Sie sind auf Seite 1von 419

STÖRTEBEKER

EPOS

VON TORSTEN SCHWANKE

meine friesischen Mutter gewidmet

Ja du bist Schatten gegen den Sonnenstrahl


Und Schirm, o Freundschaft, gegen den Regenguss!
Wir fühlten es, da wir Störtebekers
Spähenden Hügel der Freude weihten!

Dort stehen die Eichen; unter den Eichen ruht


Der Namen-Sprecher. Wer von dem frommen Stein
Nur Moos klaubt, nur die Axt drauf ansieht,
Ob sie zu fällen die Beschirmer tauge,

An deren Sprössling zweimal die Weihende


Mit Stolz stand und: „Ich erwählte kein anderes Land“
Uns sang; (beim zweiten Zauber wiesen
Flämmchen den künftigen Platz des Denkmals,)

Dem sei der Sängerin Stimme ein Pfauen-Geschrei,


Der älteren Dame Lächeln eine Fratze!
Doch warum diese sanfte Schonung?
Rausche, Gesang, mir in anderen Tönen!

Mit Hohnlachen seh ihn der Gänsehirt!


Der Lehrer, welcher die Kinder schlägt,
Mit Hohnlachen! aber kalt verachtend,
Wer vor der Ähre die Sense wetzt!

Vom Ritterband umflattert und hell vom Stern


Müsse er mit einem Kammerkätzchen (sie,
Ja, sie sei schlecht vermählt!) sich vermählen
Und vor des Weibes Kothurnen unstet

Sein Leben verschnaufen! Wenn er, von jungem Grog


Erwärmt, einst umfällt, müsse den Schatten ihm
Störtebekers Schatten in des heißen
Acheron Wogenzischen kielholen!

(Nach Friedrich Gottlieb Klopstock)

ERSTES ABENTEUER

Sommerabend. - Ein Rascheln reitet über die Wipfel


Der Buchen auf den Dünenhöhen. In einer langen Kette
Rollt das bewegte Gold der Sonne
Durch die aufgeschreckten Äste.

Und zwischen den grauen Stämmen steht bleich


Und aufrecht die Stille und starrt
Mit ihren unbeweglichen Zügen auf das tanzende Meer.
Doch das Meer spricht, seine Augen sind mal tiefblau,

Mal purpurrot, und sie blitzen wild auf,


Wenn das Element zu den Kreidefelsen hinüberruft,
Die sich dicht unter die Wälder schmiegen
Wie ein weißes Knie unter einem grünen Rock.

Keiner versteht, was das Meer ruft. Denn nur selten lauscht
Ein menschliches Ohr dem Wind, obwohl es manchmal klingt,
Als würde ein Ruf von draußen donnern
Oder ein vergessener Schrei aus längst vergangenen Zeiten.

Aber man ist nicht in der Lage, die Sprache


Des Wassers zu deuten. Und dann liegt der riesige Spiegel
Wieder still. Wie tief man sich auch beugt,
Nie leuchtet er wieder das Bild des Einzelnen,

Aber er malt die Bewegungen des Himmels,


Die goldenen und silbernen Wagen rollen über seine Scheibe,
Die Zeiten huschen über ihn und ein Kranz

Von Völkern umschließt ihn. Sommerabend.


Und in der Wüste des Tages, gerade als der purpurne Ball
Im Wasser abkühlt, erhebt sich eine andächtige Stunde.
Dann hält der Tanz der Zeitalter über dem Meer an,

Der Zug der Völker winkt deutlicher,


Und die Vergangenheit schickt ihr Schattenschiff
Vom Rand des Horizonts zu den Ufern der Lebenden.
Ich stehe am Ufer und sehe, wie die Scharen
Der Schiffe an mir vorbeiziehen. Sie tragen

Meine Gesichtszüge, sie sprechen meine Sprache,


Es sind Menschen, die nicht tot sind, denn der Mensch
Stirbt nicht auf Erden, weil sein Schicksal andauert.
Unerwartet bin ich selbst in den Schirm

Der Schatten gestiegen, und ich spüre, wie ich zurück


In den Nebel der Jahrhunderte gleite. Oder vorwärts?
Von den Ufern der Vergangenheit zu den Ufern
Der Gegenwart schwimmt das Schiff unaufhörlich

Hin und her. Es trägt das Lebendige von den Toten,


Und es trägt die Toten weg zu denen, die gewesen sind.
Und dann erreicht es eine Linie, wo sich die Stimmen
Beider Küsten unterscheiden, wo sie sich mischen

Und ergänzen. Hört zu! Lasst uns zuhören!


Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts, dort,
Wo sich heute Saßnitz mit seinen weißen Villen
Terrassenförmig über die westliche Bucht

Rügens erhebt, herrschte in den waldgekrönten Schluchten


Tiefe Stille. Eine Siedlung gab es noch nicht,
Und nach den brütenden Zisterziensermönchen
Des nahen Klosters hatte der Küstenstreifen

Seinen Namen nur, weil Graf Harro von Cona


Dort einige seiner Sassen, die man auch Leibeigene
Nennen konnte, in einer armseligen Holzhütte
Untergebracht hatte, damit sie fortan für ihn fleißig

Die seltenen Seelachse fingen. Den Zehnten ihres Fangs


Durften sie behalten, den Rest mussten sie
Mit einem Strandvogt abrechnen, der mit Zahlen
Und einer Peitsche umzugehen wusste.

Ein besonderes Privileg war, dass die Fischer


Auch sonntags fischen durften. Nur die Beute gehörte
Dem Kloster, denn Graf Harro galt als frommer Mann
Und legte Wert darauf, seinen Lachs häufig

In Gesellschaft des Abtes zu essen. Wann immer


Der geistliche Herr an den Hof des Herzogs von Wolgast ritt,
Ließ der Gottesmann unaufdringlich etwas
Von den Wünschen des Grafen von Cona fallen,

Und so hat sich der Lachs bezahlt gemacht,


Und die armen Fischer haben heimlich und unwissentlich
An der Größe ihres Herrn mitgewirkt. Natürlich,
Aber nur mit Bewusstsein. Denn in der bescheidenen Hütte

Lebte man ohne Wissen um die Dinge der Welt.


Sie standen auf, fuhren aufs Meer hinaus
Und warfen sich abends auf das Schilfbett,
Wie ein Werkzeug, das man nach Gebrauch

Wieder in die Ecke stellt. Aber das einheitliche Schweigen,


Das sich die Bewohner der Hütte gegenseitig vermachten,
Rührte dennoch von einem Ereignis her,
Vor dem die Mitglieder der Hütte gerade für lange Zeit

Verstummt waren. Es war um das Jahr 1366 geschehen.


Der Platz in der Hütte war wieder einmal vom Tod
Ausgefüllt worden. Ein Vogt namens Klaus Becker
Wurde in das Holzgebäude gestellt. Als der Vogt
Ihn hineinführte, lachte der gräfliche Beamte und sagte:
Pass auf, Klaus, dass du das Kreuzhölzchen
Nicht beschädigst. Und diese Warnung war berechtigt,
Denn der neue Bewohner musste sich tief bücken,

Bevor er über die Schwelle trat. Er war zu riesig an Wuchs


Und Gliedmaßen, und ein langer fuchsroter Schnurrbart
Hing an seinem Körper herab. Wer ihn nicht besser kannte,
Hätte ihn wegen der Wildheit seiner Haare

Für einen reifen Mann halten können. Aber


Er war erst fünfundzwanzig Jahre alt
Und ein harmloser, gutmütiger Bursche, geschickt
Im Legen und Binden von Netzen und ein Meister

Im Umgang mit der Axt. Bald begann er,


Alle möglichen Werkzeuge damit herzustellen.
Er baute einen hölzernen Stall für ein paar Ziegen,
Er wölbte einen Schornstein mit einem Rauchabzug

Über der offenen gemauerten Feuerstelle,


Und eines Tages begann er sogar, den lehmigen Boden
Zu pflastern und Dielen zu verlegen. Alles,
Als hätte er geahnt, was ihm bevorstand.

Und so war der Herbst gekommen. Durch die Wälder


Der Höhen wogte er, um die Hütte auf ihrem
Einsamen Hügel knarrte und ächzte es, und das Seegras
Auf dem gelben Sand pfiff und surrte, als würde die Sichel

Auf einem Stein geschärft werden. Unten krachten


Die Schaumschläger gegen die mächtigen Steine,
Aber Klaus Becker merkte nichts von diesem ewigen Streit,
Denn über der Leere wölbte sich eine düstere Nacht,

Und er selbst hockte gelassen in seinem breitarmigen Stuhl,


Den er erst vor kurzem aus grobem Eichenholz
Gezimmert hatte, und rieb im Schein
Eines rauchenden Buchenfeuers auf dem Herd

Emsig einen eisernen Widerhaken, wie man ihn


Zum Aalstechen benutzte. Sein roter Bart leuchtete
Wie eine feurige Welle. Dazu grölte er ein altes Lied:
Mahlt gut, mahlt gut - Klaus ist Sigrun gut.

Obwohl er mit einem solchen Menschenkind


Nicht verwandt war und den Träger eines solchen Namens
Kaum kannte, tat dies der ergreifenden Wirkung
Des Liedes keinen Abbruch. Das Buchenfeuer schnaufte,

Und der Riese rieb seinen Stein immer eifriger


Über das Eisen, bis blaue Funken unter seinen Händen
Hervorsprangen. Dann schlug er mit der Faust
Zwei- oder dreimal gegen die Tür, das helle Holz zitterte,

Und die Hütte hallte wider. Ruhig, murmelte Klaus,


Der sich vor Erstaunen nicht aus seiner gebückten
Haltung erheben konnte. Wie, was? Ein Mensch?
Er versuchte sich zu sammeln und schüttelte

In dumpfem Erstaunen den riesigen Haarbusch;


So etwas gab es hier doch selten. Aufmachen,
Forderte eine raue Stimme von draußen,
Und wieder war ein kurzes Klappern zu hören.

Der Fischer schob den Querbalken mühsam


Und ohne zu überlegen, ob er klug oder vorsichtig
Handelte, zurück, und sofort schien das Licht des Kochers
Nach draußen. Auf dem nassen, sturmgepeitschten Hügel

Standen zwei gepanzerte Diener. Sie führten


Ein verwirrtes, zitterndes Geschöpf zwischen sich,
Bei dem man nicht wusste, ob es eine Frau
Oder ein Mädchen war, dessen kurzer Rock

Im Wind flatterten und dessen nackte Füße


Tief im Sand versanken. Ein blaues Tuch
War um den Kopf des Geschöpfes gewickelt.
Hinter ihnen, kaum erreicht von dem rot flackernden Licht,

Bemerkte der Bewohner der Hütte


Einen Zisterziensermönch, erkennbar
An seinem grauen Gewand. Aber der Mönch
Hatte seine Kapuze weit über die Stirn gezogen,

Als ob er Schutz vor dem Sturm suchte


Oder als ob er sein Gesicht vor dem verbergen wollte,
Was hier geschah. In der Zwischenzeit hatte der älteste

Der eisengepanzerten Männer die Schwelle überschritten.


Dann deutete er auf die beiden blauen Kugeln,
Die auf seinen Mantel gestickt waren.
Kennst du sie? fragte er kurz und bedeutungsvoll.

Verblüfft nickte der Fischer. Er starrte immer noch


Von einem zum anderen, beunruhigt über die
Unerklärliche Erscheinung. Nun, sagte er schließlich,
Ihr seid die des Grafen. - Und der Graf, meldete

Der Diener scharf und schob sich die Sturmhaube


Von der Stirn, damit der andere ihn besser verstehen konnte,
Lässt mich dir sagen… - Mir sagen lassen? echote
Der Fischer und begann mit schwerer Zunge zu stammeln,
Denn das Unmögliche wurde immer mehr.
Lass mich dir sagen, beendete der bewaffnete Mann
Düster, während er den Schaft seiner Lanze
Auf die neue Diele stieß, dass dies deine Frau ist.

Das ist… - Deine Frau. - Eine ganze Weile rührte sich nichts
Unter den Menschen in der Hütte. Nur die keuchenden
Atemzüge des Fischers und das Zerbersten
Der brennenden Buchenscheite waren zu hören.

Nur die hellblauen Augen lebten in dem versteinerten Gesicht


Des Sassen; sie wanderten hilfesuchend
Und ohne eine Spur von Verständnis von den Knechten
Zu dem zerzausten Mädchen, das ebenfalls

Mit gebeugtem Körper und gefalteten Händen


Zu lauschen schien, bis sich der Rücken des Riesen
Allmählich neigte, als hätte man ihm einen Baumstamm
Auf den Nacken gelegt. Plötzlich aber sprang er auf.

Das Blut schoss ihm in die blassen Wangen,


Und seine rechte Hand tastete nervös nach der Axt
Neben der Feuerstelle. Vielleicht hätte jetzt
Ein schneller Gewaltakt alles entschieden.

Doch bevor der schwere Holzstiel nach oben


Taumeln konnte, drängte sich die graue Gestalt des Mönchs
In den Kreis der Kämpfenden hinter den Dienern,
Und eine jugendliche, von Schmerz erfüllte Stimme rief:

Füge nicht zu Leid und Sünde! Die Ermahnung klang so ernst


Und mitfühlend, dass der leidgeprüfte Riese innehielt.
Die Axt fiel von ihm, und mit beiden Händen griff er
Taumelnd nach seiner Brust, denn eine Lanzenspitze

Hatte bereits das dünne Hemd durchschnitten


Und suchte dort bedrohlich Einlass. Daraufhin rief
Der gepanzerte Diener: Wenn du leben willst, sei vernünftig. -
Vernünftig, vernünftig, ertönte es zwischen den verrückten,

Verwirrten Sinnen des überwältigten Mannes.


Er wusste nicht, ob er lachen oder brüllen sollte.
War das nicht Wahnsinn? Drehten sich nicht alle
Niederen Dinge nach oben? Schwankte seine Hütte nicht

Auf dem tobenden Meer, ohne dass er einen Ausweg


Gefunden hätte? Oder hatten sie ihm vielleicht
Sogar die Zunge herausgeschnitten und verlangten
Immer noch, dass er sprach? Wer half? Wer half?

Verzweifelt blieb sein Blick auf dem jungen Mädchen hängen,


Das man hineingezerrt hatte. Und warum?
Weil es für den Fremden offensichtlich war,
Dass sie schüchtern war, zitterte und gegen ihren Willen

Hier stand, und dann, weil die Dirne, die sicher


Von weit her mit ihren nackten Füßen
Zu ihm getrieben worden war, auch ein Kind
Der Masse war wie er, und daher gewohnt,

Nicht nach ihrem eigenen Willen zu handeln.


Er trat gewaltsam auf sie zu und sah sie an.
Das Geschöpf erschrak über seinen kräftigen Schritt,
Und ein offenes Flackern der Angst trat in ihre Augen.

Was ist los mit dir? befahl er, ohne zu ahnen,


Wie sehr sie sich vor seinen riesigen Armen
Und den Haarbüscheln unter seinem Kinn fürchtete.
Sie wusste, wozu ein grimmiger Mann fähig war.

Doch dann faltete sie die Hände vor der Brust


Und sagte leise, sich mit ihrem Schicksal abfindend:
Es geht mir schlecht. - Mehr nicht, allein
Die wenigen Worte fanden den Weg zum Verständnis

Des Riesen. Erstaunt wich er zurück, und tief


In seinem Innern stieg zum ersten Mal ein Bewusstsein
Für seinen Status und seine Situation auf.
So ist es mit uns allen, murmelte er, fast betroffen

Von der neuen Erkenntnis, dazu sind wir geboren. -


Genug geschwatzt, unterbrach der Diener des Grafen
Ungeduldig und blickte sich hastig nach dem jungen
Zisterzienser um, der mit gesenktem Kopf alles

Mit angehört hatte, was in der Hütte vor sich ging,


Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Beeilt euch! - Dann schickte Klaus Becker
Einen letzten sehnsüchtigen Blick zum Ausgang der Hütte.

Doch als er sich davon überzeugt hatte, dass die Speerspitzen


Ihn erneut bedrohten und gleichzeitig der Körper
Der Magd auf eine ihm unverständliche Weise zitterte,
Beschloss er, vor allem sein Leben zu retten,

Sein nacktes Leben, das einzige kostbare Geschenk


Gottes! So ergriff er die Hand der Frau gewaltsam,
So dass sie taumelnd an seine Seite gerissen wurde,
Und in einem rohen Ausbruch entlud sich schließlich

Seine Wut in vollem Hohn: Kopf hoch, Kopf hoch,


Ihr eisernen Schufte, ihr schnappenden Hähne,
Wenn ich mich schon nicht gegen euren Unfug wehren kann,
So macht wenigstens diese Schandhochzeit kurz.
Erregt trat der Mönch hinter die sinkenden Spieße.
Die Spielfeuer zuckten über sein zuckendes Antlitz.
Er machte das Kreuzzeichen in die Luft
Und sprach mit zitternder Stimme:

Mühsal ist das Leben, Duldsamkeit das Gebot,


Seligkeit der Abschied. Geh in Frieden.
Doch die Frau hörte nicht zu. Sie starrte starr
In die Flammen des Kamins, den sie von nun an schüren sollte.

Seitdem schlich die Zeit mühsam dahin. Ein Tag ging müde
In den nächsten über, und in der Hütte herrschte Stille.
Sie lebte dort und ließ sich nicht mehr
Aus dem engen Raum vertreiben. Wann immer die junge Frau

Versuchte, ein fröhliches Lied zu singen,


Begegnete ihr ein seltsam drohender Blick
Aus den trüben Augen des Fischers, und sofort
Brach die Fröhlichkeit ab, und sie ging ängstlich

Und niedergeschlagen ihrem Tagewerk nach.


Sie wusste ganz genau, dass der mürrische Geselle
Ihr übel nahm, dass man ihm das unwillkommene
Frauenzimmer aufgezwungen hatte. Und das fand sie auch

Ganz in Ordnung. Aber manchmal strich sie sich


Über die weißen Arme, und ein natürliches Erstaunen
Überkam sie, denn der Riese, der so nahe bei ihr wohnte,
Mochte sie überhaupt nicht. Warum nur?

Was ihr in der Vergangenheit widerfahren war,


Fand sie nicht ungewöhnlich. Die Dienerschaft
Musste auf eine solche Erfahrung vorbereitet sein.
Das passierte vielen Mägden auf den Höfen der Mächtigen.

Und da sie Unterschlupf gefunden hatte, glaubte sie


Mit dem sicheren Bewusstsein eines starken Menschen,
Dass es sinnlos sei, weiter an der Vergangenheit zu zerren.
Klaus Becker war nur ein unbeholfener, sturer Klotz,

Der nicht leicht zufrieden zu stellen war. Aber warte nur,


Dachte sie mit weiblichem Trotz, die Katze fängt auch
Die große Maus. Dabei entstanden unter ihren flinken
Und doch seltsam zarten Händen allerlei nützliche Dinge,

Die bis dahin im Rohbau von Brettern gefehlt hatten.


Wenn Klaus von seiner Seereise nach Hause kam,
Entdeckte er immer ein neues Möbelstück,
Ein frisches Leinenhemd, eine geflochtene Strohmatte

Oder sogar ein festes Bettgestell für den Ehemann,


Alles Dinge, die über Nacht wie von Zauberhand
Anstelle von etwas Altem und Abgenutztem
In der Hütte gewachsen waren. Natürlich bemerkte

Der Riese all diese heimeligen Veränderungen sofort


Und gesondert, aber er nahm sie gleichgültig
Und ohne Dank hin, warf sich auf den neuen,
Leinenbezogenen Strohsack und ließ seine Gefährtin

Wie bisher auf dem Schilfbett in der Ecke liegen.


Aber Dörte, so hieß das junge, entführte Geschöpf,
Verlangte nichts anderes. Ja, es war ihr ganz natürlich,
Dass der Fischer nicht einmal ihren Namen

Zu kennen schien, denn in den kurzen Bitten,


Die er selten an sie richtete, nannte er sie Frau oder Weib.
Und daraufhin gehorchte Dörte und sprang zu ihm
Wie ein gehorsamer Hund. Doch allmählich

Wurden ihre Bewegungen langsamer.


Auch das war Klaus egal, nur dass er sich manchmal
Wunderte, wenn die Frau am Fenster lehnte
Und von dort mit einem unverständlichen Lächeln

Und großen, erwartungsvollen Augen


Auf den in der Sonne blinkenden Eisrand
Des Meeres hinunter starrte. Klaus verstand das nicht,
Ärgerte sich auch über das ungewohnte Versäumnis,

Und als er sie wieder einmal feiernd


Vor ihrem Ausguck fand, brach es grob aus ihm heraus,
Während er die großen Lederstiefel krachend
In eine Ecke schleuderte: Was machst du da?

Sie wurde rot, warf ihm einen halb schlauen,


Halb verlegenen Blick zu, stammelte und kroch
Langsam zum Kamin zurück: Ich denke nach.
Sie hätte leicht sagen können: Ich träume,

Denn ihre Gedanken waren jung und wandernd


Und ließen sich nicht so leicht in das Versteck
Der Stille verbannen wie ihr Körper. In solchen Stunden
Sah die suchende Frau das dunkle Meer dort draußen

Wie einen Tanzboden, und sie sah sich selbst


Dort unten herum springen mit seidengeschmückten
Männern, die sie streichelten und ihr dann goldene
Schaumünzen um den Hals hängten.

Doch als ein barsches Wort ihres Begleiters


Schließlich allen Zauber hinwegfegte, da seufzte sie tief
Und hatte insgeheim Mitleid mit dem störrischen Kerl,
Weil er keinen Sinn für das feine, verborgene Spiel hatte.

Und doch, auch dieser Weg ins Freie sollte der Belasteten
Eines Tages zum Verhängnis werden. Frühlingsstürme
Pfiffen über die Dünen, Dörte stand in der offenen Tür
Und sog gierig die warme Brise ein, die einen vagen Duft

Von Veilchen und Tannenharz mit sich brachte.


Hoch oben am Waldrand trat das junge Reh heraus
Und blickte auf das glitzernde Meer. Dann kletterte
Unten am Strand ein einzelner Mann

Den gewundenen Fußweg hinauf. Dörte beugte sich vor


Und spähte. Der Neuankömmling trug ein weites
Blaues Wams und grobe Holzschuhe.
In seinem Ledergürtel steckte eine kurze geflochtene Peitsche,

Und seine Faust umklammerte einen mannshohen Stab,


Dessen Spitze in einer kleinen silbernen Krone endete.
Dies war der Strandvogt, eine stämmige Gestalt
Mit einer grauen Seemannskrause und scharfen,

Runden Augen. Als er mit schweren, knirschenden Schritten


Auf sie zukam, war es offensichtlich, dass der Mann
Sich für einen mächtigen Mann hielt, dessen Faust
Das kleine, verstreute Leben hier am Strand schützen

Oder zerstören konnte. Nun stand er vor der jungen Frau,


Doch bevor er zu sprechen begann, blinzelte er zunächst
Mit dem linken Auge und beobachtete sie. Im Grunde
Wusste er schon, was er herausfinden wollte.

Gott sei mit dir, begann er und deutete mit seinem Stab
Auf das Dach der Hütte, die Dachsparren auf der Luvseite
Müssen doppelt sein. Vergiss das nicht.
Sein einziges offenes Auge lief emsig weiter.

Sieh da, auch ein Ziegenstall. Wie viele sind da drin? -


Drei, antwortete Dörte und rang mit sich selbst,
Denn sie war sich des Unrechts bewusst.
Zu viele für einen, tadelte der Vogt und wiegte nachdenklich

Sein ledernes Haupt. Nun, man wird Nachsicht walten lassen.


Man missgönnt dir den guten Fortschritt nicht.
Er strich sich bedeutungsvoll über seinen grauen Bart
Und trat gewichtig näher. Offenbar war er erst jetzt

Zu seinem Vorhaben gekommen. Wo ist Klaus Becker? -


Auf See, antwortete Dörte zögernd und hielt den Atem an.
Ich weiß, bestätigte der Strandvogt. Er sah sich vorsichtig um,
Als fürchtete er einen Lauscher, dann beugte er sich
Ganz nah zu der Blassen. Wann erwartest du
Deine Stunde? erkundigte er sich ernst und eindringlich.
Und als die Frau ihn düster anstarrte und sich
In die Hütte zurückzog und allerlei gebrochene

Und verworrene Dinge murmelte, drängte er


Die Widerspenstige nicht weiter. Es ist alles in Ordnung,
Sagte er, richtete sich auf und knöpfte
Den großen Lederbeutel unter seinem Gürtel zu.

Streite dich nicht, Dirne, ich hab nichts Böses mit dir vor.
Sieh her - er griff in den Beutel und wog den Inhalt
Auf seiner Handfläche - ich zahle dir etwas als Pfand.
Es ist nicht wenig. Vier silberne Gulden.

Silber? rief Dörte, die aus ihrer hintersten Ecke


Hervorstürzte, und ein warmer Triumph lag in ihrer Stimme.
Jetzt wird sich Klaus freuen. Dann legte der Vogt

Die vier Silberstücke breit auf den Tisch.


Dann wandte er sich zum Gehen. Bevor er die Schwelle
Erreichte, war Dörte schon wieder hinter ihm.
Sie hatte das Geld bereits aufgesammelt.

Lass nicht zu, dass Klaus erfährt, von wem,


Forderte sie barsch. Der Mann drehte sich kaum um.
Nicht von mir, gab er ruhig zurück. Was kümmert mich
Der Kerl? Solange er seinen Fang abliefert,

Hege ich keinen Groll gegen ihn. Damit nickte er steif,


Stieß seinen Stab in den Sand und schritt stämmig
Den steilen Saumpfad hinunter. Dörte starrte
Ihm finster hinterher, solange sie die Silberkrone sah.

Doch von diesem Zeitpunkt an wurde


Die einsame Frau nachdenklich und schüttelte sich oft,
Als müsse sie sich gegen böse Gedanken wehren.
Dann überkam sie der Gedanke: Wie konnte sie

Um das beraubt werden, worauf sie gewartet hatte?


Waren die vier silbernen Gulden nicht das Kaufgeld?
Schließlich erzählte man sich so heftige Geschichten
Über den Cona-Herrn. Und war er nicht auch

Mit dem jungen Herzog von Mecklenburg geritten,


Als dieser an der Spitze von allerlei Räubern und Vagabunden
Die Straßen der Kaufleute von Stralsund unsicher machte?
Hat er ihr nach einem solchen Ritt nicht

Das blaue Kopftuch zugeworfen? Wütend schlug sie


Mit der Faust gegen den Türpfosten und reckte sich drohend,
Doch sofort zuckte sie zusammen, und trotz
Der milden Frühlingsluft fröstelte sie ein Schauer.

Warte, sagte sie, ihre Lippen bebten, ich sage es Klaus.


Er wird sich nichts wegnehmen lassen. Im nächsten Moment
Stand sie wieder wie erstarrt. O mein Gott,
Was kümmerte sich Klaus um die seltsame Göre?

Er kümmerte sich nicht einmal um seine Mutter,


Die alles nach seinem Willen tat. Nein, nein,
Es war das Beste, auf der Hut zu sein und das Geld
Gar nicht erst zu zeigen, um nicht unnötigen Fragen

Des Fischers ausgesetzt zu sein. So nähte sie


Die silbernen Gulden in ihren Rock ein,
Und nur manchmal berührte sie ihren Kameraden
Ängstlich und erwartungsvoll, als wünschte sie sich

Insgeheim von ganzem Herzen, dass er das Geheimnis


Endlich entdecken würde. Aber seither war sie unruhig
Und sang nicht mehr. Die Tage verstrichen immer schneller,
Und ihr Gang wurde immer unsicherer.

Eines Abends kehrte Klaus nicht nach Hause zurück.


Todmüde lehnte sich Dörte gegen die offene Luke
Und versuchte, das unerkennbare Grau zu durchdringen.
Vergeblich, nichts löste sich aus dem schwarzen Dunst,

In den der Sturm oft wie mit einem schweren Sack einschlug.
Nur in entfesselter Wut brauste das Meer,
Und in der Morgendämmerung erhob sich fast
Ununterbrochen eine sich schlängelnde weiße Wand

Aus den Strandsteinen. Solange die Dunkelheit andauerte,


Hatte die verängstigte Frau von Zeit zu Zeit
Einen brennenden Kienspan aus der Fensterhöhle gehalten,
Als Zeichen für die auf der tosenden Oberfläche

Umherirrenden, damit sie nicht in die Irre gingen.


Doch jedes Mal hatte der rasende Windzug
Das spärliche Feuerchen mit Heißhunger verschlungen,
Und die nackten Arme und die offene Brust

Der Frau zitterten vor Kälte. Jetzt wurde es heller.


In der Hütte kamen Dinge und Utensilien zum Vorschein.
Und draußen im Stall begann der Ziegenbock,
Seine harte Stirn an der Tür zu reiben. Verwirrt

Und schläfrig sah sich Dörte in dem engen Raum um.


Irgendetwas fehlte, irgendetwas war von seinem Platz
Genommen worden, der sich zwar nie gütig
Und freundlich zeigte, zu dem aber dennoch
Alles hier passte. Sogar sie selbst.
Und dem man wohl Gehorsam und Dankbarkeit schuldete.
Das war alles, was sie wusste. Sie vergaß ihre eigene Kraft,
Die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern verschwand;

Unsicher packte sie einen rauen Ast und taumelte


Halbnackt zum Strand hinunter. Unten,
Über der sonst flachen gelben Oberfläche,
Spielte das Wasser, schwärzliche Algenbündel

Schlangen sich um die Füße der watenden Frau,


Und der Sturm stemmte sich gegen sie wie eine gierige Faust,
Die ihr die Kleider vom Leib reißen wollte.
Keuchend kämpfte sich Dörte weiter.

Ein Boot am ausgefranstem Seil scheuerte und zerrte


An einer inzwischen halb versunkenen Stange,
Die gestern noch ins Trockene gerammt worden war.
Es war Klaus Beckers zweiter, kleinerer Kahn,

Und daneben stand ein grobschlächtiger Mann


In kräftigen Stiefeln aus der Flut, abgewandt,
Die Ledermütze tief über die Stirn gezogen.
Aber auch jetzt umklammerte seine rechte Hand

Den gekrönten Stab. Gerade wenn er in Not war,


Nahm er ihn nicht ab. Dörte erkannte ihn sofort.
Vogt, stöhnte sie, er ist draußen. Der Aufseher nickte,
Sagte aber nichts. Nur sein aufmerksamer Blick,

Den er auf die aufgeregte Frau richtete, verriet


Die Meinung, dass die Frau bald mehr Hilfe
Brauchen könnte als der Verlorene. In der Zwischenzeit
Hatte sich Dörte auf die Zehenspitzen gestellt.

Um sich besser aufrichten zu können, stützte sie


Ihre Hände mit besonderem Respekt
Auf die Schulter des Landvogts.
Er schien nichts zu bemerken.

Dann warf sie die rechte Hand vor.


Das schwarze Ding da draußen, zeigte sie.
Ein Baumstamm, belehrte der andere.

Ich habe es schon lange gesehen. Und halb tröstend


Fügte er hinzu: Wir haben Seewind. Wenn er noch lebt,
Wird er ihn hineinwerfen. Aber trotzdem,
Kaute er mit geschlossenem Mund.

Damit wandte er sich ab und schritt langsam


Die Dünen hinauf. Dort wollte er noch einmal
Einen Ausguck halten. Draußen, hinter den sanften Bergen,
Wippte das längliche schwarze Ding auf und ab.

Und als die zurückgebliebene Frau ihr Augenlicht


Bis zum Äußersten anspannte, glaubte sie
In ihrer erschrockenen Phantasie einen dunklen Kopf
Und eine greifende Faust zu sehen. Es drohte

Oder winkte ihr zu. Sie konnte sich nicht länger festhalten.
Ihr Mitleid war stärker als ihre Schwäche.
Ungestüm beugte sie sich hinunter, so schwer
Es ihr auch fiel, löste das hängende Seil und kletterte

In das regengefüllte Boot. Ihr Glaube half ihr,


Denn der Kahn befand sich an der Spitze einer Strömung,
So dass das Schiff mit einer Kraft
Und Beständigkeit hinausgetrieben wurde,

Als hätte man unsichtbare Segel


Auf den fehlenden Mast gesetzt. Die Dünung spritzte hoch,
Und die zerbrechliche Vorrichtung stöhnte vor Schmerz
Und Elend. Mit stummen Augen hockte die Frau

Auf der morschen Planke, den Kopf unverwandt


Auf den schwarzen Sarg gerichtet,
Der herumgeworfen worden war. Jetzt, und jetzt,
Tauchte sie wieder vor ihr auf, die Faust,

Von der sie halb geträumt hatte. Mit einer wilden Bewegung
Warf sich die Frau weit ins Boot und griff
Nach den krallenden Fingern. Ein heftiger Kampf
Entbrannte. Der hinfällige Mann dort unten

Muss bereits zur Tiefe verurteilt gewesen sein,


Denn er zappelte und wehrte sich, bis eine wogende
Welle den schweren Körper plötzlich
In den rettenden Kahn stürzte. Einen Moment lang

Schäumten die Planken über und wurden begraben,


Dann erhoben sie sich wieder, drehten sich wie wild,
Und die rollenden Wasser trieben das Schiffchen
Wie einen geprügelten Hund vor sich her.

Das Land zog sich düster in die Höhe, und hoch oben
Am bedeckten Himmel war die Gestalt eines Mannes
Zu sehen, der das Geschehen mit Erstaunen beobachtete.
Der Landvogt hatte den Schiffbrüchigen

In die Hütte getragen. Der mächtige Körper ruhte nun


Auf dem Bettgestell und rang mit dem Tod.
Und in der Ecke auf dem Schilfbett erwachte
Zur gleichen Stunde ein neues Leben. Dörte
Jatte einen Sohn zur Welt gebracht. Ein schlankes Baby.
Es schrie nicht, sondern ballte die Fäuste,
Und seine schwarzen, nächtlichen Augen
Waren in die Leere gerichtet. Nein, nicht in die Leere.

Die Axt hing an der Wand am Fuß der Sänfte.


Später erinnerte sich die Mutter daran, dass ihr Sohn
In der Stunde seines Eintretens unverwandt
Auf die Schärfe der Axt gestarrt hatte. Der Vogt

Hatte einen der Zisterzienser aus dem Kloster


Kommen lassen. Dieser arbeitete nun fachmännisch
An den drei ohnmächtigen Menschen herum.
Damals erfüllten die Mönche, ob jung oder alt,

Bereitwillig die Aufgaben des Arztes


Und der Wehmutter, und die Versorgten glaubten,
Dass es so sein müsse. Bruder Franziskus
War im Übrigen derselbe, der in jener unvergessenen Nacht

Von Dörte den erzwungenen Bund gesegnet hatte;


Nun tat er sein Möglichstes, um die bedrohte Gemeinschaft
Zu erhalten. Bald goss er dem zusammengekauerten Fischer
Scharfe, seltsam duftende Tropfen ein, die er

In einer venezianisch geschnittenen Dose


Aus seiner Kutte zog; jetzt blies er unter die Flamme
Des Kochers, um der Frau in den Wehen
Einen warmen Trank anzubieten; ja, er reinigte sogar

Das Neugeborene im ersten lauwarmen Bad.


Dabei glitt ein angenehmes Lächeln über das ernsthaft
Jugendliche Antlitz des Bruders, und während
Seine rechte Hand zärtlich über die weichen Glieder

Des Kleinen strich, sprach er mit der Festigkeit


Des Erfahrenen: Ein edles Gebäude. Wie nach den Maßen
Der alten Meister. Möge der Unerforschliche
Dieses Kind zum Guten formen. - Dörte hörte es

Auf ihrem Schilfbett. Und zum ersten Mal


Zuckten ihre Lippen vor Stolz, als sie an die edle Herkunft
Des Blutes des Säuglings dachte. Zugleich aber
Blickte sie erschrocken auf das Bettgestell,

Wo sich der riesige Körper ihres Mannes zu regen begann.


Sofort griff sie hastig nach den Silbergulden,
Die in das Bett eingenäht waren. Ja, das war das Mittel,
Um sich im schlimmsten Fall von jeder Schuld

Freizukaufen. Doch so schwer es ihr auch fiel,


Die Veränderung zu begreifen, seltsamerweise
Machte man ihr keine Vorwürfe mehr. Noch bevor
Klaus auf seinen zerschmetterten Beinen

Hin und her krabbeln konnte, hatte der Mönch


Dem geschwächten Mann kurz die Geschichte
Seiner Rettung erzählt. Stumm kauerte der Fischer
Auf seinem Bett und ließ nur flüchtig einen fragenden Blick

Über das Neugeborene gleiten. Er bedankte sich


Weder bei ihr noch zeigte er irgendeine andere Dankbarkeit.
Nach wie vor überließ er jede Hilfe für seine Frau
Bruder Franziskus. Und doch, es kam vor,

Dass er manchmal die Ziegenmilch in einer hölzernen Schale


In die Nähe der Sänfte der jungen Mutter gleiten ließ.
Niemand wusste, zu welchem Zweck, aber man konnte
Annehmen, dass das Getränk für Dörte

Und ihr Kind bestimmt war. Ein anderes Mal aber


Geschah es, was der glücklichen Frau signalisierte,
Dass der Damm des Grolls und der Missgunst
Nun für immer gebrochen sein könnte. Eines Abends

Hielt der Mönch nachdenklich bei der Sänfte


Des Kleinen inne, bevor er sich auf den Weg machte,
Und während er ihn, wie es seine Gewohnheit war,
Zum Abschied segnete, sprach er mit fester Stimme:

Jetzt ist die Zeit gekommen. Morgen wollen wir das Kind
Ins Kloster tragen, um es taufen zu lassen.
Wie sollen wir es nennen? Daraufhin rührte sich Dörte nicht.
Sie drehte den Kopf zur Wand und kratzte ungeduldig

Mit den Nägeln an den Holzbrettern. Alles,


Um das ungestüme Verlangen ihres Herzens zu betäuben.
Statt ihrer aber erhob sich der Fischer von seinem Sitz
Neben dem Herd, tastete sich schwerfällig zur Sänfte

Des Säuglings, und nachdem er wie immer neugierig


Und kopfschüttelnd in das schmale Gesicht geblickt hatte,
Brach es plötzlich murrend und drohend aus ihm heraus,
Als müsse er sich gegen einen Angriff verteidigen:

Der Name des Kindes ist wie meiner, nicht anders.


Es soll Klaus heißen. Da nickte der Mönch
Mit einem stillen Lächeln, aber die liegende Frau
Hob ungestüm den Arm und wollte dem Riesen

Fröhlich über die bärtige Wange streichen. Unschlüssig


Und verletzt, schüttelte er sie ab. Doch als die junge Frau
Nach der Taufe in der Hütte hin und her lief,
Hörte sie ihren Mann draußen singen. Das war noch nicht alles.
Auf leisen Sohlen schlich sie hinein, um zu lauschen.
Klaus saß im Sonnenschein und schärfte seine Axt
Auf dem Feuerstein. Dazu summte er gemütlich

Zum Funkenflug: Schärfe gut, dann schneide gut,


Klaus ist Dörte gut. Andere Namen kannte er nicht.
Dörte, der schönste Name des alten Deutschland,
Lebte tief in der Seele des rauen Sohnes Frieslands.

ZWEITES ABENTEUER

Goldgrüne Schatten umspielten die Buchenwipfel


Hoch über der roten Klostermauer. Auf einer
Der baufälligen Grasstufen, die in weiten,
Unkrautbewachsenen Abständen zum schmalen Eingangstor
Hinaufführten, hatte sich ein einsamer Bruder niedergelassen.

Sorgfältig trug er ein paar Krümel weißen Hirsekuchens


In einer Falte seines Gewandes verborgen,
Und nun streute er die Krümel in einem weiten Bogen
Zu den Finken, Meisen und Amseln des Waldes,

Die in der Ferne nach den köstlichen Häppchen pickten.


Der einsame Mann hatte seine gefiederten Freunde
Noch nicht allzu lange gefüttert, als die Schar plötzlich
In die untersten Äste der Buche flüchtete, summend

Und raschelnd, aufgeschreckt durch eilige Schritte,


Die den Waldweg hinauf klangen. Der Mönch hob den Kopf.
Der Schritt, dieses eilige, unberechenbare Ausgreifen,
Kam ihm bekannt vor. Fast sechzehn Jahre lang

Hatte er ihm zugehört, ihn geprüft und eingeschätzt.


Und jetzt, aus dem schwarz-grünen Torbogen eilte es heraus.
Ja, Pater Franziskus kannte die schlanke, geschmeidige
Knabengestalt im weißen Leinenkittel, er hatte oft

Die wohlgemessene Form jener Knie und Waden


In ihrer gebräunten Nacktheit bewundert, aber
Mit heimlichem Grauen hatte er fast immer
In die schwarzen begehrlichen Augen geblickt,

Die wie zwei flackernde Abgründe in dem schmalen


jugendlichen Antlitz brannten, ewig bereit,
Nähe und Ferne zu verschlingen. Immer offen
Für neue Forderungen. Nie zu müde, um zu suchen

Und zu greifen. Zuvor hatte der Mönch nicht selten


Ein beklemmendes Befremden empfunden,
Denn diese rastlos schlürfenden Augen passten nur
Allzu gut zu dem geduckten Dasein eines Kindes

Der Masse. Ebenso wie die braunen Wellen


Des Haupthaars das Gebot der kurzen Schur
Rücksichtslos missachteten. In weiten,
Geschmeidigen Sprüngen machte sich der weiße Schatten

Auf den Weg durch den Wald. Deshalb blieb


Seine Begleiterin, ein vierzehnjähriges Mädchen,
Dessen roter Rock um ihre nackten Beine wirbelte,
In einigem Abstand hinter dem Jungen zurück.

Die blonden Zöpfe, die das Kind eng um den Kopf


Geflochten trug, waren mit bläulichen
Und rötlichen Muscheln verziert und gaben dem Mädchen
Ein seltsames und wildes Aussehen. Der seltsame Schmuck

Passte so gar nicht zu ihrem sanften Gesicht. Sie zögerte


Und griff ein paar Mal verstohlen in ihre Locken,
Offenbar aus Angst, wie das blinkende Stirnband
An der Klostermauer beurteilt werden würde.

Tatsächlich war der ungewohnte Schmuck das erste,


Was den Bruder störte, als er sich auf seinem grasbewachsenen
Schritt ein wenig aufrichtete. Halb unwillig zupfte
Der Rastende ein paar Stängel heraus, bevor er

Mit einer schnellen Kopfbewegung auf die Muscheln deutete:


Wozu, Anna? Was soll die Aufregung?
Kaum war die Missbilligung gefallen, lief ein tiefes Rot
Über die Wangen der Getadelten, ihre blauen Augen

Verdrehten sich ängstlich, und unwillkürlich


Verschränkten sich ihre Hände vor der Brust.
Abrupt blickte sie den Jungen im weißen Kittel an,
Als wäre er der Herr, von dem sie und ihr Schicksal abhingen.

Auch er ließ sie nicht im Stich. Ich habe es ihr eingepflanzt,


Sagte er lachend, und seine Augen ergötzten sich
An seinem Werk, als könnten sie sich nicht
Von dem blau-feuchten Glanz der Muscheln losreißen.

Auch die schlanken Beine, die er schon gespreizt


Gehalten hatte, strafften sich noch ein wenig mehr
In ihren Sehnen, und der ganze Bursche sah unbeschwert
Und keck aus, als ob Regen und Sonnenschein

Zu seinem Vergnügen sein sollten. Der Mönch bemerkte dies


Mit Unbehagen. Gerade dieses Aufbegehren
Einer widerspenstigen Natur versuchte er zum Wohle
Des Jungen zu unterdrücken. Der Fischersohn,
Dem er zugetan war, musste vor seinem Blut
Geschützt werden. Das war es. Das bedeutete,
Dass seine Unwissenheit nicht zu sehr zur Schau
Gestellt werden durfte. Er durfte sich auch nicht

Über seinen Stand erheben oder gar, wie er es gerne tat,


Seine Gedanken in einer Fabel in die Ferne schweifen lassen.
Das Meer war verlockend für solche nebligen Fahrten.
Aber ein solches Entgleiten war für ein Sassenkind

Nicht förderlich, zumindest nicht in dieser Jugend.


Nimm der Dirne die Torheit aus den Haaren,
Befahl er barsch. Klaus Becker bewegte sich nicht.
Nur seine Augen blitzten stur auf und seine rechte Hand

Machte eine ungläubige, schleudernde Bewegung,


Als könne er damit die unverständliche und für ihn
Unüberlegte Abneigung des Klosterbruders zerstreuen.
Es sieht gut aus, beharrte er, immer noch in Ehrfurcht

Vor dem fremden Glanz. Es sind Herzmuscheln.


Auch die Gnadenbilder in der Klosterkirche
Und die Burgfräulein tragen solche bunten Steine. -
Gerade deshalb passt das Schmuckstück nicht

Zu Anna Eberhard, der Tochter des Strohwebers,


Belehrte Bruder Franziskus ruhig, streckte die Hand
Nach dem abenteuerlichen Schmuckstück aus
Und tat so, als bemerke er das heftige Zucken

Des wilden Jungen nicht. Es gibt Unterschiede,


Die in die Welt gesetzt werden. Sie kommen von Gott.
Er zupfte nun an der Muschelkette zwischen seinen Fingern,
Und als er sah, wie sein halbwüchsiger Freund,

Um den er sich sorgte, an seiner Unterlippe nagte,


Fuhr er selbstgefällig fort: Schau dich um, Klaus,
Schau dir den Wald an. Hier blüht der Haselbaum
Und wird nur ein Strauch. Aber daneben wächst

Die Buche über zwanzig Ellen hoch. Und doch


Bilden sie zusammen den schattigen Wald
Und müssen sich gegenseitig dulden.
So ist es auch mit den Menschen.

Eine Weile rauschte der Wind in den Ästen.


Dann lachte der Junge auf einmal hell auf.
Was ist denn los? fragte Franziskus erstaunt.
Grimmig reckte sich derjenige im weißen Kittel.

Eine Spur von Schalk und frühreifem Spott


Lief über sein schmales Gesicht, als er nun
Die rechte Hand vor sich warf. Schau, Geweihter,
Rief er selbstbewusst, denn er benutzte oft

Die ehrfurchtsvolle Bezeichnung seiner Mutter


Für den Mönch, der Haselbaum und der Buchsbaum hier.
Ich frage mich, ob sie sich ähneln? - Nein, murmelte
Der Zisterzienser, immer noch unsicher,

Sie ähneln einander nicht. Sie sind von unterschiedlicher Art. -


Aber die Menschen sind einander ähnlich,
Beendete der Junge nun herrisch, sprang in die Luft
Und warf seiner Begleiterin einen schützenden Blick zu.

Du hast selbst gesagt, dass wir alle nach dem Bilde


Gottes, des Vaters, geschaffen sind. Missmutig
Und stirnrunzelnd brach der Mönch das aussichtslose
Gespräch ab. Zumal er das kleine Mädchen

Dabei ertappen musste, wie es heimlich


Über die Unverschämtheit des Jungen lächelte.
Du wärst besser dran, brummte er verärgert
Und strich sich mit beiden Handflächen ratlos

Die ergrauten Schläfenhaare zurück, wenn dein Vater dir öfter


Mit dem Gürtel über den Rücken gefahren wäre.
Bei der Erwähnung seines Vaters verblasste
Die freche Art des Jungen schnell. Sanftmütig

Senkte er den Kopf und scharrte mit seinem nackten Fuß


Auf dem moosigen Boden. Vater will mich nicht anfassen,
Berichtete er nachdenklich. Er sitzt den ganzen Tag
Auf der Düne und sonnt sich. Jetzt strich der Bruder

Dem Jungen mitfühlend über die gewellten Locken.


Sein Groll war verflogen. Die Erinnerung
An ein ehrenvolles, mühseliges Leben hielt ihn gefangen.
Dein Vater hat eine verzehrende Sucht, sagte er sanft,

Der Frühling ist eine gefährliche Sache für ihn.


Und was tust du, um ihm sein Los zu erleichtern, Klaus? -
Ich? Der Verhörte sah sich suchend um. Endlich
Schienen die scharfen Augen etwas erfasst zu haben,

Als sie zurückschwenkten und einen schmalen Abschnitt


Des Meeres entdeckten, der durch die Baumstämme
Schimmerte. Ich gehe hinaus und lege seine Netze aus,
Verteidigte er sich erwartungsvoll, gelobt zu werden.

Ich bringe mehr nach Hause als er. Manchmal bin ich
Die ganze Nacht unterwegs. Und ich habe ein schönes Segel
Aus rotem Packtuch gemacht, fügte er zufrieden hinzu,
Und ich kann den Wind vorwärts und rückwärts einfangen.

Davon hat Vater nichts verstanden. Das ist eine neue


Und gute Sache. Und es hat Mühe gekostet. -
Nicht du, erwiderte der Mönch unbeirrt und versuchte,
Den wandernden Strahl der schwarzen Augen abzuhalten.

Lüge nicht, Junge. Es macht dir Freude, auf dem Wasser


Zu liegen und mit dem Wind zu kämpfen. Du hältst dich
Für besser als andere Menschenkinder. Dort draußen
Fängst du auch die grimmigen Gedanken ein,

Die nicht gut für dich sind. Sag mir, was führt dich hierher?
Nun kam der Junge näher und küsste zärtlich
Das feine weiße Gewand des Mönchs. Eine Staatskutte
Der Brüder, die nur bei besonderen Ereignissen getragen wurde.

Ich habe mich nach dir gesehnt, Geweihter,


Brach es inbrünstig aus ihm heraus, und er strich
Verstohlen über den Stoff des faltigen Gewandes.
Oft quält mich die Angst, wenn ich dich nicht

Nach diesem oder jenem fragen kann.


Denn du weißt alles, was mir fehlt.
Da verbarg Pater Franziskus ein halbes Lächeln.
Du Narr, wies er die überzogene Meinung bescheiden zurück,

Ich weiß nicht einmal, was deine Genossin da


Zwischen den beiden Mülldeckeln trägt. Was ist es? -
Ja, das errätst du nicht, rief Klaus Becker, der plötzlich
In seine wilde Heftigkeit zurückfiel, und dabei stürzte er

Auf das Mädchen zu und riss ihr kurzerhand


Den grünen Zopf aus den Händen. Gib ihn mir,
Ein skurriles Tier, stammelte er atemlos
Und riss die Decke auseinander. In unseren Gewässern

Gibt es keine anderen wie es. Und es gehört dir,


Geweihter, dir allein. Eine riesige Scholle kam
Zum Vorschein, dunkelgrau mit roten Flecken
Und vielleicht eineinhalb Meter im Durchmesser.

Der Fisch glänzte wie Perlmutt in der Sonne.


Die drei standen bewundernd um den seltenen Fang herum,
Und die Kinder lachten vor Freude, als der Pater
Mit dem Ausdruck eines Kenners seinen Finger

Zielsicher in den Rücken der Scholle steckte,


Um die Festigkeit des Fleisches zu prüfen.
Ein prächtiges Stück, gab der Mönch selbstvergessen zu
Und tätschelte dem Spender dankbar die Wange.
Doch unerwartet hielt er inne, ein feindseliger Gedanke
Schien sein offenes Verlangen zu hemmen.
Was ist? rief der Junge erschrocken.
Der Bruder musterte ihn prüfend von oben bis unten.

Hat der Landvogt deinen Fang gesehen?


Jetzt zuckte das kleine Mädchen
Wie von einem Schlag getroffen zurück und sprang
Hinter den nächsten Baumstamm, um Schutz zu suchen.

Klaus Becker aber wurde seltsam blass.


Dann begannen seine schlanken Glieder vor Wut
Oder vor Scham zu zittern. Etwas Hasserfülltes,
Von der Leidenschaft Überwältigtes, sprudelte

Aus seinen schwarzen Augen. Der Landvogt weiß nichts,


Widersprach er barsch und schob die geballte Faust
Von sich weg. Ich habe das Tier die ganze Nacht
Zwischen den Strandsteinen versteckt.

Kopfschüttelnd wies der Mönch das Geschenk zurück,


Insgeheim auch entsetzt darüber, wie wenig sich
Sein Schüler zu Bescheidenheit
Und geduldigem Dienen anleiten ließ.

Weißt du nicht, mahnte er heftig und hob drohend


Den Finger, dass dein ganzer Fang dem Grafen gehört?
Was soll ich mit dem Diebesgut machen? - Essen,
Rief Klaus, immer noch zitternd und bebend.

Und wie verräterische Pfeile schossen die Worte


Aus ihm heraus: Der Graf hat genug. Wie kann er
Uns nehmen, was wir fangen? Gehört ihm das Meer? -
Wem gehört es denn sonst? - Dem, der darauf segelt

Und Netze auslegt, stieß der Bursche ohne zu überlegen hervor.


Er warf den Fisch auf den Waldboden und stampfte
Mit seinen nackten Füßen darauf herum. Klaus,
Rief das kleine Mädchen hinterm Baum und flehte um Gnade.

Jetzt sprang der Bruder hinzu, bückte sich und packte


Die Flosse. Dunkelrot färbte sich das weiße Gesicht
Des Mönchs. Es blieb unentschieden, ob vor Anstrengung
Oder weil er den feinen Mund des Fischersohns sah,

Der zufrieden lächelte. Unsinn, wütete er


In ehrlichem Unmut, Gottes blühende Gabe zerstören?
Oh, ich sehe, ich bin zu schwach gegen den bösen Geist,
Der in dir wohnt. Geh mir aus den Augen

Und komm nicht so bald wieder. Einen Moment lang


Herrschte Schweigen zwischen den dreien,
Dann drehte sich Vater Franziskus, der den Fisch
Immer noch in der flachen Hand hielt, um

Und stieg mit großen Schritten die grasbewachsenen


Stufen hinauf. Bald musste er das kleine Tor
In der Mauer erreicht haben, das kaum mannshoch war.
Dann geschah etwas Unerwartetes.

So schnell, wie Klaus Becker in Zorn und Wut geraten war,


Wurde er nun von verzweifelten Gewissensbissen gepackt.
Plötzlich füllten sich seine funkelnden Augen mit Tränen,
Und ohne sich darum zu kümmern,

Ob seine kleine Begleiterin sein Handeln verstand,


Stürzte er auf die unterste Stufe, wo er wild
Die Arme hochwarf, als könne er
Den Ausbrecher zurückhalten. Tu das nicht, Geweihter,

Schluckte er, von Schmerz gequält. Ich liebe dich.


Und wer soll mir die Hand auf die Stirn legen,
Wenn ich von dem Schmerz gequält werde, der mich blendet?
Nein, tu das nicht, Geweihter, tu das nicht.

Die Schmerzensklage dieses wahren Jungen


Zitterte noch unter den sonnenlosen Bäumen,
Und der leicht berührte Bruder hatte sich noch nicht
Ganz umgedreht, als in der Schwärze des Waldes

Ein Horn erklang. Gleichzeitig waren die Hufschläge


Der Pferde zu hören. Einen Moment lang verharrten die drei
Wie angewurzelt auf der grünen Lichtung.
Dann kam Leben in den Mönch, und während er eilig

Versuchte, die Scholle auf einen Mauervorsprung zu legen,


Segnete er im Stillen Gott für die günstige Unterbrechung.
Wohltuend erleichterte sie ihm die ersehnte Versöhnung
Mit dem aufgeregten Jungen. Sie kommen, rief er

Dem verblüfften Fischer zu, der ohnehin längst


Alles vergessen hatte, was bis dahin geschehen war.
Ungestüm war er aufgesprungen, um nun, fieberhaft
Vor Neugierde, in das dichte Gehölz einzudringen.

Vier, fünf, zehn Pferde, zählte er, schau, schau, Anna,


Stählerne Rüstungen und seidene Mäntel. -
Dänische Herren, berichtete der Bruder aufgeregt
Und glättete seine weiße Kutte, reiten bei Tag nach Stralsund

Und suchen hier Schutz für die Nacht. Die Kinder


Drängten sich angespannt an die beiden Seiten ihres Freundes.
Er konnte ihnen kaum widerstehen. Dänen?
Stammelte Klaus zweifelnd. Denn er konnte nicht
Mit Bestimmtheit sagen, wo diese Leute angesiedelt waren.
Was machen die denn in Stralsund?
Doch der Mönch schüttelte ihn ab, da er den steten
Eifer des Wissbegierigen nicht befriedigen wollte.

Warum willst du das wissen, Klaus? lehnte er vorsichtig ab.


Was kümmert dich der Handel von Königen und Fürsten?
Diesmal geht es um eine gerechte Sache, fügte er hinzu,
Mehr zu sich selbst, es geht darum, die Horde

Gesetzloser Schuimer auszurotten. Da packte ihn der Junge


Heftig am Kleid. Was sind Schuimer? drängte er
Widerspenstig. Sag es mir. Der Mönch war erschrocken.
Zu wild brannten die dunklen Augen des Jungen in die seinen.

Das geheimnisvolle Wort, das unter dem Volk


Für diejenigen kursierte, die unter der schwarzen Fahne
Umherzogen, schien ein Feuer in der unbeherrschten Seele
Entfacht zu haben. Wieder rettete der Vater

Seine Verlegenheit hinter einer strengen Enmpörung.


Schweig, befahl er. Was kümmert sich eine Sasse,
Der von der Herrschaft gut behütet wird,
Um die Brut der Friedlosen, die von allen Ehrenmännern

Gemieden wird? Dankt Gott im Stillen, ihr,


Die ihr ein nahrhaftes Gewerbe und einen sicheren Ort habt,
Dass die Fürsten und Bürger dem wilden Treiben
Ein Ende setzen wollen. Bedenke, Bursche,

Solange das Ungetüm nicht vom Meer weggeschwemmt ist,


Kannst du, wenn du ehrlich bist, nicht ruhig
Unter deinem Dach schlafen. Unter den Baumstämmen
Waren bereits die bunt geschirrten Pferde zu sehen.

So blieb Pater Franziskus nur Zeit, die Kinder


Zur Seite zu schieben und den unbedarften Gaffern
Gutmütig zuzuflüstern: Schaut euch die vorderen an.
Ja, diese beiden. Das sind die Gesandten der Königin.

Der Drost Reichshofmeister Henning von Putbus.


Und der Hauptmann Konrad von Moltke.
Sehr stolze und mächtige Herren.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Klaus Becker

Nun das bunte Bild, das sich ihm bot. Er bemerkte nicht einmal,
Wie er krampfhaft die Hand seiner kleinen Begleiterin ergriff.
Das goldene Leuchten des Großen hatte eine
So überwältigende, betörende Wirkung auf ihn.

Allmählich spannte sich ein feines, unwirkliches Netz


Vor seinen starrenden Augen auf, und er zuckte
Fast schmerzhaft zusammen, als ein besonders heller Blitz
Aus dem Netz auf ihn zu schoss. Da!

Traten nicht der Abt und sein Prior aus dem Tor
Oberhalb der grasbewachsenen Stufen hervor?
Beide waren altersschwache Männer.
In seinem schneeweißen Gewand, das goldene Kreuz

An den dürren Gliedern, trabte der kleine Mann,


Die Schleppe auf jeder Ferse vorsichtig anhebend,
Auf den ersten der Reiter zu und reichte
Dem kaiserlichen Hofmeister schließlich

Mit zitternder Hand einen Silberbecher.


Der Drost saß zurückgelehnt auf einem breiten Pferd,
Die überlangen Beine gewaltig gespreizt,
Denn das flickenreiche Zottelkostüm beengte

Den großen Mann. Das Staatsgewand


War kompliziert zusammengesetzt, links rot, rechts gelb,
Während Arme und Beine andersherum bekleidet waren.
Außerdem saß eine riesige blaue Perlenmütze

Auf seinem gekerbten Kopf, von der eine riesige blaue Fahne
Fast bis zu den Knien herabfloss. Man sah ihm an,
Dass der lange Ritt ihn heiß gemacht hatte,
Denn er schob den schwarzen Ledergürtel luftig

Unter den schmalen Hüften hin und her,


Und wenn die tiefliegenden, lauernden Augen
Ihm nicht widersprochen hätten, hätte man
Den kaiserlichen Höfling der Königin Margarethe

Für einen abgenutzten eitlen Höfling halten können.


Aber die Augen wohnten in ihm unter den grauen Brauen
Wie der Fuchs in seinem Bau. Wachsam,
Bereit, zuzuschlagen. Und über die schrumplige Stirn

Flog manchmal ein leuchtender Blitz. Nicht umsonst


Ging die Legende, dass diese morsche, im Wind
Schwankende Leiter die Sprossen geliefert hätte,
Auf denen die zierlichen Füße seiner Königin

Die kältesten Höhen der Staatskunst erklommen hätten.


Aber die Legende tat ihm Unrecht, denn er selbst
Hatte zuerst im Gemach der fürstlichen Dame
Die unmerklichen Wendungen und kühlen Methoden gelernt,

Die nun die nordische Welt in Atem hielten.


Von ganz anderer Art war sein Begleiter, der dicht
Neben ihm den verschwitzten Hals
Seines gescheckten Schimmels energisch tätschelte.

In einem regnerischen Ledermantel hockte


Hauptmann Konrad von Moltke auf seinem getriebenen,
Sehnigen Pferd. Sein linkes Bein, das von einem grünen
Strumpf umgeben war, hatte er lässig hochgezogen,

So dass er seinen Arm darauf abstützen konnte.


Und auf diesem ruhte wiederum der völlig kahle,
In der Sonne schimmernde Schädel, unter dem
Eine krumme Geiernase hochmütig in die Welt ragte.

Die eiserne Sturmhaube, die auf dem knochigen Schädel


Zu sehr hätte lasten können, hing schwankend
Von seinem Sattel, und die rot geschwollenen Augenlider
Blieben hartnäckig geschlossen, vielleicht aus Müdigkeit,

Vielleicht aus Abneigung gegen das mönchische Gesindel,


Dem seine Herrin so auffallend zugetan war.
Es kursierten allerlei Gerüchte. Der verkniffene Mund
Des Dänen sprach jedoch laut von Habgier und Beute.

Er sieht aus wie ein Seeadler, dem man die Federn


Ausgerupft hat, dachte Klaus Becker erstaunt,
Ohne seinen gierigen Blick von dem Knochenmann
Abwenden zu können. Inzwischen hatte sich

Die schlaffe Kindergestalt des Abtes


Auf die Zehenspitzen gestellt. Ängstlich wich er
Dem scharrenden Braunen aus und bot
Dem kaiserlichen Höfling seinen Becher an.

Das Männchen, dem ein paar einzelne graue Locken


Einsam um die Stirn flatterten, erweckte unverkennbar
Den Eindruck, sich hinter seinen Pergamentrollen
Wohler zu fühlen als bei diesem ungewohnten Staatsakt.

Herr Henning von Putbus, lispelte er kraftlos


Und kaum hörbar, Kaiserlicher Hofmeister
Und Drost der Großmächtigen… Hier klatschte
Der Knochenmann seinen Knebel höchst heftig

Gegen seinen Hals und kniff seine Augenlider


Immer unverständlicher zusammen.
Der Abt wurde verwirrt. Der Herr hat dich
An die deutsche Küste geführt, um dich zu segnen!

Stotterte er verlegen und begann mit dem Becher


Hin und her zu zittern. Er hat dich an die Küste geführt,
Und möge die Tagesreise nach Stralsund so verlaufen,
Wie du es wünschst. Höflich streckte der hagere Mann
Die Beine noch steifer von sich, ergriff den Becher
Und verbeugte sich so geschmeidig, wie man es
Von der dürren Gestalt im Pelz kaum erwarten konnte.
Da die gutgläubige Abneigung eures Ordens

Gegen die Vergewaltiger des Meeres wohl bekannt ist,


Sprach er ziemlich unbekümmert, werden eure Gebete
Mit uns sein. Ich weiß, ich weiß. Er führte den Becher
Oberflächlich an den Mund, ohne einen Schluck zu nehmen.

Sein Nachbar jedoch, Hauptmann von Moltke,


Riss ihm ungeduldig den Becher aus der Hand,
Bevor er überhaupt dazu aufgefordert wurde,
Warf einen tiefen Blick hinein und stürzte

Das Getränk gierig hinunter. Der Krieger


War vielleicht durstig. Unerwartet hielt er inne
Und schüttete, während er wütend
Seine geschwollenen Augen weitete, den Rest

Irritiert auf den Boden. Gemisch, knurrte er,


Und seine Stimme klang, als würde er Scherben
Aneinander reiben. Himmel und Hölle, ich...
In diesem Moment ertönte ein erneutes Pferdegetrappel

Aus dem Wald, und der Reiter schluckte,


Hob eine erschreckend dürre Hand und winkte
Dem Neuankömmling zu. He, Cona, krähte er
In demselben bitteren, verächtlichen Ton,

Meine Seele, du bist gut genährt worden,


Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.
Erinnerst du dich an den Tagesausflug nach Wismar?
Es heißt, Liebster, du hättest auf See

Recht lukrative Geschäfte gemacht. Und du kennst


Die Tricks der Schuimer aus eigner Erfahrung.
In dieser Anrede muss eine besonders giftige Anspielung
Enthalten gewesen sein, denn der Kaiserliche Hofmeister,

Der plötzlich noch blasser aussah als sonst,


Hob abwehrend die rechte Hand, holte vergeblich Luft
Und versuchte, sein Unbehagen hinter einem einladenden Lächeln
Zu verbergen. Er konnte sich jedoch nur ein Lächeln abringen,

Zumal er bemerkte, wie der Graf von Cona,


Der nun in der Abendsonne in der Nähe
Seines jungen Sohnes mitten auf der Lichtung stehen blieb,
Verärgert und beschämt über sein feiges Vollmondgesicht

Eine Grimasse zog. Der wohlgenährte Mann


Blickte in die Runde, um zu sehen, ob die Mönche
Seinen Spott verstanden hatten. Dann strich er
Mit der fleischigen Hand über den halblangen blauen Stoff,

Der ihn wie ein Morgenmantel umhüllte,


Und schließlich hauchte er in der Manier des dicken Mannes
Kurz aus: Seid gegrüßt, meine Herren. Du auch, Moltke.
Immer munter. Immer beweglich.

Wir wollen absteigen und das Abendmahl einnehmen,


Das der Abt für uns vorbereitet hat.
Und aus einem leeren Magen entsteht allerlei wirres Zeug.
Und wenn man es wirklich ernst meint

Mit den Freibeutern, die für ein verstecktes Plätzchen


Gut zu zahlen wissen, nicht wahr, nicht wahr?
Dann werden wir es morgen in Stralsund sehen.
Wir werden sehen, wo unser Vorteil liegt.

Und nun zu Tisch, meine Herren. Er schwang das rechte Bein


Vom Pferd und stöhnte schwer. Allein
Die weit ausholende Bewegung des bulligen Körpers
Hätte den dürren, unruhigen Gaul des dänischen Kapitäns

Irritieren können. Mit einem schrillen Wiehern


Erhob sich das Tier senkrecht in die Luft. Ein einziger Schrei
War ringsum zu hören. Doch ohne zu zögern,
Schlossen sich die sehnigen Beine des Kriegers

Um den Körper seines Schecken. Ja, er bewegte sich kaum,


So fest saß er im Sattel. Gleichzeitig aber sah man
Den Jungen im weißen Mantel hoch oben
In den Zügeln des Schimmels hängen.

Seine kleinen Fäuste rissen erbarmungslos


An der Schnauze des Tieres. Lass los, krähte der Däne
Entrüstet und fletschte seine stämmigen Zähne.
Da war das Pferd schon auf die Erde gebracht worden.

Und der Helfer stand nun, ganz und gar nicht selbstbewusst,
Sondern mit stolz in die Hüften gestemmten Händen,
Von einem rauschenden Gefühl der Stärke geschwellt,
In der Mitte des ihn umgebenden Kreises.

Wieder bemerkte er kaum, dass sein Begleiter


Auf ihn losgestürmt war, um ängstlich seine Brust
Und Gliedmaßen abzutasten. Unsinn, schimpfte
Der Hauptmann missbilligend. Ragazzaccio maledetto!

Vollendete er seinen Fluch auf welsche Art,


Denn seinen ersten Kriegsruhm hatte er sich
In den italienischen Städtekriegen erworben.
Gezwungenermaßen fummelte er an seinem Lederbeutel herum,
Um dem Burschen ein paar Scheidemünzen zuzuwerfen,
Doch einer besseren Einsicht folgend, unterließ er
Auch diese Spende auf halbem Wege. Wer ist dieser Bursche?
Fragte stattdessen der Graf von Cona, der inzwischen

Auf krummen Beinen neben dem kaiserlichen Kammerherrn


Stand, der ebenfalls herabgestiegen war.
Und da er den schlichten Leinenmantel des Jungen
Und seine prächtige Statur nicht recht erkennen konnte,

Fügte er eindringlich hinzu, denn der nahe Tisch


Lockte den stets hungrigen Mann: Schnell, schnell,
Wer ist es? Das wäre ein hübscher Diener.
Es entstand eine Stille. Bis die Stille durch die Stimme

Von Bruder Franziskus durchbrochen wurde.


Einem unwiderstehlichen Impuls folgend,
Hatte sich der Pater vor die Kinder gestellt.
Nun gab er besorgt die Auskunft:

Es ist der Sohn des Fischers Klaus Becker. -


Das ist ein lauwarmer Hund, stotterte der Dicke,
Der seine unangenehme Überraschung erst einmal
Nicht überwinden konnte. Kümmert sich schlecht um uns.

Und indem er sein Doppelkinn weit unter dem Kragen


Des blauen Stoffes hervorstieß, begann er verlegen
Zu grummeln: Was treibt der Sasse hier?
Hitze war in die Miene des Jungen gestiegen,

Böse dunkle Augen zerrten an dem blauen Faltenrock.


Mein Vater! rief er. Dann wurde er von dem Mönch
Zurück gerissen. Gleichzeitig spürte er,
Wie seine Lippen fest verschlossen wurden.

Er hat eine Sternscholle für den Tisch mitgebracht,


Erklärte der Bruder ruhig und deutete
Auf den Mauervorsprung, wo der riesige Fisch
In der Abendsonne glitzerte. Neugierig drehte sich

Der Graf um. Ob er nun durch den Anblick


Des mächtigen Fangs versöhnt oder anderweitig froh war,
Die lästige Begegnung los zu sein, legte er bequem
Seinen Arm unter den des kaiserlichen Hofmeisters

Und zog ihn mit sich. Man speist gut mit den Brüdern,
Schmatzte er mit einem breiten Lachen. Wer weiß,
Welche Überraschung auf uns wartet. Komm, Herr Drost,
Ihr Herren, kommt. Man soll die Köchin nicht warten lassen.

So zogen die Gäste, angeführt von den Mönchen,


Durch das schmale Tor über die Grasstufen.
Die Diener lenkten die Pferde um die Mauer herum
In die Ställe, und bald lag die Lichtung in Einsamkeit.

Nur ein einziger Reiter war zurückgeblieben.


Er zögerte auffallend, abzusteigen, und lenkte sein Pferd
Eher spielerisch hin und her, bis der junge Graf,
Malte von Cona, sich entschieden haben musste.

Mit einem Sprung setzte sein Pferd den bereits


Heimkehrenden Kindern nach, und während die Faust
Des jungen Mannes kühn und ohne Umschweife
In die Haare des schreienden Mädchens griff,

Rief er ihr, wie um sie zu beruhigen, mit einem ebenso


harmlosen wie gebieterischen Lachen zu,
Denn das Ganze sollte nach der Sitte ein Scherz sein.
Dirne, verstehst du Spaß? wo kommst du her?

Das kleine Mädchen starrte ihn mit blauen Augen flehend an


Und begann vor dem vornehmen Herrn zu zittern.
Lass es, Herr, stammelte auch Bruder Franziskus
In aufsteigender Entrüstung, sie ist noch ein Kind.

Doch der junge Mann warf dem Mönch


Nur einen verächtlichen Blick zu; dem kahlgeschorenen Mann
War es egal, mit wem sich der Wirt auf offener Straße
Amüsieren wollte. Doch der Reiter war überrascht,

Wie der Fischerknecht den gnädigen Scherz aufnahm.


Atemlos lehnte sich der Weißkittel an eine mächtige Buche,
Von der aus der Junge in rastloser Gier die bunte Pracht
Des Edelmannes verschlang, ohne genau zu wissen,

Was vor sich ging. Die überlangen Schnäbel


Der rosafarbenen Strümpfe, die fest gepresste
Rote Schecke des Wamses und darüber
Der kurze gelbe Kragen, besetzt mit blitzendem Gold

Und Silber. Und doch riss und zerrte die Faust des Jungen
Auf seltsame Weise an einem kräftigen Ast.
Wollte der Flegel etwa seine schuldige Ehrfurcht vergessen?
Der Knappe zuckte ungläubig und verächtlich

Mit den Schultern, dann ließ er seinen Blick erneut


Stur über die feine Gestalt der Dirne gleiten,
Die durch seinen Ruf so vollständig
Der Sprache beraubt worden war. Komm zu dir, Rotmantel,

Sagte er ungeduldig, obwohl er selbstgefällig


Auf die nackten Füße des Mädchens hinunterblickte.
Woher kommst du? Bist du die Schwester
Von dem Sassen dort? Er hielt das Ganze immer noch

Für einen Scherz, der zu ihm passte, und wunderte sich nur,
Warum das Mädchen so zitterte und bebte.
Nein, flüsterte sie und senkte den Kopf,
Ich bin Anna Eberhard. - Und die Tochter

Der Schwester meiner Mutter, sprach Klaus dazwischen.


Er hatte den Ast heruntergezogen und trat nun,
Auf alles gefasst, näher heran. Doch seine Glieder zitterten
Wie im Frost, denn der ererbte Respekt

Rebellierte gegen die Gier, ein Abenteuer zu erleben.


Unruhig schwankte die Waffe des Zufalls
In seiner geballten Faust. Er wusste selbst nicht,
Wogegen er kämpfen sollte. Du bist nicht erwünscht,

Schleuderte ihm der Junggeselle unwillig entgegen


Und stieß gebieterisch die rechte Hand vor,
Als wolle er das Herannahende, die unbegreifliche Revolte
An ihren Platz verbannen. Gleich packst du mit an,

Du Tölpel! Der Mann im weißen Kittel rührte sich nicht.


Nur der Buchenast hörte auf zu zittern, ja, das Holz
Gewann von Minute zu Minute eine immer festere Spannung.
Eine Weile verharrten die drei Gestalten regungslos,

Wie in den Tiefen eines Traums. Selbst das Pferd


Stand gepresst unter dem fesselnden Druck.
In diesem Moment konnte sich der Zisterzienser
In seinem Herzschmerz am schnellsten

Aus seiner Lähmung befreien. Kaltblütig,


Als ob nichts Ernstes geschehen wäre, schritt er dicht
An die Flanke des Pferdes heran und klopfte dem Tier
Auf den Hals. Die Kinder, die aufgeregten,

Beobachteten sein Tun mit großen Augen.


Ja, es sind Annerbäulken-Kinder, sprach er
In dem weichen Dialekt der Gegend, und keine Hast,
Keine Unruhe verriet in der ebenmäßigen Miene,

Wie sehr er sich bemühte, mit der Überlegenheit


Des Alters die entflammten Sinne der anderen
Zu beruhigen. Anna Eberhards Vater ist ertrunken.
Man sagt, die Schuimers hätten ihn ins Meer geworfen.

Ihre Mutter hat sich nun eine kleine Hütte


Bei den Beckers gebaut, und Mutter und Tochter
Leben recht redlich vom Mattenweben.
Ein mühsames Handwerk, das die Finger abschneidet.
Er hob den Arm des Mädchens weise an,
Und der Graf bemerkte nun erstaunt, wie die Hand
Der Blondine von schwärzlichen Kerben durchzogen war.
Das war eine angenehme Ablenkung

Für seine unbedachte Begehrlichkeit. Sofort versuchte er,


Nach der Art der großen Herren, das Leid der Armen
Durch Almosen zu lindern. Warum hast du das
Nicht gleich gesagt, dumme Göre, tadelte er

Wohlwollend, während er ungestüm an einer Silbermünze


An seinem gelben Kragen herumwirbelte. Matten?
Nun, da könnt ihr die weichsten eures Gewebes
Auf unseren Hof bringen. Mein Hund soll auf ihnen liegen.

Und hier, Rotkittel, hier hast du deinen Lohn im Voraus.


Lachend und mit einer großzügigen Geste
Warf er dem Mädchen den abgerissenen Knopf vor die Füße.
Und bevor die drei Zurückgebliebenen

Auch nur denken konnten, hatte der geschickte Reiter


Sein Pferd zur Seite geworfen und stürmte nun
Um die Mauer herum in Richtung Stall.
Schnell nach Hause, drängte der Bruder die beiden Kinder,

Die bestürzt das ferne Klirren von Silber-


Und Goldmünzen hörten. Geht, geht schnell, der Mann
Will euch nicht gesund sehen. - Und so
Beende ich hiermit das zweite Abenteuer.

DRITTES ABENTEUER

Sie saßen vereint in der Hütte der Beckers


Bei einem mageren Abendessen. Die alten Männer
Hatten ihren Hunger schon gestillt und hockten
An der Feuerstelle, wo ein glimmender Kienspan leuchtete,

Und ruhten sich aus. Zu ihnen gesellte sich


Anna Eberhards Mutter, eine hagere, vorzeitig ergraute Frau
Mit unzähligen Sommersprossen auf dem Gesicht.
Sie sah bei der Arbeit verbittert aus, und die hagere Frau
Fröstelte oft in der Kühle des Meeres.

Kalt, immer kalt, schüttelte sie sich. Dann hob sie


Den geschenkten Silberknopf von ihrem Schoß
Und strich ihn fast ungläubig gegen
Den unsicheren Lichtschein. Warum er ihn geschenkt hat?

Suchte sie in fruchtlosem Zweifel zu ergründen;


Aber als die Hausfrau, die rundlich und mollig,
Voll gesicherter, selbstbewusster Kraft ihr gegenübersaß,
Eine heftige Bewegung gegen den Herd machte,

Als wolle sie die Kostbarkeiten am liebsten


In die Flammen schleudern, denn Dörte kannte
Die Aufmerksamkeiten der Herren, schüttelte
Die Teppichweberin müde den Kopf. Keineswegs,

Wehrte sie sich gegen diesen Gedanken


Ihrer gewalttätigen Schwester. Wie sollte ich jemals
Wieder an einen solchen Schatz kommen? Morgen
Werde ich nach Stralsund segeln und Decken für uns kaufen.

Hauptsache, wir haben es warm. - Ja, schön warm,


Murmelte der alte Klaus Becker und zog
Seine allmählich spindeldürren Beine tief unter den Sitz,
Denn der Husten, der nicht ausbrechen wollte,

Lähmte erneut seinen ausgemergelten Körper.


Mit äußerster Kraftanstrengung bemühte er sich,
Das laute Bellen zu unterdrücken. Nicht etwa,
Um seine Umgebung nicht zu erschrecken,

Denn der kranke Riese war noch immer nicht weich


Und nachgiebig geworden. Nein, er mochte es einfach nicht,
Die Augen der Frau so groß und scharfsinnig
Auf sich gerichtet zu spüren. Die Frau wusste alles,

Sie war klug und ließ sich nicht täuschen.


Ja, der Fischer glaubte, dass sie ihm die Zeit und die Stunde
Des kommenden Ereignisses von der Stirn ablesen konnte.
Und er wehrte sich. So schlimm war es wohl noch nicht,

Und er wollte sehen, wer härter im Nehmen war,


Er oder ihre Augen. So strich er, scheinbar aufgeräumt,
Über den roten Bart, der sich nun doppelt so stark
Von den vergilbten, eingefallenen Wangen abhob,

Und wandte sich, zum Tisch gewandt,


Mit der wohlwollenden Ermahnung an seinen Sohn:
Iss, Junge, iss! Der Junge saß träumend vor dem rohen Teller,
Den Kopf aufgestützt, und nur ab und zu steckte er

Den Holzlöffel in die Schüssel mit dem warmen Hirsebrei,


Unsicher und unwillig. Seine sonst so strahlenden Augen
Aber waren verschleiert; wie nach innen gerichtet,
Schienen sie Bildern und Ideen zu folgen,

Die auf dem Grund seiner Seele schwebten.


Seine Lippen zuckten oft unwillig, als könne er
Das Fliehende weder erkennen noch festhalten.
Seine Verwandten beobachteten bestürzt
Die entfremdende Art des stets ruhelosen Mannes.
Iss, Klaus, flehte die kleine Anna Eberhard,
Die dem eingesunkenen Mann gegenüber saß
Und es auch nicht schaffte, ihren Löffel

Gegen die Schüssel zu richten, denn ihr Geist


Beteiligte sich bereitwillig an dem völligen Schweigen
Ihres Begleiters. Wir sind schon lange unterwegs, du bist müde.

Doch auch diese herzliche Bitte erreichte den


In Fremdheit versunkenen Mann nicht. Offenbar
Hatte er die sanfte, bescheidene Stimme nicht einmal gehört.
Über die Schulter seiner Freundin hinweg

Starrte er immer ausdrucksloser durch die offene Luke


Der Hütte, dorthin, wo der letzte Abendschein
In der Ferne auf dem Wasser schaukelte. Langsam erhob sich
Die blaue Wand der Nacht über den Rand des Meeres.

Und gleichzeitig verfinsterte sich die Stirn des Träumers


Immer auffälliger. Wirst du antworten, wenn du gefragt wirst?
Drohte Dörte, seine Mutter, ungeduldig. Wütend
War sie hinter den Schemel ihres Sohnes getreten.

Nun ließ sie ihre Hand klatschend auf den Nacken


Des abgewandten Mannes fallen. Ihr lebhaftes,
Energisches Wesen sträubte sich gegen solch zweckloses
Und unheimliches Dösen. Was musste sich der große,

Kräftige Junge anhören, anstatt seinem unfähigen Vater


Zu helfen? Immerhin verlangte der Gerichtsvollzieher
Noch den vollwertigen Fang. Junge, willst du? -
Mutter, unterbrach der kranke Riese erschrocken

Und kämpfte erneut gegen den gefährlichen Hustenreiz an,


Woraufhin er versuchte, sich zu erheben,
Was ihm jedoch nicht sofort gelang. Lass, lass den Jungen.
Wer weiß, was er hat. Er trägt Gedanken in seinem Kopf.

Und Gedanken sind nicht immer zu verstehen.


Daraus war zu entnehmen, was Dörte schon lange wusste,
Dass der alte Becker in schüchternem Respekt
Vor der wilden, trotzigen Art seines Sohnes lebte,
Dass er aber geradezu in Aberglauben und Bewunderung versank,

Sobald sein Schützling seltsame Fragen


Und Ansichten äußerte, wie sie der Rotbart
In seinem eintönigen Beruf nie für möglich gehalten hätte.
Je weniger der plumpe Mann von solchen erhitzten Hirngespinsten

Verstand, desto vorbehaltloser fühlte er sich


Insgeheim geschmeichelt, weil sich solche Dinge
An seinem eigenen sitzenden Herd abspielten.
Lass ihn, Mutti, lass ihn, wer weiß?

Ah, was heißt hier, wer weiß? schimpfte Dörte.


Was soll das bringen? Sie schlug wieder zu.
Mit einem Satz war der Junge auf den Beinen.
Der zweite Schlag hatte ihn wachgerüttelt.

Die Schüssel auf dem Tisch zitterte


Durch den ungestümen Aufbruch; selbst der Kienspan
Auf dem Herd ließ seine Flamme rauchend
Im Luftzug aufsteigen. Was ist los? sagte der Bursche,

Und seine Augen waren so dunkel und seltsam


Um seine Verwandten, dass sie alle erkannten,
Dass sein Körper gerade wie ein Stein
Vom Himmel unter sie gefallen war.

Der alte Becker sah ihn erstaunt an, die Augen


Weit aufgerissen, sein harmloses Gemüt tief gebeugt
Über diese edle Entrückung in eine andere Welt.
Abwehrend hob er wieder seine hagere Faust.

Lass es, murmelte er wieder, kaum hörbar. Die Mutter


Jedoch wollte ihren Jungen aus seinem ziellosen Dösen
Herausreißen. Geht es dir gut? erkundigte sie sich unwirsch,
Als sie ihm kurzerhand die Holzschüssel abnahm,

Denn die Ziegen ließen sich von den Resten


Noch ganz gut sättigen. Was hockst du hier
Und starrst vor dich hin? Der junge Klaus
Schüttelte sich heftig, dann sprang er zur offenen Luke

Und riss sich trotz der feuchten Abendluft


Den weißen Mantel vorne im Nacken auf,
Bis der Fahrtwind über seine nackte Brust strich.
Kalt, zitterte die Mattenweberin wehleidig in ihrer Ecke.

Auch der alte Fischer hustete unvorsichtig.


Zu warm, viel zu warm, verteidigte sich der Junge.
Plötzlich aber warf er sein lockiges braunes Haar
Ungestüm zurück und schlug mit der geballten Faust

Sinnlos gegen die Bretter des Fensters. In Wut


Und stürmischer Empörung entlud sich, was sich
In seinem schwelenden Grübeln bedrohlich
Gegen ihn erhoben hatte. Wir wissen hier nichts,

Schrie er in bitterem Zorn, und seine funkelnden Augen


Klagten alle Anwesenden der Reihe nach
Eines unsäglichen Verbrechens an, wir wissen nichts
Von dem, was draußen geschieht. Ohne zu verstehen,

Maßen sich die anderen. Aber auch wenn sie nicht


Verstanden, wonach diese entfesselte Seele, geblendet
Von einem flüchtigen Lichtstrahl, schrie, so spürten
Die Ungebildeten doch, dass sich hier etwas Ungewöhnliches

Und Gefährliches in seiner Anmaßung regte,


Etwas Aufmüpfiges, Aufsässiges, das mit den Fäusten
Gegen den Käfig der Unmündigkeit und des Elends
Zu hämmern begann. Und das erfüllte sie mit Abneigung

Und Misstrauen. Die geduckten Hälse hatten längst verlernt,


Sich zu strecken, und weil sie zu tief in Abhängigkeit
Gekrümmt waren, hielten sie es fast für einen Segen,
Ihre unwissenden Köpfe nicht dorthin erheben zu müssen,

Wo die Blitze in der Höhe zuckten. Gott schütze uns


Vor Unheil! Unwillkürlich schlugen sie
Die Hände zusammen. Und nur der kranke Riese
Atmete ein paar mühsame Seufzer, aber als er

Sich anschickte, eine bescheidene Frage zu stellen,


Zitterte etwas von unterdrückter Zufriedenheit
In seiner gebrochenen und heiseren Stimme,
Denn es schien ihm, dass seine Hütte durch all dies

Sehr geehrt und begnadet wurde. Gott bewahre uns


Vor dem Unglück! Was wissen wir nicht, Junge?
Räusperte er sich demütig und umklammerte
Mit beiden Fäusten die Lehne seines Schemels,

Um aufrecht sitzen zu können. Was wissen wir nicht?


Der Mann biss sich auf die Unterlippe, und gleichzeitig
Rüttelte er mit einer neuen Besessenheit am Rahmen
Der Luke, als müsse er einen weiteren Blick erhaschen.

Dazu wetterte er mit Verachtung gegen die Dumpfheit,


Die ihn hier umgab. Weißt du, dass ein paar Meilen
Von uns entfernt in Stralsund ein Tagesausflug stattfindet?
Was ist ein Tagesausflug? Der alte Fischer

Riss an seinem langmähnigen Bart, seine Brust


Drohte zu erstarren, und der Schweiß rann ihm
Durch das graue, wirre Haar. Sein Verstand
Wurde vor Überraschung leer. Alle guten Geister,

Was kümmerte sich die junge Brut darum?


Große Gentlemen, gelang es ihm schließlich,
Sich aus seiner Atemlosigkeit zu befreien, sie reden.
Sein Schützling trat näher an ihn heran.
Worüber reden sie? fragte er eifrig. Der alte Mann
War nun völlig fassungslos. Noch nie war er
Zu etwas so Unnötigem aufgefordert worden.
Und nun auch noch von dem Adoptivsohn.

Und doch packte ihn der unbestimmte Verdacht,


Dass in diesem Drang eine köstliche Luft wehte,
Eine Luft, nach der er sich schon lange gesehnt hatte,
Weil man sie einatmen konnte. Ja, atmen, atmen,

Denn der Erstickungstod stand unmittelbar bevor.


Er stöhnte hohl, dann keuchte er auf: Sie reden über uns
Und was sie uns wegnehmen sollen. Es klang

Wie das Heulen eines geschundenen Hundes.


Alte Erinnerungen an Zwang und Demütigung
Stiegen in dem Stottern auf. Und bei diesen
Provozierenden Klängen beugte sich der Sohn

Lauernd zu ihm herüber, und seine Augen drohten


Bedrohlich in der Hütte umher, als suchten sie
Bereits den Eindringling, der kommen würde,
Um erpresstes Eigentum zu fordern. Gott schütze uns

Vor Unheil! Welcher Geist war zu dieser bösen Stunde


In das junge Blut gefahren? Du redest von uns?
Und fragst nicht uns? rang er sich
Aus dem erwachenden Bewusstsein. Sind wir Steine?

Der alte Klaus zitterte vor Angst. Plötzlich schämte er sich,


Dass er sich von dem Fremden so weit hatte verführen lassen.
Lass es, junger Mann, lass es, wir verstehen nicht. -
Wir verstehen nicht, zischte der Junge. Perplex schlug er

Sich mit der Faust an die Stirn. Eine schrille Stimme


Erhob sich aus dem Kamin. Dort schob Dörte
Wütend die Feuerzange unter ihre Töpfe. Eine Schale
Klapperte in Scherben auf den Ziegelestrich.

Was ist das für ein Zeug? schrie sie in ihrer Angst,
Dass die rächenden Hände des Meisters
Nach ihrem lebenden Schatz greifen könnten.
Habe ich euch gefüttert, damit ihr hier Unkraut sät?

Glaubst du, wir können von Wortgefechten leben?


Verschwinde von hier, wo du hingehörst.
Oder willst du warten, bis die Peitsche
Des Landvogts dir Beine macht?

So laut wie ihre Stimme klang, wandte


Der schlanke Bursche seinen Blick auf die eifrige Frau,
Aber ihre Vorwürfe glitten an ihm vorbei, als wären
Seine Ohren noch verstopft für die Dinge des Alltags

Und der eintönigen Gewohnheit. Aufrecht stand er da,


Plötzlich ein Fremder unter diesen ängstlichen
Kleinen Frechlingen, berührt vom Zauberstab
Einer Erkenntnis, der er nicht gewachsen war;

Und erst als das Wort "Peitsche" durch seine Träumerei pfiff,
Zuckte ein kurzer Schauer über seinen Nacken,
Und seine Hände zitterten unwillig nach hinten.
Sofort wurde aber auch diese Schwäche abgeschüttelt

Und er konnte geschmeidig bis dicht an den Sitz


Des alten Mannes heran gleiten, um dem lauschenden
Fischer erneut etwas zuzuflüstern: Sag mir,
Was sind Schuimer? - Oh, oh, wimmerte

Anna Eberhards Mutter kläglich, und dabei


Nestelte sie erschrocken an dem silbernen Knopf
In einem Schlitz ihres Rockes. Böse Menschen,
Klaus, glaub mir, böse Menschen. Sie segeln

In ihren Räuberschiffen, sie plündern die Güter der Reichen


Und morden die Armen. Ich kenne sie. Sie trinken
Und verschlingen an einem Tag, was wir
In einem Jahr zusammengekratzt haben.

Sei still, stöhnte Dörte an ihrem Herd. Bleich


Wie eine Leiche war sie geworden, seit ihre Sorge
Um den Einzigen groß war, die sich
An einen bestimmten Gedanken klammern konnte.

Bete ein Ave Maria, mein Junge. Ein frommer Christ


Darf die Rotte nicht kennen. - Gegrüßet seist du,
Heilige Mutter Gottes, sprach die kleine Anna
Gehorsam vor sich hin. Auch ihr Spielkamerad

Schlug unwillkürlich die Hände zusammen,


Denn der Wunsch der Mutter wurde
Von dem verstörten Mann immer noch
Als unumgängliches Gebot angesehen.

Dennoch hinderte ihn die Bewegung nicht daran,


Seinem Vater erneut etwas zuzuflüstern:
Aber wer hat die Menschen so weit gebracht? -
Ja, wer? murmelte der Fischer fassungslos.

Plötzlich aber fasste er den Kopf seines Sohnes


Mit beiden Händen, und als er seinen Kummer,
Seine Krankheit und den Kummer eines ganzen Lebens
Aus der Tiefe seiner Seele hervorholte, schrie er
Unerwartet in einem wahnsinnigen Geheul auf:
Das Elend, mein Jünger, ich meine das Elend. -
Ja, das Elend, sagten die anderen nun ergriffen.
Dann hatte der fesselnde Zauber den Jungen verlassen.

Ungehemmt und in dem Wunsch, sich zu befreien,


Brannte es ungebremst aus ihm heraus:
Und wer gibt den Herren seidene Gewänder
Und uns Lumpen? Wer gibt ihnen Gold und Edelsteine

Und uns die Peitsche? Und wer gibt ihnen


Die fremden Sprachen, die wir nicht verstehen,
Und uns... und uns nur die Dummheit? -
Ja, wer? wiederholten die anderen geistesabwesend.

Die armen Leute hockten da, als wären sie mit Nägeln
An ihren Sitzen festgenagelt und müssten es dulden,
Dass ihre Zungen den Eingebungen eines fernen
Geistes folgen. Endlich riss sich Dörte

Aus dieser lähmenden Verzweiflung. Mit einem Sprung


War sie bei ihrem Kind, das sie der Macht des Teufels
Zu entreißen glaubte; ein Schlag ihrer geballten Faust
Traf sein weiches, fiebriges Gesicht. Mutter!

Dann riss sie ihn an seinen langen Haaren und zerrte ihn
Fast bis zur Schwelle des Hofes. Gleich packst du dich
In dein Boot, schäumte sie in übertriebener Wut,
Obwohl eine unnennbare Angst ihre Seele zerquetschte.

Geh, wir brauchen hier keine Müßiggänger


Und Maulhelden. Bring lieber etwas Gutes mit,
Damit wir Ruhe vor dem Landvogt haben.
Und Gott helfe dir, wenn du jemals wieder

Den Mund aufmachst über Dinge, die uns nichts angehen.


Ohne Übergang fiel sie dem Mann, der bereits
In die Nacht gestoßen worden war, um den Hals,
Schlang ihre Arme fest um seinen Nacken,

Und zum ersten Mal hörte der überwältigte Sohn


Seine Mutter flehen und stöhnen: Tu's nicht,
Mein liebes Kind, schlag dir solche Gedanken aus dem Kopf.
Sie sind nicht gut für arme Leute, sie ruinieren dich

Und uns. Siehst du, die Herren werden in Samt


Und Seide geboren und leiden unter nichts anderem.
Geh, sei wieder mein lieber, guter Junge, geh!
Gewaltsam stieß sie den Zögernden von sich,

Der in heißer, erweckter Zärtlichkeit ihren Mund suchte,


Nicht wissend, dass sie ihn in sein Schicksal trieb.
Klaus war noch immer in alle Widersprüche verstrickt
Und glitt die Dünen hinunter; aber je kälter

Ihm der scharfe Seewind um die Ohren strich,


Desto klarer wurden seine lebhaften Sinne,
Und kaum spürten seine Füße den feuchten Strand
Unter sich, da hatte der wendige Geist des Jungen,

Der immer auf der Suche nach etwas Neuem war,


Schon den Streit mit den Seinen vergessen.
Er spannte energisch seinen Ledergürtel und lauschte
Auf seinem Weg den Rufen der wilden Schwäne.

Nun eine Armbrust, die für einen Gentleman taugt,


Dachte er, und ein paar stattliche Federn
Für die Mütze sollten mir nicht fehlen.
Die Nacht und die graue Leere, die sich

Wie ein offenes Tor öffnete, erschreckten


Oder behinderten ihn so wenig, dass seine Augen
Vielmehr halb spielerisch den Schimmer
Der weißen Strandwellen von dem Gefieder

Der belauschten Vögel zu unterscheiden begannen.


Sie kämpfen da draußen, urteilte er angespannt,
Sie stoßen sich gegenseitig in die Brust.
Und dann schoss ihm durch den Kopf,

Ob es nicht möglich war, ein so königliches Tier


Zu zähmen? Aber das hatte noch nie jemand versucht.
Es könnte schwer zu halten sein. Aber sein Herz,
Das ewig nach Glanz und Pracht dürstete,

War von der Idee völlig eingenommen. Er vergaß


Fast die Jagd nach den unsichtbaren Kreaturen.
Man müsste sich gegen den Wind anschleichen,
Murmelte Klaus, und dann... Da stolperte er.

In der Nähe des Pfahls, an dem sein Boot festgemacht war,


Erhob sich eine dunkle Gestalt. Der breite,
Stämmige Mann musste bis dahin auf dem Bootsrand
Gesessen haben, doch nun drehte er sich

Zu dem Neuankömmling um, und vor allem


Ein riesiger Schädel schimmerte durch die Nacht.
Selbst wenn die schwere, massige Gestalt
Noch tiefer in die Dunkelheit gehüllt gewesen wäre,

Hätte dieses versteinerte Dach, von dem sich rechts


Und links zwei dicke graue Haarwülste abhoben,
Seinen Besitzer verraten. Außerdem stand niemand
So gebieterisch auf gespreizten Beinen
Wie der Gerichtsvollzieher. Schweigend beäugte
Der Mann den Fischer, denn auch die Dunkelheit
Bot seinem Blick kein Hindernis, und erst nachdem er
Ein paar Mal über seinen kurzen Bart gestrichen hatte,

Spuckte er, wie es seiner Natur entsprach, abfällig:


Der Mond ist schon aufgegangen.
Warum kommst du so spät? - Ich? -
Ja, ich meine dich, wen sonst?

Oh, da war es wieder. Klaus Becker ballte die Fäuste,


Bis die Nägel in sein Fleisch schnitten. Und doch
Verrieten seine mühsam erzwungenen Atemzüge
Deutlich, welche Anstrengung es ihn kostete,

Seinen unbezwingbaren Hass auf den Zwang


Hinunterzuwürgen. Zähneknirschend beugte er sich vor,
Und seine Hände zerrten viel heftiger an den Seilen
Des Bootes, als es nötig war, um die Knoten zu lösen.

Dabei sagte er mit zusammengebissenen Zähnen,


Dass er ein Segel habe und deshalb viel schneller
Segeln könne als selbst der Gerichtsvollzieher
Mit seinen ungeschickten Rudern. Und außerdem,

Die Ruhe war verloren. Er stemmte sich mit den Schultern


Gegen den Kahn und begann, ohne Rücksicht
Auf den Beobachter, das kleine Schiff
Zwischen die großen Steine zu schieben.

Der Landvogt hörte aufmerksam zu. Schließlich nickte er,


Als ob er sich über die Kraft des Jungen amüsieren würde,
Und sagte dann mit Gelassenheit: Gut, du wirst
Dein Segel brauchen, denn du bist im Rückstand.

Ich werde nicht lange warten. Klaus Becker drängte,


Er drängte, als wolle er den Strand von den Wäldern
Und Bergen wegreißen. Ruhig ließ der Landvogt
Es geschehen. Doch gerade als der Bug des Schiffes

Ins Wasser eintauchen wollte, schlenderte er plötzlich


Näher und legte seine Faust auf den Rand des Schiffes.
Mit einem Ruck fuhr der Junge hoch. Was ist los?

Drohte er gepresst, und nun konnte er nicht verhindern,


Dass sich das Weiße seiner Augäpfel unheimlich
Zu drehen begann. Wofür hältst du mich, Vogt?
Voller dumpfer Warnung schnitt es durch die Nacht,

Der salzige Wind trug buchstäblich die Vorahnung


Einer Gewalttat, den Geruch eines heranstürmenden Raubtiers
Mit sich; doch der Herrscher schien sich über diese
Sich windende Bosheit eher zu amüsieren.

Fast wohlwollend knurrte er: Sieh mal, Kleiner,


Deine Lichter funkeln wie morsches Holz. Mal sehen,
Ob wir sie für etwas Nützliches verwenden können.
Er warf den Arm nach vorne und deutete auf das Meer.

Schau hinaus, was siehst du? Erstaunt


Über die Ernsthaftigkeit des Mannes drehte sich Klaus
In die angegebene Richtung, insgeheim geschmeichelt,
Weil der gefürchtete Mann offenbar seine Hilfe

In Anspruch nehmen wollte. Und? erkundigte sich


Der alte Mann nach einer Pause. Neugierig
Beugte sich der Junge über das Boot und starrte hinaus.
Zu seiner Linken, dort, wo die Kurve des Waldes

Zur Stubnitz hin dunkel und schwarz wurde,


Glühte ein schmaler Streifen Feuer auf dem Wasser.
Ein schaukelndes rotes Becken schwankte,
Immer wieder von der Ebbe auseinandergerissen

Und ebenso oft wieder zu einem lockeren,


Blitzenden Strom zusammengeführt. Das Glühen
Hob sich auffällig von den blassen, silbernen Rillen ab,
Die der am Horizont gleitende Mond gefurcht hatte.

Was konnte das bedeuten? Klaus Becker strapazierte


Seine Sehkraft aufs Äußerste, er war längst
Auf die angeschwemmten Strandsteine gesprungen,
Und nun suchte er dort draußen, ob vielleicht

Ein Schiff mit brennenden Pechfackeln dahinglitt.


Doch der Gerichtsvollzieher wies eine solche Vermutung
Mürrisch zurück. Seit drei Nächten hatte er
Vergeblich entlang der Linie gesucht. Auch dort

Oben auf dem Plateau der Stubbenkammer


Hätte er gesucht. Vergeblich, abgesehen
Von ein paar Rehen, nichts Besonderes!
Und doch, wie zum Hohn, flackerte die verfluchte

Rote Haut auf dem Wasser. Verärgert wandte sich


Der Alte ab, als wolle er das nachahmende Feuer
Nicht länger betrachten. Sieh mal, Kleiner,
Sagte er zum Abschied, und wieder klang er

Giftig und überlegen, ob du schlauer bist


Als der Rest von uns. Du hältst dich sowieso
Für einen hübschen Hecht. Am Ende
Wirst du ihn fangen. Du wirst sicher mehr Spaß haben,
Als Heringe und Flundern zu ziehen. Aber pass auf,
Fügte er beim Weggehen hinzu und hob warnend
Seinen gekrönten Stab, dass du nicht in eine Falle tappst!
Wer weiß? Vielleicht will die Bande den Herren

Von Stralsund etwas zum Raten geben?


Und schon außer Hörweite lachte er vor sich hin:
Wer kann schon herausfinden, wo sich die Freunde
Des armen Mannes gerne sehen lassen?

Das ist ein Gaunerspiel. Im selben Moment löste sich


Klaus Becker mit einem weiten Sprung
Von seinem Stein ins Boot. Hoch oben peitschte
Die Gischt, und der Wind trieb ein Heulen darüber.

Da ist anderes Blut in ihm, dachte der Vogt,


Als in dem faulen Bauch. Bauernblut, Sassenblut,
Das Blut des armen Mannes. Die Augen des Jungen glühen,
Als ob eine Hütte brennen würde. Man wird ihm öfter

Auf den Kopf schlagen müssen. Schade,


Ich mochte ihn gern. Zur gleichen Stunde
Bezogen die beiden dänischen Granden
Ihre Betten im Gästezimmer des Klosters.

Der kaiserliche Höfling Henning von Putbus


Saß bereits unbekleidet auf dem breiten Polster
Und sah mit seinen nackten Beinen so erbärmlich
Mager und ausgemergelt aus, dass

Hauptmann Konrad Moltke, der nach einem ausgiebigen


Trunk mit der Öllampe in der Hand
Durch den kahlen Raum taumelte und einen Nagel
Für seine lederne Geißel zu finden versuchte,

Von Zeit zu Zeit in ein Kichern des Ekels ausbrach.


Als aber der Drost, während er tief grübelte,
Eine spitze Nachtmütze über seinen langen Schädel zog,
Kannte das Vergnügen des berauschten Mannes

Keine Grenzen mehr. Bellissimo, lallte er


Und hielt seinem Begleiter die Zinnlampe
Fast unter die Nase, damit er ihn besser ansehen konnte.
Du bist im Unrecht, Drost; bei meinem Schwert,

Bitter im Unrecht, Drost. Ich weiß es jetzt,


Du bezauberst unsere erhabene Königin
Durch die Schlagfertigkeit deines Witzes, sag nichts,
Ich bezeuge es. Ja, wenn du noch ein Pfau wärst,

So ein zarter, süßer, dann... Er schluckte ein paar Mal


Krampfhaft, und die Erinnerung an die Tischfreuden,
Die er soeben genossen hatte, drängte sich wieder
In sein schwankendes Gehirn. So, so, gab er

Den neuen Eindrücken nach und ließ sich,


Die Lampe immer wieder zwischen den Fingern drehend,
Auf einen geflochtenen Stuhl in der Mitte
Des Raumes sinken. Reiche Zeiten kommen jetzt.

Wir brauchen nur all die schönen Sachen


Aus den Taschen der Schuimer zu ziehen,
Die sie so fleißig zusammengekratzt haben,
Und du kannst dir Königin Margarethe

In einem seidenen Hemd vorstellen. Meine Seele! -


Steh auf und sieh nach, ob wir nicht belauscht werden,
Sagte der Drost einsilbig anstelle einer Antwort.
Belauscht? der Krieger richtete sich etwas desillusioniert auf

Und tastete verärgert nach der Stelle, an der früher


Sein Kampfanzug befestigt gewesen war.
Du meinst die Kutten? Da soll es höllisch donnern!
Schwerfällig taumelte er zur schmalen Türöffnung

Und spähte hinaus. Doch seinem trüben Blick


Offenbarte sich nichts als ein dänischer Diener,
Der unter einem Bogenfenster am Ende
Des schmalen Ganges Wache hielt. Das Mondlicht

Glitzerte undeutlich auf seinem Kettenhemd.


Der Hauptmann schlug die Tür ins Schloss.
Dann fröstelte er. Nichts, stellte er müde fest
Und blickte wieder glasig auf den langen Menschen

Unter der Zipfelmütze. Wir haben ihnen einen


Unserer Spieße in den Weg gelegt. Was sonst? -
Was noch? Mühsam war der Drost inzwischen
Ins Bett gekrochen, und während er nun den Schlafsack

Über sich zog, der für die Überlänge


Dieser Gliedmaßen keineswegs ausreichte,
Schielte er zu seinem Gefährten hinüber,
Der wieder zusammengesunken war,

Und schien zu prüfen, ob die Nase des Geiers


Noch in der Lage war, einen Tropfen Vernunft zu wittern.
Wenn du mich verstehst, sagte er endlich
Mit seiner sanften, salbungsvollen Stimme,

Dann rate ich dir, Kapitän, den Hanseaten


Und den Preußen morgen und vor allem
Den misstrauischen Städtern alles zu versprechen,
Was unter dem Himmel Platz hat. Wir Dänen

Schicken Schiffe, dass man das Meer nicht mehr merkt,


Und Barken so viele, wie die Sterne um den Mond
Wandern. Greif tief in den Geldbeutel
Unserer guten Absichten, und sei nicht sparsam.

Der auf dem Strohsessel hielt sich die Hand hinters Ohr,
Um kein Wort zu verlieren, und der runde
Glänzende Schädel begann lebhaft zu nicken.
Die Aussicht auf die nahe Beute vertrieb

Selbst die Weindämmerung ein wenig


Von dem begehrlichen Mann. Richtig, richtig,
Stimmte er gierig zu. Wir werden die Schuimer fassen.
Du weißt schon, meine Erfindung.

Wir packen sie in Fässer, fahren raus


Und lassen sie treiben. Das ist ein guter Stoff,
Und wir können gut davon leben.
Dann zog Herr Henning von Putbus

Seine Nachtmütze ganz herunter und drehte sich zur Wand.


Ich sehe, du verstehst mich nicht, sagte er ruhig.
Mach das Licht aus und geh schlafen. Und noch etwas,
Mein Lieber, sei so nett, nicht zu schnarchen. Morgen mehr.

Aber der Kapitän zog seine niedrigen Lederstiefel aus


Und knallte sie bösartig gegen die Wand.
Mitten in der Nacht erlosch das feurige Becken
Auf dem Meer. Plötzlich und unerwartet, als hätte

Ein riesiger Fuß das Feuer zerquetscht. Doch im Boot,


Das dicht bewölkt zum Strand glitt, flüsterte
Eine feine Stimme: Lass uns den Zufall anbeten,
Schöner Junge. Wahrlich, eine mächtige Gottheit.

Sollte mein Glück auf dieser schönen Insel


Oder im Palast deiner Väter eine erfreuliche
Wendung nehmen, dann verspreche ich
Den wandelnden Göttern hundert Ochsen.

Bist du erstaunt, schöner Fischer? Warum bist du erstaunt?


Weil du mich in Lumpen siehst. Ich sage dir:
Die Kinder des Zufalls spielen heute mit Bettlerpfennigen
Und morgen mit Zeptern und Kronen. Pah,

Ich habe in den Betten eines Königs geschlafen. -


Wer bist du? hauchte Klaus fast unhörbar.
Er hielt sich an den Rudern fest und wagte es kaum,
Sie Rede seines Gastes durch eine Bewegung
Zu unterbrechen. Und als es wieder erklang,
Fein und flüsternd, aus der milchigen Wolke,
Musste der Junge überlegen, ob es ein Mann
Oder eine Frau war, die da sprach. Wer bin ich?

Lachte es zierlich, und eine zarte weiße Hand


Glitt für einen Moment aus dem Nebel.
Wenn du Magister probandus des Pariser Kollegium wärst,
Holder, hättest du dir keine schwierigere Aufgabe

Ausdenken können. Aber lass uns nachforschen.


Nach dem Testimonium logicum ist das ICH
Vom BIN abhängig. Untersuchen wir die Frage
Hingegen nach dem jure praesente, dann,

Mein schöner Telemach, wäre ich Treibgut,


Das von dir gefunden und nach deinem Gutdünken
Verwendet werden kann. Gestatte mir daher,
Die Untersuchung mit der Gegenfrage abzuschließen:

Was gedenkst du mir, dem Hungrigen, zu tun?


Klaus Becker bewegte sich nicht. Sprachlos,
Kaum ein gewürgter Laut in der Kehle, starrte er
Zu der feingliedrigen Gestalt hinüber, und erst

Als sich die Wolle des Nebels ein wenig lichtete,


Wagte es sein scheuer Blick, über das zerrissene
Braune Schiffswams des Fremden zu schweifen,
Der so unverständliche Dinge sagte.

Glühende Neugierde quälte ihn, ob sich hinter


Den schmutzigen Lumpen wirklich ein Mann verbarg.
Weiß Gott, es war zweifelhaft. Zu weich und zart
Zeichneten sich mädchenhafte Gliedmaßen

Unter den Lumpen ab, und man brauchte nur


Die weiße Haut zu betrachten, die an manchen Stellen
Der Nacktheit hervorschimmerte, oder das lange gelbe Haar,
Das ein schmales, bartloses Gesicht umgab,

Um erneut der Ungewissheit anheimzufallen.


Und dann noch eine Sache. Wie ist der Landstreicher
An die dicke Goldkette um seinen Hals gekommen?
Wie kam er an den köstlichen Schlangenring

An seiner rechten Hand? Nein, nein, Klaus rührte sich nicht,


Denn die Ungewissheit betäubte ihn. Hatte er
In der Höhle zwischen den Kreidefelsen
Vielleicht eine Frau gefunden?

Mit einem zweideutigen Lächeln nahm der Fremde


Diese heimliche Untersuchung auf, doch dann
Schien ihn die Ungeduld zu übermannen, und plötzlich,
Als wolle er sich ein für alle Mal zu erkennen geben,

Riss er sich hastig die eng anliegende Lederkappe vom Kopf.


Gleichzeitig sprang er jedoch auf und schnappte sich
Einen langen Hut, wie er nur in Welschland verwendet wurde.

Was war das? Der Fischerjunge fiel fast rückwärts


In den Stern seines Bootes. Diese ungestüme,
Kraftvolle Bewegung, die das Boot erzittern ließ,
Obwohl es bereits zwischen den Steinen eingeklemmt war,

Und dann vor allem die breite, blutige Narbe


Auf der Stirn des Fremden, warfen alle Verdachtsmomente
Des unerfahrenen Mannes über den Haufen.
Gott bewahre, jetzt stand es fest, vor ihm,

An den Hieber gelehnt, schwankte trotz allem ein Mann,


Und offensichtlich kein harmloser, denn unter
Den sanften Brauen des Fremden begann
Ein verdächtiges, unsicheres Flackern zu leben.

Und nun, das bemerkte Klaus erst jetzt,


Besaß sein Gast zweifarbige Augen, ein blaues
Und ein schwarzes, was eine unheimliche
Zwiespältigkeit hervorrief. Denn während der blaue Stern

Unverändert lachte, schien aus dem dunklen


Eine ernste Frage auf den Sitzenden herab zu blitzen.
Hör zu, mein Täubchen, sprach der Fremde mit Nachdruck,
Und selbst das feine Flüstern war

Aus seiner Stimme verschwunden, ich habe dir


Opinio vulgi, die Vertrauenswürdigkeit
Des gemeinen Haufens, geglaubt, als ich
Aus meiner Abgeschiedenheit in deinen Kahn sprang.

