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3 Antworten, die das Buch gibt

1 Woher weiß ich, was ich will?

Die Neurowissenschaften haben in zahlreichen Experimenten nachgewie


sen, dass das Denken und Entscheiden des Menschen viel stärker unbewusst
wahrgenommenen äußeren Einflüssen unterliegen, als es der Einzelne glau
ben möchte. Um sein eigenes Ich und seinen eigenen Willen zu erforschen,
muss man die Situation, in der man sich befindet, und das Verhalten ande
rer mit ins Kalkül ziehen.

2 Warum tun die Menschen, was sie tun?

Die meisten Entscheidungen werden zunächst unbewusst getroffen, ohne


dass uns die verschiedenen dabei berücksichtigten Einflussfaktoren bekannt
sind. Erst danach gibt unser Verstand unserem Verhalten eine Bedeutung.
Selbstüberschätzung und Angst vor Verlusten spielen bei Entscheidungen
ebenso eine Rolle wie der Wunsch nach Fairness und Anerkennung.

3 Wie kann ich andere dazu bringen, das zu tun, was ich möchte?

Rationale Argumente, die den Verstand ansprechen sollen, haben eine viel
geringere Wirkung als die unbewusst wahrgenommenen Elemente, die die
Beziehung zu einem Menschen definieren und darüber entscheiden, ob er ein
gutes oder schlechtes Gefühl hat. Wer unbewusste Botschaften erkennt und
weiß, wie sie funktionieren, kann sie auch einsetzen, um Einfluss zu nehmen.

Über die folgende Website können Sie mit dem Autor direkt in Kontakt treten:
www.verstehen sie ihren verstand.de

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Verstehen Sie Ihren
Verstand?

Gehirnforschung für den Alltag

Friedhelm Schwarz

Haufe Mediengruppe
Freiburg · Berlin · München

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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut


schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d nb.de abrufbar.

ISBN: 978 3 448 10173 7 Bestell Nr. 00214 0001

1. Auflage 2010

© 2010, Haufe Lexware GmbH & Co. KG, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg

Redaktionsanschrift: Fraunhoferstraße 5, 82152 Planegg/München


Telefon: (089) 895 17 0
Telefax: (089) 895 17 290
www.haufe.de
online@haufe.de

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen


Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie die Auswertung durch Datenban
ken, vorbehalten.

Produktmanagement: Dr. Leyla Sedghi


Redaktion und Desktop Publishing: Helmut Haunreiter
Umschlag: Grafikhaus, 80469 München
Druck: Schätzl Druck, 86609 Donauwörth

Zur Herstellung dieses Buches wurde alterungsbeständiges Papier verwendet.

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Inhalt

Verstehen Sie Ihren Verstand? 9


Die falschen Folgen logischer Entscheidungen 10
Vertrauen Sie sich und anderen? 13
Gehirnforschung für den Alltag 17

Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang 21


Wir denken nicht, was wir wollen 22
Das Gehirn kennt keine Denkpausen 23
Das Gehirn beim Denken beobachten 26
Das Unbewusste steuert uns 28
Die Grundlagen des Denkens 30
Verhandlungsspiele veranschaulichen das menschliche Verhalten 32

Die vier Systeme, die unser Denken regulieren 41


Das Belohnungssystem – was wir wollen 42
Das emotionale System – was wir fühlen 46
Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden 58
Das Entscheidungssystem – was wir sollen 71
Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen 81

Ich und mein Verstand 91


Identität – bin ich einzigartig? 92
Welche Rolle spielt die Intelligenz? 96

Die zwei Prinzipien der menschlichen Natur 101


Sein oder Haben? 102
Hilfsbereite Menschen wollen kein Geld 103
Spontane Hilfe ist selten 104

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Inhalt

Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt 107


Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten 108
Werbung lebt davon, wahrgenommen zu werden 118

Warum wir uns verändern – oder auch nicht 125


Das Gehirn ist nicht hardwired 126
Neurogenese $ Nervenzellen wachsen nach 128

Gewöhnung – wie stark uns der Alltag formt 131


Auch Ungewöhnliches kann zur Gewohnheit werden 132
Zwischen wichtig und unwichtig entscheiden 134

Das Gehirn kennt nur fünf Verhaltensmuster 135


Die Unmöglichkeit, sich nicht zu verhalten 136
Das Repertoire der fünf Verhaltensmuster 136

Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz
alltäglichen Wahnsinns 141
Konsistenz – ich bleibe dabei 142
Ich bin, wie ich bin – aber eigentlich bin ich auch ganz anders 145
Ohne Emotionen leben? 149
Die Faszination des Bösen 151
Kein Anschluss unter dieser Nummer – gestörte Kommunikation 155

Was uns antreibt, bewegt oder hemmt 159


Was uns beeinflusst – die Elemente des Erlebens 160
Erlebtes hat den größten Einfluss auf unser Leben 161
Die Bedeutung von Symbolen und symbolischen Handlungen 166
Das richtige Timing $ der Faktor Zeit 169
Die unbekannte Macht der Farben 172
Wirkungsvoll kommunizieren mit Musik 175
Der Geruch lenkt das Denken 176

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Inhalt

Neues schafft Aufmerksamkeit und Erinnerung 179


Echtes Vertrauen als Geschenk 181
Die Macht der schlechten Gefühle – Gier 182
Vorhersagen – was wird geschehen? 186
Wie der Verstand Gegenwart und Zukunft sieht 189
Vorurteile machen das Denken einfacher, aber nicht das Miteinander 195
Verhandlungen – Kooperation statt Konfrontation 200

Wege zu einem neuen Selbst – wie wir uns ändern


können 205
Die Selbstwahrnehmung lässt sich trainieren 206
Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben 206
Achtsamkeit – ein Weg zur besseren Selbstwahrnehmung 207

Werden Sie ein Genie 6 die eigenen Denkmuster


erkennen und verbessern 213
Die äußeren Einflüsse auf unser Denken 214
Richtig entscheiden lernen 220
Werden die Neurowissenschaften die Psychologie im Alltag ersetzen? 226

Literaturempfehlungen 229

Stichwortverzeichnis 237

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Verstehen Sie Ihren Verstand?
Wir versuchen in unserem Leben ständig ganz bestimmte Ziele zu errei-
chen. Ob es nun darum geht, das eigene Privatleben und die Familie zu
planen, Karriere zu machen, den Urlaub vorzubereiten oder einfach nur
eine bestimmte Arbeit termingerecht zu beenden, ständig benutzen wir
unseren Verstand als Navigationssystem.

Bei all diesen Planungen springen wir ständig zwischen den verschiede-
nen Ebenen hin und her. Einmal ist eine Detailansicht sinnvoll, damit
wir wissen, ob wir weiter geradeaus fahren oder abbiegen müssen, ein-
mal ist eine Übersicht sinnvoll, die uns zeigt, wohin die Reise überhaupt
geht. Doch in all diesen Fällen, in denen wir unseren Verstand als Navi-
gationssystem einsetzen, sind wir uns meist überhaupt nicht darüber im
Klaren, woher die verwendeten Informationen kommen und ob sie
überhaupt richtig sind. Wenn etwas falsch läuft, merken wir es erst,
wenn das Ziel, an dem wir ankommen, nicht das ist, was wir eigentlich
erreichen wollten.

Es ist also durchaus sinnvoll zu verstehen, wie ein Navigationssystem und


damit auch unser Verstand funktioniert. Deshalb begeben wir uns jetzt
auf eine höhere Ebene, indem wir uns die Frage stellen, wie wir unseren
Verstand verstehen können. Dabei werden uns die Neurowissenschaften
eine große Hilfe sein.

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Verstehen Sie Ihren Verstand?

Die falschen Folgen logischer Entscheidungen


Pleiten, Pech und Pannen sind in jedem Lebenslauf zu finden, obgleich
wir uns doch bemühen, so vernünftig, rational und logisch wie mög-
lich zu denken, zu entscheiden und zu handeln. Auch im großen Maß-
stab in Wirtschaft und Politik gibt es immer wieder riesige Flops, die
Milliarden Euro kosten, durch die Tausende von Arbeitsplätzen verlo-
ren gehen und die erst als großartige Leistung bejubelt wurden, um
dann ein paar Jahre später sang- und klanglos in Vergessenheit zu
geraten.

Was ist aus dem weltumfassenden DaimlerChrysler Milliardendeal des


Jürgen Schrempp geworden? Und wie hat sich die Übernahme von
VW durch Porsche unter Wendelin Wiedeking entwickelt? Was ge-
schah binnen weniger Jahre mit dem Essener Arcandor-Konzern, der
früheren Karstadt-Quelle AG? Alles nur Pleiten, Pech und Pannen. In
der Politik ist es kaum anders. Weder die Hartz IV-Gesetze noch die
Gesundheitsreform zeigten den gewünschten Erfolg, und was das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz bringen wird, gibt selbst Experten
immer noch Rätsel auf.

All diese Ereignisse sind das Ergebnis von wohlbegründeten, Schritt


für Schritt abgestimmten Entscheidungen, die einer ganz bestimmten
inneren Logik folgen. Das gilt auch für die Finanzkrise der vergange-
nen Jahre. Und diejenigen, die diese Entscheidungen trafen, zählten
alle zu den Spitzenkräften in Wirtschaft und Politik, denen man Milli-
arden Euro als Kapital anvertraute und denen man das Schicksal von
Millionen Arbeitnehmern in die Hände legte. Wie kommt es, dass die
Ergebnisse dennoch so unbefriedigend sind?

Die Diktatur des Verstandes


Dass wir als Einzelne im Leben immer wieder Fehler machen, schlech-
te und falsche Entscheidungen treffen, wissen wir. Oft genug sprachen
dann zwar unsere Gefühle gegen solche Entscheidungen, doch unser
Verstand sagte, „Tu es, es gibt viele gute Gründe“. Aber warum spielt
der Verstand für uns eine so große Rolle? Warum wollen wir alle
„Verstandesmenschen“ sein?

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Die falschen Folgen logischer Entscheidungen

Ganz offensichtlich ist es ein Teil unserer westlichen, von der Wirt-
schaft geprägten Kultur, dem Verstand einen so hohen Stellenwert
einzuräumen. Schließlich werden wir ständig aufgefordert, vernünftig
zu sein, die Verhältnisse in unserer Gesellschaft rational zu betrachten
und die Regeln der Vernunft zu akzeptieren.

Doch das heißt oft nichts anderes, als dass man sich der Meinung an-
derer, die an den Schaltstellen von Wirtschaft und Politik sitzen, an-
schließen soll. Verstand, Vernunft und Rationalität sind also vielleicht
nichts anderes als ein Instrument, um uns gefügig zu machen und uns
davon abzubringen, tiefer in uns hineinzulauschen und das zu tun,
was wir wirklich wollen.

Ganz offensichtlich haben wir uns an die Diktatur des Verstandes


schon so sehr gewöhnt, dass wir den Begriff gar nicht mehr hinterfra-
gen. Schließlich sind dessen Prinzipien schon mehr als 200 Jahre alt.

Vom Homo oeconomicus zum Homo reciprocans


Mit der Veröffentlichung seines Buchs „Der Wohlstand der Nationen“
legte Adam Smith 1776 nicht nur den Grundstein für eine neue Wis-
senschaft, die Ökonomie, sondern entwarf auch das Bild des verstan-
desgemäß handelnden Menschen, des Homo oeconomicus. Dieser
Mensch, der zweckgerichtet denkt und unter Abwägung aller Informa-
tionen allein zu seinem Vorteil handelt, ist bis heute aus den Wirt-
schaftswissenschaften nicht verschwunden.

Die meisten gängigen Wirtschaftstheorien, Managementmethoden


und Führungsprinzipien basieren noch heute auf der Prämisse, dass
sich der Mensch tatsächlich so verhält, wie es Adam Smith annahm.
Hiervon rückte man auch nicht ab, als vor hundert Jahren die Psycho-
logie begann, das Verhalten der Menschen neu zu deuten.

Die Ökonomen befanden sich in einer Zwickmühle. Einerseits erkann-


ten sie durchaus, dass ihre theoretischen Modelle, die sich auf rationa-
len Entscheidungen begründeten, keinesfalls in der Lage waren, die
Realität abzubilden. Andererseits erwiesen sich viele der frühen psy-
chologischen Erkenntnisse als nicht kompatibel mit ökonomischen
Lehren. Eine Lösung wurde erst Mitte der 1950-er-Jahre gefunden, als

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Verstehen Sie Ihren Verstand?

der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Alexander Simon das Konzept


der begrenzten Rationalität (bounded rationality) einführte.

Dieses Konzept besagt, dass Menschen Entscheidungen treffen, die


schlechter sind, als sie unter theoretischen Idealbedingungen möglich
wären. Vollständig rationales Verhalten ist unmöglich, weil es sowohl
an Informationen über die Gegenwart wie auch über die Zukunft
mangelt. Ein beschränkt rationales Verhalten konzentriert sich darauf,
die Suche nach Alternativen dann zu beenden, wenn man eine Lösung
gefunden hat, die einen zufriedenstellt, auch wenn man weiß, dass es
eventuell noch bessere geben könnte.

Mit diesem Modell der begrenzten Rationalität ließen sich in den Fol-
gejahren viele wirtschaftliche Prozesse besser beschreiben, als es mit
dem Modell des Homo oeconomicus möglich war. Jetzt ist die Neuro-
ökonomie angetreten, diesem Modell der begrenzten Rationalität noch
innere und indirekte Vorgänge hinzuzufügen.

Nicht nur der Mangel an relevanten Informationen verändert das Ent-


scheidungsverhalten, sondern es fließen auch irrationale Elemente in
die Entscheidungen und verändern diese. Dies geschieht in einer Wei-
se, die oft nur noch dadurch nachvollziehbar gemacht werden kann,
dass man mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie dem
Gehirn beim Denken zuschaut und herausfindet, welche Hirnregionen
an einer bestimmten Entscheidungsfindung beteiligt sind.

Das Modell des Homo oeconomicus taugt also nicht mehr zur Erklä-
rung unseres Verhaltens. Der Mensch ist weniger ein rational han-
delnder Homo oeconomicus, der ausschließlich an einer Maximierung
des materiellen Eigennutzens orientiert ist und der davon ausgeht,
dass auch alle anderen Menschen eigennützig und rational handeln,
sondern eher ein Homo reciprocans, der seine eigenen Reaktionen
mehr an den fairen oder unfairen Handlungen der anderen orientiert.

Den Begriff Homo reciprocans hat der Bonner Neuroökonom Armin


Falk entwickelt, als er in seinen Experimenten feststellte, dass sich die
Mehrheit der Teilnehmer reziprok verhielt, das heißt sich wechselseitig
und aufeinander bezogen danach richtete, wie sich die anderen Teil-
nehmer innerhalb eines Experiments verhielten. Nicht allein der eige-
ne Vorteil stand im Vordergrund, wie es beim Homo oeconomicus der

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Vertrauen Sie sich und anderen?

Fall sein würde, sondern eher die Reaktion darauf, wie man selbst be-
handelt wurde.

Weil dieses Verhalten maßgeblich für das Gesamtverhalten der Men-


schen innerhalb einer Gesellschaft ist, hat es gravierende Folgen für all
diejenigen, die in der Beratung von Politik und Unternehmen Vorher-
sagen treffen wollen: Vorhersagen, wie sich Kunden, Arbeitnehmer
oder auch Wähler im Hinblick auf bestimmte Entscheidungen verhal-
ten werden, die sie in negativer Weise betreffen oder zumindest als
unfair empfinden werden.

Ganz offensichtlich befinden wir uns heute in einer Zeit, in der wir
einen Paradigmenwechsel vornehmen müssen und uns ein neues
Menschenideal, nämlich den Homo reciprocans, zum Vorbild nehmen
sollten. In der Wirtschaft haben einige große Unternehmen wie zum
Beispiel Nestlé diesen Schritt schon getan, indem sie sich nicht mehr
nur den Aktionären und dem Shareholder Value verpflichtet fühlen,
sondern gemeinsam mit allen Menschen in allen Gesellschaften Werte
schaffen wollen und das auch im so genannten „Shared Value Prinzip“
formuliert haben.

Vertrauen Sie sich und anderen?


Können Sie anderen, sich selbst und Ihrem Verstand vertrauen? Ich
muss zugeben, dass ich oft Jahre und manchmal sogar Jahrzehnte ge-
braucht habe, um einige meiner Verhaltensweisen und Entscheidun-
gen, aber auch die anderer Menschen im Nachhinein wirklich verste-
hen zu können. Vieles, was ich spontan aus einer Situation heraus
gesagt oder getan habe, stellte sich nachher als wenig nützlich und
zielführend, zum Teil sogar als kontraproduktiv, heraus, auch wenn es
mir in diesem Moment als durchaus richtig, sinnvoll und notwendig
erschienen war.

Das gilt auch für Probleme, über die ich lange nachgedacht habe, bevor
ich eine entsprechende, aber dennoch falsche Entscheidung traf. Man
kann solche Fehler, die man einmal gemacht hat, bereuen, doch da-
durch ändert sich nichts. Man kann sie vor sich und anderen rechtferti-

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gen, dann fühlt man sich vielleicht etwas besser. Oder aber man kann
auch versuchen, sie zu analysieren und für die Zukunft daraus zu lernen.

Bei diesem letzten Weg waren die Erkenntnisse der Hirnforschung für
mich eine große Hilfe, weil sie ganz andere Denkansätze lieferten, als
es die klassische Psychologie tut. Doch das heißt noch längst nicht,
dass ich mich und andere heute vollständig verstehe.

Selbsterkenntnis und Menschenkenntnis funktionieren ungefähr so,


als wollte man bei Nacht den Grundriss eines uralten Gebäudes, an
dem immer wieder um- und angebaut wurde, mithilfe einer kleinen
Taschenlampe erkunden.

Sicher wird man nach einer Weile wissen, wohin bestimmte Gänge
und Treppen führen und was sich in einigen Zimmern befindet. Doch
dummerweise verhält es sich mit diesem Gebäude so wie mit der Zau-
berschule Hogwarts bei Harry Potter. Manche Treppen verschwinden
oder führen plötzlich in eine vollkommen andere Richtung, und wo
Türen waren, steht man plötzlich vor geschlossenen Wänden. Dabei
bleibt die äußere Fassade des Gebäudes nahezu unverändert.

Diese ständigen Veränderungen und Umbauten sind aber weder un-


normal noch sind sie ungewöhnlich, sondern sie sind in unserem Ge-
hirn ganz alltägliche Realität. Allerdings nehmen wir solche Verände-
rungen bei uns selbst kaum oder gar nicht wahr. Wir können uns nicht
daran erinnern, wie unsere Erinnerungen vor einiger Zeit einmal wa-
ren, weil unser Gehirn immer nur mit einem aktuellen Bauplan arbei-
tet und keine Kopien von früheren Plänen anfertigt und ablegt.

Dass das Gehirn sich in einem ständigen Umbauprozess befindet,


wurde nicht nur durch neurowissenschaftliche Experimente nachge-
wiesen, sondern auch durch die Beobachtung von Neuronen und ih-
ren Verbindungen zueinander unter dem Mikroskop.

Immer wenn wir uns eine Erinnerung ins Bewusstsein rufen, wird diese
bearbeitet und dann wieder neu abgespeichert. Auf diese Weise können
sich Erinnerungen aber nicht nur verfestigen, sondern auch verändern.
Oft reicht es schon, wenn eine bestimmte Geschichte immer und im-
mer wieder erzählt wird, wobei manche Details weggelassen und andere
liebevoll ausgeschmückt werden. Mit der Zeit können solche Erzählun-

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Vertrauen Sie sich und anderen?

gen dann eine Eigendynamik entwickeln, deren Ergebnis mit der ur-
sprünglichen Wirklichkeit nur noch wenig zu tun hat.

Solche „falschen Erinnerungen“ gibt es nicht nur im Zusammenhang


mit Kindesmissbrauch, Misshandlungen oder Kriegserlebnissen, son-
dern eben auch im ganz normalen Alltag.

Wir können vielleicht manchmal Spuren erkennen, wo etwas in unse-


ren Erinnerungen radiert oder übermalt wurde, und wir können viel-
leicht auch erkennen, welche Teile dieses Bauplans zu einer frühen
Phase unseres Lebens erstanden sind und welche erst später hinzuge-
fügt wurden. Aber wir haben kein Archiv, in dem die alten Baupläne,
fein säuberlich sortiert nach Tagen, Wochen und Jahren, abgelegt
wurden, sodass wir jede Veränderung nach ihrem Zeitpunkt und nach
ihren Ursachen aufspüren könnten.

Um die Frage, ob man seinem Verstand vertrauen kann, zu beantwor-


ten, müssten wir uns zunächst einmal darauf einigen, was der Ver-
stand überhaupt ist.

Verstand und Vernunft sind nicht identisch


Die Begriffe Verstand und Vernunft werden in der Umgangssprache
häufig nicht getrennt oder sogar synonym gebraucht. Tatsächlich be-
deuteten ihre althochdeutschen Vorläufer etwas sehr Ähnliches.
Verstand geht auf das Wort „firstan“ zurück, das soviel bedeutet, wie
„dicht davor stehen“, um etwas erkennen zu können. Vernunft geht
auf das Wort „firneman“ zurück, das soviel bedeutet, wie vernehmen,
wahrnehmen, aber auch erfassen und begreifen.

Mit den Begriffen Verstand und Vernunft haben sich viele Philoso-
phen ausführlich und in zahlreichen Werken beschäftigt. In der Psy-
chologie und in den Neurowissenschaften spielen sie allerdings nur
eine untergeordnete Rolle, da sie von Begriffen wie Denken, Bewusst-
sein, Intelligenz und Wille mit abgedeckt werden.

Man kann vielleicht vereinfacht sagen: Mit Verstand bezeichnet man


die Fähigkeit, durch die Verknüpfung von Einzelelementen Zusam-
menhänge und Sachverhalte zu erkennen, die es einer Person ermögli-

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chen, diese Erkenntnisse bewusst für das eigene Handeln nutzen zu


können. Verstand ist also die Grundlage für vernünftiges, das heißt
zweck- und zielorientiertes Denken und Handeln. Doch hilft uns diese
Definition wirklich weiter, um unseren Verstand zu verstehen?

Wir erleben unseren eigenen Verstand als Gesamtheit unseres bewuss-


ten Denkens, und wir wissen auch, dass er gelegentlich an Grenzen
stößt, wo unser Vorstellungsvermögen nicht mehr ausreicht, wo wir
etwas nicht mehr verstehen können. In der Physik liegt vielleicht für
viele die Grenze beim Verständnis von Einsteins Relativitätstheorie,
und wer glaubt, da noch mithalten zu können, gibt vielleicht auf, wenn
er die Stringtheorie oder bestimmte quantenphysikalische Phänomene
erklären soll.

Solche elementaren Grenzen des Verstehens sind im Alltag allerdings


eher unbedeutend. Häufig scheitern wir schon daran, das Verhalten
eines Vorgesetzten oder eines Arbeitskollegen zu verstehen. Wir ver-
stehen es häufig auch nicht, wenn ein Mensch, den wir für vernünftig
halten, politische Meinungen vertritt, die nicht mit unseren eigenen
übereinstimmen. Und viele verstehen auch nicht, wie man Geschmack
an pfälzischem Saumagen oder rohen Austern finden kann.

Wir brauchen also gar nicht lange zu überlegen, um festzustellen, dass


wir andere Menschen in vielerlei Hinsicht nicht verstehen, oder, um es
präziser zu formulieren, dass wir ihre Empfindungen, Gedanken und
Handlungen nicht nachvollziehen können.

Das liegt unter anderem daran, dass wir uns selbst zum Maßstab aller
Dinge machen. Hierbei handelt es sich allerdings um eine ganz ele-
mentare menschliche Eigenschaft, denn ohne einen Fixpunkt verlieren
wir jeden Halt und wären richtungs- und orientierungslos. Nur mit-
hilfe unseres Verstandes können wir unsere eigene Identität bewusst
erfassen.

Jetzt kommen wir zu einem Begriff, der bisher noch nicht behandelt
wurde: das Bewusstsein. Verstand und Bewusstsein sind nicht iden-
tisch, denn im Bewusstsein tauchen auch Gefühle auf, und zwischen
Gefühlen und Verstand erleben wir meist einen deutlichen Unter-
schied. Der Verstand ist also nur ein Teil des Bewusstseins.

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Die drei Teile des Verstands


Nach allem, was man bisher weiß, scheint der Verstand also aus drei
Teilen zu bestehen: dem persönlichen Teil, mit dem wir uns selbst
wahrnehmen, dem Beziehungsteil, der einerseits gewollte Beziehungen
zu anderen herstellt und andererseits die Beziehungen der anderen zu
uns bewertet, und dem Sachteil, der bestimmte Aufgaben definiert,
Lösungen auswählt und diese begründet.

Im Hinblick auf uns selbst liefert der Verstand als Teil des Bewusst-
seins nur bedingt brauchbare Ergebnisse. Der größte Teil des Selbst
bleibt im Unbewussten verborgen. In Bezug auf andere Menschen
funktioniert der Verstand deutlich besser, allerdings nur weil er mit
den Gefühlen kooperiert.

Wenn es um die Lösungen von Aufgaben geht, sind die Leistungen des
Verstandes sehr unterschiedlich, denn hier spielen die Kompetenz,
also die Selbsteinschätzung, Überschätzung oder Unterschätzung eine
ebenso große Rolle wie das Wissen und die Intelligenz.

Wir sehen also, dass der Verstand eine höchst komplexe Angelegenheit
ist, die nicht nur verschiedene Funktionen wahrnimmt, sondern als
Teil des Bewusstseins auch noch eng mit den Gefühlen und mit allem,
was im Unbewussten abläuft, verknüpft ist. Es ist deshalb einfacher,
sich mit dem Denken an sich zu befassen, wie es auch die Neurowis-
senschaften tun.

Gehirnforschung für den Alltag


„Woher weiß ich, was ich will? Warum tun die Menschen, was sie tun?
Und wie kann ich andere dazu bringen, das zu tun, was ich möchte?“
Die richtigen Antworten auf diese drei Fragen zu finden, bereitet den
Menschen seit jeher große Probleme. Daran konnte auch die Psycho-
logie nichts ändern, die seit mehr als hundert Jahren mit unterschied-
lichem Erfolg versucht, das Verhalten der Menschen in der Gemein-
schaft mit anderen zu erklären und ihm Vorschläge für eine positive
Lebensführung zu unterbreiten.

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Inzwischen sind die Neurowissenschaften angetreten, den Problemen


der Selbstverwirklichung, der Menschenkenntnis und der Einfluss-
nahme auf andere mit neuen Theorien, Methoden und Experimenten
auf den Grund zu gehen. Alles, was den Menschen ausmacht, ist das
Ergebnis neuronaler Prozesse, die ein höchst komplexes Bild der Welt
im Kopf entstehen lassen. Das hat sich auch durch Messungen bestä-
tigt, die bei buddhistischen Mönchen vorgenommen worden sind.
Dabei ist es wichtig, dass wir das Gehirn als ein soziales Organ begrei-
fen, das nur im Zusammenhang mit seiner Umwelt so funktioniert,
wie es das tut.

Früher hatte man sich das Funktionieren des Gehirns ungefähr so


vorgestellt wie das Räderwerk einer Uhr. Alles lief schön systematisch
und geordnet ab. Die verschiedenen Funktionen griffen ineinander,
und wenn irgendein Rädchen oder eine Feder nicht mehr funktionier-
ten, dann „tickte“ derjenige eben nicht mehr richtig.

Heute glauben viele Menschen, dass das Gehirn so ähnlich arbeitet wie
ein Computer. Man weiß als Benutzer zwar nicht genau, was die ver-
schiedenen Programme tun, aber wenn wir in einen Computer immer
wieder dasselbe eingeben, kommt auch dasselbe heraus, es sei denn,
irgendetwas ist kaputt gegangen.

Doch genau da unterscheidet sich das Gehirn von einem elektroni-


schen Rechner. Denn ein Mensch kann seine Meinung ändern, und er
kann aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auswählen. Darüber hinaus
unterliegt er sowohl äußeren wie auch inneren Einflüssen, die ihm
selbst gar nicht bewusst sind und die dennoch sein Denken und Han-
deln bestimmen.

Dank der Neurowissenschaften kommen wir jetzt aber diesen gehei-


men und im Verborgenen arbeitenden Steuermechanismen auf die
Spur, die eine so große Wirkung entfalten. Und nur, wenn wir diese
auch im Alltag in unser Kalkül mit einbeziehen, können wir uns selbst
und andere besser verstehen.

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Wir wissen noch zu wenig


Die Komplexität des Gehirns bietet für die Forschung vielfältige An-
satzpunkte, und das bildet sich auch in der Forschungsarbeit ab.
Weltweit arbeiten mehr als 50.000 Forscher auf diesem Gebiet. In den
Neurowissenschaften sind die verschiedensten Kooperationen und
Forschungsgruppen aktiv, die eine Vielzahl von Fragestellungen be-
antworten und eine breite Palette von Detailergebnissen veröffentli-
chen. In den Medien erscheinen jährlich rund 100.000 Artikel über
deren neue Erkenntnisse, die oft höchst spektakulär sind.

Diese Fülle von Veröffentlichungen mag ein Grund dafür sein, dass
das Wissen, das wir über das Gehirn haben, von der Gesellschaft und
auch von wissenschaftlich interessierten Laien deutlich überschätzt
wird. Die Neurowissenschaften haben in den vergangenen Jahren gro-
ße Fortschritte gemacht und die Erkenntnisbreite und -tiefe ist außer-
ordentlich stark gewachsen.

Wir kennen inzwischen unendlich viele Details über das Gehirn, den-
noch hat die Forschung erst einen extrem kleinen Teil der Geheimnis-
se gelüftet. Die grobe Anatomie des Gehirns ist heute zwar weitgehend
bekannt und die Wissenschaft kennt zu etwa 60 Prozent den Feinauf-
bau des Gehirns, doch werden die molekularen Vorgänge erst zu ei-
nem guten Drittel verstanden.

Die Neurowissenschaften ordnen ihre Forschungsgegenstände drei


Beschreibungsebenen zu: der unteren subzellulären und zellulären
Ebene, einer mittleren Ebene neuronaler Netzwerkverbände sowie der
oberen Ebene der funktionellen Systeme. Fortschritte wurden in den
vergangenen Jahren insbesondere auf der subzellulären und zellulären
Ebene sowie auf der der funktionellen Systeme gemacht.

Die obere Ebene der funktionellen Systeme umfasst die verschiedenen


mentalen Leistungen des Gehirns. Sie ist unter anderem dafür zustän-
dig, Sprache zu verstehen, Bilder zu erkennen, Töne wahrzunehmen,
Musik zu verarbeiten sowie Handlungen zu planen, aber es laufen dort
auch Gedächtnisprozesse sowie Emotionserlebnisse ab.

Die neurowissenschaftliche Forschung verfügt heute über modernste


technische Verfahren. Vor allem durch den Einsatz der funktionellen

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Magnetresonanztomografie konnten deutliche Fortschritte erzielt


werden. Die dabei entstehenden bunten Bilder des Gehirns sind den
meisten Menschen aus den Medien durchaus vertraut.

Ohne die konkreten Fragestellungen der Ökonomen, die mit ganz


bestimmen Erfahrungen und Erwartungen verknüpft sind, wäre es
allerdings nahezu unmöglich, den zu beobachtenden neuronalen Ab-
läufen und Phänomenen einen Sinn zuzuordnen.

Beobachtungen des Gehirns haben gezeigt, dass es einen ganz erhebli-


chen Unterschied ausmacht, ob die untersuchte Person eine Beloh-
nung erwartet oder tatsächlich erhält. Ähnliche Unterschiede werden
auch deutlich, wenn es darum geht, ob die Person sich für ein Risiko
entscheiden muss oder ein Risiko tatsächlich eingeht.

Auch hinsichtlich der unteren neuronalen Organisationsebene haben


neue technische Methoden zu neuen Erkenntnissen geführt. Doch
zwischen dem Wissen über die obere und untere Organisationsebene
klafft immer noch eine große Erkenntnislücke. So existieren heute
allenfalls plausible Vermutungen darüber, mit welchem Code einzelne
oder wenige Nervenzellen untereinander kommunizieren. Völlig un-
bekannt ist, was abläuft, wenn es hundert Millionen oder gar einige
Milliarden Nervenzellen sind, die miteinander kommunizieren.

Wie das Gehirn tatsächlich funktioniert, welche Ursachen Krankheiten


haben und wie das Gehirn mit Störungen umgeht und sich selbst „re-
pariert“, ist in den Details so kompliziert und so schwer zu verstehen,
dass hier nach Ansicht von Experten noch über viele Jahre hinweg ein
großer Forschungsbedarf bestehen wird. Speziell im Alltag gesunder
Menschen ist es aber heute schon lohnenswert, sich mit den aktuellen
Erkenntnissen der Neurowissenschaften zu beschäftigen.

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Denken – ein Prozess mit ungewissem
Ausgang
Wir alle wissen ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn wir denken.
Schwierig wird es allerdings, wenn wir unser eigenes Denken erklären
wollen. Wir können zwar meist sagen, welche gedanklichen Schritte wir
zurückgelegt haben, um zu einer bestimmten Entscheidung zu kommen,
aber warum wir gerade diese und nicht andere Schritte gegangen sind,
bleibt für uns meist im Verborgenen. Genauso wissen wir immer nur,
welchen Gedanken wir jetzt im Kopf haben, aber nicht, was wir exakt
eine Stunde später denken werden.

Dass wir unser Denken längst nicht so stark lenken können, wie wir es
gemeinhin annehmen, stellen wir am ehesten fest, wenn wir träumen.
Wenn wir aufwachen und uns noch Teile der Träume bewusst sind, bevor
sie zu verblassen beginnen, sind wir oft erstaunt, um welch merkwürdige
Geschichten es sich handelte, die wir da in unserem Kopf zusammenge-
sponnen haben. Denken ist also eines der faszinierendsten Phänomene,
und so ist es kein Wunder, dass sich die Gehirnforschung intensiv be-
müht, den Vorhang zu lüften und dem Geheimnis des Denkens auf die
Spur zu kommen.

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

Wir denken nicht, was wir wollen


Wir denken nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir den-
ken. Denken ist zu einem ganz überwiegenden Teil kein bewusster
Prozess, sondern ein unbewusster, der sowohl von den Genen als auch
von der Gesellschaft gesteuert wird. Der Mensch ist von seiner Umwelt
nicht zu trennen. Sie formt im Laufe des Lebens nicht nur immer neue
Muster im Kopf, sondern fordert uns beständig heraus, zu reagieren,
statt zu agieren.

Bei der Geburt eines Menschen hat sein Gehirn ein Gewicht von unge-
fähr 400 Gramm. In den ersten zwei Lebensjahren erreicht es 1.000
Gramm und wächst bis zum 18. Lebensjahr auf ein durchschnittliches
Volumen von 1.500 Gramm an. Bei Männern liegt das Gehirngewicht
etwas höher, bei Frauen etwas niedriger.

Dieser Gewichtsunterschied wurde in der Vergangenheit gern als Ar-


gument genommen, um die Vorrangstellung des Mannes zu unter-
mauern. Inzwischen ist die Frage des Gehirngewichts aber als irrele-
vant erkannt worden. Denn bei Frauen ist die Nervenzelldichte etwas
höher als bei Männern, mit dem Ergebnis, dass die Anzahl der Ner-
venzellen in etwa gleich groß ist.

Von den etwa drei Millionen Basenpaaren des menschlichen Genoms,


die auf 30.000 Genen untergebracht sind, benutzt das Gehirn etwa
50 Prozent, was ein deutlicher Hinweis auf die Komplexität seines
Aufbaus und seiner Funktion ist. Aber es zeigt auch, wie stark die
Funktion des Gehirns durch Gene gesteuert wird.

Das Gehirn macht zwar nur durchschnittlich zwei Prozent der Kör-
permasse aus, verbraucht aber 20 Prozent der Energie. Man kann es
insofern als „Schwerarbeiter“ bezeichnen. Bewusste Denkprozesse
brauchen besonders viel Energie, allerdings erfolgen die meisten Ab-
läufe im Gehirn unbewusst, das heißt im „Energiesparmodus“.

Wir müssen akzeptieren, dass unser Gehirn nur begrenzte Kapazitäten


hat. Bewusst können wir immer nur einen Gedanken und nicht meh-
rere gleichzeitig denken. Das Unbewusste hingegen ist in der Lage,
verschiedene Probleme parallel zu bearbeiten und uns plötzlich Lö-
sungen vorzuschlagen, die dann als Ideen im Bewusstsein auftauchen.

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Das Gehirn kennt keine Denkpausen

Bewusstes Denken verbraucht mehr Energie und ist wesentlich lang-


samer als unbewusstes Denken, deshalb delegieren wir die meisten der
alltäglichen Funktionen an das Unbewusste.

Das ist auch die Ursache dafür, dass häufig bestimmte Entscheidungen
nach einfachen Mustern erfolgen, die zwar energieeffizient, aber im
Ergebnis dann leider falsch sind.

Das Gehirn besteht aus einem hoch vernetzten System, in dem es über
100 Billionen Verbindungsstellen gibt. Denn jede einzelne der 100
Milliarden Nervenzellen im Gehirn kann über bis zu 15.000 Kontakt-
stellen, den Synapsen, mit anderen Nervenzellen verbunden sein. Auch
wenn diese Zahlen unsere Vorstellungskraft sprengen, ist offensicht-
lich nur ein solch hoch komplexes System in der Lage, Informationen
so zu verarbeiten, zu speichern und zu verknüpfen, dass das entsteht,
was wir als unser Selbst wahrnehmen und was uns Identität gibt.

Die Signale, die zwischen den Nervenzellen hin- und hergehen, sind
elektrischer Natur, vergleichbar einem Morsealphabet. Um die unter-
schiedlichen Signale richtig bewerten zu können, verfügt das Gehirn
über einen Regelmechanismus, der auf jeder Stufe die hemmenden
und die erregenden Impulse gegeneinander verrechnet. Erst wenn eine
bestimmte Erregungsschwelle überschritten wird, kommt es zu einer
Weiterleitung des Signals nach dem Prinzip eines Kaskadensystems.

Das Gehirn kennt keine Denkpausen


Das Gehirn eines Menschen ist also ständig aktiv und verarbeitet be-
ziehungsweise bearbeitet Sinneseindrücke und Informationen. Das gilt
auch für die Ruhephasen, wenn man schläft. Würde das Gehirn keine
Informationen mehr verarbeiten, könnte man am Morgen nicht durch
das Klingeln des Weckers aus dem Schlaf gerissen werden. Erst wenn
der Hirntod eingetreten ist, also alle Bereiche des Gehirns ihre Funkti-
on eingestellt haben, hört das Denken auf.

Auch wenn wir hellwach sind, wird nur ein winziger Bruchteil dessen,
was wir denken, vom Bewusstsein wahrgenommen. Denn das Denken
ist in erster Linie ein unbewusster Prozess, der hauptsächlich darin

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

besteht, zu entscheiden, welche eingehenden Informationen wichtig


sind und welche nicht.

Die als wichtig erkannten Informationen werden dann an das Be-


wusstsein weitergereicht, allerdings keineswegs immer und ausschließ-
lich als Fakteninformation, sondern häufig auch nur in Form eines
Gefühls. Denn auch das Unbewusste ist keineswegs immer in der Lage,
solche oft sehr kleinen Informationseinheiten für den Verstand als
Fakten aufzubereiten.

Unbewusstes, aber auch bewusstes Denken, bedeutet in erster Linie zu


entscheiden: Ist etwas wichtig oder unwichtig? Ist etwas richtig oder
falsch? Ein einzelner Gedanke, der einen Sinn ergibt oder ergeben soll,
setzt sich aus einer Vielzahl solcher Entscheidungen zusammen.

Allein wenn ich in diesem Moment diesen Text schreibe, muss ich
bewusst und unbewusst eine Vielzahl von Entscheidungen treffen.
Nämlich nicht nur „Was will ich sagen?“ und „Wie will ich es sagen?“,
sondern auch „Mit welchen Worten?“ und „In welcher Reihenfolge
müssen diese Worte stehen, um einen Sinn zu ergeben?“.

Denken bedeutet deshalb einerseits, zu entscheiden, was ist. Durch


unsere Entscheidungen, welche unserer Wahrnehmungen wichtig sind
und welche nicht, konstruieren wir das, was wir dann als Realität ak-
zeptieren. Andererseits treffen wir aufgrund dieser Annahmen dann
die Entscheidung, was sein soll. Indem wir also auf das Ist reagieren,
konstruieren wir die nächste Stufe der Wirklichkeit. Jede Schlussfolge-
rung, die wir aus einer Information ziehen, ist ein Entscheidungspro-
zess, der ein neues Stück Wirklichkeit schafft.

Aber damit gibt sich das Gehirn noch nicht zufrieden. Es versucht
nämlich nicht nur zu entscheiden, was sein soll, sondern ist auch kon-
tinuierlich damit beschäftigt, die Resultate von Handlungen und Ent-
scheidungen vorherzusagen, um diese einleiten, steuern und im Not-
fall auch korrigieren zu können. Ohne die Vorhersage, was sein wird,
könnten wir uns überhaupt nicht entscheiden. Dabei kommt es nicht
darauf an, ob die Vorhersagen richtig oder falsch, begründet oder un-
begründet sind.

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Das Gehirn kennt keine Denkpausen

Wenn man das Gehirn eines Menschenaffen mit dem eines Menschen
vergleicht, erkennt man sofort, dass vor allem das Stirnhirn, also der
vordere Abschnitt des Gehirns, beim Menschen größer ist. Dieser or-
ganische Unterschied wird auch in den Verhaltensweisen und Fähig-
keiten von Affen und Menschen repräsentiert.

Hinsichtlich der Sinneswahrnehmungen und Bewegungen verfügt der


Affe über eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit als der Mensch. Kein
Mensch könnte mit „affenartiger Geschwindigkeit“ auf einen Baum
klettern oder von einem Baum zum anderen springen. Stattdessen
liegen die Stärken des Menschen im zielgerichteten Handeln, in der
Entscheidungs- und Introspektionsfähigkeit sowie in der Kommunika-
tion und im abgestimmten Handeln mit anderen Wesen seiner Gat-
tung.

Daraus lässt sich schließen, dass die komplexen Hirnleistungen des


Menschen im vorderen Abschnitt des Gehirns stattfinden. Hier erfolgt
die Speicherung vieler Informationen, hier werden Entscheidungen
getroffen und hier entsteht das Ich-Bewusstsein. Große Teile der Fä-
higkeiten zur Kommunikation, wie zum Beispiel die Sprache, sind hier
lokalisiert und auch die emotionale Bearbeitung von Ereignissen findet
hier durch eine Verbindung mit den Emotionszentren des Gehirns
statt.

Man geht davon aus, dass in den ersten Lebensjahren in diesem Teil
des Gehirns ein kompliziertes Netzwerk aufgebaut wird, dessen Funk-
tion sich auch in unserem Sozialverhalten niederschlägt. Wenn zum
Beispiel vor Abschluss des zweiten Lebensjahrs dieser Netzwerkaufbau
durch Verletzungen gestört wird, hat der Mensch eine deutliche Nei-
gung, sich im wahrsten Sinne des Wortes „asozial“ zu verhalten. Er
kann weder Regeln einhalten noch erkennen, dass es ganz bestimmter
Regeln bedarf, um in einer Gemeinschaft zusammenleben zu können.

Tritt eine solche Verletzung allerdings erst zwischen dem zweiten und
dem fünften Lebensjahr auf, werden die entsprechenden Regeln zwar
erlernt und auch wahrgenommen, doch fällt es dem Betroffenen
schwer, sie einzuhalten.

Wenn man den Schädel eines Menschen für Operationen öffnet,


scheint jedes Gehirn zunächst einmal gleich zu sein, es sei denn, dass

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

grobe Anomalien vorliegen. Doch diese oberflächlich erkennbare orga-


nische Gleichheit findet sich nicht in den Funktionen wieder. Es gibt
zwar Regionen, in denen in jedem Gehirn vergleichbare Prozesse statt-
finden, doch der Feinaufbau kann höchst unterschiedlich sein, weil
jedes Gehirn anders vernetzt ist. Und selbst wenn zwei Menschen exakt
dasselbe denken, tun sie es doch immer auf unterschiedliche Weise.

Diese auf dem komplexen Aufbau des Gehirns beruhende Unter-


schiedlichkeit stellt keinesfalls einen Mangel dar, sondern bildet wahr-
scheinlich die Grundlage für die menschliche Entwicklungsfähigkeit.
Ähnlichkeiten zwischen den Menschen aufgrund ihrer Gene und ihrer
Sozialisation sind ein Garant für die Stabilität einer jeden Gesellschaft,
während die Unterschiede die Grundlage für Weiterentwicklungen
und Veränderungen bilden.

Das Gehirn beim Denken beobachten


Erst die neuere Hirnforschung hat den Bereich des Unbewussten in
den Blickpunkt gerückt. Immer mehr Hirnforscher sind dabei, von
beobachtbaren Vorgängen, speziell bei Menschen mit Schädigungen
am Gehirn, auf nicht beobachtbare Vorgänge zu schließen. Die bildge-
benden Verfahren können belegen, welche Teile des Gehirns an be-
stimmten Denkoperationen beteiligt sind. Und sie zeigen, dass zum
Beispiel Gefühle beim Denken eine weitaus größere Rolle spielen, als
lange Zeit angenommen wurde.

Die erste Möglichkeit, ein lebendes Gehirn beim Denken zu beobach-


ten, ohne den Schädel öffnen zu müssen, war die Elektroenzephalogra-
fie (EEG), die in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhundert entdeckt
worden war. Mithilfe von am Kopf befestigten Elektroden ließen sich
die Gehirnströme der Hirnrinde messen. Allerdings blieben die Aktivi-
täten in tiefer liegenden Schichten des Gehirns ebenso verborgen wie
das funktionelle Zusammenspiel der verschiedenen Hirnbereiche.
Durch das EEG erhielt man zwar Daten, aber noch keine Bilder.

Bei der Magnetenzephalografie (MEG) werden die magnetischen Si-


gnale des Gehirns gemessen, die durch die elektrischen Ströme aktiver
Nervenzellen erzeugt werden. Moderne Ganzkopf-MEGs messen mit

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Das Gehirn beim Denken beobachten

einer helmartigen Konstruktion, in der sich rund 300 Magnetfeld-


Sensoren befinden. Auch das MEG erzeugt noch keine Bilder, gibt
aber in speziellen Fällen, wie zum Beispiel bei der Epilepsie, gute Auf-
schlüsse darüber, welche Hirnareale wann aktiv sind. Deshalb setzt
man die MEG für spezielle Forschungszwecke und in Verbindung mit
anderen Verfahren recht häufig ein.

Echte Bilder vom Gehirn erhält man durch die Positronen-Emissions-


Tomografie (PET). Hierbei wird eine radioaktiv markierte Substanz
injiziert, die Positronen ausstrahlt. Da es sich um ein nuklearmedizini-
sches Verfahren handelt, nutzt man es eher bei der Diagnose von Er-
krankungen, aber nicht zu Forschungszwecken.

In der Forschung hat sich heute weitgehend die Magnetresonanzto-


mografie (MRT) durchgesetzt, die auch Kernspintomografie genannt
wird. Die MRT arbeitet mit Magnetfeldern und Radiowellen, um Kör-
pergewebe abzubilden.

Seit Anfang der Neunzigerjahre benutzt man auch die so genannte


funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die indirekt den
Blutdurchfluss und den Sauerstoffgehalt einzelner Hirnregionen misst
und daher auch, wie der Name schon sagt, Funktionen wie Denken
und Lernen darstellen kann, bei denen Sauerstoff im Gehirn ver-
braucht wird.

Die hübschen, bunten Bilder, die man heute vom Gehirn sieht, darf
man allerdings nicht als Fotografien interpretieren. Sie entstehen erst
dadurch, dass der Computer, mit dem die Signale des Magnetreso-
nanztomografen ausgewertet werden, bestimmte Rechenwerte farblich
darstellt. Um den so gewonnenen Bildern eine Aussagekraft zu verlei-
hen, bedarf es allerdings komplizierter psychologischer Experimente,
die das Gehirn in einer ganz bestimmten Art und Weise anregen und
beeinflussen.

Wie können wir heute zu den Wurzeln unseres Denkens vordringen?


Natürlich arbeitet die Wissenschaft eifrig daran, die Funktionen und
Reaktionen des Gehirns zu entschlüsseln. Es wird in wenigen Jahren
sicherlich möglich sein, für jedermann einen Hirnscan anzubieten, der
zumindest die wesentlichen Potenziale und Defizite eines Gehirns
entdeckt und entschlüsselt. Vielleicht werden solche Verfahren dann

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

auch „freiwillige“ Bestandteile bei der Beurteilung von Bewerbern für


Berufe oder bei der Entscheidung über eine Beförderung sein.

Das Unbewusste steuert uns


Der erste Schritt zu einer Beurteilung seiner selbst mag darin liegen, zu
akzeptieren, dass das Unbewusste der eigentliche Steuermann unseres
Lebens ist. Aber auch für das Unbewusste gibt es drei große Einfluss-
faktoren:
1. Der eine sind die Gene, die Grundlagen schaffen und Veränderun-
gen dirigieren.
2. Der zweite und ganz wesentliche Faktor ist das Verhalten anderer
Menschen und dessen Wirkung auf das Denken durch Signale, die
so gut wie nie das Bewusstsein erreichen.
3. Der dritte Einflussfaktor sind die Lebensbedingungen, denen wir
von Geburt an ausgesetzt waren und die uns besonders als Jugend-
liche und junge Erwachsene geformt haben.

Was der Mensch braucht, um sein eigenes Denken besser verstehen zu


können, sind deshalb Achtsamkeit gegenüber der Vielzahl von Gedan-
ken, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen, und eine möglichst
große Menge von Erfahrungen, die damit verknüpft sind. Er braucht
also ein gewisses Alter, da sich Erfahrungen nun einmal nicht ad hoc
einstellen.

Es ist kein Zufall, dass viele Menschen nach ihrem 40. Lebensjahr und
auch noch deutlich später etwas vollkommen Neues beginnen. Sie sind
dann offensichtlich darauf gestoßen, dass das, was sie bisher dachten
und wonach sie bisher handelten, überhaupt nicht ihrer wahren Natur
entspricht. Allerdings möchte ich hier warnend anmerken, dass dieses
In-sich-Hineinhören manchmal auch zu erheblichen Irrtümern füh-
ren kann. Aber das sollte niemanden davon abhalten, über sein Den-
ken immer wieder selbst nachzudenken.

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Das Unbewusste steuert uns

Das Unbewusste ist zuerst aktiv


Die meisten Menschen können bewusst nur das denken, was sich in
Worte kleiden lässt. Kein Wunder also, dass wir so oft Sprachbilder,
Metaphern, benutzen, um unsere Gefühle, aber auch bestimmte Ge-
danken, für die es keine Begriffe gibt, auszudrücken. Wir sprechen
zum Beispiel von Schmetterlingen im Bauch.

Wenn ein Mensch über ein Problem nachdenkt, greift das Bewusstsein
auf Ressourcen zurück, die zwar vorhanden, aber eben zunächst nicht
bewusst sind. Wir beginnen uns an gelernte Fakten, vergangene Erei-
gnisse oder Erfahrungen zu erinnern. Spätestens in einem solchen
Moment sollte uns klar werden, dass neben dem aktuellen Bewusst-
seinsinhalt noch weitaus mehr Inhalte im Kopf vorhanden sind, die
wir durch Denken präsent machen können.

Unsere alltägliche Erfahrung ist die, dass wir uns gedanklich immer
vom Bewussten zum Unbewussten hin bewegen. Aber dies entspricht
nicht den tatsächlichen Abläufen. Gezeigt haben dies die Experimente
von Benjamin Libet, früherer Professor für Neurophysiologie an der
University of California in San Francisco. Er wies nach, dass das Be-
wusstsein, eine Handlung durchführen zu wollen, zu der wir uns aus
eigenem Antrieb entschließen, fast ein halbe Sekunde nach dem Mo-
ment eintritt, in dem das Gehirn mit der Vorbereitung des Entschlus-
ses bereits begonnen hat. Die Handlungen setzen also unbewusst ein.

Libet kam zu dem Schluss, dass das Bewusstsein lediglich eine Art Ve-
torecht hat, um eine vorbereitete Handlung abzubrechen, sie aber
nicht initiiert. Wenn sich diese Reihenfolge, dass also ein unbewusster
Prozess einer bewusst gewollten Handlung vorausgeht, experimentell
nachweisen lässt, kann man daraus auch schließen, dass einem be-
wussten Gedanken zunächst ein unbewusster gedanklicher Prozess
vorgelagert ist.

Alles bewusste Denken hat also zunächst einen unbewussten Vorgän-


ger. Ob dieser Vorsprung nun wie bei Libet eine halbe Sekunde beträgt
oder ob es nicht sogar so ist, dass unbewusste gedankliche Prozesse ein
Eigenleben führen und abhängig von der jeweiligen Auslastung des
Bewusstseins unterschiedlich lange brauchen, bis sie dort auftauchen,
weiß man noch nicht.

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

Albert-László Barabási beschreibt in seinem Buch „Linked“ das so


genannte Multi-tasking, also die gleichzeitige Bearbeitung von mehre-
ren Aufgaben. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen bei der
körperlichen Arbeit ähnlich wie Computer reagieren. Ihre Leistung
sank um 20 bis 40 Prozent, wenn zwischen verschiedenen Aufgaben
hin- und hergewechselt werden musste.

Allerdings diagnostizierte Barabási, dass ein komplexes System, wie es


das menschliche Gehirn darstellt, ohne Probleme zwischen Tausenden
von Aufgaben hin- und herspringen kann. Die Konsequenz lautet: Wir
wissen gar nicht, an welchen Aufgaben, Problemen oder Lösungen
unser Unbewusstes zurzeit arbeitet, bis es uns ein Ergebnis im Be-
wusstsein präsentiert.

Die Grundlagen des Denkens


Der genetisch bedingte Aufbau des Gehirns und die epigenetisch be-
wirkten Veränderungen aufgrund innerer und äußerer Einflüsse bil-
den die organische Grundlage für das Netzwerk der Neuronen, in dem
die Gedanken ablaufen. Mit den modernen bildgebenden Verfahren ist
es möglich, das Gehirn beim Denken zu beobachten und das Zusam-
menspiel der Aktivitäten verschiedener Hirnregionen zu erkennen.

Man kann sehen, dass gedacht wird und wo gedacht wird. Was der
Mensch denkt, ist aber nicht zu erkennen, und auch nicht, welche
Aktivitäten sich bewusst oder unbewusst abspielen beziehungsweise
wie diese beiden Ebenen innerhalb einer Denkoperation miteinander
verknüpft sind.

Das Gehirn organisiert sich als Netzwerk selbst, wobei es den für
Netzwerke geltenden Regeln und Mustern folgt. Die Selbstorganisati-
on erfolgt im Rahmen der individuellen Verarbeitung äußerer Reize
und Informationen. Das heißt, jeder Mensch bewertet und speichert
eingehende Informationen ganz individuell innerhalb einer bestimm-
ten Spannbreite. Was für den einen eine Katastrophe sein kann, ist für
den anderen eine banale Nebensächlichkeit.

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Die Grundlagen des Denkens

Das Wertesystem als Grundlage von Gedankenmustern muss angebo-


ren sein, weil alle Menschen in den verschiedenen Kulturen ein ähnli-
ches Verhalten aufweisen, das auch schon bei kleinsten Kindern zu
beobachten ist.

So lässt sich schon bei Säuglingen im Alter von sechs Monaten Eifer-
sucht auf andere Säuglinge beobachten. Die soziokulturelle Aus-
formung des Wertesystems beginnt erst in den nachfolgenden Le-
bensphasen.

Ausgehend davon, was den Menschen in seinem Verhalten und damit


auch in dem zugrunde liegenden Denken beeinflusst, sind drei Grund-
muster zu erkennen, auf denen alle weiteren aufbauen.

Diese drei Grundmuster sind:


• „Es ist richtig“,
• „Es ist möglich“ und
• „Ich will es“.

Diese Grundmuster ermöglichen die Entscheidung zwischen richtig


und falsch, möglich und unmöglich, wollen und nichtwollen. Denken
ist also immer Entscheiden, das gilt auch für die unbewussten Gedan-
kenabläufe. Dass dabei das unbewusste Denken mehr Raum einnimmt
als das bewusste, ist eine Tatsache, die wir akzeptieren müssen. Das
Unbewusste ist der Steuermann unseres Lebens.

Die Gene schaffen die Grundlagen und dirigieren Veränderungen.


Daneben wird unser Denken durch das Verhalten anderer Menschen
beeinflusst, und zwar durch unbewusst ausgesandte und ebenso un-
bewusst registrierte Signale. Ebenso spielen auch die Lebensbedingun-
gen, denen wir im Laufe unseres Lebens, ganz besonders aber in der
Kindheit und Jugend, ausgesetzt sind, eine Rolle.

Die Eigenarten und besonders die Talente eines Menschen werden erst
im Zusammenspiel zwischen Genen und Gesellschaft ausgeformt.

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

Die Mehrzahl unserer Gedanken wird durch Impulse von außen ange-
regt. Es sind die so genannten Spiegelneuronen, Nervenzellen mit ei-
ner ganz bestimmten Funktion, die uns befähigen, die unbewussten
Signale anderer Menschen zu verstehen, aber auch selbst permanent
unbewusste Signale auszusenden. Doch nicht nur das Verhalten ande-
rer Menschen beeinflusst uns. Entsprechend der individuellen Ausstat-
tung wird jede noch so kleine Veränderung in unserer Umwelt vom
Unbewussten beobachtet und bewertet, aber nur in den seltensten
Fällen bewusst gemacht.

Das ist einer der Gründe, weshalb Menschenmassen unsere Gefühle


bewegen können. Wir achten auf andere, und wenn entsprechend viele
Menschen in ihrem Verhalten ein bestimmtes Denkmuster signalisie-
ren, übernehmen wir es.

Abstrakte Inhalte werden in Form von Memen weitergegeben. Mem ist


ein Kunstwort, das der Evolutionsbiologe Richard Dawkins aus den
Begriffen Memory (Erinnerung) und Gen geschaffen hat. Auch Meme
beeinflussen unser Denken und bilden eigene Muster. Wenn wir explizi-
tes Wissen speichern und weitergeben, sind die Meme ebenfalls beteiligt.
Dabei ist zu beachten, dass auch bei scheinbar abstraktem Wissen wie
bei allen anderen Denkvorgängen die Gefühle beteiligt sind.

Das Muster der Gedanken besteht also aus Erinnertem und Gefühl-
tem, in Verbindung mit eingehenden Informationen, die im Netz der
Muster miteinander verknüpft werden, um zu entscheiden, was ist,
was sein soll oder was sein wird. Diese Entscheidungen verändern sich
zu einem großen Teil während des Lebenslaufs eines Menschen, des-
halb spielt auch das Alter beim Fortschritt und bei der Veränderung
der Denkmuster eine ausschlaggebende Rolle.

Kreativität und Logik, also schöpferisches und folgerichtiges Denken,


sind zusammen mit Wissen und Wahrnehmung die wichtigsten
Instrumente des Verstandes. Nur sie gemeinsam können die Muster so
verändern, dass der Mensch sich vom Gestern zum Morgen hin
orientieren kann.

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Verhandlungsspiele veranschaulichen das menschliche Verhalten

Verhandlungsspiele veranschaulichen das


menschliche Verhalten
Um die Interaktion zwischen Menschen im Experiment zu untersu-
chen, eignen sich besonders Verhandlungsspiele, die sowohl von der
Psychologie als auch der Verhaltensökonomie und der Neuroökono-
mie gern genutzt werden. Man schafft Situationen, in denen das Ver-
halten der Menschen erkannt und beschrieben werden kann. Daraus
lassen sich dann Regeln ableiten, die wiederum die Grundlage für
Vorhersagen zum Verhalten darstellen.

Viele Bereiche der Psychologie versuchen, Vorhersagen über das Ver-


halten auch daraus abzuleiten, dass man bestimmte Annahmen über
die Ursachen trifft. Dabei steht die Persönlichkeit mit ihren ererbten
Charaktereigenschaften und dem erlernten Verhalten meist im Mittel-
punkt, aber auch das situative Verhalten gewinnt bei der Beantwor-
tung der Frage nach den Ursachen unseres Handelns immer mehr an
Bedeutung.

Die Neuroökonomie benutzt diese Spiele, weil sie die neuronalen


Grundlagen von bestimmten Entscheidungen und Verhaltensweisen
kennenlernen möchte, um aus den Aktivitäten verschiedener Hirnre-
gionen Rückschlüsse auf die Steuerungsmechanismen des Gehirns
und auf die Beteiligung von zum Beispiel Gefühlen zu ziehen. Auf-
bauend auf den Erkenntnissen der Psychologie und der Verhaltens-
ökonomie erhofft man sich Erkenntnisse über generelle Ursachen des
Verhaltens, die über die individuellen Faktoren einer einzelnen Per-
son hinausgehen.

Bei Untersuchungen mit der funktionalen Magnetresonanztomogra-


fie lassen sich sehr gut durch neuronale Aktivitäten im Gehirn Ge-
winne und Verluste nachweisen und eindeutig bestimmten Gehirn-
regionen zuordnen. So wird bei der Erwartung eines finanziellen
Gewinns der Nucleus accumbens aktiviert und die Versuchsperson
verspürt eine positive Erregung, die sie auch körperlich wahrnimmt.

Wenn die erwarteten Gewinne immer größer werden, steigt in glei-


chem Maße auch die Aktivierung des Nucleus accumbens ebenso wie

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

das erlebte positive Gefühl. Wenn man dann tatsächlich einen Ge-
winn erhält, wird der mediale präfrontale Cortex aktiviert.

Schon eine Gewinnvorhersage macht den Nucleus accumbens mobil.


Kommt dieser Gewinn dann allerdings nicht zustande oder ist er nied-
riger als erwartet, wird auch das wiederum im medialen präfrontalen
Cortex verarbeitet.

Der Mandelkern, auch Amygdala genannt, spielt besonders dann eine


große Rolle, wenn in einem Spiel die Möglichkeit besteht, zu bluffen,
allerdings mit der Gefahr, erwischt zu werden und dann zu verlieren.
Bei einem solchen Spiel ist der Verlust am größten, wenn man beim
Bluffen erwischt wird.

In der kritischen Phase, nachdem der Proband sich entschieden hat,


ob er bluffen will oder nicht, ist die Amygdala je nach Entscheidung
mehr oder weniger aktiv. Bei fairem Verhalten ist ihre Aktivität gerin-
ger. Der Spielteilnehmer hat entweder Angst vor der Entdeckung oder
vor dem mit der Entdeckung verbundenen größeren Verlust.

Immerhin wissen wir durch die Auswertung dieser Spiele, dass die
Erwartung von Gewinnen und die Angst vor Verlusten offensichtlich
in unterschiedlichen Gehirnregionen verarbeitet werden und sich des-
halb nicht ohne Weiteres gegenseitig ausschalten können. Angst und
Hoffnung sind also zwei unterschiedliche Paar Schuhe, die direkt bei-
einander stehen.

