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5,50 www.welt-sichten.org
3-2017 MÄRZ
INDIGENE VÖLKER
Eingeboren und ausgegrenzt
Geld gewonnen, Land zerronnen.
Schweizer Investitionen in Grossplantagen zerstören wertvolles Ackerland
und rauben Menschen die Existenz. Brot für alle und Fastenopfer kämpfen
gemeinsam gegen dieses Unrecht. Helfen Sie mit.
sehen-und-handeln.ch | PK: 60-707707-2
OEK_Lupe_Landraub_220x280_RA_4c_ZS_d.indd 1 25.10.16 1
EDITORIAL 3
Bernd Ludermann kein Zweifel: Indigene Völker gehören weltweit zu den am stärksten benachteiligten
Chefredakteur Gruppen. In Siedlerkolonien wie den USA und Australien haben Europäer die Einhei-
mischen brutal unterworfen oder vertrieben. In großen Teilen Asiens wurden Indige-
ne von dominierenden Gesellschaften in Wüsten, Wälder oder Gebirge abgedrängt und
gelten heute als Bürger zweiter Klasse. Nicht selten dringt der Staat in ihre Rückzugs-
räume vor, um Naturschätze auszubeuten. Doch sie haben sich inzwischen Schutz-
rechte gegen Landraub und Diskriminierung erstritten. Dabei haben sie paradoxer-
weise Klischees aus der Kolonialzeit über „Eingeborene“ wiederbelebt, erläutert Karl-
Heinz Kohl. Sonderrechte für Indigene zwingen indes dazu, festzustellen, wer indigen
ist und wer nicht; in Afrika ist das besonders schwierig.Zudem können sie zwiespälti-
ge Folgen haben, berichtet Tillmann Elliesen – zum Beispiel wenn allein Männer defi-
nieren, auf welche Traditionen ein Entwicklungsvorhaben Rücksicht nehmen muss.
Das kleine westafrikanische Land Gambia hat im Dezember einen Autokraten abge-
wählt. Dazu hat ein heikles Projekt in den USA beigetragen, berichtet Krista Mahr:
PR-Spezialisten wollen auf dem Kontinent die Demokratie voranbringen, indem sie
Oppositionsparteien zu Erfolgen verhelfen. Den Einfluss der muslimischen Bruder-
schaften auf die Politik im Senegal hat Odile Jolys sich genauer angeschaut. Und Ceci-
bel Romero berichtet, wie El Salvador Genossenschaften bei der Produktion von ein-
heimischem Saatgut unterstützt und so Konzerne wie Monsanto zurückdrängt.
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4 INHALT
GUILLERMO GRANJA/REUTERS
Mit ihren Stimmen hat er damals gewonnen: Indigene unterstüt-
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INHALT 5
6 Auftakt
WELT-BLICKE
JOURNAL
34 Gambia: Wahlsieg „Made in USA“?
Eine US-amerikanische Organisation hat den Kandidaten der 50 Tourismus: Wie sexuelle Gewalt gegen Kinder
Opposition entscheidend unterstützt verhindert werden kann
Krista Mahr
51 Studie: Selbstkritische Weltbank
37 Ruanda: Mit Pilzen Gewinn machen
China will Bauern in Afrika zeigen, wie sie mehr aus ihren Böden 52 Berlin: Entwicklungshilfe mit der Industrie
holen
Lily Kuo 54 Brüssel: Dank Trump wittert die EU Geschäfte
mit Lateinamerika
41 Senegal: Die Macht der frommen Männer
Islamische Bruderschaften üben großen Einfluss aus 55 Schweiz: Die DEZA prüft ihr Verhältnis zu den
Odile Jolys Hilfswerken
44 Togo: Noch schläft der Unternehmergeist 57 Österreich: „Südwind“ gibt nicht auf
Ein neues Genossenschaftsrecht soll Kleinbauern den Zugang
zum Markt erleichtern 58 Kirche und Ökumene: Kirchenführer in Nahost
Bettina Meier kritisieren amerikanischen Einreisestopp
47 El Salvador: Konzerne aus dem Markt gedrängt 60 Global-lokal: Afrika geht bei der geschlechter-
Die Regierung fördert den Anbau von eigenem Saatgut gerechten Haushaltsführung voran
Cecibel Romero
61 Personalia
SERVICE
62 Filmkritik
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6 STANDPUNKTE AUFTAKT
GADO
KURZ ERKLÄRT
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AUFTAKT STANDPUNKTE 7
Reife Leistung
Na endlich! Die Bundesregierung hat eine werden, neben den vielen weltwärts- und
seit langem inakzeptable Lücke in der deut- SES-Freiwilligen wirklich etwas bewegen
schen Entwicklungspolitik geschlossen: Sie können in Ghana, Tansania oder Malawi. Na
hat einen Freiwilligendienst für Leute ab und? Auf jeden Fall werden sie selbst viele
dreißig geschaffen. Wer im mittleren Al- wertvolle Erfahrungen sammeln und ihre
ter ist, mal für ein paar Wochen Afrikaluft „eigene Entwicklung voranbringen“, erklärt
schnuppern möchte und außerdem den das BMZ. Weshalb der Dienst ja auch völlig
armen Schluckern dort noch etwas unter die richtig im Entwicklungsministerium
Arme greifen will, hat jetzt die Gelegenheit aufgehoben ist und nicht etwa im Bildungs-
dazu. Auf Staatskosten natürlich, das Ent- ressort.
wicklungsministerium (BMZ) zahlt. Ein sol-
cher „Weltdienst 30+“ hat noch gefehlt, denn Außerdem können die neuen Entwicklungs-
bislang gibt es das nur für rüstige Rentner, touristen durchaus etwas Sinnvolles tun,
die mit Enkeln und Hobbys nicht ausgelastet für das es keiner besonderen Vorkenntnis-
sind – den Senior Expert Service –, und für se bedarf: Sie können zur Bekämpfung von
„Sie behaupten, moralisch die Kinder weltbürgerlicher Akademikerel- Fluchtursachen beitragen und jungen Afri-
tern – da heißt er „weltwärts“. Jetzt kann man kanerinnen und Afrikanern erklären, dass
im Recht zu sein; also in jedem Lebensabschnitt den perfekt sie besser bleiben, wo sie sind – auch wenn
aber eigentlich wird die zugeschnittenen Hilfseinsatz buchen, von sie gern einmal in Deutschland Erfahrungen
18 bis 99 Jahren ist für jeden etwas dabei. sammeln und ihre „eigene Entwicklung vor-
Bewegung nur von dem anbringen“ würden. Ohne staatlich geförder-
Interesse geleitet, viel Kritiker bezweifeln, dass das den Ländern im ten Freiwilligendienst im Rücken endet so
Süden etwas bringt. Sie glauben nicht, dass eine Idee schnell auf dem Grund des Mittel-
Geld daran zu verdienen, all die zusätzlichen Helfer, die jetzt kommen meeres.
dass man die Armen in
den armen Ländern
weiter arm hält.“
Donald Trumps Klimaberater
Myron Ebell über die internationale
Umweltschutzbewegung.
In Afrika fehlen Verhütungsmittel
Zentralasien
Europa
Nordamerika
69 10
75 7
densprozesse – mit der CPP-NPA Nordafrika 57 14
Ostasien
im Grunde landesweit, mit den Zentralafrika Südasien 82 5
53 15 Ostafrika
Moro auf Mindanao konzent-
59 14
riert. Es kann in Mindanao, wo 23 26
beide Gruppen vertreten sind,
lokal Auswirkungen haben, wenn 40 24
etwa die CPP wieder verstärkt Lateinamerika
Südliches
Kämpfer rekrutiert. Aber Duter- Afrika Ozeanien
te hat schon gesagt, er will, dass 73 11 64 13 59 15
der Frieden mit den Moro ge-
lingt – auch um zu zeigen, dass
für das Scheitern mit der CPP-
NPA diese verantwortlich ist.
Angaben in Prozent für 2015
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Anteil der Frauen zwischen 15 und 49, die Verhütungsmittel nutzen
Anteil der Frauen zwischen 15 und 49, die keine Kinder mehr wollen,
Haben Sie eine Frage? Schreiben Sie aber keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben
uns: redaktion@welt-sichten.org. Wir
suchen die Fachleute, die Antworten Quelle: UN
©
liefern.
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8 STANDPUNKTE KOMMENTAR
Anfang des Jahres luden Russland, Auch nach dem Treffen in Asta- zeptieren. Die türkische Regie- aufnahme der Syrienverhandlun-
die Türkei und der Iran Vertreter na gibt es mehr Grund zur Skepsis rung sorgte ähnlich wie vor den gen am Genfer UN-Sitz verbessern.
der syrischen Regierung und der als zur Hoffnung, dass der Krieg UN-Runden vor einem Jahr da- Doch den dafür ursprünglich an-
Opposition zweimal zu Verhand- in Syrien bald beendet sein könn- für, dass die von ihr als „Terroris- gepeilten Termin Anfang Februar
lungen in die kasachische Haupt- te. Denn keines der Probleme, die ten“ eingestuften syrischen Kur- musste Chefvermittler Staffan de
stadt Astana. Das hat die Aussich- schon die drei Genfer Vermitt- den keine Einladung nach Astana Mistura zunächst auf den 20. Fe-
ten auf Frieden nicht wesentlich lungsrunden der Vereinten Nati- erhielten. bruar verschieben, weil sich die
verbessert. Von dem Stillstand pro- onen im Frühjahr 2016 sowie die Doch selbst zwischen dieser Opposition nicht auf die Zusam-
fitiert vor allem die Terrormiliz Isla- nachfolgenden Bemühungen der abgespeckten Vertretung der sy- mensetzung ihrer Delegation ver-
mischer Staat. USA und Russlands scheitern lie- rischen Opposition und der Regie- ständigen konnte. Wie im Früh-
ßen, ist ausgeräumt. Im Gegen- rungsdelegation wurde in Asta- jahr 2016 einigte sich die Opposi-
teil: Einige stellen sich nach dem na wie zuvor in Genf kein einzi- tion schließlich in der saudischen
militärischen Etappensieg der sy- ges Wort gewechselt. Umso hef- Hauptstadt Riad unter erhebli-
rischen Streitkräfte in Aleppo so- tiger waren die gegenseitigen cher Einflussnahme der dortigen
gar noch schärfer als zuvor. Beschimpfungen auf den Pres- Regierung. Dominiert wird die De-
Das Spektrum der bei der sekonferenzen beider Seiten. Sie legation wieder von sunnitischen
Astana-Konferenz vertretenen beide verweigerten die Unter- Rebellen, die Kurden wurden auf
Oppositionskräfte war noch en- schrift unter das von Russland, Drängen Ankaras erneut ausge-
ger und damit noch weniger re- der Türkei und dem Iran vorge- schlossen, der Anteil der Frauen
präsentativ als bei den drei Gen- legte Dokument zur verbesserten liegt noch unter den zehn Prozent
fer UN-Runden. Einige Rebellen- Überwachung und Umsetzung des Vorjahres.
gruppen, die von den Vereinigten der seit dem 30. Dezember gelten- Völlig unklar ist zudem, was
Staaten und Saudi-Arabien als „le- den Waffenruhe. bei den Genfer Verhandlungen
gitime Opposition“ unterstützt, Diese Waffenruhe wurde in herauskommen kann. Grundla-
den ersten sechs Wochen 2017 ge ist nach wie vor der vom Si-
immer brüchiger. Mitte Februar cherheitsrat der Vereinten Natio-
Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die drohte ein direkter Zusammen- nen im Dezember 2015 einstim-
stoß zwischen den türkischen mig beschlossene Dreistufenplan:
Konfliktparteien einen dauerhaften Waffen-
und den syrischen Streitkräften, dauerhafter Waffenstillstand und
stillstand vereinbaren und einhalten. die beide auf die bislang vom Is- ungehinderte humanitäre Versor-
lamischen Staat (IS) kontrollierte gung der Bevölkerung; Vereinba-
Stadt al-Bab vorrückten. Zudem rung einer Übergangsregierung
von den Regierungen in Mos- eskalierten die türkischen Streit- aus Vertretern von Regierung
kau, Damaskus und Teheran we- kräfte den Krieg gegen die Kur- und Opposition, die dann dem
gen ihrer Nähe zur al-Qaida aber denmiliz YPG. Die Waffenruhe hat syrischen Volk den Entwurf einer
als „Terroristen“ eingestuft wer- zudem kaum Fortschritte für die neuen Verfassung des Landes zur
den, waren erst gar nicht einge- humanitäre Versorgung der Be- Abstimmung vorlegen soll; freie,
laden. Darunter sind militärisch völkerung erbracht. Mitte Febru- von den Vereinten Nationen über-
sehr starke und einflussreiche Mi- ar waren unverändert 15 militä- wachte Parlaments- und Präsi-
lizen, ohne die eine politische Lö- risch belagerte Städte mit insge- dentschaftswahlen.
sung oder auch nur ein dauerhaf- samt rund 600.000 Einwohnern Es wäre schon ein wesentli-
ter, verlässlicher Waffenstillstand vollständig von humanitärer Ver- cher Fortschritt, wenn die Kon-
kaum möglich sein werden. An- sorgung abgeschnitten; 13 davon fliktparteien einen dauerhaften
dere Rebellengruppen schlugen sind von syrischen Regierungs- Waffenstillstand vereinbaren und
die Einladung nach Astana aus, truppen belagert. einhalten und die Belagerung
weil sie Russland und Iran als geg- Die Gespräche in Astana soll- von Städten aufheben würden, so
nerische Konfliktpartei wahrneh- ten nach Aussage aller Beteiligten dass die Bevölkerung versorgt
men und nicht als Vermittler ak- die Bedingungen für die Wieder- werden kann. Eine notwendige
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KOMMENTAR STANDPUNKTE 9
WOLFGANG AMMER
Bedingung dafür ist, dass US-Prä- Verhandlungen im Frühjahr 2016. Krieg fort gegen die kurdischen
sident Donald Trump wie im Denn Assad steht seit seinem mili- Regionen im Nordosten Syriens
Wahlkampf angekündigt die Un- tärischen Sieg und angesichts der mit dem von der Regierung Erdo-
terstützung für bewaffnete Rebel- starken Rückendeckung aus Mos- gan ausdrücklich erklärten Ziel,
lengruppen in Syrien beendet. kau und Teheran noch weniger als die YPG-Milizen zu vernichten
Doch selbst dann blieben als gro- vor einem Jahr unter Druck, die- oder über den Euphrat zurückzu-
ßer Unsicherheitsfaktor Saudi- ser Forderung nachzugeben. Zu- drängen. Damit steht sie in deut-
Arabien und Katar, die wegen ih- mal auch die türkische Regierung lichem Widerspruch zu den USA,
rer eigenen, gegen den schiiti- inzwischen nicht mehr öffentlich zu Russland und zum Iran, die die
schen Iran gerichteten Interessen, verlangt, Assad solle auf die Macht kurdische YPG als wichtigste und
sunnitische Rebellengruppen in verzichten. Und nach allen bishe- bislang effektivste Bodentruppe
Syrien möglicherweise weiter un- rigen Signalen aus der Trump-Ad- gegen den IS sehen.
terstützen werden. ministration zu urteilen, werden Dieser Widerspruch dürfte
Dass sich die Konfliktpartei- auch die USA nicht mehr darauf sich zunehmend als Störfaktor er-
en auf eine Übergangsregierung bestehen. weisen für ein koordiniertes Vor-
verständigen und dass Präsident Unter diesen Umständen ist gehen dieser vier Staaten gegen
Baschar al-Assad – wie von sämt- für die nächste Zeit folgendes Sze- den IS, der derzeit noch knapp die
lichen Oppositionsgruppen trotz nario wahrscheinlich: Im westli- Hälfte des syrischen Territoriums
aller sonstigen Differenzen ge- chen, wesentlich von syrischen kontrolliert. Eine stabile „Frie-
schlossen gefordert – vor dem Regierungstruppen und Russ- denslösung“, die auch die sichere
Andreas Zumach Amtsantritt dieser Regierung ab- land kontrollierten Drittel Syri- Rückkehr der syrischen Flüchtlin-
ist Journalist tritt, scheint noch unwahrschein- ens herrscht weiter eine brüchige ge in ihre Heimat erlauben würde,
und Publizist in Genf. licher als bereits bei den Genfer Waffenruhe. Die Türkei setzt ihren ist noch lange nicht in Sicht.
