FORTBILDUNG .
ÜBERSICHT
Prof. Dr. med. Frank-Michael Köhn
Andrologicum München
Lebensstil und männliche Fruchtbarkeit
Kein Nachwuchs in Sicht: Sind Alkohol
und Zigaretten schuld?
Bei manchen Paaren will es mit einer Schwangerschaft einfach nicht klappen. Vor der
Beratung dieser Paare sollten Sie sich informieren, welchen Einfluss der Lebensstil eines
Mannes auf die Spermaqualität hat.
_ Neuere Studien haben eine signifi-
kante Abnahme der Spermienzahlen
von Männern zwischen 1973 und 2011
gezeigt [3]. Ein ernsthafter Grund zur
Besorgnis besteht zwar noch nicht, da
die aktuelle durchschnittliche Sper-
© Sonja Birkelbach / Fotolia
mienzahl auch 2011 noch weit oberhalb
des von der Weltgesundheitsorganisa-
tion für fruchtbare Männer festgelegten
Referenzwertes lag, dennoch lohnt es
sich, die Faktoren mit potenziellem Ein-
fluss auf die Spermienzahlen und -qua-
lität zu kennen. Die in derselben Studie
berichtete Zunahme der Prävalenz von
Hodenhochstand könnte auf mögliche
Effekte von Umweltgiften mit östrogen-
artiger Wirkung hindeuten. Im Gegen-
satz zur Beeinflussung solcher Umwelt-
einflüsse ließen sich aber positive Effek-
te auf die Spermaqualität durch eine
Umstellung der Lebensführung leichter
erreichen.
Relevante Faktoren der Lebensfüh-
rung, bei denen ein Einfluss auf die
Spermaqualität schon bewiesen ist oder
noch diskutiert wird, umfassen vor al-
lem Nikotin-, Alkohol- und Koffein-
konsum, Wärmeexposition, Überge-
wicht, Ernährungsgewohnheiten und
körperliche Aktivität. Von geringerer
epidemiologischer Bedeutung ist der
Missbrauch von Anabolika, während
die Exposition gegenüber elektroma-
gnetischen Strahlen zwar weit verbreitet
ist, die Datenlage bezüglich eventueller
Gefährdungen aus andrologischer Sicht
50 MMW Fortschritte der Medizin 2017 . 20 / 159
Koautor: Prof. Dr. med. Hans-Christian Schuppe,
Funktionsbereich Andrologie, Klinik und
Poliklinik für Urologie und Kinderurologie,
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH
– Standort Gießen
aber noch keine abschließende Stellung-
nahme zulässt [1, 2].
Nikotin
Der schädigende Einfluss von Nikotin
auf die Spermaqualität ist gut belegt. Da-
bei werden nicht nur Veränderungen der
Spermienkonzentration, -motilität und
morphologischen Qualität, sondern
auch erhöhter oxidativer Stress, Stö-
rungen der DNA-Integrität, vermehrte
Apoptose sowie Störungen anderer Sper-
mienfunktionen und ihrer Fertilisie-
rungsfähigkeit beobachtet [4].
Eine reduzierte Schwangerschaftsrate
allein durch väterliches Zigarettenrau-
chen wurde auch bei künstlichen Be-
fruchtungen beobachtet [5]. Mit Beginn
einer Nikotinabstinenz dauert es ca.
zwei Jahre, bis die Befruchtungsraten
von Eizellen und die Wahrscheinlichkei-
ten für den Eintritt einer Schwanger-
schaft wieder ansteigen.
Wie bei anderen Umweltnoxen spielt
hier der Zeitpunkt der Exposition eine
bedeutende Rolle. Es gibt Hinweise da-
rauf, dass der Nikotinkonsum von Frau-
en während der Schwangerschaft die
Spermaqualität ihrer Söhne beeinträch-
tigen kann [6].

Alkohol
Alkohol kann über Einflüsse auf die
Hypophysen-Gonaden-Achse und di-
rekte testikuläre Schädigungen des
Keimepithels und der Leydigzellen
einen negativen Einfluss auf die Sperma-
qualität haben [7]. Dabei ist die indivi-
duelle Empfindlichkeit aufgrund gene-
tisch determinierter Unterschiede vari-
abel. Klare Angaben zu einer Dosis-
Wirkungs-Abhängigkeit sind daher
nicht möglich. Metaanalysen zeigen,
dass der Alkoholkonsum vor allem das
Ejakulatvolumen und den Anteil normal
geformter Spermien reduziert [8].
