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WSpIeE N
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Kunstversicherung
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UNSER
TITELBILD
TITELBILD: Courtesy Galerie St. Etienne, New York (Ausschnitt); Albertina, Wien; Courtesy Galerie St. Etienne, New York
Ein Maler zeichnet ein junges Aktmodell vor »Schiele, ein Aktmodell vor dem Spiegel tasien, aber ihr herausfordernder Blick signa-
dem Spiegel. Er sieht, wie sie sich selbst an- zeichnend« von 1910, unten vom selben lisiert, dass sie sich ihrer Macht über die
schaut, wie verführerisch sie sich findet, wie Künstler die »Sich zurücklehnende Frau mit Männer durchaus bewusst ist.
stolz sie auf ihre weiblichen Reize ist. Der Ma- grünen Strümpfen« aus dem Jahr 1917 Auf den Bildern von Schiele emanzipiert
ler ist Egon Schiele, ein junger Wiener Künst- sich die Frau ein Stück weit, auch wenn der
ler, der hier um 1910 etwas sehr Unkonventio- Maler in seiner persönlichen Haltung alles
nelles ausprobiert. Er zeigt nicht nur, wie andere als ein Feminist war. Eine große Aus-
damals bei Frauenporträts üblich, den Blick stellung im Wiener Belvedere zeichnet nun
des Mannes auf die Frau, sondern auch den beeindruckend nach, wie bei Schiele und den
Blick der Frau auf ihr malendes Gegenüber. zwei anderen bedeutenden Wiener Moder-
Auf einmal ist die Frau nicht mehr nur passiv, nisten, Gustav Klimt und Oskar Kokoschka,
sondern ein autonomes Wesen, das – mitun- das Thema weibliche Sexualität zum beherr-
ter schamlos – seine Rechte einfordert. Mit schenden künstlerischen Sujet wurde. Wir
ihrer sexuellen Attraktivität dient sie zwar im- haben dieser Schau unsere Titelgeschichte ab
mer noch der Befriedigung von Männerfan- Seite 22 gewidmet. MATTHIAS EHLERT
3
INHALT WI E N
Spezial
64 Glossar 88 Nachrichten
Begriffslexikon zu Fayencen sowie Jeff Koons in Florenz, Aquarell
wichtige Museen und Händler von Dix kehrt nach Mannheim
zurück, Rembrandt-Paar,
66 Thurn und Taxis Fragebogen Musée de l’Homme saniert,
Ralf Ziervogel über sein Kowdor Göring-Sammlung öffentlich
Personalien
Hartwig Fischer, Katia Baudin,
Galerie Pakesch, S. 70
Carla Juri, Christine Tohmé,
Bernd Reiß 138 Kunststück
»Der Hafen II/Hafen mit
90 Im neuen Licht zwei großen Dampfern« (1930)
Eine Kölner Schau zeigt kaum von Franz Radziwill
bekannte Facetten des
Malers Godefridus Schalcken 146 Bild meines Lebens
Matthias Schweighöfer über
92 Ausstellungen Bruno Brunis Lithografie
Picassos Skulpturen im MoMA, »Die Umarmung«
Kirchner in Aschaffenburg,
Munch trifft van Gogh,
»Save the Data«, Altmeister in
St. Gallen, Ferdinand Nigg 6 Editorial
8 Impressum
94 Messen
9 Mitarbeiter des Monats
BAAF, Affordable Art Fair
in Hamburg, Paris Tableau und 142 Termine
Cologne Fine Art 145 Vorschau
Sammlerseminar, S. 56
5
EDITORIAL
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
ein Wettrennen: Mit dem Fiaker durch Wien, an
einem kalten Tag im Spätherbst. Diesen Spaß ha-
ben sich Albert Oehlen und Martin Kippenberger
1985 erlaubt. Wer gewonnen hat – und mit wel-
chen Tricks –, das lesen Sie ab S. 70. Peter Pakesch
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Impressum
REDAKTION VERLAG
AUKTIONSHAUS
Redaktion WELTKUNST ZEIT Kunstverlag GmbH & Co. KG
Dorotheenstraße 33 Buceriusstraße, Eingang Speersort 1
10117 Berlin 20095 Hamburg
Tel. 030/59 00 48-340
ANTIKE SAMMLERTEPPICHE
Fax 030/59 00 48-334
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Sandra Kreft, Nathalie Senden
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AUKTION 7. November 2015 Christoph Amend
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alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen
Fax 0 18 05/8 61 80 02
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sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der
gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Ver wertung
ohne Einwilligung des Verlages strafbar.
MITARBEITER
DES MONATS
Angela Gräfin von Wallwitz
Keramische Kunst ist das Thema ihres Lebens. Nach-
dem sie mit 23 als Trainee bei Sotheby’s in London an-
fing, arbeitete sie sich schnell zur Leiterin der Porzel-
lanabteilung hoch. Ab 1988 führte sie in London, später
in München einen erfolgreichen Kunsthandel für Ma-
jolika, frühe Porzellane und Fayencen. 2007 zog sich
Angela Gräfin von Wallwitz (re.), hier in München mit
einer Sammlerin, vom öffentlichen Geschäft zurück.
Bilder: Uwe Bayer; privat/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; privat
Nina Schedlmayer
Die 39-jährige Kunsthistorikerin ist unsere Frau in Wien: In
dieser Ausgabe stellt sie uns nicht nur ihre Lieblingsorte in
der Donaumetropole vor (S. 48), sondern bespricht auch
Joseph Cornells Assemblagen im Kunsthistorischen Muse-
um (S. 74). Mehr von ihr kann man bei »Profil«, in Zeitschrif-
ten wie »Camera Austria« oder der »Springerin« und in un-
serem Schwesterblatt »Kunst und Auktionen« lesen.
Gerd Presler
Mit 18 Jahren lernte er Franz Radziwill kennen,
später schrieb er das Werkverzeichnis seiner
Druckgrafik und blieb ihm in Freundschaft
verbunden. Unser Foto zeigt den Theologen
und Kunsthistoriker Anfang der Achtzigerjah-
re im Atelier des Künstlers. Vor über 35 Jahren
erschien Preslers erster Text in der weltkunst.
Wer sonst hätte jetzt für uns das »Kunststück«
zu Franz Radziwill (S. 138) schreiben sollen?
9
DI E M A R K T F R AU
ie sind in den großen Auktions- ben ihren zweiten Frühling, wenn sie im Drei- und vierstellig sind die Preise meist, für
häusern hierzulande – bedauer- Auktionssaal erwählt werden. Dafür kommt die Interessenten Hingucker mit Geschichte
licherweise – nicht mehr als ein Haute Couture der Fünfziger- bis Achtziger- ersteigern können – gute Adressen sind dafür
Farbtupfer. Viel Arbeit, wenig jahre in Frage – aber nur, wenn sie gekonnt das Dorotheum in Wien oder Lempertz in
Ertrag, aber ein Spielbein, das allen Beteilig- Zeitgeist spiegelt, kaum getragen und nicht Köln. Als letzteres Haus im vergangenen Feb-
S
ten enorme Aufmerksamkeit verschafft.
Denn für die sogenannte Vintage-Mode, also
für Designerware aus vergangenen Jahrzehn-
umgeändert ist. Retro-Mode wurde allge-
mein beliebt, als sich 2001 die Filmschauspie-
lerin Julia Roberts auf der Oscarverleihung
ruar 143 Modelle des Designers Heinz Oester-
gaard aufrief (laut ZEIT aus der Sammlung
eines anonymen »jungen Herrn«), wurden
ten, begeistern sich längst nicht nur Frauen, in einem fast 20 Jahre alten Valentino-Kleid 71 000 Euro eingespielt.
sondern auch modisch interessierte Männer präsentierte. Auch Michelle Obama hat den Vintage-Mode hat in den angelsächsi-
– die Kostümpräsentation des Berliner Retro-Schick nochmals gepusht. schen Ländern einen viel höheren Stellen-
Kunstgewerbemuseums zum Beispiel basiert Katrin Stoll, Chefin im Münch- wert als in Deutschland. Wer mehr sucht als
im Wesentlichen auf einem Ankauf der ner Auktionshaus Neumeister, ein so originelles wie tragbares Einzelteil,
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Martin Mlecko in der Serie »Die Dinge
des Lebens«. Die »Äpfel« (28 x 21 cm), ein
Silbergelatine-Abzug von 2013, Auflage 5,
stammt aus der Reihe, die in dem Buch
Bilder: Pierogi Gallery; Martin Mlecko/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Kunsthaus Nüdling
»Les choses de la vie« im Kerber Verlag
veröffentlicht wurde. Über Grundemark
Nilsson Gallery in Berlin (0170 5470707).
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Wie Bäume und Blätter wirken die Formen in Wasserfarben
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2006 eröffnete sie für drei Jahre eine Dependance in Leipzig.
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Ist es nicht gerade ein São Paulo ist längst das, Nach allem, was man Ich bin natürlich befangen, Ob Graz, Brüssel oder
Merkmal unserer Tage, dass was früher einmal New trotz allem dort zu sehen aber meine Heimatstadt Köln – in vielen Städten
man das eben nicht York war: ein Ort, an dem bekommt: Teheran. New York war, ist und wird regt sich eine Kunst
beantworten kann? Aber sich alle treffen, jeder seine Und »aufregend« ist es in absehbarer Zukunft der jenseits der Institutionen.
sicher werden uns die Nische findet und gänzlich auf jeden Fall, im Iran aufregendste Kunstort sein. Oft ist es die lebendigere.
Städte Ostasiens künftig Neues entstehen kann. Kunst zu machen oder Nirgendwo sonst gibt es
die meisten Überraschun- zu zeigen. diese Ansammlung von
gen bescheren. Die Künstlern, Museen,
Power ist da ganz enorm. Galerien und Kritikern.
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Der Künstler Franz von Stauffenberg destilliert seinen Gin nach Gefühl und mit
handgeschälten Orangen. So entsteht ein Tropfen für Liebhaber
S
Es gibt ihn im KaDeWe in Berlin zu kaufen selbst Ginliebhaber ist, aber auch weil man
und beim Concept Store Murkudis. Mittler- Gin leichter in größeren Mengen herstellen
weile werden pro Monat ein paar hundert kann. Die Grundlage ist Agraralkohol, der mit den Gewürzen wird der Alkohol in die
Flaschen verkauft – mit steigender Tendenz. mit verschiedenen Gewürzen und vor allem Blase der Destille gegeben. Darin wird er an-
Dabei wollte Franz von Stauffenberg eigent- Wermut versetzt und destilliert wird. gewärmt und ruht zwölf Stunden. In dieser
lich dem Markt entfliehen. Allerdings nicht Das Besondere am Stauffenberg Dry Zeit spaltet von Stauffenberg das Buchen-
dem für Spirituosen, sondern dem für Kunst. Gin ist, dass er echte Handarbeit ist. Jeden holz, mit dem er die Blase befeuert.
