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C. W.

Wallesch Depression nach Schlaganfall ± Wege zur Diagnose


Depression After Stroke ± Diagnostic Screening and Algorithm

Editorial
Gleich zwei Artikel des vorliegenden Heftes [1, 2] behandeln die

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Diagnostik der Post−Stroke−Depression (PSD). Da diese Störung
häufig ist und die Rehabilitation sowie die Lebensqualität von
Betroffenen und Angehörigen erheblich zu beeinträchtigen ver−
mag, sollte den behandelnden Ärzten (in der Akutphase Neurolo−
gen und Internisten, im weiteren oft Hausärzte) und auch Fach−
therapeuten ein einfaches Screening−Instrument sowie ein Algo−
rithmus zur weiterführenden Diagnostik zur Verfügung stehen.
Die PSD ist zumindest bei einem Teil der Betroffenen einer medi−
kamentösen Therapie zugänglich [3, 4].

Nolte u. Mitarb. [1] können bei 193 (91 % Rücklauf) 4 Jahre nach
Schlaganfall mit Fragebogen untersuchten Patienten zeigen, dass
die Bejahung zweier Fragen (¹Haben Sie sich im letzten Monat
häufiger bedrückt oder depressiv gefühlt oder an Hoffnungslo− 249
sigkeit gelitten?“, ¹Haben Sie im letzten Monat weniger Lust Prof. Dr. med. C.−W. Wallesch
oder Interesse an Ihren übrigen Aktivitäten (z. B. Hobbys, Lesen,
Spazieren gehen etc.) gehabt“) 25 von 28 Personen mit Punkt− Unterschiedliche Diagnosekriterien und verwendete Instrumen−
zahl von 18 und mehr im Beck−Depressions−Inventar (BDI) iden− te sowie Stichprobeneigenschaften erklären weitgehend die Un−
tifizierten. Kein Betroffener, der beide Fragen verneinte, erreichte terschiede in den berichteten Prävalenzraten der PSD [5]. Bei
einen Wert dieser Höhe im BDI. Verwendung der Kriterien des DSM−III werden einen Monat
nach Insult Prävalenzen von 11 ± 47 %, nach 3 Monaten von
Dohmen u. Mitarb. [2] schlagen vor, allen Schlaganfallpatienten 28 ± 53 %, nach 12 Monaten von 11 ± 42 % und nach 3 ± 4 Jahren
innerhalb der ersten zwei Wochen nach Ereignis z. B. auf der Vi− von 18 ± 29 % angegeben [5].
site die Frage zu stellen: ¹Fühlen Sie sich häufig traurig und nie−
dergeschlagen?“. Bei Bejahung sollten sich weitere diagnostische Ob es einen Läsionsbezug einer depressiven Symptomatik nach
Schritte anschließen (Hospital Anxiety and Depression Scale Schlaganfall gibt, ist umstritten [6]. Manche Autoren nehmen
oder Geriatric Depression Scale), bei Verneinung die Frage wö− eine Lokalisationsabhängigkeit nur für eine depressive Sympto−
chentlich wiederholt werden. Bei Auffälligkeit in den genannten matik in den ersten Wochen nach Insult an [7, 8]. Es erscheint da−
Instrumenten soll die Indikation zur psychiatrischen Untersu− her notwendig, bei allen Schlaganfallpatienten, in der akuten wie
chung gestellt werden. Die Autoren weisen zu Recht auf die Prob− in der chronischen Phase, an eine depressive Komorbidität zu
lematik hin, die PSD im ICD−10 zu klassifizieren, während DSM− denken. Dazu geben die beiden Beiträge in diesem Heft wichtige
IV sie abzubilden vermag. Anstöße.

Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Claus−Werner Wallesch ´ Klinik und Poliklinik für Neurologie ´ Otto−von−Guericke−Universität
Magdeburg ´ Leipziger Str. 44 ´ 39120 Magdeburg ´ E−mail: neuro.wallesch@medizin.uni−magdeburg.de

Bibliografie
Fortschr Neurol Psychiat 2006; 74: 249±250  Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ´ New York
DOI 10.1055/s−2006−932130
ISSN 0720−4299
Im Folgenden sollen einige wichtige Befunde der Literatur der Sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Inter−
letzten Jahre zur PSD referiert werden: ventionen sind zumindest bei einem Teil der von PSD Betroffe−
nen wirksam [4]. Auch wenn die Pathogenese der Depression
Kauhanen u. Mitarb. [9] untersuchten 106 konsekutive Patienten nach Schlaganfall noch nicht abschließend geklärt ist, handelt
mit ischämischem Infarkt im vorderen Stromgebiet einer Einjah− es sich um eine häufige, Betroffene und Angehörige beeinträchti−
res−Katamnese. 70 % der Aphasiker (1/4 der Patienten) erfüllten gende Komorbidität, die oft einer Behandlung zugänglich ist.
nach 3 Monaten und 62 % nach 12 Monaten DSM−III−R−Kriterien Auch über den Kontakt mit Schlaganfallpatienten hinaus sollten
einer Major− oder Minor−Depression (nichtaphasische Patienten Ärzte die Frage nach Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Be−
46 zu 36 %). Während bei Aphasikern die Prävalenz einer Major− drücktheit stellen und ihrer Bejahung diagnostisch und thera−
Depression von 11 % nach 3 Monaten auf 33 % nach 12 Monaten peutisch nachgehen.
anstieg, erfüllten nur 8 bzw. 11 % der nichtaphasischen Patienten
die Kriterien. Die besondere Häufigkeit schwerer Depressionen
bei Aphasikern ist vielfach belegt, die Frage ob es einen Zusam− Literatur
menhang mit der Läsionslokalisation gibt oder ob es sich um
Editorial