Das Diktatorspiel
Die einfachste Form der so genannten Verhandlungsspiele ist das Dik-
tatorspiel. Dabei steht dem Spieler A eine bestimmte Geldsumme zur
Verfügung, die er zwischen sich selbst und dem Spieler B aufteilen soll.
Die Höhe des Betrages, die er an Spieler B weitergibt, bleibt dem Spie-
ler A, dem „Diktator“, selbst überlassen.

Falls der Spieler A rein rational denkt und auf die Maximierung seines
Nutzens ausgerichtet ist, würde er die gesamte Geldsumme für sich
behalten und nichts an Spieler B abgeben.

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Verhandlungsspiele veranschaulichen das menschliche Verhalten

Verschiedene Experimente haben aber ergeben, dass Spieler A durch-


aus einen Anteil an Spieler B abgibt, und zwar durchschnittlich zehn
bis 25 Prozent der zur Verfügung stehenden Geldsumme. Dieses im
Prinzip irrationale Verhalten lässt sich entweder mit einer naturgege-
benen Tendenz zu altruistischem Verhalten begründen oder mit der
bei den Menschen unterschiedlich stark ausgeprägten Empathie, also
der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.

Wenn man sich in die Rolle eines anderen Menschen versetzt und das
eigene Verhalten mit fremden Augen betrachtet, wird man eher auf
unfaires Verhalten verzichten, als wenn man das nicht tut. Das Kon-
zept der Spiegelneurone besagt, dass es bestimmte Neuronen gibt, die
eine „Spiegelfunktion“ wahrnehmen und so ermöglichen, dass man
die Gefühle anderer Menschen selbst erlebt und in diesem Sinne nach-
fühlen kann. Mit ihrer Hilfe können wir intern Handlungen simulie-
ren und ihren Ausgang vorweg nehmen und damit auch die Absicht
fremder Aktionen verstehen.

Wir wissen ziemlich genau, was in den Köpfen von Menschen vorgeht,
die unfaires Verhalten erleiden müssen, warum aber „Diktatoren“ auf
unfaires Verhalten zumindest zum Teil verzichten, ist heute noch
nicht ganz geklärt.

Ganz anders ist das so genannte „sequenzielle Diktatorspiel“, bei dem


die Rollen von einer Spielrunde zur nächsten wechseln. Hier wird das
Verhalten des Diktators ganz eindeutig durch die Erwartung be-
stimmt, wie der Spielpartner nach dem Rollenwechsel in der nächsten
Runde auf das eigene Verhalten reagieren wird. Da man vermutet, dass
das eigene unfaire Verhalten dann altruistisch bestraft wird, nähern
sich die Ergebnisse des sequentiellen Diktatorspiels stark an die Ergeb-
nisse des Ultimatumspiels an.

Das Ultimatumspiel
Das Ultimatumspiel ist im Prinzip eine Erweiterung des Diktator-
spiels, bei dem beide Spieler eine Entscheidung zu treffen haben. Auch
hier geht es um einen Geldbetrag, von dem Spieler A einen beliebigen
Anteil an Spieler B weitergeben kann. Allerdings hat der Spieler B die
Möglichkeit zu entscheiden, ob er die ihm zugewiesene Summe an-
nimmt oder ablehnt.

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

Falls Spieler B dem Angebot von A zustimmt, erhält jeder Spieler den
vorgeschlagenen Anteil. Falls B aber ablehnt, erhält keiner der Spieler
etwas.

Wenn man davon ausgeht, dass es sich um rationale, eigennützig den-


kende Menschen handelt, müsste Spieler A möglichst viel Geld behal-
ten und dem Spieler B möglichst wenig abgeben, und Spieler B müsste
jede Summe akzeptieren, denn auch ein geringer Betrag ist besser als
gar nichts.

Die Ergebnisse der Experimente sahen aber anders aus. Häufig waren
die Versuchspersonen in der Rolle des Spielers B bereit, auf das ihnen
zugedachte Geld zu verzichten, nämlich wenn ihnen die Summe als zu
niedrig erschien. Weil sie den von A angebotenen Anteil als unfair
empfanden, sollte Spieler A auch kein Geld erhalten. Angebote, die
unter 20 Prozent des Geldbetrages lagen, wurden zu 50 Prozent abge-
lehnt.

Allerdings waren die Personen in der Position des Spielers A sich of-
fensichtlich dieses Problems bewusst und boten Spieler B meist Anteile
zwischen 30 und 50 Prozent der Geldsumme an.

Warum sie das taten, weiß man noch nicht genau. Es könnten Fair-
nessüberlegungen dahinter stehen und/oder auch die Angst vor der
Ablehnung durch Spieler B, also eine strategische Entscheidung zur
Nutzenmaximierung. Angebote zwischen 40 und 50 Prozent der Geld-
summe wurden in der Regel angenommen, also als fair empfunden.

Das Vertrauensspiel
Beim Vertrauensspiel geht es um ein Zug-um-Zug-Geschäft. In der
einfachsten Version kann Spieler A mit Spieler B ein Geschäft verein-
baren, bei dem Spieler A eine Leistung erbringt, die Spieler B dann
anschließend bezahlt.

Falls Spieler A Spieler B nicht vertraut, kommt kein Geschäft zustande.


Wenn Spieler A aber B Vertrauen entgegenbringt und die vereinbarte
Leistung erbringt, kann Spieler B entscheiden, ob er das ihm entgegen-
gebrachte Vertrauen honoriert und zahlt oder ob er es missbraucht
und die Zahlung verweigert.

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Verhandlungsspiele veranschaulichen das menschliche Verhalten

Falls Spieler B das Vertrauen von A honoriert, erhalten beide gleich


viel, der eine das gewünschte Geld und der andere die gewünschte
Leistung. Den größten Gewinn hätte Spieler B allerdings, wenn er das
Vertrauen von Spieler A missbraucht, also die Leistung annimmt und
nicht dafür bezahlt. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass es keine
juristische Sanktionsmöglichkeit und auch keine Wiederholung des
Spiels gibt.

Zahlreiche Experimente haben jedoch ergeben, dass in den meisten


Fällen Spieler B das in ihn gesetzte Vertrauen mit kooperativem Ver-
halten belohnt, also seinen Verpflichtungen aus dem Geschäft nach-
kommt.

Vertrauen ist ein sehr starkes und positives Gefühl, auf dessen Erleben
viele Menschen nicht verzichten möchten. Kontrollen hingegen wür-
den das innere Gleichgewicht beeinträchtigen, schlechte Gefühle und
im ungünstigsten Fall sogar ein schlechtes Gewissen gegenüber dem
Kontrollierten herbeiführen. Vertrauen ist ein wesentlicher Bestandteil
des sozialen Systems in unserem Kopf, Kontrolle hingegen gehört zum
ökonomischen System. Beide Systeme stehen im Wettbewerb und
lassen sich nur schwer in Einklang bringen.

Das Gefangenendilemma
Beim so genannten Gefangenendilemma handelt es sich um ein Spiel,
das zeigt, wie individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv schlech-
teren Ergebnissen führen können.

Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat began-


gen zu haben. Die Höchststrafe dafür beträgt fünf Jahre. Falls beide
Gefangenen schweigen, reichen die Indizienbeweise nur dafür aus, um
jeden zu zwei Jahren Haft zu verurteilen. Falls einer von ihnen oder
auch beide jedoch die Tat gestehen, erhält jeder von ihnen eine Ge-
fängnisstrafe von vier Jahren. Unter diesen Bedingungen werden logi-
scherweise beide schweigen.

Um die Gefangenen zum Reden zu bringen, wird beiden ein Handel


angeboten. Wenn einer gesteht und so seinen Partner mitbelastet,
kommt er ohne Strafe davon und der andere muss die Höchststrafe

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Denken – ein Prozess mit ungewissem Ausgang

von fünf Jahren absitzen. Ansonsten bleiben die Bedingungen aber


gleich. Das heißt, wenn beide schweigen, erhält jeder zwei Jahre Haft,
und wenn beide gestehen, erhält jeder vier Jahre. Beide Gefangene
werden über den Handel informiert, sie werden aber getrennt befragt
und haben keine Möglichkeit, sich untereinander abzusprechen.

Wenn nun Spieler A schweigt (also mit B kooperiert) und B gesteht


(also A verrät), muss Spieler A fünf Jahre ins Gefängnis und B bleibt
straffrei. Entsprechend ist es, wenn Spieler A gesteht (also B verrät)
und B schweigt (also mit A kooperiert) erhält B fünf Jahre und A
bleibt verschont.

Man findet hier also sowohl eine Belohnung für beidseitige Koopera-
tion (jeweils nur zwei Jahre Haft) als auch für einseitigen Verrat
(Freiheit für den Verräter). Bestraft wird gegenseitiger Verrat (jeweils
vier Jahre Haft), aber auch das Vertrauen, das man dem anderen
entgegengebracht hatte und das dieser einseitig gebrochen hat (fünf
Jahre Haft).

Der Ausgang dieser Situation hängt also nicht nur von der eigenen
Entscheidung ab, sondern auch von der des Partners. Kollektiv gese-
hen, wäre es am besten, wenn beide kooperieren, also schweigen,
dann erhält jeder nur zwei Jahre Haft. Individuell gesehen, erscheint
es aber vorteilhafter, auszusagen.

Falls der eine Gefangene gesteht und damit den anderen verrät, bleibt
er im positiven Fall straffrei, nämlich wenn der andere schweigt. Falls
der andere allerdings auch gesteht, erhält er statt der fünf Jahre
Höchststrafe „nur“ vier Jahre Haft.

Das Dilemma des Gefangenenspiels liegt also darin, dass die kollektive
und die individuelle Analyse zu unterschiedlichen Handlungsempfeh-
lungen führen. Das Problem ist, dass der eine die Handlungsweise des
anderen nicht einschätzen und beeinflussen kann.

Für beide zusammen wäre es am besten, wenn sie sich gegenseitig ver-
trauen und kooperieren. Dies könnte erreicht werden, wenn eine
Kommunikation der Spieler untereinander erlaubt wäre oder wenn

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Verhandlungsspiele veranschaulichen das menschliche Verhalten

Vertrauensbruch bestraft wird, was aber nach den Spielregeln nicht


vorgesehen ist. Läuft das Spiel aber über mehrere Runden, dann kön-
nen die Spieler die Entscheidungen ihres Gegners in den vorherigen
Runden mit in ihre eigene Entscheidung einbeziehen und somit einen
Vertrauensbruch bestrafen und Kooperation belohnen.

Das Gefangenendilemma zeigt, wie wichtig der Kommunikations-


fluss ist und welche Bedeutung Absprachen in der Realität haben
können. Es sollte als Warnung gesehen werden, nicht zu versuchen,
andere hereinzulegen, weil man sonst selbst schnell zum Verlierer
werden kann.

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Die vier Systeme, die unser Denken
regulieren
Generell gibt es im Gehirn vier wichtige Systeme, die für das Verhalten
und Entscheiden von grundsätzlicher Bedeutung sind. Es handelt sich um
das Belohnungssystem, das emotionale System, das Gedächtnissystem und
das Entscheidungssystem.

Da das Gehirn ein soziales Organ ist, neigen die Menschen nicht nur
dazu, den Dingen einen Namen zu geben – die Lokomotive bei Jim Knopf
heißt Emma und eine Kanone im ersten Weltkrieg trug den Namen Dicke
Berta –, sondern wir unterstellen vielen Dingen auch menschliche Verhal-
tensweisen und Charaktereigenschaften. Insofern lassen sich auch die
Systeme im Gehirn in ganz bestimmter Weise charakterisieren.

Das Belohnungssystem ist eine Art kindlicher Trotzkopf, der alles sofort
haben möchte und der, wenn er es nicht bekommt, damit beginnt, herum-
zumaulen, um seinen Willen dennoch durchzusetzen.

Mit dem emotionalen System verbinden viele Menschen weibliche Ei-


genschaften. Und viele glauben, dass dort nur Positives wie Liebe, Mitleid
und Freude zu finden ist. Tatsächlich hat das emotionale System aber
zwei Seiten, sodass man es als sentimentalen Schlägertyp bezeichnen
könnte, der aus Wut auch schon einmal das Porzellan zerdeppert.

Das Gedächtnissystem hingegen stellt sich eher als eine Art multiple Per-
sönlichkeit dar, bei der wir sowohl die Züge eines spinnerigen Märchen-
onkels finden wie auch die eines faktenorientierten Bürokraten.

Als letztes haben wir dann noch das Entscheidungssystem, den Politiker,
in unserem Kopf. Das Entscheidungssystem versucht, Mehrheiten zu or-
ganisieren und Überzeugungsarbeit zu leisten, aber es stellt sich auch gern
an die Spitze einer Bewegung und rechtfertigt dann das, was gewollt wird.
Die Fälle, in denen unnachgiebig eine bestimmte Meinung vertreten wird,
sind selten und eher die Ausnahme.

Wie diese verschiedenen Systeme funktionieren, ineinandergreifen und


dabei unser Denken regulieren, erfahren Sie jetzt.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Das Belohnungssystem – was wir wollen


Wann waren Sie das letzte Mal so richtig zufrieden und glücklich? War
es, als Sie den letzten Fernseher aus dem Supersonderangebot in Ihrem
Markt für Unterhaltungselektronik noch ergattern konnten? War es,
als Sie nach einem komplizierten Rezept ein Essen zubereiteten und es
allen ganz hervorragend schmeckte? War es, als Sie Ihre Kontoauszüge
abholten und sahen, dass Ihre Geldanlagen mehr Gewinn abgeworfen
haben, als Sie erwarteten? War es ein kleiner Lottogewinn? War es der
erste Urlaub mit einem neuen Partner? Oder war es, als sie das erste
Mal im Sommer wieder im Meer schwimmen gehen konnten?

Jedes Mal war auf jeden Fall das Belohnungssystem im Spiel. Und Sie
sehen, es gibt viele Gelegenheiten, bei denen es aktiv wird. Es treibt
uns nicht nur an, uns Wünsche zu erfüllen, sondern auch etwas zu
leisten. Es freut sich über positive Überraschungen und über Neues.
Aber wie lange haben Glück und Zufriedenheit angehalten?

Wir können uns an solche Situationen, die uns glücklich und zufrie-
den machten, zwar erinnern, doch so stark wie damals ist das erinnerte
Gefühl nie. Stattdessen treibt uns das Belohnungssystem an, nicht nur
dasselbe noch einmal zu erleben, sondern möglichst auch noch mehr
davon und immer öfter. Das Belohnungssystem treibt uns also an,
etwas haben zu wollen, aber auch, etwas zu leisten, damit sich gute
Gefühle einstellen.

Die beiden Wissenschaftler James Olds und Peter Millner haben in


den Fünfzigerjahren Tieren Elektroden ins Gehirn eingepflanzt und
wollten durch elektrische Reize Emotionen auslösen. Ohne dass sie es
beabsichtigten, führten sie offensichtlich eine Elektrode in den Bereich
des Gehirns ein, den wir heute Belohnungssystem nennen. Sie stellten
fest, dass die Stimulierung dieses Gehirnbereichs durch elektrische
Impulse ein Wohlbefinden erzeugt, das beim Versuchstier dazu führt,
dass es nicht aufhören konnte, sich selbst elektrisch zu reizen.

Dieses künstlich erzeugte Wohlbefinden ist so stark, dass man bis heu-
te davon ausgeht, dass es ein völlig anderes positives Gefühl ist als zum
Beispiel eine starke sexuelle Erregung oder die Befriedigung des Hun-
gergefühls und ähnlicher Elementarbedürfnisse. Und bei allen Ver-

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Das Belohnungssystem – was wir wollen

suchstieren, die diese Stimulationselektroden im Gehirn hatten, führte


eine permanente Aktivierung dazu, dass sie ihre Umgebung vergaßen.

Die Männchen ließen die Weibchen unbeachtet, sie ließen Futter und
Wasser stehen, alles was sie eigentlich dringend brauchten, um zu über-
leben. Wenn man nicht die Reizung ausgestellt hätte, wären sie ver-
hungert. Die elektrische Stimulation des Belohnungssystems scheint
also alles zu überbieten, was es sonst an Überlebensreizen in uns gibt.
Aber sie ist natürlich für uns Menschen im Sozialverband nicht akzep-
tierbar.

Es macht für das Gehirn allerdings keinen prinzipiellen Unterschied,


ob man eine Elektrode im Belohnungssystem hat, ob man das Beloh-
nungssystem durch sehr komplizierte Reizvorgänge aktiviert oder aber
eine Tablette nimmt, die die Überträgersubstanz im Überträgersystem
länger oder besser wirken lässt.

Im Endeffekt wird alles das Gleiche oder zumindest etwas Ähnliches


bewirken, nämlich ein gutes Gefühl. Wurde das gute Gefühl durch Ko-
kain hervorgerufen, ist dies natürlich mit negativen Langzeitfolgen ver-
bunden. War hingegen eine besonders gute sportliche Leistung aus-
schlaggebend, dann ist auch mit positiven Langzeitfolgen zu rechnen.

Auch Glücksspiele aktivieren das Belohnungssystem. Unter den Spiel-


süchtigen zum Beispiel gibt es nicht wenige Menschen, die genetische
Varianten besitzen, die vermuten lassen, dass die Rezeptoren im Be-
lohnungssystem nicht so gut aktiviert werden wie bei anderen Men-
schen. Nur wenn sie in Glücksspielen gewinnen, klappt es.

Selbst wenn sie beim Glücksspiel nicht gewinnen, führt die Hoffnung,
beim nächsten Mal zu gewinnen, zu einer gewissen Aktivierung. Allein
die Erwartung fährt dieses System hoch, doch dann kommt die Ent-
täuschung, verloren zu haben. Aber da sie ja den Kick kennen, ge-
wonnen zu haben, spielen sie immer weiter.

Das Belohnungssystem hat eine echte Kernstruktur, dieser Kern heißt


Mandelkern. Wir wissen, dass Patienten, die aufgrund genetischer
Defekte in dieser Region schwer aktivierbar sind, eine höhere Neigung
haben, Rauschgifte oder Alkohol zu sich zu nehmen, um diese ver-
minderte Aktivierung im Alltag zu kompensieren.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Der Mandelkern wird heute bei schwersten Depressionen mit einer


Elektrode versorgt, und die elektrische Reizung führt zu einer Verbes-
serung dieses dramatischen Krankheitsbildes. Aber man fängt erst an,
in diesem Bereich Erfahrungen zu sammeln. Die Stimulation löst die
Depression bis zu einem gewissen Grad auf.

Doch niemand weiß bis zum jetzigen Zeitpunkt, ob die Patienten ir-
gendwann wieder depressiv werden. Benutzen sie dann ihr Stimula-
tionssystem selbst? Wird das Suchtcharakter haben? Es gibt nach
Schätzungen von Fachleuten derzeit weltweit etwa zehn, fünfzehn
Menschen mit Schwerstdepressionen, bei denen diese Elektroden
eingesetzt wurden. Und diese Personen sind wahrscheinlich weit
davon entfernt, so etwa zu missbrauchen. Sie sind einfach schwer
krank.

Das Belohnungssystem ändert unser Verhalten


Das Belohnungssystem ist das zentrale System, das aktiviert werden
will, damit wir uns wohl fühlen. Die Aktivierungsarten, die bisher un-
tersucht worden sind, weisen bereits auf eine große Vielfalt von Mög-
lichkeiten hin. Das Thema ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen.
Wir wissen aus den Untersuchungen, dass die Aktivierung des Beloh-
nungssystems bei allen möglichen Aufgaben durch nichts anderes zu
überbieten ist und eine Veränderung der Verhaltensstruktur bewirkt.

So lassen sich Worte viel besser erinnern, wenn bei Wortaufgaben viele
Wochen vorher eine Aktivierung des Belohnungssystems nachgewie-
sen wurde. Tierversuche haben zum Beispiel gezeigt, dass auch bei der
Anwendung von etwas Gelerntem das Belohnungssystem aktiviert
wird.

Auch haben wir ein positives Gefühl, wenn wir Erlerntes anwenden. Es
ist experimentell sehr gut belegt und es hat wohl jeder schon selbst
erfahren: Wenn man für eine Arbeit in der Schule gut gelernt hat, er-
hält man nachher auch die Belohnung. Das ist ein ganz tief befriedi-
gendes Gefühl.

Im Verhalten zu unseren Mitmenschen spielt das Belohnungssystem


messbar eine Rolle sowohl zum Guten wie auch zum Schlechten.

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Das Belohnungssystem – was wir wollen

Wenn wir von anderen Menschen Wertschätzung erfahren, zum Bei-


spiel vom Chef vor unseren Kollegen gelobt werden, fährt das Beloh-
nungssystem rasant nach oben und wir werden mit Freude mehr lei-
sten. Allerdings springt das Belohnungssystem ebenfalls an, wenn man
zufällig erfährt, dass man mehr Gehalt bezieht als der Kollege, der die
gleiche Arbeit macht.

Wenn man auf der Autobahn einem lichthupenden Drängler Platz


macht, wird das eigene Belohnungssystem ganz sicherlich nicht akti-
viert. Man tröstet sich dann damit, dass der Klügere nachgibt. Der
Drängler hingegen wird es als befriedigend empfinden, wenn er einen
Wagen nach dem anderen zur Seite scheuchen kann.

Aber vielleicht ändert sich die Situation. Er fährt zu schnell und wird
geblitzt, während wir uns an die vorgegebene Geschwindigkeit halten.
Jetzt geht unser Belohnungssystem wieder nach oben aus Genugtuung,
selbst das Richtige getan zu haben, aber auch aus Schadenfreude. Auch
wenn wir dieses Gefühl nicht zugeben wollen: Werden andere für Feh-
ler bestraft, ist es dem Belohnungssystem durchaus recht. Aber bleiben
wir doch lieber bei den schönen Seiten des Lebens.

Wenn wir über den anderen eine positive Vorinformation haben, wird
unser Belohnungssystem aktiviert und wir haben von vornherein eine
positive Einstellung zu ihm. Ähnliches gilt zum Beispiel für die Wahr-
nehmung sympathischer Gesichter versus neutraler Gesichter oder
versus unsympathischer Gesichter.

Gesichter an sich und erst recht Gesichter mit einer positiven Mimik
sind für das Belohnungssystem von ganz besonderer Bedeutung. Das
hat man im Rahmen des Neuromarketings erkannt und nutzt es für
die Werbung und beim Verkauf von Produkten. Nicht umsonst stehen
in Supermärkten immer wieder irgendwelche „Pappkameraden“ oder
sehen wir in der Fernsehwerbung fröhliche Menschen, die ganz begei-
stert irgendetwas essen, trinken oder gerade eine Versicherung ab-
schließen.

Ohne den Kontakt zu Mitmenschen kommt das Belohnungssystem


nur selten richtig auf Tour, und besonders wichtig ist es ihm, den
Kontakt zu Menschen zu halten, denen es sich verbunden fühlt. Das

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

kann die Familie sein, die Kollegen in der Firma oder Freunde und
Bekannte, mit denen man sich nach Feierabend trifft.

Natürlich sind manche Menschen, die den ganzen Tag über mit
anderen zu tun haben, manchmal ganz froh, wieder alleinsein zu
können. Das hat dann allerdings nichts damit zu tun, dass sie keine
Menschen mögen, sondern dass das Belohnungssystem auch die Ab-
wechslung liebt. Deshalb ist vielleicht das in den Urlaub fahren, also
eine Ortsveränderung, für die meisten Menschen von so großer
Bedeutung. Allerdings sind die meisten auch wieder froh und zu-
frieden, wenn sie nach dem Urlaub in die vertraute Umgebung zu-
rückkehren können.

Das emotionale System – was wir fühlen


Emotionen haben in unserer heutigen Gesellschaft einen hohen Stel-
lenwert, besonders wenn sie in Gemeinschaft mit anderen Menschen
öffentlich erlebt und ausgelebt werden können. Das war nicht immer
so. Noch vor 50 Jahren versammelte sich die Mehrheit der Bevölke-
rung vor dem Fernseher und erlebte große Ereignisse passiv als Zu-
schauer über dieses damals neue Medium.

Heute möchten viele Menschen aktiv dabei sein und haben das Gefühl,
etwas zu versäumen, wenn sie nicht einer von vielen Millionen waren,
die sich aus einem bestimmten Anlass auf den Plätzen und Straßen
versammelten. Live-Events haben dem passiven Konsum von Emotio-
nen den Rang abgelaufen, und sich im stillen Kämmerlein zu freuen
oder Tränen zu vergießen, zählt nicht mehr.

Emotionen erhalten erst durch Live-Events einen besonderen Stellen-


wert. Man kann sich gemeinsam freuen, wie beim Public Viewing an-
lässlich der Fußballweltmeisterschaft, man kann zu Hunderttausenden
ergriffen sein wie beim Papstbesuch in Köln im Jahr 2005, und man
kann auch gemeinsam traurig und erschüttert sein wie beim Tod von
Lady Di, Michael Jackson oder dem Torwart Robert Enke.

Man kann aber auch gemeinsam seine Wut zeigen, wenn Unterneh-
men geschlossen werden und der Verlust von Arbeitsplätzen droht,

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Das emotionale System – was wir fühlen

wenn die Klimapolitik nicht so vorankommt, wie man es sich


wünscht, oder auch nur, wenn der eigene Fußballverein verloren hat.
Selbst der Hass auf sich selbst, auf die Gesellschaft und das Leben an
sich wird in medienwirksamen Amokläufen als verlängerter Suizid
öffentlich gemacht. Oft genug bedarf es nicht einmal mehr eines kon-
kreten Anlasses, um seine Emotionen ausleben zu können, wie es die
Krawalle in Berlin-Kreuzberg oder im Hamburger Schanzenviertel
immer wieder zeigen.

Öffentliche Emotionen haben einen eigenen Stellenwert. Wir lassen sie


uns etwas kosten, zum Beispiel bei Popkonzerten, wo die Eintrittsprei-
se inzwischen in astronomische Höhen gehen, und wir kosten sie aus,
manchmal bis zum körperlichen Zusammenbruch. Längst sind Erei-
gnisse kein Zufallsprodukt mehr, sondern bis ins Detail von Speziali-
sten ausgetüftelte Events. Diese Fachleute wissen genau, wie sie Span-
nungskurven aufbauen und was den Menschen bewegt und berührt. Je
größer eine Veranstaltung ist, desto besser. Denn die stärksten Emo-
tionen entstehen in der Gemeinschaft mit anderen.

Aber was sind eigentlich Emotionen?

Der Unterschied zwischen Emotion und Gefühl


Die Begriffe „Emotion“ und „Gefühl“ werden in der deutschen Spra-
che häufig synonym verwendet, und es ist schwierig, sie inhaltlich
voneinander zu trennen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass in
deutschen Publikationen oder Übersetzungen aus dem Amerikani-
schen englische Begriffe verwendet werden, die etwas anderes bedeu-
ten als ähnliche deutsche.

Mit Gefühl bezeichnen wir im Deutschen sowohl Gemütsbewegungen


(englisch emotions), Leidenschaften (englisch passions) und Sinnes-
empfindungen (englisch sensations). Im Englischen kennt man dar-
über hinaus noch den Begriff feeling für das Empfinden von Eindrük-
ken und den Begriff sentiment für emotive Zustände.

Tatsächlich ist der Begriff Emotion von lateinisch „emotio“ für heftige
Bewegung und von „emovere“, aufwühlen, heraustreiben abgeleitet.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Der Begriff Emotionen wurde also ursprünglich für etwas verwendet,


was nach außen gekehrt ist.

Der Begriff Gefühl wird im Folgenden hingegen für eine subjektive


Erlebnisweise eingesetzt, die sich sowohl physiologisch als auch verhal-
tensmäßig zeigen kann und von eigenen oder fremden Emotionen
ausgelöst wird oder in Emotionen münden kann. Sprachlich ist exakte
Differenzierung nicht immer möglich.

Es gibt einfache und komplexe Gefühle. Einfache Gefühle werden so-


wohl von Sinnesempfindungen, wie unangenehmen Gerüchen, als
auch von Körperempfindungen, wie zum Beispiel Rückenschmerzen,
wenn man zu lange auf einem unbequemen Stuhl sitzen muss, ausge-
löst. Es gibt auch Tätigkeitsempfindungen, zum Beispiel, wenn man
konzentriert arbeitet, die sich aber kaum sprachlich wiedergeben las-
sen, und sehr konkrete Bedürfnisse, die sich ebenfalls in Gefühlen äu-
ßern, wie zum Beispiel Hunger.

Zu den komplexen Gefühlen gehören alle Formen der Vorstellung


oder Einstellung. Das kann eine freudige Erwartung sein oder die
Angst vor Misserfolg. Es sind die Gefühle der Selbsteinschätzung, wie
zum Beispiel Peinlichkeit oder Schuldgefühle, aber es können auch die
emotionalen Komponenten sozialer Einstellungen, wie zum Beispiel
Sympathie und generelle Werturteile, sein.

Als Emotionen bezeichnet die Wissenschaft das, was uns zustößt, was
also von äußeren und inneren Reizen erzeugt wird, und worauf wir
keine direkte willentliche Einflussnahme haben. Wir erkennen unsere
Emotionen eigentlich immer erst dann, wenn sie uns als Gefühle be-
wusst werden.

Die Entwicklung von bestimmten Emotionen findet allerdings nicht


als bewusste Empfindung statt, sondern als eine verhaltensmäßige und
physiologische Spezialisierung, die vom Gehirn ganz oder zumindest
überwiegend unbewusst erzeugt wird. Auch wenn wir davon ausgehen,
dass es im Gehirn emotionale Zentren gibt, bedeutet dies noch nicht,
dass dort und erst recht nicht allein dort Emotionen entstehen.

Das primäre Emotionssystem basiert auf angeborenen Grundgefühlen


wie Furcht, Freude, Trauer, Ekel oder Ärger. Das sekundäre oder auch

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Das emotionale System – was wir fühlen

kognitiv effektive Emotionssystem beruht hingegen auf einer Ver-


knüpfung von Grundgefühlen mit spezifischen gelernten Informatio-
nen, die sowohl im Zusammenhang mit der eigenen Autobiografie, die
im episodischen Gedächtnis gespeichert ist, als auch mit einem sozio-
kulturellen Hintergrund stehen.

Einfacher gesagt heißt das, dass man sich in der einen Kultur über
etwas ärgern kann, was in einer anderen keinerlei Reaktionen auslöst.
Wenn man zum Beispiel in der arabischen Welt mit der unreinen
Hand in den Essenstopf greift, wird das ein Europäer vielleicht nicht
einmal bewusst registrieren, während es bei den arabischen Gastge-
bern Ekel und Ärger bis hin zu Zorn und Verachtung hervorrufen
kann.

Die Frage, was eigentlich alles Emotionen erzeugt, ist nicht leicht zu
beantworten. Am einfachsten ist es, wenn wir Emotionen bei anderen
Menschen erleben und diese mithilfe der Spiegelneuronen selbst emp-
finden und in Gefühle umwandeln. Aber Emotionen sind nicht ein-
fach nur das, was zwischen den Menschen ausgetauscht wird. Emotio-
nen können auf die unterschiedlichste Weise erzeugt werden.

Wenn ich einen festen Parkplatz habe, an dem vielleicht sogar mein
Name steht, und jemand anders parkt dort, werden mir sehr schnell
die Emotionen hochkommen. Das gilt natürlich auch, wenn ein Auto
vor meiner Grundstückseinfahrt steht, ich hinein oder hinaus möchte
und der Fahrer nirgends zu finden ist.

Ärger ist wie Wut eine Emotion, die sehr schnell ein ungeahntes Aus-
maß erreichen kann und in der Regel auf Hilflosigkeit in einer be-
stimmten Situation beruht. Ich kann mich aber auch einfach nur über
eine bestimmte politische Entscheidung ärgern und meine schlechten
Gefühle dann an anderen abreagieren, die völlig unschuldig sind und
mit der Ursache meiner Wut gar nichts zu tun haben.

Aber nicht nur Ereignisse und Nachrichten werden emotional verar-


beitet, selbst die eigenen Gedanken können gute oder schlechte Emo-
tionen erzeugen. Dabei müssen wir uns der damit verbundenen emo-
tionalen Äußerungen nicht einmal bewusst sein.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Wie zeigen wir Emotionen? Emotionen sind ein Teil unserer bewuss-
ten und unbewussten Kommunikation, die wiederum auf der sozialen
Funktion des Gehirns beruht. Emotionen zeigen sich in Mimik, Spra-
che und in Handlungen.

Mimik, Gestik und Stimme zeigen die Emotionen


„Das Gesicht ist das Fenster des Geistes“, sagt der amerikanische Psy-
chologe Paul Ekman. Er muss es wissen, denn der heute über 70-
Jährige hat sein Leben lang die Geheimnisse der Mimik und der
Emotionen erforscht.

Seine Arbeit begann eher zufällig in den Sechzigerjahren des 20. Jahr-
hunderts in Papua-Neuguinea, als Ekman der Frage nachgehen wollte,
ob die Mimik der Urvölker denselben Gesetzmäßigkeiten unterliegt wie
die der Menschen in den westlichen Kulturen. Dabei konnte er nach-
weisen, dass die menschliche Mimik tatsächlich universell ist und es
rund 3.000 Gesichtsausdrücke gibt, die einen emotionalen Sinn ergeben.

Heute wissen wir dank Ekmans Arbeit, dass das Gesicht ständig den
Gemütszustand verrät, ohne dass der Mensch das bewusst unterdrük-
ken könnte. Winzige Zuckungen, so genannte Mikroausdrücke, sen-
den ständig Signale an andere Menschen aus, die diese aber fast immer
nur unbewusst registrieren. Nur geschulte Fachleute können diese
Signale bewusst wahrnehmen, sie interpretieren und daraus Rück-
schlüsse ziehen. Sie sind dabei sogar in der Lage, zwischen echten und
gespielten Emotionen zu unterscheiden, eine Fähigkeit, die dem Laien
in der Regel nicht gegeben ist.

Doch nicht nur das Gesicht verrät und überträgt Emotionen, sondern
auch die Körperhaltung und einzelne, kleine, immer wiederkehrende
Bewegungen. Viele dauern nur Bruchteile von Sekunden. Wie wichtig
diese versteckten Hinweise sind und wie ernst sie genommen werden,
erkennt man vielleicht daran, dass die Firma Microsoft 400 Übungs-
CDs bei Paul Ekman bestellt hat, mit denen ihre Topmanager lernen
sollen, die versteckten Signale ihrer Gesprächspartner besser zu deuten.

Natürlich spielt die Mimik in allen Bereichen des Erlebens eine große
Rolle. Wer auf einer Bühne im Rampenlicht steht oder vielleicht auch

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Das emotionale System – was wir fühlen

nur Teilnehmer einer Gruppendiskussion ist, teilt durch Körperspra-


che und Mimik den Zuschauern oft mehr mit als durch seine Worte.
Auf jeden Fall ist das, was er so mitteilt, ehrlicher und wahrhaftiger als
das, was er vielleicht sagt, es sei denn, er ist ein geübter, notorischer
Lügner. Doch Lügen strengt an und fordert dem Gehirn weitaus mehr
Leistungen ab, als die Wahrheit zu sagen.

Ekman hat im Laufe seiner Forschungen erkannt, dass wir nicht be-
wusst darüber entscheiden, wie wir in einem emotionalen Zustand
aussehen und unsere Stimme klingt beziehungsweise was wir dann tun
und sagen. Ebenso entscheiden wir nicht darüber, wann wir überhaupt
emotional reagieren. Man kann aber lernen, emotionales Verhalten,
das sich im Kontakt zu anderen ungünstig auswirken würde, zu dämp-
fen, genauso wie man lernen kann, nicht gefühllos zu wirken, falls man
eher dafür disponiert ist.

Die meisten Menschen haben zwar die Absicht, auf andere Menschen
in bestimmter Weise zu wirken, meist so, wie es ihrem persönlichen
Ideal entspricht, doch sind sie nicht in der Lage, diese Wirkung tat-
sächlich zu kontrollieren, weil sie mit dem Feedback, das sie erhalten,
häufig nicht richtig umgehen können.

Bei vielen Politikern, die in verantwortlichen Positionen stehen, sieht


man ganz deutlich, dass sie offensichtlich gelernt haben, den Situatio-
nen entsprechende angemessene Emotionen zu zeigen. Während sie in
alten Fernsehaufnahmen stets mit demselben Pokerface vor die Kame-
ra traten, egal ob sie die Opfer einer Umweltkatastrophe bedauerten
oder den erfolgreichen Abschluss von Verhandlungen bekannt gaben,
kann man ihnen heute am Gesicht ablesen, ob sie mitleiden oder sich
freuen. Zumindest bekommt man diesen Eindruck vermittelt.

Unbewegliche, wenig lebhafte, emotionslose Gesichter sind für andere


Menschen in der Regel weniger attraktiv. Das wissen die meisten Poli-
tiker, während es sich bei vielen Spitzenkräften der Wirtschaft noch
nicht herumgesprochen zu haben scheint.

Wer sich heute übrigens seine Falten durch Botulinumtoxin-Injek-


tionen glätten lässt, um jünger auszusehen, muss damit rechnen, dass
er durch die partielle Lähmung einiger Gesichtsmuskeln wie versteinert
wirkt. Das Gesicht ist dann zwar glatter, wirkt aber durch die fehlende

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Mimik gleichzeitig wiederum älter. Ein paar Falten mehr können also
nicht schaden, wenn man die Sympathie anderer gewinnen möchte.

Die von anderen Menschen ausgesandten Emotionssignale bilden in


den meisten Fällen die Grundlage dafür, wie wir ihre Worte und Taten
interpretieren, weil sie bei uns ebenfalls eine emotionale Reaktion aus-
lösen.

Die sieben Basis6Emotionen des Gesichts


Paul Ekman unterscheidet sieben Basis-Emotionen, die über einen je-
weils charakteristischen universalen Gesichtsausdruck verfügen: Trau-
er, Zorn, Angst, Ekel, Verachtung, Überraschung und Freude. Jeder
dieser Begriffe steht dabei für eine Familie von verwandten Emotionen.

Wenn wir die negativen Emotionen beiseitelassen, bleiben die Überra-


schung, die aber auch zum Bestandteil einer negativen Emotion wer-
den kann, und der recht unscharfe Begriff Freude übrig. Freudige
Emotionen unterscheiden sich im Gesichtsausdruck nur wenig. Denn
ihnen allen gemeinsam ist irgendeine Form von Lächeln.

Das primäre Signalsystem für positive Emotionen ist die Stimme und
nicht das Gesicht. Da es sehr schwierig ist, mit der Stimme glaubwür-
dig ein Gefühl zu simulieren, bedarf es einiger Übung, wie sie meist
nur Schauspieler mitbringen.

Wenn eine ungeübte Person zum Beispiel eine Bühne betritt, ist es für
sie immer am günstigsten, sich an ein positives Ereignis aus der Ver-
gangenheit zu erinnern, um nicht nur in der Mimik, sondern auch in
der Stimme Glückssignale an das Auditorium zu übermitteln.

Eine der einfachsten positiven Emotionen ist laut Ekman das Belus-
tigtsein. Es reicht vom Lächeln bis zu wahren Lachsalven, die manchen
Menschen sogar die Tränen in die Augen schießen lassen. Zufrieden-
heit wird hingegen weniger deutlich über die Gesichtsmuskulatur
kommuniziert, die sich entspannt, sondern eher mit der Stimme.

Ob Erregung als stärkste Form von Interesse ebenfalls als Emotion


anzusehen ist, erscheint Ekman fraglich, da hierbei das Großhirn und

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Das emotionale System – was wir fühlen

sein Denken einen wesentlichen Beitrag leisten. Oft besteht auch eine
enge Beziehung zwischen Erregung und Angst.

Weitere Emotionen aus dem Umfeld der Freude sind Erleichterung,


wenn die Anspannung in Erwartung eines negativen Ereignisses, das
dann nicht eintritt, nachlässt, und die staunende Ergriffenheit. Dabei
geht es dann um Dinge, die zu begreifen unserem Geist schwerfällt.
Auch der Stolz auf eigene Leistungen ist eine positive Emotion.

Aber nicht alles, was wir empfinden, gehört in die Kategorie der Emo-
tionen, denn schließlich, so gibt Ekman zu bedenken, gibt es auch
noch andere Triebfedern in unserem Leben. Man möchte sich amüsie-
ren und sucht Vergnügungen unterschiedlichster Art, die sich in guten
Gefühlen äußern können, aber vielleicht eher zu den Stimmungen
gehören, einem Begriff, der im zweiten Punkt der folgenden Übersicht
erläutert wird.

Die zehn Merkmale zur Charakterisierung von Emotionen


Ekman charakterisiert Emotionen durch folgende Merkmale:
1. Es gibt eine ganze Palette von Empfindungen, die uns erfassen
können und die uns in vielen Fällen auch bewusst werden.
2. Eine emotionale Episode kann kurz sein und manchmal nur weni-
ge Sekunden, aber auch sehr viel länger andauern. Hält sie über
Stunden hinweg an, handelt es sich um eine Stimmung, nicht um
eine Emotion.
3. Emotionale Episoden haben grundsätzlich mit etwas zu tun, das
dem Betreffenden wichtig ist.
4. Emotionen erleben wir als etwas, das mit uns passiert; wir ent-
scheiden uns nicht dafür.
5. Der Bewertungsprozess, mit dem wir unablässig unsere Umwelt
nach Dingen durchmustern, die uns angehen, verläuft in aller Regel
automatisch. Wir werden uns unserer Bewertung nicht bewusst, so-
fern sie nicht extrem lange andauert.
6. Es gibt am Beginn einer emotionalen Episode eine Refraktärphase,
die unser im Gedächtnis gespeichertes Wissen und Informationen
so filtert, dass wir nur Zugriff auf das haben, was die von uns emp-

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fundene Emotion mehrt. Diese Refraktärphase kann wenige Se-


kunden, aber auch sehr viel länger dauern.
7. Wir werden uns der Tatsache, dass wir emotional reagieren, erst
dann bewusst, wenn das Gefühl bereits eingesetzt hat und die vo-
rausgegangene Bewertung abgeschlossen ist. Sobald wir uns be-
wusst sind, dass uns ein Gefühl beherrscht, können wir die Situati-
on neu bewerten.
8. Es gibt universale Emotionsthemen, die unsere evolutionäre Ge-
schichte widerspiegeln, und zahlreiche kulturabhängige, erlernte
Variationen, die von unseren individuellen Erfahrungen zeugen.
Mit anderen Worten: Wir reagieren sowohl auf Dinge emotional,
die für unsere Vorfahren von Bedeutung waren, als auch auf solche,
von denen wir selbst festgestellt haben, dass sie für unser Leben
wichtig sind.
9. Ein Großteil unseres Verhaltens wird motiviert durch das Verlan-
gen nach einer bestimmten Emotion beziehungsweise durch den
Wunsch, ihr zu entfliehen.
10. Ein wirksames Signal – deutlich, rasch und universal – informiert
andere über den emotionalen Zustand des Betreffenden.
Nachdem wir nun wissen, was Emotionen erzeugt und wie wir Emo-
tionen zeigen, sollten wir jetzt noch klären, wie Emotionen wirken.

Emotionen organisieren und motivieren


Die zentrale Bedeutung der Emotionen wird heute in der Organisation
und Motivation des Verhaltens gesehen. Die ständige Abfolge von
Handlungen bedarf einfach eines Auswahlsystems, das die Entschei-
dung zu bestimmten, gegen bestimmte und zwischen verschiedenen
Handlungszielen steuert. Manchmal muss man auch sehr schnell von
einem Verhalten zu einem anderen umschalten, wenn die Situation
sich ändert, und das ist in einem rein kognitiven Prozess allein nicht in
der manchmal notwendigen Geschwindigkeit möglich.

Der amerikanische Hirnforscher Joseph LeDoux hat einmal gesagt:


„Emotionen sind mächtige Motivatoren künftigen Handelns. Sie be-
stimmen ebenso den Kurs des Handelns von einem Moment zum
nächsten, wie sie die Segel für langfristige Ziele setzen“.

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Das emotionale System – was wir fühlen

Emotionen dienen auch der Kommunikation zwischen den Individu-


en, denn sie können anderen zeigen, in welchem Zustand man sich
selbst befindet, es sei denn, man versucht den emotionalen Ausdruck
willentlich zu unterdrücken, um Pläne oder Wissen nicht zu verraten,
was aber keineswegs immer gelingt.

Wie kompliziert der Zusammenhang von Emotionen und Gefühlen


ist, zeigen zum Beispiel Experimente, bei denen Männer Bilder von
Frauen betrachten. Dabei wird den Männern der Puls gemessen. Teilt
man ihnen mit, dass sie bei einem bestimmten Bild einen höheren
Pulsschlag haben, obgleich dies tatsächlich nicht der Fall ist, finden die
Männer die Frauen auf diesen Bildern attraktiver.

Es ist also nicht die physiologische Erregung selbst, sondern ihre ko-
gnitive Repräsentation und Interpretation, die für die Entstehung be-
stimmter Gefühle entscheidend sind. Ebenso wurde nachgewiesen,
dass unbewusste Wahrnehmungen Emotionen verursachen und beein-
flussen können, ohne dass dabei explizite Bewertungen des Probanden
eine Rolle spielen. Es sind also nicht unbedingt kognitive Bewertungen
notwendig, um Gefühle entstehen zu lassen.

Emotionen werden insofern primär als handlungsanregende Motiva-


tionen, als Markierungen kognitiver Prozesse und als Anstifter be-
stimmter Denkvorgänge angesehen. Im Klartext heißt das, die Emo-
tionen stehen als unbewusste Bewertungen zwischen Reizen und
Reaktionen. Erstaunlich ist, dass viele Menschen ihre eigenen Emotio-
nen nicht genau beschreiben können, während sie in der Lage sind,
den Zustand anderer Menschen sehr wohl zu erkennen.

Emotion und Kognition arbeiten getrennt, stehen aber miteinander in


Beziehung und in einer Wechselwirkung. Dabei kann die Bewertung
schon einsetzen, bevor die Wahrnehmungssysteme den Reiz vollständig
verarbeitet haben. Und mitunter weiß das Gehirn sogar schon, ob et-
was gut oder schlecht ist, bevor es genau weiß, worum es sich handelt.

Hierbei spielen natürlich auch die Erinnerungen eine große Rolle. Wie
verschiedene Experimente zeigen – und damit befinden wir uns bereits
im Bereich der Neuroökonomie – werden viele Entscheidungen von
gesunden Versuchspersonen in der richtigen Weise getroffen, ohne
dass ihnen bewusst ist, wie diese Entscheidung zustande kam. Offen-

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sichtlich steuern hier Emotionen die Intuition. Versuchspersonen mit


Frontallappensyndrom scheitern regelmäßig in solchen Experimenten.
Zu den am besten erforschten Emotionen gehören Furcht und Angst.
Sie sollen dazu dienen, Fluchtreaktionen auszulösen, die Reaktionsge-
schwindigkeit zu verbessern und die Aufmerksamkeit zu erhöhen. In
Zeiten, als der Mensch noch als Jäger und Sammler großen Gefahren
seiner Umgebung ausgesetzt war, spielten diese Reaktionen sicherlich
eine überlebenswichtige Rolle und waren auch sonst sehr nützlich.

Da Angst allerdings die Leistungsfähigkeit des Gehirns vermindert,


weil man sich nur noch auf die Verarbeitung einer angstbesetzten Si-
tuation konzentriert und alle anderen Sachfragen zurückstellt, ist
Angst eine sehr problematische Emotion. Sie kann dazu führen, dass
man nicht mehr in der Lage ist, Probleme rational zu bearbeiten und
entsprechende Entscheidungen zu fällen. Selbst Termindruck kann die
Leistungsfähigkeit eines Gehirns zum Erliegen bringen.

Wer Angst hat, die falschen Entscheidungen zu treffen, wird dies mit
größerer Wahrscheinlichkeit tun, als wenn er sich ihnen angstfrei nä-
hern würde. Doch das ist schwierig, denn der Angst liegt ein Lernpro-
zess zugrunde, der rational kaum zu steuern und zu beherrschen ist.

Panik entsteht als Reaktion auf den Eindruck, hilflos und verlassen zu
sein. Ohne fremde Hilfe können sich viele Menschen aus bedrohlich
empfundenen Situationen daher nicht mehr befreien.

Wie das Gehirn Emotionen verarbeitet


Ist ein Ereignis mit einer starken Emotion verbunden, zum Beispiel
eine Hochzeit oder ein Todestag, dann führt dieses zu einer viel deutli-
cheren Verankerung in unserem Gehirn als Erlebnisse, die mit weniger
Emotionen befrachtet sind. Am deutlichsten wird dies bei Extremer-
eignissen.

Befragt man die Bürger Amerikas, die erwachsen waren, als Kennedy
ermordet wurde, so kann sich auch heute, viele Jahre danach, noch
mehr als jeder zweite Amerikaner genau an den Ort erinnern, an dem
er war, als er von der Ermordung Kennedys erfuhr.

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Das emotionale System – was wir fühlen

Im Gehirn gibt es so genannte primäre Sinnesareale, deren Aktivierung


mit den Gefühlen wie Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Emp-
finden einhergeht. Diese primären Sinnesareale geben das wahrge-
nommene Gefühl aber nur völlig neutral wieder, und ein Seheindruck,
zum Beispiel von einem großartigen Sonnenuntergang, mag er noch so
faszinierend sein, wird erst dann zu einem Erlebnis oder zu einer Be-
sonderheit werden, wenn weitere Hirnareale mitaktiviert werden.

Angrenzend an diese Sinnesareale sind in der Regel Areale, die als As-
soziationszentren bezeichnet werden, die eine erste Verknüpfung oder
erste Deutung dessen vornehmen, was gesehen, gerochen, gehört, ge-
schmeckt oder ertastet wird. Bei einer Berührung interpretieren sie
zum Beispiel, ob dies ein zärtliches Kitzeln durch den Partner ist oder
ob einem eine große Spinne über den Nacken läuft, beim Sehen, ob es
besondere Dinge sind, die man möglicherweise zum ersten Mal zu
Gesicht bekommt. Ist dann eine gewisse Schwelle erreicht, wird das
Gehirn aktiv.

Im Gehirn gibt es viele Areale, die nur dazu da sind, etwas Erlebtes für
uns größer oder bedeutender zu machen. Die pure Wahrnehmung
eines Geräusches oder von Tönen ist nicht das Entscheidende, sondern
das euphorische Gefühl, das wir zum Beispiel mit einem ganz be-
stimmten Musikstück verbinden.

Das bekannteste Organ zur Emotionsverarbeitung im Gehirn ist der


Mandelkern, der paarweise, links und rechts, vorhanden ist. Patienten,
bei denen dieser schwer geschädigt ist, haben ganz deutlich reduzierte
Emotionen. Sie können nicht mehr tief empfinden. Der Mandelkern
verarbeitet also die eintreffenden Informationen und macht aus ihnen
den ersten Schritt zum Erlebnis.

Der Mandelkern ist mit vielen Strukturen des Gehirns verbunden, und
diese Verbindungen in andere Regionen hinein führen dazu, dass
nicht nur Überträgersubstanzen vermehrt ausgeschüttet werden, son-
dern dass das ganze hormonelle System, die so genannte hypothala-
mische-hypophysäre Achse, in Takt kommt.

Es kommt zur Ausschüttung von Stresshormonen oder von Hormo-


nen, die unser Wohlbefinden steigern, wie zum Beispiel das Prolactin
oder Oxytocin, das hilft, Vertrauen aufzubauen. Die ganze Mischung

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

dieser Erregung führt letztendlich dazu, dass die Betrachtung eines


ganz einfachen Gegenstandes oder Bildes in einer bestimmten Situati-
on oder vielleicht auch aufgrund von Details dieses Gegenstandes
plötzlich zum Erlebnis wird.

Das Gedächtnissystem – was wir waren und


werden
Würden Sie es nicht wunderbar finden, wenn Sie sich an alles in Ih-
rem Leben mühelos erinnern könnten? Wenn Sie nichts von dem,
was Sie bisher erlebt haben, vergessen hätten? Nun, die Amerikanerin
Jill Price hat eine Endlosschleife im Kopf. Sie erinnert sich an Vieles
aus ihrer frühen Kindheit, an das meiste, was ihr zwischen dem
neunten und 15. Lebensjahr passiert ist, und an alles, was danach
kam, lückenlos. Heute ist sie über 40 Jahre alt.

Jill Price hat wie nur ganz wenige andere Menschen ein ständig prä-
sentes biografisches Gedächtnis. Ständig wird sie durch die Gegenwart
an ihre Vergangenheit erinnert. Nicht nur an die schönen Momente
des Lebens oder an besonders tragische Augenblicke, nein, sie erinnert
sich auch an die banalsten Einzelheiten.

Wenn es in einem Restaurant nach gebratenem Fisch riecht, fällt ihr


sofort ein, wann bei welcher Gelegenheit sie diesen Geruch schon
einmal in ihrem Leben wahrgenommen hat, wer dabei war, wie das
Wetter war, welche Kleidung sie trug, einfach alles. Und wenn der
Kellner ihr zur Nachspeise Eiskrem empfiehlt, erinnert sie sich sofort
daran, wie ihr die Eistüte einmal auf die nagelneuen Schuhe gefallen
ist, wie sie einmal zuviel Eis gegessen hatte und Bauchschmerzen be-
kam, welche Eissorte ihre Freundin ausgewählt hat, als sie mit 20 am
Strand waren usw. usw.

Die totale Erinnerung richtet in ihrem Kopf ein permanentes, wildes


Durcheinander aus vergangenen Ereignissen an, das sie nur mit größ-
ter Anstrengung in den Griff bekommen kann. Doch die Erinne-
rungsfähigkeit, die sie hat, bezieht sich nur auf ihre persönlichen Er-
lebnisse, so genanntes Faktenwissen speichert sie nicht besser und

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

nicht schlechter als alle Durchschnittsmenschen. Deshalb war sie in


der Schule auch nur eine mittelmäßige Schülerin.

Sie verfügt also über keine Inselbegabung im wissenschaftlichen Sinn


wie die autistischen Savants, die sich unendlich viele Bücher wortge-
nau merken können, indem sie nur die Seiten umblättern, oder per-
fekte Stadtansichten aus dem Gedächtnis detailgenau zeichnen kön-
nen. Sie kann auch keine Musikstücke, die sie nur ein einziges Mal
gehört hat, perfekt auf dem Klavier nachspielen. Würden Sie sich ein
solches Gedächtnis wünschen? Ich nicht.

Andererseits, wie wäre es, wenn Sie sich nicht erinnern könnten, wie es
vielen demenzkranken älteren Menschen ergeht? Könnten Sie sich
vorstellen, wie sich das anfühlt, nur noch im Jetzt zu leben? Sie würden
am späten Vormittag in Ihrem Zimmer sitzen und wüssten nicht, was
an diesem Morgen bereits geschehen ist. Sie wissen nicht, wer vor ei-
ner Stunde in Ihrem Zimmer war, wer mit Ihnen worüber gesprochen
hat, und Sie wissen auch nicht, was Sie gefrühstückt haben.

Natürlich haben Sie gefrühstückt. Sie sind ja nicht dumm. Sie wissen,
dass man morgens frühstückt, dann zu Mittag und später Abendbrot
isst und dann zu Bett geht. Sie wissen, wo Sie sind und wo Sie vor zehn
Jahren gewohnt haben, aber Sie wissen nicht, wann und wie Sie jetzt in
dieses Zimmer gekommen sind.

Und wenn Sie vorhaben, weil das Wetter so schön ist, ein wenig an der
frischen Luft spazieren zu gehen, dann werden Sie vielleicht in Ihrem
Sessel sitzen bleiben, weil Sie vergessen, aufzustehen, und schon im
nächsten Moment vergessen haben, dass Sie spazieren gehen wollten.

Gesunde Menschen wissen, wenn sie etwas vergessen haben, den Ge-
burtstag eines Angehörigen oder vielleicht sogar den eigenen. Wenn
Sie unter Gedächtnisschwund leiden, wissen Sie es nicht, weil Sie sich
nicht daran erinnern können, was Sie vergessen haben. Sie leben nur
noch im Jetzt. Natürlich haben Sie Wünsche und Absichten, aber diese
werden kaum realisiert, weil sie gleich wieder vergessen sind.

Sie lesen ein paar Zeilen in der Zeitung und ein paar Zeilen später
wissen Sie nicht mehr, was am Anfang stand. Wenn Sie fernsehen,
können Sie anderen Menschen durchaus erzählen, welche Bilder jetzt

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

zu sehen sind. Aber Sie kennen die Geschichte nicht, die mit diesen
Bildern erzählt wird. Sie haben sie vergessen.

Wahrscheinlich können Sie das Erstaunen in den Gesichtern Ihrer


Gesprächspartner ablesen, wenn Sie diese fragen „Wo ist denn mein
Mann oder meine Frau? Der oder die waren doch eben noch da“. Und
der Gesprächspartner antwortet „Er oder sie ist im Krankenhaus,
schon seit einer Woche. Ich habe es doch eben schon einmal gesagt“.

Offensichtlich ist es schwer, sich vorzustellen, wie es ist, Stück für Stück
sein Gedächtnis zu verlieren. Es ist einfach zu selbstverständlich, sich
zumindest an das, was für einen wichtig ist, erinnern zu können und in
Raum und Zeit eine Orientierung zu haben.

Jemand, der spürt, dass ihn sein Gedächtnis immer häufiger im Stich
lässt, wird zunächst versuchen, diesen Mangel dadurch zu kompensie-
ren, dass er aufgrund älterer noch vorhandener Erinnerungen Begrün-
dungen und Abläufe erfindet, die die vorhandenen Lücken schließen.
Auf Fragen wie „Warum hast Du heute Morgen das Telefon nicht ab-
genommen?“ erhält man dann Antworten wie „Wahrscheinlich war
ich nicht im Zimmer“. Das Wort wahrscheinlich steht für „Ich weiß es
nicht“. Tatsächlich war dann versehentlich das Telefon aus der Steck-
dose gezogen worden.

Aber nicht nur kranke Menschen erfinden etwas dazu, um eine Konti-
nuität der Ereignisse herzustellen oder bestimmte Vorkommnisse
plausibel zu machen, sondern auch gesunde. Wir alle basteln ständig
an unseren Erinnerungen herum, um bestimmte Ereignisse für uns
selbst angenehmer und für andere plausibel zu machen.

Kommen wir zu spät zu einem Termin, werden wir dem Stau auf der
Autobahn die Schuld geben, auch wenn der gar nicht so groß war, weil
wir dann selbst in einem besseren Licht dastehen, als wenn wir einge-
stehen würden, dass wir vor der Abfahrt zu lange herumgetrödelt ha-
ben. Man kann das als Lügen und Schutzbehauptung bezeichnen,
doch das Gehirn hat tatsächlich gar keine Lust, sich mit Mängeln und
Fehlern zu belasten. Lieber bearbeitet und glättet es die Erinnerungen.
Das führt dann allerdings dazu, dass wir nur schwer in der Lage sind,
eigene Mängel zu erkennen und daran zu arbeiten, diese zu beheben.

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

Wie die Teile des Gedächtnissystems zusammenarbeiten


Unser Gedächtnissystem gliedert sich grob gesagt in das Ultrakurz-
zeitgedächtnis, das Arbeitsgedächtnis und das Langzeitgedächtnis.

Im Ultrakurzzeitgedächtnis treffen sämtliche Sinneswahrnehmungen


ein, ohne dass sie uns bewusst werden. Sie werden dort nach ihrer
Bedeutung bewertet und, wenn sie relevant zu sein scheinen, an das
Arbeitsgedächtnis weitergeben. Die allermeisten werden schon nach
wenigen Zehntelsekunden als unwichtig betrachtet und wieder ge-
löscht. Würde die Flut der Sinneseindrücke weitergeleitet werden,
wäre das Gehirn durch den Informationsoverkill praktisch gelähmt
und könnte nicht mehr denken.

Das Arbeitsgedächtnis hat nur eine begrenzte Kapazität und speichert


die bei ihm angelangten Informationen auch nur für wenige Minuten.
Entweder werden sie dann gelöscht oder an das Langzeitgedächtnis
weitergegeben. Bei Demenzkranken ist es wahrscheinlich so, dass der
Löschvorgang nicht mehr richtig funktioniert und es daher zu einem
Informationsüberfluss kommt, der letzten Endes das Gedächtnis blok-
kiert.

Wir brauchen das Arbeitsgedächtnis, um zum Beispiel einem Ge-


spräch folgen zu können oder einen Film zu verstehen. Wenn wir uns
im Multitasking versuchen, also im Fernsehen einen Film sehen, am
Computer ein Spiel spielen und gleichzeitig noch in der Zeitung blät-
tern und telefonieren, werden wir sehr schnell merken, dass wir an
Kapazitätsgrenzen kommen und uns hinterher an keine der Tätigkei-
ten vollständig erinnern können.

Das Langzeitgedächtnis hat praktisch eine unbegrenzte Kapazität und


speichert das sowohl bewusst als auch unbewusst als erinnerungswert
Betrachtete dauerhaft ab. Das Langzeitgedächtnis besteht aus dem
deklarativen, also erklärenden Gedächtnis, das auch explizites (be-
wusstes) Gedächtnis genannt wird, und dem prozeduralen, also ab-
laufspezifischen Gedächtnis.

Im deklarativen Gedächtnis unterscheidet man dann noch einmal


nach dem biografisch/episodischen Gedächtnis und dem semanti-
schen, also inhaltlichen Gedächtnis. Hier landen all die Fakten, For-

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

meln, Regeln und Zusammenhänge, die dann als Ganzes das so ge-
nannte lebensweltliche Hintergrundwissen bilden. Das semantische
Gedächtnis ist praktisch unser ganz persönliches Lexikon, in dem wir
nachschlagen können.

Im episodischen Gedächtnis ist hingegen alles gespeichert, was mit


unserem eigenen Leben und persönlichen Erfahrungen zu tun hat. Das
episodische Gedächtnis ist im Gegensatz zum semantischen in höch-
stem Maße subjektiv. So kann es sein, dass man sich mit anderen
Menschen ganz hervorragend über die Bilder im Pariser Louvre unter-
halten kann, hier ist das semantische Gedächtnis gefordert. Ob man
die Reise nach Paris allerdings in guter oder schlechter Erinnerung hat,
wird vom biografischen Gedächtnis bestimmt.

Hat man in einem Restaurant ein paar Austern gegessen, die schon zu
alt waren, dürfte das die positive Erinnerung ganz erheblich trüben,
ebenso wenn einem in der Metro die Brieftasche gestohlen wurde. Ein
anderer, der das persönlich nicht erlebt hat, schwärmt dagegen von
den vielen Einkaufsmöglichkeiten, die ihm vielleicht viel wichtiger
waren als die Bilder im Louvre.

Das prozedurale Gedächtnis speichert ablaufspezifische Fertigkeiten,


wie zum Beispiel Gitarre spielen oder Fahrrad fahren und die motori-
schen, mechanischen Tätigkeiten am Arbeitsplatz. Aber auch die Reak-
tion auf einen Klingelton des Telefons ist dort abgelegt. Bei motori-
schen Prozessen greifen höherrangige Hirnfunktionen nicht mehr ein.

