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U Projekt

NE
Gute Arbeit
Vorstand

Arbeitsmappe des Projekts „Gute Arbeit“

Der Arbeitszeit-TÜV
Wie gesundheitsverträglich
sind unsere Arbeitszeiten?
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

Impressum

Herausgeber .......... IG Metall Vorstand | Projekt Gute Arbeit | in Zusammenarbeit mit dem Funktionsbereich Tarifpolitik
Wilhelm-Leuschner-Str. 79 | 60329 Frankfurt am Main | Tel. 069 / 66 93 22 03 | ags@igmetall.de

Redaktion .............. Andrea Fergen | Klaus Pickshaus | Hilde Wagner | Frank Walensky

Gestaltung ............. LingoVision Hamburg

Verantwortlich ....... Wolfgang Rhode

Auflage .................. 2. Auflage Juli 2006

Produktnummer..... 8206-13549

Druck ..................... Henrich Publikationen GmbH, Frankfurt am Main

Copyright ............... IG Metall Vorstand, Frankfurt am Main


Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

Inhalt

Vorwort ...................................................2 3 Musterrede ............................................37

1 Folienvortrag „Der Arbeit ein 4 Anhang...................................................44


gesundes Maß geben: 4.1 Menschen sind keine Maschinen ........44
Arbeitszeit und Gesundheit“ ....................4 4.2 Arbeitswissenschaftliche
Empfehlungen für die
2 Der Arbeitszeit-TÜV: Schichtplangestaltung ........................46
Leitfaden zur Überprüfung der 4.3 Materialien in Vorbereitung ...............48
Gesundheitsverträglichkeit von 4.4 Kontaktadressen des
Arbeitszeiten ..........................................23 Projekts Gute Arbeit............................48

2.1 Zur Vorgehensweise ...........................23


2.2 Fragebogen zur Ermittlung
gesundheitlicher Gefährdungen
durch Arbeitszeitgestaltung................ 31 Optischicht – Software
2.3 Hinweise zur Anwendung des zur ergonomischen
Auswertungstools ..............................34 Schichtplangestaltung ........................49

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

Vorwort

Seit geraumer Zeit sind wir in Betrieben und Begrenzung ein eigenes Interesse und Enga-
Gesellschaft mit maßlosen Forderungen nach gement entwickeln und sich die betrieblichen
Arbeitszeitverlängerung und steigender Flexibili- Interessenvertretungen aktiv in die Arbeitszeit-
tät konfrontiert. Unternehmer überschlagen sich gestaltung einmischen. Die Erfahrungen zeigen,
mit neuen Forderungen: 40, 42 oder 50 Stunden dass die gesundheitlichen Belastungen für die
– wer bietet mehr? Die Senkung der Arbeits- Beschäftigten dabei eine große Rolle spielen.
kosten durch Arbeitszeitverlängerung und die
Anpassung der Arbeitszeiten an die jeweiligen Das Arbeitsschutzgesetz und die dort verbindlich
Markterfordernisse werden zur obersten Maxime vorgeschriebene Gefährdungsanalyse bieten ein
der Arbeitgeberverbände. Deshalb soll der Erfolg Instrument, mit dem Arbeitszeiten auf ihre Ge-
der 35-Stunden-Woche als ein deutscher „Irrweg“ sundheitsverträglichkeit überprüft werden kön-
rückgängig gemacht werden. Dabei werden Ar- nen. Das Projekt Gute Arbeit möchte mit dieser
beitsplatzängste und Standortverlagerungen als Arbeitsmappe Argumente, Beurteilungsmaßstäbe
Erpressungsinstrumente eingesetzt. Dass dabei und Instrumente vorstellen, die in den Ausein-
die Gesundheit der Beschäftigten auf der Strecke andersetzungen um die Arbeitszeit im Betrieb
zu bleiben droht, spielt für die Unternehmer keine genutzt werden können. Damit sollen arbeitszeit-
Rolle. politische Aktionen im Betrieb erleichtert werden.

Im Betriebsalltag erleben wir den steigenden  In einem Folienvortrag werden Daten und
Druck der Entgrenzung von Arbeitszeiten. Nicht Fakten zur Arbeitszeitentwicklung und ih-
nur die tatsächlichen Arbeitszeiten, sondern auch ren Folgen sowie arbeitswissenschaftliche
Schicht- und Wochenendarbeit haben in den Erkenntnisse und Gestaltungseckpunkte
letzten Jahren zugenommen. Und dies alles bei präsentiert (Foliensatz ist als Datei erhält-
steigender Arbeitsintensität, so dass immer mehr lich unter www.igmetall.de/gutearbeit).
Menschen bis an die Grenzen ihrer Leistungsfä- Im Anhang zur Arbeitsmappe sind arbeits-
higkeit und der Gesundheitsverträglichkeit arbei- wissenschaftliche Grundsätze im Wort-
ten. Der Arbeits- und Leistungsdruck erfordert, laut dokumentiert sowie Verweise auf
der Arbeit wieder ein gesundes Maß zu geben. weitere Literaturangaben enthalten.
Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für gute  Ein Musterreferat kann – auch modulhaft – ge-
Arbeit, wie wir sie verstehen. nutzt werden, um das Thema auf Betriebsver-
sammlungen anzusprechen. Hierbei kann auch
Betriebspolitische Handlungsfähigkeit auf dem auf den Folienvortrag zurückgegriffen werden.
Feld der Arbeitszeit wird nur gesichert werden  Ein Leitfaden mit einem Fragebogen zur Er-
können, wenn die Beschäftigten selbst an einer mittlung gesundheitlicher Gefährdungen

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

durch Arbeitszeiten soll neue betriebspoli- vielseitig eingesetzt werden kann: Es taugt zur
tische Wege erschließen. Er beruht auf den Bestandsaufnahme betrieblicher Arbeitszeitpro-
bisher nur ungenügend genutzten Rechten bleme ebenso wie zur Abwehr der nicht enden
und Instrumenten des Arbeitsschutzgesetzes wollenden Arbeitgeberforderungen nach Arbeits-
und kann sich auf die Mitbestimmung nach zeitverlängerung.
§ 87 Betriebsverfassungsgesetz stützen.
 Neu hinzugekommen ist ein eigens für den Zu welchem Zweck auch immer der Arbeitszeit-
Arbeitszeit-TÜV entwickeltes Auswertungs- TÜV im Einzelnen verwendet wird – in jedem Fall
tool. Hiermit werden zum einen die ausge- bezieht er die Beschäftigten als Experten ihrer ei-
füllten Fragebögen genau erfasst und es genen Arbeitsbedingungen und ihrer Gesundheit
entsteht ein Belastungsprofil, das anzeigt, mit ein.
welche Arbeitszeitprobleme vorhanden sind.
Darüber hinaus werden die so ermittelten Ar- Die Arbeitsmappe „Der Arbeitszeit-TÜV“ ist ein
beitszeitbelastungen auch hinsichtlich ihrer Baustein in einer Reihe von Arbeitshilfen und
Gesundheitsverträglichkeit bewertet. Dies er- Instrumenten, die im Projekt Gute Arbeit für die
folgt durch ein hinterlegtes Punktesystem, das betriebliche Praxis entwickelt werden.
eine Ampelschaltung aktiviert. Hierbei werden
besonders beanspruchende Arbeitszeitfor- Diese Arbeitsmappe wurde in Zusammenarbeit
men mit mehr Punkten versehen als andere. mit dem Funktionsbereich Tarifpolitik erstellt.
Am Ende ergeben sich deutliche Hinweise,
ob und wobei ein Handlungsbedarf besteht. Frankfurt am Main im Juni 2006

Doch ist der Arbeitszeit-TÜV nicht nur ein In-


strument zur Ermittlung von Gesundheitsge-
fährdungen durch Arbeitszeiten, so wie es das
Arbeitsschutzgesetz in § 5 vorschreibt. Er ist Wolfgang Rohde
ein Instrument, das in der betrieblichen Praxis Geschäftsführendes Vorstandsmitglied

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

1 Folienvortrag „Der Arbeit ein gesundes


Maß geben: Arbeitszeit und Gesundheit“

Zu den Folien
Der hier vorliegende Folienvortrag „Der Arbeit
ein gesundes Maß geben – Arbeitszeit und
Gesundheit“ liegt auf der beiliegenden CD als
MS-Powerpoint- und Adobe Acrobat-Datei vor.
Er ist auch über das Internet im Download zu be-
ziehen: www.igmetall.de > Themen > Projekt
„Gute Arbeit“ > Arbeitszeit-TÜV.

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Folienvortrag: Der Arbeit ein gesundes Maß geben

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

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Folienvortrag: Der Arbeit ein gesundes Maß geben

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Folienvortrag: Der Arbeit ein gesundes Maß geben

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

2 Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung


der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

2.1 Zur Vorgehensweise rentung steht die Diagnose „Psychische und Ver-
„Länger, härter, schneller“, mit diesen Worten haltensstörungen“ bei Frauen auf Platz eins, bei
kann die Arbeitswelt von heute durchaus zutref- Männer nimmt sie den zweiten Platz ein. Tendenz:
fend charakterisiert werden. Viele Umfragen be- steigend.
stätigen seit langem: Zunehmende Leistungsver-
dichtung und ausufernde Arbeitszeiten nehmen Nur wenige sprechen über die Gesundheitsge-
den Menschen die Luft zum Atmen. Die Arbeits- fährdungen durch immer längere Arbeitszeiten
belastungen der modernen Arbeitswelt sind viel- und unergonomische Schichtpläne. Dabei ist
schichtig. Neben einer Vielzahl von körperlichen belegt, was die „Verflüssigung der Arbeitszeiten“
Belastungen wie schweres Heben und Tragen mit den Menschen anrichtet: Bei einer regelmäßi-
oder einseitige Körperhaltungen gewinnen die so gen Wochenarbeitszeit von über 40 Stunden stei-
genannten psychischen Belastungen seit Jahren gen gesundheitliche Beschwerden wie Nervosität,
an Bedeutung. Schlafstörungen und psychische Erschöpfung
dramatisch an – ein deutliches Warnsignal nach
Völlig unbeirrt von den jetzt schon bestehenden Aussagen von Arbeitszeitforschern. Auch die re-
Belastungen fordert eine Allianz von Arbeitgebern lative Unfallhäufigkeit steigt nach der achten Ar-
und Politikern die Verlängerung der Wochen- beitsstunde immens an, wie folgende Kurve zeigt:
arbeitszeit. Gerade so, als gäbe es nicht schon
Arbeit Rund-um-die-Uhr, nachts, am Wochenende
und an Feiertagen. Allzeitige Verfügbarkeit der
Beschäftigten ist ihre Devise, und das möglichst
ohne materiellen Ausgleich.

