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Fundamentaltheologie II

Die konkret-geschichtliche Offenbarung Gottes

1. Vom Gott der Philosophen zum Gott der Offenbarung

Die Erfahrung der existentiellen Abhängigkeit liegt im menschlichen Alltagserleben – sie


provoziert die Frage nach ihrem Grund. Der Mensch erfährt sich als ungefragt aus dem Nichts
ins Dasein gestellt – daran knüpft die Gottesfrage an.

Diese passive Grundbefindlichkeit seitens des alltäglichen Erlebens sucht eine aktive
Sinnquelle, die den Grund des Daseins erschließt, da das erfahrene endliche Sein auf ein
Absolutes hinweist.

Numen divinum nennt die Religionswissenschaft das, wohin die Frage nach dem Grund
unserer Abhängigkeit führt – die Menschen haben diesen Grund immer religiös motiviert
verstanden und jede Kulturepoche hat ihre jeweilige Ausdrucksform. Die Gottesbeweise
sollen zunächst die numerische Einzigartigkeit des Urprinzip ggü. einem Polytheismus
herausstellen, werden dann zu einer rationalen Begründung ggü. Gottesleugnung.

Es gibt aber die Möglichkeit der Flucht oder Verdrängung, die aus dem Gegenüber von
(Intellekt und Wille) entspringt. Man denke v.a. an Nietzsche, der sagt, daß der unbefangene Blick
einen Gott annimmt, während erst der Wille zur Autonomie sagt, daß „das nicht sein darf“.
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Die metaphysische Unruhe, die dem Menschen innewohnt – Augustinus: „…inquietum cor
nostrum, donec …“ – läßt den Menschen immer wieder nach seinem Urgrund fragen. Nach
Aristoteles liegt der Beginn der Philosophie gerade im Staunen des Menschen, das beim
Alltäglichen anfängt und über den Lauf der Sterne bis zu der Frage nach den letzten Ursachen
geht. Die Frage nach Gott ist dem Menschen natürlich, aber er kann sie mit dem Willen
verdrängen oder einfach negativ beantworten.

Religion ist in der Geschichte ein omnipräsentes Phänomen; alle Kulturen waren religiös
geprägt, wenn auch primitive Stämme einen polytheistischen Glauben haben. Das Fundament
der Allgemeinheit der Religion ist die Tatsache, daß der Mensch ein fragendes Wesen ist.
Fragen nach Gott ist auch Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens. „Zum Ich gehört das
Du, … und auch das Wir…“ – eine dritte Dimension ergibt sich aber aus dem Ungenügen
dieser ersten beiden Dimensionen, die einem „letzten Unerfülltseins“ entspringt. Der Mensch
steht vertikal in der Spannung zwischen Ich und Du – horizontal zwischen Endlichkeit und
Unendlichkeit.

Es gibt verschiedene Formen des Zugangs zum numen divnium, in denen sich das spontane
Gottesbewußtsein zu wissenschaftlicher Gotteserkenntnis entfaltet. Thomas von Aquin hat
bedeutende Arbeit geleistet mit seinen quinque viae, deren Ergebnis die Synthese des
Subjekts „Deus“ und des Prädikats „est“ als definitiv gültiges Urteil ist. Wir wissen, daß Gott
ist. Karl Jaspers lehrt, daß wir „zwar nicht das eigentliche Sein ergreifen, aber von ihm erfüllt
werden“ – bei ihm ist die göttliche Transzendenz kein Du. Karl Rahner geht aus von der
Transzendenz des Geistes, der in der Frage nach dem Sein nach dem Absoluten greift.
Demonstratio christiana
Friedrich Büchsel behauptet, daß jeder Mensch sein Leben als auf eine Ordnung bezogen
erfährt, durch die ein Ruf an ihn ergeht – wo ein Ruf, da auch ein Rufer! Der Ansatz von
Gabriel Marcel (auch: Buber, Brunner, u.a.) geht von der innerweltlichen Lebenserfahrung
des Menschen und der Gemeinschaft aus, die ein Sehnsucht nach dem Du aufweist. Es wird
überhaupt oft ein Zusammenhang zwischen der Beziehung zu anderen und der Transzendenz
zum absoluten Andern gesehen. Bei Brunner ist die Liebe zu Gott nicht von der Liebe zu den
Mitmenschen zu trennen. Bernhard Welte geht vom Sinnpostulat aus – die Sehnsucht des
Menschen nach Tiefe erlaube einen Rückschluß.

Vorsichtig sei man mit einer Verabsolutierung des Endlichen, wenn man den Weg zum
Absoluten vorzeitig abbrechen will. Nach Ludwig Feuerbach projiziert der Mensch wegen
seiner existentiellen Abhängigkeit seine Sehnsucht auf ein jenseitiges Wesen – aber ist dieser
Schluß nicht zwingend. Feuerbach hat einfach das Ziel, den Menschen zum höchsten Wesen
zu machen und projiziert vielmehr seine Vorstellungen. Karl Marx sieht in dem Gottglauben
eine Gefährdung der Befreiung des Menschen, die durch Religion nur betäubt werden – wenn
die ökonomischen Verhältnisse geordnet werden, entfällt die Notwendigkeit der Religion als
„Heiligenschein des Jammertals“.

Ist das numen divinum Idee oder Wirklichkeit? Dieser Frage geht die vorwissenschaftliche
Gotteserkenntnis nach, die insofern sie diese Frage formuliert, das numen divinum bereits als
Grund der Welt erkannt hat. Bei Julius Seiler ist dies Struktur der Gottesbeweise stets gleich:
von einer Erfahrungstatsache steigt man mithilfe des Kausalprinzips zu Gott auf.
Vorausgesetzt wird hier die metaphysische Tragfähigkeit unserer Erkenntnis, die nicht selten
in Frage gestellt wird. Das Erkennen beginnt ja bei dem sinnhaft Gegebenen, steigt dann aber
qua abstractionem zur begrifflichen Fassung auf – mithilfe der Vernunft nimmt der Mensch
die objektive Wirklichkeit wahr. Verfällt der Mensch in den Skeptizismus verkommen
ontische Sätze zu unbeweisbaren Postulaten. Wir halten fest, daß das Verdikt der Metaphysik
eine freie Entscheidung ist, wie überhaupt das atheistische Grunddogma eine
Vorentscheidung ist.

Wir fragen uns nach dem Zusammenhang von Naturwissenschaft und Gottesfrage. Mit
Blick auf die Menschheitsgeschichte können wir sagen, daß sich die Menschen von einer
sententia communis der Völker, daß es etwas Göttliches gebe, zu einer vollständigen
Gottesleugnung gewandelt haben. Das Leben des heutigen Menschen ist von einem
„radikalen Immanenzbewußtsein“ geformt, zumal die Welt für uns erklärbar und untertan
geworden ist – daran schließt sich die Versuchung an, die menschliche Vernunft zur obersten
Instanz zu machen und nur das Diesseitige zu beachten. Eine Wissenschaft des Phänomenalen
zu verabsolutieren, ist unwissenschaftlich, denn Gott ist nicht Gegenstand unter anderen
Gegenständen, der innerhalb der geschlossenen Immanenz des Phänomenalen gefunden
werden könnte. Pius XII. sagte einmal treffend: „Je weiter die wahre Wissenschaft vordringt,
desto mehr entdeckt sie Gott.“

Der rationale Zugang zu Gott wird in der Schrift und der Glaubenstradition bezeugt.
Sowohl die Psalmen, das Buch der Weisheit oder Paulus bieten hinlänglich Bemerkungen
dazu, daß Gott mithilfe der bloßen Vernunft als seiend, als Schöpfer erkannt werden kann.
Andererseits hat das I. Vaticanum dogmatisiert, daß Gott als Urheber der Schöpfung mit
Sicherheit erkannt werden kann – hierin wird es auch ausdrücklich vom II. Vaticanum zitiert.
Fundamentaltheologie II
Die volle und reine Erkenntnis Gottes ist für den Menschen in seinem geschwächten
Denkvermögen sehr schwierig und bedarf bester Vorbereitung, Grundlagen etc. Scheeben
sagt sogar, daß trotz widrigster Umstände und persönlicher sittlicher Unvollkommenheit eine
gewisse Gotteserkenntnis aufgrund der geistigen Natur des Menschen nie ganz zum
Schweigen kommt. Der rationale Zugang zu Gott setzt tatsächlich eine entsprechende
Begabung bzw. Vorbildung und Bereitschaft, die allg. menschliche metaphysische Trägheit
zu überwinden, voraus

Ethische und emotionale Implikationen der rationalen Gotteserkenntnis stehen neben


den intellektuellen Voraussetzungen. Nur wenn man bereit ist, die Konsequenzen der
Erkenntnis Gottes zu tragen, hat man den rechten Ethos in dieser Frage. Für Platon ist
Unglaube immer mit Hochmut verbunden und gemäß Pieper stammt er aus den Interessen um
die Souveränität des Subjekts. Der Affekt spielt keine untergeordnete Rolle.

