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Funktion und Bedeutung des Merkmals »Irrtum« in § 263 StGB Von Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg, Bochum A. Der Betrugstatbestand des § 263 StGB trennt zwischen der vom Tiiter zu ver~ fibenden — im allgemeinen kurz »Tauschung« genannten — »Vorspiegelung falscher ‘Tatsachen«! und dem »Irrtume, dem der Adressat aufgrund der Tiuschung er- liegen muB., Diese Fassung gebietet es, das Erfillltsein des einen Merkmals ganz unabhiingig vom anderen festzustellen. Der Titer kann vorsiitzlich einen Irrtum liber Tatsachen erregen, ohne dazu das spezifische Mittel der Tauschung einzu- setzen. So in den bekannten Beispielen der abiindernden Einwirkung auf den Vor- stellungsgegenstand: Die reflektierte und konkrete Vorstellung des Schaffners, alle Fahrgtiste im Bus hiitten bezahlt, wird dadurch zu einem Irrtum, da® sich ein Schwarzfahrer einschleicht, doch liegt, wenn dieser sich dem Schaffner nicht be- merkbar macht, keine, nicht einmal eine konkludente Tauschung vor®, Umgekehrt ist denkbar, daB der Titer tiuscht, aber keinen Irrtum erregt. So am eindeutigsten, wenn seine Liige scheitert, weil der Belogene zutreffende Kenntnis besitzt: Ein Passant weif zufallig, daB der ihn um ein Almosen ansprechende Bettler im Roll- stuhl in Wahrheit gesund ist. Hier liegt, wie im vorigen Beispiel, eine Teilerfiillung des Tatbestandes vor. Die Vorspiegelung ist nicht nur versucht, sondern verwirk- licht, ausgeblieben ist erst der durch sie angestrebte Inrtum (weshalb der Tater kei- nesfalls tiber einen Versuch hinauskommt, selbst wenn der Angebettelte zahlt). Die Bedeutung dieser begrifflichen Trennung darf nicht tiberschiitzt werden. Sachlich wiirde sich nichts indern, wenn der Gesetzgeber die jetzt umstindlich unterschiedenen Merkmale durch einen zusammenfassenden Terminus ersetzen wiirde. Darauf zielt § 252 E 1962, der — allein zur sprachlichen Verbesserung des Gesetzes — das Vorspiegelungs- mit dem Irrtumsmerkmal in der Formulierung »durch Tauschung tiber Tatsachen« zu vereinigen vorschliigt’. Es ist darum unzu- treffend zu sagen, daB § 252 E 1962 »auf das Irrtumserfordernis verzichtets 4, Wiirde die Neufassung Gesetz, so wiirde dies nur bedeuten, daB die speziellen Er- fordernisse, die man jetzt aus dem Irrtumsmerkmal herausliest, sich kiinftig schon aus dem Tauschungsbegriff ergiiben. Im Beispiel des sich gelithmt stellenden Bett- lers wiire also bereits das erste Tatbestandsmerkmal zu verneinen, weil trotz durch- gefiihrter Vorspiegelung der Angesprochene nicht irregefiihrt wird und damit keine »Tauschunge i. S. der neuen Betrugsvorschrift vorliegt®. Einzuriumen ist immerhin, daB die jetzige Fassung deutlicher als die im E 1962 vorgeschlagene auf Grenzen der Strafbarkeit hinweist, die sich gerade aus dem 1 Als weitere Formen der Tauschung nennt das Gesetz die »Entstellung« und die »Unterdriickung wahrer Tatsachen«. ® Vel. Bockelmann, Strafrecht BT/1, 1976, S. 62; Schénke-Schréder-Cramer, 18. Aufl, 1976, § 263 Rdnr. 32 f. 3 Val. E 1962, Begr. 2u § 252, $. 423: »Der Entwurf_miichte am Tatbestand des Be- truges, wie er in einer langjiihrigen Rechtsprechung zu § 263 entwickelt worden ist, nichts, lindern. Nur die Fassung des Gesetzes soll sprachlich verbessert werden<. + So Amelung, GA 1976, 8. 17, der den Entwurfsvorschlag miBbilligt, weil »der Inr- tumsbegriff . . . in der Formulierung des Betrugstatbestandes keineswegs Uberfliissig« sei. © Vel. E 1962, S. 423: »Unter ,Tiiuschung’ versteht der Entwurf sowohl die Tauschungs- handlung des Titers als auch die Herbeifahrung des Irrtums bei dem Getiiuschten . .. Sache der Rechtsprechung mu es nach wie vor sein, den Begriff des Irrtums, den das Gesetz ausdriicklich nicht mehr verwendet, niiher zu bestimmens. 290 HERZBERG Irrtumserfordernis ergeben kénnten, Irrtum i, S. des § 263 wird tblicherweise de- finiert als >falsche Vorstellung iiber Tatsachen«®, Als begriffliche Ansatzpunkte fiir ein restriktives Verstiindnis kommen danach sowohl die »Vorstellung« wie deren »Falschheit« in Betracht, Entsprechend einteilen kann man die Zweifel und ‘Meinungsstreitigkeiten, die sich in der strafrechtlichen Literatur zum Irrtumsmerk- mal finden. Diskutiert wird einmal die Frage, ob und gef. wie intensiv und konkret sich der Getiuschte der vorgespiegelten »falschen Tatsachen« bewupr werden muB, damit tiberhaupt von einer »Vorstellunge die Rede sein kann. Wenn z. B. ein Kon- zertbesucher durch Vorzeigen einer falschen Karte EinlaB erschleicht, dem Saal- diener aber das Geschehen gar nicht ins BewuBtsein dringt, weil er mit seinen Gedanken anderswo ist, dann bewirkt der Tauschende nicht die positive und kon- Arete Fehlvorstellung >das da ist eine giiltige Eintrittskarte«, sondern lediglich das Ausbleiben der zutreffenden Erkenninis, die Karte sci ungiiltig. AuSerstenfalls lieBe sich sagen, der Titer unterhalte die halbbewuBt-fortlaufende, verschwommen- allgemeine Annahme, es sei valles in Ordnunge. Ob die blo8e »ignorantia facti« und das unbestimmte Gefiihl des »alles in Ordnung« als »Vorstellung« i. S. des Irrtumsbegriffs in § 263 ausreichen kénnen, ist seit jeher umstritien?, soll hier aber nicht untersucht werden, Gegenstand dieser