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Dritte Abteilung
Schriften zu Aristoteles
Herausgegeben von
Thomas Binder und Arkadiusz Chrudzimski
Band IV
Wissenschaftlicher Beirat
Mauro Antonelli, Mailand; Wilhelm Baumgartner, Würzburg;
Johannes Brandt, Salzburg; Wolfgang Huemer, Parma;
Robin Rollinger, Salzburg; Werner Sauer, Graz
Franz Brentan
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Mit einem Vorwort von Thomas Binder
und Arkadiusz Chrudzimski zur Ausgabe
der veröffentlichten Schriften,
eingeleitet von Mauro Antonelli und Werner Sauer
Herausgegeben von
Werner Sauer
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DE GRUYTER E0698875
ISBN 978-3-11-033710-5
e-lSBN 978-3-11-034286-4
sie aber auch in Ausgaben vor, die weder zeitgemäßen editorischen Standards
noch dem aktuellen Stand der philosophischen Forschung entsprechen. Da
die Herausgeber der festen Überzeugung sind, dass das Studium der Philo-
sophie Brentanos auch heute nicht nur wichtig, sondern außerordentlich
lohnend ist, soll die Lücke mit dieser Ausgabe geschlossen werden. Selbstver-
ständlich können die 10 Bände dieser Edition den Reichtum an Einzelfragen
und Lösungsansätzen nicht präsentieren, die Brentanos Philosophieren in
mehr als 50 Jahren intensiver Forschertätigkeit geprägt haben - diese Auf-
gabe muss einer kritischen Edition des äußerst umfangreichen Nachlasses
vorbehalten bleiben, die aufgrund der damit verbundenen großen edito-
rischen Herausforderungen bedauerlicherweise noch immer auf sich warten
lässt. Bei den vorliegenden von Brentano selbst veröffentlichten Schriften
handelt es sich aber dennoch um jene Werke, die seine Bedeutung für die
Philosophie zuallererst begründet haben.
Und so läuft die wie seit alters so auch jetzt und immer wieder
aufgeworfene, doch auch immer wieder in Schwierigkeiten
führende Frage, nämlich, was das Seiende ist (tf to on), auf
diese Frage hinaus, was die Substanz ist (tfs he ousia).
Aristoteles, Metaph. Z.l 102862-4.
I. Präliminarien
Franz Brentano gilt gewöhnlich als der ,Philosoph der Intentionalität',
als jener Denker, dem die Wiederbelebung des klassischen Intentionali-
tätsgedankens in der neueren Philosophie zu verdanken ist; in den Wor-
ten eines ganz rezenten Artikels über ihn, er „is mainly known for his
work in the philosophy of psychology, especially for having introduced
the notion of intentionality to contemporary philosophy". 2 Immer wie-
der wird aus seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt von 1874
die berühmte Intentionalitätspassage3 zitiert (und durchwegs mißver-
standen). 4 Doch davon abgesehen gilt für seine Philosophie immer noch,
wenngleich nicht mehr in demselben Ausmaß, Wolfgang Stegmüllers vor
60 Jahren getroffene Feststellung, nicht die ihr gebührende Beachtung zu
finden. 5 Das betrifft zumal auch diejenigen Arbeiten Brentanos, die in das
Gebiet der Metaphysik oder der Ontologie fallen, der Ersten Philosophie
(pröti philosophia), Weisheit (sophia) oder Theologie (theologike [epistemi]),
wie Aristoteles diese Wissenschaft nannte, deren Gegenstand zugleich das
höchste Seiende und das Seiende überhaupt, als Seiendes oder als solches (on
hii on) sein sollte: Und in diesen Bereich fallt auch Brentanos Erstlingswerk,
seine 1862 veröffentlichte Dissertation Von der mannigfachen Bedeutung des
Seienden nach Aristoteles, die hier in einer Neuauflage vorgelegt wird. 6
Die Hinwendung des jungen Brentano zu Aristoteles ist in den Rahmen
jener Aristoteles-Renaissance zu stellen, die nach dem ,Zusammenbruch des
deutschen Idealismus' eine der Neuorientierungen in der deutschen Philo-
sophie des 19. Jahrhunderts darstellt7 und zu deren herausragendsten Ver-
tretern Friedrich Adolf Trendelenburg zählt, bei dem Brentano von 1858
bis 1859 in Berlin zwei Semester lang studierte. Brentano widmete ihm die
Dissertation - die er allerdings nicht in Berlin bei Trendelenburg, sondern in
Tübingen einreichte - ,,in Ehrfurcht und Dankbarkeit", und schreibt dan-
kend im Vorwort, sofern sich „in ihr etwas Gutes" finde, ,,so möge man es
[... ] besonders dem verdienstvollen Forscher danken, von dem ich mich
freue zuerst in das Studium des Aristoteles eingeführt worden zu sein". Der-
artige Dankesbezeugungen des Schülers für einen berühmten Lehrer ent-
sprechen freilich selten der ganzen Wahrheit, und so auch nicht in diesem
Daß er [Thomas] einst mein Lehrer war, bin ich fern, zu verleugnen. Ja, er war
es, der mich zu Aristoteles führte. Und als ich in Berlin an den Trendelenburg-
schen Lesungen des Aristoteles teilnahm, verglich ich auf der Bibliothek die
Kommentare des großen Scholastikers und fand da manche Stellen glücklich
geklärt, die Trendelenburg nicht verständlich zu machen vermochte (zit. nach
Antonelli 38 Anm. 19).
Hier hat „der Fürst der Scholastik", wie er Thomas 1867 in seiner Psychologie
des Aristoteles nennt, der „mehr als jeder Andere" es verdient, ,,Schüler des
Aristoteles" genannt zu werden, 10 die Führung auf seinem Weg in die Philo-
sophie des Stagiriten übernommen. Der größte Schüler aber ist der, welcher
über seinen Lehrer hinausgeht, und ein solcher war Thomas in den Augen
des frühen Brentano: Mit Albertus Magnus „und seinem großen Schüler"
Thomas von Aquin, schreibt Brentano ebenfalls 1867 in seiner Abhandlung
über die Geschichte der kirchlichen Wissenschaften,
allein ist denn auch die mittelalterliche Spekulation wirklich über die philo-
sophischen Leistungen des Altertums hinausgegangen und zu einer solchen
Höhe angestiegen, wie sie weder vorher noch auch vielleicht nachher jemals
wieder erreicht worden ist,
denn durch den Offenbarungsglauben über die Resultate der wahren Philo-
sophie (Existenz eines Schöpfergottes etc., die sog. praeambula ftdei) belehrt
und vor Verirrungen geschützt, vermochten diese beiden Großen der Ari-
stotelischen Hochscholastik die Lehre des Aristoteles „fortzubilden und das
Irrige an ihr zu berichtigen, ohne das Wahre an ihr preiszugeben"; 11 übrigens
sieht Brentano in dieser Abhandlung in Thomas' Summa Theologiae „das
systematische Meisterwerk aller Zeiten".
10 Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom NOT~ IIOIHTIKO~,
Mainz: Kirchheim 1867; photomech. Nachdruck, Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1960, 229.
11 „Geschichte der kirchlichen Wissenschaften", in: J. A. Möhler, Kirchengeschichte,
II, Regensburg: Manz 1867, 551. Vgl. auch Brentanos Geschichte der mittelalter-
lichen Philosophie im christlichen Abendland, hrsg. v. K. Hedwig, Hamburg: Meiner
1980, 2. Eine präzise Darlegung seiner (mit Thomas und der offiziellen Kirchen-
lehre konformen) Auffassung über das Verhältnis der Philosophie zum Offenba-
rungsglauben bzw. zur (Offenbarungs-)Theologie gibt der frühe Brentano in der
zweiten und dritten seiner Habilitationsthesen von 1866 (in: Über die Zukunft der
Philosophie, mit Ein!. u. Anmerkungen hrsg. v. 0. Kraus, Leipzig: Meiner 1929;
neu eingeleitetv. P. Weingartner, Hamburg: Meiner 2 1968, 133-141): Nach These
II hat die Philosophie der Theologie keine Beweisgründe zu entnehmen und ist sie
unabhängig von dieser ein fruchtbares Forschungsunternehmen, doch nach These
III gibt die Theologie der philosophischen Forschung stellae rectrices vor. Vgl. dazu
Antonelli 136 f. Anm. 5, und W Sauer, ,,Erneuerung der Philosophia Perennis.
Über die ersten vier Habilitationsthesen Brentanos", Grazer Philosophische Studien
58/59 (2000), 119-149. - Folgendes Zitat: ,,Geschichte der kirchlichen Wissen-
schaften", 554.
EINLEITUNG X.V
Weil nach einem Wort des Philosophen in Buch I der Schrift Über den Him-
mel und die Welt ein kleiner Fehler am Anfang am Ende ein großer ist, ens und
essentia aber das sind, was zuerst vom Verstand erfaßt wird, wie Avicenna am
Anfang seiner Metaphysik sagt, muß man daher, damit uns nicht aus Unkennt-
nis über sie ein Irrtum zustößt, zur Darlegung der in ihnen liegenden Schwie-
rigkeit erklären, was mit den Worten der essentia und des ens bezeichnet wird
und wie sie sich in verschiedenen Bereichen vorfinden [... ] 13
Der flüchtigste Vergleich mit Brentanos Einleitung zeigt, daß diese bis in
die ersten Zeilen des dritten Absatzes hinein nur eine - die essentia auslas-
sende, die aber auch bei Thomas dann im Prooemium gegenüber dem ens als
sekundär zurücktritt, so daß die Untersuchung zuerst beim ens anzusetzen
habe 14 - erweiterte Paraphrase von Thomas' Worten ist. Und es zeigt sich
darin auch schon eine über die bloße Darstellungsweise hinausgehende sach-
liche Abhängigkeit vom Aquinaten. Ihm folgend aber ihn nicht nennend
12 Brentanos langes Zitat MBS 164 f.: S. Thomae Aquinatis in duodecim libros Meta-
physicorum Aristotelis Expositio, editio iam a M.-R. Cathala, O.P. exarata retracta-
tur cura et studio Raymundi M. Spiazzi, O.P., Turin; Rom: Marietti 1964 (Abkür-
zung: Th. in Met.), V, lect. 9, 889-893.
13 Die verwendete Ausgabe: Thomas von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit. De
Ente et Essentia, mit Ein!., Übers. u. Kommentar hrsg. v. H. Seidl, Hamburg: Mei-
ner 1988. (Abkürzung: EE). (Die Übers. ist aber nicht die Seidls).
14 An anderen Stellen beschränkt sich Thomas von vornherein auf das ens als das, was
wir als erstes im Verstand erfassen: vgl. Quaest. disp. de Veritate qu. l art. l eo (auch
hier mit Berufung auf Avicenna), und Summa Th. IaIIae qu.94 art.2 eo.
XVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
sagt Brentano, ,,das Seiende ist das Erste, was wir geistig erfassen" (MBS
11). Doch Thomas beruft sich dafür auf Avicenna, nicht auf Aristoteles, und
auch Brentano führt dafür keine Aristoteles-Stelle an, sondern bringt nur
dieses Aristotelisch gesehen unschlüssige Argument, daß das Seiende das All-
gemeinste und nach Aristoteles (Metaph. L'.1.11 1018632 f) das Allgemeine
„kata ton logon", der Formel nach oder begriffiich, gegenüber dem weniger
Allgemeinen primär ist: Das non sequitur des Arguments ist dies, daß für
seine Schlüssigkeit das Seiende gegenüber allem anderen in der Weise primär
sein müßte wie z. B. das Allgemeine, welches die Gattung Tier ist, gegen-
über ihren Spezies, was aber nach Aristoteles gerade nicht der Fall ist, denn
to on legetai pollachös, vom Seienden spricht man in mehreren Weisen, ou gar
genos to on, das Seiende ist keine Gattung (An. Post. II.7 92614) d. h. es gibt
keinen einheitlichen Begriff des Seienden. Dann in später Zeit hat Brentano
diese prekäre Verbindung der Aristotelischen Position mit dem Satz vom
Seienden als dem primär Erfaßten, die er von Thomas übernommen und
auf Aristoteles übertragen hatte, ausdrücklich als Inkonsequenz hingestellt.
Der allgemeinste und doch einheitliche Begriff, schreibt er im Brief an Kraus
vom 9.1.1915, ist vom Standpunkt des „Reismus" aus der
Begriffdes Realen als solchen[ ... ] Auch Thomas v. Aquin bezeichnete darum in
seiner Summa theologica das ens im Sinne des Realen als allgemeinen Begriff,
unter welchen alle Objekte des Intellekts fallen, während für jeden der Sinne
die Beschränkung auf eine Gattung von minderer Allgemeinheit gegeben ist.
Daß er sich freilich nicht recht konsequent bleibt, wenn er mit Aristoteles
die Akzidenzien nicht im selben Sinne seiend sein läßt wie die Substanz, ist
unleugbar. Ich war genötigt, mich hier von beiden hochachtbaren Meistern
loszusagen (AN, 272):
von Aristoteles wegen dessen falscher These, daß das Reale (d. h. das in die
Kategorien fallende Seiende) unter keinen einheitlichen Begriff falle, von
Thomas aber, weil er die richtige These vom ens als dem allgemeinsten Begriff
mit der falschen Aristotelischen in inkonsequenter Weise verbunden habe -
worin er selbst in der Dissertation dem Aquinaten gefolgt war.
Bringen wir hier noch ein kleines, anders als das vorige sachlich unbe-
denkliches Beispiel, das gleichwohl sehr gut geeignet ist zu zeigen, wie sehr
der junge Brentano sogar bis in die Ausdrucksweise hinein von Thomas
geprägt ist. Das andere Seiende außer der Substanz, d. h. die Akzidenzien,
sagt er mit Berufung auf Metaph. Z 1 1028al 8-20, ist „eigentlich mehr eines
Seienden als ein Seiendes zu nennen" (MBS 19 5): Wenn auch der Sache nach,
EINLEITUNG XVII
so steht das doch wörtlich so bei Aristoteles nicht, es ist aber auch keine
selbständige Formulierung Brentanos, sondern im Kern nur die Wiedergabe
einer glücklichen Wendung von Thomas:
secundum philosophum accidens magis proprie dicitur entis quam ens (Summa
7h. Ia qu.45 art.4 eo).
Wir werden im weiteren, und besonders dann in Teil III dieser Einleitung,
wiederholt sehen, wie sehr der frühe Brentano in seiner Aristoteles-Kom-
mentierung von Thomas von Aquin abhängig ist. Vorderhand ist nur noch
auf diesen allgemeinen Zug in der Aristoteles-Kommentierung aufmerksam
zu machen, den Brentano mit dem Aquinaten teilt. Der junge Brentano
wendet sich keineswegs aus rein historischem Interesse Aristoteles zu, viel-
mehr dominiert in seinem Zugang zum Stagiriten stets die systematische
Absicht, sich dessen theoretisches Erbe anzueignen, um auf dieser Basis die
Philosophie als Wissenschaft voranbringen zu können. Das unterscheidet
Brentanos Aristoteles-Exegese eindeutig von derjenigen seiner Zeitgenossen,
und zwar insbesondere von der Eduard Zellers. 15 Denn im Unterschied zur
Geschichtsschreibung Hegelscher Prägung, die die Geschichte der Philo-
sophie als Geschichte von Systemen betrachtet und diese aus ihrem histo-
rischen Zusammenhang interpretiert, hat für Brentano „das Studium der
Geschichte der Philosophie nur dann eine Berechtigung, wenn es in den
Dienst der sachlichen Forschung tritt". 16 Und auch darin ist er ein guter
Schüler von Thomas, dessen Aristoteles-Exegese demselben Ziel unterstellt
war, wie er in seinem Kommentar zu De Caelo schreibt: studium philosophiae
non est ad hoc quod sciatur quid homines senserint, sed qualiter se habet veritas
rerum 17 - in Brentanos Worten: ,,Letztes Ziel der Geschichte der Philosophie
muß stets die Herausstellung der Wahrheit sein".
23 Brentano, MBS 18, merkt zurecht an, daß sich für diesen Aristotelischen Aus-
druck, mit dem solche Komposita wie gebildeter Baumeister oder gebildeter Mensch
gemeint sind, im Deutschen „schwerlich ein recht eigentlich entsprechender Aus-
druck sich finden lassen" werde; unter den in den Metaphysik-Übersetzungen
anzutreffenden am besten geeignet, so scheint es, wäre der in Friedrich Bassenges
Metaphysik-Übersetzung (Berlin: Akademie-Verlag 1990): ,,das hinzugekommen-
erweise Seiende".
EINLEITUNG XXI
on dynamei kai energeiäi, ,,dem Vermögen und der Wirklichkeit nach (poten-
zial, in Potenz, und aktual, im Akt) Seiendes".
29 ,,[ ... ] die Kategorien [sind] die aus der Auflösung des Satzes entstandenen Ele-
mente [... ]": F. A. Trendelenburg, GK 13. ,,So tragen die Kategorien Zeichen
ihres Ursprunges an sich und treiben ihre Wurzeln in den einfachen Satz zurück"
(ebda). ,,Wenn auch die einzelnen Begriffe als Materie des Satzes früher gesetzt
werden, so haben sie doch stillschweigend an der Satzverbindung ihr Maß und sie
sind nicht zu verstehen, wenn diese nicht verstanden ist" (ebda 12). ,,Wie Aristote-
les mit der Betrachtung des Ganzen, das früher als die Teile ist, beginnt, so fordert
er, das Zusammengesetzte in seine einfachen Elemente zu zerlegen. Wenn nun das
Urteil das logische Ganze ist, das zuerst auf Wahrheit Anspruch macht: so führt
die Auflösung des Satzes auf die Kategorien. Sie sind die allgemeinsten Prädikate"
(ebda 209). Gerade die Verwurzelung im Urteil garantiert die reale Bedeutung der
Kategorien: ,,Aber da sie Elemente des Urteils sind und im Urteil dazu dienen,
das Wirkliche und dessen Verhältnisse zu bezeichnen: so tragen sie den Bezug auf
das Reale und eine objektive Bedeutung in sich" (ebda 17). ,,Hiernach will zwar
erst der Satz das Wirkliche in seiner Verbindung oder Trennung nachbilden; und
die einzelnen Begriffe sprechen dies für sich nicht aus. Inwiefern sie jedoch als die
Materie des Satzes den Inhalt dessen bezeichnen, was sich verbindet oder trennt:
so haben sie insofern einen Bezug auf die Dinge und diese reale Bedeutung beglei-
tet daher die Kategorien trotz ihres Ursprungs aus der aufgelösten Satzverbindung
(kata medemian symploken legomena)" (ebda 18). Diese Bemerkungen zeigen, wie
fern es Trendelenburg liegt, die logische und ontologische Tragweite der Katego-
EINLEITUNG XXV
rien zu bestreiten, was ihm jedoch oft zugeschrieben wird. Selbst sein Versuch
einer grammatikalischen Ableitung der Kategorien spielt im Aufbau der Geschichte
der Kategorien/ehre nicht jene zentrale Rolle, die oft behauptet wird. Denn Trende-
lenburg betont wiederholt die heuristische und methodologische Funktion seiner
Absichten: ,,Wenn es uns zwar aus manchen Anzeichen wahrscheinlich wurde,
dass Aristoteles in der Tat der Erfindung einem grammatischen Leitfaden, der
Zergliederung des Satzes folgte, um die allgemeinsten Prädikate zu bestimmen:
so haben wir dadurch doch nicht mehr, als eben nur einen Leitfaden, einen allge-
meinen umfassenden Gesichtspunkt, und wir bleiben dabei über Fragen ungewiß,
welche für die Sache und für Aristoteles eigentümliche Betrachtungsweise von
großer Bedeutung sind" (ebda 180). ,,Gesichtspunkte der Sprache leiteten den
erfindenden Geist, um sie zu bestimmen.[ ... ] Aber die grammatischen Beziehun-
gen leiten nur und entscheiden nicht" (ebda 209). Selbst in§ 7, der ausdrücklich
der grammatikalischen Ableitung der Kategorien gewidmet ist, spricht Trendelen-
burg von dem „über die grammatische Form hinausgehende[n] Gesichtspunkt der
Sache" (ebda 25). Trendelenburgs Betonung der Sprachanalyse ist also weit davon
entfernt, den Kategorien den ontologischen Gehalt bzw. die universelle Bedeu-
tung absprechen zu wollen; sie will hingegen deren reale (im Gegensatz zur bloß
idealen) Genese hervorheben. Im Aufbau der Logischen Untersuchungen nimmt
nämlich die Sprache als Ausdruck der geistigen Bewegung die Hauptfunktion ein,
die Trennung zwischen logischer und realer Ebene zu überwinden und die Zusam-
mengehörigkeit von Denken und Sein, Logik und Metaphysik wiederherzustellen.
30 H. Bonitz, ,,Über die Kategorienlehre des Aristoteles", a. a. 0., 623 (MBS 78).
31 Um die Priorität der ontologischen Tragweite der Kategorien gegenüber ihrer
sprachlogischen Bedeutung zu betonen, kehrt Brentano das Prinzip der Kategori-
entafel den Ersten Analytiken (An. Pr. I.37 49a6-8): to d' hyparchein tode töide [. ..]
tosautachös lepteon hosachös hai kategoriai dieirentai, folgendermaßen um (,,diesep
Satz kann man umkehren"): hai kategoriai diairountai tosautachös, hosachös tode
XXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
tungen wieder, nach denen das „von sich selbst her", kath' hauto, ausgesagte
on ausgedrückt wird; die Kategorien sind die obersten gene, in die sich das
Seiende in seiner sachlichen Fülle aufteilt, so sind sie als reale Begriffe zu
betrachten. 32 Sie können aber zugleich auch die Funktion begrifflicher Sche-
mata übernehmen, nach denen die realen Begriffe einteilbar sind. Es steht
somit außer Frage, daß „Logik und Metaphysik[ ... ] bei der Kategorienein-
teilung interessiert" sind, ,,allein nicht als ob sie sich um das Recht der Herr-
schaft stritten", denn bei richtiger Analyse entsprechen die „Weisen des Seins
[... ] naturgemäß den Weisen der Prädikation" (MBS 174). Für Brentano hat
jedoch die ontologische Deutung der Kategorien eindeutig Vorrang (MSB
81-83). Denn bevor man den Kategorien eine sprachlogische Bedeutung
beimessen kann, muß die ontologische Dimension des kategorialen Aufbaus
festgestellt werden. Die modi praedicandi und die modi intelligendi müssen
von den modi essendi aus untersucht werden; die logischen Prädikations-
formen reflektieren eine ontologische Grundstruktur, die für Denken und
Sprache maßgebend ist. Die Kategorien drücken logische Strukturen nur in
dem Maße aus, in dem sie Realstrukturen in der Sprache darstellen. Der Phi,..
losoph, für den die Sprache bevorzugter Zugang zum Seienden ist, kann sich
nicht - wie es die moderne Sprachanalytik annimmt - auf eine bloße Spra-
chanalyse beschränken, sondern er muß zu den ontologischen Strukturen
gelangen, die den Sprachgebrauch fundieren. Die sprachlogische Bedeutung
der Kategorien ist daher der ontologischen Bedeutung untergeordnet - und
zwar als deren integraler, fundierender Bestandteil.
