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12 09:53 Seite 1
ISBN 978-3-942816-15-1
U2 FH 40_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:49 Seite 1
Die Beiträge in dieser Reihe geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder, die von der Herausgeberin
nicht in jedem Fall geteilt werden muss. Die Fachheftreihe ist als Diskussionsforum gedacht.
Herausgeberin
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Ostmerheimer Str. 220, 51109 Köln
Tel.: 0221/8992-0
Fax: 0221/8992-300
Projektleitung
Dr. Daniela Watzke
E-Mail: daniela.watzke@bzga.de
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist eine Fachbehörde im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit.
Auflage: 1.5.07.12
ISBN 978-3-942816-15-1
Band 40 der Fachheftreihe ist erhältlich unter der Bestelladresse BZgA, 51101 Köln,
und über Internet unter der Adresse http://www.bzga.de
Diese Broschüre wird von der BZgA kostenlos abgegeben. Sie ist nicht zum Weiterverkauf durch die Empfän-
gerin/den Empfänger oder Dritte bestimmt.
Bestellnummer: 60640000
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Vorwort
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist nach Paragraf 2 des Transplantationsgeset-
zes mit der Aufklärung der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende beauftragt. Diesen Auftrag
übt die BZgA in Kooperation mit Fachgesellschaften, Krankenhäusern, Ärzteverbänden sowie Selbsthilfegrup-
pen aus.
Mit der massiven Veränderung der Medienlandschaft in den letzten Jahren, zum Beispiel der deutlich gestie-
genen Bedeutung des Internets und sozialer Netzwerke als Informationsmedium, muss auch über eine neue
Herangehensweise an die Zielgruppe Allgemeinbevölkerung nachgedacht werden.
Aus diesem Grund hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung am 06.10.2010 die interdiszipli-
näre Expertentagung »Aufklärung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland. Neue Wege in der Gesund-
heitskommunikation« ausgerichtet. In diesem Kontext haben Expertinnen und Experten aus den Bereichen
Medizin, Medienwissenschaft und Psychologie über verschiedene Kommunikationswege diskutiert. Hierbei
stand die Frage im Vordergrund, ob die Vermittlung von Informationen zur Organ- und Gewebespende nur
durch informierende Angebote möglich ist, oder ob dies auch zum Beispiel durch fiktionale Unterhaltungsan-
gebote geleistet werden kann. Es wurde diskutiert, inwieweit es mit fiktionaler Unterhaltung möglich ist, Ein-
stellungen und Verhaltensabsichten in Bezug auf die Organspendebereitschaft zu verändern, also persuasive
Wirkungen zu erzielen. Des Weiteren wurden u.a. folgende Fragen erörtert: Welche Wege der Gesundheitskom-
munikation können in Deutschland beschritten werden, um die Bevölkerung umfassend zu informieren und
dazu zu bewegen, einen Organspendeausweis auszufüllen? Welche ethischen Gesichtspunkte sind in der
Kommunikation via Medien zu bedenken? Wie soll mit emotionalen und provokativen Botschaften umgegan-
gen werden? Wie können bestehende Ängste in der Bevölkerung überwunden werden?
Band 40 der Fachheftreihe »Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung« dokumentiert die Beiträge
der Tagung und macht deutlich, welche Aspekte für eine erfolgreiche Aufklärungsarbeit zu berücksichtigen
sind.
Inhalt
Vorwort 3
Tagungsbeiträge 6
Vom »Geschenk des Lebens« bis zu »Du bekommst alles von mir – ich auch von dir?« –
Soziokulturelle Überlegungen und empirische Befunde zur öffentlichen Wahrnehmung
der Organspende
Sabine Wöhlke und Silke Schicktanz 23
Bedingungen für die Bereitschaft zur Organspende und das transtheoretische Modell
Karl-Heinz Schulz 40
Anhang 116
Tagungs-
beiträge
40
30
25
20
12 17
14
10
11
0
1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
Jahre
Abb. 1: Aktive Akzeptanz (Bereitschaft, nach dem Tod Organe zu spenden) und Besitz eines Organspendeausweises. Daten der bundes-
weiten Repräsentativbefragungen der BZgA der Jahre 1999, 2000, 2001, 2008 und 2010.
zeigen und diese bereits zu Lebzeiten in einem Organ- gung »Einstellung, Wissen und Verhalten der deut-
spendeausweis bzw. durch die Mitteilung an die An- schen Allgemeinbevölkerung zur Organspende«5 zu
gehörigen zum Ausdruck gebracht haben. Durch den ermitteln, welches Wissen in der Allgemeinbevölke-
Abgleich dieses Profils mit dem von Personen, die rung zur Organ- und Gewebespende vorhanden ist
der Organ- und Gewebespende negativ oder unent- und welchen Einfluss der Faktor Wissen auf die Ein-
schlossen gegenüberstehen, lassen sich wichtige stellung und das Verhalten zur Organ- und Gewebe-
Erkenntnisse über die handlungsdeterminierenden spende hat.
Faktoren gewinnen.
Für den deutschsprachigen Raum ist nur wenig
über die Bedeutung des Faktors »Wissen« bekannt.4
Daher war es das Ziel der BZgA-Repräsentativbefra-
1 Aktive Akzeptanz bezeichnet die Bereitschaft, nach dem eigenen Tod Organe und Gewebe zu spenden.
2 Die Bereitschaft bzw. die Ablehnung, Organe zu spenden, wird als eine Form des Gesundheitsverhaltens definiert. Im Vergleich zu typi-
schen Bereichen wie zum Beispiel dem Rauchen gibt es für die Organspende eine Besonderheit. Einstellung und Verhalten liegen hier zeit-
lich deutlich voneinander getrennt, da es zur Umsetzung des Verhaltens erst durch den Eintritt des Tods kommt. Damit ist eine direkte
Umsetzung des Verhaltens bei den befragten Personen nicht direkt überprüfbar. Aus diesem Grund wird hier die geäußerte Bereitschaft
zur Organspende (aktive Akzeptanz) bzw. das Ausfüllen eines Organspendeausweises als ein zu Lebzeiten messbares Verhalten heran-
gezogen.
3 Gold et al. 2001, Morgan und Miller 2002, Morse 2009, Schweda und Schicktanz 2009, Krampen und Junk 2006, Keller et al. 2004, Hüb-
ner und Six 2005, Bunzel und Smeritsching 1999, Smith et al. 2008.
4 Vgl. zum Beispiel Bunzel und Smeritsching 1999, Meier et al. 2000.
5 Vgl. BZgA 2010.
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8 TAGUNGSBEITRÄGE
Dabei bedeuten:
Ermittlung des Wissensstands 17 bis 19 Punkte: Sehr gut informiert
14 bis 16 Punkte: Gut informiert
der Allgemeinbevölkerung
10 bis 13 Punkte: Mäßig informiert
0 bis 9 Punkte: Schlecht informiert
Frage: Man kann ja Organ- und Gewebespenderin Frage: Haben Sie mit Ihrer Familie und Freundin-
bzw. -spender werden, wenn man sich bereit erklärt, nen/Freunden über das Thema Organ- und Gewebe-
nach dem Tod seine Organe, zum Beispiel für Nieren-, spende gesprochen?
Leber- oder Herzverpflanzungen, oder seine Gewebe Ja
zur Verfügung zu stellen. Was halten Sie generell von Nein
Organ- und Gewebespende? Stehen Sie dem eher Keine Angaben
positiv oder eher negativ gegenüber? Weiß nicht
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10 TAGUNGSBEITRÄGE
Frage: Haben Sie Ihrer Familie und/oder Freundinnen/ Habe keine Zeit, mir einen zu besorgen.
Freunden Ihre persönliche Entscheidung für oder Ich weiß nicht, wo es die Ausweise gibt.
gegen eine Organ- und Gewebespende mitgeteilt? Bin zu krank oder zu alt, um Organspenderin bzw.
Ja -spender zu werden.
Nein Ich oder meine Angehörigen sind aus religiösen
Keine Angaben Motiven dagegen.
Weiß nicht Ich möchte selber auch kein Organ bekommen.
Man soll der Natur ihren Lauf lassen.
H5: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ- Ich kann und will mich jetzt noch nicht entschei-
und Gewebespende informiert ist, hat keine Ängste den.
bezüglich der Organ- und Gewebespende. Ich fürchte den Missbrauch durch Organ-
handel.
Frage: Welche Gründe sprechen für Sie dagegen, sich Eine Organ- und Gewebespende entstellt meinen
einen Organspendeausweis zu besorgen? Körper.
Ich möchte mich mit dem Thema Tod nicht aus- Organe und Gewebe könnten vor meinem Tod ent-
einandersetzen. nommen werden.
Ich habe Angst, dass von den Ärztinnen und Ärz- Eine Organ- und Gewebespende stört die Toten-
ten nicht mehr alles für mich getan wird, wenn ein ruhe.
Organspendeausweis vorliegt. Sonstiges, und zwar ... Æ NOTIEREN
Habe keine Zeit, mir einen zu besorgen.
Ich weiß nicht, wo es die Ausweise gibt. H6: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ-
Bin zu krank oder zu alt, um Organspenderin bzw. und Gewebespende informiert ist, beabsichtigt in
-spender zu werden. nächster Zeit, sich einen Organspendeausweis zu
Ich oder meine Angehörigen sind aus religiösen beschaffen.«
Motiven dagegen.
Ich möchte selber auch kein Organ bekommen. Frage: Haben Sie vor, sich den Organspendeausweis
Man soll der Natur ihren Lauf lassen. in den nächsten zwölf Monaten zu besorgen und aus-
Ich möchte kein Organ oder Gewebe spenden. zufüllen? Ganz sicher, vielleicht, eher nicht? Oder ist
Ich kann und will mich jetzt noch nicht entscheiden. das völlig ausgeschlossen?
Ich fürchte den Missbrauch durch Organhandel. Ganz sicher
Sonstiges, und zwar ... Æ NOTIEREN Vielleicht
Keine Angaben. Eher nicht
Völlig ausgeschlossen
Frage: Aus welchen Gründen haben Sie sich gegen Weiß nicht
eine Organspende entschieden? Keine Angaben
Ich möchte mich mit dem Thema Tod nicht ausei-
nandersetzen. H7: »Wer sich bereits mit dem eigenen Tod auseinan-
Ich habe Angst, dass von den Ärztinnen und Ärz- dergesetzt hat, ist bereit, Organe und Gewebe zu
ten nicht mehr alles für mich getan wird, wenn spenden.«
ein Organspendeausweis vorliegt.
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Frage: Wären Sie grundsätzlich damit einverstanden, Frage: Wenn man sich mit dem Thema Organ- und
dass man Ihnen nach Ihrem Tod Organe und Gewebe Gewebespende auseinandersetzt, muss man sich
entnimmt, oder wären Sie damit nicht einverstan- zwangsläufig mit dem eigenen Tod auseinanderset-
den? zen. Welche der folgenden Aussagen trifft auf Sie zu?
Einverstanden (Mehrfachnennungen sind möglich.)
Hilfsvariable: Spende ja Ich habe mich schon einmal mit meinem eigenen
Nicht einverstanden Tod auseinandergesetzt.
Hilfsvariable: Spende nein Ich habe schon einmal mit Familienangehörigen
Weiß nicht oder Freundinnen/Freunden über meinen Tod
Keine Angaben gesprochen.
Ich habe ein Testament.
Frage: Wenn man sich mit dem Thema Organ- und
Gewebespende auseinandersetzt, muss man sich Frage: In Deutschland gibt es eine sogenannte Pa-
zwangsläufig mit dem eigenen Tod auseinanderset- tientenverfügung. Darin werden Wertvorstellungen
zen. Welche der folgenden Aussagen trifft auf Sie zu? und Behandlungswünsche zum Ausdruck gebracht
(Mehrfachnennungen sind möglich.) für den Fall, dass die oder der Betroffene – vorüber-
Ich habe mich schon einmal mit meinem eigenen gehend oder dauerhaft – nicht mehr in der Lage ist,
Tod auseinandergesetzt. bezüglich einer medizinischen Behandlung ihre oder
Ich habe schon einmal mit Familienangehörigen seine Zustimmung oder Ablehnung direkt kundzu-
oder Freundinnen/Freunden über meinen Tod tun. Sind Sie im Besitz einer solchen Patientenver-
gesprochen. fügung?
Ich habe ein Testament. Ja
Nein
Frage: In Deutschland gibt es eine sogenannte Weiß nicht
Patientenverfügung. Darin werden Wertvorstellungen Keine Angaben
und Behandlungswünsche zum Ausdruck gebracht
für den Fall, dass die oder der Betroffene – vorüber- H9: »Wer das Hirntodkonzept verstanden hat, hat
gehend oder dauerhaft – nicht mehr in der Lage ist, keine Angst vor einer vorzeitigen Organ- und Gewebe-
bezüglich einer medizinischen Behandlung ihre oder entnahme.«
seine Zustimmung oder Ablehnung direkt kundzu-
tun. Haben Sie eine solche Patientenverfügung? Frage: Was versteht man Ihrer Meinung nach unter
Ja dem Begriff Hirntod?
Nein Einen komaartigen Zustand, aus dem man gele-
Weiß nicht gentlich, aber nicht immer, wieder erwachen kann.
Keine Angaben Den nicht wiederherstellbaren Ausfall aller Hirn-
funktionen.
H8: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ- Eine Gehirnschädigung, bei der nur die denkenden
und Gewebespende informiert ist, hat sich mit dem und fühlenden Funktionen ausgefallen sind.
eigenen Tod auseinandergesetzt.« Ich kenne die Bedeutung des Begriffs nicht.
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12 TAGUNGSBEITRÄGE
Frage: Kann eine hirntote Person wieder ein norma- Ich oder meine Angehörigen sind aus religiösen
les Leben führen? Motiven dagegen.
Ja Ich möchte selber auch kein Organ bekommen.
Mit Einschränkungen Man soll der Natur ihren Lauf lassen.
Nein Ich kann und will mich jetzt noch nicht entschei-
Weiß nicht den.
Ich fürchte den Missbrauch durch Organhandel.
Frage: Welche Gründe sprechen für Sie dagegen, sich Eine Organ- und Gewebespende entstellt meinen
einen Organspendeausweis zu besorgen? Körper.
Ich möchte mich mit dem Thema Tod nicht aus- Organe und Gewebe könnten vor meinem Tod
einandersetzen. entnommen werden.
Ich habe Angst, dass von den Ärztinnen und Ärz- Eine Organ- und Gewebespende stört die Toten-
ten nicht mehr alles für mich getan wird, wenn ein ruhe.
Organspendeausweis vorliegt. Sonstiges, und zwar ... Æ NOTIEREN
Habe keine Zeit, mir einen zu besorgen. Keine Angaben
Ich weiß nicht, wo es die Ausweise gibt.
Bin zu krank oder zu alt, um Organspenderin bzw.
-spender zu werden.
Ich oder meine Angehörigen sind aus religiösen Ergebnisse der Wissens-
Motiven dagegen.
standsermittlung
Ich möchte selber auch kein Organ bekommen.
Man soll der Natur ihren Lauf lassen.
Ich möchte kein Organ oder Gewebe spenden.
Ich kann und will mich jetzt noch nicht entschei- Für alle Fragen der Wissensstandserhebung wur-
den. den die Antworten der kompletten Grundgesamtheit
Ich fürchte den Missbrauch durch Organhandel. (N = 4001) herangezogen.
Sonstiges, und zwar ... Æ NOTIEREN
Keine Angaben Möglichkeiten der Dokumentation der Organ-
und Gewebespendebereitschaft
Frage: Aus welchen Gründen haben Sie sich gegen In Deutschland kann die Entscheidung zur Organ-
eine Organspende entschieden? und Gewebespende in einem Organspendeausweis
Ich möchte mich mit dem Thema Tod nicht aus- dokumentiert werden. Diese Möglichkeit ist den
einandersetzen. meisten Befragten (93%) bekannt. Die Option, den
Ich habe Angst, dass von den Ärztinnen und Ärz- Angehörigen die eigene Entscheidung zur Organ- und
ten nicht mehr alles für mich getan wird, wenn ein Gewebespende mitzuteilen, sodass diese im Todes-
Organspendeausweis vorliegt. fall ihre Festlegung gegenüber den Ärzten und Ärz-
Habe keine Zeit, mir einen zu besorgen. tinnen vertreten können, ist einem deutlich geringe-
Ich weiß nicht, wo es die Ausweise gibt. ren Anteil der Befragten bekannt.
Bin zu krank oder zu alt, um Organspenderin bzw. Nicht zutreffend war die Vorgabe »Durch Eintrag in
-spender zu werden. ein Spenderregister«, die von über zwei Dritteln der
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Wie kann man in Deutschland festlegen, Aufklärung genießt. In der gleichen Erhebung gaben
61% der Befragten an, bevorzugt mit ihrem Arzt oder
dass man nach seinem Tod Organe und
ihrer Ärztin über das Thema Organ- und Gewebe-
Gewebe spenden will? (Mehrfachnen- spende sprechen zu wollen.9
nungen möglich) Damit kommt dieser Gruppe eine wichtige Funk-
tion als Multiplikator in der Aufklärungsarbeit zur
Durch den Eintrag in ein Spenderregister 67%
Organ- und Gewebespende zu.
Durch Ausfüllen eines Organspendeaus- 93%
weises Regelungen des Transplantationsgesetzes (TPG)
8 BZgA 2010. 97% der Befragten war die Existenz des Organspendeausweises bekannt, lediglich 3 % kannten dieses Dokument nicht.
9 BZgA 2010. Auf die Frage »An wen würden Sie sich wenden, wenn Sie mit jemandem über das Thema Organ- und Gewebespende sprechen
wollten?«, nannten 61% der Befragten den Arzt bzw. die Ärztin und 27% den Partner bzw. Angehörige.
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14 TAGUNGSBEITRÄGE
befürchten und 33 % die Angst äußern, dass im Fall die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen der
der Fälle nicht mehr alles medizinisch Machbare für verstorbenen Person entscheiden. Ist dieser nicht
sie getan wird.10 bekannt, entscheiden die Angehörigen nach ihren
Vorstellungen.
Voraussetzungen für eine Organ- und Gewebeent- Die meisten Befragten (85%) kennen die Rege-
nahme lung, dass für eine Organ- und Gewebeentnahme die
In Deutschland kann nur dann eine Organ- und Zustimmung der betroffenen Person vorliegen muss.
Gewebeentnahme vorgenommen werden, wenn der Die Möglichkeit, das Einverständnis im Todesfall via
Hirntod festgestellt wurde und wenn der Spender Angehörige einzuholen, ist allerdings nur zwei Drit-
bzw. die Spenderin einer Entnahme zu Lebzeiten teln (67%) der Bevölkerung geläufig.
zugestimmt hat (entweder schriftlich, zum Beispiel Dass jemand automatisch zur Organspenderin
in einem Organspendeausweis, oder mündlich durch bzw. zum -spender wird, wenn er nicht zu Lebzeiten
Mitteilung an die Angehörigen). widersprochen hat, vermuten immerhin 17 % der
Ist die Entscheidung der verstorbenen Person zur Gesamtbevölkerung.
Organ- und Gewebespende nicht bekannt, so sollen
Beschränkung der Organ- und Gewebeentnahme/
Rücknahme des Entschlusses zur Organ- und Gewe-
bespende
Welche Regelung gibt es in Deutschland,
Etwa drei Viertel (77%) aller Befragten wissen,
um Organe und Gewebe nach dem Tod dass die Organ- und Gewebeentnahme auf bestimm-
entnehmen zu dürfen? (Mehrfachnen- te Organe und Gewebe beschränkt werden kann.
nung möglich) Einem Großteil (86%) der Bevölkerung ist bekannt,
dass man seinen Entschluss zur Organ- und Gewebe-
Man muss einer Organ- und Gewebeent- 85% spende rückgängig machen kann.
nahme selber zugestimmt haben.
90 9 1
Ja Organ- und Gewebehandel
Nein Ein Großteil der Befragten (87%) weiß, dass Organ-
Weiß nicht/Keine Angaben und Gewebehandel in Deutschland nicht erlaubt ist.
Gesamt (N = 4001) Das Transplantationsgesetz verbietet nach § 18 den
Handel mit Organen und Geweben. Wer Organe und
Gewebe gegen Geld oder Geldwert entnimmt oder
Befragung ausgeschlossen werden. Allerdings hat vermittelt, überträgt oder sich übertragen lässt, wird
die Berichterstattung um diesen Vorgang generell mir einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder
das Thema Organspende verstärkt ins Bewusstsein einer Geldstrafe bestraft.
der Allgemeinbevölkerung getragen.
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16 TAGUNGSBEITRÄGE
Ist Organ- und Gewebehandel in ab, sich weiter mit dem Thema Organ- und Gewebe-
spende auseinanderzusetzen und eine eigene Ent-
Deutschland erlaubt?
scheidung zu treffen.
9 87 3
Vermittlung von in Deutschland entnommenen
Ja Organen
Nein In Deutschland werden gespendete Organe an die
Weiß nicht/Keine Angaben
Stiftung Eurotransplant in den Niederlanden gemel-
Gesamt (N = 4001)
det und von dieser Organisation nach genau definier-
ten Kriterien an Empfängerinnen und Empfänger
der Länder des Eurotransplant-Verbundes (Belgien,
Altersgrenze für die Organ- und Gewebespende Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Slowenien,
Lediglich 43 % der Befragten ist bekannt, dass es österreich und Kroatien) vermittelt. Fast zwei Drit-
keine Altersbegrenzung für eine Organ- und Gewebe- teln (64%) aller Befragten ist dies bekannt.
entnahme gibt.
Dieses Ergebnis korrespondiert mit den Erfahrun-
gen des Infotelefons Organspende: Eine der am Welche Aussage ist richtig? In Deutsch-
häufigsten gestellten Fragen ist die nach einer Alters- land entnommene Organe werden ...?
grenze für die Organ- und Gewebespende. Es exis-
tiert prinzipiell keine kalendarische Altersgrenze für
14 16 64
eine Organ- und Gewebespende; was zählt, ist der
biologische Zustand des Organs.11 ... an in Deutschland lebende Personen vermittelt
... weltweit vermittelt
Die irrtümliche Annahme nach einer fest definier-
... durch Eurotransplant an die Länder vermittelt,
ten Altersgrenze hält nach Erfahrungen aus Informa- die dem Verbund angehören
tionsgesprächen vor allem ältere Menschen davon Gesamt (N = 4001)
Kann man sich nach der Organ- und In Deutschland gilt als Kriterium für die
Gewebeentnahme von der verstorbenen mögliche Organ- und Gewebeentnahme
Person verabschieden? das Vorliegen ...?
68 24 8 70 21 4 5
Ja … des Hirntods
Nein … des Herztods
Weiß nicht/Keine Angaben … des Komas
Gesamt (N = 4001) Weiß nicht/Keine Angaben
Gesamt (N = 4001)
18 TAGUNGSBEITRÄGE
Gibt es Ihrer Meinung nach in Deutsch- Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die
land genügend Organe und Gewebe für Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient
Patientinnen und Patienten, die auf ein bzw. eine Patientin nach der Übertra-
neues Organ bzw. Gewebe warten? gung einer Niere fünf Jahre nach der
OP noch gut mit diesem Organ lebt?
12 86 1
Ja 6 32 49 12
Nein 20 bis 40 %
Weiß nicht/Keine Angaben 40 bis 60 %
Gesamt (N = 4001) 60 bis 80 %
80 bis 100 %
Gesamt (N = 4001)
Wie lange wartet im Allgemeinen in
Deutschland Ihrer Meinung nach eine
Patientin bzw. ein Patient auf eine Spen- Verständnis Hirntod
Auf die Frage: »Kann eine hirntote Person wieder
derniere?
ein normales Leben führen?« antworten 14% der
Gesamtbevölkerung mit »Ja« bzw. »Mit Einschrän-
1 14 51 30
kungen«. Damit ist der deutlichen Mehrheit der
Keine Wartezeit, da ausreichend Organe vorhanden Befragten klar, dass der Hirntod den Tod des Men-
Weniger als 1 Jahr
schen darstellt.
3 Jahre
5 bis 7 Jahre
Gesamt (N = 4001)
Kann eine hirntote Person wieder ein
normales Leben führen?
Erfolgsaussichten der Transplantation
Insgesamt liegt die sogenannte Fünf-Jahres- 85 1
2 12
Transplantationsrate nach einer Nierentransplanta-
Ja
tion in Deutschland bei 72,7%.12 Ein Patient bzw. eine
Mit Einschränkungen
Patientin hat eine 60- bis 80-prozentige Wahrschein-
Nein
lichkeit, fünf Jahre nach der Operation noch gut mit Weiß nicht/Keine Angaben
einer postmortal gespendeten Niere zu leben. Diese
Gesamt (N = 4001)
Tatsache ist ungefähr der Hälfte (49%) aller Befrag-
ten bekannt. Circa ein Drittel (32%) der Bevölkerung
sieht diese Chance allerdings nur bei 40 bis 60 %.
Ergebnisse der Wissensstandserhebung – H5: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ-
Bei richtiger Beantwortung aller Fragen konnten und Gewebespende informiert ist, hat keine
maximal 19 Punkte erzielt werden. Sehr gut infor- Ängste bezüglich der Organ- und Gewebespende.
miert: 17 bis 19 Punkte. Gut informiert: 14 bis 16 – H7: »Wer sich bereits mit dem eigenen Tod ausei-
Punkte. Mäßig informiert: 10 bis 13 Punkte. Schlecht nandergesetzt hat, ist bereit, Organe und Gewebe
informiert: 0 bis 9 Punkte. zu spenden.«
– H8: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ-
spende informiert ist, hat sich mit dem eigenen
Informiertheit Tod auseinandergesetzt.«
– H9: »Wer das Hirntodkonzept verstanden hat,
8 44 39 9 hat keine Angst vor einer vorzeitigen Organ- und
Gewebeentnahme.«
Sehr gut
Gut
Mäßig Folgende Hypothesen wurden nicht bestätigt:
Schlecht H6: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ-
Gesamt (N = 4001) und Gewebespende informiert ist, beabsichtigt in
nächster Zeit, sich einen Organspendeausweis zu
beschaffen.«
Die Auswertung der Wissensstandserhebung Die Hypothese H3: »Wer gut bis sehr gut über das
zeigt, dass 8 % der Befragten sehr gut und 44% gut Thema Organ- und Gewebespende informiert ist, hat
informiert sind. Knapp die Hälfte (48%) der Befrag- einen Organspendeausweis ausgefüllt« konnte nicht
ten sind demnach mäßig (39%) bis schlecht (9%) mit statistischer Signifikanz bestätigt werden.
über das Thema Organ- und Gewebespende infor- Wer sehr gut über das Thema Organ- und Gewebe-
miert. spende informiert ist, ist bei denjenigen unterreprä-
sentiert, die sich ganz sicher in nächster Zeit einen
Ergebnis der Hypothesentestung Organspendeausweis besorgen wollen. Diejenigen
Folgende Hypothesen konnten bestätigt werden: hingegen, die schlecht informiert sind, sind überre-
– H1: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ- präsentiert.
und Gewebespende informiert ist, hat eine posi- Anhand des Ergebnisses der Wissensstandserhe-
tive Einstellung zur Organ- und Gewebespende bung sowie der Hypothesentestung lassen sich
(passive Akzeptanz).« folgende »Profile« erstellen:
– H2: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ-
und Gewebespende informiert ist, ist bereit, seine Merkmale von gut bis sehr gut informierten Personen
Organe und Gewebe zu spenden (aktive Akzep- – Positive Einstellung zur Organ- und Gewebe-
tanz).« spende (passive Akzeptanz).
– H4: »Wer gut bis sehr gut über das Thema Organ- – Sind bereit, Organe und Gewebe zu spenden
und Gewebespende informiert ist, hat einen (aktive Akzeptanz).
Organspendeausweis ausgefüllt und mit seinen – Haben mit ihren Angehörigen über die Entschei-
Angehörigen über das Thema Organ- und Gewebe- dung zur Organ- und Gewebespende gesprochen.
spende gesprochen.«
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20 TAGUNGSBEITRÄGE
– Wer sehr gut informiert ist, besitzt in der Regel nuierlicher Informationsbereitstellung und das Ange-
einen Organspendeausweis; von den gut infor- bot einer personalen Kommunikation (zum Beispiel
mierten Personen besitzen ein Drittel einen Organ- über das Infotelefon Organspende) die Organ- und
spendeausweis. Gewebespendebereitschaft positiv beeinflusst wer-
– Haben keine Ängste bezüglich der Organ- und den kann.
Gewebespende (Angst, dass nicht mehr alles Die Ergebnisse der Wissensstandserhebung bele-
medizinisch Machbare getan wird, Angst vor gen, dass der Faktor Wissen sehr wohl einen Einfluss
Organhandel). auf die Entscheidung zur Organ- und Gewebespende
– Haben sich mit dem eigenen Tod auseinander- hat, aber nicht der allein ausschlaggebende Faktor
gesetzt und sind bereit, Organe und Gewebe zu ist, der Menschen dazu bewegt, eine positive Ein-
spenden. stellung zur Organ- und Gewebespende in gleichge-
– Haben das Hirntodkonzept verstanden und keine richtetes Handeln (Ausfüllen eines Organspende-
Angst, dass die Ärztinnen und Ärzte nicht mehr ausweises bzw. Mitteilung der Entscheidung an die
alles medizinisch Machbare für sie tun. Angehörigen) umzusetzen. So sind gut informierte
Personen, die noch Ängste in sich tragen, nicht un-
Merkmale von mäßig bis schlecht informierten bedingt bereit, einen Organspendeausweis aus-
Personen zufüllen.
– Haben eher eine negative Einstellung zur Organ- Um dem Ziel, dass möglichst jeder Mensch eine
und Gewebespende (geringe passive Akzeptanz). Entscheidung zur Organ- und Gewebespende trifft,
– Sind nicht bereit, Organe und Gewebe zu spenden näherzukommen, müssen zukünftig mehr Anstren-
(geringe aktive Akzeptanz). gungen auf die Behebung derjenigen Wissensdefizite
– Haben eher nicht mit ihren Angehörigen über die verwendet werden, die zu einer Ablehnung der Organ-
Entscheidung zur Organ- und Gewebespende und Gewebespende (Anti-Donation) führen.13 Offen-
gesprochen. bar setzt die Dokumentation der Entscheidung für
– Besitzen keinen Organspendeausweis. eine Organ- und Gewebespende eine hohe positive
– Haben eher Ängste, dass nicht mehr alles medizi- Einstellung gegenüber der Thematik voraus (Pro-
nisch Machbare für sie getan wird, und fürchten donation).14
den Organhandel. Welche Bedeutung haben diese Ergebnisse für die
– Haben sich noch nicht mit dem eigenen Tod aus- Aufklärungsarbeit? Bestimmte Informationen, wie
einandergesetzt. die im Transplantationsgesetz niedergelegten Rege-
lungen zu den Abläufen einer Organ- und Gewebe-
Zusammenfassung spende, müssen verstärkt kommuniziert werden, um
Die Untersuchungsergebnisse geben wichtige Hin- die Menschen zu informieren und damit bestehende
weise für ein besseres Verständnis des Organspen- Ängste abzubauen und das Vertrauen in die Organ-
deverhaltens und bestärken die Vermutung, dass und Gewebespende zu stärken. Die BZgA greift in
durch gezielte Aufklärungsarbeit in Form von konti- ihrer aktuellen Kampagne zur Organ- und Gewebe-
13 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Karl-Heinz Schulz in diesem Fachheft (S. 40).
14 Vgl. hierzu Parisi und Katz 1986.
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 21
spende mit dem Titel »ORGANPATEN werden«15 diese Gold, S. M., Schulz, K.-H., Koch, U. (2001): Der Organ-
Ängste auf und versucht, durch eine Kombination spendeprozess: Ursachen des Organmangels und
aus personeller Kommunikation und Informations- mögliche Lösungsansätze. Forschung und Praxis
bereitstellung die Menschen zu informieren, vor- der Gesundheitsförderung, Band 13. Bundeszen-
handene Ängste abzubauen und die Menschen zu trale für gesundheitliche Aufklärung, Köln.
befähigen, eine Entscheidung zur Organ- und Gewe- Hübner, G., Mohs, A. (2011): The role of implicit atti-
bespende treffen zu können. tudes and attitude strength in predicting organ
Die kontinuierliche Fortführung der Wissens- donation behavior. Psychology and Health (sub-
standserhebungen wird die Kampagne begleiten und mitted paper).
damit sicherstellen, dass die Botschaften der Kam- Hübner, G., Six, B. (2005): Einfluss ethischer Über-
pagne dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung zeugungen auf das Organspendeverhalten: ein
kontinuierlich angepasst werden. Durch dieses Vor- »Erweitertes Modell der Organspende«. Zeitschrift
gehen kann langfristig das Profil von spendebereiten für Gesundheitspsychologie, 13, S. 118–125.
Personen vervollständigt und die Aufklärungsarbeit Keller, S., Bölting, K., Kaluza, G., Schulz, K.-H., Ewers,
optimiert werden. H., Robbins, M. L., Basler, H. D. (2004): Bedingun-
gen für die Bereitschaft zur Organspende. Zeit-
schrift für Gesundheitspsychologie, 12, S. 75–84.
Krampen, G., Junk, H. (2006): Analyse und Förde-
rung der Organspendebereitschaft bei Studieren-
Literatur den. Eine Erkundungsstudie auf der Basis des
Handlungstheoretischen Persönlichkeitsmodells.
Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 14, 2006,
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung S. 1–10.
(2010): Wissen, Einstellung und Verhalten der All- Meier, D., Kuhlencordt, R., Clausen, C., Rogiers, X.
gemeinbevölkerung zur Organspende. Zentrale (2000): Effects of an educational segment con-
Ergebnisse der BZgA-Repräsentativbefragung cerning organ donation and transplantation.
2010. Internet: http://www.bzga.de/presse/hinter- Transplantation Proceedings, volume 32, issue 1,
grundinformationen. pp. 62–63.
Bunzel, B., Smeritschnig, B. (1999): Einstellungen Morgan, S. E., Miller, J. (2002): Beyond the organ
und Bedenken zum Thema Organtransplantation – donor card: The effect of knowledge, attitudes, and
eine Erhebung bei Medizinstudentlnnen. Acta Chir values on willingness to communicate about
Austriaca, Heft 2, 1999, S. 111–116. organ donation to family members. Health Com-
DSO (2009): Jahresbericht Organspende und Trans- munication, 14, pp. 121–134.
plantation in Deutschland. Frankfurt am Main. Morse, C. R. (2009): Religiosity, anxiety, and dis-
Gabler S., Häder S. (1997): Überlegungen zu einem cussions about organ donation: understanding
Stichprobendesign für Telefonstichproben in a complex system of associations. Health Commu-
Deutschland. ZUMA-Nachrichten, 41, S. 7–18. nication, 24:2, 2009, pp. 156–164.
15 Vgl. hierzu die Ausführungen von Johanna Merkel in diesem Fachheft (S. 68).
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 22
22 TAGUNGSBEITRÄGE
VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 23
16 Das Kapitel fasst wesentliche Ergebnisse zur öffentlichen Einstellung gegenüber der Organtransplantation zusammen, die bereits in
englischsprachigen Zeitschriften publiziert wurden: Schicktanz und Schweda 2009, Schicktanz 2009a, Schicktanz, Schweda und Fran-
zen 2008, Schweda, Schicktanz und Wöhlke 2009a, Schweda und Schicktanz 2009, Schweda und Schicktanz 2008. Des Weiteren wer-
den vorläufige Ergebnisse einer noch laufenden Studie speziell zur Lebendorganspende zusammengefasst.
