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STÖRTEBEKER

EPOS

VON TORSTEN SCHWANKE

meine friesischen Mutter gewidmet

Ja du bist Schatten gegen den Sonnenstrahl


Und Schirm, o Freundschaft, gegen den Regenguss!
Wir fühlten es, da wir Störtebekers
Spähenden Hügel der Freude weihten!

Dort stehen die Eichen; unter den Eichen ruht


Der Namen-Sprecher. Wer von dem frommen Stein
Nur Moos klaubt, nur die Axt drauf ansieht,
Ob sie zu fällen die Beschirmer tauge,

An deren Sprössling zweimal die Weihende


Mit Stolz stand und: „Ich erwählte kein anderes Land“
Uns sang; (beim zweiten Zauber wiesen
Flämmchen den künftigen Platz des Denkmals,)

Dem sei der Sängerin Stimme ein Pfauen-Geschrei,


Der älteren Dame Lächeln eine Fratze!
Doch warum diese sanfte Schonung?
Rausche, Gesang, mir in anderen Tönen!

Mit Hohnlachen seh ihn der Gänsehirt!


Der Lehrer, welcher die Kinder schlägt,
Mit Hohnlachen! aber kalt verachtend,
Wer vor der Ähre die Sense wetzt!

Vom Ritterband umflattert und hell vom Stern


Müsse er mit einem Kammerkätzchen (sie,
Ja, sie sei schlecht vermählt!) sich vermählen
Und vor des Weibes Kothurnen unstet

Sein Leben verschnaufen! Wenn er, von jungem Grog


Erwärmt, einst umfällt, müsse den Schatten ihm
Störtebekers Schatten in des heißen
Acheron Wogenzischen kielholen!

(Nach Friedrich Gottlieb Klopstock)

ERSTES ABENTEUER

Sommerabend. - Ein Rascheln reitet über die Wipfel


Der Buchen auf den Dünenhöhen. In einer langen Kette
Rollt das bewegte Gold der Sonne
Durch die aufgeschreckten Äste.

Und zwischen den grauen Stämmen steht bleich


Und aufrecht die Stille und starrt
Mit ihren unbeweglichen Zügen auf das tanzende Meer.
Doch das Meer spricht, seine Augen sind mal tiefblau,

Mal purpurrot, und sie blitzen wild auf,


Wenn das Element zu den Kreidefelsen hinüberruft,
Die sich dicht unter die Wälder schmiegen
Wie ein weißes Knie unter einem grünen Rock.

Keiner versteht, was das Meer ruft. Denn nur selten lauscht
Ein menschliches Ohr dem Wind, obwohl es manchmal klingt,
Als würde ein Ruf von draußen donnern
Oder ein vergessener Schrei aus längst vergangenen Zeiten.

Aber man ist nicht in der Lage, die Sprache


Des Wassers zu deuten. Und dann liegt der riesige Spiegel
Wieder still. Wie tief man sich auch beugt,
Nie leuchtet er wieder das Bild des Einzelnen,

Aber er malt die Bewegungen des Himmels,


Die goldenen und silbernen Wagen rollen über seine Scheibe,
Die Zeiten huschen über ihn und ein Kranz

Von Völkern umschließt ihn. Sommerabend.


Und in der Wüste des Tages, gerade als der purpurne Ball
Im Wasser abkühlt, erhebt sich eine andächtige Stunde.
Dann hält der Tanz der Zeitalter über dem Meer an,

Der Zug der Völker winkt deutlicher,


Und die Vergangenheit schickt ihr Schattenschiff
Vom Rand des Horizonts zu den Ufern der Lebenden.
Ich stehe am Ufer und sehe, wie die Scharen
Der Schiffe an mir vorbeiziehen. Sie tragen

Meine Gesichtszüge, sie sprechen meine Sprache,


Es sind Menschen, die nicht tot sind, denn der Mensch
Stirbt nicht auf Erden, weil sein Schicksal andauert.
Unerwartet bin ich selbst in den Schirm

Der Schatten gestiegen, und ich spüre, wie ich zurück


In den Nebel der Jahrhunderte gleite. Oder vorwärts?
Von den Ufern der Vergangenheit zu den Ufern
Der Gegenwart schwimmt das Schiff unaufhörlich

Hin und her. Es trägt das Lebendige von den Toten,


Und es trägt die Toten weg zu denen, die gewesen sind.
Und dann erreicht es eine Linie, wo sich die Stimmen
Beider Küsten unterscheiden, wo sie sich mischen

Und ergänzen. Hört zu! Lasst uns zuhören!


Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts, dort,
Wo sich heute Saßnitz mit seinen weißen Villen
Terrassenförmig über die westliche Bucht

Rügens erhebt, herrschte in den waldgekrönten Schluchten


Tiefe Stille. Eine Siedlung gab es noch nicht,
Und nach den brütenden Zisterziensermönchen
Des nahen Klosters hatte der Küstenstreifen

Seinen Namen nur, weil Graf Harro von Cona


Dort einige seiner Sassen, die man auch Leibeigene
Nennen konnte, in einer armseligen Holzhütte
Untergebracht hatte, damit sie fortan für ihn fleißig

Die seltenen Seelachse fingen. Den Zehnten ihres Fangs


Durften sie behalten, den Rest mussten sie
Mit einem Strandvogt abrechnen, der mit Zahlen
Und einer Peitsche umzugehen wusste.

Ein besonderes Privileg war, dass die Fischer


Auch sonntags fischen durften. Nur die Beute gehörte
Dem Kloster, denn Graf Harro galt als frommer Mann
Und legte Wert darauf, seinen Lachs häufig

In Gesellschaft des Abtes zu essen. Wann immer


Der geistliche Herr an den Hof des Herzogs von Wolgast ritt,
Ließ der Gottesmann unaufdringlich etwas
Von den Wünschen des Grafen von Cona fallen,

Und so hat sich der Lachs bezahlt gemacht,


Und die armen Fischer haben heimlich und unwissentlich
An der Größe ihres Herrn mitgewirkt. Natürlich,
Aber nur mit Bewusstsein. Denn in der bescheidenen Hütte

Lebte man ohne Wissen um die Dinge der Welt.


Sie standen auf, fuhren aufs Meer hinaus
Und warfen sich abends auf das Schilfbett,
Wie ein Werkzeug, das man nach Gebrauch

Wieder in die Ecke stellt. Aber das einheitliche Schweigen,


Das sich die Bewohner der Hütte gegenseitig vermachten,
Rührte dennoch von einem Ereignis her,
Vor dem die Mitglieder der Hütte gerade für lange Zeit

Verstummt waren. Es war um das Jahr 1366 geschehen.


Der Platz in der Hütte war wieder einmal vom Tod
Ausgefüllt worden. Ein Vogt namens Klaus Becker
Wurde in das Holzgebäude gestellt. Als der Vogt
Ihn hineinführte, lachte der gräfliche Beamte und sagte:
Pass auf, Klaus, dass du das Kreuzhölzchen
Nicht beschädigst. Und diese Warnung war berechtigt,
Denn der neue Bewohner musste sich tief bücken,

Bevor er über die Schwelle trat. Er war zu riesig an Wuchs


Und Gliedmaßen, und ein langer fuchsroter Schnurrbart
Hing an seinem Körper herab. Wer ihn nicht besser kannte,
Hätte ihn wegen der Wildheit seiner Haare

Für einen reifen Mann halten können. Aber


Er war erst fünfundzwanzig Jahre alt
Und ein harmloser, gutmütiger Bursche, geschickt
Im Legen und Binden von Netzen und ein Meister

Im Umgang mit der Axt. Bald begann er,


Alle möglichen Werkzeuge damit herzustellen.
Er baute einen hölzernen Stall für ein paar Ziegen,
Er wölbte einen Schornstein mit einem Rauchabzug

Über der offenen gemauerten Feuerstelle,


Und eines Tages begann er sogar, den lehmigen Boden
Zu pflastern und Dielen zu verlegen. Alles,
Als hätte er geahnt, was ihm bevorstand.

Und so war der Herbst gekommen. Durch die Wälder


Der Höhen wogte er, um die Hütte auf ihrem
Einsamen Hügel knarrte und ächzte es, und das Seegras
Auf dem gelben Sand pfiff und surrte, als würde die Sichel

Auf einem Stein geschärft werden. Unten krachten


Die Schaumschläger gegen die mächtigen Steine,
Aber Klaus Becker merkte nichts von diesem ewigen Streit,
Denn über der Leere wölbte sich eine düstere Nacht,

Und er selbst hockte gelassen in seinem breitarmigen Stuhl,


Den er erst vor kurzem aus grobem Eichenholz
Gezimmert hatte, und rieb im Schein
Eines rauchenden Buchenfeuers auf dem Herd

Emsig einen eisernen Widerhaken, wie man ihn


Zum Aalstechen benutzte. Sein roter Bart leuchtete
Wie eine feurige Welle. Dazu grölte er ein altes Lied:
Mahlt gut, mahlt gut - Klaus ist Sigrun gut.

Obwohl er mit einem solchen Menschenkind


Nicht verwandt war und den Träger eines solchen Namens
Kaum kannte, tat dies der ergreifenden Wirkung
Des Liedes keinen Abbruch. Das Buchenfeuer schnaufte,

Und der Riese rieb seinen Stein immer eifriger


Über das Eisen, bis blaue Funken unter seinen Händen
Hervorsprangen. Dann schlug er mit der Faust
Zwei- oder dreimal gegen die Tür, das helle Holz zitterte,

Und die Hütte hallte wider. Ruhig, murmelte Klaus,


Der sich vor Erstaunen nicht aus seiner gebückten
Haltung erheben konnte. Wie, was? Ein Mensch?
Er versuchte sich zu sammeln und schüttelte

In dumpfem Erstaunen den riesigen Haarbusch;


So etwas gab es hier doch selten. Aufmachen,
Forderte eine raue Stimme von draußen,
Und wieder war ein kurzes Klappern zu hören.

Der Fischer schob den Querbalken mühsam


Und ohne zu überlegen, ob er klug oder vorsichtig
Handelte, zurück, und sofort schien das Licht des Kochers
Nach draußen. Auf dem nassen, sturmgepeitschten Hügel

Standen zwei gepanzerte Diener. Sie führten


Ein verwirrtes, zitterndes Geschöpf zwischen sich,
Bei dem man nicht wusste, ob es eine Frau
Oder ein Mädchen war, dessen kurzer Rock

Im Wind flatterten und dessen nackte Füße


Tief im Sand versanken. Ein blaues Tuch
War um den Kopf des Geschöpfes gewickelt.
Hinter ihnen, kaum erreicht von dem rot flackernden Licht,

Bemerkte der Bewohner der Hütte


Einen Zisterziensermönch, erkennbar
An seinem grauen Gewand. Aber der Mönch
Hatte seine Kapuze weit über die Stirn gezogen,

Als ob er Schutz vor dem Sturm suchte


Oder als ob er sein Gesicht vor dem verbergen wollte,
Was hier geschah. In der Zwischenzeit hatte der älteste

Der eisengepanzerten Männer die Schwelle überschritten.


Dann deutete er auf die beiden blauen Kugeln,
Die auf seinen Mantel gestickt waren.
Kennst du sie? fragte er kurz und bedeutungsvoll.

Verblüfft nickte der Fischer. Er starrte immer noch


Von einem zum anderen, beunruhigt über die
Unerklärliche Erscheinung. Nun, sagte er schließlich,
Ihr seid die des Grafen. - Und der Graf, meldete

Der Diener scharf und schob sich die Sturmhaube


Von der Stirn, damit der andere ihn besser verstehen konnte,
Lässt mich dir sagen… - Mir sagen lassen? echote
Der Fischer und begann mit schwerer Zunge zu stammeln,
Denn das Unmögliche wurde immer mehr.
Lass mich dir sagen, beendete der bewaffnete Mann
Düster, während er den Schaft seiner Lanze
Auf die neue Diele stieß, dass dies deine Frau ist.

Das ist… - Deine Frau. - Eine ganze Weile rührte sich nichts
Unter den Menschen in der Hütte. Nur die keuchenden
Atemzüge des Fischers und das Zerbersten
Der brennenden Buchenscheite waren zu hören.

Nur die hellblauen Augen lebten in dem versteinerten Gesicht


Des Sassen; sie wanderten hilfesuchend
Und ohne eine Spur von Verständnis von den Knechten
Zu dem zerzausten Mädchen, das ebenfalls

Mit gebeugtem Körper und gefalteten Händen


Zu lauschen schien, bis sich der Rücken des Riesen
Allmählich neigte, als hätte man ihm einen Baumstamm
Auf den Nacken gelegt. Plötzlich aber sprang er auf.

Das Blut schoss ihm in die blassen Wangen,


Und seine rechte Hand tastete nervös nach der Axt
Neben der Feuerstelle. Vielleicht hätte jetzt
Ein schneller Gewaltakt alles entschieden.

Doch bevor der schwere Holzstiel nach oben


Taumeln konnte, drängte sich die graue Gestalt des Mönchs
In den Kreis der Kämpfenden hinter den Dienern,
Und eine jugendliche, von Schmerz erfüllte Stimme rief:

Füge nicht zu Leid und Sünde! Die Ermahnung klang so ernst


Und mitfühlend, dass der leidgeprüfte Riese innehielt.
Die Axt fiel von ihm, und mit beiden Händen griff er
Taumelnd nach seiner Brust, denn eine Lanzenspitze

Hatte bereits das dünne Hemd durchschnitten


Und suchte dort bedrohlich Einlass. Daraufhin rief
Der gepanzerte Diener: Wenn du leben willst, sei vernünftig. -
Vernünftig, vernünftig, ertönte es zwischen den verrückten,

Verwirrten Sinnen des überwältigten Mannes.


Er wusste nicht, ob er lachen oder brüllen sollte.
War das nicht Wahnsinn? Drehten sich nicht alle
Niederen Dinge nach oben? Schwankte seine Hütte nicht

Auf dem tobenden Meer, ohne dass er einen Ausweg


Gefunden hätte? Oder hatten sie ihm vielleicht
Sogar die Zunge herausgeschnitten und verlangten
Immer noch, dass er sprach? Wer half? Wer half?

Verzweifelt blieb sein Blick auf dem jungen Mädchen hängen,


Das man hineingezerrt hatte. Und warum?
Weil es für den Fremden offensichtlich war,
Dass sie schüchtern war, zitterte und gegen ihren Willen

Hier stand, und dann, weil die Dirne, die sicher


Von weit her mit ihren nackten Füßen
Zu ihm getrieben worden war, auch ein Kind
Der Masse war wie er, und daher gewohnt,

Nicht nach ihrem eigenen Willen zu handeln.


Er trat gewaltsam auf sie zu und sah sie an.
Das Geschöpf erschrak über seinen kräftigen Schritt,
Und ein offenes Flackern der Angst trat in ihre Augen.

Was ist los mit dir? befahl er, ohne zu ahnen,


Wie sehr sie sich vor seinen riesigen Armen
Und den Haarbüscheln unter seinem Kinn fürchtete.
Sie wusste, wozu ein grimmiger Mann fähig war.

Doch dann faltete sie die Hände vor der Brust


Und sagte leise, sich mit ihrem Schicksal abfindend:
Es geht mir schlecht. - Mehr nicht, allein
Die wenigen Worte fanden den Weg zum Verständnis

Des Riesen. Erstaunt wich er zurück, und tief


In seinem Innern stieg zum ersten Mal ein Bewusstsein
Für seinen Status und seine Situation auf.
So ist es mit uns allen, murmelte er, fast betroffen

Von der neuen Erkenntnis, dazu sind wir geboren. -


Genug geschwatzt, unterbrach der Diener des Grafen
Ungeduldig und blickte sich hastig nach dem jungen
Zisterzienser um, der mit gesenktem Kopf alles

Mit angehört hatte, was in der Hütte vor sich ging,


Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Beeilt euch! - Dann schickte Klaus Becker
Einen letzten sehnsüchtigen Blick zum Ausgang der Hütte.

Doch als er sich davon überzeugt hatte, dass die Speerspitzen


Ihn erneut bedrohten und gleichzeitig der Körper
Der Magd auf eine ihm unverständliche Weise zitterte,
Beschloss er, vor allem sein Leben zu retten,

Sein nacktes Leben, das einzige kostbare Geschenk


Gottes! So ergriff er die Hand der Frau gewaltsam,
So dass sie taumelnd an seine Seite gerissen wurde,
Und in einem rohen Ausbruch entlud sich schließlich

Seine Wut in vollem Hohn: Kopf hoch, Kopf hoch,


Ihr eisernen Schufte, ihr schnappenden Hähne,
Wenn ich mich schon nicht gegen euren Unfug wehren kann,
So macht wenigstens diese Schandhochzeit kurz.
Erregt trat der Mönch hinter die sinkenden Spieße.
Die Spielfeuer zuckten über sein zuckendes Antlitz.
Er machte das Kreuzzeichen in die Luft
Und sprach mit zitternder Stimme:

Mühsal ist das Leben, Duldsamkeit das Gebot,


Seligkeit der Abschied. Geh in Frieden.
Doch die Frau hörte nicht zu. Sie starrte starr
In die Flammen des Kamins, den sie von nun an schüren sollte.

Seitdem schlich die Zeit mühsam dahin. Ein Tag ging müde
In den nächsten über, und in der Hütte herrschte Stille.
Sie lebte dort und ließ sich nicht mehr
Aus dem engen Raum vertreiben. Wann immer die junge Frau

Versuchte, ein fröhliches Lied zu singen,


Begegnete ihr ein seltsam drohender Blick
Aus den trüben Augen des Fischers, und sofort
Brach die Fröhlichkeit ab, und sie ging ängstlich

Und niedergeschlagen ihrem Tagewerk nach.


Sie wusste ganz genau, dass der mürrische Geselle
Ihr übel nahm, dass man ihm das unwillkommene
Frauenzimmer aufgezwungen hatte. Und das fand sie auch

Ganz in Ordnung. Aber manchmal strich sie sich


Über die weißen Arme, und ein natürliches Erstaunen
Überkam sie, denn der Riese, der so nahe bei ihr wohnte,
Mochte sie überhaupt nicht. Warum nur?

Was ihr in der Vergangenheit widerfahren war,


Fand sie nicht ungewöhnlich. Die Dienerschaft
Musste auf eine solche Erfahrung vorbereitet sein.
Das passierte vielen Mägden auf den Höfen der Mächtigen.

Und da sie Unterschlupf gefunden hatte, glaubte sie


Mit dem sicheren Bewusstsein eines starken Menschen,
Dass es sinnlos sei, weiter an der Vergangenheit zu zerren.
Klaus Becker war nur ein unbeholfener, sturer Klotz,

Der nicht leicht zufrieden zu stellen war. Aber warte nur,


Dachte sie mit weiblichem Trotz, die Katze fängt auch
Die große Maus. Dabei entstanden unter ihren flinken
Und doch seltsam zarten Händen allerlei nützliche Dinge,

Die bis dahin im Rohbau von Brettern gefehlt hatten.


Wenn Klaus von seiner Seereise nach Hause kam,
Entdeckte er immer ein neues Möbelstück,
Ein frisches Leinenhemd, eine geflochtene Strohmatte

Oder sogar ein festes Bettgestell für den Ehemann,


Alles Dinge, die über Nacht wie von Zauberhand
Anstelle von etwas Altem und Abgenutztem
In der Hütte gewachsen waren. Natürlich bemerkte

Der Riese all diese heimeligen Veränderungen sofort


Und gesondert, aber er nahm sie gleichgültig
Und ohne Dank hin, warf sich auf den neuen,
Leinenbezogenen Strohsack und ließ seine Gefährtin

Wie bisher auf dem Schilfbett in der Ecke liegen.


Aber Dörte, so hieß das junge, entführte Geschöpf,
Verlangte nichts anderes. Ja, es war ihr ganz natürlich,
Dass der Fischer nicht einmal ihren Namen

Zu kennen schien, denn in den kurzen Bitten,


Die er selten an sie richtete, nannte er sie Frau oder Weib.
Und daraufhin gehorchte Dörte und sprang zu ihm
Wie ein gehorsamer Hund. Doch allmählich

Wurden ihre Bewegungen langsamer.


Auch das war Klaus egal, nur dass er sich manchmal
Wunderte, wenn die Frau am Fenster lehnte
Und von dort mit einem unverständlichen Lächeln

Und großen, erwartungsvollen Augen


Auf den in der Sonne blinkenden Eisrand
Des Meeres hinunter starrte. Klaus verstand das nicht,
Ärgerte sich auch über das ungewohnte Versäumnis,

Und als er sie wieder einmal feiernd


Vor ihrem Ausguck fand, brach es grob aus ihm heraus,
Während er die großen Lederstiefel krachend
In eine Ecke schleuderte: Was machst du da?

Sie wurde rot, warf ihm einen halb schlauen,


Halb verlegenen Blick zu, stammelte und kroch
Langsam zum Kamin zurück: Ich denke nach.
Sie hätte leicht sagen können: Ich träume,

Denn ihre Gedanken waren jung und wandernd


Und ließen sich nicht so leicht in das Versteck
Der Stille verbannen wie ihr Körper. In solchen Stunden
Sah die suchende Frau das dunkle Meer dort draußen

Wie einen Tanzboden, und sie sah sich selbst


Dort unten herum springen mit seidengeschmückten
Männern, die sie streichelten und ihr dann goldene
Schaumünzen um den Hals hängten.

Doch als ein barsches Wort ihres Begleiters


Schließlich allen Zauber hinwegfegte, da seufzte sie tief
Und hatte insgeheim Mitleid mit dem störrischen Kerl,
Weil er keinen Sinn für das feine, verborgene Spiel hatte.

Und doch, auch dieser Weg ins Freie sollte der Belasteten
Eines Tages zum Verhängnis werden. Frühlingsstürme
Pfiffen über die Dünen, Dörte stand in der offenen Tür
Und sog gierig die warme Brise ein, die einen vagen Duft

Von Veilchen und Tannenharz mit sich brachte.


Hoch oben am Waldrand trat das junge Reh heraus
Und blickte auf das glitzernde Meer. Dann kletterte
Unten am Strand ein einzelner Mann

Den gewundenen Fußweg hinauf. Dörte beugte sich vor


Und spähte. Der Neuankömmling trug ein weites
Blaues Wams und grobe Holzschuhe.
In seinem Ledergürtel steckte eine kurze geflochtene Peitsche,

Und seine Faust umklammerte einen mannshohen Stab,


Dessen Spitze in einer kleinen silbernen Krone endete.
Dies war der Strandvogt, eine stämmige Gestalt
Mit einer grauen Seemannskrause und scharfen,

Runden Augen. Als er mit schweren, knirschenden Schritten


Auf sie zukam, war es offensichtlich, dass der Mann
Sich für einen mächtigen Mann hielt, dessen Faust
Das kleine, verstreute Leben hier am Strand schützen

Oder zerstören konnte. Nun stand er vor der jungen Frau,


Doch bevor er zu sprechen begann, blinzelte er zunächst
Mit dem linken Auge und beobachtete sie. Im Grunde
Wusste er schon, was er herausfinden wollte.

Gott sei mit dir, begann er und deutete mit seinem Stab
Auf das Dach der Hütte, die Dachsparren auf der Luvseite
Müssen doppelt sein. Vergiss das nicht.
Sein einziges offenes Auge lief emsig weiter.

Sieh da, auch ein Ziegenstall. Wie viele sind da drin? -


Drei, antwortete Dörte und rang mit sich selbst,
Denn sie war sich des Unrechts bewusst.
Zu viele für einen, tadelte der Vogt und wiegte nachdenklich

Sein ledernes Haupt. Nun, man wird Nachsicht walten lassen.


Man missgönnt dir den guten Fortschritt nicht.
Er strich sich bedeutungsvoll über seinen grauen Bart
Und trat gewichtig näher. Offenbar war er erst jetzt

Zu seinem Vorhaben gekommen. Wo ist Klaus Becker? -


Auf See, antwortete Dörte zögernd und hielt den Atem an.
Ich weiß, bestätigte der Strandvogt. Er sah sich vorsichtig um,
Als fürchtete er einen Lauscher, dann beugte er sich
Ganz nah zu der Blassen. Wann erwartest du
Deine Stunde? erkundigte er sich ernst und eindringlich.
Und als die Frau ihn düster anstarrte und sich
In die Hütte zurückzog und allerlei gebrochene

Und verworrene Dinge murmelte, drängte er


Die Widerspenstige nicht weiter. Es ist alles in Ordnung,
Sagte er, richtete sich auf und knöpfte
Den großen Lederbeutel unter seinem Gürtel zu.

Streite dich nicht, Dirne, ich hab nichts Böses mit dir vor.
Sieh her - er griff in den Beutel und wog den Inhalt
Auf seiner Handfläche - ich zahle dir etwas als Pfand.
Es ist nicht wenig. Vier silberne Gulden.

Silber? rief Dörte, die aus ihrer hintersten Ecke


Hervorstürzte, und ein warmer Triumph lag in ihrer Stimme.
Jetzt wird sich Klaus freuen. Dann legte der Vogt

Die vier Silberstücke breit auf den Tisch.


Dann wandte er sich zum Gehen. Bevor er die Schwelle
Erreichte, war Dörte schon wieder hinter ihm.
Sie hatte das Geld bereits aufgesammelt.

Lass nicht zu, dass Klaus erfährt, von wem,


Forderte sie barsch. Der Mann drehte sich kaum um.
Nicht von mir, gab er ruhig zurück. Was kümmert mich
Der Kerl? Solange er seinen Fang abliefert,

Hege ich keinen Groll gegen ihn. Damit nickte er steif,


Stieß seinen Stab in den Sand und schritt stämmig
Den steilen Saumpfad hinunter. Dörte starrte
Ihm finster hinterher, solange sie die Silberkrone sah.

Doch von diesem Zeitpunkt an wurde


Die einsame Frau nachdenklich und schüttelte sich oft,
Als müsse sie sich gegen böse Gedanken wehren.
Dann überkam sie der Gedanke: Wie konnte sie

Um das beraubt werden, worauf sie gewartet hatte?


Waren die vier silbernen Gulden nicht das Kaufgeld?
Schließlich erzählte man sich so heftige Geschichten
Über den Cona-Herrn. Und war er nicht auch

Mit dem jungen Herzog von Mecklenburg geritten,


Als dieser an der Spitze von allerlei Räubern und Vagabunden
Die Straßen der Kaufleute von Stralsund unsicher machte?
Hat er ihr nach einem solchen Ritt nicht

Das blaue Kopftuch zugeworfen? Wütend schlug sie


Mit der Faust gegen den Türpfosten und reckte sich drohend,
Doch sofort zuckte sie zusammen, und trotz
Der milden Frühlingsluft fröstelte sie ein Schauer.

Warte, sagte sie, ihre Lippen bebten, ich sage es Klaus.


Er wird sich nichts wegnehmen lassen. Im nächsten Moment
Stand sie wieder wie erstarrt. O mein Gott,
Was kümmerte sich Klaus um die seltsame Göre?

Er kümmerte sich nicht einmal um seine Mutter,


Die alles nach seinem Willen tat. Nein, nein,
Es war das Beste, auf der Hut zu sein und das Geld
Gar nicht erst zu zeigen, um nicht unnötigen Fragen

Des Fischers ausgesetzt zu sein. So nähte sie


Die silbernen Gulden in ihren Rock ein,
Und nur manchmal berührte sie ihren Kameraden
Ängstlich und erwartungsvoll, als wünschte sie sich

Insgeheim von ganzem Herzen, dass er das Geheimnis


Endlich entdecken würde. Aber seither war sie unruhig
Und sang nicht mehr. Die Tage verstrichen immer schneller,
Und ihr Gang wurde immer unsicherer.

Eines Abends kehrte Klaus nicht nach Hause zurück.


Todmüde lehnte sich Dörte gegen die offene Luke
Und versuchte, das unerkennbare Grau zu durchdringen.
Vergeblich, nichts löste sich aus dem schwarzen Dunst,

In den der Sturm oft wie mit einem schweren Sack einschlug.
Nur in entfesselter Wut brauste das Meer,
Und in der Morgendämmerung erhob sich fast
Ununterbrochen eine sich schlängelnde weiße Wand

Aus den Strandsteinen. Solange die Dunkelheit andauerte,


Hatte die verängstigte Frau von Zeit zu Zeit
Einen brennenden Kienspan aus der Fensterhöhle gehalten,
Als Zeichen für die auf der tosenden Oberfläche

Umherirrenden, damit sie nicht in die Irre gingen.


Doch jedes Mal hatte der rasende Windzug
Das spärliche Feuerchen mit Heißhunger verschlungen,
Und die nackten Arme und die offene Brust

Der Frau zitterten vor Kälte. Jetzt wurde es heller.


In der Hütte kamen Dinge und Utensilien zum Vorschein.
Und draußen im Stall begann der Ziegenbock,
Seine harte Stirn an der Tür zu reiben. Verwirrt

Und schläfrig sah sich Dörte in dem engen Raum um.


Irgendetwas fehlte, irgendetwas war von seinem Platz
Genommen worden, der sich zwar nie gütig
Und freundlich zeigte, zu dem aber dennoch
Alles hier passte. Sogar sie selbst.
Und dem man wohl Gehorsam und Dankbarkeit schuldete.
Das war alles, was sie wusste. Sie vergaß ihre eigene Kraft,
Die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern verschwand;

Unsicher packte sie einen rauen Ast und taumelte


Halbnackt zum Strand hinunter. Unten,
Über der sonst flachen gelben Oberfläche,
Spielte das Wasser, schwärzliche Algenbündel

Schlangen sich um die Füße der watenden Frau,


Und der Sturm stemmte sich gegen sie wie eine gierige Faust,
Die ihr die Kleider vom Leib reißen wollte.
Keuchend kämpfte sich Dörte weiter.

Ein Boot am ausgefranstem Seil scheuerte und zerrte


An einer inzwischen halb versunkenen Stange,
Die gestern noch ins Trockene gerammt worden war.
Es war Klaus Beckers zweiter, kleinerer Kahn,

Und daneben stand ein grobschlächtiger Mann


In kräftigen Stiefeln aus der Flut, abgewandt,
Die Ledermütze tief über die Stirn gezogen.
Aber auch jetzt umklammerte seine rechte Hand

Den gekrönten Stab. Gerade wenn er in Not war,


Nahm er ihn nicht ab. Dörte erkannte ihn sofort.
Vogt, stöhnte sie, er ist draußen. Der Aufseher nickte,
Sagte aber nichts. Nur sein aufmerksamer Blick,

Den er auf die aufgeregte Frau richtete, verriet


Die Meinung, dass die Frau bald mehr Hilfe
Brauchen könnte als der Verlorene. In der Zwischenzeit
Hatte sich Dörte auf die Zehenspitzen gestellt.

Um sich besser aufrichten zu können, stützte sie


Ihre Hände mit besonderem Respekt
Auf die Schulter des Landvogts.
Er schien nichts zu bemerken.

Dann warf sie die rechte Hand vor.


Das schwarze Ding da draußen, zeigte sie.
Ein Baumstamm, belehrte der andere.

Ich habe es schon lange gesehen. Und halb tröstend


Fügte er hinzu: Wir haben Seewind. Wenn er noch lebt,
Wird er ihn hineinwerfen. Aber trotzdem,
Kaute er mit geschlossenem Mund.

Damit wandte er sich ab und schritt langsam


Die Dünen hinauf. Dort wollte er noch einmal
Einen Ausguck halten. Draußen, hinter den sanften Bergen,
Wippte das längliche schwarze Ding auf und ab.

Und als die zurückgebliebene Frau ihr Augenlicht


Bis zum Äußersten anspannte, glaubte sie
In ihrer erschrockenen Phantasie einen dunklen Kopf
Und eine greifende Faust zu sehen. Es drohte

Oder winkte ihr zu. Sie konnte sich nicht länger festhalten.
Ihr Mitleid war stärker als ihre Schwäche.
Ungestüm beugte sie sich hinunter, so schwer
Es ihr auch fiel, löste das hängende Seil und kletterte

In das regengefüllte Boot. Ihr Glaube half ihr,


Denn der Kahn befand sich an der Spitze einer Strömung,
So dass das Schiff mit einer Kraft
Und Beständigkeit hinausgetrieben wurde,

Als hätte man unsichtbare Segel


Auf den fehlenden Mast gesetzt. Die Dünung spritzte hoch,
Und die zerbrechliche Vorrichtung stöhnte vor Schmerz
Und Elend. Mit stummen Augen hockte die Frau

Auf der morschen Planke, den Kopf unverwandt


Auf den schwarzen Sarg gerichtet,
Der herumgeworfen worden war. Jetzt, und jetzt,
Tauchte sie wieder vor ihr auf, die Faust,

Von der sie halb geträumt hatte. Mit einer wilden Bewegung
Warf sich die Frau weit ins Boot und griff
Nach den krallenden Fingern. Ein heftiger Kampf
Entbrannte. Der hinfällige Mann dort unten

Muss bereits zur Tiefe verurteilt gewesen sein,


Denn er zappelte und wehrte sich, bis eine wogende
Welle den schweren Körper plötzlich
In den rettenden Kahn stürzte. Einen Moment lang

Schäumten die Planken über und wurden begraben,


Dann erhoben sie sich wieder, drehten sich wie wild,
Und die rollenden Wasser trieben das Schiffchen
Wie einen geprügelten Hund vor sich her.

Das Land zog sich düster in die Höhe, und hoch oben
Am bedeckten Himmel war die Gestalt eines Mannes
Zu sehen, der das Geschehen mit Erstaunen beobachtete.
Der Landvogt hatte den Schiffbrüchigen

In die Hütte getragen. Der mächtige Körper ruhte nun


Auf dem Bettgestell und rang mit dem Tod.
Und in der Ecke auf dem Schilfbett erwachte
Zur gleichen Stunde ein neues Leben. Dörte
Jatte einen Sohn zur Welt gebracht. Ein schlankes Baby.
Es schrie nicht, sondern ballte die Fäuste,
Und seine schwarzen, nächtlichen Augen
Waren in die Leere gerichtet. Nein, nicht in die Leere.

Die Axt hing an der Wand am Fuß der Sänfte.


Später erinnerte sich die Mutter daran, dass ihr Sohn
In der Stunde seines Eintretens unverwandt
Auf die Schärfe der Axt gestarrt hatte. Der Vogt

Hatte einen der Zisterzienser aus dem Kloster


Kommen lassen. Dieser arbeitete nun fachmännisch
An den drei ohnmächtigen Menschen herum.
Damals erfüllten die Mönche, ob jung oder alt,

Bereitwillig die Aufgaben des Arztes


Und der Wehmutter, und die Versorgten glaubten,
Dass es so sein müsse. Bruder Franziskus
War im Übrigen derselbe, der in jener unvergessenen Nacht

Von Dörte den erzwungenen Bund gesegnet hatte;


Nun tat er sein Möglichstes, um die bedrohte Gemeinschaft
Zu erhalten. Bald goss er dem zusammengekauerten Fischer
Scharfe, seltsam duftende Tropfen ein, die er

In einer venezianisch geschnittenen Dose


Aus seiner Kutte zog; jetzt blies er unter die Flamme
Des Kochers, um der Frau in den Wehen
Einen warmen Trank anzubieten; ja, er reinigte sogar

Das Neugeborene im ersten lauwarmen Bad.


Dabei glitt ein angenehmes Lächeln über das ernsthaft
Jugendliche Antlitz des Bruders, und während
Seine rechte Hand zärtlich über die weichen Glieder

Des Kleinen strich, sprach er mit der Festigkeit


Des Erfahrenen: Ein edles Gebäude. Wie nach den Maßen
Der alten Meister. Möge der Unerforschliche
Dieses Kind zum Guten formen. - Dörte hörte es

Auf ihrem Schilfbett. Und zum ersten Mal


Zuckten ihre Lippen vor Stolz, als sie an die edle Herkunft
Des Blutes des Säuglings dachte. Zugleich aber
Blickte sie erschrocken auf das Bettgestell,

Wo sich der riesige Körper ihres Mannes zu regen begann.


Sofort griff sie hastig nach den Silbergulden,
Die in das Bett eingenäht waren. Ja, das war das Mittel,
Um sich im schlimmsten Fall von jeder Schuld

Freizukaufen. Doch so schwer es ihr auch fiel,


Die Veränderung zu begreifen, seltsamerweise
Machte man ihr keine Vorwürfe mehr. Noch bevor
Klaus auf seinen zerschmetterten Beinen

Hin und her krabbeln konnte, hatte der Mönch


Dem geschwächten Mann kurz die Geschichte
Seiner Rettung erzählt. Stumm kauerte der Fischer
Auf seinem Bett und ließ nur flüchtig einen fragenden Blick

Über das Neugeborene gleiten. Er bedankte sich


Weder bei ihr noch zeigte er irgendeine andere Dankbarkeit.
Nach wie vor überließ er jede Hilfe für seine Frau
Bruder Franziskus. Und doch, es kam vor,

Dass er manchmal die Ziegenmilch in einer hölzernen Schale


In die Nähe der Sänfte der jungen Mutter gleiten ließ.
Niemand wusste, zu welchem Zweck, aber man konnte
Annehmen, dass das Getränk für Dörte

Und ihr Kind bestimmt war. Ein anderes Mal aber


Geschah es, was der glücklichen Frau signalisierte,
Dass der Damm des Grolls und der Missgunst
Nun für immer gebrochen sein könnte. Eines Abends

Hielt der Mönch nachdenklich bei der Sänfte


Des Kleinen inne, bevor er sich auf den Weg machte,
Und während er ihn, wie es seine Gewohnheit war,
Zum Abschied segnete, sprach er mit fester Stimme:

Jetzt ist die Zeit gekommen. Morgen wollen wir das Kind
Ins Kloster tragen, um es taufen zu lassen.
Wie sollen wir es nennen? Daraufhin rührte sich Dörte nicht.
Sie drehte den Kopf zur Wand und kratzte ungeduldig

Mit den Nägeln an den Holzbrettern. Alles,


Um das ungestüme Verlangen ihres Herzens zu betäuben.
Statt ihrer aber erhob sich der Fischer von seinem Sitz
Neben dem Herd, tastete sich schwerfällig zur Sänfte

Des Säuglings, und nachdem er wie immer neugierig


Und kopfschüttelnd in das schmale Gesicht geblickt hatte,
Brach es plötzlich murrend und drohend aus ihm heraus,
Als müsse er sich gegen einen Angriff verteidigen:

Der Name des Kindes ist wie meiner, nicht anders.


