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EINESTAGES - 5.

Oktober 2008 20:32


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FREIKÖRPERKULTUR

Links und nackt

Sie agierten unbekleidet, aber mit prallem Selbstbewusstsein. Und sie verstanden sich als
revolutionärer, körpergestählter Vortrupp des kämpferischen Proletariats: Im "Bund Freier
Menschen" trafen sich in den zwanziger Jahren die Anhänger der Freikörperkultur aus dem
Dunstkreis von Sozialdemokratie und Kommunismus. Von Franz Walter

Die charismatische, wenngleich keineswegs unumstrittene Leitfigur der linken Freikörperkultur-Fans im "Bund

Freier Menschen" war der 1896 geborene Lehrer Adolf Koch. Dessen pädagogische Experimente auf dem
Gebiet des Naturismus und der Gesundheitsvorsorge sorgten auch in libertär-bürgerlichen Kreisen Berlins auf

neugierige Resonanz, bei der politischen Rechten indes stießen sie auf erbitterte Gegnerschaft.

Die Attacken von rechts erhöhten allerdings nur die Reputation Kochs im Lager der politischen Linken. Vor
allem etliche tausend junge Sozialisten aus allen Teilen Deutschlands abonnierten und lasen die Broschüren
und Aufsätze Kochs, dessen zentrale Zeitschrift unter dem Titel "Wir sind nackt und nennen uns du" erschien.
Nicht zuletzt die Ausstrahlung der Kochschen Persönlichkeit trug dazu bei, dass in den späten 1920er Jahren

die Nacktkultur innerhalb der sozialistischen Bewegung verbreiteter war als außerhalb der Linken. Insgesamt
dürfte es in dieser Zeit rund 100.000 bekennende Anhänger der Freien Körperkultur zwischen Ostsee und

Bodensee gegeben haben, 60.000 davon gehörten allein der sozialistischen Arbeiterbewegung an.

Fit werden für den Klassenkampf

Dabei war das Renommee der Nudisten in den benachbarten Organisationen des sozialistischen Milieus
keineswegs glänzend. Parteileute und Gewerkschaftsfunktionäre schimpften vielmehr oft genug über den
"Nacktkulturfimmel", den sie für einen ganz und gar unpolitischen Spleen bizarrer "Sonnenanbeter" hielten,
die dem proletarischen Befreiungskampf lediglich elementare Kräfte entzögen. Gerade solche Schmähungen
aber stachelten die Nacktkulturpropagandisten im Sozialismus erst recht dazu an, sich mit demonstrativem
Eifer als kompromisslose Avantgardisten des Klassenkampfes in Pose zu werfen.

In der revolutionären Auseinandersetzung, so argumentierten sie mit Verve, brauche die Arbeiterklasse
starke Nerven und belastbare Energien. Allerdings, so führten sie wortreich Klage, sei es mit solcherlei
Eigenschaften im Proletariat nicht weit her. Während die Bourgeoisie vitaminreich genährt, gesund, sportiv
und daher bestens trainiert für den Kampf gegen die abhängigen Schichten sei, biete die Arbeiterklasse ein
einziges trauriges Bild des Jammers: Man treffe dort weitgehend auf zermürbte, geschädigte, ausgepumpte

Körper. Kurzum, allein die sozialistische Freikörperkulturbewegung könne das träge und abgeschlaffte
Proletariat für die Klassenschlacht wieder hinreichend in Form bringen.

Pflicht zum allmorgendlichen frottieren

Einem unzweifelhaft prätentiösen Programm zur körperlich und geistigen "Befreiung des Proletariats"
unterzogen sich die Mitglieder der von Adolf Koch aufgebauten bzw. inspirierten Körperkulturschulen,
wenngleich dort das Klassenkampfpathos eine weitaus geringe Rolle spielte. Dafür aber war das interne
Reglement ohne Frage rigoros. Um Mitglied der durchaus exklusiven Schulgemeinden zu werden, musste man
sich einer umfassenden medizinischen Expertise aussetzen. Der Befund wurde in einem Gesundheitsbogen
festgehalten, den die Ärzte der Körperkulturschule alle Vierteljahre durch neuerliche Kontrollen ergänzten und
fortschrieben.

Auf der Basis dieser Untersuchungen entwarfen die Ärzte sodann die auf die körperlichen und
gesundheitlichen Eigenarten der einzelnen Schüler zugeschnittenen Gymnastikprogramme, die dann unter der
Leitung eines Lehrers in kleinen Gruppen von etwa 10 bis 12 Personen exerziert wurden. Neben dieser
individuell konzipierten Gymnastik gab es eine Reihe von Maximen, die für alle Mitglieder gleichermaßen
streng verbindlich waren. Das begann mit der täglichen Hautpflege. Von jedem Mitglied wurde erwartet, dass
er sich allmorgendlich am ganzen Körper wusch, frottierte und abbürstete. Schließlich mussten sich die
Mitglieder - natürlich nackt und ohne Trennung der Geschlechter - an einer Reihe kollektiver
Körperbildungsaktivitäten beteiligen, so an Massage- und Frottierübungen, an Schwimm- und
Gymnastikkursen und an Höhensonnenbestrahlung. Auch sollten die kognitiven Fähigkeiten fortgebildet

werden. Jede Woche trafen sich die Mitglieder zu einem Ausspracheabend, um ihre praktischen Aktivitäten
theoretisch zu durchdringen.