Umbruch FH 40 (30-8-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.08.12 07:56 Seite 24
24 TAGUNGSBEITRÄGE
Perspektiven ebenso wichtig wie die inhaltliche der gesellschaftlichen und individuellen Realität auf-
Diskussion um die Organspende. Daher soll in die- zeigen. Während quantitative Forschungsmethoden
sem Kapitel vor allem auf diese Perspektiven aus auf die Perspektive abzielen »Wer vertritt die Mei-
soziokultureller und empirischer Sicht eingegangen nung X«, zielen qualitative Forschungsmethoden auf
werden. die Eruierung der argumentativen Ebene ab; sie fra-
Dafür erscheinen folgende drei Fragestellungen gen eher nach dem Warum.
relevant: Auch aus ethischer und politischer Sicht ist es
– Inwiefern muss Organ-»spende« im sozialen wichtig anzuerkennen, dass »Äußerungen derselben
Handlungskontext von Reziprozität und archa- Realitäten in unterschiedlichen, manchmal unverein-
ischen Modellen von Gabe-Gegengabe gesehen baren Diskursen« (Bourdieu 1998, S. 17) münden
werden? können und damit zugleich in einer pluralen Gesell-
– Welche Rolle spielen Körperverständnisse für schaft etwas Gängiges sind. Dass Patientinnen und
Laien und Betroffene? Patienten sowie Laien in komplexen bioethischen
– Welche Unsicherheiten und Ambivalenzen zeigen Fragen auch Inkohärenzen, Ambivalenzen und mora-
sich bei Laien und Betroffenen hinsichtlich des lische Unsicherheit zeigen, ist dabei nicht als Beleg
Hirntodkonzepts? für deren »Inkompetenz« zu werten, denn Unein-
deutigkeiten lassen sich zumindest auch am Anfang
Die folgenden Ausführungen basieren auf theore- jedes Expertendiskurses beobachten (Schicktanz
tischen Überlegungen und empirischen Befunden zu 2009b, S. 231). Empirische Studien zu bioethisch
diesen drei Fragen. umstrittenen Fragen helfen, mehr Kontextsensitivität
zu schaffen (Musschenga 2005, Krones 2008).
Diese Herangehensweise versteht sich als empiri-
sche Ethik.
Unsere Untersuchungen zielen auf die Erhebung
Methodisches Vorgehen für von Einstellungen und Meinungen zum Thema Organ-
spende sowie die dazugehörigen motivationalen
die Analyse der Laien- und
Hintergründe ab. Diese Hintergründe können rein
Patientenperspektive individuell sein, werden zum Teil jedoch auch gesell-
schaftlich, das heißt soziokulturell, geprägt. Um die
Vielfalt und die Tiefe der kulturellen Implikationen,
Gerade für ein vertieftes, kritisches Verständnis, Konnotationen und Kontexte herauszuarbeiten,
warum in Deutschland eine verhältnismäßig geringe bietet sich aus der breiten Palette qualitativ sozial-
aktive Bereitschaft existiert, Organe zu spenden, ist empirischer Methoden gerade die sogenannte Fokus-
es wichtig, den inhaltlichen Argumenten, Positionen gruppendiskussion an.
sowie Unsicherheiten von direkt oder indirekt Betrof- Bei dieser Methode handelt es sich um moderierte,
fenen genauer nachzugehen. Besonders hilfreich leitfadengestützte Gruppendiskussionen mit acht
hierfür haben sich Methoden der qualitativen empiri- bis zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern (Morgan
schen Forschung erwiesen, da sie im Komplex von 1997, Bohnsack 2003).
Gesundheit, Krankheit und Tod ein Bild ermöglichen, Fokusgruppendiskussionen erlauben besonders
die Verknüpfungen, Ambivalenzen und Differenzen eine Analyse argumentativer Aspekte. Im Gegensatz
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 25
dazu zielen biografische Interviews vor allem auf gern sowie drei Fokusgruppen mit Spenderinnen
Positionen, Meinungen und vorgebrachte Argumente und Spendern einer Lebendnierentransplantation –
Einzelner ab. Die Heterogenität der Gruppe und der ebenfalls zum Thema Organspende – befragt. Bei
Fokus der Themen bewirken zudem fast immer, der Zusammensetzung aller Gruppen wurden bei
dass nicht alle sofort einheitlich einer Meinung sind, der Rekrutierung auf soziodemografische Faktoren
sondern sie sich erst diskursiv auf verschiedene geachtet, sodass die Gruppen ausgewogen nach
Aspekte verständigen müssen bzw. sich gegenseitig Alter, Geschlecht, Religion und Bildungsstand zusam-
hinterfragen. Unsere Analyse stützt sich auf die mengesetzt wurden. Als »Laie« wurde eine Person
Auswertung von insgesamt 14 anderthalb- bis zwei- klassifiziert, wenn weder die Person selbst noch eine
stündigen Fokusgruppendiskussionen aus zwei auf- nahestehende Verwandte oder ein nahestehender
einander aufbauenden Forschungsprojekten: Verwandter bisher konkrete Erfahrungen mit dem
I. Insgesamt acht Fokusgruppendiskussionen mit Thema Organspende gemacht hatte.
Laien und Betroffenen zum Thema Organtrans- Die Fokusgruppen wurden auf ein Speicherme-
plantation allgemein in Deutschland, den Nieder- dium mitgeschnitten und anschließend wortwörtlich
landen, Schweden und Zypern (N = 166), im Zeit- transkribiert, für den europäischen Vergleich danach
raum von 2005 bis 2006 durchgeführt und in die englische Sprache übersetzt. Die mehrstufige
anschließend analysiert und publiziert.17 Analyse erfolgte gemäß zuvor definierten Untersu-
II. Insgesamt sechs Fokusgruppendiskussionen chungskategorien nach der qualitativen Inhaltsana-
(N = 47) und 27 Einzelinterviews in Deutschland lyse (Mayring 2003). Außerdem wurden auf Basis
nur mit Betroffenen (Empfängerinnen und Emp- der Grounded Theorie (Strauss und corbin 1990)
fänger sowie Spenderinnen und Spender einer zusätzlich interpretative Konzepte induktiv entwi-
Lebendnierentransplantation), im Zeitraum von ckelt.
2008 bis 2009 durchgeführt und derzeit analy- Die deduktive sowie induktive Kodierung entlang
siert.18 von zentralen Kategorien und Themen erfolgte unter
Zuhilfenahme einer speziellen sozialwissenschaft-
In der EU-Studie (I) wurden in jedem Land jeweils lichen Software (ATLAS.ti) (Winkelhage et al. 2008).
eine Fokusgruppe mit Laien und jeweils eine mit Die qualitative Inhaltsanalyse konzentrierte sich auf
Betroffenen (vor allem Empfängerinnen und Empfän- gemeinsame Argumentationslinien (zum Beispiel
ger eines postmortalen Organs, deren Angehörige, verschiedene Pro/Kontra-Argumente) und Themen
aber auch Verweigerinnen und Verweigerer einer (zum Beispiel Bereitschaft zur Organspende, Hirn-
Organspende) mit verschiedenen Fragestellungen todkonzept, Reziprozität, Körperverständnis), die
zur postmortalen und Lebendorganspende konfron- sich während der Diskussion als geteilte Positionen
tiert. In der laufenden Studie (II) wurden jeweils drei der Gruppen (bzw. Untergruppen) ausweisen ließen.
Fokusgruppen nur mit Empfängerinnen und Empfän- Diese Hauptargumentationslinien erlauben eine
17 EU-Projekt: »challenges of Biomedicine – Socio-cultural contexts, European Governance and Bioethics (coB)« (Project No. SAS6-cT-
2003-510238), vgl. auch FN1. Für methodische Details verweisen wir auf Schweda und Schicktanz 2008, 2009.
18 Vgl. auch Projektskizze: Entscheidungsfindungsprozesse im Rahmen der Lebendnierenspende – Medizinethische und medizinanthropo-
logische Aspekte. http://www.egmed.uni-goettingen.de/index.php?id=143.
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26 TAGUNGSBEITRÄGE
19 Auch individuell abweichende Positionen oder »Außenseiter«-Positionen wurden speziell analysiert. Sie sind jedoch nicht Gegenstand
der hier vorliegenden Auswertung.
20 Man denke dabei im ersten Fall an Hilfeleistungen bei einem Verkehrsunfall oder im zweiten an das Zahlen von Beiträgen in die gesetz-
lichen Krankenkassen der Solidargemeinschaft.
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 27
einen mit der vereinfachten Verwendung des Begriffs 1. Es kommt zu einer Eröffnungsgabe.
»altruistische Spende« gerade in der öffentlichen 2. Die Gabe muss (kann) angenommen werden (häu-
Rhetorik zusammen (vgl. Abbildung 2) und steht fig gibt es hierfür auch Normen).
somit im Widerspruch zum Argument einer solidari- 3. Wenn die Gabe angenommen wird, muss eine
schen Verpflichtung. Bei der Lebendorganspende Gegengabe erfolgen.
wird hingegen oft vom Eigenvorteil der Spenderinnen
und Spender gesprochen, wenn sie einem geliebten Diese Verpflichtung ist ein wesentlicher Faktor,
Menschen ihre Niere spenden: Hier scheint eher Soli- der über einer möglichen reinen Kosten-Nutzen-Auf-
darität aus einem Gemeinschaftsgefühl (»Wir sind rechnung steht. Es ist also nicht die Gabe selbst,
ein Paar bzw. eine Familie«) zu erwachsen. die im Mittelpunkt steht, sondern deren Funktion –
»Geschenke« sind (im Gegensatz zu »Spenden«) die Funktion der Initiierung, Aufrechterhaltung und
in unserer Gesellschaft etwas sehr Persönliches und Auffrischung von Beziehungen. Wichtig ist, dass
verändern sowohl Gebende als auch Nehmende in zwischen der Annahme und der Gegengabe eine
ihrer Beziehung zueinander. Verschiedene Anthropo- gewisse Zeit verstreicht und dass sie durch die Unsi-
logen haben darauf aufmerksam gemacht, dass der cherheit geprägt ist, ob die Gabe wirklich erwidert
Austausch von Geschenken in jeder (auch moder- wird und ob es zu einem Ausgleich der Vorleistungen
nen) Kultur nach festgelegten Austauschritualen von kommt.
Geber- und Nehmerseite funktioniert. Gerade weil sie Auf der anderen Seite wird die Erinnerung an die
Teil dieser Kultur sind, werden diese Regeln selten Person mittels der Gabe, das Gedächtnis an die noch
ausgesprochen, sie sind selbstverständlich und ver- zu erbringende Leistung, wachgehalten. Ein Prinzip
meintlich jedem bekannt. Hierzu gehört auch, was der Gegenseitigkeit – das heißt Darbietung von Leis-
als ein »Geschenk« gilt bzw. angenommen werden tungen mit Hinblick auf einen reziproken Vorteil, der
kann und was nicht.21 Godelier kommt sogar zu dem eben auch beim Schenken bestimmend ist, also
Schluss, dass es Sachen gibt, die man behalten Leistungen, die zwar einen sozusagen freiwilligen,
muss, die man nicht weggeben darf.22 Das dem anscheinend selbstlosen und spontanen, dennoch
Geschenk zugrunde liegende soziale Prinzip wird zwanghaften und eigennützigen charakter aufwei-
auch als Reziprozität (Gegenseitigkeit) beschrieben. sen – ist als archaisches Prinzip auch bei der Organ-
Der Gabentausch ist dabei die klassischste Vari- »spende«, sei sie tot oder lebendig erfolgt, zu ver-
ante von Reziprozität und besitzt folgende sequen- muten (Gouldner 2005). Für den Soziologen Alvin
zielle Grundregeln, die auch als Verpflichtungen Gouldner ist der soziale Austausch, also die Rezipro-
interpretiert werden können (Mauss 1990, vgl. zur zität, eine der grundlegenden Dimensionen sozialen
Übersicht auch Wöhlke 2010, Adloff und Mau 2005): Verhaltens. Es ist dabei unerheblich, ob der soziale
21 Zum Beispiel gilt in unserer westlichen Kultur das Angebot, die Nacht mit dem eigenen Partner zu verbringen, nicht als akzeptiertes
Geschenk gegenüber Freunden, wie es in den Geschichten aus 1001 Nacht vorkommt. Auf unsere Kultur bezogen überdauerte der
Gabentausch jedoch auch als eine der ältesten sozialen Handlungspraxen für das Bilden von sozialen Beziehungen. Denn kaum ein Ken-
nenlernen und kein Flirt – ganz zu Schweigen von sogenannten ernsthaften Absichten – kommen ohne jene schemenhafte Dialektik
von Gabe und »Hingabe« aus (vgl. hierzu: Berking 1996).
22 Diese Sachen können kostbare Objekte, Talismane, Kenntnisse und Riten sein. Sie sind eine Bekräftigung von Identitäten und ihrer Kon-
tinuität durch die Zeit hindurch. Sie bekräftigen die Existenz der Identitätsunterschiede zwischen den Individuen sowie zwischen den
Gruppen, die eine Gesellschaft bilden (vgl. hierzu: Godelier 1999).
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28 TAGUNGSBEITRÄGE
23 Ein Argument gegen eine Gleichzeitigkeit von Handel und Geschenk lässt sich aus einer kürzlich abgeschlossenen Epoche unserer
jüngsten Geschichte gewinnen. Die vielen Millionen Paketsendungen, die aus der ehemaligen BRD in die ehemalige DDR gingen, mussten
lange Zeit die Aufschrift »Geschenksendung – keine Handelsware« tragen. Sie waren speziell für die Empfängerinnen und Empfänger
bestimmt, nicht für einen anonymen Markt oder als Tauschobjekt. Der Unterschied zwischen Geschenk und Ware wird in dieser Formu-
lierung direkt angesprochen und meist intuitiv verstanden. Die ungleichen Paketströme, die zwischen Ost und West flossen, sind zwar
nicht gerade ein Beleg für Reziprozität und Pflicht zur Erwiderung, jedoch ein Indiz gegen Gleichsetzung von Handel und Geschenk (vgl.
hierzu: Schmidt 1996).
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 29
an der neuen Kampagne des Berliner Herzzentrums liche (wenngleich symbolische) Gegengabe richten
(siehe http://www.proorganspende.de) (Abbildung 3), kann. Zudem bemängeln viele Angehörige von »Or-
bei der man nicht allein mehr auf altruistische ganspendern« eine fehlende öffentliche Anerken-
Spendekonzepte zurückkommt. Der Slogan: »Du be- nung der »spendenden« Seite.
kommst alles von mir – ich auch von dir?« steht in Die Studie von Hauser-Schäublin et al. verweist
der moralischen Tradition von gegenseitigen Erwar- bei der postmortalen Spende darauf, dass die Emp-
tungen. Ob damit jedoch gesunde Menschen, die findungen der Hinterbliebenen bezüglich der Organ-
nicht wirklich damit rechnen, selbst eine Organ- spende weit über die körperliche Ebene hinaus-
spende zu benötigen, sich motiviert fühlen, wird zu gehen. Auch in ihrer Wahrnehmung entspricht die
prüfen sein. Gerade bei der Postmortalspende kann postmortale Organspende also einer Gabe. Es stellt
nämlich das vorherrschende Prinzip der Anonymität sich daher die Frage, wie die von den Hinterbliebenen
den Wunsch bzw. die Erwartung, etwas zurückgeben geäußerten Bedürfnisse beachtet werden können.
zu wollen, unmöglich machten bzw. erschweren. Es gibt eine Reihe von Beispielen, um den Spendern
Durch den theoretischen Blickwinkel auf das Prin- und Spenderinnen (und ihren einwilligenden Angehö-
zip der Gabe werden bei der Organtransplantation rigen) Dankbarkeit und Anerkennung zu bekunden.
Aspekte sichtbar, die aus rein medizinischer Sicht Manche Länder haben dies zum Teil viel stärker insti-
eher vernachlässigt werden. So entstehen durch die tutionalisiert: In Spanien sind öffentliche Gedenk-
Organtransplantation enge Verknüpfungen individu- gottesdienste sehr verbreitet, in den USA werden
eller Schicksale und neue Formen sozialer Beziehun- Gedenktafeln aufgestellt. Die Erfolge solcher Aktio-
gen (siehe hierzu besonders Hauser-Schäublin et al. nen lassen vermuten, dass aufgrund der auch in
2001). unserer Kultur festverankerten Praxis der Gabe ein
Bei der postmortalen Organspende ist das Verhin- enormer Bedarf besteht, zumindest symbolisch eine
dern einer Kontaktaufnahme von Empfängerinnen Gegengabe zu initiieren. Das wirft für uns die Frage
und Empfängern sowie Spenderinnen und Spendern auf, warum solche Treffen nicht von staatlicher Seite
(genauer: deren Angehörigen) das Ziel. Diese Ano- unterstützt und organisiert werden. Bislang müs-
nymisierung bedeutet allerdings gleichzeitig, dass sen diese Treffen bei uns oft ehrenamtlich von den
die Organe losgelöst von der Identität und den sozia- Betroffenen selbst organisiert werden.
len Beziehungen der Spendepersonen übertragen Das (implizite) Prinzip der Reziprozität lässt sich
werden (Kalitzkus 2003). Verschiedene Studien noch komplexer im Kontext der Lebendorganspende
(Daar 1992, caplan et al. 1989, Fox und Swazey nachverfolgen. Eine Lebendorganspende kann laut
1992) und auch unsere eigenen Untersuchungen Transplantationsgesetz nur zwischen sich nahe ste-
zeigen, dass viele postmortale Organempfängerin- henden Familienmitgliedern oder eng verbundenen
nen und -empfänger Schuldgefühle haben bzw. Freundinnen und Freunden stattfinden. Diese Vor-
imaginierte Dankbarkeitsrituale oder besonderes gabe setzt nach unserem Verständnis bereits eine
soziales Engagement zeigen. Darin spiegelt sich die Art Reziprozität zwischen Empfängerin und Empfän-
kulturell geprägte Austauschpraxis der Gabe wider. ger sowie Spenderin und Spender voraus. Die Gabe
Die Empfängerin bzw. der Empfänger befindet sich selbst befindet sich eher auf symbolischer, immate-
einerseits im zeitlichen Intervall der Gegengabe, rieller Ebene − nicht die Niere als Organ an sich ist
andererseits bleibt aufgrund der anonymisierten die Gabe, sondern die Handlung bzw. die Geste der
Transplantationspraxis unklar, an wen sich die mög- Hilfeleistung (Decker 2009).
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30 TAGUNGSBEITRÄGE
Dabei sind zweierlei Dinge zu berücksichtigen: Gerade weil die Zahl der lebend transplantierten
Zum einen besteht zwischen dem Spender-Empfän- Organe in den letzten Jahren stetig angestiegen ist
ger-Paar bereits seit längerer Zeit eine reziproke Aus- und in einigen Nachbarländern (zum Beispiel Nieder-
tauschbeziehung.24 Für die sogenannte freiwillige lande) bereits die Hälfte aller transplantierten Nieren
Entscheidung für oder gegen eine Lebendspende von Lebendspendern stammen, ist diesem Zusam-
(sowohl von Spender- als auch Empfängerseite) menhang eine besondere Bedeutung beizumessen.
kann bereits eine Verpflichtung zur Handlung inner- Für viele chronisch kranke Nierenpatientinnen und
halb des Austauschprinzips vorliegen (dem Partner/ -patienten stellt die Lebendspende eine Alternative
der Partnerin etwas »schuldig« sein). Spende- und zur Dialyse dar (vor allem dann, wenn die Dialyse
Empfängerpersonen blicken also bereits auf einen aus körperlichen und psychischen Gründen nicht
Zirkel von sozialen Austauschbeziehungen zurück, vertragen wird). Auf ein postmortales Spendeorgan
in dem sich Erwartungen und altruistische Motiva- müssen die Patientinnen und Patienten derzeit im
tionen entwickelt haben. Unsere Interviews und Dis- Durchschnitt circa sechs bis acht Jahre warten.
kussionen mit Lebendspendern und auch -empfän- In der öffentlichen und auch medizinischen Dar-
gern zeigen interessanterweise, dass sie vor allem stellung wird die Lebendspende oft sehr verkürzt als
die Vokabeln des Schenkens benutzen und prakti- unkomplizierte Erfolgsgeschichte dargestellt. Diese
zieren.25 So wird von vielen Spendepersonen in den reduziert sich zumeist darauf, dass für die Spenden-
Gesprächen immer wieder betont, dass es ein Ge- den ein sehr geringes Komplikationsrisiko bestehe
schenk sei und dass sie keinerlei Gegenleistung (obwohl ein irreversibler operativer Eingriff an einem
erwarten. Zwei interviewte Empfänger haben das gesunden Körper stattfindet). Des Weiteren wird
Angebot zur Lebendspende von ihrer Spenderin gern betont, dass ein lebend gespendetes Organ eine
bzw. ihrem Spender sogar genau an ihrem Geburts- statistisch höhere Überlebenszeit hat als ein post-
tag bekommen. mortal gespendetes Organ. Diese Darstellungen
Die Lebendspende muss zudem nicht unbedingt können Familien, die konkret vor der Entscheidung
die (Eröffnungs-)Gabe sein. Spende- und Empfänger- über eine Lebendspende stehen, stark beeinflussen.
personen befinden sich bereits in einem sozialen Potenzielle Spenderinnen und Spender können sich
Austauschzirkel, der lange vor der Lebendspende unter Druck gesetzt fühlen, spenden zu müssen, da
begonnen hat, sodass die Lebendspende auch eine sie der Ansicht sind, die Gesellschaft erwarte dies
Gegengabe sein kann. Viele Betroffene feiern den Tag als Familienmitglied von ihnen. Dieser externe Druck
der Transplantation wie einen zweiten Geburtstag, an auf mögliche Spenderinnen und Spender erschwert
dem sich Spende- und Empfängerpersonen gegen- das umfassende und tief greifende Auseinanderset-
seitig Geschenke machen bzw. miteinander den Tag zen mit allen Vor- und Nachteilen, sich eben auch
verbringen. gegen eine Lebendspende entscheiden zu können.26
24 Dies variiert natürlich. Zwischen Kind und Elternteil besteht sie seit der Geburt, bei Geschwistern das gemeinsame Leben über, bei Ehe-
partnern seit dem Zeitpunkt, an dem sie sich als Lebensgemeinschaft wahrnehmen. Auch bei Freunden und Freundinnen besteht die
reziproke Beziehung so lange, wie die Freundschaft bereits währt.
25 Ein Spenden, das in seiner Ursprungsform anonym ist und das in der nicht anonymen Form keinesfalls selbstlos, sondern immer auf-
grund des Erlangens von Sozialprestige vorgenommen wird.
26 So hat beispielsweise die Zwillingsschwester einer Patientin psychisch stark darunter gelitten, dass Ärzte und Familie sie als die opti-
male Lebendspenderin angesehen haben. Sie konnte und wollte jedoch gar nicht spenden.
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 31
In den von uns untersuchten Fällen zur Lebendor- der medizinischen Voruntersuchungen im späteren
ganspende hatte sich nie ein Patient/eine Patientin Verlauf nicht infrage kommt.
eine mögliche Spenderperson gesucht. Immer eröff- In einer verdeckten Variante hingegen haben sich
nete eine mögliche Spenderperson dem Patienten potenzielle Spenderpersonen – ohne sich vorher mit
bzw. der Patientin das Angebot einer Lebendspende. den potenziellen Empfängerpersonen abzusprechen
So hatte keiner der befragten betroffenen Empfänger – in die Voruntersuchungen begeben. Erst mit der
und Empfängerinnen berichtet, dass er bzw. sie Gewissheit, dass man medizinisch als Spenderper-
jemanden wegen einer Lebendspende angefragt son infrage kommt, wird dann dem Empfänger bzw.
hätte. Vielmehr waren es die Ärztinnen und Ärzte, die der Empfängerin das Angebot unterbreitet. In dieser
in Gesprächen einen Elternteil (bei Kindern als Konstellation wird die Möglichkeit der Ablehnung sei-
Patienten) bzw. den Ehepartner erwähnten. Darauf- tens eines Patienten bzw. einer Patientin als wesent-
hin sprachen diese Begleitpersonen den potenziellen lich schwieriger empfunden, da das Angebot der
Empfänger bzw. die potenzielle Empfängerin an. Gabe bereits eine so hohe Qualität hat. Die in den
Dass die potenzielle Spenderperson die Initiative kulturell verankerten Gaberitualen vorhandenen
übernimmt, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Machtstrukturen werden dabei sehr gut sichtbar: Die
Lebendspende als soziale Austauschpraxis durch- potenzielle Spenderperson hat eine starke Kontrolle
geführt wird und nach den Handlungsmustern einer über den Gabentausch. Denn ein Geschenk, bei dem
Gabe verläuft. Dabei sind mindestens drei unter- bereits so viel Mühe und Zeit aufgebracht wurde, ist
schiedliche Varianten zu finden: die »offene«, »ver- kaum abzulehnen. Die Gefahr wäre dann zu groß, als
deckte« oder »fehlende« Variante eines »Ange- »undankbar« dazustehen und damit die soziale
bots«. Beziehung zu gefährden. Zweifel, Skrupel und Ängste
Mit der offenen Variante ist gemeint, dass sich werden hier dem Angebot untergeordnet und kaum
sofort eine Person aus dem Umfeld beim potenziel- thematisiert. Alle Interviewten, die diese Variante des
len Empfänger bzw. bei der potenziellen Empfängerin Angebots angenommen haben, berichtete im Nach-
meldet, mit der Eröffnung, er bzw. sie wolle spenden. hinein von Problemen mit der Dankbarkeit und von
Hier findet im weiteren Verlauf eine Art Aushandlung Schuldgefühlen.
statt, ob der nierenkranke Patient bzw. die nieren- Ein Angebot »fehlt« dann, wenn es sich um eine
kranke Patientin die Annahme des Organs von dieser Notsituation handelt. Gerade bei Kindern, deren
Person will. Dieser Prozess kann je nach Verwandt- Gesundheitszustand sich rapide verschlechterte,
schaftskonstellation wenige Tage bis hin zu mehre- wurden vonseiten der Mütter und Väter unglaubliche
ren Monaten dauern. Stimmt der Patient bzw. die Anstrengungen geschildert. Sie hatten das Ziel, die
Patientin der Gabe zu, unterzieht sich die potenzielle Ärztinnen und Ärzte dazu zu bringen, die Lebend-
Spenderperson erst dann den notwendigen medizini- spende trotz kritischem Zustand des Kindes noch
schen Voruntersuchungen, ob sie überhaupt medizi- durchzuführen.
nisch als Spender infrage kommt. Bei dieser offenen Aus der Perspektive der Gabe betrachtet, er-
Variante haben die Beteiligten die Möglichkeit, unter schwert genau die zuvor beschriebene soziale Hand-
den gegebenen Umständen eine annähernd freie lungspraxis den Dialog über das Thema Lebend-
Entscheidung für oder gegen die Lebendspende zu spende in den Familien von nierenkranken Patienten
treffen. Auch auf die Gefahr hin, dass der potenzielle und Patientinnen. Es scheint häufig so zu sein, dass
Spender bzw. die potenzielle Spenderin aufgrund man die Familie nach außen schützt, indem man als
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32 TAGUNGSBEITRÄGE
Patient bzw. Patientin eine Lebendspende ablehnt. wiegenden Teil der Befragten wird die Annahme der
Umgekehrt kann auch ein fehlendes Angebot seitens Gabe als Verpflichtung zur Gegengabe wahrgenom-
der Familie unausgesprochene Konflikte auslösen: men. Sie äußerte sich zumeist in einer diffusen Art
Warum bekommt mein Dialysenachbar bzw. meine der Dankbarkeit und daraus resultierenden Schuld-
-nachbarin das Angebot einer Lebendspende und ich gefühlen, die allerdings je nach Verwandtschaftsbe-
nicht? ziehung variieren. Bei Kindern, die von ihren Eltern
Die Vermischung von Gabe und Ware kommt in ein Organ bekamen, schien die »Verpflichtung zur
der Lebendorganspende vor allem durch Dritte (das Gegengabe« am wenigsten ausgeprägt. Dies kann
medizinische Personal) zustande. Das medizinische auf das bereits bestehende asymmetrische Verhält-
Personal selbst handelt nach gesetzlichen Vorgaben nis zurückgeführt werden, bei dem Eltern ihren Kin-
und Marktregeln. Das fängt damit an, dass die er- dern auch sonst mehr »geben«. In symmetrischen
brachte Arbeit innerhalb des Transplantationssys- Beziehungen wie etwa Geschwistern, Ehepartnern
tems als eine reine Dienstleistung gesehen wird, die und Freundinnen/Freunden konnte ein wesentlich
entsprechend mit einem Gehalt bezahlt wird (und direkterer und ausgeprägter Umgang mit der Dank-
eben beispielsweise keine ehrenamtliche Tätigkeit barkeit bzw. mit Schuldgefühlen beobachtet werden.
ist). Daneben ist das medizinische Personal nicht Eine spezielle Variante ist die Chance der Gegen-
nur für die Vorbereitung, Durchführung und Nach- gabe. Hierfür steht der Fall eines Bruderpaares:
sorge der Transplantation zuständig, sondern ge- Der Ältere war seit seiner Geburt leicht spastisch
währleistet auch die Verteilungsregeln der zur Ver- gelähmt, konnte jedoch mit dieser Behinderung
fügung stehenden Organe. Dieses Verwischen der Schule und Ausbildung absolvieren. Dieser Bruder
Grenzen zwischen Gaben- und Warentausch führt zu hatte sich in den Nachkriegsjahren »wie ein Vater«
einer weiteren Verunsicherung in der Handlung der um seinen jüngeren Bruder gekümmert. Mit der Nie-
Spenderpersonen, Empfängerpersonen und Paare. renspende hatte der jüngere Bruder laut eigener
Die Interviewten haben bis auf ein Ehepaar inner- Beschreibung endlich die Gelegenheit, sich für diese
halb unterschiedlichster Zeiträume die Gabe ange- Hilfe erkenntlich zu zeigen.
nommen. Der Zeitpunkt der Annahme ist oft nicht Die Möglichkeit der Ablehnung oder aber die
die eigentliche Transplantation; er ist bereits früher Unmöglichkeit der Erwiderung wird noch stärker
zu lokalisieren, wenn die Zustimmung zur Lebend- tabuisiert. Hierüber zu berichten, fällt Patientinnen
spende erfolgt. und Patienten schwer, vielleicht auch, weil die
Auch bei der Annahme der Gabe lassen sich ver- Lebendspende in der Öffentlichkeit als Erfolgsge-
schiedene Typologien herausarbeiten. Es gibt Spen- schichte präsentiert wird. Denn ein starkes Motiv,
der-Empfänger-Paare, die sich offen über mögliche sich gegen eine Lebendspende zu entscheiden, kann
Zukunftsszenarien auseinandersetzen. Hierzu gehö- gerade die Angst sein, dass nach der Spende die
ren auch Fragen danach, wem das Organ nach der Beziehung unausgewogen wird – sei es, weil vorhan-
Spende »gehört«? Darf eine Spenderperson nach dene Asymmetrien verstärkt werden oder die Mög-
der Transplantation den Empfänger bzw. die Empfän- lichkeit der (ausgewogenen) Gegengabe nicht gese-
gerin kontrollieren und ihm bzw. ihr Vorschriften zum hen wird. Einige interviewte Ehepaare, Geschwister
Umgang mit dessen Körper (und mit dem Organ) und Freundinnen/Freunde berichteten daher auch,
machen? In der zweiten Variante werden diese dass man sich nach der Transplantation getrennt
zukünftigen Situationen eher tabuisiert. Beim über- hatte.
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27 Dabei haben wir länderübergreifend ausgewertet und keine speziellen Unterschiede gefunden.
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34 TAGUNGSBEITRÄGE
Staat oder eine Einzelperson) zu dienen. Das posi- ren stylischen Accessoires wie Tattoos (siehe
tive Recht, seinen Körper zu verkaufen, wurde Abbildung 4).
hingegen nie verteidigt. Dies kann natürlich daran 2. Die zweite Position, die häufiger in den Diskussio-
liegen, dass an sich die Idee des Organhandels nen aufscheint, bezieht sich auf Grenzsetzungen.
als generell unmoralisch bzw. anstößig betrachtet Diese sind eher implizit formuliert, sodass nicht
wird. Es ist aber auch plausibel und schlüssig, die eigentliche Bedeutung gesetzt wird, sondern
dass dahinter die durchaus kohärente Position das, was nicht erlaubt sein soll (zum Beispiel:
steckt, dass eben der Körper als Teil des Selbst »Irgendwo muss man auch mal dem menschli-
zur Person gehört und daher hier nicht ein markt- chen Handeln Grenzen setzen«). Hierbei wird kein
wirtschaftliches Konzept von Eigentum, sondern expliziter Verweis auf ein holistisches oder ganz-
Selbstbestimmung gemeint ist. Auch einige öffent- heitliches Körperkonzept vorgenommen, sondern
liche Kampagnen lassen sich hier einordnen, die es wird vielmehr auf übermenschliche Autoritäten
den Wunsch nach Organspende als individuelle wie die Natur oder Gott verwiesen. Diese setzen
Selbstbestimmung so interpretieren, dass er eine der Machbarkeit der körperlichen Selbstbestim-
Frage des Lebensstils ist, vergleichbar mit ande- mung Grenzen. Die Erfahrung der Begrenzung
selbst wird dabei als Wert gesehen, zum Beispiel
als eine wichtige Erfahrung der schicksalhaften
Offenheit und Unvorhersagbarkeit menschlichen
Lebens. Mit Bezug auf die Organtransplantation
kann es bedeuten, im Falle der eigenen Erkran-
kung kein Organ, sondern die Erkrankung als
Schicksal anzunehmen. Es kann aber auch bedeu-
ten, den Wunsch anderer nach Lebensverlänge-
rung durch eine Organspende als nicht legitim
oder zumindest als einen Wunsch anzusehen, der
aber nicht unbedingt zu erfüllen ist. Umgekehrt
eröffnet der Verweis auf höhere Zwecke wie Gottes
Wille auch Ansprüche für die Organspende, zum
Beispiel als solidarische Pflicht, weil das individu-
elle Recht auf Selbstbestimmung als begrenzt
angesehen wird.