Arbeitszeit und Gesundheit


Doch bereits heute steigt die Zahl der Menschen,
die dem zunehmenden Arbeitsdruck nicht mehr
Stand halten können. Viele Beschäftigte arbeiten
an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Immer
mehr können sich nicht vorstellen, bis zu ihrem
Rentenalter so weiter zu arbeiten. Bereits jetzt
scheiden etwa ein Drittel der Beschäftigten vor
dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters Neben langen täglichen und wöchentlichen Ar-
aus dem Betrieb aus, weil sie gesundheitlich beitszeiten ist auch die starke Zunahme von
verschlissen sind. Bei den Ursachen von Frühver- Schicht- und Wochenendarbeit sehr brisant.

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

Schichtarbeiter/innen sind Gesundheitsrisiken  Gefährdungen beurteilen


wie Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmer-  und gegebenenfalls Maßnahmen
zen in hohem Maße ausgesetzt. Eigentlich Grund zur Verringerung oder Beseitigung
genug, über weniger beanspruchende Schichtmo- der Gefährdungen einleiten.
delle nachzudenken.
Das ArbSchG weist dem Arbeitgeber die Aufgabe
zu, die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.
Der Betriebsrat hat nach § 80 BetrVG die Pflicht,
darüber zu wachen, ob der Arbeitgeber diesen
gesetzlichen Auftrag auch erfüllt. Die zahlreichen
Ermessens- und Beurteilungsspielräume des
Arbeitgebers bei der Durchführung der Gefähr-
dungsbeurteilung eröffnen dem Betriebsrat weit
reichende Mitbestimmungsrechte (nach § 87.1.7
BetrVG). Das BAG hat diese erneut in seinem Be-
schluss vom 8. Juni 2004 bekräftigt.

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen


(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die
Arbeitszeit auf Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln,
welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.
Gesundheitsverträglichkeit prüfen (...)
Die Überprüfung der betrieblichen Arbeitszeitre- (3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch
gelungen auf ihre Gesundheitsverträglichkeit ist 1. die Gestaltung und die Einrichtung der
Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
ein gesetzlicher Auftrag. Das Arbeitsschutzgesetz 2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
schreibt dies zwingend vor. 3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von
Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen,
Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeits- 4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren,
Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
schutzgesetz (ArbSchG) ist das zentrale Instru- 5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten.
ment, mit dem physische und psychische Belas-
tungen am Arbeitsplatz ermittelt und gemindert Gefährdungen durch Arbeitszeit
werden können. Mit diesem Instrument kann eine ermitteln – aber wie?
menschengerechte Gestaltung der Arbeit beför- Mögliche Gefährdungen durch betriebliche Ar-
dert werden. Sie folgt der Logik: beitszeitregelungen können freilich aus unter-
 Gefährdungen ermitteln schiedlichen Motiven heraus ermittelt werden.

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

Mal kann es um eine betriebliche Bestandsauf- Um ein Instrument zu haben, welches diesen Min-
nahme der Arbeitszeitprobleme gehen, mal um destanforderungen genügt und zugleich praktika-
das Initiieren einer Arbeitszeitkampagne. bel in der Anwendung ist, wurde der „Arbeitszeit-
TÜV“ entwickelt. Mittels eines Fragebogens soll
Wenn der Arbeitszeit-TÜV als Instrument zur Ge- die Gesundheitsverträglichkeit betrieblicher Ar-
fährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutz- beitszeitregelungen gecheckt werden. Mit diesem
gesetz genutzt wird, sollte eine Betriebsvereinba- Fragebogen können nicht alle Einzelprobleme
rung (oder zu Beginn auch eine Regelungsabrede) oder Defizite ans Licht gebracht werden. Aber ers-
den konkreten Ablauf und das Verfahren regeln, te orientierende Spuren zu den Hauptproblemen
mit denen Gefährdungen durch Arbeitszeiten er- der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung werden
mittelt und beurteilt werden. So sind etwa folgen- deutlich. Mit dem Auswertungstool werden die
de Fragen mit dem Arbeitgeber zu klären: Fragebogenergebnisse erfasst und nach arbeits-
 Wann wird der Arbeitszeit-TÜV eingesetzt? wissenschaftlichen Erkenntnissen beurteilt.
 Kommt er im gesamten Betrieb oder nur in
bestimmten Bereichen zur Anwendung? Wozu das alles? Arbeitswissenschaftliche
 Wann werden die Beschäftigten informiert? Erkenntnisse zur Arbeitszeitgestaltung
 Wer ist für die Durchführung verantwortlich? Es geht darum, diejenigen Arbeitszeitbelastun-
 Was passiert mit den Ergebnissen der Befragung? gen ausfindig zu machen, die zu einer Über- oder
Fehlbeanspruchung der Beschäftigten und damit
Nach Auffassung der IG Metall sollten die Ermitt- möglicherweise zu einer gesundheitlichen Be-
lungsmethoden, die im Rahmen der Gefährdungs- einträchtigung führen können. Ergonomischere
beurteilung angewendet werden, zumindest fol- Arbeitszeitgestaltung ist das Ziel. Denn die Ar-
genden Anforderungen genügen: beitszeit spielt unter den zahlreichen Arbeitsbe-
 die Beschäftigten selbst müssen als Ex- lastungen eine besondere Rolle. Jeder weiß: Es
perten ihrer eigenen Arbeitsbedingungen ist ein großer Unterschied für das eigene körper-
und ihrer Gesundheit beteiligt sein; liche und psychische Wohlbefinden, ob sieben
 die Erhebung der Belastungen muss eingebet- oder neun Stunden am Tag gearbeitet werden.
tet sein in ein Verfahren, das die Mitbestim- Natürlich ist für die Gesundheit auch von Bedeu-
mung der Betriebsräte gewährleistet und vom tung, ob die Arbeitsleistung am Tag oder wäh-
Arbeitsaufwand her überschaubar bleibt; rend der Nacht erbracht wird. Hinzu kommt, dass
 Transparenz bei der Erhebung bis zur Auswer- sich etwa Lärm- oder Gefahrstoffbelastungen
tung der Belastungen ist unabdingbar und nach neunstündiger Arbeitszeit nachweislich
 Anonymität und Datenschutz ist im Inter- schädlicher auf den Organismus auswirken als
esse der Beschäftigten sicher zu stellen. nach nur sieben Stunden. Bei kürzerer Arbeits-

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

zeit ist die Einwirkzeit geringer und die Regene- Organismus sinkt die Leistungsfähigkeit und die
rationszeit größer. Fehlerhäufigkeit bei der Arbeit steigt. Um dies zu
kompensieren, kommt es zu einer vermehrten
Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Anstrengung und ein Teufelskreis von Überfor-
psychischen Belastungen und Beanspruchungen derung und Übermüdung kann entstehen. Eine
Negative psychische Beanspruchungsfolgen, schwere Form psychischer Ermüdung bildet das
die es durch eine Verringerung von psychischen so genannte Burn-out-Syndrom. Mittlere oder
Arbeitsbelastungen zu vermeiden gilt, damit es schwere Ermüdungsgrade entstehen häufig durch
nicht zu Gesundheitsschäden kommt, sind etwa: überlange tägliche oder wöchentliche Arbeits-
zeiten sowie durch unergonomisch gestaltete
■ Stress Schichtsysteme.
In der Arbeitswissenschaft verstanden als ein Zu-
stand angstbedingt erregter Gespanntheit. Er tritt Aus diesen Gründen kommt die Arbeitswissen-
dann auf, wenn die subjektiven Bewältigungs- schaft zu folgenden Empfehlungen:
möglichkeiten des Menschen mit den objektiven  Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit soll-
Arbeitsanforderungen nicht oder vermeintlich te acht Stunden nicht überschreiten.
nicht zusammenpassen. Stress ist häufig die  Zwischen Arbeitsende und erneutem Ar-
Folge von quantitativer Überforderung (Zeit- und beitsbeginn muss genügend Zeit zur Re-
Termindruck, hohes Arbeitspensum) oder auch generation sein. Genauer gesagt: Im
qualitativer Überforderung (keine ausreichende 24-Stunden-Zyklus soll die Arbeit und
Qualifizierung zur Erledigung der Arbeitsaufgabe, die vollständige Erholung stattfinden.
Entscheidungszwang ohne ausreichende Informa-  Belastungsnahe Zeitausgleiche nach
tion, widersprüchliche Arbeitsaufgabe). langen Arbeitstagen sowie eine be-
lastungsangemessene Pausengestal-
■ Psychische Ermüdung tung sollen ermöglicht werden.
Hierunter versteht man eine „vorübergehende  Ergonomische Schichtplangestaltung: kei-
Beeinträchtigung der psychischen und körper- ne Dauernachtschichten, sondern möglichst
lichen Funktionstüchtigkeit, die von Intensität, kurze Nachtschichtblöcke sowie kurze vor-
Dauer und Verlauf der vorangegangenen psy- wärtsrollierende Schichtrhythmen (weitere
chischen Beanspruchung abhängt“ (DIN EN ISO Gestaltungsempfehlungen zur Schichtarbeit
100075-1:2000). Mit der Funktionstüchtigkeit des finden sich im Anhang dieser Arbeitsmappe).

