Sie sind auf Seite 1von 13

III.

Ökonomischer Hintergrund des Tarifrechts


Ökonomische Legitimation des Tarifsystems

• Ein Markt führt nur dann zu effizienten Ergebnissen, wenn es (1.)


einen effektiven Wettbewerb, (2.) eine umfassende Information der
Marktteilnehmer und (3.) keine negativen externen Effekte (z.B.
Umweltschäden) gibt

→In der Realität so gut wie niemals der Fall!


→ Beim Arbeitsmarkt besteht ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen AG
u. AN: Während AG einen vorübergehenden Mangel an Arbeitskräften durch
Bildung von Ressourcen oder Nacharbeit häufig ausgleichen können, sind AN
dazu typischerweise nicht in der Lage

→ Die Verwertung ihrer Arbeitskraft ist ihre Existenzgrundlage; da sie stark zeit-,
orts- u. qualifikationsgebunden ist, kommt ein Ausweichen auf andere Märkte
praktisch kaum in Betracht

→ Auf einen inakzeptabel niedrigen Lohn kann ein AN nicht wie ein Anbieter auf
einem funktionierenden Gütermarkt durch Zurückhaltung seiner Arbeitskraft
und damit durch Verknappung des Angebots reagieren. Vielmehr ist er beim
Rückgang der Lohnsätze zur Ausweitung seines Arbeitsangebots gezwungen
(Konkurrenzparadoxon)

→ Marktversagen
→AN dürfen sich zu Kollektiven zusammenschließen und ihre
Arbeitskraft (vorübergehend) gemeinschaftlich zurückhalten

→Bildung von Gegenmacht durch (ausnahmsweise zulässiges)


Auftreten im Kartell

→Tarifvertrag (= Kollektivvertrag) als Mittel der Privatautonomie, die


staatliche Regulierung verzichtbar macht

→Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen, da sie auf „kollektiv


ausgeübter Privatautonomie“ beruhen
Ökonomische Folgen des Tarifsystems

• Tarifverträge führen zu einer Stabilisierung der Verhältnisse

→Die Anpassung der Arbeitsbedingungen nach „unten“ (d.h. in


Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen) wird deutlich
erschwert

• Kartelleffekt durch Vereinheitlichung der Arbeitsverhältnisse


Die ökonomische Beurteilung ist kontrovers:

Kritikpunkte:

• Tarifwesen führe zu unvertretbaren Lohnerhöhungen, die sich nachteilig auf


die Unternehmen, nicht begünstigten AN und die Volkswirtschaft im Ganzen
auswirken

• Die tarifgebundenen Unternehmen müssten Einsparungen vornehmen →


Verlust von Arbeitsplätzen und Produktivität

• Tarifverträge seien zu starr und ließen zu wenig Spielraum für betriebliche


Gestaltung

→ Forderung, die Macht der Gewerkschaften zu reduzieren


Besonders kritisch werden Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften (z.B. GDL, UFO,
Vereinigung Cockpit) beurteilt

Kritikpunkte:

• Würden zu einem Überbietungswettbewerb der Gewerkschaften untereinander führen (z.B.


GDL vs. EVG)
→ Paritätsverschiebung zulasten der AG

• Aber: Der Wettbewerb der Gewerkschaften untereinander kann letztlich den AN-Interessen
zugutekommen
→ Verdrängung von Gewerkschaften, die die AN-Interessen weniger gut vertreten
(„schöpferische Zerstörung“)

• Achtung: Das Tarifeinheitsgesetz (§ 4a TVG n.F.) schwächt Spartengewerkschaften, ist


jedoch verfassungsrechtlich umstritten (vom BVerfG jedoch aufrecht erhalten)
Positive Auswirkungen des Tarifwesens:

• Einsparung von Transaktionskosten, da der Verhandlungs-aufwand


gesenkt wird (Standardisierung der Entgelte und Arbeitsbedingungen)

• Geringere AN-Fluktuation → vermeidet Einstellungs- und


Einarbeitungskosten

• Negative Effekte durch überhöhte Tarifabschlüsse können eher


verhindert werden, je zentraler die Tarifverhandlungen durchgeführt
werden

→ Aber: Tarifparteien müssen darauf achten, dass den einzelnen


Unternehmen ein hinreichender Gestaltungsspielraum verbleibt
Problem: Das Kaufkraftargument („Perpetuum mobile“), wird häufig von
Gewerkschaften vorgetragen und liegt auf der Linie des Keynesianismus