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10 STANDPUNKTE KOMMENTAR
Beamte der Vereinten Nationen Maina Kiai hat einen anstrengen- staatlicher Organisationen ein- tionale Beamtenschaft haben sie
sollten bei Demonstrationen lie- den Job – und er wird noch nicht schränken und populistische Be- nicht „die Freiheit, als Privatper-
ber zu Hause bleiben. Das meint einmal dafür bezahlt. Der kenia- wegungen die Bürgerrechte be- sonen öffentlich Partei zu ergrei-
jedenfalls das UN-Ethikbüro und nische Jurist ist seit Mai 2011 Son- drohen, ist seine Aufgabe noch fen oder ihre Meinung zu heiklen
verweist auf den UN-Verhaltens- derberichterstatter der Vereinten anstrengender geworden – und politischen Themen zu äußern“.
kodex. Der müsste dringend über- Nationen (UN) für Versamm- noch wichtiger. Damit unterminieren die UN
arbeitet werden. lungs- und Vereinigungsfreiheit. Doch nun erhält er Gegen- ihre eigene Basis. Ihre General-
Er kämpft dafür, dass Menschen wind aus einer unerwarteten versammlung hat 1948 die Allge-
öffentlich Unzufriedenheit mit Ecke: Ausgerechnet die Vereinten meine Erklärung der Menschen-
ihren Regierungen äußern, Unge- Nationen fallen ihm in den Rü- rechte verabschiedet. Sie hat Me-
rechtigkeiten und Korruption an- cken. Sie gestehen ihren Beam- chanismen und Regeln etabliert,
prangern und ihre Rechte einfor- ten das Menschenrecht auf Ver- um diese Rechte zu schützen und
dern können – sei es auf einer De- sammlungsfreiheit nicht zu. Kurz zu verteidigen. Es ist ein Armuts-
monstration, in einem Verein vor der großen Demonstration zeugnis, dass sie ihre eigenen Be-
oder in einer Gewerkschaft. Er für Frauenrechte Ende Januar in amten nicht ermutigen, sie zu
überwacht die Einhaltung dieser Washington erhielten die Beam- nutzen, sondern ihnen Steine in
Menschenrechte und untersucht ten eine E-Mail vom UN-Ethikbü- den Weg legen. Sie müssen ihnen
Verstöße gegen sie. Das tut er ro, wie das Internetportal für Ent- ermöglichen, als Privatpersonen
nicht nur in den Ländern des glo- wicklungszusammenarbeit „De- gegen Rassismus, Sexismus und
balen Südens, sondern auch in vex“ berichtet. Die Teilnahme an Populismus auf die Straße zu ge-
Russland, Großbritannien und Protestmärschen könnte „unver- hen. Darauf haben alle Menschen
seit kurzem ganz besonders in einbar“ sein mit ihrem Status, ein Recht – und die UN-Institutio-
den USA. In Zeiten, in denen viele wurden sie gewarnt. Denn laut nen würden an Glaubwürdigkeit
Regierungen die Arbeit nicht- Verhaltenskodex für die interna- gewinnen. (gka)
Tödliche Bevormundung
Donald Trump kürzt die Entwicklungshilfe für Familienplanung
Der neue US-Präsident folgt der Ronald Reagan hatte die soge- Aber dieses Mal könnten die die Familienplanung wollen, in al-
Tradition seiner republikanischen nannte Mexico City Policy 1984 Folgen tatsächlich schlimmer sein ler Welt allein. Das erhöht die Zahl
Vorgänger Ronald Reagan und eingeführt. Sie sieht vor, dass als unter Reagan und Bush. Denn der Schwangerschaftsabbrüche in
George W. Bush: Er streicht die Mit- von der US-Regierung geförderte Trump hat die Policy noch einmal Entwicklungsländern, statt sie zu
tel für Hilfsorganisationen, die Fa- Hilfsorganisationen oder deren verschärft: Er will anders als seine senken, wie Untersuchungen zur
milienplanung fördern und dabei Partner in Entwicklungsländern Vorgänger nicht nur international Wirkung der Mexico City Policy in
Schwangerschaftsabbruch nicht mit Frauen nicht einmal über tätige Organisationen der Famili- der Vergangenheit gezeigt haben.
ausschließen. Das ist nichts ande- die Möglichkeit eines Schwanger- enplanung kontrollieren, ob sie ir- Trumps Politik ist außerdem töd-
res als Machtmissbrauch auf Kos- schaftsabbruchs reden dürfen, gendetwas mit Abtreibung zu tun lich – buchstäblich. Denn mehr
ten von Frauen weltweit. selbst wenn Abtreibungen in dem haben, sondern sämtliche im Ge- Frauen werden unter unsicheren
betreffenden Land legal sind. sundheitsbereich tätigen Orga- Bedingungen abtreiben und da-
Seitdem wird die Anordnung im nisationen. Mit anderen Worten: bei sterben. Auf Trumps Konto
Wechsel aktiviert und deaktiviert, Auch einer Hilfsorganisation, die werden außerdem alle die Frauen
je nachdem ob ein Republikaner Menschen mit Aids unterstützt, gehen, die ihr Kind gerne geboren
oder ein Demokrat Präsident ist. werden die Mittel gestrichen, hätten, aber die Schwangerschaft
Die Deutsche Stiftung Weltbe- wenn sie in einer Klinik tätig ist, oder die Geburt nicht überlebt ha-
völkerung fürchtet, als Folge von die auch Beratung zu Schwanger- ben, weil ihnen als Folge der neu-
Trumps Schritt könnte die Müt- schaftsabbrüchen anbietet. Fach- en US-Politik niemand dabei ge-
tersterblichkeit weltweit wieder leute schätzen, dass Trumps An- holfen hat.
steigen. Dafür spricht wenig auf ordnung Fördergelder in Höhe Schwangerschaft, Geburt oder
den ersten Blick: Seit 1990 ist die von neun Milliarden US-Dollar Abbruch – darüber müssen am
Müttersterblichkeit weltweit kon- betreffen könnte – 15 Mal mehr als Ende Frauen allein entscheiden
tinuierlich gesunken, egal ob die unter George W. Bush. dürfen. Und nicht alte Männer,
Mexico City Policy in Kraft war Donald Trumps Politik ist die auf diese Weise ihre Macht
oder nicht. kontraproduktiv. Sie lässt Frauen, missbrauchen. (ell)
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LEITARTIKEL STANDPUNKTE 11
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12 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Der „Ureinwohner“
kehrt zurück
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 13
| 3-2017
14 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
glaubten die Kolonisatoren sich ihr Land selbst an- überzeugt, dass die Naturvölker über kurz oder lang
eignen zu dürfen. zum Aussterben verurteilt seien.
Je effizienter die technischen Mittel wurden, mit Das Ende der europäischen Kolonialherrschaft
denen es den Europäern gelang, die Natur für ihre war auch mit einer Kritik an den Begriffen verbun-
Zwecke nutzbar zu machen, desto rückständiger er- den, mit denen man die unterworfenen Völker bis
schienen ihnen die Bewohner ihrer Kolonien und dahin bezeichnet hatte. Nach dem Abschluss des De-
unter ihnen besonders die Ureinwohner. Für sie wur- kolonisierungsprozesses wollte niemand mehr von
den daher im 19. Jahrhundert die Begriffe „Naturvöl- „Wilden“, „Primitiven“ oder „Eingeborenen“ spre-
ker“ und „Primitive“ gebräuchlich. Völker, die wie in chen. Gegen den Begriff „Stammesgesellschaften“,
China und Indien schon bei der Ankunft der Europä- Manche der früher auch noch gängig war, protestierten af-
er staatlich organisiert waren, betrachtete man da- Traditionen rikanische Intellektuelle und Politiker: Die meisten
gegen als Repräsentanten der „barbarischen“ Stu- halten sich: Ein der sogenannten Stämme seien Erfindungen der Ko-
fe der Menschheitsentwicklung und beließ ihnen Inuit im lonialzeit, und Stammesbindungen spielten in den
meist ihre Eigennamen. Gemeinsam fielen aber alle grönländischen modernen afrikanischen Staaten keine Rolle mehr.
Bewohner der Kolonien unter den Sammelbegriff Uummannaq Auch die Bezeichnungen, auf die man stattdessen
„Eingeborene“. Damit wurde der Bezug zu ihrem Hei- durchquert das zurückgriff, gelten heute als überholt und politisch
matboden hervorgehoben und zugleich ins Negati- Eis auf seinem inkorrekt. Denn wer von „schriftlosen“, „staatenlo-
ve gewendet: Eingeborene waren faktisch die Unter- Hundeschlitten. sen“ und „vorindustriellen“ Gesellschaften spricht,
worfenen und Kolonisierten. MARK GARTEN/ bestimmt sie nur anhand dessen, was sie im Ver-
Sie schienen auf einer früheren Entwicklungsstu- UN-PHOTO
gleich zu den modernen westlichen Gesellschaften
fe stehen geblieben zu sein und galten nicht nur als nicht sind.
technisch, sondern auch als mental rückständig. Die Die Ethnologie verfügte damit über keinen all-
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts populär gemein akzeptierten Begriff mehr, mit dem sich
werdenden Rassentheorien lieferten eine theoreti- ihr traditioneller Untersuchungsgegenstand fas-
sche Begründung für diese Annahme: Als die schwä- sen ließ. Sie wäre nach wie vor in dieser schwierigen
cheren Rassen hatten sie den stärkeren weichen und Lage, wären ihr nicht die Angehörigen der Gesell-
sich in unwirtlichere Zonen zurückziehen müssen. schaften zu Hilfe gekommen, mit denen sie sich seit
Da das Gesetz vom „Überleben des Stärksten“ auch jeher beschäftigt hat.
die Beziehungen zwischen den Gesellschaften zu be- Seit den späten 1960er Jahren begannen sich in
herrschen schien, waren die Anthropologen davon fast allen ehemaligen britischen Siedlerkolonien die
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 15
von den weißen Kolonisten entrechteten und meist samen Namens. Notgedrungen griff man dabei auf
in großer Armut lebenden Ureinwohner zu politi- einen Begriff aus der Kolonialzeit zurück, der auf-
schen Organisationen zusammenzuschließen, um grund seiner lateinischen Herkunft in allen großen
gemeinsam ihre Rechte einzufordern. Zu ähnlichen Weltsprachen verstanden wird: „Indigene“. Das Wort
Autonomiebewegungen kam es bald auch in Mittel- ist etwas weniger vorbelastet als das englische „na-
und Südamerika. Ihre politischen Wortführer nutz- tives“ oder das deutsche „Eingeborene“. Doch wurde
ten moderne Kommunikationsmittel, um sich inter- es früher ebenfalls oft in einem abfälligen Sinn ver-
national Gehör zu verschaffen. Zahlreiche transnati-
onale NGOs wie Amnesty International und Survival
International, die ihre Mitglieder vor allem in west- In den Siedlerkolonien hießen die
lichen Metropolen rekrutierten, unterstützten ihre Unterworfenen „Eingeborene“ und galten
Vorhaben und stellten ihnen Foren zur Verfügung.
Auch verschiedene Unterorganisationen der Verein- den Europäern als rückständig.
ten Nationen (UN) setzten sich für sie ein und gaben
ihnen die Möglichkeit, sich stärker untereinander
auszutauschen und zu vernetzen. Dabei stellten sie wendet. Um auch in den offiziellen internationalen
fest, dass sich ihre Situation in den Nationalstaaten Sprachgebrauch Eingang finden zu können, muss-
weitgehend glich. te „Indigenität“ daher um seine negativen Neben-
Um die Interessen der australischen Aborigines, bedeutungen bereinigt und gewissermaßen neu er-
der nord- und südamerikanischen Indianer und der funden werden. Das geschah denn auch in sehr lan-
neuseeländischen Maori, der finnischen Sami, der gen Diskussionen unter Federführung der von den
südafrikanischen !Kung-San, der sibirischen Tun- UN 1982 eingesetzten Arbeitsgruppe für die Belan-
gusen oder der brasilianischen Yanomami gemein- ge indigener Bevölkerungen. Auch weitere UN-Ins-
sam durchzusetzen, bedurfte es auch eines gemein- titutionen wie die Internationale Arbeitsorganisati-
USA
5.200.000
China
114.000.000
11.000.000
Mexiko Algerien Indien
15.700.000 84.000.000
Philippinen
11.320.000
Guatemala Myanmar Vietnam
6.200.000 Äthiopien 14.900.000 14.000.000
15.000.000
Kolumbien
1.400.000 DR Kongo Kenia Papua-Neuguinea
2.000.000 15.000.000 6.100.000
Brasilien
800.000 Indonesien
70.000.000
Bolivien Anteil an der
2.800.000
Gesamtbevölkerung
Chile < 1% Australien
1.600.000 Südafrika 670.000
1-5% 530.000
6-10%
11-20% Neuseeland
645.000
21-30% Indigene Bevölkerung
40%
78% < 500 Tsd. 500 Tsd.-1 Mio. 1 Mio.-10 Mio. > 10 Mio.
on (ILO) und ein eigens eingesetzter UN-Sonderbe- tus Sonderrechte gegenüber den Nachkommen der Kayapo aus
richterstatter beteiligten sich daran. zum Teil schon vor vielen Generationen eingewan- Amazonas
Bei den Bemühungen um eine Neubestimmung derten Inder und Chinesen ab. protestieren
des Begriffs ging man wesentlich von der Geschich- Die jahrelangen Debatten mündeten schließlich 2012 während
te und gegenwärtigen Lage der Ureinwohner in Neu- in die Indigenous and Tribal Peoples Convention der der UN-Konfe-
seeland, Australien, Kanada, den USA und Latein- Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1989, renz für
amerika aus. Ein Grund dafür war, dass es sich bei ih- deren Bestimmungen dann leicht modifiziert zur Nachhaltige
nen um ethnische Minderheitengruppen handelte, Grundlage der UN- Deklaration über die Rechte Indi- Entwicklung
gener Völker von 2007 wurden. Das erste Kriterium (Rio+20) gegen
für Indigenität ist danach die historische Erfahrung den Bau eines
In vielen afrikanischen Ländern erheben von Unterdrückung, Marginalisierung und Diskrimi- großen
mehrere Gruppen den Anspruch, die nierung: Indigene sind entweder entrechtete Opfer Staudamms in
der Kolonisierung oder aber – außerhalb von Siedler- Brasilien.
eigentlichen Ureinwohner zu sein. kolonien – machtlose Minderheiten in Staaten, deren JOHN VAN HASSELT/
dominierende Gruppe sie an der Entfaltung ihrer ei- CORBIS VIA GETTY
IMAGES
genen Traditionen hindert.
die ihr Land nachweislich schon viele Jahrtausende In diesem letzten Punkt unterscheiden sie sich
vor der Ankunft der ersten europäischen Kolonisten allerdings kaum von anderen ethnischen Minderhei-
besiedelt hatten. Ihre alten Rechtsansprüche waren ten. Auch nicht beim zweiten Kriterium: Besonder-
daher unbestreitbar. In den erst nach dem Zweiten heiten im Bereich der Sprache, der sozialen Organi-
Weltkrieg unabhängig gewordenen Staaten Afrikas sation, des Wertesystems sowie der Religion, die sich
oder Asiens sahen die Verhältnisse dagegen anders über Jahrhunderte erhalten haben und die Grundla-
aus. In vielen afrikanischen Ländern erheben meh- ge eines ausgeprägten Gruppenbewusstseins in Ab-
rere konkurrierende Gruppen den Anspruch, die ei- grenzung zur Mehrheitsgesellschaft bilden.
gentlichen Ureinwohner zu sein. In Malaysia stellen Das wichtigste Bestimmungsmerkmal indige-
die sogenannten Pribumi oder „Söhne der Erde“ die ner Völker bleibt indes ihre Beziehung zu dem Terri-
Bevölkerungsmehrheit und leiten aus ihrem Sta- torium, in dessen Besitz sie ihrer Überlieferung nach
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 17
schon immer waren und dem sie sich emotional eng gegen, den Nachkommen der Ureinwohner heute
zugehörig fühlen. Die Verfasser der Deklaration spre- nicht nur privilegierte, sondern exklusive Rechte auf
chen ausdrücklich von der besonderen „spirituellen ihre Territorien, deren Bodenschätze und sonstige
Bindung“, die Ureinwohner überall zu ihrem ange- Ressourcen einzuräumen und den Kinder der späte-
stammten Land unterhielten. Darin bestehe der ent- ren Einwanderern nur noch den Status von Gästen
scheidende Unterschied sowohl zur dominierenden zuzuweisen. Sollte man etwa in England den Nach-
Gesellschaft als auch zu allen übrigen ethnischen fahren der Kelten größere Rechte zubilligen als de-
Minderheiten. nen der Römer und Normannen? Kuper polemisiert
M
auch gegen die romantische Vorstellung, dass sich
it dieser Festlegung haben sich die UN den die Indigenen durch ein besonders harmonisches
Standpunkt der Indigenen zu Eigen ge- Verhältnis zur Natur auszeichneten. Er spricht sogar
macht. Daraus ergeben sich weitreichen- von einer neuen Blut- und Bodenideologie, in der
de rechtliche Folgen: Der Status als spirituelle Hüter Kultur und kulturelle Identität an die Stelle des alten
ihres Heimatbodens verleiht den Indigenen einen Begriffs Rasse getreten seien.
nie erlöschenden Rechtstitel auf dessen Besitz. Alles Diese und andere kritischen Einwände blieben je-
Land, das nicht durch ordentliche Verträge abgetre- doch weitgehend ungehört. Aufsehen erregende Fäl-
ten wurde, bleibt daher laut der von den UN vertrete-
nen Rechtsauffassung Eigentum der Nachkommen
der ethnischen Gruppen, die es vor der Ankunft der
Kolonisten nutzten – als Ackerland oder auch nur als
Jagd- und Sammelterritorium. Da ihnen individuel-
le Eigentumsrechte an Boden aber weitgehend un-
bekannt waren, ist auch der Besitzanspruch von In-
digenen kein individueller, sondern ein kollektiver.
Wie aber bestimmt man, wer zu dem Kollektiv ge-
hört? In den Beratungen hat man hierfür eine relativ
einfache Lösung gefunden: Der Einzelne muss sich
nicht nur mit seiner kulturellen Herkunftsgruppe
identifizieren, sondern von deren Mitgliedern auch
als einer der ihren anerkannt werden.
