Sie sind auf Seite 1von 67

Deutsche Gesetzliche

Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Mittelstraße 51
10117 Berlin
Telefon: 030 288763-800
Fax: 030 288763-808
E-Mail: info@dguv.de
Internet: www.dguv.de

Ausschuss „Arbeitsmedizin“
der DGUV

Leitfaden für Betriebsärzte


zu psychischen Belastungen und
den Folgen in der Arbeitswelt
Leitfaden für Betriebsärzte
zu psychischen Belastungen und
den Folgen in der Arbeitswelt

1
Verfasser: Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“
des Fachausschusses „Einwirkungen und
arbeitsbedingte Gesundheitgefahren“ der DGUV
Susanne Bonnemann, BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
Dr. Bernd Lindemeier, BG der Bauwirtschaft
Constanze Nordbrock, BG Nahrungsmittel und Gaststätten
Ellen Schwinger, BG Nahrungsmittel und Gaststätten
Dr. Karl Stoeckl, Verwaltungs-BG
Klaus Schlingplässer, BG Rohstoffe und chemische Industrie
Überarbeitung durch AK 4.1 „Betriebsärztliche Tätigkeit“
des Ausschusses „Arbeitsmedizin“ der DGUV

Broschürenversand: info@dguv.de

Herausgeber: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)


Mittelstraße 51, D – 10117 Berlin
Telefon: 030 288763-800
Telefax: 030 288763-808
Internet: www.dguv.de
– Februar 2010 –

Umschlagfoto: © El Gaucho – Fotolia.com

Satz und Layout: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

Druck: Medienhaus Plump, Rheinbreitbach

ISBN: 978-3-88383-831-1
(online: 978-3-88383-832-8)

2
Inhalt
Seite

Vorwort............................................................................................ 5

Kapitel 1 Rechtliche Grundlagen


1.1 Sozialgesetzbuch VII........................................................................ 7
1.2 Arbeitsschutzgesetz......................................................................... 7
1.3 Arbeitssicherheitsgesetz § 3............................................................. 7
1.4 Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge................................ 8
1.5 Bildschirmarbeitsverordnung........................................................... 8

Kapitel 2 Psychische Belastungen und ihre Auswirkungen


2.1 Erweitertes Belastungs-Beanspruchungsmodell............................... 9
2.2 Einteilung psychischer Belastungen................................................. 11
2.3 Spezielle Formen psychischer Belastungen...................................... 12
2.3.1 Traumatische Ereignisse................................................................... 12
2.3.2 Mobbing.......................................................................................... 12
2.3.3 Burnout-Syndrom............................................................................. 14
2.4 Kurz- und langfristige Folgen psychischer Belastung
und Fehlbeanspruchung................................................................... 15
2.5 Neue Forschungsansätze.................................................................. 16

Kapitel 3 Praktische Vorgehensweise im Betrieb


3.1 Mögliche Vorbehalte seitens der Betriebe......................................... 21
3.2 Mögliche wirtschaftliche Vorteile für den Betrieb.............................. 24
3.3 Erkennen psychischer Belastungen und
Fehlbeanspruchungen im Betrieb..................................................... 25
3.3.1 Die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung............................... 26
3.3.2 Die Wunschuntersuchung nach § 11 ArbSchG, ArbMedVV.................. 27
3.3.3 Einführungsgespräch mit dem Unternehmer..................................... 27
3.3.4 Arbeitsplatzbesichtigung, Betriebsbegehung................................... 30
3.3.5 Weitere mögliche Informationsquellen............................................. 31
3.3.5.1 Auswertung des Unfallgeschehens................................................... 31
3.3.5.2 Analyseverfahren............................................................................. 32
3.3.5.3 Gefährdungsbeurteilung.................................................................. 33
3.3.5.4 Vorhandene Arbeits- und Gesundheitsschutz-
managementsysteme....................................................................... 35
3.3.5.5 Gesundheitsberichte........................................................................ 35
3.4 Bewertung der ermittelten Information............................................. 36
3.5 Präventionsmaßnahmen.................................................................. 36
3.6 Weitere Maßnahmen........................................................................ 39
3
Seite

Kapitel 4 Beispiele zur psychischen Belastung am Arbeitsplatz


4.1 Belastungen von Fahrern im öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV)............................................................... 41
4.2 Psychische Belastungen von Instandhaltern....................................... 42
4.3 Manipulation an Schutzeinrichtungen................................................ 43
4.4 Pünktlichkeit im Baugewerbe.............................................................. 44
4.5 Druckereibereich Fotosatz.................................................................. 45
4.6 Altenpflegeheim................................................................................. 46
4.7 Intensivpflege.................................................................................... 47
4.8 Gestaltung der Arbeit in einem Inbound-Call-Center............................ 49
4.9 Wiederkehrende monotone Büroarbeit............................................... 50
4.10 Unfall an einer Spritzgießmaschine..................................................... 51

Kapitel 5 Hilfen
5.1 Literatur............................................................................................. 53
5.2 Normen.............................................................................................. 54
5.3 Links.................................................................................................. 54
5.4 Instrumente........................................................................................ 55
5.5 Depressionen, Angststörungen und traumatische Ereignisse............... 55
5.6 Burnout-Syndrom............................................................................... 56
5.7 Gesprächsführung.............................................................................. 56
5.8 Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz.................................................. 56
5.9 Neue Forschungsansätze zur Betrachtung der
Auswirkungen psychischer Belastungen............................................. 57
5.10 Psychobiologie................................................................................... 58
5.11 Psychische Belastungen und Gefährdungsbeurteilung........................ 58

Glossar............................................................................................... 61

4
Vorwort

Die Musterweiterbildungsordnung und die Mit dem Thema „Psychische Belastungen“


Musterrichtlinien über den Inhalt der Wei- beschäftigen sich im Arbeits- und Gesund-
terbildung gemäß Beschluss des Vorstan- heitsschutz viele Professionen: Ingenieure,
des der Bundesärztekammer 2008 (siehe Fachkräfte, (Arbeits-)Psychologen, Ärzte,
Kursbuch Arbeitsmedizin 2. Auflage vom Unternehmer. Um ein möglichst einheitli-
20.04.2007) sieht im Punkt „menschenge- ches Vokabular in Diskussionen zu verwen-
rechte Arbeitsgestaltung“ die Beschäftigung den, wird auf das Belastungs-Beanspru-
mit psychischen Belastungen und Fehlbean- chungsmodell verwiesen (s. Verständigungs-
spruchungen vor. papier unter Fachleuten, DIN ISO 10075).

Insbesondere der Themenbereich der Dieser Leitfaden hat nicht den Anspruch,
psychischen Fehlbeanspruchungen erfordert die Betriebsärzte zu psychologischen
erweiterte Perspektiven und Vorgehenswei- Fachberatern auszubilden. Es geht vielmehr
sen. darum, das Bewusstsein und den Blick für
die Zusammenhänge zwischen psychischen
Gesetzliche Unfallversicherungsträger (UVT) Belastungen und Fehlbeanspruchungen
sind seit 1996 lt. dem SGB VII § 1 und § 14 aus betrieblicher Sicht und aus Sicht des
dazu aufgerufen, neben den Arbeitsunfällen Mitarbeiters zu schärfen, sowie deren Folgen
und den Berufskrankheiten auch die arbeits- (z. B. Unfallgefahr, Arbeitsunzufriedenheit,
bedingten Gesundheitsgefahren mit allen Leistungsminderung, Komorbidität, Arbeits-
geeigneten Mitteln zu verhüten. ausfall) vorzubeugen. Dadurch kann die
eigene Beratungskompetenz gefestigt und
Das Sachgebiet Psyche und Gesundheit in erweitert werden. Es werden Grundlagen und
der Arbeitswelt (FA WIRK) der deutschen Handlungshilfen vermittelt. Ziel ist auch,
gesetzlichen Unfallversicherung entwickelte eine frühzeitige Weichenstellung z. B. in
ein Qualifizierungskonzept, das Betriebs- Bezug auf externe Beratung für den Betrieb
ärzte* (Ärzte mit der Gebietsbezeichnung oder ein individuelles Fallmanagement für
Arbeitsmedizin oder der Zusatzbezeichnung den Mitarbeiter einzuleiten. Gleichzeitig
Betriebsmedizin) bei der Beratung zu psychi- werden jedoch auch die Grenzen betriebs-
schen Fehlbeanspruchungen unterstützen ärztlichen Handelns deutlich.
soll.

* Mit der Verwendung der männlichen Berufsbezeichnungen sind stets beide Geschlechter
eingeschlossen
5
6
Kapitel 1

Rechtliche Grundlagen
Psychische Belastungen sind auch aus rechtlicher Sicht ein Thema
für den Arbeitsschutz und für den Betriebsarzt.

1.1 Sozialgesetzbuch VII der Beschäftigten bei der Arbeit beein-


Der durch das SGB VII 1996 formulierte flussen,
„erweiterte Präventionsauftrag“ richtet sich • bei der Planung seiner Maßnahmen
an die UVT, die ihre Mitgliedsunternehmen Technik, Arbeitsorganisation, soziale
durch den Technischen Aufsichtsdienst Beziehungen und Umwelteinflüsse sach-
überwachen. Zudem werden Unternehmer gerecht verknüpfen sowie
und Versicherte auch zu arbeitsbeding- • arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse
ten Gesundheitsgefahren beraten. Diese einbeziehen.
Aufgaben nimmt nicht nur der Technische
Aufsichtsdienst wahr, sondern auch Be- Aus diesem ganzheitlichen Ansatz ergibt
triebsärzte und Arbeitspsychologen der UVT. sich die Verpflichtung, auch die psychischen
Ein Qualifizierungskonzept steht den UVT Belastungen in der Gefährdungsbeurtei-
zur Verfügung, um Betriebsärzte der versi- lung zu berücksichtigen. Hierbei kann der
cherten Betriebe zum Thema „Psychische Betriebsarzt den Unternehmer beraten und
Belastungen“ fortzubilden. unterstützen.

1.2 Arbeitsschutzgesetz 1.3 Arbeitssicherheitsgesetz § 3


Für das staatliche Arbeitsschutzrecht ist das Das Gesetz über Betriebsärzte, Sicher-
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) eine zentrale heitsingenieure und andere Fachkräfte für
Vorschrift und richtet sich an den Arbeit- Arbeitssicherheit richtet sich auch an den
geber. Unternehmer und formuliert im § 3 die Auf-
gaben der Betriebsärzte. Diese haben u. a.
Der Gesetzgeber zählt die menschen- insbesondere:
gerechte Gestaltung der Arbeit zu den Maß-
nahmen des Arbeitsschutzes und nennt in • den Arbeitgeber zu arbeitspsychologi-
§ 2 ArbSchG explizit die „arbeitsbedingten schen Fragen zu beraten,
Gesundheitsgefahren“: • die Arbeitsbedingungen zu beurteilen,
• die Ursachen von arbeitsbedingten
Der Arbeitgeber muss nach dem § 3 Abs. 1, Erkrankungen zu untersuchen,
§ 4 ArbSchG • die Untersuchungsergebnisse zu erfassen
• Maßnahmen des Arbeitsschutzes und auszuwerten und dem Arbeitgeber
treffen, Maßnahmen zur Verhütung dieser Erkran-
• dabei diejenigen Umstände berücksich- kungen vorzuschlagen,
tigen, die die Sicherheit und Gesundheit

7
• alle im Betrieb Beschäftigten über 1.5 Bildschirmarbeitsplatz-
Gesundheitsgefahren, denen sie bei der verordnung
Arbeit ausgesetzt sind sowie über Maß- Die Bildschirmarbeitsplatzverordnung
nahmen und Einrichtungen zur Abwen- (BildscharbV) fordert explizit in § 3
dung dieser Gefahren zu belehren. dazu auf, neben den Sicherheits- und
Gesundheitsbedingungen einer möglichen
1.4 Verordnung zur arbeitsmedizinischen Gefährdung des Sehvermögens sowie
Vorsorge körperlicher Probleme auch die psychischen
Die seit Dezember 2008 gültige Verordnung Belastungen zu ermitteln und zu beurteilen.
zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMed-
VV) gilt für die arbeitsmedizinische Vorsorge
im Geltungsbereich des Arbeitsschutzgeset-
zes (s. o.). Die sonstigen arbeitsmedizini-
schen Präventionsmaßnahmen, insbesonde-
re nach dem ArbSchG und ASiG (§ 3) bleiben
von dieser Verordnung unberührt.

8
Kapitel 2

Psychische Belastungen und


ihre Auswirkungen
2.1 Erweitertes Belastungs- ergebenden kognitiven, emotionalen und
Beanspruchungs-Modell verhaltensmäßigen Anforderungen.
• Belastungen wirken auf alle Mitarbeiter,
Jede Tätigkeit geht mit psychischen Belas- die sich diesen Belastungen aussetzen,
tungen einher. Sie sind normale Begleit- gleichermaßen ein. Beispiel: Lärm, Klima
erscheinungen der Arbeit und daher oder zu tragende Lasten.
zunächst neutral zu bewerten. Sie können • Belastungen führen zu Beanspruchungen
sowohl zu positiven Folgen, wie z. B. Anre- des Mitarbeiters.
gungs-, Lern- und Trainingseffekten als • Belastungen aus dem privaten Bereich
auch zu negativen Folgen körperlicher können auch einen Einfluss auf die beruf-
(z. B. verringerte Leistungsfähigkeit, Krank- liche Sphäre nehmen. Diese privaten
heiten), psychischer (z. B. Monotoniezu- Belastungen sind allerdings nicht Gegen-
stand, psychische Sättigung, Ärger, Ermü- stand berufsgenossenschaftlicher Präven-
dung) oder verhaltensbezogener Art (z. B. tionsmaßnahmen. Umgekehrt können sich
riskantes Verhalten oder Suchtmittelmiss- berufsgenossenschaftliche Präventions-
brauch) führen. Wie sich nun die vielfältigen maßnahmen zur Optimierung der Arbeits-
mit der Arbeit einhergehenden Belastungen situation auch positiv im privaten Bereich
auswirken und welche Bedingungen hier auswirken.
mitwirken, lässt sich mit Hilfe des Belas- • Arbeitsbedingte psychische Beanspru-
tungs-Beanspruchungs-Modells darstellen chung wird definiert als die Gesamtheit
(siehe Abbildung 1, Seite 10). emotionaler, kognitiver, verhaltensmä-
ßiger und zentralnervös vermittelter
Das hier dargestellte Belastungs-Bean- physiologischer Reaktionen auf Aspekte
spruchungs-Modell stellt eine Schnittstelle des Arbeitsinhaltes, der Arbeitsorgani-
zwischen Einflüssen der Arbeitstätigkeit und sation und der Arbeitsumgebung. Dabei
des privaten Umfeldes und den Auswirkun- sind kurz- und langfristige Reaktionen zu
gen auf den Mitarbeiter dar. Die Abbildung unterscheiden.
lässt sich folgendermaßen erläutern: • Fehlbeanspruchung bezeichnet Belas-
tungsreaktionen, welche die Gesund-
• Psychische Belastungen sind die Gesamt- heit kurz- oder langfristig signifikant
heit aller erfassbaren Einflüsse, die von beeinträchtigen. Davon sind langfristige
außen auf den Menschen zukommen und gesundheitliche Folgen der Anpassung an
psychisch auf ihn einwirken. Arbeits- Fehlbeanspruchung zu unterscheiden.
bedingte psychische Belastungen sind die • Externe Ressourcen sind Möglichkeiten
sich aus dem Arbeitsinhalt, der Arbeits- des Betriebes, die Belastungssituation
organisation und der Arbeitsumgebung zu entschärfen, ohne die Belastungsfak-

9
Rückkopplungsprozesse

Arbeits-
bedingte Externe Beanspruchung
Belastungen Ressourcen
positiv positiv
unmittelbare
Arbeitsumgebung
Reaktion Kurzfristige Langfristige
Soziales Klima des Körpers Folgen Folgen
Arbeitsaufgabe
individuell
Arbeitsorganisation Persönliche unterschiedlich negativ negativ
Ressourcen

Private
Belastungen Rückkopplungsprozesse

Abbildung 1:
Das erweiterte Belastungs- und Beanspruchungsmodell

toren selbst zu verändern, z. B. wenn der • Die Folgen von Beanspruchungen können
Mitarbeiter selbst entscheiden kann, wann auf der Verhaltens-, der Erlebens- und der
welche Arbeitsschritte von ihm verrichtet körperlichen Ebene registriert werden.
werden. • Unterschiedliche Belastungen können sich
• Persönliche Ressourcen sind individuell gegenseitig verstärken. Unter ungünstigen
unterschiedlich ausgeprägt. Je nachdem Bedingungen kann dadurch die Ausfüh-
über welche Qualifikation, Erfahrungen, rung der Tätigkeit blockiert sein. Beispiel:
gesundheitlichen Voraussetzungen, Geistige Tätigkeiten bei lauter Umgebung
Problembewältigungsmöglichkeiten oder oder schwere körperliche Arbeit unter
auch positiven bzw. negativen Grundstim- Hitzebedingungen.
mungen Individuen verfügen, ergeben sich
ganz verschiedene Beanspruchungen. Von Belang für den Arbeitsschutz werden die
• Beanspruchungen können zu positiven mit der Arbeit einhergehenden psychischen
und negativen Folgen führen. Entschei- Belastungen dann, wenn sie zu negativen
dend sind die Leistungsvoraussetzungen psychischen Beanspruchungsfolgen führen.
des Mitarbeiters und die Ausprägung, Diese können die Leistungsfähigkeit in
Dauer und Kombination der jeweiligen vielfältiger Form beeinflussen (z. B. einge-
Belastungen. So kann Zeitdruck von dem schränkte Wahrnehmungs-, Konzentrations-
einen Mitarbeiter als anregend und akti- und Reaktionsfähigkeit) und zum Auftreten
vierend empfunden werden, während ein von Fehlern und sicherheitswidrigen Verhal-
anderer mit Stresserleben reagiert. tensweisen führen.

10
Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell • Daueraufmerksamkeit
sieht häufig lediglich eine lineare Vorwärts- • unzureichende Klarheit über Arbeits-
bewegung vor. Aus Arbeitsbelastungen abläufe
resultieren am Ende der Reaktionskette • monotone, repetitive Tätigkeiten
Beanspruchungsfolgen. Zum heutigen Zeit-
punkt ist man sich einig, dass eine solche • Arbeitsumgebung, z. B.
vereinfachte Betrachtung ungenügend ist. • nicht angepasster ergonomischer
Vielmehr ist das Belastungs-Beanspru- Arbeitsplatz und Arbeitsmittel
chungs-Modell von komplexen Rückkopp- • Umgebungseinflüsse
lungsprozessen gekennzeichnet. Bisher (z. B. Lärm, Schwingungen, Kälte, Hitze)
im Modell unberücksichtigt sind auch die • Beleuchtungsmängel
Einflüsse parallel vorhandener psychischer • Innenraumbelastung
und somatischer Erkrankungen (somato-
psychische Komorbidität) auf arbeitsbezo- • Arbeitsorganisation, z. B.
gene Belastungen. • mangelnde qualitative und quantitative
Anforderungen
2.2 Einteilung psychischer Belastungen • unzureichende Qualifikationsangebote
Nach DIN EN 10075-1 „Ergonomische Grund- • unzureichende Kooperation, fehlende
lagen bezüglich psychischer Arbeitsbelas- Kommunikation, fehlende Unter-
tung” werden psychische Belastungen als stützung
„die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, • Informationsmangel
die von außen auf den Menschen zukommen • Arbeitszeitgestaltung/Nacht- und
und psychisch auf ihn einwirken” definiert. Schichtarbeit
• häufige Überschreitung der vereinbarten
Psychische Belastungen können sich aus: Arbeitszeit
• der Arbeitsaufgabe,
• der Arbeitsumgebung, • Psychosoziale Rahmenbedingungen
• der Arbeitsorganisation, (Mensch-Mensch-Schnittstelle), z. B.
• psychosozialen Rahmenbedingungen • Konflikte, Gruppenverhalten, Vor-
(Mensch-Mensch-Schnittstelle) und gesetztenverhalten
• weiteren betrieblichen Rahmen- • widersprüchliche Anweisungen
bedingungen • soziale Isolation
ergeben. • fehlende Unterstützung und Hilfe-
leistungen
Beispiele hierfür sind: • soziale Konflikte
• Arbeitsaufgabe, z. B. • Ärger mit Kollegen, Vorgesetzten
• fehlender Handlungs- und Entschei- und Kunden
dungsspielraum
• fehlende Informationen • Weitere betriebliche Rahmenbedin-
• Zeitdruck, kurze Taktzyklen gungen, z. B.
• häufige, unvorhergesehene Abwei- • drohender Arbeitsplatzverlust/Abbau
chungen im Arbeitsablauf von Arbeitsplätzen in Betrieben
• befristetes Arbeitsverhältnis

11
• Scheinselbständigkeit Zu beachten ist, dass nach der anfänglichen
• extreme Überstundenerwartung individuellen Schockphase nicht jeder Be-
troffene eine chronische Belastungsstörung
2.3 Spezielle Formen psychischer entwickelt. Manchmal kann eine zu frühe
Belastungen therapeutische Intervention eine Chronifizie-
Neben den o.g. arbeitsbedingten Belastun- rung vorantreiben!
gen werden nachfolgend einige besondere
Belastungsarten genannt, denen heute Dem Betriebsarzt kommt hierbei aufgrund
stärkere Aufmerksamkeit gewidmet wird. seiner besonderen Nähe zum Betrieb die
besondere Aufgabe zu, ein Augenmerk auf
2.3.1 Traumatische Ereignisse den betroffenen Mitarbeiter zu haben, ihm
Wenn sich z. B. schwere Unfälle oder Über- Kontakt und das ärztliche Gespräch anzubie-
fälle ereignen, kann eine Traumatisierung ten, ihn über das Risiko einer Chronifizierung
der Beteiligten erfolgen. Um langfristige Fol- und ggf. über die Möglichkeit einer therapeu-
gen zu vermeiden, ist eine bedarfsgerechte tischen Unterstützung zu informieren, falls
psychologische Betreuung zu ermöglichen, diese Hilfe vom Betroffenen gewünscht wird.
die den jeweiligen Zustand der Betroffenen Zudem sollte der Betriebsarzt Kollegen oder
berücksichtigt. Wird eine Person dabei Vorgesetzte informieren, da diese oft hilflos
nicht betreut, entstehen in bis zu 20 Prozent einem solchen Ereignis gegenüberstehen.
der Fälle posttraumatische Belastungsstö-
rungen. Diese sind u. a. gekennzeichnet 2.3.2 Mobbing
durch: Der Begriff „Mobbing“ ist in letzter Zeit sehr
populär geworden. Vielfach wird von Mob-
1. Wiedererleben des belastenden bingbelastungen gesprochen, obwohl diese
Ereignisses streng genommen nicht vorliegen. Werden
2. Vermeidungsverhalten oder emotionale Betriebsärzte mit Klagen dieser Art konfron-
Stumpfheit tiert, ist eine Versachlichung notwendig.
3. Erhöhtes Erregungsniveau
Mobbing ist eine konflikthafte Kommuni-
Die posttraumatische Belastungsstörung kation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder
ist eine behandlungsbedürftige Krankheit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern,
(s. ICD-10 und DSM IV Diagnoseschlüssel). bei der eine Person von einer oder einigen
Die Unfallversicherungsträger leisten ohne Personen
Prüfung des Ursachenzusammenhangs • systematisch,
zunächst Unterstützung z. B. durch fünf • oft (mindestens einmal pro Woche) und
probatorische Sitzungen durch einen quali- • während längerer Zeit (mindestens über
fizierten psychologischen oder ärztlichen sechs Monate),
Therapeuten. Voraussetzung für eine schnel- • mit dem Ziel des Ausstoßens aus dem
le Hilfe ist jedoch die Unfallmeldung (auch Arbeitsverhältnis/-bereich,
für Zeugen oder nicht körperlich Verletzte). • direkt oder indirekt
angegriffen wird.

