z. 6 f. und SALVIAT,
a.a.O. 362 Z.5) und Lampsakos (I.Lampsakos 9 Z.26ff.) wegen ihrer geographischen Nähe
Erwähnung verdienen, ist der έπιγνόμον der archaischen lex sacra aus Tiryns (SEG 30, 380,
Nr. 6 und 7), hier ein Mitglied des Kultpersonals, zu ergänzen. Vielleicht ist in der Inschrift aus
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 259

wieder offen, worüber genau Spartokos z u befinden hat: über die Feststellung des
Tatbestandes des άδικεΐν als solchem, über den Verbleib der v o n Epimenes unter-
schlagenen Habe, über mögliche Sanktionen gegen die beteiligten Personen usw.
Es bleibt die Frage, welche der drei beteiligten Parteien - Epimenes selbst, Bere-
nike und ihre Söhne oder Spartokos - vordringliches Interesse an der Übergabe des
Asylsuchenden hatte und z u wessen Gunsten sie erfolgen sollte. Der Hauptnutz-
nießer war offenbar Spartokos. Er profitierte nicht nur durch die künftige Tätigkeit
des Epimenes i n seinen Diensten, sondern augenscheinlich auch materiell durch die
Mitauslieferung v o n dessen υπάρχοντα. Dieser materielle Aspekt scheint eine so
wichtige Rolle gespielt zu haben, daß i m E i d Spartokos ausdrücklich die Kontrolle
über die Unversehrtheit des Vermögens des Epimenes bei seiner Übergabe zuge-
wiesen wurde. Wie weit Spartokos persönlich i n die Vorgänge i n Seuthopolis invol-
viert war, bleibt ungewiß. Scheint auch Spartokos die eigentliche «starke» Partei i n -
nerhalb der i n der Inschrift geschilderten Vorgänge gewesen z u sein, so "wird man
trotzdem sichere Schlüsse über die politische Lage i m Tonzostal am Beginn des
3. Jh.s gegen Ende der Herrschaft des Seuthes, insbesondere über einen Machtverfall
unter seinen Nachfolgern und eine Auflösung seines kleinen Reiches, kaum ziehen
können. 57
Die Identität der Berenike ebenso wie ihrer vier m i t Namen genannten Söhne
Ebryzelmis, Teres, Satokos und Sadalas ist nicht sicher festzustellen. Es ist eine na-
heliegende Vermutung, in Berenike eine Tochter eines der Diadochen zu sehen und
hinter ihrer Verbindung mit Seuthes politische Motive zu vermuten. 58 Je nach ver-
muteter Parteinahme des Seuthes i n den Auseinandersetzungen der Diadochen und
der Datierung der Heirat Berenikes m i t Seuthes wurden als ihr Vater Antigonos
ebenso wie sein Gegner Lysimachos namhaft gemacht.59 Für diesen bezeugt Pausa-
nias (1, 10, 4) die Ehe mit einer Odrysin. Diese nicht näher zu datierende Ehe, aus
der ein beim Tod des Lysimachos 281 v.Chr. bereits erwachsener Sohn hervorging
(App. Syr. 64, 341), gilt üblicherweise als Zeichen für eine Verständigung des Dia-
dochen mit dem Thrakerstamm, 60 die auch den Hintergrund für die Heirat von Be-

Seuthopolis wegen der Entscheidung über den Besitz des Epimenes dieser Terminus bewußt
gewählt.
5
MIHAILOV bezieht υπέρ τούτων zu Unrecht auf die Söhne der Berenike und übersetzt:
«si Epimenes eos nulla injuria afficit».
57
K.DIMITROV, Coinage of Spartocus (Anm.31) 106.
58
Dies hat vermutlich dazu geführt, daß D. P. DIMITROV, Denkmäler (Anm. 6) 184 den In-
halt der Inschrift anfänglich fälschlich als «Schwurverpflichtung (δρκος) zwischen einzelnen
Mitgliedern thrakischer und makedonischer Herrscherfamilien» bezeichnete.
39
Für Antigonos plädiert MIHAILOV im Kommentar und ders., La Thrace (Anm. 39) 84;
für Lysimachos BURSTEIN (Anm.6) 23.
60
F.GEYER, Lysimachos, RE 14, 1, 1923, 4; BURSTEIN (Anm.6) 22; LANDUCCI G A T T I N O N I
(Anm. 12) 122. LUND (Anm. 12) 29 f. entwickelt die komplizierte Idee einer Doppelheirat nach
312 v. Chr., was sie zu der Annahme zwingt, daß die Söhne der Berenike (bei einer vermuteten
Datierung des Textes an das Ende des 4. Jh.s) sich noch im Kleinkindalter befanden und bei
260 Karl-Ludwig Elvers

