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Erzählperspektive

Jeder epische Text hat einen Erzähler, also eine Stimme, die dem Leser
die Geschichte erzählt. Dieser Erzähler kann dabei ganz unterschiedliche
Positionen einnehmen, also die Perspektive ändern, aus der erzählt wird.
Somit ist die Erzähperspektive die Sicht aus der ein literarisches Werk
erzählt wird. Wir unterscheiden in vier verschiedene
Erzählperspektiven: auktoriale, personale, neutrale sowie die spezielle
Form der Ich-Erzählung.

Alle Erzählperspektiven haben unterschiedliche Wirkungen und


vermitteln einen anderen Eindruck von der Gesamtsituation des
literarischen Werkes. Immerhin entscheidet sich, wie viel wir über die
Handlung und die verschiedenen Charaktere einer Geschichte wissen
können. Demzufolge kann die gewählte Erzählperspektive unsere
Leseerlebnis maßgeblich beeinflussen und somit steuern.
Die Erzählperspektive können wir erkennen, indem wir den Text
fragen:“Wer erzählt die Geschichte?“ und „Was kann der Erzähler
eigentlich wissen?„. Auf diese Fragen erhalten wir eine Antwort, die uns
die Einordnung in unsere Erzählmodell grundsätzlich sehr einfach macht.

Hinweis: In diesem Beitrag möchten wir Ihnen die verschiedenen


Erzählperspektiven vorstellen und anhand von Beispielen erklären, was
die Besonderheiten der jeweiligen Perspektive sind. Außerdem möchten
wir Ihnen zeigen, inwiefern die gewählte Sichweise den Leser
beeinflussen kann.

Übersicht der Erzählperspektiven

Grundsätzlich werden die einzelnen Erzälsituationen dahingehend


unterschieden, wer die Geschichte erzählt und was dieser jemand über
die Protagonisten der Erzählung weiß.

Wenn wir danach fragen, was der Erzähler weiß, gibt es im Eigentlichen
nur drei mögliche Antworten. Entweder weiß der Erzähler alles über die
Handelnden oder er weiß es nur von einer oder mehreren Personen oder
aber er weiß gar nichts und kann eine Situation nur von außen betrachten.

Hinweis: Wichtig ist, dass Geschichten nicht die ganze Zeit aus der
gleichen Erzählperspektive erzählt werden. Mitunter wandelt sich die
Position, die der Erzähler im Laufe der Handlung annimmt. Das bedeutet,
dass wir genau schauen müssen und uns nicht nach einer Passage
festlegen sollten.

Auktoriale Erzählperspektive

Der auktoriale Erzähler hat eine allwissende Erzählperspektive und


eine uneingeschränkte Draufsicht auf das Geschehen. Er weiß alles
über die handelnden Figuren in einem Werk.

Diese Eigenschaft ermöglicht es dem auktorialen Erzähler,


Zusammenhänge zwischen den Protagonisten und Deuteragonisten, aber
auch allen anderen Charakteren der Geschichte aufzuzeigen. Außerdem
ist es ihm möglich, das Geschehen in Rückblenden oder Vorwegnahmen
zu erzählen.

Diese Perspektive ist nahezu göttlich und demzufolge allwissend.


Dennoch sollte man nicht den Fehler machen, den auktorialen Erzähler
mit dem Autor einer Geschichte gleichzusetzen. Zwar ist der Autor der
Urheber des Erzählers, aber eben nicht die gleiche Person.

Hinweis: Der auktoriale Erzähler wertet und kommentiert die


Geschichte, er weiß mehr als die Figuren, die in der Geschichte handeln
und kann darüber berichten, was diese denken und fühlen. Außerdem
kann er Geschehnisse vorwegnehmen oder in Rückblenden den
Hintergrund der Handlung erläutern. Dieser Erzähler blickt mit dem
Leser von außen auf die erzählte Geschichte (Außenperspektive).
Auktorialer Erzähler in »Kleider machen Leute« (Gottfried Keller)
Hinweise zum obigen Beispiel

Personaler Erzähler

Der personale Erzähler weiß nicht alles. Er beschreibt das Ganze aus
der Perspektive einer einzelnen oder mehrerer Figuren des Textes
und kommentiert das Geschehen nicht.

Dabei schlüpft der Erzähler in eine der Rollen des Werkes und schildert
deren Eindrücke des Geschehens. Dabei greift er auf die
Personalpronomen Er und Sie zurück oder gebraucht die Namen der
handelnden Charaktere. Jedoch wird nicht die grammatische Ich-Form
verwendet, was einen Ich-Erzähler ausmacht.