Studie ist vielmehr der zweite Streit- punkt, die Frage nach der »Falschheit« von Annahmen, fiir die jeweils unzweifel- haft sein soll, daB es sich um positiv-konkrete »Vorstellungen« handelt. Amelung hat das Problem, um das es hier geht, im AnschluB an die Darstellungen Giehrings# und Lackners? jtingst eingehend behandelt und es treffend und knapp formuliert als die Frage, »ob der Verfiigende i. S. des Betrugstatbestandes ,irrt’, wenn er an den Angaben des Tauschenden zweifelt« ‘0, Erstaunlicherweise ist die Frage in der Strafrechtslehre, die den Betrugstatbestand doch sonst $0 griindlich wie keine andere Vorschrift des Besonderen Teils erforscht hat, jahrelang keum als problematisch empfunden worden. Erst der Aufsatz von Giehring aus dem Jahre 1973 #2 hat die Aufmerksamkeit auf diesen weifen Fleck in der dogmatischen Landkarte gelenkt und ein wirkliches wissenschaftliches Gespriich in Gang gebracht. Das Dauerverstiumnis der Lehre spiegelt sich in der Rechtsprechung wider. Hier st6Bt man auf zahlreiche Sachverhalte, die deutlichen AnlaB gaben, unserer Frage nachzugehen, weil feststand oder nahelag, daB der Verfligende die ihm vorgespie- gelten Tatsachen nicht geglaubt, sondern angezweifelt und nur fiir méglich gehal- ten hatte. Von den Gerichten wird das sich damit stellende Problem aber besten falls gestreift, meistens umgangen oder durch Fiktion ausgeschaltet 8, * Val, etwa Blei, Strafrecht Il, 10. Aufl, 1976, S. 187; Dreher, 37. Aufl., 1977, § 263 Rar. 18; Lackner, 11. Aufl,, 1977, § 263, Anm. 4a; Maurach, Strafrecht BT, 5, Aufl., 1969, 8. 310; Schénke-Schréder-Cramer, § 263 Rdar. 28, 7 Ausfithrlich dazu Lackner, LK, 9, Aufl., 1974, § 263 Rdnrn, 68 ff. 8 GA 1973, 10. * LK (Anm. 7), § 263 Rdnrn. 70 ff. © GA1977,1. 4 Vgl. die Zusammenstellung der Schrifttumstiugerungen bei Amelung, GA 1977, 1. # Vel. Anm. 8. ® Die meisten einschliigigen Urteile bejahen trotz der Zweifel des Verfiigenden Be- trug, wobei dann ausdriicklich oder stillschweigend, stets aber ohne wirkliche Begriin- dung, cin dies erméglichender weiter Irrtumsbegriff zugrunde gelegt wird, Doch gibt es auch einige wenige Entscheidungen, die yon der engen, das zweifelnde Fiirmiglichhalten ausschlieBenden, auf ihre Richtigkeit freilich ebensowenig tiberpriiften Deutung ausgehen lund so zur Ablehnung des § 263 gelangen. Auf Belege darf hier nach der umfassenden Zusammenstellung und kritischen Wiirdigung des Entscheidungsmaterials, die Gichring vorgclegt hat (GA 1973, 2 f,, 11 ff.), verzichtet werden. FUNKTION UND BEDEUTUNG DES MERKMALS »IRRTUM« 291 B. Stellungnahmen im Schrifttum, die mit einer diesen Namen verdienenden Be- griindung auf eine allgemein giiltige Lésung zielen, sind noch nicht zahlreich*4, haben aber in kiirzester Zeit zu vier verschiedenen Interpretationsvorschliigen ge- fiihrt. Gichring stellt darauf ab, ob der Getiiuschte von der iiberwiegenden Wahrschein- lichkeit der Angaben des Titers ausgehe; der Irrtumsbegriff miisse beschrinkt werden auf die der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung, »das Vorliegen (Nichtvorliegen) einer Tatsache sei sicher oder jedenfalls wahrscheinlicher als ihr Nichtvorliegen (Vorliegen)«'8. Krey modifiziert - ohne eigene Begriindung — Giehrings These dadurch, da er das >iiberwiegend« streicht; hm verscheint der Getiiuschte, der Zweifel an der Wahrheit der Tatsachenbehauptung hat, nur schuiz~ wiirdig, wenn er es fiir wahrscheinlich hilt, jene Behauptung sei unzutreffend, und auf diese Einschiitzung seine Vermdgensverfiigung baute!#, Lackner geht noch einen Schritt weiter und erkennt grundsiitzlich auch die »bloBe Méglichkeitsvor- stellunge als Irrtum an; in Ubereinstimmung mit der wohl herrschenden Lehre 1aBt er es also geniigen, daB der Getiuschte die Richtigkeit der Behauptung zwar anzweifelt, aber fiir mdglich halt”. Gemeinsam ist diesen drei Ansichten, da8 sie die Annahme eines Irrtums stets, ausschlieBlich vom subjektiven Urteil des Getiuschten zur Wahrheitsfrage abhiin- gig machen und daB ihnen weiter in keinem Fall die Tatsache des Zweifels allein, so gewichtig und konkret seine Griinde auch sein migen, geniigt, den Inrtum zu verneinen. Amelung vertritt demgegeniiber eine radikal abweichende Konzeption38. Er sieht die Hauptschwiiche der herrschenden, insbesondere der Lacknerschen Lehre darin, allein mit dem — angeblichen — Zweck der »gesamten Norm« zu argumen- tieren. Man sei dann zu schnell geneigt, den Zweck des § 263 StGB ungenau und pauschal darin zu sehen, das Vermégen gegen Uberlistung zu schiitzen. Dies sei jedoch eine Annahme, die sich allein auf die Tatbestandsmerkmale der Vermé- gensbeschiidigung und der Tauschungshandlung stiitze. Zu kliren sei auch und vor allem, welche Aufgaben gerade das in Frage stchende Merkmal »Irrtume 7 erftillen habe. Ankntipfend an Giehrings Gedanken der geringeren Schutzwilrdig- keit eines Getiuschten, der immerhin zweifle, findet Amelung die Aufgabe des speziellen Erfordernisses im Betrugstatbestand darin, »dem Prinzip der Subsi- diaritit des strafrechtlichen Rechtsgiiterschutzes zur Geltung zu yerhelfenc. Dieses 4 Sehr viel mehr AuBerungen betreffen die besondere Frage des ProzeBbetruges; val. etwa Koffka, ZStW 54 (1935), 48 £.; Welzel, Die Wahrheitspflicht im ZivilprozeB, 1935, S, 24; Lenckner, Der ProzeBbetrug, Diss, Tubingen, 1957, S. 101 ff. Sie zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung zu machen empfiehlt sich indessen nicht, weil die Situation des trotz verbliebener Zweifel >verfiigendenc Richters oder Rechtspflegers atypisch ist: Er darf nach den prozeBrechtlichen Vorschriften den Zweifel regelmagig nicht zum AnlaB nehmen, die vom Tauschenden erstrebte Verfiigung zu unterlassen (vgl. Amelung, GA 1977, 16). Deshalb gewinnt hier das kriminalpolitische Bediirfnis, cine Bestrafungsmdglichkeit nachzuweisen, ein Gewicht, das ihm sonst jedenfalls nicht im selben Ma8e zukommt. # GA 1973, 25 f. 1 Krey, Strafrecht BT, Bd. 2, 3. Aufi., 1976, S. 124. 