renike und Seuthes bilden könnte. Allerdings ist keinesfalls gesichert, daß es sich bei
der Verbindung tatsächlich u m eine «dynastische» Heirat gehandelt hat, denn Bere-
nike konnte ebenso etwa aus einer der makedonischen Kolonien i n Thrakien stam-
men. 61 Letztendlich läßt die völlig offene Datierung der Heirat des Seuthes m i t Be-
renike i n dieser Frage nur unergiebige Spekulationen zu.
Die Namen ihrer vier Söhne sind ebenso wie derjenige ihres Vaters als thrakische
Dynastennamen weit verbreitet und erlauben keine genaue Identifizierung. 62 Sada-
las ist mehrfach m i t einem Dynasten gleichen Namens gleichgesetzt worden, dem
im 3.Jh. v.Chr. von Mesambria Bürgerrecht und Proxenie verliehen wurden, aber
auch bei dieser Inschrift ist die chronologische Einordnung umstritten. 63
Es bleibt noch die Diskussion der Lücke am Beginn v o n Z. 10 nachzutragen. A m
«Beschluß» der Berenike und ihrer Söhne sind noch weitere Personen beteiligt, die
in Z. 9 f. als τοις | [—]εσομένοις bezeichnet werden. Die exakte Länge der Lücke ist
nicht genau auszumachen; die relativ kleinen und eng laufenden Buchstaben der
Zeile machen das Fehlen v o n vier Buchstaben wahrscheinlich, drei sind vielleicht,
fünf allerhöchstens möglich. Das Partizip Präsens eines Verbums auf -εσενν oder
das Partizip Futur eines Verbums, das den Futurstamm nicht mit Eta bildet, sind
mangels geeigneter Verba v o n vornherein auszuschließen.
D . P. D I M I T R O V i n seinen verschiedenen Übersetzungen sowie G. M I H A I L O V nah-
men ohne weitere Diskussion an, daß hier von «künftigen Kindern» der Söhne der
Berenike die Rede ist, ohne die sprachlichen und sachlichen Probleme dieser Ergän-
zung auch nur anzudeuten. 64 W i l l man den Gedanken an «Kinder» oder «Nach-
kommen» beibehalten und έσομένοις lesen, müßte davor ein ganzes Wort, vielleicht

der Übergabe des Epimenes nur eine rituelle Rolle spielten. Dies schließt der Wortlaut des
Textes ganz zweifelsfrei aus.
61
Die Frau des Seuthes bietet offenbar zusammen mit der bekannten Gattin Ptolemaios' I .
den frühesten Beleg für den Frauennamen Berenike, der erst ab dem 3. Jh. v. Chr. auch als Pri-
vatname in weiterer Verbreitung nachzuweisen ist, wie die Belege bei FRÄSER - MATTHEWS
(Anm.47) s.v., zeigen. Darin könnte ein Argument für den «dynastischen» Charakter der Ver-
bindung liegen.
62
Vgl. D. DETSCHEW, Die thrakischen Sprachreste, 21976,2 (Αβροζελμις), 408 f. (Σαδαλας),
410 (Σατοκος), 500-502 (Τηρης).
63
IGBulg. I 2 307 (StV I I I 556); zur Datierungsproblematik vgl. die Ausführungen von
L.MORETTI, ISE 123 und das Literaturreferat SEG 30, 701; zum historischen Kontext
N . EHRHARDT, Konstanten in den politischen Beziehungen zwischen Thrakern und Griechen
auf dem Balkan, Eos 76, 1988, 295 f. Ob das in Batkun bei Pazardzik gefundene, jetzt verlore-
ne und nur unvollständig erhaltene Dekret einer unbekannten Gemeinde IGBulg. I I I 1, 1114
nach Philippopolis gehört und mit ihm die Söhne des Seuthes geehrt werden, wie MIHAILOV
annimmt, muß ebenso offen bleiben (berechtigte Skepsis bei L U N D [Anm. 12] 32). Die zahlrei-
chen weiteren hypothetischen Kombinationen, die in der bulgarischen Forschung zur Ver-
wandtschaft angestellt worden sind, können hier nicht nachgezeichnet werden.
6
G.KLAFFENBACH übersetzt mit: «und wer es künftig sein mag» und zeigt damit nur Rat-
losigkeit, CHR.DANOFF, Seuthopolis, RE Suppl.9, 1962, 1376 läßt in seiner Übersetzung die
entsprechende Passage einfach aus.
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 261