Es soll Klaus heißen. Da nickte der Mönch
Mit einem stillen Lächeln, aber die liegende Frau
Hob ungestüm den Arm und wollte dem Riesen

Fröhlich über die bärtige Wange streichen. Unschlüssig


Und verletzt, schüttelte er sie ab. Doch als die junge Frau
Nach der Taufe in der Hütte hin und her lief,
Hörte sie ihren Mann draußen singen. Das war noch nicht alles.
Auf leisen Sohlen schlich sie hinein, um zu lauschen.
Klaus saß im Sonnenschein und schärfte seine Axt
Auf dem Feuerstein. Dazu summte er gemütlich

Zum Funkenflug: Schärfe gut, dann schneide gut,


Klaus ist Dörte gut. Andere Namen kannte er nicht.
Dörte, der schönste Name des alten Deutschland,
Lebte tief in der Seele des rauen Sohnes Frieslands.

ZWEITES ABENTEUER

Goldgrüne Schatten umspielten die Buchenwipfel


Hoch über der roten Klostermauer. Auf einer
Der baufälligen Grasstufen, die in weiten,
Unkrautbewachsenen Abständen zum schmalen Eingangstor
Hinaufführten, hatte sich ein einsamer Bruder niedergelassen.

Sorgfältig trug er ein paar Krümel weißen Hirsekuchens


In einer Falte seines Gewandes verborgen,
Und nun streute er die Krümel in einem weiten Bogen
Zu den Finken, Meisen und Amseln des Waldes,

Die in der Ferne nach den köstlichen Häppchen pickten.


Der einsame Mann hatte seine gefiederten Freunde
Noch nicht allzu lange gefüttert, als die Schar plötzlich
In die untersten Äste der Buche flüchtete, summend

Und raschelnd, aufgeschreckt durch eilige Schritte,


Die den Waldweg hinauf klangen. Der Mönch hob den Kopf.
Der Schritt, dieses eilige, unberechenbare Ausgreifen,
Kam ihm bekannt vor. Fast sechzehn Jahre lang

Hatte er ihm zugehört, ihn geprüft und eingeschätzt.


Und jetzt, aus dem schwarz-grünen Torbogen eilte es heraus.
Ja, Pater Franziskus kannte die schlanke, geschmeidige
Knabengestalt im weißen Leinenkittel, er hatte oft

Die wohlgemessene Form jener Knie und Waden


In ihrer gebräunten Nacktheit bewundert, aber
Mit heimlichem Grauen hatte er fast immer
In die schwarzen begehrlichen Augen geblickt,

Die wie zwei flackernde Abgründe in dem schmalen


jugendlichen Antlitz brannten, ewig bereit,
Nähe und Ferne zu verschlingen. Immer offen
Für neue Forderungen. Nie zu müde, um zu suchen

Und zu greifen. Zuvor hatte der Mönch nicht selten


Ein beklemmendes Befremden empfunden,
Denn diese rastlos schlürfenden Augen passten nur
Allzu gut zu dem geduckten Dasein eines Kindes

Der Masse. Ebenso wie die braunen Wellen


Des Haupthaars das Gebot der kurzen Schur
Rücksichtslos missachteten. In weiten,
Geschmeidigen Sprüngen machte sich der weiße Schatten

Auf den Weg durch den Wald. Deshalb blieb


Seine Begleiterin, ein vierzehnjähriges Mädchen,
Dessen roter Rock um ihre nackten Beine wirbelte,
In einigem Abstand hinter dem Jungen zurück.

Die blonden Zöpfe, die das Kind eng um den Kopf


Geflochten trug, waren mit bläulichen
Und rötlichen Muscheln verziert und gaben dem Mädchen
Ein seltsames und wildes Aussehen. Der seltsame Schmuck

Passte so gar nicht zu ihrem sanften Gesicht. Sie zögerte


Und griff ein paar Mal verstohlen in ihre Locken,
Offenbar aus Angst, wie das blinkende Stirnband
An der Klostermauer beurteilt werden würde.

Tatsächlich war der ungewohnte Schmuck das erste,


Was den Bruder störte, als er sich auf seinem grasbewachsenen
Schritt ein wenig aufrichtete. Halb unwillig zupfte
Der Rastende ein paar Stängel heraus, bevor er

Mit einer schnellen Kopfbewegung auf die Muscheln deutete:


Wozu, Anna? Was soll die Aufregung?
Kaum war die Missbilligung gefallen, lief ein tiefes Rot
Über die Wangen der Getadelten, ihre blauen Augen

Verdrehten sich ängstlich, und unwillkürlich


Verschränkten sich ihre Hände vor der Brust.
Abrupt blickte sie den Jungen im weißen Kittel an,
Als wäre er der Herr, von dem sie und ihr Schicksal abhingen.

Auch er ließ sie nicht im Stich. Ich habe es ihr eingepflanzt,


Sagte er lachend, und seine Augen ergötzten sich
An seinem Werk, als könnten sie sich nicht
Von dem blau-feuchten Glanz der Muscheln losreißen.

Auch die schlanken Beine, die er schon gespreizt


Gehalten hatte, strafften sich noch ein wenig mehr
In ihren Sehnen, und der ganze Bursche sah unbeschwert
Und keck aus, als ob Regen und Sonnenschein

Zu seinem Vergnügen sein sollten. Der Mönch bemerkte dies


Mit Unbehagen. Gerade dieses Aufbegehren
Einer widerspenstigen Natur versuchte er zum Wohle
Des Jungen zu unterdrücken. Der Fischersohn,
Dem er zugetan war, musste vor seinem Blut
Geschützt werden. Das war es. Das bedeutete,
Dass seine Unwissenheit nicht zu sehr zur Schau
Gestellt werden durfte. Er durfte sich auch nicht

Über seinen Stand erheben oder gar, wie er es gerne tat,


Seine Gedanken in einer Fabel in die Ferne schweifen lassen.
Das Meer war verlockend für solche nebligen Fahrten.
Aber ein solches Entgleiten war für ein Sassenkind

Nicht förderlich, zumindest nicht in dieser Jugend.


Nimm der Dirne die Torheit aus den Haaren,
Befahl er barsch. Klaus Becker bewegte sich nicht.
Nur seine Augen blitzten stur auf und seine rechte Hand

Machte eine ungläubige, schleudernde Bewegung,


Als könne er damit die unverständliche und für ihn
Unüberlegte Abneigung des Klosterbruders zerstreuen.
Es sieht gut aus, beharrte er, immer noch in Ehrfurcht

Vor dem fremden Glanz. Es sind Herzmuscheln.


Auch die Gnadenbilder in der Klosterkirche
Und die Burgfräulein tragen solche bunten Steine. -
Gerade deshalb passt das Schmuckstück nicht

Zu Anna Eberhard, der Tochter des Strohwebers,


Belehrte Bruder Franziskus ruhig, streckte die Hand
Nach dem abenteuerlichen Schmuckstück aus
Und tat so, als bemerke er das heftige Zucken

Des wilden Jungen nicht. Es gibt Unterschiede,


Die in die Welt gesetzt werden. Sie kommen von Gott.
Er zupfte nun an der Muschelkette zwischen seinen Fingern,
Und als er sah, wie sein halbwüchsiger Freund,

Um den er sich sorgte, an seiner Unterlippe nagte,


Fuhr er selbstgefällig fort: Schau dich um, Klaus,
Schau dir den Wald an. Hier blüht der Haselbaum
Und wird nur ein Strauch. Aber daneben wächst

Die Buche über zwanzig Ellen hoch. Und doch


Bilden sie zusammen den schattigen Wald
Und müssen sich gegenseitig dulden.
So ist es auch mit den Menschen.

Eine Weile rauschte der Wind in den Ästen.


Dann lachte der Junge auf einmal hell auf.
Was ist denn los? fragte Franziskus erstaunt.
Grimmig reckte sich derjenige im weißen Kittel.

Eine Spur von Schalk und frühreifem Spott


Lief über sein schmales Gesicht, als er nun
Die rechte Hand vor sich warf. Schau, Geweihter,
Rief er selbstbewusst, denn er benutzte oft

Die ehrfurchtsvolle Bezeichnung seiner Mutter


Für den Mönch, der Haselbaum und der Buchsbaum hier.
Ich frage mich, ob sie sich ähneln? - Nein, murmelte
Der Zisterzienser, immer noch unsicher,

Sie ähneln einander nicht. Sie sind von unterschiedlicher Art. -


Aber die Menschen sind einander ähnlich,
Beendete der Junge nun herrisch, sprang in die Luft
Und warf seiner Begleiterin einen schützenden Blick zu.

Du hast selbst gesagt, dass wir alle nach dem Bilde


Gottes, des Vaters, geschaffen sind. Missmutig
Und stirnrunzelnd brach der Mönch das aussichtslose
Gespräch ab. Zumal er das kleine Mädchen

Dabei ertappen musste, wie es heimlich


Über die Unverschämtheit des Jungen lächelte.
Du wärst besser dran, brummte er verärgert
Und strich sich mit beiden Handflächen ratlos

Die ergrauten Schläfenhaare zurück, wenn dein Vater dir öfter


Mit dem Gürtel über den Rücken gefahren wäre.
Bei der Erwähnung seines Vaters verblasste
Die freche Art des Jungen schnell. Sanftmütig

Senkte er den Kopf und scharrte mit seinem nackten Fuß


Auf dem moosigen Boden. Vater will mich nicht anfassen,
Berichtete er nachdenklich. Er sitzt den ganzen Tag
Auf der Düne und sonnt sich. Jetzt strich der Bruder

Dem Jungen mitfühlend über die gewellten Locken.


Sein Groll war verflogen. Die Erinnerung
An ein ehrenvolles, mühseliges Leben hielt ihn gefangen.
Dein Vater hat eine verzehrende Sucht, sagte er sanft,

Der Frühling ist eine gefährliche Sache für ihn.


Und was tust du, um ihm sein Los zu erleichtern, Klaus? -
Ich? Der Verhörte sah sich suchend um. Endlich
Schienen die scharfen Augen etwas erfasst zu haben,

Als sie zurückschwenkten und einen schmalen Abschnitt


Des Meeres entdeckten, der durch die Baumstämme
Schimmerte. Ich gehe hinaus und lege seine Netze aus,
Verteidigte er sich erwartungsvoll, gelobt zu werden.

Ich bringe mehr nach Hause als er. Manchmal bin ich
Die ganze Nacht unterwegs. Und ich habe ein schönes Segel
Aus rotem Packtuch gemacht, fügte er zufrieden hinzu,
Und ich kann den Wind vorwärts und rückwärts einfangen.

Davon hat Vater nichts verstanden. Das ist eine neue


Und gute Sache. Und es hat Mühe gekostet. -
Nicht du, erwiderte der Mönch unbeirrt und versuchte,
Den wandernden Strahl der schwarzen Augen abzuhalten.

Lüge nicht, Junge. Es macht dir Freude, auf dem Wasser


Zu liegen und mit dem Wind zu kämpfen. Du hältst dich
Für besser als andere Menschenkinder. Dort draußen
Fängst du auch die grimmigen Gedanken ein,

Die nicht gut für dich sind. Sag mir, was führt dich hierher?
Nun kam der Junge näher und küsste zärtlich
Das feine weiße Gewand des Mönchs. Eine Staatskutte
Der Brüder, die nur bei besonderen Ereignissen getragen wurde.

Ich habe mich nach dir gesehnt, Geweihter,


Brach es inbrünstig aus ihm heraus, und er strich
Verstohlen über den Stoff des faltigen Gewandes.
Oft quält mich die Angst, wenn ich dich nicht

Nach diesem oder jenem fragen kann.


Denn du weißt alles, was mir fehlt.
Da verbarg Pater Franziskus ein halbes Lächeln.
Du Narr, wies er die überzogene Meinung bescheiden zurück,

Ich weiß nicht einmal, was deine Genossin da


Zwischen den beiden Mülldeckeln trägt. Was ist es? -
Ja, das errätst du nicht, rief Klaus Becker, der plötzlich
In seine wilde Heftigkeit zurückfiel, und dabei stürzte er

Auf das Mädchen zu und riss ihr kurzerhand


Den grünen Zopf aus den Händen. Gib ihn mir,
Ein skurriles Tier, stammelte er atemlos
Und riss die Decke auseinander. In unseren Gewässern

Gibt es keine anderen wie es. Und es gehört dir,


Geweihter, dir allein. Eine riesige Scholle kam
Zum Vorschein, dunkelgrau mit roten Flecken
Und vielleicht eineinhalb Meter im Durchmesser.

Der Fisch glänzte wie Perlmutt in der Sonne.


Die drei standen bewundernd um den seltenen Fang herum,
Und die Kinder lachten vor Freude, als der Pater
Mit dem Ausdruck eines Kenners seinen Finger

Zielsicher in den Rücken der Scholle steckte,


Um die Festigkeit des Fleisches zu prüfen.
Ein prächtiges Stück, gab der Mönch selbstvergessen zu
Und tätschelte dem Spender dankbar die Wange.
Doch unerwartet hielt er inne, ein feindseliger Gedanke
Schien sein offenes Verlangen zu hemmen.
Was ist? rief der Junge erschrocken.
Der Bruder musterte ihn prüfend von oben bis unten.

Hat der Landvogt deinen Fang gesehen?


Jetzt zuckte das kleine Mädchen
Wie von einem Schlag getroffen zurück und sprang
Hinter den nächsten Baumstamm, um Schutz zu suchen.

Klaus Becker aber wurde seltsam blass.


Dann begannen seine schlanken Glieder vor Wut
Oder vor Scham zu zittern. Etwas Hasserfülltes,
Von der Leidenschaft Überwältigtes, sprudelte

Aus seinen schwarzen Augen. Der Landvogt weiß nichts,


Widersprach er barsch und schob die geballte Faust
Von sich weg. Ich habe das Tier die ganze Nacht
Zwischen den Strandsteinen versteckt.

Kopfschüttelnd wies der Mönch das Geschenk zurück,


Insgeheim auch entsetzt darüber, wie wenig sich
Sein Schüler zu Bescheidenheit
Und geduldigem Dienen anleiten ließ.

Weißt du nicht, mahnte er heftig und hob drohend


Den Finger, dass dein ganzer Fang dem Grafen gehört?
Was soll ich mit dem Diebesgut machen? - Essen,
Rief Klaus, immer noch zitternd und bebend.

Und wie verräterische Pfeile schossen die Worte


Aus ihm heraus: Der Graf hat genug. Wie kann er
Uns nehmen, was wir fangen? Gehört ihm das Meer? -
Wem gehört es denn sonst? - Dem, der darauf segelt

Und Netze auslegt, stieß der Bursche ohne zu überlegen hervor.


Er warf den Fisch auf den Waldboden und stampfte
Mit seinen nackten Füßen darauf herum. Klaus,
Rief das kleine Mädchen hinterm Baum und flehte um Gnade.

Jetzt sprang der Bruder hinzu, bückte sich und packte


Die Flosse. Dunkelrot färbte sich das weiße Gesicht
Des Mönchs. Es blieb unentschieden, ob vor Anstrengung
Oder weil er den feinen Mund des Fischersohns sah,

Der zufrieden lächelte. Unsinn, wütete er


In ehrlichem Unmut, Gottes blühende Gabe zerstören?
Oh, ich sehe, ich bin zu schwach gegen den bösen Geist,
Der in dir wohnt. Geh mir aus den Augen

Und komm nicht so bald wieder. Einen Moment lang


Herrschte Schweigen zwischen den dreien,
Dann drehte sich Vater Franziskus, der den Fisch
Immer noch in der flachen Hand hielt, um

Und stieg mit großen Schritten die grasbewachsenen


Stufen hinauf. Bald musste er das kleine Tor
In der Mauer erreicht haben, das kaum mannshoch war.
Dann geschah etwas Unerwartetes.

So schnell, wie Klaus Becker in Zorn und Wut geraten war,


Wurde er nun von verzweifelten Gewissensbissen gepackt.
Plötzlich füllten sich seine funkelnden Augen mit Tränen,
Und ohne sich darum zu kümmern,

Ob seine kleine Begleiterin sein Handeln verstand,


Stürzte er auf die unterste Stufe, wo er wild
Die Arme hochwarf, als könne er
Den Ausbrecher zurückhalten. Tu das nicht, Geweihter,

Schluckte er, von Schmerz gequält. Ich liebe dich.


Und wer soll mir die Hand auf die Stirn legen,
Wenn ich von dem Schmerz gequält werde, der mich blendet?
Nein, tu das nicht, Geweihter, tu das nicht.

Die Schmerzensklage dieses wahren Jungen


Zitterte noch unter den sonnenlosen Bäumen,
Und der leicht berührte Bruder hatte sich noch nicht
Ganz umgedreht, als in der Schwärze des Waldes

Ein Horn erklang. Gleichzeitig waren die Hufschläge


Der Pferde zu hören. Einen Moment lang verharrten die drei
Wie angewurzelt auf der grünen Lichtung.
Dann kam Leben in den Mönch, und während er eilig

Versuchte, die Scholle auf einen Mauervorsprung zu legen,


Segnete er im Stillen Gott für die günstige Unterbrechung.
Wohltuend erleichterte sie ihm die ersehnte Versöhnung
Mit dem aufgeregten Jungen. Sie kommen, rief er

Dem verblüfften Fischer zu, der ohnehin längst


Alles vergessen hatte, was bis dahin geschehen war.
Ungestüm war er aufgesprungen, um nun, fieberhaft
Vor Neugierde, in das dichte Gehölz einzudringen.

Vier, fünf, zehn Pferde, zählte er, schau, schau, Anna,


Stählerne Rüstungen und seidene Mäntel. -
Dänische Herren, berichtete der Bruder aufgeregt
Und glättete seine weiße Kutte, reiten bei Tag nach Stralsund

Und suchen hier Schutz für die Nacht. Die Kinder


Drängten sich angespannt an die beiden Seiten ihres Freundes.
Er konnte ihnen kaum widerstehen. Dänen?
Stammelte Klaus zweifelnd. Denn er konnte nicht
Mit Bestimmtheit sagen, wo diese Leute angesiedelt waren.
Was machen die denn in Stralsund?
Doch der Mönch schüttelte ihn ab, da er den steten
Eifer des Wissbegierigen nicht befriedigen wollte.

Warum willst du das wissen, Klaus? lehnte er vorsichtig ab.


Was kümmert dich der Handel von Königen und Fürsten?
Diesmal geht es um eine gerechte Sache, fügte er hinzu,
Mehr zu sich selbst, es geht darum, die Horde

Gesetzloser Schuimer auszurotten. Da packte ihn der Junge


Heftig am Kleid. Was sind Schuimer? drängte er
Widerspenstig. Sag es mir. Der Mönch war erschrocken.
Zu wild brannten die dunklen Augen des Jungen in die seinen.

Das geheimnisvolle Wort, das unter dem Volk


Für diejenigen kursierte, die unter der schwarzen Fahne
Umherzogen, schien ein Feuer in der unbeherrschten Seele
Entfacht zu haben. Wieder rettete der Vater

Seine Verlegenheit hinter einer strengen Enmpörung.


Schweig, befahl er. Was kümmert sich eine Sasse,
Der von der Herrschaft gut behütet wird,
Um die Brut der Friedlosen, die von allen Ehrenmännern

Gemieden wird? Dankt Gott im Stillen, ihr,


Die ihr ein nahrhaftes Gewerbe und einen sicheren Ort habt,
Dass die Fürsten und Bürger dem wilden Treiben
Ein Ende setzen wollen. Bedenke, Bursche,

Solange das Ungetüm nicht vom Meer weggeschwemmt ist,


Kannst du, wenn du ehrlich bist, nicht ruhig
Unter deinem Dach schlafen. Unter den Baumstämmen
Waren bereits die bunt geschirrten Pferde zu sehen.

So blieb Pater Franziskus nur Zeit, die Kinder


Zur Seite zu schieben und den unbedarften Gaffern
Gutmütig zuzuflüstern: Schaut euch die vorderen an.
Ja, diese beiden. Das sind die Gesandten der Königin.

Der Drost Reichshofmeister Henning von Putbus.


Und der Hauptmann Konrad von Moltke.
Sehr stolze und mächtige Herren.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Klaus Becker

Nun das bunte Bild, das sich ihm bot. Er bemerkte nicht einmal,
Wie er krampfhaft die Hand seiner kleinen Begleiterin ergriff.
Das goldene Leuchten des Großen hatte eine
So überwältigende, betörende Wirkung auf ihn.

Allmählich spannte sich ein feines, unwirkliches Netz


Vor seinen starrenden Augen auf, und er zuckte
Fast schmerzhaft zusammen, als ein besonders heller Blitz
Aus dem Netz auf ihn zu schoss. Da!

Traten nicht der Abt und sein Prior aus dem Tor
Oberhalb der grasbewachsenen Stufen hervor?
Beide waren altersschwache Männer.
In seinem schneeweißen Gewand, das goldene Kreuz

An den dürren Gliedern, trabte der kleine Mann,


Die Schleppe auf jeder Ferse vorsichtig anhebend,
Auf den ersten der Reiter zu und reichte
Dem kaiserlichen Hofmeister schließlich

Mit zitternder Hand einen Silberbecher.


Der Drost saß zurückgelehnt auf einem breiten Pferd,
Die überlangen Beine gewaltig gespreizt,
Denn das flickenreiche Zottelkostüm beengte

Den großen Mann. Das Staatsgewand


War kompliziert zusammengesetzt, links rot, rechts gelb,
Während Arme und Beine andersherum bekleidet waren.
Außerdem saß eine riesige blaue Perlenmütze

Auf seinem gekerbten Kopf, von der eine riesige blaue Fahne
Fast bis zu den Knien herabfloss. Man sah ihm an,
Dass der lange Ritt ihn heiß gemacht hatte,
Denn er schob den schwarzen Ledergürtel luftig

Unter den schmalen Hüften hin und her,


Und wenn die tiefliegenden, lauernden Augen
Ihm nicht widersprochen hätten, hätte man
Den kaiserlichen Höfling der Königin Margarethe

Für einen abgenutzten eitlen Höfling halten können.


Aber die Augen wohnten in ihm unter den grauen Brauen
Wie der Fuchs in seinem Bau. Wachsam,
Bereit, zuzuschlagen. Und über die schrumplige Stirn

Flog manchmal ein leuchtender Blitz. Nicht umsonst


Ging die Legende, dass diese morsche, im Wind
Schwankende Leiter die Sprossen geliefert hätte,
Auf denen die zierlichen Füße seiner Königin

Die kältesten Höhen der Staatskunst erklommen hätten.


Aber die Legende tat ihm Unrecht, denn er selbst
Hatte zuerst im Gemach der fürstlichen Dame
Die unmerklichen Wendungen und kühlen Methoden gelernt,

Die nun die nordische Welt in Atem hielten.


Von ganz anderer Art war sein Begleiter, der dicht
Neben ihm den verschwitzten Hals
Seines gescheckten Schimmels energisch tätschelte.

In einem regnerischen Ledermantel hockte


Hauptmann Konrad von Moltke auf seinem getriebenen,
Sehnigen Pferd. Sein linkes Bein, das von einem grünen
Strumpf umgeben war, hatte er lässig hochgezogen,

So dass er seinen Arm darauf abstützen konnte.


Und auf diesem ruhte wiederum der völlig kahle,
In der Sonne schimmernde Schädel, unter dem
Eine krumme Geiernase hochmütig in die Welt ragte.

Die eiserne Sturmhaube, die auf dem knochigen Schädel


Zu sehr hätte lasten können, hing schwankend
Von seinem Sattel, und die rot geschwollenen Augenlider
Blieben hartnäckig geschlossen, vielleicht aus Müdigkeit,

Vielleicht aus Abneigung gegen das mönchische Gesindel,


Dem seine Herrin so auffallend zugetan war.
Es kursierten allerlei Gerüchte. Der verkniffene Mund
Des Dänen sprach jedoch laut von Habgier und Beute.

Er sieht aus wie ein Seeadler, dem man die Federn


Ausgerupft hat, dachte Klaus Becker erstaunt,
Ohne seinen gierigen Blick von dem Knochenmann
Abwenden zu können. Inzwischen hatte sich

Die schlaffe Kindergestalt des Abtes


Auf die Zehenspitzen gestellt. Ängstlich wich er
Dem scharrenden Braunen aus und bot
Dem kaiserlichen Höfling seinen Becher an.

Das Männchen, dem ein paar einzelne graue Locken


Einsam um die Stirn flatterten, erweckte unverkennbar
Den Eindruck, sich hinter seinen Pergamentrollen
Wohler zu fühlen als bei diesem ungewohnten Staatsakt.

Herr Henning von Putbus, lispelte er kraftlos


Und kaum hörbar, Kaiserlicher Hofmeister
Und Drost der Großmächtigen… Hier klatschte
Der Knochenmann seinen Knebel höchst heftig

Gegen seinen Hals und kniff seine Augenlider


Immer unverständlicher zusammen.
Der Abt wurde verwirrt. Der Herr hat dich
An die deutsche Küste geführt, um dich zu segnen!

Stotterte er verlegen und begann mit dem Becher


Hin und her zu zittern. Er hat dich an die Küste geführt,
Und möge die Tagesreise nach Stralsund so verlaufen,
Wie du es wünschst. Höflich streckte der hagere Mann
Die Beine noch steifer von sich, ergriff den Becher
Und verbeugte sich so geschmeidig, wie man es
Von der dürren Gestalt im Pelz kaum erwarten konnte.
Da die gutgläubige Abneigung eures Ordens

Gegen die Vergewaltiger des Meeres wohl bekannt ist,


Sprach er ziemlich unbekümmert, werden eure Gebete
Mit uns sein. Ich weiß, ich weiß. Er führte den Becher
Oberflächlich an den Mund, ohne einen Schluck zu nehmen.

Sein Nachbar jedoch, Hauptmann von Moltke,


Riss ihm ungeduldig den Becher aus der Hand,
Bevor er überhaupt dazu aufgefordert wurde,
Warf einen tiefen Blick hinein und stürzte

Das Getränk gierig hinunter. Der Krieger


War vielleicht durstig. Unerwartet hielt er inne
Und schüttete, während er wütend
Seine geschwollenen Augen weitete, den Rest

Irritiert auf den Boden. Gemisch, knurrte er,


Und seine Stimme klang, als würde er Scherben
Aneinander reiben. Himmel und Hölle, ich...
In diesem Moment ertönte ein erneutes Pferdegetrappel

Aus dem Wald, und der Reiter schluckte,


Hob eine erschreckend dürre Hand und winkte
Dem Neuankömmling zu. He, Cona, krähte er
In demselben bitteren, verächtlichen Ton,

Meine Seele, du bist gut genährt worden,


Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.
Erinnerst du dich an den Tagesausflug nach Wismar?
Es heißt, Liebster, du hättest auf See

Recht lukrative Geschäfte gemacht. Und du kennst


Die Tricks der Schuimer aus eigner Erfahrung.
In dieser Anrede muss eine besonders giftige Anspielung
Enthalten gewesen sein, denn der Kaiserliche Hofmeister,

Der plötzlich noch blasser aussah als sonst,


Hob abwehrend die rechte Hand, holte vergeblich Luft
Und versuchte, sein Unbehagen hinter einem einladenden Lächeln
Zu verbergen. Er konnte sich jedoch nur ein Lächeln abringen,

Zumal er bemerkte, wie der Graf von Cona,


Der nun in der Abendsonne in der Nähe
Seines jungen Sohnes mitten auf der Lichtung stehen blieb,
Verärgert und beschämt über sein feiges Vollmondgesicht

Eine Grimasse zog. Der wohlgenährte Mann


Blickte in die Runde, um zu sehen, ob die Mönche
Seinen Spott verstanden hatten. Dann strich er
Mit der fleischigen Hand über den halblangen blauen Stoff,

Der ihn wie ein Morgenmantel umhüllte,


Und schließlich hauchte er in der Manier des dicken Mannes
Kurz aus: Seid gegrüßt, meine Herren. Du auch, Moltke.
Immer munter. Immer beweglich.

Wir wollen absteigen und das Abendmahl einnehmen,


Das der Abt für uns vorbereitet hat.
Und aus einem leeren Magen entsteht allerlei wirres Zeug.
Und wenn man es wirklich ernst meint

Mit den Freibeutern, die für ein verstecktes Plätzchen


Gut zu zahlen wissen, nicht wahr, nicht wahr?
Dann werden wir es morgen in Stralsund sehen.
Wir werden sehen, wo unser Vorteil liegt.

Und nun zu Tisch, meine Herren. Er schwang das rechte Bein


Vom Pferd und stöhnte schwer. Allein
Die weit ausholende Bewegung des bulligen Körpers
Hätte den dürren, unruhigen Gaul des dänischen Kapitäns

Irritieren können. Mit einem schrillen Wiehern


Erhob sich das Tier senkrecht in die Luft. Ein einziger Schrei
War ringsum zu hören. Doch ohne zu zögern,
Schlossen sich die sehnigen Beine des Kriegers

Um den Körper seines Schecken. Ja, er bewegte sich kaum,


So fest saß er im Sattel. Gleichzeitig aber sah man
Den Jungen im weißen Mantel hoch oben
In den Zügeln des Schimmels hängen.

Seine kleinen Fäuste rissen erbarmungslos


An der Schnauze des Tieres. Lass los, krähte der Däne
Entrüstet und fletschte seine stämmigen Zähne.
Da war das Pferd schon auf die Erde gebracht worden.

Und der Helfer stand nun, ganz und gar nicht selbstbewusst,
Sondern mit stolz in die Hüften gestemmten Händen,
Von einem rauschenden Gefühl der Stärke geschwellt,
In der Mitte des ihn umgebenden Kreises.

Wieder bemerkte er kaum, dass sein Begleiter


Auf ihn losgestürmt war, um ängstlich seine Brust
Und Gliedmaßen abzutasten. Unsinn, schimpfte
Der Hauptmann missbilligend. Ragazzaccio maledetto!

Vollendete er seinen Fluch auf welsche Art,


Denn seinen ersten Kriegsruhm hatte er sich
In den italienischen Städtekriegen erworben.
Gezwungenermaßen fummelte er an seinem Lederbeutel herum,
Um dem Burschen ein paar Scheidemünzen zuzuwerfen,
Doch einer besseren Einsicht folgend, unterließ er
Auch diese Spende auf halbem Wege. Wer ist dieser Bursche?
Fragte stattdessen der Graf von Cona, der inzwischen

Auf krummen Beinen neben dem kaiserlichen Kammerherrn


Stand, der ebenfalls herabgestiegen war.
Und da er den schlichten Leinenmantel des Jungen
Und seine prächtige Statur nicht recht erkennen konnte,

Fügte er eindringlich hinzu, denn der nahe Tisch


Lockte den stets hungrigen Mann: Schnell, schnell,
Wer ist es? Das wäre ein hübscher Diener.
Es entstand eine Stille. Bis die Stille durch die Stimme

Von Bruder Franziskus durchbrochen wurde.


Einem unwiderstehlichen Impuls folgend,
Hatte sich der Pater vor die Kinder gestellt.
Nun gab er besorgt die Auskunft:

Es ist der Sohn des Fischers Klaus Becker. -


Das ist ein lauwarmer Hund, stotterte der Dicke,
Der seine unangenehme Überraschung erst einmal
Nicht überwinden konnte. Kümmert sich schlecht um uns.

Und indem er sein Doppelkinn weit unter dem Kragen


Des blauen Stoffes hervorstieß, begann er verlegen
Zu grummeln: Was treibt der Sasse hier?
Hitze war in die Miene des Jungen gestiegen,

Böse dunkle Augen zerrten an dem blauen Faltenrock.


Mein Vater! rief er. Dann wurde er von dem Mönch
Zurück gerissen. Gleichzeitig spürte er,
Wie seine Lippen fest verschlossen wurden.

Er hat eine Sternscholle für den Tisch mitgebracht,


Erklärte der Bruder ruhig und deutete
Auf den Mauervorsprung, wo der riesige Fisch
In der Abendsonne glitzerte. Neugierig drehte sich

Der Graf um. Ob er nun durch den Anblick


Des mächtigen Fangs versöhnt oder anderweitig froh war,
Die lästige Begegnung los zu sein, legte er bequem
Seinen Arm unter den des kaiserlichen Hofmeisters

Und zog ihn mit sich. Man speist gut mit den Brüdern,
Schmatzte er mit einem breiten Lachen. Wer weiß,
Welche Überraschung auf uns wartet. Komm, Herr Drost,
Ihr Herren, kommt. Man soll die Köchin nicht warten lassen.

So zogen die Gäste, angeführt von den Mönchen,


Durch das schmale Tor über die Grasstufen.
Die Diener lenkten die Pferde um die Mauer herum
In die Ställe, und bald lag die Lichtung in Einsamkeit.

Nur ein einziger Reiter war zurückgeblieben.


Er zögerte auffallend, abzusteigen, und lenkte sein Pferd
Eher spielerisch hin und her, bis der junge Graf,
Malte von Cona, sich entschieden haben musste.

Mit einem Sprung setzte sein Pferd den bereits


Heimkehrenden Kindern nach, und während die Faust
Des jungen Mannes kühn und ohne Umschweife
In die Haare des schreienden Mädchens griff,

Rief er ihr, wie um sie zu beruhigen, mit einem ebenso


harmlosen wie gebieterischen Lachen zu,
Denn das Ganze sollte nach der Sitte ein Scherz sein.
Dirne, verstehst du Spaß? wo kommst du her?

Das kleine Mädchen starrte ihn mit blauen Augen flehend an


Und begann vor dem vornehmen Herrn zu zittern.
Lass es, Herr, stammelte auch Bruder Franziskus
In aufsteigender Entrüstung, sie ist noch ein Kind.

Doch der junge Mann warf dem Mönch


Nur einen verächtlichen Blick zu; dem kahlgeschorenen Mann
War es egal, mit wem sich der Wirt auf offener Straße
Amüsieren wollte. Doch der Reiter war überrascht,

Wie der Fischerknecht den gnädigen Scherz aufnahm.


Atemlos lehnte sich der Weißkittel an eine mächtige Buche,
Von der aus der Junge in rastloser Gier die bunte Pracht
Des Edelmannes verschlang, ohne genau zu wissen,

Was vor sich ging. Die überlangen Schnäbel


Der rosafarbenen Strümpfe, die fest gepresste
Rote Schecke des Wamses und darüber
Der kurze gelbe Kragen, besetzt mit blitzendem Gold

Und Silber. Und doch riss und zerrte die Faust des Jungen
Auf seltsame Weise an einem kräftigen Ast.
Wollte der Flegel etwa seine schuldige Ehrfurcht vergessen?
Der Knappe zuckte ungläubig und verächtlich

Mit den Schultern, dann ließ er seinen Blick erneut


Stur über die feine Gestalt der Dirne gleiten,
Die durch seinen Ruf so vollständig
Der Sprache beraubt worden war. Komm zu dir, Rotmantel,

Sagte er ungeduldig, obwohl er selbstgefällig


Auf die nackten Füße des Mädchens hinunterblickte.
Woher kommst du? Bist du die Schwester
Von dem Sassen dort? Er hielt das Ganze immer noch

Für einen Scherz, der zu ihm passte, und wunderte sich nur,
Warum das Mädchen so zitterte und bebte.
Nein, flüsterte sie und senkte den Kopf,
Ich bin Anna Eberhard. - Und die Tochter

Der Schwester meiner Mutter, sprach Klaus dazwischen.


Er hatte den Ast heruntergezogen und trat nun,
Auf alles gefasst, näher heran. Doch seine Glieder zitterten
Wie im Frost, denn der ererbte Respekt

Rebellierte gegen die Gier, ein Abenteuer zu erleben.


Unruhig schwankte die Waffe des Zufalls
In seiner geballten Faust. Er wusste selbst nicht,
Wogegen er kämpfen sollte. Du bist nicht erwünscht,

Schleuderte ihm der Junggeselle unwillig entgegen


Und stieß gebieterisch die rechte Hand vor,
Als wolle er das Herannahende, die unbegreifliche Revolte
An ihren Platz verbannen. Gleich packst du mit an,

Du Tölpel! Der Mann im weißen Kittel rührte sich nicht.


Nur der Buchenast hörte auf zu zittern, ja, das Holz
Gewann von Minute zu Minute eine immer festere Spannung.
Eine Weile verharrten die drei Gestalten regungslos,

Wie in den Tiefen eines Traums. Selbst das Pferd


Stand gepresst unter dem fesselnden Druck.
In diesem Moment konnte sich der Zisterzienser
In seinem Herzschmerz am schnellsten

Aus seiner Lähmung befreien. Kaltblütig,


Als ob nichts Ernstes geschehen wäre, schritt er dicht
An die Flanke des Pferdes heran und klopfte dem Tier
Auf den Hals. Die Kinder, die aufgeregten,

Beobachteten sein Tun mit großen Augen.


Ja, es sind Annerbäulken-Kinder, sprach er
In dem weichen Dialekt der Gegend, und keine Hast,
Keine Unruhe verriet in der ebenmäßigen Miene,

Wie sehr er sich bemühte, mit der Überlegenheit


Des Alters die entflammten Sinne der anderen
Zu beruhigen. Anna Eberhards Vater ist ertrunken.
Man sagt, die Schuimers hätten ihn ins Meer geworfen.