1 LK (Anm. 7), § 263 Rdnr. 71. Insoweit gleicher Ansicht Blei (Anm. 6), S. 189; Dreher (Anm. 6), § 263 Rdnr. 18; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 263 Anm. 3; Koffka (Anm. 14), S. 49, Schénke-Schréder-Cramer, § 263 Rdnr. 30; Schroder, JZ 1967, 578. Lackner unter- scheidet sich von diesen Autoren allerdings durch den Einbau des Erfordernisses einer >inneren Stellungnahme zur Wahrheitsfrage« (Rdnr. 72). 48 Zum folgenden vgl. GA 1977, 1 ff. 292 HERZBERG Zweckverstiindnis diirfe nun allerdings nicht dahin fiihren, cinen Irrtum generell zu verneinen, wenn der Getiiuschte von der Wahrheit der Angaben des Titers nicht iiberzcugt sei. Denn zwar kénne man allgemein sagen, da der Zweifelnde ‘MOglichkeiten habe, sein Vermégen auf weniger einschneidende Weise als durch das staatliche Strafrecht zu schiitzen, doch gebe es eine Form des Zweifels, bei der sich die Méglichkeiten des Selbstschutzes erheblich reduzieren. Amelung meint damit »die allgemeine, durch keinen konkreten Anhaltspunkt geniihrte Unsicher- heit, ob man einem anderen Menschen trauen kann«. Wiirde auch in solchen Fal- len die Strafdrohung wegen (vollendeten) Betruges hinweginterpretiert, so wider- spriiche das ihrer sozialen Funktion, um der Forderung des Wirtschaftsverkehrs willen zu gewihrleisten, da8 man relativ gefahrios Vertrauen in die Behauptungen anderer investieren diirfe. Als Resultat seiner Erwigungen prisentiert Amelung dic These, es seien aus dem Irrtumsbegriff alle, aber auch nur die Zweifel auszu- scheiden, die auf einem »konkreten Anhaltspunkte beruhen#®, Diese Deutung wird sodann gegen einige denkbare Einwinde vorbeugend verteidigt, in ihren prak- tischen Auswirkungen iiberpriift und schlieBlich in den Zusammenhang einer all- gemeineren Kritik gestellt, die ihr zustitzliche Dignitit verleihen soll. Die bisherige Vernachlissigung des Selbstschutzgedankens bei der Interpretation des Irrtums- merkmals sei, meint Amelung, auf den iiberméchtigen Einflu8 der Kausalzurech- nungslehre zuriickzufhren. In ihr erschiene das Verbrechen als einlineares Ge- schehen, bei dem der Titer einem passiven Opfer Schaden zuftige. Dieses auch sonst oft unrealistische Vorverstiindnis verbiete im Fall des § 263 schon die Tat- bestandsfassung. Man kénne den yollen Sinngehalt des Betrugstatbestandes nur erfassen, wenn man den von einer Tauschung bedrohten Vermigenstriiger als Mithandelnden begreife. Amelung nennt deshalb die Betrachtungsweise, mit der er dem herkémmlichen Verstindnis entgegentritt und ganz neue Ergebnisse ge- winnt, »interaktionistische und sviktimologisch<, um so ihren Zusammenhang mit den Erfahrungswissenschaften der Soziologie und der Opferkunde deutlich zu machen, und hiilt fiir denkbar, daf seine »interaktionistische« Perspektive auch bei anderen Straftatbestiinden, die den Triiger des verletzten Rechtsgutes direkt oder indirekt als Mithandelnden beschreiben, fruchtbar zu machen sei. c. Amelungs Ansicht verdient unser besonderes und vorrangiges Interesse, Denn die ihr yoraufgegangenen Lisungsvorschlge von Giehring und Lackner, gewon- nen aus strafrechtsimmanenter Hermeneutik, haben unbestreitbar eine schmalere theoretische Grundlage und gestehen sich selbst ihren Mangel an Stringenz ein. So meint Giehring zu seinem Kriterium der viiberwiegenden Wahrscheinlichkeite, man kénne sich daftir »nicht ohne eine gewisse Willkiir entscheidene!, und Lack- ner rumt bei der Ablehnung der Giehringschen Deutung ein, daB sie sich »nicht zwingend als unrichtig erweisen« lasse*. Amelung dagegen nimmt mit der »Sub- sidiarittit des Strafrechtsé fiir sich ein ehrfurchtgebietendes Prinzip allgemein rechts- politischer Art in Anspruch und sichert seiner Norminterpretation durch die nicht ganz unmodische Verkniipfung mit sozio-krimino-viktimologischen Erfahrungsauis- sagen bei vielen von vornherein eine gewisse Zustimmungsgeneigtheit. Will man sie wiirdigen und tiberpriifen, so empfiehlt sich zuniichst die Klarung 3 GA 1977, 7. °° GA 1977, 17. * GA 1973, 211. %® LK (Anm. 7), § 263 Rdnr. 71. FUNKTION UND BEDEUTUNG DES MERKMALS >IRRTUM« 293 ihrer praktischen Konsequenzen. Amelung selbst diirfte sie unterschitzt haben, weil er bei der Frage nach dem Vorliegen konkreter Zweifelsanhaltspunkte Aus- nahme und Regel vertauscht** und iiberdies wohl zu Unrecht davon ausgeht, da in fast allen Fillen, in denen er wegen der konkret begriindeten Zweifel des Ver- fiigenden einen Irrtum verneinen will, immerhin noch ein versuchter Betrug vor- liege24, Kommen