etwa αύτήι oder άεί (in seiner ionischen F o r m οάεί?) ausgefallen sein, aber der abso­
lute Gebrauch v o n έσόμενοι befriedigt i n beiden Fällen nicht. 65 A u c h wenn man die
Komposita zu είναι durchmustert, 66 bleibt die Wendung stets ein sprachlich höchst
problematischer und ungewöhnlicher Ersatz der üblichen und naheliegenden Be-
zeichnung εκγονοι für die Nachkommen, wenn diese tatsächlich gemeint sein soll-
ten. Dagegen spricht aber entschieden die sachliche Erwägung, daß der Einschluß
künftiger (noch ungeborener?) Kinder v o n Königen zwar bei auf Dauer gerichteten
Verträgen sinnvoll und bezeugt ist, 67 bei dem einmaligen A k t der Entlassung des
Epimenes jedoch kaum angebracht -war.
Παρείναι w i r d von Beteiligung aller möglichen Leute an ganz verschiedenen Vor-
gängen gesagt, W. DITTENBERGERS Sylloge bietet i m Index verborum eine reiche
Ausbeute an Belegen. Gern w i r d das Verbum für die Teilnahme v o n Zeugen an
Rechtsgeschäften verwendet, etwa auch der έμβασις von Grundstücken i n Mylasa,
der schriftlichen Niederlegung v o n Senatus consulta (= scribendo adesse) i n R o m
oder, vielleicht, der Archivierung von Dekreten i n Samos.68 Wahrscheinlich ist i m
Eid für Epimenes παρ]εσομένοις die richtige Textherstellung. Gemeint wären damit
alle über den Kreis der namentlich genannten Hauptakteure hinaus an der Entlas-
sung beteiligten Personen, die sich wie diese durch die v o m Eid initiierten und sank-
tionierten Beschlüsse gebunden zu fühlen hatten. Ihre A n o n y m i t ä t ist w o h l nicht
durch die Perspektive des Textredaktors, der die παρεσόμενοι noch nicht kannte,
sondern durch ein Streben nach Generalisierung zu erklären, das Epimenes auch Si-
cherheit vor Übergriffen (angestifteter) Dritter geben sollte.

