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Spielzeugfreier Kindergarten

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1. Prävention im Kindergarten 4
Prävention 4
Lebenskompetenzen 5

2. Geschichte des Spielzeugfreien Kindergartens 7

3. Projektablauf 8
Ein Jahr voller neuer Erfahrungen 9
Projektzeit im Kindergarten 10
Workshops für Eltern 14

4. Häufige Fragen 15

5. Literatur / Impressum 19

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Es wird gepurzelt und klettert, gebaut und 1. Prävention im Kindergarten
geplappert… Es ist viel los im Spielzeugfreien Schon in der Kindheit ist es von sehr grosser
Kindergarten. Sowohl für die Kinder als auch Bedeutung so zu handeln, dass Kinder zu
für die Kindergartenlehrperson ist das Projekt selbständigen Jugendlichen und Erwachse-
Spielzeugfreier Kindergarten eine erlebnisrei- nen heranwachsen, welche mit den Heraus-
che Reise, auf der es viel zu entdecken gibt. forderungen des Lebens umgehen können.

Was brauchen unsere Kinder? Was ist wich- Prävention


tig, damit sie als erwachsene Menschen Die Suchtprävention Aargau geht von einem
selbstbewusst und belastungsfähig alltägli- Präventionsmodell aus, welches hier tabella-
chen Problemen gegenübertreten können? risch dargestellt ist. Dieses Modell basiert auf
Diese und andere Fragen werden in dieser der Differenzierung von Präventionsmass-
Broschüre beantwortet. Weiter wird das Pro- nahmen in Primär-, Sekundär- und Terti-
jekt Spielzeugfreier Kindergarten vorgestellt ärprävention nach Caplan (1964) (Leppin,
und der Zusammenhang mit den Grundlagen 2010).
der Prävention erläutert.

Prävention + Früherkennung + Intervention +


Präventionsmassnahme
Gesundheitsförderung Frühintervention Behandlung

Zielgruppe Alle Auffällige Auffällige

Handlungsdruck Gering Mittel Hoch

Ziel Förderung Verhinderung Stoppen

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Die Präventionsmassnahmen unterscheiden Lebenskompetenzen
sich je nach Zielgruppe, bestehendem Hand- Das Projekt Spielzeugfreier Kindergarten ist ein
lungsdruck und dem Ziel, welches mit der Lebenskompetenzprojekt, durch das bestimmte
Massnahme verfolgt wird. In der Prävention Ressourcen der Kinder gefördert werden.
und Gesundheitsförderung sollen alle Men-
schen angesprochen werden. Es geht darum Die WHO definiert Lebenskompetenzen als
Ressourcen zu fördern und den aktuellen Ge- persönliche, soziale, kognitive und psychische
sundheitszustand zu wahren bzw. zu verbes- Fähigkeiten, die einer Person erlauben ange-
sern. Dadurch kann verschiedenen problemati- messen mit Mitmenschen, Problemen und
schen Entwicklungen, wie zum Beispiel Sucht, Stresssituationen im Alltag umzugehen. Durch
Aggression und Gewalt, entgegengewirkt wer- die Aneignung von Lebenskompetenzen ist es
den. möglich, sein eigenes Leben zu steuern und mit
Veränderungen in der Umwelt umzugehen
In der Früherkennung und Frühintervention (WHO, 1997). Natürlich gibt es unzählige Kom-
besteht ein mittlerer Handlungsdruck. Es wer- petenzen, welche einem helfen, die Herausfor-
den Auffälligkeiten wahrgenommen und die derungen des Lebens zu meistern und diese
Situation wird durch adäquate Intervention sind auch je nach Kultur wieder verschieden
verbessert. Als Intervention bezeichnet man (Winner, 1997). Die WHO (1997) hat daher
schliesslich das Eingreifen in eine Situation mit folgende Fähigkeiten als Kern der Lebenskom-
hohem Handlungsdruck. Dabei wird das auffäl- petenz definiert. Lebenskompetent sein bedeu-
lige Verhalten gezielt gestoppt. tet …

Der Spielzeugfreie Kindergarten ist klar auf der


Ebene der Prävention und Gesundheitsförde-  sich selbst kennen und mögen
rung angesiedelt.  sich in andere hinein fühlen
 kritisch und kreativ denken
 erfolgreich kommunizieren
Mir gohts guet. Ich han mit dä Maya und  Beziehungen gestalten
dä Leana gspillt.  Entscheidungen treffen
Ich bin en Säbelzahtiger gsi.  Probleme lösen können