Bei den australischen Aborigines genügt hier-
für die bloße Bestätigung aller Gruppenmitglieder,
dass eine Person zu ihnen gehört. In den USA gilt da-
gegen meist immer noch das Abstammungsprin-
zip: Ein Native American kann sich nur dann in die
Stammesrolle seines Reservates einschreiben, wenn
mindestens ein Viertel indianisches Blut in sei-
nen Adern fließt. Als Folge verdienen biomedizini-
sche Firmen gut an Abstammungsnachweisen mit-
tels DNA-Bestimmung. Denn die anerkannte Grup-
penzugehörigkeit ist mittlerweile mit zahlreichen
Vorteilen verbunden, vor allem finanziellen. In den
USA, in Kanada und Australien gelingt es einzelnen
Ureinwohnergruppen immer häufiger, von großen Sie lehren le wie etwa die Versuche amerikanischer Nahrungs-
Bergwerks- und Ölgesellschaften vor Gericht hohe Frauen und mittel- und Pharmakonzerne, von indigenen Völ-
Entschädigungen für das ihren Vorfahren geraub- Männer das kern hervorgebrachte Nutzpflanzenarten und Arz-
te Land einzuklagen. In vielen amerikanischen Bun- Fürchten: Die neimittel für sich patentieren zu lassen, wogen da
desstaaten befindet sich heute überdies das Glücks- indigenen weit mehr. Sie machten deutlich, wie schlecht es um
spielgeschäft fest in indianischer Hand, nachdem „Cholitas“ im deren Sache immer noch bestellt ist. Nach einer fast
man eine Gesetzeslücke entdeckt hat, die es den Re- bolivanischen El fünfundzwanzigjährigen Debatte hat die UN-Gene-
servationen erlaubt, die staatlichen Verbote zu um- Alto sind Stars ralversammlung am 13. September 2007 die Dekla-
gehen und eigene Spielcasinos zu betreiben. Die Ein- in der Wrest- ration über die Rechte Indigener Völker verabschie-
künfte aus den Entschädigungen und Gewinnen ling-Arena. det. Zu diesen Rechten zählt sie neben der politischen
werden entweder in soziale und kulturelle Einrich- TIM CLAYTON/CORBIS Selbstbestimmung auch ein kollektives Urheberrecht
tungen investiert oder einfach unter die einzelnen VIA GETTY IMAGES
an kulturellen Hervorbringungen im weitesten Sinn,
Stammesmitglieder umverteilt. Gerade in kleineren das neben ihren mündlichen Überlieferungen und
ethnischen Gruppen sind sie oft so hoch, dass man traditionellen künstlerischen Ausdruckformen auch
von ihnen mühelos leben kann. ihr besonderes botanisches und pharmazeutisches
Schon 2003 hat der englische Anthropologe Wissen einschließt.
Adam Kuper diese und andere Entwicklungen in ei- Die Verabschiedung der Deklaration hat der da-
nem Aufsatz mit dem Titel „The Return of the Na- malige venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez
tive“ scharf kritisiert. Er wendet sich vor allem da- als welthistorisches Ereignis gewürdigt. Sie wurde
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18 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
aber nicht von allen Staaten gebilligt. Bereits im Vor- sen. Um seine negativen Züge bereinigt, ist das von
feld hatten sich einige afrikanische Staaten dagegen den europäischen Kolonisatoren entwickelte Fremd-
ausgesprochen mit dem Argument, dass sie faktisch bild zur Grundlage ihres Selbstbildes geworden.
einen Aufruf zum Separatismus darstelle und auf Af- Dieses Bild unterstellt allerdings eine Einheit-
rika gar nicht bezogen werden könne. Burundi, Kenia lichkeit, die so nicht existiert. So weisen zwar viele,
und Nigeria enthielten sich denn auch der Stimme. aber keinesfalls alle indigenen Völker „spirituelle“
Beziehungen zu ihrem Land auf. In einigen Fällen
handelt es sich schlicht um eine Übernahme europä-
ischer Vorstellungen. Schon vor mehr als 20 Jahren
Die Mutter-Erde-Ideologie einiger indianischer
hat zum Beispiel der amerikanische Ethnologe Sam
Stämme geht auf einen christlichen Missionar aus Gill anhand sorgfältiger Quellenstudien dargelegt,
dem frühen 19. Jahrhundert zurück. dass die Mutter-Erde-Ideologie einiger indianischer
Stämme auf den Erfindungsreichtum eines christli-
chen Missionars aus dem frühen 19. Jahrhundert zu-
rückgeht, der dabei wahrscheinlich auf antike Auto-
Die vier Gegenstimmen kamen ausgerechnet aus chthonievorstellungen zurückgriff. Solche histori-
den Staaten, in denen die internationale Indigenen- schen Beweisführungen werden von Ureinwohnern
bewegung begonnen hatte, nämlich aus den USA, nicht besonders gern gesehen. Adam Kuper zitiert
Kanada, Australien und Neuseeland. Den Vertretern in seiner Polemik eine Cree-Aktivistin, die die heute
ihrer Regierungen gingen die erweiterten Restitu- allgemein akzeptierte Theorie der Besiedlung Ame-
tionsforderungen, die aus der Deklaration abgelei- rikas durch Einwanderer aus Asien mit dem Argu-
tet werden können, offensichtlich zu weit. Sogar der ment zurückwies, dass die Schamanen ihres Stam-
neuseeländische Minister für Maori-Angelegenhei- mes es viel besser wüssten. Die Ahnen der Cree hät-
ten, der selbst dieser Minderheit angehört, sprach ten seit Urzeiten dort gewohnt, wo ihre Nachfahren
sich mit dem Verweis auf die vielen möglichen Kon- auch heute noch lebten.
flikte gegen die Erklärung aus. Doch haben seither Verwunderlich ist, dass man sich in Kanada, in
alle vier Staaten ihre Einstellung zur Deklaration re- den USA und in Australien von offizieller Seite auf
vidiert und sie, wenn auch mit Einschränkungen, ak- solche Argumentationen einlässt. Eine Rolle spielen
zeptiert. dabei die Gräueltaten und Verbrechen, die den Indi-
D
genen im Namen der Zivilisation angetan worden
ie Ureinwohner sind damit offenbar in der Mo- sind. Das schlechte Gewissen treibt uns auch heute
derne angekommen. Alles andere als zurück- noch um. Wer möchte da einer Wiedergutmachung
geblieben, wissen sie die Spielräume zu nut- widersprechen? Zudem rührt die Behauptung einer
zen, die ihnen das internationale Recht bietet. Nicht besonderen spirituellen Beziehung zum Land an tief
Karl-Heinz Kohl weniger geschickt gehen sie mit den romantischen verwurzelte Emotionen: Die Indigenen scheinen das
ist emeritierter Professor für Vorstellungen um, die der Westen einst über „Einge- zu haben, was der moderne Mensch in einer Zeit des
Ethnologie an der Universität Frankfurt borene“ in die Welt gesetzt hat: Sie entnehmen ihnen globalen Nomadismus schmerzlich vermisst – Zu-
am Main und hat dort bis 2016 das die Versatzstücke, die sie für ihre Zwecke gebrauchen gehörigkeit zu einem überblickbaren und harmoni-
Frobenius-Institut geleitet. können, und weisen die zurück, die ihnen nicht pas- schen Gefüge von Land, Kultur und Gesellschaft.
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h st m i c h
( 1. Mose 16,13)
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20 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Nutzen daraus ziehen sollen. Die Reform im vergan- sammenfasst. Die Probleme fangen oft schon bei der
genen Jahr hingegen sei ein Rückschritt, sagt Vöcking. Identifizierung an, aber die meisten Beschwerden
Die Zustimmung der Anwohner zu einem Projekt sei gibt es, weil indigene Gruppen sich nicht angemes-
in Zukunft nur noch nötig, wenn gravierende Nach- sen an der Projektplanung beteiligt fühlen.
teile zu erwarten seien. Vorher sei sie obligatorisch Ein Fall aus Kenia macht deutlich, dass der Begriff
gewesen, sobald ein Projekt indigenes Siedlungsge- des „indigenen Volkes“ eine Homogenität suggeriert,
biet berührt. die vermutlich selten der Wirklichkeit entspricht.
Die Vorbehalte von Regierungen in Afrika haben Und er macht deutlich, wie knifflig es in der Projekt-
damit zu tun, dass auf dem Kontinent anders als in praxis sein kann, den Indigenen-Schutz mit anderen
Lateinamerika schwer zwischen indigenen – einge- Standards etwa zu den Rechten von Frauen zu ver-
borenen – und anderen Einwohnern unterschieden einbaren. Im Südwesten von Kenia mussten meh-
werden kann. Welcher Afrikaner ist nicht indigen in rere Gruppen von Massai wegen eines Geothermie-
Afrika? Dazu kommt, dass in einigen Ländern wie Kraftwerks umgesiedelt werden. Um das möglichst
Kenia oder Ruanda Spannungen und Konflikte zwi- einvernehmlich über die Bühne zu bringen, richtete
schen ethnischen Bevölkerungsgruppen herrschen. die Bank zusammen mit den Dorfbewohnern ein Ko-
Warum sollten einige besseren Schutz genießen als mitee ein, das die Massai in den Beratungen mit der
andere? kenianischen Elektrizitätsgesellschaft und der Welt-
bank vertreten sollte. Zu dem Komitee gehörten un-
ter anderem Frauen, junge Leute und Menschen mit
Nach den Regeln der Weltbank ist indigen, Behinderung. Darüber beschwerten sich die Ältesten
wer sich selbst dafür hält und das der Gemeinden, die bei den Massai normalerweise
alleine das Sagen haben. Das Inspection Panel rüg-
von einem Ethnologen bestätigt bekommt. te die Bank, sie habe diese traditionellen Entschei-
dungsstrukturen missachtet. In seiner Antwort er-
klärte das Management, man habe mit dem Komitee
Laut den Weltbank-Kriterien ist nicht entschei- versucht, die Dorfbewohner in „kulturell angemesse-
dend, ob jemand wirklich „eingeboren“ oder irgend- ner Weise“ zu beteiligen und Bevölkerungsgruppen
wann einmal in ein Siedlungsgebiet eingewandert einzubinden, die in der von alten Männern domi-
ist. Die Schutzvorkehrungen für Indigene gelten, so- nierten Massai-Gesellschaft keine Stimme haben.
bald eine Volksgruppe eine besonders enge kulturel- Prompt gab es Streit über die Häuser, in die die
le und für das Überleben wichtige Beziehung zu ih- Dorfbewohner umgesiedelt werden sollten. Die Wahl
rem Wohnort hat, ihr Leben von eigenen kulturellen, fiel auf gemauerte Häuser mit Steinböden, für die
wirtschaftlichen und politischen Institutionen ge- sich laut Weltbank vor allem die Frauen und die jün-
regelt wird und sie eine eigene Sprache spricht. Das geren Leute stark gemacht hatten – einfach um es
gilt etwa für die verschiedenen Pygmäen-Gruppen etwas moderner, bequemer und sauberer zu haben.
in Zentralafrika, die dort seit Menschengedenken im Die älteren Massai-Männer hingegen hätten es gern
und vom Regenwald leben. so gehabt wie immer: einfach und aus Lehm. Eines
In der Planung von Projekten muss die Weltbank ihrer Argumente: In den neuen Häusern sei es ihnen
mithilfe von Sachverständigen prüfen, ob im Projekt- nicht möglich, ihrer „indigenen Kultur“ folgend Zie-
gebiet Leute wohnen, die diese Kriterien zu Recht für genhäute mit Pflöcken am Boden zu befestigen, um
sich in Anspruch nehmen. Mit anderen Worten: Indi- Besuch auf traditionelle Weise zu empfangen.
gen ist, wer sich selbst dafür hält und das von einem Ein Fachmann, der nicht namentlich zitiert wer-
Ethnologen bestätigt bekommt. Dass eine westliche den will, sagt, in vielen Beschwerdefällen sei das In-
Entwicklungshilfeorganisation bestimmt, ob eine digenen-Argument künstlich aufgepropft; meistens
Gruppe indigen ist und besonders geschützt werden gehe es um wirtschaftliche Ansprüche oder politi-
muss, stößt vielen Regierungen in Afrika sauer auf. In sche Anliegen, die mit der Beschwerde erreicht wer-
der Diskussion über die Reform der Weltbank-Stan- den sollen. „Und wenn das nicht zieht, dann werden
dards fuhren sie schweres Geschütz auf: Schon wie- halt die Ziegenhäute ausgepackt.“ Nach dieser Les-
der nehme es sich der Westen heraus, Bevölkerungs- art sind Regeln speziell für Indigene überflüssig: Die
gruppen in Afrika nach bestimmten Kriterien zu für alle geltenden Schutzstandards wie die allgemei-
klassifizieren. Wohin das führen könne, habe der Völ- ne Umsiedlungsrichtlinie reichen. Die Sonderregeln
kermord der Hutu an den Tutsi 1994 in Ruanda ge- führen demnach nur dazu, dass die Bank von Projek-
zeigt. Die Spaltung der ruandischen Bevölkerung an- ten in Gebieten mit indigenen Völkern schneller die
hand ethnischer Merkmale war besonders von den Finger lässt als anderswo, um sich möglichen Ärger
Kolonialmächten Belgien und Deutschland vorange- zu ersparen – mit der Folge, dass in diesen Gebieten
trieben worden. sinnvolle Entwicklungsvorhaben unterbleiben.
Auch die Anwendung der Indigenen-Standards Knud Vöcking von Urgewald sieht das anders: „Im
in der Praxis ist mit einigen Fallstricken verbunden. Westen gelten traditionell lebende indigene Völker
Das Inspection Panel der Weltbank prüft Beschwer- vielen schon immer als rückständig und unzivilisiert.“
den gegen von der Bank finanzierte Projekte. Im ver- Das solle mit Entwicklungsprojekten geändert wer-
Tillmann Elliesen gangenen Jahr hat es einen Bericht vorgelegt, in dem den. Genau vor solcher „Zwangsbeglückung“ sollten
ist Redakteur bei . es seine Erfahrungen mit dem Indigenen-Schutz zu- die Weltbank-Standards die Indigenen schützen.
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 21
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22 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Wie sieht vor Ort die Bilanz von zehn Jahren Cor-
rea für die Indigenen aus? Entlang der staubigen Pis-
te, die von Coca in die Kichwa-Gemeinde Huataraco
führt, hat die Regierung die Nase vorn. „Erdöl verbes-
sert deine Gemeinde“ steht auf den schon etwas an-
gerosteten Werbeschildern. Blaue Plastik-Klohäus-
chen unterstreichen die Botschaft. Aufgestellt wur-
den sie von Ecuador Estratégico, der 2011 gegrün-
deten Regierungseinheit, die das in der Verfassung
versprochene „gute Leben“ verwirklichen soll.
Hat der Erdölboom im Amazonas seit den 1970er
Jahren den Indigenen außer Schildern und Klohäus-
chen noch etwas gebracht? „Nun ja“, sagt Milton Al-
varado und überlegt: „Meine elf Kinder konnten alle
zur Schule gehen“, fällt dem 47-Jährigen aus Huata-
raco dazu ein. Die Schule ist ein einfacher, aber an-
sprechender Betonbau, ausgestattet mit Computern,
von denen die meisten allerdings wegen der Feuch-
tigkeit das Zeitliche gesegnet haben. Die Dorfjugend
ist längst mobil und damit beschäftigt, den ausländi-
schen Besuch mit Handykameras zu knipsen.
Dieser Fortschritt hat allerdings seinen Preis:
„Wir haben unseren Zusammenhalt verloren, unsere
Gebräuche, die traditionelle Kleidung“, klagt Alvara-
von der Indigenen-Organisation Ecuarunari aus do mit einem Seitenblick auf die Jugendlichen. Nicht
dem Süden des Landes. Keine andere Regierung alle im Ort haben Jobs bei der Erdölfirma bekom-
habe so viele Erdölkonzessionen vergeben. „Wo men, das habe Zwietracht gesät. „Und heute schaut
bleibt da der Respekt vor der Natur, wie ihn die Ver- jeder erst einmal mal nach sich selbst, das Gemein-
fassung verlangt?“ Der Abbau von Rohstoffen und schaftsleben verkümmert.“
F
die damit einhergehenden Umweltschäden sind ein
ständiger Konfliktherd. Erst vor kurzem gab es ge- rüher hat der brasilianische Staatskonzern Pe-
waltsame Zusammenstöße zwischen dem Militär trobras in Huataraco Öl gefördert. Er hat die
und Shuar-Indigenas, die sich gegen Schürfkonzessi- Schule bezahlt, ebenso einen Gesundheitspos-
Ecuador onen für einen chinesischen Bergbaukonzern auf ih- ten und die Straße in den Ort. Ein Kleinbus brachte
Pazifischer rem Stammesland zur Wehr setzten. Pérez ist schon die Kinder zur weiterführenden Schule. Doch dann
Ozean
KOLUMBIEN mehrfach bei Protesten festgenommen worden: lief die Konzession aus und ging zurück an den ecu-
„Diese Regierung verfolgt alle, die auch nur ansatz- adorianischen Staat. Seither gibt es keinen Bus mehr
weise nach Selbstverwaltung, traditioneller Bildung und keine weiteren Investitionen in soziale Dienste
oder Justiz streben, weil das für Correa hinterwäldle- oder Infrastruktur. Die Erdölpreise sind gefallen, die
QUITO Coca risch ist und dem Fortschritt im Weg steht“, kritisiert Unternehmen haben Personal abgebaut. Auch Mil-
Huataraco
Manta der 47-Jährige. ton Alvarado, der vier Jahre lang Hilfsarbeiter bei Pe-
ECUADOR
G
Yasuní- trobras war, hat seinen Job verloren. Er versucht nun,
Guayaquil Nationalpark
anz anders sieht das Carlos Viteri vom Volk seine brachliegenden zwei Hektar Land wieder zu
AN
digenen Organisationen sind von einer radikalen alt und leiden unter Kaffeerost. „Das Wasser ist vom
PERU
Gruppe unterwandert worden. Sie wird von NGOs Erdöl verseucht, und das Gas der Bohrtürme ver-
80 km finanziert, die den ‚guten Wilden‘ bewahren wol- schmutzt die Luft und stört die Blüte“, sagt Alvarado.
len“, entgegnet er. „Wir haben immer für bessere Le- Von Zeit zu Zeit schickt die Regierung Agrarfachleute
Gesamtbevölkerung (2014): 15.903.000
bensbedingungen, für Bildung, Gesundheit und Inf- vorbei, die Kurse abhalten, Dünger und Pestizide ver-
Indigene (2014): 1.100.000
rastruktur gekämpft. Und das kann nur der Staat ge- teilen und dann wieder gehen. Alvarado bekommt
Bevölkerungsanteil: 6,92%
währleisten.“ Bergbau und Erdölförderung sind für Sozialhilfe und hält sich gerade so über Wasser. Sei-
Indigene Völker: 32
Viteri legitime Finanzierungsmittel. Die Ressourcen ne Kinder sehen in Huataraco keine Zukunft, die äl-
Indigene Sprachen: 13
gehören laut Verfassung dem Staat, der vor dem Ab- testen sind schon in die Stadt gegangen. Doch auch
bau die Völker konsultieren muss. Ständig gibt es dort, in Coca, gibt es kaum noch Jobs. Wie alle Wirt-
© Quellen: UNESCO/IWGIA Streit, wie diese Konsultationen abzulaufen haben. schaftsbooms im Amazonas seit dem Kautschuk hat
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 23
auch dieser seinen Niedergang erlebt. Seit dem Ab- co Viteri, während er einen hölzernen Kreisel für sei-
sturz der Erdölpreise im Jahr 2014 stehen viele Häu- nen zweijährigen Sohn schnitzt. Zeit für die Kinder,
ser leer. gemeinsam spielen, jagen, fischen, sauberes Was-
Mit der Wirtschaft gehe es auf und ab, „aber die ser, eine zweisprachige, interkulturelle Bildung und
Indigenen bleiben und müssen weiter von und mit nicht zuletzt der Morgentee seien wichtig für das
dem Urwald leben“, sagt Priester Juan Carlos An- Überleben des Volkes von Sarayaku, sagt der 43-Jäh-
dueza, der seit mehr als zehn Jahren im Amazonas rige, der drei Jahre lang Vorsitzender der Konfödera-
lebt. Moderne Errungenschaften helfen nur bedingt tion der Amazonasvölker war. Erdöl gehört für ihn
– auch wenn sich das meist erst im Nachhinein he- nicht dazu.
rausstellt. Andueza deutet auf das moderne Blech- Deshalb haben es die blauen Plastikklos von Prä-
dach der Holzkirche: Ein Geschenk der Erdölfirma. sident Correa auch nicht bis nach Sarayaku geschafft.
