Manuskript
radioWissen
Take Zeitzeugen
Wir haben in der Hauptkasse die Geldscheine bügeln müssen, weil sie schon so abgenutzt
waren. Die Billionen.
Mein Vater ist abends vom Geschäft heim mit einem riesigen großen Bild gekommen, ich
hab den Schinken heut noch daheim. Da sagt er: Zum Essen habe ich nichts bekommen,
da hab ich das genommen. Weil morgen kriegst Du nicht mal mehr ein Brot für das Geld.
Sprecherin:
So erlebten Zeitzeugen die große Inflation im Jahr 1923, als die Preise regelrecht
explodierten und Billionen-Scheine ausgegeben wurden.
Inflation ist ein Phänomen, das in der Geschichte schon häufig aufgetreten ist. Nicht nur
in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern, oft mit schmerzhaften Folgen für viele
Menschen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen, es bedeutet „Aufblähung“. Professor
Gerhard Illing, Geldexperte der Ludwig-Maximilians-Universität in München:
Take Illing
Inflation ist ganz simpel Geldentwertung. Also der Prozess, wo man im Lauf der Zeit mit
der gleichen Menge an Geld immer weniger an Gütern kaufen kann. Das bedeutet, dass
alle Preise, das gesamte Preisniveau, stetig ansteigt.
Sprecherin:
Das Geld verliert also an Kaufkraft, wer keinen Ausgleich bekommt, wird immer ärmer.
Das sind vor allem Menschen, deren Einkommen aus Arbeit oder Erspartem nicht
entsprechend steigen.
Take Illing
Inflation wirkt asymmetrisch. Manche profitieren davon, andere werden dagegen stark
belastet. Und wer da besonders stark belastet wird, liegt auf der Hand. Es sind einmal
diejenigen, die gar keine Verhandlungsmacht haben, also die Armen, die vielleicht
Sozialhilfe bekommen, die nicht angepasst wird an die Inflationsrate..
Sprecherin:
Auch Sparer gehören zu den Verlieren, wenn sie ihr Geld zu niedrigen Zinsen angelegt
haben – weil die Kaufkraft ihres Sparvermögens schwindet.
Take Illing
Auf der anderen Seite gewinnen diejenigen, die sich verschuldet haben und dann real
weniger zurückzahlen müssen, als was sie ursprünglich nominal vereinbart haben.
Sprecherin:
Bis zu zwei Prozent Inflation sind erwünscht, weil die Wirtschaft sich dann zumindest
erfahrungsgemäß gut entwickeln kann, mehr als zwei Prozent gelten als problematisch.
Bei mehr als zehn Prozent Inflation geht man von fundamentalen Problemen in der
Wirtschaft aus, bei Inflationsraten über 50 Prozent spricht man von Hyperinflation. In
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einem derartigen Fall kollabiert das Wirtschaftssystem - mehr dazu später. Sieht man
von Faktoren wie die Erhöhung des Ölpreises ab, die eine Inflation einleiten können, wird
sie in der Regel durch eine Geldschwemme ausgelöst. Und eingeleitet wurde sie bis heute
meist von Kaisern, Königen oder Regierungen:
Take Illing
Inflationäre Episoden hat man schon in der Vergangenheit immer wieder beobachtet. Und
der Mechanismus ist eigentlich immer der Gleiche, auch wenn dann die Ausprägung sehr
unterschiedlich abläuft. Staaten, Regierungen haben hohe Ausgaben. Die können sie
nicht mehr über Steuern decken…
Sprecherin:
… deswegen vermehren sie einfach ihr Geld, meist mit einer simplen Manipulation:
Sprecher:
Münzverschlechterung!