3. Das dritte, immer wiederkehrende Körperkonzept
kann man als »organozentrisches Körperkon-
zept« betiteln. Einzelne Organe – meist das Ge-
hirn, in wenigen Ausnahmen auch die Fortpflan-
zungsorgane – erhalten eine besondere Bedeu-
tung für die Persönlichkeit und Identität des Men-
schen. Die Präsenz dieses Körperkonzepts ver-
Abb. 4: Kampagne des Berliner Gesundheitssenats: Postkarte
wundert insofern nicht, da sich ja, wie eingangs
»citycards« (2009) im Scheckkartenformat in Berlin erwähnt, zum Beispiel auch das Hirntodkonzept
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 35
auf ein solches organozentrisches Körper-Selbst- erscheint uns bedeutsam, dass ihre gleichzeitige
Konzept zurückführen lässt. Dieses Körperkon- Präsenz darauf verweist, dass eben nicht allein eine
zept rechtfertigt gewisse Grenzen der Organtrans- bestimmte moralische Motivation ausreicht, um die
plantation aus Sicht derer, die es teilen. So wären Haltung bezüglich Organspende zu ändern oder zu
zum Beispiel Gehirntransplantationen nicht er- beeinflussen. Vielmehr sind die dahinterliegenden
laubt, weil das Gehirn an sich als identitätsstiftend Körperbilder sehr wirkmächtig und durchaus in ko-
betrachtet wird. Andererseits zeigte sich auch, härenten Positionen zur Organtransplantation ver-
dass gerade die Vertreterinnen und Vertreter die- strickt. Als kulturell tradierte Vorstellungen werden
ses Konzepts oft direkt kollektive Ansprüche auf sie jedoch nur selten explizit gemacht, geschweige
Organe von hirntoten Patientinnen und Patienten denn, dass so leicht eine Revision möglich wäre. Der
ableiten. Im Falle eines Hirntods existiert ihrer Auf- medizinisch dominante Diskurs, der seit den 1960er-
fassung nach keine zu schützende Person mehr; Jahren die besondere Bedeutung des Gehirns als
mögliche legitime Interessen an der Integrität des Leitorgan für die Deutung der menschlichen Persön-
eigenen Körpers können daher nicht mehr beste- lichkeit in den Vordergrund gestellt hat, ist zwar auch
hen. Interessanterweise wurde das Hirntodkrite- in der Öffentlichkeit präsent, aber er ist eben nicht
rium als Todeskriterium auch sehr pragmatisch, der einzige.
aber weniger prinzipiell akzeptiert. So war weniger
der Verlust der Persönlichkeit für einige das Krite-
rium als vielmehr der medizinisch-technische
Fakt ausschlaggebend, dass man ohne unterstüt-
zende Maßnahmen nicht »weiterleben« kann. Ein Fazit
solches Weiterleben wurde nicht als wünschens-
wert erachtet. Jedoch äußerte in allen Fokusgrup-
pen immer wieder eine kleine Gruppe von Teilneh- Die in der öffentlichen Diskussion häufig vorfind-
merinnen und Teilnehmern konkrete Unsicher- bare Polarisierung zwischen bedauernswerten
heiten und Zweifel am Hirntodkonzept. So sei der Patientinnen und Patienten auf der einen Seite und
Hirntod eben kein ausreichendes Kriterium für den egoistischen Bürgerinnen und Bürgern auf der ande-
Tod des Menschen bis hin zu der festen Position, ren Seite ist aus ethischer Sicht sehr problematisch.
dass hirntote Patientinnen und Patienten im Ster- Auch manche Patientinnen und Patienten zeigen
ben liegen und entsprechend zu umsorgen seien. zum Teil sehr »egoistische« Erwartungshaltungen,
Auch wurde zwischen komatösen und hirntoten etwa indem sie ein Recht auf Erhalt eines Organs
Patientinnen und Patienten nicht immer differen- postulieren. Diese Haltung kann unter anderem –
ziert und damit die Möglichkeit nicht ausgeschlos- das wäre aber noch stärker empirisch zu untersu-
sen, dass jemand aus dem Zustand wieder erwa- chen – damit korrelieren, dass die Betroffenen mei-
chen kann. nen, sie hätten so viel für Familie und/oder Gesell-
schaft geleistet, dass diese nun eine Gegengabe
Das beachtenswerte am Vorkommen dieser drei erbringen müsse. Dabei werden auch die medizini-
Körperkonzepte ist weniger ihre Existenz an sich. schen Risiken und Limitierungen in der Machbarkeit
Jedes lässt sich auf altbekannte kulturhistorisch (zum Beispiel hohe psychische und körperliche
gewachsene Traditionen zurückführen. Vielmehr Belastungen auch nach einer Transplantation) vor-
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36 TAGUNGSBEITRÄGE
schnell ausgeblendet. Auf der anderen Seite müssen und umzusetzen. Auch wenn man aus anderen
Patientinnen und Patienten sehr komplexe und guten Gründen das Anonymitätsprinzip in der post-
schwierige Entscheidungen treffen, die weit über die mortalen Spende nicht sofort aufgeben will (um
rein medizinische Frage nach Lebensverlängerung zum Beispiel eine gerechte Verteilung der Organe zu
hinausgehen. garantieren oder auch die Privatsphäre von Angehö-
Unsere Ergebnisse zeigen ein plurales Bild an Pro- rigen zu schützen), so könnten explizite Gedenk-
blemen, Deutungsmustern und Handlungsoptionen tafeln und öffentliche Würdigungen einen wichtigen
hinsichtlich der Entscheidung und Bewältigung Schritt darstellen. Auch wenn dies Ressourcen kos-
sowohl bei einer postmortalen als auch der Lebend- tet, so wäre es unter Umständen aus solidarischer
spende. Dies macht deutlich, dass der medizinische Sicht geboten.
Eingriff für die Betroffenen rasch in den Hintergrund Die in vielen quantitativen Umfragen recht kon-
tritt und die sozialen Bedeutungen hierbei eine ent- stant große »Ablehner«-Gruppe, die einer Organ-
scheidende Rolle spielen. Es ist daher sehr sinnvoll, spende eher ablehnend oder unsicher gegenüber
diese Aspekte wissenschaftlich noch stärker zu eingestellt ist (Forsa 2001, BZgA 2009), lässt sich
untersuchen, um die Bedürfnisse (direkt und indi- wohl kaum allein auf Ignoranz oder Irrationalität
rekt) Betroffener besser zu verstehen. Diese Er- reduzieren. Vielmehr ist es plausibel, dass sowohl
kenntnisse werden dem medizinischen Personal tief sitzende verbreitete kulturelle Vorstellungen zum
schließlich helfen, im Vorfeld adäquater auf die spe- Recht am eigenen Körper als auch bezüglich der
ziellen Problematiken eingehen zu können. Auch Grenzen medizinischer bzw. menschlicher Machbar-
die psychologische und soziale Nachsorge mit Blick keit wichtige Faktoren für eine derartige Einstellung
auf die komplexen Probleme von postmortalen sowie sind. Damit handelt es sich aber um weltanschaulich
Lebendorganempfängerinnen und -empfängern haltbare, konsistente (anthropologische) Positionen,
sowie deren Lebendspenderinnen und -spendern die in einer pluralen, liberal-demokratischen Gesell-
sollte mehr Aufmerksamkeit erhalten. schaft nicht leicht hinweggefegt werden können.
Schließlich finden sich viele Hinweise, dass die Dazu bedarf es dann eher eines echten öffentlichen
öffentliche Polarisierung und Kampagnenrhetorik Diskurses, der ausreichend auch den Anliegen von
zwischen »Akt der Nächstenliebe« und »absoluter Skeptikerinnen und Skeptikern sowie betroffenen
Freiheit« (bis hin zur Forderung nach einer »tabu- bzw. potenziellen Spenderinnen und Spendern Gehör
freien« Diskussion von sogenannten Marktmodel- verschaffen muss.
len) problematisch ist. Unsere Ausführungen bele- Schließlich sollten unsere Ausführungen zeigen,
gen, dass der weitverbreitete Begriff der »Spende« dass die Organtransplantation ein hochkomplexes
im Kontext der postmortalen wie Lebendorgan- Geschehen ist, bei dem soziale, kulturelle, morali-
spende verschleiert, dass es sich hier eher um ein sche und rechtliche Normen eng ineinandergreifen.
komplexes prosoziales Verhalten handelt. Dieses ori- Der medizinische Blick auf das Phänomen reicht hier
entiert sich aber an vielen anderen Prinzipien wie nicht aus. Ähnlich ist es auch mit dem Problem des
Reziprozität und Gabe-Gegengabe-Konzepten, wenn- sogenannten »Organmangels«. Diese ökonomisch
gleich oft implizit und versteckt. Daher wäre es mit angelehnte Formulierung (vgl. ausführlicher: Schick-
Hinblick auf die Steigerung der öffentlichen Akzep- tanz und Schweda 2009) suggeriert, es handle sich
tanz vielleicht bedeutsam, konkrete staatliche Aktio- hier um einen objektiven Fakt. Jedoch wird hierbei
nen zur ideellen Reziprozität stärker zu entwickeln vielmehr schon eine moralische Wertung vorgenom-
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VOM »GESCHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – ICH AUCH VON DIR?« 37
men, denn zum einen werden Organe losgelöst von Bourdieu, P. (2005): Die Ökonomie der symbolischen
ihren Besitzern bzw. Körpern »gehandelt«. Zum Güter. In: Adloff, F., Steffen, M. (Hrsg.): Vom Geben
anderen ist das Problem eher als eine Differenz zwi- und Nehmen. Campus, Frankfurt am Main,
schen »Bedarf« und »Angebot« zu sehen. Aber ob S. 139–157.
dieses Angebot eben beliebig zu steigern ist, bleibt Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
aus ethischer Sicht eher fraglich. Vielmehr wäre noch (BZgA) (2009): Organ- und Gewebespende. Reprä-
die Frage zu klären, ob man nicht auch die Anzahl sentative Befragung der Allgemeinbevölkerung.
benötigter Organe reduzieren kann. In beiden Fällen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung,
handelt es sich also um ethische Bewertungen. In Köln.
der öffentlichen Diskussion zur Steigerung der Organ- Caplan, A. L., Annas, G., Bazell, R., Burrows, L., Miller,
spendebereitschaft fallen diese komplexen Perspek- C., Swazey, J. P. (1989): The gift of life: dilemmas
tiven immer noch zu rasch unter den Tisch. Aber die in organ transplantation. The Mount Sinai Journal
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Betroffenen sind eher ein Zeichen dafür, dass diese Proceedings, 24, pp. 2207–2211.
kulturellen Dimensionen sehr wirkmächtig sind. Es Decker, O. (2009): Der Warenkörper. Zur Sozialpsy-
wäre daher sicher für einen offenen gesellschaftli- chologie der Medizin. Leipzig.
chen Diskurs hilfreich, sie wesentlich expliziter zu Forsa (2001): Die Organspendebereitschaft in der
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VOM »GEScHENK DES LEBENS« BIS ZU »DU BEKOMMST ALLES VON MIR – IcH AUcH VON DIR?« 39
40 TAGUNGSBEITRÄGE
BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 41
Zum Einfluss der Medien auf die Organspende- einer Situation oder Idee definiert werden. Eine klas-
bereitschaft sei auf den Beitrag von Constanze Ross- sische Definition von Eagly und Chaiken (1993)
mann in diesem Fachheft (siehe S. 78) und auf ein- lautet: »Eine Einstellung ist eine psychologische
schlägige Literatur (Morgan et al. 2007, Morgan Tendenz, die sich in der Bewertung einer bestimmten
2009) verwiesen. Entität ... ausdrückt. Die Bewertung bezieht sich auf
Welche individuellen Faktoren fördern oder verhin- alle Klassen bewertender Reaktionen, sowohl offene
dern die Bereitschaft zur Organspende? Sowohl eher als auch verdeckte, kognitive, affektive als auch ver-
kognitive als auch nichtkognitive oder affektive haltensbezogene.«
Bedingungen, die diese Bereitschaft fördern bzw. Somit beinhaltet die Einstellung gegenüber der
hemmen, können differenziert werden. Hier soll der Organspende kognitive, aber auch affektive Einfluss-
gegenwärtige Stand der Forschung zu dieser Frage größen, die das Verhalten, hier die Bereitschaft zur
zusammengefasst werden und sodann ein aus der Organspende, beeinflussen können. Die Basis für
Suchtforschung adaptiertes Modell motivationalen die Einstellung stellen persönliche Überzeugungen
Handelns – das transtheoretische Modell der Verhal- (religiöse und kulturelle, Wissen und Normen) dar
tensänderung (Prochaska und Velicer 1997) – vor- (Radecki und Jaccard 1999). Diese Überzeugungen
gestellt werden, das Ansatzpunkte zur Förderung der (beliefs) enthalten wahrgenommene Vorteile (zum
Spendebereitschaft liefert. Beispiel anderen helfen), Nachteile (zum Beispiel die
eigene Familie belasten oder verärgern) oder Konse-
quenzen (zum Beispiel Auseinandersetzung mit der
eigenen Sterblichkeit) der Entscheidung, Organspen-
derin bzw. -spender zu werden. Die Einstellung zur
Kognitive Bedingungen Organspende ist in zahlreichen Studien untersucht
worden (Horton und Horton 1991, Kopfman und
Smith 1998, Skumanich und Kintsfather 1996,
Die im Folgenden beschriebenen – hier als »kog- Schulz et al. 2000, Morgan und Miller 2002), doch
nitive Faktoren« zusammengefassten – Bedingun- liegen die Effektstärken bezüglich der Beziehung
gen haben den gemeinsamen Nenner, dass sie auf zwischen der jeweils gemessenen Einstellung und
der Grundlage oder mit wesentlicher Beteiligung von der Bereitschaft zur Organspende eher im niedrigen
bewussten Überlegungen zustande kommen. Diese Bereich. Allerdings wurde in den meisten Studien
Gedanken allerdings beruhen zumeist nicht auf auch die abstrakte Einstellung zur Organspende und
direkter Erfahrung mit ihrem Gegenstand (die aller- nicht die konkretere Einstellung dazu, selbst Spen-
wenigsten Personen haben einen direkten Bezug derin bzw. Spender zu werden, erfasst. Die Einstel-
zum Thema Organspende), sondern auf Informatio- lung, eigene Organe selbst zu spenden, ist jedoch
nen aus mehr oder weniger zuverlässigen Quellen – handlungsrelevanter.
zumeist stammen diese Berichte aus den Print- oder Cacioppo und Gardner (1993) weisen in ihrem
elektronischen Medien. Review darauf hin, dass die Einstellung zur Organ-
spende kein eindimensionales Konstrukt ist, son-
Einstellung dern vielmehr durch die Interaktion zweier unkorre-
Eine Einstellung kann allgemein als die Bewertung lierter, das heißt voneinander unabhängiger Dimen-
einer Person, eines Objekts, einer sozialen Gruppe, sionen, bedingt ist. Auf der einen Seite steht die
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42 TAGUNGSBEITRÄGE
sogenannte Prodonation, die im Wesentlichen durch Vorteile der Transplantation werden demgegenüber
persönliche Zufriedenheit, Glauben an den humanitä- seltener vermittelt.
ren Nutzen der Organspende sowie Gefühle von Stolz In einer Studie an insgesamt 481 Studentinnen
geprägt werden, eine Spenderin bzw. ein Spender zu und Studenten sowie einer Zufallsstichprobe von
sein. Im Gegensatz dazu wird die negative Dimension 465 Einwohnerinnen und Einwohnern einer Klein-
bestimmt durch Angst vor Verstümmelung des Kör- stadt untersuchten Horton und Horton (1990) den
pers oder die Furcht, als potenzielle Organspender- Zusammenhang von transplantationsspezifischem
personen nur zweitklassige medizinische Versor- Wissen und der Einstellung zur Organspende. Sie fan-
gung zu erhalten. Parisi und Katz (1986) konnten den zwar einen hohen Grad an Informiertheit bezüg-
empirisch belegen, dass im Falle einer starken Aus- lich des Mangels an Organen sowie der Effektivität
prägung auf beiden Dimensionen die negative von Transplantationen oder der Notwendigkeit einer
Dimension verhaltensrelevant wird. In Erhebungen Zustimmung durch den Verstorbenen oder seiner
zur Organspendebereitschaft der Bevölkerung wurde Angehörigen, allerdings offenbarten sich in anderen
oft nur die Prodonation-Einstellung in ihrer abstrak- Bereichen deutliche Wissenslücken. Dazu gehörten
ten Version erfragt. Darauf könnten u. a. die schein- Unkenntnis des Hirntodkonzepts (circa 80% gaben
baren Widersprüche zwischen verbreiteter Zustim- an, bei einer potenziellen Spenderin bzw. einem
mung zur Organspende und häufiger Ablehnung der potenziellen Spender müsse Kreislaufversagen vor-
Organspende in der konkreten Situation beruhen. liegen) sowie Unsicherheit bezüglich des Spender-
ausweises (73% glaubten, dieser sei nur bei einer
Wissen offiziellen Registrierung durch das Gesundheitsmi-
Grundlage für eine Entscheidung zur Organspende nisterium gültig). Ein insgesamt gutes Wissen war
ist die Weitergabe und subjektive Verarbeitung von signifikant mit einer positiven Einstellung – dem
Informationen über die Transplantationsmedizin und Tragen eines Spenderausweises sowie der Bereit-
Organspende. Solche Informationen können aus schaft, die eigenen Organe sowie die Organe naher
unterschiedlichen Quellen stammen und spiegeln Angehöriger zu spenden – korreliert. Lücken in den
nicht immer die tatsächlichen Verhältnisse wider. drei genannten Bereichen (religiöse Überzeugungen,
Persönliche Erfahrungen aus dem sozialen Umfeld Hirntodkonzept, Spenderausweis) hingegen hatten
haben die allermeisten Menschen mit dieser The- einen signifikant negativen Einfluss.
matik eher selten, sodass Informationen aus den Allerdings sind diese Zusammenhänge ebenso wie
Medien als Grundlage für Entscheidungen weit über- diejenigen bezüglich der Einstellung insgesamt nur
wiegen. Die überwiegenden (Des-)Informationen gering ausgeprägt (Morgan et al. 2002, Reubsaet et
zum Thema Organspende erhalten die Menschen aus al. 2001). Auch Interventionsstudien weisen auf
den Medien, speziell dem Fernsehen. Wie inhaltsana- einen Zusammenhang der Organspendebereitschaft
lytische Studien zeigen, sind in diesen Informationen mit dem transplantationsbezogenen Wissen hin:
überwiegend negative Szenarien enthalten. Morgan Meier et al. (1999) zeigten in einer quasi-experimen-
et al. (2007) stellen heraus, dass Unterhaltungssen- tellen, kontrollierten Interventionsstudie, dass durch
dungen hauptsächlich geläufige negative, nicht eine Unterrichtseinheit mit Oberschülerinnen und
zutreffende Mythen über die Organspende verstär- -schülern Wissen zum Thema gesteigert, Ängste re-
ken. Es werden also eher Mythen als Fakten verbrei- duziert und die Spendebereitschaft verbessert wer-
tet, speziell zum Thema Organhandel und Hirntod; den konnten. Ein halbes Jahr nach der Durchführung
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 43
der Unterrichtseinheit zeigte sich jedoch schon eine dazu nehmen Personen, die nur eine geringe Invol-
Nivellierung der Unterschiede. Neben diesen Ergeb- viertheit aufweisen, Informationen »peripher« wahr
nissen scheint es wichtig, zu notieren, dass die (peripheral route). Sie achten weniger auf den Inhalt
Unterrichtseinheit auf gute Akzeptanz bei den Schü- der Information als auf periphere Reize wie Attrakti-
lerinnen und Schülern stieß, was für den Fall einer vität des Senders u. Ä. Diese Art der Informations-
großflächigen Implementierung ein nicht unwichtiger verarbeitung wird mit einer weniger persistenten
Aspekt wäre. Allerdings sollte in diesem Fall der Einstellung in Zusammenhang gebracht und sagt
Nachhaltigkeit der Informationen besondere Beach- zukünftiges Verhalten nicht vorher (Cacioppo und
tung zukommen, da ansonsten offenbar schon ein Petty 1986).
halbes Jahr später Erinnerungslücken bestehen Skumanich und Kintsfather (1996) gehen davon
bzw. neue »Informationen« (zum Beispiel aus den aus, dass Personen, die sich vom Thema Organ-
Medien) ältere relativieren. Wie über ein Thema gere- spende stark angesprochen fühlen, eher eine zen-
det und gedacht wird, ist u.a. bestimmt durch die trale Verarbeitung zeigen und daher über eine posi-
Informationen, die darüber zur Verfügung stehen. tivere, persistentere Einstellung verfügen und eher
Informationen bilden die Grundlage der Kommunika- Organspendeausweise unterzeichnen. Wichtig
tion. Dabei bilden diese Informationen eine Realität scheint den Autoren weiterhin die empathische Iden-
aus zweiter Hand: »... organ donation is an excellent tifikation mit den »Opfern« (das heißt den warten-
example of a ,second-hand reality‘, one which can den Patientinnen und Patienten). Diese wird in der
only be formed by exposure to the media, except in Sozialpsychologie als wesentlicher Prädiktor für
those rare cases where an individual has been altruistisches Helfen verstanden (Bierhoff 1996).
personally affected by organ donation or who has Voraussetzung für das Zustandekommen altruisti-
actively sought information from Web sites designed scher Motive ist natürlich die Kenntnis davon, wel-
to inform the public about organ donation« (Morgan che positiven Konsequenzen Organspende und
et al. 2007, S. 144). Transplantation für die Empfängerinnen und Empfän-
Weiterhin ist dabei die Involviertheit in ein Thema ger haben. Für Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und
zu berücksichtigen: Je nach Grad der Involviertheit Solidarität entscheidet sich eher jemand, der weiß,
wird eine eingehende Information mehr oder weniger was eine Transplantation für die Empfängerin bzw.
stark kognitiv elaboriert (das heißt verarbeitet und den Empfänger bedeutet.
ausgewertet). Stark in das Thema involvierte Per-
sonen achten bei der Verarbeitung einer themen- Wahrgenommene Normen
relevanten Information auf zentrale Aspekte der Der Beitrag von wahrgenommenen gesellschaft-
Nachricht, wie zum Beispiel Qualität und Stärke der lichen, religiösen und familiären Normen – also
Argumente. Verhaltensstandards und sich daraus ergebende Er-
Dieser Verarbeitungsweg wird als »central route wartungen – auf die Bereitschaft zur Organspende
persuasion« bezeichnet. Es wird angenommen, dass ist in zahlreichen Studien belegt worden (Radecki
diese zentrale Verarbeitung zu dauerhaftem Wissen, und Jaccard 1997, De Jong et al. 1998, Morgan und
Einstellungsänderung oder -manifestation führt und Miller 2002, Morgan 2004, Morgan et al. 2008). Aller-
eng mit zukünftigem Verhalten zusammenhängt. dings führen Morgan et al. (2008) aus, dass impli-
Darüber hinaus führt sie zu einer gezielten weiteren zit wahrgenommene soziale Normen auch zum
Informationssuche und -verarbeitung. Im Gegensatz Beispiel aus Projektionen eigener Ablehnung der
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44 TAGUNGSBEITRÄGE
Organspende auf andere resultieren können und aus dem Unvermögen heraus, uns mit Toten zu
demnach nicht externen Verhaltenserwartungen ent- identifizieren. Ein toter Körper symbolisiere einen
sprechen können, sondern subjektiven Kognitionen lebenden Menschen, und wenn ein Leichnam »ver-
und Emotionen. stümmelt« wird, empfände man dies so, als wenn
eine lebende Person verletzt würde. Deshalb
würde man Grauen bei dieser Vorstellung empfin-
den (Feinberg 1985).
– Andere Befragte geben als Grund für die Reser-
Nichtkognitive Bedingungen viertheit gegenüber dem Thema Organspende an,
sie würden damit einen Tabubruch begehen und
keinen Respekt vor den Grenzen zeigen, die durch
Während die Forschung zu den zuvor beschriebe- die Natur bzw. Gott vorgegeben sind: »The body
nen, hier als »kognitive Bedingungen« der Organ- should not be desecrated because it is a gift of
spende zusammengefassten Faktoren in der Vergan- god«.
genheit dominierte, zeigen neuere Studien (zum – Ängste, durch das Zeichnen eines Organspende-
Beispiel Morgan et al. 2008), wie bedeutsam in die- ausweises, das Schicksal herauszufordern:
sem Zusammenhang sogenannte »nichtkognitive« »People who donate their organs risk displeasing
Faktoren sein können. So werden in verschiedenen God or nature« oder »The surest way to bring
Studien (Gordon 2001, Wittig 2001, Sque und Payne about my own death is to make plans for it like
1996, Morgan et al. 2008) folgende Hinderungs- signing an organ donor card« (Morgan et al. 2008,
gründe genannt: S. 251).
– Ekelgefühle, erzeugt durch die Vorstellung, dass – Angst davor, »verdammt« zu sein, wenn der
eigene Organe sich in einem fremden Körper befin- Körper nicht unversehrt beerdigt wird. »The whole-
den. Dies werde als »unhygienisch« empfunden. ness of the body may have special importance
– Die Auffassung von der Verstümmelung/Schän- for people who believe in human immortality«
dung und Entstellung des Körpers. Sque und Payne (Sque und Payne 1996, S. 1365). Diese Angst
(1996) weisen darüber hinaus auf die Ansicht hin, basiert auf der Idee, »körperliche Integrität« sei
dass dem toten Körper Leid durch die Organent- im »Jenseits« erforderlich und es gebe kein
nahme zugefügt werde (»Harming the Dead«). Leben nach dem Tod, wenn der Körper nicht
Sie zitieren einen Angehörigen, der die Organent- »ganz« ist, also Organe fehlen (Parisi und Katz
nahme verweigerte: »I wanted to protect her, 1986).
because she was very vulnerable. She was dead, – Darüber hinaus werden weitere Ängste, die einer
but I didn’t want her to be cut about. I didn’t want Organspende entgegenstehen, von Befragten an-
her to be injured. You see: she was not injured in geführt: die Angst vor Schmerzen bei der Organent-
my eyes, because there were no marks. So any- nahme, ausgehend von einer Skepsis gegenüber
thing done after that would be an operation ... der Hirntoddefinition: »Bin ich dann wirklich tot?«.
So really that was my reservation, I didn’t want
her to be hurt« (Sque und Payne 1996, S. 1364). Neben solch individuellen Ängsten und Vorbehal-
Die empathische Reaktion, den Toten nicht verlet- ten stellt das Misstrauen gegenüber Ärztinnen und
zen zu wollen, geschehe nach Callahan (1987) Ärzten und den mit der Transplantationsmedizin ver-
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 45
bundenen Institutionen einen gewichtigen Faktor für verhaltens zur Verfügung (Keller 1999). Auf einer
die mangelnde Bereitschaft dar, Organe zu spenden. zeitlichen Dimension werden sechs Veränderungs-
Das Misstrauen bezieht sich dabei auf folgende phasen (»Stages of Change«, SoC) unterschieden.
Aspekte: Die SoC sind weder als »state« noch als »trait« auf-
– würdeloser Umgang mit dem Körper bei der Organ- zufassen: Sie gelten einerseits als stabil (trait) und
entnahme, können häufig Jahre überdauern, verändern sich
– missbräuchliche Verwendung der Organe/Angst jedoch auch (state). Sie sind dabei spezifisch für
vor Organhandel, eine bestimmte Person und ein bestimmtes Verhal-
– Ärztinnen und Ärzte würden das Wohlergehen von ten. In den ersten beiden Phasen werden zur Diag-
Patienten zugunsten eigener Vorteile opfern, nostik kognitive Einstellungsaspekte erfragt, in der
– vorzeitige Erklärung des Hirntods, dritten Verhaltensabsichten und in der vierten und
– Bevorzugung von Wohlhabenden oder VIPs und fünften Phase das konkrete Verhalten.
Diskriminierung bei der Organvergabe. Die Phasen werden wie folgt eingeteilt:
– Phase der Absichtslosigkeit (»Precontempla-
Demgegenüber äußern Befragte auch subjektive tion«): Es besteht keine Intention zur Verhaltens-
Vorteile einer Organspende wie die Vorstellung von änderung in den nächsten sechs Monaten. Fehlen-
»Unsterblichkeit«, der »Möglichkeit, nach dem Tod der Intention kann mangelndes Problembewusst-
weiterzuleben« und dem Tod durch die Spende einen sein – zum Beispiel aufgrund fehlender Informa-
Sinn zu geben. Organspenderinnen bzw. -spender tion – zugrunde liegen, es kann aber auch auf-
werden auch als »Helden« betrachtet. grund hohen sozialen Drucks zu einem Reaktanz-
verhalten (Miron und Brehm 2006) bei einer
Person kommen. Gerade weil eine Verhaltensände-
rung erwartet wird, befasst sich die Person nicht
damit. Schließlich kann auch resignatives Verhal-
Das transtheoretische Modell ten nach erfolglosen Versuchen der Verhaltensän-
derung dazu führen, in dieser Phase zu verharren.
(TTM) der Verhaltensänderung
Absichtslosigkeit kann also bedingt sein durch ein
Fehlen von Informationen und mangelndem Pro-
blembewusstsein oder durch einen fehlenden Wil-
Das transtheoretische Modell (TTM) der Verhal- len, sich mit dem Problemverhalten auseinander-
tensänderung ist ein heuristisches Modell zur zusetzen. Diese Phase stellt die stabilste aller
Beschreibung, Erklärung und Förderung von Gesund- SoC dar, da hier ohne aktive Intervention die Wahr-
heitsverhalten (Glanz und Bishop 2010). Es verwen- scheinlichkeit einer Änderung gering ist.
det Konzepte, die unterschiedlichen psychologi- – Absichtsbildung (»Contemplation«): Es besteht
schen Theorien entlehnt wurden, woher sich der die Intention zur Veränderung, ohne bereits rele-
Name »transtheoretisch« ableitet. Es beschreibt die vante Schritte unternommen zu haben. Dieses
Bereitschaft zu einer Einstellungs- und Verhaltensän- Stadium ist gekennzeichnet durch die Auseinan-
derung im Hinblick auf ein konkret definiertes Pro- dersetzung mit dem Zielverhalten, ohne dass
blemverhalten in einem Phasenmodell (Norcross et jedoch konkrete Schritte in diese Richtung unter-
al. 2010) und stellt Strategien zur Förderung des Ziel- nommen werden. Die Personen stehen einer Ver-
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46 TAGUNGSBEITRÄGE
haltensänderung ambivalent gegenüber, wollen Verhaltensänderung und birgt das größte Risiko
aber in den nächsten sechs Monaten Schritte in für Rückfälle in frühere Phasen.
diese Richtung einleiten. Es wird allerdings keine – Aufrechterhaltung (»Maintenance«): Eine Einstu-
diesbezügliche Verpflichtung sich selbst oder an- fung in das SoC der Aufrechterhaltung erfolgt,
deren gegenüber eingegangen. Wie die Stufe der wenn das Zielverhalten zwischen sechs Monaten
Sorglosigkeit ist auch die Stufe der Absichtsbildung und fünf Jahren stabil beibehalten werden konnte
stabil in dem Sinne, dass Personen sehr lange in und Rückfällen vorgebeugt wurde. Das Zielverhal-
ihr verharren können, ohne dass ein Fortschreiten ten wird zur Routine. Diese Stufe kann lebenslang
im Veränderungsprozess erkennbar wird. andauern. Das Unterlassen von zum Beispiel Dro-
– Vorbereitung (»Preparation«): Personen in der gen- oder Alkoholkonsum oder die Beibehaltung
Stufe der Vorbereitung zeichnen sich dadurch aus, einer gesunden Lebensweise und die Auseinander-
dass sie entschieden und motiviert sind, mit der setzung mit möglichen Rückfallsituationen kön-
Veränderung des problematischen Verhaltens zu nen für betroffene Personen lebenslange Aufgaben
beginnen. Die Handlungsintention und/oder erste sein, die keinen Abschluss erfahren.
Schritte, das Zielverhalten umzusetzen, charakte- – Stabilisierung (»Termination«): Für einige Verhal-
risieren diese Phase. Die Stufe der Vorbereitung ist tensweisen hat sich die Einführung einer sechsten
weniger stabil als die beiden vorangegangenen Stufe bewährt, die dadurch gekennzeichnet ist,
Stufen, da es sich um eine zeitlich begrenzte dass vollkommene Zuversicht besteht, das Zielver-
»Durchgangsstufe« handelt, die sich auf den eng halten beizubehalten, und keine Versuchung für
umgrenzten Zeitraum der nächsten 30 Tage einen Rückfall besteht.
bezieht. Personen in der Stufe der Vorbereitung
werden von konkreten Angeboten zur Unterstüt- »Im Verlauf einer Intervention kann kein linearer
zung einer Verhaltensänderung (zum Beispiel Fortschritt von einem Stadium zum nächsten erwar-
Gewichtsreduktionsprogramme, Nichtrauchertrai- tet werden. Die SoC werden zwar in aufsteigender
nings, Anzeigen von Fitnessstudios) am ehesten Reihenfolge sukzessiv durchschritten, aber in jeder
angesprochen. Phase ist auch eine Regression (,retention‘) in eine
– Handlung (»Action«): In der Handlungsstufe set- vorhergehende Phase möglich. Eine Regression von
zen Personen das Zielverhalten bereits seit mehr Action oder Maintenance wird dabei als Rückfall defi-
als einem Tag und weniger als einem halben Jahr niert. Der therapeutische Umgang mit der Regression
um. Im Gegensatz zu den ersten beiden Stufen kann zu ,einem neuen Anlauf‘, das heißt zum erneu-
stehen hier beobachtbare Verhaltensweisen im ten Übergang in die nächst höhere Phase, führen
Vordergrund, in den ersten beiden Stufen eher (Keller et al. 2001). Häufig ist ein mehrmaliges
kognitiv-affektive Prozesse, weshalb Personen in Durchlaufen der Stadien (,recycling‘) nötig, bis ein
dieser Phase auch am häufigsten Reaktionen aus Verhalten langfristig als stabil zu betrachten ist«
ihrer Umwelt erfahren. Die von außen beobacht- (Maurischat 2001, S. 15f.).
bare Handlung in dieser Stufe ist jedoch nicht mit
der angestrebten Veränderung gleichzusetzen, Zusätzliche Konstrukte im TTM
sondern wird als ein Schritt auf dem Weg zu einer Als zusätzliche Konstrukte im TTM haben sich die
(stabilen) Veränderung gesehen. Die Stufe der Entscheidungsbalance (»decisional balance«) und
Handlung ist die aktivste Phase im Prozess der die Selbstwirksamkeitserwartung (»self-efficacy«)
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 47
etabliert. Diese Konstrukte werden im TTM als »ab- therapeutische Ansätze zurückgeführt werden. Wei-
hängige« Variablen betrachtet, in deren Variation tere handlungsbezogene Prozesse sind: Gegenkondi-
sich die fortschreitende Einstellungs- bzw. Verhal- tionierung (counterconditioning, zum Beispiel syste-
tensänderung ausdrückt. Die Entscheidungsbalance matische Desensibilisierung), Selbstverpflichtung
wird durch individuell wahrgenommene Vor- und zur konsequenten Veränderung des Problemverhal-
Nachteile sowie das Ausmaß der Wichtigkeit von Pro- tens/Fassen eines festen Vorsatzes (self-commit-
und Kontra-Argumenten operationalisiert. Sie reprä- ment), unterstützende Beziehungen aufbauen und
sentiert den kognitiven Aspekt der Verhaltensände- nutzen (helping relationships) und die Kontrolle der
rung und ist besonders wichtig in den frühen SoC. Umwelt (stimulus control). Fünf weitere Verände-
Veränderungen der wahrgenommenen Vor- und rungsprozesse beziehen sich vorwiegend auf das
Nachteile verlaufen über die verschiedenen Stufen emotionale Erleben und die subjektive Bewertung
hinweg systematisch und reproduzierbar, das heißt, (kognitiv): Steigern des Problembewusstseins (con-
während in frühen Stadien eher Nachteile gesehen sciousness raising), emotionale Betroffenheit erle-
werden, werden in späteren Stadien zunehmend Vor- ben (emotional arousal), Neubewertung der persön-
teile der Verhaltensänderung betont. lichen Umwelt (environmental re-evaluation),
Als Selbstwirksamkeitserwartung wird das Aus- Wahrnehmung der Auswirkung des eigenen Verhal-
maß der Zuversicht, ein Verhalten zeigen zu können, tens auf die Umwelt (self-re-evaluation) und das
definiert. Sie entwickelt sich aus eigenen Erfolgser- Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen
fahrungen, Modelllernen und Zuspruch von Bezugs- (social liberation).
personen und ist besonders relevant in den späteren Die Veränderungsprozesse werden dabei in prä-
Stadien der Verhaltensänderung (Preparation to aktional kognitive und aktional behaviorale einge-
Action to Maintenance). Die Operationalisierung der teilt, das heißt, die kognitiven Prozesse werden eher
Selbstwirksamkeitserwartung erfolgt in der Regel in den frühen Stadien eingesetzt, die behavioralen in
nach dem Schema: »Ich bin zuversichtlich, das Ziel- den späteren.
verhalten zu zeigen, wenn ...«, worauf eine Auflis-
tung verschiedener kritischer Situationen erfolgt. Kritik am TTM
Beide Konstrukte können als Indikatoren der Verän- Als Kritik am TTM (West 2005) wird geäußert,
derungswahrscheinlichkeit und als Prädiktoren für dass die Zeitkriterien (Dauer der einzelnen Phasen)
Rückfälle gelten. zwar präzise, aber arbiträr sind. Die »Readiness to
Change« stelle demnach eher ein Kontinuum dar als
Änderungsprozesse diskret unterscheidbare Stufen. Auch die Stadienzu-
Ein weiteres Kernkonstrukt im TTM sind die Verän- ordnung, insbesondere in den Stadien »Precontem-
derungsprozesse (Processes of Change). Es werden plation« und »Contemplation«, ist nicht immer
zehn Prozesse genannt, die aus verschiedenen Psy- valide, da Personen hier das Zielverhalten noch nicht
chotherapieschulen abgeleitet worden sind. Somit zeigen sollten. Dies ist jedoch oft nicht zutreffend.
versucht das TTM »... die bedeutendsten Wirkmecha- »Stadienmodelle postulieren, dass sich Personen
nismen der wesentlichen Schulen zu identifizieren innerhalb eines Stadiums ähneln, sich aber von Per-
und die Stärken einzelner Ansätze zu bündeln« (Kel- sonen weiterer Stadien qualitativ unterscheiden.
ler et al. 1999, S. 17). Der Einsatz von Belohnungs- Theoretisch sollen im TTM die Veränderungsprozesse
systemen (Selbstverstärkung) kann auf verhaltens- zwischen den Stadien differenzieren, allerdings ist
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bisher hierfür die wissenschaftliche Evidenz ausge- wahrgenommene situative Barrieren und Ressour-
blieben. Die Idee, eine Verhaltensänderung nicht als cen ein. Barrieren können diese Prozesse hemmen,
dichotom zu betrachten, sondern anhand der Verän- und Ressourcen begünstigen sie (Gollwitzer und
derungsbereitschaft in mehrere Stadien zu untertei- Schaal 1998, Schweiger, Gallo und Gollwitzer 2007).
len, hat das TTM maßgeblich und erfolgreich in den
vergangenen 20 Jahren verbreitet. Es ist ein Ver- Theoriegeleitete Studien zur Organspendebereit-
dienst des TTMs, dass erstmals auch jene Personen schaft mit dem TTM
in einem Modell erfasst werden können, die über ein Keller et al. (2004) überprüften in einer anfallen-
verändertes Verhalten (noch) nicht nachgedacht den, nicht bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe
haben (Stadium der Absichtslosigkeit)« (Kanning Grundannahmen des TTMs im Hinblick auf die Organ-
2006, S. 33f.). spendebereitschaft in Deutschland. An 400 Mitarbei-
Am TTM wird weiterhin kritisiert, dass der Über- terinnen und Mitarbeitern und deren Angehörigen in
gang zwischen Motivation und Verhalten, nämlich mehreren Betrieben und Verwaltungen wurden in
der Aspekt der Volition als Bindeglied, fehle. Gollwit- einer Querschnittsbefragung 400 Fragebogen ver-
zer und Sheeran (2006) unterscheiden dabei Zielin- teilt. Die Rücklaufquote betrug 81%, das heißt, von
tentionen (goal intentions: »Ich beabsichtige X zu N = 325 Befragten (55% Frauen, Altersdurchschnitt
tun«) und Ausführungsintentionen, Vorsätze bzw. 38 Jahre, SD = 15 Jahre) konnten die Fragebogen
sogenannte »Wenn-Dann-Pläne« (implementation ausgewertet werden. Neben soziodemografischen
intentions: »Wenn Situation Y eintritt, dann mache Variablen und der Einstellung zur Organspende wur-
ich X«). Letztere stellen Handlungspläne dar, bei den Operationalisierungen der Konstrukte des TTMs
denen nicht nur ein bestimmtes Ziel formuliert, – bezogen auf das Zielverhalten »Ausfüllen eines
sondern auch die konkrete Umsetzung dieses Ziels Organspendeausweises und Mitteilen der Entschei-
spezifiziert wird, das heißt, wann, wo und wie eine dung in der Familie« – erhoben.