12
Beim Mobbing können die folgenden Phasen 2. Arbeitsorganisatorische Maßnahmen
unterschieden werden: • kritische Überprüfung der Aufgabenstel-
lung für das Unternehmen insgesamt
1. Phase: tägliche Konflikte • Aufhebung starrer und autoritärer
• ungelöste Konflikte Strukturen
• Schuldzuweisungen • Veränderung im Produktionsablauf unter
• persönliche Angriffe Mitwirkung der Arbeitnehmer
• Schulungen und Weiterbildungsangebote
2. Phase: Mobbing etabliert sich im Vorfeld möglicher Reorganisations-
• systematische Schikane maßnahmen
• Verweigerung einer Klärung • Transparente Aufgaben- und Rollen-
• zunehmende Isolation verteilung
• Transparenz der Arbeitsabläufe
3. Phase: Destruktive Personalverwaltung • Einbeziehung der Mitarbeiter in Planungs-
• betriebliche Fehlentscheidungen, z. B. und Entscheidungsprozesse
Abmahnung aufgrund von Fehlzeiten • Einrichtung eines betrieblichen Vor-
• unterbleibende Schutzmaßnahmen schlagswesens
• Verteilung der Arbeit auf so viele Schultern
4. Phase: Ausschluss wie nötig
• Ausschluss aus der Arbeitswelt, z. B. • flexible Arbeitszeiten als flankierende
Eigenkündigung, langfristige Krankschrei- Unterstützung
bung, Frühpensionierung • Berücksichtigung individueller Bedürf-
nisse bei der Besetzung betrieblicher
Bei Mobbing bieten sich weiterhin folgende Positionen
Präventionsmaßnahmen an: • Schaffung weitergehender Kompetenzen
für die Mitarbeiter
1. Aufklärung • Verteilung von Routinearbeiten auf
• Mobbing zum Thema machen mehrere Beschäftigte
• klare und eindeutige Position der Füh-
rungsspitze 3. Weitere Maßnahmen
• Verdeutlichung des Ausmaßes • Seminar Mobbing/Konfliktbewältigung
• Aufzeigen negativer betriebswirtschaft- für alle Ebenen
licher Konsequenzen • Betriebs-/Dienstvereinbarungen
• Betriebs-/Personalversammlungen, abschließen
Bürobesprechungen, etc. • Arbeitsgruppen zu Mobbing einrichten
• Fragebogenaktion durchführen • Installieren eines klaren Beschwerde-
• Informationen zum Thema in Firmen- weges
zeitschriften, Aushänge, Rundschreiben, • Benennen von Anlauf-/Beratungsstellen,
Broschüren, etc. Ansprechpersonen
• Schwerpunkt der Personal-/Betriebsrats- • Mobbing-Beauftragte
arbeit • Schlichtungsmodelle
• Regelmäßige Aussprachen
• Patenschaften

13
2.3.3 Burnout-Syndrom (2) Schaufeli und Enzmann, 1998
(Vgl. Burisch, 2006; Rösing, 2003) „Burnout ist ein dauerhafter, negativer,
Es wird angenommen, dass das Burnout- arbeitsbezogener Seelenzustand normaler
Syndrom heutzutage nachweisbar in fast Individuen. Er ist in erster Linie von Er-
allen Berufsgruppen auftritt. Trotz der schöpfung gekennzeichnet, begleitet von
Popularität des Begriffes liegt bisher keine Unruhe und Anspannung (distress), einem
allgemeingültige Definition dafür vor. Viele Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener
der Definitionen orientieren sich an dem Motivation und der Entwicklung dysfunkti-
dominierenden Messinstrument von Mas- onaler Einstellungen und Verhaltensweisen
lach (Maslach Burnout Inventory). Quali- bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung
tative und quantitative Zugänge existieren entwickelt sich nach und nach, kann dem
bis heute nebeneinander, zusätzlich wird Betroffenen aber lange unbemerkt bleiben.
zwischen Zustands- und Prozessdefinitionen Sie resultiert aus einer Fehlanpassung von
unterschieden: Intentionen und Berufsrealität. Burnout
erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungs-
(1) Maslach, 1982 strategien, die mit dem Syndrom zusammen-
„ein Syndrom emotionaler Erschöpfung, hängen, oft selbst aufrecht.“
Depersonalisierung und persönlicher Leis-
tungseinbußen, das bei Individuen auftreten Abschließend sei hier noch die revidierte
kann, die in irgendeiner Art mit Menschen Definition von Maslach und Leitner ange-
arbeiten. Es ist eine Reaktion auf die chroni- führt:
sche emotionale Belastung, sich andauernd
mit Menschen zu beschäftigen, besonders, (3) Maslach und Leiter, 1997/2001
wenn diese in Not sind oder Probleme „eine Erosion der Werte, der Würde, des
haben.“ Geistes und des Willens – eine Erosion der
menschlichen Seele. Es ist ein Leiden, das
Diese Zustandsdefinition findet sich auch im sich schrittweise und ständig ausbreitet und
Maslach Burnout Inventory wieder, wel- Menschen in eine Abwärtsspirale zieht, aus
ches das Burnout-Syndrom über die Skalen der das Entkommen schwer fällt.“
„Emotionale Erschöpfung“, „Depersonalisie-
rung“ und „Persönliche Leistungseinbußen“ Als Kritik am Burnout-Begriff lassen sich die
erfasst. Nach dieser Definition sollte das folgenden Punkte anführen (Bärenz et. al.,
Burnout-Syndrom nur bei solchen Menschen 2006). Die Heterogenität der unterschiedli-
auftreten, die anderen Menschen „helfen“. chen Definitionen zeigt, dass das Burnout-
Syndrom alles und nichts sein kann. Um ein
Schaufeli und Enzmann fassen in ihrer „Syndrom“ im nosologischen Sinn handelt
Arbeits- und Prozessdefinition die Quint- es sich nicht, da die Symptome weder spezi-
essenz vieler Definitionen folgendermaßen fisch und charakteristisch noch untereinan-
zusammen: der kohärent sind. Eine Differenzierung von
klassischen Depressions- und Stresssymp-
tomen wird nicht gegeben, ein Modell des
Wirkungszusammenhangs existiert nicht.
Das Burnout-Syndrom ist auch kein eigen-

14
ständiger Bestandteil gängiger Diagnose- unsicherer Umsatz, Suchtprobleme und
systeme, sondern wird im ICD-10 lediglich Konflikte mit Mitarbeitern, Zahlungsunfähig-
über die Zusatzkodierung Z73.0 abgebildet. keit von Kunden, defektes Arbeitsmaterial,
Die Diagnose „Burnout-Syndrom“ erfolgt Handmaschinen, vermehrte Montagefehler.
meistens mittels Fragebögen mit fraglicher
Faktorenstruktur. Die Cut-Off-Werte, die dar- Für Horst K. ergeben sich noch weitere
über entscheiden, ob Burnout vorliegt oder Probleme:
nicht, sind oft unbegründet. Diese Fragebo-
genskalen, insbesondere die Skala „Emoti- Nach einem Herzinfarkt stellte er sich die be-
onale Erschöpfung“, weisen zusätzlich hohe drohliche Frage, ob er seine Lebensaufgabe,
Korrelationen mit Depressivitäts-, Ängstlich- den Betrieb, wieder würde führen können.
keits- und Somatisierungsmaßen auf. Der Die verheirateten Töchter hatten kein Inter-
Mehrwert der Diagnose „Burnout-Syndrom“ esse an dem Betrieb. In der Rehabilitation
bleibt daher fraglich. Als Kurzformel für wurde in therapeutischen Gesprächen auch
Erschöpfungszustände unter bestimmten die berufliche Belastung deutlich. Ein Ziel,
beruflich-sozialen Bedingungen mit den wie die beruflichen Belastungen gemildert
entsprechenden Folgen für die Arbeitsmoti- werden könnten, konnte nur bedingt erarbei-
vation ist der Begriff „Burnout“ verwendbar, tet werden.
als nosologischer oder ätiologischer Begriff
ist er aber nicht nützlich. Als Belastungen konnten dabei insbesonde-
re festgestellt werden:
2.4 Kurz- und langfristige Folgen
psychischer Belastung und Fehl- • Zeitweise sehr hohe Arbeitsbelastung
beanspruchung durch Zeitdruck für alle Mitarbeiter –
Zu welchen Folgen psychische Belastungen dadurch bedingte schlechte und unüber-
und Fehlbeanspruchungen führen können, sichtliche Arbeitsorganisation
sei anhand eines authentischen Falles dar- • Zu enge Kundentermine ohne Berück-
gestellt. Die Folgen hätten bei rechtzeitiger sichtigung der Wetter- und Verkehrslage;
Intervention vielleicht vermieden werden Firmenfahrzeuge wurden nicht in nöti-
können. Dieses Beispiel handelt von einem gem Intervall gewartet, daher Ausfall
selbst versicherten Unternehmer, der vielfäl- eines Fahrzeuges, keine Überprüfung der
tigen und zum Teil bedenklichen Belastun- Arbeitsmittel auf ihre Vollständigkeit und
gen ausgesetzt ist. Funktionstüchtigkeit, daher Fehlen oder
Ausfall von Arbeitsmitteln mit zusätzlicher
Beispiel: Herzinfarkt eines versicherten Belastung der Mitarbeiter – Dadurch Unzu-
Unternehmers friedenheit der Mitarbeiter mit schlechtem
Horst K. (56) führt eine Bauschlosserei, die Betriebsklima
sich auf die Konstruktion und Montage von • Alkoholproblem eines Mitarbeiters mit
Metallbaukomponenten wie etwa Treppen- Ausfallzeiten
und Torkonstruktionen spezialisiert hat. • Mangelnde Kundenbindung durch
Es gibt seit längerem mehrere Probleme schlechte Arbeitsmotivation
im Betrieb: Wechselnde Auftragslage mit
Stoßzeiten oder ausbleibenden Aufträgen,

15
• Schlechtes eigenes Gesundheitsverhalten: Zum besseren Verständnis dieser komple-
Gewichtszunahme, Nichtinanspruchnah- xen Zusammenhänge zwischen Belastung,
me ärztlicher Vorsorgeuntersuchungen Beanspruchung und Beanspruchungsfolgen
oder Arztbesuche bei seit längerem werden in letzter Zeit immer häufiger die
bestehender Angina pectoris (Risikofakto- Begriffe „Allostase“ und „Allostatic Load“
ren: Hyperlipidämie, Nikotinabusus) und (allostatische Last) verwendet. Der Begriff
Alkoholkonsum zur Kompensation der der Allostase beschreibt einen selbstregulie-
Arbeitsbelastung renden biologischen Prozess, durch den der
• Zahlungssäumige Kunden menschliche Körper in der Lage ist, adaptiv
• Drohende Kreditverweigerung der Haus- auf tägliche Belastungen zu reagieren und
bank dadurch die Homöostase der unterschied-
lichsten Organsysteme aufrecht zu erhalten.
Einige betriebliche Probleme könnten durch Kurzfristig ermöglicht die Allostase zwar
die Gefährdungsbeurteilung erfasst werden. eine effektive Belastungsbewältigung, diese
Mechanismen können sich aber längerfristig
Der Betriebsarzt sollte bei der Gefährdungs- auch negativ auf den menschlichen Organis-
beurteilung hinzugezogen werden. Darüber mus auswirken und Spuren hinterlassen, die
hinaus kann er z. B. in diesem Fallbeispiel mit dem Begriff „Allostatic Load“ bezeich-
nicht nur die betriebliche Situation (unzurei- net werden. Abbildung 2 stellt den Ablauf
chende Arbeitsorganisation, schlechte Kom- einer normalen physiologischen Stressre-
munikation, ggf. autoritärer Führungsstil) aktion dar und verdeutlicht, unter welchen
beurteilen und Empfehlungen geben, son- Bedingungen es zu einer allostatischen Last
dern besonders auch die gesundheitlichen kommen kann.
Aspekte von Horst K. beurteilen und ihn ggf.
in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt bei der Zu einer allostatischen Last kann es einer-
Umsetzung der gesundheitlichen Ziele und seits kommen, wenn der Organismus über
der Compliance unterstützen. einen längeren Zeitraum vielen belastenden
und neuen Ereignissen ausgesetzt ist
2.5 Neue Forschungsansätze („repeated hits“) oder die physiologische
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit Stressreaktion bei dem wiederholten
mit dem Otto-Selz-Institut der Universität Erleben einer gleichen Belastung in ihrem
Mannheim. Ausmaß nicht abnimmt („lack of adaption“).
Andererseits kann es zu einer allostatischen
Die aktuelle Belastungs- und Beanspru- Last kommen, wenn die physiologische
chungsforschung stellt sich der Heraus- Stressreaktion insgesamt entweder zu stark
forderung, aus den komplexen und häufig („prolonged response“) oder zu schwach
unspezifisch beschriebenen Wirkungszu- („inadequate response“) ausfällt.
sammenhängen überprüfbare Hypothesen
abzuleiten. Physiologische Indikatoren der Bei der Diagnostik von Belastung, Bean-
Beanspruchungsreaktion sind dabei von spruchung und Beanspruchungsfolgen
besonderem Interesse, um den Ablauf und ermöglicht ein Mehrebenenansatz, dass
die Ausprägung des Prozessgeschehens Belastungsmaße, Beanspruchungsmaße,
erfassbar zu machen. subklinische und klinische Diagnosen von-

16
Abbildung 2:
Darstellung verschie-
dener physiologischer
Stressreaktionen
(McEwen, 1998,
Copyright © [1998]
Massachusetts Medical
Society)

einander abgegrenzt und die Zusammen- Der Allostatic Load Index stellt einen Index
hänge zwischen den Systemebenen sowie aus verschiedenen Risikomarkern dar,
weitere Einflussfaktoren wie z. B. Regulati- die als Indikatoren einer beginnenden Dys-
ons- und Copingkapazitäten berücksichtigt regulation bestimmter biologischer
werden. Bei der in Abbildung 3 (Seite 18) Systeme gelten. Diese stehen beispiels-
dargestellten Stresskaskade handelt es sich weise mit einem Erkrankungsrisiko für
um eine Modellvorstellung, die unterschied- koronare Herzerkrankungen oder Stoffwech-
liche Endpunkte (von der subjektiven Ein- selerkrankungen in Zusammenhang. In
schätzung bis zu klinischen Diagnosen) der seiner derzeitigen Zusammensetzung zeigt
psycho-biologischen Reaktion verdeutlicht. er sich vor allem als prädiktiv für erhöhte
Sie dient dazu, geeignete diagnostische Ver- Mortalität sowie für die Abnahme physi-
fahren abzuleiten. Dieses Kaskadenmodell scher und kognitiver Leistungsfähigkeit im
erlaubt eine Risikomodellierung für Bean- Alter. Zusätzlich wurde ein altersabhängiger
spruchungsfolgen auf der Basis einer Mehr- Zusammenhang mit ungünstigen Arbeits-
ebenendiagnostik. bedingungen gefunden (siehe Kapitel 6.9).

17
1 Akutes 2 3 4
Stresssystem Störungs-
Belastung Beanspruchung Allostase Prämorbiditärs- Manifeste
I + II akkumulation
indikatoren Morbidität
x x x
(Dispositionelle (Regulations- und Vulnerabilitäts- und
Merkmale und Copingkapazität) Resilienzfaktoren
Ressourcen)

Arbeitsplatz- Beanspruchungs- Allostatic Load Index, Klinische


merkmale maße z.B. TICS Subklinische Diagnosen Diagnosen
z.B. SALSA z.B. Body-Mass-Index, PHQ-D

Abbildung 3:
Die Stresskaskade (Bernhardt, Baus & Hölzl, 2008)

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über typische chen. Die eigentliche Herausforderung liegt
Parameter des Allostatic Load Indexes. in der Entwicklung weiterer krankheits- bzw.
störungsspezifischer Indizes, die dann zur
Eine offizielle Normtabelle des Allostatic Entwicklung spezifischer Präventionsmaß-
Load Indexes liegt zurzeit nicht vor, da er nahmen beitragen könnten.
bisher in erster Linie zu Forschungszwecken
eingesetzt wird. Zur Berechnung können Der in Abbildung 3 dargstellte Ansatz wird
stichprobenbasierte Cut-Off-Werte heran- aktuell in dem Forschungsprojekt „Psyche
gezogen werden. Dazu werden die einzelnen und Gesundheit am Arbeitsplatz“ umgesetzt,
Parameterwerte in Quartile eingeteilt. Der das derzeit von der Universität Mannheim in
Index berechnet sich über die Summe der Kooperation mit der BGN Mannheim und des
Anzahl derjenigen Parameter, bei denen sich ASD durchgeführt wird. Ziel dieses Projektes
die Probanden im obersten Quartil befinden ist die Entwicklung eines Screening-Instru-
(außer HDL Cholesterol und DHEA-S, bei ments, das im betrieblichen Alltag leicht und
denen das niedrigste Quartil mit dem höchs- problemlos einsetzbar ist. Das entwickelte
ten Risiko einhergeht). Instrument soll eine Identifikation psychi-
scher Beanspruchung und eine Abschätzung
Der Allostatic Load Index ist eine Möglich- des daraus resultierenden Gesundheitsrisi-
keit, die komplexen Prozesse, die von einer kos ermöglichen und somit eine Grundlage
Belastung zur Beanspruchungsfolge führen, für den Einsatz geeigneter Präventionsmaß-
auf physiologischer Ebene messbar zu ma- nahmen schaffen.