65
Die sprachlichen Parallelen stammen alle erst aus späterer Zeit: «Ihre jeweiligen Kinder»
heißen in den Eheverträgen und Testamenten aus Ägypten gewöhnlich τά έσόμενα έξ αυτών
τέκνα/έγγονα u. ä., wobei die Präposition έξ beim Pronomen weitaus häufiger ist als der bloße
Dativ und έσόμενος, soweit ich sehe, nicht absolut gebraucht wird. (vgl. nur POxy. 265 Z.21,
27; 495 Z. 4, 6; 496 Z. 6). In einer kaiserzeitlichen Grabinschrift aus Theangela in Karien heißen
«die jeweiligen Nachfahren» des Verstorbenen und seiner Frau oi έξ αυτών αίεί έσόμενοι (SEG
16, 640 Ζ. 5-7; ähnlich SEG 16, 698 Ζ. 6f., aus Myndos); I.lasos 378 Z.2f. werden sie οι αίεί
έσόμενοι έξ αύτοϋ παίδες και εγγονοί αύτοΰ genannt. Für die Junktur αίεί έσόμενος vgl. wei­
terhin ύπό του άεί έσομένου ταμίου (Syll.3 1104 Ζ. 36, Athen, 1. Jh. v. Chr.) oder die in der Stif­
tung des Vibius Salutaris aus Ephesos mehrfach erwähnten oi αίεί έσόμενοι πολεΐται (R. H E -
BERDEY, FiEphesos I I , 1912, 27 [I. Ephesos 27] Z. 177,181, 185 u.ö.) und die ebendort genann-
ten οι αίεί έσόμενοι Έφεσίων παίδες (Ζ. 147f., 457, 468).
66
Προσ]εσομένοις scheidet ganz aus, weil das Verbum, wie die Belege bei LSJ, 1507 und
PREISIGKE - KIESSLING I I (Anm.45) s.v. πρόσειμι nahelegen, nicht in Zusammenhang mit Per­
sonen benutzt wird.
67
Das Material des 3. Bandes der Staatsverträge des Altertums hat SCHMITT, StV I I I
(Anm.41) 415, s.v. «Einbegreifung der Nachkommen v. Herrschern» erschlossen.
68
Außer der Sylloge etwa noch I . Mylasa, Index verborum s.v. πάρειμι; C H . HABICHT, A M
72, 1957,223.
262 Karl-Ludwig Elvers

III.

Festen Boden betreten w i r wieder bei den vier i n der Verfügung über die Aufstel-
lung der Stelen genannten Heiligtümern und Götteraltären, denen schon D.P. D i -
MITROVS besonderes Interesse galt, da sie ein Schlaglicht auf das Eindringen griechi-
scher Kulte nach Thrakien i m frühen Hellenismus werfen. 69 Für Kabyle, für das w i r
durch die Neubesiedlung unter Philipp I I . mit einer größeren Kolonie gebürtiger
Griechen rechnen können, werden ein Φωσφόριον genanntes Heiligtum und der
Altar des A p o l l o auf der Agora erwähnt. Bereits D I M I T R O V verwies auf die M ü n z -
bilder der autonomen Stadtprägung Kabyles i m 3.Jh. v.Chr., auf denen neben
Herakles auch A p o l l o und Artemis dargestellt sind, letztere dabei m i t zwei langen
Fackeln i n beiden Händen, also i n Angleichung an die Ikonographie der fackeltra-
genden Hekate. 70 Φωσφόρος ist als Epiklese sowohl für Artemis wie Hekate (neben
weiteren Gottheiten) belegt; gelegentlich w i r d die G ö t t i n auch nur als Θεά Φωσφό­
ρος oder bloß Φωσφόρος bezeichnet, so daß nicht immer zu entscheiden ist, ob A r -
temis oder Hekate gemeint ist. 71 Von den von F. G R A F jüngst zusammenfassend be-
sprochenen literarischen und archäologischen Zeugnissen der Artemis Phosphoros
als fackeltragender G ö t t i n verdienen wegen ihrer geographischen Nähe die Wei-
hung für Φωσφόρος aus Odessos72 und die Verehrung der Artemis-Hekate Phos-