Von Stauffenberg ist Filmkünstler, war Arbeitsschritt macht von Stauffenberg Es kommt auf das Geschick des Destil-
Teil des Duos RothStauffenberg und selbst. Es wird nie mehr gebrannt, als leurs an, das »Herz« des destillierten Alko-
verkaufte in einer Berliner Galerie. Das der Namensgeber selbst herstellen hols zu treffen. Der erste und der letzte An-
Kunstgeschäft aber wurde für ihn im- kann. Und jeder Brennvorgang ist et- teil des Alkohols, der aus dem Spiralrohr der
mer abstrakter – er sehnte sich nach et- was anders. Die Destille stammt aus Destille rinnt, wird abgetrennt und wegge-
was Echtem. den 1930er-Jahren, es ist ein Gerät schüttet. Anschließend wird der aromatisier-
Er erinnerte sich an die ohne Thermometer. Man be- te Alkohol verdünnt und nach einer Ruhezeit
kleine Brennerei im schwäbi- dient es nach Gefühl – und das gefiltert und abgefüllt. Auch das Etikett klebt
schen Jettingen, die in einem ist entscheidend für die Qualität der Graf selbst auf die Flaschen. Anschlie-
Gutshof des Grafengeschlechts des Gins. Jeder Durchgang be- ßend nummeriert er sie. Fehlte nur noch,
untergebracht ist. Sie wurde ginnt damit, dass von Stauffen- dass er sie signiert und ausstellt. ×
kaum noch benutzt, im Jahr berg die Gewürze mischt, außer
2007 ließ er sich von dem Brenn- Wacholder unter anderem La- Tillmann Prüfer ist Style
meister erklären, wie man Obst- vendel, Ingwer, Nelken und Director des ZEITmagazin.
brände herstellt. Es war als eine Kardamon sowie Zitronen- und Er stellt hier jeden Monat
Art Therapie gedacht, ein echtes Orangenschalen. Die Schalen herausragende Leistungen der
Produkt wollte er herstellen, in schneidet er selbst. Zusammen Handwerkskunst vor
16
1917 Gustav Klimt
Mädchenkopf
Bilder: Amelie von Wulffen, courtesy Gió Marconi, Mailand/Galerie Meyer Kainer, Wien/Freedman Fitzpatrick, Los Angeles; Courtesy of PAMONO & Galleria Swing/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Brunno Jahara; Georg Hornemann; Anna Arca
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Was haben Sie gesehen, Herr Obrist? drei Ausstellungen hintereinander, 1967, 1968, war in den Fünfzigerjahren gegen den abs-
Ich komme mit ganz frischen Eindrü- 1969, berühmt geworden. Jim Nutt ist der be- trakten Expressionismus gerichtet. Der be-
cken aus Chicago, wo ich zehn Jahre lang kannteste, aber auch KARL WIRSUM (1) und rühmteste Vertreter war Leon Golub. Sein
nicht mehr war. Und nun war ich innerhalb Gladys Nilsson und die anderen haben da- Traum war immer, einmal in Mexiko auszu-
Bilder: Pentimenti Productions; Charles Ray/The artist and Matthew Marks Gallery; Milena Carstens; Illustration: Andrea Ventura
von drei Wochen gleich zweimal da. Es ist mals Chicagoer Kunstgeschichte geschrie- stellen, weil er von den dortigen Moralisten
eine neue Energie in der Stadt. ben. Meine Idee war, ein Gruppenporträt zu beeinflusst war. Bevor er gestorben ist, hat er
machen, indem ich alle Mitglieder befrage. mir davon erzählt. Deshalb ist die Ausstel-
Was war der konkrete Anlass? lung, die wir mit ihm in London gemacht ha-
Die Messe EXPO macht viele diskursive Gab es eine zentrale Erkenntnis? ben, zurzeit in Mexiko – wir erfüllen ihm sei-
Programme. Ich war dort, um ein Gruppen- Dass ihre Bücher damals genauso wich- nen Traum posthum.
gespräch mit den Leuten von The Hairy tig waren wie die Ausstellungen. Und dass
Who zu machen. Einzelgespräche mit Künst- die Künstler früh beeinflusst von Comics wa- Was gibt es sonst Neues in der Stadt?
lern mache ich ja fast jeden Tag, aber Kollek- ren, das macht ihre Arbeit so besonders, sie Theaster Gates hat ja schon seit Langem
tivgespräche sind etwas Besonderes. Mit beginnt immer mit einer Zeichnung. Wenn seine Nachbarschaft verändert mit künstle-
Rem Koolhas und anderen haben wir in der man so will, gab es hier eine lokale Überset- risch-politischen Projekten, mittlerweile hat
Serpentine Gallery einmal ein Gruppenge- zung des Surrealismus. Wenn man einmal in er sein eigenes Institut gegründet. Und es
spräch über London geführt, mit den Zero- diese Zeit eintaucht, stellt man fest, dass es gibt die spannende Sammlung von Carl Tho-
Künstlern habe ich ein Gespräch über Zero damals eine Reihe von Künstlergruppen gab ma, der sich auf digitale Kunst konzentriert.
geführt, vor Otto Pienes Tod. Es gibt ja nur wie etwa The Imagists, die der Stadt ein sehr Es gibt immer noch relativ wenige Sammlun-
noch wenige Künstlergruppen aus dem vitales, spezielles künstlerisches Leben ge- gen für digitale Kunst. In Deutschland gibt
20. Jahrhundert, bei denen noch alle Protago- schenkt haben. Das hat sich übrigens bis heu- es das ZKM in Karlsruhe, eine fantastische
nisten am Leben sind. te erhalten, abseits der beiden Zentren New Pionierinstitution für neue Technologie. Es
York und Los Angeles, auch wegen der gro- ist immer wieder erstaunlich, wenn man
So wie bei The Hairy Who? ßen Zahl von Sammlern. Es gab in der Gene- raus in die Welt geht, festzustellen, dass es
Ja. Die Hairy-Who-Leute, heute alle ration vor The Hairy Who eine andere Grup- eben nicht in jedem Land eine Institution
etwa Mitte siebzig, gehören zur sogenannten pe, The Monster Roster, die ebenfalls gerade wie das ZKM gibt. Wie wichtig das ZKM ist,
Counter-Culture-Bewegung und sind mit wiederentdeckt wird. The Monster Roster kann man gar nicht oft genug betonen.
20
40
Meisterwerke
jahre − 27
Albers
Awe
Baumeister
September
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Dix
− 23
Ernst
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Fußmann
Januar 2016
Graubner
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Liebermann
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Modersohn-Becker
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Rohlfs Ernst Ludwig Kirchner
Schleime Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant, ca. 1912
Sintenis Aquarell, Deckfarben und Bleistift auf Papier
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8
DAS
RÄTSEL
FRAU
Klimt, Schiele, Kokoschka.
Sie alle kannten im Wien
um 1900 nur ein Thema:
das andere Geschlecht und
seine Geheimnisse. Eine
große Ausstellung im
Belvedere zeigt, wie stark
Frauen und Sexualität
ihre Kunst beeinflussten
VON
M AT T H I A S E H L E RT
HEA DZEILE
24
W I E N E R MODE R N E
Bild vorherige Seite: Privatsammlung, Courtesy Richard Nagy Ltd., London; Bild links: Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung, 1980; Bilder rechts: Moritz Nähr/Leopold Privatsammlung; Leopold Museum, Wien; bpk/The Metropolitan Museum of Art
W
Was macht die Frau mit dem Mann? Saugt sie
ihn aus, beraubt sie ihn seiner wertvollsten
Kräfte? Zieht sie ihn hinab auf ihr Niveau? Ja,
was sind überhaupt Frauen? »175–186 cm über
dem Boden gehen Hüte spazieren und 15 cm
darunter Kleider, und diese werfen Falten
wie Lebendige«, notiert 1907
Oskar Kokoschka, einund
zwanzigjähriger Student an
der Kunstgewerbeschule, und
stellt damit seine Verachtung
offen zur Schau.
Sie ist im Wien des Fin
de Siècle durchaus gesell
schaftsfähig, als besonders ra
dikale Haltung zur Frauenfra
ge. Diese ist das Thema der
Stunde, Karl Kraus spricht
vom »vaginalen Zeitalter«.
Über nichts wird intensiver
und heißblütiger unter Künst
lern, Schriftstellern und Wis
senschaftlern diskutiert als
über das Rätsel Frau. Sig
mund Freud empfängt in sei
ner Wohnung in der Berg
gasse nervöse bürgerliche Damen und
diagnostiziert ihnen anhand ihrer Träume
einen unheilbaren »Penisneid«. Mehr Ein
fühlungsvermögen in die weibliche Psyche
zeigt der Arzt und Schriftsteller Arthur
Schnitzler. In seinen Dramen und Erzählun
gen, die erstaunlich offen über Sex reden,
dürfen Frauen auch eigenständig begehren.
Den unheilvollsten Einfluss übt der Philo
soph Otto Weininger aus, der in seinem fluss der Kirche schrumpft angesichts des GUSTAV KLIMT war ein intimer Kenner der
Buch »Geschlecht und Charakter« Frauen Fortschritts der Wissenschaften, schon lange weiblichen Sexualität. In seinem Nachlass
komplett auf ihre Sexualität reduziert und ist der Liebesakt keine Erbsünde mehr. Aber fanden sich über 40 Zeichnungen, die sich
den Mann als geistiges Genie überhöht. Sein noch wird weitgehend eine Doppelmoral ge allein dem Thema Masturbation widmen.
früher Tod, er begeht 1903 mit 23 Jahren lebt, die sexuelle Erfahrung in die Bordelle Ebenfalls recht freizügig präsentiert sich
Selbstmord, macht Weininger zum Popstar verbannt, während zu Hause alles Ge eine der drei Nackten auf dem Gemälde
»Goldfische« von 1901/02 (linke Seite).
der akademischen Jugend. schlechtliche tabuisiert wird.