Freie Gewißheit wird von den Gottesbeweisen geliefert, d.h. daß sie eben nicht eine absolute
Gewißheit bringen, wie moderne Menschen nach mathematischem Muster es erwarten würden – jeder
Gegenstand aber muß in der ihm angemessenen Weise befragt werden! Blaise Pascal gibt in seinen
Pensées sehr schön wieder, was freie Gewißheit hier heißt: „Es gibt genug Licht für diejenigen, die
nur zu sehen verlangen“ – die ihn von ganzem Herzen suchen, erscheint er, die ihn nicht suchen, ist er
verborgen. Eine demonstratio – wie bei den quinque viae – ist kein mathematischer Beweis, sondern
ein Aufweis der Wahrheit des Sachverhaltes. Es ist nun die Kontingenz der Welt, die zwangsläufig zur
Gottesfrage führt, sie ist der entscheidende Motor des fragenden Menschen. Im Nachdenken erkennen
wir Gott, insofern der Endpunkt der Beziehung von den Weltdingen her ist.

Der Gott der Philosophen ist Anknüpfungspunkt der übernatürlichen Offenbarung – wo die
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Werkoffenbarung Gott im Dunkel (Existenz und grundlegende Eigenschaften) beläßt, setzt die
Wortoffenbarung von Gott her ein, um den Menschen zu erleuchten und in die Geschichte – genauer:
die Geschichte Israles zu treten. Diese Selbsterschließung Gottes begegnet uns mit einem
unvergleichlichen Anspruch im Alten und Neuen Testament, wo sie nicht als Produkt menschlichen
Denkens, sondern als etwas von Gott Geschenktes aufstrahlt. Grundtenor des AT ist die stets
gleichbleibende Stimme des lebendigen Gottes und sein stets gleichbleibendes Antlitz – diese
Ereignisse können von den Menschen immer wieder gedeutet werden. Die Philosophie fragt nach der
Bedeutung des Ganzen von Welt und Dasein, nach der letzten Bedeutung des Wirklichkeitsganzen und
damit nach Gott – mit der Gottesfrage endet die Philosophie und es setzt die Theologie ein. Dennoch
heißt es, daß die ganze Philosophie „auf die Erkenntnis Gottes hingeordnet sei“ (Thomas) oder „der
wahre Philosoph der Liebhaber Gottes [ist]“ (Augustinus). In der Gegenwart hat sich das geändert –
die Philosophen haben das Interesse an Gott verloren.

Gotteserkenntnis und Gottesglaube sind nicht identisch: Erkenntnis hat der Philosoph, Glauben der
Theologe; auf die Gotteserkenntnis bauen wir in der Fundamentaltheologie auf. Nach Thomas sind der
mit der natürliche Vernunft erkannte Gott und der mit übernatürlichem Glaube geglaubte Gott zwei
verschiedene Materialobjekte sind.

Die grundlegende Bedeutung der rationalen Gotteserkenntnis für die Fund.theologie liegt darin,
daß sie das natürliche Wissen um Gottes Existenz bringt, jedoch nur an die Schwelle dieser
geheimnisvollen Existenz Gottes führt. Da aber der menschliche Geist offen ist, liegt es nahe, daß
dadurch sein Interesse geweckt wird, ob sich nicht dieser Gott auch mitteilt. Es wird sozusagen die
Außenseite des Geheimnisses erreicht, was aber hellhörig macht – die verschiedenen Religionen sind
ja Ausdruck für das Bedürfnis des Menschen, Mitteilung zu empfangen, die Unsicherheit zu lösen.

Inhalt der Sehnsucht des Menschen ist aber der Gott der Offenbarung.
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2. Gottesoffenbarung im AT – Zeichen der Göttlichkeit


Das Alte Testament ist Grundlage der Jahwe-Religion als Glaubens- und Gesetzbuch.

Entstehung reicht in die mosaische Zeit; zunächst haben wir einzelne Schriften, dann Sammlungen.
Später erfolgen (v.a. in der Königszeit) die Redaktionen. Der Pentateuch besteht v.a. aus einer
legitimen Entfaltung des Ursprungs. Je nach Begriffsumfang bezeichnet man bald das ganze AT, bald
nur 1-5 Mose als „Thora“.

Auch wenn keine Urschrift des AT auf uns gekommen ist, dürfen wir eine Verläßlichkeit des Textes
annehmen, da wir bspw. mit der Qumransammlung eine Quelle alter Handschriften haben, die früher
als 68 n.Chr. sind und zum Masoretentext (9. Jh.!) kaum Abweichungen zeigen. Mit der für
Diasporajuden verfaßten Septuaginta haben wir eine weitere Vergleichsmöglichkeit. → Der Text des
AT ist i.Allg. nicht verändert worden!

Im Zusammenhang von AT und Geschichte hat die archäolog. Forschung der letzten 150 Jahre die
histor. Glaubwürdigkeit bestätigt. In bezug auf ihre Aussageabsicht sind aber nicht alle Schriften in
ihren historischen Bezügen gleichartig – wo es um histor. Fakten, ist die Hl. Schrift aber exakt.

Oft begegnet uns moralische Unvollkommenheit neben dem Großen und Erhabenen, aber es wird
das Böse nie verherrlicht! Das Unrecht, wo immer es uns im AT begegnet, wird zumeist scharf
verurteilt. In Kenntnis der histor. Sachlage müssen wir zudem sagen, daß Israels Herrscher sehr milde
waren und der jüdischen Kultur Blutdurst oder Schändungen im Kriegsfall unbekannt waren.

Das mythische Weltbild der Bibel erklärt sich daraus, daß sie kein naturwissenschaftliches Buch ist,
sondern ein Glaubensbuch, das grundlegende Wahrheiten über den Menschen und seine Beziehung zu
Gott wiedergibt. Darstellungen der Naturvorgänge erfolgen gemäß dem Augenschein und führt diese
auf Gott als causa prima zurück. Aus der Schöpfungsgeschichte ergibt sich, daß der Mensch wegen
seiner unsterblichen Seele über dem Tier steht und Ebenbild Gottes ist.

Die Speise- und Reinigungsvorschriften haben einerseits sozialen Charakter oder einen hygienischen
Sinn (sakralen Charakter haben sie, insofern nur der Reine zum Opfer(mahl) hinzutreten darf).
Andererseits liegt hier ein Schutz vor dem ausländischen Götzendienst, indem die anderswo „heiligen“
Tiere als unrein erklärt werden und so fremdes Götzenfleisch nicht verzehrt wird. Die Eigenart des
alttestamentlichen Opferkultes ist v.a. durch den absoluten Monotheismus und die damit verbundene
innere Lauterkeit des Kultes gegeben. Es sei nicht vergessen, daß die Propheten nicht die äußere
Reinheit einfordern, sonder die innere Reinheit als gottgefällig proklamieren (sollen).

Der Grundgedanke der Jahwe-Religion drückt sich zweifach in der Bundeserwählung aus,
in dem die absolute Souveränität Gottes und die (hohe) Würde des Menschen enthalten sind.
Die Erwählung Israels hat – gemäß Gen 12,3 – universalen Charakter, was zunächst nicht
immer zum Ausdruck kommt.

Die Gottesvorstellung im AT ist nicht vergleichbar mit anderen antiken Vorstellungen einer
Gottheit; wir erkennen hier vielmehr die stufenweise Selbsterschließung Gottes, der sich
offenbart und endlich im NT in seinem Sohn sein trinitarisches Wesen offenbart. Zugegeben:
im AT wechselt die Akzentuierung des Gottesbildes; was bleibt, ist eine „wirksame und
verfügende Anwesenheit Gottes“.