dem Getiuschten tiberhaupt Zweifel an den ihm gemachten Angaben, so werden sie kaum je allein darauf beruhen, daB er »den Geschiiftspartner nicht genauer kennt«. Denn nicht schon dieser Umstand macht bei Kontakten des wirt- schaftlichen Leistungsaustausches den normal Veranlagten miStrauisch. Man flirch- tet nicht, beim Teppichkauf betrogen zu werden, nur weil man den Angestellten des Binrichtungshauses vorher noch nie gesehen hat. Wo sich Argwohn einstellt, wie z.B. beim Kauf eines angeblich echten Orientteppichs an der Haustiir, er- wichst er vielmehr erst aus irgendwelchen Auffalligkeiten, Informationen, Erfah- rungen, die dann aber zwangsliufig zugleich einen mehr oder minder gewichtigen »konkreten Anhaltspunkt« darstellen oder aufzeigen, der nach Amelung den Irr- tum ausschlieBt und Strafe wegen vollendeten Betrugs verbietet®s. Was die ver- bleibende Méglichkeit cines Versuchs betrifit, so ist es gewi8 richtig, daB der Téu- schende das Opfer normalerweise zu iiberzeugen sucht, weil aufkeimendes Mi8- trauen sein Vothaben gefihrden mii8te. Doch diirfte auch die Zahl der Falle nicht ganz. gering sein, in denen massive Zweifelsgriinde es schlechterdings ausschlieBen, daf im Getiuschten die volle Uberzeugung entsteht, und der Tater das offensicht- lich Unerreichbare dann auch gar nicht erst in seinen Vorsatz aufnimmt, Dariiber- hinaus ist zu bedenken, daB die strafeinschriinkende Neuinterpretation, wenn die Gerichte sie tiberntihmen, nicht ohne Eigenwirkung bliebe. Amelung erwiihnt dies nicht, obwohl es doch auf der Hand liegt. Der Heiratsschwindier, der seinem hoffend-miBtrauenden Opfer die Ersparnisse abgelistet hat, kinnte vorbringen, hinsichtlich seiner Riickzahlungsbereitschaft bei seiner Bekannten nur ein mit Zweifeln verbundenes Fiirméglichhalten gewollt zu haben, um nicht mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen. Der Richter dlirfte das nicht ohne weiteres als Schutzbehauptung abtun, denn es ist ja die Regel, daB Menschen ihren Vorteil nach Méglichkeit auf nichtkriminellem Wege erstreben, An einem Beispiel wie diesem wird die Tragweite der Verengung des Irrtums- begriffs besonders deutlich. Der Hochstapler, der einer Frau das groBe Ehegliick in Aussicht stellt und sich dann mit einem Darlehen von 10000 DM absetzt, kénnte zumindest tiber den in-dubio-Satz straffrei ausgehen, wenn »konkrete Anhalts- punkte« die Belogene an seiner Redlichkeit haben aweifeln lassen; ein Resultat, das mindestens Unbehagen erregt und deshalb die kritische Analyse seiner Argu- mentationsbasis herausfordert. Amelung mi8t zuniichst dem Wortlaut des Gesetzes keine ausschlaggebende * Keinen konkreten Anhaltspunkt sieht Amelung in der »bloBe(n) Tatsache, da8 man den Geschiiftspartner nicht niher kennt« (S. 7); so liege es hiufig, wihrend »nur Finzel- fille« tibrigblieben, in denen nach seiner Theorie »hemmende SelbstschutzmaBnahmen gefordert werdene (S. 8), 2 Vgl. S. 12: »Hatte es der Tauschende nur auf die Erzeugung solcher Zweifel abge- sehen, so entfuillt eine Bestrafung wegen Betruges, weil dem Titer der Vorsatz. fehlt, einen Betrug hervorzurufen, Dies wird freilich nur selten vorkommen. In der Regel wird der Téuschende einen echten Irrtum verursachen wollens. * Innethalb der konkreten Zweifelsgriinde nach ihrem Gewicht differenzieren will Amelung anscheinend nicht, vermutlich aus der Einsicht, da sonst dic Anwendung des § 263 ganz unberechenbar wiirde und die unter diesem Aspekt gegentiber Giehring be- hauptete Uberlegenheit seiner Lehre (vgl. S. 8) entficle. 294 HERZBERG Bedeutung zu%. Dem mu8 man zustimmen. »DaB von einem Irrtum gesprochen werden kann, auch die weitestgehende Hypothese also den Rahmen der Ausle- gung nicht sprengen wiirde, wenn der Wirklichkeit (das Bild ist kein Rembrandt; der Schuldner denkt nicht daran zu zahlen) nur ein Zweifel gegeniibersteht (vie leicht echt, vielleicht will er nicht zahlen) ist kaum zu bestreitens °?. Unsere Aufmerksamkeit darf sich darum sogleich auf die entscheidende teleolo- gische Erwigung — Selbstschutz und Subsidiaritétsprinzip — richten. Hier scheint es mir vor allem anderen wichtig 2u sehen, da8 Amelung den Subsidiaritiitsgedan- Ken nicht in spezifisch strafrechtsbezogener, sondern in seiner Kassischen gesell- schaftstheoretischen, also viel grundsiitzlicheren Bedeutung verwendet. Wer mit der »Subsidiaritiit des Strafrechts« argumentiert, meint damit iiblicherweise die Forderung, da8 sozial unerwiinschtes Verhalten dann nicht durch Strafdrohung unterdriickt werden soll, wenn andere staatliche Zwangsmittel, die nicht diskri- minieren und nicht verbunden sind mit sittlicher MiBbilligung, mindestens den gleichen Effekt erzielen; da8 also etwa leichtere straBenverkehrs-, gewerbe-, bau- rechtliche Verstife usw. mit Mitten des Verwaltungsrechts bekiimpft und als bloBe Ordnungswidrigkeiten nur »geahndet« werden sollen. Bei Amelung geht es jedoch darum, dem Staat in gewissen Fallen die Einmischung durch Strafe und Strafan- drohung deshalb zu verwehren, weil der einzelne Biirger selbst sein Interesse wah- ren kénne. Das ist das Subsidiaritatsprinzip in seiner allgemeineren Bedeutung ciner gegen staatlichen Totalitarismus und Zentralismus gerichteten Zustandigkei