Strenger Stundenplan

Auch außerhalb Berlins, jenseits der Koch-Schulen, die nur für eine kleine Minderheit des linken Naturismus

Raum und Zuwendung bieten konnten, waren die Zugehörigen der sozialistischen Freikörperkulturbewegung
Abend für Abend in Aktivitäten ihrer Gruppe eingespannt. Montag: Höhensonne; Dienstag: Gymnastik;
Mittwoch: Turnen; Donnerstag: Schwimmen; Freitag: Vortrag; Samstag und Sonntag: Wanderungen mit
rhythmischer Gymnastik im Freien - so darf und muss man sich das Wochenprogramm einer
durchschnittlichen Gruppe "Freier Menschen" vorstellen.

Genau geplant und mit einem hohen Pensum an sportlichem Training und theoretischer Bildung verliefen
ebenfalls die überlokalen Treffen, zu denen sich die "Freien Menschen" vornehmlich an den Pfingstfeiertagen
zusammenfanden. Zwar war man dort zuweilen auch nur gesellig, spielte, musizierte und sang zusammen,
doch die sportlichen und gymnastischen Übungen bewältigten die "Freien Menschen" mit großem Ernst und
manchmal verbissener Konsequenz: Zwei bis drei Stunden Gymnastik am Tag, Waldlauf, Massage und
Abreibungen, Speerwerfen und vor allem Rugby - wohlgemerkt: das alles nackt trotz oftmals Nässe, Wind
und klirrender Kälte. Aber schließlich: Der Klassenkampf benötigte gehärtete Heroen, konnte zartbesaitete
"Weicheier" nicht gebrauchen.

Linke Nackedeis als Ausflugsattraktion

Doch widrige Witterungsverhältnisse waren sowieso nicht eigentlich die schlimmste Herausforderung. Als weit

lästiger empfanden die "Freien Menschen" die Fülle unerbetener Zuschauer, die ebenfalls zu den Treffen der
Freikörperkulturgruppe pilgerten, um den "Nackten" bei ihrem Treiben zuzugaffen. Mitunter geriet die
Situation nachgerade burlesk. Als die sächsischen Gruppen des linken Nudismus kurz vor Pfingsten 1929 ihr
Treffen in Zwickau-Planitz öffentlich ankündigten, da waren etliche Menschen in Südwest-Sachsen bereits im
Vorfeld in heller Aufregung und schwitziger Erwartung. Das Treffen der "Nackedeis" avancierte zum
Regionalgespräch und erregte die Phantasien der Bürger.

Am Morgen des Pfingstsonntags brachen folglich ganze Menschenkolonnen zum Ausflug nach Planitz auf,
bewegt offenkundig von der Hoffnung, einem lasziven Sodom und Gomorrha beiwohnen zu können. So bot
sich ein groteskes Bild: Da hatten etwa 40 bis 50 Leute auf einer Waldwiese ihre Kleidung abgelegt, machten
ihre Liegestütze wie Kniebeugen; und mehrere tausend Menschen schauten ihnen lüstern, vermutlich indes –
da es zu Orgien oder dergleichen partout nicht kommen wollte - sukzessive enttäuscht zu. Nach einiger Zeit
erschien endlich die Gendarmerie und trieb das unerbetene Publikum auseinander.

"Kulturmuckertum" und "Zwickel-Erlass"

Allerdings hatten die "Freien Menschen" die Polizei und Justiz keineswegs immer auf ihrer Seite. Mindestens
ebenso häufig lösten die Beamten auch gymnastische Übungen der Nacktkultur auf, zumal wenn sie
unangemeldet im Freien stattfanden, und brachten den Vorgang zur Anzeige. Bald wurde das Klima in der
Republik gegenüber der Freikörperkultur generell zunehmend illiberaler. Eine drückende Atmosphäre des
"Kulturmuckertums" machte sich in den frühen 1930er Jahre in Deutschland breit. Mit der Etablierung des
"Kabinetts der Barone" unter Reichskanzler Franz von Papen stand die organisatorische Existenz der "Freien
Menschen" final zur Disposition. Die preußische Badepolizeiordnung vom 18. August 1932 nämlich belegte

das "öffentliche Nacktbaden oder Baden in anstößiger Kleidung" mit einer Geldstrafe, kurz darauf wurden mit
dem sogenannten "Zwickelerlass" die Standards für eine züchtige Badebekleidung rigide fixiert.

Vor exakt 75 Jahren also war es mit der sozialistischen Freikörperkultur als organisiertem, auch

ambitioniertem, wenngleich gewiss etwas verstiegenem Beitrag zu einer alternativen, linken Lebensweise
vorbei. Das Projekt "neuer Mensch" war schon zum Ende der Weimarer Republik an Grenzen gestoßen. Der

Ausbreitung von FKK-Stränden hat das seither bekanntlich keinen Abbruch getan - Trainingsstätten für
sozialistische Emanzipationskämpfe und perfektionistischen Gesundheitsfuror sind die Terrains der
Kleiderlosigkeit und des nahtlosen Bräunens allerdings nicht mehr. Doch bedauern muss man das wohl nicht.

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Eingereicht von: REDAKTION EINESTAGES

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