Es gibt keine Gottesbeweise – die Existenz Gottes ist im bibl. Danken etwas schlechthin Gegebenes.
Umgekehrt gibt es auch keine eigentliche Gottesleugnung, nur praktischen Atheismus wie bei dem
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Toren (Ps 10, 4; 14,1; 53,2). Erst im 1.Jh.v.Chr. kommt durch Kontakt zur griech. Gottesleugnung
dieses Problem zu den Juden – Antwort: Buch der Weisheit (Kap. 13).

Die eigentlich Gefahr für Israel ist der Polytheismus, der der Qualitätslosigkeit des einzigen Gottes
widerstreitet. Der Name „Jahwe“ zeigtunss Gott primär als den Handelnden, nicht den philosophisch
Erschlossenen; ferner schließt die paronomastische Bedeutung des Namens auch die absolute
Souveränität Gottes in sich. Jahwe ist der Handelnde – er ist nicht bloß Repräsentation eines Elements
der Natur- oder Geisterwelt! Souveränität strahlt dieser universale Gott, der alles erschaffen hat, aus.
Übrigens kennen wir im Ggs. zu Babylon keine Theogonie in der Genesis.

Der bedingungslose Monotheismus macht die Mitte der Jahwe-Frömmigkeit aus und findet im
altorientalischen Raum kein Äquivalent. Zwar gibt es auch in heidnischen Religionen parallele
Erscheinungen monotheistischer Tendenzen, doch pervertieren diese bald wieder, da sie abstrakt und
theoretisch sind. Wir kennen wohl auch den primitiven Hochgott-Glauben (ein Gott als „primus inter
pares“), der aber ganz anders ist als der Jahwe-Glaube, der nur einen, universalen Herrn kennt, der
geistig ist und nicht bloß personifiziertes Naturereignis. Heute sagen wir, daß es eine Entwicklung
zum Monotheismus auch bei den Israeliten (und zwar vom prakt. zum theor.) gibt – ein aufsteigendes
Erkennen, daß Jahwe nicht allein Gott einer Familie, einer Sippe, des Volkes ist, sondern der
universale Gott aller Menschen, der der einzige wirkliche Gott ist, nur mit diesem Hintergedanken
finden „die anderen Götter“ Erwähnung. Die Patriarchenzeit führt uns in den Kulturkreis der
Nomaden, welche eine Verehrung von Vatergottheiten haben, die einen Anknüpfungspunkt der
Qualitätslosigkeit Gottes darstellen. In der israelitischen Frühzeit hat jede Sippe/ jeder Stamm seinen
eigenen Gott – treffen Mitglieder versch. Stämme aufeinander, steht diese Gottheiten aber nicht
„nebeneinander“, sondern verschmelzen gewissermaßen. Örtliche Götter, denen sie in via
„begegnen“, werden einfach als mit dem Stammgott identisch assimiliert.

Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Transzendenz der Gottesvorstellung ist die zeitweise 5
(Mit)Nutzung des El-Namens, der überörtlich und universal ist und zum jüd. Gottesbild paßt. Die
Transzendenz einerseits und die Personalität andererseits machen ja die Qualitätslosigkeit Gottes aus.
Neben El wird dann auch Baal verehrt – alles im Sinne der Identifikation der beiden mit Jahwe.
Angesichts der Synkretismusgefahr und aufgrund der prophetischen Predigten folgt Konzentration auf
Jahwe, „den Gott schlechthin“. Jahwe ist der schlechthin Transzendente, d.h., zum einen, daß er
überweltlich ist – der ganz andere, der Welt entzogen und unverfügbar, erhaben über räumlich
Dimension. Zum Anderen heißt es, daß der überzeitlich ist – es gibt für ihn keinen Anfang und kein
Ende, er ist ungeworden. Endlich ist Jahwe auch übervölkisch. Aus alledem folgt noch die Allmacht
Jahwes über die Schöpfung, die er aus eigener Macht hervorgebracht hat und im Dasein erhält und der
er durch dieses Wirken allgegenwärtig ist. Der Titel „Jahwe Sabaoth“ bringt dies bes. zum Vorschein.
Da ihm kein Bereich entzogen ist, ist er auch allwissend – er ist wesentlich anders als der Mensch.

Auch die Personalität spielt im AT-Gottesbild eine besondere Rolle, da sie immer in Polarität zur
Transzendenz steht: „Jahwe, der ganze Andere, ist den Menschen Nahe“, sucht heilvolle Nähe. Diese
Nähe und Ferne sind die beiden Grunderlebnisse des Göttlichen im AT. Während der „El-Name“ v.a.
auf die Transzendenz und hohe Macht Gottes schaut, bedeutet der Name Jahwe heilvolle Nähe und
Gemeinschaft. Die vielen Anthropomorphismen gehören zu einer bildhaften Sprache, die den
Israeliten den lebendigen Gott in seiner Personalität nährbringen will – der Bilderkult ist dennoch
absolut verboten. Ebenso erfährt man Jahwes Personalität im Sprechen Gottes, der hier zum „Ich“ ggü.
den Israeliten wird. In der Freiheit des Willens und der Souveränität des Handelns zeigt sich ebenso
die Personalität – Jahwe hat ein Angesicht und ein Herz. Dennoch ist er auch der heilige Gott, was
zunächst in seinem ganz-anders-Sein liegt und sekundär in seiner höchsten ethischen Lauterkeit.
Gegenüber Jahwes Heiligkeit steht unsere kreatürliche Kleinheit und ethische Fragwürdigkeit. Der
Bundesgott Jahwe ist in seiner heilvollen Zuwendung zum Menschen die konkrete Gestalt von Güte,
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Treue, Milde – was ja auch die unablässige Botschaft des AT ist. Die Liebe ist das tiefste Wesen
Gottes, die zunächst nur den Auserwählten zu gelten scheint, dann aber allen Geschaffenen gilt.

Das Menschenbild des AT können wir mit vier Stichworten charakterisieren: Abhängigkeit,
Verantwortlichkeit, Schuldigkeit/Unzulänglichkeit und Geborgenheit.

Zunächst einmal ist festzuhalten, daß sich die Würde des Menschen aus der Ebenbildlichkeit mit
Gott begründet. Der Mensch ähnelt Gott, insofern er ein geistig erkennendes und frei entscheidendes
Wesen ist – irgendwie ein Korrelat Gottes. Trotz alledem gibt es keine Vergottung des Menschen und
keinen Personenkult (nicht einmal für Moses!).

Die Abhängigkeit charakterisiert den Menschen gegenüber Gott und dessen Macht und Erhabenheit.
Der Mensch ist nicht Herr seines Daseins, weshalb von ihm, dem Vergänglich, immer wieder
Verdemütigung gefordert wird. Im AT ist Jahwe Ursache alles Geschehens, auf ihn wird die
Abhängigkeit personhaft bezogen.

Der zweite entscheidende Zug im Menschenbild ist die Verantwortlichkeit des Menschen, die in der
freien Bejahung der Abhängigkeit und in den einzelnen Entscheidungen des Menschen, für die er
Rechenschaft ablegen muß, besteht. Der Mensch hat vor dem Allwissenden totale Verantwortung.

Das dritte Moment ist die Schuldhaftigkeit. Der Mensch bleibt Gott schuldig, was er ihm leisten soll
und somit das ganze AT von der Selbstanklage des Menschen durchwoben. Der Mensch verlangt nach
Vergebung – die er auch erhält, denn Jahwe vergibt die Schuld wirklich.

Als ein 4. entscheidendes Moment bezeichnen wir die Geborgenheit, was wir bspw. daran sehen, daß
auch der zürnende Gott ein Gott der Liebe ist (Hos 11). An den Israeliten läßt sich ein grundlegender
Optimismus feststellen, der v.a. in Vergleiche der Liebe Gottes mit Vater- oder Mutterliebe gipfelt
Oder wie Ps 23,4 gesagt wird: „Du bist bei mir“. Die Psalmen sind Lieder, die um die Polarität des
fordernden und helfenden Gottes bzw. die scheue Ehrfurcht und vertrauende Liebe des Menschen vor
Augen führen. In ihrer Vielfalt jeglicher Situationen kann der Mensch mit ihnen in jeder Lage vor Gott
treten. Sie bezeugen, daß Gott fordert, aber auch dem Versagenden gnädig ist.