Ihre Mutter hat sich nun eine kleine Hütte


Bei den Beckers gebaut, und Mutter und Tochter
Leben recht redlich vom Mattenweben.
Ein mühsames Handwerk, das die Finger abschneidet.
Er hob den Arm des Mädchens weise an,
Und der Graf bemerkte nun erstaunt, wie die Hand
Der Blondine von schwärzlichen Kerben durchzogen war.
Das war eine angenehme Ablenkung

Für seine unbedachte Begehrlichkeit. Sofort versuchte er,


Nach der Art der großen Herren, das Leid der Armen
Durch Almosen zu lindern. Warum hast du das
Nicht gleich gesagt, dumme Göre, tadelte er

Wohlwollend, während er ungestüm an einer Silbermünze


An seinem gelben Kragen herumwirbelte. Matten?
Nun, da könnt ihr die weichsten eures Gewebes
Auf unseren Hof bringen. Mein Hund soll auf ihnen liegen.

Und hier, Rotkittel, hier hast du deinen Lohn im Voraus.


Lachend und mit einer großzügigen Geste
Warf er dem Mädchen den abgerissenen Knopf vor die Füße.
Und bevor die drei Zurückgebliebenen

Auch nur denken konnten, hatte der geschickte Reiter


Sein Pferd zur Seite geworfen und stürmte nun
Um die Mauer herum in Richtung Stall.
Schnell nach Hause, drängte der Bruder die beiden Kinder,

Die bestürzt das ferne Klirren von Silber-


Und Goldmünzen hörten. Geht, geht schnell, der Mann
Will euch nicht gesund sehen. - Und so
Beende ich hiermit das zweite Abenteuer.

DRITTES ABENTEUER

Sie saßen vereint in der Hütte der Beckers


Bei einem mageren Abendessen. Die alten Männer
Hatten ihren Hunger schon gestillt und hockten
An der Feuerstelle, wo ein glimmender Kienspan leuchtete,

Und ruhten sich aus. Zu ihnen gesellte sich


Anna Eberhards Mutter, eine hagere, vorzeitig ergraute Frau
Mit unzähligen Sommersprossen auf dem Gesicht.
Sie sah bei der Arbeit verbittert aus, und die hagere Frau
Fröstelte oft in der Kühle des Meeres.

Kalt, immer kalt, schüttelte sie sich. Dann hob sie


Den geschenkten Silberknopf von ihrem Schoß
Und strich ihn fast ungläubig gegen
Den unsicheren Lichtschein. Warum er ihn geschenkt hat?

Suchte sie in fruchtlosem Zweifel zu ergründen;


Aber als die Hausfrau, die rundlich und mollig,
Voll gesicherter, selbstbewusster Kraft ihr gegenübersaß,
Eine heftige Bewegung gegen den Herd machte,

Als wolle sie die Kostbarkeiten am liebsten


In die Flammen schleudern, denn Dörte kannte
Die Aufmerksamkeiten der Herren, schüttelte
Die Teppichweberin müde den Kopf. Keineswegs,

Wehrte sie sich gegen diesen Gedanken


Ihrer gewalttätigen Schwester. Wie sollte ich jemals
Wieder an einen solchen Schatz kommen? Morgen
Werde ich nach Stralsund segeln und Decken für uns kaufen.

Hauptsache, wir haben es warm. - Ja, schön warm,


Murmelte der alte Klaus Becker und zog
Seine allmählich spindeldürren Beine tief unter den Sitz,
Denn der Husten, der nicht ausbrechen wollte,

Lähmte erneut seinen ausgemergelten Körper.


Mit äußerster Kraftanstrengung bemühte er sich,
Das laute Bellen zu unterdrücken. Nicht etwa,
Um seine Umgebung nicht zu erschrecken,

Denn der kranke Riese war noch immer nicht weich


Und nachgiebig geworden. Nein, er mochte es einfach nicht,
Die Augen der Frau so groß und scharfsinnig
Auf sich gerichtet zu spüren. Die Frau wusste alles,

Sie war klug und ließ sich nicht täuschen.


Ja, der Fischer glaubte, dass sie ihm die Zeit und die Stunde
Des kommenden Ereignisses von der Stirn ablesen konnte.
Und er wehrte sich. So schlimm war es wohl noch nicht,

Und er wollte sehen, wer härter im Nehmen war,


Er oder ihre Augen. So strich er, scheinbar aufgeräumt,
Über den roten Bart, der sich nun doppelt so stark
Von den vergilbten, eingefallenen Wangen abhob,

Und wandte sich, zum Tisch gewandt,


Mit der wohlwollenden Ermahnung an seinen Sohn:
Iss, Junge, iss! Der Junge saß träumend vor dem rohen Teller,
Den Kopf aufgestützt, und nur ab und zu steckte er

Den Holzlöffel in die Schüssel mit dem warmen Hirsebrei,


Unsicher und unwillig. Seine sonst so strahlenden Augen
Aber waren verschleiert; wie nach innen gerichtet,
Schienen sie Bildern und Ideen zu folgen,

Die auf dem Grund seiner Seele schwebten.


Seine Lippen zuckten oft unwillig, als könne er
Das Fliehende weder erkennen noch festhalten.
Seine Verwandten beobachteten bestürzt
Die entfremdende Art des stets ruhelosen Mannes.
Iss, Klaus, flehte die kleine Anna Eberhard,
Die dem eingesunkenen Mann gegenüber saß
Und es auch nicht schaffte, ihren Löffel

Gegen die Schüssel zu richten, denn ihr Geist


Beteiligte sich bereitwillig an dem völligen Schweigen
Ihres Begleiters. Wir sind schon lange unterwegs, du bist müde.

Doch auch diese herzliche Bitte erreichte den


In Fremdheit versunkenen Mann nicht. Offenbar
Hatte er die sanfte, bescheidene Stimme nicht einmal gehört.
Über die Schulter seiner Freundin hinweg

Starrte er immer ausdrucksloser durch die offene Luke


Der Hütte, dorthin, wo der letzte Abendschein
In der Ferne auf dem Wasser schaukelte. Langsam erhob sich
Die blaue Wand der Nacht über den Rand des Meeres.

Und gleichzeitig verfinsterte sich die Stirn des Träumers


Immer auffälliger. Wirst du antworten, wenn du gefragt wirst?
Drohte Dörte, seine Mutter, ungeduldig. Wütend
War sie hinter den Schemel ihres Sohnes getreten.

Nun ließ sie ihre Hand klatschend auf den Nacken


Des abgewandten Mannes fallen. Ihr lebhaftes,
Energisches Wesen sträubte sich gegen solch zweckloses
Und unheimliches Dösen. Was musste sich der große,

Kräftige Junge anhören, anstatt seinem unfähigen Vater


Zu helfen? Immerhin verlangte der Gerichtsvollzieher
Noch den vollwertigen Fang. Junge, willst du? -
Mutter, unterbrach der kranke Riese erschrocken

Und kämpfte erneut gegen den gefährlichen Hustenreiz an,


Woraufhin er versuchte, sich zu erheben,
Was ihm jedoch nicht sofort gelang. Lass, lass den Jungen.
Wer weiß, was er hat. Er trägt Gedanken in seinem Kopf.

Und Gedanken sind nicht immer zu verstehen.


Daraus war zu entnehmen, was Dörte schon lange wusste,
Dass der alte Becker in schüchternem Respekt
Vor der wilden, trotzigen Art seines Sohnes lebte,
Dass er aber geradezu in Aberglauben und Bewunderung versank,

Sobald sein Schützling seltsame Fragen


Und Ansichten äußerte, wie sie der Rotbart
In seinem eintönigen Beruf nie für möglich gehalten hätte.
Je weniger der plumpe Mann von solchen erhitzten Hirngespinsten

Verstand, desto vorbehaltloser fühlte er sich


Insgeheim geschmeichelt, weil sich solche Dinge
An seinem eigenen sitzenden Herd abspielten.
Lass ihn, Mutti, lass ihn, wer weiß?

Ah, was heißt hier, wer weiß? schimpfte Dörte.


Was soll das bringen? Sie schlug wieder zu.
Mit einem Satz war der Junge auf den Beinen.
Der zweite Schlag hatte ihn wachgerüttelt.

Die Schüssel auf dem Tisch zitterte


Durch den ungestümen Aufbruch; selbst der Kienspan
Auf dem Herd ließ seine Flamme rauchend
Im Luftzug aufsteigen. Was ist los? sagte der Bursche,

Und seine Augen waren so dunkel und seltsam


Um seine Verwandten, dass sie alle erkannten,
Dass sein Körper gerade wie ein Stein
Vom Himmel unter sie gefallen war.

Der alte Becker sah ihn erstaunt an, die Augen


Weit aufgerissen, sein harmloses Gemüt tief gebeugt
Über diese edle Entrückung in eine andere Welt.
Abwehrend hob er wieder seine hagere Faust.

Lass es, murmelte er wieder, kaum hörbar. Die Mutter


Jedoch wollte ihren Jungen aus seinem ziellosen Dösen
Herausreißen. Geht es dir gut? erkundigte sie sich unwirsch,
Als sie ihm kurzerhand die Holzschüssel abnahm,

Denn die Ziegen ließen sich von den Resten


Noch ganz gut sättigen. Was hockst du hier
Und starrst vor dich hin? Der junge Klaus
Schüttelte sich heftig, dann sprang er zur offenen Luke

Und riss sich trotz der feuchten Abendluft


Den weißen Mantel vorne im Nacken auf,
Bis der Fahrtwind über seine nackte Brust strich.
Kalt, zitterte die Mattenweberin wehleidig in ihrer Ecke.

Auch der alte Fischer hustete unvorsichtig.


Zu warm, viel zu warm, verteidigte sich der Junge.
Plötzlich aber warf er sein lockiges braunes Haar
Ungestüm zurück und schlug mit der geballten Faust

Sinnlos gegen die Bretter des Fensters. In Wut


Und stürmischer Empörung entlud sich, was sich
In seinem schwelenden Grübeln bedrohlich
Gegen ihn erhoben hatte. Wir wissen hier nichts,

Schrie er in bitterem Zorn, und seine funkelnden Augen


Klagten alle Anwesenden der Reihe nach
Eines unsäglichen Verbrechens an, wir wissen nichts
Von dem, was draußen geschieht. Ohne zu verstehen,

Maßen sich die anderen. Aber auch wenn sie nicht


Verstanden, wonach diese entfesselte Seele, geblendet
Von einem flüchtigen Lichtstrahl, schrie, so spürten
Die Ungebildeten doch, dass sich hier etwas Ungewöhnliches

Und Gefährliches in seiner Anmaßung regte,


Etwas Aufmüpfiges, Aufsässiges, das mit den Fäusten
Gegen den Käfig der Unmündigkeit und des Elends
Zu hämmern begann. Und das erfüllte sie mit Abneigung

Und Misstrauen. Die geduckten Hälse hatten längst verlernt,


Sich zu strecken, und weil sie zu tief in Abhängigkeit
Gekrümmt waren, hielten sie es fast für einen Segen,
Ihre unwissenden Köpfe nicht dorthin erheben zu müssen,

Wo die Blitze in der Höhe zuckten. Gott schütze uns


Vor Unheil! Unwillkürlich schlugen sie
Die Hände zusammen. Und nur der kranke Riese
Atmete ein paar mühsame Seufzer, aber als er

Sich anschickte, eine bescheidene Frage zu stellen,


Zitterte etwas von unterdrückter Zufriedenheit
In seiner gebrochenen und heiseren Stimme,
Denn es schien ihm, dass seine Hütte durch all dies

Sehr geehrt und begnadet wurde. Gott bewahre uns


Vor dem Unglück! Was wissen wir nicht, Junge?
Räusperte er sich demütig und umklammerte
Mit beiden Fäusten die Lehne seines Schemels,

Um aufrecht sitzen zu können. Was wissen wir nicht?


Der Mann biss sich auf die Unterlippe, und gleichzeitig
Rüttelte er mit einer neuen Besessenheit am Rahmen
Der Luke, als müsse er einen weiteren Blick erhaschen.

Dazu wetterte er mit Verachtung gegen die Dumpfheit,


Die ihn hier umgab. Weißt du, dass ein paar Meilen
Von uns entfernt in Stralsund ein Tagesausflug stattfindet?
Was ist ein Tagesausflug? Der alte Fischer

Riss an seinem langmähnigen Bart, seine Brust


Drohte zu erstarren, und der Schweiß rann ihm
Durch das graue, wirre Haar. Sein Verstand
Wurde vor Überraschung leer. Alle guten Geister,

Was kümmerte sich die junge Brut darum?


Große Gentlemen, gelang es ihm schließlich,
Sich aus seiner Atemlosigkeit zu befreien, sie reden.
Sein Schützling trat näher an ihn heran.
Worüber reden sie? fragte er eifrig. Der alte Mann
War nun völlig fassungslos. Noch nie war er
Zu etwas so Unnötigem aufgefordert worden.
Und nun auch noch von dem Adoptivsohn.

Und doch packte ihn der unbestimmte Verdacht,


Dass in diesem Drang eine köstliche Luft wehte,
Eine Luft, nach der er sich schon lange gesehnt hatte,
Weil man sie einatmen konnte. Ja, atmen, atmen,

Denn der Erstickungstod stand unmittelbar bevor.


Er stöhnte hohl, dann keuchte er auf: Sie reden über uns
Und was sie uns wegnehmen sollen. Es klang

Wie das Heulen eines geschundenen Hundes.


Alte Erinnerungen an Zwang und Demütigung
Stiegen in dem Stottern auf. Und bei diesen
Provozierenden Klängen beugte sich der Sohn

Lauernd zu ihm herüber, und seine Augen drohten


Bedrohlich in der Hütte umher, als suchten sie
Bereits den Eindringling, der kommen würde,
Um erpresstes Eigentum zu fordern. Gott schütze uns

Vor Unheil! Welcher Geist war zu dieser bösen Stunde


In das junge Blut gefahren? Du redest von uns?
Und fragst nicht uns? rang er sich
Aus dem erwachenden Bewusstsein. Sind wir Steine?

Der alte Klaus zitterte vor Angst. Plötzlich schämte er sich,


Dass er sich von dem Fremden so weit hatte verführen lassen.
Lass es, junger Mann, lass es, wir verstehen nicht. -
Wir verstehen nicht, zischte der Junge. Perplex schlug er

Sich mit der Faust an die Stirn. Eine schrille Stimme


Erhob sich aus dem Kamin. Dort schob Dörte
Wütend die Feuerzange unter ihre Töpfe. Eine Schale
Klapperte in Scherben auf den Ziegelestrich.

Was ist das für ein Zeug? schrie sie in ihrer Angst,
Dass die rächenden Hände des Meisters
Nach ihrem lebenden Schatz greifen könnten.
Habe ich euch gefüttert, damit ihr hier Unkraut sät?

Glaubst du, wir können von Wortgefechten leben?


Verschwinde von hier, wo du hingehörst.
Oder willst du warten, bis die Peitsche
Des Landvogts dir Beine macht?

So laut wie ihre Stimme klang, wandte


Der schlanke Bursche seinen Blick auf die eifrige Frau,
Aber ihre Vorwürfe glitten an ihm vorbei, als wären
Seine Ohren noch verstopft für die Dinge des Alltags

Und der eintönigen Gewohnheit. Aufrecht stand er da,


Plötzlich ein Fremder unter diesen ängstlichen
Kleinen Frechlingen, berührt vom Zauberstab
Einer Erkenntnis, der er nicht gewachsen war;

Und erst als das Wort "Peitsche" durch seine Träumerei pfiff,
Zuckte ein kurzer Schauer über seinen Nacken,
Und seine Hände zitterten unwillig nach hinten.
Sofort wurde aber auch diese Schwäche abgeschüttelt

Und er konnte geschmeidig bis dicht an den Sitz


Des alten Mannes heran gleiten, um dem lauschenden
Fischer erneut etwas zuzuflüstern: Sag mir,
Was sind Schuimer? - Oh, oh, wimmerte

Anna Eberhards Mutter kläglich, und dabei


Nestelte sie erschrocken an dem silbernen Knopf
In einem Schlitz ihres Rockes. Böse Menschen,
Klaus, glaub mir, böse Menschen. Sie segeln

In ihren Räuberschiffen, sie plündern die Güter der Reichen


Und morden die Armen. Ich kenne sie. Sie trinken
Und verschlingen an einem Tag, was wir
In einem Jahr zusammengekratzt haben.

Sei still, stöhnte Dörte an ihrem Herd. Bleich


Wie eine Leiche war sie geworden, seit ihre Sorge
Um den Einzigen groß war, die sich
An einen bestimmten Gedanken klammern konnte.

Bete ein Ave Maria, mein Junge. Ein frommer Christ


Darf die Rotte nicht kennen. - Gegrüßet seist du,
Heilige Mutter Gottes, sprach die kleine Anna
Gehorsam vor sich hin. Auch ihr Spielkamerad

Schlug unwillkürlich die Hände zusammen,


Denn der Wunsch der Mutter wurde
Von dem verstörten Mann immer noch
Als unumgängliches Gebot angesehen.

Dennoch hinderte ihn die Bewegung nicht daran,


Seinem Vater erneut etwas zuzuflüstern:
Aber wer hat die Menschen so weit gebracht? -
Ja, wer? murmelte der Fischer fassungslos.

Plötzlich aber fasste er den Kopf seines Sohnes


Mit beiden Händen, und als er seinen Kummer,
Seine Krankheit und den Kummer eines ganzen Lebens
Aus der Tiefe seiner Seele hervorholte, schrie er
Unerwartet in einem wahnsinnigen Geheul auf:
Das Elend, mein Jünger, ich meine das Elend. -
Ja, das Elend, sagten die anderen nun ergriffen.
Dann hatte der fesselnde Zauber den Jungen verlassen.

Ungehemmt und in dem Wunsch, sich zu befreien,


Brannte es ungebremst aus ihm heraus:
Und wer gibt den Herren seidene Gewänder
Und uns Lumpen? Wer gibt ihnen Gold und Edelsteine

Und uns die Peitsche? Und wer gibt ihnen


Die fremden Sprachen, die wir nicht verstehen,
Und uns... und uns nur die Dummheit? -
Ja, wer? wiederholten die anderen geistesabwesend.

Die armen Leute hockten da, als wären sie mit Nägeln
An ihren Sitzen festgenagelt und müssten es dulden,
Dass ihre Zungen den Eingebungen eines fernen
Geistes folgen. Endlich riss sich Dörte

Aus dieser lähmenden Verzweiflung. Mit einem Sprung


War sie bei ihrem Kind, das sie der Macht des Teufels
Zu entreißen glaubte; ein Schlag ihrer geballten Faust
Traf sein weiches, fiebriges Gesicht. Mutter!

Dann riss sie ihn an seinen langen Haaren und zerrte ihn
Fast bis zur Schwelle des Hofes. Gleich packst du dich
In dein Boot, schäumte sie in übertriebener Wut,
Obwohl eine unnennbare Angst ihre Seele zerquetschte.

Geh, wir brauchen hier keine Müßiggänger


Und Maulhelden. Bring lieber etwas Gutes mit,
Damit wir Ruhe vor dem Landvogt haben.
Und Gott helfe dir, wenn du jemals wieder

Den Mund aufmachst über Dinge, die uns nichts angehen.


Ohne Übergang fiel sie dem Mann, der bereits
In die Nacht gestoßen worden war, um den Hals,
Schlang ihre Arme fest um seinen Nacken,

Und zum ersten Mal hörte der überwältigte Sohn


Seine Mutter flehen und stöhnen: Tu's nicht,
Mein liebes Kind, schlag dir solche Gedanken aus dem Kopf.
Sie sind nicht gut für arme Leute, sie ruinieren dich

Und uns. Siehst du, die Herren werden in Samt


Und Seide geboren und leiden unter nichts anderem.
Geh, sei wieder mein lieber, guter Junge, geh!
Gewaltsam stieß sie den Zögernden von sich,

Der in heißer, erweckter Zärtlichkeit ihren Mund suchte,


Nicht wissend, dass sie ihn in sein Schicksal trieb.
Klaus war noch immer in alle Widersprüche verstrickt
Und glitt die Dünen hinunter; aber je kälter

Ihm der scharfe Seewind um die Ohren strich,


Desto klarer wurden seine lebhaften Sinne,
Und kaum spürten seine Füße den feuchten Strand
Unter sich, da hatte der wendige Geist des Jungen,

Der immer auf der Suche nach etwas Neuem war,


Schon den Streit mit den Seinen vergessen.
Er spannte energisch seinen Ledergürtel und lauschte
Auf seinem Weg den Rufen der wilden Schwäne.

Nun eine Armbrust, die für einen Gentleman taugt,


Dachte er, und ein paar stattliche Federn
Für die Mütze sollten mir nicht fehlen.
Die Nacht und die graue Leere, die sich

Wie ein offenes Tor öffnete, erschreckten


Oder behinderten ihn so wenig, dass seine Augen
Vielmehr halb spielerisch den Schimmer
Der weißen Strandwellen von dem Gefieder

Der belauschten Vögel zu unterscheiden begannen.


Sie kämpfen da draußen, urteilte er angespannt,
Sie stoßen sich gegenseitig in die Brust.
Und dann schoss ihm durch den Kopf,

Ob es nicht möglich war, ein so königliches Tier


Zu zähmen? Aber das hatte noch nie jemand versucht.
Es könnte schwer zu halten sein. Aber sein Herz,
Das ewig nach Glanz und Pracht dürstete,

War von der Idee völlig eingenommen. Er vergaß


Fast die Jagd nach den unsichtbaren Kreaturen.
Man müsste sich gegen den Wind anschleichen,
Murmelte Klaus, und dann... Da stolperte er.

In der Nähe des Pfahls, an dem sein Boot festgemacht war,


Erhob sich eine dunkle Gestalt. Der breite,
Stämmige Mann musste bis dahin auf dem Bootsrand
Gesessen haben, doch nun drehte er sich

Zu dem Neuankömmling um, und vor allem


Ein riesiger Schädel schimmerte durch die Nacht.
Selbst wenn die schwere, massige Gestalt
Noch tiefer in die Dunkelheit gehüllt gewesen wäre,

Hätte dieses versteinerte Dach, von dem sich rechts


Und links zwei dicke graue Haarwülste abhoben,
Seinen Besitzer verraten. Außerdem stand niemand
So gebieterisch auf gespreizten Beinen
Wie der Gerichtsvollzieher. Schweigend beäugte
Der Mann den Fischer, denn auch die Dunkelheit
Bot seinem Blick kein Hindernis, und erst nachdem er
Ein paar Mal über seinen kurzen Bart gestrichen hatte,

Spuckte er, wie es seiner Natur entsprach, abfällig:


Der Mond ist schon aufgegangen.
Warum kommst du so spät? - Ich? -
Ja, ich meine dich, wen sonst?

Oh, da war es wieder. Klaus Becker ballte die Fäuste,


Bis die Nägel in sein Fleisch schnitten. Und doch
Verrieten seine mühsam erzwungenen Atemzüge
Deutlich, welche Anstrengung es ihn kostete,

Seinen unbezwingbaren Hass auf den Zwang


Hinunterzuwürgen. Zähneknirschend beugte er sich vor,
Und seine Hände zerrten viel heftiger an den Seilen
Des Bootes, als es nötig war, um die Knoten zu lösen.

Dabei sagte er mit zusammengebissenen Zähnen,


Dass er ein Segel habe und deshalb viel schneller
Segeln könne als selbst der Gerichtsvollzieher
Mit seinen ungeschickten Rudern. Und außerdem,

Die Ruhe war verloren. Er stemmte sich mit den Schultern


Gegen den Kahn und begann, ohne Rücksicht
Auf den Beobachter, das kleine Schiff
Zwischen die großen Steine zu schieben.

Der Landvogt hörte aufmerksam zu. Schließlich nickte er,


Als ob er sich über die Kraft des Jungen amüsieren würde,
Und sagte dann mit Gelassenheit: Gut, du wirst
Dein Segel brauchen, denn du bist im Rückstand.

Ich werde nicht lange warten. Klaus Becker drängte,


Er drängte, als wolle er den Strand von den Wäldern
Und Bergen wegreißen. Ruhig ließ der Landvogt
Es geschehen. Doch gerade als der Bug des Schiffes

Ins Wasser eintauchen wollte, schlenderte er plötzlich


Näher und legte seine Faust auf den Rand des Schiffes.
Mit einem Ruck fuhr der Junge hoch. Was ist los?

Drohte er gepresst, und nun konnte er nicht verhindern,


Dass sich das Weiße seiner Augäpfel unheimlich
Zu drehen begann. Wofür hältst du mich, Vogt?
Voller dumpfer Warnung schnitt es durch die Nacht,

Der salzige Wind trug buchstäblich die Vorahnung


Einer Gewalttat, den Geruch eines heranstürmenden Raubtiers
Mit sich; doch der Herrscher schien sich über diese
Sich windende Bosheit eher zu amüsieren.

Fast wohlwollend knurrte er: Sieh mal, Kleiner,


Deine Lichter funkeln wie morsches Holz. Mal sehen,
Ob wir sie für etwas Nützliches verwenden können.
Er warf den Arm nach vorne und deutete auf das Meer.

Schau hinaus, was siehst du? Erstaunt


Über die Ernsthaftigkeit des Mannes drehte sich Klaus
In die angegebene Richtung, insgeheim geschmeichelt,
Weil der gefürchtete Mann offenbar seine Hilfe

In Anspruch nehmen wollte. Und? erkundigte sich


Der alte Mann nach einer Pause. Neugierig
Beugte sich der Junge über das Boot und starrte hinaus.
Zu seiner Linken, dort, wo die Kurve des Waldes

Zur Stubnitz hin dunkel und schwarz wurde,


Glühte ein schmaler Streifen Feuer auf dem Wasser.
Ein schaukelndes rotes Becken schwankte,
Immer wieder von der Ebbe auseinandergerissen

Und ebenso oft wieder zu einem lockeren,


Blitzenden Strom zusammengeführt. Das Glühen
Hob sich auffällig von den blassen, silbernen Rillen ab,
Die der am Horizont gleitende Mond gefurcht hatte.

Was konnte das bedeuten? Klaus Becker strapazierte


Seine Sehkraft aufs Äußerste, er war längst
Auf die angeschwemmten Strandsteine gesprungen,
Und nun suchte er dort draußen, ob vielleicht

Ein Schiff mit brennenden Pechfackeln dahinglitt.


Doch der Gerichtsvollzieher wies eine solche Vermutung
Mürrisch zurück. Seit drei Nächten hatte er
Vergeblich entlang der Linie gesucht. Auch dort

Oben auf dem Plateau der Stubbenkammer


Hätte er gesucht. Vergeblich, abgesehen
Von ein paar Rehen, nichts Besonderes!
Und doch, wie zum Hohn, flackerte die verfluchte

Rote Haut auf dem Wasser. Verärgert wandte sich


Der Alte ab, als wolle er das nachahmende Feuer
Nicht länger betrachten. Sieh mal, Kleiner,
Sagte er zum Abschied, und wieder klang er

Giftig und überlegen, ob du schlauer bist


Als der Rest von uns. Du hältst dich sowieso
Für einen hübschen Hecht. Am Ende
Wirst du ihn fangen. Du wirst sicher mehr Spaß haben,
Als Heringe und Flundern zu ziehen. Aber pass auf,
Fügte er beim Weggehen hinzu und hob warnend
Seinen gekrönten Stab, dass du nicht in eine Falle tappst!
Wer weiß? Vielleicht will die Bande den Herren

Von Stralsund etwas zum Raten geben?


Und schon außer Hörweite lachte er vor sich hin:
Wer kann schon herausfinden, wo sich die Freunde
Des armen Mannes gerne sehen lassen?

Das ist ein Gaunerspiel. Im selben Moment löste sich


Klaus Becker mit einem weiten Sprung
Von seinem Stein ins Boot. Hoch oben peitschte
Die Gischt, und der Wind trieb ein Heulen darüber.

Da ist anderes Blut in ihm, dachte der Vogt,


Als in dem faulen Bauch. Bauernblut, Sassenblut,
Das Blut des armen Mannes. Die Augen des Jungen glühen,
Als ob eine Hütte brennen würde. Man wird ihm öfter

Auf den Kopf schlagen müssen. Schade,


Ich mochte ihn gern. Zur gleichen Stunde
Bezogen die beiden dänischen Granden
Ihre Betten im Gästezimmer des Klosters.

Der kaiserliche Höfling Henning von Putbus


Saß bereits unbekleidet auf dem breiten Polster
Und sah mit seinen nackten Beinen so erbärmlich
Mager und ausgemergelt aus, dass

Hauptmann Konrad Moltke, der nach einem ausgiebigen


Trunk mit der Öllampe in der Hand
Durch den kahlen Raum taumelte und einen Nagel
Für seine lederne Geißel zu finden versuchte,

Von Zeit zu Zeit in ein Kichern des Ekels ausbrach.


Als aber der Drost, während er tief grübelte,
Eine spitze Nachtmütze über seinen langen Schädel zog,
Kannte das Vergnügen des berauschten Mannes

Keine Grenzen mehr. Bellissimo, lallte er


Und hielt seinem Begleiter die Zinnlampe
Fast unter die Nase, damit er ihn besser ansehen konnte.
Du bist im Unrecht, Drost; bei meinem Schwert,

Bitter im Unrecht, Drost. Ich weiß es jetzt,


Du bezauberst unsere erhabene Königin
Durch die Schlagfertigkeit deines Witzes, sag nichts,
Ich bezeuge es. Ja, wenn du noch ein Pfau wärst,

So ein zarter, süßer, dann... Er schluckte ein paar Mal


Krampfhaft, und die Erinnerung an die Tischfreuden,
Die er soeben genossen hatte, drängte sich wieder
In sein schwankendes Gehirn. So, so, gab er

Den neuen Eindrücken nach und ließ sich,


Die Lampe immer wieder zwischen den Fingern drehend,
Auf einen geflochtenen Stuhl in der Mitte
Des Raumes sinken. Reiche Zeiten kommen jetzt.

Wir brauchen nur all die schönen Sachen


Aus den Taschen der Schuimer zu ziehen,
Die sie so fleißig zusammengekratzt haben,
Und du kannst dir Königin Margarethe

In einem seidenen Hemd vorstellen. Meine Seele! -


Steh auf und sieh nach, ob wir nicht belauscht werden,
Sagte der Drost einsilbig anstelle einer Antwort.
Belauscht? der Krieger richtete sich etwas desillusioniert auf

Und tastete verärgert nach der Stelle, an der früher


Sein Kampfanzug befestigt gewesen war.
Du meinst die Kutten? Da soll es höllisch donnern!
Schwerfällig taumelte er zur schmalen Türöffnung

Und spähte hinaus. Doch seinem trüben Blick


Offenbarte sich nichts als ein dänischer Diener,
Der unter einem Bogenfenster am Ende
Des schmalen Ganges Wache hielt. Das Mondlicht

Glitzerte undeutlich auf seinem Kettenhemd.


Der Hauptmann schlug die Tür ins Schloss.
Dann fröstelte er. Nichts, stellte er müde fest
Und blickte wieder glasig auf den langen Menschen

Unter der Zipfelmütze. Wir haben ihnen einen


Unserer Spieße in den Weg gelegt. Was sonst? -
Was noch? Mühsam war der Drost inzwischen
Ins Bett gekrochen, und während er nun den Schlafsack

Über sich zog, der für die Überlänge


Dieser Gliedmaßen keineswegs ausreichte,
Schielte er zu seinem Gefährten hinüber,
Der wieder zusammengesunken war,

Und schien zu prüfen, ob die Nase des Geiers


Noch in der Lage war, einen Tropfen Vernunft zu wittern.
Wenn du mich verstehst, sagte er endlich
Mit seiner sanften, salbungsvollen Stimme,

Dann rate ich dir, Kapitän, den Hanseaten


Und den Preußen morgen und vor allem
Den misstrauischen Städtern alles zu versprechen,
Was unter dem Himmel Platz hat. Wir Dänen

Schicken Schiffe, dass man das Meer nicht mehr merkt,


Und Barken so viele, wie die Sterne um den Mond
Wandern. Greif tief in den Geldbeutel
Unserer guten Absichten, und sei nicht sparsam.

Der auf dem Strohsessel hielt sich die Hand hinters Ohr,
Um kein Wort zu verlieren, und der runde
Glänzende Schädel begann lebhaft zu nicken.
Die Aussicht auf die nahe Beute vertrieb

Selbst die Weindämmerung ein wenig


Von dem begehrlichen Mann. Richtig, richtig,
Stimmte er gierig zu. Wir werden die Schuimer fassen.
Du weißt schon, meine Erfindung.

Wir packen sie in Fässer, fahren raus


Und lassen sie treiben. Das ist ein guter Stoff,
Und wir können gut davon leben.
Dann zog Herr Henning von Putbus

Seine Nachtmütze ganz herunter und drehte sich zur Wand.


Ich sehe, du verstehst mich nicht, sagte er ruhig.
Mach das Licht aus und geh schlafen. Und noch etwas,
Mein Lieber, sei so nett, nicht zu schnarchen. Morgen mehr.

Aber der Kapitän zog seine niedrigen Lederstiefel aus


Und knallte sie bösartig gegen die Wand.
Mitten in der Nacht erlosch das feurige Becken
Auf dem Meer. Plötzlich und unerwartet, als hätte

Ein riesiger Fuß das Feuer zerquetscht. Doch im Boot,


Das dicht bewölkt zum Strand glitt, flüsterte
Eine feine Stimme: Lass uns den Zufall anbeten,
Schöner Junge. Wahrlich, eine mächtige Gottheit.

Sollte mein Glück auf dieser schönen Insel


Oder im Palast deiner Väter eine erfreuliche
Wendung nehmen, dann verspreche ich
Den wandelnden Göttern hundert Ochsen.

Bist du erstaunt, schöner Fischer? Warum bist du erstaunt?


Weil du mich in Lumpen siehst. Ich sage dir:
Die Kinder des Zufalls spielen heute mit Bettlerpfennigen
Und morgen mit Zeptern und Kronen. Pah,

Ich habe in den Betten eines Königs geschlafen. -


Wer bist du? hauchte Klaus fast unhörbar.
Er hielt sich an den Rudern fest und wagte es kaum,
Sie Rede seines Gastes durch eine Bewegung
Zu unterbrechen. Und als es wieder erklang,
Fein und flüsternd, aus der milchigen Wolke,
Musste der Junge überlegen, ob es ein Mann
Oder eine Frau war, die da sprach. Wer bin ich?

Lachte es zierlich, und eine zarte weiße Hand


Glitt für einen Moment aus dem Nebel.
Wenn du Magister probandus des Pariser Kollegium wärst,
Holder, hättest du dir keine schwierigere Aufgabe

Ausdenken können. Aber lass uns nachforschen.


Nach dem Testimonium logicum ist das ICH
Vom BIN abhängig. Untersuchen wir die Frage
Hingegen nach dem jure praesente, dann,

Mein schöner Telemach, wäre ich Treibgut,


Das von dir gefunden und nach deinem Gutdünken
Verwendet werden kann. Gestatte mir daher,
Die Untersuchung mit der Gegenfrage abzuschließen:

Was gedenkst du mir, dem Hungrigen, zu tun?


Klaus Becker bewegte sich nicht. Sprachlos,
Kaum ein gewürgter Laut in der Kehle, starrte er
Zu der feingliedrigen Gestalt hinüber, und erst

Als sich die Wolle des Nebels ein wenig lichtete,


Wagte es sein scheuer Blick, über das zerrissene
Braune Schiffswams des Fremden zu schweifen,
Der so unverständliche Dinge sagte.

Glühende Neugierde quälte ihn, ob sich hinter


Den schmutzigen Lumpen wirklich ein Mann verbarg.
Weiß Gott, es war zweifelhaft. Zu weich und zart
Zeichneten sich mädchenhafte Gliedmaßen

Unter den Lumpen ab, und man brauchte nur


Die weiße Haut zu betrachten, die an manchen Stellen
Der Nacktheit hervorschimmerte, oder das lange gelbe Haar,
Das ein schmales, bartloses Gesicht umgab,

Um erneut der Ungewissheit anheimzufallen.


Und dann noch eine Sache. Wie ist der Landstreicher
An die dicke Goldkette um seinen Hals gekommen?
Wie kam er an den köstlichen Schlangenring

An seiner rechten Hand? Nein, nein, Klaus rührte sich nicht,


Denn die Ungewissheit betäubte ihn. Hatte er
In der Höhle zwischen den Kreidefelsen
Vielleicht eine Frau gefunden?

Mit einem zweideutigen Lächeln nahm der Fremde


Diese heimliche Untersuchung auf, doch dann
Schien ihn die Ungeduld zu übermannen, und plötzlich,
Als wolle er sich ein für alle Mal zu erkennen geben,

Riss er sich hastig die eng anliegende Lederkappe vom Kopf.


Gleichzeitig sprang er jedoch auf und schnappte sich
Einen langen Hut, wie er nur in Welschland verwendet wurde.

Was war das? Der Fischerjunge fiel fast rückwärts


In den Stern seines Bootes. Diese ungestüme,
Kraftvolle Bewegung, die das Boot erzittern ließ,
Obwohl es bereits zwischen den Steinen eingeklemmt war,

Und dann vor allem die breite, blutige Narbe


Auf der Stirn des Fremden, warfen alle Verdachtsmomente
Des unerfahrenen Mannes über den Haufen.
Gott bewahre, jetzt stand es fest, vor ihm,

An den Hieber gelehnt, schwankte trotz allem ein Mann,


Und offensichtlich kein harmloser, denn unter
Den sanften Brauen des Fremden begann
Ein verdächtiges, unsicheres Flackern zu leben.