regel der gesellschaftlichen Ordnung, wie sie vor allem in der katholischen Sozial- Iehre, aber auch vom Liberalismus (insbesondere angelsiichsisch-demokratischer Pragung) verfochten wird. »Die Regierunge, so hat Abraham Lincoln diese Regel formuliert, »hat fiir die Bevélkerung das zu besorgen, wonach die Leute ein Be- diirfnis haben, was sic aber selbst iiberhaupt nicht tun kénnen oder doch, auf sich selbst gestellt, nicht ebensogut tun kinnen. In all das, was die Leute ebensogut selber tun kénnen, hat die Regierung sich nicht einzumischen«*s, Der Staat soll ctwa, um ein gingiges Beispiel zu nennen, die geistige Férderung, Erziehung und Sozialisation des Kleinkindes den Eltern iiberlassen. So priizisiert, verliert Amelungs Subsidiaritiitsargument m. E. die Uberzcugungs- kraft. Denn es kann keine Rede davon sein, da8 in unseren Fallen der Zweifelnde ebensogut selbst zu besorgen vermichte, was zum Schutz seines Vermégens cine Strafdrohung bewirken wiirde. Zwar ist er ohne sie nicht véllig hilflos, weil er ja, durch seine Zweifel zur Vorsicht gemahnt, die ihm angesonnene Vermigensyer- fiigung unterlassen kann. Aber er kann nicht — und darum geht es ~ schon im Vor- feld gencral- und spezialpriventiv Hemmungen schaffen, die potentielle Tater davon abhalten, ihn durch tiiuschendes Erwecken von Hoffnungen zur Vermégens- hingabe zu verleiten®®. Amelungs Verstindnis des § 263 bedeutet also fiir den bedrohten Vermigensinhaber den Wegfall eines spezifischen (wenn auch nur zu- siitzlichen) Schutzes, den er aus eigener Kraft keinesfalls kompensieren kann. Die 2 Vel. S. 4. Er betont allerdings, der Wortlaut deute immerhin an, »daB der Irrtums- begriff nicht allzuweit in den Bereich des Zweifels ausgedehnt werden« diirfe. Es ist aber nicht zu erkennen, da® sein eigenes Begriffsverstindnis daraus eine Begrenzung ableitet. Denn Zweifel ohne konkreten Anhaltspunkt sollen, selbst wenn sie stark sind, die An- nahme eines Irrtums ja niemals verbicten. 2 Blei, a.a.0. (Anm. 6). * Zitiert nach O, y, Nell-Breuning, Artikel »Subsidiarititsprinzip« in: Staatslexikon, hrsg. von der Gérres-Gesellschaft, 6. Aufl., 7. Band, 1962, Sp. 828 (dort auch der eng” lische Originaltext). * Auch die zivilrechtliche Riickgewiihrpflicht bildet insoweit keinen Ersatz, weil sie den Titer mit keinem Risiko belastet. FUNKTION UND BEDEUTUNG DES MERKMALS »IRRTUM« 295 Frage bleibt, ob es nicht dennoch vertretbar ist, ihm diesen Schutz. zu versagen. Doch ist das ein Problem, dessen Lisung jedenfalls nicht durch das Subsidiaritits- prinzip vorgezeichnet wird. Dieses negative Resultat kann nicht Uberraschen, wenn man nur einmal den Blick auf einen anderen Deliktstatbestand richtet. Die Hausfrau, die konkreten AnlaB hat zu argwéhnen, daB ihre Putzhilfe Geld und Lebensmittel entwendet, ist zu ihrem Schutz auch nicht unbedingt auf staatliche Strafdrohung angewiesen. Sie kann der Verdachtigen das Haus verbieten. Aber schon deswegen eine Bestrafung wegen (vollendeten) Diebstahls fiir rechtspolitisch oder gar dogmatisch verfehlt zu erklaren, wenn die Betroffene das Risiko weiterer Verluste in Kauf nimmt, wird niemandem einfallen. D. Kehren wir zum § 263 zuriick und suchen auf anderen Wegen Klarheit zu ge- winnen, so bietet sich die systematische Auslegung an. Hier scheinen mir Erkennt- nisméglichkeiten zu liegen, die auszuschdpfen man bisher noch nicht einmal be- gonnen hat. Lackner# und Amelung™ stellen, nachdem sie den Wortsinn ftir un- ergicbig befunden haben, sogleich die teleologische Frage. Gichring* streift zwar den Punkt der »Verwendung dieses Merkmals in anderen Normenzusammenhiin- geng, faBt dabei aber nur den Irrtumsbegriff i. $. des § 119 BGB und die allge- meine strafrechtliche Irrtumslehre (§§ 16, 17 StGB) ins Auge, so daB es nicht wunder nimmt, wenn er von vornherein und ganz pauschal »Rtickschltisse auf die ‘Auslegung des Betrugstatbestandes¢ fiir nicht berechtigt erklirt. Natiirlich kann die anderweitige Verwendung des Irrtumsbegrifis Einsichten nur liefern, wenn im dortigen Zusammenhang der Begriff eine gleichartige oder doch uhnliche Funktion hat wie in § 263. Darum muB fiir die systematische Auslegung die Einstiegsfrage lauten: Gibt es noch weitere Tatbestinde oder strafrechtliche Regeln anderer Art, nach denen die Strafbarkeit einer Schadenszufiigung abhiingen kann yon einem Irrtum des Opfers, oder, umgekehrt betrachtet, die Bestrafung aus vollendetem Delikt entfallt, wenn der Betroffene die Tatsachen richtig sieht? Diese Frage ist zu bejahen. Das Irrtumsmerkmal beim Betrug steht in einem engen sachlich-syste- matischen Zusammenhang mit den Willensmiingeln bei der Einwilligung. Da dies als abstrakte Behauptung nicht ohne weiteres cinleuchten wird, soll cin Beispiel es deutlich machen: A will den Hund der Frau E téten, weil dieser ihn durch nacht- liches Bellen stért. Er tiuscht E vor, an dem Tier eine Krankheit zu erkennen, die zu einem qualvollen Tod fihren wiirde, und bietet sich an, den Hund zu erschieBen. Frau E erklirt sich einverstanden, — Trotz der ausdriicklichen »Freigabe« des Objekts licgt hier keine das Unrecht einer vollendeten Sachbeschiidigung aus- schlieBende Einwilligung vor, wenn Frau E ogeirrte, d.h. dem A geglaubt hat. Denn jedenfalls die »rechtsgutsbezogenec Fehlvorstellung, wie sie im Fall eines Irrtums tiber den Wert der der Zerstérung preisgegebenen Sache vorliegt, macht die Einwilligung unwirksam%, Dagegen entfillt aufgrund mangelfreier Einwilli- gung der Erfolgsunwert und somit nach jetzt herrschender und richtiger Ansicht auch die Strafbarkeit wegen vollendeter Sachbeschiidigung, wenn E, die selbst den Hund gern loswerden wollte, die Liige durchschaut hat*, %® AaO. (Anm. 7), Rdnr. 70 f. 1 GA 1977, 4, # GA 1973, 16. 