Brentano bezeichnet die Kategorien als „reale Begriffe", um die unter-
schiedliche Funktion der Begriffe auf metaphysischem und auf logischem
Gebiet auszudrücken. ,,Real" sind jene Begriffe, mit deren Hilfe das Denken
Aspekte und Bestimmungen, die den Dingen selbst anhaften, erfaßt. Sie
betreffen nicht die Eigenschaften und Modalitäten der gedachten Dinge, da
man für diese keine Entsprechung in der Wirklichkeit finden kann.
In der mittelalterlichen Philosophie wird dieses Problem anhand der
sogenannten Theorie der doppelten Intention behandelt. Ungeachtet der
unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Autoren und Schulen, ist
diese Theorie der gesamten Scholastik gemein, die hierbei auf die arabischen
töide hyparchei, ,,es gibt so viele Kategorien, als es Weisen gibt, in denen die Dinge in
ihrem Subjekte existieren" (MBS 107).
32 MBS 81, mit Verweis u. a. auf Metaph. Z.4 1030611 f.: ,,Von dem Seienden
bedeutet das eine eine Substanz (tode ti), das andere ein Quantum (poson), das
andere ein Quale (poion)" (Brentanos Übersetzung).
EINLEITUNG XXVII
sind die Glieder jener anderen Einteilung lauter zweite Intentionen und somit
alle bloße onta hös alethes, von denen wohl eine wahre affirmative Behauptung
ausgesagt werden kann, die aber keinerlei Bestand außerhalb des denkenden
Geistes in den Dingen selbst haben (MBS I 15 f.).
33 „Subiectum vero logicae [...] sunt intentiones intellectae secundo, quae appo-
nuntur intentionibus primo intellectis [...]." Avicennae [ ..} Opera, Venetiis, 1508
(photomech. Nachdruck, Frankfurt a.M.: Minerva 1961), Philosophia prima, I,
2 70 v. A. Zum Ursprung dieser Unterscheidung im arabischen Aristotelismus,
sowie zu ihren Aristotelischen Quellen vgl. Antonelli 83 Anm. 32.
34 MBS 115-117. Zur Stellung der Kategorienlehre in der Aristotelischen Topik
sowie zum Verhältnis Kategorien-Prädikabilien vgl. die grundlegende Arbeit von
E. Kapp, Die Kategorien/ehre in der aristotelischen Topik (1920), in: ders., Ausge-
wählte Schriften, Berlin: de Gruycer 1968, 215-253.
XXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
nicht für sich selbst bestehen können, sondern sich immer auf eine substan-
tielle Bestimmung stützen müssen - letzten Endes also auf eine erste Sub-
stanz (MBS 98 f., 108 f.). Somit ergeben sich zwei prädikative Strukturen.
Die eine bewegt sich innerhalb der Kategorie und ist durch wesentliche
oder synonyme Verhältnisse charakterisiert (synönymös kategoreisthai), siehe
die Beispiele von vorher. Die zweite prädikative Struktur stellt die bloße
Inhärenz dar, wobei das Prädikat seine Bedeutung durch seine Beziehung
zu einem (substantiellen) Subjekt erlangt, das sich außerhalb seiner eigenen
Prädikationskolumne befindet (parönymös kategoreisthai), z. B. ,,Sokrates ist
weiß". 37 Eine solche transkategoriale oder paronyme Prädikation gestaltet
sich in ebenso vielen Weisen wie es nicht-substantielle Kategorien gibt.
Dies macht nun den Primat der ontologischen Auffassung der Kategorien
gegenüber ihrer logischen Bedeutung verständlich. Das kategoriale Schema
mit seiner gestalteten Vielheit von Prädikationsverhältnissen offenbart sich
zwar auf sprachlicher Ebene, für seine Gültigkeit kann aber nur die reale
Vielfältigkeit der Dinge garantieren, und diese Vielfältigkeit wieder wurzelt
im unterschiedlichen Verhältnis der ontischen Kategorien zu jenem Einen,
auf das sie sich alle beziehen und mit dem sie untrennbar verbunden sind:
die pröte ousia, denn „was immer sonst ist, ist, weil es irgendwie in ihr sich
findet" (MBS 104); es ist nur durch dieses Verhältnis zu Einern, pros hen,
d. h. zur pröte ousia, daß alles andere überhaupt Seiendes genannt werden
kann (Metaph. I'.2 1003a33, b5 f.).
Die pröte ousia, das was konkretes individuelles tode ti, dies-von-der-
Art38 ist, ist somit der Fixpunkt für die Verknüpfung der ontologischen und
sprachlogischen Dimension der Kategorien. Individualität ist für Brentano
37 MBS 167: Aristoteles hat „bemerkt, daß wenn ein Ding von einem andern essen-
tiell prädiziert werde, so daß diesem Name und Begriff des Prädikats zukomme,
dies auch grammatisch in einer andern Form geschehe, als wenn das Prädikat
dem Subjekte nur den Namen gebe, ohne selbst seines Wesens zu sein. Ich sage:
das Weiß ist eine Farbe, das Holz ist farbig [... ] Regelmäßig geschieht es bei der
essentiellen Prädikation, daß Subjekt und Prädikat dieselbe grammatische Form
haben [... ] Ebenso geschieht es in der Regel bei der akzidentellen Prädikation,
daß das Prädikat in der grammatischen Form sich vom Subjekte unterscheidet
und ein parönymon jenes Wortes ist, das der grammatischen Form nach dem Sub-
jekte gleichsieht. Aristoteles nennt darum die akzidentelle Prädikation parönymös
kategoreisthai im Gegensatz zum synönymös kategoreisthai der essentiellen".
38 Wir folgen der Übersetzung des Ausdrucks tode ti von Michael Frede und Gün-
ther Patzig: Aristoteles ,Metaphysik Z'. Text, Übersetzung und Kommentar, 2 Bde,
München: C. H. Beck 1988.
XXX MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
der Grundzug der Substanz. 39 Nur die Substanz kann für sich selbst indivi-
duell - tode, Dies - sein, während die anderen Kategorien ihren Gegenstand
nicht individuieren können, so sehr man auch ihre Spezifizierung weiterführt;
trotzdem verdienen diese Kategorien die Bezeichnung „reale Begriffe", denn
sie haben neben ihrem logisch-analytischen Charalcter auch eine ontolo-
gische Dimension, die in ihrem notwendigen Bezug zur pröte ousia liegt,
d. h. zu dem sie individuierenden Moment. 40 Dies geschieht beim Über-
gang von der synonymen (intrakategorialen) zur paronymen (transkatego-
rialen) Prädikation. 41 Und nur so entzieht sich der logos einer rein logischen
Betrachtung und gewinnt er seine eigentliche Funktion zurück- das Seiende
in der Sprache zu offenbaren: Denn das, worauf er sich in letzter Analyse
bezieht, die pröte ousia, ist etwas, das, insofern es tode, individuelles Dies ist,
durch keine logisch-begriffiiche Prozedur herausgestellt werden kann, son-
dern durch Deixis aufzuweisen ist.
rien per analogiam ausgesagt, und zwar in doppelter Weise - nach Analogie
der Proportionalität und nach Analogie zu demselben Terminus. Das heißt:
1) Das nach den Kategorien unterteilte on wird von den Kategorien nicht als
synonymer, sondern als homonymer Begriff ausgesagt, der sich nach seinen
mannigfaltigen Bedeutungen unterscheidet. 2) Eine solche ursprüngliche
Mannigfaltigkeit des on ist nicht völlig beziehungslos, sondern läßt eine Ein-
heit der Analogie zu. 3) Schließlich ist eine solche Analogie zweifacher Art;
sie ist nicht bloß eine Analogie der Proportionalität, sondern auch eine Ana-
logie zum selben Terminus. Der Untersuchung dieser drei Thesen widmet
Brentano einen Gutteil seiner Analysen (MBS 84--94).
Die Mehrdeutigkeit des Seienden betrifft dessen mannigfachen Bedeu-
tungen - to on legetai pollachös; diese Vielfältigkeit betrifft aber nicht nur
die vier Hauptbedeutungen, sondern innerhalb dieser vierfachen Gliederung
wiederum auch die Kategorien selbst. 42 Da die verschiedenen Kategorien die
höchsten Gattungen des Seienden darstellen, sind sie nicht aufeinander und
schon gar nicht auf ein höherliegendes genos zurückführbar; denn oberhalb
der Kategorien liegt nur noch das Seiende selbst; dieses ist aber ist kein
Genus, sondern „ein unbestimmter Ausdruck[ ... ], der erst durch die Kate-
gorien Bestimmtheit" empfängt. 43
Im ersten Kapitel der Kategorien führt Aristoteles die drei Bezeichnungen
„homonym", ,,synonym" und „paronym" ein, von deren beiden letzten wir
bereits im Zusammenhang mit der Prädikation (synonyme vs. paronyme
Prädikation) Gebrauch zu machen hatten. Zuerst bringt er die Unterschei-
dung zwischen homonymen oder „äquivoken" und synonymen oder „univo-
ken" Termen. Seine Unterscheidung geht allerdings über die rein gramma-
tikalische und sprachliche Ebene hinaus, denn sie hat zugleich auch eine
ontologische Dimension. Sie bezieht sich auf jene Entitäten (pragmata), die
bloß dem Namen nach eine Gemeinsamkeit aufweisen, doch ganz unter-
schiedlich zu definieren sind, und auf solche Entitäten, die gleichen Namen
42 Diese Doppelung des pollachös des Seienden wird deutlich im Vergleich des vierfa-
chen pollachös von Metaph. E.2 1026a33-b2, worin das Seiende nach den Figuren
der Kategorien eines der vier Glieder ist, mit dem Ende von E.4, 1028a4-6, und
dem Anfang von Z 1, 1028al 0, an welchen Stellen nach Ausschluß des akzidentell
Seienden und des Seienden im Sinne des Wahren nun von dem in die Kategorien
geteilten Seienden gesagt wird, es sei ein pollachös legomenon. Brentano macht auf
diese Doppelung aufmerksam MBS 16, 73, und bes. 84; nach Brentano wird sie
von Heidegger, wohl aufgrund seiner Brentano-Lektüre, nachdrücklich hervorge-
hoben. Vgl. Heidegger, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie, a. a. 0., 291.
43 MBS 86. Vgl. Metaph. Ll.28 102469-16.
XXXII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
und gleiche Definition haben (Cat. cp.l lal-12; MBS 88). Die Trennung
taucht dann in der Nikomachischen Ethik wieder auf. Auch in diesem Werk
wird die Disjunktion von Synonymie und Homonymie als grundlegend
angesehen, wobei das Gebiet der Homonymie nochmals in zwei Unterbe-
reiche geschieden wird: in den Bereich der Dinge, die „zufällig (apo tyches)"
denselben Namen tragen, und in jenes Gebiet der Dinge, die nicht zufällig,
sondern „aufgrund einer Analogie (kat' analogian)" einen Namen gemein
haben. 44 Zur Synonymie und Homonymie tritt die Paronymie hinzu ( Cat.
cp.l la12-15). Sie betrifft diejenigen Dinge, die nach etwas benannt wer-
den und sich dabei der „Flexion (ptösis)" nach unterscheiden, wobei sie aber
immer einen wesentlichen Bezug zur Hauptbedeutung aufweisen - wie etwa
mutig zu Mut, gerecht zu Gerechtigkeit usw. Bezogen auf die Frage nach den
Kategorien, drückt die Paronymie jenes schon besprochene pros-hen-Ver-
hältnis aus, das die Verbindung der (akzidentellen) Kategorien zur Substanz
ermöglicht; dadurch sind die Kategorien von der Substanz abhängig, ohne
aber mit dieser zusammenzufallen. Es handelt sich demnach nicht um ein
rein logisches oder sprachliches Verhältnis, obwohl die Grammatik durch
verschiedene Flexionen eines Wortstammes die Einheit-Verschiedenheit
reflektiert, die das Seiende je nach Betrachtungsweise entweder als einheit-
lich oder als mannigfaltig erscheinen läßt. 45
46 Thomas von Aquin unterscheidet bekanntlich zwei Formen der Analogie: die
Analogie der Proportion (auch der Attribution genannt) und die Analogie der
Proportionalität (vgl. Quaest. disp. de Veritate qu.2, art.11). Obwohl er sich nicht
immer streng an diese Zweiteilung hält, ist sie für ihn grundlegend, da er alle ande-
ren Unterteilungen auf ihr aufbaut. Gerade auf diese dichotomische Einteilung
nimmt Brentano Bezug. Nach der sogenannten Analogie der Proportion erhalten
für Thomas mehrere Dinge (minora analogata) dasselbe Attribut, da sie sich alle
auf ein anderes Ding (analogatum princeps) beziehen, dem allein das Attribut im
eigentlichen Sinne (eminenter) zukommt. Das klassische, auf Aristoteles zurückge-
hende Beispiel hierfür ist das der Gesundheit, die analog der Nahrung, dem Urin
und dem Tier zukommt: Nahrung und Urin werden aufgrund ihrer Beziehung
zur Gesundheit des Tieres gesund genannt, das im eigentlichen Sinne allein als
gesund bezeichnet werden kann. Die sogenannte Analogie der Proportionalität
definiert sich hingegen als Ähnlichkeit zweier Verhältnisse, die voneinander unab-
hängig sind. Das klassische Beispiel hierfür ist das Sehen, das sowohl dem Auge
als auch dem Geist zugesprochen wird: Die Sehkraft verhält sich zum Auge wie
der Verstand zum Geist. Die verschiedenen thomistischen Schulen unterscheiden
sich nach der Präferenz, die sie der einen oder anderen Form der Analogie geben.
Zur thomistischen Analogie vgl. G. P. Klubertanz, St. Thomas Aquinas on Anal-
ogy. A Textual Analysis and Systematic Synthesis, Chicago: Lojola University Press
1960; H. Lyttkens, The Analogy between God and the World. An lnvestigation ofits
Background and Interpretation of its Use by Thomas ofAquino, Uppsala: Almqvist
& Wiksells 1952; R. M. Mclnerny, The Logic ofAnalogy. An Interpretation ofSaint
Thomas, Tue Hague: Nijhoff 1961; B. Montagnes, La doctrine de l'analogie de letre
d'apres Saint Thomas d'Aquin, Louvain: Publications Universitaires 1963.
XXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Aber deckt sich diese sogenannte Analogie der Attribution wirklich mit
der pros-hen-Einheit? Unterscheiden sich diese beiden Doktrinen nur dem
Namen nach, oder handelt es sich trotz ihrer Ähnlichkeit um verschiedene
Begrifflichkeiten, die ihre Wurzeln in ganz unterschiedlichen theoretischen
Kontexten haben? Die heutige Geschichtsschreibung neigt eindeutig zu letz-
terer Auffassung. Sie hat nachgewiesen, daß die sogenannte Analogie der
Attribution weder dem Wortlaut noch dem Geist des Aristotelismus ent-
spricht. Diese ist nur im scholastischen metaphysischen Kontext möglich,
wo das ursprüngliche Aristotelische Problem der Verbindung von Einheit
und Mannigfaltigkeit von der Frage nach der ontologischen Differenz zwi-
schen Schöpfer und Geschöpf überlagert wird. 52 Denn in der scholastischen
Auffassung ist die Analogie untrennbar mit dem theologischen Kontext ver-
woben, in den die Aristotelische Frage nach dem Seienden und den Katego-
rien gesetzt wird, und in diesem theologischen Rahmen drückt die Analogie
die Teilhabe des Unter- am Übergeordneten aus. Diese Teilhabe ist inso-
fern abgestuft, als sie sich zum Wesen, d. h. zur Perfektion der teilhabenden
Dinge proportional verhält.
Seit den frühesten Formulierungen der Thomistischen Ontologie gestaltet
sich diese analoge Struktur als geordnete Einheit, die durch das Prinzip des
ungleichen Besitzes derselben Perfektion - des Seins nämlich, welches Akt
ist (daher die Wendung actus essendi, z. B. Summa Th. 1a qu.3 art.4 ad 2)
und nicht mehr in Potenz zu einem weiteren Akt stehen kann (daher ist es
die actualitas omnium actuum, Quaest. disp. de Potentia qu.7 art.2 ad 9) -
beherrscht wird. Nur in Gott koinzidieren Sein (esse) und Wesen (essentia);
jedes andere Seiende (ens) hat am Sein teil proportional zu seinem sich zum
Sein als Potenz zum Akt verhaltenden Wesen, ihr esse ist limitatum et fini-
Die kategoriale Einheit gründet demnach für Thomas nicht auf jener „focal
meaning" der ousia, von der die übrigen Bedeutungen des Seienden abhän-
gen. Die Abhängigkeit gestaltet sich viel tiefer, da sie im abgestuften Besitz
derselben, zwischen Substanz und Akzidenzien unterschiedlich verteilten
Vollkommenheit - der ratio entis - liegt.
Man kann sich nun fragen, ob es hierbei überhaupt noch Sinn macht,
von Proportion bzw. Analogie der Proportion zu sprechen. Denn die Attri-
bution ist in diesem Falle qualitativer Natur und kann deshalb nicht auf eine
Proportion im engeren Sinne, weder quantitativer noch komparativer Art,
reduziert werden. In gewisser Weise bleibt jedoch die Analogie proportional,
da die Einheit des Seienden gerade auf die proportionale Beziehung jeder
essentia zum jeweiligen esse gründet. Die Ausweitung des analogen Schemas
auf die kategoriale Einheit ist allerdings nur unter zwei Bedingungen mög-
lich, die bei Aristoteles gar nicht zu finden sind: Erstens ist der absolute Pri-
mat des actus essendi anzunehmen und zweitens, eng damit verbunden, die
53 Thomas von Aquin, EE Kap.V, 52. Das ganze Kap. V ist der Darstellung dieser
Gradation gewidmet. Folgendes Zitat: ebda., 48.
XXXVIII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
Unterscheidung (außer bei Gott) von essentia und esse, die sich zueinander
als Potenz zum Akt verhalten.
Der Thomistische und scholastische Begriff der Analogie setzt eine hierar-
chisch geordnete Weltauffassung voraus, innerhalb derer dieser Begriff ver-
wendet wird, um das Sein Gottes und dasjenige des Geschöpfes zu trennen,
zugleich aber auch in Verbindung zu setzen. Diese Konnexion wird im Lichte
des vom Neuplatonismus übernommenen Teilhabe-Gedankens gedeutet. 54
Die „vertikale" Verwendung der Analogie ist in der Tat ein Wesenszug der
ganzen platonischen und neuplatonischen Denkrichtung. 55 Sie ist hinge-
gen dem Geist und Wortlaut der Aristotelischen Philosophie ganz fremd.
Denn Aristoteles verwendet die Analogie immer „horizontal"; die Aristote-
lische Analogie setzt keine Hierarchie zwischen den in Verbindung gesetz-
ten Dingen voraus, sondern hebt lediglich eine Gleichheit von Verhältnissen
zwischen verschiedenen Dingen, sowohl in quantitativem als auch quali-
tativem Sinne, hervor. Das platonische transzendentale Analogieverhältnis
wird also von Aristoteles durch ein pros-hen-Verhältnis ersetzt. Hierbei wer-
den die verschiedenen Gattungen durch ihren Bezug auf einen primus inter
pares zusammengehalten, d. h. auf etwas, das ihnen gleichgeordnet ist. Wie
schon gesagt, bezeichnet Aristoteles dieses Verhältnis nicht als Analogie. Es
ist anzunehmen, daß Aristoteles' strikt horizontale Anwendung der Analogie
seine bewußte Ablehnung jeglichen Platonischen Dualismus verdeutlicht. 56
Brentanos Interpretation der Aristotelischen Ontologie weist also ein-
deutig platonisierende Züge auf, die ihm durch seinen Zugang zu Aristoteles
durch den Filter seiner scholastischen bzw. thomistischen Ausbildung ver-
mittelt wu;den. Denn gerade durch die Vermittlung des sowohl griechischen
Nur darin scheint auch er uns zu fehlen, daß er für die noeta, für die reinen
Akte, auch Kategorien aufstellt, [... ] da vielmehr Gott unter keine Definition
zu fassen und unter kein Genus unterzuordnen ist, was alles schon der Ein-
fachheit und reinen Aktualität seines Wesens widersprechen würde. Immerhin
wird die Gottheit der Kategorie der Substanz, als der in jeder Weise ersten und
am meisten seienden, wenn nicht zu subsumieren, doch in analoger Weise
beizugesellen sein. Diese Gedanken sind in ihrer Entwicklung nicht mehr
Aristotelisch, obgleich sie dem Keime nach ohne Zweifel in seinen Lehren
57 Vgl. K. Kremer, Die neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas
von Aquin, Leiden: Brill 1966. Nach Kremer „stammt das Modell der thomasi-
schen Lehre, daß Gott das Sein ist, während alles andere nur daran teilhat", von
Plotin (ebda., 472). Hierzu gelangt er nach einer ausführlichen Analyse der Seins-
philosophie Plotins sowie einer Untersuchung über die Aufnahme der Plotinschen
Seinsauffassung durch Proklos und den Pseudo-Dionysius, der schließlich das
neuplatonische Erbe dem mittelalterlich-christlichen Denken vermittelt.
XL MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
58 Mit der Berufung auf Augustinus hat es überdies auch noch dieses Problem. Aus
der Stelle, die Brentano S. 133 Anm. 207 aus De Trinitate zitiert, geht doch nur
hervor, daß Gott keine Akzidenzien hat, nicht aber, daß er keine Substanz sei.
(Was nur in scharfer Deutlichkeit hervorgetreten wäre, hätte er auch noch den auf
sein Zitat folgenden Nebensatz, den wir in geschwungenen Klammern angehängt
haben, mit zitiert). Und wenn mit der Berufung auf die Confessiones jene Stelle
in Buch IV gemeint ist, an der Augustinus über seine Lektüre der Kategorien des
Aristoteles spricht, so geht aus ihr auch nur hervor, daß er durch sie zu dem Irr-
tum verleitet worden sei, te, deus meus, mirabiliter simplicem et incommutabilem,
so zu denken, quasi et tu subiectttm esses magnitudini tttae aut pulchritttdini, ut illa
essent in te quasi in subiecto, sicut in corpore, während doch ttta magnitudo et tua
pulchritudo tu ipse sis, corpus autem non eo sit magnum et pulchrum, quo corpus est:
Auch das sagt nicht mehr, als daß Gottes Größe und Schönheit keine Akzidenzien
von ihm seien. So gesehen ist Augustinus' Position in diesem Punkt schwerlich
unterscheidbar von der, die dann im 6. Jahrhundert Ioannes Philoponos, ebenfalls
Christ, in seinem Kategorienkommentar vertreten wird: ,,Nicht jede Substanz ist
Zugrundeliegendes (hypokeimenon), denn die göttliche Substanz (theia ousia) ist
gewiß nicht Zugrundeliegendes. Ihr kommt ja nichts akzidenziell zu (ouden gar
EINLEITUNG XLI
autei symbebeken): Also ist sie wohl auch nicht Zugrundeliegendes zu nennen"
(Philop. in Cat. [cp.2], 29.16-18. Vollständigere Angabe zu Philop. in Cat. unten,
Teil IV, LXXX). Philoponos antwortet damit auf die Frage, warum Aristoteles die
Substanz als das, was nicht in einem Zugrundeliegenden ist, bestimmte und nicht
einfach als Zugrundeliegendes. (Vgl. Rainer Thiel, Aristoteles' Kategorienschrift
in ihrer antiken Kommentierung, Tübingen: Mohr Siebeck 2004, 79 f., zu dieser,
ebda. 79, ,,interesssante[n) Bemerkung bei Philoponos"). - Zu Brentanos Bemer-
kungen über Augustinus vgl. bes. auch Trendelenburg, GK243 f.