Sprecherin:
Diese Variante der wundersamen Geldvermehrung war sehr beliebt, als der Mammon
hauptsächlich aus harten Münzen bestand, die viel Edelmetall enthielten. Zum Beispiel im
dritten Jahrhundert nach Christus:
Take Illing
Und das war im römischen Reich damals so, dass dann die Kaiser entschieden haben,
damals gab es ja Metallwährungen, Silber- und Goldmünzen, dass sie den Wert der
Silber- und Goldmünzen quasi reduziert hatten, den Anteil des Metalls. In der Zeit von
218 bis 268 ging der Silbergehalt der römischen Münzen auf ein Fünftausendstel zurück.
Und das hat dann natürlich einen massiven Preisdruck ausgelöst und das hat Inflation
erzeugt, damals schon. Damals hat Kaiser Diokletian versucht, umzusteigen von Silber-
und Gold- auf Kupfermünzen.
Und hat die Produktion von Kupfermünzen immer weiter erhöht. Und so kam es damals
schon zu der ersten Hyperinflation.
Sprecherin:
Münzverschlechterungen bis hin zum Umstieg auf billiges Kupfergeld führten in der Ära
des Münzgeldes oft zu Geldentwertung, waren aber nicht der einzige Auslöser von
Inflation:
Sprecher:
Silberschwemme!
Sprecherin:
Manchmal mündete auch die intensive Suche nach edlen Metallen in eine
Geldschwemme. Etwa im 16.Jahrhundert, als der größte Teil des Münzgeldes aus Silber
geprägt wurde – und Silber in großen Mengen aus Amerika nach Europa importiert
wurde:
Take Illing
Da sind auch die Preise um das Zehnfache angestiegen in dem Zeitraum. Weil einfach in
dem Zeitraum sehr viel mehr Gold und Silber verfügbar war, dass man auch versucht
hat, auszugeben: Am Anfang führt das zu einem Boom in der Wirtschaftsaktivität, aber
am Ende schlägt sich das dann in den Preisen nieder.
Sprecher:
Banknoten-Schwemme
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Sprecherin:
Ganz neue Möglichkeiten der inflationären Geldvermehrung eröffneten sich dann, als
Banknoten aus Papier in Mode kam.
Gerhard Illing:
Take Illing
Papiergeld ist anfälliger für die Gefahr, dass man zu viel druckt. Weil es nahezu kostenlos
ist, noch ein Stück mehr Papier zu drucken. Und vor allem kann man auf dem Papier
auch eine Null oder zwei Nullen oder zehn Nullen hinten anhängen.
Sprecherin:
Ohne gleichzeitig mehr Silber oder Gold zurück zu legen. Papiergeld war in früheren
Jahrhunderten nämlich offiziell durch Münzen aus Edelmetall gedeckt. Doch diese
Garantie für den Wert der Scheine war in der Praxis meist nicht viel wert – es kam
trotzdem zu Inflation.
Besonders in Frankreich, nachdem der sogenannte „Sonnenkönig“ einen riesigen
Schuldenberg hinterlassen hat:
Take Illing
Ludwig der XIV. hatte auch wieder sehr hohe Ausgaben, er hatte ja Versailles gebaut und
den Staat sehr stark verschuldet. Und dann hat sein Nachfolger, Ludwig der XV.
Schwierigkeiten gehabt, die Schulden zu bedienen.
Er hat dann versucht, Rat zu bekommen bei Experten. Und ist dann auf den John Law
verfallen. Das ist ein Schotte, der propagiert hat, eine Wirtschaft boomt nur dann, wenn
hinreichend viel Geld da ist. Er hat dann den Auftrag bekommen von der französischen
Regierung, eine Bank auf die Beine zu stellen und Banknoten auszugeben.
Sprecherin:
Die waren am Anfang noch ausreichend mit Münzen aus Silber- und Gold gedeckt, später
aber nicht mehr. Denn der geschäftstüchtige John Law entwickelte daraus - mit Billigung
des Königs- ein kompliziertes Schneeballsystem aus ungedeckten Banknoten und
riskanten Aktien, was zu einer Spekulationswelle führte.