18
1. Systolischer Blutdruck Parameter der kardiovaskulären
2. Diastolischer Blutdruck Aktivität
3. Waist-to-hip ratio Index für chronische Fettgewebe-
(Verhältnis Taille – Hüfte) ablagerungen an der Taille, von denen
angenommen wird, dass sie von einer
erhöhten glucokortikoiden Aktivität
beeinflusst werden
4. Body Mass Index Maßzahl für die Bewertung des
(Körpergewicht (in kg)/ Körpergewichts des Menschen
Größe( in m))
5. HDL Marker, die bekanntlich die Entwick-
(High Density Lipoprotein) lung von Arteriosklerose beeinflussen
6. Gesamt Cholesterol (erhöhtes Risiko wird durch eine
höhere Ausprägung von Gesamt-
cholesterol und einer niedrigeren
Ausprägung von HDL bedingt)
7. HbA1C Hinweise auf längerfristige
(Glykohämoglobin) Störungen des Glukosestoffwechsels
(Blutzuckergedächtnis)
8. DHEA-S Funktioneller Hypothalamus-
(Dehydroepian- Hypophysen-Nebennierenrinden
drosteronsulfat) Antagonist
9. Cortisol Ganzheitliches Maß der 12-Stunden-
(Urin) Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
nierenrinden-Achsen-Aktivität
10. Norepinephrine Ganzheitlicher Parameter der
(Urin) 12-Stunden Aktivität des
11. Epinephrine sympathischen Nervensystems
(Urin)
12. Albumin Parameter für subklinische
(Urin) Nierenbeeinträchtigung
(micro-albuminuria) Tabelle 1:
Übersicht über Para-
13. C-reaktives Protein Entzündungsparameter meter des Allostatic
14. Tumor-Nekrose-Faktor-alpha Load Indexes

19
20
Kapitel 3

Praktische Vorgehensweise
im Betrieb

Es ist auch eine Aufgabe des Betriebsarztes, wohl auch mit der Befürchtung zu begründen
im Rahmen der Betriebsberatung darauf ist, dass mit konfliktbeladenen Diskussionen
hinzuweisen, dass gesunde und motivierte und nur schwer zu erfüllenden Forderungen
Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage gerechnet wird. Vor diesem Hintergrund sind
für ein erfolgreiches Unternehmen sind. nachfolgend beispielhaft mögliche Vorbehal-
In diesem Zusammenhang können sie auf te seitens der Betriebe aufgeführt. Daneben
die aus unterschiedlichen Bedingungen wurden Strategien für die Betriebsärzte
resultierenden psychischen Fehlbeanspru- formuliert, mit diesen Vorbehalten adäquat
chungen als bedeutenden Faktor hinweisen. umzugehen.
Selbstverständlich kann der Leitfaden auch
im Rahmen einer umfangreicheren Beratung 3.1 Mögliche Vorbehalte seitens
des Betriebes Verwendung finden, insbeson- der Betriebe
dere dann, wenn der Betrieb der Thematik Welche Vorbehalte könnten dem Betriebs-
gegenüber aufgeschlossen ist. Es muss arzt beim Thema „Psychische Belastungen
jedoch davon ausgegangen werden, dass im Betrieb“ entgegengebracht werden und
die Betriebe und Unternehmen häufig mit wie kann der Betriebsarzt damit umgehen?
diesem Thema und vor allem mit Ansatz-
punkten zur Vermeidung psychischer Fehl-
beanspruchung nicht vertraut sind. Es gibt
weiterhin Vorbehalte, sich mit derartigen
Sachverhalten auseinander zu setzen, was

21
Vorbehalt Vorgehensweise Antwortbeispiele

Wir haben zurzeit Zustimmen und „Ja, die wirtschaftliche Situation ist zurzeit
andere Sorgen. Angebot der Unter- schwierig. Welche Sorgen haben Sie?
stützung unterbreiten Vielleicht können wir Ihnen helfen?“

Wir haben ein gutes Hinterfragen „Was verstehen Sie unter einem guten
Betriebsklima. Betriebsklima?“
„Wie haben Sie das „gute Betriebsklima“
hergestellt?“
„Woher wissen Sie, dass Ihre Mitarbeiter das
auch so sehen?“
„Welche konkreten Aktivitäten hat der
Betrieb/haben Sie dazu unternommen?“

Das ist bei uns nicht Hinterfragen „Woraus schließen Sie das?“
erforderlich. „Wie haben Sie die psychischen Belastungen
am Arbeitsplatz ermittelt und bewertet?“

Wir strukturieren Bestätigen und „Umstrukturierungen sind eine gute Gelegen-


gerade um. Einhaken heit, über das Thema „Psychische Belastun-
gen“ nachzudenken.“
„Haben Sie sachkundige, anderweitige
Unterstützung eingebunden?“
„Haben Sie Vorkehrungen getroffen, wie Ihre
Mitarbeiter im Vorfeld, während und nach der
Umstrukturierung motiviert bleiben?“

Wir haben keine Zeit Nachhaken und „Ist der von Ihnen angesprochene Zeit-
dafür. Angebot unterbreiten mangel eine Dauererscheinung oder ist das
nur vorübergehend?“
„Wie kommen Ihre Mitarbeiter mit dem
Zeitmangel klar?“
„Werden die Mitarbeiter bei der Arbeitszeit-
gestaltung eingebunden?“
„Wie beabsichtigen Sie dem ständigen Zeit-
mangel entgegenzusteuern?“
„Möchten Sie das Thema „Psychische Belas-
tungen“ durch Zeitmangel generell nicht auf-
greifen oder würden Sie das gerne an einem
anderen Termin nachholen?“

Zeit- und Kostenaufwand Bestätigen und Vergleich „Die Kosten sind ein wichtiges betriebswirt-
für Maßnahmen sind zu heranziehen schaftliches Argument. Haben Sie schon
hoch. einmal die Kosten für die hohe Anzahl der
AU-Tage/hohe Fluktuation den Kosten für
Maßnahmen zur Verhütung von Gesundheits-
gefahren gegenübergestellt?“
„Welche Kosten sind Ihnen durch die AU-Tage
im letzten Jahr entstanden? Und welchen
zusätzlichen Zeitaufwand für die Suche,
Einstellung und Einarbeitung einer Vertretung
musste Ihr Betrieb aufbringen?“

22
Vorbehalt Vorgehensweise Antwortbeispiele

Mit diesem Thema sind Kompetenz des Betriebs- „Der Betriebsarzt ist auch verpflichtet, die
wir überfordert, damit arztes herausstellen und Betriebe bei dieser Thematik zu beraten.“
kennen wir uns nicht aus. Angebot unterbreiten „Wir haben zwischenzeitlich Erfahrungen mit
der Thematik in Betrieben und können Ihnen
positive Beispiele von Betrieben mit ähnlichen
Problemen aufzeigen.“
„Wir können Sie unterstützen.“
Nachfragen „Was meinen Sie mit überfordert?“
„Wo ist Ihrer Meinung nach Handlungs-
bedarf?“
„Haben Sie schon die Erfahrungen anderer
Fachberater genutzt?“

Für die Gesundheit Bestätigen, „Im privaten Bereich ist das richtig, da ist
ist jeder selbst einschränken, jeder für seine Gesundheit selbst verant-
verantwortlich. Konsequenzen wortlich. Aber am Arbeitsplatz ist auch der
aufzeigen Unternehmer für die Gesundheit der Mit-
arbeiter verantwortlich. Nur gesunde
Mitarbeiter können Ihnen im Betrieb helfen.“
„Haben Sie schon einmal darüber nachge-
dacht, was Sie ein kranker Mitarbeiter kostet?“
„Wenn Sie die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter
positiv beeinflussen können, profitieren nicht
nur Ihre Mitarbeiter, sondern auch Sie und der
ganze Betrieb.“
„Jeder AU-Tag kostet Sie viel Geld, ohne dass
Sie dafür eine Leistung erhalten.“

Unsere Mitarbeiter Hinterfragen „Und Sie als Unternehmer? Wie beurteilen


wollen das nicht. Sie die Bedeutung der Thematik für Ihr Unter-
nehmen insbesondere aus betriebswirtschaft-
licher Sicht?“
„Wie stellen Sie sich eine Lösung für Ihren
Betrieb vor?“
„Wie haben Sie herausgefunden, dass Ihre
Mitarbeiter an der Thematik kein Interesse
haben?“

Wo steht, dass wir Beraten, zum Nach- „Rechtliche Grundlage ist das Arbeitsschutz-
uns darum kümmern denken anregen und gesetz. Haben Sie einmal darüber nach-
müssen? Angebot unterbreiten gedacht, welche betriebswirtschaftlichen
Vorteile die Auseinandersetzung mit dem
Thema haben könnte?“

23
Diese aufgezeigte Liste möglicher Vorbe- zufriedener sind. Damit entfällt ein kos-
halte seitens der Unternehmer, welche das ten- und zeitintensiver Aufwand zum Aus-
Thema „Psychische Belastungen im Betrieb“ gleich von Fluktuationen von Mitarbeitern.
aufgreifen, ist nicht abschließend. Wichtig
ist im Gespräch mit dem Unternehmer, eine 7. Gesunde und zufriedene Mitarbeiter sind
Strategie zu überlegen, solche Vorbehalte handlungsfähiger, motivierter und krea-
gezielt zu hinterfragen, zu durchleuchten, tiver. Das kommt dem Unternehmen
zu relativieren und den Unternehmer ggf. direkt zugute.
lösungsorientiert zu beraten.
8. Nicht zuletzt genießt ein gesunder Betrieb
3.2 Mögliche wirtschaftliche Vorteile ein besseres Image.
für den Betrieb
Welche wirtschaftlichen Vorteile kann es Es handelt sich hierbei um eine beispiel-
dem Betrieb bringen, sich mit der Gesund- hafte Aufzählung möglicher Vorteile für den
heit und insbesondere den psychischen Unternehmer. Dabei ist zu berücksichtigen,
Belastungen seiner Mitarbeiter am Arbeits- dass die genannten Punkte nicht getrennt
platz auseinander zu setzen? betrachtet werden können, sondern wie ein
Netzwerk zusammenhängen. Insgesamt
1. Der Betrieb kann seine Ausfallzeiten/Zei- zeigt die Auflistung dieser Argumente, dass
ten der Arbeitsunfähigkeit reduzieren. gesunde Mitarbeiter zu mehr Wirtschaftlich-
keit im Betrieb beitragen können.
2. Die betrieblichen Abläufe funktionieren
reibungsloser, d. h. die Reibungsverluste Zeigt der Unternehmer im Gespräch die Be-
im Betrieb werden minimiert und damit reitschaft, das Problem psychischer Belas-
die Produktivität erhöht. tungen am Arbeitsplatz zu thematisieren, ist
bereits ein wichtiger Schritt getan. Denn nur,
3. Die Qualität seiner Produkte und Dienst- wenn die Leitung eines Unternehmens das
leistungen kann gesteigert werden, was Thema aufgreift, können geeignete Maß-
auch die Zufriedenheit seiner Kunden nahmen zur Verbesserung der Situation im
verbessert (Reduzierung von Reklamatio- Unternehmen herbeigeführt werden. Es ist
nen). dann für die weitere Diskussion sehr wichtig,
zusätzliche Ansprechpartner im Unterneh-
4. Er muss keine Vertretungen unter hohem men zu gewinnen, die bereit sind, diese
Zeit- und Kostenaufwand organisieren Thematik aufzugreifen und zu verfolgen, um
und in den Betrieb eingliedern. sie auf eine breite Basis zu stellen. Dabei
sind mögliche Unsicherheiten bei Entschei-
5. Wenn er mit allen seinen Mitarbeitern dungsträgern aber auch Mitarbeitern zu
rechnen kann, ermöglicht das dem berücksichtigen. Um diesen Unsicherhei-
Betrieb, besser auf neue Aufgaben zu ten zu begegnen, kann der Betriebsarzt
reagieren. anregen, betriebsinterne Infoveranstal-
tungen für die Mitarbeiter durchzuführen,
6. Ein gesundes Betriebsklima bindet die Führungskräfte-Seminare bei den Unfallver-
Mitarbeiter an das Unternehmen, weil sie sicherungsträgern zu nutzen, die Thematik

24
im Arbeitsschutzausschuss (ASA) oder in in Zusammenarbeit mit den betrieblichen
Gesundheitszirkeln zu behandeln. Neben Akteuren den möglichen Ursachen für psy-
dem Unternehmer können verantwortliche chische Fehlbeanspruchungen nachgehen
Führungskräfte Ansprechpartner sein, um muss. Sofern keine Erkenntnisse über die
Änderungen im Unternehmen voranzutrei- Ursachen vorliegen, ist es ratsam, das Prob-
ben. Sowohl Unternehmer als auch Füh- lem im Rahmen der regelmäßigen arbeitsme-
rungskräfte sind primär über wirtschaftliche dizinischen Betreuung zu behandeln. Eine
Argumente zu erreichen. Sensibilisierung der Entscheidungsträger
in Unternehmen ist dann erforderlich, wenn
Als weitere Ansprechpartner im Unterneh- das Problem noch nicht von allen Beteiligten
men kommen erkannt ist. Damit ist auch die Notwendigkeit
• Personalvertretungen bzw. Betriebsräte, einer weiteren Sensibilisierung abhängig
• Aufsichtspersonen/Unfallversicherungs- vom Einzelfall. Sofern alle Beteiligten sensi-
träger, bilisiert und die möglichen Ursachen erkannt
• Sicherheitsfachkräfte und sind, kann der Betriebsarzt – sofern der Be-
• die Mitarbeiter im Betrieb trieb das Problem nicht aus eigener Kraft lö-
infrage. sen kann – berufsgenossenschaftliche bzw.
externe Fachleute zur Beratung vermitteln. Es
Ein geeignetes betriebsinternes Gremium zur ist sinnvoll, wenn der Betriebsarzt die Maß-
Sensibilisierung für die Thematik im Betrieb nahmen zur Beseitigung oder Reduzierung
kann der Arbeitsschutzausschuss sein. der psychischen Fehlbeanspruchungen im
Wichtig ist es, engagierte Ansprechpartner Betrieb persönlich begleitet und fördert.
zu finden, die die Thematik verfolgen. Dies
erfordert im Einzelfall erhebliche Überzeu- 3.3 Erkennen psychischer Belastungen und
gungsarbeit, auch vonseiten des Betriebs- Fehlbeanspruchungen im Betrieb
arztes. Hilfreich können in diesen Fällen Unter diesem Punkt sind die wichtigsten
positive Beispiele aus der betrieblichen Pra- Informationsquellen für die Betriebsärzte
xis sein. An dieser Stelle muss auch deutlich dargestellt, aus denen für sie wichtige Er-
werden, dass Maßnahmen des Gesundheits- kenntnisse über mögliche psychische Belas-
schutzes Einfluss auf Betriebsklima, Arbeits- tungen und Fehlbeanspruchungen einzelner
zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter Mitarbeiter oder Gruppen von Mitarbeitern
haben und damit direkte Auswirkungen auf im Betrieb resultieren können.
den betriebswirtschaftlichen Erfolg eines
Unternehmens bestehen. Zu den genannten Informationsquellen
zählen:
Wird der Betriebsarzt vom Betrieb auf das • die arbeitsmedizinische Vorsorge-
Thema „Psychische Belastungen“ angespro- untersuchung
chen, sind entweder der gesamte Betrieb • die Wunschuntersuchung des Mitarbeiters
oder Teilbereiche des Betriebes bereits nach § 11 ArbSchG, § 2 ArbMedVV
sensibilisiert und müssen nicht motiviert • das Gespräch mit dem Unternehmer
werden, sich mit der Thematik auseinander • die Arbeitsplatzbesichtigung, die Betriebs-
zu setzen. Es bedarf dann der Einzelfall- begehung
entscheidung, inwieweit der Betriebsarzt • die Unfalluntersuchung

25
• Analyseverfahren Allgemeine Voraussetzung für die Explorati-
• die Gefährdungsbeurteilung on psychischer Fehlbeanspruchungen
• vorhandene Arbeits- und Gesundheits- ist eine absolut ungestörte Gesprächs-
schutz-Managementsysteme atmosphäre. Im Verlauf des diagnostischen
• Gesundheitsberichte Gesprächs sollte versucht werden, die
• Hinweise von behandelnden Ärzten arztzentrierte Gesprächsführung (Tabelle 2)
• Hinweise von Mitarbeitern oder Angehöri- den Bedürfnissen und der Persönlichkeit des
gen zu einer Person Probanden anzupassen. Zum Einstieg in das
• Hinweise der Personalvertretung oder Thema sollten Fragen nach vegetativen oder
der Fachkraft für Arbeitssicherheit psychischen Beschwerden des Probanden
gestellt werden, um dann zur zentralen Leit-
3.3.1 Die arbeitsmedizinische Vorsorge- frage zu kommen:
untersuchung
Jede arbeitsmedizinische Untersuchung Was würden Sie an Ihrer derzeitigen Arbeit
kann zum Erkennen individueller psychi- am liebsten ändern?
scher Beanspruchungen und ihrer möglichen Gewinnt der Arzt den Eindruck, dass mit
Erkrankungsfolgen dienen. Dies trifft beson- großer Wahrscheinlichkeit arbeitsbedingte
ders bei den „Allgemeinen Vorsorgeunter- psychische Fehlbeanspruchungsfolgen
suchungen nach §3 ASiG“ zu. Bei speziellen vorliegen, müssen diese weiter eingegrenzt
arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchun- und exakt formuliert werden. Evaluierte
gen bleibt naturgemäß für ein spezifisches Instrumente (z. B. PHQ-D) können zusätzlich
Interview zu dieser Fragestellung oft nur durch den Betriebsarzt als diagnostische
wenig Zeit zur Verfügung. Allerdings können Hilfe eingesetzt werden. Im Anschluss daran
sich gerade bei diesen Untersuchungen müssen zusammen mit dem Probanden
besondere emotionale und affektive Auffäl- entsprechende Verbesserungsmaßnahmen
ligkeiten wie Ängste, Befürchtungen oder erörtert (shared decision making = gemein-
latente Verdrängungsprozesse zeigen. same Entwicklung eines Therapiekonzeptes
zwischen Arzt und Patient) werden.
Voraussetzung für die Exploration psychi- Sind Anzeichen einer therapiewürdigen Stö-
scher Probleme ist eine vertrauensvolle, als rung vorhanden, sollte dies dem Probanden
hilfreich empfundene Beziehung zwischen mit entsprechendem Nachdruck erläutert
Arzt und Proband. Mögliche psychische Be- werden.
anspruchungen werden eher nach Abschluss
der technischen und klinischen Untersu-
chungen thematisiert werden. Deshalb kann
hierzu eine dem Probanden angepasste Be-
ziehung gewählt werden. Je nach der Persön-
lichkeitsstruktur des Probanden kann dies
das Beziehungsmodell des „väterlichen“
Begleiters oder des kompetent beratenden
Experten sein.

26
Ausreden lassen Präsenz zeigen, Blickkontakt
halten, nur wenn unbedingt nötig,
unterbrechen!

Offene Fragen stellen Fragen stellen, die nicht mit Ja oder


Nein beantwortet werden können

Pausen machen Dabei aktive Zuhörersignale


senden, z. B.: „mhm“; „ja“

Ermutigung zur Durch Blickhebung Aufmerksam-


Weiterrede keit signalisieren, aktive Zuhörersi-
gnale senden

Paraphrasieren Wichtigste Patientenmitteilungen


mit eigenen Worten wiederholen

Spiegeln von Emotionen Wiederholung von Probanden-


emotionen in ärztlicher Drama-
turgie

Zusammenfassen Arzt gibt verstandene Teile der Tabelle 2:


der Inhalte Botschaften strukturiert wieder Gute Gesprächsführung

3.3.2 Die Wunschuntersuchung nach 3.3.3 Einführungsgespräch mit


§ 11 ArbSchG, § 2 ArbMedVV dem Unternehmer
Die Initiative zu einer Untersuchung beim Der Umfang des Einführungsgesprächs ist
Betriebsarzt geht leider noch allzu selten abhängig davon, ob es sich um große oder
von den Mitarbeitern selbst aus. Die Anlässe um kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
sind allerdings dann neben Gefahrstoff- handelt. Aufgrund der besonderen Verhält-
belastungen und muskel-skelettalen Be- nisse in KMU und des zeitlichen Drucks,
schwerden doch nicht selten psychischer unter dem die Unternehmer sehr häufig
Natur. Neben Stress-Belastungen wird über stehen, sind nur wenige, gezielte Fragen an
Fehlverhalten von Kollegen oder Vorgesetz- den Unternehmer möglich. Diese Fragen sol-
ten berichtet, teilweise auch über belasten- len dem Betriebsarzt einen ersten Eindruck
de Störungen der Befindlichkeit unter der vermitteln, inwieweit im Unternehmen Hand-
Leitaussage: „Ich fühle mich irgendwie nicht lungsbedarf gegeben ist. Daneben sollen die
wohl und weiß nicht, was mit mir los ist“. Fragen dazu beitragen, dem Unternehmer
Das diagnostische Vorgehen ergibt sich die Zusammenhänge zwischen psychischen
dann wie bereits oben beschrieben. Belastungen und möglichen

27
negativen, wirtschaftlichen Folgen aufzuzei- anspruchungen sein. Die Ursachen sind
gen („Türöffner“). Ziel ist es, den Unterneh- dann in einem weiterführenden Gespräch,
mer über diesen Weg für das Thema „Psychi- möglicherweise unter Zuhilfenahme des
sche Belastungen“ zu sensibilisieren. ausführlichen Fragenkatalogs zu ermitteln.
Im Fragenkatalog sind weitere mögliche, das
Sollten sich anhand der Beantwortung der übliche Einführungsgespräch ergänzende
Fragen Defizite herausstellen, sind weiter- Fragen enthalten, die dem Betriebsarzt Auf-
gehende Fragen z. B. aus dem ausführlichen, schluss über psychische Fehlbeanspruchun-
auf den folgenden Seiten dargestellten gen im Betrieb geben können. Die Fragen
Fragenkatalog zu stellen, um ein klareres decken die vier relevanten Teilbereiche für
Bild zu erhalten. die Ursachen psychischer Belastungen und
Fehlbeanspruchungen ab:
Sechs mögliche Leitfragen für das Gespräch
der Betriebsärzte mit dem Unternehmer • Arbeitsaufgabe
kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) • Arbeitsumgebung
• Arbeitsorganisation sowie
1. Kommt es häufig zu Terminüberschreitun- • Psychosoziale Rahmenbedingungen
gen bei der Auftragsdurchführung?
2. Gibt es häufige Kundenreklamationen Die Fragen sind, im Gegensatz zu den o. g.
aufgrund von Ausführungs-/Fertigungs- Leitfragen, gezielt als offene Fragen for-
mängeln? muliert. Diese Form soll dem Betriebsarzt
3. Haben Sie einen hohen Krankenstand/ helfen, mit dem Unternehmer gemeinsam
hohe Mitarbeiterfluktuation? die aktuelle Situation im Betrieb zu bewerten
4. Gibt es häufig disziplinäre Probleme mit und zu hinterfragen, um daraus mögliche
den Mitarbeitern / Probleme mit Alkohol / Defizite herausfiltern zu können.
Drogen?
5. Gab es in letzter Zeit häufig kritische Die Fragen sind nicht abschließend, son-
Situationen (Beinahe-Unfälle) oder sogar dern haben Beispielcharakter. Sie stellen
Unfälle bzw. Sachschäden? mögliche Problembereiche dar und können
6. Gibt es Mitarbeiter mit einer psychischen ergänzt oder variiert werden. Dies liegt im
Erkrankung? Ermessen des Betriebsarztes. Ergeben sich
aus den Fragen keine Anhaltspunkte für
Sofern an dieser Stelle „Ja“-Antworten gege- Defizite im Unternehmen, sind auch keine
ben werden, kann der Betriebsarzt Unter- weiteren Maßnahmen erforderlich.
stützung in Form einer weiterführenden Be-
ratung anbieten. Es handelt sich um Fragen,
die vom Unternehmer eines KMU schnell und
leicht beantwortet werden können.