69
D.P.DIMITROV, Denkmäler (Anm.6) 186-191, größtenteils wiederholt in D I M I T R O V -
CICIKOVA (Anm.4) 43 ff.
70
Das Material bei DRAGANOV - POPOV (Anm. 33); zur Ikonographie T H . KRAUS, Hekate,
1960, 92 f.
71
Das Material hat L.ROBERT, in: N.FIRATLI, Les steles funéraires de Byzance greco-ro-
main, 1964, 155-159 bei seiner Behandlung der Artemis Phosphoros von Byzanz umfassend
erläutert; 157 wird die Gleichsetzung von Artemis mit der thrakischen Göttin Bendis abge-
lehnt. Auf der Grundlage ROBERTS F. GRAF, Nordionische Kulte, 1984,228-236 mit vollstän-
diger Dokumentation der Quellen und der älteren Literatur; auf seine detaillierte Darstellung
sei hier verwiesen (zur Hekate Phosphoros a. O. 229 Anm. 96); ferner L.D.LOUKOPOULOU,
Contribution ä l'histoire de la Thrace propontique durant la periode archaique, 1989, 105-
109. Aus Nordostthrakien kommt jetzt die von M. CICIKOVA, Newly Discovered Epigraphic
Monument about the Phosphorus Cult in Northeastern Thrace (bulg.), in: Acta associationis
internationalis Terra antiqua Balcánica 4, 1990, 82-92 publizierte Weihung eines Griechen aus
der getischen Siedlung bei Svestari in der Nähe von Isperih hinzu (zum Fundort L U N D
[Anm. 12] 43 f.), die auf Grund des Fundzusammenhanges in das letzte Viertel des 4. oder die
L H . d. 3Jh.s gehört: Μενέχαρμος Ποσειδωνίου Φωσφόρωιεύχήν; dazu die Weihung an Arte­
mis Phosphoros aus dem thessalischen Pythion (SEG 35, 658, 1 .Jh. v.Chr.). Als ikonographi-
sehe Parallele kann ein Reliefblock aus Ephesos aus dem 3.Jh. v.Chr. dienen, auf dem neben
anderen Göttinnen auch eine inschriftlich als Φωσφόρος bezeichnete weibliche Figur in
kurzem Gewand mit einer Fackel in jeder Hand dargestellt ist (E.ATALAY, U n nouveau
monument votif hellénistique ä Ephése, Rev. Arch. 1985, 195-204, hier 197 [SEG 35, 1115]).
Ein Φωσφόριον genanntes Heiligtum kennen wir im Piräus und in Didyma (GRAF 230
Anm. 112).
72
IGBulg. I 2 88 bis (hellenistische Zeit).
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 263

phoros i n Byzanz 73 besondere Erwähnung. Für Kabyle hat L . R O B E R T besonders


auf das Vorbild v o n Byzanz hingewiesen, nach dessen Lokaltradition Artemis
Phosphoros 339 v.Chr. bei der Belagerung durch Philipp I I . der Stadt beigestanden
habe, und daraus auf ihre Herkunft aus Byzanz geschlossen.74 Da Kabyle v o n Phi-
lipp I I . auf seinem letzten Thrakienfeldzug befestigt und eine Kolonie dort einge-
richtet wurde, sollte man makedonischen Ursprung nicht ganz ausschließen; aller-
dings ist i n Makedonien die fackeltragende Artemis nicht häufig bezeugt. 75 Make-
donische Herkunft mag man daher auch für den A p o l l o n k u l t annehmen, der aller-
dings nicht nur i n Thrakien weit verbreitet war, 76 sondern auch i n den westponti-
schen Städten.77
Das für Seuthopolis i n der Inschrift bezeugte H e i l i g t u m der «Samothrakischen
Götter» (Θεοί Σαμοθράικιοι) bzw. der «Großen Götter» (Θεοί Μεγάλοι), wie sie i n
Z. 32 heißen, hat besondere Aufmerksamkeit gefunden. 78 Unser Text stellt das frü-
heste inschriftliche Zeugnis für diesen K u l t außerhalb Samothrakes überhaupt dar,
der sich ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert wachsender Beliebtheit erfreu-
te.79 Er ist i n den makedonischen Städten an der Ägäis (Amphipolis, Philippi) und
den Pontosstädten der thrakisch-skythischen Schwarzmeerküste bis Olbia v o m
3.Jh. v.Chr. an gut dokumentiert, 80 und Samothrake selbst war vielleicht schon seit

