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THEORETISCHE GRAMMATIK 2022 - 2023

THEMA 5
DAS VERB.
GRAMMATISCHE KATEGORIE DER ZEIT

1. Die Kategorie der Zeit.


2. Die Zeitformen und die Zeiten im Deutschen (Allgemeines).
3. Die Haupt- und Nebendeutungen der Zeitformen im Deutschen.
______________________________________________

1. Die Kategorie der Zeit

Die Autoren der Grammatiken stellen die angegebene Frage folgender Weise
dar. Sie nennen die Zeitform (sie beginnen mit dem Präsens und enden mit dem
Futurum II), beschreiben auf ihre temporalen Bedeutungen, indem sie aber auf eine
Grundbedeutung (paradigmatische Bedeutung) und Nebenbedeutungen
(syntagmatische / kontextuelle Bedeutung) dieser Zeitform hinweisen. Sie
unterstreichen dabei: Die Zeitform realisiert ihre Grundbedeutung in einem
neutralen Kontext; die Nebenbedeutungen zeigen sich in einem günstigen
Kontext. Im Rahmen des neutralen Kontextes bestimmt die Zeitform allein die
temporale Bedeutung des Satzes. Unter dem günstigen Kontext versteht man solch
einen Kontext, in dessen Rahmen gewisse Formen (lexikalische, grammatische)
die Grundbedeutung der Zeitform neutralisieren oder modifizieren.

Die Zeitform illustriert ihre Hauptbedeutung im Rahmen der direkten


Gegenüberstellung zu anderen Zeitformen. Zum Beispiel, wenn man die
Hauptbedeutung des Präsens bestimmen will, so sollte man diese Zeitform mit den
5 anderen Zeitformen vergleichen:
das Präsens: Peter liest das Buch
das Präteritum: Peter las das Buch
das Perfekt: Peter hat das Buch gelesen
das Plusquamperfekt: Peter hatte das Buch gelesen.
das Futur I: Peter wird das Buch lesen.
das Futur II: Peter wird das Buch gelesen haben

2. Die Zeitformen und die Zeiten im Deutschen (Allgemeines)

Im Deutschen sind 6 Zeitformen: das Präsens, das Präteritum, das Perfekt, das
Plusquamperfekt, das Futur I, das Futur II.

Die Zeitform des finiten Verbs signalisiert, ob das Ausgesagte im Moment des
Redeaktes gültig ist, also in der Gegenwart liegt, oder auf die Vergangenheit bzw.
auf die Zukunft bezogen wird. Vgl.:

Gegenwart  Präsens: Der Junge liest das Buch.


Vergangenheit  Präteritum: Der Junge las das Buch.
Zukunft  Futur I: Der Junge wird das Buch lesen.

Die direkten Beziehungen zwischen dem Redemoment und dem Moment der
Handlung zeugen von den absoluten (direkten) Zeiten. Solche Zeiten sind
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, die entsprechend durch das Präsens, das
Präteritum und das Futur I repräsentiert werden.

In dem Fall, wenn sich zwei (oder mehr) Zeiten miteinander verhalten, so
werden diese Zeiten als relative bestimmt. Die relativen Zeiten sind
Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit. Vgl.:

Gleichzeitigkeit (in der Gegenwart)  Präsens + Präsens:

Während ich das Frühstück zubereite, bringt mein Bruder das Zimmer in
Ordnung.
Vorzeitigkeit (in der Vergangenheit)  Plusquamperfekt + Präteritum:
Nachdem wir gefrühstückt hatten, machten wir unser Zimmer in Ordnung.

Nachzeitigkeit (in der Zukunft)  Futur II + Futur I / Perfekt +Präsens:


Nachdem ich das Buch gelesen haben werde, werde ich es dir geben.
Wenn ich das Buch gelesen habe, gebe ich es dir.

3. Die Haupt- und Nebendeutungen der Zeitformen im Deutschen

Das Präsens

Die Sätze im Präsens bezeichnen die Handlung sowie in der Gegenwart

als auch in der Vergangenheit und in der Zukunft, z.B.:

A: „Was macht das Kind?“ – B.: „ Es schläft.“

“Ich bin gestern früher wie gewöhnlich nach Hause gekommen. Die Frau
empfängt mich und sagt leise: ‘Sprich leiser! Das Kind schläft.’”

Morgen schläft das Kind schon in seinem Bett.

Man betrachtet auch das Präsens in den Sätzen, wo die Handlung einen
zeitlosen Charakter hat (in allgemeingültigen Äußerungen):
Die Biene gehört zu den Insekten.