Allerdings benötigt diese Automatisierung Zeit. Der Mensch muss


üben, um zum Beispiel auf der Klarinette bestimmte Tonfolgen in
einer Geschwindigkeit zu spielen, die durch bewusstes Denken nicht
möglich ist, sondern nur aufgrund einer fest gespeicherten Matrix.

Die im prozeduralen Gedächtnis gespeicherten motorischen Abläufe


sind extrem stabil im Gehirn verankert und nur sehr schwer zu verän-
dern. Wenn zum Beispiel eine Sekretärin eine neue Tastatur für ihren
Computer erhält, auf der bestimmte Funktionstasten anders angeord-
net sind als auf ihrer bisherigen Tastatur, braucht sie verhältnismäßig
lange, um sich daran zu gewöhnen.

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

Autoritäres Verhalten und Gehorsam sind im prozeduralen


Gedächtnis gespeichert
Doch im prozeduralen Gedächtnis werden nicht nur die beschriebe-
nen Fertigkeiten und Abläufe gespeichert, sondern auch soziale Erwar-
tungen und Verhaltensweisen. So lernt man bereits als Kind, wie man
zum Beispiel mit anderen Menschen umzugehen hat, besonders wenn
diese einen anderen sozialen Status haben als man selbst. Das heißt,
hier wird festgelegt, ob man Herr oder Diener ist und wie man diese
Rolle ausfüllt. Man lernt, welche unbewussten Gesten dazu gehören,
wie man spricht und wie man rollengerecht reagiert.

Autorität und Gehorsam beruhen also wahrscheinlich nicht auf be-


wussten Entscheidungsprozessen, sondern sind unbewusst als Verhal-
ten im prozeduralen Gedächtnis gespeichert. Das wurde in verschie-
denen Experimenten immer wieder nachgewiesen.

Wenn jemand mit einem weißen Kittel als Arzt durchs Krankenhaus
läuft, werden seine Anweisungen beinahe blind befolgt. In einem Ver-
such hat sich eine Person am Telefon als Arzt ausgegeben und die
Krankenschwester am Telefon angewiesen, einem bestimmten Patien-
ten ein schädliches Mittel zu injizieren. Sofort machte sich die Schwe-
ster auf den Weg, diesen Auftrag auszuführen und war nur schwer
davon zu überzeugen, von ihrem Tun abzulassen.

Meist sind es Äußerlichkeiten wie die Kleidung oder die Uniform, die
einem Menschen Autorität verschaffen. Oft reicht aber auch schon die
Stimme am Telefon. Betrüger missbrauchen diese Autoritätsmecha-
nismen besonders häufig bei älteren Menschen, die ein gehorsames
Verhalten oft nicht nur in ihrer Kindheit, sondern in ihrem ganzen
Leben eingeübt haben.

In hierarchischen Gesellschaften, in denen die Menschen seit vielen


Jahrtausenden leben, mag ein solches Verhalten vielleicht nützlich
gewesen sein und das Leben erleichtert haben. In unserer Gesellschaft,
in der zumindest vordergründig Chancengleichheit und vertikale Mo-
bilität als eigenständige Werte angesehen werden, kann ein erlerntes
Verhalten durchaus zur Karrierebremse werden.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Ob und wie jemand in seinem späteren Leben diese stabil verankerten


Verhaltensweisen ablegen oder ändern kann, werden wir an einer an-
deren Stelle besprechen.

Lernen ist das Speichern von Informationen im Gehirn


Voraussetzung dafür, dass ein Gedächtnis überhaupt entstehen kann,
ist die Wahrnehmung von Informationen und deren Einspeicherung
in das neuronale System des Gehirns. Dieses Einspeichern nennen wir
Lernen, wobei wir allerdings berücksichtigen müssen, dass es sehr
unterschiedliche Lernformen gibt.

Die Einspeicherung selbst wird nur dadurch möglich, dass das Gehirn
plastisch, also veränderbar und formbar ist. Man kann zwar Neuro-
nenbündel unter dem Mikroskop beobachten und zuschauen, wie sie
sich untereinander verbinden oder auch Verbindungen wieder abbau-
en, also lernen und vergessen, doch tatsächlich ist den Neurowissen-
schaften noch nicht genau klar, wie die Fülle der Informationen, die
sich in unserem Gehirn befinden, langfristig gespeichert wird.

Lernen basiert auf einer Verstärkung der Verbindungen zwischen den


Nervenzellen, die zu einer erleichterten Signalübertragung an den Sy-
napsen führen. Es ist durchaus möglich, Lernprozesse unter Laborbe-
dingungen zu beobachten, allerdings lassen sich so gut wie keine Aus-
sagen über die gelernten Inhalte machen.

Lernen ist immer ein individueller Vorgang, selbst wenn die Vermitt-
lung des Lehrstoffs wie in der Schule im Kollektiv stattfindet. Wenn
man zum Beispiel gemeinsam mit anderen Menschen ein Lied singt,
lernt man den Text wahrscheinlich besser, als wenn man ihn im stillen
Kämmerlein vom Blatt abliest, weil dann auch andere Hirnregionen
und Systeme beteiligt sind. Die Spiegelneuronen nehmen die anderen
Sänger wahr und wahrscheinlich aktiviert das das emotionale und das
Belohnungssystem, sodass dann der Text auch besser gespeichert wird.

Je mehr Emotionen bei einem Lernvorgang beteiligt sind, desto bes-


ser haften die aufgenommenen Informationen, wobei auch das Fak-
tenwissen dann zunächst kontextabhängig abgespeichert wird und
sich erst später verselbstständigt und ohne den Bezugsrahmen, also

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

die Erinnerung an die Schule und an die Mitschüler, als Wissen ge-
nutzt werden kann.

Die verschiedenen Arten des Lernens


Die meisten Menschen verstehen unter Lernen zunächst einmal nur
das Einspeichern von Wissen, wie es zum Beispiel beim Vokabellernen
geschieht, und übersehen dabei, dass es durchaus sehr unterschiedli-
che Formen des Lernens gibt. Denn auch Gewöhnung ist eine Form
des Lernens. Allerdings handelt es sich dabei um so genanntes negati-
ves Lernen, denn die durch einen Reiz ausgelöste Reaktion lässt lang-
sam nach.

Wenn also die Führung eines Unternehmens beim jährlichen Meeting


der Vertriebskräfte stets dieselben Phrasen drischt, dieselben Forde-
rungen stellt und vielleicht sogar immer dieselben Drohungen aus-
stößt, dann bleibt dies völlig wirkungslos, weil sich die Mitarbeiter
daran gewöhnt haben und wissen, dass damit weder Hoffnungen noch
Befürchtungen zu verknüpfen sind.

Eine ganz andere Form des Lernens ist die Sensibilisierung, also die Ver-
stärkung der Reaktion auf wiederkehrende, vielleicht bedrohliche, aber
auch auf viele andere neutrale Reize. Dadurch kann die Alarmbereit-
schaft gegenüber Gefahrenquellen, vielleicht einem neuen Wettbewer-
ber auf dem Markt, erhöht werden. Diese Sensibilisierung ist ein weitaus
komplexerer Prozess als die Gewöhnung oder Habituation und sie kann
dazu führen, dass eingefahrenes Verhalten verändert wird.

Die klassische Konditionierung, also das Reizreaktions-Lernen, bei


dem zwei Reize miteinander verknüpft werden, findet man oft im
Rahmen so genannter Motivations-Veranstaltungen. Wer sich in einer
bestimmten Weise verhält, bekommt eine Belohnung.

Instrumentelles Lernen ist häufig ein wesentlicher Bestandteil von


Schulungsveranstaltungen, wie zum Beispiel einem Verhandlungstrai-
ning. Hier wird durch positive und negative Verstärkung der Aufbau
eines bestimmten Verhaltens gefördert, das dann routinemäßig und
zielgerichtet eingesetzt werden soll.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Ebenso wird das Nachahmungslernen bei Schulungsveranstaltungen


eingesetzt, wobei sich die einzelnen Teilnehmer an dem Verhalten der
Trainer und der Mitschüler orientieren. Wenn die Mehrheit von einer
Methode oder einem Produkt begeistert ist, wird die Minderheit ihre
Bedenken leichter zurückstellen.

Das so genannte kognitive Lernen, also das Lernen unter Einbeziehung


von Denkprozessen, um Einsicht in Funktionszusammenhänge, Me-
chanismen, Gesetzmäßigkeiten und Konsequenzen zu erhalten, ist
hauptsächlich ein sprachliches Lernen, wie wir es aus der Schule ken-
nen. Hier steht das Einspeichern von Wissen durch zunehmende
Übung im Vordergrund.

Beim kognitiven Lernen spielt auch die Autorität eine Rolle. Bestimm-
te Inhalte werden besser in das semantische Gedächtnis eingespeichert,
wenn sie von einer Person präsentiert werden, die wir aufgrund der im
prozeduralen Gedächtnis gespeicherten Inhalte als Autorität akzeptie-
ren. Dem Lehrer, Dozenten, Professor oder Vorgesetzten wird ge-
glaubt, was er sagt, ohne dass diese Inhalte einer eigenen Überprüfung
unterzogen werden.

Das kann besonders bei in Fakten verpackten Ideologien ein großes


Problem darstellen, bei Sprüchen wie „Von der Oder bis zum Rhein,
wird einmal der Sozialismus sein“ oder „Den Sozialismus in seinem
Lauf halten weder Ochs noch Esel auf“. Solche im semantischen Ge-
dächtnis gespeicherten Inhalte, die dann auch noch mit biografischen
Inhalten verbunden sind, werden die meisten Menschen ein Leben
lang nicht mehr los, selbst wenn sie sie als falsch erkannt haben.

Erfahrungen – die unbewusste Art des Lernens


Erfahrungen werden in unserer Gesellschaft zurzeit verhältnismäßig
gering geschätzt und so behandelt, als würde es sich dabei nur um
veraltetes Faktenwissen aus einer Zeit handeln, in der es noch kein
Internet, keine Laptops und keine Handys gab. Diese Betrachtungs-
weise ist jedoch vollkommen falsch.

Bei Erfahrungen handelt es sich um die wertvollste Art des Wissens,


denn sie nutzen nicht nur eine Form des Gedächtnisses, wie es beim

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

Faktenwissen der Fall ist, sondern Erfahrung kombiniert die verschie-


denen Gedächtnissysteme miteinander.

Es ist unter Personalverantwortlichen in Betrieben weitverbreitet, kei-


ne älteren Arbeitnehmer mehr einzustellen. Neben den vermeintlich
höheren Kosten spielt dabei die Vorstellung eine Rolle, dass diese Al-
tersgruppe nicht mehr in der Lage sei, neues Wissen, mit dem sie täg-
lich konfrontiert wird, noch ausreichend aufzunehmen. Dies ist ein
Irrtum. Das alternde Gehirn ist leistungsfähiger, als man denkt. Die
vorhandenen Fähigkeiten müssen nur besser genutzt werden.

Das Gedächtnis älterer Menschen ist nicht schlechter als das jüngerer
Menschen, es muss nur anders „gefüttert“ werden. Untersuchungen
mittels funktioneller Kernspintomografie zur Lokalisation von Ge-
dächtnisaufgaben im Gehirn haben gezeigt, dass junge Menschen un-
ter 25 Jahren über Wiederholungen lernen (zum Beispiel beim Voka-
bellernen) und den Schläfenlappen des Gehirns benutzen.

Ältere Menschen tun sich zwar viel schwerer als jüngere, Vokabeln
auswendig zu lernen. Trotzdem sind sie noch in der Lage, eine Sprache
zu erlernen, wenn sie kontextabhängig lernen, zum Beispiel in einem
Sprachlabor.

Ältere Menschen über 50 Jahre lernen mehr über Strategien, zum Bei-
spiel Eselsbrücken, und aktivieren beim Lernen das mittlere Stirnhirn,
also den Teil, der strategische Denkleistungen erbringt. Diese Technik
machen sich übrigens auch Gedächtniskünstler zueigen, die damit
enorme Gedächtnisleistungen erzielen. Nicht das Gedächtnis älterer
Menschen ist schlecht, sondern die Lernmethoden, die man ihnen
aufzwingt, taugen nichts.

Die Vorteile von Erfahrungen


Generell sollte die Summe der Erfahrungen nicht unterschätzt werden,
die das Gehirn über Jahre hinweg als Information gespeichert hat. Eine
Untersuchung in Papua Neuguinea hat gezeigt, dass ältere Jäger trotz
ihrer körperlich eingeschränkten Leistungsfähigkeit, das heißt geringere
Seh- und Hörfähigkeit sowie Ausdauerleistung, bei der Einzeljagd etwa

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

vier Mal so viel Jagdbeute nach Hause bringen wie die jüngeren, körper-
lich fitten Jäger. Das ließ sich eindeutig in Kilogramm nachwiegen.

Erfahrung kompensiert also nicht nur eindeutig körperliche Überle-


genheit, sondern bringt ganz konkrete Vorteile. Viele mögen vielleicht
eingestehen, dass dies zwar auf Gesellschaften von Jägern und Samm-
lern zutreffen mag, in unserer modernen Gesellschaft jedoch keinerlei
Gültigkeit mehr hat. Dem stehen allerdings Untersuchungen entgegen,
die bei Piloten vorgenommen worden sind.

Das Fliegen großer Passagiermaschinen ist nicht nur ein höchst ver-
antwortungsvoller Beruf, sondern er erfordert auch die richtige Erfül-
lung komplexer Aufgaben, oft in Sekundenbruchteilen, wie uns auch
die stürmische Landung einer Maschine auf dem Hamburger Flugha-
fen im Frühjahr 2008 so eindrucksvoll vor Augen geführt hat.

Piloten werden in Flugsimulatoren nicht nur trainiert, mit den schwie-


rigsten Situationen umgehen zu können, sondern mit diesen Geräten
wird auch ihre Leistungsfähigkeit in regelmäßigen Abständen immer
wieder auf den Prüfstand gestellt. Wer zu viele Fehler macht oder zu
oft falsch reagiert, darf dann nicht mehr fliegen. In solchen Simulatio-
nen werden künstliche Schwierigkeiten eingebaut, mit denen die mei-
sten Piloten niemals in ihrem Leben konfrontiert werden, die sie aber
dennoch perfekt beherrschen müssen.

Die dabei vorgenommenen Messungen werden anschließend nach


standardisierten Verfahren im Detail ausgewertet. Und die Ergebnisse
solcher Studien zeigen, dass sowohl das Alter des Piloten als auch seine
Erfahrung die entscheidenden Parameter für seine Leistungsfähigkeit
sind. Das heißt, ein älterer Pilot ist selbst dann noch ein guter Pilot,
wenn er über weniger Flugstunden verfügt als der Durchschnitt.

Aber ein jüngerer Pilot ist einem älteren bei gleicher Flugstundenzahl
in der Leistung meist unterlegen. Wenn es also darum geht, komplexe
Aufgaben zu erfüllen, spielen Alter und Erfahrung die größte Rolle.
Ein besseres Beispiel für die Veranschaulichung des Wertes der Erfah-
rungen als das folgende kann es wohl kaum geben.

Es ist der 15. Januar 2009. Flug 1549, ein voll besetzter Airbus A 320
startet vom New Yorker Flughafen LaGuardia mit Ziel Charlotte,

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Das Gedächtnissystem – was wir waren und werden

North Carolina. Etwa drei Minuten nach dem Start hören die Passa-
giere einen lauten Knall. Ein Gänseschwarm ist in die Triebwerke gera-
ten. Beide Triebwerke fallen aus, eines gerät sogar in Brand.

Der Flugkapitän Chesley B. Sullenberger geht ganz schnell die dreisei-


tige Checkliste für Notlandungen durch und entscheidet sich für eine
Notwasserung auf dem Hudson River, weil eine Rückkehr zum Start-
flughafen zu lange gedauert hätte. Er bringt die Maschine im Gleitflug
nach unten und sagt den Fluggästen ganz ruhig, sie sollten die Arme
ganz fest um den Oberkörper legen. Dann gelingt ihm mitten in New
York auf dem Hudson River eine meisterhafte Notlandung. Weder die
Triebwerke noch die Tragflächen des Airbus brechen dabei ab.

Die Insassen werden von schnell zu Hilfe gekommenen Fähren und


Booten aufgenommen. Sullenberger geht noch zwei Mal durch die
Sitzreihen, wo das eiskalte Wasser bereits knietief steht, um sicher zu
sein, dass sich niemand mehr an Bord befindet. Dann verlässt er als
letzter die Maschine.

Alle 155 Insassen überleben das Unglück, das als „Wunder vom Hud-
son“ in die Geschichte eingeht. Ein Behördensprecher, der die Cock-
pitgespräche während des Fluges abhörte, sagte, dass der Pilot wäh-
rend des ganzen Vorgangs außerordentlich ruhig gewesen sei. Alles sei
professionell, ruhig, methodisch gewesen, so wie man hofft, dass es
sein würde.

Luftfahrtexperten äußern sich erstaunt, dass der Airbus beim Auftre-


ten auf den Fluss nicht auseinanderbrach. Eine Notwasserung sei
normalerweise zerstörerischer als eine Notlandung am Boden. Eigent-
lich hätten die Triebwerke und die Tragflächen beim Aufprall abreißen
müssen, dann wäre sehr schnell Wasser in den Rumpf eingedrungen.

Den positiven Ausgang dieser Katastrophe hat man sicherlich der ge-
lassenen Unerschrockenheit des Piloten zu verdanken, aber vor allem
seinen praktischen Erfahrungen. Sullenberger war 57 Jahre alt und
konnte auf mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Luftfahrt zurückgreifen.
Er hatte mit 16 Jahren einen Flugschein gemacht und war Kampfpilot
der amerikanischen Luftwaffe gewesen, bevor er 1980 Pilot bei der
Fluggesellschaft US Airways wurde. Und er hat auch eine Zusatzaus-
bildung im Gleitflug gemacht.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Sullenberger hat sich immer mit der Vermeidung von Flugunglücken


beschäftigt und war jahrzehntelang als Sicherheitsfachmann für die
Luftfahrt tätig. So war er unter anderem Sicherheitsverantwortlicher
bei der Pilotenvereinigung Alpa, leitete Untersuchungen zu Flugzeug-
unglücken und arbeitete in Komitees, die sich mit Sicherheitsfragen im
Flugverkehr befassten. Außerdem hat er eine eigene Firma, die Gut-
achten in Sicherheitsfragen anbietet.

Sullenberger wusste also sehr gut, was in gefährlichen und unerwarte-


ten Situationen getan werden muss. Trotzdem ist er immer wieder die
Checklisten mit den Handlungsanleitungen durchgegangen, um sich
auf eventuelle Notfälle vorzubereiten.

Erfahrungen können mit allen drei Gedächtnissystemen


verknüpft sein
Erfahrungen haben deshalb eine ganz besondere Qualität, weil sie im
günstigsten Fall mit allen drei Gedächtnissystemen verknüpft sind.
Praktisches Faktenwissen, das seine tiefen Wurzeln in unserer Biogra-
fie hat und mit wirksamer körperlicher Handlungsfähigkeit verknüpft
ist, bringt nicht nur einem Jäger im Urwald oder einem Piloten im
Flugzeug große Vorteile, sondern ist zum Beispiel auch für jeden nütz-
lich, der sich bei dichtem Verkehr im Nebel auf der Autobahn bewegt.

Lernen und Erinnern sind nämlich kein Selbstzweck, sondern dienen


dazu, Vorhersagen zu treffen und Absichten zu entwickeln und umzu-
setzen. Im Leben eines modernen Menschen ist es zwar wichtig, emo-
tionale Bewertungen abgeben zu können, aber sie allein reichen meist
nicht aus, um zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden.

Das prozedurale Gedächtnis macht uns handlungsfähig, ohne über


Reaktionen und die Koordination von Bewegungen nachdenken zu
müssen. Das semantische Gedächtnis hilft uns, uns in der Welt zu-
rechtzufinden, und das biografische Gedächtnis ist eine Art sozialer
Kitt, weil Gemeinsamkeiten und gemeinsame Erinnerungen die Ver-
bindungen zu anderen Menschen stärken, wir dort die Erfahrungen im
Umgang mit anderen Menschen speichern und den größten Teil unse-
rer Identität auf unserer Biografie aufbauen.

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Das Entscheidungssystem – was wir sollen

Alle drei Systeme gemeinsam treffen Vorhersagen, entwickeln Absich-


ten und realisieren diese. Das Gedächtnis ist also nicht auf die Vergan-
genheit gerichtet, sondern auf die Zukunft.

Alle eingehenden neuen Informationen werden zu unseren Erinne-


rungen in Beziehung gesetzt, weil sie im Gehirn an denselben Orten,
wo ähnliche Sachverhalte bereits gespeichert worden sind, wahrge-
nommen und im Zweifelsfall ebenfalls gespeichert werden. Die Vor-
hersagen über das, was kommt und sein wird, entstehen im Gehirn
ebenfalls an den Orten, wo bereits die entsprechenden Informationen
vorhanden sind.

Doch das, was wir als Entscheidungen in unserem Verstand wahrneh-


men, wird weder allein vom Gedächtnissystem noch vom emotionalen
oder vom Belohnungssystem getroffen. Deshalb kommen wir jetzt
zum Entscheidungssystem.

Das Entscheidungssystem – was wir sollen


Eine gute Entscheidung ist Gold wert. Das haben auch die Wissen-
schaftler erkannt, und deshalb haben sich schon seit mehreren Jahr-
zehnten Heerscharen von Ökonomen, Sozialwissenschaftlern, Psycho-
logen und natürlich Gehirnforschern daran gemacht, das Geheimnis
guter Entscheidungen zu lüften. Sie haben zwar schon viele und auch
wichtige Erkenntnisse zusammengetragen, doch zu einem handfesten
Ergebnis, das jederzeit und überall brauchbar ist, sind sie noch nicht
gekommen und werden es vielleicht auch nie erreichen.

Entscheidungen gehören wohl zu den komplexesten Abläufen im Ge-


hirn. Und keine Entscheidung gleicht der anderen, denn jedes Gehirn
funktioniert zumindest in den Details anders als das anderer Men-
schen, selbst wenn diese sich sehr ähnlich sind. Das hat sich zum Bei-
spiel bei der Untersuchung von eineiigen Zwillingen im funktionellen
Magnetresonanztomografen gezeigt.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Der präfrontale Cortex bildet den Kern des Entscheidungs6


systems
Aber immerhin wissen wir, dass bestimmte Gehirnregionen an der
Entscheidungsfindung besonders stark beteiligt sind.

Der präfrontale Cortex bildet den Kern des Entscheidungssystems. Er


ist Teil des Frontallappens der Großhirnrinde, der bei uns Menschen
etwa die Hälfte des Hirns in Anspruch nimmt. Hier laufen alle wichti-
gen Informationen zusammen.

Im präfrontalen Cortex sind nicht nur soziale Normen gespeichert,


sondern hier werden ebenso Strategien und Langzeitplanungen ent-
wickelt. Dabei werden nicht nur aktuelle sensorische Signale, sondern
auch die Zustände des emotionalen und des Belohnungssystems be-
rücksichtigt und Verknüpfungen mit Gedächtnisinhalten hergestellt.

Entscheidungen werden unbewusst vorbereitet


Eine Kaskade von unbewussten Prozessen fängt an, eine Entscheidung
vorzubereiten, lange bevor diese ins Bewusstsein dringt, sagt John-
Dylan Haynes vom Berliner Bernstein Zentrum für Computational
Neuroscience. All unsere Entscheidungen sind also Überlagerungen
von Tausenden kleiner Ursachen, beginnend bei den Erfahrungen in
der Kindheit, kulturellen Einflüssen und Fakten, die wir kennen.

Allerdings können wir diesen unbewussten Prozess der Entscheidungs-


bildung nicht nachvollziehen, sondern werden ihn nur nachträglich mit
vernünftigen Gründen untermauern. Wir gießen über unsere Entschei-
dungen eine Bedeutungssoße, sagt der Ulmer Professor Manfred Spit-
zer. Und der deutsche Nobelpreisträger Reinhard Selten formulierte es
so: „Entscheidungen werden nicht gefällt, sie quellen auf“.

John-Dylan Haynes hat Personen, die im funktionellen Magnetreso-


nanztomografen lagen, gebeten, zu entscheiden, ob sie mit der linken
oder der rechten Hand einen Knopf drücken wollten, und sich den
Zeitpunkt dieser Entscheidung zu merken. Anhand der Computerbil-
der konnte er bei jeder Versuchsperson ganz bestimmte Muster im
Kopf identifizieren und feststellen, dass zwei Hirnregionen bei dieser
Entscheidung aktiv waren.

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Das Entscheidungssystem – was wir sollen

Allerdings zeigte die Auswertung der Ergebnisse, dass die Entschei-


dung, den linken oder den rechten Knopf zu drücken, bereits zehn
Sekunden vorher erkennbar war, bevor die betreffende Person glaubte,
die Entscheidung bewusst getroffen zu haben.

Anhand der Muster konnte Haynes sogar mit 60-prozentiger Wahr-


scheinlichkeit vorhersagen, welche Entscheidung die Person zehn
Sekunden später treffen würde. Das bedeutet allerdings nicht, dass
man jetzt in der Lage wäre, Gedanken zu lesen. Erstens handelte es
sich um eine sehr simple Entscheidung und zweitens waren die Mu-
ster der verschiedenen Versuchspersonen allenfalls ähnlich, sodass
die Vorhersage nur um zehn Prozentpunkte höher lag als ein reines
Zufallsergebnis.

Etwas weiter kam Brian Knutson von der Stanford Universität mit
seinen Experimenten zu ökonomischen Entscheidungen. Hier wurden
den im funktionellen Magnetresonanztomografen liegenden Ver-
suchspersonen 20 Dollar zur Verfügung gestellt, mit denen sie ver-
schiedene Produkte kaufen konnten. Dann wurde den Probanden das
Bild einer Ware gezeigt, danach deren Preis, und schließlich mussten
sie sich für oder gegen den Kauf entscheiden.

Durch das Bild der Ware wurde zunächst das Belohnungssystem


aktiviert. Der Preis wurde dann jedoch wie ein Schmerz im Gehirn
verarbeitet, beides wurde gegeneinander abgewogen und die endgül-
tige Entscheidung traf dann das Entscheidungssystem im präfronta-
len Cortex. Bei der ökonomischen Entscheidung waren also drei Ge-
hirnregionen beteiligt, und man konnte an den Aktivitäten der ersten
beiden Regionen ablesen, wie die endgültige Entscheidung aussehen
würde, auch wenn sie der Versuchsperson selbst noch gar nicht klar
war.

Wir wissen also, dass Entscheidungsprozesse unbewusst ablaufen und


welche Hirnregionen sie bestimmen, aber nicht bei allen Entscheidun-
gen beteiligt sind. Es ist zu vermuten, dass hierbei sehr unterschiedli-
che Kriterien eine Rolle spielen. Diese in einem Magnetresonanztomo-
grafen zu simulieren, ist äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Die Entscheidung, sich von einem Ehepartner zu trennen, wird sicher-


lich nach ganz anderen Kriterien ablaufen als die Entscheidung, welche

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Aktie man kaufen sollte. Die Entscheidungen, die ein Notarzt bei ei-
nem Herzinfarktpatienten zu treffen hat, unterscheiden sich wahr-
scheinlich ganz erheblich von denen, die ein Entertainer trifft, um sein
Publikum zu unterhalten.

Manche Entscheidungen bestehen aus der richtigen Abfolge einzelner


Schritte, die in Regelwerken oder Checklisten festgelegt sind und die
zum Beispiel Piloten helfen, auch in Notfallsituationen richtig zu rea-
gieren. Andere Entscheidungen, wie zum Beispiel in Beziehungskrisen,
sind höchst individuell und haben nur für die beteiligten Personen
Konsequenzen. Und auch nur sie kennen die Motive und Beweggrün-
de, nach denen sie ihre Entscheidung fällen.

Alle vier Hirnsysteme arbeiten zusammen


Das Entscheidungssystem hat in solchen Fällen zwar die Endkontrolle
darüber, welche Absichten wir haben und wie wir uns verhalten, doch
ohne die drei anderen Systeme wäre es praktisch hilflos, weil es nicht
wüsste, was es wollen sollte, warum es etwas wollen sollte und wie es
seine Ziele erreichen kann. Deshalb ist das Zusammenspiel aller vier
Gehirnsysteme von so großer Bedeutung.

Häufig besteht die Funktion des Entscheidungssystems hauptsächlich


darin, dafür zu sorgen, dass die bestehenden Wünsche auch umgesetzt
werden können. Bei der Kommunikation mit anderen Menschen ist es
zum Beispiel seine Aufgabe, das, was der eine Mensch möchte, dem
anderen mit Argumenten schmackhaft zu machen und die richtigen
Begründungen für diese Wünsche zu finden. Es existieren also zuerst
noch nicht die Gründe für unser Wollen, sondern diese werden erst
später dazu addiert, um unsere Intentionen zu untermauern.

Um strategisch denken zu können, Konzepte und Visionen zu entwik-


keln, brauchen wir das Entscheidungssystem, das in der Lage ist, aus
den Inhalten des Gedächtnisses Neues zu entwickeln. Neue Strategien
brauchen neue Entscheidungen. Das Entscheidungssystem lenkt auch
unsere Aufmerksamkeit und sorgt dafür, dass wir uns konzentrieren
können und nicht abgelenkt werden.

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Das Entscheidungssystem – was wir sollen

Es gibt eine ganze Reihe von Entscheidungen, die wir nicht nur auf-
grund von Erfahrungen und Gefühlen lösen können. Das Belohnungs-
system ist dabei eine gewisse Hilfe, weil es uns anspornt, nach neuen
Wegen zu suchen, und uns für eine erfolgreiche Lösung eine innere
Belohnung in Aussicht stellt.

Es ist aber nicht so, dass das Entscheidungssystem immer alles richtig
macht. Im Zusammenspiel mit dem Belohnungssystem kann es
durchaus dazu kommen, dass bestimmte Entscheidungen vorschnell
getroffen werden und dadurch Fehler entstehen. Das liegt unter ande-
rem daran, dass das Gehirn nicht in der Lage ist, viele Eindrücke und
Informationen gleichzeitig zu verarbeiten und allen genügend Auf-
merksamkeit zuzuwenden.

Auch äußere Einflüsse spielen eine wichtige Rolle


Dennoch versucht das Gehirn bei seinen verschiedenen Entscheidun-
gen, möglichst viele Faktoren zu berücksichtigen. Dabei beschränkt es
sich nicht nur auf sein explizites Wissen, seine Erfahrungen und ein-
geübten Verhaltensweisen, sondern versucht zusätzliche äußere In-
formationen hinzuzuziehen.

Es hat sich gezeigt, dass äußere Einflüsse, auch solche, die mit der ei-
gentlichen Entscheidung überhaupt nichts zu tun haben, eine ebenso
große Wirkung auf Entscheidungen entfalten wie persönliche Erfah-
rungen aus der Vergangenheit. Zum Teil würde man die Einflussfakto-
ren, die sich auswirken, als geradezu lächerlich bezeichnen. Doch ihre
Wirkung wurde durch zahlreiche Experimente der Verhaltens- und
der Neuroökonomie bewiesen.

So wurde bei einem Versuch der Psychologen John Bargh und Law-
rence Williams von der Yale University in New Haven, Connecticut,
der Nachweis erbracht, dass die Bewertung einer fiktiven Person da-
von beeinflusst wird, ob man zuvor einen heißen Kaffee oder einen
Becher Eiskaffee in der Hand hielt.

Vorgeblich sollten Studenten im Rahmen einer Studie den Charakter


einer hypothetischen Person anhand bestimmter Kriterien einschät-
zen. Tatsächlich ging es aber darum, wie man diese Einschätzung be-

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

einflussen kann. Jeder Student traf auf dem Weg zum Versuch einen
wissenschaftlichen Assistenten, der den Arm voller Bücher und Akten
hatte und gleichzeitig noch einen Becher in der Hand hielt. Er bat die
jeweilige Versuchsperson um Hilfe, dass sie ihm während der Fahrt im
Fahrstuhl das Getränk abnehmen sollte.

Bei der Hälfte der Versuchspersonen handelte es sich um einen Becher


mit heißem Kaffee, bei den anderen um einen Eiskaffee. Der anschlie-
ßende Test ergab, dass diejenigen, die den heißen Kaffee gehalten hat-
ten, die zu beurteilende Person als warmherzig und sozial empfanden,
und diejenigen die den Eiskaffee gehalten hatten, die Person für kälter
und egoistischer hielten. Dabei hatten sie dieselben Informationen
über die Person.

Wie lässt sich dieses Ergebnis erklären? Die Vermutung liegt nahe, dass
das Gehirn situative Verhältnisse, also zeitnahe äußere Informationen
höher einschätzt als ältere, die es abgespeichert hat. Das würde dafür
sprechen, dass das Gehirn in weitaus höherem Maße ein soziales Or-
gan ist als bisher vermutet.

Schließlich reagieren die Zellverbände der so genannten Spiegelneuro-


nen nicht nur auf Emotionen und Verhaltensweisen anderer Lebewe-
sen, sondern auch auf räumliche und sprachlich abstrakte Informatio-
nen. Besonders persönliche Bezüge und Ähnlichkeiten stehen dabei im
Vordergrund.

So ist es nicht verwunderlich, dass wir lieber etwas von jemandem


kaufen, dessen Name gleich lautet wie unserer oder so ähnlich klingt,
dass wir Firmen bevorzugen, deren Initialen uns vertraut sind, und
dass wir uns bei der Wahl unserer Lottozahlen an unseren Geburtsda-
ten oder unserer Telefonnummer orientieren.

Bei Experimenten in den USA wurde sogar nachgewiesen, dass die


letzten beiden Zahlen der Sozialversicherungsnummer einen Einfluss
auf Entscheidungen haben. Wichtig war allerdings, dass man sich diese
vor der Entscheidung noch einmal bewusst gemacht hat.

Dan Ariely vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge


ließ seine Studenten die beiden letzten Ziffern ihrer Sozialversiche-
rungsnummer auf einen Zettel schreiben. Anschließend fragte er sie,

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Das Entscheidungssystem – was wir sollen

ob sie bereit wären, die Zahl, die auf dem Zettel stand, als Preis für
eine Flasche Wein zu akzeptieren. Dann sollten die Studenten auf das-
selbe Blatt ein eigenes Gebot für die Flasche notieren.

Das Ergebnis war: Je höher die Zahl aus den beiden letzten Ziffern der
Sozialversicherungsnummer war, desto höher lagen die Preise, die die
Studenten bereit waren, für den Wein zu zahlen. Weil sie diese Zahl als
Preis für den Wein in Erwägung gezogen hatten, hatte sich dieser Be-
trag in ihrem Kopf verankert. Als die Studenten dann ihre eigenen
Gebote abgeben sollten, beeinflusste dieser Anker sie unbewusst in
ihren Entscheidungen.

Bei einem britischen Experiment sollten 300 Fondsmanager ihre Tele-


fonnummer aufschreiben und anschließend schätzen, ob die Anzahl
der Ärzte in London höher ist als die Zahl aus den letzten vier Ziffern
ihrer eigenen Telefonnummer. Endete die Telefonnummer zum Bei-
spiel mit 3549, lautete die Frage, ob es mehr als 3549 Ärzte in London
gibt. Im Anschluss danach sollten die Fondsmanager die tatsächliche
Zahl der Ärzte schätzen.

Das Ergebnis des Experiments war: Diejenigen, deren Telefonnummer


mit einer größeren Zahl als 7000 endete, schätzten die Anzahl der Me-
diziner im Durchschnitt auf 8.000, während diejenigen, deren Tele-
fonnummer mit einer kleineren Zahl als 3000 endete, durchschnittlich
davon ausgingen, dass es 4.000 Ärzte sind. Die Endziffern der eigenen
Telefonnummer hatten also Einfluss auf die Höhe der Schätzung, ob-
wohl keinerlei Zusammenhang mit der Anzahl der Ärzte bestand.

Der Mensch bewertet auch alles, was ihm bekannt ist, höher als das
ihm Unbekannte. Deshalb bevorzugt er Lösungen, die ihm vertraut
sind, und nimmt oft andere sinnvolle und zweckmäßige Lösungen gar
nicht wahr. Dies führt häufig dazu, dass durchaus sinnvolle und
zweckmäßige Optionen ignoriert werden, weil die Wahrnehmung in
Richtung des Bekannten verzerrt ist.

Dass bestimmte Dinge nicht isoliert wahrgenommen werden, sondern


im Zusammenhang mit ihrer Umgebung, nennt man Framing-Effekt.
So spielt der subjektive Interpretationsrahmen, in den bestimmte In-
formationen oder Entscheidungen eingebettet werden, eine große Rolle.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Der Verkäufer eines Produkts wird seinem Kunden in der Regel drei
Alternativen vorstellen, wovon die eine außerordentlich teuer, die
andere extrem günstig, aber sehr unattraktiv ist und erst die mittlere
sowohl in Preis und Leistung akzeptabel erscheint. Ohne das teurere
und das billigere Produkt würde die Entscheidung für das mittlere
nicht so leicht fallen.

Wichtige Entscheidungen brauchen Zeit


Das alles zeigt, dass man weder den viel gepriesenen Bauchentschei-
dungen, die natürlich auch im Kopf getroffen werden, noch seiner
„intuitiven Intelligenz“ uneingeschränkt vertrauen darf. Viel wichtiger
ist es, sich für wichtige Entscheidungen möglichst genügend Zeit zu
nehmen und am besten eine Nacht oder vielleicht auch mehrere Näch-
te darüber zu schlafen. Dann hat das Unbewusste genügend Zeit, sich
mit der Entscheidung zu befassen.

Dabei ist es wichtig, seine Gedanken nicht nur auf den Entscheidungs-
gegenstand zu konzentrieren – also welches Auto will ich kaufen, wie
viel Geld will ich wo anlegen oder soll ich meiner Freundin einen Hei-
ratsantrag machen oder nicht –, sondern sich auch auf eine Metaebene
zu begeben, um das zu lösende Problem in einem größeren Umfeld zu
betrachten.

Dabei sollte man seine Motive hinterfragen, warum man überhaupt


eine Entscheidung treffen will oder muss, und welche Faktoren die
Entscheidung beeinflussen. Wie wichtig sind diese und gibt es nicht
vielleicht auch noch andere, die man bisher außer Acht gelassen hat?
Natürlich ist es auch gut, sich klar zu machen, wie Entscheidungspro-
zesse überhaupt ablaufen und wo mögliche Fehlerquellen sitzen.

Die Entscheidungen hängen von den Bedingungen ab


Bedeutsame Entscheidungen sortiert man meist nach drei Kriterien-
paaren:

Zum einen gibt es wichtige und unwichtige Entscheidungen, deren


Bewertung sich leider oft erst im Nachhinein als richtig oder falsch
herausstellt. Dann unterscheiden die Menschen meist nach emotiona-

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Das Entscheidungssystem – was wir sollen

len, gefühlsorientierten Entscheidungen und rationalen, vernunftori-


entierten. Das dritte Entscheidungspaar ist die Unterscheidung nach
überlegten und spontanen Entscheidungen.

Aus unserer allgemeinen Lebenserfahrung wissen wir jedoch, dass


diese Entscheidungskriterien einerseits nicht unabhängig voneinander
ihre Wirkung entfalten und andererseits auch in Abhängigkeit von der
jeweiligen Situation ein unterschiedlich starkes Gewicht bekommen.

Nach den Regeln der klassischen Ökonomie müssten es in erster Linie


äußere Bedingungen sein, die unser Verhalten steuern. Der Bedarf
nach einem bestimmten Gut, sein Preis und seine Qualität sowie das
verfügbare Einkommen sollten eigentlich unsere Entscheidungen len-
ken. Doch sie tun es eben nicht. Die Neuroökonomie sieht das öko-
nomische Verhalten nun einmal von ganz anderen Bedingungen be-
einflusst.

So sollten wir zunächst einmal die Bedingungen genauer betrachten,


unter denen eine Entscheidung getroffen wird. Es gibt zwei grundsätz-
liche Möglichkeiten: Man trifft eine Entscheidung unter Sicherheit
oder unter Unsicherheit.

Eine Entscheidung unter Sicherheit bedeutet, dass die Vorhersagen,


die die jeweilige Person im Zusammenhang mit der Entscheidung
trifft, mit größter Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Die kommen-
de Situation wird als bekannt vorausgesetzt. Wenn wir den Lichtschal-
ter betätigen, geht das Licht aus, wenn wir den Zündschlüssel im Wa-
gen umdrehen, springt der Motor an. So sollte es jedenfalls nach
unseren Erfahrungen sein und ist es in der Regel auch.

Treten die gewünschten Ereignisse oder Situationen allerdings nicht


ein, wird das zunächst nichts daran ändern, dass wir diese Entschei-
dung auch in Zukunft mit Sicherheit wieder auf die gleiche Weise tref-
fen werden. Gelegentlich kann zwar ein Lichtschalter oder ein Anlasser
im Auto defekt sein, aber das ist nicht die Regel. Wir sind zwar im
Moment irritiert und müssen Alternativentscheidungen treffen, aber
am Grundsatz ändert das nichts.

Jeder Mensch möchte seine Entscheidungen am liebsten immer unter


Sicherheit treffen. Absolute Sicherheit gibt es aber nicht, wie wir

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

schon an dem Beispiel des Lichtschalters oder des Autoanlassers ge-


sehen haben. Aber immerhin gibt es eine größtmögliche Sicherheit,
die entweder auf Erfahrung oder auf genauer Kenntnis aller Umstän-
de beruht.

Bei Entscheidungen unter Unsicherheit ist nicht mit Sicherheit be-


kannt, welche zukünftige Situation eintritt. Die Vorhersagemöglich-
keiten sind entweder sehr begrenzt oder so breit gefächert, dass sie
nicht mehr zu überschauen sind, und die Erfahrungen aus der Ver-
gangenheit bieten nur geringe Anhaltspunkte. Grundsätzlich unter-
scheidet man Entscheidungen unter Unsicherheit einerseits nach Ent-
scheidungen unter Risiko und andererseits nach Entscheidungen unter
Ungewissheit.

Von einer Entscheidung unter Risiko spricht man immer dann, wenn
derjenige, der die Entscheidung zu fällen hat, die möglichen eintreten-
den Situationen kennt und auch die damit verbundenen Wahrschein-
lichkeiten.

Eine klassische Situation für eine Entscheidung unter Risiko ist zum
Beispiel das Roulettespiel. Setzt man hier auf eine einfache Chance,
also zum Beispiel auf Rot oder Schwarz, so weiß man, dass die Wahr-
scheinlichkeit, dass eine der beiden Farben gewinnt, gleichermaßen
hoch ist, es sei denn, die Kugel fällt auf die Null und beide Farben
verlieren. Im Falle eines Gewinns erhält man den doppelten Einsatz
zurück.

Im Roulettespiel sind, wie beim Lotto oder bei den Klassenlotterien,


sowohl die Wahrscheinlichkeiten als auch die Gewinn- oder Verlust-
chancen genau bekannt. Die Chancen, beim Lotto den Hauptgewinn
zu erhalten, das heißt 6 aus 49 plus Superzahl richtig zu tippen, liegen
bei 1 zu 140 Millionen.

Leider wird häufig die Entscheidung unter Risiko mit der Entschei-
dung unter Ungewissheit verwechselt. Eine Entscheidung unter Un-
gewissheit liegt nämlich immer dann vor, wenn man zwar die
eintretenden Situationen vorhersehen kann, aber nicht die Eintritts-
wahrscheinlichkeiten.

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Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen

Wenn man zum Beispiel Aktien kauft, weiß man sehr genau, dass der
Kurs der Aktien in Zukunft gleich bleiben, steigen oder fallen kann.
Wann allerdings welches Ereignis mit welcher Sicherheit eintritt, ist
nicht vorherzusagen, auch wenn dies von vielen Anlegern und Anlage-
beratern behauptet wird.

Tatsächlich werden die meisten Entscheidungen unter ungewissen


Umständen getroffen. Diese Ungewissheit wird jedoch meist so be-
handelt, als wenn es sich nur um Risiken handelt.

Inzwischen wissen wir, dass wir bei ökonomischen Entscheidungen


unter Unsicherheit ganz bestimmte Fehler machen. Die Psychologen
Daniel Kahneman und Amos Tversky haben auf der Basis von Expe-
rimenten die „Neue Erwartenstheorie“ (prospect theory) entwickelt,
für die sie auch den Nobelpreis erhielten. Danach werden ökonomi-
sche Entscheidungen durch eine ganze Reihe von Wahrnehmungsver-
zerrungen beeinflusst, und diese entfalten nicht nur bei ökonomischen
Entscheidungen, sondern auch bei allen anderen Entscheidungen ihre
Wirkung.

Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen


Wenn man die Kriterien der Neuen Erwartenstheorie zur Grundlage
der Beurteilung unserer eigenen Entscheidungen macht, vergrößern
wir die Chancen, selbst richtige Entscheidungen zu treffen. Deshalb
gehen wir die einzelnen Punkte doch einfach einmal durch.

Überzogenes Selbstvertrauen als Fehlerquelle


Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gehen meist Hand in Hand und
beruhen beide auf einem aktiven Belohnungssystem, einem stabilen
emotionalen System, auf Wissen, Fähigkeiten und auf positiven Erin-
nerungen. Während das Selbstbewusstsein eher auf das ausgerichtet
ist, was wir von anderen für uns selbst erwarten, bestimmt das Selbst-
vertrauen die Erwartungen an uns selbst. Beide sollten ruhig hoch sein,
um heil durchs Leben zu kommen, aber eben nicht so hoch, dass sie
die Verbindung zur Realität verlieren.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Überzogenes Selbstvertrauen geht meist mit der Überschätzung der


eigenen Fähigkeiten und des Weltverständnisses einher.

Ein gutes Beispiel dafür sind sicherlich die zahlreichen Touristen, die
jedes Jahr von der Bergwacht in den Alpen gerettet werden müssen.
Mit Badelatschen und T-Shirts begeben sie sich in Bergregionen, die
andere nur gut ausgerüstet in Angriff nehmen. Sie unterschätzen nicht
nur die Schwierigkeiten des Geländes und des Wetters, sondern sie
überschätzen auch ihre eigene körperliche Leistungsfähigkeit. Solche
Fehlentscheidungen enden dann oft mit Knochenbrüchen und Erfrie-
rungen, manchmal auch mit dem Tod.

Natürlich gibt es auch viel banalere und weniger schmerzliche Ent-


scheidungen, die dennoch auf der Überschätzung der eigenen Fähig-
keiten beruhen. Denken wir nur an Hobbyhandwerker, die glauben
genau zu wissen, wo die Elektroleitungen liegen und dann mit einer
Bohrmaschine die Stromversorgung eines ganzen Hauses lahmlegen,
oder an die Hobbyarchitekten, die zunächst das Dach einer günstig
erstandenen Bauruine sanieren lassen und erst dann merken, dass
Grundmauern, Wände oder Decken den Winter nicht mehr überste-
hen. Die Liste der Selbstüberschätzungen ließe sich beliebig fortsetzen.

Auch der Einfluss auf die Zukunft wird oft überschätzt. Wie sicher ist
der Arbeitsplatz wirklich? Sollte man sich das Haus mithilfe einer Rie-
senhypothek wirklich kaufen oder lieber noch abwarten und weiter-
sparen?

Oft werden Gefühle und Wünsche zur Grundlage von Entscheidungen


gemacht, die im Licht rationaler Argumente ganz anders gefällt wer-
den müssten. Dabei spielt auch das Thema Aberglaube eine große
Rolle, denn er ist weiter verbreitet, als man denkt. Anders lässt es sich
nicht erklären, dass die Branche der Zukunftsdeuter bei jeder Wirt-
schaftslage Konjunktur hat. Nur weil man eine Entscheidung für die
Zukunft treffen muss, heißt das noch lange nicht, dass man diese Zu-
kunft auch beeinflussen kann.

Überzogenes Selbstvertrauen beruht auch darauf, dass wir die Fähig-


keiten und Handlungsweisen möglicher Konkurrenten oder Wettbe-
werber geringer einschätzen, als es tatsächlich der Fall ist, egal ob es
sich nur um eine kleine Beförderung oder um eine Bewerbung auf

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Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen

einen neuen Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber handelt. Viele


Menschen glauben, selbst gute Chancen zu haben, ohne Informatio-
nen über diejenigen zu besitzen, die gegen sie antreten.

Der Ankereffekt verhindert Kurskorrekturen


Eigentlich ist ein fester Bezugspunkt, der unsere Entscheidungen steu-
ert, etwas sehr Positives, zum Beispiel wenn es sich um moralische
Normen handelt. Wenn Unternehmen es ihren Mitarbeitern untersa-
gen, Bestechungsgelder zu verteilen, nur um an neue Aufträge zu
kommen, ist das sicherlich ein Verhalten, an dem nicht gerüttelt wer-
den sollte.

Wenn ein Unternehmen allerdings über lange Zeit bei einer techni-
schen Lösung bleibt, die zwar teuer ist, aber zunächst den Vorsprung
auf dem Markt sicherte, dann aber keine neuen Lösungen entwickelte,
als die Wettbewerber längst bessere und preiswertere anboten, ist diese
Beständigkeit und Konsistenz sicherlich von Nachteil. Ein Beispiel
dafür war sicherlich der Kamerahersteller Leica.

Allerdings wird Beständigkeit als Ideal des korrekten Verhaltens oft


von anderen Menschen ausgenutzt. Man ringt einem Geschäftspartner
eine Zusage oder ein Zugeständnis ab, zum Beispiel ein Flugzeug für
einen bestimmten Preis zu liefern. Doch während der Entwicklungs-
zeit verändert man immer wieder die Vorgaben, mehr Leistung, weni-
ger Verbrauch, höhere Tragkraft und so weiter. Das Einzige, was man
nicht verändert, ist der Preis. Hier besteht man auf die Einhaltung der
gemachten Zusage. Der Hersteller Airbus erlebt eine solche Situation
gerade.

Noch schlimmer ist es, wenn wir bei Finanzentscheidungen den fal-
schen Bezugspunkt wählen. Wenn wir vor einigen Jahren eine Aktie zu
einem bestimmten Preis gekauft haben, der Kurs aber nun zu fallen
beginnt, weil das Unternehmen nicht so erfolgreich ist wie andere und
Änderungen nicht in Aussicht stehen, sollten wir uns möglicherweise
überlegen, diese Aktie zu verkaufen.

Wenn der aktuelle Kurs allerdings unter dem Einstandspreis liegt,


werden wir diesen immer vor Augen haben, und es wird uns schwer

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

fallen, den mit dem Verkauf verbundenen Verlust zu verschmerzen.


Der Einstiegspreis ist für uns nun einmal der Ankerpreis, an dem wir
festhalten möchten und was wir mindestens wieder herausbekommen
wollen.

Ein anderer Ankerpreis, der uns möglicherweise zu falschen Entschei-


dungen verführt, ist die unverbindliche Preisempfehlung des Herstel-
lers. Mein Händler bietet mir den entsprechenden Fernseher 20 Pro-
zent billiger an. Ein Schnäppchen, sagt mein Belohnungssystem. Sofort
kaufen! Und natürlich tue ich das dann auch. Hinterher merke ich
erst, dass nirgendwo im Handel der unverbindliche Herstellerpreis
verlangt wird. Ich hätte den Fernseher sogar für 30 Prozent unter dem
angegebenen Herstellerpreis bekommen können.

Der Ankereffekt entfaltet also immer dort seine Wirkung, wo man sich
auf eine bestimmte Information bezieht, ohne zu überprüfen, ob diese
überhaupt oder zumindest immer noch relevant ist.

Sturheit ist keine Charakterstärke


Während wir beim Ankereffekt einen externen Bezugspunkt haben,
den wir nicht aufgeben wollen, hat die Sturheit ihre Wurzeln in uns
selbst. Wir geben eine eingenommene Position nicht auf, weil wir
Angst haben, dass dies als Schwäche ausgelegt wird. Es kann aber auch
sein, dass Sturheit einfach auf der Unfähigkeit beruht, sich anbahnen-
de Veränderungen wahrzunehmen.

Sicherlich spielt hier auch die Gewöhnung eine Rolle. Wir haben etwas
immer so gemacht. Warum sollten wir es jetzt anders machen? Huf-
schmiede wollten lange Zeit nicht an den Siegeszug des Autos glauben,
Schiffswerften bauten weiter Segelschiffe statt Dampfschiffe und die
Deutsche Post mochte lange Zeit nicht einsehen, dass sie die Telefon-
gebühren senken muss, wenn neue Anbieter mit günstigeren Tarifen
auf den Markt kommen.

Manche Grundbesitzer blieben auch stur, als man ihnen immer höhe-
re Preise für ihre Grundstücke bot, um dort eine neue Autobahn bau-
en zu können. Schließlich wurde das Problem durch Enteignung ge-

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Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen

löst, was absehbar war. Da erhielten sie dann für ihr Grundstück weit-
aus weniger, als man ihnen zuvor freiwillig geboten hatte.

Nähe – das Problem kenne ich


Wenn wir in der Vergangenheit ein bestimmtes Problem recht erfolg-
reich gelöst haben, werden wir bei erneutem Auftauchen dieses Pro-
blems zunächst einmal wieder zu alten Lösungen greifen. Sie sind uns
ja so vertraut.

Macht einem Händler die Konkurrenz Ärger, dann senkt er die Preise
und die Kunden kommen zu ihm zurück. Erfahrungsgemäß haben
schon viele Wettbewerber dann die Segel gestrichen und er konnte
seine Preise wieder auf das alte Niveau erhöhen. Doch plötzlich gibt
ein Wettbewerber nicht auf. Ein Preiskrieg beginnt. Am vernünftigsten
wäre es jetzt, nach anderen Lösungen zu suchen, zum Beispiel das
Angebot zu verändern oder neue Lieferanten zu finden. Doch die alte
Vorgehensweise, die Preise immer weiter zu senken, hat sich ja be-
währt. Also greift der Händler zu der Methode „mehr von demselben“.
Der ruinöse Preiskrieg setzt sich fort und dummerweise bleibt dieses
Mal der Händler auf der Strecke.

Häufig ist es gerade die Erfahrung, die uns helfen sollte, zu besseren
Lösungen zu kommen, die uns den Blick auf neue Möglichkeiten ver-
stellt. Wir sollten also unsere Erfahrungen immer wieder auf den Prüf-
stand stellen.

Alles soll so bleiben, wie es ist


Viele Menschen sind bereit, große Opfer zu bringen, um einen beste-
henden Status quo zu erhalten. Das beste Beispiel waren in den letzten
Jahrzehnten die kleinen Bauern. Sie waren weder bereit, ihren kleinen
Hof aufzugeben, noch waren sie in der Lage, ihn zu vergrößern.

Im Rahmen der EU standen sie allerdings nicht mehr nur mit ihren
Nachbarn im Wettbewerb, sondern auch mit Bauern in Frankreich,
Italien und Spanien.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Die Preise für ihre Produkte sanken, doch die produzierte Menge ließ
sich kaum steigern. Also gaben sie sich mit geringeren Einnahmen
zufrieden. Dann begannen sie, sich eine zusätzliche Arbeit zu suchen,
um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Doch die Verluste
wurden immer größer. Irgendwann mussten sie dann aufgeben.

Solche oder zumindest ähnliche Entwicklungen findet man auch bei


kleinen Handwerksbetrieben, die zum Überleben zu klein und zum
Sterben zu groß sind. Der Besitzer macht weiter, selbst wenn sich das
Geschäft eigentlich nicht mehr lohnt. So erging es auch vielen Kaufleu-
ten, die glaubten als kleine, freie Einzelhändler gegen die großen Su-
permarktketten bestehen zu können. Wahrscheinlich haben diese
Menschen, die um ihre Existenz kämpften, unsere Sympathie. Doch
ihre Kunden entschieden sich dann doch für die Anbieter mit günsti-
geren Preisen.

Bloß keine Verluste


Die Abneigung gegen einen möglichen Verlust wiegt schwerer als die
Aussicht auf einen möglichen Gewinn. Aus diesem Grund werden
Vorteile oft nicht wahrgenommen, weil man möglicherweise später
eintretende Verluste vermeiden möchte. Am deutlichsten wird die
Verlust-Aversion im Zusammenhang mit Aktiengeschäften.

Die meisten Menschen kaufen eine Aktie nicht zu dem Zeitpunkt,


wenn sie den niedrigsten Preis hat, sondern erst, wenn der Kurs im
Steigen begriffen ist. Hat der Aktienkurs dann allerdings ein bestimm-
tes Niveau erreicht, werden die Aktien nicht etwa wieder verkauft,
sondern weiter gehalten, weil man sich noch weitere Kurssteigerungen
erhofft und man den Verkauf zu einem niedrigeren Preis als Verlust
ansehen würde.

Viele Aktienbesitzer verkaufen ihre Aktien erst dann, wenn der Höchst-
preis überschritten worden ist und der Kurs wieder sinkt, weil sie ein
noch weiteres Absinken befürchten. Da sie die Aktien gekauft haben, als
die Kurse auf dem Weg nach oben waren, kann es ihnen sehr leicht pas-
sieren, dass der aktuelle Kurs nun unter ihren Einkaufspreis sinkt. Des-
halb werden sie auch sinkende Aktien zunächst im Portfolio behalten,

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bis der Kurs so tief gefallen ist, dass die Angst vor weiteren Verlusten
größer ist als die Hoffnung auf erneut steigende Kurse.

Häufig ist es dann so, dass der Aktienkurs kurz nach dem Verkauf
wieder anzieht. Hier kommt die alte Börsenregel zur Geltung: „Hin
und her macht Taschen leer“.

Um seinen Studenten die Angst vor Verlusten und die daraus resultie-
rende Verhaltensweise plastisch vor Augen zu führen, entschied sich
ein Universitätsprofessor, einen 20-Dollar-Schein zu versteigern. Al-
lerdings legte er eine ganz spezielle Regel fest. Die Banknote erhielt
derjenige, der das höchste Gebot abgab, aber derjenige mit dem zweit-
höchsten Gebot musste ebenfalls zahlen.

Am Anfang kam die Auktion gut in Gang. Einer bot einen Dollar, der
nächste zwei, dann drei, dann vier. Wenn die Auktion bei Preisen zwi-
schen zwölf und 16 Dollar angekommen war, dämmerte den meisten
Studenten, dass es nun an der Zeit wäre, nicht weiter zu bieten. Denn
wenn man überboten würde, müsste man eine Menge Geld zahlen,
ohne etwas dafür zu bekommen.

Meist blieben zwei Bieter übrig, die einen möglichen Verlust um jeden
Preis vermeiden wollten. Wenn der Meistbieter 20 Dollar für den 20-
Dollar-Schein bot, sah sich derjenige, der 19 geboten hatte, in der Re-
gel gezwungen, nun auf 21 zu gehen. Der Verlust von einem Dollar
wäre immer noch leichter zu verschmerzen als der Verlust von 19.
Doch genauso sah es der andere auch. Lieber zwei Dollar verlieren als
20 Dollar.

Der höchste Preis, den der Professor jemals für seine 20-Dollar-Note
erzielt haben soll, waren, wenn man den Informationen glauben darf,
400 Dollar. Übrigens, das Geld hat er nicht in die eigene Tasche ge-
steckt, sondern für wohltätige Zwecke gespendet.

Damit niemand glaubt, dass nur Studenten Opfer ihres eigenen Ver-
haltens werden, wurden diese Versteigerungen auch schon im Rahmen
von Managerseminaren durchgeführt und, wie sollte es anders sein,
mit dem gleichen Ergebnis. Wenn es um Verluste geht, sind die Ent-
scheider in der Wirtschaft offensichtlich auch nicht schlauer.

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Die vier Systeme, die unser Denken regulieren

Das Gesetz der Trivialität


Eine der Annahmen über die Wahrnehmungsverzerrungen in der
neuen Erwartenstheorie lautet, dass Menschen unverhältnismäßig viel
Zeit für kleine Entscheidungen aufwenden und unverhältnismäßig
wenig Zeit für große. Das hat der Professor für Verwaltungswissen-
schaften C. Northcote Parkinson bereits 1980 in seinem Buch „Parkin-
sons neues Gesetz“ beschrieben. Sein Gesetz der Trivialität lautet: Die
auf einen Punkt der Tagesordnung verwendete Zeit ist umgekehrt
proportional zur Größe der Summe, um die es geht.

Als Beispiel bringt er die Vorstandssitzung einer großen Firma, bei der
der Vorstandsvorsitzende und die zehn Vorstände über den Bau einer
neuen Fabrik im Wert von 100 Millionen Pfund entscheiden müssen.
Vier von ihnen wissen gar nicht, wie die Fabrik funktioniert, drei ha-
ben keine Ahnung, wozu sie dient.

Von den restlichen vier Vorständen wissen nur zwei, was so eine Fa-
brik überhaupt kosten darf, von denen der eine noch ein paar persön-
liche Freunde ins Geschäft bringen will, was abgelehnt wird, und der
letzte überhaupt keine Lust hat, den anderen zu erklären, worum es
überhaupt geht. Also wird der Neubau innerhalb von 15 Minuten
beschlossen.

Der nächste Tagesordnungspunkt ist dann die Entscheidung über den


Bau eines Fahrradunterstandes für die Räder der Angestellten hinter
dem Hauptgebäude. Die Kosten liegen bei 3.500 Pfund. Über diesen
Tagesordnungspunkt wird eineinviertel Stunden diskutiert, um ihn
dann zu vertagen. Schließlich hat jeder eine Vorstellung davon, was
ein Fahrrad ist und wie man es tagsüber ordentlich verwahren sollte.

Die Geschichte von Parkinson ist zwar sehr lustig zu lesen, entspricht
aber leider dem, was uns bei Entscheidungen tagtäglich selbst wider-
fährt. Wir wissen, was ein Füllhalter kann, wie er aussehen und was er
kosten sollte. Deshalb fällt uns die Entscheidung im Schreibwarenge-
schäft unendlich schwer. Was die technischen Beschreibungen eines
Personal Computers besagen oder auch nicht, ist für die meisten Men-
schen ein Buch mit sieben Siegeln, deshalb gehen sie zum Discounter,
wenn es dort ein zeitlich befristetes Sonderangebot gibt. Die aufge-

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Die Ursachen fehlerhafter Entscheidungen

wendete Zeit für diese Entscheidung ist in den meisten Fällen wahr-
scheinlich ebenfalls deutlich kürzer als beim Kauf eines Füllhalters.

Schade um das schöne Geld


Wer eine falsche Entscheidung getroffen und dadurch einen Verlust
erlitten hat, verwendet in der Regel viel Zeit darauf, diesen Verlust zu
bedauern. Es mag schmerzhaft sein, ist aber nicht mehr zu ändern.
Trotzdem geht uns diese Fehlentscheidung nicht so leicht aus dem Kopf.