Wir können auch sagen, daß der ethische heilige Gott Garant für die Ordnung in der Welt ist,
indem er den Israeliten (dann aber allen Menschen) im Dekalog Recht gibt. Die 1. Tafel (Bilderverbot)
enthält jenes Grundgesetz, das die Einigkeit Jahwes schützen und seine Transzendenz herausstellen
soll. Daß Jahwe nicht welthaft ist und nicht von der Welt in Dienst genommen werden kann, zeigt das
2. Gebot. Im Vergleich mit den religiösen Erscheinungen der Zeit muß die Parallellosigkeit der 1.
Tafel betont werden. Die 2. Tafel hingegen hat durchaus Parallelen außerhalb des AT – immerhin
stehen hier die Gebote in einem sozialen Kontext profaner Lebenswirklichkeit. Der ethische Anspruch
ist dennoch hoch – und religiös abgesichert. Hervorstechen allerdings: Gleichwertigkeit von Mann und
Frau, Forderung der Einehe und Verurteilung selbst der bösen Begierde. Es gibt aber auch andere
Zusammenfassungen des Jahwe-Willens: Lev 19,18-19,2; Mi 6,8.

Die Religionsgeschichtliche Einzigartigkeit des Gottes- und Menschenbildes verdichtet


sich in den hohen ethischen Forderungen. Wir haben einerseits den erhabenen
Gottesglauben, der zwischen Transzendenz und liebevoller Hinwendung zu den Menschen
steht und andererseits des unübertroffene Menschenbild. Das Phänomen des AT-Glaubens ist
wissenschaftlich nicht erklärbar – es ist ein Phänomen, auch deswegen, weil die „Religionen“
der Menschen gewöhnlich bei kulturellem Aufstieg degenerieren, was bei Israel nicht der Fall
ist und das trotz des Umfeldes. Überhaupt ist Israel faszinierend, da es architektonisch und
wissenschaftlich keine Leistungen hervorgebracht hat. Unter Moses hatte sich Israel als Volk
konstituiert, das aus Halbnomadenstämmen bestand und bis zur Seßhaftwerdung in Kanaan
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wandernd blieb. Ab jetzt hält sich die Jahwe-Religion trotz Gefährdung und Beeinflussung
durch überlege Mächte. Obwohl das Volk versucht, sich den sinnlichen Kulten der Nachbarn
anzuschließen, kommt es immer wieder zu Jahwe zurück. Jahwe ist kein Gott menschlicher
Vorstellung – er ist unbequem, v.a. in seiner richterlichen Heiligkeit.

Dem Prophetentum kommt das Verdienst zu, durch ihre Führungen das Volk, inmitten der
äußeren und inneren Schwankungen, in der Treue zum Jahwe-Glauben zu erhalten. Sie sind
aber keine Weissager, die sich nach Flug der Vögel oder den Eingeweiden der Tiere richten.

Ihre primäre Aufgabe ist die Verkündigung der Weissagungen Jahwes, des Wortes Gottes. Der
Prophet spricht in seinen Reden sowohl in der 1. Person als auch in der 3. Person – die Gottesrede
markiert er mit dem Ausdruck „so spricht der Herr“.

Die Propheten machen ferner keinen überspannten Eindruck; sie sind geprägt von Nüchternheit und
sittlicher Lauterkeit, die jede Täuschung im Zusammenhang mit dem prophet. Selbstbewußtsein
ausschließt. Ihr klarer Blick für die Realität und ihr „Stehen-im-Leben“ zeugen von Weitsichtigkeit;
während ihr ganzes Wirken (v.a. wegen der undankbaren Hörerschaft) von Selbstlosigkeit zeugt.

Sinn und Wesen der Weissagungen erschließen sich uns nur, wenn man annimmt, daß Jahwe es ist,
der immer neu seine Boten sendet. Diese können dann auch Weissagungen im Kontext der speziellen
Zukunftserwartung machen – erstrangig ist aber immer die Deutung des Willens Gottes.

Wichtig ist der Eschatologismus, der sich in der Erwartung einer endzeitlichen Heilsära
zeigt, die in der Aufrichtung des Gottesreiches gipfelt – in diesem auf ein Ziel ausgerichteten
linearen Geschichtsbild liegt das Rückgrat des AT. Das Volk weiß sich stets als das noch vor
und nach oben wandernde Gottesvolk, das auf eine endgültige Offenbarung Jahwes wartet. 7
Die Propheten enthüllen dabei teils den Heilsplan Gottes und verkünden immer wieder
[Gericht – Rettung] und [Zerstreuung – Wiederaufstieg], was sich auch erfüllt.

Der Messianismus ist Hauptgegenstand der prophetischen Weissagungen – sie künden von dem
Kommen des Messias als endzeitlichen und persönlichen Heilsbringers. Die messianische Erwartung
ist Teil des o.g. eschatolog. Moments. Israel schaut wohlgemut in die Zukunft, denn Gott führt die
Geschichte seines Volkes. Die Propheten halten diese Hoffnung lebendig und korrigieren Auswüchse.
Eine besondere Modifikation erhält die Eschatologie durch die Apokalyptik, wo die Endzeit Gestalt
eines neuen Äons hat. Die alttestamentlich Heilserwartung ist:

soteriologisch eschatologisch messianisch

Hoffnung, daß Gott auch zukünftig Heil Er wird die Herrschaft durch letztgültiges, Das Heil kommt durch einen
wirkt umfassendes Eingreifen einsetzen persönlichen Mittler

Für das AT ist der Messias eine königliche Gestalt, wobei er zugleich idealer Priester und idealer
Prophet sein soll. Die Messiasidee könnte auch als vorchristliche Christologie charakterisiert werden,
in der sich die endzeitl. Hoffnung des AT bündelt. Auch der König ist zunächst nach Salbung und
Thronbesteigung eine Art Messias – in den Psalmen hinwiederum gilt dies nur von dem „König, der
da kommen wird“.

Die messianischen Verheißungen sind sehr schwer zu deuten, insofern kann man vermuten, daß es
(i.S. eines tieferen Erfassens) durchaus auch Verständniswandel gegeben hat. Zuallererst haben wir
das Protoevangelium, dann zwei weitere Stellen in der Genesis, die den Heilsbringer als Judas-
stämmig kennzeichnen. Weitere sieben Stellen könnten wir darlegen, die einen direkte Bezug zum
Messias haben: Mi 5,1 – Jes 53.
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Einige zusammenfassende Bemerkungen: Im AT sind 12 Stellen, die ein Zeugnis im engeren Sinne
ausstellen; in der Weisheitsliteratur begegnet uns die Weisheit so eindeutig als Person, daß man kaum
von bildhafter Rede sprechen kann. Die tatsächliche Identifikation mit der fleischgewordenen
Weisheit erfolgt dann im Licht der Offb des NT. Das AT hat keine Synthese versch. Heilsbringer-
Vorstellungen geschaffen – man darf nicht vergessen, daß die Messiaserwartung nur einen Teil der
Endzeiterwartung darstellt.

Die Religion des AT – ein Geschichtswunder, so muß man urteilen, wenn man ihr Gottes-
und Menschenbild, ihr hohes Ethos, ihren Prophetismus und ihren Eschatologismus anschaut.
All diese Punkte bleiben ein ungelöstes Rätsel, es sei denn, wir verstehen sie als Offenbarung
des transzendenten Gottes. Die AT-Offb läßt sich nicht unter die gewohnten Erfahrungen
subsummieren und steht singulär dar – es gibt nichts Vergleichbares in der Geistesgeschichte!

3. Außerchristliche Zeugnisse über Jesus


Zunächst haben wir die jüdischen Quellen:

Flavius Josephus (37-100) war jüd. Pharisäer, der im jüd. Krieg (70) zu den Römern überlief und
Freund der kaiserlichen Familie wurde. Seine Hauptwerke sind De bello judaico und die Antiquitates,
beide sind in griechisch und sollen das Judentum in Rom hoffähig machen. In den Altertümern nun
finden wir die sog. „Jakobus-Stelle“, wo es um die Verurteilung des Herrenbruders durch den
Hohepriester Annas II. geht – es wird ein Bezug zu Jesus hergestellt, den manche als Messias
identifizieren. Die andere Stelle ist historisch unsicherer und wird „Jesus-Stelle“ genannt – Jesus wird
hier als weiser Mann, Wundertäter und großer Lehrer gekennzeichnet, der Pathos der Formulierung
läßt allerdings auf Bearbeitung schließen. In einer slawischen Ausgabe des jüd. Kriegs gibt es auch
eine Stelle, die Jesus als eine Art Übermensch charakterisiert, ohne ihn jedoch mit der
alttestamentlichen Weissagung zu identifizieren. Insgesamt scheint Flavius Josephus Jesus als
Thaumaturgen gesehen zu haben – sein allgemeines Schweigen ist wohl damit begründet, daß er
wegen der Römer möglichst alle messianischen Bezüge in seinen Werken ausläßt.