Sollte mindestens eine der o. g. Fragen vom


Unternehmer/der Führungskraft mit „Ja“
beantwortet werden, könnte das ein Hinweis
auf psychische Belastungen und Fehlbe-

28
Fragenkatalog

Arbeitsaufgabe (körperliche, geistige und emotionale Belastungen, Leistungsnormen,


Arbeitsmenge, Über-, Unterforderung, Monotonie etc.):
1) In welchen Arbeitsbereichen werden extrem hohe körperliche / geistige  /emotionale Anforde-
rungen gestellt? (Frage abhängig von der Belastungsart)
2) Welche technische/organisatorische und individuelle Unterstützung erhält der Mitarbeiter
zur Reduzierung dieser hohen körperlichen/geistigen/emotionalen Anforderungen?
(Frage abhängig von der Belastungsart)
3) Mit welchen Maßnahmen wird monotone Arbeit vermieden oder reduziert?
4) Wie wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter weder über- noch unterfordert werden?
5) In welchen Bereichen bestehen für Mitarbeiter hohe Verantwortlichkeiten für andere Per-
sonen, die Technik oder das Arbeitsergebnis?
6) Wie wird gewährleistet, dass die Mitarbeiter die vorgegebene Arbeitsmenge erledigen
können?
7) Wie wird die Vollständigkeit der Arbeitsaufgabe sichergestellt?

Arbeitsumgebung (Arbeitsplatzgestaltung, Qualität der Arbeitsmittel, Raumklima,


Belästigung durch Gerüche, Lärm oder Blendung etc.):
1) Welches Unfall- und/oder Gesundheitsrisiko liegt in den verschiedenen Arbeitsbereichen vor?
(Gefährdungsbeurteilung!)
2) Wie werden im Unternehmen gute Arbeitsumgebungsbedingungen (z. B. Raumklima,
Geräuschpegel, Gerüche und Blendung) realisiert?
3) Wie wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter sichere und funktionierende Arbeitsmittel zur
Verfügung haben?
4) Wie werden die Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer Arbeitsplätze beteiligt?

Arbeitsorganisation (Informationsfluss, Klarheit der Aufträge, unterbrechungsfreies


Arbeiten, Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Arbeit, Arbeitszeitgestaltung, Termindruck,
Handlungsspielraum, Qualifikation der Mitarbeiter, Einarbeitung, Fort- und Weiterbildung
der Mitarbeiter, etc.):
1) Wie wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter alle die ihre Arbeit betreffenden Informationen
erhalten (quantitativ wie qualitativ)?
2) Wie werden die Mitarbeiter bei der Organisation der betrieblichen Arbeitsabläufe
eingebunden?
3) Wie werden kritische Vorgänge/Beinahe-Unfälle und Sachschäden diskutiert und Folgen
daraus gezogen?
4) Mit welchen Maßnahmen werden Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Betrieb klar
abgegrenzt?
5) Wie wird sichergestellt, dass Mitarbeiter widerspruchsfreie und klare Arbeitsaufträge
erhalten?
6) Wie wird Störungen und Unterbrechungen der Arbeitsabläufe entgegengewirkt?
7) In welchem Rahmen ist die Arbeit/Arbeitszeit für die Mitarbeiter vorhersehbar und planbar?
8) Wie werden die Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit (z. B. Schichtplangestaltung)
beteiligt?

29
9) Wie wird Termindruck entgegengewirkt?
10) Wie begründen Sie den hohen Krankenstand/hohe Fluktuation in Ihrem Betrieb?
11) In welcher Form werden die Mitarbeiter über mögliche Gefährdungen am Arbeitsplatz
informiert? (Gefährdungsbeurteilung!)
12) Welchen Handlungsspielraum haben die Mitarbeiter?
13) Wie wird sichergestellt, dass ein geeigneter Mitarbeiter mit der richtigen Qualifikation am
„richtigen Ort“ beschäftigt wird?
14) Wie wird gewährleistet, dass die Mitarbeiter in neue Aufgaben rechtzeitig und ausreichend
eingearbeitet werden?
15) Wie werden Angebote für individuelle Entwicklungsmöglichkeiten von den Mitarbeitern
in Anspruch genommen?

Psychosoziale Rahmenbedingungen (Soziales Verhalten der Mitarbeiter und


Vorgesetzten, Unternehmenskultur, Unternehmensziele, Arbeitsplatzsicherheit,
Führungsstil, Gewalt und sexuelle Belästigung, Diskriminierung, Konflikt-
management, Verbesserungswesen etc.):
1) Gibt es ein Verbesserungswesen im Unternehmen und wie intensiv wird es genutzt?
2) Wie wird ein gutes Betriebsklima gefördert?
3) Welche Maßnahmen werden bei sozialem Fehlverhalten eines Mitarbeiters gegenüber Kolle-
gen (Diskriminierung im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Rasse, Nationalität, Religion oder
Gewalt am Arbeitsplatz) ergriffen?
4) Wie wird sichergestellt, dass die Führungskräfte regelmäßig Gespräche (z. B. über Tages-,
Wochen- oder Monatsplanung) mit den Mitarbeitern führen?
5) Wie beurteilen Sie das Vertrauen Ihrer Führungskräfte in die Leistung ihrer Mitarbeiter?
6) Welche Möglichkeiten werden geboten, Probleme und Konflikte offen und fair anzusprechen
und zu lösen?
7) Auf welchem Weg erhalten die Mitarbeiter eine zeitnahe Rückmeldung über ihre Leistungen?
8) Wie werden den Mitarbeitern die kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmensziele bekannt
gegeben?
9) Wie wird den Mitarbeitern Vertrauen in ihre Leistung signalisiert?

3.3.4 Arbeitsplatzbesichtigung, menschliche Stimmung in diesem „Raum“?


Betriebsbegehung Welche Konfliktpotentiale erscheinen von
Bei Arbeitsplatzbesichtigungen müssen vornherein denkbar?
die Beobachtung des Menschen während
seiner Arbeitstätigkeit und das Gespräch mit Dabei sollte besonders geachtet werden
ihm im Vordergrund stehen. Die Beobach- auf z. B.
tung kann sich auf einzelne Arbeitsplätze • ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze
oder auf Gruppen von Arbeitsplätzen bzw. und Arbeitsmittel,
Werkstattbereiche beziehen. Wichtig ist es, • vielseitige Tätigkeiten,
sich Zeit für die Beobachtung zu nehmen. • Arbeitsinhalte, der Qualifikation ent-
Wie fühle ich mich selbst hier, wenn ich sprechend,
mir vorstelle, hier zu arbeiten? Wie ist die • Selbstbestimmung der Tätigkeit, etc.

30
Fünf mögliche Fragen für das Gespräch mit Es entstehen Stress und Hektik, weil die
dem Mitarbeiter am Arbeitsplatz Leute versuchen, die Zeit aufzuholen. Klar,
1. Liegen Ihnen rechtzeitig alle erforder- dass länger gearbeitet werden muss, denn
lichen Informationen / geeigneten die Mitarbeiter sind am nächsten Tag auf
Arbeitsmittel zur sachgerechten Erledi- einer anderen Baustelle fest eingeplant. Es
gung Ihrer Arbeit vor? wird dunkel und es beginnt zu regnen. Damit
2. Gibt es Zeitdruck, der Sie belastet? es schneller geht, wird improvisiert und Ab-
Wie häufig kommt das vor? sturzsicherungen werden nicht verwendet,
3. Wird Ihr Arbeitsablauf gestört? was dazu führt, dass ein Mitarbeiter stürzt.
Wie häufig kommt das vor?
4. Haben Sie Einfluss auf eine eigenstän- Was war passiert?
dige Gestaltung des Arbeitsablaufs?
5. Können Sie der Verantwortung in Ihrem Der geplante Ablauf ist gestört.
Arbeitsbereich gerecht werden?
Die unvorhergesehene Störung bringt
3.3.5 Weitere mögliche Infor- Zeitdruck.
mationsquellen
3.3.5.1 Auswertung des Zeitdruck führt zu sicherheitswidrigem
Unfallgeschehens Verhalten.
Unfalluntersuchungen bieten eine gute Mög-
lichkeit, zu hinterfragen, ob psychische Be- In der Hektik wird improvisiert.
lastungen wie Mängel in der Arbeitsorganisa-
tion, unklare Aufgabenzuweisung, fehlende Unfall mit schwerer Verletzung als Folge.
Qualifikation und Zeitdruck etc. vorlagen,
weil die Bereitschaft des Unternehmers an- Folgen
hand eines konkreten Unfalls Arbeitsabläufe Der Mitarbeiter zieht sich eine Unterschen-
kritisch zu analysieren, größer ist. kelfraktur zu und fällt für acht Wochen aus.
Unfälle verursachen dem Mitarbeiter viel
Beispiel: Unfall als Folge psychischer Leid und dem Unternehmen Zeit und Geld.
Fehlbeanspruchungen Ein Mitarbeiter, der acht Wochen ausfällt,
bedeutet
Situationsbeschreibung • sechs Wochen Lohnfortzahlung
Eine Stahlbaumontagefirma schickt ein Mon- • Schwierigkeiten, Ersatz für den kranken
tageteam (vier Personen) zur Verlegung von Mitarbeiter zu finden
Trapezblechen auf eine ca. 100 km entfernt • Probleme bei der termingerechten Fertig-
liegende Baustelle. Dort stellt sich heraus, stellung des Auftrages
dass die Vorarbeiten einer anderen Firma • Probleme bei Folgeaufträgen
nicht termingerecht fertig geworden sind. Für (Terminverzug)
den eigenen Auftrag ergeben sich deshalb • Ärger mit den Kunden
Wartezeiten und das Problem, die eingeplan-
te Zeit einzuhalten.

31
Präventionsansätze Fünf mögliche Fragen zu Unfällen
Präventionsansätze betreffen sowohl die in Betrieben
Vorbereitung als auch die Ausführung des 1. Bei welchen Tätigkeiten kam es in den
Auftrages. letzten zwei bis drei Jahren zu vergleich-
baren kritischen Situationen (Beinahe-
Vorbereitung Unfällen) oder zu Unfällen bzw. Sach-
• Vorherige telefonische Vergewisserung schäden?
beim Auftraggeber, dass der eigene Auf- 2. Welche Konsequenzen haben Sie daraus
trag wie geplant ausgeführt werden kann. gezogen?
• Erstellung eines Reglements für Montage- 3. Könnten sich solche Ereignisse wieder-
teams zum Umgang mit kritischen Situa- holen?
tionen. Im o. g. Beispiel könnte das 4. Inwieweit waren z. B. Zeitdruck, man-
bedeuten, dass bei einem nicht selbst gelnde Qualifikation, etc. eine Ursache?
verschuldeten Zeitverzug geprüft wird, 5. Welche Einflussfaktoren (Arbeitsaufgabe,
ob der eigene Auftrag noch in der vorgese- -umgebung, -organisation, etc.) müssen
henen Zeit ausgeführt werden kann. Wenn verändert werden, um psychische Bela-
dies nicht möglich ist, dann evtl. Rückfahrt stungen zu reduzieren?
oder Ausführung eines anderen Auftra-
ges. Regressforderungen sind nach der 3.3.5.2 Analyseverfahren
VBO denkbar. Lassen sich während des Gesprächs oder
der Betriebsbesichtigung erste Anhalts-
Ausführung punkte für das Vorhandensein psychischer
• Prüfen der Möglichkeiten, inwieweit ver- Belastungen und Fehlbeanspruchungen
letzte/kranke Mitarbeiter durch Leiharbeit- finden, können zunächst sog. Screeningver-
nehmer kurzfristig ersetzt werden können. fahren oder Checklisten zur ersten Orientie-
• Montageteams, die außer Haus arbeiten, rung eingesetzt werden, z. B. der „WHO-5“
müssen generell auf schlechtes Wetter (Frageboten zum Wohlbefinden, www.who-5.
und auf Dunkelheit vorbereitet sein. Dies org) oder der „psy.Risk-10-Faktoren-Test
ist eine Frage der Gefährdungsbeurteilung, der BG ETEM, www.bgetem.de), auch für
die von Teams, die außer Haus arbeiten, Kleinbetriebe geeignet. Für eine tieferge-
durchgeführt werden müssen. hende Analyse bieten sich gegebenenfalls
• Die hier genannten Präventionsmöglich- ausführlichere schriftliche Verfahren an.
keiten müssen den Mitarbeitern von
Montageteams bekannt sein (Unterwei- In Tabelle 3 finden Sie exemplarisch einige
sung) und müssen in diesem Sinne akzep- ausführlichere, schriftliche Erhebungsver-
tiert werden. Dieses Thema sollte daher fahren, die zur Erhebung von Belastungen,
auf den alljährlichen Wiederholungs- Beanspruchungen und Beanspruchungsfol-
unterweisungen immer wieder angespro- gen herangezogen werden können.
chen werden.

32
Belastungen SALSA: Salutogenetische Subjektive
Arbeitsplatzanalyse
(Udris & Rimann, 1997: vdf Hochschul-
verlag )

ISTA: Instrument zur Stressbezogenen


Arbeitsanalyse, Version 6.0
(Zapf, Dunckel & Semmer, 1998:
Johann Wolfgang Goethe Universität
Frankfurt a.M.)

Beanspruchung TICS: Trierer Inventar zum chronischen


Stress
(Schulz et al., 2004: Hogrefe)

Beanspruchung PHQ-D: Gesundheitsfragebogen für Tabelle 3:


und Psychische Patienten Übersicht über schriftliche
Komorbidität (Loewe et al., 2002: im Internet) Erhebungsverfahren

Schriftliche Verfahren haben den Vorteil, Bei der Auswahl der Verfahren ist besonders
dass sie in der Regel anonym durchgeführt zu beachten, dass es keine Patentlösung
werden können. Eine quantitative Zahlenan- gibt. Vielmehr sollten die Verfahren indivi-
gabe ermöglicht außerdem einen Gruppen- duell der entsprechenden Problemstellung
vergleich. Als wesentlicher Nachteil sind vor angepasst werden. Die Bundesanstalt für
allem bei den ausführlicheren Verfahren die Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bietet bei-
oft kosten- und zeitintensive Vorbereitung spielsweise Informationen zu verschiedenen
und Auswertung anzuführen. Instrumenten an, die die Auswahl erleichtern
sollen (s. Kapitel 6 „Hilfen“).
Die Verwendung vieler schriftlicher Erhe-
bungsverfahren setzt außerdem oft die 3.3.5.3 Gefährdungsbeurteilung
Entrichtung von Lizenzgebühren voraus. (siehe auch „Leitfaden für Betriebsärzte
Zusätzlich kann es aufgrund der Komplexität zur Beratung des Arbeitgebers bei der
einiger Verfahren unter Umständen auch Gefährdungsbeurteilung“ vom AK 4.1
sinnvoll sein, die Unterstützung von Exper- „Betriebsärztliche Tätigkeit“ des Ausschus-
ten hinzuzuziehen. ses „Arbeitsmedizin“ der DGUV)

Zur Erfassung personenunabhängiger, objek- Während in der Vergangenheit die Probleme


tiver Belastungen bieten sich außerdem be- des Arbeitsschutzes primär im Bereich der
sonders Beobachtungsverfahren in Form von Arbeitsunfälle und der Gefährdung durch
Arbeitsplatzbesichtigungen oder Betriebs- Einflüsse wie Lärm, schwere körperliche
begehungen an (s. Kap. 3.3.4). Des Weiteren Arbeiten, Kontakte mit Gefahrstoffen etc.
können auch mündliche Verfahren, wie die lagen, ist die gegenwärtige Arbeitswelt
Arbeitssituationsanalyse zur vertiefenden von einem Strukturwandel geprägt, der für
Analyse herangezogen werden. eine Vielzahl von Beschäftigten erhebliche

33
Veränderungen im Hinblick auf Arbeitszeit, chen Checkliste zur Gefährdungsbeurteilung
Arbeitsorganisation und Belastungen am abzuarbeiten. Unterschiedliche Checklisten
Arbeitsplatz mit sich bringt. Die menschen- sind in diesem Zusammenhang erarbeitet
gerechte Gestaltung der Arbeit ist, neben worden. Verschiedene Schwierigkeiten sind
den Maßnahmen der Unfallverhütung, ein mit dieser Vorgehensweise verknüpft:
gleichberechtigtes Ziel im Arbeitsschutzge-
setz von 1996. Im Rahmen der Beurteilung 1. Psychische Belastungen können auch
von Arbeitsbedingungen hinsichtlich einer positive Wirkungen bei den Beschäftigten
möglichen Gefährdung der Gesundheit hervorrufen. Eine lineare Dosis-Wirkung-
– entsprechend § 5 des Arbeitsschutzgeset- Beziehung wie z. B. im Bereich der physi-
zes – sind insbesondere auch Arbeitsinhalt, kalisch/chemischen Belastungsfaktoren
Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und Qualifi- ist häufig nicht vorhanden. So folgen z. B.
kation der Beschäftigten zu berücksichtigen. „Anforderungen aus Arbeitsaufgaben“ in
Somit sind die auslösenden Faktoren für psy- ihrer Wirkung häufig einem nicht linearen
chische Fehlbeanspruchungen in Zukunft im Verlauf.
Arbeitsschutzhandeln zu berücksichtigen.
2. Die üblicherweise in einer Gefährdungs-
Gerade bei der Beurteilung „psychischer beurteilung berücksichtigten Belastungs-
Gefährdungen“ existieren häufig Unsicher- faktoren (z. B. mechanisch-physikalische)
heiten. Die Problematiken einer „psychi- zeigen ihre Wirkung in der Regel in einem
schen Gefährdungsbeurteilung“ sollen im überschaubaren Zeitraum, Reaktionen
Folgenden dargestellt werden: sind oft unmittelbar ersichtlich. Psychi-
sche Belastungsfaktoren können kurz-
Einigkeit existiert weitgehend darüber, dass fristig wirken, ihr schädigendes Potential
sich die Beurteilung „psychischer Gefähr- wird häufig aber erst in langfristigen
dungen“ auf eine Bewertung „psychischer individuellen Reaktionsmustern deutlich,
Belastungen“ am Arbeitsplatz bezieht. wie z. B. bei chronischen Erkrankungen.
Belastungen werden verstanden als die
Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die 3. Grenzwerte für psychische Belastungen
von außen auf einen Menschen einwirken. können nicht angegeben werden. Da es
Verfahren, die psychische Belastungen keine allgemein gültigen Grenzwerte gibt,
erfassen, wurden bereits in Kapitel 3.3.5.2 können Beeinträchtigungen stets nur in
vorgestellt. Eine Gefährdungsbeurteilung Verbindung mit den Leistungsvorausset-
psychischer Belastungen steht jedoch im zungen einer Person oder einer definier-
Kontext der Bewertung aller Gefährdungen ten Personengruppe beurteilt werden.
im Betrieb. Sind psychische Belastungen als
Kategorie der betrieblichen Gefährdungs-
beurteilung zu betrachten oder gilt für diese
Einflussfaktoren ein Sonderstatus?

Diese Frage wird unterschiedlich beantwor-


tet. Man kann versuchen, „psychische Belas-
tungen“ z. B. als einen Punkt einer betriebli-

34
4. Von verschiedenen Autoren wird darauf ihre Sichtweisen und Vorschläge für ggf. not-
hingewiesen, dass häufig das Gefähr- wendige Verbesserungen auch im Hinblick
dungspotential „psychischer Einflussfak- auf psychische Belastungen zu erfahren.
toren“ gerade in ihrer Wechselwirkung mit
anderen betrieblichen Gefährdungen zu 3.3.5.4 Vorhandene Arbeits- und Gesund-
sehen ist. So moderiert z. B. der Einfluss- heitsschutzmanagementsysteme
faktor „Zeitdruck“ ganz wesentlich die In vielen Unternehmen sind Management-
Wahrscheinlichkeit des Zusammentref- systeme eingeführt worden. Sie sind grund-
fens von Mensch und Gefahr im Rahmen sätzlich Führungsinstrumente für Unterneh-
der Unfallentstehung (Manz, 2008). men und beruhen darauf, dass Aufgaben
und Kompetenzen klar beschrieben werden,
Die komplexen Wechselwirkungen „psychi- Verantwortungsbereiche abgegrenzt und im
scher Einflussfaktoren“ lassen die alleinige Wesentlichen die Verfahrensweisen schrift-
Messung psychischer Belastungsfaktoren lich festgehalten werden. Dies bietet gute
im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung Voraussetzungen, die Arbeitsorganisation
kritisch erscheinen. Viele Autoren sehen der Unternehmen im Einzelnen zu hinter-
deswegen in der Ermittlung psychischer fragen.
Belastungen im Rahmen einer Gefährdungs-
beurteilung eher einen Schritt der „orien- Bei der Einführung von Managementsyste-
tierenden Analyse“ (Holms u. Geray, 2008; men wird von Betrieben sehr häufig bei den
Leistner, 2004). Nach einer Grobanalyse Unfallversicherungsträgern nachgefragt,
können vertiefende Analysen, die psychi- wie sich der Arbeitsschutz darin integrieren
sche Belastungen und Beanspruchungen lässt. An dieser Stelle können von dem Be-
berücksichtigen, folgen. Vorschläge zur triebsarzt auch die psychischen Belastungen
entsprechenden Instrumentenwahl wurden als Teilaspekt des Arbeitsschutzes angespro-
in Kapitel 3.3.5.2 vorgestellt. chen werden.

Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung 3.3.5.5 Gesundheitsberichte


können im Einzelfall herangezogen und mit In manchen Betrieben liegen Gesundheits-
den Verantwortlichen bzw. mit den Betrof- berichte vor, die z. B. von den Krankenkas-
fenen diskutiert werden. Dabei können sen erstellt werden. Gesundheitsberichte
weitergehende Details zur Problematik enthalten Ergebnisse über die Arbeits-
„psychischer Belastungen und Fehlbean- unfähigkeit, die Ergebnisse von Mitarbei-
spruchungen“ herausgearbeitet werden. terbefragungen, Gesundheitszirkeln etc.
Die Gefährdungsbeurteilung kann ein guter Auch diese Gesundheitsberichte können
„Aufhänger“ sein, psychische Belastungen zum Anlass genommen werden, etwas über
und ggf. daraus resultierende Fehlbeanspru- vorhandene Defizite zu erfragen. Sie eignen
chungen zu thematisieren, insbesondere sich auch dazu, eine Diskussion zum Thema
dann, wenn diese bisher nicht Gegenstand „Psychische Belastungen“ im Betrieb anzu-
der Diskussionen im Betrieb waren. Dabei stoßen.
kann es hilfreich sein, die Mitarbeiter selbst
in die Interpretation der Ergebnisse von Ge-
fährdungsbeurteilungen einzubeziehen, um

35
3.4 Bewertung der ermittelten Der Betrieb gibt vor, sensibilisiert zu sein,
Informationen es sind allerdings Defizite zu erkennen
Indikatoren für psychische Belastungen und Es ist zu hinterfragen, ob diese Sensibili-
Fehlbeanspruchungen können sein: sierung vom Betrieb nur vorgegeben wird
oder ob dem Unternehmer eine genauere
1. Hohe Unfallzahlen/hohe Arbeitsunfähig- Ermittlung, Bewertung und Maßnahme zur
keit/hohe Fluktuation Verhütung psychischer Belastungen fehlen.
2. Geringe Qualität der Produkte oder
Dienstleistungen/zunehmende Kunden- Der Betrieb ist in Teilen sensibilisiert
beschwerden Die Personen, die im Betrieb diesem Thema
3. Häufige Störungen des betrieblichen gegenüber aufgeschlossen sind, können als
Ablaufs/Terminschwierigkeiten/häufige Partner im Betrieb genutzt und für nachvoll-
Überstunden ziehbare Maßnahmen gewonnen werden.
4. Reizbare Stimmung im Betrieb / Unzufrie- An dieser Stelle sollte versucht werden, eine
denheit / Nervosität  /Sich „ausgebrannt“ breitere Basis im Betrieb herzustellen.
fühlen / Burnout-Syndrom
5. Disziplinarprobleme/Kompetenzgeran- Der Betrieb ist bereits sensibilisiert
gel / aggressives Verhalten / Mobbing / In diesem Fall ist es sinnvoll, die Probleme
Gewalt im Betrieb ggf. unter Hinzuziehung weiterer
Akteure zu ermitteln (siehe Abschnitt 3.3),
Der Betriebsarzt macht sich bereits während zu bewerten (siehe Abschnitt 3.4) und die-
seines Gesprächs mit dem Unternehmer so- sen mit geeigneten Präventionsmaßnahmen
wie aus der folgenden Betriebsbesichtigung zu begegnen (siehe Abschnitt 3.5). An dieser
und der Befragung von Mitarbeitern des Stelle ist eine weiterführende Beratungskom-
Betriebes ein Bild vom Stand des Arbeits- petenz der Betriebsärzte besonders gefragt
schutzes im Betrieb. (ggf. interne und/oder externe Berater).

Folgende Fallgestaltungen sind möglich: 3.5 Präventionsmaßnahmen


Ziel der Präventionsmaßnahmen ist es, die
Der Betrieb ist der Thematik „psychische psychischen Belastungen zu optimieren
Belastungen“ gegenüber (noch) nicht (Belastungsoptimierung), d.h. Fehlbeanspru-
aufgeschlossen chungen entgegenzuwirken. Es ist nicht das
In diesem Fall können wirtschaftliche Argu- Ziel, die psychischen Belastungen und die
mente verstärkt eingesetzt und ggf. Beispiele daraus resultierenden Beanspruchungen
für einfache, kostensparende Lösungen gänzlich zu vermeiden.
angeboten werden, die der Unternehmer
nachvollziehen kann. Es ist allerdings noch Art und Umfang der Präventionsmaßnahmen
Überzeugungsarbeit zu leisten, die umso sind abhängig von der Bewertung durch den
geringer ist, je besser die angebotene Betriebsarzt. Mögliche Maßnahmen werden
Lösung eine positive Auswirkung auf die aber nur dann erfolgreich sein, wenn ein
betriebliche Situation hat. bestimmter Sensibilisierungsgrad des Unter-
nehmers vorhanden ist, also die Bereitschaft
des Unternehmers besteht, sich auf die Pro-

36
blematik einzulassen. Ist der Unternehmer Weitergehende Präventionsmaßnahmen
von der Bedeutung der Thematik für seinen (betriebszentriert)
Betrieb nicht überzeugt und lässt sich auch Die Auflistung weitergehender Präventions-
vom Betriebsarzt nicht überzeugen, werden maßnahmen orientiert sich an den Fragen
alle weiteren Aktivitäten im Hinblick auf die des in die Teilbereiche Arbeitsaufgabe,
Verbesserung der betrieblichen Situation Arbeitsumgebung, Arbeitsorganisation,
erfolglos bleiben. psychosoziale Rahmenbedingungen geglie-
derten Fragenkatalogs. Wie die Fragen des
Erste umsetzbare Präventions- Fragenkatalogs stellen auch die Maßnahmen
maßnahmen nur allgemeine Lösungsvorschläge dar. Sie
Wegen der Komplexität der Thematik sollten können selbstverständlich in Abhängigkeit
Maßnahmen schrittweise eingeleitet wer- von der betrieblichen Situation und dem
den. Es ist günstig, zunächst mit Maßnah- Bedarf im Einzelfall ergänzt oder erweitert
men zu beginnen, die unmittelbar umsetzbar werden. Maßnahmen sind dann angezeigt,
sind und deren Vollzug in der Umsetzung wenn die Befragung Defizite in einem oder
auch kontrolliert werden kann. Darauf mehreren der o. g. Bereiche offengelegt
aufbauend kann dann die Diskussion vertieft hat. In vielen Fällen impliziert die Frage des
und auf schwieriger zu erfassende psychi- Fragenkatalogs bereits die Präventionsmaß-
sche Fehlbeanspruchungen gelenkt werden. nahme zur Behebung des Defizits.

Erste, umsetzbare Maßnahmen in diesen Arbeitsaufgabe


Bereichen könnten z. B. sein: • Ausgleich für Tätigkeiten mit extrem hohen
• geeignetes Werkzeug/ergonomisch gestal- körperlichen/geistigen/emotionalen
teten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen Anforderungen schaffen, z. B. technische
• Lärmpegel je nach Art der Tätigkeit (Hebe- und Tragehilfen, automatische
begrenzen Signalbearbeitung), organisatorische
• Mitarbeitern weitere Qualifizierung (Pausen, Tätigkeitswechsel), individuelle
anbieten (Ansprechpartner nennen) Unterstützung
• Gesundheitszirkel/Befragungen u. a. anbieten, ggf. in Absprache mit dem Mi-
durchführen tarbeiter
• Verbesserungswesen einführen • Überforderung durch zu hohe Arbeitsmen-
ge vermeiden bzw. Qualifikation der Mit-
Es handelt sich bei diesen und den folgen- arbeiter hinterfragen (ggf. Arbeitsmenge
den Präventionsmaßnahmen um allgemeine durch Zeitpuffer dehnen, Fort-, Weiterbil-
Lösungsansätze, die der jeweiligen betrieb- dungsmaßnahmen anbieten etc.)
lichen Situation anzupassen sind. Es ist • Unterforderung oder monotone Arbeiten
sinnvoll, bei Maßnahmen den Unternehmer ggf. durch vollständigere Arbeitsaufgaben
und die Mitarbeiter einzubinden, um die minimieren (vorbereitende, ausführende
Akzeptanz der Maßnahmen zu ermöglichen. und nachbereitende Arbeiten zusammen
vergeben) ggf. unter Einbeziehung des
betroffenen Mitarbeiters

37
• Verantwortungsbereich der Mitarbeiter • für vorhersehbare und planbare Arbeits-
klar definieren und ggf. erweitern, um zeiten sorgen, insbesondere die Mitarbei-
Eigeninitiative, Kreativität der Mitarbeiter ter bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit,
zu fördern neuen Schichtmodellen, Kurzpausen etc.
• Konzept des Handlungsspielraumes einbinden
• Termindruck z. B. durch rechtzeitige Vorab-
Arbeitsumgebung information (Kunden-/Arbeitsaufträge etc.)
• Ein ungünstiges Arbeitsumfeld mit all entgegenwirken, damit ausreichend Zeit
seinen Faktoren wie Raumklima, Lärm, bleibt, sich organisatorisch und mental
Arbeitsmittel etc. kann physische auf die neue Situation einzustellen
und psychische Fehlbeanspruchungen • Mitarbeiter über mögliche Gefährdungen
zur Folge haben. Ziel von Präventions- am Arbeitsplatz informieren
maßnahmen im Bereich des Arbeitsum- • dafür sorgen, dass der richtige Mitarbeiter
feldes ist es daher, ein Arbeitsumfeld zu mit der richtigen Qualifikation am „rich-
schaffen, das einer menschengerechten tigen Ort“ eingesetzt wird
Gestaltung entspricht, also die ergonomi- • Mitarbeiter auf neue Aufgaben rechtzeitig
schen Gesichtspunkte berücksichtigt, und ausreichend vorbereiten und ggf.
wie zum Beispiel Qualifizierungsmaßnahmen anbieten
• geeignete und sichere Arbeitsmittel zur • Mitarbeitern die Chance geben, sich
Verfügung stellen, für neue Aufgaben zu qualifizieren, um
• für gesunde, störungsfreie Umgebungs- z. B. Überforderung entgegenzuwirken,
bedingungen sorgen mit Blick auf Luft- technologischen Entwicklungen Rechnung
qualität, Temperatur, Beleuchtung, Luft- zu tragen, Mitarbeiter an den Betrieb zu
geschwindigkeit, Lärm am Arbeitsplatz, binden, Fluktuation zu vermeiden
• Mitarbeiter bei der Gestaltung des Arbeits- • Mitarbeiter ggf. durch Übertragung
platzes und der Auswahl ihrer Arbeitsmit- anspruchsvollerer Aufgaben Anerkennung
tel beteiligen. seiner bisherigen Leistungen signalisieren

Arbeitsorganisation Psychosoziale Rahmenbedingungen


• Mitarbeitern alle sie betreffenden Informa- • Verbesserungswesen einführen, um Ideen
tionen rechtzeitig zur Verfügung stellen der Mitarbeiter für einen reibungsloseren
• Mitarbeiter in die Organisation der betrieb- betrieblichen Ablauf zu nutzen und die
lichen Abläufe einbinden Kreativität sowie die Identifikation der
• kritische Vorgänge / Beinahe-Unfälle /  Mitarbeiter mit ihrem Betrieb zu fördern
Unfälle / Sachschäden mit den Beteiligten • Betriebsklima fördern durch Verbesserung
und Verantwortlichen offen und fair disku- der Umgangsformen miteinander, durch
tieren und Konsequenzen ziehen Räumlichkeiten, in denen soziale Kontakte
• klare und widerspruchsfreie Aufträge zwischen Mitarbeitern/Mitarbeitern und
erteilen Mitarbeitern/Führungskräften möglich
• Störungen und Unterbrechungen in sind, die auch über die betriebliche Ebene
den Arbeitsabläufen analysieren und hinausgehen (Unternehmer hat Vorbild-
entgegenwirken funktion!)

38
• auf unsoziales, unkollegiales Verhalten Schweigepflicht („anonyme Arbeitsplatz-
von Mitarbeitern oder Führungskräften besichtigung“ problematisch)
sollte sofort und adäquat reagiert werden; • Ggf. Arbeitsplatzbesichtigung
deutlich machen, dass unsoziales/unkol- • Einbeziehen von Haus-, Facharzt, Bera-
legiales Verhalten im Betrieb nicht gedul- tungsstellen und/oder externen Fachleu-
det wird; religiösen Besonderheiten wie ten/Institutionen
z. B. Fastenzeit/moslemischem Ramadan • Weitervermittlung an Ärzte, Institutionen,
Rechnung tragen Gruppen etc.
• Vertrauen zwischen Führung und Beleg- • Weitere Gesprächsangebote – Kontakt-
schaft lässt sich durch regelmäßige, offene möglichkeit zum Betriebsarzt
und faire Gespräche verbessern, ggf. einen • Mitwirkung bei der Gefährdungsbeur-
Kummerkasten einrichten teilung
• häufige Konflikte zwischen Führungskräf- • Erfassen und Auswerten von Untersuchun-
ten und Mitarbeitern deuten auf Führungs- gen § 3 Abs. 1 und 2 ASiG
schwächen hin, denen durch Führungs- • Bei längeren AU-Zeiten: Betriebliches
kräfteseminare entgegenzuwirken ist Wiedereingliederungsmanagement
• dauernde soziale Spannungen zwischen • Betriebliches Gesundheitsmanagement
Beschäftigten führen zu Störungen des
Betriebsablaufs und beeinträchtigen das 3.6 Weitere Maßnahmen
Wohlbefinden der Mitarbeiter. Es sollten Umsetzung eines innerbetrieblichen
zwischenmenschliche Probleme und Projektes
Konflikte gemeinsam, offen und fair ange- Eine weiterführende Bearbeitung dieser Pro-
sprochen und gemeinsame Lösungswege blematik kann dann in Projektform erfolgen,
gesucht werden dessen Ergebnisse in einen kontinuierlichen
• Mitarbeiter über die kurz-, mittel- und Verbesserungsprozess münden. Damit
langfristigen Unternehmensziele (Um- ist der Einstieg in eine Organisationsent-
strukturierungen, Unternehmensverkauf, wicklung mit der Implementierung eines
Arbeitsplatzabbau) informieren Arbeitsschutz- und/oder Gesundheitsschutz-
• insgesamt lässt sich das Betriebsklima managementsystems eingeleitet. Dies setzt
durch eine Beteiligung der Mitarbeiter bei die Bereitschaft des Unternehmers voraus,
sie betreffenden Entscheidungen ver- sich intensiv mit den Mitarbeitern und deren
bessern Arbeitsplatzgestaltung auseinanderzusetzen
und die Beteiligung der Betroffenen an dem
Weitergehende Präventionsmaßnahmen Entwicklungsprozess zu fördern.
(mitarbeiterzentriert)
• Nicht nur körperliche Beschwerden wahr- Diese Prozesse sollten in aller Regel im Rah-
nehmen men der Beratungstätigkeit von Betriebsärz-
• Ängste und Befürchtungen erkennen und ten begleitet werden. Zusätzlich können die
ernst nehmen Betriebsärzte auf mögliche Unterstützung
• Blockaden wahrnehmen und entschärfen durch Experten der Unfallversicherungsträ-
• Vermutete Zusammenhänge erklären ger bzw. externer Stellen hinweisen, die die
• Absprache über die Vermittlung gegen- weiteren Prozesse begleiten können.
über dem Betrieb ggf. Entbindung von der

39
40
Kapitel 4

Beispiele zur psychischen Belastung


am Arbeitsplatz
4.1 Belastungen von Fahrern im öffentlichen Mögliche Folgen für die Beschäftigten
Personennahverkehr (ÖPNV) • häufig körperliche und psychische
Situationsbeschreibung Stresssymptome (Rückenschmerzen,
• Schichtdienstbeginn 04:30 Uhr Gereiztheit)
(Müdigkeit, Schlafdefizit) • zunehmender Genussmittelmissbrauch
• wegen Erkrankung eines Kollegen unvor- (Rauchen, evtl. Alkohol zur Entspannung)
hergesehene Übernahme einer selten • unregelmäßige und falsche Ernährung
gefahrenen Linie (unvorbereitet neue durch zu kurze Pausen
Aufgabe) • zu wenig Bewegung, dadurch Verspannung
• Verspätungen im Fahrplan durch zuneh- • langfristige Erkrankungen (Bluthochdruck,
menden Berufsverkehr (Versuch, Ver- Übergewicht)
spätungen durch veränderte Fahrweise • PTSD (bei schwerem Unfall)
wieder aufzuholen)
• Ärger mit Fahrgästen wegen Verspätung Präventionsansätze
(Kundenfreundlichkeit konkurriert mit • Dienstplangestaltung mit Einflussmöglich-
Pünktlichkeit) keit der Fahrer auf Arbeitszeitgestaltung
• Gefahr von körperlichen Übergriffen • Anpassung des Fahrplans an realistische
• mobilitätsbehinderten Personengruppen Fahr- und Wendezeiten –> Einplanen von
wird nicht genügend Zeit gegeben, um sich Zeitpuffern (z. B. für Toilettengänge an
z. B. hinzusetzen (ältere Menschen, Frauen Haltestellen)
mit Kinderwagen) • Schaffung von Mischarbeitsplätzen für
• Pausen an den Endhaltestellen werden Erweiterung des Handlungsspielraums
verkürzt (kürzere Erholungszeiten) (Abwechslung von Fahrdienst, Innen-
• Nachfrage der Leitstelle wegen Verspätung dienst, Werkstatt)
(Rechtfertigungsdruck) • Abbau von Stressoren am Fahrerplatz
• Zunahme von Fahrfehlern und kritischen (Lärm, ergonomische Gestaltung)
Situationen mit Gefahr von Unfällen • Stresspräventionstraining (CBT)
• Rückenschmerzen nach längerer Fahrzeit • individuelle Verringerung von Stress-
reaktionen (Entspannungsübungen)
Mögliche Folgen für den Betrieb • Stressprävention durch Erhöhung der
• erhöhte Gefahr von Unfällen persönlichen Ressourcen (Qualifizierung
• negatives Unternehmensbild als Dienst- für Fahrtätigkeit, Kundenkontakt – soziale
leistungsbetrieb, Kundenbeschwerden Kompetenz)
• Ausfallzeiten des Mitarbeiters • Maßnahmen der Gesundheitsförderung
(Ernährungsberatung, Angebot für körper-
liche Fitness, Rückenschule)

41
4.2 Psychische Belastungen von insbesondere durch ihren eigenen Vorge-
Instandhaltern setzten.
Situationsbeschreibung • Es kann zu weiteren „dringenden“ Repara-
Es gibt Belastungssituationen, die sich aus turaufträgen kommen, obwohl der jetzige
mehreren einzelnen Belastungsfaktoren Auftrag noch nicht beendet ist (konkurrie-
zusammensetzen, die wiederum zu einer rende Aufgabenfelder).
hohen Gesamtbeanspruchung oder gar Fehl- • Dadurch, dass Sicherheitsvorrichtungen
beanspruchung mit negativen Folgen führen außer Betrieb genommen werden müssen,
können. Das folgende Beispiel ist typisch für um den Reparaturauftrag auszuführen und
betriebliche Instandhalter, die mit folgenden dadurch, dass Zeitdruck zu hektischerem
Belastungssituationen konfrontiert werden Verhalten Anlass gibt, können höchst
können. riskante sicherheitswidrige Situationen
entstehen.
Beispiel: • Da unter Zeitdruck gearbeitet werden
Eine Produktionslinie in der Batterieherstel- muss, besteht die Gefahr, dass notwen-
lung wird bei über 100 Grad gefahren. dige Pausen nicht angetreten werden
Bei mechanischen oder technischen Fehlern (Stressreaktionen und Müdigkeitsattacken
wird es erforderlich, dass Mitarbeiter oder können nicht abgefedert werden).
Instandhalter in die geschlossene Produk- • Notwendige Arbeitsmittel oder Ersatz-
tionsanlage einsteigen müssen, um das teile sind nicht immer vor Ort. Sie müssen
mechanische Problem zu beheben. Die bestellt werden. Bis zur Lieferung kann
Abkühlung der Anlage braucht Zeit, nicht u. U. nicht gearbeitet werden (Gefühl der
immer wird eine akzeptable Temperatur von Hilflosigkeit).
unter 80 Grad abgewartet, bis die Anlage • Es kann eine paradoxe Situation eintreten,
betreten wird, sondern unter der Annahme, wenn schwierige technische Probleme
das Problem sei in kurzer Zeit zu erledigen, unter Zeitdruck zu lösen sind. Fehlersuche
betreten Mitarbeiter die noch heiße Anlage setzt häufig ruhiges und wohlüberlegtes
auch unter Lebensgefahr. logisches Vorgehen voraus, das seine Zeit
braucht, die jedoch nicht vorhanden ist.
• Wenn Maschinen oder ganze Anlagen aus- Für den Instandhalter entsteht eine Situa-
fallen, werden die Instandhalter gerufen tion qualitativer Überlastung, in der eher
(unvorhersehbarer Arbeitseinsatz). Fehler begangen werden.
• Reparaturarbeiten müssen dann häufig • Reparatur- und Wartungsaufträge müssen
unter Zeitdruck durchgeführt werden häufig unter ungünstigen ergonomischen
(Stress). Bedingungen (Zwangshaltungen, schlech-
• Die Bediener der instandzusetzenden te Beleuchtung usw.) durchgeführt wer-
Maschine warten ungeduldig, insbe- den. Dadurch kann es zur Einschränkung
sondere, wenn Leistungslohn besteht der Leistungsfähigkeit kommen.
(Akkord oder Prämie). Es können Konflikte
entstehen.
• Wenn es zu Konflikten mit der „Linie“
kommt, haben Instandhalter häufig nicht
die notwendige soziale Unterstützung,