Das mag daran liegen, dass das Schmerzzentrum, das auch für Verluste
zuständig ist, nachhaltiger arbeitet als das Belohnungszentrum. Wäh-
rend das Belohnungszentrum sich schon längst wieder nach neuen
Aufgaben umsieht, wird das Schmerzzentrum einen Verlust erst dann
wieder vergessen, wenn ein noch größerer eingetreten ist. Deshalb
können sich Menschen auch an Gewinnen nicht so sehr freuen, wie sie
Verluste fürchten.

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Ich und mein Verstand
Viele Menschen fragen sich, wenn sie über sich selbst nachdenken: „Wer
war zuerst da, ich oder mein Verstand?“ Diese Frage impliziert allerdings
schon die Annahme, dass man zwischen dem Ich und dem Verstand tren-
nen kann. Mein Ich, also meine Identität, wird als etwas anderes erlebt
als mein Verstand, den ich eher als ein Instrument betrachte. So wie ich
mit meiner Hand etwas greifen und bewegen kann, kann ich auch mit
meinem Verstand etwas begreifen und meine Gedanken bewegen. Ob
diese Trennung zwischen dem Ich und dem Verstand richtig ist, wollen
wir in den folgenden Kapiteln untersuchen.

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Ich und mein Verstand

Identität – bin ich einzigartig?


Im Zusammenhang mit der modernen Hirnforschung werden immer
wieder sehr komplexe Fragen diskutiert. Die eine lautet „Wer bin
ich?“, die zweite „Was ist Bewusstsein?“ und die dritte „Habe ich einen
freien Willen?“ Über alle drei könnten Hirnforscher, Psychologen und
Philosophen hervorragend diskutieren, ohne dass man am Schluss zu
einem eindeutigen Ergebnis käme.

Ich bin der Überzeugung, dass sich sowohl das Ich als auch das Be-
wusstsein und letztendlich auch der freie Wille aus dem Zusammen-
spiel aller Elemente des Denkens ergeben. Es gibt im Gehirn keinen
festen Ort, an dem das Ich gespeichert ist, an dem Bewusstsein ent-
steht, und auch keinen, an dem sich der freie Wille manifestiert.

Alles erfolgt im Zusammenspiel verschiedener Regelmechanismen an


verschiedenen Orten im Gehirn. Das Bewusstsein ist nur eine Mo-
mentaufnahme von wenigen Sekunden, es umfasst das, was ich gerade
jetzt denke, sage, schreibe oder auch erinnere.

Es ist praktisch wie ein Scheinwerfer, den wir in dunkler Nacht auf
unsere Umgebung richten. Was im Kegel des Scheinwerfers ist, erken-
nen wir klar und deutlich. Wenn wir ihn weiterbewegen, sehen wir
neue, andere Dinge, und doch wissen wir, dass das, was wir vorher
gesehen haben, immer noch vorhanden ist, auch wenn wir es nicht
mehr sehen.

Ebenso verhält es sich mit dem Ich. Ich weiß, wer ich jetzt bin und
kann mich auch anderen Menschen gegenüber erklären. Dabei setzt
sich das Ich aus einem Kaleidoskop der unterschiedlichsten Elemente
zusammen. Ich bin, was ich gerade fühle, was ich mir wünsche. Aber
zum Ich gehören auch mein Körper, mein Familienstand, mein Beruf,
meine politischen Ansichten und selbst meine Familie, meine Freunde,
mein Haus und mein Auto. Alles gehört irgendwie zu mir dazu.

Mein Ich reicht also über meine Person hinaus und manifestiert sich
in vielen Attributen, die mir alle so lange gar nicht bewusst sind, bis
ich sie mir ins Bewusstsein rufe oder sie mir von anderen ins Bewusst-
sein gerufen werden, zum Beispiel mit der Frage, ob ich etwas mag
oder etwas nicht mag.

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Identität – bin ich einzigartig?

In einem ganz engen Kernbereich mag mein Ich vielleicht unverän-


derbar sein, doch es reagiert höchst empfindlich auf seine Umgebung.
Je nach der Situation, in der ich mich befinde, tritt ein bestimmter
Aspekt des Ichs in den Vordergrund.

Auch das Kern-Ich verändert sich ganz sicherlich aufgrund neuer Er-
fahrungen. Dabei ist es nicht so, dass der Mensch diese Veränderungen
in der Regel bewusst steuert, ja nicht einmal steuern kann, sondern
dass sie eher von anderen Personen an ihm bemerkt werden. Zur
Selbstwahrnehmung gehört immer eine gewisse Distanz. Ich weiß
deshalb auch, wer ich vor zehn Jahren oder vor dreißig Jahren war.
Zumindest weiß ich es aus heutiger Sicht besser als damals.

Welche Rolle spielen die Gene?


Die Diskussion darüber, was den Menschen mehr prägt, seine Gene
oder die Gesellschaft, reicht bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Die
Vorstellung, dass der Mensch als unbeschriebenes Blatt auf die Welt
kommt und ihn erst die Erziehung zu dem macht, was er sein Leben
lang ist, geht auf den Philosophen John Locke (1632 – 1704) zurück.
Diese Idee hat jedoch ebenso zu falschen Vorstellungen und Verhal-
tensweisen geführt wie die Ansicht, dass allein die Gene darüber ent-
scheiden, was für ein Mensch man wird und welches Leben man führt.

In beide Richtungen gab es Auswüchse und die öffentliche Meinung


schloss sich mal der einen, mal der anderen Denkweise an. Heute ist
die Wissenschaft bei einem Sowohl-als-auch gelandet. Es gilt nicht
mehr nature versus nurture, sondern nature via nurture. Das heißt, dass
das Gehirn als Organ von den in ihm ablaufenden und produzierten
geistigen Prozessen und Reaktionen auf die Umwelt über die Gene
ebenso beeinflusst wird wie die geistigen Prozesse von der reibungslo-
sen Funktion aller organischen Abläufe.

Gene steuern nicht nur den Aufbau und die Entwicklung des Körpers,
sondern auch des Gehirns, denn schließlich ist es auch nur ein Teil des
ganzen Menschen. Ebenso wie die Gene im Körper auf Umweltreize
und auf körpereigene Informationen reagieren und biologische Prozesse
an- oder abschalten, geschieht dies auch mit den Gehirnzellen. Diese

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Ich und mein Verstand

genetische Ausstattung wirkt nicht nur während der äußerlich sichtba-


ren Entwicklungsphasen Kindheit und Jugend, sondern ein Leben lang.

Die vorgegebenen Fähigkeiten müssen gefördert werden


Die Gene halten Vorgaben bereit, die sich allerdings nur in einer ge-
eigneten Umwelt entwickeln können. Nur wenn die vorgegebenen
Eigenschaften gefördert und gefordert werden, entwickeln sie sich zu
brauchbaren Fähigkeiten. Ohne Förderung und Forderung verküm-
mern sie und lassen anderen Eigenschaften den Vortritt.

Man kann mit großer Sicherheit annehmen, dass bei jedem Menschen
zu Beginn seines Lebens ein solches Fähigkeitsmuster vorhanden ist
und dass diese Fähigkeiten auch das Ziel verfolgen, sich zu entwickeln.
Leider ist es keineswegs einfach, diese Befähigungsmuster bei einem
Menschen so frühzeitig zu entdecken, dass sie gezielt gefördert werden
können. Im Grunde genommen muss man darauf vertrauen, dass der
einzelne Mensch in seiner Entwicklung den für ihn richtigen Weg ge-
hen wird und diesen durch seine Interessen deutlich macht.

Es nützt dem Kind wenig, wenn die Eltern versuchen, die Interessen in
eine bestimmte Richtung zu lenken. Wo keine ausgeprägten Fähigkei-
ten sind, kann man sie auch nicht wachrufen, selbst wenn man noch
so schöne Angebote macht. Aber geradezu verheerend wirkt es sich
aus, wenn bestimmte Interessen nicht nur kanalisiert, sondern radikal
unterbunden werden.

Ob ein musikalisch veranlagtes Kind mit christlichen Liedern oder den


Gesängen der afrikanischen Buschmänner aufwächst, ist für seine wei-
tere musikalische Entwicklung ziemlich gleichgültig. Selbst Kinder,
deren Eltern taub sind, können durchaus musikalische Fähigkeiten
entwickeln. Nur das grundsätzliche Verbot von Musik wäre für die
Entwicklung eines Talents fatal.

Ein gesundes Gehirn produziert keine kranken Gedanken


Ein organisch gesundes Gehirn produziert keine kranken Gedanken,
zumindest nicht solche, die zu schweren Fehlern im Verhalten führen.
Wird ein Mensch durch Fehlverhalten auffällig, so liegen die Ursachen

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Identität – bin ich einzigartig?

dafür wahrscheinlich auch in organischen Funktionsstörungen, die


aber mit den zurzeit vorhandenen Diagnosemöglichkeiten noch nicht
oder nur unvollständig nachzuweisen sind.

Die Hirnforschung geht heute weitgehend davon aus, dass Sexualstraf-


täter oder Mörder unter organischen Fehlfunktionen des Gehirns auf
der Ebene der Informationsverarbeitung und -verknüpfung leiden.
Diese Fehlfunktionen waren früher weder durch Röntgenaufnahmen
noch durch Untersuchungen am Gehirn Verstorbener zu diagnostizie-
ren. Erst mithilfe der bildgebenden Verfahren wurde es möglich, im
Rahmen von bestimmten Versuchsanordnungen unterschiedliche Ak-
tivitäten im lebenden Gehirn festzustellen.

Bei Mördern und Sexualstraftätern finden im Frontalhirn bestimmte


Prozesse, die der sozialen Kontrolle dienen und das Handeln mit be-
stimmten Gefühlen verbinden, nicht oder nur ungenügend statt. Da-
für kann es verschiedene Ursachen geben. Entweder erlitt dieser
Mensch als Kleinkind unbemerkte hirnorganische Verletzungen oder
er erlebte Dinge, die zu fehlerhaften Verschaltungen im Gehirn führ-
ten. Natürlich können auch ererbte Eigenschaften eine Rolle spielen.

Über die genaue Bedeutung, den Umfang und die Auswirkungen sol-
cher Defekte ist man sich heute allerdings noch weitgehend im Unkla-
ren. Wichtig erscheint jedoch, dass der Krankheitsbegriff eindeutig auch
auf Vorgänge erweitert werden muss, die sich bisher jeglicher Beob-
achtung entzogen haben. Dass sich in diesem Zusammenhang die Dis-
kussion um den freien Willen wieder neu entzündet, ist unausweichlich.

Solange das Bewusstsein als oberste Autorität galt, konnte man davon
ausgehen, dass dort der Wille und damit auch die Entscheidungsfreiheit
einer Person sowie deren Verantwortung für ihr Handeln ihren Sitz
haben. Werden Entscheidungen jedoch unbewusst und damit unabhän-
gig vom Bewusstsein getroffen, sind sie sowohl der Beobachtung als
auch der Kontrolle des handelnden Menschen entzogen.

Veranlagung und Umwelt sind eng aufeinander bezogen


Gehirn und Geist stehen in einer Beziehung zueinander wie Muskeln
zur Bewegung. Muskeln erzeugen Bewegung und werden gleichzeitig

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Ich und mein Verstand

durch Bewegung trainiert, also veranlasst, sich in eine bestimmte Form


zu entwickeln und auszubilden. Ein Muskel, der nicht benutzt wird,
verkümmert, und Ähnliches gilt auch für Gehirn und Geist. Insofern
sind Veranlagung und Umwelt eng aufeinander bezogen.

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass der Mensch als soziales
Wesen angelegt ist. Die Gene erhöhen ihre Überlebenschance nicht
dadurch, dass sich Mann und Frau allein durchs Leben schlagen und
sich nur gelegentlich zum Akt der Fortpflanzung begegnen, sondern
dadurch, dass der Mensch in der Gemeinschaft mit anderen lebt. Spä-
testens ab seiner Geburt ist der Mensch gezwungen, mit anderen zu
interagieren.

Es muss also von Anfang an eine Vorstellung davon vorhanden sein,


dass es sowohl ein Ich als auch andere gibt. Zwischen diesem Ich und
den anderen muss so früh und so effizient wie möglich eine Interakti-
on hergestellt werden, die universell und in gleicher Weise bei allen
Menschen funktioniert und nicht erst in langwierigen Lernprozessen
erworben werden muss. Dem ist man in der empirischen Forschung
durch die Beobachtung von Kleinkindern auf die Spur gekommen.

Weil das Gehirn ein soziales Organ ist, bewegt sich die Selbstwahr-
nehmung wahrscheinlich je nach Situation zwischen Einzigartigkeit
und Ähnlichkeit, also zwischen dem Ich und dem Wir.

Welche Rolle spielt die Intelligenz?


Wahrscheinlich ist dem Leser schon aufgefallen, dass bei den vier Sys-
temen, die unser Denken regulieren, die Intelligenz überhaupt nicht
vorkam. Intelligenz stellt für die Neuropsychologie die Qualität der
Informationsverarbeitungsprozesse dar, die hauptsächlich im Groß-
hirn stattfinden. In der Psychologie gilt Intelligenz als das, was man
mit Intelligenztests messen kann. Umgangssprachlich wird Intelligenz
oft mit Verstand gleichgesetzt. Auf jeden Fall sollte niemand auf seine
Intelligenz stolz sein, sondern nur glücklich, wenn er sie besitzt.

Sicherlich wird die Intelligenz sowohl durch die Gene als auch durch
die Lebensbedingungen gestärkt oder geschwächt. Beides, seine geneti-

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Welche Rolle spielt die Intelligenz?

sche Ausstattung und sein soziales Umfeld, kann sich der Mensch am
Anfang seines Lebens nicht aussuchen. Aber immerhin hat er auf-
grund der Plastizität seines Gehirns lebenslange Entwicklungschancen
und kann seine Stärken ausbauen und natürlich versuchen, seine
Schwächen zu kompensieren.

Was ist Intelligenz?


Es gibt verschiedene Definitionen von Intelligenz. Manche Wissen-
schaftler beschreiben sie mit verbalen Fähigkeiten und der Fähigkeit
des Problemlösens. Verbale Fähigkeiten umfassen Wortflüssigkeit,
Verständnis beim Lesen, mündliches Ausdrucksvermögen und Wort-
schatz. Zu den Fähigkeiten des Problemlösens gehört, den Kern eines
Problems zu erfassen, die Fähigkeit, einen optimalen Ansatz zu finden,
um ein Problem zu bearbeiten, und die Fähigkeit, eine gute Entschei-
dung zu treffen.

Für andere Wissenschaftler ist ein Mensch intelligent, der über die
Fähigkeit verfügt, sich an neue Situationen und sich verändernde An-
forderungen anzupassen, der in der Lage ist, zu lernen und Erfahrun-
gen oder Übungen optimal zu nutzen, und der die Fähigkeit besitzt,
abstrakt zu denken und Symbole und Begriffe zu gebrauchen.

Die komplexeste Definition von Intelligenz hat der Kognitionswissen-


schaftler Howard Gardner entwickelt. Er geht davon aus, dass die
Menschen über sieben verschiedene Arten von Intelligenz verfügen,
die je nach Gesellschaft und Person unterschiedlich stark ausgeprägt
und entwickelt sind:
• die logisch-mathematische,
• die sprachliche,
• die musikalische,
• die räumliche,
• die körperlich-kineästhetische,
• die interpersonell-zwischenmenschliche sowie
• die intra-personale Intelligenz.

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Ich und mein Verstand

Ein Mensch mit logisch-mathematischer Intelligenz verfügt über eine


hohe Kompetenz beim Erkennen logischer oder numerischer Muster
und hat eine ausgeprägte Fähigkeit zum Umgang mit logischen Argu-
mentationsmustern.

Bei der sprachlichen Intelligenz geht es um eine erhöhte Sensibilität


für Laute, Rhythmen und Bedeutungen von Wörtern und um eine
Sensibilität hinsichtlich der verschiedenen Funktionen von Sprache.

Die musikalische Intelligenz besteht aus der Fähigkeit, Rhythmus,


Tonhöhe und Tonqualität zu empfinden und selbst zu erzeugen. Sie
erfordert ein Verständnis für die Formen musikalischen Ausdrucks.

Die räumliche Intelligenz verhilft dazu, die visuell-räumliche Welt


genau wahrzunehmen und diese Wahrnehmung zu transformieren.

Die körperlich-kineästhetische Intelligenz beruht auf der Fähigkeit zur


Kontrolle der eigenen Körperbewegungen und zum geschickten Um-
gang mit Objekten.

Die interpersonell-zwischenmenschliche Intelligenz, die oft auch als


emotionale Intelligenz (EQ) bezeichnet wird, ist die Fähigkeit, Stim-
mungen, Temperamente, Motivationen und Wünsche anderer Men-
schen genau wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.

Populär wurde der Begriff der emotionalen Intelligenz durch den Psy-
chologen und Publizisten Daniel Goleman. Als emotionale Intelligenz
beschreibt er die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu reflektieren und
nicht von ihnen überwältigt zu werden, sondern sie situationsabhängig
zu beherrschen, zu integrieren und zu instrumentalisieren, indem man
sich in sich selbst und andere Menschen einfühlt.

Wie weit die emotionale Intelligenz genetisch bedingt ist oder erwor-
ben wird, ist höchst umstritten. Untersuchungen an Menschen mit
Hirnschädigungen des Frontallappens haben allerdings schon erwie-
sen, dass diese nur noch rein vernunftmäßig agieren und damit deut-
lich schlechter im Alltag zurechtkommen als Menschen, die auf ihre
Emotionen zurückgreifen können.

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Welche Rolle spielt die Intelligenz?

Die intra-personale Intelligenz besteht aus der Fähigkeit, Zugang zu


den eigenen Gefühlen und Möglichkeiten zu finden, zwischen ihnen
zu unterscheiden und sie zur Planung des Handelns zu nutzen. Es ist
das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen, Wünsche und
Fähigkeiten.

Auch dumme Menschen können viel wissen


Zu jeder Art von Intelligenz gehören auch ganz bestimmte Gedächt-
nisinhalte. Es ist keineswegs so, dass Menschen, die über ein hohes
Maß an Wissen verfügen, zwangsläufig auch besonders intelligent
sind. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Intelligenz und
Wissen, außer dem, dass richtig dumme Menschen keine Angst vor
dem Wissen anderer haben. Das liegt ganz einfach daran, dass sie sich
aufgrund ihrer Dummheit vollkommen selbst überschätzen und über-
haupt nicht in der Lage sind, die eigenen Mängel und Wissenslücken
zu entdecken. Intelligente Menschen können dagegen ganz deutlich
erkennen, was ihnen noch an Wissen fehlt.

Es ist erstaunlich, wie dumm viele Menschen sind, denen von der Öf-
fentlichkeit durchaus eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird. Sehen
Sie sich doch einmal die Personen an, die, aus welchem Grund auch
immer, zur Prominenz der Unterhaltungsbranche zählen und uns
tagtäglich im Rundfunk und Fernsehen präsentiert werden.

Selbst dass Führungskräfte in den Unternehmen gelegentlich viel


dümmer sind als ihre Mitarbeiter, nehmen viele Menschen oft nur mit
Erstaunen zur Kenntnis. Das Gegenteil von Wissen ist eben nicht
Dummheit, sondern Nichtwissen. Und das Gegenteil von Dummheit
ist Intelligenz.

Wenn ein intelligenter Mensch nicht die Chance hat, zur Schule zu
gehen, wie es in den Entwicklungsländern der Fall ist, wird er weder
Lesen noch Schreiben lernen und auch keinen Zugang zu moderner
Technik erhalten. Das heißt aber noch lange nicht, dass er dumm ist.
Auf der anderen Seite können unintelligente Menschen im Rahmen
entsprechender Ausbildungssysteme durchaus große Mengen Wissen
anhäufen, ohne dadurch klüger zu werden.

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Die zwei Prinzipien der menschlichen
Natur
Bei jedem geistig gesunden Menschen steuern zwei einander entgegen-
gesetzte Prinzipien das Verhalten. Man kann sie mit den Begriffen Al-
truismus und Egoismus bezeichnen, aber auch als das soziale und das
ökonomisch-egoistische Prinzip. Ihre extremsten Ausprägungen sind
aufopfernde Nächstenliebe und mörderische Habgier. Im Alltag finden
wir allerdings eher Formen der Hilfsbereitschaft oder des Nützlich-
keitsdenkens. Beide Prinzipien stehen zueinander im Gegensatz und
sind bei den verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt.

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Die zwei Prinzipien der menschlichen Natur

Sein oder Haben?


Das soziale Verhalten wird sicherlich sehr stark durch das emotionale
System und hier durch die Spiegelneuronen gesteuert, die es uns er-
möglichen, uns in andere Menschen einzufühlen. Egoistisches Verhal-
ten erhält seine Impulse hingegen eher vom Belohnungssystem. Und
beide Verhaltensweisen werden vom Entscheidungssystem nach Mög-
lichkeit in Einklang gebracht, was jedoch im Einzelfall keineswegs im-
mer leicht ist.

Schon bei Kleinkindern, die noch nicht sprechen können, lassen sich
beide Verhaltensweisen beobachten. Lachen ist nach dem Motto „ge-
teilte Freude ist doppelte Freude“ ebenso ansteckend wie Traurigkeit,
die dann entweder dazu führt, dass alle weinen, wenn einer weint, oder
aber, dass die anderen Kinder den traurigen Spielkameraden zu trös-
ten versuchen. Dabei spielen Gesten wie das gegenseitige Streicheln
oder in den Arm Nehmen eine große Rolle.

Aber auch egoistisches Verhalten ist zu beobachten, wenn zum Bei-


spiel Kinder sich gegenseitig das Spielzeug wegnehmen oder sich mit
den Süßigkeiten des anderen vollstopfen.

In beiden Fällen sind es komplizierte Regelkreise im Gehirn, die hier


zur Wirkung kommen. Wie die Beobachtungen und Experimente des
Verhaltensökonomen Stan Ariely bei Erwachsenen zeigen, schließen
sich die beiden Prinzipien nicht nur gegenseitig aus, sondern es ist
auch sehr schwer, von einem Prinzip zum anderen zu wechseln, wenn
man sich in einer bestimmten Situation erst einmal auf ein bestimmtes
Prinzip festgelegt hat.

Zum altruistisch-sozialen Prinzip gehören nicht nur Mitleid, die Fä-


higkeit, teilen zu können und Rücksichtnahme, sondern auch Fairness
und Hilfsbereitschaft. Diese finden allerdings schnell ihre Grenzen,
wenn ein Mensch das Gefühl hat, von anderen ausgenutzt zu werden.

Das egoistisch-ökonomische Prinzip entfaltet immer dann seine Wir-


kung, wenn es um eigene Vorteile geht, um Lohn und Leistung, aber
auch um Abgrenzung gegenüber anderen.

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Hilfsbereite Menschen wollen kein Geld

Hilfsbereite Menschen wollen kein Geld


Ariely hat nachgewiesen, dass man auf der sozialen Ebene Vieles gratis
und unaufgefordert tut, was man unter ökonomischen Gesichtspunk-
ten nicht machen würde. Und wenn erst einmal ein Wechsel vom
sozialen zum ökonomischen Prinzip stattgefunden hat, ist es sehr
schwer, diesen Prinzipienwechsel wieder rückgängig zu machen.

So schildert Ariely das Beispiel eines Kindergartens, in dem es oft vor-


kam, dass die Eltern nach Feierabend ihre Kinder zu spät abholten.
Um diesen Missstand zu beheben, beschloss der Kindergarten, von
den Eltern eine Verspätungsgebühr zu erheben, um sie dadurch zum
pünktlichen Kommen anzuhalten. Doch das genaue Gegenteil trat ein.
Die Eltern hatten nämlich jetzt das Gefühl, zu spät kommen zu dürfen,
weil sie ja dafür einen besonderen Obolus bezahlten.

Ein anderes Experiment sah so aus, dass ein junger Mann eine sehr
unhandliche Kommode aus einem Lieferwagen ausladen und in ein
Haus tragen wollte. Wenn er vorbeikommende Passanten darum bat,
ihm beim Tragen zu helfen, waren die meisten dazu bereit. Ebenso
wenn es auch noch um ein zweites Möbelstück ging.

Die Situation änderte sich jedoch, wenn der junge Mann nach dem
Tragen des ersten Möbelstücks eine kleine finanzielle Belohnung an-
bot. Die wurde in der Regel nicht nur abgelehnt, sondern verhinderte
auch, dass die Passanten beim zweiten Schrank ebenfalls mit anfassten.
Wenn den Passanten von vornherein eine geringe Geldsumme für die
Hilfe angeboten wurde, verweigerten sie sich ebenfalls.

Was akzeptiert wurde, war allenfalls ein kleines Geschenk, wie zum
Beispiel ein Schokoriegel, der in keiner Beziehung zur erbrachten Leis-
tung stand und im Nachhinein als symbolische Geste der Dankbarkeit
angeboten wurde. Geld, in welcher Form auch immer, setzt das soziale
Prinzip außer Kraft.

Das zeigte sich auch bei einer Umfrage unter Rechtsanwälten. Wurden
sie gefragt, ob sie bereit wären, gegen ein geringes Entgelt hilfsbedürf-
tigen Menschen juristischen Rat zu erteilen, lehnten sie in der Regel
ab. Wurden sie jedoch gebeten, diesen Rat kostenlos zu geben, stimm-
ten sie mehrheitlich zu.

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Die zwei Prinzipien der menschlichen Natur

Spontane Hilfe ist selten


Die hier geschilderten Beispiele legen allerdings nahe, dass das soziale
Prinzip im Menschen seltener spontan und eigeninitiativ geweckt
wird, sondern eher eine Aufforderung durch ein persönliches Gegen-
über braucht. Dies wurde auch durch Versuche mit Studenten und
Passanten belegt.

So wurden zum Beispiel Studenten gebeten, einen ganz wichtigen Brief


auf dem kürzesten Weg zum Rektor der Universität zu bringen. Nicht
ganz zufällig lag auf diesem Weg eine bewusstlose Person. Die meisten
Studenten blieben allenfalls kurz stehen und schauten sich um, ob
nicht auch noch andere Hilfe leisten könnten. Dann gingen sie weiter.
Schließlich hatten sie eine wichtige Aufgabe.

Ihr Verhalten änderte sich erst, als sich jemand bereits um die hilflose
Person kümmerte und den eiligen Studenten ganz gezielt bat, ihn bei
der Hilfeleistung zu unterstützen. Plötzlich war der wichtige Brief
nicht mehr so wichtig. Ähnliche Experimente gab es auch mit Passan-
ten. Zunächst stiegen sie vollkommen unbeteiligt über eine auf dem
Gehweg liegende Person hinüber oder machten einen Bogen um sie.
Auch hier war erst eine direkte Ansprache nötig.

Ebenfalls in diese Kategorie der Hilfeleistung gehört das Verhalten von


Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wird eine Frau oder auch
ein Mann von einem randalierenden Mitfahrer drangsaliert, schauen
die meisten Fahrgäste weg und greifen nicht ein. Das ändert sich erst,
wenn die in Bedrängnis geratene Person gezielt andere anspricht, aber
auch dann keineswegs immer.

Die Solidarität mit hilfebedürftigen Personen ist wahrscheinlich des-


halb so gering, weil man sich mit ihnen und ihrer Situation schlechter
identifizieren kann und nicht so sehr, weil man hauptsächlich Angst
um die eigene Unversehrtheit hat. Wenn allerdings ein beherzter
Mensch in eine solche Situation eingreift und Mitfahrende dazu auf-
fordert, ihm bei der Beruhigung des Randalierers zu helfen, steigt die
Bereitschaft anderer überproportional an, weil sie sich dann weniger
mit dem Opfer, sondern eher mit dem Helfer identifizieren.

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Spontane Hilfe ist selten

Ganz offensichtlich reduziert Geld die Hilfsbereitschaft ebenso sehr


wie das konforme Verhalten in einer anonymen Menschenmenge.
Deshalb setzen Organisationen, die Spenden sammeln, inzwischen
auch immer mehr darauf, nicht auf das anonyme Leid vieler Men-
schen hinzuweisen, sondern dem Elend und der Not ein Gesicht zu
geben.

Ein Sonderfall der zwei Prinzipien ist der so genannte Gruppenegois-


mus. Er hat wahrscheinlich eher kulturelle Wurzeln. Innerhalb der
Gruppe, speziell der Familie, steht eindeutig die Gemeinsamkeit im
Mittelpunkt, während gegenüber anderen Gruppen oder anderen ein-
zelnen Menschen eher ein egoistisches Verhalten an den Tag gelegt
wird.

Nun kann man sich allerdings fragen, welche Folgen die modernen
Lebensweisen der westlichen Gesellschaft haben. Werden die festen
Familienbande durch ebenso starke Unterstützungsmaßnahmen im
Freundeskreis ersetzt oder wird Hilfe zukünftig nur noch gegen größe-
re Geldsummen zu kaufen sein?

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt
Auch wenn wir es zunächst nur ungern akzeptieren, der größte Teil unse-
res Denkens wird von außen bestimmt. Schließlich sind unsere Sinnes-
wahrnehmungen zum allergrößten Teil nach außen gekehrt, um eben
gerade Informationen von der Umwelt nach innen zu schaffen, sie zu
verarbeiten, zu bewerten und sie dann eventuell unserem bewussten Den-
ken zugänglich zu machen. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Füh-
len sind schließlich kein Selbstzweck.

Natürlich werden auch die Körperfunktionen überwacht und gesteuert,


aber das bleibt uns so lange verborgen, bis Probleme auftreten und wir
Schmerzen spüren oder uns ein Bauchgrummeln andeutet, dass wir ein
bestimmtes Nahrungsmittel besser nicht gegessen hätten. Doch diese in-
ternen Körperinformationen sind in ihrer Menge überhaupt nicht mit
dem zu vergleichen, was wir von der Außenwelt aufnehmen.

Robert Levine hat in seinem Buch „Die große Verführung“ aufgelistet,


dass wir im Laufe unseres Lebens etwa eine Million Milliarden Umwelt-
eindrücke zu verarbeiten haben. Tausende von Informationen konkurrie-
ren in jeder Sekunde um unsere Aufmerksamkeit. Allein die Menge der
Informationen, die die New York Times in einer Woche liefert, ist größer
als all das, was einem Menschen im 16. Jahrhundert in seinem ganzen
Leben an Informationen zur Verfügung stand.

Die Informationen, die auf uns einstürmen, sind von höchst unterschied-
licher Qualität. Ob wir nun Fernsehen, eine Zeitung aufschlagen oder ein
Buch lesen, ob wir durch die Natur wandern oder durch die finsteren
Straßen einer Stadt gehen, immer strömen Informationen auf uns ein
und lenken unsere Gedanken.

Wir agieren nicht, sondern wir reagieren. Das heißt nicht, dass wir wie
die Pawlowschen Hunde in unserem Verhalten konditioniert sind, son-
dern dass die Konditionierung, wenn wir diesen Begriff verwenden wol-
len, darin besteht, ständig auf die Umwelt zu reagieren. Welche Reaktio-
nen wir zeigen, hängt dann allerdings wieder von den individuell
vorhandenen Mustern ab.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten


Das situative Verhalten, also die Reaktion auf die Umgebung, ist viel
stärker als die meisten Menschen vermuten. Dabei sind es nicht Bot-
schaften, die uns in Form rationaler Argumente erreichen, sondern
eher subtile Informationen, die sich direkt an das Unbewusste richten,
ohne dass wir sie wahrnehmen.

Solche Einflüsse kann der Mensch deshalb nicht steuern, weil er sie
überhaupt nicht bemerkt. Weder der groß angelegte verbale Schlagab-
tausch mit Argumenten in politischen Talkshows noch detaillierte
Berichte über die politische und wirtschaftliche Lage in den wöchentli-
chen Nachrichtenmagazinen können uns so stark beeinflussen wie ein
kurzes Lächeln der Nachrichtensprecherin beim Namen Obama oder
ein plötzliches Stottern des Wirtschaftsministers in einer Talkshow.

Worte beeinflussen unsere Motorik


Um Menschen zu lenken, bedarf es weder komplizierter Suggestions-
techniken noch der Hypnose, sondern es reicht vollkommen aus, dem
Gehirn bestimmte Stimmungen, Informationen oder Eindrücke zu
vermitteln, die die Gefühle beeinflussen.

So gibt es zum Beispiel ein Experiment, in dem die Versuchspersonen


gebeten wurden, an einem Computer innerhalb einer bestimmten Zeit
beliebige Worte entweder nach ihrer Länge zu sortieren oder sie auch
zu Sätzen zusammenzustellen. Man erklärte den Probanden, dass es
sich um einen Test zum Sprachvermögen handelt. Während die eine
Hälfte der Teilnehmer Begriffe sortieren musste, die sich auf Alter,
Krankheit und Gebrechlichkeit bezogen, hatte die andere Hälfte Be-
griffe zu sortieren, die sich mit Leistung, Sport und Erfolg befassten.

Nachdem der Test beendet war, bat man die einzelnen Teilnehmer, das
Gebäude über eine Treppe, die sie hinaufsteigen mussten, zu verlassen.
Für die Probanden war das Experiment jetzt zu Ende, doch für die For-
scher begann es erst. Sie stoppten nämlich die Zeit, die die verschiede-
nen Teilnehmer brauchten, um die vorgegebene Strecke zurückzulegen.
Diejenigen, die sich mit Alter, Krankheit und Gebrechlichkeit befasst

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Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten

hatten, stiegen die Treppe wesentlich langsamer nach oben als diejeni-
gen, die sich mit Leistung, Sport und Erfolg beschäftigt hatten.

Ganz offensichtlich wurden die Menschen in ihrer Motorik durch


nichts anderes als Worte beeinflusst, die sie nur zu sortieren hatten
und die sie selbst in keinster Weise betrafen. Doch halt, diese Formu-
lierung ist nicht richtig. Ganz offensichtlich fühlten sie sich schon be-
troffen, nur war es ihnen nicht bewusst.

Da dieser Test ein so erstaunliches Ergebnis lieferte, wurde er in den


unterschiedlichsten Konstellationen an verschiedenen Universitäten
immer wieder durchgeführt. Dabei war das generelle Ergebnis immer
gleich. Bestimmte Worte beeinflussen uns, auch wenn wir sie gar nicht
auf uns selbst beziehen müssen.

Aber nicht nur die Geschwindigkeit des Treppensteigens lässt sich auf
diese Weise manipulieren. Auch Freundlichkeit, Geduld und Ehrlich-
keit sind auf einfache Weise formbar und sogar die Leistungsfähigkeit
in Rechentests lässt sich durch negative oder positive Denkmuster
beeinflussen.

Stereotypien verändern unsere Leistungsfähigkeit


Auch allgegenwärtige Stereotypien haben einen viel größeren Einfluss
auf unsere Leistungen, als wir es annehmen. Wir brauchen nur an die
bekannteste, nämlich den Unterschied zwischen Männern und Frauen,
zu denken. Auch diese Muster beeinflussen uns, nicht nur bei der Be-
urteilung anderer Menschen, sondern auch bei der eigenen Leistungs-
fähigkeit.

So haben zum Beispiel Tests gezeigt, dass Frauen bestimmte Aufgaben


schlechter lösen, wenn sie zuvor Fragebögen ausfüllten, die sich auf
vermeintliche weibliche Schwächen bezogen. Wesentlich besser wur-
den dieselben Aufgaben gelöst, wenn sich Frauen ebenfalls im Rahmen
von Fragebögen mit spezifischen Stärken befassten.

Welche Einflüsse auf uns wirken, wird uns in der Praxis so gut wie nie
bewusst. Doch das heißt nicht, dass wir uns manche Einflussfaktoren
nicht bewusst machen können, wenn wir ihre Wirkung kennen.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Gerade Stereotypien scheinen die Menschen besonders stark zu beein-


flussen. Bei bestimmten Wetterlagen steigen die Fehlerhäufigkeit und
die Zahl der Verkehrsunfälle. Liegt das aber tatsächlich am Wetter?
Wissenschaftler sind sich über das Thema Wetterfühligkeit noch sehr
uneins.

Es gibt ebenso viele Statistiken, die beweisen, dass das Wetter den
Menschen nicht beeinflusst, weil er in den jeweiligen Klimazonen mit
Ausnahme von Extremwetterlagen daran angepasst ist, wie solche, die
das Gegenteil behaupten. Vielleicht spielt aber das Wetter selbst gar
nicht die Hauptrolle, sondern die inneren Erwartungen, die wir damit
verbinden.

Wenn wir uns bewusst sind, dass wir das Gehtempo eines Menschen
durch stärkende oder schwächende Worte beeinflussen können, dann
gilt diese Regel auch für alle anderen Lebenssituationen. Worte sind
mächtige Instrumente, um andere Menschen zu beeinflussen. Wir
müssen in der richtigen Situation nur die richtigen Worte wählen.

Gerüche wirken direkt auf das Unbewusste


Neuere Forschungen aus Großbritannien haben gezeigt, dass Gerüche
das Verhalten von Autofahrern mehr beeinflussen, als man bisher
geahnt hat. Gerüche wirken direkt auf das Unbewusste und schalten
dort ganz bestimmte Denkmuster ein.

Der Geruch von frisch geschnittenem Gras mobilisiert offensichtlich


die Erinnerung und verleitet den Autofahrer zu Tagträumereien.
Riecht es nach Brot oder Fast Food, beschleunigt der Fahrer unwis-
sentlich, weil der aufkeimende Hunger ihn schneller ans Ziel treibt.
Auch Parfums lenken vom Verkehrsgeschehen ab, weil sexuelle Phan-
tasien angeregt werden.

Merkwürdigerweise wirkt sogar der Geruch eines Neuwagens in be-


stimmter Weise auf das Fahrverhalten. Der Fahrer wird vorsichtiger,
weil er das neue Auto nicht beschädigen möchte. Es spielt also nicht
das konkrete Wissen über das Alter eines Wagens die Hauptrolle, son-
dern einzig und allein das, was die Nase registriert. Autovermieter
werden für diese Information dankbar sein.

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Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten

Dass der Duft von Zitronen oder Kaffee nicht nur beim Autofahren
ein klareres Denken fördert, wissen wir auch aus anderen Situationen.
Schließlich soll schon Friedrich Schiller duftende Apfelschalen in sei-
ner Schreibtischschublade liegen gehabt haben, die ihn beim Dichten
inspirierten.

Wenn bereits Düfte beim Autofahren in die Denkmuster eingreifen,


wie ist es dann mit Bildern? Amerikanische Hirnforscher stellten fest,
dass erotisch aufreizende Werbeplakate für eine gefühlsbedingte
Blindheit sorgen, die etwa eine Fünftelsekunde anhält – Zeit genug,
um im Stadtverkehr auf den Vordermann aufzufahren.

Unsere Mitmenschen sind die wichtigsten Impulsgeber


Die wichtigsten Impulsgeber, um unbewusste und bewusste Denkpro-
zesse zu starten, sind andere Menschen. Wir können uns der Reaktion
auf andere Menschen nur dadurch entziehen, dass wir uns isolieren,
allein durch Wüsten wandern, allein übers Meer segeln oder allein auf
die Berge steigen. Allerdings zeigt die Erfahrung, die Menschen in sol-
chen Situationen machen, dass ihr Gehirn auf diese gewollte oder un-
gewollte Isolation reagiert, indem es ihnen einen fiktiven Begleiter zur
Seite stellt.

Man kann diese imaginären Gefährten Halluzinationen oder Hirnge-


spinst nennen. Für denjenigen, der diese Begleiter erlebt, wirken sie
erstaunlich real. So beschreibt der Arzt Dr. Hannes Lindemann, der in
den 1950-er-Jahren den Atlantik in einem Serien-Faltboot allein über-
querte, dass er auf seiner Überfahrt Gesellschaft bekam. Er sah einen
Afrikaner, mit dem sich folgendes Gespräch entspann: „Wohin fahren
wir?“ „Zu meinem Boss“. „Wo wohnt dein Boss?“ „Im Westen“, ant-
wortete der Farbige.

Das Wort „Westen“ machte Lindemann sofort hellwach, er schaute


auf seinen Kompass und korrigierte seinen Kurs. Lindemann hatte
sich durch autogenes Training auf den Kurs West programmiert, und
dieses Muster wirkte offensichtlich so stark, dass sich sogar seine Hal-
luzinationen damit beschäftigten.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Spiegelneuronen ermöglichen das Verhalten der anderen


zu deuten
Der Mensch ist eben einfach nicht dafür gemacht, allein zu sein. Das
bestätigt sich unter anderem dadurch, dass im menschlichen Gehirn so
genannte Spiegelneuronen nachgewiesen werden konnten. Diesen
Nervenzellen werden inzwischen immer mehr wichtige Funktionen
zugeschrieben, die notwendig sind, um das Verhalten anderer Men-
schen richtig interpretieren zu können.

Entdeckt wurden die Spiegelneuronen eher zufällig. 1991 wollte der


Leiter des Physiologischen Instituts der Universität Parma, Giacomo
Rizzolatti, erforschen, wie das Gehirn Planung und Ausführung von
zielgerichteten Handlungen organisiert. Als Versuchstiere dienten ihm
Makaken. Im Kopf dieser Affen waren Elektroden implantiert, die
messen sollten, was passierte, wenn das Tier nach einer Erdnuss greift.

Zunächst hielten Rizzolatti und sein Forscherteam es für eine Fehl-


steuerung, dass die Messgeräte bereits dann einen Impuls registrierten,
wenn der Affe reglos dasaß und den Forschern zusah, wie diese die
Nuss in seine Nähe legten. Erst später entdeckten sie, dass bestimmte
Hirnzellen immer dann ein Signal abgaben, wenn eine bestimmte Be-
wegung anderer Tiere oder Menschen einen Sinn ergab. Eine Hand-
bewegung ohne Nuss wurde kaum registriert. Rizzolatti nannte diese
Zellen „Mirror Neurons“, also Spiegelneuronen.

Inzwischen wissen wir, dass sich solche Zellen in verschiedenen Berei-


chen des Gehirns befinden, und dass sie eben nicht nur Aktionen steu-
ern, sondern auch Aktionen bei anderen Lebewesen erkennen können,
egal ob sie diese nun tatsächlich sehen oder auch nur als Geräusch
wahrnehmen. Wenn im Kino eine Bonbontüte raschelt, wissen wir
sehr genau, was geschieht. Die Spiegelzellen sorgen aber auch dafür,
dass wir mit anderen Menschen mitfühlen können und zum Beispiel
Schmerzen nachempfinden.

Ohne Spiegelzellen könnten wir wahrscheinlich weder Gesichtsaus-


drücke richtig deuten noch Handlungen richtig interpretieren, und
vielleicht hätten wir auch mit der Sprache Probleme. Der Mensch
lernt, sich anderen mitzuteilen, indem er sie imitiert. Und dafür, dass
er richtig imitiert, sind die Spiegelneuronen zuständig. Selbst Fehler,

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Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten

die andere machen, werden von ihnen erkannt. Wenn wir in so hohem
Maße auf das Verhalten anderer Menschen unbewusst reagieren, ist es
auch nicht mehr verwunderlich, dass unser eigenes Verhalten über-
wiegend durch Impulse von außen bestimmt wird.

Dieser Bereich des mitmenschlichen Verhaltens wird von der neuen


Disziplin Social Cognitive Neuroscience erforscht, die nicht nur Ver-
bindungen zur Neurobiologie hält, sondern auch zur Neuroökonomie
und sogar noch einen ganz neuen Bereich einschließt, den der Erfor-
schung der so genannten Großmutterzellen.

Lange Zeit hielt man es für unmöglich, dass einzelne Neuronen oder
kleinere Neuronenhaufen dafür zuständig sein können, ganz bestimm-
te Personen zu erkennen, beispielsweise die eigene Großmutter auf
einem Foto oder in einer Gruppe anderer Menschen. So war der Be-
griff „Großmutterzellen“ ursprünglich als Witz gemeint. Der lustige
Begriff ist geblieben, aber heute weiß man, dass das Gehirn trotz seiner
Milliarden von Nervenzellen sparsam mit den Ressourcen umgeht und
für Dinge oder Personen, die wichtig sind, spezielle Erkennungseinhei-
ten bereitstellt.

Aber hier geht es nicht darum, bestimmte Strukturen und Formen zu


erkennen, sondern die Person oder den Gegenstand an sich. Die Mu-
ster, die wir im Kopf haben, sind also viel spezieller und individueller,
als die Wissenschaft lange Zeit dachte. Denn schließlich hat jeder
Mensch nur maximal zwei Großmütter, die sich von allen anderen
unterscheiden.

Es gibt einen Inhalts6 und einen Beziehungsaspekt


Der Verhaltensforscher Paul Watzlawick hat schon in den 1970-er-
Jahren festgestellt, dass jede Kommunikation einen Inhalts- und einen
Beziehungsaspekt hat. Dabei kam er auch zu dem Ergebnis, dass der
Beziehungsaspekt häufig viel wichtiger ist als der Inhaltsaspekt.

Beziehungsaspekte werden in erster Linie nonverbal übermittelt. Diese


nonverbale Kommunikation findet nicht nur in Gesten oder in der
Mimik ihren Ausdruck, sondern auch in der Modulation der Stimme.
Was genau auf diesem Wege kommuniziert wird, analysiert das Ge-

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

hirn unbewusst, indem es eine aktuelle Situation mit gespeicherten


früheren Erfahrungen vergleicht. Was dann vom Unbewussten an das
Bewusstsein weitergereicht wird, sind Eindrücke und Gefühle, die den
inhaltlichen Aspekt der Kommunikation anreichern und bewerten.

Im ungünstigsten Fall widersprechen sich der Inhalts- und der Bezie-


hungsaspekt vollständig. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn
jemand bewusst lügt. Nur wenigen Lügnern gelingt es, ihre Lügen so
zu kaschieren, dass Inhalts- und Beziehungsaspekt stimmig sind. Am
einfachsten gelingt es ihnen wahrscheinlich immer noch in dem Mo-
ment, in dem sie ihre Lügen tatsächlich selbst glauben.

Meme setzen sich in unserem Kopf fest


Ein ganz anderes Phänomen, das unser Denken von außen ebenfalls
ganz erheblich steuert, sind die so genannten Meme. Hierbei handelt
es sich um Gedankeneinheiten, die als ein in sich geschlossenes Muster
gespeichert und weitergegeben werden. Meme sind reproduzierbar
und wirken als Replikator, das heißt als sich selbst vervielfältigende
Struktur. Bei der Reproduktion werden die Gedanken entsprechend
eigener Erfahrungen und Erkenntnisse angepasst.

Das Mem findet seinen Niederschlag in der „Memvorlage“ im Gehirn


und der „Memausführung“ in der Kommunikation, zum Beispiel in
der Sprache. Der Begriff des Mem wurde erstmals 1976 durch den
Evolutionsbiologen Richard Dawkins in seinem Buch „Das egoistische
Gen“ verwendet. Heute ist die englische Psychologin Susan Blackmore
wohl die wichtigste Vertreterin der Memtheorie.

Während die Spiegelneuronen für die Imitation, Ausführung und das


Verständnis von Handlungen und Gefühlen zuständig sind, sind es die
Meme vor allem für intellektuelle Inhalte. Für ihre Verbreitung ist
aber die direkte Beziehung von Mensch zu Mensch nicht in gleichem
Maße notwendig wie bei Gefühlen und Handlungen.

Was Meme aber brauchen, um wirksam zu werden und um wirklich


Einfluss ausüben zu können, sind wieder Netzwerke. Und die sind als
moderne Medien in Form von Zeitungen, Büchern, Fernsehen, Radio
und Internet geradezu im Überfluss vorhanden.

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Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten

Meme reproduzieren sich besonders schnell, wenn sie nicht nur den
Intellekt des Menschen ansprechen, sondern in besonderem Maße
seine Gefühle. Kein Wunder also, dass ein Witz besser haften bleibt
und schneller weitergegeben wird als eine chemische Formel. Und
wenn Harald Schmidt im Fernsehen ein gutes Bonmot erzählt hat,
wird es sich am nächsten Tag in den Universitäten und unter Arbeits-
kollegen Zigtausendfach weiterverbreiten.

Meme müssen aber gar nicht unbedingt bewusst gemerkt und gelernt
werden. Auch sie haben das Talent, sich über unbewusste Informatio-
nen in den Köpfen einzunisten, wenn es ihnen gelingt, den berühmten
Tipping Point zu überwinden, also in einer bestimmten Häufung in
der Gesellschaft aufzutreten. So entstehen spontane Moden und letzt-
endlich auch Buchbestseller.

Manche Meme überdauern nur wenige Tage oder Wochen, andere wie
zum Beispiel die Filme vom Krieg der Sterne Jahrzehnte oder wie die
Komödien von Moliere oder antike Theaterstücke Jahrhunderte. Sie
alle steuern uns in einer gewissen Weise zunächst von außen und wer-
den dann zu festen Bestandteilen unserer Denkmuster.

Zu den mächtigsten Memen, die heute das Denken breiter Schichten


bestimmen, gehören all jene, die wirtschaftlichen Vorgängen und
Prinzipien zuzuordnen sind. Heute ist die Mehrzahl der Bevölkerung
in den industrialisierten Ländern bereit zu akzeptieren, dass alles, was
in der Gesellschaft geschieht, sich im Einklang mit den Regeln der
Ökonomie befinden muss. So wie es früher eine göttliche Ordnung
gab, die das Zusammenleben der Menschen regelte, so ist es heute die
des Marktes mit Angebot und Nachfrage.

Mit göttlicher Ordnung meine ich nicht eine bestimmte religiöse


Überzeugung, sondern die Legitimation weltlicher Gegebenheiten
durch bestimmte Gedankeneinheiten, also Meme. Zu diesen als selbst-
verständlich und richtig akzeptierten Memen gehörte zum Beispiel die
Vorstellung, dass die Menschen in bestimmte Stände hineingeboren
werden, als Adliger, Bürger oder Bauer, die sie nicht oder nur in Aus-
nahmefällen verlassen durften.

Über andere, aber genauso fest gefügte Gedankeneinheiten verfügt


auch die ökonomisierte Gesellschaft. Zu ihren Memen gehören zum

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Beispiel „Alles hat seinen Preis“ oder „Die Nachfrage regelt das Ange-
bot“. Auch die Vorstellung, dass es im Prinzip jedermann vom Teller-
wäscher zum Millionär bringen kann, ist ein ökonomisches Mem, das
unser Denken beeinflusst und bestimmt.

Bis solche Gedankeninhalte durch neue ersetzt werden, bedarf es ent-


weder einer langen Zeit oder einschneidender Veränderungen in der
tatsächlichen Lebenssituation großer Teile der Bevölkerung. Meme
führen ein langes und zähes Leben, nicht nur dadurch, dass sie gespei-
chert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit weitergegeben werden,
sondern auch dadurch, dass sie sich durch die Massenmedien geradezu
seuchenartig verbreiten können.

Meme haben wie Krankheitskeime die Eigenschaft, in höchstem Maße


ansteckend zu sein. Sie besetzen die wichtigsten Schaltstellen im Ge-
hirn, sind jederzeit präsent und verdrängen andere Gedanken, die
vielleicht richtiger oder wertvoller sind.

Zurzeit machen sich gerade die Neuroökonomen daran, mit einer gan-
zen Reihe falscher ökonomischer Meme aufzuräumen und die Idee des
Homo oeconomicus zu demontieren. Bis sie damit allerdings in den
Köpfen aller in der Wirtschaft Verantwortlichen ankommen, wird es
noch eine geraume Zeit dauern. Die Vorstellung, dass der Mensch nur
nach seinem Vorteil Ausschau hält und hauptsächlich durch die Aus-
sicht auf mehr Geld zu motivieren ist, wird als Mem noch einen zähen
Verteidigungskampf um den Platz in den Köpfen der Menschen führen.

Vorabinformationen bestimmen unsere Wahrnehmung


Ein weiteres Element, das die Vorhersagen unseres Gehirns stark be-
einflusst, und damit auch die in die Zukunft gerichteten Erwartungen,
sind die Vorabinformationen. Wenn wir zu wissen glauben, was wir zu
erwarten haben, wird dieses Ereignis für uns subjektiv auch mit höhe-
rer Wahrscheinlichkeit eintreffen. Normalerweise nimmt das Gehirn
in diesem Zusammenhang Irrtümer in Kauf, um daraus zu lernen und
für nachfolgende Situationen neue Vorhersagen abzuleiten.

Ein großes Problem stellen für das Gehirn zufällige Ereignisse dar, weil
hier die Fähigkeit zur Vorhersage versagt. Das Gehirn versucht des-

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Äußere Einflüsse sind wichtiger als wir vermuten

halb, Zufälle dadurch in den Griff zu bekommen, dass es nach verbor-


genen Regeln und bestimmten Zusammenhängen von Ursache und
Wirkung sucht.

Wenn es tatsächlich verborgene Regeln gibt, werden sie zumindest


unbewusst nach einiger Übung erkannt, wie in Experimenten nachge-
wiesen werden konnte. Erfolgen jedoch bestimmte Ereignisse regellos,
kann dies durchaus dazu führen, dass sich das Gehirn Illusionen
macht und Zusammenhänge zu erkennen glaubt, die es tatsächlich
überhaupt nicht gibt.

Im Prinzip müsste man aus dem bisher Gesagten schließen können,


dass das Gehirn gewohnte Ereignisse und damit die Routine am mei-
sten schätzt, weil die Vorhersagen tatsächlich eintreten und sich damit
auch ein angenehmes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit ein-
stellt. Einerseits ist das richtig, andererseits tritt dabei aber auch ein
neues Gefühl auf den Plan, nämlich die Langeweile.

Da das menschliche Gehirn darauf programmiert ist, neue Erfahrun-


gen zu sammeln, wird es nach einer gewissen Zeit umschalten, indem
es nicht mehr „Belohnungen“ dafür verteilt, dass bestimmte Erwar-
tungen und Vorhersagen erfüllt wurden, sondern nun dafür, dass sich
der Mensch auf die Suche nach Neuem macht.

Es ist tatsächlich so, dass ein großer Teil der Menschen so genannte
Newsseeker sind. Deren Gehirn ist geradezu begierig, neue Dinge zu
erkennen, Neues zu lernen und Neues zu erproben. Dadurch werden
immer wieder Verhaltensänderungen ausgelöst, die nicht nur in der
Frühzeit des Menschen von Vorteil waren, indem ein Jäger die ge-
wohnten Pfade verließ und deshalb nicht zur Beute von Raubtieren
wurde, die seine Gewohnheiten kannten und ihn als fette Beute erwar-
teten. Der Drang zu Neuem hält nicht nur das Gehirn fit, sondern
sichert auch das Überleben.

Der Drang nach Neuem macht uns in Verbindung mit dem Wunsch,
etwas haben zu wollen, und das auch möglichst noch als Sonderange-
bot, schnell zu einem willfährigen Opfer der Werbe- und Marketing-
strategen.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Vergleicht man die Werbung der Fünfziger- und Sechzigerjahre mit


der heutigen, ist man manchmal doch erstaunt, mit welchem großen
Einfühlungsvermögen schon damals auf die Wünsche und Gedanken
der Menschen eingegangen wurde. Dann folgte eine Phase, in der die
Selbstverwirklichung der Kreativen gelegentlich die Wünsche der Ver-
braucher in den Hintergrund drängte. Heute sind wir am Anfang der
neuen Ära des Neuromarketings angekommen.

Werbung lebt davon, wahrgenommen zu werden


Neuromarketing wird heute in der öffentlichen Diskussion meist in
direkter Weise mit dem Einsatz bildgebender Verfahren gleichgesetzt.
Es scheint in vielen Medienberichten so, als würde die Wissenschaft
nach einem „Kaufknopf“ suchen, auf den man nur zu drücken
braucht, um den Konsumenten dann mit einem gefüllten Einkaufswa-
gen an die Ladenkasse zu schicken. Das geht jedoch weit an der Reali-
tät vorbei.

Zunächst einmal geht es beim Neuromarketing um das Verständnis


bestimmter hirnorganischer Prozesse im Zusammenspiel mit äußeren
Reizen. Dass dabei als äußere Reize Motive aus der Werbung genom-
men werden, macht im Vergleich zu anderen Experimenten der kogni-
tiven Neurowissenschaften allenfalls den Unterschied, dass die Symbo-
le aus der Werbung, wie zum Beispiel das Segelschiff von Becks Bier,
einen hohen symbolischen Wert haben, der im Gehirn eine gut er-
kennbare Reaktion erzeugt.

Erst wenn sichere Erkenntnisse darüber vorliegen, wie sich kognitive


und emotionale Prozesse als Reaktion auf werbliche Reize gegenseitig
beeinflussen, wird man darangehen können, bestimmte Kommunika-
tionsinstrumente und ihre Details zu verfeinern.

Schon immer hat der Mensch versucht, andere Menschen in seinem


Sinne zu beeinflussen. Dabei waren ihm im Laufe der Menschheitsge-
schichte alle Mittel recht und es wurden auch alle erprobt und ange-
wendet. Von der Folter und Drohungen reichte es über die Rhetorik
und die Anwendung logischer Argumente bis hin zu allem, was heute
die moderne Motivations- und Verkaufspsychologie zu bieten hat.

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Werbung lebt davon, wahrgenommen zu werden

Dabei hat man schon lange festgestellt, dass nicht die Ansprache der
Vernunft die größten Erfolge im Hinblick auf das gewünschte Resultat
bringt, sondern die Ansprache der Emotionen. Die besten Resultate
erzielten Verkäufer nicht, wenn sie ihre Kunden bedrängten oder
überredeten, sondern überzeugten. Wenn ein Mensch bei dem, was er
tut, gute Gefühle hat, wird er es auch gern wieder tun.

Und hier kommen nun wieder die Neurowissenschaften ins Spiel, die
nämlich festgestellt haben, dass es doch so eine Art zentralen Schalter
im Gehirn gibt, den man tätigen muss, nämlich das Belohnungssystem
zu aktivieren. Denn nichts möchte das Gehirn lieber, als sich selbst für
sein Denken und Entscheiden zu belohnen.

Allerdings bleibt im Einzelfall zumindest heute meist noch die Frage


offen, weshalb das Belohnungssystem in bestimmten Fällen ange-
sprungen ist und in anderen nicht. Hier werden die Neurowissen-
schaften sicherlich schon bald klarere und bessere Antworten geben,
als es die Marketingpsychologie allein in der Vergangenheit konnte.

Wenn man erst einmal weiß, welche versteckten und unbemerkten


Signale unbewusst in einen Bewertungsprozess einbezogen worden
sind, wird man sicherlich versuchen, sie in den zukünftigen Maßnah-
men der Neurokommunikation einzubauen. Wie weit das aber prakti-
sche Auswirkungen haben wird, ist noch nicht vorherzusagen.

Wenn die Mimik eines Verkäufers in ihren kleinsten von ihm selbst
unbewusst erzeugten Details den größten Einfluss auf den Käufer hat,
ist es fraglich, wie der Verkäufer diese Signale, die er ja unbewusst
aussendet, in den Griff bekommen soll, selbst wenn er um ihre Wir-
kung weiß. Wahrscheinlich müsste er zu diesem Zweck seine eigene
innere Haltung entsprechend verändern. Ob ihm das aber möglich ist?

Schon immer gab es gute und schlechte Verkäufer, gute und schlechte
Schauspieler sowie überzeugende und weniger überzeugende Politiker.
Die Guten müssen etwas anders gemacht haben als die Schlechten, nur
was dies war, konnten sie meist selbst nicht erklären. Und wenn sie es
doch versuchten, entstanden meist Anleitungen, die zwar rational
nachvollziehbar waren, die aber letzten Endes für die schlechten Ver-
treter ihres Gewerbes keine Hilfe darstellten.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Sicher wird es gelingen, Marken zielgruppengerechter zu konzipieren


und zu kommunizieren, nur hat das dann wahrscheinlich eine noch
weitere Aufgliederung der Kundschaft zur Folge. Man wird sich dann
von Massenmärkten verabschieden müssen. Ob das allerdings im In-
teresse der großen Konsumgüterhersteller ist, erscheint fraglich.

Man sollte auch nicht die Komplexität, Flexibilität und Anpassungsfä-


higkeit des Gehirns unterschätzen. Auf neue Reize wird es in Zukunft
auch auf neue Weise reagieren. Man könnte jetzt die Frage nach dem
willenlosen Konsumenten mit der großen Diskussion über den freien
Willen an sich verbinden. Das würde allerdings den Rahmen dieses
Buches bei Weitem sprengen.

Wissenschaft und Praxis können voneinander profitieren


Als die Hirnforschung vor ein paar Jahren ihre Dienstleistungen der
Werbebranche anbot, ging es zunächst einmal darum, die teuren
Kernspintomografen zu finanzieren. Ob man im Rahmen der Grund-
lagenforschung Anzeigenmotive einsetzt oder andere Bilder, ist hin-
sichtlich der Ergebnisse zunächst einmal nicht von Bedeutung. Doch
natürlich lassen sich so zusätzliche Erkenntnisse gewinnen und bereits
bestehende Annahmen, zum Beispiel über die Wirkung und Wir-
kungsweise bestimmter Werbemotive, durch Fakten untermauern.

Die Erwartungen auf beiden Seiten waren allerdings sehr hoch, viel-
leicht sogar überzogen. Inzwischen hat man zu einer realistischen Be-
trachtungsweise zurückgefunden. Allerdings mit der Folge, dass einige
Unternehmen ihre Beteiligung an der finanziellen Förderung der
Grundlagenforschung einstellten.

Dabei wird die Bedeutung der Grundlagenforschung keineswegs un-


terschätzt, nur führt sie im ersten Schritt nur zur Verifizierung oder
Falsifizierung von bestehenden Theorien und Hypothesen und erst im
zweiten Schritt zu mehr oder weniger konkreten Handlungsanleitun-
gen für die Praxis. Ohne die Grundlagenforschung lassen sich keine
neuen oder zumindest verbesserten Modelle zum Erleben und Verhal-
ten der Menschen entwickeln.

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Werbung lebt davon, wahrgenommen zu werden

Doch erst wenn man die Ergebnisse der Hirnforschung in ihrer gesam-
ten Breite mit den Erkenntnissen aus der Psychologie, den Wirt-
schaftswissenschaften, den Kulturwissenschaften und der Marktfor-
schung verbindet, entsteht ein Bild, das Praxisrelevanz hat.

Aus Sicht der Hirnforschung haben deren Ergebnisse bisher auch nur
zu einem Teil Eingang in die Werbung gefunden. Es ist keineswegs so,
dass sich die Neurowissenschaftler als die Marketing- und Kommuni-
kationsfachleute der Zukunft sehen. Doch werden die Interessen in
Agenturen und bei ihren Kunden, den Unternehmen, nicht nur von
wissenschaftlichen Überlegungen bestimmt, sondern auch vom kultu-
rellen Hintergrund, Emotionen und persönlichen Vorlieben.

Nicht zuletzt spielen auch die finanziellen Möglichkeiten eine große


Rolle. Natürlich würden sich Wissenschaftler gern wünschen, mit
Feldversuchen und breit angelegten Experimenten die Forschung vo-
ranzutreiben. Doch dafür müssen eben auch entsprechende Mittel zur
Verfügung stehen. Gerade die Grundlagenforschung kann und darf
nicht zu exklusivem Wissen führen, sondern ihre Resultate müssen der
breiten oder zumindest doch der Fachöffentlichkeit zugänglich sein.
Nur so lassen sich auch Bedenken aufseiten der Verbraucherschützer
ausräumen.