Zunehmende Bedeutung werden Un-
tersuchungen zu epigenetischen Verän-
derungen durch Alkoholkonsum auf die
Keimzellen und Spermien erlangen, da
hierdurch generationenübergreifende
Schädigungen gesetzt werden [9].
Koffein
Effekte von Koffein auf die Spermaquali-
tät und Fertilität von Männern sind auf-
grund der Datenlage methodisch schwer
zu evaluieren, da in vielen Studien Kof-
fein- und Nikotinkonsum gleichzeitig
vorlagen und ein erhöhter Koffein- und
Nikotinkonsum Ausdruck vermehrter
Stressbelastungen sein kann, bei denen
ein zusätzlicher Einfluss auf die Sperma-
qualität nicht ausgeschlossen ist.
Neuere Metaanalysen zeigen einen
nur geringfügigen und nicht einheitli-
chen Einfluss der Koffeinexposition in-
folge von Kaffeekonsum auf die klassi-
schen Spermaparameter wie Spermien-
zahl, -beweglichkeit und -morphologie.
Genauso heterogen waren auch Effekte
auf die DNA-Integrität und die Zeit bis
zum Eintritt einer Schwangerschaft [10].
Drogen
Über die Wirkung von Drogen wie Ma-
rihuana, Kokain oder Opiaten auf die
Spermatogenese ist wenig bekannt.
Der Konsum von Cannabis in einem
Zeitraum von drei Monaten vor einem
Spermiogramm scheint mit einer
schlechteren Spermienmorphologie as-
soziiert zu sein [11].
Neuere epidemiologische Studien aus
Dänemark zeigen, dass 45% der jungen
Männer, die im Rahmen einer Muste-
rung untersucht wurden, in
den letzten drei Monaten
Marihuana konsumiert hat-
ten. Regelmäßiger Marihua-
na-Konsum war verbunden
mit reduzierten Spermien-
zahlen [12].
Anabolika
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Schon seit Langem hat der
Anabolikamissbrauch auch
den Breiten- und Freizeit-
sport erreicht. Ältere Daten,
die bei Jugendlichen in den
USA erhoben wurden, zeig- Die Befruchtungsraten können z. B. durch Rauchen sinken.
ten für den Konsum anaboler
Steroide eine Prävalenz von
3–12% bei Jungen und 1–2% bei Mäd-
chen [13]. Die Lebenszeitprävalenz für
die Anwendung von Anabolika liegt für
Männer bei 6,4% und für Frauen bei
1,6% [14]. Am häufigsten ist der Anabo-
lika-Abusus im Bodybuilding.
Für Männer im reproduktionsfähi-
gen Alter ist die Suppression der Hypo-
thalamus-Hypophysen-Funktion und
damit des Gonadotropine Luteinisieren-
den Hormons (LH) und des Follikelsti-
mulierenden Hormons (FSH) relevant.
Sie führt zu einer Hemmung der
Spermienproduktion und zu einer Ab-
nahme des Hodenvolumens. Die Infer-
tilität infolge einer hochgradigen Oligo-
oder Azoospermie gilt nach Absetzen
der Anabolika zwar grundsätzlich als
reversibel, die Erholung der Spermato-
genese kann jedoch sechs Monate und
länger dauern. Auch eine irreversible Be-
einträchtigung der Fertilität bzw. ein
dauerhafter Hypogonadismus sind mög-
lich und können bei Kinderwunsch eine
Stimulationsbehandlung mit Gonado-
tropinen sowie Maßnahmen der assis-
tierten Fertilisation erforderlich machen.
Neben der Infertilität sind im Rah-
men des anabolikabedingten Hypogo-
nadismus Libidoverlust und Erektions-
störungen zu berücksichtigen. Insbeson-
dere die aromatisierbaren, d. h. zu Ös-
trogenen umwandelbaren Präparate, in-
duzieren häufig eine Gynäkomastie.