59 An. Pr. I.37; Top. IV.1; De An. LI 402a25; I.5 410al5 (MBS 134).
60 Top. IV.I 120636; 121a6 (MBS 134). Vgl. F. A. Trendelenburg, GK 10: ,,Wenn
die Kategorien nicht aus dem Gedanken eines Ganzen entworfen und abgeleitet
wären, so würden wichtige Untersuchungen, welche auf ihnen stehen, nur den
Zufall zur Unterlage haben. Aristoteles verfährt sonst umsichtiger. Auch deuten
Ausdrücke, wie hai diairetheisai kategoriai, auf eine wirkliche Eintheilung".
XLII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
61 MBS 166-173. Vgl. F. A. Trendelenburg, GK23 f.: ,,Die ousia entspricht dem Sub-
stantiv, das poson und poion dem Adjektiv, und zwar so, daß jenes auch durch das
Zahlwort ausgedrückt werden kann, dieses die eigentliche Eigenschaft bezeichnet.
Das pros ti hat eine weitere Bedeutung, als daß es durch den relativen Komparativ
begrenzt werden könnte; aber es trägt, wie in den nähern Behandlung erhellt, die
Spuren der grammatischen Betrachtung deutlich an sich. Das pou und pote wird
durch die Adverbien des Orts und der Zeit dargestellt. Die vier letzten Kategorien
finden sich im Verbum wieder, da durch das poiein und paschein das Aktiv und
Passiv, durch das keisthai wenigstens ein Teil der Intransitiven, durch das echein,
so weit die hinzugefügten Beispiele es erkennen lassen, die Eigentümlichkeit des
griechischen Perfekts, inwiefern es einen Besitz der Wirkung anzeigt, in einen
allgemeinen Begriff gefaßt werden. Diejenigen Redeteile, welche, wie z. B. die
Konjunktiön, nur der Form dienen, und also dem Ausdruck der ausgeschlossenen
symploke angehören, können in den Kategorien nicht vertreten sein". Als weiteres
EINLEITUNG XLIII
denz kann allerdings nicht unabhängig von einer bestimmten theoretischen
Einstellung bestehen, die gewisse Anomalien als Abweichungen von der
Standardform angemessen interpretiert. Denn die Übereinstimmung muß
jedesmal „von unten" gesucht und bestätigt werden, d. h. ausgehend vom
ontischen Modell, durch das die semantischen Kategorien ihren Sinn und
ihre Bestimmtheit gewinnen.
Übertragen auf die Begriffe einer idealen grammatica spaeculativa 62 könnte
man sagen, daß die verschiedenen Satzglieder unterschiedliche modi signifi-
S. Ebbesen (ed.), Selected Studies on Medieval Logic and Grammar, London: Vari-
orum Reprints 1984.
63 Vgl. Metaph. LJ.15 1021 a26-33 (MBS 34).
64 Vgl. F. A. Trendelenburg, GK2: ,,Wenn die Kategorien die höchsten und letzten
Begriffe darstellen, die als solche allen andern festen Halt und sichere Ordnung
geben: so müssen sie in einem so ausgebildeten System der Philosophie, wie das
aristotelische ist, ihre Beziehungen und Consequenzen offenbaren". Zweifelsohne
das größte Verdienst Trendelenburgs ist seine Betrachtung der Aristotelischen
Kategorienlehre im „Zusammenhang mit den realen Fragen" im Kontext der gan-
zen Aristoteles-Schriften und somit auch die Überholung der früheren Kommen-
tare, die es „meistens versäumt" haben, die Kategorien „als aristotelisch aus dem
Aristoteles [selbst] zu erläutern" (ebda).
EINLEITUNG XLV
· Dieser Unterschied zwischen ousia und symbebekos ist endlich größer, als jeder,
der noch zwischen den Akzidentien unter sich stattfinden kann, er springt
zuerst in die Augen und tritt daher in jeder Weise mit Recht an die Spitze
(MBS 137. Vgl. Metaph. Z l 1028al 1-13).
welches zuerst und in eigentlichster Weise den Namen trägt und wovon alle
andern abhängen, und dies ist hier die ousia, wie Aristoteles selbst im vierten
Buche [der Metaphysik] ausführt (MBS 177).
Auf diese Weise löst Brentano die Schwierigkeit aber nicht; er bestätigt nur
ihr Vorhandensein. Denn es geht doch nicht darum, einen größeren Unter-
schied zwischen ousia und symbebekos als zwischen den symbebekota unterei-
nander zu erklären, sondern um diese viel grundlegendere Frage: Wie kann
etwas, nämlich das on, so eingeteilt werden, daß das eine Einteilungsglied
eigentlich Seiendes (ousia), das andere hingegen nur eines Seienden (entis) ist
(symbebekos) und somit das erste Einteilungsglied bereits voraussetzt? (Für
eine weitergehende Diskussion der Schwierigkeiten in Brentanos Systemati-
sierungsversuch vgl. Antonelli 102 ff.).
[... ] ein wirklicher Zentaure existiert nicht, ein vorgestellter Zentaure aber exi-
stiert, und zwar so oft, als ich ihn vorstelle. Wem hier nicht der Unterschied
des on hös alethes, d. h. im Sinne des Existierenden, vom on im Sinne des Ding-
lichen (Wesenhaften) klar wird [... ]. 65
Dasselbe, nur ausführlicher und mit expliziter Nennung des Stagiriten, fin-
det sich in dem vermutlich aus seiner letzten vorreistischen Zeit stammen-
den Fragment „Das Seiende im Sinne des Wahren":
und er nennt dann als einen Fall dessen, was nur Seiendes im Sinne des Wah-
ren ist, das Gedankending (ein solches ist z. B. der vorgestellte Kentaur in
dem Text aus 1889, ein anderes Beispiel wäre die gedachte Sonne im Unter-
zerfallend in
Er beruft sich für die Gleichsetzung des Seienden im Sinne des Wahren mit
dem im Sinne des Existierenden auf Aristoteles, und d. h. auf Metaph. 1::::.. 7.
Doch blickt man vergleichsweise auf die Zeilen in Metaph. 1::::.. 7, die dem on
hös alethes gewidmet sind, so kann die Reaktion in der Tat nur Verblüffung
sein:
Weiters bezeichnet (semainei) das „Sein" (to einai) und das „ist" (to estin), daß
es wahr ist (hoti alethes), dagegen das „Nichtsein" (to me einai), daß es nicht
wahr sondern falsch ist, gleicherweise bei der Bejahung und bei der Vernei-
nung (epi kataphaseös kai apophaseös): wie z. B., es ist Sokrates gebildet (hoti
esti Sökrates mousikos), daß dies [= Sokrates ist gebildet] wahr ist (hoti alethes
touto), oder: es ist Sokrates nicht weiß (hoti esti Sökrates ou leukos), daß es [=
Sokrates ist nicht weiß] wahr ist; dagegen, nicht ist die Diagonale kommensu-
rabel (ouk estin he diametros symmetro/'6), daß es [=die Diagonale ist kommen-
surabel] falsch ist C,1.7 1017a31-35).
In diesen Zeilen läßt sich schlicht nichts von dem erkennen, was Brentano
mit ihnen in Verbindung bringt.
66 Dieses „symmetros" 1017a35 liest Alexander, Al. in Met. 372.7 f., statt des über-
lieferten „asymmetros"; Bonitz, Schwegler und Ross folgen dieser Lesart, desglei-
chen auch Brentano in der Dissertation (MBS 40). Vgl. H. Bonitz, Observationes
criticae in Aristotelis libros Metaphysicos, Berlin: Bethge 1842, 89 f. (mit Verweis
auf auf L'.1.12 1019623, L'.1.29 1024617), sowie ders., Commentarius in Aristotelis
Metaphysicam (1849), photomech. Nachdruck Hildesheim: Olms 1992 (Abkür-
zung: Bonitz Comm.), 242. Aristotle's Metaphysics. A revised Text with Introduction
and Commentary by W D. Ross (1924), 2 vols, reprint with corrections Oxford:
Oxford UP 1953 (Abkürzung: Ross); Ross sagt kurz und bündig, diese Lesart „is
required by the sense" (Ross I 309). A. Schwegler, Die Metaphysik des Aristote-
les. Grundtext, Übersetzung und Kommentar nebst erläuternden Abhandlungen
(1847/48), 4 Bde, photomech. Nachdruck in 2 Bden Frankfurt a. M.: Minerva
1960 (Abkürzung: Schwegler), III 213. - Zur Lesart „symmetros" statt „asymme-
tros" wäre aber noch anzumerken, daß auch bei Alexander die Textüberlieferung
nicht eindeutig ist (s. u. Anm. 74).
XLVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Man muß also wissen, daß, wie der Philosoph im Buch V der Metaphysik sagt,
vom em per se in zwei Weisen gesprochen wird: in der einen Weise so, daß
es in die zehn Gattungen [Kategorien] zerfallt; in der anderen so, daß es die
Wahrheit der Aussagen bezeichnet (quod significat propositionum veritatem).
Der Unterschied zwischen diesen beiden Weisen aber ist der: In der zweiten
Weise kann alles das, worüber eine [wahre] Bejahung gebildet werden kann
(de quo ajfirmativa propositio formari potest), ens genannt werden, auch wenn
es keinen Realitätsgehalt hat (nihil in re ponat). In dieser zweiten Weise werden
[auch] die Privationen und Verneinungen (negationes) Seiendes genannt: Wir
sagen nämlich, daß die Bejahung der Verneinung entgegengesetzt ist, und daß
die Blindheit (caecitas) im Auge ist. Aber in der ersten Weise kann nur das,
was einen Realitätsgehalt hat (aliquid in re ponit), ens genannt werden. Und
daher sind die Blindheit und dergleichen keine entia in der ersten Weise (EE
Kap. I, 3).
An anderen Stellen verbindet Thomas mit jeder dieser beiden Weisen eine
spezielle Frage: mit der zweiten
die Frage, ob es ist (an est), und in dieser Weise ist das Übel, gerade so wie die
Blindheit ist (caecitas est),
woraus klar ist, daß das Seiende nach der zweiten Weise das Seiende qua Exi-
stierendes ist, während Seiendes in der ersten Weise solches ist,
was nicht nur auf die Frage antwortet, ob es ist, sondern auch auf die Frage,
was es ist (quid est) (Quaest. disp. de Malo qu. l art. l ad 19),
also etwas ist, das eine quidditas oder essentia hat, d. h. ein in die Kategorien
fallendes Seiendes ist. Jedes kategoriale Seiende ist also auch ein Seiendes in
der zweiten Weise, aber nicht umgekehrt, und so erhalten wir dieses Schema:
Der ganze Unterschied zwischen dem Schema von Thomas und dem Bren-
tanos ist also der, daß Thomas das Seiende im Sinne des Existierenden nicht
auch Seiendes im Sinne des Wahren, ens quasi verum, nennt: Das wäre die
Weise des Seienden, von der er in der zitierten Stelle in Entsprechung zu
Aristoteles' L'.1. 7 1017a31 dictum sagt, daß sie „die Wahrheit der Aussage
bezeichnet". Aber er läßt diese Weise des Seienden sogleich entfallen, um
stattdessen das Seiende im Sinne dessen, was Subjekt einer wahren Bejahung
sein kann, ins Bild zu bringen, doch, im Kontrast zu Brentano, ohne diese
Weise des Seienden, die mit der ,,An est?"-Frage korrespondiert, auch ens
quasi verum zu nennen.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Brentano sein Schema nicht direkt
von Aristoteles bezog, sondern durch die Vermittlung von Thomas darauf ver-
fiel. Was den einzigen Unterschied zwischen den beiden Aufstellungen anlangt,
so tat Brentano den Schritt der Fassung des Seienden im Sinne des Existierenden
als Seiendes im Sinne des Wahren in seiner Dissertation. Aber um wirklich zu
verstehen, was darin bei der Behandlung des on hös alethes tatsächlich vor sich
geht, müssen wir den Bogen von Aristoteles über Thomas hin zu Brentano span-
nen; da aber Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zur L'.1. 7-Stelle
über das on hös alethes einen dann für Brentano wichtigen Zug macht, werden
wir auch ihn in die Betrachtung einbeziehen müssen.
III.1. Aristoteles
Mit seinem on hös alethes nimmt Aristoteles jenen Gebrauch von „einai"
präzise in den Blick, den Charles Kahn in seiner großen Studie über dieses
griechische Hilfsverb 68 dessen veridical construction genannt hat. In diesem
Gebrauch besagt „esti" soviel wie „so ist es", ,,es ist wahr (der Fall)". Ein
Beispiel für diesen alethischen Gebrauch des Hilfsverbs bei Aristoteles selbst
67 Diese praktische Bezeichnung der beiden Klassen von Seiendem, die auch wir ver-
wenden werden, stammt von Anthony Kenny, Aquinas on Being, Oxford: Oxford
UP 2002 (Abkürzung: Kenny), 3.
68 Charles H. Kahn, The ¼rb „Be" in Ancient Creek, Dordrecht: Reidel 1973.
L MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
findet sich am Anfang der Zweiten Analytiken, wo er von dem für den Wis-
senserwerb nötigen Vorwissen spricht und dafür als Beispiel auch das tertium
non datur bringt: Wir nehmen im voraus an,
z. B., daß in jedem Fall entweder es zu bejahen oder es zu verneinen wahr ist
(hoti hapan e phesai e apophesai a!ethes), daß [es] ist (hoti esti) (An. Post. I.1
71a13 f.),
wo das „hoti esti", ,,daß [es] ist" (,,esti" betont, mit Akzent), soviel besagt wie
,,daß es wahr ist".
Die Fragen, die zu den Kategorien führen, sind Wortfragen: ,,Was ist
Sokrates?", ,,Wie beschaffen, wie bemessen ist er?", usw. 69 Die zum on hös
alethes führenden Fragen dagegen sind Satzfragen. Diesen Fragezugang zum
on hös alethes hat Brentano selbst mit größter Klarheit herausgestellt. Dieses
Seiende, sagt er in einer Aristotelesstudie (wohl aus 1908),
findet sich da, wo ein ganzer Satz, ein Urteil, ein Seiendes genannt wird, wenn
es wahr ist, und ein Nichtseiendes, wenn es falsch ist. Fragt uns einer: ,,Nicht
wahr, kein Radius ist dem anderen ungleich?", so antworten wir wohl: ,,So ist
es". Die Griechen sagten einfach estin. Aristoteles nannte das, was man so sei-
end nennt, ein on hös a!ethes. 70
Wenn einer uns eine Frage vorlegt, so antworten wir oft, um unsere Zustim-
mung auszudrücken, mit ,Ja", und wenn uns einer eine Meinung ausspricht,
und wäre es auch die, daß etwas unmöglich sei, so antworten wir oft: ,,Es ist
so" [... ] [W]ir wollen [damit] nicht sagen, daß ein Ding, das er genannt habe,
sei, sondern daß wir das, was er gesagt, mag er nun etwas anerkannt oder
geleugnet haben, für richtig halten. Man hat dieses Seiende [... ] ein Seiendes
im Sinne des Wahren genannt[ ... ] (K8. Vgl. ebda., 13).
69 Vgl. Anm. 61; MBS 172 f. Vgl. auch Cat. 5 2631-36, Metaph. Z.1 1028a15-18.
70 Über Aristoteles. Nachgelassene Aufiätze, hrsg. v. R. George, Hamburg: Meiner
1986, 190 f.
EINLEITUNG LI
Durch dieses akzentuierte „esti" wird der Inhalt des in der Frage verwendeten
Satzes als seiend behauptet, und da in diesem Fall zu sein heißt, wahr zu sein,
ist dieses Seiende eines im Sinne des Wahren. Nennen wir diese Satzinhalte
(was gefragt wird und in der bejahenden Antwort als wahr seiend hinge-
stellt wird) nach Brentano Urteilsinhalte, so ist das on hös alethes der wahre
Urteilsinhalt, z. B. [Sokrates ist gebildet] .71
Eine Satzfrage geht nicht auf die Bestandteile der Aussage, weder auf das
,,S' noch auf das „P', noch auch auf die Art ihrer Verknüpfung in der Prädi-
kation: Sei es die essenzielle Prädikation „Sokrates ist ein Mensch" oder die
akzidentelle Prädikation „Sokrates ist gebildet", sei es die Aussage „Homer
ist blind", in der das Prädizierte kein kategoriales Seiendes sondern eine
Privation ist, oder die Aussage „Dieses Nicht-Pferd ist blind'" in der auch
der Subjektsterm kein kategoriales Seiendes bezeichnet, sondern nur ein ens
negativum - bei der Satzfrage geht es immer nur um dieses eine: darum, ob
die betreffende Aussage wahr sei. Daraus ist ohne weiteres klar, daß anders
als das in die Kategorien sich zerlegende on kath' hauto das on hös alethes ein-
heitlich ist; der Urteilsinhalt [Blindheit ist in den Augen Homers] ist, wenn
wahr, in keinem anderem Sinn wahr und so in keinem anderen Sinn ein on
hös alethes, als es [Sokrates ist ein Mensch] ist. Auch das stellt Brentano klar
heraus, so in dieser Bemerkung, es falle Aristoteles
gar nicht ein, [... ] das „on hös alethes", wie er es nennt, ähnlich wie das „on"
im Sinne einer Realität in verschiedene Kategorien[ ... ] zu zerlegen (WE 41).
Antworten wir auf eine Satzfrage mit „Ja" oder „So ist es", so sind das nur
Mittel der Bequemlichkeit, um das in der Frage schon Ausgesprochene als
wahr hinstellen zu können, ohne es zu wiederholen; ganz treffend hat Bren-
tano gesagt,,, ,Ja' ist ein ,Fürsatz' zu nennen" (WE76), und ähnlich ist es mit
„So ist es". So tun wir, wenn wir mit diesen Mitteln der Bequemlichkeit auf
die Frage, ob Sokrates gebildet sei, bejahend antworten, dasselbe wie wenn
wir als Antwort diese Behauptung aussprechen:
71 Diese Schreibweise ist von Quine übernommen. Vgl. W V. 0. Quine, Wi>rd and
Object, Cambridge, Mass.: Tue M.I.T. Press 1960, § 35, 168 f.; § 38, 185. Die
eckigen Klammern sind hier ein Operator, der aus Sätzen Bezeichnungen von
Urteilsinhalten macht, was wir sonst mit umständlichen Wendungen wie „der
Urteilsinhalt daß Sokrates gebildet ist" tun müßten.
LII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
worin die Worte „Es ist so, daß" dazu dienen, den nachfolgenden Satz als
wahr zu behaupten.
Dieser Behauptungsoperator, wie man es nennen kann, ist aber entbehr-
lich, denn was er leistet, kann ebenso gut damit erzielt werden, daß der Satz
selbst behauptend ausgesprochen wird, was durch Wortstellung und Beto-
nung verdeutlichend angezeigt werden mag:
Hier ist es die betont an den Satzanfang gestellte Kopula des Satzes selbst,
worin sich das dem Satz zugesprochene alethische Sein manifestiert. Wie
unser Behauptungsoperator erübrigt sich ein spezielles alethisches „esti",
seine Funktion hat die Kopula des Satzes übernommen, in anderen Worten,
sie liegt, mit Frege gesagt, ,,in der Form des Behauptungssatzes". 72
Damit sind wir bei der nichts Überflüssiges mehr enthaltenden Aus-
drucksweise für das alethische Sein angelangt, die Aristoteles in der L:I. ?-
Stelle über das on hös alethes verwendet. Und so stellt sich nun dies, daß „das
esti bezeichnet (semainei), daß es wahr ist, sowohl bei der Bejahung wie bei
der Verneinung", für die beiden Beispiele so dar:
Wir merken an, daß hier das Verneinungswort „nicht", ,,ou", im vollstän-
digen Antwortsatz nicht zum Behauptungswort gehört und daher auch
72 G. Frege, ,,Über Sinn und Bedeutung", in: ders., Kleine Schriften, hrsg. v. I.
Angelelli, Hildesheim: Olms 1967, 150. - In anderen Worten, die Kopula spielt
zwei verschiedene Rollen. In der als Kopula verbindet sie das Prädikat mit dem
Subjekt; in der als Behauptungszeichen stellt sie die ganze Verbindung d. h. den
(kategorischen) Deklarativsatz, dessen Form sie ist, als wahr hin. Diese beiden Rol-
len der Kopula sind zu unterscheiden, und sie kann die erste ohne die zweite erfül-
len, etwa wenn wir ein Konditional mit diesem Vordersatz beginnen: ,,Wenn der
Mond aus Käse ist, ... ": Da behaupten wir ja nicht, daß der Mond aus Käse sei.
EINLEITUNG LIII
nicht an den Satzanfang gestellt ist; es wird ja [Sokrates ist nicht weiß] als
wahr, nicht [Sokrates ist weiß] als falsch hingestellt (auch wenn das natürlich
konkomitant mitgesetzt ist). -Auf diese Art also „bezeichnet das esti, daß es
wahr ist, sowohl bei der Bejahung wie bei der Verneinung".
Nun zu dem anderen Fall, daß andererseits „das ouk estin bezeichnet, daß
es falsch ist", wieder sowohl bei der Bejahung wie bei der Verneinung. Das
Beispiel, mit dem „symmetros" 1017a3 5 von Alexander & Co statt des über-
lieferten „asymmetros" (vgl. Anm. 66) ist
Beachten wir den Unterschied zu (B): Gehört in (B), wie gesagt, in der Ant-
wort das Verneinungswort nicht zum Behauptungswort, so gehört es in (C)
dazu und bildet mit ihm ein Verwerfungszeichen, daher auch seine Stellung
am Satzanfang; der so Antwortende stellt [Die D. ist kommensurabel] als
falsch hin und nicht [Die D. ist nicht kommensurabel] als wahr. Diese Deu-
tung des Beispiels entspricht der Alexanders, wie sich in III.2 zeigen wird;
hier sei die damit konforme Darlegung Schweglers angeführt, mit der dieser
,,das Textverderbnis in he diametros asymmetros" berichtigt:
Und der Vollständigkeit halber nehmen wir für den letzten Fall, für den Ari-
stoteles kein Beispiel angibt, das von Ross (I 309):
LIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
In Metaph. L'.1. 7 wird das Seiende im Sinne des Wahren nur vorgestellt; seine
Diskussion kommt dann in E.4. Ihr Ergebnis hatten wir schon am Anfang
von Teil II (S. XXII), und wir brauchen nicht nochmals darauf zu sprechen
zu kommen. Für den gegenwärtigen Zweck, genauer, für die kommende
Erörterung von Thomas' und Brentanos Behandlung des Seienden im Sinne
des Wahren genügen diese seine Diskussion eröffnenden Zeilen in E.4:
Das im Sinne des Wahren Seiende (hös alethes on) und das Nichtseiende im
Sinne des Falschen (me on hös pseudos) beruht auf Verbindung und Trennung
(peri synthesin esti kai diairesin), beides zusammen auf der Einteilung des
kontradiktorischen Gegensatzes; denn das Wahre bezieht die Bejahung auf
das [in der Wirklichkeit] Zusammenliegende (to alethes ten kataphasin epi töi
synkeimenöi echei) und die Verneinung auf das [in der Wirklichkeit] Getrennte
(ten apophasin epi töi dieiremenöi), das Falsche aber hat das kontradiktorische
Gegenteil dieser Zuteilung (1027618.:_23).