Person ein bestimmtes Verhalten zeigt bzw., wie sie Die Stufen der Verhaltensänderung hinsichtlich
mit möglichen Hindernissen, die der Erreichung der Entscheidung für die Organspende wurden durch
des Ziels im Wege stehen könnten, umgehen wird. einen auf dichotomen Antworten basierenden kate-
»Wenn-Dann-Pläne« stellen somit eine Strategie dar, gorialen Algorithmus operationalisiert, der jede Per-
die Personen den Übergang von der motivationalen son eindeutig einer Stufe zuweist. Als Einstiegsfrage
in die volitionale Phase erleichtert. Darüber hinaus diente: »Haben Sie die persönliche Entscheidung
stellen sie eine Strategie zur Selbstregulation dar, getroffen, Organspender zu sein?«. Personen wurden
indem die Verhaltenskontrolle an äußere Bedingun- der Stufe der Absichtslosigkeit zugeordnet, wenn sie
gen, das heißt an eine konkrete Situation, geknüpft diese Frage verneinten und in einer weiteren Frage
wird (»passing the control of one’s behavior on to angaben, keine Absicht zu haben, sich mit dieser
the environment«). Die Kompetenzerwartung Entscheidung in den folgenden sechs Monaten aus-
(Selbstwirksamkeit) stellt auch hier einen wichtigen einanderzusetzen. Bei noch nicht getroffener Ent-
Einflussfaktor dar, denn die Handlungsplanung und scheidung und der Absicht, sich in den folgenden
die Durchführung werden nur initiiert, wenn die dafür sechs Monaten zu entscheiden, wurden Personen
notwendigen Kompetenzen als vorhanden wahrge- der Stufe der Absichtsbildung zugeordnet. Alle Perso-
nommen werden. Jedoch wirken auf den volitionalen nen, die bereits eine Entscheidung für die Organ-
Prozess und das Verhalten zusätzlich auch noch spende getroffen hatten, ohne jedoch einen Spen-
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 49
Eine Organspende erfordert, dass Menschen zerlegt Wenn ich sterbe, würde ich in einer anderen Person
und entstellt werden. weiterleben.
Wenn ich Organspender wäre, würden meine Ärzte Eine Organspende würde meinem Tod einen positi-
vielleicht nicht so lange um mein Leben kämpfen. ven Sinn geben.
Wenn ich Organspender wäre, würden sie meine Meine Familie wäre stolz auf meine Entscheidung,
Organe vielleicht bereits vor meinem wirklichen Tod ein Organspender zu werden.
entnehmen.
Eine Organspende würde meiner Familie und Freun-
Meine Familie würde sich Sorgen um mich machen. den den Umgang mit meinem Tod erleichtern.
Meine Familie würde es ablehnen, dass meine Organe Man würde sich an mich als eine gute und hilfsbe-
entnommen werden. reite Person erinnern.
Organspende ist mit meinen religiösen Ansichten Ein Organspender zu werden, könnte mir nützen, da
nicht vereinbar. ich eines Tages vielleicht selbst ein Transplantat
brauche.
Wenn ich ein Organspender würde, könnte ich früher
sterben. Menschen können stolz auf ihre Entscheidung sein,
ein Organspender zu sein.
Abb. 5: Entscheidungsbalance-Skala zur Organspendebereitschaft mit den Subskalen »Wahrgenommene Nachteile« und »Wahrgenom-
mene Vorteile« (Keller et al. 2004)
deausweis zu besitzen oder mit den Angehörigen ge- teile (Beispiel: »Wenn ich Organspender wäre, wür-
sprochen zu haben, wurden in die Stufe der Vorberei- den meine Ärzte vielleicht nicht so lange um mein
tung kategorisiert. Schließlich wurden alle Personen, Leben kämpfen«), die alternierend angeordnet wur-
die eine Entscheidung für die Organspende gefällt den. Personen beantworten auf einer fünfstufigen
hatten und einen Ausweis besaßen und mit den Skala (»gar nicht wichtig« bis »extrem wichtig«),
Angehörigen gesprochen hatten, der Stufe der Hand- wie wichtig die einzelnen Aussagen für ihre Entschei-
lung zugerechnet. Eine Differenzierung von Hand- dung sind, Organspender bzw. Organspenderin zu
lung und Aufrechterhaltung ist in diesem Kontext werden.
nicht sinnvoll. Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit erfasst im
Zur Erfassung der Entscheidungsbalance wurde Kontext des TTMs das Vertrauen, auch unter widrigen
eine Skala in Anlehnung an Robbins et al. (2001) Umständen das Zielverhalten zu zeigen. Eingesetzt
entwickelt (siehe Abbildung 5). Es handelt sich um wurde die von Robbins et al. (2001) entwickelte
sieben Items, die subjektive Vorteile der Entschei- Skala (siehe Abbildung 6). Sie umfasst acht Items
dung zur Organspende repräsentieren (Beispiel: (Beispiel: »Ich bin sicher, dass ich ein Organspender
»Eine Organspende würde meinem Tod einen positi- werden kann, selbst wenn meine Familie gegen
ven Sinn geben«), sowie um sieben subjektive Nach- Organspende ist«). Die Antwortmöglichkeiten rei-
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50 TAGUNGSBEITRÄGE
Ich bin sicher, dass ich ein Organspender werden kann, 5. ... meine Freundinnen und Freunde zum Teil gegen
selbst wenn ... Organspende sind.
1. ... meine Familie gegen Organspende ist. 6. ... ich mich von anderen unter Druck gesetzt fühle,
2. ... ich nicht viel Zeit habe, eine Entscheidung zu treffen. Organspender zu werden.
3. ... ich von jemandem, den ich nicht kenne, gefragt wor- 7. ... ich von Situationen gehört habe, wo Organspenden
den bin, ob ich ein Organspender werde. nicht funktionierten.
4. ... andere Menschen mich zu überzeugen versuchen, 8. ... ich diese Entscheidung in Gegenwart anderer Perso-
dass es nicht wichtig ist. nen treffen muss.
chen auf einer fünffach gestuften Skala von »gar Ausfüllen eines entsprechenden Ausweises und/oder
nicht sicher« bis »extrem sicher«. durch ein Gespräch mit den Angehörigen über diese
Wie aus Abbildung 7 ersichtlich ist, hat die Mehr- Entscheidung dokumentiert haben. Circa 17 % geben
heit der Befragten (61%) keine persönliche Entschei- an, sowohl einen Spendeausweis zu besitzen, als
dung getroffen, Organspenderin bzw. -spender zu auch mit Angehörigen über ihre Entscheidung ge-
sein und plant auch nicht, diese Entscheidung in sprochen zu haben (Stufe der Handlung).
absehbarer Zeit zu treffen (Stufe der Absichtslosig-
keit). Etwa 10 % denken darüber nach, dies in den Veränderungsbereitschaft und Entscheidungs-
folgenden sechs Monaten zu tun (Stufe der Absichts- balance
bildung), und circa 12% berichten, dass sie eine Ent- Die Skalen-Reliabilitäten für die Vorteile (a = .83)
scheidung pro Organspende getroffen haben (Stufe und für die Nachteile (b = .82) sind sehr zufrieden-
der Vorbereitung), dies jedoch noch nicht durch das stellend. Es gibt deutliche Unterschiede in der Wahr-
70
Gesamt Frauen Männer
60
50
Prozent
40
30
20
10
0
Absichtslosigkeit Absichtsbildung Vorbereitung Handlung
Abb. 7: Verteilung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Stufen der Verhaltensänderung zur Organspende (Keller et al. 2004)
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nehmung der Vorteile einer Entscheidung für die Or- Veränderungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit
ganspende zwischen Personen in unterschiedlichen Die Skala Selbstwirksamkeit weist mit a = .92
Stufen. Personen in der Stufe der Absichtslosigkeit eine sehr gute Reliabilität auf. Über die Stufen der
gewichten die Vorteile, Organspenderin bzw. -spender Verhaltensänderung hinweg betrachtet, gibt es hier
zu sein, deutlich niedriger als Personen in der Stufe deutliche Unterschiede (vgl. Tabelle 1): Personen in
der Absichtsbildung. Bei den wahrgenommenen der Stufe Handlung haben deutlich mehr Zutrauen in
Nachteilen finden sich noch deutlichere Unterschie- ihre Fähigkeit, auch unter widrigen Umständen (zum
de in den Mittelwerten zwischen den einzelnen Stu- Beispiel Beeinflussung durch andere) eine Entschei-
fen, jedoch erwartungsgemäß in umgekehrter Rich- dung für die Organspende zu treffen, als Personen in
tung: Für Personen in den Stufen Absichtslosigkeit den Stufen Absichtsbildung, Vorbereitung und beson-
und Absichtsbildung sind die Nachteile deutlich wich- ders in der Stufe der Absichtslosigkeit.
tiger als für Personen in den Stufen Vorbereitung und Circa 17% der Befragten haben nach eigenen Anga-
Handlung. ben bereits ihre Entscheidung für die Organspende
Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass für Personen durch Mitführen eines Spendeausweises sowie ein
in der Stufe der Absichtslosigkeit die relativen Nach- Gespräch mit den Angehörigen dokumentiert. Diese
teile überwiegen, für Personen in späteren Stufen Zahl liegt über dem Bevölkerungsdurchschnitt und
jedoch die Vorteile der Entscheidung, Organspende- deutet darauf hin, dass möglicherweise selektiv eher
rin bzw. -spender zu werden, stärker in den Vorder- die Menschen, die dem Thema offen gegenüberste-
grund treten. hen, bereit waren, an dieser Befragung teilzuneh-
AL AB V H
Skala (N = 189) (N = 32) (N = 39) (N = 50)
Tab. 1: Mittelwerte für Entscheidungsbalance und Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich Organspendebereitschaft über die Stufen der
Verhaltensänderung (Keller et al. 2004)
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men. Auf die Analyse der Beziehung einzelner Kon- externer Druck auf den Entscheidungsprozess aus-
strukte zueinander sollte dies jedoch wenig Einfluss geübt wird, das heißt, das Drängen zu einer Entschei-
ausüben. dung muss als kontraproduktiv angesehen werden
Es zeigen sich erwartungsgemäß deutliche Unter- (vgl. Keller et al. 2004).
schiede für die Ausprägung der wahrgenommenen
Nachteile der Entscheidung zur Organspende über Veränderungsstadien der Bereitschaft zur Freigabe
die SoC hinweg; je geringer die Nachteile gewichtet eines Angehörigen zur Organspende
werden, desto höher ist die Bereitschaft. Als Barrie- In einer amerikanischen Studie untersuchten
ren für eine Entscheidung müssen vor allem Befürch- Robbins et al. (2001) 169 Familien (von insgesamt
tungen bezüglich eines Missbrauchs gesehen wer- 270), die nach einer Organspende eines ihrer Ange-
den (Stichworte: Organhandel, Organentnahme vor hörigen gefragt wurden. 76% der Teilnehmenden
dem »eigentlichen« Tod und schlechtere medizini- waren weiblich, das Durchschnittsalter lag bei
sche Versorgung von Organspenderinnen bzw. -spen- 46 Jahren, 73% der Stichprobe waren Weiße. 80,5%
dern). Für die wahrgenommenen Vorteile der Ent- der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten in die
scheidung zur Organspende zeigt sich zwischen den Organspende ihres Angehörigen eingewilligt. Gemäß
Stufen Absichtslosigkeit und Absichtsbildung der Tabelle 2 wurden die Teilnehmerinnen und Teilneh-
erwartete signifikante Anstieg. Für die Skala der mer an der Studie in die verschiedenen Stadien der
Selbstwirksamkeit repliziert sich der aus anderen Verhaltensänderung für die Entscheidung zur Frei-
Verhaltensbereichen bekannte Befund: Die Bereit- gabe zur Organspende eines Angehörigen eingeteilt.
schaft zur Veränderung korrespondiert mit der Diejenigen, die in das Stadium »Precontempla-
Zuversicht, diese Veränderung umzusetzen. Am tion« eingeteilt wurden (29%), willigten zu 54% in
geringsten ist die Zuversicht in Situationen, in denen die Organspende ein, diejenigen, die in das Stadium
Contemplation I was considering the option of organ donation for [NAME] but was not yet ready to
make that decision
Preparation I was ready to choose the option of organ donation for [NAME] and needed more
information on the process to go ahead
Action I had already decided to donate [NAME] organs and only needed to move the dona-
tion process along
* Telephone interviewers used the first name of the deceased family when reading the staging measure choices to the participants.
Tab. 2: Veränderungsstadien für die Entscheidung zur Freigabe eines Angehörigen zur Organspende (Robbins et al. 2001)
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Stage items
Pros Cons
1. Organ donation is an important way to help 1. My loved one has suffered enough already and
somebody else. shouldn’t have surgery for organ donation.
2. Organ donation allows something positive to 2. Organ donation will cause my family more emo-
come out of my loved one’s death. tional distress.
3. Organ donation might prevent another family 3. If I consent to organ donation, the doctors will
from losing a loved one. not try to save my loved one’s life.
4. My family approves of organ donation. 4. The physicians may take my loved one’s organs
5. Organ donation helps people cope with the loss before he/she is really dead.
of a loved one. 5. Consenting to organ donation means you can’t
6. Consenting to organ donation helps bring have an open casket for your loved one.
meaning to the death of a loved one. 6. Hospitals could bill donor families for the costs
7. People who consent to organ donation can feel of organ donation.
proud of what they have done. 7. Consenting to organ donation will delay my
loved one’s burial.
Tab. 3: Die Items der Entscheidungsbalance-Skala – für und wider die Freigabe eines Angehörigen zur Organentnahme (Robbins et al. 2001)
»Contemplation« eingeteilt wurden (15%) zu 65%; dium (41%) zu 99%. Demnach kann die Zuteilung
diejenigen, die sich im Stadium »Preparation« befan- zu den Stadien als valide gelten. Die in dieser Studie
den (15%) zu 96% und diejenigen im »Action«-Sta- eingesetzte Entscheidungsbalance-Skala ist in
54
52
Standard Score
50
48
46
Pros Cons
44
Precontemplation Contemplation Preparation Action
N = 44 N = 25 N = 25 N = 69
Abb. 8: Mittelwerte der Entscheidungsbalance-Skalen (»Pro« und »Con«) in den Gruppen »Precontemplation«, Contemplation«, »Pre-
paration« und Action« (Robbins et al. 2001)
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54 TAGUNGSBEITRÄGE
Tabelle 3 wiedergegeben. Beide Skalen mit sieben losigkeit bei den Befragten bei Weitem überwiegt.
Items weisen eine zufriedenstellende interne Konsis- Fehlender Intention kann mangelndes Problembe-
tenz auf (Cronbachs alpha: Pro-Skala: .85; Con-Skala: wusstsein zugrunde liegen, es kann aber auch auf-
.78). Die Interkorrelation beider Skalen in dieser Stu- grund sozialen Drucks Reaktanzverhalten gezeigt
die beträgt r = –.22. werden, oder das Problem wird aufgrund von Ängsten
In Abbildung 8 sind die Mittelwerte der Entschei- vermieden. Da diese Phase die stabilste aller SoC
dungsbalance-Skalen (»Pro« und »Con«) in den darstellt, ist ohne aktive Intervention die Wahr-
Gruppen »Precontemplation«, »Contemplation«, scheinlichkeit einer Verhaltensänderung gering.
»Preparation« und »Action« dargestellt. Um sich aus diesem Stadium in Richtung zielgerich-
Die Verteilung der Mittelwerte der Entscheidungs- teter Handlung zu entwickeln, haben sich in der
balance-Skalen auf die Veränderungsstadien fällt Suchtforschung kognitiv-affektive Strategien
theoriekonform aus. Während die Mittelwerte in der bewährt, wie zum Beispiel Steigern des Problembe-
»Pro«-Skala von der »Precontemplation«- zur wusstseins und Steigerung des emotionalen Erle-
»Action«-Gruppe signifikant zunehmen (p < .01), bens bzw. der emotionalen Betroffenheit. Weitere
nehmen die Werte der »Con«-Skala in gleicher Weise Studien zur Übertragbarkeit des TTMs auf das Prob-
ab (p < .01) (vgl. Robbins et al. 2001, S. 529). Dieses lem der Organspendebereitschaft sind jedoch nötig.
Ergebnis spricht für die Validität des Konzepts und So sollten die Stichproben größer und bevölkerungs-
seiner Operationalisierung. repräsentativer sein und weitere Determinanten der
Organspendebereitschaft (Gold et al. 2001) berück-
sichtigen, und zwar sowohl kognitive als auch nicht-
kognitive, wie eingangs beschrieben. Auch die
Pro- und Kontra-Skalen der Entscheidungsbalance
Fazit bedürfen der Überprüfung und möglicherweise einer
Erweiterung (Kroll et al. 2011). Solche Studien kön-
nen nicht nur unser Verständnis für die Mechanis-
Neuere Studien belegen, dass sogenannte »nicht- men der Entscheidungsfindung für oder gegen die
kognitive« Faktoren die Organspendebereitschaft Organspende verbessern; sie bilden auch die Basis
stärker beeinflussen als »kognitive« Faktoren (Mor- für gezielte, individualisierte und motivationsorien-
gan et al. 2008). Sowohl aus der Einstellungsfor- tierte Interventionen, die eine Auseinandersetzung
schung (Parisi und Katz 1986) als auch aus den mit dem Thema Organspende fördern können.
dargestellten Studien zum TTM wird deutlich, dass Auch wenn eine empirische Überprüfung für die-
Pro- und Kontra-Argumente bei jeder Person berück- sen Bereich noch aussteht, ist für eine Intervention
sichtigt werden müssen. Diese resultieren häufig in auf der Basis des TTMs zu erwarten, dass auf Strate-
ambivalenten Einstellungen, und die Entscheidungs- gien zurückgegriffen werden kann, die sich in ande-
balance fällt bei Überwiegen der Gewichtung bzw. der ren Bereichen der Verhaltensänderung bereits
Anzahl negativer Argumente gegen die Entscheidung bewährt haben (Glanz und Bishop 2010). Grundsätz-
aus, Organe zu spenden. lich ist jedoch davon auszugehen, dass die Förde-
Erste Umsetzungen des TTMs in Bezug auf die rung der Organspendebereitschaft ein Ziel ist, das
Organspendebereitschaft sind insgesamt ermuti- am ehesten durch das Zusammenarbeiten unter-
gend. Hier zeigt sich, dass das Stadium der Absichts- schiedlicher Disziplinen (Ärztinnen und Ärzte sowie
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 55
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56 TAGUNGSBEITRÄGE
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BEDINGUNGEN FÜR DIE BEREITSCHAFT ZUR ORGANSPENDE UND DAS TRANSTHEORETISCHE MODELL 57
58 TAGUNGSBEITRÄGE
Einstellung
zwischen spezifischen Einstellungen und dem ent- Indikatoren, Urteilsheuristiken und Antwortmuster
sprechenden spezifischen Verhalten, während die sozialer Erwünschtheit wurden als Verfahren bzw.
Korrelation zwischen globaler Einstellung und spe- als Gründe und Ursachen benannt, um die empi-
zifischem Verhalten mit r = .13 sehr gering ausfiel. risch immer wieder auftretenden Diskrepanzen zu
2. Aus einer theoretisch-methodischen Perspektive erklären und zum Teil auch zu reduzieren.
wurde der naive Entdeckerfrohmut – wonach das, Bezogen auf die Einstellungs-Verhaltens-Relation,
was wir denken, auch das ist, was wir tun – mehr- die an dieser Stelle themenrelevant ist, gibt es seit
fach korrigiert: Validere Messinstrumente, multiple fast 50 Jahren eine Modifikation der ursprüng-
Verfahren, kongruente Einstellungs-Verhaltens- lichen Frage nach der Relation von Einstellung und
Einstellung
Verhaltenskontrolle
60 TAGUNGSBEITRÄGE
Verhalten in die entweder eigentlich immer schon bei den Befragten etwas gibt, was wir als Perspek-
gemeinte oder aber auf jeden Fall ebenfalls be- tive der »Impliziten Theorie« bezeichnen. Damit
deutsame Frage: Wie lässt sich Verhalten vorher- sollen im Prinzip zwei unterschiedliche Tatbe-
sagen und welches sind die dazu relevanten Prä- stände gekennzeichnet werden, die sich aber
diktoren? beide auf eine Art »Impliziter Theorie« zurückfüh-
Eines der prominenteren Verhaltens-Vorhersage- ren lassen.
Modelle ist das Modell des überlegten Handelns Zum einen gibt es eine sehr hohe Zustimmung,
von Fishbein und Ajzen aus dem Jahr 1975 (vgl. wenn danach gefragt wird, wie wichtig das Thema
Abbildung 9) und mit leichter Modifikation dieses Organspende ist – die Ergebnisse der Befragun-
Ursprungsmodells die von Ajzen (1985) entwi- gen zeigen eine extrem positive Einstellung
ckelte Theorie des geplanten Verhaltens (vgl. Ab- gegenüber dem Spenden von Organen. Üblicher-
bildung 10). Auf das Vorhersagemodell von Martin weise wird die Diskrepanz zwischen der positiven
Fishbein, das nach wie vor das am weitesten ver- Einstellung und dem eher seltenen positiv gezeig-
breitetste, am besten untersuchte und auch am ten Organspendeverhalten als Ergebnis sozialer
erfolgreichsten angewendete Modell ist, wird noch Erwünschtheit erklärt. Wir wollen dieser Interpre-
eingegangen. tation nicht widersprechen. Vielmehr möchten wir
3. Zuvor aber soll eine dritte Perspektive, die wir als den Blick auf eine Facette dieses Themas richten,
»differenzielle« apostrophiert haben, kurz einge- um deutlich zu machen, dass die positive Bewer-
führt werden. Anhand einer der bislang umfang- tung und die öffentlich bekundete Zustimmung
reichsten Metaanalysen, die wir bereits vor einigen eigentlich zu den »mächtigsten« Prämissen der
Jahren durchgeführt haben (Eckes und Six 1994), gesamten Forschung zum Organspendeverhalten
lässt sich deutlich zeigen, dass die bivariaten zählen! Man denke nur daran, die Einstellungen
Einstellungs-Verhaltens-Relationen je nach Verhal- seien ambivalent, möglicherweise zurückhaltend
tenskategorie höchst unterschiedlich ausfallen und ablehnend – dann müssten diese kognitiv-
(vgl. Abbildung 11). Nur in einem summarischen emotionalen Barrieren auch noch überwunden
und vorläufigen Sinn lässt sich also eine numeri- werden.
sche Größenordnung der Einstellungs-Verhaltens- Ein Ergebnis unserer eigenen Untersuchungen
Beziehung angeben. zeigt, dass es eine deutliche Tendenz der Befrag-
Allein die Tatsache, dass unterschiedliche Katego- ten gibt, zum einen, als konsistent angesehen zu
rien von Verhaltensweisen mit Einstellungen werden, und zum zweiten, sich nach Möglichkeit
unterschiedlich korrelieren, lieferte Hinweise auf eine positive Identität zwischen dem eigenen
weitere Determinanten, die von jeweils unter- Handeln und den eigenen Überzeugungen zu
schiedlicher Bedeutung sind. Wir sehen derartige bewahren. In einer aktuellen Untersuchung zur
Ergebnisse als Beitrag im Sinne der »Aufklärungs- Akzeptanz der Organspende (Vogel et al. 2011)
forschung« sozial-kognitiver Strukturen und mit 441 Personen aus vier Bundesländern (Nord-
damit auch Silberstreifen am Horizont, wenn es rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt,
darum geht, Änderungsstrategien einzuleiten, die Mecklenburg-Vorpommern) gaben so 33,8% der
zur Minimierung der Diskrepanzen führen. Befragten (bei einer Rücklaufquote zwischen 11%
4. Mit der vierten Perspektive ist gemeint, dass es und 15,5%) an, einen Organspendeausweis aus-
sowohl in der öffentlichkeit insgesamt als auch gefüllt zu haben.
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Familienplanung
Arbeit
Religion
Umweltverhalten
Rassismus
Gesundheit
Abweichendes Verhalten
Studierverhalten
Konsumverhalten
Wahlverhalten
Sicherheitsgurt tragen
Problemlöseverhalten
Drogengebrauch
Sozialpolitische Aktivitäten
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1
Gewichtete mittlere Korrelation
Abb. 11: Einstellungs-Verhaltens-Relationen für unterschiedliche Verhaltensbereiche (Six und Eckes 1996)
Bei einer Internetbefragung, die sich nur an Stu- Eine der möglichen Strategien, nach Gründen und
dierende richtete und an der sich insgesamt 839 Ursachen für ein geringes Spendenaufkommen
Studierende aus ebenfalls vier Bundesländern zu suchen, besteht also sehr wohl darin, Profile,
beteiligten, fiel die berichtete Einstellungs-Verhal- (das heißt subjektive Normen, Wertvorstellungen
tens-Konsistenz noch höher aus: 44,2% der etc.) von denjenigen zu erstellen, die sich als
befragten Studierenden hatten nach eigenen Anga- Organspenderin bzw. -spender zur Verfügung stel-
ben einen Organspendeausweis ausgefüllt. len, und solchen, die dies ablehnen.
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62 TAGUNGSBEITRÄGE
halb, weil in einer aktuellen, umfangreichen Mono- Ajzen folgt einer möglichst maßgeschneiderten
grafie die Erzväter dieser Forschung, Martin Fishbein Modellbildung für den spezifischen Verhaltensaus-
und Icek Ajzen (2010), die relevante Forschung schnitt.
zusammengetragen haben. Allerdings zeigen sich Basierend auf der vorliegenden Forschung zur
auch hier Lücken in der Dokumentation: Vorliegende Organspendebereitschaft sowie nach einer Reihe von
Publikationen zur Organspende auf der Basis diese Vorversuchen schienen drei zusätzliche Konstrukte
Modells sind nicht aufgeführt (zum Beispiel Kopf- von Bedeutung:
man und Smith 1996, Morgan, Miller und Arasarat- 1. Moralische Normen als Verpflichtung gegenüber
nam 2002), es finden sich einzig und allein empiri- der Gemeinschaft, individuelles Leben retten zu
sche Untersuchungen zum Blutspendeverhalten. können.
2. Die als Störung der Totenruhe empfundene Ent-
Das erweiterte Modell der Organspende nahme von Organen des Verstorbenen.
Basierend auf der Theorie überlegten Handelns 3. Das Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten,
entwickelten wir das erweiterte Modell der Organ- die sich an Organspenden bereichern und mögli-
spende (Hübner und Six 2005; vgl. Abbildung 12). cherweise weniger sorgfältig bei der Diagnose der
Diese Erweiterung des Modells von Fishbein und Spendepersonen sind.
Einstellung
Subjektive Norm
Totenruhe
Misstrauen
Abb. 12: Erweitertes Modell der Organspende (Hübner und Six 2005)
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64 TAGUNGSBEITRÄGE
Das erweiterte Modell der Organspende testeten Einstellung gegenüber der Organspende stärkster
wir in einer Untersuchung, an der sich insgesamt Prädiktor der Verhaltensintention ist, während der
512 Studierende beteiligten. Die in Abbildung 13 Beitrag der subjektiven Norm – über die die subjektiv
zusammengefassten Ergebnisse zeigen, dass die wahrgenommenen Erwartungen wichtiger Bezugs-
.61 .63
A1
.42 .76
A2 Einstellung
.43 .76
A3
.22 .88
M1 .7*
.51 .70 (1.71)
Spenden- Verhalten
M2 Moralische Norm bereitschaft
.45 .74 –.28***
M3
(–5.5)
.44 .75
D1
–.05
Totenruhe (–1.52)
.18 .91
D2
.22 .88
Mi1
.51 .70
Mi2 Misstrauen
.45 .74
Mi3
Abb. 13: Erweitertes Modell der Organspende – Modelltest (Hübner und Six 2005). Die Beziehungen zwischen den Modellvariablen sind
durch gerichtete Pfade dargestellt. Die Stärke der Beziehungen wird durch b-Koeffizienten (standardisierte Regressionskoeffizienten)
angegeben.
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personen erfasst wurden – deutlich geringer ausfiel. ausgeprägt waren. Anders formuliert – entscheidend
Die Varianzaufklärung der Spendenbereitschaft des ist nicht die positive Sicht der Organspende, sondern
klassischen Modells – bestehend aus der Einstel- die Abwesenheit negativer Überzeugungen und Be-
lung und der subjektiven Normkomponente – betrug fürchtungen. Die hemmende Wirkung negativer
75 %. Durch die Einbeziehung der moralischen Norm Kognitionen und Emotionen wurde differenziert von
wurde nur 1% weitere Varianz aufgeklärt, durch die Hübner (2008) anhand des von ihr entwickelten
Berücksichtigung des Konstrukts »Totenruhe« wei- Organspende-Informationsverarbeitungsmodells
tere 4 %. Die Variable »Misstrauen in ärztliches Han- analysiert. Dieses Modell macht das Organspende-
deln« war dagegen kein signifikanter Prädiktor. Die verhalten, basierend auf der Fishbein-Ajzen-Theorie
Varianzaufklärung der Spendenbereitschaft betrug überlegten Handelns, von der Spendenbereitschaft
somit insgesamt 80%. und den Einstellungen abhängig. Anders als bei
Diesen vergleichsweise hohen Aufklärungsantei- Fishbein und Ajzen – jedoch in Anlehnung an Parisi
len der Varianz der Verhaltensintentionen steht eine und Katz – werden Einstellungen von uns hinsicht-
deutlich geringere aufgeklärte Varianz des Verhal- lich einer positiven und einer negativen Einstellungs-
tens gegenüber. Über die Spendenbereitschaft wur- komponente unterschieden. Die positive Kompo-
den allein 27% der Verhaltensvarianz aufgeklärt – nente umfasst etwa die Erwartung, mit einer Spende
was immerhin einer bivariaten Korrelation von circa Leben zu retten. Die negative Komponente beinhal-
r = .52 entspricht. Hinzu kommen weitere 2%, wenn tet dagegen Ängste, wie etwa die Sorge, bei Organ-
Misstrauen in ärztliches Handeln als weiterer Prädik- spenderinnen bzw. -spendern würde die Todesdiag-
tor verwendet wird. Insgesamt konnte mit diesem nose verfrüht gestellt. Die zur Modellüberprüfung
Modell eine Gesamtvarianzaufklärung von 29% er- durchgeführte Fragebogenerhebung an N = 115
reicht werden und damit eine multiple Korrelation Befragten – mehrheitlich Studierende – zeigte nicht
von r = .54. unerwartet, dass Informiertheit über Organspende
Wir halten die minimale Erhöhung der Zahl der und Mitgefühl (Empathie) mit denjenigen, die auf
Prädiktoren im Vergleich zum Ausgangsmodell durch Organspende angewiesen sind, die Einstellungen
die verbesserte Vorhersage gerechtfertigt. Mit dem zur Organspende beeinflussen. Dies geschieht aber
erweiterten Modell der Organspende lassen sich in differenzierter Weise: Informiertheit hat eher Aus-
zumindest quantitative Aussagen über die Wirksam- wirkungen auf negative Einstellungen (wie Störung
keit themenspezifischer Prädiktoren machen: Nega- der Totenruhe, Misstrauen in ärztliches Handeln) –
tive Erwartungen, wie eine befürchtete Störung der Information hilft, negative Einstellungen zu mindern.