73
GRAF(Anm.71)230f.
74
ROBERT (Anm. 71) 158, akzeptiert von GRAF (Anm. 71) 231 Anm. 114.
75
Vgl. für die Kaiserzeit S. D Ü L L , Die Götterkulte Nordmakedoniens in römischer Zeit,
1977, 60 f.; 67; 70.
76
D.P.DIMITROV, Denkmäler (Anm. 6) 189 mit Verweis auf das von G. KAZAROV, Thrake
(Religion), RE 6 A 2, 1936, 500-504 gesammelte Material. In dem bereits Anm. 61 erwähnten,
von M I H A I L O V Philippopolis zugewiesenen Dekret aus hellenistischer Zeit IGBulg. I I I 1,
1114 wird als Aufstellungsort ein Apollontempel genannt. Für die römische Kaiserzeit vgl.
V. VELKOV - V. GERASSIMOVA-TOMOWA, Kulte und Religionen in Thrakien und Niedermösi-
en, ANRW I I 18, 2, 1989, 1331-1335. Auf einer Gefäßaufschrift aus dem Rogozenschatz aus
dem 4. Jh. v. Chr. wird ein Κοτυς Απόλλωνος παις genannt, ohne daß bisher über Identität und
religiöse Aussage Einvernehmen erzielt worden wäre, wie die Diskussionen von G. MIHAILOV
und I.MAZAROV, in: A . F O L (Hrsg.), The Rogozen Treasure, 1989, 56f. und 107-114 zeigen
(vgl. auch SEG 37, 618).
77
Vgl. den Überblick bei B.ISAAC, The Greek Settlement in Thrace until the Macedonian
Conquest, 1986, 288 f. und das Material sub loco; für die milesischen Kolonien speziell
N.EHRHARDT, Miletund seine Kolonien, 1983, 137-147.
78
«Samothrakische Götter» ist die Bezeichnung der «Großen Götter» der Mysterien von
Samothrake außerhalb der Insel; an der Identität der «Samothrakischen Götter» mit den
«Großen Göttern» in unserem Text dürfte daher kein Zweifel bestehen. Zur terminologischen
Differenzierung und zur Abgrenzung von den Kabiren vgl. B.HEMBERG, Die Kabiren, 1950,
27-33; 73-81 (Große Götter); 212 (Samothrakische Götter); COLE (Anm. 6) l f .
79
Vgl. HEMBERG (Anm. 78) 212-217; COLE (Anm. 6) 20-25.
80
Nach HEMBERG (Anm.78) 219-231 hat COLE (Anm.6) 139-168 die epigraphischen Be-
lege aus Odessos, Dionysopolis, Bizone, Kaliatis, Tomis, Istros und Olbia nebst den übrigen
Zeugnissen übersichtlich zusammengestellt (ihrer Dokumentation ist jetzt die Weihung aus
Ikaria [SEG 38, 848] hinzuzufügen).
264 Karl-Ludwig Elvers

Philipp I I . auch eines der v o m makedonischen Königshaus und später v o n den D i a -


dochen aktiv geförderten Heiligtümer. 8 1 D . P. D I M I T R O V vermutete, daß der K u l t di-
rekt aus Samothrake nach Seuthopolis übernommen worden sei.82 Gelegentlich
w i r d als G r u n d für die Übernahme die große Bedeutung der Pferde für die thraki-
sche Aristokratie genannt, und werden deshalb die Samothrakischen Götter mit den
Dioskuren gleichgesetzt. 83 Eine derartige Gleichsetzung ist allerdings für die M y -
sterien auf Samothrake selbst nicht bezeugt und außerhalb Samothrakes w o h l erst
ein Phänomen des Späthellenismus, und daher nicht ohne weiteres als Erklärung für
die Einrichtung des Kultes i n Seuthopolis heranzuziehen. 84 O b es sich damit u m die
«interpretado Graeca» eines bereits existierenden einheimischen Kultes handelt
oder u m einen Neuimport, ist nicht mit letzter Sicherheit auszumachen. Die Anlage
von Seuthopolis spricht für die zweite A n t w o r t , vermutlich gehört auch der K u l t
zur Selbstdarstellung des Seuthes als «griechischer» Herrscher. Es ist bezeichnend,
daß auch das Asylrecht des Hauptheiligtums offenbar mit übernommen und einge-
halten wurde. 8 5 Wichtig ist der K u l t der Samothrakischen Götter aber vor allem
deshalb, weil ein Mysterienkult auch die Existenz weiteren Kultpersonals voraus-
setzt - nicht nur eines Priesters, sondern insbesondere v o n Mysten, also Teilneh-
mern an den Mysterien auf Samothrake selbst, die für die Verbreitung des Kultes
sorgten. Sie sind besonders zahlreich für die makedonischen, thrakischen u n d
kleinasiatischen Griechenstädte an der nördlichen Ägäisküste bezeugt.86 Auf-
schlußreich sind die Zeugnisse v o m Schwarzmeergebiet aus Dionysopolis und
Tomis, 87 die für beide Städte offenbar größere Gemeinschaften von Mysten bezeu-
gen. Dies zeigen die Bestimmungen über den Verkauf des Priestertums der Samo-
thrakischen Götter i n Tomis aus dem 3. Jh. v. Chr. und die Ehrung für A k o r n i o n aus
Dionysopolis von ca. 48 v. Chr., der neben anderen Priesterschaften auch die der Sa-
mothrakischen Götter innehatte, mit ihren Einzelheiten über die Verpflichtungen
des Priesters gegenüber den Mysten.

