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Das Kunstmagazin der ZEIT

Nº105 September 2015    Seit 1930

Die letzte Muse: Jule Kewenig und die Postmoderne


€ 13,– (A, I, LUX, NL)
SFR 20,– (CH)
€ 11,80 (D)
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511804

00105

Videokunst Neue Perspektiven in Frankfurt und Duisburg Art nouveau Blütenträume aus Glas
David Hockney Vom Lieben und Leiden an den Pools von Los Angeles
I MI K N OE BE L
W E I S S — S C H WA R Z / 12. September — 14. November 2015

»Weiss-Schwarz 2 Ed.« 2009/ 2012 »Weiss-Schwarz 4 Ed.« 2009/ 2012 »Weiss-Schwarz 7 Ed.« 2009/ 2012
each 19 x 19 cm, Edition: 5 53 x 53 cm, Edition: 5 41,3 x 30,5 cm, Edition: 5

»Weiss-Schwarz 9 Ed.« 2009/ 2012 »Weiss-Schwarz 14 Ed.« 2009/ 2012


48,8 x 62 cm, Edition: 5 43,8 x 51,4 cm, Edition: 5

all pictures (above):


acrylic on plastic sheet, handpainted

»Weiss-Schwarz 6« 2009
acrylic/aluminum, 225 x 303 x 7.5 cm

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UNSER
TITELBILD
TITELBILD: Marlene Dumas; Privatarchiv Jule Kewenig; Marlene Dumas

Diese Augen! Unergründlich in ihrem tiefen zahlreichen Künstlern befreundet. Sie hat ih-
Grünblau, ein wenig melancholisch, aber nen viel Liebe und Zuwendung gegeben und
auch ganz klar und wach. Eine große Neugier bekam das auch zurück. Marlene Dumas, die
auf die Welt. Und dieser verführerische 1976 aus Südafrika nach Amsterdam emigriert
Mund: leicht geöffnet, die Oberlippe ganz war, lernte Kewenig Anfang der Achtziger
fein verzogen, vielleicht aus Spott oder Selbst- kennen, dann trafen sie sich häufig in Loers-
ironie, wer weiß das schon. Vor allem aber feld bei Köln oder anderswo. Das Porträt mal-
schlägt einen das tiefe Rot in Bann – das Ge- te Dumas 1985 auf Grundlage eines Polaroid-
sicht, die Schultern, die Haare, alles rot auf- fotos. Kewenig war damals Ende dreißig und
glühend wie ein pulsierendes Liebeszentrum. wirkt so rätselhaft schön wie auf der Fotogra-
Wer ist diese Frau? Das werden sich schon un- fie oben aus ihren jungen Jahren. Auf die Fra-
zählige Menschen gefragt haben, wenn sie ge, warum sie das Bild in ein so leuchtendes
das Gemälde von Marlene Dumas sahen. Rot getaucht hat, antwortet Dumas per Mail:
»Jule, die Vrou« heißt das Bild, das Charles »Das ist ganz einfach. Jule war immer zur lei-
Saatchi im November 2004 für 1,24 Millionen denschaftlichen Liebe fähig. Und Rot ist eine
Dollar ersteigerte. Es zeigt Jule Kewenig, der leidenschaftliche Farbe.« Kein Zweifel, »Jule,
wir unsere Titelgeschichte widmen (ab S. 22). die Vrou« hat längst einen festen Platz unter
Die Galeristin, die heute in Palma de Mallor- den schönsten Darstellungen von Künstler-
ca lebt, war in ihrem schillernden Leben mit musen. SEBASTIAN PREUSS

3
INHALT

Bilder: David Hockney/Art Gallery of New South Wales/Jenni Carter; Maarten Baas
David Hockney S. 42

Kolumnen 18 Was passt zu … Die großen


Yayoi Kusama?
Geschichten
10 Die Marktfrau 20 Was haben Sie gesehen,
Das neue Kulturgutschutzgesetz Herr Obrist? 22 Eine Frau namens Herbert
fordert von den Händlern antiker Aufbruch und verschwundene Seit einem halben Jahrhundert
Kunst sensible Daten Museen im Kosovo, außerdem prägt die Galeristin Jule Kewenig
PriŠtinas National Gallery die Kunstszene. Ein Porträt
12 Drei Wünsche der Muse der Postmoderne
Eine Stehleuchte in Palmenform,
ein schöner Streifenstuhl von 36 Zeitgenossen für die Zukunft
Lindqvist und Antje Dorns Das Schaulager Basel zeigt eine
Architekturfantasie der wichtigsten Sammlungen der
Schweiz im opulenten Überblick
14 Heimliche Zwillinge
Robert de Niro und ein Offizier 42 Summer of Love
des Ancien Régime In den Sixties traf David Hockney
Peter Schlesinger. Der dritte Teil
Kritikerfrage unserer Serie »Die schönsten
Was halten Sie vom geplanten Liebesgeschichten in der Kunst«
Kulturgutschutzgesetz?
50 Liechtensteins Schätze
16 Hand des Meisters Von Europa ins Weltall: 500 Jahre
Feinste Kaschmirpullover Sammelgeschichte in der neu
von Iris von Arnim eingerichteten Schatzkammer

Was passt zu …? S. 18


Agenda
66 Nachrichten bei Künker und Gerhard Hirsch
Preview im Anbau des Sprengel Nachf., Bücher bei Venator &
Museums, Koran-Fund, Dix für Hanstein, Teppiche bei Nagel und
Stuttgart, ein Museum für Boll- Skulpturen bei Hargesheimer
hagen und Kunst für den Frank-
furter Flughafen 104 Bücher
Die erste Biografie über Wilhelm
Personalien Lehmbruck. Und: Pierre-Joseph
Josef Helfenstein, Stephanie Redouté, ein Guide für arme
Buck, Hans-Peter Wipplinger, Sammler und Neues über Menzel
Lilian Engelmann, Olaf
Thormann 106 Kunststück
Das Porträt der Henriette Adelaide
68 Vive le Pop! von Jean-Baptiste Delamonce in der
Meisterwerke amerikanischer Neuen Pinakothek München
Nachkriegsmoderne im Musée
Granet in Aix-en-Provence
Jule Kewenig, S. 22
70 Urknall und Burn-out
Videokunst von Doug Aitken in
54 Sammlerseminar Frankfurt und von Julian
Bilder: Klaus Märtens/Galerie Taube; Kastern, Hannover; Bonhams

Glasobjekte des Art nouveau Rosefeldt auf der Ruhrtriennale


waren ein Experimentierfeld für
vielfältige neue Formen, Farben 74 Ausstellungen
und Techniken Goldscheider im Grassimuseum,
Würth Skulpturengarten,
60 Glossar Lynn Hershman Leeson in der
Wie entsteht eine Pâte de verre, Sammlung Falckenberg, Joan
wo kann man kaufen? Die Mitchell in Bregenz, 1000 Jahre
wichtigsten Begriffe und Adressen Kaiserdom Merseburg

62 Thurn und Taxis Fragebogen 76 Messen


Edouard Baribeaud über sein Paris Biaf, Berlin Art Week,
Expo Chicago und DC Open

80 Schaufenster
»Schalter« (1970) von
Auktionen, S. 86 Bettina von Arnim Messen, S. 76

82 Kunsthandel Meldungen
40 Jahre Samuelis Baumgarte 110 weltkunst bei ...
und Kunstherbst Hamburg … der Galerie Utermann und im
Salon von Audemars Piguet
84 Stilkunde
Eglomisé – die kunstvolle 114 Bild meines Lebens
Hinterglasmalerei mit Lack Lily Brett über Cy Twomblys
Bild »The Wilder Shores of Love«
86 Auktionen im New Yorker MoMA
Asiatika in New York und bei
Auctionata, Druckgrafik in Lon-
don, Kuriositäten bei Christie�s,
Uhren bei Sotheby’s, Jugendstil
im Dorotheum, Alte Kunst bei 6 Editorial
Koller und Schuler. Außerdem: 8 Impressum
Neumeister, Lempertz und
9 Mitarbeiter des Monats
Hampel versteigern Gemälde,
Neues aus dem Achenbach-Kon- 112 Termine
volut bei Van Ham, Münzen 113 Vorschau

5
EDITORIAL

Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
kennen Sie Jule Kewenig? Die Galeristin hat wie
keine andere das Kunstschaffen der letzten Jahr-
zehnte in Deutschland begleitet. Sie war mit Mar-
kus Lüpertz und dem Galeristen Michael Werner
verheiratet, Marlene Dumas, A. R. Penck und
Georg Baselitz haben sie dargestellt. Jetzt hat

Bilder: Wolfgang Stahr; Marlene Dumas; Henry‘s, Mutterstadt


Sebastian Preuss sie auf Mallorca besucht, wo sie
ihre Galerie in einer gotischen Kapelle mitten in
Palma führt. Außerdem sprach er mit ihren drei
Ehemännern, ihren drei Kindern und anderen In Nancy und anderen Zentren des
Weggefährten (ab S. 22). Wir freuen uns Art nouveau entstanden technisch
sehr, dass wir Ihnen Jule Kewenig in aufwendige Formen und Oberflä-
einem großen Porträt mit vielen chen, die aussehen wie hingegos-
nie veröffentlichten Fotos im sen. Die hier abgebildete Vase
Kreis von James Lee Byars, Ger- »Tulipes« mit grünem und gelbem
hard Richter, Martin Kippen- Überfang für die transparenten Blütenblätter
berger und vielen anderen wurde um 1900 nach einem Entwurf von Henri
Künstlern vorstellen können. Bergé von der berühmten Firma Daum Frères
Sicher haben sie schon un- in Nancy geschaffen. Im Juli erzielte sie in der
ser Titelbild, Marlene Dumas’ Jugendstil- und Art-déco-Auktion bei Henry’s in
glühend rotes Porträt von Jule Mutterstadt einen angemessenen Hammerpreis
Kewenig, bewundert. Darum von 3420 Euro. Es fällt mir übrigens in diesem
möchte ich Sie auf eine Titelge- Zusammenhang schwer, die Vokabeln »Ham-
schichte des ZEITmagazins hin- merpreis« oder »Zuschlag« zu verwenden, denn
weisen: Am 25. August wird die der- Glasobjekte des Art nouveau sind zerbrechliche
zeit viel begehrte Künstlerin dort Kostbarkeiten. Zerbrechlich wie die Liebe.
erstmals eine Serie mit Tuschearbei- Der dritte Teil unserer Serie mit den
ten von Menschen, die ihr etwas be- schönsten Liebesgeschichten in der Kunst (S. 42)
deuten, veröffentlichen: von Pier Pao- entführt Sie an die Pools von Los Angeles. In
lo Pasolini bis Charlotte Rampling, den Sechzigerjahren liebten und malten sich
wie rechts auf dem Cover zu sehen. dort David Hockney und Peter Schlesinger.
Unser monatliches Sammlerse- Viel Spaß mit der Kunst!
minar beschäftigt sich in dieser Aus-
gabe mit französischem Jugendstilglas
(ab S. 54). Der künstlerischen Fantasie Ihre Lisa Zeitz
schienen damals kaum Grenzen gesetzt. Chefredakteurin

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New York: Dr. Barbara Kutscher LITHOS twentyfour Seven
Venedig: Petra Schaefer Creative Media Services GmbH
Zürich: Christian von Faber-Castell Dorotheenstr. 3, 10117 Berlin

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kostenlosen Farbkatalog an oder der deutschen Kunsthändler. Sie ist das Leitmedium
des Deutschen Kunsthandelsverbandes e. V. (DK)
und des Bundesverbandes des Deutschen Kunst– ABONNENTENSERVICE/
informieren Sie sich unter www.henr ys.de und Antiquitätenhandels e. V. (BKDA) sowie der EINZELVERKAUF
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in oude Kunst in Nederland. Die Zeitschrift und
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MITARBEITER
DES MONATS

Gunnar Knechtel
Er kennt Mallorca sehr gut, denn er lebt seit 15 Jahren
mit seiner Familie in Barcelona und kommt oft rüber.
»Die Insel ist mein Traum in der Nebensaison, dann
ist das Licht am schönsten, und es kehrt Ruhe ein«,
schwärmt Gunnar Knechtel (re. im Bild), der weltweit
für Guardian, Observer, Stern oder El País Semanal
fotografiert. Darum sagte er gleich zu, mit unserem
stellvertretenden Chefredakteur Sebastian Preuss in
Bilder: privat (2); Annette Koroll FOTOS

Palma die Galeristin und Künstlermuse Jule Kewenig


zu besuchen (S. 22). Er war beeindruckt: »Vor allem
von ihrer Liebe zur Kunst und ihrem großen Stil.«

Lydia Schmid
Siebzehn Jahre lang hat Lydia Schmid für den Burda-
Verlag als Auslandskorrespondentin über Kultur- und
Lifestyle-Themen berichtet. Seit 2013 lebt sie als freie
Journalistin in Berlin, nutzt aber nach wie vor ihre en-
gen Beziehungen zur amerikanischen Kunstszene. Für
diese Ausgabe hat sie in Aix-en-Provence eine Ausstel-
lung der kalifornischen Fisher Collection mit Meister-
werken der Nachkriegsmoderne besucht (S. 68).

Nora Ströbel
Nerven aus Stahl hat sie gerade in den Verhandlungen mit
dem Studio von David Hockney bewiesen: Nach einem Mo-
nat mit unzähligen Mails und Telefonaten bekamen wir end-
lich die Bildrechte für unsere Liebesgeschichte in Los Angeles
(ab S. 42). Als Bildredakteurin lastet auf der 30-Jährigen viel
Verantwortung, die sie gelassen schultert. Entspannung findet
die Fotografin in der eigenen Kunst – wie einer tollen Serie
kurioser Stundenhotelansichten aus Buenos Aires.

9
DI E M A R K T F R AU

Unter Generalverdacht
Die geplante Novelle des Kulturgutschutzgesetzes legt für die Einfuhr antiker
Kunstgegenstände strenge Regeln fest. Händler fürchten um ihre Existenz

Bilder: GORNY & MOSCH/Lübke & Wiedemann, 70195 Stuttgart (12); Pablo Castagnola
ünzen machen Geschichte Im­ und Export zwar im neu­ entwurf falsch wiedergegeben und
buchstäblich für jedermann en Kulturgutschutzgesetz gere­ Einvernehmen suggeriert wird, wo
greifbar. Anhand der Prägung gelt wird, in den Einzelheiten aber Dissens herrscht. Kurz vor der Som­
lassen sich Herrschaftsstruktu­ in Rechtsverordnungen aus dem merpause ließ das Bundesministeri­

M
ren, Handelswege und künstlerische Stan­ Bundeskulturministerium. um für Kultur und Medien ein weite­
dards ablesen. Der Einstiegspreis beim Entsetzen allerdings lösen unter den Be­ res Treffen mit Händlerverbänden kurzfristig
Münzsammeln liegt meist bei nur 100 Euro. troffenen unter anderem die nun geforderten absagen. Woher kommt der Hass auf den
Wie alle anderen Kunstsammler sind auch Sorgfaltspflichten aus, berichtet Ursula Kunsthandel? Wer sind die Ratgeber der Mi­
die Münzfreunde schockiert und alarmiert Kampmann, selbst Sammlerin und Fachjour­ nisterialverwaltung? Kennen die dortigen
durch den bekannt gewordenen Referenten­ nalistin. Provenienzrecherchen und der Ab­ Referenten nur die Skandalberichterstattung
entwurf der Novelle des Kulturgutschutz­ gleich mit dem Art­Loss­Register stehen auch oder auch das tägliche Geschäft unbescholte­
gesetzes. Neben den schon in der August­ jetzt schon auf der To­do­Liste vor dem Er­ ner Händler?
ausgabe der weltkunst diskutierten Regeln werb von archäologischen Objekten. Neu Kleinobjekte wie die eingangs erwähn­
für die Ausfuhr von möglicherweise »natio­ aber ist, dass der Händler schon einem Kauf­ ten Münzen sind per se weit verstreut. Weil
nal wertvollem Kulturgut« geht es Kultur­ interessenten (der nicht zwangsläufig zum sich die Münzsammler pauschal inkrimi­
staatsministerin Monika Grütters (CDU) Käufer wird) höchst sensible Daten liefern niert sehen, haben sie eine Onlinepetition
auch um verschärfte Einfuhrregeln für anti­ muss. Der bekannt gewordene, unautorisier­ ins Leben gerufen, die schon Zehntausende
ke Kunst. Sie sind weitgehend unumstritten te Referentenentwurf fordert vom Händler weltweit unterzeichnet haben. Deutschlands
und stärken eine UNESCO­Konvention Name und Anschrift von Einlieferer, Ver­ Ansehen als Kulturnation schwindet. Nach
von 1970. Sofern Skulpturen, Bronze­ äußerer und Auftraggeber. Der Anti­ einer ersten Welle der Kritik ist Monika
objekte oder Münzen aus Raub­ kenfreund erhielte beim Ankauf eine Grütters bereits in einigen Punkten zurück­
grabungen, Diebstahl oder Plünde­ komplette Dokumentation über die gerudert (zum Beispiel bei den geplanten
rungen stammen – momentan durch Quelle des Händlers, dazu die zwan­ Hausdurchsuchungen). Jetzt müssen ihre Re­
die Bilderstürmerei des IS im Nahen zigjährige An­ und Verkaufsgeschich­ ferenten alles daransetzen, dass mit ihren
und Mittleren Osten wieder stark im te des Objektes, einschließlich Preis­ teilweise unbedachten Entwürfen nicht die
Fokus –, sollen sie als »illegal eingeführtes historie. So ausgerüstet, könnte sich der komplette Branche austrocknet und Samm­
Kulturgut anderer Staaten an diese zurück­ Interessent künftig direkt an die Quelle wen­ ler für den Erhalt von Kultur bestraft werden.
gegeben werden«, so die Ministerin. den, den Händler braucht er dazu nicht Nur weil es schwarze Schafe gibt, darf nicht
Die Erfahrung zeigt: Vom Bürgerkrieg mehr. Damit würde dem Handel der Boden gleich ein ganzer Berufsstand verdächtigt
erschütterte Länder können keine Listen der unter den Füßen weggezogen. werden.
für ihre Identität bedeutsamen Kulturgüter In ihren Äußerungen wird Monika Nix für ungut, Ihre Marktfrau. ×
führen. Deshalb müssen exportierte Antiken Grütters nicht müde, auf die Stärkung des
künftig eine offizielle Ausfuhrgenehmigung Kunsthandelsstandortes Deutschland hinzu­ Susanne Schreiber
des Ursprungsstaates vorweisen. Bislang war weisen. Da wirkt es wie ein Hohn, dass seit ist Redakteurin des
es an den Herkunftsländern nachzuweisen, April (!) das Protokoll einer Anhörung der Handelsblatt und betreut
dass illegal ausgeführt wurde. Sorgen berei­ Kunsthandelsverbände aussteht und dass dort seit vielen Jahren
tet Antikenhändlern und Sammlern, dass eine Händlerargumentation im Referenten­ den Kunstmarkt

10
Galleria Canesso
LUGANO
altmeister gemälde

Paris Bordon
Treviso,   Venedig, 
..............................................................