Neuromarketing – wie sich Produkte besser verkaufen


Während heutzutage „Kreative“ und Marketingfachleute immer noch
Kampagnen entwickeln, deren Erfolg und Wirkungen im Gehirn erst spät
abgeschätzt werden können, wird das entwickelte Konzept künftig erst im
Gehirn von Probanden geprüft. Ist die Aktivierung Erfolg versprechend,
wird die Kampagne auch umgesetzt.

Die Strategie des Neuromarketings soll an einem Beispiel erläutert


werden: Man bittet Probanden während einer kernspintomografi-
schen Untersuchung ihres Gehirns immer wieder, Kaufentscheidun-
gen zu treffen. Sie sehen per Videobrille ein Produkt und seinen Preis
und sollen per Knopfdruck entscheiden, ob sie kaufen oder nicht.

In einigen Fällen werden die Preise mit einem Rabattsymbol, also zum
Beispiel einem %-Zeichen oder „Angebot“, versehen. Vergleicht man

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

nun die Hirnaktivierungen bei der Darbietung von Produkten mit


Rabatt im Vergleich zu Produkten ohne Rabatt, so zeigt sich, dass eine
wichtige Struktur im mittleren Stirnhirn, das anteriore Cingulum,
nicht mehr aktiviert wird, wenn das Rabattsymbol gezeigt wird.

Von dieser Struktur wird angenommen, dass sie dazu beiträgt, (Kauf-)
Alternativen gründlich abzuwägen. Dies bedeutet, dass ein Rabattsym-
bol diese Hirnregion in ihrer Aktivität hemmt und somit wahr-
scheinlich auch kritische Abwäge- und Entscheidungsprozesse ab-
kürzt: Die komplizierte Frage nach der Angemessenheit des Preises
erscheint ja bereits gelöst. Dieser Befund entspricht der Alltagserfah-
rung und Vorgehensweise vieler vertrauensseliger Menschen.

Eine ähnliche, abkürzende Wirkung erzielen wahrscheinlich auch


starke Marken im Kopf der Kunden. Die Forschung konnte darüber
hinaus zeigen, dass ältere Probanden bei DM-Preisen bis heute bei
Kaufentscheidungen weniger abwägen müssen – vermutlich weil diese
rascher eine gefühlsmäßige Einschätzung der Angemessenheit des
Preises erlauben als die immer noch ungewohnten Euro-Preise.

Gesichter statt Logos


Zu den bisher vorliegenden Ergebnissen zählt zum Beispiel die Er-
kenntnis, dass Gesichter für emotions- und gedächtnisbezogene Hirn-
prozesse von größerer Bedeutung sind als so genannte Wort-Bild-
Marken. Die Forschungsgruppe Neuromarketing am LIFE & BRAIN
Institut in Bonn hat im Rahmen eines Fernsehbeitrags in einem Su-
permarkt folgenden Test durchgeführt:

Zunächst wurde eine Weinmarke mit einem Logo und Informationen


über Herkunft und Qualität beworben. Das Interesse der Kunden war
stärker als bei den anderen Angeboten des Supermarkts. Dann wurde
die Werbung durch die Abbildung eines Gesichts ergänzt. Die Beach-
tung des Weinangebots verstärkte sich durch das Gesicht signifikant.

In der dritten Testphase wurde das unbekannte Gesicht durch das Bild
einer Person ersetzt, die im Fernsehen eine gewisse Prominenz erlangt
hat. Die Aufmerksamkeit der Kunden steigerte sich nochmals. Aller-
dings waren die Unterschiede zwischen dem unbekannten und dem

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Werbung lebt davon, wahrgenommen zu werden

prominenten Gesicht nicht so stark wie zwischen dem Logo und der
Abbildung des unbekannten Gesichts.

Daraus könnte man folgern, dass die Werbung mit prominenten Köp-
fen mehr bringt als ein noch so raffinierter Schriftzug. Doch ganz so
simpel funktioniert das Gehirn nicht.

Auch wenn Thomas Gottschalk und sein Bruder offensichtlich ein Er-
folgsteam beim Börsengang der Postbank darstellten und Thomas
Gottschalk allein schon fast zum Synonym für Gummibärchen gewor-
den ist, bedeutet das noch lange nicht, dass andere Prominente mit
ähnlich hohen Fernseheinschaltquoten für ein x-beliebiges anderes
Produkt in vergleichbarer Weise erfolgreich wären. Hier bedarf es noch
weiterer Forschungsarbeit, um herauszufinden, welche Rolle der Be-
kanntheitsfaktor an sich spielt und welche die der dargestellten Figur.

So müssen wir ganz klar zwischen Prominenz und Kompetenz unter-


scheiden. Prominenz reicht wahrscheinlich schon, um Aufmerksam-
keit zu wecken, doch die kann man auch mit einem unbekannten Ge-
sicht erzeugen. Bei der Kompetenz steht mit ziemlicher Sicherheit die
in den Köpfen verankerte Rolle eines Darstellers eher im Zentrum.

Wer einen Arzt spielt, kann glaubhafter Tipps zur Gesundheit geben,
während man einem Fernsehkommissar wahrscheinlich eine größere
Kompetenz bei Autos oder Geldanlagen zuspricht. Bei Kosmetika oder
Haarprodukten fallen die dargestellten Charaktere einer Schauspiele-
rin wiederum weniger ins Gewicht. Was aber wie genau wirkt, muss
noch im Detail erarbeitet werden.

Auch das Neuromarketing ist eine sich rasch entwickelnde Wissen-


schaft. Es prüft, wie Marken schneller mit Produkten verknüpft und
besser im Gedächtnis beziehungsweise im Gehirn verankert werden
können. Es wird zukünftig sicher immer dann eine Rolle spielen,
wenn neue Marken kreiert oder neue Produkte unter dem Dach einer
bereits etablierten Marke eingeführt werden sollen, da vor allem die
Gedächtnis- und Emotionsvorgänge von den Hirnforschern sehr gut
verstanden werden – und ihre Erkenntnisse damit auch im Marketing
berücksichtigt werden können.

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Wahrnehmung – die Verbindung zur Welt

Immer häufiger versuchen Unternehmen, ihre Produkte für die zuneh-


mende Zahl älterer Kunden attraktiv zu machen. Wir wissen heute,
dass alte Gedächtnisinhalte bei älteren Personen stabiler im Gehirn
verknüpft sind als neue. Will man also bei einem älteren Menschen für
etwas Neues Interesse wecken, muss man eine Strategie entwickeln,
wie man das Produkt mit einem alten Gedächtnisinhalt sachlich und
emotional verknüpfen kann, damit es im Gehirn langfristig abgelegt und
somit jederzeit wieder abgerufen werden kann. Das können zum Bei-
spiel Musik, Bilder oder Dinge aus der Jugendzeit der jeweiligen Ziel-
gruppe sein.

Dies sollte zeigen, wie die Hirnforschung und die Ökonomie gut zu-
sammenarbeiten. Natürlich müssen hierbei ethische Regeln im Hin-
blick auf die Manipulation des Menschen zum Zweck der Werbewirk-
samkeit beachtet werden.

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Warum wir uns verändern – oder auch
nicht
Gerade jetzt, während Sie diese Zeilen lesen, verändert sich Ihr Gehirn.
Vielleicht schweifen Ihre Gedanken ab und Sie denken darüber nach, wie
Sie sich selbst verändert haben können, oder Sie denken an Freunde und
Bekannte, die im Laufe ihres Lebens ganz andere Menschen geworden
sind. Vielleicht denken Sie aber auch „So ein Quatsch, ich habe mich
nicht verändert“. Tatsächlich nicht? Haben Sie nichts in Ihrem Leben
dazu gelernt und nichts vergessen?

Von Bertolt Brecht gibt es eine Sammlung von „Geschichten vom Herrn
Keuner“. Eine trägt die Überschrift „Das Wiedersehen“. Sie lautet folgen-
dermaßen: Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte
ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert“. „Oh!“, sagte
Herr K. und erbleichte.

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Warum wir uns verändern – oder auch nicht

Das Gehirn ist nicht hardwired


Tatsächlich ging die Hirnforschung viele Jahrzehnte lang davon aus,
dass das neuronale Netz im Gehirn eines Erwachsenen festgelegt und
unveränderlich ist. Doch das Gehirn arbeitet nicht wie ein fest ver-
drahteter (hardwired) Computer, sondern stellt unablässig neue Ver-
bindungen her, sodass der Mensch lebenslang lernfähig ist und sich
auf veränderte Anforderungen einstellen kann.

Aufgrund neuer Reize können sich innerhalb von Sekunden bereits


vorhandene Synapsen zwischen den Neuronen verstärken. Das ist zum
Beispiel notwendig, um sich an etwas, das gerade eben geschehen ist,
sofort erinnern zu können. Innerhalb von Stunden können sich dann
weitere Verbindungen zwischen den Nervenzellen bilden, indem neue
Synapsen wachsen und so Verschaltungen herstellen.

Die herausragendste Eigenschaft des Gehirns ist also seine außeror-


dentlich große Anpassungsfähigkeit an immer neue Anforderungen.
Schon kleinste Einflüsse können Veränderungen bewirken. Der be-
kannte Neurologe, Psychiater und Autor Oliver Sacks sagte einmal:
„Eine winzige Hirnverletzung, ein kleiner Tumult in der zerebralen
Chemie – und wir geraten in eine andere Welt“. Doch so weit muss es
gar nicht kommen.

Es reichen oft schon sehr kleine und ganz alltägliche Dinge, die das
Denken in andere Bahnen lenken, ein Lächeln, ein überraschender
Anruf oder eine unerwartete Aufmerksamkeit. Plötzlich sehen wir uns
in einem ganz anderen Licht, betrachten ein Problem von einer ganz
anderen Seite und treffen anschließend eine ganz andere Entschei-
dung, als wir es noch vor einigen Stunden, Minuten oder sogar Sekun-
den getan hätten.

Leider gibt es solche Abläufe nicht nur zum Guten, sondern auch zum
Schlechten. Ein böser Blick, ein Anruf zur falschen Zeit, ein vergesse-
nes Danke, auch das verändert unser Denken.

Diese Dynamik des Gehirns, die Fähigkeit, ganz schnell zu anderen


Ansichten und Einsichten zu kommen, dürfen wir im Alltag nicht
unberücksichtigt lassen. Wir sind in der Lage, wenn es sein muss, blitz-
schnell unsere Einstellungen, Entscheidungen und Handlungsweisen

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Das Gehirn ist nicht hardwired

tief greifend zu ändern, ohne dass wir selbst den Bruch in der Konti-
nuität spüren. Das hat allerdings nichts mit Unberechenbarkeit oder
Sprunghaftigkeit zu tun.

Wir alle wissen, dass wir durch kontinuierliches Üben bestimmte


Fähigkeiten verbessern können. Ob es dabei um das Tennisspielen,
um das Musizieren am Klavier oder um das Autofahren geht. Üben
hat nachhaltige Auswirkungen, und das liegt daran, dass im Gehirn
bestimmte Verbindungen verstärkt und Verschaltungen vergrößert
werden.

Das geschieht sogar bei rein mentalen Übungen. Wir brauchen uns
nur sehr intensiv vorzustellen, welche Bewegung wir mit dem Tennis-
schläger machen werden, wenn der Ball auf uns zugeflogen kommt,
und dieses Gedankenspiel oft genug zu wiederholen, dann lassen sich
im Gehirn dieselben Veränderungen nachweisen wie bei einem kon-
kreten Spiel auf dem Platz.

Aber das Gehirn baut nicht nur neue Verbindungen auf, sondern auch
alte ab, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Das ließ sich beson-
ders eindrücklich im Zusammenhang mit der Amputation von Glied-
maßen nachweisen. Wenn es den linken Arm nicht mehr gibt, den das
Gehirn steuern muss, kann es die dafür vorgesehenen Ressourcen für
andere Zwecke nutzen. Bei Blinden übernehmen die für das Sehen
zuständigen Hirnregionen dann oft die Unterstützung der Verarbei-
tung akustischer Signale.

Aber natürlich braucht man nicht unbedingt einen Körperschaden


davonzutragen, damit das Gehirn die Verbindungen zu alten Erinne-
rungen reduziert oder bestimmte Ressourcen für neue Aufgaben frei-
gibt. Dabei ist bis heute noch nicht geklärt, ob zum Beispiel die Inhalte
des Langzeitgedächtnisses tatsächlich gelöscht werden oder nur der
Zugang zu ihnen heruntergefahren wird. Auf jeden Fall ist das Verges-
sen ebenso ein Teil der Neuroplastizität wie das Lernen, das wir ein
Leben lang praktizieren können.

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Warum wir uns verändern – oder auch nicht

Neurogenese  Nervenzellen wachsen nach


Jahrzehnte lang meinte man, Nervenzellen könnten zwar absterben,
aber sich nicht regenerieren. Diese Ansicht wurde auch dann noch von
führenden Hirnforschern verteidigt, als sich immer mehr Indizien für
die gegenteilige Annahme sammelten.

Im Jahr 1998 erbrachte der schwedische Neurologe Peter Ericsson von


der Sahlgrenska-Universitätsklinik in Göteborg erstmals den Nach-
weis, dass sich auch im Erwachsenengehirn neue Zellen bilden kön-
nen. Heute stellt die Erforschung der adulten Neurogenese, das heißt
der Bildung neuer Zellen im Gehirn von Erwachsenen, nach Ansicht
von Gerd Kempermann eines der großen Themen der modernen Neu-
rowissenschaften dar.

Kempermann ist wissenschaftlich tätiger Arzt und Privatdozent. Er


leitet die Arbeitsgruppe „Neuronale Stammzellen“ am Max-Delbrück-
Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch sowie die
Forschungsgruppe „Neurogene Permissivität“ der Volkswagen-Stif-
tung an der Berliner Charité.

Es genügen offenbar bereits wenige neu gebildete Zellen, um die


Netzwerk-Architektur des Gehirns zu verändern, vorausgesetzt, dass
sie am richtigen Ort entstehen, am Hippocampus. Dort werden vom
Gehirn die eingehenden Sinneswahrnehmungen räumlich und zeitlich
sortiert und mit Gefühlen verknüpft. Eine verhältnismäßig geringe
Zahl von Nervenzellen entscheidet darüber, wie die weitere Verarbei-
tung im Gehirn vor sich geht.

Neue Neuronen werden aber nur dann in das Netzwerk des Gehirns
integriert, wenn sie gebraucht werden, das heißt, wenn neue Reize und
Informationen zu verarbeiten sind. Diese können auch aus körperli-
chen Betätigungen resultieren. Wer also im Alter fit bleiben will, sollte
nicht nur seinen Verstand, sondern auch seinen Körper trainieren und
sich immer neuen Herausforderungen stellen.

Wie die Hirnforschung nachgewiesen hat, kann man zum Beispiel


durch Übungen wie Jonglieren auch im erwachsenen Gehirn eine
Zunahme von Nervenzellen in bestimmten Regionen erreichen, die
sich allerdings nach einer Trainingspause wieder zurückbilden. Das

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Neurogenese  Nervenzellen wachsen nach

Gehirn ist also, wie jedes andere Organ auch, formbar und veränder-
bar. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass sich zum Beispiel
durch das Erlernen einer Fremdsprache die Dichte der Hirnzellen
merklich erhöht.

Die Neurogenese ist ein wesentlicher Teil der Hirnplastizität, die sich
auf drei Stufen abspielt. Aufgrund neuer Reize können sich innerhalb
von Sekunden bereits vorhandene Synapsen zwischen den Neuronen
verstärken. Das ist notwendig, um sich an etwas soeben Geschehenes
sofort erinnern zu können. Weiter können im Verlauf von Stunden
neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen entstehen, indem neue
Synapsen wachsen und so neue Verschaltungen herstellen. Auch das
dient wieder den Gedächtnisfunktionen.

Damit neue Zellen im Rahmen der Neurogenese im Gehirn nach-


wachsen, braucht es einige Tage, das führt dann aber auch zu nach-
haltigen Veränderungen – und bildet somit eine Schlüsselfunktion
für das Lernen.

Worauf es ankommt, ist, dass der Lernende ein Erfolgserlebnis hat,


denn nur dann springt sein Belohnungssystem an und die Bereitschaft
zu weiterem Lernen wächst.

Die Bedeutung der Plastizität unseres Gehirns wird in unserer Gesell-


schaft, in der Wirtschaft, aber auch von den einzelnen Menschen im-
mer noch nicht richtig erkannt. In der Regel werden wir stets auf das
reduziert, was wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gelernt und
erfahren haben, also auf das, was wir sind. Viel wichtiger ist es aber,
den Blick darauf zu richten, was jeder Einzelne in Zukunft noch sein
könnte, wenn er neue Erfahrungen macht und Neues lernt. Dieses
Zukunftspotenzial wird einfach unterschätzt, weil man sich mit dem
Status quo zufrieden gibt.

Wir wissen anhand medizinischer Beispiele, dass Menschen nach


Kopfverletzungen, Schlaganfällen oder anderen Gehirnerkrankungen
nicht nur Schäden davongetragen haben, sondern auch vollkommen
neue Talente und Fähigkeiten entwickelten. Manche konnten plötzlich
hervorragend zeichnen und malen, andere begannen zu musizieren.

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Warum wir uns verändern – oder auch nicht

Aber es gibt auch Fälle, in denen der feste Entschluss eines Menschen,
sein Leben zu verändern, auch zu Änderungen seines Denkens und
seiner Denkleistungen geführt hat. Natürlich stellen sich solche neuen
Leistungen oder auch die Steigerung vorhandener Fähigkeiten nicht
von selbst ein. Es geht auch nicht darum, zu versuchen, nicht vorhan-
dene Fähigkeiten zu erzwingen, sondern vorhandene Fähigkeiten aus-
zubauen und jedem Menschen die Chance zu geben, neue Seiten an
sich selbst zu entdecken.

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Gewöhnung – wie stark uns der Alltag
formt
Der Wiener Musiker und Kabarettist Georg Kreisler beendet sein Lied,
das den Titel trägt „Sie sind so mies“, mit folgenden Zeilen:
„Sie sind so mies, so beharrlich mies –
Ach, ich habe mich bis heute an die grundlos miesen Leute
einfach ums Verrecken nicht gewöhnt!“

Damit unterscheidet sich Georg Kreisler ganz deutlich von der Mehrzahl
seiner Mitmenschen. Die meisten sind durchaus in der Lage, sich auch an
miese Menschen zu gewöhnen, die eine Autoritätsfunktion haben.

Gewöhnung oder Habituation bedeutet nichts anderes, als dass ein be-
stimmter, meist äußerer Reiz seine Wirkung auf das Nervensystem ver-
liert, weil er sehr häufig oder sehr gleichförmig auftritt, weil er bedeu-
tungslos oder auch für das Individuum folgenlos ist.

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Gewöhnung – wie stark uns der Alltag formt

Auch Ungewöhnliches kann zur Gewohnheit werden


Nervenzellen haben ein ganz bestimmtes Verhalten. Wenn man eine
Gruppe von Nervenzellen einem sehr gleichförmigen, immer wieder
auftretenden Reiz aussetzt, wird nichts Besonderes passieren. Die Ner-
venzellen werden immer ein bisschen erregt, aber ob die Dinge über-
schwellig werden, in andere Nervensystem-Abschnitte hineingeleitet
werden, ist fraglich.

Mischt man aber einen häufigen, sehr gleichförmigen Reiz mit einem
seltenen Reiz, dann führt dieser seltene Reiz schon dazu, dass das Ner-
vensystem deutlicher aktiviert wird. Will man also in einer Ereig-
niskette eine besondere Information vermitteln, muss man sie mit
einem ungewöhnlichen Reiz verbinden.

Wenn es zum Beispiel eine ganz bestimmte Reihenfolge von Tönen in


einer sehr einschläfernden Musik gibt, passiert nichts. Klingelt dann
plötzlich das Telefon, dann ruft dieses Telefon als sehr ungewöhnlicher
Reiz eine massive Erregung des Nervensystems hervor, es führt zu
einer Wachreaktion, und alle nachfolgenden Dinge werden zunächst
einmal viel deutlicher wahrgenommen.

Klingelt aber das Telefon alle drei Minuten, dann wird der Telefonreiz
nicht mehr als etwas Besonderes, Neues wahrgenommen, sondern nur
noch als etwas Lästiges. Und dieser Reiz tritt in den Hintergrund, man
fängt an, dieses Geräusch zu ignorieren. Es tritt eine so genannte Habi-
tuation ein. Daraus folgt, die Mischung aus häufigen Reizen mit selte-
nen Reizen, mit ungewöhnlichen Reizen, in nicht zu häufiger Folge ist
das Geheimnis dafür, den Aufmerksamkeitsgrad einer Person in einer
bestimmten Situation aufrechtzuerhalten.

Wichtige Ereignisse, die an eine Person vermittelt werden sollen, müs-


sen in einer richtigen zeitlichen Reihenfolge zu starken Reizen platziert
werden. Die Ereignisse können entweder unmittelbar vor einem star-
ken, ungewöhnlichen Reiz platziert werden, dann werden sie beson-
ders gut erinnert. Oder sie müssen erst später nach dem starken Reiz
kommen, denn unmittelbar nach einem solchen Reiz geraten die In-
formationen oder Ereignisse in Vergessenheit, weil das Nervensystem
zunächst einmal damit beschäftigt ist, den ungewöhnlichen Reiz zu
verarbeiten.

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Auch Ungewöhnliches kann zur Gewohnheit werden

Dieses Erregungssystem basiert auf einem Phänomen, das Neurowis-


senschaftler als P 300 bezeichnen. P 300 ist eine Erregungswelle, die
man mit Messungen der Bioelektrizität nachweisen kann, die nach
300 Millisekunden auftritt, wenn zum Beispiel Reize so gemischt
werden, dass der eine Ton zu 80 Prozent auftritt und der andere Ton
nur zu 20 Prozent. Dann tritt jeweils auf den seltenen Ton hin nach
300 Millisekunden eine deutliche Erregung auf, die mehrere Hundert
Millisekunden andauert.

Wenn nun der Reiz ganz ungewöhnlich ist, wenn zum Beispiel zu-
nächst Gesichter von Kindern selten gezeigt werden, häufiger von Er-
wachsenen, und plötzlich ein Bild von einem Gorilla kommt, dann ist
dieser Reiz ein so genannter Shock Novel Reiz.

Zur Steuerung der Reizverarbeitung hat das Gehirn ein relativ simples
System. Wir wollen ja nicht jeden Moment wissen, ob uns der Schuh
drückt, den wir gerade tragen, oder die Kleidung ein wenig kneift, weil
wir zu dick geworden sind, sondern wir wollen das wahrnehmen, was
für uns wichtig ist. Das heißt, alle unsere Sinnesorgane werden eigent-
lich permanent mit Informationen versorgt, trotzdem wird die Wahr-
nehmungsebene im Gehirn das für uns Wichtige oder von uns Ge-
wünschte im Moment hervorheben.

Es gibt im Gehirn ein System, das Formatio reticularis genannt wird.


Es ist etwa vergleichbar mit einem Scheinwerfer in einem Zirkuszelt.
Auch in einem Zirkus passiert sehr viel, das Publikum ist unruhig, es
sind vielleicht interessante oder schöne Personen im Publikum und in
der Manege passiert vielleicht auch etwas, aber das wichtige Geschehen
ist oben am Trapez, und dieses Geschehen wird mit einem Scheinwer-
fer angestrahlt.

Ähnlich ist es im Gehirn. Wir geben einem ganz bestimmten Sinnes-


reiz Vorfahrt, in die höheren Bereiche des Gehirns vorzudringen. Und
wenn dieser Sinnesreiz dort angelangt ist, dann passiert plötzlich etwas
ganz Gewaltiges. Dieser Sinnesreiz wird verglichen mit alten Informa-
tionen, mit alten Emotionen, und dann wird der Sinnesreiz für uns
mit einem ganz bestimmten wichtigen Attribut belegt: Das ist schön.
Es ist rührend. Das ist wichtig.

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Gewöhnung – wie stark uns der Alltag formt

Wie gut dieses System funktioniert, sieht man sofort, wenn in einer
solchen Situation zum Beispiel ein Schmerzreiz appliziert wird. Ein
Schmerzreiz hat dann Vorfahrt und lenkt uns innerhalb von Sekunden
von dieser Sache ab. Es gibt bestimmte Sinnesreize, die immer Vor-
fahrt haben, und dazu gehört der Schmerzreiz.

Zwischen wichtig und unwichtig entscheiden


Kinder gewöhnen sich an Schimpfkanonaden unfähiger Mütter und
Väter, wenn man auf diese Weise „erzogen“ wird, auch wenn dies viel-
leicht langfristig unbewusst Folgen für das Sozialverhalten hat. Arbeit-
nehmer gewöhnen sich an die Drohungen cholerischer Chefs, wenn
diese ihre angedrohten Sanktionen nie wahr machen.

Der Mensch ist in der Lage, sich an vieles zu gewöhnen, an Verkehrs-


lärm und an Eisenbahnzüge, die an seinem Schlafzimmerfenster vor-
beirasen. Er schreckt nur dann aus dem Schlaf auf, wenn ein Zug
einmal ausfällt. Der Mensch gewöhnt sich an eine bestimmte Ernäh-
rung, an einen bestimmten Zeitrhythmus und auch an Armut. Aber
es sind nicht nur die negativen Dinge im Leben, bei denen Gewöh-
nung einsetzt.

Gewöhnung wirkt auch in die entgegengesetzte Richtung. So gewöh-


nen wir uns an Wohlstand, Reichtum und Gesundheit, mit dem Er-
gebnis, dass sie den vom Glück Begünstigten nichts mehr bedeuten.
Mit dem Ergebnis, dass Geld, Reichtum und Luxus den Menschen
letzten Endes nicht glücklicher machen.

Der Verhaltenspsychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel


Kahneman kam deshalb zu dem Ergebnis „Momente schlechter Stim-
mung dominieren den Alltag der Reichen und Erfolgreichen“. Sein
Ratschlag lautete deshalb „Kauf dir keine Villa und kein tolles Auto.
Fahre in den Urlaub, verschenke Blumen, feiere Partys!“

Es kommt darauf an, die Gewöhnung durch immer neue Erfahrungen


zu durchbrechen und dem Gehirn die Gelegenheit zu geben, immer
neue Reize zu verarbeiten.

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Das Gehirn kennt nur fünf
Verhaltensmuster
Auch wenn die meisten Menschen davon überzeugt sind, über ein großes
Repertoire unterschiedlichster Verhaltensweisen zu verfügen, die sie je-
weils nach dem verfolgten Ziel oder der Situation, in der sie sich befinden,
einsetzen können, lassen sich doch fünf Grundmuster erkennen, die im
Prinzip nur variiert werden.

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Das Gehirn kennt nur fünf Verhaltenmuster

Die Unmöglichkeit, sich nicht zu verhalten


Der inzwischen leider verstorbene Psychologe Paul Watzlawick stellte
fest, dass man nicht nichtkommunizieren kann, und dasselbe gilt auch
für das Verhalten. Man kann sich nicht nichtverhalten.

Das älteste Verhaltensmuster des Menschen ist sicherlich die Flucht. Es


war in der Anfangszeit der Menschheit gewiss immer günstiger abzu-
hausen, als gefressen zu werden. Nur wenn die Flucht unmöglich war,
entschied sich der Mensch standzuhalten oder, in Vorwegnahme einer
ungünstigeren Verteidigung, auch anzugreifen.

Als die Menschen dann begannen, nicht mehr nur als Jäger und
Sammler zu leben, sondern als Bauern sesshaft zu werden oder als
Viehzüchter mit ihren Herden durch die Weidegründe zu ziehen, ge-
wannen zwei neue Verhaltensweisen an Bedeutung, die Anpassung an
die Umwelt und die Veränderung der Umwelt.

Bereits als die Menschen die ersten Formen von Kultur entwickelten,
woran zum Beispiel die Höhlenmalereien erinnern, begannen sie damit,
bestimmte Ereignisse, aber auch ihre eigenen Verhaltensweisen umzu-
deuten. Die Blitze, die vom Himmel fuhren, waren nicht mehr nur un-
erklärliche Naturereignisse, sondern die Äußerung eines zornigen höhe-
ren Wesens, das man durch Opfer besänftigen konnte. Bestimmte
Handlungen und Rituale erhielten plötzlich eine ganz neue Bedeutung.

Das Repertoire der fünf Verhaltensmuster


Dieser Schnelldurchmarsch durch die Entwicklungsgeschichte der
Menschheit soll keine endgültigen Erklärungen liefern, sondern zu-
nächst nur deutlich machen, dass der Mensch über fünf grundlegende
Verhaltensmuster verfügt, mit deren Hilfe er in allen Lebenssituatio-
nen klarzukommen versucht.

Fliehen – etwas besseres als den Tod findest du überall


Das Zitat „Etwas besseres als den Tod findest du überall …“ stammt
aus dem Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ der Gebrüder

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Das Repertoire der fünf Verhaltensmuster

Grimm. Vier Tiere, ein Hahn, eine Katze, ein Hund und ein Esel be-
finden sich auf der Flucht vor ihren Besitzern, die sie töten wollten,
weil sie alt und für diese unnütz geworden sind.

Die Tiere beschließen, gemeinsam ein neues Leben zu beginnen. Aus


einer bestimmten Situation zu fliehen, bedeutet also nicht, ein Leben
lang auf der Flucht zu sein, sondern kann auch der Beginn eines Neu-
anfangs sein.

Zunächst einmal ist Fliehen aber ein ungeplantes, reaktives Ver-


halten, um sich aus einer bedrohlichen, gefährlichen oder unange-
nehmen Situation zu befreien. Das Fluchtverhalten wird nicht ratio-
nal vom Verstand gesteuert, sondern ist emotional durch Angst oder
Panik begründet. Fluchtverhalten wird weniger durch ein Ziel, das
man erreichen will, begründet als durch die Situation, in der man
sich befindet.

Flucht wird häufig mit dem Begriff Feigheit negativ besetzt. Doch das
ist falsch, denn das Fluchtverhalten selbst kann von demjenigen, der
flieht, nicht mehr rational kontrolliert werden. In unserer Gesellschaft
führt Existenzangst unter anderem durch die Flucht aus der Realität zu
irrationalem und für den einzelnen schädlichem Verhalten, wenn je-
mand zum Beispiel Ratenzahlungen einstellt oder nicht mehr bereit
ist, seine Wohnung zu verlassen.

Natürlich kennen wir auch die Flucht aus Partnerschaften, die meist
aus Angst vor Gewalt stattfindet, und die Flucht aus dem Job, wenn
Mobbingopfer „ohne Grund“ kündigen, ohne eine neue Tätigkeit in
Aussicht zu haben. Auch die Flucht in eine Krankheit, also der Zu-
stand des Krankseins, kann unbewusst als Befreiung aus einer uner-
träglichen Situation erlebt werden.

Niemand flieht ohne Grund oder wenn er noch einen anderen Ausweg
sieht. Jede Flucht sollte als Chance für einen Neubeginn gesehen wer-
den. Deshalb sollte Fliehen auch keine dauernde Lebenshaltung dar-
stellen. Das Fluchtverhalten selbst kann allerdings krankhafte Züge
annehmen, wenn sogar kleinste Belastungen vermieden werden.

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Das Gehirn kennt nur fünf Verhaltenmuster

Standhalten als Fels in der Brandung


Standzuhalten ist die Alternative zum Fliehen. Wer standhält, stellt
sich dem Kampf oder der Auseinandersetzung. Wer standhält, handelt
zielorientiert, fokussiert und hat seine Reaktionen unter Kontrolle.

Standzuhalten kann emotional begründet sein und durch Traditionen


gestützt werden, erwächst aber in erster Linie aus einem Zusammen-
spiel des Belohnungs- und des Entscheidungssystems. Wer standhält,
verfügt in der Regel über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, Disziplin
und strategisches Denken.

Wer sich entschließt, standzuhalten, tut dies in der Regel planmäßig


und wohlkalkuliert. In den meisten Fällen soll die Strategie des Stand-
haltens zu einem Sieg oder zumindest zu einem Erfolg führen. Sie
kann jedoch auch als Opfer für die Gemeinschaft verstanden werden
wie die Schlacht bei den Thermopylen, bei der der spartanische König
Leonidas mit 300 Soldaten das persische Heer aufgehalten haben soll,
um den Rückzug des griechischen Hauptheeres zu decken.

Anpassen – nach dem Regen scheint wieder die Sonne


Anpassen bedeutet hier das Gegenteil von Verändern. Auf äußere Ein-
flüsse durch die Variation des eigenen Verhaltens und der eigenen
Handlungen zu reagieren, ist eine Basisstrategie der Menschen. Die
Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Lebensbedingungen
hat wahrscheinlich ihr Überleben gesichert.

Anpassung erfordert Orientierung an der Gegenwart und eine flexible


Verhaltensweise. Ob es nun um die Anpassung an die verschiedenen
klimatischen Bedingungen geht, um die Anpassung an eine andere
Nahrung oder um die Anpassung an soziale Gruppen oder sich verän-
dernde Gesellschaftsformen, stets spielt das Lernen und damit die Pla-
stizität des Gehirns die Hauptrolle.

Verändern – nur so geht es


Während das Anpassen als passives Verhalten eher negativ besetzt ist,
auch wenn es sich rational begründen lässt, gilt die Veränderung als

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Das Repertoire der fünf Verhaltensmuster

aktives und gestaltendes Verhalten als positiv. Etwas nicht hinzuneh-


men, neue Lösungen zu suchen und diese durchzusetzen, rückt das
Verändern in die Nähe des Standhaltens. Auch Veränderungen beru-
hen auf dem Lernen und der Plastizität des Gehirns, beinhalten aber
auch gleichzeitig Vorstellungen von Kreativität und schöpferischem
Denken.

Eine Veränderung kann natürlich auch negative Folgen haben, doch


wird sie gemeinhin als Chance für eine Weiterentwicklung zum Guten
gesehen. Veränderungen in der Gesellschaft als Teil der kontinuierli-
chen Fortentwicklung sind heute eine Selbstverständlichkeit. Ebenfalls
erwarten wir, dass die Technik sich verändert und sich den neuen
Wünschen der Konsumenten und Benutzer anpasst.

Doch wurden Veränderungen von den Menschen keineswegs schon


immer als positiv angesehen, sondern sind eher eine Erfindung der Auf-
klärung und der Industrialisierung. Im Mittelalter gehörte es zum Bei-
spiel zu den Aufgaben der Zünfte, darauf zu achten, dass kein Hand-
werksmeister Methoden oder Verfahren einführte, die eine schnellere,
bessere oder billigere Produktion von Gütern zur Folge gehabt hätte.

Der Erhalt des Bestehenden, auch wenn er mit Nachteilen verbunden


war, wurde als Wert an sich betrachtet. So ist es auch nicht verwunder-
lich, dass Wissenschaft und Forschung zu jener Zeit nur im Verborge-
nen blühen konnten und auch nur dann, wenn sie zum Nutzen der
Herrschenden waren.

Umdeuten – ich schaff mir meine Welt, wie sie mir gefällt
Umdeuten bedeutet, einem Sachverhalt einen neuen Sinn zu geben
oder ihn anders zu interpretieren. So kann man aus persönlichen
Schwächen durchaus auch Stärken machen. Man muss nur den Blick-
winkel ändern. Ist ein Glas Wasser nun halbvoll oder halbleer? Der
Optimist deutet den Sachverhalt anders als der Pessimist.

Wie wir bestimmte Ereignisse in der Welt deuten, hängt von unserer
emotionalen Verfassung, von unseren Erinnerungen, von der Aktivität
des Belohnungssystems und unserem Wertesystem ab. Durch das
Deuten oder auch Umdeuten geben wir der Realität nicht nur einen

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Das Gehirn kennt nur fünf Verhaltenmuster

ganz bestimmten Sinn, sondern stellen auch Zusammenhänge zwi-


schen Ursache und Wirkung her.

Wahrscheinlich kennen Sie den Irrenwitz, in dem ein Mann ständig in


die Hände klatscht. Als er gefragt wird, warum er das tut, antwortet er
„damit die Elefanten vertrieben werden“. Daraufhin sagt sein Ge-
sprächspartner „Aber hier sind doch gar keine Elefanten“. Die Antwort
ist: „Sehen Sie, es wirkt“.

Wahrscheinlich müssen wir akzeptieren, dass die Menschen und deren


unterschiedliche Gehirne auch andere Sinnzusammenhänge konstru-
ieren, die es ihnen in der Regel leichter machen, das eigene Leben zu
bewältigen. Solange dadurch kein Schaden entsteht, sollten wir ande-
ren die entsprechende Freiheit geben, aber sie auch für uns selbst be-
anspruchen.

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Warum wir tun, was wir tun – die Ur6
sachen des ganz alltäglichen Wahnsinns
In den beiden vorhergehenden Kapiteln wurde dargestellt, wie stark Ge-
wöhnung unseren Alltag formt, und dass das Repertoire der grundsätzli-
chen Verhaltensmuster beschränkt ist. Beides führt dazu, dass wir mit
schöner Regelmäßigkeit in Situationen kommen, die uns zwar nicht beha-
gen, an denen wir aber auch nichts ändern können, oder genauer gesagt,
wir glauben nichts ändern zu können.

Denken Sie nur an denn allmorgendlichen Stau auf der Autobahn auf
dem Weg zur Arbeit oder an die überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel.
Warum tun wir uns das an? Einerseits ist es die Konsistenz, also die Be-
ständigkeit, die unser Verhalten bestimmt, und andererseits das situative
Verhalten. Wenn eine Situation erst einmal eingetreten ist, wir also auf
der Autobahn den Stau erreicht haben, gewinnt die Situation Macht über
uns. Ganz offensichtlich ist es viel leichter, nur zu reagieren, statt in Vor-
wegnahme eines kommenden Ereignisses von vornherein nach Alternati-
ven zu suchen.

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

Konsistenz – ich bleibe dabei


Drei Grundannahmen bestimmen unser Leben von Anfang an. Sie
lauten:
1. Es ist für mich richtig.
2. Es ist für mich möglich.
3. Ich will es für mich.

Es ist für mich richtig


Die Annahme, dass es für mich richtig ist, beginnt schon bei den ein-
fachsten Empfindungen eines Neugeborenen. Es ist für das Kind rich-
tig, keinen Hunger und keinen Durst zu haben, und irgendetwas ist
falsch, wenn diese Gefühle auftreten. Für das Kind ist es auch richtig,
wenn es nicht zu warm oder zu kalt ist und wenn es die Nähe der Mut-
ter spüren kann.

Bei der Annahme „Es ist für mich richtig“ handelt es sich also nicht
um irgendein abstraktes Rechtsempfinden oder um die Wirkung ir-
gendwelcher moralischer und gesellschaftlicher Normen, sondern um
ein ganz konkretes Körpergefühl, auf dem im Laufe der Zeit immer
komplexere Gefühle aufbauen, die später mit den verbindlichen Nor-
men der Gesellschaft verknüpft werden.

Nicht nur dem Neugeborenen liefern seine Gefühle den Maßstab da-
für, ob das, was mit ihm geschieht und was ihm widerfährt, richtig
oder falsch ist. Diese Gefühle halten auch ein Leben lang an. Sie kön-
nen sich in Form von bewussten Gedanken äußern, aber auch durch
Migräneattacken, und Rücken- oder Magenschmerzen, die uns signali-
sieren, dass irgendetwas falsch läuft.

Es ist für mich möglich


Auch die Annahme „Es ist für mich möglich“ taucht schon in den
frühesten Momenten unseres Erdenlebens auf. Denn wir machen
wahrscheinlich als eine der ersten Erfahrungen die, dass etwas, das
falsch ist, sich ändern lässt. Wenn man hungrig ist, kann man gesättigt

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Konsistenz – ich bleibe dabei

werden, und Durst kann man stillen. Voraussetzung ist, dass man laut
genug schreit.

Die Empfindung, dass etwas geschieht, das wir als richtig empfinden,
und dass wir selbst daran beteiligt sind, es möglich zu machen, veran-
kert sich wahrscheinlich sehr früh in unserer Vorstellungswelt. Natür-
lich bauen auch auf dieser Erfahrung die weitaus komplexeren Gedan-
kenmuster des späteren Lebens auf.

Hier setzt wahrscheinlich auch schon die zunächst noch diffuse


Vorstellung ein, nach dem Wenn-dann-Prinzip Vorhersagen treffen zu
können. Auch das Prinzip Hoffnung baut darauf auf. Würden wir nicht
mit dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses rechnen, gäbe es für
die meisten Menschen wahrscheinlich keine Hoffnung, und damit
würde auch die wichtigste Antriebskraft für das Glücklichsein entfallen.

Ich will es für mich


Aus der Erfahrung, dass sich eine falsche Situation in eine richtige
ändern lässt, entsteht wahrscheinlich auch die Überzeugung, dass man
dies durch den eigenen Willen herbeiführen kann. Jeder weiß, dass
Säuglinge sich bemerkbar machen, wenn sie etwas wünschen. Dabei
machen sie die Erfahrung, dass ein solcher Wunsch in der Regel auch
befriedigt wird, und das verstärkt jedes Mal das Grundmuster, dass
man nur etwas wollen muss, um es auch zu bekommen. So wird nicht
nur der eigene Wille, sondern auch das Belohnungssystem trainiert.

Die Grundannahme, dass es etwas Richtiges und Falsches gibt, spiegelt


sich in der Vorstellung von Gut und Böse in allen Mythen und Religio-
nen wider. Auch die Vorstellung, dass sich etwas verändern lässt und
dass diese Veränderungen auf dem Willen beruhen, finden wir dort.

Doch leider gibt es zwischen diesen Grundannahmen unseres Lebens


und der alltäglichen Wirklichkeit eine Diskrepanz. Diese bezieht sich
hauptsächlich darauf, dass etwas möglich ist, und sie entsteht dadurch,
dass das Gehirn eben nicht perfekt ist und sich deshalb auch irren
kann. Doch leider ist die Rechthaberei ein Lieblingssport unseres Ge-
hirns.

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

Das Gehirn kann sich irren


Die Möglichkeiten, sich zu irren, sind in höchstem Maße vielfältig.

Da gibt es zunächst einmal falsche Wahrnehmungen. Wir alle wissen,


dass es optische Täuschungen gibt, doch die haben eher nur Unterhal-
tungswert. Falsche Wahrnehmungen sind eher dann problematisch,
wenn unsere Aufmerksamkeit auf die falschen Dinge gelenkt wird. Wir
verhalten uns oft wie ein Autofahrer, der während der Fahrt im Hand-
schuhfach nach einer ganz bestimmten CD sucht und dabei den Ver-
kehr außer Acht lässt.

Unsere Wahrnehmung bereitet uns aber auch Probleme, wenn wir


wichtig mit unwichtig verwechseln. Dieses und ähnliche Themen wur-
den schon bei den Wahrnehmungsverzerrungen angesprochen.

Ebenso oft irrt sich das Gehirn bei der Interpretation von Wahrneh-
mung. Hier spielen die Kompetenzillusion und die Umdeutung von
Tatsachen eine Rolle.

Mir selbst ist es als Fünfjähriger passiert, dass ich die Tragfähigkeit des
Eises auf einem Nebenarm der Elbe dadurch testete, dass ich mit aller
mir zur Verfügung stehenden Kraft einen Stein auf das Eis warf.
Nichts passierte. Also konnte ich das Eis beruhigt betreten. Irrtum.
Kaum war ich einen Meter vom Ufer entfernt, brach ich ein und ver-
sank im Wasser.

Ich hörte auf der weit entfernten anderen Seite des Ufers Leute rufen
„Da ist ein kleiner Junge im Eis eingebrochen“. Ihre Rufe nützten mir
nichts, ich hatte nur den Gedanken, wenn die jetzt meine Mutter holen,
gibt es eine ganze Menge Ärger. Also zog ich mich selbst wieder heraus.
Aber was sollte ich jetzt tun? Ich war bis zur Spitze meiner Pudelmütze
klitschenass und es war verdammt kalt. Also hoffte ich, auf dem Heim-
weg so weit trocken zu werden, dass ich dann zu Hause unbemerkt die
Kleidung wechseln konnte. Aber auch das klappte nicht.

Die erste Frage meiner Mutter, als sie mich sah, war: „Wieso hast du
Entenflott an der Mütze?“ Mit Entenflott bezeichnet man in Nord-
deutschland die kleinen, grünen Wasserlinsen. Dumm, dass ich nicht
dran gedacht hatte. Meine Eltern waren so glücklich, dass ich nicht

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Ich bin, wie ich bin – aber eigentlich bin ich auch ganz anders

ertrunken war, dass sie von jeder Strafe absahen. Und erstaunlicher-
weise habe ich nicht einmal eine Erkältung bekommen.

Sie sehen, dass dieses Erlebnis fest in meiner Erinnerung verankert ist,
während ich mich an vieles andere aus dieser Zeit nicht erinnern kann.
Ich habe aber heute noch großen Respekt vor Eisflächen und begegne
ihnen mit Misstrauen. Andererseits wurde durch dieses Ereignis meine
Überzeugung, auch schwierige Situationen allein meistern zu können,
wahrscheinlich so sehr gestärkt, dass ich mich manchmal selbst über-
schätze.

Gerade Erinnerungen können zu Irrtümern führen. Ebenso falsche


Vorhersagen, wie zum Beispiel meine, die Tragfähigkeit des Eises mit
einem Steinwurf prüfen zu können.

Irrtümer gibt es auch, wenn wir bei bestimmten Entscheidungen fal-


sche Prioritäten setzen und wenn wir falsch handeln. Wenn wir da-
durch in unangenehme Situationen kommen, retten wir uns gern
durch die Umdeutung von Tatsachen, anstatt andere Handlungsalter-
nativen zu wählen. Besonders problematisch wird das soziale Zusam-
menspiel allerdings dann, wenn wir das, war wir für richtig und mög-
lich halten, auf andere Menschen projizieren. Denn die haben oft
genug eine ganz andere Sichtweise der Dinge.

Ich bin, wie ich bin – aber eigentlich bin ich auch
ganz anders
Eigentlich sollte das Zusammenleben der Menschen doch ganz einfach
sein, wenn uns das Gehirn als soziales Organ ermöglicht, verbal und
nonverbal miteinander zu kommunizieren und die emotionalen Be-
findlichkeiten der anderen nachvollziehen zu können. Doch leider
funktioniert es in der Praxis längst nicht so reibungslos, wie es sich in
der Theorie darstellt.

Das beginnt bereits mit der Wahrnehmung der eigenen Emotionen.


Man hat Versuchspersonen Videos von anderen Menschen gezeigt
und sie gebeten, zu beschreiben, was diese wohl empfinden. Die Tref-
ferquote lag, wie erwartet, hoch. Nun hat man die Versuchspersonen

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

gebeten, selbst bestimmte Empfindungen darzustellen und hat diese


ebenfalls per Video aufgezeichnet.

Als man ihnen nach einer gewissen Zeit die eigenen Aufnahmen zeigte
und die Teilnehmer bat, ihre eigenen Empfindungen anhand der Bil-
der zu identifizieren, waren die Ergebnisse deutlich schlechter als bei
den Bildern fremder Personen. Offensichtlich ist der Mensch eher in
der Lage, sich auf andere einzulassen als auf sich selbst.

Ähnlichkeiten beeinflussen die Wahrnehmung


Was bei der Wahrnehmung anderer Menschen und den eigenen Reak-
tionen ebenfalls eine Rolle spielt, ist die Ähnlichkeit der anderen mit
uns selbst. Das ermittelten Neurowissenschaftler an der Harvard Uni-
versity. Wenn die Versuchspersonen über sich selbst und ihre eigenen
Vorlieben, sei es im Hinblick auf Kunst oder auf Essen, nachdachten,
wurde eine bestimmte Hirnregion im präfrontalen Cortex aktiviert.
Das geschah auch, wenn sie die Bilder anderer Menschen betrachteten,
die ihnen ähnlich waren, und Vermutungen über deren Vorlieben
anstellen sollten.

Bestand zwischen den Personen auf den Bildern und den Versuchsper-
sonen keine oder nur eine geringe Ähnlichkeit, wurden die ich-
bezogenen Teile des Gehirns nicht aktiviert, wenn es darum ging, die
Vorlieben der Gezeigten einzuschätzen. Wahrscheinlich benutzen wir
nur Stereotypien, wenn es darum geht, Menschen, bei denen wir keine
Ähnlichkeit erkennen, zu beurteilen. Dabei kann es sich sowohl um
soziale als auch rassische oder religiöse Unterschiede handeln.

Der Chef eines Unternehmens wird also zum Beispiel vermuten, dass
sich seine Mitarbeiter am unteren Ende der Lohnskala eher von unge-
sunden Konserven ernähren und im Fernseher gewalttätige Videos an-
schauen, als ihnen zu unterstellen, dass es sich um Vegetarier handelt,
die ihre Zeit am liebsten im Museum für moderne Kunst verbringen.

Solche Stereotypien müssen zwar statistisch nicht unbedingt falsch


sein, verhindern aber häufig, dass man sich auf einzelne Menschen
persönlich einlässt, weil man sie bereits in eine bestimmte Schublade
eingeordnet hat. Nur weil jeder Vorurteile mit sich herumträgt und

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Ich bin, wie ich bin – aber eigentlich bin ich auch ganz anders

diese gelegentlich den Entscheidungsprozess erleichtern, heißt das


nicht, dass sie auch immer richtig sein müssen. Nicht jeder wild ausse-
hende Motorradfahrer in Lederkleidung ist ein gewalttätiger Rocker,
und nicht jeder im Gewand eines Geistlichen ist Pazifist und Men-
schenfreund, auch wenn die Medien uns das manchmal suggerieren
wollen.

So etwas tue ich nicht 6 situatives Verhalten


Wie schon häufiger erwähnt, spielt die Situation, in der man sich ge-
meinsam mit anderen Menschen befindet, eine große Rolle für die
gegenseitige Wahrnehmung und für das eigene Verhalten. Sozialpsy-
chologen sprechen von situativem Verhalten oder auch von der
„Macht des Ortes“, denn auch unsere Umgebung beeinflusst uns
mehr, als uns bewusst ist.

Der amerikanische Wissenschaftler Philip Zimbardo hat mit seinem


Stanford Prison Experiment schon vor vielen Jahren nachgewiesen,
dass aus einer beliebigen Auswahl von Durchschnittsmenschen durch
die Situation, in die sie gestellt worden sind, einerseits sadistische Auf-
seher und andererseits hilflose Gefangene wurden. Ähnliches hat sich
im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und kürzlich auch in einem
psychiatrischen Krankenhaus in New York wiederholt.

Die Menschen sind nicht so, wie sie zu sein glauben, und sie verhalten
sich in einer anderen Situation auch nicht so, wie sie es in einer vor-
hergehenden von sich angenommen haben. All dies wird durch das
Zusammenspiel der verschiedenen Gehirnsysteme bedingt.

In diesem Zusammenhang hat Matthias Sutter, Verhaltensökonom an


der Innsbrucker Universität, ein interessantes Experiment gemacht.

Wir erinnern uns noch an das Ultimatumspiel, in dem man einer Ver-
suchsperson eine bestimmte Summe Geld zur Verfügung stellte, die
diese mit einer anderen in einem frei zu wählenden Verhältnis teilen
sollte. Derjenige, dem etwas abgegeben wurde, durfte dann entschei-
den, ob er die gebotene Summe annimmt, jeder hätte dann seinen Teil
behalten, oder ob er die gebotene Summe ablehnt, dann hätte keiner
von beiden etwas bekommen.

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

Dieses Experiment ging so aus, dass niedrige Anteile von weniger als
20 Prozent meist abgelehnt wurden, um denjenigen, der einen un-
gerecht behandelt hat, altruistisch zu bestrafen. Prof. Sutter hat dieses
Experiment nun in einigen Details verändert.

Bei ihm gab es zwei Gruppen von jeweils drei Studenten, und gespielt
wurde mit echtem Geld. Die Gruppe A erhielt 60 Euro, die sie auf je-
den Fall behalten durfte, und weitere 60 Euro, die sie mit der Gruppe
B nach Gutdünken teilen sollte. Die Gruppe B durfte wieder die gebo-
tene Summe annehmen oder ablehnen, mit der Folge, dass die zweiten
60 Euro dann nicht ausgeschüttet wurden.

Die Mitglieder der Gruppe B waren über die Regeln informiert und
wussten, dass Gruppe A auf jeden Fall 60 Euro behalten darf, während
sie maximal nur das bekommen konnten, was ihnen die Gruppe A
zugestehen würde. Man hätte nun annehmen können, dass die Gruppe
A großzügig ist und sagt „Wir bekommen mit Sicherheit 60 Euro. Ge-
ben wir die anderen 60 doch an die Gruppe B“. Das war jedoch nicht
der Fall.

Unter den günstigsten Umständen wurden die 60 Euro zwischen den


Gruppen aufgeteilt, in der Mehrzahl der Fälle erhielt die Gruppe B
davon sogar weniger als die Hälfte. Das erstaunliche Ergebnis war je-
doch, dass die Gruppe B niemals auf die ihr angebotene geringe Sum-
me verzichtete. Wie lässt sich dieses Ergebnis erklären?

Erstens zeigt es, dass diejenigen, die ohnehin schon „reich“ sind, kein
Interesse daran haben, mit den Ärmeren fair zu teilen. Zweitens zeigt
es, dass die „Armen“ das nehmen, was ihnen die „Reichen“ zukom-
men lassen. Es spielte bei diesem Experiment im Gegensatz zum Ulti-
matumspiel offensichtlich eine ganz große Rolle, dass die Reichen
ihren Grundbetrag bereits sicher in der Tasche hatten.

Die beiden Studentengruppen fühlten sich im Gegensatz zum Ultima-


tumspiel offensichtlich nicht auf Augenhöhe, sondern in einer gewis-
sen Über- und Unterordnung. Natürlich würde ein emotionsloser
Homo oeconomicus mitnehmen, was zu kriegen ist, aber ein normaler
Durchschnittsmensch muss dafür schon den Schmerz über die
schlechte Behandlung unterdrücken. Im Original-Ultimatumspiel hät-

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Ohne Emotionen leben?

ten die Studenten der Gruppe B sowie die Teilnehmer anderer Expe-
rimente anders gehandelt.

Man kann daraus also ableiten, dass sich das Verhalten der Menschen
mit dem wahrgenommenen sozialen Status verändert. Reiche fordern
mehr für sich und Arme nehmen demütig, was man ihnen gibt.
Schließt man von diesem Experiment auf die Gesellschaft, ist das Er-
gebnis sicherlich erschreckend.

Situatives Verhalten entfaltet aber nicht nur in extremen Situationen


seine Wirkung, sondern auch im ganz normalen Alltag. Wenn man
einem Menschen eine bestimmte Funktion überträgt und bestimmte
Erwartungen an ihn stellt, wird er sich anders verhalten, als wenn er
die eigene Position selbst definieren darf.

Als Chef kann jemand ein harter Hund sein, der seine Mitarbeiter scharf
kontrolliert und vielleicht sogar auch drangsaliert, im Sportverein ist er
hingegen der joviale Kumpel. Oder, um es extremer darzustellen: Wer
als Stasi-Mitarbeiter tagsüber Verdächtige mit brutalen Methoden ver-
hört hat, ist abends ein sensibler Familienvater, der sich rührend um
seine Kinder kümmert und ihnen bei den Hausaufgaben hilft.

Die Plastizität unseres Gehirns ermöglicht es uns, nicht nur berufsbe-


zogen bestimmte Fähigkeiten auszubauen – Taxifahrer haben einen
besseren Orientierungssinn als andere, Musiker beherrschen virtuos
ihre Instrumente –, sondern wir können auch verschiedene Verhal-
tensweisen an den Tag legen, die sich vom Privatleben deutlich unter-
scheiden.

Wenn der Philosoph Richard David Precht die Frage stellte „Wer bin
ich – und wenn ja, wie viele?“, kann man ihm die Antwort geben: „Wir
sind so viele, wie es die Situationen erfordern, in denen wir agieren
müssen“.

Ohne Emotionen leben?


Viele Menschen wünschen sich, dass sie ihre Emotionen besser in den
Griff bekommen und andere nicht immer sofort wissen, was sie fühlen

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

und denken. Aber können Sie sich vorstellen, selbst keine Freude zu
empfinden, wenn Sie ein Geschenk zum Geburtstag bekommen oder
vielleicht sogar den Lotto-Jackpot geknackt haben, und keine Trauer,
wenn Ihr Partner bzw. ein naher Verwandter stirbt oder Sie ein gelieb-
tes Haustier einschläfern lassen müssen?

Wer von der Gefühlsblindheit (Alexithymie) betroffen ist, kann weder


Emotionen empfinden oder beschreiben, noch ist er in der Lage, diese
bei anderen Menschen zu erkennen. Alexithymie ist allerdings keine
Krankheit, und jeder siebte bis zehnte Deutsche ist davon betroffen.
Da diese Menschen nur selten wissen, was ihnen fehlt, fühlen sich die
meisten damit weitgehend wohl.

Auch der beruflichen Karriere steht die Gefühlsblindheit nicht unbe-


dingt im Wege. Daniel Goleman beschreibt in seinem Buch „Emotio-
nale Intelligenz“ einen glänzenden, aber gefühlsblinden Chirurgen.
Und selbst in Berufen, in denen man Emotionen erwartet, wie zum
Beispiel als Grafiker, arbeiten Menschen mit Gefühlsblindheit.

Ein großes Problem, das Gefühlsblinde haben, ist, dass sie ihre nicht
vorhandenen Emotionen trotzdem als körperliche Reaktionen zu spü-
ren bekommen, deren Ursachen ihnen dann allerdings vollkommen
rätselhaft sind. Sie haben Herzklopfen und Schweißausbrüche, wenn
sie in Prüfungen müssen oder Vorträge halten. Und noch schlimmer:
Keine Gefühle zu haben, kann krank machen.

Bei Gefühlsblinden funktioniert die Verbindung zwischen dem limbi-


schen System und dem frontalen Cortex nicht oder nur sehr bedingt.
Konflikte, Stress und Trauer äußern sich dann nicht dadurch, dass
man sich den Ärger von der Seele redet, dass man Trauer und seine
Gefühle mit anderen teilt, sondern häufig nur in chronischen Rücken-
schmerzen, Magenproblemen oder dem Klingeln im Ohr, Tinnitus.
Wer seine Emotionen wahrnimmt, bekommt auch Stressreaktionen in
den Griff. Wem das aber nicht gelingt, ist ihnen mehr oder weniger
hilflos ausgeliefert.

Die Ursachen der Gefühlblindheit können entweder in einem trauma-


tischen Erlebnis liegen, durch das die emotionalen Empfindungen und
Wünsche abrupt isoliert werden, oder weil der Mensch als Kind nicht
die Fähigkeit entwickeln konnte, Gefühle wahrzunehmen und zu zei-

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Die Faszination des Bösen

gen. Offensichtlich muss das Gehirn lernen, die eigenen körperlichen


Empfindungen richtig zu deuten und sie mit den Emotionen zu ver-
knüpfen.

Lange Zeit galt die Gefühlsblindheit als nicht therapierbar. Denn er-
stens muss der Betroffene die Abwesenheit von Emotionen selbst als
Defizit empfinden und zweitens baute die klassische Psychotherapie ja
gerade darauf auf, dass die Patienten ihre Emotionen und Gefühle
offen legten. Heute versucht man es mit Gesprächs-, Körper- oder
Gruppentherapien.

Dabei baut man auf die Plastizität des Gehirns, dass es neue Verbin-
dungen herstellt, die bis dahin nicht bestanden oder gekappt worden
waren. Für die Freunde, Ehepartner oder auch Arbeitskollegen von
Gefühlsblinden ist es schwer, mit diesem Phänomen umzugehen. Und
mit der Aufforderung „Mensch, nun freu dich doch mal und lache“ ist
demjenigen auch nicht geholfen. Denn er weiß gar nicht, wovon die
anderen sprechen.

Die Faszination des Bösen


Psychopathen sorgen für volle Kinokassen und faszinieren das Publi-
kum zumindest solange, wie wir ihnen nur auf der Leinwand begeg-
nen. In den Kill Bill 1 und 2 Filmen von Quentin Tarantino sind fast
alle Hauptdarsteller Psychopathen. Der berühmteste Kino-Psychopath
ist wahrscheinlich Hannibal Lecter aus dem Film „Das Schweigen der
Lämmer“. Aber es gibt sie eben nicht nur im Kino und in der Litera-
tur, sondern auch in der Wirklichkeit.

Der Tübinger Neurobiologe Niels Birbaumer schätzt, dass es in


Deutschland rund eine Million Psychopathen gibt und jeder schon
einmal mit einem solchen zu tun hatte. Mir persönlich fallen drei
Menschen ein, um die ich für den Rest meines Lebens einen großen
Bogen machen werde. Denn das ist der einzige Weg, um mit ihnen
umzugehen.

Die beiden amerikanischen Psychologen Paul Babiak und Robert D.


Hare haben sich wohl am intensivsten mit dem Verhalten von Psycho-

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

pathen befasst, und ihr Tipp lautet: „Halte dich von ihnen fern“. Dabei
können Psychopathen doch so unheimlich nett sein. Aber gerade das
macht sie auch so gefährlich.

Im medizinischen Sinne ist Psychopathie eine schwere Persönlich-


keitsstörung, bei der sowohl spezifische Persönlichkeitszüge als auch
antisoziale oder auch dissoziale Verhaltensweisen zu finden sind. Um-
gangssprachlich werden jedoch auch alle, die nur dissoziale Persön-
lichkeitsstörungen aufweisen, zu den Psychopathen gezählt.

Woran erkennt man nun aber einen Psychopathen? Sind das nur die-
jenigen, die als Serienmörder lebenslang im Gefängnis sitzen? Keines-
wegs. Die Fachleute sind sich einig, dass sich die Mehrzahl von ihnen
in unserer Gesellschaft bewegt und wahrscheinlich zu jenen zählt, die
als besonders erfolgreich gelten. In den USA soll jeder zehnte Topma-
nager ein Psychopath sein.

Zunächst einmal sind sie trickreiche, sprachgewandte Blender mit


oberflächlichem Charme. Sie bestechen andere Menschen durch ihr
souveränes und häufig weltgewandtes Auftreten. Dies entspricht je-
doch nicht wirklichen Gefühlen, sondern ist eigentlich nur die Nach-
ahmung dessen, was sich die Psychopathen bei anderen erfolgreichen
Menschen abgeschaut haben. Dabei haben sie ein erheblich überstei-
gertes Selbstwertgefühl und Anspruchsdenken. Auch das beeindruckt
viele Menschen.

Dass sie dabei pathologische Lügner sind, die jedem das erzählen, wo-
von sie annehmen, dass er es gerade hören will, merkt man natürlich
zunächst nicht. Sie sind auch ständig auf der Suche nach Neuem. Er-
lebnishungrig versuchen sie, das in ihnen herrschende Gefühl der Lan-
geweile und Leere zu kompensieren. Sie unternehmen ständig etwas.
Dabei haben sie in höchstem Maße ein betrügerisch-manipulatives
Verhalten.