42
Mögliche Folgen Folgen
Jede der hier aufgeführten Belastungen kann 1. Für den Versicherten:
zu bedenklichen Folgen führen. Die Kombi- schwerste Verletzungen, 12-wöchiger
nation mehrerer Belastungsfaktoren kann zu Krankenhausaufenthalt (Behandlungs-
Fehlbeanspruchungen mit Unfallfolgen und kosten ca. 54 000 Euro)
Gefahren für die Gesundheit führen. Prä-
ventionsmaßnahmen betreffen bei Instand- 2. Für den Unternehmer:
haltern in erster Linie organisatorische Produktionsausfall an der Maschine
und dann erst technische und verhaltens- sowie Reparaturen
bedingte Maßnahmen. (Kosten ca. 15 000 Euro)
• 2 Jahre Maximalzuschlag auf den
4.3 Manipulation an Schutzeinrichtungen BG-Beitrag (ca. 7 000 Euro Mehrkosten)
Situationsbeschreibung • Kosten für die Lohnfortzahlung
An einer umzäunten Rohrbiegemaschine • Kosten für die Ersatzkraft
kam es während der Nachtschicht zu einem
Störfall. Der Störfall wurde ausgelöst durch Anmerkung
ein Werkstück, das sich in der Rohrbiegema- Die Unfalluntersuchung hat u. a. ergeben,
schine verklemmte, was zu einem Stillstand dass es kein betriebliches Reglement im Um-
der Maschine führte. Der Bediener, der gang mit Störungen dieser Art gibt und dass
alleine arbeitete und erst seit sechs Wochen das Sicherheitsbewusstsein unter den Mitar-
mit der Anlage vertraut war, drang in den beitern kaum vorhanden war. Das Erreichen
Wirkbereich ein, um das verklemmte Werk- des Produktionssolls (Leistungslohn mit
stück zu lösen. Der Bediener hatte dabei die vorgegebenen Stückzahlen) war wichtiger als
Anlage nicht ausgeschaltet und die Umzäu- das Einhalten der Sicherheitsvorschriften.
nung nach dem Vorbild seiner Kollegen mit Die Schichtführung hat von dem überbrück-
Hilfe einer passenden Betätigungszunge ten Zugangsschalter gewusst und nichts
vorschriftswidrig überbrückt. Beim mecha- dagegen unternommen, da es bisher nie zu
nischen Lösen des Werkstücks wird der Problemen gekommen war.
Bediener von der sich ansatzlos wieder in
Bewegung setzenden Biegevorrichtung Präventionsansätze
erfasst und gegen die seitliche Begrenzung Manipulationen an Maschinen, die zu
gedrückt. Sicherheitsrisiken führen, sind unter allen
Umständen zu unterbinden. Der Einsatz
von Betätigungszungen wurde vom Unter-
nehmen verboten. Die Betriebsleitung hat
insbesondere während der Nachtschicht
entsprechende Kontrollen eingeführt. Das
Unternehmen hat weiterhin festgelegt, dass
Störungen dieser Art keinen Einfluss auf die
Leistungslöhne haben. Das Unternehmen
hat ein Reglement zum Umgang mit Stör-
fällen entwickelt. Des Weiteren wurden die
Mitarbeiter eingehend unterwiesen.

43
4.4 Pünktlichkeit im Baugewerbe sagen, dass dieses einfach erscheinende
Situationsbeschreibung Ziel immer noch eingehalten wird und im
Die Geschäftsführung eines Unternehmens Unternehmen deutlich zur Reduzierung der
mit ca. 80 Mitarbeitern beschließt, etwas Belastungen bei den Beteiligten beigetragen
gegen die psychischen Belastungen der hat.
Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu tun. Dazu wird
ein Stressmanagementseminar vereinbart, 4.5 Druckereibereich Fotosatz
an dem 12 Mitarbeiter mit einem Vertreter Situationsbeschreibung
der Geschäftsführung teilnehmen. Im Laufe In einer Druckerei (30 Beschäftigte) wur-
des Seminars stellt sich heraus, dass neben den Untersuchungen und Befragungen zur
erlernbaren Methoden, die der Stressbewäl- Ermittlung psychischer Belastungen und
tigung dienen, der große Wunsch besteht, Fehlbeanspruchungen im Bereich Fotosatz
eine permanente Stressquelle zu reduzieren: durchgeführt. Die Arbeit in dieser Druckerei
die Unpünktlichkeit. (Die Seminarleitung ist von häufig wechselnden, spezifischen
wandelt mit dem Einverständnis der Teilneh- Kundenwünschen und Kleinserien geprägt.
mer das Seminar in einen Workshop um, so- Im Bereich Fotosatz handelt es sich vor-
dass die Anliegen der Teilnehmer vorrangig wiegend um Computerarbeitsplätze. Die
behandelt werden können.) wichtigsten Teiltätigkeiten bestehen hier in
der Texterfassung (Texteingabe und -bear-
Folgen beitung), in der Bildbearbeitung und in der
Die Unpünktlichkeit vieler Mitarbeiter Seitengestaltung.
hatte solche Ausmaße angenommen, dass
massive Auswirkungen auf alle Unterneh- In der 1. Stufe der Gefährdungsbeurteilung
mensprozesse die Folgen waren. Das führte wurde festgestellt, dass die Arbeitstätig-
zu enormen (vermeidbaren) psychischen keiten vorwiegend durch eine mono-
Belastungen bei allen Mitarbeitern des tone Texteingabe und/oder -bearbeitung
Unternehmens. gekennzeichnet sind. Die Vielzahl unter-
schiedlichster Kundenwünsche führt dazu,
Präventionsansätze dass die Beschäftigten größtenteils unter
Die Teilnehmer des Seminars entwickelten Zeitdruck arbeiten müssen. Gleichzeitig wird
gemeinsam ein auf die Bedürfnisse ihres der Arbeitsablauf häufig durch telefonische
Unternehmens zugeschnittenes Ziel sowie Kundenanfragen unterbrochen. Manuskripte
Maßnahmen zur Reduzierung der Unpünkt- werden von den Kunden in verschiedenarti-
lichkeit. Es wurde u. a. beschlossen, bei gen Dateiformaten auf unterschiedlichen
dauerhafter Missachtung des Ziels „Pünkt- Datenträgern eingereicht. Die daher perma-
lichkeit“ unangenehme Konsequenzen für nent durchgeführten Softwareaktualisierun-
den Betreffenden folgen zu lassen. gen erschweren die Arbeit der Beschäftigten.
Bei starker Sonneneinstrahlung kann es
Anmerkung zudem zu Blendungen und Reflexionen auf
Die Vereinbarung und das Ziel wurden allen den Bildschirmen kommen.
Mitarbeitern in der folgenden Betriebs-
versammlung zur Abstimmung vorgelegt.
Nach zwei Jahren lässt sich im Rückblick

44
Folgen Techniknutzung
Die Beschäftigten gaben bei Befragungen zu • häufige Computerabstürze
möglichen Belastungen und Fehlbeanspru- • unzuverlässige Software
chungen folgende ihre Arbeit betreffende • permanente Schulungen
Mängel an: • ungeeignete Benutzerhandbücher
• nachlassende Konzentration
• störende Arbeitsumgebungsbedingungen Gesundheitliche Beschwerden
(Blendung) • nach größeren Aufträgen mit Termindruck
• nachlassende Qualität und Quantität Beschwerden an Armen und Händen
der Arbeitsergebnisse • Müdigkeit
• gereiztes, unzufriedenes Befinden • Anspannung
• Gereiztheit
Präventionsansätze
1. Schritt: Aus Sicht des Vorgesetzten werden Krea-
• Anteil von Text- und Bildbearbeitung in tivität und Flexibilität der Mitarbeiter als
der Arbeitsgruppe (AG) gleichwertig orga- verbesserungsbedürftig eingeschätzt.
nisieren, Kurzpausensystem einführen Problematisch zeigten sich zusätzlich die
(5 min/h) gestörten Informationsflüsse und Abstim-
• Jalousien anbringen (gegen Blendungen) mungsverluste. Als kritische Belastungsfak-
• realistische Zeitplanung der Arbeitsauf- toren im Bereich Fotosatz wurden darüber
träge, Selbstorganisation der Aufgaben in hinaus ermittelt:
der Arbeitsgruppe
• Einrichtung eines zentralen Kundentele- Mängel bei
fons mit wechselnder Besetzung • Ganzheitlichkeit der Aufgaben
• regelmäßige Softwareschulungen durch • körperlicher Abwechslung
Systemadministratoren durchführen und • Beteiligung an der Arbeitsgestaltung
dokumentieren • zeitlichem Spielraum
• zeitnahen Rückmeldungen zur Qualität
In der Arbeitsgruppe wurde festgestellt, dass der Arbeit
nicht alle Belastungen in der 1. Stufe der • Informationsverfügbarkeit
Risikobeurteilung erfasst werden konnten. • Störungsfreiheit
Durch eine weitergehende Analyse in Form
von Beobachtungen und Befragungen bzw. 2. Schritt:
Interviews wurden die nachfolgenden Pro- In einem Projektteam (betroffene Beschäftig-
blemfälle von den Beschäftigten aufgezeigt te, Abteilungsleiter, Geschäftsführer) wurden
bzw. konnten bestätigt werden: auf Grundlage der durchgeführten Analysen
umfangreiche Gestaltungsvorschläge erar-
Arbeitsorganisation beitet und umgesetzt. So wurden beispiels-
• vorwiegend sitzende Tätigkeit weise die Beschäftigten zu allen Aufgaben-
• Termindruck/-überschneidungen bereichen des Bereichs Fotosatz geschult,
• häufiges Nachfragen (unklare Absprachen um die Aufgabenvielfalt und die Ganzheit-
zwischen Kunde und Aufgabenbearbeiter) lichkeit der Aufgaben zu erhöhen. Die daraus
• mangelnde Koordination von Arbeitsaufträgen folgende Flexibilität der Beschäftigten führt

45
zu einem höheren zeitlichen Spielraum, da Desinteresse. Insbesondere bei Desinteres-
die Beschäftigten die Arbeitsaufgaben in der se der Verwandten ist die Pflegekraft oft zur
morgendlichen Besprechungsrunde selbst einzigen Bezugsperson geworden. Seitens
nach Bedarf und Dringlichkeit aufteilen der Verwandten von Bewohnern kommt es
konnten. Die Rückmeldung über die Arbeits- häufig zu Vorwürfen, die Pflegekräfte würden
ergebnisse wurde ebenfalls in den Rahmen die zu pflegenden Angehörigen nicht richtig
der morgendlichen Besprechungsrunde und angemessen versorgen.
integriert. Die Installation eines Intranets
beschleunigte die Informationsflüsse und Hinzugekommen sind in den letzten Jahren
gestaltete sie übersichtlicher. Die Arbeits- die erhöhten Anforderungen an die Doku-
plätze wurden nach den Anforderungen mentation der Pflegetätigkeiten. Bei gleich-
der Bildschirmarbeitsverordnung um- und bleibenden engen personellen Ressourcen
aufgerüstet und ein Gymnastikplan zum sowie aufgrund des Mangels an exami-
Ausgleich der Bewegungsarmut entwickelt. nierten Pflegekräften entsteht so häufig
Mit den genannten Maßnahmen wurde eine Zeitdruck bei den Beschäftigten.
Verminderung von Belastungen erreicht, was
von Beschäftigten bzw. direkt Betroffenen Mögliche Folgen
auch bestätigt wurde. In Folge kann Unzufriedenheit, verbunden
mit Motivationsmangel und Antriebslosig-
4.6 Altenpflegeheim keit, resultieren, insbesondere wenn die
Situationsbeschreibung Pflegekräfte als Bezugspersonen fungieren.
In einem Altenpflegeheim werden geistig Der Pflegeprozess wird nicht mehr als voll-
rege wie demente Bewohner aufgenommen ständig erlebt, da insbesondere Pflegekräfte
und versorgt bzw. gepflegt. Abhängig vom ihren Beruf als einen „helfenden“ Beruf
Grad der Pflegebedürftigkeit der Bewohner ansehen, der auf die Hilfeleistung bei den
werden diese in unterschiedlichen Wohn- Bewohnern abzielt. Aufgrund fehlender
bereichen betreut. Durch den täglichen Ressourcen können Ermüdungszustände bei
Umgang entwickeln viele der Pflegekräfte den Beschäftigten auftreten. In Verbindung
häufig eine emotionale Beziehung zu den mit dem Erleben des bloßen „Abfertigens“
Bewohnern und nehmen entsprechend der Bewohner können sich Erschöpfungs-
Anteil an deren Leben. Dabei erleben sie zustände bis hin zum Burn-Out-Syndrom
auch häufig den Übergang der Bewohner entwickeln. Die evt. notwendige Trauerarbeit
von geistig regen, an der Umwelt interessier- beim Tod von Bewohnern kann bei dem
ten Menschen zu dementen und passiven Versuch ihrer Bewältigung zu Suchtverhalten
Schwerstpflegefällen. Einige der dementen (Alkohol, Zigaretten oder Drogen) führen.
Bewohner neigen zu Gewalttätigkeiten
gegenüber den Mitarbeitern, wenn sie sich Präventionsansätze
in ihrer Privat- oder Persönlichkeitssphäre Organisatorische Maßnahmen/Organisati-
bedroht oder bedrängt fühlen. Das Interesse onsbezogene Förderung der Ressourcen
der Verwandten an ihrem zu pflegenden • Veränderungen in der Arbeitslogistik des
Angehörigen ist stark unterschiedlich. Es Heims (z. B. Koordination der Arbeits-
reicht von häufigen Besuchen und „Heim- abläufe: Übergabezeiten und Essenaus-
holungen“ an den Feiertagen bis zu völligem gabe / Waschen der Bewohner, Änderun-

46
gen des Schichtsystems, Einführung der genden, Patient und dessen Bezugsperson
5-Tage-Woche) unverzichtbar.
• Mitarbeiter, die Probleme im Umgang mit
bestimmten dementen Bewohnern haben, Die Überwachung und Interpretation der
andere Bewohner pflegen lassen wichtigen Daten und die Versorgung des Pa-
• Schaffung zusätzlicher Stellen, um zeit- tienten muss häufig unter hohem Zeitdruck
liche Ressourcen freizusetzen und mit äußerster Genauigkeit erfolgen
• Kontakt seitens des Betriebs zu den An- sowie präzise dokumentiert werden. Hinzu
gehörigen, um diese regelmäßig über die kommt das permanente Risiko, bei einem
Situation ihrer Verwandten zu informieren sich verschlechternden Patientenzustand
bzw. zur Teilnahme an gemeinschaftlichen aufgrund möglicher Fehler, wie Fehlmessung
Veranstaltungen einzuladen oder -dosierung, für die Situation verant-
• Teamgespräche mit Wohnbereichsleitung wortlich gemacht zu werden. Eine erhebliche
(mögliche Themen: Austausch über pro- Arbeitsbelastung ergibt sich aus einem
blematische Bewohner, Zusammenarbeit hohen Wechsel der Tätigkeiten (auf hoch
Tag- und Nachtschicht, Maßnahmen zur spezialisierten Intensivstationen wendet
Reduktion von Belastungen, ggf. Weiter- sich eine Pflegeperson durchschnittlich alle
leitung von Problemen an die Heimlei- zwei Minuten einer jeweils neuen Tätigkeit
tung/Pflegedienstleitung/Hauswirtschaft- zu). Die Notwendigkeit, in einem interpro-
leitung) fessionellen Team zusammenzuarbeiten,
• Möglichkeit zur Teilnahme an Supervision birgt erhebliches Konfliktpotential an den
• Team achtet auf den Zustand der Team- Schnittstellen. Eine zusätzliche Belastung
kolleginnen stellt der Schicht- bzw. Wechseldienst dar.
• Trauer und Trauerarbeit zulassen Die Pflegekräfte auf der Intensivstation sind
zudem einer hohen Lärmemission ausge-
Personenbezogene Maßnahmen/Förderung setzt, die von medizinischen Geräten als
der Ressourcen kontinuierliches Arbeitsgeräusch oder in
• Bezahlte Freistellungen der Mitarbeiter bei Form von akustischen Signalen ausgeht.
intensiven Trauererlebnissen
• Schulung der Mitarbeiter/innen im Um- Emotionale Belastungen sind durch das
gang mit dementen Bewohnern Leiden des Schwerstkranken, durch seltene
Erfolgserlebnisse wegen häufiger Todesfälle
4.7 Intensivpflege oder rascher Verlegung des Patienten auf
Situationsbeschreibung eine Normalstation gegenwärtig.
Die Intensivmedizin gehört zu den hoch spe-
zialisierten medizinischen Fachbereichen Verständigungsprobleme treten durch
in einem Krankenhaus. Das Anforderungs- die eingeschränkte Kommunikation mit
profil an Pflegekräfte in diesem Fachbereich äußerungsbehinderten, desorientierten und
steht im Spannungsfeld zwischen medi- bewusstseinsbeeinträchtigten Patienten auf.
zinisch-technischen und kommunikations- Vielfach fehlt den Pflegekräften das Feed-
intensiven Aufgabenschwerpunkten. Im back und die Anerkennung hinsichtlich ihrer
therapeutisch-pflegerischen Kontext ist die geleisteten Arbeit. Zudem ist das Pflegeper-
Aufnahme sozialer Kontakte zwischen Pfle- sonal Adressat von Sorge, Trauer und auch

47
manchmal Vorwürfen seitens der Angehö- Beschwerden bei den Einzelnen auswirken
rigen der Patienten, da diese sich in einer können.
ungewohnten Krisensituation befinden.
Zugleich besteht der Anspruch, Angehörige Als Folge des Schicht- und Wechsel-
als sozial unterstützende Bezugspersonen schichtdienstes verstärkt durch zahlreiche
des Patienten in den Behandlungspro- Belastungen am Arbeitsplatz kann es zu
zess mit einzubeziehen. Eigene, negative Schlafstörungen aber auch zum Rückzug und
Gefühle müssen im Umgang mit Patienten Isolierung im Privatleben kommen. Kurze
und Bezugspersonen unterdrückt werden. Regenerationszeiten und gestörter Schlaf
Demgegenüber steht die Anforderung an die können körperliches Unwohlsein aber auch
Pflegeperson, die emotionale Stimmungs- Nervosität, Unausgeglichenheit und Kon-
lage des Patienten bzw. seiner Angehörigen zentrationsmangel hervorrufen.
wahrzunehmen und angemessen darauf
einzugehen. Präventionsansätze
Grundsätzliche Änderungen hinsichtlich des
Mögliche Folgen zu leistenden Arbeitsvolumens und hinsicht-
Kann der Anspruch einer qualitativ hoch- lich der Personalstärke sind derzeit nicht
wertigen und patientenorientierten Pflege in durchführbar. Es können jedoch durch ent-
dem Spannungsfeld zwischen medizinisch- sprechende betriebliche und außerbetrieb-
technischen und kommunikationsintensiven liche Maßnahmen psychische Belastungen
Aufgabe nicht gewährleistet werden, können der Mitarbeiter vermieden, gemindert oder
psychische Konflikte, eine damit verbundene beseitigt werden (auch hier ist die Grenze
Arbeitsunzufriedenheit bis hin zur inneren zwischen Reduzierungen von Belastungen
Kündigung auftreten. Der ständige, zum Teil und Förderung von Ressourcen fließend).
unterbewusst erlebte Druck aufgrund des
Risikos für mögliche, gegebenenfalls auch Organisatorische Maßnahmen/Organisati-
unverschuldete Fehler belangt zu werden, onsbezogene Förderung der Ressourcen
ermüdet. Zusätzlich kann es durch kon- • Optimierung des Schicht- und Wechsel-
tinuierlich erhöhte Lärmeinwirkungen zu schichtsystems
Leistungsminderungen kommen. • hinreichende Einarbeitungskonzepte und
-zeiten für neue Mitarbeiter
Der intensive Kontakt zwischen dem • Anpassung der Verfahrens- und Arbeits-
Pflegepersonal, dem Patienten und den abläufe an die betriebsspezifischen
Angehörigen und die dadurch bedingte Rahmenbedingungen und die aktuellen
Gefühlsregulierung kann zu einer Leugnung arbeitswissenschaftlichen und intensiv-
oder Zurückhaltung eigener und Darbietung medizinischen Erkenntnisse
sozial erwünschter bzw. beruflich erforder- • Optimierung der Übergabe- und Team-
licher Gefühle führen. Dieses kann in Folge besprechungen
zur emotionalen Überforderung der Pflege- • Verbesserung der intra- und interprofes-
person führen. Fehlende oder unangepasste sionellen Kommunikation auf der Station
Bewältigungsstrategien können zu nach- (professionelle Schnittstellen)
haltigen gesundheitlichen Folgen führen,
die sich in körperlichen und psychischen

48
• Erstellung von Pflegestandards und • körperlicher Ausgleich z. B. durch
Erarbeitung von Verfahrens- und Arbeits- Betriebssport
abläufen in der Intensivmedizin • Verbesserung der Konfliktfähigkeit
• Bereitstellung von modernen, leicht
bedienbaren Medizingeräten mit opti- 4.8 Gestaltung der Arbeit in einem
schem Alarm und regulierbaren akus- Inbound-Call-Center
tischen Alarmsignalen Situationsbeschreibung
• Bereitstellung eines übersichtlichen, Die Kundenarbeit im Call-Center betrifft
anwenderfreundlichen Dokumentations- Dienstleistungen des Informations- und
systems Geldverkehrs. Die Arbeitstätigkeit besteht
• Klärung von Kompetenz- und Handlungs- hauptsächlich aus dem Führen von kurzen
spielräumen innerhalb der Station und Telefongesprächen. In der Regel rufen die
zwischen den Stationen Kunden die Berater an. Die Kommuni-
• Bereitstellung von technischen Hilfs- kationsinhalte sind Beratung, Weitergabe
mitteln (Hebe- und Tragearbeit, Liege- oder Empfang von Information. Seltener
systemen, etc.) sind Problemlösungen erforderlich.
• räumliche Ausstattung (z. B. Bespre-
chungsräume für das Pflegeteam und Folgen
für die vertraulichen Gespräche mit den Als Belastungsfaktoren werden bei einer
Angehörigen, Pausenräume, etc.) Befragung von den Beschäftigten ange-
• helle und freundliche Gestaltung der führt: Wenig körperliche Abwechslung
Intensivräume (90 %), geringer zeitlicher Spielraum (60 %),
• zielgruppen- und bedarfsorientiertes Fort- mangelhafte Informationsverfügbarkeit
und Weiterbildungskonzept (60 %), keine Störungsfreiheit (60 %),
• Unterstützung bei der Teamentwicklung eingeschränkte Nutzerfreundlichkeit der
mit dem Ziel Optimierung der Zusammen- Technik (60 %), emotionale Belastung durch
arbeit aggressives Kundenverhalten (80 %). Als
• Supervision bzw. kollegiale Beratung erlebte gesundheitliche Beschwerden und
• Verbesserung des Konfliktmanagements Beeinträchtigungen werden Beschwerden
(Konzept) im Bereich Rücken, Schultern, Nacken
(50 %), Augen- und Sehbeschwerden (50 %),
Personenbezogene Maßnahmen/Förderung Kopfschmerzen (50 %) und Müdigkeit,
der Ressourcen Abgespanntheit (100 %) genannt. Ebenfalls
• Training für die Kommunikation im mit einer Befragung wurde die Lernförderung
Umgang mit Patienten und deren Bezugs- durch die Organisation aus der Sicht der
person Mitarbeiter im Ist- und Soll-Zustand erfasst.
• Training zur sachgerechten Handhabung Sie lässt sich den Merkmalsbereichen
medizinisch-technischer Geräte und Entwicklungsbedingungen, Partizipations-
technischer Hilfen (wie z. T. vom Medizin- möglichkeiten, zeitliche Bedingungen und
produktegesetz gefordert) Tätigkeitsspielraum zuordnen. Die durchgän-
• Training zur rückengerechten Arbeit am gig höher gewünschten Ausprägungen der
Patienten Gestaltungsmerkmale sind ein Hinweis auf
• Verbesserung des Zeitmanagements das hohe Anspruchsniveau der Mitarbeiter.