Als die Menschen den Braten rochen und die Bank stürmten, brach das aufgeblasene
Papiergeld-Imperium zusammen, die Preise schnellten nach oben, das Leben wurde für
viele Franzosen unerträglich teuer. Doch trotz dieser schrecklichen Erfahrungen rutschten
sie im selben Jahrhundert noch einmal in eine nächste Papiergeld-Inflation – nach der
Revolution von 1789:
Take Illing
Nach dem Zusammenbruch des Königssystems in Frankreich haben die Revolutionäre
Immobilienbesitz der Kirche quasi enteignet und sie hatten dann Probleme, die Ausgaben
zu finanzieren und haben Assignaten ausgegeben, also Bargeld, das erst mal gedeckt war
durch Ansprüche auf diesen Immobilienbesitz, der verstaatlicht wurde.
Sprecherin:
Auch diese Sicherheit erwies sich als trügerisch. Denn die Revolutionäre druckten – wie
vorher der König - immer mehr Geld, das nicht durch Immobilien und Grundstücke
gedeckt war. Im Gegenzug verloren diese sogenannten „Assignaten“ immer mehr an
Wert:
Take Illing
Und im Lauf der Zeit zwischen 1789 und 1795 hat sich das rasant auf 7 Milliarden Livre
im Umlauf gesteigert, und das hat natürlich wieder zu einer galoppierenden Inflation
geführt. Die Regierung hat dann versucht, Preiskontrollen einzuführen, aber das
funktioniert auf Dauer nicht. Und dann ist das System letztlich zusammengebrochen, und
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dann ist dieses ganze Währungssystem später ersetzt worden unter Napoleon durch den
französischen Franc
Sprecher:
Hyper-Inflation
Sprecherin:
Im 20. Jahrhundert wurde Inflation dann zum Schreckgespenst der Deutschen. Im
August 1914, als die Radios noch rauschten, schickte Kaiser Wilhelm seine Untertanen
mit einem fadenscheinigen Vorwand in den Krieg gegen die Franzosen und andere
Nachbarn:
Take Wilhelm
Es muss denn das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind.
Darum auf zu den Waffen.
Sprecherin:
Der Kaiser und seine Untertanen rechneten mit einem schnellen Sieg. Doch aus dem
vermeintlich kurzen Feldzug entwickelte sich ein furchtbarer Stellungskrieg, der vier
Jahre dauerte und als Erster Weltkrieg in die Geschichtsbücher einging - 17 Millionen
Menschen verloren dabei ihr Leben, Millionen von Menschen litten unter Armut und
Arbeitslosigkeit. Und in Deutschland erlebten sie in den folgenden Jahren eine
Hyperinflation mit gewaltigen Preissprüngen von Tag zu Tag. Der Grundstein dazu wurde
schon im Krieg gelegt:
Take Buchheim
In diesem Fall fing es an, dass mit Kriegsausbruch die Geldmenge anstieg, da die
Reichsregierung auf die Reichsbank zurückgriff zur Finanzierung ihrer Kriegsausgaben.
Sprecherin:
Christoph Buchheim war Wirtschaftsgeschichtler an der Universität Mannheim:
Take Buchheim
Während der Bargeldumlauf 1913 bei 6,5 Milliarden Mark war, betrug er 1918 bereits 33
Milliarden Mark, und das bei einem stark zurückgegangenen Sozialprodukt. Das heißt die
Inflation hatte ihre Wurzel bereits im ersten Weltkrieg.
Sprecherin:
Und nach dem verlorenen Krieg wagten Politiker und Währungshüter nicht, die
Geldschwemme einzudämmen, im Gegenteil: Die Reichsbank brachte noch mehr Geld im
Umlauf, um eine Staatskrise zu verhindern. Denn der Finanzminister musste nicht nur
Zinsen für die Kriegsschulden zahlen, sondern auch Kriegsgegner entschädigen, Soldaten
unterstützen und die Wirtschaft stabilisieren.