Porträt einer jungen Frau


Öl auf Leinwand, , × , cm
signiert, im Hintergrund rechts : “.O.Paris.B”

 ‒ ,     ‒ ( . . - . .  )


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Bilder: Antje Dorn, Bauten, 2013, Courtesy Galerie m Bochum/VG Bild-Kunst, Bonn 2013; Original in Berlin; Zimmerdahl
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Nature Morte
Sie bringt den edlen Touch
der 1970er-Jahre ins Wohn-
zimmer: die Stehleuchte in
Palmenform des deutschen
Designers Hans Kögl. Das
extravagante Stück aus
vergoldetem Metall sorgt
mit warmem Lichtschein
und Schattenwurf auch für
eine wundervolle Atmo-
sphäre. Wir haben es bei
Original in Berlin
(030 60936046) gesehen.

4500  €

Fantasiebauten
Die Häuser in den Arbeiten der Berliner
Künstlerin Antje Dorn scheinen in

150 
den Himmel gebaut zu sein, wie auch im
Ölbild »#16« aus der Serie »Bauten«
(60 x 50 cm). Die Architekturfantasien

stellt die Bochumer Galerie m (0234 43997)
den geometrischen Wandobjekten des
Parisers François Perrodin gegenüber.
Beide Werke regen dazu an, über Realität Streifenlook
und Wahrnehmung nachzudenken. Dieser Stuhl schaut nicht nur aus wie schwe-
disches Industriedesign, sondern kommt auch
von dort. Das Möbelstück von Lindqvist
stammt aus den 1940er- bis 1950er-Jahren
und scheint einem Cafeteria-Gemälde
Edward Hoppers entsprungen. Fredrik
Zimmerdahl in Lund in Schweden
(+46 46 2118040) bietet es zum Kauf an.

12
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Bilder: Collection/Active Museum; Armando Gallo/Corbis; Frank Röth/F.A.Z.


Französischer Offizier Robert De Niro

Als Schauspieler ist er eine Legende, er spielte Boxer, Mafiosi,


Taxifahrer – und Soldaten. Hatte er Vorfahren in der Armee
des Ancien Régime? Die Ähnlichkeit zwischen Robert De Niro
und dem Offizier auf dem Gemälde eines unbekannten
Malers von 1876 aus dem Militärmuseum in Paris ist frappant.
Wir danken Hans-Martin Esser aus Arnsberg für den Tipp!

K R I T I K E R F R AG E

Was halten Sie vom geplanten Kulturgutschutzgesetz?

Samuel Herzog Kia Vahland Niklas Maak Lindsay Pollock Hanno Rauterberg
Neue Zürcher Zeitung Süddeutsche Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Art in America DIE ZEIT

Es gibt darin sehr gute Ein besserer Schutz vor Nervig, aber nicht tödlich, Der geplante Gesetzent- Was ich an der Debatte
Ansätze. Doch die werden allem von gestohlenen weder für Händler noch wurf ist gut gemeint, aber vor allem nicht verstehe:
gegenwärtig von ein paar Antiken, etwa aus dem für Sammler, auch wenn schwer durchsetzbar und Warum soll Nationalkunst
pikanten Dummheiten, Nahen Osten, ist dringend der laute Aufschrei das ziemlich zudringlich. In plötzlich wieder so
etwa dem Zugriffsrecht auf notwendig. Die bisherigen vermuten lässt. den USA würde so etwas wichtig sein? Mir kommt
private Wohnräume, Regelungen waren nie durchgehen. das vor wie ein Rückfall
verstellt, über die sich alle undurchsichtig und zu ins 19. Jahrhundert.
zu Recht aufregen. unverbindlich. Insofern tut
Veränderung not.

14
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Im Zeichen des Strickmusters

Iris von Arnim begann ihre Laufbahn mit ein paar Knäuel Wolle. Heute gehören
ihre Kaschmirpullover zum Feinsten, was man auf der Haut tragen kann

ass der Kaschmirpulli in den


70er-Jahren nach Deutschland
kam, hat mit einem Unfall zu
tun. Und zwar einem schwe-

D
ren. Anfang der Siebziger verunglückte eine
junge Frau namens Iris von Arnim mit ih-
rem VW-Käfer. Sie musste viel Zeit im Kran-
kenhaus verbringen. Ein Freund brachte ihr
eines Tages bei einem Besuch einen Haufen

Bilder: Iris von Arnim/Daniel Cramer; Christian Abel (4); Michael Biedowicz
Wolle mit. Sie solle sich die Zeit im Bett mit
etwas Sinnvollem vertreiben. Daraus wurde
ihr erster Pullover.
Die Kreationen von Iris von Arnim
wurden in ihrem Umfeld schnell sehr be-
liebt. Sie eröffnete 1976 eine Boutique in
Hamburg und wurde bald populär mit
Strickpullovern mit Tiermotiven. Schließ-
lich suchte und fand sie in Italien Produzen-
ten für Kaschmirwolle, um eine der Ersten
zu sein, die Kaschmir in Deutschland verar-
beiten. Bei Kaschmir handelt es sich um das
feine Unterfell der Kaschmirziege, einer ge-
hörnten, schlappohrigen Ziegenart, die ih-
ren Ursprung in der Kaschmirregion hat.
Das Gebiet des ehemaligen Fürstentums
nördlich von Pakistan wird gleichermaßen
von Indien, China und Pakistan beansprucht. der Flaum darunter. Es handelt sich um be- In jeder Kollektion Iris von Arnims, g. o. li. mit
Die Kaschmirziege grast heute aber nicht sonders feines Haar. Die Faser hat einen ihrem Sohn und Geschäftspartner Valentin,
mehr zwischen den Fronten, sondern wird Durchmesser von nur zwei Hundertstel Mil- gibt es Handgestricktes. Dafür wird vorab das
längst in Farmen in der Mongolei, China limetern und eine Länge von bis zu neun Bändchengarn von Hand aufgewickelt.
und auch Schottland gezüchtet. Zentimetern. Das Haar wird ausgekämmt, Li. das Modell »Betty« aus Kaschmirwolle
Für die Wolle kann nicht das Deckhaar in manchen Fällen auch geschoren. Seit
verwendet werden, sondern nur 3000 Jahren wird Kaschmirwolle verarbeitet. entwirft sie noch immer in ihrem Atelier in
Pro Ziege erhält man gerade einmal einer Villa in Hamburg-Harvestehude. Heu-
150 Gramm Wolle. Kein Wunder, dass te werden die meisten der Kaschmirpullover
Kaschmir eine der teuersten Natur- mit Strickmaschinen gefertigt. Besondere
fasern ist und Hersteller darauf aus Modelle werden bei Iris von Arnim aber
sind, ihre Kleidung mit diesem noch immer mit der Hand gestrickt. Der
Label zu schmücken. Dabei sind Designerin ist die Individualität eines von
allerdings nur Produkte, die mit Hand gestrickten Stücks sehr wichtig. Aller-
»100 Prozent Kaschmir« ausge- dings muss dafür heute niemand mehr im
zeichnet sind, wirkliche Kasch- Krankenhaus liegen. ×
mirstücke. Alle anderen sind
Mischgewebe. Und natürlich gibt es Tillmann Prüfer ist Style
starke Unterschiede in der Qualität. Director des ZEITmagazin.
Kaum jemand kennt sich mit der Er stellt hier jeden Monat
edlen Wolle besser aus als die »Queen of herausragende Leistungen der
Cashmere« Iris von Arnim. Ihre Pullover Handwerkskunst vor

16
Wilhelm von Kobell · Reiter vor Schondorf am Ammersee · ca. 1820/30er Jahre · Aquarell · 17,3 x 21,7 cm

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wilhelm von kobell Auktionsergebnis: € 52.500
Klassische Moderne · Kunst nach 1945 · Zeitgenössische Kunst
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Yayoi Kusama

Bilder: Yayoi Kusama; Barber & Osgerby; Design da Gema; Fabrice Gousset – Courtesy Galerie Kreo; Maarten Baas; Porzellan Manufaktur Nymphenburg
Sie ist die große alte Dame der japanischen Kunst. Jetzt widmet das
Louisiana-Museum im dänischen Humlebæk Yayoi Kusama vom
17. September bis 24. Januar eine Retrospektive. Zu sehen ist auch
diese melancholische, mit Tusche bearbeitete Fotografie von 1967

4 5
3

1 Handwerkszeug 2 Sternenkissen 3 Unendliche Kreise 4 Rot! 5 Sugar-Dots


Ihre Hände malen das Bild Für Kusama ist das ganze Getrieben von ihrer Vision, Obwohl die Künstlerin seit Ob selbst Zuckerkristalle
von allein, vom Ergebnis Universum eine Anhäu- malt sie häufig über den 1977 in einer psychiatri- für Kusama Polkadots sind?
ist Kusama oft überrascht. fung von Sternen. Dafür Bildrand hinaus. Unendlich- schen Klinik lebt, malt sie Den Porzellanstreuer
Das Besteck »Olio« entwarf stehen ihre Polkadots. Das keit hatte wohl auch Pierre tagsüber in ihrem Studio. entwarf Konstantin Grcic
das Designerduo Barber & Kissen »Stray Bullet« ist Charpin beim Entwurf des Das Rot von Maarten Baas’ 1999 für Nymphenburg.
Osgerby für Royal Doulton, vom Brasilianer David Elia Tisches »All’aperto« im Sinn. Möbelstück (2355 Euro)
es kostet 109 Euro. (Design Da Gema). Über Galerie Kreo. könnte ihr gefallen. Redaktion: Inga Krieger

18
LEONARDO DI BERNARDINO DEL SIGNORACCIO genannt LEONARDO DI BERNARDINO DA PISTOIA. Die Verkündigung. Öl und Goldgrund auf Holz. 177,7 x 148,5 cm.

Auktionen in Zürich: 14. bis 19. September 2015


Vorbesichtigung: 9. bis 13. September 2015

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WA S H A B E N SI E G E SE H E N , H E R R OB R I S T ?

Aufbruchstimmung und verschwundene Museen im


Kosovo, wo derzeit neue künstlerische Positionen
in der National Gallery in Priština gezeigt werden

Hans Ulrich Obrist


ist Kurator für zeitgenössische Kunst und
leitet die Serpentine Gallery in London

Was haben Sie gesehen, Herr Obrist? auch Kommentare gezeichnet zu vielen der Wie haben Sie die Atmosphäre in Priština
Ich war gerade im Kosovo, was für un­ Pioniere der Sechzigerjahre wie Stanisław jetzt erlebt?
sere Leser vielleicht insofern interessant ist, Dróżdż und Geta Brătescu. Viele dieser Mich hat es an die Stimmung im Glas­

Bilder: Flaka Haliti; Kushtrim Tërnava; Enver Bylykbashi/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Milena Carstens; Illustration: Andrea Ventura
als dass ich dort mit dem Künstler Petrit Künstler waren noch nie im Kosovo zu sehen. gow der frühen Neunzigerjahre erinnert, ei­
Halilaj zusammengearbeitet habe, der ja der­ nem Ort an der kulturellen Peripherie, an
zeit in Deutschland sehr präsent ist … Warum eigentlich nicht? dem plötzlich eine junge Generation losge­
Der Krieg hat sämtliche Strukturen zer­ legt hat. Es ist viel in Bewegung, unter ande­
… durch seine beiden Ausstellungen in Bonn stört, ganze Museen sind einfach verschwun­ rem durch die Nähe zur albanischen Haupt­
und Köln. den. Halilaj hat ja eine ganze Ausstellung stadt Tirana. Als ich meinen Vortrag in
Genau. Im Kosovo habe ich zum zwei­ dem verschwundenen Naturhistorischen Mu­ Priština gehalten habe, war die Hälfte des Pu­
ten Mal eine Ausstellung gemacht. 2013 war seum in Priština gewidmet. Die National Gal­ blikums aus Tirana angereist.
»Do it« im Projektraum Stacion, und seither lery im Kosovo wird von ERZEN SHKOLOLLI (2)
habe ich immer wieder von Künstlern gehört, geleitet, einem wichtigen Künstler, der unter Warum ist Tirana so interessant?
was dort los ist. Jetzt gab es die SCHAU »31« (3) anderem an vielen Ausstellungen von Harald Das ganze Land wird von einem Künst­
in der National Gallery of Kosovo in Priština, Szeemann beteiligt war … ler regiert, von Edi Rama, der vorher elf Jahre
in Zusammenarbeit mit der österreichischen lang Bürgermeister von Tirana war. Sein Ein­
Kontakt Art Collection. Die Idee war, Arbei­ … dem legendären Ausstellungsmacher. fluss ist überall. Er initiierte ein öffentliches
ten aus der Sammlung, die aus Osteuropa Shkololli hat vor ein paar Jahren ent­ Kunstprojekt für sein Regierungsgebäude. So
kommt, erstmals im Kosovo zu zeigen. schieden, sich ganz auf die Arbeit für die gestaltete Thomas Demand eine Hinter­
National Gallery zu konzentrieren. Auf mei­ grundkulisse für Staatsgebäude, Philippe Par­
Warum »31«? nem Instagram­Account hat er den Satz reno ein leuchtendes Vordach oder Carsten
Gemeinsam mit Petrit Halilaj haben wir gepostet: »Tradition is a reality, a failing story Höller große Pilzskulpturen. Diese Stim­
überlegt, was die Spielregel für die Ausstel­ that I wish to save.« Er will die Erinnerung an mung überträgt sich auf das ganze Land.
lung sein könnte. Wir haben dann 31 Werke die Kunst der Sechziger­ und Siebzigerjahre Aber es gibt auch unabhängig von Albanien
für die 31 Tage der Ausstellung ausgewählt, so­ aus dem Kosovo und dem benachbarten Al­ viele spannende Künstler aus dem Kosovo,
dass man sich an jedem Tag auf ein anderes banien aufrechterhalten. Nach dem Kosovo­ die international reüssieren. Nehmen Sie Ja­
Kunstwerk konzentrieren kann. Petrit hat Krieg ist ja alles in Vergessenheit geraten. kup Ferri oder FLAKA HALITI (1), die in diesem
Jahr den Pavillon in Venedig für ihre Heimat
gestaltet hat. Sie lebt in München und be­
schäftigt sich intensiv mit dem Thema Gren­
zen, weil es für die junge Generation aus dem
Kosovo immer noch unglaublich schwer ist
zu reisen: Sie brauchen für fast jedes Land der
Welt ein Visum.