Doch das ist nur auf den ersten Blick ein Fortschritt Dafür gibt es eine Gemeinschaftsbank und eine eige-
im Vergleich zu den herkömmlichen Dächern aus ne kleine Fluglinie. Das Geld dafür stammt aus der
Palmblättern: „Wenn die Sonne scheint, wird es in- staatlichen Entschädigung in Höhe von 1,2 Millio-
nen brütend heiß, und wenn es regnet, versteht man nen US-Dollar, die der Interamerikanische Gerichts-
sein eigenes Wort nicht mehr“, schimpft der Kapuzi- hof den rund 1200 Einwohnern von Sarayaku 2012
ner, dessen Arbeit vom katholischen Hilfswerk Adve- in einem Urteil zugesprochen hat. Sie sind die ers-
niat unterstützt wird. ten und bisher einzigen Indigenen, die einen Pro-
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24 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Frank Tiss hat 15 Jahre bei Urein- Woran glauben die Kulina? re sagte, er behandle niemanden über Glaubensfragen sprechen.
wohnern im Nordwesten Brasili- Sie haben animistische Glau- mehr, der zuvor beim Schamanen Da ging es zunächst darum, Ängs-
ens gelebt. Der niedersächsische bensvorstellungen. Einen mono- war. Der ist für die Kulina bei te gegenüber dem Christentum
Pastor erzählt, wie sie mit Missio- theistischen Schöpfergott wie die Krankheiten der erste Anlauf- abzubauen. Mir war wichtig, dass
naren umgehen und warum er kei- Christen kennen sie nicht. Die ers- punkt. Laut den Dorfbewohnern sie sehen, dass sie eine eigene, le-
nen einzigen Kulina getauft hat. ten Menschen sind aus verschie- hat der Missionar seine Drohung bendige Religion haben, die nicht
denen Kokos-Arten entstanden, in einigen Fällen wahrgemacht. minderwertiger ist als das Chris-
also aus der Verwandlung einer tentum. Sie haben nämlich oft zu
Materie. Die Kulina gehen davon Sie waren als Austauschpfarrer der hören bekommen, wenn jemand
aus, dass nicht nur der Mensch, Evangelischen Kirche in Deutsch- keine Bibel und keine Kirche hat,
sondern auch Tiere und Geistwe- land (EKD) bei deren brasiliani- könne das keine richtige Religi-
sen beseelt sind. Ihre Schamanen scher Partnerkirche beschäftigt. on sein. Und das haben sie selbst
sind in der Lage, alles miteinan- Mit welchem Verständnis von Mis- geglaubt. Ich habe gesagt, ihr
der in Beziehung treten zu lassen. sion sind Sie nach Brasilien gegan- braucht keine Bibel, weil bei euch
Durch sie als Mittler können die gen? die mündliche Tradition der My-
Geistwesen unter den Menschen Die Evangelische Kirche Lu- then noch funktioniert. Der Scha-
wirken. Das ist vor allem bei Hei- therischen Bekenntnisses in Bra- mane ist euer Priester, der Dorf-
lungsriten wichtig und bei Beer- silien hat 1982 den „Rat für Mis- platz eure Kirche.
digungen, weil das der Übergang sion unter indigenen Völkern“
von einer Daseinsform zu einer (COMIN) gegründet. Sein Ziel ist In Ihrem Buch schreiben Sie, Sie
anderen ist. es, dass wir uns als Christen soli- haben einen interreligiösen Dialog
darisch an die Seite dieser Völker mit den Kulina geführt. Was heißt
stellen, damit sie ihr Leben wie- das?
„Das Christentum war für die Indigenen der selbst bestimmen können. Ich musste zunächst zeigen,
bislang der Glaube der Eroberer, Das geschah aus der Erkenntnis dass christlicher Glaube dialogfä-
heraus, dass die traditionelle Art hig ist. Denn das war für sie bis-
derjenigen, die zerstören.“ der Mission, fixiert auf die Bekeh- lang der Glaube der Eroberer, der-
rung zum christlichen Glauben, jenigen, die zerstören. Der Durch-
mit Schuld ist an den Problemen bruch kam, nachdem ich eine
Wann begannen die Versuche, sie der Indigenen. Mit seinem Ein- Hörzeitschrift ins Leben gerufen
zum christlichen Glauben zu be- satz für Landrechte, Bildung oder hatte. Für die Kulina ist Schrift
kehren? Gesundheit zielt der COMIN auf nur der Schatten von Sprache, sie
Eine offensive Form von Mis- mehr als ihr Überleben, er möch- leben damit nicht so wie wir. Ich
sion hat in den 1960er Jahren be- te, dass sie „das Leben und volle habe mit ihnen Beiträge über die
gonnen, und zwar durch die US- Genüge haben sollen“, um es mit Unterschiede und Gemeinsam-
amerikanische New-Tribes-Missi- einem Bibelvers auszudrücken. keiten unserer Religionen auf-
on, die auch deutsche Mitarbeiter Das hat mich fasziniert. genommen. Das führte zu zahl-
hat. Ich habe zwei von ihnen ken- reichen Kommentaren und Ge-
nengelernt. Sie sind davon über- Wie sind Sie mit den Kulina ins Ge- sprächen. In Seminaren auf den
LITERATURTIPP: zeugt, dass die Kulina mit ihrer spräch über Religion gekommen? Dörfern habe ich mit biblischen
traditionellen Religion ihr Seelen- Ich habe zuerst bei der Demar- Texten gezeigt, wie Jesus lebte. Sie
Frank Tiss heil verspielen. Man will sie durch kation ihres Gebietes geholfen konnten kaum glauben, dass er
Nach dem Regenwald ein Dschungel Worte gewinnen, versucht aber und anschließend bei der Weiter- nicht reich und mächtig war, son-
Fünfzehn faszinierende Jahre mit auch, ihre Lebensform zu beein- bildung von indigenen Dorfschul- dern als einfacher Mensch unter
brasilianischen Ureinwohnern – und flussen. In einem der Kulina-Dör- lehrern mitgearbeitet. Erst später, einfachen Menschen lebte und
eine verwunderliche Rückkehr fer gibt es eine Missionsstation, nachdem ich ihre Sprache gelernt sich um Randgruppen geküm-
Mabase-Verlag, Neuendettelsau 2016, der eine Krankenstation ange- hatte und wir ein vertrauensvol- mert hat. Ich musste ihnen so-
214 Seiten, 15 Euro schlossen ist. Einer der Missiona- les Verhältnis hatten, konnten wir gar versichern, dass ich diese Ge-
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 25
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26 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Die verlorenen
Söhne
Indigene Guerilleros sollen in
den nächsten Monaten in
ihre Dörfer im Süden Kolum-
Von Toni Keppeler
biens zurückkehren. Mit
H
offenen Armen werden sie
dort nicht empfangen. ernán Fajardo sieht aus, noch erhaltenen Dokument.“ Re-
wie man sich einen Kazi- spektiert wurde das lange nicht.
ken vorstellt. Er ist groß, Unterstützt von Menschenrechts-
stark, stattlich. Das volle graue anwälten habe er einen dreißig
Haar hat er nach hinten ge- Jahre währenden Rechtsstreit aus-
kämmt. Über seiner westlichen getragen, bis das Schutzgebiet
Arbeitskleidung trägt er eine knie- 2006 staatlich anerkannt wur-
lange schwarze Kutte, auf seiner de, sagt Fajardo. Seither ist er die
Brust liegt eine Kette aus den Zäh- höchste Autorität, Friedensrichter
nen wilder Tiere. Wer sich mit ihm und zuständig für die Verteilung
an seinen groben Holztisch setzt, kollektiver Landtitel an die ver-
erfährt, was es bedeutet, wenn Ge- schiedenen Ethnien.
schichte nicht schriftlich, sondern Zu seiner Arbeit gehören lan-
mündlich weitergegeben wird. ge Fußmärsche, die manchmal
Man braucht Zeit. Fajardo erzählt auch gefährlich sind. Ein paar
gern; weitschweifig und gespickt hundert Meter hinter seinem
mit Details, die bisweilen so fan- Haus und den Schafställen begin-
tastisch anmuten, dass man nicht nen die mit Urwald bestandenen
weiß, ob man ihm glauben soll. Berge. Ganz hinten im Schutzge-
Er gibt gerne zu, dass er mit sei- biet, in 2000 Metern Höhe, lebe Die Provinz Putumayo galt wäh-
nen 59 Jahren „nur mit Mühe den ein Volk, das fast nackt durch den rend des gesamten Bürgerkrie-
Namen schreiben“ und allenfalls Dschungel streife und sein Terri- ges als sogenannte „rote Zone“ –
„sehr langsam lesen“ kann. Und torium mit Speeren und giftigen als Gebiet mit ständiger Guerilla-
doch ist er der höchste Kazike in Pfeilen gegen Eindringlinge ver- Präsenz und häufigen Gefechten.
einem mehr als 300.000 Hekt- teidige. Er könne nur gemeinsam Rund siebzig Prozent der Gueril-
ar großen Schutzgebiet, in dem mit einem jungen Mann dorthin, leros in Putumayo waren Indige-
9000 Indigenas leben. Eine Schu- der im Stammesgebiet geboren ne. Sie haben in den vergange-
le gibt es nicht. und später weggezogen sei und nen Jahren, viele sogar in den letz-
Hernán Fajardo gehört zum die spanische Sprache leidlich be- ten Jahrzehnten, kein anderes als
Volk der Awá und außer dieser herrsche. Der diene ihm als Dol- das Kriegshandwerk ausgeübt. Fa-
wohnen noch sechs weitere Ethni- metscher. Einmal sei ihm dort jardo wäre es am liebsten, sie kä-
en im „Resguardo de Orígen Colo- zum Mittagessen ein über dem men nicht zurück. Er traut ihnen
nial Gran Jardín de la Sierra“, dem Feuer gebratener menschlicher nicht, hält es für möglich, dass sie
Schutzgebiet „Großer Garten des Arm angeboten worden. sich weiterhin mit Waffengewalt
Gebirges“. Dessen Rechtstitel geht das nehmen, was sie zum Leben
auf die Kolonialzeit zurück und Der Kazike traut ihnen brauchen. „Aber wenn sie kom-
garantiert den dort lebenden indi- nicht über den Weg men, müssen wir sie aufnehmen“,
genen Völkern die politische und Fajardos größte Sorge sind der- sagt er. „Sie sind Kinder unserer
wirtschaftliche Kontrolle über das zeit andere Krieger: Ehemalige Völker.“
Gebiet. Es liegt im Süden Kolum- Kämpfer der Guerilla der „Revolu- In seinem Schutzgebiet leben
biens, in der Provinz Putumayo an tionären Streitkräfte Kolumbiens“ bereits ein paar ehemalige Gue-
der Grenze zu Ecuador. „Die Spa- (Farc), die nach dem Friedens- rilleros. Pablo Maya zum Beispiel,
nier haben uns 1806 Unabhängig- schluss im vergangenen Jahr in ein schmaler, jugendlich wirken-
keit zugestanden“, erzählt der Ka- den nächsten Monaten demobili- der Mann mit schwarzen Stoppel-
zike. „Und die gilt bis ans Ende der siert werden und in ihre Heimat- haaren und freundlichem Blick.
Welt, so steht es wörtlich in dem gemeinden zurückkehren sollen. Der 36-Jährige ist Awá wie der Ka-
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 27
zike. Sechzehn Jahre lang war er sen seither als Verräter. Und im
bei der Farc und kämpfte in der Krieg wurden Verräter erschos-
Nachbarprovinz Nariño. 2010 ist sen.
er desertiert, hat aber den Idealen
der Guerilla bis heute nicht abge- Manche Heimkehrer waren
schworen. „Die Farc war eine poli- 40 Jahre lang weg
tisch-militärische Organisation“, Seit gut sechs Jahren lebt Maya
sagt er. „Das Militärische ging mir mit seiner Frau und seinem klei-
irgendwann gegen den Strich, po- nen Sohn im Schutzgebiet in ei-
litisch aber denke ich immer noch ner Hütte auf einem Stück Land,
wie sie.“ das er geerbt hat. Strom gibt es
Der Umgang der Guerilla mit der dort nicht, Wasser nur aus einem
Zivilbevölkerung sei ihm mehr entfernten Brunnen. Trotzdem
und mehr zuwider gewesen: dass ist Maya zufrieden. „Für mich war
sie Leute, die verdächtigt wurden, die Rückkehr ins zivile Leben ver-
die rechten Paramilitärs zu unter- hältnismäßig einfach“, sagt er.
stützen, einfach erschoss. „Wenn Die Nachbarn kannten seine Ge-
man die Macht übernehmen will, schichte nicht, er fühlte sich si-
braucht man die Mehrheit der Be- cher. Und er hat Land, das er be-
völkerung auf seiner Seite“, sagt bauen kann. „Viele von denen, die
Pablo Maya. „Mit Waffengewalt in den nächsten Monaten zurück-
erntet man immer nur Ableh- kommen werden, sind als Jugend-
nung.“ Eines Nachts sei er schließ- liche gegangen. Manche waren
lich heimlich aus dem Guerillala- dreißig oder vierzig Jahre weg“, er-
ger geflohen. Sein Gewehr habe klärt er. „Die haben nicht einmal
er zurückgelassen. Trotzdem gilt einen Platz, auf den sie eine Mat-
Maya seinen ehemaligen Genos- ratze legen könnten. “
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28 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
Maya will ihnen helfen. Er ge- geworden. Die ständigen Helikop- Gesprächsgruppen zusammen,
hört zu einer Gruppe ehemali- terflüge von Ecopetrol hätten das um sie auf die Rückkehr vorzube-
ger indigener Farc-Kämpfer, die Wild immer tiefer in den Dschun- reiten. „Wir wissen, wo die Proble-
sich zum Ziel gesetzt haben, den gel getrieben. Er hat deshalb be- me liegen“, sagt er. „Wir haben das
demobilisierten Guerilleros die gonnen, Schafe zu züchten. alles selbst mitgemacht.“ Schon
Rückkehr in ihre Heimatgemein- Der zweite wichtige Rohstoff, allein das Schlafen in einem ge-
den zu erleichtern. Denn ihm ist den es neben Erdöl in Putumayo schlossenen Haus könne nach
klar: Viele Dorfälteste heißen die gibt, ist illegal: Kokasträucher, aus Jahren im Dschungelcamp Ängs-
ehemaligen Kämpfer ganz und deren Blättern Kokain gewonnen te auslösen.
gar nicht willkommen. Eine Hal- wird. Die Pflanzungen, meist nur
tung wie die des Kaziken Fajar- wenige Hektar groß, liegen ver- Bei Ungehorsam droht
do sei da fast noch verständnis- steckt im Dschungel. Für viele der die Hirschlederpeitsche
voll. Das mag damit zusammen- indigenen Kleinbauern sind Koka- Den ehemaligen Guerilleros müs-
hängen, dass Fajardo weiß, war- Blätter die wichtigste Einnahme- se man deutlich machen, dass sie
um sich so viele junge Indígenas quelle. Ein Hektar bringt umge- sich in ihren alten Gemeinschaf-
den Rebellen angeschlossen ha- rechnet rund 1200 Euro Gewinn ten erst einmal bewähren müss-
ben. In dem von ihm verwalte- im Jahr, viel mehr als Mais oder ten. In den sechs Monaten im De-
ten Schutzgebiet gibt es vor allem Bananen. Zudem wird die Ernte mobilisierungscamp müssten sie
zwei Gründe, sich gegen den Staat, von den Kokainmafias abgeholt. vor allem lernen, ihren Lebens-
die Armee und die mit ihnen ver- Früher hat die Farc die Kokabau- unterhalt zu verdienen. Tatsäch-
bandelten Paramilitärs aufzuleh- ern besteuert. Und die Paramili- lich sollen in diesen Lagern hand-
nen: Erdöl und Koka. tärs waren stets darauf erpicht, werkliche Ausbildungskurse an-
die Kontrolle über die Gegend geboten werden, für Schreiner
Das Öl hat die Fische getötet und damit über die Plantagen zu etwa oder Automechaniker.