Vorherige Doppelseite: Egon Schieles »Sit-
Das alles geschieht in einem Klima des Wie sehr das Thema Frauen auch das
zende Frau in violetten Strümpfen«, 1917
gesellschaftlichen Umbruchs. Veränderung Werk der wichtigsten Wiener Künstler jener
liegt in der Luft. Die Frauen werden selbst Zeit bestimmt hat, wie sehr sie mit ihm ge
bewusster, fordern das Wahlrecht ein und rungen und auch ihre eigenen Beziehungen
den Zugang zu höherer Bildung. Der Ein in ihm verarbeitet haben, zeigt nun die gro
25
W I E N E R MODE R N E
ße Ausstellung »Klimt, Schiele, Kokoschka 36, zeigt er auf der zweiten Ausstellung der ken studiert und danach begonnen, eine
und die Frauen« im Belvedere. Obwohl man Secession in Wien sein erstes offizielles Frau- stark ornamentale Malweise zu entwickeln,
in den vergangenen Jahren schon vieles über enbildnis. Das impressionistisch hingetupfte unter Verwendung von metallischen Farben
den »Weiberheld« Klimt, den »Sittenstrolch« Gemälde von »Sonja Knips« mit Blüten- und Gold – ein Material, das ihm als Sohn
Schiele oder den »Spießerschreck« Kokoschka schmuck und einem dramatischen Helldun- eines Goldschmieds vertraut war.
erfahren hat, leistet sie in ihrer Zusammen- kelkontrast macht ihn zum Star der Wiener Wie moderne Ikonen der Weiblichkeit
schau Pionierarbeit: Zum ersten Mal wird Gesellschaft. Aus dem Theatermaler wird ein wirken nun seine Modelle: extreme Luxus-
das Thema in all seinen Bezügen umfassend gefragter Porträtist, für dessen lebensgroße geschöpfe, gefangen in einem goldenen Käfig
Bilder links: privat; Belvedere, Wien; Bild rechts: Collection of the Gemeentemuseum Den Haag
ausgebreitet; Einzelaspekte wie die Darstel-
lung von weiblicher Selbstbefriedigung, die
bislang eher verschämt umschifft wurden, Anders als Klimt sucht Schiele die Interaktion mit seinen
werden offensiv erörtert.
Als Künstler hatte man um 1900 einen Modellen. Offensiv fordert er ihre Blicke heraus.
privilegierten Zugang zu Frauen: Man bot
ihnen einfach an, sie zu porträtieren. So
konnte man sie ungestört in seinem Atelier Bilder sich das Wiener Großbürgertum be- aus Repräsentation, Sittsamkeit und Wohl-
empfangen und sie dort zu aufreizenden Po- geistert. Ab jetzt malt er nur noch Frauen stand. Alles Individuelle tritt an ihnen zu-
sen ermuntern. Eine Möglichkeit, von der und entwickelt dafür einen eigenen Stil. Er rück, unnahbar wirken sie und undurch-
etwa Gustav Klimt ausgiebig Gebrauch löst sich zunehmend von seinen Vorbildern, schaubar. Was man von ihnen körperlich
machte. Um jedes seiner berühmten Frauen- dem belgischen Symbolismus und französi- wahrnimmt, sind nur das blasse Gesicht, oft
porträts rankten sich Gerüchte, wie weit die schen Postimpressionismus, und beginnt, leicht errötet, und die bleichen Hände, wäh-
Nähe zwischen Maler und Modell wohl ge- naturalistische Züge mit den dekorativen rend ihr glanzvolles Äußeres mit der Umge-
gangen sei. Mit vielen seiner Aktmodelle, die Elementen des Jugendstil zu verbinden. bung zu verschmelzen scheint. In dieses De-
ausnahmslos aus niederen sozialen Schich- Anschaulich lässt sich dieser Übergang kor bettet Klimt dann subtile sexuelle
ten stammten, knüpfte der Künstler, dem in der Wiener Ausstellung verfolgen. Dem Symbole ein, etwa stilisierte Spermien oder
eine »urwüchsige Kraft« und »Erdgeruch« meisterhaften Bildnis der »Marie Henne- Eizellen, deren Abbildungen er aus den po-
nachgesagt wurden, sexuelle Beziehungen berg« (1901/02), in dem Raum und Sessel pulärwissenschaftlichen Büchern seiner Zeit
an. Obwohl er nie verheiratet war und mit noch pointillistisch angedeutet werden, steht kannte. Angewandte Freud’sche Sublimie-
seiner Mutter und den beiden Schwestern das nur vier Jahre später entstandene Porträt rungstheorie ist das, hatten doch die darge-
unter einem Dach lebte, soll von Fritzi Riedler gegenüber, stellten großbürgerlichen Frauen oft früh ei-
er bis zu 14 uneheliche Kin- das in seiner abstrakt-schim- nen weitaus älteren, vermögenden Mann
der gezeugt haben. Frauen merndenen Flächigkeit voll- geheiratet und lebten nun ihre unerfüllten
waren Klimts natürliche kommen anders wirkt. Es ist künstlerischen, intellektuellen und eroti-
Umgebung, er lebte unter ein Hauptwerk aus Klimts schen Sehnsüchte als Salongastgeberin oder
ihnen, war mit ihrer Ge- »Goldener Periode«, die 1903 Sammlerin aus.
fühlswelt und ihrer Körper- nach einem Besuch in Raven- Aber Klimt konnte auch deutlicher wer-
lichkeit vertraut. Nackte na einsetzt. Ausführlich hatte den. Sobald er das Sujet des Auftragsporträts
Schwangere tauchen auf sei- er dort byzantinische Mosai- verließ und sich seinen Phantasmagorien
nen Bildern ebenso selbst-
verständlich auf wie ausge-
mergelte Alte oder pralle
Jugendschönheiten.
Doch eines scheint die-
ser erfolgreiche Frauenver-
steher nicht gekannt zu haben: die große, al-
les verzehrende Leidenschaft, die Körper
und Geist zugleich ergreift. Immer hielt er
einen Rest Distanz, und diese Distanz ist
auch ein Schlüssel zu seinem Werk. Klimt
fühlte sich vollkommen der Schönheit und
dem Ästhetischen verpflichtet; die Abgründe
der Seele zu erforschen, interessiert ihn nicht.
Zum Frauenporträt findet Klimt erst re-
lativ spät. Im November 1898, da ist er schon
26
W I E N E R MODE R N E
hingab, drängten erotische Motive in den von seinem Meister und reüssiert mit expres- cke ein, mal verwirrt oder ängstlich, mal ag-
Vordergrund. In »Goldfische« (1901) streckt sionistischen Darstellungen leicht bekleide- gressiv oder verachtend, und betrachtet sich
eine der drei nackten Grazien dem Betrach- ter Frauen, die bei männlichen Sammlern selbst als Erforscher der Geheimnisse körper-
ter kess ihren runden Hintern entgegen. Hier reißenden Absatz finden. licher Anziehung. Auf diese Weise gewinnen
sind die Frauen ganz von Natur durchpulst, Auch für Schiele sind Frauen und seine seine Modelle eine sexuelle Autonomie, die
schwerelose Wasserwesen, deren einziger Da- Beziehung zu ihnen das vorherrschende The- auf die Betrachter damals wie heute mitunter
seinszweck die sinnliche Verführung ist. ma. Anfangs steht ihm seine Schwester Ger- verstörend wirken kann.
Noch expliziter geht es auf seinen ti Modell, dann zwei »schwarzhaarige Mäd- Ihre besondere Spannung gewinnen
Zeichnungen zu, denen man im Belvedere chen«, wahrscheinlich Prostituierte, schließ- Schieles Bilder durch den leeren Hinter-
einen eigenen Ausstellungsabschnitt widmet. lich Wally Neuziel, die 1911 zu seiner Muse grund, der zu den farblich hervorstechenden
Hier erweist sich Klimt als intimer Kenner und Geliebten wird. Die Liebe zu Wally trägt Haaren, Geschlechtsteilen oder Strümpfen
der weiblichen Sexualität, dem weder sich in- reiche künstlerische Früchte. Im Jahr ihres kontrastiert. Die Frauen wirken bei ihm wie
nig küssende Frauen noch der Gebrauch von Kennenlernens malt er »Die rote Hostie«, ein in Schaukästen ausgestellt oder auf weißen
Bilder links: Österreichische Nationalbibliothek; Fondation Oskar Kokoschka/Bildrecht, Wien, 2015/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Bild rechts: Belvedere, Wien
Sexspielzeugen fremd waren. Detailliert wie Doppelporträt, das sie und ihn in ekstati- Laken drapiert, was ein Gefühl der Isolation
in Filmstills sind da etwa einzelne Phasen kli- scher Vereinigung zeigt und dabei sexuelle und Angst evoziert. Zeitgenössische Betrach-
toraler Stimulation festgehalten, von der sich Praktiken mit christlichen Motiven kreuzt. ter empfanden das als schamlos und erkann-
steigernden Erregung bis zur glücklichen Er- Anders als Klimt sucht Schiele die Interakti- ten auf den Bildern »geschundene« Körper
mattung. Was auf den voreingenommenen on mit seinen Modellen. Er fordert ihre Bli- und Seelen. Als Schiele dann auch noch 1912
Betrachter wie eine Frühform der Por- wegen Verstößen gegen die Sittlichkeit
nografie wirkt, interpretiert der Kurator kurzzeitig inhaftiert wird, hat er seinen
Alfred Weidinger als revolutionären Ruf als Pornograf weg.
Akt. Für ihn ist Klimt der erste Künstler, Dabei agierte er weitaus bürgerli-
der die weibliche Selbstbefriedigung cher, als man angesichts seiner drasti-
ohne Angst und Scham zeigt, und das schen Werke vermuten würde. Dass er
in einer Zeit, die noch voller Vorurteile Wally nicht heiraten konnte, war ihm
gegenüber einer eigenständigen weibli- von vornherein klar, dafür war ihr so-
chen Sexualität steckte. zialer Status zu niedrig. Seine spätere
In dieser Zeit sieht ein 17-jähriger Ehefrau Edith behandelte er autoritär
Kunststudent, dem seine Professoren und engstirnig, strikt trennte er nach
eine außergewöhnliche Begabung tes- der Eheschließung künstlerisches
tieren, die Arbeiten Klimts und ist hin- Schaffen und Privatleben. Seine Bilder
gerissen. Noch bevor er einen Abschluss wurden realistischer und gelassener,
hat, verlässt Egon Schiele die starre Wie- weniger gynäkologisch, auch wenn er
ner Kunstakademie und startet, geför- bestimmte Stilmittel wie verkürzte
dert von Klimt, eine Blitzkarriere. Jun- Gliedmaßen und ungewohnte Kompo-
ge Genies sind damals in Mode, sitionen beibehielt. 1918 raffte ihn mit
Hoffmannsthal hat es in der Literatur 28 Jahren die Spanische Grippe hinweg,
vorgemacht. Schnell emanzipiert er sich wer weiß, welche künstlerische Ent-
wicklung er noch genommen hätte.