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb


1 der Kunstwelt?
Ich bereite mich momentan auf eine Re­
cherche in Afrika vor. Deshalb lese ich viel
über den Kontinent, insbesondere die Ge­
dichte der südafrikanischen Poetin Ingrid
Jonker, die ja nicht nur von Nelson Mandela
bewundert wurde. ×

Christoph Amend, Herausgeber


der WELTKUNST,
befragt Hans Ulrich Obrist
2 3 jeden Monat nach seinen
Entdeckungen in der Kunst

20
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Naturaleza Muerta
Öl, 1964
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EINE FRAU
NAMENS
HERBERT
Jule Lüpertz alias Werner alias Kewenig hat ein halbes
Jahrhundert lang die Kunstszene mitgeprägt:
als Malerfrau, Händlergattin, Galeristin – und als
große Künstlerfreundin. Sie war die Muse der
Postmoderne. Das Porträt einer ungewöhnlichen Frau

VON
SE B A S T I A N P R E U S S

23
J U L E K E W E N IG

Bild vorherige Seite: Privatarchiv Jule Kewenig; Bild links: Privatarchiv Jule Kewenig; Bild rechts: Gunnar Knechtel/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Als das »Gesicht eines Transvestiten« bezeichne-
te es die New York Times. Charles Saatchi hatte
das Gemälde von Marlene Dumas im November
2004 für 1,24 Millionen bei Christie’s in New
York ersteigert, nun war es in aller Munde. Es
heißt »Jule, die Vrou« und entstand 1985. Aber
ein Transvestit? Da war die führende Zeitung
der Welt bemerkenswert schlecht informiert,
denn »Jule, die Frau« – es ist das Titelbild dieser
Ausgabe – zeigt in Wirklichkeit Jule Kewenig,
Galeristin in Palma de Mallorca. Hinter diesen
dürren Angaben verbirgt sich ein halbes Jahr-
hundert in der Kunstwelt: ein Leben voller Hö-
hen und Tiefen, eine große Leidenschaft für die
Kunst, ihre Akteure – und immer wieder für
Männer, die auch alle mit der Kunst zu tun hat-
ten. Das Wort ist heute etwas abgegriffen, aber
Jule Kewenig war (und ist) tatsächlich eine be-
deutende Künstlermuse, vielleicht die letzte, die
Deutschland hervorgebracht hat.
Die Kunstwelt ist launisch und vergesslich.
So wurde Jule Kewenig zu einer Legende, die im
überhitzten Betrieb aus dem Fokus geriet. Sie
war in den Sechzigern die Frau von Markus Lü-
pertz, als dieser sich mit einer historisch aufge-
ladenen, expressiven Figürlichkeit anschickte,
zu einem der wichtigsten deutschen Maler zu
werden. Mit Michael Werner, dem bedeutenden
Galeristen, durchlebte sie in den Siebzigern die
Zeit, als Köln zu brodeln begann und Anschluss
ans internationale Kunstgeschehen fand.
Sie kannte alle, und alle wollten in ihrer
Nähe sein. Vor allem die Künstler: von Baselitz
bis Immendorff, von Richter, Penck und Polke
bis Marcel Broodthaers und James Lee Byars,
Anselm Kiefer und Imi Knoebel, aber auch Mar-
tin Kippenberger, Marlene Dumas, Christian
Boltanski, Jannis Kounellis und viele mehr. In
den vibrierenden Zeiten der Sechziger bis Acht-
ziger, als die Bundesrepublik erwachsen wurde Mit all ihren Ehemännern bei der dritten Hochzeit im Jahr 1985 in Loersfeld:
und die westdeutsche Gegenwartskunst zum Markus Lüpertz (vorn), Michael Werner (M.) und Michael Kewenig (hinten).
weltweit respektierten und nachgefragten Ex- Vorige Seite: bei einer Performance von James Lee Byars, frühe Siebzigerjahre

24
HEA DZEILE

Jule Kewenig bei der Messevorbereitung in


ihrer Galerie in Palma de Mallorca, an der
Wand Papierarbeiten von Bernd Koberling

25
J U L E K E W E N IG

Mit Markus Lüpertz in West-Berlin, 1964.


Mit Arbeit auf dem Bau und Eierverkauf in
Hinterhöfen schlug sich das Paar durch

treut die Künstler der Galerie und hat sich


mit dem Zweitstandort in Palma einen Na-
men im spanischen Kunstleben gemacht.
»Nenn mich Jule«, ist ihr erster Satz, als
ich sie dort besuche. So ist sie, wie ich später
begreife, Distanz will sie gar nicht erst auf-
kommen lassen. Sie zeigt mir ihre Ausstel-
lungshalle in einer gotischen Kapelle, dann
beginnt sie zu erzählen. Die samtig-verrauch-
te Stimme hatte sie schon als junge Frau in
den späten Sechzigern, darum gab ihr der
Galerist Rudolf Springer den Namen Her-
bert: nach einem gleichnamigen DJ, der da-
mals im West-Berliner Club Big Apple arbei-
tete und ein ähnliches Reibeisenorgan wie
Jule besaß. Markus Lüpertz und Georg Base-
litz nennen sie bis heute meist noch Herbert.
Auf die Welt kam sie als Gerhild Quade,
1946 in Lüneburg, wohin die Familie in dem
Hungerjahr geflüchtet war. Der Vater starb,
als sie zwei war. Die Mutter heiratete wieder,
und die Familie siedelte sich in Mönchen-
gladbach an. Mit 16 kam es zur Begegnung,
die ihr Leben veränderte Eines Morgens um

Bild: Klaus Märtens/Galerie Taube


sechs traf sie an der Straßenbahnhaltestelle
auf einen wild aussehenden jungen Mann.
»Lange Haare, Cowboystiefel, darin ein Mes-
ser an der Seite. Er war mit Milch beschlab-
bert und roch nach Alkohol.« Es war Markus
Lüpertz. »Er war verrückt und charmant und
total davon überzeugt, dass er ein großer
Künstler sei.« Nach einigen Monaten brann-
te Jule mit ihm nach West-Berlin durch.
Völlig mittellos kam das junge Paar im
Herbst 1963 in der ummauerten Inselstadt an.
Jule wusch Autos und wanderte mit Eierkör-
ben durch die Hinterhöfe. Später arbeitete
sie als Model auf Messen und zeitweise in der
Galerie des jungen René Block, der visionär
portgut aufstieg, war Jule Lüpertz alias Wer-
ner alias Kewenig ein Kraftzentrum nach ei-
»Jule hatte Abgründe. Man Joseph Beuys, Gerhard Richter oder Sigmar
Polke zeigte. Lüpertz malochte auf dem Bau
genen Regeln. Bei ihr ging es nie um Geld, konnte nie genau wissen, was und kellnerte in der Schöneberger Puszta-
sondern um das Menschliche, um Abenteuer Stube, wo sich Professoren und Studenten
und Spaß, um Genuss, Essen und Trinken, sie wirklich dachte. Das war von der gegenüberliegenden Hochschule der
und natürlich auch um Sex. Am Ende kreiste
aber immer alles um die Kunst, das ist exis-
das Somnambule des Ostens.« Künste trafen. Weil es ein Ehedarlehen von
3000 Mark gab, heirateten die beiden.
tenziell für Jule Kewenig. M A R K U S LÜ P E RT Z Im Mai 1964 gründete Lüpertz mit drei-
Gemeinsam mit ihrem dritten Mann zehn anderen jungen Künstlern die Selbst-
Michael Kewenig betreibt sie eine weltweit hilfegalerie Großgörschen 35. In der West-
agierende Galerie in Berlin, mit Künstler- Berliner Nachkriegskunstgeschichte ist die
schwergewichten wie Christian Boltanski, Ausstellungsgemeinschaft ein Meilenstein.
Jannis Kounellis, Ian Hamilton Finlay oder Die neuartige figürliche Malerei von Lüpertz,
Sean Scully. Fürsorglich kümmert sie sich K. H. Hödicke oder Lambert Maria Winters-
um ihre große Patchworkfamilie: drei Kin- berger mischte das abgeschottete Kunstmi-
der aus drei Ehen, zwei Enkeltöchter und di- lieu der West-Enklave kräftig auf. Jule sei im-
verse Nebenlinien. Sie pflegt ihre zahllosen mer der Star in der Szene gewesen, erzählt
Freundschaften aus den 50 Jahren, die sie sich Lüpertz, den ich in seinem Atelier südlich
mittlerweile in der Kunstszene bewegt, be- von Berlin besuche. »Sie war keine Model-

26
Bilder: Privatarchiv Jule Kewenig; Klaus vom Bruch/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Galerie Kewenig/Georg Baselitz 2015; Privatarchiv Jule Kewenig (4)

1 2

4 5

Erinnerungen aus dem reichen Bilderschatz von Jule Kewenig: 1 Auf Besuch in der
Pfalz, das Ehepaar Lüpertz (Jule 2. v. li.) bei Georg und Elke Baselitz in Forst an der
Weinstraße, wohl 1969 2 Jule Kewenig hat immer viel und gern getanzt, hier mit dem
Fotografen und Kunstszene-Chronisten Benjamin Katz, 70er-Jahre 3 Georg Baselitz
nennt Jule Kewenig von jeher »Herbert«, so heißt auch das Porträt, das er 1974
von ihr malte 4 Mit Thordis Möller (li.) in den Siebzigern 5 Vom Berliner Galeristen
Rudolf Springer lernte Jule Kewenig das Kochen 6 + 7 Um 1970 mit Michael Werner
auf dem Weg nach Antwerpen, wo Anny De Decker die Galerie Wide White Space
3
betrieb und als Erste Künstler wie Marcel Broodthaers und James Lee Byars zeigte

6 7

27
28
Bild: A.R. Penck/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
J U L E K E W E N IG
Bilder: Privatarchiv Jule Kewenig (2)

Mit James Lee Byars verband Jule Kewenig schönheit, sondern sie war wirklich schön. nungsausstellung mit Baselitz führte zu ei-
eine besonders intensive Freundschaft, Und ist es ja noch.« Lüpertz saßen damals nem legendären Kunstskandal, zur Be-
hier bei einer Performance in den frühen die Fäuste locker, wenn sie ausgingen. Den schlagnahmung zweier Bilder mit erigierten
Siebzigern. Unten: zu Besuch in Dresden späteren RAF-Terroristen Andreas Baader Penissen und zu einem Gerichtsprozess.
bei A. R. Penck, dessen Bilder Michael Wer- »habe ich drei oder vier Mal verprügelt, weil Werner empfängt mich in Märkisch Wil-
ner und später auch seine Frau Jule aus er immer was von Jule wollte«, berichtet Lü- mersdorf südlich von Berlin, wo er das neu-
der DDR in den Westen schmuggelten. Linke
pertz nicht ohne Stolz. gotische Gutsschloss aufwendig saniert hat.
Seite: Jule-Porträt von Penck, 70er-Jahre
Welche Rolle denn die Kunst in ihrer Hier liegt die Schaltzentrale für seine Gale-
Beziehung gespielt habe? »Jule war Maler- rien in New York, London, Köln und Berlin.
frau, da gab es kein anderes Thema. Sie hat Ja, es stimme, dass er sich ihren Namen
die Farbe mitgetrunken und die Farbe mit- ausgedacht hat. »Sie war eben eine Jule.«
geschissen.« Aber sie ordnete sich nicht un- Werner schildert, wie er sie erstmals in seiner
ter, war keine Künstlergattin, die den Meis- Galerie sah: »Diese schwarz umrandeten Au-
ter bedingungslos anhimmelte. »Sie hatte gen, und sie bewegte sich so somnambul.
Abgründe. Man konnte nie genau wissen, Einfach exzeptionell.« Die drei wurden un-
was sie wirklich dachte. Das war das Som- zertrennliche Freunde – »Jules et Jim« in
nambule des Ostens. Durch ihre Mutter, die West-Berlin. »Ich fand Michael von Anfang
aus Lettland kam, war sie ja Slawin.« an faszinierend. Dieses Brennen für die
Auch Michael Werner benutzt das Wort Kunst habe ich bei keinem Galeristen so in-
»somnambul«, wenn er Jule charakterisiert. tensiv erlebt«, erzählt Jule. »Wir scherzten,
Er gründete im Herbst 1963 mit Benjamin dass wir eine reiche Frau für ihn finden müs-
Katz, dem späteren Fotografen und Kunst- sen.« Es kam dann eher wie in Truffauts Film
szene-Chronisten, in einem Hinterhaus am mit Jeanne Moreau: Jule ging von Jules zu
Ku’damm seine erste Galerie. Die Eröff- Jim – zum Glück ohne tragischen Ausgang.

29
»Jule und ich waren beide
unangepasst und unbürgerlich.
Darum passten wir
auch so toll zusammen.«
M IC H A E L W E R N E R

Bilder: Klaus vom Bruch/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Privatarchiv Jule Kewenig (2)
Illustre Männer säumten ihren Weg:
1 Mit Michael Werner bildete sie ein Traum-
paar der Kunstwelt 2 Eine spezielle
Freundschaft verband sie mit Marcel
Broodthaers, der 1976 starb 3 In den frü-
hen 80ern war Martin Kippenberger (li.)
ständiger Gast, hier mit Werken von ihm

2 3

Im Jahr 1968 zog Werner nach Köln, denn im schen beiden Männern, am Ende blieb sie Jule mit ihren langen Haaren, den großen
Rheinland spielte die Musik am Kunstmarkt. bei Werner. Er zog das Kind des Freundes, Augen und exzentrischen Kleidung.
Er überredete Jule und Lüpertz, der mittler- der sich nach einem Jahr wieder mit ihm ver- Sehr früh zeigte Werner konzeptuelle
weile Künstler der Galerie war, mit ihm zu söhnte, wie sein eigenes auf. »Michael war Künstler wie den Belgier Marcel Broodthaers
kommen. Jule wäre lieber in Berlin geblie- großartig und sehr liebevoll zu mir«, erzählt oder den Amerikaner James Lee Byars. Beide
ben und fand Köln am Anfang kalt und ab- Anna Jill Lüpertz, die in Berlin eine Galerie wurden enge Freunden von Jule. Byars, der
weisend. Dann kam im Frühjahr 1969 jene betreibt. »Ich hatte eben zwei tolle Väter.« Magier der poetischen Gesten und aurati-
schicksalshafte Reise nach Paris. Eigentlich In den folgenden Jahren kam dann voll schen Objekte aus Gold oder Marmor, ging
wollte das Freundestrio gemeinsam fahren, zum Tragen, was Werner Jules »Kommunika- mit ihr durch Köln und brachte ihr die hin-
aber Lüpertz hatte im letzten Moment keine tionsgenie« nennt: »Ich bin immer spätestens tergründigen Qualitäten dieser Stadt nahe.
Lust. »Wie kann man auch seine Frau mit um zwölf ins Bett gegangen. Jule hat mit den Er war ein Paradiesvogel, intensiv und laut,
dem besten Freund im Mai nach Paris reisen Künstlern weitergemacht. Die haben sie alle endlose Gespräche oder Anrufe zu jeder Ta-
lassen«, kommentiert Jule heute, was damals geliebt. Das war für mich und die Galerie na- ges- und Nachtzeit. Werner konnte ihn nie
mit Michael Werner geschah. Als sie zurück- türlich toll.« Sieht man die Fotos aus dieser lange ertragen, aber Jule hörte ihm bedin-
kam, merkte sie zudem, dass sie schon vor Zeit, dann läuft eine immerwährende Party gungslos zu. »Er hat mir sehr viel beigebracht.
der Reise schwanger gewesen war. Mehrfach vor einem ab. Feuchtfröhliche Runden, dau- Kein anderer Künstler hat mir so anschau-
wechselte sie in den folgenden Monaten zwi- ernd irgendwelche Spaßposen, in der Mitte lich sein Werk erklärt.« Seit 1973 betrieb sie

30
5

Langeweile herrschte nie: 4 Schloss Loers-


feld in Kerpen bei Köln war 14 Jahre das
zentrale Forum des Systems Jule, hier war
ständig was los. Die Hausherrin mit ihrem
Sohn Julius 5 Treffen mit A. R. Penck (links
neben Jule) in Ost-Berlin, dabei ließen die
beiden sich die Maiparade nicht entgehen
6 Neue Liebe: mit dem Niederländer Paul
Andriesse in New York, frühe 80er-Jahre
Bilder: Privatarchiv Jule Kewenig (3)

4 6

für einige Jahre ein Geschäft für Art-déco- nen der Welt), ihren damaligen Freund Ben- Die Galerie von Michael Werner lief in die-
Antiquitäten. Im Schaufenster hielt Byars jamin Buchloh (mittlerweile Kritikerstar in sen Jahren nicht gut. Die provokativ mit
regelmäßig im goldenem Anzug und Zylin- den USA), die noch unerfahrene Fotografin deutschen Themen agierenden Maler Lü-
der seinen zweistündigen Mittagsschlaf. Candida Höfer, den Ethnologen Michael Op- pertz oder Anselm Kiefer wurden als nazi-
Das Geschäft war sehr erfolgreich. »Die pitz oder den Abiturienten Michael Krebber, haft kritisiert; auch die gedankenschwere
Leute rissen mir die Stücke aus der Hand. Es der später als Maler Karriere machte, bei Jule Konzeptkunst von Broodthaers oder Byars
gab ja damals noch kaum Händler für Art aber noch die Stahlrohrlampen polierte. Der ließ sich schwer vermarkten. Aus dieser pre-
déco.« Die Einrichtung besorgten Sigmar damals zwanzigjährige Klaus vom Bruch, kären Situation heraus entschied Werner:
Polke und seine Kumpels Achim Duchow längst ein angesehener Videokünstler, hat »Wir brauchen ein großes Haus, damit die
und Stephan Runge. Sie legten rosa Schaum- zwischen 1972 und 1975 bei vielen dieser Tref- Leute zu uns kommen.« Über Kölner Verbin-
gummi aus, darüber Plastikfolie. Hier konn- fen fotografiert. Die Bilder sehen aus, als sei dungen konnte er das ziemlich ruinöse
te man dann gleichzeitig den Fußballstar es ein andauernder Rausch gewesen. »Es ging Schloss Loersfeld bei Kerpen mieten und mit
Günter Netzer und den minimalistischen ja nicht um Geld oder um Erfolg, obwohl ei- einem hohen Kredit restaurieren. Es wurde
Künstler Blinky Palermo treffen. gentlich alle später große Karrieren gemacht Jules Bühne. Scheinbar mühelos bewirtete
Für einige Jahre bildete sich in Köln haben«, erzählt vom Bruch. »Und Jule mit ih- sie fast täglich Künstler, Sammler und Mu-
eine Clique um Polke, die junge Isa Genzken rer liebevollen Art war unsere Bienenköni- seumsleute, hieß jeden willkommen, sorgte
(heute eine der erfolgreichsten Künstlerin- gin. Schon mit ihrer erotischen Präsenz.« für Spaß und hatte selbst den meisten dabei.