49
Sie fühlen sich in der Lage und sind bereit, 4.9 Wiederkehrende monotone
höhere Arbeitsanforderungen zu bewälti- Büroarbeit
gen. In einer Beratung wurden die Verände- Situationsbeschreibung
rungsziele der Kundenberater erfasst. Die Ein Dienstleistungsunternehmen mit Verwal-
Mitarbeiter wurden zunächst aufgefordert, tungscharakter erhält häufig große Mengen
zu überlegen, mit welchen Maßnahmen die ausgefüllter Formulare oder Freitexte über
Arbeitsbedingungen und -aufgaben verbes- den Posteingang zur Aufbereitung und
sert werden können. Es ergaben sich drei Weiterbearbeitung an die Fachabteilungen.
Kernbereiche: Arbeitsorganisation (qualifi- Die Belege werden mit hohem personellen
ziertere Planung, genauere Information über Aufwand sortiert und an Bildschirmarbeits-
Ansprechpartner, Termineinhaltung, bessere plätzen weiterbearbeitet.
Beteiligung bei der Planung), Arbeitsaufgabe
(bessere Qualität der Arbeit, bessere Gestal- Folgen
tung der Pausen) und Arbeitsplatzbedingun- Die Tätigkeiten sind monoton und geistig
gen (weniger Lärm, mehr Ruhe bei der Arbeit, wenig anspruchsvoll. Die Erfassung von
weniger Mitarbeiter in einem Arbeitsraum, Daten und die Erkennung und Behebung von
Verringerung der Lautstärke). Fehlern sind getrennt. Für die Gestaltung der
Tätigkeiten besteht ein geringer Handlungs-
Präventionsansätze spielraum.
Daraus wurde ein Maßnahmenkatalog
zusammengestellt, der die Durchführung Präventionsansätze
von regelmäßigen Arbeitsbesprechungen Durch Umorganisation werden die genann-
(14-tägig) mit Beteiligung der Kundenbera- ten Mängel beseitigt. Die komplette Beleg-
ter, Gruppenleiter, Führungskräfte und bei bearbeitung wird nun teils arbeitsteilig, teils
Bedarf der Fachkraft für Arbeitssicherheit im Tätigkeitswechsel ausgeführt. Mit einem
und des Betriebsarztes beinhaltete. Wei- Scanner werden die Belegdaten erfasst und
tere Maßnahmen waren die ergonomische können an den einzelnen Bearbeiterplätzen
Gestaltung der Arbeitsplätze, der Abbau weiterbearbeitet werden. Eine Fremdfirma
von Störungen, die Förderung der Zusam- übernimmt die Vorsortierung der Post, zu
menarbeit und des Informationsaustauschs Schichtbeginn beteiligen sich alle Mitarbei-
durch Bildung von Arbeitsgruppen mit zwei ter an der Postaufbereitung. Jeweils zwei
bis vier Mitarbeitern und die Einrichtung von bis drei Mitarbeiter bereiten im flexiblen
qualifizierter Mischarbeit in diesen Arbeits- Wechsel die Belege zum Einscannen vor,
gruppen. Die Erledigung der vollständigen sortiert nach unterschiedlichen Belegarten.
Aufgaben erfolgte durch die Arbeitsgruppe. Am Scanner werden die Belege von einem
Dabei wurden entsprechende Planungs-, Mitarbeiter ohne Arbeitsplatzwechsel
Entscheidungs- und Kontrollfunktionen den eingelesen. Es werden nach dem Scannen
einzelnen Mitgliedern für die Erfüllung der nur noch die anspruchsvolleren Tätigkeiten
Gruppenaufgabe übertragen. Ferner wurden „Lesekorrektur“ und „Plausibilitätsprüfung“
unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen durchgeführt. Die Belegart kann frei gewählt
berücksichtigt und wenn möglich durch werden, jeder Mitarbeiter muss jede Belegart
Fortbildung beseitigt. bearbeiten können.

50
Die bei der Plausibilitätsprüfung zurück- Folgen
gewiesenen Belege werden wieder an das Durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer
Belegbearbeitungscenter zurückgeleitet und Störungen während der Nachtschicht geriet
können in freier Wahl von den Mitarbeitern Herr K. unter Zeitdruck. Sein Zustand pendel-
zur erneuten Bearbeitung abgerufen werden. te zwischen Stress und Müdigkeit, dennoch
musste er sich auf die Fehlersuche konzent-
Gegenüber der reinen Erfassertätigkeit bei rieren. Der Unfall geschah, als er sich wieder
der früheren Bearbeitung sind nach der dem zuerst eingegangenen Reparaturauftrag
Umorganisation nur noch die anspruchsvol- widmete. Er ging davon aus, dass er die
leren Tätigkeitselemente auszuführen. Jeder Maschine bereits über den Hauptschalter am
Mitarbeiter beherrscht alle Teilaufgaben, Schaltkasten außer Betrieb genommen hat-
dadurch wird ein unkomplizierter Tätigkeits- te, was jedoch nicht der Fall war. Im Verlauf
wechsel erforderlich. Die meisten Mitarbeiter der Arbeiten griff er zur Beseitigung einer
sind nun mit dem Tätigkeitsprofil zufrieden, Granulatstauung in den Dosierbehälter der
nahezu alle haben kleine Zusatzaufgaben Spritzgießmaschine. Dabei setzten sich die
mit eigener Verantwortlichkeit. vorher blockierten Dosierscheiben wieder
in Bewegung, was eine Quetschung des
4.10 Unfall an einer Spritzgießmaschine Mittel- und des Ringfingers der linken Hand
Situationsbeschreibung einschließlich Teilamputation des ersten
Herr K. ist als Einrichter in der Spritzgießab- Mittelfingergliedes zur Folge hatte.
teilung eines Unternehmens beschäftigt, das
Kunststoffartikel für die Automobilindustrie Präventionsansätze
herstellt. Zu seinen Aufgaben gehört die Wenn es häufiger vorkommt, dass sich für
Störbeseitigung an allen Spritzgießmaschi- den Einrichter in der Spritzgießabteilung
nen in dieser Abteilung. konkurrierende Aufgabenfelder ergeben,
sollte ein weiterer Einrichter pro Schicht
Am Unfalltag trat nachts gegen 03:00 Uhr beschäftigt werden, damit die anste-
eine Störung an der Spritzgießmaschine hende Arbeit auf mehrere Personen verteilt
S1 auf. Herr K. öffnete zu Kontrollzwecken werden kann. Wenn eine solche Anpassung
verschiedene Gehäuseklappen. Kurz nach des Personalbestandes nicht in Betracht
Beginn dieser Arbeit wurde er aufgrund wei- kommt, sollten die Produktionsmitarbeiter
terer Störungen zu einer anderen Maschine dahingehend qualifiziert werden, dass sie
beordert. Nach Behebung dieser Störung kleinere Reparaturen an ihren Maschinen
kehrte Herr K. zur Spritzgießmaschine S1 selbst durchführen können. Möglich ist auch
zurück und setzte seine Tätigkeit dort fort. die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes,
sodass bei Engpässen z. B. auf den Einrich-
ter einer anderen Schicht zurückgegriffen
werden kann.

51
52
Kapitel 5

Hilfen
5.1 Literatur Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung:
Badura, B.; Hehlmann, T. (Hrsg.): Betrieb- BGI 7010: Gesund und fit im Kleinbetrieb.
liche Gesundheitspolitik – Der Weg zur Arbeiten: entspannt – gemeinsam – besser.
gesunden Organisation (2003). Springer (2006)

Badura, B.; Ritter, W.;Scherf, M.: Betrieb- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung:


liches Gesundheitsmanagement – ein Leitfa- BGI 7010-1: Arbeiten: Entspannt – gemein-
den für die Praxis (1999). Edition sigma sam – besser. So geht’s mit Ideen-Treffen
(2008)
Badura, B.; Schellschmidt, H; Vetter, C.:
Fehlzeiten-Report 2006, Chronische Krank- Kastner, M.; Kipfmüller, K.; Quaas, W.;
heiten (2007). Heidelberg Sonntag, K.; Wieland, R. (Hrsg.): Gesundheit
und Sicherheit in Arbeits- und Organisa-
Bamberg, E.; Ducki, A.; Metz, A.-M. (Hrsg.): tionsformen der Zukunft. Ergebnisbericht
Handbuch betriebliche Gesundheitsförde- des Projektes gesina. Werkstattberichte aus
rung (1998). Verlag für angewandte Psycho- Wissenschaft und Technik Wb 21 (2001).
logie Wirtschaftsverlag NW. Verlag für neue Wis-
senschaft GmbH, Bremerhaven
Bärenz, P.; Berger, S.; Keller, M.; Lüken, K.;
Ostendorf, P.; Steinfeld, A.: Verständigungs- Länderausschuss für Arbeitsschutz und
papier unter Fachleuten zu den Begriffen Sicherheitstechnik: Handlungsanleitung für
„Psychische Fehlbelastungen/Stress“ die staatlichen Arbeitsschutzverwaltungen
(2006). DGUV (zu beziehen beim Sachgebiet der Länder (LV 31). (2003)
Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt)
Länderausschuss für Arbeitsschutz und
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits- Sicherheitstechnik: Konzept zur Ermittlung
medizin (Hrsg.): Verbesserung der Anwesen- psychischer Fehlbelastungen am Arbeits-
heit im Betrieb. Instrumente und Konzepte platz und zu Möglichkeiten der Prävention
zur Erhöhung der Gesundheitsquote (1997). (LV 28). (2002)
Tagungsbericht, Braunschweig-Riddags-
hausen Lazarus, A. A.; Lazarus C. N.: Der kleine
Taschentherapeut (2008). Klett-Cotta-Verlag,
Bundesverband der Unfallkassen: Stuttgart.
GUV-I 8620: Psychische Belastungen am
Arbeits- und Ausbildungsplatz – ein Hand- McEwen, B.; Norton Lasley, E.: The end of
buch (Phänomene, Ursachen, Prävention) stress as we know it (2004). The Dana Press,
(2005) Washington D. C.

53
Müller, R.; Rosenbrock, R. (Hrsg.): Betrieb- Wieg, J.: Arbeitsbedingte Gesundheitsgefah-
liches Gesundheitsmanagement, Arbeits- ren, Handlungshilfe (2002). Verlag Technik
schutz und Gesundheitsförderung – Bilanz und Information
und Perspektiven (1998). Sankt Augustin
5.2 Normen
Nachreiner, F.: Erfassung psychischer Belas- DIN EN ISO 10075 – Teil 1
tung und Rückwirkung auf die Arbeitsge- Ergonomische Grundlagen bezüglich psychi-
staltung. Grenzen der Aussagekraft subjek- scher Arbeitsbelastung – Allgemeines und
tiver Belastungsanalysen mithilfe von Begriffe, November 2000
Befragungsinstrumenten aus arbeitswissen-
schaftlicher Sicht (2008). Leistung und DIN EN ISO 10075 – Teil 2
Lohn, Zeitschrift für Arbeitswirtschaft, Gestaltungsgrundsätze, Juni 2000
Nr. 445/446/447/448/449, 7-28
DIN EN ISO 10075 – Teil 3
Poppelreuter, S.; Mierke, K.: Psychische Prinzipien und Anforderungen für die
Belastung am Arbeitsplatz. Ursachen, Messung psychischer Arbeitsbelastung,
Auswirkungen – Handlungsmöglichkeiten Februar 2003
(2008). Erich Schmidt Verlag, Berlin
5.3 Links
Rosenberg, M. B.: Gewaltfreie Kommunika- http://de.osha.europa.eu
tion (2007). Junfernmann-Verlag, Paderborn –> Überblick über nationale und inter-
nationale Entwicklungen
Weber, A.; Hörmann, G.: Psychosoziale
Gesundheit im Beruf (2007). Gentner Verlag http://lasi.osha.de/de/gfx/publications/
lasi_publications.php
Wenchel, K.: Psychische Gesundheit am –> LASI-Veröffentlichungen
Arbeitsplatz, Teil 1, Orientierungshilfe (1999).
Verlag Technik und Information www.gesundheit-und-arbeit.de
–> Internet-Angebot der Zusammenarbeit
Debitz, U.; Gruber, H.; Richter, G.: Psychische der Träger der gesetzlichen Unfallver-
Gesundheit am Arbeitsplatz, Teil 2, Erken- sicherung und der Krankenkassen bei der
nen, Beurteilen und Verhüten von Fehlbean- Verhütung arbeitsbedingter Gesundheits-
spruchungen (2004). Verlag Technik und gefahren
Information
www.inqa.de
Pohlandt, A.; Heymer, J.; Gruber, H.: Psychi- –> Initiative Neue Qualität der Arbeit
sche Gesundheit am Arbeitsplatz, Teil 3,
Verhüten von Fehlbeanspruchungen durch www.dnbgf.de
Arbeits- und Organisationsgestaltung –> Deutsches Netzwerk für betriebliche
(2004). Verlag Technik und Information Gesundheitsförderung

54
www.baua.de 5.5 Depressionen, Angststörungen und
–> Veröffentlichungen der Bundesanstalt für traumatische Ereignisse
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Speziell für Depression:
www.kompetenznetz-depression.de
5.4 Instrumente –> Informationen rund um das Thema
Dunckel, H. (Hrsg.): Handbuch psychologi- –> Informationen zu „Hilfe und Selbsthilfe“
scher Arbeitsanalyseverfahren (1999).
Zürich: vdf Hochschulverlag Speziell für Angststörungen:
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische
Löwe, B. Spitzer, R.L.; Zipfel S.; Herzog, W.: Psychologie
Gesundheitsfragebogen für Patienten www.christoph-dornier-stiftung.de
(PHQ-D) Manual und Testunterlagen: 2. Auf- Tel.: 0251 - 418343
lage (2002). Karlsruhe, Pfizer –> Informationen zum Thema Angststörun-
gen und Behandlungsmöglichkeiten
Rimann, M.; Udris, I.: Subjektive Arbeits-
analyse: Der Fragebogen SALSA. In Speziell für traumatische Ereignisse:
O. Strohm; E. Ulich (Hrsg.): Unterneh- Deutsche Gesetzliche Unfallversichrung
men arbeitspsychologisch bewerten. Ein (DGUV)
Mehr-Ebenen-Ansatz unter besonderer http://www.dguv.de/inhalt/medien/bestel-
Berücksichtigung von Mensch, Technik und lung/documents/psych_stoerung.pdf
Organisation, S. 281-298 (1997). Zürich: vdf –> Empfehlungen der Gesetzlichen Unfall-
Hochschulverlag versicherung zur Prävention und Reha-
biliation von psychischen Störungen nach
Schulz, P.; Schlotz, W.; Becker, P. : Trierer Arbeitsunfällen (2008)
Inventar zum chronischen Stress (2004).
Göttingen Hogrefe www.inqa-trauma-praevention.de
–> Informationen, Publikationen und Hand-
Semmer, N.; Zapf, D.; Dunckel, H.: Instru- lungsempfehlungen zum Thema
ment zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse
(ISTA). In H. Dunckel (Hrsg.): Handbuch http://www.unfallkassen.de/files/510/
psychologischer Arbeitsanalyseverfahren Abschlussbericht_Trauma.pdf
(1999). Zürich: vdf Hochschulverlag. –> Projektbericht „Handlungsempfehlungen
für ein intersektorales Präventions-,
www.baua.de Krisen- und Versorgungsmanangement
–> Die Toolbox der BAuA gibt einen Überblick bei traumatisierenden Ereignissen” des
über Analyseinstrumente zur körperlichen Bundesverbandes der Unfallkassen
und psychischen Belastung und Bean-
spruchung www.dguv.de/iag
–> Qualifizierungsangebot der BGAG:
„Psychologische Erste Hilfe mit
CISM-Zertifikat”
–> Ansprechpartner: Katrin Boege,
Tel.: 0351 457-1124

55
BG-Information 5046: Wenn die Seele 5.6 Burnout-Syndrom
streikt. Vermeidung psychischer Gesund- Burisch, M.: Das Burnout-Syndrom (2006).
heitsschäden nach schweren Arbeitsunfällen Springer
(2006), VMBG – Carl-Heymanns-Verlag
Rösing, I. : Ist die Burnout Forschung aus-
Unfallkasse Sachsen: Notfallmanagement gebrannt? Analyse und Kritik der interna-
für berufliche Krisensituationen mit psychi- tionalen Burnout-Forschung (2003). Asanger
schen Extrembelastungen. GUV-I 8804 Verlag

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits- 5.7 Gesprächsführung


medizin BAuA: INQA – Initiative Neue Qua- Schmitz, L.; Billen, B.: Mitarbeitergespräche.
lität bei der Arbeit. Herausforderung berufs- Lösungsorientiert, klar, konsequent (2003).
bedingter Traumatisierung. Handlungs- Wirtschaftsverlag Ueberreuther: Wien/Frank-
empfehlung für Unternehmen, Verbände furt
und Politik
Außerdem bieten die Unfallversicherungs-
Akute Hilfe: träger qualitätsgesicherte Seminare zu
• Psychologische Beratungsstellen diesem Thema an. Nähere Informationen
• Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und finden Sie auf der Homepage der Unfallver-
Lebensfragen sicherungsträger, z. B.:
• Psychosoziale Beratungsstellen
• Sozialpsychiatrische Dienste u. a. • www.bgn.de
• www.bgbau.de
www.psychotherapiesuche.de • www.bgetem.de
Tel.: 0228-746699 • www.vbg.de
–> Vermittlung von Anschriften und Telefon- • www.bgrci.de
nummern von Psychotherapeuten in ganz
Deutschland 5.8 Mobbing und Gewalt
am Arbeitsplatz
www.neuhland.de www.hilfe-gegen-mobbing.de
–> Zum Thema „Hilfe gegen Mobbing“ ver-
Tel.: 030-8730111 anstalten die Autorinnen u. a. Infoabende
–> Verzeichnis von Hilfseinrichtungen und Seminare
(Telefon-Infos: 0177 8676116)
www.telefonseelsorge.de
–> Tel.: 0800-111 0 111 bzw. 0800-111 0 222 www.mobbing-web.de
–> Informationen über Mobbing

www.mobbing-zentrale.de
–> Beratungsstellen

www.mobbing-net.de
–> Informationen über Mobbing

56
www.mobbing-abwehr.de Kasper, H.; Lindemeier, B.: Wer mobbt
–> Informationen über Mobbing braucht Gewalt (2004). Süddeutscher Päda-
gogischer Verlag
www.fairness-stiftung.de
–> Vermittlung von Fairnesskompetenz Rückert, J.; Bone, A.: Hilfe gegen Mobbing
am Arbeitsplatz (2008). Wirtschaftsverlag
www.konfliktfeld-pflege.de NW-Verlag für neue Wissenschaft GmbH
–> Mobbing-Tagebuch zum Downloaden
5.9 Neue Forschungsansätze zur
www.gefas-ev.de Betrachtung der Auswirkungen
–> Gesellschaft für Arbeits- und Sozialrecht – psychischer Belastungen
Antimobbingberatung Bernhardt, A.; Baus, D.: Psychobiologische
Stressmodelle und ihre Bedeutung für die
Telefonische Beratungsstellen gibt es u. a. Prävention muskuloskelettaler Beschwer-
auch bei den Sozialämtern, Ämtern für den. In C. Schwennen; G. Elke; B. Ludborzs;
Arbeitsschutz, Gleichstellungsstellen der H. Nold; S. Rohn; S. Schreiber-Costa;
Kommunen, Beratungsstellen der Gewerk- B. Zimolong (Hrsg.): Psychologie der Arbeits-
schaften, Krankenkassen, Kirchen, Wohl- sicherheit und Gesundheit, 15. Workshop
fahrtsverbänden, sozialen Vereinen und (2008). Heidelberg: Asanger.
Verbänden und bei Selbsthilfegruppen.
Bernhardt, A.; Baus, D.; Hölzl, R.: Psychische
Esser, A.; Wolmerath, M.: Mobbing – der Beanspruchung und Gesundheit am Arbeits-
Ratgeber für Betroffene und ihre Interessen- platz: Gefährdungs- und Risikobewertung
vertretung (2006). Bund-Verlag (2008). Forschungsbericht No. 54 aus dem
Otto-Selz-Institut für Angewandte Psycholo-
Länderausschuss für Arbeitsschutz und gie, Mannheim
Sicherheitstechnik: Gegen Mobbing – Hand-
lungsanleitung für die Arbeitsschutzverwal- Hölzl, R.; Bernhardt, A.; Baus, D.; Kleinböhl,
tungen der Länder (2003) (LV 34) D.: Psychische Fehlbeanspruchung – Zur
Validität von Papier-und-Bleistift-Methoden,
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und S. 125-140. In: R. Grieshaber; M. Stadeler;
Arbeitsmedizin (BAuA): Inqa.de. Initiative H. C. Scholle (Hrsg.): Prävention von arbeits-
für Neue Qualität der Arbeit. Wenn aus bedingten und Gesundheitsgefahren und
Kollegen Feinde werden. Der Ratgeber zum Erkrankungen – 11. Erfurter Tage (2004).
Umgang mit Mobbing (2003). Dortmund Jena: Verlag Dr. Bussert; Stadeler