Totenruhe oder befürchtetes unzureichendes Ver- Positive Einstellungen basieren dagegen eher auf
halten ärztlichen Personals, wirken sich negativ auf Empathie. Empathie zu erzeugen, fördert entspre-
die Spendenbereitschaft sowie das Ausfüllen eines chend zwar die Wahrnehmung positiver Aspekte der
Spendenausweises auf. Organspende. Negative Einstellungen – letztlich die
Wie bedeutsam negative Erwartungen sich auf die entscheidenden Variablen – können so jedoch nicht
Spendenbereitschaft auswirken, zeigte bereits eine erreicht werden.
frühere Studie von Parisi und Katz (1986): Auch
stark positive Einstellungen zur Organspende führ-
ten nur dann zu einer erhöhten Spendenbereitschaft,
wenn gleichzeitig negative Erwartungen nur gering
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 66
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68 TAGUNGSBEITRÄGE
28 Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 05.11.1997, neugefasst
durch Bekanntgabe vom 04.09.2007.
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 69
entsprechenden Fachinstitutionen, beispielsweise zerstören, mit der Sorge, die Auferstehung zu be-
der Bundesärztekammer, der Deutschen Stiftung hindern oder mit Problemen im Hinblick auf ein
Organtransplantation (DSO) als Koordinierungsstelle Todeskonzept.
nach § 11 TPG, der Stiftung Eurotransplant (ET) als
Vermittlungsstelle nach § 12 TPG sowie mit Expertin- Diese Aspekte beeinflussen die Bereitschaft der
nen und Experten (beispielsweise Neurologinnen Menschen, sich mit der Organspende auseinander-
und Neurologen), abgestimmt. zusetzen, und wirken auf die erforderliche Kommu-
nikationsstrategie des Themas ein.
Besonderheiten der Kommunikation zum Thema
Organ- und Gewebespende
Die Kommunikation zum Thema Organ- und Gewe-
bespende weist im Vergleich zu anderen Themenbe- Maßnahmen
reichen der BZgA einige Besonderheiten auf:
– Der altruistische Gedanke steht bei der Organ-
oder Gewebespende im Vordergrund. Denn sie Maßnahmen bis 2009
dient dem Wohlergehen eines anderen – nicht Seit dem Jahr 1996, also im Vorfeld der Verab-
dem der Spenderin bzw. des Spenders selbst. Sie schiedung des Transplantationsgesetzes, informiert
basiert auf der Empathie mit erkrankten Men- die BZgA die Allgemeinbevölkerung über das Thema
schen, und sie ist freiwillig.29 Es sollen also Men- Organspende. Um in der Bevölkerung auf das Thema
schen zu einer Auseinandersetzung mit dem Organ- und Gewebespende aufmerksam zu machen,
Thema und zum Treffen einer persönlichen Ent- setzte die BZgA massenmediale Elemente ein. Diese
scheidung motiviert werden, die keinen Eigennut- Medien sind geeignet, Informationen zu vermitteln.
zen davon haben. Allerdings ist mit diesen Maßnahmen allein kaum
– Die Beschäftigung mit dem Thema Organ- und eine Einstellungsänderung oder gar eine Verhaltens-
Gewebespende erfordert die Auseinandersetzung änderung zu erreichen.31 Daher wurden diese Ele-
mit dem eigenen Tod bzw. mit dem Tod eines Fami- mente mit Projekten kombiniert, die ein persönliches
lienmitglieds. Gespräch ermöglichen und unter Berücksichtigung
– Die Nähe des Themas Organ- und Gewebespende der individuellen Situation zu einer vertieften Ausei-
zum eigenen Tod ist mit verschiedenen Ängsten nandersetzung motivieren können.32
verbunden30, wie beispielsweise mit dem Unbe- Der BZgA stand nur im Jahr 1998 ein höherer Mit-
hagen, einen toten Körper zu verletzen oder zu telansatz zur Verfügung, der eine massenmediale
29 Morgan, S. E., Miller, J. K. (2002): Communicating About Gifts of Life. The Effect of Knowledge, Attitudes and Altruism on Behavior and
Behavioral Intentions regarding Organ Donation. Journal of Applied Communication Research, Vol. 20 (2), pp. 163–178.
30 Sanner, M. (1994): Attitudes toward Organ Donation and Transplantation. A model for understanding reactions to medical procedures
after death. Social Science & Medicine, Vol. 38 (8), pp. 1141–1152.
31 Göpfert, W. (2001): Möglichkeiten und Grenzen der Gesundheitsaufklärung über Massenmedien. In: Hurrelmann, K., Leppin, A. (2001):
Moderne Gesundheitskommunikation. Vom Aufklärungsgespräch zur E-Health. 1. Aufl., Huber, Bern (Handbuch Gesundheitswissen-
schaften), S. 131–141.
32 Pott, E., Schmid, H. (2002): Suchtprävention durch Gesundheitserziehung und Aufklärung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-
schung – Gesundheitsschutz, Vol. 45, S. 943–951.
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70 TAGUNGSBEITRÄGE
Ansprache der Bevölkerung erlaubte. In den Folgejah- spendemangels und zu möglichen Lösungsansätzen
ren mussten die Maßnahmen mit einem geringen durchgeführt.38
Mittelansatz entwickelt und umgesetzt werden. Um Die Ergebnisse der Studien bildeten die Grundlage
dennoch eine gewisse Reichweite und Synergien zu für die Festlegung der Maßnahmen sowie der Kern-
erzielen, spielte stets die Einbindung von Kooperati- botschaften, insbesondere der Anzeigen- bzw. der
onspartnern, wie beispielsweise der Bundesärzte- Plakatmotive:
kammer (BÄK), der Bundesvereinigung Deutscher – Zu Beginn der Maßnahmen der BZgA war das
Apothekerverbände (ABDA) oder der Deutschen Thema Organspende nur wenig in der öffentlich-
Stiftung Organtransplantation, eine wichtige Rolle; keit bekannt: Die ersten Befragungen von Mitte der
auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie 1990er-Jahre ergaben, dass nur circa 5 % der Men-
Selbsthilfeverbände, niedergelassene Ärzteschaft schen einen Organspendeausweis besaßen. Daher
oder Lehrkräfte wurden eingebunden. Sie können vor wurden Botschaften gewählt, die das Thema in der
Ort dazu beitragen, das Thema zu kommunizieren Bevölkerung setzen und positiv belegen sollten:
und Informationsmaterialien sowie Organspende- »Die meisten Menschen in Deutschland sind für
ausweise zu streuen. Organspende. Aber nur die wenigsten sprechen
Die Grundlagen der Aufklärungsarbeit waren und darüber.«; »Viele Menschen haben 1998 ihr Herz
sind Repräsentativbefragungen. Befragt wurden verschenkt. 512 davon waren Organspender.«
durch die BZgA die Allgemeinbevölkerung (in den oder »Viele tausend Menschen unter uns sind
Jahren 200033, 200134, 200835) und Jugendliche von blind. 4000 konnten 1998 durch eine Organspen-
14 bis 24 Jahren (im Jahr 200336) zu ihrer Einstel- de wieder sehen.«
lung in Bezug auf die Organspende, ihrer Einschät- – Nach einem ersten Anstieg der Zahl der Ausweis-
zung des Wissensstands, zu den Bezugsmöglich- trägerinnen und -träger bis 2001 auf 12% stag-
keiten und im Hinblick auf den Besitz eines Organ- nierte sie in den Folgejahren, obwohl 67% der
spendeausweises, der als ein Indikator für den Erfolg Befragten zu einer Organspende nach dem eige-
der Kommunikation des Themas Organ- und Gewebe- nen Tod bereit waren. Daher stellte die BZgA den
spende interpretiert wird. Organspendeausweis in den Mittelpunkt ihrer
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte wurden im Maßnahmen. Hierfür wurden mithilfe von Aus-
Jahr 200437 unter anderem zu ihrer Einstellung sende-Aktionen die niedergelassene Ärzteschaft
befragt sowie zu ihrer Bereitschaft, sich an der Auf- und Apotheken in Kooperation mit der Bundesärz-
klärung ihrer Patientinnen und Patienten zum Thema tekammer (BÄK) und der Bundesvereinigung
Organspende zu beteiligen. Zusätzlich wurde 2001 Deutscher Apothekenverbände (ABDA) als Multipli-
eine Studienanalyse zu den Ursachen des Organ- katorinnen und Multiplikatoren vor Ort eingebun-
33 BZgA (2000): Die Organspendebereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefra-
gung.
34 BZgA (2001): Die Organspendebereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse der wichtigsten Ergebnisse.
35 BZgA (2008): Organ- und Gewebespende. Repräsentative Befragung der Allgemeinbevölkerung.
36 BZgA (2003): Einstellung Jugendlicher zum Thema Organspende. Repräsentativbefragung.
37 BZgA (2004): Befragung von Ärzten zum Thema Organspende.
38 BZgA (2001): Der Organspendeprozess: Ursachen des Organmangels und mögliche Lösungsansätze: Inhaltliche und methodenkritische
Analyse vorliegender Studien. Fachheft 13.
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den. Sie wurden gebeten, Informationsmaterialien zu einem hohen Prozentsatz befürworteten (88%)
und den Organspendeausweis auszulegen und und eine hohe Bereitschaft angaben, nach dem eige-
für Fragen ihrer Patientinnen und Patienten bzw. nen Tod Organe zu spenden (aktive Akzeptanz,
Kundinnen und Kunden zur Verfügung zu stehen. 68%). Allerdings war der Grad der Auseinanderset-
Die Botschaft des entsprechenden Plakatmotivs zung mit dem Thema Organspende geringer (23%)
lautete: »Hier erhalten Sie Ihren Organspendeaus- als in der Allgemeinbevölkerung 2001 (32%).40
weis.« Gefragt nach der gewünschten Informationsquelle
– Im Rahmen der Weiterentwicklung der Plakatserie zu dem Thema, gaben 36% der Schülerinnen und
griff die BZgA Fragen auf, die besonders häufig am Schüler den Schulunterricht an. Daher entwickelte
Infotelefon Organspende gestellt wurden, bei- die BZgA eine Unterrichtseinheit zum Thema Organ-
spielsweise die Frage nach Altersgrenzen für eine spende, die sich an Lehrkräfte der letzten Jahre der
Organspende. Die Botschaften hierzu waren u. a. Sekundarstufe I und II wendet. Sie besteht aus Hin-
»Ob ich einen Organspendeausweis habe? Na klar, tergrundinformationen für die Lehrkräfte, Methoden-
geht doch schon ab 16« oder »Organspender zu anregungen sowie Arbeitsblättern und Kopiervorla-
sein ist keine Frage des Alters«. gen. Darüber hinaus enthält die Einheit einen Film,
der die wichtigsten Aspekte der Organspende be-
Zielgruppen der Maßnahmen leuchtet und als Einstieg in das Thema genutzt wer-
Die angesprochenen Zielgruppen sind durch den den kann.
gesetzlichen Auftrag festgelegt, die Maßnahmen
richten sich in erster Linie an die Allgemeinbevölke- Massenmediale Maßnahmen
rung. Darüber hinaus wurden und werden ganz spe- Die massenmedialen Maßnahmen trugen dazu bei,
zifisch Teilzielgruppen aufgrund der Studienergeb- das Thema Organspende in der Bevölkerung zu set-
nisse festgelegt – insbesondere Jugendliche, die zen und positiv zu belegen. Im Mittelpunkt standen
sich an dem Thema interessiert zeigten, gleichzeitig hierbei der Organspendeausweis und Informations-
aber ihr Wissen nicht sehr hoch einschätzten und materialien, die den Multiplikatorinnen und Multipli-
die zu einem geringeren Prozentsatz einen Organ- katoren vor Ort kontinuierlich und kostenlos für ihre
spendeausweis besaßen. Dazu gehörten auch nie- Arbeit zur Verfügung gestellt wurden. Die Informati-
dergelassene Ärztinnen und Ärzte, die ihre Bereit- onsmaterialien wurden so konzipiert, dass sie für
schaft zur Beteiligung an der Aufklärungsarbeit Menschen mit unterschiedlichem Bedarf der Infor-
signalisierten. mationstiefe geeignet sind: Der Organspendeausweis
Exemplarisch sollen zur Veranschaulichung des mit den wesentlichen Kerninformationen, die Kurz-
Vorgehens hier die durch eine Repräsentativbefra- broschüre »Antworten auf wichtige Fragen« und die
gung erhobenen Charakteristika der Zielgruppe ausführliche Broschüre »Wie ein zweites Leben«.
Jugendliche dargestellt werden. Die Befragung von Daneben wurden Innenraumplakate entwickelt, die
Jugendlichen der BZgA im Jahr 200339 ergab, dass überwiegend von Multiplikatorinnen und Multiplika-
Jugendliche und junge Erwachsene die Organspende toren vor Ort genutzt wurden.
72 TAGUNGSBEITRÄGE
zeption einer neuen multimedialen Kampagne mög- nen Ausweis ausgefüllt haben. Darüber hinaus sind
lich wurde. 53% der Befragten eher schlecht bis sehr schlecht
Die Kommunikationsstrategie der BZgA, die der informiert. Dabei sind Menschen, die besser über das
neuen Kampagne zugrunde liegt, basiert u.a. auf Thema informiert sind, zu einem höheren Prozent-
den Ergebnissen der Repräsentativbefragungen von satz bereit, nach dem Tod Organe zu spenden.
200842 und 201043. Vor diesem Hintergrund hat die BZgA für die neue
Die Zahl der Menschen, die einen Organspendeaus- Kampagne folgende Ziele formuliert:
weis besitzen, ist von 12 % im Jahr 2001 auf 17 % im – Die Menschen sollen motiviert werden, sich in
Jahr 2008 und 25% im Jahr 2010 gestiegen. Diese ihrem alltäglichen Leben mit dem Thema ausei-
Erhöhung belegt, dass die gemeinsamen Bemühun- nanderzusetzen. So soll die Informiertheit gestei-
gen der im Feld tätigen Akteurinnen und Akteure Wir- gert und das Thema enttabuisiert werden.
kung zeigen. Allerdings bedeuten diese Ergebnisse – In den Familien soll über das Thema Organ- und
auch, dass immer noch drei von vier Menschen kei- Gewebespende gesprochen werden.
74 TAGUNGSBEITRÄGE
Kampagnen-Wortbild ORGANPATIN/ORGANPATE
Zentral in der neuen Kampagne steht das Wortbild
ORGANPATE/ORGANPATIN, das den Menschen einen
positiven Zugang zum Thema ermöglichen soll. Das
Wortbild greift den Begriff der Patenschaft in seiner
eigentlichen Bedeutung auf. Er steht für die freiwil-
lige Übernahme von Verantwortung für andere. In
Bezug auf die Organspende kann dies in zweifacher
Hinsicht geschehen. Erstens übernimmt der Mensch
Verantwortung, der nach seinem Tod zu einer Organ-
spende bereit ist. Zweitens können ORGANPATEN
auch schon zu Lebzeiten aktiv werden, indem sie
sich für das Thema einsetzen, mit anderen über das
Thema sprechen und damit zu einer Verbreitung und
Diskussion des Themas anregen.
Die Kampagne enthält verschiedene Elemente,
um den Menschen in unterschiedlichen sozialen
Bereichen und Kontexten einen Zugang zum The-
menbereich zu ermöglichen.
Internetauftritt www.organpaten.de
Das Internet spielte in den ersten Jahren der Auf-
klärungsarbeit der BZgA noch keine wesentliche Rol-
le. Im vorigen Jahrzehnt hat sich die mediale Land-
schaft allerdings deutlich geändert und das Internet
Abb. 17: Informationstour »ORGANPATEN werden«: Interaktive ist als Informationsmedium nicht mehr wegzuden-
Säule
ken. Nach Daten von Internet World Stats45 nahm die
Zahl der Internetnutzer in Deutschland von 59% der
einen virtuellen Blick in den Körper und zeigt, welche Bevölkerung im September 2006 auf 79% im Juni
Organe und Gewebe transplantiert werden können. 2010 zu. Daher hat die BZgA auch im Themenbereich
An interaktiven Säulen können sich die Besuche- Organspende den Internetauftritt www.organspende-
rinnen und Besucher über den Ablauf von der Organ- info.de seit 2004 zunehmend ausgebaut. Aktuell wer-
spende bis zur Transplantation informieren oder mit den 20.000 bis 25.000 Besucher gezählt, die durch-
einem Quiz ihr Wissen rund um die Organspende tes- schnittlich auf vier Seiten zugegriffen haben.
ten. Um einen emotionalen Zugang zu dem Themen- Im Rahmen der Kampagne »ORGANPATEN wer-
bereich zu schaffen, werden darüber hinaus Video- den« hat die BZgA neben diesem informativen Inter-
und Textporträts von Betroffenen gezeigt, die sehr netauftritt ein weiteres Internetangebot unter www.
authentisch berichten, was eine Organspende für die organpaten.de entwickelt, das über verschiedene
Empfängerin bzw. den Empfänger bedeutet. Elemente eng mit der Seite www.organspende-info
Angebote zum persönlichen Gespräch vor Ort sind verlinkt ist. Dieser Auftritt greift durch sein interak-
ein wichtiger Bestandteil der Informationstour. Ein tives Angebot insbesondere die zweite Komponente
geschultes Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbei- des Wortbilds ORGANPATIN/ORGANPATE auf – den
tern sowie Vertreterinnen und Vertretern von Selbst- Botschaftergedanken. Die Seite ermöglicht es, sich
hilfegruppen und anderen Kooperationspartnern mit einem Statement und einem Foto als ORGAN-
gibt kompetent Auskunft auf die Fragen und Anliegen PATIN/ORGANPATE zu erklären, Freundinnen und
der Besucherinnen und Besucher. Freunde als PATEN zu werben, E-Cards zu verschi-
Begleitend können in den lokalen Rundfunksen- cken und in der Internetcommunity auf die Seite
dern der jeweiligen Standorte der Informationstour zu verweisen.
76 TAGUNGSBEITRÄGE
Die Zielgruppe dieser Seite sind insbesondere weitere Studien erfolgen, um den Bedarf, die Einstel-
junge Menschen, die in den Befragungen zunehmend lung sowie die Beweggründe verschiedener Zielgrup-
häufig das Internet als ihre Informationsquelle für pen zu erfassen. Ebenso wird die kommunikative
das Thema Organspende nennen, 2008 36% und Leistungsfähigkeit der Maßnahmen durch Pretests
2010 47 %. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Commu- bzw. Evaluationen überprüft.
nityansatz zu einer Verbreitung der Seite und zu
einer verstärkten Auseinandersetzung der jungen Kooperationen und Multiplikatorinnen/Multipli-
Menschen mit dem Thema Organspende führt. katoren
Um Synergien zu nutzen und die Reichweite der
Wissenschaftliche Grundlagen Maßnahmen zu erhöhen, setzt die BZgA weiterhin
Wie bereits in den Vorjahren werden die Ausrich- auf die Zusammenarbeit mit anderen im Bereich der
tung und die Umsetzung der Maßnahmen durch wis- Organspende tätigen Institutionen und Organisatio-
senschaftliche Untersuchungen begleitet. So werden nen als Kooperationspartnern. Neben den bereits
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46 BZgA (2010): Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland.
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78 TAGUNGSBEITRÄGE
angeboten im Internet und den Merkmalen ihrer geringere Rolle (vgl. Schweiger und Beck 2010).
Erscheinungsformen. Danach geht es um die Frage, Daher wird sich dieses Kapitel auch auf den Bereich
wie sich die Nutzung von Internetangeboten zum der Onlinekommunikation konzentrieren.
Thema Gesundheit in den letzten Jahren entwickelt
hat. Der Abschnitt »Nutzung von Gesundheitsange- E-Health
boten im Internet« befasst sich mit dem Potenzial So vielfältig elektronische Anwendungsmöglichkei-
und der Wirkung von Internetangeboten, etwa im ten im Gesundheitsbereich sind, so verschieden ist
Hinblick auf Wissenserwerb und Empowerment von das Verständnis der in diesem Kontext verwendeten
Patienten und Angehörigen, Anschlusskommunika- Begrifflichkeiten. Entsprechend unterschiedlich
tion (vor allem Arzt-Patienten-Interaktion) sowie wird der Begriff E-Health seit seiner Einführung Ende
Gesundheitsförderung und Prävention, um danach der 1990er-Jahre verstanden und benutzt. Häufig
auf Grenzen und Gefahren der Online-Gesundheits- scheint er als Schlagwort zu dienen, nicht nur für
kommunikation einzugehen. Gesundheitsangebote im Internet, sondern für so
Der Abschnitt »Internetbasierte Interventionen zur gut wie alles, was mit Elektronik und Medizin zu tun
Organspende« stellt empirische Befunde zur Bedeu- hat. Andere Male wird er synonym verwendet mit
tung des Internets, insbesondere Web-2.0-Angebo- Gesundheitsinformatik, Telemedizin, E-Business
ten, im Zusammenhang mit dem Thema Organspende oder speziellen technischen Applikationen (vgl.
vor. Fazit und Ausblick schließen das Kapitel ab. Pagliari et al. 2005). Je nach Autor und anvisierter
Zielgruppe vermischt sich E-Health mit anderen Be-
grifflichkeiten wie Telemedizin, Online Health, Cyber-
medizin oder Consumer Health Informatics (vgl.
Begriffsbestimmung Tautz 2002). Der Grund dafür dürfte in seiner Her-
kunft liegen, denn E-Health wurde zunächst haupt-
sächlich von Industrie und Marketing in Anlehnung
Computervermittelte Kommunikation an Phänomene wie E-Commerce, E-Business oder
Der Begriff »computervermittelte Kommunika- E-Solutions verwendet, um damit die vielfältigen
tion« wird von der gleichnamigen Fachgruppe der neuen Möglichkeiten, die die digitalen Medien im
Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommu- Gesundheitsbereich bieten, zu verdeutlichen (vgl.
nikationswissenschaft beschrieben als »alle Formen Eysenbach 2001).
der interpersonalen, gruppenbezogenen und öffent- Zu den meistzitierten Definitionen gehört die von
lichen Kommunikation, die offline oder online über Eysenbach (2001), der E-Health beschreibt als »an
Computer(-netze) und digitale Endgeräte erfolgen« emerging field of medical informatics, referring to the
(DGPuK 2004). Somit schließt der Begriff in seiner organization and delivery of health services and
ursprünglichen Bedeutung Gesundheitsportale im information using the Internet and related technolo-
Internet genauso ein wie CD-ROMs oder DVDs. Wie gies« (S. e20). Die Weltgesundheitsorganisation
die mediale Entwicklung jedoch zeigt, spielen Offline- definiert E-Health noch breiter als »the use of infor-
kanäle wie CD-ROMs im Zusammenhang mit öffent- mation and communication technologies (ICT) for
licher bzw. gesellschaftlich relevanter Kommunika- health« (WHO 2009). Mühlbacher et al. (2001)
tion – und damit auch im Zusammenhang mit definieren den Begriff ähnlich als »die Anwendung
Gesundheitskommunikation – eine zunehmend elektronischer Medien im Rahmen von Gesundheits-
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 80
80 TAGUNGSBEITRÄGE
dienstleistungen« (S. 211). Die Gemeinsamkeit der informationen. Dennoch wird der Begriff in der For-
genannten Definitionen besteht darin, dass sie nicht schungspraxis häufig auf Gesundheitsinformationen
nur Webportale, Diskussionsforen oder internetba- im Internet beschränkt (zum Beispiel Tautz 2002,
sierte Arzt-Patienten-Kommunikation einschließen, Hawkins et al. 2007, Lee et al. 2009, vgl. auch Gurak
sondern auch Leistungen wie die elektronische und Hudson 2006). Sinnvoller erscheint es, die
Patientenakte oder Telemedizin. Entsprechend unter- verschiedenen Angebote zur Gesundheitskommuni-
scheiden Kacher et al. (2000) fünf Leistungsberei- kation im Internet als eigenständigen Bereich anzu-
che (im Überblick vgl. Mühlbacher et al. 2001): sehen, der eine von mehreren Anwendungsmöglich-
– Content: Bereitstellung und Vermittlung von Infor- keiten von E-Health darstellt. Der vorliegende Beitrag
mationen, widmet sich eben diesem Teilbereich und schließt
– Commerce: Unterstützung und Aufrechterhaltung somit Anwendungsfelder wie Telemedizin, elektro-
von Geschäftsbeziehungen, nische Patientenakten oder die Bereitstellung medi-
– Connectivity: Vernetzung von Patientinnen und zinischer Informationen für Expertinnen und Exper-
Patienten, Ärztinnen und Ärzten, Apotheken und ten über Datenbanken aus (für einen Überblick über
Krankenhäusern, diese Bereiche vgl. Eysenbach 2001, Gurak und Hud-
– Computer Application: Technologien für Kommu- son 2006).
nikation und Informationsaustausch, Gesundheitskommunikation lässt sich nach Kreps
– Care: Unterstützung medizinisch-pflegerischer und Thornton (1992, S. 2) definieren als »an area
Dienstleistungen (zum Beispiel elektronisches of study concerned with human interaction in the
Rezept, Telemonitoring, Telechirurgie). health care process«. Ähnlich begreift Rogers (1996,
S. 15) das Feld als »any type of human communi-
Eine ähnliche Unterscheidung trifft Eng (2001) cation whose content is concerned with health.«
im Rahmen seines »5 C’s Modells«. Auch dieses Jackson und Duffy (1998) schreiben: »The study
Modell unterscheidet Content, Commerce, Connec- of health communication focuses on the interaction
tivity und Care. Anstatt des Sektors Computer Appli- of people involved in the health care process and
cation enthält es als fünften Bereich den der Com- the elucidation and dissemination of health-related
munity, womit etwa der Informationsaustausch in information.« Angelehnt an diese Definitionen um-
Diskussionsforen oder Peer-to-Peer-Plattformen fasst Gesundheitskommunikation im Internet (auch:
gemeint ist. Nach Engs (2001) Verständnis bedeutet Online-Gesundheitskommunikation) demnach all
E-Health allgemein »the use of emerging information jene internetbasierten Anwendungsmöglichkeiten,
and communication technology, especially the Inter- die einen individualkommunikativen Austausch über
net, to improve or enable health and healthcare« die oder die massenkommunikative Bereitstellung
(S. 1). Pagliari et al. (2005) kommen nach einer von Gesundheitsinformationen ermöglichen.
Sichtung zahlreicher E-Health-Definitionen zu dem Die allgemeinen Charakteristika der Onlinekom-
Schluss, dass diese Definition das derzeitige Be- munikation – Hypertextualität, Interaktivität, Schnel-
griffsverständnis mit am besten beschreibt. ligkeit, Aktualität und Überwindung räumlicher Gren-
zen – gelten auch für die Gesundheitskommunikation
Gesundheitskommunikation im Internet im Internet. Im Vergleich zur Offlinekommunikation
E-Health umfasst somit telemedizinische Anwen- zeichnen sich internetbasierte Gesundheitsangebote
dungen genauso wie internetbasierte Gesundheits- außerdem dadurch aus, dass sie von einer größeren
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Akteursvielfalt geprägt sind (Hautzinger 2003, erscheint die Einteilung von Gitlow (2000) für den
S. 599): Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen vorliegenden Beitrag angemessener. Er unterschei-
und Apotheker, die bislang als Quelle für Gesund- det lediglich die drei Bereiche Health Content, Health
heitsinformationen dominierend waren, verlieren an Communities und Health Provision (für einen Über-
Gewicht, das Informations- und Meinungsspektrum blick vgl. auch Hautzinger 2003, Kucerova 2007,
erweitert sich. Hinzu kommt, dass Gesundheitskom- siehe auch Tabelle 5):
munikation im Internet im Vergleich zur herkömm- – Bei Health Content handelt es sich um die am wei-
lichen Offlinekommunikation von einer größeren testen verbreitete Form von Online-Gesundheits-
Vielfalt von Kommunikationsformen und Publikati- angeboten im Internet. Sie umfasst alle Angebote,
onstypen geprägt ist: Im Netz finden sich Gesund- die Informationen und Wissen über Gesundheit
heitsportale, Lexika, Fachartikel, originär massen- oder Krankheit vermitteln. Typischerweise handelt
mediale Angebote aus dem Gesundheitsbereich wie es sich hierbei um Gesundheitsportale, die entwe-
Websites zu Gesundheitssendungen des Fernsehens der umfassende Informationen zu allen denkbaren
oder Gesundheitszeitschriften, ferner Diskussions- medizinischen Bereichen bereitstellen (zum Bei-
foren, Chatrooms und virtuelle Sprechstunden. Einen spiel www.netdoktor.de) oder um spezialisierte
Randbereich stellen Onlineapotheken dar, die biswei- Portale, die sich mit einem bestimmten medizi-
len ebenfalls zur Online-Gesundheitskommunikation nischen Bereich befassen (zum Beispiel www.
gezählt werden (vgl. zum Beispiel Gitlow 2000), aber rheuma-online.de).
nicht primär das Ziel haben, Gesundheitsinformatio- – Unter Health Communities fallen alle sozialen
nen bereitzustellen oder den Austausch über diesel- Netzwerke, die zum Austausch von Gesundheits-
ben zu ermöglichen, sondern Medikamente zu ver- informationen durch elektronische Medien gebil-
kaufen (E-Commerce). det oder betrieben werden und einen Dialog zwi-
schen Patientinnen und Patienten ermöglichen.
Dies umfasst Diskussionsforen oder Chatrooms
sowie virtuelle Selbsthilfegruppen. Die Nutzerin-
Klassifikation von Gesund- nen und Nutzer der Communitys sind gleichzeitig
Produzentinnen/Produzenten und Rezipientin-
heitsangeboten im Internet
nen/Rezipienten der Inhalte. Bisweilen werden
diese Angebote von medizinischen Expertinnen
und Experten moderiert, in den meisten Fällen
Eysenbach (2003) unterscheidet vier Anwen- aber nicht, was die Qualität solcher Informationen
dungsfelder von Gesundheitskommunikation im stark infrage stellt (vgl. hierzu ausführlich Ab-
Internet: Communication (E-Mail, Instant Messag- schnitt »Mangelnde Qualität und Quellentrans-
ing), Content (Gesundheitsinformationen im Inter- parenz«).
net), Community (Diskussionsforen, Chatrooms, – Der dritte Bereich der Health Provision beschreibt
Newsgroups etc.), E-Commerce (Verkauf oder Kauf alle jene Angebote, die einen direkten Kontakt
von Produkten oder Dienstleistungen im Gesund- zwischen Leistungserbringer sowie Patientinnen
heitsbereich über das Internet). Aufgrund des rand- und Patienten ermöglichen, zum Beispiel Arzt-
ständigen Charakters von E-Commerce-Angeboten Patienten-Interaktionen im Rahmen virtueller Arzt-
für die Gesundheitskommunikation im Internet praxen (zum Beispiel CyberDoc).
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82 TAGUNGSBEITRÄGE
Die drei Typen unterscheiden sich nicht nur in schungsinstitute, Wissenschaftlerinnen und Wissen-
ihrer Funktionalität, sondern auch im Hinblick auf schaftler), Medienunternehmen (zum Beispiel Ver-
ihren Interaktivitätsgrad. Health-Content-Angebote lage, Fernsehsender), aber auch Privatpersonen
dienen der einseitigen Informationsvermittlung und (Gesunde wie Kranke), die sich in Selbsthilfegrup-
richten sich an vergleichsweise passiv rezipierende pen zusammenschließen. Je nach Interessengruppe
Nutzerinnen und Nutzer. Health Communities verlan- verfolgen die Gesundheitsangebote im Internet
gen einen höheren Aktivitätsgrad und sind stärker unterschiedliche Ziele – von der reinen Bereitstel-
interaktiv angelegt, während der dritte Bereich rein lung von Information zur Weiterbildung und Gesund-
auf Interaktivität ausgerichtet ist und einen aktiven heitsförderung über die Suche nach inhaltlichem
Dialog zwischen Ärztin und Arzt sowie Patientin und Austausch und sozialen Kontakten mit Betroffenen
Patient fordert (vgl. Hautzinger 2003). Dieser Unter- bis hin zu kommerziellen Zielen wie das Anwerben
schied wird auch in der Klassifikation von Mühlba- von Kundinnen und Kunden oder Patientinnen
cher et al. (2001) deutlich, die Gesundheitsangebote und Patienten, die Imageaufbesserung von Unter-
im Internet den Bereichen Information (zum Beispiel nehmen oder den Verkauf von Produkten oder
Gesundheitsportale), Interaktion (zum Beispiel Dis- Dienstleistungen.
kussionsforen) und Transaktion (zum Beispiel vir- Auch nach ihren Adressaten lassen sich die
tuelle Sprechstunde, Auskunft über Ärztinnen und Gesundheitsangebote im Internet unterscheiden
Ärzte, E-Commerce) zuordnen. (vgl. Tautz 2002, S. 79). So richten sich manche an
Weitere Klassifikationsmerkmale sind die Anbieter Expertinnen und Experten aus diagnostisch-thera-
von Gesundheitsdiensten im Internet sowie die Rezi- peutischen oder präventiven Bereichen (zum Bei-
pienten oder Adressaten dieser Dienste. Auf Anbieter- spiel Ärzte- und Apothekerschaft, Landesämter),
seite finden sich kommerzielle wie nichtkommer- andere dienen der Vernetzung und Weiterbildung
zielle Interessengruppen, konkret: alle erdenklichen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des
Parteien des Gesundheitswesens (zum Beispiel Public-Health-Bereichs, wieder andere richten sich
Ärztinnen und Ärzte, Apotheken, Ärzte- oder Apo- an politische Interessengruppen und beschäftigen
thekerverbände, Krankenhäuser, Krankenkassen, sich mit dem Gesundheitssystem. Ein wachsender
Gesundheitsämter, Pharmakonzerne), wissenschaft- Teil ist an die Laienöffentlichkeit adressiert, wobei
liche Anbieter (zum Beispiel Fachverbände, For- zum einen die allgemeine Bevölkerung (zum Beispiel
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bei originär massenmedialen Angeboten) im Fokus Drittel der Bevölkerung ein (Harris Interactive 2006,
steht, zum anderen bestimmte Zielgruppen adres- Fox 2006).
siert werden (zum Beispiel Kinder oder Jugendliche), Ungeachtet der hohen Nutzungszahlen spielt das
häufig aber auch Betroffene (Kranke oder deren An- Internet gegenüber klassischen Informationsange-
gehörige). boten im Gesundheitsbereich noch eine relativ
geringe Rolle. Zwar finden 42% der EU-Bürgerinnen
und -Bürger, dass das Internet prinzipiell ein guter
Weg ist, um an Informationen über Gesundheits-
themen zu gelangen (Spadaro 2003), und 38% der
Nutzung von Gesundheits- Deutschen halten das Internet für eine wichtige
Quelle für gesundheitsbezogene Informationen
angeboten im Internet
(Lausen et al. 2008). Fragt man jedoch nach der
wichtigsten Quelle, so rangiert das Internet noch
weit hinter interpersonalen Kontakten mit Ärzte-
Die Nutzung von Gesundheitsangeboten im In- schaft, Apothekerschaft und Familie sowie den klas-
ternet nimmt zu. Laut einer Umfrage des Instituts sischen Massenmedien. Allerdings nimmt auch hier
für Demoskopie Allensbach nutzten im Jahr 2000 die Bedeutung des Netzes zu (Spadaro 2003, Lau-
lediglich 7 % der bundesdeutschen Bevölkerung ab sen et al. 2008).
16 Jahren das Internet als Informationsquelle für
Gesundheitsfragen (Identity Foundation 2001). Nach
Befunden des Eurobarometers stieg dieser Anteil im
Jahr 2002 auf 24% der Deutschen ab 15 Jahren (vgl.
Spadaro 2003). Im Jahr 2006 konsultierten bereits Potenziale und Wirkung
46 % der Deutschen ab 10 Jahren das Internet für
Gesundheitsfragen (vgl. Mohr 2007). Lausen et al.