Ich habe dich nicht für einen Fuchs gehalten,


Der einem in den Rücken fährt. Solltest du jedoch
Einen solchen Scherz planen, dann, mein Prinz,
Müsste ich diesen Kahn gegen meinen Willen

Übernehmen, denn ich bin gar nicht so schlecht im Rudern,


Wie ich dir bereits angedeutet habe, und wir würden
Die acherontischen Gewässer schnell erreichen.
Verstehst du mich? Schlank, mädchenhaft

Hing die biegsame Gestalt, fast einen Kopf kleiner


Als Klaus Becker, an ihrer fremden Waffe,
Aber gleichzeitig hatte das blasse, bartlose Gesicht
Einen so grimmigen, warnenden Blick,
Die gepflegte rechte Hand zuckte so bedeutungsvoll
An der dicken goldenen Kette, dass Klaus,
Ohne selbst zu wissen warum, der Gedanke stach,
Dass man mit diesem Schmuck wohl auch

Jemandem die Kehle durchschneiden könnte.


Aber der Junge fürchtete sich nicht, er flog kühn auf,
Und als er neben dem Fremden stand
Und ihn um einen Kopf überragte, leuchtete

Der Hilfswille der Jugend stolz und rein aus seiner Stirn.
Der Landstreicher war von der unwillkürlich edlen Art
Seines Fährmanns beeindruckt, und während er
Seine zwiespältigen Augen auf den anderen

Gerichtet hielt, zwirbelte er nachdenklich


Und prüfend sein gelbes Haar. Er schien
Kein schlechter Menschenkenner zu sein.
Du kommst nur zu gemeinen Leuten, sagte Klaus,

Mit einer Anstrengung seiner hellen Vernunft,


Damit das Abenteuer nicht ganz Herr über ihn werde,
Und deine schönen Worte gefallen mir gut,
Obwohl ich sie nicht verstehe, mein Verstand ist ungelehrt.

Hier stockte seine Stimme ein wenig und seine Fäuste


Wollten sich ballen, aber sofort gewann seine frische Natur
Wieder die Oberhand. Ja, er konnte seinen Gast
Jetzt sogar offen anlächeln. Aber wenn es wirklich

Deine Absicht ist, eine Weile als Fischerknecht


Bei uns zu bleiben, weil du dich, wie du sagst,
Vor den Verfolgungen der Reichen und Mächtigen
Verstecken musst, wenn das alles wahr ist, dann denke ich,

Ich werde meinen Vater dorthin bringen. Denn sieh her,


Fremder, du gefällst mir, und da wir selbst
Unterdrückte und gequälte Menschen sind,
Kennen wir Hunger und Peitsche zu gut,

Um den Verfolgten und Bettlern nicht gerne zu helfen.


Nur eines... und er wandte sich dem kleinen
Strohblonden Mann mit der ganzen Offenheit
Eines Freundschaftswerbers zu und reichte ihm die Hand,

Sag mir, meinst du es ehrlich? Über den Nebeln,


Rot und blendend, war ein schmaler Streifen
Der frühen Morgensonne in den Himmel gebrochen.
Sie umrahmten die schwarzen Wolken, und ein sengender

Strahl spielte ins Boot. Doch der Strohblonde


Schien sich an der unerwarteten Helligkeit zu stören,
er schwankte unsicher hin und her, und während er
Sich unbehaglich in seine Lumpen hüllte, warf er

Erst einen spähenden Blick auf das verlassene Ufer,


Bevor er schließlich mit einem schnellen Griff
Die angebotene rechte Hand des Jungen ergriff.
Doch die zarten Finger drückten so fest, dass Klaus

Hätte schreien können. Komm, Kleiner, sagte er wieder


Mit lieblicher Mädchenstimme, du verstehst dein Handwerk,
Du bist ein Menschenfischer, wie ihn der Papst
Nicht besser hätte gebrauchen können.

Und willst du ein Zeichen dafür, wie viel du


Dür meine arme Seele gefischt hast... Ohne zu überlegen,
Riss er die goldene Kette von seinem Hals
Und drückte sie zusammen mit der Feder

In den Arm seines Führers. Gib mir ein Stück Brot dafür,
Lieber Telemach. Aber schnell, schnell, denn ich lechze
Nach einer Sänfte in der Ecke des Stalls.
Wohlwollend, fast zärtlich, streichelte er die Wange

Des verwirrten Jungen, dann duckte sich der Kleine


Und ging wie ein Wind zum Strand. Und das weitere
Besingt meine deutsche Muse im vierten Abenteuer,
Jetzt muss ich mich erst stärken mit Gottes Brot.

VIERTES ABENTEUER

Es bedurfte einer langen Beratung, bevor die Beckers


Den Fremden zum ständigen Dienst in ihrer Wohnung
Duldeten. Mehrmals standen sie laut streitend
Vor dem Ziegenstall, wo sich der Ankömmling

Wie ein Igel in einer Ecke zusammengerollt hatte.


Denn ein Landstreicher, der goldene Ketten
Verschenken konnte, erregte bei der Hausmutter
Unstillbares Misstrauen. Und doch schwieg sie

Und blickte mit mütterlichem Mitgefühl


Auf das zierliche Püppchen herab, das, den Kopf
Mit wirren blonden Haaren auf den Arm gestützt,
In einen arglosen Schlummer gefallen war.

Es war wahr, dass sich die Kluge nicht


Von ihrem Haupteinwand abbringen ließ.
Das Juwel, das der kleine Junge gewiss
Nicht ehrlich erworben hatte, hatte sie
Bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch hastig
Und widerwillig unter seinen Heuhaufen gestopft,
Und ihre Züge verfinsterten sich, als sie bemerkte,
Wie sehnsüchtig ihr Sohn das Verschwinden

Der Schnur beobachtete. Teufelsgold, sagte sie barsch.


Fängt Seelen. Ich weiß es. Sie lehnte sich schwer
An die offene Stalltür, und ihr Verdacht flog zu ihrem Mann,
Der sich fragte, ob er das Wort verstanden haben könnte.

Aber der kranke Riese hatte sich längst daran gewöhnt,


Seine Frau zu beobachten. Er war auch zu sehr
Mit seinem eigenen Verdacht beschäftigt, woher
Der Fremde wohl die blutige Narbe auf seiner Stirn hatte.

Damals sprachen solche Narben mit der Stimme


Unserer Zeitungen, die jede ungeschulte Phantasie anregten
Und beflügelten, und so kam es, dass selbst
Die heimliche Parteinahme des großen,

Schlank gewachsenen Jungen für den Fremden


Beide Wangen färbte. Das Herumtasten, das Rätseln
Über ein bereits beneidetes Leben, trieb seine Phantasie
Über Stock und Stein, durch Heldentum und Verbrechen.

Es war eine Stunde des Erwachens.


Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus,
Als seine dunklen Augen, aufgeschreckt durch ein Wort
Seiner Mutter, gezwungen waren, sich von dem

Am Boden Liegenden zu lösen. Mann, forderte Dörte


Ihren Mann auf, was denkst du denn? Da betrachtete
Der alte Klaus Becker noch einmal genau den Hammer,
Den er vorsichtig an sich genommen hatte,

Wog das feine, biegsame Eisen und den seltsam


Verzweigten Korb am Stiel ab, ein Stück, wie es im Norden,
Wo breite Schwerter geschmiedet wurden,
Nicht gebräuchlich war, und dann schüttelte der Kranke

Wieder nachdenklich den Kopf. Mutti, flüsterte er


Mit offenem Mund, als ihm die Herkunft und das Wesen
Des kleinen Kerls immer unklarer wurde, Mutti, sagte er
Und hob unsicher seine Waffe, er muss von weit her

Gekommen sein. Und dass der Junge ihn


In der Felsspalte gefunden hat, um ehrlich zu sein,
Wusste ich nicht, dass sich dahinter eine so breite
Höhle befindet, ja, man könnte meinen, der Mann

Hat einen Grund, sich zu verstecken. Schnurrt,


Er ist ja noch so jung, fügte er etwas herzlicher hinzu.
Nicht älter als ich, warf der Sohn ein, der schon bereit war,
Dafür zu kämpfen, dass er in dem Schläfer

Einen Kameraden gefunden hatte. Doch die Frau


Beugte sich weit über die Stalltür, um das schmale Gesicht
Des umstrittenen Mannes noch einmal genau zu untersuchen.
Der Frau fielen die vielen scharfen Falten

Um den Mund des Fremden auf, und daneben entdeckte sie,


Wie sich die Lippen und Nasenlöcher des vermeintlichen
Kleinen Mädchens selbst im Schlummer
Genüsslich und verächtlich bogen. Nein, richtete sich

Die Hausfrau auf und entschied fest, er hat viel durchgemacht.


Hat sich vielleicht in Exkrementen und auf Seide gewälzt.
Und zählt wahrscheinlich um die dreiunddreißig Jahre. -
Das wäre, murmelte der alte Klaus verwirrt

Und strich sich verlegen den Bart glatt. Doch sofort


Fasste er sich zu der Meinung, die schon lange
In der Stille genistet hatte: Schau, Dörte,
Es sind wilde Zeiten, sie werfen die Menschen hin und her.

Ich merke es an mir selbst, eine Unruhe ist


Über die Armen gekommen, so dass keiner mehr weiß,
Wo sein Platz ist. Darum sage ich dir, Mutti,
Wer ein Haus und ein Weib und ein Kind hat,

Der soll einen solchen Unruhestifter nicht verjagen,


Sondern ihn festhalten, wenn er wachsen will.
Denn der Wind treibt uns alle an. Heute ich, morgen du.
Wer kann wissen, wann wir selbst entwurzelt werden?

Da verstummten die Streithähne und blickten ängstlich


In den hellen Tag hinaus. Aber als gegen Mittag
Das zierliche Mädchen zierlich und sittsam
Am Tisch der Gäste in der Hütte saß,

Als sie ihre wohlgeformten Beine rücksichtsvoll


Unter den Schemel zog, um den ohnehin
Schon engen Raum nicht unnötig einzuengen,
Als der blonde Gast nicht wie die anderen

Mit der Faust in die dampfende Schüssel mit Brot


Und Käsesuppe griff, um sich seinen Anteil zu holen,
Sondern aus seinen Lumpen einen verzinkten Holzstab
Hervorzog, mit dem er die Häppchen fein säuberlich

Aufspießte. Und wie der Fremde vor allem


Mit seiner wohlklingenden, schmeckenden Stimme
Bescheiden und höchst verständlich, ja, ganz
In der Sprache des Bauern, die alten Beckers

Über ihre Herkunft, ihren Stand und ihre künftigen


Absichten belehrte, da zerstreuten sich allmählich
Die Bedenken der misstrauischen Häusler,
Und ihr harmloser Sinn merkte gar nicht,

Auf welch feine und schmeichelhafte Weise


Ihr Widerwille in seidenen Faden gesponnen wurde.
Aber wie der kleine Kerl zu erzählen wusste,
Wie sich unter seinen Worten dicke Wolkenschleier

Auftürmten, hinter denen die Küsten ferner Länder


Auftauchten, und Schlösser und Städte und Handel
Und Treiben der Welt. Wo war er überall gewesen,
In welche verschiedenen Geschäfte und Berufe

Hatte er seine sanften Kinderhände gelegt;


Und vor allem, wie lebhaft er das Geschehene
Und Gesehene zu formen wusste, um es gleich
Auf den Boden der Kammer zu zaubern,

Mal durch eine Bewegung, mal durch nachahmendes Spiel,


Das seine Zuhörer bereitwillig an sich zog.
Und mit einem kaum sichtbaren Lächeln trieb er
Die gewonnenen Seelen vor sich her. Nur der junge

Klaus Becker, der mit verkrampften Händen


Und keuchender Brust lauschend neben dem Stuhl
Des Fremden hing, als sei sein geistiger Lauf
Noch nicht schnell genug, ließ hier und da

Die Einwürfe kühler Vernunft durch seine leidenschaftliche


Bewunderung zittern, und dann kam ihm zwischen
All der bunten Maskerade der Einwand, warum
Der Neuankömmling zwei so verschiedene Sprachen sprach.

Denn der aufmerksame Scharfsinn des Jungen


Bemerkte sofort, dass die Art und Weise des Zierlichen
Anders klang, seit er sich an die alten Leute wandte.
Einfach, schlicht, bäuerlich, es fehlte all der vornehme

Und unverständliche Firlefanz, mit dem er früher


Seinen Fährmann im Kahn so bezaubert und geblendet hatte.
Und der junge Klaus ahnte mit Widerwillen,
Dass der gewaschene Mann offenbar bemüht war,

Einen gewichtigen Teil seines Wesens zu verbergen,


Als ob gerade das, was dem nach Wissen gequälten Jungen
So köstlich und begehrenswert erschien, Gefahr brächte.
Deshalb presste der Junge unwillig den Mund zusammen,
Und die Angaben des Fremden über seine bisherigen Tätigkeiten,
Die er nun auf Bitten der alten Frau machte,
Glitten unwichtig und unwahrscheinlich
An dem verstörten Mann vorbei. Nein, nein, er hatte

Bereits beschlossen, dass er in kurzer Zeit


Eine vertraute Stunde finden wollte, um den geschickten
Taschenspielertrick härter zu testen. Klaus wappnete sich
Also mit einer künstlichen Gleichgültigkeit, und doch,

Kaum hatte der strohblonde Mann in seiner mitreißenden


Lebhaftigkeit mit der Erzählung seiner Reisen begonnen,
Da schwirrte ihm auch schon der Jüngste der Zuhörer
In den Ohren, und siehe da, ganz gegen seinen Willen

Zog ihn die starke, fremde Strömung fort. Und doch


War es nur ein Zwischenfall, gewollt einfach und alltäglich.
Nichts für ungut, hörte der Sohn den alten Becker tasten,
Denn der Riese schämte sich, sein Wohlwollen

An Bedingungen zu knüpfen. Wie magst du heißen, Mann?


Der kleine Junge zupfte an seinem gelben Haar
Und lächelte unschuldig. Eine Erinnerung
An seine Kindheit schien ihn aufzurütteln.

Hein Wichmann, antwortete er und verbeugte sich leicht,


Unterdrückte es aber in der Bewegung. Meine Wiege
Hing in Hamburg zwischen zwei Lederriemen.
Da streichelte der junge Klaus unwillkürlich

Den Hocker seines Gastes. Er wusste selbst nicht, warum,


Aber der Name des kleinen Jungen machte Musik,
Wie das Flötenspiel auf einem Jahrmarkt. Hein,
Flüsterte er fast zärtlich. Die Mutter aber klopfte

Abwehrend mit der flachen Hand auf den Tisch.


Und dein Vater? fragte sie lauernd. Hein Wichmann
Schloss sein blaues Auge. Er war ganz wie ein braves,
Sanftes Kind, wie er jetzt ehrfürchtig vortrug:

Ich brauche Ihnen nichts zu verheimlichen. Mein Vater


War ein guter Sattler, und ich selbst hatte
In seiner Werkstatt am Mönkedamm schon
Mein Gesellenstück gemacht, einen Kutschbock

Für den Ratsherrn Tschokke, als der Rat mich


Mit anderen jungen Männern herausholte, damit wir
Als hanseatische Garnison drüben im dänischen Schonen
In der festen Burg Helsingborg untergebracht würden.

Dänemark, hauchte der alte Klaus leise vor sich hin


Und hob seine Nase duftend gegen die Fensterluke,
Hinter der sich die blaue Linie des Meeres hob und senkte.
Für ihn lag das benachbarte Ufer unermesslich weit

Entfernt hinter den schaukelnden Glashügeln.


Skane? Helsingborg, so weit? dachte er
Und schüttelte den Kopf. Sein Sohn hingegen
Fühlte sich wie vom Erdboden verschluckt.

Noch gestern waren die Abgesandten einer bunten,


Kaum verständlichen Gemeinschaft an ihm vorbeigezogen,
Die seidenen Fahnen ihrer Gewänder hatten ihn berührt,
Halb verstandene, aufregende Andeutungen waren

In sein gärendes Hirn gedrungen, jetzt wurde der Mann,


Der auf der Flut der Unwissenheit wütend
Hin und her geworfen worden war, gedrängt,
Sich an etwas festzuhalten. Wundersam bedrängt,

Umklammerte er den braunen Lockenkopf


Mit beiden Händen, und während er forschend
Vor sich hinstarrte, löste er sich von ihm
Wie die Hülle eines inneren Traums:

Dort herrscht eine Frau. Wer war es? Margarethe.


Der Ausruf klang wie die Sehnsucht eines Eingekerkerten,
Wie der Hilfeschrei eines Unfreien, der in einer Grube kauert
Und den Himmel um Licht anfleht, und sofort drehten sich

Auch die Köpfe der Seinen unheimlich berührt


Und mahnend zu dem in innerer Vision Verlorenen.
Was hatte das zu bedeuten? Woher hatte
Der ungelehrte Mann diese Nachricht?

Und konnte der Drang nach solch mächtigen Dingen


Dem Sohn einer Sassin nicht Segen bringen?
Denn das war alles, was für sie zählte.
Sie wollten ungestört leben! Auch das halb geschlossene

Schwarze Auge des Gastes hatte bei dem unerwarteten


Zwischenruf kurz gezuckt, aber dann bewegte er
Gleichgültig seine schmalen Schultern,
Und als ob nichts besonders Auffälliges

Geschehen wäre, fuhr er ruhig mit seiner bescheidenen


Schilderung fort. Ja, ja, Margarethe, nickte er
Und überlegte angestrengt. Ich meine, das ist der Name
Der Witwe. Sie hat ein zartes kleines Mädchen,

Für das sie sich um die Herrschaft kümmert. Sie mag es.
Was scheren wir Kleinen uns um die Plackerei der Großen?
Wenn wir nur pünktlich unseren Lohn bekommen
Und sonst in Ruhe unser Brot essen können.
Ja, stimmte Dörte zum ersten Mal zu, das ist richtig so.
Den alten Klaus hingegen zog es vom Allgemeinen
Zu etwas Näherem. Nun, hustete er angespannt,
Habt ihr Hanseaten euren Lohn pünktlich erhalten?

Habt ihr euer Brot in Ruhe gegessen?


Nun hob auch der junge Klaus den Kopf,
Und aus seinen schwarzen Augen flackerten
Ungestüme Flammen nach Abenteuer und Erfahrung.

Wie war's? stammelte er. Unruhig, laut, sagte der Kleine


Und faltete die Hände auf dem Tisch wie ein braves Kind,
Das eine Geschichte nacherzählt. Du kannst dir vorstellen,
Dass die Frau viele innere und äußere Widersacher hat.

Es ist schließlich ein Spinnrocken, und der Schnurrbart


Beugt sich ihm nicht gern. Ganz in der Nähe, so sagt man,
Streckt der Schwedenkönig Albrecht seine Finger
Nach dem saftigen Erbe aus und treibt

Seinen gefräßigen Spott über den Rock. In jeder Schenke


Hörte man, wie er kürzlich der Pfaffen-Hure,
So nennt er die Regentin, feierlich eine Schere
Und einen Fingerhut geschenkt hat, zusammen

Mit einem Wetzstein, damit sie ihre Nadeln schärfen kann.


Und drinnen schreien die Ladenbesitzer darüber,
Denn sie hat uns Hanseaten in Helsingborg,
Falsterbo und Ikanör verhaften lassen, weil wir Deutschen,

Heulen sie, ihnen den Markt wegnehmen.


So kommt es oft zu Krawallen, und bei einer solchen
Versammlung, siehst du, hat mir ein frecher Schwertfeger
Sein Zunftabzeichen auf die Stirn gemalt.

Da lachte der Strohblonde wie über einen gelungenen Streich,


Wickelte sein gelbes Haar spielerisch um den Finger
Und ließ seine wohlgeformten Beine fröhlich schwingen.
Und du? stammelte Klaus erwartungsvoll,

Denn seine anbetende Verehrung für den Fremden


Verlangte dringend nach Vergeltung und scharfer Bestrafung.
Was hast du getan? - Ich? Erst maß der Kleine
Die alten Beckers, in deren stumpfen Gesichtern

Sich der Abscheu vor bürgerlichem Unfrieden


Und söldnerischen Übergriffen stillschweigend abzeichnete,
Dann zuckte er ebenfalls unwillig mit den Schultern,
Um sogleich in seiner unschuldigen Art zu hauchen:

Um eine solche Ehrenschuld kümmere ich mich nicht.


Daran darfst du glauben. Gott bewahre,
Ich bin ein Bürgersohn, und ich hoffe nur,
Dass es dem kleinen Ritz des ehrenwerten Mannes gut geht.

Und damit er sich in diesem Punkt nicht noch tiefer


Verstrickte, begann er auf der rauen Tischplatte
Eifrig hin und her zu skizzieren, als müsse er
Das Folgende schriftlich festhalten. Aber wie es so ist,

Liebe Leute, es entstand ein wildes Getümmel


Unter den Dänen, und schließlich waren unsere Hauptleute
Gezwungen, um des Friedens willen einige
Ihrer Männer wegzuschicken. Unter ihnen

War wie durch ein Wunder auch ich, Hein Wichmann. -


Hein, wiederholte der junge Klaus, von Liebe ergriffen,
Und legte seinem Gast zärtlich die rechte Hand
Auf die Schulter. Ergriffen wandte der kleine Junge

Nun sein schmales Gesicht dem glühenden Jungen zu,


Seine beiden Augen öffneten sich weit und zogen
Die flatternde Seele des Ungeschützten förmlich an sich.
Das geschah blitzartig, schnell, wie ein einfallender Lichtstrahl.

Die alten Beckers bemerkten nichts


Von dem eingegangenen Band, denn alles,
Was sich ihren alltäglichen Augen offenbarte, war,
Wie der kleine Bursche emsig auf den Tisch klopfte,

Wie jemand, der schnell das Wichtigste zur Sprache


Bringen will. Da war eine Freibeuter-Kogge
Kurz vor Helsingborg, sagte er und versuchte,
Unauffällig vorbeizugleiten, und man hätte meinen können,

Dass jemand, der eine dünne Eisdecke unter sich


Brechen fühlt, eilig einen Sprung in Richtung Land macht.
Ein mächtiges Schiff, wollte er fortfahren, handelt dort.
Dorthin haben sie uns gebracht. Aber inmitten

Der fliehenden Sätze fand er sich festgehalten, ergriffen


Von sechs ängstlich zitternden Augen, die sich
Wie eine Kette über seinen Weg spannten. Gleichzeitig
Flüsterten heisere Stimmen in Angst und Schrecken

Und schrien durcheinander. Wo haben sie dich hingebracht,


Du Unglücklicher? - Gott! zu einem Wagen der Schuimer,
Der Schwarzen Fahnen oder wie sie sonst noch heißen,
Huschte der Kleine im Ton der Gleichgültigkeit weiter,

Obwohl seine Finger noch viel unruhiger


Auf der Tischplatte spielten. Sie werden überall geduldet,
Die Freunde des armen Mannes, weil sie eine Zuflucht
Für jeden sind, der in Not ist, und vor allem,

Weil sie für billiges Geld sonst unerschwingliche Dinge


Ins Land bringen. Gewürze und Stoffe, Bier und Rauch.
Sagt man das nicht? Außerdem, meine Freunde,
Wurde die See-Adler von einem mächtigen Mann

Aus dem Hause Schuimer kommandiert, der weit und breit


Großes Ansehen genoss. Kurzum, dieser Kapitän
Sollte uns Verwundete nach Hause führen,
Für Schiffsdienst und ohne Fährgeld. So hatte es

Frau Margarethe arrangiert, denn sie öffnet


Ihren Geldbeutel nicht sehr weit für Leute,
Die ihre Zeit abgesessen haben. Aber seht ihr,
Meine Lieben, auf der Heimfahrt unter den roten Segeln,

Mit dem leichten Verdienst und inmitten des freien Volkes,


Dem alles gehört und das überall seine Heimat hat,
Fing der Kapitän meine Kameraden ohne viel Mühe,
Einen nach dem anderen, sie wurden „Gottes Freund

Und der Welt Feind“, wie ihr Eid lautet, und nur ich...
Und nur du? lallte der junge Klaus aus seinem wachen,
Düsteren Traum und packte den Erzähler ungestüm
An der Brust, als wolle er ihn daran hindern,

Dem Schiff zu entkommen, das geisterhaft mitten


Durch die Stube raste. Der andere schüttelte ihn
Mit überraschender Kraft ab. Lass mich, wehrte er sich.
Mein Leben riecht nach Leder und Ahle. Ich sehne mich

Nach einem warmen Ofen und friedlichen Tagen.


Wo ich diese finde, da wohnt mein Heiland.
Darum, mein Kleiner, siehst du, bin ich eines Nachts
Über Bord gesprungen, gerade als die Schuimer

Hier dicht unter Wind lagen, denn sie lauerten


Auf das Schiff der dänischen Gesandten, darum bin ich
In Gottes und aller Heiligen Namen
Über Bord gesprungen, hab mich am Felsen festgehalten,

Bin in die Höhle geklettert, und von dort


Habt ihr mich herausgezogen. Ich danke euch
Und allen ehrlichen Menschen. Geschmeidig glitt er
Von dem viel zu hohen Stuhl herunter,

Und die schwankenden Schritte, mit denen er sich


Durch den engen Raum schlängelte, wurden allmählich
Zu einem lebhaften Tanz. Alle seine Sehnen
Zuckten und sprangen, sein langes gelbes Haar
Flatterte um die Schläfen, und dem verständnislosen Blick
Des Hausherrn schien es, als hüpften
Die ungleichfarbigen Augensterne des Fremden
In seinem blassen Gesicht mit. Jetzt, beschwichtigte er

Und streckte die Arme aus, so dass unter seinen Lumpen


Unerwartet ein paar raue, harte Muskeln
Zum Vorschein kamen, jetzt werde ich dir zeigen,
Wie man als Ruderer das Meer besiegt. Schau mal so,

Mit so langen Schlägen, wie man über eine schöne Wange streicht.
Und dann der Fisch. Ich kenne das Pfeifen einer Bacchantin.
Bei dem kleinen Liedchen strecken sie halb wahnsinnig
Ihre grünen Schnauzen aus dem Wasser.

Ach, lass mich nur machen. Plötzlich hielt Hein Wichmann


Auf seinem Weg inne, als ob er darüber nachdachte,
Dass er vor dem armen Sassen etwas Skurriles gesagt.
Aber die Beckers blieben wie erstarrt auf ihren Plätzen

Und grübelten wortlos darüber nach, wie man


In ihrer dunklen Stube eine so helle Heiterkeit
Entfesseln konnte. Und nur die Seele des alten Klaus
Zerrte und zerrte an dem Widerhaken, an dem sie sich

In dumpfer Nachgiebigkeit wand, denn von all


Den leckeren Ködern war ein Köder
Zwischen seinen Zähnen hervorgequollen,
Bis er ihn nicht mehr herunterwürgen konnte.

Halb murmelnd, in einer vagen, fernen Vorahnung,


Stieg es aus seiner trockenen Kehle, zu der er
Die Beine weit von sich gestreckt hielt,
Gleichsam zum Schutz gegen die erwartete Antwort.

Nichts für ungut, Wichmann, wie sagt man, ich meine nur,
Wie hieß der Kapitän, der dich gebracht hat?
Kaum war das gleichgültige Wort verklungen, da war es
Mit dem Hüpfen und Springen des Kleinen vorbei.

Ertappt ließ er sich in der Sonne auf dem Boden nieder,


Die unruhigen Augen huschten wieder
Von einem zum anderen, und die Stimme verfiel
Wieder in das harmlose Kinderflüstern,

Als er nach einigem Zögern antwortete:


Ich habe dir doch gesagt, dass es einen hübschen
Unter den Freibeutern gibt: Gödeke Michael! -
Gödeke Michael? wiederholten die drei

Und stiegen langsam in den nächtlichen Abgrund


Ihrer Erinnerung hinab. Eine Weile herrschte Stille,
Alle lauschten angespannt in den dunklen Schacht hinunter,
Um zu hören, ob der Laut nicht doch noch nach oben hallte,

Bis endlich etwas Gestaltloses, in Schrecken gekleidet,


Vor dem kranken Fischer auftauchte. Lass mich,
Ich habe es schon einmal gehört, Singsang, was war es?
Das Gesicht des Leidenden zeichnete sich noch gelber

Unter seinem verfilzten Bart ab, als er mühsam


Die einzelnen Fetzen zusammensammelte.
Schüchtern, heimlich summte er vor sich hin:
Gödeke Michael! Er befiehlt auf dem schwarzen Schiff.

Dann rauschte es wie von selbst aus dem Kleinen heraus,


Unbekümmert um das, was sonst noch kommen könnte:
Seine Brust ist eine Elle breit,
Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung.

Aber Mutter und Sohn steckten die Köpfe zusammen,


Sie hielten die Hände fest umschlungen,
Und ihr Atem stockte, als die anderen nun lauter anstimmten:
Und tragt ihr Armen an dem Leben schwer,

Gerechtigkeit und Freiheit wohnt auf dem Meer.


Dort richtet den Reichen an Leib und Seele
Gödeke Michael! Er ist unser nordischer Seeheld,
Ihn feiern alle armen Kinder der Küste!

Viele Tage leuchteten aus dem Meer


und versanken wieder in ihm, erloschen.
Die Jahreszeiten kamen mit Schneeschauern
und Sonnenwolken an die Küste, wie fremde Eroberer,

die sich dann tief im Lande verlieren,


und Hein Wichmann, der mädchenhafte Bursche,
das blondhaarige Mysterium,
war etwas Alltägliches geworden.

Ein Ruderer, der bereitwillig seinen Seedienst verrichtete


und von den Häuslern nicht geschont wurde.
Selbst der Landvogt, der sich bald
nach seiner Ankunft beharrlich nach dem Verbleib

des Fremden erkundigt hatte, erkannte,


dass dieses zierliche Geschöpf
für die Ruderbank geboren sein musste,
und er lobte insgeheim die geschmeidige Gewandtheit,

mit der der kleine Bursche ein Boot steuerte.


Ja, selbst der auffällige Drang des Fremden,
bei Tag und Nacht immer wieder
in die Wellen hinauszufahren,
wurde von seinen neuen Kameraden schließlich
als natürlicher Impuls eines Menschen angesehen,
der sich mit ganzer Seele
dem Handwerk verschrieben hat.

Erstaunlich war aber immer wieder


die unermüdliche Zähigkeit, die rastlose Frische,
die aus allen Gliedern des kleinen Mannes strömte,
dem nichts entging, der von jedem etwas wusste

und überall tätig zu sein trachtete.


Hein Wichmann verstand es, der Hausfrau
seltsame Einblicke in die Kochkunst
und in schmackhafte Gerichte zu geben,

von denen Dörtes ungebildete Seele


nicht nur noch nie ein Wort gehört hatte,
sondern deren harmlose Rauheit sie anfangs
für etwas fast Schädliches hielt.

Doch mit der Zeit wurden auf dem Herd


unter dem Kamin allerlei Experimente unternommen,
und während das Strohhälmchen
mit einem schelmischen Lächeln

die verschiedensten Kräuter und Wurzeln


in den großen Kessel warf, der süße Geruch
eines etwas milderen Lebensstils
wehte schon von weitem unter das Strohdach.

Man löffelte und schmatzte


und erfuhr zu nicht geringer Verwunderung,
welch köstliche Erfindungen in Padua,
in Wien oder auch in Paris die Köche

großer Herren aus Pilzen, aus Schalentieren


und getrocknetem Fischfleisch gemacht hatten.
Wunderbar! Hein Wichmann war viel herumgekommen.
Seine zweifarbigen Augen hatten auch

auf die kleinsten Dinge geachtet.


Dörte begann von ihm zu lernen.
Nur zum Spielen,
aber allmählich wurde es zur Sucht.

Auch der alte Klaus Becker hatte sich verändert,


seit der wirbelnde Kerl in seiner Nähe wohnte.
Bis jetzt war der Riese verfallen, still,
selbstverständlich und unaufhörlich,

wie der Wachturm einer verfallenen Festung,


von dessen Mauern Tag für Tag schwere Steine bröckeln.
Was nützte es, sich lautstark über die klägliche Schwäche
zu beklagen? Viel besser war es, die Fäuste zu ballen,

die Zähne zusammenzubeißen


und selbst Bruder Franziskus, der ab und zu versuchte,
den schmerzenden Rücken des Kranken
mit dem weißen Saft des Bilsenkrauts einzureiben,

einen trügerischen Trost vorzuspielen.


Doch der Mörtel riss weiter
und der Turm neigte sich immer weiter dem Fall entgegen.
Doch nun war alles anders. Gott mag wissen,
warum Hein Wichmann einen Blick

auf die medizinische Wissenschaft


seiner Zeit geworfen hatte.
Fragte man ihn danach, wedelte er
mit den feinen Händen und murmelte etwas

von den Meistern der "Physika und der Erztney",


was niemand in seinem Umfeld verstand.
Was jedoch nicht zu leugnen war,
war die Wirksamkeit jener Heilmittel,

die er mit seiner unberechenbaren lachenden


Überredungskunst auf den Kranken anwandte.
Die Dorfbewohner standen sprachlos
hinter dem ewig zappelnden Mann,

sobald er den überwundenen Riesen


halb entkleidet in den sonnenbeschienenen Dünensand legte,
wo er dann den mächtigen Körper
mit seinen zarten Kinderhänden einschmierte,

kreiselte und wärmte. Und siehe da,


für ein paar Stunden verschwanden
die schweren Erstickungsanfälle des alten Mannes,
und der Leidende konnte sich aufrichten,

um gierig die kühle Seeluft einzusaugen.


Doch als der Herbst seine dunklen Hagelschwärme
gegen die Hütte warf und der Hustenkrampf
die Lunge des Riesen zu erdrücken begann,

versuchte der Strohblonde sein Meisterstück.


Eines Mittags holte er zwei schwarze,
schneckenartige Würmer aus dem Wald.
Er hielt sie zwischen den geballten Fäusten

und sie mussten ihre Rüssel auf die nackte Brust


des widerstrebenden Hausherrn legen.
Langsam füllten sich die verängstigten Körper
mit dem fieberheißen Blut,

und vor den Augen der staunenden Verwandten


streckten sich die verkrampften Glieder des Vaters,
und ein befreiter Seufzer der Entspannung
klang durch die Hütte. Fast eine Woche lang

wurde der gefürchtete Anfall heraufbeschworen.


So wechselten sich Weiß und Grün
unter den Rändern des hohen Küstenwaldes ab,
die Tage zogen vorbei wie ein Rebhuhn,

einer nach dem anderen, und Hein Wichmann


erwischte jeden einzelnen, um ihm vor den Augen
der Hüttenbewohner seinen besonderen
Stempel aufzudrücken. Immer passierte etwas.

Die Zeit bildete für die einsamen Strandbewohner


nicht mehr eine formlose Masse, sondern
die Unruhe des neuen Ruderers trennte
die einzelnen Stunden scharf voneinander.

In diesen Monaten vollzog sich im jungen Klaus


ein unbegreifliches Wachstum.
Der schlanke Körper des Knaben
schoss sprunghaft in die Höhe,

bald überragte sein Kopf mit den braunen Locken


das kauernde Haupt des Vaters um eine Spannweite,
seine Haltung bekam etwas Straffes, ja Königliches,
sein Gang etwas Anmutiges und zugleich Herausforderndes,

und seine Augen konnten neben ihrem wilden


Flackern plötzlich einen schwärmerischen Glanz
verbergen, der über die Dinge dieser Welt
hinaus zu schweifen schien

und etwas von dem regungslosen Flug


eines träumenden Adlers an sich hatte.
Und der arme Sassensohn,
von unruhigen Geistern geplagt,

badete wirklich in den Weiten eines neuen Lichts.


Hein Wichmann! Hein Wichmann war ein Zauberer
für den wilden, durstigen Jungen,
der nur die schlanke Kinderhand zu erheben brauchte,

damit Sterne und Mond stillstanden


und die Weisheit Salomonis
aus allen Teilen der Welt herbei geweht wurde.
Wenn die beiden Turteltauben in dem plumpen Kahn
unter dem roten Segel schaukelten
oder wenn sie hoch oben an den Hängen
der Dünen im Sonnenuntergang lagen,
dann verschwand die lächerliche Maskierung

des vermeintlichen Ruderers wie von Zauberhand,


die Bauernsprache verschwand,
und ein anderer tauchte aus dem braunen Tuch auf.
Derselbe, der einst die goldene Kette trug,

derselbe, der mit seiner gehauchten Mädchenstimme


spöttische Gelehrsamkeit aus sich herausschleuderte
und für den es weder Bodenlosigkeit
noch schüchterne Ehrfurcht vor allem Geschaffenen gab.

In solchen Stunden der Verständigung


konnte man deutlich bemerken,
wie auch für den kleinen Kerl
jenes unbändige Ausgelaugtsein

ein unabdingbares Lebensbedürfnis bildete,


ja, dass er sich trotz seines wegwerfenden Lächelns
voller Eitelkeit und Stolz spiegelte,
sobald sich sein Schüler über ihn beugte

wie über einen tiefen Brunnen,


in den man ungestüm Eimer auf Eimer hinab lässt.
Dann sprudelte und sprudelte ein Trank
nach dem anderen heraus, klar und trübe,

unverdaulich und heilend, als ob alle Quellen


der Erde in diesen Brunnen flössen.
Mit dem nächsten fing es an. Klaus erfuhr,
in welchem Volk er lebte,

wie die Stände und Ämter aufgeteilt waren,


wo Ungerechtigkeit und Unterdrückung begannen
und worin sich sein Stamm von den anderen
großen Menschengemeinschaften unterschied.

Die Musik der französischen Sprache,


die Hein Wichmann perfekt beherrschte,
erklang vor dem verzauberten Jungen,
und er lernte auch die lateinische Lingua,

die Urmutter dieser Laute, bewundern,


und in verhaltener Begeisterung
blickte er hinab in das Sein und Tun
jener verschwundenen Generationen,

die mit diesen Lauten der alten Welt


ihre Gesetze vorschrieben.
Helden und Weise zogen vorbei,
Religionsstifter und Abtrünnige,

und ohne dass der Wissensdurst es ahnte,


wurden Menschen und Dinge
von dem bissig-scharfen Erzähler
auf das eine Ziel gelenkt, nämlich wie sie

der Befreiung und Erleichterung


der um Licht und Brot ringenden
Armen und Elenden gedient hätten.
Denn dieser kleine strohblonde Zwerg sah,

ohne jemals erregt zu werden,


und obwohl er selbst kein Vergnügen vermisste,
um sich herum seufzende Scharen von Sklaven,
viele Millionen gefesselte und gestriegelte Unfreie,

von denen er verkündete, dass sie niemals sterben würden.


Und sein feines Lachen klang wahrhaft durchdringend
und schrecklich, so oft er gegen alle Gewohnheit
die Heils- und Ordnungsbringer lobte, den Kaiser,

der doch den Frieden des Landes gebot,


den Papst, der doch den Verängstigten
die Vergebung der Sünden reichte,
ja, sogar den Heiland, der die helle Halle des Himmels öffnete,

zu den schlimmsten Vergewaltigern


und Unterdrückern der in Dummheit
blökenden Erde erklärte. Entrückt,
von aller Gegenwart hinweggefegt,

krallte sich Klaus dann in den mütterlichen Sandboden,


sein Atem rauschte, als müsse er Mauern niederreißen,
in seinen starren Augen flackerte
das niedergehaltene Glas von Blut,

Verbrennung und Gewalt,


und doch zitterten alle Glieder im Frost der Angst,
und das kalte Fieber des Zweifels
und der Unentschlossenheit stieß den Unreifen

doch immer wieder in die Schranken


von Sitte und Konvention zurück.
In solchen Momenten der Angst
und des glühenden Verlangens

packte er seinen Verführer oft an der Brust


und schüttelte den Kleinen, als wolle er ihm
das Herz aus dem Leib reißen, und rief:
Was bleibt uns noch? Hein, um aller Heiligen willen,

sag mir, was soll aus uns allen werden?


Denn der suchende Geist des Jungen
wollte einen Weg zwischen dem Gestern
und dem Morgen finden, eine Brücke,

die aus dem Sturm herausführt.


Aber Hein Wichmann, von diesem Ausbruch unberührt,
ließ sich in das weiche Dünenlager zurückgleiten,
lächelte mit seinen bartlosen Lippen

gegen das in den Himmel fliehende Abendrot an


und lispelte kaltblütig und grausam:
Wer kennt die Medizin für alle?
Aber für mich und dich, Bube,

ist das Beste ein seidener Pfühl,


ein schlüpfriges Frauenzimmer darauf,
und trinken und schwelgen bis zum siebenten Tag.
Dann richtete Klaus einen erlöschenden Blick

auf den sich genüsslich reckenden Kleinen,


warf den Kopf gegen das dunkle Meer
und saugte verzweifelt
an den ewig tränenden Strömungen.

Ekel, unerkanntes Mitleid


mit einer zu erlösenden Welt
und ein rasendes Verlangen, sich zu verausgaben,
kämpften in der sich dehnenden Seele.

Es kam eine Stunde, in der die Arroganz des Jungen


es nicht mehr ertragen konnte, von seinem Kameraden
in Unwissenheit und Täuschung gehalten zu werden.
Es war früh an einem taufrischen Herbstmorgen.

Die Sonne wälzte sich gerade aus ihren Schleiern


durch das dunkelblaue, zerklüftete Gewölbe.
Weit über dem Schlaf des Meeres
übten sich die schwarzen Streifen der Stare

bereits für den kommenden Aufbruch.


Und hoch oben, am hallenden Rand des Küstenwaldes,
ertönte die Axt. Dort fällte der junge Klaus
ein paar schlanke Eichenstämme,

denn sie sollten ihm als neue Ruderstangen dienen.


Doch mitten in der Arbeit schleuderte Klaus
die Axt auf den Waldboden, sprang auf,
und während er die Fäuste in die Spitzen stemmte,
forderte er dröhnend, ohne Übergang oder Einleitung:
Genug der Vorspiegelung.
Du bist kein Ruderer, Hein. Du bist keiner.
Woher nimmst du sonst diese Gelassenheit?

Und jetzt schnell und ohne Umschweife, wie ist es mit dir?
Einem anderen wäre es leicht gefallen,
bei diesem ungewöhnlichen Ton die Fassung zu verlieren.
Aber der kleine strohhaarige Mann,

der vor einer riesigen Buche faulenzte


und eifrig die Arbeit eines Spechtes verfolgte,
hüpfte herum wie ein wippender Fink,
tänzelte ohne jede Verlegenheit auf seinen Schüler zu

und gab ihm von unten einen leisen Klaps auf die Wange.
Kluges Näschen, flüsterte er zufrieden,
gut, gut, kleiner Junge, es wird Zeit,
dass du endlich aus deinen Eierschalen herauskommst.

Aber jetzt nimm deinen Hut ab, mein Freund,


denn du stehst kurz vor etwas Wunderbarem.
Weißt du, was eine Bacchantin ist?
Der Fischerjunge schreckte vor dem Glanz

dieses Titels zurück, und doch erinnerte er sich,


wie oft diese Lehrjungen und Handlanger der Wissenschaft
durch die Dörfer und Kleinstädte der Insel zogen,
hungernd und bettelnd, ja, dass sie an den Türen der Unfreien

für Geld und Brot sangen. Wissen war damals


noch verschworen mit dem Elend,
und mancher Knecht wollte nicht mit dem dürren Skelett
auf einer Lehrkanzel tauschen.

Dennoch sagte er mit Ehrfurcht: Bist du so einer? -


Mehr, mein Lieber, viel mehr.
Ich wollte erst die Raupe an dir vorbei kriechen lassen,
damit dich der Flug des Schmetterlings

in der Sonne nicht blendet.


Aber nun, mein Freund, erfreue dich,
ziehe deine Schuhe aus, wenn du es hörst,
denn ich bin als etwas Kostbares

und zugleich Zerbrechliches


in das Heiligtum der Menschheit gestellt worden.
Nimm dich zusammen, Holder,
und gerate nicht außer Kontrolle,

denn siehe, ich bin Magister,


Magister Hein Wichmann,
von den drei Universitäten Padua, Wien und Paris
mit einem gesiegelten Lehrbrief ausgestattet,

und Hosianna, ich verkaufe ihn dir


für ein Paar Wollstrümpfe,
denn meine Zehen gucken
jämmerlich durch die meinen.

Da zog Klaus erstaunt seine Mütze ab


und verbeugte sich vor dem kleinen Mann in Lumpen so tief,
wie er sich bisher nur vor dem Abt
des Klosters verbeugt hatte.

Verwirrte Phantasien und ein tanzender Himmel


schwebten über ihm.
Unter dem Stroh und den Schindeln der Sassen
hauste ein Liebhaber, ein Holdseliger.

In aller Barmherzigkeit führte er das Ruder, fing Fische


und ließ sich von den unwissenden Alten ausschimpfen.
Und doch gehörte der kleine Strohkopf zu den Auserwählten,
die, obwohl sie hungerten und froren

und sich von Arbeitern herumschubsen ließen,


so tief in das Sieben-Tage-Werk hineingeschaut hatten,
dass ihr belebendes Wort ferne Gräber öffnete
und nahe Kaiser erblassen ließ.

Fassungslos, hingerissen von Dankbarkeit und Ehrfurcht,


wollte der Junge auf das kleine Menschenkind zustürmen,
doch als sein schlanker Körper den anderen überragte,
machte sich plötzlich etwas von der Überlegenheit

des körperlich Stärkeren bemerkbar,


und statt der glühenden Zärtlichkeit,
die er eben noch zu spenden gedachte,
begann Klaus eher misstrauisch,

sich nach den Verhältnissen des Kleinen zu erkundigen.


Warum hatte ein Magister keinen Platz
unter seinen Kameraden, was trieb ihn fort
und warum arbeitete er schon so lange

für arme, einsame Menschen?


Das war es, was er herausfinden musste,
daran klammerte er sich.
Hein Wichmann hockte zusammengekauert

auf dem gefällten Eichenstamm,


lächelte spöttisch und anerkennend
in das Gesicht seines aufgeregten Schülers
und wickelte ruhig sein gelbes Haar um den Finger.
Endlich hauchte er wie immer wohltuend und doch kalt:
Überanstrenge dich nicht, kleiner Junge.
Der Mensch ist ein Trank, von dem man nicht mehr
als fünf oder sechs Tropfen genießen sollte.

Mehr ist schädlich. Aber da du die Narbe


über meiner Stirn so genau beobachtest,
erfährst du vielleicht, wo diese rote Fahne
zum ersten Mal für mich gehisst wurde.

Er trat zur Seite. Komm, setz dich neben mich,


und dann lerne von mir das Beispiel,
dass es schwach und töricht ist, wenn der Mensch
Sehnsucht nach etwas zeigt,

was der verschlingende Chronos längst verschlungen hat.


Klaus fühlte sich von einem festen Griff hinuntergezogen,
dann schlang er stürmisch die Arme
um den lächelnden Kleinen

und lauschte, als ginge es um sein Leben.


Der Erzähler erzählte nicht, wohin er gegangen war,
warum er die gelehrten Schulen verlassen hatte,
er glitt darüber hinweg.

Nur an einer Stelle hielt er inne und verfärbte sich.


Mitten in einer wahnwitzigen, klirrenden Raserei
muss ihn plötzlich eine Sehnsucht, ein Heimweh,
etwas Unbegreifliches gepackt haben,

nach den Bücherstühlen, nach den rauchenden Öllampen,


die in kalten Kammern über alten Heften dämmerten,
nach den schlurfenden, zechenden und studierenden
Bacchanten, nach den Disputen streitender Dozenten

und nach den dunklen Gewölbesälen,


in denen die Weisheit
aus löchrigen und abgewetzten Professorenfellen
auf hungrige Zuhörer niederprasselte.

Ein Affentheater, urteilte Hein Wichmann grimmig.


Aus seinen vorsichtigen Andeutungen ging auch hervor,
dass sich der ehemalige Magister erst einmal heimlich
einem widerstrebenden und spöttischen Kreis entziehen musste,

bevor er seinen dringenden Plan


zur Tat reifen lassen konnte.
Aus welcher Stadt er geflohen war,
unter welchen Umständen auch immer,

das verwarf der Strohblonde


mit einer abschätzigen Handbewegung.
Genug, eines Tages tauchte er
unerwartet in Stralsund auf.

Und dort? drängte Klaus und rückte immer näher


an seinen Freund heran.
Dort war ein Schwarm von Bacchanten versammelt.
Sie hockten zusammen in einer Bodenkammer

über einer Sattlerei, und für den Preis


eines ordentlichen Vortrags stahlen
und erbettelten die Jungen für ihren Magister,
was sie unbemerkt hinaufschleppen konnten.

Und so ging es eine Weile, auch ohne den Verkauf


der goldenen Kette, die der kleine Junge
aus nicht näher zu erläuternden Gründen
gar nicht gerne ans Tageslicht brachte.

Und die Bande hatte sich schon entschlossen,


gemeinsam nach Halle zu gehen,
wo der berühmte Doktor Pelicanus
die Grammatik lesen sollte, als...

Ja, Bube, lächelte Hein Wichmann herablassend


und hielt seine gespreizten Finger
in das nicht mehr wärmende Sonnenlicht,
aber dann, liebe Unschuld, dann kam der Winter.

War dir schon mal kalt, Klaus? -


Ich glaube schon, antwortete der Junge
mit großen, verständnislosen Augen.
Der kleine Junge nickte.

Ja, sagte er verächtlich, wenn der Nordwind


einem von deiner Sorte ein wenig
die scharfen Nägel in den Körper ritzt.
Aber was es bedeutet, wenn dir die Zunge

hinter den Zähnen gefriert,


oder sobald du halbtot in der Ecke
deines Fußbodens kauerst,
wo deine Gedanken allmählich

in deinen klappernden Knochen erstarren,


davon wusste der Sohn deiner Mutter nichts.
Nicht wahr? Ich sage dir, da führt man
allerlei verrückte Tänze auf,

ja, man vergisst sich sogar so weit,


dass man betet,
dass man um ein einziges Stückchen Holz
für den leeren Ofen winselt.

Siehe, so war es bei mir auch.


Meine Hütte lag direkt gegenüber der Marienkirche,
und durch die Klappen meines Fensters
konnte ich den heiligen Johannes

auf seinem Sockel stehen sehen.


In seinem weiß-blauen Gewand war ihm nicht kalt,
und er musste auch nicht von einem Fuß
auf den anderen hüpfen.

Da rief ich ihm zu, er solle ein Wunder tun;


als er aber edel zerknirscht gegen mich blieb
und sich nicht rührte, siehe, da packte mich der Zorn,
denn ich schämte mich des hölzernen Heiligen,

und ich beschloss, den Apostel zu zwingen,


seine Pflicht zu tun. Eines Nachts,
als weiße Strümpfe durch die Straßen schneiten,
schlich ich hinüber, und eine Stunde später,

ach, da hatte sich der heilige Johannes


schon meines Ofens erbarmt,
und himmlische Glut umhüllte meine Glieder.
Der Heilige hatte ein warmes Herz für mich.

Du, du hast mit ihm gefeuert? stammelte Klaus.


Ein Schauder wollte ihn überkommen,
und in einer verschämten Bewegung
strich er sich über die Stirn.

Und doch packte den jungen Mann


eine nicht eingestandene Lust,
alles Konventionelle aufzubrechen,
und die heimliche Rebellion,

die immer von dem Strohmann ausging,


zwang ihn immer widerstandsloser
in die Gefolgschaft dieses provokanten Lehrers.
Deshalb ärgerte er sich auch nicht mehr

über den Unglücklichen, sondern zeigte nur noch


stumm und stur auf die Narbe des anderen.
Verstehe, erinnerte sich Hein Wichmann bereitwillig,
du hast recht. Das da oben hat den Schlussstrich

unter meinen Rückfall in die Frömmigkeit gezogen.


Mein Wirt, der Sattler, hat das Feuer gerochen,
er war nicht damit einverstanden,
dass St. Johannes bei mir wohnt,
und so sind nicht nur seine Gesellen und Nachbarn
mit Knüppeln und Hellebarden gegen mich vorgegangen,
sondern auch die Stadtwache meinte,
einen seltenen Vogel in mir zu haben.

Oh Zeus! der Kleine wiegte sein feines Köpfchen


verträumt auf seinem Eichenstamm,
es wurde ein wunderbarer Handel
zwischen den Rittern des heiligen Johannes

und meinen Jungen. Aber was nützte


die schönste lateinische Strategie?
Pah Teufel, schließlich musste ich
aus dem Fenster springen, ekelhaft,

aus dem Hinterfenster, in einen Müllhaufen.


Mit meiner goldenen Kette
und dem schlanken Messer bewaffnet,
stand ich stundenlang im Müll.

Lerne daraus, wie all die Pracht und Würde der Erde
in der Stunde der Not zu Gestank und Kot herabsinkt.
Wobei nicht jedem ein reinigendes Bad zuteil wird wie mir,
der ich nachts rittlings auf einem Balken

durch den engen Sund schwamm.


Was dann geschah, wollte der kleine Junge ruhig schließen
und strich sich über die durchlöcherten Schuhe,
doch plötzlich legte er vor lauter Spannung

die Hand über die Augen, denn tief unter ihnen,


am nahen Strand, leuchtete etwas Weißes
gegen die Sonne und das Meer.
Was dann geschah, fuhr der Kleine hastig fort,

weißt du, und siehe, zum Dank zeige ich dir nun
die einzige vernünftige Gabe Gottes,
die edelste und doch nie sättigende Speise,
nicht bloß für den Gaumen der Reichen aufgespart,

kurz, ich zeige deinen dummen Augen


die schäumende, hüpfende Aphrodite!
Er warf seine zitternde Hand weit nach vorn,
und um seinen glatten Mund spielte

der hemmungsloseste Zug von Lust


und unerbittlicher Sinnlichkeit. Katzengleich,
leise kichernd, glitt er an den freien Rand des Abhangs.
Doch ein rascher Griff des Jungen warf ihn unsanft zurück.

Totenbleich, taumelnd, bis ins Innerste


seiner ohnehin schon zerrütteten Seele aufgewühlt,
schwankte der hochgewachsene Junge
vor dem erstaunten Mann auf und ab.

Was er vor sich selbst abwehren wollte,


wusste der Halbwüchsige nicht, aber seine Scham,
die schon von Stürmen geplagt war,
tobte noch einmal in Wut und Entsetzen

gegen das Geheimnis, das zu lüften


ihm bisher der Mut gefehlt hatte.
Du sollst nicht, schrie er wie besessen
und grub seine Augen angestrengt

in das Laub des Waldbodens,


das ist Anna Eberhard, die… -
Narr, erwiderte Hein Wichmann scharf
und schüttelte seine Faust.

Der Name fällt mit dem Gewand.


Geh zum Spinnrocken deiner Mutter!
Da vergaß Klaus, dass er hier, trotz allem,
mit dem Wohltäter rang, der ihn aus der Nacht

in den Tag geführt hatte, besinnungslos,


Funken vor den Augen, hob er die Faust,
um dann zu erstarren wie eine statische Säule
der Ratlosigkeit. Ein freches, spöttisches Lachen

schlug ihm entgegen, lähmte seinen Arm


und grub ihn wie einen Pfahl in den Boden.
Schon erkannte der gebändigte Mann,
welch furchterregende Kräfte im Körper

dieses bartlosen Kindes verborgen fluteten.


Stöhnend, geschüttelt von einem hemmungslosen Schluchzen,
das die Lust des Kleinen nur noch steigerte,
und selbst unter den Peitschenhieben

eines unsichtbaren Peinigers musste


der Fischersohn zusehen, wie der Strohblonde,
auf dem Bauch liegend, alle Wonnen des Lichts verschlang,
und Ekel und tiefer Schmerz

über die verlorene Reinheit entluden sich


in Klaus in einer wilden Tränenflut.
Unbewusst weinte er
über die in Sünde lachende Menschheit.

Frommes Schaf, spottete Hein Wichmann


über seine Schulter zurück.
Wir wollen dir ein Glöckchen um den Hals hängen.
Aber Klaus Becker hielt sich an Gott.
FÜNFTES ABENTEUER

Eine kalte, windige Nacht senkte sich


über den ländlichen Flecken Bergen.
In dem armseligen Dorf,
das sich auf der höchsten Erhebung der Insel,

zwei oder drei Stunden Fußmarsch vom Sassensitz entfernt,


zusammenkauerte, war ein Jahrmarkt abgehalten worden.
Außerdem waren Gaukler vom Hof des Herzogs von Wolgast
zurückgekommen, auf der Rückseite des Ringelplatzes,

Pferdehändler hatten die Gelegenheit genutzt,


ihr Vieh zum Verkauf anzubinden,
und die herbeigeeilten Fischer und Bauern
ließen sich die seltene Gelegenheit

zum Spielen und Feiern nicht entgehen.


Auch jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit,
trieb das grölende und trunkene Volk sein Unwesen,
und das Heulen des Sturms ließ

die Posaunen, Flöten und Trommeln


der fahrenden Musikanten und Gaukler
noch lauter und ohrenbetäubender schrillen als zuvor,
denn diese leichten Vögel marschierten tanzend und hüpfend

an der Spitze einer Meute, die sich enthusiastisch


und freudig auf den Höhepunkt aller Vergnügungen
vorbereitete, das Rauchspiel.
Zum Glück war ein halbnackter Bettler

dabei erwischt worden, wie er ein Huhn


unter seinen Lumpen verschwinden lassen wollte,
und nun wurde der Unglückliche,
der mühsam auf seiner Krücke und einem Holzbein humpelte,

mit Stangen- und Stockhieben


hinter dem Schütting her gejagt.
Als sie diese ehemalige Räucherkammer erreichten,
zündeten junge Burschen, denen das Amt

wohl als Auszeichnung zugedacht war,


das auf den Ziegeln der Hütte aufgetürmte Laub an;
der Hühnerdieb wurde an einem Querbalken
bis zum Dach der Stube hochgezogen,

und nun knisterten die brennenden Zweige,


dicker Rauch stieg an den Wänden empor,
und es war ein Spaß, das Opfer niesen und husten
und mit allerlei Verrenkungen

gegen das Ersticken ankämpfen zu sehen.


Sieh mal, Fieke, sagte ein junger Bauer zu seiner Braut,
die andächtig zu ihm aufblickte, die Schlampe
hat ein Loch im Strumpf.

Ich will sie ein wenig an den Zehen kitzeln.


Der Widerschein des Feuers
fiel in langen, blutigen Schlieren
durch die Ritzen der Hütte auf die Straße.

An der fensterlosen Kalksteinwand des Nachbarhauses


lehnten zwei Gestalten in unbekümmertem Schweigen.
Ihre braune Fischertracht und die groben Stoffmützen
hoben sie überhaupt nicht von der drängenden Menge ab.

Nur wer sie genauer betrachtete, konnte


trotz der Dunkelheit in ihren blassen Gesichtern ablesen,
wie wenig sie sich von der allgemeinen
Ausgelassenheit anstecken ließen.

Der kleinere lächelte spöttisch über die rohe Aufregung,


und als die Schreie des Geräucherten lauter wurden,
zuckte sein schlanker Begleiter vor Unmut
oder Mitleid zusammen und konnte nur

durch den festen Griff des anderen davon abgehalten werden,


in der Nacht zu verschwinden.
Um sie herum herrschte Zank, Gelächter und Aufruhr.
Der Gott der deutschen Lust

schenkte seinen Getreuen neue Freude.


Unter der Linde, die vor der Räucherkammer
ihre nackten Äste im Wind knarren und ächzen ließ,
schimpfte der örtliche Bademeister wütend

auf einen tabulosen Hausierer,


weil dieser ihn angeblich
mit einem stumpfen Schermesser betrogen hatte.
Die jubelnde Menschenmenge

stieß die beiden Kontrahenten gegeneinander,


provozierte sie zu immer heftigeren Übergriffen
und fiel schließlich über den örtlichen Krämer her,
um ihn zur Sühne für sein Vergehen

zur beliebten Rasur zu zwingen.


Auf einem Ast der Linde hockend
und von zahllosen Fäusten niedergehalten,
musste sich der Verurteilte gefallen lassen,
von dem gereizten Bartschänder
nach den strengen Regeln der Zunft
bei Fackelschein eingeseift zu werden.
Doch statt Seife wurde ihm Dreck ins Gesicht geschmiert,

und als Messer diente eine krumme Sichel,


die mit Kratzen und Lärm ihre Arbeit verrichtete.
Donnernder Beifall übertönte das Stöhnen
des geschundenen Mannes, und die Nacht

verschlang den tanzenden Wirbel,


der sich um die Linde herumtrieb.
Komm, zitterte Klaus und riss sich gewaltsam los,
wir wollen nach Hause.

Schürzenjäger, spottete der andere


und lehnte sich weiter schweigend an die kahle Wand,
magst du es nicht mit deinen eigenen Leuten?
Der Junge runzelte die Stirn, wie er es immer tat,

sobald sich ein anderer seinem Willen widersetzte,


doch dann kratzte er mürrisch an der Wand.
Warum quälen sie sich? warf er verstört ein.

Warum halten sie keine Harmonie untereinander,


wo sie doch alle arme Diebe sind? -
Warum? Ein beißendes Kichern antwortete
auf diesen Notruf eines grübelnden Gewissens,

und während der Kleine pfiff


und seine Hände in seinen Ledergürtel schlüpften,
schien er sich innerlich
über die Not seines Schülers zu freuen.

Du rennst zu oft zu den Priestern,


gab er ihm schließlich nach.
Weißt du nicht, dass Priester und Fürsten
nur so lange auf dem Buckel dieses Haufens reiten können,

wie er roh und ungelehrt bleibt?


Wenn der abgetriebene Gaul schreiben
und lesen könnte wie du, würde er leicht
ausschlagen und schrecklich werden.

Was würde er dann tun, Hein?


flüsterte der junge Mensch unruhig.
Vor ihm ertönte ein Schuss aus der Erde.
Neblige Gebilde erhoben sich plötzlich

aus dem kiesigen Boden der Landstraße


vor dem fröstelnden Mann.
Heil und Segen, die der fiebrige Junge
in seinen Träumen trug, nicht für sich selbst,

sondern für künftige Generationen,


zogen in wirren Gestalten lobend und betend
über ein grünes Feld an ihm vorbei.
Er sah Räuchergefäße, Baldachine,

mit Brot, Getreide und Wein beladene Wagen.


Doch an der Spitze der Prozession
sah er einen hochgewachsenen Mann,
geschmückt mit allen Zeichen des Glücks,

königlich gekleidet in Gold und Purpur, er selbst.


Bei der Linde wüteten die dunklen Schatten
immer heftiger, der halb ohnmächtige Bettler
wurde gerade aus dem Schütting ins Freie getragen,

um sich auszuruhen, aber Klaus Becker


durchbohrte die taumelnde Menge mit seinem Blick
und schritt geisterhaft durch sie hindurch in die Ferne.
Was würde der befreite Haufen tun? murmelte er erneut.

Hein Wichmann hatte seinen Schützling


mit durchdringendem Verständnis
und doch fast mit Belustigung versinken sehen;
jetzt rüttelte er ihn grob an der Schulter,

denn der Genuss-Sinn des Kleinen verachtete nichts so sehr


wie das Vergessen von Zeit und Gegenwart.
Was weiß ich? stöhnte er spitz zwischen den Zähnen.
Vielleicht kämen deine tapferen Landsleute,

wenn sie geweckt würden, auf die Idee,


einmal das weiche Fell von Gräfinnen und Herzoginnen
zu streicheln statt das von Schweinen und Kühen.
Oder sie würden darauf bestehen, das herrschaftliche Land

nach einer neuen Ordnung zu vermessen;


aber am Ende würden sie sich auch damit zufrieden geben,
den roten Hahn fliegen zu lassen. Was wollt ihr?
Es ist ein schnelles und lebhaftes Tier.

Halt ein, nicht so, stammelte Klaus,


stürzte von seinem hohen Himmel herab
und warf entsetzt beide Hände nach vorn.
Ohne Übergang entdeckte der Fischersohn

plötzlich wieder die trunkenen Bauern um sich,


und eine unnennbare Sehnsucht erfasste ihn
nach der Einsamkeit des Meeres,
nach der Mutter und nach seinen schönen,
schimmernden Gedanken.
Komm, rief er inbrünstig, lass uns gehen.
Aber der Magister ärgerte sich
über die edle Zurückgezogenheit seines Schülers.

Sie versetzte seiner Eigenliebe einen kräftigen Stich,


denn die unverdorbene Natur des Jüngeren
weigerte sich noch immer standhaft,
jenes frivole Lotterleben anzubeten,

das der Kleine ohne Scham und Reue


als einzigen Trost, als einzige lindernde Salbe
einer sinnlos in die Welt geschleuderten
und sich nun in Knechtschaft und Zwang

verzehrenden Menschheit anerkannt hatte.


Wie kam der Junge dazu, nach etwas Besserem zu streben
als nach Prasserei, Völlerei und Rausch?
So viel Anmaßung bei einem Minderjährigen

war nicht zu dulden.


Mit beiden Händen umklammerte der Strohhaarige
den Arm des Unentschlossenen und zog ihn mit sich.
Wo willst du hin, Hein? - Ins Himmelreich, Bube. -

Hein, ich traue dir nicht.


Er wollte sich losreißen.
Aber den Kleinen überkam die Wut,
wütend krallte er sich an den anderen

und schrie mit einer Stimme,


die nichts mehr von Mädchenhaftigkeit in sich hatte:
Pah Teufel, zieh ein Mädchenhemd an.
Wer wird dir deine Beinkleider noch abnehmen?

Schande und Schmach! Glaubst du, die Welt


braucht Männer, die aus einem Rosentopf herauswachsen?
Da hatte er den leicht Beleidigten, den Ehrsüchtigen so weit,
wie er wollte. Als hätte eine Peitsche

in seinem Rücken geknallt, bäumte sich Klaus auf.


Von Vernunft war nichts mehr in ihm übrig.
In diesem Moment wäre er über die Leiche
seines Vaters hinweg gesprungen,

nur um die brennende Schelte zu widerlegen.


Aber noch mehr peinigte den atemlosen Mann
die Angst und das Entsetzen,
etwas Wertvolles zu verlieren.

Was kann das sein? durchströmte es ihn noch,


als Hein Wichmann ihn hinter sich
um die Ecke der kahlen Wand zog.
Er wusste es ganz genau und doch wehrte er sich

entsetzt gegen seine eigene Erkenntnis.


Der Wind heulte den beiden Zapfhähnen entgegen,
zwei bissige Hunde kläfften aus ihrer nahen Hütte,
und ein langer gelber Lichtstreifen wies

die späten Gäste auf eine erleuchtete Kammer hin.


Das ist ein guter Platz, entschied Hein gebieterisch.
Dann klopfte er ein paar Mal heftig auf die Bretter der Holztür.
Mach auf, Mann! Da sind edle Menschen. -

Ei, rief eine helle Stimme,


als die beiden Ankömmlinge eintraten.
Eine blaue Wolke aus Dampf rollte auf sie zu.
An der Rückseite des beschlagenen Ziegelherdes

tanzten bereits unruhige Flammen für die Nacht,


und in ihrem hüpfenden, flackernden Licht
erhob sich in der Mitte des Bodens,
wo sie bisher gelegen hatten,

eine junge Dirne auf Brusthöhe,


stützte sich auf die Ellbogen
und ließ ihre neugierigen grün-blauen Augen
auf den beiden Männern ruhen, um sie zu mustern.

Doch schon bald musste sie allein


von der unberührten Schönheit
des großen, schlanken Burschen,
von seiner deutlich spürbaren Schüchternheit

und Unruhe gefangen genommen worden sein,


denn sie ließ eine gelbe Katze,
mit der sie bis dahin ein gemütliches Geplänkel,
offenbar zur Belustigung der Gäste, betrieben hatte,

von ihrem Schoß herabspringen,


setzte sich auf die Diele und wiederholte
noch einmal mit allen Anzeichen von Zufriedenheit:
Ei. - Becki, mahnte eine raue Frauenstimme,

deren hünenhafte, kräftige Besitzerin


neben dem Herd hockte, wo sie unablässig
eine hölzerne Kelle im kupfernen Kessel
hin und her bewegte, wie oft muss ich dir noch sagen,

dass du nicht herumliegen und faulenzen sollst,


wenn gute Herren kommen? Bei Gott,
ich werde dir den Hintern versohlen. -
Halt dein Maul, widersprach das Mädchen,

völlig ungerührt, und streckte der Wirtin


sogar die Zunge heraus.
Hat der Stadtschreiber nicht erst neulich zu dir gesagt,
dass der Rat mich nicht vermissen will?

Wer bist du denn ohne mich, du böse Hexe? -


Nun, mein Püppchen, schluckte die Hexe am Herd
und schlug mit der linken Hand auf ihre massive Brust,
als müsse sie dort ihre saure Wut einmauern,

zumal ihre anderen Gäste,


die unter einer tiefen Einbuchtung in der Wand saßen,
bereits aufmerksam wurden.
Ich freue mich, dass der Rat dir so wohlgesonnen ist.

Aber du musst auch gut auf dich aufpassen,


damit es lange anhält. Und nun, mein Engel,
stehe auf und frage, was den Herren willkommen ist?
Ein Krug Met? Oder Apfelwein? Oder eine heiße Suppe?

Oder etwas anderes? Es soll an nichts fehlen.


Damit blinzelte Frau Hedda, die Wirtin,
mit ihren blau umrandeten Augen,
die gerade hinter ihrem schmutzigen Kopftuch hervorlugten,

in eine kleine Seitenkammer,


in der Klaus nichts als ein zerknittertes Lager
von Strohsäcken wahrnahm.
Eine schummrige Öllampe baumelte

in einem halb zerbrochenen Scherben von der Decke herab,


und ganz im Gegensatz zu all der Kargheit
war über das Fußende des Bettgestells
ein rotes Seidentuch mit eingewebten Goldfiguren

geworfen worden. Ein sichtbares Zeichen dafür,


wie dankbar ein Seemann von hier abgereist war.
Steh auf, mein Täubchen, ermunterte die Wirtin wieder
mit ihrer rauen Stimme, denn die stille Verzauberung

der am Boden gefesselten langhaarigen Becki


schien ihr zu viel Ehre
für zwei ärmlich gekleidete Fischer.
Was konnten solche Netzmacher anderes bei sich tragen

als ein paar armselige Pfennige in ihren Ledertaschen?


Wie sehr war die Mutter des Hauses erstaunt,
als der kleine strohblonde Ankömmling
sich mit einer Geste, die zwischen Frechheit
und Herablassung schwankte,
als seien Haus und Kammer,
die Frauen und die Tante sein unbestrittenes Eigentum,
auf die liegende Dirne warf,

um sie vertrauensvoll zu umarmen


und der überraschten Frau einen Kuss
auf den nackten Busen zu drücken.
Wonneweib, rief Hein Wichmann schallend

durch den gedämpften Raum, Wonneweib!


Die Gäste unter dem Mauervorsprung brummten
und klopften mit ihren Zinnbechern
applaudierend auf den Tisch.

Die Dirne aber schlug lässig auf die tastende Hand


des Unverschämten, obwohl der Rausch
so wenig von ihr gewichen war,
dass sie immer noch wortlos auf dem Estrich kniete.

Doch als sie ihr Haar zurückschob,


saugten sich ihre glitzernden Augen
prompt und hungrig an das blasse Antlitz
des erstarrten Burschen.

Gerade seine kindlich verstörten Züge


schienen ihr Mitleid zu erwecken,
denn die bemalten Lippen der Becki bewegten sich,
als wolle sie dem fremden Besucher Trost spenden.

Schönes kleines Mädchen, murmelte sie unhörbar.


Dann legte der Magister seinen Arm
um den Hals des Mädchens,
zwinkerte seiner Begleiterin auf eine Weise zu,

die sie verstehen konnte,


und flüsterte dem Mädchen,
das nun zur Aufmerksamkeit gezwungen war,
etwas ins Ohr. Das muss für sie sanft

und verlockend geklungen haben,


lachend sprang sie auf, schob sich
mit verstohlen schwankendem Gang zur Schwelle,
wo sie dann plötzlich und unerwartet

die Hand des unentschlossenen Gastes ergriff.


Kräftige, pulsierende Schläge hämmerten
aus der weichen, runden Frauenhand
in die erschrockenen Glieder des Knaben,

und doch, so unbändig tobte der letzte Kampf


in dem zur Niederlage Bestimmten,
dass Klaus selbst in diesem Augenblick
jähzornig die Faust hob und schwankte,

ob er die wohltuende und doch so quälende


Zärtlichkeit nicht mit einem Schlag
in das rotwangige Gesicht vergelten sollte.
Tatsächlich spannte er bereits den Arm an.

Doch die Becki schob sich noch näher an ihn heran,


ließ ihre blaugrünen Augen von unten
über ihn schweifen und sprach behaglich:
Komm, du Schöner!

Da stand er ganz still und lauschte


in schmerzhaftem Erstaunen
solchen nie zuvor gehörten Klängen.
Und während die Becki seine Bewegungslosigkeit nutzte,

um ihm schmeichelnd über die flaumige Wange zu streicheln,


bis sie schließlich sogar versuchte,
ihren Arm um seinen Hals zu schmiegen,
glaubte der Verwandelte deutlich eine Strömung zu spüren,

die sein früheres Bild und seine lichte Vergangenheit


mit sich forttrug. Der Fischersohn verfolgte
das Treiben seines verlorenen Wesens
mit einem düsteren, verzweifelten Blick.

Ja, er hätte sogar unter dem spöttischen Kichern


des am Boden hockenden Magisters
laut vor Trauer aufheulen mögen.
Aber die Strömung ließ ihn nicht auftauchen.

Plötzlich spürte er scharfe Zähne an seinem Ohr.


Auf ein ungeduldiges Winken des strohhaarigen Mannes hin
war die Dirne geschickt an dem Fischer hochgesprungen,
nun trug er die vollen Glieder der Frau

rittlings auf seinen Armen,


und rechts und links trafen ihn
die schnellen schmerzhaften Bisse.
Sie verzehrten den letzten Rest seines Widerstandes.

Ein wilder, unnatürlicher Schrei der Entfesselung


entrang sich der Kehle des Jungen.
Selbst Hein Wichmann hörte erstaunt zu,
als dieses schrille, grausame Signal

von etwas Neuem und bisher Unerhörtem


aus der Brust seines Schülers brach.
Gleich darauf aber schüttelte der Kleine
den leise aufkeimenden Zweifel, wie er es immer tat,
leichtherzig ab, und sein heller Tonfall
überschattete sogar das wilde Toben der anderen,
als er nun vor Erregung mit den Füßen
auf den Boden trommelte,

weil er den mit Glut bedeckten Klaus


seine Last zum Tisch schleppen sah.
Dort warf er das Mädchen, deren Arme
sich nicht von seinem Hals lösen wollten,

mit einem Krachen auf die Platte.


Krüge und Becher spritzten umher!
Doch die Becki lehnte schnell ihre Wange
an die ihres Ritters,

gab ihm einen verliebten Nasenstupser


und flüsterte aufgeregt,
aber ungehört von den anderen:
Nicht jetzt, Lieber. Aber bleib hier.

Ich werde dir etwas zeigen.


Damit sprang sie vom Tisch herunter.
Es war ein Bild von der Art, wie es die nordischen Maler
später aus einem dunklen Hintergrund

heraus leuchten lassen würden,


sobald die rohe, überschwängliche Lust des Daseins
aus ihren kühnen Pinseln floss.
Aber damals strahlte ein strenger, heiliger Himmel

über der Kunst, und auch in der Wirklichkeit


waren solche Ereignisse noch heimlich
in den dunklen Winkeln
böser Schlupfwinkel verborgen.

In der Zwischenzeit hatte der Magister


den Weg in die Höhe gefunden.
Nun riss er sich die Mütze vom Kopf,
so dass die langen gelben Haarsträhnen

wirr auf seine Schulter fielen,


und schleuderte die Kopfbedeckung in die Luft.
Lass uns das Hochzeitspaar in Wein segnen,
zwitscherte er mit seinem großen Spatzengezwitscher.

Ertränken wir all die böse Plackerei in Traubenblut.


Kannst du es nicht riechen?
Die Freiheit ist versteckt in Frau Heddas edlem Haus.
Greift danach, ihr Dummköpfe,

ihr werdet sie nirgendwo anders finden. -


Ergreift sie, rief Klaus Beckers besessene Stimme.
Der Junge erschrak kurz, als er sich selbst hörte,
als die Fremde wie mit einer klirrenden Schere

in seine Gedanken schnitt,


aber sofort eilte er wie benebelt
der entflohenen Dirne nach.
Sie arbeitete gerade am Herd, als er nach ihr tastete.

Beißend schlug sie ihm auf die rechte Hand,


funkelte ihn an,
denn das Verhalten des Gesellen war ihr nicht fremd,
und herrschte ihn hochmütig an:

Nicht jetzt, du Hühnerhaufen. Ich habe es dir gesagt.


Und wieder stand Klaus wie gebannt,
hörte erstaunt zu
und schüttelte seinen schmalen Kopf.

Die Wirtin war bisher geduldig


mit dem Treiben der beiden Fremden gewesen,
aber jetzt war ihre Geduld am Ende.
Mit einem verärgerten Husten

erhob sie sich von ihrem Sitz an der Feuerstelle,


und siehe da, als sie aufstand, reckte sie sich
wie eine lange Stange, an deren oberem Rand
schmutziger Schnee lag.

Dann machte Frau Hedda einen langen Schritt


auf den Magister zu und griff dem kleinen,
so harmlos wirkenden Burschen
kurzerhand in den halb geöffneten Kragen.

Was ist mit der Rechnung? wollte sie


zwischen den Zahnlücken liebevoll pfeifen,
als sich ihr Faltenrock im Kreis drehte
und die Glieder, die er bekleidet hatte,

gleichsam zurück auf den Holzstapel


hinter dem Kamin flogen.
Niemand konnte sich erklären, wie es geschah,
denn alles war laut,

aber sobald man wieder


durch den aufgewirbelten Kiefernrauch sehen konnte,
tanzte der Strohblonde wie von Sinnen
in der Mitte der Schenke herum,

während er ein abgerissenes Glied seiner Goldkette


hoch über dem gelben Kopf schwang.
Darauf flüsterte Hein Wichmann, sich nach allen Seiten hin
freundlich verbeugend, in den süßesten Tönen,

ob er auch jetzt noch durch Wein


und Liebe daran gehindert werden könne,
die hier versammelten Hunde
von ihren Stricken zu lösen?

Durch Wein und Liebe,


wiederholte Klaus besinnungslos
und sank ganz in die vor ihm aufgeschlagene Grube
aus Rauch und Glut. Die Becki fegte an ihm vorbei

und küsste ihn jubelnd auf den Hals.


Alles verschwamm vor dem bereits berauschten Mann
und drehte ihn nur noch hilfloser in den kreiselnden Strudel.
Was dann geschah, tanzte vor ihm auf und ab.

Mal flackerte es hoch, mal brach es zusammen


wie die blauen Flammen des Kaminfeuers.
Er sah sich eng an die Bank vor dem Tisch gepresst,
und aus dem Zinnbecher duftete ihm Met entgegen.

Er leerte den Becher mehrere Male,


und seine Sinne flatterten fortan wie Schmetterlinge
über dem süßen Getränk. Warum
konnte er diesen oder jenen Gedanken nicht festhalten?

Aufgeregt versuchte er es, aber es gelang ihm um keinen Preis.


Stattdessen musste er den Gängen der Becki folgen,
die immer wieder die Trinkgefäße der Gäste nachfüllte,
es reizte ihn, ihren kurzen Rock

in ängstlicher Neugier zu berühren,


und einmal brüllte er drohend,
als die Dirne auf den Knien eines alten,
glatzköpfigen Mannes verweilte,

dessen feiner blauer Bürgerrock


gar nicht hierher zu gehören schien.
Was ist denn mit dir los, Kleiner?
hörte er die Pflegerin gleich darauf lachen.

Unmerklich war sie an ihn herangeschlichen


und beugte sich nun über den besinnungslosen Mann,
wobei ihre Augen funkelten, als sie bemerkte,
wie Reife und Knabenhaftigkeit in ihm würfelten.

Dann klammerte er sich erbittert an die Arme der Frau,


die vor Met und Hitze dampfte,
und schwankend zwischen Wut, abgrundtiefer Verachtung
und stöhnender Besessenheit,
legte er seinen Kopf an ihre Brust.
Narr, zischte die Gefangene, du zerreißt mein Hemd.
Aber es klang wie ein Keuchen,
und sie zog sich mühsam zurück.

Von diesem schwindelerregenden Werben hingerissen,


hatte sich Hein Wichmann auf den Tisch geschwungen.
Da drückte das berauschte Kerlchen
die rechte Hand ans Herz,

obwohl seine zweifarbigen Augen


noch immer so frostig waren wie eh und je,
und sang mit durchdringender Stimme
einen Reim, der zur Zeit

der verhängnisvollen Münzsituation


unter dem verzweifelten Volk durch Dorf und Stadt ging:
Dirne im Bett und Wenzels Geld!
Und sofort wieherte der Chor als Antwort:

Was gibt es Falscheres auf der Welt? -


Du bist ein Witzbold, Kleiner,
sagte die Becki, gar nicht beleidigt.
Aber der Sänger strich ihr über das lange Haar.

Und du, ein schönes süßes Häppchen, Herzchen,


erwiderte er überlegen,
dennoch, ich gönne dir alles Gute.
Pfeifende Pfiffe, die aus der Ecke schrillten,

belohnten diesen Scherz.


Und wieder tanzten die blauen Flammen vor Klaus,
und die Schmetterlinge über dem Met
taumelten schwer und flatterhaft.

Nach einer Weile ging die Becki


in die Nebenkammer und räumte,
über die Schulter zurückblickend,
das zerwühlte Lager auf.

Die bäuerlichen Feiernden nutzten die Pause,


um die gottverdammte Zeit zu verfluchen.
Zuerst war da der feine blaue Schöffenmantel.
Der dickhalsige, immer lächelnde Glatzkopf

musste tagsüber über die Stadtwaage


sowie über Recht und Sitte wachen.
Aber da er zu Hause eine zänkische Frau hatte,
die ihn schlug, nahm ihm niemand übel,

wenn er abends Frau Hedda und die Becki besuchte.


Er wurde als Stammgast betrachtet
und erhielt alle möglichen Privilegien.
Deshalb war er auch der Einzige, der zufrieden

und leise in seinen Krug blinzelte.


Ganz anders die Bauern, die zu fünft oder sechst
hinter ihren Töpfen in galgenhumoriger Bitterkeit lagerten.
Zwischen den haarigen Burschen schwelte es

wie die Lust an der Verschwörung.


Denn der Graf von Cona hatte im Streit
mit der Stadt Bergen einfach die umliegenden Gehöfte besetzt,
und nun raubte seine Truppe den Bauern Vieh und Getreide

als Wehrgeld für den Marsch gegen die Freibeuter, hieß es.
Das ist gegen das gemeine Recht der Hufen,
stöhnten die verpfändeten Männer
und riefen dem Ratsherrn drohend zu.

Gibt es kein Recht? Verdammt noch mal, gibt es kein Recht?


Der dicke Mann aber zuckte mit den Schultern und schwieg.
Er wusste, wie wenig ein Stück Pergament
gegen Speere und Armbrüste ausrichten konnte.

Mit weit ausgebreiteten Armen lag Klaus


über die Tischplatte geworfen,
das glühende Gesicht auf beide Fäuste gestützt,
und das Wehklagen und Jammern der Landleute

floss wie zischendes Blei in die Adern des Jungen.


Es zerstörte sein Hirn,
es riss seine Augen auseinander,
so dass vorübergehend sogar das Bild der wollüstigen Dirne

aus ihnen herausstürzte;


Der unverstandene Drang
und die Jagd des Jungen nach Segnungen,
die vom Himmel strömten,

nach einem Wohlstand, der seine Hand


gleichmäßig nach jedem ausstreckte,
egal über welchen kargen Boden er schritt,
diese gierige Sehnsucht,

die sich so ungleiche Flügel geliehen hatte,


den einen aus den bescheidenen Lehren des Pater Franziskus,
den anderen aus den stacheligen Einflüsterungen
des kleinen Magisters,

nun rissen ihn die starken Flügel


über seine irdische Besessenheit hinaus.
In der Kammer wälzte die Becki das Bett energischer,
aber Klaus Becker ignorierte das provozierende Manöver,
denn Zorn und Mitleid hatten ihn längst
an diese entrechteten Bauern gekettet,
deren Plage ihm pervers und unmenschlich erschien.
In seiner Stimme lag ein bedrohliches Unbehagen,

als er sich nun flüsternd erkundigte,


ob sich denn keiner der Vergewaltigten
gegen das schreiende Unrecht zur Wehr gesetzt habe?
Die Landleute warfen dem unreifen Jungen

scheue, verlegene Blicke zu,


steckten aber schließlich die Köpfe zusammen
und deuteten mit den Fingern
auf einen stämmigen Mann am Ende der Bank.

Er saß dort in seiner braunen Bauerntracht,


einen unscheinbaren Tellerhut
über den purpurnen Kragen gepresst,
der sein zerfurchtes Gesicht teilweise verdeckte,

aber selbst durch diese Verkleidung hatte Klaus bemerkt,


wie der Mann, so oft er sich unbeobachtet wähnte,
manchmal schwer vor sich hin seufzte.
Bald griff der einsame Mann tastend

nach dem Kurzschwert an seiner Seite


und von dort wieder unsicher nach dem Stiel einer Axt,
die er zwischen seine Knie geklemmt hatte.
Doch kaum bemerkte der grüblerische Mann

die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit,


zuckte er zusammen
und winkte der Wirtin heftig zu,
dass er seine Rechnung bezahlen wolle.

Mach dich nur lustig, Frau,


drängte er und schaute misstrauisch um die Ecke,
bis sein unsicherer Blick schließlich
an einem zusammengekauerten Sprengelbart hängen blieb,

an einem schmutzigen Juden,


der in seinem gelben Schamrock
und der roten Zwangsmütze müde
auf einem Holzklotz neben dem Eingang hockte,

wo er, von allen übersehen, wie ein Nichts,


still und leise eine Schüssel Suppe schlürfte.
Der Mann mit der Axt aber schrie bösartig auf
und schob wie in nagender Wut

seinen flachen Hut tiefer über sein Kopftuch.


Für den, für diesen verfluchten Juden,
werde ich mitbezahlen, rief er schneidend,
während die tiefen Furchen

in seinem braunen, sorgenvollen Gesicht zuckten.


Komm, Mosche, du bist der richtige Kerl für mich.
Leck deine Schüssel leer, und dann weg. -
Was ist mit dem Hebraicus?

unterbrach Hein Wichmann,


der von seinem Platz am Tisch aufblickte.
Die feinen Nasenlöcher des Kleinen
schnupperten dabei wie die eines Jagdhundes,

und sein ungleiches Augenpaar sprang


die beiden Gefährten so lauernd und schneidend an,
dass jeder von ihnen unwillkürlich
nach seinen Habseligkeiten griff.

Was soll das? stammelte der Jude


und richtete sich mühsam auf.
Ich bin auf der Wanderschaft. -
Ja, und ich werde dir sagen, warum,

kreischte Hedda und riss ihm die Schale aus der Hand.
In Potthagen, wo du wohnst,
hat das große Sterben schon wieder begonnen.
Und was steckt dahinter?

Ihr Krummnasen, ihr Mörder des Herrgotts,


habt die Brunnen vergiftet. Ist es nicht wahr?
Man sollte euch zu Tode prügeln,
ihr widerliches Ungeziefer.

Ein einziger, heulender Schrei


kam von den irritierten Bauern.
Geballte Fäuste flogen durch die Luft,
und ein schwerer Steinkrug flog gegen die Brust

des verhassten Mannes. Was für eine Lust,


das eigene Leid weitergeben zu können.
Stöhnend sank der Jude in seinem Sitz zusammen,
und erst nach einer Weile gelang es ihm, zu keuchen:

Gestern sind meine eigene Frau


und mein Sohn gestorben.
Glauben Sie?
Er murmelte etwas Unverständliches.

Aber der Abscheu der Bauern wütete weiter.


Schiebt ihn ins Feuer, den Mäusefänger,
soll er uns vielleicht den schwarzen Paten
auf den Hals hetzen?

Die Männer hinter dem Tisch sprangen klappernd auf,


ein fluchender Tumult umgab bald das Opfer ihrer Wut,
und der Angehörige eines aus den Reihen
der Menschheit ausgestoßenen Stammes

ließ seine schwarzen Augen


ungläubig von einem Bedränger zum anderen rollen,
doch schon alles ahnend.
Doch nirgends sah er Erbarmen,

überall nur sinnlose Fremdheit und brodelnden Hass.


Dann, fast im letzten Moment, was war das?
Da setzte sich etwas Wirbelndes, Zappelndes,
Strohblondes mit einem katzenhaften Sprung vom Tisch ab,

um sich dem Angegriffenen zu nähern,


ein helles Lachen brach aus, und seltsam,
die kleine Kindergestalt wirkte plötzlich biegsam,
massiv, hart wie Stahl, wie eine gute Klinge,

die zum Schlag erhoben ist.


Im selben Moment war natürlich auch Klaus Becker
in das Handgemenge geschossen.
Ihn leitete kein besonderes Mitleid
mit diesem eingekesselten Juden,

nur das stürmische Weh für alle Unterdrückten


drückte sich auch hier vorbehaltlos aus.
Es war eine wunderbare Bewegung,
als sich die hoch aufragende Gestalt

nun zum Schutz bereit nach vorn warf,


halb geschmeidig, halb gebieterisch.
Dazu loderten die schwarzen Augen
in einem dunklen, fesselnden Feuer,

und die metallische Stimme erfüllte das ganze Haus


mit einem so mitreißenden Wirbel
einer geschlagenen Trommel,
dass selbst Becki, die neugierig

am Pfosten der Kammer lehnte,


ein seltsames Schaudern über den Nacken lief.
Wehe dem armen Menschen, schleuderte derjenige,
der zum ersten Mal in eine wache Geisterwelt

versetzt worden war, wehe dem armen Menschen,


der einen anderen Unglücklichen schändet.
Die Bauern sahen sich an, verstanden nicht
und wichen vor der drohend erhobenen Faust zurück.
Eine Stille, ein Schweigen legte sich über den Tumult,
um gleich darauf von einem wirbelnden,
schallenden Gelächter abgelöst zu werden.
Hört, hört den Bußprediger,

schüttelte sich Hein Wichmann, und sein Lachen


legte sich wie eine Mauer vor den Juden.
Glaubst du nicht, dass der Kleine
gleich die Messe singen will?

Ja, Priesterdienst, Kutte und Pantoffeln lecken


ist eine gute Sache.
Aber jetzt gebt mir ein Wort,
ihr strohdummen Heufresser.

Was sagt er? murmelten die Bauern, die nicht verstanden,


wie ein Zwerg es wagen konnte, sie zu beleidigen.
Ich sage, fuhr der Kleine in ruhiger Gelassenheit fort,
während er gelassen vor dem Hebräer auf und ab ging,

dass ihr einen Querbalken vor der Stirn tragt


und Ochsen seid.
Die Bauern rührten sich nicht und hörten zu.
Selbst Becki, der beim Anblick des glühenden Knaben

nur schluckte, beugte sich vor.


Ich dachte, ihr wolltet edles Wild jagen?
fuhr der Magister schneidend fort,
und in seinen Augen funkelte eine verlockende Flamme

der Bosheit und des verführerischen Aufruhrs.


Eine Treibjagd gegen die zweibeinige Plage?
Oder glaubt ihr, dass das beste Rudel das ist,
das sich selbst zerfleischt?

Niemals zuvor hatte Klaus die rasende Gewalt


des Kleinen gesehen,
der sich auf eine aufgeregte Schar
verzweifelter Männer stürzte;

jetzt spürte er selbst, wie die feurige Erregung


ihm den Atem raubte
und dass er im Augenblick nichts weiter war
als ein zitterndes Blatt

an einem vom Wind umher geworfenen Busch.


Blätter, vom Sturm ohnmächtig geschüttelt,
murmelnde Blätter wurden auch die anderen.
Mit gespreizter Brust, die wilden Augen

starr auf den gerichtet, von dem


eine unverständliche Losung auszugehen schien,
vergaß selbst der Jude die Gefahr, die ihm nahe war,
denn taumelnd richtete er sich auf.

Wo willst du hin? fragte Hein Wichmann plötzlich wieder


mit seiner weichen, mädchenhaften Stimme.
Ich gehe zu Fuß, sagte der Verhörte hartnäckig.
Ja, wir gehen, wiederholte der Mann mit der Axt,

der wie im Traum gelauscht hatte. Komm, Bruder.


Allein, noch bevor sich die beiden
aus dem gefrorenen Kreis lösen konnten,
stand der Kleine plötzlich zwischen ihnen,

und leise, aber mit unentrinnbarer Eindringlichkeit,


sagte er: Der Einzige, der die Flecken
von deiner Axt wegwaschen kann,
den wirst du jetzt nicht finden. Er ist weit weg.

Der Bauer wich einen Schritt zurück


und stammelte: Wer ist das? -
Wer? Hein streckte ihm die rechte Hand entgegen,
in die der andere, wie angezogen, einschlug.

Wer? flüsterte der Kleine wieder.


Und kaum verständlich, verborgen
hinter einem Schauer von Verehrung und Geheimnis,
hauchte er ihm ins Ohr:

Gödeke, Gödeke Michael,


Er allein befiehlt auf dem schwarzen Schiff.
Eine Welle muss das Haus der Hedda getroffen
und alles begraben haben, was bis dahin

aufrecht gestanden hatte.


Aus dem Strudel schlängelte es sich hoch
wie die Stimmen Ertrinkender.
Ein allgemeines brüllendes Gebet erhob sich

durch das Dach zum Himmel:


Seine Brust ist wohl eine Elle breit,
Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung!
Der Sturm heulte noch immer,

als etwas Unerwartetes geschah.


Der Hebräer hatte, trunken von der Gewissheit,
in einer Gemeinschaft eingeschlossen zu sein,
die Axt ergriffen. Nun taumelte er auf den Holzblock,
schwang die Waffe fieberhaft über die vielen Köpfe

und schrie, besessen von einem fanatischen Wahn:


Und tragt ihr Armen schwer am Leben,
Recht und Freiheit wohnt auf dem Meer.
Und wieder ertönte es ihm zur Antwort,

ernst, schwer, feierlich, wie das Responsorium in der Kirche:


Dort richtet die Reichen an Leib und Seele
Goedeke, Goedeke Michael.
Aber das Letzte war schon auf der Landstraße zu hören.

Der Schwarm war, einer inneren Kraft folgend,


ins Freie geströmt. Alles, was sich ihm widersetzte,
war weggebrochen, nur Becki und Klaus
waren allein unter dem niedrigen Dach;

beide wie angewurzelt, die Trümmer eines Traums,


der sich langsam verflüchtigte.
Komm, ermutigte das Mädchen schließlich
und streckte ihre runde Hand verstohlen

nach dem versunkenen Mann aus.


Die bloße Berührung ließ sie sich sehnen
und unsicher fühlen. Je länger sie
mit dem schlanken Jungen,

der ganz auf die inneren Lieder hörte,


allein blieb, desto mehr wurde ihr bewusst,
dass dieser große, stolze, widerstrebende Junge
mit den brennenden schwarzen Augen

nicht zu dem Geschlecht der sich am Boden wälzenden,


viehähnlichen Vergnügungssüchtigen gehörte,
die bisher ihren Körper geplündert und verspottet hatten.
Eine verzweifelte Scham wohnte noch in ihm,

eine gierige Hingabe, die beten wollte.


Und das reizte die Dirne
über ihre üblichen Grenzen hinaus,
bis sie weich und nachgiebig wurde.

Komm, flehte sie eindringlich,


du kannst tun, was du willst.
Es war eine heiße, betörende menschliche Stimme,
mit der Klaus aus seinen himmlischen Gärten vertrieben wurde.

Wild und schmerzhaft fuhr er auf.


Was willst du? stammelte er entsetzt, angewidert,
denn im aufziehenden Tannennebel sah er
die entfesselte Brunft auf ihn zukommen, wie gewohnt.

Nein, das nicht. Alles, was in ihm an Demut


gegenüber seiner Mutter lebte, alles,
was er an Feindseligkeit gegenüber
seinem eigenen Geschlecht hegte,
es empörte sich, und mit einem mächtigen Stoß
schleuderte er die Ergebene vor sich auf den Estrich.
Er hörte noch ihren dumpfen Fall,
dann fand er sich draußen wieder.

Draußen war Dunkelheit, feuchte, spurlose Nacht.


Die Erlen und Pappeln der Landstraße summten,
ein feiner Sprühregen staubte den abschüssigen Weg hinauf,
und der matschige Lehm der Landstraße seufzte

unter den Füßen des Flüchtigen.


Wohin führte der Weg? Klaus wusste es nicht.
Er stand still, bot fieberhaft seine Stirn
den kühlen Tropfen an und lauschte.

Von der Höhe herab flackerte noch immer


ein Feuerstreifen aus den Fenstern des Häuschens,
das er gerade verlassen hatte,
hinter ihm her, und weit weg,

jenseits des Tropfens, schwirrten Fragmente


des Bauernliedes davon. Ja, das war es,
woran er sich festhalten wollte, das war es,
woran er sich zu klammern wünschte.

Aber während der einsame Mann versuchte,


die vertrauten Strophen aus seiner keuchenden Brust
aufsteigen zu lassen, wurde er verwirrt.
Vergessen, vergessen waren die Worte und Bilder,

die er bis jetzt aufgebaut und errichtet hatte.


Dafür, er sah sich in der Dunkelheit wie gehetzt um,
dafür leuchteten überall weiße Arme aus den Schatten,
fingen ihn auf, und eine üppige Brust erdrückte ihn.

Er wollte sich wehren, er schrie wie ein Unsinniger,


aber das weiße Gewirr erstickte ihn
und wies ihn zurück. Vergeblich, vergeblich,
getragen von flatternden Flügeln, schoss er zurück,

sprengte die Tür und sank wortlos


in die Arme der jubelnden Dirne.
Über dem Haus der Hedda erlosch das Sternbild des Jupiter.
Also groß ist die Macht der Göttin Aphrodite!

SECHSTES ABENTEUER

Wenn das Eis erst einmal gebrochen ist,


spritzt die trübe Gischt des Meeres heftig hervor,
und man denkt, dass die strömende Flut
nichts als Unrat mit sich führt.

Von dieser Zeit an hielt sich Klaus


immer öfter in der Hütte der Hedda auf.
Wenn ihn auch tagsüber, wenn die helle Sonne
der Küste sein Tun beleuchtete,

Ekel und Abscheu vor dem wilden Trieb quälten,


der ihn an einem schneidenden Seil über die Berge zog,
so schnürte ihm nachts die schmerzhafte Verstrickung
alle Glieder zusammen

und riss den Widerspenstigen fort.


Bereitwillig ließ er sich von seinem spöttischen Lehrer
einen Ring der goldenen Kette nach dem andern anlegen,
und Hein Wichmann versäumte es nicht,

seinem verbissen arbeitenden Zögling


während der Tagesarbeit einzuschärfen,
dass es in alten Zeiten ganze Schulen weltlicher Weisheit gab,
die im Genuss, im Schwelgen und sinnlosen Auskosten

die einzige Möglichkeit sahen,


gegen den überall herumschnüffelnden Tod zu gewinnen.
Sieh mal, Kleiner, pflegte der kleine Junge zu sagen,
während die beiden Kameraden im Boot

durch den brausenden Morgennebel fuhren,


es ist der letzte Tropfen im Weinkrug,
der letzte, den die durstige Zunge auf sich herab lockt,
gerade den begrüßen wir als den heißen Boten

aus einer überirdischen, tanzenden Welt.


Bei diesem letzten kämpft die Melancholie
des Abschieds bereits mit der Hoffnung
auf einen neuen Genuss. Oder meinst du,

das Schwein hat einen anderen Grund,


sich den Rüssel blutig zu reißen,
während es nach der letzten im Boden
verborgenen Eichel kratzt?

Angesichts solcher Einflüsterungen,


obwohl sie ihn mit der Schärfe eines Rutenschlags trafen,
blieb der große Junge, dessen Wangen immer schmaler
und blasser wurden und dessen verbrannte Augen

nun oft in selbstquälerischer Verzweiflung glühten,


stumm und taub. Und der strohblonde Magister
begann zu spüren, dass sein Geschöpf
die provokative Absicht hinter seinen stacheligen Reden
zu bemerken begann. Hinzu kam, dass die Arroganz
und die herrische Art des Fischersohns
immer herrischer wurden, und es kam nun häufig
zu Streitereien und Auseinandersetzungen

in der Hütte der Beckers.


Der Sohn fragte nicht mehr, er forderte.
Auch äußerte er manchmal Gedanken und Meinungen
zu kleinen Ausflüchten, die bewiesen,

wie hoch die Gärung in seiner Brust bereits gestiegen war.


Eines Tages saß Bruder Franziskus am Herd der Hütte.
Er war, wie er sagte, im Namen seines Klosters gekommen,
um bei den Fischern einen wirtschaftlichen Auftrag zu erledigen.

Aber in Wirklichkeit war er von Mutter Dörte


gerufen worden, die keine Ruhe mehr fand,
weil sie sich um ihren einzigen Sohn sorgte,
der, wie sie glaubte, auf Abwege geraten war.

Die treibende Angst beschattete sie nun fast stündlich,


dass in ihrem Kind die bösen Gelüste
seines wirklichen Vaters erwacht seien,
die Lust am Vergnügen und am Raub,

die wilde Gier nach Unterdrückung der Schwächeren


und die kalte Verachtung von Recht und Moral.
Ihre Brust bebte, als sie daran dachte,
dass sie selbst nur gezwungen worden war,

diesen fremden und doch geliebten Spross zu empfangen,


und die Schärfe des mütterlichen Auges nahm auch wahr,
wie das Wissen um den zukünftigen Mann
plötzlich in ihrem Sohn hoch gepeitscht wurde

und wie Scham und Verachtung


dieses Wissens in ihm kämpften.
Ein kalter Novemberabend fröstelte über der Hütte.
Am Buchenfeuer saß der Mönch,

und neben ihm, in Decken gehüllt, hing der Hausherr,


halb in seinen Lehnstuhl gelehnt, in der warmen Feuerluft
mit einem pfeifenden Geräusch keuchend,
das seine wunde Brust doch immer

zu einem langen Husten veranlasste.


In einer schattigen Ecke, wohin er sich absichtlich
verzogen hatte, schärfte Klaus mit einem Stein
den Aalspeer, während Dörte vor ihrem Gast stand,

die Hände demütig über der Brust gekreuzt,


als sei sie bereit, jedes Wort ihres geistigen Führers
auf sich wirken zu lassen
wie eine Predigt von der Kanzel.

Draußen drückte sich der Nordsturm an die Hütte


und keuchte begehrlich um das erschütterte Dach.
Aber das machte den Raum nur noch geheimnisvoller.
Und in der Behaglichkeit des warmen Ortes

vergaß der Pater sogar, dass weit hinter seinem Rücken


der kleine strohblonde Zwerg auf einem Brett
unter dem Schornstein hockte und sichtlich bemüht war,
so weit wie möglich in der rötlichen Schwärze

des Hohlraums zu verschwinden.


Der Magister war auch der Einzige,
der mit einem spöttischen Lächeln bemerkte,
wie Klaus bei seiner Arbeit immer unruhiger wurde,

und er wusste auch, was seinen Zögling


an brennenden Seilen von hier wegzog.
Darüber war er froh. In der Zwischenzeit
ging das Gespräch auf ehrbare Art und Weise hin und her.

Meistens stellten die alten Fischer


ihrem Beichtvater diese oder jene wichtige Frage
des täglichen Lebens und fügten sich dann
mit bedingungsloser Zustimmung

seinen Aussprüchen und Entscheidungen.


Auf diese Weise hustete der Kranke seinem Gast aus,
was in den letzten Tagen den Geist des Leidenden,
der sich bereits in Gleichgültigkeit verlor,

plötzlich versengt hatte. Man stelle sich vor,


der Vogt habe im Auftrag des Grafen
den Wehrpfennig gegen die Freibeuter eintreiben wollen,
aber da er bei den Beckers nicht genügend

Münzgeld gefunden habe, habe er den Ziegenstall geöffnet


und eines der Tiere, die beste Milchspenderin,
ergriffen und weggetrieben.
Als der schlaffe Riese sich an diesen Raub erinnerte,

wurde der einst mächtige Körper von einer Wut geschüttelt,


die den Sessel unter ihm erzittern ließ.
Schweiß tropfte über den grauen Bart des aufgeregten Mannes,
als er halb lallend fortfuhr:

Schande! da lag ich, und konnte ich mich bewegen.


Nein, ich habe nur geschrien,
immer nach Gott und den Heiligen.
Die Ziege hat auch geschrien,

aber was nützt das einem Sünder,


dem das Wasser in den Knien gurgelt,
denn so hoch ist es bei mir schon,
der Alte warf sich herum und nickte in die Ecke,

wo sein Sohn fester an seiner Spucke rieb,


dann keuchte er dankbar:
Aber am Nachmittag kam Klaus,
der Junge kam vom Meer, und da wurde alles anders.

Er ist dem Landvogt nachgelaufen


und hat unsere Ziege zurückgebracht.
Wir haben sie wieder, die Geweihte,
schloss er erleichtert und hauchte in seine erstarrten Hände.

Wie ist das passiert? fragte der Pfarrer mit Nachdruck.


Ich habe sie ausgelöst, antwortete Klaus leichthin.
Mit wessen Geld? - Ich habe es mir geliehen. -
Von wem? - Von einem Freund, beendete der Junge trotzig,
konnte aber nicht verhindern, dass sein Blick
wie zustimmend zu dem Strohblonden
am Herd hinüber hüpfte.

Er rückte noch näher an die Wand des Schornsteins heran.


Der Mönch schüttelte nachdenklich den Kopf.
Dann sagte er mit seiner freundlichen Stimme,
die empfängliche Gemüter wie das von Dörte sanft beruhigte,

wie ein beruhigendes Fiebermittel:


Ihr guten Menschen, streitet euch nicht.
Es müssen Opfer gebracht werden,
jeder nach seiner Kraft,
wenn in der göttlichen Waage Recht gegen Unrecht

und Ordnung gegen Widerspenstigkeit steht.


Deshalb steht auch geschrieben: Gebt dem Kaiser,
was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.
In den roten Feuerschein gehüllt wie in den Mantel des Elias

und selbst von seiner Lehre zutiefst überzeugt,


so urteilte der Mönch, und die alten Fischer
sahen sein Wort in ihrer Hütte aufgehen
wie eine Wunderblume,

deren seltsame Pracht sie nicht begriffen.


Da, entsetzlich, die Hüttenbewohner erschraken,
sie trauten ihren Ohren nicht, etwas lachte laut
und rücksichtslos gegen alle Ehrfurcht

mitten in den frommen Sätzen,


und in der Ecke stieß der junge Klaus
seinen Speer senkrecht in den Estrich,
so dass das Eisen zitterte und brummte.

Was ist denn los? murmelte der Vater,


der vor Schreck stumm wurde
und sich mühsam aufrichtete.
Warum lachst du?

Der Sohn rüttelte kräftig an dem schlanken Schaft,


und nicht im Geringsten eingeschüchtert,
warf er blitzende Augen zum Vater hinüber:
Von wem stammen die törichten Sprüche?

Töricht? Dunkelheit fiel über Bruder Franziskus.


Das Entsetzen über diesen Ungehorsam gegen den Himmel
erschütterte für ihn mit einem Knüppelschlag
das weise Verständnis, das der Geistliche gewöhnlich

seiner Umgebung und besonders der Jugend entgegenbrachte.


Es schien ihm unmöglich, dass eine solche Unverschämtheit
in einem menschlichen Gehirn heranwachsen konnte,
unbegreiflich, dass ausgerechnet der ihm lieb gewordene Junge

sie aussprach. Gelähmt, unfähig, sich zu beherrschen,


antwortete er, nur um zu spüren, dass seine Worte
wie von selbst entweichen, ungehemmt,
wie der Faden eines Garnknäuels, mit dem eine Katze spielt.

Klaus, sagte er voller Kummer und so leise,


als spräche er zu sich selbst, der Allmächtige
wird dir die Herausforderung abnehmen.
Es ist unser Herr und Heiland selbst, mein Kind,

der diese Botschaft verkündet hat.


Nun wandte sich auch die Mutter um.
Ihre vorwurfsvollen Augen
und die vor Entsetzen ausgestreckten Hände zeigten,

dass sie erwartete, dass ihr Sohn


bei dieser Belehrung auf die Knie fallen würde.
Doch was entdeckte sie? Um die Lippen des Jungen
flog nur ein arroganter, grausamer Blick,

und nachdem er sich mit einem kurzen Blick


des Beifalls seines zierlichen Herrn versichert hatte,
setzte er zu einem neuen, noch respektloseren Schlag an.
Hat der Heiland das selbst geschrieben? fragte er ungläubig.

Aufrichtig schüttelte der Bruder sein feines Haupt.


Schweiß perlte auf seinen ergrauten Schläfen.
Der Heiland hat nicht geschrieben, gestand er,
und wieder entkam ihm die Antwort gegen seinen Willen,

wie ein Hund, der von einem Mächtigeren angelockt wird.


Seine Lehre ging durch viele Hände. -
Dann ist sie nicht mehr tauglich für ein späteres Zeitalter,
entschied der Junge nun fest

und mit schrecklicher Überzeugung,


abgestandenes Wasser macht krank. -
Klaus, jammerte die Mutter,
und in ihrem überwältigenden Entsetzen glaubte sie,

dass ein höllischer Dämon in der Ecke hockte


und seinen schwarzen Speer auf ihr Herz
und das Innerste der Welt richtete.
Und doch war der Dämon immer noch schön und herrlich.

Auch der Vater stieß nun ein schmerzhaftes,


ängstliches Keuchen aus.
Nur der Mönch lehnte sich stumm und starr
auf seinem Stuhl, denn der Fels seines Glaubens

wuchs unter ihm, so dass die Strudel ihn nicht erreichten.


Sündige weiter, Korah, sprach er fest.
Aus dem Feuer des Herdes aber
ertönte ein spöttisches Kichern,

und davon irritiert, brach es ohne jede Rücksicht


aus dem Abtrünnigen hervor, die Leidenschaft,
zu herrschen und andere nach seiner Überzeugung
zu formen, schlug Flammen:

Ist Gott reich oder arm? -


Reich, antwortete der Geistliche schwach.
Ist der Kaiser reich oder arm? -
Gott helfe dir, reich, flüsterte der Priester gezwungen.

Da riss Klaus seinen Spieß vom Estrich,


streckte dem Mönch das Eisen steif entgegen,
und während sein vorgeschobenes Haupt
von der Glut des Herdes erreicht wurde,

rief er mit grimmiger Wut und funkelndem Auge:


So möge Gott endlich aufhören zu fordern und zu bedrängen,
und der reiche Kaiser möge den Armen geben,
was den Armen gehört.

Nach dieser hasserfüllten Entrüstung


rührte sich eine Zeitlang nichts.
Die alten Beckers schlossen aus dem aufgeregten,
zerreißenden Ton nur, dass ihr Sohn,
ihr einziges liebes Kind, in die kalten, dunklen Tiefen
der Verdammten gestürzt sein musste,
während er versuchte, die Ketten zu erschüttern,
mit denen die Erde vom Himmel herabhing.

Auch sie verstanden das nicht genau,


und doch zog es die armen Menschen
mit zwingender Kraft dazu, ihre ohnmächtigen Hände
nach dem Verlorenen in der Höllenspalte auszustrecken.

Sie schauten sich noch immer hilflos an


und suchten Trost in ihren
von keinem Verständnis erhellten Gesichtern,
als sich Bruder Franziskus von seinem Sitz erhob,

und während er sich fest und endgültig


in sein Gewand hüllte, beugte er sich
und starrte vor sich hin, bis er die Schwelle erreichte.
Hier aber verringerte er seinen Schritt,

und in das Holz der Brettertür hinein


sprach das zarte Männchen nach hartem Ringen:
Rufe mich, Klaus, wenn dich die Not
der Verlassenen drängt.

Der Heiland wohnt auch in denen, die ihn lästern.


Du wirst es erfahren.
Dann war er wie ein grauer Schatten entschlüpft.
Und in der Hütte zitterte die Stille.

Aber die frommen Augen des Zisterziensers


hatten deutlich genug in die zuckende Seele
dieses kämpfenden Menschenkindes geschaut,
denn etwas von der heilsamen Allbarmherzigkeit

des Gründers der Christenheit


pochte wirklich schmerzhaft
in jedem Pulsschlag des Jungen.
Und das, was den Mönch abstieß,

war nur in jenem lodernden Wahn zu suchen,


der den Ausgleich und die Verherrlichung
der Bedrängten und Gequälten auf dieser Erde sofort,
im nächsten Augenblick, womöglich

durch wilde, durch erdrückende Gewalt herbeiführen wollte.


In den Fieberträumen des gärenden Mannes
erhob sich immer mahnender eine gepanzerte,
goldglänzende Faust, seine eigene,

die das jämmerliche Dasein zurechtrückte,


und seine Nächte wurden ständig von der Qual gestört,
ob er, der Schmutz-besudelte, sinnliche Lustmensch,
das flammende Schwert wirklich

in seine besudelten Hände nehmen dürfe.


In solcher funkelnden Dunkelheit,
wenn vor seinen weit aufgerissenen Augen
der alte Klaus Becker, die Mutter,

sowie Anna Eberhard in golddurchwirkten


Purpurgewändern stolzierten,
weckte er oft den neben ihm liegenden Magister,
um in nicht mehr erträglichem Zweifel zu flüstern:

Muss es ein Reiner sein, der die Ehre auf die Erde bringt?
Aber der epikureische Zwerg ekelte sich
vor solch ernsthaftem Zwiespalt,
denn sein flatterhafter Geist hatte nie aufrichtig

an Selbstprüfung gedacht, und so schlug er schläfrig


nach der Hand seines Freundes
und murmelte ihm zornig zu:
Lass mich in Ruhe, du Betbruder!