Sie versuchen, andere Menschen zu manipulieren und ihren Zwecken


dienlich zu machen. Wer ihnen nicht mehr dienlich ist, wird gnaden-
los fallen gelassen. Dabei haben sie weder Gewissensbisse noch ein
Schuldgefühl. Das macht es ihnen so leicht, andere Menschen auszu-
pressen, zu betrügen und zu missbrauchen.

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Die Faszination des Bösen

Ihnen fehlt jede Form des Einfühlungsvermögens und der Empathie.


Was in anderen Menschen vorgeht, ist ihnen fremd. Denn die Gefühle,
die sie allenfalls oberflächlich zeigen, sind nur die Imitationen dessen,
was sie bei anderen abgeschaut haben und was sie als Instrumente
einsetzen, um ihre Opfer zu manipulieren.

Psychopathen sind auch nicht bereit und in der Lage, Verantwortung


für ihr eigenes Handeln zu übernehmen. Stets suchen sie die Schuld
bei anderen. Dabei haben sie ihr Verhalten nur unzureichend unter
Kontrolle. Psychopathen rasten oft aus. Sie sind auch nicht in der La-
ge, feste Beziehungen dauerhaft einzugehen. Stets handeln sie nur
kurzfristig, ohne ferner liegende Ziele tatsächlich anstreben zu wollen.

Wie können es nun solche Leute schaffen, in Wirtschaft, Gesellschaft


und Politik aufzusteigen? Ihre Hauptinteressen sind Geld, Macht und
Kontrolle, und viele Firmen und Institutionen suchen geradezu nach
Mitarbeitern, die bereit sind, über Leichen zu gehen und eine Blutspur
im Unternehmen zu hinterlassen. Dass solche Typen ihre Kollegen,
Sekretärinnen oder Vorgesetzte nicht einfach niedermetzeln, liegt
nicht daran, dass sie nicht prinzipiell dazu bereit wären, sondern dar-
an, dass sie zu intelligent sind, wegen solcher Taten ins Gefängnis zu
wandern.

Psychopathen mobben und manipulieren solange es ihnen nützt und


zerstören damit jedes Unternehmen. Wer merkt, dass sein Chef oder
sein Kollege die oben genannten Charakterzüge hat, sollte so schnell
wie möglich die Flucht ergreifen. Denn bei den meisten Auseinander-
setzungen wird er den Kürzeren ziehen. Ein Psychopath opfert nur
andere für den eigenen Erfolg, aber nicht sich selbst.

Wenn ein Unternehmen merkt, dass sich in der Chefetage ein Psy-
chopath breitgemacht hat, ist es häufig zu spät. Gute Mitarbeiter sind
längst vertrieben worden und häufig genug basiert der Erfolg des
Unternehmens nur noch auf kriminellen Machenschaften, wie es
zum Beispiel der Anlagebetrüger Bernie Madoff in den USA vor-
exerziert hat.

Psychopathen kann man mithilfe der funktionalen Magnetresonanz-


tomografie sehr gut erkennen. So findet man in ihrem Gehirn keine
Angstreaktion. Aber kein intelligenter Psychopath wäre bereit, sich

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

einem solchen Test zu unterziehen. Natürlich kann man Psychopathen


auch mit anderen Verfahren auf die Schliche kommen, doch werden
sie zum Beispiel bei Fragebögen vermeiden, diese auszufüllen. Und
wenn sie Antworten geben, wären diese sowieso nur gelogen.

Der Psychopath versteht es bestens, im Vorstellungsgespräch charmant


und souverän aufzutreten. Allerdings enthält sein Lebenslauf häufig
falsche Angaben. Damit die Unternehmen verhindern können, dass sie
Psychopathen einstellen, haben Hare und Paul Babiak einen Bewer-
bertest entwickelt. Sie sind dabei von einer Psychopathen-Checkliste
ausgegangen, die ursprünglich bei Gewalttätern verwendet wurde.

Danach zeichnet den Psychopathen aus:


• Oberflächlicher, aalglatter Charme
• Außerordentlich hohes Selbstbewusstein bis hin zur Selbstüber-
schätzung
• Meisterhaftes Lügen
• Gezielte Manipulation anderer Menschen
• Fehlende Schuldgefühle
• Fehlende Emotionen
• Fehlende Verantwortlichkeit
• Unfähigkeit, Fehler einzugestehen
• Parasitärer Lebensstil
• Fehlende Beziehungsfähigkeit, häufiger Partnerwechsel
• Frühkindliche Verhaltensauffälligkeiten
• Fehlende langfristige Lebensziele
• Bedürfnis nach Stimulation durch extreme Handlungen
• Kriminelle Energie
• Impulsivität

Zurzeit gelten Psychopathen noch als therapieresistent, da ihre Hirn-


regionen ein Struktur- und/oder Funktionsdefizit aufweisen. Der beste
Weg, einen Psychopathen zu erkennen und ihn zu entlarven, ist, ihn
zu beobachten. Denn auch ein Psychopath hält es über längere Zeit
nicht durch, sich zu verstellen.

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Kein Anschluss unter dieser Nummer – gestörte Kommunikation

Kein Anschluss unter dieser Nummer – gestörte


Kommunikation
Jeder Psychopath wird seinen Mitmenschen irgendwann Probleme
bereiten. Aber nicht jeder, der uns Probleme bereitet, ist deshalb auch
ein Psychopath. Ich komme mit manchen Menschen einfach nicht klar
und sie nicht mit mir. Früher habe ich angenommen, dass sich dieses
Problem auf rationaler Ebene lösen lassen würde, wenn sich beide
oder wenigstens einer von ihnen Mühe gäbe.

Doch Mühe geben hieß eigentlich immer nur nachgeben, einlenken,


zustimmen. Niemand hat Lust, dauernd nur der Verlierer zu sein, ich
nicht und der andere auch nicht. Also gilt auch hier die Empfehlung,
die schon für den Umgang mit Psychopathen gegeben wurde: Man
geht sich am besten aus dem Weg.

Oft gelingt das aber nicht. Vielleicht ist die Problemperson dummer-
weise der Chef, ein gleichrangiger Kollege oder ein Mitarbeiter, von
dem eine Trennung unmöglich ist. Oft ist auch ein Nachbar das Pro-
blem, und wer will schon seinetwegen Haus oder Wohnung aufgeben?
Nachbarschaftsstreitigkeiten sind in Deutschland eine der häufigsten
Ursachen für Gerichtsprozesse.

Oft genug versucht man, die sich entwickelnden oder bereits beste-
henden Schwierigkeiten mit vernünftigen Argumenten beizulegen und
an den gesunden Menschenverstand zu appellieren. Meist stellt man
dann fest, dass die Auffassungen davon, was vernünftig und rational
ist, ganz erheblich auseinandergehen.

Verlustangst führt zu Wahrnehmungsverzerrungen


Wahrscheinlich ist es so, dass viele Menschen, die sich partiell wie ein
Psychopath verhalten, nur unter Wahrnehmungsverzerrungen leiden.
Was aussieht wie fehlende Verantwortlichkeit oder fehlendes Schuld-
gefühl, beruht oft nur auf der Angst, einen Verlust erleiden zu müssen,
wie bei folgendem Beispiel:

Eine Nachbarin von mir wollte ihr Ferienhaus verkaufen. Wie in vielen
neuroökonomischen Experimenten nachgewiesen, geben die Men-

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Warum wir tun, was wir tun – die Ursachen des ganz alltäglichen Wahnsinns

schen den Dingen, die sie besitzen, einen höheren Wert als denen, die
sie erwerben wollen. Folglich lag der geforderte Preis deutlich über
dem für vergleichbare Objekte. Trotzdem fand sie einen Käufer, der
diesen Preis zahlen wollte, weil ihm nun einmal dieser Ort, dieses
Haus und diese Lage ganz besonders gut gefielen.

Als sich dann meine Nachbarin mit dem Käufer beim Notar traf, um
den Vertrag zu unterzeichnen, machte sie im allerletzten Moment
einen Rückzieher. Ihre Begründung war, wenn der Käufer bereit ist,
den geforderten Preis zu zahlen, dann muss dieser Preis wohl zu nied-
rig sein und der Wert des Hauses noch viel größer. Sie hatte Angst,
übervorteilt zu werden und einen Verlust hinnehmen zu müssen. Dass
vergleichbare Häuser in ähnlicher Lage viel günstiger waren, interes-
sierte sie nicht.

Allerdings war der Käufer nun ebenfalls nicht mehr bereit, den Preis
noch einmal aufzustocken. Er kannte den Markt und hatte sich nun
einmal auf eine bestimmte Summe festgelegt, die seinen Ankerpreis
bildete. Im Ergebnis kam der Handel nicht zustande und meine Nach-
barin versucht nun schon seit Jahren ihr Haus zu einem Preis zu ver-
kaufen, der niedriger ist als der, den sie damals bekommen hätte.

Lügen strengt das Gehirn besonders an


Auch was man oft als Lüge oder Unehrlichkeit betrachtet, entpuppt
sich bei näherem Hinsehen als Wahrnehmungsverzerrung. Lügen ist
nämlich für das Gehirn ein besonders anstrengender Prozess, weil
ständig die Wahrheit unterdrückt werden muss. Leichter ist es für den
„Lügner“, die Wahrheit unter einem anderen Blickwinkel zu sehen
oder einfach bestimmte Dinge zu vergessen und sich daher auf einen
für ihn stimmigen Vorgang in der Erinnerung zu beziehen, dessen
Hergang aber anders war.

Der Verhaltensökonom Dan Ariely hat diverse Experimente zum


Thema Unehrlichkeit gemacht. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass
Menschen bei der Belohnungsvergabe besonders dann unehrlich wer-
den, wenn ein Zwischentauschmittel, in seinem Experiment waren es
Chips, eingesetzt wurde.

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Kein Anschluss unter dieser Nummer – gestörte Kommunikation

In seinem Versuch ging es darum, dass Studenten nach ihrem Erfolg


bei einigen Testaufgaben honoriert wurden. Sie wurden allerdings
nicht kontrolliert, sondern brauchten am Ende nur die erreichte
Punktzahl zu nennen. Dafür erhielten sie aber nicht sofort ihr Hono-
rar, sondern ein paar Spielchips, die sie dann an einem anderen Tisch
endgültig einwechseln konnten.

Die Tendenz, bei der Angabe der erreichten Punktzahl zu den eigenen
Gunsten zu schummeln, stieg durch die Einschaltung der Chips als
Zwischentauschmittel explizit an. Offensichtlich wurde der Fokus vom
„Sozialbetrug“ auf die Ebene „ökonomischer Betrug“ verschoben, mit
dem Ergebnis, dass die Studenten deutlich weniger Gewissensbisse
hatten, sich unkorrekt zu verhalten.

Aus den Wahrnehmungsverzerrungen und dem Unterschied von so-


zialem und ökonomischem Prinzip ergeben sich viele Schwierigkeiten,
die dann von Anwälten gelöst werden müssen. Deren Problem besteht
dann oft darin, ihren Mandanten auf den Boden der Tatsachen zurück-
zuholen, um nicht Prozesse führen zu müssen, die von vornherein
verloren sind. Anwälte gelten deshalb gelegentlich bei ihren Mandan-
ten als „gemein“, weil sie sich nicht rückhaltlos den verzerrten Wahr-
nehmungen der Mandanten anschließen wollen.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt
Der Verstand sieht sich stets als Steuermann, der uns durch das Leben
navigiert. Dass er die Kontrolle hat, ist nur eine Illusion. Tatsächlich ist er
wohl eher ein Laiendarsteller auf einer Volksbühne, der sich bemüht, in
dem Kostüm, in das man ihn gesteckt hat, eine gute Figur zu machen. Die
Bühne, auf der er auftritt, die Kulissen, seine Mitspieler und der Inhalt
des Stücks, all das beeinflusst seine Wirkung.

Wie sehr wir durch unbewusste Kräfte durch das Leben gelenkt werden,
ist uns gar nicht bekannt.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Was uns beeinflusst – die Elemente des Erlebens


Der Frage, welche Werbung wirkt und warum, gehen die Hirnforscher
gemeinsam mit Marketingleuten schon seit den Jahren 2000/2001
nach und inzwischen liegen durchaus praxisrelevante Ergebnisse vor,
die über die Grundlagenforschung hinausreichen.

Auch wenn es zunächst so schien, als würden die Hirnforscher nur


bereits bekannte Tatsachen bestätigen, wie etwa „starke Marken wir-
ken“, so zeichnet sich jetzt doch eine neue Art von Psychologie ab, die
sich immer mehr mit den einzelnen Elementen der Werbung und
ihrer impliziten Wirkungsweise befasst.

Starke Marken wirken, denn sie erzeugen immer die gleichen Muster
im Gehirn. Also muss sich auch feststellen lassen, was dieses Muster
bei den Konsumenten sowohl im Zusammenhang mit einer Biermarke
als auch im Zusammenhang mit einem Haushaltsreiniger erzeugt.
Welcher Reiz sorgt dafür, dass ein Kunde beim Gang durch den Su-
permarkt zu bestimmten Produkten greift und zu anderen nicht? Ist es
allein das Rabatt-Zeichen oder doch mehr?

Professor Ernst Pöppel von der Ludwig-Maximilians-Universität in


München geht davon aus, dass vier Bereiche des Gehirns möglichst
gleichzeitig angesprochen werden müssen, nämlich die Wahrneh-
mung, die Erinnerung, die Gefühle und das individuelle Wollen.

Einen besonders wichtigen Beitrag hat der Diplompsychologe


Dr. Christian Scheier mit dem von ihm entwickelten System des im-
pliziten Marketings geleistet. Dabei greift er zunächst die Vorstellung
auf, dass im Gehirn zwei Systeme, das explizite, bewusste und das
implizite, unbewusste arbeiten, die er mit den Bezeichnungen Pilot
und Autopilot versieht.

Dabei ist für die Entscheidung für oder gegen Marken der Autopilot
am wichtigsten, weil er 95 Prozent des Verhaltens auf der unbewussten
Ebene steuert. Das implizite Marketing geht davon aus, dass der Auto-
pilot zunächst die Bedeutung einer Information entschlüsselt, was
wiederum in zwei Schritten erfolgt. Erst wird geklärt, was es ist, dann
wofür es steht. Danach erfolgt eine Bewertung, ob die eingehende In-
formation für den Rezipienten mit einer Belohnung verbunden ist.

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Erlebtes hat den größten Einfluss auf unser Leben

Grundsätzlich beurteilt das Gehirn Marken und Produkte immer in


einem Kontext, den Scheier den „Framing Effect“ nennt. Beim Erken-
nen und Bewerten von Marken spielt aber nicht nur der Kontext eine
Rolle, sondern auch die Erinnerungen, die Scheier mit „Imprints“
bezeichnet. Diese haben eine neurologische, eine kulturelle und eine
individuelle Ebene.

Der Autopilot ermöglicht es einem Menschen, eingehende Signale


innerhalb von 1,7 Sekunden zu dekodieren. Signale sind deshalb nicht
nur Reize, sondern eine Aktivierung des impliziten Wissens. Die De-
kodierung von Signalen erfolgt auf drei unterschiedliche Arten, die
sensorische, wie etwas aussieht oder sich anfühlt, die semantische, was
es wirklich bedeutet und wofür es steht, und die episodische, wann
und wo es im Zusammenhang mit der eigenen Person Bedeutung er-
langt hat.

Diese Kodierung entspricht den bereits beschriebenen Gedächtnisar-


ten. Die Bedeutung eines Signals basiert auf den vier Bedeutungsträ-
gern Sensorik, Symbole, Episode und Sprache. Zur Sensorik gehören
Formen, Farben, Musik, Geräusche und auch Eindrücke wie Wärme,
Kälte oder haptische Wahrnehmungen. Bei den Symbolen spielen
Gesichter, Figuren, Zeichen und Symbole, aber auch Rituale und Sze-
nerien eine Rolle. Den Episoden sind Geschichten und Archetypen
zuzuordnen und der Sprache natürlich Worte, Wortklänge und Wort-
kombinationen.

All diese Dekodierungsvorgänge finden nicht nur in Bezug auf Pro-


dukte und Werbung statt, sondern auch in Bezug auf Situationen, in
denen wir uns befinden, oder Ereignisse, an denen wir teilnehmen.

Erlebtes hat den größten Einfluss auf unser Leben


Die Bedeutung eines Ereignisses wächst mit der Zahl der Teilnehmer.
Erstaunlich ist dabei immer wieder, dass sich eine Menschenmasse
anders verhält als eine Summe von Individuen. Die Sozialwissenschaft-
ler sind sich heute darüber einig, dass eine Menschenmasse etwas an-
deres ist als einfach nur viele Menschen. Viele Menschen finden sich
zur Weihnachtszeit in den Innenstädten, um Einkäufe zu tätigen, oder

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

zu Beginn der Urlaubszeit auf den Flughäfen, um abzureisen, und


einige Wochen später, um wieder anzukommen. Doch diese Men-
schen verhalten sich nicht wie eine Masse.

Das entscheidende Merkmal für eine Menschenmasse ist die Synchro-


nisation durch einen gemeinsamen Gefühlszustand. Die Gefühle der
Trauer, der Freude, des Glaubens oder der Liebe, wie bei der Love
Parade, lassen die Menschen jubeln, weinen, lachen oder tanzen. Dass
Gefühle ansteckend sind, ist bekannt, und dass man dies auch noch
fördern kann, zum Beispiel durch das gemeinsame Singen von Liedern
oder Hymnen, ebenfalls. Aus neurowissenschaftlicher Sicht haben
solche Aktivitäten allerdings eher eine stärkende Wirkung auf die Er-
innerung als auf das gegenwärtige Befinden.

Menschenmassen haben offensichtlich eine magische Anziehungskraft,


denn sie neigen dazu, zu wachsen. Wo viele Menschen sind, kommen
noch mehr dazu. Einer der Gründe kann sein, dass das Gehirn den
einzelnen Menschen schon seit Urzeiten dafür belohnt, wenn er sein
Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe unter Beweis stellt, indem er
das tut, was andere auch tun.

Menschenmassen wollen sich aber auch „entladen“. Eine Menschen-


masse wird nicht auf Dauer stumm und bewegungslos sein. Diese Ent-
ladung kann sich ebenso in frenetischem Jubel, im kollektiven Wahn
oder auch in einer plötzlich aufkommenden Panik äußern, bei der
manchmal Hunderte zu Tode getrampelt werden. Genau davor haben
viele Organisatoren Angst, und deshalb versuchten gerade in jüngerer
Zeit immer mehr Forscher das Verhalten von Menschenmassen zu
ergründen.

Als Modell diente dabei der Schwarm. Menschenmassen verhalten sich


nicht anders als Tierschwärme, seien es nun Fische, Vögel oder Wan-
derheuschrecken. Auch für den menschlichen Schwarm gelten im
Prinzip nur zwei Regeln. Die eine lautet: Bleibe in Bewegung, und die
andere: Halte eine gewisse Distanz zu den anderen Schwärmern um
dich herum.

Bei Experimenten zeigte sich, dass nach diesen Regeln ganz von allein
und sehr schnell eine bestimmte Formation entsteht. Man nennt sie
Thorus, das ist eine rotierende Walze mit einem Loch in der Mitte.

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Erlebtes hat den größten Einfluss auf unser Leben

Wahrscheinlich werden die meisten Leser sofort daran denken, wie die
Muslime zur Pilgerzeit in Mekka sieben Mal das Heiligtum der Kaaba
umrunden.

Massen scheinen also eine Eigendynamik zu haben, es sei denn die


Teilnehmer marschieren in Reih und Glied. Doch was ist mit unorga-
nisierten Massen? Auch das wurde im Experiment erforscht, und es
zeigte sich, wenn in einem Schwarm nur fünf Prozent der Teilnehmer
ein bestimmtes Ziel verfolgen, bringen sie die restlichen 95 Prozent
dazu, ihnen zu folgen. Ist die Zahl der gezielt Handelnden jedoch klei-
ner, hat sie keine Wirkung auf die Masse.

Andere Untersuchungen, die von Netzwerktheorien ausgingen, kamen


zu dem Ergebnis, dass anders als beim Schwarmverhalten auch die
Zusammensetzung der Masse eine Rolle spielen kann. Dabei hängt es
von dem Schwellenwert eines jeden Einzelnen ab, wann er dem Ver-
halten anderer folgt. Liegt dieser Schwellenwert niedrig, kann das Mas-
senverhalten sehr schnell eskalieren. Liegt der Schwellenwert hoch,
passiert nichts.

Es ist sehr schwer vorherzusagen, ob jemand selbst einen Pflasterstein


wirft, wenn er sieht, dass es ein anderer tut, oder ob er ihn erst wirft,
wenn es bereits Hundert andere machen. Ob es dann zu Ausschreitun-
gen kommt wie in manchen Berliner Stadtbezirken in der Vergangen-
heit oder zu panikartigen Fluchtreaktionen wie in manchen Fußball-
stadien, ist nur schwer zu prognostizieren. Tatsache ist jedoch, dass die
meisten Menschen weder die Ersten noch die Letzten sein möchten.
Die Masse besteht hauptsächlich aus Mitläufern.

Wichtig ist allerdings, dass auch große Massen durch Autoritätsperso-


nen gelenkt werden können, wenn diese anders aussehen als die ge-
sichtslose Masse. Polizisten in Uniformen, schwarz gekleidete Priester
oder buddhistische Mönche in Orange haben eine andere Wirkung als
Zivilisten, allerdings nur bei friedlichen Veranstaltungen.

Doch Menschenmassen folgen nicht nur ihren Gefühlen. Sie verfü-


gen auch über eine ganz eigene Intelligenz. Man nennt sie Schwarm-
intelligenz oder auch Wisdom of the Crowd. Die Menschen sind
auch in großen Gruppen durchaus zu klugen Entscheidungen fähig,

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

wie ein Experiment in den USA gezeigt hat. 5.000 Teilnehmer saßen
dort vor einer großen Leinwand, auf die ein Flugsimulator den Flug
eines Jets projizierte.

Mit farbigen Kärtchen konnte jeder der Teilnehmer das Flugzeug steu-
ern. Eine Kamera nahm die Zahl der empor gereckten Karten auf und
verwandelte sie in einen Befehl an den Flugsimulator. Die 5.000 Teil-
nehmer koordinierten sich unproblematisch so gut, dass das Flugzeug
nicht abstürzte und sogar ohne Schaden landen konnte. Doch auch
diese Selbstorganisation lief nicht ohne ein Gefühl ab. Das Gefühl, es
gemeinsam geschafft zu haben, versetzte die 5.000 Teilnehmer in
rauschhafte Freude.

Das Geheimnis, warum Gefühle und Verhalten ansteckend sind, liegt


in den Spiegelneuronen. Wir wissen ja, dass geistig gesunde Menschen
in der Lage sind, mit anderen mitzufühlen, und sie dieses Mitgefühl,
selbst wenn sie es wollen, nicht ohne Weiteres abschalten können.

Dadurch, dass wir mithilfe dieser Neurone intern Handlungen simu-


lieren und ihren Ausgang vorweg nehmen, können wir auch die Ab-
sicht fremder Aktionen verstehen. Experimente unter dem Einsatz
bildgebender Verfahren wiesen nach, dass die Spiegelungsphänomene
in vielen Hirnregionen vorkommen.

Diese emotionalen Resonanzphänomene kann man, wenn überhaupt,


nur begrenzt mit dem Verstand beeinflussen, denn sie reagieren auf
Signale, die sich einer bewussten Wahrnehmung entziehen. Dadurch
sind sie sehr schnell, erfordern keine Aufmerksamkeit und sind vor
dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen auch in gewisser Weise
unbestechlich.

In der Psychotherapie wird viel mit dem Phänomen der Übertragung


gearbeitet. Übertragung bedeutet, dass jemand ein Gefühl überträgt,
ohne es ausgesprochen zu haben. Wir alle kennen eine solche Situation,
wenn wir einem anderen Menschen gegenüberstehen und plötzlich eine
Aggression gegen diesen verspüren. Die muss nicht aus uns selbst heraus
kommen, weil wir diesen Menschen kennen oder über ihn negative
Informationen haben, sondern wir stellen fest, dass dieser Mensch of-

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Erlebtes hat den größten Einfluss auf unser Leben

fensichtlich eine Aggression gegen uns hat, die er auf uns überträgt. Das
heißt, wir reflektieren quasi ein Gefühl unseres Gegenübers.

Bei Veranstaltungen, sei es nun ein großes Fest, eine Pressekonferenz,


eine Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder ein Parteitag, ist
es außerordentlich problematisch, wenn jemand, der sich vor dem
Publikum produzieren muss, plötzlich bemerkt, dass die andere Seite
gar nicht, falsch oder mit Aggression reagiert. Stellen Sie sich vor, ein
Moderator macht einen Witz und niemand lacht. Beim ersten Mal
geht das. Wenn es aber drei Mal hintereinander passiert und die ersten
Zuhörer ihre Aggression darüber, dass er nicht lustiger oder einfalls-
reicher ist, übertragen, artet die ganze Veranstaltung letztendlich in
eine ganz große Peinlichkeit aus.

Aus neurowissenschaftlicher Sicht kann die Bedeutung der Gefühls-


übertragung bei Veranstaltungen jeder Art gar nicht hoch genug ange-
setzt werden. Solange die Vortragenden auf der Bühne geschulte Mo-
deratoren, Redner oder Entertainer sind, sollten sie durch ihre
Professionalität in der Lage sein, die Gefühlsübertragungen, die sie
auslösen, sehr genau zu kalkulieren und zu kontrollieren.

Deutlich schwieriger wird es jedoch bei Menschen, die ihre Alltagssi-


tuationen selbst nur durch Vernunft definieren und Emotionalität
nicht ins Kalkül ziehen. Oft versuchen sie bei Veranstaltungen jede
emotionale Regung zu unterdrücken. Dabei vergessen sie, dass das
Prinzip „Man kann nicht nichtkommunizieren“ auch für alle Arten
mimischer oder stimmlicher Mikrosignale gilt. Entweder senden sie
ständig sich widersprechende Signale aus, was die Zuschauer verwirren
wird. Oder ihre versteinerten Mienen werden in einer Art und Weise
gedeutet, die nicht zu den von ihnen angestrebten Zielen passt.

Vielleicht werden sich einige Leser noch an den VW-Chef Ferdinand


Piech erinnern, der bei dem Versuch zu lächeln seinen Mund stets so
verzerrte, dass es aussah, als würde er im nächsten Moment zubeißen.
Leider ist kein Mensch in der Lage, sich seiner unbewussten Gedan-
ken, Motive und Wertvorstellungen bewusst zu werden. Also kann er
auch die damit verbundenen Signale nicht kontrollieren.

Deshalb ist es für Personen im öffentlichen Leben durchaus sinnvoll,


einen erfahrenen Berater hinzuzuziehen und sich eventuell auch Mei-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

nungen und Vorschläge anzuhören, die ihnen unangenehm sind und


vielleicht auch nicht in ihr Selbstkonzept passen. Je exponierter eine
Persönlichkeit in der Öffentlichkeit ist, desto beratungsoffener sollte
sie gerade in diesen Dingen sein.

Die Bedeutung von Symbolen und symbolischen


Handlungen
Ein Bereich, den man in seiner Bedeutung für unser Alltagsleben auf
keinen Fall unterschätzen darf, ist der der Symbolik und Mythologie.
Symbole stehen nicht nur, wie wir aus der Psychoanalyse wissen, für
andere Objekte, wie zum Beispiel die Phallus-Symbole, sondern oft
auch für sehr komplexe Sachverhalte, wie der Ring für Freundschaft
und Verbundenheit. In der Werbung sind sie ein wichtiges Element
zur Kodierung von Botschaften.

Viele Symbole wurzeln in den Mythen der Völker oder spiegeln my-
thologische Handlungen und Ereignisse wider. Die Mythen selbst sind
wiederum ein Deutungsmuster für soziale, kulturelle oder religiöse
Sachverhalte. Im modernen Gewand begegnen uns Mythen und Ar-
chetypen praktisch auf Schritt und Tritt, allerdings ohne dass wir uns
dessen bewusst werden.

Es ist sicherlich noch eine große Aufgabe für die Disziplin des Neuro-
marketing, diesen Bereich der Symbole, der Mythen und der Archety-
pen zu entschlüsseln und die entsprechenden Verbindungen im Ge-
hirn nachzuvollziehen. Dass es diese Verbindungen gibt, und dass sie
eine starke Wirkung entfalten, wissen wir ja bereits aus der Untersu-
chung einzelner Marken. Schließlich sind Marken und die mit ihnen
verbundenen Bilder nichts anderes als Mythen und Symbole, die uns
ein Produktversprechen geben.

Wahrscheinlich ist es sogar so, dass Mythen und Symbole wichtige


Instrumente sind, die uns helfen, bestimmte Prozesse des Denkens, des
Erinnerns und des Wahrnehmens effektiver zu gestalten.

Es gibt abstrakte Symbole, wie den Kreis, der für Unendlichkeit, Ge-
schlossenheit, aber auch für Gemeinsamkeit steht. Man trifft sich am

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Die Bedeutung von Symbolen und symbolischen Handlungen

runden Tisch. Oder man hat die Himmelsrichtungen, um die Gegen-


sätze zwischen Ost und West, Nord und Süd zu symbolisieren. Unsere
Sprache ist voller Symbole. Denken wir nur an das Boot, das voll sein
kann und keinen Platz mehr bietet, das aber auch das Symbol für den
Aufbruch zu neuen Ufern sein kann. Es kommt also immer auf den
Kontext an, in den man ein Objekt stellt, um es mit entsprechender
symbolischer Kraft aufzuladen.

Lassen wir doch einfach einmal ein paar Symbole an uns vorüberzie-
hen, um uns ihrer großen Rolle für unsere Denkweise und Vorstel-
lungswelt bewusst zu machen. Das Ei gilt nicht nur als Symbol für
Leben und Fruchtbarkeit, sondern es gibt eine große Zahl von Kultu-
ren, die den Ursprung der Welt ebenfalls in einem Ei sehen. Wenn
etwas Neues entsteht, wird ein Ei aufgebrochen. Das Ei steht aber auch
für einen neuen Gedanken, den man ausbrütet.

Viele Symbole sind kosmischer Natur, so wie Sonne und Mond, aber
natürlich auch die schon erwähnten vier Himmelsrichtungen. Auch
die Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser haben einen starken sym-
bolischen Charakter. Die Sternenbilder spiegeln in den verschiedenen
Teilen der Welt unterschiedliche Mythen wider. Man erkennt den
Orion als Jäger und den großen Bären am Himmel.

In vielen Kulturen werden sogar die Häuser als Abbild des Kosmos
angelegt, was sich dann in ihrer Aufteilung wiederfindet. Manche Dör-
fer sind quadratisch entsprechend den Himmelsrichtungen oder oval,
um dem kosmischen Ei zu entsprechen. Auch das Bild der Zwillinge
hat einen symbolischen Gehalt. Es sind die Geschwister Himmel und
Erde, die sich darin widerspiegeln.

Auch übernatürliche Wesen haben in unserer ach so rationalen und


ökonomisierten Welt durchaus ihren Platz. Die Engel tauchen als Bu-
siness Angels wieder auf und der Höllenhund Cerberus bewacht den
Schatz eines Investmentfonds.

Das Wasser hat fast unendlich viel symbolische Bedeutungen. Es wirkt


lebensspendend, erfrischend, es kann kühlen, es kann verdampfen und
sich in nichts auflösen oder es kann als Flut das Schlechte der Vergan-
genheit hinwegspülen. Die Rettung bietet dann wieder das vorhin
schon erwähnte Boot in Form einer Arche. Die Flut hebt und senkt die

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Schiffe, der Ozean steht für unendliche Weite und Chancen, wie in der
Blue Ocean Strategie, denn wir wissen alle, hinter dem Horizont geht
es weiter.

Ähnlich wichtig wie das Wasser ist das Feuer. Es kann alles verschlin-
gen, aber es lässt sich auch im Feuer Neues schmieden. Feuer spendet
Licht und Wärme, doch man kann sich auch daran verbrennen.

Eine fast unendliche Quelle an Symbolen bietet die Tierwelt. Man


denke nur an das ängstliche Kaninchen, an das geduldige Schaf, an die
listige Schlange oder an die uralte Schildkröte. Das Schwein bringt
Glück, der Stier ist kraftvoll. Wir finden sicherlich für fast jeden Zweck
ein passendes symbolisches Tier.

Aber auch Formen und Orte haben uns schon immer fasziniert. Säu-
len symbolisieren Stolz, Pyramiden Geheimnisse. Die Transparenz
gläserner Bauten entfaltet ebenso einen eigenen Zauber wie dumpfe
Gewölbe einer ehemaligen Burg oder eines Bunkers. Gebäude können
bedrohen oder beschützen. Sie können erheben oder erdrücken. Dabei
kommt es stets darauf an, und das im wahrsten Sinne des Wortes, in
welchem Licht man hinsieht.

Symbolcharakter haben aber nicht nur Dinge und Orte, sondern auch
Handlungen und Handlungsweisen, die mit einer ganz bestimmten
Bedeutung aufgeladen sind. Häufig sind es nur einfache Gesten, wie
eine einladende Bewegung und die Art und Weise der Begrüßung. Wer
darf wem einen Kuss geben und wem nicht? Alles was wir zur Etikette
zählen, hat mehr oder weniger symbolische Bedeutung. Diese steigert
sich dann in Ritualen oder gar in Zeremonien.

Als Rituale kann man alle Handlungen definieren, die einen Menschen
von einem emotionalen Zustand in den nächsten bringen oder ihm
eine neue Bedeutung verleihen. Rituale sind auch immer wiederkeh-
rende Handlungen, die wir im Alltag finden. Eine Zeremonie unter-
scheidet sich von einem Ritual durch den festlichen Charakter und
durch die Einhaltung spezieller Regeln und Abläufe.

Nehmen wir einmal als Beispiel das Händewaschen. Ganz pragmatisch


betrachtet dient es der Reinigung. Symbolischen Charakter erhält es,
wenn es den Menschen auf eine nächste Handlung oder ein bestimm-

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Das richtige Timing 6 der Faktor Zeit

tes Ereignis vorbereitet. Zum Ritual wird das Händewaschen, wenn es


wiederkehrend zum Beispiel im Rahmen religiöser Handlungen vorge-
schrieben ist. Dann kann es auch in spezielle Zeremonien eingebettet
sein. Händewaschen kann auch ganz bestimmte Bedeutungen haben,
zum Beispiel „ich wasche meine Hände in Unschuld“.

Manche Rituale haben nur für bestimmte Gruppen oder in einem


bestimmten Kontext eine Bedeutung. Oft geben sie aber auch den
Menschen einfach nur Sicherheit und Orientierung im Alltag. Viele
Menschen pflegen am Morgen ganz bestimmte Rituale, um sich für
den Arbeitstag vorzubereiten. Durch bestimmte Verhaltensweisen
wird dann am Abend die Arbeitszeit von der Freizeit getrennt, und das
gemeinsame Essen mit der Familie dient nicht nur der Nahrungsauf-
nahme, sondern auch dazu, den Zusammenhalt zu stärken.

Inzwischen ist es so, dass viele Alltagsrituale mit ganz bestimmten


Produktmarken verbunden sind. Man bedankt sich mit merci-
Schokolade und schenkt Freunden ein Ferrero-Küsschen. Überreicht
man jemandem eine Uhr mit eingravierter Widmung, dann steckt
meist ein Jubiläum oder eine besondere Ehrung dahinter. Ähnlichen
Symbolcharakter hat auch die Übergabe eines Schlüssels beim Bezug
eines neuen Gebäudes.

Das richtige Timing 6 der Faktor Zeit


Es gibt kein Erleben ohne zeitliche Dimension, denn das „Jetzt“ in der
menschlichen Wahrnehmung dauert nur etwa drei Sekunden, dann ist
die Gegenwart bereits in die Vergangenheit gewandert. Die zentralen
Mechanismen des Gehirns können eine Wahrnehmungsgestalt nur für
diese Zeitspanne festhalten, ein längerer Reiz kann dann als Ganzes
nicht mehr überblickt werden. Was dabei im Gehirn passiert, lässt sich
sehr schön anhand eines so genannten „Kippbildes“ verdeutlichen.

Ein Kippbild ist zum Beispiel die Zeichnung, in der man entweder eine
alte Frau oder ein junges Mädchen erkennen kann, wobei die Kinn-
Wangen-Partie des Mädchens der Nase der Greisin entspricht. Wenn
man ein solches Bild betrachtet, springt die Wahrnehmung zwangsläu-
fig alle drei Sekunden von einer Alternative zur anderen. Weder kön-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

nen beide Sichtweisen gleichzeitig erfasst werden, noch ist es möglich,


eine Sichtweise auf Dauer aufrechtzuerhalten, wenn man dieses Bild
längere Zeit fixiert.

Diese Drei-Sekunden-Blöcke findet man aber nicht nur bei der visuel-
len Wahrnehmung, sondern sie strukturieren auch das Sprechen, die
Dauer musikalischer Motive und die Zeilenlänge von Gedichten. Das
hat man in kulturübergreifenden Tests herausgefunden. Worauf sich
unsere Aufmerksamkeit richtet und was uns beim Erleben bewusst ist,
bleibt jeweils nur für drei Sekunden erhalten und beginnt dann zu
verblassen.

Soll etwas gelernt werden, dürfen die jeweiligen Reize nicht zu dicht
hintereinander folgen, weil sich sonst keine neuen Gedächtnisspuren
einbrennen können. Im Zweifelsfall schützt sich das Gehirn bei der
Speicherung wichtiger Informationen dadurch, dass es die nachfol-
genden ignoriert.

Insofern sind Vortragende, die ihren Redefluss durch „Ähs“ unterbre-


chen, durchaus im Vorteil, wie Experimente gezeigt haben. Die Rede
entspricht dann zwar nicht mehr unseren ästhetischen Vorstellungen,
aber das Gesagte bleibt bei den Zuhörern besser haften, weil durch das
„Äh“ die Aufmerksamkeit für die nachfolgenden Worte gesteigert wird.

Insgesamt ist es aber so, dass der Faktor Zeit im Zusammenhang mit
dem Erleben von den Neurowissenschaften bisher nur in den eben
erwähnten sehr kleinen Einheiten oder aber im Rahmen der Gedächt-
nisforschung im Hinblick auf lange zurückliegende Ereignisse er-
forscht wurde. Anders ist das allerdings bei den Kultur vergleichenden
Sozialwissenschaften. Das Zeitempfinden der Menschen ist ganz we-
sentlich davon abhängig, zu welchem Kulturkreis sie gehören.

Man unterscheidet dabei zwischen monochronen und polychronen


Kulturen. Zu den monochronen Gesellschaften zählt man Nordeuro-
pa, Japan, die USA und Kanada. Hier werden die Ereignisse der Reihe
nach geplant und bestimmte Aufgaben nacheinander erledigt. Es wird
von allen Beteiligten erwartet, sich dieser Planung unterzuordnen.

Deshalb spielt auch die Pünktlichkeit eine zentrale Rolle. Dabei geht es
nicht nur darum, wann eine Veranstaltung oder ein Treffen beginnt,

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Das richtige Timing 6 der Faktor Zeit

sondern auch wann die einzelnen Programmpunkte beendet werden.


Überzieht man hier um mehr als zehn Minuten, werden die Teilneh-
mer mit großer Wahrscheinlichkeit unruhig oder verlassen sogar den
Saal.

Ganz anders ist es in polychronen Gesellschaften, zu denen man den


Mittelmeerraum, den Nahen Osten und Südamerika zählt. Hier ist
man es gewohnt, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und betrachtet es
deshalb zum Beispiel keineswegs als unhöflich, während einer Bespre-
chung mit jemand anderem ausführlich zu telefonieren.

Verhandlungen werden nicht etwa nur bis zum vereinbarten Zeit-


punkt geführt und dann abgebrochen oder vertagt, sondern dauern
solange an, bis eine Entscheidung getroffen wird. Werden dadurch
Folgetermine verschoben, entstehen keine Schuldgefühle oder Unbe-
hagen wie in monochronen Gesellschaften.

Gerade im Rahmen der immer internationaler werdenden Geschäfts-


verbindungen ist es wichtig, die unterschiedlichen Zeitkulturen zu
beachten. So muss man bei der Planung für Tagungen in Südamerika
unbedingt mit den dort üblichen Verspätungen rechnen. Findet das
Eröffnungswort zu einer Tagung zum Beispiel um 8.30 Uhr statt und
beginnt der erste Vortrag um 9.30 Uhr, sollte man sich darauf einstel-
len, das Eröffnungswort von vornherein auf fünf Minuten zu verkür-
zen, weil die meisten Teilnehmer wie dort üblich ein bis zwei Stunden
zu spät kommen werden und man sonst nur vor leeren Stühlen
spricht. Auch Mittagspausen und Schlussveranstaltungen sollten flexi-
bel geplant werden, da auch sie sich entsprechend verschieben lassen
müssen.

Zeitstudien haben ergeben, dass zum Beispiel Brasilianer 33,5 Minuten


als Zuspätkommen verstehen, während ein US-Amerikaner 19 Minu-
ten schon als Verspätung empfindet. Entsprechend unterschiedlich ist
in den Kulturen auch das Empfinden für die Dauer von Pausen oder
Wartezeiten. Während in monochronen Kulturen Zeit als knappes
Gut angesehen wird, hat man in polychronen genügend davon. Zwi-
schenmenschliche Beziehungen sind stets wichtiger als die Einhaltung
eines Zeitplans.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Die unbekannte Macht der Farben


Wenn wir uns mit dem Sehen von Farben befassen, so sollte uns be-
wusst sein, dass die Farben letztlich im Gehirn entstehen. Die Farb-
wahrnehmung, bestimmt durch Farbton, Sättigung und Helligkeit, ist
keine physikalische Eigenschaft des betrachteten Gegenstandes. Der
Farbsinn kann 500 Helligkeitsstufen und 4.000 unterschiedliche Farb-
arten unterscheiden, sodass wir auf zwei Millionen verschiedene
Wahrnehmungen kommen können. Es ist allerdings noch ungeklärt,
wie es im Gehirn zu diesen Farbeindrücken kommt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass wir keineswegs in der


Lage sind, alle Farbeindrücke zu benennen. In den verschiedenen
Sprachen fehlen oft einfach Farbnamen oder sie sind an bestimmte
Objekte geknüpft. So wie im Deutschen der Begriff Blond an die Be-
zeichnung der Farbe menschlicher oder tierischer Haare geknüpft ist
und nicht etwa als Autofarbe Verwendung findet, so gibt es Urwald-
bewohner, die mehr als 40 unterschiedliche Begriffe für das Grün der
verschiedenen Blätter haben.

Die psychologische Wirkung bestimmter Farben hat bei Menschen


desselben Kulturkreises in der Regel viele Gemeinsamkeiten. Das wis-
sen wir zum Beispiel aus Farbtests, mit deren Hilfe man auf die Per-
sönlichkeit der Testpersonen schließen kann. Aber wir müssen es auch
akzeptieren, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Farben
unterschiedlich interpretieren. Das ist ein wichtiger Aspekt für Unter-
nehmen, in denen Menschen aus vielen Kulturkreisen zusammen
kommen oder die ihre Produkte international vertreiben.

Die Farbe Rot ist eine der auffälligsten Farben. Sie wird im Kontrast zu
Weiß, wie wir alle wissen, als Warnfarbe eingesetzt. Rot steht in Euro-
pa für Liebe und Leidenschaft, aber auch für Aggression. In China ist
Rot die Farbe der Freude, des Glücks und des Wohlstands. Sie wird für
alles Festliche verwendet, und auch eine Braut trägt hellrote Kleidung.
In Indien ist Rot die Farbe der Reinheit und die Farbe der Freude.
Wenn bei uns etwas wichtig ist, streichen wir es im Kalender rot an,
aber in Afrika gibt es Regionen, in denen Rot die Farbe der Trauer ist
und dunkelrote Bekleidung bei Beerdigungen getragen wird.

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Die unbekannte Macht der Farben

Die Farbe Orange ist bei uns zwischen Rot und Gelb eingeordnet. Sie
gilt in der Psychologie als stimmungsaufhellend und stimulierend.
Aber Orange ist auch eine Warnfarbe. Im Buddhismus steht sie für
selbstlosen Dienst, Mönchtum und Entsagung und in der westlichen
Politik der Gegenwart für Opposition und Widerstand, wie auch in
der Ukraine.

Die Farbe Grün ist von allen Farben die ambivalenteste. Wenn etwas
im grünen Bereich ist, ist es normal und unproblematisch. Grün steht
auch für Aktivität und freie Fahrt. Da die Farbe Grün die Hauptfarbe
der Vegetation ist, wird sie auch mit Natur und Umweltschutz gleich-
gestellt. Aber es gibt auch ein Giftgrün, das dämonisch und negativ
wirkt. Nicht zuletzt steht Grün als Symbol für die Unreife. Aber auch
die Hoffnung ist grün. Für Hindus und Buddhisten kann die Farbe
Grün sowohl Leben als auch Tod bedeuten.

Grün ist auch die Farbe des Islam, da der Prophet Mohammed sich
bevorzugt grün gekleidet haben soll und deshalb das Grün auch in den
Flaggen vieler islamischer Staaten auftaucht. In Irland steht Grün für
den Katholizismus, während Orange die Farbe der Protestanten ist.
Die Situation in Irland ist aber besonders kompliziert, denn die Farbe
Grün steht dort auch für Unglück und sollte sich aus diesem Grund
nicht in der Kleidung finden, während Grün gleichzeitig die irische
Nationalfarbe ist und deshalb als ein Zeichen für Hoffnung steht.

Die Farben Blau und Grün werden nicht in allen Kulturen auf dieselbe
Weise wie bei uns unterschieden. Blau ist jedoch die Lieblingsfarbe der
meisten Deutschen, obgleich diese Farbe auf einen Großteil der Men-
schen kalt wirkt und für Ferne steht. In vielen Kulturen symbolisiert
Blau die Farbe der Götter und in China bedeutet Blau Unsterblichkeit.
Blau ist wahrscheinlich die erste Farbe, die die Menschen selbst herge-
stellt haben, und Blau findet sich heute bei vielen Nationen als Natio-
nalfarbe wieder.

Gelb ist eine Warnfarbe. In Kombination mit Schwarz wird hier die
größtmögliche Signalwirkung zweier Farben erreicht. Gelb steht aber
auch für Licht oder für Gold. Nur in Deutschland ist sie die Farbe des
Liberalismus, während in China Gelb zwar einerseits die Farbe des
Kaisers ist, aber gerade in jüngerer Zeit auch als negativer Begriff eta-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

bliert wurde. Auch in unserem Kulturraum hat Gelb einen negativen


Aspekt, es steht oft auch gleichbedeutend mit Neid, Geiz, Eifersucht,
Verlogenheit und Egoismus.

Während Weiß bei uns Reinheit und Unschuld bedeutet, ist es in Asien,
besonders in China, das Symbol für Trauer und Tod. Wer weiße Blu-
men schenkt, begeht einen großen Fauxpas, denn sie gelten als letzter
Gruß. Weiß steht aber auch für Frieden und Reinheit. Mediziner und
Wissenschaftler trugen früher weiße Kittel, die jedoch in letzter Zeit
stärker durch funktionellere Farben abgelöst worden sind. Schwarz be-
deutet bei uns konservativ, Trauer oder Anarchie aber auch Macht.

Wichtig ist jedoch immer, dass nicht das für den Sehvorgang entschei-
dend ist, was das Auge wahrgenommen hat, sondern welche Erinne-
rung das Gehirn mit dem Sinneseindruck verbindet. Deshalb hat sich
der Begriff Gedächtnisfarben herausgebildet. Farbgefühle sind unbe-
wusst, weil sie oft auch mit Universalobjekten, dem blauen Himmel,
der gelben Sonne und den grünen Bäumen verbunden sind oder mit
Universalsituationen wie der schwarzen Nacht und dem hellen Tag.

Die Bedeutung der Farben wird im lateralen Temporalcortex (LTC)


entschlüsselt. Der LTC weist einer Farbe je nach dem Kontext, in dem
sie steht, eine bestimmte Bedeutung zu. Gerade bei ambivalenten Far-
ben, wie zum Beispiel dem Grün, ist es daher sehr wichtig, stets das
Umfeld im Auge zu behalten, um keine Fehldeutungen zuzulassen.
Dabei spielen Formen und Orte eine große Rolle.

Wir müssen uns stets vergegenwärtigen, dass die Erinnerungen über


ein weitaus größeres Interpretationsrepertoire verfügen, als wir es uns
selbst bewusst machen können. Das Gehirn beurteilt weder Objekte
noch Ereignisse, indem es sie in ihre Einzelteile zerlegt, sondern stets
im Kontext. Deshalb gehören Farben, Formen und Orte zusammen
und müssen in ihrer Wirkung auch als Einheit beurteilt werden. Alle
gemeinsam ergeben die zu kommunizierende Botschaft.

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Wirkungsvoll kommunizieren mit Musik

Wirkungsvoll kommunizieren mit Musik


Dass Musik unsere Stimmungen beeinflusst, Emotionen und Erinne-
rungen wachruft und sogar Einfluss auf unsere Motorik hat, denn
Marschmusik lässt selbst überzeugte Antimilitaristen zackiger gehen,
ist eine Alltagserfahrung. Früher nahm man an, dass die Wahrneh-
mung von Musik und die Reaktion darauf an ein bestimmtes kulturel-
les Umfeld gebunden ist. Diese Ansicht hat sich inzwischen geändert.

Zwar beeinflusst die persönliche Biografie eines Menschen und sein


individuelles ästhetisches Empfinden auch seine emotionalen Reaktio-
nen auf bestimmte Musikstücke, doch zeigte sich im Test, dass Musik
auch unabhängig von der individuellen Erfahrung bei allen Menschen
dieselben Emotionen wie Freude, Traurigkeit, Ausgeglichenheit oder
auch Wut und Angst hervorrufen kann.

Musik ist also eine Form der nonverbalen Kommunikation des Men-
schen. Bereits im Säuglingsalter wird neben dem Kontaktverhalten,
der Gestik und der Mimik die Musik zu einem beständigen Teil der
Kommunikation des Kindes.

Erstaunlicherweise reagieren sogar Profis und musikalische Laien in


vergleichbare Weise auf bestimmte Musikstücke. Daraus lässt sich
schließen, dass wir musikalische Emotionen unabhängig von der Hör-
situation und dem persönlichen Erfahrungsschatz recht ähnlich und
auch über längere Zeiträume unseres Lebens hinweg in gleicher Weise
wahrnehmen.

Das Erstaunliche ist, dass musikalisch vermittelte Emotionen selbst


dann schon registriert werden, wenn der jeweilige Musikausschnitt
nur eine Sekunde lang ist. Wie bei der Mimik registriert der Mensch
also auch bei der Musik kleinste und feinste Veränderungen. Man
braucht also nicht immer eine Symphonie mit dem Paukenschlag, um
Reaktionen zu erzeugen.

Wenn man selbst musiziert, spielen das Kurzzeitgedächtnis und die


Erwartenshaltung eine große Rolle. Die Aufnahme, Verarbeitung und
Speicherung der Information von Musik erfolgt in der Regel im rech-
ten und linken Schläfenlappen. Bei der kognitiven Verarbeitung der

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

musikalischen Wahrnehmungs- und Produktionsprozesse werden di-


verse Hirnregionen einbezogen.

Inzwischen gibt es schon ein emotionales Koordinatensystem der Mu-


sik. Moll-Töne haben einen negativen emotionalen Wert, Dur-Töne
einen positiven. Aber nicht nur das Tongeschlecht spielt eine Rolle,
sondern auch das Tempo der Musik. Langsame Musik in Moll ruft
Traurigkeit hervor, langsame Musik in Dur Ausgeglichenheit. Wird
die Musik in Moll schneller, erzeugt sie Wut und Angst. Wird schnell
in Dur gespielt, entsteht Freude.

Insofern lässt sich schon anhand der Noten die Wirkungsweise eines
Musikstücks vorhersagen. Um ein Musikstück nur emotional zu beur-
teilen, benötigt der Mensch weniger Informationen als dazu, es als
solches wiederzuerkennen. Daraus lässt sich schließen, dass die Fähig-
keit, auf Musik mit Gefühlen zu reagieren, besonders tief in unserem
Gehirn verankert ist.

Das Verstehen und Nachempfinden des musikalischen Ausdrucks ist


ebenso ein kognitiver Vorgang wie die Sprache. Die ursprüngliche
Bedeutung der Musik in der frühen Menschheit bestand wohl darin,
den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gruppen zu fördern und
die Stimmung der Menschen zu synchronisieren. Und das hat sich bis
heute nicht geändert.

Der Geruch lenkt das Denken


Für den einen Menschen riecht der Sommer nach frisch gemähtem
Gras und Heu, für den anderen nach Sonnencreme, dem gechlorten
Wasser von Freibädern und für einen dritten nach den Lavendelfel-
dern der Provence. Gerüche sind eng mit Erinnerungen und mit
Emotionen verbunden. Trotzdem wurde ihre wissenschaftliche Er-
forschung lange Zeit vernachlässigt, wohl auch deshalb, weil erst die
moderne Hirnforschung die notwendigen Instrumente zur Verfü-
gung stellte.

Auch heute noch glauben viele Menschen, dass sie am ehesten auf
ihren Geruchssinn verzichten könnten und Hören und Sehen das

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Der Geruch lenkt das Denken

Wichtigste für sie sei. Doch es wird immer deutlicher, dass dies ein
Irrtum ist.

Wenn wir uns die Hierarchie der Schlüsselreize und der damit ver-
bundenen Informationsaufnahme anschauen, dann steht das Lesen
mit zehn Prozent an unterster Stelle. Hören vermittelt uns 20 Prozent
und Sehen 30 Prozent, beides gemeinsam also 50 Prozent der Informa-
tionen, die wir im Gehirn verarbeiten. Sagt man etwas selbst, so liegt
der Stellenwert des Gesagten bei 70 Prozent, und tun wir etwas selbst,
so gewinnt es für uns eine Bedeutung von 90 Prozent. Was bei dieser
Auflistung jedoch auffällt, ist dass das Riechen überhaupt nicht vor-
kommt. Doch das wird sich bald ändern.

Mit Duft-Marketing wurde im Jahr 2007 in den USA bereits ein Um-
satz zwischen 50 und 80 Millionen Dollar gemacht. Experten erwarten,
dass sich in den kommenden zehn Jahren dieser Markt noch verzehn-
fachen wird. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Grillhähnchen-
oder Kaffeeduft, um den Appetit von Supermarktkunden anzufeuern,
sondern darum, das soziale Miteinander auf höchst komplexe Weise
zu lenken.

Es gibt auf der Welt zirka 400.000 verschiedene Geruchsstoffe, doch


der Mensch gehört zu den so genannten Mikrosmaten, den Schlecht-
riechern. Trotzdem leiten die rund zehn Millionen Geruchszellen in
der Nasenhöhle mit ihren 350 verschiedenen Rezeptoren ihre Infor-
mationen direkt an das limbische System im Gehirn weiter, wo die
erfassten Aromen sofort in Emotionen umgewandelt und mit Erinne-
rungen verknüpft werden.

Dabei ist das, was der einzelne Mensch riecht und wie er den Geruch
interpretiert, durchaus unterschiedlich, in Abhängigkeit von seiner
genetischen Ausstattung, aber auch von seinem kulturellen Hinter-
grund. Als eine der wichtigsten Aufgaben des Geruchssinns galt bisher
hauptsächlich, dass er uns vor Gefahren wie verdorbenem Essen, Feuer
oder giftigen Gasen warnen sollte. Schädliche Gerüche zu erkennen,
schien seine Hauptaufgabe zu sein und die Wahrnehmung von ange-
nehmen Düften nur ein Nebenprodukt.

Inzwischen haben die Forscher erkannt, dass der Geruchssinn eine


weitaus zentralere Rolle in unserem Leben spielt, als wir es bisher an-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

genommen hatten. Unbewusst lenken Gerüche nicht nur unsere Ge-


fühle und Erinnerungen, sie steuern auch unser Konsumverhalten,
unsere Stimmungen und unser Wohlbefinden. Doch auch wenn Duft-
Marketing heute eine boomende Branche ist, die meisten Fragen hin-
sichtlich der Wirkung von Düften sind noch offen. Was allerdings
bisher bekannt ist, lässt noch eine ganze Reihe von Veränderungen
überall dort erwarten, wo viele Menschen zusammenkommen und
zusammenarbeiten.

Der Duft grüner Äpfel lindert das Gefühl von Platzangst und wird
deshalb schon von einigen Hirnforschern bei Experimenten im Mag-
netresonanztomografen eingesetzt, um weniger Untersuchungen we-
gen Panikattacken abbrechen zu müssen. Jasminduft verstärkt die
geistige Stimulation, Lavendelduft sorgt für mehr Ruhe. Wenn man
Pfefferminz riecht, macht man weniger Fehler, Bergamottöl lässt hin-
gegen die Aufmerksamkeit sinken.

Düfte bleiben stärker in der Erinnerung als ein Werbespruch, sagen


Experten. Und sie funktionieren besonders gut, wenn sie knapp unter-
halb der Wahrnehmungsgrenze liegen.

Wer den Anschlag auf die Twin Towers in New York im Jahr 2001
miterlebt hat, wird nicht nur die Bilder, sondern auch den Gestank,
der über der Stadt lag, nicht mehr vergessen und bei ähnlichen Gerü-
chen wieder in Angst versetzt werden. Aber natürlich versucht man
hauptsächlich an positive Erinnerungen anzuknüpfen. In manchen
Hotels soll der Duft von frisch gebackenem Apfelkuchen Geborgenheit
vermitteln, weil er Erinnerungen an die Kindheit und Familie weckt.

Kraftfahrzeughersteller wissen inzwischen, dass man mit einem ent-


sprechenden Duft im Innenraum des Autos Geborgenheit und Ruhe
erzeugen oder auch den Fahrer anregen und vor dem Einschlafen be-
wahren kann. Mercedes hat für das Luxusgefährt Maybach Zeppelin
sogar einen eigenen Duft kreieren lassen

Wie groß die Bedeutung von Gerüchen in den verschiedenen Kulturen


ist und wie sehr sie sich unterscheidet, sieht man zum Beispiel daran,
dass der Geruch von fermentiertem Fisch auf Asiaten appetitanregend
wirkt, während der Geruch von Buttersäure für Europäer je nach dem

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Neues schafft Aufmerksamkeit und Erinnerung

Framing entweder als appetitanregendes Käsearoma wahrgenommen


wird oder als ekelerregender Geruch von Erbrochenem.

Selbst bei Menschen, die ihren Geruchssinn krankheitsbedingt verlo-


ren haben, wirken bestimmte Aromen immer noch unbewusst. Offen-
sichtlich kann man sogar mit Aromen das Immunsystem ankurbeln
oder schwächen. Unbewusst riecht der Mensch sogar, ob sein Gegen-
über Angst hat, gestresst ist oder glücklich ist. Bei einem Experiment
konnten Frauen anhand des Unterarmgeruchs entscheiden, ob dieser
von einem Menschen stammt, der vorher einen fröhlichen oder einen
traurigen Film gesehen hat.

Da sich die verschiedenen Gerüche aber immer auf höchst komplexe


Weise aus verschiedenen Wirkstoffen zusammensetzen – beim Röst-
kaffee sind es 600 und beim Bier immer noch 250 – besteht beim Ein-
satz von Duftmischungen durchaus die Gefahr, dass sich völlig uner-
wartete und kontraproduktive Wirkungen ergeben. Außerdem
erscheint es vielen Verbraucherschützern inzwischen schon zweifel-
haft, ob man auf diese unterschwellige Weise Konsumenten überhaupt
beeinflussen darf.

Die Mehrzahl der Menschen ist jedenfalls immer noch der Überzeu-
gung, dass die Informationen, die sie über Sehen und Hören aufneh-
men, besser zu kontrollieren sind. Richtig ist aber auch, dass Duftasso-
ziationen besonders dann als störend empfunden werden, wenn sie
mit den übrigen Sinneseindrücken nicht übereinstimmen.

Neuwagenduft in einer Buchhandlung dürfte den Absatz ebenso wenig


fördern wie Zitronenduft. Zitrone macht munter und führt eher dazu,
dass der Kunde aktiviert und damit veranlasst wird, den einen Laden
zu verlassen, um den nächsten aufzusuchen.

Neues schafft Aufmerksamkeit und Erinnerung


So wie Medien-Marken die Glaubwürdigkeit einer Nachricht indirekt
beeinflussen – dem Handelsblatt glaubt man eher als der Bild Zeitung
– so spielen auch im Alltag die erlebten Werte eine wesentliche Rolle
bei den Beteiligten.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Jeder erwachsene Mensch wird sein Leben als eine Aneinanderreihung


großer und kleiner Erlebnisse beschreiben können. Aber die Zahl der
erinnerten Erlebnisse aus der Jugend wird besonders groß sein. Des-
halb spricht man in der Lebenslaufsforschung auch von einem Erinne-
rungshöcker, der etwa ab dem 25. Lebensjahr immer weiter abflacht.

Das heißt natürlich nicht, dass es im späteren Leben keine Erlebnisse


mehr gibt, die spontan erinnert werden können, nur sind diejenigen
aus der Jugend meist bis ins hohe Alter hinein deutlich präsenter als
spätere Erlebnisse.

Grundsätzlich sind stark angst- oder stressbesetzte Ereignisse besser in


der Erinnerung verhaftet als positive, freudige Ereignisse. Das hängt
mit hirnorganischen Prozessen zusammen, die in Situationen von
Angst und Stress die Steuerung des Verhaltens übernehmen. Das be-
deutet nicht, dass man sich im Laufe seines Lebens nur an negative
Ereignisse erinnert, auch die kann man vergessen oder zurückdrängen,
nur hinterlassen positive Ereignisse in der Regel flachere Spuren.

Jeder, der in seinen Erinnerungen schwelgt, wird feststellen, dass es


häufig nicht die großen, komplexen Ereignisse sind, die sich in seine
Erinnerung eingegraben haben, sondern oft nur Details oder Neben-
sächlichkeiten.

Die großen Momente des Erlebens unterliegen also einer höchst indi-
viduellen Wahrnehmung und Bewertung. Wenn die Erinnerung eines
Gastes an ein großes Fest auch noch nach Jahren nur darin besteht,
dass er eine verschmutzte Toilette vorgefunden hat und dies vielleicht
auch noch das Einzige ist, was er erinnert, dann war alles, was der Ver-
anstalter an Geld und Zeit aufgewendet hat, vergebens.

Man weiß heute, dass Erinnerungen und Erwartungen in denselben


Hirnregionen erzeugt werden. Die Zukunft baut auf der Vergangen-
heit auf, und man kann nur das erwarten, was durch die Erinnerungen
vorgegeben wird. Deshalb ist es so wichtig, das Neue mit dem Bekann-
ten zu verbinden.