„Erdöl wird hier seit sechzig Jah- übernehmen. Sie gingen sehr bru- Der Kazike Fajardo will Rück-
ren gefördert“, sagt Fajardo. Der tal vor. „Wenn die Paramilitärs kehrer unter die ständige Beob-
staatliche Energiekonzern Ecope- in ein Dorf kamen, haben sie oft achtung der Dorfältesten stellen.
trol habe sich das Land um die Öl- Dutzende von Menschen umge- „Wir werden sie an die ganz kurze
quellen einfach genommen, mit- bracht,“ erzählt der Kazike. Und Leine nehmen“, sagt er. „Sie müs-
ten im indigenen Schutzgebiet wenn danach die Farc vorbeizog, sen sich an unsere Regeln halten.“
und ohne zu fragen, ob die dort „hielten sie die Überlebenden für Und wenn sie sich etwas zu Schul-
lebenden Völker einverstanden Unterstützer der Paramilitärs“. den kommen lassen, habe man
sind. „Ich habe dagegen vor dem Die indigenen Völker seien immer die eigene Gerichtsbarkeit. Er holt
Interamerikanischen Menschen- zwischen den Fronten zerrieben eine sechsschwänzige Hirschle-
rechtsgerichtshof geklagt und vor worden. derpeitsche von ihrem Platz an
eineinhalb Jahren Recht bekom- Pablo Maya kennt diese Ge- der Wand, nimmt sie in die rech-
men“, sagt Fajardo. Ecopetrol hat schichte und versteht die Vorbe- te Hand und schlägt sich sanft auf
kein Recht, hier nach Öl zu boh- halte gegenüber Rückkehrern aus die Fläche der linken. Bei schlim-
ren. „Konsequenzen hat das Ur- der Guerilla. Er warnt davor, dass men Vergehen peitsche man ei-
teil bis heute nicht.“ die Integration ehemaliger Kämp- nen Delinquenten jedoch nicht
Der Schotterweg, der vom fer misslingt. „Wenn meine ehe- nur aus, sagt er. Man binde ihn
Städtchen Orito über Hügel und maligen Genossen keine Arbeit für ein paar Tage weit draußen im
durch Täler zu seinem Haus führt, und kein stabiles Umfeld finden, Dschungel an einen Baum und
wird auf der ganzen Strecke von werden viele auf das zurückgrei- lasse ihn allein. „Nachts werden
Pipelines begleitet. Wo sie her- fen, was sie können: mit der Waf- sie dann von Geistern gequält,
kommen, sieht man nicht. Die fe in der Hand überleben.“ Er be- man hört sie schreien.“ Und wenn
Ölquellen liegen, umzäunt und fürchtet, dass frustrierte frühere kein Angehöriger oder Freund ih-
von Wachleuten geschützt, im Guerilleros sich zu neuen Banden nen Wasser bringe, würden sie
Dschungel versteckt. Viele Pipe- zusammenschließen. Manche verdursten.
lines rosten, zum Teil sind sie in könnten sogar zu ihren ehemali- Er erzählt das mit freundli-
waghalsigen Konstruktionen über gen Todfeinden, den Paramilitärs, cher Miene. Er weiß, dass er Be-
Bäche hinweg oder direkt an Häu- überlaufen. „Hunger tötet jede sucher mit solchen Geschichten
sern vorbei gebaut. Für die Gue- Ideologie“, sagt Maya. erschrecken kann, und genießt
rilla waren diese Leitungen ein Um es nicht so weit kommen das ein bisschen. „Aber die westli-
leichtes Ziel für Sabotageakte – zu lassen, wollen Maya und sei- che Gerichtsbarkeit mit ihren Ge-
das gehörte zu ihrer Kriegsstrate- ne Gruppe, zu der Vertreter aller fängnissen ist für uns noch viel
gie. Dass dabei Öl in die Flüsse ge- in Putumayo lebenden indigenen schlimmer“, sagt er. Er hofft, dass
langte und die Fische getötet hat, Ethnien gehören, den Demobili- er die Peitsche nicht von der Wand
Toni Keppeler nahm die Farc billigend in Kauf. sierten bei der Integration helfen. holen muss. „Wenn die Rückkeh-
ist freier Journalist und berichtet für „Die Fischerei lohnt sich heu- Sie besuchen Kaziken und Dorf- rer arbeiten, sind sie willkommen.
mehrere deutschsprachige Zeitungen te nicht mehr“, sagt Fajardo, und älteste, rufen Familienangehöri- Wenn sie nur essen wollen, brau-
und Magazine aus Lateinamerika. auch das Jagen sei beschwerlich ge von ehemaligen Kämpfern zu chen wir sie nicht.“
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 29
Jahrhunderte
der Diskriminierung
In Indien kämpfen die Ureinwohner
der Adivasi für ihre Rechte –
und um das Überleben ihrer Kultur.
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30 SCHWERPUNKT INDIGENE VÖLKER
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INDIGENE VÖLKER SCHWERPUNKT 31
zeichnen sich lieber als Adivasi, um ihren Anspruch hen, sie wurden ihrer Wälder und damit ihrer Lebens-
als ursprüngliche Einwohner zu unterstreichen. Mit grundlagen beraubt.
einem Bevölkerungsanteil von 8,6 Prozent zählen sie „Adivasi sind die am stärksten diskriminierte
nach offiziellen Angaben rund 105 Millionen Men- Gruppe der indischen Gesellschaft“, meint der Histo-
schen. Die größten Völker wie Bhil, Gond und Santal riker und Schriftsteller Ramachandra Guha. „Sie ha-
sind viele Millionen Menschen stark. Die Jarawa und ben am wenigsten von der Demokratie und der wirt-
Onge auf den Andamanen-Inseln umfassen dagegen schaftlichen Entwicklung profitiert und am meisten
nur wenige hundert Individuen. Sie sind vom Aus- verloren.“ Die Regierung versucht das auszugleichen,
sterben bedroht. indem sie Adivasi und Dalits Arbeitsplätze in Behör-
A
den und öffentlichen Betrieben sowie Ausbildungs-
divasi sind die Nachfahren der indischen Ur- plätze in Schulen per Quotensystem reserviert. Ein
einwohner, die schon vor der Invasion von Gesetz stellt gewaltsame Übergriffe und Belästigun-
Hirtenvölkern aus Zentralasien den Subkon- gen gegen Mitglieder beider Gemeinschaften unter
tinent besiedelten. Es wird angenommen, dass die besonders schwere Strafen. Die Regierung betreibt In-
indogermanischen Nomaden von 1500 bis 1000 vor ternate für Adivasi-Kinder und bietet in der Trocken-
Christus im Norden Indiens einfielen. Aus ihrer Hei- zeit Arbeit für einen Mindestlohn an. Nach jahrzehn-
mat brachten sie die klassische Sprache Sanskrit und telangem Kampf gelang es Adivasi und ihren Unter-
die Veden mit, die ältesten Schriften der Hindus. Sie stützern im Jahr 2006, ihre traditionellen Nutzungs-
unterjochten die ansässige Bevölkerung und nutz- rechte an den Wäldern zurückzubekommen, die die
ten ihre Arbeitskraft. Um sich von ihnen abzugren- britische Kolonialverwaltung abgeschafft hatte.
zen, behandelten die Eroberer die Ureinwohner als Die Zivilgesellschaft engagiert sich ebenfalls für
„Unberührbare“, die nicht zur hinduistischen Kas- die wirtschaftliche Entwicklung sowie für die Durch-
tengesellschaft gehören. setzung der Bürgerrechte von Adivasi. Die zahlrei-
chen Hilfen konnten Armut und Ausgrenzung je-
doch allenfalls mildern. Die jahrhundertealte Diskri-
minierung besteht fort. Interessenverbände von Da-
lits und Adivasi klagen, die Gesetze zur Förderung
und Nicht-Diskriminierung von Angehörigen beider
Gemeinschaften gälten nur auf dem Papier. Gewalt-
taten gegen Dalits und Adivasi werden häufig nicht
einmal registriert, geschweige denn strafrechtlich
verfolgt.
Die verbrieften Rechte am Wald müssen Dorf-
gemeinschaften gegen den zähen Widerstand der
Forstverwaltung durchsetzen, häufig über den Um-
weg von Gerichtsverfahren. Kaum ein Geschäfts-
mann mag junge Adivasi einstellen, auch wenn sie
gut ausgebildet sind. An den Schaltstellen der Gesell-
schaft sind sie kaum vertreten: Unter Richtern, Leh-
rern und Professoren, bei Unternehmerverbänden
und in wichtigen Behörden muss man Adivasi bezie-
hungsweise Dalits mit der Lupe suchen.
Auch die Adivasi-Akademie in Tejgadh ist den Re-
geln des Kastensystems unterworfen. Ihrem Grün-
dervater Ganesh Devy ist es daher nicht gelungen,
das Projekt in die Hände der Adivasi zu überführen.
Mittelständische Hindus treffen die Entscheidungen,
Adivasi können bestenfalls mitbestimmen. Beim Un-
terricht sitzen die Lehrer auf Stühlen, während die
Schüler auf dem Boden Platz nehmen. Ganesh Devy
hegt die Hoffnung, traditionelle Hierarchien könn-
Ein Bhil-Mäd- Deren Nachfahren bezeichnen sich heute als „Da- ten in der Zukunft überwunden werden. Der Weg ei-
chen bereitet lits“, die Gebrochenen. Ein Teil der ursprünglichen ner nicht nachhaltigen Entwicklung, dem große Teile
Fladenbrot zu. Bevölkerung entzog sich jedoch der Unterdrückung der Menschheit folgen, werde zwangsläufig zu der Er-
Viele der durch den Rückzug in bewaldete Bergregionen. Dort kenntnis führen, dass der Lebensstil der Adivasi der
Adivasi-Völker konnten sie ihre Lebensweisen pflegen und ihre Kul- einzig richtige ist. „Wenn unsere Städte unbewohn-
leben unter turen bewahren. Doch seit der britischen Kolonial- bar werden, müssen wir uns damit beschäftigen, wie
einfachsten zeit werden ihre Siedlungsgebiete erschlossen, weil man sich gemeinsam engagiert, wie man Dinge mit
Bedingungen. sie wertvolle Ressourcen wie tropische Hölzer, Koh- wenig Geld bewegt, ein genügsames Leben führt, das
le und andere Mineralien sowie wasserreiche Flüsse weniger Ressourcen braucht,“ sagt Devy. „Falls die in- Rainer Hörig
bergen. Heute können sich die meisten Adivasi kaum digenen Gemeinschaften es schaffen, bis dahin zu ist freier Journalist
noch dem Einfluss der Mehrheitsbevölkerung entzie- überdauern, dann werden sie die Trendsetter sein.“ in Pune (Indien).
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32 BEWEGUNGSMELDER HERAUSGEBERKOLUMNE
D
der (G20) vor. Zum anderen
dürfte auch im Wahlkampf ie Bundesregierung rückt im Jahr ihrer G20-Präsidentschaft Afrika ins po-
um die französische Präsi- litische Blickfeld. Deshalb gibt es im Juni eine Afrika-Konferenz in Berlin,
dentschaft im Mai und zum http://blogs.die-gdi.de/ der Finanzminister plant einen „Compact with Africa“, um dort private In-
Deutschen Bundestag im en/africaalliances/ vestitionen sicherer zu machen, und Entwicklungsminister Müller hat im Janu-
September eine Rolle spielen, ar Eckpunkte für einen „Marshallplan mit Afrika“ vorgelegt – schon dem Namen
wie man die Zusammenar- nach das ehrgeizigste und umfassendste Vorhaben.
beit mit afrikanischen Regie- Gut, dass sein Ministerium die Gunst der Stunde nutzt, um über Fluchtursa-
rungen gestalten soll – nicht chen und ihre Bekämpfung zu diskutieren und in deutschen Unternehmerkrei-
zuletzt mit dem Ziel, dass weniger Men- sen mehr Aufmerksamkeit auf die Potenziale und Entwicklungschancen Afrikas
schen aus Afrika nach Europa kommen. zu lenken. Entwicklungs- und Finanzminister sind sich außerdem einig, dass die
Aus diesem Grund hat das Deutsche Insti- Beschäftigungschancen in den afrikanischen Staaten wachsen müssen und dass
tut für Entwicklungspolitik (DIE) den Blog es privater Investitionen sowie stabiler und inklusiver Finanzsysteme bedarf. Ei-
http://blogs.die-gdi.de/en/africaalliances/ nen „Big Push“, wie ihn der Name „Marshallplan“ ver-
(#AfricanAlliances) gestartet. Er bietet bis spricht, kann es allerdings nur geben, wenn der
zur Jahreswende eine Diskussionsplattform Vorstoß auch in anderen Ministerien auf Reso-
dazu, wie nachhaltige Entwicklung in Afrika nanz stößt und zu einer entsprechenden Ge-
vorangebracht werden kann. Er soll Gastau- samtkonzeption der Afrika-Politik führt.
toren aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft Denn natürlich – und das stellt der „Mar-
und Gesellschaft zu Wort kommen lassen. shallplan“ zu Recht heraus – kann Entwick-
Das könnte vor allem im Vorfeld des EU- lungshilfe nicht alles richten. Solange Han-
Afrika-Gipfels im November spannend wer- dels- und Außenwirtschaftspolitik nicht faire
den – je nach den Diskussionsbeiträgen, die Rahmenbedingungen schaffen und sicherstel-
auf dem Blog gepostet werden. Im Moment len, dass auch die afrikanischen Gesellschaf-
sind dort eher allgemein gehaltene Aufsätze, ten von Handel und Investitionen pro-
etwa zur nachhaltigen Entwicklung und In- fitieren, erzeugt staatliche Entwick-
dustrialisierung Afrikas oder zum „Compact lungshilfe kaum Schubkraft. Solange
with Africa“. Aber das ist ja erst der Anfang. deutsche und europäische Regierungen Cornelia Füllkrug-Weitzel
(erb) durch ihre Klimapolitik, Rüstungsexpor- ist Präsidentin von Brot für die Welt
te oder sicherheitspolitische Zusammen- – Evangelischer Entwicklungsdienst.
FÜNF FRAGEN AN …
Beitrag für gerechte Wirtschafts- und Han- dass unser Wohlstand oft auf anderer Leute
Jutta Meissner ist Fachbereichs- delsformen, für ein besseres Leben.“ Diese Armut beruht. Warum sind denn die italieni-
leiterin der Johanniter für Devise gilt noch immer für mich, auch wenn schen Tomaten so billig? Wieso bekomme ich
Südostasien und Lateinamerika. ich bald in Rente gehe. für 15 Euro ein Paar Jeans? Warum kosten die
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BEWEGUNGSMELDER 33
33
arbeit den Frieden Afrikas untergraben, sollte sich keiner beklagen, dass Ent-
wicklungspolitik nicht bewirkt, was man sich von ihr erhofft: nämlich Bleibeper-
spektiven in den Herkunftsstaaten zu schaffen. Nicht zuletzt deshalb wäre es bei
den anstehenden Verhandlungen hilfreich, Anregungen der Marshallplan-Initi-
ative zu beherzigen. Zum Beispiel die, den afrikanischen Staaten die Möglichkeit
zu lassen, schwache Sektoren wie die eigene Agrarproduktion durch Schutzzöl-
le zu stärken. Auch sollte man den Hinweis auf eine neue Schuldenspirale ernst
nehmen und strenge Kriterien für verantwortliche Kreditvergabe und -aufnah-
me, wie sie von der UNCTAD vorgelegt wurden, verbindlich anwenden. Zudem
braucht es einen verbindlichen Rechtsrahmen für die faire Umstrukturierung
untragbarer Schuldenlasten. Durch den März mit …
Die Erkenntnis, dass die
Standards für Menschenrechte, nötige Entwicklung Afrikas Tillmann Elliesen
vor allem Chancengleichheit
Soziales und Umwelt sind die
für afrikanische Produzen- Diesen Monat gilt es Daumen halten für
Grundlage für Zusammenarbeit. ten braucht, schlägt sich in unsere Freundinnen und Freunde in
der deutschen und europäi- den Niederlanden. Denn unsere Nachbarn
schen Investitions- und Han- wählen am 15. März ein neues Parlament.
delspolitik noch nicht verbindlich nieder. Standards für Menschenrechte, Sozia- Wenn es schlecht läuft, gewinnt die rechtspo-
les und Umweltschutz müssen die Grundlage für jegliche Zusammenarbeit bil- pulistische Freiheitspartei von Geert Wil-
den; an sie gilt es die avisierten staatlichen Investitionsförderungen zu koppeln. ders. Das wäre nicht nur für die Niederlande
Die Debatte um den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzi- traurig, sondern auch für das übrige Europa.