Take Buchheim
Angesichts der Nachkriegssituation, der Revolution, die ja im Gange war, hatten die
Politiker eigentlich keine andere Wahl. Wenn sie die Ausgaben stark zurückgefahren
hätten, wären Millionen demobilisierter Soldaten auf der Straße gestanden. Das hätte die
Revolution erst so richtig angeheizt und es wäre mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einer
demokratischen Republik gekommen.
Sprecherin:
Weil aber viel zu viel Geld kursierte, stiegen die Preise immer schneller, begannen zu
„galoppieren“.
1923 explodierten die Preise regelrecht, es war das Jahr der Hyperinflation. Wirtschaften
war ein Vabanque-Spiel, wer zu spät kam, war der Dumme.
Take Frau
Mein Vater ist abends vom Geschäft heim, die haben täglich ausgezahlt bekommen, er
hat gleich eingekauft. Da kann ich mich noch gut erinnern: Da ist er mal mit einem
riesigen großen Bild gekommen, ich hab den Schinken heute noch daheim. Sagt die
Mama: Ja was willst Du denn mit dem Zeug? Sagt er: Zum Essen habe ich nichts
bekommen, da hab ich das genommen. Weil morgen kriegst Du nicht mal mehr ein Brot
für das Geld.
Sprecherin:
Der Wahnsinn der Hyperinflation prägte auch das Denken des jungen Ludwig Erhard, der
viel später, nach dem Zweiten Weltkrieg, als Wirtschaftsminister und Bundeskanzler die
Wirtschaftspolitik prägte:
Take Erhard
Bis zur Währungsreform 1923 musste das deutsche Volk zum ersten Mal in tragischer
Weise erfahren, was Inflation bedeutet: wie sie das Schiebertum gedeihen und die
ehrliche Arbeit sinnlos werden ließ, wie sie das Vertrauen in die staatliche Ordnung
zerstörte und substanzlosen Schwärmern und Scharlatanen Auftrieb gab, und selbst
redliche Menschen in Verwirrung und Schuld stürzte.
Sprecherin:
Mit welchen Preissprüngen die Menschen fertig werden mussten, zeigt ein Blick auf den
Brotpreis:
Im Mai 1923 kostete ein Kilogramm noch 474 Mark, Ende Oktober fast 5,6 Milliarden
Mark. Die Menschen waren nur noch damit beschäftigt, ihr Geld möglichst schnell
auszugeben, weil es stündlich an Wert verlor. Unproduktive Tätigkeiten nahmen immer
mehr Zeit in Anspruch. Eine Zeitzeugin:
Take Frau
Wir haben in der Hauptkasse die Geldscheine bügeln müssen, weil sie schon so abgenutzt
waren. Gebügelt sind die worden. So ham die ausgeschaut. Die sind immer mit dem
Wagerl umeinander gefahren worden damals, die Billionen.
Sprecherin:
So versank die Wirtschaft immer tiefer im Chaos, die Politiker mussten etwas
unternehmen. Wirtschaftshistoriker Dieter Lindenlaub, der das Geldmuseum der
Deutschen Bundesbank aufgebaut hat:
Take Lindenlaub
Erst in dem Augenblick, als das Geld völlig seine Funktionen verloren hatte, als Geld
weder als Zahlungsmittel genommen wurde, noch ein Wertaufbewahrungsmittel war,
noch als Rechnungseinheit eine Rolle spielte, erkannte man, dass ein stabiles Geld
eigentlich ohne Alternative ist. Und dass, auch wenn bei einer Stabilisierung immer Opfer
gebracht werden mussten, die Inflation die weitaus schädlichere Alternative ist, wenn
man danach strebt, ein Gemeinwesen sozial und politisch stabil zu halten.
Sprecherin:
Ende 1923 blieb daher nur noch der Befreiungsschlag einer drastischen Währungsreform,
um das Wirtschaftsleben wieder zu normalisieren. Für eine Billion alte Mark bekamen die
Menschen eine sogenannte „Rentenmark“ – für viele Deutsche ein herber Verlust. 1924
wurde diese Übergangswährung, die wegen Goldmangel nur mit Grundstücken
abgesichert war, durch die Reichsmark ersetzt.