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

keitsprüfung nach dem Arbeitsschutzgesetz


„Psychische Ermüdung ist durch Erholung
eingesetzt. Hierbei kann er bereits bestehende
reversibel und hat so lange keine negativen
Gefährdungsbeurteilungen um den Aspekt
Beanspruchungsfolgen in Form von Beeinträch-
der Arbeitszeitgestaltung ergänzen. Auch ist
tigungen oder Gefährdungen der Gesundheit, so
denkbar, dass der Arbeitszeit-TÜV als Einstieg
lange während der Arbeit oder bis zur nächsten
in eine systematische und umfassende Gefähr-
Schicht (24-Stunden-Zyklus) eine vollständige
dungsbeurteilung der physischen und/oder
Regeneration des Leistungsvermögens möglich
psychischen Arbeitsbelastungen genutzt wird.
ist. Wenn die psychische Ermüdung auf der ei-
nen und die Erholung auf der anderen Seite sich
➋ Der Einsatz des Fragebogens ist aber nicht
allein auf die Funktion der Gefährdungsbeur-
nicht im Gleichgewicht befinden (Erholungsde-
teilung beschränkt. Er kann der betrieblichen
fizit), kann es zur chronischer Ermüdung (Über-
Interessenvertretung auch für eine eigene
müdung, Erschöpfung) kommen. Die dadurch
Bestandsaufnahme zum Thema Arbeitszeiten
entstehenden Gefährdungen der Gesundheit
in ausgewählten Arbeitsbereichen oder Ab-
können sich insbesondere in funktionellen Stö-
teilungen dienen. Die Anlässe können sehr
rungen des Organismus (Herz-Kreislauf- oder
unterschiedlich sein: Mal ist es vielleicht der
Magen-Darm-Beschwerden), in einer Herabset-
hohe Krankenstand oder die zunehmende Un-
zung der Erholungsfähigkeit (Schlafstörungen)
zufriedenheit der Beschäftigten mit bestehen-
und (in extremen Fällen) in psychischen Zustän-
den Arbeitszeitregelungen. Oder: Ein neues
den mit Krankheitswert (Bewusstseinsstörun-
Schichtmodell soll entwickelt werden. Hierbei
gen, Neurosen) niederschlagen.“
sollen die gesundheitlichen Beeinträchtigun-
Auszug aus: Alfred Oppolzer: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt gen des bisherigen Modells vermieden wer-
als Herausforderung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, hrsg. v. d. den. Natürlich eignet sich der Fragebogen auch
Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft 1999, S. 25.
dazu, Bestrebungen des Arbeitgebers, die Wo-
chenarbeitszeit zu verlängern, mit Belastungs-
Hinweise zur betrieblichen Anwendung
bzw. Gesundheitsargumenten abzuwehren.
des Fragebogens „Arbeitszeit-TÜV“
Was checkt der Arbeitszeit-TÜV?
Wozu kann der Arbeitszeit-TÜV Der Arbeitszeit-TÜV überprüft mehrere zentrale
überhaupt genutzt werden? Dimensionen der Arbeitszeitgestaltung, die für
➊ Der Arbeitszeit-TÜV kann aus sehr unterschied- die Gesundheit der Beschäftigten von hoher Be-
lichen Anliegen heraus genutzt werden: Zum deutung sind:
einen kann er zur Gefährdungsbeurteilung  Dauer der Arbeitszeit
betrieblicher Arbeitszeiten dienen. In diesem  Gestaltung der Schichtarbeit
Sinne wird er dann zur Gesundheitsverträglich-  Arbeitszeitflexibilisierung

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

 Belastungsfolgen (in diesem Punkt fragt er kungen und Hinweise“ sind die Beschäftigten
nach den Auswirkungen des Arbeitszeit- aufgefordert, ihre Sichtweise auf das jeweilige
modells auf die Gesundheit und das sozi- Arbeitszeitproblem zu dokumentieren. Dies ist
ale Wohlbefinden der Beschäftigten). kein Muss, sondern eine Chance, aus der sich
auch wichtige Aufschlüsse für verbessernde
Betriebliche Kooperation Maßnahmen ergeben können. Allerdings müssen
Der Arbeitszeit-Check erfordert die Kooperation solche Abweichungen vom Fragebogen manuell
von Betriebsratsmitgliedern aus Entgeltausschüs- ausgewertet werden. Dies kann die Software logi-
sen oder betrieblichen Zeitkommissionen mit scherweise nicht leisten.
denen des Arbeitssicherheits- bzw. Arbeits- und
Gesundheitsschutzausschusses. Denn das Thema Information und Sensibilisierung
„Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten“ Bevor der Fragebogen zum Einsatz kommen kann,
hat eine große Schnittmenge zwischen betriebli- muss es eine Beschäftigteninformation über Sinn
cher Tarif- und Arbeitsschutzpolitik. und Zweck der Befragung geben. Hierzu können
sehr unterschiedliche Wege gewählt werden. In
Fragebogen nach Baukastensystem Betrieben mit funktionierenden Vertrauenskör-
Der Fragebogen kann variabel gestaltet werden, pern haben diese sicherlich eine wichtige Aufga-
je nach den betrieblichen Bedingungen und Pro- be hinsichtlich der Vorabinformation und Sensibi-
blemen. Soll der Fragebogen etwa in einer Abtei- lisierung der Beschäftigten. Hierzu kann auch Teil
lung eingesetzt werden, in der es keine Schicht- 4 des Fragebogens zu Belastungsfolgen erst mal
arbeit gibt, dann muss der Teil zur Schichtarbeit vorab eingesetzt werden. Die weitere umfassende
natürlich ausgespart werden. Gleichfalls gilt: Gibt Befragung sollte natürlich folgen.
es im Betrieb Probleme oder Belastungen, die im
Fragebogen nicht angesprochen sind, so müssen Unterweisung
sie ergänzt werden. Der Zuschnitt auf die konkre- Wird der Fragebogen im Sinne der Gefährdungs-
ten betrieblichen Bedingungen ist unerlässlich. beurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz einge-
Dies gilt für die abgefragten Belastungen ebenso setzt, muss die Unterweisung nach § 12 ArbSchG
wie für den Kopf des Fragebogens. hierbei genutzt werden. Dies vor allem dann,
wenn diese Form der Information betrieblich be-
Offene Spalte – Hinweise von Beschäftigten kannt ist und Anwendung findet. Die Pflicht zur
Ferner beinhaltet der Fragebogen eine „offene Unterweisung liegt beim Arbeitgeber und kann
Spalte“. Unter der Überschrift „Weitere Anmer- mitbestimmt ausgestaltet werden.

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

Mitbestimmung nutzen und heitsberichte der Krankenkassen, Mehrarbeitssta-


mit dem Arbeitgeber verhandeln tistik, Arbeitszeitkonten-Bilanz, Kennzahlen über
Für den Fall, dass die Gefährdungsbeurteilung der Qualität und Produktivität u.a.) abgeglichen und
Arbeitszeit mit dem Fragebogen vorangetrieben zu einem Gesamtbild vervollständigt werden.
werden soll, ist folgendes zu berücksichtigen: Der
Fragebogen dient als Vorschlag der Interessenver- Auswertung
tretung zur Beurteilung von Gefährdungen durch Die ausgewerteten Fragebögen ergeben ein Be-
die betriebliche Arbeitszeitgestaltung. Als ein sol- lastungsprofil, das anzeigt, in welchen Betriebs-
cher Vorschlag sollte er beim Arbeitgeber einge- bereichen welche Arten von Belastungen durch
reicht werden, mit der Aufforderung zur Verhand- die betriebliche Arbeitszeitregelung bestehen.
lung – so wie es bei mitbestimmungspflichtigen
Tatbeständen üblich ist. Natürlich bedarf es auch Eine Bewertung der Arbeitszeitbelastungen
klarer Vorstellungen über den Ablauf des gesam- erfolgt durch ein hinterlegtes Punktesystem.
ten Verfahrens. Denn Ziel der Belastungsermitt- Hierbei werden besonders beanspruchende Ar-
lung ist immerhin eine gesundheitsverträglichere beitszeitformen mit mehr Punkten versehen als
Arbeitszeitregelung. andere. Je mehr Punkte für die einzelnen Gestal-
tungsfelder (Arbeitszeitdauer, Schichtarbeit usw.)
Als Arbeitsmaterial bietet sich hierzu eine Hand- zusammenkommen, desto schlechter fällt die
lungshilfe der IG Metall an mit dem Titel „Psychi- Bewertung aus.
sche Belastungen beurteilen – aber wie? Eine be-
triebliche Handlungshife für Gefährdungsbeurtei- So genannte Schwellenwerte für die einzelnen
lungen.“ Eine orientierende Betriebsvereinbarung Problemlagen zeigen einen Handlungsbedarf
der Firma Alstom Power findet sich unter www. nach folgendem Raster an:
igmetall.de/themen/gutearbeit/betriebe.html. Grün gesundheitlich eher unbedenklich
Gelb Warnsignal, erhöhter Handlungsbedarf
Pilotierung Rot Änderung des Arbeitszeitsystems
Für einen ersten „Testlauf“ kann es sinnvoll sein, ist aus arbeitswissenschaftlicher
eine überschaubare Pilotabteilung auszuwählen. Sicht dringend erforderlich
Auch eine Regelungsabrede mit dem Arbeitgeber
ist zu Beginn möglich. Sowohl die Summe verschiedener Merkmale
kann eine negative Bewertung auslösen, obwohl
Weitere Daten nutzen jedes Merkmal für sich genommen vielleicht gar
Die Ergebnisse der ausgewerteten Fragebogen nicht so problematisch ist. Es gibt aber auch
sollten mit anderen betrieblichen Daten (Gesund- Einzelmerkmale, die für die Gesundheit so be-

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

deutend sind, das sie für sich genommen bereits kenntnissen vorgenommen werden kann. Das
„roten Alarm“ auslösen. So können etwa die Tool in Form einer MS-Excel-Datei befindet sich
Merkmale „häufige Überschreitung der täglichen auf beiliegender CD-ROM.
Arbeitszeit von acht Stunden“ gekoppelt mit
„permanentem Leistungsdruck“ und „Schlafstö- Was tun mit den Ergebnissen der Auswertung?
rungen“ die Ampel auf rot schalten. Aber auch Die Handlungsanforderungen an die betriebliche
das Einzelmerkmal „Dauernachtschicht“ löst Interessenvertretung ergeben sich aus den aus-
Handlungsbedarf aus. gewerteten Befragungsergebnissen. In manchen
Fällen werden kleine Korrekturen einzelner be-
In der praktischen Handhabung ist eine Auswer- trieblicher Regelungsfragen genügen. In anderen
tung ohne EDV-Unterstützung sehr mühevoll. Fällen können die erforderlichen Maßnahmen
Darum haben wir ein Auswertungstool erstellt, über die Reduzierung der tatsächlichen Arbeits-
in dem Punktetabellen hinterlegt sind und eine zeiten bis hin zur Entwicklung neuer Schichtpläne
Beurteilung nach arbeitswissenschaftlichen Er- reichen.

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

2.2 Fragebogen zur Ermittlung gesundheitlicher Gefährdungen durch Arbeitszeitgestaltung

Allgemeine Fragen

Abteilung/Bereich* ..........................................

Geschlecht* ..................................................... m w

Alter* bis 30 J. 31-45 J. 46 J. und älter

Besonderheit des eigenen


Arbeitszeitmodells (z.B. 40-Stünder) ...............