Wer den leeren Bäuchen das Essen bringt,


braucht nicht erst die Schüssel zu reinigen.
Und nun schnarche und träume
vom Schoß der Becki!

Aber Klaus träumte nicht mehr von dem Körper,


der ihn unterjocht hatte,
oder den er sich unterjocht hatte,
er beutete ihn nur noch gierig aus,

wie der Goldgräber, der in der Grube


wahnsinnig nach dem letzten Funken sucht,
und der Magister ahnte nicht, dass sein Zögling
schon von Ekel und Überdruss

in jenes verschlossene Herrenbewusstsein gejagt wurde,


das selbst hinter dem weißen Kleid
der schamhaftesten Frau die Hure wittert.
Ja, der Irre wagte bald nicht mehr,

seine Mutter und die zur Jungfrau erblühte


Anna Eberhard gläubig anzuschauen,
so wenig ahnte er,
was er in ihnen vermuten sollte.

Dunkle, düstere Winternebel zogen auf,


und an ihrer grauen Wand schrieb
schon eine geisterhafte Faust
unverständliche Zeichen von dem, was kommen sollte.
Die Stunde des Schicksals dämmerte herauf.
Es war ein kalter, nasser Novembernachmittag.
Aus dem Dunst geisterte es in schrägen Linien herab,
aus ihm wurde der Rauch des Kamins rauchig

um die Hütte gepresst, und das Meer


zischte glasige Eisbrocken gegen die Strandsteine.
Zu dieser Stunde, während der Vater schlief
und die Mutter geräuschvoll mit den Töpfen klapperte,

deckte sich Klaus wie in wütender Bitterkeit


mit seiner Ledermütze zu,
hüllte sich eilig in sein Robbenwams
und schlich sich unbemerkt aus der Hütte.

Als er den weichen Hagel um sich herum spürte,


atmete er gierig und doch verstohlen die feuchte Luft ein,
wie ein Dieb auf einer schlechten Flucht.
Er wusste, dass der Pfad, den er zehnfach verabscheute,

sein Maul wieder gegen ihn öffnete,


um den Wanderer ohne Mitleid zu verschlingen.
Seit einer Woche kämpfte er einen erbitterten Kampf
gegen seinen Hunger, gegen die abscheuliche Lust,

ein anderes Geschöpf zu entwürdigen


und es dennoch in seliger Knechtschaft zu halten,
aber jetzt, jetzt war aller Widerstand in ihm erschöpft
und mit einem Mal gebrochen.

In langen Sprüngen eilte er von den Dünen hinunter


zum Strand, und richtig, da unten schob Hein Wichmann
das Boot gerade zwischen den Steinen hervor.
Dumpf, in abgehackten, mürrischen Worten,

verlangte der Bursche von seinem Lehrer,


dass er heute allein das Netz machen dürfe,
weil er selbst, weil, kurzum, er würde
gegen Morgen wieder zu Hause sein.

Und seltsamerweise, ohne das übliche spöttische Lächeln,


nickte der kleine Junge diesmal schnell und zustimmend,
ja, es schien fast, als ob es ihm nicht ungelegen käme,
die Seereise allein und unbeobachtet antreten zu können.

Eilig grüßte er den abreisenden Mann,


lobte ihn dafür, dass er sich freute,
mitten im Winter runde Äpfel
vom Baum schütteln zu können,

alles gleichgültig und ohne Mitgefühl,


und wandte sich dann wieder seinem Boot zu,
das doppelt so viel zu tun hatte.
Doch Klaus zögerte noch eine Weile.

Für kurze Zeit befreite sich der scharfe Verstand des Jungen
von den üppigen Bildern, die ihn blendeten,
und ahnungsvoll durchfuhr ihn die Erkenntnis,
wie sehr sich das Wesen des Kleinen

in den letzten Tagen verändert hatte.


Seltsamerweise hatte eine treibende Unruhe
über Hein Wichmann die Oberhand gewonnen;
Klaus erinnerte sich, dass sein Freund

nun Nacht für Nacht umherstreifte,


vor allem auf den Höhen der Insel,
ja, der Fischersohn erinnerte sich,
wie er an einem der vergangenen Abende

den Magister heimlich auf einem ins Meer


ragenden Steinhaufen beobachtet hatte,
wo der strohhaarige Mann ein unverständliches Spiel
mit dem Feuer betrieb.

Er hatte dort ein Reisigbündel angezündet,


und zum Erstaunen des Zuschauers wurden
die brennenden Äste von dem einsamen Mann
nacheinander in die Abendluft geschleudert.

Was hatte das zu bedeuten?


Sollte hier jemandem ein Zeichen gegeben werden?
Als Klaus nach ihm rief, erschrak der kleine Junge.
Was machst du da? hatte der Junge gerufen.

Doch statt einer Antwort hatte der verstörte Junge


das schwelende Bündel ins Wasser geschoben,
mit den Schultern gezuckt und wütend zurückgegeben:
Meinst du, ich halte es hier vor Langeweile noch länger aus?

Störe mich wenigstens nicht, während ich mich anmutig


mit den dummen Fischen amüsiere.
Damit sprang er von den Steinen herunter
und rollte wortlos in die Hütte.

Seitdem aber hatte sich in seinem Schüler


der Verdacht eingenistet, dass Hein Wichmann,
dieses unentbehrliche Gefäß der krausesten Erkenntnis,
dieser Galgenstrick, in dem die gemeinsten

und liebenswürdigsten Eigenschaften


in bunter Verwirrung wirbelten, ach,
dieser unstete Wanderer gewiss schon seine Flügel
zum Flug ins Unendliche ausbreitete.

Und das Herz des liebevollen Jungen


wurde davon verzehrt, neidisch unfähig,
etwas zu opfern, was es einmal in Besitz genommen hatte.
Sollte er nun vielleicht allein gelassen werden,

um wieder in Dumpfheit und Knechtschaft


unter den alten Leuten zu versinken?
Schon waren Stunden seit der Begegnung vergangen,
nach hemmungsloser Ausschweifung

hing Klaus ernüchtert


und voller Selbstverachtung
auf dem elenden Bettgestell in der Kammer Beckis,
und das Gefühl, ein Ausgestoßener zu sein,
ohne Ziel und Richtung zur Allgemeinheit

verdammt zu sein, belastete ihn


mit solchen Gewissensängsten,
dass er den Kopf in beide Hände stützte
und wie begraben vor sich hinstarrte.

Was sollte nun folgen?


Wenn Hein Wichmann wirklich eines Morgens
verschwunden war, würde ihn dann nicht nur
diese elende Frau über die hoffnungslose,
ewig unveränderliche Front

eines unfreien Menschen hinweg täuschen?


So blieb ihm nur der Ekel oder die grelle Trostlosigkeit,
wenn er die Qualen eines an die Scheide
Einer Frau gefesselten Knechtes vergessen wollte!

Entfliehen? Ja, wenn nur ein Leibeigener


nicht für jede Bewegung die Zustimmung
seines Herrn bräuchte.
Warum war er dazu verdammt? Ausgerechnet er?

Und gab es nicht unzählige andere hier,


die diesem Fluch zum Opfer gefallen waren?
Mit einem heftigen Ruck erhob er sich in die Luft,
und seine Augen funkelten so dunkel und bedrohlich,

dass die Becki, die hochmütig vor ihm


auf und ab tänzelte, befremdet innehielt.
Sobald sie ihre Fassung wiedererlangt hatte,
lächelte sie sogar über den unreifen Wildling;

denn sein gärendes Wesen


wie auch das bunte Gefieder seines Geistes
riefen bei der Denkfaulen außerhalb seiner Umarmungen
höchstens Spott und Hohn hervor.

Geh nach Hause, kleiner Junge, sagte die Dirne


und schnippte mit dem Finger gegen ihre vollen Lippen,
damit du deine Mutter nicht störst.
Selbst meine Alte hört vielleicht auf zu schnarchen,

wenn du die Tür wieder so zuschlägst.


Leise öffnete das Mädchen die Klappe der Kammer
und spähte in den Schenkraum.
Allein dort draußen lag alles im Halbdunkel,

nur eine schwache Öllampe flackerte auf dem Tisch,


und am Kamin schlief ein buckliger Querpfeifer,
der den Gästen am Vorabend
seine Melodien vorgespielt hatte.

Jetzt ruhte sein pockennarbiger Kopf auf der Feuerstelle.


Du kannst gehen, riet Becki noch einmal,
nachdem sie sich von dem freien Ausgang überzeugt hatte.
Doch mit einem Mal geriet ihr herablassender Tonfall ins Wanken,

als sich ihr gleichgültiger Blick nun unerwartet


mit dem ihres Besuchers verschränkte.
Sie blieb wie gebannt auf der Schwelle stehen,
und ihre zitternde Hand zog unwillkürlich

das Leinen um ihren Hals fester.


Was schaust du mich so an? stammelte sie
ziellos in springender Feigheit.
Ich habe dir nichts getan.

Wie sehe ich dich denn an? erkundigte sich Klaus,


den selbst, wie einen auf frischer Tat ertappten,
ein kalter Schrecken
aus seinen Gedanken geschreckt hatte.

Die vollbusige Frau aber zitterte immer noch.


Man könnte fast meinen, versuchte sie
ihr Unbehagen hinter einem Lächeln zu verbergen,
obwohl ihre zitternden Wangen sie Lügen straften,

man könnte meinen, du wolltest mir an die Gurgel gehen.


Es sollte wie ein Scherz klingen,
und das Mädchen streckte alle Glieder,
als wolle sie die Kraft beschwören,

die ihr immer geholfen hatte.


Aber das ernste Gesicht des Jungen
und vor allem seine vernichtenden Augen
ließen sie nicht in ihr sicheres Gefühl zurückkehren.
Und dann, hatte sie richtig gehört?
Wurde sie nicht vielleicht doch
von einem dubiosen Spuk getäuscht?
Nein, nein, jetzt, es sprang ihr entsetzt in die Augen,

der verfluchte Kerl dort griff wirklich


in das Bettengewirr, drückte den Strohsack
erbarmungslos zusammen und flüsterte
heiser mit innerer Erniedrigung:

Hör zu, Becki, es wäre für uns beide besser gewesen,


wenn ich dich früher in den Kissen erwürgt hätte.
Sie schrie nicht auf, sie zitterte nicht mehr, nein,
vor dieser wilden Drohung, an deren innerer Wahrheit

die erfahrene Frau keinen Augenblick zweifelte,


gewann die Dirne vielmehr ihre alte Arroganz zurück.
Sie erinnerte sich auch daran, dass sie nur
zu schreien brauchte, um den Schläfer ins Innere zu locken.

Sie richtete ihre Arme düster auf.


Dann setzte sie sich ihrem Gast gegenüber
auf ein Klappbrett, das sie von der Holzwand
heruntergelassen hatte. So nah waren sich die beiden,

deren Blut plötzlich von verzweifelter


Feindschaft vergiftet war, dass sich ihre Knie fast berührten.
Dann platzte Becki mürrisch, aber immer noch
von einem hellen Strahl getroffen, heraus:

Du hättest recht, einen Menschen wie mich zu töten.


Es muss die dumpfe Nachdenklichkeit
in dieser Anschuldigung gewesen sein,
die den Jungen umstimmte.

Er bewegte seine fein geformte Hand gebieterisch,


als wolle er das Wort nicht geformt hören,
dann sah er sich verwundert in der Runde um.
Zum ersten Mal blickte er entgeistert

auf den kahlen Hausrat, das elende, zerfledderte Bett,


die grüne, schimmelige Feuchtigkeit der Wände
und die rauchige Lampe an seinem Kopf.

Auch die Wangen Beckis stachen ihm grell ins Auge.


Wie vor etwas Unbegreiflichem schüttelte Klaus den Kopf,
dann strich er sich schwer atmend die Locken aus der Stirn.
Doch als sein Blick über seine zusammengesunkene,

grübelnde Begleiterin schweifen musste,


ergriff ihn die erdrückende Stille mit verzweifelter Kraft.
Sprich etwas! befahl er so bedrohlich,
dass Becki taumelte.

Was soll ich sagen? erwiderte sie mürrisch.


Der Junge schlang die Hände umeinander,
fand aber sonst wenig Ausdruck für sein Verlangen.
Wie du so geworden bist, so eine?

platzte er schließlich in grimmiger Verzweiflung heraus.


Wie bist du so einer geworden?
Da starrte die Dirne ihren Peiniger sprachlos an,
denn es war seine zärtliche Verehrung,

die sie bisher gezwungen hatte,


dieses Halbkind zu bemitleiden.
Sie fletschte verärgert die Zähne,
als könne sie sich kaum zurückhalten,

ihm mit einem unerwarteten Biss ins Gesicht zu hacken.


Doch allmählich verblasste die Feindseligkeit
aus ihren grünblauen Augen
und sie brach in schallendes Gelächter aus.

Du bist wirklich ein neugieriger Spatz,


spottete sie unsicher, aber in ihrer Stimme
lag ein raues Erstaunen. Verdammt,
ich habe wirklich selbst etwas von dem alten Zeug gegessen.

Willst du das wirklich wissen?


Pass auf, Kleiner, du kannst hier noch was lernen!
Mit einem sarkastischen Lächeln lehnte sie sich zurück,
legte die Hände in den Schoß

und schleuderte ihm dann ihre Dirne-Geschichte ins Gesicht,


abgehackt, bösartig, anmaßend, als wäre es
eine lächerliche Selbstüberschätzung eines kleinen Mädchens,
überhaupt die Wege ihrer Zunft erkunden zu wollen.

Ja, du Milchbart, was zehn Mäuler


an einem armen Hufbauer fressen,
davon hat dir deine Mutter hinter dem Herd
sicher nichts erzählt?

Sieh mal, ich bin so ein Maulwurf!


Auf unserem kleinen Feld ist gerade
eine einzige Kuh verhungert, aber was hat es genützt?
Das Stückchen Land ist noch nicht zerlumpt genug,

der Edelmann aus der Nachbarschaft


muss noch sein gnädiges Auge darüber werfen.
So ist die Gegend voll von Geschrei
über Raub, Diebstahl und Einbruch,
bis eines Tages der Bauer im Turm des Gutsherrn
seine eigenen Knochen anknabbert.
Kaum ist das Skelett befreit,
wird es vor den Hof des Herzogs von Wolgast gebracht.

Die zehn Mäuler müssen gestopft werden,


und irgendwo wird schon Recht gesprochen werden!
Es kann doch nicht aus der Welt gelaufen sein?
Zwei Jahre dauert der Streit, zwei Jahre,

bis die Augen blind werden vor Heulen und Angst.


Dann, hörst du, haben die Beamten,
Schreiber, Ratsherren und Gerichtsvollzieher
den Rest des Feldes aufgefressen.

Hei, da stehst du nackt und bloß auf der Straße,


und die Nachbarn schlagen dir die Tür vor der Nase zu.
Was nun, Klaus, was nun? Ich werde es dir sagen.
Was hat es gebracht, das Handwerk des Meisters zu erlernen?

Man wird es einmal versuchen.


In Wolgast gibt es einen reichen Bäcker,
ich selbst habe die Gelegenheit ausgekundschaftet,
er hat unseren Besuch zu nächtlicher Stunde empfangen...

Becki grinst und beißt sich in die Finger,


aber ihre bemalten Lippen zittern jetzt wie vor Kälte.
Diesmal dauerte der Prozess nur kurz, schluckt sie
und reibt mit unnatürlicher Gelassenheit ihre Hände,

nach acht Tagen stand ich schon mit meinem Vater


unter dem Galgen. Aber bevor sie ihn hochzogen,
oh, das war gut, rief er mir über alle Maßen zu:
Der Himmel hat große Pläne mit uns!

Siehe, meine Tochter, ich werde in meinem Alter lernen,


in der Luft zu tanzen, und du, meine Tochter,
freue dich, du wirst eine Hure werden.
Und vergiss nicht, mein Junge, das letzte Wort eines Vaters

ist nicht zu entehren. - Mit diesen Worten


stand die Erzählerin auf, drehte ihrem Besucher
den Rücken zu und kratzte an der Wand,
als ob es keinen Sinn machen würde.

Plötzlich aber sprang sie zurück,


schlang ihre Arme um seinen Hals
und bedeckte das Gesicht des erstarrten Mannes
mit unbändigen Küssen.

Komm, mein Junge, gurrte sie voller böser Angst,


als wären ihr der Büttel und die Todesreiter
wieder auf den Fersen, was nützen deine Torheiten?
Die Hauptsache ist, jung zu sein. Jung!

Horch, unsere Herzen! Springen sie nicht


gegeneinander wie kleine Lämmer?
Komm, gib mir Geld, meine alte Hexe hat dir
wieder ein hübsches Sümmchen gewechselt,

und dann braue ich dir da drin Met,


und wir trinken, bis uns Flügel wachsen.
Kopf hoch, kleiner Junge, küss mich
und bleib bei mir.

Berauscht und gleichzeitig erschrocken


über sein starres Gesicht, klammerte sie sich an ihn.
Was ist los mit dir? murmelte sie erneut, als sie merkte,
dass sich ihre Begeisterung nicht auf ihn übertrug.

Dann sank sie erschöpft wie ein schwerer Holzklotz


vor ihm in sich zusammen.
Klaus aber stand neben ihr, unfähig, sich zu bewegen.
Und obwohl seine Glieder zitterten und bebten,

hatte die Dirne richtig gesehen, als sie spürte,


dass ihr Gast nicht mehr bei ihr war.
Ungläubig, halb erstickt, sah er hinter den seufzenden Scherben
zu seinen Füßen die vergewaltigte Menschheit.

Und er konnte nicht glauben, dass dies alles


seine Brüder und Schwestern waren.
Von den Türmen der Adligen sprangen verfaulte Scharen,
voreingenommene Richter hackten die Gerechtigkeit

in den seidenen Kitteln,


und überall sprossen Galgen aus der Erde,
die den Armen und Elenden nachliefen
und ihnen zubrüllten:

Freut euch, ihr lernt im Alter in der Luft tanzen,


und oh Freude, eure Töchter werden zu Huren!
Nein, nein, das war nicht die Welt, die der Vater
oder der Landvogt verkündeten.

Als Klaus endlich die Augen aufschlug, glaubte er,


aus der elenden Lampe über seinem Kopf
zischten Blitze herab, deren schwefelhaltiges Licht
ihn blendete und versengte.

Seine Kleider fingen an, am Körper zu brennen,


und über allem schwebte eine grenzenlose Angst:
Was hatte er, der Frevler, getan,
dass er sich den wütenden Galgen eingefangen hatte?
Umgekehrt, umgekehrt, er hatte sich doch über eine
der Verlorenen geworfen, um sie
bis auf die Haut auszurauben
und gänzlich auszuplündern.

In der Zwischenzeit war die Schwäche


aus der Dirne gewichen.
Mürrisch richtete sie sich auf.
Raus hier, du Lumpenhund. Was stocherst du in mir herum?

Klaus konnte das kalte Entsetzen, das ihn ergriffen hatte,


nicht mehr zurückhalten. Unbewusst,
sei es aus Mitleid oder aus der Sucht heraus,
sich von dem Schuldspruch freizukaufen,

schüttelte der Bursche mit fiebrigen Händen


einen Regen von Silber- und Kupfermünzen
über dem struppigen Haar des kauernden Mädchens aus,
und der Flüchtige war so erregt, dass er sogar den Rest

des Geldes nach dem schläfrigen Pfeifer warf,


als wolle er sich wehren, als er durch den Schenkraum flog.
Auch er war ein gepeinigter Mann, der nachts
auf den Landstraßen fror und sein Elend

aus den fünf Windlöchern hinaus wischte.


Weg, nur weg von hier, um nie wieder
der Wahrheit in ihr lächelndes Gesicht zu schauen.
Doch der Pfeifer sprang den rollenden Münzen hinterher

und war überzeugt, dass er es mit einem edlen


Nachtschwärmer zu tun haben musste.
Der Bucklige schnappte sich dankbar sein Instrument
und eilte dem launischen jungen Herrn nach,

entschlossen, dem so unvernünftigen Drängler


durch seine Kunst den Weg abzukürzen.
Draußen tauchte die Gestalt im Wams des Seehunds
hin und wieder aus den morgendlichen Dämpfen auf,

und der Dudelsackspieler keuchte stolpernd und stürzend


den abschüssigen Weg entlang, während sein Instrument
seltsam hohe, zerrissene Töne quiekte.
Doch allmählich verlor der Verfolger sein Ziel aus den Augen,

und an einer Biegung des Weges blieb er stehen,


holte Luft und streichelte genüsslich sein Querholz,
das ihm so hohe Ehren eingebracht hatte.
O Maria, lass mich in Ewigkeit dein Erbarmen besingen!
SIEBENTES ABENTEUER

Der Mond verblasste in seinem feuchten, blassen Hof,


als Klaus aus den toten Ästen des Sassenwaldes
auf die Höhe der Dünen trat.
Unten fegte ein starker Wind über Strand und Meer,

fegte den Dunst weg und öffnete einen weiten Blick


für die Ankunft. Schwarz und düster wogte
die anschwellende Weite am Rande des Horizonts,
und ihre dunklen Hügel wanderten schräg

in melancholischen Reihen
auf die ferne Bucht von Binz zu.
Dazu schwebte von überall her
ein nicht enden wollendes Brummen über die Bahn,

als ob schlaue Bienenschwärme


im Morgengrauen den Heimweg suchten.
Und doch, dort unten war es hell,
und das Gespenst der grauen Buchenstämme war überwunden.

Endlich! Der verschlafene Heimkehrer


wandte sich noch einmal dem kalten, nebligen Wald zu,
um sich ungläubig zu vergewissern,
ob all die verwirrten Gestalten,

die ihn bisher begleitet hatten,


dort hinten zwischen den tropfenden Büschen
wirklich vom Erdboden verschluckt waren.
Aber nichts rührte sich mehr,

und es war wohl nur seine verzweifelte Erinnerungsgabe,


wenn scharfe, halb wahnsinnige Geräusche
sein Gehör noch durchschnitten.
Es klang wie das Weinen eines verstörten Kindes.

Klaus schüttelte sich und wischte sich die Regentropfen


von der Stirn. Dann trat er weiter hinaus,
und seine Augen tranken durstig das
immer noch große Bild.

Ja, da draußen, murmelte er sehnsüchtig, da draußen!


Die uralte Vorstellung der Küstenbewohner überkam ihn,
dass der silberne Ring, der die bewohnte Erde umgab,
auch die Macht besaß, alles Unglück,

alles irdische Leid


in Freiheit und Vergessenheit aufzulösen.
Und er wusste noch nicht, dass alle Wasser der Ozeane
nicht ausreichen würden, um die Verbrennungen zu kühlen,
die seine zarte Seele heute Nacht empfangen.
Der Wind knisterte um ihn herum
wie der Klang von Fahnen,
und das Meer sang sein tausendstimmiges Kampflied

unter ihm und fegte den leicht entflammten Mann fort.


Er warf beide Hände hoch und schrie zur Antwort:
Ich will, ich will! Natürlich, wer konnte schon sagen,
was er da mit heiliger Entschlossenheit schwor?

Und doch, es war sein Bündnis mit dem Willen der Welt.
Und der Wille der Welt gebiert die Tat.
Und die Tat allein verändert, was geschaffen wurde.
Mit dem unerklärlichen Gefühl unverdienter Sühne

bereitete er sich auf den Abstieg vor.


Da wurde er noch einmal
aus seinen goldenen Wolken gerissen.
Tief unter ihm, wo das Häuschen von Eberhard,

dem Mattenweber, eingekeilt


zwischen den beiden vorspringenden Hügeln lag,
bewegten sich trotz der frühen Morgenstunde
ein paar unerkennbare schwarze Punkte.

Es sah aus, als würden sich hungrige Krähen


um einen Happen Fleisch streiten.
Klaus stolperte. Das waren doch sicher Menschen?
Was taten sie dort? An diesem einsamen Ort?

Und in langen Sprüngen stieg


der verdächtige Mann von den Dünen herab.
Fast im selben Moment trafen sich drei Männer
vor dem schiefen Tor des Mattenweberhäuschens,

das sonst nur für Eingeweihte


sichtbar wie ein großer brauner Pilz
zwischen den Trümmern hing.
Vom Strand aus war es der Landvogt,

der mit schwerer Faust und lautem Klopfen


an die Tür schlug, während auf der anderen Seite
des Dünenweges, kaum einen Gedanken später,
ein pelzbekleideter Jäger und sein Knecht

um die Ecke der elenden Siedlung bogen.


Unmittelbar vor dem Eingang stießen sie aneinander.
Überrascht und verärgert schob
der vorderste der Bewaffneten seinen grünen Hut aus der Stirn

und schnauzte den Vogt an, als hätte man ihn soeben
bei der Überschreitung seiner Befugnisse erwischt.
Doch gleichzeitig schwappte eine Welle der Verlegenheit
verräterisch über die Wangen des Jägers.

He, was ist los? rief er, überhaupt nicht erfreut


über die Begegnung. Langsam zog der Landvogt
die Lederkappe von seinem kahlen Schädel.
Ich bin es, Knappe, erklärte er ohne besondere Furcht.

Gemäß dem Erlass des Priesters muss ich...


Doch bevor der Satz zu Ende gesprochen werden konnte,
wurde der Querbalken von innen zurückgeschoben,
und spähend, kaum bekleidet, beugte sich Anna Eberhard

über die Schwelle. Gegen den Morgennebel


krümmte das Mädchen die Schultern,
nur durch ein Leinenhemd geschützt,
und die nackten Füße zitterten unter dem kurzen Rock.

Ihr reiches, blondes Haar fiel noch immer unordentlich


weit über ihren Rücken. Statt ihn anzusprechen,
legte sie nur flehend den Finger vor die Lippen,
als Zeichen, dass vor allem die Ruhe nicht gestört werden solle;

dann glitten ihre noch immer kindlichen Augen


schüchtern und flehend zum Grafen hinüber,
und ihre ganze Gestalt begann zu zittern wie ein Tier,
das auf den Schlag der Schlachtung wartet.

Die Bewegung erzählte von unentrinnbarer Armut,


von Verfolgung und Verstrickung
und von dem jämmerlichen Elend
des drohenden Unterliegens. Die Geste war so beredt,

dass selbst der Junker von Cona


ein unnatürliches Lachen ausstieß.
Hier bin ich, rief er, obwohl die Begrüßung
fröhlich klingen sollte, und ohne dass der Jäger verstand,

wie ein aufmerksamer Mensch leicht


das Komplott hinter diesem Ausruf entdecken konnte.
Eine Weile blickte auch der Vogt schweigend
von einem zum anderen, doch dann zog er

die zotteligen Augenbrauen zusammen,


zuckte mit den Schultern und wandte
seine massige, gehetzte Gestalt wieder
dem Mädchen zu. Ja, es hat keinen Zweck,

beharrte er, die Frist ist abgelaufen. Wie sieht es aus?


Bei der mürrischen Aufforderung lief der Ermahnten
ein neuer Schauer über die Schultern,
die Farbe ihrer Wangen veränderte sich,

und während sie halbherzig zurück in die Hütte deutete,


stammelte sie, um doch noch etwas zu antworten:
Wahrlich, wahrlich, Mutter liegt krank.
Der Gerichtsvollzieher krallte sich

in die Halskrause seines Bartes;


er schien an die Ernsthaftigkeit des Einwands zu glauben.
Ich weiß, gab er zu, was ist los?
Jetzt hielt sich die Blondine an dem Pfosten fest.

Das Feuer hat sie umgehauen, stammelte sie,


getäuscht von der Aussicht, dass ihr Unbehagen
doch noch ihr Mitgefühl gewinnen könnte.
Ich kann weder etwas sehen noch hören.

Schlecht, murmelte der Landvogt,


der schwarze Nebel ist schuld daran.
Doch schon kramte er in seiner Ledertasche
und fragte in Ausübung seines harten Berufes:

Hat sie dir den Groschen gegeben?


Da weiteten sich die blauen Augen des kleinen Mädchens,
und in der Überzeugung, dass ihre letzte Hoffnung
nun schwand, senkte sie den erhobenen Arm

und schüttelte zerknirscht den Kopf, auf alles gefasst.


Sie sah aus wie ein gerade gefangener Vogel,
der kampflos und fassungslos durch das Gitter blinzelte.
Ja, dann nützt es nichts, entschied der Vogt

und knurrte nach einer Weile: Kannst du es dir nicht


bei den Beckers ausleihen?
Es war noch ungewiss, ob das Mädchen
in seinem Unverständnis den Faden,

der ihm zugeworfen wurde, aufgreifen konnte,


als etwas Schnelles und Unerwartetes geschah.
Der junge Graf hatte diesen Verhandlungen
schon lange zugehört, und von Zeit zu Zeit

stieß er scherzhaft mit seinen beiden Doggen zusammen,


die ihm wie Schlangen auf den Fersen waren.
Nun aber drängte sich Malte Cona ungeduldig
an das Mädchen heran, ganz dicht und eng,

so dass der schmale Spalt in der Tür


für die beiden Körper fast nicht ausreichte,
und es war wirklich kaum wahrnehmbar,
wie nun der Jäger seiner Nachbarin,
die seine Hilfe nicht im Geringsten unterstützte,
hinter ihrem Rock geschickt einen Lederbeutel
in die Hand spielte. Kaum spürte die Weberstochter
den prallen Gegenstand zwischen ihren Fingern,

da vollzog sich eine auffällige Veränderung an ihr.


Ihr ganzes Gesicht wurde so weiß
wie Leinen auf der Bleiche,
ihre Füße versagten ihr den Dienst,

und ihre Augen, die vorher so klar waren,


sanken dumpf und schuldbewusst auf das Schilf
vor der Türschwelle. Dem Willen eines anderen gehorchend,
ganz ohne eigenen Antrieb, hielt sie dem Landvogt vor,

was sie erhalten hatte. Hier, murmelte sie tonlos.


Und dann plötzlich, als ob etwas sie zwang,
das Geld schnell wieder loszuwerden: Da, nimm es.
Der Vorgang sprach zu deutlich,

um missverstanden zu werden.
Wieder ließ der Gerichtsvollzieher seinen Blick
von einem zum anderen gleiten.
Doch dann nahm er den Beutel langsam,

um den Inhalt nachdenklich und ohne Eile zu zählen.


Es ist zu viel, stellte er schließlich fest.
Dann behalte es der Bettler, rief der junge Graf grimmig.
Der Landvogt aber blieb so undurchschaubar wie immer.

Die Eberhards haben nichts zu verschenken,


sagte er ruhig, während er dem Mädchen
den Rest bereits wieder aushändigte,
und fügte rätselhaft hinzu: Vielleicht weißt du es nicht,

Geld kommt selten zu armen Leuten.


Damit begann der zottelhaarige Mann,
seine Ledertasche aufzuschnüren,
und schien durchaus gewillt zu sein,

Zeuge dessen zu sein, was nun folgen würde.


Doch der Junker, dem die feuchte Kälte
immer mehr zusetzte und der durch die Nähe
des demütigen, zitternden Wesens daran erinnert wurde,

dass er gekommen war, um zu jagen,


um Männer zu jagen, beschloss,
all den unnötigen Hindernissen, die er schon
seit Monaten ertragen hatte, mit einem Ehrenwort

ein Ende zu setzen. Komm, Dirne,


forderte er ohne Zögern, aber mit einer Art
gutmütiger Frische, ich will dir die Ehre erweisen.
Gib mir einen heißen Schluck da hinein,

und ich will dich loben.


Hier schnappte der Vogt heftig die Schnürsenkel
seiner Tasche zusammen und brach
in ein heftiges Wolfshusten aus.

Das Mädchen aber, ohne die Anwesenheit


des anderen weiter zu beachten,
stemmte sich mit beiden Armen gegen die Türpfosten,
so dass der Eingang versperrt war,

und rief, die hellen Augen


auf den stattlichen Mann gerichtet,
in großer Sorge, aber zugleich wie in verwirrter,
überstürzter Neigung aus:

Bedenke, Herr, das kannst du nicht wollen.


Meine Mutter, sie sieht und hört nichts mehr.
Da lachte der Jäger halb in Trotz und halb in Scham,
weil ein kleines Mädchen ihn

von ihrer Schwelle vertreiben wollte.


Hastig umklammerte er ihren Arm und schob sie beiseite.
Mach keine kleinen Mätzchen, sagte er zu ihr,
was braucht die Alte mich zu sehen, wenn ich bei dir bin?

Schon setzte er seinen Fuß auf die Schwelle.


Aber das schwache Geschöpf, das fühlte,
wie sie jetzt von jeder äußeren und inneren Hilfe
verlassen sein würde,

lehnte beide Fäuste gegen seine Brust


und atmete ohne Widerstand und Zorn:
Erbarme dich, lieber Herr, erbarme dich.
Wäre ihr Unterdrücker jetzt mit ihr allein gewesen,

so hätte er vielleicht von ihr abgelassen und sie gescholten,


denn die schlichte Reinlichkeit ihrer Jungfräulichkeit
verfehlte ihren Eindruck auf sein herrisches
und verdorbenes Gemüt nicht ganz.

Aber leider sahen die beiden Fremden dem Spiel zu,


und wie konnte der Grafensohn die Zurückweisung
eines solchen Katzenweibes hinnehmen?
Er schürzte spöttisch seine vollen Lippen

und stieß einen schrillen Pfiff aus,


so dass die beiden Tiere hoch über ihm aufstiegen.
Vogt, rief er mit seinen dunklen, funkelnden Augen,
die in ihrem Jähzorn denen von Klaus Becker ähnlich waren,
wie ist das? Gehören hier nicht schon lange
ein paar Fischerknechte hin? Wie wäre es,
das Nest auszuräumen
und die Weiber auf den Hof zu bringen?

Die Drohung war wohl nur dazu gedacht,


den Widerwillen der Blondine zu überwinden,
aber sie hatte keine Wirkung auf den Gerichtsvollzieher.
Seelenruhig schloss der breitschultrige Mann seine Tasche,

packte seinen Kronenstab fester


und schüttelte schließlich entschlossen
seinen massigen Kopf. Dazu habe ich kein Mandat,
wies er die Zumutung ohne eine Spur von Zugeständnis zurück.

Ich tue, was mein Amt verlangt, mehr nicht. -


Na, dann pack dich, befahl der Jäger, dunkelrot und gereizt.
Nun, mein Herr, das kann ich tun,
stimmte der Gerichtsvollzieher zu,

immer mit der gleichen Besonnenheit,


warum nicht? Lebe wohl.
Respektvoll, als ob nichts weiter geschehen wäre,
lüftete er seine Mütze

und schritt dann weit in Richtung der Dünen.


Doch kaum hatte er den Rand des Weidengebüschs erreicht,
ließ er sich auf eine Welle aus Sand hinuntergleiten
und duckte seinen unförmigen Körper vorsichtig

hinter die verbliebenen braunen Blätter der Stöcke.


Mensch, Velten, dachte er bei sich, diese Spezies denkt immer,
sie sei allein auf der Welt. Was glaubst du,
wie lange sie sich noch den Rahm aus der Milch schöpfen lassen?

Damit stieß er seinen Stock in den Boden


und legte sich auf die Lauer.
Vor der Hütte aber hatte die Sucht
nach Besitzergreifung inzwischen den Streit entschieden.

Zwischen Aufforderung und Befehl


hatte der Jäger das halbdunkle Zimmer betreten,
und er wollte seine beiden Doggen
nicht einmal daran hindern, schnüffelnd vor ihm herzulaufen.

Nun tasteten sie in der düsteren Enge herum,


bis die Tiere plötzlich wie auf einen Schlag
vor einem traurigen Bettgestell stehen blieben.
Blähend richteten sie ihre roten Zungen

auf ein wächsernes Menschenbild,


das tief in einen groben Strohsack gekrümmt lag,
die Augen geschlossen und der Atem hechelnd.
Es war ein erschreckender Anblick,

als der Eindringling diesen Fieber-zuckenden Menschen


zum ersten Mal erblickte, und der unvorbereitete Mann
schreckte vor den schwarzen Wangen
und der spitzen, vorstehenden Nase zurück.

Gott schenke dir einen guten Tag, Frau,


brachte er allmählich eine Begrüßung hervor,
wobei er den ungebetenen Zeugen
seiner wahnsinnigen Leidenschaft nach Kräften verfluchte.

Wie geht es dir? Was machst du da?


Doch aus der Lade kam keine Antwort,
nur ein schnelles Keuchen,
das sich mit dem Hecheln der Hunde vermischte,

und anstelle der Erschöpften


gab schließlich die Tochter die Auskunft.
Sie stand am Kopfende des Bettes,
und während ihr Kopf und ihre Arme schlaff herabhingen,

sagte sie ausdruckslos und verwirrt:


Sie weiß nichts. - Aber ja, nickte der Knappe.
Unbehaglich und benommen von der drückenden,
erstickenden Luft unter dem niedrigen Gebälk

ließ der junge Mensch einen schnellen Blick


über das karge Elend seiner Umgebung schweifen,
über die hölzernen Wände voller Rauch und Ritzen,
über den kargen Hausrat,

und sein Geruchssinn revoltierte heftig


gegen den Dunst eines Haufens Binsen,
der in besseren Tagen wohl zum Binden
von Matten verwendet worden war.

Jetzt lag es aufgestapelt zum Trocknen


auf dem Dachstuhl unter der Decke.
In all dieser hoffnungslosen Armut
gab es nur einen einzigen Schimmer, einen Glanz,

so schien es zumindest den immer wütender werdenden


Menschen, der von den langen Locken
des Mädchens ausging. Weißblond
schimmerten sie durch das Halbdunkel,

wie ein fein gesponnenes Netz aus jungem Flachs,


und der unbändige Wille des edlen Gastes
klammerte sich nun an diese seidigen Fäden.
Unruhig ließ er sich auf dem einzigen Stuhl am Tisch nieder,

und da er seine Verlegenheit vor dem Wachsbild


im nahen Bett nicht ganz überwinden konnte,
versuchte er wenigstens, seine Absichten
vor den Ohren der Lauscherin zu verbergen.

Komm her, Mädchen, flüsterte er.


Gehorsam schob sich die Gerufene näher heran
und bemerkte kaum, dass sie ihre Füße bewegte.
Dann stand sie dicht bei dem Jäger.

Eifrig griff er nach ihrer Hand.


Siehe, murmelte er eindringlich
und legte ihre Finger auf sein Herz, wie es klopft!
Du hast es mir angetan.

Doch als das Mädchen ängstlich den Kopf schüttelte,


fuhr er eilig fort: Keine Angst, du dummes Ding,
von nun an wird es dir besser gehen.
Du hast nicht einmal ein Bett!

Sag mir, wo schläfst du, du bleiche Leinwand? -


Dort, Herr. Sie zeigte auf den Kragen der kranken Frau.
Dort? Bei dem Gedanken,

dass dieser jugendlich warme Körper


jeden Abend neben dem grauenhaften Skelett
seine Ruhe finden sollte, lief dem Mann
ein sichtbarer Schauer über den Rücken.

Beschwichtigend legte er seinen Arm um ihre Taille,


doch kaum spürte er, wie sich die schlanke Kurve ihres Körpers
leise an ihn schmiegte, stieg ihm eine heiße Welle
des Verlangens auf, und er versank in ihren roten Wirbeln.

Dirne, verflucht! stöhnte er in einer glühenden,


unvernünftigen Hitze. Und während er die Blondine zwang,
sich zu ihm auf den Stuhl zu setzen,
kümmerte er sich weder um die kurzen Atemzüge,

die den Strohsack dort in der Ecke schaukeln ließen,


noch um die hölzerne Steifheit jener Gliedmaßen,
die er jetzt geradezu zu biegen und zu brechen trachtete.
In ihm brodelte nur die Glut und das planlose Durcheinander

des Ergreifens. Goldfuchs, stammelte er,


während er sich abmühte, komm schon, sperr dich nicht.
Ich bin schon seit Monden hinter dir her,
ja, ja, das weißt du ganz genau.

Du machst mich fast wahnsinnig!


Oder sag mir, meine Liebe, bin ich dir zuwider?
Sie lag schon in seinen Armen,
verwirrt vor Schreck, atemlos,

aber dicht an seinem Mund flehte sie noch immer


mit dem rührenden Bewusstsein der Verlorenen:
Herr, es ist nicht gut für mich, es zu wissen.
Verschone mich.

Dann hörte er aus ihrem Ausatmen das Geständnis.


Mit einem hellen Lachen jubelnd, nahm er sie ganz zu sich,
und in der Leben-erschütternden Verschmelzung eines Kusses
verschwand alles Wesenhafte aus ihnen

für die Dauer eines fallenden Regentropfens.


Wie zwei glückselige Bienen,
die selbst der Sturm nicht auseinandertreiben kann,
hingen sie in einer blauen, golddurchwirkten Luft,

und das einzige, was die Zeit zwischen ihnen maß,


war der hämmernde Hufschlag ihres Blutes.
Aber dort am Kragen? Öffnete sich nicht ein Paar
glanzloser Augen? Der tote Silberglanz

eines geschlagenen Fisches hätte sie nicht


seelenloser anstarren können,
und so eifrig der verliebte Mann auch seinen Kopf
hinter den Schultern des Mädchens verbarg,

das blinde Metall dieses Blickes schmolz


durch die lebendige Hülle.
Dirne, jetzt hast du nichts mehr.
Die alte Frau wird dir nichts tun.

Auf dem Boden schnüffelten die beiden Doggen munter,


sie wurden unruhig, schlugen an und schreckten dann
vor dem Ansturm des Tageslichts zurück,
das zur offenen Holztür herein schoss.

Eine große, dunkle Gestalt hob sich schwarz


von der Helligkeit ab.
Da entkam zum ersten Mal ein Laut den Lippen,
die bisher aus Furcht vor dem Junker stumm gewesen waren,

scheu vor seinem seltsamen Glanz


und versiegelt von seiner stürmischen Zärtlichkeit.
Ein Schrei schallte gegen die Decke und wurde
vom Querbalken zurückgeschleudert: Klaus!

Dann wurde es wieder still.


Furchterregend, betörend still.
Man hörte nur noch das Klappern der kranken Säge
durch den Raum schallen.

Endlich riss sich der Gutsherr zusammen,


langsam, unsicher, denn nicht nur der Anblick des Mädchens,
das beide Hände vor dem Gesicht verschränkt hatte,
verwirrte ihn, nein, auch die unglückliche Scham

des auf frischer Tat ertappten Mannes,


der seine glühendsten Begierden im Zaum hielt,
biss an seinem Hochmut. Außerdem ekelte ihn
das rätselhafte Schweigen dieses elenden Hinterwäldlers,

der bleich und atemlos vor ihm stand,


als hätte sein zuckender Mund ein Urteil zu fällen,
immer mehr. Was soll das? fuhr der Jäger plötzlich auf
und packte seine Armbrust mit einem Griff.

Warum arbeitest du nicht, du Flegel?


Was hast du hier zu suchen?
Weißt du nicht, wo dein Platz ist?
Ja, der große, schlanke Junge wusste wirklich nicht mehr,

wo sein Platz in der Welt war. In diesem Moment


fühlte er nichts als den gewaltigen, rauchigen Zusammenbruch
all seiner kindlichen Träume, die so lange und zärtlich
von seiner Mutter und dem Mönch gehegt

und gepflegt worden waren. Nichts, nichts, die Träume


waren von einem Lügner so glorreich gemalt worden,
nur Gewalt wütete auf der Erde, und nur Gewalt
konnte die rasende Wut der Mächtigen brechen.

In die weit aufgerissenen Augen des Jungen


trat ein seltsames Wandern und Blinzeln,
und obwohl sich der lange Körper kaum bewegte,
bemerkte sein Widersacher mit Schrecken,

wie sich die Finger des Jungen


wie in einem Krampf öffneten und wieder schlossen.
Gespenster, schwarze, verzerrte Fratzen
tanzten um ihn herum. Was ihm aus der bösen Nacht

entgegengesprungen war, heulte nun um ihn herum.


Geschminkte Dirnen, entmenschlicht an Leib und Seele,
zerrten an seinen Haaren, taumelnde Galgen
fielen auf ihn herab, Entrechtete,

die sich in Hungertürmen verschanzt hatten,


spuckten ihn an, und jene, die aus Lust
und Nutzen der Macht gehängt wurden,
legten ihm ihre Stricke um den Hals
und schnitten ihm den Atem ab.
Kein Atem kroch aus seiner zugeschnürten Kehle,
nur ein heiseres Wimmern riss sich mühsam
aus seiner wunden Brust.

Erde, Erde, wo ist ein sicherer Hafen


vor Erniedrigung und Schande?
Wo eine Zuflucht für die Gequälten?
Wo ein Richter für die Peiniger und Unbarmherzigen?

Nirgends, nirgends! War nicht hier, vor seinen Augen,


ein stilles, reines, heiliges Gefäß zerbrochen,
geschändet worden, aus keinem anderen Grund,
als weil es einem Feiernden gefiel,

schon am grauen Morgen ein Fest zu feiern?


Hier wollte ein kitzelnder Gaumen Speisen
aus Klausens eigenem Fleisch und Blut zubereiten.

Vieh, brüllte der Mann, der aus seinem fiebrigen Strudel


heraus getaumelt war und besinnungslos hineinsprang.
Der Jäger hatte sich hinter den Tisch bewegt,
jetzt flog die Armbrust an seine Schulter.

Knecht, zischte er in überschäumender, Hass-verzehrter Wut,


man wird dir deinen eigenen Galgen aufstellen. -
Natürlich, einen eigenen Galgen, ich weiß, ich weiß,
damit ich jung in der Luft tanzen lernen darf.

Und unsere Schwestern und Töchter, o Seligkeit,


werden sie zu Huren?
Ein Sprung, etwas Schwarzes zog über den Tisch,
der Bogen und der Kolben der Waffe

schwankten einen Gedanken lang in der Luft,


formlos, bald oben, bald unten, dann ein Schlag,
ein dumpfes, matschiges Geräusch,
und der Graf hob beide Arme und sackte

unter den vier Füßen der Platte zusammen.


Nicht für lange. Als der Vergewaltigte
unter dem Tisch hervorgekrochen kam,
die Ohren brummten und das Bewusstsein schwankte,

glaubte er, seinen Dompteur weit hinter sich zu sehen,


durch die offene Tür, der in langen Schritten
den Strand entlangfuhr. Über die Schulter
hatte der Bursche das Mädchen geworfen,

jenes willige Mädchen,


das nur aus Bosheit, aus Ungnade
der Lust des Wirtes beraubt worden war,
und ohne sich von der Last aufhalten zu lassen,

schien der Schurke, der Rebell, auf den zu Recht


der eiserne Kragen, die Stachelschraube
oder der Galgen warteten, dem Schutz
seiner heimatlichen Hütte entgegenzufliegen.

Doch das sollte nicht sein. Auf allen Vieren


schleppte sich der Gedemütigte zur Schwelle,
doch während er hier auf die Brust sackte,
so dass seine Lippen das Schilf küssten,

sprudelte es in ohnmächtiger Raserei aus ihm heraus:


He, Thor, Freyja, ergreift, ihn, ergreift ihn!
Und noch einmal wälzte er sich nach dem Waffenträger,
der sich auf seinen Herrn stürzen wollte,

und stöhnte sinnlos auf: Schieß, du Halunke,


wenn du den Mörder nicht triffst,
wirst du die Peitsche schmecken! Himmel und Hölle,
leg an, auch wenn du den Heiland mitten

durch die Brust spießen solltest.


Zerrissen, zerstückelt, all diese Flüche
wurden vom feuchten Wind zu Klaus getragen,
und bald spürte er auch die Hunde,

die über den nassen Sand huschten.


Vorwärts, vorwärts! Nur ein Plan schwebte ihm vor,
diese entwürdigte Frau, die bei vollem Bewusstsein war
und doch steif und kalt wie ein Stein aus seinen Armen ragte,

der Gier ihres Peinigers zu entreißen.


Die zukünftigen Mütter der Armen
brauchten nicht überall geschändet zu werden.
Nur eine, stammelte er, keuchend,
nur eine muss erhalten werden. Nur eine!

Er wusste nicht mehr, worum er bettelte,


denn seine eigene Schande und Bedrückung vermischten sich
mit dem Schicksal seiner Verwandten.
Und so wunderte es ihn nicht, dass er keine Antwort erhielt.

Vorwärts, vorwärts! Da waren ihm die beiden Doggen


schon dicht auf den Fersen. Körper an Körper
peitschten die Tiere über den spritzenden Sand,
und der heiße Dampf, den sie ausstießen, blähte sich

im dichten Nebel auf. Der Flüchtige


stieß einen schrillen Schrei aus,
setzte aber seinen ungestümen Lauf
in wilderen Sprüngen fort.
Nur eine, murmelte er noch einmal.
Ein Zischen ertönte. Ein warmer Regen sprühte
über den Läufer. Und das steinerne Abbild zuckte
und schwankte ein wenig in seinen Armen.

Anna! rief er und schüttelte sie.


Um ihn herum begann die eisige Flut
mit tausend Stimmen zu singen,
und während sein Körper immer tiefer sank,

erkannte er noch die Worte des großen Liedes,


das ihm Schlummer und Schmerzlosigkeit brachte.
Sie sangen alle zusammen, die je
sein Dasein umgeben hatten, Pater Franziskus

und Becki, der Vater und Anna Eberhard,


der junge Graf und die Mutter,
Hein Wichmann und all die vielen Bauern,
der Jude wirbelte die blitzende Axt um sein Haupt

und stimmte in den mächtigen Chor ein,


der trotz allen Leids die unzerstörbare Schönheit
von Sonne, Erde und Meer
und die Festlichkeit jedes wilden Geschehens pries.

Klaus gluckste, noch aus der Tiefe wollte er


in dieses allgemeine Lob einstimmen,
dann fühlte er, wie er sich ohne sein Zutun erhob,
sättigende Luft drang zu ihm durch, Licht durchbrach

die Schwärze und öffnete seine Augen,


und weit vor ihm erstreckte sich die Freiheit des Unbegrenzten.
Er lag im Kahn, und Hein Wichmann beugte sich über ihn.
Das Segel wurde herumgeworfen,

der Bugspriet zeigte auf die offene See.


Hinter ihnen schrumpfte die Küste immer dünner
zu einem langen schwarzen Arm,
der die dunkle Dünung liebevoll an sich zog.

Kaum noch zu erkennen waren die höchsten Erhebungen


der Insel mit ihren dunklen Waldkronen.
Mühsam zog sich Klaus bis zur halben Höhe hoch
und warf einen müden Blick in die Runde.

Seine Glieder waren noch immer von seinem Willen


und seinem Bewusstsein getrennt,
und Wasser floss in Strömen von seiner Kleidung.
Hein, seufzte er, sein Herz klopfte unruhig

in Richtung des weiten Raumes, der von Rauch


und Nebel erfüllt war, wo bringst du mich hin? -
Wohin? Der andere streifte den am Boden liegenden Gefährten
mit seinem seltsamen Augenspiel,

dann brach er in sein übliches Kichern aus.


He, Kleiner, kommentierte er, was für eine kitzlige Frage!
Wohin geht ein Mann, wenn er den Fuß aus der Tür setzt?
Weißt du das? Ich weiß es nicht, denn der Weg

kommt gewöhnlich zu dem Wanderer.


Aber fürchte dich nicht, ich glaube, ich kann sagen,
ich werde dir deinen Weg zeigen.
Dabei stieß der kleine strohhaarige Mann

versehentlich mit dem Fuß gegen etwas Klirrendes.


Und siehe da, es war das Messer, das er
bei seiner Ankunft getragen hatte,
und daneben lagen die Reste der ehemaligen Goldkette.

Und jetzt entdeckte Klaus auch, dass unter dem Steuersitz


ein kleiner Weidenkorb versteckt war, in dem Brot
und Milch lagen. Es war offensichtlich, dass alles an Bord
für eine längere Reise vorbereitet war.

Hein, rang der Liegende seiner Schwäche ab,


du wolltest dich von uns wegstehlen?
Er packte das Steuerrad fester
und verglich die Spitze des Bugspriets

mit dem silbernen Band des Mondes,


dessen Phantom noch im Tageslicht
durch den Seerauch dämmerte.
Erst dann wies er den Vorwurf ausweichend

auf die ihm eigene sophistische Art zurück.


Sei ruhig, Kleiner, was heute passiert,
muss morgen nicht passieren. Mir scheint,
es ist nicht schlecht für dich gelaufen,

denn ich dachte, meine Tage hier seien erfüllt.


Aber jetzt kannst du mir auch sagen, warum du
mit Hunden vom Strand deines Vaters gejagt wurdest?
Ist dir das nicht auch passiert, du frommes Kind?

Dann kroch Klaus auf die Steuerbank


und ließ, die Arme leidenschaftlich um das Knie
seines Lehrers geschlungen, alles,
was ihm die jüngste Vergangenheit an Träumen

und feindseligen, unbegreiflichen Realitäten geschickt hatte,


in Tränen und Verwünschungen, in Hass und Zweifeln
aus sich herausströmen. Es wurde zum überbordenden
Bekenntnis eines Pilgers,

der sich mit deutlich spürbaren Flügeln


in den Himmel heben will
und nun vor Schmerz aufheult, weil das geballte Knäuel
aus Lehm und Kot an seinen Füßen klebt.

Sag mir, Hein Wichmann, flehte er am Ende inbrünstig,


während er den Magister mit beiden Fäusten
fast von seinem Sitz hob, wer hat diesen Ungerechten,
diesen Blutsaugern und Peinigern

diese schreckliche Gewalt gegeben?


Wer hat diese Tausende von demütigen Hälsen
unter ihre Füße gebogen, wer?
Mit bitterlich verzerrtem Mund blickte der Steuermann

auf den in wild zuckenden Feuern Verbrannten herab.


Wer? wiederholte er, und so etwas wie Zufriedenheit
über ein endlich erreichtes Ziel funkelte

in seinen zweifarbigen Augen. Wer hat ihnen


das alles gegeben, mein kleiner Klaus? -
Und wir? stammelte der Junge
und sank enttäuscht zurück.

Gib uns auch eine Hoffnung! -


Uns? Wir suchen nach unserer Freiheit. -
Suchen? - Aber wenn wir sie gefunden haben,
sagte der Kleine und glühte unheimlich,

dann werde ich die Tochter des Kaisers


zu mir unter die Papstkuppel einladen,
und du, kleiner Junge, darfst auf dem Sinai stehen
und neue Gesetze in die Tafeln graben.

So segelten sie viele Stunden lang auf das Meer hinaus.


Der Magister hielt das Ruder in seinen feinen Händen,
und der Junge lehnte an der Schulter seines Freundes,
den Kopf unwiderruflich dorthin zurückgedreht,

wo nur noch der schwindende Horizont die Küste verriet.


Längst war sie hinter den ruhig tanzenden Wellen versunken,
und doch beschwor der Sohn eines Sassen unablässig
das kleine Stück gelben Sandes vor sich herauf,

und über ihm das tote Mädchen,


dessen offene Augen auch jetzt noch
verständnislos auf Leben und Vergehen zurückblickten.
Noch einmal schlug sein Herz wie eine Trommel.

Allmählich sank der Tag, die Wellen wurden breiter,


und ihre Hügel waren im Widerschein des Mondes
mit tausend rastlosen Silberameisen bedeckt.
Zum Bugspriet hin aber schwoll das Unbekannte an,

der Dunst, das Geisterreich des Nebels öffnete sich.


Dann, gerade als Klaus an eine Gefahr zu glauben begann,
bemerkte er, wie sein kleiner Gefährte plötzlich
gegen alle Regeln das Ruder losließ;

im nächsten Moment wurde das Segel heruntergerissen,


und dann, in der Dämmerung Pforte, spielten
erstaunliche Zeichen auf und ab. Ein rotes Licht tanzte heraus,
ein grünes schoss darüber hinweg, und ein seltsamer Dialog

von flackernden kleinen Feuern entstand.


Und bevor der erschrockene Zuschauer
seinem Begleiter etwas zurufen konnte, hatte der Magister
eilig in seinen Gürtel gegriffen, und sofort schwang
ein schriller und kreischender Triller über die Flut.

Ein ähnliches Geräusch ertönte im Rauch.


Nur vielstimmig, zehnfach, schwirrte es über die Oberfläche,
und nun schwoll auch die riesige Brust, aus deren Tiefen
dieses unheimliche Gackern drang, schwarz und hoch auf.

Plötzlich starrten zwei Sonnen-große Augen


auf die Seeleute herab, rot und grün, eine breite Treppe
stürzte das hohe Gebilde hinab, und wie im Traum
fühlte sich Klaus von den willensstarken Fingern

seines Führers die Stufen hinaufgezerrt.


An Bord des Schiffes, eines dreistöckigen Schiffes,
wie es der Junge noch nie gesehen hatte, wurde es schon hell.
Eine Laterne wurde vor ihre Gesichter gehalten,

eine Schar bärtiger, verwegener Kerle drängte sich


um die Fremden, und eine kräftige Stimme rief
in wenig freundlicher Weise: He, ihr Vögel,
wer hat euch unser Pfeifen beigebracht?

Du bist ein Kalb, Zeiso Ulbrecht aus Wismar,


antwortete der Magister ruhig und gab
dem Laternenträger eine schallende Ohrferige,
kennst du jetzt meine Handschrift?

Es entstand ein Tumult, aber es war der Gezüchtigte,


der sich mit Armen und Füßen gegen die springenden
Matrosen wehrte und halb wahnsinnig vor Freude brüllte:
Jungs, Jungs, Mord und Hagel, der kleine Zwerg ist wieder da,

der Feuerbrand von Hamburg, der Lateiner.


Seht ihr nicht das goldene Jungfernhaar?
Jungs, Jungs, wie jetzt die Goldstücke wieder springen werden.
Victoria für Hauptmann Wichmann!

Es lebe der lateinische Mann,


Victoria für Hauptmann Wichmann! -
Es ist gut, nickte der Kleine ruhig,
und nun führe mich zum Admiral.

In der Runde erhoben sich jedoch leise Einwände.


Er hält einen Kriegsrat ab, sagten sie.
Da gehöre ich hin, stellte der Magister stolz fest
und wandte sich an seinen Gefährten,

dessen Antlitz angesichts der jüngsten Enthüllungen


so bleich wie nie zuvor durch die Nacht starrte,
und sagte fast mitleidig: Nimm dich zusammen, Klaus,
du bist auf der anderen Seite der Welt.

Dort ist das ursprünglich Gute zum Schlechten verzerrt worden,


hier ist das ursprünglich Schlechte zum Guten genutzt worden.
Dummheit und Verblendung,
auf der einen und auf der anderen Seite.

Wir haben nur einen Vorteil gegenüber den anderen:


Wir sind vorerst noch die Schwachen und Ausgestoßenen,
aber aus ihnen geht immer das Heilige hervor!
Komm, ich bringe dich zu meinem Herrn, Goedeke Michael.

ACHTES ABENTEUER

Es war um die Zeit des Ostererwachens.


Das Jahrhundert, das vierzehnte, seit der Stern
über Bethlehem leuchtete, rieselte dahin,
und fast dreizehnmal war der Winter

vom Sommer überholt worden, seit der alte Becker


in seiner kahlen Hütte auf der Sassen-Insel
die Hände über die wunde Brust legte und keuchte:
Mutti, es nützt nichts, unser Einziger ist weg.

Pass auf, bald werden mir die Augen zufallen


und sie werden ihn nicht mehr sehen.
Es war Osterzeit. Eine flammende Sonne
ging über Kopenhagen auf und hüllte

die damals noch kleine Stadt


mit ihren verstreuten spitzen Kirchtürmen
in einen wallenden Purpurmantel.
Überall, von den Dachfirsten der niedrigen Holzhäuser ebenso
wie von den Masten der Flotte,
die auf der Reede vor Anker lag,
rollte das Licht in langen roten Fahnen herab,
so dass es aussah, als wolle die Gottheit

selbst ein Fest schmücken. Und die Gottheit


und die Menschen dieser schlafenden Stadt
feierten tatsächlich ein Fest,
ohne dass die noch schlafenden Bewohner es ahnten,

denn der Friede neigte sich sanft der Erde zu,


der Friede nach einer mörderischen, räuberischen Zeit,
und die Sonne, die ihr rubinrotes Diadem
hoch in den Osterhimmel reckte,

wollte damit das Haupt des neu auferstandenen


nordischen Reiches krönen! Doch das menschliche Haupt,
das die drei Kronen tragen sollte,
war für eine Frau bestimmt.

Königin Margarethe von Dänemark, Norwegen


und nun auch von Schweden
stand unter der Fensternische ihres Arbeitszimmers,
und von diesem Vorsprung ihres Schlösschens,

das sich einst unweit der langen Linie erhob,


nun aber längst von der Zeit zerfressen ist,
schickte sie seit einiger Zeit ihren Blick hinaus
zu den sonnenroten Masten der Kriegskoggen,

die dort auf der weiten Fläche wie in einem Becken


voll glühenden Rotweins schaukelten.
Die schlanke, aber imposante und kraftvoll aufrechte Gestalt
der vierzigjährigen Frau verharrte regungslos

neben dem beiseite geschobenen Vorhang,


und man hätte meinen können, die Regentin,
die Freundin aller geistlichen Arbeit,
gebe sich einer andächtigen Osterstimmung hin.

Aber weder auf ihrer seltsam hohen Stirn


unter dem dunklen, gewellten Haar,
das nur sehr verdeckt, kaum merklich,
mit einem blitzenden Silberstaub bestreut zu sein schien,

noch in ihren großen braunen Augen,


deren Schärfe und überlegener Spott
Schrecken einflößen konnte, war auch nur eine Spur
von hingebungsvoller Verzückung zu sehen.

Nein, unter Margarethes schmaler, leicht gebogener Nase


wäre sofort ihre eigene verächtliche Ader
zum Vorschein gekommen, wenn man ihr
so etwas ernsthaft zugetraut hätte.

Denn der Heißhunger, mit dem sie sich


auf das Studium der Bibel, der Kirchenväter
und der Schriften der Mönche stürzte,
die sie bekommen konnte, war nur ein Teil

des Macht- und Geltungsdrangs, der sie beherrschte


und möglicherweise am nächsten Tag
von einem ebenso brennenden Eifer
für die Gesetze des Ackerbaus

oder die Schönheitsmittel der griechischen Hetären


abgelöst werden könnte. Alles, was man lernen konnte,
hatte diese Frau sich beigebracht.
Sie hatte ihre schlanke Hand ohne Zögern

in alle Fäden gestreckt, die die Welt lautlos durchzogen.


Sie korrespondierte mit allen Gelehrten, Künstlern
und Staatsmännern ihres Jahrhunderts.
Nicht weil sie von einer heißen, inneren Sympathie

getrieben wurde, sondern nur, um sich gegen die Feinde


ihrer Generation neu zu wappnen. Auch die lächelnde Hingabe
ihres noch immer strahlenden Körpers
an bedeutende, wenn auch vielleicht alte und hässliche Männer

ihres Landes entsprang dieser Neigung.


Der spöttische Aberglaube der Prinzessin glaubte,
dass sie in solchen Nächten die Fähigkeiten
ihrer Gefährten magisch aufsaugen konnte.

Oder sie kalkulierte nur kalt und nüchtern,


dass die so Beschenkten ihr fortan hörig sein würden.
Kein wärmerer Herzschlag pulsierte
für die von ihr Auserwählten,

nur ihre sicher einfangende, funkelnde und scheinbar


so offen quellende Freundlichkeit zog sich hin
und verbarg vor den weniger Eingeweihten
die gefährliche Ambivalenz der Sprache,

die ihnen so angenehm zufloss.


In dieser Kunst aber hatte Margarethe
einen solchen Grad der Vollkommenheit erreicht,
dass sie selbst manchmal fast versucht war,

das, was sie glänzend und leicht in die Luft malte,


für körperliche Gestaltung zu halten.
Es lebte nur ein einziger Mann,
der selbst am weichen, wohlklingenden Ton
der Stimme seiner Herrin
beim ersten Wort erkennen konnte,
wann die Regentin die Pfade der Geradlinigkeit
zu verlassen gedachte. Und wenn auch das bartlose,

zerfurchte Gesicht des Drosten Henning von Putbus


dieses Wissen nicht mit einem Wimpernschlag verriet,
so spürte Margarethe doch mit ihrem seherischen Blick
ganz genau, wie sehr sie und ihr schöner Wortschwall

hier von einem Paar stumpfer, erloschener


und oft wässriger Fuchsaugen durchschaut wurden.
Aber gerade dieses gegenseitige Wissen
um ihre tiefsten Ansichten verband die beiden Menschen

in einer gemeinsamen hohen Bewunderung


für ihre Klugheit. Es war die Allianz eines Fuchses
und einer Löwin, die sich gegenseitig
um ihre Schlauheit und ihre Pfiffe beneideten.

Auch heute blieb der kaiserliche Hofmeister


wegen des frühmorgendlichen Besuchs
in respektvollem Schweigen am Eingang
unter dem Spitzbogen stehen. Er zweifelte nicht daran,

dass seine Herrin, der er von einem Türwächter


angekündigt worden war, sein Erscheinen
längst bemerkt haben würde, aber er gestattete ihr
den Triumph, ihren ersten Ratgeber warten zu lassen,

bis es ihr gelegen kam, die tiefen Gedanken abzuschütteln,


die sie ihm zeigte. Margarethe lehnte sich mit dem Arm
an den Fensterbogen und trank das Spiel der Masten,
die sich ihr aus dem roten Wasser entgegen neigten.

Derweil war der überlange, grauenhaft abgemagerte Kanzler,


der schon wie ein alter Mann zitterte, damit beschäftigt,
sein schreiend buntes Prachtkleid zurechtzurücken;
ja, er schien großen Wert darauf zu legen,

dass die riesigen offenen Ärmel, die ihm fast


bis zu den Knien hinunter hingen, nicht einmal
eine einzige Falte warfen. Es war fast mitleidig zu sehen,
wie unbarmherzig eng die Knochen in seinen himmelblauen,

mit silbernen Ornamenten bestickten Mantel gepresst waren,


und die gelben Hosen mit ihren überlangen Schnabelstrümpfen
verrieten fast grausam die ausgemergelte Magerkeit ihres Trägers.
Dennoch hätte der greise Dürre das unangenehme Gefühl

des Unwohlseins um keinen Preis missen wollen.


Denn der reiche und mächtige Mann brannte geradezu darauf,
dem farbenfrohen Sinn seiner Herrin einen Blick
der Verwunderung zu entlocken.

Um ihrer vorbildlichen Stimmung willen


spielte das morsche Gerüst den Trottel.
Jetzt endlich drehte sich Frau Margarethe um,
und sofort begann ein freundliches, höfliches Lächeln

um ihren etwas breiten, aber sehr ausdrucksstarken Mund


zu gleiten. Schnell schritt sie auf den zusammengesunkenen
Drosten zu und reichte ihm die Hand. Wonach der alte Mann
seine schlanken Finger an seine welken Lippen führte.

Auch die Königin trug ein sehr enges, dunkelgrünes Gewand,


das gerade aus dem Süden für sie eingetroffen war
und ihre Figur, vor allem ihre Brüste, eng umschloss.
Es wurde das Gefängnis genannt,

aber die Prinzessin bewegte sich darin frei und anmutig.


Als sie den Arm hob, zitterten zwei lange goldene Quasten
bis zum Boden. Verzeiht mir, grüßte Margarethe
den alten Mann, ich habe Euch nicht bemerkt.

Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?


Der kaiserliche Höfling setzte sein mildes,
väterliches Lächeln auf. Ich wollte den Blick
meiner königlichen Gemahlin nicht unnötig

von dem Bild der schönen Freibeuterflotte


da draußen ablenken, sprach er in sanfter Ergebenheit.
Und als wäre er von einem unerhörten Ergebnis
hingerissen, keuchte und hustete er atemlos weiter:

Ja, seht, seht, sechzehn kriegerische Koggen.


Sie haben auch die neuen Lederschlangen an Bord.
Und diese schlimmsten unserer Feinde sind gekommen,
um Schwedens neuer Majestät zu huldigen.

Seine schwache Stimme brach, und die Erregung,


die er hervorrief, ließ seine Knie merklich zittern.
Setz dich, befahl Margarethe sanft, denn in diesem Moment
fiel der starken Frau der törichte Widerspruch

zwischen der Schwäche ihres Kanzlers


und seiner prunkvollen Maske auf.
Als der Drost sich weigerte, tanzte ein zweideutiger Funke
in den großen Augen der Frau. Sie war es gewohnt,

auch mit den Torheiten der Klugen zu rechnen.


Setz dich, Henning, forderte sie nachsichtig,
rückte selbst einen der hohen Stühle von ihrem Arbeitstisch weg
und nickte, als der Drost zögernd darauf sank.

Setz dich, mein Freund, du hast lange genug


vor mir gestanden, als es noch gefährlich war,
vor Spindel und Fingerhut zu stehen.
Die Regentin hatte oft Anfälle

von überschwänglicher Dankbarkeit,


und so streichelte sie auch jetzt sanft und behaglich
über die Pergamentwange ihres ersten Vasallen.
Herr Henning von Putbus aber schloss die Augen

und war für diesen Moment überzeugt, dass seine Treue


und Ergebenheit reichlich entschädigt worden war.
Die Tatsache, dass die schöne Frau
ihn so vertraulich beim Vornamen nannte,

weckte auch alte, unerfüllte Erinnerungen.


Hier, in Margarethes Arbeitszimmer, saß der gewiefte Staatsmann
oft und reckte sich wie ein verliebter Kater. Heute freilich
übersah er das Rascheln eines großen Pergaments
in seiner zitternden rechten Hand,

von dem schon die großen Staatssiegel an Schnüren schwangen.


Margarethe aber bemerkte es, und da sie keine Freundin
langatmiger Kabinettsvorträge war, sondern lieber
ihre wohlklingenden Worte auf andere wirken ließ,

verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken


und durchquerte den kleinen Teppichraum
mit gemessenen Schritten, wie es ihre Gewohnheit war.
Ja, ließ sie ihre dunkle Stimme erklingen, der Allmächtige

hat uns Gnade erwiesen. Nach sieben Jahren des Kampfes


und des Elends haben wir endlich ein Ziel.
Die schwedischen Adligen haben für uns gewonnen,
ihren verspielten König, der auch unsere weibliche Ehre

nicht verschont hat... hier warf sie im Vorbeigehen


einen prüfenden Blick auf ihren Zuhörer, aber da das Gespenst
im seidenen Wams noch immer wie schlafend kauerte,
sprach sie beruhigt weiter: Gott vergebe ihm,

er stammt von meiner leiblichen Verwandtschaft ab,


und ich bin nur deinem Wunsch gefolgt, Drost,
dass wir ihn so lange im Turm von Lindholm behalten. -
So ist es, murmelte der Kanzler und schloss die Augen.

Ihr wart immer streng und unnachsichtig in meinem Dienst,


fuhr die Königin fort. Ich danke Euch.
Aber jetzt lasst uns Gnade walten.
Er soll gehen, der Unglückliche, und mit ihm sein Knappe,
der Erbe der von mir gestickten Narrenkappe
und seiner französischen Hure.
Auch dieses Mal zuckte der Kanzler nicht zurück.
Er war zu sehr an die unerhörte Offenheit gewöhnt,

mit der dies Weib von Dänemark es liebte,


die geheimsten Dinge anzusprechen,
besonders in Gegenwart von Männern.
Diese Freimütigkeit war eines der Mittel,

mit denen Margarethe ihre Zuhörer zu verblüffen suchte.


Plötzlich aber blieb die Königin vor ihrem Ratgeber stehen
und stemmte die Hände in die Hüften.
Und wie verbürgen sich die Friedensboten von Falsterbo

für ihren Schützling? erkundigte sie sich geschäftsmäßig,


denn bei unserer verwandtschaftlichen Nachsicht
brauchen wir eine festere Sicherheit, als die Wankelmütigkeit
des entthronten Unruhestifters uns bieten könnte.

Der Drost deutete mit zitternder Hand auf eine Stelle


auf dem ausgebreiteten Pergament.
Ich habe dafür gesorgt, zeigte er, während er zufrieden
den Kopf wiegte, dass die Hanseaten sich zu einer Zahlung

von 60000 Pfund Silber für ihren Verbündeten verpflichten,


oder bereit sind, die Burg und das Gebiet von Stockholm
nach drei Jahren in die Macht Eurer Majestät zu übergeben. -
O Stockholm, rief die Regentin grimmig,

und eine schnelle Röte überflutete ihre Wangen,


wenn das gesetzlose Piratenvolk da draußen
diese ruhmreiche Stadt nicht über viele Jahre hinweg
mit allem versorgt hätte, was sie braucht,

bräuchten wir heute nicht mit den hansischen Kaufleuten


um Bedingungen zu feilschen. Sag mir,
wie viel mehr haben sie geboten? -
Sechzigtausend Pfund Silber, lächelte der Drost,

schnalzte mit der Zunge und rieb sich die Hände.


Und Albrecht? fragte Margarethe hastig,
und die Bosheit der beleidigten Frau blitzte in ihr auf,
wo trägt er seine Narrenkappe? -

Seine Verwandten geben ihm eine Ruhestätte


in Mecklenburg. Dort kann er weiterhin
kleine Püppchen aus Brotteig kneten,
wie er es im Turm von Lindholm gelernt hat. -

Das ist Frieden, beschloss Margarethe kurzerhand,


gib ihn mir, ich unterschreibe ihn!
Sie breitete beide Arme weit aus, ihre prallen Brüste
rundeten sich unter dem engen Gewand,

und der Drost öffnete seine triefenden Augen


und bestaunte seine Herrin
wie ein wundersames Geschöpf.
Gib! - Sie ließ sich auf dem gedeckten Stuhl

hinter dem Eichentisch nieder,


schnappte sich die Schwanenfeder
und setzte mit einem einzigen Strich
ihren Namen unter das Dokument.

Für eine Weile herrschte Stille in der kleinen Kammer,


die Weihe eines bedeutsamen Augenblicks erfüllte den Raum.
Aber nicht für lange. Wie im Traum
hatte die Königin mit einem winzigen Hammer

auf eine Silberplatte geschlagen,


und nachdem ein heraldischer Diener
auf den hellen Klang hin eingetreten war,
befahl sie halblaut mit der verschleierten Stimme

einer andächtig entrückten Frau:


Sagt es den Kirchen. Alle Glocken
sollen so bald wie möglich geläutet werden.
Der dreifaltige Gott hat uns und unserem leidenden Volk

den Frieden gebracht.


Behutsam legte sie ihre Hände auf den Tisch
und wartete, bis die Wache den Raum verlassen hatte.
Dann aber lehnte sie ihre geschmeidige Gestalt
mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung

an die steile Wand des Thronsessels zurück


und hob ihre scharfen Augen
zu den Schnitzereien der Überdachung.
Norwegen und Dänemark, flüsterte sie

mit der tiefen Kontemplation eines Schöpfers,


Drost, lass auch die Arme Schwedens
von morgen an über mir sein.
Unsere Stimme wird für ein großes Reich erklingen.

Doch bevor der alte Mann bezeugen konnte,


dass er das erhabene Wesen seiner Herrin
verstanden hatte, geschah etwas Seltsames.
Der Kopf der Prinzessin senkte sich langsam zur Seite,

bis er auf der Schulter des alten Mannes,


der dicht neben ihr saß, Halt fand.
Und doch merkte der so Geehrte
trotz seines Zitterns sofort, dass Margarethe

nicht Zärtlichkeit schenken wollte,


sondern wie sie nun wirklich handelte,
aus Zwang und Besessenheit. Halb gezeichnet
streckte sie den ganzen Arm nach den Masten aus,

an denen die schwarzen Wimpel flatterten.


Siehe, mein Freund, murmelte sie,
als spräche sie zu einem gegenwärtigen Traumbild,
das soeben aus ihrem eigenen Atem aufgestiegen war,

siehe dort! Meinst du nicht, dass ein höherer Ruf


an uns ergehen könnte?
Wie heißt es in der Heiligen Schrift?
Schlagt eure Zelte weiter auf.

Dort draußen schaukelt ein Schwert auf dem Wasser.


Und unser Meer spielt nach England,
Hispanien und Friesland.
Wäre es Sünde, nach der Waffe zu greifen,

die der Herr mit Winden und Fluten gegen uns führt?
Ihre großen, lebhaften Augen weiteten sich unheimlich,
ihre Lippen murmelten unhörbar weiter,
und ihr Atem stockte plötzlich.

Diesmal war es gewiss keine Täuschung,


denn der schöne Körper der Frau lag wie gebannt,
als sei ihr innerstes unstillbares Verlangen
aus ihr herausgetreten und sie führe nun

ein Zwiegespräch mit ihrem leiblichen Dämon.


Der Fürst aber zuckte vor Schmerz zusammen,
nicht nur, weil sein morsches Skelett das angenehme Gewicht
des ruhenden Frauenkopfes nicht mehr zu tragen vermochte,

sondern auch, weil ihn der trockene Glaube plagte,


Margarethe sei immer nur dann so hoch
in den Himmel entrückt, wenn es galt,
höchst irdische Geschäfte

als von oben empfangen darzustellen.


Deshalb war er auch ganz nüchtern in seiner Meinung
und strich jede übernatürliche Sphäre beiseite:
Die Freibeuter wissen genau, was sie wert sind.

Es sind ungeduldige, hoffnungsvolle Burschen.


Man darf sie nicht zu lange warten lassen.
Kaum hatte das nickende Skelett im blauen seidenen Wams
diese Worte ausgesprochen, wurde seine Meinung
sofort durch ein äußeres Ergebnis bestätigt.
Ein dumpfer Schlag kam von den Schiffen,
eine Dampfwolke stieg auf, und die Königin,
aufgeschreckt durch den noch nie gehörten Knall,

sprang plötzlich auf, vergaß das Erwachen,


das sie soeben empfunden hatte,
und bewegte sich heftig und ohne jede Scheu
zum kleinen Fenster. Draußen schwelte

die graue Dampfwolke noch immer um die Schiffe.


Was ist denn? erkundigte sich Margarethe
jugendlich ungestüm.
Ein wohliges Lächeln umspielte den faltigen,

eingefallenen Mund des Drosten.


Es gefiel dem alten Mann, seine Herrin einmal
nicht so gut gelaunt zu sehen.
So antwortete er gemächlich:

Das, meine Herrin, sind die drei Lederschlangen


von der Agile, Störtebekers Admiralschiff.
Nehmt Euch in Acht, er ist ein Fürst unter seinesgleichen,
unermesslich reich und von wildem, verwegenem Gemüt.

Du weißt wohl, was das Volk von ihm singt? -


Ich erinnere mich, sagte die Regentin
und blickte forschend zu Boden.
Ein törichter, törichter Reim.

Plump und grob wie alle Bauerngedichte.


Vom Mast wehen die schwarzen Fahnen.
Klaus Störtebeker ist Kapitän.
Der Wind pfeift, die Flut schäumt,

Das Schwert kreist, das Blut spritzt.


Kein Unrecht wird mehr vererbt,
Komm, holde Maid, komm mit mir an Bord.
Wir müssen unter Segel gehen.

Klaus Störtebeker ist Kapitän.


Lach nicht, schloss die Fürstin
und wölbte abschätzig die Augenbrauen,
und doch entdeckte der scheinbar so müde Drost,

wie Margarethe ein paar Mal hemmungslos


mit der Zunge über die Lippen wedelte.
Warum preisen sie den wandernden Räuber wie einen Helden?
Hat das Volk keine würdigeren Helden?

Die Königin wirkte ernsthaft verletzt,


und so war es wohl nur ein Zufall,
dass sie bei dieser Bemerkung prüfend
den schweren Stoff über ihre Hüfte glättete.

Der Kanzler hingegen beugte sich zustimmend vor,


schlängelte seine langen gelben Beine umeinander
und rollte gleichzeitig das Staatsdokument auf.
Verzeihe, Herrin, versuchte er die verärgerte Frau

behutsam zu belehren, jeder, der lange gelebt hat,


weiß, dass Recht und Unrecht,
Gewalttat und Heldentat
keine tatsächliche Farbe ausstrahlen.

Vielmehr kommt es immer darauf an,


von wo das Licht auf sie fällt.
Und was diese Haufen da draußen betrifft,
so besitzen sie Urkunden aus Rostock und Wismar

und sind daher als kriegführende Macht anerkannt.


Glaubt Ihr, dass die Condottieri
Eurer italienischen Vettern
mit ihrem entlaufenen Gesindel besser sind?

Auch ihre Admirale Störtebeker und Gödeke Michael


halten sich an eine unerbittliche Manneszucht
und haben überdies den Titel Mehrer des Rechts erworben. -

Auch das, sagte die Fürstin finster


und machte eine hochmütige Handbewegung.
Wisst Ihr vielleicht auch, Herr Henning von Putbus,
woher die Kapitäne diese göttliche Berufung haben?

Das Tiefste in der Frau war irritiert,


ihr tief verborgener Stolz
auf ihre alte heldenhafte Abstammung;
Waldemar Attertags Tochter reckte sich,

eine unbeschreibliche Abgeschlossenheit


leuchtete von ihrer hohen Stirn.
Dann rang sich das dürre Gestell zusammen,
schwankte und wankte seiner Herrin entgegen,

und in seiner blechernen Stimme lag die seltsame,


fast bösartige Furchtlosigkeit eines überalterten Mannes,
der schon ein Freund des Todes war,
als er fast warnend in das Ohr der Macht hauchte:

Göttliche Berufung, Margarethe?


Kind, Kind, hast du schon die Hand gesehen,
die dir eine solche aus den Wolken reicht?
Nun, es genügt, dass ihr Auserwählten sie spürt.
Aber es gibt noch einen anderen Ruf.
Das wird gehört, das schreit nach Brot,
rebelliert gegen Druck,
seufzt mit Knechten und Leibeigenen. -

Hör auf! rief die Königin betroffen,


die plötzlich wieder ganz der Erde angehörte
und sehr wohl begriff, dass sie ein armes,
ausgesaugtes Volk führen musste, Bürger und Bauern,

die noch vor wenigen Jahrzehnten


aus angeborener Verbitterung
nichts als schwarze Trauerkleidung trugen.
Schnell, Herr Henning,

welchen der Condottieri wirst du mir bringen? -


Meide Michael, riet der kaiserliche Höfling fest,
und über sein verschrumpeltes Antlitz breitete sich
der Widerschein von List und Weltkenntnis aus,

lass ihn beiseite. Ein kühler, wortkarger Mann,


ein Rechner und Überleger, der nie etwas Dummes tut.
Solche Leute sind nicht geeignet, Frauen zu überzeugen.
Wähle den anderen, wähle den Störtebeker. -

Was ist er? fragte die Königin unparteiisch.


Die beweglichen blauen Augen des Kanzlers
überflogen noch einmal die aufgerichtete Frauengestalt.
Ein loderndes Feuer, entschied er schließlich.

Alles an ihm ist Glanz, Glamour,


Abenteuer und Überraschung.
Der Eigendünkel seines Volkes haftet an ihm.
Und was macht das schon, in seinem eigenen Hirn

leuchtet ein Regenbogen unablässig.


Wer weiß, eine königliche Frau wie du
könnte ihn weit in Versuchung führen.
Um Margarethes breiten Mund wollte gerade

ihr ansteckendes Lächeln gleiten,


als von der Stadt her mit einem Mal
dunkle und helle Glockenwellen zu schwingen begannen,
und im selben Augenblick senkte die Fürstin ihren Blick

auf den Estrich, faltete die Hände und entschied ruhig:


Nun denn, dein Wille geschehe.
Morgen nach der Heiligen Messe wollen wir
den Kapitän empfangen.

Sorge dafür, dass er ein würdiges Geleit erhält.


Und vergiss nicht, dass deine Freundin wieder einmal
eine Stunde der Demütigung auf sich nimmt. Geh!

In der Admiralskajüte auf der Agile


herrschte große Unruhe. Der Fürst
des wandernden Volkes gab dort
seinen berühmten berüchtigten Umtrunk,

und der kaiserliche Höfling, der gekommen war,


um die Einladung seiner Königin zu überbringen,
musste sich zusammenreißen,
um nicht dem seltsamen Bann der Umgebung zu erliegen.

War dies eine der engen, langweiligen Kisten,


die man gewöhnlich tief unten im Bauch
selbst der geräumigsten Schiffe unterbringt?
Nein, bei allen Heiligen,

hier hatte ein kühner, ausschweifender,


berauschter Geist das Erlesenste
aus allen Ecken der Erde zusammengetragen,
um fortan dem Vergnügen, der Lust

und der ostentativen Ruhmsucht


eines ungezügelten Geistes zu dienen.
Noch einmal, vor seiner Abreise,
zu der er seit langem begehrlich gedrängt hatte,
lehnte sich der dürre Alte,

der auf seinem hohen, mit Brokat gepolsterten Stuhl


mehr hockte als saß, schwach zur Seite
und betrachtete all die verschwenderischen Reichtümer
dieses kleinen, gar nicht so bescheidenen Saales.

Und der Adlige, selbst reich und verwöhnt,


musste sich zwingen, von all den bunten Teppichen,
köstlichen Schränken, Truhen
und blitzenden Gold- und Silberutensilien

zu den fünf Männern zurückzufinden,


mit denen er den Abendtrunk am festen Tisch teilte.
Es war schwer, sich eines nüchternen Endzwecks
bewusst zu bleiben. Grünblaue, flämische Wandteppiche

stellten das Leben des Achilles an den Wänden dar,


und überall, wo sie zurückgeschoben wurden,
schob sich massives Geschirr hervor,
regelmäßig und erhaben in Felder unterteilt,

und wölbte sich aus dem dunklen Boden.


Ruhende Betten und goldene Kissen in allen Ecken;
und in der Mitte der Decke schwankte
eine mächtige eiserne Laterne,

in deren Blätter anmutige Nymphen geschnitzt waren.


Der gelbe Schein aus der Höhe war verschwommen
und trübe. Doch das Besondere an diesem fürstlichen Raum
waren die vier bunten Fackelständer,

die an den Enden der Eichenwand angeschraubt waren.


Hell und blinkend funkelte das Licht der Öllampen
aus den seltenen venezianischen Gläsern
und streute zuckende, unbestimmte Farbflecken

auf die ungleichen Feiernden.


Dazu dröhnte feine Musik vom Deck des Schiffes
über die Stufen der breiten Treppe,
denn die Flötenspieler und Harfenspieler

der Freibeuter begleiteten unermüdlich


die Vergnügungen ihrer Herren mit Reigen von oben.
So hatte es der junge, schöne Admiral,
der stets alle Sinne blendete, gewollt,

und deshalb verehrte ihn das wandernde Volk,


mehr als jeden anderen, denn er war
die lichte Vollendung ihres eigenen abenteuerlichen Daseins,
das aus aller Konventionalität herausgefallen war

und sich auf und ab bewegte.


Der Drost konnte seine Aufmerksamkeit
nie von der hochgewachsenen, geschmeidigen Gestalt
des Gastgebers abwenden. Als der etwa dreißigjährige,
vor Gesundheit strotzende Mann

in seinem roten Seidenwams ihm gegenüber lehnte,


die linke Hand spielerisch
auf einem winzigen Dolch ruhend,
während die rechte seine leidenschaftlichen Sätze

von Zeit zu Zeit mit einer raschen Bewegung begleitete,


musste sich der aufmerksame Beobachter eingestehen,
dass Legende und Gerücht die Anmut,
ja die Magie dieses gefährlichen Seelenfängers

eher unterschätzt hatten.


Die flammenden schwarzen Augen
versprühten eine heitere unbekümmerte Wärme
in das Herz eines jeden Kameraden,

auf der hohen Stirn wechselte ein unnahbarer Stolz


bald mit blitzendem Gedankenwerk,
und das braune Lockenhaar zitterte oft,
wenn die eigene Bewegung des Admirals ihn fortriss.
Ob dieser strahlende, selbstbewusste Condottiere,
auf dessen Haupt die Natur
schon einen unsichtbaren Fürstenhut gesetzt hat,
nicht ein zu überlegener Gegner

für die leicht entflammbare Frau


in dem Schloss dort drüben ist?
Und wieder schob er den Becher unangetastet von sich
und bemühte sich, das zu lange andauernde Festmahl zu beenden.

Sein Gastgeber fing diese Geste jedoch ungläubig auf


und winkte abwehrend mit beiden Händen.
Nichts da, edler Herr, wehrte er
mit einer leichten Verbeugung ab,

und seine Stimme lachte und winkte,


als spräche er zu einer schönen Frau
oder zumindest zu einem geschätzten und verehrten Lehrer.
Ihr habt meinem Wein bisher wenig Ehre erwiesen.

Sieh ihn dir besser an. Gesteht, glänzt er nicht


in seinem silbernen Boden,
als hätten wir ein Stück Sonne
aus Eurem Meer gefischt?

Es ist Ingelheimer, Herr Drost,


und man sagt, Carolus Magnus
habe die ersten Reben gepflanzt.
Kommt, der Geist des großen deutschen Mannes

ist mir nicht zu schade, um das Wohl


Eurer königlichen Gemahlin zu feiern. -
Richtig, nicht zu schade, wollte ich auch geraten haben!
schluckte Konrad von Moltke, der Kriegsoberst,

und rieb sich eifrig die rotglühende Hakennase,


da er schon ein verdächtiges Jucken darin spürte.
Er war vom Kanzler geholt worden,
um Störtebeker bei seinen berüchtigten Saufgelagen

zu widersprechen. Gebt mir das, ihr Schurken!


Ingelheimer, Carolus Magnus soll leben. -
Wir danken Euch, warf der Kanzler,
erschrocken über die Unhöflichkeit des Kriegers, ein,

und mit einem leisen Seufzer nippte er


an dem Becher mit dem viel gepriesenen Wein.
Innerlich war ihm jedoch jegliches Gelage ein Gräuel,
da es sein Gallenleiden beißend aufregte.

Deshalb sammelte er sich und sprach bedächtig


und zielgerichtet weiter: Unsere erhabene Majestät
von Dänemark schätzt die Herren sehr.
An dieser Stelle lächelte der junge Admiral

in der roten Jacke höflich. Gleichzeitig aber


schweiften seine dunklen Augen blitzschnell
und mit flehendem Einverständnis
über die wettergegerbten Gesichter seiner Kameraden,

bis sie an dem schmalen, feinen, jungfräulichen Antlitz


von Kapitän Wichmann hängen blieben.
Er hatte das Kinn auf einen langen Stiel gestützt,
und der Schimmer der Laternen glättete sanft

sein seidiges blondes Haar. Doch wenn man genauer hinsah,


konnte man erkennen, dass die Schläfen des Zwerges
inzwischen ergraut waren und dass eine silberne Locke
in seine Stirn hing, direkt über der breiten Narbe.

Die Augen des Zwerges zuckten bösartig,


als er auf die sanfte Einleitung des Kanzlers ebenso friedlich
und ohne die geringste Veränderung seiner Haltung
antwortete, wie ein braves Kind:

Sapienti sat, Herr Reichshofmeister.


Wir sind überzeugt, dass Frau Margarethe
uns sehr wohlgesonnen sein muss.
So wie ein großer Geist immer

einem gefährlichen Gegner huldigt.


Denke nur an die Trojaner und Griechen,
die sich auch auf Gesandtschaften
liebevoll unterhalten haben. Haben sie das nicht?

Außerdem, schloss der Kleine milde,


wandelt Frau Margarethe vor aller Augen
in den Fußstapfen Christi,
und deshalb bietet sie auch die linke Wange

zum Backenschlag an, obwohl die rechte


schon angeschlagen ist. -
Nun, da irrst du dich", wollte der alte Höfling gerade

seine gerechte Empörung über die Unverschämtheit


dieses entlaufenen Magisters unterdrücken,
als sich zum offenen Entsetzen des Kanzlers
eine schrille, kreischende Stimme

in den ohnehin schon unterirdisch zischenden Disput mischte


und der Kriegsoberst Moltke wie ein bissiger Dorfköter
durch seinen grünen Weinnebel bellte:
Wer redet denn hier Frechheiten?
Will jemand Margaretes seligen Leib?
Soll er sich melden, ich sage, soll er sich melden.
Da aber niemand der Aufforderung nachkam,
schlug der Trunkenbold in völliger Verwirrung

auf sein knallrot flammendes Beinkleid


und schimpfte halb klagend:
Ihr Hurensöhne, ihr Schurken,
ich würde lieber… -

Euch die Schädel einschlagen,


fügte Kapitän Wichmann leise hinzu.
Es folgte das ruhige, überlegene Lachen
eines einzelnen Mannes, und es war doppelt wirksam,

weil die anderen ihr Gespräch


halb angespannt und halb verlegen eingestellt hatten,
während dem Kanzler der helle Angstschweiß
von der Stirn seines verschrumpelten Greises perlte.

Der Mann aber, der so ruhig sein Verständnis


für die geheime Sehnsucht des dänischen Kriegshäuptlings
zum Ausdruck brachte, saß auf einem rauen Schemel
genau gegenüber dem Trunkenbold

und hieß Gottfried Michaelis


oder im Volksmund Gödeke Michael.
Da er als einziger seiner Begleiter zum Empfang
der vornehmen Gäste kein prächtiges Gewand angelegt hatte,

sondern gleichgültig das braune Lederwams


seines Berufsstandes trug, war auch er bisher
in einem spärlichen, beobachtenden Schweigen verharrt.
Keine Bewegung störte die Ruhe seiner breiten Gestalt,

und in seinem starren, düster blond umrahmten Antlitz


zeigte sich weder Teilnahme noch Abwesenheit.
Etwas Strenges und Verschlossenes beherrschte diesen Mann,
und der Kanzler ahnte sofort, dass der Schweigsame

nur gewohnt war, seinem eigenen Stern zu folgen.


Nun löste der starke Mann die Verlegenheit
auf ungekünstelte und natürliche Weise.
Ohne Mühe hob er den riesigen Silberkrug

und schenkte seinem Gegenüber einen neuen Trank ein.


Du hast recht, Herr, stimmte er im Ton
eines ehrlichen Zeugen zu.
Welcher Fisch lernt in seinem Alter noch

in Milch zu schwimmen?
Als wir uns in Wisby begegneten,
haben wir uns besser verstanden. -
Ecco, antwortete der Schädel,

weitete seine Fisch-Augen,


und eine schwefelige Erinnerung überkam ihn,
diavolo barbuto, dann, Herr,
habe ich dir eine Ladung Bier

und zwei Ladungen Weizen gebracht.


Gut, mein Herr, ich bin froh,
dass du endlich aufhörst.
Wann sehen wir uns wieder, mein Herr?

Taumelnd streckte er dem ledernen Mann


seine rechte Hand über den Tisch entgegen.
Der schüttelte sie grob.
Warte, versicherte er ihm kalt.

Die ruhigen Tage werden vorübergehen.


Frieden ist ein flüchtiges Wort. -
Wahrlich, wahrlich, jammerte es
von der Unterseite des Tisches

aus einer dumpfen, zerknirschten Kehle,


und ein Paar fleischiger Hände begann,
die Perlen eines Rosenkranzes zu zählen.
Friede bewahre nur die unschuldigen Engel.

O du selige Jungfrau,
o du gesegnete Helferin der Not,
warum musste ich den frommen Bischof
Tordo von Strangnäs nackt in den Schnee jagen?

Oh, die Kreatur ist durch und durch böse.


Ein aufgeblasener, stiernackiger, grauhaariger Mann war es,
der so gewohnheitsmäßig seine angeblichen Qualen vortrug.
In seinen plumpen, geschwollenen Zügen wohnte Gemeinheit,
und seine leeren blauen Augen funkelten oft

in schüchterner Ehrerbietung zu seinen Kameraden


unter dem struppig herabhängenden Haar,
als ob er nicht verstand, wie er mit seinem Analphabetentum
und seiner Bauernschläue

zu den glänzenden Führern gekommen war.


Das war auch schwer zu verstehen,
denn Kapitän Wichbold stellte nichts anderes dar
als einen gewöhnlichen Strauchdieb, einen Landstreicher,

dem kein Verbrechen zu abschreckend,


kein Diebstahl zu gering war,
sofern er danach seine bedauernswerte Seele
mit hundert Paternostern besänftigen konnte.

Er schnitt kunstvoll jede Kehle durch


und verpfändete dabei seinen Anteil
an seinen Schutzheiligen.
Deshalb wurde der wehleidige

und zugleich heimtückische Patron


von seinen Gefährten und vor allem
von den beiden Admirälen
nur mit größtem Widerwillen geduldet;

allein der wilde Mann war ihnen


vom großen Haufen vorgesetzt worden,
halb als Beobachter, weil die finsteren Massen
den politischen Plänen ihrer Befehlshaber nicht recht trauten,

und halb als Hindernis und Bleigewicht,


um die hehren Pläne der Führer
immer wieder auf seine eigene erbärmliche Raublust
herabzusetzen. Seine bloße Anwesenheit

diente den anderen als grimmige Mahnung,


gerade dann, wenn sie sich am eifrigsten
als Gestalter einer neuen Weltordnung fühlen wollten,
an die Grundsteine zu erinnern,

auf denen sie die Halle ihres Gerichts


zu errichten trachteten.
Oh, vor Elend, heulte der aufgedunsene Wichbold

noch einmal in seinen Becher,


dass wir weder Frieden noch Recht halten können.
Seine Rosenkranzkugeln klapperten
wie knirschende Zähne gegeneinander.

Bei all dem erschrak der kaiserliche Hofmeister.


Er hatte zwar die Einladung seiner Herrin überbracht
und in all seinen Andeutungen durchschimmern lassen,
wie sehr sich die Prinzessin über den Besuch

Störtebekers freuen würde.


Aber bisher hatte er weder von den anderen
noch von dem jungen Admiral
eine verbindliche Zusage erhalten,

und allmählich gewann der sensible alte Mann den Eindruck,


dass die Befehlshaber dieser mächtigen Seemacht
sich von dem soeben geschlossenen Frieden
keinen besonderen Vorteil versprachen.
Mehr noch, er spürte einen Widerstand
gegen die Verhandlungspläne seiner Königin,
die ihm noch verborgen waren.
Hier galt es, den Zauderern schnell

und genüsslich leuchtende Zauberfrüchte


vor die Augen zu malen. Er schmatzte mit den Lippen,
als ob er etwas Köstliches auf seiner Zunge spürte,
und begann erneut zu beschwören:

Die Königin hat mit Vergnügen auf die große Flotte


der freien Herrscher der Meere geblickt. -
Margarete, lallte Kriegsoberst von Moltke,
der sich nach Art der Betrunkenen genötigt sah,

äußerst deutlich zu sein.


Als Antwort strich Gödeke Michael
über sein ledernes Wams.
Das freut uns zu hören, erwiderte er

mit seiner undurchdringlichen Miene.


Wir haben ihr zu Ehren ein Gewehr losgelassen.
Ansonsten kommen wir, um euren Gefangenen,
König Albrecht, zu holen.

Das war nun ein weiteres beleidigendes Kapitel.


Nur allzu leicht wurde die Erinnerung
an die gerade abgeschlossene Schlacht wach,
und auch sonst war dem Kanzler die Erinnerung

an die sieben mageren Jahre


im Turm von Lindholm nicht geheuer,
so dass er kaum merklich mit den Schultern zuckte
und mitleidig weitersprach:

Wie ich ihm seinen Altersruhesitz in Mecklenburg missgönne.


Der arme, schwache, redselige Mann.
Ihn hat das schmerzlichste Schicksal ereilt.
Nicht einmal euch, seine treuesten Freunde, konnte er belohnen. -

Wir brauchen ihn nicht, rief hier Klaus Störtebeker fröhlich,


der sich bisher leicht zurückgelehnt hatte,
um alle vergeblichen Bemühungen des alten Fuchses
mit seinem feinen, scharfsinnigen Lächeln zu begleiten.

"Bemühe dich auf das Deck der Agile, edelster Herr,


und du kannst meine Mannschaft leicht singen hören.
Und der Admiral selbst sang:
Die schwarzen Flaggen wehen in Wind und Wetter,

Sie werden von niemandem bezahlt,


Sie segeln hinaus auf Pech und Planken
Und kehren mit echtem Gold zurück. -
Ausgezeichnet, mit eitlem Gold, natürlich.

Das abgemagerte Skelett hielt inne.


Es beunruhigte ihn sehr, diesen jungen,
von fürstlichem Anstand geleiteten Seehelden
Raub und Plünderung so hoch einschätzen zu hören.

Denn seine nicht unbedeutende Menschenkenntnis


suchte hinter dieser hohen, wetterleuchtenden Stirn
eine andere, eine höhere Weltsicht.
Trotzdem nahm er den schnoddrigen Tonfall an.

Sicherlich, lächelte er aus dem Wirrwarr


seiner Furchen heraus, als er seinen Blick
noch einmal die ganze markante Pracht kosten ließ,
man sieht es. Es versteckt sich nicht. Es ist nur schade,

er zischte einen Pfeil so harmlos wie möglich hinter sich her,


dass eure Charta mit dem Frieden,
den wir geschlossen haben, erlöscht. -
Unser Recht beruht nicht auf dem Papier,

beharrte Gödeke Michael fest.


Worauf denn sonst, wenn es Euch gefällt?
streckte der Drost diesmal schnell die Hand aus.
Dann leuchtete es auch in den schwarzen Augen Störtebekers.

Ein Hauch von Wildheit ging über das Gesicht,


das eben noch so strahlend gewesen war.
Es war, als ob ein Blitz in einen Garten eingeschlagen hätte.
Auf dem Unrecht der anderen, rief er strahlend.

Wem gehörte die Stimme, die das Innerste


eines jeden Lauschers erregte?
Die Posaune eines hellsichtig verkündeten Urteils
dröhnte aus dieser Inbrunst. Und siehe da,

die wenigen Worte legten sich wie ein Ring


um den kleinen Kreis. Selbst der Trunkenbold hörte zu.
Aber der Kanzler fühlte sich unwohl.
Die beängstigende Vorahnung, in eine geheimnisvolle,

noch unentdeckte Entwicklung hineingeworfen zu werden,


ergriff den alten Mann plötzlich;
ja, seine erregten Altherrensinne
wurden unerwartet von der Vorstellung gequält,

gegen seinen Willen dazu verurteilt zu sein,


dem Brodeln des von grauen Mächten bewachten
eisernen Kessels zu lauschen, in dem die Weltenwende
und die Schicksale der Völker wie zerplatzende Blasen tanzten.
Nein, dafür war er schon zu alt, seine tropfenden Augen
wollten solche Dinge nicht mehr sehen.
Zitternd schüttelte sich das Skelett und dankte im Stillen Gott,
als es zu bemerken glaubte, wie die Züge

des jungen Admirals sofort wieder


von der alten Fröhlichkeit erhellt wurden.
Seufzend und mit einer letzten Anstrengung
zog der unermüdliche Höfling eine neue Saite auf.

Ich will die Herren weder überreden noch bestimmen,


sagte er, ganz als ehrlicher Freund und Ratgeber,
Gott sei Dank. Aber mein Herz ist betrübt,
wenn ich sehe, zu welch wertvollen Leistungen

ein so prächtiges Instrument bestimmt sein könnte,


sobald es einem bestimmten Gesetz
oder einer anerkannten Macht dienlich wäre. -
Erspare dir das, wies Gödeke Michael streng zurück,

und der alte Mann wurde mit einem dunklen Blick


aus seinen stahlblauen Augen bedacht.
Wir folgen trotz allem einem Gesetz.
Einem, das so unerbittlich ist,

dass du die einzelnen Artikel nicht ertragen würdest.


Der Drost nickte wehmütig.
Mag sein, fuhr er fort, halb in Angst
und doch beherrscht von seiner Aufgabe,

aber die Umgebung und die Verhältnisse,


die geworden sind, auf denen allein
ein gutes Gewissen sorglos ruhen kann… -
Alter Mann, hat dir die Amme

dieses amüsante Märchen vorgesungen?


warf der blonde Zwerg bissig ein.
Mit Mühe überhörte der Drost diesen Zwischenruf
und fuhr mit wachsendem Unbehagen fort:

Ihr werdet nicht leugnen, dass sich das Bestehende


nicht wirklich in eure Sitten hineindenken kann.
Es klammert sich zu sehr an altbewährte Regeln,
die ihm allerlei Unersetzliches garantieren.

Der junge Admiral schnitt mit seiner Hand durch die Luft.
Erbschaft und Eigentum, Truhenschatz und Pergamentprivilegien,
edles Bettenpaar und Gottes Wort für die Armen,
half er mit seiner verwirrten Liebenswürdigkeit nach.

Darüber willst du doch reden, oder?


Es klang fast gutmütig.
Auch das, gewiss, ist der Ausgangspunkt für viel Gutes
für den Bürger. Aber ich habe auch an etwas Höheres gedacht.
Verzeih mir, aber wie schwer muss der Fluch und Bann

des Heiligen Vaters allein auf dir lasten!


Der Einwand war noch nicht ganz zu Ende gesprochen,
als der Kanzler sich völlig verständnislos umsehen musste.
Ein schallendes Gelächter ging um den Tisch,

und nur der dicke Wichbold, der vor Kummer


und Trunkenheit weinte, schlug die fleischigen Hände zusammen
und stöhnte: Oh, ihr elenden, hoffnungslosen Menschen,
lacht nicht, lacht nicht über Qualen und Fegefeuer!

Warum musste ich den Bischof Tordo von Strangnäs


an den Stockholmer Seen niederwerfen?
Ich habe den heiligen Mann bis auf sein Hemd ausgezogen.
Ein kostbares Seidenhemd, wie es Frauen tragen!

Und jetzt, alter Mann, jetzt verzehrt der Frost


meine eigene Seele. Ich klappere mitten im Sonnenschein,
denn ich allein bin schuld, dass sich keine Kirchentüren mehr
für uns öffnen. Ach, ich bin verloren, elendes Geschöpf, ich!

Sein dumpfes Heulen und Schmatzen


verlor sich im Schlund des Bechers.
Voller Abscheu, verächtlich, sprang der junge Admiral auf.
Doch noch immer tobte ein Widerschein wilden Gelächters

um seinen feinen Mund.


Habt Nachsicht mit mir, entschuldigte er sich schließlich
bei seinem erstaunten Gast
und schlang selbstgefällig den Arm
um einen der Fackelständer.

Ich weiß, ich hätte mir eher die Zunge abbeißen sollen,
als einen so verehrten Gönner
durch ungebührliches Lachen zu beleidigen.
Aber du konntest nicht wissen, dass für uns

der römische Baalspaffe zu jenen hinterlistigen Narren gehört,


in deren dunklen Nebel wir unser rotes Fackellicht stoßen wollen,
um die Welt zu erschrecken. Alter Mann, sei ehrlich,
glaubst du wirklich, dass Völlerei, Leintuchspinnen,

Mord, Ämterschacher und die Mitgift der Witwe,


aufgezählt von Seelenschrecken,
dich zu dem schwindlerischen Anspruch
auf priesterliche Vergöttlichung berechtigen?

He, du bist soeben den Henkern


solcher alten Lügen auf den Leim gegangen.
Er schüttelte den Schaft der Laterne, und seine breite Brust
wölbte sich unter der seidenen Hülle, als er hervorstieß:

Ist es nicht schon genug der müden Schwächlingsdoktrin selbst?


Einen anderen mit unserer Schuld und unseren Fehlern
zu belasten, mit den eigenen, geheimsten Dingen des Geschöpfes,
gefällt dir das? Das nenne ich eine tapfere Kunst.

Geh, bist du fromm,


warum suchst du nicht deinen noch unbekannten Gott?
Vielleicht wird er dir eines Tages begegnen.
Mitten in einem Bett einer Hure!

Doch was tut ihr? Ihr schlagt mit Knüppeln auf den Geist,
der von ihm ausgeht, weil er sich überall gegen euch auflehnt.
Geht, geht, verrottende Gräber, geschminkte Heuchler.
Klaus Störtebeker drehte sich um
und schritt hoch aufgerichtet durch den weiten Raum,

dorthin, wo bereits dunkle Schatten


an der getäfelten Wand auf und ab schwebten.
Man konnte meinen, dass der Gastgeber den Tisch aufgab.
Zumindest sah der dänische Höfling das so.

Dem alten Mann fiel die Kinnlade herunter,


und er konnte sein Erstaunen über die unerhörte Kühnheit
der Ansichten, die er gerade gehört hatte,
immer noch nicht unterdrücken.

Zwar dachten damals viele Geister ähnlich,


doch der Aufruhr gegen die schöne Kirche
wagte sich vorerst nur in die Studierzimmer.
Langsam schob der Fürst seinen Stuhl vom Tisch weg

und richtete seine lange Gestalt auf.


Dabei packte ihn der Zorn bedrückend
und hing ihm förmlich auf den schlaffen Wangen,
weil man ihm auf die ehrenvolle Einladung seiner Prinzessin hin

keine freundlichere Bereitschaft entgegengebracht hatte.


Ja, dass er im Grunde mit kaum halben Worten abgespeist
und wie ein aufdringlicher Mittelsmann
zurück ins Land geschickt wurde.

Aber, um Himmels willen, nichts zeigen,


sich nichts anmerken lassen. Auf sein Winken hin
hängte ihm ein wartender Bursche
seinen schwarzen Mantel um, und nachdem der Junge

auch noch den Kriegsoberst Konrad von Moltke


von seinem Stuhl gerissen hatte, was natürlich nicht
ohne allerlei Handgreiflichkeiten abging,
schickte sich der dürre Drost an, äußerlich unverändert,

aber innerlich verletzt und beleidigt,


seinen letzten Abschied zu nehmen.
Danke, knickste er vor der schweigenden Runde,
obwohl sein Blick immer noch die abgewandte Gestalt

des jungen Admirals suchte.


Ihr habt uns willkommen geheißen,
wie es sich für eure Macht und euren Reichtum gehört.
Mein Zweck, euch kennenzulernen, meine Herren,

ist damit erfüllt. Auch werde ich schweigen über das,


was ihr mir von euren Feindseligkeiten
und eurer Aufmüpfigkeit verratet.
Außerdem bin ich ein guter Christ. -

He, edler Herr, halte still,


ich würde Euch gern schöne Kritzeleien zeigen,
unterbrach aus der hinteren Ecke
die lachende Stimme des Admirals.

Und ohne sich nach der Zustimmung seines Gastes umzudrehen,


schleuderte der schlanke Kommandant
aus einer geräumigen Truhe ein Buch nach dem anderen,
mit Leder und bunten Steinen besetzt, auf den Teppich.

Seht, pikantester, römischer Wuchs.


Ihr müsst wissen, ich war der Erbe
des Bischofs von Strangnäs,
den unser lieber Genosse so trostlos beweint,

obwohl er ein Wucherer und Totschläger war.


Und was stand auf der bescheidenen Stola?
Ein guter, samthäutiger Geschmack,
das kann ich Euch versichern.

Hier, Liebeslieder von Petrarca an Donna Laura.


Ein vollbusiges, braunhaariges Frauenzimmer,
Euer Gnaden. Etwas für stille, zurückhaltende Menschen.
Und da noch besser, Geschichten von Boccaccio,

an Fiametta. Oh, genieße das,


dort knistern alle Bettpfosten,
dort fallen dir die Dirnen scharenweise in die Arme,
dort spucken die Ehegemächer und Dienerkammern

ihre Köstlichkeiten aus. Und die Gewänder der Mönche


flattern im Takt. Nimm, nimm, Herr,
dieser Deckel ist mein Gastgeschenk. Du musst darin
unterwiesen werden, denn du bist der Diener einer Frau.
Fassungslos, sprachlos stand der Drost da,
seine triefenden Augen quollen vor Angst aus ihren Höhlen,
als er die Schrift gewaltsam in seine Finger gedrückt fühlte.
Doch der Admiral legte ihm sanft die Hand auf die Schulter,

blitzte ihn mit seinen schwarzen Augen an und sagte tröstend:


Denke nicht, dass ich verwirrt bin, edler Herr,
ich wollte dir nur zeigen, wie wir Wanderer
auch die Strömungen auf dem Lande kennen.

So mag ich Euch nicht mehr erschrecken.


So meldet meine Verehrung der Margarethe,
und morgen nach der Heiligen Messe
werde ich vor ihr erscheinen.

Und, bedeutungsvoll und plötzlich in eine andere,


bis dahin verschleierte Gedankenwelt abtauchend,
fügte der Admiral mit geschlossenen Augen hinzu:
Gib ihr einen Stern, damit sie mich versteht.

Er wachte auf, schaute wie erstaunt


auf seine lauernden Begleiter, änderte seinen Tonfall
und rief laut aus: Lebt wohl, edelster Herr,
und macht Euch keine Sorgen um Eure Abreise.

Ich werde das Haupt des Krieges


die Treppe hinauftragen lassen.
Und damit beende ich das achte Abenteuer.
Ein Seher gilt aber nichts in seinem Vaterland.

NEUNTES ABENTEUER

Das Glöckchen der Kapelle läutete noch leise,


als das Tor in der roten Burgmauer knarrte
und sich über den hölzernen Weg der Brücke
ein Zug von unerhörter, einzigartiger Pracht bewegte.

Außerhalb der Mauern blieb ein dichtes Gewimmel


von versammeltem Volk zurück, das unermüdlich
mit Tüchern und erhobenen Händen
dem eintretenden Seeräuberfürsten zum Gruß winkte.

Denn das arme Volk liebte diese umherziehenden Gesellen,


mit denen es Nahrung tauschte, Kleidung und Schmuck
aus fremden Ländern zu einem günstigen Preis.
Und sie billigten auch das seltsame Freigericht der Seefahrer,

weil der Hochmut ihrer Großen vor ihm zitterte.


In einer gesetzlosen Zeit bildeten diese Urteile
ein letztes märchenhaftes Wunder,
fast wie die Tröstungen der Religion.