29 Vgl. nur Schénke-Schrider-Lenckner (Anm. 2), Vorb. § 32 Rdnr. 50. 44 Fall des Handelns in Unkenntnis einer objektiv gegebenen Rechtfertigungslage; vgl. Schéinke-Schréder-Lenckner (Anm. 2), Vorb. § 32 Rdnr. 15. 296 HERZBERG Dic Parallclitit zur Betrugskonstellation ist nun wohl offenkundig: Der Ein- willigung der E in die Sachzerstérung entspricht beim Betrug die Vermégensver- fiigung des Gettiuschten; dem Irrtum, der die Einwilligung unwirksam macht und arm den A trotz auBerlicher Zustimmung der E nach § 303 strafbar werden 1aBt, entspricht beim Betrug jener >Irrtume, der schon als ausdriickliches Tatbe- standsmerkmal eine Voraussetzung fiir die Vollendung des Delikts bildet. Diese Entsprechungen haben genauer besehen nichts Verbliiffendes. Der Betrug ist ein Delikt der Vermégensschiidigung, an der der Getiiuschte durch seine Vermigens- verfiigung selbst mitwirkt. Darum ist immer zu priifen, ob diese Verfiigung nicht die sachliche Bedeutung eines Einverstiindnisses mit dem Vermégensverlust hat, weil sie dann niimlich, wie bei anderen Delikten, mindestens den Erfolgsunwert ausschlieBen wiirde. So ist es auch nahezu zwangsliufig, daB die allgemeine Streit- frage, welcher Art ein Irrtum sein mu8, um die Einwilligung wirkungslos zu ma- chen, in der Betrugsdogmatik, scheinbar als isoliertes Problem, wiederkehrt: Die Meinungsverschiedenheit, ob fiir § 263 jeder verfiigungskausale Irrtum ausreicht oder nur ein Irrtum, der dem Getiiuschten den vermégensschiidigenden Charakter seiner Verfiigung verschleiert®, ist nichts anderes als die im Rahmen der Inter- pretation eines Einzeltatbestandes sich fortsetzende Diskussion der Frage, ob der Irrtum des Einwilligenden, um als Willensmangel relevant zu sein, rechtsgutsbe- zogene sein milsse%, Der Amelungschen These kénnen wir nun also positiv, mit einer eigenen Sinn- bestimmung entgegentreten: Aufgabe des Merkmals »Irrtum« im Betrugstatbe- stand ist nicht, der Subsidiaritit des strafrechtlichen Rechtsgiiterschutzes zur Gel- tung zu verhelfen; seine Funktion — oder zumindest doch cine seiner Funktionen ~ ist vielmehr, den Fall der mangelfreien Einwilligung in den Vermégensverlust aus dem Tatbestand des yollendeten Betruges auszuscheiden. Daraus ergibt sich, daB die Kriterien fiir die Annahme eines Irrtums i. 8. des § 263 harmonieren miissen mit der Lehre yon den Willensmingeln, die einer Einwilligung die erfolgsunwert- ausschlieBende Wirkung nehmen. Aus dieser Einsicht gewinnt man fiir unser spezielles Problem einen Priifstein, der allgemein und im Einzelfall die Lésung erméglicht. Zu fragen ist: Wiirde die vom Getiuschten unter Zweifeln vorgenommene Vermigensverfiigung bei einem anderen Vermégensdelikt und vergleichbarer Fallage eine wirksame Finwilligung darstellen, die die Bestrafung wegen vollendeter Tat verbate? Zum Heiratsschwind- lerbeispiel lieBe sich also etwa als Kontrollsachverhalt der Fall einer Unterschla- gung bilden: Der Titer tauscht seiner Bekannten vor, ihren Schmuck beim Pfand- leiher verpfinden und ihr den Erlés iiberbringen zu wollen. Die Figentiimerin hegt begriindete Zweifel, ob er sich nicht in Wahrheit mit dem Schmuck aus dem Staub machen will, klammert sich aber an ihre Hoffnung und yertraut ihm den Schmuck an. Tatstichlich verkauft der Tater die Wertsachen fiir eigene Rechnung und kehrt nicht zuriick. — Sieht man einmal von der isoliert gebliebenen, auf hier nicht interessierenden anderen Erwigungen beruhenden Ansicht des BGH (St 14/38) ab, so darf als vollig unzweifelhaft gelten, da8 der Schwindler durch den Verkauf eine vollendete Unterschlagung in der qualifizierten Form der Verun- treuung, § 246 StGB, begeht®?, Obwoh! die Eigentiimerin dem Tiiter die Sachen zweifelnd, d. h. im BewuBtsein der Méglichkeit unredlicher Absicht und des dro- 8 Vgl. die Darstellung bei Lackner, LK (Anm, 7), § 263 Rdnrn. 160 ff. 3 Vel. dazu Arzt, Willensmingel bei der Einwilligung, 1970, S. 20 ff., 30; Schinke- Schréder-Lenckner (Anm. 2), Vorb. § 32 Rdnr. 50, % Die allerdings hinter cinem Betrug zuriicktriite, wenn die hier gepriifte herrschende ‘Deutung des Irrtumsmerkmals (Lackner u. a.) zutriife. FUNKTION UND BEDEUTUNG DES MERKMALS >IRRTUM< 297 henden Verlustes ausgchiindigt hat, wiirde doch niemand auch nur erwiigen, die Hin- gabe als eine die Rechtswidrigkeit der Zueignung ausschlieBende Einwilligung zu beurteilen. Die triigerische Hoffnung, der Glaube, der geliebte Mann sei vielleicht doch ehrlich, geniigt uns schon als rechtsgutsbezogene Feblvorstellung iS. der Einwilligungslehre, so daB sich die Annahme einer >inneren Zustimmunge, wie sie die Willensrichtungstheorie als wirksame Einwilligung gentigen LiBt*, verbictet. Ist diese Lésung (vollendete Veruntreuung) aber