Wir sehen eine Gemeinsamkeit mit der L'.1. 7-Stelle und einen Unterschied:
Wie hier in E.4 deckt auch in L'.1. 7 das on hös alethes sowohl Bejahungen (,,S
ist P") wie Verneinungen (,,S ist nicht P") ab; der Unterschied aber ist der,
daß in dieser E.4-Stelle auch die in L'.1. 7 unerwähnt gebliebene Quelle des
73 Man möchte gerne mutmaßen, daß Aristoteles selbst in der Ll.7-Stelle über das
on hös alethes tatsächlich vier Beispiele hatte, mit „symmetros" im dritten und im
vierten, wieder für die Diagonale, mit „ouk asymmetros", so daß die Stelle mit „ouk
asymmetros, hoti pseudos" endete, dann aber die Worte von „symmetros" bis inklu-
sive „ouk" vor „asymmetros" verloren gingen, so daß die Worte „asymmetros, hoti
pseudos" nach dem ersten „diametros'' zu stehen kamen, damit das dritte Beispiel
entfiel und das vierte zu der überlieferten Ärgerlichkeit verderbt wurde. Eine sol-
che Mutmaßung darf umso eher angestellt werden, als mit den Zeilen über das on
hös alethes ohnehin etwas passiert sein muß, denn weder gehören sie sachlich dort-
hin, wo sie stehen, nämlich zwischen das Seiende nach den Figuren der Kategorien
und das sachlich sich an dieses anschließende potenzial und aktual Seiende, noch
auch standen sie ursprünglich dort, denn aus 101762 geht doch klar genug hervor,
daß ursprünglich und in sachlicher Folgerichtigkeit vielmehr die Darstellung des
potenzial und aktual Seienden unmittelbar auf die des Seienden nach den Figuren
der Kategorien folgte.
EINLEITUNG LV
[a] Es bezeichnet „ist" (to esti), ,,sein" (to einai) und „seiend" (to on) das
Wahre (to alethes), aber „nicht zu sein" (to me einai) und „nichtseiend"
(to me on) das Falsche (pseudos). Denn wir sagen, daß das Wahre ist und
seiend ist, das Falsche aber nicht ist und nichtseiend ist,
[b] und das gleicherweise bei der Bejahung und bei der Verneinung (en kata-
phasei kai apophasei),
[c] und d. h. (toutestin) wenn etwas von etwas positiv (kataphatikös, ,,beja-
henderweise") oder negativ (apophatikös, ,,verneinenderweise") prädiziert
wird.
[d] Wer nämlich sagt, ,,Es ist Sokrates gebildet" (esti Sökrates mousikos),
behauptet, daß das Gesagte wahr ist, und verwendet dabei das „ist" in
Hinsicht auf das Wahre (epi tou alethous);
[e] Und wieder gleicherweise, wer sagt, ,,Es ist Sokrates nicht-weiß" (esti
Sökrates ou leukos), hierbei das „nicht-weiß" (to ou leukos) negativ
(apophatikös) prädizierend, behauptet als wahr (alethes legei), daß Sokrates
nicht-weiß ist (to einai me leukon Sökraten).
LVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
[f] Und so ist in der Bejahung (en tei kataphasei) das Wahre, das Falsche aber
in der Verneinung (en tei apophasei),
[g] wie z. B., wenn jemand sagt: nicht ist die Diagonale mit der Seite kom-
mensurabel (me einai ten diametron tei pleuräi symmetron). Denn das „die
Diagonale mit der Seite kommensurabel" dem „nicht ist" (töi me einai)
hinzufügend, behauptet er, daß es falsch ist [zu sagen], daß das ist;
[h] denn wer die Bejahung (kataphasis) behauptet, sagt, daß das „sein" wahr
ist, dagegen wer die Verneinung (apophasis) behauptet, hebt das „sein" als
falsch seiend auf.74
Hierin sind [a] und [b] beinahe wörtliche Wiedergaben, die Alexander
eigentümliche Wendung beginnt mit [c], womit [b] erläutert werden soll.
Man möchte denken, [b] sei in sich klar und keiner Erläuterung bedürf-
tig, doch nun in [c] wird erklärt, daß die Bejahung in [b] eine Bejahung mit
positivem Prädikatsterm und die Verneinung in [b] gar keine Verneinung sei,
sondern eine Bejahung mit negativem Prädikatsterm, und zu diesem Zweck
verwandelt Alexander Aristoteles' kataphasis, Bejahung, und apophasis, Ver-
neinung, in seine adverbialen Wendungen kataphatikös, apophatikös. Für [d],
den Fall (A) von vorher, hat das keine Auswirkung, wohl aber für [e], den
Fall (B), wo nun keine Verneinung mehr als wahr hingestellt ist, sondern wie
vorher im Fall (A) eine Bejahung, wenngleich in ihr apophatikös prädiziert
wird, will sagen: ein negativer Prädikatsterm prädiziert wird (,,nicht-weiß");
kurz, mit der Ersetzung von apophasis durch apophatikös hat Alexander die
Satznegation durch die Termnegation ersetzt. Also liegt nun in (A) eine kata-
phasis vor, in der auch kataphatikös, d. h. ein positiver Prädikatsterm prädi-
74 Al. in Met. 371.36-372.10 = Aristotelis Opera. Ex rec. I. Bekkeri. Ed. altera quam
cur. 0. Gigon, IV, Berlin: de Gruyter 1961: Scholia in Aristotelem eo!!. Ch. A.
Brandis [etc.], 70la5-18. Wie in Anm. 66 schon gesagt, ist für das „symmetron"
die Überlieferung des Alexander-Textes freilich nicht eindeutig. So bringt Bran-
dis im Scholion noch an beiden Stellen „asymmetron", ,,symmetron" in den kriti-
schen Apparat relegierend. Bonitz war es dann, der in seinen Observationes criticae
in Aristotelis libros Metaphysicos (s. Anm. 66) - so wie dann durch seine Edition
von Alexanders Metaphysik-Kommentar (Alexandri Aphrodisiensis commentarius in
libros Metaphysicos Aristotelis. Recensuit H. Bonitz, Berlin: Reimer 1847, 332.18 f.)
- der Lesart „symmetron" als der authentischen zum Durchbruch verhalf; seine
Bemerkung zu diesem Scholion im Additamentum der Observationes [... ], in dem
seine Emendationen zu den von Brandis gesammelten Scholien zusammengestellt
sind: ,,Legendum utroque loco cum codd. AM uuµ,µ,eTgov supra docuimus p. 90"
(ebda. 136), hat die Frage definitiv entschieden, und so setzte dann auch Hayduck
in der CAG-Edition, Al. in Met., umgekehrt zu Brandis „symmetron" in den Text
und verbannte er „asymmetron" in den Apparat.
EINLEITUNG LVII
ziert wird, und in (B) ebenfalls eine kataphasis, in der aber apophatikös, d. h.
ein negativer Prädikatsterm prädiziert wird: So kann Alexander in [f] die in
[h] nochmals bekräftigte These aufstellen,
worin im Kontrast zu [b] als durch [c]-[e] erklärt die apophasis nun wieder
die Satznegation ist; und wie er mit der Zusammenstellung Bejahung-Wahr
[d] und [e] d. h. (A) und (B) zusammenfaßt, exemplifiziert er die Zusam-
menstellung Verneinung-Falsch darauf mit [g], d. h. mit (C), auch hier, wie
danach in [h], mit der apophasis als Satznegation.
Man sieht sofort, daß Alexanders Behandlung von (C) in [g] nicht gleich-
artig ist mit der von (B) in [e]. In [g] macht er für (C) genau das, was erfor-
dert ist, damit (C) ein Beispiel für das Falsche ist und das Schwegler in der
oben in IIL 1 (S. LIII) angeführten Passage mit der Unterscheidung zwischen
Enthalten und Bezeichnen eigentlich gut herausgestellt hat; kurz und bün-
dig, mit dem „ist nicht" der - natürlich - wahren Behauptung „Es ist nicht
die D. kommensurabel" wird „Die D. ist kommensurabel" als falsch zurück-
gewiesen. Doch dieselbe Prozedur auch auf [e], den Fall (B), angewendet,
ergibt dann, daß mit der wahren Behauptung „Es ist Sokrates nicht weiß"
die Verneinung „Sokrates ist nicht weiß" als wahr anerkannt wird: Und so
entfällt bei einheitlicher Vorgangsweise jeder Grund dafür, die Verneinung
„Sokrates ist nicht weiß" in die Bejahung mit negativem Prädikatsterm
„Sokrates ist nicht-weiß" zu verkehren; Alexander übersah offenkundig, daß
mit dem akzentuierten „esti'' nicht nur eine Bejahung, sondern auch eine
Verneinung als wahr hingestellt werden kann, wie es eben in „esti Sökrates
ou leukos" der Fall ist. Die einzige sinnvolle Erklärung für seine Behandlung
dieses Satzes in [e] dürfte daher diese sein: Er unterschied nicht hinreichend
die Rolle des „esti'' in „esti Sökrates ou leukos" als Behauptungszeichen von
seiner Rolle als Kopula (in der allein das Verneinungswort „ou" dazu gehört),
so daß er sich gezwungen sah, Aristoteles' dictum, daß das ,,esti" das Wahr-
sein bezeichne, ausschließlich auf die Bejahung zu beziehen und infolgedes-
sen für dieses dictum das „gleicherweise bei der Bejahung und bei der Ver-
neinung, epi kataphaseös kai apophaseös" des Stagiriten als „gleicherweise bei
positivem und bei negativem Prädikatsterm" zu lesen.
Größen in der Aristotelesforschung des 19. Jahrhunderts wie Bonitz und
Schwegler folgten dem großen Kommentator der Antike nicht nur darin, in
LVIII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
L'.l.7 1017a35 „symmetros" statt „asymmetros" zu lesen, was eine gute Sache
war, sondern auch, weniger gut, in seiner Umdeutung von „esti Sökrates ou
leukos" in eine Bejahung mit negativem Prädikatsterm. Bonitz argumentiert
so: Weil Aristoteles' ,,epi kataphaseös kai apophaseös" die Wörter „katapha-
sis und apophasis sowohl auf to einai wie auf to me einai bezieht", sei hier
mit ihnen nicht der Unterschied von Bejahung und ihr kontradiktorisch
opponierter Satzverneinung gemeint, sondern das, ,,was aus der affirmativen
oder negativen Natur der Prädikate", ex praedicatorum natura ajfirmativa aut
negativa, sich ergibt, und daher werde
die Aussage: esti Sökrates ou leukos wegen des negativen Prädikats auf die apo-
phaseis zu beziehen sein, aber ihre bejahende Kopula hat die Kraft, diese Aus-
sage als wahr zu bejahen (copula autem a.ffirmativa eam habet vom, ut illam
enunciationem veram esse a.ffirmat) (Bonitz Comm. 242).
Hier ist der Fehler, zwischen den beiden Rollen der Kopula nicht hinrei-
chend zu unterscheiden, völlig deutlich. Ähnlich wie Bonitz sah es auch
Schwegler, der den Kern der L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes ganz im Sinne
von Alexanders [f]-These damit wiedergibt, es
bedeutet das Sein oder das Ist auch das Wahrsein einer Behauptung, das
Nicht-ist die Unwahrheit des Ausgesprochenen (Schwegler III 212),
Ferner bezeichnet das „Sein" und das „ist", daß es wahr ist, das Nichtsein aber,
daß es nicht wahr, sondern falsch ist, bei positiven sowohl, als negativen Aus-
sprüchen, wie z. B. Sokrates ist tonkundig, d. h. dies ist wahr, oder Sokrates ist
nicht-weiß, d. h. es ist wahr; dagegen die Diagonale ist nicht kommensurabel,
d. h. es ist falsch (MBS 39 f.);
worauf er zustimmend Alexanders [f] zitiert und hinzufügt, ,,so auch Schweg-
ler [... ]" (ebda.). Brentanos Wiedergabe der L'.1. 7-Stelle ist freilich mehr eine
Entstellung als eine um Genauigkeit bemühte Übersetzung. Die Wieder-
gabe von „kataphasis" und „apophasis" in „epi kataphaseös kai apophaseös"
mit „positive Aussprüche" und „negative Aussprüche" ist mindestens ebenso
sonderbar wie Alexanders Ersetzung dieser beiden Substantive durch die
Adverbien „kataphatikös" und „apophatikös", nur daß Alexander das in der
Interpretation tut, während Brentano bereits den Text selbst in seinem Sinn
verbiegt. Und dazu ignoriert er völlig die Wortstellung des Originals in den
drei Beispielen, die Position von „esti'' bzw. ,,ouk estin" am Satzanfang, damit
das „esti" in ihnen bereits durch seine Übersetzung auf sein Kopula-Sein
reduzierend; es wird sich zeigen, daß eine ganz bestimmte Absicht dahinter
steht.
Nunmehr ist der für Brentano wichtige Zug in Alexanders Kommentar
zur L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes hervorgetreten: die Konstruktion des
zweiten Beispiels in ihr als Bejahung, und damit einhergehend Alexanders
[f]-These. Doch warum das für Brentano so wichtig ist, ja eine conditio sine
qua non für das darstellt, was er in der Dissertation aus der L'.1. 7-Stelle über
das on hös alethes extrahiert, wird erst wirklich deutlich werden können,
nachdem ihre Kommentierung durch Thomas von Aquin in Betracht gezo-
gen worden ist.
hier seine Bestimmungen über das ens, das die Wahrheit der Aussage bezeich-
net (quod signiftcat veritatem propositionis) [ ... ]
Er sagt also, daß in einer Weise, in der vom ens gesprochen wird, es nichts
anderes bezeichnet als Wahrheit, denn wenn wir fragen, ob der Mensch ein
Tier ist, ist die Antwort, daß es ist (quod est), womit bezeichnet wird, daß
LX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
jene Aussage wahr ist. ( Cum enim interrogamus si homo est animal, respondetur
quod est; per quod significatur, propositionem praemissam esse verum). Und in
derselben Weise bezeichnet non ens [etwas] als Falsches (quasi falsum), denn
wenn die Antwort ist: Es ist nicht (Non est), so wird damit bezeichnet, daß die
vorgelegte Äußerung (oratio) falsch ist. Dieses ens aber, das [ens] quasi vernm
genannt wird, und das non ens, das [non ens] quasi falsum genannt wird, beruht
auf Verbindung (compositio) und Trennung (divisio) [... ] Und hier wird die
Bejahung Verbindung genannt, [... ] die Verneinung aber Trennung (Th. in
Met. VI, lect.4, 1223).
Und da das eben genannte ens und non ens, nämlich das Wahre und das
Falsche, auf Verbindung und Trennung beruht, beruhen sie daher auch auf
der Teilung des Widerspruchs, denn jeder Widerspruch trennt das Wahre und
das Falsche voneinander[ ... ] (ebda 1225).
Wenn daher zwei kontradiktorische Aussagen gebildet werden, ein Paar aus
Termen, die [in der Wirklichkeit, in rernm natura, 1225] verbunden sind,
wie „Der Mensch ist ein Tier", ,,Der Mensch ist kein Tier", und ein anderes
aus Termen, die [in der Wirklichkeit] getrennt sind, wie „Der Mensch ist ein
Esel", ,,Der Mensch ist kein Esel", so zerteilt jedes der beiden kontradikto-
rischen Paare in sich das Wahre und das Falsche [ ... ] Denn diese beiden Aus-
sagen, ,,Der Mensch ist ein Tier" und „Der Mensch ist kein Esel", sind wahr.
Aber das Falsche hat auf seiner Seite die Kontradiktorien dieser beiden Aus-
sagen, die auf die Seite des Wahren fallen, denn das Falsche hat auf seiner
Seite die Verneinung dessen, was [in der Wirklichkeit] verbunden ist und die
Bejahung dessen, was [in der Wirklichkeit] getrennt ist; denn diese beiden
Aussagen, ,,Der Mensch ist kein Tier" und „Der Mensch ist ein Esel", sind
falsch (ebda 1226).
Hier ist alles so, wie es zu erwarten ist. In völliger Klarheit macht Thomas
auf den mit der Satzfrage zusammenhängenden alethischen Gebrauch von
„sein" aufmerksam, und das daraus resultierende Seiende der Urteilsinhalte
nennt er geradewegs ens quasi verum, welches Seiende sowohl in der Bejahung
wie in der Verneinung auftritt (wie besonders in 1226 betont wird). Kurz,
diese Passage würde bestens als Kommentar zum dictum in Ll. 7 dienen, es
bezeichne „das ,Sein' und das ,ist', daß es wahr ist, dagegen das ,Nichtsein',
daß es nicht wahr sondern falsch ist, gleicherweise bei der Bejahung und bei
der Verneinung", von dem signifikanten Umstand abgesehen, daß Aristo-
teles in der Ll. 7-Stelle über das on hös alethes das „Verbinden und Trennen"
unerwähnt läßt und sich ausschließlich auf die Kopula bereits geformter
Aussagen in ihrer Rolle als Behauptungszeichen konzentriert; aber das war
ja auch schon ein Unterschied zwischen der Ll.7-Stelle und der E4-Stelle
(1027618-23), die Thomas hier kommentiert. - Gehen wir aber von da zu
EINLEITUNG LXI
seinem Kommentar zur LJ. 7-Stelle über das on hös alethes, so ändert sich das
Bild ganz drastisch: Darin sehen wir Thomas eine völlig andere Richtung
einschlagen.
D9ch bevor wir uns dem Kommentar selbst zuwenden, ist noch eine für
sein Verständnis relevante Bemerkung vorauszuschicken. Für Thomas ist ein
singulärer Existenzialsatz, wie „Sokrates ist", bereits ein vollständiger, aus
Subjekt und Prädikat geformter Satz, mit dem existenzialen „ist" als Prä-
dikat. Diese satzlogische Doktrin hängt mit seiner Lehre vom esse als actus
essendi zusammen, und darüberhinaus geht mit ihr eine Unterscheidung
bezüglich des esse einher, die der beim ens korrespondiert. In der einen Weise
verstanden ist esse der actus essendi, und das so verstandene esse kommt nur
denfirst-class beings zu, wie wir oben nach Kenny dazu gesagt haben (dem
kategorialen Seienden und natürlich auch dem überkategorialen Seienden
Gott). In der anderen Weise verstanden kommt esse allem zu, worüber eine
wahre Bejahung gebildet werden kann, also den second-class beings ebenso wie
den first-class beings: für X derartiges esse zu haben heißt also nichts anderes
als zum Seienden im Sinne des Existierenden zu gehören d. h. mögliches
Subjekt wahrer Bejahungen zu sein. 75 Dadurch wird die Form ,,X ist" zwei-
deutig: Ist X ein first-class being wie z. B. Sokrates, so kann dieses existenziale
„ist" in jeder der beiden Weisen genommen werden, denn Sokrates ist nicht
nur Subjekt wahrer Bejahungen, sondern hat auch esse im Sinne des actus
essendi; ist dagegen X z. B. die Privation Blindheit, die ein second-class being
ist und keinen actus essendi hat, so kann dieses „ist" nur als Ausdruck des-
sen genommen werden, daß sie Subjekt wahrer Bejahungen ist. Für beides
zusammen, für die Lehre, daß ein Satz der Form ,,X ist" bereits ein vollstän-
diger Satz sei, und für die Unterscheidung zweier Weisen des esse findet sich
eine konzise Formulierung in der folgenden Stelle in der Summa 7heologiae,
in der Thomas auf diesen Einwand gegen seine Identifikation von esse und
essentia bei Gott, daß wir Gottes essentia nicht erkennen können, wohl aber
sein esse, da wir ja wissen, daß ein Gott ist, damit antwortet:
Vom esse wird in zwei Weisen gesprochen. In der einen Weise bezeichnet es
den actus essendi, in der anderen bezeichnet es die Zusammensetzung der Aus-
sage (compositionem propositionis), die die Seele erzeugt, indem sie das Prädikat
mit dem Subjekt verbindet (coniungens praedicatum subiecto). Nach dem in
der ersten Weise verstandenen esse können wir das esse Gottes nicht erkennen,
75 Ein locus classicus für diese Unterscheidung der beiden Weisen des esse ist Quaest.
quodl. IX qu.2 art.2 co.
LXII MAURO .ANTONELLI UND WERNER SAUER
sowenig wie seine essentia, sondern nur nach der zweiten Weise; wir wissen
nämlich, daß diese Aussage, die wir über Gott bilden, wenn wir sagen, ,,Gott
ist" (Deus est), wahr ist (Summa Jh. Ia qu.3 art.4 ad 2).
Demnach ist also der Existenzialsatz „Gott ist" genauso ein kategorischer,
Prädikat mit Subjekt verbindender Satz wie etwa „Gott ist allmächtig", er
beruht also genauso wie dieser auf der compositio propositionis. Nun nennt
aber Thomas gewöhnlich die Kopula das Zeichen dieser compositio: deren
nota est hoc verbum est (Summa Th. Ia qu.48 art.2 ad 2). Doch diese nota
fehlt in dem Satz „Gott ist", es hat fast den Anschein, als würde in ihm
das „ist" beide Rollen zugleich spielen, die der Kopula in diesem explizit
unter die Verbindung des Prädikats mit dem Subjekt subsumierten Satzes
und zugleich die des mit dem Subjektsterm verbundenen Prädikatsterms.
Wie auch immer, auf jeden Fall aber ist manifest geworden, wie leicht es
Thomas fällt, vom kategorischen Subjekt/Prädikatsatz zum Existenzialsatz
überzuwechseln: 76 Und das wird sich auch in seinem Kommentar zur A.7-
Stelle über das on hös alethes zeigen, dem wir uns nun endlich zuwenden
können.
Wie den Kommentar Alexanders bringen wir auch den von Thomas voll-
ständig, ebenfalls in acht Schritte unterteilt. Nach der Behandlung des Sei-
enden nach den Figuren der Kategorien setzt Aristoteles hier, beginnt Tho-
mas,
[l] eine andere Weise des Seienden (alium modum entis), nach der esse und
est die Zusammensetzung der Aussage (compositionem propositionis) bezeich-
nen, die der Verstand durch Verbinden und Trennen (componens et dividens)
erzeugt (Th. in Met. V, lect.9, 895).