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und McEwen, B.; Seeman, T.: Protective and dam-
Soziales des Landes NRW: Konfliktlösung aging effects of mediators of stress: Elabo-
am Arbeitsplatz. Eine Handlungshilfe für rating and testing the concepts of allostasis
Führungskräfte bei Konflikten und Mobbing and allostatic load (1999). Annals of the New
(10 / 2008) York Academy of Sciences, 896, S. 30-47

57
Schnorpfeil, P.; Noll, A.; Schulze, R.; Ehlert, Schnorpfeil, P.; Noll, A.; Schulze, R.; Ehlert,
U.; Frey, K.; Fischer, J. E.: Allostatic load and U.; Frey, K.; Fischer, J. E.: Allostatic load and
working conditions (2003). Social Science work conditions. Social Science and Medici-
and Medicine, 57(4), S. 647-656 ne Vol. 57(4) (2003), S. 647-656

Seeman, T. E.; McEwen, B. S.; Rowe, J.; Schulkin J.; Gold, P. W.; McEwen, B. S.: Induc-
Singer, B.: Allostatic Load as a marker of tion of corticotropin-releasing hormone gene
cumulative biological risk: MacArthur stud- expression by glucocorticoids: implication
ies of successful aging. Proceedings of the for understanding the states of fear and
National Academy of Sciences of the United anxiety and allostatic load (1998). Psycho-
States, 98(8) (2001), S. 4770-4775 neuroendocrinology, 23, S. 219-24

Oder unter: Seeman, T. E.; McEwen, B. S.; Rowe, J.;


http://www.macses.ucsf.edu/Research/ Singer, B.: Allostatic Load as a marker of
Allostatic/chapters.html cumulative biological risk: MacArthur stud-
ies of successful aging. Proceedings of the
5.10 Psychobiologie National Academy of Sciences of the United
Angst lässt das Blut in den Adern stocken. States, 98(8) (2001), S. 4770-4775
In: Ärztliche Praxis. Veröffentlicht im Internet
am 25.03.2008 5.11 Psychische Belastungen und
Gefährdungsbeurteilung
Birbaumer, N.; Schmidt, R. F.: Biologische Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung,
Psychologie (2005). Springer Ausschuss Arbeitsmedizin (2008).
Leitfaden für Betriebsärzte zur Beratung des
Böker, H.: Angststörungen: Was stimmt? Arbeitgebers bei der Gefährdungsbeurtei-
(2007). Herder lung

Enna, S. J.; Möhler, H.: The GABA Receptors Holms, M.; Geray, M.: Integration der psy-
(2007). Springer chischen Belastungen in die Gefährdungs-
beurteilung (2008). INQA, Bundesanstalt
Fritzsche, K.; Wirsching, M.: Psychosoma- für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
tische Medizin und Psychotherapie (2006). Dortmund
Springer
Leistner, W.: Ratgeber zur Ermittlung gefähr-
McEwen, B. S.: The neurobiology of stress: dungsbezogener Arbeitsschutzmaßnahmen
From serendipity to clinical relevance im Betrieb. Schriftenreihe der Bundesanstalt
(2000). Brain Research, Vol. 886(1-2), für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin (Son-
S. 172-189 derschrift S 42 (2004) : Dortmund/Berlin

McEwen, B. S.: Mood disorders and allostatic


load. Biological Psychiatry, Volume 54(3)
(2003), S. 200-207

58
Manz, R.: Überwachung und aktivierende
Beratung von Betrieben aus Sicht der
Unfallversicherungsträger – zum Umgang mit
Stress am Arbeitsplatz (2008). In Schwen-
nen, C.; Elke, G.; Ludborzs, B.; Nold, H.;
Rohn, S.; Schreiber-Costa, S.; Zimolong, B.
(Hrsg.), Psychologie der Arbeitssicherheit
und Gesundheit, 15. Workshop. Heidelberg:
Asanger

59
60
Glossar
Akutes Stresssystem I + II terinnen gewonnen werden. Dabei werden
Akutes Stresssystem I: Hypothalamus-Hypo- Mitarbeiter in Gruppen eines Arbeitsberei-
physen-Nebennierenrinden-System ches oder einer Hierarchieebene ohne
Akutes Stresssystem II: Hypothalamus- Vorgesetzte mündlich befragt. Die Mitarbei-
Sympathikus-Nebennierenmark-System ter sollen dadurch unter der Beteiligung be-
trieblicher Experten die momentane Arbeits-
Allostase/Allostatische Last situation analysieren und dabei belastende
Der Begriff der Allostase beschreibt einen Faktoren im Arbeitsbereich besprechen,
selbstregulierenden biologischen Prozess, erste Lösungsmöglichkeiten entwickeln und
durch den der menschliche Körper in der bewerten und zum Abbau der Belastungen
Lage ist, adaptiv auf tägliche Belastungen beitragen.
zu reagieren und dadurch die Homöostase
der unterschiedlichsten Organsysteme Arzt-Patienten-Beziehung
aufrecht zu erhalten. Kurzfristig ermöglicht Die Beziehung zwischen Arzt und Patient
die Allostase zwar eine effektive Belastungs- kann in Abhängigkeit der Problemstellung
bewältigung, diese Mechanismen können folgende drei Formen annehmen:
sich aber längerfristig auch negativ auf den Unter shared decision making (= part-
menschlichen Organismus auswirken und nerschaftliches Modell) versteht man die
Spuren hinterlassen, die mit dem Begriff gemeinsame Entwicklung eines Therapie-
Allostatische Last (Allostatic Load) bezeich- konzeptes zwischen Arzt und Patienten.
net werden. Innerhalb des Dienstleistungsmodells
übernimmt der Arzt die Rolle des beratenden
Folgende Bedingungen können zu einer allo- Experten, der sein Wissen dem Patienten zur
statischen Last führen: Die allostatische Last Verfügung stellt. Die Entscheidungskompe-
kann einerseits auftreten, wenn der Organis- tenz obliegt dem Patienten.
mus über einen längeren Zeitraum vielen be- Innerhalb einer paternalistischen Arzt-
lastenden und neuen Ereignissen ausgesetzt Probanden-Beziehung handelt der Arzt bei
ist oder die physiologische Stressreaktion Notwendigkeit zwar gegen den Willen des
bei dem wiederholten Erleben einer gleichen Patienten, diese Handlung ist allerdings auf
Belastung in ihrem Ausmaß nicht abnimmt. das Wohl des Patienten ausgerichtet (z. B.
Andererseits kann es zu einer allostatischen Einweisung eines Alkoholabhängigen).
Last kommen, wenn die physiologische
Stressreaktion insgesamt entweder zu stark Beanspruchung
oder zu schwach ausfällt. Die durch die unterschiedlichen individuel-
len Eigenschaften des Menschen geprägten
Arbeitssituationsanalyse Reaktionen des Menschen auf (von außen)
nach Prof. Nieder einwirkende Belastungen (siehe auch psy-
Durch eine Arbeitssituationsanalyse soll chische Beanspruchung).
eine subjektive Beurteilung der Arbeits-
situation durch die Mitarbeiter und Mitarbei-

61
Belastungen im Modell unberücksichtigt sind auch die
Anforderungen an den Menschen, die sich Einflüsse parallel vorhandener psychischer
aus der Durchführung der Arbeitsaufgabe und somatischer Erkrankungen (somato-
ergeben, sowie Einflüsse aus der Arbeitsum- psychische Komorbidität) auf arbeitsbezo-
gebung (Arbeitsumwelt) und der Arbeitsorga- gene Belastungen.
nisation (siehe auch Psychische Belastung).
Gesundheitsbericht
Belastungs-Beanspruchungs-Modell steht für Arbeitsunfähigkeitsbericht, der
Arbeitswissenschaftliches Grundkonzept, häufig auch AU-Bericht oder Krankheits-
das eine Verbindung der einwirkenden Kräfte artenstatistik genannt wird. Er wird von
und äußeren Einflüsse (Belastungen) mit den Krankenkassen im Auftrag des Unter-
den individuellen Reaktionen (Beanspru- nehmens erstellt, sofern auf eine gewisse
chungen) von Personen auf diese Belastun- Versichertenanzahl (> 50 Mitarbeiter) zurück-
gen herstellt. Beanspruchungen können zu gegriffen werden kann. Der Gesundheits-
kurz- bis langfristigen Folgen mit positiven bericht gibt in statistischer Form Auskunft
oder negativen Auswirkungen für die betref- über die Charakteristik krankheitsbedingter
fende Person führen. Fehlzeiten im Unternehmen. Auf diese Weise
werden Schwerpunkte der Intervention und
Burnout-Syndrom der Prävention sichtbar.
Der heutige Begriff beinhaltet meistens die
Trias von „emotionaler Erschöpfung“, Gesundheitszirkel
„Depersonalisation“ und „Leistungsman- Ein Gesundheitszirkel ist eine betriebliche
gel“, die als faktorenanalytische Dimen- Problemlösegruppe, die regelmäßig oder
sionen aus Fragebogenuntersuchungen unregelmäßig zusammenkommt. Die Größe
gewonnen wurden. Meist wird damit ein eines Zirkels umfasst dabei idealerweise
Zustand nach chronischer Überlastung mit sechs bis zehn Personen. Durch das kommu-
mangelnder Gratifikation und sozialer Unter- nikative und gestaltungsorientierte Instru-
stützung durch Vorgesetzte, das „System“ ment der betrieblichen Gesundheitsförde-
und/oder Kollegen, vor allem in sozialen und rung sollen gesundheitliche Probleme aus
Gesundheitsberufen, bezeichnet. der Sicht der Betroffenen angegangen und
Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden.
Erweitertes Belastungs-Beanspruchungs-
Modell Individuelle Leistungsvoraussetzungen
Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell Gesamtheit der individuellen Merkmale der
sieht häufig lediglich eine lineare Vorwärts- physischen und psychischen Leistungsfähig-
bewegung vor. Aus Arbeitsbelastungen keit sowie der physischen und psychischen
resultieren am Ende der Reaktionskette Leistungsbereitschaft des Menschen.
Beanspruchungsfolgen. Zum heutigen
Zeitpunkt ist man sich einig, dass eine
solche vereinfachte Betrachtung ungenü-
gend ist. Vielmehr wird das Belastungs-
Beanspruchungs-Modell von komplexen
Rückkopplungsprozessen beherrscht. Bisher

62
Job-Rotation, Enrichment und Monotoniezustand
Enlargement Ein langsam entstehender Zustand herabge-
Die Job-Rotation (Arbeitsplatz-Rotation) ist setzter Aktivierung, der bei lang andauern-
ein systematischer Arbeitsplatz- oder Aufga- den, einförmigen und sich wiederholenden
benwechsel innerhalb eines Arbeitssystems. Arbeitsaufgaben oder Tätigkeiten auftreten
Erfolgt dieser Wechsel innerhalb eines kann und der hauptsächlich mit Schläfrig-
Anforderungsniveaus, spricht man auch von keit, Müdigkeit, Leistungsabnahme und
Tätigkeitserweiterung (Job-Enlargement, -schwankungen, Verminderung der Umstel-
horizontale Umstrukturierung). Handelt es lungs- und Reaktionsfähigkeit sowie Zunah-
sich um Tätigkeiten in unterschiedlich hohen me der Schwankungen der Herzschlagfre-
Anforderungsniveaus, so spricht man von Ar- quenz einhergeht.
beitsbereicherung (Job-Enrichment, vertikale
Umstrukturierung). Die Job-Rotation stellt Posttraumatische Belastungsstörung
somit eine Arbeitsorganisation dar, welche (PTSD = Post traumatic stress disorder)
aus den Arbeitsstrukturierungen Tätigkeitser- Extrem belastende Ereignisse wie Unfälle,
weiterung und Arbeitsbereicherung entsteht. Katastrophen, kriminelle Gewalt können
neben körperlichen Verletzungen auch zu
Mehrebenendiagnostik psychischen Verletzungen mit langfristigen
Bei der Diagnostik von Belastung, Bean- Folgen wie Depression oder Angststörungen
spruchung und Beanspruchungsfolgen führen. Bei einer Chronifizierung ist eine psy-
ermöglicht ein Mehrebenenansatz, dass chotherapeutische Behandlung notwendig.
Belastungsmaße, Beanspruchungsmaße,
subklinische und klinische Diagnosen von- Psychische Beanspruchung
einander abgrenzt und die Zusammenhänge Wird definiert als die Gesamtheit emotio-
zwischen den Systemebenen sowie weitere naler, kognitiver, verhaltensmäßiger und
Einflussfaktoren, wie z. B. Regulations- und zentralnervös vermittelter physiologischer
Copingkapazitäten, berücksichtigt werden. Reaktionen auf Aspekte des Arbeitsinhaltes,
der Arbeitsorganisation und der Arbeitsum-
Mobbing gebung. Dabei sind kurz- und langfristige
Mobbing ist eine konflikthafte Kommuni- Reaktionen zu unterscheiden.
kation und entsprechendes Handeln am
Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Psychische Beanspruchung
Vorgesetzten und Mitarbeitern, bei der: Die unmittelbare (nicht die langfristige)
1(1) eine Person von einer oder einigen Auswirkung der psychischen Belastung
Personen im Individuum in Abhängigkeit von seinen
• systematisch, jeweiligen überdauernden und augenblick-
• oft (mindestens einmal pro Woche) und lichen Voraussetzungen, einschließlich der
• während längerer Zeit (mindestens individuellen Bewältigungsstrategien.
über sechs Monate)
• mit dem Ziel des Ausstoßens aus dem Psychische Belastungen
Arbeitsverhältnis/-bereich Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse,
• direkt oder indirekt angegriffen die von außen auf den Menschen zukommen
wird/werden. und psychisch auf ihn einwirken (ISO10075).

63
Arbeitsbedingte psychische Belastungen Problems zum Ziel, während bei maladapti-
sind die sich aus dem Arbeitsinhalt, der Ar- ven Copingstrategien der Ablenkungscharak-
beitsorganisation und der Arbeitsumgebung ter im Vordergrund steht.
ergebenden kognitiven, emotionalen und
verhaltensmäßigen Anforderungen (Verstän- Resilienz
digungspapier). Unter Resilienz (lat. resilire = „zurücksprin-
gen, abprallen“, dt. etwa Widerstandsfähig-
Psychische Ermüdung keit) wird die Fähigkeit verstanden, auf die
Eine vorübergehende Beeinträchtigung der Anforderungen wechselnder Situationen
psychischen und körperlichen Funktions- flexibel zu reagieren und auch stressreiche,
tüchtigkeit, die von Intensität, Dauer und frustrierende oder anderweitig schwierige
Verlauf der vorangegangenen psychischen Lebenssituationen zu meistern.
Beanspruchung abhängt. Erholung von
psychischer Ermüdung kann besser durch Externe Ressourcen sind Möglichkeiten
eine zeitliche Unterbrechung der Tätigkeit als des Betriebes, die Belastungssituation zu
durch deren Änderung erzielt werden. entschärfen, ohne die Belastungsfaktoren
selbst zu verändern, z. B. wenn der Mitarbei-
Psychische Fehlbeanspruchung ter selbst entscheiden kann, wann welche
Fehlbeanspruchung bezeichnet Belastungs- Arbeitsschritte von ihm verrichtet werden.
reaktionen, welche die Gesundheit kurz-
oder langfristig signifikant beeinträchtigen. Persönliche Ressourcen sind individuell un-
Davon sind langfristige gesundheitliche Fol- terschiedlich ausgeprägt. Je nachdem, über
gen der Anpassung an Fehlbeanspruchung welche Qualifikation, Erfahrungen, gesund-
zu unterscheiden. heitlichen Voraussetzungen, Problembewäl-
tigungsmöglichkeiten oder auch positiven
Psychische Sättigung bzw. negativen Grundstimmungen Individu-
Ein Zustand der nervös-unruhevollen, stark en verfügen, ergeben sich ganz verschiedene
affektbetonten Ablehnung einer sich wieder- Beanspruchungen.
holenden Tätigkeit oder Situation, bei der
das Erleben des Auf-der-Stelle-Tretens oder Screeningverfahren
des Nicht-Weiter-Kommens besteht. Screeningverfahren sind überwiegend Befra-
gungsverfahren. Die Ergebnisse tragen zum
Regulations- und Copingkapazitäten Erkennen von Schwachstellen der Arbeits-
Kapazitäten, die einen wesentlichen Einfluss gestaltung bei. Sie unterscheiden sich
darauf haben, wie mit einem als bedeutsam von den orientierenden Verfahren, die oft
und schwierig empfundenen Lebensereignis nur grob gerasterte Merkmale und meist
oder einer Lebensphase umgegangen wird. dichotome Merkmalsstufen (ja – nein, 0 – 1)
In der Regel wird zwischen adaptiven und enthalten, durch eine feinere, mehrstufige
maladaptiven Copingstrategien unterschie- Skalierung der Merkmale.
den. (Alternativ: funktionale bzw. dysfunk-
tionale Copingstrategien). Die Anwendung
von adaptiven Copingstrategien hat eine
langfristige und nachhaltige Lösung eines

64
Stress Stressreaktion
Der Begriff wird umgangssprachlich sehr Die Stressreaktion ist diejenige Reaktion, die
häufig verwendet und im Sinne subjektiv vor- aufgrund der Auswirkungen eines Stressors
handener und/oder auch objektiv gegebener in Abhängigkeit von der individuellen Bewäl-
Belastungen benutzt. In der Regel steht da- tigung bzw. Bewertung zustande kommt.
bei eine negative Bewertung im Vordergrund. Damit ist die Stressreaktion, wie der Stres-
Aus wissenschaftlicher Sicht umfasst Stress sor, ebenfalls Teil des gesamten Stress-
den gesamten Prozess gegebener Stresso- prozesses. Die Stressreaktion kann aus prak-
ren, die auf den Organismus einwirken, dort tikablen Erwägungen mit der Beanspruchung
individuell unterschiedlich verarbeitet und gleichgesetzt werden.
bewertet werden und abhängig davon zu
Stressreaktionen führen. Verhaltensprävention
Vorbeugende Maßnahmen zur Bildung siche-
Stresskaskade rer und gesundheitsgerechter Verhaltenswei-
Die Einwirkung einer Belastung löst eine sen der Beschäftigten.
Kette von psycho-biologischen Reaktionen
aus (Stresskaskade). Wichtig ist die Betrach- Verhältnisprävention
tung der Endpunkte (von der subjektiven Vorbeugende Gestaltung der Arbeitsbedin-
Einschätzung bis zu klinischen Diagnosen). gungen durch technische und organisa-
Die konkrete Ausprägung einer Beanspru- torische Maßnahmen der Arbeitssystem-
chungsreaktion und die Folgen dieser sind gestaltung.
unter anderem abhängig von Einflussgrößen
wie Copingkapazität oder Resilienzfaktoren. Vigilanz, herabgesetzte
Das Kaskadenmodell erlaubt eine Risikomo- Ein bei abwechslungsarmen Beobachtungs-
dellierung für Beanspruchungsfolgen auf der tätigkeiten langsam entstehender Zustand
Basis einer Mehrebenendiagnostik. mit herabgesetzter Signalentdeckungsleis-
tung (z. B. bei Radarschirm- und Instrumen-
Stressor tentafelbeobachtung)
Bei einem Stressor handelt es sich um
einen Reiz auf den Organismus, der Teil des
gesamten Stressprozesses ist (siehe Stress).
Im Kontext des Arbeitsschutzes kann aus
praktikablen Erwägungen von einer gleichen
Bedeutung der Begriffe Belastung und Stres-
sor ausgegangen werden.

65
66

Das könnte Ihnen auch gefallen