81
Dazu HEMBERG (Anm.78) 69f. und COLE (Anm.6) 16-25.
82
D.P.DIMITROV, Denkmäler (Anm.6) 191.
83
LUND (Anm. 12) 24, die davon spricht, daß «the Samothracian cult of the Cabeiroi, at-
tested at Seuthopolis, is centered in twin horsemen.»
Vgl. insbesondere COLE (Anm.6) If., die auf einer Trennung von «Samothrakischen
Göttern» und «Kabiren» insistiert, und etwa M.P. NILSSON, Geschichte der griechischen
Religion 2, 21961, 102. Ebenso ist der «Thracian cavalier», der nach L U N D (Anm. 12) 24 auf
den Reversen der Bronzen des Seuthes dargestellt sein soll, tatsächlich eine Imitation der Rei-
terdarstellung auf den Silber- und Bronzeprägungen Philipps I I . (etwa SNG Cop. 581 ff.).
85
Vgl. D.P. DIMITROV, Denkmäler (Anm. 6) 191; zur Asylie des Heiligtums auf Samothra-
ke O . K E R N , Kabeiros und Kaberiroi, RE 10, 2, 1919, 1434f. und COLE (Anm.6) 60 mit
Anm. 484.
86
Vgl. die Liste der bezeugten Mysten bei COLE (Anm. 6) 43 f. mit Karte I (wo beide Male
Dionysopolis nachzutragen ist).
87
Tomis: SOKOLOWSKI, LSCG 87; Dionysopolis: IGBulg. I 2 13 Z. 19-22 (dazu COLE
[Anm.6] 70-75).
Der «Eid der Berenike und ihrer Söhne» 265

Sollte es Mysten i n Seuthopolis gegeben haben, stellt sich die Frage, ob dies Thra-
ker oder Griechen waren. D a die Inschrift i m gewöhnlich als Palast gedeuteten Ge-
bäude gefunden wurde, schloß D . P. D I M I T R O V , daß der Herrscher hier auch religiö-
se Funktionen übernommen habe.88 Vielleicht sind Seuthes und seine Familie sogar
selbst auf Samothrake i n die Mysterien eingeweiht worden. Epigraphische Zeugnis-
se für weitere Griechen i n Seuthopolis außer Epimenes gibt es nicht, aber die
Stadtanlage u n d nicht zuletzt die Anfertigung der Inschrift selbst lassen darauf
schließen, daß es weitere griechische Einwohner i n Seuthopolis gab.89 Eine endgül-
tige A n t w o r t , wer der Träger des Heiligtums der Samothrakischen Götter war, w i r d
sich indes nicht geben lassen.
Bemerkenswerterweise bezeugt ausgerechnet die einzige noch i n situ gefundene
Inschrift, die D.P. D I M I T R O V zusammen m i t der Teilpublikation des Eides veröf-
fentlichte, einen ehemaligen Dionysospriester, allerdings nicht griechischer, son-
dern thrakischer Herkunft: Αμαιστας Mnötoxcc | Ιερητεύσας Διονύσ[ωι]. 90 D i e
Nennung des Vatersnamen u n d das Formular zeigen ebenso wie der «Eid der Bere­
nike und ihrer Söhne» auch hier das Bestreben, dem griechischen Vorbild, diesmal
auf dem wichtigen Gebiet der Kultpraxis, korrekt zu folgen. Der Text befindet sich
auf der Oberseite eines Granitblockes, der auf der Agora gefunden wurde und viel-
leicht als Basis für ein Votivstele diente; i n der Nähe fanden sich auf der Agora die
Fundamente eines Altars, daneben möglicherweise die Reste des Z.35 erwähnten
Tempels selbst.91 D i e Verehrung des Dionysos hat bei den Thrakern selbst eine
lange Tradition, 9 2 aber die Einrichtung eines Ιερόν mit Altar scheint ebenfalls von
griechischen Mustern inspiriert zu sein.