Auch der Talmud kommt an einigen Stellen (polemischen Charakters) auf Jesus zu sprechen. Auch
wenn er aus dem 2. Jh. stammt, läßt er die Fiktionshypothese scheitern, da es eindeutige Stellen gibt,
in denen die Jungfrauengeburt oder die Wunder Jesu mit Verachtung und Spott beschrieben werden –
indirekt werden damit aber die evang Berichte bestätigt.

Unter den heidnischen Quellen können wir (1.) Tacitus (54-120) nennen, der in den Annalen
von den Anhängern eines gewissen Christus berichtet, auf welche Nero die Schuld für den
Brand Roms abgewälzt hat. Aus seinem Schreiben gehen die histor. Faktizität der Hinrichtung
Jesu durch röm. Exekution, Pontius‘ Pilatus‘ und des Entstehens dieser neuen religiösen
Bewegung hervor. (2.) ist auf Plinius, d.J. (61-11), hinzuweisen, der sich in zwei Briefen an
den Kaisern als Statthalter von Bithynien mit der „Christenfrage“ auseinandersetzt. Als
Tatsachen stellt er ihre hohe Sittlichkeit heraus, die er aber auf den „neuen Aberglauben“
zurückführt, der sich im Christuskult äußert. (3.) können wir in Suetons Vita Neronis vom
„neuen und verruchten Aberglauben der Christen“ und in der Vita Claudii von einem durch
einen Chrestos ausgelösten Aufstand lesen.

Würdigung: die außerchristlichen Quellen geben zwar nicht viel her, beweisen aber, daß in
ältester Zeit nie bezweifelt wurde, daß Jesus gelebt hat. Da das Christentum lange als
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innerjüdische Sekte galt, sind römische Zeugnisse über dasselbe recht bemerkenswert. Leider
sind auf uns nicht die Prozeßakten Jesu gekommen, auf die die Apologeten Tertullian und
Justinian noch zurückgreifen konnten.

4. Leben-Jesu-Forschung
Die Entstehung Leben-Jesu-Forschung ist nach der Aufklärung zu datieren – bis dato hatte
man die Bibel nur wortwörtlich verstanden und stets ein dogmatisches Jesusbild vertreten.
Nun aber leugnete man alles Übernatürliche und stellte das Gewesene in Frage – das
Wunderbare im NT wurde als anstößig empfunden und Wunder/Offenbarung wurden als
unmöglich erklärt. Besonders widerwärtig ist das herausragende Schaffen Heinrich Eberhard
Gottlob Paulus‘. Erst zu Beginn des 19. Jh. wechselt die Auseinandersetzung auf eine
historische Ebene; es werden die hist. Grundlagen des Christentums in Frage gestellt. Im
Rationalismus versuchte man die Wunder natürlich zu erklären. Für die Leben-Jesu-
Forschung wird Jesus als guter Mensch betrachtet, das Wunderbare ist nachösterliche
Erfindung – so entsteht der Spalt zw. histor. Jesus und Christus der Evangelien.

Die Idealistische Schule bestimmte die erste Phase der Leben-Jesu-Forschung.

Hermann Samuel Reimarus versuchte Jesus rein mit Augen des Historikers zu sehen und legt eine
Schrift vor, die eher mehr Pamphlet als Essay darstellt. Er hat eine große Neigung zur natürlichen
Wundererklärung und steht unter Einfluß der Philosophie Hegels, dem nicht die Person Jesu, sondern
die mit ihr gegebene Idee entscheidend war – für ihn geht alle Geschichte auf Christus hin und kommt
9
von ihm her. Die Gottmenschwerdung hat in Christus ihre höchste Vollendung in der Jesusgestalt, die
Weltvernunft kommt in ihm zu sich selbst. An die Stelle der Geschichte rückt die Idee.

David Friedrich Strauß (1808-1874) ist wohl der markanteste Vertreter; in seinem „Leben Jesu
kritisch bearbeitet“ bekämpft er sowohl aufklärerische als auch herkömmliche Deutung. Die
Geschichtlichkeit Jesu bestreitet er nicht, sieht aber in den Evangelien mehr Mythen. Auch bei ihm
krasser Dualismus: historisches Jesus – dogmatischer Christus.

Endlich seien F.C. Baur – Lehrer Strauß‘, wird erst nach dessen schriftstellerischen Wirken sich
Gedanken machen und zu einem positiveren Urteil kommen – und Bruno Bauer genannt. Letzterer
war von Hegel beeinflußt und stand im Kontakt zu Feuerbach und Marx. Er versteht das NT als eine
Fälschung des 2. Jh. und sieht in Jesus nur die Personifikation der christl. Idee, die hinwiederum aus
griech., röm. und jüd. Wurzeln erwachsen ist.

Arthur Drews war es, der in der Nachfolge Feuerbachs oder Kalthoffs, in militanter und
öffentlichkeitswirksamer Weise die Ungeschichtlichkeit Jesu propagierte. Er arbeitete so unredlich/
ungenau, daß ein Protestant meinte, so könne er auch Kaiser Augustus leugnen.

Die liberale Schule löste Mitte des 19. Jh. die idealistische in bewußter Abkehr ab, um zur
konkreten Gestalt Jesu vorzustoßen, indem sie (bspw. anhand des damals frühdatierten Mk)
Zugang zum geschichtlichen Jesus suchten. Hauptprinzip war der religiöse Individualismus.
Die liberale Schule betont, daß Jesus nie eine Kirche gründen oder Glauben an seine Person
fordern wollte – er wird zum Künder des Gottvaterglaubens und Vorbild innerlicher Ethik.
Alles Große und Edle wird ihm zuerkannt – bis auf das Wunderwirken und die Übernatur.
Demonstratio christiana
Albert Schweitzer kümmert sich mit seiner Eschatologischen Schule um den
vernachlässigten Apsekt der Endzeit – hierher gehören auch Johannes Weiss, William Wrede
und Loisy. Auch Schweitzer war einseitg, damit unhaltbar – er erklärt aus einer
Weltuntergangsstimmung die Evangelien und versteht das Christentum und seine Geschichte
aus dem Ausbleiben der Parusie. Allein die sittliche Botschaft Jesu (Einsatz für andere,
Nächstenliebe) bleibt aufrecht erhalten, da seine Vorhersagen nicht eintrafen.

Die Religionsgeschichtliche Schule sucht die Entstehung der Evangelien aus den religiösen
Umwelteinflüssen (orientalischer Götterkult, griechischer Soter-Erwartung, Mythen).

Die Überwindung der Leben-Jesu-Forschung kam nach durch die Formgeschichte und
Redaktionsgeschichte (Gunkel, Dibelius, Bultmann), die davon ausgeht, daß die Formen der
evangelischen Überlieferung ihren konkreten Sitz im Leben der Kirche hat und
kerygmatisierte Berichte über Jesus darstellen. Die Redaktionsgeschichte setzte sich mit
chronologischem und topographischem Rahmen der Evg auseinander und stellt fest, daß aus
der Endredatkion keine Biographie Jesu in historiograhpischem Sinne gelesen werden kann.
Verdienst der Formgeschichte ist die Herausstellung der Tatsache, daß die Jesusüberlieferung
den „Stempel“ der apostolischen Kirche trägt – somit wird die Frage nach der sozialen
Funktion des jeweiligen Textes bedeutungsvoll. Problematisch: durch die Hinwendung zum
Kerygma wollte man zu einem bedingungslosen Glauben und verlor dabei das Leben Jesu
wieder aus dem Blick, wenn bspw. Bultmann die histor. Frage als belanglos erklärt.