Thomas setzt also beim „esse"l„est" der compositio propositionis an, also bei
der Kopula. Doch davon ist, wie schon betont wurde, in der LI. 7-Stelle über
das on hös alethes keine Rede, womit sich bereits diese Differenz zu Aristoteles
ergibt: Der spricht in der Ll.7-Stelle zwar auch von der Kopula, aber gerade
nicht in ihrer Rolle als Kopula, sondern in der Rolle als Behauptungszeichen,
in der sie einen eigenen Behauptungsoperator, wie wir es genannt haben: ,,es
ist so, daß" o. ä., erübrigt. Kenny hat auf diesen Unterschied zwischen der
Ll.7-Stelle und Thomas' Kommentarpassage [1] aufmerksam gemacht:
76 Mit derselben Leichtigkeit geht dieser Übergang in der gerade in Anm. 75 genann-
ten Stelle vonstatten.
EINLEITUNG LXIII
Aristotle's point seems to be to draw attention to the use of the verb 'to be' to
affirm or deny a whole proposition, as opposed to linking predicate to subject
[... ] lt is not clear whether Aquinas understood Aristotle in this way. He says
that 'esse' in this sense signifies the composition of the proposition, which the
intellect creates by compounding and dividing. This is the formula he com-
monly uses to refer to 'esse' as the copula, not as an operator with a whole
sentence as its scope (Kenny 181).
So wird schon aus [l] ersichtlich, daß Thomas' ,,interest, in any case, is else-
where than Aristode's" (ebda., 182): Wie jedoch schon recht bald greifbar
werden wird, ist es auch nicht das kopulative sondern das existenziale „ist",
dem sein wirkliches Augenmerk gilt.
Nachdem also Thomas statuiert hat, das jetzt in Betrachtung stehende
Seiende hänge an dem „esse"l„est" der compositio propositionis, fährt er fort:
[2) Und daher [weil „esse" und „est" die compositio propositionis bezeichnen]
sagt er, daß esse die Wahrheit der Sache (veritatem rei) bezeichnet, oder wie es
eine andere Übersetzung besser hat: daß esse bezeichnet, daß irgendeine Äuße-
rung (dictum) wahr ist (a. a. 0.).
Das, was „eine andere Übersetzung besser hat", ist natürlich ganz wörtlich,
was Aristoteles zu Beginn ..d. 7-Stelle sagt (,,to einai bezeichnet, daß es wahr
ist"), während darin kein Wort über eine veritas rei, Wahrheit der Sache,
vorkommt. Die bessere Übersetzung, von der Thomas spricht, ist die Wort-
für-Wort-Wiedergabe in der Metaphysik-Übersetzung seines Ordensbruders
Wilhelm von Moerbeke: 77
Amplius esse et est significant quia verum, non esse autem quia non verum sed
falsum, similiter in affirmatione et negatione; ut quod ,est Socrates musicus: quia
hoc verum, aut quod, est Socrates non albus: quod verum; hoc autem 'non est dya-
meter incommensurabilis: quodfalsum.
[3] Daher kann die Wahrheit der Aussage (veritas propositionis) die Wahrheit
der Sache in der Weise der Ursache (veritas rei per causam) genannt werden,
denn aufgrund dessen, daß die Sache ist oder nicht ist (quod res est vel non est),
ist die Aussage (oratio) wahr oder falsch (a. a. 0.).
D. h., aufgrund dessen, was vorher gesagt wurde- nämlich daß „esse bezeich-
net, daß irgendein dictum wahr ist" -, kann die Wahrheit der Aussage „veri-
tas rei per causam" genannt werden (so daß die res ein verum per causam
genannt werden könnte), wofür Thomas diesen Grund angibt:
Aufgrund dessen, daß die Sache ist oder nicht ist (quod res est vel non est), ist
die Aussage wahr oder falsch (und nicht umgekehrt).
[4] Denn wenn wir sagen, daß etwas ist (aliquid esse), bezeichnen wir, daß die
Aussage wahr ist, und wenn wir sagen, daß es nicht ist (non esse), bezeichnen
wir, daß die Aussage falsch ist,
[5] und das sowohl beim Bejahen (in affirmando) wie beim Verneinen (in
negando). Beim Bejahen, wie wenn wir sagen, daß Sokrates gebildet ist (quod
Socrates est musicus78 ), daß das wahr ist (quia hoc verum est). Beim Verneinen
aber, wie: Sokrates ist nicht weiß (Socrates non est albus), daß das wahr ist,
d. h. daß er nicht weiß ist (ipsum esse non album). Und ähnlich sagen wir: Es
ist nicht die Diagonale inkommensurabel mit der Seite des Quadrats (non est
diameter incommensurabilis lateri quadrati), daß das falsch ist, d. h. daß sie
nicht nicht kommensurabel ist (non esse ipsum non commensurabilem) (ebda).
78 Der Text hat „albus" anstelle von „musicus"; aber das ist wohl nur ein Lapsus.
EINLEITUNG LXV
Die Wendung „wenn wir sagen, daß etwas ist, aliquid esse" in [4], für die es
in der L'.I. 7-Stelle nichts Entsprechendes gibt, knüpft direkt an [3] an und
bekräftigt nur, daß es jetzt um den Existenzialsatz geht.
In auffälligem Kontrast, ja weitgehender Beziehungslosigkeit zu [2]-[ 4]
steht dann [5], worin Thomas nicht mehr den Existenzialsatz aus den Wor-
ten des Stagiriten herauszuziehen sucht, sondern - nachdem bisher das ein-
zige direkt berücksichtigte L'.I. 7-Wort das in [2] wiedergegebene „to einai
bezeichnet, daß es wahr ist" war - nun dessen drei Beispiele, die keine Exis-
tenzialsätze sondern gewöhnliche Subjekt/Prädikat-Sätze sind, paraphra-
siert. Dabei entgeht ihm freilich der Sinn der in der Moerbeke-Übersetzung
beibehaltenen Wortstellung in ihnen, und dazu behindert ihn beim dritten
das das überlieferte „asymmetros" 1017a3 5 wiedergebende „incommensurabi-
lis"; so kommt eigentlich nicht mehr heraus als daß Bejahungen wie Vernei-
nungen einerseits wahr und andererseits falsch sein können: Es ist schwer zu
sehen, wie daraus eine eigene Weise des Seienden hervorgehen sollte.
Es ist aber [5] auch nur eine Art Parenthese, und im übrigen Teil des
Kommentars zur L'.I. 7-Stelle über das on hös alethes kehrt Thomas zu dem
zurück, wo sein eigentliches Interesse liegt: beim Existenzialsatz, und ver-
bunden damit, beim Ziel, jene Dichotomie des Seienden zwischen first-class
beings, dem kategorialen Seienden in L'.1.7, und second-class beings herauszu-
stellen, für die er sich schon in De Ente et Essentia auf L'.I. 7 berufen hatte.
Wie in dem Frühwerk nennt er auch jetzt die first-class beings Seiendes in der
ersten Weise, und kontrastiert er es mit den second-class beings als einem Sei-
enden in der zweiten Weise, das er aus der Ll.7-Stelle über das on hös alethes
herauszieht.
In diesem übrigen Teil des Kommentars knüpft Thomas zunächst an [3]
und an [1], in dieser Reihenfolge, an:
[6] Man muß aber wissen, daß diese zweite Weise [des Seienden] sich zur
ersten so verhält wie die Wirkung zur Ursache. Denn daraus, daß etwas in der
Wirklichkeit ist (quod aliquid in rentm natura est), folgt die Wahrheit oder
Falschheit in der Aussage, die der Verstand mit diesem Wort Est, genommen
als verbale Kopula (prout est verbalis copula), bezeichnet (a. a. 0., 896).
Das ist nur eine Rekapitulation von [3], in der er aber wie in [1] vorn kopu-
lativen „ist" als dem die zweite Weise des Seienden Manifestierenden spricht.
Es ist aber der Existenzialsatz, den Thomas dabei im Blick hat, beachte sein
,,quod aliquid in rerum natura est", worin das „aliquid in rerum natura est"
LXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
doch nur eine andere Formulierung für das „res est" von [3] ist: Aber die
Leichtigkeit, mit der Thomas vom kopulativen zum existenzialen „ist" wech-
selt, ist uns inzwischen wohlvertraut. Im Weiteren tritt auch ganz explizit
der Existenzialsatz in den Vordergrund und mit ihm die Dichotomie zweier
Weisen des ens und entsprechend auch des esse, wobei auch sein Standardbei-
spiel für ein Seiendes in der zweiten Weise uns wieder begegnet, die Blind-
heit:
[7] Aber da der Verstand auch solches, das in sich (in se) Nichtseiendes (non
ens) ist, als eine gewisse Art von Seiendem (quoddam ens) betrachtet, wie z. B.
die Negation und dergleichen, so wird bisweilen esse von etwas in dieser zwei-
ten Weise ausgesagt, aber nicht in der ersten. Denn es wird gesagt, daß in der
zweiten Weise die Blindheit ist (quod caecitas est), aufgrund dessen, daß die
Aussage, daß etwas blind ist (aliquid esse caecum), wahr ist. Aber es wird von
ihr [der Aussage] nicht gesagt, daß sie in der ersten Weise wahr sei (quod sit
prima modo vera): Denn die Blindheit hat nicht irgendein Sein (aliquod esse)
in den Sachen (in rebus), vielmehr ist sie die Privation des Seins von etwas
(alicuius esse) (ebda).
Nicht nur rückt Thomas hier endgültig den Existenzialsatz in den Vorder-'
grund, sondern mit ihm auch die Dichotomie von first-class beings und second
class beings. Blindheit in sich selbst betrachtet ist kein Seiendes und hat kein
esse in der Wirklichkeit (d. h. keinen actus essendi), indem sie vielmehr die
Absenz von etwas ist, was so etwas wäre, nämlich der Sehkraft von einem
Auge. Es kann aber diese Absenz der Sehkraft von einem Auge ihrerseits als
ein Seiendes betrachtet werden, insofern
eine wahre Aussage ist aus dem Grund, daß z. B. ,,Homer ist blind" eine
wahre Aussage ist. So hat die Blindheit esse in dem Sinn, daß über sie wahre
Aussagen geformt werden können - sie ist Seiendes im Sinne des Existie-
renden -, und nur wenn das „ist" von (a) als Ausdruck von solchem esse
genommen wird, ist (a) wahr. Wenn aber, beeilt sich Thomas hinzufügen,
das „ist" von (a) als Ausdruck des esse im Sinne des actus essendi verstanden
wird, so ist (a) falsch. 79
79 Es wäre günstig, diese beiden Rollen des existenzialen „ist" in der Schreibweise
zu unterscheiden, etwa für die, in der es als Ausdruck des actus essendi verstanden
wird, ,,Ist" zu schreiben, wonach dann das „ist" von (a) eindeutig und (a) einfach-
hin wahr, dagegen „Die Blindheit Ist" falsch wäre.
EINLEITUNG LXVII
Nachdem in [7] beim Existenzialsatz (a) der Punkt aufgetaucht ist, daß
das „ist" in ihm einmal als Zeichen für die erste Weise des esse genommen
werden kann, in welchem Fall (a) falsch ist, und zum anderen als Zeichen
für die zweite Weise des esse, in welchem Fall (a) wahr ist, beschließt Thomas
den Kommentar zur L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes mit einer Betrachtung
zu diesem Punkt. Was im Vergleich mit dem Schema, das er in Kapitel I
von De Ente et Essentia und an anderen Stellen aufgestellt hat, noch fehlt, ist
nämlich dies, daß die first-class beings, das esse im Sinne des actus essendi besit-
zende Seiende, auch esse in der zweiten Weise besitzt, denn natürlich ist auch
dieses Seiende etwas, worüber wahre Bejahungen gebildet werden können,
oder anders, das auf die ,,An est?"-Frage antwortet; das trägt Thomas zum
Beschluß seines Kommentars nach, und dabei schreibt er endlich auch einen
Existenzialsatz explizit an, damit am Ende endgültig außer Streit stellend,
worum es ihm die ganze Zeit schon zu tun war:
[8] Für jede Sache ist es aber eine zufällige Angelegenheit (accidit), daß über
sie etwas wahr bejaht wird, sei es im Verstand oder in der Sprache. Denn die
Sache wird nicht auf die Erkenntnis von ihr bezogen, sondern umgekehrt.
Das esse aber, das eine jede Sache in ihrer eigenen Natur hat, ist substanziell
(substantiale). Wenn wir also sagen, ,,Sokrates ist", und dabei dieses „ist" in
der ersten Weise nehmen, so gehört es zu den substanziellen Prädikaten (est
de praedicato substantiali); denn ens ist jedem einzelnen der entia übergeord-
net, so wie Tier im Verhältnis zu Mensch. Wenn es aber in der zweiten Weise
genommen wird, so gehört es zu den akzidenziellen Prädikaten (est de praedi-
cato accidentali) (ebda).
Während also Satz (a) nur dann wahr ist, wenn sein „ist" als Ausdruck von
esse in der zweiten Weise verstanden wird, ist
wahr in jeder der beiden Weisen von esse. Wird das „ist" von (b) als Ausdruck
von esse in der ersten Weise, im Sinne des actus essendi genommen, so ist es
von der Art eines substanziellen Prädikats, de praedicato substantiali: nicht so,
als wäre dieses esse Teil der essentia von Sokrates (was durch die esse! essentia-
Unterscheidung ausgeschlossen ist), sondern so, daß Sokrates durch dieses
esse ein aktual Seiendes, und via seine essentia, ein aktualer Mensch, somit
eine aktuale Substanz in rerum natura ist. Wird hingegen das „ist" von (b)
LXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
als Ausdruck von esse in der zweiten Weise genommen, so ist es nur von der
Art eines akzidentellen Prädikats, aus dem von Thomas angegebenen Grund.
Fassen wir zusammen. Im Unterschied zu seinem Kommentar über das
on hös alethes in E.4 befaßt sich Thomas in dem Kommentar über das on
hös alethes in .d 7 nicht mit dem alethischen, sondern mit dem existenzia-
len Gebrauch von „sein". So erwähnt er, anders als im E.4-Kommentar, im
LI. 7-Kommentar auch kein ens quasi verum; gewiß spricht auch Aristoteles
in der LI. 7-Stelle über das on hös alethes nicht wörtlich von diesem, aber das
ist doch mehr nur eine Zufälligkeit, denn dann in der Rekapitulation von
Ll.7 zu Beginn von E.2 wird das nachgeholt. Bei Thomas aber ist es wesent-
lich, weil er das alethische Sein auf den ganzen Urteilsinhalt bezieht, wäh-
rend der existenziale Gebrauch von „sein" in seiner Sicht das Prädikat eines
kategorischen Satzes zeitigt und primär in solchen Sätzen wie (a) und (b) zur
Gegebenheit kommt. Die allgemeine Absicht aber, die er im Kommentar zur
LI. 7-Stelle über das on hös alethes verfolgt, ist, um zu wiederholen, die, das
schon in Kapitel I von De Ente et Essentia mit Berufung auf LI. 7 aufgestellte
Schema der Einteilung des Seienden aus des Stagiriten eigenen Worten auch
zu extrahieren und damit die Berufung auf LI. 7 für das Schema zu vindizie-
ren.
So besteht keine wirkliche Einheit zwischen den Darlegungen des Aqui-
naten zur Ll.7-Stelle über das on hös alethes und über das on hös alethes in E.4
- es sei, denn, diese Prämisse wird hinzugefügt:
Der existenziale Gebrauch von „sein" in der Weise, in der allein „Die Blindheit
ist" wahr ist, ist im Grunde derselbe wie der alethische Gebrauch von „sein".
Und es ist diese Prämisse, die Brentano bei der Behandlung des Seienden im
Sinne des Wahren in seiner Dissertation bereitzustellen versuchte.
III.4. Brentano
Die Aufgabe, die sich Brentano in der Dissertation bei der Behandlung des
Seienden im Sinne des Wahren stellte, kann kurz und bündig so umrissen
werden: die Aristoteles-Kommentierung von Thomas, seines eigentlichen
Lehrers in dieser Zeit, vor dem Forum der zeitgenössischen Aristoteles-For-
schung ins Recht zu setzen, wofür von dieser her gesehen die divergierenden
Darlegungen des Aquinaten über dieses Seiende in seinen Kommentaren zu
Ll.7 und E.4 zu einer einheitlichen Konzeption des alethischen Seins und
damit des on hös alethes zusammenzuführen waren, was wieder von Thomas
EINLEITUNG LXIX
her gesehen eben die Subsumption des Seienden im Sinne des Existierenden
unter das on hös alethes verlangte; doch das alles ohne jede Berufung auf
Jhomas selbst, was in dieser Zeit in der Welt der Aristoteles-Forschung viel-
leicht nicht besonders geschätzt worden wäre (anders als Bezugnahmen auf
Alexander, Bonitz oder Schwegler).
Es wäre zu erwarten, daß jemand bei der Behandlung von Aristoteles'
on hös alethes mit .d. 7 beginnen und sich erst dann E.4 zuwenden würde.
Brentano aber beginnt mit E.4, was jetzt freilich nicht mehr überraschend
ist, denn der problematische Teil war es, Thomas' Kommentierung der .d. 7-
Stelle über das on hös alethes zu vindizieren.
So beginnt Brentano seine Diskussion des Seienden im Sinne des Wahren
damit, daß sich Aristoteles in E.4
mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig läßt, dahin ausspricht, daß
das on hös alethes und das me on hös pseudos sich nur im Urteile, sei es nun ein
bejahendes oder verneinendes, vorfinde (MBS 39).
Und nach Anführung der oben gegen Ende von III. l (S. LIV) angeführten
Stelle E.4 1027618-23 kommentiert er diese so:
Offenbar wird hier das Urteil wahr und falsch, also auch seiend und nichtsei-
end genannt, das Urteil selbst ist das Subjekt, dem das Seiende als Prädikat
zukommt. Nicht die Kopula, die in dem Satze selbst Subjekt und Prädikat
verbindet, ist darum das Sein, von dem hier gesprochen wird, zumal da auch
ein verneinendes Urteil seiend, ein bejahendes nichtseiend genannt wird, viel-
mehr handelt es sich hier von einem Seienden, das von dem ganzen, fertig
ausgesprochenen Urteile prädiziert wird (ebda).
Das ist klar und durchsichtig; setzen wir stillschweigend Urteil mit Urteils-
inhalt gleich, so ist das nichts anderes, als was sich schon am Anfang von
der Satzfrage und dem alethischen Gebrauch von „esti" her zeigte. Auch der
Fragezugang fehlt schon beim frühen Brentano nicht; er stellt ihn ganz klar
heraus in dem, womit er fortfahrt:
Ein Beispiel mag dies [daß es sich hier um ein Seiendes handelt, das von dem
ganzen Urteil prädiziert wird] deutlich machen. Nehmen wir an, es wolle
Jemand einem Andern beweisen, daß das Dreieck als Winkelsumme 2 R habe,
und er fordere als Ausgangspunkt des Beweises das Zugeständnis, daß der
Außenwinkel gleich den beiden gegenüberliegenden innern Winkel sei [Eukl.
EI. I Prop. XXXII]. Es fragt sich also, ist dies, oder ist dies nicht? d. h. ist es
LXX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
wahr, oder ist es falsch? - Es ist! d. h. es ist wahr. In diesem Sinne stellen die
Analytica posteriora [in I.1] die Forderung, daß man das hoti esti der Grund-
sätze einer Wissenschaft vorher erkannt haben müsse (ebda).
Dem ist weiter nichts hinzuzufügen, außer daß vielleicht daran zu erinnern
wäre, daß das auch mit dem ganz konform ist, was wir im Thomas-Kom-
mentar zu E.4 gefunden haben.
Mit den Worten: ,,Vergleichen wir nun mit dieser Stelle" -die E.4-Stelle-
,,eine andere, aus dem fünften Buche der Metaphysik" (ebda), leitet Bren-
tano zum problematischen Teil über, der Erörterung der Ll.7-Stelle über das
on hös alethes. Darauf bringt er die Stelle in der ziemlich freien Übersetzung,
die in IIl.2 (S. LVIII) schon angeführt wurde und in der er Alexander darin
folgt, daß er das zweite Beispiel in der LI. 7-Stelle als Bejahung mit negativem
Prädikatsterm deutet und auf dieser Basis dessen Zusammenstellungen Beja-
hung-Wahr und Verneinung-Falsch übernimmt sowie außerdem auch der
Wortstellung in den Beispielen keine Beachtung schenkt (wie Thomas, wie
inzwischen zu sehen war). So sieht er die Kopula nicht in ihrer Rolle als ein
sich auf den ganzen Satz erstreckendes Behauptungszeichen, sondern bloß
in der Rolle als Kopula als das an, worum es in der LI. 7-Stelle gehe; und das
führt ihn dazu, einen signifikanten Unterschied im Verhältnis zur Behand-
lung des on hös alethes in E.4 zu sehen: Wir bemerken, kommentiert er,
zwischen den beiden Stellen eine Differenz, die nicht ohne Interesse ist. In
der ersten war das „ist" wie eine Prädikatsbestimmung des Urteils gebraucht,
das als wahr bezeichnet wurde; dieses nahm seinerseits die Stelle des Subjekts
ein: (das Urteil) a ist b, ist (wahr). Hier in der zweiten dagegen macht das
„ist" einen Bestandteil des als wahr behaupteten Satzes selbst aus, indem es als
Kopula Subjekt und Prädikat verbindet: a ist b. Wenn dort das „ist" ein vor-
gelegtes Urteil als mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung erklärte, so kon-
stituiert es hier selbst das Urteil. Wenn dort wahr und falsch sowohl von der
affirmativen als negativen Behauptung prädiziert wurde, so ist hier das „wahr"
auf Seite der Affirmation (wenn sie auch bald eine positive, bald eine negative
Bestimmung beilegt), das „falsch" immer auf der der Negation (MBS 40),
worauf er Alexanders [f] als Bestätigungsinstanz anführt und auf die Über-
einstimmung mit Schwegler hinweist. Und damit, daß es in der LI. 7-Stelle
die Kopula der wahren Bejahung sei, wodurch sich das alethische Sein aus-
drücke, sieht sich Brentano im Besitz der Basis, um das Subjekt der wahren
Bejahung unter das on hös alethes subsumieren zu können.
EINLEITUNG LXXI
.sicher, daß das „sein" der Kopula nicht eine Energie des Seins, ein reales Attri-
but bez~ichnet, da wir ja auch von Negationen und Privationen, von rein fin-
gierten Relationen und andern ganz willkürlichen Gedankengebilden nichts-
destoweniger etwas affirmativ aussagen (MBS 41),
[wie u. a.] wenn wir sagen: ,,die Zentauren sind fabelhafte Ungetüme, Jupiter
ist ein Abgott" u. dgl. Denn daß wir mit allen diesen Affirmationen keinerlei
Realität zuerkennen, leuchtet wohl ein. Das „ist" bezeichnet also auch hier nur
,,es ist wahr" (ebda).