Wie wird die Arbeitszeit erfasst? ...................... (Elektronische) Zeiterfassung


Selbstaufschreiben
Arbeitsbeginn/Arbeitsende gemäß betrieblicher Vereinbarung
Keine Zeiterfassung

Ich arbeite ........................................................ Vollzeit


Teilzeit

Ich arbeite im ................................................... Zeitentgelt (Zeitlohn, Gehalt)


Leistungsentgelt (Akkord, Prämie)
* Nicht ausfüllen, wenn eine Anonymisierung nicht gewährleistet werden kann.

1 Dauer der Arbeitszeit und Leistungsdruck nie selten oft immer

1.1 Meine tägliche Arbeitszeit überschreitet 8 Stunden ...............................


1.2 Mehrarbeit leiste ich...............................................................................
1.3 Mehrarbeit leiste ich auch am Wochenende ...........................................
1.4 Die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit überschreite ich .......
1.5 Es kommt vor, dass ich eine ununterbrochene Ruhezeit von
11 Std. (§ 5.1 Arbeitszeitgesetz) nicht einhalten kann .............................
1.6 Es kommt vor, dass ich meine Pausen nicht einhalten kann ...................
1.7 Unter Leistungsdruck arbeite ich ............................................................
1.8 Mein Arbeitspensum bzw. meine Projekte/Kundenanforderungen
führen dazu, dass ich die Arbeitszeit verlängern muss ...........................
1.9 Unterbrechungen/Störungen führen dazu, dass ich
die Arbeitszeit verlängern muss .............................................................
1.10 Weitere Anmerkungen und Hinweise

Wer nicht in Schichtarbeit tätig ist, kann gleich zu Punkt 3 weiter gehen.

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Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

2 Schichtarbeit ja nein

2.1 Ich arbeite zweischichtig (Früh- und Spätschicht)......................................................................

2.2 Ich arbeite dreischichtig (Früh-, Spät- und Nachtschicht) ..........................................................

2.3 Ich arbeite in Dauernachtschicht ...............................................................................................

2.4 Die regelmäßige Dauer der Schicht beträgt über 8 Stunden ......................................................

2.5 Ich arbeite regelmäßig auch am Wochenende


(mind. einen Samstag und/oder Sonntag im Monat) .................................................................

2.6 Es kommt immer wieder vor, dass ich Mehrarbeit leiste (nach einer normalen
Schicht von 7 oder 8 Stunden, an Samstagen oder als sonstige Zusatzschichten) ....................

2.7 Früh- und Spätschichtblöcke wechseln nach 2-4 Tagen


5-6 Tagen
7 und mehr Tagen

2.8 Nachtschichtblöcke wechseln nach wieviel Tagen? 2-4 Tagen


5-6 Tagen
7 und mehr Tagen

2.9 Welche Schichtfolgen kommen in der Praxis vor? Nacht - Früh


Spät - Früh
Nacht - Spät
Kommen nie vor

2.10 Rotationsrichtung: Wie wird gewechselt? Früh - Spät - Nacht (Vorwärts)


(Nur auszufüllen bei 3-Schicht-Arbeit) Nacht - Spät - Früh (Rückwärts)

2.11 Länge der Freizeitblöcke 1 Tag


2-3 Tage
4 und mehr Tage

Weitere Anmerkungen und Hinweise

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Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

3 Flexibilisierung der Arbeitszeit nie selten oft immer

3.1 Meine tägliche Arbeitszeit schwankt je nach Auftragslage


oder Kundenanforderungen ................................................................................

3.2 In Konfliktfällen um die Arbeitszeit setzen sich nicht die eigenen


sondern die betrieblichen Belange durch ............................................................

3.3 Arbeitsbeginn und/oder Arbeitsende verändern sich kurzfristig (1-2 Tage) .........

3.4 Es kommt vor, dass meine Arbeitszeit nicht planbar ist .......................................

Weitere Anmerkungen und Hinweise

4 Belastungsfolgen nie selten oft immer

4.1 Die derzeitige Arbeitszeitorganisation belastet mich...........................................

4.2 Ich arbeite bis an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit ....................................

4.3 Wenn ich zur Arbeit gehe und auch nach einem
Wochenende fühle ich mich nicht ausgeruht .......................................................

4.4 Meine Arbeit laugt mich so aus, dass ich gar nicht mehr zur Ruhe komme ..........

4.5 Meine Arbeit ist so anstrengend, wie ich es sicher nicht


mein ganzes Leben durchhalten kann .................................................................

4.6 Mein privates und soziales Leben wird durch meine Arbeitszeit beeinträchtigt ...

4.7 Ich habe Probleme, Beruf und Familie zu vereinbaren .........................................

4.8 Es fällt mir schwer, nach der Arbeit abzuschalten ................................................

4.9 Ich habe Schlafstörungen ....................................................................................

4.10 Ich fühle mich erschöpft ......................................................................................

4.11 Ich habe gesundheitliche Beschwerden (Magenschmerzen,


Herz- und Kreislaufbeschwerden, Rückenschmerzen o.ä.)...................................

Weitere Anmerkungen und Hinweise

33
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

2.3 Hinweise zur Anwendung Tabellenblatt „Einführung“


des Auswertungstools Das Tabellenblatt „Einführung“ gibt eine Über-
Die auf der CD-Rom befindliche MS-Excel-Datei sicht über alle weiteren Tabellenblätter mit ihren
(auswertung_aztuev_2006.xls) enthält für ihre unterschiedlichen Funktionen. Wir empfehlen, die
Funktionen so genannte „Makros“. Dies sind „Handhabung“ (ab Zeile 28) vor der ersten An-
Programmbestandteile, die Berechnungen vor- wendung des Tools zu lesen.
nehmen und für die Ausgabe eingegebener Daten
in Form von Diagrammen zuständig sind. In den Überblick Tabellenblatt „Einheiten“
Standardeinstellungen eines Windows-Betriebs- In den Zeilen 7 bis 15 sind beispielhaft Betriebs-
systems (z.B. Windows XP) sind die Sicherheits- bereiche oder Abteilungen aufgeführt. Diese
optionen derart eingestellt, dass beim Öffnen der können verwendet oder problemlos überschrie-
Arbeitsmappe gefragt wird, ob die Makros akti- ben werden, so dass die eigenen betrieblichen
viert werden sollen. Dies ist mit einem Mausklick Bezeichnungen auf weiteren Tabellenblättern ver-
auf den mittleren Button zu bejahen. wendet werden können. Mit dem Button „Weiter
zum ersten Fragebogen“ springt man dann zum
In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass der Tabellenblatt „Persönlich“.
Netzwerkadministrator möglicherweise eine Si-
cherheitsstufe für deine Arbeitsgruppe oder das Tabellenblatt „Persönlich“
Unternehmen erzwingt, damit sichergestellt ist, „Einige Fragen vorab“ – so lautet die Überschrift
dass nur Makros verwendet werden können, die dieses Blatts. Hier werden die allgemeinen Daten
virenfrei sind. In diesem Fall solltest du dich an der befragten Person laut Fragebogen eingege-
deinen Netzwerkadministrator wenden. Das Aus- ben. Die Eingabefelder decken sich mit denen des
wertungstool ist virenfrei und auf verschiedenen Fragebogens. Selbstverständlich sind hierbei die
Systemen hinreichend daraufhin geprüft. Anforderungen des Datenschutzes zu berücksich-
tigen. Die Abteilungsgröße bzw. Größe der Be-
Zu den einzelnen Tabellenblättern triebseinheit, die separat gespeichert wird, sollte
Beim ersten Öffnen der Arbeitsmappe ist das Ta- nicht kleiner sein als 30 - 50 Beschäftigte. Namen
bellenblatt „Einführung“ aktiviert. Mit den Tasten werden nicht notiert.
STRG + Bild auf/Bild ab kannst du bei Bedarf zwi-
schen verschiedenen Blättern „springen“.

34
Der Arbeitszeit-TÜV: Leitfaden zur Überprüfung der Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitszeiten

Vor jedem neuen Fragebogen, der eingegeben


werden soll, ist später der Button „Alle Einträge
löschen“ anzuklicken.

Die weiteren Tabellenblätter


Die Tabellenblätter „Dauer“, „Schichtarbeit“, Im rechten Bereich auf den Tabellenblättern
„Flexibilisierung“ und „Belastungsfolgen“ funk- „Dauer“, „Schichtarbeit“, „Flexibilisierung“ und
tionieren allesamt in der gleichen Art und Weise. „Belastungsfolgen“ ist die Ampel aktiv. Diese
Entsprechend der Beantwortung des Fragebogens funktioniert nach eingegebenen Punktwerten, die
sind die Felder „Nie“, „Selten“, „Oft“ oder „Im- den einzelnen Fragen zugeordnet sind.
mer“ anzuklicken. Nur beim Bogen Schichtarbeit
gibt es eine andere Ankreuzmöglichkeit: Die Eintragungen unter den Punkten „Weitere
Anmerkungen und Hinweise“ können nicht mit
dem Tool ausgewertet werden. Dies muss manu-
ell geschehen.

Tabellenblatt „Belastungsfolgen“
Das Tabellenblatt „Belastungsfolgen“ schließt die
Dateneingabe für eine einzelne Person ab. Dazu
ist nach Beantwortung der einzelnen Fragen ein
Mausklick auf den rot unterlegten Button „Spei-

35
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

chern“ notwendig. Darunter können dann mit den


beiden weiteren Buttons neue Personen erfasst
oder die Analyse gestartet werden.

Tabellenblatt „Rohdaten“
Das Tabellenblatt „Rohdaten“ „sammelt“ alle ein-
gegebenen Daten. Durch einen Mausklick werden
Analyse und Berechnung gestartet. In Folge ist
erkenntlich, wie viel Prozent der Befragten mit
„Nie“, „Selten“, „Oft“ oder „Immer“ geantwor-
tet haben. Dies gilt für alle vier Fragenbereiche:
Auswertung Dauer der Arbeitszeit (Tabellenblatt
„AuswD“), Auswertung Schichtarbeit (Tabellen-
blatt „AuswS“), Auswertung Flexibilisierung der Tabellenblatt „Ampeldaten“
Arbeitszeit (Tabellenblatt „AuswF“) und Auswer- Das Tabellenblatt „Ampeldaten“ gibt Auskunft
tung Belastungsfolgen (Tabellenblatt „AuswB“). über die absolute und prozentuale Verteilung der
Befragten einer Abteilung oder Kostenstelle im
Weitere Auswertungen gibt es für Geschlecht und roten, gelben oder grünen Ampelbereich – ent-
Alter der befragten Beschäftigten (Tabellenblätter sprechend der erworbenen Punktwerte. Durch
„AuswGeschlecht“ und „AuswAlter“). Die Balken- Anklicken des Buttons „Berechnen“ und dem
diagramme erscheinen in verschiedenen Grautö- gewünschten „Ampeldiagramm“ erhält man die
nen. Sollen diese farbig dargestellt werden, reicht entsprechenden Ergebnisse als Kuchendiagramm,
ein Doppel-Mausklick auf die Balken, im anschlie- sortiert nach den Ampelfarben grün, gelb und rot.
ßenden Excel-Dialog kann die neue Balkenfarbe
ausgewählt werden (s. Abbildung). Eigenes Bearbeiten
Achte bitte darauf, alle Zellen, in denen sich For-
meln befinden, nicht zu ändern! Wir empfehlen,
nur mit Kopien der Excel-Datei zu arbeiten, um
immer wieder zum Originaltool zurückkehren zu
können. Wir empfehlen auch, für jede Abteilung/
jeden Betriebsbereich eine eigene Analyse mit
Hilfe einer Kopie der Excel-Arbeitsmappe durch-
zuführen.