Jana, 5  mit Gefühlen umgehen können


 Stress bewältigen

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Um Lebenskompetenzen zu erwerben braucht
Wenn du eine Idee in dir hast, die du
es Erfahrungs- und Spielräume, in denen Kin-
der selbst die Konsequenzen ihres Tuns erfah- den anderen schmackhaft machen
ren können (Winner, 1997). Es geht in diesem möchtest, dann musst du sprechen kön-
Sinne nicht um das schlichte Erlernen von ver- nen. Das viele Reden im Kindergarten
schiedenen Kompetenzen sondern um Le-
bensbefähigung und Persönlichkeitsentwick-
bringt sie vorwärts in der Kommunikati-
lung. on und im Wortschatz

Studien belegen die kurz- und langfristige Wir- Christina Halada, Kindergärtnerin
kung von lebenskompetenzfördernden Projek-
ten. Eine Metaanalyse zeigte, dass das Trai-
ning von Lebenskompetenzen einen verminder-
ten Alkoholkonsum zur Folge hat. Auch mit
dem Fokus auf Tabak- und Cannabisprävention
werden die besten Ergebnisse mit Lebenskom-
petenzansätzen erzielt – auch langfristig. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das Kind später zu
Cannabis greift, kann so um 20% gesenkt wer-
den. Lebenskompetenzprojekte haben daher
einen präventiven Einfluss auf den späteren
Suchtmittelkonsum (Bühler & Thrul, 2013) aber
auch auf andere risikobehaftete Verhaltenswei-
sen, wie Aggressionen und Gewalt (UNODC,
2013).

...denn händ d Spielsache au mol Rueh


und ich spiel mit dä Tüecher und dä
Balle

Louis, 6

6
2. Geschichte Projekt ein. So konnten die Theorie in
der Praxis getestet und Erfahrungen gesammelt
Die Idee zum Projekt Spielzeugfreier Kinder-
werden. In den folgenden Jahren fand jeweils
garten ist bereits 1993 im Süddeutschen Raum
einmal pro Jahr ein Informationsanlass statt, an
entstanden und stellt eine Zusammenarbeit der
welchem Aargauer Kindergärtnerinnen von
Prävention und Pädagogik dar. Die Initiatoren
ihren Erfahrungen berichteten. Das Interesse
hatten begonnen die Kinder intensiv zu be-
daran war mit jeweils über 100 Teilnehmenden
obachten und zogen daraus eine wichtige Er-
sehr gross.
kenntnis: Kinder haben einen vollgepackten
Terminkalender! Es bleibt kaum Zeit und
Zusammen mit einer erfahrenen Kindergärtne-
Raum, in denen Kinder frei in ihrer Entwicklung
rin und ehemals auch Kindergarteninspektorin,
sind ohne dass strukturierend in ihre Welt ein-
wurden die Rahmenbedingungen und die Or-
gegriffen wird. Diesem Zustand sollte durch die
ganisation des Projekts weiterentwickelt und
Entwicklung des Projekts Abhilfe geschaffen
verfeinert. Im Gegensatz zum Projektvorbild
werden (Bieri, 1997). Das Projekt wird seit über
aus Deutschland, war es der Suchtprävention
20 Jahren erfolgreich durchgeführt.
Aargau wichtig einen gewissen Verhandlungs-
spielraum zu lassen, welcher sich trotzdem in
Im Kanton Aargau hatte das Projekt Spielzeug-
einem gesetzten und standardisierten Rahmen
freier Kindergarten seine Anfänge im Jahr 2001
bewegen sollte. Durch eigene Erfahrungen und
und wurde von der Suchtprävention Aargau
Rückmeldungen von Lehrpersonen und Eltern
initiiert und durchgeführt. Die Idee, das Projekt
entstanden Ideen, wie beispielsweise einen
im Kanton Aargau einzuführen, entstand aus
blauen Stuhl - in Anlehnung an das Kinderbuch
dem Bedürfnis von Kindergartenlehrpersonen
„Der blaue Stuhl“ - als Ort für Krisenlösungen
nach Förderprojekten. Für die Suchtprävention
zu definieren oder die Eltern verstärkt in den
Aargau war dabei wichtig, etwas Nachhaltiges
Prozess miteinzubeziehen.
und Tiefgreifendes zu lancieren.
Im vierten Durchführungsjahr erreichten Struk-
Im Frühjahr 2001 wurde das Projekt erstmals
tur und Organisation von Einführung, Praxisbe-
an mehreren regionalen Arbeitstreffen der Kin-
gleitung, Elternzusammenarbeit und Projektzeit
dergarteninspektorinnen vorgestellt und stiess
schliesslich einen einheitlichen Standard, der
auf grosses Interesse und Zustimmung. An-
bis heute beibehalten wurde. Als Durchfüh-
lässlich eines nachfolgenden überregionalen
rungszeitraum hat sich das dritte Quartal im
Treffens wurden zur fachlichen Unterstützung
Schuljahr bewährt.
projekterfahrene Lehrkräfte aus Basel beigezo-
gen. So konnten elf Kindergartenlehrpersonen Im Frühjahr 2015 sind es nun bereits mehr als
für das Projekt gewonnen werden. Daraus ent- 220 Kindergartenlehrpersonen, welche die drei
stand eine Arbeitsgruppe, die schliesslich im Kurshalbtage absolviert haben und die Nach-
Januar 2002, als der erste Kindergarten mit der frage ist nach wie vor gross.
Umsetzung des Projektes begann, zur Begleit-
gruppe mutierte. Nach den Frühlingsferien Auch in anderen Kantonen der Schweiz wird
2002 stiegen weitere vier Kindergärten in das das Projekt erfolgreich durchgeführt.