(2008), die die gesundheitsbezogene Internetnut- Reichweite und Erreichbarkeit
zung in Deutschland in den Jahren 2005 und 2007 Angesichts intensiver Nachfrage und hoher Erwar-
verglichen, stellten ebenfalls eine Steigerung fest, tungen an Gesundheitsangebote im Internet – sei-
nach der im Jahr 2007 über die Hälfte der Deutschen tens der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Anbieter
ab 15 Jahren das Internet schon einmal für Gesund- – stellt sich die Frage, inwieweit solche Angebote
heitsfragen genutzt hat (57% im Jahr 2007 gegen- in der Lage sind, einen positiven Beitrag für die Ge-
über 44 % im Jahr 2005). Auch der Anteil derjenigen, sundheitskommunikation zu leisten. Der erste Vor-
die sich mindestens einmal im Monat online über teil, den Gesundheitsinformationen im Internet bie-
Gesundheitsthemen informieren, ist von 23% im ten, ergibt sich aus den oben dargestellten Befunden
Jahr 2005 auf 32 % im Jahr 2007 gestiegen. Diese zu ihrer Nutzung. Mit gestiegenen Nutzerzahlen –
Zahlen liegen etwa im europäischen Durchschnitt von Webangeboten generell sowie von Gesundheits-
(vgl. Spadaro 2003) und entsprechen denen für angeboten im Internet – hat sich auch das potenziell
die USA. Dort pendeln sich die Nutzungszahlen für erreichbare Publikum vergrößert. Im Vergleich zu
Gesundheitsangebote im Netz seit 2006 auf rund den meisten massenmedialen Wegen der Gesund-
80 % der Internetnutzerinnen und -nutzer bzw. zwei heitsprävention, etwa Fernsehspots oder Anzeigen
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84 TAGUNGSBEITRÄGE
in reichweitenstarken Zeitungen oder Zeitschriften, Befunde deuten darauf hin, dass das Internet eine
ist die Reichweite einzelner Internetangebote freilich vielversprechende Möglichkeit der HIV-Prävention bei
immer noch klein. Vergleicht man die Möglichkeiten afrikanischen Jugendlichen aus ärmeren Regionen
der Gesundheitsaufklärung jedoch mit der Reich- darstellt. Nicht zuletzt lassen sich auch solche Ziel-
weite klassischer interpersonaler Beratungsange- gruppen erreichen, die mit herkömmlichen Informati-
bote des Gesundheitssektors, so wächst die Reich- onsangeboten (zum Beispiel Broschüren oder Flyer)
weite hier deutlich – und dies auf eine im Vergleich deshalb wenig anfangen können, weil sie nicht in der
zu interpersonalen und massenmedialen Möglich- Lage sind, die Informationen adäquat zu verarbeiten
keiten deutlich kostengünstigere Weise. Für die Nut- (Stichwort: Health Literacy). Das Internet bietet hier
zerinnen und Nutzer bietet das Internet den Vorteil besser als andere mediale Angebote die Möglichkeit,
der Niederschwelligkeit, das heißt, es ist (ein Inter- die Menschen zu erreichen, da sie trotz ihrer kogniti-
netzugang vorausgesetzt) leicht zugänglich, kosten- ven Barrieren zunehmend auf das Internet zugreifen.
günstig nutzbar sowie bequem und ohne zeitliche Es ist gleichzeitig besser in der Lage, Informationen
Begrenzungen zu erreichen (vgl. Schmidt-Kaehler so aufzubereiten, dass sie für die Zielgruppe ver-
2005). Hinzu kommt, dass Nutzerinnen und Nutzer ständlich sind (vgl. Whitten et al. 2007).
anders als beim Arztbesuch in der Lage sind, sich
anonym über Gesundheitsbelange zu informieren, Wissenssteigerung und Empowerment
ohne etwas von sich preisgeben zu müssen. In Befragungen geben die Nutzerinnen und Nutzer
Gleichzeitig bieten Gesundheitsangebote im Inter- von Onlineangeboten zu Gesundheitsthemen an,
net aufgrund ihrer unbegrenzten Verbreitung die Gesundheitsprobleme mithilfe dieser Internetange-
Möglichkeit, bestimmte Zielgruppen zu erreichen, bote besser verstehen und aus den Angeboten im
die auf herkömmlichen massenmedialen oder inter- Internet lernen zu können. So finden Nutzerinnen
personalen Wegen nur schwer erreichbar sind. Sie und Nutzer laut einer Studie von Harris Interactive
haben das Potenzial, »to extend and amplify the (2003, S. 2), »that the information they find en-
impact of traditional health promotion media by link- hances their understanding of their health problems,
ing, personalizing, and expanding the coverage of has an impact on how they manage their overall
health promotion messages« (Neuhauser und Kreps health, affects how they communicate with their
2003, S. 551). So ist es etwa möglich, auch solchen doctors, and improves their compliance with pre-
Menschen gesundheitsrelevante Informationen und scribed treatments.« Auch Baker et al. (2003) zeig-
Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen, die in ten, dass die Nutzung gesundheitsspezifischer
dünn besiedelten Gegenden leben und somit struk- Inhalte im Internet zu einer Wissenssteigerung bei
turell unterversorgt sind (vgl. Rogers 2004, Schmidt- den Nutzerinnen und Nutzern beiträgt.
Kaehler 2005). Auch Kinder und Jugendliche sind Dies ist jedoch nicht nur im Hinblick auf die Infor-
über das Internet gut zu erreichen, häufig besser miertheit der Nutzerinnen und Nutzer relevant, son-
als mit klassischen massenmedialen Angeboten dern auch, weil es den Patientinnen und Patienten
wie Broschüren oder Tagespresse (vgl. Lieberman ein größeres Vertrauen gibt, ihrem Arzt bzw. ihrer
2001b). Ybarra et al. (2006) führten vor diesem Ärztin gegenüber selbstbewusster aufzutreten, ihre
Hintergrund unter Jugendlichen aus Uganda eine Krankheit und Behandlungsmöglichkeiten besser
Befragung zur Nutzung und Akzeptanz des Internets verstehen und beeinflussen zu können und optimis-
als Informationsquelle über HIV/Aids durch. Ihre tischer in die Zukunft zu blicken (zum Konzept der
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Selbstwirksamkeit bzw. Self-efficacy vgl. Bandura einzelt und kurzfristig Verhalten zu ändern. Es ist
1977; im Zusammenhang mit Selbstwirksamkeit im jedoch immer noch schwer vorherzusagen, unter
Internet vgl. auch Trepte und Reinecke 2010). Kurz: welchen Bedingungen welche Interventionsmaßnah-
Das Internet trägt potenziell zum Empowerment der men funktionieren und wann sie auf einer großen
Patientinnen und Patienten bei. Van Uden-Kraan et Populationsbasis wirksam sind (vgl. zum Beispiel
al. (2008) konnten dies in einer Studie unter Nutze- Snyder und Hamilton 2002, Neuhauser und Kreps
rinnen und Nutzern von Online-Selbsthilfegruppen 2003, Rossmann 2010b). Das Internet bietet das
für Patientinnen und Patienten mit Brustkrebs, Fibro- Potenzial, die Wirksamkeit massenmedialer Präventi-
myalgie oder Arthritis bestätigen. onsmaßnahmen deutlich zu verbessern. Drei Spezi-
Dies dürfte sich vor allem in einer veränderten fika des Internets sind hierfür entscheidend: 1) Die
Arzt-Patienten-Beziehung niederschlagen. So konsta- bessere Möglichkeit, Gesundheitsangebote an ein-
tiert Schmidt-Kaehler (2005, S. 479), dass das Inter- zelne Nutzerinnen und Nutzer, ihre Bedürfnisse,
net zu einer geringeren Abhängigkeit von Ärzte- und ihren Gesundheitszustand und ihre Persönlichkeit
Apothekerschaft und somit zur »Emanzipation der anzupassen (Tailoring), 2) die Möglichkeit der inter-
Patienten im Gesundheitswesen« beiträgt. Auch aktiven Aufbereitung von Gesundheitsinformationen
Tautz (2002) schließt aus den Befunden einer Del- und 3) die Verknüpfung von massenmedialer und
phi-Befragung unter Gesundheitsexpertinnen und interpersonaler Kommunikation.
-experten, dass die Arzt-Patienten-Beziehung sich
verändert und ihre hierarchische Struktur verliert. Tailoring
Demnach werden Ärztinnen und Ärzte den Patientin- Der Begriff Tailoring geht über die bekannteren
nen und Patienten in Zukunft stärker als gleichwer- Begriffe des Targeting und der Personalisierung
tige Partnerinnen und Partner oder Gesundheitsbera- hinaus. Während Targeting allgemein für die zielgrup-
terinnen und -berater zur Seite stehen. Entsprechend penspezifische Ansprache und Aufbereitung von
zeigten Bass et al. (2006), dass Patientinnen und Informationen steht, und Personalisierung zielgrup-
Patienten, die nach einer Krebsdiagnose Internetge- penspezifische Botschaften lediglich um eine per-
sundheitsangebote nutzten, nicht nur ihre Selbst- sönliche Ansprache (im Sinne von »Sehr geehrte
wirksamkeit höher einschätzten, sondern auch bes- Frau Mustermann ...«) erweitert, meint Tailoring das
ser vorbereitet in Arzt-Patienten-Gespräche gingen, passgenaue Zuschneiden von Botschaften auf die
mehr Fragen stellten und das Verhältnis zu ihrem Besonderheiten und Bedürfnisse des Einzelnen. So
Arzt bzw. ihrer Ärztin eher als partnerschaftlich beschreibt Tailoring in der Gesundheitskommunika-
wahrnahmen als die Nichtnutzerinnen und -nutzer. tion nach einer Definition von Kreuter et al. (1999,
S. 5) »any combination of information and behavior
Gesundheitsförderung und Prävention change strategies intended to reach one specific
Der dritte Bereich, in dem das Internet die Möglich- person based on characteristics that are unique to
keiten der Gesundheitskommunikation verbessern that person, related to the outcome of interest, and
kann, ist der der Gesundheitsförderung und Präven- derived from an individual assessment«. Dieses
tion. Wie sich aus zahllosen Evaluationsstudien erse- Vorgehen setzt aufwendige Vorstudien und Vorarbei-
hen lässt, sind bisherige Gesundheitskampagnen ten voraus, um für jede mögliche Kombination rele-
durchaus erfolgreich, wenn es darum geht, Bewusst- vanter Persönlichkeitsmerkmale, die auf der Basis
sein für Gesundheitsprobleme zu schaffen oder ver- unterschiedlicher Theorien und Modelle der Ver-
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86 TAGUNGSBEITRÄGE
haltensänderung identifiziert werden (zum Beispiel Weiterentwicklung der Neuen Medien diente der
Gesundheitszustand, Selbstwirksamkeit, Bildung, Begriff zunächst häufig als Schlagwort für die neuen
Geschlecht), adäquate Botschaften, Formulierungen Möglichkeiten, die das Internet mit sich brachte.
und Darstellungsformen ähnlich einer Bibliothek von Nach Quiring und Schweiger (2006, S. 8–9) ist Inter-
Botschaften parat zu haben. Ist die Bibliothek einmal aktivität durch drei Basismerkmale gekennzeichnet:
entwickelt, setzt auch ihre Anwendung voraus, dass Es handelt sich 1) um eine reale und beobachtbare
die relevanten Merkmale der Zielperson bekannt Interaktion zwischen Menschen und Menschen oder
sind, also zunächst erfasst werden. Anschließend Menschen und Maschinen, dabei spielt 2) eine tech-
werden aus der im Vorfeld entwickelten – häufig nische Komponente eine Schlüsselrolle, und es ist
computerbasierten – Bibliothek diejenigen zusam- 3) kein Gerätewechsel notwendig.
mengestellt, die für die Person geeignet sind. Diese Die Autoren nennen eine Reihe weiterer Merkmale,
werden dann auf unterschiedlichen Wegen (zum die für die Interaktivität kennzeichnend sind. Ent-
Beispiel Printmaterial) bereitgestellt. Evaluations- scheidend für die Wirksamkeit interaktiver Gesund-
studien, die die Effektivität dieser zugeschnittenen heitsangebote im Internet dürfte vor allem die von
Botschaften mit klassischen Einheitsbotschaften den Autoren beschriebene Ebene der Aktion sein. So
verglichen, bestätigen das stärkere Wirkungspoten- ermöglichen und fordern interaktive Angebote von
zial dieser Vorgehensweise (für einen Überblick vgl. den Nutzerinnen und Nutzern einen hohen Grad an
zum Beispiel Skinner et al. 1999, Suggs 2006). Aktivität, die sie einsetzen, um aus dem Angebot zu
Zunächst wurde diese Technik vor allem auf Print- selektieren und dieses zu modifizieren. Gleichzeitig
material angewendet, das jeweils computerbasiert sind interaktive Angebote responsiv, das heißt, sie
erstellt und danach in Form von gedrucktem Infor- reagieren auf die Eingabe der Nutzerinnen und Nut-
mationsmaterial (Flyer, Briefe u.Ä.) an die Personen zer und lösen ihrerseits eine sensorische Aktivierung
ausgegeben wurde. Das Internet bietet an dieser beim Nutzer bzw. bei der Nutzerin aus (auditiv, visu-
Stelle nun die Möglichkeit, den Prozess zu automati- ell, taktorisch).
sieren. Hierfür müssen die Nutzer eines solchen web- In der konkreten Umsetzung ist es den Nutzerin-
basierten Präventionsangebots zunächst einen nen und Nutzern interaktiver Gesundheitsangebote
Onlinefragebogen ausfüllen, der die für die Zuschnei- im Internet somit nicht nur möglich, sich aktiv am
dung der Botschaften relevanten Attribute erfasst. Kommunikationsprozess zu beteiligen, etwa indem
Diese können dann datenbankbasiert so verarbeitet sie selbst zu Kommunikatorinnen und Kommunika-
werden, dass die Nutzerinnen und Nutzer anschlie- toren werden und Inhalte beitragen oder sich in Dis-
ßend direkt mit den auf sie zugeschnittenen Bot- kussionsforen mit anderen Patientinnen und Patien-
schaften versorgt werden. Wie Evaluationen belegen, ten oder Gesundheitsexpertinnen und -experten
zeigen auch die webbasierten Tailoring-Programme austauschen, sondern sie können – wie im Fall des
eine deutliche Wirkung auf das Gesundheitsverhal- oben beschriebenen Tailoring – durch ihre Eingaben
ten ihrer Nutzerinnen und Nutzer (vgl. zum Beispiel die Inhalte so modifizieren, dass sie an ihre Bedürf-
Strecher et al. 2005, Marcus et al. 2007). nisse angepasst werden. Auch spielerische Anwen-
dungen für die Gesundheitsförderung sind denkbar,
Interaktivität die sich etwa für die Gesundheitserziehung bei Kin-
Der Interaktivitätsbegriff wird in der Literatur sehr dern gut einsetzen lassen (vgl. zum Beispiel Lieber-
unterschiedlich verwendet. Mit der Entstehung und mann 2001a).
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Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, zu tun (ebd.). Entsprechend konstatieren Neuhauser
dass der interaktive Umgang mit Gesundheitsange- und Kreps (2003, S. 547): »New media, such as
boten im Internet ihre Wirksamkeit erheblich stei- e-mail systems and the Internet, can combine the
gert, indem er das Involvement der Nutzerinnen und benefits of interpersonal, print, and mass media,
Nutzer erhöht, ihr Lernen verbessert, eine Bindung enabling dynamism, interactive adaptability, and
an die Angebote fördert und somit zu weiteren Kon- permanence for later review.«
takten führt (Hawkins et al. 2007). Zudem ist davon Eine zunehmende Zahl empirischer Studien zum
auszugehen, dass die interaktive Beteiligung der Einsatz webbasierter Anwendungen in der Gesund-
Nutzerinnen und Nutzer ein gestärktes Selbstwirk- heitsförderung und Prävention belegt ihre gute Akzep-
samkeitserleben und stärkere Kontrollüberzeugun- tanz und Wirksamkeit. So zeigten van den Berg et al.
gen zur Folge haben, die – wie es psychologische (2007) etwa, dass webbasierte Interventionsange-
Modelle der Verhaltensänderung nahelegen (zum bote zur Förderung der physischen Aktivität bei
Beispiel Sozialkognitive Theorie, vgl. Bandura 2001, Rheumatikerinnen und Rheumatikern viel genutzt
oder Theory of Planned Behavior, vgl. Ajzen 2005) – und positiv bewertet wurden. Ein interaktives, web-
entscheidende Mediatoren der Verhaltensänderung basiertes Interventionsprogramm zur Unterstützung
sind (vgl. Neuhauser und Kreps 2003). von Asthmatikerinnen und Asthmatikern brachte
eine signifikante Wissenssteigerung und eine Reduk-
Interpersonale Ansprache tion der Symptome und der Anzahl der Besuche in der
Massenmedien sind zwar in der Lage, eine hohe Notaufnahme (Krishna et al. 2003). Weitere Studien
Reichweite zu erzielen, Bewusstsein zu schaffen und beschäftigten sich mit dem Einsatz webbasierter
Informationen zu verbreiten; bisweilen gelingt es Interventionsangebote in der Adipositasprävention
ihnen auch, Einstellungen und Verhaltensintentionen und kamen ebenfalls zu positiven Ergebnissen (vgl.
zu ändern. Wenn es jedoch darum geht, Verhalten Hunter et al. 2008, Thompson et al. 2008). Want-
auf einer breiten Basis zu verändern, sind Massen- land et al. (2004) stellten in ihrer Metaanalyse von
medien selten ein effektiver Weg (vgl. zum Beispiel 20 Studien, die zwischen 1999 und 2003 veröffent-
Snyder und Hamilton 2002, Neuhauser und Kreps licht worden waren, insgesamt einen stärkeren Ein-
2003). Interpersonale Wege der Gesundheitsförde- fluss webbasierter Interventionen auf Verhaltens-
rung (Beratung, Arzt-Patienten-Dialog etc.) sind änderungen im Vergleich zu Offlineinterventionen
deutlich wirksamer, aber auch teurer und in ihrer fest (für einen Überblick vgl. auch Suggs 2006).
Reichweite begrenzt. Der Vorteil des Internets be- Trotz dieser vielversprechenden Belege für den
steht nun darin, die Reichweite der Massenmedien effektiven Einsatz des Internets in der Gesundheits-
mit dem erhöhten Wirkungspotenzial interpersonaler prävention stehen Forschung und Praxis hier immer
Kommunikation zu verknüpfen. Cassell et al. (1998, noch am Anfang. Nicht alle Evaluationen fallen posi-
S. 74) bezeichnen das Internet vor diesem Hinter- tiv aus (vgl. zum Beispiel Gustafson et al. 2008).
grund als »hybrid channel«, der es ermöglicht, Zudem ist noch relativ wenig darüber bekannt, unter
durch den direkten, interaktiven Austausch Gesund- welchen Bedingungen das Internet akzeptiert und
heitsverhalten so zu verändern, wie es in der inter- genutzt wird und seine Wirksamkeit entfalten kann.
personalen Kommunikation möglich ist, während Ein hohes Wirkpotenzial wird jedoch vor allem Web-
seine Ähnlichkeit mit massenmedialen Angeboten 2.0-Angeboten zugeschrieben, weshalb der folgende
die Möglichkeit eröffnet, dies auf einer breiten Basis Abschnitt auf diese gesondert eingeht.
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ren. Dies ist im Internet deutlich schwieriger, da hier Bevölkerungsgruppen, sondern umfasst unterschied-
die Wahrscheinlichkeit, Nutzerinnen und Nutzer liche Dimensionen. Marr (2005) unterscheidet den
zufällig zu erreichen, deutlich geringer ist. Vorstudien formalen und effektiven Zugang zum Internet: Erste-
zur Identifikation der Zielgruppe und zur Beschrei- rer lässt sich auch als Zugangskluft beschreiben und
bung ihres Mediennutzungsverhaltens sind daher umfasst die technologischen (allgemeine Verfügbar-
wichtiger, aber auch schwieriger als im Zusammen- keit, technische Ausstattung des Internetzugangs,
hang mit herkömmlichen Medien. Trotz vielverspre- Breitbandverbindung etc.) und inhaltlichen Unter-
chender Möglichkeiten stoßen internetbasierte schiede der Nutzerinnen und Nutzer. Der effektive
Gesundheitsangebote also auch an Grenzen. Zugang beschreibt die Nutzungskluft und bezieht
sich auf Nutzungsmodalitäten, Nutzungskompetenz
und Nutzungsziele.
Beide Bereiche sind im Zusammenhang mit der
Gesundheitskommunikation im Internet relevant. So
Grenzen macht es nicht nur einen Unterschied, ob Menschen
überhaupt Zugang zu den Gesundheitsangeboten im
Netz haben, sondern auch, wie die Nutzerinnen und
Limitierter Zugang für bestimmte Bevölkerungs- Nutzer mit Online-Gesundheitskommunikation
gruppen umgehen: Wie häufig informieren sie sich im Inter-
Gesundheitsangebote im Netz werden eher von net? Mit welchen Motiven greifen die Nutzerinnen
jüngeren und gebildeten Menschen genutzt (Dutta- und Nutzer auf die Inhalte zu, und wie kompetent
Bergmann 2003, Spadaro 2003, Hüfken et al. 2004, gehen sie mit den darin enthaltenen Inhalten um?
Trepte et al. 2005; für einen Überblick über die Nut- Gerade im Zusammenhang mit Gesundheitsinforma-
zerstruktur vgl. auch Rossmann 2010a). Menschen tionen im Internet ist es von entscheidender Bedeu-
mit geringerer Bildung und Ältere – und damit gerade tung, ob die Nutzerinnen und Nutzer in der Lage
diejenigen, die relativ häufig unter gesundheitlichen sind, die dort präsentierten Inhalte einzuordnen.
Problemen leiden (Richter und Hurrelmann 2006) – Handelt es sich um kommerzielle oder nichtkommer-
haben einen vergleichsweise limitierten Zugang zu zielle Angebote? Wurden sie von Laien oder medizini-
den Gesundheitsangeboten im Netz. Gerade für sie schen Expertinnen und Experten verfasst? Sind die
wäre es wichtig, das Potenzial von Onlineangeboten Informationen aktuell oder veraltet? Kurz: Entschei-
zu nutzen, um besser informiert zu sein, im Rahmen dend ist hier, ob die Nutzerinnen und Nutzer in der
von Präventionsangeboten besser erreicht werden Lage sind, die Qualität der Informationen im Netz
zu können und im kommunikativen Austausch Un- adäquat zu beurteilen.
terstützung für den Umgang mit Krankheiten zu
erhalten. Mangelnde Qualität und Quellentransparenz
Dieses Problem wird in der Kommunikationswis- Die Fähigkeit, die Qualität von Online-Gesundheits-
senschaft allgemein, aber auch in der Gesundheits- informationen beurteilen zu können, ist nicht zuletzt
kommunikation unter dem Begriff des Digital Divide deshalb so wichtig, weil das Qualitätsniveau der
diskutiert (vgl. zum Beispiel Marr 2005, Marr und Angebote im Netz stark differiert. Das Internet bietet
Zillien 2010). Der Begriff bezieht sich nicht nur auf eine fast unbegrenzte Fülle von Informationen zu
den eingeschränkten Internetzugang bestimmter Gesundheitsthemen. Qualitativ hoch- und minder-
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wertige Informationen stehen meist kommentarlos nicht der Fall ist (vgl. zum Beispiel Tu und Zimmer-
nebeneinander, denn jeder bzw. jede – ob Laie oder man 2001).
Experte/Expertin – kann sich selbst im Netz über Dies ist vor allem dann ein Problem, wenn die Nut-
Gesundheitsthemen äußern und ist dabei noch nicht zenden Qualität und Urheber von Informationen nicht
einmal gezwungen preiszugeben, wer er ist. Nur auf einschätzen können. Die Befunde hierzu sind bislang
einem Teil der Seiten findet eine Qualitätskontrolle nicht eindeutig. Trepte et al. (2005) untersuchten
von Informationen durch Dritte statt, häufig fehlen dies in einer zweiteiligen Untersuchung. Im ersten
Kontextinformationen wie Datum, Quelle, Angaben zu Teil ließen sie Probandinnen und Probanden auf den
Interessenkonflikten oder finanzieller Unterstüt- Webangeboten von lifeline.de, netdoktor.de und ges-
zung, die es erleichtern würden, die Qualität der med.ch surfen und baten sie, die Seiten im Hinblick
Informationen einzustufen (vgl. Hebenstreit und auf ihre technische, inhaltliche und Darstellungsqua-
Güntert 2001, Mühlbacher et al. 2001, Eysenbach et lität zu beurteilen. Im zweiten Teil der Untersuchung
al. 2002, Neuhauser und Kreps 2003, Trepte et al. evaluierten sieben Expertinnen und Experten die
2005). Inhaltsqualität der Webseiten. So zeigte sich, dass
Viele fürchten daher, dass die über das Internet die befragten Laien in ihrem Qualitätsurteil zu weit-
verbreiteten Gesundheitsinformationen fehlerhaft, gehend ähnlichen Ergebnissen kamen wie die Exper-
verzerrt und irreführend sein könnten und somit tinnen und Experten. Zumindest die vergleichsweise
eine Bedrohung für die Gesundheit der Nutzerinnen junge und hoch gebildete Stichprobe war also recht
und Nutzer darstellen (Weaver et al. 2008). Zwar gut in der Lage, die Qualität der Seiten einzuschät-
stellten Pandolfini und Bonati (2002) in einer Studie zen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Nut-
zur Qualität von Online-Gesundheitsinformationen zenden explizit zur Qualitätseinschätzung aufgefor-
zu Fiebererkrankungen bei Kindern fest, dass sich dert waren. Zumindest amerikanische Nutzerinnen
die Qualität bereits verbessert hat. Jedoch fanden und Nutzer von Gesundheitsinformationen im Inter-
Eysenbach et al. (2002) in ihrer Metaanalyse net scheinen die Qualität der Angebote jedoch im All-
heraus, dass immer noch mehr als zwei Drittel der tag nur selten zu hinterfragen. So deuten Umfragen
Studien, die sich mit der Qualität gesundheitsspezifi- des Pew Internet & American Life Project darauf hin,
scher Inhalte im Internet beschäftigten, dem Internet dass 72% der amerikanischen Nutzerinnen und Nut-
ein Qualitätsproblem attestieren. zer von Online-Gesundheitsangeboten glauben, dass
Hinzu kommt, dass die Pharmaindustrie den man den meisten darin enthaltenen Informationen
Erfolg von Gesundheitskommunikation im Internet trauen kann (vgl. Fox und Rainie 2002). Entspre-
längst für sich entdeckt hat und zunehmend in chend gaben drei Viertel der Nutzenden an, Quelle
Onlineangebote investiert, um für das Unternehmen und Stand der Informationen nur manchmal, fast nie
oder eigene Produkte zu werben. Laut Schätzungen oder nie zu prüfen (Fox 2006). Doch selbst wenn
bilden Pharmazeutika die viertgrößte Produktkate- Nutzerinnen und Nutzer vorsichtig genug sind, die
gorie, für die im Internet geworben wird (Huh et al. Qualität der Informationen zu hinterfragen, können
2005). Dies ist unproblematisch, solange Werbung sie in ihrem Urteil immer noch falsch liegen. So
als solche erkennbar bleibt, solange kommerzielle zeigte Seidman (2002) in einer Studie zur Qualität
Interessen transparent gemacht und nicht hinter von Diabetes-Plattformen, dass klassische Qualitäts-
vermeintlich redaktionellen Inhalten versteckt wer- indikatoren wie kommerzielle Interessen, Stand der
den. Studien belegen jedoch, dass dies häufig gerade Informationen, Entstehungsprozess oder Validität
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mit der tatsächlichen Qualität der Informationen nur unterziehen, und wo die Nutzenden in der Lage und
mäßig korrelierten. Nutzerinnen und Nutzer, die auf motiviert sind, Qualitätssiegeln auch Berücksichti-
diese Kriterien zurückgreifen, um die Qualität der gung zu schenken. An dieser Stelle setzen andere
Seiten einzuschätzen, dürften somit bisweilen zu Maßnahmen der Qualitätskontrolle an, etwa die soft-
einem falschen Urteil kommen. warebasierte Bewertung von Webinhalten, die auf
Aufgrund dieser Probleme werden zunehmend Ini- der Basis bestimmter Filter nur solche Inhalte an-
tiativen zur unabhängigen Qualitätskontrolle durch zeigt, die vorher festgelegten (Qualitäts-)Kriterien
externe Dachverbände oder Möglichkeiten der Selbst- entsprechen. Auf dieser Technik basiert etwa das
kontrolle ins Leben gerufen, die es durch die Vergabe EU-geförderte Projekt MedCERTAIN, das ein Bewer-
von Gütesiegeln ermöglichen sollen, sich besser zu tungsverfahren für gesundheitsspezifische Weban-
orientieren (im Überblick vgl. Dierks und Schwartz gebote entwickelt (vgl. Eysenbach und Diepgen
2001, Hebenstreit und Güntert 2001). Beispiele für 1998). Ob sich ein solches Verfahren in der Praxis
solche Initiativen stellen ethische Verhaltenskodizes auf breiter Basis einsetzen lässt, muss sich erst zei-
wie der HON-Code oder der »e-Health Code of Ethics« gen. Und selbst wenn es funktioniert: Auch solche
dar. Der HON-Code wurde durch die Health on the Verfahren werden nur dort greifen, wo die Nutzenden
Net Foundation – eine unabhängige, weltweit aner- motiviert sind, sie anzuwenden. Auch ist fraglich,
kannte Organisation aus der Schweiz – entwickelt. inwieweit es möglich ist, Verfahren der Qualitätskon-
Die Herausgeber von Websites können den Code nut- trolle auf sämtliche Angebote im Internet anzuwen-
zen, um sich bei der Entwicklung ihrer Webangebote den. So lassen sich die Inhalte in Diskussionsforen
an den ethischen Grundsätzen zu orientieren. Halten (zumindest wenn diese nicht von Expertinnen und
sie die Grundsätze ein, können sie sich durch die Experten moderiert werden) nur schwer kontrollieren
HON-Foundation zertifizieren lassen. Die Nutzerin- – und gerade diese können falsche oder verzerrte
nen und Nutzer der Gesundheitsangebote können Informationen enthalten. Das Qualitätsproblem wird
anhand des Siegels feststellen, ob die Seiten den sich sicher niemals gänzlich lösen lassen, weshalb
vorgegebenen Qualitätsstandards entsprechen und es gilt, hier Bewusstsein und Kompetenz der Nutze-
die Prinzipien Sachverständigkeit (Qualifikation der rinnen und Nutzer zu fördern, um einen angemes-
Verfasserinnen und Verfasser), Komplementarität senen Umgang mit den Gesundheitsinformationen
(Webangebot als Ergänzung, nicht als Ersatz des im Netz, aber auch in den Medien generell, zu ermög-
Verhältnisses zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/ lichen.
Patient), Datenschutz, Zuordnung (genaue Angaben
zu Quelle und Datum), Nachweis (Beleg von Aussa- Negative Folgen für das Gesundheitsverhalten
gen über Vor- und Nachteile von Produkten oder Gesundheitsspezifische Onlineangebote können
Behandlungsmethoden), Transparenz, finanzielle das Gesundheitsverhalten der Nutzerinnen und Nut-
Aufdeckung (Angabe der Finanzierungsquellen) und zer tatsächlich beeinflussen: Bereits angesprochen
Werbepolitik (Unterscheidung zwischen Werbung wurde, dass sich das Arzt-Patienten-Verhältnis posi-
und redaktionellen Inhalten) einhalten (Health on tiv verändern kann, weil Patientinnen und Patienten
the Net Foundation 2009). sich unabhängig informieren und ihrer Ärztin bzw.
Solche Maßnahmen der Selbstregulierung haben ihrem Arzt gestärkt gegenübertreten können. Es
ihre Grenzen. Sie greifen nur dort, wo die Anbieter können aber auch negative Folgen auftreten, denn
auch gewillt sind, sich einer Qualitätskontrolle zu es kommt nicht selten vor, dass im Internet Behand-
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lungsempfehlungen zu finden sind, die den Therapie- Bereitschaft zur Selbstmedikation, inakkurate Infor-
vorschlägen der Ärztin bzw. des Arztes widerspre- mationen und mangelnde Kompetenz zur Qualitäts-
chen. Dies kann unter Umständen einen Vertrauens- bewertung zusammenfallen – sind negative Konse-
verlust oder gar ein gestörtes Arzt-Patienten-Verhält- quenzen nicht unwahrscheinlich.
nis hervorrufen (vgl. Tautz 2002, Schmidt-Kaehler
2005). Problematisch wird ein solcher Vertrauens-
verlust vor allem dann, wenn Patientinnen und Pa-
tienten Behandlungsempfehlungen der Ärztin bzw.
des Arztes missachten oder Therapien abbrechen, Internetbasierte Interven-
um sich an inakkuraten Informationen aus dem
tionen zur Organspende
Netz zu orientieren. Solche Fälle sind nicht selten.
In einer Studie von Baker et al. (2003) gaben 16%
der Befragten mit einer chronischen Erkrankung an,
dass sie schon einmal eine Therapie aufgrund von Evaluationsstudien zu internetbasierten Interven-
Informationen aus dem Internet geändert haben, tionen im Bereich Organspende gibt es wenige, ob-
7 % haben aufgrund von Informationen aus dem Netz wohl das Internet, insbesondere Web-2.0-Angebote,
einen anderen Arzt bzw. eine andere Ärztin aufge- auch im Zusammenhang mit diesem Thema ein
sucht. Weaver et al. (2008) stellten fest, dass 11% hohes Potenzial bieten, gerade jüngere Menschen
ihrer Befragten die Behandlungsempfehlungen anzusprechen und früh an die Thematik heranzufüh-
ihres Arztes bzw. ihrer Ärztin schon einmal aufgrund ren. Eine der wenigen Studien stammt von Merion
von Informationen aus dem Netz zurückgewiesen et al. (2003), die eine multimediale Webseite zum
haben, darunter vor allem Frauen, Personen mit Thema Organspende entwickelt haben und durch
einem schlechten Gesundheitszustand und ängst- Besucherinnen und Besucher der Webseite evaluie-
liche Menschen. ren ließen. Vor und nach der Nutzung der Webseite
Nicht immer muss ein Therapie- oder Arztwechsel fragten die Forscherinnen und Forscher Wissen,
aufgrund von Informationen aus dem Internet ne- Einstellungen und Bereitschaft zur Organspende ab.
gative Folgen für die Gesundheit haben. So fanden Ein direkter Link zu einer Onlineregistrierung und
Crocco et al. (2002) in einem systematischen Lite- die Möglichkeit, durch einen Mausklick eine E-Mail an
raturüberblick nur wenige Studien, die tatsächlich die Familie zu schicken, in der man die eigene Bereit-
negative gesundheitliche Konsequenzen aufgrund schaft zur Organspende kommunizieren konnte,
von Onlineinformationen belegten. Allerdings stellen ermöglichten es zudem, die Handlungsbereitschaft
die Autoren diese Beobachtung selbst infrage, weil über einen direkten Indikator zu erfassen. Die Ergeb-
negative Folgen medizinischer Interventionen in den nisse der Evaluation mit über 10.000 Befragten wa-
Fachzeitschriften generell seltener publiziert werden ren positiv. So steigerte sich das Wissen über das
als positive. Es ist also denkbar, dass das Internet Thema, die Einstellungen änderten sich, und auch
häufiger zu negativen Konsequenzen für die Gesund- eine höhere Bereitschaft zur Organspende konnte
heit führt als bisher bekannt. Zumindest gilt es, die- nach Nutzung der Webseite festgestellt werden.
sen Aspekt in Zukunft eingehend zu untersuchen, Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Befunde
denn unter bestimmten Umständen – vor allem, valide sind, da die Studienteilnehmerinnen und -teil-
wenn mangelndes Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte, nehmer ausschließlich aus den Nutzerinnen und
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Nutzern der Webseite rekrutiert wurden, wodurch und Organisationen setzen Videos offenbar bewusst
man es hier womöglich generell mit einer positiv ein- ein, um Informationen zur Organspende zu verbrei-
gestellten Stichprobe zu tun hat. ten. Eine Analyse der Nutzerkommentare bestätigte,
Daher untersuchte die Forschergruppe den Ein- dass sich dies positiv auswirkt. Vermutlich zeigt sich
fluss der Webseite erneut unter experimentellen hier jedoch eine Wechselwirkung, da gerade diejeni-
Bedingungen (Vinokur et al. 2006). Die insgesamt gen Videos nutzen und Kommentare schreiben dürf-
490 teilnehmenden Schülerinnen und Schüler von ten, die ohnehin positiv zum Thema eingestellt sind.