88
D.P.DIMITROV (Anm.6) 190 und DIMITROV - C I C I K O V A (Anm.4) 45.
89
Die wenigen griechischen Graffiti auf einheimischer und griechischer Importkeramik
(DIMITROV - CICIKOVA [Anm. 4] 22 f.; 29) lassen allerdings weder sichere Schlüsse über den
Charakter dieser Kolonie in Seuthopolis noch über eine «widespread literacy in Greek among
its élite population» zu, von der L U N D (Anm. 12) 26 ausgeht. Vgl. M . CICIKOVA, Graffiti sur
ceramique de Seuthopolis, in: Πρακτικά τοϋ η' διεθνούς συνεδρίου Ελληνικής και Λατινικής
επιγραφικής, τομ. β', 1987, 130-133.
90
D.Ρ.DIMITROV, Denkmäler (Anm.6) 183f. Nr. 1 (IGBulg. I I I 2, 1732, wo versehentlich
ίερατεΰσας gedruckt ist). MIHAILOV setzt den Text auf Grund der Buchstabenform in die erste
Hälfte des 3.Jh.s, nach den oben im Text angeführten Gründen für die Datierung muß er aber
gleichzeitig mit dem «Eid der Berenike» angesetzt werden. Die Identifizierung des Amaistas
steht bisher aus. BENGTSON (Anm. 39) 26 dachte auf Grund allerdings unsicherer prosopogra-
phischer Überlegungen vielleicht zu Recht an einen Verwandten des Seuthes. Auch in der ur-
sprünglich aus Thrakien stammenden Dynastie der Spartokiden, die über das Bosporanische
Reich herrschte, war im 3.Jh. v.Chr. Leukon, Sohn des regierenden Herrschers Pairisades L,
Priester des Apollon (CIRB 25).
91
DIMITROV - CICIKOVA (Anm. 4) 44.
92
Vgl. nur G.KAZAROV, Thrake (Religion), RE 6 A 1, 1936, 489 und M . P . N I L S S O N , Ge-
schichte der griechischen Religion 1, 31967, 566.
266 Karl-Ludwig Elvers

Es ist deutlich geworden, daß die Vorgänge, die hinter dem «Eid der Berenike
und ihrer Söhne» stehen, sich ohne Neufunde nicht weiter erhellen lassen 'werden.
Zur Kenntnis der politischen Geschichte Thrakiens i m frühen Hellenismus trägt er
bei näherer Prüfung weniger bei, als ein Text dieses Umfanges zunächst vermuten
läßt. Wichtig bleibt die «große Inschrift aus Seuthopolis» vor allem aus zwei G r ü n -
den: Sie zeigt das - nur Episode gebliebene - Bestreben eines thrakischen Dynasten,
kulturell an die griechische Welt Anschluß zu suchen, und sie stellt innerhalb der
thrakischen Stammesgeschichte ein singulares Beispiel für den i n der Sicht des H i -
storikers vielleicht nur unvollkommen gelungenen Versuch dar, m i t dem Begriffsin-
strumentarium griechischer Dekretpraxis heute unbekannte stammesstaatliche
Rechtsbeziehungen zu erfassen.

Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl für Alte Geschichte I
Gebäude GA
44780 Bochum

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