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3. Projektablauf Die Eigenständigkeit und der Mut unserer
Ziel des Projekts Spielzeugfreier Kindergarten ist,
Tochter wurden spürbar gestärkt. Neue,
dass Kinder selber über ihre Zeit verfügen und
ihren eigenen Rhythmus entwickeln können. Es kreative Ideen kamen in ihrem Spiel zu Hau-
greifen nicht ständig Erwachsene ein, sondern die se zum Vorschein. Sie spielt immer noch
Kinder können Vieles selber bestimmen. Zentral sehr gerne mit der vier Jahre älteren
dabei ist, dass Spielsachen nicht grundsätzlich
schlecht sind, denn spielen ist ein Grundbedürfnis
Schwester, behauptet sich aber vermehrt
von Kindern. Allerdings sollte das Spielen mehr mit eigenen Ideen
von den kindlichen Bedürfnissen und Fantasien
und weniger von Fertigprodukten der Spielindustrie Mutter von Sofia, 6
geprägt sein, die Zweck und Inhalt schon vorge-
ben. Die zeitlich begrenzte Herausnahme des
Spielzeugs ist lediglich eine Methode um eine för-
derliche Umgebung zu schaffen, in der Kinder ihre
Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten stär-
ken, so dass die als Schutzfaktoren wirken können
(Schubert & Strick, 2000).

Das Projekt steht mir sehr nahe, denn schon


aus meiner eigenen Kindheit weiss ich, dass
es für erfüllendes Spielen keine Spielsachen
braucht. Es ist doch viel spannender
draussen mit anderen Kindern Hütten zu
bauen als drinnen alleine am Gameboy zu
sitzen

Sabina Eglin, Suchtprävention Aargau

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Ein Jahr voller neuer Erfahrungen

Wie die Abbildung oben zeigt, beträgt die Ge- Vor der Durchführung organisiert die Kinder-
samtdauer der Vor- und Nachbereitung inklusi- gartenlehrperson einen Elternabend, bei wel-
ve Projektdurchführung ungefähr 10 Monate. In chem die Eltern über das geplante Projekt
der Vorbereitungsphase werden drei Kurs- informiert werden. Während des laufenden
nachmittage für Kindergartenlehrpersonen an- Projekts findet ein weiterer Elternabend statt.
geboten, welche aufeinander aufbauen und Dieser dient als Gelegenheit zum Austausch
verschiedene Themen behandeln. Zunächst zwischen Eltern und Kindergartenlehrperso-
wird das Projekt vorgestellt und Rahmenbedin- nen bezüglich aktueller Ereignisse, Erfahrun-
gungen werden geklärt. Anschliessend werden gen, Fortschritten aber auch möglicher
die veränderten Rollenfunktionen von Lehrper- Schwierigkeiten. Es entsteht ein Dialog so-
sonen, Bedürfnisse und Verhalten der Kinder wohl zwischen Eltern und Kindergartenlehr-
und die Zusammenarbeit mit den Eltern be- personen als auch unter den Eltern.
trachtet, sowie mögliche Probleme und Stolper-
steine angesprochen und diskutiert. Spätestens Die eigentliche Projektdurchführung dauert
am Ende des dritten Kurshalbtages sollte sich drei Monate und wird zu Beginn eines Kalen-
die teilnehmende Kindergartenlehrperson ent- derjahres, beziehungsweise im dritten Quartal
scheiden, ob sie das Projekt durchführen möch- eines Schuljahres durchgeführt. Dabei finden
te. einige strukturelle Veränderungen im Kinder-
garten statt. Das Umfeld der Kinder verändert