pien Wirtschaft und Menschenrechte ist kürzlich genau daran gescheitert. Denn ein Sieg von Wilders würde den Mini-
Es ist richtig, von den afrikanischen Regierungen Good Governance zu for- Trumps und Möchtegern-Abendlandrettern
dern und Afrikas Eliten anzuprangern, die oft selbst die Urheber von Problemen überall in der Europäischen Union einigen
sind. Aber Bundesregierung und EU müssen sich auch in ihrem eigenen Han- Auftrieb geben. Um das zu verhindern, reicht
deln konsequent an die Leitsätze des Guten Regierens halten, was sie nicht im- Daumen halten vielleicht nicht. Wie wäre
mer tun. So fördert die Bundesregierung im Rahmen des Khartum-Prozesses in- es mit: „Opstaan! – Aufstehn!“, so wie es die
direkt Länder wie Eritrea und Sudan – und damit anerkannte Menschenrechts- niederländischen Politrocker „bots“ schon
verletzer, die laut Transparency International zu den zehn korruptesten Län- vor 35 Jahren in ihrem größten Hit vorge-
dern weltweit gehören –, um sich „Flüchtlinge vom Hals zu halten“. Eine solche schlagen haben – ältere Leser und Leserin-
Botschaft an Afrika, dass man die Menschenrechte je nach Sachlage doch nicht nen erinnern sich vielleicht. Damals ging
so ernst nehmen muss, können auch die Ambitionen eines Marshallplans nicht es noch gegen Atomkraftwerke und Poli-
übertönen. Derlei Inkohärenz abzustellen, wäre ein wichtiges Ergebnis der Initi- zeiknüppel, heute geht es um unseren Hei-
ativen der Bundesregierung. matkontinent. Also „Opstaan für Europa!“
Es bleibt abzuwarten, wie die AU und die Staaten Afrikas die Initiativen auf-
nehmen, an deren Entwicklung sie nicht beteiligt waren. Jetzt sollten sie erst Aufstehen werden vermutlich auch einige ge-
einmal auf Augenhöhe an der Diskussion beteiligt werden, so dass das Ge- gen das Gipfeltreffen der 20 größten Indus-
spräch dem von Minister Müller angekündigten Ende der Geber-Nehmer-Be- trie- und Schwellenländer, der sogenann-
ziehungen entspricht. ten G20, im Sommer in Hamburg. Ausge-
rechnet am Tag der Niederlande-Wahl trifft
sich in Bonn zur Vorbereitung schon mal
die G20-Arbeitsgruppe der Entwicklungs-
politik. Worüber sie reden wollen, war bis
Redaktionsschluss zumindest in zivilge-
sellschaftlichen Kreisen noch unklar. Ir-
Smartphones immer weniger? Ich möchte all Was ist schief gegangen und warum? gendwie wird es wohl um die Umsetzung
denen die Zusammenhänge klarmachen, die In einem Entwicklungsprojekt am Ama- der Agenda 2030 und der darin enthalte-
billige Sachen einfach nur cool finden. zonas wurden für Indigene, die nur sehr nen Nachhaltigkeitsziele gehen. Man muss
dürftige Unterkünfte hatten, ebenerdi- heute ja schon froh sein, wenn Regierun-
Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz? ge Häuser aus Holz mit jeweils einem klei- gen überhaupt noch einigermaßen ver-
Wenn es uns gelingt, die Menschen vor nen Obergeschoss gebaut. Die neuen Häuser nünftig miteinander reden und versuchen,
Ort in ein Entwicklungsprojekt einzubinden, wurden feierlich übergeben; die örtliche Ge- globale Probleme gemeinsam zu lösen.
bin ich sehr stolz - denn das ist nicht selbst- meinschaft bedankte sich freundlich. Einige
verständlich. Gerade bei Frauenprojekten Monate später mussten wir aber feststellen: Was mich zum Welttag der Poesie am 21. März
dauert es oft lange, Zugang zu den Betroffe- Niemand wollte einziehen. Der Grund: Eben- und noch einmal zu den „bots“ bringt. Was
nen zu erhalten. Ob sie gerne Unterstützung erdig wohnten traditionell lediglich die Tie- haben die 1980 gesungen? „Es gibt so viele,
beim Maisanbau oder in der Hühnerzucht re, und die Obergeschosse waren schlicht zu die wie Du auf bessere Zeiten warten /
hätten oder einfach nur Schulgeld für ihre klein für die Familien mit ihren zahlreichen Wo keiner sich mehr Angst um morgen
Kinder – dazu äußern sich viele Frauen erst Mitgliedern. Man muss eben mit den Betrof- macht / Aber unser Morgenrot kommt nicht
nach langer Zeit, manchmal gar nicht, und fenen vorher reden. nach einer durchgeschlafenen Nacht.“
erst recht nicht in Gegenwart der Männer. Das Gespräch führte Barbara Erbe. (Siehe auch Seite 11.)
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34 WELT-BLICKE XXX
Wahlsieg
„Made in USA“?
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GAMBIA WELT-BLICKE 35
dom House gearbeitet hat. Gegenwärtig stützt sich und weshalb ihn unser Schicksal interessiert“, twit-
Vanguard Africa hauptsächlich auf die Mittel seiner terte jemand. Er steht für eine Minderheit. Doch die
Gründer. Sie hoffen, bald auch Geld von Familien- Skepsis, die er ausdrückt, zeigt auch, dass es für Van-
stiftungen und Unternehmen zu erhalten, um „de- guard nicht einfach ist, Demokratie von der anderen
mokratischen Außenseitern“ auf dem afrikanischen Seite des Globus aus zu unterstützen.
Kontinent kostenlos Hilfe anbieten zu können. Dennoch könnten nichtstaatliche Organisatio-
Im Vorfeld der Wahl in Gambia beriet die Orga- nen wie Vanguard derlei Aufgaben unter der neuen
nisation Kandidaten, die es wagten, gegen Jammeh US-Regierung stärker wahrnehmen als bisher. Denn
anzutreten, in Sachen Wahlkampf und Öffentlich- die scheint entschlossen, Amerikas Engagement
keitsarbeit. Jammeh war 1994 durch einen Militär- im Ausland zurückzufahren. In seiner Antrittsrede
putsch an die Macht gekommen. Menschenrechts- hat Donald Trump erneut die Parole „America First“
Jubel in Gambias Hauptstadt: organisationen werfen seiner Regierung vor, Oppo- ausgegeben. Gut möglich also, dass die USA der bis-
Adama Barrow zieht Ende sitionelle, Journalisten und Angehörige der LGBT- lang traditionellen Förderung demokratischer Be-
Januar als neuer Präsident in Gemeinde festzunehmen und zu foltern. Smith strebungen in anderen Ländern fortan weniger Ge-
Banjul ein (links). knüpfte Kontakte zu internationalen Journalisten, wicht beimessen.
CARL DE SOUZA/AFP/GETTY IMAGES; damit sie über die Wahl in Gambia berichteten, ver- Steven Feldstein, der für das zum US-Außenmi-
breitete über soziale Medien die Namen der Kandi- nisterium gehörende Amt für Demokratie, Men-
Kaum hat der Autokrat das daten und informierte regelmäßig in Nachrichten- schenrechte und Arbeit tätig ist, meint: „Leute, die
Land verlassen, da kehren sendungen über das Thema. sich für Demokratie engagieren, sind gerade sehr
W
Hunderte geflohene Gambier verunsichert, wie es weitergeht.“ Dennoch würden
aus dem Senegal mit einer ährend die Menschen auf den Straßen von diese Organisationen ihre Arbeit in den USA wahr-
Fähre zurück (rechts). Banjul den Wahlsieg von Barrow feierten, scheinlich fortsetzen. Gruppierungen wie das Nati-
ANDREW RENNEISEN/GETTY IMAGES kamen über Twitter Dankesnachrichten onale Demokratische Institut, die Regierungsgelder
an Smith und Vanguard herein. „Herzlichen Dank an für Demokratieförderung erhalten, haben seit jeher
Jeffrey Smith, einen wahren Freund Gambias“, lau- die Unterstützung von Politikern beider Parteien;
tete ein Tweet: „Viele haben uns links liegenlassen, andere sind privat finanziert.
aber du warst immer an unserer Seite.“ Auch wenn Autokratische Regierungen in Afrika hielten sich
Smith versuchte, die Aufmerksamkeit auf die Leis- oft mit Hilfe von Geld, Bestechung und Beschnei-
tung der gambischen Wähler zu lenken, rückten die dung von Informationsmöglichkeiten an der Macht,
Medien vor allem Vanguard ins Rampenlicht. Man- sagt Feldstein. Deshalb könnten Oppositionsparteien
che stellten seine Motive in Frage. „Wir sollten uns ohne Hilfe von außen kaum einen tragfähigen Wahl-
vor allem fragen, wer @Smith_JeffreyT eigentlich ist kampf auf die Beine stellen. „Die Arbeit, die Vanguard
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36 WELT-BLICKE GAMBIA
leistet, schafft einen Ausgleich, denn sonst begünsti- den Oppositionsführer Simbabwes, der gegen den
gen alle Umstände die Amtsinhaber“, sagt er. diktatorischen Präsidenten Robert Mugabe antrat.
Viele dieser prodemokratischen Gruppen enga- Einige Projekte von Trippi und Christopher Har-
gieren sich in Afrika, wo die Demokratie in den ver- vin aus der Zeit vor der Gründung von Vanguard sind
gangenen Jahrzehnten Fortschritte gemacht hat. umstritten. Beide arbeiteten 2011 für die Regierung
Doch die Aufgaben bleiben groß: 2015 bemühten sich von Bahrain, die zuvor mit Gewalt Proteste niederge-
die Staatschefs von Ruanda, Burundi und der Demo- schlagen hatte. Harvin, der auch für Donald Trump
kratischen Republik Kongo, die Begrenzungen ihrer Wahlkampfauftritte organisiert und Pressearbeit ge-
Amtszeit aufzuheben, und 2016 überschatteten Ge- macht hat, ist überzeugt, er habe damit einem wich-
walt und Korruption die Wahlen in Uganda, Somalia tigen Verbündeten Amerikas in einer unruhigen Re-
und Gabun. gion geholfen. Trippi wollte damals über soziale Me-
dien den Dialog zwischen den Bürgern und der Re-
gierung in Bahrain verbessern, zog sich aber nach
Vanguard ermöglicht politischen Außenseitern einigen Monaten zurück, weil er keine Fortschrit-
te sah. Nach wie vor steht er hinter diesem Versuch,
jene Art von Öffentlichkeitsarbeit, die sonst
räumt jedoch ein: „Wahrscheinlich war es naiv, anzu-
wohlhabenden Autokraten vorbehalten ist. nehmen, man könne dies in einem solchen Umfeld
erreichen.“
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RUANDA WELT-BLICKE 37
Mit Pilzen A bseits auf einem Hügel im südlichen Ruanda hat ein
Team chinesischer Agrarwissenschaftler auf 22 Hek-
tar Fläche Reisfelder, Gräben mit Pilzen und Reihen
von Maulbeerbäumen angelegt. Lagerhäuser aus Beton um-
Gewinn
geben ein Gebäude, in dem Workshops über Seidenraupen-
zucht, Bodenschutz und Reisanbau stattfinden. In einem
Ausstellungsraum liegen auf einer Tischtennisplatte vaku-
umverpackte Pilze, Reissäcke und getrocknete Halme des
vor Ort angebauten Weizens. So präsentiert sich eins der be-
machen
deutendsten chinesischen Hilfsprojekte in Afrika: die „Land-
wirtschaftlichen Demonstrationszentren“. Sie sollen helfen,
die afrikanische Landwirtschaft zu modernisieren, und sie
sollen chinesischen Unternehmen als Sprungbrett auf neue
Märkte dienen. In ganz Afrika gibt es mittlerweile 23 dieser
Zentren.
In Ruanda vermitteln chinesische Agrarwissenschaftler
einheimischen Bauern die verborgenen Vorzüge von Pilzen:
China will Bauern in Afrika zeigen, wie sie Sie wachsen schnell – selbst auf schlechten Böden –, brau-
mehr aus ihren Böden holen können. chen wenig Platz und enthalten viele Proteine und ande-
re Nährstoffe. Nach einer fünftägigen Schulung absolvie-
Die Volksrepublik hat dabei auch eigene ren die Workshopteilnehmer einen Kochkurs, in dem sie ler-
Interessen im Blick. nen, Gerichte wie „Liangban mu-er“ zuzubereiten, einen Sa-
lat aus Baumohr-Pilzen mit Karotten und Gurken, oder Pilze
in Tee zu schmoren. „Westliche Länder geben Geld, wir ma-
Von Lily Kuo chen das hier“, sagt Hu Yingping, der Leiter des Zentrums.
„Wir wollen afrikanische Länder an den chinesischen Errun-
genschaften und Erfolgen aus den Landwirtschaftsreformen
der vergangenen 30 Jahre teilhaben lassen.“
Landwirtschaftliches Fachwissen gehört zu Pekings äl-
testen Exportgütern nach Afrika. In der Hoffnung, den So-
Süd-Süd-Austausch in Ruanda:
Ein chinesischer Mitarbeiter in Huye
mit einheimischen Kindern.
LILY KUO
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38 WELT-BLICKE RUANDA
zialismus in die gerade unabhängig gewordenen af- Team mehr als Tausend Ruander wie Emeritha Nyi-
rikanischen Länder zu tragen, errichteten Agrarwis- vabizimana in einer besonderen Art der Pilzzucht
senschaftler der chinesischen Regierung seit den geschult. Die Juncao oder „Pilzgras“ genannte Me-
1960er Jahren überall auf dem Kontinent Muster- thode wurde in den 1980er Jahren von der Univer-
farmen und Schulungszentren. Die Hilfszusagen sität für Land- und Forstwirtschaft Fujian im Südos-
Chinas an die afrikanische Landwirtschaft wachsen ten Chinas entwickelt. Hu sieht darin die ideale Me-
schnell, nach Schätzungen haben sie sich zwischen thode für Ruanda, denn als Nährboden dienen nicht
2000 und 2013 auf rund 280 Millionen Euro nahe- wie üblich Sägemehl, sondern Gräser und landwirt-
zu verfünffacht. schaftliche Abfallprodukte. Zusätzliche Flächen für
P
die Holzproduktion sind also nicht nötig – ein Vor-
eking tut das nicht aus reiner Nächstenliebe – teil für Ruanda, das Land mit der dritthöchsten Be-
auch wenn der Vorwurf mancher Kritiker wahr- völkerungsdichte in Afrika.
scheinlich übertrieben ist, China wolle Afrika Nach Hus Einschätzung werfen Pilze rascher Ge-
nur als eine Art Anbaufläche für die eigene Ernäh- winn ab als traditionell in Ruanda angebaute Feld-
rung nutzen. Das Vorführzentrum in Huye im Süden früchte. So bringt ein Quadratmeter nach nur acht
von Ruanda soll zu einem rentablen Unternehmen Tagen schon 80.500 Ruandische Franc (etwa 90
werden, das Bauern landwirtschaftliches Gerät ver- Euro); bei Hirse oder Mais dauert das sechs Monate.
kauft und aus ihrer Ernte Produkte wie Pilzpulver Hinzu kommt, dass getrocknete Pilze bis zu einem
oder getrocknete Pilze herstellt. Potenzielle Abneh- Jahr aufbewahrt werden können.
mer sind Ruandas Nachbarn ebenso wie Europa und Auch andere Unternehmer in Ruanda sehen das
China. Potenzial der Pilze. „Ich bin fest davon überzeugt,
„Die Chinesen wollen von Afrika nicht in erster dass wir sämtliche Vorteile eines Pionierunterneh-
Linie Nahrungsmittel. Sie wollen Geschäftsmöglich- mens haben werden, wenn wir jetzt damit anfangen.
keiten und größere Marktanteile für chinesische Ag- In den kommenden fünfzehn Jahren wird Ruanda
rarfirmen. Und sie wollen das Bild von China als dem zum größten Pilzproduzenten nördlich von Südaf-
wahren Freund Afrikas bestätigen“, sagt Yun Sun, Sti- rika“, sagt Laurent Demuynck, der Leiter von Kigali
pendiat an der Brookings Institution in Washington. Farms, einem Unternehmen, das Champignons an-
China produziert vier Fünftel der Pilze weltweit und baut. Demuynck betont, Pilze lieferten die für die
ist damit der größte Hersteller und zugleich Abneh- Ernährung der Ruander nötigen Proteine. Die meis-
mer des „weißen Gemüses“. Die landwirtschaftlichen ten Familien hier ernähren sich von Hülsenfrüch-
Zentren sollen Chinas Ruf in Afrika als Partner stär- ten, Bananen, Maniok und Hirse, dem in Ruanda am
ken, der ihre Eigenständigkeit fördert. Sie sind zu- weitesten verbreiteten Getreide. Laut dem US-Land-
gleich ein Übungsgelände für chinesische Unter- wirtschaftsministerium enthalten Austernpilze drei
nehmen, die expandieren wollen. Die Zentren ver- Mal so viel Protein wie Hirse und etwa ein Drittel
wischen die Linie zwischen Hilfe und Geschäftsinte- mehr als Ziegenfleisch. Bisher wächst die Industrie
ressen; das bringt eine sowohl für China als auch für allerdings noch langsam. Laut der Regierung hat Ru-
Afrika schwierige Mischung hervor. anda im vergangenen Jahr 70 Tonnen Pilze produ-
Ein paar Kilometer vom Vorführzentrum ent- ziert – verschwindend wenig im Vergleich etwa zu
fernt befindet sich eine in freundlichem Weiß und Mais, von dem schätzungsweise 1,5 Millionen Ton-
Mintgrün gehaltene Ansammlung von Gebäuden, nen jährlich in dem Land erzeugt werden.
das Imanzi Spectrum Center. Hier widmet sich Eme- Die Vermischung von Geschäftsinteressen
ritha Nyivabizimana, eine von Hu Yingpings ehe- und Entwicklungshilfe soll chinesische Landwirt-
maligen Studentinnen, der Zucht und dem Verkauf schaftsprojekte auf Dauer lebensfähiger machen.
von Champignons und Austernpilzen. Sie verwen- „Die Chinesen haben erkannt, was bei ihren frühe-
det Geräte und Material, das sie aus China mitge- ren Hilfsprogrammen falsch gelaufen ist. Kaum hat-
bracht hat, wo sie drei Monate gearbeitet hat. Eins ten sie sie der Regierung des Empfängerlandes über-
ihrer größten Probleme: Die Ruander mögen Pilze geben, hat sich niemand mehr richtig darum ge-
nicht besonders. Einem alten Aberglauben zufolge, kümmert und die Erträge aus den Projekten gingen
der die Leute davon abhalten soll, giftige Wildpilze zurück“, sagt Deborah Brautigam, die Leiterin der
zu verzehren, verliert ein Bauer eine Kuh, wenn er China-Afrika-Forschungsinitiative an der Johns-Hop-
einen Pilz isst. In der Hauptstadt Kigali stehen sie kins-Universität.