Der Burghof glitzerte. Lichtfunken sprangen


aus einem goldenen Harnisch den Sonnenstrahlen entgegen.
Kein legitimer Hirte eines Volkes,
geschweige denn ein Untertan, hatte diesen Ort je

in einem solchen, an Wahnsinn grenzenden Glanz betreten.


Hinter ihrem Fenster beugte sich Königin Margarethe vor.
Obwohl sie bereit war, etwas Außergewöhnliches zu erleben,
ließ die Schönheit der wilden Pracht

und die überragende Würde und schlanke Stattlichkeit


des bewunderten Besuchers
ihren Spott zunächst verstummen.
Langsam, als wolle sie einen Traum abstreifen,

fuhr sich die Frau über die Augen,


die ganz von Licht und Blitz erfüllt waren,
und ihre Stimme klang weniger klar als sonst,
als sie sich ihrer mädchenhaften Begleiterin zuwandte,

die mit ihr allein den engen Raum des Arbeitszimmers teilte.
Es war die einzige Hofdame, die die Prinzessin
als ebenbürtig betrachtete, denn Gräfin
Karin von Ingerland stammte

aus einem ur-norwegischen Geschlecht,


von dem schon die Lieder der Edda sangen.
Thor selbst hatte als Zeichen seiner Gunst
einen Hammer in die Schwelle ihrer Sippe gehämmert.

Siehe dort, meine Tochter, die Regentin deutete unsicher,


und es schien, als wolle sie sich mit menschlichen Worten
zur Besinnung bringen, die kurze purpurblaue Tunika.
Wie sie vor Gold starrt!

Und was für eine königliche Figur, zögerte sie weiter.


Ich habe nur einmal einen Mann
in der gleichen Rüstung gesehen,
König Wenzel von Prag. Aber er war klein und dick,

erinnerte sich ihr schätzendes Urteil sofort.


Doch das blonde Mädchen ließ sich
von keiner Neugierde anstecken. Eiskalt und abweisend
griff sie nach einem langen schwarzen Kreuz,

das nonnenhaft über ihrem weißen Gewand hing.


Die Bewegung schien einen Spuk vertreiben zu wollen.
Was kümmert es uns, erwiderte sie,
wie in das starre Leichentuch eines Heiligen gehüllt,
woher der Unheilige seine Juwelen gestohlen hat? -
Nicht so. Die Prinzessin hob ihr weises Haupt.
Sie war mit dieser harten Verurteilung
nicht mehr einverstanden, seit ihr männlicher Blick

auf dem strahlenden und blitzenden Seemann


unter ihr ruhte. Vielleicht kam er,
um ihre Macht zu vergrößern, und dann wurde es ihr
in die Hand gegeben, Sünde in Tugend,

Verbrechen in Staatsnotwendigkeit zu verwandeln.


Nicht so, mein liebes Kind, belehrte sie nachdenklich,
aber mit ihrem freundlichen Lächeln,
dein frommer Ekel führt dich zu weit.

Hüte dich im Allgemeinen, dass deine Sehnsucht


nach dem Himmel sich mehr
mit der Demut nach unten mischt.
Die Prinzessin hatte vielleicht schon vergessen,

was sie gerade gesagt hatte, denn ihre ganze Aufmerksamkeit


war auf drei riesige Matrosen gerichtet,
die hinter ihrem Herrn eine breite Tafel
auf den Schultern schleppten,

die in einen Teppich eingewickelt war.


Möglicherweise ein Gastgeschenk,
vermutete Margarethe zwischen Spott und Eifer.
Über die Wangen ihrer Herrin hatte der Vorwurf

jedoch eine flüchtige Röte gejagt.


Du tust mir Unrecht, Königin, verteidigte sie sich stolz,
meine Gedanken sind, wie du weißt,
auf das Kloster gerichtet. Der irdische Kummer

mit seinem Elend und seiner Ungerechtigkeit


vertreibt mich. - Schritte knirschten auf der Treppe.
Das leise Klirren von Rüstungen ließ sie erschauern.
Nun, wandte sich Margarethe hastig um

und strich über ihr enges grünes Kleid,


darüber reden wir, meine Karin, wenn du männlich bist.
Und jetzt, ich werde nicht erwarten,
dass du die Luft von einem atmest, den du verachtest.

Du wirst nur so lange bleiben, bis er eintritt,


damit ich nicht ohne Begleitung erscheine.
Dann, sie lehnte sich erwartungsvoll gegen den Tisch,
werde ich allein sein, niemand wird unser Gespräch stören.

Schweigend verbeugte sich die Hofdame.


Der Vorhang öffnete sich
und ein blau gekleideter Wappenträger trat ein.
Breitbeinig verkündete er: Klaus Störtebeker,

Königin, bittet um deine Gunst.


Er nennt sich Admiral und Mehrer des Rechts.
Eine Sekunde lang wollte ein bitteres Lächeln
um den breiten Mund der Regentin huschen,

fast verlegen strich sie über die unbewegliche Gestalt


ihrer Hofdame, doch dann lösten sich ihre Brauen
und sie nickte herablassend:
Er ist willkommen.

Im nächsten Augenblick stand der Admiral


den beiden Frauen gegenüber.
Ein goldener Schimmer ging von ihm aus,
ein Hauch von Jugend und Kühnheit umspielte

den hochgewachsenen Mann,


und etwas von der Freiheit und Majestät des Meeres
breitete sich in dem düsteren Raum aus.
Unwillkürlich verlor die Königin den Zwang der Geste

ihres vermeintlichen Herrschers;


sie musste sich nun wirklich schwer auf den Tisch stützen,
denn es kam ihr vor, als wäre noch nie
ein so ungebrochener Mann,

der sich deutlich von einem sichtbaren Stern leiten ließ,


vor sie getreten. Wortlos, ohne Zeichen, ohne Gruß,
betrachtete sie weiter ihren Gast,
der sie mit seinen braunen Locken,

seinem purpurblauen, von den Hüften


abfallenden Waffenrock, den goldgestickten Löwen darauf
und dem hohen Goldhelm in der rechten Hand überragte,
und erst als der Admiral sich leicht

und mit natürlicher Ehrerbietung vor ihr verbeugte,


gewann ihr breiter Mund sein vertrautes Lächeln zurück.
Halb abwehrend holte sie aus sich heraus:
Du bist willkommen, Klaus Störtebeker.

Es war ihr völlig entfallen,


dass sie diesen gefährlichen Freibeuter
mit Admiral ansprechen wollte, sie vergaß auch,
ihm nach ihrer Absicht freundlich die Hand zu schütteln,

so vorbehaltlos war sie von kindlichem Staunen erfüllt.


Nur eines bemerkte sie mit den untrüglichen Sinnen
einer Frau, nämlich dass ihre Hofdame,
die nach der Verabredung nun gehen sollte,

mit ihrer weißen, hochmütigen Miene


ungehorsam oder gezwungen auf ihrem Platz blieb.
Das blonde Mädchen hatte das schwarze Kreuz
fest an ihre Brust gedrückt,

als wolle sie sich gegen eine böse


und sündige Macht wehren. Doch Margarethe
hatte das Bewusstsein ihrer irdischen Souveränität
noch nicht wiedererlangt, sondern stand zufrieden

als Zuschauerin eines ungewöhnlichen Schauspiels da.


Inzwischen hatte der Admiral
auch die so ungleichen Frauen untersucht.
Ein kurzer, scharfer, keineswegs schüchterner Blick

hatte die blonde Dame begutachtet,


der Blick eines übermütigen Mannes,
der es gewohnt ist, schnell und ohne viel Aufhebens
um Waren zu feilschen. Die dunklen Augen

verweilten länger und prüfend auf der Prinzessin.


Alles ohne unterwürfige Demut,
sondern wie der Überbringer eines neuen Gesetzes,
das die Welt verändern würde.

Doch als die Stille anhielt,


rührte sich der Seemann entschlossen,
so dass die langen Sporen
an seinen goldumrandeten Schuhen

einen scharfen Ton von sich gaben.


Ohne auf eine Erlaubnis zu warten,
winkte er seinen Dienern, die immer noch
unter dem Vorhang warteten, gebieterisch zu.

Sofort wurde der noch verhüllte Tisch


an eine leere Wand des Raumes gelehnt.
Dann verschwanden die Pförtner.
Erhabene Dame, begann Störtebeker

mit einer so hellen, schmeichelnden Wärme,


dass es Margarethe vorkam, als würde
die umgebende Luft mit weichen Händen
ihren Hals streicheln. Die Frau gab sich

dem ungewohnten Schauer hin,


aber Gräfin Karin zuckte zusammen
und ihre Züge nahmen plötzlich
den Ausdruck bestürzter Feindseligkeit an.
Erhabene Dame, erklärte der Gast und deutete
leicht in Richtung des Tisches, wer würde es wagen,
ohne Fürsprache oder Begleitung
vor eine Prinzessin zu treten,

die nach dem bewundernden Urteil ihrer Zeit


die Semiramis des Nordens genannt wird?
Aber, o Königin, mein Begleiter spricht nicht so laut
und vernehmlich zu denen, die gekrönt sind,

sondern eher sanft und flehend zu denen,


die ein warmes und mitfühlendes Herz haben,
und besonders zu euch, ihr milden
und barmherzigen Frauen. Seht her, ihr kennt ihn.

Ein schneller Griff in den Teppich, die Decke fiel.


War es ein Ausruf des Erstaunens
oder der göttlichen Freude, der die Herzen
der beiden Überraschten sprengte?

Vor ihnen, eingerahmt in einen geschnitzten Spitzbogen,


der sanft aus einer üppigen Goldwand herauswuchs,
hing der Heiland an seinem Kreuz.
Und unter der leicht geneigten Stirn

blickten zwei tiefschwarze Augen


weit über die gemalten Zeugen, aber auch
über die lebenden Schaulustigen hinaus,
ernsthaft und eindringlich suchend

nach etwas Unauffindbarem! Die Augen weiteten sich


und öffneten sich immer weiter,
je länger man ihre Frage ertrug.
Rechts vom Pfahl kniete eine Schar anbetender Mönche

in faltigen, blass glänzenden Gewändern.


Jeder trug einen Heiligenschein um sein inbrünstiges Haupt.
Die göttliche Mutter hockte vor dem Marterholz,
umklammerte das Fußbrett und presste ihre Lippen

auf die blutigen Spuren, um unsagbares Leid zu verkünden.


Auf der linken Seite trauerten die Jünger,
gekleidet in hellblaue und rote Gewänder,
und der Heiland selbst war umgeben

von kindlichen Engelsgestalten im goldenen Himmel,


deren Körper der Maler ab der Mitte
in Rauch und Wolken aufgelöst hatte,
um das Überirdische anzudeuten.

Das Ganze wirkte so verlockend und betörend,


dass die Frauen von einem hemmungslosen Zittern
ergriffen wurden. Zum ersten Mal traf das Wunder der Kunst
diese nordischen Menschen, denn anstelle

der üblichen leblosen Schaufensterpuppen


offenbarte sich ihnen das Sterbliche und Göttliche,
eingetaucht in die Qualen
und die Heiligkeit des täglichen Lebens.

Und diese Erhabenheit


wurde von einem Seeräuber dargeboten?
Die Königin schwankte.
Sie war bleich wie ein Leichnam geworden.

Die mahnenden Augen hatten ihr das Herz geöffnet,


und in ihrem fließenden Blut brannte die Frage weiter,
die der Menschensohn dort vom Kreuz aus
in aller Einfachheit an sie richtete:

Glaubst du mir wirklich? -


Wer? Wer hat das erschaffen?, stammelte die Regentin
und warf die Hände hoch,
als ob sie sich verteidigen wollte.

Aufmerksam stand der Admiral neben der Tafel.


Auch er war erregt von dem ungestümen Drang
des Künstlers nach Wahrheit und Inspiration.
Aber er war mit dem Eindruck zufrieden.

Mit einer bedeutungsvollen Geste erwiderte er:


Ihr seht, o Königin, dies wurde
von einem rebellischen Geist geformt.
Meister Giotto di Bondone aus Florenz,

der sich auch nicht um alte überlieferte Satzungen kümmerte,


sondern das Stückwerk und die Stümperei
aller menschlichen Dinge kannte.
Wo siehst du hier eine gesegnete Verheißung?

Nur Qualen und Selbstbefreiung sind uns verheißen.


Nur dort winkt unsere Auferstehung, Königin.
Und als er merkte, dass er in der großen Bestürzung,
die er erregte, noch mehr wagen konnte,

fügte er mit bewusster Grausamkeit hinzu:


Du sollst wissen, ich selbst habe dieses Bild
aus einer kleinen sienesischen Kirche genommen,
die mir das dankbare italienische Landvolk geöffnet hat.

Langsam ließ Margarethe bei diesem Geständnis


die Hand sinken. Sie starrte den kühnen Redner an.
Um sie herum war sie verblüfft. Plötzlich aber
überkam sie die Scham, weil ihr Untergang
auch von einer anderen Frau erlebt werden würde.
Und von diesen widersprüchlichen Empfindungen
überfallen, wandte sie sich heftig gegen ihre Begleiterin.
Was sie sagte, klang verdeckt und wütend.

Was ist das? Bist du noch da, Gräfin?


Wir danken dir. Aber jetzt brauchen wir
deine Hilfe nicht mehr. Du bist beurlaubt.
Und mit einer höflichen Handbewegung

sprach sie die Entlassung aus.


Seltsamerweise erhob die stolze Edeling-Tochter
keinen Einspruch gegen die ungewöhnliche Behandlung.
Tatsächlich schien sie die Zurechtweisung

kaum zu begreifen. Und doch,


hinter der ruhigen weißen Stirn wirbelte es umso mehr,
in den großen blauen Augen gefror ein offenes Entsetzen,
denn das Letzte, woran sich diese Einsame klammerte,

drohte einzustürzen. Aber wie?


Ein Unglücklicher, ein Geächteter,
tausendmal gebrandmarkt, hatte hier gestanden
schamlosen Tempelraub, und doch stand er

in Gold und Seide gehüllt, hochmütig und herrisch,


und obendrein verwöhnt und verkostet
von dem wohlwollenden Blick einer Prinzessin?
Die wundersamste Offenbarung

wurde durch verunreinigte Hände gegeben,


und gleichzeitig wurde die tiefste und ewige Lehre
durch grausame Verachtung erschlagen?
Die Verheißung wurde vom Himmel gerissen,

der letzte Trost für alle Verlassenen?


Nie mehr, das konnten aufrechte Bekenner nicht dulden.
Aus der Bahn geworfen, aber bis zuletzt bemüht,
ihre gefasste, ablehnende Haltung beizubehalten,

schritt die frierende Kreatur nach ihrer Verbeugung


auf den Vorhang zu. Doch ihre Tortur
war noch nicht zu Ende; sie sollte
noch härter geprüft werden. Ein böser Blick

muss es ihr angetan haben, denn unerwartet


kam es ihr vor, als ob die schwarzen, feurigen,
forschenden Augen der Götter
ganz in ihrer Nähe auf ihr ruhten.

Sie waren da und drängten sich an sie heran.


Ihr weißes Gewand fühlte sich von ihnen durchbohrt,
ihr Körper von ihnen berührt, und jetzt,
erst jetzt bemerkte die verstörte Frau,

dass der Mann im blauen Prinzengewand,


der Freibeuter, der Gesetzesbrecher,
diese heilig-unheiligen Erdensohn-Augen
schamlos und gemein auf sie herab leuchten ließ.

Da erlahmte ihre Selbstbeherrschung,


verwundet, riss sie ihr langes Gewand hoch,
durchbrach den Vorhang und stand jenseits der Schwelle,
unbekannt und sich selbst entfremdet.

Geheime Absichten gewannen Macht über ihren Verstand.


Auch sie glich dem gestohlenen Bild einer Heiligen.
Der Vorhang zitterte in ihrer entschlossenen Hand.
Jetzt sind wir allein, sprach Margarethe bedeutungsvoll,

und darum lass mich deine Gabe verehren.


Demütig kniete sie nieder und versank
in ein unhörbares Gebet vor der Tafel.
Die geschmeidigen grünen Linien der Frau

lagen wie frischer, gewölbter Torf vor dem Bild.


Die Menschenkennerin hatte ihre Gelassenheit
so weit zurückgewonnen, dass selbst
der scharfsichtige junge Admiral zweifeln konnte,

ob das, was hier ausgedrückt wurde, echt war


oder der übliche Drang zur Darstellung.
Aber um die Lippen des Matrosen
spielte ein verstecktes Lächeln.

Die Königin muss es geahnt haben,


denn sie erhob sich schnell.
Ich danke dir, Admiral, sagte sie herzlich
und reichte ihrem Besucher die Hand.

Es war eine weiche, bezaubernde Frauenhand,


und in ihrer Umklammerung bebten
die starken Kräfte des Willens und der Unterwerfung.
Aber Störtebeker stand fröhlich vor ihr, ungebrochen

und sie um einen Kopf überragend.


Da erkannte Margarethe mit Bedauern,
dass es an der Zeit war, diesem mächtigen Willen
vorerst kleinliche Wünsche zu opfern.

Voller Würde und mit einer freien Anmut


ließ sie sich auf ihrem Hochsitz nieder.
Ihre scharfe Miene nahm einen feierlichen Ausdruck an.
Setzen wir uns, forderte sie, auch du, Klaus Störtebeker,

setz dich hin. Hier, neben mich.


Und dann werde ich dir verraten,
warum meine Gedanken schon lange
mit dir beschäftigt sind.

Aber Klaus Störtebeker rührte sich nicht.


Unanfechtbar sicher klang es
von dem aufrechten Mann zurück:
Ich kenne deine Gedanken, Königin.

Und du brauchst mir nichts zu sagen.


Margarethe zuckte erschrocken zurück.
Was weißt du von mir?, fuhr sie den Mann an,
der sie so mühelos zu vergöttern versuchte.

Unerschrocken, seinen dunklen Blick fest


auf den ihren gerichtet, antwortete der Admiral:
Ich weiß, dass du ein Reich
in Not und Kummer zusammengetragen hast.

Aber auch der Dieb, der über die Mauer klettert,


erträgt Schmerz und Plage. Nun willst du herrschen,
wie vor dir unzählige andere deiner Art,
Berufene und Unberufene, ihre Macht zärtlich gehegt haben.

Und deshalb musst du deine Krone


täglich mit dem Wort Gottes,
mit dem Schweiß der Namenlosen,
mit Tränen und Blut waschen,

damit sie die Augen der Deinen blendet. -


Was wagst du?, hauchte die Frau.
Nichts wage ich, denn da du dich unaufhörlich krönen musst,
gebührt es dir, jeden glänzenden Stein von der Straße

in dein Diadem aufzunehmen.


Und ein solcher Stein bin ich.
Die Regentin hielt inne,
klammerte sich verzweifelt an beide Armlehnen,

und es war fast so, als wollte sie ihren Körper


rächend gegen ihren Unterdrücker erheben.
Sie war noch unschlüssig, ob sie das eben Gehörte
bestrafen oder verachten sollte.

Und sie war selbst erschrocken,


als aus dem donnernden Wirbel zunächst
nichts als ein demütiges Lamento hervorging:
Mann, siehst du nicht, dass ich eine Frau bin?
Noch nie hat ein so respektloser Mann vor mir gestanden.
Ich weiß nicht, was mich abhält, dich zu züchtigen. -
Aber ich weiß es, sagte Störtebeker jetzt
und unterdrückte jeden Widerspruch,

während er auf sie zuging. Die Sporen


an seinen beringten Schuhen flüsterten
und kicherten neckisch mit.
Mach dir nichts vor, Prinzessin.

Du bist in dieser Stunde wie gelähmt vor lauter Aufruhr


in deinem Herzen. Zum ersten Mal blickst du
aus dem blutigen, waffenstarrenden Ring
deines vermeintlichen Rechts hinüber

in den bereits anschwellenden Kreis


der vermeintlich Rechtlosen.
Dort herrschst du, hier befehle ich.
Tausende verbluten und verwelken unter deinem Urteil,

weil sie deinen Erwartungen oder deinem Nutzen


nicht entsprechen. Doch sieh dir im Gegenzug
meine Fäuste an. Sie dampfen mit dem Blut
deiner Ergebensten, denn sie sind es,

die meinen Hoffnungen im Wege stehen.


Wer von uns beiden ist der Schuldige?
Willst du das entscheiden?
Du würdest deinen Herrgott für dich

am Bart aus den Wolken zerren!


Vergebens, denn dein Gott hat unzählige Male
die Empörten gesegnet. Da der Gekreuzigte,
zu dem du dich ängstlich drängst,

war er nicht der schrecklichste aller Rebellen?


Und du willst entscheiden?
Du, deren verstopftes Ohr nicht einmal hört,
wie unter der dünnen Decke deiner Füße

schon Tausende meiner Stimmen schreien


und heulen und jammern?
Unerbittlich erfüllte der helle Ton den engen Raum,
die Glut einer verzehrenden Überzeugung

wehte der halb betäubten Frau entgegen,


alle ihre Gedanken waren darauf gerichtet,
vor dem schrecklichen Eroberer zu fliehen,
der mit Räuberfäusten auf ihr Bewusstsein einhämmerte.

Aber, o Wunder, gerade aus ihrer natürlichen Todesangst,


aus der Furcht vor persönlicher Zerstörung oder Schande,
erhob sich, wie der weiße Stein aus der schäumenden Gischt,
das ureigene Gefühl dieser Frau, das Gefühl

ihrer königlichen Einsamkeit.


Und daran gewöhnt, sich jede Hilfe, jede Rettung
von ihrer herrschsüchtigen Seele zu holen,
überkam sie ein Schauer widersprüchlicher Freude

über die nahende Gefahr. Wie zufällig spürte sie


sogar die Verlockung jener gewalttätigen,
grausamen Männlichkeit. Nur eines entging ihr,
und das war genau das Neue, das sie wahrnahm:

das dumpfe Brüllen der dunklen, wilden Gestalten,


die der fremde Mann gerade vor ihr heraufbeschworen hatte.
In einem dumpfen Grollen erstarb das unheimliche Geräusch
für sie hinter einem gut bewachten Eisentor,

zu dem sie keinen Schlüssel besaß.


Doch stattlich richtete sie sich auf,
bis sie in voller Höhe aus ihrem herrschaftlichen Sitz ragte.
Als sie ihren Arm ausstreckte,

blitzten die goldenen Schnüre


im Sonnenschein zu Boden.
Hüte dich!, warnte sie schneidend,

und gleichzeitig griff ihre sinkende Hand


nach einem kleinen Hammer.
Überlege dir, wo du stehst. Ein Schlag auf diese Platte,
und meine bewaffneten Männer würden dich lehren,

wer von uns im Namen des Ewigen richten darf.


Da stieß Störtebeker ein herausforderndes Lachen aus.
Kennst du kein anderes Lied?,
zuckte er verächtlich die Achseln.

Komm zu mir auf die Agile,


und es wird dir nicht anders vorkommen.
Aber, und er schlug sich heftig auf die Brust,

dieses Mal wird nicht gesungen. -


Woraus schließt du das? -
Mir geschieht kein Leid, Königin,
beharrte der Seemann unnachgiebig,

denn ich war nicht so töricht, dir mehr zu vertrauen


als meiner Gewalt. Signifikant deutete er zum Fenster.
Margarethe folgte der Bewegung,
und in der Ferne auf der Reede schwollen ihr

die schwarzen Rümpfe der Koggen der Freibeuter entgegen,


und als sie sie schärfer betrachtete,
fielen ihr mehrere dunkle Riesenaugen auf,
die sie bedrohlich und lauernd anstarrten.

Der Admiral lächelte eigentümlich,


und die Regentin versuchte, das gleiche Zeichen
der Gelassenheit zu geben, obwohl die Heiterkeit
nur wie ein bleierner Schein um ihre Lippen wanderte.

Und doch, da draußen, diese schlanken Masten,


an denen ihr ganzer Ehrgeiz hing.
Über die schwankenden Planken dort konnte sie
stolz und siegreich schreiten, beneidet

und bewundert in die Ferne,


durch die Jahrhunderte und zu fernen Ufern.
Und von ihrer eigenen Leidenschaft getrieben,
rannte die Frau fast unwillkürlich zum Ausguck.

Als sie sich umdrehte, flackerte auf einmal wieder


das ganze Netz ihrer Seelenfängerkünste
in ihren scharfen Zügen auf. Und ihre großen
braunen Augen blickten fraulich und versöhnlich.

Wunderbarer Mann, stellte sie sich dicht neben ihren Gast


und legte ihre Hand leicht auf seine Brust,
als wolle sie das stürmische Herz darunter beruhigen.
Worüber streiten wir uns?

Da du meine Absichten kennst, nenne deinen Preis.


Und bei meiner Ehre, ich werde weder knausern noch feilschen.
Denn, Klaus Störtebeker, auch wenn du grob genug
in meinen fürstlichen Schatz hineingestoßen bist,

ich finde dennoch Gefallen an dir und deiner spritzigen Art.


Und ich bin keine Undankbare!
Die Frau schmiegte ihre andere Hand sanft
an die goldenen Löwen des blauen Wappens,

und es gefiel ihr, wie der kräftige Atem des Matrosen


ihre Finger gleiten und anschwellen ließ.
Eine kurze Zeit lang sahen sie sich beide an,
keiner von diesen stolzen Menschen war

von der großen Nähe ihrer Körper betroffen oder bedrückt.


Doch während die Frau allmählich begann,
den kühnen Sturm des Fremden
mit lebhaften Nasenlöchern einzuatmen,

entledigte sich ihr Widersacher fast gänzlich


jeglicher Lust auf Abenteuer und Rausch.
Es war das überlegene Wesen der Prinzessin,
ihr herablassender Blick

und doch das verstohlene Spiel ihrer Hände,


das ihn lehrte, dass er gekommen war,
um ihre hochmütige, ungerechte Welt zu stören.
Und kaum hatte er das gedacht, gab es

für den entschlossenen Mann kein Zögern mehr.


Er machte noch einen halben Schritt auf sie zu,
und sie waren sich jetzt so nahe, als wollten sie
sich umarmen oder sich die verborgensten Dinge zuflüstern.

Erwartungsvoll, spitzbübisch hob Margarethe den Kopf.


Königin, platzte Störtebeker plötzlich ungestüm heraus,
und die Erregung des Augenblicks brannte
auf seinen dunklen Wangen. Eine ungeheure Erwartung

hatte ihn ergriffen, ein wildes Verlangen, anzugreifen.


Du verlangst meinen Preis? Erwarte nichts Geringes;
dich selbst fordere ich mit Leib und Leben!
Margarethe wich nicht zurück,

denn sie war auf etwas Ähnliches gefasst.


Sie schloss genüsslich die Augen,
und es war fast so, als würde sie leise nicken.
Die Wüste und der Wahnsinn dieses Werbens

verstärkten nur ihr Missverständnis.


Versprich dich mir, sprach sie mit ihrer sanften,
überzeugenden Anmut, und gleichzeitig ergriff sie
die behandschuhte rechte Hand des Mannes

als Zeichen des Bündnisses,


versprich dich mir mit deinen Schiffen,
deinen Lederschlangen und all deinen Gefährten,
und welcher deiner Wünsche soll unerfüllt bleiben?

Und als sie glaubte, die Finger ihres Gefährten


schwer in den ihren ruhen zu spüren,
und nicht so willig, wie sie erwartet hatte,
fuhr sie heißblütiger fort:

Gib dich mir hin, Klaus Störtebeker,


und siehe, ich werde dir und den Deinen
die Gesetzlosigkeit nehmen, die dich quält,
keine Richterhand soll auf deine Taten blicken dürfen,

und dich selbst werde ich als Dänemarks Marinechef


auf die erste Stufe meines Thrones setzen.
Graf von Gotland sollst du heißen,
und es soll keinen geben, der mir näher steht als du! -
Das genügt mir nicht, sagte der Seemann dumpf,
und mit einer harten Bewegung fügte er hinzu:
Du ahnst auch nicht, Königin,
dass ich für mich nichts verlange. -

Nichts für dich?, wiederholte Margarethe enttäuscht,


und ihr scharfer Blick stahl sich fortan verständnislos
um das bedrohlich entrückte Antlitz ihres Gastes.
In abruptem Wechsel begann ihr die wilde Person

wieder unheimlich zu werden.


Nenne deine Bedingungen, rief sie beleidigt,
als sie ihre Hand von ihm zurückzog.
Bei einem solchen Geschäft gibt es keine Geheimnisse.

Aber Störtebeker streckte sich,


und indem er mit dem ausgestreckten Arm
auf die Tafel Giottos zeigte, brach er von neuem
in sein rücksichtsloses Lachen aus.

Glaubt Ihr wirklich, o Königin, dass ich Euch


diesen nur zum Anschauen gebracht habe?
Du irrst; denn er ist der einzige auf Erden,
der mein Geheimnis begreifen könnte,

wenn er am Leben wäre,


und deshalb lehnt er an der Wand.
Weil das sanfte Lämmchen nur
die halbe Arbeit geleistet hat, deshalb stehe ich vor dir.

Weil er sich nicht traute, die Waffen zu ergreifen,


deshalb trage ich sie an seiner Stelle.
Aber sei gewiss, wenn er mich hören würde,
würde er herunterkommen und mir folgen. -

Lästere nicht, rief Margarethe, ehrlich bleich,


den mörderischen Zorn gegen
die große Unbestimmte fürchtend,
vor der sie selbst abergläubisch,

oder doch fast mit Überzeugung neigte.


Und auch ihr Herz schlug unwillig gegen das Neue,
das der Frevler ihr da anvertrauen wollte.
Komm zum Ende, ermahnte sie ihn deshalb ungeduldig,

und sie schritt hinter den Tisch,


wo sie sich gebieterisch abstützte.
Ihre Miene trug nun deutlich den Ausdruck
von Schüchternheit und Kränkung.

Endige, damit ich mir überlegen kann,


wie mein Vorteil im Vergleich zu deinem ist.
Klaus Störtebeker trat an das andere Ende des Tisches.
Dann klopfte er leicht auf die Eichenplatte.

Jetzt sprichst du endlich, tadelte er mit verhaltenem Tadel,


wie deine Welt dich gelehrt hat. Dein Vorteil,
mein Vorteil, Königin, und du fragst nicht einmal,
woher die Stimme kommt, die sich jetzt

in nie wiederkehrender Stunde an dein Ohr wendet? -


Ich weiß, woher sie kommt, warf die Königin spöttisch ein.
Glaubst du, ich wäre nicht schon früher
über dich belehrt worden, du törichter Mensch?

Ein Bastard bist du, stöhnte sie grimmig.


Edeling-Blut und Knecht-Blut streiten sich in deinen Adern.
Aber deine Abstammung von den Unfreien ist tiefer in dir,
da du dich nicht scheust, mit einer Bande

von Dieben und Mördern gegen


unser besseres Blut den Richter zu spielen.
Oh, es tat ihr gut, als sie die Beleidigung
gegen den schönen Mann geschleudert hatte,

erst jetzt glaubte sie, wieder im Besitz


ihrer Majestät und Macht zu sein,
als sie das tödlich blasse Antlitz ihres Widersachers
von einer wilden Verzerrung gezeichnet sah.

Und sie hätte gejubelt, wenn der Freibeuter


sich in diesem Augenblick zu einem schamlosen Ausbruch
gegen sie hätte hinreißen lassen. Erwartungsvoll
hielt sie bereits den Hammer in der Hand.

Nur in den dunklen Augen ihres Gastes


funkelte der Hammer wild umher,
aber seine hochgewachsene Gestalt klammerte sich
mit beiden Fäusten an den Tisch,

um in schockierender Zurückhaltung
und fast flüsternd die bittere Erwiderung zu finden.
Aber du willst die Mörder und Diebe
des Bankiers für dich rauben und stehlen lassen?

Und ihren Anführer kannst du in den Rang


eines Grafen von Gotland erheben?
Die Fürstin schwieg.
Darauf wusste sie keine Antwort.

Frau, kochte es weiter in der bebenden Brust


des herausgeforderten Mannes,
und er schüttelte den schweren Tisch,
als wäre er ein Spielzeug. Diebe und Mörder, sagst du?
Merk dir, was du gleich erfahren wirst.
Es ist nicht mehr und nicht weniger als das,
was dein Gekreuzigter zu sagen vergaß.
Wir sind alle Diebe und Mörder. Wir alle, hörst du?

Nur dass ich und die Meinen sich immer nur


blaue Flecken und Wunden stehlen,
während du und die Deinen
die köstlichen Speisen vom Tisch tragen.

Glaubst du, es macht mir Vergnügen,


durch die dunklen Seenächte zu segeln, um das zu richten,
was nie ausgerottet werden kann? -
Ist dir das endlich klar?, warf die eifrige Zuhörerin

triumphierend ein, denn sie freute sich,


in dem Freibeuter so etwas wie Zerknirschung zu spüren.
Die Neigung der Glücklichen, uns arme Leute zu unterdrücken,
zu plagen und zu entrechten, ist unausrottbar, Königin,

fuhr der Freibeuter ruhig fort,


seine schwarzen Augen starrten auf die leere Wand
über der Regentin, als ob all die elenden Menschen,
die er in seinem Wanderleben gesehen hatte,

dort litten und starben.


Aber auch der Hass, der Neid, die verzehrende Mordlust,
die zerstörerische Wut der Geschundenen sind unabdingbar.
Das ist das Natürliche. Und daran ändert
weder deine Barmherzigkeit etwas,

noch das dunkle Gericht, das mit mir über die Fluten jagt. -
Ist dir das klar?, fuhr die Königin auf.
So etwas war der weisen Haushälterin noch nie aufgefallen,
und doch hallte ihr Alter von den Verwünschungen

und Aufbegehrensversuchen der Niedrigen


und Unterdrückten wider. Sie war soeben
niedergeschlagen worden, wie man ein bissiges,
unvernünftiges Tier fesselt. Nun packte die Frau

der seltsame Verdacht, dass hinter dem Toben


des Tieres im Stall doch eine eigene Sprache steckte.
Und so suchte sie, wie es sich für eine Frau gehört,
zunächst einmal ihre Neugier zu befriedigen.

Und wem gibst du die Schuld an dem ewigen Streit?,


erkundigte sie sich eifrig.
Störtebeker erkannte ihre Anspannung,
mit einem frechen Lächeln erwiderte er:
Dein Gott! - Mann, hetze doch nicht so! -
Ich hetze nicht, ich leugne nur deinen Gott,
weil er seinen Sohn zu spät auf die Erde geschickt hat.
Wäre er am Anfang erschienen,

als sich die Menschenhaufen zum ersten Mal


zur Gemeinschaft versammelten, glaub mir, Frau,
dann wäre unsere Sache nicht so miserabel geworden.
Das war es also, worum es ging?

Als diese Anschuldigung der Königin


entgegengeschleudert wurde, verzog sie
ihren breiten Mund ein wenig und wies sie von sich.
Der Mann vor ihr hatte offensichtlich

zu viel nachgedacht und gegrübelt;


das lange vergoldete Schwert,
das in seiner linken Hand glitzerte, war wohl nicht
das richtige Werkzeug für den Enthusiasten.

Mit einem Mal verlor die energische Rechnerin


die letzte Angst vor ihrem Gast.
Mit dem Anschein von Müdigkeit ließ sie sich
auf ihrem erhöhten Sitz hinter dem Tisch nieder

und warf beiläufig, fast müde, ein:


Nun, da es zu spät ist, sich zu ändern,
warum gibst du dich fruchtlosen Begierden hin?
Ich weiß eine bessere Arbeit für dich.

Lass mich dich anwerben, Störtebeker. -


Es ist noch nicht zu spät. - Wie?
Wer hat hier gesprochen? Ging es wirklich durch den Raum
wie ein junges Erwachen?

Margarethe war durch und durch erschrocken.


Der Seeräuber hatte beide Armlehnen
ihres Stuhls umklammert, jetzt beugte er sich über sie,
als wolle er sie festhalten. Sie wusste nicht mehr,

ob sie seine Worte von seinem Mund ablas


oder ob sie bleiern aus seinen wilden,
glühenden Augen flossen?
Königin, sein heißer Atem stupste sie an,

die Zeit ist gekommen. Du bist dabei, deine Wahl zu treffen.


Aber zukünftige Generationen werden dich dafür verehren. -
Was willst du?, murmelte das alte Weib entsetzt,
während sie sich immer tiefer in ihren Stuhl kauerte.

Und die Hände ausstreckend, stammelte sie unwillkürlich:


Tu mir nicht weh.
Das dunkle Gesicht ruhte unverändert über ihr.
Du bist sicher, Königin, denn du wirst endlich die Erde reinigen,

die in Hass und Neid, in Brudermord und Ungerechtigkeit,


in Hochmut und Verleumdung schwelt!
Kain sollst du vertreiben und damit
das Werk des siebenten Tages vollenden. -

Lass mich, du bist fiebrig. Ich verstehe dich nicht. -


Ja, ja, du bist das Werkzeug, denn ich enthülle dir jetzt
mein Geheimnis. Du wirst mein Werkzeug sein.
Höre! Klare Zeichen gehen durch die Welt.

Was treibt die Geißelbrüder


zu ihren blutigen Selbstquälereien durch eure Städte?
Zu welchem Zweck schwärmen die Scharen
halbnackter Kinder über die Felder

und fallen wie Heuschrecken über die Früchte her?


Welcher Wahnsinn, welche zitternde Unruhe
jagt Knechte und Herren von dir weg
dem Sonnenaufgang entgegen?

Eine ungeheure Suche hat sie ergriffen,


denn sie alle spüren, dass die Erde
den tobenden Ekel nicht mehr ertragen kann.
Eine andere will gebären. Nun erhebe dich, Königin,

rufe die Menschheit endlich zusammen,


endlich, nach Jahrtausenden des Irrtums,
zu einem neuen Morgen der Schöpfung.
Siehe, ich habe die Widerspenstigsten der Ausgestoßenen

und Verlassenen um mich versammelt.


Ihr Atem ist Hass, ihr Wort ist Neid, ihr Verlangen ist Mord.
Führe diese Verzweifelten von ihren unsicheren Wegen
an Land, in ein Land der Verheißung.

Unzählige Hufe liegen unbenutzt vor dir,


lass mich sie in gleiche Lose teilen für die Neuen,
für die Verwunderten, lass mich ihnen verkünden,
dass Pflug und Egge, Stier und Ross fortan

zusammengehören zu ihrer großen glücklichen Vereinigung,


lass sie sich selbst richten und schützen,
wo es nichts mehr zu richten und zu schützen gibt,
denn dann, o Königin, aber nur dann,

wird den Seligen die Gewissheit der Götter dämmern,


dass Hoch und Tief verschwunden sind,
weil der Mensch, der ursprünglich gute und reine Mensch,
wieder zu seinem unschuldigen Anfang gekommen ist.
Ich will dies vollenden, es muss vollendet werden,
höre, die Erde schmückt sich schon bräutlich
für den Bund mit dem glücklichen Menschen. -
Das letzte ging in einen markerschütternden Schrei über,

der junge Seemann stand da, erleuchtet


von der Röte des Morgens, wie sie nur einmal
für die Auserwählten aufgeht.
Seine rechte Hand war an den Knauf des Schwertes geworfen,

als ginge es nur darum, eine Schar


siegestrunkener, begeisterter Menschen
den kurzen Weg entlang zu führen,
die seine glühenden Augen förmlich aus dem Nebel lockten.

Margarethes Gesichtszüge aber hatten sich verzerrt,


ihr breiter Mund war feindselig geöffnet,
ihre großen Zähne nach vorne geschoben,
um sich an einem Faden festzubeißen,

der um ihr Gesicht gewickelt war.


Sie hatte nur eines begriffen, und zwar
mit der ganzen Schlauheit der Frau und der Herrscherin,
nämlich dass der Boden unter ihr bebte,

weil der von einem Wahnsinnigen ausgerufene Bund


sie und ihresgleichen nicht mehr brauchte.
Ihr ursprünglicher Plan war vergessen, niedergemäht
von der Schärfe ihrer selbstsüchtigen Forderungen,

die Unmöglichkeit ihres eigenen Verzichts


erweckte in ihr nichts als einen bitteren, giftigen Hass.
Kaum sah sie, dass ihr Platz frei wurde, sprang sie auf
und griff nach dem kleinen Hammer.

Dann sprach sie mit scharfer, ätzender Gelassenheit:


Sag, Klaus Störtebeker, sind deine Gefolgsleute
schon von dir eingeweiht?
Bei der spöttischen Anrede erwachte der Admiral;

trotzig setzte er seinen bewaffneten Fuß


auf die Stufe des Sitzes und ließ seine rechte Hand
nicht von der Waffe. Königin, warnte er ärgerlich,
was Nacht und Elend mir in langen Jahren anvertraut haben,

wissen nur du und ich.


Die Königin wurde immer kälter.
Und mit einer Bande von Dieben und Räubern
willst du ewiges Recht schaffen?

Das Gesicht des Seeräubers entfaltete sich.


Wild rief er aus: Auch Rom wurde
von Dieben und Räubern erschaffen.
Aber Verantwortung, Arbeit und Gemeinschaft,

das sind die Bausteine eines edleren Volkes. -


Und wenn meine restlichen Ländereien
von der Empörung angesteckt würden?
Wenn sie begännen, das anzugreifen,

was sie längst erworben hatten,


Ämter zu verjagen, die Gesetze zu verhöhnen?
Glaubst du, dass das Blut der Zufriedenen
weniger heilig ist als der Fiebersaft der Mörder? -

Weib, deine Augen verdeckt die Blindheit,


wütete nun Störtebeker. Schaum kam ihm über die Lippen
und er schüttelte drohend die Faust. Du siehst nicht,
dass du dich nur von Raub und Diebstahl ernährst.

Die große Hure bist du, die sich dem Gold hingibt. -
Und du bist ein Feind des Menschengeschlechts,
sagte Margarethe, ungerührt. Ich bereue,
dass ich dir mein Gesicht gezeigt habe.

Erhebe dich von mir. Und von nun an


sei Feindschaft zwischen uns, bis du ausgelöscht bist.
Da stieß der Admiral sein helles, schallendes Lachen aus,
doch dann verneigte er sich plötzlich tief.

Noch einmal sitzt ein Leichnam auf dem Thron,


zeigte er mit ausgestreckter Hand,
noch einmal wäscht ein Schleicher seine Hände in Unschuld.
Aber bei den Schwärmen und Lumpen der Bettler

sei es geschworen, ich werde


für ein königliches Begräbnis sorgen. -
Kein weiteres Lebewohl.
Er riss den Vorhang auseinander und trat hinaus.

Da, dicht hinter den Falten stand er, wie ein weißes Bild.
Eine schneekalte Wolke stand dort, zitternd und blitzend.
Ein paar verwirrte Augen, geblendet vom frommen Wahnsinn,
wanderten hinter dem stürmischen Mann her.

Er starrte, irgendwo musste er schon einmal


eine ähnlich behütete Wohlfühlpuppe gesehen haben,
und frech und unverschämt winkte er ihr zu,
bevor er die schmale Holztreppe hinuntersprang.

Aber auch die Königin hatte etwas Seltsames


hinter dem geöffneten Teppich entdeckt.
Wutentbrannt, noch immer erschüttert
von den Eindrücken des eben Geschehenen,

riss die Regentin mit einer Träne den Vorhang auf,


um dann sprachlos auf der Schwelle zu verharren.
Was ist das?, rief Margarethe, bebend vor unterdrückter Wut,
und eine fahle Blässe überzog ihre Wangen,

denn die erschütternde Gewissheit überkam sie,


dass der Ausgang ihres zweifelhaften Kampfes
nun nicht mehr der Vergessenheit anheimfallen würde.
Gräfin Karin, ich merke, dass du die Luft

im Palast nicht verträgst.


Wir sind um deine Gesundheit besorgt.
Verlass sofort die Stadt und warte ab,
was ich weiter für deine Heilung beschließe.

Diskutiere nicht, geh, ich mag dich nicht mehr.


Und nachdem die weiße Wolke Schritt für Schritt,
traumwandlerisch, hinter dem engen Tor verschwunden war,
eilte die Königin zurück

und schlug besinnungslos auf den Silberteller.


Bringt den Kanzler auf der Stelle befahl sie
dem eintretenden Wappenträger.
Es klang eher wie ein bösartiges Gekreische.

Sie lag mit beiden Armen über den Tisch gestreckt,


ihre Nägel kratzten unruhig auf dem Teller,
als das bunt geschmückte Skelett ihres Beraters
endlich vor ihr auftauchte. Sie hob nicht grüßend

das gesenkte Haupt, sondern stöhnte,


begleitet von einem widersprüchlichen Lächeln, auf:
Versammle Friedensschiffe, rüstet euch
und alle Adligen. Gründet einen Bund der Hanse,

schreibt an den Großmeister von Preußen,


keine Ruhe bei Tag und Nacht,
bis die Seeplage ausgerottet ist. Dies ist unser Schicksal,
wie eine stechende Fliege sticht sie uns in die Augen.

Und voller Entsetzen sah der geplagte alte Mann,


wie der schöne Busen seiner Herrin
von krampfhaften Schluchzern inmitten
eines hämischen Lachens geschüttelt wurde.

ZEHNTES ABENTEUER

Es war am selben Abend. Auf Schloss Ingerlyst,


an der engsten Stelle des Öresunds,
eine gute Stunde von Kopenhagen entfernt,
saß Gräfin Karin in der Nische ihres niedrigen Saals,

der ganz aus dunkler Kiefer gebaut war,


und brütete einsam und weit weg
über dem Aufeinanderprallen der dampfenden Schaumketten.
Ein ständiges dumpfes Donnern stieg zu ihr empor,

und hinter dem pfeifenden Seewind


zitterten die Lichter von der jenseitigen schwedischen Küste.
Das stille, blonde Mädchen war nicht allein.
Ihr gegenüber, auf der zweiten Seitenbank,

lehnte ein stämmiger, rothaariger Mann,


dessen bedächtiges, bartloses Gesicht
sich deutlich vom Otterkragen
seines schwarzen Reisemantels abhob,

denn Herr Klaus Tschokke, der junge,


neu gewählte Bürgermeister von Hamburg,
wollte noch in dieser Stunde mit dem Schiff
nach Falsterbo zurückkehren,

wo der Frieden unterzeichnet werden sollte.


Und er hatte nur deshalb gezögert, seinen Besuch
endgültig abzubrechen, weil er noch nicht
den Mut gefunden hatte, diesem stolzen

weißen Jungfrauengesicht zu offenbaren,


was ihn wirklich hierher getrieben hatte.
Nicht nur der seltsam abwesende Glanz,
der manchmal über den stahlblauen Augen des Mädchens hing,

schränkte ihn ein, sondern er fühlte sich auch


durch die Anwesenheit eines Zeugen beeinträchtigt.
Am anderen Ende der kahlen Halle,
nahe dem hohen steinernen Kamin,

saß ein Geistlicher in einem braunen Reisemantel,


und von Zeit zu Zeit streckte sich eine feine weiße Hand
nach den brennenden Buchenscheiten aus,
die vergeblich versuchten, die Kühle

des kühlen Frühlingsabends zu mildern.


Oft wehte ein Windstoß durch den Schornstein,
und dann hustete Abt Franziskus vom Kloster Cona auf Rügen
kurz und unruhig, um sich gleich darauf

der vorgeschriebenen Andacht zu widmen,


dem Psalmodieren aus einem kleinen geschriebenen Brevier.
Die Äbte des Cona-Klosters waren seit langem
zu Gast in Ingerlyst, und dieser,

der ebenfalls von Falsterbo herübergekommen war,


hatte auch um ein Bett für die Nacht gebeten,
weil er morgen die Ehre haben sollte,
der Königin vorgestellt zu werden.

Die feine, geschmeidige Gestalt hing friedlich


in ihrem Lehnstuhl, in Andacht versunken,
die harten Seiten des Büchleins knisterten trocken und steif,
sobald man sie umblätterte,

und gerade dadurch war Herr Klaus Tschokke


allmählich in seiner kühlen, berechnenden Überzeugung
bestärkt worden, dass er aus dieser Entfernung
keinen Lauscher zu fürchten hatte.

Ein Blick auf den weiß gedeckten Tisch


in der Mitte des Saales hatte den jungen,
weltgewandten Bürgermeister auch gelehrt,
dass man die Zeit der Schlossherrin

nicht über Gebühr in Anspruch nehmen sollte.


So hatte er sich einige Male an der schmalen Stehlampe,
deren schwache Ölflamme zwischen ihnen schwankte,
bewegt, um schließlich seine Schicksalsfrage

an die schöne blonde Frau so würdevoll


und gemessen zu stellen, wie er es sich
auf der langen Reise überlegt hatte,
mit Anstand und ehrlichem Selbstbewusstsein.

Nun wartete er ruhig und anständig auf ihre Antwort,


und das kantige bürgerliche Gesicht
mit der kräftigen Hakennase hütete sich,
irgendeine Bewegung zu verraten, obwohl er sich wunderte,

dass die Blondine ihre Augen auf ihn richtete


wie auf ein fremdes Wesen, das sie nicht verstand.
Der Patrizier hatte ihre gegenseitige Beziehung
zueinander abgewogen. Und ein Schauer der Erinnerung

durchlief Karin, als die Ereignisse,


die sie immer umgeben hatten, in der Schilderung
des Kaufmanns einen so sachlichen Charakter annahmen.
Es fröstelte sie, weil sie ihr Schicksal,

losgelöst von sich selbst,


von einem Fremden aufgezeichnet fand.
Trocken und ohne Umschweife, wie aus einer Chronik,
hatte der Hamburger ihr das Bluten und Zersplittern
ihrer Familie beschrieben.
Ein harter, unnachgiebiger Stamm,
verwildert in nordischer Blutrache und Familienfehde,
und nicht selten von den eigenen Königen

als Übeltäter auf den Block geführt.


In roten Strömen verflüchtigte sich allmählich
die Lebenskraft der widerspenstigen Sippe,
bis in den letzten beiden Grafen von Ingerland,

in Karins Brüdern, das böse Erbe nur noch


in Landhunger und wilder Raubgier unterging.
Ein erschreckendes Bild von Feuerlärm
und schwelender Asche stieg vor der Lauschenden auf.

Ihre Brüder hatten nicht davor zurückgeschreckt,


ihre eigene Mutter, die mit ihrer minderjährigen Tochter
zurückgeblieben war, bewaffnet
auf ihrem nordischen Witwensitz anzugreifen.

In der Tat wäre den beiden ungehobelten Kerlen,


die ihr Christentum nur verhöhnten,
das unverzeihlichste Verbrechen wohl nicht erspart geblieben,
hätte nicht ein hanseatischer Gastfreund

die beiden Frauen in der grausigen,


feurigen Nacht schnell und entschlossen
auf sein Handelsschiff gerettet.
Der Retter führte die Verarmte gütig

in sein herrschaftliches Haus in Hamburg,


und hier, unter dem Schutz des ehrenwerten,
warmherzigen Ratsherrn Hinrich Tschokke,
des Vaters des Bürgermeisters,

erwachte die kleine Flüchtige zum ersten Mal


in dem Bewusstsein einer bürgerlich behüteten Situation.
Fast ungläubig sah sie die regelmäßige Arbeit
in den schummrigen Büros des Hauses,

denn Herr Hinrich besaß die florierendste Brauerei


der Handelsstadt. Mit großen Augen beobachteten
die Frauen von den niedrigen vergitterten Fenstern aus
die bunten Umzüge der Zünfte und Kaufleute,

und sie erfuhren auch etwas von dem Stolz,


mit dem die Oberhäupter der herrschenden Familien
die Angelegenheiten ihres Gemeinwesens ordneten.
Und doch, die Seele der Heranwachsenden

blieb verschlossen gegenüber den Auswirkungen


des frischen, aktiven Lebens um sie herum.
Zu sehr nistete sich im Kern
ihrer eng gefalteten Blüte das Grauen ein,

das wie ein Wurm in ihre Kindheit hineinkroch,


und ihr ängstliches Gemüt löste sich nicht
von dem frühen Eindruck, dass Unrecht
und Gewalt alle Macht auf Erden an sich gerissen hatten

und wie der Einzelne schutzlos umherirrte


und sehnsüchtig nach einem Retter Ausschau hielt.
Ein krankhaftes Mitleid mit den Gebrochenen,
Armen und Belasteten hatte das stille Kind ergriffen,

und ihre schönsten Stunden kamen,


wenn sich an Feiertagen die Kranken und Bettler
unter dem mächtigen Ahornbaum
im Hof des Kaufmannshauses

um den dort sitzenden Ratsherrn versammelten,


um Essen und kleine Geldgeschenke entgegenzunehmen.
Dann war es üblich geworden, dass Karin selbst
die irdenen Schalen herumreichte,

und nur in diesen Momenten hellte sich


ihr weißes, mürrisches Antlitz zu einem seligen Lächeln auf,
und der junge Klaus, der Sohn des Hauses, dachte dann,
dass die fremde Adelstochter mit ihren blonden Locken

ein mildes Licht in der Lumpenschar verbreitete,


wie ein schöner Bernsteinschmuck.
Im Alter von fünfzehn Jahren,
nachdem Karins zwei Brüder in der Schlacht von Fallkiöpping

als Rebellen gegen die Königin


ein grausames Ende gefunden hatten,
verließ sie schließlich das deutsche Haus.
Nun sah sich die kluge Margarethe veranlasst,

sich mütterlich um die Waisenkinder zu kümmern.


Für die konfiszierten norwegischen Güter des Hauses
erhielten sie Schloss und Herrschaft Ingerlyst,
und hier, dicht unter den Augen der Königin,

saß nach dem Tod der Mutter


der letzte Spross der verdorrten Dynastie,
weltlich scheu und zurückgezogen
als Hofdame der Regentin.

Doch insgeheim sehnte sich ihr verwundetes Innenleben


noch tiefer als zuvor nach dem unauffindbaren Trost
gegen die täglich offenkundige Missachtung
von Recht und Sitte, und fast verletzt verwarf sie
den Gedanken, durch die Heirat
mit einem rauen, habgierigen Herrn
noch tiefer in die Geschäfte und Ungerechtigkeiten
dieser Welt verstrickt zu werden.

Immer näher kam ihrem sehnsüchtigen Blick


die Klosterpforte mit ihren dämmernden Schatten,
und immer bereitwilliger schritt ihr Fuß auf diese Schwelle zu.
Bis heute. Dort, war das möglich? Heute, zum ersten Mal,

war ihr traumhafter Schritt ins Stocken geraten,


hatte gezögert. Welche heilige Wüstenvision,
welche wetterleuchtende Wolke
hatte ihr ganzes Gemüt und den noch kurzen Weg vernebelt?

War es Wirklichkeit, oder hatte ihr verschlossener Geist


selbst diese unheimlich blutige Gestalt der Gnade geboren?
Nein, nein, während sie hier saß und fast gedankenlos
dem unverständlichen Flehen ihres Hamburger Jugendfreundes

lauschte, begann aus dem Tosen der Strandwellen


wieder jene heiße, markerschütternde Stimme zu sprechen,
und bald wurde sie für die Zuhörerin zu einem Ruf,
der über die ganze Welt hallte, um für Millionen

versklavter Menschen von tauben


und verstockten Seelen gebieterisch um Gnade zu flehen.
Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer!
Doch bei jedem Wort pfiff gleichzeitig ein Schwerthieb

durch die Luft, und das höhnische Lachen


des Räubers und Mörders mischte sich ein.
Eine unschuldig befreite Welt wollte
aus einem kreisenden Meer von Blut auftauchen.

Ihre Sinne verwirrten sich,


ihr ganzes Wesen kippte fassungslos
über einen Abgrund aus Höllenfeuer
und Himmelslicht. Und während sie versuchte,

sich an etwas zu klammern, hörte sie


mit größter Deutlichkeit die Werbung
des ehrenwerten Bürgers, in dessen wohlgeordnetem Haus
Frieden und Sicherheit wohnten,

und sie musste mit Entsetzen


das Klopfen ihres erschrockenen Herzens hören,
das sich im Stolz eines alten Edelmannes
gegen die Sorgfalt im Krämerladen wehrte.

Wie um Gnade flehend öffnete sie


ihre großen blauen Augen
gegen den Mann in der schwarzen Ratsherrenuniform.
Herr Klaus Tschokke aber hatte in der Zwischenzeit

im flackernden Licht der Stehlampe


die Veränderung in den Gesichtszügen
seiner jungen Freundin genau betrachtet.
Auch er hatte sich wiederholt, was in langen Beratungen

mit seinem Vater sorgfältig erwogen worden war,


nämlich wie wichtig die Verbindung
mit dem alten Grafenstamm
für die aufstrebende Patrizierfamilie werden konnte.

Die Tschokkes gehörten zwar nicht


zu den ritterlichen Familien der Stadt,
aber da sie durch Reichtum und Handel
aufgestiegen waren, musste es für sie nützlich sein,

ihre Ansprüche von außen bestätigt zu bekommen.


Nach Meinung des alten Ratsherrn
war dazu niemand besser geeignet
als Gräfin Karin von Ingerland,

da sie nur mit Argwohn neben dem dänischen Usurpator


leben durfte und zudem durch die Bande
der Dankbarkeit an die frühe Zuflucht
ihrer Jugend gebunden war.

Doch als das im Luftzug wehende Licht


das stolze weiße Gesicht des Mädchens erhellte,
empfand der Bürgermeister wieder mit Erstaunen
seine frühere Ehrfurcht vor der fremden Edelingstochter.

Ich wollte dich nicht erschrecken,


wandte er sich schließlich unsicher an sein Ziel.
Du solltest nur wissen, wie weit das alte Haus
am Mönkedamm seine Türen für dich öffnen würde.

Es hat jetzt ein sehr lustiges Gemälde


vom Giebel bis zur Einfahrt, fügte er lobend hinzu,
Narren und Engel, die um ein Fass Bier tanzen.
Und was mich und die Meinen betrifft,

so hat die Zeit dein Gedächtnis nicht ausgelöscht.


Nur eines hat sich geändert,
er richtete sich nun vorsichtig auf und klappte
gleichzeitig seinen Mantel zurück,

so dass die schwarze Ratsherrenuniform


mit dem ziegelroten Revers deutlicher zu sehen war,
wie du siehst, habe ich jetzt den ersten Platz
im Stadthaus inne, und ich darf wohl sagen,

dass mancher Fürst sich wünschen würde,


sich weniger als ich um die kümmern zu können,
die ihm lieb sind. Bedenk auch dies, Gräfin Karin,
denn die Zeiten sind gesetzlos und unsicher,

und Ordnung gedeiht fast nur


hinter sorgfältig bewachten Stadtmauern.
Als er das letzte sagte, drang eine schnellere Wärme
zwischen die klare Vorbereitung,

denn das blasse Mädchengesicht hatte


in seiner Schüchternheit und Ratlosigkeit
das Männerbewusstsein des festen Bürgers geweckt,
und so wagte er es, ohne weiter an den Zeugen zu denken,

seine rechte Hand auf die schlanke Wachshand zu legen,


die sich gerade gegen die Ampel streckte.
Die kühlen Finger blieben auch in den seinen ruhig,
aber der kornblonde Kopf wandte sich

wie angezogen der Nacht zu,


und jetzt bemerkte ihr Gast nur noch,
wie eifrig die junge Frau sich bemühte,
das wilde Tosen des Wassers zu entwirren.

Schlag auf Schlag krachte die Brandung auf den flachen Strand,
und Karin zitterte, ob ihr Begleiter auch
die mächtige Stimme hören würde,
die von unten herauf brüllte:

Höre, Braut, die Erde schmückt sich schon


für die Vereinigung mit dem glücklichen Mann.
Dann Stille - und dann wieder das schreckliche,
aufmüpfige Lachen. Nein, nein, da draußen

lauerte das Verbrechen und der Wahnsinn,


und hier, hier drinnen? Wie zur Flucht bereit,
zog sie die Hand zurück, und als sie sich verzweifelt
gegen das Fenster wandte, gab ihr das Entsetzen

über sich selbst das Nächstliegende.


Du weißt nicht… - Was? -
Ich, ich habe schon gewählt. -
Gräfin? - So wenig hatte der Kaufmann

mit einer solchen Möglichkeit gerechnet,


dass ihm die Bedeutung ihrer Ablehnung
zunächst verborgen blieb. Er blieb aufrecht
auf seiner Bank vor ihr sitzen.
Die Blonde aber tastete nach dem Kreuz,
das noch immer über ihrem weißen Gewand hing,
und hob es hoch, um es ihrem Freund zu erklären,
aber auch sich selbst als Wegweiser

aus dem Getümmel und den Fratzen.


Hier, hier, sie klammerte sich an das Stück Holz,
als würde es immer deutlicher zu einem harten Balken,
hinter dem sie sich verstecken konnte,

hier lass mich gehen. Ich passe nicht in eure Welt.


Und auch nicht in eine andere.
Ich wäre für niemanden eine Hilfe oder ein Nutzen.
Denn, Klaus, du weißt vielleicht,

ich fürchte mich vor den Menschen,


denn sie denken nur Böses, und keiner ist bereit,
einem anderen Freude und Nutzen zu bereiten.
Keiner? Sie zögerte.

Denn aus der Nacht schlug wieder die dumpfe Trommel


am Rande des Strandes entlang,
und im Wirbel schlug sie gegen die Wände des Hauses.
Horch, bräutlich schmückt sich schon die Erde

zum Bund mit dem frohen Mann.


Da wurde die verwirrte Frau farblos,
und das Kreuz fiel ihr in den Schoß.
Langsam gab der Bürgermeister seinen Platz auf.

Er wollte nicht einsehen, dass ein weiteres Beharren


seinen Wünschen nur schaden würde,
denn er hatte es mit einem verschlossenen Geist zu tun,
der aus dem Leben blutete.

Die Wunde musste erst heilen,


bevor sich neues Vertrauen entwickeln konnte.
Und obwohl es ihm so vorkam, als erleide er jetzt
einen Verlust, wie er ihn in seinen ledernen Büchern

noch nie hatte vermerken müssen,


ergriff er dennoch mitfühlend die Hand
der verstummten Frau, in der ehrlichen Absicht,
den Eindruck seines plötzlichen Werbens

so weit wie möglich zu tilgen.


Ich wollte dich nicht erschrecken, Gräfin Karin,
beruhigte er sie freundlich,
du sollst nur herausfinden, wo immer ein Zuhause

für dich vorbereitet ist.


Ich will dich nicht weiter bedrängen,
denn wir sind beide noch jung und werden uns nach dem,
was ich dir gerade erzählt habe, kaum vergessen.

Ich hoffe es. Aber was deine Entscheidung betrifft,


so musst du mir versprechen, dass du dir
eine Zeitspanne gönnst, bis ich dir wieder
in Tag und Jahr erscheine.

Denn mein Weg und mein Wille führen mich wieder zu dir,
und die Zeit ist eine kundige Ärztin
und eine gütige Fürsprecherin.
Damit kreuzte er seine kühlen Finger heißer,

als er es selbst vermutet hatte,


und schritt mit energischem Gang
über die knarrenden Dielen der Halle,
um sich vom Abt zu verabschieden.

Der Abt hatte sein Buch gesenkt


und seine tiefliegenden, weisen Augen
waren schon seit einiger Zeit
auf die beiden jungen Leute gerichtet.

Doch noch bevor der scheidende Mann


den Stuhl des Mönchs erreicht hatte,
stockte der Bürgermeister
wie von einer Eingebung gepackt.

Noch etwas, erinnerte er sich auf seine bestimmte Art,


ist deine Dienerin zuverlässig, Karin?
Das Mädchen stand bereits an dem weiß gedeckten Tisch
und musste nun über die unerwartete Frage lächeln.

Ich habe nur eine Schaffnerin, erwiderte sie kopfschüttelnd,


ein paar Mägde und Knechte,
und hier diesen Waisenknaben aus unserer Gemeinde,
fügte sie hinzu und zeigte auf einen hübschen Burschen

von etwa siebzehn Jahren in schwarzer, dänischer Tracht,


der gerade eingetreten war, um den Tisch
mit allerlei Geschirr zu decken.
Und diesen wenigen verweigere ich nichts,

was ich mir selbst gönne, fuhr die Herrin ruhig fort,
nicht wahr, Heinrich?
Es lag so viel mütterliches Wohlwollen in ihrer Bitte,
dass es nicht verwunderlich war,

wenn dem Jungen die Wangen zu brennen begannen.


Er warf einen jugendlich entrückten Blick auf seine Herrin
und nickte verschämt, bevor er sich entfernte.
Nun schaltete sich der Abt in das Gespräch ein.
Warum fragt Ihr, Herr Klaus Chokke?,
wandte er sich angespannt an den Bürgermeister.
Euer Blick ist nicht frei von Sorge.
Der Hamburger schlüpfte in seine schweren Handschuhe

und prüfte unwillkürlich den kurzen Dolch,


der an seinem Ledergürtel hing.
Ich mache mir auch Sorgen, rang er sich schließlich ab,
und verstohlen umarmte er noch einmal das Bild

des blonden Fräuleins dort am Tisch.


Und deshalb habe ich eine Bitte an dich, Hochwürden.
Du weißt, dass die Gegend hier noch unruhig ist.
Und wir haben durch Späher erfahren,

dass die Freibeuterflotte am Mittag


völlig unerwartet in See gestochen
und aus dem Hafen verschwunden ist.
Wohin, weiß niemand.

Er strich sich unsicher über das glatte Kinn.


Ich habe die Vorliebe mancher unserer hanseatischen Verbündeten
für dieses schändliche, gesetzlose Volk nie geteilt,
fuhr er hastig fort, und ich werde nicht ruhen,

bis der schwarze Fleck von unserem Ostmeer getilgt ist.


Aber ich bitte dich, Hochwürden,
nimm die Dame morgen mit in die Stadt,
wo sie am Hofe des Königs sicherer sein wird

als hier in dieser flachen, verlassenen Einsamkeit.


Er hatte noch nicht geendet, als der eifrige Mann bemerkte,
wie aufregend sein Vorschlag für das Mädchen war,
um das er sich kümmerte.

Unruhig richtete sie ihren Blick auf das weiße Leinen,


als suche sie dort etwas zu finden,
und mehrmals kämpfte sie gegen
eine schnell aufkommende Antwort an,

bis sie sich endlich entschloss,


die Ankündigung zu machen:
Ich danke dir, Klaus,
aber ich darf Schloss Ingerlyst nicht verlassen.

Die Königin hat mich gerade hierher bestellt.


Und auf den fragenden Blick ihres Jugendfreundes hin
gestand sie mit ihrer gewohnten bedingungslosen Ehrlichkeit:
Ich habe mich in ihren Diensten

eines Fehlverhaltens schuldig gemacht. -


Du? - Karin nickte, sagte aber nichts mehr dazu,
denn wieder glaubte sie, dass Wellen
von Scham und Entsetzen über sie hereinbrachen.

Der Bürgermeister indes fragte nicht weiter nach.


Nun gut, Pater Franziskus, sagte er,
dann nutze dein Ansehen bei Hofe,
um hier eine Garnison aufstellen zu lassen.

Tu dein Bestes, denn solange die schwarzen Fahnen


in der Nähe wehen, rollen Recht und Gerechtigkeit im Sarg,
und das gemeine Volk duldet nicht länger
den frechen Umsturz alles Bestehenden.

Deine Hand, ich verlasse mich auf dich. -


Dass kannst du, stimmte der Abt bereitwillig zu.
Und nun, Herr Klaus Chokke, nimm meinen Segen,
den ich für jeden aufrechten Mann habe.

Wind und Wetter mögen dir wohlgesonnen sein,


und mögen die besten Wünsche deines Lebens
in Erfüllung gehen. - Der Bürgermeister
richtete einen schnellen, prüfenden Blick

auf das feine, heitere Gesicht,


aber als er in den heiteren Zügen nichts
als das reinste, gütigste Verständnis las,
riss er sich schnell los, verbeugte sich noch einmal

nach der steifen Sitte vor der jungen Dame


und verließ, ohne eine einzige Falte
ihres weißen Kleides berührt zu haben,
mit festem, lautem Schritt den Saal.

Die Flamme der Stehlampe zuckte, hob und senkte sich.


Sie war am Erlöschen.
Stattdessen verströmte der eiserne Kranz des runden Reifs
über den beiden Zurückgebliebenen

das tänzelnde Licht seiner Kerzen


und ließ die Nacktheit
der geäderten Kiefernwand noch deutlicher hervortreten.
Auf dem Sims des Kamins ließ eine Sanduhr

ihren bunten Staub rieseln


und erinnerte die plappernden Menschen
an das schnelle Vergehen der Zeit.
Gräfin Karin und der Geistliche

hatten ihr Abendessen beendet,


aber der Zisterzienserabt machte noch immer keine Anstalten,
sein Bett zu beziehen, sondern gab sich Mühe,
seine aufmerksame, wenn auch stille

und nachdenkliche Gastgeberin


auf feine und anregende Weise zu unterhalten.
Es war für die Zuhörerin leicht zu bemerken,

welch unvoreingenommener und gerechter Geist


sich hier über die Unzulänglichkeiten
und Streitigkeiten ihrer Zeit verbreitete.
Es war kein Zufall, dass ihr Gast

auf die aufsehenerregenden Schriften


des Oxforder Professors gestoßen war,
der die kirchlichen Missstände so kühn angriff,
und nun schien es, als wolle der Erzähler

länger bei den Angriffen des Engländers


auf das Mönchtum verweilen.
Spielerisch zwirbelte er den Stiel
seines silbernen Weinkelches zwischen den Fingern,

während er den Kopf senkte,


jedoch mit auffallendem Nachdruck:
Siehst du, liebe Tochter, wenn wir aufgeschlossen sind,
finden wir fast immer etwas in den Anschuldigungen

und Verunglimpfungen selbst eines Aufwieglers,


das uns stutzig macht. Deshalb gefällt mir
die Massenflucht der Weltmüden in die Zelle nicht.
Die Welt selbst ist ja in unzählige Zellen eingeteilt,

und der Mensch ist dazu da,


für sich die richtige zu öffnen,
um seinen Anteil am erreichbaren Schatz
des Friedens zu erhalten. Glaube mir,

er entspringt hier und da in größerer Fülle,


als es sich die früh Besiegten erträumen können.
Schließlich ist das Leben ein ebenso köstliches Geschenk
wie der Tod. Und das Licht ist heiliger als die Finsternis.

Karin lehnte sich in ihrem Sessel zurück


und beobachtete verträumt, wie der farbige Sand
über die Schulter des Mönchs in die Uhr sickerte.
Sie spürte sehr deutlich, dass der Abt

ihre eigene Sehnsucht, in die Stille zu fliehen,


keineswegs guthieß, ja, dass er
das Aushalten und Ertragen aller Gefahren
für würdiger hielt. Und doch spürte sie,

wie ihr Naturell immer stärker dem Drang nachgab,


stehen zu bleiben, weil gerade jetzt etwas
in ihr ins Wanken geraten war,
das sich nicht wieder ins Gleichgewicht bringen ließ.

Fröstelnd drehte sie sich um und lauschte erneut


dem hohlen Trommelschlag an der Küste.
Doch als die gefürchtete Stimme nicht mehr zu hören war,
flüchtete sie zurück in das rettende Gespräch.

Hochwürden, tippte sie vorsichtig, und ihr Herz klopfte,


als sie glaubte, sich mit jedem Wort
an den weisen Mann zu verraten,
du sagtest vorhin, man solle auch auf die Drohungen

und Wutausbrüche der Unruhestifter und Aufrührer hören.


Sag mir, glaubst du wirklich, dass solche Ausgestoßenen
und Verwerflichen, die die Welt mit Abscheulichkeiten füllen,
jemals gesandt werden könnten, um Gutes zu tun?

Abt Franziskus setzte seinen Becher ab,


und seine sprechenden Augen schienen tiefer
in seine Gefährtin einzudringen,
als ihr lieb war. Dann fragte er fest:

Sag mir, mein Kind, denkst du an einen lebenden Menschen?


Da zuckte wieder jene schreckliche Angst in ihr,
von der sie verzehrt wurde. Bleich neigte sie
ihr blondes Haupt, und während sie eifrig

über das weiße Leinen strich,


versuchte die Gräfin, dem drohenden Geständnis
durch eine Ausflucht zu entgehen.
Die Erde ist jetzt voll von Gewalt und Umsturz,

wich sie unsicher aus, man weiß oft nicht mehr,


welchen Weg man wählen soll!
Der Mönch nickte sanft. Er bemühte sich,
diese verstörte Seele zu beruhigen.

Nun, meine Tochter, stimmte er mit seiner milden,


beruhigenden Stimme zu. Aber alle Wege,
die der Mensch beschreitet, sind Gottes Wege.
Das ist das Wunderbare an diesem Leben,

das uns gegeben ist, dass es so bunt


und farbenfroh gewebt ist. Der Ewige
verkündet seinen Willen nicht aus dem Munde
eines einzigen Menschen, sondern er will sich gerade

im Widerstreit der vielen Stimmen offenbaren.


Wer von uns schwankenden Schilfgürteln
kann behaupten, dass er allein die Wahrheit habe?
Wo ist die Wahrheit?, fragte Pilatus noch.,
,
Nachdenklich neigte der Mönch den Kopf auf die Brust,
rückte seinen Sessel zurecht, und die verlöschende Glut
des Kamins warf Flammenspritzer
auf die Tonsur des alten Mannes, die sogar

seine noch blonden Haarbüschel erreichten.


Siehe, verlor er sich im Springen und Laufen der Funken
zu seinen Füßen, auf meiner Heimatinsel Rügen kannte ich
vor mehr als einem Jahrzehnt einen Jungen,

ein Kind von edler Kraft,


dem großes Unrecht geschehen war.
Er taumelte wie betrunken zwischen Himmel und Hölle,
als wäre er ein Abbild oder Schatten

der ganzen leidenden Menschheit. Und ich weiß,


dass er aufrichtig mit seiner düsteren, grimmigen,
sehnsüchtigen Leidenschaft für Wahrheit und Segen rang,
nicht für sich selbst, sondern für die vom Leben Vergessenen

und Verfluchten. Aber dann, bevor er fand,


was nur einem Gott mit Weisheit vergönnt sein kann,
verschlang die Welle der verrückten Zeiten
bereits den Unvorbereiteten, und nur ein Gerücht

berichtete noch von ihm, dass er ein mächtiger Mann


unter den Geächteten und Ausgestoßenen geworden sei.
Ich liebte ihn, und ich erinnere mich noch heute gern an ihn,
weil ich vermute, dass er auch in seiner jetzigen Gestalt

rastlos der Wolke der Wahrheit nachjagt,


wenn auch auf verworrenen Pfaden.
Wo ist die Wahrheit?
Wehmütig lächelnd schwieg der Abt

und streckte seine feinen, durchsichtigen Hände


näher an das Feuer. So bemerkte er nicht,
dass seine Gefährtin von seiner Erinnerung getroffen wurde,
als hätte sie eine Faust auf ihre Brust geschlagen.

Atemlos und völlig unfähig,


dem Sturm, der sie erschütterte, länger standzuhalten,
richtete die bleiche Frau ihre erschrockenen Augen
auf den Mönch und machte keine Anstalten mehr,

sich zu verstellen. War das Störtebeker?,


fügte sie mühsam hinzu. Der geistliche Meister jedoch,
ohne sich über den misstrauischen Ton zu wundern
oder den Zusammenhang anzweifeln zu wollen,
schüttelte leise den Kopf. Ich weiß es nicht.
Mein junger Freund hatte wohl einen ähnlichen Namen,
aber vieles von dem, was über den Freibeuterführer
im Volk erzählt wird, widerspricht meinem Bild zu sehr.

Zum Beispiel seine ausschweifende Trunksucht


oder seine kalte Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten
und dem Leben der Menschen. Nein, nein,
ich habe diese helle jugendliche Gestalt,

wie sie mir vorschwebte, begraben


und einen Segen über sie gesprochen.
Gott gebe, dass kein anderer Mensch
aus dem Grab auferstehen möge.

Damit versank der Mönch in erneutes Grübeln


und ließ Karin Zeit, sich notdürftig zu sammeln.
Sie zählte die Windböen, die um die Mauern heulten,
und als irgendwo in den Gängen ein Schritt ertönte,

ertappte sie sich dabei, wie sie alle Verstecke und Winkel
der alten Seefestung durchwühlte,
um sich dort womöglich zu verstecken.
Ihr ererbter, nordischer Wikingermut

hatte sie völlig verlassen. Plötzlich erhob sie sich.


Ihre Brust hob sich schneller als sonst.
Auch ihr Gast wurde aufmerksam.
Ich wünschte, ich könnte dir morgen

in die Stadt folgen, Hochwürden,


überwand das Mädchen einen Schauer,
der ihr über den Rücken gelaufen war,
und schritt dabei in die Nische, wo sie das kleine Licht

zu sich zog. Es ist schlimm hier in den dunklen Wänden.


Überall springen Gestalten aus den Wänden
und rufen nach mir, ohne dass ich weiß,
wie ich ihnen antworten soll.

Sie sind die Ausgeburt der Einsamkeit,


und ich habe keine andere Hilfe gegen sie
als Schlaf und Gebet. - Und eine fröhliche Frauenarbeit,
wie es sich für Mütter gehört, warf der Abt sanft ein,

der geräuschlos seinen Platz verlassen hatte


und nun teilnehmend vor ihr stand.
Behutsam hob er seine rechte Hand gegen das müde Licht,
so dass das triefende Blut in seinen Fingern

zu schimmern begann. Alte Hausweisheit,


erinnerte er sie mahnend. Die Sorge um Gatten und Kinder
öffnet den jungen Frauen die eigene Seele.
Alles davor ist ein Traum und eine Ablenkung.

Aber nun, ich will mir nicht mehr von dir anmaßen,
als du mir selbst gibst, nun,
Friede sei mit dir in dieser Nacht.
Er wandte sich um, und die Gräfin folgte ihm,

die Lampe in der erhobenen rechten Hand.


Vor den schreitenden Menschen glitten schwarze Schatten
über die rauen Kiefernwände, undeutliche,
verzerrte Gestalten bogen sich aus dem Holz

und griffen nach ihnen. Der Mönch war gerade dabei,


das Tor zu öffnen, als die beiden wie verabredet inne hielten.
Jeder las die Züge seines Gefährten, um zu sehen,
ob der andere auch diesen hellen Schrei auffing,

dieses hemmungslose tierische Kreischen,


das mit schriller Verzweiflung
aus dem Pfeifen des Windes ertönte,
um gleich darauf wieder in einem langgezogenen Wimmern

zu verschwinden. Karin zitterte, lächelte aber schwach.


Eulen, erklärte sie, sie horten oben auf den Türmen
und fliegen jetzt aus. Sie sind meine Haustiere,
wollte sie mit einem düsteren Lächeln hinzufügen,

ohne ihren Worten Glauben schenken zu können.


In diesem Moment donnerte ein kurzes, scharfes Krachen
durch das Gebäude. Ein dumpfer Schlag
schien die Steine von den Wänden zu reißen,

die Dielen schwankten, selbst auf dem Tisch


gab das Metallgeschirr einen singenden Ton von sich.
Ungläubig, verängstigt hielt sich der Mönch
an dem Pfosten zwischen Saal und dunklem Gang fest,

doch sein blasses Gesicht war der Gräfin zugewandt,


als hoffte er auf eine tröstliche Deutung
auch dieses herzzerreißenden Wütens.
Und Karin, obwohl ihr Herz in Erwartung

des drohenden Unheils zwischen Eisbrocken lag,


sprach mit unnatürlicher Ruhe:
Der Sturm sprengt die Tore. Aber da du hier bist,
Vater, wird Gott mit uns sein.

So standen sie eine Weile,


und da sich sonst nichts rührte, begannen sie,
sich gegenseitig ihre Kleinmütigkeit weg zu lächeln.
Aber warum hielten sie seltsamerweise immer noch inne
und lauschten auf einen einzelnen Schritt,
der sich langsam, schwer und kraftvoll
in den langen Gängen außerhalb des Saales ankündigte?
Natürlich war es einer der Diener, der kam,

um das Licht zu löschen. Nur hätte er sich


schneller nähern können, dienstbereiter sein können;
trotzdem, worauf warteten sie noch?
Gemessen drehte sich die große Eingangstür in den Angeln,

und dann wurde es still in der Halle,


als sei der Tod eingetreten.
Wirklichkeit und Wahnsinn tanzten miteinander.
Keiner wagte es, auch nur durch einen Lufthauch zu verraten,
dass hier noch ein Sinn für die gewöhnliche Ordnung

der Dinge atmete. Auf der Schwelle stand


ein übergroßer Mann, eingehüllt in einen nassen,
schwarzen Mantel, die Ledermütze
in die Stirn gepresst. Gleichgültig warf der Eindringling

einen kurzen Blick in den Raum,


dann schritt er ohne Eile, wie ein Bewohner des Hauses,
auf den Tisch zu, warf Mantel und Mütze
in die Mitte des Estrichs und warf sich

in einen der leeren Sessel. Den Tisch, der ihn bedrängte,


schob er mit einem krachenden Fuß zur Seite.
Holt Wein und Essen, befahl er den beiden leblosen Menschen,
und als die Gebannten sich nicht rührten,

stieß er ein kurzes Lachen aus,


ein helles, wohlklingendes Lachen, und winkte lässig ab.
Ihr da, zeigt fröhliche Gesichter!
was steht ihr da und beutelt Maulwürfe aus?

Beeilt euch, ihr seid eingeladen!


Da kehrte das Leben in die beiden entsetzten Blicke zurück,
fieberhaftes, beißendes Blut,
und während die Wirtin sich an den Pfosten lehnte,

um die Hand gegen die Erscheinung auszustrecken,


als ob sie dadurch die Macht hätte,
diesen wahnsinnigen Spuk,
der wohl nur aus vergifteten Gedanken entsprungen war,

wieder zu verscheuchen, taumelte der Abt


ein Stück weiter in die Halle, entschlossen,
seine geistliche Würde
gegen den Untergang aller Sitte zu setzen.
Wer bist du?, rief er, sein Zittern überwindend.
Im Namen Gottes und seiner unumstößlichen Gebote
frage ich dich, was du vorhast und wer du bist?
Die Stimme verstärkte sich, als der Sprecher das Echo

von den Wänden zurückbekam. Bei dem großen,


schlanken Eindringling schien sie jedoch jede Wirkung
zu verfehlen. Das Bellen eines kleinen Hundes
hätte ihn nicht weniger beunruhigen können.

Der Schein der Kerzen aus dem runden Reif


flackerte um ihn herum, als er nun
den monströsen Weinkrug ergriff,
um ihn kurzerhand mit beiden Fäusten

an seine erhobenen Lippen zu führen.


Durstig schluckte er das restliche Getränk hinunter,
es war eher als ein Sturz zu bezeichnen,
nur dass sein spöttisches Lachen hin und wieder gedämpft

und grollend in dem geleerten Hohlraum weiterging.


Der feierliche Ruf des Abtes von Cona
schien ihn am meisten zu erfreuen.
Still, keine Predigt, Pinguin, hauchte er schließlich,

als er das schwere Gerät auf den Tisch krachen ließ,


und schob dabei, bereit für neue Taten,
seine Lederjacke zurück, die weite Ärmel
aus roter Seide freigab. Lass es gut sein.

Wer soll ich denn sein? Ein Mensch bin ich,


das heißt, ein erbärmliches Ding,
das von Gott kaum eine Spur
und vom Teufel ein reiches Erbe erhalten hat.

Er lehnte sich zurück und trommelte mit beiden Fäusten


auf das Leinen. Aber willst du lieber nach Rang
und Namen kramen? Komm, trink mit mir
und denk dir in der Zwischenzeit einen Witz aus,

warum sich deine Kumpanei vor dem einfachen Mann


in seiner Armut und Nacktheit so fürchtet,
du Anhänger Christi.
Ohne eine Antwort abzuwarten,

bewegte sich der Fremde ungeduldig


an den leeren Schüsseln, warf einen Blick hinein,
drehte sich dann um und rief ein paar Namen
gegen die Tür, als hätte er eine eigene Dienerschaft mitgebracht.

Draußen wurde es lebhaft, eilige Schritte


waren in den Gängen zu hören, und von unten
aus den gewölbten Hallen drangen undeutliche Frauenschreie
und der Klang von Waffen.

Gibt es hier einen Mord?, zitterte Pater Franziskus.


Der andere lauschte angespannt
und zog die Augenbrauen über den schwarzen Sternen
enger zusammen. Blutvergießen, tadelte er schließlich

und ließ sich zurücksinken, ist eine törichte


und nutzlose Angelegenheit. Zerstören statt heilen.
Aber warum sträubt sich dein Geiz auch so hartnäckig,
wenn wir uns daran machen, rückwirkend

ein wenig Ordnung in das Erbgut


von Mutter Erde zu bringen? -
Mensch, du Schrecklicher, rief der Mönch,
der nun all seinen Mut zusammennahm,

als er bemerkte, wie sich auf dem schmalen,


edel gebildeten Gesicht des Fremden
ein grüblerischer Ausdruck zeigte.
Was für verlogene Ausreden für Raub und Diebstahl

denkst du dir aus? - Der im ledernen Wams


schüttelte sich leicht, als zittere er,
doch warf er plötzlich auch seinen Übermantel auf den Estrich
und saß nun in seinem rotseidenen Schecken da,

eine Goldkette quer über der breiten Brust.


Seinen braunen Lockenkopf stützte er nachdenklich
in beide Hände. Jammere nicht, Kutte,
sagte er nach einer Weile nachdenklich,

und es war, als spräche er eher mit sich selbst.


Für dieselben Streiche, die du beweint und bejammert hast,
als sie von dir und deinen Trabanten kamen.
Er strich sich über die hohe Stirn und schüttelte sich erneut.

Aber in diesem Punkt stimme ich dir zu:


Es hat keinen Sinn und keine Vernunft,
die hübschen Goldstücke nur ein wenig schneller
von einer Hand in die andere rollen zu lassen,

wenn sie für nichts anderes verwendet werden


als für Sauferei, Hurerei und Prasserei.
Obwohl auch das eine gute Sache ist.
Heftig schlug er mit der Faust auf den Tisch,

so dass die Zinnschalen in die Luft sprangen.


Komm, bring die Dirne mit,
sie hat einen rankenartigen Körper,
und dann werden wir uns berauschen,
dass Gott oder der Teufel
sich eine schönere Lebensform
für ihre zweibeinigen Ebenbilder ausdenken wird.
Was gibst du mir, wenn der Gedanke schon auf dem Weg ist?

Vielleicht rollt er schon im Gehirn eines Übeltäters.


Denn Halleluja, der Gedanke braucht wenigstens
kein edles Haus, er wohnt überall!
Gerade als der Rotseidene sich noch einmal umdrehen wollte,

um zu sehen, ob seine gebrüllten Befehle


endlich befolgt wurden, sprang die Eingangstür auf
und ein Schwarm grober, wettergegerbter Matrosen
strömte vor den fassungslosen Blicken

der Wirtin und ihres Gastes herein.


Alte und junge Männer, verdächtig anzuschauen
mit ihren vernarbten Gesichtern
voller Rebellion und Unkeuschheit,

und alle Arme beladen mit der Beute


ihres wilden Handwerks.
Einige schleppten Leinenballen und silbernes Geschirr,
andere warfen jubelnde Schinken oder Schüsseln
mit geräuchertem Fisch auf den Tisch,

ja, ein paar junge Burschen rollten sogar


ein verschimmeltes Weinfass heran,
schlugen den Spund heraus und begannen,
Krug um Krug mit dem roten Saft zu füllen,

fluchend und mit derben Späßen.


Spritzend ergoss sich das köstliche Nass
auf die sauberen Dielen. Es sah so aus,
als ob die fessellose, an keine Befehle gebundene

Gesellschaft bereit war, den Rausch


ihres so leicht erworbenen Besitzes
gleich an Ort und Stelle auszukosten.
Doch kaum hatten die ersten Tropfen des kräftigen Weins

ihre Lippen benetzt, wurden sie alle


von einem Freudentaumel erfasst,
die letzte Zurückhaltung verschwand.
Genießen, schlürfen, essen und trinken

schien ihr einziges Ziel zu sein.


Wo sie gingen und standen, fielen sie auf den Boden,
stießen ihre Becher gegeneinander,
grölten, lachten und zankten,
und inmitten des wilden Tumults begannen sie
ihre Zunftlieder zu schmettern.
Gierige Blicke und geschwungene Becher
richteten sich auf die Frau,

die sich müde und mit geschlossenen Augen


an den hinteren Pfosten lehnte.
Heiser brüllten die rauen Kehlen:
Zertrümmert die Kisten der Prassers,

Stiehl ihr Silber, trink ihren Wein;


in den weichen Leinen
eure bleichen Mägde zerrissen.
Dreht sie um, die verdorbene Welt,

Bis kein Pfennig mehr fällt!


Wer das nicht tut, ist nicht würdig,
Dass er zur Hölle fährt
auf einem glatten Abhang.

Der Jubel überschlug sich, schrille Pfiffe schallten


durch den Raum, die Enthusiasten
wälzten sich auf den Dielen, zerrten an den Gewändern,
die sich viele von ihnen über die Schultern geworfen hatten,

und böse Reden flogen zu den beiden Menschen


aus einer anderen Welt hinüber:
Da, seht den Glatzkopf und das fröhliche Frauchen! -
Ja, so ein Gebetbuch kennt den richtigen Platz. -

Aber seht, wie sie tanzen, wenn wir hier Feuer machen. -
Ein grässliches Gelächter brach aus,
dann spritzte das Fass wieder,
und der Wein klatschte auf den Boden.

In all den Lärm hatte der Hauptmann,


zu dessen Füßen sich das Gewirr verschlang,
mit einem seltsamen, erstarrten Lächeln geblickt.
Aber jetzt schüttelte er sich,

als ob er sich von den Exkrementen befreien wollte,


und um seinen herrischen Mund zog sich
ein Zug von Grausamkeit und Verachtung.
Ja, das sind meine lieben Kinder,

an denen ich meine Freude habe,


sagte er und bewegte seine Hand, als wolle er sich
das ganze Rudel vorstellen. Sie geben nicht vor,
etwas anderes zu sein, als sie sind.

Lüge und Betrug kennen sie nicht.


Und als er das unermessliche Entsetzen,
den Ekel und die Abscheu in den Augen
seiner beiden Gefangenen las, stammelte er trotzig

und voller grimmiger Rechthaberei:


Folglich sind sie echt. Wer kann das schon
von sich behaupten in dieser falschen Welt?
Plötzlich ruckte der sitzende Mann herum,

bückte sich und packte den vordersten der Gesellen


unsanft an der Brust. Ein Ruck
und der stiernackige Mann wurde auf die Beine gebracht.
Dann hörten auch die anderen mit ihrem Gelage auf,

und es wurde so still und lautlos,


wie es zuvor wild und unbändig gewesen war.
Wulf Wulflam, befahl der Anführer scharf,
was habe ich dir befohlen?

Der herkulische Bootsmann wurde verlegen,


kratzte sich an der Halskrause
seines kastanienbraunen Kapitäns und versuchte,
wie ein Schüler vor seinem Lehrer,

sich auf seine Aufgabe zu besinnen.


Du sagtest, Herr Admiral, du sagtest… -
Was, Mann? - Wir sollten Gold und Silber
von hier zum Schiff bringen. Mehr nicht. -

Nichts weiter! Nun denn, das ist klar.


Aber, Wulf Wulflam, und er zerrte ihn noch heftiger
an der Brust, lauert hinter deiner Fratze
nicht noch eine andere Lust?

Unsicher starrte der Schiffer ihn an,


allmählich erlosch sein Lächeln,
und seine anfängliche Zuversicht wandelte sich
in Schüchternheit und Unterwürfigkeit.

Auch seine Kameraden hörten kleinlaut


mit dem Toben auf, die Matrosen erhoben sich tapsend
und versammelten sich heimlich um ihren Bootsmann.
Lauschend reckten sie ihre Köpfe nach vorne,

als gäbe es nichts Wichtigeres,


als das kleinste Wort ihres Anführers zu hören.
Herr, versuchte sich der Bootsmann
in verlegenem Trotz zu verteidigen,

wir dachten, wir meinten,


und er polterte unwirsch heraus,
diese alte Kiste hier wäre auch schon längst reif für den Teufel
und zum Ausräuchern.
Weiter kam er nicht. Eine Welle von Blut
schoss dem Admiral in die Stirn,
mit verbissenem Griff griff er nach seinem Dolch,
riss ihn aus dem Gürtel

und drückte das haarscharfe Messer direkt


auf die Kehle des verängstigten Mannes.
Ein lauter Schrei entrang sich den anderen,
aber auch Karin und ihr Gast

schlossen ihre Hände Schutz-suchend


und fassungslos umeinander.
Du räudiger Hund, keuchte der Rotseidene
mit einer Wildheit, die jedes Maß sprengte.

Glaubst du, du bist der erste,


den ich von meinen Kindern zum Schweigen bringe?
Wir stehlen nicht, wir sammeln Schätze.
Zu welchem Zweck, weiß nur ich.

Und wehe dem, der meine Pläne durchkreuzt,


ein Strick am höchsten Mast für den, der ihn durchkreuzt.
Habt ihr daran gedacht? -
Sehr wohl, Herr, stammelte der Bootsmann gedämpft.

Ein Raunen erhob sich in der Menge,


das verborgene, geheimnisvolle Ding,
das hier angedeutet wurde,
oder der unerbittliche Zwang, der von diesem ausging,

er schloss die Ausgestoßenen wieder


zu einem willigen Bund zusammen.
Das dunkle Gefühl ihrer Mission ergriff sie wieder.
Doch der Admiral winkte heftig mit der Hand,

als hätte er zu lange mit der Bande geplaudert.


Hinfort, tut, was euch befohlen wird,
und mit der Dämmerung sind wir weg.
Dann drängte die Meute geräuschvoll

und eilig zur Tür hinaus, jeder froh,


die Gesellschaft des einsamen Mannes drinnen loszuwerden.
Hinter ihnen blieb nichts als der sanft aufgewirbelte Staub,
der sich blau und durchscheinend gegen das Licht erhob.

Der Verlassene aber streckte die Arme aus,


schüttelte das eben Geschehene
mit unbegreiflicher Schnelligkeit ab,
wie es seine Gewohnheit war,

und nachdem er sein lockiges Haar


achtlos zurückgeworfen hatte,
beugte er sich hungrig über die vor ihm stehenden Schalen.
Hastig, aber mit der Geste eines großen Gentleman,

begann er zu essen.
Für eine Weile vergaß er dabei völlig die beiden Zuschauer,
die, dicht an die gegenüberliegende Wand geschmiegt,
entsetzt beobachten mussten,

wie der riesige Weinkrug immer wieder


an die Lippen des Fremden stieg.
Von Zeit zu Zeit drehte sich der Seemann um
und goss neues Getränk in den Krug.

Doch bei einer dieser Bewegungen


musste der Eindringling endlich
die beiden Schatten dort drüben
an der Kiefernwand bemerkt haben,

denn er ließ den Weinkrug sinken


und richtete seine schwarzen Augen
mehr aus Verwunderung als aus feindlicher Absicht
auf die unfreiwilligen Zeugen seines Festmahls.

Das verzerrte Entsetzen auf ihren Gesichtern,


die quälende Angst, mit der sie ihr Schicksal erwarteten,
schien den Feiernden zu verstören.
Unerwartet sprang er auf, so dass alles auf dem Tisch erbebte,

und als er mit schnellen Schritten auf diejenigen zuging,


die sich ihm hingegeben hatten, spürten sie
trotz ihrer zunehmenden Verzweiflung
die Verwunderung darüber, wie geschmeidig

und unangefochten der Seemann selbst


nach diesem unerhörten Getränk seinen Gang beherrschte.
Kein Rausch hatte ihn überwältigt,
nur die dunklen Augen waren unnatürlich geweitet

und funkelten und blitzten, als stünden sie in Flammen.


Jetzt stand der große Mann dicht vor ihnen,
stemmte die Hände in die Hüften
und stieß endlich ein kurzes Lachen aus.

Kommt, ihr zwei Lämmer, forderte er sie auf,


nehmt die Sache, wie sie ist,
und stellt euch nicht vor den Henkerskarren
wie die armen Schlucker.

Müssen Blitz und Donner immer von oben kommen?


Es kann auch von unten kommen,
wie euch der Feuerberg auf Island gelehrt haben sollte.
Und die Bewohner glauben dann,

dass es ein fruchtbares Jahr geben wird.


Spielerisch packte er den Mönch an der Kutte.
Außerdem, Hochwürden, wie schrieb dein Freund,
der Gesetzesbrecher Cicero? Varietas delectat,

und ich füge hinzu: Das dachte sich auch der Teufel
und aß Buttermilch mit einer Mistgabel.
Eindringlicher zerrte er den Geistlichen
an seinem Faltenrock, denn er wollte ihn zwingen,

ihm zu dem Tisch zu folgen;


doch dieser wich schützend vor der Gräfin zurück
und schlug plötzlich beide Hände zusammen.
Ein verwirrter, verzweifelter Blick des Erkennens

brach aus den guten Augen des alten Mannes.


Erbarmen, flüsterte er schwach. Klaus, Klaus Becker.
Du bist es, versteck dich nicht.
Auferstanden aus dem Grab wie eine blutige Geißel.

Wie eine vergiftete Saat, an der die Menschen sterben.


Mensch, Junge, deine Eltern, deine Mutter, deine Jugend!
Stille fiel in den Saal. So still,
dass man den feinen Splitt auf dem Boden

unter den Füßen der drei Menschen


knirschen hören konnte. Schweigend, unbeweglich
stand Störtebeker dem Mönch gegenüber,
und man hätte meinen können, er sei wie gelähmt,

erschüttert von der Erscheinung jener Gestalt,


die längst verschwunden war.
Doch dafür gab es keine Anzeichen.
Weder reichte er dem unerwartet aufgetauchten Freund die Hand,

noch begrüßte er ihn mit einem freundlichen Wort.


Nein, er starrte nur unverwandt
in das Gesicht des alten Mannes,
bis endlich ein tiefer Atemzug verriet,

dass er aus der Erinnerung und Abwesenheit zurückgekehrt war.


Ist schon gut, alter Mann, wünschte er
halb in einem Befehlston. Ich will dir nicht zu nahe treten,
aber ich kenne dich nicht. Nicht dich, nicht dein Vaterland

und schon gar nicht deine Gesetze. -


Klaus! - Pst, du hast nur in einem Punkt recht.
Auferstanden aus dem Grab, zu einer neuen Sonne,
deren Wärme du nicht mehr spüren kannst.
Ohne eine Antwort abzuwarten,
machte er einen kräftigen Schritt auf die Gräfin zu
und hob ihren Kopf gewaltsam am Kinn hoch.
Das Zusammensacken des Mädchens

schien seine Verachtung zu wecken.


Warum zitterst du, Frau?, fragte er scharf.
Noch deutlicher packte er sie,
um sie heftig ins Bewusstsein zu rütteln.

Du siehst aus wie eine Heilige,


rief er wild und beugte sich über sie,
und deine Hand ist um ein Kreuz gekrallt.
Willst du vielleicht weglaufen,

weil dein Hab und Gut denen zu essen


und zu trinken gegeben werden soll,
die nicht so rein und gut gekleidet
sind wie du, o Selige?

Da geschah etwas Seltsames.


Die blauen Augen des Mädchens,
das in einem schweren Traum gefangen war,
öffneten sich weit. Abwehrend streckte sie die Hände aus,

als wolle sie das Grauen von sich fernhalten,


aber während sich ihr Körper in irdischer Qual anspannte,
faltete eine zwingende Kraft, eine Kraft,
die ihr ganzes Dasein heiligte, ihre Finger zusammen,

und Worte der Demut und des gesegneten Gehorsams


kamen über ihre Lippen, wie sie sie nie
vor Altar oder Gebetsstuhl gefunden hatte.
Nimm, was mir gehört, hauchte sie

mit ängstlich-erschrockenem Lächeln.


Da du gekommen bist, die Erde zu reinigen,
so geschehe dein Wille. -
Meine Tochter, rief der Mönch entsetzt

über diese fromme Anbetung


und fasste sich verzweifelt an den fassungslosen Kopf,
du lästerst, du gute Seele. Wach auf!
In deine Augen spritzt die Schlange ihr Gift.

Die Verführung, die selbstbetrügerische,


schaut dir ins Gesicht. - Störtebeker
drückte dem Alten plötzlich die Hand,
so dass der Abt laut aufschrie.

Nicht schwätzen, alter Lügner!, schnauzte er ihn an.


Meinst du, mein Wein wäre schlechter,
weil er in einem Mistkübel serviert wird?
Aber die Frau, um die sich der Streit drehte,
hörte nichts mehr. In roten Blitzen
hatte sich ihr die Vision offenbart,
um die ihre Verlassenheit Tag und Nacht gezittert hatte.
Er war da, der ersehnte Mann war erschienen.

Ein herrlicher Mann, blutig und gebieterisch zugleich,


beugte sich zu ihr herab, eine rote Wolke umschwebte ihn,
und tief unter ihm, aus der Dämmerung,
hoben sich tausend und abertausend Hände

lobend und sehnsüchtig nach ihm.


Damit sank ihr Bewusstsein in die Knie.
Erst im Erlöschen spürte sie,
dass sie aufgefangen worden war und in Sicherheit war.

Klaus Störtebeker hielt den Körper


der angeschlagenen Frau in seinen Armen.
Ein Blatt, das auf ihn herab geweht war,
hätte ihn nicht mehr beschweren können.

Aber angespannt, fieberhaft, hingebungsvoll


starrte er nun auf diese erste Seele,
die er von den Zinnen der Menschheit gebrochen hatte
und die sich doch zu ihm bekannt hatte.

Nur halb begreifend strich er ihr das blonde Haar


aus den Schläfen und wandte sich erst unwillig ab,
als er sich unerwartet durch einen Arm behindert fühlte.
Was willst du?, wies er den Mönch zurück,

der sich noch einmal an ihn gedrückt hatte,


um nun eine schwache Bewegung zu machen,
als wolle er die Willenslose von ihm empfangen.
Was willst du? - Klaus, fragte Pater Franziskus,

der am ganzen Körper zitterte, ich will dir verzeihen.


Ich will akzeptieren, dass meine und deine Zeit
sich nicht verstehen können.
Aber hier, gegen diese Ohnmächtige,

lass mich meine Pflicht tun, wie ich sie gelernt habe.
Gib hier meinem Amt nach,
und ich werde dich trotz allem segnen,
wie in alten Zeiten.

Es war eine Stimme, die vor Seelenschmerz


und Güte brach, aber der, den sie besänftigen sollte,
schüttelte hastig und düster sein dunkles Haupt.
Sie gehört mir, wehrte er sich, aufbrausend.
Um Seelen wird nicht gefeilscht. -
Klaus, in Gottes Namen! Der Abt taumelte,
kaum in der Lage, seine rechte Hand zu heben.
Unglücklicher, denk an deine Mutter!

Da wirbelte ein schneidendes Lachen


aus der Brust des Seefahrers,
mit einem rücksichtslosen Stoß befreite er sich
von dem alten Mann, und während er seine Last

fester an sich drückte, schritt er schnell


und sicher zum dunklen Gang,
wo er die Tür dröhnend ins Schloss hinter sich warf.
Dann drehte er den Schlüssel.

Sofort hallten schwere Schritte


den gewundenen, endlosen Korridor hinunter.
Nur ab und zu brach trübes Mondlicht
durch ein Bogenfenster über den Steinfliesen,

und dann konnte der Portier zwischen dieser


und jener Wendeltreppe
mit ihrem groben Geländer unterscheiden,
die in ein höheres Stockwerk führte.

Immer wieder hatte der gewalttätige Mann


Vorhänge zurückgezogen oder eine schwere Tür geöffnet,
aber immer musste er in der Dunkelheit
einen der kahlen Wohnräume erkennen,

wie sie in solchen alten Festungen üblich waren.


Allmählich begann er jedoch, sich mit den Herzschlägen
des stummen Wesens, das er an sich drückte, eins zu fühlen.
Dicht und warm lag es an seiner Brust,

nicht mehr wie eine unnahbare, frostige Heilige,


sondern weich und biegsam, wie die zahllosen anderen,
die der unbezähmbare Gedanke geschaffen hatte,
nur um seinen körperlichen Durst zu stillen.

Aber hier war etwas anders.


Mit seinen unfehlbaren Nerven spürte er,
dass diese hochgeborene, verschlossene Kreatur
vor allem Unreinen schauderte,

sah die goldene Flamme in dem Menschen aufblitzen,


der sicher ein Räuber, ein unverschämter
Wegelagerer sein musste, wie sie einst
auf den Altären loderten. Und dieses Feuer

wollte aus Kot und Unrat


zur Gottheit emporsteigen,
als Notschrei, als Anklage, als Signal!
War sie nicht vor diesem Feuer niedergesunken,

verstehend, gesegnet? Der Verwöhnte,


der befehlen durfte, der Gesetze umstieß
und verborgene Sehnsüchte freisetzte,
hatte so etwas nie in seinen Armen gehalten.

Ein Eigentum, unauflöslicher als jedes andere.


Erworben, versklavt ohne Blut und Schwert!
Unsicherer wurde sein Schritt, schwerer seine Last,
brummend hörte er das vom Wein

und Siegesbewusstsein aufgepeitschte Blut


in allen seinen Adern rauschen,
und nicht gewohnt, seinem Willen eine Schranke zu setzen,
riss seine rechte Hand den dünnen Schleier

vom Hals seiner Last, und sein Kopf bettete sich


suchend auf die kühle Brust seines Opfers.
Mein bist du, murmelte er, während er verwirrt
auf den regelmäßigen Schlag seines Herzens lauschte.

Mein! Deine Welt ist mein!


Was kann man sich Besseres wünschen,
als in das einzutreten, was man gekannt hat?
Und da stand er vor einer starken Brettertür,

er stieß sie auf, und aus dem hohen Kamin


erhellte eine einsame Kerze das starke,
sechs Fuß hohe Bett, einen Baldachin darüber
und einen schmalen, mannshohen Stuhl daneben.

Und ohne zu zögern, freudig erregt,


brach Störtebeker in den Frieden
dieses nie entweihten Zimmers ein.
Denn die Liebe triumphiert über alles!

ELFTES ABENTEUER

Sie lag entblößt auf ihrem langen, breiten Bett,


und der Wind der Morgendämmerung,
der die Fensterläden aufgestoßen hatte
und nun durch die eng vergitterten Fenster drang,

ließ ihre Glieder unter der dünnen Leinendecke frösteln.


Empfindsam zog sie die Decke bis zum Hals,
und die Augen der erwachten Frau
wanderten unruhig über die glatt gespannte Oberfläche
des Betthimmels, als stünde dort etwas geschrieben,
worüber sie nachdenken müsse.
Doch gelähmt, verwirrt, verstört
verweigerten ihre Gedanken jegliche Selbstbetrachtung

oder Erkenntnis, und trotz aller Bemühungen


wusste die ausgestreckte Frau nichts weiter von sich,
als dass ein wütender, zackiger Stein
auf ihre Brust eingeschlagen war

und dass sie zu schwach war, um dem Aufprall zu entgehen.


Etwas atmete auf dem Strohteppich vor ihr,
und als sie sich mühsam umdrehte, erkannte sie
ihr schlankes Schoßhündchen,

das sich gegen Morgen zu ihr gestohlen haben musste.


Der kleine Hund lag mit dem Kopf zwischen den Pfoten
und schaute misstrauisch über sein Halsband zu ihr auf.
Dann streckte sie die Hand aus und wollte das Tier rufen;

aber seltsamerweise konnte sie sich nicht


an den Namen ihres Gefährten erinnern,
und in der Qual, ihr eigenes Wesen verloren zu haben,
sank sie wieder zurück, eine Fremde, Unbekannte

in ihrem eigenen geheimsten Bezirk.


Draußen, auf dem Ahornbaum, begannen einige Meisen
zu zwitschern. Normalerweise war dies
der Weckruf des Morgens, denn auf Ingerlyst

standen Herrin und Dienerschaft mit der Sonne auf,


aber heute blieb alles unverändert still,
das Vieh brüllte nicht in den Ställen,
und die Holzschuhe der Dienerschaft

klapperten weder im Hof noch in den Schlossfluren.


Auch die Zeit schien sich verändert zu haben;
auch sie starrte leer und ausgeplündert,
wie die Herrin hier auf ihrem kalten Bett.

Geduldig legte sich die Verlassene auf ihren Arm,


lauschte ängstlich den zuckenden Schlägen ihres Herzens
und wartete darauf, ob der Bann wieder
von ihr genommen werden konnte.

So hätte sie noch lange dösen können,


verstoßen von ihrer Vergangenheit
und unfähig, den Strudel vor der Gegenwart
zu durchbrechen, wenn sich nicht

ein leises Ticken gemeldet hätte,


das vom Holzwurm kam.
Ihr gegenüber, über dem schmalen Kamin,
war ein altes, klobiges Holzkreuz

in die Decke eingelassen, und in dem braunen Gebälk


stocherte und pochte es manchmal,
als sei selbst das heilige Symbol
nicht vor Abnutzung und Verfall sicher.

Richtig, richtig, Karin riss sich zusammen,


denn sie glaubte sich jetzt zu erinnern,
dass sie jeden Morgen vom Lager aus
ihre Arme zu diesem mächtigen Stamm erhoben hatte.

Ja, ja, natürlich, alle möglichen kleinen Bitten


und Wünsche lagen ihr immer auf dem Herzen.
Und dann die eine große Sehnsucht nach Reinheit und Stille.
Aber als sie auf den Kissen kniete, nackt, entblößt,

frierend, hörte ihre ganze Bewegung plötzlich auf,


starres Entsetzen überzog ihr blasses Gesicht,
und wie vom Blitz getroffen,
fiel sie rücklings auf ihr Leinen.

Ein Wunder! ein Wunder!


vor ihren weit aufgerissenen Augen spielte sich
die Herzlähmung ab. Ein fremder Kopf erschien
auf dem Querbalken, ein brauner Lockenkopf,

mit kussroten Lippen, und wilde schwarze Augen


starrten auf ihren Körper. Und nun wälzte sie sich
auf einmal in einem Meer von Feuer, das sie verzehrte.
Erbarmen, Erbarmen!

Allein das Feuer der Erkenntnis


heulte über alle bisherigen Vorstellungen hinweg.
Zur Rettung! die Welt war zusammengebrochen!
Die Erde taumelte und erschütterte alles Lebendige.

Der Erlöser der Schmerzen


wurde von seinem Holz geschleift,
und an seiner Stelle lachte ein Unbändiger
voller Grausamkeit, Macht und Willen.

Schwarz war weiß, Verbrechen war Tugend,


Sitte war Torheit, Entsagung war Wahnsinn;
siehe, siehe, eine unwiderstehliche Faust
ergriff das fliehende Glück, das niemand sonst halten konnte,

und unterwarf es seinen Anhängern.


Allen! Auch für dich, auch für dich, das Glück!
Sie wollte schreien, aber sie fühlte,
wie sie in unsichtbaren Armen verging,

sie streckte alle Glieder, um zu kämpfen


und Widerstand zu leisten, sie biss, sie würgte,
aber in der Unterwerfung sank sie nieder,
befreit von aller irdischen Schwere,

eine Freie im Angesicht der Natur.


Als sie erwachte, war der Rausch abgeklungen.
Sie kauerte tränenlos auf ihrem Bett
und sah mit hohlen, gefrorenen Augen zu,

wie sich die Blätter des Ahornbaums


vor ihrem Fenster in Morgenröte kleideten.
Drinnen, in der kleinen Kemenate,
wogten noch immer die ungeheizten Schatten,

und jedes der spärlichen Utensilien schien zu zittern,


zu beben. Stumpf und teilnahmslos
warf sich die blonde Frau ihre gewohnte Kleidung über,
und je mehr vertraute Dinge sie erfasste,

desto mehr dumpfes Erstaunen überkam sie,


dass sie sich bewegte oder warum
überhaupt noch Leben in ihr war?
Unbegreiflich, nicht einmal messbar,

sie war ermordet worden,


ihr Name war von der Tafel verschwunden,
auf der die Reinen und Ehrenhaften aufgelistet waren,
die Faust eines rücksichtslosen Räubers

hatte ihre Züge weggewischt,


aus keinem anderen Grund, als weil sie gerade
seine Beute geworden war.
Sie, ihre Dienerschaft, ihre Besitztümer, ihr Haus

und alles, was sie zuvor geliebt hatte.


Eine kurze, ungestüme Lust hatte ausgereicht,
um aus einer aufrechten Frau eine kauernde,
mit unauslöschlicher Schande beladene

Verwerfliche zu machen, die nur dazu bestimmt war,


vor ihrer eigenen Abscheu in ein lautloses Ende zu fliehen.
Das war das wahre Leben, es verkündete sich,
ein Tier fraß das andere, ohne Güte und Erbarmen,

und alles, was darüber hinaus


von umfassender Bruderliebe
unter den wilden Kreaturen geredet wurde,
großer Gott, das war nichts als Wind und Wahn!
Ein Tier wurde von einem anderen aufgefressen.
Hilfe! Hilfe! An welche lächerliche Torheit
hatte sie früher geglaubt?
In der unermesslichen Angst,

dass ihr bald auch der letzte, klare Verstand


geraubt werden würde, fasste sich
die nun aufgerichtete Frau an beide Schläfen.
Ihre Gedanken sprangen auseinander

und wollten sich an etwas klammern,


an ein lebendes Wesen, das ihren Fall verstand,
an ein Herz, von dem sie sich liebevoll trennen konnte.
Musste sie sich nicht an etwas festhalten?

Oder war sie schon immer wie ein dürres Blatt


durch die Leere gewirbelt worden?
Doch wohin die Verzweiflung sie auch trieb,
immer fand sie sich allein vor dem Kreuz wieder,

um das sich ihre rechte Hand krallte,


weil ihre Knie vor Schwäche zitterten.
Das Kreuz! das Kreuz!
Eine schreckliche Pause des Wartens entstand.