Wie es vielleicht gekommen wäre,
lässt sich am Lebensweg Oskar Ko-
koschkas ablesen, der im Wien des Fin
de Siècle mit Schiele um die Rolle des
Klimt-Kronprinzen konkurriert. Als er
im Frühling 1908 die Lithografien zu
seinem bei der Wiener Werkstätte er-
schienenen Künstlerbuch »Die träu-
menden Knaben« auf der Kunstschau
vorstellen darf, verteidigt Klimt die Ent-
scheidung mit den Worten »Oskar Ko-
koschka ist das größte Talent der jünge-
ren Generation. Und selbst wenn wir
Gefahr liefen, dass unsere Kunstschau
demoliert würde, nun, dann geht man
eben zugrunde. Aber man hat seine
Pflicht getan.«
OSKAR KOKOSCHKA versieht 1918 in Kokoschka hatte das Buch, in dem
Dresden sein Bild »Stehender weiblicher er die verschmähte Liebe zu seiner Mit-
Akt« mit den Gesichtszügen Alma schülerin Lilith Lang verarbeitet, mit
Mahlers. Drei Jahre sind die beiden da sexuell aufgeladenen, noch am Secessi-
schon getrennt. Re. Seite: Gustav Klimts onsstil geschulten Illustrationen verse-
Porträt von »Johanna Staude« (1917) hen, die vieles von dem vorwegnahmen,
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W I E N E R MODE R N E
30
BASSENGE
Carl Leypold (1806–1874). Birke und Eiche im Frühling. Öl auf Papier. 29,5 x 37,6 cm. Datiert „d 18/4 1832“.
G A L E R I E B A S S E N G E · E R D E N E R S T R A S S E 5A · 14193 BE R L I N
Tel.: +49 30-8938029-0 · Fax: +49 30-8918025 · E-Mail: art@bassenge.com · Kataloge online: www.bassenge.com
Zu Hause in Bloomfield Hills bei Detroit: Calder-
Mobiles, ein Fasanenstillleben von Monet
und Tänzerinnen von Degas. Picassos »Femme
assise« (1938) und de Koonings »Untitled XXI«
(1976) sind jeweils auf 25–35 Mio. Dollar ge-
schätzt. Rechts hinter der Orchidee eine
futuristische Komposition von Giacomo Balla
Amerikanisches Epos
Zwei Jahrzehnte bestimmte Alfred Taubman als Eigner das Schicksal von Sotheby’s.
Jetzt soll seine Sammlung für mehr als 500 Millionen Dollar versteigert werden
VON
LISA ZEITZ
33
A L F R E D TAU B M A N
Bild vorherige Doppelseite: Sotheby’s New York/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Bild links: Courtesy the Taubman Family; Bild rechts: Sotheby’s New York
rockmalerei, Impressionisten und die Moderne, Künstler
wie Raffael, Toulouse-Lautrec, Modigliani, Schiele, Picasso
und Rothko. Beide großen Auktionshäuser buhlten um die
außerordentliche Einlieferung. Sotheby’s hat den Wettstreit
mit einer Garantie von 500 Millionen Dollar für sich ent-
schieden. Das ist die höchste Summe, die ein Auktionshaus
je garantiert hat.
Es war Taubman selbst, der Garantien bei Sotheby’s
einführte, als er das Unternehmen 1983 kaufte und grund-
legend modernisierte. Die Garantie ist eine riskante Praxis,
die den Prinzipien des transparenten Auktionswesen eigent-
lich widerspricht – zumal wenn dritte Parteien sie finanzie-
ren – doch sie dient den großen Auktionshäusern oft als
überzeugendes Argument bei der Akquise besonders presti-
geträchtiger Objekte.
1983 war das Unternehmen, kurz vor seinem 250. Jubi-
läum, in finanzieller Not. Taubman sah Sotheby’s als »hoch-
näsiges, abweisendes Kunstauktionshaus«, so schreibt er in
seinen Memoiren, und hatte die Vision, ein »offenes, umfas-
sendes Einzelhandelsgeschäft« mit freundlichem Service da-
raus zu machen, das nicht nur wie bis dato hauptsächlich
Händler, sondern Sammler direkt ansprechen würde. Taub-
man erneuerte nicht nur die Finanzmodelle, sondern auch
die Ausstellungen, die Architektur und die Gestaltung der
Kataloge: »Schriftgröße 9 ist unlesbar für Leute, die alt ge-
nug sind, sich Kunst zu leisten!« Auch auf die Kriterien der
Akquise nahm er Einfluss: »Damit ich nachts ruhig schlafen
konnte, hörten wir auf, Schrumpfköpfe, Elefantenstoßzäh-
ne und Nazi-Memorabilia zu verkaufen.« In London ließ er
ein Café in das altehrwürdige Auktionshaus einbauen. Er
eröffnete Filialen in Hongkong, Moskau und Monte Carlo.
Außerdem erkannte er die magnetische Wirkung von
»Celebrity Sales«. Die Auktion der Juwelen der Herzogin
von Windsor 1987 in Genf, bei der Liz Taylor mehr als
600 000 Dollar für eine Brosche ausgab, war ebenso ein Me-
Wer an Alfred Taubman denkt, hat nicht sofort den Kunst- dienereignis wie die zehntägige Auktion der Hinterlassen-
sammler vor Augen. Was war da noch? Ja, richtig, der schaften von Andy Warhol 1988 in New York, bei der allein
Riesenskandal vor 15 Jahren, als Sotheby’s und Christie’s die Keksdosen des Künstlers eine Viertelmillion Dollar ein-
wegen illegaler Preisabsprachen weltweit in die Schlagzeilen spielten. Im selben Jahr brachte er Sotheby’s an die Börse.
gerieten. Christie’s packte zuerst aus, dann sagte auch noch Reichtum und Glamour waren Taubman nicht in die
Sotheby’s CEO Dede Brooks gegen ihren eigenen Chef aus, Wiege gelegt, als er 1924 in Pontiac, einem Vorort von De-
und so wanderte der Sotheby’s-Chairman Alfred Taubman, troit nahe der kanadischen Grenze, geboren wurde. Die El-
der stets seine Unschuld beteuerte, im Sommer 2002 für tern des kleinen Adolph Alfred waren jüdische Einwanderer
knapp zehn Monate hinter Gitter. aus Ostpreußen – zu Hause wurde Deutsch gesprochen. Das
Im April ist der Milliardär im Alter von 91 Jahren ge- bescheidene Vermögen, das sie sich erarbeitet hatten, ging
storben. Geld lässt sich leichter dividieren als Kunst, und so während der Großen Depression verloren. Es war nicht die
entschieden seine drei Kinder aus erster Ehe und seine zwei- Armut, wegen der sich der Schüler als Außenseiter empfand:
te Frau Judy Taubman, die ehemalige Miss Israel, rund 500 Er stotterte und war Legastheniker, er war ungelenk und
34
HEA DZEILE
35
A L F R E D TAU B M A N
Mark Rothkos »Untitled (Lavendar and Green)« (1952) ist auf 20–30 Millionen Dollar geschätzt, Thomas
Bilder links und rechts: Sotheby’s New York/VG Bild-Kunst, Bonn 2015 (4)
Gainsboroughs »Blue Page« (ca. 1771) auf 3–4 Millionen. Charles Burchfield, der auch Stoffmuster und Tapeten
entwarf, malte die Wiese mit dem »Admiral« 1961–62 (Taxe 600 000–800 000 Dollar). Rechte Seite:
Neben Rothko und Franz Kline zierte auch eine kleines Bild von Georgia O’Keeffe das Esszimmer in Michigan
überdurchschnittlich groß für sein Alter. Außerdem war er unter anderem Mark Rothkos meditatives Gemälde »Untitled
das einzige jüdische Kind in seiner Klasse – und er hieß (Lavendar and Green)« von 1952. Das Bild soll jetzt 20 bis 30
Adolph. Doch den ersten Vornamen ließ er bald fallen. Millionen Dollar einspielen. Bald war er auch Kunde der le-
Taubman war noch ein Teenager, als Japan Pearl Har- gendären Kunsthändler Leo Castelli und Betty Parsons. Zu
bor bombardierte. Er meldet sich freiwillig für den Kriegs- seinen frühen Erwerbungen gehören Werke von Frank Stella
dienst und wurde mit der Air Force in den Pazifik entsandt. und Robert Rauschenberg. Willem de Koonings späte, in
Die ungeheuren Auswirkungen der Atombombe auf Hiro- Gelb- und Rottönen gehaltene Abstraktion »Untitled XXI«
shima sah er mit eigenen Augen. Nach seiner Zeit beim Mi- von 1976, die das Wohnzimmer in Bloomfield Hills bei De-
litär studierte er Kunst und Architektur an der University of troit zierte, kaufte Taubman 1977 in der James Corcoran Gal-
Michigan in Ann Arbor und arbeitete nebenbei als Schuh- lery in Los Angeles. Der New Yorker Kunsthändler William
verkäufer. Schon damals erprobte er ungewöhnliche Ge- Acquavella, mit dem Taubman gut befreundet war, vermittel-
schäftsideen. Zum Beispiel weckte er die Kauflust seiner te ihm 1983 das zauberhafte Modigliani-Porträt der Paulette
Kommilitoninnen, indem er die neuesten Schuhmodelle auf Jourdain. Die Werke von de Kooning und Modigliani sind
den Treppenstufen ihres Wohnheims drapierte. jetzt auf jeweils 25 bis 35 Millionen Dollar geschätzt.