H
nur in gehobenen Restaurants auf der Speisekarte.
Nyivabizimana wirbt auf Facebook, verkauft an eute hingegen bewerben sich landwirtschaft-
ihre Nachbarn, an lokale Lebensmittelgeschäfte und liche Unternehmen und Institutionen aus
Restaurants. Auf die Verpackung druckt sie Rezept- China um den Bau und den Betrieb von Vor-
vorschläge. Wie ihre Lehrer aus China bietet sie Kur- führzentren, die zunächst vom chinesischen Han-
se über die Zubereitung von Pilzsuppe oder Pilz- delsministerium finanziert werden. Nach Ablauf
cremesauce an. Ihr Ziel ist, die örtlichen Bauern dazu von drei Jahren sollen die Zentren Geschäftsmög-
zu bringen, selbst Pilze zu züchten, die das Imanzi lichkeiten erschlossen haben, die sie finanziell unab-
Spectrum Center weiterverarbeitet und verkauft. hängig machen. Haben chinesische Unternehmen
In den fünf Jahren seit Eröffnung des chinesi- mit ihren Produkten und Dienstleistungen erst ein-
schen Landwirtschaftszentrums haben Hu und sein mal Zugang zu neuen Märkten gefunden, wächst der
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RUANDA WELT-BLICKE 39
Anreiz zu bleiben. Die Empfängerländer wie Ruanda die das Zentrum mit dem Verkauf von Sporen und
erhalten technologisches Know-how, das sie brau- Nährboden für die Pilzzucht verdient, deckt die Kos-
chen, um ihre Anbaumethoden zu verbessern. ten nicht. „Geld ist in der letzten Zeit zum Problem
Dieser Ansatz mit einem Fokus auf beiderseiti- geworden“, sagt Hu Yingping und räumt ein, dass er
gem Nutzen ist charakteristisch für die chinesische als gelernter Agrarwissenschaftler wenig Erfahrung
Entwicklungshilfe. Häufig wird er mit Darlehen und mit der Leitung eines Betriebes hat. Er listet die Aus-
Investitionen kombiniert, die für ein reibungslose- gaben des Zentrums auf: „Wir brauchen Geld für
res Funktionieren der chinesischen Projekte in Af- Schulung und Ausbildung, für die Löhne der einhei-
rika sorgen sollen. Agrarzentren wie das in Ruanda mischen Arbeiter, für Strom- und Wasserrechnun-
„veranschaulichen die chinesische Herangehenswei- gen, für den Wachdienst. Wenn Bauern zur Schulung
se an Entwicklungszusammenarbeit, bei der nicht kommen, müssen wir für ihren Transport, für Ver-
zwischen Hilfe, Diplomatie und Handel getrennt pflegung und Unterkunft aufkommen.“
D
wird“, sagt Ian Scoones, Agrarökologe vom Institut
für Entwicklungsforschung an der Universität von ie landwirtschaftlichen Zentren konkurrieren
Sussex. in manchen Fällen mit den einheimischen
Allerdings funktioniert das nicht immer. Das Bauern und Betrieben, die sie eigentlich un-
Zentrum in Ruanda bleibt in seinem Bemühen um terstützen sollen. Laut einem örtlichen Unterneh-
Unabhängigkeit hinter dem Zeitplan zurück, und die mer verkauft das Zentrum in Huye Nährboden für
Zuschüsse von der Universität für Land- und Forst- Pilze billiger als zu Marktpreisen. „Wenn Sie mich fra-
wirtschaft Fujian sind begrenzt. Die kleine Summe, gen, ist da etwas durcheinandergeraten. Erst helfen
sie dem privaten Sektor aus den Startlöchern, um
ihn dann gewissermaßen zu zerstören“, sagt er. Zent-
rumsleiter Hu streitet das ab.
Hu Yingping (links) will die Erfahrungen aus Chinas In anderen Fällen fördern die Agrarzentren Tech-
Landwirtschaft in Afrika weitergeben. nologien oder Anbauprodukte, die für die Einheimi-
LILY KUO schen von geringem Nutzen sind. Ein Forscherteam
hat im vergangenen Jahr in vier afrikanischen Län-
Bananentransport in Huye (unten). Das chinesische dern die Arbeit der Zentren untersucht und heraus-
Agrarzentrum hier kennen viele Einheimische gar nicht. gefunden, dass für mehrere von ihnen wirtschaftli-
GETTY IMAGES che Interessen wichtiger waren als die Bedürfnisse
des Gastgeberlandes oder die Frage, ob die Produk-
Emeritha Nyivabizimana (rechts) hat es nicht leicht, te lokal geeignet sind. In Tansania propagierten die
ihre Pilze zu verkaufen: Ruander essen die nicht gern. Chinesen die Überlegenheit von Hybridreis, obwohl
QUARTZ der größte Teil der Bevölkerung sich hauptsächlich
von Mais ernährt und sich Reis gar nicht leisten
kann. Und für Bauern in Mosambik und Simbabwe
waren die modernen Technologien für einen pro-
duktiveren Reisanbau, die das chinesische Personal
ihnen vorführte, viel zu teuer.
| 3-2017
40 WELT-BLICKE RUANDA
In ihrer Studie vom Mai 2016 kommen die Wis- sen nämlich“, sagt Yun Sun von der Brookings Insti-
senschaftler zu dem Schluss: „Chinesische Funkti- tution.
onäre verbreiten eine bestimmte Vorstellung von Der Alltag in Huye ist nicht immer leicht. Kaum
landwirtschaftlicher Entwicklung. Diese folgt jedoch einer aus Hus Team war zuvor schon einmal im Aus-
wirtschaftlichen Erfordernissen und der Vorgabe, land. Die Kommunikation ist schwierig. Die Chine-
sen sprechen zwar Englisch, nicht jedoch die meis-
ten der einheimischen Bauern, mit denen sie zu tun
Weil sie Gewinne machen sollen, verkaufen haben. Mit seinen paar Brocken Kinyarwanda kann
die chinesischen Agrarzentren zuweilen Hu gerade einmal die in den Reisfeldern spielenden
Kinder bitten, die Vögel zu verscheuchen.
Technologien, die keiner braucht. Doch die größte Schwierigkeit besteht vielleicht
darin, ihre Arbeit in der Gemeinde bekannter zu ma-
chen. Auf der Landstraße vor den Toren des Zent-
dass die Zentren in der dritten Phase ihres Betriebs rums geht eine Gruppe Einheimischer vorbei. Man-
Technologie verkaufen und Gewinne erzielen. Folg- che sind auf dem Weg in die Stadt, andere gehen mit
lich verwenden sie viel Mühe darauf, Nachfrage zu Hacken und bäuerlichem Kleingerät ausgestattet
schaffen, und bringen zuweilen unter großem Wer- aufs Feld. Auf die Frage, wie nützlich das chinesische
beaufwand Technologien auf den Markt, die völlig Zentrum für sie sei, antwortet ein Mann, er habe frü-
ungeeignet sind.“ her dort gearbeitet und an einigen der Schulungen
Dass die chinesische Regierung bei der Entwick- teilgenommen. „Manche Leute profitieren davon.
lungszusammenarbeit eigene wirtschaftliche Inte- Die Chinesen wissen mehr über Pilze, und es ist gut,
ressen neben Entwicklung stellt, wird auch in Chi- dass sie herkommen und die Leute unterrichten“,
Lily Kuo na kritisch gesehen. Von einigen Funktionären kam sagt Ephram Mintanbo. „Wenn ich das Geld hätte,
ist Journalistin in Nairobi, Kenia, und der Vorschlag, eine separate Behörde für chinesische würde ich auch Pilze züchten.“ Die anderen reagie-
Reporterin des Online-Portals „Quartz Entwicklungshilfe nach dem Vorbild der amerikani- ren mit ausdruckslosen Mienen. Beatrice Muwante-
Africa“, auf dem ihr Beitrag im Original schen USAID zu schaffen. „Will China mit seiner Ent- ge, eine 46-jährige Hausfrau, die seit sechzehn Jah-
erschienen ist. Sie berichtet vor allem wicklungshilfe die politischen Beziehungen verbes- ren in Huye lebt, sagt: „Die meisten Leute hier wissen
über Ostafrika und Chinas Engagement sern oder seine eigene Wirtschaft fördern? Was ist nicht mal, dass es das Zentrum gibt.“
auf dem Kontinent. wichtiger? Häufig widersprechen sich diese Interes- Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
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Die Macht
der frommen Männer
Von Odile Jolys
Islamische Bruderschaften
und ihre Führer üben im
Senegal großen Einfluss aus.
Doch die Nähe zur Politik hat
E ine Alltagsszene in Dakar: Ein Auto hält an, die
Seitenscheibe fährt herunter, kleine Jungs stre-
cken eine Blechdose der offenen Scheibe entge-
gen. Zuerst müssen sie eine Sure des Korans aufsa-
gen, dann fallen ein paar Münzen in die Dose, das
Die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet in den Städ-
ten im informellen Sektor – als Fahrer eines Eselkar-
rens, ambulanter Kaffee- oder Handykarten-Verkäu-
fer, Taxifahrer, Wächter, Putzfrau oder Handwerker.
Sie verdienen meist nur das Nötigste für sich und
auch ihre Schattenseiten. Auto fährt weiter. Allein in Senegals Hauptstadt soll ihre Familie. Im kleinen formellen Sektor ist es oft
es ungefähr 30.000 bettelnde Kinder geben – dabei nicht besser. Der staatlich festgelegte Mindestlohn
ist das Betteln seit 2005 gesetzlich verboten. liegt bei 47.700 CFA-Francs (rund 91 Euro) monatlich.
Senegal ist mit seinen knapp 15 Millionen-Ein- Auf dem Land wird meist für den Eigenverbrauch ge-
wohnern ein armes Land mit hoher Geburtenra- ackert; ein wenig Geld kommt dazu, wenn der über-
te. Im Durchschnitt bekommen Frauen fünf Kinder. schüssige Ertrag verkauft wird.
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42 WELT-BLICKE SENEGAL
Die bettelnden Jungen, oft nur vier, fünf Jah- terten Widerstand der Marabouts. Selbst bei Miss-
re alt, machen die Armut im Land sichtbar. Sie sind handlungen knicken die Behörden ein. Vor einem
aber zugleich Ausdruck einer religiös begründeten Jahr kam ein junger Mann in eine Polizeistation der
Praxis, die zunehmend in die Kritik gerät: Sie sind Stadt Diourbel im Zentrum des Landes. Er hatte sich
Schüler eines Marabouts, eines religiösen muslimi- aus einer Daara befreit, wo er mit 18 anderen Jun-
schen Führers. 94 Prozent der Senegalesen sind Mus- gen angekettet gewesen war. Der Marabout, ein al-
lime. Die große Mehrheit gehört einer Sufi-Bruder- ter Mann, wurde festgenommen. Ein paar Tage spä-
schaft an; die Mouriden und die Tidjane sind die bei- ter versammelte sich eine Menge vor dem Kommis-
den größten. Jede wird von einem Generalkalifen ge- sariat, darunter viele angesehene Bürger der Stadt,
führt, dem Chef der Marabouts. Und jeder Marabout und forderte, er solle freigelassen werden. Und er
hat eine Gefolgschaft von Talibés – Schüler, die ihm kam frei.
als Erwachsene Treue geschworen haben. Nicht jedes Woher kommt die Macht der Marabouts? Die Be-
Mitglied einer Bruderschaft hat allerdings einen Ma- ziehungen zwischen den Sufi-Bruderschaften und
rabout. der Politik sind sehr eng, erklärt der Historiker Di-
E
ouf. In der Kolonialzeit habe sich ein hierarchisches
s gehe im Verhältnis zwischen ihnen um ei- System innerhalb der Bruderschaften etabliert mit
nen symbolischen und einen materiellen Aus- dem Kalifen an der Spitze, der die Grenzen seines
tausch, sagt der Historiker Mamadou Diouf. Der Gebiets – damals hatte jede Bruderschaft ein eige-
Talibé unterwerfe sich dem Marabout. Er arbeite für nes Territorium – und seine Gefolgschaft überwach-
ihn, entrichte regelmäßig Geld an ihn oder arbei- te. „Er hatte die absolute Kontrolle über seine An-
te für ihn auf dessen Feldern. Im Gegenzug kann er hänger und die Ressourcen seiner Bruderschaft und
sich an den Marabout wenden, wenn er ein Problem hatte deshalb Verhandlungsmacht gegenüber den
hat. „Wenn sein Sohn krank ist und ins Krankenhaus französischen Kolonialherren“, sagt Diouf. Der Ka-
muss, kommt der Marabout dafür auf.“ lif habe für die Franzosen die Steuern eingetrieben
Die tiefe Religiosität im Land zeigt sich nicht nur und sie dafür aus den Angelegenheiten der Bruder-
im Gebetsruf des Muezzins von den unzähligen Mo- schaft ferngehalten. Das stützte die Herrschaft der
scheen. Es gibt kaum ein Taxi ohne Bild eines Grün- Franzosen und zugleich die Macht der Kalifen in ih-
ders der Bruderschaften oder ohne einen religiösen ren Territorien. Das habe zu einem politischen Sys-
Spruch. Studenten erinnern sich vor ihren Prüfun- tem geführt, „das bis heute stabil ist“; mit der Unab-
gen zitternd an die Baraka, den Segen, den ihr Mara- hängigkeit des Landes 1960 habe sich daran nichts
bout für sie gesprochen hat. Am Abend versammeln geändert, sagt Diouf.
Z
sich junge Männer, um Gedichte ihrer großen Füh-
rer zu singen. um System gehört, dass der Staat Streitfra-
Die Bindung an einen Marabout beginnt in der gen mit muslimischen Führern aushandelt.
Kindheit. Obwohl Kinder im Senegal die Schule bis So lehnte der erste Präsident des Senegal, Léo-
zum 16. Lebensjahr besuchen müssen, tun das laut pold Sedar Senghor, das Ansinnen der Marabouts ab,
dem UN-Kinderhilfswerk Unicef rund 600.000 dem Land eine islamische Verfassung zu geben; sie
Der Einfluss der Bruderschaften geht Mädchen und Jungen nicht. Viele gehen dafür auf sieht vielmehr die Trennung von Staat und Religion
auf die Kolonialzeit zurück, sagt der eine Koranschule, eine Daara. Die Eltern vertrauen vor. Dafür behielten die Bruderschaften die Sonder-
Historiker Mamadou Diouf (oben). ihr Kind einen Marabout an, der für seine religiö- rechte für ihre heiligen Städte: Die Tidjane verwalten
Ein Kritiker der Marabouts ist Fadel se Ausbildung sorgt. Die Kinder leben bei ihm und selbst Tivaouane und die Mouriden Touba. Die Ein-
Barro, der 2011 die Demokratiebe- der Kontakt mit der Familie wird sehr sporadisch. wohner der beiden Städte zahlen nur lokale Steuern,
wegung mitgegründet hat (unten). Oft können die Eltern den Marabout nicht bezah- keine nationalen.
ODILE JOLYS(2) len. Auf dem Land arbeiten die Kinder deshalb auf Lange waren Bruderschaften praktisch die Zi-
seinen Feldern. In den Städten gehen die Jungen bet- vilgesellschaft, erklärt Diouf. Sie zeigten der Poli-
teln, während die Mädchen mit Hausarbeiten be- tik Grenzen auf und vermittelten in Konflikten zwi-
schäftigt werden. schen dem Staat und seinen Bürgern – etwa im Streik
Nichtstaatliche Organisationen, darunter die In- der Lehrer im vergangenen Jahr. Diouf schildert ein
itiative „Stop à la mendicité“ (Stopp dem Betteln), weiteres Beispiel: „Ein Müllentsorgungsunterneh-
versuchen die Leute davon zu überzeugen, solchen men ging bankrott und die Arbeiter erhielten über
Kindern kein Geld zu spenden, das der Marabout ih- Jahre keinen Lohn. Es kam zu Gewaltausbrüchen. Ein
nen abnehmen kann, sondern nur etwas zum Essen Marabout mischte sich ein und bezahlte eine Abfin-
oder Kleider. Senegals Präsident Macky Sall hat im dung für die Arbeiter aus seiner Tasche.“
vergangenen Juni ein hartes Durchgreifen gegen die Um auf diese Weise eingreifen zu können, sind
bettelnden Kinder angekündigt. Das hatte bereits Marabouts auf Geld angewiesen – sie müssen Ge-
sein Vorgänger Abdoulaye Wade getan – mit dem- schäfte machen. Und das tun sie. Touba ist die zweit-
selben Ergebnis: Die Talibé-Kinder sind noch immer größte Stadt des Senegal und das Zentrum der infor-
auf den Straßen unterwegs, statt eine Schule zu be- mellen Wirtschaft, zu der auch der illegale Handel
suchen. mit geschmuggelten Medikamenten zählt. Sie sind
Zum einen hat der Staat zu wenig Geld und Per- frei erhältlich auf dem Sandaga-Markt im Zentrum
sonal, um die Kinder zu versorgen und zu den Eltern Dakars, der in der Hand der Mouriden ist. Der Staat
zurückzuschicken. Zum anderen stößt er auf erbit- warnt vor solchen Arzneimitteln, das Geschäft wird
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SENEGAL WELT-BLICKE 43
aber toleriert. Ab und zu beschlagnahmt die Polizei Gründer der Bruderschaft der Mouriden. Zwar un-
Medikamente, aber dann passiert nichts mehr. terstützt er die Rolle der Marabouts in der Politik:
Bis Ende der 1990er sprach jede Bruderschaft zu- Sie seien die Verbindung zwischen Bevölkerung und
dem bei Wahlen eine direkte Empfehlung für einen dem Staat, und die Stabilität der Gesellschaft müsse
Kandidaten aus – in der Regel alle dieselbe. Das tun bewahrt werden, vor allem angesichts des islamisti-
sie nicht mehr offen, denn Politik und Gesellschaft schen Terrorismus. Die Werte der Mouriden, sich für
haben sich demokratisiert. „Inzwischen ist eine die Gemeinschaft einzusetzen und nicht zu berei-
richtige Zivilgesellschaft entstanden“, sagt der sene- chern, seien jedoch verlorengegangen, räumt er ein.