Fordernd, drängend tasteten ihre geweiteten Augen


an dem toten Holz hin und her,
und je mehr Zeit ergebnislos verstrich,
desto verächtlicher begannen ihre Lippen zu zucken.

Nichts rührte sich dort oben.


Derjenige, der ihr oft in schwärmerischen Stunden
am Kreuzesbalken erschienen war,
dem sie sich geweiht hatte und dessen Güte

sie sich bald ganz hingeben wollte,


er hatte teilnahmslos, schwach, zugesehen,
wie Leib und Seele seiner Jüngerin
zu seinen Füßen verwüstet und besudelt wurden.

Von einem anderen, der ebenfalls glaubte,


zu den Armen und Beladenen hinabzusteigen,
nur dass er seinen Weg mit Blut tränkte
und der pestilenzielle Atem

aller verdammten Laster ihn umnebelte.


Die gehetzte Frau drehte sich um,
grub ihre Augen ungläubig in das zerwühlte Lager
und strich dann unruhig über die Mauern,
wie ein Tier, das einen Ausweg

aus unüberwindlichen Mauern sucht.


Und sie suchte auch nach etwas,
der giftige Atem der Nacht muss sie verwirrt haben,
denn sie suchte fieberhaft, rastlos nach einer Erklärung

für ihren grausigen Zusammenbruch,


nach einer Lösung des Rätsels,
warum ihr Körper ihren geistigen Tod
auch nur um eine Sekunde überlebt hatte?

Vielleicht hatte der große, schöne, gewalttätige Mann


ihre Seele mit Zärtlichkeit umschlungen,
vielleicht dürstete, lockte er ihren Geist zu seinem Werk,
das wie eine blutrote Erdsonne hinter ihm stand?

Nichts, nichts, alles Ausrede und Täuschung!


Ihre Ehrlichkeit gestand ihr etwas anderes.
Ein Gewitter hatte über ihr gewütet,
in dessen kalte Blitze sie mit offenen Augen,

fassungslos, entgeistert, demütig


und duldsam geblickt hatte.
Und nun war die Wetterwolke vorbeigezogen
und hatte den geknickten Korridor

gleichgültig zurückgelassen.
Ihre Glieder prüfend, ging Karin hinunter,
und nun endlich erlangte sie die ersehnte Gewissheit.
Alles tot, gebrochen, leblos,

alles, was sie noch zu tun hatte, war,


den Leichnam wegzuschaffen.
Das war ihr Ziel, ihr letztes Ziel.
Es deckte sich im Grunde mit ihren Kindheitswünschen,

die immer nach dem Aufhören


und der Stille gestrebt hatten.
Mit einer fliegenden Hand warf sie sich
ihr zerknittertes Gewand über und schlüpfte

in den dämmernden Korridor hinaus.


Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen,
ihre Lederschuhe anzuziehen.
Doch ihr verirrtes Bewusstsein spürte die Kälte

der Steinfliesen nicht mehr. Sie hielt sich


an den Wänden fest und taumelte
ein paar der gewundenen Treppen hinunter.
Überall offene Türen, ansonsten Stille.

An einer Stelle blieb sie stehen.


Von weitem konnte sie in den großen Saal sehen,
in dem gestern Abend das wilde Gelage stattgefunden hatte,
und für eine flüchtige Sekunde klammerte sich

eine plötzliche Hoffnung an sie,


ob der Abt, der mildherzige, verzeihende Lehrer,
vielleicht noch zwischen jenen Mauern auf sie wartete.
Gleich darauf zuckte sie schuldbewusst zusammen,

und wäre der weite Raum nicht so gähnend leer


und unruhig gewesen, hätte die abgrundtiefe Scham
sie in einer sinnlosen Flucht
am Gesicht des Priesters vorbei getrieben.

Nein, nein, nur keinem Kameraden von gestern


mehr in die Augen sehen müssen, nur schnell
und unbemerkt irgendwo in die lodernden Flammen
der Hölle stürzen, damit die Bräune vielleicht

die grässliche Unreinheit reinigt.


Selbst jetzt, wo ihr Aufenthalt auf Erden
kaum noch in Augenblicken zu messen war,
drückte die Scham, eine erschütternde Scham,

beide Hände vor ihr Gesicht


und ein wimmerndes Stöhnen entrang sich ihrer Brust.
Ach, wenn sie doch nur dieser überwältigenden,
giftigen Verachtung entfliehen könnte,

die überall wie Regen auf sie niederfiel;


wenn sie doch nur schnell diesen letzten,
heilsamen Entschluss fassen könnte,
bevor das unschuldige Licht des Tages

das Zwielicht, das der befleckten Frau


so wohltuend war, vertreibt.
Weiter, weiter, die Treppe lief an ihr vorbei,
die Hoftür war nur angelehnt,

und als sie sich über den Hof schob, wurde ihr klar,
dass auch hier alles Leben gestorben war.
Nirgends war Vieh zu sehen,
keine Knechte in den Ställen oder an der Tränke,

die alten Mauern lagen trostlos und unbenutzt,


und nur der Wind knarrte von Zeit zu Zeit
durch die offenen Türen.
Aber gerade diese unheimliche Trostlosigkeit war es,

die dem Schatten, der hier vorbeiging,


ein leichtes Wohlbehagen bereitete.
Kein Auge, das sie in ihrer früheren Reinheit gekannt hatte,
durfte sie fragend ansehen;
ungestört durfte das namenlose, entehrte Geschöpf
seines Weges gehen. Er führte sie nicht weit.
Am hinteren Wall waren ein paar Stufen
in die Mauer gehauen worden, die schräg nach oben führten.

Die verwöhnte Herrin hatte diese Katzentreppe


noch nie benutzt, aber jetzt kroch sie
ohne zu überlegen hinauf und bemerkte nicht einmal,
dass der Mörtel ihre nackten Füße zerschnitt.

Keuchend und schwankend erreichte sie


die Spitze der Mauer. Sofort wehte die Meeresbrise
in ihr Gewand und zerstäubte es.
Ein letzter Blick, der bereits vom Drang

zur Zerstörung getrübt war, zeigte ihr,


dass sie am richtigen Ort war.
Unter ihr zog der Wassergraben
seinen grünen, fauligen Linsenteppich,

aus dem bleierne Nebel aufstiegen


und mit den Schatten spielten,
die eine Reihe uralter Kastanienbäume
vom gegenüberliegenden Ufer aus

über das stagnierende Becken warf.


Heiseres Froschquaken quoll aus dem Nebel,
und manchmal hüpfte es in einem Sprung
über die Oberfläche, und die grünen Kugeln

wirbelten dann in einem engen Kreis auseinander.


Ja, sicher, hier öffnete sich das schräge Tor,
hier konnte ein Wanderer eintreten,
der bereit war, das Letzte zu zahlen,

das Äußerste für das Vergessen


und die spurlose Entrückung...
Karin griff nach einem tödlichen Nachtschattenzweig,
der im Geröll verwurzelt war,

und während ihre Füße bereits den Halt lockerten,


summte noch immer wohlwollend die Erinnerung
durch ihre Sinne, dass schon zu Zeiten
der Fehden gepanzerte Reiter mit Pferd und Speer

von smaragdgrünen Armen


dort hinunter in den Abgrund gezogen worden waren.
Es musste ein langer, traumhafter Abstieg sein,
und dann würde es sein, als hätte eine riesige Faust

eine Beule geglättet. Schon stolperte sie,


schon war die Belladonna bis zum Zerreißen gespannt.
Aber es wurde anders über sie entschieden.
Kein erschrockener menschlicher Schrei störte sie,

kein schützender männlicher Arm fing sie auf,


nein, es war nur das Leben selbst
in seiner überzeugenden Kraft, das auf sie zuging,
um den angeschlagenen Menschen

ein paar Spannen weiter als bisher


in seine schillernde Vielgestaltigkeit blicken zu lassen.
Das Rad, das so lange monoton gelaufen war
und nun ins Stocken geriet,

erhielt plötzlich einen unbegreiflichen Impuls


in die entgegengesetzte Richtung.
Hinter den Kastanienbäumen rauschte ein Windstoß,
ein langes Brummen ging über das Meer,

und dieser seltsame Ruf zog


die Aufmerksamkeit der Verlorenen
gebieterisch und gewaltsam mit sich. Siehe da,
was für ein Anblick? Auf dem Meeresspiegel,

der sich von der blauen Linie der schwedischen Küste abhob
und aus milchigen Schwaden hervortrat,
schwoll der dunkle Körper eines Schiffes an.
Riesig, von nie zuvor gesehenen Formen,

lag es in dem blauschwarzen Teppich,


widerstand selbst dem leisen Schaukeln der Oberfläche
und stieß zwei riesige Masten
in den trüben silbernen Himmel.

Und jetzt, waren da nicht undeutliche Stimmen,


die vom Ufer auf dieser Seite herauf wehten?
Eine Snyke, ein großes, breitbogiges Boot,
hatte sich in den feuchten Sand gebohrt,

und Karin, die sich immer noch an ihren Ast klammerte,


sah, wie dort winzige schwarze Gestalten
allerlei Vorräte über die Planken luden.
Oh, jetzt wusste sie, dass das Eigentum dort unten

ihr eigenes war, das vergewaltigt wurde,


so wie es auch von ihr vergewaltigt worden war,
und auf dem Schiff dahinter thronte ihr Zerstörer
und schmiedete seine revolutionären Pläne.

Willenlos ließ sie die Gerte los,


strich sich das Haar aus der Stirn
und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer
der Erleichterung zurück,
als hätte sie auf irgendeine unbegreifliche Weise
einen Arm gefunden, der ihr Halt geben musste.
Was war in diesem flüchtigen Moment mit ihr geschehen?
Welche seltsame, überlegene Ruhe

war in sie eingedrungen?


Woher kam diese plötzliche Veränderung,
die ein und dasselbe Wesen so vollständig spaltete,
dass das Jetzt das Einst nicht mehr verstand?

Unwillkürlich beugte sich Karin hinunter,


um den Boden unter sich zu betrachten,
um zu sehen, ob etwas verschluckt worden war,
das sie noch kurz zuvor im Übermaß

der geistigen Zerrüttung vor dem Morgen


hatte verbergen wollen. Nun erhob sich
der rote Triumphzug, schlug breite Brücken über das Meer
zu dem fernen Schiff, und aus dem Wind

rauschte eine quälende Stimme. Die sprach:


Warum stehst du und fürchtest dich?
Geh über mich hinweg, denn dort ist dein Weg.
Entschlossen richtete sich die Verlassene auf,

mit einer Entschlossenheit, die sie noch nie besessen hatte,


und blickte staunend, fast gierig,
in den sich ausbreitenden Tag.
Trotz der roten Verklärung

zeichneten sich Nähe und Ferne


in glasklarer Klarheit ab; die blau und rot
geschichteten Linien des Horizonts,
die schwarze Krümmung des Schiffes,

das steile Ruckeln seiner Masten,


das kurze Anschwellen der schaumlosen Wogen,
das Zittern der Oberfläche im Wind,
der schräge Sturzflug eines Möwenschwarms,

alles erfüllte sie mit Licht und Wahrheit,


es verkündete sich so wahrhaftig und zielstrebig,
dass die Zeugin dieser Dinge
erschrocken und fast hungrig

diese klare, weitblickende, hüllenlose Welt an sich zog.


So hatte sie sie noch nie gesehen.
Und während sie das tat, sank die nächste Sache ein.
Sie selbst entglitt ihr. Was sie gewesen war,

war vernichtet worden. Ob diese Zerstörung


gerechtfertigt, schlecht oder gut war,
darüber dachte sie nicht mehr nach.
Was spielte es für eine Rolle, ob ein Mensch

rein oder besudelt in dieser sich abmühenden Welt daherkam?


Ob er heute fürstlichen Schmuck oder morgen Lumpen trug?
Und ob derjenige, der das alles wollte
und zu verantworten hatte, dafür als Schuft,

als Ausgestoßener gebrandmarkt


oder als siegreicher Rebell gefeiert wurde?
Was war an diesem oder jenem, wie sehr er auch wütete?
Aber, und die Erkenntnis einer neuen Offenbarung,

die sie völlig überwältigte, leuchtete


bis in die hintersten Winkel ihrer Seele,
die sich wie von Spinnweben befreite,
der Himmel möge uns helfen!

Dort hinten hatte das mächtige Schiff


eine köstliche Ladung an Bord,
die nie zuvor der Welt preisgegeben wurde!
Karin musste sich mit dem Rücken

an die toten Kirschbäume lehnen,


denn ihr Herz klopfte zum Bersten
und ein sehnsüchtiges Verlangen leuchtete
über ihr totenbleiches, verwüstetes Gesicht.

Wie war das noch gleich?


Das Schiff trieb nicht allein auf dem Wasser,
es segelte durch die Luft
und passierte Städte, Dörfer und Geister,

denn es wurde vom Herzblut der Armen


und Verlassenen getragen.
Es war eine Barke des Heils
und schloss den Gedanken eines menschlichen Gottes ein,

gewoben aus Mitgefühl und Kraft.


Hilf Himmel! Die Erde muss bald
aus der Flut der Sünde und des ewigen Elends auftauchen,
die Ungerechtigkeiten müssen vertrieben werden,

die Hassenden und Mörder müssen wieder


zu den sanften Trieben erblühen,
die der Ewige im Anfang in sie gepflanzt hat,
und ein weiches, goldenes Band muss sich

um alles Lebendige legen


und Herz an Herz schließen.
Wer auch immer es verkündete,
der Wille war übernatürlich.

Er machte ihre Augen blind.


Sie war diesem Gedanken geopfert worden,
als Mitglied eines Clans, der ihn nicht mehr fassen konnte,
aber deshalb gehörte sie auch diesem Gedanken.

Er war der einzige Besitz, den sie noch hatte,


und deshalb durfte sie nicht zugrunde gehen,
bevor sie nicht einen Strahl der Erfüllung erhascht hatte.
Himmel hilf! Sie wurde ermordet und neu geboren,

geschändet und getauft zugleich


in dem lodernden Geist, der dort draußen
über den Wassern glühte,
und mit einem trunkenen Schrei löste sie sich

von der Mauer und taumelte über die Stufen zurück


in den Burghof, das Eigentum einer fremden Macht,
die sie unterjochte. In der leeren Festung
wurden Türen auf- und zugeschlagen,

eine fiebrige Hand suchte, riss und fand,


und wenig später sahen die Männer am Boot,
als es tiefer in die Fluten geschoben wurde,
einen jungen, schlanken Burschen

in der schwarzen Dänen-Tracht auf sie zukommen.


Seht, wies der Bootsmann Wulf Wulflam hin
und schob seinen verschwitzten Stiernacken vor,

da kommt einer, der ist nicht verkniffen!


Was mag das Kindchen wohl wollen?
Auch die anderen Matrosen hielten in ihrer Arbeit inne,
breitbeinig, mit den Fäusten an den Seiten,

und fragten sich, woher der blasse blonde Fant


den Mut hatte, sich so selbstbewusst
ihrer Meute auszuliefern,
die nicht die Angewohnheit hatte,

viel Aufhebens um Kundschafter und Späher zu machen.


Verflixt, schnüffelten ein paar der verärgerten Spürnasen.
Seht euch die Hüften und die Beine an.
Passt auf, da stimmt was nicht.

Und dann brummte der Bootsmann lauthals,


kniff die Augen zusammen
und legte seinen schweren Arm
um die Schulter des Neuankömmlings.

Bist du ein Knabe?, lächelte er. Oder ein Jüngling?


Sag es mir ins Ohr. Was willst du?
Der Junge wurde noch eine Spur blasser,
aber er riss sich zusammen

und zwang seine weiche Stimme


zur Festigkeit, als er antwortete:
Wenn du ein Mann bist, führe mich zu deinem Herrn.
Ich werde bei dir bleiben und mit dir gehen. -

Viel Ehre, wirklich.


Der untersetzte Kerl machte eine scherzhafte Verbeugung,
zwinkerte dann noch frecher
mit seinen geschwollenen Augen,

winkte aber seinen höhnischen Begleitern


mit beiden Fäusten zu. Haltet die Klappe, Gesindel!
Seht ihr nicht, dass ein edler Knappe
sich zu uns herablässt?

Ei, was für ein feines Tuch


und was für eine geschorene kleine Krähe!
Er leckte sich über die wulstigen Lippen
und schlürfte vor Vergnügen.

Verflixt, und wie gerade und voll


die hübschen Beine sind!
Wer wünscht sich nicht so einen schönen
Schatz zum Freund?

Tastend ließ er seine Hand über die Rute


des jungen Dänen gleiten und verstand selbst kaum,
warum ihn ein verzweifelter Stoß der Hand
des kleinen, kraftlosen Jungen

so überraschend zurückschleuderte.
Doch während der unbeholfene Junge
unter dem fröhlichen Wiehern seiner Gefährten
zum Rand des Schiffes stolperte

und dort endlich Halt fand,


wirkte der versteinerte Ernst in den Zügen des Jungen
so skurril auf den Seemann, dass er mürrisch
auf seine unangebrachten Scherze verzichtete.

Weißt du, Milchbart, knurrte er warnend,


wobei sein Blick erneut die zarten Formen
des Fremden streifte, was geschehen wird,
wenn du bei uns keine Gnade findest?

Dann wirst du kopfüber ins Meer geworfen.


Denn nur die Stummen halten ihren Mund sauber. -
Das macht mir keine Angst, antwortete der Däne
mit seltsam ängstlicher Stimme.

Ich habe keinen Namen, keine Heimat, keinen Ruhm.


Der Bootsmann fuhr auf; um ihn herum
waren die Leute still geworden.
Steig ein, murmelte er nachdenklich,

dann bist du vielleicht einer von uns.


Wir haben solchen Kerlen schon geholfen.
Hilfreich reichte er dem Jungen die Hand,
und wenige Augenblicke später knirschte das Boot

in die Fluten hinaus, das verlassene Ufer


schrumpfte hinter seinem Kiel zusammen,
und nur das geplünderte Fort erhob sich über die Gegend,
als erwache es aus seiner Starre,

um ein rächendes Leben zu gewinnen.


Unter dem mächtigen Kriegsbau am Heck
stiegen sie eine breite Treppe hinab.
Dann kam ihnen eine eisenbeschlagene Tür entgegen,

vor der ein bärtiger Matrose stand, den Speer erhoben,


die Linke auf ein Kurzschwert gestützt. Er hielt Wache.
Lass den Jungen herein, Tielo, vermittelte der Bootsmann,
der zögerte. Mir scheint, Klaus weiß es schon,

wollte er zweideutig hinzufügen,


doch von einem dieser unglücklichen Blicke
fern der Erde getroffen, verbesserte er sich
und polterte ungeduldig los: Lass ihn rein.

Das wird ein Spaß für Klaus. Los, Bürschlein.


Vorsichtig öffnete er die Flügel nach innen,
der Tag zog sich zurück,
und ein bläuliches Zwielicht empfing den Eintretenden

in dem tiefen, langgestreckten Raum.


Ruhiges, sattes Morgenlicht strömte
durch zwei kreisrunde Löcher,
deren verbretterte Fensterläden zurückgezogen waren,

und der blaue Widerschein des Meeres


verlieh dem mit Teppich ausgelegten,
fürstlich geschmückten Saal
etwas Kühles und Fröstelndes. Aber nicht allein

diese Wahrnehmung ließ das Herz


der blonden Frau in Knabenkleidung,
die dennoch von ihrem Genius
unaufhaltsam hierher getrieben worden war, erstarren,
nein, als sie nicht weit von sich,
dicht unter der einen Fensteröffnung,
einen überlebensgroßen Mann
auf seinem Ruhebett liegen sah,

der Frevler, der sie so hartherzig zermalmt hatte,


sein verdorbener Bauch bäumte sich
in all seiner Qual und Aufruhr auf,
die Blässe einer Leiche bedeckte ihn,

und wie ein schwerer Stein sank er auf die Knie,


um starr und sprachlos liegen zu bleiben.
Im selben Moment wurde jedoch auch der ruhende Mann
durch den dumpfen Fall aufgeschreckt.

Nicht gewillt, sich stören zu lassen,


wandte er seine Aufmerksamkeit von einer Seekarte ab,
die mit groben Strichen an die Wand
ihm gegenüber gezeichnet war.

Doch kaum hatte er sich halb aufgerichtet,


zuckte er beim plötzlichen Erkennen
eines der Kissen zusammen und eine heiße Welle
spritzte ihm ins Gesicht.

Das Bild der knienden Kreatur offenbarte sich ihm


so überraschend und unglaubwürdig,
es warf ihm seine eigene Schuld so wild ins Gesicht,
dass er zunächst seine gebieterische Sicherheit verlor

und eine widersprüchliche Wut gegen den Mahner


seine Brauen zusammenzog.
Was willst du?, drohte er in unterdrücktem Zorn.
Wer hat dich hereingelassen?

Keine Freundlichkeit verkündete sich


in den heftig ausgesprochenen Worten,
kein Schatten von Reue,
nur die verletzte Arroganz eines,

der jede Verantwortung verschmähte, wütete hier.


Aber es war genau diese helle, durchdringende Stimme,
die Karin aus ihrer bescheidenen Lage herausriss.
Wie ein Pfeil schoss es ihr durch den Kopf,

dass der Mann auf dem Lager


ein rücksichtsloser Übeltäter war,
dass ihm nichts heilig war
als sein seltsamer, umstürzender Gedanke,

und dass auch dieser nur durch ein unerklärliches Wunder


direkt in seine kalte, spiegelglatte Hülle verschwendet wurde.
Und fieberhaft getrieben, um wenigstens das Letzte zu retten,
was sie noch an Hoffnung, an Himmel und Jenseits hatte,

um sich nicht ausschließen zu lassen von jener Begnadigung,


die hier allen armen Seelen gepredigt wurde,
erhob sie sich und schritt zögernd
auf den gefürchteten Mann zu.

Ihre blauen Augen durchdrangen seine Augen


suchend, flehend, jeden Widerspruch
von vornherein ausblendend.
Du hast mir alles genommen, Klaus Störtebeker,

sogar die Ecke, in der ich mich verstecken kann,


sagte sie mit einem unentrinnbaren, bebenden Ernst,
der selbst ihren Zuhörer ergriff.
Du hast mich getötet, obwohl ich dich nicht für böse hielt,

denn ich habe dich vorher kaum zweimal angeschaut.


Aber siehe, das, was besser ist als du, dein Werk,
diese letzte Zuflucht der Geschundenen und Zerbrochenen,
du kannst es auch mir nicht verschließen.

Der Heiland spricht nicht mehr zu mir.


Aber in deiner Hand leuchtet ein Licht,
das mich glücklich macht.
Lass mich dir dienen, Klaus Störtebeker,

lass mich dir dienen, damit ich den Tag erlebe,


an dem du das Licht zu den Unglücklichen trägst.
Denn dies ist der Tag der Auferstehung.
In ihrer Stimme lag die ganze Gebrochenheit

eines elendig zerschlagenen Wesens,


aber gleichzeitig streckten sich aus jedem Wort
zwei flehende Hände in letzter Angst
nach einem schwankenden Lichtstrahl aus,

als ob er zwischen ihren Fingern


zu einem rettenden Seil werden könnte.
Der Mann aber, ihr Zerstörer und Verderber,
von dem ihre fassungslosen Augen meinten,

das leitende Licht flackere in seiner rechten Hand,


sprang finster auf, und während er entrüstet
den Kopf schüttelte, prallte in ihm
eine bedrückende Verlegenheit

mit dem peinlichen Widerwillen zusammen,


sich für sein lebendig gewordenes Verbrechen
verantworten zu müssen. Der selbstgefällige Bonvivant
war so etwas nicht gewohnt.
Schließlich waren alle Frauen nur dazu da,
ihre schmachtende Lust auf weichen Kissen zu befriedigen.
Was spielte es für eine Rolle,
ob sie unter geschwungenen Gläsern, im Rausch des Weines

oder in berauschender Siegesstimmung akzeptiert wurden?


Nein, nein, er würde den unangenehmen Vorwurf
an seiner Seite nicht dulden. Frau, klang es scharf
und hitzig über seine Lippen. Du träumst!

Das Freibeuterschiff ist kein Ort für Frauentränen.


Hier fließt Blut. Wir nennen uns nicht zum Scherz
Feind der ganzen Welt!
Nur Karin senkte ihren ernsten Blick nicht.

Ich weiß, erwiderte sie ohne zu zögern,


du bist ein Feind der verkommenen Welt.
Aber, Klaus Störtebeker, auch ich
habe meine alte Welt abgeschüttelt.

Und du kannst mir glauben, ich werde nicht eher ruhen,


bis ich, wie ihr Männer, nur noch das Flammenzeichen
vor mir sehe, auf das ihr zusteuert. -
Frau, o Frau, unterbrach sie der Admiral

mahnend und ungläubig, doch nur, um zu verbergen,


wie sehr ihn die sehnsüchtige Hingabe
dieses seltsamen Geschöpfes beeindruckte.
Unruhig ließ er den weiten Raum Revue passieren,

bis er plötzlich hart vor dem dänischen Jungen stehen blieb.


In seinem schmalen Gesicht zuckte
jene wilde Entschlossenheit, die seine Züge immer straffte,
wenn es um Streit und Kampf ging.

Frau, drohte er ohne Rücksicht und Scham,


warum verstecken wir uns voreinander?
Du bist von mir schlecht behandelt worden.
Und ich weiß nicht einmal, was mich dazu getrieben hat.

Ob es nur der Dunst des Weines war


oder das Vergnügen, deiner Gönnerin
einen Streich zu spielen. Aber täusche dich nicht.
Ich bin nicht bereit, meine Tat wiedergutzumachen.

Der totenbleiche Junge hob die Hand,


aber der Matrose ergriff seine Finger
und drückte sie zur Seite. Mein Leben wird kurz sein,
beeilte er sich fortzufahren,

und ich werde es mir nicht


durch deinesgleichen schmälern lassen.
Wie viele von euch sind mir durch die Lappen gegangen,
was seid ihr für mich?

Der große Mann stand aufgebracht vor ihr,


als wäre er derjenige, der grimmige
und berechtigte Vorwürfe
über den Eindringling ausschütten könnte,

weil ein Fremder es wagte, seine Existenz zu belasten


oder dem Ungebundenen eine Richtung zu weisen.
Außerdem hielt er immer noch die Hand
des Jungen in seiner und umklammerte sie so fest,

dass der Blonde einen leisen Schrei des Trotzes


nicht unterdrücken konnte. Und doch,
die verletzende Offenheit des wilden Mannes,
die nur das elende Schicksal einer vernichteten Frau

in seiner ganzen kargen Armut offenbarte,


gerade diese schonungslose Rohheit,
ließ die Edeling-Tochter einen Rest
ihres alten, angeborenen Stolzes,

das Bewusstsein ihrer geraden Natur wiederfinden.


Was redest du da von anderen Frauen?,
beharrte sie fest. Begreifst du nicht,
dass du mich für immer ausgelöscht hast?

Gewiss, ich werde dich nie an mein Wesen erinnern,


aber ich werde auch nicht dulden,
dass es in der Erinnerung anderer wieder auflebt.
Außerdem bietet das weite Meer ringsum

in der Stunde der Gefahr


einen freien Platz für jeden Mutigen.
Ruhig zog sie ihre Hand von dem Admiral zurück
und hob die Mütze vom Kopf.

Und nun bemerkte der erstaunte Mann,


dass ihr Haar kurz geschnitten war,
wie das eines Jungen. Kopfschüttelnd,
mit einem halben Lächeln

über die Hartnäckigkeit ihres Willens,


trat Störtebeker zurück. Sein Gast aber sprach
mit unvermindertem Nachdruck weiter:
Also, noch einmal, Klaus Störtebeker,

toleriere mich. Denn mir ist,


als könnte mein Leben erst enden,
wenn ich das Glück der vielen Tausend gesehen habe,
um derentwillen du geboren wurdest.

In dieser Bitte lag ein so seherischer Glaube,


dass er jeden anderen in der Seele berührt hätte.
Klaus Störtebeker indes begann plötzlich zu lachen,
streckte sich auf dem Bett aus und warf sich,

den Kopf bequem aufgestützt, hin:


Sag mal, wie heißt du eigentlich, Bübchen?
Obwohl sie ihre ganze Kraft aufbrachte,
errötete die Gefragte.

Karin, antwortete sie und blickte an sich herunter.


Gut, lobte der Admiral und betrachtete
die schlanke Gestalt neugierig,
ich werde dich Milon taufen.

Und auf ihre verständnislose Miene hin


fügte er angeregt hinzu: Vergiss nicht,
dein neuer Schutzpatron im alten Rom
war einer von denen, denen weder Suppe noch Braten schmeckte,

solange die Hungrigen in ihren Pesthöhlen


verfaulten Tiberfisch essen mussten.
Du hast etwas von dem Mann an dir, das mir gefällt.
Und nun suche dir hier ein Loch, um darin zu hausen.

Warum sollte mich das interessieren?


Es waren schon viele Frauen auf diesem Schiff.
Du kannst so lange bleiben, wie deine Grille zirpt
oder es dir sonst Freude macht. Geh, Milon!

ZWÖLFTES ABENTEUER

Getragen von ihrem roten Federkleid,


glitt die Agile durch Tag und Nacht.
Geschmeidig, zuverlässig, wie ein unermüdlicher Läufer
lief das Schiff über die blaue Ebene,

und sein Erbauer muss einen eigenen Zauber


in seinen Kiel gelegt haben,
denn es war in der Lage, mit unauffälligem Schwung
mühelos den Ansammlungen

größerer Flottenverbände auszuweichen,


wie sie sich jetzt auf der Ostsee
auffällig oft zu zeigen begannen.
Das Gerücht von der Gräueltat auf Ingerlyst

muss bereits über die Gewässer geschwirrt sein.


Mehrmals am Tag wurde die Kogge
von allen möglichen Schiffsgemeinschaften gerufen.
Dann bemerkte Karin, die sich in ihrem schwarzen

Knabengewand hinter das hohe Brett lehnte,


um in die Fluten und Wogen
des ihr unbekannten Seeverkehrs zu blicken,
eine wilde Bewegung unter den Freibeutern.

Dunkle Grüppchen versammelten sich


auf den Kriegsaufbauten über dem Bug
oder achtern über Steuerbord,
Armbrüste rollten sich heimlich zusammen,

die Geschützmannschaft trat hinter


den drei ledernen Schlangen in den Raum,
und während gespenstische Stille herrschte,
kletterte der Bootsmann Wulf Wulflam gewöhnlich

auf den mannshohen Mastkopf,


um von dort aus den Neugierigen
Lügengeschichten entgegenzuschleudern.
Bald nannte er sein Schiff "Roi de France",

bald "Perle von Brügge", und die Flaggen,


die er lauthals schwenkte, nahmen ebenso phantastische Farben an
wie seine Angaben über Ziel und Ladung des Seglers.
Wenn sich die fremden Schiffer dann misstrauisch

und unzufrieden näherten, dann begann auf einmal


Störtebekers Erfindung zu spielen.
Eine Hebevorrichtung beförderte die Lederschlangen
mitsamt den Bombenschützen

auf den Aufbau über dem Bug,


und der donnernde Gruß aus den drei Mäulern
vertrieb weitere Fragen der Neugierigen.
Um Karin herum aber ertönte der infernalische Triumph

der Freibeuter. Bei solch belanglosen Scharmützeln


ließ sich der Admiral fast nie blicken.
So oft der Blick des Jungen ihn auch suchte,
er musste sich immer davon überzeugen,

dass der Kommandant unsichtbar


sein eigenes stolzes Schiff steuerte.
Seltsam und hochmütig vermied er den Kontakt
mit den Menschen auf dem Meer,

und Karin entdeckte, dass dieser Herr


der schwarzen Flagge eine Mauer um sich gezogen hatte,
über die keiner seiner Untergebenen zu schauen wagte.
Stattdessen flüsterten sie sich gegenseitig

alle möglichen geheimnisvollen Geschichten


über ihn ins Ohr. Der Aberglaube der Matrosen
spann bereits bunte Fäden um den lebenden Mann.
Nicht einmal der jugendliche Schiffsjunge

brauchte ihnen zu versichern,


dass er eine Hexensalbe besaß,
die ihn kugelsicher machte.
Viele hatten es mit eigenen Augen gesehen.

Bei Mondwechsel verteilte der Herr


die Salbe auf seinem nackten Körper.
Und dann wurde er wieder jung und schön,
die scharfe Linie um seinen herrischen Mund verschwand,

und sein Lachen bekam diesen silbernen Klang,


der das Herz betört. Außerdem, das weißt du genau,
waren für ihn sieben Höhlen in allen Ländern geeignet.
Sie sind von unten bis oben

mit den herrlichsten Schätzen angefüllt.


Er ist der reichste Mann der Welt.
Er hat einmal gewettet, dass er mit einer goldenen Kette
das Ostmeer in zwei gleiche Teile teilen kann!

Aber was bedeuten solche Nebensächlichkeiten?


Die Hauptsache bleibt, dass der Wilde Klaus
Beziehungen zur Geisterwelt hat.
Er hat einen Pakt geschlossen.

Und das ist gut für die schwarzen Fahnen, damit rechnen sie.
Ein graues Männchen, ein Rauch,
steigt manchmal zu Klaus herab;
dann schließt sich der Admiral für einen Tag und eine Nacht

in seiner Kajüte ein, selbst der wachhabende


Matrose muss weg, und mit Schrecken hört man
manchmal an Deck, wie der Störtebeker stöhnt und ächzt,
weil er mit dem Kobold ringt,

um ihm die Zukunft zu entlocken.


Wenn der Anführer am nächsten Morgen
wieder an Deck erscheint, sieht er totenblass aus,
seine schwarzen Augen sind wie zwei trübe Brunnen,

denn in ihnen hat sich die Zukunft gespiegelt,


und sie können sich so schnell nicht an das Licht
der Erde gewöhnen. In einer solchen Stunde
zerstreut sich die Schiffsbevölkerung ängstlich
vor dem Gezeichneten, ein weiter Kreis bildet sich um ihn,
und die, die er ruft, zittern und bekreuzigen sich heimlich.
Nur das Kreuz, das auf der nackten Brust getragen wird,
schützt sie vor dem leeren, starren Blick.

Aber wer weiß schon, mit wem das Geisterbanner


die Nacht verbracht hat? Es muss ja nicht unbedingt
eine ehrliche christliche Elfe sein.
Vielleicht war es der Teufel Odin,

der auch um die Zukunft weiß und noch lange nicht tot ist.
Feuer und Elend, das Christentum gilt nicht immer!
So geschah es, dass sich in einer solchen Stunde der Einsamkeit
Karins fragender Blick mit dem des Führers verschränkte.

Störtebeker lehnte aufrecht am Großmast,


das braune Haar flatterte ihm in die Stirn,
aber während seine sonst blitzenden Augen wie geblendet
mit der Ferne kämpften, trat eine solche Blässe

auf seine Wangen, dass das Mädchen,


von plötzlichem Mitleid ergriffen, sich ihm näherte.
Sie wagte zu tun, was noch nie jemand gewagt hatte zu tun.
Bist du krank?, fragte sie hastig.

Es war das erste Wort, das sie nach der Begegnung


in der Hütte mit ihm gesprochen hatte.
Doch ihr Mitleid fand keinen günstigen Platz.
Wie von einem Stachel getroffen,

richtete sich der Admiral auf, und ein unwilliges Ziehen


legte sich um seinen Mund, als er sie kaltherzig zurückwies.
Dummkopf, warf er ihr vor, was kümmert dich das?
Wir brauchen hier keine Quacksalber.

Geh an deine Stricknadeln.


Dazu kam ein Blick voller Fremdheit und Verachtung,
der ihr bewies, wie überflüssig ihre Anwesenheit
für den Kommandanten noch immer war.

Sie blieb für ihn eine Last, ein Vorwurf,


dessen erzwungene Duldung er sich wohl selbst
nicht verziehen hatte. Und doch wurde Milon,
wie der Junge von der Mannschaft allmählich genannt wurde,

von den lächelnden Schiffsleuten auserkoren,


sich um die persönlichen Bedürfnisse
des Admirals zu kümmern. Ohne dass Störtebeker
es besonders bemerkte, wurde sein fürstlicher Hausrat

durch ihren guten Geschmack in Ordnung gehalten,


ja, wie ein adeliger Junge servierte sie
dem Kapitän jeden Tag sein Essen.
Dafür wurde sie manchmal mit einem lässigen Wink belohnt,

aber Klaus duldete ihre Gesellschaft nie länger,


als es ihr Dienst unbedingt erforderte.
Stumm und beunruhigt sah er den schlanken Jungen
sein Haus betreten, und fast immer gab er ihm

mitten in seiner Arbeit ein ungeduldiges Zeichen,


sich zurückzuziehen. So flog die Agile,
getrieben vom Willen ihres verborgenen Steuermanns,
ihrem Ziel entgegen, und schon begann

die Besatzung zu munkeln, dass der Admiral


als Ankerplatz die Stadt Wisby auf Gotland auserkoren habe,
jenen einst weltberühmten Handelsplatz,
den die Freibeuter seit einiger Zeit

durch einen Coup de main in ihre Gewalt gebracht hatten.


Dort, so versicherten uns einige besonders sachkundige Leute,
sollte etwas ganz Ungewöhnliches geschehen.
Doch was diese Überraschung sein könnte,

darüber gingen die Meinungen weit auseinander;


vielleicht war es eine erneute Feindseligkeit
gegen die Flotte der Königin,
vielleicht winkte der unglücklichen Stadt

eine erneute Plünderung, denn der Admiral


hatte keine Vertrauensperson für seine Pläne.
Doch noch bevor das Schiff den Anker
im sicheren Hafen lichten konnte,

sollte Karin erfahren, welch blutiges Werk sie glaubte,


mit dem Schicksal künftiger Generationen betraut zu sein.
Eines Nachts lag sie in ihrem Verschlag
unter dem Steuerbord-Aufbau,

von dem man ihr gesagt hatte, er sei besonders luftig,


und ein wilder Traum hatte seine Arme
um ihre Hüften geschlungen.
Die Wellen schlugen gegen die Bordwand

wie ein fernes Lied. Dann wurde heftig


gegen die Bretter der Hütte gehämmert,
und als sie erschrocken aufschreckte, noch halb betäubt,
hörte sie durch die Ritzen die raue Stimme

ihres Nachbarn Wulf Wulflam, der ihr sagte,


sie solle sich anziehen, es sei nicht sicher!
Schon ertönte von allen Seiten schrill pfeifendes Getriller
in ihren kämpfenden Gedanken.
Bevor sie sich in ihrer Raserei anziehen konnte,
bemerkte sie, wie die Agile von Minute
zu Minute kleiner wurde, und über ihrem Kopf
hörte sie die dumpfen Schritte vieler Männer.

Spärlich bekleidet eilte sie aus ihrer Kammer.


Die Morgendämmerung brach gerade über dem Meer an.
Ein riesiger, bleierner Schatten lag
in der Nähe des Admiralschiffs, regungslos aufgetürmt,

als wäre das Spiegelbild des Seemanns selbst


aus dem Wasser aufgetaucht. Von dort drüben
war auch ein Surren und Klappern zu hören,
und dunkle Flecken kletterten an den nebligen Masten empor,

für den starrenden Jungen riesige Spinnen,


die dicke Seile zu einem unheimlichen Netz verknoteten.
Aber woher kam diese übermenschliche Stimme?
Er hatte noch nie die Klänge einer Sprechblase

aus nächster Nähe gehört, und nun glaubte


seine zitternde Seele, dass nur aus der Brust
eines menschlichen Ungeheuers
solch furchterregend verstärkte Töne kommen konnten.

Und doch klang die geisterhafte Stimme,


die durch den Seerauch dröhnte, durchdringend verständlich,
und obwohl jede einzelne Silbe wie ein Schlag
an das Ohr des Jungen prallte, verstand er recht gut,

wie von drüben in französischer Sprache gefordert wurde,


der verdächtige Seemann solle sich sofort niederlassen,
um sich einer Untersuchung seitens
le Connetable zu unterziehen.

Ein Unheil nahte, Karin spürte es


am unkontrollierten Zittern ihrer Glieder,
Verhängnis und Henker-Schande
schüttelten bereits ihre Köpfe, und doch starrte sie

in fiebriger Spannung auf den mächtigen Schatten,


der den Morgennebel immer stärker spaltete.
Um sie herum rührte sich nichts, alles stand wie gebannt still,
kaum ein Flüstern drang unter die Besatzung der Agile.

Dann, inmitten der gepressten Stille,


ertönte plötzlich jene stählerne Stimme,
die wie ein glühendes Getränk durch alle Adern schnitt,
und sofort erhellte ein einziger Seufzer der Erleichterung

die Brust des bedrohten Schiffes. Da, der Admiral,


Klaus Störtebeker lehnte am Hauptmast seines Schiffes,
und als seine Gefährten ihn erblickten, den alleinstehenden Mann,
das feine Leinenhemd offen über der nackten Brust,

die grobe lederne Schifferhose fest um die Knöchel geschnürt,


aber das lange Messer in den verschränkten Armen,
vergaßen sie die eben geübte Vorsicht,
und ein wilder Freudenschrei brauste in den kühlen Wind,

der die Locken ihres Anführers spöttisch zerzauste.


Störtebeker ergriff ein Mundstück.
Connetable ist dein Name?, rief er gleichermaßen
durch das Mundstück. Mort de Dieu,

seit wann krabbeln die Seidenwürmer von Lyon


in unsere Töpfe? Ist Charles, euer geistesgestörter König,
krank geworden, dass er glaubt, die Schiffe
der Ostsee stünden ihm offen wie sein Nachtstuhl?

Woraufhin von drüben: Macht eure Ladung frei.


Zeigt die Briefe eurer Gönner.
Worauf Störtebeker erwiderte:
Wenn dein Magen knurrt, ha, dann iss den Mörtel

deiner Bastille. Wenn du aber durstig bist,


dann leck den gepanzerten Schuh deiner Peiniger.
Elendes, bedrängtes Volk, wie maßt du dir an,
über windstille Menschen zu richten?

Dann von drüben: Wir haben Kriegswerkzeuge.


Nenne deinen Namen, Mann, oder du wirst
in einem Atemzug mit deiner Mannschaft gehängt.
Worauf Störtebeker mit einem schrillen Lachen antwortete:

Habt Ihr Lust auf meinen Namen?


Cachez vous sous les lits de vos bien-aimées.
Seidige Höschen, ihr werdet schmutzig,
wenn ihr meinen Namen hört.

Da ist etwas drin, um Durchfall zu bekommen. -


Bist du Störtebeker? - Die Frage war noch nicht verklungen,
als die Besatzung der Agile in einen trotzigen
Kampfschrei ausbrach, denn allein der Name ihres Helden

trieb das Blut noch ungestümer durch ihre Adern.


Gleichzeitig aber sah Karin, die sich vor Aufregung
nicht mehr beherrschen konnte,
wie die überlebensgroße Gestalt des Admirals,

alle Vorsicht vergessend,


auf den Bugaufbau hinaufflog und dort,
von der ersten Morgendämmerung stark verändert,
sein Entermesser gegen die fremde Kogge schwang.

Von dem halbnackten Mann ging eine solche Wucht aus,


dass auf beiden Seiten eine erzwungene Stille eintrat.
Franzosen, schmetterte die helle Stimme,
ja, Störtebeker spricht zu euch.

Meine Fahne ist schwarz, denn ich trauere


um das Leid der geknebelten Völker.
Was seid ihr denn anderes als wir, zertretene Halme
unter dem Eisenschuh eurer Unterdrücker?

Die Ebenen zwischen Loire und Somme,


wir kennen sie gut, liegen verödet,
eure Städte sind durch Hunger und Seuchen entvölkert,
eure Bauern leben als Räuber in den Wäldern,

damit die Seidenwürmer in eurem Schweiß


bequem baden können! Öffnet eure Augen und seht mich an!
Ich bin gekommen, um den Fluch
der Rassentrennung auszulöschen.

Wenn ihr Mitleid mit euren Kindern und Enkeln habt,


oh, dann kommt zu mir, ihr armen, blutigen,
geschundenen Tiere, kommt zu den ebenso Elenden,
damit wir gemeinsam das Reich

der Kinder Gottes errichten können.


Brüder, denn dies sind alle die Geschundenen und Geplagten,
brecht die gemalten Lügen eurer Rammböcke,
das menschliche Herz kennt keine Grenzen,

und wenn ihr mich liebt, wie ich euch liebe,


frisch, bindet eure Gönner an die Masten
und folgt mir nach Wisby! Dort, so wisst ihr,
dort werden die Nägel der Armen aus der Erde kratzen,

was ihr seit Jahrtausenden vergraben habt: Gerechtigkeit.


Es war wieder so, als ob der Mann dort oben
mit der Sonne oder dem Meer in Verbindung stand,
ganz allein. So hoch ragte er in die Unendlichkeit.

Hunderte von Augen richteten sich inbrünstig auf ihn.


Hunderte von Herzen schlugen unwillkürlich heißer,
obwohl ihr enger, ungelehrter Verstand
diesen vorauseilenden Geist nicht begriff.

Nur vor dem blonden Dänenjungen


schmolz die Gefahr dahin,
ja die Planken des Schiffes verschwanden
unter seinen Füßen, denn er allein nahm wahr,
wie die riesenhafte Gestalt dort oben
in die Herrlichkeit des Morgens hineinwuchs,
er allein ahnte etwas von der glühenden Aufrichtigkeit
der Verkündigung, und ein ungeheures Glücksgefühl

überkam die ergriffene Seele


und trug sie brüderlich zu den Füßen dieses Sehers.
Was spielte es für eine Rolle, dass Untergang und Tod
bald auf den Wellen heranrollten,

was spielte ihre eigene Schande und Not für eine Rolle,
da sie die Gewissheit erlangt hatte,
dass sie in die Gefolgschaft eines Schicksalsboten
aufgenommen war, über dem sich das Tor der Zukunft

bereits in Firmament-Höhe wölbte?


Der da oben stammte aus dem Geschlecht
des verschwundenen Christus,
doch statt eines Hirtenstabs schwang er ein Schwert,
in dem die Strahlen der Morgensonne blitzten.

Ein raues Geräusch knarrte in die Verzückung


der Verzückten. Eine Schwelle des Connetable
war plötzlich zurückgeschoben worden,
und zwischen den Mäulern zweier riesiger Eisenschlangen

kam die zierliche Gestalt des französischen Kapitäns


zum Vorschein. Es war ein vornehm gekleideter Herr
mit schwarzem Spitzbart, und der Fremde
rief scharf und abgehackt hinüber:

Hör auf mit deinem Gefasel,


deutscher Dieb und Galgenvogel.
Wir kennen das verlogene Gefasel,
mit dem du deinen Aberglauben verschleiern willst.

Nur noch eines, bevor wir dich hängen:


Königin Margarethes erhabene Majestät
hat 50 Goldmünzen auf deinen vogelfreien Kopf gesetzt.
Du weißt, warum, Mädchen-Dieb.

Und deshalb mögest du entschuldigen,


dass ich, obwohl ich ein Adliger aus Armagnac bin,
mich so tief herablasse, um mir
das Kopfgeld auf dich zu verdienen.

Bei den letzten Worten krabbelten


zwei grimmige Glühkäfer auf den Schlangen,
im nächsten Moment brach Feuerdunst aus ihren Kiefern,
zwei unförmige Steinkugeln donnerten

auf das Deck der Agile, zerrissen das Jenseits in Stücke,


und auf der weiten Gasse wälzte sich
eine Anzahl zerfetzter Körper. Blut spritzte
um den Mast, dann ein Knall, die Rippen

des verwundeten Schiffes ächzten,


ein Schwarm fliegender Bolzen zischte
zwischen den schreienden Freibeuterinnen
und Freibeutern hindurch, und über die Landungsbrücken

sauste es, ein Gewirr von wütenden, verzerrten Gesichtern,


ein Gebüsch von gebogenen Speeren reckte sich
wie unter schneidendem Wind, und zwischen den Hämmern
der blutigen Walkmühle stieg der widerliche Geruch

des Mordens zum Himmel.


Von nun an wusste Karin nicht mehr, wo sie war.
Sie wurde inmitten des wilden Gewühls nach vorne gestoßen,
ein Schlag traf sie an der Brust,

krampfhaft krallten sich Finger in ihre Locken, als sie fiel,


Schreie und Gebrüll lähmten ihr Gehör,
nur eines konnte sich an ihren verblüfften Sinnen festhalten,
der goldene Schimmer eines Schwertes am Bug.

Seltsamerweise lachte dort oben etwas,


ein schreckliches, brennendes Lachen,
das die Nüchternsten verrückt machen konnte.
Ein regelmäßiger Kreis aus Blitzen schob sich vor,

und in diesen sprühenden Reifen


wurde alles hineingesaugt, Freund und Feind,
als würde man betrunkenen Motten befehlen,
sich in diesen Feuerstrudel zu stürzen.

Noch ein paar taumelnde Schritte, immer näher,


immer überzeugter und verwegener
klang das seltsame Lachen, dann ein schriller Angstschrei,
wie ihn Tiere vor dem Schlachten ausstoßen,

und wie von einem Messer scharf geschnitten,


riss der Faden des Bewusstseins
im Gehirn des gepeinigten Mädchens.
Wurde sie an der Wange gestreichelt?

Oder wurde ihr tatsächlich an den Haaren gezupft?


Noch deutlicher spürte sie natürlich,
wie ihr jemand den Latz schüttelte,
aber letztlich war es dasselbe unerklärliche Lachen,

das sie plötzlich wie mit einem heftigen Griff


in vertraute Räume zurückzog. Karin öffnete
erstaunt die Augen. Um sie herum herrschte
ungetrübte Stille, bläuliches und goldenes Licht

rieselte langsam über die Teppiche, und über ihr,


schwach auf einem Hocker an die Kabinenwand gelehnt,
beugte sich der riesige Meister.
Gerade zerrte er wieder an ihren Locken,

aber er meinte es nicht böse, denn als er bemerkte,


dass das Blau in ihren Augen wieder auflebte,
klopfte er dem Jungen energisch auf die Schulter.
Grüß Gott, junger Kriegsheld, klang es hell

in den Ohren der Erwachenden.


Nun, was hast du vor, Milon?
Hast du genug gehabt, mein Junge?
Schnell, große Rettung ist dir widerfahren.

Blinzle durch den Ausguck.


Wir haben gerade die Überlebenden des Connetable
in ein paar Snykes verpackt und als Morgengruß
zu deiner Königin ins Bett geschickt.

Ha, ha, die Dame weiß,


wie man solche flinken Burschen einsetzt.
Also beeile dich, es dauert nicht lange, spring zu ihnen.
Und morgen hast du den ganzen blutigen Schrecken

über Honig und Gewürzkuchen vergessen!


Nimm den Rat an, Kleines, ich meine es ernst.
Hastig streckte der Admiral den Arm nach der Treppe aus,
er schien den Abschied sofort zu erwarten,

ohne Rührung und ohne Zeitverlust.


Der Junge aber richtete sich zitternd auf
und starrte mit kaum verhohlenem Entsetzen
in das Gesicht des Kommandanten.

Dies war nicht mehr das edle Gesicht, das er kannte.


Blut floss über die Stirn Störtebekers
und verwandelte die stolzen Züge in eine rote Maske.
Ein Rinnsal sickerte auch über die Brust des Mannes,

und unter dem Leinen seines linken Arms


sickerte es unaufhaltsam in klebrigen Schlieren
über die Hose des Schiffers. Dann wurde Karin
von einer unnennbaren Angst ergriffen.

Es wird dich das Leben kosten, rief sie


in plötzlicher Verzweiflung.
Ja, ja, das war es, das Leben dieses Menschen
konnte vorzeitig enden. Aber erst musste es
unvergängliche Wurzeln ausstrecken,
musste höher, weit höher schießen wie andere Bäume,
um durch Enge und Schatten
tausend grüne Blätter zum Himmel zu tragen.

Auch ihr Leben zitterte an seinem Stamm


wie ein solches schwirrendes Blatt
und zitterte nun vor Angst, heruntergezogen zu werden.
Es wird dich dein Leben kosten.

Störtebeker zog unwillkürlich die Augenbrauen zusammen,


die leidenschaftliche Anteilnahme missfiel ihm,
erinnerte ihn an etwas, das er schon
vergessen zu haben glaubte. Dummkopf,

zog er sich aus ihrer tastenden Hand zurück.


Was soll das ganze Geschwätz von schäbigem Aderlass?
Aber von dir, Milon, verlange ich eine Antwort.
Wirst du mit den Franzosen kreuzen oder nicht?

Der Junge antwortete nicht.


Er schüttelte nur entschlossen den Kopf.
Allein in dieser Bewegung manifestierte sich
eine Entschlossenheit, die nur durch den Tod

gebrochen werden konnte. Dann bleib,


rief Störtebeker grimmig und enttäuscht.
Den Kopf zurückgeworfen, die blutende linke Hand
in die Weiche gestützt, wie es seine Gewohnheit war,

musterte der Verwundete grimmig den langen Raum.


In seinen Bewegungen lag wieder etwas Fieberhaftes
und Zerstörerisches, und sein Temperament kochte hoch,
als er jetzt, ohne wirkliche Absicht,

eine der bunten Laternen auf dem Tisch umklammerte;


eines der verzierten Gläser brach mit einem Klirren
aus der Fassung, und als es auf der Tischplatte zerschellte,
wich Klaus erstaunt zurück, bis er schließlich

in ein verlegenes Lachen ausbrach. Das Ungezügelte,


Jungenhafte seines Wesens hatte ihn bis zum Schluss
nicht verlassen. Aber seine Wildheit
war wenigstens freigesetzt worden,

und so trat er wieder etwas gemäßigter


vor den Jungen auf dem Hocker,
um seine rechte Hand auf die Schulter
des Sitzenden zu legen. Dann sag mir wenigstens,

du halsstarriger Frosch, fuhr er fort, sag mir,


damit ich mich endlich erinnern kann,
was du hier eigentlich suchst? Ich habe noch nie gehört,
dass geschnürte Eidechsen gerne Blut riechen.

Oder willst du mich vielleicht nur hängen sehen?


Er drückte die Schulter der sanften Frau noch etwas fester.
Dann lass mich dir sagen, Knappe,
die Leiche des Angebers, der dir das vorhin versprochen hat,

ist gerade dabei, mit zwei Steinen beladen


in die Tiefe zu fahren. Auf dieses Festmahl
musst du bis zum nächsten Mal warten. -
Lass mich auf etwas anderes warten, sagte Karin leise

und erschöpft. Sie faltete ihre Hände ergeben in ihrem Schoß,


und ihre blauen Augen füllten sich wieder
mit dem tiefsten Vertrauen. Es war dieser akzeptierende,
bedingungslose Ausdruck, der den blutigen Mann

zuvor erschreckt hatte. Ein unerklärliches Frösteln


erfasste ihn auch diesmal, und er wich zurück.
Also sprich, was ist dieses Wunder?
Karin richtete sich auf.

Es ist das Wunder, sagte sie leise


und voller träumerischer Gewissheit,
das du uns Unglücklichen versprochen hast.
Aber beeil dich, Klaus Störtebeker,

damit ich nicht so lange darauf warten muss.


Störtebeker schüttelte ungläubig
und verständnislos den Kopf.
Es war noch nicht die Zeit,

in der Männer die Mitarbeit von Frauen begehrten,


und so drängte sich dieses heiße Verlangen
dem Freibeuter in erster Linie
als ein unwillkommenes Eindringen auf,

das seine ungestümen Zeugungsgedanken,


die bisher nur wie ein Zug brennender Vögel
durch die allgemeine Nacht geflattert waren,
einzufangen und zu bändigen vermochte.

Lange starrte er den zitternden Jungen an,


dann stieß er endlich ein gepresstes Lachen aus
und brach das Gespräch kurzerhand ab.
Na, na, beendete er, das ist Männerarbeit.

Warte auf mich. Aber jetzt komm, Kleiner,


damit du etwas Passenderes tun kannst.
Er warf sich schwer auf sein Ruhebett,
riss sich das Hemd über der Brust auseinander
und drückte die Ränder der frisch erhaltenen Wunde
ohne große Mühe fest zusammen.
Nur Mut, Milon, rief er, scheuer den Unrat weg.
Ihr übt die geheime Kunst in euren Schlössern.

Nun zeige, was du gelernt hast.


Und der Junge sprang auf,
als sei er zu einem Fest und Feiertag gerufen worden.
Mit glühendem Eifer eilte er davon,

kehrte aber sofort mit einer Schüssel


voll kaltem Wasser zurück, beugte sich
über den am Boden Liegenden
und ließ in seiner Eile einen nützlichen Leinenstreifen aus,

öffnete ohne zu zögern sein Wams


und riss entschlossen einen langen Fetzen
aus seinem eigenen Hemd. Die Brust der Frau
glühte seidig unter dem dunklen Gewand,

und in den Augen Störtebekers flammte blitzartig


jenes züngelnde Feuer auf, das schon einmal
in der Nacht des Untergangs über ihr geglüht hatte.
Ungestüm griff er nach beiden Armen seines Opfers,

aber siehe da, als das schmerzhafte Stöhnen


des gefesselten Weibes an sein Ohr drang,
ging ein düsterer Schimmer von Selbstverachtung
über seine angespannten Züge,

freiwillig ließ er den Umklammerten los,


und nun stöhnte er selbst auf
und warf sich gebieterisch zurück.
Bleib, bleib, murmelte er, mach Frieden mit dem bösen Geist,

der in mir wohnt. Bei meinem ewigen Kummer


wünsche ich mir manchmal, dass Milch
durch meine Röhren flösse und ich gelernt hätte,
weiße Lämmer zu füttern. Bleib,

ich werde dir nicht mehr wehtun.


Er streckte sich aus, schloss die Augen und wartete,
scheinbar unbekümmert, bis Milon
mit zitternder Hand sein mildes Werk vollendete.

Erst als er spürte, dass eine warme Decke


über ihn gebreitet wurde, setzte er sich auf
und schob die Decke entschlossen zurück.
Dann streichelte er sanft über die Locken seines Gefährten.

Armer Kerl, sagte er gutmütig, armer Kerl,


ich wünschte, wir wären auf andere Weise
Freunde geworden. Und als er die Blässe sah,
die seinen Wächter befiel, gab er ihm einen Klaps

auf die Wange und rief aufmunternd:


Lass gut sein, Milon. Ein paar Unzen Blut
sind dem Tier entzogen worden, jetzt wird es
eine Weile nicht mehr beißen und nicht mehr randalieren.

Lache, lache, mein Kleiner, aber dann bring schnell


den Weinkrug und lass uns trinken!
Und auch ich, der Dichter, will nun trinken
Auf den Gott der Liebe und den Hass der Welt!

DREIZEHNTES ABENTEUER

Bis dahin hatte allein die Agile


das blaue Feld des Ostermeers beackert,
gefolgt von der Connetable,
die von den Schuimers besetzt worden war.

In den letzten Tagen tauchten jedoch


von allen Seiten schwarze Flaggen auf,
die allmählich zu einem dichten Schwarm wurden,
der sich wie ein langer Sternenzug

um die Kogge des Admirals scharte.


Doch je stattlicher seine Flotte wurde,
je zahlreicher die spitzen Pfeiftriller
oder die wehenden Wimpel

die eintreffenden Kameraden begrüßten,


desto auffälliger wurde die Unruhe des Mannes,
auf dessen Wink hin all diese Kiele ihrem Ziel zustrebten.
Innere Unruhe trieb Störtebeker um.

Bald musste Milon, den er jetzt so oft rief,


wie er ihn früher verjagt hatte,
ihm bei einer Schachpartie in der Kajüte Gesellschaft leisten,
bald zog er den Jungen, nachdem er mitten im Kampf

ungeduldig die Figuren hin- und hergeworfen hatte,


auf das Deck, wo er weit vorn auf dem Bugspriet
durch den Nacht- und Morgennebel spähte, um zu sehen,
ob sich die gotische Küste noch immer nicht

vom Horizont lösen wollte. Wisby,


die märchenhaft prächtige Stadt,
die jetzt aufgrund von Raub und roher Volkswut
ein verlassener Trümmerhaufen war,
schien den einsamen Mann
auf magische Weise anzuziehen.
Vielleicht, weil ihn der Verdacht quälte,
dass das Schicksal ihn dort in seine Arme schließen würde.

Bisher hatte er jeden Lumpen,


der sich ihm als geschundener Mensch präsentieren konnte,
großzügig mit Gold und Schätzen überschüttet,
doch nun nahte die Stunde, in der er mehr austeilen sollte.

Sein Eigentum. Die Summe seiner heimlich geliebten Gedanken.


Und dann die Ungewissheit!
Wie, wenn die versammelten Menschen, die ihm dienten,
Verbrecher, Diebe und Mörder, Juden und Heiden,

Polen, Deutsche, Franzosen und Engländer,


die kein anderes Vaterland kannten als die Planken
zu ihren Füßen, vor allem, wenn die Segel
sie so weit wie möglich von Rad und Galgen entfernten,

wie, wenn diese Raub-begierigen, wilden Horden


das Unrecht, durch das sie zu einem namenlosen
Menschenbrei zermalmt wurden,
noch weit weniger schmerzlich empfanden als ihr Anführer,

an dem ihre menschliche Schmach


wie eine eiternde Wunde fraß?
Könnte nicht in solchen, von aller Konventionalität
getrennten Gesellen die Gier nach Vergnügen

und Unbeschränktheit heißer lodern


als die Freude an der Möglichkeit,
durch ein nie gesehenes Beispiel jene Welt zu beschämen,
die sie verstoßen hatte? Was geschah,

wenn der Pöbel bereits zu roh und verdorben war,


um zur regulären Arbeit zurückzukehren? Zwang?
Das war nicht der richtige Weg! In seinen Träumen
war er zu oft von dem Jubel umgeben gewesen,

den die bloße Ankündigung und Bekanntgabe


seiner weltverändernden Pläne bei den Empfängern
auslösen würde! Wie war es wirklich
um die neuen Römer bestellt,

mit denen die gereinigte Erde bevölkert werden sollte?


Der verächtliche Zwischenruf der Königin
kam ihm in den Sinn: Und mit einer Bande
von Räubern und Dieben willst du

die ewige Gerechtigkeit wiederherstellen?


Und während er zum hundertsten Mal
den Ankerplatz von Wisby auf der Seekarte betrachtete,
pochte sein Herz vor Verwunderung,

dass er bisher nur sich selbst, den Kopf


des hellen Gedankens, gesehen hatte,
während die Glieder, die den Gedanken doch erleben sollten,
in einem gleichgültigen Dunkel vor ihm verschwanden.

Worüber brütete die Masse?


Und warum hielt er sie von sich fern?
He, Milon, unterbrach er in einem solchen Schreckmoment
seinen Gefährten, der ihm bis dahin unaufgeregt

und gehorsam aus dem Petrarca vorgelesen hatte,


in die Ecke mit dem Eselsfell!
Der Tagedieb aus Italien ist ein Narr,
weil er an Frauen schnüffelt,

nur der Mann ist die lebendige Erde.


Komm, du ungelehrtes Kind,
damit ich dir eine Handvoll
unserer zukünftigen Arbeiter zeigen kann.

Hastig ergriff er den Arm des Jungen,


zog ihn widerstandslos die breite Treppe hinauf
und mischte sich, wogegen er sich selten wehrte,
unter die Leute seines Schiffes,

redete freundlich mit ihnen


und begann sie nach ihrer Vergangenheit
und Heimat zu befragen. Alles unter dem Vorwand,
seine zarte Begleiterin unterrichten zu müssen.

So manches Schicksal öffnete sich dem Verstand.


Mit furchtbarem Schaudern sah der Junge,
wie sich Sünde und Gegensünde
zu einem Knäuel verwickelten.

Zuerst war da der Steuermann Lüdecke Roloff.


Ein herkulischer Mann mit einem blonden Strohdach,
das ihm verheddert über die Augen hing.
Aber trotzdem wanderte der Blick des Steuermanns

schüchtern und blinzelnd zur Seite,


als ob ihn das Gesicht eines jeden Mitmenschen anwiderte,
und nur in den Stunden vor der Schlacht und dem Kampf
öffneten sich diese umgekehrten Sterne mit einer Rache,

und ein Ring aus Blut umschloss sie,


wie der eines rasenden Hundes.
Der Mann hatte in seiner mecklenburgischen Heimat
tanzen müssen. Tanzen? Ja, nicht freiwillig.

Auf dem flachen Lande gab es einen ehrwürdigen


und frommen Brauch: Sobald die Gutsherrin
sich gesegnet fühlte, mussten die Leibeigenen
zu ihrem eigenen Vergnügen um den Dorfteich tanzen.

Die Frauen rutschten auf den nackten Knien,


die Männer aber tobten und sprangen halbnackt
mit ihren Sprösslingen an der Hand,
ohne Pause, ohne Unterbrechung,

bis sich in ihren Köpfen ein Wirbel drehte.


Lüdecke Roloff aber war ein Spielverderber.
Als er sah, wie seine Frau bei diesem Vergnügen
in Ohnmacht fiel und Mareike, sein Töchterchen,

mit Krämpfen in den Teich stürzte,


hatte der wütende Tänzer den edlen Zuschauer erwürgt
und dem Gutsherrn seinen Dolch durch den Hals gestoßen.
Noch am selben Abend wurde der Tanz

von einem Feuerwerk begleitet


und das Schloss brannte ab.
Seitdem war der Flüchtige mit einem unangenehmen
Erbe zurückgeblieben. Als die Zeit für Kampf

und Rache gekommen war, musste Lüdecke tanzen.


Hüpfend und springend wandte sich der wütende Mann
dem Kampf zu, und im verrückten Reigen
griff er seine Opfer noch mit den bloßen Fäusten an

und brüllte, sie zu erwürgen.


Als Karin diese Geschichte hörte,
bedeckte sie das heitere Meer mit Nacht,
aber Klaus Störtebeker strich sich die Haare aus der Stirn,

denn er wusste nicht, ob er sich des Mannes sicher war.


Der schlaksige Arnold Frowein
war ein ganz anderer Mensch. Immer lächelnd,
immer lächelnd, was vielleicht daran lag,

dass ihm das geistliche Gericht einmal auf der Streckbank


alle Zähne gezogen hatte, einen nach dem anderen.
Aber warum wollte der verstockte Rechtsaußen
nicht zugeben, was er über Uris Besuche

bei seiner Frau wusste? Die Nachbarn


hatten doch nicht umsonst den riesigen schwarzen Kater
eines Morgens schlafend auf Lisbeths Bett gefunden?
Und anders war es nicht zu erklären,
dass ein armer Töpfer es zu einigem Wohlstand gebracht hatte
und dass auf den milchblassen Wangen seiner Frau
nie ein Tropfen lebendigen Blutes zu sehen war.
Aber am Ende hatte die Gerechtigkeit gesiegt.

Punkt für Punkt wurde in den geistigen Akten bezeugt,


wie oft Meister Urian knisternd auf das Bett sprang,
und nicht weniger wurde entdeckt, auf welche Weise
er seine Lust befriedigte.

Es war alles wissenschaftlich belegt!


Und nur eines blieb seltsam.
In Meister Frowein selbst musste sich etwas
Katzenhaftes eingeschlichen haben.

Zu geschmeidig kroch er an den Wänden entlang,


immer schnurrend, immer schmeichelnd,
und es war wohl nur ein Gerücht, dass er im Kampf
manchmal einen Sprung aus der Hocke machte,

um seinem Gegner mit zahnlosem Maul


an den Hals zu fahren. Ungeduldiger, unruhiger
wühlte der Admiral in dem Menschenbrei herum.
Er suchte. Er suchte nach Bürgertugenden

und Bürgersehnsucht! Wie tief waren diese Dinge,


die so selbstverständlich waren, verborgen?
Der Nächste: Ein himmelblauäugiger, rotmähniger,
grimmiger Kerl, denn obwohl Patrik O'Shallo

sich in den sanften Urtönen der grünen Irin ausdrückte,


war er als streitsüchtiger Raufbold gefürchtet,
aber noch berüchtigter als Anführer
bei jeder maßlosen Ausschweifung. Frauen, Würfelspiele,

Schlägereien und Beute waren die vier Schlagworte


seiner wilden Ausschweifungen.
Und doch kam es seinen Kameraden manchmal seltsam vor,
wenn dieser gefräßige Vielfraß seltsame Psalmen

vor sich hinmurmelte, als käme er


aus einem fernen, vergessenen Traum.
Sie wussten nicht, dass Patrik O'Shallo,
das uneheliche Kind einer wohlhabenden Wollweberstochter

aus Dublin, von verängstigten Verwandten


schon früh in die Zelle eines der irischen Klöster
geschickt worden war, um durch Hunger und Geißelung
für die geheime Verfehlung seiner Mutter zu büßen.

Eines Tages jedoch, als er eigentlich Holz für die Küche


aus dem Fluss holen sollte, hatte eine Flößerin
den Jungen in ihre schwimmende Strohhütte kriechen lassen,
und seitdem wussten die ausgemergelten Knochen,

wie hell der Tag schimmern und wie betörend


der Körper einer Frau glänzen konnte!
Ho, nun aß er die Sonne und trank die Frauen,
und sein größtes Vergnügen bestand darin,

Nonnenklöster wie Vogelnester auszuweiden


und die in die Kirche getriebenen Schwestern zu zwingen,
nach allerlei Lust üble Lieder zu singen.
Auch der Admiral beäugte diesen unermüdlichen Verehrer

des Vergnügens mit einem zweifelnden Kopfschütteln,


und ein zweifelhaftes Lächeln mischte sich
in seinen herablassenden Gruß,
als er sich von ihm verabschiedete.

Da, Milon, sieh dir die krumme Nase zum Schluss genau an.
Vielleicht haben seine Vorfahren schon mit dem Heiland
um Säge und Hobel gefeilscht. Hast du jemals
so verzweifelte hebräische Augen gesehen?

Der Admiral hätte hinzufügen können, dass der Jude


ein alter Bekannter von ihm war.
Denn der grauhaarige Jakob war derselbe
unglücklich verfolgte Mann, den er als Knabe

im Hause der Hedda aus den Händen


abergläubischer Bauern befreit hatte.
Jetzt war der stets introvertierte, bescheidene
Menschensplitter zum grausamsten Würger

unter den Schiffsleuten geworden.


Als Zeichen seiner immer wieder aufkeimenden Rachegelüste
hatte er den gelben Judenfleck
auf das Wams des Schiffes genäht,

und je mehr die Freibeuter ihn dafür verspotteten,


desto zärtlicher strich Jakob oft über den Fleck.
Aber es lag auch eine unheimliche, vergötternde Liebe
in dem Hebräer. Sobald der Admiral in seine Nähe kam,

begannen Jakobs schwarze Augen


die alte, tausendjährige Sehnsucht auszustrahlen.
Er glaubte. Er glaubte unerschütterlich an den Messias,
der die stinkende Erde von Verfolgung

und Menschenfeindlichkeit erlösen würde.


Und nach den Legenden seines Stammes würde
der Bote Jehovas
weder ein Lämmchen noch ein Schreiber sein,
sondern ein Gerüsteter, in dessen rechter Hand
ein goldenes Schwert über der Erde funkelte.
Wer war das? Klaus Störtebeker!
der schillernde, überlebensgroße, der Liebende und Befreier,

er war es. Kein Zweifel! Der alte Jude war der einzige,
der auf den Planken stand und das neue Reich
im Herzen trug. Am Abend desselben Tages
lag der Admiral singend und lachend in seiner Kajüte

und trank den italienischen Wein,


auf dessen Flut es schwirrte wie Glühwürmchen.
Auch an Deck schwirrte und johlte es;
dort grölten die Freibeuter ihre wilden Lieder

zum Klang der Instrumente, denn es war eine laue,


windstille Nacht, und die Agile kräuselte sich
kaum auf ihrem Weg. Horch, warf Störtebeker
dem Jungen zu, der, müde und schon vom Schlaf übermannt,

den Unmäßigen bediente. Muntere dich auf, mein Junge!


Du musst lernen, die Nacht zum Tag zu machen.
Komm, flüstre mir ins Ohr, mein Bleichgesicht,
wie gefallen dir meine Kinder?

Hältst du sie nicht für Hengste,


die sich nur vom Teufel reiten lassen?
Da erwachte Karin, riss sich zusammen,
und ein sorgenvoller Blick ging über ihren Herrn,

denn seine wilde Trink- und Prasslust


schmerzte die ewig grübelnde Frau.
Wer den heiligen Gedanken trägt,
antwortete sie mit leisem Vorwurf,

was braucht er die Menge? Sie wartet an jeder Ecke auf ihn,
und ich glaube, sie folgt immer dem Einsamen.
Seltsamerweise hatte das Wort eine unerwartete Wirkung
auf den Feiernden, der lässig an seinem Stuhl hing.

Kaum war es ausgesprochen, da sprang Störtebeker


ungestüm auf die Füße, das sonnige Leuchten
leuchtete unerwartet wieder aus seinen Zügen,
und ohne einen zweiten Gedanken zu verschwenden,

riss er den Jungen hoch, um ihn jubelnd


an seine Brust zu drücken. Er spürte nicht,
dass es das Herz einer Frau war,
das gegen das seine pochte.

Gesegneter, jubelte er und hob seine Last hoch in die Luft.


Du hast recht. Topp, die Einsamen gelten allein.
Hat Atlas vielleicht eine Hand gebraucht,
als er den Himmel trug?

Komm, sei gepriesen, du schlauer Bube.


Und er küsste ungestüm das blonde Haar seines Gefährten.
Doch der Junge wand sich vor Scham aus seinen Armen,
wagte nicht, den Blick vom Boden zu erheben,

und ein langes Zittern lief über seine schlanken Glieder.


In der folgenden Nachtwache war "Land"
vom Masttop gerufen worden, und die Agile
hatte einen Gast aufgenommen.

Auf den Höhen von Wisby,


schon unter den Lichtern der Stadt,
hatte sich Kapitän Wichmann zu den Schiffen
des Admirals gesellt, und nun hockte

der strohblonde Zwerg seinem ehemaligen Schüler


an der Festtafel gegenüber, vor ihm zerbrach der Tisch
fast unter der Last der silbernen und goldenen Ausrüstung,
und doch streckten die beiden Freibeuter nicht die Hände

nach Speise und Trank aus, sondern ihre Blicke


musterten sich gegenseitig, ihre flackernden Augen
blitzten übereinander, als müsse jeder
die geheime Schwäche des anderen ausspähen

und dafür bezahlen. Sie führten ihr Gespräch


im Verborgenen, niemand durfte den Führern beiwohnen,
die Erzähler und Lauscher saßen einsam und erhitzt
unter den brennenden Laternen, selbst Milon

blieb mit der diensthabenden Wache


hinter der verschlossenen Tür der Kajüte
und wartete mit Herzklopfen darauf,
ob ihn bald ein Ruf erreichen würde.

Schließlich hatte der Admiral die Tür geschlossen.


Seine Rede, anfangs kühl und bedächtig,
hatte sich immer mehr gesteigert, wie jemand,
der Sprosse um Sprosse auf einer Leiter erklimmt.

Schließlich loderte die brodelnde Glut


hoch über dem Kopf seines Zuhörers auf.
Er lümmelte sich in seiner schwarzen Robe auf einen Schemel
und stützte sein weiches, weibliches Kinn auf,

seine zweifarbigen Augen funkelten


mal spöttisch, mal erstaunt,
und seine kleine Hand griff eifrig in eine
der Haarsträhnen. Schließlich konnte sein Schüler

die gekünstelte Zurückhaltung nicht mehr ertragen.


Rücksichtslos warf er das Geschirr beiseite
und beugte sich weit über den Tisch.
Seine Brust arbeitete so stark unter dem Seidenpantoffel,

dass die Ringe seiner Halskette


ein metallisches Geräusch machten.
Nun, Magister, rief er in kaum verhohlener Erregung,
warum schmeckst du, als hätte ich dir die tägliche Milch

in die Schüssel geschüttet? Hast du vielleicht


die gleiche mit deinen Professoren geschlabbert?
Der Zwerg schloss die Augen
und wiegte sanft seinen gelben Kopf.

Er schien es zu genießen, den Entdeckerstolz


des anderen zu quälen. Aber, Geliebter, hauchte er
mit seiner mädchenhaften Stimme, das Jubeljahr der Hebräer
und die Ackergesetze der Gracchen waren schon da.

Auch in den Wäldern der Germanen geschah fast dasselbe.


Du bist weit zurückgegangen. -
Zurück?, rief Störtebeker verletzt. Abrupt fuhr er hoch,
als überkäme den Riesen das Verlangen,

den Tisch mitsamt dem Gast umzuwerfen.


Dann aber stieß er ein hochmütiges Lachen aus,
schnappte sich gewaltsam den Weinkrug und leerte ihn
in einem langen, begehrlichen Schluck.

Sei nicht so schüchtern, stöhnte er in Heiterkeit.


Was gibt es sonst noch zu nagen?
Er warf sich auf den Tisch, dicht neben den Kleinen,
und klopfte seinem Gast auf die Schulter,

dass es hohl durch den Raum hallte.


Doch der strohblonde Mann wankte nicht
auf seinem Stuhl; unerschüttert hatte er
den Schlag überstanden und damit dem Admiral

einmal mehr bewiesen, dass er kein gewöhnlicher Mensch war.


Auf den ebenmäßigen Zügen des Kapitäns
zeichnete sich nun ein nachdenkliches,
etwas bösartiges Lächeln ab. Er tätschelte

seinem ehemaligen Schüler das graue Bein,


als ginge es vor allem darum, abzulenken
und zu beschwichtigen. Geliebter, flüsterte er
voller zärtlicher Bitterkeit, wobei die frechsten Teufel
in den zweifarbigen Augen hüpften,
ich bin nur ein schäbiger Wicht, der Zeit braucht,
um sich an eine so schändliche Größe zu gewöhnen.
Aber siehe, nun bin ich deinen Schritten nach geschlichen,

und mein Herz zittert vor Freude, weil es dich fangen kann.
Störtebeker griff nach dem Weinkrug und schlug ihn
seinem Kameraden hart über den Kopf.
Narr, sagte er ruhig, respektiere mich

oder ich schlage dir den Schädel ein. -


Später, entgegnete der andere freundlich,
ohne von seinen Liebkosungen abzulassen,
zuerst soll meine Torheit bedeuten,

dass sie eine große Vorliebe für dich empfindet. -


Was? - Nachdenklich lehnte sich der Kleine zurück
und zeichnete auf den Boden. Die Freude am Sezieren
und Disputieren schien den Junggesellen

mächtig gepackt zu haben. Die Staaten haben sich gelockert,


murmelte er. Die Reiche sind zermalmt.
Hunger und Elend sitzen zwischen dem Mörtel. -
Ein Faustschlag kann ihr elendes Bauwerk zertrümmern,

warf der Admiral ein, der einmal mit weitem Schritt


den Saal überblickte. Nur die Menge,
und er hielt inne und zerrte an seiner Kette.
Wird sie sich mit mir bewegen? -

Das wird sie. Die Fahne des ewigen Glücks


auf dem neuen Gebäude lockt sie an. -
Halt die Klappe, rief Störtebeker, dunkelrot vor Zorn,
und seine wilden Augen brauten Unheil.

Er hatte sich an einen Wandteppich gelehnt


und raffte nun den Stoff um sich, als würde er frösteln.
Packt euch zum Teufel, ihr Hirnkrähen,
was kümmert es euch, ob ihr meiner Seele nachfliegen wollt

oder nicht? Ehrfurcht brauche ich,


demütige Nacken, Gehorsam! -
Gut, gut, das brauchst du, o Ruhmreicher,
aber ich gehe mit dir. - Du?

Der Zweifel hielt den Admiral noch immer gefangen,


dennoch eilte er auf den Sitz des Kleinen zu
und schüttelte den halb aufgerichteten Mann
wütend an der Brust. Wenn du nicht an mich glaubst,

schrie er dem Zwerg ins Gesicht. Hein Wichmann,


du weißt doch, dass ich von allen
die Schwachsinnigen und Lauwarmen am meisten hasse!
Damit schleuderte er das strohblonde Bündel heftig hin und her,

als könne er ihm die gewünschte Antwort abtrotzen,


und seine Wut stieg, als er die Zähigkeit
dieser lächelnden Maske erkannte.
Schon hatte sich das freundliche Gespräch

in einen engen, gefährlichen Ringkampf verwandelt.


Dann glitt der Magister geschickt von ihm weg,
holte Luft und ließ, nachdem er wie ein spielendes Kind
auf dem Tisch herumgehüpft war,

gemächlich die Beine herunterschwingen.


Sei ruhig, beschwichtigte er, dein treuer Lehrer
wird dich nicht verlassen. Habe ich nicht monatelang
in einer Goldschmiedehöhle in Paris gesessen

und gewartet, ob das Gebräu aus Ton


und dreizehn Erdkräutern den königlichen Löwen
ergeben würde? Ha, und ich soll für meinen Schatz
nicht wieder die Küchenschürze umbinden?

Pass auf, du wirst Glück haben, du wirst Glück haben,


solange du fleißig bei den Frauen bist!
Angewidert blieb Störtebeker wie angewurzelt stehen.
Mit den Frauen?, wiederholte er,

als sei er mit einem Eimer kalten Wassers begossen worden,


und unwillkürlich musste er zur geschlossenen Tür blicken.
Wo können mir die Dirnen helfen? -
Wo sie dir immer geholfen haben.

Schleppe sie zu Hunderten zusammen und sorge dafür,


dass sie Klaus Störtebeker gebären.
Dann wirst du ein Fürst im neuen Reich sein.
Da strich Klaus mit der Hand durch die erhitzte Luft,

als könne er mit der Faust eine lästige Wolke


vom Himmel pflücken, und ein unmäßiges
und doch nicht ganz freies Lachen erleichterte seine Brust.
Scharf hatte sein Verstand erfasst, wie um den Magister,

zerfressen von giftigen Zweifeln,


nur noch das Unkraut der Erde wuchs.
Erbärmlicher, unglücklicher Geist,
rief er voller aufrichtigem Mitleid.

He, Milon, wo bist du? Bring roten Wein,


es ist nötig, eine dumpfe Seele zu berauschen,
damit die Fledermaus sich wieder ans Licht wagen kann.
Und als Milon, der sich nach diesem Ruf sehnte,
bereitwillig dem Befehl seines Herrn nachkam,
zog ihn Störtebeker dicht an sich heran
und strich dem Jungen brüderlich über die Wange,
während er sich gezwungenermaßen an ihn lehnte.

Hast du wieder die Nacht durchschwärmen müssen,


mein blasser Freund?, fragte er mitfühlend.
Geh, zeig mir deine Augen, ob noch die reine,
fromme Flamme in ihnen brennt?

Und ohne auf das zweideutige Lächeln des Strohblonden


zu achten, führte er das Kinn des Jungen nach oben,
bis er endlich zu finden glaubte, was er suchte.
Dann aber schallte der ihm eigene, glückselige Jubel

zu seinen Gefährten hinüber. Freue dich, Milon,


rief er, bei Zeus, du kannst fliegen.
Ich wünschte, ich könnte dich wie eine weiße Taube
fliegen lassen! Aber nun setz dich zu mir und sag,

wie gefällt euch dieser kleine strohblonde Kerl,


der nicht aus dem Schmutz der Erde herauskommt?
Ein begehrlicher Schimmer überzog
die angespannten Züge des Hauptmanns.

Schöner Junge, flüsterte er, welche glücklichen Eltern


haben dich zur Welt gebracht?
Du bist ein anmutiges Kind!
Allein beim Sprechen schien ihm heiß geworden zu sein,

denn er sprang auf, um eine der Schiffsluken zu öffnen.


Und plötzlich verstummten die drei.
Dort drüben zuckten die Lichter von Wisby.
Die tote Stadt regte sich.

Ihr prächtig geschmückter Leichnam erhob sich


und wandelte. Unerwartet begannen die steinernen Adern
zu zucken und zu pochen.
Von den sechzehn trostlosen Kirchen,

von den sieben verfallenen Toren


löste sich die Stille und schwebte
wie ein graues Spinnennetz über dem Meer.
Durch die gestern noch leeren Straßen von Wisby,

wo jeder Schritt widerhallte, wo hungrige Hunde


das Gras zwischen den Pflastersteinen rupften,
drängte sich das Getöse der Menschenhaufen.
Kopf drückte gegen Kopf, Schulter rieb sich an Schulter,

das Scharren nagelbeschlagener Schuhe mischte sich


mit dem Stimmengewirr, und das erste Licht
der Morgendämmerung, das auf den kunstvoll
bemalten Holzhäusern glühte, sickerte allmählich

auf die zusammengekauerten Seeräuber herab,


so dass manchmal Gesichter und Hände
aus der Masse hervorblitzten. Unaufhaltsam
wälzte sich die Menge, einem vorherbestimmten Befehl folgend,

aus den niedrigen Straßen hinter der Ufermauer


in Richtung des hohen Marktplatzes.
Und je höher sie kletterte, desto mehr entkam sie
dem Zwielicht und desto heller wurden ihre bunten Ringe

vom Licht getroffen. Das Ungeheuer gewann auch an Sprache.


Oft konnte man es aus seiner Kehle brüllen hören:
Wo, wo ist Störtebeker? - Grüß Gott,
seid ihr nicht von Gödeke Michael? -

Wir sind Wichmanns. - Verfluchte Hunde, habt ihr uns


hier etwas in den bunten Kisten gelassen? -
He, du Braune, mach Platz im Bett, ich komme mit.
Sie gingen an der leeren Kurie vorbei,

schoben sich durch niedrige Säulengänge,


hinter denen einst mächtige Kaufmannsherren
ihre Zahlhäuser und Lagerhäuser unterhielten.
Jetzt lauschte manch neugieriges Ohr vergeblich

auf das Knistern von Federn oder das Rollen von Fässern.
Oh nein, sie hätten früher kommen müssen.
Der stille Rückzug des Handels hatte schon
vor etwa dreißig Jahren begonnen. Damals,

als der dänische König Waldemar Attertag


das köstliche Nest mühelos ausweidete.
Aber erst der Staatsstreich der Freibeuter
hatte der kränkelnden Gemeinschaft den Rest gegeben.

Von dem Augenblick an, als die trunkene Freiheit


die Stadtgesetze in die Flammen geworfen,
die verhasste Ordnung mit Füßen getreten
und jubelnd die allgemeine Willkür ausgerufen hatte,

jene ersehnte Losung aller Geknebelten und Unterdrückten,


die nur einmal im Leben das Gefühl der Herrschaft
genießen wollten, seitdem war der steinerne Körper
von der Totenstarre befallen.

Von da an bedeutete Wisby nicht mehr


als ein Haufen Diebesgut, lichtscheue,
heimliche Geschäfte wurden hier getätigt,
wochenlang ertönte kein Laut in den menschenleeren Straßen,

bis sie plötzlich wieder vom Gezänk der Händler,


dem Geschrei der Huren,
den Flüchen der Schiffer
und den maßlosen Feiern der Lust,

die ein festes Bett unter sich spürten,


erklingen konnten. Doch trotz alledem hafteten noch
Fetzen des einstigen Reichtums an dem Skelett
der verfallenden Stadt, und manchmal strahlte

noch ein liebliches Lächeln aus dem steinernen Schädel.


In der Nähe des Marktes, in den Fenstern des Gasthauses
zum silbernen Bischof, ächzten die Holzrahmen
unter dem Gewicht der Neugierigen.

Die meisten von ihnen waren Prostituierte


aus aller Herren Länder, die immer dann auftauchten,
wenn die derzeitigen Herren des Ortes
ihr blutiges Gold verschieben wollten.

Aber auch Kaufleute und verwegene Händler


scheuten das Abenteuer nicht, denn nirgendwo auf der Welt
konnte man schneller und feiner verdienen
als an dieser leicht verderblichen Beute.

Unten in der stickigen Stube saß Milon auf der Ofenbank.


Andere machten die Wäsche.
Die beiden Geschlechter saßen ohne Scheu nebeneinander.
Zwei Schüsseln waren zu diesem Zweck

auf Hockern aufgestellt worden,


und es wurde nicht allzu ernst genommen,
wenn der neue Reinigungsbedürftige noch
das alte Wasser fand. Ein paar Schläfer

lümmelten derweil auf den Holzbänken,


andere schlürften bereits ihren dicken Mehlbrei,
und ein Dudelsackspieler und ein Flötenspieler
hockten auf der Diele und ließen ihre Musik erklingen.

Ein gezähmter Affe tanzte dazwischen.


Niemand nahm Anstoß an dem bunten Durcheinander,
weder an der schlechten Luft
noch an dem wimmelnden Ungeziefer,

denn damals gab es noch keine


nach Ständen getrennten Wirtshäuser,
und der Fürst wohnte dort ebenso wie der Bettler.
Der Junge auf der Ofenbank
verschränkte die Arme vor der Brust
und ließ seinen leichten Kopf gegen die Kalkwand sinken.
Aber es war nicht die Müdigkeit,
die ihn die Augen schließen ließ,

obwohl er die Nacht schlaflos


in dieser übel riechenden Hölle verbracht hatte;
nein, es bedeutete vielmehr einen Moment des Nachgebens
gegenüber der wilden Flucht,

die an seinem inneren Auge vorbeiflog.


Hier war es entschieden. Heute würfelte
ihr gottesfürchtiger Spieler um seine eigene Glückseligkeit,
aber noch mehr um diejenige, die andauern würde,

solange Menschen auf Erden lebten.


Konnte das erreicht werden?
Der Atem des grübelnden Mannes wehte schneller,
seine Lippen zuckten hemmungsloser,

ein prächtiges, verführerisches Bild


tauchte vor seiner Seele auf.
Während er hier saß und mit zunehmender Bedrückung
dem Geplätscher der Putzer, ihren derben Scherzen,

dem Schlürfen der Trinker


sowie dem Gekreische des tanzenden Affen lauschte,
zog es den Träumer fort, es riss ihn fort zum Markt.
Dort draußen, durch die ausweichenden Haufen,

schritt Störtebeker. Über alles Volk


ragte sein schmales Haupt unter dem goldenen Helm,
die gestickten Wappenlöwen schimmerten
auf seinem blauen Fürstenmantel,

und als er sich der Menge zuwandte, ergriff der Zauber


die Tausende, wie er den Einzelnen hier
auf der schmutzigen Ofenbank unterjochte.
Begann nicht auch das Glockenspiel zu schwingen?

Ängstlich fuhr der Junge in die Wirklichkeit.


Nun lauschte er, lauschte mit all seinen Sinnen.
Nein, es war keine Illusion.
Das Stimmenmeer hatte sich dort draußen beruhigt,

eine atemberaubende Stille legte sich über das Getümmel,


und was immer man sich vorstellte, es geschah.
In der Nähe dröhnte der Klang von Glocken
gegen das bebende Gebäude.

Auch unter den Herbergsgästen erstarb jedes Geräusch,


für einen Herzschlag erstarrte alles,
um eine Deutung für das Geschehen zu gewinnen,
doch dann bäumte sich der Sturzbach in Richtung Ausgang auf,

die Treppe knarrte und wirre Rufe wirbelten durcheinander:


Störtebeker! Störtebeker!
Die Leute zerstreuten sich polternd,
um den seltsamen Moment nicht zu verpassen.

Milon fasste sich ein Herz,


er schwankte auf seiner Bank.
Der Entschluss war gefasst.
Jetzt ein Gebet, ein Gebet der Not -

nur die Worte wollten sich nicht mehr


zu einem Sinn verflechten.
Stattdessen sprudelten immer wieder dieselben
inbrünstigen Silben, die er selbst nicht verstand,

aus dem kochenden Fieber heraus.


Erlösung! Für wen galt dieser Wunsch?
Draußen verschwand das letzte Beben der Glocken.
Dann spürte Milon, der immer noch kraftlos

an der Wand lehnte, wie eine tastende Hand in seine glitt.


Erschrocken beugte er sich vor. Zwischen seinen Knien
hatte sich der halbnackte Körper der Flötenbläserin
aufgerichtet, und nun streichelte die Dirne sein Knie.

Feiner kleiner Junge, schmeichelte sie ihm


mit sanfter, zärtlicher Stimme,
was hast du für ein zartes Gestell!
Komm, Störtebeker kocht draußen gerade etwas Neues.

Wer weiß, wie voll der großschnäuzige Kerl


wieder seine Taschen trägt. Ich kenne ihn.
Er feilscht nicht lange um den Preis von Kissen und Betten.
Komm, ich zeige ihn dir.

Und ohne sich darum zu kümmern,


in welches Taumeln ihr Begleiter geriet,
ergriff die Reisende die ihr überlassenen Finger
und zerrte den willenlosen Mann

mit spöttischen Ermahnungen die Treppe hinauf.


Fröhlich, fröhlich!
hast du am frühen Morgen schon Met getrunken?
Hier ist noch eine Stufe! So, und jetzt zum Fenster.

Macht Platz, Aasgeier, damit der Knappe sehen kann.


Plötzlich hockte Karin, eingekeilt in das Gedränge
von Prostituierten, Scherzkeksen, Wechslern
und lichtscheuen Händlern, in der offenen Fensterhöhle,
und während ihre Gönnerin schützend den Arm
um ihre Hüften legte, mussten die Ohren der Halbbetäubten
das unreine Geflüster der Nachbarinnen ertragen.
Ihre Augen aber wurden auf das heilige Fest vorbereitet.

Unter ihr, Kopf an Kopf, ein Meer von Menschen.


Es wogte nicht, es stand ganz still,
schwarz und rötlich überfließend, wie Landseen starren,
wenn die Spannung des Gewitters in ihnen verborgen ist.

Aus allen Fenstern ein Rinnsal


von unerkennbaren Gliedern,
bunten Tüchern, gefangenen Augen, dünne Rinnsale,
die in das große Becken hinabfließen.

Selbst die Morgendämmerung hing schweigend


an den Wänden. Sie lauschte. Ja, ein Gott
zugewandtes Schweigen schien über die Welt
gekommen zu sein, so mächtig, dass Karin erschauderte,

als dieses bedingungslose Zuhören,


doch gemischt mit Unglauben und Entsetzen,
auch ihre vorbereitete Seele ergriff.
Zitternd, atemlos lehnte sich ihr Körper

aus dem Fensterrahmen, und sie bemerkte nicht einmal,


wie der Arm der Dirne sie fester hielt,
während ein Paar heißer Lippen ihr ins Ohr flüsterte:
Da drüben, Trauter, auf der Treppe, der Große

im blauen Waffenrock, ja, das ist Störtebeker.


Schau, wie die Affen ihm zuhören.
Pah, ich kenne diesen Säufer!
Der schubst uns Frauen herum, als wären wir Lumpen.

Du bist mir lieber.


Eine brennende Wange schmiegte sich an eine kalte,
und Karin ertrug es, so körperlos hing sie hier im Gedränge.
Ihr Innerstes aber, ihre hingebungsvolle,
blutig gepeinigte Sehnsucht,

hatte sich längst von ihr gelöst und schritt nun


über die vielen Köpfe hinweg zu den hellen Klängen,
die hell und markig unter dem gerippten Portal
des Bischofspalastes aufstiegen.

Alles andere war für sie verloren.


Karin sah nur das edle, herrschaftsgewohnte Gesicht,
das von einem in der Tiefe glühenden Feuer umhaucht war.
Sie verstand seine Worte nicht. Was war der Sinn?
Dennoch verstand sie jede Biegung,
jede neue Rechtfertigung dieses Geständnisses,
das nie zuvor vor menschlichen Ohren entstanden war.
Unten ging ein grimmiges Stöhnen durch die Menge.

Der fürstliche Herold dort auf den Stufen


musste seinem Volk die Verfolgung
und die Schande ihrer früheren Situation schildern.
Aber jetzt hoben sich die Köpfe noch eifriger,

sie drängten sich näher, denn der Admiral


warf seinen Arm nach vorn, als wolle er
seinen Schiffern eine nie dagewesene Reise ankündigen.
Die Blondine hielt den Atem an. Sie wusste es.

Jetzt erschien das gelobte Land


vor den Geschundenen und Gequälten,
vor dem Auswurf allen Lebens,
jetzt wurden sie von einer Riesenfaust

aus dem stinkenden Schlamm gezogen,


und eine saubere Erde breitete sich vor ihnen aus,
auf der sie fortan in unangefochtener,
unschuldiger Gemeinschaft wohnen sollten.

Still! Still! Karin presste ihre Hände


auf ihr hämmerndes Herz.
Hier öffnete sich der steile, unbekannte Weg!
Würde das verdammte Geschlecht noch jung

und hoffnungsvoll genug sein,


um ihn mit Überzeugung zu gehen?
Oder hielt es seine Verderbtheit bereits
für das unheilige Geschäft der Rache?

Noch rührte sich nichts. Keine Welle lief


über den menschlichen See.
Und so tief sich Karin auch beugte,
ihre brennenden Augen nahmen weder Hohn noch Abscheu,

aber auch keine jubelnde Zustimmung wahr.


Die Flut stand in eisiger Stille, rollte nur ab und zu
auf ihrem Grund, wie ein langes, ängstliches Aufwühlen.
Horch, sagte das schwarze Frauenzimmer neben Milon,

was plappert Störtebeker da?


Will er Gold unter uns werfen?
Aufgeregt schüttelte sich die Flötenbläserin,
verließ den Jungen kurzerhand

und hockte bald darauf ganz vorne in der Höhle,


wo sie ihre nackten Beine herunterschwingen ließ.
Und siehe, unter dem altersgrauen Portal
des Bischofspalastes wuchs die ohnehin schon

hoch aufragende Gestalt des Einsamen


noch einmal merkwürdig an. Seine Glieder reckten sich
über sich selbst hinaus, eine menschliche Pappel,
die in ihrem Streben nach oben kein Ende finden wollte,

und er stieß seine letzten Worte aus,


selbstbewusst, gewappnet, fordernd,
wie aufsteigende Lerchen,
die sich trotzig jedem Pfeil aussetzen.

Und jetzt? Was geschah nun?


In der gewaltsamen Überzeugung seiner Natur
ballte der Irritierte die Faust vor sich und schüttelte sie,
nicht nur gegen die starre Masse,

die sich nicht erheben wollte, sondern vor allem


gegen den stämmigen Mann in der Matrosenuniform,
der kalt und regungslos eine Stufe unter ihm wartete.
Gödeke Michael!

Doch das letzte, was man von Störtebeker hörte,


war ein gewaltiges, anmaßendes Lachen,
das ihn regelrecht erschütterte.
Die Menge stand verbissen in Taubheit.

Unschlüssig brüteten sie vor sich hin.


Tatenlos beobachteten sie allein
die geballte Faust ihres Anführers aus tausend Augen,
denn diese rechte Hand war soeben

vom Sonnenlicht gefärbt worden,


so dass ein schmaler roter Blitz
aus dem Siegelring des Admirals aufstieg.
Ein Strudel aus Feuer tanzte auf seiner Hand.

Die Menge rührte sich nicht.


Dann plötzlich, aus welchem Grund, weiß ich nicht,
schrillte ein Schrei über den Markt.
Die Prostituierte in der Fensterhöhle des Silberbischofs

hatte sich aus Langeweile das Brusttuch vom Leib gerissen,


so dass ihre Brüste völlig entblößt waren,
und fuchtelte nun mit dem Tuch
ungestüm in der stillen Luft herum, schreiend und lachend.

Als hätte es nur auf dieses Zeichen gewartet,


brach endlich das lang aufgestaute Gewitter
über dem Menschensee los. Ein Donnerschlag antwortete,
ein Tosen warf die schweren Wogen gegeneinander,
ein Orkan von Stimmen tobte,
tausend schwielige Hände griffen
nach der Morgendämmerung, als ob es nun möglich wäre,
die vorbeiziehende Sonne festzuhalten, und,

von krampfhaften Erschütterungen aufgerüttelt,


schwoll die tobende Menge zum Portal hin an.
Wollte sie den Menschen dort oben,
der in tiefes Erstaunen versunken war, küssen?

Wollte sie ihn ermorden? Unfähig, sich zu bewegen,


saß Milon mit geschlossenen Augen da und lauschte.
All die verwirrten Stimmen, die heulten und tobten,
die versuchten, etwas zu unterdrücken,

das den feinen Ohren des Jungen


wie ein Schluchzen der Nationen erschien,
all das hatte das blasse, reglose Menschenkind
seit Wochen in seiner eigenen Brust kochend, überfließend

und staunend beherbergt. Aber jetzt,


wo das Unbegreifliche, oft in düsteren Stunden angezweifelt,
sich zur Erfüllung neigte, wo die Ausgestoßenen glaubten,
ihre Verdammnis durch Arbeit und brüderlichen Sinn

lösen zu können, wo sie die Macht fühlten,


das ursprüngliche Gute in sich anzubeten,
um es immer weiter in menschliche Furchen zu streuen,
da schauderte Milon, denn er fühlte sich

von erbarmungslosen Fäusten zerrissen,


und ein gebieterischer Mund küsste den Scheitel,
wie er es schon oft getan hatte. Erlösung
durch menschliche Hilfe, ein neuer Anfang,

eine Wiedergeburt schon auf Erden,


Gesegneter, o Gesegneter, der du
diese Quelle des Heils unter dem müßigen Himmel
erschlossen hast. O du, Geliebter, Gesegneter, Einziger!

Schluchzend presste der Junge beide Hände vor sein Gesicht,


und während unten der Jubel kein Ende nahm,
rannen ihm Tränen des Schmerzes und der Dankbarkeit
in Strömen über die Wangen.

Sieh nur, wie der Narr weint,


spottete die Flötenbläserin und stieß ihn
im Vorbeigehen mit dem Fuß in die Seite.
Auf dem Markt war nun eine andere Stimme zu hören.

An der Stelle, an der zuvor Störtebeker erschienen war,


stand nun der Mann in der ledernen Matrosentracht.
Kurze, schleudernde Handbewegungen deuteten darauf hin,
dass er mit hartem Realitätssinn

das eben Errichtete in die Luft riss.


Doch der Triumph des anderen heulte über ihm.
Das Volk wandte sich jubelnd von der nüchternen Vernunft ab,
um dem zu folgen, der ihm soeben das Herrlichste,

nie wieder Erwartetes, die Rückkehr


zu Sorglosigkeit, Bürgersinn
und menschlicher Achtung versprochen hatte.
Immer huldigender stürzten sich die Massen

auf den aufrechten Läufer, sie küssten seinen Mantel,


sie warfen sich vor ihm nieder, sie riefen verzückt
seinen Namen, und doch war immer
ein Zwischenraum zwischen dem Mann im blauen Wappenrock

und dem Namenlosen, denn die unsichtbare Mauer


zwischen dem Schöpfer und den Empfängern
konnte auch hier nicht überstiegen werden.
Vor der Tür des Silberbischofs drehte sich

der Jubilar noch einmal um.


Amüsiert euch, warf er ein,
in allen Tavernen fließt heute roter und weißer Wein,
an jeder Straßenecke lasse ich für euch

einen gemästeten Ochsen braten.


So nehmen wir Abschied von den geplünderten Gütern.
Ein Gebrüll erhob sich in den Himmel,
dann knarrten die Stufen, und der vertraute federnde Tritt

kündigte sich an. Aber wie anders


kehrte Klaus Störtebeker zurück,
als der hochmütige Milon ihn erwartet hatte!
Erhitzt, mit funkelnden Augen,

an jeder Hand ein Mädchen schleifend,


stürmte der prächtig geschmückte Mann herein.
Als er seinen Begleiter erblickte,
stieß er die beiden Frauen von sich weg

und umarmte, trunken von seinem Erfolg, den Jungen


und hob die zarte Gestalt spielerisch hoch.
Blondschopf, sagte er von seiner mächtigen Brust aus,
hast du gehört? Was wehrst du dich?

Warum starrst du mich an? Ja, es ist heiß,


wenn der Atem der Zwiebelfresser
um dich herum schlecht riecht! Pass auf,
ich habe etwas für dich. Lauf zu Michael,

er wohnt in der Kurie, und lade ihn für heute Abend


auf die Agile ein. Spring, Kleiner, ich muss ihn haben!
Schnell, das ist nicht gut für dich.
Damit griff er wieder nach den beiden Frauen,

und während er die Flötenspielerin über die Schulter warf,


erreichte es noch den davon eilenden Milon,
wie sich die helle, sieggewohnte Stimme
in maßlosem Getöse überschlug:

He, ihr Venus-Tauben, nun zum Bade!


Lasst uns abkühlen!
Sei es auch nur des Teufels Schnee, um es zu tun.
Beeile dich! - Und wie vom Bösen verfolgt,

sauste der Junge durch die Straßen.


Störtebeker aber diente
der berauschenden Venus des Meeres
mit allem Kult der maskulinen Kraft.

VIERZEHNTES ABENTEUER

Böses Wetter herrschte auf der Agile.


Es war nicht so, als ob der Wind und die Wogen
den Seemann zum Streit herausgefordert hätten,
denn der Himmel lachte im hellsten Gold

und die Gezeiten breiteten sich wie ein blaues Feld


vor dem Seewanderer aus.
Nein, es war die schlechte Laune des Admirals,
die immer schwer auf den Schiffsleuten lastete,

sobald die Unfähigkeit des besonnenen Wartens


die Herrschaft über den Lebhaften gewonnen hatte.
Die Tat, selbst die aussichtsloseste, nahm er mit Freude auf,
aber das Grübeln, die Streitereien von Minute zu Minute

konnte er nicht ertragen, und inmitten


der erzwungenen Ruhe schoss er manchmal in die Höhe,
entschlossen, durch einen heftigen Wurf
den Zaun zu zerschmettern, durch den er sich eingesperrt glaubte.

Aber das war die Situation, in der sich der Sieger von Wisby
seiner Meinung nach gerade jetzt befand.
Die Tage würden für ihn niemals das Firmament verlassen,
und keine noch so drohend erhobene Faust
würde ihren Lauf beschleunigen.
Unerträglich, nicht lebenswert!...
Eines Morgens schritt Störtebeker unruhig
auf der Galerie im hintersten Teil des Schiffes auf und ab,

am Fuße des riesigen Aufbaus.


Sein Haar flatterte ihm in die Stirn,
und seine schwarzen Augen blickten
über die gefurchte Linie des Kais zurück in die Richtung,

aus der er gekommen war. Hinter ihm


war die tote Stadt längst versunken,
das letzte goldene Kreuz ihrer Kirchen
hatte sich in Dunst aufgelöst,

und auf der Wasseroberfläche waren nur noch


die zwergenhaften Umrisse
von zehn schwarzen Freibeuterschiffen zu sehen,
die in einem weiten Radius dem Kurs der Agile folgten.

Nur zehn? Wohin hatte sich der Rest


der noch vor kurzem so stattlichen Flotte verloren?
Und warum war Gödeke Michael nicht
in der Gesellschaft seines Freundes?

Wo waren der Magister


und die fromme Schnapsdrossel Wichbold?
Und noch etwas! Den Eingeweihten
war schon seit einiger Zeit aufgefallen,

dass sie dänische Gewässer verlassen hatten


und an der deutschen Küste entlang fuhren.
Verspürte der Admiral plötzlich eine Sehnsucht
nach seiner Heimat und seiner Sippe,

die er immer hoffnungslos verleugnet?


Niemand wusste es, und die schwarzen Flaggen
wehten ständig auf demselben Seeweg.
An klaren Tagen konnte man die blauen Linien Rügens

schon aus den Mastkörben aufdämmern sehen,


aber man näherte sich nicht, sondern wartete.
Enttäuscht lehnte Klaus Störtebeker
an der Wand des Aufbaus, verschränkte die Arme vor der Brust

und schickte wieder einmal einen hoffnungslos düsteren Blick


in die lachende Ferne. Nichts.
Das, was er erwartet hatte, die roten Segel,
die in der Nacht seine Träume teilten,

sie wollten sich nicht zeigen.


Lieber, sprach er schließlich spöttisch zu dem Jungen Milon,
der zu Füßen des Admirals mit einem Stück Papier
beschäftigt war, dass der fette Wichbold

als unförmiger Bauchberg an uns vorbei schwimmt,


als dass mich der trostlose Saufaus noch länger zum Narren hält.
Acht Tage! Wenn ich dem Widerspenstigen nur
meinen Namen in den Wind heulen könnte, ich...

Mitten im Satz aber warf er alles andere von sich,


um sich unerwartet zu seinem Gefährten hinabzubeugen,
denn das Schweigen des Jungen
ließ den Grimmigen erschauern.

Was bedeutet dein ewiges Gekritzel?, rief er hastig.


Was hast du vor, Junge?
Der Mensch klappte gehorsam seine Tafel zu,
aber seine Augen suchten weiterhin den Boden ab,

während er leise antwortete: Ich tue,


was du mir aufgetragen hast. -
Ich? - Plötzlich lachte der Riese
und fuhr dem Blonden versöhnlich

mit der Hand über die Locken. Er überlegte.


Als er nach der Nacht in Wisby auf sein Schiff zurückkehrte,
war ihm zum ersten Mal in den Sinn gekommen,
dass es ratsam wäre, für die Nachwelt

und die Nachkommenschaft jene Ereignisse festzuhalten,


die seinem seltsamen Vorhaben geholfen
oder es behindert hatten. Ohne sich dessen bewusst zu sein,
war der sorglose Mann von einem dringenden

Verantwortungsgefühl gegenüber seinen eigenen Plänen


ergriffen worden, so dass er das Gefühl hatte,
sie müssten in ihrer ursprünglichen Form bewahrt werden,
auch wenn er nicht mehr atmete.

Geh, Kleiner, hatte er seinen Gefährten sofort ergriffen,


als Milon in dieser Nacht auffällig wortlos und teilnahmslos
neben dem innerlich berauschten Mann herging.
Du hast ein reines Herz. Nimm auf, was du hier entdeckst.

Möge deine sanfte Seele eines Tages


für mich Zeugnis ablegen gegen Betrug und Neid.
Und so griff der Junge in all seiner unbedingten Begeisterung
und seinem heimlichen Kummer zu seiner Schreibtafel.

Heute entdeckte der Seemann, der endlich


aus seinem bitteren Warten gerissen worden war,
was sich längst in seiner Gegenwart entwickelt hatte,
und riss dem Jungen sofort die Tafel vom Schoß,
um sie in höchster Erregung zu überfliegen.
Er lehnte noch immer an dem Aufbau,
doch bevor er zu blättern begann, warf er dem Blonden
zunächst einen seltsam fragenden Blick zu.

Der hielt das blitzende Augenpaar ruhig, wie jemand,


der mit sich und seinem Urteil im Reinen ist.
Dann schlug Störtebeker das Buch auf.
Nun, Milon, sagte er neugierig, wollen wir mal sehen,

was ein sauberer Spiegel zu berichten weiß?


Lautstark begann er zu lesen:
Ich schreibe dies um der Wahrheit willen,
und damit man mir eines Tages verzeihen möge...

Störtebeker hat auf dem Markt in Wisby


das ganze Volk zu sich bekehrt.
Bis auf die wenigen um Gödeke Michael.
Das ist schade, denn sie sind sehr tapfere Seeleute

und von guter Erziehung. Aber die anderen


streckten ihm die Hände entgegen
wie einem Gott aus der Höhe,
sie küssten seinen Mantel,

manche ließen ihn über sich gehen,


und ich habe so manches vernarbte Gesicht gesehen,
das weinte wie ein Kind.
Nie zuvor war den Verlassenen eine solche Verheißung

gegeben worden, und ihre Herzen quollen über


vor Dankbarkeit und Sehnsucht. Am Abend
kehrte Störtebeker nach Hause auf die Agile zurück.
Sein blaues Kettenhemd war übel zugerichtet,

und er selbst benahm sich so jähzornig und unruhig,


dass man hätte befürchten können,
er habe seinen Stern in schlechter Gesellschaft verloren!
Bei dieser Passage drehte sich der Leser erstaunt um,

strich sich über die Stirn und schlug dann auf die Wachstafel.
Was hast du hier geschrieben, Fant?, rief er aus,
ohne sich ganz sicher zu sein. Doch dann besann er sich.
Törichtes Kind, weißt du nicht, dass die Knochen

des Menschen aus Lehm und Erde gemacht sind?


Er kann den Funken nicht immer ertragen! -
Ich werde den Satz auslöschen, sagte der Junge sanft.
Nein, lass ihn stehen, entschied der Admiral nach einer Weile

und versuchte zu lachen. Er meint es ehrlich.


Lass uns weiterlesen. -
Heute Nacht kam Gödeke Michael an Bord.
Mein Herr hatte ihn von mir demütigen lassen.

Wir saßen zu dritt in der Kajüte.


Michael hatte ein ernstes und undurchdringliches Gesicht,
und sein ganzes Wesen war verschlossen.
Es schien mir aber, dass seine Augen voller Trauer

und Mitgefühl für Störtebeker waren.


Da griff ihn mein Herr sofort scharf an und sagte:
Gödeke, warum hast du dich heute gegen mich gewandt?
Weil, sagte der, du über den Wolken fliegst,

und das Geschäft des armen Mannes


wird auf der Erde ausgefochten.
Der Störer hielt inne und erwiderte: Weißt du denn nicht,
dass ich gerne ein Asyl für sie eröffnen würde?

Der andere zuckte mit den Schultern und sagte:


Wie willst du das denn machen? Auf den Schiffen sind wir stark,
aber an Land sind wir ein hoffnungsloser Fall.
Mit so wenig Kraft wird nicht einmal ein Feld gewonnen.

Da lachte Störtebeker hell auf und sagte: Du liebe Güte,


du denkst nur ans Schädelspalten.
Ich aber will mein Land in gutem Frieden
mit Gold und Silber tauschen.