Im Alltag gebraucht man die Sätze im Präsens zum Ausdruck eines Befehls:

„Martin! Du gehst jetzt ins Zimmer und sitzt dort, bis wir dich rufen!“

Das Präteritum

Das Präterit bezeichnet ein Geschehen als vor dem Redemoment ablaufend:

Die schöne Sita sagte gar nichts mehr, sie sagte nicht einmal „Danke",
sondern tat einen Satz und lief, so schnell ihr Wickelkleid es nur erlaubte,
zurück in das Mutterhaus.
(Th. Mann)
In der erlebten Rede drückt das Präteritum die Gegenwart oder die Zukunft
aus:

Zwei Tage blaugemacht. Was würde Schaper sagen. Was für Aus-
reden konnte man anbringen, überlegte Brenten. Mein Gott, war das
ein dumpfer, unerträglicher Druck im Schädel. Und die Glieder
schmerzten, als hatte er eine Riesenstrapaze hinter sich. (W Bredel)

Das Perfekt

Die Grundfunktion des Perfekts besteht im Ausdruck des Geschehens,

das in der Vergangenheit liegt und abgeschlossen ist.

“Siehst du, es hat in der Nacht geregnet. Der Boden ist naß.”
“Ich habe jetzt etwas Wundervolles gelesen, etwas Prachtvolles ...”,
sagte er.
(Th. Mann)

Zusammen mit dem Präsens bezeichnet das Perfekt die Vorzeitigkeit:

“Wir sind heute angekommen. Ich heiße Holt.” (D.Noll)


Die alten Herren haben die erste Partie gespielt: nun stehen sie am
Fenster. (Th. Storm)

Der sprachliche Kontext bestimmt den Gebrauch des Perfekts zum Ausdruck
der absoluten Zukunft:
Bald hat er die Prüfung abgelegt.
Wage, und du hast gewonnen!
Warten Sie, bis an Sie die Reihe gekommen ist!
Bis zum nächsten Monat hat sie die Jahresarbeit abgeschlossen.

Im Nebensatz drückt das Perfekt die relative Zukunft (Vorzeitigkeit in der


Zukunft) aus:
Und wenn du die Prüfung bestanden hast, gibst du mir dein Lehrbuch.

“... Warte nur! Wenn du zur Batterie zurückgehst, hast du alles vergessen.“
(D.Noll)
Das Plusquamperfekt

Die Hauptbedeutung des Plusquamperfekts stellt eine vorzeitige Handlung


in der Vergangenheit dar. In der Regel ist diese Handlung abgeschlossen:

Das Verkehrszeichen hatte gerade gewechselt, als der Radfahrer die


Straße überqueren wollte.

Es war jetzt klar, daß sie sich ganz und gar verirrt hatten. (B. Brecht)
Sie hatte bemerkt, daß er ihr aufpaßte. (B. Brecht)

Im selbständigen Satz kann dieselbe Bedeutung betrachtet werden :

Der Angriff bagann beim Tagesanbruch. Der Befehl war in der Nacht
eingetroffen.
Der Wolf bat den Fuchs, ihm etwas zum Essen zu finden. Der Wolf
hatte drei Tage nichts gegessen und war hungrig ...

Eine der Nebenbedeutungen ist „Nachzeitigkeit in der Vergangenheit”.


Das Plusquamperfekt unterstreicht die Abgeschlossenheit der Handlung:
Sie atmete tief aus und war Sekunden später eingeschlafen. (L.Frank)

Diese Bedeutung kommt auch in den Temporalnebensätzen mit der


Konjunktionen bis, bevor, ehe vor:

Tage und Nächte waren vorbei, bis sie den Lager erreicht hatten.
Man mußte eine Woche warten, ehe der Brief angekommen war.

Die nächste Nebenbedeutung des Plusquamperfekts: Vorzeitigkeit in der


Zukunft. In der Rolle des “günstigen” Kontextes tritt die erlebte Rede auf:
Er dachte nach. Er würde gehen, wenn er alles erfahren hatte.

Das Futur I
Die Hauptbedeutung des Futurs I ist “absolute Zukunft”: (eigentliche /
absolute Zukunft): Er wird mich besuchen.
Eine der Funktionen des Futurs I ist der Ausdruck einer gegenwärtigen
Handlung, die vom Sprecher bezweifelt (vermutet) wird:

Das wird schon wahr sein.


“Rochwitz, Herr General! Hugo Rochwitz. Vertrete ’Das schwarze
Korps’, aber auch noch andere Zeitungen. Unter anderem das
’Hamburger Fremdenblatt’. Wird Herrn General wohl bekannt sein? "
(W. Bredel)

Das Futur I kann auch zum Ausdruck einer Veranlassung (imperative


Bedeutung) gebraucht werden:
Du wirst sofort schlafen gehen!
Ihr werdet die Hefte zurück bringen!

In Sprichwörtern drückt das Futur I allgemeine temporale Bedeutung aus:

Wird man viel trinken, so wird der Verstand hinken.

Das Futur II
Die Hauptbedeutung des Futurums II ist “Vorzeitigkeit in der Zukunft“:
Wenn die Kommission alle Zahlen geprüft haben wird,
werde ich Auskunft geben.