In den Worten „das „Sein" der Kopula etc." bringt Brentano genau die uns
von Thomas her vertraute Unterscheidung der beiden Weisen des esse, und
,,Energie des Seins" ist nur eine Übersetzung von „actus essendi" (actus = ener-
geia), doch statt Thomas tritt Alexander auf den Plan: Brentano zitiert aus
dessen [h] ,,wer die Bejahung etc.", um daran das anzuknüpfen:
So ist also das Sein der Kopula auch nichts anderes als jenes [in E.4 auftre-
tende] einai hös alethes, und die zuerst angeführte Stelle (E, 4) will dies, wenn
sie es weniger klar einschließt, gewiß auch nicht ausschließen (MBS 42).
Hieraus ergibt sich aber sofort ein erweiterter Umfang für das on hös alethes,
indem nun nicht mehr [wie in E.4] Urteile allein dazu gehören, sondern auch
die Begriffe in sein Bereich gezogen werden, insofern eine affirmative Behaup-
tung über sie gebildet, und dadurch das Sein der Kopula ihnen beigelegt wer-
den kann; sogar das Nichtseiende ist, weil es ein Nichtseiendes ist, [... ] ein on
hös alethes, und überhaupt wird jegliches Gedankending, d. h. Alles, insofern
es objektiv in unserem Geiste existierend Subjekt einer wahren, affirmativen
Behauptung werden kann, dazu gehören. Nichts, was wir in unserem Geiste
bilden, ist so von aller Realität entblößt, daß es ganz von dem Gebiete des on
hös alethes ausgeschlossen wäre, was Aristoteles auch bezeugt, wenn er Metaph.
L:I, 12. p.1019, b, 6. sagt: ,,Auch die Privation (steresis) ist gewissermaßen eine
Eigenschaft (hexis [Besitz, Oppositum von Privation]) [... ]" (ebda).
LXXII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
In einem Wort: Was Subjekt einer wahren Bejahung sein kann, ist ein on hös
alethes, das also mit dem Seienden im Sinne des Existierenden zusammen-
fällt. Hier sieht man nun endlich auch in voller Klarheit, warum Alexanders
[f]-These für Brentano eine conditio sine qua non war, denn ohne sie hätte
er das Seiende im Sinne des Existierenden als das, was Subjekt einer wahren
Bejahung sein kann, unmöglich unter das on hös alethes bringen können.
Und damit ist Brentano bei dem Schema angelangt, das er später dann
bis zum Ende seiner vorreistischen Phase auch im eigenen Namen vertreten
wird. Auch als Beispiele zur Illustration dessen, was nur ein on hös alethes ist,
bringt er jetzt schon wie dann später wieder Gedankendinge, denn der Jupi-
ter, der ein Abgott ist, ist der gedachte (durch Abgötterei fingierte) Jupiter als
solcher, desgleichen ein Kentaur, der ein Fabelungetüm ist, ist ein gedachter
(als Ungetüm erfabelter) Kentaur als solcher. Es kann nun auch die in II. l
(XXVII) erwähnte Subsumierung der sogenannten Prädikabilien unter das
on hös alethes keine Verständnisprobleme mehr bereiten, ebenso wenig diese
Stelle:
Die Definition als Definition, das Genus als Genus u. s. f., wie überhaupt das
Universale als solches, existieren nicht außer dem abstrahierenden Verstande,
und so existiert auch das zöion pezon dipoun als Definition nicht in den Din-
gen, als solche ist es zweite Intention und bloßes on hös alethes wie jedes andere
auch (MBS 116):
Denn all das ist Subjekt wahrer Bejahungen, aber natürlich ohne eigene
,,Energie des Seins", unverschleiert und auf die Quelle verweisend gespro-
chen: ohne actus essendi.
Die Position, die Brentano in seinem Bestreben erreicht hat, Thomas'
Kommentierung der LI. ?-Stelle über das on hös alethes zu rechtfertigen, ist
freilich eine sehr labile. Das on hös alethes ist, indem nun alles, was „Sub-
jekt einer wahren, affirmativen Behauptung werden kann", ein solches ist,
zum Seienden im Sinne des Existierenden geworden. So wäre es folgerichtig
gewesen, das alethische Sein an den Existenzialsatz zu knüpfen. Zwar hatte
Thomas in seinem Kommentar zur ..d. ?-Stelle den Existenzialsatz im Blick.
Aber in diesem Punkt konnte Brentano dem Aquinaten nicht gut folgen.
Weil die Beispiele des Stagiriten nun einmal kategorische Sätze sind, stand
er vor einem unüberwindlichen Hindernis, mit Thomas den Schritt zum
Existenzialsatz zu tun und dann, um das von Thomas in seinem Kommen-
tar zur L'.1. ?-Stelle nicht angesprochene alethische Sein ins Bild zu bringen,
EINLEITUNG LXXIII
dieses Sein an das in dem Sinn, in dem auch „Die Blindheit ist" wahr ist,
genommene existenziale „ist" zu knüpfen: Und so konnte er nicht anders,
als die Kopula als den Ort des alethischen Seins zu bestimmen, dieses zum
Sein der Kopula" zu erklären. Dadurch aber war Brentano auf eine Position
festgelegt, in der die Kopula der wahren Bejahung
innerhalb des Satzes selbst zwei Funktionen hat: einerseits die, den Prädikats-
mit dem Subjektsterm zu verknüpfen und solcherart Sokrates die Bildung,
und andererseits allein und für sich genommen ihm das alethische Sein, ver-
möge dessen er ein on hös alethes ist, zuzusprechen. Es liegt auf der Hand,
daß diese Sonderlichkeit bei Beibehaltung der Verknüpfung des „ist" von „S
ist P" mit dem alethischen Sein nach einer Lösung ruft, die dieses „ist" im
Satz in eine Position rückt, in der es allein und für sich (ohne angehängten
Prädikatsterm) steht und so rein zum Zeichen des alethischen Seins werden
kann: Das aber ist die Position des existenzialen „ist", und so gesehen wird
schließlich der kategorische Satz in den Existenzialsatz
zu verwandeln sein.
Der Existenzialsatz liegt aber auch in Brentanos Dissertation selbst schon auf
der Lauer. Bei Brentanos Nähe zu Thomas wäre es nur verwunderlich, würde
sich dessen Konzentration auf den Existenzialsatz in der Kommentierung der
L'.1.7-Stelle über das on hös alethes nicht auch in Brentanos eigener Kommen-
tierung reflektieren. Und ganz offensichtlich ist das so an dieser Stelle, an der
er - nachdem er schon vorher gesagt hat, ,,daß das ,sein' der Kopula nicht eine
Energie des Seins, ein reales Attribut bezeichnet" (MBS 41) - nochmals und
abschließend die Grenze zwischen dem alethischen Sein und der jetzt „wirk-
liches Sein" genannten „Energie des Seins" zieht: Das alethische Sein
wird immer mit dem wirklichen Sein homonym denselben Namen führen,
auch dann, wenn das Sein in dem Sinne des Wahren, das Sein der Kopula mit
Dingen verbunden wird, welchen wohl auch die wirkliche Existenz außerhalb
des Geistes nicht fehlt; es wird dann immer von dem ihnen essentiellen Sein,
als etwas Akzidentelles, unterschieden werden müssen, da es, wie wir schon
hörten, einem jeden Dinge akzidentell ist, wenn in Wahrheit etwas von ihm
behauptet wird (MBS 42 f.).
LXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Zunächst einmal belegt diese Stelle nur wieder und ganz eindringlich, wie
sehr der ungenannte Thomas hinter Brentanos Kommentierung der L'.l. 7-
Stelle über das on hös alethes steht, denn sie ist im wesentlichen nur eine Para-
phrase des Schluß teils von Thomas' Kommentar, Stelle [8]. Nun spricht aber
Thomas an der Stelle explizit vom Existenzialsatz: Und wollen wir uns auf die
Brentano-Stelle einen Reim machen, so werden wir auch sie so lesen müssen,
daß (um Thomas' Beispiel zu nehmen) in dem Satz „Sokrates ist" mit dem
„ist" zwei verschiedene Dinge gemeint sein können: einmal das „wirkliche
Sein" des Sokrates, seine „wirkliche Existenz außerhalb des Geistes", sein
„essentielles Sein" - Thomas in [8]: das esse, ,,das eine jede Sache in ihrer
eigenen Natur hat" und daher substantiale ist -, und zum anderen das ihn
zu einem on hös alethes machende alethische Sein, das so gesehen eben auch
kein „Sein der Kopula" mehr wäre, sondern von dem „ist" in dem Verstande
ausgedrückt würde, in dem „Sokrates ist" und „Die Blindheit ist" gleicher-
maßen wahr sind.
Am direktesten aber schiebt sich der Existenzialsatz ins Bild, wenn wir
jene beiden Beispiele Brentanos für Sätze, deren Subjekt, weil Gedanken-
ding, bloß ein on hös alethes ist, in Betracht ziehen:
In dem einen Fall ist das eigentliche, Gedankending seiende Subjekt das:
erfabeltes Kentaurenungetüm, im anderen das: der durch Abgötterei fin-
gierte Jupiter; und so können die beiden Sätze von vornherein ohnehin über-
haupt nur als Existenzialsätze verstanden werden:
Aber damit sind wir eigentlich bereits bei der Psychologie vom empirischen
Standpunkt von 1874, worin Brentano explizit diesen Weg einschlägt, um
seine neue und für die damalige Logik revolutionäre Lehre von der Reduktion
aller Urteilsformen auf die Form des Existenzialurteils gegen solche schein-
bare Gegeninstanzen, als welche sich „Kentauren sind fabelhafte Ungetüme"
und dgl. prima facie gebärden, zu verteidigen. Der damals einflußreiche Mill
hatte die generelle Rückführbarkeit der Sätze der „5 ist P"-Form aufExisten-
zialsätze mit folgendem Beispiel verneint: Daß der Gebrauch
EINLEITUNG LXXV
of the word is ... as a copula does not necessarily indude the affirmation of
existence, appears from such a proposition as this, A centaur is a fiction of the
poets; where it cannot possibly be implied that a centaur exists, since the pro-
position itself expressly asserts that the thing has no real existence (A System
· ofLogic I.iv.l).
„Es dürfre", schrieb ich, ,,nicht undienlich sein, wenn ich die Möglichkeit
einer solchen Reduktion [auf die Existenzialsatzform] speziell an einem Satze
zeige, welchen Sie in Ihrer Logik sozusagen als ein Beispiel, an dem das Gegen-
teil ersichtlich sei, anführen. Der Satz ,ein Zentaur ist eine Erfindung der Poe-
ten' verlangt, wie Sie mit Recht bemerken, nicht, daß ein Zentaur existiere,
vielmehr das Gegenteil. Allein er verlangt, um wahr zu sein, wenigstens, daß
etwas anderes existiere, nämlich eine Fiktion der Poeten [... ] [W]enn es kei-
nen von den Poeten fingierten Zentauren gäbe, so wäre der Satz falsch; und
seine Bedeutung ist tatsächlich keine andere als die, [... ] ,es gibt einen von den
Poeten fingierten Zentauren' [... ]" (PeS 239).
Und so sehen wir, daß und wie Brentanos Auslegung der LI. 7-Stelle über
das on hös alethes in der Dissertation auf seine spätere Urteils- und Satzlehre
hinausdrängt. Vergegenwärtigen wir uns am Ende zusammenfassend kurz
die Hauptpunkte:
1. Brentano wollte Thomas' Auslegung der LI. 7-Stelle über das on hos alethes
vindizieren, deren Interesse aber nicht dem alethischen „ist" von „so ist
es" gilt, sondern dem Existenzialsatz und dem existenzialen „ist".
2. Nun mußte diese Auslegung der Ll.7-Stelle mit dem on hos alethes und
dem alethischen Sein des „ist" von „so ist es" in E.4 auf einen Nenner
gebracht werden: Doch der Existenzialsatz mußte ausgeblendet bleiben,
weil er in der LI. 7-Stelle ja nicht vorkommt; die Beispiele darin sind ja „Es
ist Sokrates gebildet", ,,Es ist Sokrates nicht weiß", ,,Nicht ist die Diago-
nale kommensurabel".
3. So blieb nur übrig, das alethische „ist" von „so ist es" dem kopulativen
„ist", der Kopula in der Bejahungsform „S ist P" gleichzusetzen, so daß
auch das kopulative „ist" das alethische Sein, nun als „Sein der Kopula",
zum Ausdruck bringen konnte; doch da in der LI. 7-Stelle auch das zweite
Beispiel mit Wahrsein verbunden ist, mußte dieses betreffend wieder
LXXVI MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
daran sichtbar wird, daß er in H2 1043a28 mit Bekker ÖTI evee7e1a 80 liest
(S. 61 Anm. 51), welcher Lesart weder Bonitz noch Schwegler zustimmen
und die in Bonitz' Edition (sodann auch in den post-Bonitzschen Standard-
editionen von Christ, Ross und Jaeger) der Lesart xa,1 evee7e1a, des Ps.-Ale-
xander (Al. in Met. 551.7) Platz gemacht hat; 81 nur in einzelnen Fällen geht
er, sich explizit auf sie berufend, zugunsten von Bonitz oder Schwegler vom
Bekker-Text ab (so eben auch in der in Teil III aufgetretenen a,(J"uµ,µ,eTeo;I
O'V/J,IJ,eTeo;-Frage .L'.1.7 1017a35, in der übrigens wie Ross auch Christ und
Jaeger Bonitz folgen). Auch für das Organon stand Brentano eine jüngere
große Edition zur Verfügung, die zweibändige kommentierte von Theodor
Waitz. 82 Er verweist einmal auf sie, allerdings auf ihren Kommentar und
in einem nicht den Text betreffenden Punkt (S. 77 Anm. 21); doch steht
gewiß der freilich ungenannte Waitz auch hinter den beiden Abweichungen
vom Bekker-Text in dem Zitat aus Cat. cp.3 S. 120 Anm. 167, und noch an
zwei anderen Stellen (S. 150 Anm. 264, S. 159 Anm. 286) macht sich die
Edition von Waitz bemerkbar. - So wurden denn die Aristoteles-Zitate nach
der Bekker-Edition durchgesehen und korrigiert, doch abgesehen von den
eben angesprochenen wird auch in ein paar weiteren Fällen dem Bekker-Text
nicht gefolgt werden, was am jeweiligen Ort angemerkt werden wird.
Sowohl in den Aristoteles-Zitaten wie im Text durchgehend ersetzt wurde
das Interrogativum ,;rrou", das früher in indefinitem Gebrauch zur Bezeich-
nung der Ortskategorie diente, 83 in dieser Funktion (also nicht etwa in der
80 In diesem Schlußteil der Einleitung erschien es nicht mehr tunlich, beim Usus der
Umschrift zu bleiben.
81 Bonitz' Edition: Aristotelis Metaphysica. Recognovit et ennaravit H. Bonitz, Bonn:
Marcus 1848. Schwegler bringt zwar im Text noch das in den Handschriften über-
lieferte ÖT1 eve(27s1a,, fordert aber im Kommentar z. St. (IV 141) eine Emendation,
wofür er eine Möglichkeit im xai evee7s1a, des Ps.-Alexander sieht. (Für einen
weiteren Belegs. S. 51, Anm. 24 und 26). Ein ähnlicher, allerdings nur in bezug
auf Bonitz aussagekräftiger Fall ist der, daß Brentano in E2 1026613 mit Bekker
ovoµ,aTt liest (S. 24 Anm. 28 u. ö.), was Bonitz, auch hier dem Ps.-Alexander fol-
gend (Al. in Met. 448.36), durch die Lesart Övoµ,a Tt ersetzt hat. - Der Christ-
Text (1886) ist bequem zugänglich in der zweisprachigen Metaphysik-Ausgabe von
Horst Seid!: Aristoteles' Metaphysik. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann
Bonitz. Mit Ein!. u. Kommentar hrsg. von Horst Seid!. Griech. Text in der Edition
von Wilhelm Christ, 2 Bde, Hamburg: Meiner, I 3 1989, II 3 1991. Der Jaeger-Text:
Aristotelis Metaphysica. Recognovit [... ] W Jaeger, Oxford: Oxford UP 1957.
82 Aristotelis Organon Graece. Ed. Th. Waitz, Leipzig: Hahn 1844/46.
83 So führt denn auch Karl Kalbfleisch im Index Verborum seiner Edition von Sim-
plikios' Kategorienkommentar (Simplicii in Aristotelis Categorias commentarium,
LXXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Wendung „die Frage nou;", S. 157 Z. 15) durch das in neueren Ausgaben
Aristotelischer Werke hierfür ausschließlich verwendete Indefinitum „nou".
An sich wäre es natürlich angegangen, ,,nou" als das Kategoriewort stehen zu
lassen: Aber da Brentano selbst ganz uneinheitlich dafür zwar mehrheitlich
,,nou", dann aber auch wieder „nou" schreibt (so im ersten der beiden Dia-
gramme in Kap. V§ 13 „nou", im zweiten „nou"), war ohnehin eine Regle-
mentierung nötig, die in heutiger Sicht nur zugunsten von „nou" ausfallen
konnte. (Ausgenommen von dieser Reglementierung blieben die griechi-
schen Kommentatoren, weil die auch heute noch maßgeblichen Editionen
noch „nou" für die Ortskategorie haben).
Um eigene Einfügungen in Aristoteles-Zitaten kenntlich zu machen,
verwendet Brentano zumeist eckige Klammern, daneben aber auch runde:
Diese wurden durch ecldge Klammern ersetzt, so daß bei runden Klammern
in einem Aristoteles-Zitat kein Zweifel mehr besteht, daß das Eingeklam-
merte nicht eine Einfügung Brentanos ist; daher wurden auch, um keine
Zweideutigkeit entstehen zu lassen, an einer Stelle, Metaph. L'.1.12 1020al,
die eckigen Klammern um ein Wort im Bekker-Text getilgt: s. die Bemer-
kung z. St. S. 52 Anm. 31.
An einer der von Brentano zitierten Metaphysik-Stellen wurde eine Kür-
zung und an einer anderen eine Erweiterung vorgenommen. Der erste Fall:
Die Stelle E.l 102563-10 S. 13 Anm. 6 hat bei Brentano am Ende, nach
,,aM' OU%11Te(21 ()))TO~ anAw~ ou'ae ri ol/", noch,, ... ou3-el/a AO')-'Ol/ 1TOIOUl/Tat".
Doch im Metaphysik-Text gehen diese Worte nicht auf das ol/ anAw~ bzw.
ri Öl/ von vorher, sondern haben sie einen eigenen, von Brentano aber mit
der Leerstelle ,, ... " gerade ausgelassenen Bezug, nämlich auf „Tl e<TTtl/"
(ou'ae TOU Tl SITTll/ ou3-el/a Ao,YOl/ 1TOIOUl/Tal 610). Brentano will offenbar
die vorangehende Aussage, daß die Einzelwissenschaften 1rse1 ,yel/o~ Tl, von
einer bestimmten Gattung des Seienden nea,yµ,aTeUOl/Tat aber nicht vom ol/
anAw~ bzw. ri Öl/, dahin verstärken, daß sie über dieses keine Sätze aufstellen
bzw. von ihm keine Rechenschaft geben: Aber da das eine völlig überflüssige
Zutat ist - wovon eine Wissenschaft nicht handelt, darüber stellt sie selbst-
redend auch keine Sätze auf -, und außerdem auch noch eine ziemliche
Gewaltsamkeit, schien es am besten,,, ... ou3-el/a AO')-'Ol/ 1TOIOUl/Tat" zu tilgen.
Der andere Fall: Die S. 23 Anm. 21 zitierte Stelle war um „TWl/ ,yae xaTa
CAG VIII. Ed. C. Kalbfleisch, Berlin: Reimer 1907, 522) separat vom ,;rroü
interrog." ein „noü indef." an (das auch, der Natur des Werkes entsprechend, eine
ungleich größere Anzahl an Einträgen hat).
EINLEITUNG LXXIX
(TU{l,ßeß'YJXO; O))TW)) ,rj '}WO{l,8))W)) xa,1 TO atT/0)) SO"'T/ xaTa O"'Ufl,ßeß'YJXO;" E.2
1027a7 f. zu erweitern, weil dieser Satz in die Übersetzung der Stelle im Text
einbezogen ist.
Im Großen und Ganzen sind Brentanos Aristoteles-Zitate sowie seine
Stellenangaben genau, so daß in den meisten Fällen die stillschweigend vor-
genommenen Korrekturen geringfügiger Natur waren. Wirklich schlimm
stand es in dieser Hinsicht nur mit seinem summarischen Verweis auf Physik
III gegen Ende von Kap. IV (S. 70, Anm. 71 und 73); wir hoffen, daß unsere
Ergänzungen an der Stelle nicht unnütz sind.
Eine Wendung, bei der Brentano anscheinend den Eindruck erwecken
will, daß sie von Aristoteles selbst stamme, kommt so beim Stagiriten
a. a. 0. nicht vor: S. 122 z. 12, ,,esw T/ii; <Sravofa;" mit Verweis auf Metaph.
E.4 1027631 (auch die Stelle K8 1065a24, auf die wir dort als eine bessere
Stelle verweisen, enthält die Wendung nicht wirklich wörtlich).
Zwei Stellenangaben wurden als Fehlverweise getilgt: S. 144 Anm. 245
„Top. I, 9. p. 103, b, 20", denn die Anm. führt Stellen an, an denen in der
Aufi:äl1lung von Kategorien das 1ro16v dem 1roO"'OV vorangeht, während es
in Top. 1.9 gerade umgekehrt ist; und S. 168 Anm. 296, ,,Vergl. Top. I, 9.
p. 103, b, 35.", weil diese Stelle nichts hergibt für das, wofür sie ein Beleg
sein soll, nämlich daß Aristoteles die Beispiele für die Kategorien vorzugs-
weise in konkreter Form (z. B., Aeuxov und nicht AeUXOT'Y}q) gibt.
Die griechischen Kommentatoren zitiert Brentano zumeist nach den von
Brandis zusammengestellten Scholien im Band IV der Bekker-Edition (s.
Anm. 74), manchmal auch nach älteren Drucken. Das Meiste von dem,
worauf er bei ihnen Bezug nimmt, ist auch im Corpus der Commentaria
in Aristotelem Graeca (CAG) enthalten; dafür wurden, unter dankbarer
Benutzung des den Brandis-Scholien vorausgeschickten Stellenvergleichs
von Gigon, die CAG-Stellen angegeben (doch ohne Anpassung an CAG bei
Textdivergenzen84 ). Zu berücksichtigen ist aber, daß in CAG die Autorschaft
bei einigen Kommentaren, auf die Brentano (via die daraus von Brandis
exzerpierten Scholien) Bezug nimmt, gegenüber Brandis sich geändert hat:
Die Scholien zur Kategorienschrift, die Brandis dem Ammonios zugeschrie-
ben hatte, gehören in CAG nach dem Herausgeber Adolf Busse zum Kate-
gorienkommentar des Philoponos:
84 So gleich bei Brentanos erstem Zitat aus einem der griechischen Kommentatoren,
nämlich aus Alexanders Metaphysik-Kommentar S. 29 Anm. 2, wo in die kor-
rekt nach Brandis wiedergebene Wendung ,,,;; oÜTwq äxov cpavat" nicht nach der
Hayduck-Edition Al. in Met. nach,;; ein TO eingefügt wurde.