31
Bilder: Privatarchiv Jule Kewenig (3); Galerie Kewenig/Stefan Müller
1

Von der Muse zur Galeristin: 1 Im Jahr 1984 richtete Jule Kewenig
2
in Loersfeld ihre erste eigene Ausstellung aus: Paravents ihrer
Künstlerfreunde, hier die Hausherrin mit dem Beitrag von Seton
Smith 2 Gruppenbild zur Eröffnung von »Paravents«, u. a. Per Kir-
keby, A. R. Penck, Markus Lüpertz, Imi Knoebel, Andreas Schulze,
Marlene Dumas und Gerhard Richter 3 Haus Bitz in Frechen,
westlich von Köln, löste Loersfeld als Domizil und Kunstbühne ab.
Hier eröffneten Jule und Michael Kewenig 1986, ein Jahr nach
der Heirat, ihre Galerie. Im Vordergrund der Anbau von Oswald
Mathias Ungers 4 Jule und Michael Kewenig in den Achtzigern

32
J U L E K E W E N IG

Jule Kewenig in ihrer Wohnung in Palma,


die Ruhe weiß sie mittlerweile zu schätzen.
Das Gemälde stammt von Hendrik Krawen

»Nun kamen tatsächlich alle«, erzählt Wer-


ner. »Und plötzlich kam Geld rein. Ohne Ju-
les Kommunikationsgenie hätte ich das nie
geschafft.« Sie habe einfach den Alltag zu-
sammengehalten und viel gekocht, erklärt
Jule trocken. »Ich hatte ja das Glück, dass ich
mit den Künstlern nicht verhandeln musste.
Darum fühlten sie sich bei mir auch wohl.«
Im Jahr 1976 wurde Julius, das zweite
Kind, geboren. Jetzt heiratete das Paar auch.
Julius Werner erinnert sich gern an Loers-
feld: »Das war die Schaltzentrale. Der Um-
gang mit Künstlern war für uns Kinder das
Normalste auf der Welt. Penck etwa hat uns
Radfahren beigebracht und morgens Skulp-
turen aus Brötchenteig für uns geformt.«
A. R. Penck, eigentlich Ralf Winkler –
auch so ein Jule-Kapitel. Er war der unkon-
ventionellste und vielleicht auch der genials-
te Künstler in der DDR. Michael Werner
stellte ihn schon seit 1970 aus, schmuggelte
Geld zu ihm und brachte seine Bilder in den
Westen. Irgendwann durfte er nicht mehr
einreisen; nun musste Jule diese nicht unge-
fährliche Aufgabe übernehmen. Als die
Bild: Gunnar Knechtel

DDR den unbequemen Provokateur 1980


ausbürgerte, zog er in Loersfeld ein und
blieb zehn Jahre. Seine Frau kam nach, dann
zogen auch seine Musikkumpanen ein. Da
ging es jeden Abend hoch her.
Eine enge Freundin Jules aus dieser Zeit
ist Thordis Möller. Sie leitete ab 1970 die Ga-
lerie Heiner Friedrich in Köln, seit 1980 lebt
sie in den USA. Sie ruft mich aus Millerton
in Upstate New York an, wo sie das Künstler-
archiv des früh gestorbenen Palermo führt.
»Die Galerien Friedrich und Werner waren
ja eigentlich Konkurrenten, aber das hat Jule
»Jule ist ziemlich impulsiv Faszination für mich – und für andere auch.«
Mit genau dieser Eigenschaft, nie vorherseh-
und mich überhaupt nicht gestört.« Es sei und emotional. Ein Geschöpf bar oder gar lenkbar zu sein, setzte Jule dann
wohl im Sommer 1978 gewesen, als die bei- auch die gute Zeit mit Werner aufs Spiel. Ir-
den braun gebrannt und mit ihren Kindern sehr eigener Art, gerade das gendwann im Jahr 1980 begann sie eine
von Sylt kamen und bei Baselitz auf Schloss
Derneburg Station machten. »Wir hatten
macht sie so liebenswert.« Liaison mit dem jungen Niederländer Paul
Andriesse, der später Galerist in Amsterdam
schon einiges getrunken«, erinnert sich Möl- M IC H A E L K E W E N IG wurde. Er ordnete die Bibliothek in Loersfeld
ler, »da musste sich Jule im Flur unbedingt und brachte ihr die damals noch unbekann-
zu Georgs Mastino-Kampfhund hinunter- ten Künstler René Daniëls und Marlene
beugen. Er ist über sie hergefallen. Der Tier- Dumas nahe. Die beiden verliebten sich inei-
arzt im Dorf hat sie dann behandelt.« Zur nander. »Und wie es ihre Art war, hat sie etwas
Wiedergutmachung schenkte Baselitz Jule total Irres gemacht. Sie hat einen Stapel Lie-
das große Porträt »Herbert« von ihr. besbriefe ausgerechnet unter meinen Hem-
»Wir waren beide unangepasst und den versteckt«, erzählt Werner. Es kam, wie es
unbürgerlich. Darum passten wir so toll kommen musste. 1981 zog Werner aus.
zusammen und wussten genau, was wir anei- Die abendlichen Partys in Schloss
nander hatten«, resümiert Michael Werner Loersfeld gingen weiter, wobei alle Kinder
die Jahre, in denen die beiden so etwas wie das beteuern, dass sie nie zu kurz kamen, son-
Traumpaar der deutschen Kunstwelt waren. dern ganz selbstverständlich immer dabei
»Sie hat in ihrer schlafwandlerischen Art im- waren. Martin Kippenberger wurde nun ein
mer das Unerwartete gemacht. Das war die häufiger Gast, aber auch Marlene Dumas, die

33
J U L E K E W E N IG

Szene auf. Spektakuläre Ausstellungen wa-


ren zu sehen: Byars schwebte wie von Geister-
hand auf dem Wassergraben, Ian Hamilton
Finlay inszenierte seine lyrischen Land-
schaftsinterventionen, Christian Boltanskis
Erinnerungsbilder vom Holocaust kamen
von hier aus erstmals in eine deutsche Muse-
umssammlung. »Jule ist wie eine Schwester«,
mailt Boltanski aus São Paulo. »Sie kennt alle
meine Geheimnisse, ich liebe sie.«
Sie sei keine Kauffrau, sagt Jule selbst
von sich. Aber dafür brachte sie ein untrüg-
liches Bewusstsein, was gute Kunst ist, aus
zwanzigjähriger Erfahrung in der Kunstwelt
mit. »Sie hat ja etwas Urmusisches, eine sehr
starke Emotion«, urteilt Ex-Mann Lüpertz.
»Und dabei hatte sie immer ein komisches
Gefühl für künstlerische Qualität. Da hat sie
sich nie vertan.« Justus Kewenig, der zweite
Sohn, der schon in der Galerie mitarbeitet,
berichtet, wie er von ihr lernt: »Auf Messen
betreiben wir immer ein Spiel. Jeder hat eine
fiktive Million und geht dann mit einem Zet-
tel einkaufen. Dann tauschen wir uns aus.
mir per Mail schreibt: »Sie war sehr warm- Jule Kewenigs Ausstellungsraum im Orato- Da geht es viel ums Bauchgefühl.«

Bilder: Gunnar Knechtel (2)/VG Bild-Kunst, Bonn 2015


herzig und generös. Ich genoss es, bei ihr zu rio de Sant Feliu, der ältesten Kapelle Pal- Die Ehe und Geschäftspartnerschaft der
sein und sie zu beobachten. Denn sie erinner- mas aus dem 13. Jahrhundert. An der Wand Kewenigs verlief nicht durchweg harmo-
te mich immer ein bisschen an Nico von Vel- ein Gemälde von Bernd Koberling. Unten: nisch, das deuten beide unmissverständlich
vet Underground.« Schließlich wurde Jule In der gotischen Seehandelsbörse von an. Doch der Weggang von Köln und die
Palma organisierte sie eine Schattenspiel-
klar, dass sie wirtschaftlich auf eigenen Bei- räumliche Trennung zwischen Berlin und
installation von Christian Boltanski
nen stehen musste. »Aber ich hatte ja außer Mallorca hat offenbar manche Turbulenz ge-
der Kunst nichts gelernt.« Im Jahr 1984 orga- glättet. In Palma hat Jule noch einmal neu
nisierte sie auf Schloss Loersfeld ihre erste angefangen. Geschäftlich lief es dort nicht
Verkaufsausstellung. Sie bat ihre Künstler- immer gut, aber unter anderem gelang es ihr,
freunde, jeweils einen hölzernen Paravent zu der chilenischen Zeichnerin Sandra Vásquez
gestalten, und alle machten mit: Polke, Rich- de la Horra zum großen Erfolg zu verhelfen.
ter, Kiefer, Byars, Lüpertz, Antonius Höckel- Sie habe einfach alles mitgemacht, resü-
mann, Per Kirkeby und andere mehr. Es wur- miert sie ihr halbes Jahrhundert mit der
de eine legendäre Schau und der Beginn von Kunst, »grenzenlos und gnadenlos. Dabei
Jules Laufbahn als Galeristin. habe ich mich eigentlich ziemlich wenig an-
Nun kam Michael Kewenig ins Spiel, gestrengt, sondern das Leben genossen, so
ein erfolgreicher Anwalt in Düsseldorf. Jule wie es war.« Jule gehört zu einer Generation
und er kannten sich schon länger, aber jetzt von Frauen, die noch stark von ihren Män-
funkte es, und schon 1985 wurde geheiratet. nern dominiert waren und sich durch diese
James Lee Byars war Trauzeuge. Auch Kewe- definierten. Doch zugleich waren die Sechzi-
nig erlag ihrem »komplexen Charakter«, wie ger und Siebziger eine Zeit der Liberalisie-
er es formuliert: »Sie ist ziemlich impulsiv rung, in der die Frauen sich nahmen, was sie
und emotional. Ein Geschöpf sehr eigener zu ihrer Rollenfindung brauchten. Jule hat
Art, gerade das macht sie so liebenswert.« das auf ihre ganz eigene Weise gemacht.
Kewenig sanierte zu dieser Zeit in Frechen Markus Lüpertz, ihre erste große Liebe, for-
westlich von Köln das Wasserschlösschen muliert es in seinen eigenen expressiven Wor-
Haus Bitz. »Ich wusste nicht so recht, was ich ten: »Sie ist immer eine Püppi gewesen, eine
mit der Anlage eigentlich machen sollte. So Fee, eine Zauberfrau. Und wenn ich sie heu-
kam die Idee auf, hier eine Galerie zu eröff- te anschaue, hat sie den Zauber immer noch.
nen. Eigentlich wollte ich ihr nur in der ers- Den konnte keiner zerstören.«
ten Zeit mit dem Organisatorischen helfen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat
Jetzt sind es schon fast 30 Jahre, das wir das Jule in Palma nicht ständig Menschen um
zusammen machen.« sich. »Am Anfang fehlte mir das extrem und
Nach der Eröffnung 1986 stieg die Gale- ich fühlte mich wie eingesperrt.« Jetzt ge-
rie, die noch einen Anbau von Oswald nießt sie die Ruhe. Die Erinnerungen beglei-
Mathias Ungers fürs Privatleben bekam, ten sie, aber sie neigt ja nicht zur Sentimen-
rasch zu einem Fixpunkt der rheinischen talität. Die Gegenwart ist wichtiger. ×

34
Art fAirs Exhibitions
Abc Art bErlin AlicjA KwAdE stAdt/bild
contEmPorAry HAUS AM WALDSEE imAgE of A ciity
A cooPErAtioon of
Positions bErlin Archiv rEné blocK
NEUER BERLINER LERIE
BERLINISCHE gAL
KUNSTVEREIN
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AKADEMIE DER KÜNSTE
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NATIONALgALERIE
PAnEl discussions PAul mccArthy STAATLICHE MUS
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Zeitgenossen für
die Zukunft
Die Emanuel Hoffmann-Stiftung besitzt eine der bedeutendsten
Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst
in der Schweiz. Mit der Ausstellung »future present« im Basler
Schaulager wird nun erstmals seit über
dreißig Jahren ein opulenter Überblick präsentiert, der es
mit großen Museumsschauen aufnehmen kann

VON
M AT T H I A S E H L E RT U N D A P R I L L A M M

Das Basler Schaulager dient der Aufbewahrung


und Erforschung der Sammlung der Emanuel Hoff-
mann-Stiftung, aber auch als Ausstellungsort. Im
Untergeschoss hat Robert Gobers Installation
»Untitled« (1995/97) ihren festen Platz. Re.: Hans
Arps »Configuration (Nombril, chemise et tête)«
von 1927/28, eines der ersten Werke der Sammlung
M
Maja Sacher muss eine ganz besondere Frau
gewesen sein. Mitte dreißig war sie, als ihr
erster Mann Emanuel Hoffmann 1932 bei ei-
tung mit mehr als 1000 Werken über eine der
bedeutendsten Sammlungen moderner und
zeitgenössischer Kunst der Schweiz. Die
nem Autounfall ums Leben kam und sie mit wichtigsten Werke sind normalerweise im
drei Kindern auf einmal in Basel allein da- Kunstmuseum und dem Museum für Gegen-
stand. Nur ein Jahr später starb auch noch wartskunst in Basel zu sehen, wo sie, wie
ihr ältester Sohn an Leukämie. Und wie rea- etwa Salvador Dalís »Brennende Giraffe«
gierte diese tapfere Frau auf die unfassbaren oder Robert Delaunays »Eiffelturm«, als Be-
Schicksalsschläge? Sie gründete eine Kunst- suchermagnete Teil der ständigen Ausstel-
stiftung zum Gedenken an ihren Mann, mit lung sind. Die anderen Arbeiten, auch solche,
dem sie in Paris und Brüssel in den Zwanzi- die wie Katharina Fritschs »Rattenkönig«
gerjahren durch die Ateliers gezogen war oder Robert Gobers »Untitled« als raumgrei-
und der, wie sie, so fasziniert von der aller- fende Installationen den herkömmlichen
neusten Kunst gewesen war. Eine Entschei- Museumsrahmen sprengen, haben seit 2003
dung, getragen von einem lebensbejahenden ihre Heimstatt im Schaulager, einem monu-
Optimismus und dem Vertrauen in die sinn- mentalen Betonbau der Schweizer Architek-
und troststiftende Kraft der Kunst. tenstars Herzog & de Meuron an der Basler
Heute verfügt die 1933 von Maja Sacher Peripherie, der auf spektakulär neue Weise
ins Leben gerufene Emanuel Hoffmann-Stif- riesige Räumlichkeiten für die Konservie-

37
F U T U R E P R E SE N T

schen Expressionisten zu begeistern, die auf


eigenwillige Weise Elemente des deutschen
Expressionismus und des französischen Ku-
bismus vereinten. So stößt man gleich im ers-
ten Raum auf ein eindringlich-erdiges Por-
trät der »Mademoiselle Vera Hoffmann«, der
Tochter Maja Sachers. Es stammt von Edgar
Tytgat, einem Freund der Familie. Solche
persönlichen Bezüge prägen die Sammlung
bis heute, oft sind es langjährige Freund-

Bilder vorherige Doppelseite: Tom Bisig, Basel; Martin P. Bühler/Öffentliche Kunstsammlung Basel/2015 ProLitteris, Zurich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Bilder links: Martin P. Bühler/Öffentliche Kunstsammlung Basel;
schaften zu Künstlern wie Hans Arp, Jean
Tinguely oder Katharina Fritsch, die ihren
Im ersten Jahrzehnt bildeten Konstrukti- Niederschlag auch in kontinuierlichen An-
vismus und Surrealismus den Schwerpunkt käufen finden. Von Maja Sacher wird etwa
der Sammlung. Links Robert Delaunays
berichtet, dass sie in der Zeit der Trauer um
»La Tour Eiffel« (1910/11), unten Salvador
Mann und Sohn oft stundenlang im Atelier
Dalís »Brennende Giraffe« (um 1936/37).
von Piet Mondrian saß und einfach nur zu-

Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/2015 ProLitteris, Zurich/Martin P. Bühler/Öffentliche Kunstsammlung Basel/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Beide Werke sind sonst im Kunstmuseum
Basel zu sehen. Re. Seite: Vom italienischen sah, wie er malte. Kunst war für sie im wort-
Konzeptkünstler Alighiero e Boetti stammt wörtlichen Sinne ein Lebenselixier.
die Arbeit »Mettere al mondo il mondo« Schon bald war die stetig wachsende
(1973), darunter Katharina Fritschs »Okto- Sammlung, die ihr Hauptaugenmerk damals
pus« aus den Jahren 2006/09 auf Werke des Konstruktivismus und Surrea-

rung und Erforschung zeitgenössischer


Kunst bietet.
Da das Kunstmuseum Basel bis zum
nächsten Frühjahr wegen Erweiterungs- ar-
beiten geschlossen ist, ergab sich die Mög-
lichkeit, die Sammlung der Stiftung einmal
in Gänze zu präsentieren. Natürlich nicht
mit all ihren Werken, das würde selbst die
Dimensionen des Schaulagers sprengen.
Aber doch so, dass der rote Faden der Samm-
lung sichtbar wird und die wichtigsten Ar-
beiten zu sehen sind. Die Überblicksschau,
die es mit Ausstellungen großer Museen auf-
nehmen kann, trägt den Titel »future pre-
sent« – und verbeugt sich damit vor der Stif-
tungsgründerin Maja Sacher, die als Leitsatz
für Ankäufe einst formuliert hatte, dass es
sich um Werke handeln solle, »die sich neuer,
in die Zukunft weisender, von der jeweiligen
Gegenwart noch nicht allgemein verstande-
ner Ausdrucksmittel bedienen«.
Maja Sacher ist es auch, die auf fünf
Siebdruckporträts von Andy Warhol aus
dem Jahr 1980 den Besucher als gütige Matri-
archin der Stiftung begrüßt. Chronologisch
wird man in die Sammlung eingeführt, die
ganz klassisch mit ersten Käufen bei befreun-
deten Künstlern anhob. Die junge Maja war
selbst ausgebildete Künstlerin, sie hatte in Pa-
ris bei dem Bildhauer Antoine Bourdelle stu-
diert und später im Atelier von Oscar Jespers
gearbeitet. Sie verfügte über einen geschul-
ten Blick und genoss den Kontakt mit Gleich-
gesinnten. In den Jahren 1926 bis 1930, in de-
nen das frisch vermählte Ehepaar Hoffmann
in Brüssel lebte, wo ihr Mann die Niederlas-
sung des von seinem Vater gegründeten
Pharmaunternehmens Hoffmann-La Roche
& Cie. leitete, begann sie sich für die flämi-

38
F U T U R E P R E SE N T
Bilder: Martin P. Bühler/Öffentliche Kunstsammlung Basel/2015 ProLitteris, Zurich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Ivo Faber/2015 ProLitteris, Zurich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015

lismus legte, zu groß für den Unterschlupf im


Basler Kunstverein. 1941 entschloss sich daher
Maja Sacher, inzwischen mit dem Dirigenten
Die Ausstellung ist ein nahezu enzyklopädischer Überblick
Paul Sacher verheiratet, die Werke dem über die Entwicklungslinien der zeitgenössischen Kunst.
Kunstmuseum Basel als Dauerleihgaben an-
zuvertrauen. Es war der Beginn einer lang-
jährigen Zusammenarbeit zwischen der Fa-
milienstiftung und der Kunstinstitution, die
sich bis heute fortsetzt.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
und der Aufbruchsstimmung der Fifties und
Sixties erweiterten neue Namen und Stilrich-
tungen die Sammlung. Die Bilder der Moder-
ne waren inzwischen selbst zu Klassikern ge-
worden, die neue Künstlergeneration
experimentierte mit Bewe-
gung, Klang und anderen,
bisher im Kunstkontext nicht verwendeten
Materialien. Besonders interessiert nahm
Maja Sacher, die sich ihren frischen, unvor-
eingenommenen Blick bis ins hohe Alter be-
wahrte, die Arbeit zweier junger Schweizer
Künstler zur Kenntnis: Jean Tinguely und
Dieter Roth. Der eine eroberte mit seinen
knatternden und knallenden Kinetikskulp-
turen den öffentlichen Raum für die Kunst,
der andere untergrub das althergebrachte
Kunstverständnis von ewig gültigen Werken,
in dem er Bilder aus Lebensmitteln wie Scho-
kolade schuf, bei denen die Vergänglichkeit
Programm war.
Doch der Blick der Emanuel Hoffmann-
Stiftung blieb in jener Zeit nicht an den
Schweizer Bergen hängen, sondern richtete
sich nun verstärkt auch über den Ozean. Das
aktuelle Kunstzentrum der Welt war jetzt
New York und nicht mehr Paris, folgerichtig
erweiterten zunehmend amerikanische
Künstler den Bestand der Sammlung. 1969

39
F U T U R E P R E SE N T

Die Geschichte der Emanuel Hoffmann-Stiftung

1941
Maja Sacher-Stehlin stellt die Werke der
Emanuel Hoffmann-Stiftung als Depositum
1933 dem Kunstmuseum Basel zur Verfügung.
So soll längerfristig die Zugänglichkeit der
Zur Erinnerung an ihren jung
verstorbenen Mann Emanuel und Werke aus der Sammlung der Emanuel
ihre gemeinsame Passion – das Hoffmann-Stiftung für eine breite
Sammeln zeitgenössischer Kunst Öffentlichkeit gewährleistet werden.
– gründet Maja Hoffmann-Stehlin
(1896–1989) die Emanuel
Hoffmann-Stiftung. Eine Schenkung
von sieben Werken bildet den
Grundstock der Sammlung. Re. Vera,
die Tochter der Hoffmanns, auf
einem Porträt von Edgar Tytgat.

1980
Das Museum für Gegenwartskunst in Basel wird feierlich
eingeweiht. Es ist zugleich die Vernissage zur aktualisier-
ten Ausstellung mit Beständen der Stiftung. 230 Werke
zählt der Stiftungsbesitz inzwischen. Im gleichen Jahr wird
Maja Sacher-Stehlin von Andy Warhol porträtiert.

2003
Die Eröffnung des Schaulagers bietet der Sammlung
einen adäquaten Lagerort. Mit der von ihr gegründeten
Laurenz-Stiftung realisiert die neue Stiftungsrats-
präsidentin Maja Oeri das Projekt mit den Architekten
Herzog & de Meuron. Sie erfüllt so den Wunsch ihrer
Großmutter, die Sammlung sichtbar zu halten.

40
präsentierte der Kurator Harald Szeemann
in der Kunsthalle Bern seine epochemachen-
Bilder linke Seite: privat (2); Martin P. Bühler/Öffentliche Kunstsammlung Basel/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Kunstmuseum Basel/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; privat; Martin P. Bühler/Öffentlichen Kunstsammlung Basel/The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./2015 ProLitteris,

de Ausstellung »When Attitudes Become


Form« und löste damit einen Skandal aus.
Zu sehr verstörten die Beispiele aus Installa-
tion, Land Art, Environment oder Happe-
Zurich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Ruedi Walti, Basel; Niggi Bräuning/2015 ProLitteris, Zurich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; privat; Bilder diese Seite: Jeff Wall; Michael Tropea, Chicago/Bruce Nauman/2015 ProLitteris/VG Bild-Kunst, Bonn 2015

ning das Schweizer Publikum. Maja Sacher,


inzwischen bereits über siebzig, zeigte sich
weniger erschrocken und kaufte direkt aus
der Ausstellung zwei Arbeiten von Fred
Sandback und Richard Tuttle. Ähnliche Of-
fenheit und Weitsicht bewies sie bei dem
Werk von Joseph Beuys, dessen radikaler An-
satz sie nachhaltig erschütterte. Nach einer
ersten Begegnung mit seinen Zeichnungen
und Objekten im Kunstmuseum Basel ge-
stand sie 1969: »Was ich gesehen habe, hat
mir allerdings einen Schock gegeben, wie ich
ihn seit meiner Jugend beim Sehen von Wer-
ken von Miró, Klee und Arp nicht mehr er-
fahren habe.« Mit der Skulptur »Schneefall«,
drei dünnen Tannenstämmen, die mit qua-
dratisch zugeschnittenen Schichten aus grau-
em Filz zugedeckt sind, erwarb sie eine der
Schlüsselarbeiten des Künstlers.
Ein anderer Name, dessen Stern in je-
nen Jahren zu leuchten beginnt, ist Bruce
Nauman. Dem US-Künstler sind als einem
Schwerpunkt der Sammlung gleich drei
Räume gewidmet. Der erste zeigt eine auf
der Biennale 2009 neu inszenierte Installati-
on von 1970 – die Performance zweier Tänzer
in irritierend-rotierendem Wechselspiel mit
einer Videokamera. Im zweiten werden Ho-
logramme vorgeführt, mit denen Nauman
schon früh experimentierte, der dritte prä-
sentiert seine Skulpturen und Zeichnungen.
Hat der Besucher diese Räume passiert,
hat er noch nicht einmal ein Viertel gesehen.
Noch 19 weitere Säle folgen auf den zwei Aus-
stellungsebenen, dazu weitere Räume, die
im Schaulager eigens für Großinstallationen
hergerichtet wurden. »future present« ist
ein Marathonparcours durch die zeitgenössi-
sche Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, wie Ein wichtiger Künstler der Sammlung ist ihrem Tod 1989 ihre Mission fortsetzen wür-
man ihn in diesem enzyklopädischen Über- der Amerikaner Bruce Nauman, oben seine de. Schon mit 18 Jahren berief sie Oeri, die
blick selten zu sehen bekommt. Man erlebt »Plaster Steps« (1997/98). Darüber Jeff später Kunstgeschichte studierte, in den Stif-
die kurze, aber heftige Phase der jungen Wil- Walls »Boy falls from tree« (2010), ein Bei- tungsrat. Mit diesem Hintergrund sucht die
den in den Achtzigern, Ausflüge in die kaf- spiel für die Fotokunst, die in den letzten heutige Stiftungsratspräsidentin, wie schon
kaeske Welt der späten Sowjetunion (Ilya Ka- Jahren einen immer größeren Stellenwert ihre Großmutter, den direkten Kontakt zu
in der Kollektion einnimmt
bakov), den Siegeszug der Fotografie (Cindy den Künstlern, um die Sammlung langsam
Sherman, Jeff Wall), den Aufstieg der Video- und stetig wachsen zu lassen. Mit dem Bau
kunst (Gary Hill, David Claerbout, Fiona des Schaulagers, das schon für sich ein archi-
Tan) und der Installationen (Katharina tektonisches Kunstwerk ist, hat Maja Oeri
Fritsch, Robert Gober), die Wiederkehr der für die Kunstvermittlung des 21. Jahrhun-
Malerei (Elizabeth Peyton) und schließlich derts ähnlich Bahnbrechendes geleistet wie
die Ich-Kunst einer Andrea Zittel. Maja Sacher mit der Gründung der Stiftung
Maja Sacher hat diese Entwicklung bis für das Jahrhundert zuvor. Schön, dass diese
ins hohe Alter mitverfolgen dürfen. Und sie Entwicklungslinien nun in dieser imposan-
hatte überdies das Glück mit ihrer Enkelin ten Sammlungsschau zusammenfinden. ×
Maja Oeri schon früh eine Seelenverwandte
in der Familie gefunden zu haben, die nach Schaulager, Basel, bis 31. Januar 2016

41
SUMMER
OF
LOVE
In den Sechzigerjahren fand der Maler
David Hockney in Kalifornien seine erste große
Liebe. Die lustvolle Freiheit, die er mit
Peter Schlesinger erlebte, revolutionierte sein
Werk und machte ihn weltberühmt

VON
DA N I E L S C H R E I B E R

Sommerserie
Die schönst
Liebesgesch en
ich
in der Kuns ten
t
Teil 3

43
L I E B E S G E S C H IC H T E N

D
David Hockney hatte den Lehrauftrag an der
University of California in Los Angeles nicht
leichtherzig angenommen. Schon im Jahr
sondern auch noch offen und intelligent war.
Es war unglaublich.«
Die Begegnung war ein glücklicher Zu-
fünf Jahren, in denen sie zusammen waren,
und in der sich anschließenden Trauerphase,
entstanden wegweisende Gemälde des 20.

Bild vorherige Doppelseite: David Hockney/Richard Schmidt/Collection Walker Art Gallery, Liverpool; Bild diese Seite: ddp images
zuvor hatte er bei einem Zeichenkurs in fall. Peter Schlesinger, der aus einem libera- Jahrhunderts: Hockneys berühmte Swim-
Iowa feststellen müssen, dass die amerikani- len jüdischen Elternhaus im San Fernando mingpoolbilder wie »A Bigger Splash«, seine
schen Studenten weniger an Kunst als an Valley stammte, war gar nicht berechtigt ge- aseptischen kalifornischen Kunstsammler-
Teilnahmebescheinigungen für ihr Lehr- wesen, an Hockneys Fortgeschrittenenkurs porträts wie zum Beispiel »Beverly Hills
amtsstudium interessiert waren. Doch bei teilzunehmen, wie sich später herausstellte. Housewife«, für das die Mäzenin Betty Free-
diesem Kurs im Sommer des Jahres 1966 soll- Erst eine bürokratische Intervention des man Modell stand, seine kühlen, realistischen
te für den 29-jährigen englischen Künstler al- Künstlers sorgte später dafür, dass er einge- Doppelbilder mit ihrem Perspektivenspiel,
les anders werden. Obwohl der als viertes schrieben blieb. Doch zu diesem Zeitpunkt auf denen er die Beziehungen befreundeter
von fünf Kindern in einer Arbeiterfamilie im verbrachten die beiden Männer schon jeden Paare wie Christopher Isherwood und Don
nordenglischen Yorkshire aufgewachsene Tag zusammen, unschuldig am Pool, redend, Bachardy festhielt. Und schließlich die zärtli-
Maler in seinem Heimatland schon beein- zeichnend oder bei Festen von Hockneys be- chen Zeichnungen und enigmatischen Groß-
druckende Erfolge feierte, hatte er beschlos- kannten schwulen Freunden wie Christo- gemälde wie »Portrait of an Artist«, für die
sen, seinen Lebensmittelpunkt mehr und pher Isherwood. Für alle seine Freunde war Peter Schlesinger Modell stand und die einen
mehr von London nach Los Angeles zu ver- es schnell ersichtlich, dass Hockney verliebt besonderen Platz in Hockneys Werk einneh-
legen. Als ein modisch gekleideter, muskulö- in Schlesinger war. Nach drei Monaten fiel men: Peter, wie er auf einen Swimmingpool
ser junger Mann schüchtern den Unterrichts- das auch Schlesinger auf. Und mehr noch, er starrt, in dem jemand taucht. Wie er aus dem
raum betrat, war diese Entscheidung erwiderte Hockneys Gefühle. Kurz bevor der Pool eines gemeinsamen Freundes klettert
besiegelt. Ein Blick genügte. Der 18-Jährige Kurs zu Ende ging und sich ihre Wege für ein oder auf einem Hotelbalkon steht und in die
mit dem halblangen, blonden Haar war paar Monate wieder trennen sollten, wurden Ferne sieht. Peter auf dem gemeinsamen Bett
nicht nur bildschön, er schien sich auch sie ein Paar. liegend, Peter in Los Angeles und London, in
wirklich für Kunst zu interessieren. »Ich Die Liebesbeziehung mit Peter Schlesin- Paris, Marrakesch und Rom, in Carennac,
habe ihn angeschaut«, sollte sich Hockney ger sollte Hockneys Leben verändern, für ei- Vichy oder Le Nid du Duc. Peter angezogen.
später erinnern, »und gedacht: Er sieht wie nige seiner schönsten und für viele seiner Peter nackt.
ein echter junger Kalifornier aus. Ein junger, traurigsten Momente sorgen und eine seiner Liebe und Sex sind keine reine Privatsa-
attraktiver Mann, der nicht nur sehr sexy, produktivsten Werkphasen einläuten. In den che, und als Hockney und Schlesinger sich
kennenlernten, waren sie es erst recht noch
nicht. Dass Gefühl und Begehren immer
auch das Produkt von Gesetzen und Konven-
tionen sind, von gesellschaftlichen Codes
und kollektiven Ängsten, wird nirgends of-
fensichtlicher als in unserem Umgang mit
Homosexualität. Die erfreulichen Entwick-
lungen der vergangenen Jahre können leicht
vergessen machen, dass schwule Männer und
lesbische Frauen noch vor relativ kurzer Zeit
vor dem Gesetz nicht nur als Bürger zweiter
Klasse, sondern als Kriminelle galten. Dabei
ging es um sehr viel mehr als um das Recht
auf Heirat, das ihnen in den meisten Ländern
der Welt (einschließlich Deutschland) bis
heute nicht eingeräumt wird. Im vergleichs-
weise toleranten Großbritannien stand
schwuler und lesbischer Sex bis zum Jahr 1967
selbst dann unter Strafe, wenn er in der
Privatheit der eigenen vier Wände stattfand.
Sogar im liberalen Kalifornien wurde einver-