In seine Studienzeit fällt der Erwerb seines ersten Christoph Graf Douglas, ehemaliger Deutschland-
Kunstwerks. Sein Lehrer Carlos Lopez rief ihn am Schluss Chef von Sotheby’s, kannte Taubman durch die gemeinsame
eines Malkurses in sein Büro. »Er gab mir eine Drei, das war Arbeit sehr gut. »Er hat die Firma gekauft, als sie in Not war,
die höchste Note, zu der er sich aufgrund meiner häufigen nur drei Leute in den Führungsetagen ausgetauscht und den
Abwesenheiten durchringen konnte. Außerdem gab er mir Umsatz verachtfacht«, erzählt er am Telefon. »Es gab zu der
eine seiner Tuschezeichnungen als Aufmunterung, mich Zeit natürlich einen unheimlichen Kunstboom.« Vor dem
weiterhin mit Kunst zu beschäftigen. ›Du hast Talent‹, sagte Kauf analysierte Taubman den Markt. Weltweit lag der Um-
er, ›aber du wirst es nicht auf dem Golfplatz finden.‹« satz mit Kunst Anfang der Achtzigerjahre bei 25 Milliarden
1950 nahm Taubman 5000 Dollar Kredit auf und grün- Dollar im Jahr, wovon nur 1 Milliarde Dollar zusammen auf
dete sein erstes eigenes Bauunternehmen. Mit der Planung die beiden großen Auktionshäuser fiel. Da sah er Potenzial.
und Errichtung von Einkaufszentren wurde er schon inner- Zu Recht: Nach dem letzten Tefaf-Report summierte sich
halb eines Jahrzehnts zum Millionär. Shoppingmalls präg- der globale Kunstmarkt 2014 auf 51 Milliarden Euro, wovon
ten bald überall die amerikanische Landschaft und Alltags- alleine das Auktionsgeschäft von Sotheby’s einen Anteil von
kultur, und Taubman hatte ein besonderes Talent, die rund 5 Milliarden Euro hat.
Schwellenangst seiner Kunden zu erkennen und durch ver- Douglas hat Taubman als humorvollen, »trotz seines
schiedene Maßnahmen zu überwinden. Reichtums unwahrscheinlich natürlichen« Menschen erlebt,
Kunst fand Taubman von den Fünfzigerjahren bis An- beim Lachsfischen in Island oder auf einer DDR-Reise. Als
fang der Achtzigerjahre hauptsächlich in Galerien und bei der amerikanische Tycon in einer Molkerei in Leipzig etwas
Händlern. Auf der West 57th Street in New York war er regel- kaufen wollte und eine Stunde in verschiedenen Schlangen
mäßig zu Gast in der Green Gallery, die man mit einem wack- anstehen musste, so Douglas, sei Taubman zu dem Urteil ge-
ligen Aufzug in den vierten Stock erreichte. Dort kaufte er kommen: »Dieser Staat kann nicht funktionieren.« Dagegen
36
sei er in West-Berlin vom KaDeWe begeistert gewesen: »Hier
gab es die größte Wurstauswahl der Welt. Taubman liebte
GALERIE
Würste. Er hatte Tränen in den Augen.«
Mit dem Kauf von Sotheby’s 1983 verlagerte sich seine
T
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TSCHBEIN
Sammeltätigkeit von Galerien auf Auktionen. Douglas er-
innert sich an Taubmans Worte, Sotheby’s habe die weltbes-
seit1
969
ten Kunstexperten, da wäre es doch töricht, nicht auf sie zu N
a ch4 6J ah renw erd eicha u sg esu n dh eitlichen
hören. Den Zuschlag für Gainsboroughs »Blue Page« erhielt Gründ enm ein eG alerieinF ran k fu rta m D om
er in London 1989 bei rund 1 Million Pfund. Ungefähr das ina nd ereH än deü b erg eb en .
Doppelte soll das Werk nun in New York einbringen. Selten S ieh abend ieG eleg en h eit
ging Taubman mit seinen Geboten über die Schätzungen Gem äldeu n dA q uarelled es1 8 .u n d1 9.J a hrh.
hinaus. Aus der Sammlung von Gianni Versace in London zured u ziertenP reisenzuerw erb en.
1999 ersteigerte Taubman für 3 Millionen Pfund – weit un- Ichfreu em ichm einenK un den
terhalb der Taxe – Picassos »Femme assise sur une chaise« beiein erK aufen tsch eid u n g
(1938), die jetzt auf 25 bis 35 Millionen Dollar geschätzt ist. bera ten dzu rS eitezusteh en .
Oftmals hatte er vor der Einlieferung Stücke persönlich ga-
rantiert. Wenn sie keinen anderen Käufer fanden, wurden Verk
au fsa
u sstellung
sie Teil seiner Sammlung: »So hat Taubman einige sehr gute
Stücke hinzugewonnen«, so Douglas.
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Taubman pflegte Wohnsitze in seiner Heimat Michi-
N
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gan, auf Long Island, in Manhattan, Florida und London.
»Er hat sehr lebendig mit den Sachen gelebt«, so Douglas. FlämischeR omantiker
Das kann man sich gut vorstellen, wenn man etwa Monets Sch
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Stillleben mit toten Fasanen in seinem Wohnzimmer sieht
und weiß, dass Taubman ein leidenschaftlicher Jäger war. 1
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Seine Heimat Michigan lag ihm besonders am Herzen. Mo.b
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Als großer Philanthrop spendete er seiner Universität, die er
ohne Abschluss verließ, rund 200 Millionen Dollar. Mit vie-
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len Millionen förderte er auch das Detroit Institute of Arts, +
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das einen Flügel nach ihm benannt hat. Zu seinen Schen- in
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kungen gehört Paul Klees »Kleine Landschaft mit Garten-
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tor« von 1928. Acht Leihgaben jedoch, die den Museumsbe-
suchern in Detroit ans Herz gewachsen sind, lassen seine
Erben bei der New Yorker Altmeisterauktion im Januar ver-
steigern, darunter Werke von Pietro da Cortona, Caracciolo
und Guercino. Es ist ein Kreislauf: Ein Leben geht zu Ende,
die Kollektion wird aufgelöst. Andere Sammler sind jetzt
am Zug. Bald werden die Kunstwerke wieder neue Schick-
sale begleiten, zerstreut in alle Winde. ×
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Aufbruch in
den Anden
Eine Kunstmesse lockt Sammler,
Kuratoren und Händler nach
Bogotá – und beflügelt die Kulturszene
der Zehnmillionenstadt
VON
BA R BA R A KU TSCH ER
5
38 6 7
B O G O TÁ
R
adfahren in Bogotá, mitten Auf der entgegengesetzten Seite des Pavillons me, und es werden stetig mehr. Die meisten
in den Anden? Der Vorschlag lieferte der nicht kommerzielle Sektor »Arte- ballen sich im Zentrum oder in den guten
kam überraschend. Ja, die cámara« dagegen ein Abbild der aktuellen Wohngegenden im Norden: in den Vierteln
Hauptstadt Kolumbiens, ein Produktion. Hier konnten 33 junge kolum- San Felipe, Chicó oder La Macarena, das
Moloch mit fast zehn Millionen Einwohnern bianische Künstler ohne Galerierepräsentati- schon seit den Fünfzigerjahren Anlaufstelle
in 2600 Meter Höhe, besitzt mit 390 Kilome- on ihre sperrigen Ideen ausbreiten: ein star- für Künstler und Intellektuelle war.
Bilder: Daniel Romero/VWpics/Redux/Redux/laif; Stephen Ferry/NYT/Redux/laif; Edgar Jiménez/Flickr; Franck Guiziou/hemis.fr/laif; Doris Salcedo; Felipe Uribe; Courtesy of Cámara de Comercio de Bogotá
tern das längste Radwegenetz der Welt. Dazu ker Kontrast zu der oft zahmen Ware in den Ohne Zweifel zählt der Unternehmer
erfand Kolumbien vor vierzig Jahren die benachbarten Händlerkojen. »Dieser Sektor José Darío Gutiérrez zu den treibenden Kräf-
»Ciclovía«: Jeden Sonn- und Feiertag werden übernimmt viele Funktionen einer Bienna- ten der Stadt. Er und weitere Sammler zeit-
bestimmte Hauptstraßen, die sonst zum le«, so Paz Gaviria stolz. genössischer Kunst, wie Sergio Ferreira oder
Bersten gefüllt sind, für den Autoverkehr ge- Als einzige Kunstmesse in Lateiname- der Architekt Alejandro Castaño, machen
sperrt. Sie locken Scharen von Radlern an. rika kann Artbo vier Satellitenmessen auf- ihre Räume zum Messewochenende für
Nach einem halben Jahrhundert Bür- weisen, etwa die 5. Odeon Modern Art Fair Scharen von VIPs zugänglich. Da konnte
gerkrieg scheint der Friedensprozess in Ko- mit 21 Galerien in einem Dreißigerjahrekino man durch Gutiérrez’ weitläufiges Duplex-
lumbien Fortschritte zu machen, auch wenn oder die Million Peso Fair, in der nichts über apartment mit atemberaubendem Blick über
es im Sommer wieder Anschläge von Gueril- 300 Euro kostet. Artbo lieferte auch den die Stadt im gut bewachten Viertel Los Ro-
lagruppen gab. Die Kunstszene ist aber schon Startschuss zum geschäftigen Art Month mit sales streifen. Sein Fokus ist seit über dreißig
seit einigen Jahren auf dem Radar unterneh- acht über ganz Bogotá verteilten Stationen Jahren vor allem Kolumbianisches. Jeder
mungslustiger Kuratoren und Sammler. Zu des Luis-Caballero-Preises, des wichtigsten Raum ist vom Boden bis zur Decke mit
den Künstlerstars zählen Miguel Ángel Rojas, Kunstpreises des Landes. Hier durften ko- Kunst gepflastert, beginnend mit Landschaf-
der Drogenhandel und Gewalt thematisiert, lumbianische Künstler prominente öffentli- ten des 19. Jahrhunderts über den Concretis-
und Doris Salcedo, die 58-Jährige wurde ge- che Orte wie Museen, Kirchen und Denkmä- mo und zur aktuellen Konzeptkunst. Aber
rade mit einer Retrospektive im New Yorker ler der Stadt für ihre Interventionen nutzen. dazwischen überraschen auch frühe, selten
Guggenheim Museum geehrt. Alberto Baraya, der in seinen Werken in die gesehene Stillleben von Fernando Botero aus
Eine zentrale Rolle für das Image der Rolle eines Botanikers des 18. Jahrhunderts einer Zeit, als er noch auf der Suche nach sei-
Stadt spielt die 2005 gegründete Kunstmesse schlüpft, gab im Hof der Casa Museo Quinta ner ureigenen Sprache war. Gutiérrez reihte
Artbo im Kongresszentrum Corferias Bogo- de Bolívar am Rande der Stadt eine Vogel- sich im letzten Jahr auch unter die Gründer
tá. Sie hat ihre Besucherzahl diesen Oktober stimmenperformance. Juan Fernando Herrán des ersten Auktionshauses Bogotás für latein-
nach Angaben der Messeleitung auf 35 000 belebte das Innere des riesigen Kriegerdenk- amerikanische Kunst, BogotAuctions.