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sich und sie erhalten die Möglichkeit, ihre Fan- Claude Boujon. Die Geschichte animiert die
tasie und Kompetenzen frei zu entfalten und Kinder Ideen zu sammeln, was man mit einem
Alternativen zu vorgefertigten Spielsachen zu Stuhl alles anstellen kann - ausser sich darauf
entdecken. Während dieser Zeit verändert sich zu setzen.
auch die Rolle der Kindergartenlehrperson und
der Elternzusammenarbeit muss mehr Auf- Schliesslich geht’s ums Wegräumen der Spiel-
merksamkeit geschenkt werden. Dieser Rol- sachen. Die Kinder bestimmen, welche Spiel-
lenwechsel stellt für die Kindergartenlehrperso- zeuge sie als erstes „in die Ferien schicken“
nen eine Herausforderung dar, daher wird die- möchten. Gemeinsam werden die Sachen
sem Aspekt in fünf bis sechs Praxisgruppentref- weggeräumt, vielleicht nochmals damit gespielt
fen speziell Rechnung getragen. oder sorgfältig gereinigt. Nach dem Wegräu-
men stehen den Kindern nur noch unstruktu-
Während der Projektdurchführung besteht für rierte Materialien zur Verfügung, wie beispiels-
die Eltern die Möglichkeit eine Reihe von drei weise Bänke, Stühle, Tücher oder Seile. So
aufeinanderfolgenden Workshops zu besuchen. stellt der Projektbeginn für Kinder keinen abrup-
Diese werden von einer Fachperson der Sucht- ten Übergang dar, sondern eine Veränderung,
prävention Aargau durchgeführt. die sich langsam entwickeln konnte (Bieri,
1/1997).
Nach Abschluss des Projekts gibt es ein Aus-
wertungstreffen für die Kindergartenlehrperso- Zu Beginn des Projekts werden mit den Kindern
nen, bei welchem die Erfahrungen der drei neue Regeln vereinbart, welche als Ergänzung
spielzeugfreien Monate reflektiert werden. zu den bestehenden Grundregeln für die kom-
menden drei Monate gelten. Dabei wird auch
Das Konzept des Spielzeugfreien Kindergar- ein Vorgehen erarbeitet, welches einem Kind
tens gibt relativ wenig vor und lässt viel Spiel- ermöglicht bei Problemen oder Konflikten Hilfe
raum, damit es auf die Rahmenbedingungen zu holen, wie der blaue Stuhl mit dem Prob-
vor Ort und individuell auf die Kinder abstimm- lemglöggli.
bar ist. Die Lehrpersonen werden während der
ganzen Zeit von den Projektverantwortlichen Ein Kindergartentag endet immer damit, dass
der Suchtprävention Aargau professionell be- alle Kinder in einer Runde zusammenkommen
gleitet und bei der Umsetzung unterstützt. und erzählen, was sie gespielt haben und was
ihnen besonders gefallen oder nicht gefallen
Projektzeit im Kindergarten hat. Die Art und Weise der Auswertungsrunde
gestaltet die Kindergartenlehrperson, zum Bei-
Von zentraler Bedeutung für die Durchführung
spiel mit Smiley-Gesichtern.
des Spielzeugfreien Kindergartens ist die Vor-
bereitung der Kinder. Durch Gespräche, Ge-
Doch nicht nur die Umgebung und Rahmenbe-
schichten oder Rollenspiele kann man den
dingungen für die Kinder ändern sich, sondern
Kindern das Thema näher bringen. Bewährt hat
auch die Rollen aller anderen beteiligten Per-
sich die Geschichte „Der blaue Stuhl“ von
sonen.

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Wämmer jetzt Fisch finde, dänn tüemer
sie aluege, ob si guet sind oder chrank.
Wenn sie guet sind, tüemer si in en Chä-
fig und wenn sie chrank sind, dänn tüe-
mer si in es Holzbett

Lena, 5

Der Fischladen – Christina Halada erzählt


Geschichte aus dem Spielzeugfreien Kindergarten

Jonas ist ein Junge, der etwas kompliziert ist. Er weint oft, weil er Angst hat oder weil
er überfordert ist. Doch etwa in der Hälfte der Projektzeit im Kindergarten hatte er ein
„Jahrhunderterlebnis“. Jonas wollte einen Fischladen aufbauen. Er hatte dann einfach
mit Hilfe eines Gestells und einfachen Tüchern und Seilen begonnen Fische zu ver-
kaufen. Noch am selben Morgen sind andere Kinder in das Spiel mit eingestiegen. Ein
Kind kam und meinte, dass man die Fische doch zuerst putzen müsse. Daraus hat
sich dann eine ganz Fischfabrik entwickelt, denn die Fische musste man ja sortieren
und verpacken. Zusätzlich haben die Kinder ein Aquarium gebaut, durch welches sie
Führungen machten. Das Spiel wurde immer grösser und lief über mehrere Tage. Am
Mittag bei der die Bewertung ist Jonas fast ausgeflippt vor Freude, weil er selbst be-
griffen hat, was passiert ist: Eine ganze Klasse fand SEINE Idee toll! Jonas war wäh-
rend des Spiels immer derjenige, der die Fäden in der Hand gehalten und gesteuert
hat. Es war auch sehr toll zuzuschauen und die Freude in diesem Jungen zu sehen,
wie er gestrahlt hatte.. Jonas meinte, das sei sein bisher schönster Tag gewesen in
seinem ganzen Leben.