Und nun, das bemerkte Klaus erst jetzt,


Besaß sein Gast zweifarbige Augen, ein blaues
Und ein schwarzes, was eine unheimliche
Zwiespältigkeit hervorrief. Denn während der blaue Stern

Unverändert lachte, schien aus dem dunklen


Eine ernste Frage auf den Sitzenden herab zu blitzen.
Hör zu, mein Täubchen, sprach der Fremde mit Nachdruck,
Und selbst das feine Flüstern war

Aus seiner Stimme verschwunden, ich habe dir


Opinio vulgi, die Vertrauenswürdigkeit
Des gemeinen Haufens, geglaubt, als ich
Aus meiner Abgeschiedenheit in deinen Kahn sprang.

Ich habe dich nicht für einen Fuchs gehalten,


Der einem in den Rücken fährt. Solltest du jedoch
Einen solchen Scherz planen, dann, mein Prinz,
Müsste ich diesen Kahn gegen meinen Willen

Übernehmen, denn ich bin gar nicht so schlecht im Rudern,


Wie ich dir bereits angedeutet habe, und wir würden
Die acherontischen Gewässer schnell erreichen.
Verstehst du mich? Schlank, mädchenhaft

Hing die biegsame Gestalt, fast einen Kopf kleiner


Als Klaus Becker, an ihrer fremden Waffe,
Aber gleichzeitig hatte das blasse, bartlose Gesicht
Einen so grimmigen, warnenden Blick,
Die gepflegte rechte Hand zuckte so bedeutungsvoll
An der dicken goldenen Kette, dass Klaus,
Ohne selbst zu wissen warum, der Gedanke stach,
Dass man mit diesem Schmuck wohl auch

Jemandem die Kehle durchschneiden könnte.


Aber der Junge fürchtete sich nicht, er flog kühn auf,
Und als er neben dem Fremden stand
Und ihn um einen Kopf überragte, leuchtete

Der Hilfswille der Jugend stolz und rein aus seiner Stirn.
Der Landstreicher war von der unwillkürlich edlen Art
Seines Fährmanns beeindruckt, und während er
Seine zwiespältigen Augen auf den anderen

Gerichtet hielt, zwirbelte er nachdenklich


Und prüfend sein gelbes Haar. Er schien
Kein schlechter Menschenkenner zu sein.
Du kommst nur zu gemeinen Leuten, sagte Klaus,

Mit einer Anstrengung seiner hellen Vernunft,


Damit das Abenteuer nicht ganz Herr über ihn werde,
Und deine schönen Worte gefallen mir gut,
Obwohl ich sie nicht verstehe, mein Verstand ist ungelehrt.

Hier stockte seine Stimme ein wenig und seine Fäuste


Wollten sich ballen, aber sofort gewann seine frische Natur
Wieder die Oberhand. Ja, er konnte seinen Gast
Jetzt sogar offen anlächeln. Aber wenn es wirklich

Deine Absicht ist, eine Weile als Fischerknecht


Bei uns zu bleiben, weil du dich, wie du sagst,
Vor den Verfolgungen der Reichen und Mächtigen
Verstecken musst, wenn das alles wahr ist, dann denke ich,

Ich werde meinen Vater dorthin bringen. Denn sieh her,


Fremder, du gefällst mir, und da wir selbst
Unterdrückte und gequälte Menschen sind,
Kennen wir Hunger und Peitsche zu gut,

Um den Verfolgten und Bettlern nicht gerne zu helfen.


Nur eines... und er wandte sich dem kleinen
Strohblonden Mann mit der ganzen Offenheit
Eines Freundschaftswerbers zu und reichte ihm die Hand,

Sag mir, meinst du es ehrlich? Über den Nebeln,


Rot und blendend, war ein schmaler Streifen
Der frühen Morgensonne in den Himmel gebrochen.
Sie umrahmten die schwarzen Wolken, und ein sengender

Strahl spielte ins Boot. Doch der Strohblonde


Schien sich an der unerwarteten Helligkeit zu stören,
er schwankte unsicher hin und her, und während er
Sich unbehaglich in seine Lumpen hüllte, warf er

Erst einen spähenden Blick auf das verlassene Ufer,


Bevor er schließlich mit einem schnellen Griff
Die angebotene rechte Hand des Jungen ergriff.
Doch die zarten Finger drückten so fest, dass Klaus

Hätte schreien können. Komm, Kleiner, sagte er wieder


Mit lieblicher Mädchenstimme, du verstehst dein Handwerk,
Du bist ein Menschenfischer, wie ihn der Papst
Nicht besser hätte gebrauchen können.

Und willst du ein Zeichen dafür, wie viel du


Dür meine arme Seele gefischt hast... Ohne zu überlegen,
Riss er die goldene Kette von seinem Hals
Und drückte sie zusammen mit der Feder

In den Arm seines Führers. Gib mir ein Stück Brot dafür,
Lieber Telemach. Aber schnell, schnell, denn ich lechze
Nach einer Sänfte in der Ecke des Stalls.
Wohlwollend, fast zärtlich, streichelte er die Wange

Des verwirrten Jungen, dann duckte sich der Kleine


Und ging wie ein Wind zum Strand. Und das weitere
Besingt meine deutsche Muse im vierten Abenteuer,
Jetzt muss ich mich erst stärken mit Gottes Brot.

VIERTES ABENTEUER

Es bedurfte einer langen Beratung, bevor die Beckers


Den Fremden zum ständigen Dienst in ihrer Wohnung
Duldeten. Mehrmals standen sie laut streitend
Vor dem Ziegenstall, wo sich der Ankömmling

Wie ein Igel in einer Ecke zusammengerollt hatte.


Denn ein Landstreicher, der goldene Ketten
Verschenken konnte, erregte bei der Hausmutter
Unstillbares Misstrauen. Und doch schwieg sie

Und blickte mit mütterlichem Mitgefühl


Auf das zierliche Püppchen herab, das, den Kopf
Mit wirren blonden Haaren auf den Arm gestützt,
In einen arglosen Schlummer gefallen war.

Es war wahr, dass sich die Kluge nicht


Von ihrem Haupteinwand abbringen ließ.
Das Juwel, das der kleine Junge gewiss
Nicht ehrlich erworben hatte, hatte sie
Bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch hastig
Und widerwillig unter seinen Heuhaufen gestopft,
Und ihre Züge verfinsterten sich, als sie bemerkte,
Wie sehnsüchtig ihr Sohn das Verschwinden

Der Schnur beobachtete. Teufelsgold, sagte sie barsch.


Fängt Seelen. Ich weiß es. Sie lehnte sich schwer
An die offene Stalltür, und ihr Verdacht flog zu ihrem Mann,
Der sich fragte, ob er das Wort verstanden haben könnte.

Aber der kranke Riese hatte sich längst daran gewöhnt,


Seine Frau zu beobachten. Er war auch zu sehr
Mit seinem eigenen Verdacht beschäftigt, woher
Der Fremde wohl die blutige Narbe auf seiner Stirn hatte.

Damals sprachen solche Narben mit der Stimme


Unserer Zeitungen, die jede ungeschulte Phantasie anregten
Und beflügelten, und so kam es, dass selbst
Die heimliche Parteinahme des großen,

Schlank gewachsenen Jungen für den Fremden


Beide Wangen färbte. Das Herumtasten, das Rätseln
Über ein bereits beneidetes Leben, trieb seine Phantasie
Über Stock und Stein, durch Heldentum und Verbrechen.

Es war eine Stunde des Erwachens.


Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus,
Als seine dunklen Augen, aufgeschreckt durch ein Wort
Seiner Mutter, gezwungen waren, sich von dem

Am Boden Liegenden zu lösen. Mann, forderte Dörte


Ihren Mann auf, was denkst du denn? Da betrachtete
Der alte Klaus Becker noch einmal genau den Hammer,
Den er vorsichtig an sich genommen hatte,

Wog das feine, biegsame Eisen und den seltsam


Verzweigten Korb am Stiel ab, ein Stück, wie es im Norden,
Wo breite Schwerter geschmiedet wurden,
Nicht gebräuchlich war, und dann schüttelte der Kranke

Wieder nachdenklich den Kopf. Mutti, flüsterte er


Mit offenem Mund, als ihm die Herkunft und das Wesen
Des kleinen Kerls immer unklarer wurde, Mutti, sagte er
Und hob unsicher seine Waffe, er muss von weit her

Gekommen sein. Und dass der Junge ihn


In der Felsspalte gefunden hat, um ehrlich zu sein,
Wusste ich nicht, dass sich dahinter eine so breite
Höhle befindet, ja, man könnte meinen, der Mann

Hat einen Grund, sich zu verstecken. Schnurrt,


Er ist ja noch so jung, fügte er etwas herzlicher hinzu.
Nicht älter als ich, warf der Sohn ein, der schon bereit war,
Dafür zu kämpfen, dass er in dem Schläfer

Einen Kameraden gefunden hatte. Doch die Frau


Beugte sich weit über die Stalltür, um das schmale Gesicht
Des umstrittenen Mannes noch einmal genau zu untersuchen.
Der Frau fielen die vielen scharfen Falten

Um den Mund des Fremden auf, und daneben entdeckte sie,


Wie sich die Lippen und Nasenlöcher des vermeintlichen
Kleinen Mädchens selbst im Schlummer
Genüsslich und verächtlich bogen. Nein, richtete sich

Die Hausfrau auf und entschied fest, er hat viel durchgemacht.


Hat sich vielleicht in Exkrementen und auf Seide gewälzt.
Und zählt wahrscheinlich um die dreiunddreißig Jahre. -
Das wäre, murmelte der alte Klaus verwirrt

Und strich sich verlegen den Bart glatt. Doch sofort


Fasste er sich zu der Meinung, die schon lange
In der Stille genistet hatte: Schau, Dörte,
Es sind wilde Zeiten, sie werfen die Menschen hin und her.

Ich merke es an mir selbst, eine Unruhe ist


Über die Armen gekommen, so dass keiner mehr weiß,
Wo sein Platz ist. Darum sage ich dir, Mutti,
Wer ein Haus und ein Weib und ein Kind hat,

Der soll einen solchen Unruhestifter nicht verjagen,


Sondern ihn festhalten, wenn er wachsen will.
Denn der Wind treibt uns alle an. Heute ich, morgen du.
Wer kann wissen, wann wir selbst entwurzelt werden?

Da verstummten die Streithähne und blickten ängstlich


In den hellen Tag hinaus. Aber als gegen Mittag
Das zierliche Mädchen zierlich und sittsam
Am Tisch der Gäste in der Hütte saß,

Als sie ihre wohlgeformten Beine rücksichtsvoll


Unter den Schemel zog, um den ohnehin
Schon engen Raum nicht unnötig einzuengen,
Als der blonde Gast nicht wie die anderen

Mit der Faust in die dampfende Schüssel mit Brot


Und Käsesuppe griff, um sich seinen Anteil zu holen,
Sondern aus seinen Lumpen einen verzinkten Holzstab
Hervorzog, mit dem er die Häppchen fein säuberlich

Aufspießte. Und wie der Fremde vor allem


Mit seiner wohlklingenden, schmeckenden Stimme
Bescheiden und höchst verständlich, ja, ganz
In der Sprache des Bauern, die alten Beckers

Über ihre Herkunft, ihren Stand und ihre künftigen


Absichten belehrte, da zerstreuten sich allmählich
Die Bedenken der misstrauischen Häusler,
Und ihr harmloser Sinn merkte gar nicht,

Auf welch feine und schmeichelhafte Weise


Ihr Widerwille in seidenen Faden gesponnen wurde.
Aber wie der kleine Kerl zu erzählen wusste,
Wie sich unter seinen Worten dicke Wolkenschleier

Auftürmten, hinter denen die Küsten ferner Länder


Auftauchten, und Schlösser und Städte und Handel
Und Treiben der Welt. Wo war er überall gewesen,
In welche verschiedenen Geschäfte und Berufe

Hatte er seine sanften Kinderhände gelegt;


Und vor allem, wie lebhaft er das Geschehene
Und Gesehene zu formen wusste, um es gleich
Auf den Boden der Kammer zu zaubern,

Mal durch eine Bewegung, mal durch nachahmendes Spiel,


Das seine Zuhörer bereitwillig an sich zog.
Und mit einem kaum sichtbaren Lächeln trieb er
Die gewonnenen Seelen vor sich her. Nur der junge

Klaus Becker, der mit verkrampften Händen


Und keuchender Brust lauschend neben dem Stuhl
Des Fremden hing, als sei sein geistiger Lauf
Noch nicht schnell genug, ließ hier und da

Die Einwürfe kühler Vernunft durch seine leidenschaftliche


Bewunderung zittern, und dann kam ihm zwischen
All der bunten Maskerade der Einwand, warum
Der Neuankömmling zwei so verschiedene Sprachen sprach.

Denn der aufmerksame Scharfsinn des Jungen


Bemerkte sofort, dass die Art und Weise des Zierlichen
Anders klang, seit er sich an die alten Leute wandte.
Einfach, schlicht, bäuerlich, es fehlte all der vornehme

Und unverständliche Firlefanz, mit dem er früher


Seinen Fährmann im Kahn so bezaubert und geblendet hatte.
Und der junge Klaus ahnte mit Widerwillen,
Dass der gewaschene Mann offenbar bemüht war,

Einen gewichtigen Teil seines Wesens zu verbergen,


Als ob gerade das, was dem nach Wissen gequälten Jungen
So köstlich und begehrenswert erschien, Gefahr brächte.
Deshalb presste der Junge unwillig den Mund zusammen,
Und die Angaben des Fremden über seine bisherigen Tätigkeiten,
Die er nun auf Bitten der alten Frau machte,
Glitten unwichtig und unwahrscheinlich
An dem verstörten Mann vorbei. Nein, nein, er hatte

Bereits beschlossen, dass er in kurzer Zeit


Eine vertraute Stunde finden wollte, um den geschickten
Taschenspielertrick härter zu testen. Klaus wappnete sich
Also mit einer künstlichen Gleichgültigkeit, und doch,

Kaum hatte der strohblonde Mann in seiner mitreißenden


Lebhaftigkeit mit der Erzählung seiner Reisen begonnen,
Da schwirrte ihm auch schon der Jüngste der Zuhörer
In den Ohren, und siehe da, ganz gegen seinen Willen

Zog ihn die starke, fremde Strömung fort. Und doch


War es nur ein Zwischenfall, gewollt einfach und alltäglich.
Nichts für ungut, hörte der Sohn den alten Becker tasten,
Denn der Riese schämte sich, sein Wohlwollen

An Bedingungen zu knüpfen. Wie magst du heißen, Mann?


Der kleine Junge zupfte an seinem gelben Haar
Und lächelte unschuldig. Eine Erinnerung
An seine Kindheit schien ihn aufzurütteln.

Hein Wichmann, antwortete er und verbeugte sich leicht,


Unterdrückte es aber in der Bewegung. Meine Wiege
Hing in Hamburg zwischen zwei Lederriemen.
Da streichelte der junge Klaus unwillkürlich

Den Hocker seines Gastes. Er wusste selbst nicht, warum,


Aber der Name des kleinen Jungen machte Musik,
Wie das Flötenspiel auf einem Jahrmarkt. Hein,
Flüsterte er fast zärtlich. Die Mutter aber klopfte

Abwehrend mit der flachen Hand auf den Tisch.


Und dein Vater? fragte sie lauernd. Hein Wichmann
Schloss sein blaues Auge. Er war ganz wie ein braves,
Sanftes Kind, wie er jetzt ehrfürchtig vortrug:

Ich brauche Ihnen nichts zu verheimlichen. Mein Vater


War ein guter Sattler, und ich selbst hatte
In seiner Werkstatt am Mönkedamm schon
Mein Gesellenstück gemacht, einen Kutschbock

Für den Ratsherrn Tschokke, als der Rat mich


Mit anderen jungen Männern herausholte, damit wir
Als hanseatische Garnison drüben im dänischen Schonen
In der festen Burg Helsingborg untergebracht würden.

Dänemark, hauchte der alte Klaus leise vor sich hin


Und hob seine Nase duftend gegen die Fensterluke,
Hinter der sich die blaue Linie des Meeres hob und senkte.
Für ihn lag das benachbarte Ufer unermesslich weit

Entfernt hinter den schaukelnden Glashügeln.


Skane? Helsingborg, so weit? dachte er
Und schüttelte den Kopf. Sein Sohn hingegen
Fühlte sich wie vom Erdboden verschluckt.

Noch gestern waren die Abgesandten einer bunten,


Kaum verständlichen Gemeinschaft an ihm vorbeigezogen,
Die seidenen Fahnen ihrer Gewänder hatten ihn berührt,
Halb verstandene, aufregende Andeutungen waren

In sein gärendes Hirn gedrungen, jetzt wurde der Mann,


Der auf der Flut der Unwissenheit wütend
Hin und her geworfen worden war, gedrängt,
Sich an etwas festzuhalten. Wundersam bedrängt,

Umklammerte er den braunen Lockenkopf


Mit beiden Händen, und während er forschend
Vor sich hinstarrte, löste er sich von ihm
Wie die Hülle eines inneren Traums:

Dort herrscht eine Frau. Wer war es? Margarethe.


Der Ausruf klang wie die Sehnsucht eines Eingekerkerten,
Wie der Hilfeschrei eines Unfreien, der in einer Grube kauert
Und den Himmel um Licht anfleht, und sofort drehten sich

Auch die Köpfe der Seinen unheimlich berührt


Und mahnend zu dem in innerer Vision Verlorenen.
Was hatte das zu bedeuten? Woher hatte
Der ungelehrte Mann diese Nachricht?

Und konnte der Drang nach solch mächtigen Dingen


Dem Sohn einer Sassin nicht Segen bringen?
Denn das war alles, was für sie zählte.
Sie wollten ungestört leben! Auch das halb geschlossene

Schwarze Auge des Gastes hatte bei dem unerwarteten


Zwischenruf kurz gezuckt, aber dann bewegte er
Gleichgültig seine schmalen Schultern,
Und als ob nichts besonders Auffälliges

Geschehen wäre, fuhr er ruhig mit seiner bescheidenen


Schilderung fort. Ja, ja, Margarethe, nickte er
Und überlegte angestrengt. Ich meine, das ist der Name
Der Witwe. Sie hat ein zartes kleines Mädchen,

Für das sie sich um die Herrschaft kümmert. Sie mag es.
Was scheren wir Kleinen uns um die Plackerei der Großen?
Wenn wir nur pünktlich unseren Lohn bekommen
Und sonst in Ruhe unser Brot essen können.
Ja, stimmte Dörte zum ersten Mal zu, das ist richtig so.
Den alten Klaus hingegen zog es vom Allgemeinen
Zu etwas Näherem. Nun, hustete er angespannt,
Habt ihr Hanseaten euren Lohn pünktlich erhalten?

Habt ihr euer Brot in Ruhe gegessen?


Nun hob auch der junge Klaus den Kopf,
Und aus seinen schwarzen Augen flackerten
Ungestüme Flammen nach Abenteuer und Erfahrung.

Wie war's? stammelte er. Unruhig, laut, sagte der Kleine


Und faltete die Hände auf dem Tisch wie ein braves Kind,
Das eine Geschichte nacherzählt. Du kannst dir vorstellen,
Dass die Frau viele innere und äußere Widersacher hat.

Es ist schließlich ein Spinnrocken, und der Schnurrbart


Beugt sich ihm nicht gern. Ganz in der Nähe, so sagt man,
Streckt der Schwedenkönig Albrecht seine Finger
Nach dem saftigen Erbe aus und treibt

Seinen gefräßigen Spott über den Rock. In jeder Schenke


Hörte man, wie er kürzlich der Pfaffen-Hure,
So nennt er die Regentin, feierlich eine Schere
Und einen Fingerhut geschenkt hat, zusammen

Mit einem Wetzstein, damit sie ihre Nadeln schärfen kann.


Und drinnen schreien die Ladenbesitzer darüber,
Denn sie hat uns Hanseaten in Helsingborg,
Falsterbo und Ikanör verhaften lassen, weil wir Deutschen,

Heulen sie, ihnen den Markt wegnehmen.


So kommt es oft zu Krawallen, und bei einer solchen
Versammlung, siehst du, hat mir ein frecher Schwertfeger
Sein Zunftabzeichen auf die Stirn gemalt.

Da lachte der Strohblonde wie über einen gelungenen Streich,


Wickelte sein gelbes Haar spielerisch um den Finger
Und ließ seine wohlgeformten Beine fröhlich schwingen.
Und du? stammelte Klaus erwartungsvoll,

Denn seine anbetende Verehrung für den Fremden


Verlangte dringend nach Vergeltung und scharfer Bestrafung.
Was hast du getan? - Ich? Erst maß der Kleine
Die alten Beckers, in deren stumpfen Gesichtern

Sich der Abscheu vor bürgerlichem Unfrieden


Und söldnerischen Übergriffen stillschweigend abzeichnete,
Dann zuckte er ebenfalls unwillig mit den Schultern,
Um sogleich in seiner unschuldigen Art zu hauchen:

Um eine solche Ehrenschuld kümmere ich mich nicht.


Daran darfst du glauben. Gott bewahre,
Ich bin ein Bürgersohn, und ich hoffe nur,
Dass es dem kleinen Ritz des ehrenwerten Mannes gut geht.

Und damit er sich in diesem Punkt nicht noch tiefer


Verstrickte, begann er auf der rauen Tischplatte
Eifrig hin und her zu skizzieren, als müsse er
Das Folgende schriftlich festhalten. Aber wie es so ist,

Liebe Leute, es entstand ein wildes Getümmel


Unter den Dänen, und schließlich waren unsere Hauptleute
Gezwungen, um des Friedens willen einige
Ihrer Männer wegzuschicken. Unter ihnen

War wie durch ein Wunder auch ich, Hein Wichmann. -


Hein, wiederholte der junge Klaus, von Liebe ergriffen,
Und legte seinem Gast zärtlich die rechte Hand
Auf die Schulter. Ergriffen wandte der kleine Junge

Nun sein schmales Gesicht dem glühenden Jungen zu,


Seine beiden Augen öffneten sich weit und zogen
Die flatternde Seele des Ungeschützten förmlich an sich.
Das geschah blitzartig, schnell, wie ein einfallender Lichtstrahl.

Die alten Beckers bemerkten nichts


Von dem eingegangenen Band, denn alles,
Was sich ihren alltäglichen Augen offenbarte, war,
Wie der kleine Bursche emsig auf den Tisch klopfte,

Wie jemand, der schnell das Wichtigste zur Sprache


Bringen will. Da war eine Freibeuter-Kogge
Kurz vor Helsingborg, sagte er und versuchte,
Unauffällig vorbeizugleiten, und man hätte meinen können,

Dass jemand, der eine dünne Eisdecke unter sich


Brechen fühlt, eilig einen Sprung in Richtung Land macht.
Ein mächtiges Schiff, wollte er fortfahren, handelt dort.
Dorthin haben sie uns gebracht. Aber inmitten

Der fliehenden Sätze fand er sich festgehalten, ergriffen


Von sechs ängstlich zitternden Augen, die sich
Wie eine Kette über seinen Weg spannten. Gleichzeitig
Flüsterten heisere Stimmen in Angst und Schrecken

Und schrien durcheinander. Wo haben sie dich hingebracht,


Du Unglücklicher? - Gott! zu einem Wagen der Schuimer,
Der Schwarzen Fahnen oder wie sie sonst noch heißen,
Huschte der Kleine im Ton der Gleichgültigkeit weiter,

Obwohl seine Finger noch viel unruhiger


Auf der Tischplatte spielten. Sie werden überall geduldet,
Die Freunde des armen Mannes, weil sie eine Zuflucht
Für jeden sind, der in Not ist, und vor allem,

Weil sie für billiges Geld sonst unerschwingliche Dinge


Ins Land bringen. Gewürze und Stoffe, Bier und Rauch.
Sagt man das nicht? Außerdem, meine Freunde,
Wurde die See-Adler von einem mächtigen Mann

Aus dem Hause Schuimer kommandiert, der weit und breit


Großes Ansehen genoss. Kurzum, dieser Kapitän
Sollte uns Verwundete nach Hause führen,
Für Schiffsdienst und ohne Fährgeld. So hatte es

Frau Margarethe arrangiert, denn sie öffnet


Ihren Geldbeutel nicht sehr weit für Leute,
Die ihre Zeit abgesessen haben. Aber seht ihr,
Meine Lieben, auf der Heimfahrt unter den roten Segeln,

Mit dem leichten Verdienst und inmitten des freien Volkes,


Dem alles gehört und das überall seine Heimat hat,
Fing der Kapitän meine Kameraden ohne viel Mühe,
Einen nach dem anderen, sie wurden „Gottes Freund

Und der Welt Feind“, wie ihr Eid lautet, und nur ich...
Und nur du? lallte der junge Klaus aus seinem wachen,
Düsteren Traum und packte den Erzähler ungestüm
An der Brust, als wolle er ihn daran hindern,

Dem Schiff zu entkommen, das geisterhaft mitten


Durch die Stube raste. Der andere schüttelte ihn
Mit überraschender Kraft ab. Lass mich, wehrte er sich.
Mein Leben riecht nach Leder und Ahle. Ich sehne mich

Nach einem warmen Ofen und friedlichen Tagen.


Wo ich diese finde, da wohnt mein Heiland.
Darum, mein Kleiner, siehst du, bin ich eines Nachts
Über Bord gesprungen, gerade als die Schuimer

Hier dicht unter Wind lagen, denn sie lauerten


Auf das Schiff der dänischen Gesandten, darum bin ich
In Gottes und aller Heiligen Namen
Über Bord gesprungen, hab mich am Felsen festgehalten,

Bin in die Höhle geklettert, und von dort


Habt ihr mich herausgezogen. Ich danke euch
Und allen ehrlichen Menschen. Geschmeidig glitt er
Von dem viel zu hohen Stuhl herunter,

Und die schwankenden Schritte, mit denen er sich


Durch den engen Raum schlängelte, wurden allmählich
Zu einem lebhaften Tanz. Alle seine Sehnen
Zuckten und sprangen, sein langes gelbes Haar
Flatterte um die Schläfen, und dem verständnislosen Blick
Des Hausherrn schien es, als hüpften
Die ungleichfarbigen Augensterne des Fremden
In seinem blassen Gesicht mit. Jetzt, beschwichtigte er

Und streckte die Arme aus, so dass unter seinen Lumpen


Unerwartet ein paar raue, harte Muskeln
Zum Vorschein kamen, jetzt werde ich dir zeigen,
Wie man als Ruderer das Meer besiegt. Schau mal so,

Mit so langen Schlägen, wie man über eine schöne Wange streicht.
Und dann der Fisch. Ich kenne das Pfeifen einer Bacchantin.
Bei dem kleinen Liedchen strecken sie halb wahnsinnig
Ihre grünen Schnauzen aus dem Wasser.

Ach, lass mich nur machen. Plötzlich hielt Hein Wichmann


Auf seinem Weg inne, als ob er darüber nachdachte,
Dass er vor dem armen Sassen etwas Skurriles gesagt.
Aber die Beckers blieben wie erstarrt auf ihren Plätzen

Und grübelten wortlos darüber nach, wie man


In ihrer dunklen Stube eine so helle Heiterkeit
Entfesseln konnte. Und nur die Seele des alten Klaus
Zerrte und zerrte an dem Widerhaken, an dem sie sich

In dumpfer Nachgiebigkeit wand, denn von all


Den leckeren Ködern war ein Köder
Zwischen seinen Zähnen hervorgequollen,
Bis er ihn nicht mehr herunterwürgen konnte.

Halb murmelnd, in einer vagen, fernen Vorahnung,


Stieg es aus seiner trockenen Kehle, zu der er
Die Beine weit von sich gestreckt hielt,
Gleichsam zum Schutz gegen die erwartete Antwort.

Nichts für ungut, Wichmann, wie sagt man, ich meine nur,
Wie hieß der Kapitän, der dich gebracht hat?
Kaum war das gleichgültige Wort verklungen, da war es
Mit dem Hüpfen und Springen des Kleinen vorbei.

Ertappt ließ er sich in der Sonne auf dem Boden nieder,


Die unruhigen Augen huschten wieder
Von einem zum anderen, und die Stimme verfiel
Wieder in das harmlose Kinderflüstern,

Als er nach einigem Zögern antwortete:


Ich habe dir doch gesagt, dass es einen hübschen
Unter den Freibeutern gibt: Gödeke Michael! -
Gödeke Michael? wiederholten die drei

Und stiegen langsam in den nächtlichen Abgrund


Ihrer Erinnerung hinab. Eine Weile herrschte Stille,
Alle lauschten angespannt in den dunklen Schacht hinunter,
Um zu hören, ob der Laut nicht doch noch nach oben hallte,

Bis endlich etwas Gestaltloses, in Schrecken gekleidet,


Vor dem kranken Fischer auftauchte. Lass mich,
Ich habe es schon einmal gehört, Singsang, was war es?
Das Gesicht des Leidenden zeichnete sich noch gelber

Unter seinem verfilzten Bart ab, als er mühsam


Die einzelnen Fetzen zusammensammelte.
Schüchtern, heimlich summte er vor sich hin:
Gödeke Michael! Er befiehlt auf dem schwarzen Schiff.

Dann rauschte es wie von selbst aus dem Kleinen heraus,


Unbekümmert um das, was sonst noch kommen könnte:
Seine Brust ist eine Elle breit,
Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung.

Aber Mutter und Sohn steckten die Köpfe zusammen,


Sie hielten die Hände fest umschlungen,
Und ihr Atem stockte, als die anderen nun lauter anstimmten:
Und tragt ihr Armen an dem Leben schwer,

Gerechtigkeit und Freiheit wohnt auf dem Meer.


Dort richtet den Reichen an Leib und Seele
Gödeke Michael! Er ist unser nordischer Seeheld,
Ihn feiern alle armen Kinder der Küste!

Viele Tage leuchteten aus dem Meer


und versanken wieder in ihm, erloschen.
Die Jahreszeiten kamen mit Schneeschauern
und Sonnenwolken an die Küste, wie fremde Eroberer,

die sich dann tief im Lande verlieren,


und Hein Wichmann, der mädchenhafte Bursche,
das blondhaarige Mysterium,
war etwas Alltägliches geworden.

Ein Ruderer, der bereitwillig seinen Seedienst verrichtete


und von den Häuslern nicht geschont wurde.
Selbst der Landvogt, der sich bald
nach seiner Ankunft beharrlich nach dem Verbleib

des Fremden erkundigt hatte, erkannte,


dass dieses zierliche Geschöpf
für die Ruderbank geboren sein musste,
und er lobte insgeheim die geschmeidige Gewandtheit,

mit der der kleine Bursche ein Boot steuerte.


Ja, selbst der auffällige Drang des Fremden,
bei Tag und Nacht immer wieder
in die Wellen hinauszufahren,
wurde von seinen neuen Kameraden schließlich
als natürlicher Impuls eines Menschen angesehen,
der sich mit ganzer Seele
dem Handwerk verschrieben hat.

Erstaunlich war aber immer wieder


die unermüdliche Zähigkeit, die rastlose Frische,
die aus allen Gliedern des kleinen Mannes strömte,
dem nichts entging, der von jedem etwas wusste

und überall tätig zu sein trachtete.


Hein Wichmann verstand es, der Hausfrau
seltsame Einblicke in die Kochkunst
und in schmackhafte Gerichte zu geben,

von denen Dörtes ungebildete Seele


nicht nur noch nie ein Wort gehört hatte,
sondern deren harmlose Rauheit sie anfangs
für etwas fast Schädliches hielt.

Doch mit der Zeit wurden auf dem Herd


unter dem Kamin allerlei Experimente unternommen,
und während das Strohhälmchen
mit einem schelmischen Lächeln

die verschiedensten Kräuter und Wurzeln


in den großen Kessel warf, der süße Geruch
eines etwas milderen Lebensstils
wehte schon von weitem unter das Strohdach.

Man löffelte und schmatzte


und erfuhr zu nicht geringer Verwunderung,
welch köstliche Erfindungen in Padua,
in Wien oder auch in Paris die Köche

großer Herren aus Pilzen, aus Schalentieren


und getrocknetem Fischfleisch gemacht hatten.
Wunderbar! Hein Wichmann war viel herumgekommen.
Seine zweifarbigen Augen hatten auch

auf die kleinsten Dinge geachtet.


Dörte begann von ihm zu lernen.
Nur zum Spielen,
aber allmählich wurde es zur Sucht.

Auch der alte Klaus Becker hatte sich verändert,


seit der wirbelnde Kerl in seiner Nähe wohnte.
Bis jetzt war der Riese verfallen, still,
selbstverständlich und unaufhörlich,

wie der Wachturm einer verfallenen Festung,


von dessen Mauern Tag für Tag schwere Steine bröckeln.
Was nützte es, sich lautstark über die klägliche Schwäche
zu beklagen? Viel besser war es, die Fäuste zu ballen,

die Zähne zusammenzubeißen


und selbst Bruder Franziskus, der ab und zu versuchte,
den schmerzenden Rücken des Kranken
mit dem weißen Saft des Bilsenkrauts einzureiben,

einen trügerischen Trost vorzuspielen.


Doch der Mörtel riss weiter
und der Turm neigte sich immer weiter dem Fall entgegen.
Doch nun war alles anders. Gott mag wissen,
warum Hein Wichmann einen Blick

auf die medizinische Wissenschaft


seiner Zeit geworfen hatte.
Fragte man ihn danach, wedelte er
mit den feinen Händen und murmelte etwas

von den Meistern der "Physika und der Erztney",


was niemand in seinem Umfeld verstand.
Was jedoch nicht zu leugnen war,
war die Wirksamkeit jener Heilmittel,

die er mit seiner unberechenbaren lachenden


Überredungskunst auf den Kranken anwandte.
Die Dorfbewohner standen sprachlos
hinter dem ewig zappelnden Mann,

sobald er den überwundenen Riesen


halb entkleidet in den sonnenbeschienenen Dünensand legte,
wo er dann den mächtigen Körper
mit seinen zarten Kinderhänden einschmierte,

kreiselte und wärmte. Und siehe da,


für ein paar Stunden verschwanden
die schweren Erstickungsanfälle des alten Mannes,
und der Leidende konnte sich aufrichten,

um gierig die kühle Seeluft einzusaugen.


Doch als der Herbst seine dunklen Hagelschwärme
gegen die Hütte warf und der Hustenkrampf
die Lunge des Riesen zu erdrücken begann,

versuchte der Strohblonde sein Meisterstück.


Eines Mittags holte er zwei schwarze,
schneckenartige Würmer aus dem Wald.
Er hielt sie zwischen den geballten Fäusten

und sie mussten ihre Rüssel auf die nackte Brust


des widerstrebenden Hausherrn legen.
Langsam füllten sich die verängstigten Körper
mit dem fieberheißen Blut,

und vor den Augen der staunenden Verwandten


streckten sich die verkrampften Glieder des Vaters,
und ein befreiter Seufzer der Entspannung
klang durch die Hütte. Fast eine Woche lang

wurde der gefürchtete Anfall heraufbeschworen.


So wechselten sich Weiß und Grün
unter den Rändern des hohen Küstenwaldes ab,
die Tage zogen vorbei wie ein Rebhuhn,

einer nach dem anderen, und Hein Wichmann


erwischte jeden einzelnen, um ihm vor den Augen
der Hüttenbewohner seinen besonderen
Stempel aufzudrücken. Immer passierte etwas.

Die Zeit bildete für die einsamen Strandbewohner


nicht mehr eine formlose Masse, sondern
die Unruhe des neuen Ruderers trennte
die einzelnen Stunden scharf voneinander.

In diesen Monaten vollzog sich im jungen Klaus


ein unbegreifliches Wachstum.
Der schlanke Körper des Knaben
schoss sprunghaft in die Höhe,

bald überragte sein Kopf mit den braunen Locken


das kauernde Haupt des Vaters um eine Spannweite,
seine Haltung bekam etwas Straffes, ja Königliches,
sein Gang etwas Anmutiges und zugleich Herausforderndes,

und seine Augen konnten neben ihrem wilden


Flackern plötzlich einen schwärmerischen Glanz
verbergen, der über die Dinge dieser Welt
hinaus zu schweifen schien

und etwas von dem regungslosen Flug


eines träumenden Adlers an sich hatte.
Und der arme Sassensohn,
von unruhigen Geistern geplagt,

badete wirklich in den Weiten eines neuen Lichts.


Hein Wichmann! Hein Wichmann war ein Zauberer
für den wilden, durstigen Jungen,
der nur die schlanke Kinderhand zu erheben brauchte,

damit Sterne und Mond stillstanden


und die Weisheit Salomonis
aus allen Teilen der Welt herbei geweht wurde.
Wenn die beiden Turteltauben in dem plumpen Kahn
unter dem roten Segel schaukelten
oder wenn sie hoch oben an den Hängen
der Dünen im Sonnenuntergang lagen,
dann verschwand die lächerliche Maskierung

des vermeintlichen Ruderers wie von Zauberhand,


die Bauernsprache verschwand,
und ein anderer tauchte aus dem braunen Tuch auf.
Derselbe, der einst die goldene Kette trug,

derselbe, der mit seiner gehauchten Mädchenstimme


spöttische Gelehrsamkeit aus sich herausschleuderte
und für den es weder Bodenlosigkeit
noch schüchterne Ehrfurcht vor allem Geschaffenen gab.