44
Bilder: David Hockney/Richard Schmidt/Collection Astrup Fearnley Museum of Modern Art, Oslo

nehmlicher schwuler und lesbischer Sex erst dass es in London zu Beginn der Sechziger- Da war die Liebe längst passé: 1977 ent-
im Jahr 1975 dekriminalisiert. jahre noch keine wirkliche Schwulenszene stand »Peter Schlesinger with Polaroid
David Hockney hatte seine Sexualität gab. In Los Angeles und seinen Strand-Com- Camera«. Li. Seite: Hockney in Jack Hazans
schon früh akzeptiert. Als er jung war, unter- munitys hingegen hatte sich nach dem Krieg halbdokumentarischem Film »A Bigger
drückten die meisten schwulen Männer ihre eine körperbewusste, sexuell freizügige Sub- Splash« von 1973. Vorige Doppelseite:
Gefühle oder waren gar mit Frauen verhei- kultur entwickelt, die Geburtsstätte moder- »Peter Getting out of Nick’s Pool« von 1966
ratet. Er wollte das nicht. Seine exzentri- nen schwulen Lebens. Hockney wollte unbe-
schen, liberalen Eltern hatten ihm früh bei- dingt nach L. A., obwohl er, wie sein Biograf
gebracht, dass es egal war, was die Nachbarn Christopher Simon Sykes berichtet, nur we- Als Hockney mit Schlesinger zusammenzog,
dachten. Was dazu führte, dass er auch in sei- nig über Südkalifornien wusste und noch hatte er seinen Führerschein schon lange ge-
ner Kunst nicht versteckte, dass er schwul war. nicht einmal einen Führerschein hatte, ohne macht, einen weißen Ford Falcon mit einem
Im Gegenteil, schon während seines Studi- den ein Alltag dort schlicht undenkbar ist. Er breiten roten Streifen an der Seite gekauft,
ums am Londoner Royal College of Art schuf kannte das kalifornische Lebensgefühl vor sein Haar blond gebleicht und seine große,
er Bilder, die, wie er später sagte, »teilweise der allem aus einschlägigen Nacktmagazinen schwarze Brille mit den kreisrunden Gläsern
Propaganda dienten«. wie »Physique Pictorial«, die die strikten Por- erstanden, die er für die nächsten Jahrzehnte
Sein Wunsch, nach Los Angeles zu zie- nografieverbote der Zeit umgingen, indem tragen sollte. Und er hatte die schwule Sub-
hen, entsprang weitgehend der Frustration, sie sich als Sportzeitschriften ausgaben. kultur in den Bars, Clubs und YMCAs der

45
Eine Serie von Fotografien liegt Hockneys
»Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)«
von 1972 zugrunde, das den Geliebten mit
ausdruckslosem Gesicht im roten Sakko zeigt
L I E B E S G E S C H IC H T E N

Stadt in vollem Maße ausgekostet. Die Zeit mit einem Partner zusammenlebten. Und einer subtropischen Utopie, zur spektakulä-
nach seiner ersten Ankunft in Los Angeles, beide sollten sich an jenes Jahr, das sie in San- ren Bühne des schönen, abgeschotteten Le-
erinnerte er sich später, sei die einzige Phase ta Monica verlebten, als Idylle erinnern, eine bens, die augenzwinkernd an Immobilien-
in seinem Leben gewesen, in der er völlig romantische und sexuell erfüllte Idylle. Es broschüren und Lifestylemagazine erinnert.
promiskuitiv gelebt habe. Er war nun bereit, war für sie die erste große Liebe. Keine ande- Stilisierte, überlange Palmbäume vor strah-
sich niederzulassen. re Lebensphase kennt so viel Magie. Tagsüber lend blauem Acrylhimmel waren plötzlich
Die Wohnung in Santa Monica, die er malte Hockney, und Schlesinger besuchte sei- auf seinen Bildern zu sehen, moderne Archi-
für sich und Schlesinger fand, war klein und ne Seminare an der Universität. Die Abende tektur, die sich in leuchtend weißen geome-
heruntergekommen, mit einem Betonfußbo- verbrachten sie lesend und im Bett, gingen in trischen Flächen auflöste, saftgrüner Rasen
den und bot kaum genug Platz zum Malen. Restaurants oder ins Kino oder lagen an den und immer wieder das Emblem des südkali-
Wenn man den Gasherd anmachte, flohen die Pools zweier befreundeter schwuler Paare. fornischen Lebens, vervollständigt mit zu
Kakerlaken in alle Ecken. Für beide war es Und noch etwas hatte Los Angeles bei elegant geschwungenen Linien abstrahierten
dennoch eine überaus glückliche Zeit. Schle- Hockney verändert: sein malerisches Werk. Lichtreflexen: der Swimmingpool.
singers liberale Eltern hatten sich von Hock- Das Licht von L. A. hatte auf ihn einen Ein- Los Angeles ist auf Hockneys Bildern
neys Freunden überzeugen lassen, dass sie fluss, wie es das Licht Nizzas auf Henri Ma- der Schlesinger-Zeit der Ort, wo sich die
sich keine Sorgen machen mussten. Für die tisse hatte oder das Tahitis auf Paul Gauguin. Hochmoderne mit der schwulen Subkultur

Bild vorherige Doppelseite: David Hockney/Art Gallery of New South Wales/Jenni Carter; Bilder diese Seite: privat; ddp images
beiden Männer war es das erste Mal, dass sie Los Angeles wurde in Hockneys Bildern zu trifft – repräsentiert durch die Akte junger
Männer, in der Dusche, am Rand des Pools
oder auf Luftmatratzen im Wasser treibend.
Wenn man sich Hockneys Frühwerk und die
Auseinandersetzung mit dem schwulen Le-
ben darin heute anschaut, fragt man sich,
wie es möglich war, dass er damit durchkam.
Man kann kunsthistorische Strategien zur
Erklärung heranziehen – seine Weiterverar-
beitung klassisch kodierter Aktmalerei etwa
oder seine Zitate des traditionellen Motivs
der Badenden –, aber was von seinen Bildern
am deutlichsten zurückbleibt, ist die lieben-
de Selbstverständlichkeit, mit der er Facetten
der Homosexualität einfing. Eine so noncha-
lante Selbstverständlichkeit, dass sie von je-
dem feindlichen Radar übersehen wurde.
Auch stellte Hockney scheinbar mühe-
los die malerischen Diskurse seiner Zeit in-
frage. Clement Greenbergs Abstraktionsdog-
ma, demzufolge nichts Äußeres, sondern nur
noch Flächigkeit und Farbe Gegenstand ei-
nes Gemäldes sein dürften, verwies er mit
Es war für beide Männer die erste große Liebe. Keine Witz in die Schranken, indem seine Farbflä-
chen konkrete architektonische Elemente
andere Lebensphase kennt so viel Magie. darstellten. Jackson Pollocks Drip-Paintings
malte er einmal groß und einmal klein fein
säuberlich als weiße Wasserspritzer nach.
Hockneys Kalifornienporträts sind schöne
Bilder, die im Grunde subversiv sind.
Nichts schmerzt so sehr wie das Ende
der ersten großen Liebe. Um nichts kämpft
man so wie um ihren Erhalt. Wahrscheinlich
trifft das noch mehr auf schwule romanti-
sche Beziehungen zu, die Ende der Sechziger-
jahre noch als Avantgarde gelten konnten, als
großer Glücksfall, da die Vorbilder dünn ge-
sät waren. Die ersten Anzeichen einer Krise
zwischen den Liebenden deuteten sich an, als
David Hockney und Peter Schlesinger im Juli
1967 zusammen nach London zogen. »Es war
ein wenig beängstigend«, erzählte Schlesin-
ger später. »Ich war erst 19 und schüchtern
und kannte niemanden. Swinging London
war in vollem Schwung, und ich war eine
kleiner, provinzieller Kalifornier.«

48
Bild: David Hockney/Prudence Cuming Associates

Schlesinger kam in ein vorgefertigtes Leben, te, desto nachdrücklicher entwickelte er sei- Im Rausch der Verliebtheit zeichnete
in ein Universum aus Freunden und Unter- ne Malerei weiter. Das Gemälde »The Room, Hockney den Freund in lasziver Schönheit,
stützern, das sich um den Star David Hock- Tarzana«, das Hockney 1967 nach seiner »Peter, Albergo La Flora, Rome«, 1967.
ney drehte, dessen Kalifornienbilder ihn in Rückkehr nach London fertigstellte, zeigt Li. Seite: Schlesinger als junger Mann in
den englischen Malerolymp katapultiert hat- Schlesinger in einem sonnendurchfluteten Beverly Hills, darunter Filmstill aus »A
ten. Schlesingers Fotos aus jener Zeit, die er Raum, auf dem Bauch im Bett liegend, nur Bigger Splash«, aufgenommen in den frü-
hen Seventies, als sich das Paar trennte
2003 im Buch »Checkered Past« veröffentlich- mit T-Shirt und Socken bekleidet. Zum ers-
te, fangen eine glamouröse Ära ein, die von ten Mal seit einem Jahrzehnt betont Hock-
berühmten Künstlern und Designern, von ney nicht mehr die Flächigkeit des Bildes.
Cecil Beaton oder Mick Jagger, Manolo Blah- Stattdessen erzeugt er die Illusion von Raum- dem. Das letzte Mal, dass er Schlesinger sah,
nik oder Vivienne Westwood bevölkert ist. tiefe und spielt zwei perspektivische Flucht- berichtete der Künstler kürzlich im »Guar-
Er versuchte sein Bestes, einen Platz in die- punkte gegeneinander aus. Zum ersten Mal dian«, sei im Jahr 2012 bei einem Essen in
sem Leben zu finden. Er nahm sich ein eige- seit seinen Anfängen als Kunststudent ließ er New York gewesen. Sie hätten sich eine Stun-
nes Atelier, um zu malen, und wurde an der hier naturalistischen Impulsen freien Lauf, de unterhalten und dann nichts mehr zu sa-
Slade School of Fine Art aufgenommen. ein angesichts der kunsttheoretischen Debat- gen gehabt. Beide Männer hatten im Laufe
Schlesinger arbeitete ernsthaft an seiner Ma- ten jener Zeit geradezu unerhörter Affront. der Jahre sehr viel intensivere und längere
lerei. Aber es gelang ihm nicht, jemals richtig Hockney sollte bis zum Ende der Beziehung Beziehungen. Doch für beide war es diese
Fuß zu fassen in der Kunstszene der Stadt im Sommer 1971 nicht aufhören, Peter Romanze, die sie definierte. Das Schicksal
und sich einen eigenen Namen als Künstler Schlesinger zu zeichnen, zu malen und zu erster großer Lieben ist es meistens, dass man
zu machen. Überall, wohin er ging, war er als fotografieren. Diese künstlerischen Liebes- sie im Nachhinein nicht mehr versteht. Aber
David Hockneys Liebhaber bekannt. erklärungen hielten auch noch an, nachdem auch nie vergessen wird. ×
Mag sein, dass Hockney Schlesingers sich das Paar getrennt hatte.
Probleme nicht vollends wahrnehmen oder Vor allem David Hockney brauchte vie- Hockneys Zeichnungen von Peter Schlesinger sind
verstehen konnte, da er in seiner eigenen Ar- le Jahre, um sich nach dem schmerzhaften noch bis 13. September im Museum Gunzenhauser,
beit und seinem Leben gefangen war. Und in Ende der Beziehung wieder zu fangen. In Chemnitz, und vom 3. November bis 1. Dezember
der Tat, je öfter Hockney seinen Partner mal- Kontakt blieben die beiden Männer trotz- in der Paul Kasmin Gallery, New York, zu sehen

49
LIECHTENSTEI N

Bilder: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna/Inv.-Nr. SK 1440; LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna/Inv.-Nr. SI 98; Sven Beham/Liechtensteinisches Landesmuseum
M
it dem Einwurf eines Jetons,
den man sich zuvor im Lan-
desmuseum nebenan geholt
hat, geht eine Sicherheits-
schleuse auf. Die Spannung steigt. Eine Tür
schließt sich, erst dann öffnet die nächste ei-
nen lang gestreckten schwarzen Raum, der
sich in der Dunkelheit verliert: Nur die kost-
baren Exponate sind angestrahlt. Es funkelt
und schimmert, wie man es sich in einer
Schatzkammer eben vorstellt. Dabei befin-
den wir uns hier nicht in einer Burg oder ei-
nem Schloss, sondern im Erdgeschoss des so-
genannten Engländerbaus, einem der frühen
Gebäude der Moderne mitten in Vaduz. Im
ersten Obergeschoss ist das berühmte Liech-
tensteinische Postmuseum beheimatet, im
zweiten der Kunstraum der Kulturstiftung
für regionale zeitgenössische Künstler.
Zuerst fällt der Blick auf eine Krone, die
hier in einer Vitrine prangt: Der originale
Herzogshut, den Fürst Karl I. Anfang des
17. Jahrhunderts mit über hundert Diaman-
ten, sechzehn Rubinen und einundzwanzig
Perlen bei einem Frankfurter Juwelier in
Auftrag gab, ist allerdings verschwunden.
1781 heißt es in einer Inventarliste lakonisch,
die Krone sei »abgängig«. Im Jahr 1978 ließen
das Land und die Gemeinden anlässlich des
40. Regierungsjubiläums von Fürst Franz Jo-
sef II. eine Replik herstellen, die jetzt einen
Eindruck des kunstvollen Machtsymbols
und seiner magischen Aura vermittelt. Es
handelt sich, wie bei weiteren Kostbarkeiten
auch, um eine Leihgabe des Fürstenhauses.
Dem Kunsthistoriker wird das Herz
beim Anblick eines barocken Elfenbeinre-
liefs von Ignaz Elhafen höher hüpfen, das die

Liechtensteins Schätze Auffindung des Mosesknaben darstellt, oder


bei der kleinen Silberstatuette des »Orpheus
mit der Harfe« aus den Jahren 1613/15. Auch
die Altmeistergemälde an den Wänden stam-
Ein Besuch in der neu eingerichteten Schatzkammer gleicht men aus dem Fürstenhaus, ein »Affengelage«
einer Reise durch 500 Jahre Sammelgeschichte und führt von David Teniers d. J., daneben bäuerliche
Genreszenen von Adriaen von Ostade und
vom kleinen Fürstentum durch ganz Europa bis ins Weltall ein Blumenstillleben von Franz Werner
Tamm, gemalt in Wien 1715.
Schon Fürst Karl Eusebius gab seinen
VON
Nachkommen den Rat, Ruhm als Bauherr
LISA ZEITZ
und Sammler zu suchen, nicht als Kriegsheld,

50
LIECHTENSTEI N
Bilder: Sven Beham/Liechtensteinisches Landesmuseum; Sven Beham/Liechtensteinisches Landesmuseum; LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna/Inv.­Nr. WA 4141

Koloman Moser vergaß bei seinem Brief­


markenentwurf das »e« von Liechtenstein.
Den Rheinfall bei Schaffhausen (re.) malte
der Romantiker Johann Ludwig Bleuler. Der
barocke Hirschfänger unten gehört zur
Waffensammlung der Fürsten. Li. Seite der
immerwährende Kalender (kurz nach 1587)
und »Orpheus mit der Harfe (1613/15) aus
der fürstlichen Kollektion, das »Apfelblüten­
Ei« von Fabergé aus der Sammlung Goop