Inhalt:
• Die Zunahme des tariflichen Stundenlohns führt zu einem unmittelbaren Anstieg
der Lohnsumme (Löhne multipliziert mit der Zahl der Beschäftigten); es kommt
zu einem Anstieg der Nachfrage nach Konsumgütern
• Die steigende Konsumnachfrage stimuliert die gesamte Inlandsnachfrage
• Die stimulierte Inlandsnachfrage erhöht Produktion und Kapazitätsauslastung
• Höhere Produktion und Kapazitätsauslastung stoßen zusätzliche Investitionen
an, die wiederum die Inlandsnachfrage erhöhen. Außerdem wird mit der
Produktionsausweitung zusätzliche Arbeit nachgefragt, so dass die
Beschäftigung steigt
• Durch die gestiegene Beschäftigung nehmen wiederum Lohnsumme und
Konsumnachfrage zu; der Kreislauf beginnt von neuem
Kritik:

• Wenn überhaupt kann die beschriebene Kaufkraftstrategie nur aufgehen,


wenn das Güterpreisniveau konstant bleibt, d. h. die Lohnerhöhungen nicht
vollständig in Form höherer Preise auf die Konsumenten überwälzt werden.

→ Denn das würde – real gerechnet – die Kaufkraft wieder schmälern, die durch
die Lohnerhöhung erhöht werden sollte. Solche Überwälzungen sind vor allem
dann zu erwarten, wenn ein monopolistischer Preissetzungsspielraum
vorhanden ist, der Preiserhöhungen von Seiten der Unternehmen zulässt

→ In diesem Fall tragen die Konsumenten die Last des Lohnanstiegs in Form
höherer Güterpreise. Deren zunächst infolge der Nominallohnerhöhung
gestiegene Kaufkraft sinkt in realer Rechnung
• Aber selbst wenn solche Überwälzungen von Kostensteigerungen in
höhere Preise – z. B. aufgrund eines starken Wettbewerbsdrucks –
nicht möglich sind, gibt es negative Effekte der Kaufkraftstrategie:

→ Solche Kostenerhöhungen verringern die Gewinnmarge der


Unternehmen. Sie haben Anreize, zu rationalisieren, unrentable
Betriebsteile zu schließen und die teuer gewordene Arbeit durch
Maschinen zu ersetzen oder Teile der Produktion ins Ausland zu
verlagern

→ Am Ende dieses Prozesses können Entlassungen und eine


Beschäftigungssituation stehen, bei der zwar die Menschen mit Arbeit
mehr verdienen, aber die Lohnsumme (also die Einkommen aller
Beschäftigten) aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit gefallen ist.
• Geringerer Wirkungsgrad von Lohnerhöhungen auf die Inlandsnachfrage:

→ Einem durchschnittlich verdienen-den Familienvater mit zwei Kindern verbleiben


von einer Gehaltserhöhung von 100 Euro zum Kauf deutscher Produkte nur
knapp 36 Euro.

→ Bei einem kinderlosen Single sind es sogar nur 27 Euro. Bevor das Geld
überhaupt in der Arbeitnehmerkasse an-kommt, greifen Fiskus und
Sozialversicherungen einen großen Teil ab.

→ Außerdem spart der Familienvater von 59 Euro verbleibender Netto-


lohnerhöhung gut sechs Euro.

→ Vom ausgegebenen Geld kommen 16,50 Euro schließlich den ausländischen


Erzeugern zugute.
• Abgabenkeil

→ Die Arbeitgeber orientieren ihre Entscheidungen an den anfallenden


Arbeitskosten, die Arbeitnehmer an den realen Nettolöhnen

→ Diese beiden Größen fallen aber wegen der Zahlungen von Steuern und
Sozialabgaben deutlich auseinander. So sind die Nettoreallöhne in der
Vergangenheit eher gesunken. Dies lag aber nicht daran, dass die Arbeitgeber
weniger gezahlt hätten. Im Gegenteil: Die Arbeitskosten sind im gleichen
Zeitraum deutlich gestiegen.

→ Die Ursache liegt woanders: Die Steuern und Abgaben, die von den
Arbeitnehmer zu zahlen sind, haben deutlich stärker zu-genommen als die
gezahlten Löhne, so dass den Arbeitnehmern weniger Geld verbleibt. Die
Erhöhung der Arbeitskosten hat daher nicht zu einer Erhöhung der Kaufkraft
geführt.

Das könnte Ihnen auch gefallen