Gödeke Michael schwieg eine Weile


und dachte darüber nach, dann fragte er,
wer denn so ein Land freiwillig verkaufen würde?
Als er hörte, dass mein Herr

den Hauptmann Hein Wichmann schon


zu den Friesen geschickt hatte, da die großen Männer
dieser Stämme aus Geldgier sogar
ihre eigenen Frauen verschenkten,

schüttelte er den Kopf und fragte schließlich:


Und woher willst du eine solche Menge Goldes nehmen,
wie sie es sicher von dir verlangen werden?
Da zögerte Störtebeker ein wenig, und es war,

als ob er sich schämte, aber dann schüttelte er es ab


und sagte kühn: Ich kenne eine Stadt in Norwegen.
Sie hat sich seit jeher gemästet, so dass sie vor Wohlstand
und Überfluss fast erstickt ist.

Auch die Hanseaten haben dort ihre Niederlassungen


und nagen wie Ratten an dem Fett der Einheimischen.
Dorthin werde ich den dicken Wichbold
mit zwanzig Koggen schicken, damit er den feigen Bauch

mit Tribut und Steuern ausbluten kann.


Kaum hatte Michael dies gehört, sprang er auf,
schob den Tisch von sich und rief,
während seine Zornesader anschwoll:

Ist Wichbold schon weg?


Und als mein Herr bestätigt hatte,
dass die Koggen schon seit Mondaufgang
in See gestochen waren, war Michael außer sich,

schlug auf die Tischplatte und verschwor sich


und verschätzte sich; er war ganz rot im Gesicht,
als er ausbrach: Wehe, ihr habt unsere Sache erwürgt
und ins Grab geworfen!

Gödeke, unterbrach ihn Störtebeker,


und er glaubte zu ersticken, sei vorsichtig!
Mich hat noch nie jemand beleidigen dürfen.
Aber bevor noch mehr Unglück geschehen konnte,

hatte Michael sich an die Brust gefasst


und nun würgte und zappelte er fürchterlich,
bis er endlich in seiner üblichen Art sagen konnte:
Ich kenne deine Stadt. Heißt sie nicht Bergen?

Du hast es gesagt, antwortete mein Herr.


Und den fetten Wichbold kenne ich auch,
schnappte der andere, diesen Wegelagerer
und stinkenden Weihrauchbrenner. Nimm dich in Acht,

in der linken Hand sein Gebetbuch


und in der rechten Hand ein Bündel brennendes Werg,
dann wird er die Leute von Bergen rösten,
nachdem er ihnen das letzte Kissen aus dem Bett gezogen hat.

Weißt du auch, was dabei herauskommen wird?


Die Dänen und die Hanseaten werden gemeinsam
über uns herfallen, und das um so lieber,
als die Schiffe des preußischen Ordens

jetzt schon auf dem Weg nach Wisby sind.


Zweifle nicht, das muss die schwarzen Fahnen
in Fetzen reißen. - Als mein Herr so
die nahe Gefahr verkündet hörte,

richtete er sich auf, wie er es getan hatte,


als die Steinkugeln der Connetable
unser Deck zertrümmerten; lautlos schritt er in eine Ecke,
holte von dort sein langes Messer hervor
und streckte die Waffe gerade vor sich hin.
Hör zu, Gödeke, sagte er, und keiner von uns konnte ihm
in die Augen sehen, so grimmig flackerten sie,
so wenig, wie ich über dieses Eisen springen kann,

während ich es in der Faust halte,


so wenig wird dies alles geschehen.
Hält Wichbold mich für ein Hündchen,
das auf dem Schoß einer Dame schmeichelt?

Er weiß, dass, wenn auch nur ein Haar


eines Bergener Mannes verletzt wird,
ich ihn selbst entehren werde,
so dass kein Weihwasser den Fleck

von seinen Pocken abwaschen kann.


Sei gewiss, die Furcht wird ihm raten!
Damit warf mein Herr das Messer von sich,

holte tief Luft und seufzte.


Danach sprach er mit treuer und trauriger Stimme:
Aber das ist nicht das Schlimme.
Das Schlimme ist etwas anderes.

Er legte dem anderen die Hand auf die Schulter.


Stimmt es, Gödeke, dass du mich verlassen willst? -
Ja, rang Michael sich langsam los.
Meine Zeit ist gekommen.

Gödeke, rief mein Herr, bist du noch nicht müde


vom Rauben und Stehlen?
Eine Röte lief über Michaels Gesicht.
Ich habe den ganzen Tag nichts für mich genommen,

rechtfertigte er sich schnell. Aber es muss doch einen geben,


der als Racheengel für die Geknechteten
und Geschundenen mitreitet. Was würde geschehen,
wenn die Mächtigen nicht mehr vorm Würger zitterten?

Störtebeker nickte und sah vor sich nieder.


Und du denkst nicht daran, wieder anzufangen?, fragte er.
Ich bin ein Mann des Krieges, zuckte Michael mit den Schultern.
Wir haben am Kreuz gestanden und den Herrn

umsonst sterben sehen. Seitdem weiß ich,


dass Blut für Blut gefordert werden muss. -
Also geh, fuhr Störtebeker wütend auf,
und lass uns abwarten, wer unserer Sache mehr nützt.

So sei es, sagte der andere kalt und wandte sich ab.
So wären die beiden alten Kameraden fast
unversöhnt auseinandergegangen,
wenn Störtebeker nicht gerade in dem Augenblick
hinter Michael her gesprungen wäre,

als dieser die Treppe erreichte.


Aber auch Michael drehte sich im selben Moment um
und reichte meinem Herrn beide Hände.
Bruder, rief Störtebeker in einem Ton,

den ich noch nie von ihm gehört hatte.


Das Wort schien auch durch den anderen hindurchzugehen,
denn er drückte die Hände seines Freundes an seine Brust
und sah ihn lange Zeit an. Dann sprach er:

Klaus, seit du als Halbstarker zu mir gekommen bist,


hast du ein reineres Licht auf mein Handwerk geworfen
als je zuvor. Das werde ich nie vergessen.
Deshalb kann ich nicht aufhören, mich um dich zu kümmern,

auch wenn du weit weg bist. Aber wenn du


in Schwierigkeiten bist, schicke mir unsere schwarze Flagge
und hänge deinen Siegelring daran.
Daraufhin werde ich meinen Kopf für dich riskieren,

so wie bis heute. Und nun frisch, Klaus,


tu, was dein Herz dich lehrt
und was ich nicht mit dir tun kann.
Daraufhin umarmten sich die beiden Männer und trennten sich.

Hier schloss der Admiral das Buch,


löste sich ein wenig von der Wand des Aufbaus,
und sein Blick glitt abgewandt hinunter zur Kielfurche,
die sich wirbelnd in der Weite verlor.

Doch die Bilder, die sein Schreiber entrollte,


befreiten ihn noch nicht, sondern hielten ihn
in einem dicht bevölkerten Käfig gefangen,
aus dem es kein Entkommen gab.

Nein, nicht das! Was war der Sinn des Verkehrs mit Schatten?
Der entrückte Mann schüttelte sich heftig und griff,
wie um sich zu retten, noch einmal nach der Tafel.
Und siehe! Waren da nicht ein paar Zeilen

eines Zusatzes in kleineren Buchstaben geschrieben?


Klaus bückte sich, um sie zu entziffern.
Und während er sie vorlas, kam dem Leser der Verdacht,
dass der Schreiber seine Zeichen absichtlich

noch krauser und undeutlicher gemacht hatte als zuvor.


Sie lauteten: Dies schreibe ich für mich allein!
Als Michael gegangen war, stand mein Herr
wie aus Stein gemeißelt da, als sei er aus der Welt verstoßen
und verbannt worden. Aber das war nicht so!
Jeder, der ihn richtig ansah, hätte bemerkt,
dass während dieses ganzen Streits ein weißes Licht
auf seiner Stirn leuchtete,

so dass man vor ihm hätte niederknien können,


um ihm zuzurufen: Nimm mich mit,
wohin du dich auch wendest! Deshalb weiß ich,
dass unsere Rettung nur in den Fußstapfen des Einen liegt.

Denn er sucht das Gute. Auch wenn es tief verborgen ist,


ist es nicht aus der Welt. Mögen wir alle es
vor unserem Ende erblicken!
Tief durchatmend fügte Störtebeker

die Wachstafeln zusammen, schlang die Bänder


um den Holzdeckel und reichte die Tafeln an Milon zurück,
der inzwischen aufgestanden war.
In dem engen Raum hinter der Galerie

standen sie dicht beieinander, es war unmöglich,


ihnen auszuweichen. Der Junge hätte gerne gewusst,
ob der Admiral mit dem Papierkram zufrieden war,
aber er hatte sich abgewandt,

so dass seine Gesichtszüge dem Blonden verborgen blieben.


Da versuchte Milon, seine Hand bescheiden
auf den Arm des Matrosen zu legen.
Doch kaum spürte dieser den Druck,

sprang er zum Entsetzen seines Begleiters


mit einem Sprung herum, dann ein Moment der Erstarrung,
und dem Blonden wurde klar, dass dies nicht mehr
derselbe Mann war, der eben noch verächtlich,

ungeduldig, bitter sein Schicksal ausspähte.


Nein, wild, entrückt, über alle Maße geschleudert,
so stand der leuchtende Mann vor dem verwirrten Menschen,
der eine so plötzliche Veränderung nicht gleich begriff,

dann ein selbstverständliches Greifen,


in einem wahnsinnigen Schwindel
fühlte Karin ihre Glieder nach oben geschleudert,
und dann lag sie wie in einer mächtigen Wiege,

und das edle und doch so furchterregende Gesicht


ihres Eroberers beugte sich immer näher
zu der Zitternden hinab.
Junge, Frau, was bist du eigentlich?,

dröhnte eine heiße, verzehrende Stimme in ihr Ohr.


Du Stern, der vom Himmel zu mir gefallen ist,
was soll der Mummenschanz?
Da sprang das blaue Gewölbe

über der Erhängten auseinander,


Entsetzen und Verzückung stürzten zugleich auf sie herab,
voller Schauder warf sie die Hand gegen die sündigen Augen,
aber der erhobene Arm brach auf halbem Wege

kraftlos zusammen, und nichts als eine lächelnde Starre


offenbarte sich dem erschrockenen Belästiger.
Als dieses völlige Verstummen ihn erreichte,
kam der geplagte Mann wieder zu sich.

Eine bittere Verachtung verzerrte plötzlich seinen Mund,


er hielt seine Last schützend fest,
und zum ersten Mal warf er einen scheuen Blick in die Runde,
um zu sehen, ob die Besatzung seine Verlegenheit bemerkte.

Da es aber hinter dem hohen Aufbau


keine Überraschung gab, öffnete Störtebeker entschlossen
die schmale Hintertür und schlich wie ein Einbrecher
tief gebückt in die große dunkle Kammer.

Ein Lichtschimmer verriet das Bettzeug seiner Gefährtin.


Nur Stroh und Schilf und eine grobe Decke
dienten hier zum Ruhen und Schlummern,
und eine heimliche, nie empfundene Bedrückung

lehrte den Eindringling ganz unerwartet,


an welche Kargheit sich das verwöhnte Geschöpf,
das er nun so behutsam in den Armen trug,
hier hatte gewöhnen müssen. Und warum?

Weil sie, die Geschundene, unerschütterlich


an seinen Stern glaubte. Ein heißer, dankbarer Blick
berührte das Toten-gleiche Gesicht,
und während er den gefühllosen Körper

sanft auf die Sänfte gleiten ließ,


stieg in dem zu jeder Extravaganz bereiten Liebhaber
der Pracht ein unbezwingbarer Hass
auf die Armut dieses Lagers auf. Aber wie?

Er schürfte selbst im Gold, und seine Nächsten


sollten verhungern? Das konnte ihm nur Schande bringen,
und die Lieder, die im Volk über ihn gesungen wurden,
berichteten davon gar nicht.

Wulf Wulflam, befahl er seinem Bootsmann


eine Weile später, als er über das Deck schritt,
wir haben noch die Schlafkiste des Bischofs
von Strängnäs an Bord. Der Priester lag auf Seidenkissen

und unter einer purpurnen Decke.


Schnell, bringt den Unrat zu Milon in die Kammer!
Der kleine Kerl braucht sich nicht die Knie aufzuschürfen.
Der Kapitän wollte fröhlich lächeln,

aber ein Blick in das hochmütige Gesicht seines Herrn


ließ es ratsam erscheinen, die Mütze zu lüften
und dann wortlos zu seiner Arbeit zu stapfen.
Er wusste aus Erfahrung, wie wenig dieser Seetyrann

gegen Zustimmung und Vertraulichkeit


in derselben Münze eintauschen würde!
Tag und Nacht waren vergangen,
und in seiner Kajüte wanderte Störtebeker

unruhig auf und ab. Von Zeit zu Zeit


hörte man das Geräusch einer harten Faust,
die gegen die Holzwände unter ihm schlug.
Zweimal wartete der Admiral.

Er wartete auf die roten Segel,


die nicht aus dem Horizont ausbrechen wollten,
und ein heftiger Zorn quälte ihn, weil sein Junge heute
zum ersten Mal nicht bei Tisch auf ihn gewartet hatte.

Was war das? Rebellion? Der irritierte Mann


blieb stehen und sein verständnisloser Blick
streifte die Lederpeitsche an der Wand.
Er wusste nicht, was er wollte.

Gleich darauf jedoch brach er in Hohn über sich selbst aus,


und er verspottete sich selbst,
weil in dieser unerträglichen Spannung
Frauenkram seine Gedanken stören konnte.

Er grübelte eine Weile und lauschte auf leise Schritte.


Doch als sich nichts rührte, schoss ihm die Wut in die Stirn,
und wie besessen eilte er zur Schiffsluke,
um in ohnmächtiger Verzweiflung

über die wacklige Ebene zu blicken.


Nichts, nichts, von den fünf Wunden,
nicht der Schatten eines Käfers war zu entdecken,
und mit schmerzenden Augen taumelte

der Unbezähmbare zurück und zerzauste


mit einem Stöhnen sein Haar.
Zwanzig seiner mächtigsten Schiffe,
der Kern aller Schwarzen Flaggen, sie waren verloren,
er hatte sie unter die Hand
eines skrupellosen Henkersknechtes gegeben,
und nun keimte in ihm die immer schärfere Erkenntnis,
dass auf diesen Planken alle Hoffnungen

der Armen und Elenden ruhten,


zu deren Wortführer er sich gemacht hatte.
Welches höhnische Gelächter würde an den Küsten ertönen,
wenn man zum ersten Mal erfuhr,

dass diese gefürchtete Waffe


von einem seiner eigenen Kameraden
gestohlen worden sein könnte?
Die Angst vor Gödeke Michael stieg lähmend in ihm auf,

und da er zu stolz und herrschsüchtig war,


um auch nur den geringsten Vorwurf zu ertragen,
suchte sich seine Wut ein Opfer.
Warum kroch dieser blonde Tröster nicht

wie ein demütiges Hündchen zu seinen Füßen, wie sonst?


Das durfte der Herr doch wohl verlangen?
Und wieder verweilte sein verwirrter Blick
auf der Lederpeitsche, und seine rechte Hand

griff krampfhaft nach ihr. Da, mit einem Mal,


was für ein singender, langgezogener Ruf vom Himmel?
Störtebeker sprang auf, und so sehr waren alle seine Sinne
zu einer einzigen Erwartung verzerrt,

dass er die Gestalt nicht erkannte, die jetzt


durch die tageshelle Öffnung der Tür drang.
Herr, jubelte Milon, wie immer ein Bote des Glücks,
der Wichbold! - Da wurde ihm noch einmal der Freispruch

von unerträglichen Qualen zuteil,


die Entfesselung von etwas Wildem, Bösem,
das bereits Gestalt annahm. Störtebeker warf
beide Arme auseinander und eilte dem Ersehnten entgegen,

als wolle er im Überschwang der Verzückung


die feinen, schlanken Glieder noch einmal an sich drücken.
Aber der mächtige Zug, der ihn überrollte, trieb ihn weiter.
Nur die Hand des Jungen ergriff er,

und ohne sich weiter um ihn zu kümmern,


zog er den Blonden ohne Widerstand
hinter sich her auf das Deck.
Oben ein glasklarer Sommertag

und unter ihm die seidigen Wellen des blauen Meeres.


Doch der Besessene blieb blind für die übliche Pracht,
getrieben nur von der lodernden Wut seiner Natur,
sein abergläubisch verehrtes Glück allein

und weit über die Köpfe der anderen


auskosten und messen zu dürfen.
Er hatte sich nie dazu hergegeben,
aber heute stürmte er, unempfindlich gegen seine Würde,

die Strickleitern hinauf, und bald entdeckte ihn


die erstaunte Mannschaft hoch oben
in der rotgestrichenen Mastboje,
warf sich weit über den Bügel,

um seine ungeschützten Augen frech


und durstig in der Sonne zu vergraben.
Ja, dort schwamm sein Glück;
mit rot glitzernden Funken war die Straße gepflastert,

über die es sich langsam bewegte,


obwohl bis jetzt nichts zu erkennen war
als eine immer größer werdende Zahl schwarzer Fahnen,
die scheinbar von unsichtbaren Händen

durch die Wolken getragen wurden.


Störtebeker wartete nicht länger,
bis sich die Rümpfe jener Schiffe zu zeigen begannen,
noch fragte er sich in seiner Raserei,

warum die Körper der Koggen so dünn und geradlinig


am Horizont klebten, mitten in der lauen Luft
wurde die riesige Gestalt da oben
von einem übernatürlichen Sturm geschüttelt,

und mit einem gewaltigen Griff zerrte er


die schwarze Fahne vom Wimpelmast
und schwenkte sie nun in langen, atemlosen Windungen
durch den goldsprudelnden Äther,

bis das dunkle Tuch selbst von Feuer und Glut


ergriffen zu sein schien. Er grüßte sein Glück,
er grüßte die Rettung der Unzähligen,
die er nun unwiderruflich in seine Hände

gegeben zu haben glaubte. Dann erhob sich


der lang ersehnte Beifall unter den Schiffsleuten.
Karin, die fast körperlos
zwischen den schreienden, winkenden,

wimmelnden Männern umherirrte,


denn ihr Blick stieg über sie alle hinweg in die Luft
nach dem trunkenen Fahnenschwenker,
ertappte dennoch den Juden Jakob,
wie er den kleinen zahnlosen Arnold Frowein
bei den Katzenpfötchen packte
und inbrünstig murmelte: Glaubst du jetzt, Bruder,
dass sie da sind? - Wer?, miaute der ehemalige Töpfer,

der sich ein gezwungenes Lächeln nicht verkneifen konnte.


Das neue Reich. Und der Messias!...
Vielleicht, zischte der andere, und ein grünliches Feuer
flammte in seinen Augen auf. Aber die Katzen

müssen erwürgt werden, damit Urian


im neuen Reich keine Kinder zeugt.
Und auf die Streckbank soll das gespannt werden,
was sich Richter nennt! Meinst du nicht auch, Freund?

Der Jude sah ihn starr an, dann ließ er


seine kratzenden Nägel los
und grübelte ängstlich in sich hinein:
Lass es, da ist die Freundschaft, wo sonst?

Inzwischen war Störtebeker geschmeidig


an den Leichentüchern heruntergerutscht,
und nun bildete sich eine stille, atemlose Menschenschlange,
durch die er schritt. Noch immer haftete ein Leuchten,

ein Jubel an dem Riesen. Komm, Milon,


befahl er, als er den Jungen erreicht hatte,
hilf mir beim Schmücken. Die Spielleute sollen bereit sein.
Lass uns Wichbold ein Festmahl geben,

wie es sich Silenus und Bacchus nie erträumt haben.


Komm, Kleiner, lass dich nicht von ihm überraschen!
Aber Wichbold kam nicht. Die Kajüte der Agile
schimmerte längst in ihren reichen Farben,

die Spielleute schickten ihre Melodien


wie zum Hohn in den sinkenden Tag,
und der Admiral saß bleich und verstört
unter den brennenden Laternen in seinem roten Wams

und ließ sich von Milon einen Becher


nach dem anderen füllen.
Der Erwartete tauchte nicht auf!
Durch die offenen Luken sah man grauen Schaum

über die Flut rollen, allmählich liefen die Mondkäfer


über die tanzenden Hügel, das Summen der Nacht
kündigte sich an. Endlich konnte Störtebeker
die getäuschte Erwartung nicht mehr ertragen.

Geräuschvoll sprang er auf, und so beredt war die Geste,


mit der seine rechte Hand in die leere Luft griff,
dass Milon ihm ohne weitere Frage
den schwarzen Mantel um die Schultern hängte.

Achtlos nickte der Admiral, dann stieg er


mit schweren Schritten die Treppe hinauf,
und kaum hatte er die Schwelle des Schiffes
an Deck erreicht, ertönte das Trillern von Pfeifen

über das Meer und rief eine der begleitenden Snyken herbei.
Unmittelbar danach schwang sich
die hochgewachsene Gestalt unter die Ruderer des Bootes.
Bevor er jedoch den Befehl zum Ablegen gab,

schüttelte er noch einmal den Kopf,


denn er vermisste etwas. Milon
lehnte sich an das Fensterbrett und beobachtete
schweigend die Abfahrt. Da hatte der Riese gefunden,

was ihm fehlte. Spring hinunter, befahl er dem Jungen.


Und als dieser zögerte, noch einmal ungeduldig:
Spring, dir wird nichts passieren.
Da verflog der Widerwille in dem blassen Jungen,

er schloss gehorsam die Augen und ließ sich,


ohne einen Laut von sich zu geben, durch den Spalt
in die Schwärze fallen. Doch er berührte den Boden nicht,
denn mit einem heftigen Aufprall fiel er

in die offenen Arme Störtebekers.


Gut, murmelte dieser und setzte seinen Begleiter
vorsichtig neben sich auf die Ruderbank.
Jetzt zu Wichbold. - Das Boot verlor sich in der Dunkelheit.

Der Mond hing bereits am Nachthimmel,


als die Snyke in die Reihe der Wichbold-Schiffe einfuhr.
Diesmal aber musste auch dem Unparteiischsten auffallen,
wie tief und schwer beladen die Fahrzeuge im Wasser lagen;

offenbar hatten sich die Ungeheuer bis zum Überdruss


mit den Besitztümern vollgestopft,
um die sich aller Streit in dieser Welt dreht.
Vor allem die goldene Biene,

das führende Rädchen des Wichbolds,


lag unbeweglich in den schwarzen Fluten,
und als die Besatzung von den Bootsmännern gerufen wurde,
antwortete zunächst ein dumpfes, bleiernes Schweigen.

Leblos oder in dichten Schlaf gehüllt,


ruhte die Biene auf der Flut.
Jetzt stieß das Boot gegen die Wand,
und zugleich richtete sich Störtebeker auf

und führte einen harten Schlag


mit dem Ruder gegen die Planken.
Wichbold, rief er. Es klang fast ängstlich.
Auf der Kogge war immer noch kein Ton zu hören,

aber immerhin glitten ein paar Laternen die Masten hinauf


und eine Strickleiter fiel mit einem Klappern über Bord.
Ohne ein Wort zu sagen, schwang sich Störtebeker hinauf
und Milon kletterte hinterher.

Auf dem Deck der Biene stand die Mannschaft Kopf an Kopf,
eine dunkle, ununterscheidbare Masse.
Doch seltsamerweise begrüßte kein Ruf
den sonst so gefürchteten Anführer,

schweigend, verlegen teilte sich die Menge


vor dem einzelnen Mann, bis ganz hinten am Mast
eine geschwollene, missgestaltete Gestalt sichtbar wurde.
Sie sackte wie ein verfallenes Weinfass

vor dem noch weit entfernten Mann zusammen,


und man konnte fast annehmen, dass sie zur Begrüßung
auf die Knie sinken würde. Allerheiligstes,

gurgelte es tonlos aus dem Zober.


Du, mein gesegneter Freund.
Wütend fuchtelte ein Paar fleischiger Hände
in der Luft herum. Doch trotz dieses demütigen Empfangs

rührte sich der Neuankömmling nicht,


er blieb starr aufrecht in der Menschengasse stehen,
und nur die vom Laternenlicht grünlich gefärbten Augen
des Admirals wanderten ungläubig,

wie von aufsteigendem Wahnsinn entflammt,


über die seltsame Beute der Biene.
Natürlich waren dort Kostbarkeiten aufgestapelt,
die man nicht oft zusammen findet.

Truhen stapelten sich auf Truhen,


die meisten davon halb geöffnet,
so dass Gold- und Silbergeschirr, Kupferampullen,
eiserne Lichterketten, Holzschnitzereien,

bunt bemalte Wappen und Zunftschilder,


riesige Deckelkrüge und Fetzen
von unordentlich eingedrückten Teppichen herauslugten.
Etwas weiter stapelten sich verschimmelte

Wein- und Bierfässer übereinander,


riesige Ballen unverarbeiteter Stoffe und Leinen
ragten bis zur halben Höhe der Masten empor,
Pferde und Kühe standen angebunden,

Betten, seidene Frauenkleider,


Schuhwerk und Waffen aller Art
waren zu einem unerkennbaren Haufen verflochten,
und ganz hinten im Aufbau, inmitten

einer trostlosen Ansammlung von Weihrauchkesseln,


Messgewändern und Stolenstickereien,
Opferschalen und Prozessionsfahnen,
beugte sich eine überlebensgroße Mutter Gottes klagend zur Erde,

obwohl vor ihr nichts lag als ein Haufen


scharf duftender Lederhäute. Erst allmählich
schwamm dieses wahnsinnige Durcheinander
aus dem undeutlichen Laternenlicht heraus,

und je mehr Störtebeker über jedem Stück brütete,


desto quälender breitete sich diese unbeschreibliche Strafe
des Schweigens unter der Mannschaft aus.
Einzelne wischten sich mit groben Fäusten

den Schweiß von der Stirn. Herr, Herr, jammerte


der dicke Wichbold von seinem Mast herab
und schlug, ein paar Schritte vorwärts taumelnd,
schallend die Hände zusammen. Das ist nicht mein Werk.

Beileibe nicht. Wie es gut ist, den Ungerechten


von ihrem Überfluss zu helfen,
damit er unter die Armen verteilt wird,
so ist dies hier eine Versuchung der Finsternis,

nicht ich, nicht ich, so wahr ich gesegnet sein will.


Die Augen Störtebekers tasteten noch immer umher,
er schien taub und unempfindlich zu sein,
und so fasste der schwammige Buschmann den Mut,

wieder einen Schritt näher zu treten.


Um Verzeihung bittend, neigte er sein ergrautes Haupt
und schlug sich anklagend an die Brust.
Ach, mein gesegneter Freund, flehte er, sprich zu mir.

Willst du dich nicht überwinden? Ich weiß,


dass du ungnädig denkst, aber was sind wir
armen Sterblichen anderes als Läuse
auf dem Körper eines heißen Mannes!

Ein Schlag, und da! Wie gehorchte ich deinem Befehl,


ich lernte ihn auswendig, ich kannte ihn
auf dem Fingernagel wie einen Rosenkranz,
ich sprach ihn voller Ehrfurcht aus,

nicht anders als den gesegneten Namen


Unserer Lieben Frau. Und siehe, ihr Segen
ruhte unglücklich auf mir, denn alles war schon
in bester Ordnung. Der Vertrag mit den frommen Bürgern

von Bergen, der Tribut auf dem Tisch des Rathauses,


sogar dein Siegel hing schon unter dem Pergament,
da, ach über die Hinterlist der Schwarzen,
da warf eine Hure im Streit

ein brennendes Holzscheit gegen eines meiner Kinder,


und, deine Weisheit ahnt es,
die Holzhäuser, kein Lüftchen,
ach und wehe, die Hitze---

Er zog seinen Rosenkranz hoch


und warf die Holzperlen in rasender Flucht gegeneinander.
Ich kann nichts dafür, stammelte er, ich kann nichts dafür.
Woran aber hafteten Störtebekers Augen

während dieser langen Rede so fest,


dass sie sich nicht mehr von dem seltsamen Ding
trennen konnten? Mitten in dem Durcheinander
hing ein hölzerner Amselkäfig

vom Kupferring eines Tores herab,


und ein kleines schwarzes Tier hüpfte ängstlich
und unruhig zwischen den Stäben hin und her
und stieß immer wieder einen schrillen Pfiff aus.

Gott allein wusste,


aus welcher behüteten Ruhe das zahme Geschöpf
gerissen worden war? Schützend, unsicher
streckte der Admiral seine Hand gegen diesen Zeugen

monströser Gräueltaten aus, doch plötzlich


veränderte sich der zunächst so harmlose Griff,
die Finger des verstummten Riesen spreizten sich,
ein Schreck, und er hatte die schwere Eisenlaterne

von der nächsten Mastleine gerissen, und dann,


bevor die fassungslose Besatzung einzugreifen wagte,
krachte das unförmige Gerät auf den Schädel
des versteinerten Wichbolds,

Flammen und Blut spritzten umher,


und wie ein abgesägter Baum rollte der Bauch
zu den Füßen des Angreifers.
Doch der Gefallene war nicht tot.
Obwohl ihm die rote Galle dick
und schwammig über die Stirn lief,
behielt der Gezeichnete noch die Kraft,
in kläglicher Unterwerfung zu seinem Dompteur zu kriechen,

die Knie des noch immer Schweigsamen


ganz fest zu umklammern. Wehe mir, keuchte er,
kaum verständlich. Warum beschmutzt du dich an mir
Unglücklichem? Nackt im Schnee der fromme Bischof

von Strängnäs, im Feuer die Mütter


und lieblichen Jungfrauen von Bergen,
in den Trümmern die Heerscharen,
Todsünde rings um mich, wehe, wehe,

vor wem soll ich noch stehen?


Sein aufgedunsenes Pockengesicht verzerrte sich
und wurde blass, mit offenem Mund
schlug er auf den Boden. Dann ging ein zorniger Blick

über das schmale Gesicht des Admirals,


er trat dem schwammigen Körper in die Seite,
und während er sich tiefer in seinen Mantel wickelte,
als würde er zittern, hob er den Kopf

gegen die ungeduldig vorrückenden Freibeuter.


Doch der Schwarm wich vor dem grimmigen Blick
des Kommandanten zurück. Starr, geduckt
standen die Männer um den Kommandanten,

wie immer bereit, sich der Macht dieses Mächtigen,


Unbegreiflichen zu ergeben. Noch einmal
stieß Störtebeker voller Verachtung
gegen den aufgedunsenen Körper des Liegenden,

dann sprach er mit seiner schneidenden Stimme:


Wahrlich, ich habe großes Unrecht getan,
indem ich dieses Fass nicht vollständig auslaufen ließ.
Er hat deinen Anfang mit Dreck beschmiert,

so dass unser neues Haus ein Schweinestall


genannt werden wird. Nun denn, lasst uns
auf Dreck und Morast bauen, denn auf der Erde,
so sehe ich ein, ist kein anderer Boden zu finden.

Er drehte sich um und nickte kurz.


Zieh nah an die Agile heran.
Wenn Wichmann von seinen Kunden zurück ist,
werde ich euch meinen Willen kundtun! Und jetzt Licht an!

Damit kletterte er als erster über Bord,


und sofort verschmolz die riesige Gestalt mit der Nacht.
Nacht! Der Held muss immer durch die Nacht,
Bis er sieht die Wimpern der Morgenröte!

FÜNFZEHNTES ABENTEUER

Höre, Herr Klaus Tschokke, mahnte Königin


Margarethe von Dänemark, und es schien der Erhitzten
bei ihrer Annahme nicht aufzufallen, wie der Gast
in seiner schwarzen Ratsherrentracht

regungslos im Sessel ihr gegenüber lehnte,


ohne auch nur durch ein eingestreutes Wort
seinen Abscheu über die so ausdrucksvoll
geschilderte Brandstiftung auszudrücken.

Die Prinzessin aber hatte sich völlig vergessen,


sie hielt den Kopf in beiden Händen,
und ihre blitzenden Augen folgten dem Buchstabenwirrwarr
auf dem Pergament, als ob sie von einem hohen Turm aus

leibhaftig in die brennende Holzstadt hinab starrte,


auf die rauchigen Gassen, auf brennende Menschenbündel
und auf den Einsturz altehrwürdiger Gotteshäuser.
Eindeutig, aufregend, entsetzlich

traf die Rinde der Verzweiflung die gebückte Frau,


und ihr leidenschaftliches Herz drehte sich vor Zorn und Wut,
als sie das spöttische Lachen der Beutejäger zu hören glaubte.
Je mehr sie glaubte, in der verkohlten Stadt umherzuirren,

desto unverkennbarer begegnete sie an jedem Ort


der sinnlosen Zerstörung jenem überlebensgroßen Kerl,
der dem rechtmäßigen Besitzer höhnisch ins Gesicht spottete,
und mit kaltem Entsetzen musste sie mit ansehen,

wie das Blut von der blauen Tunika des Täters tropfte
und bissig auf sie, die Ohnmächtige, zeigte,
als ob all der Mord und das Grauen nur zu ihrer Schande
und Erniedrigung begangen würde.

Das war also der Beginn der neuen,


vielgepriesenen Weltordnung,
deren inbrünstige Verkündigung sie manchmal
den Schlaf kostete? Die Finger der verwundeten Frau

kringelten sich ratsuchend, sie blickte


auf ihre beiden Vasallen, die eine Stufe unter ihr
zu ihrer Rechten Platz genommen hatten.
Doch der Kadaver des Reichskanzlers zitterte eiskalt
in der Mulde des Stuhls, nur über die Goldmünzen
seines prunkvollen Gewandes streichend.
Der Kriegshäuptling von Moltke hingegen
wandte seinen Schädel immer wieder

einer summenden Fliege zu, denn er war versucht,


das schwarze Ungeziefer unbemerkt erschlagen zu dürfen.
Margarethe wandte ihren schweifenden Blick
wieder dem Bürger zu. Warum interessierte sich

dieses kantige Kaufmannsgesicht so wenig


für ihr gemeinsames Leid? Herr Klaus Tschokke,
beugte sie sich über den Tisch, entschlossen,
den anderen zu prüfen, es ist aus mit euch

bergischen Hansebrüdern. Störtebeker hat eure Kontore


ausgeräuchert wie die Heringe im Schütting. Es ist vorbei.
Doch wie enttäuscht zuckte sie zusammen,
als ihr Gast ohne besondere Aufregung antwortete:

Königin, Ihr werdet sicher erfreut sein,


wenn Ihr etwas Besseres hört.
Von unseren zweiundzwanzig Giebeln ist nur einer
der Feuersbrunst zum Opfer gefallen.

Die anderen wurden von unseren Kaufmannsgesellen


hinter den Holzwänden verteidigt. -
Ach, und jetzt meint ihr Kontorinhaber,
ihr müsst euch nicht mehr an der Giftstreuung

gegen den tollwütigen Hund beteiligen?


Der Bürgermeister schwieg. Sie erhob sich und stand auf.
Sie stieg geschmeidig vom Podest herab, und siehe,
es war nicht mehr die Prinzessin,

die sich von den anderen abgrenzte,


nein, ganz unerwartet entzauberte sie sich selbst,
so dass nun zum Entsetzen aller
nur noch eine bösartig gereizte Frau durch die Zelle schritt,

die auf nichts anderes brannte, als ihrem Gegner


auf niederträchtige Weise das Herz aus dem Busen zu reißen.
Mit einer seltsam ungezügelten Bewegung
schob sie sich dicht an ihn heran,

um es ihm ganz nah ins Gesicht zu schleudern:


Glaubst du, Herr Klaus Tschokke, dass Störtebeker
so viel Zeit zum Nachdenken hatte,
bevor er Schloss Ingerlyst betrat?

Du weißt doch, dass der Mörder zwei Meter misst


und erst die Frauen aus dem Bett zerrt,
bevor er sich die Taschen vollstopft? Wie ist das bei mir?
Hat dir der Abt von Cona nicht gesagt,

dass der Galgenvogel auch dein zukünftiges Nest


beschmutzt hat? - Es war die nackte Absicht,
den vorsichtigen Mann zu kränken oder ihn vielleicht sogar
zu sinnlosen Geständnissen zu provozieren.

Selbst die beiden dänischen Großen schüttelten,


obwohl sie die Vorliebe der Frau
für unverständliche Scherze kannten, verwundert den Kopf.
Der Hamburger hingegen hatte zunächst den Kopf

an die Brust gepresst. Nun aber richtete er ihn


entschlossen auf, und aus seinen blauen Augen,
wie aus der festen Stimme des Mannes, sprach
eine unerschütterliche Geradheit, die der Regentin auffiel.

Der Abt von Cona, Herrin, antwortete er ohne jedes Zögern,


wird Euch auch berichtet haben, dass eine höhere Hand
meine Rechnung durchgestrichen hat. Gräfin Karin
ist tot und verschwunden, o Königin. -

Du irrst dich, mein Freund. - Die braunen, ausdrucksstarken


Augen der Frau überschatteten sich so mitfühlend,
als ob sie es wirklich ernst meinte,
ein bereits gezeichnetes Opfer dem Tod zu entreißen.

Doch um ihren Besuch herum knackte die Erde.


Jetzt verlor er jede Vorsicht. Was weißt du von ihr?
Da sprudelte Margarethes ausführliche, akribische
Beschreibung hervor, wie der Seeräuber

die ohnmächtige Frau über die Schulter geworfen hatte,


um sie in böser Absicht fortzutragen.
Und unter dem unehrlichen Vorwand, trösten
oder entschuldigen zu wollen, fügte sie hinzu:

Sie konnte sich nicht wehren. Er misst sieben Fuß.


In der Miene des Bürgermeisters kämpfte
die grünliche Blässe des Todes
mit seiner eigenen unerträglichen Erniedrigung.

Ein paar kreisrunde Blutkugeln erschienen


auf seinen Wangenknochen, bevor er heiser aufstieß:
Aber seitdem hat der Schuft, wie zu erwarten war,
die Erde verlassen. Am Tag des Jüngsten Gerichts

wird auch ihr Gerechtigkeit widerfahren.


Die Königin schüttelte den Kopf.
Herr Klaus Chokke, auch hier irrst du dich.
Als sie dies bemerkte, verzog sie das Gesicht ein wenig
und zuckte nun fast feindselig mit den Schultern.
Im Grunde verstand sie nicht die Anziehungskraft,
die das scheinheilige Nonnengesicht
ihrer ehemaligen Hofdame

auf den nüchternen Stadtbürger ausübte.


Noch weniger konnte sie freilich ermessen,
welche verderbte Lust den Retter aller Mörder
zu dieser himmlischen Braut geführt haben mochte.

Und in dieser Stimmung verkündete sie rücksichtslos,


was sie selbst von den Flüchtlingen der Connetable
über den Verbleib des Mädchens
auf dem Piratenschiff gehört hatte.

Du sollst alles wissen. In Männerkleidern,


in engen Hosen geht sie dort
unter den Vitalienbrüdern umher.
Sie bedient den Unhold bei Tisch,

und er erwidert ihr Herz und ihre Zärtlichkeit.


Was weiß ich, was er noch mit ihr macht?
Die Königin konnte eine Art von entfernter Eifersucht,
die sie bei den letzten Worten quälte, so wenig unterdrücken,

dass selbst ihr hinkender Kanzler


die Lippen zweideutig schürzte. Der Mann jedoch,
auf den allein die skurrile Beschreibung wirken sollte,
schwieg zunächst völlig. Schließlich platzte

Herr Klaus Tschokke starr und trotzig heraus:


Das ist nicht die Gräfin Karin. - Wer sonst? -
Kenne ich alle Huren auf der Agile?
Aber Karin ist es nicht. Kannst du dir vorstellen, Königin,

eine Seele, die nur für das Licht des Himmels offen ist,
dass sie plötzlich zu einer Lache zerfließt? -
Ja, ja. - Margarethe sprach dieses Mal mehr zu sich selbst.
Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt

und ging im Zimmer auf und ab,


nur mit sich selbst beschäftigt. Deshalb klang das,
was sie in die Tiefen ihrer eigenen Brust
hinabschickte, wahrer. Aber, aber, bringst du mir bei,

die kühlen und heißen Frauen zu kennen?


Die, die dort stehen, sind anders als die,
die auf dem weichen Boden liegen. Tag und Nacht
wechseln schnell unter unseren Zöpfen. -

Seht, murmelte der Bürgermeister verwirrt.


Eine geraume Zeit verging in tiefem Schweigen.
Dann holte der Hamburger schmerzhaft Luft
und griff nach dem kurzen Dolch an seinem Rüstungsbügel.

Gebt mir ein Dokument des Vertrags,


wandte er sich barsch an den Kanzler,
der sich vor Überraschung nicht erheben konnte.
Und selbst wenn ich das Amt, das mir lieb geworden ist,

verlassen muss, werde ich durchsetzen,


was Ihr von mir verlangt. Ihr werdet mich
im Frühjahr wiedersehen! Bewaffnet!
Versäumt nichts, verzichtet lieber auf Schlaf und Essen,

als in dieser Angelegenheit nachlässig zu sein.


Und nun lasst mich an meine Arbeit gehen, o Königin.
Er verbeugte sich über die ihm dargebotene Hand,
zog den Vorhang zurück und verließ das Haus.

Die drei anderen blickten ihm nach,


als würde sich ein gewöhnlicher Mensch
in einer Traumform verlieren.
Mit brennenden Augen spähten die Freibeuter

durch Luft und Erde, um zu sehen,


ob ihr Späher nicht endlich nach Hause zurückkehrte.
Wie lange hat Josua auf die Boten
aus dem gelobten Land gewartet?,

fragte Störtebeker seinen Jungen,


mit dem er ausgestreckt unter dem Sonnensegel lag.
Sie spielten Würfel, aber ihre Gedanken
fanden keinen Unterschlupf in dem Lederbecher.

Seit dem Zerwürfnis mit Wichbold


war der Riese wortkarg geworden.
Sein Stolz schien eine eitrige Wunde bekommen zu haben.
Nur der Wein, wenn er die Macht

über den Hartgesottenen gewann,


schrie manchmal mit seltsamen, prahlerischen
und drohenden Zungen aus dem Entfesselten.
Aber auch dann entdeckte Milon in den grimmigen Augen

des Wilden das ernste Bild der Gottheit,


die durch ihn über die Erde rufen wollte.
Um die beiden Lagerbewohner herum
hingen aus einem wolkenlosen Himmel

jene kaum wahrnehmbaren silbernen Fäden,


mit denen Uranos das Meer an sich zu binden
und zu beruhigen sucht. Der Herbst war gekommen.
Das Meer wälzte rote Wellen

gegen die fernen weißen Kreidefelsen,


und über ihnen, auf den Höhen der Insel,
glaubte das Auge des Seefahrers das Flüstern
und Schwanken der schwarzgrünen Wipfel zu spüren,

so oft, wie uralten Runen sich in ihrem Schoß regten.


Störtebeker ließ von Zeit zu Zeit die Ritter
auf den Beinen springen, aber er sah sie nicht an,
seine Seele war mit etwas Früherem verbunden.

Wie lange warten wir jetzt noch auf Wichmann?,


fragte er und ließ sich zurücksinken.
Es wird bald der zweite Mond sein, Herr,
zögerte der Bursche. Störtebeker streckte sich lang

und drückte sich die geballte Faust schwer auf die Brust.
Dann sprach er langsam: Ich sage dir, Milon,
wenn der jüdische General so lange hätte warten müssen,
wer weiß, ob sein Wille zum Handeln

nicht gebrochen worden wäre.


Das Warten hat zwei Arme aus Eisen,
komm, ich möchte, dass mich sanftere Dinge umarmen.
Aber als sich nichts neben ihm rührte,

schwieg der Riese eine Zeit lang,


bis er endlich die Hand des Jungen suchte
und die Finger seines Gefährten gewaltsam
auf seine geschlossenen Wimpern legte,

als wolle er sie kühlen. Und wieder, nach langer Zeit,


fragte er, als ob er einen Traum hätte.
Sag mir, Junge, warum schaust du so aufmerksam
auf die Dünen, seitlich von der felsigen Schlucht?

Der liegende Mann warf seinen Arm nach vorne


und zeigte auf die ferne, buschige Küste.
Siehst du dort eine Holzhütte?
Und daneben den Stall für die Ziegen?

Ich sehe nichts, Herr, antwortete der andere erstaunt.


Doch, das tust du, du kümmerst dich nur nicht darum.
Rauch kräuselt sich aus dem Schornstein.
Und im Schilf vor der Schwelle steht… -

Wer?, wagte Milon zu unterbrechen.


Ich selbst, stieß Störtebeker plötzlich ungestüm hervor,
packte seinen Begleiter an der Brust
und schüttelte ihn mit einem rauen, abwehrenden Lachen.
Ganz in der Nähe brannte das wilde Gesicht des Freibeuters
vor den sanften, erschrockenen Augen desjenigen,
der sich ihm ausgesetzt hatte.
Torheit, rief der Grobian verächtlich, das sind Schatten.

Was kümmert es mich, ob dort einer frisst oder mausert?


Ich lasse mich nicht durch Weihwasser
oder verwelkte Küsse von meinem Weg abbringen.
Angenommen, erschrocken

von der kaum verständlichen Drohung,


aber auch überwältigt und aufgelöst
von dem schrecklichen Zauber des Menschen,
so lag Milon vor seinem Herrn auf den Knien

und sah zu ihm auf. Nun aber flüsterte er ganz leise


und doch voller Unterwürfigkeit:
Wer, Herr, kann dich ablenken oder weglocken?
Dein Weg ist durch die Wolken.

So klang es aus einer zur Gewissheit erhobenen Seele,


so dass es den begierigen Zuhörer
wie ein scharfer Trank durchströmte.
Er brauchte diesen geistigen Wein,

er konnte nicht mehr ohne ihn auskommen.


Er stieß einen Schrei aus, der weithin widerhallte,
doch dann beugte sich der Riese ungestüm hinunter,
umarmte den knienden Mann,

und indem er seinen schlanken Körper stützte,


zerzauste er dem Jungen überschwänglich
und im vollen Triumph die Locken.
So ist es recht, Kleiner, du findest immer eine gute Spur!

Mit dir habe ich schon den besten Fang gemacht!


Aber jetzt hör auf, über alte Frauen zu weinen.
Willst du nicht lieber sehen, wer mehr Glück hat?
Damit warf sich der Admiral erneut neben Milon

auf den Teppich und begann, den Würfelbecher


mit einer unbändigen Geste umzuwerfen.
Hastig riss er dabei seine Gürteltasche auf
und schüttete einen Haufen Gold

zwischen sich und seinen Freund.


Hier, filou, das werde ich gegen dich verwenden.
Ich möchte dich all deiner Besitztümer berauben.
Und als sein Gefährte ihm kleinlaut sagte,

dass er nichts mehr an Gold und Besitz habe,


lachte der andere zweideutig und sagte:
Lüge nicht, Püppchen, es gibt noch viele gute Dinge,
die man dir abjagen könnte.

Milon senkte plötzlich den Blick, zitterte


und legte unerwartet beide Hände auf den Becher.
Was soll das?, rief sein Herr verärgert über die Störung,
konnte aber dennoch nicht verhindern,

dass sein Junge wie in Angst und Not


in das Gespräch zurücksteuerte,
das er gerade verlassen hatte.
Herr, brach er hilflos ab, ich verberge etwas vor dir.

Heute Morgen haben zwei Schiffsleute


auf dein Haus in Sassnitz hingewiesen.
Und einer von ihnen sagte, der einzige Grund,
warum du die Deinen nicht auf der Insel suchst, sei,

dass sie arm und elend seien.


Jetzt sprang der Riese auf und stieß seinen Begleiter
mit der flachen Hand heftig von sich weg.
Lass dir das nicht gefallen, flehte Milon erneut.

Warum solltest du, Tröster,


ausgerechnet deine Nächsten verachten?
Störtebeker war inzwischen
zum eingebauten Bugspriet hinauf geschritten,

wo die riesige Laterne als erster Orientierungspunkt


des Schiffes in der Nacht ins Meer leuchtete.
Hier stand er abgewandt, knabberte mürrisch
an seinen Lippen und fuchtelte ausweichend

mit der rechten Hand, als wolle er


etwas Gebrauchtes ins Wasser werfen.
Schließlich rief er schneidend über seine Schulter zurück:
Dass es in euren Hirnen nicht anders werden will

als bei den Kohlköpfen, in langen, geraden Furchen.


Ich will euch also zeigen, wer meine Nächsten sind!
Ob ihr, die ihr mit mir auf dem Henkerstuhl
ins Ungewisse geht, oder die,

die sich vor mir unter ihren Schlafsäcken verstecken!


Bei Sonnenuntergang, seid bereit!
Narren und Strohpuppen,
platzte er plötzlich anklagend heraus,

wollen fliegen und kleben wie Lehm an den alten Nestern.


Sie beugten sich tief vor, als der prunkvoll geschmückte Mann
im grauen Zwielicht an ihnen vorbeischlenderte.
Hier und da standen die unfreien Sassen auf dem kargen Strand,
denn von weit hinter den Bergen liefen sie seit Wochen,
um sich an den fernen Schatten der Likedeeler-Schiffe
in ihrer schrecklichen Sehnsucht zu weiden.
Wahrhaftig, die da draußen waren die Lichter Satans!

Das Kloster predigte es,


der Landvogt bestätigte es,
die von Gott Verfluchten wollten die Welt
an allen vier Ecken in Brand stecken.

Nur darum ging es. Die Anwesenden hatten dumm


und verständnislos genickt. Aber als der Täter
an ihnen vorbeiging, der finstere, leuchtende,
sagenhafte, vor dessen unmittelbarer Macht

der Abt, der Graf, ja selbst die kleine Souveränität


des Herzogs von Wolgast verblasste,
da pochte ihnen das Herz in den Zähnen,
da gurgelte ihre Kehle vor Wut, Erkenntnis und Verzückung,

da brachen ihnen die Rücken und sie sanken


vor dem Traumbild ihrer müden Seelen in den Staub.
Du, du, stammelten sie mit hoch erhobenen Armen.
Selbst der Landvogt, inzwischen ein gichtiger Siebzigjähriger,

dem nur noch ein paar zerzauste weiße Strähnen


an den Schläfen flatterten, ließ das Wunder
mit offenem, zahnlosem Mund an sich vorüberziehen
und hielt sich mühsam am Stab aufrecht.

Störtebeker aber erkannte ihn sofort.


Er maß ihn mit einem mitleidigen Blick.
Lebst du noch?, fragte er.
Verlegen nickte der alte Mann, versuchte sich zu strecken

und grub seinen Stock tiefer in die Nässe.


Plötzlich bellte er heftig: Es ist verboten,
an dieser Stelle zu landen. - Da brach Störtebeker
in ein fast hemmungsloses Gelächter aus,

selbst der Gerichtsvollzieher verfiel vor allen Zeugen


in eine unausweichliche Verlegenheit,
und ein einziges wütendes Gebrüll heulte und tobte
über den ganzen Strand. Welch ein frischer Wind,

welch ein Wirbeln unter dem jahrhundertealten Staub


der Verordnungen. Endlich bezwang sich der Gleiche Reiter.
Er riss seinem Jungen eine kleine Tasche aus der Hand.
Er warf sie dem knurrenden Jungen dicht vor die Füße.

Ich mag dich, Klotz, gestand er.


Dann deutete er auf die Dünen.
Und da oben?, fragte er heimlich.
Leben, kam es einsilbig und ohne Dank

aus dem Mund des Gerichtsvollziehers.


Na, dann kümmert euch nicht weiter um mich.
Ungeduldiger als zuvor schlang er seinen Arm
um den des Jungen und zog ihn den Dünenweg hinauf.

Doch schon nach wenigen Schritten hielt er inne


und kehrte noch einmal um. Wenn ich zurückkehre,
rief er mit seiner hellen, schmeichelnden Stimme,
mit der er so oft die Herzen aller gewann,

dann, Vogt, werde ich die Hafenrechte nicht mehr verletzen.


Ich bin nicht gekommen, um die vernünftige Ordnung zu stören.
Ich möchte sie euch bringen, hört, sie euch
in meines Herzens Schale bringen. Und nun, bleibt jung!

Da huldigten die Unfreien unten


und warfen dem Menschenfischer ihre Mützen zu.
Der Landvogt aber schwang seinen Stock
in schiefen Zügen auf die Menge und nörgelte:

Nehmt euch zusammen, warum lungert ihr untätig herum?


Wir wissen nicht, wer der vornehme Herr war,
niemand soll ihn auf seinen Wegen stören.
Die faltige Fischerin trat auf die Schwelle der Hütte

und warf einen brennenden Kienspan in die Dunkelheit.


Ihre groben, nackten Füße setzten sich fest in den Sand,
und ihre misstrauischen blauen Augen weiteten sich,
als zwei seltsame Gestalten hinter dem Vorhang

aus Kiefernrauch und feuchtem Seenebel hervortraten.


Undeutlich leuchteten draußen Gold und Seide.
Seltsam, seltsam, die alte Frau strich sich
durch ihr glatt gescheiteltes weißes Haar

und rückte unwillkürlich bewundernd zur Seite.


Wie lange konnte es her sein, dass sie, das junge Mädchen,
dem die Männer so heftig nachstellten,
von einem ähnlich blitzenden Mann angesprochen worden war?

Vorbei! das war längst vergessene Bitterkeit.


Allein die Art des Herrn brachte nichts Gutes
in das Haus der Niedrigen! Und was hatte dieser,
der sich wohl noch tiefer unter den Eingang bücken musste,

als es ihr Verstorbener einst getan hatte,


was hatte dieser, um so gebieterisch
und sicher in ihre Hütte einzudringen?
Plötzlich ließ Mutter Dörte die Lampe fallen,

so dass sie erlosch. Obwohl der Himmel


und das Meer unter ihr gähnten wie ein schwarzer Abgrund,
waren doch die Umrisse der Likedeeler-Schiffe
vor ihrem geistigen Auge aufgetaucht.

Dann hörte sie das geheimnisvolle Gemurmel der Nachbarn,


sie spürte, wie Finger auf sie deuteten,
und mit einem Mal fühlte sie, wie eine drohende Hand
ihr Herz umklammerte, bis es ihr nichts mehr vermittelte.

Weder Freude noch Scham, weder Neigung noch Entsetzen.


Nichts sprach in ihr als diese kalte, raue Stimme, die fragte:
Was will der Fremde? - Die Falten auf ihrer Stirn
runzelten sich, und sie konnte ungerührt

in die Hütte zurücktreten und dem Fremden folgen,


wie jemand, der sein Haus in Ordnung halten will.
Aber als die vorzeitig gealterte Frau
die Kette des Fürsten unter dem Mantel ihres Besuchers

im Schein des Herdfeuers aufblitzen sah,


als ihr abweisendes, strenges Gesicht
von den schwarzen, lebendigen, herrschsüchtigen Augen
festgehalten und angezogen wurde,

ihre Beine unter ihrem Körper schwankten


und die Gewohnheit, sich schweigend vor allem zu verneigen,
was mit dem Anspruch auf Macht unter die Niedrigen trat,
zog es ihren eben noch straffen Rücken ängstlich nach vorn.

Ehrfürchtig faltete sie ihre geäderten Hände zusammen.


Kennst du mich?, entkam es Störtebeker,
der vor dem Ofen stand und gegen die lähmende Wirkung
der Vergangenheit ankämpfte.

Sollte ich nicht?, murmelte die weißhaarige Frau,


wich vorsichtig zurück und bekreuzigte sich.
Ihr Sohn machte einen kräftigen Schritt gegen sie,
die Hütte dröhnte mit seinem Gang.

Gib mir deine Hand, verlangte er ungestümer, als er wusste.


Die Frau des Fischers blickte zu dem großen Menschen auf,
schüttelte dann verständnislos den Kopf und verbarg
ihre Finger hinter ihrer groben Schürze.

Wir sind arme Leute, murmelte sie.


Ihr Peiniger aber ergriff ihre rechte Hand
und drückte sie so lange, bis die alte Frau wimmerte.
Sei glücklich, drängte er,
als könne er sogar Wärme und Zuneigung befehlen.
Wieder dieser verzweifelte Blick der Leere,
und dann unter Schüchternheit und Zögern:
Ich weiß nicht mehr, wie das ist.
Dann endlich schwoll sie an, die erstickte Wut

eines Vergessenen, die dumpfe Trauer,


keinen Anteil an dem zu haben, was der Körper
an Schmerz gebar. Und doch, der kluge Menschenverstand
der Fischerin bedeutete ihm auch

zu diesem späten Zeitpunkt noch,


dass dies alles in der Ordnung der Dinge war,
weil der Fischerkittel das Hämmern
unter dem Wams des Herrn nie hören konnte,

weil die Enge der Hütte das Treiben der Welt


nicht fassen konnte und nicht zuletzt,
weil die Jugend dem Alter immer davonlief
wie Storch und Star, wenn sie die Kälte spüren.

Das alles ist längst vernünftig überlegt worden.


Aber jetzt, wo das Fremde ihr nahe gekommen war,
wehrte sie sich bitterlich gegen ihr Schicksal
und schüttelte hartnäckig den Kopf.

In der Stille, die sich einstellte,


stand der Heimkehrer verdunkelt neben dem Herd.
Und siehe, er hatte seinen Jungen bei der Hand genommen,
als müsse er wissen, ob es in seiner Nähe jemanden gab,

der zu ihm zählte, einen Bürger jener Welt,


die noch ungeschaffen hinter Kreisen
aus tanzendem Licht schlummerte.
Auch die alte Frau blickte fragend

auf das hell glänzende Haar des jungen Mannes,


auf seine biegsame Gestalt
und auf die ausladende Weichheit seiner Hüften.
Erneut wiegte sie misstrauisch den Kopf.

Aber ein feuriges Leuchten schoss


über die Wangen des jungen Dänen.
Es stammte nicht von den brennenden Buchenscheiten
auf dem Herd. Es war das erste Mal seit ihrem Fall,

dass Karin einer ehrbaren Frau gegenüberstand.


Ihr war kalt. Dann rührte sich ihr Herr.
Der Glanz war aus seinen Zügen gewichen,
aber er war völlig beherrscht

von jenem kurzen, unbarmherzigen Griff,


der die meisten Dinge kaum für prüfenswert hielt.
Was weißt du über mich?, warf er der alten Frau
hart und sachlich entgegen. Sie stand da

und beobachtete aufmerksam, wie der Riese


den schwarzen Mantel über den Tisch schleuderte.
Es schien, als wolle ihr Sohn länger bleiben.
Die geschlossenen Lippen der Frau zuckten.

Die Leute reden viel, überwand sie sich schließlich.


Was?, verlangte Störtebeker und begann sich
über ihre träge Redseligkeit zu ärgern.
Dann kam ein wenig mehr Leben in die Steifheit.

Sie richtete sich auf, bis sie endlich wie früher


stramm vor dem wartenden Mann stand,
sobald ihr hitziges Wort oder ihre strafende Hand
irgendeine Verfehlung gegen den Jungen sühnen wollte.

Stimmt es, erkundigte sie sich bereits mit zitternder Abscheu


in der Stimme, dass du die Stadt Bergen angezündet hast?
War es allein das Auflodern des Feuers,
in das der Seeräuber soeben mit aller Kraft

seine Zange gestoßen hatte, das seine kühnen Züge


so entsetzlich entstellt hatte? Er warf
seinem bebenden Milon einen wilden Blick
der Anerkennung, des Hohns, der ohnmächtigen Raserei zu,

dann sank er auf die Ofenbank


und riss sich gewaltsam
ein hämisches Lachen aus der Brust.
Stimmt, rief er in perverser Freude über den Schrecken,

den er entfesselt hatte, und was kommt als nächstes?


Die Fackeln, die die Welt erleuchten,
riechen oft nach Menschenfett! -
Barmherziger Jesus, vergib uns unsere Sünden,

stöhnte die Mutter und schlug im Wehklagen


über eine untergegangene Menschheit
beide Hände vor ihr Gesicht. Doch nicht lange,
denn gleich darauf schreckte sie auf

und verbarg ihre Finger emsig unter ihrem Brusttuch.


Alle ihre Bewegungen verrieten deutlich die Angst,
dass auch sie irgendwie mit Asche, Blut
und Schmutz besudelt sein könnte.

Was wollt ihr?, wehrte ihr Sohn den leisen,


unangenehmen Angriff ab. Gib uns etwas zu essen.
Die Fischerin hörte nicht zu, sondern streckte den Arm
gegen die Fensterluke, als könne sie durch sie hindurch

auf die verbrannte Stadt zeigen,


denn die verkohlten Dachsparren hoben sich für sie
zackig von der Nacht ab. Bin doch dumm und ungelehrt,
beharrte sie mit der Hartnäckigkeit des Bauern,

darum sage mir, warum du dies begangen hast.


Da klammerte sich Störtebeker an seine Kehle,
als könne er in diesem dumpfen Loch
keinen einzigen freien Atemzug mehr tun;

es war ein Ringen, das den Zuckungen


des alten Klaus Becker glich, dann aber riss er
plötzlich wutentbrannt die goldene Kette vom Hals
und schleuderte sie mitten auf den Ziegelboden,

so dass es ein hüpfendes Reißen und Klirren gab.


Nimm sie, rief er, in der verwirrten Meinung,
sich freikaufen oder den unverständlich drohenden Mund
der Frau schließen zu können. Was geht dich das an?
Aber es ist nicht wahr, dass das Gute nur

von weißen Lämmern in die Welt gebracht wird.


Sieh mich an, trink das Blut bei der Handvoll,
und strebe doch hoch hinaus. Frau, Kain und Judas
waren große Herren. Erlösung geht oft durchs Böse.

Er streckte die Füße weit auseinander,


stützte sich mit den Fäusten hinter sich auf der Bank ab
und lauschte gespannt, ob diese alte Frau nicht
wie alle anderen vor ihm zusammenbrechen würde.

Mutter Dörte aber schritt schweigend zum Tisch,


dort machte sie ernsthaft ein langes Kreuz in die Luft
und sprach flehentlich: Ich werde meine Hütte schrubben,
wenn du geschieden bist. Nur noch eines,

damit ich sicher weiß, von wem du kommst: Bist du es,


der wehrlosen Frauen Gewalt zufügt?
Das Gesicht des jungen Dänen wurde
in der Nähe des Ofens farblos, er versuchte

mit erhobenen Händen den Felsbrocken zurückzuhalten,


der heftig gegen seine zarte Brust flog,
aber er konnte nur ein unverständliches Flüstern hervorbringen.
Mühsam und taumelnd versuchte er,

sich gegen die weißhaarige Richterin zu stemmen,


doch bevor er auch nur eine Bewegung machen konnte,
pfiff ein kalter Wind durch die Tür,
und eine zierliche Gestalt erschien auf der Schwelle,
verbeugte sich sittsam und winkte
in übertriebener Höflichkeit mit der Mütze.
Hein, rief Störtebeker und sprang ungläubig

von seinem Sitz auf, wobei er mit den Armen


in die Luft griff wie ein Schwimmer,
der mit ein paar letzten verzweifelten Zügen
das schwere, faulige Sumpfwasser zu durchbrechen sucht.

Vergessen war der zermürbende Kampf,


der abscheuliche Kampf gegen das,
was ihm einst ans Herz gewachsen war,
weggezogen, als lächerlich erkannt,

das Anrennen gegen die bröckelnden Ruinen


einer dummen, abgestandenen Zeit.
Sturmwind rauschte an der Tür herein,
er würde die schwankenden Mauerreste von selbst umstürzen,

Sturm blies die Fetzen und den dichten Rauch


in der Hütte auseinander, und der da an der Schwelle,
der die Windsbraut hereinließ,
er war nur einer seiner ausgesandten Gedanken,

die von nun an das faltige Gesicht des Geschaffenen


verjüngen und veredeln sollten. Hein, rief er, unfähig,
sich zu beherrschen, und packte seinen Späher an der Schulter,
so dass der Kleine taumelte. Sendbote

meiner liebsten Hoffnung, wirst du mir und dir


und allen Sehnsüchtigen Vernunft,
Frieden und Ruhe bringen? Werden wir Brüder sein?
Oder müssen wir uns weiterhin gegenseitig umbringen?

In der Hütte verflüchtigte sich der Lebenshauch,


selbst das strohblonde Kerlchen rang
unter den Fäusten des zitternden Mannes um Fassung.
Und seine schrille Stimme durchdrang Mark und Bein aller,

die sie hörten, als sie spitz und schneidend aufstieg:


Dein Wille und dein Name haben gesiegt,
Klaus Störtebeker. Die Adligen der Friesen
wollen mit dir Handel treiben gegen Land und Siedlung.

Deine Hoffnung ist erfüllt, das Tor bricht auf,


du kannst als Fürst der Hungrigen eintreten
und dein Brüderreich errichten.
Einen Augenblick lang schwieg der fürstliche Mann,

eingehüllt in eine goldene Wolke,


und lauschte ernst und fast kindlich einem fernen Fest.
Doch schnell und fast ohne Übergang
ergriffen die Dinge des Tages den für die Erde Geborenen.

Das frostige Elend der Hütte,


die rissigen Ziegel des Estrichs
und vor allem das dumpfe Unverständnis
in den zerknitterten Zügen seiner Mutter

rissen ihn aus dem Tanz der Lüfte


und zeigten ihm klar und deutlich, dass von nun an
nur noch nüchterne Werkzeuge wie Spaten und Pflug
den ersehnten Schatz aus den Schollen graben würden.

Ungestüm warf er seinen Mantel über,


dann sah er sich noch einmal aufmerksam
in der trüben, rauchigen Enge um, bis er ruhig
und gelassen vor Mutter Dörte treten konnte.

Wir gehen zum Schiff, verabschiedete er sich von ihr.


Lebe wohl, Frau. Entweder du und deinesgleichen
folgen mir eines Tages, oder deine sündige Frucht
soll im Gedächtnis der Menschen verrotten!

Die Hütte stand leer, in Sturm und Nacht


waren die Gespenster des Aufruhrs verschwunden.
Da stieß Mutter Dörte nach einigem Nachdenken
einen Eimer Wasser um und begann,

wie sie es versprochen hatte, die Stelle zu säubern,


wo ihr einziger Sohn gestanden hatte!
Mutter, Mutter, kannst du die Hütte reinigen
Von den Sünden deines Sohnes?

SECHZEHNTES ABENTEUER

Wer seid ihr, schlüpfrige Dirnen?,


wunderte sich Störtebeker über das glitzernde Frauenvolk.
In der einsamen Leybucht schlich die Agile vorsichtig
zwischen den grünen Wattflächen

vor der Einfahrt zum Marienhafen


an der ostfriesischen Küste.
Schon sah der fordernde Blick des Steuermanns,
denn der Admiral stand selbst am Heck,

die braunen Moosdächer des kleinen Hafenstädtchens


aus den Sümpfen wachsen, schon läuteten die Glocken
der weidenden Kühe von rechts und links
über die schmale Fahrrinne, und dann wurde die Agile
von diesen übermütigen, vergnügungssüchtigen Schwimmern
umringt, gefangen und umtanzt.
Ruderarme schnitten durch die Flut, helle Körper blitzten auf,
ein jubelnder Reigen bildete sich, und siehe, tief unten,

auf dem unbeholfenen Ruderschwert,


erhob sich die Anführerin der Meute bis auf Brusthöhe,
und ein nasser Spritzer aus ihrer Hand
flog Störtebeker ins Gesicht.

Der Likedeeler aber war zuvor geblendet worden.


Die kühnen braunen Augen unter der nassen Goldflechte,
das Wunder der Nacktheit betörten ihn,
so dass er in seiner glücklichen Gier

für einen Herzschlag sich selbst, seinen Zweck


und den Sinn seiner ernsten Reise vergaß.
Völlig verzaubert warf er sich über die Brüstung der Galerie,
völlig verloren in dem unmöglichen Versuch,

das Schauspiel des Meeres


aus dieser Höhe für sich zu erfassen.
Da lachte es frisch von unten, weiße Zähne zeigten sich,
und eine unerschrockene Stimme rief:

Bist du nicht Störtebeker? Der Schuimer,


der hier ein ganzes Land rauben will? -
Das bin ich, antwortete der Admiral schwer atmend,
denn das Blut war ihm von seinem tiefen Bücken

heftig in Stirn und Wangen geronnen. Aber warum lässt du


dich nicht fischen? Wer bist du? - Ich?, höhnte es von unten
und ließ sich gleichzeitig von dem Brett fallen.
Du wirst hier nichts fangen, Likedeeler.

Ich bin Eala, frya fresena!


Das war die Parole der alten freiheitsdurstigen Gaue,
die Störtebeker gerade betreten hatte.
Im nächsten Augenblick wuselten und ruderten

die Mädchen schon von allen Seiten des Schiffsungetüms,


und bald hatte ein hohes Binsengestrüpp,
das auf einer Landzunge weit in die Bucht hineinschnitt,
den Schwarm jeder Verfolgung beraubt.

Störtebeker streckte sich behaglich, kam zu sich,


und als er zum ersten Mal seinen Jungen erblickte,
der düster und abgewandt von ihm weit
über die sich biegenden und schwirrenden Wiesen starrte,

klopfte er ihm grob auf die Schulter und rief


noch ganz erfüllt von dem unerwarteten Gruß:
Was für ein schönes Land!
Welche Freuden warten hier auf uns!

Geh, fang keine Grillen, Milon!


Lass uns lieber das freundliche Omen annehmen.
Was hat das Ding gesagt? Eala, frya fresena!
Und er breitete beide Arme in der sanften Herbstsonne aus,

als sollten sich seine Brust


und die nahenden Weiden gegenseitig streicheln.
Aber warum konnte sich der Junge nicht
von seiner stillen Versenkung losreißen?

Etwas zitterte in ihm, wie wenn ein feines Glas zerspringt.


Enttäuscht, blass, verängstigt hatte er das nackte Treiben
um das ankommende Schiff beobachtet.
Und sein sehnsüchtiger Glaube wehrte sich erbittert

gegen den Widerspruch zwischen der Heiligkeit


seiner Erwartungen und dem frivolen Spektakel,
das ihre fromme Ankunft hier begleitete.
Zum ersten Mal, seit die entfremdete Frau

dem gepanzerten Heiland, wie Karin


ihren Eroberer hingebungsvoll getauft hatte, gefolgt war,
wurde sein Bild durch Vorstellungen
von ihrer früheren Existenz verdrängt.

Ihre Augen öffneten sich weit für etwas Altes


und doch längst Entfremdetes. Über die saftigen Wiesen
der Sümpfe hinweg sah sie einen Wanderer,
der sich hinter einer Wolke von Schmetterlingen bewegte.

Er trug ein weißes Gewand, dunkle Locken fielen ihm


tief über die Schultern, ähnlich wie sie es
auf Giottos Gemälde gesehen hatte, und der Mann
streckte seine Hände über die Köpfe der Krüppel

und der gebrochenen Herzen aus,


die am Wegesrand auf ihn warteten.
Nur ganz hinten, in der Essenz der feuchten Brühe,
folgte ihm eine Schar zaghafter Frauen.

Die Schmetterlinge flatterten wie verrückt,


die Erscheinung verblasste und kehrte zurück.
Strahlte und leuchtete wieder auf.
Was hatte das zu bedeuten?

Karin zitterte und schloss die Augen.


Die Angst hinderte sie daran, mehr wahrzunehmen.
Beeil dich, Milon, rief Störtebeker, der über das Deck schritt.
Lass den Wein an die Mannschaft verteilen.
Und du selbst fliegst zu mir, mein kleiner Junge,
damit wir ein Festmahl halten können.
Der Turm an der Hafenmündung näherte sich,
Boote begannen das Schiff zu umkreisen,

der Lärm von Werkstätten und Arbeit kündigte sich an,


und die Agile ging vor Anker. Am späten Nachmittag
ertönte aus der Brust der mächtigen Leitkogge
ein einziges Heulen. Beflügelt vom Wein,

berauscht von der unbegreiflichen Aussicht


auf ein unangefochtenes bürgerliches Leben,
jubelte, sang und pfiff die Besatzung,
sie putzte und wusch, als ginge sie zum Tanz.

Ja, der Ire Patrick O'Shallo, der mit fünf


der klügsten Jungs ausgewählt wurde,
um die schweren Geschenkkisten
zum nahe gelegenen Schloss des Häuptlings zu tragen,

ließ er sich von dem Hebräer Jakob


einen Metallspiegel vorhalten und kämmte sich
in herzlicher Zufriedenheit sein langes gelbes Haar.
Schließlich steckte er sich sogar ein Büschel Heidekraut,

das ihm eine kleine rothaarige Friesin


über Bord geworfen hatte, an seine Lederkappe,
und während er vor geschmeichelter Eitelkeit
in die Luft sprang, biss er dem Juden in die Wange.

Jetzt bin ich frei, flüsterte er schwärmerisch,


und pass auf, Moses, wie oft du mein Pate sein wirst.
Aber aus den Augen des alten Juden antwortete ein Fieber.
Inbrünstig, mit einer unheimlichen Sehnsucht

verschlang er das nahe Land, und zuweilen starrte er


entsetzt in den goldroten Abendduft,
als wäre dies ein anderer Himmel, wie er sich nirgends sonst
über Menschen und Siedlungen spannt.

Auch in der Kajüte des Admirals hallte es


von Jubel und Gesang wider. Dort ließ Störtebeker
seinen Jungen sorgfältig Stück für Stück
sein blaues Prachtgewand anziehen.

Und obwohl er oft in den von Kapitän Wichmann


fein säuberlich aufgesetzten Verträgen stöberte,
hatte er noch Zeit, seinem sanften Helfer übermütig
an den Haaren zu kauen oder ihm sogar

einen neckischen Klaps auf die Wange zu geben.


Er merkte gar nicht, dass es sich um eine Frau handelte,
die er verwirren konnte, und auch Milon
verrichtete seinen Dienst in fröhlicher Distanz

und schreckte nur ab und zu auf, wenn sein Herr


ihm die Hand um den Hals legte und beteuerte:
Kleiner Junge, es soll dir gut gehen.
Wenn du beten willst, werde ich dir eine Kirche bauen.

Wenn du jagen willst, sollst du Hunde und Falken haben.


Nur lachen und fröhlich sein. So wie jetzt.
Und ein gehorsames Lächeln erschien
auf den Lippen des immer bereiten Menschen.

Ja, in dieser ersten Stunde hatte die Agile


den offenen Himmel betreten. Die Flut strömte bereits
in den Hafen zurück und der Mond ging auf,
als zwei Voyageure der Häuptlingswitwe Gunda ten Broke

vor dem an Deck wartenden Admiral erschienen.


Sie brachten ihm den Geleitbrief für die Fahrt zur Steinburg,
die sich dunkel und schwer von ihrem Hügel erhob,
und die beiden Männer in ihren langen pelzbesetzten Röcken

und schlauchartigen schwarzen Filzhüten,


die ihre ererbte Freiheit spürten, stützten sich furchtlos
auf ihre Speere vor dem mächtigen Seeherrn,
ohne die geringste Geste der Entblößung ihrer Köpfe

zum Gruß zu machen. Gunda stellt euch in unseren Schutz,


sagten sie in ihrer kargen, breiten Sprache.
Störtebeker musterte die beiden großen Männer aufmerksam.
Er beurteilte das ganze Volk in seinem sicheren Gefühl

der Stärke nach diesen ersten Boten,


und eine heiße Freude überkam ihn,
wenn er an die ruhige Würde, die natürliche Selbstachtung
dachte, die die Freiheit gab. Ganz in der Nähe

winkte schließlich das Land der Menschen.


Wir nehmen den Schutz Gundas an, sprach er
daher weniger spöttisch, als er beabsichtigte. Kommt, Jungs.

Vielleicht hatten die Reisenden gemeint,


einen wandernden Seeräuber zu finden,
einen Angehörigen jener Friedlosen,
mit denen man wenig Ärger hatte,

aber das fürstliche Auftreten dieses Mannes


brachte sie aus der Fassung. Ein paar Goldstücke
kullerten ihnen zu Füßen. Der Admiral hatte sie ihnen,
nachdem er sich zum Gehen gewandt hatte,
wie Hundefutter zugeworfen. Bereitwillig bückten sich
die Speerträger und hoben den fremden Schatz auf,
denn auf ihrem Boden, der mühsam dem Meer
abgerungen worden war, griffen die Menschen

gierig nach Besitz und Reichtum.


Sie waren erschrocken, als sie das Schlagen
der großen Trommel hörten, als der Anführer der Gleichen,
gefolgt von seinem Jungen, das Schiff

über die breite Treppe verließ, und sie erschraken ebenso


wie die anderen Matrosen, als sie die riesige Gestalt
des Anführers der Länge nach fallen sahen,
sobald er den ersten Schritt an Land machte.

Was ist los mit dir?, fragte Milon bleich


und wollte nach seinem Herrn greifen.
Doch der wandte ihm lachend den Kopf zu, sprang auf
und reichte ihm einen Krümel der Erde,

auf die er gerade getreten war. Tor, flüsterte er


dem erschrockenen Mann zu, begreifst du nicht,
dass ich Alexander den Makedonier nachahme?
Ich nehme dieses Land in Besitz.

Und ich gebe es dir, Reiner.


Und etwas nachdenklicher fügte er hinzu:
Ich habe das Gefühl, dass ich es behalten werde,
solange du neben mir gehst.

Dem Blonden rauschte das ganze Blut zum Herzen,


seine Wangen färbten sich vor Entsetzen,
aber über dem Abendgold des Himmels
sangen wieder jene seligen Scharen für ihn,

die so oft um den dunklen, eigensinnigen Herrscher


musiziert hatten. Und der zum Schweigen
gebrachte Mann schmiegte sich immer enger
an seinen Herrn, während er schritt.

Doch nicht für lange. In der Nähe des Flusses


hielt ein dritter Diener ein starkes weißes Pferd,
das zu der wohlgenährten Art gehörte,
die Brokmerland in jenen Tagen züchtete.

Seine Mähne und sein Schweif waren


mit langen bunten Bändern verwoben,
die fast bis zum Boden hingen, und ein goldenes Schild
lag dicht um die Stirn des Tieres.

Ei, rief Störtebeker gut gelaunt,


als er sich in den Sattel schwang, Frau Gunda weiß,
wie man ein gutes Geschenk macht.

Die Knechte lachten und murmelten untereinander.


Bis einer von ihnen sein schwarzes Filzröhrchen
aus der Stirn schob, um es sich
mit der Information bequem zu machen:

Du kennst Gunda schlecht, Herr.


Sie hat noch nie etwas verschenkt.
Ihr ganzes Vieh würde verhungern,
wenn wir es nicht heimlich füttern würden.

Also ist auch dieses Pferd hier nur geliehen. -


Potz Velten, rief der Reiter,
der inzwischen sein Tier getrieben hatte,
ich will ihr die Stute in Silber aufwiegen.

Was mir einmal diente, gehört für immer mir.


Der Knabe, der die Zügel ergriffen hatte
und nun neben dem Schimmel herging,
hob nachdenklich den Blick zu seinem Herrn.

Und so machten sie sich über die einsamen Wiesenwege


auf den Weg zur Burg. In der Burg der Brooks
knisterten die Fackeln an den Wänden des langen Saals.
Der Raum war so niedrig, dass ein großer Mann,

wenn er sich ausstreckte, wahrscheinlich


die unverzierten Bretter der Fichtendecke
hätte greifen können. Manchmal knackten die
von der Hitze des Kamins ausgedörrten Bretter dort oben,

als ob jeden Moment ein neuer Riss


die Holzstruktur sprengen würde. Ein kalter Wind
wehte durch den schlecht beleuchteten Saal.
Nur mit Mühe konnte ein Fremder im flackernden Licht

die wechselnden Gesichter der Häuptlinge ausmachen,


die sich auf Geheiß Gundas hier
zur Beratung versammelt hatten.
Alle diese kleinen Burgherren waren seit Generationen

durch erbitterte Erbfehden, Blutfehden


und Streitigkeiten voneinander getrennt,
aber ihre Gier nach Vorteil und Gewinn fraß heftiger
als selbst der alte Hass. Auch der gutnachbarliche Neid gebot,

den Brooks keinen besonderen Vorteil zu gewähren,


schon gar nicht der blutleeren, rötlichen Gunda,
die wie ein gefährliches Gespenst den Namen Quade,
also die Böse, erhalten hatte. Wahrlich,
niemand konnte es den Edlen von Dornum und Norden
verübeln, wenn sie lieber auf Mord und Brand ausritten,
als auch nur eine Stunde der heimtückisch lächelnden Quade
Gunda, der Witwe des verrückten Okko, gegenüberzusitzen,

von der überdies alle, Freund und Feind, verraten, verprügelt


und an Land und Leuten geschädigt worden waren.
Aber die Quade Gunda war schlimmer.
Man brauchte nur den braungebrannten Propst

Hisko van Emden zu fragen, der auch heute


mit den anderen Gästen auf einer langen Bank
an der rechten Seite des Saales saß, während Gunda
und ihre Tochter auf einem erhöhten Podest

an der Mittelwand Platz genommen hatten,


und er wusste, woher der Menschenhass der Wirtin
und ihre Lust am ganz Bösen stammten.
Vor dreißig Jahren hatte der Pfarrer,

obwohl er damals weniger von geistigen Dingen verstand


als heute, den verrückten Okko und seine Braut
in dasselbe Zimmer zusammen gesetzt.
Und dann geschah das Unerhörte.

Auf die gewohnte Frage, ob die Frau bereit sei,


mit dem ehrenwerten Ritter
ein Leib und eine Seele zu bilden,
regte sich die bleiche Braut endlich

unter ihrem friesischen Brustpanzer


und stieß plötzlich ein schneidendes Nein aus.
Unmittelbar danach gab es natürlich einen Knall im Saal.
Der Bräutigam hatte seine Verlobte so heftig geohrfeigt,

dass die fassungslose Frau ihren Silberschmuck verlor.


Die halb ohnmächtige Braut wurde daraufhin eilig getraut,
obwohl die Hochzeitsgesellschaft, die in Aufruhr war,
genau wusste, warum sich die Braut in letzter Minute

so verzweifelt gewehrt hatte. Zur gleichen Stunde lag


in einem Loch im Turm die Lieblingsmagd
des jungen Mannes, die er nicht gehen lassen wollte,
in den letzten Wehen, und als um Mitternacht

das Burgfräulein von einem Bettler


ins Hochzeitsbett geschoben wurde,
schrie im Turm bereits ein Bastard.
Seitdem war die brandrote Teufelsschönheit

von der Neuen des wilden Okko unzählige Male


malträtiert und geschändet worden,
und so oft ein Kreischen und Wimmern
zur Nachtzeit im Schloss zu hören war,

bis in die letzten Jahre, dann lachten


und sagten die umliegenden Bewohner:
Herr Okko geht auf die Jagd.
Nun aber war es um den starken Mann längst still geworden.

In Aurich vermoderte er unter einem gesprengten Wachturm,


denn in einer der Fehden hatte er
seinen letzten Gang angetreten. Die Marienhafener
aber erzählten, dass bei der Nachricht von seinem Ende

die Fenster der Brookeburg festlich erleuchtet gewesen seien,


und wie man bis zum Morgen eine wilde Frauenstimme
in furchtbarem Jubel hätte singen hören.
An dieses Nest einer hornigen Kröte,

die ihre ganze Glückseligkeit darin fand,


ein verzehrendes Gift zu sammeln,
klopfte an einem windigen Herbstabend des Jahres 1399
Störtebeker, ein Mann, der wie eine Sonne

über dem Glück unzähliger Menschen aufgehen wollte.


Er trat ein, den Arm um die Schulter seines Knaben gelegt,
gefolgt von den beiden Gefolgsleuten,
und als der Riese im blauen Fürstenwams,

goldglänzend und selbstbewusst,


im halbdunklen Saal stand, verstummte mit einem Male
das laute Gezänk der Knappen, und ein heller,
silberkehliger Schrei ging über ihre Köpfe hinweg.

Eine Begrüßung, so frisch und übermütig,


dass sie kaum für den gefährlichen Gast bestimmt war.
Wer in diesem Kreis konnte seine Freude
so sorglos zum Ausdruck bringen?

Es war die Stimme einer Frau.


Spürend, witternd, rückte Gunda auf ihrem erhöhten Sitz
zur Seite. Mürrisch beäugte sie ihre schöne Tochter Eva,
die sich gerade so auffallend vergessen hatte.

Doch zu ihrem Erstaunen sah die alte Frau,


wie die goldhaarige Frau neben ihr
ihr feines, rothaariges Haupt
zur Begrüßung der Fremden beugte, fast so,

als müsse sie die Aufmerksamkeit


einer ihr schon lange bekannten Person auf sich ziehen,
ein zufriedenes Lächeln überzog
das blutleere Gesicht der Quade,

und in der Überzeugung, dass unter dem heißblütigen Jüngling


Unheil, Verirrung und Sünde entfesselt werden könnten,
hüllte sie ihren dürren, hageren Körper noch fester
in das graue Faltenkleid, um dem Gleichaltrigen

mit harter Männerstimme zu befehlen:


Mach es kurz. Was willst du?
Damit zog sie einen grau-roten Haarschopf
unter ihrer gelben Lederkappe hervor,

wickelte ihn fest um den Finger,


schlug ein Bein über das andere und wartete.
Störtebeker aber starrte sie fast mitleidig an.
Nach den Schilderungen von Hauptmann Wichmann

hatte er im Regentenstuhl von Brokmerland


ein gefährliches Wesen vermutet,
eine ansteckende Krankheit, die es zu vermeiden galt.
Diese armselig gekleidete Auszehrung hingegen,

aus deren erschreckend verkümmertem Gesicht


nur ein Paar seltsam blutige Lippen hervorlugten,
schien bestenfalls mit einer Bettlerin vergleichbar zu sein,
die verbittert nach Almosen suchte. Aber siehe,

neben dem Kadaver? Bei Zeus,


wie kam dieses hübsche Geschöpf
neben das rasselnde Gebein?
Was für eine kaum erwachte Jugend,

was für ein ungesättigtes Locken


in den braunen Schelmenaugen, und vor allem,
was für eine angenehme Zurschaustellung
hinter dem tiefen Brustausschnitt.

Wahrlich, ein goldener Apfel war im Begriff,


vom Baum zu fallen. Ungeduldig öffnete
Gunda ihre brennenden Lippen.
Wir warten, fingerte sie vorwurfsvoll an ihrem Rock.

Sag mal, Likedeeler, willst du hier


noch länger mit Maulwürfen hausieren gehen?
Sag uns kurz, was dich hierher führt.
Da löste sich der Freibeuter von seinem Gefährten,

reichte ihm den schweren Helm,


so dass seine braunen Locken sichtbar wurden,
und statt sich vor der Brokmer-Herrin zu verbeugen,
lachte der Zügellose ihr nun ins Gesicht.
Es war der richtige Ton für die groben Burgtyrannen.
Schadenfroh traten sie näher heran.
Auch die schöne Eva beugte sich weiter vor,
so dass ihr keine Bewegung des Fremden mehr entging.

Du hast gute Laune, Frau Gunda,


höhnte Störtebeker von unten und setzte einen Fuß
fest auf die Stufe. Was kümmert es mich,
wenn die Junker wissen, dass du längst

einen Vertrag mit meinem Abgesandten aufgesetzt hast?


Wozu hast du mich sonst eingeladen,
wenn ich nicht für Botenlohn durch die Welt laufe?
Hätte der Subversive die bröckelnde Decke

mit einer Schusswaffe zum Einsturz gebracht,


hätte der Aufschrei unter den Adligen
nicht bedrohlicher und wilder sein können.
Der Verdacht, dass die listige Gunda bereits

das Hauptstück des fetten Bratens


abgeschnitten haben könnte, erregte
die selbstsüchtigen Männer zum höchsten Zorn.
Sieh her, du hoffnungsloses Weib,

sprang der junge Folkmar Allena wütend auf das Podest


und hielt der Herrin fast die Faust unter die Nase,
auf welche hinterhältigen Wege bist du wieder geraten?
Hat dein Sponsor noch nicht genug Raubgut

nach Hause gebracht? Oder glaubst du,


wir anderen ahnen nicht, wie du pfeifst und schleichst?
Die Quade aber blieb stocksteif sitzen;
verächtlich schlug sie nur mit der Hand

nach dem erhitzten Mann, als müsse sie


eine aufdringliche Fliege verscheuchen.
Spar dir deinen Verstand, Folkmar Allena,
riet sie steif und bissig. Verschwende ihn nicht so töricht

wie deinen Hausrat, mein Junge.


Du wirst ihn heute brauchen.
In dieser Verteidigung muss
eine unbestechliche Bosheit gelegen haben,

denn der schmächtige Junker stammelte plötzlich verlegen,


während seine Kameraden ein helles Lachen ausstießen.
Es war ja allgemein bekannt, dass Folkmar Allena
zu jenem Schwarm verliebter,

zu jeder Dummheit entschlossener Männer gehörte,


die der goldblonden, jungverheirateten Eva
nachstellten wie einem fliehenden Reh.
Missmutig, mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Schöne,

die heute nicht viel von ihm zu bemerken schien,


drängte sich Allena zurück in die Menge
der lautstark verhandelnden Adligen.
Doch statt seiner löste sich nun eine andere Gestalt

aus ihrem Kreis. Ein kräftiger, schwergewichtiger Mann


in einem ledernen Jägerwams,
über den er jedoch seltsamerweise
einen zerknitterten Bischofsmantel geworfen hatte.

Er humpelte herbei, nachdem er bei der Wildschweinjagd


gerade einen schmerzhaften Sturz erlitten hatte,
und legte nun vertrauensvoll seine Hand
auf Störtebekers Schulter. Wie beiläufig versuchte er dann,

mit der anderen Hand das Segenszeichen zu geben.


Da der Seemann aber abweisend auswich,
beschwichtigte Propst Hisko van Emden
den Widerwillen des Fremden ganz bequem,

indem er selbst eine wegwerfende Geste vollführte.


Salve Care, begann er mit einem besetzten Bass,
denn dieser umtriebige Bauer liebte es,
die wenigen lateinischen Fetzen, die er irgendwo aufschnappte,

gleich bei der ersten Bekanntschaft auszugeben.


Herzlich willkommen, Klaus Störtebeker.
Du bist ein großer Christ. Gib mir deine Hand.
Deine Streiche haben mir immer gefallen.

Bei der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, es ist gut,


dass endlich eine starke Seemacht unsere Häfen anläuft. -
Nimm dich in Acht, knurrte der steife, hochmütige Enno
aus Norden zwischen ihnen, der seine Umgebung

mit einer begrenzten Frömmigkeit quälte,


und er pfiff seine Worte durch eine dümmlich gerade Nase:
Denk an die Suppe, die er für die in Bergen gebraut hat!
Wie wollt ihr euch schützen, wenn euch dasselbe

von dem Seedieb widerfahren sollte? -


Mensch, das wäre ein sauberer Gast für uns,
stimmten ein paar der kleinen Burgherren zu,
denn die kriegsgestählten Heerscharen der Schuimer

weckten in ihnen ein Grauen.


Wer bürgt für den Brandstifter?, höhnten sie,
stampften mit ihren schweren Holzschuhen auf den Estrich
und spuckten breitbeinig auf den Holzboden vor ihnen.
Wer hat hier geheime Verträge mit ihm geschlossen?
Da warf der Probst seine fleischigen Hände hoch.
Ihr boves malefici, sprudelte es aus ihm heraus,
wobei sich sein Bauch vor Aufregung über den Gürtel wölbte,

und der bullige Jäger schüttelte daraufhin zornig


die Perle seines ungekämmten Haares,
das ihm über die Stirn fiel, hin und her.
Störtebeker, mein edler Freund,

warf er über seine schmatzenden Genießerlippen,


du siehst, tot homines, tot sententiae,
so viele Menschen, so viele Meinungen.
Halte dich also an mich. Ich sehe dich mit den Augen

der verstehenden Weltkirche an.


Ja, der Teufel soll mich holen, ich will.
Und meine kluge Freundin Gunda denkt auch so.
Hast du denen in Bergen einen Strich

durch die Rechnung gemacht? Habeat sibi,


meinetwegen, vielleicht warst du ein Instrument
der Gerechtigkeit. Was wissen wir schon
von solch fernen Dingen? Hier in Friesland hingegen

kommst du mit gut gefüllten Truhen,


wir werden für dich sorgen, du kommst
für commercium et connubium. Öffne mir also,
mein lieber Sohn, was bietest du uns?

Denn die Freundschaft der Menschen ist zu erwerben. -


Zum Henker, sprang der wilde Folkmar Allena
wieder mit geballten Fäusten hervor,
möchten die Dickhäuter wieder ganz allein

in ihren Schlund schütten? Der Schuimer


soll endlich sein Maul aufmachen! Was starrt er uns an,
als wären wir seine schelmischen Narren? -
Hört doch auf, ertönte plötzlich die Männerstimme Gundas.

Der verwirrte Tumult verstummte,


jeder war von diesem rasselnden Ton getroffen worden.
Gekauert, grau und unscheinbar, hockte die Kröte
regungslos auf ihrem Regentensitz,

nur ihre brandroten Augen liefen zufrieden


von einem zum anderen, versprach es doch mehr Vergnügen,
wenn man dem riesigen Menschen erst jeden Vorteil
abpresste, bevor man ihn aushöhlte und zu Fall brachte.

Tritt näher, Störtebeker, befahl sie deshalb regungslos


und legte ihre Hand hinter ihr rechtes Ohr,
das wachsartig unter ihrer gelben Mütze hervorlugte.
Tritt näher, damit ich dich jetzt vernünftig

und vor aller Welt über deine Absichten befragen kann. -


Recte, Propst Hisko rieb sich eifrig die Hände
und humpelte, um den anderen ein Beispiel zu geben,
sofort zurück zur langen Bank. Folgt der Quade,

edle Herren, sie ist eine weise Frau.


Geräuschvoll, mit den Holzschuhen aufstampfend,
bewegten sich die Junker zu ihren Plätzen
und räkelten sich, jeder auf seine Weise,

auf dem glatt gescheuerten Brett, einige rittlings,


andere streckten beide Beine weit in den Saal hinein,
bis von allen Seiten ein Ruf durch ihre Reihen ging:
Macht ein Ende, damit wir zum Nachtimbiss können.

Giftig süß lächelte die Quade.


Sie wusste, wie eng es bei ihr zuging.
Es war auch ein köstliches Amüsement zu sehen,
wie spöttisch und hochmütig die Person im blauen Waffenrock

ihre lieben Nachbarn bisher behandelt hatte.


Nur eine Sache war ihr peinlich.
Warum wandte der Fremde seine großen schwarzen Augen
so begehrlich über den Kopf der Gunda hinweg

zu den hintersten Deckenbrettern der Halle?


Flammend, entrückt flackerte es dann
aus den unheimlichen Feuersternen,
und so fesselnd war die Macht dieses Blickes,

dass die Hausherrin sich nach vergeblicher Gegenwehr


selbst umdrehen musste, um verständnislos
die gerissenen Balken am Ende der Halle zu untersuchen.
Nichts! Nur ein paar lange Spinnweben schwankten dort,

angetrieben von der Flamme der Fackeln.


Seltsam, was suchte der mächtige Geselle dort,
warum fiel er nicht lieber auf ihre lüsterne Tochter herein?
Doch dort hinten in der Dämmerung und Dunkelheit

tanzten die ungestümen Begierden


des umherstreifenden Mannes. Er spürte,
wie sein Puls heftig hämmerte, schmerzhaft
seine breite Brust dehnte, denn er war nur noch

einen Schritt von seinem Ziel entfernt.


Dort oben wimmelte es von unmenschlichen,
gebeugten, triefenden Leibern, schwielige Fäuste
streckten sich nach ihm aus, heisere, gequälte Stimmen

riefen ihm zu, immer lauter, ohne übertönt zu werden:


Gib uns, gib uns, was uns zusteht.
Widerwillig warf der Riese seine Hand in den Raum,
denn selbst aus seiner Fantasie war der herrschsüchtige Mann

es nicht gewohnt, geschubst zu werden.


Doch dann schüttelte er die Schatten
mit einem Seufzer der Erleichterung ab
und trat dicht an den Stuhl Gundas heran.

Was willst du wissen?, rief er ohne Rücksicht.


Denn beim Teufel, es fehlt nur noch,
dass du mich auf eine Armenbank setzt. -
Ruhe, Ruhe, mein Sohn, murmelte der Propst ängstlich

und drehte sich auf seinem schmerzenden Knie.


Sag mir zuerst, begann Gunda,
sich auf ihr umgestürztes Bein stützend,
warum bist du allein

und führungslos in unseren Hafen gelaufen?


Wo waren deine Kameraden?
Wichmann, Michael und Wichbold?
Und wo ist der Rest deiner Schiffe?

Da lachte der Störtebeker und schlug sich an die Brust.


Alter Mensch, antwortete er selbstbewusst,
der Fuchs ist zu schlau für dich.
Meine werden kommen, sobald du mir

diesen Lappen mit Eid und Siegel umgehängt hast. -


Bene optime, lobte der Probst voller Bewunderung
und schaute sich in der Runde um, um Beifall bittend.
Allein unter den Zuhörern erhob sich Gezänk.

Ruhe, mahnte Gunda, ohne sich zu rühren,


das verstehe ich, Störtebeker. Aber jetzt das Wichtigste.
Du willst Land von uns erwerben. Angenommen,
wir wären bereit, dir gefügig zu sein,

was gedenkst du dann mit den Gütern zu tun?


Jetzt sprangen die Adligen wieder von ihren Sitzen auf,
denn der Kern der Verhandlungen schälte sich heraus.
Soll er doch gleich von uns kaufen, riefen sie.

Das spielt keine Rolle, sprach Gunda in den Lärm hinein.


Doch, tut es, tut es. - Pass auf die Quade auf,
schimpfte der wilde Allena, die Hexe betrügt uns. -
Was wollt ihr denn mit den ganzen Jochen machen?,
wiederholte die Wirtin kalt. Mit einem Satz
sprang Störtebeker zu ihr hinauf,
und während er heftig an der Lehne ihres Sitzes rüttelte,
sprang die ungezählte Schar hinter dem Rauch wieder auf,

Kopf an Kopf, Hand in Hand,


tausend unglückliche Augen starrten ihn an,
und aus dem Geistersturm schallte es:
Du Menschensohn, du Sohn der armen Leute,

gib uns jetzt Brot und Kleider und ein menschliches Los.
Ein ungestümer, bebender Zorn ergriff den Besessenen,
jener unbändige Zorn gegen die Unterdrücker und Mächtigen,
die seiner Meinung nach das Elend in der Welt aufrechterhielten,

damit es ihnen zum Vorteil gereiche.


Dann, fast gegen seinen Willen, brach die Barriere
vor seinen argwöhnisch bewachten Schätzen zusammen,
der Riese streckte sich zum Streit und zum Angriff,

und wie wirbelnde Geschosse schleuderte er


seine geistigen Edelsteine wütend und höhnisch lachend
unter seine angeschlagenen Zuhörer.
Aus seinem schäumenden Mund muss

die Freiheit gebrüllt haben, die gleiche Aufteilung des Landes,


die aus der Mitte der Gemeinschaft geborenen Rechte,
die für alle erreichbar sind, und vor allem, ihr Flaneure,
ihr Landjäger, ihr Menschenhändler,

die Glückseligkeit einer befriedeten Brüderschar.


Traum und Wirklichkeit rasten blind um seinen Kopf,
er schrie und wütete gegen die hungrigen Gesichter,
die von der Decke starrten,

ebenso wie gegen die unterdrückerischen Herren,


die sich mit weit geöffneten Beinen um ihn drängten.
Aber nur zwei Frauen in dieser Versammlung
von erdgebundenen, gierigen Menschen fühlten

die Schönheit, die sich aus der Mischung


von kämpferischer Energie und wilder Verzückung
über den einsamen Mann ergoss. Die eine
in der Knabentracht umklammerte krampfhaft

den Goldhelm, den sie für ihren Herrn aufbewahrte,


und drückte ihre Brust gegen das Metall,
als müsse sie ihr glühendes Herz für immer
mit der unnachgiebigen Härte verschmelzen.

Die andere, die gesündere und blühende,


lehnte genießerisch den Kopf
unter dem roten Haarnetz zurück,
ihre Zunge fuhr zwischen ihre Lippen,

und ihr schlanker, ungekühlter Körper erhob sich


ahnungsvoll und sicher zu dem glänzenden.
Auch sie hungerte nach Besitz und Gewinn,
aber sie wollte um unendlich viel mehr feilschen

als selbst ihre geizige Mutter, sie wollte


den geheimen, unbekannten Genuss der Hingabe
und dafür die Macht über den ganzen Mann.
Wie aber wirkte sich das große herausfordernde Gestammel,

der noch nie gehörte Schrei nach Selbstbescheidung


und Einordnung auf die stolz besitzergreifenden Häuptlinge aus?
Zunächst suchten die Grundherren, die im Begriff waren,
die Narrenfreiheit ihrer eigenen Ortsbauern

durch allerlei List, wie Anleihe, Aufkauf und Beschlagnahme,


in eine feste Gefolgschaft zu verwandeln,
aus den offenen Mündern der anderen zunächst einmal
ihr eigenes völliges Unverständnis herauszulesen.

Wie? Was? Geschwätz!


Was wollte der Hund, der reisende Sonnenbruder,
der gestern noch den Leuten die Taschen leerte,
wo er nur konnte? Gleiches Eigentum?

Der ungewaschene Haufen sollte keinen Adel mehr


um sich haben? Hast du schon gehört, Allena?
Welche Schurkerei verbirgt der Galgenvogel dahinter?
Glaubt die schwarze Fahne, sie könne uns hier

einen Streich spielen? Und das anfängliche Erstaunen


löste sich in schallendes Gelächter auf.
Sie schlugen sich gegenseitig in die Seite,
stießen sich in die Rippen, zwinkerten sich schelmisch

aus sonnengebräunten Bauerngesichtern zu,


trampelten mit ihren Holzschuhen,
selbst Hisko, der Probst, der ein Muster
an Sparsamkeit in den Sümpfen war,

humpelte schluckend hinter dem verrückten Likedeeler her,


und da klopfte er ihm so kräftig auf die Schulter, dass es knackte.
Geliebter Freund, platzte es aus seinen dicken Lippen heraus,
was für eine windige Seemannsgeschichte hast du uns

da gerade erzählt? Nicht wahr, Gunda, was denkst du denn?


Ja, wir sind einfältig, animae stultae, piaeque,
aber man darf uns nicht zu niedrig einschätzen!
Du willst nichts für dich? Alles für dich selbst?
Unten wieherten die Junker belustigt und besserwisserisch.
Schon gut, schon gut, keuchte Hisko kurz,
zog den Mantel des Bischofs nach vorne
und schnäuzte sich damit die Nase, du kennst dich aus,

du hast schon so manches Fass und so manchen Ballen


von den steifen Böcken, den Hamburgern, gewonnen.
Aber nun sag mir, mein Sohn, was kannst du
noch ernsthaft für deine Sache sagen? -

Haha, ernsthaft? So lange hatte der Mann


im blauen Waffenrock, der erwacht war,
mit unheimlich rollenden Augen desillusioniert
auf die blonden Männer herabgeblickt,

die buchstäblich vor Heiterkeit


und hochmütiger Unwissenheit schnauften.
Jetzt aber überwand der Seemann das innere Lachen,
das ihn fast zerfetzte und sich weigerte auszubrechen.

Mit einem Griff führte er die große Hornpfeife an den Mund,


und das vibrierende Signal fuhr durch den Saal,
scharf und schrill. Erschrocken warfen die Friesen
ihre langen Röcke zurück und griffen fassungslos

nach ihren Kurzschwertern, selbst Gunda


bewegte sich unbehaglich auf ihrem Platz.
Doch ein waghalsiger Angriff war nicht beabsichtigt.
Nur die Tür der Halle öffnete sich,

und sechs Likedeeler trugen mit hallenden Schritten


eine gewölbte Truhe herein. Da entlud sich
die Anspannung der Adligen in einem lauten Freudenschrei,
und ihre Augen blitzten plötzlich verständnisvoll auf.

Keiner von ihnen nahm dem Fremden,


der so unermessliche Schätze trug, übel,
dass sich der Riese plötzlich durch ihr Gedränge drängte
und schob. Ob der eine nach rechts taumelte,

der andere nach links flog, wen von ihnen kümmerte noch
die maßlose Verachtung, der wahnsinnige Spott,
mit dem Störtebeker nun den Deckel der Kiste zurückschlug.
Frisch, frei, fröhlich, rief er in einer gespenstischen Vertrautheit,

die den Zuhörern zu jeder anderen Stunde


das Blut in den Adern gefrieren lassen hätte.
Kopf hoch, ihr Edelleute, gleich werdet ihr mich
besser verstehen. Hier liegen meine Gründe,

meine Pläne, meine Notizen! Flandrisches Blatt!


Wie das? Womit? Mit der Elle? Torheit,
ich messe meine Absichten mit dem Spieß!
Sind ganz klar und ganz wichtig!

Und der Tolle riss einem der Diener die Lanze aus der Hand
und begann, die weißen Wolken in langen,
schwebenden Schwüngen auf den Estrich zu schleudern.
Hier sind Erklärungen für den Probst,

hier ist ein anmutiger kleiner Geheimvertrag für Gunda,


sachte, Allena und Rüstringen werden nicht vergessen!
Eine Weile rieselte, raschelte und rauschte der feine Stoff,
wie große Schlangen hüpfte er aus dem Nest.

Bald hatte der Schuimer natürlich genug


von seinem Schnitzwerk. Er warf den ganzen Ballen
in hohem Bogen unter die Adligen,
und gleich darauf sauste die Lanze hinterher.

Doch die Edelleute stritten sich um das kostbare Material.


Halb im Scherz, halb im Ernst schob jeder
seinen Nachbarn beiseite, um so schnell wie möglich
an die reiche Quelle zu kommen,

und nur mit Ungeduld ertrugen sie es,


als Propst Hisko auf die unschuldige Idee kam,
sich wie ein Kreisel in den Stoff wickeln zu lassen.
Der dicke Bauer drehte sich geschickter,

als es sein verletztes Knie vermuten ließ.


Der Riese aber, von der höllischen Flamme
der Versuchung getrieben, hatte sich von neuem
über die Truhe geworfen, und nun schleuderte er besinnungslos

Gold, Silber, Brokate, Ringe, Armbänder,


Seide und Messgewänder unter die geblendeten Friesen.
Ich, ich!, kreischte Gunda, die ihre Gier
nicht mehr zügeln konnte und sich plötzlich

mit gespreizten Reißzähnen von ihrem Sitz stürzte.


Sollen Hiskos feige Mägde Ringe und Ketten tragen
wie wir Edelfrauen? Damit krallte sie ihre spitzen Finger
in die Wand der Truhe, beugte sich vor

und machte sich bereit, mit aller Kraft


auf den Schmuck zu drücken. Doch sie konnte es nicht mehr.
Es geschah etwas, das in seiner grausamen Verrücktheit
selbst den besinnungslosen Häuptlingen den Atem raubte.

Das graue Skelett wurde von dem Matrosen


mit beiden Armen aufgefangen.
Und erschüttert von dem unheimlichen Spaß,
diese zitternde Gier kurz vor ihrem Ziel verdursten zu lassen,

drückte Störtebeker seine Wange zärtlich und verliebt


an das steife Pergament der Quade,
und dann küsste er es schallend auf den Mund
und die zerfurchte Stirn der blutigen Kröte.

Da erschrak selbst Propst Hisko van Emden,


der sich in mancher Wein- und Männerschlacht
behauptet hatte, stolperte über den Paravent
und fiel mitten in den Saal. Störtebeker aber wurde

immer lauter und tobte bei diesen Liebkosungen.


O du seliges Weib, o du Weinberg der schwellenden Beeren,
was könnte ich nicht für dich tun? O, du großzügigste
aller Frauen, lass mich selbst dir das Hemdchen von Seide

oder Brokat abmessen. - Und obwohl die Gunda


zischte und fauchte und mit ihren mageren Armen
und Beinen fuchtelte, umarmte und liebkoste der Besessene
das abscheuliche Gespenst nur noch hungriger.

O fruchtbarer Regen, rief er ihr ins Gesicht,


o Wunder des Brokmerlandes, wie gesegnet bin ich,
einen festen Bund mit dir geschlossen zu haben.
Du wirst sehen, nie werde ich dich verlassen!

So tobte und raste der unbezwingbare Mann,


und um ihn herum wirbelten Entsetzen, Abscheu
und roher Beifall in brodelnder Verwirrung.
Bis schließlich die wilde geistige Verwirrung

auf die Zuschauer übergriff. Mit einem Mal


hatten sich die blonden Männer an den Händen genommen
und tanzten nun jubelnd im Kreis um das skurrile Paar
inmitten der flämischen Leinen und der offenen Truhe:

Gut, gut, Störtebeker soll bleiben. Die Verträge sind gültig.


Soll er der Quade Gunda einen Sohn zeugen.
Und auf dem Estrich hockte immer noch der Probst,
und während er sich verwirrt den Reigen

zu erklären versuchte, murmelte er von Zeit zu Zeit:


Absolvo te. Aber er wusste nicht mehr, was das bedeutete.
Und dennoch erteilte der Probst die Absolution
Störtebeker in seinem wilden Tanz mit Gunda.

SIEBZEHNTES ABENTEUER

Über die braunrote Heide trabte ein Reiter


auf seinem prächtig angeschirrten Schimmel.
Die Hufe des Rosses schlugen schwer
auf den unübersehbaren, bunten Teppich.

Wie von einer unachtsamen Frau


wurde das fröhliche Tuch
zwischen dem grauen Schlamm der Sümpfe
und der schwarzen Erde älterer Ackerflächen

zu Boden geworfen. Eine helle Herbstsonne


strahlte glasig vom Himmel,
und der erste Frühwind sprühte gelegentlich
bunte Tropfen von den Kräutern.

Das Tier hatte jedoch keine leichte Last,


denn sein Fahrer hatte einen Jungen vor sich
in den Sattel genommen.
Mit der linken Hand hielt er ihn fest,

und während er das Pferd allein


mit den Oberschenkeln lenkte,
zeigte seine rechte Hand ständig
in die Nähe und in die Ferne.

Jeder Tümpel mit Torf oder Moorboden,


jede einschießende Wiese wurde mit hellem Jubel,
mit freudvollem Stolz begrüßt.
Mach deine blauen Augen weit auf, mein Kleiner,

forderte Störtebeker triumphierend auf,


und dabei drückte er seinen Gefährten kurzerhand
an seine breit anschwellende Brust, ja,
er umarmte sogar stürmisch das flatternde blonde Haar,

denn in diesem Moment konnte er nichts neben sich dulden,


was nicht bedingungslos seiner Macht unterworfen war.
Siehst du, dort und dort, vor uns, neben uns,
alles mein, dein, alles unser.

Und berauscht vom ungeheuerlichsten Erfolg,


berauscht von der Vorstellung,
dass auf diesem morgendlich-frischen Boden
die Veränderung der Menschheit wachsen sollte,

so radikal, so segensreich, so geplant,


wie sie nie zuvor auf deutscher Erde erdacht worden war,
weder von Carolus Magnus, dem Ordensgründer,
noch später von Priestern oder Laien,

da ließ der Schöpfer, erfüllt von schöpferischer Lust,


seinen Gefährten zur Seite sinken,
warf sich über ihn und presste seine Lippen
durstig auf den Mund der Frau.

Was er hier streichelte, wurde unscharf.


Er küsste seinen eigenen Gedanken,
der für ihn in der Brust der Frau
wie in einem Tempel aufbewahrt lag,

er umarmte in diesem Körper,


der sich zu ihm bekannte, gleichsam
die Erfüllung und Vollendung seines Traumes.
Und diesmal widerstand Karin ihm nicht.

Selbstvergessen, verklärt, ganz eins


mit dem mächtigen Willen, blickte sie
mit großen, einladenden Augen zu ihm auf,
und in ihrem kindlichen Lächeln lag die Überzeugung,

dass alle Scham, alle Schande im Feueratem,


in den tosenden Wehen des Werkes gereinigt
und von ihr genommen worden war.
Ein segenspendender Gott hatte sie geschwängert,

und sie diente ihm im Gegenzug


und erhielt als Lohn die Gnade des Sehens.
Eine Verzückung durchströmte sie,
und von einem Wirbel unvorstellbarer Empfindungen getragen,

gab sie sich dem hin, was sie nie zuvor gewagt hatte,
und schlang schüchtern beide Arme um den Hals des Mannes,
der ihr zugeneigt war, und hielt ihn fest.
Selbst den wilden Mann überkam ein fernes Verständnis

für die Opfergabe, die ihm hier dargebracht wurde.


O blondes Gold, rief er in freudigem Überschwang,
wie froh bin ich, dich zu sehen!
Du hast keinen Schmutz an dir,

du bist nicht durch die Hände von Händlern gewandert,


und man kann dir die Glückseligkeit leicht abkaufen.
Noch einmal hörte die Käfer-geschwängerte Heide
neben dem regelmäßigen Hufschlag den hellen Jubel

des zufriedenen Siegerglücks,


und die Einsamkeit der Heide legte sich
tröstend um ein verstörtes Frauenherz.
Und so zogen sie weiter, vorbei an dunklen Torfmooren

und weiten Strecken gelben Flugsandes,


und solange die silbrige Morgenstille mit ihnen wanderte,
waren die Einsamen nicht nur
durch den gemeinsamen Drang
nach einem frommen, kindlichen Zeitalter
eng miteinander verbunden, sondern auch
das geheimnisvolle Gewebe zwischen Mann und Frau
zog seine heißen Fäden um sie.

Immer wieder, wenn das Hochgefühl seiner Mission


die Brust des Reiters sprengen wollte,
dann warf er sich an die schlanken weiblichen Glieder,
und mit Herzklopfen und entzückter Duldsamkeit

lauschte Karin all der Torheit


und unbändigen Neckereien, die er ihr zuflüsterte.
Wo war ihre Sehnsucht nach dem Nonnenstand geblieben?
Sie waren gerade aus einer sumpfigen Senke aufgetaucht,

als ein Wiehern ihres Schimmelpferdes


die Versunkenen weckte.
Heftig warf das Tier den Kopf herum.
Vor ihnen erstreckte sich eine weite Wiesenfläche,

verschiedene Wege schlängelten sich über die Grasebene,


und an einer Kreuzung dampfte eine Staubwolke.
Ho, rief Störtebeker, froh,
von den für ihn schon eintönigen Leckereien befreit zu sein,

und legte die Hand auf die Augen.