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Rolle der Kindergartenlehrperson Kinder im Projekt
Die Rolle der Kindergartenlehrperson wandelt Da durch die Kindergartenlehrperson weniger
sich. Während des Projekts gibt sie inhaltlich vorgegeben wird, übernehmen die Kinder mehr
wenig vor. Sie lenkt kaum, dafür wirkt sie unter- Verantwortung für sich selbst. Sie werden krea-
stützend und begleitend. Die Kindergartenlehr- tiver und innovativer und beginnen mehr mit
person gibt ihre leitende Funktion ab und ist den anderen zu diskutieren. Durch den spiel-
nicht mehr die/der Wissende sondern wirkt als zeugfreien Raum rücken die Person des Kindes
Assistent/in für forschende Kinder. Es werden und das Miteinander in den Mittelpunkt. Es geht
also keine Spiel- und Bastelideen mehr vorge- nicht nur darum was gespielt wird, wie ideen-
schlagen und Problemlösungen werden zu- reich und phantasievoll das Spiel ist, sondern
rückhaltend angeboten. Es geht eher darum die vor allem um den Umgang der Kinder mitei-
Kinder intensiv zu beobachten und eine abwar- nander. Das Wegräumen der Spielsachen und
tende Haltung einzunehmen. Dies darf aller- die damit verbundene Umgebungsveränderung
dings nicht mit einer gleichgültigen Haltung bewirken, dass die Kinder direkter miteinander
verwechselt werden. Die Kindergartenlehrper- konfrontiert werden und stärker zu Kooperation
son entscheidet sich ganz bewusst für die Zu- angehalten sind. Das Miteinander im Spiel wird
rückhaltung, trägt aber weiterhin die Verantwor- zentraler. Wer spielt mit wem, wie wird aufei-
tung. In Situationen, in denen die Kinder Unter- nander geachtet, wie werden unterschiedliche
stützung benötigen – sei es, weil sie einen Kon- Bedürfnisse wahrgenommen und berücksich-
flikt nicht lösen können oder in ihrer Sicherheit tigt. Wer wird einbezogen, wer ausgeschlossen,
gefährdet sind – greift die Kindergartenlehrper- wessen Ideen werden aufgegriffen und wer
son unterstützend ein. Auch die Auswertungs- kommt kaum zum Zuge. Hier ist die Kindergar-
runde am Ende des Tages wird von der Lehr- tenlehrperson gefordert, aufmerksam zu be-
person gestaltet. obachten, zu begleiten und wenn nötig zu inter-
venieren. Sie muss immer wieder neu ent-
Dieser Rollenwechsel und Lernprozess ist für scheiden ob, wann und wie sie eingreift.
Kindergartenlehrpersonen anspruchsvoll. Da-
her finden in den drei Monaten der Projektdau- In den Abschlussrunden können sich die Kinder
er fünf bis sechs Treffen in der Praxisgruppe selber einbringen. Durch die angeleitete Refle-
statt. Die Gruppe setzt sich aus Kindergarten- xion lernen sie ihre Gefühle bewusster wahrzu-
lehrpersonen zusammen, die zur gleichen Zeit nehmen. Für manche Kinder kann dieser neue
ebenfalls das Projekt in ihrem Kindergarten Umgang mit anderen relativ herausfordernd
durchführen. Geleitet werden die Treffen von sein, für andere weniger.
einer Fachperson der Suchtprävention, damit
neben dem Austausch auch Unklarheiten oder
Schwierigkeiten besprochen werden können.

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Im normalen Kindergartenalltag ist es
einfacher, zu planen und zu wissen, was
am anderen Tag passiert. Ich freue mich
aber während der Dauer des Projekts
jeden Morgen darauf, zu beobachten,
was bei den Kindern entsteht