gesichert, so erscheint es schwer- lich vertretbar, durch eine abweichende Interpretation des Irrtumsbegriffs in § 263 eine Zone denkbarer Straffreiheit zu schaffen, wenn die Schadenszufiigung durch Erwecken einer miBtrauensbegleiteten MOglichkeitsvorstellung nur als Betrug zu erfassen ist. Es wiirde als kra8 widerspriichlich empfunden werden, wenn der Hei- ratsschwindler, der seiner Bekannten in der geschilderten Weise den Schmuck ab- gaunert, aus § 246 StGB Strafe erlitte, aber unter den oben dargestellten Voraus- setzungen straflos davonkiime, wenn er sich ein Darlehen auszahlen oder eine Forderung abtreten l&8t. Solche Widerspriiche vermeidet nur das herrschende weite Verstindnis des Irrtumsbegriffs, das auch das bloBe Fiirméglichhalten noch ein- bezieht, ohne dem subjektiven Wahrscheinlichkeitsgefiihl des Getiiuschten (Gieh- ring, Krey) oder dem objektiven Vorliegen konkreter Zweifelanhaltspunkte (Ame- lung) Bedeutung zuzumessen. E. Unsere gegen die abweichenden Ansichten vorgebrachte Kritik will richtig ver- standen sein und an den beschriinkten Anspriichen, die sie erhebt, gemessen wer- den. Sie greift nicht ein in die alte, von Amelung eindrucksvoll vertiefte Diskussion des rechtspolitisch zweckmiifigsten Einsatzes der Betrugsstrafe. In einem privat- kapitalistischen Wirtschaftssystem des freien Leistungsaustausches, in dem hartes Gewinnstreben als ein Motor des Fortschritts und gemeinen Wohls im Grunde gutgehei8en wird, in einer Zeit zudem, die das Strafrecht sparsam und nur zum unverzichtbaren Rechtsgiiterschutz einzusetzen empfichlt, mag man mit gewichti- gen Griinden fordern, den Vermigensschutz des risikobewuSt Verfiigenden zu re- duzieren. Dies sei nicht bestritten. Worum es uns hauptsiichlich ging, war die Ab- wehr eines Begriffsverstiindnisses, das den Blick auf einen ecinzelnen Tatbestand beschriinkt und sich nicht selbst am dogmatischen Gesamtsystem kontrolliert. Wer zur Lésung unserer speziellen Frage so vorgeht, gerit nur zu leicht in die Gefahr, hichst problematische, vom eigenen fortschrittlichen Standpunkt aus als schenswert und richtig empfundene Strafbegrenzungen in das Irrtumsmerkmal einzulesen und fiir die objektive Anordnung des Gesetzes auszugeben. Ein dieses Verstiindnis absegnendes »Prinzip« ist dann schnell zur Stelle. Die systematische Auslegung, die hier betrieben wurde, hemmt yorschnelle Innovationen durch Riickkopplung des besonderen Problems an die allgemeine Einwilligungslehre und durch den Aufweis wertungswiderspriichlicher Entscheidungen, die schwer zu ver- meiden sind, weil sich die fiir den Betrug vertretene Strafbegrenzung auf andere Vermdgensdelikte — selbst bei villig gleicher Schutzbediirfnislage — kaum tibertra- gen laBt. Es sei freilich nicht verschwiegen, daB der entschlossene Neuerer auch unsere Deduktion iiberwinden kénnte. Denn die Lehre von den Willensmingeln bei der Einwilligung ist nicht Gesetz, und so kinnte man erwagen, sie jedenfalls fiir die Vermégensdelikte dem strafeinschriinkenden Verstiindnis des Irrtumsmerk- mals in § 263 anzupassen derart, da auch bei der Untreue, Unterschlagung, Sach- beschiidigung usw. der Erfolgsunwert schon entfiele, wenn der Vermégenstriiger 38 So ctwa Schmidhiiuser, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1975, 8/144 f. 298 HERZBERG das betreffende Objekt risikobewuBt dem Zugriff des Taters ausgeliefert hat. In unserem Unterschlagungsbeispiel Kage also eine objektiv gerechtfertigte Zueignung des abgeschwindelten Schmucks vor, weil die Eigentiimerin die Sachen in Klarer Erkenninis des miglichen Verlusts freiwillig in die Hand des Taters gegeben und damit der Zueignung >zugestimmt< hat. Aber wer michte im Ernst eine solche Reform der Einwilligungslehre? Und zeigt, daB sie einem kriminalpolitisch so gar nicht behagen will, am Ende nicht doch wieder die Fragwiirdigkeit des Straf- schutzabbaus bei § 263? F. Die hier vorgenommene Verkniipfung des Irrtumsmerkmals in § 263 mit der Einwilligungslehre bedarf abschlieSend noch einer Priizisierung, die Mi8deutungen vorbeugt. Das Verstiindnis jenes Merkmals an dieser Lehre zu orientieren bedeutet nicht, da8 man nun stets einen Irrtum bejahen diirfte, wenn es an einer wirksamen Einwilligung in den Vermégensverlust fehlt, Denn daran kann es aus vielerlei Griinden mangeln. Der Mangel muB nicht darauf beruhen, daB der Getiuschte sich falsche Vorstellungen oder triigerische Hoffnungen macht. Verschafft sich jemand von einem Minderjahrigen dessen Moped durch die Vortiuschung, es nur entleihen zu wollen, und vertiuBert er es dann fiir eigene Rechnung, so kann man eine wirksame Einwilligung schon mangels Einwilligungsfihigkeit verneinen™. Der Erfolgsunwert der Schadenszuftigung und der Zueignung ware gegeben, ohne daB es noch darauf ankiime, welche Vorstellung sich der Eigentiimer von der Ab- sicht des Titers gemacht hat. Aber aus dem Feblen einer wirksamen Einwilligung in den Vermégensverlust darf man nicht folgern, da8 notwendig ein Irrtum vor- liege. Hat der Minderjahrige den Plan des Entleihers durchschaut und sich arglos nur gestellt, weil er auf diesem Wege schneller an das von seinem Vater verspro- chene neue Moped zu kommen hofite, so hat er natiirlich nicht geirrt, und