Siehe, eine Truppe von Reisenden.
Mal sehen, wen sie so früh eskortieren?
Und sogleich gab er dem müden Pferd die Sporen,

schnaufend und schnaubend trabte der Schimmel


auf die Kreuzung zu. Vor ein paar Balken,
die grob und kunstlos über eine Mulde gelegt worden waren,
hielt ein Zug berittener Schergen an.

Sie alle trugen den blauen Brokmer-Pfeil


auf ihren schwarzen Filzschläuchen
und warteten nur darauf, dass der elende
zweirädrige Reisewagen, wie er damals

von adligen Frauen benutzt wurde,


sicher über den Balken ratterte.
Die Dame selbst aber wartete nicht geduldig
auf dem harten Sitz ihres Käfigs,

sondern hatte längst das braune Pferd


eines der Bediensteten bestiegen,
denn es war Eva, die Tochter des verrückten Okko,
die, kaum aus der Obhut ihrer Mutter entlassen,

ihrem Hang zu lustigen Streichen verfiel.


Rittlings schwang sie sich in den Sattel,
und da sie heute ihren knielangen roten Friesenrock
angezogen hatte, sah der herannahende Freibeuter

mit Vergnügen, wie die eng geschnürten Beine


der Reiterin den Körper ihres Rosses
geschmeidig und gut sitzend umspielten.
Sofort schoss das Blut in den Adern

des stets erhitzten Jägers. Das ungewohnte Bild


jugendlicher Lebenslust, bereit zu jeder Verschwendung,
verzauberte ihn, und plötzlich sah er sie
mit weißen Beinen unter dem dunklen Mantel reiten,

das Meerwasser an Brust und Hals herabrieseln


und das aufgelöste Gold ihres Haares
feucht um ihre Schultern flattern.
Kein Zweifel, der begehrliche Mann atmete schneller,

er hatte die Schönheit schon beim Eintreten betrachtet,


so wie er sich alle Frauen vorstellte.
Mit einem Ruck schob Störtebeker
seinen Begleiter zur Seite,

um den Anblick frei und ungehindert genießen zu können.


Und in der egoistischen Meinung, dass seine Gedanken
auch unausgesprochen von allen verstanden werden müssten,
schwenkte er heftig die Mütze zum Gruß und rief hinüber:

Courte et bonne, bist du der Wasserteufel?


Die schöne Eva aber verstand.
Auch sie wirbelte ihre gelbe Kopfbedeckung
durch die Morgenluft und rief mit heller Stimme:

Und du, was bist du für ein vierbeiniger Reiter?


Da beugte sich der Seemann noch weiter vor
und tätschelte, als er nahe genug herangekommen war,
Evas Braunen am Hals.

Lass nur, antwortete er hastig


und wollte nur die kurze Reitkutte der Blondine berühren,
das ist mein Diener. Ich freue mich,
dem Zarten jede Atempause zu gönnen.

Aber nun, du Fisch und seltener Vogel, sag mir,


wohin geht die Reise? - Langsam löste die Brooke-Tochter
ihre braunen Augen von dem Burschen,
der noch immer von der Hand seines Herrn

am Fallen gehindert wurde,


und da sie mit dem scharfen Auge der Frauen
sofort das wahre Geschlecht dieses Dieners
hätte erraten können, glitt ein schelmischer Zug
über ihr feines Antlitz, und der Zwang überkam sie,
den frechen Reiter sofort zu züchtigen.
Nun, du Allwissender, erwiderte sie mit Spott,
da du die Gesellschaft edler Frauen zu kennen scheinst,

sage mir, wohin gehört eine ehrbare Hausfrau


mit mehr Recht, wenn nicht zu ihrem Mann?
Meiner, damit du es weißt, ist Jörg van Neß,
und ich hoffe, er denkt immer mit Sehnsucht an mich. -

Nun, ich wollte... fiel Störtebeker aus allen Himmeln,


der seine Wut darüber ganz offen verriet,
weil dieser glatte Vogel aus dem Garn zu hüpfen versuchte,
nun, ich wollte, der tiefste Grund der Hölle öffnete sich! -

Wem?, lauerte die Goldblonde,


zutiefst befriedigt über die Wirkung ihres Geständnisses,
und beugte sich blinzelnd vor, während sie ihre Knie
immer höher auf den Rücken des Pferdes zog.

Aber der Riese hatte seine erste Herausforderung gemeistert.


Und da war er auch schon dabei,
sich über sein bürgerliches Gewissen zu mokieren.
Seit wann machte er vor Weihwasser und Sakramenten halt?

Bei allen Wonnen des heißen Blutes,


und wenn diese Eva mit ihrem Heer
statt auf dem Karren im Ehebett
durch die Lande rollen sollte, schwor sich der Wilde,

dass er sie noch vor den Augen ihres Nutznießers


aus den Laken reißen würde.
So tobte die unstillbare Wut auf den alleinigen Besitz
von allem Schönen und Sinnlichen in demselben Heiland,

der gekommen war, um den Groll und den Neid


der anderen zu besänftigen. In diesem Augenblick jedoch
verbeugte er sich geschmeidig im Sattel,
winkte noch einmal mit der Mütze und griff kurzerhand

nach den Zügeln von Evas Braunem.


So denn, sagte der Schelm, bitte ich die Hausfrau
des Häuptlings van Neß um gute Nachbarschaft.
Und bevor eine Antwort gegeben werden konnte,

warf er die Hand auf. Geh,


drück deine schwarzen Filzschläuche beiseite,
denn ich will dir mein eigenes Geleit geben.
Überrascht, mit jenem schwebenden Lächeln,

das mehr versprach, als es zu halten bereit war,


und vor allem brennend neugierig,
was sie bei ihrer Begegnung mit dem blutigen,
sagenumwobenen Gewaltmenschen wohl erwarten würde,

nickte die schöne Eva


und wandte sich schon mit einer kurzen Bitte an ihre Begleiter,
als das so verheißungsvoll begonnene Abenteuer
unerwartet unterbrochen wurde.

Gespannt auf jedes Wort,


das sich nicht auf das Gemeinsame bezog,
oder besser gesagt, auf die Aufgabe, die ihr allein oblag,
hatte Karin, immer noch in den Armen ihres Herrschers,

dem unbeschwerten Geplänkel zugehört.


Und jetzt? Diese kaum verhüllten Scherze hier
auf heiligem Boden! Sie fühlte sich schwindlig,
sie wusste nicht mehr, was sie tat.

Oh, sie vergaß sich selbst. Zu ihrem Unglück


löste sie sich aus dem Bann
ihres früheren bescheidenen Dienstes.
Herr, drehte sie sich zitternd um

und legte ihre bebende Hand auf die Brust des Riesen,
du wolltest… Beunruhigt runzelte Störtebeker die Stirn,
sein gebeugter Arm schob die Frau von sich weg.
Was habe ich gewollt, Milon?,

mahnte er, als wolle er seinem Gefährten raten,


rechtzeitig innezuhalten und nachzudenken.
Was habe ich gewollt? - Aber Karin war von dem,
was vorausgegangen war, von den wilden Liebkosungen

ebenso wie von der Nähe des ersehnten Ziels,


zu sehr aus der Bahn geworfen,
als dass sie ihr bescheidenes, unaufdringliches Wesen
völlig verleugnet hätte. Herr, mahnte sie

mit einer dringenden, flehenden Geste,


was willst du hier noch länger verweilen?
Vergiss nicht, o vergiss nicht, dass deine Flotte
und die künftigen Siedler auf dich warten.

War es die Zurechtweisung, die er hier


in aller Öffentlichkeit erhalten hatte,
oder drückte die Gewissheit ihren Stachel
tief ins Blut des herrschsüchtigen Mannes,

dass nun auch andere an seinen Plänen


herumschnüffeln durften? Rot vor Unmut
warf er sich herum, und die Bewegung war so heftig,
dass Milon leicht aus dem Sattel geworfen wurde.

Der halbbewusste Mann war kaum in der Lage,


sich vor dem Sturz zu bewahren. Dennoch taumelte er
ein paar Schritte über den grasbewachsenen Boden,
bis er schließlich auf Evas Braunen Halt fand.

Ohne Luft und in allen Gliedern zitternd,


lehnte er sich an den Körper des Tieres.
Hanswurst, rief Störtebeker in einem schrecklichen Ton,
und man sah, wie seine rechte Hand vergeblich

nach der Lederpeitsche suchte,


will der Knecht seinen eigenen Herrn
für Botengänge anheuern? Pack zusammen
und tu selbst, was du so schön beschrieben hast.

Oder, bei allen Furien, ich werde dir Beine machen.


Schon hatte der gereizte Mann die Peitsche gefunden,
und nun, entschlossen, ihn zu züchtigen,
schleuderte er ihn so grausam durch die Luft,

dass Eva, von einem Schauder ergriffen,


sich schützend über den Jungen beugen musste.
Lass los, tadelte sie den wütenden Mann,
dessen rollende, brennende Augen sie plötzlich

mit Entsetzen erfüllten, und sie fügte bedeutsam hinzu:


Willst du diese zarten Knochen zerreißen?
Da hielt der Matrose auf halbem Wege inne,
aber auch Karin erwachte;

sie richtete einen leeren, weiten, zerrissenen Blick


auf den Mann, der bis dahin aufrecht vor ihr herging,
dann schüttelte sie stumm den Kopf. Und wie jemand,
der sich für immer verirrt hat, stürmte sie plötzlich

über Wiesen und Heide davon.


Winziger und unkenntlicher wurde der schwarze Fleck
hinter den Ginster-braunen Wogen der Erde.
Hätte sie sich noch einmal umgedreht, hätte sie bemerkt,

wie der Reiter, der sie gerade züchtigen wollte,


plötzlich die Faust hob, als könne er seinen Begleiter
mit diesem einen Griff zurückhalten
und auf seine Seite zwingen.

Aber die Entfernung hatte sich bereits


zwischen sie geschoben und alles verschluckt.
Um den Flüchtenden herum kreiste die Ebene
in langen, jagenden Schlieren.
Bald wirbelten Sümpfe auf sie zu,
bald tanzten Gräben um sie herum,
dann sprangen plötzlich wieder Dornenbüsche
aus dem wilden Sand, bis schließlich alle möglichen Wege

auf sie zustürzten und um die verlorene Frau kämpften.


Nach Stunden kam ein staubiger, zerrissener,
mit Exkrementen bedeckter Junge
auf dem großen Schiff im Hafen an.

Hohläugig und zusammenhanglos gab er


der Mannschaft den Befehl des Kapitäns,
dann kroch er unter den Aufbau,
und bald wälzte sich ein verkrampftes, fiebriges Häufchen

auf dem Prunkbett des Bischofs.


Immer wieder umklammerte sich ein Paar blutleerer Hände,
um Wohlstand, Segen und Vollendung
für das Werk zu erflehen. Auf das Werk, auf das Werk,

das sich von seinem Schöpfer trennen wollte.


Nach mehrstündigem Ritt legten
die gebrochenen Reisenden eine Rast ein.
Auf Wunsch ihrer Herrin waren sie

dem nachfolgenden Paar weit voraus geritten,


so dass sie ihre Herrin und deren Begleiter
fast aus den Augen verloren. Nun tränkten sie
ihre Pferde an einem der seichten Heidebäche.

Die Dienerinnen konnten ihre Herrin


jedoch nicht entdecken, denn die beiden hatten,
während sie ihre Pferde friedlich grasen ließen,
ihr Lager in einer der Sandgruben aufgeschlagen,

um sich nun auch um den Rest zu kümmern.


Trotz des trockenen Bodens war die Mulde
über und über mit bunten Wiesenblumen bedeckt,
und am oberen Rand blühten Ginster und Wilddorn.

Ein verwunschener, geheimer Ort.


Störtebeker hatte sich lang ausgestreckt,
er spürte die heiße Erde unter sich,
und je stärker er atmete, desto leichter fiel es ihm,

den blauen Himmel einzusaugen.


Mit halb geschlossenen Wimpern blinzelte er Eva an,
die nicht weit entfernt saß.
Sie flocht einen langen Kranz aus Marias Blumen.

Doch sobald sie ihre braunen Augen


über den scheinbar ruhenden Mann schweifen ließ,
glitt ein spöttisches Lächeln um den herrischen Mund
des Riesen, denn seine Ungeduld berechnete

bereits den Moment, in dem seine Wünsche


erfüllt werden würden. Hier,
an diesem eigens geschaffenen Ort, musste das Fieber,
das ihn so oft befallen hatte, gelöscht werden,

sonst wäre es schändlich gewesen,


seinen treuen Milon
mit der Peitsche von seiner Seite zu vertreiben.
Als der Junge zu sich kam,

schlug er seine schwarzen Augen auf,


er schüttelte sich, und eine verwirrte,
unbestimmte Rachsucht ergriff ihn,
als ob der Sturz dieses nahen Menschen

die schuldige Genugtuung für den anderen wäre.


Und ohne sich von irgendetwas zurückhalten zu lassen,
richtete er sich auf und stürzte wie eine große Schlange
auf seine Gefährtin zu. Sie sah ihm erstaunt nach.

Hast du keine Angst?, erkundigte er sich,


als er Eva erreicht hatte
und stützte sich mit beiden Armen
über der zusammengesunkenen Frau ab.

Du kennst doch die Lieder, die man über mich singt?


Mit schönen Frauen, die mir gefallen, scherz ich nicht lang.
Die Brooke-Tochter bewegte sich kaum,
und während jenes schelmische Lächeln ihren Mund zierte,

das ihren Unterdrücker stets zu Wahnsinn


und Gewalttätigkeit reizte, warf sie
dem geneigten Mann lässig
ihre Blumenkette um den Hals.

Gewiss, du langer Mann, sprach sie achtlos,


von dir wird mir nichts geschehen.
Doch Störtebeker hielt sich nur mit Mühe zurück.
Du kannst dich leicht irren, erwiderte er gepresst,

und es klang wie das dumpfe Gemurmel


vor einem Gewitter, was sollte mich hindern?
Da geschah das, was selbst den eigensinnigsten
und herrschsüchtigsten Mann

auf halbem Wege zum Stillstand bringt.


Es war eine kleine Hand, die zuerst
neckisch an der Blumenkette zerrte,
bis sie ihm unerwartet einen leichten Schlag
auf die Wange versetzte. Doch die Augen
des Seeräuberfürsten brannten,
tausend ungezügelte Stimmen schrien in ihm auf,
die Züchtigung, und sei sie auch nur

eine spielerisch eingebildete, trieb


den Ungezähmten in einen Rausch.
Mit einem Mal spürte er einen sich windenden Frauenkörper
in seinen Armen, er wollte ihn schonen,

um sich umso ungestörter


an seiner Beute erfreuen zu können,
aber vergebens, sie glitt ihm wie ein Wiesel unter die Arme,
und im nächsten Moment ging ein heller Schrei

über die Ebene vom Rand des Hügels,


auf den die Kurzröcke gesprungen waren.
Die Dienerschaft antwortete schon von weitem.
Merk dir das, du leichtsinniger Narr,

sagte Eva unterdessen strafend, obwohl


ihre blitzenden Augen
und ihre schnell zuckende Brust
mildere Dinge verhießen.

Weißt du nicht, dass jeder, der die Ehre


eines Friesen verletzt, mit dem Tod
vor dem Upstalsboom bestraft wird?
Auch wir, ihr Schuimer, scherzen hier nicht.

Außerdem, ich bin eine Fürstentochter.


Was würde mit dem neu erworbenen Land
und euren Siedlern geschehen,
wenn deine Missetat öffentlich bekannt würde?

Bezweifelst du, dass die Schlossherren,


meine Freunde und Vettern, froh,
eine Ausweichmöglichkeit gefunden zu haben,
sich auf eure kleine Bande stürzen würden,

um die Gefährlichen wieder zu verjagen?


Warum hast du auch so unklug gehandelt,
das Meer zu verlassen, wo du ein Mächtiger warst,
fürstlicher als alle Tyrannen hier in der Runde?

Als die wohlüberlegten Worte auf den Gescholtenen fielen,


wurde der Mantel der Wollust und Üppigkeit,
mit dem der Seemann diese junge Frau
für einzigartig gekleidet hielt, zerrissen.

Denn der Weltweise erkannte,


wie hinter der goldenen Stirn, verborgen,
aber bereits geformt, Absichten und Pläne wuchsen,
die seiner Verwandlung der Erde feindlich gegenüberstanden.

Der scharfäugige Mann ahnte deutlich,


dass hier ein subtiler Eigennutz am Werk war,
der, wie überall auf der verunstalteten Erde,
die Not anderer ausnutzen wollte.

Da lachte Störtebeker über seine törichte Verblendung


und sprang mit einem Satz, geheilt, neben die Reiterin.
Doch sie schenkte ihm keine weitere Beachtung.
Vielleicht hatte sie die Gewohnheit gelehrt,

dass es keiner stärkeren Fesseln


als der von Blumen bedurfte,
um einen so üppigen Jäger hinter sich herzuziehen,
aber auf jeden Fall warf sie sich rittlings auf ihr braunes Pferd,

ohne auch nur einen Blick auf ihren Begleiter zu werfen,


und ritt dann in schneller Flucht davon.
Und doch glaubte der nachfolgende Freibeuter,
der schlanke, feine goldene Kopf

unter der gelben Lederkappe habe ihm


einen gewissen, nicht misszuverstehenden Wink gegeben.
Dann knallte Störtebeker während der nun
einsetzenden Verfolgungsjagd fröhlich und kraftvoll

mit seiner Lederpeitsche durch die Luft.


Eine solche Pirsch war ganz nach seinem Geschmack.
Er wusste, worauf er aus war.
Der flatternde Rotmantel vor ihm mochte nur denken,

dass er den Narrenstrick in der Kinderhand hielt,


aber was kümmerte ihn, den Schicksalsveränderer,
ein solches Bündel altbekannter Reize wirklich?
Nur der Fang spannte seine Geister an,

sie alle mussten ihm dienen,


die Grenzenlosigkeit, das Abgründige des Besitzes allein
garantierte ihm in dunkler Vorahnung
die Wahrheit seiner Mission.

Trotz alledem! rief er plötzlich,


voll stürmischer Wildheit, während der Heidepfad
unter ihm dröhnte und er beide Arme
gegen den silbernen Himmel warf.

Das war der Schildspruch, den sein Lehrer Wichmann


ihm einst gegeben hatte: Trotz alledem!
Da drehte Eva, die vor ihm herflog,
zum ersten Mal ihren Kopf ein wenig zur Seite.

Im Hof von Neß drehte sich seine Führerin um,


um ihren Gast unter dem quadratischen Hauseingang
zu betrachten. Komm, sagte sie kurz,
damit ich dich führen kann.

Leicht bürstete sie den Staub von ihrem Überrock,


dann ging sie ihm eine dunkle Treppe hinauf.
Sie mussten sich in einem turmartigen Gebäude befinden,
denn die Stufen schlängelten sich im Kreis

und wurden immer enger und ausgetretener.


Eine träge, klebrige Dunkelheit quoll ihnen entgegen
und drückte ihren Atem nieder. Aber im Kopf
des Schuimers regte sich eine ganz bestimmte Erwartung.

Jeden Augenblick glaubte er, eine Hand


würde die seine ertasten und dann irgendwo
eine Tür aufstoßen, wo ihm die ersehnte
Gastfreundschaft zuteil werden würde.

Allein seine Sinne strengten sich vergeblich an.


Noch immer hörte er die hellen, flinken Schritte über sich,
die Dunkelheit schien sich mit ihnen zu drehen
und atmete eine feuchte Kälte aus.

Doch da endete die Treppe, ein ebener Gang oder Saal


musste erreicht sein, denn plötzlich spürte der Gast
seine Führerin dicht neben sich. Wieder streichelte sie
ihm über das Gesicht und flüsterte:

Warte! Dann entfernten sich ihre Schritte,


und der Fremde stand allein da, verschlungen
von dem Schlund der Schwärze.
Einen Augenblick lang befürchtete der einsame Mann,

dass seine Wirtin ihm hier eine Falle gestellt haben könnte;
ja, ihn, der zur Untätigkeit verdammt war,
beschlich der Verdacht, dass die wilde, glorreiche Jagd
nach allem Unerreichbaren in dieser Ecke

ein Ende gefunden haben könnte.


Doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst,
ließ ihn sein unerschöpfliches Vertrauen in seinen Stern
alle derartigen Einwände hinter sich werfen.

Und jetzt, nein, wirklich, ganz in seiner Nähe,


nur gedämpft durch eine geschlossene Tür,
vernahm er ein seltsames Grunzen,
wie wenn sich ein Schwein über dem Trog wohl fühlt,
und bald gesellte sich das feine Lachen von Eva dazu.
Störtebeker schoss das Blut ins Gesicht.
Sein Jähzorn flößte ihm giftig ein,
dass er wohl selbst die Ursache des heimlichen Vergnügens

seiner Schönheit war, er, der gefürchtete Herrscher


mit der schwarzen Fahne, der als getäuschter Mann,
als demütiger Kellner
vor der Tür einer listigen Frau lauerte.

Mit einem Sprung stürzte der Unbeherrschte


in die Dunkelheit, und tatsächlich,
seine geballte Faust traf dröhnend auf Holz und Planke.
Das wirst du mir büßen, du Hexe!,

schrie der gereizte Mann, keuchend vor Wut


und ohne sich darum zu kümmern, wer ihn hören könnte.
Bei den Hörnern Satans,
ich werde es in dich hinein trinken.

Das Gewölbe über ihm hallte schallend zurück.


Doch dann stand der Seeräuber wie geblendet still.
Unmerklich hatte sich eine niedrige Tür vor ihm aufgeschoben,
und der Anblick, der sich ihm nun bot,

traf den Eindringling so unerwartet,


dass er in einem plötzlichen Umschwung
eine rohe Lachlust kaum bezwingen konnte.
Wahrlich, Störtebeker klopfte sich auf die Brust,

als müsse er den Spuk und die Augentäuschung


unbedingt verscheuchen, dort drinnen,
in dem kreisrunden Loch im Turm,
unter allerlei verworrenen Messtischen,

die nach der Torheit der Zeit dazu bestimmt waren,


den Sternen ihre Geheimnisse zu entlocken,
hockte auf einem niedrigen Dreistuhl
ein Wulst von Speck und Fett,

der sich gerade mühsam drehte.


Es war der Häuptling Jörg van Neß, ein Mann,
den selbst seine besten Freunde das Ferkel nannten.
Seine menschliche Gestalt blieb fragwürdig.

Kleine, triefende Schlitzaugen,


eine monströse, weit vorspringende Schnauze
und ein ebenso heftig vorspringendes Kinn
gaben dem kurzbeinigen Fettklumpen in der Tat

etwas von einem stämmigen Biest.


Und es bedurfte nicht seiner grunzenden Stimme
und der blonden Stacheln auf seinem flachen Kopf,
um die unheimliche Ähnlichkeit zu vervollständigen.

Und das sollte der Ehemann der schönen Eva sein?


Störtebeker blieb mit offenem Mund
und dem ganzen beleidigenden Unglauben
eines von der Natur Gesegneten

über die Tür gebeugt und starrte auf dieses Wunder,


um bald eine Erklärung von der goldhaarigen Frau
zu bekommen. Doch als er die junge Frau dabei ertappte,
wie sie die kurzen Borsten des grunzenden Mannes zerzauste

und dem Freibeuter hinter dem Rücken des Dicken


schnippisch zunickte, löste sich
die unermessliche Verstrickung des Geplagten
endlich in einem langen, wilden Lachen.

Sogar Herr Jörg, der gerade zur Begrüßung


heran gewatschelt war, stieß ein zustimmendes Grunzen aus,
und auch die Schlossherrin schloss sich
der großen Heiterkeit an. Aber ihre Lippen zuckten

wie bei jemandem, der das Ende kennt.


Sie allein kannte den Anfang.
Von ihrer eigenen Mutter, der Quade Gunda,
mit diesem gemästeten Ungeheuer verkuppelt,

sollte die heitere Lebensfreude der Jungfrau


bald in Düsternis und Elend ersticken,
wie es ihr Peiniger beabsichtigte.
Doch diesmal erwiesen sich die Berechnungen der Quade

als trügerisch. Da das Ferkel nur nachts


auf der Sternenwiese weidete,
stellte es keinerlei Ansprüche an seine irdische Gefährtin;
ja, es geschah bald, dass Eva mehrmals am Tag

in die Turmzelle ihres Mannes hinaufsprang,


um ihm mit Genugtuung die Wünsche und Versuchungen
ihrer jungen Verehrer zu offenbaren.
Und während ihre kleine Hand

das gemütlich grunzende Ferkel streichelte


oder sein kurzes, borstiges Haar spöttisch kräuselte,
hörte man oft, wie die beiden in unbändige Heiterkeit
über ein entstehendes Liebespaar ausbrachen.

Frau Eva behielt das Ferkel, so wie vornehme Damen


ihrer Zeit so manches missgestaltete Geschöpf
in ihrer Umgebung fütterten, und so hatte sich
zwischen den Eheleuten allmählich die Vertrautheit
guter Geschwister entwickelt, die beide Seiten befriedigte.
Auch der Klumpen muss zuvor einen ausführlichen Bericht
über den Piraten gehört haben, denn während er ihn
schnaufend und blasend begrüßte, blinzelte er

aus seinen schräg stehenden Schlitzaugen


fast mitleidig zu dem Riesen auf. Fast schien es,
als bedauere der weise Mann seinen ungewöhnlichen Gast
im Voraus. Doch dann erinnerte sich der Herr des Hauses

an seine dunklen Künste, oder vielleicht an das,


was ihm gerade in den flachen Schädel geblasen worden war.
Geheimnisvoll hüllte er sich in sein grünes Kleid
und schüttelte ernsthaft den Kopf.

Du gehst zu weit, vertraute er seinem Besucher an.


Zuckend und feucht bebte sein Rumpf dabei.
So ist es, nickte Störtebeker, immer noch unfähig,
sich selbst zu begreifen, obwohl er seinen Blick

mehr auf die Schlossherrin


als auf den Klumpen gerichtet hatte,
ich messe sieben Schuhe. -
Das ist es nicht, murmelte das Schweinchen mahnend.

Dann ergriff er eine durch allerlei Striche und Zeichen


geteilte Stange und hielt sie schräg gegen den Fremden,
so dass die Sonne einen schwarzen Strahl
über den Seeräuber malte. Du überschreitest die Grenze,

wiederholte er hartnäckig. Verflucht,


warf Störtebeker munter ein und schlug den Pfahl frisch an,
ich werde mein Begehren auch nicht messen,
selbst wenn es bis zum Mond wachsen würde.

Rasch tauschte er einen Blick mit Eva,


die noch immer hinter der Lehne eines Stuhles stand,
und so frech und gefräßig flackerte seine Flamme wieder,
dass er nicht bemerkte, wie dem Ferkel

dieser heimliche Dialog gar nicht entging.


Vom Bösen, sagte der Mann mit den glasigen Augen,
der sich nun seiner Sache sicher war.
Einem jeden wurde sein Maß gegeben.

Der weise Mann zählt die Regentropfen.


Hör zu, du magst ein langbeiniger Bursche sein
und auf der Erde laut wüten, aber weißt du,
was für dich im Himmel geschrieben steht? -

Meine Seele, versicherte Störtebeker,


der sich nun ungebeten auf eine Ecke des Herdes setzte,
denn das Geschwätz des Dicken wurde ihm lästig,
lass mich die Erde in Ordnung bringen,

und wenn du unterdessen deine Frau herbeirufst,


um mir einen Morgenimbiss zu servieren,
so will ich dir Jupiter, Saturn
und die beiden Dioskuren ohne weiteres verkaufen. -

Mach dich nicht über die Ewigen Wächter lustig,


brummte der Klotz und hielt seinen Stab nun prüfend
gegen das Fenster und direkt ins Sonnenlicht.
Eva mag deinen Hunger und Durst stillen, wie es ihr beliebt.

Ich werde ihr nichts verweigern. Sie ist frei.


Denn alles, was geschieht, entspringt ohnehin
dem Nebel des Lichts, der für jeden von uns gewogen
und gezählt im Unendlichen schwebt.

Eva mag dir das Nachtlager bereiten,


und du wirst es nicht anders machen, mein Freund,
als die Staubkörner, die gebieterisch über dir
und in dir tanzen. Geh und versuche es.

Diese Gelassenheit überkam selbst


den unbekümmerten Gewaltmenschen.
Er sprang geräuschvoll vom Herd,
und sein Erstaunen wuchs,

als die Züge der goldhaarigen Frau


triumphierend aufblitzten.
Mühsam riss er sich zusammen, verbeugte sich
und warf sich trotzig und wie zum Abschied zu Boden:

Nun, Jörg van Neß, ich nehme deine Gastfreundschaft an


und hoffe, dass meine Staubkörner
unter der Obhut deiner Frau gedeihen werden. -
Jeder muss auf das hoffen, was ihm bestimmt ist,

sagte das Schweinchen düster.


Ruhig ließ der Geisterbeschwörer
seinen Besucher zum Ausgang gehen,
doch gerade als sich die ritterliche Gestalt

unter dem niedrigen Tor hindurch beugen wollte,


scharrte der Klotz, der sich inzwischen wieder
auf den Dreistuhl gezwängt hatte, mit dem Fuß
über ein Pergament, das auf dem Boden herumlag,

so dass ein trockenes Rascheln zu hören war.


Nimm das mit, du übermütiger Tobsüchtiger im Käfig,
grunzte er gleichgültig, ein Bote
von unserer lieben Mutter Gunda hat es heute gebracht.

Vielleicht siehst du daran, wie das Unsichtbare


auf Erden uns immer verfolgt. Hier,
er bückte sich und reichte seiner Hausfrau keuchend das Blatt,
das ist nur eine Hornisse aus dem großen Schwarm,

schnarchte er schläfrig und sank in sein Fett.


Was für ein Lappen?, gab Störtebeker herrisch zurück.
Und Eva las. Es war eine Depesche der Hansestädte
an die ostfriesischen Häuptlinge,

eine freundliche Ermahnung, aber viel eher


eine düstere Drohung, indem den edlen Junkern,
Enno, Abdena, Beninga, Cankena, Neß, Broke
und der Propstei Hisko van Emden

auf das maßvollste verboten wurde,


mit den Vitalienbrüdern, den Likedeelern, jenen Schwärmen
und Beulen auf den Leibern der Handelsvölker,
irgendeinen Verkehr zu haben.

Und mit heller Stimme, fast jubelnd, verkündete Eva,


während Störtebeker ihr amüsiert über die Schulter schaute,
das Ergebnis: Aber von allen Abtrünnigen,
von allen gotteslästerlichen Schurken,

die jemals den Frieden, die Ruhe und die Ordnung


in Stadt und Land gestört haben, ist Störtebeker
sicher der verkommenste und wird der Strafe
der Verdammnis nicht entgehen. -

Das wird er sicher nicht, unterbrach Eva schadenfroh


und versuchte, denjenigen, der neben ihr stand,
an einer seiner Locken zu zerren. Dann fuhr sie fort:
Es ist uns aber zu Ohren gekommen,

dass dieser friedlose Übeltäter,


nachdem er das Ostmeer durch Mord rot gefärbt
und auch gestohlen und gebrandschatzt hat, wo er nur konnte,
nun unter euch das lügnerische Gerücht verbreitet,

er wolle eine Bruderschaft gründen,


wie es selbst unserem Seligmacher
Jesus Christus nicht gelungen ist. -
Hier stockte die goldhaarige Frau wieder,

biss sich auf die Lippen und schüttelte unzufrieden den Kopf,
bis sie endlich aufmerksamer weiter las:
Damit dieser neue Frevel gegen die Obrigkeit
und die schuldige Demut nicht reife,
aber auch damit der gemeine Kaufmann
seine Ware weiterhin sicher über das Meer bringe,
wird hiermit den Edlen der Friesen empfohlen,
zu ihrem eigenen Nutzen und ihrer Frömmigkeit

mit Ernst und ernster Sorge die räuberischen Gesellen


ohne Zögern aus dem Lande zu jagen,
ihnen Schlösser und Häfen zu verschließen,
ihren Anführer aber zu ergreifen

und ihn nach einem Strafgericht


gnädig vom Leben zum Tode zu befördern.
Sollte dies aber nicht geschehen, so werden die Hansestädte
ihre ganze Macht einsetzen, um mit Hilfe des Himmels

dem Schwärmen in euren Ländern ein Ende zu bereiten.


Die Urkunde war unterschrieben mit Tschokke,
erster Schöffe von Hamburg; darunter hing
das schiffsgeschmückte Siegel der Stadt.

Störtebeker spießte das Manifest mit dem Schürhaken auf


und warf es ins Feuer. Auf Schloss Neß
wurde der Schuimer wie ein Fürst behandelt.
Eva ließ ihm ein duftendes Bad bereiten,

Knechte und Mägde bedienten ihn,


frische Wäsche wurde dem Gast gereicht,
und wer im Badezimmer laut sang,
hörte immer die Hausfrau unweit der verschlossenen Tür

sich bewegen. Diese Nähe bestärkte ihn


in seinen wilden Absichten. Doch bald bemerkte er,
wie die sanfte Tochter der Quade
mit ihrem zweideutigen Lächeln darauf bedacht war,

ihn zu necken und dem gewalttätigen Mann


mit allerlei Schmeicheleien und trügerischer Höflichkeit
die Hände zu binden. Ja, manchmal blitzte es
in den Gedanken des Riesen auf, als ob das alles nur

zur Belustigung des abwesenden Ferkels geschah.


Eva saß während des Mittagsmahls neben ihrem Gast
an der Seite des Hausherrn, aber der lange Saal
war mit so vielen Dienern, Köchen, Mundschenken,

Spießgesellen gefüllt, dass jedes vertrauliche Wort


verloren ging, und Störtebeker,
nachdem er Tasse um Tasse hinunter geschüttet hatte,
rebellierte plötzlich: Du Schönste, glaubst du,

ich sei einer der beiden fresssüchtigen Päpste


oder König Wenzel, der Hundezüchter,
dass du so bunt geschmückte Pfauen vor mir auslegst?
Und doch wisse, dass ich auf andere Speisen eingestellt bin.

Man erzählte sich damals, dass König Wenzel


seine erste Frau eines Nachts
von seinen wilden Hunden in Stücke reißen ließ.
Du könntest mehr sein, als du bist,

antwortete die goldhaarige Frau und trat zur Seite.


Der Schuimer verstand dies nicht.
Dann lass mich gehen, fuhr er wütend von seinem Stuhl auf.
Bleib, flüsterte Eva hinter ihrer Hand.

Da konnte sich der begehrliche Mann nicht mehr losreißen.


Am Abend fand auf Schloss Neß ein Festessen statt.
Im Vorbeigehen waren Propst Hisko van Emden
und Evas temperamentvollster Verehrer, der junge Allena,

auf dem Fest eingetroffen, und nun saßen die Männer


gemeinsam im langen Saal hinter den Weinkrügen
und ließen abwechselnd den unsichtbaren Gastgeber
und noch öfter die Schlossherrin zu Wort kommen,

die sich so sehr um den Durst ihrer Gäste sorgte,


und inmitten von Würfeln, Lärm
und schelmischen Liedern wussten sie allerlei
über die Angelegenheiten des Königreichs zu erzählen,

das nun aus den Fugen zu geraten drohte.


Weißt du, mein Lieber, legte der Probst weinerlich
seinen Arm um den Hals des Matrosen und brachte
seine wulstigen Lippen dicht an das Ohr seines Gefährten,

wir sind dabei, den Prager Judenmetzger


in die Moldau zu werfen. Wir werden ihn verjagen.
Kann auch in einem Weinfass Buße tun.
Nimm dich in Acht, bald springt der Pfälzer auf seinen Stuhl.

Es schlägt eine glückliche Stunde


für tapfere Schwertkämpfer wie dich.
Wie mancher Mann ist nicht unter einem Federhut ausgeritten
und mit einer Krone heimgekommen.

Was sagst du, Siebenschuhhoch?


Wir könnten den Handel selbst abwickeln!
Störtebeker stieß den allzu vertraulichen Mann
missmutig zurück, weil er Grimm in sich aufkochen fühlte,

weil er Allena sah, der seiner amüsierten Wirtin


seine verrückten Geständnisse zuflüsterte.
Hör auf mit dem Gefasel, Hochwürden,
zischte er wütend und zerdrückte fast den Silberbecher
in seiner Faust, mein Reich liegt
auf einem weichen Frauenkörper,
und mein Ehrgeiz sucht Nahrung für leere Münder.
Als der stattliche Mann erneut

die Hungrigen erwähnte, warf Eva


dem Riesen einen offen feindseligen Blick zu,
doch der Probst brach in ein unvernünftiges Lachen aus.
Sein Körper zuckte. Er verschluckte sich fast.

Du Schelm, schnaubte er
und stieß dem Freibeuter die Faust fest in die Rippen,
da wir hier in Liebe und Frieden beisammen sitzen,
verrate uns doch, welch ein lukratives Gaunerspiel

du hinter deinem wilden Gerede versteckst?


Jedes Kind weiß, dass Reichtum und Völlerei
ebenso ewig bestimmt sind wie das Knurren
der Gedärme und die Eingeweide des Hungers.

Der Priester ahnte kaum,


dass nichts Störtebeker so sehr beunruhigte,
so tief rührte, wie der Spott über jenes nackte Elend,
das sich seine Phantasie in jahrelanger grausiger Arbeit

als ein düsteres Feld vorgestellt hatte,


über das nackte Menschen
steinerne Lasten auf Hals und Schultern
in eine hoffnungslose Ferne schleppen,

während Arme und Beine der Träger bereits verrotten.


Der Riese sprang auf, sein herrischer Mund bebte,
als er an seine Jugend dachte, und in plötzlicher Wut
schlug er nach dem Weinkrug,

so dass dieser umkippte und seinen Inhalt verschüttete.


Wehe euch, rief er und maß jeden seiner Kameraden
in tödlicher Fremdheit,
denn in diesem Augenblick wurde ihm klar,

dass die Binsenweisheit der schwarzen Fahnen


sein eigenes Schicksal tatsächlich
bis zum Rande erfüllte. Feind der ganzen Welt,
hüte dich, es ist nicht gut für dich,

den bösen Geist in mir gegen dich zu wecken,


der du nichts anderes kannst als feiern und tanzen.
Das viele vergossene Blut seines Lebens
sprang vor ihm auf dem Tisch

in roten, zuckenden Flammen.


Es wurde furchtbar still um den Tisch.
Und gerade jetzt will ich tanzen,
verkündete Evas helle, neckische Stimme plötzlich.

Unerschrocken, nur darauf bedacht,


die Spannung bis zum Äußersten zu steigern,
ergriff die goldhaarige Frau
unerwartet den umgestoßenen Krug,

und indem sie ihn dem Seemann


spöttisch entgegenstreckte, begann
die Geschmeidige zum Erstaunen aller
einen zierlichen Kreis in der Mitte des Saales zu drehen.

Die Augen der Zuschauer weiteten sich,


und für eine Weile war jedes Wort
und jede Bewegung der Männer
durch den seltenen Anblick gelähmt.

Dies war nicht der schwerfällige Reigen,


der im Brokmerland üblich war.
Nein, nur der starrende Störtebeker wusste,
dass nur hellenische Künstler

ihre berauschten Nymphen


auf schwarzen Vasen so zu formen pflegten,
den Krug auf der Schulter,
den Körper zurückgeworfen.

Dann brach plötzlich donnernder Beifall aus.


Der Probst schlug mit den Fäusten auf den Tisch,
Allena schleuderte seinen Becher durch die Luft,
aber Störtebeker, von einem Wirbel

in den andern gejagt, durch listige Berechnung


vom Eis in die kochende Hitze gerissen,
und vor allem unfähig, irgendwo eine Grenze
für sich zu dulden, machte den Anschein,

als ob er den Tisch umstürzen wollte,


um mit zitternden Fäusten,
gleichgültig gegen alle Zeugen,
diese flinke Beute zu ergreifen.

Sachte, sachte, mein Freund, lallte der Probst


und drückte den Bewusstlosen gewaltsam an sich.
Ich rate dir, dein hungriges Reich zu meiden
und Herrn Jörg, den Tanz und den Wein

hier regieren zu lassen. Hört ihr?


In diesem Augenblick aber hielt auch Frau Eva inne,
holte Luft, stellte ihren Krug auf den Boden,
verbeugte sich dankbar vor dem Probst,

und während sie ein paar Mägde zu sich winkte,


sprach sie mit kaum verhohlener Zufriedenheit:
Es ist Mitternacht, meine Herren.
Sucht nun leise euer Lager auf,

damit ihr meinen Mann nicht stört.


Denn sein Tagwerk beginnt erst, wenn wir anderen ruhen.
Und, vor Übermut aufblitzend, fügte sie hinzu:
Und träume jeder von dem, was er sich wünscht. -

Ach, verdammt noch mal, brummte der Emder


hinter der schnell verschwindenden Frau
und lockerte bereits seinen Gürtel.
Soll man nicht einmal im Traum seine Ruhe finden?

Komm, mein Lieber.


Damit wollte der weingetränkte Mann
seinen Arm unter den des Seemanns schieben,
aber Störtebeker stieß ihn zurück,

so dass das Opfer in Allenas Arme taumelte,


und die beiden Zurückgebliebenen mussten
mit offenem Mund zusehen, wie der Riese
wie ein Orkan aus der Halle fuhr,

ohne sich zu verabschieden.


Bald darauf verkündeten Hufschläge,
dass ein Reiter trotz der Nacht
und der fehlenden Wege seinen Weg suchte.

Propst Hisko strich sich verwirrt


über die niedrige Stirn, dann,
nachdem er ein wenig nachgedacht hatte,
sagte er gähnend: Der Kerl heißt zu Recht Schuimer.

Wer weiß, wie lange seine Welle noch anhält?


Wir wollen nicht ganz mit den Hanseaten brechen,
Allena. Vorsicht ist ein sicherer Hühnerstall.
Über der nächtlichen Heide flackerte

der weite Sternenhimmel, die Meeresbrise


kroch summend durch das kurze Gestrüpp,
und im Mondlicht wanderte der unmäßig
verlängerte Schatten von Tier und Mensch

seitlich neben dem trabenden Mann.


Eine gespannte Stille bemühte sich,
ihr Geheimnis in das Ohr des einsamen Mannes zu flüstern.
Aber Störtebeker war mit dieser Sprache längst vertraut.
Befreit lauschte er dem Atem der Weite,
und als er den Geruch der Erde spürte,
als die feuchten Nebel der Moore
um ihn herum aufstiegen, brannte

eine unerklärliche Sehnsucht in ihm,


und ein wahnsinniges Verlangen ergriff
den ungestümen Mann, sich mit dieser Erde zu vermählen,
alle seine Wurzeln tief in sie hineinzustecken,

um auf ihr zu blühen wie ein Baum.


Unsichtbar, sichtbar erhoben sich vor ihm
künftige Häuser und Gehöfte
aus schwarzen, bläulich schimmernden Torfböden,

er hörte Menschen aus der Leere singen,


erkannte das Brummen von gesättigtem Vieh,
und weit hinten in der Schwärze verlor sich
das Stöhnen zusammenbrechender Körper,

das bis jetzt immer den Unterton


in der rasenden Musik seines Lebens geseufzt hatte.
Wie leicht war verzehrt, was er eben noch
der Gier und Lust hatte entreißen wollen,

nur die Ausdehnung für die versprochene Dauer,


nur um alle Leben zugleich gelebt zu haben,
was, ja, was allein sättigte, was befriedigte.
Das war die glücklichste Stunde des Gewaltmenschen.

Traum und Erfüllung hielt er zu gleichen Teilen


in seiner rechten und in seiner linken Hand.
Mit einem Ruck zügelte er sein Pferd,
warf sich weit zurück, so dass alle Sterne

ihm standhalten mussten, hob die Faust


gegen den brennenden Strudel, und schrie heiser
vor Inbrunst in die immer tiefer werdende Gasse:
Lauert nur, blinzelt aus tausend zornigen Augen,

ihr könnt den Samen nicht mehr aus meiner Brust reißen.
Er wird sprießen, trotz euch, gegen euch!
Gegen Morgen zog er sein Tier hinter sich her
zur Warf der Brokeburg. Gunda hockte

in ihrem grauen Faltenkleid


auf einer Steinbank im Hof
und fuhr mit ihren Spinnenfingern eifrig
über die breiten Zeilen des Hamburger Manifests.

Doch kaum erblickte sie den abgetriebenen Reiter,


als ein giftig-süßer Glanz über das blutleere Gesicht
der Frau strich, und sie stopfte das Pergament in ihre Tasche,
als müsse sie einen köstlichen Schatz vergraben.

Nun, fragte sie mit ihrer harten Stimme,


bringst du mir Grüße von Eva, Mann?
Doch Störtebeker antwortete nicht.
Sein Blick hatte vom Hügel aus den Hafen getroffen,

und siehe da, dort unten in der schmalen Rinne


lag ein Schiff nach dem anderen,
eine Allee von Masten hatte sich gebildet,
und überall flatterten die schwarzen Wimpel

in den frühen Morgen. Nun, sagte Gunda,


ohne sich zu rühren, die Deinen sind gekommen.
Und hier im Schloss wartet dein Diener,
dein Knappe, fügte sie mit Gefühl hinzu.

Der Riese stand immer noch sprachlos neben ihr.


Nur seine Brust dehnte sich weiter, höher,
bis sie aufbrach. Dort unten sein Schwert,
sein Pflug, seine Werkzeuge. Hier oben die Schale,

in die er seine Gedanken gegossen hatte,


und weit herum unter der Dämmerung
die Zukunfts-dampfende Erde.
Mächtig breitete er die Arme aus,

und trunken vor Glück umarmte er im Tonfall


des Bräutigams endlich das Unverschleierte und jubelte:
Mein, mein! Die See ist mein, ich gehöre der See,
Das Meer ist meine Braut und Herrscherin!

ACHTZEHNTES ABENTEUER

Der Herbst war schon weit in den Oktober vorgedrungen.


Aber das Meer trug mit der Flut
einen Südwind gegen die Sümpfe,
die für die neuen Siedler seltsam

nach fremden Blumen und würzigen Kräutern rochen,


und tief unter dem hellen Himmel
strömte Milde und Wärme.
Hungrig öffneten sich die Schollen, um sie aufzunehmen.

Etwa eine Viertelmeile von Brokeburg entfernt


hämmerten fleißig Hämmer. Dort hatte
der Ire Patrick O'Shallo auf einem Wiesenvorsprung
hinter ein paar einsamen Pappeln
ein notdürftiges Bretterhaus errichtet.
Nur notdürftig und oben mit Moos und Schindeln bedeckt.
Denn der umherziehende Geselle
kannte noch nicht die Gewalt des Schneesturms,

wenn er über die schutzlose Ebene fegt.


Nun hämmerte der sangesfreudige Bursche
schnell und ungeduldig an einem hölzernen Zaun,
damit er sein künftiges Gärtchen schützen konnte.

Schließlich waren die Hühner und Ziegen


seines Nachbarn, des Hebräers Jakob,
schon oft in die abgesteckten Beete eingebrochen,
und das wollte der leicht erhitzte Ire nicht dulden.

Außerdem sehnte sich der blonde Mann


Tag und Nacht nach einer Frau
und einem Mann, kurzum nach Wesen,
die ihm einen Teil seiner Arbeit abnehmen konnten.

Das bedeutete aber auch, dass sein Anwesen,


das ihm durch die Güte dieses mächtigen Führers
auf unbegreifliche Weise zugewiesen worden war,
nicht dem Zugriff jedes Störenfrieds ausgesetzt sein sollte.

Und so begnügte sich Patrick O'Shallo


keineswegs mit dem Gartenzaun,
sondern beabsichtigte, nach und nach
das gesamte Anwesen durch Buschwerk abzugrenzen.

Was er mit seinem sauren Schweiß kultivierte,


brauchte nicht immer den arbeitswütigen Juden,
der es anzapfte, der wie besessen und wie verfolgt
bis in die Nacht hinein pflügte, streute und wühlte,

wenn er nicht gerade wie ein Wurm durch die Erde kroch.
Seltsamerweise wusste der lustige Kerl auch nicht,
wie das geschah, aber er konnte die unablässige Arbeit
seines Nachbarn nicht mit ansehen, ohne zu murren

und sich zu ärgern. Und seine Vorliebe


für Vergnügungen, Spiele oder Ferien
fühlte sich erst beschämt und dann beleidigt
durch die rastlose Aktivität des Mannes,

der nur auf Gewinn und Erfolg aus war.


So hielt er auch jetzt wütend
mit dem Einrammen der Pfähle inne,
wischte sich das rotblonde Haar

und stützte sein Kinn auf einen der Balken.


Wahrhaftig, wieder einmal packte ihn der Unmut.
Denn nicht weit von ihm entfernt sah er
den alten Jakob, der damit beschäftigt war,

eine Rinne zu graben, um das Feld zu entwässern,


das er bereits umgeworfen hatte.
In diesem Moment begann Patrick O'Shallo
leise Verwünschungen zu murmeln.

Natürlich würde der gemeine Schleicher


jetzt wieder einen Vorsprung bekommen,
denn an solche Hilfsmittel hatte der Ire
noch gar nicht gedacht, da er dachte,

er müsse erst einmal für einen reichhaltigen Tisch


und ein recht gemütliches Lager sorgen.
Was soll's, er wollte doch eine junge Frau
darauf betten, oder? Und jetzt? Ha, ha,

um den alten eisengrauen Maulwurf


da drüben herum schnüffelten
ein paar kleine Ferkelchen herum?
Wie ist der Kerl an die Neuerwerbung gekommen?

Es sollte das schlechteste Wetter kommen!


Denn was nützten das ebenso abgegrenzte Land
oder die ebenso abgezählten Gulden,
wenn der verfluchte Mauschel

dort drüben keinen Schlaf fand? Keine Frauen,


kein Trinken, keine Spiele und keine Feiertage?
Vielleicht würde er, der kräftige,
Frauen-verbrennende Geselle,

noch immer von den Mägden verachtet werden,


weil er sein Anwesen nicht so gründlich
zu bewirtschaften vermochte
wie das graue Schlurfen von drüben?

Eine rote Wolke hing vor den Augen des Iren.


He du, hilf mir, rief er zu dem Spaten-schwingenden
Mann hinüber, denn sein Zorn sagte ihm,
dass die Siedler vom Admiral den Befehl erhalten hatten,

sich in allen Fällen gegenseitig zu helfen.


Doch Patrick nahm es ihm nicht übel,
dass er zwar ständig diese Unterstützung
von dem alten Mann einforderte,

es aber regelmäßig versäumte,


seinem Nachbarn etwas Ähnliches zukommen zu lassen.
Woran lag das? Der Sprenkelbart stammte
aus dem Volk der Ausgestoßenen,
und Störtebekers Ermahnung zur Brüderlichkeit
aller Sterblichen konnte unmöglich
an den Fremden gerichtet gewesen sein.
He du, hilf mir, rief er noch lauter als zuvor.

Auf den Ruf hin erhob sich ein eisengrauer Kopf


über die Schlucht, gehorsam schlenderte
die breite, stämmige Gestalt des Hebräers heran.
Als er den Zaun erreichte, stützte er sich auf den Spaten.

Wo fehlt es denn?, fragte er bereitwillig.


Brauchst du Nägel, mein Freund?
Der andere schüttelte energisch den Kopf.
Da sie nicht mehr auf dem Schiff waren,

störte ihn die Vertraulichkeit der Anrede.


Du sollst die Querbalken für mich halten,
forderte er unwirsch, die Bastelei geht mir zu langsam.

Der Alte nickte verständnisvoll,


und während er schon nach der langen Stange griff,
damit sein Gefährte die spitzen Stäbe
daran festhämmern konnte,

huschte ein dunkles Lächeln


unter seinem schneebedeckten Bart hervor.
Kannst du es auch nicht erwarten,
Frau und Kind hier zu sehen?, murmelte er gepresst.

Doch dem Jungen fiel fast der Hammer ab.


Der Gedanke, dass der gebückte Fünfzigjährige
auch den gleichen Träumen frönen könnte wie er selbst,
versetzte ihn in eine namenlose Wut.

Willst du auch, Jakob?, erkundigte er sich stammelnd.


Sein Helfer jedoch bemerkte nichts.
Mit aller Kraft umklammerte er sein Brett,
und tief gebeugt murmelte der Jude

sein Geständnis in die Erde.


Ja, ja, sie wurden mir einst genommen,
schwarzer Tod und Gewalt.
Aber man will doch wissen, für wen man baut.

Nämlich für uns, flüsterte er, seine Augen glühten,


nämlich für uns. - Dann schleuderte Patrick
seinen Hammer gegen das Brett
und klopfte auch mit dem Fuß dagegen.

Der Jude erwachte und taumelte.


Na, verdammt noch mal, stieß der Ire
dunkelrot hervor und spuckte.
Warum müsst ihr Beschnittenen es hier

wie die Karnickel treiben?


Gibt es nicht schon genug von euch
Krummnasen auf der Welt? Aber ich nehme an,
ihr betreibt das Feilschen nur,

weil ihr euren Nachbarn einen leichten Gewinn


nicht gönnt? Und er lachte höhnisch auf:
Mir scheint, du hast nicht vergessen,
wie Störtebeker solche Gleichen bestimmt hat,

um sie nach ihrem Tode wieder zu verteilen? -


Nur, sagte Jakob, der die wahren Beweggründe
des anderen nicht verstand, begeistert,
liebe die Erde, die dir gehört.

Ein eigenes Stückchen Land, Patrick,


ach, ein eigenes Stückchen Land,
das muss vererbt werden an Kind und Kindeskind.
Hier, hier, aus diesen Schollen allein sehe ich es wachsen,

mein Recht, meine Gleichheit, meine Brüderlichkeit.


Und darum, er wandte seine schwarzen Augen
anbetend zur fernen Brokeburg,
so wie seine Vorfahren wohl einst ihre Augen

zum Berg Zion erhoben hatten,


darum ist der da oben vom Blute des Messias. -
Ein Schwätzer ist er, wütete nun der Ire,
dessen Vernunft völlig in Gift und Galle ertränkt war,

da er sich zu endlosen Mühen verurteilt sah,


denen er sich nicht stellen mochte.
Warum behält der Schurke noch immer
einen Teil der in den Schiffen angehäuften Beute,

anstatt sie sofort bis auf den letzten Pfennig


unter uns zu verteilen? He, ich will Herr sein
wie andere Herren! Hast du mich verstanden? -
Bruder, stammelte der alte Jude betroffen

und hob betrübt die Hände,


bist du nicht Herr auf deinem Boden?
Aber der streitsüchtige Mann
hatte nur noch den einen Wunsch,

diesen unbequemen Mahner


und vor allem den von ihm verehrten
Menschengott niederzuringen und zu beschmutzen.
Vielleicht, weil er das Streben und die Hingabe
der beiden noch nicht verstanden hatte.
Selbstgefällig steckte er die Hände in die Taschen,
drehte seinem Kameraden abrupt den Rücken zu
und schimpfte obszön:

Friss deinen geliebten Mist um meinetwillen,


du demütiger Diener. Ha,
ich sollte nur erst wieder auf den Schiffen stehen,
dann wollte ich dir zeigen, wie schnell ich

an Huren und Würfelgeld kommen wollte.


Der Gehörnte soll euch Hirnlose holen.
Damit stürmte er wütend in sein verbrettertes Haus,
und bald verriet ein sinnloses Sägen und Klopfen,

wie der Wahnsinnige wieder einmal


in verzweifelter, vergeblich verdampfter
Anstrengung versuchte, den Hausrat
für die ersehnte Frau zusammenzuschlagen.

Der alte Jakob aber umklammerte


seinen Spaten fester, streckte ihn flehentlich
gegen das Schloss und stammelte fanatisch:
Steh fest, du Sohn Davids, steh fest.

In einem der gewölbten, spitzbogigen Räume


der Brokefeste ging Störtebeker derweil
mit weiten, beschwingten Schritten
durch den mit Teppichboden ausgelegten Raum,

und jedes Mal, wenn er den rauen Eichentisch erreichte,


strich er mit der Faust über allerlei
mit Kohle auf die Tafel geschriebene Feldmessungen.
Bis er schließlich aufatmend zu seinem Gast,

Propst Hisko van Emden, hinüberrief:


Die Erde ist ausgebreitet, genug, mein heiliger Freund,
lass uns nun den Schmutz des Feldes abwaschen!
Ich jedenfalls stecke schon bis zum Hals in Torf und Moor.

Dafür aber sollen wir uns mit einem Wunder


von Frankenwein erfrischen. Kopf hoch,
wir wollen eine Messe für Bacchus feiern.
Aufgeräumt, eilte er zur Tür, um einen Befehl zu rufen.

Laudabiliter, lächelte der dicke Mann,


der fest in seinem Sessel hing
und sich nun erwartungsvoll über die Lippen strich.
Du hast recht, hübscher Jüngling.

Sine Cere et Libero friget Venus.


Allein, er besann sich plötzlich,
denn der zweite Gast am Tisch des Admirals,
ein käsig-gelber Langweiler,

aus dessen Gesicht nur eine glühende Säufernase


als einziges Lebenszeichen hervorblitzte,
hatte sich soeben verstohlen geräuspert,
so dass Propst Hiskos Aufmerksamkeit

auf ihn gelenkt wurde. Schwerfällig und müde


streckte der dicke Mann beide Beine aus.
Verzeih mir noch ein wenig, mein Herr,
drängte er den zurückkehrenden Störtebeker,

aber da du in erster Linie ein Vater für die Deinen bist,


musst du hören, was mein Gesprächspartner,
Jonkher van Sissinga, dir über die Roggensaat

mitzuteilen hat, bevor du an deinen eigenen Ort


geschickt wirst, wie beschwerlich das auch sein mag. -
Schon wieder? - Entmutigt zog der Freibeuter
die Stirn in Falten. Sein fröhliches Wesen,

das sich nach Lebensfreude und Vergnügen sehnte,


ertrug nur widerwillig den ewigen Ansturm
dieser kleinen zermürbenden Sorgen.
Ja, wenn es galt, das große, leuchtende Gesetz

in die Luft zu zeichnen, oder sobald es


notwendig wurde, auszureiten,
um der vorauseilenden Menge
ein hinreißendes Beispiel zu geben,

dann schoss die Flamme himmelwärts aus dem Lodernden.


Aber das sorgfältige Markieren, das Abwägen
und Berechnen der sich täglich wiederholenden
wirtschaftlichen Erfordernisse erschien

dem weitgereisten Mann kleinlich,


und er fluchte oft, warum er sich nicht eine Herde
von Krämern oder Kaufmannsdienern dazu geholt hatte.
Raus damit, fuhr er deshalb den käsigen Jonkher an,

nicht gerade freundlich. Soll ich in der Propstei


noch Roggenkörner kaufen? Mir scheint,
ich könnte mit dem, den ich habe, das ganze
heilige römische Reich in einen Mehlbrei verwandeln.

Es geht nicht, sagte Sissinga, ohne sich zu rühren,


allein er holte den Satz aus so dunklen Kellertiefen,
dass kein Fremder diesen dröhnenden Glockenschlag
in dem klapprigen Gebäude vermutet hätte.
Störtebeker schüttelte heftig den Kopf,
halb über das unerwartete Geräusch,
halb in brennendem Zorn
über die immer neue Quälerei der beiden.

Mach dir nichts draus, warf der Emdener Wanst


in diesem Moment ein, der den Zeitpunkt
für gekommen hielt, die Ereignisse
seines Gesprächspartners zu unterstützen.

Der Riese aber, der sich in die Enge getrieben sah,


riss an seinem rotseidenen Schecken,
so dass alle Nähte aufplatzten,
und stieß ein böses Lachen aus.

Dann stand er unter dem gewölbten Fenster,


von dem aus er die abgetakelten Schiffe
im Hafen überblicken konnte, bis er schließlich
verächtlich über die Schulter warf:

Mach's kurz! Der römische Wolf zieht es vor,


anderen aus der Tasche zu fressen.
Aber auf Judas' dreißig Silberlinge, meine Herren,
werde ich ihm einen auf die Schnauze hauen,

sobald er zu gierig schnüffelt.


Die beiden anderen am Tisch verständigten sich
mit einem kurzen Blick hinter seinem Rücken.
Unmittelbar danach begann die Totenglocke zu läuten:

Du tust uns Unrecht, Ruhmreicher,


denn du solltest lieber dich selbst anklagen.
Muss ich dir sagen, dass du nichts
von Landwirtschaft verstehst? -

Recte, bestätigte Hisko, als sowohl die Hitze


als auch die Überlegenheit des kundigen Landwirts
in ihm erwachte, die Buschleute, Pardon,
ich meine die Siedler, wissen nicht,

wie man die Wurfschaufel benutzt.


Sie verstreuen die Körner einfach oben
auf die Furchen, das ist schade. -
Und der raue Wind und die Feldmäuse

tun ihr Übriges, ergänzte Sissinga.


Grimmig wandte sich Störtebeker wieder dem Tisch zu.
Doch kaum hatte er ihn erreicht, knallte er mit dem Fuß
gegen die Querbalken, so dass das Holz ächzte.

Kommt zur Sache, Edelleute, sagte er äußerlich ruhig,


aber innerlich schon wütend,
weil die beiden Berufsmänner es wagten,
ihn ungestraft zu bescheißen.

Wo ist der Handel? Was ist mit dem Profit?


Was wollt ihr in eure Beutel stecken?
Vorwurfsvoll schluckte der Jonkher noch ein paar Mal,
bevor er schließlich mit seiner ehrenwerten Stimme erklärte,

dass er einen Ort an der holländischen Küste kenne,


wo Störtebeker drei Schiffsladungen
Roggensaat feilbieten könne, und zwar viel billiger
als im Brokmerland. Und ich rate bei klarem Verstand… -

Einverstanden, winkte der Admiral ungeduldig


mit beiden Händen, der sich inzwischen
auf einen Stuhl geworfen hatte und voller Erleichterung war,
dass sich der Weg aus dieser unwegsamen Gegend auftat.

Was soll das ganze lange Gejammer?


Du könntest schon bei Wichmann im Hafen sein.
Soll er doch mit drei Schiffen auf einmal auslaufen.
Und das Geld..., er schleuderte das Unerfreuliche

wie einen Stein von sich, soll Milon dir bezahlen. -


Deine Weisheit trifft immer das Richtige,
verabschiedete sich der Bekehrer
unter einer tiefen Neigung und ging fort.

Der Wirt blieb mit seinem geistlichen Freund allein zurück.


Bald ging das dumpfe Scharren der Weinkrüge
über den Tisch; ja, der Freibeuter stimmte
in einem Anfall von unbegründeter

und deshalb umso grellerer Heiterkeit


einen fröhlichen Singsang an, während er zechte.
Aber seltsamerweise war es das alte, stürmische
und sinnliche Schuimer-Lied,

das die freiesten und sonnigsten Tage


des Seehelden begleitet hatte.
Vom Mast wehen die schwarzen Fahnen.
Störtebeker ist Kapitän.

Warm und voll erfüllte die Stimme des Admirals


den gewölbten Raum, das Lied schien ihn
an die See zurückzuversetzen, die Lust
des Kommandos trat in dem schmalen Antlitz scharf hervor,

aber allmählich verebbten die Strophen


immer unmelodischer, und als sie ganz verklungen waren,
ließ der Freibeuter die Faust mit dem Becher
zu Boden sinken. Ein unsicheres Lächeln

wanderte um den herrischen Mund.


Wundersam, sinnierte er nachdenklich,
die Freude an alten Abenteuern, Ruhm
und klirrenden Waffen spielte noch in den schwarzen Augen.

Ich singe, und auf dem Kiel der Agile


beginnen Muscheln und andere Schalentiere zu nisten.
Er schüttelte den Tisch, als wolle er sich selbst aufwecken.
Mein ganzes Leben lang bin ich auf dieses Ufer zu gesegelt,

sprach er hart und bestimmt, und jetzt bin ich hier.


Eine Zeit lang stockte das Gespräch zwischen den beiden
und versank in Schweigen.
Friedlich kräuselten sich die Sonnenstrahlen

über die Zeichnungen auf dem Tisch.


Der geistliche Bauer aber wusste,
was das alles zu bedeuten hatte.
Zu oft hatte er erlebt, wie Gutsherren

von Jagden und Kriegen wohlbehalten zurückkehrten,


aber Pflug und Sense hatten ihnen
die Adern durchgeschnitten.
Vorsichtig strich er über sein ledernes Jägerwams,

drückte seine geschwollenen Äuglein zu,


um sein Wissen nicht vorschnell zu verraten,
und streckte sich noch bequemer
und tastete sich vorsichtig weiter:

Hör zu, mein kleiner Sohn,


auf dem Weg hierher habe ich die schöne Eva getroffen.
Ich mag sie und ihre rosige Haut nicht.
Sie ist eine ungestillte kleine Eiche,

die ein großes Tier in ihren Ästen festhalten möchte.


Nimm dich in Acht vor ihr.
Bei dieser Warnung warf der Admiral jedoch
hoffnungsvoll den Kopf zur Seite

und schlug mit der Hand in die Luft wie jemand,


der ein schemenhaftes Bild zerstören will,
das gespenstisch aus dem Boden wächst.
Was ist mit ihr?, drängte er abweisend

und mit so zögerlichem Widerstand,


dass der listige Hisko sofort erkannte,
wie oft die Goldhaarige in den Tagen des Riesen
ein Alp gewesen sein musste.
O, sie lässt dich nur in aller Anständigkeit fragen,
murmelte der Dicke in seinen Krug,
wie lange es wohl dauern würde,
bis du Fortuna für dich und die Deinen

endlich an die Kandare nimmst?


Selbst in der Wiedergabe des dicken Mannes
klang der Befehl schelmisch genug.
Und trotz aller Vorsicht konnte der Probst nicht verhindern,

dass ein Strahl mitleidigen Spottes


aus seinen geschwollenen Äuglein blinzelte.
Aber Störtebeker ließ sich nicht täuschen.
Sein heller Verstand hatte längst durchschaut,

wie der Unglaube seiner Umgebung


am liebsten jeden Tag, jede Stunde vergiftete
Dornen in sein warmes Herz gestoßen hätte.
Dafür spuckte der Riese natürlich nichts

so voller Ekel aus wie den lauen Tagtrunk


und Nachttrunk dieser ewigen Schnuller.
Der Seemann warf sich mit einem Krachen
in seinen Stuhl zurück und schwang nun

seinen Krug mit einer solchen Übertreibung


nach seinem Gefährten, dass man hätte meinen können,
er wolle das Gerät gegen die nächste Wand schleudern.
Komm, lass mich dich noch einmal füllen,

du mein gesegneter Bauch,


übertraf er sogar die Wildheit, an die er gewöhnt war,
und lachte und dröhnte dazu,
so dass dem erschrockenen Zuhörer die Ohren klingelten.

Beeil dich, du verdienst einen Botenlohn,


wenn du noch heute der schönen Eva
und ihren Freundinnen erzählst,
in welch vorzüglicher Verfassung du

mich in Trunk und Gesang getroffen hast.


An den Wänden der Brokeburg nistet schon
der Weinschwamm. Hört ihr?
Sie werden sich freuen, die Lieben, ich kenne sie.

Und sag ihnen auch, was für seltsame Augen


in meinem Kopf sind. Haha, sie sind in der Lage,
Wachstum und Blüte zu sehen,
auch wenn der Stamm noch tief in der Erde schlummert.

Verstehst du, lieber Bruder, das ist so ein Narrenspiel,


wie es die Gaukler auf den Märkten preisen?
Und schließlich, ganz ehrlich und nebenbei,
alles Gute braucht seine Zeit.

Und auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.


Du verstehst, Freund, den gemeinen Hafer,
wie ihn die Mähren an den Pritschen kauen.
Mit einem dumpfen Aufprall,

als hätte sich der Freibeuter zu lange festgehalten,


krachte der Krug tatsächlich gegen die Wand,
Scherben polterten an der Wand herunter
und ein wütender Regen aus edlem Wein

prasselte auf die beiden nieder.


Der Probst war entsetzt und duckte sich tief.
Ich habe es nicht so gemeint, wollte er sich schütteln.
Doch auch diese dürftige Entschuldigung reichte nicht aus,

denn die Tür wurde aufgerissen


und der Admiralsjunge erschien auf der Schwelle.
Blasser als je zuvor, hob sich sein geistiges Gesicht,
das nun von einer verzehrenden Leidenschaft erfüllt war,

von der schwarzen dänischen Tracht ab.


Milon, fuhr der Störtebeker auf,
denn die Anwesenheit dieses Wesens
rief ihn stets und wie unter Zwang

zu seinen reineren Eingebungen zurück,


was bringst du? - Auf den Ruf hin
verstummte der Jüngling und stützte sich nur ganz leicht
am Pfosten des Eingangs ab, bevor er

zwischen Empörung und Hilferuf ausbrach:


Herr, es ist etwas Schlimmes passiert.
Als ich den Siedlern das Essen brachte,
wie du es befohlen hattest, musste ich feststellen,

dass zwei unserer Seeleute, der schlaksige Arnold Frowein


und der Stotterer Lubbert Onderdonk,
dem Bootsmann Wulf Wulflam Gefallen getan hatten.
Sie sagen, sie wären lieber Diener eines kundigen Mannes,

als länger hungrig und ziellos herumzusitzen.


Herr, Herr, wie ist das zu verstehen? -
Ei der Tausend, wiegte der alte Propst
in wohligem Mitgefühl den Kopf.

Non omnia possumus omnes.


Langsam schritt die aufrechte Gestalt des Freibeuter
an die Seite des Pfarrers. Eine Zeit lang
sprach er kein Wort. Auch die beiden Zeugen
irrten sich, wenn sie erwarteten,
dass eine Sturmflut von Zorn und Wildheit
den letzten Rest von Selbstbeherrschung
aus dem zügellosen Mann heraus fegen würde.

Nein, es war nur jenes bittere, eiskalte Mitleid


mit der menschlichen Torheit,
das sein Gesicht in eine fahle Blässe tauchte,
obwohl er solche Verirrungen seit seiner Jugend

überall gefunden und mit ihnen gerechnet hatte.


Jetzt aber rebellierten sie vor seinem letzten Ziel,
vor dem Zweck seiner Mission.
Sich selbst belastend, ließ er seine Hand

auf die Schulter des dicken Mannes sinken,


so dass der Probst noch tiefer in den Sessel sackte,
bevor er kurz, abgehackt und voller bissiger
Anschuldigungen sprach: Du hast ehrlich

auf Erden geherrscht. Glaubst du,


dass es mit den Gottesbildern noch viel weiter
bergab gehen könnte? Jahrhunderte lang
habt ihr sie mit dem Löffel der Knechtschaft gefüttert,

bis ihre Mägen sich nun vor der Freiheit erbrechen.


Darum schämt euch, denn nun muss sogar der Arzt
die Gepeinigten schlagen und züchtigen,
um sie zu heilen. Doch wehe euch, wehe euch,

wenn der Tag kommt, an dem ihr selbst


den Trank schlucken müsst, den ihr gebraut habt.
Ihr werdet daran sterben.
Düster winkte er dem Jungen zu,

und Hisko, der benommen auf dem Fensterbrett lehnte,


sah zu, wie Herr und Diener kopfüber
die Warf hinunter jagten.
Die Zeit verging, Schneeflocken wirbelten

über das flache Land, plumpe, gemästete Körper


schwebten wie weiße Vögel über Felder und Dächer.
Ich wünschte, ihr könntet geschlachtet werden,
sprach der Steuermann Lüdeke Roloff,

der frierend und arbeitslos unter den Pfosten


seiner baufälligen Schindelhütte lehnte,
und er wandte seine auf den Kopf gestellten Augensterne
grimmig gegen das Gedränge.

Seit er in seiner mecklenburgischen Heimat


zur Belustigung der Edelfrau gezwungen worden war,
abscheulich zu tanzen,
mochte der Mann keinen Reigen mehr dulden.

Nicht kreisen, dampfte er in die Kälte hinaus.


Fliegt lieber in meinen Topf und werdet zu Hühnern.
Seit zwei Tagen ist der Bube des Admirals
wieder nicht da mit dem Futter für Vieh und Mensch.

Und die friesischen Schwarzbrenner


in der Nachbarschaft wollen auch nichts mehr verkaufen.
Haben Angst zu verhungern,
das hartherzige Gesindel.

Er schnürte sich die Kehle zu,


denn der Schauer wollte ihm die Zunge lähmen.
Wozu hat uns Störtebeker hierher geschleppt?,
bohrte er in sich hinein. Was nützt mir

der Sandhaufen, wenn er mich auszehrt


und doch nichts hergibt? Der Tod und der Teufel,
die Rote Seide auf der Brokeburg
ist nichts weiter als ein solcher Kraftprotz.

Frisst und trinkt und lässt uns tanzen.


Sie sind überall. Aber bei allen Vierzehn Nothelfern,
es muss umgekehrt werden, umgekehrt!
Die Schiffe im Hafen waren längst vereist,

das Brokmerland gefror allmählich


unter der schneidenden Kälte,
und die dürftigen Häuschen der Siedler
versteckten sich im Schnee

wie Bettler unter einem Schafspelz.


Tagelang kräuselte sich kein Rauch
aus den versunkenen Mahlzeiten,
denn es wurde immer schwieriger, die Kolonisten

mit Nahrung und Lebensmitteln zu versorgen.


Aus der Stille, aus der oft schmerzhaften Totenstille
der Ebene, die einen unerträglichen Gegensatz
zu dem heimlich rauschenden Fieber

in seinen Adern bildete, rettete sich Störtebeker


an solchen Tagen oft zu seinen Schiffen
in den Hafen. Zu der großen hölzernen Herde,
zu den geflügelten Rössern,

die sich sonst um ihn herum getummelt hatten


und ihm zu Füßen lagen. Jetzt lagen sie erstarrt,
gefangen, fast wie er selbst.
Dann suchte der Unruhige,

nun immer von einer bohrenden Sorge getrieben,


in seinen friesischen Schafspelz gehüllt,
das Schiff des Admirals auf,
wo der kleine Wichmann seit langem das Kommando

über die spärlichen Wachmannschaften hatte.


Seltsamerweise war dieses Überbleibsel
seiner alten Schuimer der einzige verlässliche
Stamm der einst gefürchteten Freibeuter-Truppe geblieben,

und er wurde von dem Zwerg


ohne viele Worte und wie von selbst
in scharfer Manneskraft gehalten.
Ein bitteres Gefühl der Verwunderung

überkam Störtebeker oft bei solchen Wahrnehmungen.


Was war hier los? Das gewohnte Handwerk,
die gedankenlose Unterwerfung unter ein eisernes Gesetz,
das keine Gnade kannte

und den Willen des Einzelnen ausschaltete,


es schmiedete diese Menschen
zu einem nützlichen Werkzeug,
es erfüllte sie sogar mit einem ausgeprägten Stolz

auf ihren Beruf, während die anderen,


die Befreiten, die Glücklichen...?
Entmutigt und verängstigt schüttelte sich der Riese.
Natürlich bestäubte er sich nur mit Schneeflocken,

und dennoch schaute er sich beim Erklimmen


der breiten Schiffstreppe misstrauisch um,
um sich zu vergewissern, dass keine Späher beobachteten,
was er vielleicht noch abwerfen wollte.

Durch die hohen Fenster der Agile


schimmerte ein weißes Spiegelbild
der umliegenden Schneemassen.
Dies verlieh auch den Strickereien an den Wänden

ein geisterhaftes, schwebendes Leben.


Inmitten der Pracht dieses fürstlichen Zimmers
lag der kleine Wichmann auf einem Ruhekissen
und ließ ein paar mächtig geschnitzte Holzdeckel

auf den vertrauten federnden Tritt seines Schülers sinken.


Es war ein Exemplar des Seneca,
ebenfalls eine Beute aus der Reisebibliothek
des Bischofs von Strängnäs.
Der Zwerg betrachtete den hochgewachsenen Besucher
eine Weile, richtete sich langsam
mit seinen zweifarbigen Augen auf,
denn der andere schaute sich in der bekannten Halle

so heimelig, so besitzergreifend um,


als sei diese bunte Schöpfung gerade
seinem Wunsch und Willen entsprungen.
Nun, alle neun Musen küssen dich, Magister,

begrüßte der Riese, erwärmt von seinem Anblick,


seinen ehemaligen Lehrer
und warf das unbequeme Schafsfell
auf den Laternentisch, während er auf und ab schritt.

He, sag mir, du auserwählter Genießer,


wie ist es, in meinem Nest zu nisten,
unter meinen Büchern und bei meinem Wein?
Der Kleine streckte sich bequem und strich sich

mit den Händen über sein leicht ergrautes Haar.


Ich bin es gewohnt, auf Kosten anderer zu leben,
erwiderte er und betrachtete ruhig
die Vertäfelung der Decke, nur hier fehlt mir das,

was selbst die Nächte zu einem Kampf


und die Tage zu einem Vergnügen macht.
Es war die alte unbeschwerte Art,

die sonst sicher Blitze und Funken


aus dem Sturm von Störtebekers Leben geweckt hätte.
Heute aber zuckte er hoffnungslos mit den Schultern.
Und als er vor der Pfanne mit brennendem Torf stehen blieb,

mit der die Stube gewärmt wurde, streckte er die Hände


über die Glut und murmelte vor sich hin:
Fütterst du immer noch das Feuer und glaubst,
du wirst es löschen? Du Tor,

segne wenigstens meine Flamme,


solange sie noch brennt.
Nie hatte der Kleine einen Zweifel
oder gar eine Klage von dem beständigen Menschen gehört,

über dem immer Erfüllung und Vollendung schwebten.


Deshalb war der Zwerg von dem unerwartet
offenbarten Schwanken des selbstbewussten
Anführers so grundlegend überrascht,

dass er katzenartig aufsprang,


um den Abgewandten nun in höchster Neugier
zu durchbohren. Aber es war nicht die ängstliche
Teilnahme eines Freundes, sondern eher

die Erregung eines Alchemisten,


der, gefesselt und angezogen,
die Entwicklung seiner eigenen Künste erwartet.
Ehernes Gefäß des Weltwillens,

sammelte er sich schließlich, und seine hohe


knabenhafte Stimme klang so sanft wie immer,
leugne nicht die seligste der Lehren deines Meisters.
Was murmelst du von Tropfen,

wenn nur ein anschwellendes Bad


die Geister des Homo supra hominem erfrischen kann?
Mir scheint, ich hörte die schöne Eva läuten,
um dir dieses edelste aller Elixiere zu geben?

Nun bewegte Störtebeker die Glutpfanne


geräuschvoll hin und her. Verdunkelt,
mit weit aufgerissenen Augen, starrte er ins Feuer.
Lass mich in Ruhe mit diesen Kindereien, Hein,

forderte er vehement, die Zeit weiß Höheres zu tun.


Und doch, willst du dich nicht verschwören,
bring den frechen Spatz in mein Nest,
und er soll ein weiches Plätzchen finden.

Er bewegte verächtlich die Hand,


und es war offensichtlich, dass er nicht in Scherzlaune war.
Der weiche Mund des Magisters verzog sich:
Ist mein kleiner Junge so zahm geworden?,

sank er verwundert und ein wenig verächtlich zurück.


Wo fehlt es noch? Wollen die neuen Knödel
nicht von Prometheus' Händen geformt werden?
Kaum war dem Zwerg der leichte Spott

über die Lippen gerutscht, drehte sich der Admiral,


über das Feuer gebeugt, abrupt um.
In dem geröteten Gesicht sprang ein Leuchten
hin und her, durch die dunklen Augenhöhlen

fegte eine Inbrunst, dass der Kleine,


der einen so tiefen, zermürbenden Ernst
bei seinem Gefährten nicht vermutete,
den Atem anhielt. Schwerfällig erhob sich

Störtebeker, und nachdem er nahe genug


an die Ruhestätte herangetreten war,
zog er den Magister mit einem Faustgriff hoch.
Der Unglückliche lag nun vor dem Riesen auf den Knien,
und dieser umfasste zunächst mit beiden Händen
sanft den strohblonden Haarschopf des Kleinen,
bevor er ihm, wie ein Junge seinem Spielzeug,
mit einer zitternden Bewegung

das tiefste Geheimnis anvertraute:


Hein, wollte er flüstern, aber es klang scharf,
wie das Kratzen eines Messers,
das in hartem Gewebe auf Widerstand stößt,

der Lehm, aus dem die Brut gemacht werden sollte,


ist schon von rohen Fäusten verstümmelt worden.
Schwer, diese Masse zu kneten,
wie wir es immer vorhatten.

Und dann, kannst du mir folgen, mein Freund?


Du lächelst nicht, nicht wahr?
Ich würde dich erwürgen, wenn du jetzt lächeln könntest,
dann, woher bekomme ich das Messer, die Axt, die Säge,

damit ich dem einen den Kopf aufsetze,


durch den der andere höher ragt?
Und die Füße und Hände, die ich abhacken muss?
Und die vielen Sehnen und Glieder? Hör zu, Hein,

und die schwarzen Sterne des Sprechers


weiteten sich mehr und mehr zu großen, glanzlosen Sonnen,
die ihre eigene Farbe verzehrt hatten,
ich meinte, dass die Freude es bewirken würde.

Die Freude an gleichem Besitz, der Jubel der Freiheit,


sie könnten der räuberischen Brut
den alten Geist austreiben. Den Rost aus ihren Seelen.
Neue Menschen würden den neuen Tag begrüßen.

Er schüttelte seinen krausen Kopf


und kam dem knienden Mann so nahe,
dass sich ihre Atemzüge vermischten.
Es ist nicht so, sprach er bedrückend.

Bald wird es so sein. Bald. Aber jetzt noch nicht.


Wir müssen noch warten. Diesen Winter!
Nur diesen einen. Aber das Warten
ist der Weg zum Tod. Mein Atem gefriert

auf dieser Straße. Ich mag es nicht, zu warten.


Ich kann mich nicht auf die Lauer legen.
Deshalb, du Schatz meiner Jugend,
und die große Gestalt warf sich neben den Kleinen

und umklammerte dessen Hals,


deshalb brauche ich Teilnahme, Unterstützung,
ich muss zu mir ziehen, was ich besitze.
Und nun folgte, stürmischer denn je, der Streit,

der schon oft zwischen den beiden


Freibeutern ergebnislos ausgebrochen war.
Heute aber warf sich der Admiral
mit so eindringlichem Zureden auf seinen alten Gefährten,

dass er dem klugen Mann ahnungslos


die ganze Bitterkeit seines Strebens offenbarte.
Da hörte es der Magister wieder.
Von Anfang an, und besonders seit der Landung

in Marienhafe, hatte Störtebeker


das komplizierte Werk der Ansiedlung
allein und selbstherrlich
auf seine mächtigen Schultern geladen.

Er kaufte das Land, er zahlte die Summen


und er teilte die Ländereien und Felder
nach seinem Gutdünken auf.
Keiner der Waffenbrüder war bereit,

auch nur einen kleinen Teil der Last mit ihm zu teilen.
Selbst Hein Wichmann hatte
unter allerlei fadenscheinigen Ausreden,
dass er kein Landsmann sei

oder dass ihm die Arithmetik zuwiderlaufe,


von Anfang an seinen Verbleib
auf dem Admiralschiff verfolgt.
Und von den anderen Anführern genoss keiner

so viel Prestige, dass der Riese


ihnen ein Verständnis für die Möglichkeit
einer neuen Sternstunde zutraute.
Schon gar nicht dem dicken Wichbold.

Zum Glück lag Wichbold, seit Störtebeker ihm


nach dem Brand in Bergen
den Schädel zertrümmert hatte,
mit dick bandagiertem Kopf

in der Kajüte der Goldenen Biene,


und sein Fluchen und Stöhnen kam oft
aus dem Bauch des Schiffes.
So war es wohl nur eine der sprunghaften Ideen

des Zwerges, als er Störtebeker


mit einem zweideutigen Lächeln beiläufig mitteilte,
dass der Kranke nachts auf geheimen Pfaden
durch die Gegend gestreift sei.
Das darf er, pflegte der Riese kalt zu antworten.
Soll er doch seinen Strick auf dem Lande suchen.
Ich darf meine Hände nicht wieder
mit dem Eiter beschmutzen.

Aber du, Hein Wichmann, du,


schloss der Glühende heute seine Werbung ab,
und er strich dem Zwerg brüderlich
über das lange gelbe Haar,

hast einst das verschlossene Gehirn


des Fischerjungen aufgeschlossen,
so dass Hochmut und Pracht
und dieses verzweifelte Lauschen

auf den gleichen Schlag aller Lebewesen


Einzug halten konnten. Und jetzt?
Will mein Bruder, mein Freund, mein Lehrer
dieses lüsterne Fieber nicht teilen?

Will er, ein Hochgesinnter, den Blinden nicht erklären,


was das Licht ist, das jetzt auf ihren Schaufeln brennt?
Ja, es sogar mir erklären,
da es mich manchmal verwirrt und blendet?

Wer hätte diesem mit Schönheit und Anmut


gesegneten Mann widerstehen können,
dem sogar die goldenen Bienen der Beredsamkeit
ihren Honig auf die Lippen trugen?

Wahrhaftig, selbst dem Zwerg schien es schwer zu fallen,


sich der Verstrickung des anderen zu entziehen.
Allein, bedächtig und abweisend,
schüttelte er dennoch den Kopf. Dann setzte er kalt ab:

Nein, Kleiner, das kann dir nichts nützen.


Ich bin ein Gauner und ich bleibe ein Gauner.
Ich bin nur einer von diesen Bücherwürmern,
die ihr Leben lang um das Wort herumkriechen.

Ich kann es ausdenken, aber es ist ein langer Weg


von meiner Zunge zu meiner Hand.
Pfui, und der Schweiß, denke ich, ist ein saurer Saft.
Ja, wenn es dir gelingt, Bruder,

dann schreibe ich ein Loblied auf dich,


und wenn es scheitert, dann zeige ich dir gleich danach,
wie man es besser hätte machen sollen.
Zu etwas Edlerem bin ich nicht tauglich,

und es tut mir nicht leid.


Diese schneidende Selbsteinschätzung
muss etwas Erfreuliches gehabt haben,
denn ein anerkennendes Lächeln kräuselte sich

um die Lippen des Zuhörers. Unbeirrt erhob sich


Störtebeker, streckte sich und schritt
mit seinen breiten, entschlossenen Schritten
ein paar Mal über den Teppich.

Plötzlich zuckte ein Blitz aus seiner Stirn.


Er warf sich seinen Schafspelz über
und erkundigte sich schnell:
Weißt du noch, Hein, was der Pharao gemacht hat,

als er die Hebräer zum Tribut gezwungen hat? -


Er hat ihnen Rücken und Hintern gebleicht, mein Schatz. -
Aber die Pyramiden sind trotzdem
aus Schweiß und Blut gewachsen.

Wir haben sie gesehen. Die Ewigkeit


weht um ihre Gipfel! In solcher Luft
ist es leicht zu atmen.
Ich werde etwas Ähnliches versuchen.

Er drückte krampfhaft die Hand des Strohblonden


und sprang schnell die Treppe hinauf.
Doch der Kleine warf sich auf das Kissen,
strampelte mit den Füßen und krähte wie ein Gockel.

In der Gegend um Brokeburg gab es Kämpfe.


Als der Winter nahte, konnten die Freibeuter
Frost und Hunger in ihren hellen, baufälligen Baracken
nicht mehr ertragen, und da ihre alte Gewohnheit

sie zum Raub verleitete, sammelte sich eine Bande


unter dem jähzornigen Iren Patrick O'Shallo,
um den umliegenden Friesen mit Gewalt
Mehl, Hühner und Feuer zu entreißen.

In einer Winternacht loderte der Feuerschein


im eisblauen Himmel, die Waffen klirrten,
die Schreie der aus dem Schlaf gerissenen Frauen
mischten sich mit dem Brüllen des Viehs

und dem Stöhnen der Verwundeten,


und nur die wütenden Streiche
des halb bekleideten Admirals,
der von der Burg herbeieilte,

trieben die verzweifelten Männer auseinander.


Doch nachdem der wütende Ire gefesselt
und in den Burghof gebracht worden war,
schlug Störtebeker ihn selbst mit der Peitsche

einmal, zweimal besinnungslos ins Gesicht


und zwang den blutenden Mann,
seinen Raub bis ins kleinste Detail aufzugeben.
Doch damit war der Streit keineswegs beigelegt,

wie er befürchtet hatte. Denn als der Riese,


aufgewühlt und benebelt vom Blutnebel,
an der Seite seines Milon die dunkle Treppe hinauf tappte,
erfuhr er von einem Diener, dass Gunda

ihn kurzerhand in den großen Saal beorderte.


Pack dich, knurrte Störtebeker gereizt
und stieß dem Mannr drohend die Faust entgegen.
Es ist Schlafenszeit. Warum schnarcht die alte Hexe nicht?

Da standen sie schon vor der doppelflügeligen Tür,


und in einem Anfall höllischer Neugierde
riss Störtebeker sie ganz auf. Geräuschvoll
drängte sich der aufgepeitschte Mann

in die dunkle Halle. Nur eine einzige Fackel


begann in ihrem Wandring zu leuchten
und versprühte ein paar bläuliche Funken.
Das veranlasste monströse Schatten,

sich in dem unruhigen Raum zu versammeln,


die zuckten und sich wie in einem Kampf
der Giganten übereinander warfen.
Sobald das Licht die beiden Sessel

auf dem Podest erreichte, entdeckte man


in einem von ihnen eine weiß gekleidete Frauengestalt,
die sich einen blauen, mit Goldblech besetzten
Friesenmantel übergeworfen hatte,

um ihre Nacktheit zu bedecken.


Es war Eva, die erst seit wenigen Stunden
bei ihrer Mutter zu Gast war
und sich nun mit der Anmut verbeugte,

die sie dem Seemann gegenüber


immer an den Tag gelegt hatte.
Da begann das Herz des aufgeregten Mannes zu klopfen.
Die zuckende Nacht und in ihr das weiße Bild

raubten ihm jede Erinnerung


an den blutigen Ort des Aufruhrs,
den er gerade verlassen hatte.
Hallo, presste er heiser hervor,
welche holde Dame lädt mich zum Diskurs ein?
Wer fürchtet sich in dieser Einsamkeit?
Ein schlurfendes Geräusch erhob sich
von der Seitenwand. Ich bin es,

grollte die raue Männerstimme der Gunda,


und erst jetzt tauchte die graue Falkengestalt
aus ihrer rastlosen Wanderschaft im Fackelschein auf.
Was ist das für ein einfältiges Geplänkel?

Wisst ihr nicht, dass eure Räuber unsere Verträge brechen?


Weißt du nicht, dass es in den Bezirken
von Allena und Beninga genauso ist?
He, Störtebeker, habt ihr vergessen,

dass ihr Geächtete seid? Überall an den Küsten


trommeln die Dänen und die Hansen.
Ihr habt euch die Ohren zugedrückt, was?
Ich werde euch verjagen, hast du mich verstanden?

He, wer bist du eigentlich?


Mit geballten Fäusten und gespreizten Beinen
hatte der Riese dem stummen Bild
auf dem erhöhten Stuhl
und dem grau gefiederten Falken verächtlich zugehört.

Jetzt aber riss er die Fackel aus ihrem Ring,


schwang sie um seinen Kopf
und zog sie dann dicht an Gundas
blutleeres Gesicht heran. Die roten Augen

der Hexe begannen schmerzhaft zu tränen,


und voller ohnmächtiger Wut
widerstand sie dem Schuimer.
Wer bin ich?, brüllte er nun,

so dass der Ton von einer Ecke zur anderen flog.


Ich bin dein Herr, Frau. Sieh genau hin.
Glaubst du, du könntest ohne meinen Willen
lebendig aus deinem Modern heraus flattern?

Sieh dir meine Fäuste an,


sie haben schon andere Vögel gerupft.
Ein Wink an den Wichmann,
und unsere Lederschlangen würden dir

überdies ein Grabmal auftürmen,


wie es Semiramis in Babylon kaum fand.
Die Hexe holte Luft, sie wollte wieder zuschlagen,
aber Störtebeker tätschelte ihr schon

mit der freien Hand wohlwollend die Wange,


was ihren zappelnden Aufruhr nur noch verstärkte.
Sei still, Liebe, nickte er ruhig, du weißt,
dass ich dich schätze, und wer kann schon sagen,

wie nahe wir uns eines Tages kommen werden?


Dabei strich er über die weiße Gestalt im Sessel,
die sich nicht rührte, und fuhr ordentlich fort:
Aber jetzt, meine Taube, rate ich dir,

picke gutwillig die goldenen Körner,


die ich auf deinen Hunger streuen werde.
Dreißig Pfund Gold werden dein Elend wie auch das
deiner Untertanen in Freude verwandeln.

Milon lehnte sich dicht an die Tür und seufzte.


Er allein wusste, wie bedrohlich
der einst so stattliche Schatz
der Freibeuter bereits dahinschmolz.

Gunda aber war bei diesem Vorschlag


von Zorn und Gier hin und her gerissen.
Feindselig reckte sie ihr spitzes Kinn vor,
entschlossen, den Streit zu erneuern,

aber gleichzeitig griffen ihre dürren Finger


schon nach der Aussicht, während ihre Augen
vor rabenschwarzer Lust funkelten.
Wir sind im Geschäft, bezwang der Admiral

schließlich ihr hartnäckiges Schweigen.


Milon darf zehn Pfund Silber dazugeben.
Was ist daran so schlimm? Und nun, komm, Stute,
betrüge nicht wieder den Schlaf um sein Recht,

sondern schmücke sein Lager.


Lachend drehte sich der Seeräuber um
und reichte seinem Jungen die Fackel,
um den Weg zu beleuchten.

Gunda zeigte natürlich keine Anzeichen


von Beschwichtigung. Zitternd schlang sie
ihren grauen Flaum um sich
und rief dem scheidenden Mann laut hinterher:

Das ist das letzte Mal. - Dann flüchtete sie


durch einen Seiteneingang. Die anderen stiegen
mehrere Treppen hinauf und trennten sich schließlich
in einem langen, gewundenen Korridor.

Als Störtebeker Eva zum Abschied


die Hand reichen wollte, war die leichtfüßige Frau
bereits in ihr Gemach geschlüpft.
Auch Milon verabschiedete sich,

nachdem er seinem Herrn bis zur Schwelle


seines Gemachs das Licht angezündet hatte.
Müde verschwand der Fackelschein
allmählich hinter der Biegung des Korridors.

Störtebeker streckte sich


und lauschte noch einmal zurück.
Es war ihm, als ob eine warme, fröhliche Stimme
seinen Namen rief. Ein heißer, frecher, begehrlicher Klang.

Sollte ihn das Summen seines eigenen Blutes


geweckt haben? Angespannt, blutdürstig wie ein Raubtier,
schlich der Riese dorthin, wo er Eva verlassen hatte.
Ein Stoß gegen die schwere Brettertür, sie gab nach.

Doch siehe da, durch die dicke Wand


vom Gebälk getrennt, war der Raum
noch immer durch eine Reihe
von kreuz und quer verlaufenden Eisenstäben verschlossen,

die zwar den Durchblick erlaubten,


aber jeden unwillkommenen Besucher zurückhielten.
Erstaunt beugte sich Störtebeker vor.
Mitten in der kahlen Schlafkammer,

die nur spärlich von einer schwachen Öllampe


beleuchtet wurde, fand der rastlose Blick
des Seemanns sofort die weiße Gestalt,
die ihn hierher gelockt hatte.

Sie hatte ihren Mantel abgeworfen,


und ihre Arme reflektierten den Schein der Lampe
in einem vagen, seidigen Licht.
Ein seltsames Lächeln, halb ängstlich,

halb voller Neugierde, umspielte den Mund


der Einsamen, als sie beobachtete,
wie der Eindringling ohne ein weiteres Wort
seine Schultern und Fäuste

zwischen die Gitterstäbe steckte,


beherrscht nur von dem einen, fast natürlichen Drang,
die Barriere zu durchbrechen.
Wer konnte sich anmaßen, Riegel und Schlösser

gegen den Entschluss dieses Erderschütterers zu erzwingen,


der in seinen besten Stunden immer noch
davon überzeugt war, dass er das Schicksal
der Welt auf straffen Armen
an die Menschheit heranschleppte? Und jetzt?
Eva stieß einen unterdrückten Schrei aus.
Tatsächlich, das Eisen verbog sich,
das Keuchen des gewalttätigen Mannes

verwandelte sich in ein Stöhnen,


aber im selben Moment sanken seine Fäuste
wie abgeschnitten herab, und, von der Scham
über die Erfolglosigkeit überwältigt,

drückte er sein Gesicht gegen das Gitter


und flüsterte, von Wut geschüttelt, hindurch:
Was wolltest du von mir, du? -
Ich? Da zuckte Eva schon wieder beschwichtigend

mit den Schultern. Was hätte ich mit dir zu tun?,


gab sie neckisch zurück. Geh sittsam weg,
oder ich werde bei meiner Ehre, die du missachtet hast,
den Schlossinsassen deine Schwäche zeigen.

Störtebeker holte zu einem weiteren dröhnenden


Schlag gegen das Eisen aus, doch da
außer einem Brummen nichts zu hören war,
versuchte er es noch einmal mit einer List.

Gib mir nur ein wenig deine Hand, beschwor er.


Aber auch diese Bitte war vergeblich,
denn Eva schüttelte ihr schmales Haupt,
ohne sich von der Stelle zu bewegen.

Du Schuft, sagte sie mitleidlos, glaubst du wirklich,


eine Fürstentochter würde sich
vor einem solchen Bettlerkönig verbeugen? -
Was sagst du da?, taumelte der Schuimer bleich zurück,
und nun bückte er sich und versuchte, schäumend,

die nahe Vergeltung schon vor Augen,


den ganzen Rahmen aus den Angeln zu heben.
Ein langes, rostiges Ächzen wurde hörbar. Allein,
die Tochter der Brokeburg sprach ohne Zögern weiter:

Ja, wenn du noch ein Prinz des Meeres wärst,


wie du es einst warst… - Was dann?, keuchte der Einbrecher.
Jubelnd fuhr die weiße Gestalt
zu dem knienden Mann fort:

Wenn du von deiner sündigen, gottlosen


Arme-Leute-Torheit ablassen würdest,
sondern deine Macht nutzen würdest,
um all die kleinen Tyrannen hier zu unterjochen… -

Was dann?, stöhnte Störtebeker,


dass ihm die Brust platzte. Ich weiß es nicht,
hielt die Frau listig inne, ich kenne die Zukunft nicht,
wie mein Mann, fügte sie lächelnd hinzu.

Sie war dem Gitter sehr nahe gekommen,


und der kniende Mann hatte den Eindruck,
als hätten ein paar flinke Finger sein Gelenk gestreift.
Doch als er aufsprang, entschlossen, sie zu fangen,

entdeckte er nur, wie Eva,


nachdem sie das Lämpchen ergriffen hatte,
in ihrem Schlafgemach verschwand,
ohne sich umzudrehen. Vorsichtig hörte er,

wie sie den Schlüssel umdrehte.


Tiefe Nacht herrschte um ihn herum.
Sie kochte, sie brodelte, wie ein Kessel,
in den seine Gedanken geworfen wurden.

Er schrie nicht, er wütete nicht, er tat etwas,


was er noch nie in seinem Leben getan hatte,
er wurde schlaff. Beide Hände
vor dem Gesicht verschränkt, sprach er

laut durch den hallenden Korridor:


Soll ich der einzige Sehende unter den Blinden sein?
Ich schaffe nichts mehr. Alles zerbricht
unter meinen Händen. Ich laufe nur noch,

weil ein Wind mich antreibt.


Leer, desillusioniert, schwerfüßig strebte er
seiner Ruhestätte entgegen. Und er bemerkte nicht einmal,
dass hinter den Windungen des Ganges

noch ein dünner Lichtschimmer über die Kacheln lief


und dass sein innerstes Bekenntnis
nicht nur an gefühllose Wände verschwendet wurde.
Kaum ein paar Schritte von dem müden Mann entfernt,

dicht hinter dem Schwung, verweilte Milon


noch immer in der Mitte des Ganges.
Mit einer Hand stützte er sich mühsam
an der kalten, feuchten Wand ab,

während er mit der anderen die flackernde Fackel hochhielt.


Etwas Gestaltloses und Schreckliches
muss sich vor ihm erhoben haben,
denn der Junge zitterte am ganzen Körper,

und ein Schwindelgefühl ließ ihn


sich an den Boden klammern,
als würde jeder weitere Schritt
ihn in einen Abgrund stürzen.

NEUNZEHNTES ABENTEUER

Die Zeit verging wie Wein in einem Becher!


Wieder einmal schien sein sprichwörtliches Hexenglück
über Störtebeker, und die Besatzungen flüsterten,
Klaus habe wieder einmal mit dem grauen Mann gehandelt.

Ein Sommersegen überflutete die Felder des Brokmerlandes,


wie ihn selbst die Eingeborenen selten erlebt hatten,
und selbst auf den Feldern der Siedler,
die ohne viel Wissen und nur oberflächlich

bewirtschaftet worden waren, sprossen


die neuen Halmfrüchte, dünn und doch trächtig,
als hätte ein unterirdisches Feuer ihre Wurzeln gewärmt.
Dennoch waren die Kolonisten nicht glücklich

über die sichtbare Hoffnung.


Sie waren aus dem Überfluss und der Völlerei gekommen,
das freie, wilde Schwärmen auf dem Meer
hatte ihnen leichten Erwerb gesichert

und dazu die grausame Lust auf Vergeltung


gegen die sesshaften, im bürgerlichen Recht
lebenden Menschen, von denen sie glaubten,
dass ihr arroganter Wohlstand

nur von einer schweren Sünde


gegen die Armen und Unterdrückten herrührte.
Und jetzt? Draußen hatten sie die Abwechslung genossen,
das wilde Vergnügen der rächenden Macht,

den täglichen lärmenden Triumph,


die Keller und Truhen jener Genießer zu leeren,
die früher das murrende Verlangen
der Dunklen und Namenlosen

mit Hungertürmen und Folter beantwortet hatten.


Solch rasendes Glück schenkten die Wellen.
Und nun? Was erwartete die von allen Gewohnheiten
Befreiten in den Gängen? Gott verdamme

die wahnsinnige Begeisterung eines Wahnsinnigen,


der Fluch ruhte auf dem Land.
Was war ausgetauscht worden?
Still, still, zischte der Ire Patrick O'Shallo

einer Meute von Schnittern zu, mit denen er


in einer Bodenmulde mürrisch feierte,
denn die Ungeübten hatten ihre Sensen zu tief
in die Steine und die Härte des Feldes getrieben,

so dass das Werkzeug wieder einmal zackig


und unbrauchbar geworden war. Ich rate dir,
lass das schnüffelnde Mannweib, nichts wissend.
Ist genauso besessen wie der verrückte Klaus.

Aber sag mir, warum sitzen wir hier


und ertrinken in Schweiß? Was haben wir gehandelt?
Ist Störtebeker nicht unser Herr,
wie keiner je zuvor war?

Fährt er nicht wie eine Geißel durch das Land,


schlägt er uns nicht den Buckel blutig
und zwingt uns zu arbeiten, bis die Knochen knacken?
Wer hat ihm die Macht gegeben, dies zu tun?

Hm? Hast du seine Peitsche


für solche Dienste geflochten? Hm? -
Ich mag ihn nicht, brummte ein Franke,
der dem Ausbruch der Bauernmorde

in seiner Heimat nur knapp entgangen war,


aber immer noch den unglücklichen Ballast
des heimlich schwelenden Aufstandes
auf seinem gebeugten Rücken mit sich schleppte.

Wozu sollen wir den Zehnten wie zu Hause besteuern?


Sagen wir, er will unseren Kindern
neue Güter dafür eintauschen. Will sich allmählich
über die Erde ausbreiten. Ha, Kindermärchen. -

Die schwarzen Röhren geben nicht mehr viel Erde her,


riefen andere. Bei der Erwähnung künftiger Nachkommen
stieg dem Iren das Blut ruckartig in die Stirn,
halb wahnsinnig sprang er auf

und schnitt mit seiner Sense durch die heiße Luft,


als müsse er einen nahen Verfolger köpfen.
Seht, schrie er, die Schiffe sind vor uns.
So nah, so nah! Sollen wir warten,

bis der Bluthund uns alle aufgescheucht hat?


Ich kenne jemanden, der uns besser helfen kann.
Er blickte sich geheimnisvoll um.
Der dicke Wichbold war erst neulich bei mir.

Er ist einer von uns. Und er rät… -


Passt auf, warnte ein unterdrückter Ruf.
Erschrocken hoben die Schnitter ihre Köpfe
über die Senke. Dumpfe Hufschläge donnerten

über die Heide, zwei Reiter, Störtebeker und sein Junge,


blitzten barhäuptig auf. Was faulenzt ihr hier,
ihr gotteslästerlichen Leute?, schrie Klaus,
riss sein Ross dicht an den Abgrund,

und seine schwarzen Augen sprühten ein böses Feuer.


Schämt ihr euch nicht für die Fleißigen?
Hört ihr nicht, wie die Felder mit zahllosen Stimmen
nach uns rufen? Braucht ihr immer den Treiber

wie die Stiere? Ich werde euch lehren!


Die Lederriemen zischten herum, der Franke
wurde auf den vorzeitig gebeugten Rücken geschlagen.
Erschrocken, niedergeschlagen, zerstreuten sich

die Schnitter nach allen Seiten.


Doch die beiden Reiter flogen weiter,
wie Gedanken, die ausgesandt wurden,
um eine Welt zu erzählen. Der Abend zog sanft

und nachdenklich über das Land.


Zu seinen Füßen glitzerte das Bild der Sterne
in den Moortümpeln. Zu dieser Stunde saß Jakob,
der Hebräer, an seiner Feuerstelle

und röstete ein Stück vom Ende einer Wurst


über dem Rost. Während er leise arbeitete,
sang der grauhaarige Mann in tiefen, gutturalen Lauten
eines jener seltsamen, schmerzhaften Lieder,

in denen sein geflüchteter Stamm seine Sehnsucht


nach den Zelten, Herden und Weinbergen
der längst verlorenen Heimat beklagt.
Ab und zu lehnte sich der Sänger jedoch an die offene Tür,

und dann schien sein zufriedener Blick


den glückseligen Frieden
dieses schlummernden Bodens zu segnen.
Das Glück eines sesshaften Mannes hing über ihm.

Dann tauchte eine Gestalt aus dem Tor der Nacht auf.
Zögernd trat sie auf die Schwelle.
Erst als der Fremde sich aufrichtete, erkannte der Jude
das zuckende Antlitz seines Nachbarn Patrick O'Shallo.

He, rief Isaac erstaunt, was bringst du, Freund?


Doch der andere schien durch die Antwort
beunruhigt zu sein und blinzelte verwirrt
in die Ecken der Hütte, in der das Feuer des Herdes loderte.
Mich reizt der Geruch von Fleisch, entschied er schließlich,
ich habe es heute nicht geschafft, des Magens Brummstimme
zu füttern. Der da, und er deutete durch die Dunkelheit
auf die ferne Brokeburg, hat uns

bis zum Einbruch der Nacht


wieder auf den Feldern herum gejagt.
Der Jude überhörte den Vorwurf.
Dann setz dich, lud er den Grübler ein, und sei mein Gast.

Der Ire murmelte etwas, das kaum an Dankbarkeit


erinnerte, und nachdem er sich auf einen Schemel
fallen ließ, verschlang er gierig das Stück Fleisch.
Woher hast du diesen Happen?, fragte er kauend

und mit niedergeschlagenen Augen.


Eingetauscht, schmunzelte der Hebräer
und fummelte am Herd herum.
Gegen Eier von meinem Hühnervolk.

Und woher hast du all diese Hühner?, drängte Patrick weiter,


ein Zittern überwindend. Der Jude strich sich zufrieden
über seinen grau gesprenkelten Bart,
dessen sichtbares Aufblühen ihn

seine übliche Zurückhaltung vergessen ließ.


Ich habe sie in Brokeburg gegen Anis und Leinsamen
aus meinem kleinen Gewürzgarten eingetauscht.
Der Anbau von Kräutern ist in dieser Gegend

nicht sehr bekannt. Aber jetzt iss, Freund,


fügte er hinzu, als er die grün glühenden Augen
seines Kameraden auf sich gerichtet spürte.
Unwillkürlich griff er nach einem Holzspan

und schürte ihn auf der Feuerstelle an,


damit es heller wurde. Der Ire blickte sich gequält um
und bewegte sich hin und her,
als wolle er am liebsten davon stürmen.

Was ist denn los? erkundigte sich Jakob


und wurde aufmerksam. In diesem Moment
ertönte aus dem nahen Stall erst ein Schnauben
und dann ein markiges Brüllen.

Die Wände der Hütte bebten davon.


Da wurde Patrick O'Shallo noch blasser als zuvor.
Sind das die Stiere?, stammelte er, unfähig,
seine Aufregung länger zurückzuhalten.

Sind das die Zugtiere, die wir in Brokeburg


gekauft haben, um unser Getreide
in die Dreschscheune zu bringen?
Beinahe flehend hob er die Hand,

denn der verzweifelte Mann wollte alles


von sich fernhalten, was seinen zerfressenen Geist
noch mehr vergiften könnte. Und nun verstand
auch der Hebräer den Zustand seines Gefährten.

Kurz und bündig versuchte er, die bösen Gedanken


des Iren von sich abzulenken.
Lass gut sein, beschwichtigte er, wandte sich ab
und rührte in einem Kessel mit Haferbrei,

man hat mir die Tiere vor dir geliehen,


weil meine Garben schon lange gebunden sind
und weil meine Ernte wider Erwarten reichlich war. -
Und währenddessen verbrennen und verdorren

meine armen Büschel. Ich habe denselben Boden wie du,


aber ich kann nichts anbauen.
Selbst wenn ich es wollte.
Das seltsame Schielen trat wieder in die Augen

des Jungen. Angewidert warf er einen Knochen,


an dem er noch immer nagte, in die Ecke.
Du wirst eine gut gefüllte Scheune haben,
wenn die Gazelle des Orients

in dein fruchtbares Bett geschlüpft ist,


sagte er mit einem heiseren Schluchzen,
wann wird das sein, du Maiblut-Bräutigam? -
Was geht dich das an?, unterbrach ihn der Jude mürrisch
und blickte zur Tür. Dank dem Großen in Brokeburg
ist jeder Mann Herr in seinen vier Pfählen.
Ich kann tun und lassen, was ich will.

Jetzt sprang Patrick auf und griff sich an die Kehle,


um wenigstens einen Atemzug zu schaffen.
Ein verzweifeltes, wahnsinniges Lachen stieß er aus:
Rechts, rechts, sind freie Männer.

Unter Peitsche und Rohrstock, freie Männer.


Ha, wir sind wohl im gelobten Land.
Ich danke dir, Jakob, dass du mich daran erinnert hast.
Man sollte es nie vergessen. Niemals. Ich danke dir.

Damit sprang der irritierte Mann aus der Tür.


Sein Gastgeber wollte ihm die Hand schütteln,
doch der Ire war bereits halsbrecherisch
in den aufsteigenden Nebeln verschwunden.

Kopfschüttelnd stellte der Hebräer


beide Querbalken vor den geschlossenen Eingang.
Bis zum Morgengrauen kletterte die Flamme
zu den blassen Sternen hinauf,

dann war die Hütte ein Aschehaufen,


und der frühe Wind fegte verkohlten Staub
über die verrottenden Reste der Garben.
Die Kadaver von Mensch und Tier

zerfielen in den mütterlichen Boden.


An der Spitze einer Schar von Siedlern,
die den Wahnsinnigen gefangen genommen hatten
und mit seiner Tat prahlten, eilte Milon,

stumm und in seinem Innersten erschüttert,


Zu demjenigen, der es unternommen hatte,
das Schicksal so vieler Sterblicher zu ordnen.
Eine rote Morgensonne war gerade

aus den bunten Strudeln des Meeres aufgetaucht


und glühte nun mit einem tiefen, milden Feuer
über dem Burghof und dem Wipfel
einer mächtigen Linde. Sie trieb auch Störtebeker

einen blutigen Reif auf die Stirn,


denn Klaus saß auf der steinernen Bank,
die den Baumstamm umgürtete,
hatte beide Ellbogen auf die raue Tischplatte gestützt

und betrachtete nun ungläubig, seltsam, verständnislos


die schwarzen Bänder sowie das schwarze Siegel
einer Briefrolle, die unerklärlich auf dieser Platte

auf ihn gewartet hatte. Niemand wollte sie ihm bringen,


niemand wusste etwas über die Botschaft.
Doch je öfter der Riese die wenigen,
unbeholfen geschriebenen Worte des Schreibens überflog,

desto heftiger pochte sein Herz,


und desto stürmischer wurde sein Wille zerrissen.
Dort stand in den großen, bekannten Buchstaben
von Gödeke Michael geschrieben:

Mein Bruder! Ich hätte kaum gedacht,


dass ich dich jemals brauchen würde.
Aber mein Besitz ist in einem schlechten Zustand.
Hamburger und Dänen,

die mir immer eine sehr fette Rechnung stellen,


halten mich jetzt in der Helgoländer Bucht
so fest umschlossen, dass nicht einmal eine Maus
aus meinen Schiffen entkommen kann.
Auch leiden wir an Hunger und Durst.
Deshalb, Klaus, wenn dein Herz
noch für deine alten Freunde schlägt,
zögere nicht und tu, was du kannst.