Das Neue ist zwar reizvoll, aber das Bekannte gibt Sicherheit, Gebor-
genheit und Kompetenz. Deshalb neigen die Menschen auch generell
zum Schubladendenken, indem sie das Neue dem Bekannten zuord-

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Echtes Vertrauen als Geschenk

nen. Dabei muss es sich allerdings um eine ausgewogene Mischung


handeln. Ist etwas komplett unvorhersehbar, bedeutet das für den
Rezipienten Chaos. Gibt es keine Überraschung, ist es langweilig.

Natürlich weiß die Neurowissenschaft längst, dass das Neue das Ge-
hirn stimuliert. Deshalb gibt es auch die Empfehlung an Lehrer, eine
Schulstunde nicht etwa mit der Wiederholung des schon bekannten
Stoffes zu beginnen, sondern neue Inhalte vorzuziehen. Neue Reize
können nämlich das Einprägen bekannter Informationen erleichtern.

Dies gilt natürlich auch für Events, Vorträge und Reden. Viele Refe-
renten glauben, ihre Zuhörer erst einmal mit bereits bekannten Tatsa-
chen „abholen“ zu müssen. Das schläfert aber nur ein. Richtig ist es,
mit Neuem und Unerwartetem zu beginnen und dann eine Brücke zu
den bekannten Kernbotschaften zu bauen.

Echtes Vertrauen als Geschenk


Vertrauen ist eine außerordentlich komplexe menschliche Grundhal-
tung, die sich aus höchst unterschiedlichen Quellen speist. Die Grund-
lagen für Vertrauen werden in der frühen Bindungsperiode zwischen
der Mutter oder einer anderen engen Bezugsperson und dem Kind
ausgebildet. Dem Kind bleibt zunächst überhaupt nichts anderes üb-
rig, als sich vorbehaltslos den Bezugspersonen auszuliefern, und es
lernt erst im Laufe der weiteren Entwicklung, Vertrauen auch einzu-
schränken.

Entscheidend für die richtige Dosierung von Vertrauen sind also zu-
nächst einmal die im autobiografischen Gedächtnis gespeicherten Er-
fahrungen und ihre emotionale Bewertung. Da aber die Vertrauens-
bildung ein komplizierter kognitiv-emotionaler Prozess ist, kommen
noch weitere Elemente dazu.

Derjenige, der anderen Vertrauen entgegenbringen soll, wird zunächst


einmal prüfen, wie wahrhaftig und realitätsnah die Argumente sind,
die er akzeptieren soll. Auch das funktioniert nicht rein rational, son-
dern auch hierbei sind bewertende Gefühle beteiligt.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Ein ganz wesentliches Element, um Vertrauen auszubilden, ist Sympa-


thie, die selbst wiederum ein komplexes Geschehen darstellt, bei dem
sowohl angeborene Wahrnehmungsmuster als auch Merkmale der
kulturellen Übereinstimmung und des sozialen Entgegenkommens
zusammenlaufen. Vertrauen kann nur derjenige erzeugen, der seinem
Gegenüber Wertschätzung entgegenbringt und ihm Zugehörigkeit
signalisiert.

Während es verhältnismäßig leicht ist, mit Mimik, Körpersprache und


der Stimme Signale des Misstrauens auszusenden, indem Angst, Ekel,
Zorn, Trauer oder Verachtung ausgedrückt werden, wird es für denje-
nigen, der um Vertrauen wirbt, sehr schwierig, die Bitte um Vertrauen
in Stimme, Mimik oder Gesten zu fassen.

Vertrauensbildend sind die emotional-kognitiven Eindrücke von Ehr-


lichkeit, Offenheit, Verlässlichkeit und Beständigkeit. Dazu ist es not-
wendig, eine Umgebung zu schaffen, die Angst ab- und Sicherheit
aufbaut, und in der sich derjenige, um dessen Vertrauen geworben
wird, wohlfühlt.

Alles was Freude, Zugehörigkeit und Wertschätzung signalisiert, was


den Dialog fördert und ein Wir-Gefühl schafft, sollte eingesetzt wer-
den. Doch das alles nützt wenig, wenn die jeweils für eine Situation
Hauptverantwortlichen nicht bereit sind, durch entsprechende per-
sönliche Commitments Verantwortung zu signalisieren.

Fehlendes Vertrauen führt zu Angst- und Stressreaktionen, die sich


nicht nur in sinkender Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit
niederschlagen, sondern auch echte Krankheitssymptome hervorrufen
können.

Die Macht der schlechten Gefühle – Gier


Ob bei der Ente Dagobert Duck oder bei einem Menschen, immer
wenn sich Anzeichen von Geiz oder Gier zeigen, empfindet man Ab-
scheu und wünscht sich, dass die gerechte Strafe für dieses Verhalten
möglichst umgehend erfolgt.

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Die Macht der schlechten Gefühle – Gier

Während jedoch der demonstrative Geiz in unserer Gesellschaft aus


der Mode gekommen ist, stand das Jahr 2008 gänzlich im Zeichen der
Gier. Kaum ein anderer Begriff fand sich so markant in den Schlagzei-
len der Presse wie Gier. Dabei ist sich die Wissenschaft nicht einmal
darüber einig, ob Habgier nun ein gesellschaftliches Phänomen ist
oder ein individuelles Fehlverhalten. Wahrscheinlich spielen beide
Aspekte eine Rolle und lassen sich kaum voneinander trennen.

Mit Habgier bezeichnet man ein rücksichtsloses Streben nach Gewinn


um jeden Preis, und im deutschen Strafrecht ist Habgier sogar ein
Merkmal, das die Tötung eines Menschen als Mord qualifiziert. Hab-
gier ist also extrem egoistisch und ignoriert die Belange anderer Men-
schen. Insofern ist es auch gar nicht abwegig, in diesem Zusammen-
hang an eine Art Suchtverhalten zu denken.

Süchte kennen wir ja nicht nur im Zusammenhang mit Drogen, Alko-


hol und Nikotin, sondern wir kennen auch die Spielsucht, und wes-
halb sollten nicht auch die Mechanismen der Habsucht gleich oder
doch zumindest ähnlich gelagert sein?

Neuroökonomische Studien belegen, dass bei Süchten zwei konkurrie-


rende neuronale Systeme gegeneinander arbeiten. Das eine ist das im-
pulsive System, bestehend aus der Amygdala, dem Nucleus accumbens
und dem ventralen Palladium, die zur Verarbeitung von Emotionen
dienen und auf Stimuli reagieren. Das andere ist das reflektive, exeku-
tive System mit dem präfrontalen Cortex, der die Ausführung von
Handlungen, das zielgerichtete Handeln, die soziale Kontrolle und die
Berücksichtigung zukünftiger Konsequenzen steuert.

Wir wissen, dass Drogenabhängige zu suboptimalen Entscheidungen


neigen, weil ein überaktives, impulsives System den Einfluss des exe-
kutiven Systems schwächt und es so zu Entscheidungen kommt, die
überwiegend am kurzfristigen Nutzen und am Erhalt einer Belohnung
orientiert sind.

Wer an einer Sucht leidet, hat einen verkürzten zeitlichen Fokus, er


möchte seine Belohnungen sofort und trifft auch dementsprechende
Entscheidungen. Wir wissen auch, dass der Gebrauch von Drogen,
zum Beispiel von Kokain, durch die Freisetzung von Dopamin zu mo-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

lekularen Veränderungen im Gehirn führt, die das exekutive System


schwächen.

Studien mit Kokainkonsumenten haben gezeigt, dass 56 Prozent von


ihnen unterschiedliche Geldmengen gleich bewerten, das heißt, zehn
Dollar sind ebenso interessant wie 1.000 Dollar.

Wenn man sich jetzt wieder vor Augen führt, dass Kokain eine der
Modedrogen ist, die besonders in Finanz- und Wirtschaftskreisen kon-
sumiert wird, weil viele Menschen glauben, dadurch noch besser und
noch schneller als die Konkurrenten sein zu können, darf man sich
nicht wundern, wenn einzelne Manager oder Finanzspezialisten Mil-
lionen verpulvern, als wenn es nur Peanuts wären.

Habsucht beruht also auf einer Überfunktion des Belohnungssystems,


das dann alle anderen vernünftigen und moralischen Bedenken, die
auch bei den Habsüchtigen vorhanden sind, einfach „plattmacht“. Das
ist die individuelle Seite.

Ob nun die Bosse großer Banken und Unternehmen Millionen-Boni


gewährt haben, weil sie die Kontrolle über sich verloren und ihre Leis-
tungen maßlos überbewertet haben, kann natürlich nicht eindeutig
entschieden werden.

Ebenso weiß man nicht, was deutsche Wirtschaftsgrößen dazu trieb,


Steuern zu hinterziehen oder Bestechungsgelder zu zahlen und da-
durch ihre Reputation aufs Spiel zu setzen und auf das Niveau billiger
Ganoven abzusinken. Dringend gebraucht haben sie das Geld nicht,
und auch ihren Einfluss hätten sie auf andere Weise geltend machen
können.

Vieles deutet darauf hin, dass es Habgier war, die den bis dahin höchst
angesehenen Familienunternehmer Adolf Merckle 2008 dazu gebracht
hat, mit Leerverkäufen von VW-Aktien einen dreistelligen Millionen-
betrag zu verspielen und damit die Existenz seines gesamten Firmen-
imperiums aufs Spiel zu setzen.

Er selbst wehrte sich natürlich gegen den Vorwurf des Spielens und
wies darauf hin, dass er solche Wertpapiergeschäfte seit Jahrzehnten
erfolgreich getätigt habe. Die Gewinne daraus hätten dazu gedient, um

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Die Macht der schlechten Gefühle – Gier

Finanzierungen aufzustellen, die das Wachstum der Beteiligungsgesell-


schaften ermöglichten. Es seien so Arbeitsplätze geschaffen und Bei-
träge zur Entwicklung der Region geleistet worden. Und die Motivati-
on beim Deal mit VW-Aktien sei exakt die gleiche gewesen wie zuvor.

Ohne es mit Sicherheit zu wissen, liegt allerdings die Vermutung nahe,


dass es sich bei diesen Argumenten nur um rationale Begründungen
für ein eindeutig emotional gesteuertes Verhalten handelt. Schließlich
war auch der Selbstmord Merckles wie jeder Suizid emotional be-
stimmt und nicht rational.

Es kommt darauf an, mehr zu haben als die anderen


Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die meisten Menschen lieber
in einer Welt leben würden, in der sie selbst 100.000 Euro besäßen,
wenn alle anderen nur 50.000 hätten, als in einer Welt, in der sie dop-
pelt so viel Geld hätten, nämlich 200.000 Euro, alle anderen aber noch
mehr, nämlich 300.000 Euro.

Auch hier zeigt sich wieder, dass nicht der absolute Wert eines Vermö-
gens die zentrale Rolle spielt, sondern der relative. Es kommt gar nicht
so sehr darauf an, was man selbst hat, sondern hauptsächlich darauf,
dass es möglichst mehr ist, als die anderen haben.

Insofern ist das Phänomen der Habgier keineswegs nur auf die Rei-
chen oder Superreichen beschränkt, sondern findet sich in allen Teilen
der Gesellschaft wieder. Oft ist es dann nicht das Geld auf dem Konto,
das den Ausschlag gibt, sondern es sind simple Statussymbole. Das
kann schon ein größerer Fernseher sein, als ihn der Nachbar im
Wohnzimmer stehen hat.

Anscheinend kommen hier ganz primitive Urinstinkte wieder zum


Vorschein. Es ist die Rivalität der Steinzeitjäger, bei denen derjenige,
der das größere Wildschwein nach Hause bringt, das höhere Ansehen
genießt und dessen Belohnungssystem einfach ein paar Umdrehungen
mehr macht. Allerdings konnte man dieses Ansehen nicht nur damals
noch zusätzlich dadurch steigern, dass man bereit ist, seinen Erfolg mit
anderen zu teilen. Nicht umsonst hat Bernard Madoff großzügig Mil-
lionen gespendet.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Es ist das gesellschaftliche Wertesystem an sich, das im Zusammen-


hang mit der Habgier kritisch betrachtet werden muss. Generell gilt ja
jemand, der viel Steuern zahlt, nicht etwa als Wohltäter der Gesell-
schaft, sondern eher als dumm, weil er dem Finanzamt kein Schnipp-
chen schlägt. Steuerehrlichkeit sollte nicht auf der Angst, erwischt zu
werden, begründet sein und auch nicht als bloße Pflichterfüllung an-
gesehen werden.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass wir im Kopf sowohl ein öko-
nomisches als auch ein soziales System haben. Da nun das Zahlen von
Steuern nur noch ein ökonomischer Akt ist, genauso wie das Kassieren
von Millionen-Boni, können wir auch nicht erwarten, dass die Gesell-
schaft anders funktioniert, als sie es zurzeit tut. Das Soziale bleibt lei-
der immer häufiger auf der Strecke.

Vorhersagen – was wird geschehen?


Vorhersageaktivitäten sind ein ganz wesentliches Element unseres
Denkens. Sie können sich auf kleinste Banalitäten beziehen – ein paar
Tropfen mehr Milch in den Kaffee, und er wird mir besser schmecken
–, aber auch auf große und komplexe Vorhaben, wie zum Beispiel den
Beschluss eines neuen Steuergesetzes, um den Bundeshaushalt auszu-
gleichen. Die Mechanismen im Gehirn sind prinzipiell identisch.

Die Vorhersage bestimmter Ereignisse wird vom Bewusstsein weder


registriert noch gespeichert. Wenn ich möchte, dass das Wasser läuft,
drehe ich den Wasserhahn auf. Die Vermutung, dass das Wasser zu
laufen beginnt, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, beruht auf meiner
alltäglichen Erfahrung. Erfahrung ist also eine wichtige Quelle für
Vorhersagen.

Die Vorhersagetätigkeit bezieht sich aber auch auf die eingehenden


Informationen. So werden Sätze seines Gegenübers vom Zuhörer
schon zu Ende gedacht, noch bevor das Ende des Satzes erreicht ist.
Redner, die während des Sprechens Denkpausen machen, kennen das
Phänomen, dass Zuhörer dann an ihrer Stelle einen Satz zu Ende füh-
ren, allerdings oft anders als von ihnen geplant. Hierbei benutzt das

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Vorhersagen – was wird geschehen?

Gehirn nicht mehr die Alltagserfahrungen als Hilfsmittel, sondern die


sprachliche Intelligenz.

So genannte Vorampeln, die gelb zu blinken beginnen, wenn die nach-


folgende Ampel kurz danach von grün auf rot umspringen wird, nut-
zen die Neigung des Menschen, Vorhersagen zu treffen. Der Autofah-
rer kann so früher den Bremsvorgang einleiten. Auch die Psychologie
des Überzeugens baut darauf, dass der Mensch aus gegenwärtigen
Situationen Folgerungen für die Zukunft zieht und sich daher mani-
pulieren lässt.

Wie der Placeboeffekt funktioniert


Eine ganz besondere Bedeutung erhalten Vorhersagen in Zusammen-
hang mit Arzneimitteln. Es ist nachgewiesen, dass wirkstofflose Medi-
kamente durchaus heilen können, man wusste bisher nur nicht,
warum. Inzwischen konnten Wissenschaftler mithilfe bildgebender Ver-
fahren erkunden, wie der Placeboeffekt funktioniert.

Experimente an den Universitäten Michigan, Columbia und Princeton


haben gezeigt, dass Scheinmedikamente gegen Schmerzen fast genau
so gut wirken wie ein echtes Schmerzmittel. Den Versuchspersonen
wurden schmerzhafte Stromstöße und Hitze zugeführt. Nach einigen
Durchgängen verabreichte man den Gequälten eine angebliche Anti-
schmerzsalbe, die aber tatsächlich keinen Wirkstoff enthielt. Trotzdem
fühlten die meisten Teilnehmer während der folgenden Durchgänge
eine deutliche Linderung der Schmerzen.

Placebopillen, die sie drei Wochen lang täglich schluckten, verhalfen


auch Patienten mit chronischen Bauchschmerzen zu einer deutlichen
Besserung, wie ein Experiment an der University of California gezeigt
hat. Ihre Schmerzen haben fast ebenso stark nachgelassen wie die der
Patienten, die ein echtes Medikament erhalten hatten.

Mithilfe eines bildgebenden Verfahrens erkannten die Wissenschaftler,


dass je stärker der Schmerz subjektiv nachließ, auch die Aktivitäten in
bestimmten schmerzsensiblen Teilen des Gehirns zurückgingen. Dafür
herrschte in einem anderen Areal des Gehirns, das mit emotionalen

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Erfahrungen und der Hemmung von Impulsen in Verbindung ge-


bracht wird, eine auffällig starke Betriebsamkeit.

Man geht davon aus, dass genau dort entschieden wird, wann körper-
eigene Opiate ausgeschüttet werden, die dann den Schmerz betäuben.
Außerdem hat man festgestellt, dass sich der Placeboeffekt verflüch-
tigt, wenn die Opiate mit Medikamenten blockiert werden. Es sind
also die körpereigenen Stoffe, die den Placeboeffekt ausmachen.

Die Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen, dass Schmerz


unter entscheidender Mitwirkung der Psyche vom Gehirn erzeugt und
bei Bedarf auch wieder beseitigt wird. Dabei darf die Rolle des „Wirk-
stoffs Zuversicht“ nicht unterschätzt werden. Die Vorhersagen, die das
Unbewusste hinsichtlich der Wirkung der Arzneimittel trifft, führen
dazu, dass die gewünschte Wirkung auch eintritt.

Auch die empirisch belegte Tatsache, dass rote Placebopillen wirksa-


mer sind als grüne, lässt sich nur mit kognitiven Einflüssen erklären.
Denkt man diesen Placeboeffekt einmal zu Ende, kann das weitrei-
chende Folgen, nicht nur für die Medizin, sondern auch im sozialen
Bereich haben.

Vorhersagen brauchen Begründungen


Nun ist allerdings die Neigung des Menschen, Vorhersagen zu treffen,
nicht nur auf triviale Alltagsverrichtungen oder körpereigene Vorgän-
ge gerichtet. Auch seine Bereitschaft, Horoskope zu lesen, Wahlvorbe-
richte im Fernsehen anzuschauen oder sich die Ergebnisse von Trend-
forschungen vorlegen zu lassen, bevor er in einem Unternehmen eine
Entscheidung trifft, gehören dazu.

Viele Vorhersagen, beispielsweise von Aktienkursen oder volkswirt-


schaftlichen Rahmendaten wie Arbeitslosenquote oder Wirtschafts-
wachstum, lassen sich aber nicht mit endgültiger Gewissheit treffen.
Wahrscheinlich ist es eher Zufall, wenn sie tatsächlich eintreten. Inso-
fern geht die Neigung, Vorhersagen zu treffen, Hand in Hand mit der
Neigung, Begründungen zu finden und zu erfinden.

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Wie der Verstand Gegenwart und Zukunft sieht

Es ist einfach unpraktisch, wenn ein Organ wie das Gehirn, das darauf
programmiert ist, Vorhersagen zu treffen, entweder nicht die Gründe
für sein Handeln kennt, weil diese im Unbewussten liegen, oder wenn
es im Zweifelsfall nicht in der Lage ist, diese vor sich selbst zu vertre-
ten. Wer Vorhersagen macht, braucht einfach Gründe, die diese
Vorhersagen im Zweifelsfall auch im Nachhinein rechtfertigen.

Die Hirnforschung weiß seit Langem, dass Entscheidungen im Gehirn


nur getroffen werden können, wenn die Gefühle mit einbezogen sind.
Ist dieser Regelkreislauf auf irgendeine Weise gestört, kommen keine
Entscheidungen zustande oder die Entscheidungen sind fehlerhaft,
weil ohne Gefühle Informationen nicht oder nicht richtig bewertet
werden können.

Ein gutes Beispiel dafür, dass selbst in der Wissenschaft, die ja für sich
in Anspruch nimmt, rein rational und logisch vorzugehen, die Gefühle
eine große Rolle spielen, ist die Klimaforschung. In kaum einem ande-
ren Bereich gehen die Einschätzungen, Beurteilungen und Prognosen
der Fachleute so weit auseinander wie hier. Eigentlich sollte man da-
von ausgehen, dass identische Fakten von verschiedenen Fachleuten,
die über eine vergleichbare wissenschaftliche Kompetenz verfügen,
zumindest in sehr ähnlicher Weise beurteilt werden. Das ist aber kei-
neswegs der Fall.

Offensichtlich nutzen Wissenschaftler ihre Erkenntnisse dazu, das, was


sie ganz persönlich für richtig oder falsch halten, durchzusetzen. Es
mag dem einzelnen Klimaforscher ja unbenommen bleiben, mit dem
Fahrrad in sein Institut zu radeln, aber wenn er seine Wissenschaft
dazu benutzt, um seine persönlichen Vorlieben und Abneigungen
allgemein verbindlich zu machen, wird das eher schaden als nutzen.

Wie der Verstand Gegenwart und Zukunft sieht


Im Prinzip steht für uns die Gegenwart immer im Vordergrund. Aber
natürlich interessiert uns auch die Zukunft. Mancher betrachtet sie
mit Sorgen, ein anderer mit einer gewissen Unbekümmertheit. Je op-
timistischer wir in die Zukunft schauen, desto höher sind unsere Akti-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

vitäten in der Amygdala und dem rostralen anterioren cingulären Cor-


tex, den beiden Optimismuszentren im Gehirn.

Es gibt jedoch ganz erhebliche individuelle Unterschiede zwischen den


Menschen, wenn es um die Unterscheidung des jetzigen und des zu-
künftigen Selbst geht. Je stärker man zwischen seinem heutigen Selbst
und dem zukünftigen differenziert und je mehr Bedeutung man zu-
künftigen Ereignissen beimisst, desto höher steigt auch der empfunde-
ne Wert zukünftiger Belohnungen.

Wenn vor 40 Jahren ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in der Bun-


desrepublik mit 65 Jahren in den Ruhestand ging, war für ihn die aktive
Phase des Lebens beendet. Er hatte statistisch noch 8 Lebensjahre vor
sich und befand sich, etwas übertrieben formuliert, in einer Übergangs-
zeit, die mit seinem Tod endete. Seine Möglichkeiten, aber auch In-
teressen, für die Zeit nach der Pensionierung vorzusorgen, waren ge-
ring. Es reichte die so genannte Sterbegeldversicherung, die die Grund-
lage für eine anständige Beerdigung bildete und die Angehörigen nicht
mit übermäßigen Kosten nach dem Dahinscheiden belasten sollte.

Die Selbstwahrnehmung war also damals sehr stark auf die aktive Zeit
als Arbeitnehmer konzentriert und die Bedeutung der danach folgen-
den Ereignisse wurde als verhältnismäßig unwichtig eingeschätzt. Das
änderte sich vor rund 20 Jahren. Die Arbeitnehmer, die in den Ruhe-
stand und immer häufiger bereits in den Vorruhestand gingen, sahen
in der Beendigung ihres Arbeitslebens immer häufiger den Beginn
ihres „wirklichen Lebens“. Durch die inzwischen weitverbreitete be-
triebliche Altersvorsorge hatten viele Ruheständler netto mehr Geld
zur Verfügung als während ihrer Berufstätigkeit.

Entsprechend positiv wurde der Ruhestand gesehen. Man freute sich


darauf und tat alles dafür, ihn möglichst gesund und lange auszuko-
sten. Auch die Wirtschaft betrachtete die „Silver Ager“ als attraktive
Konsumentengruppe, die nicht nur gern reiste, sondern sich auch
hochwertige Güter, wie zum Beispiel neue Autos, kaufte. Sowohl die
finanziellen Möglichkeiten, selbst für den dritten Lebensabschnitt vor-
sorgen zu können, als auch die Bereitschaft waren gegeben.

Man interessierte sich nicht mehr für Sterbegeldversicherungen, son-


dern für Kapitallebensversicherungen oder selbst genutzte Immobili-

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Wie der Verstand Gegenwart und Zukunft sieht

en. Die Bedeutung dessen, was man alles nach dem Eintritt in den
Ruhestand noch machen wollte, führte dazu, dass man den zukünfti-
gen Ereignissen eine deutlich höhere Bedeutung beimaß.

Was die Zeitpräferenz beeinflusst


Wer heute zu dem Personenkreis zählt, der damit rechnet, in 20, aber
vielleicht auch erst in 25 Jahren in den Ruhestand zu gehen, wird als
Durchschnittsverdiener einen deutlich pessimistischeren Blick auf die
Zukunft haben. Sein heutiges Selbst wird durch die Bedrohung durch
Arbeitslosigkeit beeinträchtigt und auf sein zukünftiges Selbst fällt der
Schatten der Altersarmut, weil die gesetzliche Rente wahrscheinlich
geringer ausfallen wird als bei der vorangegangenen Generation.

Alles, was das zukünftige Selbst eines Durchschnittsbürgers betrifft, ist


mit einem großen Fragezeichen versehen, und der Optimismus der
Vergangenheit unter dem Motto „Die Renten sind sicher“ ist verflo-
gen. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn in dieser Generation die
Zeitpräferenz lautet: „Lieber jetzt als später“.

Diese Zeitpräferenz wird durch so genannte „Time discounting“-


Variablen beeinflusst. Dazu zählen:
• Emotionen, die sich sowohl auf gegenwärtige als auch auf vergan-
gene Ereignisse beziehen können;
• Stress, wie zum Beispiel Zeitdruck im Alltag;
• Größe und Bedeutung einer Entscheidung, die höchst subjektiv ist,
wobei kleine Entscheidungen in der Regel über- und große unter-
gewichtet werden;
• Referenzrahmen, wie zum Beispiel mögliche Beförderungen oder
Entlassungen;
• Unsicherheit bezüglich des Eintritts eines Ereignisses. „Wann
kommt die Klimakatastrophe und kommt sie überhaupt?“
• Erwartung von in Zukunft wechselnden Präferenzen. „Wenn die
Kinder aus dem Haus sind, wird alles anders.“
• In der Vergangenheit gemachte Erfahrungen. „Nach der Wäh-
rungsreform war alles Gesparte mit einem Schlag weg.“

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Generell wird von den meisten Menschen die Vergangenheit positiver


bewertet, als sie real war. Es gab fast immer eine weiße Weihnacht und
die Sommer waren wärmer und weniger verregnet als im vergangenen
Jahr und im Jahr davor. Diese positive Einfärbung der Vergangenheit
durch Emotionen findet sich in verschiedenen Bereichen wieder. Man
erinnert sich weniger an Zeiten der Arbeitslosigkeit. Alle haben früher
gut verdient und alles war früher billiger.

Auch wenn dies nicht den Fakten entspricht, bestimmt es doch unsere
Sichtweise auf die Gegenwart und erst recht auf die Zukunft. Wahr-
scheinlich spielen hier auch die Medien eine große Rolle, denn nur
„bad news are good news“. Negative Ereignisse bestimmen die emo-
tionale Bewertung der Gegenwart heute stärker, als sie es vor 50 Jahren
taten, als Fernsehen noch nicht alltäglich war. Wenn dann noch reale
Krisen hinzukommen, die alle Bürger betreffen werden, kann ein von
Angst geprägtes Verhalten ganze Volkswirtschaften verändern.

Auch Stress in Form von Zeitdruck kann die Wahrnehmung der Ge-
genwart verändern und damit ebenso die Zeitpräferenz in finanziel-
len Dingen. Wer wenig Zeit hat, möchte diese wenigstens auskosten.
Die zunehmende Zahl von Kurzreisen in ferne Länder ist wahr-
scheinlich ein Beleg dafür, aber auch die zunehmende Nachfrage
nach hochwertigen Konsumgütern, wie zum Beispiel Großfernseher
oder Festplattenrekorder. All dies dient dazu, die knapp gewordene
Freizeit zu veredeln.

Dass dabei dann die großen Entscheidungen auf der Strecke bleiben,
weil man die kleinen gegenwärtigen höher bewertet, ist selbstverständ-
lich. So zeigt die Statistik, dass die Deutschen sich innerhalb von vier
Wochen für den Kauf eines neuen Autos entscheiden können, das sie
zwischen drei und fünf Jahren nutzen, dass aber die Entscheidung für
eine bestimmte Form der privaten Altersvorsorge über viele Monate
hinausgezögert wird, obgleich die daraus entstehenden Konsequenzen
für Lebensstandard und Lebensqualität Jahrzehnte lang wirksam sind.

Ganz offensichtlich spielt hier der Referenzrahmen, also die gesell-


schaftlichen und ökonomischen Bedingungen, in denen sich die Men-
schen befinden, eine sehr große Rolle sowie ihre Unsicherheit hin-
sichtlich zukünftiger Ereignisse. Daneben wird das aktuelle und
zukunftsbezogene Verhalten auch noch durch die Erwartungen hin-

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Wie der Verstand Gegenwart und Zukunft sieht

sichtlich der eigenen wechselnden Präferenzen und die in der Vergan-


genheit gemachten Erfahrungen beeinflusst. Auch wenn die Emotio-
nen die Vergangenheit positiv färben, spielen tradierte Verhaltens-
weisen, die von den Eltern übernommen wurden, eine große Rolle.

Auch die Erwartungen hinsichtlich des Wechsels der eigenen Präferen-


zen sind eher in der Vergangenheit oder in der eigenen Familienge-
schichte zu finden als in Zukunftsprognosen. Wer zum Beispiel in der
Vergangenheit häufiger den Arbeitgeber und vielleicht sogar den Beruf
gewechselt hat, wird solche Veränderungen eher in die Zukunft fort-
schreiben als derjenige, der bereits seit 30 Jahren bei ein und demsel-
ben Arbeitgeber in Lohn und Brot steht.

Nicht nur einzelne der vorgenannten Variablen spielen eine Rolle,


sondern auch ihr Zusammenspiel und ihre gegenseitige Beeinflussung.
Wer die Zukunft eher bedrohlich findet, wird eher gegenwartsbezogen
handeln als zukunftsorientiert.

Wenn zum Beispiel ein kurzfristiger Gewinn für die Verschrottung


eines alten Autos in Aussicht gestellt wird, um die Mehrzahl der vor-
handenen Altautobesitzer dazu zu animieren, in eine ökologisch kor-
rekte Zukunft zu investieren und der Wirtschaft einen zusätzlichen
Schub zu verleihen, wird dabei ganz klar auf die Zeitpräferenz speku-
liert.

Mit Zeitpräferenz bezeichnet man also die Annahme, dass ein Konsu-
ment ein bestimmtes Gut lieber in der Gegenwart gebrauchen möchte
als in der Zukunft, und dass er lieber erst in Zukunft bezahlt, nämlich
kleine Raten für das Auto, als in der Gegenwart. Die Entscheidung
darüber, wie man den Nutzen und die Kosten zeitlich verteilt, nennt
man „Intertemporal choice“.

Lieber eine kleine Belohnung jetzt als später eine größere


Ein wichtiger Aspekt ist dabei das so genannte „Hyperbolic time dis-
counting“. Das heißt, Zeitunterschiede werden anders bewertet, wenn
man sie in die Zukunft verschiebt. Dazu wurden unterschiedliche Ex-
perimente gemacht.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Beim ersten Experiment wurde den Teilnehmern eine kleine und sofor-
tige Belohnung in Aussicht gestellt, zum Beispiel ein Warengutschein
über fünf Dollar, oder eine Belohnung, die erst in sechs Wochen einge-
löst werden konnte, nämlich ein Warengutschein über 40 Dollar. Die
meisten Testpersonen wählten die sofortige Belohnung.

Bei der Entscheidung für die sofortige Belohnung spielten vor allem
die limbischen und paralimbischen Strukturen im Gehirn eine Rolle.
Gleichzeitig wurden auch der laterale präfrontale Cortex und der po-
steriore parentiale Cortex aktiv. Entschied sich die Testperson für eine
spätere Belohnung, war die Aktivität des limbischen Systems deutlich
geringer. Also handelt es sich beim Aufschub der Belohnung eher um
eine rationale Entscheidung.

Hat man nun die Wahl, zum Beispiel den Gewinn aus einem Wett-
bewerb heute in Höhe von 100 Dollar ausbezahlt zu bekommen oder
in drei Jahren in Höhe von 200 Dollar, entscheiden sich auch hier die
meisten Versuchspersonen für die sofortige Auszahlung, wobei die
Unsicherheit über die Situation in drei Jahren sicherlich eine Rolle
spielt.

Stehen sie allerdings vor der Wahl, den Gewinn von 100 Dollar in drei
Jahren ausgezahlt zu bekommen oder den Gewinn von 200 Dollar in
sechs Jahren, wobei die Zeitdifferenz zwischen den beiden Auszahlun-
gen gleichlang ist wie beim ersten Beispiel, dann entscheiden sich die
meisten für die 200 Dollar-Variante.

Offensichtlich spielt die Differenz von drei Jahren keine Rolle mehr,
wenn sie nur entsprechend weit in der Zukunft liegt. Stellt man nun
die Entscheidung für die Zukunft in hyperbolischen Kurven dar, so
wird die Variante für 200 Dollar in sechs Jahren heute höher bewertet
als die Variante für 100 Dollar in drei Jahren.

Allerdings gibt es bei diesen hyperbolischen Kurven anders als bei


Exponentialkurven nach ungefähr zwei Jahren eine Überschneidung,
die nichts anderes bedeutet, als dass zu diesem Zeitpunkt eventuell
die Zukunftspräferenz doch hinsichtlich der früheren Auszahlung
von 100 Dollar geändert wird. Der niedrigere, aber nähere Gewinn
scheint vielen Versuchsteilnehmern dann doch wieder attraktiver.

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Vorurteile machen das Denken einfacher, aber nicht das Miteinander

Offensichtlich laufen im Gehirn wiederum zwei unabhängige Systeme


parallel zueinander, eines, das die sofortige oder zumindest baldige
Befriedigung von Wünschen belohnt und sich praktisch nicht um die
Zukunft kümmert, und eines, das eine eher beratende Funktion hat
und zukünftige Ereignisse sowie zu erwartende spätere Belohnungen
stärker ins Kalkül zieht.

Offensichtlich wird durch einen kurzfristig zu realisierenden Gewinn


die Lebhaftigkeit der Vorstellungen darüber, was man mit diesem Ge-
winn alles anstellen könnte, so stark aktiviert, dass die Attraktivität
einer kleinen Summe überproportional verstärkt wird oder die Ein-
schätzung eines Risikos minimiert.

Diese Lebhaftigkeit (Vividness) spielt offensichtlich eine sehr große


Rolle, wenn man die Unvernünftigkeit schneller Belohnungen be-
schreiben will. Je lebhafter die Vorstellungen sind, desto aktiver ist
auch das Belohnungszentrum, das dann vernünftige Überlegungen
ganz einfach beiseite schieben kann.

Vorurteile machen das Denken einfacher, aber


nicht das Miteinander
Denken ist zumindest in der Regel kein Selbstzweck, sondern soll das
Überleben eines jeden Menschen sichern, indem es ihn in kleinsten
Schritten von einer Entscheidung zur nächsten durchs Leben navigiert.
Da das Gehirn somit eine klar definierte Funktion hat, folgt es ganz
bestimmten Prinzipien, die in einem gesunden Gehirn den Energie-
aufwand für das Denken so weit wie möglich in Grenzen halten und
die die Denkprozesse so schnell wie irgend möglich ablaufen lassen. Es
gibt also eine Ökonomie des Denkens.

Das Gedächtnis ist dabei eine der wichtigsten Ressourcen, um ökono-


misch arbeiten zu können. Stellen wir uns doch nur einmal vor, wie
unpraktisch es wäre, wenn wir eingehende Informationen zwar verar-
beiten, aber nicht speichern könnten oder zumindest nicht für längere
Zeit, und jeden Morgen nach dem Aufwachen die Welt immer wieder
neu entdecken müssten. Wie problematisch ein solches Leben ist, zei-

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

gen uns Menschen, die entsprechende Krankheitsbilder aufweisen,


aber auch immer wieder Filme, die das Thema Gedächtnisverlust the-
matisieren.

Allerdings ist unser Gedächtnis aus ökonomischen Gründen gezwun-


gen, eine Vielzahl von Informationen ungeprüft oder nur im Rahmen
eines bestimmten Kontextes zu speichern und sie auch ebenso unge-
prüft wieder abzurufen. Der größte Teil dessen, was einmal unter der
Rubrik „richtig“ abgespeichert wurde, wird beim Erinnern nicht noch
einmal auf seine Richtigkeit hin überprüft.

Erst wenn es einen wichtigen Anlass gibt, werden wir unsere Erinne-
rung überarbeiten und altes Wissen durch neues ersetzen. In den mei-
sten Fällen haben wir schon vorher im Rahmen des Speichervorganges
geurteilt. Und so kommt es, dass wir stets auf der Basis einer ganzen
Reihe von Vorurteilen denken, ohne dass diese den negativen Beige-
schmack haben müssen, den der Begriff „Vorurteil“ in sich trägt.

Vorurteile im allgemeinen Sprachgebrauch zeichnen sich dadurch aus,


dass sie entweder überhaupt nicht oder nur sehr ungenügend durch
überprüfbare Tatsachen und relevante Erfahrungen gestützt werden
können. Mit „Vorurteil“ bezeichnen wir generalisierende Urteile, die
vom Einzelnen aufs Ganze schließen. Vorurteile sind in der Regel rich-
tende Bewertungen über Personen oder Sachverhalte. Sie unterscheiden
sich von anderen Bewertungen durch eine starre Verallgemeinerung.

Vorurteile, die eigentlich eine Denkabkürzung durch eine einfache


Ordnung und schnelle Orientierung bieten sollen, können also ein
Eigenleben führen, das mehr Gefahren verursacht, als es Nutzen bietet.
Vorurteile können unabhängig davon, ob sie aufwertender oder ab-
wertender Natur sind, nicht nur für den Einzelnen ganz erhebliche
Probleme im Miteinander mit anderen Menschen erzeugen, gegen die
sich diese Vorurteile richten oder die diese Vorurteile nicht teilen,
sondern sie können auch ganze Gesellschaften in Probleme stürzen,
wie es der Nationalsozialismus in Deutschland oder die Roten Khmer
in Kambodscha getan haben.

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Vorurteile machen das Denken einfacher, aber nicht das Miteinander

Schlüsselerlebnisse als Quelle von Vorurteilen


Die wichtigste individuelle Quelle sind sicherlich Schlüsselerlebnisse, die
man speziell in der Kindheit hat, aber auch noch als Erwachsener haben
kann. Ob man nun auf zu dünnes Eis gegangen und eingebrochen ist,
weshalb man dem Schlittschuhlaufen ein Leben lang skeptisch gegenü-
bersteht, oder ob man einmal von einem aggressiven Hund angegriffen
wurde und deshalb ein Leben lang einen großen Bogen um Hunde
macht, immer handelt es sich um ein einmaliges und persönliches Er-
lebnis, das entsprechend bewertet wurde und verallgemeinernd als fester
Baustein in einem Muster unser Denken bestimmt.

Ein Schlüsselerlebnis ist ein Ereignis, das unser Verhältnis zu bestimm-


ten Menschen, Dingen oder Situationen nachhaltig prägt. Es muss uns
nicht andauernd im Bewusstsein herumspuken und uns ständig ver-
folgen. Es muss nicht so sein, dass dieses Ereignis von uns selbst oder
auch von anderen in seiner besonderen Tragweite erkannt wird. Ja, es
ist nicht einmal notwendig, dass das Ereignis selbst tatsächlich von
besonderer Bedeutung ist. Es kommt einzig und allein darauf an, wie
der betroffene Mensch es in seinem Erfahrungsschatz ablegt, wie es
mit Gefühlen und anderen Erfahrungen eine Verbindung eingeht.

Nicht jedes einschneidende oder dramatische Ereignis muss zu einem


Schlüsselerlebnis werden, es können auch die Banalitäten des Alltags
sein. Ein Schlüsselerlebnis kann oft für Jahre oder sogar Jahrzehnte im
Unbewussten versinken und trotzdem dort seine Wirkung entfalten.
Aber plötzlich passt ein aktuelles Erlebnis wie ein Schlüssel ins Schloss
und öffnet unversehens eine lange Zeit verschlossen gebliebene Tür.

Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens solche Erlebnisse. In der


Kindheit und Jugend sind sie wahrscheinlich häufiger, aber auch ei-
nem Erwachsenen kann es durchaus passieren, dass er etwas erlebt,
was ihn im Guten oder im Schlechten für immer verändert.

Welche Erlebnisse auf wen wie wirken, ist kaum vorherzusagen. Die
schlimmste Form ist die des Traumas, das den jeweiligen Menschen
körperlich und/oder seelisch krank werden lässt. Aber selbst von sol-
chen dramatischen Ereignissen wirken nicht alle auf alle Menschen
gleich. Jeder kann in einer ruhigen Minute die Seele baumeln lassen
und sich auf die Suche nach solchen Schlüsselerlebnissen in seinem

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Inneren begeben. Oft ist es auch so, dass man im vertrauten Gespräch
mit Freunden plötzlich an bestimmte Ereignisse erinnert wird und
Geschichten zum Besten gibt, die sich um ein Schlüsselerlebnis ranken.

Vorurteile entstehen aber auch aus mangelnder Erfahrung. Dies ist


besonders häufig bei Jugendlichen der Fall. Bestimmten, eher zufälli-
gen Ereignissen wird ein besonderer Erfahrungswert zugeschrieben,
der anscheinend keiner weiteren oder späteren Überprüfung mehr
bedarf. Die Grenze zu den Schlüsselerlebnissen ist dabei fließend, aber
in der Regel richten sich Vorurteile aus mangelnder Erfahrung eher
auf Banalitäten, die für unser weiteres Denken zwar bestimmend, aber
nicht so wichtig sind.

Zum Beispiel das Vorurteil, die Pizza einer bestimmten Marke ist zu
hart oder zu weich, deshalb wird sie nicht mehr gekauft. Dass das auch
an einer fehlerhaften Zubereitung liegen mag, wird dabei nicht in Be-
tracht gezogen. In die gleiche Kategorie fallen auch Vorurteile wie
„Ausländische Nachbarn machen zu laute Musik oder werfen ihren
Verpackungsmüll in die falsche Mülltonne“.

All diese Vorurteile auf der Basis mangelnder Erfahrung zeichnen sich
durch eine niedrige Qualität aus und sind auch nicht sehr stark emo-
tional verankert. Anders ist das mit Vorurteilen, die durch eine Auto-
rität in unsere Köpfe gepflanzt worden sind.

Autorität als Quelle von Vorurteilen


Eine solche Autorität kann zum Beispiel die Masse sein. Die Skepsis
gegenüber einer solchen Autorität im Spannungsfeld zur Individualität
äußerte sich zum Beispiel durch folgenden Text, der auf die Wand
eines Universitätsgebäudes gesprüht war: „Leute, esst Scheiße. Milliar-
den von Fliegen können sich nicht irren“.

Eine ganz andere Form von Autorität stellt die der Führungspersön-
lichkeit dar. Es kann der Vater für den Sohn oder die Tochter sein,
aber auch der Papst für die Gesamtheit aller Katholiken oder der Chef
eines Unternehmens für seine Mitarbeiter. Die Vorurteile beruhen
dann weder auf Schlüsselerlebnissen, noch auf einem Mangel an Er-

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Vorurteile machen das Denken einfacher, aber nicht das Miteinander

fahrung, sondern auf der Akzeptanz derjenigen oder desjenigen, dem


die Autorität für eine bestimmte Frage zugesprochen wird.

Dabei wird all das, was die jeweilige Autorität als Ansicht verbreitet,
nicht im allgemeinen Sinne als Vorurteil wahrgenommen, sondern
ungeprüft als richtig oder zumindest als allgemein verbindlich akzep-
tiert. Vorurteile sind in diesem Falle nichts anderes als Meme, die sich
verbreiten und als Denkmuster verfestigen.

Vorurteile können sich als Meme festsetzen


Ein individuelles Vorurteil, das auf persönlichen Erfahrungen beruht,
wie zum Beispiel „alle Hunde beißen“, „Schlittschuhlaufen ist gefähr-
lich“ oder „die Pizza der Marke Soundso schmeckt nicht“, hat nur
wenig Chancen, sich als Mem zu verbreiten. Solche Vorurteile verbrei-
ten sich allenfalls innerhalb von Familien oder kleinen Gruppierungen,
erlangen aber kaum Allgemeingültigkeit. Dies ist nur dann möglich,
wenn Vorurteile als Stereotypien eine gewisse Konsistenz erreicht ha-
ben, die bestimmte Kriterien erfüllt.

„Erfolgreiche“ Vorurteile müssen sowohl für den Einzelnen als auch


für eine größere Gruppe Identität stiftend sein, indem sie den Einzel-
nen und die Gruppe aufwerten. Sie müssen eine generelle Orientie-
rung bieten, sodass Abweichungen vom Vorurteil stets als Ausnahme
dargestellt werden können. Außerdem müssen sie inhaltlich unscharf
sein. Eine solche Stereotypie war zum Beispiel die „Herrenrasse“. Es
wertete diejenigen, die sich dazu zählten, sowohl persönlich als auch
als Gruppe auf, es gab ihnen eine Identität und es war, wenn man es
auf Tatsachen abklopfte, inhaltsleer.

Stereotypien haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie sich in-


strumentalisieren lassen, um andere Menschen zu manipulieren, und
dass sie sich, da es sich um Meme handelt, auch gut reproduzieren und
vervielfältigen lassen. Um Menschen zu manipulieren, kann man sich
des Primings und Framings bedienen. Man schafft Situationen, in
denen bestimmte Informationen besonders gut aufgenommen wer-
den, oder man stellt sie in ein Umfeld, das ihnen eine überproportio-
nale Aufmerksamkeit gewährleistet.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Während Priming und Framing von außen auf die Manipulation und
Verfestigung bestimmter Denkmuster bei Individuen abzielen, ge-
schieht dies durch selektive Wahrnehmung beim einzelnen Menschen
selbst. Alle Informationen und Tatsachen, die nicht zum bestehenden
Denkmuster passen, werden ignoriert oder abgelehnt, während all
jene, die die eigenen Denkmuster bestätigen, begierig gesammelt und
registriert werden.

Im positiven Sinne wird die selektive Wahrnehmung als Schutzme-


chanismus angesehen, der uns vor einer Überflutung mit sich wider-
sprechenden Informationen und Reizen bewahrt. Er hat aber auch
ebenso starke negative Effekte. Oft geht es wirklich nur um die Bestäti-
gung der eigenen Meinung und um die Aufrechterhaltung des Musters
„Ich habe recht“.

Verhandlungen – Kooperation statt Konfrontation


Eine Verhandlung ist eine ganz bestimmte Form der Kommunikation,
und sie ist aus wissenschaftlicher Sicht eine Kette von vielen einzelnen
Entscheidungen, die am Ende als Verhandlungsergebnis in eine große
Entscheidung münden. Doch bevor man dieses Ergebnis hat, werden
von den Verhandlungspartnern Schritt für Schritt viele kleine Ent-
scheidungen, die dann in Reaktionen und Argumenten ihren Aus-
druck finden, getroffen.

Im Grunde genommen geht es aus wissenschaftlicher Sicht bei Ver-


handlungen ganz grundsätzlich um das Verhalten von Menschen in
bestimmten Situationen. Das hört sich zunächst einmal sehr abstrakt
an. Doch was die Neurowissenschaften brennend interessiert, ist ganz
simpel: „Was passiert im Gehirn eines Menschen, wenn er sich in einer
bestimmten Weise verhält oder wenn er auf einen ganz bestimmten
Reiz reagiert?“

Die funktionelle Magnetresonanztomografie macht es möglich, den


Menschen beim Denken zuzuschauen und zu sehen, welche Gehirnre-
gionen in welcher Situation aktiv werden oder nicht. Da man eine
recht gute Vorstellung davon hat, wofür bestimmte Hirnregionen zu-
ständig sind, kann man also auch recht aussagefähige Annahmen dar-

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Verhandlungen – Kooperation statt Konfrontation

über treffen, was tatsächlich im Kopf passiert. Ob es sich zum Beispiel


eher um eine rational oder um eine emotional bestimmte Entschei-
dung handelt.

Ganz sicher spielt hier das Belohnungssystem eine große Rolle. Es be-
lohnt uns dafür, dass wir Dinge tun, die von uns ganz subjektiv als
positiv und erfolgreich erlebt werden.

Wenn man einen Menschen fragt, warum er in einer Verhandlung


eine ganz bestimmte Entscheidung getroffen hat, wird er uns mit gro-
ßer Sicherheit eine ganze Reihe vernünftiger Argumente dafür anbie-
ten. Doch wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um die „Bedeu-
tungssoße“, mit denen die eigentlichen Gründe übergossen werden. In
Wirklichkeit weiß er es gar nicht so genau.

Das, was wir von uns bewusst wahrnehmen, sind häufig Fakten,
Gründe und Zusammenhänge, die im Unbewussten bereits bearbeitet
worden sind und uns dann sozusagen in mundgerechten Häppchen
ins Bewusstsein gereicht werden, wo sie dann abgesegnet werden.

Das, was das Neuromarketing entdeckt hat, lässt sich auch auf Ver-
handlungsstrategien übertragen, zum Beispiel welche Bedeutung das
Umfeld, Erinnerungen oder bestimmte Signale haben.

Viele Experimente, die Aufschluss darüber geben sollen, wie Entschei-


dungen im Gehirn getroffen und verarbeitet werden, basieren auf Ver-
handlungsspielen, in denen einer der Verhandlungspartner ein Ange-
bot macht und der andere dieses annimmt oder ablehnt. Man hat
damit komplexe Verhandlungen in ihre kleinsten Schritte zerlegt, die
man dann nicht nur genau beobachten, sondern in ihren Auswirkun-
gen auch präzise beurteilen kann.

Verhandlungen im landläufigen Sinne bestehen also aus einer komple-


xen Abfolge einzelner Entscheidungsschritte der Verhandlungspartner.
Aber die Wissenschaft ist heute bereits so weit, auch schon die Ent-
scheidungsgründe erklären zu können, indem sie nämlich untersucht
hat, welche Einflussfaktoren wie auf bestimmte Entscheidungen wir-
ken. Insofern ist es möglich, Entscheidungen und damit Verhandlun-
gen zu beeinflussen, indem man diese Faktoren von vornherein ins
Kalkül zieht.

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Der Leser wird sich die Frage stellen, ob sich die neurowissenschaftli-
chen Erkenntnisse tatsächlich in praktische Handlungsanleitungen für
Verhandlungen umsetzen lassen, wenn die meisten Prozesse unbe-
wusst ablaufen.

Hier stehen wir also vor der zentralen Frage, ob man sich Unbewusstes
bewusst machen kann. Es gibt viele Hirnforscher, die dies grundsätz-
lich verneinen und nur einem Berater, Coach oder Therapeuten die
Fähigkeit zubilligen, mentale Prozesse eines anderen Menschen richtig
zu deuten.

Andere gehen davon aus, dass unser präfrontaler Cortex durchaus


über die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung verfügt. Wenn ich etwas
beobachten kann, kann ich es auch interpretieren und mit großer
Wahrscheinlichkeit, wenn auch in Grenzen, korrigieren. Besonders
wenn mein Gehirn im strategischen Denken trainiert ist, bin ich auch
in der Lage, Selbstanalysen vorzunehmen und Selbstkritik zu üben.

Der Bonner Hirnforscher Prof. Christian Elger hat sieben Grundregeln


für das Verhandeln aufgestellt:

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle.


Das Belohnungssystem Ihres Verhandlungspartners klopft alle einge-
henden Informationen nach eigenen Vorteilen ab, und genau daran
wird sich dieser Verhandlungspartner später erinnern. Jede Verhand-
lungspartei wird vorrangig die eigenen Vorteile mit höherer Bedeu-
tung versehen. Belohnen Sie sich selbst für altruistisches Verhalten,
indem Sie auch die Vorteile der anderen in den Blickpunkt heben.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall.


Beim Verhandeln und Kommunizieren geht Kooperation grundsätz-
lich vor Konkurrenz. Eine gemeinsame Lösung, die auch gemeinsam
getragen werden kann, ist stets die beste. Das bedeutet nicht, dass alle
die gleichen materiellen Vorteile haben werden, aber dass alle das glei-
che Maß an Respekt und Fairness erfahren konnten.

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Verhandlungen – Kooperation statt Konfrontation

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten.


Viele Verhandlungen werden durch die vorhandenen Vorinformatio-
nen bereits entschieden, bevor sie überhaupt begonnen haben. Diese
Vorphase von Verhandlungen wird in der Regel noch zu stark unter-
schätzt. Vorinformationen beeinflussen die eigene Wahrnehmung
nachhaltig. Das gilt für alle Verhandlungspartner.

4. Jedes Gehirn ist anders.


Weil jedes Gehirn anders ist, werden verschiedene Menschen in identi-
schen Situationen unterschiedliche unbewusste Signale durch Mimik
und Körperhaltung aussenden. Wir reagieren auf diese Signale, auch
wenn sie uns selbst nicht bewusst werden. Wir sind jedoch in der Lage,
die Signale der anderen in unser Bewusstsein zu heben und auch unse-
re eigenen Signale zumindest zum Teil bewusst zu kontrollieren.

Manche Verhandlungspartner versuchen die eigenen Signale zu unter-


drücken, doch man kann nicht nichtkommunizieren. Unterdrückte
Signale sind auch Signale. Andere Verhandlungspartner versuchen
durch unfaire Kommunikation bei uns Reaktionen hervorzurufen, die
nicht beabsichtigt sind, zum Beispiel dass wir auf unfaire Angebote mit
altruistischem Bestrafen reagieren. Wenn wir merken, dass wir altrui-
stisch bestrafen wollen, sollten wir zumindest versuchen, dies auf einem
Weg zu machen, der das unfaire Verhalten als solches kennzeichnet.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen.


Diese Regel gilt beim Verhandeln und Kommunizieren in besonderem
Maße. Häufig dominiert der Beziehungsaspekt einer Kommunikation
deutlich über den Inhaltsaspekt. Dieses Problem kann man lösen, in-
dem man sich auf eine Metaebene begibt und über die Art der Kom-
munikation eine neue Vereinbarung trifft.

6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten.


Wir werden nur selten auf Verhandlungspartner treffen, die nicht zu-
mindest partiell eine Ähnlichkeit mit einem Menschen haben, mit dem
uns gute oder schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit verbin-
den. Diese Erfahrungen werden ganz unbewusst auch auf den neuen
Verhandlungs- oder Kommunikationspartner übertragen. Ähnlichkei-
ten im Aussehen und Verhalten können tatsächlich auch zu ähnlichen

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Was uns antreibt, bewegt oder hemmt

Reaktionen führen, sie müssen es aber nicht. Allerdings werden sie


unsere eigenen Erwartungen bestimmen. Wenn man sich dessen be-
wusst ist, wird es für das Gehirn weniger Überraschungen geben, und
es wird mehr Raum für die Verarbeitung neuer Informationen zur
Verfügung stehen.

7. Situationen können eine nicht vorhersehbare Eigendynamik


entwickeln.
Je mehr Personen an einer Verhandlung beteiligt sind, desto größer ist
die Gefahr der Eigendynamik. Dieser kann man nicht nur durch eine
strenge Reglementierung der Verhandlungssituation entgegenwirken,
sondern auch dadurch, dass vorab nicht nur Informationen ausge-
tauscht werden, sondern auch Vereinbarungen getroffen wurden, an
die man sich aus Fairnessgründen hält.

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Wege zu einem neuen Selbst – wie wir
uns ändern können
„Am liebsten würde ich in meinem Leben etwas ganz anderes tun, als ich
es jetzt tue“. Wer hat diesen Satz nicht schon einmal selbst gesagt oder ihn
schon in seinem Freundeskreis gehört. Normalerweise passiert außer ei-
nem tiefen Seufzer nichts oder es wird gleich eine Begründung nachge-
schoben, weshalb das, was man „wirklich“ möchte, ja ohnehin nicht zu
realisieren sei.

Da sind die Kinder, die die Schule nicht wechseln können, da gibt es ein
Haus, das man verkaufen müsste, man hat einen Arbeitsplatz, der zwar
nicht sicher ist, den man aber trotzdem nicht aufgeben möchte, und meist
spielt das fehlende Geld ohnehin die größte Rolle als Hindernis für ein
erfülltes Leben. Aber stimmen diese Argumente wirklich?

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Wege zu einem neuen Selbst – wie wir uns ändern können

Die Selbstwahrnehmung lässt sich trainieren


Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, heißt es, und tatsächlich scheint hier
in Deutschland der Wille zur echten Veränderung zu fehlen. Deutsch-
land leidet an Neophobie, der Angst vor dem Neuen, diagnostizierte der
Wirtschaftswissenschaftler Horst Siebert im Frühjahr 2005.

Die Macht des kollektiven Denkens darf man nicht unterschätzen. Ob


Optimismus oder Pessimismus, Stimmungen sind ebenso ansteckend
wie Krankheiten. Wir wissen, dass es die Spiegelneuronen sind, die
kleinste unbewusste Körpersignale lesen, und wir spüren deshalb ge-
nau, wenn das, was einer sagt, nicht das ist, was er denkt und fühlt.

Das deutsche Denken steht ganz offensichtlich vor einem großen Kon-
flikt. Einerseits hat das menschliche Gehirn von Natur aus einen uner-
sättlichen Hunger auf Neues, andererseits sind aber die kollektiven
Muster in den Köpfen offensichtlich mehrheitlich so angelegt, dass sie
sich gegen jede Veränderung wehren.

Eines der häufigsten Argumente, das gegen Veränderungen ins Feld


geführt wird, ist das Alter. Viele sehen schon mit Mitte 30 keine Chan-
ce mehr, auch nur an einen Ausbruch aus ihrer Routine zu denken.
Heute wissen wir, dass die Entwicklung des Gehirns und der Persön-
lichkeit des Menschen keineswegs mit der Pubertät oder dem 30. Le-
bensjahr abgeschlossen ist, sondern die Nervenzellen ein Leben lang
nachwachsen und dass sich das Gehirn tatsächlich wie ein Muskel
trainieren und fit halten lässt.

Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein


heben
Im Prinzip ist kein Mensch in der Lage, sich seiner unbewussten Gedan-
ken, Motive und Wertvorstellungen im Voraus bewusst zu werden. Also
kann er auch die damit verbundenen Signale nicht kontrollieren. Ent-
wickelt man jedoch ein bestimmtes Körperbewusstsein und achtet man
selbst in verzwickten Situationen auf die eigenen Reaktionen, dann kann
man sein eigenes Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben
und zumindest zu einem bestimmten Teil darauf reagieren.

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Achtsamkeit – ein Weg zur besseren Selbstwahrnehmung

Die meisten zunächst unbewussten Bewegungen lassen sich dann


durch bewusste Willensentscheidungen unter Kontrolle bringen, so
dass sie besser den gewünschten Signalen entsprechen. Besonders gilt
dies für Angstreaktionen und Nervosität. Hier können auch ganz be-
stimmte mentale Übungen helfen, unerwünschte Signale zu unter-
drücken. Oft gelingt es dann nur noch geschulten Betrachtern, die
tatsächlichen Gefühle zu entschlüsseln.

Das bedeutet allerdings nicht, dass es in jeder Situation sinnvoll ist,


seine Gefühle zu unterdrücken, besonders dann nicht, wenn sie positi-
ver Natur sind. Leider ist es aber so, dass gerade das des Öfteren ge-
schieht, während negativen Signalen freier Lauf gelassen wird.

Achtsamkeit – ein Weg zur besseren


Selbstwahrnehmung
Der Begriff Achtsamkeit wird in der deutschen Sprache hauptsächlich
im Zusammenhang mit Spiritualität, speziell im Buddhismus, und in
der Verhaltenstherapie verwendet. Dabei geht es einerseits um eine
verbesserte Selbsterfahrung, andererseits um die Beeinflussung von
Krankheitssymptomen und den Erhalt der Gesundheit, zum Beispiel
durch Stressreduzierung. In Management-Theorien hat Achtsamkeit
so gut wie keine Bedeutung.

Das ist in den USA anders. Hier existiert bereits ein Arbeitsbereich, der
sich Neuroscience of Mindfulness nennt und in dem einerseits mit
neurowissenschaftlichen Methoden untersucht wird, was im Gehirn
von meditierenden Menschen geschieht und andererseits, wie weit die
daraus gewonnenen Erkenntnisse auch auf Alltagssituationen ange-
wandt werden können.

„Sich etwas von der Seele reden“ hilft


Jeder von uns kennt wahrscheinlich die befreiende Wirkung, die es
hat, wenn man mit einem anderen Menschen über Ärger, Trauer oder
andere Dinge, die einen bedrücken, sprechen kann. „Sich etwas von
der Seele reden“ hat befreiende und erleichternde Wirkung. Doch

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Wege zu einem neuen Selbst – wie wir uns ändern können

warum ist das so? Dieser Frage ging der Neuropsychologe Matthew
D. Lieberman mit seinem Team an der Universität von Kalifornien in
Los Angeles nach.

Dazu beobachtete er die Hirnaktivitäten seiner Probanden im Magnet-


resonanztomografen, während er ihnen die Bilder von ärgerlichen
oder ängstlichen Gesichtern zeigte. Das Ergebnis war, dass in beiden
Fällen die Amygdala sofort in einen Alarmzustand versetzt wurde, was
dazu dient, auf eine Gefahrensituation zu reagieren. Selbst wenn die
Bilder nur so kurz gezeigt wurden, dass sie kaum ins Bewusstsein
drangen, reagierte der Mandelkern wie erwartet.

Nun wurde der Versuch variiert, indem den Gesichtsbildern die Na-
men Harry und Sally beigegeben wurden und die Teilnehmer dem
Gesicht den Namen mit dem passenden Geschlecht zuordnen sollten.
Auch jetzt änderte sich in den Hirnaktivitäten nichts. Das war erst der
Fall, als dem gezeigten Gesicht die jeweilige Emotion „wütend“ oder
„ängstlich“ zugeordnet werden sollte. Plötzlich schwächte sich die
Reaktion der Amygdala deutlich ab.

Gleichzeitig beobachteten die Forscher eine Aktivierung des rechten


ventrolateralen präfrontalen Cortex. Diese Region hat offensichtlich
die Funktion, emotionale Erfahrungen in Worte zu fassen und da-
durch andere Reaktionen zu unterbinden. Ganz simpel bedeutet das,
eine emotionale Reaktion wird schwächer oder ganz unterbunden,
wenn man sie ausdrücklich benennt. Lieberman kam zu dem Schluss,
dass man unerwünschte Gefühle gar nicht bewusst unterdrücken oder
ihre Ursachen hinterfragen muss, um sie abzuschwächen, es reicht, sie
zu benennen.

Die Kontrolle seiner Emotionen lässt sich trainieren


Dass sich die Kontrolle von Emotionen trainieren kann, zeigte sich
auch in Versuchen, die der Psychoimmunologe David Creswell an-
stellte. Personen, die achtsam mit ihren Emotionen umgingen, unter-
drückten Reaktionen der Amygdala durch die Aktivierung des ventro-
lateralen präfrontalen Cortex. Insofern darf man durchaus annehmen,
dass man die Kontrolle seiner Emotionen trainieren kann, indem man
sein eigenes Gefühlsleben beobachtet und es in Worten beschreibt.

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Achtsamkeit – ein Weg zur besseren Selbstwahrnehmung

Dazu muss man diese Gefühle nicht einmal aussprechen oder auf-
schreiben, obgleich beides sicherlich hilfreich ist.