36
Musterrede: Länger arbeiten – Angriff auf Beschäftigung, Einkommen und Lebensqualität

3 Musterrede

verlängerung gefährdet Arbeitsplätze und


Länger arbeiten – Angriff auf Beschäftigung,
hemmt die Produktivitätsentwicklung.
Einkommen und Lebensqualität
Juni 2006
➋ Die Tarifverträge im Organisationsbereich der
IG Metall bieten bereits Raum für flexible Lö-
sungen zur Gestaltung der Arbeitszeit. Die IG
Metall wird den Weg weitergehen, die Arbeit-
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
zeit im Sinne der Beschäftigten flexibel und
seit vielen Monaten erleben wir einen gesell-
nach sozialen Gesichtspunkten zu gestalten.
schaftlichen Konflikt um die Arbeitszeit, der sich
immer weiter zuspitzt. Arbeitgeber und Vertreter
➌ Die Beschäftigten sind und bleiben eine
entscheidende „Produktivkraft“. Aber: Men-
aus Politik und Medien wollen das Rad der Ge-
schen sind keine Maschinen. Sie „funkti-
schichte zurückdrehen: 40, 42, ja 50 Stunden soll
onieren“ nach biologischen und sozialen
die wöchentliche Arbeitszeit in Zukunft betragen.
Gesetzen. Ihr Arbeitsergebnis steigt nicht
Als Begründung müssen internationale Wettbe-
strikt proportional mit der Arbeitszeit. Län-
werbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung
gere Arbeitszeiten bedeuten deshalb nicht
herhalten.
mehr Ausstoß und höhere Produktivität.
Für die Menschen selbst besteht ein enger
In zahlreichen Einzelfällen werden an die IG
Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und
Metall Forderungen und Anträge auf Erhöhung
Gesundheit sowie Arbeitszeit und Leben.
der wöchentlichen Arbeitszeit herangetragen.
Die lauten Rufe nach Arbeitszeitverlängerung
➍ Die gegenwärtigen Angriffe zielen auf Kos-
tensenkung über Arbeitzeitverlängerung.
sind in der Regel Bestandteil radikaler Kosten-
Hier dürfen wir nicht den einen Standort
senkungsprogramme. Diese werden neuerdings
gegen den anderen ausspielen lassen.
auch von Unternehmen auf die Tagesordnung
Deshalb müssen wir an dem Grundsatz
gesetzt, die sich nicht in einer aktuellen Notla-
festhalten: abweichende Tarifregelungen
ge befinden.
in Form von Arbeitszeitverlängerungen
müssen die absolute Ausnahme bleiben.
Nicht zuletzt wegen dieser Situation ist die De-
batte um Arbeitszeit neu zu führen. Dazu einige
➎ Wir haben Alternativen und Gestaltungs-
vorschläge! Unser Ziel ist: Der Arbeit
Thesen:
wieder ein gesundes Maß geben.
➊ Die These „Längere Arbeitszeiten för- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
dern die Wettbewerbsfähigkeit und die längere Arbeitszeiten werden im Namen der in-
Beschäftigung“ ist bloße Ideologie. Das ternationalen Wettbewerbsfähigkeit, des Wachs-
Gegenteil ist der Fall: Generelle Arbeitszeit- tums und der Beschäftigung eingefordert. Dies

37
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

hat etwas gespenstisch Ideologisches. Denn mit ca. 55 Prozent der Beschäftigten ein Arbeitszeit-
unbezahlter Zusatzarbeit werden die Arbeitsplät- konto – prozentual mehr als in der Gesamtwirt-
ze bei gleicher Auftragslage nicht sicherer, im schaft.
Gegenteil. Wenn ohne verbesserte Auftragslage
alle Beschäftigten 5 Stunden länger arbeiten Tarifliche Regelungen zu Flexikonten gibt es in
würden, wäre jeder siebte Arbeitsplatz in Gefahr. verschiedenen Organisationsbereichen der IG
Denn 6 Beschäftigte zu je 40 Wochenstunden Metall. Tarifregelungen zu Langzeitkonten gibt
leisten rechnerisch die gleiche Anzahl von Wo- es in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-
chenstunden wie 7 zu je 35 Wochenstunden. Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie in
Ohne verbesserte Auftragslage wäre rein rechne- der Stahlindustrie und in einzelnen Firmentarif-
risch eine Stelle überflüssig. verträgen. In größeren Betrieben der Metall- und
Elektroindustrie existieren auf Basis der Tarifver-
Der Engpass liegt nicht bei der Arbeitszeit, er träge oft Hunderte verschiedene Arbeitszeitmo-
liegt bei der Auftragslage und der Produktion. delle.
Dem Problem einer mangelnden Auslastung von
Unternehmen kann nicht durch Arbeitszeitver- Unsere Tarifverträge eröffnen den Betrieben
längerung begegnet werden. In den Forderungen bei der Arbeitszeit weitgehende Möglichkeiten
nach genereller Arbeitzeitverkürzung oder nach der Variabilisierung nach unten, zum Beispiel
Streichung von Feiertagen offenbart sich einzig zur Beschäftigungssicherung, aber auch solche
und allein ein fataler „makroökonomischer Anal- nach oben. Den Rahmen hierfür haben wir durch
phabetismus“. den Tarifabschluss 2004 noch weiter ausge-
baut. Es lässt sich nicht verleugnen: Wir haben
Verschwiegen wird immer, dass die tatsächlichen in Deutschland die flexibelsten Arbeitszeiten in
Arbeitszeiten in Deutschland mit 39,9 Stunden Europa.
pro Woche im europäischen Mittelfeld liegen.
Und dass die Flexibilität in Deutschland bereits Dies zeigt, dass das Anliegen der Arbeitgeber
heute einen Spitzenplatz einnimmt. Dies gilt be- ein anderes ist: Sie wollen das Rezept einlösen,
sonders für die Metall- und Elektroindustrie. Es das der „Chef-Wirtschaftsforscher“ Hans-Werner
gibt die unterschiedlichsten Schichtsysteme, es Sinn in bemerkenswerter Offenheit vorgetragen
gibt Kurzfrist- und Mittelfristkonten sowie einige hat: „Kurzfristig hilft … nur, billiger zu werden.
Langfristkonten. Nach den Zahlen einer von Ge- Und der einfachste Weg billiger zu werden, ist,
samtmetall in Auftrag gegebenen Beschäftigten- länger zu arbeiten. Dazu brauchen wir die allge-
befragung des Instituts Demoskopie Allensbach meine 42-Stunden-Woche, und zwar ohne Lohn-
2002 haben in der Metall- und Elektroindustrie ausgleich“ (Osnabrücker Zeitung 4.10.2004).

38
Musterrede: Länger arbeiten – Angriff auf Beschäftigung, Einkommen und Lebensqualität

Die Arbeitgeber wollen die von Herrn Sinn (der wettbewerbsfähiger geworden – dies bestätigt
zutreffender „ Herr Unsinn“ heißen sollte) pro- selbst die Deutsche Bundesbank.
pagierte Verlängerung der Arbeitszeit und diese
unentgeltlich! Aber bereits 40 Stunden ohne Außerdem: Wenn alle Betriebe die Lohnkosten
Lohnausgleich, wie von vielen Metall-Arbeitge- einfach senken würden, wäre der Wettbewerbs-
bern eingefordert, also 5 Stunden unbezahlte vorteil für Einzelne schnell wieder weg. Alle
Mehrarbeit in der Woche, würde bedeuten, Beschäftigten hätten in der Folge ein geringeres
dass die Beschäftigten ihnen mindestens 14,3 Einkommen und/oder höhere Arbeitszeiten. Sie
Prozent ihres Einkommens „schenken“. Das könnten dann noch weniger Güter und gebotene
sind durchschnittlich 300 bis 400 Euro pro Mo- Dienstleistungen kaufen – die inländische Nach-
nat. frage würde noch weiter eingeschränkt. Wo aber
keine ausreichende Nachfrage ist, hilft auch keine
Die Arbeitgeber würden diese Mehrleistung ihrer längere Arbeitszeit.
Belegschaft umsonst bekommen. Damit wäre
aber noch lange nicht gesagt, dass sie diesen Wir sind bekanntlich Exportweltmeister. Aber wer
Zusatzgewinn auch in die Zukunft des Betriebs einseitig auf den Export setzt, sichert und schafft
investieren. Er kann ebenso in ihre eigenen Ta- langfristig keine Arbeitsplätze in Deutschland.
schen oder die der Aktionäre fließen. Ein solches Denn auch in andern Ländern können wir unsere
„Geschenk“ löst die Probleme nicht. Eine reine Produkte nur verkaufen, wenn Menschen dort
Kostenreduzierung ist keine Zukunftsperspektive! auch Arbeit und Einkommen haben und hierdurch
Nicht für Betriebe und schon gar nicht für die Be- zusätzliche Nachfrage entsteht. Wenn wir durch
schäftigten! längere unbezahlte Arbeit einen Lohndumping-
Wettbewerb in Europa anzetteln, stehen wir in ein
Auch die Behauptung, die hohen Lohnkosten paar Jahren in ganz Europa mit niedrigeren Löh-
würden die internationale Wettbewerbsfähigkeit nen, weniger Freizeit und mehr Arbeitslosen da.
der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen, ist
nicht haltbar. Die Lohnkosten kann man nicht Ergo: Die knallharte Debatte über längere Arbeits-
getrennt von der Produktivität betrachten. Tatsa- zeiten ist in Wirklichkeit nur ein verkappter Ver-
che ist, dass auf Grund der hohen Produktivität teilungskampf. Besser wäre es, wenn sich die Un-
in Deutschland, die Lohnstückkosten seit Jahren ternehmer auf ihre ureigenen unternehmerischen
langsamer steigen als in den wichtigsten Han- Aufgaben besinnen würden: Die bestehen darin,
delspartnerländern. Die Zahlen zeigen eindeutig, bei einheitlichen Wettbewerbsvoraussetzungen
was die Kostenseite angeht, ist die deutsche durch gute Qualität, guten Service, durch eine
Wirtschaft in letzter Zeit nicht schwächer, sondern effiziente Produktion und Verwaltung und einen