Der historische Jesus und der kerygmatischen Christus sind bis heute ein umkämpftes
Gebiet, obwohl ein Kosens bzgl. des histor. Jesus herrscht, wobei das Problem des
messianischen Selbstbewußtseins Jesu weiterhin besteht. Historisch ist die Person Jesu in
seiner Wandertätigkeit und der Hinrichtung – die Evangelien aber transportieren bereits den
Christus, der Gegenstand des Glaubens ist. Was die Geschichtswissenschaft transzendiert (→
der geglaubte Christus), hat seine sichtbaren Wurzeln in der Geschichte. Das Kerygma hat
seinen Sitz in der Geschichte, diesen Ansatz müssen wir suchen. Gibt es aber keinen
Zusammenhang, steht am Anfang des Christentums eine bloße Idee, ein Mythos. Die Evg sind
die Geschichte Jesu im Lichte von Ostern, aber die Christusbotschaft steht im Rahmen des
irdischen Lebens Jesu. Gerhard Ebeling fordert daher zurecht, daß in der Christologie keine
Aussage ohne Fundament im historischen Jesus getroffen werden darf. Der christl. Glaube
baut auf geschichtliche Ereignisse, die Erlösung hängt an historischen Fakten. Für die
Glaubensbekenntnisse und die Episteln sind die Tatsachen, daß Jesus Mensch war und daß er
nach seinem Tod auferstanden ist, am wichtigsten, während die Evg mehr auf den
geschichtlichen Jesus schauen, womit sie die Gewißheit des Verkündigten sicherstellen.

Das Problem(atische) einer Biographie Jesu ergibt sich aus drei Gründen: (1.) haben die
Formgeschichte und die Redaktionsgeschichte deutlich gemacht, daß das NT in erster Linie
Glaubenszeugnis ist und somit keine historiographische Chronik hergeben. (2.) ist
festzuhalten, daß es faktisch viele Lücken gibt und (3.) ist eine Biographie Jesu unmöglich,
weil seine Persönlichkeit und sein Charakter nicht faßbar sind und bekannte Kategorien
sprengen. Erste Intention der Evg ist ja die Bekehrung der Juden und Heiden und die Stärkung
der Gläubigen; sie dokumentieren die urchristliche Predigt.
Fundamentaltheologie II
5. Hintergrund des Lebens und Wirkens Jesu

Politisch ist das Leben Jesu einzuordnen in die Zeit, wo Israel (seit 6 n.Chr.) unter röm.
Vorherrschaft steht und die Juden Tribut an Rom zahlen müssen. Zwar genießen sie
Religionsfreiheit und es darf der Hohe Rat bestehen bleiben, aber gerade in der
Gerichtsbarkeit ist letzterer eingeschränkt. Sei es im eigenen Land unter Besetzung, sei es in
der Diaspora – die Juden bewahren stets das ihnen eigene religiöse Bewußstein, das sich
gerade im Erwählungsgedanken äußert und die Besatzung unerträglich macht.

Sozial steht das jüdische Volk über den meisten Völkern, da hier die Sklaverei äußerst
abgemildert ist – nach dem mosaischen Gesetz muß eine solche Knechtschaft zeitlich
begrenzt sein. Die große Masse der palästinischen Bevölkerung besteht aus Bauern,
Städtebewohner sind meist Handwerker und am galiläischen See versorgt man sich mit
Fischen. Der Handel ist auf Nachbarn beschränkt.

Es gibt viele politisch-religiöse Gruppierungen, die wir im Einzelnen betrachten wollen:

Die Zeloten sind glühende Nationalisten und waren aus nationalen und religiösen Gründen für eine
gewaltsame Vertreibung der Römer; die Zöllner wurden als Kollaborateure gesehen.

Die Pharisäer standen zur Zeit Jesu im Vordergrund und waren eine elitäre Vereinigung, die einen
jüdischen Nationalstaat unter strenger theokratischer Regierung forderten und ihre Hauptaufgabe darin
sahen, Gesetz und Überlieferung zu verteidigen. Sie glaubten an Unsterblichkeit, Gericht,
Auferstehung, Willensfreit und die Vorsehung. 11
Die Sadduzäer waren eine Gegenbewegung gegen die Pharisäer, die man als politisch liberal
(römerfreundlich, dem Hellenismus aufgetan) und theologisch konservativ (gegen mündliche
Überlieferung der Väter, nur Thora) bezeichnen könnte.

Die Essener waren eine Art Bruderschaft frommer Juden, Vorbild klösterlichen Lebens; ihre
Gruppierung entstand im 2. Jh. v.Chr. gegen die Hellenisierung. Sie erwarteten das Ende der
bestehenden Weltordnung, lebten in vollkommener Gütergemeinschaft und verzichteten auf die Ehe.
Sie waren peinlich bemüht, jede äußere Unreinheit zu verteidigen; trotz gewisser Eigenarten in ihrer
Frömmigkeit, ist ihre Lehre echt jüdisch.

Die Schriftgelehrten bildeten den Berufsstand der Ausleger des Gesetzes, denn seit der schriftlichen
Fixierung wurde aus dem Jahwe-Glauben eine Buch-Religion; sie lehren in den Synagogen und
Lehrhäusern die Thora, hatten großes Ansehen und waren meist Pharisäer.

Versuchen wir Jesus und die Gruppierungen einzuordnen, stellt man fest, daß er nirgendwo
zugehört. Dogmatisch steht Jesus den Pharisäern sehr nahe, er lehnt ihre heuchlerisch-rigoristische
Moral allerdings ab, was zu Konflikten führt. Außerdem überwindet er ihren Nationalismus, insofern
er die Frohe Botschaft für alle Menschen bestimmt.

Die messianische Erwartung finden wir in den messianischen Erwartungen des


Spätjudentums, das entweder kollektiv mit Bezug auf Israel als Ganzes oder individuell mit
Bezug auf einen einzelnen Heilsträger zeigt; die Heilshoffnung war entweder diesseitig oder
apokalyptisch. Der individuelle Heilsträger wurde zumeist als Sohn Davids gesehen, wobei
die Qumran-Leute zwei messianische Heilsträger (aaronitischer Priester, daviditischer König)
annahmen. Aber auch das AT (cfr. Isaias) kennt den leidenden Messias, was für die
Demonstratio christiana
Zeitgenossen Jesu aber nicht präsent und zudem nicht vorstellbar ist. Das AT bietet im
Übrigen keine Synthese der verschiedenen Heilsbringergestalten. Im gegenwärtigen Judentum
kennen wir einen utopischen Messianismus („alle Völker werden nach Zion pilgern“ und
einen restaurativen Messianismus (Rückkehr des goldenen Zeitalters des Davidreichs).

6. Historizität des NT
In der Geschichtswissenschaft arbeitet man mit äußeren und inneren Kriterien; da im Bezug
zu den Evg direkte äußere Kriterien (Quellen) fehlen, greifen v.a. die inneren Kriterien.

Äußere Glaubwürdigkeitskriterien finden wir in den profanen Quellen des Lebens Jesu.
Besonders gut sind die indirekten äußeren Zeugnisse, die die Schilderung der Situation der
Evg bestätigen.

Innere (indirekte) Zeugnisse können wir anhand einiger Beispiele aufzeigen: der Blinde von
Jericho hat in der Überlieferung sogar den Namen (Bartimäus), das Wort vom Kamel und
dem Nadelöhr paßt zur prägnanten Sprache Jesu. Aus der Gesamtdarstellung der Person Jesu
können wir die Glaubwürdigkeit einzelner Stellen herauslesen, insofern die Schilderung
kohärent ist mit dem restlichen Zeugnis.

Einige Paradigma für äußerste Sicherheit auf Grund innerer Kriterien sind Kreuz,
Mißerfolg, Herkunft und Taufe. Das Kreuz ist „für die Juden ein Ärgernis und für die Heiden
eine Torheit“ (1 Kor 1,23). Bei allen vier „Ereignissen“ handelt es sich um schier
Unwahrscheinliches und dadurch wird es glaubwürdig.

Die Chronologie des NT ist insofern problematisch, als wir kein Datum mit Sicherheit,
sondern nur mit größerer oder kleinerer Wahrscheinlichkeit feststellen können. Als Erster hat
uns Markus ein zusammenhängendes Bild von der Geschichte Jesu entworfen; offenbar sah er
seine Aufgabe darin, vorliegende Berichte und Überlieferungen etc. zu einem
zusammenhängenden Bericht zu verarbeiten. Sorglosigkeit in bezug auf chronologische oder
geographische Angaben rührt vom Verkündigungs- und Glaubenscharakter her.