Christina Halada, Kindergärtnerin

Das Kino – Christina Halada erzählt


Geschichte aus dem Spielzeugfreien Kindergarten
Wir hatten eine Lieferung erhalten, welche in einer grossen Kartonschachtel
verpackt war. Das war für uns natürlich wunderbar und wir haben die Schachtel
nicht zerlegt, sondern so in den Raum gestellt. Drei Kinder haben dann in die-
ser Schachtel angefangen „Kino“ zu spielen. Die drei sassen am Anfang mit
drei Kissen in dieser Kiste und haben gespielt als ob der Film „Lion King“ da
ablaufen würde. Sie haben Gesten und Ausdrücke benutzt, als ob sie wirklich
einen Film schauen würden. Am nächsten Tag wollten die drei wieder Kino
spielen und da wollten plötzlich auch die anderen Kinder der Klasse ins Kino.
Da das allerdings nicht ohne Billette geht, mussten sie zuerst Eintrittskarten
produzieren und Popcorn darf da ja auch nicht fehlen. Das Spiel hat sich mit
der Zeit ausgedehnt, indem auch andere Filme gezeigt wurden. Es gab eine
Kasse, Eintrittskarten, Popcorn und sogar eine Pause, welche die Kinder aus-
gestaltet haben, inklusive Pausenglocke. Also zum Zuschauen war das wahn-
sinnig lustig und das Faszinierende war, dass die Kinder alles erzählt haben,
was passiert ist. Sie haben einfach laut gerufen „Oh schau da! Schau jetzt hat
er ihn! Jetzt hat er ihn!“
Eine einfache Kartonschachtel und sie sind im Dunkeln mit Kissen reingeses-
sen und das wars…nicht mehr. Die Kartonwand war die Leinwand und man hat
nur durch das Beobachten verstanden, welcher Film gerade läuft.

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Elternzusammenarbeit Workshops für Eltern
Während der Projektzeit ist ein intensiverer Die Erfahrungen der Suchtprävention Aargau
Kontakt zwischen den Eltern und der Kinder- während der letzten Durchführungsjahre haben
gartenlehrperson sinnvoll und wichtig. Das gezeigt, dass immer wieder dieselben Themen
kann herausfordernd sein, ist aber zentral um aktuell werden – im Kindergarten wie auch zu
über die Entwicklung des Kindes im Austausch Hause im Familienalltag. Während der drei
zu bleiben. Projektmonate gibt es daher die Möglichkeit
ElternAlltag, eine Dreierreihe von Workshops
So organisiert die Kindergartenlehrperson für Eltern, durchzuführen. ElternAlltag ist ein
Elternabende und gegebenenfalls Workshops Angebot der Suchtprävention Aargau, welches
für die Eltern (siehe nachfolgendes Unterkapi- auch unabhängig vom Projekt Spielzeugfreier
tel), denn die Eltern spielen eine wichtige Rolle Kindergarten durchgeführt wird. Teilnehmende
während des Projekts. Das Verhalten des Kin- Eltern besuchen im Abstand von drei bis vier
des kann sich durch das Projekt verändern. Es Wochen drei verschiedene Workshops, welche
kann sein, dass das Kind mutiger, ausgelassen, aufeinander aufbauen. Dabei werden Themen,
zufrieden, motiviert oder auch erschöpft oder wie das Vereinbaren von Regeln, der Umgang
aggressiv wird. Die Herausforderung besteht mit Konflikten und die richtige Art der Kommu-
darin, auf diese Veränderung angemessen zu nikation zwischen Eltern und Kind sehr alltags-
reagieren. Unterstützung im Umgang mit die- nah behandelt und diskutiert. Die Durchführung
sen Veränderungen bieten die bereits erwähn- von ElternAlltag wird von den Kindergartenlehr-
ten Workshops zu verschiedenen Erziehungs- personen je nach Bedarf organisiert, geleitet
fragen. werden die Workshops von einer Fachperson
der Suchtprävention Aargau.
Sicherlich bringen diese Veränderungen einige
Herausforderungen mit sich, bieten aber auch
viele Chancen, von welchen nicht nur die Kin- Die Durchführung von ElternAlltag ist freiwillig.
der sondern auch Eltern und Kindergartenlehr- Allerdings ziehen der Kindergarten und die
personen profitieren. Eltern am gleichen Strang. Schlussendlich geht
es darum, die Entwicklungsumgebung des
Kindes zu stärken und dies geschieht idealer-
weise auf mehreren Ebenen. Durch die förderli-
che Umgebung im Kindergarten aber auch
durch die Erziehungskompetenz der Eltern wird
das Entwicklungsumfeld des Kindes positiv
gestärkt.

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4. Häufige Fragen
Im Folgenden werden die Fragen beantwortet, welche häufig bei
Kindergartenlehrpersonen, Eltern und anderen Interessierten auf-
tauchen. Wer sich für das Projekt interessiert und es gerne durch-
führen möchte, besucht die drei Kursnachmittage. Da werden zu-
sätzlich noch Ängste, Fragen und Stolpersteine aufgenommen und
diskutiert. Die Projektverantwortlichen der Suchtprävention Aargau
können bei Fragen ebenfalls kontaktiert werden.