als vollendetes Delikt ist zwar die Unterschlagung, nicht aber der Betrug verwirk- licht. Die hier geforderte Harmonisierung kann also nur dahin gehen, daS man nicht als zutre/fende Vorstellung (= Nichtirrtum) beim Betrug ansieht, was man — wie die von Zweifeln begleitete triigerische Hoffnung — aus dem Blickwinkel der Einwilligungslehre als eine die Einwilligung wirkungslos machende Fehlvorstellung betrachten wiirde, ‘Aus der beschriinkten Reichweite unserer systematischen Deduktion ergibt sich auch, daB sie die eingangs beriihrte Frage, ob bei fehlender oder villig unkonkre- tisierter Vorstellung noch ein »Irrtume i. S. des § 263 angenommen werden darf, nicht beantworten kann. Zwar fehit es in diesen Fallen allemal an einer Einwilli- gung in den Vermdgensverlust, aber das verpflichtet uns nicht, die »ignorantia factic dem »Irrtumsbegriff« einzuverleiben. Die Aufgabe dieses Merkmals, so kénnen wir abschlieBend sagen, ist es, den Fall der wirksamen Einwilligung aus dem Vollendungstatbestand auszuscheiden, jedoch nicht zugleich auch, alle Fille der fehlenden oder unwirksamen Binwilligung hereinzuziehen. 9% So Schinke-Schrdder-Lenckner (Anm. 2), Vorb. § 32 Rdnr. 39; Dreher (Anm. 6), Vorb. § 32 Rdnr. 3; anders freilich die h. M., die auf die von Geschiftsfiihigkeit und Alter unabhiingige Konkrete Einsichts- und Urteilsfihigkeit des Rinwilligenden abstellt. Der Schutz der Pietiit Von Prof. Dr. Hinrich Riiping, Bonn ‘Transplantationen von Organen frisch Verstorbener haben einer bis dahin kaum praktisch gewordenen Vorschrift zu ungeahnter Publizitit verholfen: der Stérung der Totenruhe (§ 168 StGB). Gefiihlsbetonte Wertungen auf rechtlicher Seite stoBen auf Profanicrungen des Tatobjekts im medizinischen Bereich, fiir die sich eine Leiche nur als >jener riesige Haufen Abfall« darstellt, »dessen sich die un- sterbliche Kette des Lebens entledigte+, Eine Diskussion mu8 ansetzen bei der Bestimmung des Rechtsgutes. 1. Pietiitsgefithle und Brauchtum bei § 168 StGB Dic Rechtslehre geht iiberwiegend von einer positiven Gefiihisschutztheorie aus? und will mit § 168 die eingewurzelte heilige Scheu vor dem Leichnam, das Geftihl der Ehrfurcht vor der entseelten Hiille schiitzen’, Gegen diesen Ansatz sprechen die dann unvermeidlichen erheblichen Schwankungen in der Reichweite der Norm und die Unsicherheit in der konkreten Bestimmung der Pietiit. Je nach dem wie weit man die Gefiihle an den Riickstand friiheren Lebens bindet, werden Totge- burten4, Mumien$ und, bis zur gesetzlichen Klirung 1953, die Asche erfaBt®. Die Pictit selbst erscheint urspriinglich religiés bestimmt’, wihrend die neuere Literatur von einem allgemein-menschlichen Befund spricht und unabhiingig von der Existenz Angehiriger das Pietitsempfinden der Allgemeinheit als verletzt an- sieht®. Das humanitire Ethos liBt die Norm als Ausflu8 des Naturrechts und als * Schaefer in: Was ist der Tod, Elf Beitriige, Miinchen 1969, S. 9 (14 f.), 2 Matus Gerschmann, Beitriige zu einer Theorie vom strafrechtlichen Schutze des Ge- fiihlslebens, TI. 1, Diss. Heidelberg 1910, 8. 23 f., 101, Ludwig Misch, Der strafrechtliche Schutz der Gefiihle (Strafr. Abh. H. 133), Breslau 1911, S. 37, 81, Theodor Ahrens, Der strafrechtliche Schutz des religiésen Gefiihls, Diss. Kiel 1912, S. 9 ff., Heinrich Hubmann, Das Persinlichkeitsrecht, 2. Aufl. 1967, S. 257 ff. 8 Zuerst in den Motiven zum Entwurf des preuBischen StGB von 1847 (Georg Crusen, Der strafrechtliche Schutz des Rechtsguts der Pietit, Berlin 1890, S, 21); ebenso OG Zii- rich BlziirRpfl 48, 167, E 62, Begr. 2u § 191 (S. 346), Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, Bd. 1 2. Aufl. 1902, S. 184, Crusen S. 4, Kurt Wilden, Ver- gehen, welche sich auf die Religion bezichen, Diss. Kéln 1933, 8. 62, Carl Herbert Schrag, Gefiihlszustinde als Rechtsgiiter im Strafrecht, Diss. Bern 1936, S. 50, Hanjorg Seinsch, Der Schutz des Pietitsempfindens, Diss. Rostock 1939, S. 19. + Abl. Binding (Anm. 3) S. 184, Crusen (Anm. 3) S. 31; bej. Osterr. OGHSSt 22 Nr. 75, J, Kohler, Studien aus dem Strafrecht, Bd. 1 Mannheim 1890, S. 205, Kahl, VDBT Bd. 3, Berlin 1906, 1 (63), Seinsch (Anm. 3) S, 22, Dreher, Strafgesetzbuch, 37. Aufl. 1977, Anm. 2.2u § 168. 5 5 Abl, Maurach, Deutsches Strafrecht, BT 5. Aufl. 1969, S. 395, Walter Tietz, Der Schutz der Toten (Strafr. Abh, H. 291), Breslau 1931, S, 35 £, nur fir geschichtliche GréSen und kirchliche Heilige Crusen (Anm. 3) S. 39, Schrag (Anm. 3) S. 53. ® Abl. Wilden (Anm. 3) S. 72, bej. Schrag (Anm. 3) S. 59, unter der Herrschaft des § 2 StGB a. F. Seinsch (Anm. 3) S. 26, flr Osterreich OGHSSt 21 Nr. 45. a 7 Revision des Entwurfs des [preuBischen] Strafgesetzbuchs von 1843, Bd. 3 Berlin 1845, S. 14 (zu § 413), Kurt Jacobs, Schutzobjekt und Tatobjekt, Diss. StraSburg 1914, S. 48, tihnlich RG GA 39, 434 (435), JW 1927, 2014 Nr. 27. 8 Glaser ZStW 33, 825 (841), Kahl in Festschrift fiir Heinrich Brunner, Miinchen/ Leipzig 1914, S. 231 (233), Maurach (Anm. 5) S. 394, Eser in Handbuch des Staatskir- chenrechts der BR Deutschiand, Bd. 2 1975, S. 821 (822). Alternativ auf die Gefiihle des einzelnen oder der Allgemeinheit stellt ab OGHSSt 22 Nr. 75.

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