81 verschiedenen Schulen in Michigan wurden zufäl- Resümee der Autorin: »Health communication and
lig auf Experimental- und Kontrollgruppe verteilt. campaign researchers should take advantage of
Die Experimentalgruppe nutzte die Webseite zur this reciprocity, interacting with audience members
Organspende, während die Kontrollgruppe eine ähn- instead of setting frames for the audience to achieve
lich aufgebaute Webseite zum Thema Erkältung the goal of ‚entertainment education‘ on serious
erhielt. Auch hier wurden Wissen, Einstellungen und health-related topics« (Tian 2010, S. 245).
Handlungsbereitschaft im Zusammenhang mit
Organspende und Erkältungen vor und nach der Web-
seitennutzung erfasst. Der positive Einfluss der Web-
seite auf Wissen, Einstellungen und Handlungsbe-
reitschaft bestätigte sich, sodass die Ergebnisse der Fazit und Ausblick
ersten Studie untermauert werden konnten.
Eine weitere Studie beschäftigte sich mit der Dar-
stellung von Organspende in YouTube-Videos (Tian Gesundheitskommunikation im Internet ist keine
2010). Untersucht wurde dabei, wie Organspende Randerscheinung mehr. Das Angebot an Gesund-
in den Videos dargestellt wird, ob sich bei Videos heitsseiten verschiedenster Art wächst stetig, gleich-
unterschiedlicher Herkunft nationale Unterschiede zeitig steigt die Anzahl derer, die ins Internet gehen,
bemerkbar machen und wie sich die Videos auf die um sich über Gesundheitsthemen zu informieren
Nutzenden auswirken. Insgesamt 355 Videos, die oder sich mit Betroffenen über Krankheiten auszu-
über eine Stichwortsuche (»Organ Donation«) in tauschen. Der Vorteil ist, dass das Internet für die
YouTube gefunden worden waren, wurden einer quan- meisten Menschen bequem, kostengünstig und orts-
titativen Inhaltsanalyse unterzogen. Um herauszu- unabhängig nutzbar ist, wodurch auch Zielgruppen
finden, wie Nutzerinnen und Nutzer auf die Videos angesprochen werden können, die die gängigen
reagieren, wurden zudem Nutzerkommentare analy- Wege der Gesundheitskommunikation nicht nutzen
siert. Es stellte sich heraus, dass das Thema Organ- wollen oder können. Dabei stehen ihnen vielfältige
spende auf YouTube-Videos überwiegend positiv dar- Informationen zu allen denkbaren Gesundheitsthe-
gestellt wird – anders als in traditionellen Medien, in men zur Verfügung, die die Nutzerinnen und Nutzer
denen ein überwiegend negativer Tenor vorherrscht. in ihrem Umgang mit ihren Krankheiten stärken und
In Anbetracht der jeweiligen Quelle ist dies jedoch somit ein ausgeglicheneres Arzt-Patienten-Verhältnis
nicht verwunderlich, denn ein gutes Drittel stammt schaffen können. Gesundheitsförderung und Präven-
von Nonprofit-Organisationen zur Förderung der Or- tion setzen hohe Erwartungen an das Internet, weil
ganspendebereitschaft und ein weiteres Drittel von es durch seine spezifischen Eigenarten ermöglicht,
individuellen Aktivistinnen und Aktivisten. Individuen Botschaften stärker an den Bedürfnissen Einzelner
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auszurichten (Tailoring), diese interaktiv zu gestal- Grenzen des Internets sensibilisiert werden, damit
ten und dabei interpersonale Kommunikation mit sie lernen, mit Patientinnen und Patienten umzu-
massenmedialer Reichweite zu verbinden. Doch Ge- gehen, die sich zunehmend aus dem Internet infor-
sundheitskommunikation im Internet hat auch Nach- mieren, und damit sie die Potenziale des Internets
teile. Nicht alle haben Zugang zu den im Internet ver- bewusst in Aufklärung und Therapien einsetzen,
breiteten Informationen und nicht alle können die anstatt das Internet als Störenfried im Gesundheits-
Informationen adäquat verarbeiten und einordnen. wesen zu verteufeln.
Letzteres ist gerade deshalb problematisch, weil die
Qualität der Gesundheitsangebote im Netz stark
divergiert. Viele befürchten gar negative Folgen für
Gesundheitsverhalten und -zustand der Nutzerinnen Literatur
und Nutzer.
Gerade wenn es um die Wirksamkeit von Gesund-
heitsangeboten im Internet geht, steht die Forschung Abroms, L. C., Lefebvre, R. C. (2009): Obama’s Wired
noch am Anfang. Zwar haben sich einige Studien die- Campaign: Lessons for Public Health Communi-
ser Frage angenommen, jedoch ist die Forschungs- cation. Journal of Health Communication, 14,
lage noch zu disparat, um ein abschließendes Fazit pp. 415–423.
ziehen zu können, zumal die Studien ein sehr weites Ajzen, I. (2005): Attitudes, Personality and Behavior.
Feld unterschiedlicher Erscheinungsformen, Themen Open University Press, New York.
sowie Akteurinnen und Akteure zu bearbeiten haben. Baker, L., Wagner, T. H., Singer, S., Bundorf, M. K.
Relativ eindeutig geht aus den Befunden jedoch her- (2003): Use of the Internet and E-Mail for Health
vor, dass die Qualität mancher Angebote im Netz zu Care Information: Results from a National Survey.
wünschen übrig lässt und ein hoher Bedarf an ver- Journal of the American Medical Association, 289,
besserten Möglichkeiten der Qualitätskontrolle be- pp. 2400–2406.
steht. Endgültig regeln wird sich die Qualität jedoch Bandura, A. (1977): Self-efficacy: Toward a unifying
nicht lassen – und dies würde auch dem Grundge- theory of behavioral change. Psychological Re-
danken eines freien Webs widersprechen. Deshalb view, 84, pp. 191–215.
ist es ratsam, nicht nur am Angebot anzusetzen, Bandura, A. (2001): Social Cognitive Theory of Mass
sondern auch und vor allem bei den Rezipientinnen Communication. Media Psychology, 3, pp. 265–
und Rezipienten. Wenn es gelingt, die Nutzerinnen 299.
und Nutzer im Umgang mit dem Internet generell und Bass, S. B., Ruzek, S. B., Gordon, T. F., Fleisher, L.,
vor allem mit Gesundheitsinformationen besser zu McKeown-Conn, N., Moore, D. (2006): Relationship
schulen, das heißt, ihre Medien- und Gesundheits- of Internet Health Information Use With Patient
kompetenz zu fördern, wird man mehr erreichen als Behavior and Self-Efficacy: Experiences of Newly
mit jeder Qualitätskontrolle. Entscheidend ist, dass Diagnosed Cancer Patients Who Contact the Na-
die Nutzenden in der Lage sind, mit den Informatio- tional Cancer Institute’s Cancer Information Service.
nen im Netz umzugehen, diese einzuordnen, zu eva- Journal of Health Communication, 11, pp. 219–236.
luieren und qualitativ hochwertige von inakkuraten Boulos, M. N. K., Wheeler, S. (2007): The Emerging
Informationen zu unterscheiden. Gleichzeitig müs- Web 2.0 Social Software: An Enabling Suite of
sen Ärztinnen und Ärzte für die Möglichkeiten und Sociable Technologies in Health and Health Care
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duals With Varying Degrees of Health Literacy.
Vorgestellt auf der 57. Jahrestagung der Interna-
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Mit dem Bedarf an Organtransplantationen und Rundfunkgesellschaft BNN48, präsentiert von Patrick
den dafür zur Verfügung stehenden Organen sind Lodiers. Unterstützt von den Fernsehzuschauerin-
nicht nur persönliche Schicksale verknüpft, sondern nen und -zuschauern sollte die an einem tödlichen
immer wieder auch deren mediale Inszenierung und Hirntumor erkrankte Spenderin Lisa zwischen drei
Aufbereitung. Film und Fernsehen haben das Thema Dialysepatienten eine Person für den Empfang der
vielfach aufgegriffen und in fiktionalen Dramaturgien Lebendspende einer Niere auswählen. Das Format
behandelt.47 2010 wurde vor allem die Nierenspende erzielte im Vorfeld eine intensive Reaktion vonseiten
des ehemaligen Außenministers Frank-Walter Stein- der Politik und der Medien nicht nur in den Niederlan-
meier an seine Frau intensiv medial begleitet und den.49 Die meisten Äußerungen enthielten massive
bearbeitet. Doch die Vergabe von Spenderorganen Kritik und moralische Bedenken gegenüber einem
live im TV, im Rahmen einer Spielshow womöglich, dem Exploitation-TV zugeschriebenen Format. Auch
bei der sich Kandidatinnen und Kandidaten um den das niederländische Parlament beschäftigte sich mit
Erhalt des Spenderorgans bewerben und das Publi- der Ausstrahlung. Ein Verbot wurde erwogen, war
kum an den Fernsehgeräten per SMS für einen mög- gemäß dem niederländischen Fernsehrecht aber
lichen Empfänger bzw. eine mögliche Empfängerin kaum möglich.50
votiert: Nicht – oder noch nicht vorstellbar? Die »grote Donorshow« ging also auf Sendung.
Am 1. Juni 2007 lief im niederländischen Fernse- 1,2 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer sahen
hen »De grote Donorshow« der niederländischen die Ausstrahlung, eine der höchsten Einschaltquoten
47 Eine frühe filmische Thematisierung einer möglichen Herztransplantation ist »After his own heart« (USA 1919 – Ein Millionär möchte
sein Leben durch eine Herztransplantation verlängern und benötigt dazu die Hilfe eines Wissenschaftlers, des »Mad Scientist« Dr.
Spleen). Nachhaltig wirksam in Bezug auf Ängste gegenüber einem möglichen Organhandel war »Fleisch« (D 1979). Pedro Almodóvar
inszenierte im Film »Todo sobre mi madre« (SP 1999) eine Transplantationskoordinatorin, die mit der Herzentnahme ihres verunfallten
Sohnes konfrontiert wird. Aktuelle Dramatisierungen waren zum Beispiel »John Q« (USA 2002), »21 Grams« (USA 2003) oder »Tell
Tale« (USA 2009). 2009 und 2010 lief in den USA die erste Staffel von »Three Rivers«, einer von CBS produzierten Fernsehserie speziell
zum Thema Transplantationen. Die Serie wurde nach wenigen Folgen abgesetzt, die restlichen Folgen wurden im Sommer 2010 gesen-
det.
48 In den Niederlanden wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen durch Rundfunkgesellschaften versorgt, die gesellschaftliche Gruppen
vertreten und aus Vereinen oder Stiftungen bestehen. Die Nederlandse Omroep Stichting (NOS) stellt den Rahmen zur Verfügung und
sichert die Informationsbereitstellung. BNN – als Parodie auf CNN ursprünglich »Bart’s News Network« (1997), nach dem Tod des Grün-
ders Bart de Graaff umbenannt in »Bart’s Neverending Network« – ist eine auf ein eher jugendliches Publikum ausgerichtete Rundfunk-
gesellschaft.
49 Die Reaktionen gingen rund um den Globus, siehe http://sites.bnn.nl/page/donorshow. Auf dieser Seite sind einige Pressereaktionen ver-
linkt.
50 Download unter http://www.jura.uni-passau.de/fileadmin/dateien/fakultaeten/jura/lehrstuehle/mueller-terpitz/Dateien/Medienrecht_in_
den_Niederlanden__Daniel_Sterenborg_.pdf. Zugriff am 02.02.2012.
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für BNN. Doch bedeutet diese hohe Aufmerksamkeit 2002 während des Wartens auf eine Spenderniere
für ein als skandalös markiertes und verhandeltes verstorben ist. Auch dieser Aspekt ist Teil der Selbst-
Fernsehformat auch eine entsprechend hohe Auf- referentialität der Sendung und steht daher eben-
merksamkeit für das Thema »Organspende«? Und falls am Beginn der Ausstrahlung. Dieser Selbstbe-
ist mit dieser Aufmerksamkeit für das Thema auch zug zwischen Skandalpotenzial und Glaubwürdigkeit
eine höhere Bereitschaft zur Organspende verbun- rahmt den Anlass und den weiteren Ablauf der
den? »Donorshow«. Im weiteren Verlauf werden die Spen-
Dieses Kapitel untersucht das Verhältnis zwischen derin sowie die Kandidatinnen und der Kandidat –
dem hohen Skandalisierungspotenzial des TV-For- ein Mann und zwei Frauen – vorgestellt und mit per-
mats, der televisuellen Situierung der Organspende- sönlichen Fragen durch die Spenderin konfrontiert.
problemaktik in der »Donorshow« selbst und den Die Zuschauerinnen und Zuschauer der Sendung sind
Auswirkungen auf die Organspendebereitschaft. aufgefordert, per Telefon ihre Vergabepriorität für
einen der Kandidaten zum Ausdruck zu bringen, wo-
bei die letzte Entscheidung bei der Spenderin selbst
Die Show beginnt mit der Begrüßung der Fernseh- liegen soll.
zuschauerinnen und -zuschauer durch Patrick Vor der Bekanntgabe der Entscheidung wird die
Lodiers und einem Zusammenschnitt aus kriti- Show jedoch unterbrochen: Die angebliche Spenderin
schen Fernsehnachrichten und kritischen politi- ist in Wirklichkeit die Schauspielerin Leonie Gebbink,
schen Kommentaren zur Donorshow. Der Zusam- eine Nierenvergabe ist daher nicht geplant. Doch die
menschnitt gibt einen Eindruck vom Skandali- drei Kandidaten stehen tatsächlich auf der Warteliste
sierungspotenzial des Formats, ist aber selbst für Spenderorgane.
Teil der Inszenierung und damit im höchsten Ziel der Sendung sei es gewesen, auf die man-
Maße selbstreferentiell. Das selbst erzeugte Erre- gelnde Organspendebereitschaft und deren politi-
gungspotenzial wird zum Framing der Ausstrah- sche Bedingungen aufmerksam zu machen. Dazu
lung selbst. (Beispiel 1: Selbstreferenz: 0:15– konnten Zuschauerinnen und Zuschauer nicht nur
1:00, 45 Sek.)51 für einen der Kandidaten stimmen, sondern per SMS
auf oder per Download von der BNN-Website Spender-
formulare anfordern.
Wie die einleitende Sequenz zeigt, gehört das hohe So wurden in den ersten Wochen nach der Sen-
Skandalisierungspotenzial elementar zu den Kon- dung 43.000 Formulare angefordert, von denen etwa
struktionsbedingungen der »Donorshow«, einem 30.000 letztlich unausgefüllt blieben. Bis Mitte Juli
Format der Firma Endemol (Big Brother). Dem gegen- 2007, also innerhalb von sechs Wochen nach der
über wird jedoch dadurch Glaubwürdigkeit erzielt, Show, gingen etwa 12.000 ausgefüllte Formulare
dass der Gründer des Senders BNN, Bart de Graaff, ein.52 Dies entspricht etwa 1% der Zuschauerinnen
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und Zuschauer (1,2 Millionen53). Die Zahl der Neuein- »Donorshow« in dieser Inszenierung immer wieder
tragungen lag bei 7300 und stieg dann in den folgen- geschickte Wechsel. Diese verschieben jeweils den
den acht Monaten bis zum 01.04.2008 noch um Fokus der Aufmerksamkeit und erreichen so für die
etwa 600 weitere Eintragungen an.54 Die anderen Glaubwürdigkeit der Show elementare Neuordnungen
Rückläufe betrafen Änderungen des bisherigen Sta- in den Bedeutungskonstruktionen. Ein erster Wech-
tus im niederländischen Spenderregister, fast immer sel erfolgt von der mit den Effekten der Skandalisie-
zugunsten einer Zustimmung. Im Verhältnis zu den rung und dem Bericht über Bart de Graaff als Dialyse-
Gesamteintragungen 2007 (etwa 140.000) zeigt patient aufgebauten Selbstreferenz, mit der sich die
sich damit ein zwar signifikanter, allerdings nur sehr »Donorshow« als relevante moralische und politi-
kurzfristiger Effekt.55 sche Instanz etabliert, hin zur Person der (angebli-
Dem Effekt der medialen Aufmerksamkeit und der chen) Spenderin und damit der konkreten Organ-
kurzfristigen Auswirkung auf die Eintragungen im spende. Auf diese Weise kann der Bedarf an Organen
niederländischen Donorregister stehen die auf das personalisiert werden: Welche möglichen Empfänge-
TV-Format abgestimmten televisuellen Konstruktio- rinnen bzw. Empfänger passen zum Organ, das die
nen gegenüber, die das Thema Organspende auf die Spenderin zur Verfügung stellen wird. Der Fokus auf
Bedingungen und Produktionsweisen des Reality-TV die Spenderin ist daher konstitutiv für die Legitima-
abstimmen und formieren. Der Bedarf an Spenderor- tion und die Verlaufsdramaturgie des Sendeformats.
ganen und das Leben mit der Dialyse werden dazu
von den tatsächlichen organisatorischen Abläufen
der Organspende getrennt. Zweifel an gerechten Aus- Die Einspielung eines Films über die Blumenver-
wahlkriterien, die ansonsten als Hindernisse der käuferin Lisa, die aufgrund eines Hirntumors nur
Organspendebereitschaft gelten, werden hier nicht noch ein halbes Jahr zu leben habe und in der
bearbeitet, sondern auf die konkrete Situation des verbleibenden Zeit noch etwas bewirken wolle,
Fernsehens hin personalisiert. Dies geschieht nicht endet mit einer Intervieweinstellung (im Hinter-
nur durch die vorgebliche »Spenderin« und ihre grund zwei rote Blumen). Im Anschluss daran
persönliche Auswahl, sondern auch, indem Organbe- betritt Lisa das Studio und geht über eine Treppe
darf und Organvergabe an die televisuelle Dramatur- zur Plattform hinunter. Das Publikum applaudiert
gie angepasst werden, in der sich das Fernsehen und erhebt sich nach und nach. (Beispiel 2: Auf-
mit den politischen sowie medialen Potenzialen des tritt Lisa: 8:15–9:00, 45 Sek.)
Reality-TV selbst inszeniert. Jedoch gelingen der
53 Die Niederlande hat aktuell 16.587.551 Einwohner (1,2 Millionen = 7,2%). Die Sendung gehörte nicht zu den 100 meistgesehenen Sen-
dungen des Jahres 2007. Vgl. http://www.kijkonderzoek.nl – für das Jahr 2007: Boer zocht vrouw (Platz 2 und 3: 2,7–2,9 Millionen –
31.12./01.01), Domino Day (Platz 5: 2,65 Millionen). Platz 100: Reunie Extra (1,3 Millionen). Alle Zahlen ohne Sport (Stichtig KijkOnder-
zoek, Kijkcijfers 2007, exkl. Sport): http://www.kijkonderzoek.nl/component/Itemid,45/option,com_kijkcijfers/file,n1-2-1-p). Die Mit-
teilung der dpa, exemplarisch in der Welt vom 02.06.2007: »Es war die zweitbeste Einschaltquote aller Zeiten in den Niederlanden.«
»Minister loben die Organspende-Show« (Quelle: dpa) ist unzutreffend.
54 12.277 Eingänge im Zusammenhang mit der »Donorshow« 2007, 12.678 bis zum 01.04.2008 (Quelle: Auskunft der Abteilung Donor-
register des »Ministerie van Volksgezondheit, Welzijn en Sport« vom 30.07.2009).
55 Es gab 2007 mit einer Zielgruppenansprache noch eine zweite Aktion des niederländischen Donorregisters, zudem wurde eine digitale
ID eingeführt, um die Registrierung zu erleichtern (Donorregister, Registraties naar keuze: http://www.donorregister.nl/organisatie/
cijfers/registraties/cijfersoverregistratie/default.aspx).
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Die Organvergabe wird in den Verantwortungsbe- es genügend Spenderinnen bzw. Spender. Der eigent-
reich einer Einzelperson gestellt, deren moralisches liche Skandal ist also nicht die Show. Die mangelnde
Recht sich aus der Kombination von Lebendspende Organspendebereitschaft, ebenso wie die Wartezeit
und tödlicher Erkrankung ableitet. Die als Blumen- der Betroffenen, wird zum Thema, indem den Men-
verkäuferin vorgestellte Spenderin – (rote) Blumen schen, die auf Organe warten, ein Gesicht gegeben
schenken Freude, obwohl sie welken! – muss als wird. Doch diese Auswahlhandlung, die vor allem
todkrank gekennzeichnet werden, damit das Kon- eine Abwahl ist, enthält genau das Skandalisierungs-
zept funktioniert.56 Ein Abwarten bis nach dem Tod potenzial, das die Sendung benötigt. Entsprechend
der Spenderin würde nicht zum Konzept einer Fern- sind die Ausschlusskriterien, die »Lisa« anwendet,
sehshow passen, denn die Show bekommt ihren vor allem Kriterien der Selbstverantwortung und des
Sinn durch die öffentliche Vergabe einer Lebend- persönlichen Engagements. Zunächst werden die
spende, zumal so auf die dadurch verbesserte und über 50-Jährigen und unter 18-Jährigen ausge-
verlängerte Nutzbarkeit des Organs aufmerksam schlossen, dann aber Raucherinnen und Raucher,
gemacht werden kann, was wiederum die Glaubwür- Arbeitslose und Menschen, die sich nicht freiwillig
digkeit der Fernsehintervention erhöht. Doch auch engagieren oder selber Spenderinnen bzw. Spender
diese persönliche Vergabe muss legitimiert werden: sind – oder die übergewichtig sind. Ihnen wird dazu
Die tödliche Erkrankung legitimiert die Auswahl, in der Inszenierung zweideutig das Licht ausge-
denn wer, wenn nicht eine Todkranke, hat das Recht knipst:
zu wählen, wählt sie doch für andere Kranke das
(Über-)Leben und gibt so dem eigenen Sterben einen
Sinn. Sie übernimmt noch im Sterben Verantwortung Die Auswahl findet in einer Lagerhalle statt, die
für das eigene Leben und für die Menschen auf der Kandidatinnen und Kandidaten werden lebens-
Warteliste, die zugleich stellvertretend für Bart de groß porträtiert und mit Stichworten zu Alter,
Graaff stehen (und umgekehrt). Sie tut dies in dieser Beruf und Eigenschaften versehen. Die Auswahl
öffentlichen Form gegen die offizielle – als ineffektiv geschieht nach Kriterien, die Lisa wählt. Vom Mo-
deklarierte – Politik. Denn warum sonst findet dieser derator aufgerufen wird jeweils der Spot auf das
Prozess, wenn er denn grundsätzlich möglich wäre, Porträt ausgeschaltet. (Einspielung Auswahl:
im Fernsehen statt? 16:00–19:00 [bzw. 18.00–19:00], ein Aus-
Daher wählt »Lisa« aus den 25 gemäß dem Mat- schnitt von 1 bis 3 Minuten)
ching ihrer Niere infrage kommenden Personen drei
für die Show aus, unter denen dann in der Livesen-
dung abermals ausgewählt werden soll. Diese Vor- »Nicht 22 abweisen, sondern drei glücklich
auswahl wird ausführlich inszeniert, denn sie trans- machen«, so formuliert es der Moderator Patrick
portiert unter anderem die Aussage, dass es die Lodiers.57 Tatsächlich ist es aber nur eine bzw. einer,
Show und diese Auswahl nicht geben müsste, gäbe die oder der die Niere bekommen kann. Weshalb also
56 Außerdem: Wäre eine Lebendspende so einfach möglich, müsste man am Ende fragen: Warum tut sie es nicht wirklich? Die Inszenierung
muss deshalb dafür sorgen, dass diese Frage nicht gestellt wird.
57 BNN-Chef Laurens Drillich: »Die Bewerber haben eine Chance von 33 %, eine Niere zu bekommen. Das ist wesentlich besser als bei Men-
schen auf der Warteliste.« Internet: http://www.n-tv.de/panorama/Kranke-kaempfen-um-Niere-article342528.html.
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drei? Im Prinzip könnte die Auswahl bis zum Schluss eigene Lebensführung zu. Indem mit der Abwahl
durchgeführt werden, jedoch ist für das Gesamtkon- Esther-Claires eine zusätzliche Dramatisierung ins-
zept eine Livesendung mit Zuschauerbeteiligung zeniert wird, wird zugleich ein Regulativ zwischen
erforderlich, und damit eine »Live-Auswahl«, die die Hilfebedarf und Selbstständigkeit eingeführt. Es geht
Zuschauerinnen und Zuschauer einbindet. Entspre- nun um diejenigen Personen, die zur Entfaltung ihres
chend dem TV-Format als Auswahlshow müssen drei Lebensverantwortungspotenzials die Unterstützung
Kandidatinnen bzw. Kandidaten übrig bleiben58, die der Spenderin brauchen und sie nicht bloß verdienen.
sich zudem nicht allzu sehr voneinander unterschei- Dieses Versprechen des Verdienstes kann unzweifel-
den dürfen. Alle sind schon durch das vorherige Ras- haft nicht erfüllt werden, denn es steht ja nur eine
ter als engagierte und verantwortliche Menschen Niere zur Verfügung – also zu wenig. Hätte sie vier
markiert. Sie verdienen es, für ihre Ehrlichkeit, ihren Nieren, würde sie drei spenden, sagt Lisa. Das For-
Lebensmut und vor allem ihren Lebenswillen »be- mat bildet damit eine reale Situation ab: Es stehen
lohnt« zu werden. Damit werden Selbstverantwor- nicht genug Organe zur Verfügung. Die Sendung wird
tung und altruistisches Verhalten in der Inszenierung daher nach Einblendung der Zuschauerabstimmung,
zusammengeführt und moralisch aufgeladen, um die für die beiden verbliebenen Kandidaten (ein
deutlich zu machen, dass diese Menschen es verdie- Mann, eine Frau) Gleichstand ergibt, an den Punkt
nen, ein Organ zu bekommen. Dazu müssen sie weit- der Entscheidung gebracht. Doch wo nun ein Emp-
gehend »normal« sein und doch profiliert, damit fänger bzw. eine Empfängerin nicht mehr abgewählt,
eine Identifikation mit den Kandidatinnen und Kan- sondern erwählt werden soll, bringt dies dramatur-
didaten erfolgen kann, die zugleich Präferenzen er- gisch zugleich eine Abwahl mit sich. Dies stellt je-
möglicht. Deshalb werden diese von der Spenderin doch ein Problem in der televisuellen Fokussierung
mit persönlichen Fragen konfrontiert, zum Beispiel dar, da ja einer der beiden Kandidaten – der Mann
danach, ob sie die Niere auch dann noch haben woll- oder die Frau – es zuletzt doch nicht geschafft ha-
ten, wenn Lisas Leben ohne Nierenspende um drei ben würde, die Niere zu bekommen. Im Rahmen der
Monate verlängert würde. Die persönliche Entschei- Inszenierung der »Donorshow« gäbe es dann einen
dung der Spenderin wird mit der Zuschauergunst – echten Verlierer, und zwar denjenigen oder diejenige,
»Wir leben in einer Demokratie« heißt es mehrdeutig der/die es dann nur »fast« geschafft haben würde.
– abgeglichen, wobei die Entscheidung bei der ein- Die Show wird daher im Moment der Entscheidung
zelnen Person »Lisa« verbleibt. Das Zuschauer- unterbrochen.
votum wird durch rote Männchen stilisiert.59
Die Dramaturgie erfordert zunächst den Aus-
schluss einer weiteren Person. Es ist Esther-Claire,
die anfänglich in der Zuschauergunst vorne lag. Ihr
spricht die Spenderin die meiste Kompetenz für die
58 Nicht vier und nicht zwei. Bei zwei Kandidatinnen/Kandidaten verteilen sich die Sympathiewerte zu schnell und möglicherweise zu ein-
deutig, bei vier Kandidatinnen/Kandidaten wird das Verfahren zu komplex.
59 Die Farbgebungen in der Sendung sind jeweils mit Zuordnungen verbunden: Lisa sitzt in einem roten Sessel, die Kandidatinnen/Kandida-
ten in (klinisch) weißen, Lisa wird zudem durch rote Blumen markiert. Das Rot kann für das gefährdete Leben stehen, Weiß für die klini-
sche Situation, Grün (die Farbe der SMS-Einblendungen) für das operative Potenzial.
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lenkt.63 »Every gamedoc has a specific myth about weils auf die televisuellen Akteurinnen und Akteure
how it represents the social world«, schreibt Nick und wird so zu einem »Verhandlungsagenten.«65
Couldry64. Die »Donorshow« hat nur den einen Ver- Die Zuschreibung von Verantwortung in Bezug auf
such, diesen Mythos zu schaffen, und zugleich die die Organspende und die Aufmerksamkeit auf die
Relation und Relevanz in Bezug auf die soziale Wirk- Problematik fehlender Organe als Aufgabe des Fern-
lichkeit herzustellen. sehens passen sich gut in dieses Konzept ein. Das
Im Reality-TV werden soziale Räume und soziale Fernsehen kann so seine gesellschaftliche Verant-
Prozesse medial markiert, um das Leben der »ande- wortung und politische Macht demonstrieren, es wird
ren«, in diesem Fall der Menschen auf einer Warte- zur produktiven Interessenvertretung eines Sorgens
liste für Organe, in ein Verhältnis von Sichtbarkeit um und Sorgens für das Leben. Auch die Konzeption
und Sagbarkeit zu setzen. Die Integration der Zu- als Hoax ist für diese Praxis ausgesprochen produk-
schauerinnen und Zuschauer geschieht im Fall der tiv, BNN tut etwas, indem es so tut als ob. Wie ge-
»Donorshow« über die Handlungsoptionen der Ab- zeigt, sind dafür spezielle Fokussierungen und Ins-
stimmung und die Option Formulardownloads – ein zenierungen erforderlich, damit das Spiel mit der
Effekt, der jedoch an die Sendung und deren televi- Realität als legitime Aufmerksamkeitsgenerierung
suelle Konstruktion gebunden ist. konstruiert werden kann.
Medien stellen Relationen her und konstruieren in Doch die televisuellen Konstruktionen sind mehr-
ihrer Materialität und in ihrem Gebrauch Bedeutun- deutig. Die im Fernsehen mit den Auswahlverfahren
gen. Die »Donorshow« geht dabei sehr geschickt vor. etablierte Konkurrenzsituation suggeriert zugleich
Sie stellt den Einzelnen in den Mittelpunkt, was einen eine Konkurrenzsituation in der Organvergabe und
zeitgemäßen Zugang vor allem zur Publikumsstruk- einen »heilsamen« Wettbewerb66 der Einzelnen um
tur von BNN darstellt. Sie kalkuliert mit der Skanda- das Weiterleben. In diesen Konflikt werden die Zu-
lisierung und integriert diese in das Konzept der schauerinnen und Zuschauer involviert. Eine Span-
Sendung. Sie stimmt alle Parameter auf diese Fern- nung, die letztlich nur affektiv aufgelöst werden
sehrealität ab, um sich selbst zu inszenieren und kann: erstaunlicherweise, indem die Nichtlösung als
sich doch als Akteurin zugleich unsichtbar machen Lösung akzeptiert wird, da dies das Mittel ist, um
zu können, sodass die Konstruktionsbedingungen politisch eine Lösung fordern zu können, nämlich die
der »Donorshow« für die Zuschauerinnen und Zu- Registrierung jedes Niederländers bzw. jeder Nieder-
schauer hinter dem Fernseherleben verschwinden. länderin als »Donor.« Die demonstrative Emotiona-
Das Fernsehen ist an selbst gewählten Stellen lität des Saalpublikums bleibt den Zuschauerinnen
selbstreferentiell, verschiebt diesen Aspekt aber je- und Zuschauern zu Hause verwehrt. Diesem werden
63 Was sich möglicherweise in den kurzfristigen Effekten auf die Spendenbereitschaft niederschlägt; qualitative Studien zu den Effekten
der »Donorshow« sind mir nicht bekannt.
64 Couldry, N. (2009): Teaching Us to Fake It: The Ritualized Norms of Televisions’s »Reality« Games. In: Murray, S., Ouellette, L. (2009):
Reality TV: Remaking Television Culture, New York, pp. 82–99.
65 Vgl. Foucault, M. (1975): Pouvoir et corps. In: Quel corps? No. 2, sept./oct. 1975, p. 5, Gespräch Juni 1975.
66 Gilles Deleuze spricht von einer »unternehmensförmigen Kontrollgesellschaft«, die eine »unhintergehbare Rivalität als heilsamen Wett-
eifer und ausgezeichnete Motivation, die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst
spaltet«, produziert (Deleuze, G.: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Ders. (1993): Unterhandlungen 1972–1990. Frank-
furt am Main, S. 254–262).
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stattdessen technische Mittel zur Verfügung gestellt: führt zu (geringen) zusätzlichen Eintragungen in
die televisuelle Inszenierung der Kameraperspektive das niederländische Donorregister, stellt aber letzt-
und der Einspielfilme sowie die Möglichkeit der lich nicht das Fernsehen in den Dienst der Organ-
Aktion durch Abstimmung per SMS oder Download spendebereitschaft, sondern umgekehrt die Proble-
des Donorformulars. matik fehlender Organspendebereitschaft in den
Dass der Effekt nur kurzfristig ist, überrascht da- Dienst des Fernsehens. Qualifizierende Wertungen
her nicht.67 Ist allein der kurzfristige Effekt willkom- können bei Bedarf je auf diesen Aspekt der Aufmerk-
men, auch zum Preis der Destabilisierung des Wis- samkeit heruntergeschraubt werden (»Wir wollten
sens über Vergabepraktiken, auch zum Preis einer nur ...«). Gerade in Bezug auf die Darstellung des
moralischen Aufladung durch die Dramatisierung Bedarfs und der Vergabepraxis gehen nicht nur rele-
selbstverantwortlicher Lebensführung, die in Verbin- vante Informationen verloren, sondern die Vergabe
dung mit dem Verdienstcharakter der Auswahl ein von Spenderorganen wird auf fragwürdige Weise per-
neoliberales Politikkonzept konstruiert? Wenn ja, sonalisiert.
könnte das provokative Format genutzt werden, um
damit eine hohe Zahl interessierter Zuschauerinnen
und Zuschauer zu adressieren, sodass der Anteil
möglicher Spenderinnen und Spender in dieser
Gruppe aktualisiert werden kann. Es könnte zudem
dazu genutzt werden, um politische Machteffekte für
die Konstruktion selbstverantwortlicher Bürgerinnen
und Bürger produktiv nutzbar zu machen.
Problematisch sind dagegen nicht nur die Markie-
rungen des Verdienstvollen und der vorgegebenen
Sinnzuschreibungen in den Lebens- und Todesdeu-
tungen. Im Mittelpunkt der »Donorshow« steht das
Fernsehen selbst, zumal mit der Figur Bart de Graaff.