verdoppelt. Auch das Qualitätsniveau und mals »Monumento a los Héroes« auf einer Ebenfalls in La Macarena, nur wenige
die Zahl der mittlerweile 84 Aussteller sind verkehrsumtosten Insel an der Autopista Straßenzüge entfernt, findet sich ein weiterer
gestiegen. Noch fehlen die ganz großen in- Norte mit einer Videoprojektion und mit wichtiger Kunstraum: Schon vor fünf Jahren
ternationalen Galerien- und Künstlernamen, Skulpturen. öffnete die gemeinnützige Familienstiftung
doch Händler bestätigen, dass es hierzulande Pflichtbesuch eines jeden Touristen ist Fundación Neme NC-Arte, die sich großzü-
mehr Sammler gebe als etwa in Mexiko. das Museo del Oro del Banco de la República gig über vier Etagen erstreckt. Hier liegt der
Der Akzent der Messe liegt auf junger Colombia in der historischen Altstadt La Fokus eher auf internationaler Kunst. Gera-
lateinamerikanischer Kunst, vor allem auf Candelaria mit 6000 präkolumbischen Gold- de reflektiert der Argentinier Jorge Macchi
der Konzeptkunst, mit Preisen im vier- bis objekten. Im Neubau von 2008 wird man mit seinen ausgreifenden Lattengerüsten
fünfstelligen Bereich. Die gut vernetzte, heu- über drei Etagen durchaus unterhaltsam »Lampo« (Blitz) über Licht und Schatten.
te 32-jährige Kunsthistorikerin María Paz durch die Geschichte geführt. Zu den Höhe- Einige Kilometer entfernt liegt das jun-
Gaviria, Tochter des ehemaligen Präsidenten, punkten gehört das aus filigranem Gold ge- ge Kunstviertel San Felipe, wo sich vor zwei
übernahm vor vier Jahren das Messeruder fertigte Minifloß von Eldorado (600 bis Jahren die unabhängige Institution FLORA
und brachte frischen Wind ins Unterneh- 1600 n. Chr.), das eine Zeremonie des Muisca- ars + natura als Anker etablierte. Ihr Direktor
men. Mit der Artbo verfolgt sie auch eine di- Volkes darstellt. ist José Roca, der vor Kurzem noch als Kura-
daktische Mission, denn unter dem runden Unweit davon, im Museumskomplex tor für lateinamerikanische Kunst an der
Dutzend privater und staatlicher Museen in der Banco de la República, gibt es seit fünf- Tate Modern in London gearbeitet hat. Als
Bogotá ist die zeitgenössische Kunst nicht zehn Jahren das Museo Botero. Der in seiner sein nächstes Projekt plant er den Neubau ei-
breit vertreten. Der Messesektor »Referentes« Heimat populäre Fernando Botero, der sich nes Studiogebäudes, in dem zwölf interna-
ermöglichte anhand von käuflichen Expona- als »kolumbianischsten aller kolumbiani- tionale Künstlerstipendiaten wohnen und ar-
ten der teilnehmenden Galerien einen Gang schen Künstler« bezeichnet, stiftete der beiten sollen.
durch die Kunstgeschichte Lateinamerikas Staatsbank insgesamt 208 Werke, davon 123 Seit Oktober gibt es in Bogotá auch eine
von den Zwanziger- bis in die Achtzigerjahre. eigene Arbeiten, der Rest stammt von euro- erste ausländische Galerie. Der Franzose
päischen Künstlern wie Corot, Renoir, Freud Fabien Castanier, der seit einigen Jahren eine
und Bacon. »Botero wird von der jungen Sze- Galerie in Los Angeles betreibt, möchte hier
Schätze aus Jahrtausenden: 1 + 2 Das Mu-
ne kritisch betrachtet, aber er verdient Lob lateinamerikanische Künstler entdecken und
seo Botero beherbergt den »Akt mit
Selbstbildnis« 3 Im Museo del Oro ist das für seine philantropischen Bemühungen«, im Norden bekannt machen. Passend hat er
1969 in Pasca gefundene goldene Floß zu erklärt María Paz Gaviria. seine erste Gruppenshow, nach Umkehrung
bewundern 4 Die Wallfahrtskirche auf dem Vor allem auf privater Ebene passiert in eines kolumbianischen Sprichworts, »Dando
Monserrate 5 Doris Salcedos »Atrabiliaras« der Stadt viel: Die überall kostenlos auslie- Papaya« genannt. »Das heißt: Hab keine
6 Jorge Macchi ist bei NC-Arte zu sehen gende kompakte Broschüre »Bogotá Artecir- Angst«, meint Castanier und lächelt ver-
7 Kunst von Shana Moulton auf der Artbo cuito« listet um 120 Galerien und Kunsträu- schmitzt. ×
39
ZUR BA R ÁN
VON
I R MG A R D BER N ER
M
Mit der Stille verhält es sich wie mit der Dun-
kelheit. Sie ist uns suspekt, wir trauen ihr nicht,
sie lässt uns zweifeln – an uns und an der Welt.
Die Gemälde des Spaniers Francisco de Zurba-
rán sind erhaben über solche Zweifel, denn sie
sind allein der Stille verpflichtet. Einer Stille
der Andacht, deren Glanz wie aus der Dunkel-
heit zu einem inneren Leuchten erwächst und
im irdischen Sein mit dem Hauch eines göttli-
chen Schimmers verschmilzt. Es ist die schwei-
gend knisternde Stille in einer Kapelle, einer
Kartause, einer Höhle. Weltabgewandt kniet
der Mönch Franziskus wie in Trance dem inne-
ren Zwiegespräch hingegeben. Die spitze Ka-
puze verschattet das Gesicht des Heiligen aus
Assisi, der die Armut vorzog und die Askese
vorlebte. Seine Physis ist ganz Kleid, ganz her-
be Kutte, sein Körper verborgen unter dem stei-
fen Tuch, geschützt vor den Blicken und viel-
leicht vor sich selbst. Das raue Leinen ist aus
Flicken genäht, auf deren zerfransten Rändern
Lichtpunkte tänzeln.
Seit den 1630er-Jahren bis wenige Jahre vor
seinem Tod hat Zurbarán den Heiligen immer
wieder gemalt, insgesamt über 50 Versionen, in
Ekstase oder in Meditation, mit dem Totenkopf
in der Hand oder das Memento mori neben
41
ZUR BA R ÁN
Bild: Museo de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid/Pablo Linés Viñvales
und Wirklichkeit. Bis hin zu den Lilien, Ro-
sen und Silbertellern, die wie beiläufig und
doch so sinnträchtig die Stille der Bilder be-
leben. Das Agnus Dei, das Lamm mit den ge-
fesselten Läufen und dem dichten Kraushaar,
in das man hineinfassen möchte, ist wie er-
füllt vom Geist Gottes. Aber können wir den
ehrfürchtigen Blicken, denen sie galten, heu-
te noch folgen? Können wir ihn wirklich be-
greifen, den Maler der heiligen Männer und
frommen Frauen, die er so herrlich gewandet
und zugleich so sehr verrätselt in ihrer mys-
tischen Ekstase und stillen Frömmigkeit?
Jetzt kann man es versuchen, denn Zur-
barán, vor wenigen Jahren noch ein Geheim-
tipp unter den Künstlern des »Siglo de Oro«,
des Goldenen Zeitalters Spaniens, ist nun in
Düsseldorf zu erleben. Mit 79 Gemälden (da-
runter acht von seinem Sohn Juan), Leihga-
ben aus aller Welt bis hin nach Kuba und Me-
xiko, richtet das Museum Kunstpalast dem
Spanier eine große Retrospektive aus. Eigent-
lich unfasslich, aber es ist tatsächlich die ers-
te Zurbarán-Ausstellung im deutschsprachi-
gen Raum, erarbeitet in Kooperation mit
dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid.
Wer war dieser Künstler? Der seine Bil-
der mit gemalten Zettelchen signierte, auf
sich auf dem trockenen Boden. Wir alle sind die er selbstbewusst schrieb: »Zurbarán facie-
sterblich, sagen diese Bilder und sublimieren bat« – Zurbarán hat dies gemacht. Geboren
den Tod. Es sind Figuren wie gemeißelt – Zurbaráns Darstellungen der wurde er 1598 in Fuente de Cantos, einem
auch der sterbende Christus am Kreuz oder kleinen Marktflecken im kargen Land der
der Christus der Barmherzigkeit. Sie tauchen Frommen und Heiligen südlichen Extremadura. Es ist das Jahr, in
aus der Dunkelheit in das spärliche Licht, das
sich im Bausch des Lendentuchs fängt, es
sind zutiefst geprägt von der dem König Philipp II. nach langer Regent-
schaft stirbt und ein Reich im Niedergang
zum Strahlen bringt und dem fahlbläulich spanischen Mystik. hinterlässt. Im Alter von 16 Jahren beginnt
nackten Körper eine Art Seelenschimmer der junge Francisco seine Ausbildung in Se-
auflegt. Man stelle sich vor, in der dunklen villa, der Kunstmetropole Andalusiens und
Kapelle dieser Konzentration ausgesetzt zu florierenden Hafenstadt mit regem Handel
sein. Würden wir sie ertragen, die Stille, die mit der Neuen Welt, in der Werkstatt des Ma-
Dunkelheit, die Wirklichkeit des Leidens, lers Pedro Díaz de Villanueva. Der fast gleich-
42
Bilder: Philadelphia Museum of Art: Purchased with the W.P. Wilstach Fund, 1900; Ayuntamiento de Sevilla, Colección Municipal/Martín García Pérez
altrige Diego Velázquez, mit dem ihn eine des heiligen Dominikus: Zurbaráns erster In der »Verkündigung«, wohl 1650 gemalt,
lebenslange Freundschaft verbinden wird, Großauftrag. Zu dieser Serie gehört »Die bricht die himmlische in die irdische Sphäre
lernt bei Francisco Pacheco. Nach drei Jah- Jungfrau Maria erscheint einem Mönch von der künftigen Gottesmutter ein. Unten:
ren lässt Zurbarán sich als pintor de imagine- Soriano«; es ist eines der frühesten Werke in »Unbefleckte Empfängnis« vor gold glühen-
ría in Llerena in der Extremadura nieder. Er der Düsseldorfer Ausstellung. dem Engelshimmel, um 1645. Linke Seite:
heiratet, bekommt drei Kinder, darunter den Der Legende nach erschienen einem be- »Bildnis des Fray Jerónimo Pérez«, Ordens-
meister der Mercedarier, um 1630/32
begabten Juan. Zu früh stirbt seine Frau, er tenden Mönch die Muttergottes und die Hei-
heiratet wieder. Drei Ehen werden es und ligen Katharina und Maria Magdalena, die
zehn Kinder, von denen fast keines überlebt. ihm ein Gemälde mit dem Abbild des Domi-
Zurbaráns Zeit war zutiefst geprägt von nikus überreichten. Trickreich zeigt Zurba-
der spanischen Mystik. Das zuweilen Erstarr- rán den Ordensgründer auf einem Bild im
te seiner Bilder, vor allem im Frühwerk, ist Bild, in der Linken hält er die Lilie, das Sym-
wohl auch jenen Formeln geschuldet, mit de- bol der Reinheit, in der Rechten ein Buch
nen die katholische Kirche die Macht über mit der Ordensregel: eine klare Komposition,
die anmaßenden Körper und Geister zurück- einfach zu lesen. Die Gegenstände wirken
erobert: durch Dekrete zur religiösen Male- echt, und auch das Porträt erscheint, als sei
rei, die sie in der Folge des gegenreformato- es auf eine bespannte Leinwand gemalt.