39
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

optimalen Einsatz qualifizierter Arbeitskräfte mehr Arbeitsstunden im Jahr leisten. Sie sollen
hohe Produktivität und Erfolg zu erzielen – anstatt dieses höhere Pensum auch noch einige Jahre
auf Dumping zu setzen. länger durchhalten – denn auch die Lebensar-
beitszeit soll verlängert werden. Für die meisten
Werden die Beschäftigen als reine Kostengrößen ist die Rente zukünftig erst mit 65 Jahren drin,
oder fremdgesteuerte, maschinenähnliche Wesen und in Rede steht ein Mindestalter von 67.
betrachtet, bleibt Entscheidendes ausgeblendet.
Bei der Entwicklung der Produktivität spielen die Mehr Arbeitspensum und gestiegene Intensität
Beschäftigten eine zentrale Rolle. Sie funktionie- – und das bis ins hohe Alter: Wer hält das durch?
ren jedoch nicht nach dem Motto: je länger die Steigende Arbeitszeiten verweisen auch auf ein
Laufzeit, desto größer der Ausstoß. Sie sind ge- Problem bei den Leistungsbedingungen. Der Leis-
sellschaftliche Wesen mit „rückgekoppelten bio- tungsdruck ist insgesamt enorm gestiegen. Nach
logischen Systemen“ – wie Arbeitswissenschaft- den Zahlen der ISO-Studie sagen 42 Prozent der
ler dies nennen. Beschäftigten, dass sie „praktisch immer“ oder
„häufig“ unter Druck stehen, 28 Prozent sagen
Was heißt das Ganze nun für die Beschäftigten? „manchmal“. Dabei steigt der Zeit- und Leistungs-
Für sie haben sich die realen durchschnittlichen druck klar erkennbar mit der Anzahl der Arbeits-
Arbeitszeiten in den letzten Jahren bereits ver- stunden an.
längert. Zum Beispiel durch die verbreitete An-
wendung flexibler Arbeitszeitkonten, wobei die Die Beschäftigten reagieren zu 95 Prozent mit
Zeitguthaben nicht immer ausgeglichen werden, Arbeitsintensivierung (z. B. Erhöhung des Arbeits-
durch die betriebliche Erhöhung des Anteils der tempos, erhöhte Konzentration, Verzicht auf Pau-
40-Stünder, durch den Anstieg des Mehrarbeits- sen) und zu 75 Prozent mit Arbeitsextensivierung,
volumens oder auch durch die wachsende Zahl also mit einer Arbeitzeitverlängerung.
betrieblicher Regelungen zur Arbeitszeitverlänge-
rung. Neue Managementstrategien zielen allein Arbeit unter derart hohem Zeit- und Leistungs-
auf das Arbeitsergebnis, die Arbeitszeitdauer wird druck bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das
zur variablen Restgröße – auch dadurch wird das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäf-
„Gummiband“, das die realen Arbeitszeiten an tigten. Gesundheitliche Beschwerden wie Rü-
die vertraglichen knüpft, immer länger. ckenschmerzen, Kopfschmerzen, Nervosität,
psychische Erschöpfung, Schlafstörungen, Ma-
Gegenwärtig sieht es so aus, als müssten die Be- genschmerzen und Herz- und Kreislaufprobleme
schäftigten „doppelt herhalten“: Sie sollen nicht sind inzwischen weit verbreitet und sie nehmen
nur täglich und wöchentlich länger arbeiten und mit steigenden Arbeitszeiten deutlich zu.

40
Musterrede: Länger arbeiten – Angriff auf Beschäftigung, Einkommen und Lebensqualität

faden, mit dem negative gesundheitliche Aus-


wirkungen durch Dauer und Lage der Arbeitszeit
geprüft werden können.

Auch Arbeit an Wochenenden ist mit einer Zunah-


me gesundheitlicher Beschwerden verbunden.

Insbesondere Schicht- und Nachtarbeit können


zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigun- Wenn wir ein solches Instrument im Betrieb ein-
gen führen. Sie haben negative Auswirkungen setzen, wenn wir die Argumente der Gesundheit
auf die Schlafdauer und -qualität, damit wird die mit ins Feld führen, können wir auch unsere Posi-
Erholungsfähigkeit der Betroffenen stark einge- tion in der Auseinandersetzung mit den Arbeitge-
schränkt. bern stärken, wenn sie mit neuen Arbeitszeit-Zu-
mutungen kommen.
Deshalb wollen wir Arbeitszeiten auf ihre Gesund-
heitsverträglichkeit überprüfen. Das gilt auch für Die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten sind
die gesundheitliche Verträglichkeit von langen ein klares Signal: Die Beschäftigten in Vollzeit
Arbeitszeiten. Rechtlich sind wir dabei auf der wollen kürzer arbeiten. Niedrigere Arbeitszeiten
sicheren Seite: Das Arbeitsschutzgesetz verpflich- wünschen sich – mit 5 Stunden weniger – am
tet die Arbeitgeber, alle möglichen Gefährdungen stärksten die Frauen, aber auch die Männer mit
durch die Arbeitszeit zu ermitteln, zu beurteilen knapp 4 Stunden weniger.
und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln.
Und dabei haben die Betriebsräte ein volles Denn die Menschen erfahren tagtäglich: Wenn sie
Mitbestimmungsrecht. Wir haben deshalb einen Schwierigkeiten haben von der Arbeit abzuschal-
Arbeitszeit-TÜV entwickelt. Einen Handlungsleit- ten und erschöpft sind, dann leiden auch die so-

41
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

zialen Kontakte, die Zeiten für Familie, Kultur und Arbeitszeitflexibilisierung und Arbeitszeitverlänge-
gesellschaftliches Engagement. rung ist etwas prinzipiell Unterschiedliches. Den-
noch wissen wir, dass sich mit der Arbeitszeitflexi-
Wenn ganze Belegschaften unter dem gegenwär- bilisierung und speziell mit den Arbeitszeitkonten
tigen Wettbewerbsdruck und nach Verlagerungs- eine Grauzone entwickelt. Bezahlte Überstunden
oder Schließungsdrohungen den eingeforderten gehen zurück, übertragbare Überstunden werden
Arbeitszeitverlängerungen dennoch zustimmen, auf den Arbeitszeitkonten manchmal in Überfülle
dann ist das meist die nackte Angst um den Ar- geparkt – und in einigen Fällen am Schluss dann
beitsplatz, die über die Interessen an kürzeren Ar- doch als normale Stunden ausbezahlt oder sie
beitszeiten siegt. verfallen. Die Übergänge zwischen Flexibilisierung
und Verlängerung der Arbeitszeit werden fließen-
Dabei sind die Arbeitszeitinteressen der Beschäf- der.
tigten durchaus nicht gleich, es gibt beträchtliche
Unterschiede. Flexible Arbeitszeitmodelle, unter Die Kunst bei der Gestaltung von Arbeitszeitkon-
anderem auch Arbeitszeitkonten, finden auch ten, insbesondere bei der Gestaltung von Lang-
deshalb hohe Zustimmung bei den Beschäftigten zeitkonten besteht deshalb darin, Mechanismen
(nach Allensbach 2002: bei 71 Prozent der Beschäf- zu etablieren, mit denen verhindert werden kann,
tigten). Allerdings – und das ist wichtig – abhängig dass die Arbeitszeitkonten „unter der Hand“ zu
von ihrer Ausgestaltung! Wenig Zustimmung be- einer auf Dauer angelegten Verlängerung von Ar-
kommen Modelle, die die Arbeitszeit einseitig an beitszeit führen. Dies kann durch transparente und
den Bedürfnissen der Kunden und der Auftragslage verbindliche Abbauregelungen geschehen.
ausrichten (23 Prozent).
Außerdem spricht viel dafür, auch unterschiedliche
Flexible Arbeitszeitregelungen werden von den Be- Arbeitszeithöhen für bestimmte Beschäftigten-
schäftigten umso positiver bewertet, je größer ihre gruppen ins Auge zu fassen. Z.B. kürzere Arbeits-
Einflussmöglichkeiten auf die Zeitgestaltung sind. zeiten für besonders belastete Beschäftigtengrup-
Wir haben in der Schlussfolgerung daraus folgende pen wie Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter.
Kriterien für flexible Arbeitszeitmodelle formuliert:
Gerade bei der Arbeitszeit können wir zukünftig
Sie müssen von den Einzelnen beeinflussbar, ge- nicht mehr einfach Vorgehensweisen FÜR die Be-
staltbar und individuell planbar sein. Dabei kommt schäftigten festlegen, sondern wir müssen MIT ih-
der Systematik und den Rechten für die Beschäf- nen Regelungsvorschläge erarbeiten. Denn mehr
tigten beim Auf- und Abbau der Konten ein beson- als früher müssen die Beschäftigten heute selbst
deres Augenmerk zu. Grenzen setzen. Dies ist eine alltägliche Erfahrung