M
galesische Politik- und Islamwissenschaftler Baka-
ry Sambe, darunter soziale Bewegungen oder Initi- arabouts, die Kinder misshandelten, sei-
ativen. Sie brächten die Leute dazu, selbst nachzu- en schwarze Schafe. Am System der Dar-
denken. aas will Aziz Mbacké trotzdem festhalten.
In den Städten wächst die Kritik an den Mara- „Der Staat gibt Millionen für die öffentlichen Schu-
bouts, sie gelten als geldgierig. Einer der Kritiker ist len aus. Aber niemals hat er etwas für die Daaras ge-
Fadel Barro, der 2011 die Protest- und Demokratie- geben. Was sollen die Marabouts machen? Für die
bewegung „Y’en a marre“ („Es reicht“) gegründet hat. meisten ist der Koranunterricht eine heilige Beru-
Die Marabouts nähmen ihre Rolle als Schützer der fung“, sagt er.
Bevölkerung gegen den Staat nicht mehr wahr, son- Aziz Mbacké ist dabei, eine Spendenorganisation
dern hätten sich korrumpieren lassen. „Y’en a marre“ auf die Beine zu stellen, um den Talibé-Kindern das
Schüler einer
Koranschule
betteln in Dakar
2010 bei einem
Taxi.
AFP/GETTY IMAGES
hat dazu beigetragen, dass 2012 der von den Mouri- Betteln zu ersparen. „Das alte System funktioniert
den stark unterstütze Abdoulaye Wade als Staatsprä- nicht mehr“, räumt er ein. „Aber wir akzeptieren
sident abgewählt wurde. Der Wahlsieger Macky Sall nicht alles, was aus dem Ausland kommt. Wir sind
wagte kurz nach seinem Amtsantritt zu sagen: „Die anspruchsvoll im Blick auf moralische Werte.“ Die
Marabouts sind normale Bürger.“ Doch er musste Lösungen für soziale Probleme seien innerhalb der
zurückrudern: „Heute macht er, was auch seine Vor- Kultur, also im Islam der Sufi-Bruderschaften zu fin-
gänger getan haben“, sagt Bakary Sambe. Er ist selbst den. Über die Modernisierung der Daaras gibt es Ge-
Tidjane und warnt, die Bruderschaften dürften nicht spräche mit dem Staat, aber das Misstrauen in des-
zu nahe an der Politik sein: „Die ist bei den Jugendli- sen Absichten ist groß.
chen total diskreditiert.“ Der Historiker Mamadou Diouf erinnert daran,
Doch Fadel Barro sieht auch einen vielverspre- dass die Kritik an den Marabouts nicht neu ist. Trotz- Odile Jolys
chenden Wandel: Insbesondere in Touba gebe es dem hofft er auf Bewegungen wie „Y’en a marre“. Sie ist freie Journalistin in Dakar, Senegal,
junge Marabouts, die etwas ändern wollten. Zu ih- sollten Druck auf die Politik machen, damit korrup- und berichtet aus Westafrika, unter
nen zählt Serigne Abdoul Aziz Mbacké. Er ist religiö- ten Praktiken ein Ende gesetzt wird. Die Marabouts anderem für den Evangelischen
ser Führer und Nachfahre von Amadou Bamba, dem würden sich dann „schon anpassen“, meint er. Pressedienst und „Neues Deutschland“.
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44 WELT-BLICKE TOGO
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TOGO WELT-BLICKE 45
nternehmergeist
und Nachteile“, sagt Mawuli Ak-
paki, Managementexperte in
Lomé. Das Gesetz räume viel Frei-
heit ein, die Genossenschaft nach
eigenen Regeln zu organisieren.
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46 WELT-BLICKE TOGO
Die Registrierung sei einfach und von Verhandlungsmacht ist ein staatlichen Förderprogramm fi-
eröffne Zugang zu staatlichen wichtiges Ziel von Produzenten- nanzieren, sagen sie. Vorausset-
Dienstleistungen und Subventio- zusammenschlüssen, und hier zung wäre allerdings, dass ihre
nen. Die Genossenschaften müss- hat er wohl Wirkung gezeigt. „Es Genossenschaft registriert wird.
ten zudem keine Steuern zah- ist wichtig, dass wir gemeinsam „Unsere Satzung sieht vor,
len. „Andererseits“, fügt er hinzu, vorab einen Preis für unsere Pro- dass die Mitglieder ein Geschäfts-
„sind die Anforderungen an die dukte vereinbaren“, fügt Ama guthaben von einer Million CFA
Rechnungslegung hoch. Für wirt- hinzu. „Damit erzielen wir höhe- (1520 Euro) aufbringen“, erläu-
schaftlich unerfahrene Mitglie- re Gewinne und haben für unsere tert Schatzmeisterin Ella Duho
der sind die administrativen Hür- Familien mehr Einkommen.“ Adjo. Für die Registrierung genügt
den beträchtlich.“ Aber auch die der Nachweis, dass die Genossen-
Behörden seien überfordert. Die schaft ein Viertel davon aufge-
Vergabe der Registrierungsnum-
mer etwa laufe chaotisch.
Togo bracht hat. Die Gruppe braucht
also 250.000 CFA (381 Euro). Die
Luc Bruce pflichtet ihm bei Höhe des Guthabens haben die
und nennt einen weiteren Grund, AFRIKA Mitglieder der Genossenschaft
warum das neue Gesetz bisher Savanes selbst festgelegt, das Gesetz
wenig wirkt. Den Mitgliedern vie- schreibt keine Mindesthöhe vor.
ler landwirtschaftlicher Genos- Benin
senschaften fehle die unterneh- Die Genossenschaft soll auch
merische Initiative, sagt er. Jahr- soziale Zwecke erfüllen
zehntelang habe die Regierung Doch die Bauern sind noch weit
die kleinbäuerlichen Zusammen- Kara davon entfernt, diese Summe auf-
schlüsse organisiert. „Die Grup- zubringen. Woran liegt das? Zum
pen haben ihre Betriebsmittel einen scheint es tatsächlich am
vom Staat erhalten, die staatli- Unternehmergeist zu mangeln,
chen Vermarktungsgesellschaf- TOGO den man durch die neue Gesetz-
ten haben ihre Produkte gekauft. gebung doch fördern wollte. Für
Heute müssen sie das selbst orga-
GHANA viele Leute stehe das Soziale im-
nisieren. Die Registrierung ist nur Centrale mer noch im Vordergrund. Sie
ein kleiner Schritt und heißt noch meinen, aus der Kasse solle auch
lange nicht, dass die Genossen- Geld für soziale Zwecke fließen,
schaft unternehmerisch handelt.“ sagt Fritz Agbekou. „Aber die Ge-
Plateaux nossenschaft hat wirtschaftliche
Seit die Bauern gemeinsam ver- Ziele. Ihre Rückvergütung erhal-
kaufen, sind die Preise besser ten die Mitglieder nur, wenn die
Soziale und wirtschaftliche Belan- Agblodomé Genossenschaft Gewinne erzielt.“
ge sind gleichermaßen wichtig in Zum anderen existieren
Maritime
der Gemeinschaft der Avocado- im Dorf zahlreiche Initiativen,
100 km Lomé
und Bananenbauern von Agblo- die ebenfalls Beiträge fordern:
domé. Ihre größte Errungenschaft tischer O
zean Die Mutter-Kind-Gruppe, das
sei, dass sie ihre Produkte jetzt ge-
© At lan Dorfentwicklungskomitee, die
meinschaftlich vermarkten, sa- Kakao-Kooperative und die Kir-
gen die Mitglieder. „Früher kamen chengemeinde. Bei der jährlichen
die Händlerinnen aus Lomé zu je- Fritz Agbekou, landwirtschaft- Dorfversammlung wird Geld für
dem von uns nach Hause, um un- licher Berater bei GRED, sagt: „Wir den Bau von Toiletten und Wegen
sere Avocados zu kaufen“, erzählt helfen den Leuten, den Markt zu gesammelt. Zusätzlich fallen Kos-
Schriftführerin Emilie Amegalolo analysieren, Qualitätsanforde- ten für Bildung und Gesundheit
Ama. „Wir mussten den Preis ak- rungen kennenzulernen und zu an, für Schuluniformen und -bü-
zeptieren, den sie boten – manch- berücksichtigen und Vertriebswe- cher, für Schulgeld und Medika-
mal bekamen wir nur 1500 CFA ge auszudenken. Manche sagen, mente. Es ist oft schlicht und ein-
(2,30 Euro) pro Sack. Jetzt verkau- Kleinbauern könnten das nicht fach kein Geld mehr da, um selbst
fen wir gemeinsam während der lernen. Aber das stimmt nicht.“ geringe Beiträge aufzubringen.
Saison jeden Dienstag und Mitt- Weil die Avocado eine emp- Da warten viele Dorfbewoh-
woch unten an der Straße. Wir be- findliche Frucht ist, kann etwa ein ner lieber erst mal ab, wie sich
kommen bis zu 5000 CFA (7,60 Drittel der Ernte nicht als Frisch- die Genossenschaft entwickelt.
Euro) pro Sack, je nachdem, wie obst verkauft werden. Eine Ver- Und schließlich: Dem Staat und
Bettina Meier die Ernte ausfällt.“ schwendung, finden die Bauern. seinen Behörden misstraut man
ist Beraterin Um das zu tun, mussten sie Könnte man sie nicht zu Öl verar- sowieso. Und solange die staatli-
Ökonomie der die Erlaubnis des Präfekten ein- beiten? Die entsprechende Tech- chen Institutionen nicht funkti-
Armen bei Brot holen; GRED hat ihnen dafür den nik könnten sie lernen, und eine onieren, bewirken auch Gesetze
für die Welt. Rücken gestärkt. Die Bündelung Ölpresse könnte man aus einem keine Änderungen.
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EL SALVADOR WELT-BLICKE 47
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48 WELT-BLICKE EL SALVADOR
einen Hektar groß. Zur schmalen Ernte, die meist ber 1979 hervorgegangen war, eine Landreform. Sie
nicht einmal den Eigenbedarf deckt, kommt in der wollte damit den Einfluss der linken Guerillagrup-
Regel etwas Geld, das Familienangehörige überwei- pen schmälern. Großgrundbesitzer wurden gegen
sen, die sich illegal in die USA durchgeschlagen ha- Entschädigung enteignet, Kooperativen bekamen
ben. Seit Ende der 1990er Jahre bekommen arme Fa- Land. Der Plan, damit die Lebensmittelproduktion zu
milien vom Landwirtschaftsministerium einmal im steigern, scheiterte jedoch, denn 1980 begann auch
Jahr ein Paket mit Saatgut und Dünger. Zunächst aus der zwölfjährige Bürgerkrieg. Danach setzten Präsi-
politischem Kalkül, wie der Berater des Landwirt- dent Cristiani und alle weiteren Arena-Präsidenten
schaftsministeriums, Wilfredo Rubio, meint. ganz auf ein neoliberales Wirtschaftsprogramm: Der
„Dieses Programm hatte zunächst nicht das Ziel, Markt sollte alles regeln.
die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und „Ich kann gerade mit Mühe unterschreiben“, sagt
den Familien aus der Armut zu helfen“, kritisiert er. Rigoberto Díaz und lacht. Der 61-Jährige ist nie zur
„Es verfolgte eindeutig wahlpolitische Ziele.“ Die da- Schule gegangen und heute trotzdem der Chef der
malige rechtsnationale Regierungspartei Arena habe 200 Frauen und Männer, die auf den knapp sechzig
die Saatgut- und Düngerpakete benutzt, um Stim- Hektar mit Pflanzungen für Saatgut arbeiten. Sie ver-
men für die nächste Bürgermeister-, Parlaments- dienen zehn US-Dollar am Tag, deutlich über dem
oder Präsidentschaftswahl zu fangen. Tatsächlich ist üblichen gesetzlichen Mindestlohn von 6,67 Dol-
die landwirtschaftliche Produktion in den Jahren der lar für ein Tagewerk in der Landwirtschaft. Wer Mit-
Arena-Regierungen (1989 bis 2009) stetig gesunken, glied der Kooperative ist, bekommt am Ende des Jah-
sogar im Vergleich zu den Zeiten des Bürgerkriegs res noch einmal sechs Dollar pro Tag für bis zu 180
(1980 bis 1992), der hauptsächlich in ländlichen Ge- Arbeitstage. Ihre Familien erhalten zudem drei Mal
genden gewütet hatte. im Jahr ein Lebensmittelpaket mit Mais, Bohnen, Zu-
S
cker und Speiseöl. Früher baute die Kooperative nur
eit 2009 regiert die Partei, die nach dem Frie- Zuckerrohr an, geerntet wurde einmal im Jahr. Inzwi-
densschluss aus dem Bündnis verschiedener schen hat sie ihre Produktion verbreitert, neben Saat-
Guerilla-Gruppen FMLN hervorgegangen ist. gut für Mais züchtet sie Vieh. Möglich wurde das mit
Mit ihrem „Plan für die familiäre Landwirtschaft“ Hilfe einer Schenkung der Regierung in Höhe von
will sie nun Kleinbauern den Sprung aus der Subsis- 220.000 US-Dollar.
tenzwirtschaft ermöglichen und die Lebensmittel- Die Ernte der Maiskolben, die bei den Nachbarn
produktion des Landes steigern. Sie hat unter ande- der Kooperative La Mormona schon im Gang ist, lässt
rem die Verteilung von Saatgut und Dünger ausge- hier noch drei Monate auf sich warten. Die Pflanzen
weitet. Nach einer Studie von Oxfam und der regie- wachsen erst heran. Ein anderes Feld steht kurz vor
rungsunabhängigen Salvadorianischen Stiftung für der Blüte. Es gehört einem Mitglied der Kooperative.
Wiederaufbau und Entwicklung (Redes) bekamen „Wir werden die Blüten abreißen müssen, auch wenn
2008, im letzten Regierungsjahr von Arena, 325.920 das dem Besitzer nicht gefällt“, sagt Díaz. Das Feld
Familien ein Hilfspaket, 2013 waren es 541.927. Mehr liegt näher als 300 Meter an den Äckern für die Saat-
als achtzig Prozent dieser Kleinbauern verfügen gutproduktion. Samenflug könnte die Qualität des
über weniger als zwei Hektar Land. Saatguts beeinträchtigen. Mais für den Konsum un-
Laut der Studie kaufte der Staat noch 2008 das terliegt nicht der Qualitätskontrolle des Saatgutmai-
Saatgut für dieses Programm bei nur elf Firmen ein, ses. Die beiden Sorten sollen sich deshalb nicht ge-
darunter keine einzige Kooperative. Den Hauptteil genseitig befruchten.
E
von fast vierzig Prozent lieferte für einen Einkaufs-
preis von rund zwölf Millionen US-Dollar die Firma s sei nicht leicht gewesen, die Landarbeiter zu
Cristiani Burkhard, ein Importeur, der den Saatgut- der Sorgfalt zu erziehen, die bei der Befruch- Arbeiter auf La Maroma (oben). Seit
markt in ganz Zentralamerika dominiert. Sie gehör- tung der weiblichen Saatgutpflanzen nötig ist, 2009 fördert der Staat gezielt
te damals Alfredo Cristiani Burkhard, der El Salvador sagt Díaz. Jede Woche kommen Ingenieure des Nati- Kooperativen, die Saatgut
von 1989 bis 1994 regierte. 2008 verkaufte er die Fir- onalen Zentrums für angewandte Technologie (Cen- herstellen wollen.
ma an den US-Konzern Monsanto. ta) vorbei und helfen mit Ausbildungskursen und
Mit dem „Programm für die familiäre Landwirt- Beratung, die Qualität der Saatkörner zu garantie- Wilfredo Rubio (rechts) vom
schaft“ versucht die seit 2009 regierende Linke nicht ren. Agrarministerium bezweifelt, dass
nur, die Lebensmittelproduktion zu steigern, um Das staatliche Beratungs- und Ausbildungszen- frühere Regierungen die Bauern
weniger von Importen abhängig zu sein. Sie unter- trum sei unter den rechten Vorgängerregierungen ernsthaft unterstützen wollten.
stützt auch Kooperativen, die selbst Saatgut produ- fast bis zum Verschwinden vernachlässigt worden,
zieren wollen, mit Krediten und Beratung. Außer La sagt Wilfredo Rubio, der Berater des Landwirtschafts-
Marmona sind das bislang sechs weitere Kooperati- ministeriums. Inzwischen wurde das Personal aufge-
ven, darunter Nancuchiname, die ihr Land ebenfalls stockt, es gibt Forschungsabteilungen und Büros in
in der Gegend von Jiquilisco hat. „Wir leben hier, seit vielen Regionen, die die Landwirte betreuen.
das Land den Reichen genommen und den Landar- Das Programm hatte Erfolg: 2012 gab es bei Mais
beitern gegeben wurde“, erzählt ihr stellvertretender eine Rekordernte von mehr als einer Million Tonnen.
Vorsitzender Rigoberto Díaz. Danach kamen Jahre der Dürre, die Produktion ging
Das war 1980. Damals veranlasste eine Regie- leicht zurück. Trotzdem wurde das Ziel der Lebens-
rungsjunta, die aus einem Staatsstreich im Okto- mittelsicherheit so gut wie erreicht. „Bei Mais de-
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EL SALVADOR WELT-BLICKE 49