rischen Konzils in Trient 1563 erlässt. Die monumentale Schlichtheit seiner
In dem tief katholischen Spanien des Werke hat Zurbarán schon zu Lebzeiten be-
17. Jahrhunderts sucht Zurbarán nach bild- rühmt gemacht. Er hielt sie frei vom Ballast
mächtigen Formen des Glaubens, wendet sei- der großen barocken Rauminszenierungen
ne malerischen Mittel jedoch sparsam an. von Rubens oder Caravaggio, mit dessen
Durch den düsteren (»tenebren«) Hinter- Helldunkel sein Stil oft verglichen wird. Und
grund, die scharfen Konturen von Gesich- dennoch treiben die Kleider und Stoffe fal-
tern, Körpern und Stoffen, aber durch einen tenreich ihr wogendes Spiel, knistern die Sei-
expressiven Pinselduktus erzielt er starke den und scheint Mariens Kleidsaum zu ra-
plastische Wirkungen. Rasch hat Zurbaráns scheln, wenn die Engelsköpfe sich darunter
Werkstatt einigen Erfolg zu verbuchen. Im drängeln und schmiegen.
Januar 1626 unterschreibt er einen Vertrag Im Jahr 1629 verlegt Zurbarán seine
mit dem Prior des Dominikanerklosters San Werkstatt nach Sevilla, auch auf Wunsch des
Pablo el Real in Sevilla (der heutigen Pfarr- dortigen Stadtrats. Die Aufträge mehren sich,
kirche Santa María Magdalena). Es geht um mit seinen Gehilfen hat der Maler einen gro-
insgesamt 21 Gemälde, davon 14 zum Leben ßen Markt zu beliefern. Bald darauf, 1631,
43
ZUR BA R ÁN
Bilder: Iglesia Parroquial de Santa María Magdalena, Sevilla/Pedro Feria; Museo Nacional del Prado, Madrid; Raczyński-Stiftung am Muzeum Narodowe, Poznań; The Art Institute of Chicago; Bilboko Arte Ederren Museoa – Museo de Bellas Artes de Bilbao
1598
Francisco de Zurbarán wird als Sohn eines
Kaufmanns in Fuente de Cantos in der
Extremadura geboren. 1614–1617 absolviert er
eine Malerlehre in Sevilla, danach lässt er sich in
Llerena als Maler für religiöse Motive nieder.
1626
Zurbarán nimmt seinen ersten Großauftrag an:
21 Gemälde für das Dominikanerkloster San Pablo el
Real in Sevilla. In der Ausstellung sind zwei davon
zu sehen, o. »Die Jungfrau erscheint einem Mönch
von Soriano«. 1629 zieht Zurbarán ganz nach Sevilla.
1638
Für das Kartäuserkloster
Nuestra Señora de la Defensión
in Jerez malt Zurbarán eine
1649
Zurbaráns Sohn Juan fällt mit 29 Jahren der Pest zum
Opfer. Er war ein sehr begabter Maler, der sich auf
Stillleben spezialisierte. In der Ausstellung ist jetzt mit
acht Gemälden erstmals die Hälfte seines bekannten
Werks zu sehen, u. »Birnen in Porzellanschale«, um 1645.
1664
Am 27. August stirbt Zurbarán
mit 65 Jahren in Madrid. 1658
hatte er Sevilla verlassen
und sich in der Hauptstadt
angesiedelt. 1662 malte er das
letzte datierte, signierte Bild:
»Die Jungfrau Maria mit dem
Jesuskind und dem heiligen
Johannes«. Das aussdrucks-
starke Werk beschließt
die Düsseldorfer Ausstellung.
44
entsteht eines seiner Hauptwerke, die »Apo-
theose des heiligen Thomas von Aquin«, heu-
te im Museum von Sevilla. Viele Klöster und
Kirchen wollen nun seine Bilder der Askese,
aber auch von ihm die Geschichte ihres Or-
dens erzählt haben. Sie schätzen den leiden-
schaftlichen Mystizismus seiner Kapuzen-
brüder und des Gekreuzigten, die verzückten
Gesichter der Unbefleckten Empfängnis.
Es sind Bilder zur Anbetung, manche
von ihnen werden bei den Prozessionen der
Semana Santa, der Karwoche, durch Sevilla
getragen. Immer mehr Aufträge an Zurba-
rán kommen jetzt auch aus Übersee, aus den
spanischen Kolonien. Dort liebt man genau-
so die in Ekstase entrückten Mönchen und
die verzückten weiblichen Heiligen.
Zurbaráns Meisterschaft wird nun auch
dem König zugetragen. 1634 holt Philipp IV.
ihn nach Madrid und ernennt ihn zum Hof-
maler. Ein ständiges Gehalt wie Velázquez
bekommt er aber nicht. Nun zeigt sich, dass
Zurbarán, der Männerkörper stets unter
Massen von Stoff verbirgt, auch die Nackt-
heit lebensecht und sinnlich darstellen kann.
Für die Dekoration des Buen-Retiro-Palasts,
Bild: Pepe Morón/Museo de Bellas Artes de Sevilla
45
Bilder des jungen Juan nun in der Ausstel-
lung zu sehen sind, ist eine kleine Sensation.
Und eine große Entdeckung.
Aber auch der Vater Francisco ist im-
mer noch viel weniger bekannt als seine
spanischen Zeitgenossen Velázquez oder
Murillo, vor allem gilt das für den protestan-
tischen Norden. Die zögerliche Rezeption
liegt sicher in der Tiefe des religiösen Senti-
ments in Zurbaráns Bildern begründet. Das
ist einem nicht katholischen Publikum noch
schwieriger zu vermitteln als die blutge-
tränkten Martyrien des zeitgleichen Ribera.
Zudem hatten bis zur französischen Beset-
zung Spaniens unter Napoleon kaum Werke
Zurbaráns das Land verlassen. Bis auf einige
wenige in der königlichen Sammlung in
Madrid befanden sich fast alle noch in den
Klöstern und Kirchen Andalusiens und der
Extremadura.
Ein einziges Mal scheint Zurbarán sich
Bilder links: Museo Nacional del Prado, Madrid (2); Bild rechts: Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid
selbst gemalt zu haben, um 1655/60, in dem
»Gekreuzigten mit einem Maler«. Gewiss ist
es nicht und doch so offensichtlich: Der alte
Maler steht, in tiefe Kontemplation versun-
ken, zu Füßen des verstorbenen Gekreuzig-
ten und hebt seinen Blick zu Christus. Die
rechte Hand hat er ans Herz gelegt, in der
Linken hält er eine Palette mit Pinseln. Er
trägt eine malvenfarbene Tunika, was manch
einen veranlasste, darin die Figur des Apos-
tels Lukas zu sehen, den Patron der Maler.
Schemenhaft dunkel hinter dem Kreuz
schimmert ein Berg, vielleicht Golgatha.
Und hier ist es wieder, dieses Verrätselte, das
Christi, mit zwei Schnüren an die Wand ge- Möglicherweise das einzige Selbstporträt Spiel, das Zurbarán treibt. Aber ob Selbst-
heftet, als Stillleben zum Andachtsbild. Zurbaráns: »Der Gekreuzigte mit einem bildnis oder nicht, interessant ist vielmehr,
Auch die Lämmer und Schafe fallen in dieses Maler«, um 1655/60. Unten: »Das Martyrium dass er hier wortlos sagt: Ich habe das gemalt.
neue Genre. Gerne wird er deswegen als Still- des heiligen Jakobus«, um 1636/40. Und dass man darüber spekulieren kann, ob
lebenmaler bezeichnet. Man müsse aller- Re. Seite: »Die heilige Casilda«, um 1630 Zurbarán hier nicht auch seine eigene Fähig-
dings differenzieren, betont Beat Wismer, keit als Maler göttlich beglaubigen lässt.
der Museumsdirektor in Düsseldorf und Ku- Zurbarán hat Spanien nie verlassen.