Demzufolge kann der personale Erzähler auch nur das wissen, was der
Charakter, aus dessen Sicht erzählt wird, weiß. Alle anderen Dinge oder
Hintergründe über andere Rollen, können einem Leser nicht vermittelt
werden. Nur dann, wenn die Figur des Textes selbst darauf stößt. Folglich
kann der personale Erzähler keine Rückblenden oder Vorwegnahmen
zum Erzählen nutzen. Der Leser erfährt es nur dann, wenn die Figur
selbst darüber spricht oder sich an Vorhergegangenes erinnert.

Hinweis: Der personale Erzähler wertet und kommentiert die Geschichte


nicht. Somit wird der Leser auch nicht durch die Kommentare des
Erzählers gesteuert, sondern nimmt die Geschichte aus der Perspektive
einer oder auch mehrerer Figuren wahr (Innenperspektive).
Personaler Erzähler in »Der Prozess« (Franz Kafka)
Hinweise zum obigen Beispiel

Neutraler Erzähler

Ein neutraler Erzähler erzählt eine Geschichte nicht aus der


Perspektive eines Charakters oder kommentiert das Geschehen. Er
beschreibt nur, was äußerlich wahrnehmbar ist. Stellen wir uns einen
Film ohne Ton vor, ähnelt es der Erzählperspektive, die nur Äußeres
registriert.

Demnach zieht sich der Erzähler vollkommen aus der Figurenwelt


zurück. Er greift also nicht als auktorialer Erzähler ein und kommentiert
das Erzählte oder nimmt die Perspektive einer oder mehrerer Figuren ein.
Vielmehr wird beschrieben, wie die Figuren handeln und agieren.

Somit können wir dieses Erzählverhalten sehr häufig in szenischen


Darstellungen ausmachen und somit in dramatrischen Texten, die
vornehmlich zeigen, was die einzelnen Figuren sagen und somit durch
Dialoge oder auch Monologe die Geschichte vorantreiben.

Hinweis: Am häufigsten ist dieses Erzählverhalten reinen Dialogen


zuzuordnen, da es hierbei leicht ist, die neutrale, also nicht-wertende oder
kommentierende, Erzählperspektive zu erkennen. Der neutrale Erzähler
gibt uns somit nur einen Blick auf das Geschehen oder berichtet darüber,
wie die Figuren handeln und wertet oder kommentiert das Geschehen in
keinster Weise.
Neutraler Erzähler in »Effi Briest« (Theodor Fontane)
Hinweise zum obigen Beispiel
Fontanes Effi Briest ist ein Paradebeispiel für eine neutrale
Erzählsituation. Zwar gibt es im Werk auch andere Erzählperspektive,
doch die neutrale dominiert die Geschichte. In diesem Fall erinnert sie
sehr an eine szenische Darstellung. Der Erzähler wertet das Geschehen
nicht oder gibt uns weitere Informationen zu den Figuren. Es gibt nur den
Dialog der beiden Handelnden.
Der neutrale Erzähler zieht sich in diesem Fall also vollkommen aus der
Figurenwelt zurück. Er kommentiert nicht, er gibt keine Wertung ab. Es
werden demnach nur äußerlich wahrnehmbare Vorgänge und Abläufe
sichtbar. In diesem Fall in Form eines Gesprächs.

Ich-Erzähler

Der Ich-Erzähler nimmt gewissermaßen eine Sonderstellung ein. Er


berichtet das Geschehen aus der Ich-Form, kann aber durchaus
Merkmale der anderen Erzählperspektiven aufweisen.

Gemeint ist mit dem Begriff des Ich-Erzählers die Sicht auf die Dinge aus
der ersten Person Singular (Ich), also die grammatisch Erzählstimme in
Form eines Ichs. Der Ich-Erzähler kann folglich nur das erzählen, was
das Ich der Geschichte erlebt, sieht und denkt. Nicht zu verwechseln ist
das Erzählverhalten mit der Stimme in lyrischen Werken. Dieses wird
als lyrisches Ich bezeichnet.

Demnach gibt es keinen Erzähler, der die handelnden Figuren von außen
bewertet oder kommentiert. Der Leser sieht die erzählte Welt aus den
Augen des Ich-Erzählers, der natürlich Handlungen und Figuren bewerten
kann, aber eben auf das beschränkt ist, was er selbst weiß.