Es ist eine böse Sache, wenn einen später


das Bedauern quält. Es geht hier um Leben und Tod,
aber auch um das Geschäft des kleinen Mannes.
Und noch immer ist mir der Spatz in der Hand lieber

als die Taube auf dem Dach. Bedenke dies gut,


mein Bruder, aber vor allem, dass wir Rächer
nur eine kostbare Sache hüten, die Treue zueinander.
Geschrieben auf der fliegenden Burg

am Fest Mariä Himmelfahrt. Goedeke Michael.


Der Admiral stieß einen gellenden Schrei aus,
nachdem er sich endlich aus seiner seltsamen
Benommenheit befreit und den vollen Ernst

dieses Schicksalsrufs begriffen hatte.


Rasch flog er auf und warf seine rechte Hand
ohne Umschweife nach den Schiffen im Hafen,
als könne allein sein gebieterisches Winken

den Schwarm um sich versammeln,


den Schwarm wilder Vögel, mit dem er sofort
losstürmen wollte, um zu retten, um zu helfen.
Aber noch während er den Kopf drehte,

verfing sich sein Blick in der rot erleuchteten Ebene,


auf der sich gerade die menschliche Tätigkeit,
die Arbeit, zu regen begann, die er selbst
zwischen die Schollen gesenkt hatte.

Nun spross sie dem Licht entgegen,


unwillig und widerstrebend, nur seinem harten,
zugleich mitleidigen und mitleidlosen Willen gehorchend.
Der Arm, den er soeben erhoben hatte, sank schwer herab,

denn die Gedanken dieses mächtigen Mannes


griffen einander an, es entstand ein innerer Streit
und Kampf, der zu auflösend und vernichtend war,
als dass er in der Brust eines eisernen Mannes

ausgefochten werden könnte.


Mit einem schmerzhaften Stöhnen
griff er nach dem ledernen Wams
und schob es hin und her. Ein Ausweg, ein Ausweg!

Freund, Bruder, Wohltäter, hörte er,


losgelöst von sich selbst, seine Stimme
über das trennende Meer rufen.
Du bist doch ein Teil von mir,

ich kann dich nicht vermissen,


darf die Ungnade und Schurkerei
deiner Männlichkeit nicht dulden.
Du kannst auf mich zählen, Goedeke,

für alles, was uns heilig scheint,


denn ich werde einreiten, kraftvoll, fröhlich,
wie du mich gelehrt hast.
Das alles bekräftigte Klaus,

der noch nicht an eine Pflichtaufgabe gebunden war,


sondern durch die Welt geweht wurde,
wohin der Wind oder der Zufall ihn trug.
Aber dieses heiße Gelöbnis

wurde auch von dem erlösten Enthusiasmus


derer widerhallt, die dort unten auf dem rauen Boden standen,
die er auserwählt hatte, um das jahrelange irdische Elend
für sich und künftige Generationen weg zu schaufeln,

auserwählt, obwohl sie sich, wie er wohl wusste,


in ihrer Dumpfheit nach nichts Köstlicherem sehnten,
als Pflug und Hacke wegwerfen zu dürfen,
um ihr altes Streunerdasein neu zu beginnen.

Was, wenn er sie selbst auf die gefährlichen Planken führte?


Eines blieb gewiss, er würde die Widerspenstigen
nie wieder auf jene verlassenen Felder der Mühsal
und der Pest führen können, das Bild,

das er mit Blut und Erde gemalt hatte,


würde unvollendet bleiben, es würde sich abnutzen
und vergilben und allmählich den Zuschauern
zum Gräuel werden. Und der Feldherr,

dessen Entschlusskraft sprichwörtlich war,


umklammerte den Stamm der Linde und versuchte,
ihn mit seiner gewaltigen Kraft zu schütteln,
als ob die Krone imstande wäre, guten Rat zu verstreuen.

Ein Ausweg, ein Ausweg!


Da bewegte sich die Schar der Siedler
geradewegs in den Burghof, und der starrende Mann erkannte,
wie ein wütender, beschmutzter Bursche

in ihre Mitte geführt wurde, die Hände gefesselt


und die spitzen Augen frech, widerspenstig
und voller Rebellion gegen den einsamen Mann
unter dem Baum gerichtet.

Schwer, wie angezogen, ließ sich der Admiral


bei diesem Anblick auf der Steinbank nieder.
Die anderen traten vor ihn hin.
Allen voran Milon, der sich vor seinem Herrn niederwarf,

stumpf, verstört, flügellos.


Ratlosigkeit drückte sich in der seltsamen Geste aus,
aber auch die unerschütterliche Gemeinsamkeit
ihrer Glück-suchenden Flucht.

Nun waren sie beide auf die Erde gefallen.


Störtebeker fühlte sich durch die Berührung erfrischt,
denn nur aus dieser Welt bezog er alle seine Genüsse.
Vorsichtig stopfte er das Pergament in sein Wams,

und es war sein eigenes unheilvolles Lächeln,


das sein Gesicht veränderte, als Milon
endlich seinen Bericht mit der Klage beendete:
Herr, der uralte Fluch hat also auch dein Reich

der Brüder getroffen. Kain erschlug Abel. -


Warum hast du das getan?, fragte Klaus,
nachdem der Ire dicht an den Sitz
des Admirals geschleppt worden war,

und seine heisere, fast flüsternde Stimme


erweckte in den Zuhörern
ein viel nachhaltigeres Entsetzen,
als wenn der Gefürchtete gewütet hätte.

Sag mir, warum hast du das getan, Patrick?


Hattest du nicht genauso viel Land
wie alle deine Gefährten? Hattest du nicht
dieselben Werkzeuge, dieselbe Nahrung?

Habe ich dir nicht alles gegeben, was du brauchst? -


Du?, jammerte der Ire und schlug sich
mit den gefesselten Händen an die Stirn.
Schon jetzt war es offensichtlich, dass die Flammen,

die er entfachte, in seinem eigenen Gehirn


weiter knisterten und dass es grünliche Funken
des Wahnsinns waren, die er ausstieß.
Du hier in deinem Schloss? Du in Samt und Seide?

Mit werbenden Dirnen und Völlerei? Du?


Wärst du nicht gern ein Fürst?
Hast du dir den Wahnsinn nicht nur deshalb ausgedacht,
um aus unserer Haut einen purpurnen Mantel
für dich zu machen? Du vaterloser Fischerbastard,
du geißelst unsere Rücken blutig,
damit unser Schweiß für dich zu Wein wird?
Sag mir, wann hast du jemals selbst die Hacke

in die Hand genommen, gehackt oder gepflügt?


Weißt du, was Hunger und Frost sind?
Und vor allem, lass dir sagen, warum du nicht tagein,
tagaus in unseren Reihen stehst,

um alle Freuden deiner Gaukelei


am eigenen Leib zu spüren? -
Halt!, stammelte der Junge,
der immer noch auf den Knien lag.

Da wurde Störtebeker, der sich an den Tisch klammerte,


bleich wie eine Leiche: Verrate mir,
warum du deinen Nachbarn gedemütigt?
Wollte er dir etwas antun? - Nein. -

Hat er sich in deine Angelegenheiten eingemischt? -


Nein. - Patrick O'Shallo, deine Zeit ist kurz.
Warum hast du ihn dann getötet? -
Schon bei den letzten Worten

war eine seltsame zuckende Beweglichkeit


in den Täter gekommen, alle seine Glieder
spielten verrückt, ein Krampf
schien seine Knie zu schütteln,

und es war ein völlig Besinnungsloser,


der nun seine gefesselten Fäuste
über den Kopf schleuderte, während er
zwischen seinen Gefährten herumsprang,

als wolle er sie bis zum letzten Widerstand aufrütteln.


Warum? warum?, schrie er.
Man soll ihn hören, den kleinen Clown,
denn er ist ein Betrüger, ein Färber von Worten,

ein Menschenfresser, ein prassender Totengräber.


Wollte er uns nicht Zufriedenheit vom Himmel bringen?
Neidloses Glück? - Er sprang dicht vor den Matrosen.
Reiß mich auf, du Schurke, und sieh zu,

wie meine Galle vor Neid kocht. Armer Kerl,


was hast du dir eingebildet?
Kannst du es für den einen regnen lassen,
wenn der andere Sonnenschein braucht?

Kannst du mir Jakobs Geist


und seinen schlauen Verstand geben?
Kannst du meinen Hunger teilen,
wenn er doppelt so groß ist wie der meines Nachbarn?

Du Gaukler, du Schurke, du selbstgefälliger Narr,


du wolltest uns um deines Wahns willen schnitzen
wie aus Holz, und wir sind Menschen, Menschen.

Rund um den Kreis war es so still geworden,


dass man die verdorrten Blätter der Linde
zur Erde fallen hören konnte. Auf den Gesichtern
der Siedler lag ein tiefer, zerfurchter Ernst.

Aber auch Störtebeker bewegte sich nicht.


Hölzern, gelb, leblos saß er auf der Bank,
und nur einmal tastete er unter sein ledernes Wams,
um den Brief von Gödeke Michael

noch sicherer zu verbergen.


Rote Schwärze hatte sich vor den Augen
des Hellsehers zusammengeballt,
er wusste jetzt in der Nacht,

dass er seinen Freund, den einen, den besten,


um dieser vielen, treulosen, unmündigen willen
würde verlassen müssen. Gequält, atemlos,
fuhr er sich mit der linken Hand an die Kehle,

die rechte erhoben und starr über sich


auf die starken Äste des Baumes gerichtet.
Was wollte er? Keiner verstand ihn.
Das Schweigen wurde nicht gebrochen.

Störtebeker deutete wieder in seiner unnatürlichen Ruhe.


Doch als auch dieses Mal die Lähmung
die Männer nicht verließ, reckte sich der Anführer
zu seiner vollen Größe

und bog selbst einen der Äste herunter.


Habt ihr mich nicht verstanden?, drohte er noch einmal
mit seinem furchtbaren Ernst,
und nun erhob sich ein wirres Getümmel;

Angst, Entsetzen, Widerspruch


drängten den Schwarm enger zusammen,
zitternde Hände rührten sich,
ein Strick wurde über den Ast geschleudert,

eine Schlinge schwang über einem einzelnen


schweißnassen Kopf, und mitten in diesem Getümmel
wirbelte die heiße, schon vor Qualen brechende
Stimme auf, die noch einmal,
als könne sie nichts mehr vermissen,
ihren ganzen wahnsinnigen Hass keuchend,
unbesonnen in alle vier Winde hinaus brüllte:
Wer ist von den Gleisnern am falschesten?

Da steht er, der die Armen zu schäbiger Arbeit verdammt.


Der uns einredet, dass Kuhmist wie Gold sein kann.
Der die Elenden und Schwachen
durch Lügen und Täuschung in die Verzweiflung stürzt.

Der uns nichts geschenkt,


dafür aber unsere Freiheit gestohlen hat.
Doch dem Teufel sei Dank,
dein Untergang ist nah, Störtebeker.

Der Böse hält dich schon am Bein,


der Henker schwingt schon sein Schwert über deinem Hals.
Fahr zur Hölle, du Fluch der Menschheit,
Fluch deiner Todesstunde, Fluch!

Die Verwünschung erstickte,


die Glieder des Iren wurden lang,
sein Körper entschwand im grünen Laub.
Der ohnmächtige Milon

wurde von Störtebeker schützend weggetragen.


Von da an wanderte der Aufstand offen
und barhäuptig unter den Siedlern umher.
Er entlud sich zunächst blutig vor den Dreschscheunen,

als das Korn für jeden Einzelnen


nach seiner Leistung abgewogen wurde.
Wie kam Wulf Wulflam dazu,
zwanzig Säcke wegzufahren,

während der Ochsenknecht Lüdeke Roloff


nur mit sieben beladen war?
Sollte der Tänzer dafür büßen, weil seine Fläche
durch das Meerwasser versalzen war

und jeder Pflug an den scharfen Trümmern


zersplittert war? Fäuste wurden geballt,
Knüppel geschwungen, die Männer gingen
sich wie wilde Tiere an die Gurgel,

und die allgemeine Auflösung wurde


nur dadurch verhindert, dass ein noch furchtbarerer Feind
als Neid und Gier den wütenden Bruderzwist unterbrach.
Das Meer! Schon oft hatte der kundige Bauer

Propst Hisko van Emden


bei gemeinsamen Feldbegehungen
auf die breiten Deiche hingewiesen,
die er und seine Landsleute in mühevoller Arbeit

zum Schutz der Felder errichtet hatten.


Eines Nachts heulte der Nordosten
sein unheimlich gefräßiges Schlachtlied,
weißmähnige Wölfe durchstreiften

in wilden Sprüngen die Ebenen,


zerrissen und verschlangen alles,
was sich ihnen entgegenwarf,
und aus den von ihnen umringten Hütten,

aus der Ruhe der Arbeit und des gesunkenen Schlafes


ertönten Furcht und Entsetzen
in einem einzigen Schrei des erschütterten Entsetzens.
Am nächsten Morgen,

als sich der erste bleierne Schein


aus der Düsternis stahl,
lagen die Felder unter Schlamm begraben,
Seetangbündel verrotteten dort,

wo eben noch Früchte geblüht hatten,


und Muscheln, Schutt und verfaulende Fische
wuchsen an ihrer Stelle auf den wirbelnden Schollen.
Jetzt war es notwendig, den menschlichen Arm

gegen die Brust des Elements zu drücken,


um neues Eindringen zu verhindern.
Mit einer Schar von Knechten,
an der Seite seines Milon,

ritt Störtebeker durch das Land, von Hütte zu Hütte,


von Hof zu Hof, und ob er auch überall
mit zornigem Schweigen
und gerunzelten Brauen empfangen wurde,

die Anwesenheit und der einschüchternde Anblick


des gefürchteten Mannes, und nicht zuletzt
die noch nicht ganz zerbröckelte Gewohnheit,
in diesem schönen Menschenbild

den Träger ihrer Hoffnungen zu sehen,


trieb die Männer zu einer letzten verzweifelten
Gefolgschaft. Noch einmal gelang es seinem Ruf,
Plan und Ordnung in das Ameisengewimmel zu bringen.

Schaufeln wurden geschultert,


schwer mit Erde beladene Wagen knirschten
durch die schlechten Wege,
Bretter und Holzschwellen wurden behauen,
um sie auf wunden Schultern zur Küste zu schleppen,
und die Grenze zwischen Tag und Nacht
verschwand auf einen kurzen, grimmig lachenden Wink
des Admirals aus dem Bewusstsein

der hungernden, frierenden


und schwer arbeitenden Arbeiter.
Drei Tage lang ging das so weiter.
Denn diesmal stand Störtebeker selbst unter den Seinen,

sein wilder, trotziger Weckruf feuerte sie an,


und sie hörten, wie der Riese,
fast bis zu den Knien im schwammigen Sand versunken,
mit immer neuer Beharrlichkeit

Stein auf Stein, Erdhaufen auf Erdhaufen


gegen die graue Flut unter ihm auftürmte,
höhnisch und schimpfend.
Kopf hoch, ihr Schuimer, sind wir nicht Söhne

der alten grauhaarigen Vettel da unten?


Und wir sollen dulden, dass diese bösartige
Nervensäge uns wieder in die warme Suppe spuckt?
Seht, seht, schon rafft sie ihre schmutzigen Lumpen

zusammen und kriecht zurück.


Noch einer, und noch einer! Ja, genau, Lüdeke Roloff!
He, Milon, schnell,
Gunda soll uns Glühwein schicken!

Wir wollen die Abfahrt der Nordsee feiern.


In einem Strudel wirbelte der Sturm
die Anmaßung mit sich gegen die Abendwolken,
und wie in einem Rausch und Betäubung

stürmte der todmüde Junge davon!


Als er zurückkehrte, fand er nicht mehr
dieselbe rastlose Schar vor, die er verlassen hatte.
Einsam hockte sein Herr auf einem großen Strandstein,

der auf die bereits auf Körperhöhe angewachsene


Böschung gehoben worden war,
um den Massen Gewicht und Halt zu geben.
Der Mond, der gelegentlich aus den unsteten Wolken auftauchte,

beleuchtete ab und zu ein gespenstisches Antlitz,


und der grüblerische Mann wandte
seinen Blick nicht von dem ständig brodelnden
und zurückweichenden Strudel ab,

als sei seine Seele bereits von der Flut überschwemmt


und erfasst worden. Das Schreiben von Gödeke Michael
raschelte in seiner Hand, doch schenkte er ihm
ebenso wenig Beachtung wie den dunklen Gestalten,

die in Rufweite von ihm arbeiteten.


Ein unbeschreiblich bitteres Lächeln der Scham
verbarg sich in den Mundwinkeln des beunruhigten Mannes,
als der Junge behutsam auf ihn zuschritt

und nachdenklich die Finger des treuen Mannes


zwischen seine beiden gefrorenen Hände legte,
als wolle er sich an dem jungen Blut wärmen.
Hör mal, murmelte er, wie das Meer grollt und flucht.

Es muss auch ein Gewissen haben.


Oder vielleicht rollen die Gedanken auch mit ihm.
Ich würde sie gern verstehen, obwohl ich glaube,
die Stimme zu kennen. Sie klingt so wütend

und voller Verdammnis.


Langsam zog er seine Gefährtin zu sich heran.
Sag mir, mein Schatz, presste er hervor,
würdest du mich auch um des Dunklen willen verlassen?

Seine Arme legten sich um den schlanken Körper,


und eine solche Hingabe offenbarte sich,
dass Milon, mit pochendem Herzen
und verzehrendem Willen zu helfen,

weder maß noch hörte, was er antwortete.


Trennen? Von wem sollte er sich trennen,
von dem erlösenden Segen,
der bereits auf die Erde rieselte?

Oder von seinem Herrn?


Er schüttelte seine Locken in stürmischem Zweifel.
Aber Störtebeker nahm es als das erwartete Dementi.
Glaube es, erwiderte er düster.

Welcher reine Mensch wäre zu so etwas fähig?


Es braucht eine Seele aus Stein,
um nur ein einziges Gebot in sie eingraviert zu haben.
Unmenschlich, unnatürlich, verflucht sind die,

die mit dem Stein belastet sind. Aber komm,


lass es uns dennoch vollenden.
Damit setzte er die Hornpfeife an die Lippen
und wollte gerade das Signal ertönen lassen,

das die Arbeiter zu neuer Arbeit


um sich versammeln sollte, als Milon es wagte,
seine Hand sanft, aber hinderlich
auf den bereits erhobenen Arm des Admirals zu legen.

Herr, mahnte er besorgt, willst du die Männer


nicht verschonen? Siehe, sie sehen ohnehin
nur noch wie hagere Schatten aus,
und ihre Augen fallen vor Müdigkeit zu.

Noch nie hatte der Junge einen Befehl


seines Herrn vereitelt, so dass sich Störtebeker
abrupt und fast ungläubig zu ihm umdrehte,
doch im nächsten Moment lauschte er wieder

gespannt dem dunklen Trommeln des Meeres


und schüttelte hartnäckig den Kopf.
Torheit, sagte er, wer bei mir ist,
muss besessen sein, wie ich,

verblendet, blind für alles andere, sonst… -


Er lachte hämisch; bald schrillte der spitze Triller
der Pfeife über Land und Meer,
der Wind warf sie hin und her.

Stille! Dann lauschten die beiden,


denn in der Dunkelheit, in der apathischen Einöde,
war eine Beklemmung, etwas Unheilvolles
ballte sich im Nichts, als wolle das Schicksal

aus Schwärze und Stille eine Gestalt formen.


Und riesenhaft, erdrückend, unabänderlich
kroch es aus der Nacht. Schau, in einer langen Reihe
rollte es lautlos über die Böschung,

ein wellenförmiger Heerwurm


aus ununterscheidbaren Menschenköpfen,
bis sich seine hundertfachen Schuppen fest,
unauflöslich um den Anführer selbst wanden.

Eine Vorahnung stieg in Störtebeker auf,


das Weiße seiner Augen drehte sich
und glitzerte unheimlich in dem laut atmenden Kreis.
Wozu schart ihr euch, Männer?, rief er

in unterdrückter Vorahnung, denn er glaubte


auch jetzt noch felsenfest an das Wunder
und die Heiligkeit seiner souveränen Mission.
Warum kommt nicht jeder an seinem Platz zurecht?

Er war in Aufruhr. Als wäre durch seinen Trotz


die letzte Umklammerung erst ganz gelöst worden,
strömte Leben in den gefrorenen Ring,
und während der durchdringende, grässliche Schrei
der Revolte, der überwundenen Angst,
die bisher so fest verschlossenen Kehlen sprengte,
begann es über die vielen Köpfe zu sausen,
Hunderte von Hacken und Schaufeln flogen

wütend in das klatschende Meer hinaus,


und ein einziges, freches, übertriebenes Lachen
erschütterte die Nacht. Willst nicht mehr schuften,
du Schuft, heulte es, brummte und zischte,

und sie packten die Fäuste des Überrumpelten


und hielten sich an ihm fest wie eiserne Gewichte,
wir wollen feiern und frei sein, wie du.
Graben und hacken darf, wer dazu geboren ist;

wir sind ein umherziehendes Volk


und fressen am liebsten, was andere gebaut haben.
Was hat Patrick gesagt? Aus Kuhmist wird nie Gold.
Ein Mann trat aus der Menge hervor.

Es war der Tänzer Lüdeke Roloff.


Er stützte sich schwer auf seinen Knüppel,
und seine sonst so unsicher flackernden Augen
richteten sich diesmal hohl und glasig

auf den Anführer, der nun von seinem fürstlichen Sitz


heruntergestoßen werden sollte,
durch das überhängende, verworrene Dach
seines Haares. Mein Herr, sagte der herkulische

Kapitän langsam, wie nach reiflicher Überlegung.


Dein Wille war gut, nehme ich an.
Aber es hat keinen Sinn. Es liegt an uns.
Wenn das Brandmal der Ungerechtigkeit

und der Ausgestoßenen einmal


in einen Menschen gesät wurde,
ist sein Blut vergiftet,
so dass er zu nichts anderem mehr taugt

als zum Ersticken, Verbrennen und Rache nehmen.


Sieh dich um, allen schmeckt das Werk bitter,
denn wir lieben nicht das Leben mit seinen Schmerzen,
sondern wollen es umkehren, damit es ein Ende hat.

Bis dies geschehen ist, bleiben noch überall


Hohe und Niedrige, denn du selbst
bist uns ein Zeichen dafür.
Der Redner reckte den Hals vor,

und in seine Glieder kam wieder


die seltsame Lust zum Tanzen
und zu erzwungenen Sprüngen.
Noch leidenschaftlicher fuhr er fort:

Darum sind wir alle übereingekommen, alle, alle,


dass wir uns nicht mehr von dir anspannen lassen wollen.
Stattdessen wollen wir heute Nacht als schwarze Brüder,
als ein wanderndes Volk auf die Schiffe gehen,

und du wirst uns führen, Klaus Störtebeker.


Plötzlich begannen in der Menge wilde,
johlende Stimmen zu singen:
Von den Masten wehen die schwarzen Fahnen,

Heißa heißa! Klaus Störtebeker ist Kapitän.


Doch mitten in der Melodie sprang
der schlaksige Arnold Frowein
mit einem gewundenen Sprung aus ihren Reihen,

und während die tiefen Falten in seinem Gesicht


noch unnatürlicher lächelten als sonst,
brummte der ehemalige Töpfer:
Weißt du etwas Neues, Klaus Störtebeker?

Du hast uns belogen und betrogen!


Du hast den Brief von Gödeke Michael vor uns versteckt.
Wir kennen deine Pfeifen.
Aber wir wollen uns zu ihm durchkämpfen,

um wieder Gericht zu halten. Wir wollen hören,


wie unsere Hälse geknackt
und unsere Brust gerüttelt wird.
Gericht, Gericht, das Jüngste Gericht!

Und von dem Haufen schlug es nun wütend


und brüllend gegen den Nachthimmel:
Dort richtet die Reichen an Leib und Seele
Der Goedeke Michael, der Goedeke Michael.

Führt ihn ab, befahl der Steuermann Lüdeke Roloff


und deutete auf Störtebeker, und behaltet ihn im Auge.
Die Torheit ist hinter uns.
Die Trommel ertönte wie üblich,

als der Zug das Deck der Agile betrat,


während der Admiral Schritt für Schritt brütete.
Wie ein von eisernem Schlummer geplagter Mann
hatte sich der Riese bis dahin von der Menge

vorwärts treiben lassen, aber sein auf die Brust


gesenkter Kopf schien von keinem Geräusch
der Außenwelt mehr erreicht zu werden,
denn er lauschte stur in die Tiefe
und verfolgte nur das gespenstische Getriebe
seines Inneren. Erst als die Menge,
schon bedrückter und kleinlauter,
die Hüttentreppe hinuntergeströmt war,

als das gleißende Licht der venezianischen Laternen


das blau-weiße Gewebe der Wände belebte,
als der blitzende Schimmer all der köstlichen Schalen
und Geräte seine spitzen Pfeile

gegen die Sinne des Dösenden


mitten in der Stille des Raumes schoss,
da hob der Riese mit einem Mal den Kopf,
sah sich mit dem ernsten Erstaunen

eines aus einem Schacht Aufgestiegenen um,


und plötzlich erhielt sein Bewusstsein
oder sein eigenes Leben einen solchen Ruck,
dass er mit einem wilden Ruck die Hände,

die ihn noch hielten, von sich wegschleuderte.


Mit furchtbarem Ernst, die Adern des Zorns
hoch geschwollen, stemmte er sich
mit dem Arm gegen die Tür.

Geht, befahl er seiner Eskorte,


die sich hier auf den Planken wieder als Matrosen fühlten
und der Macht dieses Einzelnen unterworfen waren.
Niedergeschlagen wichen sie

vor der abscheulichen Verachtung zurück,


die ihnen entgegenschlug.
Auch wenn sie den Ausbruch ihres Anführers
nicht verstanden, so schlug der Hohn seiner Worte

sie doch ohne Widerstand die Treppe hinauf.


Habt Dank, ihr schönen Söhne Adams,
ihr edlen, ihr sauberen, ihr menschlichen Wesen,
fuhr Störtebeker ihnen nach. Gott sei Dank,

ich sehe wieder, was ich sehe, ich rieche, was ich rieche,
welche Lust, die Dinge in ihrer Nacktheit zu begreifen.
Geht, wiederholte er wütend, durchforstet die Schiffe,
bestückt sie, legt Proviant hinein.

In acht Tagen muss ich die Küste hinter mir haben.


In höchstens acht Tagen! Und dann, Likedeeler,
Seeräuber, Rächer, Glückliche. Ha, ha,
allen guten Engeln sei Dank für das passende Wams!

Und in die Senkgruben alle Gewänder der Verstellung.


Stille trat ein, das letzte scharrende Geräusch
des Verschwindens war verklungen,
der Admiral und sein Junge standen sich allein

unter den geschliffenen Gläsern der Laternen gegenüber.


Unbeobachtet, ungestört, denn der kleine Wichmann
verbrachte diese Nacht wieder mit den Vergnügungen
der Marienhafener Kneipen.

Als wäre dies nun die wichtigste Angelegenheit,


zog er sein ledernes Wams aus
und hängte seine Mütze sorgfältig an einen Nagel,
alles Dinge, die er sonst seiner Kellnerin überließ.

Schließlich tastete er mit einer eiligen Suche


vorsichtig das offene Leinen über seiner Brust ab,
bis er schließlich über die Schultern und Arme
seines Jungen strich. Und das alles,

ohne sich von der Totenblässe seines Begleiters


abschrecken zu lassen. Dann, als hätte er es gefunden,
schüttelte er den Verstummten und murmelte ihm zu:
Lehm, Staub, Erde. Deine weiße Haut, Täuschung,

mein zierlicher kleiner Junge. Spürst du nicht,


wie sie darunter anschwillt und vor Sehnsucht
nach dem Dreck drückt? Warum täuschst du dich
und mich mit Eingebungen,

die deinem Wesen zuwiderlaufen?


Lache, Kleiner, lache, die Törichten werden
wieder sehend und schämen sich ihrer verklebten Augen.
O, ich möchte meinen Kopf in ein Kellerloch stecken.

Er unterbrach sich und hörte zu.


Hörst du, wie sie oben jubeln und tanzen?
Da will der Mist Mist sein, da will der Mist Mist sein.
Allen guten Engeln sei Dank,

ich werde sie dorthin werfen, wo es am stinkendsten


nach Verwesung dampft! Zucke nicht mit der Lippe,
wenn du dein Leben riskierst, Junge,
widersprich mir nicht. Ich schwöre dir,

wenn ich noch einmal einen Verrückten treffe,


der glaubt, dass sich auch nur ein Haar
auf unserem Kopf in einen goldenen Faden
verwandeln lässt, dann hänge ich den Rosstäuscher

selbst an der Rah auf und reiße ihm die Zunge heraus!
Mit einem wiehernden, rollenden Gelächter
warf er sich auf sein Ruhebett und streckte sich aus,
alle mächtigen Glieder erstarrten wie auf einen Schlag,

und nur die rastlosen schwarzen Augen


wanderten noch ruhelos auf der Deckenvertäfelung umher.
Kaum verständlich, stöhnend vor innerem Vorwurf,
stammelte er vor sich hin:

Patrick, Patrick! - Warum rufst du die Toten?,


trat Milon zitternd näher. Noch so jung,
flüsterte der Liegende unbeweglich weiter.
Und schon so ein Ankläger des Herzens.

Ich wünschte, er stünde an deiner Stelle,


und ich würde ihn ins Herz schließen.
Wieder herrschte Schweigen. Alles, was zu hören war,
war das knirschende Hämmern an Deck.

Wie eine Totenwache lehnte Milon


am Fußende des Bettes und wandte seinen Blick
nicht von dem dort ausgestreckten Mann ab,
der immer mehr in die Stagnation des Schlafes sank.

Und unterdessen rutschte der Boden


unter den Füßen des Wächters weg.
Betäubung und Klarheit wechselten sich
in seinem Hirn ab, denn vor ihm entstand die Gewissheit,

dass dieser Erdengott, der zerstören wollte, um zu erlösen,


nun selbst zerbrochen dalag, erdrückt von seiner Mission,
die er lästernd und fluchend
in die Wolken zurück schweben ließ.

Und deshalb all die Geopferten?


Die Mütter und Kinder der Berge?
Die Ertrunkenen und Erschlagenen?
Die Gehängten wie Patrick?

Und die Verdorbenen wie Karin?


Vor seinem wandernden Blick bewegte sich
eine Prozession von Leichen über die Erde,
einem braunen Kreuz folgend, dem rauen Holz,

das einst in Karins Schlafgemach eingelassen war,


und die Skelette zeigten alle mit knöchernen Fingern
auf sie, auf sie, die allein zurückgeblieben war,
um eine Grube voller Dreck zu hüten.

Oder war es dieses üppige Kissen,


auf dem der Mann das Vergessen suchte?
Herr, Herr, rief sie aus. Aber sie wusste nicht mehr,
welchen ihrer Götter sie meinte.
Benommen, schon halb entführt,
öffnete der Schläfer noch einmal seine Augen.
Komm, meine Liebe, murmelte er.
Da fiel Karin, halb besinnungslos,

vor dem Lager nieder, umschlang den Riesen


mit ihren Armen, wie man einen letzten Besitz
vor der Zerstörung zu bewahren trachtet,
und all ihre unendliche Angst

vor der verdienten Verdammnis


entlud sich herzzerreißend:
Herr, entweihe dich nicht.
Fliehe vor neuer Gewalt

und verkünde irgendwo auf Erden,


was dir offenbart worden ist. Glaube, glaube,
es ist der Geist allein, der die Toten lebendig macht.
Ich will dir dienen vom Morgengrauen bis zur Nacht,

was immer du mir auftragen magst.


Aber Klaus war schon zu sehr in den Fesseln
einer dumpfen Erniedrigung, um die Opferbereitschaft
dieser einzigen Seele, die er je wirklich verklärt hatte,

anders als mit ungläubiger Verachtung aufzunehmen.


Seine Glieder lockerten sich mehr und mehr,
und während er, kaum bewusst,
das blonde Haar der Gefallenen streichelte,

murmelte er, oft unterbrochen und bereits in voller Verzückung:


Narr, das Feuer dieses Sterns will erlöschen.
Wer weise ist, wird sich noch ein letztes Vergnügen
aus dem Aschenhaufen holen.

Saufen, Weiber, Raub, Geplänkel mit dem Tod,


das ist, was bleibt. Gib mir dein Herz, mein Kind.
Damit sank er in sich zusammen.
Seine Wächterin aber lehnte noch einige Zeit neben ihm

an der Wand, und je länger er über die Vergangenheit


und die Zukunft grübelte, desto bitterer
veränderte sich das blasse Frauengesicht.
Jetzt zeigte sich, dass nicht nur das Göttliche

des entrissenen Mannes in diesem Wesen


Wohnung genommen hatte, sondern auch,
wie sich die Schrecklichkeit seiner Vorsätze
allmählich in ihm festgesetzt hatte.

Sie trat näher heran und versuchte zu sehen,


ob ihr Herr noch einmal ermutigt werden könnte.
Aber der Riese ruhte, ein Bild aus dunklen Rissen.
Dann sprach sie laut in sein Gesicht,

als ob er es noch hören müsste:


Du wirst nicht zu den Dienern des Lasters zurückkehren,
Klaus Störtebeker. Du wirst in der Unschuld
deines Willens gehen. Möge der Himmel dir gnädig sein.

Hastig bedeckte sie sich mit Störtebekers Ledermütze,


warf sich seinen Schafspelz über,
und bald glitt ein Boot unauffällig
die dunkle Hafenstraße hinunter.

Es legte an der Kogge von Wichbold,


dem angeblich kranken Mann, an.
Dort blieb es bis zum Morgengrauen.
O Karin, o Milon, Störtebekers Liebe!

ZWANZIGSTES ABENTEUER

Kapaunen, Kapaunen gefüllt mit süßem Kuchen,


bring mir mehr davon! Und du, Stadtschenke,
vergiss den öligen Rotwein nicht,
so schmatzte und schnaufte der dicke Wichbold

in einer der braun geräucherten Kammern


des Hamburger Rathauses an einem der letzten
Septembertage des Jahres 1402,
und in der Freude über die erlesenen Köstlichkeiten,

die gebraten und gekocht den Tisch


dicht um ihn herum bevölkerten,
knöpfte er ein paar Seitenknöpfe
seines grünen Matrosenkittels auf

und machte Platz für weitere Genüsse.


Neugierig verschlang er bereits mit den Augen
einen der roten Hummer, der auf einem Silberteller
liebevoll seine Scheren nach ihm ausstreckte.

Gut, gut, lobte er kurz den gebückten Stadtschenken,


der ihn bediente und während des gesamten Imbisses
ein merkwürdiges Lächeln im breiten schwarzen Kragen
seines Wamses verschwinden ließ.

Ihr guten Bürger Hamburgs wisst,


was ihr einem frommen Seemann zu verdanken habt.
Beim heiligen Paulus, euer Verlust soll es niemals sein.
Ich werde es euch ehrlich vergelten.
He, erinnerte er sich, nachdem er sich
einen weiteren vollen Schluck
des dicken Italischen Weins eingeschenkt hatte,
weißt du schon, mein Lieber, wo dein Gast

heute Nacht übernachten wird?


Es würde mich freuen, einen Gebetsschemel zu finden,
denn ich habe der heiligen Anna
auf einer gefahrvollen Reise eine Wache gelobt.

Bei dieser Frage des alten Helden sank das Kinn


des Schenken wieder tief in die Schwärze seines Kragens,
und es dauerte einige Zeit, bis ihm eine Antwort einfiel.
Ich höre, beugte er sich vor, dass der Rat

ein eigenes Haus für dich vorbereitet.


Erstaunen stieg in den Augen des Vielfraßes auf.
Auf so viel Ehre war er nicht vorbereitet,
und sein schlauer Verstand überlegte eine Weile,

ob seine Geheimnisse für die geizigen Krämer


wirklich so teuer sein konnten.
Doch die Köstlichkeit der Mahlzeit
und die respektvolle Art, mit der sie empfangen wurde,

zerstreuten bald die aufkommenden Zweifel


des dicken Mannes, so dass er gerade beginnen wollte,
den Hummer mit gesteigerter Empfänglichkeit zu essen,
als ein bewaffneter Mann eintrat.

Er stieß seine Hellebarde auf den Boden und berichtete:


Der werte Bürgermeister Tschokke lädt dich
nun zu einem Verhör ein. - Sieh an, sieh an,
quetschte sich Wichbold hinter dem Tisch hervor,

erneut verstört. Wovon redest du, mein Freund?


Es handelt sich nicht um ein Verhör,
denn ich habe dem Rat eine Befragung angeboten,
im Gegenzug für ein kostenloses Geleit.

Ich weiß es nicht, antwortete der Wächter unwirsch.


Hinter der Tür gesellten sich noch ein paar
schwarze Hellebarden zu der Prozession,
und während sie durch dunkle Gänge

und die krumme Treppe hinaufgingen,


begannen die alten Kopfwunden des grauhaarigen Sünders
zu pochen, und sein Herz krampfte sich
in feiger Hilflosigkeit zusammen, wobei er sich fragte,

ob ihm seine Rachegelüste nicht


einen allzu dummen Streich spielten.
Doch kaum hatte er den weiten,
niedrigen Ratssaal betreten, gewann er neue Zuversicht,

denn ein einzelner Mann saß an einem grün gedeckten Tisch


an der Seite des Fensters, und mit einer müden
Handbewegung wies er die Stadtknechte an,
sich zu entfernen. Sie blieben allein.

In dem einsamen Raum schwirrte ein Schwarm Fliegen


unter der Decke umher, und durch die vergitterten Fenster
hörte man gelegentlich das Rollen von Fuhrwerken
und die Geräusche einer Handelsgemeinschaft.

Alles schien friedlich, vor allem aber die Person


hinter dem Tisch. Über dem karmesinroten Kragen
seines schwarzen Ratsherrengewandes
hob sich ein einst voller, jetzt faltiger Kopf,

und seltsamerweise fiel grauweißes Haar


auf die harte Stirn des noch nicht gealterten Mannes.
Der Mann musste vorzeitig gealtert sein.
Mit einem Mal richtete der Würdenträger

ein Paar stahlblaue Augen auf den Freibeuter,


und dieser Blick hatte etwas so Kaltes
und Abschätzendes an sich, dass der dicke Mann
zu zittern begann. Es gefiel ihm auch nicht,

dass man ihn nicht einlud, sich zu setzen,


obwohl man ihm einen mächtigen Lederstuhl
hinterhergeschoben hatte. Wer bist du?,
erhob der Bürgermeister ruhig seine Stimme.

Ich? - Der dicke Mann gab sich zugeknöpft.


Ich bin Hauptmann Wichbold, stieß er hervor,
faltete aber zugleich demütig die Hände über dem Körper,
ein Diener Gottes, der mit Freibriefen

aus Rostock und Wismar die gute Stadt Stockholm


geplündert hat. Endlich habe ich die goldene Biene
zum Wohle des gemeinen Mannes geführt.
Die ungerührte Miene des Hamburger Territorialisten

änderte sich bei dieser harmlosen Schilderung


nicht im Geringsten; er wühlte gleichgültig
in ein paar Pergamenten und antwortete:
Ich kenne deine Taten. Du kommst von der Störtebeker.

Gott verdamme ihn, mischte sich der Hauptmann hier ein,


als die roten Narben zwischen seinen grauen
Haarwülsten aufzuflammen schienen.
Möge dieser Volksverderber ein unrühmliches Ende finden.
Was nun?, drängte der Bürgermeister
und putzte sich eine große Schwanenfeder.
Jetzt sah der dicke Mann, dass er seine Karte
ausspielen musste, wenn er nicht jede Bedeutung

und Wichtigkeit verlieren wollte. In heiliger Entrüstung


wiegte er daher seinen dicken Kopf,
und seine hochgezogenen Lippen zuckten vor innerer Not,
als er sich zerknirscht erhob:

Eure Würden, nicht jeder kann sagen,


welchem Herrn er dient. Meiner,
gepriesen sei sein Name in Ewigkeit,
hat mich nicht umsonst durch Undank und Schmach,

durch Eiter und Eiterung gewälzt,


so dass meine Seele zur Besserung und Reue bereit ist. -
Mann, sag jetzt kurz, was du vorhast,
dass wir es hinter uns bringen, sonst...

Herr, rief nun der Bauch gereizt aus,


wobei ihm unwillkürlich alle Unbefangenheit
abhanden kam, ich bringe euch, was mehr ist
als euer Bier, Leder, Erz oder Getreide.

Und ihr werdet es mir gerne in angemessenem Maße


zurückzahlen… - Sei dir dessen sicher,
lehnte sich der Ratsherr entschlossen zurück.
Gut, gut, so übergebe ich den Erzfeind

eures Handels und der friedlichen Schifffahrt


in eure Hände, damit diese Geißel
des Menschengeschlechts, nachdem ich sie reumütig
als solche erkannt habe, nicht wieder

durch Prahlerei, Laster und Unzucht


allen Gesetzen Hohn spricht.
Bei der Erwähnung des unglücklichen Lebenswandels
von Störtebeker verfielen die Gesichtszüge des Mannes

hinter dem Tisch zum ersten Mal in eine seltsame Starre.


Eine wächserne Leblosigkeit ließ sie für einen Moment
fast durchsichtig erscheinen, und er bedeckte seine Augen
mit der rechten Hand, bevor er dem Freibeuter

signalisierte, fortzufahren. Dieser freute sich


über den sichtbaren Eindruck und folgte schnell
und klappernd seinem Vorschlag.
Herr, grunzte seine trunkene Heiserkeit,

und seine geschwollenen Äuglein glitzerten dazu,


in spätestens vier Tagen wird sich Störtebeker
in Marienhafe bereitmachen, um sich auf den Weg
zu Gödeke Michael zu machen.

Doch seine Flotte ist vermoost, zudem nur halb ausgerüstet,


seine Besatzung schwierig, selbst die Friesen
in seinem Rücken nehmen dem verrückten Räuber übel,
wie sie sich die verkauften Ländereien

wieder aneignen möchten. Wenn man die Zeit nutzt,


kann man ihn noch zwischen den Inseln abfangen.
Ich selbst werde euch, von meinem Gewissen getrieben,
Führungsdienste leisten, und dann dürft ihr den Herold

eines gotteslästerlichen Zeitalters foltern,


pfählen und peinlich zu Tode bringen,
dürft ihr den Verbreiter aller stinkenden Lüste foltern,
pfählen und peinlich zu Tode bringen.

Er atmete schwer und mit Genugtuung.


Herr Klaus Tschokke lehnte sich ebenfalls auf den Tisch
und hielt seinen ergrauten Kopf noch eine Weile
über seine Pergamente. Dann sagte er wie beiläufig:

Deine Angaben sind nur zur Hälfte richtig.


Störtebeker wird nicht zu Gödeke fahren. -
Mit Verlaub, warum nicht? -
Weil man die Toten nicht besucht.

Der Kopf von Michael liegt schon verwesend


zwischen den vier Pfählen auf unserem Grasbrook. -
Gerechtigkeit des Himmels, stammelte der Freibeuter.
Mit offenem Mund, grüner Blässe

auf seinem schwammigen Fleisch, sank er


unaufgefordert in den großen Ledersessel,
denn eine düstere Befürchtung um seine Person
ließ seine Brust erstarren. Welchen Verdienst

würden diese Gauner haben, wenn sie es wagten,


den mächtigsten Seeherrscher des Tages,
den Verbündeten von Königen und reichen Städten,
wie einen gewöhnlichen Wegelagerer der Schmach

und dem Schwert auszuliefern? Möge Petrus


mir ein leichtes Erwachen beim Abendmahl gewähren,
stöhnte er geistesabwesend, und seine Angst
veranlasste den verwirrten Mann,

nach Rechtsgründen zu suchen,


gilt denn keine Charta mehr? Michael war
in ehrlicher Fehde mit euch!
Als hätte der andere gar keinen Einwand erhoben,

fuhr der Bürgermeister kaltblütig fort,


mit seiner Feder zu fummeln, bis er endlich,
ohne jeden Versuch einer Rechtfertigung,
die Schwanenfeder wegwarf, um von neuem zu beginnen:

Sag mir nun, wer bürgt für mich, dass deine Aussagen
wahr sind? Hast du ein Zeugnis dafür,
wie weit man dir und deinesgleichen trauen kann? -
Oh, der heiligen Jungfrau sei Dank, die Rettung war nah.

Der dicke Mann atmete auf, wischte sich


die runden Schweißtropfen von der Stirn,
und während er hastig, aber unendlich erleichtert,
eine dünne Goldkette aus seinem Kittel nestelte,

richtete er seinen gebrochenen Körper


wieder zuversichtlicher auf.
Hier, Ehrwürden, versuchte er vertrauensvoll zu lächeln,
obwohl es immer noch eine angestrengte Grimasse blieb,

das hat mir ein sehr zartes Mädchen für dich gegeben,
damit du weißt, dass alle meine Worte
aus ihrem Munde kommen. Sie lebt schon lange
mit Störtebeker zusammen,

weil er ihr schändliche Gewalt angetan hat,


und auch jetzt schleppt sie sich in Männerkleidern dahin,
weder mit Zucht noch mit Scham. Es ist ein Elend,

dieses schöne Ding zu sehen. Hier, überzeuge dich selbst.


Mit zitternden Fingern legte er das Juwel
dicht vor dem Würdenträger auf den Tisch.
Doch Herr Klaus Tschokke rührte sich nicht.

Nur von der Seite warf er einen fast ängstlichen Blick


auf das Schmuckstück, um sich zu vergewissern,
ob es sich wirklich um die Schaumünze handelte,
die an dem Kettchen hing,

das Karin einst als Kind


aus den Händen seines Vaters erhalten hatte.
Und als er sich von der Echtheit des Stücks überzeugt hatte,
blieb er regungslos sitzen und schloss erneut die Augen.

Nur einmal zuckte seine bereits geöffnete Hand


von dem Schmuckstück zurück, als ob ihr Flecken
und Krankheiten anhafteten. Doch Wichbold entging
die eigentümliche Schwäche des Mannes nicht.

Nun, erkundigte er sich selbstbewusst,


traust du dem Ding? - Das blasse Gesicht
mit den geschlossenen Augen nickte.
Dann bezahlt mich nach dem Honorar, zischte Wichbold

frech, denn die Gier verführte ihn,


und er schlug mit der Faust auf das grüne Tuch.
Wie wollt ihr mich bezahlen? - Wie du es verdienst,
drang plötzlich eine Stimme durch den stillen Raum,

die vom Himmel zu fallen schien,


so wenig traute man dem beherrschten Stadtherrn
mit solch stählerner Leidenschaft.
Was hatte das zu bedeuten?

Nun, mit einem seltsamen Schaudern in den Knien,


sah sich der Freibeuter um. Bevor er überhaupt
an sich denken konnte, an den Ort, an dem er sich aufhielt,
an den hartgesottenen Bürger,

mit dem er einen so gefährlichen Streit führte,


war ein Blitz durch ihn gefahren,
der bis ins Gehirn reichte
und den schwammigen Körper des Schuimers

widerstandslos in den Sessel schleuderte.


Er wollte die Hände ausstrecken, aber er konnte nicht.
Er wollte etwas sagen, am liebsten ein Flehen um Gnade,
aber stattdessen zwang ihn sein schrecklicher Mangel

an Willenskraft, seine Worte zu verschlucken.


Der Bürgermeister hatte sich erhoben,
seine kalten blauen Augen blickten prüfend
in die Qualen seines Gegenübers, er winkte,

die Wachen schwärmten zur Tür herein,


und auf ein neues Zeichen des grauhaarigen Mannes
hoben sie den Stuhl samt Last in die Höhe
und trugen die zum Schweigen verdammte Masse fort.

Eine Weile blickte der Bürgermeister ihnen


regungslos hinterher, dann ließ er sich nieder,
schob das Kettchen weit von sich und strich
mit seiner Schwanenkralle über das Pergament.

Auf den Schiffen Marienhafes


hämmerten derweil Hämmer, knarrten Sägen,
wurde morsches Holz ersetzt, lieferten die Seiler
neue Taue, und die Weber halfen, die Segel zu flicken.

In erstaunlich kurzer Zeit bekleideten sich


die aufgetakelten Skelette mit der Haut
und all den Nerven, die die toten Seevögel
wieder zum Fliegen befähigten; ja, man konnte

die hüpfende, fiebrige Ungeduld ihres Anführers


förmlich in den mächtigen Holzkörpern pochen
und vibrieren hören. Aber der Mächtige,
der wilde, unbeherrschte Mensch,

von dem sie glaubten, dass er allein


ihre Sehnsucht nach Raub, Rache
und uneingeschränktem Besitz aller Güter
der Erde garantieren könne, wurde in diesen Tagen

der Vorbereitung ungestümer und wütender


denn je umhergetrieben. Oft musste Milon,
der jeden seiner Schritte aus der Ferne beobachtete,
sich unter Tränen eingestehen,

dass die Schande der enttäuschten Hoffnungen


oder die Schande der Niederlage vor der Menge
in dem Meister nichts anderes als die Gier geweckt hatte,
all den Glanz in sich auszulöschen,

der ihn bisher von den Verdorbenen unterschied.


Nächtelang brüstete er sich in den Tavernen des Dörfchens
mit allerlei verderbten Frauen
und organisierte zu seinem eigenen Vergnügen

sogar Einbrüche und Diebstähle in den Werkstätten


und Geschäften der Eingeborenen,
nur um die davon Betroffenen
mit wahnsinniger Großzügigkeit zu entschädigen.

Die fürstliche Natur des einst von Gott


so gesegneten Mannes zeigte sich nur
in Verschwendungssucht oder in der Sucht,
die Korruption der Herrschenden zu übertreffen.

Als er auf die Agile zurückkehrte, hager,


mit tiefliegenden, flackernden Augen, erfrischte er
seinen Geist nicht mehr wie früher durch das Studium
der Dichter und Philosophen, in denen er einst

so vergnügt gewühlt hatte, sondern streifte


wie ein gefräßiger Wolf über das Deck, schimpfte
und tobte, suchte nach Fehlern und Auslassungen.
Erledigt, erledigt, war das einzige Wort,

das er den fieberhaft Arbeitenden entlocken konnte.


Zu diesem Zweck schlug und malträtierte er
die aufgebrachten Matrosen, wozu der Adlige
nie seine Hand missbrauchte,
oder er zwang seine Untergebenen,
aber auch das gemeine Volk,
zu Zechgelagen und waghalsigen Kartenspielen,
bis die weniger Ausdauernden unter den Tisch

der prächtigen Kajüte fielen, verfolgt


von seinem höhnischen Gelächter.
Es war klar, dass der Wein dieses Lebens
schal wurde und in Fäulnis überging.

Einmal fragte ihn der kleine Wichmann,


der selbst diesen Verfall seines Schülers
mit der Aufmerksamkeit eines messenden
und vergleichenden Gelehrten beobachtete:

Nun, Klaus, zu welchem Endziel


voll purpurnen Glanzes und betörender Klänge
willst du uns nun lenken?
Das Ende eines dieser ausschweifenden Karussells

war gerade herangerückt, so dass der Riese


nun allein mit dem ehemaligen Magister war,
der hinter dem Wein-getränkten Tisch lehnte.
Aufgeschreckt aus seinen Grübeleien

hob Störtebeker den Kopf und strich sich


die wirren Locken aus der Stirn. Offensichtlich
musste die Frage des Zwerges
einen ähnlichen Verlauf genommen haben

wie seine eigenen Gedanken,


denn der benommene Mann griff
nach der winzigen Hand seines Gefährten,
als wolle er sich davon überzeugen,

ob Fleisch und Knochen diese Information


von ihm verlangten. Dann legte er den Kopf schief
und sprach mit einem gequälten, inneren Lächeln:
Hein, hast du schon einmal daran gedacht,

dass dieses ganze Gejammer aufhören könnte?


Welcher Friede muss kommen,
wenn das Herz der Erde seinen letzten Schlag macht.
Er riss den roten Schecken über seiner Brust auf,

um nach seinem eigenen Schlagwerk zu greifen.


Es pochte laut und stürmisch.
In den Eissagen unserer Vorfahren,
wie sie hierzulande noch erzählt werden,

fuhr er dann in sich gekehrt fort, läuft ein Wolf herum,


der die Sonne verschlingt und erst satt wird,
wenn er alles Leben verzehrt.
Ich kenne die Bestie jetzt, Hein.

Es ist dein und mein Geschlecht und heißt Mensch.


Es stürmt nach Zerstörung. Welch ein Helfer wäre der,
der ihm den Weg leuchtet! Bruder,
und dabei zerdrückte er fast den Becher in seiner Faust,

ich würde das vom Teufel bewohnte Reich


an allen vier Ecken in Brand stecken und dann,
wie Sardanapalus, mit Weibern,
Suff und Glücksspiel in Schutt und Asche legen.

Hinter ihm folgte ein Seufzer auf diesen wütenden Wunsch.


Der Feiernde drehte sich um und sah
in das müde Gesicht seines Jungen.
Allein der traurige Blick verschlimmerte

die schlechte Laune des Matrosen um ein Vielfaches.


Was starren deine Augen an, wie zwei offene Gräber?
Bete den Tag an, feiere und tue deiner Natur
keine Gewalt an. Willst du von den Würmern,

die das Ende machen, verachtet werden?


Verschwende, was du gerettet hast,
und singe die Lieder der Schurken.
So machte der Zerschlagene seinen Nächsten zornig,

und je näher der Tag der Abreise rückte,


desto gieriger suchte er dem Land,
das er verlassen musste, allerlei
letzte Freuden zu entlocken.

Was fehlte noch? Eines späten Nachmittags


sah man von den Schiffen im Hafen aus
den Reisewagen der Häuptlingsfrau van Ness
langsam die Höhe der Brokeburg hinauf knarren.

Da stieg der Admiral, als ob er mitten


in einem dringenden Befehl steckte, hinauf
und winkte einem der Schiffsjungen heftig zu,
sich zu ihm zu gesellen. Plötzlich errötete er,

denn er schämte sich fast dafür, dass er das,


was seine Flamme schon fast entfacht hatte,
unzerstört lassen sollte. Geh, befahl er
ohne Rücksicht auf die Umstehenden,

unter denen sich auch Milon befand,


sag der Frau des Häuptlings, dass ihr Wunsch
in Erfüllung gegangen ist. Die Flotte ist auf dem Weg.
Deshalb hat der Admiral sie zu einem Abschiedstrunk
auf der Agile eingeladen. Sag, es soll ein Fest werden,
das ihrer würdig ist. - Ungeduldig warf er
dem Boten ein Silberstück zu, dann rief er
demjenigen nach, der noch über Bord sprang:

Schone deine Lunge nicht, Junge.


Lobe und preise mich. Es ist Eile geboten.
Schweigend hatte die schöne Eva
die Botschaft vernommen.

Nun saß sie auf dem Ausguck ihrer Kammer,


von wo aus sie die Lichter der Flotte
in der Dämmerung zucken und blinken sah,
und ihr eitler Geist überlegte,

welchen Entschluss sie fassen sollte.


Die Einsamkeit tat ihr nicht gut.
Der Raum, in dem sie sich aufhielt, lag im Dunkeln,
und nur der schwache Schein einer Öllampe

schwebte aus ihrem offenen Schlafgemach.


Nur die spärlichen Strahlen brachten ihr etwas Besonderes.
Jetzt, da der Augenblick nahte,
in dem der geniale Seeräuber, der Mann

des Zufalls und des Abenteuers,


in das Ungewisse seiner gefährlichen Laufbahn
gerissen werden würde, jetzt, wo man den legendären Mann,
mit dem ihre Phantasie nicht nur oft gespielt,

sondern dessen schicksalhaftes Leben


sie auch geprägt hatte, dessen schicksalhafte Männlichkeit
sie aber durch ihre Künste schon gebändigt
zu haben glaubte, leicht für immer verlieren konnte,

kam eine bittere Erinnerung, ein Vergleich


über das Verkaufte, und ihr bisheriges Dasein
erschien ihr nicht mehr so spielerisch
und harmlos wie früher.

Seltsame Gestalten tauchten


aus dem dumpfen Schein zu ihren Füßen auf.
Zuerst glaubte die Verlassene,
die flüchtigen Lichtflecken würden sich

zu einem menschlichen Klumpen formen,


und obwohl ihre Sinne unbeirrt und grobkörnig waren
wie die der meisten Frauen ihrer Zeit,
wich sie beunruhigt zur Seite,

als sie sich in dem Glauben wiegte,


das Ferkel würde sich zu ihr beugen,
um seinen struppigen Kopf animalisch
an ihrem Knie zu reiben. Die trübe Wärme

wurde ihr unangenehm. Geh weg,


verscheuchte sie das allzu nahe Phantom und erwachte.
Mit offenen Augen sinnierte sie dann weiter
in die neblige Luft des versunkenen Tages.

Dort drüben, zwischen den schummrigen Lichtern,


wartete der Riese sicher auf sie,
denn hinter seiner Einladung, das wusste sie,
lauerte der Wunsch, sie endlich in die Arme zu nehmen

und zu unterwerfen. Er hatte nie einen Hehl


aus seinem brennenden Verlangen gemacht,
so wie sie selbst kaum aufgehört hatte, seine Lust
durch ein beiläufiges Versagen zu schüren.

Die Goldblondine lächelte wehmütig


und stützte ihren Arm auf die Wandplatte.
Es bereitete ihr ein unendliches Wohlgefühl,
sich das alles vorzustellen.

Noch war sie ungebrochen,


und es war ihre Freiheit und die Geschicklichkeit,
mit der sie ihren kostbarsten Besitz verteidigte,
die sie mit bitterem Stolz erfüllten.

Doch nun, da die feuchte Seeluft ihre Wangen kühlte,


begann in ihrem Geist jener heimlich nagende Ehrgeiz
zu schmerzen, den sie von ihrem verrückten
Vater geerbt hatte, und allerlei weitmaschige Pläne

von möglicher Größe und künftiger Herrschaft


zogen das Netz zwischen ihr und dem Fernen enger.
Zumindest versuchte die Schwankende,
dieses unerklärliche Treiben und Drängen

in ihrem Blut so zu deuten. Warum sollte sie sich nicht


die Kräfte jener Unbezähmbaren zunutze machen,
die mit Schätzen, Fürstentümern und Kronen
ebenso unbekümmert spielte

wie mit der Huldigung betörter Männer?


Warum sollte sie nicht ihren Fuß auf die Hand setzen,
die sie hoch ins Licht heben wollte?
Unermesslich hoch, vielleicht.

Draußen in der Welt war man im Begriff,


einen König zwischen Burg und Mauern auszuhungern.
Wohin sollte ein kühner Mann, der schon
in die goldenen Fäden des Volksliedes verstrickt war,

nicht mit kühnen Füßen greifen?


Vor allem, wenn eine begehrenswerte Frau
ihm List und Wahnsinn ins Ohr flüsterte?
Vielleicht war sie sogar klug genug,

um selbst diesen gewalttätigen Mann


noch einmal zu zähmen. Gerade dieses letzte,
dieses ungewisse, gefährliche Spiel, dachte sie,
reizte ihre Abenteuerlust aufs Äußerste.

Ja, sie war entschlossen,


und während sie in ihr Schlafgemach eilte,
um sich heimlich und allein anzukleiden,
überkam sie der ganze Rausch,

von dem sie kaum wusste, dass eine Frau


ihn zu erwecken und zu vermitteln vermag.
Eine Metallscheibe zeigte ihr ihre Gestalt,
und sie genoss das Vergnügen,

ein unsichtbares Schwert um die Hüften zu tragen,


das auf ihren geringsten Wunsch hin
blutige Gesetze schreiben würde.
In diesem Moment umarmte sie den Entfernten

und lehnte ihren Kopf an seine Wange.


Eva wählte sorgfältig ihr schönstes rotes Faltenkleid
aus Leyden, und als sie es mit flinker Hand anzog,
spürte sie selbst mit Befriedigung,

wie der starre Goldschmuck des Kleides,


der sich über ihrer Brust zu einer Art Sonne verdichtete,
den Heiligenschein des Reichtums um sie schloss.
Noch einmal spähte sie vorsichtig aus dem offenen Fenster,

aber es war keine Menschenseele


in dem dunklen, feuchten Hof zu sehen,
sie hörte nur, wie der Wind Wolken
von trockenen Blättern von der Linde wehte

und dann kichernd mit den Fegen tief unten


auf die Steine schlug. Jetzt war es so weit!
Eilig warf Eva ihren grünen,
ebenfalls mit Goldplättchen besetzten Mantel über,

zog ihn sich nach dem Brauch der Friesinnen


über den Kopf und huschte leichtfüßig
die Steinstufen hinunter. Wie ungewohnt
hämmerte ihr Herz, wie schwer atmete ihre Brust,
und doch konnte sie sich nicht erinnern,
jemals ein ähnliches Vergnügen gekostet zu haben.
Vorwärts, vorwärts, damit ihre seltsam lustvolle
Sehnsucht durch kein Hindernis gebremst würde.

Jetzt schlich die dunkle Gestalt schon über den Hof,


jetzt drückte sie gegen das kleine Tor der Mauer.
Gott sei Dank, es war offen.
Von der Anhöhe aus blickte die Broketochter

noch einmal über die nächtliche Landschaft.


Der Seewind, der über die Ebene pfiff,
wehte ihren Mantel um, die bunten Lichter
der Flotte stiegen und fielen

wie monströse gezähmte Glühwürmchen.


Dies war die Sprache, in der Störtebeker
zu den Seinen sprach. Aber plötzlich
umspielte ein eigentümlich überlegenes Lächeln

den Mund der Flüchtigen, so wie durch die Signale


dort unten die Nacht erhellt wurde;
wie, wenn der Zügellose, den sie zu verführen gedachte,
sie nicht mehr aus seinem Griff entlassen sollte,

wenn er sie mit sich schleppte? O Schande, ihr Stolz


konnte es nicht ertragen, sich einen solchen Untergang
vorzustellen, und das goldene Stirnband,
das der Abenteurer ihr soeben gereicht hatte,

verschwand leise im feuchten Nebel der Dunkelheit.


Gerade als sie ihr Gewand kürzen wollte,
um zurück auf die Straße zu eilen, stolperte sie,
und in ihrem ersten Schreck fiel ihr der Mantel vom Kopf.

Dicht unter ihr knarrte etwas Unstetes aus der Schwärze,


das durchdringende Quietschen trockener Räder
war zu hören, und bevor Eva sich entschließen konnte,
wieder durch das Tor zu schlüpfen,

wurde ihr Gesicht vom flackernden Licht


einer Fackel gezeichnet. Ein Diener trat
hinter dem Wagen hervor. Auch er hielt inne,
als er seine geschmückte Herrin sah.

Unter dem Zeltdach aber grunzte


wie in einem gespenstischen Traum
jene bestialische Stimme, vor der ihre Jugend
eben noch vor Abscheu geschaudert hatte.

Stumm und regungslos musste das schöne,


von Fackeln erleuchtete Bild mit ansehen,
wie zwei Männer die gemästete Rundung
des Ferkels aus dem Gestell hoben, das Ungeheuer

auf sie zu kroch, sich dann lange an der Pracht


und dem Schmuck der Gehfähigen labte,
während die schmalen Schweineaugen
fast bösartig funkelten. Schließlich schnaufte

der Klumpen so leise, wie er konnte:


Wohin, meine Liebe? - Zu Störtebeker,
platzte Eva wütend heraus, da sie ihrem Mann
keine Geheimnisse vorenthalten wollte.

Stimmt, nickte der Sterngucker zustimmend,


als ob an dem Verhalten seiner Frau
nicht das Geringste auszusetzen wäre,
ich dachte, ich sollte dich warnen.

Bei diesen Worten ergriff seine schwammige


rechte Hand den Arm der Schönen, schob sich fest
unter ihren Mantel und schob die immer noch
zögernde Frau mit sich in den Innenhof.

Erst unter dem Hauseingang löste sich der dicke Wulst


von seiner Begleiterin und deutete keuchend
in den bedeckten Himmel.
Was guckst du denn da oben am Wandelgewölbe?,

stöhnte er bedeutungsvoll, und es sah fast grausig aus,


wie die dicke unförmige Gestalt die Hand
mit der Gewissheit des Besitzes
nach dem dunklen Gewölbe ausstreckte,

als wolle er dort oben einen Schrein


voller kostbarer Gegenstände aufschließen.
Aber Eva erwies seiner Wissenschaft nicht die Ehrfurcht,
die das Schweinchen sich wünschte.

Ich sehe nur, dass es regnen wird, antwortete sie spöttisch


und wollte sich abwenden. Doch der Klumpen
hielt sie zurück. Rücksichtsloses Kind, grunzte er,
und ich habe die schmerzhafte Reise um deinetwillen

auf mich genommen. Siehst du nicht,


wie die sieben Sterne sich Luna nähern?
Und wie von der anderen Seite die Schar
der Plejaden gegen die Sichel drückt?

Das bedeutet den Niedergang


und den Tod eines Mächtigen.
Überlegene Macht sammelt sich.
Mit vierzig Koggen segeln die Hamburger
schon in Sichtweite der Inseln,
so dass es kein Entrinnen gibt.
Wer morgen in Marienhafe die Wäsche wäscht,
wird sie rot gefärbt herausziehen.

Dann lehnte sich Eva wortlos an den Torpfosten,


aber wundersamerweise verflüchtigte sich
ihre heiße Erregung vor dem nahenden Unheil
oder Zusammenbruch erstaunlich schnell,

so dass es fast nur noch der Schock


über ihre eigene Verbindung mit dem Gezeichneten war,
der sie erzittern ließ. Wer hat dir das alles zugemutet,
Jörg?, fragte sie viel vertraulicher.

Der dicke Mann strich sanft über ihren Mantel,


bevor er zögernd, aber mit einem verschmitzten
Zwinkern in seinen schweinischen Augen antwortete:
Lass mich gerne mein Wissen überprüfen, Eva.

Ich bin nicht stolz darauf.


Diesmal waren es einige Fischer,
die Hisko in Lohn und Brot hält.
Ja, der Pfarrer hat sogar einen Unterhändler geschickt,

um die Hansen zu treffen.


Als die geschmückte Frau über diesen nackten
Bericht von Abtrünnigkeit und drohender Schande
nachdachte, überkam sie fast eine Art Dankbarkeit
für den rechtzeitigen Warner.

Unverfroren, wie immer, klopfte sie ihm


auf die dicke Wange. Du bist ein kluges,
rücksichtsvolles kleines Geschöpf, nicht wahr?,
lobte sie ihren Gatten und gab ihm einen leichten Klaps,

der das Ferkel jedoch vor Zufriedenheit knurren ließ.


Komm, es ist kalt hier. Lass dir von Mutter
etwas warmen Wein in den Trog gießen.
Schritt für Schritt zog sie das schwankende Ungetüm

die unbequeme Treppe hinauf.


Aber selbst während des beschwerlichen Aufstiegs
klammerte sich der Klumpen fest unter ihren Arm
und schnaufte ganz aus dem Grunde seines Herzens,

fast wie ein ehrlicher Beichtvater,


der zu seinem Seelenkind spricht:
Meinst du nicht, Liebes,
dass dieser Versucher Gottes
mit Recht Qualen und Block verdient?
Gibt es einen böseren Anfang,
als die frommen Satzungen der Reichen
und Armen umzustoßen, so dass zuletzt der edle Rock
an deinem schönen Leibe nicht mehr gilt

als der Kittel des Bettlers? - Komm, komm,


rief Eva schaudernd, setzen wir uns an das warme Feuer.
Und dann lass uns die Ausgeburt
eines tollwütigen Mannes für immer vergessen.

Die grünen und roten Lichter bewegten sich


stromabwärts. Eine langsame, gleitende Bewegung
war in die hölzernen Massen gekommen,
und während die Ungeheuer im Schein ihrer Laternen,

schemenhaft nachgeahmt und wie flach


über das Land geworfen, ihre huschende
Wanderung begannen, war von allen Seiten
ein schrilles, trillerndes und pfeifendes Geräusch zu hören,

als ob die großen Vögel nun auch ihre Stimmen


wiedergefunden hätten, um sich gegenseitig zu warnen.
Aber es war gar keine Warnung,
denn es war der Gesang des Angriffs,

des Stoßes und des Ausbruchs aus dem Käfig.


In derselben Stunde, in der Evas Gatte ihr
die dunklen Sprüche des Himmels offenbarte,
standen drei Snykenführer,

die seit Tagen auf offener See Vorpostendienst geleistet hatten,


vor ihrem Admiral, und was sie berichteten,
das war der Ruf des Lebens und des Todes zugleich,
das war die ernste unerbittliche Ordnung

und das fröhliche leidenschaftliche wogende Chaos.


Zwischen ihnen auf den Wellen schwankte die Waage.
Der Feind war da. Erschien auf unbegreifliche Weise.
Wie der Dieb in der Nacht. Vierzig kriegerische Koggen.

Das ganze hanseatische Kontingent,


hauptsächlich Hamburger, und an ihrer Spitze
ein unbeholfenes, plumpes, breitspuriges Schiff,
das die Flagge des Admirals in die Spitze gesetzt hatte.

Die Bunte Kuh. Es war der Name des Schiffes,


der Störtebeker beim Kriegsrat in der Kajüte,
beim Klirren von Hellebarden und Schwertern,
zum ersten Mal ein hämisches Lachen entlockte:

Ha, Brüder, klopfte er sich auf die Brust,


was für ein gutes Omen! Wir wollen das Hamburger Tier
erst melken und dann schlachten.
Ich habe meine Kinder schon lange mit solcher Milch verwöhnt.

Und jetzt, er wanderte weit durch den hell erleuchteten Raum,


zog ein paar der Lukenbretter zurück,
um dem vorbeiziehenden Land einen Blick zuzuwerfen,
jetzt, Hein, sprich, mein Freund,

wie siehst du denn das Ding an?


Der Kleine lehnte sich gegen den Tisch
und stützte sich auf seine Waffe.
Ein dunkler Ernst lag in dem faltenlosen Kindergesicht.

Dass die Krämer mit solcher Überlegenheit auftreten,


sagte er fest, beweist mir, dass Michael befreit ist. -
Ich wünschte, die Furien würden dich erwürgen,
unterbrach ihn hier Störtebeker, dunkelrot,

denn seit seiner Kindheit hatte sich


der unbändige Mann immer dagegen gewehrt,
in beleidigter Empörung ohnmächtig
gegen ein schwarzes Wetter anzustarren.

Gödeke lebt. Mein Kopf für ihn. Ich sehe ihn,


ich höre ihn sprechen. Meinst du, der Satan
würde mir einen Dietrich und ein Brecheisen
ins Wappen stecken, wenn es nicht

um der guten Geselligkeit willen wäre?


Wütend schlug er gegen die Bordwand.
Ein widersprüchliches Gemurmel erhob sich
unter den Anführern. Unbeirrt strich sich

der Magister kühl über das Kinn.


Wie dem auch sei, beharrte er, jetzt ist nicht die Zeit,
Klaus, dich in den römischen Mantel des Triumphs zu hüllen.
Ich habe meine ganzen Tage damit verbracht,

auf die Ehre zu pfeifen. Ha, man kann ohne Ehre leben,
aber niemals ohne einen Kopf. Ich bin dafür,
dass wir fliehen, solange noch Zeit ist.
Die anderen schwiegen.

Auch der Admiral stand wortlos am Ende der Kabine,


wo sie sich sanft verjüngte. Ohne es zu wollen,
hatte er sich einen dicken Wälzer
aus der Truhe geschnappt und knabberte eifrig

an seiner Unterlippe. Jetzt aber warf er


den Wälzer polternd auf den Boden
und richtete sich abrupt auf.
Habt ihr, rief er mit seiner durchdringenden Stimme,

die jedem von ihnen ein Messer in die Brust stieß,


während ich euch Aufenthalt und Unschuld
schenken wollte, nach Blut und Beute verlangt? -
Ja, sprachen die Männer gemeinsam.

Und ist es nicht euer einziger Freibrief,


dass ihr es wagt, mit dem Beelzebub Karten zu spielen,
ganz gleich, ob der Gehörnte die Bilder
in seiner Klaue hält und ihr die Nieten? -

Ja, riefen die Freibeuter mit Überzeugung.


Aber gleich darauf wurden sie wild.
Wir haben selbst einen Trumpf in der Hand,
sein Name ist Klaus Störtebeker.

Da glitt ein stolzes, zerrissenes Leuchten


über das dunkle Gesicht des Riesen,
das man bei ihm bisher nicht kannte.
Habt mir nur den Kamm abgebrochen,

ihr wetterwendischen Unbelehrbaren,


grummelte er mehr zu sich selbst, aber egal,
er löste die Seekarte von der Wand
und warf sie auf den Tisch, ich will

das Kunststück vollbringen, um des Kunststücks willen.


Komm schon, Hein, gib auf, wir schlagen morgen zu.
Und jetzt kümmere dich um
ein sehr ordentliches kleines Stückchen Plan.

Es war schon tief in der Nacht, als der Admiral


in seine Kabine zurückkehrte. Bis dahin
hatte er jeden Winkel seines Schiffes
bei Laternenlicht untersucht, die Waffenkammer besichtigt,

die Winden der drehbaren Geschütze geprüft,


an den Leinen und Segeln gezogen, um sie zu testen,
und überall hatte er die wagemutigen Matrosen,
die ihm ihre Geschicklichkeit

an ihren Flaschenzügen zeigen mussten,


in jene gespannte Spannung versetzt,
die immer die letzte, unwiderstehliche Waffe
auf der Agile gewesen war. Nun waren die Schiffe,

bereits außerhalb der Inseln, vor Anker gegangen,


Ruhe war vor dem roten Erntetag angesagt,
und Störtebeker selbst betrat müde
und in sich gekehrt seine Behausung.
Er hatte sein Haupt noch nicht entblößt,
als er seinen Jungen in der Mitte
eines der dicken Teppiche auf dem Boden liegen fand,
den wohl der Schlaf übermannt hatte,

während er auf seinen Herrn wartete.


Nachdenklich hielt Störtebeker
vor dem friedlichen Bilde inne,
denn das scharfe Licht der venezianischen Gläser

zeigte ihm deutlicher als je zuvor, wie hager


und ausgezehrt die Wangen seines gehorsamsten
Gefährten eingesunken waren, ja, wie tief
die ganze schwärmerische Gestalt seiner Züge

in Trauer ruhte. Wahrlich, der Sturz,


den diese ihm ergebene Seele
von einem verheißenen Himmel gemacht haben musste,
hatte dem Ärmsten gewiss für immer

jenen Eifer geraubt, in dem er wie eine steile Flamme


aufstieg und ohne den sein Dasein zu Asche sank.
Menschlichkeit war der Name des großen Tempels,
in dem dem Gläubigen eine Vormundschaft

zugesichert war. Wohin sollte sie nun fliehen,


da es offensichtlich geworden war, dass die Fratze
des Wahnsinns an der Tür des vermeintlichen
Heiligtums lächelte? Leise berührte der Schauende

mit seinem Fuß die weiche Stelle der Schläferin,


um sich zu vergewissern, dass der Schlummer
ungestört weiterging, doch dann verfinsterte sich
seine Miene, und er sprach dumpf zu sich selbst:

Scherbenhaufen! Um deinetwillen könnte ich Reue lernen.


Keine morgendliche rote Insel mehr in der Ferne,
mein Kleiner, nur die Reise in den Teich,
über den das Fieber tanzt.

Es wäre besser für dich, du blasser Traum,


ganz in den Schlaf zu fallen.
Vorsichtig beugte er sich hinunter,
nahm den schlaff hängenden Körper in die Arme

und las eine Weile in den entspannten Zügen,


die ohne das Licht der Augen nur den Ausdruck
einer versunkenen Ruhe zeigten.
Doch gerade diese unbeteiligte Distanz

schien den Späher zu trösten. Ruhig


ließ er seine Last auf die Kissen zurücksinken,
blickte noch einmal mit vollem Verlangen
auf die Pracht des kostbaren Raumes,

dann löschte er selbst das Licht,


und bald verkündeten kräftige Atemzüge
von seinem Bett aus, dass auch dieses unruhige Gehirn
der Betäubung erlegen war. Eine beklemmende Stille

wehte in der weiten Kammer, und nur


das regelmäßige Wiegen des Meeres
zählte in der Dunkelheit seinen eigenen Herzschlag.
Und doch, da war noch ein anderes Hammerwerk,

das, gestört in einer menschlichen Brust,


fieberhaft seine enge Kammer zu sprengen drohte.
Karin schlief nicht. In den Armen ihres Herrn
war sie aus ihrer schweren Verstrickung erwacht,

sie hatte seine dunkle Prophezeiung gehört,


und nun lag sie da, den Atem anhaltend,
von der Kälte geschüttelt, und versuchte zu ergründen,
ob sie wirklich das Wesen war,

das mit sich selbst im Reinen war, in dessen Brust


das Schicksal Urteil und Hinrichtung zugleich
gelegt hatte. Draußen schlugen die Wellen unablässig
gegen die Planken: Du musst, du musst,

und während die Zähne der Gestrandeten


angesichts dieser Verzweiflung aufeinander klapperten,
warf ihr schäumendes Gehirn allerlei Fetzen
der Verhaltensregeln zusammen,

die ihr vom gemeinsten aller Verbrecher,


dem dicken Wichbold, überliefert worden waren.
Schau, du musst erst dies tun, mein kluges Mädchen,
und dann musst du das tun, aber vorsichtig,

damit er dir nicht die Sprünge stiehlt.


Er, das war der Mann, der den Glanz, das Strahlen,
das Gold seines Egos schon verloren hatte
und nur noch dahin raste und seine Niederlage

hinter wilden Lastern verbarg. Kein Messias mehr,


sondern ein frecher, sich selbst verhöhnender Judas!
Kein Lamm mehr in seinen Händen
für die schmachtenden und gebrochenen Herzen,

nein, nein, eher ein Halsabschneider,


der in seiner Selbstverzweiflung glaubte,
seinen Opfern Gutes zu tun, weil er sie abschlachtete.
Der Morgenstern, verloren in einem Haufen von Kot.
Niemals! Karin erhob sich. In ihrer Blässe
zeigte sich wieder jene unerbittliche Treue
zu ihrer Entscheidung, die ihr in der langen Zusammenarbeit
mit dem Mann der Gewalt zum Erbe geworden war.

Jetzt hörte sie nicht mehr zu, stellte keine spitzen


Fragen mehr, getrieben von einer dunklen
Notwendigkeit, furchtlos und überzeugt,
schlich sie unhörbar die Treppe der Hütte hinauf.

Wie hatte der dicke Wichbold das gemeint?


Immer auf sein listiges, heiseres Flüstern lauschend,
schritt der Schatten über das Deck, schlängelte sich
dann zwei schmale, steile Treppen hinunter,

dorthin, wo tief im Bauch des Fahrzeugs


die rote Glut der Schiffsschmiede glühte.
Vorsichtig öffnete Milon die rußige Höhle,
doch die halbnackte Zyklopen-Schar,

die noch vor wenigen Stunden Pfeil- und Lanzenspitzen


an ihren Ambossen geglüht und gehärtet hatte,
lag nun irgendwo in der Schwärze verborgen,
ihr Atem entwich mit der rasselnden Kraft

arbeitender Blasebälge. Halblaut, tastend,


rief der Schatten ihr zu: He, Detlev, du Satan!

Doch als es nirgends ein Zeichen des Verstehens gab,


wandte sich der Junge dem verlassenen Herd zu
und stieß einen der Schmelztöpfe
in die noch lebende Glut. Dann bückte er sich

und blies seinen eigenen ängstlichen Atem


in die müde Asche. Und immer wieder versuchte es
der nächtliche Gast dabei mit den hängenden Schmieden:
He, Detlev, du Satan, und du heiliger Olaf.

Vergeblich. Keiner von ihnen bemerkte


das zitternde Menschenkind, als es die Nägel
in den gemeinsamen Sarg warf, rötlich beleuchtet
und doch mit geschlossenen Augen.

Einen Augenblick später wurde eine Strickleiter


über die hintere Galerie der Agile geworfen,
der geschmeidige Schatten glitt hinüber
und tauchte am monströsen Ruder

von Rippe zu Rippe hinab. Tiefer und tiefer.


Der Wind pfiff sein eintöniges Lied,
und die Wache im Mastkorb sang zum Zeitvertreib
ein Lied von Heimkehr und Mädchentreue.

Man beschloss, die hanseatische Übermacht


zunächst durch eine Scheinflucht nach Westen
zu zerstreuen, um dann nach einiger Zeit
umzudrehen und die klobigen Koggen

der Kaufleute einzeln anzugreifen und zu versenken.


Später, auf dem Hamburger Fischmarkt,
erzählte man sich viele Geschichten
von dem glücklichen Ereignis.

Es war ein nasser Oktobermorgen.


Die schwarzen Fahnen, angeführt von Wichmanns
Goldener Biene, waren längst nach Westen ausgeschwärmt,
nur die Agile lag noch verhaftet an ihren Ketten,

ein riesiger Adler, der den Abflug


seiner Küken zu decken versuchte.
Oder war Störtebeker nur in Versuchung,
sich für eine Ladung seiner Steinkugeln

kugelsicher zu machen? In Lederwams und Mütze


stand er breitbeinig auf dem Bug,
nicht mehr das goldene Leuchten im Gesicht,
sondern von einer grimmigen, schrecklichen Wut ergriffen,

die sich auf alle übertrug, die auf diesen Mittelpunkt


ihres Schicksals starrten. Jetzt kam der erste Befehl.
Schießt!, forderte er nach einem scharfen Spähen
die ihn umgebenden Bombenschützen auf.

Er sprach ruhig. Die Zünder senkten sich,


ein Rollen, und drüben in der langen hölzernen
Linie begannen Takelage und Leinen zu regnen.
Gut, meine kleinen Kinder, lobte der Admiral,

und das unheimliche Feuer in seinen Augen


staubte noch ein wenig höher.
Es war nur zum Aufwärmen ihres morgendlichen Breis.
Er riss sich die Mütze vom Kopf

und winkte spöttisch mit ihr zur anderen Seite.


Seid gegrüßt, meine Herren. Die Diebe
mit dem Brecheisen grüßen die Gauner vom Gänsekiel!
Gibt es etwas zu verhandeln? Wir haben
nur unsere Freiheit, und die ist ein teures Gut!

Damit setzte er die Redetrompete an seine Lippen:


Anker lichten! - Die Ketten rasselten, die Brust
des Schiffes hob und senkte sich wie ein Schwimmer,
der versucht, die erste Glut zu kühlen.
Schüttet die Segel aus. Schweigt, kaltes Blut,
meine Kinder. Bevor die Gauner da drüben
ihre Leinen mit der Elle messen, sind wir weg.
Jetzt die Pinne hart nach Steuerbord; lebe wohl, Hamburg!

Aber die Agile machte nicht die gewünschte Wendung.


Wie von unsichtbaren Geisterfäusten gepeitscht,
raste der Renner auf den Halbkreis seiner Verfolger zu.
Plagt dich der Böse, Wulf Wulflam?, brüllte Störtebeker

von seiner erhöhten Position aus halb töricht


über das Deck und schob sich in ratlosem Erstaunen
die Mütze aus der Stirn. Hund, dreh dich sofort
gegen den Wind, oder ich lade deinen Kopf

in die nächste Lederschlange. Hölle und Grauen,


was ist denn hier los? - Inzwischen war der Freibeuter
Lüdeke Roloff neben den stiernackigen Wulf
und seine Gefährten gesprungen, beide Männer

drückten sich gegen den Baum,


so dass ihnen das Blut aus den Wangen spritzte.
Doch die Agile setzte ihren verrufenen Ritt
unverändert fort. Mit einem steifen Südwestwind
in den Segeln, der vom Land kam,

schnitt das Schiff durch die scharfen Wellen,


als müsse es sein Ziel in wenigen Sprüngen erreichen.
Herr, keuchte es jetzt zweistimmig aus dem Heck,
wir sind erlöst, es ist Blei in die Scharniere gegossen.

Einen Atemzug lang blieb alles still,


Entsetzen machte sich an Bord breit.
Doch dann wirbelte vor aller Augen eine riesige Gestalt
aus der Luft die zwei Stockwerke hinunter,

schoss durch die heulende, kreischende Mannschaft


und warf sich sofort mit ihrer ungeheuren Körperkraft,
verzehnfacht durch Verzweiflung und Wut,
gegen die Pinne. Das Holz ächzte und knackte,

das Ruder rührte sich nicht. Nun lockerten sich


die Fesseln des Gehorsams. Die schwarzen Brüder
verließen ihre Posten, die meisten warfen
ihre Waffen weg, sie irrten umher wie Ameisen,

und der Wahnsinn fächelte sie mit seinen Mohnflügeln.


Das Unsinnige gewann die Oberhand.
Reißt die Segel herunter!
Als ob das verlangsamte Schiff weniger verloren wäre!
Flieht, flieht, in die Boote!
Als ob die aufgepeitschte Menge im Angesicht
des Feindes und bei der Geschwindigkeit der Flucht
noch Platz in den kleinen Kähnen finden könnte!

Immer schneller eilte der Springer


über die wogenden Hügel. Doch gerade in dem Moment,
als er das Halfter, das ihn zähmte, völlig zertreten wollte,
fühlte sich das Ross wieder von der stählernen Faust gepackt,

die es bisher immer bezwungen und beruhigt hatte.


Hoch oben auf dem Heck hob sich
der schwarzen Fahne Fürst in seinem verwitterten
Lederkragen vom trüben Dunst ab.

Nicht ein Haar anders als sonst stand er da,


daran gewöhnt, die letzten Befehle
für den siegreichen Angriff zu geben.
Nur die bösartige Wut war aus seinen Zügen gewichen;

tatsächlich lächelte er jetzt, ein geläutertes Lächeln,


wie es nur Sterbliche kennen, die befreit sind.
Die Gefahr, die drängende Sorge um andere,
hatte unbemerkt das Beste in diesem Mann geweckt.

Hört ihr mich, meine Kinder? - Ja, Klaus,


riefen sie hoffnungsvoll. Sie scharten sich
um dieses Geräusch wie um einen schützenden Turm.
Das Spiel fängt gerade erst an, ihr Schuimer.

Schüttelt die Segel aus, bindet die Leinen los,


der letzte Fetzen muss fliegen. -
Segel? Sie dachten, er würde im Fieber reden.
Ich sage, bindet eure Hemden an die Rahen, Jungs,

und fegt durch die Luft. Gleich werden


unter dem Bug die Schädel knirschen. Schießt!
Was dann geschah, sauste von der Rolle,
ruckartig, unpersönlich, gedankenlos,

denn alle Menschen, die Tod und Verderben anlächelten,


hatten ihre eigene Überlegung, ihre Glieder,
ihr Tun und Lassen diesem einen übergeben,
und er riss nun an ihren Fäden

und lenkte seine Figuren, willkürlich, unbarmherzig,


nur für den einen Zweck des Lebens.
Sie passten ihm alle, bis auf die Schwächste
und Bedürftigste. Sie lehnte an der Fensterbank,

die Hände über der Brust verkrampft,


aber zum ersten Mal richtete sich ihr
unausgesprochenes Gebet
nicht an den Herrn ihres irdischen Loses,

sondern sie rief und flehte das Schicksal an,


es möge größer und barmherziger herrschen
als jener lebende Tote, der jetzt dort oben
die letzte Geisterschlacht schlug.

Sie bereute nichts, sie widerrief nichts,


sie fühlte, dass Mitleid und Erbarmen
nur mit ihr waren, die mit ihrer schwachen Hand
das Tor der Bösen und Verworfenen

vor dem sterbenden Messias verschloss.


Vor ihren gefluteten Augen verwandelte sich
das Schiff in eine langgestreckte Kirche,
in der es von Menschen wimmelte.

Der schwarze Himmel wölbte sich


wie eine tiefe, unergründliche Decke
über die Kathedrale, und die Musik des Meeres pfiff
und stürmte in fernen Orgelklängen einen Engelsgruß.

Sie sah nur den einen, dessen blasses Gesicht


schon hoch über dem Irdischen schwebte.
Ein Krachen! Ein herzzerreißender Schlag.
Die Hamburger hatten eine alte nutzlose Kiste

mit Breitseite gegen das Schiff des Admirals


geschleudert, das unter stärkstem Druck dahinflog,
die Agile zerschnitt es mit ihrem Rammsporn,
wie dünnes Glas. Triumph, schrien

die berauschten Gleichgesinnten, die durch das Wunder


bereits in eine andere Welt versetzt waren,
und jeder griff nervöser nach seinem Speer
oder seiner Armbrust. Ein wildes, stürmisches Gebrüll

erhob sich in den Himmel.


Dann schwang wieder der schrille, kreischende Triller
des Admirals, die schwarze Fahnentrommel wurde gerührt,
der alte schwungvolle Strudel zuckte durch die Herzen.

An Bord, rief Störtebeker von seiner Höhe.


Er befahl es mehr mit seinen blutig glänzenden Augen,
mit dem hoch erhobenen Säbel,
mit der weit ausgestreckten Linken.

Feind der ganzen Welt, antworteten die Vitalienbrüder


mit ihrem fanatischen Schlachtruf.
Die Brücken klapperten, ein splitterndes Reiben
und Knirschen meldete, dass sich zwei
der monströsen Rümpfe dicht aneinander
geschoben hatten. Die Agile biss
in die Wange der Bunten Kuh.
Und inmitten dieses Gewirrs aus Lanzenspitzen,

zischenden Bolzen, Schießpulverdampf,


krachenden Spieren und den Schreien
der Getroffenen lehnte Karin noch immer
wie unbeeindruckt neben dem hohen Brett.

Steinkugeln heulten an ihr vorbei


und rissen das Deck auf, so dass ihr entsetzter Blick
in das Innere des Holzkörpers schweifen konnte;
dicht neben ihr wehten die unheimlichen Bilder,

mit denen die Hamburger ihre Segel geschmückt hatten.


Ein titanischer Schwan bauschte sein Gefieder
und starrte die einsame Frau
mit roten Augen gefräßig an.

Dahinter flatterte ein steiler Turm


und schleuderte ihr die Ziegel an den Kopf.
Doch all das Grauen ging an ihr spurlos vorüber,
denn sie erkannte in den abscheulichen Kreaturen

nur ihre Helfer, die sie gerufen hatte,


um den verlorenen Heiland
in seinem Grab zu bestatten.
Ein goldener Schimmer blendete ihre Augen,

und sie wusste, daß dort auf der Bretterbrücke


die Klinge des Mächtigen ihre zischenden Kreise zog;
sie hörte in dem dichten Haufen ein menschliches
Fanfarengeheul, das jedes Ohr weckte:

Meine Schuimer, meine Kinder, auf, schlagt, spießt und stecht


und melkt die goldene Kuh!
Und sie lächelte nur blass über diese geizige Torheit.
Doch dann kam der Augenblick,

in dem ihr Geist geöffnet wurde.


Ihr Gebet wurde erhört. Dumpfe Schläge erschütterten
die Agile in schneller Folge. Von zwei Seiten
wurde das überflutete schwarze Schiff

in der Mitte getroffen. Seltsame Menschenmassen


strömten über das Deck. Blutende Männer
sprangen zu Hunderten ins Meer.
Und von der Kommandobrücke,

wo eben noch der goldene Kreis gesummt


und gesungen hatte, stürmte ein höllisch
schreiender Mob zurück. An seiner Spitze
ein Wahnsinniger, der noch retten wollte.

Milon, schrie er aus vollem Halse, Milon!


In seiner Stunde der Not erinnerte sich der Riese
an seinen eigenen Besitz. Dann leuchtete
der Junge glückselig auf.

Ja, der Himmel öffnete sich, ein goldener Pfad


aus Licht leuchtete dem Sterblichen entgegen,
und eine Schar von Heiligen trug einen Sarg herab.
Das göttliche Ende war da.

Als sich das Gewirr löste, sah man


einen blutüberströmten Mann,
der mit dem linken Arm an den Hauptmast gefesselt war,
während der rechte Arm noch das Schwert führte

und um ihn herum schwang,


und dazu rief eine klagende Stimme:
Wer, wer hat mir das angetan?
Sein rollendes Auge, das in Wahnsinn und Aufruhr brach,

ergriff den Treuesten, klammerte sich an ihn


und ließ ihn nicht mehr los.
Da sank der schöne bleiche Knabe mitleidig
vor dem Verurteilten auf die Knie.

Klaus Störtebeker, sagte er verklärt,


diese Hände haben dein Ruder gestoppt,
du wirst mit weißen Segeln in die Ewigkeit segeln.
Wütend wurde er hochgezogen,

und mit erhobenen Armen warf sich der Blonde


in das Gebüsch der halb gesenkten Lanzen.
Derjenige am Mast ließ sein Schwert fallen.
Verständnislos richtete er seine Augen zum Himmel,

verständnislos spiegelte er die verstummte,


blutige Männerschar. Er stöhnte tief
und sein Kopf sank auf seine Brust.
Er sah ein wenig aus wie der andere Mann,

der sich ebenfalls an das Holz geklammert hatte und sagte:


Herr, Herr, warum hast du mich verlassen?...
Am Abend des 19. Oktober 1402
sprang ein Gaukler durch die Wind-verwehten,

regennassen Gassen Hamburgs,


und der bunte Narr schlug zur Freude der Menge
Purzelbäume, ließ seinen Dudelsack erklingen
und kreischte dazu: Hei, hei!

Morgen wird das gefährlichste Kliff


der Nordsee weggespült, so manches stolze Schiff
wird dort gestrandet sein. Hei, hei!
Dann blieb er stehen und wies mit seiner Rassel

auf die Haube des Katharinenturms,


von der die ganze Nacht hindurch
Loblieder geblasen wurden.
Hört, krähte er und schüttelte seine hageren Glieder

mit kaltem und fröhlichem Entsetzen,


pfeift das Schlaflied Störtebekers.
He, Anne, willst du dich jetzt zu ihm legen?
Aber der Gefangene, auf dessen letzten Gang

sich die Stadt so feierlich vorbereitete,


brauchte weder Gesellschaft noch Aufmunterung.
Denn obwohl er in einem lichtlosen Kellerloch
unter der Kanzlei auf Stroh lag,

hockte sein Lehrer Wichmann mit ihm


auf einem Schemel, und beide tranken bald
aus dem riesigen Weinkrug, den ihnen
der Rat geschenkt hatte, und grölten Witze

und Lausbubenlieder, so dass die Wache


vor dem vergitterten Fenster ehrlich entsetzt war.
Ein alter, graugesichtiger Stadtknecht
drückte deshalb seinen Kopf gegen die schmalen Eisengitter,

um die beiden verurteilten Männer


zu einem ehrenvollen Verhalten zu ermahnen.
Bedenkt, ihr Schurken, riet er,
wem ihr bald Auskunft geben müsst.

Soll euer schändliches Maul mit Schmutz überlaufen?


Da näherte sich die riesige Gestalt Störtebekers
dem Gitter, und im Schein einer Laterne
erschien sein hochmütiges, nun aber totenblasses

und verwüstetes Gesicht. Unwillkürlich


schauderte der Stadtsoldat vor diesem
immer noch schrecklichen Bild gefallener Größe.
Du irrst dich, grauer Rostfleck, antwortete der Matrose.

Weißt du nicht, dass wir oben an der Tafel


des schwarzen Mannes sitzen werden?
Dort unten gibt es ewige Freude,
Saufen, Unzucht, Völlerei,
Diebesglück und Übervorteilung.
All das gelingt hier nur halb.
Wer die Welt klug zu wenden weiß, der gewinnt sie!
Geh und küss den Hintern deines Pfarrers. -

Gott sei mir gnädig, stöhnte der alte Mann.


Dann jubelten die beiden und spielten weiter Poker.
Aber je schläfriger es auf dem Gang wurde,
je eiliger die Nacht voranschritt,

desto mehr verstummte der laute Gesang der Schuimer,


und allmählich erkannte der Hellebardier
nur noch am Rascheln des Strohs,
dass ein schlafmützender Mann seinen Weg suchte.

Es war schon spät, als Störtebeker,


nur knapp von dem zitternden Balken getroffen,
vor dem blonden Zwerg stehen blieb. Der Zwerg pfiff
leise vor sich hin und kümmerte sich um nichts.

Hein, schickte der Admiral in die Dunkelheit hinunter


und holte etwas Versunkenes hervor.
Mein Freund, mein Bruder, sprich, was denkst du,
wie unsere nächste Reise verlaufen wird?

Nicht als ob es mir leid täte,


aber es beunruhigt mich,
ob man Land spürt oder nur Fahrt?
Ob man nur Schiff ist, oder auch Steuermann?

Ein amüsiertes Kichern erklang aus der Dunkelheit,


dann schlugen ein paar sanfte Finger leicht
gegen die Hand seines Freundes.
Warum bleibst du nicht der große Bacchus,

der du warst, du stolzer Herkules!


Du glaubst, du müsstest überall dabei sein.
Schade, dass ich dir morgen Mittag nicht zeigen kann,
wie wir eine Linie passieren, wo Bewegung

und Stillstand dasselbe sind,


wo du auf weißem Lichtschimmer hundertfach
in die Windrose schießt, während dein wahres Ich
ganz friedlich auf deinem Seneca schlummert,

wo alle ruhen, die noch auf ihre Geburt warten.


Störtebeker rührte sich nicht.
Nichts?, erkundigte er sich nach einer Weile barsch.
Nun, natürlich, erwiderte die feine Jungenstimme bissig:

Willst du den großen Segen anprangern,


du ewig herumgetriebener Mensch?
Die Hamburger Pfeffersäcke könnten
Mitleid mit uns haben. Nur eine Sache!

Und der kleine Mann kratzte sich am Hut


und schien näher zu kommen. Natürlich,
man muss hier einen Pakt mit dem Nichts
geschlossen haben. Glaube nicht, dass irgendetwas

von uns übrig bleibt, Unerfülltes, Lebenswertes


oder auch nur so etwas wie ein Segen.
Törichter Vielfraß, hier oben spricht das Nichts,
drüben ist es still. Sonst macht es keinen Unterschied.

Eine Weile war alles still, Störtebeker schob


nur sein Wams hin und her, als würde es ihm zu eng.
Doch dann drückte er dem Kleinen die Hand
auf die Schulter und lachte schadenfroh:

So können wir unbesorgt abreisen, mein Lieber.


Nehmen nichts mit und lassen keine Erben zurück.
Wahrlich, das ist kein geringer Trost.
Damit ließ er den Kleinen los, der ruhig weiter trank,

und streckte sich auf seinem Strohbett aus.


Um ihn herum drückte die Dunkelheit wie ein Sargdeckel,
und der Riese schlug ein paar Mal mit der Faust
nach vorne, als könnte er den Verschluss öffnen.

Es war seltsam, wie schnell sein Herz schlug


und wie sehr er auf das kleinste Geräusch achtete,
das ihn jetzt erreichte. Gierig hörte er
eine Ratte an der Wand entlang huschen,

und schon bald zählte er die Schritte des Wachmanns


draußen im Korridor. Unbemerkt ernährte sich
diese Kreatur von den Geräuschen der Erde.
Auch konnte er sich nicht von dem Lichtschimmer trennen,

der fahl und schmutzig um das Eisengitter sickerte.


Er wartete, er wartete ungeduldig, als ob die Welt
ihm noch eine Antwort schuldig wäre.
Und siehe da, die Antwort kam zu ihm.

Er mochte noch einige Zeit so liegen, er wusste genau,


dass seine Seele nicht vom Schlaf getrübt war,
denn er spürte den heißen Blick seiner Augen,
die angespannt die schwarzen Linien des Gitters einsogen.

Gerade war der Schatten des Stadtsoldaten


über sie hinweggegangen, da runzelte der Riese die Stirn
und hielt den Atem an. Dann drückte sich
ein hustender grün-blasser Kopf gegen die Gitterstäbe,
und ein rot-grauer Schnurrbart lugte hindurch.
Was willst du?, murmelte der Wächter, unfähig,
sich aus seiner Lähmung zu reißen.
Geh, du Atmender, du machst mir keine Angst.

Doch der Kopf des alten Klaus Becker bewegte sich nicht,
er begann vielmehr, hustende Worte zu spucken,
so wie er es im Leben zu tun pflegte.
Armes Kind, knurrte er in seinem hohlen Bass,

es war dein Pech, dass du zu uns gehörtest,


ohne unser zu sein. Seidene Kleider, Ringe,
Ketten in der Fischerhütte, Rache am Glanz,
Gier nach dem Glanz, wehe!

Das Gesicht nickte und entschwand.


Doch vor den Gittern war es lebendig geworden,
lautlose Schwärme zogen vorbei,
bis sich wieder zwei Hände in die Gitterstäbe hakten.

Funken flackerten durch die Haare der Frau.


Liegst du endlich auf dem Misthaufen, meine Schöne?
Auch dort verrottet. Kein Hund hat Mitleid
mit mir gehabt, sondern in mir gewühlt und gehäutet,

so dass meine Armut das Einzige hergeben sollte,


was ich besaß. Das ist das Leben. Lust
und Vergnügen kümmern sich nicht um Gnade! Wehe!
Draußen erlosch das Flackern,

als würde es vom Laternenlicht verschluckt,


und die Prozession der Schatten schritt weiter.
He, du Hurensohn, schrie plötzlich eine hitzige Stimme,
und in der Höhle tauchten die blutleeren Züge

des Iren Patrick O'Shallo auf. Ein Strick


schlängelte sich um seinen Hals,
und seine Zunge fiel ihm oft aus den Zähnen.
Ist dir nicht der Henker prophezeit worden?

Wer, wie du, hat sich gegen die menschliche


Schwäche versündigt? Glaubst du,
ein ehrgeiziger Mensch kann das Elend
in eine Form pressen? Du schlimmster Vergewaltiger,

du Trunkenbold unseres Schweißes,


du Anführer der Narren, du gehst voran.
Zu spät! Wehe! - Störtebeker dachte daran,
sich in seinem Sarg zu rühren, um mit Gewalt aufzustehen,

aber er konnte keinen Finger rühren.


Er starrte starr vor sich hin und musste erkennen,
wie sich ein weiterer Kopf gewichtig
vor der Öffnung bewegte. Ein krauser Bart

umrahmte die braunen Wangen,


und die großen Augen blickten ernst und trauernd.
Verlorener Bruder, erhob sich die markige Stimme
von Gödeke Michael, was hast du dir

für den Treuebruch erkauft?


Wem gegenüber hast du denn dein Wort gehalten?
Du wolltest die gültigen Gesetze
der menschlichen Brust verändern.

Das Böse in Gutes verwandeln, den Neid in Hingabe.


Und wusstest nicht, dass auch die Laster
Sinn und Zweck kennen. Verloren im Nebel,
wer bist du, da nur ein Stärkerer dies tun kann. -

Wer bin ich?, suchte der Liegende zu begreifen.


O Zeit, o Sitten, wehe! - Das Gespenst löste sich
in Kälte auf. Muss ich das auch ertragen?,
rief der Eingekerkerte schmerzlich nach ihm.

Hat mir all meine Pracht nicht Eine Seele eingebracht?


Das fahle Morgenlicht kroch bereits durch das Gitter,
doch aus der Blässe formte sich erneut
ein fast durchsichtiges Bild.

Tränen liefen ihm über die Wangen.


Ich, klang es leise, dein Junge.
Dafür, Klaus Störtebeker, hast du mich befleckt
und besudelt. Wehe, jetzt weiß ich,

dass nur ein reiner Mensch


das Unerfüllbare denken darf. Wehe!
Da hatte der Beraubte, um sein Letztes betrogen,
endlich den Bann von sich gerissen,

er sprang schäumend auf,


stürzte wie ein Wahnsinniger auf seinen Kameraden zu
und entriss ihm den Weinkrug, dessen Rest er
in Einem Schluck hinunterspülte.

Was kümmerte es ihn, wenn in diesem Augenblick


die Diener der Stadt hereinstürmten,
um den Verurteilten ihre seidenen Prunkgewänder
zu bringen, denn der Rat hatte ihnen

diese lüsterne Pracht für ihren letzten Gang überlassen.


Ohne auch nur einen Blick auf die Schergen zu werfen,
stürzte sich der losgebundene Mann
auf den erstaunten Magister, und nachdem er

den Kleinen hochgehoben hatte, streichelte er


ihm frenetisch über Mund und Stirn.
O Weiser, rief er und drückte den Kopf des Zwerges
unauflöslich an sich, wie unsagbar köstlich

hast du versprochen! Komm, tummle dich,


damit wir es nicht verpassen. Diese Wölfe,
mit denen wir bisher gelaufen sind,
mögen uns am Ende beneiden.

Er packte einen der Diener an der Kehle.


Hör zu, du Unglücklicher, wenn du ein ehrlicher Mann bist,
dann geh hinaus und verkünde, dass die Dunkelheit
dem Sehenden mehr bedeutet als das Licht,

dass der Verfall uns heißer küsst


als das Leben im Brautbett
und dass deine Exkremente schöner duften
als alle Rosenbeete von Schiraz.

Sie entsetzten sich vor ihm.


Aber sie glaubten, dass die Angst vor dem Tod
den Geist des Sünders wohltuend gelockert hatte.
Selbst der Magister verstand nicht bis auf den Grund,

wie erst jetzt, während der fürstliche Abenteurer


in die alte, prächtige Tracht gekleidet war,
jener unerbittliche Peiniger an ihn herankam,
nachdem er ihn sein Leben lang gemieden hatte,

der Ekel vor sich selbst. Aus der niedrigen Tür


des Rathauses taumelte der ehemals glänzende Mann,
ein landflüchtiger Fürst, der seinen letzten Pfennig
verprasst hatte, nun aber voller Bettlerstolz

nur noch den nutzlosesten Schein


aufrechtzuerhalten suchte, obwohl er
in seinem Herzen die Schmähungen
seiner Verfolger billigte.

Da standen sie alle, Männer und Frauen,


ja, sie hoben die Kinder auf ihre Schultern,
damit sie von dem mächtigen Seefahrer,
dem grausamen Unterdrücker ihrer Stadt,

einen winzigen Blick auf sein Gewand


erhaschen konnten, an dem sie und ihre Nachkommen
sich unvergesslich weiden sollten.
Es war eine Prozession, die eher einem Fest glich.
Trommler und Dudelsackspieler führten den Zug an,
gefolgt von Meister Rosenfeld, dem Scharfrichter,
der alle mit einem Lächeln begrüßte,
als feiere er seinen glücklichen Ehrentag.

Eingerahmt von Hellebardieren wurden


Hauptmann Wichmann und sein Schuimer
hinter ihm hergeführt. Ungehemmt schritten
die Männer in stattlicher Rüstung und sangen immer noch

das Störtebeker-Lied voller roher Lebensfreude


und trotzigem Aufbegehren. Und seltsamerweise
stimmten Jungen und Mädchen in das Lied ein,
denn das vage Gefühl der Jugend lehrte sie,

den Schicksalswandel dieser Abenteurer zu ehren.


Doch als der Mann im blauen Waffenrock
zwischen zwei Ratsherren erschien,

brach der Jubel ab, und ein ängstliches Schweigen


der Bewunderung begleitete den hoch aufragenden
Wanderer. Selbst jetzt noch ließ seine blasse,
verwüstete Schönheit die Herzen der Mägde

höher schlagen. Nur ein paar Kaufleute,


Bierbrauer und Lederhändler, denen er
Schaden zugefügt hatte, versuchten,
den immer noch hochmütig aussehenden zu belächeln.

Sag mir, du Prophet Elias, tönte es aus ihren Reihen,


reitest du jetzt in einem goldenen Wagen
in dein tausendjähriges Reich?
Störtebeker verbeugte sich und machte

eine obszöne Geste zu den Spöttern.


Ihr könntet mitfahren, ihr ewig Blinden,
wenn euresgleichen sich nicht seit Jahrtausenden
in diesem Gefährt den Hintern verbrannt hätte.

So schritt er mit Unverfrorenheit


und kaum verhüllter Entschlossenheit
durch die sich zurückziehende Menge,
und überall, wo sein brennend hohler Blick auftraf,

da segneten sich die Menschen


und machten heimlich ein Kreuz.
Wahrlich, ein gezeichneter Mann ging seinen Weg.
Mit langen Schritten hatte er eine Kreuzung erreicht,

als er unerwartet zum Stehen kam,


so dass die ganze Prozession
zum Stillstand gezwungen war.
Der geschmückte Mann hob erschrocken die rechte Hand.

Was war das für eine Rügener Bäuerin,


die da neben dem unscheinbaren Männlein
in grauer Mönchskutte stand?
Sie hatte ihren Schal tief über das Gesicht gezogen,

als schämte sie sich vor den zahlreichen Fremden,


und doch verriet sie sich dem Sohn
durch ihre unruhigen, unbestechlichen Augen.
Was willst du?, erkundigte sich Störtebeker

unschlüssig und zugleich ein wenig zurückhaltend.


Noch immer demütig vor der Pracht
des Verschwenderischen, machte Mutter Dörte
eine hilflose Bewegung, als wolle sie ihre Hand

mitfühlend auf die Brust des Riesen legen,


zog sie aber zaghaft zurück. Dann,
fast wie zur Entschuldigung, brachte sie hervor:
Du liebes Elend, weil du doch von meinem Blut bist.

Der Riese hob den Kopf. Der Tonfall klang anders


als alles, was er bisher gehört hatte.
Lag darin auch etwas, das ihn an die Sehnsucht
jener Nacht erinnerte? Lange suchte er

in diesen ernsten, traurigen Lichtern,


und siehe da, er fand in ihnen all
das hockende Leid, um dessentwillen er
einst ausgezogen war, es zu lindern.

Und dieses Leiden dauert ewig?


Zögernd trennte er sich von der schweigsamen Frau,
und als er ihren Begleiter berührte,
geschah etwas Wunderbares. Abt Franziskus
erhob sich mitfühlend, und die verdorrte Hand,

die schon den Eintritt des Fischerjungen


liebevoll begrüßt hatte, obwohl er
nach dem damaligen Glauben
nur ein Sohn der Erde war,

zeichnete nun schweigend die Linien des Kreuzes.


Der Priester segnete den scheidenden Mann.
Aber Störtebeker lachte schrill.
Spare dir dein Zeug, alter Mann, rief er schneidend,

erst gestern habe ich einen deiner Kumpane verjagt.


Wo ich hingehe, gehst du auch hin.
Glaube mir, der Fährmann wird niemanden mehr
nach Riten und Sakramenten fragen.
Damit wollte er sich gerade ohne Gruß entfernen,
als das Ungewöhnliche noch einmal wiederholt wurde.
Der Priester streckte seine weiße Hand noch entschiedener aus
und segnete erneut. Der Schuimer war erstaunt.

Weißt du nicht, sagte er düster,


sein glühendes Auge nun ganz auf den alten Mann gerichtet,
wem du dein Heil gibst? Hast du mich nicht selbst
in Unzucht und Raub betroffen? Ich sage dir,

der Leichenberg, den ich in meiner Verblendung


aufgetürmt habe, ist weit höher als der Berg
der Trauer, zu dem sie mich jetzt führen.
Darum geh weg von mir,

damit dein Gott sich nicht wundert!


Und doch verließ ihn der Mönch nicht, ja,
während er das Kreuz ein drittes Mal zeichnete,
öffnete er endlich seinen feinen Mund

und sprach sehr sanft und barmherzig:


Du williger Mensch, du Mann im Sturm der Taten,
ich, ein Christ, segne dich. Siehst du,
in meiner engen Zelle, als ich dein Leben betrachtete,

dämmerte mir endlich sein Sinn.


Das, was die Erde bewegend ist,
donnernd im Reich der Geister, das,
was sich ungebremst über Erde und Mensch ergießt,

das, mein Sohn, wirkt fast immer zum Unheil der Zeit,
denn Schollen und Sterbliche können nur Tropfen ertragen. -
Du sprichst die Wahrheit, alter Mann, rief Störtebeker
und packte das Kleid des Mannes mit beiden Fäusten.

Siehst du, ich bin wie eine Wetterwolke.


Plötzlich zerriss ich und brachte nichts
als Verderben und Untergang.
Dann umarmte der Priester den ihm Nahestehenden

und küsste ihn zärtlich auf beide Wangen.


Wirf dich nicht nieder, Stürmer, flüsterte er ihm zu.
Wenn die Flut weg schwemmt, dringen
manche dieser Tropfen über Jahre hinweg

in tiefere Schichten ein und wecken dort


ungeahntes Wachstum und Blühen.
So wirkt, was in der Gegenwart lärmt
und sich auflöst, in der fernen Zukunft.

Geh in Frieden. - Der gesegnete Mann richtete sich auf.


Heller Sonnenschein glitzerte über der feuchten Kreuzung,
helles, goldenes Licht breitete sich auf den Zügen
des Seefahrers aus, so weitläufig und strahlend,

wie es ihm sein ganzes Leben lang erschienen war.


Er atmete auf, schaute sich um und stellte fest,
dass er all die Menschen, groß und klein,
die ihn von jeher und bis zuletzt fast ehrfürchtig

umgeben hatten, geschätzt und geliebt hatte.


Dann überschritt die Verführung,
die der Zauberer zu wecken vermochte,
noch einmal alle Grenzen der Konvention.

Die Trommler wirbelten, die Dudelsackspieler


schmetterten, blonde und braune Jungfrauen
streuten Blumen in den Weg ihres Feindes,
und das Volk rauschte um ihn herum wie Halme,

die sich vor dem Schnitter biegen.


Aber er schenkte ihnen keine weitere Beachtung.
Er schritt weiter, heiter, entrückt, ein Macher,
und jenseits des Hügels der Sorgen

begrüßten ihn Zukunft und Legende!


Ende. Ich weihe dieses Lied der armen Seele
Meiner Mutter, dem reinen Herzen der Jungfrau
Und Gott, Vater und Sohn und Heiligem Geist.

Das könnte Ihnen auch gefallen