42
Musterrede: Länger arbeiten – Angriff auf Beschäftigung, Einkommen und Lebensqualität

aus den Betrieben und aus unserer Initiative „Ar- Gerade in Zeiten, in denen der Druck in Richtung
beiten ohne Ende? Meine Zeit ist mein Leben“. abweichender Regelungen und längerer Arbeits-
zeiten zunimmt, ist es wichtig, die Politikfähigkeit
Tarifverträge und betriebliche Regelungen sollten in den Betrieben zu stärken. Ein Baustein dafür
den Beschäftigten Hilfestellungen bieten, „Hal- ist eine neue Arbeitszeitdebatte, die in Zukunft
tegriffe“ , die es erlauben, mehr Einfluss auf die verstärkt auch unter Gesundheits-, Alterns- und
eigene Arbeitszeit zu nehmen. Sie sollten „Mit- Familienaspekten geführt werden sollte.
bestimmungsschwellen“ definieren, d.h. Situati-
onen beschreiben, bei denen der Betriebsrat ins Ein zweiter Baustein geht über reine Fragen der
Spiel kommt und verbindlich mitbestimmen kann. Arbeitszeitgestaltung hinaus. Wir sind gefordert,
der „Standort“-Erpressung eine koordinierte Be-
Tarifliche Arbeitszeitpolitik ist von tariflicher und triebs- und Tarifpolitik entgegenzusetzen.
betrieblicher Leistungspolitik nicht mehr zu tren-
nen. Dabei gilt es sowohl in der Tarifpolitik als Wir dürfen uns nicht ausspielen lassen!
auch in der Betriebspolitik den Anforderungen Die IG Metall hat verbindliche Koordinierungsre-
des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Rechnung geln für betriebliche Tarifverhandlungen aufge-
zu tragen. Auf folgende Punkte ist zu achten: stellt. Zu diesen Regelungen gehört unter ande-
 Durch tarifliche und betriebliche Leis- rem, dass abweichende Tarifvereinbarungen in
tungsregulierung sollte die Intensivie- Form von Arbeitszeitverlängerungen nur als abso-
rung der Arbeit begrenzt werden lute Ausnahme zugelassen werden.
 Zeitausgleiche sollten immer mög-
lichst belastungsnah erfolgen Für die IG Metall haben andere Lösungen Vorrang.
Dabei geht es nicht um längere Arbeitszeiten,
 Auf belastungsangemessene Pausen-
sondern um verbesserte Abläufe, qualifizierte
gestaltung sollte geachtet werden
Arbeit und zeitgemäße Arbeitszeitmodelle.
 Die im Arbeitsschutzgesetz verankerte Ge-
sundheitsverträglichkeitsprüfung von Ar- Wem gehört die Zeit? Wer bestimmt das Maß der
beitzeit und die Mitbestimmungsrechte der Arbeit – die Anforderungen des Marktes oder die
Betriebsräte sollten voll genutzt werden Leistungsfähigkeit und die Zeitbedürfnisse der
 Und nicht zuletzt sollten die Beschäf- Menschen? Diese Fragen sind aktueller denn je.
tigten als „Experten ihrer eigenen Die Debatte darüber muss in den Gewerkschaften
Gesundheit“ in die betrieblichen Dis- und in der Gesellschaft erneut mit Nachdruck ge-
kussionen einbezogen werden. führt werden.

43
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

4 Anhang

4.1 Menschen sind keine Maschinen listischen Gründen oder weil man die dann aus
von Prof. Friedhelm Nachreiner ökonomischer Perspektive rechnerisch sich erge-
benden personellen Überkapazitäten abbauen zu
Menschen sind keine Maschinen. Längere Ar- können glaubt – kaum propagieren.
beitszeiten bedeuten nicht automatisch höhere
Produktivität, sie führen aber zu mehr Unfällen Denn aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sehen
und Krankheiten die Dinge deutlich anders aus. Wie empirisch
bereits seit den 30er oder 60er Jahren des letz-
Der Ruf nach Verlängerung der Arbeitszeiten wird ten Jahrhunderts klar belegt, ist diese Annahme
immer lauter, insbesondere aus Kreisen der Ar- schlicht und ergreifend falsch. Menschen sind
beitgeber wie der Politik. Begründet wird dies mit keine Maschinen und ihr Arbeitsergebnis ist nicht
der Notwendigkeit der Kostensenkung bei gleich- strikt proportional zur Arbeitszeit. So haben etwa
zeitiger Erhöhung der Produktivität. Durch die Untersuchungen von Otto Graf vom Kaiser Wil-
Verlängerung der Arbeitszeiten – und zwar bezo- helm Institut für Arbeitsphysiologie bereits in den
gen auf die tägliche, wöchentliche, jährliche wie 30er Jahren gezeigt, dass durch den gezielten und
die Lebensarbeitszeit – könne bei den in Deutsch- nach arbeitswissenschaftlichen Kriterien gestal-
land herrschenden geringen Arbeitszeiten (bei teten Einsatz von Pausen mit weniger Arbeitszeit
gleichen Lohnkosten) mehr produziert, damit eine mehr Leistung erzielt werden kann. Graf war es
Verbesserung der Produktivität erreicht und darü- auch, der in den 60er Jahren mit Felduntersuchun-
ber die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gen belegt hat, dass die damaligen Verkürzungen
sichergestellt werden, lautet die Begründung. der Arbeitszeit nicht mit Produktivitätseinbußen
verbunden waren, in der Regel war das Gegenteil
Mehr Zeit, größerer Ausstoß der Fall.
Dahinter steckt offensichtlich die Vorstellung vom
Menschen als einer fremdgesteuerten Maschine, Ermüdung, Monotonie, Sättigung
und zwar mit linearen Kennlinien, die man kür- Die genaue Beobachtung und Analyse menschli-
zer oder länger laufen lassen kann: Je länger die cher Arbeit zeigt auch, warum das so war und ist.
Laufzeit, desto größer der Ausstoß. Oder anders Menschen sind eben keine Maschinen, sondern
herum: Wenn man Menschen eine Stunde länger selbst gesteuerte, rückgekoppelte biologische
arbeiten (oder eingeschaltet) lässt, bekommt Systeme mit nicht-linearen Kennlinien. Das hat
man auch eine proportional größere Arbeitsmen- u.a. etwas mit den Aus- oder Rückwirkungen der
ge, also 1/8 oder 1/38 mehr heraus. Ansonsten Arbeit auf den Menschen zu tun, also z.B. mit Er-
könnte man solche aus arbeitswissenschaftlicher müdung, Monotonie, Sättigung oder herabgesetz-
Sicht unsinnigen Forderungen – außer aus popu- ter Aufmerksamkeit, aber auch mit Motivation,

44
Anhang

Zielsetzungen, Selbsteinschätzung und der Opti- besteht: Mit der Zunahme der wöchentlichen Ar-
mierung des Einsatzes der eigenen Ressourcen. beitszeit steigt die Häufigkeit der Beschwerden,
Tätigkeiten und Leistungen, die sich über sechs und zwar nicht nur im Extrembereich. Auch hier
Stunden ohne Beeinträchtigungen durchhalten zeigt sich, dass längere Arbeitszeiten nicht effi-
lassen, kann man nicht zwangsläufig auch über zienter sind; vielleicht sollte man auch derartige
acht oder neun oder noch mehr Stunden beein- Effekte bei den ökonomischen Rechenkunststü-
trächtigungsfrei durchhalten, weswegen die Ar- cken berücksichtigen.
beitenden bei längeren Arbeitszeiten ihren Kräfte-
einsatz prospektiv anders steuern, und zwar von Soziale Teilhabe
Anfang an. Im Leistungssport erscheint das offen- Schließlich sei noch der Hinweis erlaubt, dass im
sichtlich und für jeden nachvollziehbar: Niemand europäischen Vergleich die Länder mit den längs-
würde dort wohl auf die Idee kommen, von einem ten Arbeitszeiten nicht unbedingt die produktivs-
100- Meter-Läufer zu verlangen, in der zehnfachen ten sind.
Zeit 1 000 Meter zu laufen.
Aber Arbeitszeitgestaltung hat neben dem Leis-
Unfallrisiko steigt exponentiell tungs- und Beanspruchungsaspekt immer auch
Neuere Analysen des Unfallrisikos in Abhängig- einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen, den
keit von der Arbeitszeit zeigen darüber hinaus, der sozialen Teilhabe. Die Verteilung der Zeit stellt
dass das Risiko meldepflichtiger wie tödlicher ein Nullsummenspiel dar: Die Ausdehnung der
Arbeitsunfälle jenseits der siebten oder achten Arbeitszeit muss zwangsläufig mit einer Verringe-
Arbeitsstunde, wie theoretisch zu erwarten, expo- rung anderer Zeitanteile einhergehen. Da die Zei-
nentiell ansteigt. ten für Schlaf und andere Elemente (Wegezeiten,
persönliche Bedürfnisse) relativ konstant sind,
Beschwerden häufen sich kann eine Verlängerung der Arbeitszeit nur durch
Zwar sind solche Unfälle relativ seltene Ereig- Verkürzung der Erholungs- und der frei verfügba-
nisse, der Verlauf des Unfallrisikos weist jedoch ren Zeiten für soziale Aktivitäten in der Familie,
darauf hin, dass die Effektivität und Effizienz der im Freundes- und Bekanntenkreis wie in gesell-
Arbeit mit zunehmender Arbeitsdauer, bedingt schaftlichen Organisationen erfolgen. Nun zeigen
durch die Rückwirkungen der Arbeit auf die Leis- die Ergebnisse zu den Effekten der Schichtarbeit,
tungsvoraussetzungen, exponentiell abnimmt. für die diese Verkürzung der für soziale Aktivitä-
Vorläufige Analysen des Zusammenhangs von ten verfügbaren Zeit charakteristisch ist – ebenso
gesundheitlichen Beschwerden und der Dauer wie übrigens bei einigen Formen flexibler Arbeits-
der wöchentlichen Arbeitszeit lassen erkennen, zeiten – dass damit z.T. erhebliche Beeinträchti-
dass auch hier offensichtlich ein Zusammenhang gungen der sozialen Teilhabe verbunden sind, mit

45
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

negativen Auswirkungen auf die Arbeitenden, ihre schichtblöcke möglichst kurz sein, so dass eine
Familien, aber auch auf ihr gesellschaftliches / Anpassung vom Körper gar nicht erst eingeleitet
politisches Umfeld. wird. Hinzu kommt, dass durch kurze Nacht-
schichtphasen die Ansammlung eines Schlafdefi-
Risiken gegenrechnen zits vermieden wird.
Die Frage aus arbeitswissenschaftlicher Pers-
pektive muss daher auch sein, ob Arbeitszeitver- Was die „Dauernachtarbeitssysteme“ betrifft, so
längerungen sozialverträglich sind, oder ob hier besteht auch hier vielfach bei den Beschäftigten
Risiken eingegangen werden, die gesellschaftlich der Eindruck, das sie sich ganz gut an die Nacht-
nicht vertretbar sind oder zu ihrer Kompensation arbeit angepasst haben. Trotzdem gilt auch für
erhöhte Aufwendungen an anderen Stellen (z.B. diese Arbeitszeitform, dass eine Anpassung letzt-
des Gesundheitssystems) erfordern, und die man lich nur stattfindet, wenn es keinerlei Bezug zur
in den ökonomischen Bewertungen eigentlich normalen Tageszeit gibt. Jeder freie Tag hebt die
auch gegenrechnen müsste. Teilanpassung wieder auf.

Aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive er- 2. Nach einer Nachtschichtphase sollten


scheint daher die Verlängerung der Arbeitszeiten möglichst 24 Stunden arbeitsfreie Zeit folgen.
kein besonders geeignetes Mittel zur Steigerung Um die Belastung durch die Nachtarbeit auch di-
der Produktivität. rekt auszugleichen, sollten möglichst lange Ruhe-
Quelle Frankfurter Rundschau vom 22.07.2004 Seite 7. phasen nach einer Nachtschicht folgen. Leider ist
es faktisch so, dass, wenn die Ruhephasen nach
4.2 Arbeitswissenschaftliche Empfehlun- einer Nachtschichtphase erweitert werden, das
gen für die Schichtplangestaltung Ausmaß zusammenhängender Freizeit reduziert
wird, was bei den Beschäftigten häufig auf erheb-
1. Die Anzahl der aufeinander folgenden lichen Widerstand stößt.
Nachtschichten sollte möglichst gering
sein, möglichst nicht mehr als drei. 3. Geblockte Wochenendfreizeiten sind besser
Obwohl viele Schichtarbeiter, die in einem Ar- als einzelne freie Tage am Wochenende.
beitszeitrhythmus mit fünf oder mehr hintereinan- Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass
der liegenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv die „geblockten Wochenendfreizeiten“, d.h. z.B.
den Eindruck haben, dass ihr Körper sich an die zwei zusammenhängende freie Tage am Wochen-
Nachtarbeit angepasst hat, findet eine echte An- ende, wobei mindestens ein Tag Samstag oder
passung der Körperfunktionen an die Nachtarbeit Sonntag ist, erhalten bleiben. Denn für unsere
nicht statt. Aus diesem Grunde sollen die Nacht- Gesellschaft gilt, dass der Nutzwert der Freizeit

46
Anhang

am Wochenende deutlich höher ist als in der Wo- von Spät auf Früh (Rückwärtswechsel) nur acht
che. Möglich wären beispielsweise Freitag und Stunden.
Samstag, Samstag und Sonntag oder Sonntag
und Montag. 6. Die Frühschicht sollte nicht zu früh beginnen.
Aus der Frühschicht sollte keine „Halb-Nacht-
4. Eine Massierung der Arbeitszeit schicht“ gemacht werden. Bei langen Anfahrts-
ist zu vermeiden. zeiten kann ein Schichtbeginn um 5.30 Uhr be-
Eine Massierung von Arbeitszeiten führt zu einer deuten, dass die Beschäftigten um ca. 3.30 Uhr
überdurchschnittlichen Ermüdung. Je größer die aufstehen müssen. Erfahrungsgemäß gehen die
Anhäufung von Arbeitszeiten, desto längere Zeit Beschäftigten aber vor der Frühschicht nicht extra
wird zur Erholung des Organismus benötigt. früher zu Bett. Hinzu kommt häufig noch die Be-
fürchtung zu verschlafen. Ergebnis ist ein erhebli-
Zwischen zwei Schichten soll eine Pause von min- ches Schlafdefizit, damit verbunden eine Übermü-
destens elf Stunden sein (§5 Abs. 1 AZG). Nach dung, die zu höherer Beanspruchung führt und zu
der letzten Nachtschicht empfiehlt sich eine noch einer Zunahme der Unfallgefahr.
längere Pause. Ungünstig sind deshalb Nacht-
frei-Früh und Nacht-frei-Nacht. 7. Die Nachtschicht sollte möglichst früh enden.
Weil die gesundheitlichen Risiken der Störung
Ebenso ist eine Massierung von Wochenarbeits- der Tagesperiodik bekannt sind, sollte die Nacht-
zeiten zu vermeiden. Es wird eine um so längere schicht nicht zu spät enden; denn der Tagschlaf
Zeit (aus dem Freizeitblock) benötigt, um die nach Nachtschicht ist um so länger je früher man
Ermüdung abzubauen, wodurch zugleich die tat- sich schlafen legt. Die Empfehlungen 6. und 7.
sächlich freie Zeit geringer wird. stehen im Dreischichtsystem allerdings im di-
rekten Widerspruch. Eine Möglichkeit, diesem
5. Der Vorwärtswechsel sollte bevorzugt werden. Problem zumindest teilweise zu begegnen, wären
Der Vorwärtswechsel (Früh-Spät-Nacht) ent- flexible Schichtwechselzeiten. (Gleitzeitmodell für
spricht dem natürlichen circadianen Rhythmus Schichtarbeit).
der Körperfunktionen. Die Vorwärtsrotation
macht den Tag ‚länger’, die Rückwärtsrotation 8. Kurzfristige Schichtplanänderungen
(Nacht-Spät-Früh) ‚kürzer’. Beispiel: Wenn beim sind zu vermeiden.
Wechsel von Früh auf Früh die ‚normallange’ Ar- Wird die durchschnittliche Arbeitszeit mit Frei-
beitspause 16 Stunden beträgt, so ist sie beim und Zusatzschichten kombiniert, um die tarifliche
Wechsel von Früh auf Spät schon 24 Stunden Arbeitszeit zu erreichen, sollte dies nicht kurzfris-
lang (Vorwärtswechsel). Dagegen beim Wechsel tig geschehen, um die Planbarkeit der individuel-

47
Der Arbeitszeit-TÜV: Wie gesundheitsverträglich sind unsere Arbeitszeiten?

le Freizeit zu erhalten. Dies gilt auch für Überstun- 4.4 Kontaktadressen des Projekts Gute Arbeit
den oder unregelmäßige Diensteinteilungen. Projektleitung
Klaus Pickshaus | klaus.pickshaus@igmetall.de
 Zusammengestellt nach Beermann, B.:
Leitfaden zur Einführung und Gestaltung Koordination von Themenfeldern
von Nacht- und Schichtarbeit. Hrsg.: Bun- Hilde Wagner | hilde.wagner@igmetall.de
desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits- Bert Römer | bert.roemer@igmetall.de
medizin, Dortmund 1998 | www.baua.de
Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter
Weitere Literatur zum Thema Schichtarbeit Andrea Fergen | andrea.fergen@igmetall.de
Werner Feldes | werner.feldes@igmetall.de
 Knauth, P. & Hornberger, S.: Schichtarbeit und
Nachtarbeit. Hrsg.: Bayerisches Staatsminis- Weitere aktuelle Informationen zu Vorhaben,
terium für Arbeit und Sozialordnung, Mün- Produkten und Terminen im Rahmen des Pro-
chen 1997 | www-iip.wiwi.uni-karlsruhe.de. jekts sind im Internet unter www.igmetall.de/
 Schweflinghaus, W.: Besser leben gutearbeit erhältlich.
mit Schichtarbeit. Hrsg.: Bundesver-
band der Betriebskrankenkassen (BKK Kontaktadresse
BV), Essen 2002 | www.bkk.de. Projekt Gute Arbeit | IG Metall Vorstand
Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | 60329 Frankfurt
4.3 Materialien in Vorbereitung Marina Steinhardt | 069 / 66 93 22 03.
 Fragebogen zur Ermittlung psychischer
Belastungen am Arbeitsplatz mit einem
dazu passenden Auswertungstool
 Arbeitshilfe Demografie-Check: Ermittlung der
betrieblichen Altersstruktur mit einem Tool
zur Durchführung einer Alterstrukturanalyse
 Arbeitsmappe Prekäre Beschäftigung eindäm-
men – Belastungen und Risiken verringern

48
Anhang

OPTISCHICHT – Software zur ergonomischen Schichtplangestaltung


Neue Kooperationsversion von TÜV NORD und Projekt Gute Arbeit
exklusiv für Betriebsräte der IG Metall

Schichtarbeit gestalten – aber wie? Mit der Da Schichtarbeit und insbesondere Nachtarbeit
Schichtplangestaltung tauchen viele Fragen auf: mit gesundheitlichen Risiken behaftet ist, fordert
 Wie viele hintereinander liegende Nacht- das Arbeitszeitgesetz: „Die Arbeitszeit der Nacht-
schichten können verfahren werden? und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicher-
 Warum ist der Vorwärtswechsel der Schichten ten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über
(FSN) besser als der Rückwärtswechsel (NSF)? die menschengerechte Gestaltung der Arbeitszeit
 Wie können Schichtpläne gestaltet werden, festzulegen.“
damit auch mal das Wochenende frei bleibt?
Die Belastungen durch Schichtarbeit können in
Ein Schichtsystem nach arbeitswissenschaftlichen erster Linie durch „intelligent“ erstellte Schicht-
Erkenntnissen zu gestalten ist eine anspruchs- pläne gesenkt werden. Softwareprogramme
volle Sache, zumal ja auch noch wirtschaftliche helfen, diese Erkenntnisse bei der Erstellung von
Anforderungen an die Schichtplänen zu berücksichtigen. Eine Software,
Arbeitszeitgestaltung die zugleich auch Schichtpläne berechnen kann,
zu berücksichtigen ist OPTISCHICHT. Eine grundlegend verbesserte
sind. Hierbei hilft Opti- Update-Version wurde zusammen mit dem Pro-
schicht. jekt „Gute Arbeit“ u.a. für Betriebsräte entwickelt.
Mit Hilfe dieses Programms können Schichtpläne
Heute arbeiten nur noch ca. 15 Prozent aller Ar- erstellt werden, die arbeitswissenschaftliche An-
beitnehmer montags bis freitags zu den gleichen forderungen berücksichtigen.
Zeiten. Für immer mehr Betriebe gehört Schicht-
arbeit zum Alltag.
Die Software ist für Betriebsräte der IG Metall ab
Schichtarbeit ist Arbeit zu ungewöhnlicher Tages- September 2006 zum Sonderpreis von 98,00 €
oder Nachtzeit. Neben Früh- und Spätschichten zzgl. MwSt. erhältlich bei TÜV NORD Mobilität
stellen insbesondere die Nachtschichten eine GmbH & Co. KG | Steubenstraße 53, 45138 Essen,
besondere Belastung dar. Zur Schichtarbeit kann Tel. 0201 / 8 30 19 12, Fax 0201 / 8 30 19 29,
auch Arbeit am Wochenende gehören (Konti- www.optischicht.de, optischicht@tuev-
schichten). nord.de. Dieses Angebot gilt
für 700 Lizenzen. Der
Schichtsysteme, die nicht arbeitswissenschaftli- reguläre Preis beträgt
che Erkenntnisse berücksichtigen, können kurz- 590,00 € zzgl. MwSt.
fristig zu Ermüdung und langfristig zu Gesund-
heitsschädigungen führen.

49
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