Anhand des 15. Regierungsjahr Tiberius‘ und dem Auftreten des Täufers können wir das öffentliche
Auftreten Jesu auf das Jahr 27 (Herbst) frühestens datieren.

Das Todesjahr Jesu läßt sich anhand der Evg und astronomischen Berechnungen mit aller
Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 30 (7. April) festlegen.

Das Geburtsjahr Jesu hat die meisten Schwierigkeiten, da die Angabe „in den Tagen des
Herodes“ sehr schwammig ist. Der Zensus oder der Wunderstern oder das Kindermorden
bilden auch nicht unbedingt Anhaltspunkte…
Fundamentaltheologie II
7. Geistige Gestalt Jesu

Das Problem, in dem alle Überlegungen dieses Traktats gipfeln, der geistigen Gestalt Jesu ist
das moralische Wunder seiner Person, insofern er das Menschliche übermenschlich gelebt hat.
Die Rätselhaftigkeit Jesu kann nur vom kirchlichen Bekenntnis her verstanden und erklärt
werden.

Zunächst ist Jesus zwar Jude, sein Verhältnis zum Judentum ist entscheidend für das
Verständnis. Sein Denken und Lehren steht ganz im jüdischen Kontext.

Insofern können wir grundsätzlich eine Bejahung des Judentums feststellen, die sich in Jesu hoher
Achtung für den Tempel und vor dem Kult ausdrückt. Er akzeptiert Ethik und Kult des AT, führt aber
die Menschen zurück auf das Ursprüngliche, indem er Wert legt auf die Gesinnung und alle
Veräußerlichung und heuchlerische Praxis ablehnt. Wir finden im NT 66 wörtliche Zitate aus
Propheten und 600 Teilzitate bzw. Anspielungen.

Wir dürfen die Unterschiedenheit nicht aus dem Blick lassen, die sich in seiner unvergleichlichen
Nähe zu Gott, seiner unerhörten Souveränität und allumfassenden Nächstenliebe konstatiert.

Wir haben bei Jesus eine einmalige Gottunmittelbarkeit – „in jedem Augenblick Gott nahe,
gilt ihm nichts als Gott und Gottes Wille“, so Karl Jaspers.

Sein Eifer für Gott ist auffallend: er verbringt Nächte im Gebet, sucht immer nur nach dem Willen
Gottes. In seiner Botschaft von der Herrschaft Gottes geht es um den Gehorsam gegen dessen
königlichen Willen. Die primäre Intention Jesu geht auf die Wiederherstellung der Ehre Gottes.
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Durch die Vateranrede erhält die Gottunmittelbarkeit Jesu ihre spezifische Ausprägung. Teils ist es
sogar die vertrauliche Anrede „abba“, was wegen seiner Anstößigkeit für Juden sich (nachösterlich)
nicht hätte durchsetzen können, wenn es nicht zentral gewesen wäre bei Jesus.

Das Leben ist Jesu ist bestimmt von einer rätselhaften Distanz und einer geheimnisvollen Fremdheit
ggü. seinen Zeitgenossen; seine eigene Stellung zu Gott und die Stellung der anderen Menschen zu
Gott ist grundverschieden – niemals faßt er sich und die Jünger bei der Vater-Anrede zusammen.

Aus seinem Verhältnis zum Vater ergibt sich denn auch die Bedeutung von Gebet und Gehorsam in
seinem Leben – ganze Nächte im Gebet verbringend und den Willen des Vaters als Speise verstehend.

Der Vater-Gott ist für Jesus ein Gott der Gnade, der trotz seiner Liebe und dem Aufruf zur Liebe ein
transzendenter Gott bleibt, ein mysterium tremendum – die Dialektik von Nähe und Ferne ist singulär.

Das entscheidende Thema der Verkündigung Jesu ist die Basileia-Predigt, also das Kommen
des Reiches Gottes und das Anbrechen der Gottesherrschaft.

Jesu Predigt gibt es vergleichsweise eine Läuterung und Vergeistigung des Inhalts; die Basileia ist
eschatologisches Heil und es gibt keine bunte Ausmalung der Apokalyptik.

Der Mensch steht als rein Empfangender vor der Gottesherrschaft, die Gottes hereinbrechende Tat
ist, auf der anderen Seite aber höchste sittliche Anforderungen an den Menschen stellt.

Wenn Jesus entsprechend zur Metanoia aufruft, stellt er den Primat der Sinnesänderung in der
Predigt auf – es geht dabei sowohl um Herzens- als auch um Weltwende.
Demonstratio christiana
Jesu Basileia-Predigt unterscheidet sich grundsätzlich von jener des Täufers, wenn er (1) sich selbst
im Zusammenhang mit der baldigen Ankunft der basileia eine einmalige Autorität zuschreibt und (2)
die basileia vornehmlich als Kundgabe unerhörter Barmherzigkeit darstellt, nicht als Gericht. Jesu
Auftreten erscheint als ein Geschehen, das bereits zu den Endereignissen gehört; er sagt das Heil den
ihm begegnenden Menschen aus freier Vollmacht zu. Nach Ostern tritt die von Jesus verkündete
Gottesherrschaft in den Hintergrund und wird abgelöst von der gegenwärtigen Herrschaft des Kyrios
Jesus. In der Konfrontation mit ihm ist von den Menschen eine letztgültige Entscheidung gefordert;
auf seinen Anruft gibt es keine Antwort ohne Gemeinschaft mit ihm.

Jesus hat eine Schlüsselstellung in seiner eigenen Verkündigung, daß es keine Anerkennung
ohne Gemeinschaft mit ihm gibt. Selbst Pietätspflichten treten dabei zurück. Wenn Jesus so
stark an seine Person bindet, ist das ein novum ggü. dem AT. Seine Jüngerschaft wird dabei
instruiert, weder Leiden noch Tod zu verschmähen, wenn es um seiner Person geht. Die
Berufung geht dabei auch von ihm allein aus. Christentum ist die Sammlung um Jesus.

Ein anderer erstaunlicher Zug ist seine Überlegenheit, insofern er alle Kategorien sprengt.
Zwar ist der Basileia-Verkünder Prophet, aber Jesus geht darin nicht auf, bei ihm gibt es kein
„so spricht der Herr“. Sein Auftreten ist bestimmt von selbstverständlicher Sicherheit.
Andererseits läßt er sich Rabbi nennen und legt das Gesetz aus und scheint in allem den
Rabbis seiner Zeit ähnlich – bis auf einen Umstand: er dient seinen Jüngern und fordert
Nachahmung dieses Beispiels. Außerdem ist seine Auslegung des Gesetzes ganz anders,
vielmehr beansprucht er, Moses Autorität überbieten zu können und Gottes absoluten Willen
unmittelbar zu kennen. Die Evangelisten nennen diese Überlegenheit Jesu Exousia,
Vollmacht, die einschließt, daß er redet, wie einer, der Macht hat. Er kennt keine Furcht vor
Irrtum – ganz anders als Platon und Sokrates in ihren Disputen. Aus seinem ganzen Auftreten
können wir auf Jesu Selbstbewußtsein schließen, das einfach nicht begrenzt ist. In das
Evangelium, das er verkündet, gehört er mittendrin hinein – deshalb gibt es nach Ostern keine
Kluft zwischen Verkünder und Verkündetem. Er hatte das Bewußtsein, daß seine Botschaft
für die Zeitgenossen heilsentscheidend ist. Aus seinem außergewöhnlichen Selbstbewußtsein
heraus erfüllt und korrigiert er alttestamentliche Aussagen.