Übergewicht
Eine Vielzahl von Studien hat eine Asso-
ziation zwischen einem erhöhten Body-
FORTBILDUNG . ÜBERSICHT
Mass-Index und einer reduzierten Sper-
maqualität des Mannes gezeigt [15]. Hier-
bei muss aber berücksichtigt werden,
dass ein solcher Zusammenhang auch
darauf zurückzuführen sein könnte, dass
Männer mit Übergewicht gleichzeitig an-
dere Risikofaktoren aufweisen, die mög-
licherweise Einfluss auf die Ejakulat-
qualität nehmen, z. B. kardiovaskuläre
Erkrankungen, metabolisches Syndrom
und Diabetes mellitus, Stressfaktoren
und/oder Fehlernährung [16].
Neuere Studien brachten erste Hin-
weise darauf, dass eine Gewichtsab-
nahme von Männern (z. B. infolge einer
bariatrischen Operation) zu einer Besse-
rung der vorher reduzierten Spermaqua-
lität führt [17].
Übergewicht ist nicht nur mit einer
Reduktion der Standardsamenparame-
ter (Spermienzahl, Beweglichkeit, Mor-
phologie) assoziiert, sondern auch mit
einer erhöhten DNA-Fragmentation [18].
Wie bei der Exposition gegenüber Al-
kohol müssen zusätzlich epigenetisch re-
levante Schädigungsmechanismen be-
rücksichtigt werden, die bis in die fol-
genden Generationen Auswirkungen
haben [19].
Ernährung
Untersuchungen zum Einfluss von Er-
nährungsgewohnheiten auf die Ejaku-
latqualität haben in den letzten Jahren
besondere Beachtung gefunden, da sie
einen einfachen und präventiven Ansatz
zur Besserung der männlichen Fertilität
bieten könnten. Für eine allgemeine und
MMW Fortschritte der Medizin 2017 . 20 / 159 51
 FORTBILDUNG . ÜBERSICHT
Wärme und Spermien
Die Datenlage zu Störungen der Sa-
menzellbildung durch Exposition ge-
genüber höheren Temperaturen ist
deutlich besser als zu elektromagne-
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tischer Strahlung [32]. Eine Zunahme
der Zeit bis zum Eintreten einer
Schwangerschaft wurde bei beruflicher
Hitzeexposition oder überwiegend sitzender
Position in Kraftfahrzeugen beobachtet [33].
Auch eine Reduktion der Spermaqualität
durch Lebensgewohnheiten wie heiße Bäder,
Saunabesuche oder das Tragen enger Unter-
wäsche mit einer entsprechenden Erhöhung
der Skrotaltemperatur wurde beschrieben
[34]. Zweimal wöchentliche Saunabesuche
mit einer Hitzeexposition gegenüber 80–
90 °C für 15 Minuten führten bei vorher nor-
mozoospermen Männern zur Abnahme der
Spermienzahlen und -motilität sowie zu Stö-
rungen der Chromatinkondensation [35].
Für die jahreszeitlichen Schwankungen mit
einer Abnahme der Spermaqualität im Som-
mer sind wahrscheinlich andere Faktoren als
die Temperatur verantwortlich [36].
fundierte „andrologische Diätempfeh-
lung“ ist es noch zu früh. Dennoch lie-
fern die zur Verfügung stehenden Stu-
dien einige interessante erste Anhalts-
punkte und weisen zumindest auf die
Notwendigkeit einer ausgewogenen und
gesunden Ernährung hin. Auch hier
werden in Zukunft epigenetische Aspek-
te der Ernährung eine zunehmende Rol-
le spielen [20].
Zusammenfassend ergaben bisherige
Studien folgende Wechselwirkungen
zwischen Ernährungsgewohnheiten
und männlicher Fertilität bzw. Sperma-
qualität:
• Nahrungsmittel, die reich sind an
Omega-3-Fettsäuren, Antioxidan-
zien wie Vitamin E, Vitamin C, Beta-
Carotin, Selen, Zink, Cryptoxanthin
oder Leukopin, anderen Vitaminen
wie Vitamin D oder Folsäure sowie
ärmer an gesättigten Fettsäuren sind,
scheinen mit einer besseren Sperma-
qualität assoziiert zu sein.
• Männer, deren Ernährung mehr aus
Fisch, Seefrüchten, Hühnchen, Ge-
treide, Gemüse und Früchte, Milch-
52 MMW Fortschritte der Medizin 2017 . 20 / 159
produkten mit niedrigem Fettanteil
und fettarmer Milch besteht, haben
ebenfalls eine bessere Spermaqualität.