LXXX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Auf diese Weise wird das Auffinden der betreffenden Stellen in CAG - und
damit auch in Übersetzungen in dem von Richard Sorabji herausgegebenen
großen Übersetzungswerk, der Reihe Ancient Commentators on Aristotle
(ACA) - problemlos sein. (Die ACA-Bände weisen am Seitenrand die CAG-
Paginierung auf).
Nach neueren Ausgaben zitiert sind jetzt die Stelle aus Augustinus' De Tri-
nitate S. 133 Anm. 207, die aus Ps.-Augustinus S. 163, sowie natürlich auch
die in Teil I (s. Anm. 12) schon erwähnte Stelle aus Thomas' Metaphysik-
Kommentar (Th. in Met. V, lect. 9, 889-893) auf S. 164 f.; und es mag hier
auch gleich für die Stelle aus dem Physik-Kommentar des Aquinaten, auf
die Brentano anschließend S. 165 verweist, eine neuere Ausgabe angeführt
werden:
Dem Plotip-Zitat S. 132 Anm. 206 wurde ein Verweis auf die Harder/
Beutler/Theiler-Ausgabe (s. u. Anm. 89) beigegeben. Die folgenden Zitate
wurden geprüft, ohne daß neuere Editionen (soweit überhaupt vorhanden)
eigens angegeben wurden: das aus Pacius S. 110 Anm. 138, das aus Isidor
von Sevilla S. 163, und schließlich die Stellen aus Homer, Herodot und
Xenophon auf S. 170; hier wäre bei Herodot „ToÜ ärneoq" zu „ToÜ A..S-'Y)-
vafwv äO"Taoc;" zu ergänzen und bei Xenophon das Verb durch „,y[,yvovTat"
zu ersetzen wie auch die Stellenangabe zu Cyr. 5.2.2 zu ändern, aber das
schien nicht wichtig genug, um an der Stelle angemerkt oder korrigiert zu
werden.
Allenthalben wurde der Wunsch nach Übersetzungen der griechischen
und lateinischen Zitate laut. Dem wurde nicht entsprochen. Was die Aristo-
teles-Stellen betrifft, so häuft Brentano im besten Dissertationsstil Zitat auf
Zitat, dieselbe Stelle auch mehrfach zitierend, und unbekümmert darum, ob
im gegebenen Fall nicht ein einziges Zitat mit zusätzlichen Stellenangaben
oder überhaupt eine bloße Stellenangabe es vollauf getan hätten. 86 Allen die-
sen Zitaten Übersetzungen beizugeben wäre einerseits in Hinsicht auf den
Umfang ganz unmöglich, ohne den Rahmen von Brentanos Text gänzlich
zu sprengen, andererseits aber auch eine ganz überflüssige Arbeit gewesen.
Denn einmal ganz abgesehen davon, daß ja Brentano so manche Stelle selbst
übersetzt: es herrscht doch kein Mangel an Aristoteles-Übersetzungen; es sei
hier nur auf eine verwiesen, in der sich in handlichem Format alles findet
und die zudem die Überarbeitung einer schon klassisch zu nennenden Ari-
stoteles-Übersetzung ist: Ihe Complete Works ofAristotle. Ihe Revised Oxford
Translation. Ed. by J. Barnes, 2 vols, Princeton: Princeton UP 1984.
Von den von Brentano angeführten Kommentatorenstellen wohl am
wichtigsten ist die eben vorhin genannte aus Thomas' Metaphysik-Kommen-
tar; für eine Übersetzung verweisen wir auf
86 Ein Beispiel für das Letztere wäre gleich sein erstes Zitat (aus De Caelo). Anderer-
seits wieder schenkt er sich die Angabe einer Stelle, wo eine sehr angebracht gewe-
sen wäre: s. S. 95 Anm. 85, wo wir daher zwei Stellen als Ergänzung hinzugefügt
haben.
LXXXII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER
Ebenfalls wichtig für Brentano ist der Kommentar Alexanders zum Seienden
im Sinne des Wahren, den wir im vorigen Teil III aber schon ausführlich
behandelt haben. Die übrigen Stellen, die Brentano aus den griechischen
Kommentatoren zitiert, sind zu einem Gutteil bereits in ACA übersetzt;
abgesehen von dem einen Fall von Alexanders Kommentar zur Ll.7-Stelle
über das Seiende im Sinne des Wahren, wo es nötig war, ist kein Grund zu
sehen, warum das in diesen Bänden des monumentalen und auch Standards
setzenden Übersetzungswerks ACA bereits Vorliegende von uns in dieser
Ausgabe der Dissertation Brentanos nochmals hätte übersetzt werden sollen.
Soviel wir sehen, bleiben vier Stellen übrig, für die keine ACA-Überset-
zung vorliegt, für die wir daher im Folgenden Übersetzungen bringen. Die
erste Stelle, S. 102 Anm. 118, von einem Anonymus, nur in den Brandis-
Scholien, nicht in CAG, Schol. 31a6-8:
Die nächste Stelle, S. 151 f. Anm. 269 ist aus dem (von Brandis dem David
zugeschriebenen) Kategorienkommentar des Elias, Schol. 49al0-16 = Elias
in Cat. [cp.4], CAG XVIII.1 160.2-7:
TWl! XUT'Y},YO(JIWV ai µ,ev siaw arrAa7, ai iSe xaTa uwiSuar:rµ,ov xat uuµ,rrAOX'f)l!
TWV arr/\Wl! TO slva, i!xouu,. xat arrAa7 µ,ev siu,v ai sie'Y}µ,eva, T8(J"(J"U(Jeq, 'f/
Te our:ria xat TO TrQ(J"())) xat TO TrOIOl! Xat Ta rreoq Tl. xaTa uuµ,rr/\OX'f)l! iSe T'()q
ouuiaq rreoq µ,iav TOUTWV 'Y} rreoq eaUT'f)l! ai Aomat e'g ,Yll!Ol!Tal, 0/0)) el; ouuiaq
xat rror:roü TO rroü Xat TrOTB, kg ouuiaq xai TrOIOU TO TrOISI)) xat 1rauxs1v, Jg
ouuiaq xai TWV rreoq Tl TO i!xs1v xat TO xs7uf:ta,.
Von den Kategorien sind die einen einfach, während die anderen gemäß Ver-
bindung und Verknüpfung der einfachen das Sein haben. Und die einfachen
sind die genannten vier, Substanz, Quantität, Qualität und das Relative; aber
gemäß Verknüpfung der Substanz in bezug zu einer von diesen oder zu sich
selbst entstehen die übrigen sechs, wie aus Substanz und Quantität das Wo
und das Wann, aus Substanz und Qualität das Tun und Leiden, und aus Sub-
stanz und dem Relativen das Haben und die Lage. 87
87 Diese Stelle weist (was Brentano einfach ignoriert) eine glatte Inkonsistenz auf.
Einerseits sollen die sechs nicht-einfachen Kategorien aus der Verknüpfung der
Substanz mit den drei anderen einfachen Kategorien oder mit sich selbst hervorge-
hen: xaTa uuµ;rr/\OX'f)l! <Je T'r}q ouu[aq rreoq µ,[av TOUTW)) [sc. rror:rov, 7!010)), rreoq
Tt] .;; rreoq .SUUT'f)V ai Aomai e't ,Yll!OVTUI, andererseits aber werden dann die
sechs nicht-einfachen Kategorien insgesamt auf die Verknüpfung der Substanz mit
diesen drei anderen einfachen Kategorien zurückgeführt: oiov et our:r/aq [... ] To
i!xe1v xai To xe7u:3-a,, so daß für eine aus der Verknüpfung Substanz-Substanz
hervorgehende Kategorie kein Platz mehr ist. Diese Schwierigkeit im Scholion
Brandis' behebt Busses CAG-Text, indem in ihm der ganze Passus „olov et our:r/aq
[... ] To i!xe1v xai TO xe7r:r:3-at" athetiert und in den Apparat verbannt ist (daher
auch nur „in CAG entsprechend" in der Stellenangabe), wodurch die Stelle nicht
mehr ausschließt, daß eine Kategorie aus der Verknüpfung Substanz-Substanz her-
vorgehe, und in der Tat nennt Philoponos eine CAG-Seite weiter ausdrücklich die
Kategorie, die ihm zufolge so entsteht: ,,Aber mit sich selbst verknüpft konstituiert
sie [sc. die Substanz] das Haben: Denn das Haben meint das Umlegen [oder Anle-
LXXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
Die andere Stelle, Schol. 48628-40 = Elias in Cat. [cp.4], CAG XVIII.1
159.6-18:
gen] einer Substanz um [oder an] eine Substanz", aUT')J IJS eauTfj fTU/J,1TAexoµ,ev'f}
1TOlet TO exe1v· TO 7ae exe1v OUfJ'ta; naei OUfTtav fT'f}µ,afve1 1Te(lt;3-e(J'/V: 164.4 f. (Um
den Text in diesem Sinne konsistent zu machen, mußte Busse 163.18 freilich noch
einen Texteingriff vornehmen; aber das geht uns hier nichts mehr an).
88 Brentano fügt S. 162 hinzu: ,,u. s. f., wie oben Ammonius". Er meint damit den
von Busse athetierten Passus bei Philoponos, und in der Tat sagt Elias an der Stelle,
von der Brentano nur mehr den Anfang bringt, genau dasselbe: ,,aus Substanz und
Quantität das Wo und das Wann [soweit auch Brentano], aus Substanz und Qua-
lität das Tun und Leiden, und aus Substanz und dem Relativen das Haben und die
EINLEITUNG LXXXV
Brentano akzeptiert hiervon freilich nur die zu den sog. einfachen Katego-
rien führende Dihairese.
Alia autem entia dicuntur, quia sunt corruptiones substantiae [... ] Et quia cor-
ruptio terminatur ad privationem [... ], convenienter ipsae etiam privationes
farmarum substantialium esse dicuntur (Th. in Met. IV, lect. l, 539),
[... ] der Vorwurf des Plotin [Verweis in Anm. 205 auf Ennead. VI,l,l], ,,die
Kategorien des Aristoteles seien unvollständig, weil sie das Intelligible (Ta
VO'Y)Ta) nicht berührten, denn dieselbe ou<Tfa könne nicht dem lntelligibeln
und Sinnlichen gemeinsam sein".
Reduktion (auf die Brentano S. 162 aufmerksam macht), indem er den Titel der
Kategorie auf jene vier primitiven beschränkt, und das vollauf zurecht, wenn eine
Kategorie gemäß Metaph. L'.I. 28 1024612-16 eine irreduzible Gattung sein soll.
EINLEITUNG LXXXVII
Man überzeugt sich leicht, 89 daß sich am angegebenen Ort nichts findet, was
sich direkt so übersetzen ließe, auch wenn es sinngemäß darin enthalten ist.
Brentanos Fehler wird sofort sichtbar, wenn wir diese Stelle bei Trendelen-
burg yergleichen, an der es, mit der identischen Bezugnahme auf Ennead.
VI,1,1, heißt:
Plotin erldärt die Kategorien des Aristoteles insbesondere darum für unvoll-
ständig, weil sie das Intelligible (Ta J!O'l')Ta) nicht berühren. Denn dieselbe
ourrfa könne nicht dem Intelligibeln und Sinnlichen gemeinsam sein (GK
233).
Entweder fragen wir also von der ersten Substanz, was sie sei, [ ... ] und endlich
wie gekleidet sie sei?
Die Stelle, um die es geht und auf die Brentano verweist, schließt unmittel-
bar an das oben in Anm. 61 aus Ockhams Summa logicae Zitierte an (pars
I, cp.41, 116 f.):
turn' [... ] et huiusmodi. Illa autem per quae respondetur ad quaestionem factam
per ,cuius' vel per consimile, quia forte ibi deficit nobis unum interrogativum
generale, sunt in genere relationis. lila autem per quae convenienter responde-
tur ad quaestionem factam per ,ubi' sunt in genere ubi. Et quia ad quaestionem
factam per ,ubi' numquam convenienter respondetur nisi per adverbium vel
praepositionem cum suo casuali, sieut si quaeratur ,ubi est Sortes' convenienter
respondetur ,ibi vel hie, vel in Tyro vel in Damasco, vel in mari vel in terra', ideo
ista incomplexa, pro quanto non sunt af!irmationes vel negationes, dieuntur
in genere ubi. Similiter ad quaestionem factam de substantia demonstrata per
,quando' numquam respondetur nisi per adverbia vel per praepositiones cum
suis casualibus, sicut si quaeratur ,quando fuit Sortes' convenienter respondetur
quod fuit heri vel in tali die, ideo praecise talia sunt in genere quando. Simi-
liter ad quaestionem factam per hoc totum ,quid facit Socrates' convenienter
respondetur per verba, sicut quod calefacit vel ambulat, ideo talia sunt in genere
actionis. Et sie, proportionaliter, est de aliis, quamvis forte proprer penuriam
nominum aliquando interrogativa propria praedicamentis et generalia nobis
deficiant. Ex isto sequitur quod talia concreta ,album', ,nigrum', ,calidum',
,amarum' magis directe sunt in genere qualitatis quam eorum abstracta [... ]
S. 35 Z. 15: Ersetzung (im Einklang mit S. 191 Z. 19 f.) von „der ersten
Philosophie" durch „der Metaphysik".
s. 60 z. 17: Ersetzung von „TOV <Juvaµ,1;1 ÖvTo;" durch „<Juvaµ,et öv"
S. 73 letze Zeile bis S. 7 4 Z. 1: Änderung von
„jeder vernünftige Mensch werde sich mit der Reduction auf diese drei
ebenso, wie mit jenen sieben oder acht, begnügen,"
zu
„hiebei", mit der Reduction auf diese drei werde sich „jeder vernünftige
Mensch ebenso begnügen wie bei jenen sieben oder acht,"
S. 75 Anm. 8: Änderung von
nennt er sie ai <J1a1q1;;;r1;1a-ai xaT'Y)'f'OQtat
zu
werden sie von ihm ai <J1a1q1;;;re1a-a1 xaT'Y)'f'OQtat genannt
Ebda: Änderung von
nennt er[ ... ] die noch nicht genannten ai äMat xaT'Y)'f'OQtat
zu
werden [... ] die noch nicht genannten von ihm ai äMat xaT'Y)'f'OQtat
genannt
S. 76 Z. 7 v. u.: Umstellung von „nicht also" zu „also nicht"
S. 77 Z. 6 u. ö.: Einschub „Aristotelis" in den Titel der AbhandlungTren-
delenburgs von 1833
S. 81 Z. 4 f.: Änderung von
mit „der logischen Subsumption" ,,reale Genesis"
zu
mit der „logische[n] Subsumption" die „reale Genesis"
S. 87 Z. 4: Einschub „Buche" vor „Ll"
S. 127 Z. 20: Einschub „sich" vor „einzureihen"
S. 132 Z. 9: Änderung von
,,die Kategorien des Aristoteles seien etc."
ZU
es seien „die Kategorien des Aristoteles ... etc."
S. 134 Z. 12 f.: Änderung von
ohne freilich den Eintheilungsgrund etc.
zu
freilich „ohne einen Eintheilungsgrund etc."
S. 140 Z. 4: Einschub „den" vor „na~'YJ"
XC MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER
- S. 140 Anm. 228; S. 182 Z. 17: Tilgung des Artikels ,;ro" vor „Tl ~v alva,"
(S. 140 Anm. 228 zweimal)
S. 162 Z. 3: Änderung von
nennt er [ ... ] ai xue[wq XUT'YJ'YOQta1
zu
werden von ihm [... ] ai xuefwq xaT'Y),YOQtat genannt
- S. 165 Z. 22 f.: Änderung von
,,Zunächst", sagt er S. 196, ,,wird das Ursprüngliche etc."
zu
Es „wird hier zunächst", sagt er S. 196, ,,das Ursprüngliche etc."
- S. 168 Z. 20: Einschub „es" nach „kann"
S. 169 Z. 13: Einschub ,,Adjectiva" nach „gebildeten"
- S. 181 Z. 12: Änderung von
fortfährt: ,,Die Figur etc."
zu
fortfährt: Es „ist die Figur etc."
s. 184 z. 13: Einschub „Tou" vor „exovToq"
- S. 187 Z. 24 f.: Änderung von
konnte: ,,Aristoteles sei es nicht gelungen, die Wesenheiten etc."
zu
konnte, daß es Aristoteles „nicht gelungen" sei, ,,die Wesenheiten etc."
ins Auge stach, haben wir derartige Ergänzungen vorgenommen, aber ohne
irgendeine Vollständigkeit anzustreben: Denn irgendwann stellt sich dann
doch die Frage des Verhältnisses von Arbeitsaufwand zum erzielten Nutzen.
Um diese Einleitung dann im weiteren in der Benennung von Brentanos
eiaener
t>
zu unterscheiden, wird auf sie als Einl.AS verwiesen werden.
Franz Brentano
o
T Öv Ae7eTat rroMaxw;
Aristot. Metaph. Z, 1.
Meinem verehrtesten Lehrer,
dem um das Verständnis des Aristoteles hochverdienten Forscher,
Dr. Adolph Trendelenburg,
ordentlichem Professor der Philosophie
an der Berliner Universität,
in Ehrfurcht und Dankbarkeit gewidmet.
Vorwort
Schüchtern und mit zögernder Hand übergebe ich diese kleine Schrift der
Öffentlichkeit und glaube dennoch eher den Vorwurf allzugroßer Kühnheit
als den der Verzagtheit zu verdienen. Denn wo das Unternehmen an und für
sich zu gewagt ist, muß auch, wer es mit bangem Herzen unternimmt, als
allzukühn erscheinen. Und was ist gewagter, als wenn ein erster Versuch, wie
es hier manchmal geschehen wird, Schwierigkeiten zu lösen strebt, die von
erfahrenen Männern als unlösbar bezeichnet wurden? Was mir den Muth
verlieh, waren die trefflichen Vorarbeiten, die sich mir für den schwierigsten
Theil meiner Arbeit boten. Findet man daher in ihr etwas Gutes, so möge
man es diesen und besonders dem verdienstvollen Forscher danken, von
dem ich mich freue zuerst in das Studium des Aristoteles eingeführt wor-
den zu sein. Wo man dagegen etwas unvollkommen und mit Irrthümern
oder Mängeln behaftet findet, möge man meiner Jugend und Unerfahren-
heit Nachsicht schenken.
Der Verfasser
Inhalt
Einleitung ............................................... 11
V. Kapitel. Von dem Seienden nach den Figuren der Kategorien ...... 73
§ 1. Einleitende Bemerkungen. Die Kategorien sind von
Aristoteles in bestimmter Zahl aufgestellt. Verschiedene
Auffassungen der Aristotelischen Kategorien durch
neuere Erklärer .................................... 73
§ 2. Die Kategorien sind reelle Begriffe ...................... 81
§ 3. Die Kategorien sind verschiedene, analoge Bedeutungen
des öv. Nähere Bestimmung ihrer Analogie ............... 84
§ 4. Die Kategorien sind die höchsten Gattungen des
Seienden ......................................... 95
§ 5. Die Kategorien sind die höchsten Prädicate der
ersten Substanz .................................... 98
§ 6. Princip der Kategorieneintheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH AruSTOTELES
5 Metaph. E, 1. p. 1026, a, 29. si lf e<TTI Ttq ou<T1a axlll'Y}Toq, aÜT'Y} 'TrflOT&(la xa/
({)IAO<TO(f)IU 'Tr(lWT'Y}, xai xa:J'OAOU 01./TWq ÖTt 'Tr(lWT'Y}" xai 'Tre(ll TOÜ OllTOq 'lJ o'll
TaUT'Y}q a.ll e/7) :J'eW(l/ij<Tat, xai Tl S<TTI xai Ta imaexollTa ri Oll.
6 Metaph. z,
1. p. 1028, b, 2. xai o'0 xai TO rraAat Te xai llUll xai ad S'Y}TOU/J,ellOll
xai asi arroeouµ,ellOll, Tl TO Oll ... - Dennoch finden sich auch Stellen, an wel-
chen Aristoteles der Metaphysik ein anderes Object zuzuweisen scheint, indem er
siez. B. Metaph. A, 1. p. 981, b, 28. bestimmt als die Wissenschaft, die von den
ersten Gründen handle: T'f/ll OllO/J,USO/J,Sll'Y}ll <TO({)IUll 'Tre(ll Ta 'Tr(lWTa afr,a xai Taq
aexa; U'ITOAaµ,ßallOU<TI T((J,llTeq. Vergl. Metaph. K, 7. p. 1064, b, 4. und a. a. 0.
Darauf scheinen auch die Namen selbst, erste Philosophie und Theologie, wie sie
Aristoteles anderwärts (Metaph. E, 1. p. 1026, a, 19. K, 7. p. 1064, b, 3.) nennt,
hinzuweisen, während der Name Metaphysik bekanntlich bei Aristoteles selbst
noch nicht vorkömmt. Allein wenn auch manche Erklärer in älterer und neuerer
Zeit sich dadurch irre leiten ließen (wer die große Mannigfaltigkeit der Ansichten
verschiedener Aristoteliker besonders im Mittelalter historisch kennen zu lernen
wünscht, s. Franc. Suarez, disputationes metaphysicae, pars prior, disp. I, sect.
2.), so ist es doch nicht schwer, diese und ähnliche Stellen mit den oben citirten
in Einklang zu bringen. Die Metaphysik ist eine Wissenschaft. Was ist nun dem
Aristoteles das Wissen? S'Trl<TTa<T:J'at o'e oioµ,s:3-' exa<TTOll arrAwq, sagt er Anal. post.
I, 2. p. 71, b, 9, aMa /J,'f/ T/Jll <TO({)l<TTIX/Jll T(lO'ITOll T/Jll xaTa <TUµ,ßsß'Y}xOq, ÖTall T'r}ll
T' aiTlall oiwµ,s:3-a ,YlllW<TXell/ o't' 'Y/ll TO rreä,yµ,a S<TTlll, ÖTt eXelllOU aiT1a e<TTI,
xai wh el1o'exs<T:J'a1 TOfJT' äMwq exetll. Das Wissen schließt also nicht bloß 1) eine
Erkenntniß des Objects, sondern auch 2) eine Erkennrniß der Gründe des Objects
ein. Die Wissenschaften werden also mit der Betrachtung des Objects die seiner
Gründe verbinden und, in beiden Beziehungen sich von einander unterscheidend,
definirt und gegen einander abgegränzt werden können. Vergl. Anal. post. I, 28. p.