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Spielzeugfreier Kindergarten – Regelfreier ten, zu begleiten und wo nötig zu intervenie-
Kindergarten? ren. Sie muss immer wieder neu entscheiden
Welche Regeln gibt es? ob, wann und wie sie eingreift.
Spielzeugfreier Kindergarten heisst nicht: Zeit
ohne Grenzen und Regeln! Grundregeln sind Welches Material wird weggeräumt, wel-
sehr wichtig für das Zusammenleben und blei- ches bleibt?
ben auch bestehen. Das sind drei grundlegen- Vorgefertigtes, strukturiertes Spielzeug, wel-
de Dinge: Ich trage Sorge zu mir, zu meinen ches vom Erwachsenen für das Kind schon
Gschpänli und zum Material. Weitere Regeln fertig ausgedacht ist, wird weggeräumt.
werden mit den Kindern zusammen erarbeitet,
wie beispielsweise das Vorgehen bei Konflik- Beispiele: Gesellschafts- und Kartenspiele,
ten. Das Ausarbeiten dieser Regeln besteht Bücher, Autöli, Kugelbahn, Puppen, Geschirr,
immer aus einem Verhandlungsprozess. Kleider, Legos, Puzzles, Duplos, Farben oder
Plüschtiere.
Was ist die Aufgabe der Kindergartenlehr-
person während des Projekts? Kann die Falls die Kinder für die Umsetzung einer Idee
Kindergartenlehrperson während der drei etwas von diesen Dingen brauchen - bei-
Monate die Füsse hochlegen? spielsweise Farbstifte und Papier um Eintritts-
Manchmal wird die Tatsache, dass sich die karten für den Zirkus zu schreiben -, kann man
Kindergartenlehrpersonen während der Pro- sie zu Verfügung stellen und danach wieder
jektdurchführung in den Hintergrund stellen, wegräumen.
eine beobachtende Position einnehmen und
dem Spielfluss der Kinder Raum geben, falsch Unstrukturiertes Spielmaterial, welches die
verstanden. Die Anweisung an die Kindergar- Fantasie, Kreativität und Vorstellungsvermö-
tenlehrperson, sich zurückzunehmen scheint gen des Kindes anregt, bleibt.
für manche antiautoritär. Es mögen einige
Parallelen bestehen, indem den Kindern Auto- Beispiele: Naturmaterial, Mobiliar, Tücher,
nomie zugestanden wird und sie Zeit und Röhren, Schachteln und Kisten, Kissen und
Raum erhalten um ihre Fähigkeiten und Kom- Decken, Seile, Reifen, Abfallmaterial, wie
petenzen zu entdecken und weiterzuentwi- Eierschachteln, Röhren oder Harassen.
ckeln. Dies geschieht allerdings nicht in einem
regelfreien Raum sondern in einem geschütz- Es gibt aber auch manche Materialen, welche
ten Rahmen. Die Kindergartenlehrperson nicht genau einem dieser Spielzeugarten zu-
nimmt immer noch die Obhutspflicht wahr. Sie zuordnen ist, wie Bauklötze, Murmeln und
hat die Aufgabe mit den Kindern Regeln zu Bälle. Wir empfehlen hier mutig zu sein und im
vereinbaren, auszuhandeln und die Umset- Zweifelsfall die Materialen wegzuräumen.
zung zu überwachen. Die Kindergartenlehr-
person ist gefordert, aufmerksam zu beobach-

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Was passiert mit Ritualen (Geburtstage, Deutsch als Zweitsprache (DaZ) – Was ge-
Turnen, etc.)? schieht mit dem DaZ-Unterricht?
Im Allgemeinen kann man sagen, dass wäh- Der DaZ-Unterricht bleibt weiterhin bestehen.
rend des Projektes gängige Rituale und feste Wichtig ist, dass die DaZ-Lehrperson mitein-
Strukturen gemeinsam mit dem Spielzeug in bezogen und über das Projekt informiert wird.
die Ferien geschickt werden, da sie den Spiel- Falls möglich, kann die DaZ-Lehrperson ihren
fluss bzw. die Entwicklung des Spiels unter- Unterricht anpassen.
brechen. Es besteht allerdings ein Verhand-
lungsspielraum und je nach Ritual muss man
abwägen, ob ein bestimmtes Ritual dem Pro- Was passiert mit Kindern, die nicht ins Pro-
jekt schadet oder ob es zu Ungerechtigkeiten jekt finden?
führt, wenn das Ritual ausgesetzt wird. Das Kinder sind sehr verschieden und nicht jedem
Feiern von Geburtstagen ist ein solcher Fall. Kind fällt es leicht, sich mit dieser neuen Art
Es wäre ungerecht für die Kinder, welche wäh- des Umgangs zurecht zu finden. Indem sich
rend der Projektzeit ihren Geburtstag feiern, aber die Kindergartenlehrperson auch in dieser
wenn sie nicht die gleiche Anerkennung erhiel- Situation zurücknimmt, kann es sein, dass sich
ten, wie alle andern Kinder. Geburtstagsrituale die Rollen von selbst verschieben. Fast jedes
werden daher beibehalten. Dasselbe gilt für Kind findet früher oder später seinen Platz, der
das Turnen. Man kann weiterhin mit den Kin- seinem Rhythmus entspricht. Dies braucht
dern turnen gehen, denn die Kinder brauchen allerdings Zeit. Gelingt dies dem Kind nicht,
die Bewegung. Allerdings ist zu überlegen, ob greift die Kindergartenehrperson unterstützend
das Turnen alternativ gestaltet wird, beispiels- ein.
weise durch einen Waldmorgen.