Interessant ist dabei, dass der Ich-Erzähler personale und auktoriale


Perspektiven annehmen kann. Wir unterscheiden in erlebendes und
erzählendes Ich. Das erzählende Ich kann eine Geschichte rückwirkend
erzählen und somit allwissend in Bezug auf die Geschichte sein. Das
personale Ich erlebt die Geschichte selbst und kann somit nur wissen, was
es im Moment erlebt oder erinnert.

Hinweis: Grundsätzlich erkennt man diese Erzählperspektive daran, dass


ein Ich die Geschichte erzählt. Erzählt es diese im Nachhinein, kann diese
Perspektive auktoriale Züge aufweisen, da das Ich mehr weiß, als der
Leser. Erlebt es die Geschichte jedoch unmittelbar, gibt es keinen
Wissensvorsprung.
Ich-Erzähler in »Das Eisenbahnunglück« (Thomas Mann)
Hinweise zum obigen Beispiel

Wechselnde Erzählperspektive

Bisher wurden die verschiedenen Erzählperspektiven, die uns in


epischen oder dramatischen Werken begegnen können, vorgestellt.
Viele Werke setzen auf eine einzige Erzählperspektive. Allerdings
gibt es auch Ausnahmen, weshalb die Erzählperspektive wechseln
kann.

Das bedeutet, dass inerhalb des Werkes die Erzählsituation verändert


wird. Somit kann die Geschichte von verschiedenen Ich-Erzählern erzählt
werden, aber auch ein Wechsel zwischen den anderen Perspektiven ist
durchaus möglich und ist in der Literatur nachweisbar. Vornehmlich
finden wir solche Perspektivwechsel in moderner Literatur, die mitunter
den Versuch wagt, das Erzählschema
aufzubrechen (vgl. Literaturepochen).

Ein schönes Beispiel ist der Roman Berlin Alexanderplatz von Alfred
Döblin. In diesem Werk gibt es eine stets wechselnde Erzählperspektive,
die versucht, die Vielfalt des Lebens authentisch darzustellen.

„Det wollt ick bloß wissen, Franz, hast ihr wohl sehr gern.“
„Nu hör schon uff von den Mächens und dem Quatsch.“
„Erkundige mir ja bloß. Das kann dir doch nicht beißen.“

Dieser Auszug aus Berlin Alexanderplatz ließe uns beispielsweise auf


einen neutralen Erzähler schließen, der uns eine reine Dialogform
präsentiert und sich selbst nicht in die Figurenwelt einmischt. Allerdings
finden wir außerdem solche Passagen:

Hier sieht jeder, der so weit gelesen hat, welche Wendung eingetreten ist:
die Wendung nach rückwärts, und sie ist bei Franz beendet.

Der Erzähler ist also in keinem Fall neutral. Er wendet sich sogar
unmittelbar an den Leser und gibt sich in diesem Fall als auktorialer
Erzähler zu erkennen. Die Erzählperspektive ist demnach im Roman
wechselhaft und passt sich verschiedenen Erzählsituationen an.

Das Wichtigste zur Erzählperspektive in der Übersicht

 Die Erzählperspektive ist die Sicht auf die Figurenwelt, die ein Leser
einnehmen kann, wenn er ein episches oder dramatisches Werk liest. Somit
ist die Erzählperspektive die Art und Weise, wie wir die Figuren im
literarischen Werk sehen und steckt die Grenzen, was wir sehen können.
 Grundsätzlich unterscheidet man zwischen vier verschiedenen
Erzählperspektiven. Die auktoriale (allwissende), personale (Er/Sie-
Perspektive), neutrale (ohne klare Erzählsituation) und den Ich-Erzähler.
Alle vier ermöglichen uns einen anderen Blickwinkel auf die Geschichte.
 Allerdings kann die Erzählperspektive in einem Werk durchaus
wechselhaft sein. Ein zu schneller Wechsel kann den Leser verwirren. Sehr
häufig finden wir die wechselnde Erzählperspektive in moderner Literatur,
die das bekannte Schema des ordnenden und kommentierenden Erzählers
aufbrechen will → Literarische Gattungen, Literaturepochen.

Lesen Sie den theoretischen Teil gründlich, dann


beantworten Sie bitte folgende Fragen!
- Nennen Sie bitte die Grundmerkmale jedes
Erzählertyps!
- Welche Erzählerperspektive (Erzählertyp) ist in
folgenden Werken zu erkennen:
„ Eine Leidenschaft names Nudelsalat“
„ Spatzenmilch und Teufelsdreck“
„ Weitsicht“
Belegen Sie bitte Ihre Antwort anhand von Textstellen!

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