doch im Lauf der Jahrhunderte durchziehen kammer bieten dennoch nur eine kleine Aus- schluchten zum Bodensee und nach Köln bis
unweigerlich immer wieder militärische Er- wahl aus den rund 4000 Eiern. Als Höhe- zur Nordsee – das am Rhein gelegene Liech-
eignisse und Karrieren die Geschichte der Fa- punkt ist das sogenannte Apfelblüten-Ei von tenstein mit dem Rest von Europa.
milie, meist im Dienst der Habsburger. Die Fabergé zu bewundern, das mit emaillierten Für die Souveränität des Landes spielt
außergewöhnliche Sammlung an Waffen Blütenblättern, Diamanten und roségolde- das Thema Post eine besondere Rolle. »Für
und Rüstungen beinhaltet etwa einen Teil nen Zweigen verziert ist, die auf hauchdünn die Liechtensteiner sind ihre Briefmarken
der Rosenblattgarnitur Kaiser Maximilians II.: geschnittene dunkelgrüne Jade appliziert nicht nur filigrane Kunstwerke, sondern auf
eine metallene Faust, die sogenannte Hentze, sind. Das 14 Zentimeter breite Kleinod hat wenigen Quadratzentimetern symbolisierte
mit feiner schwarz geätzter Dekoration und der russische Großindustrielle Alexander Unabhängigkeit«, sagt Rainer Vollkommer,
vergoldeten Nieten – sie ist 1571 in Landshut Fernandowitsch Kelch im Jahr 1901 als Ge- der nicht nur Direktor der Schatzkammer ist,
von Meister Franz Grosschedel gefertigt wor- schenk für seine Frau bei Carl Fabergé und sondern auch des Landesmuseums und des
den. Zwei Radschlosspistolen mit detailrei- seinem Werkmeister Michael Perchin in Postmuseums. Die erste Zwei-Heller-Marke
chen Elfenbeineinlagen sehen aus, als ob sie St. Petersburg in Auftrag gegeben. mit dem Bildnis des Fürsten Johann II. ent-
nicht zum tatsächlichen Schießen, sondern Die Sammlung Goop beinhaltet auch warf der Jugendstilkünstler Koloman Moser
gleich für die Kunstkammer in Auftrag gege- viele Eier, die einst zu den Osterfesten am im Jahr 1912.
ben wurden, und drei wertvolle spanische russischen Zarenhof verschenkt wurden. So Das jüngste Kapitel der Schatzkammer
Jagdflinten, Geschenke von Kaiser Joseph II., ist zum Beispiel überliefert, dass Katharina II. zielt ins Weltall – hätten Sie gedacht, dass die
zeugen davon, dass die Jagd ein Privileg der im Jahr 1793 nicht weniger als 373 Porzellan- Apolloraketen mit Technologie aus Liechten-
Herrscher war. Darunter ist eine Stein- eier erhielt, aber es gab auch Ostereier aus stein an den Start gingen? Die Firma Balzers
schlossflinte von Joaquin de Zelaia, einem Kristallglas, Email oder Edelstein, Holz und war in den Sechzigerjahren führend in den
der spanischen Meister, der im 18. Jahrhun- Papiermaché. Bereichen Beschichtung und Vakuumtech-
dert zu den begehrtesten Adressen für Neben den Ostereiern vermachte der nik – so kommt es, dass jetzt fünf Brocken
Schusswaffen zählte. Sammler Adulf Peter Goop dem Land auch Mondgestein hier aufbewahrt werden. Vier
Das kleine Land Liechtenstein kann eine Folge von 77 Gouachen des Romanti- davon sammelten Neil Armstrong und Buzz
sich aber nicht nur mit den Sammlungen des kers Johann Ludwig Bleuler (1792–1850). Sie Aldrin 1969 bei der ersten Mondlandung ein
Fürstenhauses und der Hilti Art Foundation umfassen ein Großprojekt, denn Bleuler hat- – sie wurden vom damaligen US-Präsidenten
schmücken. Zu den großen liechtensteini- te es sich zur Aufgabe gemacht, den Rhein Richard Nixon als Geschenke an Liechten-
schen Privatsammlern zählte Adulf Peter von seiner Quelle bis zur Mündung in Bil- stein überreicht. Von allen Objekten der
Goop (1921–2011), der sein Heimatland kurz dern festzuhalten. Seinen Wohnsitz und die Schatzkammer sind sie vielleicht nicht die
vor seinem Tod reich beschenkte. Eine seiner Werkstatt, in der Stecher und Koloristen die kostbarsten, aber gewiss die kuriosesten. ×
Leidenschaften galt Ostereiern, und es gibt Werke vervielfältigten, hatte er direkt am
wohl kaum eine internationalere Kollektion. Rheinfall von Schaffhausen. In gewisser Wei- Schatzkammer Liechtenstein, Vaduz, Städtle 37,
Die üppig bestückten Vitrinen der Schatz- se verbindet die Bilderreise – von den Alpen- täglich 10–17 Uhr außer 24., 25., 31.12. u. 1.1.

51
Kunsthändlerverband
Deutschland
F aireR ahm en b ed in gu ngenb ildend ieG ru ndlagefü rein en
vielfältigenu n dp rosp erieren d enH an delm itK u nstu n dA n tiqu itäten.
F ürd iesen otw en d igenV orau ssetzu n gensetztsichd erK D -
K u nsthän dlerverb an dD eu tsch lan dseitlan gemm itzah lreich en
A ktivitätenein .U n sereM itglied erü b erallinD eutsch lan den gagieren
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geschnitztemG reifin
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beidseitigverspiegelt

H1
64xT6
1,5cm
S A M M L E R SE M I N A R

SAMMLER
SEMINAR Nº 2 3

Art-nouveau-Glas

Bild: Kastern, Hannover

Die Ziergläser des französischen Jugendstils waren ein brodelndes Experimentierfeld für neue
Formen, Farben und Techniken. Sammlern bietet sich eine bezaubernde Auswahl

VON
A SK A N QU I T T E N B AU M

54
S A M M L E R SE M I N A R

E
Es gibt sie immer noch, die Dachbodenfunde,
die ins Auktionshaus getragen werden. Vor
ein paar Jahren kündigte sich auf einer mei-
ner Expertenreisen eine Dame mit einer fran-
zösischen Glasvase an, die ich mir mal anse-
hen sollte. Wir verabredeten uns in der Lobby
meines Hotels. Zur Begrüßung knallte sie
mit Schwung ihre Handtasche auf den Tisch
– darin die Vase, unverpackt, in ihren Augen
ein langweiliges Erbstück von der verstorbe-
nen Tante. Wie ich bereits vermutet hatte,
handelte es sich um eine Vase von Émile
Gallé mit einem seltenen Dekor, die sich ein
Sammler in der kommenden Auktion für
Bilder: Dorotheum, Wien (2); Hargesheimer, Düsseldorf

29 000 Euro sicherte. Kennerschaft lohnt sich.


Gerade beim Glas des Art nouveau, der fran-
zösischen Variante des Jugendstils. Der Markt
dafür ist seit Jahren sehr groß und stabil.
Art-nouveau-Glas wird auf der ganzen
Welt gesammelt. Manches Papieretikett am
Boden einer Vase erzählt nicht nur die Ge- 2
schichte eines Ladengeschäfts in Paris, son-
dern verweist auf eine Provenienz aus Bue-
nos Aires oder New York. Ein besonderes 3
Faible hegen die Japaner, die in den Zierglä-
sern den Einfluss ihrer eigenen Ästhetik
schätzen. Kunst und kunstgewerbliche Ob-
jekte aus Japan gehörten zu den wichtigsten 1
Inspirationsquellen der Jugendstilkünstler.
Es war eine Zeit des Umbruchs und großar-
tiger Neuerungen auf vielen Ebenen. Auch
die Kundschaft war im Wandel und bestand
vermehrt aus Künstlern und erfolgreichen
Industriellen, die ihren modernen Lebensstil
In den 1920ern reduzierten sich die Ju-
zum Ausdruck bringen wollten. gendstilformen zu klarer Grafik: 1 Die Vase
ableiten. In diesem Mai wurden bei Sothe-
von Legras mit dem Kaskadenbrunnen by’s in Paris für eine Vase von Émile Gallé
Nancy, die Glashauptstadt brachte 2013 im Dorotheum inkl. Aufgeld mit Aufgeld 435 000 Euro bewilligt, der
Die Künstler des Art nouveau waren ab 1870 1250 Euro 2 Vase mit Dahliendekor von höchste Zuschlag für diesen Künstler seit
die Ersten, die es verstanden, das Glas so zu Burgun, Schverer & Co., um 1897; 2002 er- dem Ende der extremen Hochpreisphase in
behandeln, dass alle ästhetischen Qualitäten zielte das Stück im Dorotheum 18 300 Euro den 1980er-Jahren. Die Vase hat die Form ei-
und Möglichkeiten des Materials zum Vor- 3 Die Jardinière von Daum, 1907, brachte ner Blütenknospe; auf der Wandung er-
schein kamen. Durch komplexe Überfang- bei Hargesheimer mit Aufgeld 6250 Euro scheint eine geschnittene Lilienblüte vor ei-
techniken und Pulvereinschlüsse erreichten Linke Seite: Vase mit Frauenschuh in Zwi- nem vielfarbigen impressionistischen
vor allem die Manufakturen der École de schenschichtmalerei, im März bei Kastern Hintergrund. Zu den höchsten Zuschlägen
Nancy eine nie dagewesene Polychromie für 3000 Euro zugeschlagen der Manufaktur Daum Frères gehört ein
und Tiefe der Farben. Durch kalte Verede- Glaskürbis, der 2006 bei Christie’s in New
lungstechniken wie Schneiden und Ätzen ar- York 156 000 Dollar (samt Aufgeld) erzielte.
beiteten sie die Dekore plastisch heraus. In Émile Gallé und Daum Frères waren
der Glaskunst lassen sich Malerei und Skulp- um 1900 die beiden größten Produzenten
tur verbinden, von dieser Qualität kann man von Kunstgläsern, und noch heute geben
auch die Bewertungen der teuersten Gläser ihre Werke auf dem Kunstmarkt den Ton an.

55
S A M M L E R SE M I N A R

Beide Firmen produzierten in Nancy, das seit 1 Vase von Émile Gallé, um 1890, in das und spezialisierte sich rasch auf hochwertige
1871 vom Deutschen Reich annektiert war rauchbraune Glas ist Reliefdekor geätzt, Gläser. Zudem schuf er Keramiken und Mö-
und sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem die Libellen sind in Emailmalerei ausge- bel. Seine Kunstgläser sind besonders begehrt
der wichtigsten Kunstzentren des Jugendstils führt. Bei Dr. Fischer fiel dafür 2014 der und zeigen seine künstlerische Bandbreite.
in Europa entwickelte. Hier in Lothringen, Hammer bei 10 000 Euro 2 Tischlampe Das in mehreren Schichten produzierte Über-
»Lys« (Lilie) von Gallé in Überfangtechnik,
das sich auch unter den Deutschen in künst- fangglas mit aufwendigen Ätzdekoren wurde
Endpreis 5600 Euro bei Hargesheimer,
lerischen Dingen beharrlich nach Frank- zu einem zentralen Bestandteil seines techni-
2014 3 Eugène Rousseau und Ernest Lé-
reich und vor allem nach Paris orientierte, veillé, Schale mit abstrakter Polychromie, schen Repertoires. Gallé war fasziniert von
hatten sich Kunsthandwerker, Industrielle 1566 Euro mit Aufgeld, 2013 bei Tajan der Botanik, unternahm intensive Pflanzen-
und Kaufleute zu einer losen Vereinigung zu- studien und betätigte sich aktiv im Vorstand
sammengeschlossen, mit dem Ziel, die tradi- mehrerer Gartenbaugesellschaften. Magno-
tionellen kunsthandwerklichen Techniken lien, Glyzinien, Hortensien, Akeleien, wilder
zu lehren und zu fördern und dabei die Vor- Wein, Clematis, Orchideen und Seerosen zie-
teile der industriellen Fertigung und des mo- ren, detailgenau beobachtet, seine Entwürfe.
dernen Vertriebes mit einzubeziehen. Zum Stimmungsvolle Landschaftsdekore wie die
Leitbild der Mitglieder, festgeschrieben in »Ligne bleue des Vosges« im farbigen Licht
den Statuten 1901, gehörte die Orientierung der auf- oder untergehenden Sonne sind bei
am Vorbild der Natur, um sowohl bei Luxus- vielen Sammlern genauso beliebt wie Vasen
objekten und Unikaten als auch bei seriellen mit floralen Motiven.
Gebrauchsgegenständen Eleganz und
Schönzeit zu erzielen. Gallé oder Daum?
Zu den Gründungsmitgliedern Besonders gefragt sind Gallés vases parlantes
der École de Nancy gehörte (sprechende Vasen), bei denen literarische

Bilder: Dr. Fischer, Heilbronn; Hargesheimer, Düsseldorf; Tajan, Paris


Émile Gallé. Er übernahm in Inschriften von Victor Hugo und anderen
den 1870er-Jahren die väterli- Autoren die poetische Ausdruckskraft seiner
che Keramikmanufaktur floralen Dekore steigern. Auf die von ihm
entwickelte, sehr aufwendige Technik der
Marqueterie meldete der Glaskünstler 1898
zwei Patente an. Diese seltenen Modelle kön-
nen auf dem Markt leicht 100 000 Euro erzie-
len. Gute Chancen für Sammler mit be-
schränktem Budget bieten Gallés Stücke, die
nicht den allgemeinen Schönheitsidealen
entsprechen, etwa die vases de tristesse, die
traurigen Vasen, mit nächtlichen Stimmun-
gen in düsteren Farben, aber technisch
höchst anspruchsvoll umgesetzt.
Es gibt Sammler, die Gallé-Gläser ver-
schmähen und sich lieber auf die Manufak-
tur Daum Frères konzentrieren, die sich
ebenfalls in den 1870ern in Nancy etablierte.
Die opake Oberfläche, erzielt durch Pulver-
einschlüsse, gehört zu den charakteristischen
Merkmalen der Daum-Stücke. Großer Be-
liebtheit erfreuen sich derzeit emailbemalte

1
3

56
S A M M L E R SE M I N A R

Die wichtigsten Glasmanufakturen des Art nouveau


Bilder: Robert Zehil Gallery; Schürenberg, Aachen; Tajan, Paris; Dorotheum, Wien; Tajan, Paris; Pusch, Bamberg; Dorotheum, Wien; Quittenbaum, München

Amédée de Caranza Daum Frères


Zunächst schuf Caranza emaillierte Stücke in Bedeutende, auf den Weltausstellungen preisge-
orientalischer Art für diverse Keramikmanufak- krönte Manufaktur. 1878 erwarb Jean Daum in
turen. Ab 1895 sind erste Glasarbeiten bekannt, Nancy eine Glasfabrik, die seine Söhne Auguste
ab 1903 war er für die Glasfirma Henri Copillet und Antonin zum Erfolg führten. Typisch sind
in Noyon tätig. Seine Spezialität war der opake Oberflächen durch Pulvereinschlüsse und
Lüsterdekor auf Glas, wie bei dieser Vase, die die emailbemalte Landschaftsvasen. Die Freesienvase
Zehil Gallery anbietet; Preis auf Anfrage. kostet bei Pusch in Bamberg 2600 Euro.
Désiré Christian
Er arbeitete für Burgun, Schverer & Co.
und für Émile Gallé, bevor er um 1900
seinen eigenen Veredelungsbetrieb für
Zier- und Gebrauchsgläser in Meisen-
thal gründete. Hervorragende Leistun-
gen bei Gläsern mit farbigem Dekor
zwischen den Überfangschichten. Die
Flaschenvase mit Kornblumendekor er-
zielte im Dorotheum 3472 Euro.

Burgun, Schverer & Co. Émile Gallé


1711 gegründeter Betrieb in Meisenthal, der ab Gründer der Vereinigung École de Nancy und
1889 zum bedeutendsten Unternehmen für erfolgreichster Glaskünstler seiner Zeit. Entwarf
Kunstgläser und Trinkglasgarnituren in Elsass- komplexe Überfanggläser mit geätzten Dekoren.
Lothringen aufstieg. Fertigte per Geheimvertrag Nach seinem Tod 1904 produzierte die Firma
einige Jahre Gläser für Gallé. Vase »Cœur de weiter bis in die 1930er-Jahre. Flakon mit Frosch-
Jeannette«, 16 500 Euro bei Schürenberg. motiv, mit Aufgeld 20 000 Euro im Dorotheum.

Legras & Cie.


Bedeutende Firma um 1900 mit rund
1500 Arbeitern und 150 Dekorateuren.
Industriell gefertigte Massenartikel.
Häufig sind Gläser im Stil Gallés mit
Email- und Goldmalereien versehen. Ab
1908 für einige Jahre Hersteller von
Ernest Léveillé Parfumflaschen für Lalique. Mohnvase, Muller Frères
Inhaber eines Glas- und Keramikgeschäftes in 5100 Euro inkl. Aufgeld bei Tajan. Die alte Glasbläserfamilie gründete 1895 in
Paris, der erst Mitarbeiter, dann Partner des Glas- Lunéville einen Veredelungsbetrieb für Ziergläser.
künstlers Eugène Rousseau wurde. Typisch sind Neben geätztem Überfangglas kam die fluo­
geschnittene, ägyptisierende Spiral- und Ranken- gravure zum Einsatz, bei der die Oberfläche vor
muster oder Imitationen von Halbedelsteinen dem Säurebad mit Emailstaub eingefärbt wird.
wie diese Dose (Erlös: 1148 Euro bei Tajan). Die Vase erzielte 2250 Euro bei Quittenbaum.