rator der Schau. Denn Zurbarán hat zwar 1658 zieht er ein zweites Mal nach Madrid
überall wunderbare kleine Stillleben inte- und bleibt dort. Sein letzter großer klerikaler
griert, etwa im »Haus in Nazareth« von 1644, Auftrag 1659/60 führt ihn in die Kapelle des
dort sind es Bücher und Birnen auf dem heiligen Diego im Franziskanerkloster Santa
Tisch, Tontasse und Tücherkorb auf dem Bo- María de Jesús in Alcalá de Henares. Ansons-
den, die er als die Essenz des Göttlichen in ten malt er nur noch Andachtsbilder zum
Alltagsgegenständen geradezu hyperreal- privaten Gebrauch. Bereits krank, verfasst er
stisch malt. Der eigentliche Stilllebenmaler sein Testament mit dem Wunsch, im Kloster
aber ist sein Sohn. Erst Juan de Zurbarán der unbeschuhten Augustiner in Madrid be-
(1620–1649) hat im Familienbetrieb autono- graben zu werden. Am 27. August 1664 stirbt
me Werke daraus gemacht. Zarte Zitronen, Francisco de Zurbarán. Zwei Jahre zuvor war
lichtschillernde Weintrauben vor schwarzem sein letztes bekanntes Bild entstanden, »Die
Grund, Früchtekorb und Teller mit Quitten, Jungfrau mit dem Jesuskind und dem heili-
Trauben, Feigen, Pflaumen, saftig glänzend gen Johannes«. Die Frömmigkeit ist in wei-
und voller Lichtfarben, man möchte sie grei- ches Sfumato gegossen, still und in erleuch-
fen und herausnehmen. 15, vielleicht 20 Wer- teter Dunkelheit. Der wir angesichts dieses
ke umfasst das Œuvre Juans, der viel zu früh Werkes doch etwas näher kommen. ×
starb, mit nur 29 Jahren hinweggerafft von
der 1649 grassierenden Pestepidemie. Eine »Zurbarán. Meister der Details«, Museum Kunst-
Monografie über ihn gibt es nicht. Dass acht palast, Düsseldorf, bis 31. Januar 2016
46
Drei Tage in
Wien
VON
N I N A S C H E DL M AY E R
48
WIEN
49
Bilder: Hotel Daniel/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Pierre Adenis/laif; Georg Kargl Fine Arts, Wien/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien; Brotfabrik
3
;
nicht nur die Kunst betrifft, ger Gallery, der Photon Gallery eröffnete Miranda-Bar: Den
sondern auch die urbanen sowie dem Ostlicht. Dort Tag mit einem Drink (Empfeh-
1 Ein Schiff von Erwin Wurm auf
Atmosphären. Zunächst dem Dach des Hotel Daniel gewinnt man aktuell Einblicke lung: Queen Mum) am polier-
besucht man die Akademie der in die Wiener Kunstszene der ten Tresen aus brasilianischem
2 Der Stadtpark lädt schon seit
bildenden Künste, genauer 1862 zum Verweilen ein 1970er-Jahre, die von der Wiene- Granit abzuschließen ist nicht
gesagt deren Gemäldegalerie, rin Cora Pongracz fotografisch die übelste Idee.
3 Die Galerie Georg Kargl in der
am Schillerplatz. Dort verbirgt Schleifmühlgasse dokumentiert wurde. In
sich nämlich nicht nur das Magdas Kantine, einem erst
4 Rubens’ »Boreas entführt
berühmte Weltgerichtstripty- Oreithya« gehört zu den kürzlich eröffneten Lokal, 3. TAG
chon von Hieronymus Bosch, zahlreichen Highlights der das von der Caritas betrieben
sondern eine Reihe anderer Gemäldegalerie wird, kann man einen späten Langsam, aber sicher könnte
hochkarätiger Gemälde, etwa 5 Die Brotfabrik im südlichen Lunch zu sich nehmen. man nun zu dem vordringen,
Rubens’ »Boreas entführt Stadtteil Favoriten ist Heimat für Nun geht es zurück in die wofür die Kunst dieser Stadt
Oreithya«, ein fantastischer spä- viele Galerien Stadt. Wir verlassen die U1 bekannt ist, nämlich in die Zeit
ter Tizian (»Tarquinius und dieses Mal schon in der der Jahrhundertwende. Auch
Lucretia«) sowie zahlreiche nie- Taubstummengasse nahe der wenn man die erstklassige
derländische Stillleben – und Schleifmühlgasse, um einen Sammlung an Klimts und
natürlich die packenden Vul- Galerienspaziergang zu starten: Schieles im Oberen Belvedere,
kanbilder des Michael Wutky, Georg Kargl, Christine König, das – wie das Untere – im Auf-
dem aktuell eine Sonderaus- Kerstin Engholm, Gabriele Senn trag des Prinzen Eugen vom
stellung gewidmet ist. und Andreas Huber haben hier Barockarchitekten Johann
Jetzt, nach eineinhalb ihre Läden, daneben gibt es gla- Lucas von Hildebrandt errichtet
Tagen, streifen wir tatsächlich mouröse Geschäfte, vom Vin- wurde, schon einmal besucht
ein wenig in die Ferne. Wir stei- tage-Möbel-Shop (Rauminhalt) hat: Es wird sich gewiss etwas
gen in die U1 und fahren zum bis zur Designer-Secondhand- noch nicht Bekanntes finden,
Reumannplatz, direkt ins Herz boutique (Flo Vintage). Hier etwa die leicht verstörenden
des Arbeiterviertels Favoriten. lässt sich ein Nachmittag ver- Porträts des Anton Romako aus
Hier geht es etwas lässiger zu, bummeln. Den überfüllten dem 19. Jahrhundert oder die
man hört türkisch-serbisch-ara- Naschmarkt nebenan sollte extrem grimassierenden »Cha-
5
bisches Sprachgemisch, und die man am besten nur queren, um rakterköpfe« des Barockbild-
50
belvedere
UNTERES BELVEDERE
Rennweg 6, 1030 Wien
Täglich 10–18 Uhr
Mittwoch 10–21 Uhr
www.belvedere.at
Gustav Klimt, Eugenia Primavesi (Detail), 1913/14, © Toyota Municipal Museum of Art
WIEN
hauers Franz Xaver Messer- Museum für angewandte Kunst, von deren Anfängen bis in die
schmidt. Und allein die barocke wo Judd (wie etwa auch Jenny 1930er-Jahre erforscht und in
Anlage und der berühmte Holzer, Barbara Bloom oder Ausstellungen, die sich ganz
Canaletto-Blick lohnen den Franz Graf) eine der zahlrei- besonderen Fragestellungen
Besuch. Wer nun ein Mittag- chen Schausammlungen gestal- widmen, präsentiert – derzeit
essen benötigt, dem sei der gut- tete. 1863 gegründet, war das sind dort unter dem Titel
bürgerliche Gmoakeller am Museum ursprünglich als Mus- »Gerahmtes Gedächtnis« Foto-
Heumarkt empfohlen; hier tersammlung für Künstler und grafien in exzentrischen Bild-
bekommt man klassische Wie- Handwerker gedacht. Es liegt rahmen, etwa aus Geweihen
ner Küche. Das Schüttbild an gleich neben dem Stadtpark, oder Hufeisen, zu besichtigen
der Stirnwand des hinteren und heute erkunden wir die (Voranmeldung notwendig).
Saals stammt übrigens von Abteilung »Wien um 1900«: For- Zum Abschluss bietet sich
einem nicht besonders bekann- mal reduzierte Teetassen von ein Abend im Café Engländer
ten Künstler und nicht von Her- Josef Hoffmann, fein ornamen- an, das gern von der Kunstszene
mann Nitsch, auch wenn die tierte Möbel von Dagobert der Stadt besucht wird: Vom
Signatur Gegenteiliges behaup- Peche und Dekorstoffe von Studenten über den Starkünst-
Bilder: IMAGNO/Sammlung Christian Brandstätter; Karte: 123map, Daten: OpenStreetMap, Lizenz ODbL; Grafik: Peggy Seelenmeyer
tet. Diese dürfte einst ein Koloman Moser vermögen das ler bis hin zur Museumsdirekto-
angeheiterter Gast, offenbar mit Publikum jeder Generation in rin trifft man sich hier all-
Lippenstift, hinzugefügt haben. ihren Bann zu ziehen. abendlich auf ein Achtel Wein
Nun könnte man einen klei- Wer nun noch immer Lust oder ein Seidel Bier. Ein biss-
nen Verdauungsspaziergang im auf Kunst hat, der findet unweit chen ist das Engländer wie ein
nahen Stadtpark einlegen. Dort von hier das kleine, feine Photo- Zeitloch: Irgendwie bleibt
Das Photoinstitut Bonartes
stößt man auf Donald Judds institut Bonartes: Unter der zeigt zurzeit Fotografien in man hier immer hängen. Bleibt
Stage Set, eine große Outdoor- Leitung der einstigen Albertina- exzentrischen Rahmen, darunter nur zu hoffen, dass die Heim-
Skulptur: Sie entstand 1991 im Fotokuratorin Monika Faber diese neckische Inszenierung reise am nächsten Tag nicht all-
Zuge einer Ausstellung im wird hier akribisch Fotografie in einer Wiener Villa, um 1900 zu früh startet.
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BEUYS INDIANA
POLKE
FENI HOCKNEY BASE LITZ
AGBODJELOU
WARHOL DIJKSTRA
KIPPENBERGER
TRA
HAZOUMÉ
DE SAINT PHALLE BACON BASQUIAT
PICASSO.
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JOHNS SCHNABEL
MC CARTHY
HIRMER
In Zusammenarbeit mit Gagosian Gallery
www.hirmerverlag.de
A
nzeig
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1 3
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1/0
9/1
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:26
Kunsthändlerverband
Deutschland
Wenn es um den Handel mit Kunst und
Antiquitäten geht, ist der Kunsthändlerverband
Deutschland der qualifizierte Gesprächspartner
für die Politik. Die aktuelle Diskussion um das
geplante Kulturgutschutzgesetz zeigt einmal
mehr, wie wichtig es ist, dass der Handel für
seine Interessen eintritt. Wir wollen verhin-
dern, dass immer neue bürokratische Hürden
den Handel unnötig behindern und damit auch
unseren Kunden die Freude am Umgang mit
Kunst und Antiquitäten genommen wird.
Der KD gibt Ihrem Anliegen eine Stimme.
MICHAEL WOERNER
Oriental Art · Hong Kong – Bangkok
Postanschrift: 87/55 All Seasons Mansion · 87 Wireless Road, Lumpini,
Pathumwan, Bangkok 10330, Thailand Unsere nähchste
Ausstellung
micwoerner@yahoo.com · Mobil: +852-9874 1061 8.-12. Juni 2016
S A M M L E R SE M I N A R
SAMMLER
SEMINAR Nº 2 5
Deutsche
Fayence
Die Fayencekunst des Barock und Rokoko ist im Preis stark gefallen. Das ist der Qualität
dieser Werke nicht angemessen. Ein herrliches Gebiet für antizyklisches Sammeln
VON
A N G E L A G R Ä F I N VON WA L LW I T Z
S A M M L E R SE M I N A R
S
Sammeln reimt sich nicht auf chillen. Soll
heißen: Von allein erschließt sich kein Gebiet
des Kunsterwerbes; schon gar nicht eines,
das drei und vier Jahrhunderte in die Ge
schichte zurückführt und mit komplexen
Techniken der Keramikherstellung zu tun
hat. Sehen die deutschen Fayencen des Ba
Bild links: Christie’s Images Ltd. 2015; Bilder rechts: Dorotheum, Wien; Metz, Heidelberg; Neumeister, München
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S A M M L E R SE M I N A R