Die war zum Teil mit Gold gedeckt und damit vertrauenswürdiger - denn die Bindung an`
s Gold waren die Menschen dieser Zeit gewohnt. Doch auch diese Sicherheit erwies sich
als trügerisch:
Sprecher:
Zurückgestaute Inflation
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Sprecherin:
Die Hyperinflation von 1923 war ein traumatisches Erlebnis für viele Deutsche. Diese
panische Angst vor Inflation sollte bald noch üble Folgen haben. Denn wenige Jahre
später folgte die nächste wirtschaftliche Katastrophe, die Weltwirtschaftskrise der
1930er-Jahre. Die Unternehmen konnten immer weniger verkaufen, die Wirtschaft
schrumpfte, die Arbeitslosigkeit grassierte. Doch die demokratischen Parteien wagten
nicht, die Talfahrt mit schuldenfinanzierten Staatsausgaben zu bremsen,
sie fürchteten die Angst der Wähler vor einer neuerlichen Inflation. Das war fatal. Denn
weil Verbraucher, Unternehmen und der Staat immer weniger Geld ausgaben, fielen die
Preise, Unternehmen und Banken gingen Pleite, die Schlangen vor den Arbeitsämtern
wurden immer länger. Nun erlebten die Menschen das Gegenteil von Inflation, eine
Deflation. Und die erwies sich als fatale Abwärtsspirale. Denn die Massenarbeitslosigkeit
war der Nährboden für den Aufstieg der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler. Der
brachte die Wirtschaft mit geborgtem Geld zwar wieder in Schwung. Doch bald bezahlte
er vor allem Größenwahn und Krieg auf Kredit:
Take Lindenlaub
Diese Ausgaben wurden schließlich finanziert, indem das Reich wiederum Kredite bei der
Reichsbank aufgenommen hat, dies besonders offen und eindeutig nach 1939. Und diese
Rüstungsausgaben wurden zweitens finanziert durch die sogenannte "geräuschlose"
Kriegsfinanzierung. Das Publikum sparte Geld, bildete Bankguthaben und
Versicherungsguthaben und wusste dann nicht mehr, was mit diesem Geld passiert. Die
Banken und Versicherungsunternehmen liehen dies eingelegte Geld an das Reich und
nahmen im Gegenzug Reichsanleihen ins Portefeuille.
Sprecherin:
Hitler nutzte die Reichsbank auch, um die Geldmenge wieder übermäßig aufzublähen.
Eigentlich sollten Notenbanken die Geldmenge nur so stark erhöhen, wie die
Wirtschaftsleistung steigt, das sogenannte „Sozialprodukt“. Doch die Reichsbank hielt
sich nicht an diese Regel:
Take Lindenlaub
Die Geldmenge stieg bei weitem schneller als das kauffähige Sozialprodukt, so dass dann
im Jahr 1946, als man es mal berechnet hatte, die Geldmenge im Verhältnis zum
Bruttosozialprodukt zehnmal höher war, als in Normalzeiten.
Sprecherin:
So hätten die Preise während des Nationalsozialismus eigentlich stark steigen müssen.
Aber das verhinderte Hitler mit einem Trick:
Take Lindenlaub
Hitler ist es gelungen, die Inflation, die er mit der übermäßigen Geldmengenexpansion
erzeugte, vor den Augen des Publikums geheim zu halten, indem er die Preise und die
Löhne stoppte, das Preisniveau stabil hielt, und es im Verborgenen hielt, was nun mit
dieser Geldmenge, die gestiegen war, geschah. Der Geldüberhang wurde vom Publikum
nicht erkannt, nur von wenigen Wissenden.
Sprecherin:
Wegen der niedrigen Preise gab es zwar wenig zu kaufen, aber dieser Mangel wurde dem
Krieg angelastet. Und Schwarzhandel war unter Hitler bei drakonischen Strafen verboten.