Was tun, wenn den Kindern langweilig ist?


Wann essen die Kinder ihr Znüni? Langeweile ist nichts Schlechtes. Aus Lange-
Während der Projektzeit fällt das gemeinsame weile entstehen oft kreative Ideen. Daher
Znüni essen weg. Die Kinder bestimmen in nimmt sich die Kindergartenlehrperson auch in
den Projektmonaten selbst, wann sie ihr Znüni dieser Situation zurück und beobachtet. Es ist
essen wollen. So kann es vorkommen, dass wichtig, dass die Kinder lernen Frustration
manche Kinder gleich nach ihrem Eintreffen auszuhalten ohne sich mit einem Konsumgut
genüsslich ihr Znüni essen, andere werden so abzulenken. Langeweile oder „lange Weile“
mit Spielen beschäftigt sein, dass sie es kom- braucht es sogar, damit die Kinder ihre Ideen
plett vergessen. entwickeln und verwirklichen können. Sie wer-
den überrascht sein, wie fantasievoll die Kin-
der mit ihrer Langeweile umgehen können.

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Was können Eltern machen, um mehr Ein-
blick in das Projekt zu erhalten?
Die Unterstützung der Eltern trägt wesentlich
zum Erfolg des Projekts bei. Ein Grossteil der
Eltern ist dem Projekt gegenüber positiv ein-
gestellt und unterstützt die Kindergartenehr-
person in ihrem Vorhaben. Ein Vertrauensver-
hältnis zwischen Lehrperson und Eltern, das
bereits vor dem Projekt besteht, trägt dazu bei.

Für interessierte Eltern ist bestimmt ein Be-


such im Spielzeugfreien Kindergarten oder ein
persönliches Gespräch mit der Kindergarten-
lehrperson hilfreich, um allfällige Fragen zu
klären oder Ängste und Vorbehalte abzubau-
en. Zudem bieten auch die zwei Elternabende
die Möglichkeit für einen Austausch.

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Literatur

Bieri, Edith (1997). Suchtmagazin (1/1997),


Verein DrogenMagazin.
Bühler, Anneke & Thrul Johannes (2013, aktu-
alisierte und erweiterte Neuauflage). Ex-
pertise zur Suchtprävention. Köln: Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklä-
rung (BZgA)
Leppin, Anja (2010). Konzepte und Strategien
der Prävention. In: Hurrelmann, K., Klotz,
Th., Haisch, J. (2010). Lehrbuch Präven-
tion und Gesundheitsförderung, S. 35-44.
Bern: Hans Huber Verlag
Schubert, Elke & Strick, Rainer (2000, 10.
Auflage). Spielzeugfreier Kindergarten –
Ein Projekt zur Suchtprävention für Kinder
und mit Kindern. München: Aktion Ju-
gendschutz
United Nation Office on Drug and Crime
(UNODC) (2013). International Standards
on Drug Use Prevention, S. 2., Abgerufen
am 6. August 2014 von
http://www.unodc.org/documents/preventi
on/prevention_standards.pdf
WHO: World Health Organization (1997). Life
Skills Education for Children and Adoles-
cents in schools – Introduction and Guide-
lines to facilitate the Development and
Implementation of Life Skills Programmes.
Genf: WHO
Winner, Anna (1997). Zum Begriff Lebens-
kompetenzen. In: Schubert, E. & Strick, R.
(1997), Ohne Spielzeug – Spielzeugfreier
Kindergarten, Ein Konzept stellt sich vor,
S. 16-25. Freiburg im Breisgau: Verlag
Herder.

Erscheinungsjahr: 2015

19
Suchtprävention Aargau
Rain 41
5000 Aarau

Telefon 062 832 40 90


info@suchtpraevention-aargau.ch
www.suchtpraevention-aargau.ch
www.spielzeugfrei.ch

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