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Redaktion: Hannah Wallis, Matthias Vogel, Florian Junne,
Marius Binneböse (Magdeburg):
ZOOM: Dissoziation
Die Psychotherapie; DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-022-00641-7
    ein transdiagnostisches Phänomen

Dissoziation Im Kontext anderer Störungen Bei Traumatisierung

Das Phänomen zeigt sich durch die Desintegra- Psychopathologische/ psychische Prozesse: Einteilung der Ereignisse in: Zusätzlich: Diagnostik posttraumatischer Störungen,
tion der üblicherweise integrierten Funktionen ·· Depressivität bzw. emotionale Labilität und Insomnie. insbesondere das A-Kriterium der ­PTBS, das sich in einer
des Gedächtnisses, des Bewusstseins, der Identität ·· Neigung zu fantasieren und kognitive Fehler ··Typ-I-Traumata: akute, singuläre Ereignisse, z. B. Ver- Auflistung möglicher Typ-I-Traumatisierungen widerspie-
sowie der Wahrnehmung der eigenen Person und (Griesbrecht & Merckelbach, 2005). kehrsunfälle, kurz andauernde Naturkatastrophe, kurz gelt.
der Umwelt. andauernde Gewalterfahrung.
Schizophrenie: Das A-Kriterium beschreibt auch die peritraumatische
·· bei Patienten mit Schizophrenie liegt eine etwa 40 % ··Typ-­II-​Traumata: wiederholte, komplexe Ereignisse, z. B. Dissoziation (prognostisch ungünstiger Faktor). Ratsam
ausgeprägte dissoziative Symptomatik vor, ebenso Kriegserlebnisse, Missbrauch in Kindheit. ist der Einsatz von Fragebogen (z. B. Deutsche Version des
Akzessorische Dissoziation hohe Traumatisierungsrate (Ross & Keyes; 2004). Childhood Trauma Questionnaire).
·· Umgekehrt finden sich psychotische Prozesse auch
Der Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen bei nicht-schizophrenen Erkrankungen (posttrauma-
(­FDS) bemisst die Belastung durch dissoziative tischen Entitäten).
Symptome als jenen Anteil der Zeit, in dem
die untersuchten dissoziativen Erscheinungen Therapie
auftraten. Die höchsten durchschnittlichen Scores
finden sich bei: ­DIS (48,7 %), ­PTBS (28,6 %) sowie Komplextherapie: Grundprinzipien !Wichtig: vorbereitende Edukation (Störungsmodell),
Topografie
Borderline-Persönlichkeitsstörung (27,9 %). (schulenunabhängig): Veränderungsziel benennen, gemeinsame Vereinbarung
·· Verstehbarmachen der Diagnose im Rahmen des biopsy- zwischen Therapeut und Patient treffen.
Kompartmentalisationstyp: bezieht sich auf die chosozialen Modells,
Desintegration mentaler Inhalte. Es feht die bewusste ·· Förderung von Transparenz, insbesondere bezüglich diag- Eye Movement Desensitization and Reprocessing:
Entwicklungspsychologisch und willentliche Kontrolle über kognitive, emotionale nostischer Merkmale in Abgrenzung zu z. B. neurologischen ·· Ist ein traumakonfrontatives Verfahren, das phasengerecht
und handlungsbezogene Prozesse, die eigentlich dem Erkrankungen, angewendet werden soll.
!Traumatisierung in der Kindheit trifft auf eine Willen unterworfen sind. ·· Exploration nichthilfreicher Krankheitsüberzeugungen und ·· Durch bilaterale Stimulation, in Verbindung mit der Erinne-
unreife bzw. unausgereifte Psyche, die demzufolge „Detachment-Typ“: subsumiert veränderte Bewusst- nichthilfreichen Krankheitsverhaltens, rung an ein traumatisierendes Erlebnis wird die Integration
nur eingeschränkt zur Bewältigung bzw. zum seinszustände, die aus Entfremdungseindrücken ·· Förderung von Therapiemotivation durch Vermittlung der offensichtlich bihemisphärisch verstreuter Erinnerungsfrag-
Coping in der Lage ist. gegenüber der eigenen Person oder der Umwelt Möglichkeit einer Symptomremission, mente erzeugt.
resultieren und von einer emotionalen Verflachung bis ·· Förderung von Unabhängigkeit und Selbstverantwortung,
Missbrauchserfahrungen: Dissoziative Prozesse hin zur totalen Indifferenz begleitet werden. Bei schwerer Dissoziation:
·· ggf. Einbeziehung von Familie, Pflegenden, Betreuern etc. ·· Stabilisierung und Symptomreduktion stehen im Vorder-
können die Funktion einer Abwehr haben, die die (nach Holmes et al., 2005) (nach Espay et al., 2018)
belastenden traumatischen und traumaassoziier- grund.
ten Inhalte aus dem Bewusstsein herauslösen soll. Kognitive Verhaltenstherapie: !Wichtig: Vermittlung eines Gefühls von Sicherheit und
·· beruht auf einer Konfrontation in vivo oder in sensu, kog- Gefahrlosigkeit.
nitiver Umstrukturierung und Modalitäten der Rückfallpro- ·· Behandlung: erfolgt phasenorientiert und erfolgt dyna-
Diagnostik phylaxe. misch in hierarchischer Strucktur: z. B. Expositionstherapie,
Neurobiologisch ·· Die Desensibilisierung bezieht sich auf traumatische antidissoziative Behandlung, psychodynamische Therapien
Beruht auf deskriptive sowie differenzialdiagnosti- Erlebnisse und die einzelnen, sie konstituierenden poly- (Imaginative Traumatherapie), K­ VT (als Frühintervention).
·· Kindheitstraumata können zu einer gestörten sche Erwägungen/Ausschlüssen anderer Erkrankun- sensorischen Facetten des Erlebens, wobei diese einzeln
emotionalen Regulation und Veränderung der gen (insbesondere neurologische), wobei die Objekti- imaginiert werden.
Aktivität der Amygdala führen (Grant et al. vierbarkeit der subjektiv geschilderten Symptome im
2011). Vordergrund steht.
·· Patienten mit einer Konversionsstörung zeigen !Wichtig: Dissoziative und Konversionssymptome
wiederum eine erhöhte funktionelle Konnekti- können einen fragmentierten Teil einer Gesamt-
Quellen: Giesbrecht, T. & Merckelbach, H. (2005): Über die kausale Beziehung zwischen Dissoziation und Trauma: Ein kritischer Überblick. Nervenarzt 76:20–27; Ross, C. A. & Keyes,
vität zwischen der Amygdala und dem supple- pathologie darstellen. Ohne die Gesamtpathologie B. (2004): Dissociation and schizophrenia. J Trauma Dissociation 5:69–83; Holmes, E. A. et al.) Are there two distinct forms of dissociation? A review and some clinical implications.
mentär-motorischen Kortex (Voon et al. 2010). zu kennen, besteht die Gefahr, die Symptome falsch ClinPsychol Rev 25:1–23 International Society for the Study of Trauma and Dissociation (2011) Guidelines for treating dissociative identity disorder in adults, 3rd revision. J Trauma Dis-
sociation12:115–187; Grant, M. M. et al. (2011): Childhood trauma history differentiates amygdala response to sad faces within ­MDD. J Psychiatr Res 45(7):886–895, Voon, V. et al. (2010)
einzuordnen. Emotional stimuli and motor conversion disorder. Brain 133(5):1526–1536.; Espay, A. J. et al., (2018): Current concepts in diagnosis and treatment of functional neurological disorders.
JAMANeurol75(9)

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