• Männer, die sich hingegen vorwie-
gend von Fertigprodukten, Soja, Kar-
toffeln, Vollmilchprodukten, Käse,
Kaffee, Alkohol, gezuckerten Geträn-
ken und Süßigkeiten ernähren, zei-
gen eine reduzierte Spermaqualität
[21].
Körperliche Aktivität
Die verfügbaren Untersuchungen zu
einem möglichen Zusammenhang zwi-
schen körperlicher Aktivität und männ-
licher Fertilität sind häufig nur von ein-
geschränkter Aussagekraft, da sie auf
Selbstauskünften der Männer beruhen
oder andere Einflussfaktoren auf die
Fertilität nicht immer ausreichend be-
rücksichtigen. Teilweise zeigte sich eine
bessere Spermienkonzentration bei
Männern mit mehr körperlicher Aktivi-
tät, während sie in der gleichen Gruppe
von Männern schlechter war, wenn die-
se mehr als 1,5 Stunden pro Woche mit
dem Fahrrad fuhren. Auf die klinische
Schwangerschaftsrate und die Rate der
Lebendgeburten nach reproduktionsme-
dizinischen Verfahren bei den Frauen
der an der Studie teilnehmenden Män-
ner hatte die körperliche Betätigung der
Männer aber keinen Einfluss [22].
Körperliche Inaktivität und erhöhter
Fernsehkonsum (> 20 Stunden pro Wo-
che) waren ebenfalls mit einer reduzier-
ten Spermienkonzentration assoziiert
[23]. In anderen Studien konnte hinge-
gen kein Zusammenhang zwischen kör-
perlicher Aktivität und der Spermaqua-
lität oder sogar eine Verschlechterung
der Spermaqualität nachgewiesen wer-
den [24, 25].
Neuere Untersuchungen weisen aber
auf einen möglichen positiven Effekt von
körperlicher Aktivität auf die Sperma-
qualität von übergewichtigen Männern
hin. So verbesserten sich Spermienkon-
zentration, -motilität und morphologi-
sche Qualität sowie der Testosteronwert
im Serum signifikant, wenn diese Män-
ner dreimal pro Woche für ca. eine Stun-
de auf dem Laufband aktiv waren [26].
Sehr intensives körperliches Training
kann aber mit einer Einschränkung der
Fertilisierungskapazität von Spermien
einhergehen [27].
Elektromagnetische Strahlung
Beeinträchtigungen der Spermatogene-
se wurden schon in den 1950er-Jahren
bei Soldaten der US-Armee, die in Ra-
darstationen ihre Gonaden gegenüber
Mikrowellenstrahlung exponiert hatten,
beobachtet [28]. Durch die zunehmende
Verbreitung von Mobiltelefonen ist das
Interesse an möglichen Auswirkungen
elektromagnetischer Felder auf die
männliche Fertilität gestiegen. Nach
dem derzeitigen Wissensstand kann das
Gefährdungspotenzial elektromagneti-
scher Felder (z. B. Mobiltelefone) auf das
Keimepithel noch nicht abschließend
beurteilt werden. Einige In-vitro-Unter-
suchungen an Spermien haben zwar Ef-
fekte auf Spermien gezeigt, ein gesicher-
ter negativer Einfluss auf die männliche
Fertilität ist aber nicht bewiesen [29–31].
■
→ Literatur: springermedizin.de/mmw
→ Title and Keywords: Life style and male
fertility  
Life style / male / fertility / infertility /
sperm quality
→ Für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Frank-Michael Köhn 
Andrologicum München
Burgstr. 7, D-80331 München
E-Mail: info@andrologicum.com
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
1. Faktoren der Lebensführung kön-
nen einen Einfluss auf die Sperma-
qualität haben.
2. Eine Beratung von Männern über
mögliche schädliche Auswirkungen
ihrer Lebensführung auf die Fertili-
tät ist sinnvoll.
3. Eine solche Beratung ist präventiv,
wenn noch kein Kinderwunsch be-
steht und kann bei akutem Kinder-
wunsch unterstützend wirken.
4. Besondere Bedeutung haben Niko-
tinkonsum, Übergewicht, Wärme-
exposition und Anabolika.
FORTBILDUNG
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