In solchen Stunden der Verständigung


konnte man deutlich bemerken,
wie auch für den kleinen Kerl
jenes unbändige Ausgelaugtsein

ein unabdingbares Lebensbedürfnis bildete,


ja, dass er sich trotz seines wegwerfenden Lächelns
voller Eitelkeit und Stolz spiegelte,
sobald sich sein Schüler über ihn beugte

wie über einen tiefen Brunnen,


in den man ungestüm Eimer auf Eimer hinab lässt.
Dann sprudelte und sprudelte ein Trank
nach dem anderen heraus, klar und trübe,

unverdaulich und heilend, als ob alle Quellen


der Erde in diesen Brunnen flössen.
Mit dem nächsten fing es an. Klaus erfuhr,
in welchem Volk er lebte,

wie die Stände und Ämter aufgeteilt waren,


wo Ungerechtigkeit und Unterdrückung begannen
und worin sich sein Stamm von den anderen
großen Menschengemeinschaften unterschied.

Die Musik der französischen Sprache,


die Hein Wichmann perfekt beherrschte,
erklang vor dem verzauberten Jungen,
und er lernte auch die lateinische Lingua,

die Urmutter dieser Laute, bewundern,


und in verhaltener Begeisterung
blickte er hinab in das Sein und Tun
jener verschwundenen Generationen,

die mit diesen Lauten der alten Welt


ihre Gesetze vorschrieben.
Helden und Weise zogen vorbei,
Religionsstifter und Abtrünnige,

und ohne dass der Wissensdurst es ahnte,


wurden Menschen und Dinge
von dem bissig-scharfen Erzähler
auf das eine Ziel gelenkt, nämlich wie sie

der Befreiung und Erleichterung


der um Licht und Brot ringenden
Armen und Elenden gedient hätten.
Denn dieser kleine strohblonde Zwerg sah,

ohne jemals erregt zu werden,


und obwohl er selbst kein Vergnügen vermisste,
um sich herum seufzende Scharen von Sklaven,
viele Millionen gefesselte und gestriegelte Unfreie,

von denen er verkündete, dass sie niemals sterben würden.


Und sein feines Lachen klang wahrhaft durchdringend
und schrecklich, so oft er gegen alle Gewohnheit
die Heils- und Ordnungsbringer lobte, den Kaiser,

der doch den Frieden des Landes gebot,


den Papst, der doch den Verängstigten
die Vergebung der Sünden reichte,
ja, sogar den Heiland, der die helle Halle des Himmels öffnete,

zu den schlimmsten Vergewaltigern


und Unterdrückern der in Dummheit
blökenden Erde erklärte. Entrückt,
von aller Gegenwart hinweggefegt,

krallte sich Klaus dann in den mütterlichen Sandboden,


sein Atem rauschte, als müsse er Mauern niederreißen,
in seinen starren Augen flackerte
das niedergehaltene Glas von Blut,

Verbrennung und Gewalt,


und doch zitterten alle Glieder im Frost der Angst,
und das kalte Fieber des Zweifels
und der Unentschlossenheit stieß den Unreifen

doch immer wieder in die Schranken


von Sitte und Konvention zurück.
In solchen Momenten der Angst
und des glühenden Verlangens

packte er seinen Verführer oft an der Brust


und schüttelte den Kleinen, als wolle er ihm
das Herz aus dem Leib reißen, und rief:
Was bleibt uns noch? Hein, um aller Heiligen willen,

sag mir, was soll aus uns allen werden?


Denn der suchende Geist des Jungen
wollte einen Weg zwischen dem Gestern
und dem Morgen finden, eine Brücke,

die aus dem Sturm herausführt.


Aber Hein Wichmann, von diesem Ausbruch unberührt,
ließ sich in das weiche Dünenlager zurückgleiten,
lächelte mit seinen bartlosen Lippen

gegen das in den Himmel fliehende Abendrot an


und lispelte kaltblütig und grausam:
Wer kennt die Medizin für alle?
Aber für mich und dich, Bube,

ist das Beste ein seidener Pfühl,


ein schlüpfriges Frauenzimmer darauf,
und trinken und schwelgen bis zum siebenten Tag.
Dann richtete Klaus einen erlöschenden Blick

auf den sich genüsslich reckenden Kleinen,


warf den Kopf gegen das dunkle Meer
und saugte verzweifelt
an den ewig tränenden Strömungen.

Ekel, unerkanntes Mitleid


mit einer zu erlösenden Welt
und ein rasendes Verlangen, sich zu verausgaben,
kämpften in der sich dehnenden Seele.

Es kam eine Stunde, in der die Arroganz des Jungen


es nicht mehr ertragen konnte, von seinem Kameraden
in Unwissenheit und Täuschung gehalten zu werden.
Es war früh an einem taufrischen Herbstmorgen.

Die Sonne wälzte sich gerade aus ihren Schleiern


durch das dunkelblaue, zerklüftete Gewölbe.
Weit über dem Schlaf des Meeres
übten sich die schwarzen Streifen der Stare

bereits für den kommenden Aufbruch.


Und hoch oben, am hallenden Rand des Küstenwaldes,
ertönte die Axt. Dort fällte der junge Klaus
ein paar schlanke Eichenstämme,

denn sie sollten ihm als neue Ruderstangen dienen.


Doch mitten in der Arbeit schleuderte Klaus
die Axt auf den Waldboden, sprang auf,
und während er die Fäuste in die Spitzen stemmte,
forderte er dröhnend, ohne Übergang oder Einleitung:
Genug der Vorspiegelung.
Du bist kein Ruderer, Hein. Du bist keiner.
Woher nimmst du sonst diese Gelassenheit?

Und jetzt schnell und ohne Umschweife, wie ist es mit dir?
Einem anderen wäre es leicht gefallen,
bei diesem ungewöhnlichen Ton die Fassung zu verlieren.
Aber der kleine strohhaarige Mann,

der vor einer riesigen Buche faulenzte


und eifrig die Arbeit eines Spechtes verfolgte,
hüpfte herum wie ein wippender Fink,
tänzelte ohne jede Verlegenheit auf seinen Schüler zu

und gab ihm von unten einen leisen Klaps auf die Wange.
Kluges Näschen, flüsterte er zufrieden,
gut, gut, kleiner Junge, es wird Zeit,
dass du endlich aus deinen Eierschalen herauskommst.

Aber jetzt nimm deinen Hut ab, mein Freund,


denn du stehst kurz vor etwas Wunderbarem.
Weißt du, was eine Bacchantin ist?
Der Fischerjunge schreckte vor dem Glanz

dieses Titels zurück, und doch erinnerte er sich,


wie oft diese Lehrjungen und Handlanger der Wissenschaft
durch die Dörfer und Kleinstädte der Insel zogen,
hungernd und bettelnd, ja, dass sie an den Türen der Unfreien

für Geld und Brot sangen. Wissen war damals


noch verschworen mit dem Elend,
und mancher Knecht wollte nicht mit dem dürren Skelett
auf einer Lehrkanzel tauschen.

Dennoch sagte er mit Ehrfurcht: Bist du so einer? -


Mehr, mein Lieber, viel mehr.
Ich wollte erst die Raupe an dir vorbei kriechen lassen,
damit dich der Flug des Schmetterlings

in der Sonne nicht blendet.


Aber nun, mein Freund, erfreue dich,
ziehe deine Schuhe aus, wenn du es hörst,
denn ich bin als etwas Kostbares

und zugleich Zerbrechliches


in das Heiligtum der Menschheit gestellt worden.
Nimm dich zusammen, Holder,
und gerate nicht außer Kontrolle,

denn siehe, ich bin Magister,


Magister Hein Wichmann,
von den drei Universitäten Padua, Wien und Paris
mit einem gesiegelten Lehrbrief ausgestattet,

und Hosianna, ich verkaufe ihn dir


für ein Paar Wollstrümpfe,
denn meine Zehen gucken
jämmerlich durch die meinen.

Da zog Klaus erstaunt seine Mütze ab


und verbeugte sich vor dem kleinen Mann in Lumpen so tief,
wie er sich bisher nur vor dem Abt
des Klosters verbeugt hatte.

Verwirrte Phantasien und ein tanzender Himmel


schwebten über ihm.
Unter dem Stroh und den Schindeln der Sassen
hauste ein Liebhaber, ein Holdseliger.

In aller Barmherzigkeit führte er das Ruder, fing Fische


und ließ sich von den unwissenden Alten ausschimpfen.
Und doch gehörte der kleine Strohkopf zu den Auserwählten,
die, obwohl sie hungerten und froren

und sich von Arbeitern herumschubsen ließen,


so tief in das Sieben-Tage-Werk hineingeschaut hatten,
dass ihr belebendes Wort ferne Gräber öffnete
und nahe Kaiser erblassen ließ.

Fassungslos, hingerissen von Dankbarkeit und Ehrfurcht,


wollte der Junge auf das kleine Menschenkind zustürmen,
doch als sein schlanker Körper den anderen überragte,
machte sich plötzlich etwas von der Überlegenheit

des körperlich Stärkeren bemerkbar,


und statt der glühenden Zärtlichkeit,
die er eben noch zu spenden gedachte,
begann Klaus eher misstrauisch,

sich nach den Verhältnissen des Kleinen zu erkundigen.


Warum hatte ein Magister keinen Platz
unter seinen Kameraden, was trieb ihn fort
und warum arbeitete er schon so lange

für arme, einsame Menschen?


Das war es, was er herausfinden musste,
daran klammerte er sich.
Hein Wichmann hockte zusammengekauert

auf dem gefällten Eichenstamm,


lächelte spöttisch und anerkennend
in das Gesicht seines aufgeregten Schülers
und wickelte ruhig sein gelbes Haar um den Finger.
Endlich hauchte er wie immer wohltuend und doch kalt:
Überanstrenge dich nicht, kleiner Junge.
Der Mensch ist ein Trank, von dem man nicht mehr
als fünf oder sechs Tropfen genießen sollte.

Mehr ist schädlich. Aber da du die Narbe


über meiner Stirn so genau beobachtest,
erfährst du vielleicht, wo diese rote Fahne
zum ersten Mal für mich gehisst wurde.

Er trat zur Seite. Komm, setz dich neben mich,


und dann lerne von mir das Beispiel,
dass es schwach und töricht ist, wenn der Mensch
Sehnsucht nach etwas zeigt,

was der verschlingende Chronos längst verschlungen hat.


Klaus fühlte sich von einem festen Griff hinuntergezogen,
dann schlang er stürmisch die Arme
um den lächelnden Kleinen

und lauschte, als ginge es um sein Leben.


Der Erzähler erzählte nicht, wohin er gegangen war,
warum er die gelehrten Schulen verlassen hatte,
er glitt darüber hinweg.

Nur an einer Stelle hielt er inne und verfärbte sich.


Mitten in einer wahnwitzigen, klirrenden Raserei
muss ihn plötzlich eine Sehnsucht, ein Heimweh,
etwas Unbegreifliches gepackt haben,

nach den Bücherstühlen, nach den rauchenden Öllampen,


die in kalten Kammern über alten Heften dämmerten,
nach den schlurfenden, zechenden und studierenden
Bacchanten, nach den Disputen streitender Dozenten

und nach den dunklen Gewölbesälen,


in denen die Weisheit
aus löchrigen und abgewetzten Professorenfellen
auf hungrige Zuhörer niederprasselte.

Ein Affentheater, urteilte Hein Wichmann grimmig.


Aus seinen vorsichtigen Andeutungen ging auch hervor,
dass sich der ehemalige Magister erst einmal heimlich
einem widerstrebenden und spöttischen Kreis entziehen musste,

bevor er seinen dringenden Plan


zur Tat reifen lassen konnte.
Aus welcher Stadt er geflohen war,
unter welchen Umständen auch immer,

das verwarf der Strohblonde


mit einer abschätzigen Handbewegung.
Genug, eines Tages tauchte er
unerwartet in Stralsund auf.

Und dort? drängte Klaus und rückte immer näher


an seinen Freund heran.
Dort war ein Schwarm von Bacchanten versammelt.
Sie hockten zusammen in einer Bodenkammer

über einer Sattlerei, und für den Preis


eines ordentlichen Vortrags stahlen
und erbettelten die Jungen für ihren Magister,
was sie unbemerkt hinaufschleppen konnten.

Und so ging es eine Weile, auch ohne den Verkauf


der goldenen Kette, die der kleine Junge
aus nicht näher zu erläuternden Gründen
gar nicht gerne ans Tageslicht brachte.

Und die Bande hatte sich schon entschlossen,


gemeinsam nach Halle zu gehen,
wo der berühmte Doktor Pelicanus
die Grammatik lesen sollte, als...

Ja, Bube, lächelte Hein Wichmann herablassend


und hielt seine gespreizten Finger
in das nicht mehr wärmende Sonnenlicht,
aber dann, liebe Unschuld, dann kam der Winter.

War dir schon mal kalt, Klaus? -


Ich glaube schon, antwortete der Junge
mit großen, verständnislosen Augen.
Der kleine Junge nickte.

Ja, sagte er verächtlich, wenn der Nordwind


einem von deiner Sorte ein wenig
die scharfen Nägel in den Körper ritzt.
Aber was es bedeutet, wenn dir die Zunge

hinter den Zähnen gefriert,


oder sobald du halbtot in der Ecke
deines Fußbodens kauerst,
wo deine Gedanken allmählich

in deinen klappernden Knochen erstarren,


davon wusste der Sohn deiner Mutter nichts.
Nicht wahr? Ich sage dir, da führt man
allerlei verrückte Tänze auf,

ja, man vergisst sich sogar so weit,


dass man betet,
dass man um ein einziges Stückchen Holz
für den leeren Ofen winselt.

Siehe, so war es bei mir auch.


Meine Hütte lag direkt gegenüber der Marienkirche,
und durch die Klappen meines Fensters
konnte ich den heiligen Johannes

auf seinem Sockel stehen sehen.


In seinem weiß-blauen Gewand war ihm nicht kalt,
und er musste auch nicht von einem Fuß
auf den anderen hüpfen.

Da rief ich ihm zu, er solle ein Wunder tun;


als er aber edel zerknirscht gegen mich blieb
und sich nicht rührte, siehe, da packte mich der Zorn,
denn ich schämte mich des hölzernen Heiligen,

und ich beschloss, den Apostel zu zwingen,


seine Pflicht zu tun. Eines Nachts,
als weiße Strümpfe durch die Straßen schneiten,
schlich ich hinüber, und eine Stunde später,

ach, da hatte sich der heilige Johannes


schon meines Ofens erbarmt,
und himmlische Glut umhüllte meine Glieder.
Der Heilige hatte ein warmes Herz für mich.

Du, du hast mit ihm gefeuert? stammelte Klaus.


Ein Schauder wollte ihn überkommen,
und in einer verschämten Bewegung
strich er sich über die Stirn.

Und doch packte den jungen Mann


eine nicht eingestandene Lust,
alles Konventionelle aufzubrechen,
und die heimliche Rebellion,

die immer von dem Strohmann ausging,


zwang ihn immer widerstandsloser
in die Gefolgschaft dieses provokanten Lehrers.
Deshalb ärgerte er sich auch nicht mehr

über den Unglücklichen, sondern zeigte nur noch


stumm und stur auf die Narbe des anderen.
Verstehe, erinnerte sich Hein Wichmann bereitwillig,
du hast recht. Das da oben hat den Schlussstrich

unter meinen Rückfall in die Frömmigkeit gezogen.


Mein Wirt, der Sattler, hat das Feuer gerochen,
er war nicht damit einverstanden,
dass St. Johannes bei mir wohnt,
und so sind nicht nur seine Gesellen und Nachbarn
mit Knüppeln und Hellebarden gegen mich vorgegangen,
sondern auch die Stadtwache meinte,
einen seltenen Vogel in mir zu haben.

Oh Zeus! der Kleine wiegte sein feines Köpfchen


verträumt auf seinem Eichenstamm,
es wurde ein wunderbarer Handel
zwischen den Rittern des heiligen Johannes

und meinen Jungen. Aber was nützte


die schönste lateinische Strategie?
Pah Teufel, schließlich musste ich
aus dem Fenster springen, ekelhaft,

aus dem Hinterfenster, in einen Müllhaufen.


Mit meiner goldenen Kette
und dem schlanken Messer bewaffnet,
stand ich stundenlang im Müll.

Lerne daraus, wie all die Pracht und Würde der Erde
in der Stunde der Not zu Gestank und Kot herabsinkt.
Wobei nicht jedem ein reinigendes Bad zuteil wird wie mir,
der ich nachts rittlings auf einem Balken

durch den engen Sund schwamm.


Was dann geschah, wollte der kleine Junge ruhig schließen
und strich sich über die durchlöcherten Schuhe,
doch plötzlich legte er vor lauter Spannung

die Hand über die Augen, denn tief unter ihnen,


am nahen Strand, leuchtete etwas Weißes
gegen die Sonne und das Meer.
Was dann geschah, fuhr der Kleine hastig fort,

weißt du, und siehe, zum Dank zeige ich dir nun
die einzige vernünftige Gabe Gottes,
die edelste und doch nie sättigende Speise,
nicht bloß für den Gaumen der Reichen aufgespart,

kurz, ich zeige deinen dummen Augen


die schäumende, hüpfende Aphrodite!
Er warf seine zitternde Hand weit nach vorn,
und um seinen glatten Mund spielte

der hemmungsloseste Zug von Lust


und unerbittlicher Sinnlichkeit. Katzengleich,
leise kichernd, glitt er an den freien Rand des Abhangs.
Doch ein rascher Griff des Jungen warf ihn unsanft zurück.

Totenbleich, taumelnd, bis ins Innerste


seiner ohnehin schon zerrütteten Seele aufgewühlt,
schwankte der hochgewachsene Junge
vor dem erstaunten Mann auf und ab.

Was er vor sich selbst abwehren wollte,


wusste der Halbwüchsige nicht, aber seine Scham,
die schon von Stürmen geplagt war,
tobte noch einmal in Wut und Entsetzen

gegen das Geheimnis, das zu lüften


ihm bisher der Mut gefehlt hatte.
Du sollst nicht, schrie er wie besessen
und grub seine Augen angestrengt

in das Laub des Waldbodens,


das ist Anna Eberhard, die… -
Narr, erwiderte Hein Wichmann scharf
und schüttelte seine Faust.

Der Name fällt mit dem Gewand.


Geh zum Spinnrocken deiner Mutter!
Da vergaß Klaus, dass er hier, trotz allem,
mit dem Wohltäter rang, der ihn aus der Nacht

in den Tag geführt hatte, besinnungslos,


Funken vor den Augen, hob er die Faust,
um dann zu erstarren wie eine statische Säule
der Ratlosigkeit. Ein freches, spöttisches Lachen

schlug ihm entgegen, lähmte seinen Arm


und grub ihn wie einen Pfahl in den Boden.
Schon erkannte der gebändigte Mann,
welch furchterregende Kräfte im Körper

dieses bartlosen Kindes verborgen fluteten.


Stöhnend, geschüttelt von einem hemmungslosen Schluchzen,
das die Lust des Kleinen nur noch steigerte,
und selbst unter den Peitschenhieben

eines unsichtbaren Peinigers musste


der Fischersohn zusehen, wie der Strohblonde,
auf dem Bauch liegend, alle Wonnen des Lichts verschlang,
und Ekel und tiefer Schmerz

über die verlorene Reinheit entluden sich


in Klaus in einer wilden Tränenflut.
Unbewusst weinte er
über die in Sünde lachende Menschheit.

Frommes Schaf, spottete Hein Wichmann


über seine Schulter zurück.
Wir wollen dir ein Glöckchen um den Hals hängen.
Aber Klaus Becker hielt sich an Gott.
FÜNFTES ABENTEUER

Eine kalte, windige Nacht senkte sich


über den ländlichen Flecken Bergen.
In dem armseligen Dorf,
das sich auf der höchsten Erhebung der Insel,

zwei oder drei Stunden Fußmarsch vom Sassensitz entfernt,


zusammenkauerte, war ein Jahrmarkt abgehalten worden.
Außerdem waren Gaukler vom Hof des Herzogs von Wolgast
zurückgekommen, auf der Rückseite des Ringelplatzes,

Pferdehändler hatten die Gelegenheit genutzt,


ihr Vieh zum Verkauf anzubinden,
und die herbeigeeilten Fischer und Bauern
ließen sich die seltene Gelegenheit

zum Spielen und Feiern nicht entgehen.


Auch jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit,
trieb das grölende und trunkene Volk sein Unwesen,
und das Heulen des Sturms ließ

die Posaunen, Flöten und Trommeln


der fahrenden Musikanten und Gaukler
noch lauter und ohrenbetäubender schrillen als zuvor,
denn diese leichten Vögel marschierten tanzend und hüpfend

an der Spitze einer Meute, die sich enthusiastisch


und freudig auf den Höhepunkt aller Vergnügungen
vorbereitete, das Rauchspiel.
Zum Glück war ein halbnackter Bettler

dabei erwischt worden, wie er ein Huhn


unter seinen Lumpen verschwinden lassen wollte,
und nun wurde der Unglückliche,
der mühsam auf seiner Krücke und einem Holzbein humpelte,

mit Stangen- und Stockhieben


hinter dem Schütting her gejagt.
Als sie diese ehemalige Räucherkammer erreichten,
zündeten junge Burschen, denen das Amt

wohl als Auszeichnung zugedacht war,


das auf den Ziegeln der Hütte aufgetürmte Laub an;
der Hühnerdieb wurde an einem Querbalken
bis zum Dach der Stube hochgezogen,

und nun knisterten die brennenden Zweige,


dicker Rauch stieg an den Wänden empor,
und es war ein Spaß, das Opfer niesen und husten
und mit allerlei Verrenkungen

gegen das Ersticken ankämpfen zu sehen.


Sieh mal, Fieke, sagte ein junger Bauer zu seiner Braut,
die andächtig zu ihm aufblickte, die Schlampe
hat ein Loch im Strumpf.

Ich will sie ein wenig an den Zehen kitzeln.


Der Widerschein des Feuers
fiel in langen, blutigen Schlieren
durch die Ritzen der Hütte auf die Straße.

An der fensterlosen Kalksteinwand des Nachbarhauses


lehnten zwei Gestalten in unbekümmertem Schweigen.
Ihre braune Fischertracht und die groben Stoffmützen
hoben sie überhaupt nicht von der drängenden Menge ab.

Nur wer sie genauer betrachtete, konnte


trotz der Dunkelheit in ihren blassen Gesichtern ablesen,
wie wenig sie sich von der allgemeinen
Ausgelassenheit anstecken ließen.

Der kleinere lächelte spöttisch über die rohe Aufregung,


und als die Schreie des Geräucherten lauter wurden,
zuckte sein schlanker Begleiter vor Unmut
oder Mitleid zusammen und konnte nur

durch den festen Griff des anderen davon abgehalten werden,


in der Nacht zu verschwinden.
Um sie herum herrschte Zank, Gelächter und Aufruhr.
Der Gott der deutschen Lust

schenkte seinen Getreuen neue Freude.


Unter der Linde, die vor der Räucherkammer
ihre nackten Äste im Wind knarren und ächzen ließ,
schimpfte der örtliche Bademeister wütend

auf einen tabulosen Hausierer,


weil dieser ihn angeblich
mit einem stumpfen Schermesser betrogen hatte.
Die jubelnde Menschenmenge

stieß die beiden Kontrahenten gegeneinander,


provozierte sie zu immer heftigeren Übergriffen
und fiel schließlich über den örtlichen Krämer her,
um ihn zur Sühne für sein Vergehen

zur beliebten Rasur zu zwingen.


Auf einem Ast der Linde hockend
und von zahllosen Fäusten niedergehalten,
musste sich der Verurteilte gefallen lassen,
von dem gereizten Bartschänder
nach den strengen Regeln der Zunft
bei Fackelschein eingeseift zu werden.
Doch statt Seife wurde ihm Dreck ins Gesicht geschmiert,

und als Messer diente eine krumme Sichel,


die mit Kratzen und Lärm ihre Arbeit verrichtete.
Donnernder Beifall übertönte das Stöhnen
des geschundenen Mannes, und die Nacht

verschlang den tanzenden Wirbel,


der sich um die Linde herumtrieb.
Komm, zitterte Klaus und riss sich gewaltsam los,
wir wollen nach Hause.

Schürzenjäger, spottete der andere


und lehnte sich weiter schweigend an die kahle Wand,
magst du es nicht mit deinen eigenen Leuten?
Der Junge runzelte die Stirn, wie er es immer tat,

sobald sich ein anderer seinem Willen widersetzte,


doch dann kratzte er mürrisch an der Wand.
Warum quälen sie sich? warf er verstört ein.

Warum halten sie keine Harmonie untereinander,


wo sie doch alle arme Diebe sind? -
Warum? Ein beißendes Kichern antwortete
auf diesen Notruf eines grübelnden Gewissens,

und während der Kleine pfiff


und seine Hände in seinen Ledergürtel schlüpften,
schien er sich innerlich
über die Not seines Schülers zu freuen.

Du rennst zu oft zu den Priestern,


gab er ihm schließlich nach.
Weißt du nicht, dass Priester und Fürsten
nur so lange auf dem Buckel dieses Haufens reiten können,

wie er roh und ungelehrt bleibt?


Wenn der abgetriebene Gaul schreiben
und lesen könnte wie du, würde er leicht
ausschlagen und schrecklich werden.

Was würde er dann tun, Hein?


flüsterte der junge Mensch unruhig.
Vor ihm ertönte ein Schuss aus der Erde.
Neblige Gebilde erhoben sich plötzlich

aus dem kiesigen Boden der Landstraße


vor dem fröstelnden Mann.
Heil und Segen, die der fiebrige Junge
in seinen Träumen trug, nicht für sich selbst,

sondern für künftige Generationen,


zogen in wirren Gestalten lobend und betend
über ein grünes Feld an ihm vorbei.
Er sah Räuchergefäße, Baldachine,

mit Brot, Getreide und Wein beladene Wagen.


Doch an der Spitze der Prozession
sah er einen hochgewachsenen Mann,
geschmückt mit allen Zeichen des Glücks,

königlich gekleidet in Gold und Purpur, er selbst.


Bei der Linde wüteten die dunklen Schatten
immer heftiger, der halb ohnmächtige Bettler
wurde gerade aus dem Schütting ins Freie getragen,

um sich auszuruhen, aber Klaus Becker


durchbohrte die taumelnde Menge mit seinem Blick
und schritt geisterhaft durch sie hindurch in die Ferne.
Was würde der befreite Haufen tun? murmelte er erneut.

Hein Wichmann hatte seinen Schützling


mit durchdringendem Verständnis
und doch fast mit Belustigung versinken sehen;
jetzt rüttelte er ihn grob an der Schulter,

denn der Genuss-Sinn des Kleinen verachtete nichts so sehr


wie das Vergessen von Zeit und Gegenwart.
Was weiß ich? stöhnte er spitz zwischen den Zähnen.
Vielleicht kämen deine tapferen Landsleute,

wenn sie geweckt würden, auf die Idee,


einmal das weiche Fell von Gräfinnen und Herzoginnen
zu streicheln statt das von Schweinen und Kühen.
Oder sie würden darauf bestehen, das herrschaftliche Land

nach einer neuen Ordnung zu vermessen;


aber am Ende würden sie sich auch damit zufrieden geben,
den roten Hahn fliegen zu lassen. Was wollt ihr?
Es ist ein schnelles und lebhaftes Tier.

Halt ein, nicht so, stammelte Klaus,


stürzte von seinem hohen Himmel herab
und warf entsetzt beide Hände nach vorn.
Ohne Übergang entdeckte der Fischersohn

plötzlich wieder die trunkenen Bauern um sich,


und eine unnennbare Sehnsucht erfasste ihn
nach der Einsamkeit des Meeres,
nach der Mutter und nach seinen schönen,
schimmernden Gedanken.
Komm, rief er inbrünstig, lass uns gehen.
Aber der Magister ärgerte sich
über die edle Zurückgezogenheit seines Schülers.

Sie versetzte seiner Eigenliebe einen kräftigen Stich,


denn die unverdorbene Natur des Jüngeren
weigerte sich noch immer standhaft,
jenes frivole Lotterleben anzubeten,

das der Kleine ohne Scham und Reue


als einzigen Trost, als einzige lindernde Salbe
einer sinnlos in die Welt geschleuderten
und sich nun in Knechtschaft und Zwang

verzehrenden Menschheit anerkannt hatte.


Wie kam der Junge dazu, nach etwas Besserem zu streben
als nach Prasserei, Völlerei und Rausch?
So viel Anmaßung bei einem Minderjährigen

war nicht zu dulden.


Mit beiden Händen umklammerte der Strohhaarige
den Arm des Unentschlossenen und zog ihn mit sich.
Wo willst du hin, Hein? - Ins Himmelreich, Bube. -

Hein, ich traue dir nicht.


Er wollte sich losreißen.
Aber den Kleinen überkam die Wut,
wütend krallte er sich an den anderen

und schrie mit einer Stimme,


die nichts mehr von Mädchenhaftigkeit in sich hatte:
Pah Teufel, zieh ein Mädchenhemd an.
Wer wird dir deine Beinkleider noch abnehmen?

Schande und Schmach! Glaubst du, die Welt


braucht Männer, die aus einem Rosentopf herauswachsen?
Da hatte er den leicht Beleidigten, den Ehrsüchtigen so weit,
wie er wollte. Als hätte eine Peitsche

in seinem Rücken geknallt, bäumte sich Klaus auf.


Von Vernunft war nichts mehr in ihm übrig.
In diesem Moment wäre er über die Leiche
seines Vaters hinweg gesprungen,

nur um die brennende Schelte zu widerlegen.


Aber noch mehr peinigte den atemlosen Mann
die Angst und das Entsetzen,
etwas Wertvolles zu verlieren.

Was kann das sein? durchströmte es ihn noch,


als Hein Wichmann ihn hinter sich
um die Ecke der kahlen Wand zog.
Er wusste es ganz genau und doch wehrte er sich

entsetzt gegen seine eigene Erkenntnis.


Der Wind heulte den beiden Zapfhähnen entgegen,
zwei bissige Hunde kläfften aus ihrer nahen Hütte,
und ein langer gelber Lichtstreifen wies

die späten Gäste auf eine erleuchtete Kammer hin.


Das ist ein guter Platz, entschied Hein gebieterisch.
Dann klopfte er ein paar Mal heftig auf die Bretter der Holztür.
Mach auf, Mann! Da sind edle Menschen. -

Ei, rief eine helle Stimme,


als die beiden Ankömmlinge eintraten.
Eine blaue Wolke aus Dampf rollte auf sie zu.
An der Rückseite des beschlagenen Ziegelherdes

tanzten bereits unruhige Flammen für die Nacht,


und in ihrem hüpfenden, flackernden Licht
erhob sich in der Mitte des Bodens,
wo sie bisher gelegen hatten,

eine junge Dirne auf Brusthöhe,


stützte sich auf die Ellbogen
und ließ ihre neugierigen grün-blauen Augen
auf den beiden Männern ruhen, um sie zu mustern.

Doch schon bald musste sie allein


von der unberührten Schönheit
des großen, schlanken Burschen,
von seiner deutlich spürbaren Schüchternheit

und Unruhe gefangen genommen worden sein,


denn sie ließ eine gelbe Katze,
mit der sie bis dahin ein gemütliches Geplänkel,
offenbar zur Belustigung der Gäste, betrieben hatte,

von ihrem Schoß herabspringen,


setzte sich auf die Diele und wiederholte
noch einmal mit allen Anzeichen von Zufriedenheit:
Ei. - Becki, mahnte eine raue Frauenstimme,

deren hünenhafte, kräftige Besitzerin


neben dem Herd hockte, wo sie unablässig
eine hölzerne Kelle im kupfernen Kessel
hin und her bewegte, wie oft muss ich dir noch sagen,

dass du nicht herumliegen und faulenzen sollst,


wenn gute Herren kommen? Bei Gott,
ich werde dir den Hintern versohlen. -
Halt dein Maul, widersprach das Mädchen,

völlig ungerührt, und streckte der Wirtin


sogar die Zunge heraus.
Hat der Stadtschreiber nicht erst neulich zu dir gesagt,
dass der Rat mich nicht vermissen will?

Wer bist du denn ohne mich, du böse Hexe? -


Nun, mein Püppchen, schluckte die Hexe am Herd
und schlug mit der linken Hand auf ihre massive Brust,
als müsse sie dort ihre saure Wut einmauern,

zumal ihre anderen Gäste,


die unter einer tiefen Einbuchtung in der Wand saßen,
bereits aufmerksam wurden.
Ich freue mich, dass der Rat dir so wohlgesonnen ist.

Aber du musst auch gut auf dich aufpassen,


damit es lange anhält. Und nun, mein Engel,
stehe auf und frage, was den Herren willkommen ist?
Ein Krug Met? Oder Apfelwein? Oder eine heiße Suppe?

Oder etwas anderes? Es soll an nichts fehlen.


Damit blinzelte Frau Hedda, die Wirtin,
mit ihren blau umrandeten Augen,
die gerade hinter ihrem schmutzigen Kopftuch hervorlugten,

in eine kleine Seitenkammer,


in der Klaus nichts als ein zerknittertes Lager
von Strohsäcken wahrnahm.
Eine schummrige Öllampe baumelte

in einem halb zerbrochenen Scherben von der Decke herab,


und ganz im Gegensatz zu all der Kargheit
war über das Fußende des Bettgestells
ein rotes Seidentuch mit eingewebten Goldfiguren

geworfen worden. Ein sichtbares Zeichen dafür,


wie dankbar ein Seemann von hier abgereist war.
Steh auf, mein Täubchen, ermunterte die Wirtin wieder
mit ihrer rauen Stimme, denn die stille Verzauberung

der am Boden gefesselten langhaarigen Becki


schien ihr zu viel Ehre
für zwei ärmlich gekleidete Fischer.
Was konnten solche Netzmacher anderes bei sich tragen

als ein paar armselige Pfennige in ihren Ledertaschen?


Wie sehr war die Mutter des Hauses erstaunt,
als der kleine strohblonde Ankömmling
sich mit einer Geste, die zwischen Frechheit
und Herablassung schwankte,
als seien Haus und Kammer,
die Frauen und die Tante sein unbestrittenes Eigentum,
auf die liegende Dirne warf,

um sie vertrauensvoll zu umarmen


und der überraschten Frau einen Kuss
auf den nackten Busen zu drücken.
Wonneweib, rief Hein Wichmann schallend

durch den gedämpften Raum, Wonneweib!


Die Gäste unter dem Mauervorsprung brummten
und klopften mit ihren Zinnbechern
applaudierend auf den Tisch.

Die Dirne aber schlug lässig auf die tastende Hand


des Unverschämten, obwohl der Rausch
so wenig von ihr gewichen war,
dass sie immer noch wortlos auf dem Estrich kniete.

Doch als sie ihr Haar zurückschob,


saugten sich ihre glitzernden Augen
prompt und hungrig an das blasse Antlitz
des erstarrten Burschen.

Gerade seine kindlich verstörten Züge


schienen ihr Mitleid zu erwecken,
denn die bemalten Lippen der Becki bewegten sich,
als wolle sie dem fremden Besucher Trost spenden.

Schönes kleines Mädchen, murmelte sie unhörbar.


Dann legte der Magister seinen Arm
um den Hals des Mädchens,
zwinkerte seiner Begleiterin auf eine Weise zu,

die sie verstehen konnte,


und flüsterte dem Mädchen,
das nun zur Aufmerksamkeit gezwungen war,
etwas ins Ohr. Das muss für sie sanft

und verlockend geklungen haben,


lachend sprang sie auf, schob sich
mit verstohlen schwankendem Gang zur Schwelle,
wo sie dann plötzlich und unerwartet

die Hand des unentschlossenen Gastes ergriff.


Kräftige, pulsierende Schläge hämmerten
aus der weichen, runden Frauenhand
in die erschrockenen Glieder des Knaben,

und doch, so unbändig tobte der letzte Kampf


in dem zur Niederlage Bestimmten,
dass Klaus selbst in diesem Augenblick
jähzornig die Faust hob und schwankte,

ob er die wohltuende und doch so quälende


Zärtlichkeit nicht mit einem Schlag
in das rotwangige Gesicht vergelten sollte.
Tatsächlich spannte er bereits den Arm an.

Doch die Becki schob sich noch näher an ihn heran,


ließ ihre blaugrünen Augen von unten
über ihn schweifen und sprach behaglich:
Komm, du Schöner!

Da stand er ganz still und lauschte


in schmerzhaftem Erstaunen
solchen nie zuvor gehörten Klängen.
Und während die Becki seine Bewegungslosigkeit nutzte,

um ihm schmeichelnd über die flaumige Wange zu streicheln,


bis sie schließlich sogar versuchte,
ihren Arm um seinen Hals zu schmiegen,
glaubte der Verwandelte deutlich eine Strömung zu spüren,

die sein früheres Bild und seine lichte Vergangenheit


mit sich forttrug. Der Fischersohn verfolgte
das Treiben seines verlorenen Wesens
mit einem düsteren, verzweifelten Blick.

Ja, er hätte sogar unter dem spöttischen Kichern


des am Boden hockenden Magisters
laut vor Trauer aufheulen mögen.
Aber die Strömung ließ ihn nicht auftauchen.

Plötzlich spürte er scharfe Zähne an seinem Ohr.


Auf ein ungeduldiges Winken des strohhaarigen Mannes hin
war die Dirne geschickt an dem Fischer hochgesprungen,
nun trug er die vollen Glieder der Frau

rittlings auf seinen Armen,


und rechts und links trafen ihn
die schnellen schmerzhaften Bisse.
Sie verzehrten den letzten Rest seines Widerstandes.

Ein wilder, unnatürlicher Schrei der Entfesselung


entrang sich der Kehle des Jungen.
Selbst Hein Wichmann hörte erstaunt zu,
als dieses schrille, grausame Signal

von etwas Neuem und bisher Unerhörtem


aus der Brust seines Schülers brach.
Gleich darauf aber schüttelte der Kleine
den leise aufkeimenden Zweifel, wie er es immer tat,
leichtherzig ab, und sein heller Tonfall
überschattete sogar das wilde Toben der anderen,
als er nun vor Erregung mit den Füßen
auf den Boden trommelte,

weil er den mit Glut bedeckten Klaus


seine Last zum Tisch schleppen sah.
Dort warf er das Mädchen, deren Arme
sich nicht von seinem Hals lösen wollten,

mit einem Krachen auf die Platte.