Vielfältig sind im Einzelnen die sittlichen Forderungen Jesu – in der Logienquelle stellen sie
sich dar als totale Ausrichtung des Menschen auf Gott. Im Zentrum seiner prophetischen
Verkündigung steht Gott. Die Mahnsprüche Jesu beinhalten schwerpunktmäßig den Bezug
zum Nächsten, die Haltung des Vertrauens zu Gott. Er lenkt den Blick auf das Ursprüngliche,
indem er absolute Wahrhaftigkeit, Lauterkeit der Gesinnung, fordert. Diese erfordert eine
Abkehr von der Ich-Sucht und Hinwendung des Menschen zur Sachhaftigkeit, zum Grund
aller Sachen, zu Gott. Auch die Liebe ist ohne absolute Wahrhaftigkeit wertlos, denn sie ist
dann heuchlerisch! Entscheidende Aufgabe des Menschen ist es, Gott zu dienen und nicht
sich selbst zu entfalten. In der Liebe zum Nächsten, der ein Ebenbild Gottes ist, findet die
Gottesliebe ihren konkreten Ausdruck. Konkrete Nächstenliebe erstreckt sich auf alle
zwischenmenschlichen Beziehungen, denn sie ist nicht allgemeine Mitmenschlichkeit. Die
ethischen Weisungen des AT werden hier insofern radikalisiert, da Nächstenliebe
kompromißlos bis zur Feindesliebe gehen muß. Beide erhalten ihre Motivation aus der
allumfassenden Liebe Gottes.

Herausragend ist Jesus in seinem Verhalten ggü. Frauen – es findet sich in keiner einzelnen
Begegnung nur der Hauch von Erotik, ferner übernimmt er keines der gängigen Vorurteile
Fundamentaltheologie II
gegenüber Frauen. Er setzt sich vom zeitgenössischen Judentum und verfolgt konsequent die
guten Ansätze des AT in dieser Sicht. Wir entdecken auch immer wieder Frauen in seinem
nächsten Umfeld, das aus drei Kreisen besteht: (1) insgesamt alle Jünger und Jüngerinnen –
solche, die seiner Lehre folgen und sich bekehren, (2) jene männlichen jünger, die ständig bei
ihm sind und (3) der Zwölferkreis der Apostel. Seine sündenvergebende Liebe gilt den
öffentlichen Sünderinnen ebenso wie den verhaßten Zöllnern. Überhaupt begegnet Jesus den
Frauen mit Unbefangenheit und innerer Freiheit – umgekehrt sorgen sie für sein leibliches
Wohlergehen und sind seine treuesten Zuhörer. Jesus verteidigt die eheliche
Gleichberechtigung der Frau mit Mann und wendet sich kategorisch gegen die
zeitgenössische Scheidungspraxis, wobei er den mosaischen Scheidebrief als menschliches
Gesetz entlarvt, das aufgelöst werden kann, was er auch tut. Bei Paulus sehen wir in
nachösterlicher Zeit wie die absolute Unauflöslichkeit der Ehe bereits zum Glaubensgut
gehört. Jesus wendet sich gegen eine Willkür des Mannes gegenüber seiner Frau; er fordert
die eheliche Treue bis in die Gesinnung und die eheliche Reinheit bis in den Seelengrund
hinein. Bei Jesus gibt es eine völlig neue Wertung der Frau, wenn er auf ihre personale Würde
und ihr volles Menschsein schaut. Bei den Juden waren die Frauen nur durch Vermittlung der
Männer, die beschnitten wurden, Teil des Gottesvolkes – im eschatologischen Gottesvolk
gehören alle gleichermaßen dazu. Sowohl die Apostelgeschichte als auch die Briefliteratur
des NT stellen uns eine große Anzahl von Frauen vor, die großes Ansehen in den
Urgemeinden besaßen. Sei es, daß sie als Witwen ihre Häuser zu Hauskirchen umwandeln, sei
es, daß sie sich ganz für das Evangelium verzehren. Paulus hat ihre Mitarbeit immer wieder
gewürdigt. Zunächst billigt Paulus Weissagung und freies Gebet der Frauen im Gottesdienst,
nach und nach muß aber aus berechtigter Furcht vor Schwarmgeisterei dem ein Ende bereitet
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werden. Immerhin kam den dem Witwenstand angehörigen Frauen ein Ehrenplatz in der
Kirche zu. Was Frauen aber schlechthin nicht zukommt, ist die Betätigung im Lehramt.
Ferner begegnet uns im NT nicht die Spur einer amtlichen Beauftragung der Frauen;
messianisches Vikariat und apostolische Ämter bleiben den Männern vorbehalten, wobei die
Aktivitäten der Frauen dennoch vielfältig sind. Wenn der Frau in der Geschichte nicht immer
Gerechtigkeit widerfahren ist, ist das Folge der Sünde!

Endlich dürfen wir unseren Blick nicht von einer gewissen Jesus-Literatur jüngerer
Generation trüben lassen: weder können wir eine Vorliebe für die „Unterwelt“ konstatieren,
da Jesus vielmehr für alle da war, noch lag es in seinem Horizont eine Veränderung der
sozialen Verhältnisse herbeizuführen – es ging ihm stets um den Einzelnen, ja um die
Metanoia des Einzelnen.

Wir müssen nun auch Jesus als Wundertäter in Augenschein nehmen, um seine Singularität
auch in dieser Hinsicht herauszustellen. Die Wunder, die er wirkt, sind von Anfang an mit
seiner Person verbunden, während bei anderen Religionsstiftern erst in der späteren
legendären Ausschmückung erfolgt (Buddha, Mohammed). Auch Pythagoras wurde von
Anhängern seiner Lehre (nicht sein Jüngerkreis!) später mit Wundern und göttlichen Ehren
ausgestattet. Der entscheidende Unterschied zwischen den Wundern des NT und antiken
Wundergeschichten ist aber, daß jene ernst sind, Jesu Person und Botschaft in den
Vordergrund stellen und auf seinen transzendenten Ursprung verweisen. Außerdem stehen die
Wunder immer im Zusammenhang mit dem Glauben dessen, an dem sie geschehen. Der Wille
Jesu stellt sich immer als die wunderwirkende Kraft dar. Interessant: im Talmud werden die
Demonstratio christiana
Wunder Jesu nicht geleugnet – stattdessen führt man sie auf eine magische Geheimpraxis
zurück, die er in Ägypten gelernt habe.

Am Ende bleibt jedoch immer die Rätselhaftigkeit Jesu – einmalig und ohne Parallele ist das
Bekenntnis der Christen zu seiner Auferstehung, die den Grund der apostolischen Predigt
bildet. Bedeutsam sind nicht bloß die gewirkten physischen Wunder, sondern noch mehr das
Wunder des Lebens und der Lehre Jesu. Die rätselhafte Persönlichkeit Jesu läßt den, der ihr
begegnet, aufhorchen. Der Philosoph Karl Jaspers erklärt: „Gegner und Feinde waren
ergriffen“ oder: „Die Menschen folgten ihm schwärmerisch“. In der Lehre Jesu sind die
echten religiösen Wahrheiten aller anderen Religionen eingeschlossen, dabei aber ihre
Irrtümer und Abirrungen ausgemerzt. Christentum ist Religion schlechthin!

Der Kyrios-Titel zeigt die Göttlichkeit Jesu in der Sprache der Urgemeinde.

Fassen wir noch einmal (fundamentaltheologisch) die entscheidenden Aspekte zusammen:

- Jesus nimmt das Rabbi-Jünger-Institut in Dienst, wandelt es aber wesentlich um,


indem er die Jünger beruft und an sich bindet

- für Jesus ist Glaube an Gott zugleich Glaube an ihn

- Christentum ist nicht eine Lehre, sondern Entscheidung für eine Person (i.e. Christus)

- Der geschichtliche Jesus der Evg sprengt alle menschlichen Kategorien

- Jesus mißt das Gesetz Gottes an dem unmittelbar gegenwärtigen Willen Gottes, den er
unmittelbar zu kennen erklärt und in Person repräsentiert

- Jesus tritt mit einer unvergleichlichen Überlegenheit und Vollmacht auf – diese
Exousia Jesu offenbart ein außergewöhnliches Selbstbewußtsein

- Jesus tritt konsequent für das Ewige ein, plädiert für Entscheidungen der Menschen
um des Ewigen willen

- Jesus hält die Thora für erfüllbar – und zwar sowohl dem Buchstaben nach als auch
(und vor allem) der ursprünglichen Absicht nachSünde ist für Jesus Widerspruch zum
göttlichen Willen und somit richtet sich sein ganzes Wirken auf die Zerstörung der
Sünde

- Jesu Ethos liegt im Doppelgebot der Liebe, in welchem die einzelnen Gebote in nuce
enthalten sind und ihre Motivation erhalten

- Nächstenliebe ist bei ihm nicht imaginative Liebe zur Menschheit oder bloße
Humanität, sondern bewußte und konkrete Hinwendung zu dem, der der Nächste ist

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