Die »Donorshow« ist gelungenes Fernsehen. Folge-
richtig erhielt das Format 2008 einen Emmy-Award
in der Kategorie non-scripted Entertainment und
eine Auszeichnung als TV-Moment des Jahres.68 Die
Anpassung des Problemfelds Organspende an die
televisuellen Produktions- und Konstruktionsweisen
67 Langfristige Einstellungsänderungen lassen sich über Medien nicht bewerkstelligen, vor allem nicht über Stimulus-Response-Modelle.
Dagegen bringen sich Medien und Medienwirklichkeiten gegenseitig hervor, was für Messverfahren von Medienwirkungsanalysen ein
Problem darstellt. Zur Nutzung fiktionaler Fernsehunterhaltung im Kontext der Organspendethematik vgl. den Beitrag von Claudia Lam-
pert in diesem Fachheft, außerdem: Morgan, S. E., Movius, L., Cody, M. J.: The Power of Narratives: The Effect of Entertainment Television
Organ Donation Storylines on the Attitudes, Knowledge, and Behaviors of Donors and Nondonors. In: Journal of Communication 59, 2009,
pp. 131–151.
68 Bei der Vergabe waren die Beteiligten anwesend. Patrick Lodiers widmete den Emmy den Menschen auf der Warteliste (Clip auf http://
sites.bnn.nl/page/donorshow; Zugriff am 02.02.2012).
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Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä- spende in Deutschland« neue Wege in der Gesund-
rung (BZgA) bereitet neue Wege der Gesundheits- heitskommunikation. Basierend auf der Analyse der
kommunikation zur Steigerung der postmortalen Indikatoren der Organ- und Gewebespendebereit-
Organspende in Deutschland vor. Der neue Ansatz schaft wurden verschiedene Kommunikationswege
»ORGANPATEN werden« fokussiert auf die Über- erörtert. Dabei war eine zentrale Frage, ob die Ver-
nahme von Verantwortung für andere: Organpaten mittlung von Informationen zur Organ- und Gewebe-
übernehmen Verantwortung, wenn sie sich für eine spende nur durch informierende Angebote möglich
Organspende nach dem eigenen Tod entscheiden ist, oder ob dies auch zum Beispiel durch fiktionale
und/oder setzen sich für das Thema Organspende Unterhaltungsangebote geleistet werden kann (vgl.
ein. Mit dieser neuen Kampagne sollen folgende Ziele das Kapitel von Daniela Watzke in diesem Fachheft,
erreicht werden: S. 6). In diesem Kontext sollen im Folgenden Anmer-
1. Die Auseinadersetzung mit dem Thema Organ- kungen aus medizinethischer Perspektive gemacht
spende soll zu einem alltäglichen Bestandteil des werden.
Lebens werden.
2. Die Menschen sollen motiviert werden, mit ihren
Familienmitgliedern über ihre Entscheidung für
oder gegen die eigene Organspende nach ihrem
Tod zu sprechen. Neutralität
3. Organspendeausweise sollen für die Bevölkerung
kontinuierlich verfügbar sein. Die Kampagne
»ORGANPATEN werden« setzt massenmediale Ele- Eine normative Neutralität kann es in der Kom-
mente (Hörfunkspots, ergänzende Internetseite munikation zur Steigerung der postmortalen Organ-
www.organpaten.de, Plakatserien) und Aktionen spende nicht geben. Bereits das Ziel der Steigerung
im öffentlichen Raum ein (vgl. das Kapitel von von Organspenden und Bezeichnungen wie »Diskre-
Johanna Merkel in diesem Fachheft, S. 68). panz zwischen Organaufkommen und Organbedarf«
oder »Organmangel« setzen eine normative Set-
In diesem Kontext diskutierten Ärztinnen und zung voraus (vgl. das Kapitel von Silke Schicktanz
Ärzte sowie Expertinnen und Experten aus den Berei- und Sabine Wöhlke in diesem Fachheft, S. 23). Dies
chen Gesundheitswissenschaft, Medizinpsychologie, beinhaltet das ethische Erfordernis, mehr Spender-
Medizinethik, Gesellschaftswissenschaft, Medien organe für die Transplantationsmedizin zu gewinnen.
und Kommunikation auf einer interdisziplinären Ex- Weitere ethische Vorentscheidungen sind in der
pertentagung »Aufklärung zur Organ- und Gewebe- Transplantationsmedizin, zum Beispiel bei der Fest-
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In der Vergangenheit wurden daher auf internatio- existenzieller und ernsthafter Sachverhalt wie die
naler Ebene verschiedene Anstrengungen unternom- Organspende zu anderen Zwecken instrumentalisiert
men, um dem Thema Organspende mehr öffentliche und seinem Wesen nach unangemessen behandelt
Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Eines der wird, besteht die Gefahr, dass sich Zuschauerinnen
bekanntesten Beispiele stellt »De grote Donorshow« und Zuschauer nach einem kurzfristigen spektaku-
der niederländischen Rundfunkgesellschaft BNN im lären Medieneffekt mit Abscheu abwenden. Danach
Juli 2007 dar (vgl. das Kapitel von Uwe Wippich in fühlen sich Bürgerinnen und Bürger gerade nicht
diesem Fachheft, S. 100). In dieser spektakulären motiviert, sich mit dem Thema Organspende nach-
Fernsehsendung sollte eine »todkranke Patientin«, haltig zu beschäftigen, was für eine selbstbestimm-
die nach ihrem bevorstehenden Tod Organe spenden te Entscheidung zur Organspende unabdingbar ist.
wollte, einen Empfänger aus drei im Studio warten- Leider sind dem Autor keine Studien bekannt, die
den Patienten (ein Mann, zwei Frauen) auswählen. nachhaltige Auswirkungen spektakulärer Mediener-
Erst am Ende der Sendung wurde den Zuschauerin- eignisse bezüglich der Organspenderzahlen untersu-
nen und Zuschauern bekannt gegeben, dass es sich chen. Fest steht, dass die Länder mit hohen Zahlen
bei der angeblich todkranken Organspenderin um von Organspenderinnen und -spendern, wie zum Bei-
eine Schauspielerin handelte und die gesamte Situa- spiel Spanien oder österreich, dieses Ergebnis nicht
tion öffentlichkeitswirksam inszeniert sei, um dem durch spektakuläre Medienaktionen erzielt haben.
Thema Organspende größere öffentliche Aufmerk- Eine Medienaufmerksamkeit um jeden Preis muss
samkeit zukommen zu lassen. daher wohl aus empirischen wie auch aus ethischen
Nach medienwissenschaftlichen Angaben haben Gründen abgelehnt werden.
circa 1,2 Millionen Niederländer (circa 10 % der Bevöl-
kerung) die Fernsehshow gesehen. Hiervon füllten
circa 12.000 Zuschauerinnen und Zuschauer in den
Wochen nach der Ausstrahlung der Fernsehshow
einen Organspendeausweis aus, wovon 8000 neue Gesetzliche Widerspruchs-
Organspenderinnen bzw. -spender gewesen seien
versus Zustimmungsregelung
(vgl. das Kapitel von Uwe Wippich in diesem Fach-
heft, S. 100).
In persönlichen Berichten aus den Niederlanden
steht der kurzfristigen medialen Aufmerksamkeits- Nachdem in Deutschland seit Beginn der Trans-
steigerung eine fragwürdige nachhaltige Wirkung plantationsmedizin die persönliche oder durch Ange-
gegenüber. Viele niederländische Fernsehzuschaue- hörige im Sinne des Verstorbenen kommunizierte
rinnen und -zuschauer gewannen den Eindruck, dass Zustimmung die rechtliche Voraussetzung für eine
in Wirklichkeit das ernste Thema Organspende zur postmortale Organspende ist (erweitere Zustim-
Gestaltung einer spektakulären, emotionalisierten mungsregelung), mehren sich in letzter Zeit die For-
Unterhaltungssendung missbraucht wurde und derungen nach einer Gesetzesänderung zugunsten
nicht, wie vom Fernsehsender argumentiert, die der Widerspruchsregelung (zum Beispiel Nationaler
Unterhaltungssendung der Förderung des Themas Ethikrat, Deutscher Ärztetag etc.). Hiernach soll jeder
Organspende in der öffentlichen Wahrnehmung Bürger und jede Bürgerin grundsätzlich für eine post-
diente. Wenn jedoch ein die Menschen berührender, mortale Organentnahme zur Verfügung stehen, es
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sei denn, er bzw. sie hat dieser ausdrücklich wider- lichen Verbesserungsnotwendigkeit bei der Meldung
sprochen, wobei der Widerspruch in einem neu ein- von potenziellen Organspenderinnen und -spendern
zurichtenden zentralen Register dokumentiert wer- in deutschen Krankenhäusern abzulenken. Hier be-
den soll. steht nach Einschätzung der Deutschen Stiftung
Als Argument für diese Regelung wird die oben Organspende (DSO) erheblicher Handlungsbedarf,
genannte Diskrepanz zwischen grundsätzlicher durch den eine größere Steigerung der Organspende
Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung zu erwarten sei als durch eine Gesetzesänderung
und der geringen Anzahl der durch Organspende- zugunsten der Widerspruchsregelung. Internationale
ausweis dokumentierten Organspenderinnen bzw. Erfahrungen, zum Beispiel in Spanien, bestätigen,
-spender angeführt. Dabei wird jedoch der ethisch dass durch Organisationsverbesserungen in Kran-
relevante Unterschied zwischen einer allgemeinen kenhäusern bzw. im Gesundheitswesen die Organ-
Einstellungsäußerung und einer konkreten Ent- spendenzahlen nachhaltig erhöht werden können.
scheidung mit anschließender Handlung übersehen. Hierdurch könnte auch der mit einer Gesetzesnovelle
Äußerungen zur grundsätzlichen persönlichen Ein- zu erwartende Zeit- und Kostenaufwand vermieden
stellung werden durch die Art der Fragestellung, die werden. Die Transplantationsmedizin als Teil der
soziale Erwünschtheit der Antwort etc. beeinflusst modernen Medizin muss aktiv um Zustimmung in
und können daher nicht mit einer realen Entschei- der Gesellschaft werben, anstatt auf bevormun-
dung und Handlung gleichgesetzt werden. Um empi- dende staatliche Regelungen zu setzen. Dass dieser
risch für eine Gesetzesnovelle im Sinne der Wider- Weg langsam, aber erfolgreich sein kann, wird durch
spruchsregelung argumentieren zu können, müsste die deutlich gestiegene Zahl von Bürgerinnen und
gezeigt werden, dass die Bevölkerung mehrheitlich Bürgern mit einem Organspendeausweis belegt.
wünscht, sich nicht aktiv für eine postmortale Organ- Nach einer repräsentativen Studie der BZgA stieg ihr
spende entscheiden zu wollen, sondern dass diese Anteil in den vergangenen zwei Jahren von 17 auf
ohne persönliche Zustimmung per Gesetz zur neuen 25% (vgl. das Kapitel von Daniela Watzke in diesem
gesellschaftlichen Regel werden soll. Fachheft, S. 6).
Weiterhin wird häufig auf die hohen Spenderzah-
len in Spanien, österreich und anderen Ländern hin-
gewiesen, wo eine gesetzliche Widerspruchsrege-
lung gilt. Dabei ist eine Kausalität zwischen hohen
Organspendezahlen und gesetzlicher Widerspruchs- Solidarität
regelung nicht belegt. Dagegen zeigt das Beispiel
Spanien, dass die Organisation der Organspende mit
Transplantationskoordinatorinnen und -koordina- Die aktuelle Forderung nach einer gesetzlichen
toren in allen hierfür infrage kommenden Kranken- Widerspruchsregelung in Deutschland kann als
häusern ein in der Praxis wesentlich bedeutender Wunsch nach mehr Solidarität und aktiver Partizipa-
Faktor für die höheren Organspendezahlen darstellt. tion interpretiert werden. Wer die Errungenschaft
Aus medizinethischer Sicht muss deshalb davor der modernen Transplantationsmedizin als Patient
gewarnt werden, mit der öffentlichkeitswirksamen bzw. Patientin (Organempfänger/-empfängerin) in
Forderung nach einer gesetzlichen Änderung zu- Anspruch nehmen möchte, muss sich konsequenter-
gunsten der Widerspruchsregelung von der wesent- weise darüber im Klaren sein, dass dieser medizini-
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112 TAGUNGSBEITRÄGE
sche Fortschritt nur bei gleichzeitiger Solidarität der Üblichkeit in einer aufgeklärten Gesellschaft mit
Bürgerinnen und Bürger als potenzielle Organspen- modernen medizinischen Behandlungsmöglichkei-
derinnen und -spender möglich ist. Hinzu tritt die ten geworben werden. Am Ende dieses Informations-
steigende Zahl von Lebendorganspenden, besonders und Entscheidungsprozesses soll die persönliche
im Bereich der Nieren- und Lebersegmentspenden, Entscheidung für die postmortale Organspende ste-
die neben medizinischen Vorteilen auch schwerwie- hen, zu der dann auch die Themenbereiche »eigene
gende neue ethische Probleme aufwerfen, auf die an Sterblichkeit« und »Tod« gehören.
dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Diese Kommunikationsstrategie beim Thema
Die geringe Wahrscheinlichkeit der persönlichen Organspende wird im neuen gesundheitskommuni-
Betroffenheit, die fehlenden persönlichen Vorteile kativen Ansatz »ORGANPATEN werden« der BZgA
und die psychologisch schwierige Beschäftigung mit umgesetzt. Der neue Zugang betont mit dem Paten-
Sterben und Tod stellen verständliche und wirkmäch- schaftsgedanken die freiwillige Übernahme von Ver-
tige Faktoren dar, die häufig zum Nichtausfüllen antwortung durch die Bürgerinnen und Bürger und
eines Organspendeausweises führen. Der erstge- fordert sie zur persönlichen wie familiären Auseinan-
nannte Faktor stellt eine unveränderliche Tatsache dersetzung mit dem Thema sowie zum konsequen-
dar. Die fehlende Wahrnehmung von persönlichen ten Handeln auf. Dieses Konzept ist eine ethisch
Vorteilen durch eine Bereitschaft zur Organspende angemessene neue gesundheitskommunikative
kann aber durch die Überlegung relativiert werden, Strategie zur Erhöhung der Organspenderinnen und
dass ohne Organspenderinnen und -spender auch -spender. Das Werben um Patenschaft, Partizipation
keine Transplantationsmedizin möglich ist. Zur Er- und Solidarität steht allerdings im Widerspruch zu
möglichung dieses medizinischen Fortschritts ist ein einer neuen gesetzlichen Regelung der Widerspruchs-
solidarisches Verhalten vieler potenzieller Organ- lösung, denn eine aktive Partizipation kann nur
spenderinnen und -spender (die meisten werden es durch selbstbestimmte Zustimmung und Handlung
aus dem erstgenannten Grund gar nicht werden) der Bürgerinnen und Bürger gefördert und nachhaltig
erforderlich. Dies ist einerseits notwendig, damit im gewonnen werden.
eigenen Erkrankungsfall ein Spenderorgan zur Trans-
plantation zur Verfügung steht. Andererseits kann
die so verstandene persönliche Entscheidung zur
Organspendebereitschaft als solidarisches Verhalten
in einer Bürgergesellschaft, die Hightech-Medizin Medizinische Handlungs-
ermöglichen will, verstanden werden.
praxis am Lebensende
So gesehen steht am Beginn der individuellen Aus-
einandersetzung zunächst nicht die unwahrschein-
liche und erst nach dem eigenen Tod stattfindende
Organspende sowie die psychologische Konfronta- Abschließend soll in Form eines Ausblicks auf ein
tion mit Sterben und Tod im Vordergrund, sondern zukünftiges Problemfeld der postmortalen Organ-
das verantwortliche und solidarische Verhalten der spende hingewiesen werden. Nach der gesetzlichen
Bürgerinnen und Bürger in der Zivilgesellschaft. Regelung in Deutschland sowie in vielen anderen
Dabei soll um solidarisches Verhalten, um Verantwor- Ländern ist die Feststellung des Ganzhirntodkriteri-
tungsübernahme und letztlich um eine neue soziale ums Voraussetzung für jede postmortale Organent-
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nahme. In den letzten Jahren hat die medizinische ethischer Sicht muss weiterhin kritisch der gesund-
Behandlung am Lebensende in Deutschland und heitsökonomische Aufwand einer intensivmedizini-
anderen westlichen Ländern jedoch nachhaltige Ver- schen Behandlung bis zum Erreichen des Ganzhirn-
änderungen erfahren. Durch neue Erkenntnisse der todkriteriums kritisch hinterfragt werden, der durch
Palliativmedizin sowie aufgrund von Patientenpräfe- die Einführung eines zweiten akzeptierten Todes-
renzen, die durch gesetzliche Regelungen von kriteriums in der Transplantationsmedizin verhin-
Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten, Betreu- dert werden könnte. Diese ethischen Überlegungen
ungsverfügungen und Rechtsprechung eine größere machen es meines Erachtens erforderlich, über eine
Praxisbedeutung erfahren haben, werden bei einer Erweiterung des Ganzhirntodkriteriums um ein Herz-
wachsenden Zahl von Patientinnen und Patienten am Kreislauf-Tod-Kriterium als Voraussetzung für die
Lebensende medizinische Therapien nicht mehr Organentnahme in der Transplantationsmedizin zu
begonnen oder häufiger abgebrochen. Diese Thera- diskutieren.
piebegrenzung mit medizinischer Indikation und auf Zusammenfassend zeigen diese Überlegen kon-
der Grundlage des selbstbestimmten Patientenwil- krete ethische Aspekte der Gesundheitskommuni-
lens ist sowohl ethisch als auch rechtlich geboten, kation über die postmortale Organspende auf. Weiter-
wie die aktuelle Rechtsprechung des Bundesge- hin verdeutlichen sie, dass ethische Aspekte der
richtshofes noch einmal verdeutlicht hat. Bei dieser Gesundheitskommunikation eng mit anderen ethi-
veränderten medizinischen Behandlungspraxis am schen Problemfeldern der Transplantationsmedizin
Lebensende ist zu erwarten, dass zahlreiche Patien- zusammenhängen und nicht isoliert, sondern nur
tinnen und Patienten am Lebensende nicht mehr in der komplexen Zusammenschau beantwortet
intensivmedizinisch behandelt werden oder die in- werden können.
tensivmedizinische Behandlung abgebrochen wird,
bevor diese das Stadium des Ganzhirntods erreicht
haben. Da das Ganzhirntodkriterium jedoch unab-
dingbare Voraussetzung für die Organspende ist,
kommen diese Patientinnen und Patienten als Organ- Literatur
spenderinnen und -spender in der Praxis nicht in-
frage. Angesichts dieser Entwicklung wird auch ein
Sinken der hohen Organspenderzahlen in Spanien Rodriguez-Arias, D., Wright, L., Paredes, D. (2010):
erwartet (Rodriguez-Arias et al. 2010). Success factors and ethical challenge of the Spa-
Hieraus ergibt sich einerseits ein für die Transplan- nish Model of organ donation. The Lancet, Volume
tationsmedizin nicht gewünschter Rückgang der Zahl 376, Issue 9746, 25 September 2010, pp. 1109–
von Organspenderinnen und -spendern. Weiterhin 1112.
entsteht das ethische Problem, dass Patientinnen
und Patienten, die aufgrund ihrer persönlichen ge-
sundheitlichen Situation keine Verlängerung der
intensivmedizinischen Maßnahmen am Leben wün-
schen, gleichzeitig aber ihre Organe spenden möch-
ten, dies aufgrund des gesetzlich geforderten Ganz-
hirntodkriteriums nicht tun können. Aus allokations-
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114 TAGUNGSBEITRÄGE
Das Ziel der Kommunikation zur Organ- und Gewe- einen Einfluss auf die Entscheidung zur Organ- und
bespende ist es, den Menschen eine Auseinanderset- Gewebespende hat, aber nicht der alleinig ausschlag-
zung mit der Thematik zu ermöglichen und sie dazu gebende Faktor ist, der Menschen dazu bewegt, eine
zu befähigen, eine persönliche Entscheidung für oder positive Einstellung zur Organ- und Gewebespende in
gegen eine potenzielle Organ- und Gewebespende gleichgerichtetes Handeln (Ausfüllen eines Organ-
treffen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es spendeausweises, Mitteilung der Entscheidung an
zunächst notwendig, Aufmerksamkeit für die Organ- die Angehörigen) umzusetzen.
und Gewebespende zu schaffen und die Relevanz Diffuse Ängste, dass nicht mehr alles medizinisch
des Themas für jeden Einzelnen zu verdeutlichen: Machbare beim Vorliegen einer Zustimmung zur
Das Treffen einer Entscheidung zur Organ- und Gewe- Organ- und Gewebespende im Organspendeausweis
bespende sichert den persönlichen Willen eines getan wird, die Furcht vor Organhandel oder die nicht
jeden Menschen und sorgt dafür, dass Angehörige vorhandene Bereitschaft, sich mit dem eigenen Tod
nicht in der emotional sehr belastenden Situation zu beschäftigen, führen dazu, dass der Auseinander-
der Hirntodfeststellung zusätzlich mit der schweren setzungsprozess abgebrochen wird. Die Entschei-
Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewe- dung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende
bespende konfrontiert werden. wird damit sowohl durch kognitive als auch durch
Ein geeigneter Zugang zum Thema Organ- und emotionale Faktoren beeinflusst.
Gewebespende kann grundsätzlich durch die Kombi- Die Kommunikation zur Organ- und Gewebespende
nation aus sachlichen und umfassenden Informatio- sollte verstärkt diejenigen Faktoren aufgreifen, die
nen sowie eine emotionale Ansprache – zum Beispiel die Menschen dazu veranlassen, das Thema zu mei-
über die Lebensgeschichten transplantierter Men- den. In diesem Kontext kommt der Wortwahl in der
schen und von Menschen, die einen Angehörigen zur Aufklärungsarbeit eine wesentliche Bedeutung zu:
Spende freigegeben haben – geschaffen werden. Termini, die den Tod in den Vordergrund stellen, die
Die Bereitstellung zielgruppenspezifischer Infor- eine negative Konnotation mit dem Thema Organ-
mationen erfordert eine Analyse des vorhandenen und Gewebespende bewirken und damit einen Ab-
Wissensstands der Allgemeinbevölkerung. Die Unter- bruch des Auseinandersetzungsprozesses auslösen,
suchungsergebnisse der BZgA-Wissensstandserhe- sollten gemieden werden und durch neutrale Begriffe
bung belegen, dass der Faktor Wissen sehr wohl ersetzt werden. Der Begriff »ORGANPATE/ORGANPA-
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TIN« erfüllt diese Vorgabe, indem er die Leserschaft eine Entscheidung für oder gegen eine Organ- und
stutzig macht, und somit einen grundsätzlichen Gewebespende steht.
Zugang zum Thema schafft. Der Begriff Pate/Patin Unterhaltungsformate, die die Notlage von Warte-
bewirkt positive Assoziationen in der Hörerschaft, listenpatientinnen und -patienten ausnutzen, um
indem er die Bedeutung des Patenbegriffs im christ- hohe Einschaltquoten für den Sender zu generieren,
lichen Kontext »Patenschaft = freiwillige Übernahme sind ethisch nicht vertretbar. Das Einhalten ethi-
von Verantwortung gegenüber anderen« in den Vor- scher Prinzipien ist in der Aufklärungsarbeit zur Or-
dergrund stellt. gan- und Gewebespende unerlässlich, wenn es um
Um die Zielgruppen in ihren Lebenswelten zu errei- langfristige Einstellungsänderungen in der Bevölke-
chen, ist es notwendig, die altersspezifischen Kom- rung geht. Mit dem heutigen Kenntnisstand ist eine
munikationskanäle zu ermitteln. Neben den »klassi- Kombination aus einem gemäßigten emotionalen
schen« Kommunikationskanälen wie Print und Zugang zur Thematik sowie der Bereitstellung sachli-
Fernsehen kommt dem Web 2.0 bzw. dem Social- cher Informationen unter Einbeziehung der zielgrup-
Media-Bereich gerade für die Alterklassen der penspezifischen Kommunikationswege durchaus
Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine große geeignet, um die Menschen zu einer persönlichen
Bedeutung zu. Um eine optimale Reichweite, Durch- Entscheidung zu motivieren.
setzungskraft und Akzeptanz der Informationen zur
Organ- und Gewebespende zu gewährleisten, sollten
alle zuvor genannten Kommunikationskanäle paral-
lel nach den jeweiligen Erfordernissen der Zielgrup-
pen bedient werden.
Grundsätzlich sind auch Unterhaltungsformate
wie Soaps geeignet, um einen Zugang zur Thematik
zu schaffen. Fiktionale Formate bergen allerdings
auch die Gefahr, dass Sachverhalte aus dramaturgi-
schen Gründen unvollständig oder sogar falsch wie-
dergegeben werden und damit dazu beitragen, die-
ses fehlerhafte Wissen zu festigen. Deshalb ist es
grundsätzlich sinnvoll, ein Angebot an grundlegen-
den Serviceangeboten/Informationen für Produzen-
tinnen und Produzenten bereitzustellen, aus denen
sie sich für ihre kreativen Ideen bedienen können.
Von einer kurzzeitigen Aufmerksamkeitssteige-
rung für das Thema Organ- und Gewebespende durch
einzelne Projekte in den Medien ist abzusehen. For-
mate wie »De grote Donorshow« führen zwar zeit-
weise zu einer Aufmerksamkeitssteigerung für das
Thema, tragen aber weder zu einer sachlichen Infor-
mationsvermittlung noch zu einer langfristigen per-
sönlichen Auseinandersetzung bei, an deren Ende
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Anhang
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55
Teilnehmerinnen und Teilneh- 45147 Essen
mer des Expertenworkshops
Claudia Lampert
Dr.
Hans-Bredow-Institut
Ulrike Beilmann Dependance
Bundesministerium für Gesundheit Warburgstraße 8–10
Spezielles Medizinrecht, Referat 312 20354 Hamburg
Rochusstr. 1
53123 Bonn Susanne Linden
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Birgit Blome (BZgA)
Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Ostmerheimer Str. 220
Deutschherrnufer 52 51109 Köln
60594 Frankfurt am Main
Johanna Merkel
Svenja Dubben Dr. med., Ärztin,
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Referentin im Schwerpunkt Organspende
Ostmerheimer Str. 220 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
51109 Köln Ostmerheimer Str. 220
51109 Köln
Matthias Heuer
PD Dr. med. Elisabeth Pott
Universitätsklinikum Essen, Klinik für Allgemein-, Prof. Dr. med.
Viszeral- und Transplantationschirurgie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
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ANHANG 117
Band 1: Standardisierung von Fragestellungen zum Rauchen – Ein Beitrag zur Qualitätssicherung in der Prä-
ventionsforschung. Von Klaus Riemann und Uwe Gerber im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60600000
Band 2: Geschlechtsbezogene Suchtprävention – Praxisansätze, Theorieentwicklung, Definitionen. Abschluss-
bericht eines Forschungsprojekts. Von Peter Franzkowiak, Cornelia Helfferich und Eva Weise im Auf-
trag der BZgA. Bestellnr.: 60602000
Band 3: Gesundheit von Kindern – Epidemiologische Grundlagen. Eine Expertentagung der BZgA.
Bestellnr.: 60603000
Band 4: Prävention durch Angst? – Stand der Furchtappellforschung. Eine Expertise von Jürgen Barth und
Jürgen Bengel im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60604000
Band 5: Prävention des Ecstasykonsums – Empirische Forschungsergebnisse und Leitlinien. Dokumentation
eines Statusseminars der BZgA vom 15. bis 17. September 1997 in Bad Honnef. Bestellnr.: 60605000
Band 6: Was erhält Menschen gesund? – Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und
Stellenwert. Eine Expertise von Jürgen Bengel, Regine Strittmatter und Hildegard Willmann im Auf-
trag der BZgA. Bestellnr.: 60606000
Band 7: Starke Kinder brauchen starke Eltern – Familienbezogene Suchtprävention – Konzepte und Praxis-
beispiele. Bestellnr.: 60607000
Band 8: Evaluation – ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Gesundheitsförderung – Eine Expertise.
Von Gerhard Christiansen, BZgA, im Auftrag der Europäischen Kommission. Bestellnr.: 60608000
Band 9: Die Herausforderung annehmen – Aufklärungsarbeit zur Organspende im europäischen Vergleich.
Eine Expertise im Auftrag der BZgA und Ergebnisse eines internationalen Expertenworkshops vom
2. bis 3. November 1998 in Bonn. Bestellnr.: 60609000
Band 10: Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen – Eine länderübergreifende Herausforderung. Dokumenta-
tion einer internationalen Tagung der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Biele-
feld in Zusammenarbeit mit dem WHO-Regionalbüro für Europa vom 4. bis 5. Febrauar 1999 in Bonn
von Bernhard Badura und Henner Schellschmidt. Bestellnr.: 60610000
Band 11: Schutz oder Risiko? – Familienumwelten im Spiegel der Kommunikation zwischen Eltern und ihren
Kindern. Eine Studie von Catarina Eickhoff und Jürgen Zinnecker im Auftrag der BZgA.
Bestellnr.: 60611000
Band 12: Suchtprävention im Sportverein – Erfahrungen, Möglichkeiten und Perspektiven für die Zukunft.
Dokumentation einer Fachtagung der BZgA vom 20. bis 22. März 2000. Bestellnr.: 60612000
Band 13: Der Organspendeprozess: Ursachen des Organmangels und mögliche Lösungsansätze – Inhaltliche
und methodenkritische Analyse vorliegender Studien. Von Stefan M. Gold, Karl-Heinz Schulz und Uwe
Koch im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60613000
Band 14: Ecstasy – »Einbahnstraße« in die Abhängigkeit? – Drogenkonsummuster in der Techno-Party-
Szene und deren Veränderung in längsschnittlicher Perspektive. Eine empirische Untersuchung von
H. Peter Tossmann, Susan Boldt und Marc-Dennan Tensil im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60614000
Band 15: Qualitätsmanagement in Gesundheitsförderung und Prävention – Grundsätze, Methoden und Anfor-
derungen. Bestellnr.: 60615000
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Band 16: »Früh übt sich ...« Gesundheitsförderung im Kindergarten – Impulse, Aspekte und Praxismodelle.
Dokumentation einer Fachtagung der BZgA vom 14. bis 15. Juni 2000 in Bad Honnef.
Bestellnr.: 60616000
Band 17: Alkohol in der Schwangerschaft – Ein kritisches Resümee. Bestellnr.: 60617000
Band 18: Kommunikationsstrategien zur Raucherentwöhnung – Ein Überblick über die wissenschaftliche Lite-
ratur zu diesem Thema. Bestellnr.: 60618000
Band 19: Drogenkonsum in der Partyszene – Entwicklungen und aktueller Kenntnisstand.
Bestellnr.: 60619000
Band 20: Das Ernährungsverhalten Jugendlicher im Kontext ihrer Lebensstile – Eine empirische Studie. Von
Jürgen Gerhards und Jörg Rössel im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60620000
Band 21: Suchtprävention im Kinder- und Jugendsport – Theoretische Einordnung und Evaluation der Quali-
fizierungsinitiative »Kinder stark machen«. Eine Expertise von Prof. Dr. Klaus-Peter Brinkhoff und
Uwe Gomolinsky im Auftrag der BZgA. Bestellnr.: 60621000
Band 22: Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte – Aufbau einer Internetplattform zur Stärkung der
Vernetzung der Akteure. Von Frank Lehmann, Monika Meyer-Nürnberger u.a. Bestellnr.: 60622000
Band 23: Illegale Drogen in populären Spielfilmen – Eine kommentierte Übersicht über Spielfilme zum Thema
illegale Drogen ab 1995 mit ergänzenden Handlungsempfehlungen für den Einsatz von Spielfilmen
im Rahmen der Suchtprävention. Von Sabine Goette und Renate Röllecke. Bestellnr.: 60623000
Band 24: Suchtprävention in der Bundesrepublik Deutschland – Grundlagen und Konzeption. Von Bettina
Schmidt. Bestellnr.: 60624000
Band 25: Determinanten des Inanspruchnahmeverhaltens präventiver und kurativer Leistungen im Gesund-
heitsbereich durch Kinder und Jugendliche – Forschungsstand, Interventionen, Empfehlungen. Von
Anja Meurer und J. Siegrist. Bestellnr.: 60625000
Band 26: Qualitätszirkel in der Gesundheitsförderung und Prävention. Von Ottomar Bahrs, Björn Jung, Marina
Nave und Ulrike Schmidt. Bestellnr.: 60626000
Band 28: MOVE – Motivierende Kurzintervention bei konsumierenden Jugendlichen – Evaluationsergebnisse
des Fortbildungsmanuals sowie der ersten Implementierungsphase. Von Kordula Marzinzik und
Angelika Fiedler. Bestellnr.: 60628000
Band 29: Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs. Von Anneke Bühler und Christoph Kröger.
Bestellnr.: 60629000
Band 30: Jugendesskultur: Bedeutungen des Essens für Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup.
Von Silke Bartsch. Bestellnr.: 60630000
Band 31: Neue Wege in der Prävention des Drogenkonsums – Onlineberatung am Beispiel von drugcom.de.
Von Peter Tossmann. Bestellnr.: 60631000
Band 32: drugcom.de – Modellhafte Suchtprävention im Internet. Jahres- und Evaluationsbericht 2005.
Von Marc-Dennan Tensil, Benjamin Jonas und Dr. Peter Tossmann. Bestellnr.: 60632000
Band 33: Seniorenbezogene Gesundheitsförderung und Prävention auf kommunaler Ebene – eine Bestands-
aufnahme. Von Beate Hollbach-Grömig und Antje Seidel-Schulze. Bestellnr.: 60633000
Band 34: Expertise zum Stand der Prävention/Frühintervention in der frühen Kindheit in Deutschland. Von
Manfred Cierpka, Michael Stasch, Sarah Groß. Bestellnr.: 60634000
Umbruch FH 40 (4-6-2012)_Fachheftreihe_FPG_Blau_Musterdokument 30.07.12 09:46 Seite 120
Band 35: Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen – Stand der Forschung zu psychosozialen Schutzfak-
toren für Gesundheit. Von Jürgen Bengel, Frauke Meinders-Lücking und Nina Rottmann.
Bestellnr.: 60635000
Band 36: Zum Zusammenhang von Nachbarschaft und Gesundheit. Von Antje Richter und Marcus Wächter.
Bestellnr.: 60636000
Band 37: Prävention im Fokus unterschiedlicher Perspektiven – Werkstattgespräche der BZgA mit Hoch-
schulen. Bestellnr.: 60637000
Band 38: Die Jungen Alten – Expertise zur Lebenslage von Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren.
Bestellnr.: 60638000
Band 39: Die Rolle der Selbstwirksamkeit und Achtsamkeit in der Gesundheitsförderung von sozial benachtei-
ligten Menschen – Eine Projektdokumentation. Bestellnr.: 60639000
Band 40: Aufklärung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland: Neue Wege in der Gesundheitskommuni-
kation. Bestellnr.: 60640000
Band 41: Gesund aufwachsen in Kita, Schule, Familie und Quartier. Nutzen und Praxis verhaltens- und verhält-
nisbezogener Prävention – KNP-Tagung am 18. und 19. Mai 2011 in Bonn. Bestellnr.: 60641000
Ausführliche Informationen zu dieser Fachheftreihe sowie zu anderen Schriftenreihen der BZgA finden sich im
Internet unter www.bzga.de im Verzeichnis »Fachpublikationen«.
Alle bisher erschienenen Fachhefte stehen unter dieser Adresse auch vollständig als PDF-Datei zum Herunter-
laden zur Verfügung.