Krüge und Becher spritzten umher!
Doch die Becki lehnte schnell ihre Wange
an die ihres Ritters,

gab ihm einen verliebten Nasenstupser


und flüsterte aufgeregt,
aber ungehört von den anderen:
Nicht jetzt, Lieber. Aber bleib hier.

Ich werde dir etwas zeigen.


Damit sprang sie vom Tisch herunter.
Es war ein Bild von der Art, wie es die nordischen Maler
später aus einem dunklen Hintergrund

heraus leuchten lassen würden,


sobald die rohe, überschwängliche Lust des Daseins
aus ihren kühnen Pinseln floss.
Aber damals strahlte ein strenger, heiliger Himmel

über der Kunst, und auch in der Wirklichkeit


waren solche Ereignisse noch heimlich
in den dunklen Winkeln
böser Schlupfwinkel verborgen.

In der Zwischenzeit hatte der Magister


den Weg in die Höhe gefunden.
Nun riss er sich die Mütze vom Kopf,
so dass die langen gelben Haarsträhnen

wirr auf seine Schulter fielen,


und schleuderte die Kopfbedeckung in die Luft.
Lass uns das Hochzeitspaar in Wein segnen,
zwitscherte er mit seinem großen Spatzengezwitscher.

Ertränken wir all die böse Plackerei in Traubenblut.


Kannst du es nicht riechen?
Die Freiheit ist versteckt in Frau Heddas edlem Haus.
Greift danach, ihr Dummköpfe,

ihr werdet sie nirgendwo anders finden. -


Ergreift sie, rief Klaus Beckers besessene Stimme.
Der Junge erschrak kurz, als er sich selbst hörte,
als die Fremde wie mit einer klirrenden Schere

in seine Gedanken schnitt,


aber sofort eilte er wie benebelt
der entflohenen Dirne nach.
Sie arbeitete gerade am Herd, als er nach ihr tastete.

Beißend schlug sie ihm auf die rechte Hand,


funkelte ihn an,
denn das Verhalten des Gesellen war ihr nicht fremd,
und herrschte ihn hochmütig an:

Nicht jetzt, du Hühnerhaufen. Ich habe es dir gesagt.


Und wieder stand Klaus wie gebannt,
hörte erstaunt zu
und schüttelte seinen schmalen Kopf.

Die Wirtin war bisher geduldig


mit dem Treiben der beiden Fremden gewesen,
aber jetzt war ihre Geduld am Ende.
Mit einem verärgerten Husten

erhob sie sich von ihrem Sitz an der Feuerstelle,


und siehe da, als sie aufstand, reckte sie sich
wie eine lange Stange, an deren oberem Rand
schmutziger Schnee lag.

Dann machte Frau Hedda einen langen Schritt


auf den Magister zu und griff dem kleinen,
so harmlos wirkenden Burschen
kurzerhand in den halb geöffneten Kragen.

Was ist mit der Rechnung? wollte sie


zwischen den Zahnlücken liebevoll pfeifen,
als sich ihr Faltenrock im Kreis drehte
und die Glieder, die er bekleidet hatte,

gleichsam zurück auf den Holzstapel


hinter dem Kamin flogen.
Niemand konnte sich erklären, wie es geschah,
denn alles war laut,

aber sobald man wieder


durch den aufgewirbelten Kiefernrauch sehen konnte,
tanzte der Strohblonde wie von Sinnen
in der Mitte der Schenke herum,

während er ein abgerissenes Glied seiner Goldkette


hoch über dem gelben Kopf schwang.
Darauf flüsterte Hein Wichmann, sich nach allen Seiten hin
freundlich verbeugend, in den süßesten Tönen,

ob er auch jetzt noch durch Wein


und Liebe daran gehindert werden könne,
die hier versammelten Hunde
von ihren Stricken zu lösen?

Durch Wein und Liebe,


wiederholte Klaus besinnungslos
und sank ganz in die vor ihm aufgeschlagene Grube
aus Rauch und Glut. Die Becki fegte an ihm vorbei

und küsste ihn jubelnd auf den Hals.


Alles verschwamm vor dem bereits berauschten Mann
und drehte ihn nur noch hilfloser in den kreiselnden Strudel.
Was dann geschah, tanzte vor ihm auf und ab.

Mal flackerte es hoch, mal brach es zusammen


wie die blauen Flammen des Kaminfeuers.
Er sah sich eng an die Bank vor dem Tisch gepresst,
und aus dem Zinnbecher duftete ihm Met entgegen.

Er leerte den Becher mehrere Male,


und seine Sinne flatterten fortan wie Schmetterlinge
über dem süßen Getränk. Warum
konnte er diesen oder jenen Gedanken nicht festhalten?

Aufgeregt versuchte er es, aber es gelang ihm um keinen Preis.


Stattdessen musste er den Gängen der Becki folgen,
die immer wieder die Trinkgefäße der Gäste nachfüllte,
es reizte ihn, ihren kurzen Rock

in ängstlicher Neugier zu berühren,


und einmal brüllte er drohend,
als die Dirne auf den Knien eines alten,
glatzköpfigen Mannes verweilte,

dessen feiner blauer Bürgerrock


gar nicht hierher zu gehören schien.
Was ist denn mit dir los, Kleiner?
hörte er die Pflegerin gleich darauf lachen.

Unmerklich war sie an ihn herangeschlichen


und beugte sich nun über den besinnungslosen Mann,
wobei ihre Augen funkelten, als sie bemerkte,
wie Reife und Knabenhaftigkeit in ihm würfelten.

Dann klammerte er sich erbittert an die Arme der Frau,


die vor Met und Hitze dampfte,
und schwankend zwischen Wut, abgrundtiefer Verachtung
und stöhnender Besessenheit,
legte er seinen Kopf an ihre Brust.
Narr, zischte die Gefangene, du zerreißt mein Hemd.
Aber es klang wie ein Keuchen,
und sie zog sich mühsam zurück.

Von diesem schwindelerregenden Werben hingerissen,


hatte sich Hein Wichmann auf den Tisch geschwungen.
Da drückte das berauschte Kerlchen
die rechte Hand ans Herz,

obwohl seine zweifarbigen Augen


noch immer so frostig waren wie eh und je,
und sang mit durchdringender Stimme
einen Reim, der zur Zeit

der verhängnisvollen Münzsituation


unter dem verzweifelten Volk durch Dorf und Stadt ging:
Dirne im Bett und Wenzels Geld!
Und sofort wieherte der Chor als Antwort:

Was gibt es Falscheres auf der Welt? -


Du bist ein Witzbold, Kleiner,
sagte die Becki, gar nicht beleidigt.
Aber der Sänger strich ihr über das lange Haar.

Und du, ein schönes süßes Häppchen, Herzchen,


erwiderte er überlegen,
dennoch, ich gönne dir alles Gute.
Pfeifende Pfiffe, die aus der Ecke schrillten,

belohnten diesen Scherz.


Und wieder tanzten die blauen Flammen vor Klaus,
und die Schmetterlinge über dem Met
taumelten schwer und flatterhaft.

Nach einer Weile ging die Becki


in die Nebenkammer und räumte,
über die Schulter zurückblickend,
das zerwühlte Lager auf.

Die bäuerlichen Feiernden nutzten die Pause,


um die gottverdammte Zeit zu verfluchen.
Zuerst war da der feine blaue Schöffenmantel.
Der dickhalsige, immer lächelnde Glatzkopf

musste tagsüber über die Stadtwaage


sowie über Recht und Sitte wachen.
Aber da er zu Hause eine zänkische Frau hatte,
die ihn schlug, nahm ihm niemand übel,

wenn er abends Frau Hedda und die Becki besuchte.


Er wurde als Stammgast betrachtet
und erhielt alle möglichen Privilegien.
Deshalb war er auch der Einzige, der zufrieden

und leise in seinen Krug blinzelte.


Ganz anders die Bauern, die zu fünft oder sechst
hinter ihren Töpfen in galgenhumoriger Bitterkeit lagerten.
Zwischen den haarigen Burschen schwelte es

wie die Lust an der Verschwörung.


Denn der Graf von Cona hatte im Streit
mit der Stadt Bergen einfach die umliegenden Gehöfte besetzt,
und nun raubte seine Truppe den Bauern Vieh und Getreide

als Wehrgeld für den Marsch gegen die Freibeuter, hieß es.
Das ist gegen das gemeine Recht der Hufen,
stöhnten die verpfändeten Männer
und riefen dem Ratsherrn drohend zu.

Gibt es kein Recht? Verdammt noch mal, gibt es kein Recht?


Der dicke Mann aber zuckte mit den Schultern und schwieg.
Er wusste, wie wenig ein Stück Pergament
gegen Speere und Armbrüste ausrichten konnte.

Mit weit ausgebreiteten Armen lag Klaus


über die Tischplatte geworfen,
das glühende Gesicht auf beide Fäuste gestützt,
und das Wehklagen und Jammern der Landleute

floss wie zischendes Blei in die Adern des Jungen.


Es zerstörte sein Hirn,
es riss seine Augen auseinander,
so dass vorübergehend sogar das Bild der wollüstigen Dirne

aus ihnen herausstürzte;


Der unverstandene Drang
und die Jagd des Jungen nach Segnungen,
die vom Himmel strömten,

nach einem Wohlstand, der seine Hand


gleichmäßig nach jedem ausstreckte,
egal über welchen kargen Boden er schritt,
diese gierige Sehnsucht,

die sich so ungleiche Flügel geliehen hatte,


den einen aus den bescheidenen Lehren des Pater Franziskus,
den anderen aus den stacheligen Einflüsterungen
des kleinen Magisters,

nun rissen ihn die starken Flügel


über seine irdische Besessenheit hinaus.
In der Kammer wälzte die Becki das Bett energischer,
aber Klaus Becker ignorierte das provozierende Manöver,
denn Zorn und Mitleid hatten ihn längst
an diese entrechteten Bauern gekettet,
deren Plage ihm pervers und unmenschlich erschien.
In seiner Stimme lag ein bedrohliches Unbehagen,

als er sich nun flüsternd erkundigte,


ob sich denn keiner der Vergewaltigten
gegen das schreiende Unrecht zur Wehr gesetzt habe?
Die Landleute warfen dem unreifen Jungen

scheue, verlegene Blicke zu,


steckten aber schließlich die Köpfe zusammen
und deuteten mit den Fingern
auf einen stämmigen Mann am Ende der Bank.

Er saß dort in seiner braunen Bauerntracht,


einen unscheinbaren Tellerhut
über den purpurnen Kragen gepresst,
der sein zerfurchtes Gesicht teilweise verdeckte,

aber selbst durch diese Verkleidung hatte Klaus bemerkt,


wie der Mann, so oft er sich unbeobachtet wähnte,
manchmal schwer vor sich hin seufzte.
Bald griff der einsame Mann tastend

nach dem Kurzschwert an seiner Seite


und von dort wieder unsicher nach dem Stiel einer Axt,
die er zwischen seine Knie geklemmt hatte.
Doch kaum bemerkte der grüblerische Mann

die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit,


zuckte er zusammen
und winkte der Wirtin heftig zu,
dass er seine Rechnung bezahlen wolle.

Mach dich nur lustig, Frau,


drängte er und schaute misstrauisch um die Ecke,
bis sein unsicherer Blick schließlich
an einem zusammengekauerten Sprengelbart hängen blieb,

an einem schmutzigen Juden,


der in seinem gelben Schamrock
und der roten Zwangsmütze müde
auf einem Holzklotz neben dem Eingang hockte,

wo er, von allen übersehen, wie ein Nichts,


still und leise eine Schüssel Suppe schlürfte.
Der Mann mit der Axt aber schrie bösartig auf
und schob wie in nagender Wut

seinen flachen Hut tiefer über sein Kopftuch.


Für den, für diesen verfluchten Juden,
werde ich mitbezahlen, rief er schneidend,
während die tiefen Furchen

in seinem braunen, sorgenvollen Gesicht zuckten.


Komm, Mosche, du bist der richtige Kerl für mich.
Leck deine Schüssel leer, und dann weg. -
Was ist mit dem Hebraicus?

unterbrach Hein Wichmann,


der von seinem Platz am Tisch aufblickte.
Die feinen Nasenlöcher des Kleinen
schnupperten dabei wie die eines Jagdhundes,

und sein ungleiches Augenpaar sprang


die beiden Gefährten so lauernd und schneidend an,
dass jeder von ihnen unwillkürlich
nach seinen Habseligkeiten griff.

Was soll das? stammelte der Jude


und richtete sich mühsam auf.
Ich bin auf der Wanderschaft. -
Ja, und ich werde dir sagen, warum,

kreischte Hedda und riss ihm die Schale aus der Hand.
In Potthagen, wo du wohnst,
hat das große Sterben schon wieder begonnen.
Und was steckt dahinter?

Ihr Krummnasen, ihr Mörder des Herrgotts,


habt die Brunnen vergiftet. Ist es nicht wahr?
Man sollte euch zu Tode prügeln,
ihr widerliches Ungeziefer.

Ein einziger, heulender Schrei


kam von den irritierten Bauern.
Geballte Fäuste flogen durch die Luft,
und ein schwerer Steinkrug flog gegen die Brust

des verhassten Mannes. Was für eine Lust,


das eigene Leid weitergeben zu können.
Stöhnend sank der Jude in seinem Sitz zusammen,
und erst nach einer Weile gelang es ihm, zu keuchen:

Gestern sind meine eigene Frau


und mein Sohn gestorben.
Glauben Sie?
Er murmelte etwas Unverständliches.

Aber der Abscheu der Bauern wütete weiter.


Schiebt ihn ins Feuer, den Mäusefänger,
soll er uns vielleicht den schwarzen Paten
auf den Hals hetzen?

Die Männer hinter dem Tisch sprangen klappernd auf,


ein fluchender Tumult umgab bald das Opfer ihrer Wut,
und der Angehörige eines aus den Reihen
der Menschheit ausgestoßenen Stammes

ließ seine schwarzen Augen


ungläubig von einem Bedränger zum anderen rollen,
doch schon alles ahnend.
Doch nirgends sah er Erbarmen,

überall nur sinnlose Fremdheit und brodelnden Hass.


Dann, fast im letzten Moment, was war das?
Da setzte sich etwas Wirbelndes, Zappelndes,
Strohblondes mit einem katzenhaften Sprung vom Tisch ab,

um sich dem Angegriffenen zu nähern,


ein helles Lachen brach aus, und seltsam,
die kleine Kindergestalt wirkte plötzlich biegsam,
massiv, hart wie Stahl, wie eine gute Klinge,

die zum Schlag erhoben ist.


Im selben Moment war natürlich auch Klaus Becker
in das Handgemenge geschossen.
Ihn leitete kein besonderes Mitleid
mit diesem eingekesselten Juden,

nur das stürmische Weh für alle Unterdrückten


drückte sich auch hier vorbehaltlos aus.
Es war eine wunderbare Bewegung,
als sich die hoch aufragende Gestalt

nun zum Schutz bereit nach vorn warf,


halb geschmeidig, halb gebieterisch.
Dazu loderten die schwarzen Augen
in einem dunklen, fesselnden Feuer,

und die metallische Stimme erfüllte das ganze Haus


mit einem so mitreißenden Wirbel
einer geschlagenen Trommel,
dass selbst Becki, die neugierig

am Pfosten der Kammer lehnte,


ein seltsames Schaudern über den Nacken lief.
Wehe dem armen Menschen, schleuderte derjenige,
der zum ersten Mal in eine wache Geisterwelt

versetzt worden war, wehe dem armen Menschen,


der einen anderen Unglücklichen schändet.
Die Bauern sahen sich an, verstanden nicht
und wichen vor der drohend erhobenen Faust zurück.
Eine Stille, ein Schweigen legte sich über den Tumult,
um gleich darauf von einem wirbelnden,
schallenden Gelächter abgelöst zu werden.
Hört, hört den Bußprediger,

schüttelte sich Hein Wichmann, und sein Lachen


legte sich wie eine Mauer vor den Juden.
Glaubst du nicht, dass der Kleine
gleich die Messe singen will?

Ja, Priesterdienst, Kutte und Pantoffeln lecken


ist eine gute Sache.
Aber jetzt gebt mir ein Wort,
ihr strohdummen Heufresser.

Was sagt er? murmelten die Bauern, die nicht verstanden,


wie ein Zwerg es wagen konnte, sie zu beleidigen.
Ich sage, fuhr der Kleine in ruhiger Gelassenheit fort,
während er gelassen vor dem Hebräer auf und ab ging,

dass ihr einen Querbalken vor der Stirn tragt


und Ochsen seid.
Die Bauern rührten sich nicht und hörten zu.
Selbst Becki, der beim Anblick des glühenden Knaben

nur schluckte, beugte sich vor.


Ich dachte, ihr wolltet edles Wild jagen?
fuhr der Magister schneidend fort,
und in seinen Augen funkelte eine verlockende Flamme

der Bosheit und des verführerischen Aufruhrs.


Eine Treibjagd gegen die zweibeinige Plage?
Oder glaubt ihr, dass das beste Rudel das ist,
das sich selbst zerfleischt?

Niemals zuvor hatte Klaus die rasende Gewalt


des Kleinen gesehen,
der sich auf eine aufgeregte Schar
verzweifelter Männer stürzte;

jetzt spürte er selbst, wie die feurige Erregung


ihm den Atem raubte
und dass er im Augenblick nichts weiter war
als ein zitterndes Blatt

an einem vom Wind umher geworfenen Busch.


Blätter, vom Sturm ohnmächtig geschüttelt,
murmelnde Blätter wurden auch die anderen.
Mit gespreizter Brust, die wilden Augen

starr auf den gerichtet, von dem


eine unverständliche Losung auszugehen schien,
vergaß selbst der Jude die Gefahr, die ihm nahe war,
denn taumelnd richtete er sich auf.

Wo willst du hin? fragte Hein Wichmann plötzlich wieder


mit seiner weichen, mädchenhaften Stimme.
Ich gehe zu Fuß, sagte der Verhörte hartnäckig.
Ja, wir gehen, wiederholte der Mann mit der Axt,

der wie im Traum gelauscht hatte. Komm, Bruder.


Allein, noch bevor sich die beiden
aus dem gefrorenen Kreis lösen konnten,
stand der Kleine plötzlich zwischen ihnen,

und leise, aber mit unentrinnbarer Eindringlichkeit,


sagte er: Der Einzige, der die Flecken
von deiner Axt wegwaschen kann,
den wirst du jetzt nicht finden. Er ist weit weg.

Der Bauer wich einen Schritt zurück


und stammelte: Wer ist das? -
Wer? Hein streckte ihm die rechte Hand entgegen,
in die der andere, wie angezogen, einschlug.

Wer? flüsterte der Kleine wieder.


Und kaum verständlich, verborgen
hinter einem Schauer von Verehrung und Geheimnis,
hauchte er ihm ins Ohr:

Gödeke, Gödeke Michael,


Er allein befiehlt auf dem schwarzen Schiff.
Eine Welle muss das Haus der Hedda getroffen
und alles begraben haben, was bis dahin

aufrecht gestanden hatte.


Aus dem Strudel schlängelte es sich hoch
wie die Stimmen Ertrinkender.
Ein allgemeines brüllendes Gebet erhob sich

durch das Dach zum Himmel:


Seine Brust ist wohl eine Elle breit,
Den Bedürftigen gibt er Nahrung und Kleidung!
Der Sturm heulte noch immer,

als etwas Unerwartetes geschah.


Der Hebräer hatte, trunken von der Gewissheit,
in einer Gemeinschaft eingeschlossen zu sein,
die Axt ergriffen. Nun taumelte er auf den Holzblock,
schwang die Waffe fieberhaft über die vielen Köpfe

und schrie, besessen von einem fanatischen Wahn:


Und tragt ihr Armen schwer am Leben,
Recht und Freiheit wohnt auf dem Meer.
Und wieder ertönte es ihm zur Antwort,

ernst, schwer, feierlich, wie das Responsorium in der Kirche:


Dort richtet die Reichen an Leib und Seele
Goedeke, Goedeke Michael.
Aber das Letzte war schon auf der Landstraße zu hören.

Der Schwarm war, einer inneren Kraft folgend,


ins Freie geströmt. Alles, was sich ihm widersetzte,
war weggebrochen, nur Becki und Klaus
waren allein unter dem niedrigen Dach;

beide wie angewurzelt, die Trümmer eines Traums,


der sich langsam verflüchtigte.
Komm, ermutigte das Mädchen schließlich
und streckte ihre runde Hand verstohlen

nach dem versunkenen Mann aus.


Die bloße Berührung ließ sie sich sehnen
und unsicher fühlen. Je länger sie
mit dem schlanken Jungen,

der ganz auf die inneren Lieder hörte,


allein blieb, desto mehr wurde ihr bewusst,
dass dieser große, stolze, widerstrebende Junge
mit den brennenden schwarzen Augen

nicht zu dem Geschlecht der sich am Boden wälzenden,


viehähnlichen Vergnügungssüchtigen gehörte,
die bisher ihren Körper geplündert und verspottet hatten.
Eine verzweifelte Scham wohnte noch in ihm,

eine gierige Hingabe, die beten wollte.


Und das reizte die Dirne
über ihre üblichen Grenzen hinaus,
bis sie weich und nachgiebig wurde.

Komm, flehte sie eindringlich,


du kannst tun, was du willst.
Es war eine heiße, betörende menschliche Stimme,
mit der Klaus aus seinen himmlischen Gärten vertrieben wurde.

Wild und schmerzhaft fuhr er auf.


Was willst du? stammelte er entsetzt, angewidert,
denn im aufziehenden Tannennebel sah er
die entfesselte Brunft auf ihn zukommen, wie gewohnt.

Nein, das nicht. Alles, was in ihm an Demut


gegenüber seiner Mutter lebte, alles,
was er an Feindseligkeit gegenüber
seinem eigenen Geschlecht hegte,
es empörte sich, und mit einem mächtigen Stoß
schleuderte er die Ergebene vor sich auf den Estrich.
Er hörte noch ihren dumpfen Fall,
dann fand er sich draußen wieder.

Draußen war Dunkelheit, feuchte, spurlose Nacht.


Die Erlen und Pappeln der Landstraße summten,
ein feiner Sprühregen staubte den abschüssigen Weg hinauf,
und der matschige Lehm der Landstraße seufzte

unter den Füßen des Flüchtigen.


Wohin führte der Weg? Klaus wusste es nicht.
Er stand still, bot fieberhaft seine Stirn
den kühlen Tropfen an und lauschte.

Von der Höhe herab flackerte noch immer


ein Feuerstreifen aus den Fenstern des Häuschens,
das er gerade verlassen hatte,
hinter ihm her, und weit weg,

jenseits des Tropfens, schwirrten Fragmente


des Bauernliedes davon. Ja, das war es,
woran er sich festhalten wollte, das war es,
woran er sich zu klammern wünschte.

Aber während der einsame Mann versuchte,


die vertrauten Strophen aus seiner keuchenden Brust
aufsteigen zu lassen, wurde er verwirrt.
Vergessen, vergessen waren die Worte und Bilder,

die er bis jetzt aufgebaut und errichtet hatte.


Dafür, er sah sich in der Dunkelheit wie gehetzt um,
dafür leuchteten überall weiße Arme aus den Schatten,
fingen ihn auf, und eine üppige Brust erdrückte ihn.

Er wollte sich wehren, er schrie wie ein Unsinniger,


aber das weiße Gewirr erstickte ihn
und wies ihn zurück. Vergeblich, vergeblich,
getragen von flatternden Flügeln, schoss er zurück,

sprengte die Tür und sank wortlos


in die Arme der jubelnden Dirne.
Über dem Haus der Hedda erlosch das Sternbild des Jupiter.
Also groß ist die Macht der Göttin Aphrodite!

SECHSTES ABENTEUER

Wenn das Eis erst einmal gebrochen ist,


spritzt die trübe Gischt des Meeres heftig hervor,
und man denkt, dass die strömende Flut
nichts als Unrat mit sich führt.

Von dieser Zeit an hielt sich Klaus


immer öfter in der Hütte der Hedda auf.
Wenn ihn auch tagsüber, wenn die helle Sonne
der Küste sein Tun beleuchtete,

Ekel und Abscheu vor dem wilden Trieb quälten,


der ihn an einem schneidenden Seil über die Berge zog,
so schnürte ihm nachts die schmerzhafte Verstrickung
alle Glieder zusammen

und riss den Widerspenstigen fort.


Bereitwillig ließ er sich von seinem spöttischen Lehrer
einen Ring der goldenen Kette nach dem andern anlegen,
und Hein Wichmann versäumte es nicht,

seinem verbissen arbeitenden Zögling


während der Tagesarbeit einzuschärfen,
dass es in alten Zeiten ganze Schulen weltlicher Weisheit gab,
die im Genuss, im Schwelgen und sinnlosen Auskosten

die einzige Möglichkeit sahen,


gegen den überall herumschnüffelnden Tod zu gewinnen.
Sieh mal, Kleiner, pflegte der kleine Junge zu sagen,
während die beiden Kameraden im Boot

durch den brausenden Morgennebel fuhren,


es ist der letzte Tropfen im Weinkrug,
der letzte, den die durstige Zunge auf sich herab lockt,
gerade den begrüßen wir als den heißen Boten

aus einer überirdischen, tanzenden Welt.


Bei diesem letzten kämpft die Melancholie
des Abschieds bereits mit der Hoffnung
auf einen neuen Genuss. Oder meinst du,

das Schwein hat einen anderen Grund,


sich den Rüssel blutig zu reißen,
während es nach der letzten im Boden
verborgenen Eichel kratzt?

Angesichts solcher Einflüsterungen,


obwohl sie ihn mit der Schärfe eines Rutenschlags trafen,
blieb der große Junge, dessen Wangen immer schmaler
und blasser wurden und dessen verbrannte Augen

nun oft in selbstquälerischer Verzweiflung glühten,


stumm und taub. Und der strohblonde Magister
begann zu spüren, dass sein Geschöpf
die provokative Absicht hinter seinen stacheligen Reden
zu bemerken begann. Hinzu kam, dass die Arroganz
und die herrische Art des Fischersohns
immer herrischer wurden, und es kam nun häufig
zu Streitereien und Auseinandersetzungen

in der Hütte der Beckers.


Der Sohn fragte nicht mehr, er forderte.
Auch äußerte er manchmal Gedanken und Meinungen
zu kleinen Ausflüchten, die bewiesen,

wie hoch die Gärung in seiner Brust bereits gestiegen war.


Eines Tages saß Bruder Franziskus am Herd der Hütte.
Er war, wie er sagte, im Namen seines Klosters gekommen,
um bei den Fischern einen wirtschaftlichen Auftrag zu erledigen.

Aber in Wirklichkeit war er von Mutter Dörte


gerufen worden, die keine Ruhe mehr fand,
weil sie sich um ihren einzigen Sohn sorgte,
der, wie sie glaubte, auf Abwege geraten war.

Die treibende Angst beschattete sie nun fast stündlich,


dass in ihrem Kind die bösen Gelüste
seines wirklichen Vaters erwacht seien,
die Lust am Vergnügen und am Raub,

die wilde Gier nach Unterdrückung der Schwächeren


und die kalte Verachtung von Recht und Moral.
Ihre Brust bebte, als sie daran dachte,
dass sie selbst nur gezwungen worden war,

diesen fremden und doch geliebten Spross zu empfangen,


und die Schärfe des mütterlichen Auges nahm auch wahr,
wie das Wissen um den zukünftigen Mann
plötzlich in ihrem Sohn hoch gepeitscht wurde

und wie Scham und Verachtung


dieses Wissens in ihm kämpften.
Ein kalter Novemberabend fröstelte über der Hütte.
Am Buchenfeuer saß der Mönch,

und neben ihm, in Decken gehüllt, hing der Hausherr,


halb in seinen Lehnstuhl gelehnt, in der warmen Feuerluft
mit einem pfeifenden Geräusch keuchend,
das seine wunde Brust doch immer

zu einem langen Husten veranlasste.


In einer schattigen Ecke, wohin er sich absichtlich
verzogen hatte, schärfte Klaus mit einem Stein
den Aalspeer, während Dörte vor ihrem Gast stand,

die Hände demütig über der Brust gekreuzt,


als sei sie bereit, jedes Wort ihres geistigen Führers
auf sich wirken zu lassen
wie eine Predigt von der Kanzel.

Draußen drückte sich der Nordsturm an die Hütte


und keuchte begehrlich um das erschütterte Dach.
Aber das machte den Raum nur noch geheimnisvoller.
Und in der Behaglichkeit des warmen Ortes

vergaß der Pater sogar, dass weit hinter seinem Rücken


der kleine strohblonde Zwerg auf einem Brett
unter dem Schornstein hockte und sichtlich bemüht war,
so weit wie möglich in der rötlichen Schwärze

des Hohlraums zu verschwinden.


Der Magister war auch der Einzige,
der mit einem spöttischen Lächeln bemerkte,
wie Klaus bei seiner Arbeit immer unruhiger wurde,

und er wusste auch, was seinen Zögling


an brennenden Seilen von hier wegzog.
Darüber war er froh. In der Zwischenzeit
ging das Gespräch auf ehrbare Art und Weise hin und her.

Meistens stellten die alten Fischer


ihrem Beichtvater diese oder jene wichtige Frage
des täglichen Lebens und fügten sich dann
mit bedingungsloser Zustimmung

seinen Aussprüchen und Entscheidungen.


Auf diese Weise hustete der Kranke seinem Gast aus,
was in den letzten Tagen den Geist des Leidenden,
der sich bereits in Gleichgültigkeit verlor,

plötzlich versengt hatte. Man stelle sich vor,


der Vogt habe im Auftrag des Grafen
den Wehrpfennig gegen die Freibeuter eintreiben wollen,
aber da er bei den Beckers nicht genügend

Münzgeld gefunden habe, habe er den Ziegenstall geöffnet


und eines der Tiere, die beste Milchspenderin,
ergriffen und weggetrieben.
Als der schlaffe Riese sich an diesen Raub erinnerte,

wurde der einst mächtige Körper von einer Wut geschüttelt,


die den Sessel unter ihm erzittern ließ.
Schweiß tropfte über den grauen Bart des aufgeregten Mannes,
als er halb lallend fortfuhr:

Schande! da lag ich, und konnte ich mich bewegen.


Nein, ich habe nur geschrien,
immer nach Gott und den Heiligen.
Die Ziege hat auch geschrien,

aber was nützt das einem Sünder,


dem das Wasser in den Knien gurgelt,
denn so hoch ist es bei mir schon,
der Alte warf sich herum und nickte in die Ecke,

wo sein Sohn fester an seiner Spucke rieb,


dann keuchte er dankbar:
Aber am Nachmittag kam Klaus,
der Junge kam vom Meer, und da wurde alles anders.

Er ist dem Landvogt nachgelaufen


und hat unsere Ziege zurückgebracht.
Wir haben sie wieder, die Geweihte,
schloss er erleichtert und hauchte in seine erstarrten Hände.

Wie ist das passiert? fragte der Pfarrer mit Nachdruck.


Ich habe sie ausgelöst, antwortete Klaus leichthin.
Mit wessen Geld? - Ich habe es mir geliehen. -
Von wem? - Von einem Freund, beendete der Junge trotzig,
konnte aber nicht verhindern, dass sein Blick
wie zustimmend zu dem Strohblonden
am Herd hinüber hüpfte.

Er rückte noch näher an die Wand des Schornsteins heran.


Der Mönch schüttelte nachdenklich den Kopf.
Dann sagte er mit seiner freundlichen Stimme,
die empfängliche Gemüter wie das von Dörte sanft beruhigte,

wie ein beruhigendes Fiebermittel:


Ihr guten Menschen, streitet euch nicht.
Es müssen Opfer gebracht werden,
jeder nach seiner Kraft,
wenn in der göttlichen Waage Recht gegen Unrecht

und Ordnung gegen Widerspenstigkeit steht.


Deshalb steht auch geschrieben: Gebt dem Kaiser,
was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.
In den roten Feuerschein gehüllt wie in den Mantel des Elias

und selbst von seiner Lehre zutiefst überzeugt,


so urteilte der Mönch, und die alten Fischer
sahen sein Wort in ihrer Hütte aufgehen
wie eine Wunderblume,

deren seltsame Pracht sie nicht begriffen.


Da, entsetzlich, die Hüttenbewohner erschraken,
sie trauten ihren Ohren nicht, etwas lachte laut
und rücksichtslos gegen alle Ehrfurcht

mitten in den frommen Sätzen,


und in der Ecke stieß der junge Klaus
seinen Speer senkrecht in den Estrich,
so dass das Eisen zitterte und brummte.

Was ist denn los? murmelte der Vater,


der vor Schreck stumm wurde
und sich mühsam aufrichtete.
Warum lachst du?

Der Sohn rüttelte kräftig an dem schlanken Schaft,


und nicht im Geringsten eingeschüchtert,
warf er blitzende Augen zum Vater hinüber:
Von wem stammen die törichten Sprüche?

Töricht? Dunkelheit fiel über Bruder Franziskus.


Das Entsetzen über diesen Ungehorsam gegen den Himmel
erschütterte für ihn mit einem Knüppelschlag
das weise Verständnis, das der Geistliche gewöhnlich

seiner Umgebung und besonders der Jugend entgegenbrachte.


Es schien ihm unmöglich, dass eine solche Unverschämtheit
in einem menschlichen Gehirn heranwachsen konnte,
unbegreiflich, dass ausgerechnet der ihm lieb gewordene Junge

sie aussprach. Gelähmt, unfähig, sich zu beherrschen,


antwortete er, nur um zu spüren, dass seine Worte
wie von selbst entweichen, ungehemmt,
wie der Faden eines Garnknäuels, mit dem eine Katze spielt.

Klaus, sagte er voller Kummer und so leise,


als spräche er zu sich selbst, der Allmächtige
wird dir die Herausforderung abnehmen.
Es ist unser Herr und Heiland selbst, mein Kind,

der diese Botschaft verkündet hat.


Nun wandte sich auch die Mutter um.
Ihre vorwurfsvollen Augen
und die vor Entsetzen ausgestreckten Hände zeigten,

dass sie erwartete, dass ihr Sohn


bei dieser Belehrung auf die Knie fallen würde.
Doch was entdeckte sie? Um die Lippen des Jungen
flog nur ein arroganter, grausamer Blick,

und nachdem er sich mit einem kurzen Blick


des Beifalls seines zierlichen Herrn versichert hatte,
setzte er zu einem neuen, noch respektloseren Schlag an.
Hat der Heiland das selbst geschrieben? fragte er ungläubig.

Aufrichtig schüttelte der Bruder sein feines Haupt.


Schweiß perlte auf seinen ergrauten Schläfen.
Der Heiland hat nicht geschrieben, gestand er,
und wieder entkam ihm die Antwort gegen seinen Willen,

wie ein Hund, der von einem Mächtigeren angelockt wird.


Seine Lehre ging durch viele Hände. -
Dann ist sie nicht mehr tauglich für ein späteres Zeitalter,
entschied der Junge nun fest

und mit schrecklicher Überzeugung,


abgestandenes Wasser macht krank. -
Klaus, jammerte die Mutter,
und in ihrem überwältigenden Entsetzen glaubte sie,

dass ein höllischer Dämon in der Ecke hockte


und seinen schwarzen Speer auf ihr Herz
und das Innerste der Welt richtete.
Und doch war der Dämon immer noch schön und herrlich.

Auch der Vater stieß nun ein schmerzhaftes,


ängstliches Keuchen aus.
Nur der Mönch lehnte sich stumm und starr
auf seinem Stuhl, denn der Fels seines Glaubens

wuchs unter ihm, so dass die Strudel ihn nicht erreichten.


Sündige weiter, Korah, sprach er fest.
Aus dem Feuer des Herdes aber
ertönte ein spöttisches Kichern,

und davon irritiert, brach es ohne jede Rücksicht


aus dem Abtrünnigen hervor, die Leidenschaft,
zu herrschen und andere nach seiner Überzeugung
zu formen, schlug Flammen:

Ist Gott reich oder arm? -


Reich, antwortete der Geistliche schwach.
Ist der Kaiser reich oder arm? -
Gott helfe dir, reich, flüsterte der Priester gezwungen.

Da riss Klaus seinen Spieß vom Estrich,


streckte dem Mönch das Eisen steif entgegen,
und während sein vorgeschobenes Haupt
von der Glut des Herdes erreicht wurde,

rief er mit grimmiger Wut und funkelndem Auge:


So möge Gott endlich aufhören zu fordern und zu bedrängen,
und der reiche Kaiser möge den Armen geben,
was den Armen gehört.

Nach dieser hasserfüllten Entrüstung


rührte sich eine Zeitlang nichts.
Die alten Beckers schlossen aus dem aufgeregten,
zerreißenden Ton nur, dass ihr Sohn,
ihr einziges liebes Kind, in die kalten, dunklen Tiefen
der Verdammten gestürzt sein musste,
während er versuchte, die Ketten zu erschüttern,
mit denen die Erde vom Himmel herabhing.

Auch sie verstanden das nicht genau,


und doch zog es die armen Menschen
mit zwingender Kraft dazu, ihre ohnmächtigen Hände
nach dem Verlorenen in der Höllenspalte auszustrecken.

Sie schauten sich noch immer hilflos an


und suchten Trost in ihren
von keinem Verständnis erhellten Gesichtern,
als sich Bruder Franziskus von seinem Sitz erhob,

und während er sich fest und endgültig


in sein Gewand hüllte, beugte er sich
und starrte vor sich hin, bis er die Schwelle erreichte.
Hier aber verringerte er seinen Schritt,

und in das Holz der Brettertür hinein


sprach das zarte Männchen nach hartem Ringen:
Rufe mich, Klaus, wenn dich die Not
der Verlassenen drängt.