Im Alltag werden oft das Perfekt (in futurischer Bedeutung) und das Präsens
(in futurischer Bedeutung) betrachtet:
Wenn die Kommission alle Zahlen geprüft hat, gebe ich Auskunft.

Die Nebenbedeutung realisiert das Futur II im Rahmen des bestimmten


(“günstigen”) Kontextes. Einen solchen Kontext bilden lexikalisch-grammatische
Indexe der Zukunft. Das Futur II drückt in solchen Fällen eine “abgeschlossene
vorzeitige Zukunft” aus:
Bis Donnerstag werde ich den Aufsatz abgegeben haben.
Вважай, що до четверга я вже написав твір.

In einer Woche wird er alle Pläne zusammengestellt haben.


Вважай, через тиждень він уже склав усі плани.

In dieser Bedeutung ist das Futur II dem Perfekt in der Bedeutung der Zukunft
synomymisch:
Bis Donnerstag habe ich den Aufsatz abgegeben.
In einer Woche hat er alle Pläne zusammengestell.

Im Alltag wird das Futur II zum Ausdruck einer Handlung in der Vergan-
genheit gebraucht. Dabei wird die Handlung vom Sprecher bezweifelt (vermutet).
Diese Bedeutung des Futurums II heißt “hypothetisches Futur II”. Sie wird oft im
Rahmen des selbständigen Satzes betrachtet:

Er wird mit dem Zug gefahren sein. (= er ist wahrscheinlich mit dem
Zug gefahren) – Мабуть, він поїхав потягом.

Die Soldaten werden die Stadt (gestern) verlassen haben.


(= die Soldaten haben wahrscheinlich die Stadt gestern verlassen.)
— Солдати, мабуть, залишили місто (вчора).

Zusammenfassung

1. Die gegebene Darstellung des deutschen Tempus weicht zur Teil von den
üblichen Darstellung ab. Das logische – aus dem Latein entnommene – System
(Präsens — Gegenwart; Präteritum — Verganheit; Futurum — Zukunft)
entspricht nicht dem tatsächlichen Sprachgebrauch.

2. Die neueren Forschungen (H.Glinz, H.Weber, H.Brinkmann, P.


Eisenberg) unterstreichen die grundsätzliche Gegenüberstellung der Zeitformen im
Tempussystem, vor allem im Rahmen der unmittelbaren Darstellung:
Nichvergangenheit und Vergangenheit ® P r ä s e n s « P r ä t e r i t u m, dann
im Rahmen “unmittelbare Darstellung « modifizierte Darstellung” des
Geschehensverlaufs:

Präsens Perfekt, Plusquamperfekt (Abgeschlossenheit)


Präteritum Futurum I, Futurum II (Erwartung)

3. Die Zeitformen Präsens, Perfekt und Futurum sind zeitindifferent. Daher


lässt sich im Deutschen die Zeit objektiv nicht allein durch das Tempussystem
darstellen, sondern dazu sind auch lexikalische Mittel und andere Elemente der
Textgebung nötig.
Das Spezifische jeder Zeitform ist deutlich in der Gegenüberstellung aller
Zeitformen zu bestimen.

Wenn als Kriterium “Neutralität des Kontextes” berücksichtigt wird – also


nur die Zeitform autonom dient zum Ausdruck der Zeit –, so sind folgende
Verhältnisse “Zeitform « Zeitbedeutung” zu betrachten:

das Präsens — aktuelle Gegenwart,


das Präteritum — erzählende Vergangenheit,
das Perfekt — aktuelle abgeschlossene Vergangenheit,
das Plusquamperfekt — relative vollendete Vergangenheit (in Bezug
auf eine andere Vergangenheit),
das Futurum I — absolute Zukunft,
das Futurum II — relative erwartende (vollendete) Zukunft (in Bezug
auf eine andere Zukunft).

Diese temporalen Bedeutungen werden als „paradigmatische“ Bedeutungen


bezeichnet, im Gegenteil zu „syntagmatischen“ Bedeutungen, die durch die
Zeitformen im Rahmen des „günstigen“ Kontextes realisiert werden.

LITERATUR:

Admoni W. Der deutsche Sprachbau. – Ленинград: Просвещение 1972.

Charitonowa. I. J. Theoretische Grammatik der deutschen Sprache. – Kiev, 1976.

Dreyer H., Schmitt R. Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. – Verlag für Deutsch. –
Ismaning / München, 1985.

Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage.
Dudenverlag Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich, 1995.

Mamalyga L.M., Skljar L.L. – Мамалига Л.М., Скляр Л.Л. Граматика німецької мови. – Київ:
Вища школа. – 1972.

Moskalskaja O.I. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. - Moskau: Hochschule 1979.

Schendels E. Deutsche Grammatik. Morphologie. Syntax. Text.- Moskau:Vyssaja Skola 1979.

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