87, a, 38. Und so gibt Aristoteles, wenn er Metaph. A, 1. die <Tocp1a als die mit der
Betrachtung der ersten Gründe beschäftigte bestimmt, ihre Differenz in Hinsicht
der Gründe des Objects an, was hier besonders convenient ist, da er, ausgehend
von der Unterscheidung zwischen Empirie und Wissenschaft, diese so eben als die
Erkenntniß aus den Gründen bestimmt hat (Metaph. A, 1. p. 981, a, 28. oi µ,ell
,yae eµ,rre/(201 TO ÖTt /J,Sll /(TU(T/, o'tOTI lf oux /(TU<Tlll' oi o'e [sc. aio'oTeq] TO o'tOTI xai
T'f/ll aiT1all '}'llWfllSOU<Ttll) und nun durch eine solche Bestimmung der Species am
besten an die von dem Genus gegebene anknüpft. Beide Definitionen vereinigend,
könnten wir sagen, die erste Philosophie sei die Erkennrniß des Seienden im All-
gemeinen aus seinen ersten Gründen. Wirklich bringt Aristoteles sie auch in die-
ser Weise zur Vereinigung, wo er nachweist, wie die verschiedenen Attribute, die
man dem Weisen beizulegen pflege, in dem ersten Philosophen zusammentreffen.
EINLEITUNG 13
Metaph. A, 2. p. 982, a, 21. TOLJTW!I <Je TO µ,ev navTCL 81T/(TTCl,(TS-a1 T(J) µ,aAt<TTCL
exovTt T'f)ll xaS-oAou 81TIITT'f}Jl,'Y)ll ava,ryxaTov unaexe1v· ... {a28} aMa Jl,'f)ll xai
<Jt<JalTXaAIX'f} ')-'e 'Y/ TW!I ah,wv S-eW(l'Y)TIX'f) µ,aMov· OÜTOI 7ae /JI/Ja/TXOUITl!I oi
TaS' ahlas- Ae7011TeS" neei äxalTTov. Ebenso Metaph. r, 1. p. 1003, a, 26.
81Tel <Je TaS' aexas- xai TO,S' aX(20T11,TCLS' aiTlas- ('YJTOÜJJ,e!I, /J'l)AO!I WS' ({)LJITeWS' Tl!IOS'
auTaS' ava,ryxaTov el!lal xaS-' aUT'f)ll • ... {a31} IJIO xai 'YJ/J,lll TOÜ O!ITOS' 1i b'v
TO,S' 1T(2WTaS' ahlas- A'Y)7TTeD!I. Und Metaph. E, 1. p. 1025, b, 3. ai aexai xai
Ta aiT1a ('Y)Te/TCLI TW!I O!ITW!I, /J'l)AO!I <Je ÖTI 1) O!ITCL . ... na1Ta 81TIITT'f}Jl,'Y) ... 1Te(21
aiTlas- xai aexas- 8/TTl!I ... aMa 1T0,1Tat aVTCLI 1Te(21 Sll Tl xai 7evos- Tl 1Te(ll')-'(2a-
t/;aµ,eva1 1Te(21 TOLJTOU nea7µ,aTeLJO!ITCLI' aU' ouxi 1Te(21 O!ITOS' anAWS" ou<Je 1) Oll {s.
Einl.AS LXXVIII}. Jede Wissenschaft also handelt von Gründen, nicht bloß die
Metaphysik. Wie die andern, so hat auch sie darum noch nicht die Gründe selbst
zum Objecte, sondern das, dessen Gründe sie sind. Vergl. auch Brandis, Griech.-
Röm. Phil. II, 2, 1. {Handbuch der Geschichte der Griechisch-Römischen Philoso-
phie. Zweiten Teils zweiter Abteilung erste Hälfte. Aristoteles, seine akademischen
Zeitgenossen und nächsten Nachfolger, Berlin: Reimer 1853} S. 451; Trendelenburg,
Gesch. d. Kategorienlehre {s. Einl.AS Anm. 25}, S. 18, und Andere, die in der
Meinung, daß das Seiende als Seiendes der Gegenstand der Metaphysik sei, über-
einstimmen.
7 Vergl. Metaph. E, 1. p. 1025, b, 7. und K, 7. p. 1064, a, 4. - Die Metaphy-
sik behandelt auch die obersten, allgemeinen Principien, aus welchen die niedern
Wissenschaften ihre Beweise ableiten. Metaph. r, 3. p. 1005, a, 19.
8 S. u. Kap. 5. §. 3.
14 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES
Bedeutungen, die nach seiner Beobachtung der Name des Seienden umfaßt,
unterscheidend, die eigentlichen von den uneigentlichen sondert und die
letztem von der metaphysischen Betrachtung ausschließt. 9
So bildet die Erörterung der mehrfachen Bedeutung des Seienden die
Schwelle der Aristotelischen Metaphysik. Wenn aber schon hieraus die
Wichtigkeit, die sie für ihn haben mußte, erhellt, so leuchtet diese noch
mehr ein, wenn man bedenkt, wie die Gefahr einer irrthümlichen Verwechs-
lung gleichnamiger Begriffe in der That hier keine geringe ist. Denn wie
in dem zweiten Buche der Analytica posteriora bemerkt wird, 10 wächst die
Schwierigkeit, die Homonymie zu erkennen, mit dem Grade der Abstrac-
tion und Allgemeinheit der Begriffe, und die Möglichkeit einer Täuschung
muß daher bei dem Seienden selbst, diesem, wie wir schon sahen, allgemein-
sten Prädicate, offenbar am größten sein.
Doch wir haben ja noch nicht die Thatsache festgestellt, daß nach Aristo-
teles das Seiende homonym, nicht synonym (Categ. 1, p. 1, a, 1. 6.) gesagt
werde. Dieses werden wir also vor Allem durch mehrere Stellen der Meta-
physik darthun und zugleich zeigen, wie die mannigfachen Unterscheidun-
gen verschiedener Bedeutungen des Seins sämmtlich einer ersten Unter-
scheidung von vier Bedeutungen dieses Namens sich unterordnen lassen,
um dann zur besondern Betrachtung einer jeden von ihnen überzugehen.
„Das Seiende wird in mehrfacher Weise gesagt," ,,TO rJe Oll Ae,yaTat µ,ev
rroUaxwq," sagt Aristoteles im Anfange des vierten Buches seiner Meta-
physik1 und wiederholt es im sechsten und siebenten Buche2 und an andern
Orten zum öfteren. Er zählt daselbst eine Anzahl von Begriffen auf, von
denen jeder in einer andern Weise ein Seiendes genannt wird. ,,Einiges,"
sagt er Metaph. r, 2. p. 1003, b, 6., ,,wird Seiendes genannt, weil es Sub-
stanz, anderes, weil es Eigenschaft der Substanz, wieder anderes, weil es ein
Weg, der zur Substanz führt, oder Corruption der Substanz, oder Privation
der substantialen Formen, oder Qualität der Substanz ist, oder weil es die
Substanz, oder etwas von dem, was in Beziehung auf die Substanz ausgesagt
wird, hervorbringt oder erzeugt, oder weil es eine Negation von etwas Der-
artigem oder von der Substanz selbst ist. Daher sagen wir auch, es sei das
Nichtseiende ein Nichtseiendes. "3 Die verschiedenen Seienden, die hier auf-
gezählt werden, lassen sich auf vier zurückführen: 1) ein Seiendes, dem kei-
nerlei Existenz außerhalb des Verstandes zukömmt ÜTTS(!'Y)O'atq, a,rrocpaO'atq),
2) das Sein der Bewegung und der Generation und Korruption (orJoq alq
ouO'tav, cp:3-oea), denn diese sind zwar außerhalb des Geistes, haben aber
keine fertige und vollendete Existenz (vergl. Phys. III, 1. p. 201 a, 9.), 3) ein
Seiendes, das eine fertige, aber unselbstständige Existenz hat ( rra:3-'Y) ouO'taq,
7iOIOT'Y)TSq, TrOl'Y)TIXU, ,YSW'Y)TtXa), 4) das Sein der Substanzen (oLJO'ta). Eine
andere Aufzählung von Begriffen, denen in verschiedener Weise der Name
des Seienden zukömmt, gibt Metaph. E, 2. p. 1026, a, 34. Ein Seiendes,
heißt es dort, 4 sei das b'v xaTa, O"uµ,ßeß'YJxoc;, ein anderes das ov wc; aA'(JS-ec;,
dessen Gegentheil das /J,'Y/ b'll wc; t/;eu?Joc; ist; außer ihnen gebe es noch ein Sei-
endes, das in die Kategorien zerfalle, und außer ihnen allen noch das ?Juvaµ,1;1
xa, ellee,yelq, Seiende. Man sieht, auch diese Eintheilung ist viergliederig,
aber ohne darum der im vierten Buche gegebenen durchgängig zu entspre-
chen. Noch weniger stimmt sie mit einer andern, im Anfange des siebenten
Buches gegebenen Zusammenstellung von verschiedenen Bedeutungen des
Seienden überein. Hier wird ein Seiendes als Tl SO"Tt und Toi1e Tl, ein ande-
res als rro16v, ein drittes als rroO"ov bezeichnet, mit denen noch andere in eine
Linie treten sollen. 5 Es sind dies die Figuren der Kategorie, die somit alle in
dem dritten Gliede der zweiten Eintheilung eingeschlossen sind. Diese ist
ihr also übergeordnet. Sie ist es auch, die in dem Buche rreet TWll rroO"axwc;,
in dem fünften der Metaphysik, Kap. 7., auf welches Aristoteles hier ver-
weist, näher erklärt und durch Beispiele erläutert wird, 6 sie ist die erste und
umfassendste Eintheilung des Seienden, der sich auch die Metaph. r, 2.
gegebene und andere, wie die, welche Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34. sich
findet,7 als minder allgemein oder minder vollständig unterordnen oder ein-
reihen lassen. Denn von jenen vier Bedeutungen des Öll, auf welche sich uns
die im vierten Buche aufgeführten zunächst reducirten, entspricht die erste,
wie wir sogleich nachweisen werden, dem zweiten, die zweite einem Theil
des vierten Gliedes der im sechsten Buche gegebenen, während die dritte
und vierte in ihrem dritten Gliede sich vereinigt finden. Aehnliches gilt von
den Metaph. 0, 10. und anderwärts erwähnten Arten des Seienden.
So wird denn auch unsrer Abhandlung diese erste Scheidung des Seienden
zur Eintheilung dienen. Wir handeln zuerst von dem b'll xaTa, O"uµ,ßeß'fJxoc;,
sodann von dem Oll wc; UA'(JS-ec; und dem /J,'Y) Oll wc; t/;eu?Joc;, dann von dem Oll
iJullaµ,et Xat evee,yelq, und endlich von den Kategorien. Aristoteles hat in sei-
4 Metaph. E, 2. p. 1026, a, 34. e'v µ,ev [sc. TWJ/ OJ/TWV] ,yjv TO xaTa {J"LJJJ,ßeß'Y)xo,;,
ifreeov iJe TO w,; aA'Y):3-e,;' xac TO /J,'f/ b'v w,; TO if;efJcJo,;' -rraea TUUTa i)' S{J"TI Ta
(]"X'rJ/J,UTa Tiij,; XUT'Y)?'Oe1a,;, olov TO µ,ev Tl, TO <Je 7TOIOV, TO <Je 7TO{J"OJI, TO <Je 7TOU,
TO iJe 7TOTe, xac ei' Tl äAJ..o {J"'Y)µ,a1ve1 TOJ/ Teonov TOUTOJI· ST/ naea TUUTa 7T(l,J/Ta
TO iJuvaµ,et xat evee7efq,.
5 Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO b'v Ae7em1 7TOMaxw,;, xa:3-anee iJtetAoµ,e:3-a
neoTeeov ev TOI,; nsec TOU 7TO{J"axw,;· {J"'Y)Jl,UIJ/81 7ae TO µ,ev Tl S{J"TI xac ToiJe Tl, TO
iJe OTI 7TOIOJ/ ,;; 7T0{]"0J/ ,;; TWJ/ äAJ..wv SXU{J"TOJ/ TWJ/ OLJTW XUT'Y)?'Oeouµ,evwv.
6 Metaph. tl, 7. p. 1017, a, 7 ff.
7 Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34. S7TSI Je TO b'v Ae7aTat xac TO /J,'f/ b'v TO µ,ev xaTa Ta
{J"x'qµ,aTa TWJ/ XUT'Y)?'Oe1wv, TO iJe xaTa iJuvaµ,tv ,/J evee7e1av TOUTWJ/ ,/J T(J,JIUJ/TIU,
TO iJe xuetwTUTa b'v a,J..rri:3-e,; ,;; if;efJiJo,;, x. T. A.
ERSTES KAPITEL. 17
Das Öv xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq hat die lateinische Sprache durch ens per acci-
dens wiederzugeben gesucht. In unsrer deutschen Sprache, die sich sonst so
wohl befähigt zeigt, die Bildungen fremder Sprachen nachzuahmen, möchte
hier schwerlich ein recht eigentlich entsprechender Ausdruck sich finden las-
sen. Schwegler in seiner Uebersetzung der Aristotelischen Metaphysik über-
trägt das XaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq durch „beziehungsweise," 1 worin auch Bran-
dis und Aridere ihm gefolgt sind. 2 Allerdings hat das Öv xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq
sein Sein dadurch, daß ein Seiendes in einer Beziehung zu ihm steht, allein
dennoch will jene Bezeichnung seinen Begriff gar wenig deutlich machen.
Die Zahl sechs ist beziehungsweise groß, denn sie ist das Doppelte von drei
und doch wird Niemand sagen, daß ihr dieses xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq zukomme.
Der Mensch steht einfach gesprochen (a7l'Awq) und im Ganzen genommen
höher als die übrigen lebenden Wesen, obgleich andere Thierarten bezie-
hungsweise höher stehen, die einen z. B. an Lebensdauer, andere an Stärke
oder Schnelligkeit oder Sinnesschärfe, andere wegen der Flügel, die ihm
versagt sind, oder was sonst als eigenthümlicher Vorzug ihnen zukommen
möge, ihn übertreffen. Dennoch gehen diese ihre Vorzüge aus ihrem Wesen
hervor und sind durchaus nicht xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq, per accidens, obwohl nur
secundum quid; beides ist nicht zu identificiren. Darum möchte ich eher
noch den von Schwegler später angewandten Ausdruck „das zufällige Sein,
das Zufällige" 3 wählen, der dann freilich auch in einem engeren, in beson-
derer Weise bestimmten Sinne gefaßt werden müßte. Denn das b'v xaTa
o-vµ,ßaß'Y)xoq ist im Gegensatze zu dem Öv xa:3-' auTo, welches durch eine
ihm eigenthümliche Wesenheit ist, ein Seiendes durch das Sein dessen, was
zufällig sich mit ihm zusammenfindet; während das Öv xa:3-' auTo als solches
(ri aUTO, vergl. Anal. post. I, 4. P· 73, b, 28.) ist, ist das b'v xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq
nicht durch ein ihm als solchem eigenes Sein, sondern es ist, indem Aride-
res ist, zufällig mit ihm seiend. 4 All dies wird sogleich deutlicher werden. In
Ermanglung eines adäquaten deutschen Ausdruckes möge es uns verstattet
sein, der griechischen Bezeichnung selbst uns zu bedienen.
Weil, wie Aristoteles im elften Buche der Metaphysik sagt, kein Öv xaTa,
<Tvµ,ßeß'f}xoq früher ist, als die an sich Seienden,5 und zwar auch der Erkennt-
niß nach das Öv xa:3-' avTo das Frühere ist, 6 so ist es nöthig, vorerst einen,
wenn auch nur flüchtigen Blick auf solches zu werfen, was seinem Gebiete
angehört. Von den Dingen sind einige Substanzen und haben ein für sich
selbstständiges Sein; 7 wie z. B. ein Baum, ein Mensch u. dgl., andere,
welchen dieses fehlt, existiren nur in und an den Substanzen und heißen
Accidenzien; 8 wie z. B. das Weiße, das in dem Körper existirt u. dgl., und
zwar existirt nicht bloß ein Accidenz in einer Substanz, sondern viele und
verschiedenartige. Alle diese können in Wahrheit sowohl von der Substanz,
als auch unter sich, eines vom andern, prädicirt werden, wie wenn wir sagen:
der Körper ist weiß, das Weiße ist schön u. dgl., denn sie sind auch in den
Dingen eins dem Subjecte nach, wenn auch nicht dem Wesen nach, und
da das Seiende und das Eine identisch sind; 9 so folgt daraus, daß auch das
eine das andere ist; doch nicht immer in ein und derselben Weise, sondern
manchmal xa:3-' avTo, manchmal aber auch xaTa, uuµ,ßeß'f}xoq, und dies ist
das Öv xaTa, uuµ,ßeß'f}xoq des Aristoteles, wovon wir jetzt zu handeln haben.
Wo ein Ding mit einem andern Dinge sich vereinigt findet, ist die Ver-
bindung des einen mit dem andern entweder eine nothwendige, universelle
oder doch nur in einzelnen Fällen verhinderte, oder sie ist eine bloß zufallige
4 Metaph. D.., 30. P· 1025, a, 28. 7e7ove µ,ev 'l10 xai SO'TI TO uuµ,ßeß'fJXO<;, aJJ..' oux
rJ aLJTO aJJ..' rJ ifreeov.
5 Metaph. K, 8. p. 1065, b, 2. ou:3-ev xaTa uuµ,ßeß'fJXO<; Tr(!OTe(!Oli TWli xa:3-' aUTO.
6 Man kann dies aus Metaph. D.., 11. p. 1018, b, 34. entnehmen: xaTa TOli AO?'Oll 'lJe
TO uuµ,ßeß'fJXO<; TOÜ Ö)\Ou Tr(!OTe(!Oli, Ololi TO /J,OUO'IXOli TOÜ /J,OUO'IXOÜ av:3-ew-rrou· OLJ
7ae SO'Tal O.A.070<; Ö.A.o<; äveu TOÜ µ,eeou<;.
7 Categ. 5. p. 3, a, 8.
8 Anal. post. I, 22. p. 83, a, 25.
9 Metaph. r, 2, p. 1003, b, 22. ei 'l10 TO Sl/ xai TO b'v TaLJTOl/ xai µ,fa cpuu1<;, Tq)
axo.A.ouS-eTv aM'('J.A.01<; wurree aex0 xai afrwv, aJJ..' oux W<; evi .A.O?'(j) 'li'f}.A.OUµ,eva .
... TaLJTO 7ae el<; äv:3-ew-rro<; xai Wl/ äv:3-ewrro<; xai äv:3-ew-rro<;, xai oux ifreeov
Tl 'li'f}.A.01 xaTa T'f/l/ .A.et,v e1rava'lJ11r.A.ouµ,evov TO el<; SO'Tll/ äv:3-ewrro<; xai SO'Tll/
äv:3-ew-rro<;· ... {633} wu:3-' Öua rree TOÜ evo<; ei''lJ'f}, TOO'aÜTa xai TOÜ ÖVTO<; SO'Tll/.
Vergl. Meraph. Z, 4. p. 1030, b, 10. K, 3. p. 1061, a, 17.
20 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES
Vereinigung. 10 In der ersten Weise kömmt nach dem Beispiele, das Aristo-
teles anführt, 11 die Eigenschaft 3 Winkel = 2 R zu haben dem Dreiecke zu;
denn sie ist nothwendig und wird bei jedem Dreiecke gefunden. So kömmt
es auch dem Menschen zu, daß er lachen kann, denn dies ist seiner Natur
eigenthümlich, er hat als Mensch die Fähigkeit zu lachen, und hat er sie in
einem einzelnen Falle nicht, so trägt ein Krampf, oder eine Verstümmelung,
oder was sonst die Ursache dieser Unregelmäßigkeit sein mag, die Schuld.
Hier ist also ein inniges Zusammengehören, das sich jenem nähert, welches
in der Definition zwischen Gattung und Artunterschied stattfindet, nur daß
das Eine nicht in dem Wesen des Andern ist (µ,'Y) ev Tfj ouO"[q., Övw); aber es
vertritt in nicht seltenen Fällen in der Definition die Stelle der unbekannten
Differenz, 12 und leistet bei der Aufsuchung derselben gute Dienste. 13 Das
Proprium (l't3wv) der Topik ist in dieser Weise mit einem Wesen vereinigt,
doch nicht dieses allein, denn weil das Proprium als solches einem Dinge
allein zukömmt und mit ihm in der Prädication convertibel ist, 14 so ist das
Proprium des Gattungsbegriffs kein Proprium der Species u. dgl., während es
doch auch dieser xa:3'' auTo, wie wir hier von xa:3'' auTo sprechen, inwohnt.
Allein eben jene Ausnahmsfälle, deren wir schon gedachten, wo etwas
dem Andern nicht immer, sondern in den meisten Fällen nur zukam, sind
es, die beweisen, daß es noch eine andere Weise der Vereinigung in den Din-
gen gibt. 15 Der Klee ist in den meisten Fällen, aber nicht immer dreiblät-
terig, daher hat er in einzelnen Fällen eine andere Zahl von Blättchen und
hier ist dann die Vereinigung eine zufällige. Der Klee ist vierblätterig xaTa
O"uµ,ßsß'Y}xo~, nicht xa:3'' auTo. In solcher Weise ist eine Bewegung nach
10 Metaph. !:::.., 30. p. 1025, a, 14. /J'LJ/J,ßeß'f/XO<; f.e,yeTat o' LJTC(J,(2%81 µ,ev Tll/1 xa/
aA'f};J'S<; eineiv, ou /J,f.l/TOI oüT'ss{},l/(J,'}'X'f}<; oÜT' an/ TO TCOAI.J, 0/0l/ ••• a, 30. Ae'}'STal
lJe xa/ äMw<; /J'LJ/J,ßeß'fJXO<;, 0/0l/ Öua l)T{(J,(2%81 S}{(J,IJ'TqJ xaS-' aUTO /J,'r/ Sl/ Tfj OU/J'lf/,
ÖvTa, olov T{j) T(21,YWVqJ TO 01.10 oeS-a,; exe1v. xai TULJTa µ,ev evlJexemt a11S,a elva1,
sxsfvwv lJe ouS-ev.
11 Ibid.
12 Vergl. unten Kap. 5. §. 9. die letzte Anm.
13 Vergl. Anal. post. II, 13. p. 96, b, 19.
14 Top. I, 5. p. 102, a, 18.
15 Metaph. E, 2. P· 1027, a, 8. WUT' STCelO'rJ ou T{(J,l/Ta S/J'Tll/ ss
ava,,yx'f}<; xa/ ae/
,yj Öl/Ta ,yj ,y1voµ,eva, aMa Ta TCAet/J'Ta w,; STCI TO TCOAI.J, {},l/(J,'}'X'f/ elvat TO xaTa
/J'LJ/J,ßsß'fJXO<; Öv. Ebenso vorher p. 1026, b, 27. sne/ oöv SIJ'Tiv SV TOI<; OÖIJ'I Ta µ,ev
ae/ W/J'UI.JTW<; exol/Ta xai ss
{},l/(J,'}'X'f/<;, ou Tij,; xaTa TO ß[a1ov Ae,yoµ,ev'f},; aM' 'Y}li
Ae,yoµ,ev T{j) /J,'r/ svlJexsuoat äMw,;, Ta o' ss
{},l/(J,'}'X'f}<; µ,ev oux 8/J'TIV ouo' asi, w,;
lJ' STCI TO TCOAI.J, aÜT'f/ aex0 xai aÜT'f} aiT[a S/J'TI TOLJ elva1 TO IJ'LJµ,ßeß'f}xo,;.
ZWEITES KAPITEL. 21