Der Heiland wohnt auch in denen, die ihn lästern.


Du wirst es erfahren.
Dann war er wie ein grauer Schatten entschlüpft.
Und in der Hütte zitterte die Stille.

Aber die frommen Augen des Zisterziensers


hatten deutlich genug in die zuckende Seele
dieses kämpfenden Menschenkindes geschaut,
denn etwas von der heilsamen Allbarmherzigkeit

des Gründers der Christenheit


pochte wirklich schmerzhaft
in jedem Pulsschlag des Jungen.
Und das, was den Mönch abstieß,

war nur in jenem lodernden Wahn zu suchen,


der den Ausgleich und die Verherrlichung
der Bedrängten und Gequälten auf dieser Erde sofort,
im nächsten Augenblick, womöglich

durch wilde, durch erdrückende Gewalt herbeiführen wollte.


In den Fieberträumen des gärenden Mannes
erhob sich immer mahnender eine gepanzerte,
goldglänzende Faust, seine eigene,

die das jämmerliche Dasein zurechtrückte,


und seine Nächte wurden ständig von der Qual gestört,
ob er, der Schmutz-besudelte, sinnliche Lustmensch,
das flammende Schwert wirklich

in seine besudelten Hände nehmen dürfe.


In solcher funkelnden Dunkelheit,
wenn vor seinen weit aufgerissenen Augen
der alte Klaus Becker, die Mutter,

sowie Anna Eberhard in golddurchwirkten


Purpurgewändern stolzierten,
weckte er oft den neben ihm liegenden Magister,
um in nicht mehr erträglichem Zweifel zu flüstern:

Muss es ein Reiner sein, der die Ehre auf die Erde bringt?
Aber der epikureische Zwerg ekelte sich
vor solch ernsthaftem Zwiespalt,
denn sein flatterhafter Geist hatte nie aufrichtig

an Selbstprüfung gedacht, und so schlug er schläfrig


nach der Hand seines Freundes
und murmelte ihm zornig zu:
Lass mich in Ruhe, du Betbruder!

Wer den leeren Bäuchen das Essen bringt,


braucht nicht erst die Schüssel zu reinigen.
Und nun schnarche und träume
vom Schoß der Becki!

Aber Klaus träumte nicht mehr von dem Körper,


der ihn unterjocht hatte,
oder den er sich unterjocht hatte,
er beutete ihn nur noch gierig aus,

wie der Goldgräber, der in der Grube


wahnsinnig nach dem letzten Funken sucht,
und der Magister ahnte nicht, dass sein Zögling
schon von Ekel und Überdruss

in jenes verschlossene Herrenbewusstsein gejagt wurde,


das selbst hinter dem weißen Kleid
der schamhaftesten Frau die Hure wittert.
Ja, der Irre wagte bald nicht mehr,

seine Mutter und die zur Jungfrau erblühte


Anna Eberhard gläubig anzuschauen,
so wenig ahnte er,
was er in ihnen vermuten sollte.

Dunkle, düstere Winternebel zogen auf,


und an ihrer grauen Wand schrieb
schon eine geisterhafte Faust
unverständliche Zeichen von dem, was kommen sollte.
Die Stunde des Schicksals dämmerte herauf.
Es war ein kalter, nasser Novembernachmittag.
Aus dem Dunst geisterte es in schrägen Linien herab,
aus ihm wurde der Rauch des Kamins rauchig

um die Hütte gepresst, und das Meer


zischte glasige Eisbrocken gegen die Strandsteine.
Zu dieser Stunde, während der Vater schlief
und die Mutter geräuschvoll mit den Töpfen klapperte,

deckte sich Klaus wie in wütender Bitterkeit


mit seiner Ledermütze zu,
hüllte sich eilig in sein Robbenwams
und schlich sich unbemerkt aus der Hütte.

Als er den weichen Hagel um sich herum spürte,


atmete er gierig und doch verstohlen die feuchte Luft ein,
wie ein Dieb auf einer schlechten Flucht.
Er wusste, dass der Pfad, den er zehnfach verabscheute,

sein Maul wieder gegen ihn öffnete,


um den Wanderer ohne Mitleid zu verschlingen.
Seit einer Woche kämpfte er einen erbitterten Kampf
gegen seinen Hunger, gegen die abscheuliche Lust,

ein anderes Geschöpf zu entwürdigen


und es dennoch in seliger Knechtschaft zu halten,
aber jetzt, jetzt war aller Widerstand in ihm erschöpft
und mit einem Mal gebrochen.

In langen Sprüngen eilte er von den Dünen hinunter


zum Strand, und richtig, da unten schob Hein Wichmann
das Boot gerade zwischen den Steinen hervor.
Dumpf, in abgehackten, mürrischen Worten,

verlangte der Bursche von seinem Lehrer,


dass er heute allein das Netz machen dürfe,
weil er selbst, weil, kurzum, er würde
gegen Morgen wieder zu Hause sein.

Und seltsamerweise, ohne das übliche spöttische Lächeln,


nickte der kleine Junge diesmal schnell und zustimmend,
ja, es schien fast, als ob es ihm nicht ungelegen käme,
die Seereise allein und unbeobachtet antreten zu können.

Eilig grüßte er den abreisenden Mann,


lobte ihn dafür, dass er sich freute,
mitten im Winter runde Äpfel
vom Baum schütteln zu können,

alles gleichgültig und ohne Mitgefühl,


und wandte sich dann wieder seinem Boot zu,
das doppelt so viel zu tun hatte.
Doch Klaus zögerte noch eine Weile.

Für kurze Zeit befreite sich der scharfe Verstand des Jungen
von den üppigen Bildern, die ihn blendeten,
und ahnungsvoll durchfuhr ihn die Erkenntnis,
wie sehr sich das Wesen des Kleinen

in den letzten Tagen verändert hatte.


Seltsamerweise hatte eine treibende Unruhe
über Hein Wichmann die Oberhand gewonnen;
Klaus erinnerte sich, dass sein Freund

nun Nacht für Nacht umherstreifte,


vor allem auf den Höhen der Insel,
ja, der Fischersohn erinnerte sich,
wie er an einem der vergangenen Abende

den Magister heimlich auf einem ins Meer


ragenden Steinhaufen beobachtet hatte,
wo der strohhaarige Mann ein unverständliches Spiel
mit dem Feuer betrieb.

Er hatte dort ein Reisigbündel angezündet,


und zum Erstaunen des Zuschauers wurden
die brennenden Äste von dem einsamen Mann
nacheinander in die Abendluft geschleudert.

Was hatte das zu bedeuten?


Sollte hier jemandem ein Zeichen gegeben werden?
Als Klaus nach ihm rief, erschrak der kleine Junge.
Was machst du da? hatte der Junge gerufen.

Doch statt einer Antwort hatte der verstörte Junge


das schwelende Bündel ins Wasser geschoben,
mit den Schultern gezuckt und wütend zurückgegeben:
Meinst du, ich halte es hier vor Langeweile noch länger aus?

Störe mich wenigstens nicht, während ich mich anmutig


mit den dummen Fischen amüsiere.
Damit sprang er von den Steinen herunter
und rollte wortlos in die Hütte.

Seitdem aber hatte sich in seinem Schüler


der Verdacht eingenistet, dass Hein Wichmann,
dieses unentbehrliche Gefäß der krausesten Erkenntnis,
dieser Galgenstrick, in dem die gemeinsten

und liebenswürdigsten Eigenschaften


in bunter Verwirrung wirbelten, ach,
dieser unstete Wanderer gewiss schon seine Flügel
zum Flug ins Unendliche ausbreitete.

Und das Herz des liebevollen Jungen


wurde davon verzehrt, neidisch unfähig,
etwas zu opfern, was es einmal in Besitz genommen hatte.
Sollte er nun vielleicht allein gelassen werden,

um wieder in Dumpfheit und Knechtschaft


unter den alten Leuten zu versinken?
Schon waren Stunden seit der Begegnung vergangen,
nach hemmungsloser Ausschweifung

hing Klaus ernüchtert


und voller Selbstverachtung
auf dem elenden Bettgestell in der Kammer Beckis,
und das Gefühl, ein Ausgestoßener zu sein,
ohne Ziel und Richtung zur Allgemeinheit

verdammt zu sein, belastete ihn


mit solchen Gewissensängsten,
dass er den Kopf in beide Hände stützte
und wie begraben vor sich hinstarrte.

Was sollte nun folgen?


Wenn Hein Wichmann wirklich eines Morgens
verschwunden war, würde ihn dann nicht nur
diese elende Frau über die hoffnungslose,
ewig unveränderliche Front

eines unfreien Menschen hinweg täuschen?


So blieb ihm nur der Ekel oder die grelle Trostlosigkeit,
wenn er die Qualen eines an die Scheide
Einer Frau gefesselten Knechtes vergessen wollte!

Entfliehen? Ja, wenn nur ein Leibeigener


nicht für jede Bewegung die Zustimmung
seines Herrn bräuchte.
Warum war er dazu verdammt? Ausgerechnet er?

Und gab es nicht unzählige andere hier,


die diesem Fluch zum Opfer gefallen waren?
Mit einem heftigen Ruck erhob er sich in die Luft,
und seine Augen funkelten so dunkel und bedrohlich,

dass die Becki, die hochmütig vor ihm


auf und ab tänzelte, befremdet innehielt.
Sobald sie ihre Fassung wiedererlangt hatte,
lächelte sie sogar über den unreifen Wildling;

denn sein gärendes Wesen


wie auch das bunte Gefieder seines Geistes
riefen bei der Denkfaulen außerhalb seiner Umarmungen
höchstens Spott und Hohn hervor.

Geh nach Hause, kleiner Junge, sagte die Dirne


und schnippte mit dem Finger gegen ihre vollen Lippen,
damit du deine Mutter nicht störst.
Selbst meine Alte hört vielleicht auf zu schnarchen,

wenn du die Tür wieder so zuschlägst.


Leise öffnete das Mädchen die Klappe der Kammer
und spähte in den Schenkraum.
Allein dort draußen lag alles im Halbdunkel,

nur eine schwache Öllampe flackerte auf dem Tisch,


und am Kamin schlief ein buckliger Querpfeifer,
der den Gästen am Vorabend
seine Melodien vorgespielt hatte.

Jetzt ruhte sein pockennarbiger Kopf auf der Feuerstelle.


Du kannst gehen, riet Becki noch einmal,
nachdem sie sich von dem freien Ausgang überzeugt hatte.
Doch mit einem Mal geriet ihr herablassender Tonfall ins Wanken,

als sich ihr gleichgültiger Blick nun unerwartet


mit dem ihres Besuchers verschränkte.
Sie blieb wie gebannt auf der Schwelle stehen,
und ihre zitternde Hand zog unwillkürlich

das Leinen um ihren Hals fester.


Was schaust du mich so an? stammelte sie
ziellos in springender Feigheit.
Ich habe dir nichts getan.

Wie sehe ich dich denn an? erkundigte sich Klaus,


den selbst, wie einen auf frischer Tat ertappten,
ein kalter Schrecken
aus seinen Gedanken geschreckt hatte.

Die vollbusige Frau aber zitterte immer noch.


Man könnte fast meinen, versuchte sie
ihr Unbehagen hinter einem Lächeln zu verbergen,
obwohl ihre zitternden Wangen sie Lügen straften,

man könnte meinen, du wolltest mir an die Gurgel gehen.


Es sollte wie ein Scherz klingen,
und das Mädchen streckte alle Glieder,
als wolle sie die Kraft beschwören,

die ihr immer geholfen hatte.


Aber das ernste Gesicht des Jungen
und vor allem seine vernichtenden Augen
ließen sie nicht in ihr sicheres Gefühl zurückkehren.
Und dann, hatte sie richtig gehört?
Wurde sie nicht vielleicht doch
von einem dubiosen Spuk getäuscht?
Nein, nein, jetzt, es sprang ihr entsetzt in die Augen,

der verfluchte Kerl dort griff wirklich


in das Bettengewirr, drückte den Strohsack
erbarmungslos zusammen und flüsterte
heiser mit innerer Erniedrigung:

Hör zu, Becki, es wäre für uns beide besser gewesen,


wenn ich dich früher in den Kissen erwürgt hätte.
Sie schrie nicht auf, sie zitterte nicht mehr, nein,
vor dieser wilden Drohung, an deren innerer Wahrheit

die erfahrene Frau keinen Augenblick zweifelte,


gewann die Dirne vielmehr ihre alte Arroganz zurück.
Sie erinnerte sich auch daran, dass sie nur
zu schreien brauchte, um den Schläfer ins Innere zu locken.

Sie richtete ihre Arme düster auf.


Dann setzte sie sich ihrem Gast gegenüber
auf ein Klappbrett, das sie von der Holzwand
heruntergelassen hatte. So nah waren sich die beiden,

deren Blut plötzlich von verzweifelter


Feindschaft vergiftet war, dass sich ihre Knie fast berührten.
Dann platzte Becki mürrisch, aber immer noch
von einem hellen Strahl getroffen, heraus:

Du hättest recht, einen Menschen wie mich zu töten.


Es muss die dumpfe Nachdenklichkeit
in dieser Anschuldigung gewesen sein,
die den Jungen umstimmte.

Er bewegte seine fein geformte Hand gebieterisch,


als wolle er das Wort nicht geformt hören,
dann sah er sich verwundert in der Runde um.
Zum ersten Mal blickte er entgeistert

auf den kahlen Hausrat, das elende, zerfledderte Bett,


die grüne, schimmelige Feuchtigkeit der Wände
und die rauchige Lampe an seinem Kopf.

Auch die Wangen Beckis stachen ihm grell ins Auge.


Wie vor etwas Unbegreiflichem schüttelte Klaus den Kopf,
dann strich er sich schwer atmend die Locken aus der Stirn.
Doch als sein Blick über seine zusammengesunkene,

grübelnde Begleiterin schweifen musste,


ergriff ihn die erdrückende Stille mit verzweifelter Kraft.
Sprich etwas! befahl er so bedrohlich,
dass Becki taumelte.

Was soll ich sagen? erwiderte sie mürrisch.


Der Junge schlang die Hände umeinander,
fand aber sonst wenig Ausdruck für sein Verlangen.
Wie du so geworden bist, so eine?

platzte er schließlich in grimmiger Verzweiflung heraus.


Wie bist du so einer geworden?
Da starrte die Dirne ihren Peiniger sprachlos an,
denn es war seine zärtliche Verehrung,

die sie bisher gezwungen hatte,


dieses Halbkind zu bemitleiden.
Sie fletschte verärgert die Zähne,
als könne sie sich kaum zurückhalten,

ihm mit einem unerwarteten Biss ins Gesicht zu hacken.


Doch allmählich verblasste die Feindseligkeit
aus ihren grünblauen Augen
und sie brach in schallendes Gelächter aus.

Du bist wirklich ein neugieriger Spatz,


spottete sie unsicher, aber in ihrer Stimme
lag ein raues Erstaunen. Verdammt,
ich habe wirklich selbst etwas von dem alten Zeug gegessen.

Willst du das wirklich wissen?


Pass auf, Kleiner, du kannst hier noch was lernen!
Mit einem sarkastischen Lächeln lehnte sie sich zurück,
legte die Hände in den Schoß

und schleuderte ihm dann ihre Dirne-Geschichte ins Gesicht,


abgehackt, bösartig, anmaßend, als wäre es
eine lächerliche Selbstüberschätzung eines kleinen Mädchens,
überhaupt die Wege ihrer Zunft erkunden zu wollen.

Ja, du Milchbart, was zehn Mäuler


an einem armen Hufbauer fressen,
davon hat dir deine Mutter hinter dem Herd
sicher nichts erzählt?

Sieh mal, ich bin so ein Maulwurf!


Auf unserem kleinen Feld ist gerade
eine einzige Kuh verhungert, aber was hat es genützt?
Das Stückchen Land ist noch nicht zerlumpt genug,

der Edelmann aus der Nachbarschaft


muss noch sein gnädiges Auge darüber werfen.
So ist die Gegend voll von Geschrei
über Raub, Diebstahl und Einbruch,
bis eines Tages der Bauer im Turm des Gutsherrn
seine eigenen Knochen anknabbert.
Kaum ist das Skelett befreit,
wird es vor den Hof des Herzogs von Wolgast gebracht.

Die zehn Mäuler müssen gestopft werden,


und irgendwo wird schon Recht gesprochen werden!
Es kann doch nicht aus der Welt gelaufen sein?
Zwei Jahre dauert der Streit, zwei Jahre,

bis die Augen blind werden vor Heulen und Angst.


Dann, hörst du, haben die Beamten,
Schreiber, Ratsherren und Gerichtsvollzieher
den Rest des Feldes aufgefressen.

Hei, da stehst du nackt und bloß auf der Straße,


und die Nachbarn schlagen dir die Tür vor der Nase zu.
Was nun, Klaus, was nun? Ich werde es dir sagen.
Was hat es gebracht, das Handwerk des Meisters zu erlernen?

Man wird es einmal versuchen.


In Wolgast gibt es einen reichen Bäcker,
ich selbst habe die Gelegenheit ausgekundschaftet,
er hat unseren Besuch zu nächtlicher Stunde empfangen...

Becki grinst und beißt sich in die Finger,


aber ihre bemalten Lippen zittern jetzt wie vor Kälte.
Diesmal dauerte der Prozess nur kurz, schluckt sie
und reibt mit unnatürlicher Gelassenheit ihre Hände,

nach acht Tagen stand ich schon mit meinem Vater


unter dem Galgen. Aber bevor sie ihn hochzogen,
oh, das war gut, rief er mir über alle Maßen zu:
Der Himmel hat große Pläne mit uns!

Siehe, meine Tochter, ich werde in meinem Alter lernen,


in der Luft zu tanzen, und du, meine Tochter,
freue dich, du wirst eine Hure werden.
Und vergiss nicht, mein Junge, das letzte Wort eines Vaters

ist nicht zu entehren. - Mit diesen Worten


stand die Erzählerin auf, drehte ihrem Besucher
den Rücken zu und kratzte an der Wand,
als ob es keinen Sinn machen würde.

Plötzlich aber sprang sie zurück,


schlang ihre Arme um seinen Hals
und bedeckte das Gesicht des erstarrten Mannes
mit unbändigen Küssen.

Komm, mein Junge, gurrte sie voller böser Angst,


als wären ihr der Büttel und die Todesreiter
wieder auf den Fersen, was nützen deine Torheiten?
Die Hauptsache ist, jung zu sein. Jung!

Horch, unsere Herzen! Springen sie nicht


gegeneinander wie kleine Lämmer?
Komm, gib mir Geld, meine alte Hexe hat dir
wieder ein hübsches Sümmchen gewechselt,

und dann braue ich dir da drin Met,


und wir trinken, bis uns Flügel wachsen.
Kopf hoch, kleiner Junge, küss mich
und bleib bei mir.

Berauscht und gleichzeitig erschrocken


über sein starres Gesicht, klammerte sie sich an ihn.
Was ist los mit dir? murmelte sie erneut, als sie merkte,
dass sich ihre Begeisterung nicht auf ihn übertrug.

Dann sank sie erschöpft wie ein schwerer Holzklotz


vor ihm in sich zusammen.
Klaus aber stand neben ihr, unfähig, sich zu bewegen.
Und obwohl seine Glieder zitterten und bebten,

hatte die Dirne richtig gesehen, als sie spürte,


dass ihr Gast nicht mehr bei ihr war.
Ungläubig, halb erstickt, sah er hinter den seufzenden Scherben
zu seinen Füßen die vergewaltigte Menschheit.

Und er konnte nicht glauben, dass dies alles


seine Brüder und Schwestern waren.
Von den Türmen der Adligen sprangen verfaulte Scharen,
voreingenommene Richter hackten die Gerechtigkeit

in den seidenen Kitteln,


und überall sprossen Galgen aus der Erde,
die den Armen und Elenden nachliefen
und ihnen zubrüllten:

Freut euch, ihr lernt im Alter in der Luft tanzen,


und oh Freude, eure Töchter werden zu Huren!
Nein, nein, das war nicht die Welt, die der Vater
oder der Landvogt verkündeten.

Als Klaus endlich die Augen aufschlug, glaubte er,


aus der elenden Lampe über seinem Kopf
zischten Blitze herab, deren schwefelhaltiges Licht
ihn blendete und versengte.

Seine Kleider fingen an, am Körper zu brennen,


und über allem schwebte eine grenzenlose Angst:
Was hatte er, der Frevler, getan,
dass er sich den wütenden Galgen eingefangen hatte?
Umgekehrt, umgekehrt, er hatte sich doch über eine
der Verlorenen geworfen, um sie
bis auf die Haut auszurauben
und gänzlich auszuplündern.

In der Zwischenzeit war die Schwäche


aus der Dirne gewichen.
Mürrisch richtete sie sich auf.
Raus hier, du Lumpenhund. Was stocherst du in mir herum?

Klaus konnte das kalte Entsetzen, das ihn ergriffen hatte,


nicht mehr zurückhalten. Unbewusst,
sei es aus Mitleid oder aus der Sucht heraus,
sich von dem Schuldspruch freizukaufen,

schüttelte der Bursche mit fiebrigen Händen


einen Regen von Silber- und Kupfermünzen
über dem struppigen Haar des kauernden Mädchens aus,
und der Flüchtige war so erregt, dass er sogar den Rest

des Geldes nach dem schläfrigen Pfeifer warf,


als wolle er sich wehren, als er durch den Schenkraum flog.
Auch er war ein gepeinigter Mann, der nachts
auf den Landstraßen fror und sein Elend

aus den fünf Windlöchern hinaus wischte.


Weg, nur weg von hier, um nie wieder
der Wahrheit in ihr lächelndes Gesicht zu schauen.
Doch der Pfeifer sprang den rollenden Münzen hinterher

und war überzeugt, dass er es mit einem edlen


Nachtschwärmer zu tun haben musste.
Der Bucklige schnappte sich dankbar sein Instrument
und eilte dem launischen jungen Herrn nach,

entschlossen, dem so unvernünftigen Drängler


durch seine Kunst den Weg abzukürzen.
Draußen tauchte die Gestalt im Wams des Seehunds
hin und wieder aus den morgendlichen Dämpfen auf,

und der Dudelsackspieler keuchte stolpernd und stürzend


den abschüssigen Weg entlang, während sein Instrument
seltsam hohe, zerrissene Töne quiekte.
Doch allmählich verlor der Verfolger sein Ziel aus den Augen,

und an einer Biegung des Weges blieb er stehen,


holte Luft und streichelte genüsslich sein Querholz,
das ihm so hohe Ehren eingebracht hatte.
O Maria, lass mich in Ewigkeit dein Erbarmen besingen!
SIEBENTES ABENTEUER

Der Mond verblasste in seinem feuchten, blassen Hof,


als Klaus aus den toten Ästen des Sassenwaldes
auf die Höhe der Dünen trat.
Unten fegte ein starker Wind über Strand und Meer,

fegte den Dunst weg und öffnete einen weiten Blick


für die Ankunft. Schwarz und düster wogte
die anschwellende Weite am Rande des Horizonts,
und ihre dunklen Hügel wanderten schräg

in melancholischen Reihen
auf die ferne Bucht von Binz zu.
Dazu schwebte von überall her
ein nicht enden wollendes Brummen über die Bahn,

als ob schlaue Bienenschwärme


im Morgengrauen den Heimweg suchten.
Und doch, dort unten war es hell,
und das Gespenst der grauen Buchenstämme war überwunden.

Endlich! Der verschlafene Heimkehrer


wandte sich noch einmal dem kalten, nebligen Wald zu,
um sich ungläubig zu vergewissern,
ob all die verwirrten Gestalten,

die ihn bisher begleitet hatten,


dort hinten zwischen den tropfenden Büschen
wirklich vom Erdboden verschluckt waren.
Aber nichts rührte sich mehr,

und es war wohl nur seine verzweifelte Erinnerungsgabe,


wenn scharfe, halb wahnsinnige Geräusche
sein Gehör noch durchschnitten.
Es klang wie das Weinen eines verstörten Kindes.

Klaus schüttelte sich und wischte sich die Regentropfen


von der Stirn. Dann trat er weiter hinaus,
und seine Augen tranken durstig das
immer noch große Bild.

Ja, da draußen, murmelte er sehnsüchtig, da draußen!


Die uralte Vorstellung der Küstenbewohner überkam ihn,
dass der silberne Ring, der die bewohnte Erde umgab,
auch die Macht besaß, alles Unglück,

alles irdische Leid


in Freiheit und Vergessenheit aufzulösen.
Und er wusste noch nicht, dass alle Wasser der Ozeane
nicht ausreichen würden, um die Verbrennungen zu kühlen,
die seine zarte Seele heute Nacht empfangen.
Der Wind knisterte um ihn herum
wie der Klang von Fahnen,
und das Meer sang sein tausendstimmiges Kampflied

unter ihm und fegte den leicht entflammten Mann fort.


Er warf beide Hände hoch und schrie zur Antwort:
Ich will, ich will! Natürlich, wer konnte schon sagen,
was er da mit heiliger Entschlossenheit schwor?

Und doch, es war sein Bündnis mit dem Willen der Welt.
Und der Wille der Welt gebiert die Tat.
Und die Tat allein verändert, was geschaffen wurde.
Mit dem unerklärlichen Gefühl unverdienter Sühne

bereitete er sich auf den Abstieg vor.


Da wurde er noch einmal
aus seinen goldenen Wolken gerissen.
Tief unter ihm, wo das Häuschen von Eberhard,

dem Mattenweber, eingekeilt


zwischen den beiden vorspringenden Hügeln lag,
bewegten sich trotz der frühen Morgenstunde
ein paar unerkennbare schwarze Punkte.

Es sah aus, als würden sich hungrige Krähen


um einen Happen Fleisch streiten.
Klaus stolperte. Das waren doch sicher Menschen?
Was taten sie dort? An diesem einsamen Ort?

Und in langen Sprüngen stieg


der verdächtige Mann von den Dünen herab.
Fast im selben Moment trafen sich drei Männer
vor dem schiefen Tor des Mattenweberhäuschens,

das sonst nur für Eingeweihte


sichtbar wie ein großer brauner Pilz
zwischen den Trümmern hing.
Vom Strand aus war es der Landvogt,

der mit schwerer Faust und lautem Klopfen


an die Tür schlug, während auf der anderen Seite
des Dünenweges, kaum einen Gedanken später,
ein pelzbekleideter Jäger und sein Knecht

um die Ecke der elenden Siedlung bogen.


Unmittelbar vor dem Eingang stießen sie aneinander.
Überrascht und verärgert schob
der vorderste der Bewaffneten seinen grünen Hut aus der Stirn

und schnauzte den Vogt an, als hätte man ihn soeben
bei der Überschreitung seiner Befugnisse erwischt.
Doch gleichzeitig schwappte eine Welle der Verlegenheit
verräterisch über die Wangen des Jägers.

He, was ist los? rief er, überhaupt nicht erfreut


über die Begegnung. Langsam zog der Landvogt
die Lederkappe von seinem kahlen Schädel.
Ich bin es, Knappe, erklärte er ohne besondere Furcht.

Gemäß dem Erlass des Priesters muss ich...


Doch bevor der Satz zu Ende gesprochen werden konnte,
wurde der Querbalken von innen zurückgeschoben,
und spähend, kaum bekleidet, beugte sich Anna Eberhard

über die Schwelle. Gegen den Morgennebel


krümmte das Mädchen die Schultern,
nur durch ein Leinenhemd geschützt,
und die nackten Füße zitterten unter dem kurzen Rock.

Ihr reiches, blondes Haar fiel noch immer unordentlich


weit über ihren Rücken. Statt ihn anzusprechen,
legte sie nur flehend den Finger vor die Lippen,
als Zeichen, dass vor allem die Ruhe nicht gestört werden solle;

dann glitten ihre noch immer kindlichen Augen


schüchtern und flehend zum Grafen hinüber,
und ihre ganze Gestalt begann zu zittern wie ein Tier,
das auf den Schlag der Schlachtung wartet.

Die Bewegung erzählte von unentrinnbarer Armut,


von Verfolgung und Verstrickung
und von dem jämmerlichen Elend
des drohenden Unterliegens. Die Geste war so beredt,

dass selbst der Junker von Cona


ein unnatürliches Lachen ausstieß.
Hier bin ich, rief er, obwohl die Begrüßung
fröhlich klingen sollte, und ohne dass der Jäger verstand,

wie ein aufmerksamer Mensch leicht


das Komplott hinter diesem Ausruf entdecken konnte.
Eine Weile blickte auch der Vogt schweigend
von einem zum anderen, doch dann zog er

die zotteligen Augenbrauen zusammen,


zuckte mit den Schultern und wandte
seine massige, gehetzte Gestalt wieder
dem Mädchen zu. Ja, es hat keinen Zweck,

beharrte er, die Frist ist abgelaufen. Wie sieht es aus?


Bei der mürrischen Aufforderung lief der Ermahnten
ein neuer Schauer über die Schultern,
die Farbe ihrer Wangen veränderte sich,

und während sie halbherzig zurück in die Hütte deutete,


stammelte sie, um doch noch etwas zu antworten:
Wahrlich, wahrlich, Mutter liegt krank.
Der Gerichtsvollzieher krallte sich

in die Halskrause seines Bartes;


er schien an die Ernsthaftigkeit des Einwands zu glauben.
Ich weiß, gab er zu, was ist los?
Jetzt hielt sich die Blondine an dem Pfosten fest.

Das Feuer hat sie umgehauen, stammelte sie,


getäuscht von der Aussicht, dass ihr Unbehagen
doch noch ihr Mitgefühl gewinnen könnte.
Ich kann weder etwas sehen noch hören.

Schlecht, murmelte der Landvogt,


der schwarze Nebel ist schuld daran.
Doch schon kramte er in seiner Ledertasche
und fragte in Ausübung seines harten Berufes:

Hat sie dir den Groschen gegeben?


Da weiteten sich die blauen Augen des kleinen Mädchens,
und in der Überzeugung, dass ihre letzte Hoffnung
nun schwand, senkte sie den erhobenen Arm

und schüttelte zerknirscht den Kopf, auf alles gefasst.


Sie sah aus wie ein gerade gefangener Vogel,
der kampflos und fassungslos durch das Gitter blinzelte.
Ja, dann nützt es nichts, entschied der Vogt

und knurrte nach einer Weile: Kannst du es dir nicht


bei den Beckers ausleihen?
Es war noch ungewiss, ob das Mädchen
in seinem Unverständnis den Faden,

der ihm zugeworfen wurde, aufgreifen konnte,


als etwas Schnelles und Unerwartetes geschah.
Der junge Graf hatte diesen Verhandlungen
schon lange zugehört, und von Zeit zu Zeit

stieß er scherzhaft mit seinen beiden Doggen zusammen,


die ihm wie Schlangen auf den Fersen waren.
Nun aber drängte sich Malte Cona ungeduldig
an das Mädchen heran, ganz dicht und eng,

so dass der schmale Spalt in der Tür


für die beiden Körper fast nicht ausreichte,
und es war wirklich kaum wahrnehmbar,
wie nun der Jäger seiner Nachbarin,
die seine Hilfe nicht im Geringsten unterstützte,
hinter ihrem Rock geschickt einen Lederbeutel
in die Hand spielte. Kaum spürte die Weberstochter
den prallen Gegenstand zwischen ihren Fingern,

da vollzog sich eine auffällige Veränderung an ihr.


Ihr ganzes Gesicht wurde so weiß
wie Leinen auf der Bleiche,
ihre Füße versagten ihr den Dienst,

und ihre Augen, die vorher so klar waren,


sanken dumpf und schuldbewusst auf das Schilf
vor der Türschwelle. Dem Willen eines anderen gehorchend,
ganz ohne eigenen Antrieb, hielt sie dem Landvogt vor,

was sie erhalten hatte. Hier, murmelte sie tonlos.


Und dann plötzlich, als ob etwas sie zwang,
das Geld schnell wieder loszuwerden: Da, nimm es.
Der Vorgang sprach zu deutlich,

um missverstanden zu werden.
Wieder ließ der Gerichtsvollzieher seinen Blick
von einem zum anderen gleiten.
Doch dann nahm er den Beutel langsam,

um den Inhalt nachdenklich und ohne Eile zu zählen.


Es ist zu viel, stellte er schließlich fest.
Dann behalte es der Bettler, rief der junge Graf grimmig.
Der Landvogt aber blieb so undurchschaubar wie immer.

Die Eberhards haben nichts zu verschenken,


sagte er ruhig, während er dem Mädchen
den Rest bereits wieder aushändigte,
und fügte rätselhaft hinzu: Vielleicht weißt du es nicht,

Geld kommt selten zu armen Leuten.


Damit begann der zottelhaarige Mann,
seine Ledertasche aufzuschnüren,
und schien durchaus gewillt zu sein,

Zeuge dessen zu sein, was nun folgen würde.


Doch der Junker, dem die feuchte Kälte
immer mehr zusetzte und der durch die Nähe
des demütigen, zitternden Wesens daran erinnert wurde,

dass er gekommen war, um zu jagen,


um Männer zu jagen, beschloss,
all den unnötigen Hindernissen, die er schon
seit Monaten ertragen hatte, mit einem Ehrenwort

ein Ende zu setzen. Komm, Dirne,


forderte er ohne Zögern, aber mit einer Art
gutmütiger Frische, ich will dir die Ehre erweisen.
Gib mir einen heißen Schluck da hinein,

und ich will dich loben.


Hier schnappte der Vogt heftig die Schnürsenkel
seiner Tasche zusammen und brach
in ein heftiges Wolfshusten aus.

Das Mädchen aber, ohne die Anwesenheit


des anderen weiter zu beachten,
stemmte sich mit beiden Armen gegen die Türpfosten,
so dass der Eingang versperrt war,

und rief, die hellen Augen


auf den stattlichen Mann gerichtet,
in großer Sorge, aber zugleich wie in verwirrter,
überstürzter Neigung aus:

Bedenke, Herr, das kannst du nicht wollen.


Meine Mutter, sie sieht und hört nichts mehr.
Da lachte der Jäger halb in Trotz und halb in Scham,
weil ein kleines Mädchen ihn

von ihrer Schwelle vertreiben wollte.


Hastig umklammerte er ihren Arm und schob sie beiseite.
Mach keine kleinen Mätzchen, sagte er zu ihr,
was braucht die Alte mich zu sehen, wenn ich bei dir bin?

Schon setzte er seinen Fuß auf die Schwelle.


Aber das schwache Geschöpf, das fühlte,
wie sie jetzt von jeder äußeren und inneren Hilfe
verlassen sein würde,

lehnte beide Fäuste gegen seine Brust


und atmete ohne Widerstand und Zorn:
Erbarme dich, lieber Herr, erbarme dich.
Wäre ihr Unterdrücker jetzt mit ihr allein gewesen,

so hätte er vielleicht von ihr abgelassen und sie gescholten,


denn die schlichte Reinlichkeit ihrer Jungfräulichkeit
verfehlte ihren Eindruck auf sein herrisches
und verdorbenes Gemüt nicht ganz.

Aber leider sahen die beiden Fremden dem Spiel zu,


und wie konnte der Grafensohn die Zurückweisung
eines solchen Katzenweibes hinnehmen?
Er schürzte spöttisch seine vollen Lippen

und stieß einen schrillen Pfiff aus,


so dass die beiden Tiere hoch über ihm aufstiegen.
Vogt, rief er mit seinen dunklen, funkelnden Augen,
die in ihrem Jähzorn denen von Klaus Becker ähnlich waren,
wie ist das? Gehören hier nicht schon lange
ein paar Fischerknechte hin? Wie wäre es,
das Nest auszuräumen
und die Weiber auf den Hof zu bringen?

Die Drohung war wohl nur dazu gedacht,


den Widerwillen der Blondine zu überwinden,
aber sie hatte keine Wirkung auf den Gerichtsvollzieher.
Seelenruhig schloss der breitschultrige Mann seine Tasche,

packte seinen Kronenstab fester


und schüttelte schließlich entschlossen
seinen massigen Kopf. Dazu habe ich kein Mandat,
wies er die Zumutung ohne eine Spur von Zugeständnis zurück.

Ich tue, was mein Amt verlangt, mehr nicht. -


Na, dann pack dich, befahl der Jäger, dunkelrot und gereizt.
Nun, mein Herr, das kann ich tun,
stimmte der Gerichtsvollzieher zu,

immer mit der gleichen Besonnenheit,


warum nicht? Lebe wohl.
Respektvoll, als ob nichts weiter geschehen wäre,
lüftete er seine Mütze

und schritt dann weit in Richtung der Dünen.


Doch kaum hatte er den Rand des Weidengebüschs erreicht,
ließ er sich auf eine Welle aus Sand hinuntergleiten
und duckte seinen unförmigen Körper vorsichtig

hinter die verbliebenen braunen Blätter der Stöcke.


Mensch, Velten, dachte er bei sich, diese Spezies denkt immer,
sie sei allein auf der Welt. Was glaubst du,
wie lange sie sich noch den Rahm aus der Milch schöpfen lassen?

Damit stieß er seinen Stock in den Boden


und legte sich auf die Lauer.
Vor der Hütte aber hatte die Sucht
nach Besitzergreifung inzwischen den Streit entschieden.

Zwischen Aufforderung und Befehl


hatte der Jäger das halbdunkle Zimmer betreten,
und er wollte seine beiden Doggen
nicht einmal daran hindern, schnüffelnd vor ihm herzulaufen.