So war die Inflation quasi „zurückgestaut“. Und die Menschen sparten, wähnten sich
sogar relativ reich - obwohl sie in Wirklichkeit immer ärmer wurden. Nach der
bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zeigte sich schnell, dass die Reichsmark
ruiniert war. Weil die Preise eingefroren blieben, gab es offiziell immer noch nichts zu
kaufen. Aber der Schwarzhandel florierte plötzlich:
Take (Reportage)
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Reporter: Und da stehen sie an den Ecken, die Großen mit den Aktentaschen unter dem
Arm, mit den durchtriebenen Gesichtern, und hier die Kleinen, neun, zehn oder vielleicht
auch elf Jahre mögen sie sein. Und kaum dass man in ihren Gesichtern noch eine Spur
von Kindlichkeit findet...gib mir mal zwei.
Sprecherin:
Schwarzhändler nahmen aber keine maroden Reichsmark an. Sondern Zigaretten, die
damals knapp und wertvoll waren. Mit der primitiven Zigarettenwährung waren freilich
keine größeren Finanztransaktionen oder Überweisungen möglich. So war wieder eine
drastische Währungsreform nötig: 1948 wurde die ruinierte Reichsmark durch die D-Mark
ersetzt – und die zurückgestaute Inflation aus der NS-Zeit kam ans Licht. Die
Geldvermögen wurden per Gesetz drastisch entwertet, viele Menschen verloren zum
zweiten Mal in ihrem Leben den größten Teil ihrer Ersparnisse. Dieter Lindenlaub erinnert
sich:
Take Lindenlaub
Ich weiß auch von meinen Eltern, dass ihre Familien in der großen Inflation 1919 bis
1923 Geldvermögen verloren haben. Und dass sie dann noch mal Geld verloren haben in
der zweiten großen Inflation, die durch die Währungsreform 1948 beendet worden ist.
Wo ja die Bankguthaben auf letztlich auf 100 Reichsmark zu 6,50 D-Mark
zusammengestrichen worden sind. Und beide Vermögensverluste sind auch in meiner
Familie als Schock empfunden worden.
Sprecherin:
Die Siegermächte des zweiten Weltkriegs zogen allerdings die richtige Lehre aus der
neuerlichen Währungskatastrophe. Sie verordneten den Deutschen eine unabhängige
Notenbank, die nur noch der Preisstabilität verpflichtet war. Die also nicht mehr von den
Regierenden zum Gelddrucken missbraucht werden konnte.
So erlebten die Deutschen danach nur noch eine kritische Phase mit sieben Prozent
Inflation, als die Ölpreise in den siebziger Jahren stark stiegen. Auch die meisten anderen
Länder Europas blieben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von extremer
Inflation verschont, wenn auch nicht alle. Wirtschaftsprofessor Gerhard Illing:
Take Illing
Ein markantes Beispiel ist Serbien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im
früheren Jugoslawien waren die Inflationsraten schon relativ hoch, bei 15 bis 25 Prozent.
Aber dann kam der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Abschaffung des gesamten
Rubel-Systems. Und die serbische Regierung, wieder der gleiche Mechanismus, hatte
einen riesigen Bedarf an Ausgaben, den sie nicht durch Eintreibung von Steuern decken
konnte, und ist dann als Lösung darauf gekommen, immer mehr Geld zu drucken. Und
da ist die Inflationsrate dann so hoch gewesen, dass praktisch sich das Preisniveau von
Tag zu Tag am Ende verdoppelt hat.
Sprecherin:
Serbien ist nur ein Beispiel dafür, dass das Inflationsgespenst immer wieder auftauchen
kann. Wenn Regierungen Zugriff auf die Notenpresse haben, ist die Inflationsgefahr groß,
das zeigt die Geschichte des Geldes. Denn so praktisch und sinnvoll eine Währung aus
ungedecktem Buch- und Papiergeld auch ist – sie ist auch anfällig für Inflation: Es ist
einfacher, mehr Papier zu drucken als mehr Gold oder mehr Silber zu schürfen.
stopp