Inzwischen gibt es bereits erste Trainingsprogramme, um auf der Basis


dieser Erkenntnis das eigene Verhalten vom Unbewussten ins Be-
wusstsein zu heben und damit zu kontrollieren. Vertreter der Neuro-
leadership in den USA gehen davon aus, dass man auf diese Weise
nicht nur sich selbst besser kontrollieren kann, sondern auch sein Ein-
fühlungsvermögen schult, bessere Entscheidungen treffen kann und
Stress vermeidet.

Erinnerungen ändern sich ständig


Wahrscheinlich kennt jeder das Kinderspiel „Ich sehe was, was du
nicht siehst“. Dabei soll eine Person ihre Aufmerksamkeit auf ein be-
stimmtes Objekt richten, und eine oder mehrere Personen müssen
durch geschicktes Fragen erraten, um welches Objekt es sich handelt.
Der Kern dieses Spiels dreht sich um die Selektion dessen, was wir
wahrnehmen.

Unser Auge als optisches System sieht im Prinzip alles, was ein anderer
Mensch aus derselben Position auch sehen kann. Nur nimmt jeder
wahrscheinlich andere Dinge wahr. Unsere Wahrnehmungen werden
mit dem unbewusst Erinnerten und dem bewusst Erinnerbaren in
Beziehung gesetzt.

Das Erinnerte und das Erinnerbare sind höchst komplizierte Kon-


struktionen, die nicht nur aus einer Mischung des Erfahrenen, Erleb-
ten und Erlernten bestehen, sondern die auch noch bewertet und be-
arbeitet worden sind und immer weiter bearbeitet werden.

Die Erinnerungen sind einem ständigen Veränderungsprozess unter-


worfen, den wir allerdings nur selten und eher in Ausnahmefällen
selbst bewusst wahrnehmen können. Das eigene Denken, die Wahr-
nehmungen der Wirklichkeit und die Deutung der Erfahrungen wer-
den in der Erinnerung verändert und neu zugeordnet.

Gerade im Zusammenhang mit Überzeugungen, politischen Meinun-


gen und Werteorientierungen erleben wir am ehesten die Veränderun-

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Wege zu einem neuen Selbst – wie wir uns ändern können

gen in unserer Erinnerung. Das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt


ganz selbstverständlich „normal“ war, wird zu einem anderen Zeit-
punkt und in einer anderen Lebenssituation ganz anders gesehen. Un-
sere Erinnerung verwandelt „richtig“ in „falsch“ und „wichtig“ in
„unwichtig“, möglicherweise aber auch alles in die entgegengesetzte
Richtung.

In der Vergangenheit bauten die meisten Menschen ihre Erinnerungen


aus Erfahrenem und Selbsterlebtem auf. Erfahrungen sind das, was
einem selbst widerfahren ist, was man körperlich oder gefühlsmäßig
zu spüren bekam. Erlebtes ist das, woran man selbst nicht beteiligt
war, aber als Zuschauer oder Zuhörer in einer ganz bestimmten Situa-
tion mitbekommen hat.

Heute findet das Erleben in erster Linie indirekt durch Fernsehen,


Rundfunk oder Internet und noch indirekter durch gedruckte Medien
statt. Die Wahrnehmung dieser eingehenden Informationen ist, wie
man sich gut vorstellen kann, von höchst unterschiedlicher Qualität.
Eine Sturmflut gemütlich vom heimischen Sessel aus zu betrachten,
spricht die verschiedenen Sinne weitaus weniger an als auf einem
sturmumtosten Deich zu stehen oder gar im Wasser um das eigene
Leben zu kämpfen.

Natürlich ist es nicht notwendig und auch nicht möglich, alle Erfah-
rungen selbst zu machen. Aber wenn man es selbst erlebt, wird man
ein bestimmtes Ereignis mit allen Sinnen wahrnehmen und anders
speichern und bewerten als beim Erleben aus zweiter Hand, wo Fiction
und Nonfiction, Kriminalfilm und Dokumentarfilm mit den identi-
schen Sinneswahrnehmungen, der Gemütlichkeit des Sessels und der
Behaglichkeit einer sicheren Umgebung verbunden sind.

Erwartungen entstehen aus Erinnerungen und Werten


Ein ganz wichtiger Aspekt, der im Zusammenhang mit Beziehungen
zu anderen Menschen und zur Wirklichkeit eine ganz große Rolle
spielt, sind die Erwartungen. Erwartungen entstehen nicht im luftlee-
ren Raum, auch wenn es uns oft so erscheint, sondern ihre Quelle sind
die Erinnerungen. Erwartungen ergeben nur dann einen Sinn, wenn
sich Erinnerungen und Werte darin spiegeln können.

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Achtsamkeit – ein Weg zur besseren Selbstwahrnehmung

Erwartungen sind allgegenwärtig. Sie können begründet oder unbe-


gründet sein. Sie können die Erfüllung beeinflussen, indem sie unge-
ahnte Kräfte mobilisieren und uns Fähigkeiten geben, die uns unserem
Ziel näher bringen. Enttäuschte Erwartungen können uns aber auch
den Überlebenswillen rauben. Welche Macht die Hoffnung haben
kann, beschreibt der Entdecker der Logotherapie, Viktor Frankl, in
seinen Erinnerungen an die KZ-Haft.

Als es zu Beginn des Jahres 1945 erste Gerüchte über das Vorrücken
der alliierten Streitkräfte gab, hatte ein Mithäftling ein ganz bestimm-
tes Datum vor Augen, bis zu dem die Befreiung geschehen sein müsste.
Doch das Datum verstrich, ohne dass alliierte Streitkräfte auftauchten.
Der Mithäftling erkrankte und starb innerhalb kürzester Zeit. Nur
wenige Tage später öffneten die alliierten Streitkräfte die Tore des KZ.

Dadurch dass sich die Hoffnung auf einen ganz konkreten Zeitpunkt
richtete, war sie anschließend verloren, und mit der Hoffnung starb
auch der Mensch. Hoffnung gründet sich auf wie auch immer geartete
Fakten. Dadurch unterscheidet sie sich von reinem Wunschdenken,
das keine konkreten Anlässe findet. Wunschdenken folgt einem Mu-
ster, das seine Beziehung zur Realität verloren hat.

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Werden Sie ein Genie 6 die eigenen
Denkmuster erkennen und verbessern
Gedankenmuster lassen sich ändern. Allerdings hat das in der Regel tief
greifende Folgen für die gesamte Lebensführung. Viele Menschen sind
zwar mit ihren Beziehungen zur Umwelt unzufrieden, weil diese oft nicht
so will, wie sie es wollen, halten aber ihr eigenes Denken für richtig und
sehen sich mit dem, was sie tun, voll im Recht. Sie haben wenig Chancen,
aus ihrem goldenen Käfig auszubrechen. Die dazu notwendigen mentalen
Kräfte zu mobilisieren erfordert Mühe und die Bereitschaft, Neues zu
lernen und tatsächlich Vieles anders zu machen.

Auch wer bessere Entscheidungen treffen möchte, muss gewohnte Denk-


gepflogenheiten aufgeben. All dies ist am leichtesten, wenn man selbst eine
innere Unzufriedenheit spürt.

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Die äußeren Einflüsse auf unser Denken


Man darf die äußeren Einwirkungen auf die Denkmuster eines Men-
schen keineswegs unterschätzen. Sowohl die Wahl des Lebenspartners
als auch die Wahl des Berufs hängen hauptsächlich von den äußeren
Lebensumständen ab. In der Regel wählt man Partner, die aus einem
ähnlichen sozialen Milieu und in der überwiegenden Zahl der Fälle
auch aus derselben Region stammen wie man selbst.

Den größten Einfluss auf die Berufswahl haben bei Jugendlichen die so
genannten Peer Groups, der Freundeskreis. Man möchte als Jugendli-
cher eben dazugehören und tut deshalb das, was alle machen. Jungen
möchten gern Kfz-Mechaniker werden, obgleich die Zukunftschancen
in diesem Beruf deutlich schlechter sind als in anderen, unter deren
Bezeichnung man sich aber leider nichts vorstellen kann.

Kein Wunder also, dass sich viele Menschen nach Abschluss der ersten
Berufsausbildung und vielleicht noch nach einigen Berufsjahren die
Frage stellen, ob sie tatsächlich das im Leben tun, was sie von ihren
Fähigkeiten her wirklich tun wollten,

Vieles von dem, was wir denken, entspringt nur einer Gewohnheit.
Wenn man etwas täglich tut, wird es so selbstverständlich, dass man
sich überhaupt nicht mehr vorstellen kann, es nicht zu tun. Gewohn-
heiten entspringen einerseits bestimmten Mustern, aber sie geben die-
sen auch Form. Dadurch verfestigen sie sich immer mehr. Natürlich
gibt es sowohl gute als auch schlechte Gewohnheiten, nur fallen die
schlechten anderen Menschen leichter auf als die guten.

Eine schlechte Gewohnheit besteht zum Beispiel darin, Entscheidun-


gen, die sicherlich wichtig sind, aber nicht dringend, aufzuschieben.
Jedes Denkmuster kennt viele gute Gründe, sich nicht oder zumindest
noch nicht jetzt für etwas Neues entscheiden zu müssen.

Auch wenn man es nicht wahrhaben will, das Gehirn gibt einem kör-
perliche Signale, wenn das Bewusstsein selbst nicht bereit ist, die Dis-
sonanz zwischen Wollen und Handeln zu beseitigen. Die Liste solcher
psychosomatischen Erkrankungen ist lang und bekannt, vom Kopf-
schmerz, über Rückenschmerzen, von Herz-, Magen- und Darmbe-
schwerden bis hin zum Zusammenbruch des Immunsystems sind alle

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Die äußeren Einflüsse auf unser Denken

Symptome und Erkrankungen möglich. Das Gehirn sorgt dafür, dass


der Mensch aus dem Kreislauf herausgenommen wird, der nicht zu
seinen Lebensmustern passt.

Das 80/20Prinzip gilt auch für das Denken


Der Psychologieprofessor Howard Gardner, der mit seiner Theorie
über die verschiedenen Arten der Intelligenz berühmt wurde, lenkt in
seinem Buch „Changing Minds“ das Augenmerk auf das von Richard
Koch ausgearbeitete 80/20-Prinzip. Dem 80/20-Prinzip liegt die Ent-
deckung des italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto zu Grunde, dass
sich in einer Gesellschaft Einkommen und Vermögen im Prinzip im
Verhältnis von 80 zu 20 verteilen. 20 Prozent der Bundesbürger besit-
zen 80 Prozent des Vermögens.

Inzwischen weiß man, dass diese 80/20-Regel nicht nur in der Wirt-
schaft ihre Gültigkeit hat – ein Unternehmen macht 80 Prozent seines
Umsatzes mit 20 Prozent seiner Kunden – sondern überall, selbst in
der Natur. Normalerweise reicht es, 20 Prozent zu ändern, um 80 Pro-
zent der Wirkung zu erzeugen. Gardner legt nun nahe, dieses Prinzip
auch auf das Denken anzuwenden. Ändern wir 20 Prozent unserer
Denkmuster, so werden sich 80 Prozent unseres Lebens ändern. Na-
türlich taucht dann immer die Frage auf, welches die 20 Prozent sind,
an denen wir arbeiten müssen.

Gardner empfiehlt sieben Ebenen, über die wir nachdenken sollten:


Gründe, Informationsbeschaffung, Rückmeldung, Umdeutungen, Res-
sourcen und Belohnungen, Veränderungen der Umwelt sowie Wider-
stand.

1. Gründe
Wer sein eigenes Denken verändern oder das anderer beeinflussen
möchte, sollte sich immer wieder bewusst machen, dass es für jeden
Gedanken, der als richtig erachtet wird, Gründe gibt. Diese Gründe
teilen sich allerdings nach den 80/20-Prinzip in einen Kerngrund und
sehr viel Bedeutungssoße auf. Um einen Wandel herbeiführen zu kön-
nen, muss man zum Kern vorstoßen und herausfinden, warum man
selbst oder jemand anders etwas ganz Bestimmtes will oder nicht will.

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Einer der häufigsten Ablehnungsgründe ist das Muster: „Wer nichts


ändert, macht auch nichts falsch“. Rein vom Verstand her wird ein
Mensch, der so denkt, sicherlich der These zustimmen „Nur im Wandel
liegt die Kontinuität“. Aber gefühlsmäßig möchte er doch lieber dort
verharren, wo er ist. Eine Begründung, die nur auf reinen Fakten beruht
und ausschließlich vernünftig ist, wird kaum ein Denkmuster verändern
können. Jede Begründung muss auch die Gefühle ansprechen.

Die Formel für einen guten Grund, ein Denkmuster zu ändern, lautet:
„Ich will es, ich weiß es nur noch nicht beziehungsweise sie wollen es
und wissen es nur noch nicht“. Denken Sie darüber nach, warum Sie
selbst es wollen sollten oder ein anderer es wollen sollte, und sammeln
Sie dann Argumente, um die Bedeutungssoße der alten Muster abzu-
tragen.

2. Informationsbeschaffung
Auch für die Informationen, die uns zur Verfügung stehen, gilt das
80/20-Prinzip. Nur 20 Prozent sind wirklich wichtig und 80 Prozent
sind reiner Informationsballast, den man als Müll getrost entsorgen
kann. Wer bestehende Muster unterstützen will, wird nur solche In-
formationen sammeln, die diese Muster bestätigen. Also sollte man
sich oder auch andere in die genau gegenteilige Position versetzen und
damit beginnen, stichhaltige Argumente für die Gegenposition zu
sammeln.

Zunächst wird es sicherlich schwer fallen, sich genau in die Position


einer gegenteiligen Meinung zu begeben, aber da der Mensch auf die
erfolgreiche Lösung von Aufgaben programmiert ist und auch die
Neigung hat, begonnene Aufgaben zu Ende zu bringen, wird man
auch hier ganz allmählich einen gewissen Eifer an den Tag legen und
immer mehr und immer bessere Argumente sammeln. So wird über
den Weg der Informationsbeschaffung eine Veränderung der beste-
henden Denkmuster eingeleitet.

3. Rückmeldung
Wenn Sie die Schritte „Ich will es, weiß es aber nur noch nicht“ und
die Beschaffung neuer Informationen gegangen sind, sollten Sie diese
neue Position und die neuen Argumente an anderen Menschen erpro-
ben. Sie werden zunächst erstaunt sein, dass Sie in der Regel eine sehr

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positive Resonanz erhalten. Das ist aber gar nicht weiter verwunder-
lich, denn Sie haben sich ja Mühe gegeben, die besten Informationen
und Argumente dafür zu sammeln, denn schließlich hatten Sie ja ur-
sprünglich eine andere Position.

Wer ursprünglich körperlich träge war und sich jetzt entschieden hat,
mit Jogging zu beginnen, wird feststellen, dass seine Argumente für
das Jogging bei anderen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen und
er verbal und nonverbal Anerkennung für seine Argumente findet.
Dadurch wird die begonnene Veränderung im Denkmuster emotional
verstärkt, untermauert und gefestigt.

Wer beginnt, seine Denkmuster zu ändern, wird sich auch schon bald
in einer anderen Gesellschaft wiederfinden beziehungsweise diese ganz
gezielt aufsuchen, weil ein Mensch gar nicht genug vom positiven
Feedback bekommen kann. Kein Wunder also, dass die meisten Ver-
änderungen im Denkmuster nicht nur partiell, sondern in der Regel
radikal erfolgen. Denn nur wenn man sich vom Saulus zum Paulus
wandelt, bekommt man uneingeschränkt positive Rückmeldungen
von anderen.

4. Umdeutungen
Eine weitere Möglichkeit, Denkmuster zu ändern, besteht darin, sie
auf neue Weise zu deuten. Wer zum Beispiel weiß, dass Fremdenfeind-
lichkeit nicht etwa durch das hervorgerufen wird, was die Fremden
tun, sondern aus der eigenen Angst heraus entsteht, wird die eigenen
Muster und Signale in Gegenwart von Fremden neu deuten und durch
bessere Muster ersetzen wollen.

5. Ressourcen und Belohnungen


Wer seine Denkmuster ändert, wird feststellen, dass ihm auf einmal
völlig neue Mittel zur Verfügung stehen und ganz neue Belohnungen
winken. Er kann aber auch genau den umgekehrten Weg gehen, um
die Denkmuster zu beeinflussen. Er verschafft sich neue Ressourcen
und stellt sich neue Belohnungen in Aussicht.

Wenn jemand seine Ernährungsgewohnheiten ändern will, reicht es


nicht, nur weniger vom selben zu essen, sondern er muss am besten
seinen Speiseplan generell umstellen. Andere Lebensmittel bieten neue

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Geschmackserlebnisse, was ebenso als Belohnung verstanden werden


sollte wie die Anerkennung durch andere Menschen, wenn man in
eine kleinere Konfektionsgröße passt.

6. Veränderungen der Umwelt


Bestimmte äußere Ereignisse können die Denkmuster einzelner Men-
schen oder gar einer ganzen Nation radikal verändern. Howard Gard-
ner ist der Überzeugung, dass das Attentat auf das World Trade Center
am 11. September 2001 nicht nur das Denken des amerikanischen
Präsidenten, sondern der gesamten Nation innerhalb kürzester Zeit
vollkommen umgekrempelt hat. Plötzlich sah man sich in einer Welt
voller Bedrohungen, auf die man zu reagieren hatte. Der Terror und
seine Bekämpfung wurden zu einem zentralen Thema der Politik.

Aber es sind nicht immer Terror und Krieg notwendig, um das Den-
ken einzelner Menschen oder ganzer Gruppen schlagartig zu verän-
dern. Wichtig ist in erster Linie, wie äußere Ereignisse verarbeitet wer-
den und welchen Niederschlag sie in den Gedankenmustern finden.
Der Verlust naher Verwandter oder die Trennung von einem Partner
können für einen einzelnen Menschen ganz ähnliche Folgen haben.
Selbst der Verlust des Arbeitsplatzes wird oft ähnlich stark erlebt wie
der Tod eines nahe stehenden Menschen.

Es ist aber nicht nur so, dass wir jetzt auf Ereignisse warten müssten,
die in unser Leben eingreifen. Wir können auch selbst Ereignisse an-
stoßen. Man kann seine Kinder auf eine andere Schule schicken oder
man kann sich neue Möbel für die Wohnung kaufen. Man kann sei-
nen Fernseher oder sein Auto verschenken. Jede dieser Veränderungen
wird neue Denkmuster und eine neue Sicht der Welt erzeugen.

7. Widerstand
Howard Gardner weist darauf hin, dass es in den ersten Lebensjahren
eines Menschen leicht ist, seine Denkmuster zu beeinflussen, und dass
es später immer schwieriger wird, weil sich mit zunehmendem Alter
bestimmte Muster verfestigen. Diese Widerstände werden am leichte-
sten dadurch überwunden, dass möglichst auf allen sechs Ebenen Ver-
änderungen einsetzen. Dabei reicht es, sich auf die wichtigsten 20 Pro-
zent zu konzentrieren.

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Die äußeren Einflüsse auf unser Denken

Hierbei kann oft das so genannte Mindmapping helfen. Möchten Sie


mehr Zeit für die Dinge finden, die Ihnen in einem neuen Muster
wichtig erscheinen, so sollten Sie sich auf einem Stück Papier deutlich
machen, wofür Sie bisher am meisten Zeit investiert haben. Verbrach-
ten Sie bisher den größten Teil der Zeit vor dem Fernseher, schreiben
Sie also „Fernsehen“ hin. Dann ziehen Sie Linien zu dem, was Sie sich
im Fernsehen angeschaut haben, und bewerten dies nach „wichtig“
und „unwichtig“.

Plötzlich werden Sie feststellen, dass der größte Teil eigentlich völlig
unwichtig war. Wenn Sie sich jetzt entschließen, nur noch die wichti-
gen Sendungen aufzuzeichnen und sie zeitversetzt anzuschauen, wer-
den Sie noch einmal feststellen, dass vieles, was Ihnen heute im Fern-
sehen wichtig erschien, innerhalb weniger Tage schon überholt und
damit unwichtig geworden ist. So gewinnen Sie nach und nach immer
mehr freie Zeit für die Dinge, die Ihnen wirklich wichtig sind.

Veränderungen laufen in sechs Phasen ab


Veränderungen laufen in der Regel in sechs Phasen ab:
1. In der ersten Phase ist man mit seiner Situation noch zufrieden und
Störungen im Denkmuster werden beiseite gedrängt.
2. In der zweiten Phase entsteht Unzufriedenheit mit den bestehen-
den Denkmustern, aber man fürchtet sich vor dem Neuen.
3. In der dritten Phase beginnt man, sich mit den sieben Ebenen
Gardners zu befassen.
4. Erst in der vierten Phase beginnen die Veränderungen Wirkung zu
zeigen. Oft dauert es mehr als ein halbes Jahr, dass man noch zwi-
schen den verschiedenen Denkmustern hin- und herpendelt.
5. In der fünften Phase beginnen sich die neuen Denkmuster allmäh-
lich zu stabilisieren. Diese Stabilisierungsphase kann bis zu fünf
Jahren dauern, bevor das Verhalten ganz automatisch durch die
neuen Denkmuster gesteuert wird.
6. Erst danach, in der sechsten Phase, ist die Veränderung erreicht,
und es gibt keinen Weg zurück, sondern nur nach vorn. Vielleicht
tun sich aber dann schon wieder neue Veränderungen auf.

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Richtig entscheiden lernen


Dass Denkmuster, die darauf abzielen, Entscheidungen zu vermeiden
oder aber sich aufgrund falscher Vorgaben oder Werte falsch zu ent-
scheiden, ein Problem darstellen, haben wir ja bereits ausführlich erör-
tert. Doch wie kommt man zu den richtigen Entscheidungen?

Diese Frage beschäftigt schon seit langer Zeit nicht nur die Sozialwis-
senschaftler, sondern auch die Wirtschaftswissenschaftler. Schließlich
ist das Risiko in der modernen vernetzten Finanzwelt, durch falsche
Entscheidungen Millionen zu verlieren, ebenso gewachsen wie die
Chance, innerhalb von Sekunden Millionen zu verdienen.

Der amerikanische Sozialwissenschaftler Gary Klein hat mehr als


20 Jahre Entscheidungsfindungsprozesse überall auf der Welt erforscht.
Seine Kunden sind nicht nur große Konzerne, sondern auch die Streit-
kräfte verschiedener Länder und natürlich Ärzte, Sanitäter und Feuer-
wehrleute. Sie alle kommen durch ihren Beruf immer wieder in die
Situation, schnell richtig entscheiden zu müssen. Und genau deshalb
hat Gary Klein auch bei den Feuerwehrleuten mit seinen Forschungs-
arbeiten begonnen.

Zu seiner Verblüffung erklärten ihm aber die Einsatzleiter, dass sie nie
eine Entscheidung treffen würden. Was sie damit meinten, war dass sie
niemals die so genannte Rational Choice Strategy, also die Strategie
rationaler Entscheidungen, anwendeten.

Rational zu entscheiden, heißt erstens die vorhandenen Optionen zu


identifizieren. Muss ich mich nur zwischen Äpfel und Birnen ent-
scheiden oder gibt es noch mehr Möglichkeiten?

Zweitens, ich muss die verschiedenen Optionen beurteilen und deshalb


nach entsprechenden Kriterien suchen. Geht es bei der Frage Äpfel oder
Birnen nach dem Geschmack, der Größe oder dem Reifegrad?

Drittens, wie stehen diese verschiedenen Beurteilungsdimensionen in


Beziehung zueinander? Wenn ich Geschmack, Größe und Reifegrad
zur Auswahl habe, wird der Reifegrad sicherlich vorrangig sein. Sind
beide Obststücke gleich reif, muss ich mich entscheiden, ob ich dem
Geschmack oder der Größe den Vorzug gebe. Schmeckt mir beides

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Richtig entscheiden lernen

gleich gut, wird letzten Endes die Größe den Ausschlag geben, in Ab-
hängigkeit vom Hungergefühl.

Viertens, entsprechend dem oben genannten Schema läuft jetzt das


Beurteilungsverfahren ab.

Fünftens, nachdem das Beurteilungsverfahren abgeschlossen ist, kom-


me ich zum Ergebnis und wähle aus.

Diese Strategie rationaler Entscheidung hört sich sehr vernünftig an.


Aber sie ist leider nur ein akademisches Modell. Die Realität sieht an-
ders aus. In verschiedenen Tests wurden Studenten befragt, welche
Seminare und Vorlesungen sie im kommenden Semester belegen woll-
ten. Einige Zeit später wurden sie dann mit der Rational Choice Stra-
tegy vertraut gemacht und gebeten, die möglichen zu belegenden Ver-
anstaltungen mithilfe dieser Methode in den verschiedenen Schritten
zu beurteilen.

Erstaunlicherweise deckten sich die Ergebnisse weitgehend mit den


Wunschseminaren und -vorlesungen der jeweiligen Studenten. Bei der
Überprüfung der Testbögen stellte sich heraus, dass die Beurteilungs-
dimensionen in der Mehrzahl der Fälle so gewählt worden waren, dass
sie zum gewünschten Ergebnis führten.

Die Rational Choice Strategy war also nichts weiter als eine Bedeu-
tungssoße, die über eine bereits vorgefasste Entscheidung gegossen
wurde. Kein Wunder also, dass Feuerwehrleute diese Methode nicht
anwenden. Denn erstens dauert sie zu lange und zweitens wissen Feu-
erwehrleute genau, was sie tun müssen und können sich die Bedeu-
tungssoße sparen.

Die Frage, der Gary Klein jetzt nachging, war: Woher wissen sie das?
Wenn es darum geht, einen Brand zu löschen und die damit verbun-
denen Gefahren zu erkennen, dann spielt für Feuerwehrleute die Er-
fahrung die größte Rolle. Sie vergleichen die bestehende Situation mit
anderen, die erfolgreich bewältigt wurden, und greifen auf die dort
verwendeten Handlungsmuster zurück. Gleichzeitig prüfen sie die
Situation auch hinsichtlich bestimmter Abweichungen von der bereits
vertrauten Situation.

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Dabei wenden sie unbewusst die 80/20 Methode an, indem sie sich auf
die wichtigsten Probleme konzentrieren und nicht versuchen, alles
gleichzeitig zu lösen. Durch die Kombination von Erfahrung und Wis-
sen sind sie in der Lage, bestimmte Risikofaktoren intuitiv zu erken-
nen und darauf zu reagieren. Soweit zu Feuerwehrleuten und anderen
Berufen, die in lebensgefährlichen Situationen schnelle Entscheidun-
gen treffen müssen. Aber nicht jeder ist schließlich ein Feuerwehr-
mann, sondern kann sich bei der Entscheidungsfindung ruhig etwas
mehr Zeit lassen.

Wenn gute Leute dann trotzdem schlechte Entscheidungen treffen,


sieht Gary Klein die Ursache hauptsächlich bei Voreingenommenhei-
ten, unzulänglichem Wissen und mangelnder Erfahrung. Die Intuition
als Fähigkeit, Muster zu erkennen, das Gesamtbild zu sehen und Situa-
tionsbewusstsein zu entwickeln, spielt für ihn durchaus eine große
Rolle.

Letzten Endes kommt es darauf an,


• das Typische an einer Situation zu erkennen,
• typische Ziele beurteilen zu können,
• typische Handlungsweisen zu erkennen,
• die Lösbarkeit eines Problems zu beurteilen,
• Anomalien zu erkennen,
• die Dringlichkeit eines Problems zu beurteilen,
• Chancen oder Möglichkeiten zu entdecken,
• feine Unterscheidungen zu treffen,
• Diskrepanzen in einem Aktionsplan zu erkennen und
• mögliche Barrieren zu entdecken, die die Durchführung eines Ak-
tionsplans behindern.

Für manche Menschen mag dies recht abstrakt klingen. Sie setzen lieber
auf den Gebrauch der Intuition, die Kreativität beflügelnde Verfahrens-
weisen oder auch Jahrtausende alte Orakelmethoden. Grundsätzlich
kann jede der Methoden zum Erfolg führen, denn ob Orakel oder Sys-
tematik, letzten Endes werden in beiden Fällen die eigenen unbewussten
Denkmuster angeregt, Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

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Religiöse Erlebnisse verändern die Denkmuster


Die Frage, warum einige Menschen so starke religiöse Überzeugungen
besitzen, dass sie selbst schwierigste Lebenssituationen meistern kön-
nen, und andere Menschen nicht, hat die Sozialwissenschaftler, Psy-
chologen und Hirnforscher schon immer fasziniert. Lange Zeit schie-
nen nur die Theologen für diese Fragen plausible Antworten und
konkrete Lösungen bereit zu halten.

Doch die Hirnforschung scheint durch die Arbeit mit Epilepsie-


Kranken und durch den Einsatz bildgebender Verfahren zumindest
Teilaspekte des religiösen Erlebens gelüftet zu haben. Der amerikani-
sche Molekularbiologe Dean Hamer ist der Überzeugung, ein Gen
gefunden zu haben, das bestimmte Hirnbotenstoffe steuert, die die
Fähigkeit des Gehirns beeinflussen, verschiedene Ebenen und Formen
des Bewusstseins zu entwickeln.

Da bestimmte Abschnitte dieses Gens bei den Menschen unterschied-


lich sind, müssten sie auch zu unterschiedlichen Ausprägungen des
spirituellen Erlebens führen. So ließe sich eine unterschiedliche Aus-
prägung der Neigung zur Transzendenz erklären. Es handelt sich also
um die Disposition zum religiösen Erleben, aber keineswegs um die
Disposition für bestimmte religiöse Inhalte. Dieser genetische Aspekt
wurde durch Ergebnisse der Zwillingsforschung sowohl in Amerika als
auch in Großbritannien untermauert.

Eineiige Zwillinge sind sich in ihrer Stärke und Ausprägung des reli-
giösen Glaubens deutlich ähnlicher als zweieiige. Zwar wird die Reli-
giosität in der Jugend vorwiegend durch die Umwelt geprägt, also
hauptsächlich durch die religiösen Ansichten und Praktiken der El-
tern, aber im Zuge des Erwachsenwerdens zeigt sich, dass das religiöse
Empfinden bei eineiigen Zwillingspaaren deutlich identischer ist als
bei zweieiigen. Daraus schließen die Forscher, dass die Erbanlagen
stärker sind als die Umwelteinflüsse. Das ist aber nur ein Aspekt des
religiösen Erlebens.

Man weiß heute, dass es im Gehirn ganz bestimmte Areale gibt, die bei
der Meditation stärker durchblutet werden oder deutlich weniger stark
aktiv sind. Das ließ sich sowohl bei buddhistischen Mönchen als auch
bei Franziskanernonnen nachweisen. Es kommt also nicht darauf an,

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was oder woran der Mensch glaubt. Entsprechend der Aktivität dieser
Hirnareale wurden sowohl die Sinneseindrücke beeinflusst als auch
das Gefühl für die eigene Person in Bezug zu Raum und Zeit.

Auch hier ließ sich eine Wechselwirkung nachweisen. Das spirituelle


Erleben hat Einfluss auf die Hirnaktivitäten und umgekehrt. Mithilfe
bestimmter Magnetstimulationen ließen sich auch bei Menschen, die
nicht religiös fühlen, transzendente Erlebnisse erzeugen. Inzwischen
gibt es mit dem Fachbereich der Neurotheologie eine eigene Wissen-
schaftssparte, die sich mit der Verbindung von Hirnforschung und
Theologie befasst.

Aber man muss bei all diesen Ergebnissen vorsichtig sein. Denn
schließlich handelt es sich bei allem, was Gen- und Hirnforschung
entdecken, nur um Bereiche des Erlebens und Fühlens. Die Frage ist
aber: „Existiert Glaube nur dann, wenn man etwas Spezielles erlebt
und fühlt, und muss es sich um so extreme Erlebnisse wie Auflösung
von Raum und Zeit handeln oder gar um die Wahrnehmung von
Erscheinungen? Oder kann es sich auch einfach vielleicht nur um
Gedankenmuster handeln, die den Menschen und seine Selbst-
wahrnehmung in einen größeren Zusammenhang stellen und seine
Wertemuster beeinflussen?“

Wahrscheinlich wird man hier in Zukunft noch weitaus mehr diffe-


renzieren müssen. Von ekstatischen Erlebnissen und Trance in Natur-
religionen und Schamanismus über Meditation im Buddhismus und
Christentum bis hin zu festen Wertemustern, wie sie sich zum Beispiel
in den Amish-Gemeinden finden, ist es ein weiter Weg. Amerikanische
Forscher wollen nachgewiesen haben, dass zwar Meditation an sich für
Entspannung und Wohlbefinden sorgt, dass aber die Beschäftigung
mit Gott während der Meditation noch weitaus größere Wirkung hat.

Für Menschen, die aus ihren Denkgewohnheiten ausbrechen wollen,


kann eine Beschäftigung mit religiösen Inhalten und eine religiöse
Praxis also durchaus Wirkung zeigen. Eine zwingende Entscheidung
für die eine oder andere Form des Glaubens gibt es allerdings aus neu-
rowissenschaftlicher Sicht nicht.

Insofern sind auch die Erfolge spiritueller Lehrer, wie zum Beispiel
Eckhart Tolle, zu erklären. Der heute in Kanada lebende Dortmunder

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Richtig entscheiden lernen

schaffte es nach einer tief greifenden spirituellen Erfahrung, immer


mehr Menschen mit seinen Vorlesungen in Bann zu schlagen. Seine
Botschaften sind einfach und seine charismatische Ausstrahlung be-
ruht ganz offensichtlich darauf, dass er scheinbar über gar kein Cha-
risma verfügt.

Ganz offensichtlich spielt das Erleben einer spirituellen Situation, die


Gemeinschaft mit anderen, eine zentrale Rolle bei der Ausprägung
neuer und der Veränderung alter Denkmuster. Sicherlich haben auch
hierbei die Spiegelneuronen wieder ihre Hand im Spiel. Die Entschei-
dung, sich in die Gemeinschaft anderer Menschen zu begeben, mit
ihnen gemeinsam zu handeln, dürfte in den meisten Fällen der erste
Schritt sein, Gedankenmuster zu ändern. Ob man sich jetzt für ein
japanisches Zen-Kloster oder den Katholischen Weltjugendtag ent-
scheidet, bleibt dem Einzelnen überlassen.

Selfness – die Suche nach dem Sinn


Der Trend zur Selfness, der den Wellness-Trend in der Gesellschaft
bereits abzulösen beginnt, ist auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse
zurückzuführen. Selfness wird als die neue Selbstverantwortungsbewe-
gung definiert, bei der es letzten Endes um die Mobilisierung vorhan-
dener, aber eingeschlafener Kräfte geht. Es geht nicht darum, sich
egoistisch zu verhalten, sondern sich selbst und seine eigenen Stärken,
Wünsche und Werte zu erkennen. Nicht Selbstverwirklichung, son-
dern Selbstwirksamkeit ist hier das Schlagwort.

Eigenverantwortung auf der Basis persönlicher Werte und Einstellun-


gen ist gefragt. Wer den Massen folgt, soll dies aus freiem Willen tun
oder aber auch seinen eigenen Weg gehen können. Die Wissensgesell-
schaft und die Globalisierung haben dafür die ökonomischen Grund-
steine gelegt, die Neurowissenschaften helfen jetzt dem Einzelnen auf
die Sprünge. Wenn wir wissen, wie unser Denken funktioniert, kön-
nen wir auch entscheiden, ob wir weiterhin so denken wollen wie bis-
her. Die Selfness-Bewegung wird die Suche nach dem Glück durch die
Suche nach dem Sinn ersetzen.

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Werden die Neurowissenschaften die Psychologie


im Alltag ersetzen?
Fast zweihundert Jahre lang haben die Ökonomie und die Psychologie
den Alltag der Menschen nachhaltig verändert. Sie räumten mit der
seit Jahrhunderten geltenden gottgewollten Weltordnung auf und
ersetzten sie durch das neue Ideal der Rationalität. Mit der Veröffentli-
chung seines Buches „Der Wohlstand der Nationen“ legte Adam
Smith 1776 nicht nur den Grundstein für eine neue Wissenschaft, die
Ökonomie, sondern er entwarf auch das Bild des modernen Men-
schen, des Homo oeconomicus. Von dieser Fiktion rückte man auch
nicht ab, als vor 100 Jahren die Psychologie das Verhalten der Men-
schen zu deuten begann.

Obgleich die Psychologie heute in fast allen gesellschaftlichen Berei-


chen als Hilfswissenschaft genutzt wird, ist sie doch nach wie vor we-
nig greifbar. Deshalb geraten die Neurowissenschaften gewollt, oft
aber auch ungewollt, als Alternative immer stärker in den Blickpunkt
des öffentlichen Interesses.

Bis heute gibt es keine umfassende psychologische Theorie, die das


menschliche Verhalten in seiner ganzen Vielfalt und Komplexität er-
klären kann. Dies wird vielleicht einmal den Neurowissenschaften
vorbehalten bleiben. Innerhalb der Psychologie besteht nicht einmal
Einigkeit darüber, welche Perspektive eine solche Theorie überhaupt
einzunehmen hätte und wie der Mensch tatsächlich zu betrachten sei.

Insofern hat man in der Psychologie nach wie vor sechs unterschiedli-
che Erklärungsmodelle und Theorieansätze, die den Menschen erklä-
ren sollen. Es handelt sich um die biologische Perspektive, die psycho-
dynamische, die behavioristische, die kognitive, die humanistische und
die evolutionäre Perspektive. All diese Ansätze, die sich zum Teil ge-
genseitig ergänzen, aber auch ausschließen, werden in den Neurowis-
senschaften auf eine einzige Frage konzentriert, und die lautet: „Wie
funktioniert das Gehirn?“

Die Neurowissenschaften haben der klassischen Psychologie zumin-


dest in den Medien und damit auch in den Köpfen der breiten Masse
mittlerweile den Rang abgelaufen. Ohne den Vorsatz „Neuro“ wirkt
inzwischen vieles irgendwie angestaubt, sei es nun Ökonomie, Theolo-

226
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Werden die Neurowissenschaften die Psychologie im Alltag ersetzen?

gie oder Philosophie. Handelt es sich hierbei nur um ein modisches


Phänomen, das bald wieder durch einen neuen Begriff, vielleicht aus
der Quantenphysik, ersetzt wird, oder haben wir tatsächlich eine neue
Stufe der Erkenntnis erklommen, wie es in der Physik mit der Ent-
wicklung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein der Fall war?

Wahrscheinlich Letzteres. Die Hirnforschung stellt nicht nur die Er-


kenntnisse der Psychologie auf den Prüfstand, bestätigt oder verwirft
sie, sondern sie kommt auch zu komplett neuen Ergebnissen, die der
Psychologie verschlossen waren. Die Neurowissenschaften arbeiten in
einem so hohen Maße interdisziplinär, wie bisher kaum eine andere
Wissenschaft. Ob es nun die Genforschung oder die Erforschung des
Immunsystems ist, immer wieder gibt es starke Verbindungslinien mit
den Neurowissenschaften.

So unterschiedlich die verschiedenen Neurowissenschaften ihre Frage-


stellungen formulieren, sei es nun die Neurotheologie, die fragt, ob
Gott einer bestimmten Hirnregion zuzuordnen ist, oder sei es die
Neuropädagogik, die fragt, welche Reize und Informationen ein kind-
liches Gehirn braucht, um sich optimal zu entwickeln –, immer geht es
darum, die Funktionsweise des Gehirns zu erkennen und zu verstehen.

Im gesellschaftlichen Bereich legt die Hirnforschung immer häufiger


Diskrepanzen zwischen Schein und Wirklichkeit offen. Viele Erkennt-
nisse, die durch Umfragen und Statistiken gewonnen wurden, verlie-
ren aus der neurowissenschaftlichen Perspektive schnell an Relevanz.
So kommt es, dass die Hirnforschung nicht nur mit einer gewissen
Faszination, sondern auch mit einer gewissen Furcht betrachtet wird,
weil sie sowohl erwünschte als auch unerwünschte Erkenntnisse liefert,
die bestimmte Machtpositionen in der Gesellschaft stärken oder eben
auch schwächen können.

Die Neurowissenschaften unterscheiden sich von der klassischen Öko-


nomie und Psychologie durch zwei Dinge. Einerseits sind die Neuro-
wissenschaften fast ausschließlich interdisziplinär aufgestellt, das heißt,
sie nutzen die Methoden und Erkenntnisse anderer Wissenschaften in
einem bisher noch nie gekannten Ausmaß, und sie fragen im Gegen-
satz zur Psychologie nicht mehr vorwiegend „Was passiert im Kopf?“,
sondern hauptsächlich „Warum passiert es?“ Die wachsenden Er-
kenntnisse über Hirnprozesse beginnen die Erklärungsmuster in psy-

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Werden Sie ein Genie 6 die eigenen Denkmuster erkennen und verbessern

chologischen Kategorien abzulösen. Das bedeutet nicht, dass die Neu-


rowissenschaften die Psychologie als Ganzes ersetzen werden, aber sie
werden neue Erkenntnisse schaffen, bestimmte Erkenntnisse bestäti-
gen und andere verwerfen.

Die Neurowissenschaften decken heute die gesamte Bandbreite der


Forschung ab, von der Grundlagenforschung mit hoch spezialisierten
Fragestellungen zur Funktionsweise einzelner Bausteine in der Hirn-
zelle bis hin zu komplexen Fragestellungen, warum zum Beispiel ein
bestimmter Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen einem anderen
vorgezogen wird.

So kam zum Beispiel Marco Iacoboni vom Neuropsychiatrischen Insti-


tut der University of California zu dem Ergebnis, dass die Anhänger, die
sich mit einem bestimmten Kandidaten identifizieren, dies gefühlsmä-
ßig tun, während sie die Botschaften des gegnerischen Kandidaten mit
dem Verstand abwehren. Ohne die bildgebenden Verfahren hätte man
wahrscheinlich angenommen, dass entweder alle Reaktionen auf der
Gefühlsebene stattfinden oder alle in gewisser Weise rational begründet
werden. Diese strikte Trennung bei der Verarbeitung der Informationen
zum eigenen und zum gegnerischen Kandidaten überraschte also.

In gewisser Weise ergeht es den Neurowissenschaftlern ähnlich wie


den Klimaforschern. Man weiß, dass ihre Arbeit für die Zukunft der
Menschen von großer Bedeutung ist. Aber man fürchtet sich vor den
Konsequenzen, die man aus den Ergebnissen ableiten müsste. So wie
die Ergebnisse der Klimaforschung und ihre Prognosen schon unsere
Lebensweise und unsere Lebensbedingungen beeinflusst haben, wer-
den es auch die Ergebnisse der Hirnforschung tun. Denn sie werden
den Umgang mit dem Gehirn verändern und damit auch den Men-
schen. Kein Wunder also, dass die Hirnforschung stets mit einer Mi-
schung aus Hoffnung, Angst, aber auch Habgier betrachtet wird. Lang-
fristig wird die Hirnforschung die Verteilung von Gewinnern und
Verlierern in der Gesellschaft neu sortieren.

Die Neurowissenschaften befinden sich heute in einer vergleichbaren


Situation wie die Psychologie während der Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert. Es herrscht Aufbruchstimmung und die Erwartun-
gen sind groß.

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Literaturempfehlungen
Ariely, Dan: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer
wieder unvernünftige Entscheidungen treffen, München 2008

Asendorpf, Jens B.: Psychologie der Persönlichkeit. Grundlagen, Berlin


2004

Bauer, Joachim: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und


Lebensstile unsere Gene steuern, München 2005
Ders.: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren,
München 2008.

Becker, A. u. a.(Hrsg.): Gene, Meme und Gehirne. Geist und Gesell-


schaft als Natur. Eine Debatte, Frankfurt/Main 2003

Belsky, Gary/Giloviche, Thomas: Why Smart People Make Big Money


Mistakes and How to Correct Them. Lessons from the New Science of
Behavioral Economics, New York 2000

Blackmore, Susan: Die Macht der Meme, oder Die Evolution von Kul-
tur und Geist, Heidelberg/Berlin 2000

Brafman, Ori/Brafman, Rom: Kopflos, Frankfurt 2008

Brockman, John (Hrsg.): Die nächsten fünfzig Jahre. Wie die Wissen-
schaft unser Leben verändert, München 2002

Calvin, William H.: Die Sprache des Gehirns. Wie in unserem Bewußt-
sein Gedanken entstehen, München 2000
Ders.: Wie der Schamane den Mond stahl. Auf der Suche nach dem
Wissen der Steinzeit, München 1996

Campbell, Joseph: Die Kraft der Mythen. Bilder der Seele im Leben des
Menschen, München 1994

Christiakis, Nicholas A/Fowler, James H: Connected, New York 2009

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Literaturempfehlungen

Cialdini, Robert B.: Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch


für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kom-
men wollen, Bern 2002

Crick, Francis: Was die Seele wirklich ist. Die naturwissenschaftliche


Erforschung des Bewußtseins, Reinbek 1997

Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des
Bewusstseins, München 2002
Ders.: Descartes´ Irrtum, München 1997
Ders.: Der Spinoza-Effekt, München 2003

Degen, Rolf: Lexikon der Psycho-Irrtümer. Warum der Mensch sich


nicht therapieren, erziehen und beeinflussen lässt, München 2002

Dörner, Dietrich: Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in


komplexen Situationen, Reinbek 1993
Ders.: Bauplan für eine Seele, Reinbek 1999

Domning, Marc/Elger, Christian E./Rasel, André: Neurokommunika-


tion im Eventmarketing. Wie die Wirkung von Events neurowissen-
schaftlich planbar wird, Wiesbaden 2009

Edelman, Gerald M./Tononi, Giulio: Gehirn und Geist. Wie aus Mate-
rie Bewusstsein entsteht, München 2002

Ekman, Paul: Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig
interpretieren, München 2007

Elger, Christian E.: Neuroleadership: Erkenntnisse der Hirnforschung


für die Führung von Mitarbeitern, Planegg/München 2008

Elger, Christian E./Schwarz, Friedhelm: Neurofinance, Planegg/Mün-


chen 2009

Frankl, Viktor E.: Der Mensch auf der Suche nach Sinn. Zur Rehuma-
nisierung der Psychotherapie, Freiburg 1973
Ders.: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie,
München 1991

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Literaturemphehlungen

Ders.: Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen,


Weinheim 2002
Ders.: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenz-
analyse. Zehn Thesen über die Person, Wien 2005

Friedman, David: Der ökonomische Code. Wie wirtschaftliches Den-


ken unser Handeln bestimmt, München 2001

Fuchs, Helmut/Huber, Andreas: Die 16 Lebensmotive. Was uns wirk-


lich antreibt, München 2002

Fuchs, Werner T.: Warum das Gehirn Geschichten liebt, Pla-


negg/München 2009

Gamm, Frieder: Verhandlungen gewinnt man im Kopf, München 2009

Gardner, Howard: Changing Minds. The Art and Science of Changing


Our Own and Other People’s Minds, Boston/Massachusetts 2004

Giddens, Anthony: Soziologie, Graz 1999

Gigerenzer, Gerd: Adaptive Thinking. Rationality in the Real World,


New York 2002

Gigerenzer, Gerd/Selten, Reinhard: Bounded Rationality. The Adap-


tive Toolbox, Cambridge/Massachusetts 2002

Gigerenzer, Gerd u. a.: Simple Heuristics That Make Us Smart, New


York 2001

Gilovich, Thomas u. a.: Heuristics and Biases. The Psychology of In-


tuitive Judgement, New York 2002

Gladwell, Malcolm: Der Tipping Point. Wie kleine Dinge Großes be-
wirken können, Berlin 2000
Ders.: Blink! Die Macht des Moments, Frankfurt 2005

Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz, München 1997

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Literaturempfehlungen

Goldberg, Elkhonon: Die Regie im Gehirn. Wo wir Pläne schmieden


und Entscheidungen treffen, Kirchzarten 2002

Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz, München 1997

Häusel, Hans-Georg: Brain Script. Warum Kunden kaufen, Planegg/


München 2004
Ders.: Brain View. Warum Kunden kaufen, Planegg/München 2008
Ders.: Emotional Boosting, Planegg/München 2009

Hoffman, Donald D.: Visuelle Intelligenz. Wie die Welt im Kopf ent-
steht, München 2003

Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Ge-
hirn, den Menschen und die Welt verändern, Göttingen 2005

Iacoboni, Marco, Woher wir wissen, was andere denken und fühlen,
München 2009

Joas, Hans (Hrsg.): Lehrbuch der Soziologie, Frankfurt/Main 2001

Jung, Carl Gustav: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Un-
bewußten, München 2003
Ders.: Erinnerungen, Träume, Gedanken, Düsseldorf 2003

Jung, Carl Gustav u. a.: Der Mensch und seine Symbole, Olten 1979

Kagan, Jerome: Die drei Grundirrtümer der Psychologie, Weinheim


2002
Ders.: Surprise, Uncertainty and Mental Structures, Cambridge/Massa-
chusets 2002

Kahneman, Daniel/Tversky, Amos: Choices, Values and Frames, New


York 2002

Klare, Jean/van Swaaij, Louise: Atlas der Erlebniswelten, Frankfurt/


Main 2000

Klein, Gary: Natürliche Entscheidungsprozesse. Über die „Quellen der


Macht“, die unsere Entscheidungen lenken, Paderborn 2003

232
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Literaturemphehlungen

Klein, Stefan: Die Glücks-Formel oder Wie die guten Gefühle entste-
hen, Reinbek 2002

Koch, Richard: Das 80/20 Prinzip. Mehr Erfolg mit weniger Aufwand,
Frankfurt/Main 1998

Kotre, John: Lebenslauf und Lebenskunst. Über den Umgang mit der
eigenen Biographie, München 2001

Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen, Stuttgart 1982

Ledoux, Joseph: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen,


München 2003

Levine, Robert: Die große Verführung. Psychologie der Manipulation,


München 2004

Medina J.: Brain Rules. 12 Principles for Surviving and Thriving at


Work, Home, and School, Seattle 2008

Meier-Koll, Alfred: Wie groß ist Platons Höhle? Über die Innenwelten
unseres Bewusstseins, Reinbek 2002

Mérö, László: Die Logik der Unvernunft. Spieltheorie und die Psycho-
logie des Handelns, Reinbek 2003
Ders.: Die Grenzen der Vernunft. Kognition, Intuition und komplexes
Denken, Reinbek 2002

Milgram, Stanley: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamkeitsbe-


reitschaft gegenüber Autorität, Reinbek 2001

Molcho, Sammy: Körpersprache der Promis, München 2003

Nörretranders, Tor: Spüre die Welt. Die Wissenschaft des Bewußt-


seins, Reinbek 2000

Ornstein, Robert: Die Evolution des Bewusstseins. Ursprünge und


Perspektiven, Freiburg 1996

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Literaturempfehlungen

Pinker, Steven: Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der


menschlichen Natur, Berlin 2003

Popper, Karl R./Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn, München
2002

Ramachandran, Vilaynur S./Blakeslee, Sandra: Die blinde Frau, die


sehen kann. Rätselhafte Phänomene unseres Bewusstseins, Reinbek
2002

Ridley, Matt: Nature via nurture. Genes, experience and what makes
us human, London 2004

Rose, Steven: Gehirn, Gedächtnis und Bewußtsein. Eine Reise zum


Mittelpunkt des Menschseins, Bergisch Gladbach 2000

Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neuro-


biologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt 1997
Ders.: Fühlen, Denken, Handeln, Frankfurt/Main 2001

Sacks, Oliver: Eine Anthropologin auf dem Mars. Sieben paradoxe


Geschichten, Reinbek 2003

Schacter, Daniel: Wir sind Erinnerung. Gedächtnis und Persönlichkeit,


Reinbek 2001

Scheier, Dr. Christian/Held, Dirk: Was Marken erfolgreich macht.


Neuropsychologie in der Markenführung, Planegg/München 2008

Schmeh, Klaus: Die 55 größten Flops der Wirtschaftsgeschichte. Kri-


mis, Krisen, Kuriositäten, Frankfurt 2002

Schmidbauer, Wolfgang; Lexikon Psychologie, Reinbek 2001

Schnabel, Ulrich/Sentker, Andreas: Wie kommt die Welt in den Kopf?


Reise durch die Werkstätten der Bewußtseinsforscher, Reinbek 1997

Schulte, Günter: Neuromythen. Das Gehirn als Mind Machine und


Versteck des Geistes, Frankfurt/Main 2001

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Literaturemphehlungen

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Ge-


genwart, Frankfurt/Main 1993

Schwarz Friedhelm: Der Griff nach dem Gehirn. Wie Neurowissen-


schaftler unser Leben verändern, Reinbek 2007.
Ders.: Wenn das Reptil ins Lenkrad greift. Warum Gesellschaft, Wirt-
schaft und Politik nicht den Regeln der Vernunft gehorchen, Reinbek
2004.
Ders.: Muster im Kopf. Warum wir denken, was wir denken, Reinbek
2006.

Singer, Wolf: Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung,


Frankfurt/Main 2002
Ders.: Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung,
Frankfurt/Main 2003

Solms Mark, Turnbull Oliver: Das Gehirn und die innere Welt. Neu-
rowissenschaft und Psychoanalyse, Düsseldorf 2007.

Strogatz, Steven: Synchron. Vom rätselhaften Rhythmus der Natur,


Berlin 2004

Stumm, Gerhard/Pritz, Alfred (Hrsg.): Wörterbuch der Psychothera-


pie, Frankfurt/Main 2000

Urban, Martin: Wie die Welt im Kopf entsteht. Von der Kunst, sich
eine Illusion zu machen, Frankfurt/Main 2002

Watzlawick, Paul (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir,


was wir zu wissen glauben? München 1981

Watzlawick, Paul u.a.: Menschliche Kommunikation. Formen, Stö-


rungen, Paradoxien, Bern 1971

Watzlawick, Paul/Nardone Giorgio (Hrsg.): Kurzzeittherapie und


Wirklichkeit. Eine Einführung, München 2003

Wegner, Daniel M.: The Illusion of Conscious Will, Cambridge/ Mas-


sachusetts 2002

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Literaturempfehlungen

Zaltman, Gerald: How Costumers Think. Essential Insights into the


Mind of the Market, Boston/Massachusetts 2003

Zimbardo, Philip G./Gerrig, Richard J.: Psychologie, Berlin 1999

Zweig, Jason: Gier. Neuroökonomie: Wie wir ticken, wenn es ums


Geld geht, München 2007

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Stichwortverzeichnis
80/20 Prinzip 215, 216 Duft Marketing 177

Achtsamkeit 207 Egoismus 102


Alexithymie 150 Ekman, Paul 50
Alkohol 183 Elger, Christian 202
Altruismus 102 emotionales System 41, 46
Amygdala 34, 183, 190 Emotionen 47, 48, 149, 191, 203,
Ankereffekt 83 233
Anpassung 138 Kontrolle 208
Arbeitsgedächtnis 61 Merkmale 53
Archetypen 166 motivieren 54
Ariely, Dan 76, 102 organisieren 54
Aufmerksamkeit 179 Emotionserlebnisse 19
autoritäres Verhalten 63 Entscheidungen 10, 24, 32, 72, 78,
Autorität 95, 198, 199, 233 95, 189, 213, 214, 220, 222, 232
fehlerhafte 81
Babiak, Paul 154 Entscheidungsprozesse 73
Barabási, Albert László 30 Entscheidungssystem 41, 71
Basis Emotionen 52 Erfahrungen 28, 29, 66, 67, 70, 97,
Bedeutungssoße 215, 216, 221 114, 188, 196, 197, 199, 203,
begrenzte Rationalität 12 209, 210
Belohnungssystem 41 ff., 129, 202 Ericsson, Peter 128
bewusstes Denken 23 Erinnerungen 32, 179, 209, 210,
Bewusstsein 17, 23, 28, 29, 30, 95, 211, 232
114, 186, 197, 206, 209, 214, 230 Erregungssystem 133
Beziehungsaspekt 113, 114 Erwartungen 210, 211, 228
bildgebende Verfahren 26, 30, 95
biografisches Gedächtnis 58 Farben 161, 172
Buddhismus 224 fehlerhafte Entscheidungen 81
Fliehen 136
Christentum 224 Flucht 137
Creswell, David 208 Formatio reticularis 133
Formen 161
Dawkins, Richard 32 Framing 200
denken 21 freier Wille 95
vier Systeme 41 Frontallappensyndrom 56
Denkgewohnheiten 224
Denkmuster 32, 110, 111, 115, 195, Gardner, Howard 97, 215, 218, 231
199, 200, 213, 214, 215, 216, Gedächtnis 58
217, 218, 219, 220, 222, 225 biografisches 58
Denkpausen 23 deklaratives 61
Denkprozesse 22 episodisches 62
Diktatorspiel 34 prozedurales 62
Drogen 183 Gedächtnisprozesse 19
Drogenabhängige 183 Gedächtnissystem 41, 58, 61

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Stichwortverzeichnis

Gedanken 28, 29, 30, 32, 94, 107, Iacoboni, Marco 228
114, 116, 215, 229, 232 Ich Bewusstsein 25
Gedankenmuster 213 Identität 92, 199
Gefangenendilemma 37 Informationen 128, 227, 228
Gefühle 26, 29, 32, 47, 48, 114, Informationsbeschaffung 216
115, 189, 216, 233 Informationsoverkill 61
schlechte 182 Informationsüberfluss 61
Gefühlsblindheit 150 Inselbegabung 59
Gegenwart 189 Intelligenz 96, 97, 98, 99, 187, 215,
Gehirn 18, 19, 22, 23, 26, 56, 126, 231, 232
135, 144, 203 interdisziplinär 227
Gehirnforschung 17 Introspektionsfähigkeit 25
Gehirnregionen 73
Gehorsam 63 Käfig 213
Geiz 183 Kahneman, Daniel 134
Gene 28, 93, 94, 96, 229 Klein, Gary 220 ff., 232, 233
Gerüche 110, 176 Kognition 55
Gesellschaft 22, 31, 93, 97, 111, kognitives lernen 66
115, 189, 215, 217, 225, 227, Kokain 184
228, 229 Kommunikation 25, 155, 200
Gesichter 45 Konditionierung 65
Gesichtsausdrücke 50 Konsistenz 142, 199
Gestik 50 Körperbewusstsein 206
Gewohnheit 132, 214 Kreativität 32, 222
Gewöhnung 131
Gladwell, Malcolm 231 Lebensmotive 231
Großmutterzellen 113 LeDoux, Joseph 54
Grundgefühle 48 Leistungsfähigkeit 109
Grundlagenforschung 228 lernen 64, 129
Grundmuster 31 Arten des 65
kognitives 66
Habgier 183 Levine, Robert 107, 233
Habituation 132 Libet, Benjamin 29
Halluzinationen 111 limbisches System 194
Hamer, Dean 223 Locke, John 93
Haynes, John Dylan 72 Logik 32, 230, 233
Hippocampus 128 Logo 122
Hirnbotenstoffe 223 lügen 60, 154, 156
Hirnforschung 14, 26, 95, 126, 128,
189, 223, 224, 227, 228, 235 Magnetenzephalografie 26
Hirnscan 27 Magnetresonanztomografie 12, 27,
Hirnsysteme 74 33, 200
Homo oeconomicus 11, 226 Mandelkern 34, 43, 57
Homo reciprocans 11 Manipulation 154
Hüther, Gerald 232 Medizin 128
Hyperbolic time discounting 193 MEG 26

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Stichwortverzeichnis

Meme 32, 114, 115, 116, 199, 229 Religion 115, 223, 224
Millner, Peter 42 Rituale 168
Mimik 50 Rizzolatti, Giacomo 112
Mindmapping 219
monochrone Gesellschaften 170 Savants 59
Motorik 108 Schadenfreude 45
Multitasking 30, 61 Schamanismus 224
Musik 161, 175 Schlüsselerlebnisse 197
Mythen 166 Schmerzreize 134
Schwarm 162
Nervenzellen 20, 26, 112, 113, 128, Selbst 17, 205
129 Selbstbewusstsein 81
Netzwerkverbände 19 Selbstvertrauen 81, 82
Neurobiologie 113, 234 Selbstwahrnehmung 206, 207
Neurogenese 128, 129 Selfness 225
Neuromarketing 45, 118, 121, 122 Sensorik 161
neuronale Prozesse 18 Shock Novel Reiz 133
Neuronen 14, 30, 113, 206 Signale 26, 27, 28, 31, 32, 214, 217
Neuroökonomie 113 Simon, Herbert Alexander 12
Neuropädagogik 227 Singer, Wolf 235
Neurotheologie 227 Sinn 24, 112, 210, 225, 230
Neurowissenschaften 15, 18 Sinnesreize 134
Nikotin 183 situatives Verhalten 147, 149
nonverbale Kommunikation 113 Smith, Adam 11, 226
Nucleus accumbens 34, 183 Social Cognitive Neuroscience 113
soziales Verhalten 102
Ökonomie 226, 227 Spiegelneuronen 32, 35, 112, 114,
Olds, James 42 206, 225
Spielsucht 183
P 300 133 standhalten 138
Persönlichkeit 229, 234 Stereotypien 109, 146, 199
PET 27 Stimme 50
Placeboeffekt 187, 188 Stress 191
polychrone Gesellschaften 171 Stressreduzierung 207
Positronen Emissions Tomografie Sturheit 84
27 Süchte 183
präfrontaler Cortex 34, 72, 73, 146, Sutter, Matthias 147
183 Symbole 161, 166
Priming 200
prozedurales Gedächtnis 62 Talente 31
Psychologie 14, 33, 187, 226, 227, Theologie 224
228, 229, 232, 233, 234, 236 Tipping Point 115, 231
Psychopathen 153
Psychotherapie 164 Übertragung 164
Rational Choice Strategy 220, 221 Ultimatumspiel 35, 147, 202
Rationalität 226 Umdeutung 139
Reize 128, 129, 227

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Dieses eBook ist lizenziert für Rechenzentrum der Universität Hamburg
Alle Rechte vorbehalten. Download vom 30.11.2013 14:48, www.wiso-net.de
Stichwortverzeichnis

Umwelt 22, 32, 93, 94, 96, 107, Vorhersagen 24, 186, 187, 188, 189
213, 215, 218, 223 Vorinformationen 203
Unbewusstes 17, 24, 28, 31, 110, Vorurteile 195, 196, 198, 199
188, 206
unbewusstes Denken 23 Wahrnehmung 107, 116, 146
Wahrnehmungsverzerrungen 155
Veränderungen 138, 219 Watzlawick, Paul 113, 235
Veranlagung 95 Werbung 118, 123, 160
Verhalten 226 Wertesystem 31
Verhaltenmuster 135 Wirklichkeit 24, 209, 210, 234, 235
Verhandlungen 200 Wissen 32, 99, 110, 196, 222, 229
Verhandlungsspiele 33 Worte 108
Verlustangst 155
Vernunft 15 Zeit 169
Verstand 9, 10, 15, 91, 189 Zeitpräferenz 191
drei Teile 17 Zeitstudien 171
Vertrauen 181 Zimbardo, Philip 147
Vertrauensspiel 36 Zukunft 189, 228
Vorabinformationen 116 Zwillinge 223

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