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S A M M L E R SE M I N A R

Émile Gallés Vase »Rose de France« erzielt dem nicht unbedingt die höchsten Preise,
immer wieder Spitzenpreise. Dieses Exem- weil sie oft in ihrer Erscheinung etwas zu-
plar von 1901 (u.) kletterte bei Quitten- rückhaltend sind und nur der wahre Kenner
baum 2013 mit Aufgeld auf 146 625 Euro. ihre Qualitäten zu schätzen vermag.
Aber auch für kleine Geldbeutel gibt es Gläser aus dem Haus Muller Frères im
Stücke: Landschaftsvase von Legras, um lothringischen Croismare erreichen nicht die
1900/14, die Wendl für 150 Euro zuschlug.
technische Qualität der beiden großen Fir-
Rechte Seite: Vase mit reizvollem Über-
men. Ihre geätzten und emaillierten Land-
fangdekor von Muller Frères, bei Tajan
2014 für 2706 Euro inkl. Aufgeld verkauft schaftsvasen sind jedoch häufig von einer ein-
zigartigen impressionistischen Qualität; auf
Auktionen werden sie meist zu moderaten
Preisen noch unter 2000 Euro aufgerufen. An
die grafische Qualität von chinesischen Tu-
schezeichnungen erinnern die technisch
einfachen Arbeiten aus dem Haus Legras.
Kleinformatiges aus der in Saint-Denis ange-
siedelten Manufaktur können Einsteiger
schon für weniger als 200 Euro erwerben. Als
Raritäten gelten Gläser von Amédée de Ca-
ranza, der als einziger Glasproduzent in
Frankreich den Lüsterdekor verwendete.
Wie bestimmen sich heute die Preise?
Ein wichtiger wertsteigernder Faktor ist Sel-
tenheit. Farbenprächtige Modelle mit vielen
Überfängen und aufwendigen Ätzungen
oder Schnitten werden mit hohen Schätzun-

Bilder: Quittenbaum, München; Wendl, Rudolstadt


gen honoriert. Auch eine besondere Form
oder die richtige Größe für die heimische Vi-
trine sind wichtig. Plastische Applikationen,
wie Henkel oder Bänder sind eher preisstei-
gernd. Tischlampen mit einem Glasfuß und
einem Glasschirm waren bis vor einiger Zeit
grundsätzlich höher bewertet als Vasen.
Doch unlängst gab es einen Trendwechsel,
und jetzt kann man eine schöne Gallé-Lam-
pe von einem halben Meter Höhe manchmal
schon für deutlich unter 10 000 Euro kaufen.
Bronzemontierungen sind bei einigen
Sammlern nicht so beliebt, weshalb es da zu
Landschaftsvasen. Waldszenerien, dargestellt sein. Als Gruppe wirken sie auf Fensterbän- Preisabschlägen kommen kann, vor allem
im Wechsel der vier Jahreszeiten, sind zuwei- ken und in Vitrinen besonders dekorativ. wenn es eine historisierende Montierung ist.
len schon für 500 Euro zu haben. Es geht aber Viele kleinere Manufakturen in Frank- Ein graviertes Relief wird in den meisten Fäl-
bis in den fünfstelligen Bereich: Eine Boden- reich und Lothringen orientierten sich an len höher bewertet als ein nur geätzter Dekor.
vase »Pluviose« mit einem Birkenwald bei den neuen Techniken und Dekoren von Gläser des Art nouveau sind fast aus-
Regen erzielte bei Quittenbaum im Mai über Gallé und Daum. Einige von ihnen erlangten nahmslos bezeichnet. Fehlt einmal die Si-
30 000 Euro. durch ihre technischen und künstlerischen gnatur, wurde sie ursprünglich wohl in Gold
Die vielleicht größte Preissteigerung in Errungenschaften große Bedeutung. So ar- oder Email angebracht und dann mit der
den vergangenen zwei Jahrzehnten lässt sich beitete Burgun, Schverer & Co. aus dem loth- Zeit abgerieben. Bei Daum orientieren sich
bei Vasen mit geätzten und emaillierten ringischen Meisenthal mit Präzision und ei- die Signaturen oft an der verwendeten Tech-
Winterlandschaften verzeichnen. In den ner enormen Farbpalette in der Technik des nik: Geschnittene Stücke haben eine gravier-
Neunzigern konnte man noch für umgerech- Zwischenschichtdekors (décor intercalaire). te Signatur; kamen Emailbemalung oder
net rund 500 Euro ein ansehnliches Stück er- Vergoldung zum Einsatz, finden sich die
werben. Heute kosten Daum-Vasen mit die- Seltenheit und Signatur Techniken auch bei der Manufakturbeschrif-
sem Dekor um 3000 Euro, bei größeren François-Eugène Rousseau aus Paris propa- tung. Hat die Vase nur einen Ätzdekor, sind
Exemplaren in ausgefallenen Formen oder gierte noch vor Gallé die Formensprache und die Lettern oft in Hochrelief geätzt.
mit Henkeln schnell 5000 Euro und mehr. die Dekorwelt Ostasiens. Henry Cros und Die Signatur von Daum hat sich im Lau-
Ein breites Spektrum der hoch geätzten und Albert Dammouse aus Sèvres sowie François fe der Zeit deutlich weniger gewandelt, als es
emailbemalten Modelle stellte Daum Frères Emile Décorchemont aus Conches in der bei Gallé der Fall war. Die früheren Stücke
auch als Vasen, Schalen und Flakons im Normandie waren die Protagonisten des in Daums bestehen aus dem Firmennamen und
Kleinformat her. Solche Miniaturen können Formen gebackenen Glaspulvers, der soge- der Ortsangabe Nancy, meist sitzt noch das
eine sinnvolle thematische Einschränkung nannten Pâte de verre. Stücke von diesen Landeswappen, das Lothringer Kreuz, dane-
beim Sammeln von Art-nouveau-Gläsern Herstellern sind sehr rar, erzielen aber trotz- ben. Frühe Arbeiten von Émile Gallé sind da-

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gegen sehr umfangreich, oft mit dem Zu- fernt worden. Wichtig zu wissen ist, dass
satz »Cristallerie« und »modèle et décor die meisten Gläser von Émile Gallé, auch
déposés« (Musterschutz) sowie der Ortsan- wenn der Dekor lediglich geätzt wurde, im
gabe Meisenthal oder Nancy versehen. Die- Mündungsbereich Schleifspuren aufwei-
se meist geätzten Signaturen nehmen bei sen. Besonders hohe und schlanke Vasen
manchen Vasen nahezu die gesamte Bo- sind dem Risiko der Enthauptung ausge-
denfläche ein. Oft ist mittig zusätzlich eine setzt, daher sollte man versuchen zu erken-
Blüte zu sehen. Allein die kunstvolle Art nen, ob nicht eine nachträgliche Kürzung
der Signatur lässt manche Sammlerherzen in der Höhe vorgenommen wurde.
höherschlagen. Aber Achtung: Besondere Die zweifelhafte Mode, Vasen nach-
Arbeiten Gallés haben oft eine eher simple träglich in Tischleuchten umzuwandeln,
Signatur. So findet man auf Marqueterie- hat auch vor hochwertigem französischen
Objekten häufig eine kleine, dünn gravier- Glas nicht haltgemacht. Oft ging dies ein-
te Signatur, manchmal mit einer Datierung her mit einer Bohrung für das Kabelloch
und bisweilen auch dem Zusatz »Expositi- im Boden oder in der Wandung. Problema-
on universelle 1900«, der darauf verweist, tisch für den Sammler wird es vor allem,
dass das Glas auf der Weltausstellung in Pa- wenn dieses Loch wieder fachmännisch ge-
ris ausgestellt war, für die Gallé eine ganze füllt wurde, um die absichtliche Beschädi-
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Anzahl sehr hochwertiger Arbeiten schuf. gung des Glases und die damit einherge- P
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hende Entwertung unsichtbar zu machen.
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),
Wie man Retuschen aufspürt Hier hilft eine Begutachtung in starkem sieheM useu m sk
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Vor jedem Kauf sollte man genau prüfen, Gegenlicht. Eine Kunststofffüllung fühlt A ndréC h arlesB ou lle1642-17 3 2 ,Seite294
ob die angebrachte Signatur zu dem Stück sich zudem wärmer an und leistet beim
passt. Es tauchten nämlich schon authenti- Überstreichen mehr Widerstand.
sche Stücke auf, die jedoch die gefälschte Wenn man dem Verkäufer nicht traut,
P6,6 -7|6816 1M annheim
Signatur einer anderen Manufaktur trugen. empfiehlt sich ohnehin die Begutachtung Telefon:0621/1 02 41 0
Holen Sie sich im Zweifelsfall Rat bei Ex- des Glases bei starker Beleuchtung. So ent- m
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perten, oder konsultieren Sie einschlägige deckt man Risse, Sprünge oder Ausbesse- w
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Ausstellungskataloge. rungen. Bei aller Vorsicht sollte man sich
Ganz wichtig ist der Erhaltungszu- nicht zu sehr verunsichern lassen. Nur bei
Bild: Tajan, Paris

stand. Daher sollten vor allem Henkel, einem verschwindend geringen Anteil der
Mündungsrand und Standkante gründlich Stücke wurden derart kriminelle Verände-
untersucht werden. Manchmal sind diese rungen oder Retuschen vorgenommen.
Bereiche nachträglich beschliffen, Henkel Gleichwohl sollte man sich beim Kauf den
oder andere Applikationen gänzlich ent- tadellosen Erhaltungszustand (etwa auf der
Rechnung) zusichern lassen. In Auktions-
häusern empfiehlt es sich, vor dem Mitstei-
gern einen Zustandsbericht anzufordern
und den Katalogtext genau zu lesen.
Der Jugendstil ist eine faszinierende Mark enuhren
Epoche für Sammler. Ob in Nancy, Glas- au s
gow oder Wien, in Darmstadt, Brüssel oder
München, in St. Petersburg, Kopenhagen
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oder Mailand – die eigenständigen Schu-
len haben einen brodelnden Kanon der
Künste entstehen lassen. Wenn man die
Glasarbeiten der École de Nancy und aus
Paris als Teil dieses kreativen Schmelztie-
gels sammelt, wird man einerseits die be-
sonderen Qualitäten immer besser erken-
nen und gleichzeitig über die Jahre zu
einer anspruchsvollen Kollektion gelangen.
Denn auch auf diesem Gebiet gilt: Das UnionGla shütte„D ürrstein2 “m ite wigem
Auge des Sammlers wird im Lauf der Zeit KalenderinR oségo ld1 8kt,
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besser und besser. Sammeln bedeutet auch Aufl
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immer Aussortieren. Das jeweils beste
Stück der eigenen Kollektion wird die
Messlatte für die nächsten Ankäufe sein. × P6,5|6816 1M an nheim
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elefon:0621/1 50 4736 7
info
@ uhrboerse.com
Askan Quittenbaum ist Geschäftsführer des
Auktionshauses Quittenbaum in München www
.uhrboerse.com
S A M M L E R SE M I N A R

Gut zu wissen
Wie entsteht eine Pâte de verre, und was ist der Überfang? Wer bietet Art-nouveau-Glas an,
und wo schult der Sammler sein Auge? Unsere Übersicht gibt Antwort

Glossar Patinage
Behandlung der Oberfläche durch
Ätzung Chemikalien und Erhitzen im
Dabei wird die Oberfläche in einem Reduktionsofen. Bei Gallé wird mit
Flusssäure-Tauchbad abgetragen. Patinage eine feinblasige Zwischen-
Durch Anbringung einer Schutz- schicht bezeichnet.
schicht in Form des Negativdekors
lässt sich gezielt die Darstellung auf Plaquette (Auflage)
der Wandung komponieren. Durch Der Marqueterie verwandte Technik.
mehrere Ätzvorgänge erzielt man Kleinere vorgeformte Glasstücke
feine Nuancen. Die Ätzung ist eine werden der Oberfläche aufge-
kostengünstige Alternative zum schmolzen und dann meist im
aufwendigeren Schnitt. kalten Zustand überarbeitet. Die
Manufaktur Daum hat so Blüten
Aufschmelzung und Zweige angebracht.
Im heißen Zustand angebrachte
Werkstoffe, z. B. vorgeformte Pressglas
Glasstücke (Henkel, Nuppen, Industriell gefertigtes, unter Druck

Bild: Liné1
Bänder, Fäden etc.), Glaspulver (hier in Formen gepresstes Glas.
spricht man auch von Emailauf-
schmelzung) oder Metallfolien Pulvereinschmelzung
(etwa Gold). Pulverisiertes Farbglas wird auf die
Oberfläche gebracht und dann mit
Emailbemalung einer weiteren Glasschicht
Bei dieser »kalten« Veredelungs- überfangen (siehe auch Zwischen-
technik wird das nahezu fertige schichtdekor). So entsteht ein
Glasobjekt vielfarbig bemalt. wolkiger oder flockiger Effekt. Vor
Einfarbige Bemalungen werden allem die Manufaktur Daum Frères
häufig in Schwarzlot oder in Gold verwendete diese Technik sehr
vorgenommen. häufig. Von Pulveraufschmelzungen
spricht man, wenn es keinen
Lüstrierung Nancy behauptete sich neben Paris als Art-nouveau-Kapitale. Das Musée de l’École
weiteren Überfang gibt. Dann
Auch Irisierung. Dabei werden de Nancy (hier ein Gartenpavillon) zelebriert diese Blütezeit als Gesamtkunstwerk entsteht eine raue Struktur.
silberhaltige Bänder oder Fäden
aufgeschmolzen, die danach in Schnitt (Gravur)
einem Reduktionsofen ihren Dekors ausmachen; meist in kaltem dem Model, geblasen. Der Model, Die »kalte« Veredelungstechnik
metallischen Charakter erhalten. Zustand mit dem Gravurrad meist aus Holz, wird vor allem für entspricht der klassischen Glasgra-
Louis Comfort Tiffany in New York überarbeitet. Die Manufaktur Gallé eckige Vasenformen oder eine vur. Die Oberfläche wird mit dem
arbeitete als erster Glaskünstler in wurde für diese Technik berühmt. Rippenoptik verwendet. Gravurzeug – rotierenden Rädchen,
dieser Technik. Er wollte damit die meist aus Kupfer – bearbeitet. Man
antiken Gläser nachahmen, die Martelé Pâte de verre spricht von geschnittenen oder mit
durch die Lagerung im Erdboden Vom französischen marteau In Formen »gebackenes« Glaspulver, dem Rad überarbeiteten Flächen.
einen natürlichen Schimmer (Hammer). Der Begriff verweist auf was ein opakes bis transluzides Unterschieden wird der Hoch-,
angenommen hatten. Die Lüster- die hammerschlagartige Struktur Erscheinungsbild ergibt. Henry Relief- oder Kameenschnitt vom
technik wurde beim französischen bei Metallarbeiten. Durch Cros arbeitete bereits in den Tief- oder Intaglioschnitt.
Glas fast ausschließlich von den entsprechenden Schliff wird die 1880er-Jahren in dieser Technik, da
Glaskünstlern Amédée de Caranza Glasoberfläche in ähnlich aussehen- er nach einem Werkstoff suchte, der Sculpture de verre
und Jeanne Duc angewendet. der Weise bearbeitet. seinem bevorzugten Material Wachs Große, plastische Glasstücke, die in
ähnlich war. Danach waren heißem Zustand auf dem Glaskor-
Marqueterie Modelgeblasen François-Emile Décorchemont und pus angebracht werden. Émile Gallé
In heißem Zustand werden größere Das Glas wird nicht »frei« mit Albert Dammouse bedeutende hat ganze Rosenblüten bei seinen
Glasstücke aufgeschmolzen, Zangen, Hefteisen u. a. Werkzeugen Vertreter in dieser speziellen berühmten Vasen »Rose de France«
die häufig den zentralen Teil des geformt, sondern in eine Hilfsform, Disziplin der Glasherstellung. aufgeschmolzen.

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S A M M L E R SE M I N A R

Überfang Hentrich und Gerda Koepff und Wer gerade einsteigt, mehr
Schichtung eines Glaskörpers. Oft viele weitere bedeutende Exponate Sicherheit und auch den Austausch
werden bis zu fünf Schichten geben einen umfassenden Einblick mit profilierten Kennern des
nacheinander in heißem Zustand in das französische Glas des Jugendstilglases sucht, der erfährt
auf das Werkstück gebracht, indem Jugendstils und in die Geschichte bei Dr. Fischer in Heilbronn mit
man es wiederholt in den Glashafen der Glaskunst überhaupt. Es lohnt seinen regelmäßigen Glasauktionen
(Behälter mit flüssigem Glas) aber auch der Weg nach Mainz ins und bei Quittenbaum in München
eintaucht. Besondere Effekte Mittelrheinische Landesmuseum. mit dem liebevoll gepflegten Fokus
entstehen, wenn kontrastreiche 1976 wurde hier bereits die auf Jugendstil, Glas und Design
Farben verwendet werden und man Sammlung Gruber präsentiert, die kompetente und auch enthusiasti-
zudem durch Ätzung oder Schnitt mittlerweile fester Bestandteil des sche Beratung.
Dekore anbringt. Museumsbestandes ist. Ein Mekka
für Liebhaber des Art nouveau ist
Zwischenschichtdekor das Musée de l’École de Nancy: ein Lesen
Oberflächenbehandlung zwischen Gesamtkunstwerk in der Villa
Überfängen, angebracht im kalten Corbin. Architektur, die Einrich- In Alastair Duncans »The Paris
oder heißen Zustand. Dabei tung mit Möbeln von Louis Salons 1895–1914. Ceramics and
können Metallfolien oder -oxyde Majorelle, Kunst und Kunstgewerbe MARQUETERIE Vase von Gallé, Glass« (Antique Collectors’ Club,
aufgeschmolzen werden. Häufig sowie ein prächtiger Garten lassen am 17. November bei Quittenbaum, 1998) ist mit den Abbildungen der
Taxe 15 000–20 000 Euro
werden Glasmassen aufgeschmol- die Epoche wiederauferstehen. Von alten Ausstellungskataloge das Beste
zen oder mechanisch entfernt. Émile Gallé sind rund 400 Objekte, vom Besten dokumentiert. Bis
Auch die Patinage und die Gläser und auch Keramiken zu hier eine besondere Expertise. In heute ein Standardwerk ist der
sehen. Mit einer großartigen Berlin bietet Wolfgang Gützlaf eine Katalog der Ausstellung »Nancy
Bilder: Quittenbaum, München; Van Ham, Köln; Quittenbaum, München; Dorotheum, Wien

Kollektion von Gläsern kann auch gute Auswahl an Glas und Schmuck 1900« des Münchner Stadtmuseums
das Musée des Arts Décoratifs in vom Jugendstil bis zum Art déco; in (Philipp von Zabern, 1980).