1
ein Epiphänomen der Kommunikationsstörung handelt, bleibt Nolte CH, Müller−Nordhorn J, Jungehülsing GJ et al. Zwei einfache Fra−
gen zur Diagnose der Post−Schlaganfall Depression. Fortschr Neurol
jedoch offen [6].
Psychiat 2006; 74: 251 ± 256
2
Dohmen C, Garlip G, Sitzer M et al. Post−Stroke−Depression. Algorith−
Aben u. Mitarb. [10] fanden in zwei großen prospektiv unter− mus für ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen in der klini−
suchten Kollektiven von Patienten nach akutem Myokardinfarkt schen Routine. Fortschr Neurol Psychiat 2006; 74: 257 ± 262

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3
Huff W, Ruhrmann S, Sitzer M. Diagnostik und Therapie der Depressi−
(n = 200) und Schlaganfall (n = 190; Patienten mit schwerer
on nach Schlaganfall. Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69: 581 ± 591
Aphasie ausgeschlossen) innerhalb des ersten Jahres nach Er− 4
Anderson CS, Hackett ML, House AO. Interventions for preventing de−
krankung eine kumulative Inzidenz depressiver Störungen nach pression after stroke. The Cochrane Library Issue 2. Chichester: Wiley,
DSM−IV von 38,7 % nach Schlaganfall und 28,4 % nach Herzin− 2004
5
Huff W, Steckel R, Sitzer M. ¹Poststroke Depression“. Epidemiologie,
farkt. Der Unterschied verschwand jedoch nach Korrektur für Al−
Risikofaktoren und Auswirkungen auf den Verlauf des Schlaganfalls.
ter, Geschlecht und Ausmaß der Behinderung. Die Ergebnisse le− Nervenarzt 2003; 74: 104 ± 114
gen nahe, auch bei anderen bedrohlichen oder behindernden so− 6
Carson AJ, MacHale S, Allen K et al. Depression after stroke and lesion
matischen Erkrankungen nach depressiver Komorbidität zu location: a systematic review. Lancet 2000; 356: 122 ± 126
7
Herrmann M, Bartels C, Schumacher M, Wallesch CW. Poststroke De−
fahnden.
pression. Is there a pathoanatomic correlate for depression in the
postacute stage of stroke? Stroke 1995; 26: 850 ± 856
Im Rahmen der FINNSTROKE−Studie wurden Inzidenz und 8
Shimoda K, Robinson RG. The relationship between poststroke de−
Schwere einer depressiven Symptomatik bei Schlaganfall−Betrof− pression and lesion location in long−term follow−up. Biol Psychiatry
1999; 45: 187 ± 192
fenen und ihren betreuenden Angehörigen 3 und 12 Monate 9
Kauhanen ML, Korpelainen JT, Hiltunen P et al. Aphasia, depression,
250 nach Ereignis mit dem BDI (Cutoff 10) in Regionen mit und ohne and non−verbal cognitive ompairment in ischaemic stroke. Cerebro−
Nachsorgeprogramm untersucht [11]. Nach 3 Monaten wiesen vasc Dis 2000; 10: 455 ± 461
10
41 % der Patienten in Interventionsgebieten, jedoch 54 % in Kon− Aben I, Verhey F, Strik J et al. A comparative study into the one year
cumulative incidence of depression after stroke and myocardial in−
trollgebieten eine depressive Symptomatik auf, nach 12 Monaten
farction. J Neurol Neurosurg Psychiat 2003; 74: 581 ± 585
42 bzw. 55 %. Bei Angehörigen waren depressive Symptome nach 11
Kotila M, Numminen H, Waltimo O, Kaste M. Depression after stroke:
3 Monaten in Gebieten mit und ohne Intervention gleich häufig results of the FINNSTROKE study. Stroke 1998; 29: 368 ± 372
12
(42/ 41 %), nach 12 Monaten waren depressive Angehörige in In− Dennis M, O’Rourke S, Lewis S et al. A quantitative study of the emo−
tional outcome of people caring for stroke survivors. Stroke 1998; 29:
terventionsgebieten signifikant seltener. Dennis u. Mitarb. [12]
1867 ± 1872
bestätigen die Inzidenz (33 %) einer depressiven Symptomatik 13
Singh A, Black SE, Herrmann N et al. Functional and neuroanatomic
bei betreuenden Angehörigen und weisen auf ihre emotionale correlations in poststroke depression: The Sunnybroke study. Stroke
Belastetheit hin (55 % nach General Health Questionnaire). 2000; 31: 637 ± 644
14
Pohjasvaara T, Vataja R, Leppavuori A et al. Depression is an indepen−
dent predictor of poor long−term functional outcome post−stroke. Eur
Sowohl nach 3 Monaten als auch nach einem Jahr korreliert die J Neurol 2001; 8: 315 ± 319
PSD mit funktioneller Abhängigkeit [13]. Das Vorliegen einer 15
Chemerinski E, Robinson RG, Kosier JT. Improved recovery in activities
PSD ist ein unabhängiger negativer Prädiktor für das Rehabilita− of daily living associated with remission of post−stroke depression.
Stroke 2001; 32: 113 ± 117
tionsergebnis [14]. Patienten, deren Depression innerhalb der
ersten Monate zurückging, weisen gegenüber anhaltend Depres−
siven ein größere Verbesserung ihrer Alltagsfunktionen auf [15].

Wallesch CW. Depression nach Schlaganfall ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2006; 74: 249 ± 250

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