Nun tasteten sie in der düsteren Enge herum,


bis die Tiere plötzlich wie auf einen Schlag
vor einem traurigen Bettgestell stehen blieben.
Blähend richteten sie ihre roten Zungen

auf ein wächsernes Menschenbild,


das tief in einen groben Strohsack gekrümmt lag,
die Augen geschlossen und der Atem hechelnd.
Es war ein erschreckender Anblick,

als der Eindringling diesen Fieber-zuckenden Menschen


zum ersten Mal erblickte, und der unvorbereitete Mann
schreckte vor den schwarzen Wangen
und der spitzen, vorstehenden Nase zurück.

Gott schenke dir einen guten Tag, Frau,


brachte er allmählich eine Begrüßung hervor,
wobei er den ungebetenen Zeugen
seiner wahnsinnigen Leidenschaft nach Kräften verfluchte.

Wie geht es dir? Was machst du da?


Doch aus der Lade kam keine Antwort,
nur ein schnelles Keuchen,
das sich mit dem Hecheln der Hunde vermischte,

und anstelle der Erschöpften


gab schließlich die Tochter die Auskunft.
Sie stand am Kopfende des Bettes,
und während ihr Kopf und ihre Arme schlaff herabhingen,

sagte sie ausdruckslos und verwirrt:


Sie weiß nichts. - Aber ja, nickte der Knappe.
Unbehaglich und benommen von der drückenden,
erstickenden Luft unter dem niedrigen Gebälk

ließ der junge Mensch einen schnellen Blick


über das karge Elend seiner Umgebung schweifen,
über die hölzernen Wände voller Rauch und Ritzen,
über den kargen Hausrat,

und sein Geruchssinn revoltierte heftig


gegen den Dunst eines Haufens Binsen,
der in besseren Tagen wohl zum Binden
von Matten verwendet worden war.

Jetzt lag es aufgestapelt zum Trocknen


auf dem Dachstuhl unter der Decke.
In all dieser hoffnungslosen Armut
gab es nur einen einzigen Schimmer, einen Glanz,

so schien es zumindest den immer wütender werdenden


Menschen, der von den langen Locken
des Mädchens ausging. Weißblond
schimmerten sie durch das Halbdunkel,

wie ein fein gesponnenes Netz aus jungem Flachs,


und der unbändige Wille des edlen Gastes
klammerte sich nun an diese seidigen Fäden.
Unruhig ließ er sich auf dem einzigen Stuhl am Tisch nieder,

und da er seine Verlegenheit vor dem Wachsbild


im nahen Bett nicht ganz überwinden konnte,
versuchte er wenigstens, seine Absichten
vor den Ohren der Lauscherin zu verbergen.

Komm her, Mädchen, flüsterte er.


Gehorsam schob sich die Gerufene näher heran
und bemerkte kaum, dass sie ihre Füße bewegte.
Dann stand sie dicht bei dem Jäger.

Eifrig griff er nach ihrer Hand.


Siehe, murmelte er eindringlich
und legte ihre Finger auf sein Herz, wie es klopft!
Du hast es mir angetan.

Doch als das Mädchen ängstlich den Kopf schüttelte,


fuhr er eilig fort: Keine Angst, du dummes Ding,
von nun an wird es dir besser gehen.
Du hast nicht einmal ein Bett!

Sag mir, wo schläfst du, du bleiche Leinwand? -


Dort, Herr. Sie zeigte auf den Kragen der kranken Frau.
Dort? Bei dem Gedanken,

dass dieser jugendlich warme Körper


jeden Abend neben dem grauenhaften Skelett
seine Ruhe finden sollte, lief dem Mann
ein sichtbarer Schauer über den Rücken.

Beschwichtigend legte er seinen Arm um ihre Taille,


doch kaum spürte er, wie sich die schlanke Kurve ihres Körpers
leise an ihn schmiegte, stieg ihm eine heiße Welle
des Verlangens auf, und er versank in ihren roten Wirbeln.

Dirne, verflucht! stöhnte er in einer glühenden,


unvernünftigen Hitze. Und während er die Blondine zwang,
sich zu ihm auf den Stuhl zu setzen,
kümmerte er sich weder um die kurzen Atemzüge,

die den Strohsack dort in der Ecke schaukeln ließen,


noch um die hölzerne Steifheit jener Gliedmaßen,
die er jetzt geradezu zu biegen und zu brechen trachtete.
In ihm brodelte nur die Glut und das planlose Durcheinander

des Ergreifens. Goldfuchs, stammelte er,


während er sich abmühte, komm schon, sperr dich nicht.
Ich bin schon seit Monden hinter dir her,
ja, ja, das weißt du ganz genau.

Du machst mich fast wahnsinnig!


Oder sag mir, meine Liebe, bin ich dir zuwider?
Sie lag schon in seinen Armen,
verwirrt vor Schreck, atemlos,

aber dicht an seinem Mund flehte sie noch immer


mit dem rührenden Bewusstsein der Verlorenen:
Herr, es ist nicht gut für mich, es zu wissen.
Verschone mich.

Dann hörte er aus ihrem Ausatmen das Geständnis.


Mit einem hellen Lachen jubelnd, nahm er sie ganz zu sich,
und in der Leben-erschütternden Verschmelzung eines Kusses
verschwand alles Wesenhafte aus ihnen

für die Dauer eines fallenden Regentropfens.


Wie zwei glückselige Bienen,
die selbst der Sturm nicht auseinandertreiben kann,
hingen sie in einer blauen, golddurchwirkten Luft,

und das einzige, was die Zeit zwischen ihnen maß,


war der hämmernde Hufschlag ihres Blutes.
Aber dort am Kragen? Öffnete sich nicht ein Paar
glanzloser Augen? Der tote Silberglanz

eines geschlagenen Fisches hätte sie nicht


seelenloser anstarren können,
und so eifrig der verliebte Mann auch seinen Kopf
hinter den Schultern des Mädchens verbarg,

das blinde Metall dieses Blickes schmolz


durch die lebendige Hülle.
Dirne, jetzt hast du nichts mehr.
Die alte Frau wird dir nichts tun.

Auf dem Boden schnüffelten die beiden Doggen munter,


sie wurden unruhig, schlugen an und schreckten dann
vor dem Ansturm des Tageslichts zurück,
das zur offenen Holztür herein schoss.

Eine große, dunkle Gestalt hob sich schwarz


von der Helligkeit ab.
Da entkam zum ersten Mal ein Laut den Lippen,
die bisher aus Furcht vor dem Junker stumm gewesen waren,

scheu vor seinem seltsamen Glanz


und versiegelt von seiner stürmischen Zärtlichkeit.
Ein Schrei schallte gegen die Decke und wurde
vom Querbalken zurückgeschleudert: Klaus!

Dann wurde es wieder still.


Furchterregend, betörend still.
Man hörte nur noch das Klappern der kranken Säge
durch den Raum schallen.

Endlich riss sich der Gutsherr zusammen,


langsam, unsicher, denn nicht nur der Anblick des Mädchens,
das beide Hände vor dem Gesicht verschränkt hatte,
verwirrte ihn, nein, auch die unglückliche Scham

des auf frischer Tat ertappten Mannes,


der seine glühendsten Begierden im Zaum hielt,
biss an seinem Hochmut. Außerdem ekelte ihn
das rätselhafte Schweigen dieses elenden Hinterwäldlers,

der bleich und atemlos vor ihm stand,


als hätte sein zuckender Mund ein Urteil zu fällen,
immer mehr. Was soll das? fuhr der Jäger plötzlich auf
und packte seine Armbrust mit einem Griff.

Warum arbeitest du nicht, du Flegel?


Was hast du hier zu suchen?
Weißt du nicht, wo dein Platz ist?
Ja, der große, schlanke Junge wusste wirklich nicht mehr,

wo sein Platz in der Welt war. In diesem Moment


fühlte er nichts als den gewaltigen, rauchigen Zusammenbruch
all seiner kindlichen Träume, die so lange und zärtlich
von seiner Mutter und dem Mönch gehegt

und gepflegt worden waren. Nichts, nichts, die Träume


waren von einem Lügner so glorreich gemalt worden,
nur Gewalt wütete auf der Erde, und nur Gewalt
konnte die rasende Wut der Mächtigen brechen.

In die weit aufgerissenen Augen des Jungen


trat ein seltsames Wandern und Blinzeln,
und obwohl sich der lange Körper kaum bewegte,
bemerkte sein Widersacher mit Schrecken,

wie sich die Finger des Jungen


wie in einem Krampf öffneten und wieder schlossen.
Gespenster, schwarze, verzerrte Fratzen
tanzten um ihn herum. Was ihm aus der bösen Nacht

entgegengesprungen war, heulte nun um ihn herum.


Geschminkte Dirnen, entmenschlicht an Leib und Seele,
zerrten an seinen Haaren, taumelnde Galgen
fielen auf ihn herab, Entrechtete,

die sich in Hungertürmen verschanzt hatten,


spuckten ihn an, und jene, die aus Lust
und Nutzen der Macht gehängt wurden,
legten ihm ihre Stricke um den Hals
und schnitten ihm den Atem ab.
Kein Atem kroch aus seiner zugeschnürten Kehle,
nur ein heiseres Wimmern riss sich mühsam
aus seiner wunden Brust.

Erde, Erde, wo ist ein sicherer Hafen


vor Erniedrigung und Schande?
Wo eine Zuflucht für die Gequälten?
Wo ein Richter für die Peiniger und Unbarmherzigen?

Nirgends, nirgends! War nicht hier, vor seinen Augen,


ein stilles, reines, heiliges Gefäß zerbrochen,
geschändet worden, aus keinem anderen Grund,
als weil es einem Feiernden gefiel,

schon am grauen Morgen ein Fest zu feiern?


Hier wollte ein kitzelnder Gaumen Speisen
aus Klausens eigenem Fleisch und Blut zubereiten.

Vieh, brüllte der Mann, der aus seinem fiebrigen Strudel


heraus getaumelt war und besinnungslos hineinsprang.
Der Jäger hatte sich hinter den Tisch bewegt,
jetzt flog die Armbrust an seine Schulter.

Knecht, zischte er in überschäumender, Hass-verzehrter Wut,


man wird dir deinen eigenen Galgen aufstellen. -
Natürlich, einen eigenen Galgen, ich weiß, ich weiß,
damit ich jung in der Luft tanzen lernen darf.

Und unsere Schwestern und Töchter, o Seligkeit,


werden sie zu Huren?
Ein Sprung, etwas Schwarzes zog über den Tisch,
der Bogen und der Kolben der Waffe

schwankten einen Gedanken lang in der Luft,


formlos, bald oben, bald unten, dann ein Schlag,
ein dumpfes, matschiges Geräusch,
und der Graf hob beide Arme und sackte

unter den vier Füßen der Platte zusammen.


Nicht für lange. Als der Vergewaltigte
unter dem Tisch hervorgekrochen kam,
die Ohren brummten und das Bewusstsein schwankte,

glaubte er, seinen Dompteur weit hinter sich zu sehen,


durch die offene Tür, der in langen Schritten
den Strand entlangfuhr. Über die Schulter
hatte der Bursche das Mädchen geworfen,

jenes willige Mädchen,


das nur aus Bosheit, aus Ungnade
der Lust des Wirtes beraubt worden war,
und ohne sich von der Last aufhalten zu lassen,

schien der Schurke, der Rebell, auf den zu Recht


der eiserne Kragen, die Stachelschraube
oder der Galgen warteten, dem Schutz
seiner heimatlichen Hütte entgegenzufliegen.

Doch das sollte nicht sein. Auf allen Vieren


schleppte sich der Gedemütigte zur Schwelle,
doch während er hier auf die Brust sackte,
so dass seine Lippen das Schilf küssten,

sprudelte es in ohnmächtiger Raserei aus ihm heraus:


He, Thor, Freyja, ergreift, ihn, ergreift ihn!
Und noch einmal wälzte er sich nach dem Waffenträger,
der sich auf seinen Herrn stürzen wollte,

und stöhnte sinnlos auf: Schieß, du Halunke,


wenn du den Mörder nicht triffst,
wirst du die Peitsche schmecken! Himmel und Hölle,
leg an, auch wenn du den Heiland mitten

durch die Brust spießen solltest.


Zerrissen, zerstückelt, all diese Flüche
wurden vom feuchten Wind zu Klaus getragen,
und bald spürte er auch die Hunde,

die über den nassen Sand huschten.


Vorwärts, vorwärts! Nur ein Plan schwebte ihm vor,
diese entwürdigte Frau, die bei vollem Bewusstsein war
und doch steif und kalt wie ein Stein aus seinen Armen ragte,

der Gier ihres Peinigers zu entreißen.


Die zukünftigen Mütter der Armen
brauchten nicht überall geschändet zu werden.
Nur eine, stammelte er, keuchend,
nur eine muss erhalten werden. Nur eine!

Er wusste nicht mehr, worum er bettelte,


denn seine eigene Schande und Bedrückung vermischten sich
mit dem Schicksal seiner Verwandten.
Und so wunderte es ihn nicht, dass er keine Antwort erhielt.

Vorwärts, vorwärts! Da waren ihm die beiden Doggen


schon dicht auf den Fersen. Körper an Körper
peitschten die Tiere über den spritzenden Sand,
und der heiße Dampf, den sie ausstießen, blähte sich

im dichten Nebel auf. Der Flüchtige


stieß einen schrillen Schrei aus,
setzte aber seinen ungestümen Lauf
in wilderen Sprüngen fort.
Nur eine, murmelte er noch einmal.
Ein Zischen ertönte. Ein warmer Regen sprühte
über den Läufer. Und das steinerne Abbild zuckte
und schwankte ein wenig in seinen Armen.

Anna! rief er und schüttelte sie.


Um ihn herum begann die eisige Flut
mit tausend Stimmen zu singen,
und während sein Körper immer tiefer sank,

erkannte er noch die Worte des großen Liedes,


das ihm Schlummer und Schmerzlosigkeit brachte.
Sie sangen alle zusammen, die je
sein Dasein umgeben hatten, Pater Franziskus

und Becki, der Vater und Anna Eberhard,


der junge Graf und die Mutter,
Hein Wichmann und all die vielen Bauern,
der Jude wirbelte die blitzende Axt um sein Haupt

und stimmte in den mächtigen Chor ein,


der trotz allen Leids die unzerstörbare Schönheit
von Sonne, Erde und Meer
und die Festlichkeit jedes wilden Geschehens pries.

Klaus gluckste, noch aus der Tiefe wollte er


in dieses allgemeine Lob einstimmen,
dann fühlte er, wie er sich ohne sein Zutun erhob,
sättigende Luft drang zu ihm durch, Licht durchbrach

die Schwärze und öffnete seine Augen,


und weit vor ihm erstreckte sich die Freiheit des Unbegrenzten.
Er lag im Kahn, und Hein Wichmann beugte sich über ihn.
Das Segel wurde herumgeworfen,

der Bugspriet zeigte auf die offene See.


Hinter ihnen schrumpfte die Küste immer dünner
zu einem langen schwarzen Arm,
der die dunkle Dünung liebevoll an sich zog.

Kaum noch zu erkennen waren die höchsten Erhebungen


der Insel mit ihren dunklen Waldkronen.
Mühsam zog sich Klaus bis zur halben Höhe hoch
und warf einen müden Blick in die Runde.

Seine Glieder waren noch immer von seinem Willen


und seinem Bewusstsein getrennt,
und Wasser floss in Strömen von seiner Kleidung.
Hein, seufzte er, sein Herz klopfte unruhig

in Richtung des weiten Raumes, der von Rauch


und Nebel erfüllt war, wo bringst du mich hin? -
Wohin? Der andere streifte den am Boden liegenden Gefährten
mit seinem seltsamen Augenspiel,

dann brach er in sein übliches Kichern aus.


He, Kleiner, kommentierte er, was für eine kitzlige Frage!
Wohin geht ein Mann, wenn er den Fuß aus der Tür setzt?
Weißt du das? Ich weiß es nicht, denn der Weg

kommt gewöhnlich zu dem Wanderer.


Aber fürchte dich nicht, ich glaube, ich kann sagen,
ich werde dir deinen Weg zeigen.
Dabei stieß der kleine strohhaarige Mann

versehentlich mit dem Fuß gegen etwas Klirrendes.


Und siehe da, es war das Messer, das er
bei seiner Ankunft getragen hatte,
und daneben lagen die Reste der ehemaligen Goldkette.

Und jetzt entdeckte Klaus auch, dass unter dem Steuersitz


ein kleiner Weidenkorb versteckt war, in dem Brot
und Milch lagen. Es war offensichtlich, dass alles an Bord
für eine längere Reise vorbereitet war.

Hein, rang der Liegende seiner Schwäche ab,


du wolltest dich von uns wegstehlen?
Er packte das Steuerrad fester
und verglich die Spitze des Bugspriets

mit dem silbernen Band des Mondes,


dessen Phantom noch im Tageslicht
durch den Seerauch dämmerte.
Erst dann wies er den Vorwurf ausweichend

auf die ihm eigene sophistische Art zurück.


Sei ruhig, Kleiner, was heute passiert,
muss morgen nicht passieren. Mir scheint,
es ist nicht schlecht für dich gelaufen,

denn ich dachte, meine Tage hier seien erfüllt.


Aber jetzt kannst du mir auch sagen, warum du
mit Hunden vom Strand deines Vaters gejagt wurdest?
Ist dir das nicht auch passiert, du frommes Kind?

Dann kroch Klaus auf die Steuerbank


und ließ, die Arme leidenschaftlich um das Knie
seines Lehrers geschlungen, alles,
was ihm die jüngste Vergangenheit an Träumen

und feindseligen, unbegreiflichen Realitäten geschickt hatte,


in Tränen und Verwünschungen, in Hass und Zweifeln
aus sich herausströmen. Es wurde zum überbordenden
Bekenntnis eines Pilgers,

der sich mit deutlich spürbaren Flügeln


in den Himmel heben will
und nun vor Schmerz aufheult, weil das geballte Knäuel
aus Lehm und Kot an seinen Füßen klebt.

Sag mir, Hein Wichmann, flehte er am Ende inbrünstig,


während er den Magister mit beiden Fäusten
fast von seinem Sitz hob, wer hat diesen Ungerechten,
diesen Blutsaugern und Peinigern

diese schreckliche Gewalt gegeben?


Wer hat diese Tausende von demütigen Hälsen
unter ihre Füße gebogen, wer?
Mit bitterlich verzerrtem Mund blickte der Steuermann

auf den in wild zuckenden Feuern Verbrannten herab.


Wer? wiederholte er, und so etwas wie Zufriedenheit
über ein endlich erreichtes Ziel funkelte

in seinen zweifarbigen Augen. Wer hat ihnen


das alles gegeben, mein kleiner Klaus? -
Und wir? stammelte der Junge
und sank enttäuscht zurück.

Gib uns auch eine Hoffnung! -


Uns? Wir suchen nach unserer Freiheit. -
Suchen? - Aber wenn wir sie gefunden haben,
sagte der Kleine und glühte unheimlich,

dann werde ich die Tochter des Kaisers


zu mir unter die Papstkuppel einladen,
und du, kleiner Junge, darfst auf dem Sinai stehen
und neue Gesetze in die Tafeln graben.

So segelten sie viele Stunden lang auf das Meer hinaus.


Der Magister hielt das Ruder in seinen feinen Händen,
und der Junge lehnte an der Schulter seines Freundes,
den Kopf unwiderruflich dorthin zurückgedreht,

wo nur noch der schwindende Horizont die Küste verriet.


Längst war sie hinter den ruhig tanzenden Wellen versunken,
und doch beschwor der Sohn eines Sassen unablässig
das kleine Stück gelben Sandes vor sich herauf,

und über ihm das tote Mädchen,


dessen offene Augen auch jetzt noch
verständnislos auf Leben und Vergehen zurückblickten.
Noch einmal schlug sein Herz wie eine Trommel.

Allmählich sank der Tag, die Wellen wurden breiter,


und ihre Hügel waren im Widerschein des Mondes
mit tausend rastlosen Silberameisen bedeckt.
Zum Bugspriet hin aber schwoll das Unbekannte an,

der Dunst, das Geisterreich des Nebels öffnete sich.


Dann, gerade als Klaus an eine Gefahr zu glauben begann,
bemerkte er, wie sein kleiner Gefährte plötzlich
gegen alle Regeln das Ruder losließ;

im nächsten Moment wurde das Segel heruntergerissen,


und dann, in der Dämmerung Pforte, spielten
erstaunliche Zeichen auf und ab. Ein rotes Licht tanzte heraus,
ein grünes schoss darüber hinweg, und ein seltsamer Dialog

von flackernden kleinen Feuern entstand.


Und bevor der erschrockene Zuschauer
seinem Begleiter etwas zurufen konnte, hatte der Magister
eilig in seinen Gürtel gegriffen, und sofort schwang
ein schriller und kreischender Triller über die Flut.

Ein ähnliches Geräusch ertönte im Rauch.


Nur vielstimmig, zehnfach, schwirrte es über die Oberfläche,
und nun schwoll auch die riesige Brust, aus deren Tiefen
dieses unheimliche Gackern drang, schwarz und hoch auf.

Plötzlich starrten zwei Sonnen-große Augen


auf die Seeleute herab, rot und grün, eine breite Treppe
stürzte das hohe Gebilde hinab, und wie im Traum
fühlte sich Klaus von den willensstarken Fingern

seines Führers die Stufen hinaufgezerrt.


An Bord des Schiffes, eines dreistöckigen Schiffes,
wie es der Junge noch nie gesehen hatte, wurde es schon hell.
Eine Laterne wurde vor ihre Gesichter gehalten,

eine Schar bärtiger, verwegener Kerle drängte sich


um die Fremden, und eine kräftige Stimme rief
in wenig freundlicher Weise: He, ihr Vögel,
wer hat euch unser Pfeifen beigebracht?

Du bist ein Kalb, Zeiso Ulbrecht aus Wismar,


antwortete der Magister ruhig und gab
dem Laternenträger eine schallende Ohrferige,
kennst du jetzt meine Handschrift?

Es entstand ein Tumult, aber es war der Gezüchtigte,


der sich mit Armen und Füßen gegen die springenden
Matrosen wehrte und halb wahnsinnig vor Freude brüllte:
Jungs, Jungs, Mord und Hagel, der kleine Zwerg ist wieder da,

der Feuerbrand von Hamburg, der Lateiner.


Seht ihr nicht das goldene Jungfernhaar?
Jungs, Jungs, wie jetzt die Goldstücke wieder springen werden.
Victoria für Hauptmann Wichmann!

Es lebe der lateinische Mann,


Victoria für Hauptmann Wichmann! -
Es ist gut, nickte der Kleine ruhig,
und nun führe mich zum Admiral.

In der Runde erhoben sich jedoch leise Einwände.


Er hält einen Kriegsrat ab, sagten sie.
Da gehöre ich hin, stellte der Magister stolz fest
und wandte sich an seinen Gefährten,

dessen Antlitz angesichts der jüngsten Enthüllungen


so bleich wie nie zuvor durch die Nacht starrte,
und sagte fast mitleidig: Nimm dich zusammen, Klaus,
du bist auf der anderen Seite der Welt.

Dort ist das ursprünglich Gute zum Schlechten verzerrt worden,


hier ist das ursprünglich Schlechte zum Guten genutzt worden.
Dummheit und Verblendung,
auf der einen und auf der anderen Seite.

Wir haben nur einen Vorteil gegenüber den anderen:


Wir sind vorerst noch die Schwachen und Ausgestoßenen,
aber aus ihnen geht immer das Heilige hervor!
Komm, ich bringe dich zu meinem Herrn, Goedeke Michael.

ACHTES ABENTEUER

Es war um die Zeit des Ostererwachens.


Das Jahrhundert, das vierzehnte, seit der Stern
über Bethlehem leuchtete, rieselte dahin,
und fast dreizehnmal war der Winter

vom Sommer überholt worden, seit der alte Becker


in seiner kahlen Hütte auf der Sassen-Insel
die Hände über die wunde Brust legte und keuchte:
Mutti, es nützt nichts, unser Einziger ist weg.

Pass auf, bald werden mir die Augen zufallen


und sie werden ihn nicht mehr sehen.
Es war Osterzeit. Eine flammende Sonne
ging über Kopenhagen auf und hüllte

die damals noch kleine Stadt


mit ihren verstreuten spitzen Kirchtürmen
in einen wallenden Purpurmantel.
Überall, von den Dachfirsten der niedrigen Holzhäuser ebenso
wie von den Masten der Flotte,
die auf der Reede vor Anker lag,
rollte das Licht in langen roten Fahnen herab,
so dass es aussah, als wolle die Gottheit

selbst ein Fest schmücken. Und die Gottheit


und die Menschen dieser schlafenden Stadt
feierten tatsächlich ein Fest,
ohne dass die noch schlafenden Bewohner es ahnten,

denn der Friede neigte sich sanft der Erde zu,


der Friede nach einer mörderischen, räuberischen Zeit,
und die Sonne, die ihr rubinrotes Diadem
hoch in den Osterhimmel reckte,

wollte damit das Haupt des neu auferstandenen


nordischen Reiches krönen! Doch das menschliche Haupt,
das die drei Kronen tragen sollte,
war für eine Frau bestimmt.

Königin Margarethe von Dänemark, Norwegen


und nun auch von Schweden
stand unter der Fensternische ihres Arbeitszimmers,
und von diesem Vorsprung ihres Schlösschens,

das sich einst unweit der langen Linie erhob,


nun aber längst von der Zeit zerfressen ist,
schickte sie seit einiger Zeit ihren Blick hinaus
zu den sonnenroten Masten der Kriegskoggen,

die dort auf der weiten Fläche wie in einem Becken


voll glühenden Rotweins schaukelten.
Die schlanke, aber imposante und kraftvoll aufrechte Gestalt
der vierzigjährigen Frau verharrte regungslos

neben dem beiseite geschobenen Vorhang,


und man hätte meinen können, die Regentin,
die Freundin aller geistlichen Arbeit,
gebe sich einer andächtigen Osterstimmung hin.

Aber weder auf ihrer seltsam hohen Stirn


unter dem dunklen, gewellten Haar,
das nur sehr verdeckt, kaum merklich,
mit einem blitzenden Silberstaub bestreut zu sein schien,

noch in ihren großen braunen Augen,


deren Schärfe und überlegener Spott
Schrecken einflößen konnte, war auch nur eine Spur
von hingebungsvoller Verzückung zu sehen.

Nein, unter Margarethes schmaler, leicht gebogener Nase


wäre sofort ihre eigene verächtliche Ader
zum Vorschein gekommen, wenn man ihr
so etwas ernsthaft zugetraut hätte.

Denn der Heißhunger, mit dem sie sich


auf das Studium der Bibel, der Kirchenväter
und der Schriften der Mönche stürzte,
die sie bekommen konnte, war nur ein Teil

des Macht- und Geltungsdrangs, der sie beherrschte


und möglicherweise am nächsten Tag
von einem ebenso brennenden Eifer
für die Gesetze des Ackerbaus

oder die Schönheitsmittel der griechischen Hetären


abgelöst werden könnte. Alles, was man lernen konnte,
hatte diese Frau sich beigebracht.
Sie hatte ihre schlanke Hand ohne Zögern

in alle Fäden gestreckt, die die Welt lautlos durchzogen.


Sie korrespondierte mit allen Gelehrten, Künstlern
und Staatsmännern ihres Jahrhunderts.
Nicht weil sie von einer heißen, inneren Sympathie

getrieben wurde, sondern nur, um sich gegen die Feinde


ihrer Generation neu zu wappnen. Auch die lächelnde Hingabe
ihres noch immer strahlenden Körpers
an bedeutende, wenn auch vielleicht alte und hässliche Männer

ihres Landes entsprang dieser Neigung.


Der spöttische Aberglaube der Prinzessin glaubte,
dass sie in solchen Nächten die Fähigkeiten
ihrer Gefährten magisch aufsaugen konnte.

Oder sie kalkulierte nur kalt und nüchtern,


dass die so Beschenkten ihr fortan hörig sein würden.
Kein wärmerer Herzschlag pulsierte
für die von ihr Auserwählten,

nur ihre sicher einfangende, funkelnde und scheinbar


so offen quellende Freundlichkeit zog sich hin
und verbarg vor den weniger Eingeweihten
die gefährliche Ambivalenz der Sprache,

die ihnen so angenehm zufloss.


In dieser Kunst aber hatte Margarethe
einen solchen Grad der Vollkommenheit erreicht,
dass sie selbst manchmal fast versucht war,

das, was sie glänzend und leicht in die Luft malte,


für körperliche Gestaltung zu halten.
Es lebte nur ein einziger Mann,
der selbst am weichen, wohlklingenden Ton
der Stimme seiner Herrin
beim ersten Wort erkennen konnte,
wann die Regentin die Pfade der Geradlinigkeit
zu verlassen gedachte. Und wenn auch das bartlose,

zerfurchte Gesicht des Drosten Henning von Putbus


dieses Wissen nicht mit einem Wimpernschlag verriet,
so spürte Margarethe doch mit ihrem seherischen Blick
ganz genau, wie sehr sie und ihr schöner Wortschwall

hier von einem Paar stumpfer, erloschener


und oft wässriger Fuchsaugen durchschaut wurden.
Aber gerade dieses gegenseitige Wissen
um ihre tiefsten Ansichten verband die beiden Menschen

in einer gemeinsamen hohen Bewunderung


für ihre Klugheit. Es war die Allianz eines Fuchses
und einer Löwin, die sich gegenseitig
um ihre Schlauheit und ihre Pfiffe beneideten.

Auch heute blieb der kaiserliche Hofmeister


wegen des frühmorgendlichen Besuchs
in respektvollem Schweigen am Eingang
unter dem Spitzbogen stehen. Er zweifelte nicht daran,

dass seine Herrin, der er von einem Türwächter


angekündigt worden war, sein Erscheinen
längst bemerkt haben würde, aber er gestattete ihr
den Triumph, ihren ersten Ratgeber warten zu lassen,

bis es ihr gelegen kam, die tiefen Gedanken abzuschütteln,


die sie ihm zeigte. Margarethe lehnte sich mit dem Arm
an den Fensterbogen und trank das Spiel der Masten,
die sich ihr aus dem roten Wasser entgegen neigten.

Derweil war der überlange, grauenhaft abgemagerte Kanzler,


der schon wie ein alter Mann zitterte, damit beschäftigt,
sein schreiend buntes Prachtkleid zurechtzurücken;
ja, er schien großen Wert darauf zu legen,

dass die riesigen offenen Ärmel, die ihm fast


bis zu den Knien hinunter hingen, nicht einmal
eine einzige Falte warfen. Es war fast mitleidig zu sehen,
wie unbarmherzig eng die Knochen in seinen himmelblauen,

mit silbernen Ornamenten bestickten Mantel gepresst waren,


und die gelben Hosen mit ihren überlangen Schnabelstrümpfen
verrieten fast grausam die ausgemergelte Magerkeit ihres Trägers.
Dennoch hätte der greise Dürre das unangenehme Gefühl

des Unwohlseins um keinen Preis missen wollen.


Denn der reiche und mächtige Mann brannte geradezu darauf,
dem farbenfrohen Sinn seiner Herrin einen Blick
der Verwunderung zu entlocken.

Um ihrer vorbildlichen Stimmung willen


spielte das morsche Gerüst den Trottel.
Jetzt endlich drehte sich Frau Margarethe um,
und sofort begann ein freundliches, höfliches Lächeln

um ihren etwas breiten, aber sehr ausdrucksstarken Mund


zu gleiten. Schnell schritt sie auf den zusammengesunkenen
Drosten zu und reichte ihm die Hand. Wonach der alte Mann
seine schlanken Finger an seine welken Lippen führte.

Auch die Königin trug ein sehr enges, dunkelgrünes Gewand,


das gerade aus dem Süden für sie eingetroffen war
und ihre Figur, vor allem ihre Brüste, eng umschloss.
Es wurde das Gefängnis genannt,

aber die Prinzessin bewegte sich darin frei und anmutig.


Als sie den Arm hob, zitterten zwei lange goldene Quasten
bis zum Boden. Verzeiht mir, grüßte Margarethe
den alten Mann, ich habe Euch nicht bemerkt.

Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?


Der kaiserliche Höfling setzte sein mildes,
väterliches Lächeln auf. Ich wollte den Blick
meiner königlichen Gemahlin nicht unnötig

von dem Bild der schönen Freibeuterflotte


da draußen ablenken, sprach er in sanfter Ergebenheit.
Und als wäre er von einem unerhörten Ergebnis
hingerissen, keuchte und hustete er atemlos weiter:

Ja, seht, seht, sechzehn kriegerische Koggen.


Sie haben auch die neuen Lederschlangen an Bord.
Und diese schlimmsten unserer Feinde sind gekommen,
um Schwedens neuer Majestät zu huldigen.

Seine schwache Stimme brach, und die Erregung,


die er hervorrief, ließ seine Knie merklich zittern.
Setz dich, befahl Margarethe sanft, denn in diesem Moment
fiel der starken Frau der törichte Widerspruch

zwischen der Schwäche ihres Kanzlers


und seiner prunkvollen Maske auf.
Als der Drost sich weigerte, tanzte ein zweideutiger Funke
in den großen Augen der Frau. Sie war es gewohnt,

auch mit den Torheiten der Klugen zu rechnen.


Setz dich, Henning, forderte sie nachsichtig,
rückte selbst einen der hohen Stühle von ihrem Arbeitstisch weg
und nickte, als der Drost zögernd darauf sank.

Setz dich, mein Freund, du hast lange genug


vor mir gestanden, als es noch gefährlich war,
vor Spindel und Fingerhut zu stehen.
Die Regentin hatte oft Anfälle

von überschwänglicher Dankbarkeit,


und so streichelte sie auch jetzt sanft und behaglich
über die Pergamentwange ihres ersten Vasallen.
Herr Henning von Putbus aber schloss die Augen

und war für diesen Moment überzeugt, dass seine Treue


und Ergebenheit reichlich entschädigt worden war.
Die Tatsache, dass die schöne Frau
ihn so vertraulich beim Vornamen nannte,

weckte auch alte, unerfüllte Erinnerungen.


Hier, in Margarethes Arbeitszimmer, saß der gewiefte Staatsmann
oft und reckte sich wie ein verliebter Kater. Heute freilich
übersah er das Rascheln eines großen Pergaments
in seiner zitternden rechten Hand,

von dem schon die großen Staatssiegel an Schnüren schwangen.


Margarethe aber bemerkte es, und da sie keine Freundin
langatmiger Kabinettsvorträge war, sondern lieber
ihre wohlklingenden Worte auf andere wirken ließ,

verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken


und durchquerte den kleinen Teppichraum
mit gemessenen Schritten, wie es ihre Gewohnheit war.
Ja, ließ sie ihre dunkle Stimme erklingen, der Allmächtige

hat uns Gnade erwiesen. Nach sieben Jahren des Kampfes


und des Elends haben wir endlich ein Ziel.
Die schwedischen Adligen haben für uns gewonnen,
ihren verspielten König, der auch unsere weibliche Ehre

nicht verschont hat... hier warf sie im Vorbeigehen


einen prüfenden Blick auf ihren Zuhörer, aber da das Gespenst
im seidenen Wams noch immer wie schlafend kauerte,
sprach sie beruhigt weiter: Gott vergebe ihm,

er stammt von meiner leiblichen Verwandtschaft ab,


und ich bin nur deinem Wunsch gefolgt, Drost,
dass wir ihn so lange im Turm von Lindholm behalten. -
So ist es, murmelte der Kanzler und schloss die Augen.

Ihr wart immer streng und unnachsichtig in meinem Dienst,


fuhr die Königin fort. Ich danke Euch.
Aber jetzt lasst uns Gnade walten.
Er soll gehen, der Unglückliche, und mit ihm sein Knappe,
der Erbe der von mir gestickten Narrenkappe
und seiner französischen Hure.
Auch dieses Mal zuckte der Kanzler nicht zurück.
Er war zu sehr an die unerhörte Offenheit gewöhnt,

mit der dies Weib von Dänemark es liebte,


die geheimsten Dinge anzusprechen,
besonders in Gegenwart von Männern.
Diese Freimütigkeit war eines der Mittel,

mit denen Margarethe ihre Zuhörer zu verblüffen suchte.


Plötzlich aber blieb die Königin vor ihrem Ratgeber stehen
und stemmte die Hände in die Hüften.
Und wie verbürgen sich die Friedensboten von Falsterbo

für ihren Schützling? erkundigte sie sich geschäftsmäßig,


denn bei unserer verwandtschaftlichen Nachsicht
brauchen wir eine festere Sicherheit, als die Wankelmütigkeit
des entthronten Unruhestifters uns bieten könnte.

Der Drost deutete mit zitternder Hand auf eine Stelle


auf dem ausgebreiteten Pergament.
Ich habe dafür gesorgt, zeigte er, während er zufrieden
den Kopf wiegte, dass die Hanseaten sich zu einer Zahlung

von 60000 Pfund Silber für ihren Verbündeten verpflichten,


oder bereit sind, die Burg und das Gebiet von Stockholm
nach drei Jahren in die Macht Eurer Majestät zu übergeben. -
O Stockholm, rief die Regentin grimmig,

und eine schnelle Röte überflutete ihre Wangen,


wenn das gesetzlose Piratenvolk da draußen
diese ruhmreiche Stadt nicht über viele Jahre hinweg
mit allem versorgt hätte, was sie braucht,

bräuchten wir heute nicht mit den hansischen Kaufleuten


um Bedingungen zu feilschen. Sag mir,
wie viel mehr haben sie geboten? -
Sechzigtausend Pfund Silber, lächelte der Drost,

schnalzte mit der Zunge und rieb sich die Hände.


Und Albrecht? fragte Margarethe hastig,
und die Bosheit der beleidigten Frau blitzte in ihr auf,
wo trägt er seine Narrenkappe? -

Seine Verwandten geben ihm eine Ruhestätte


in Mecklenburg. Dort kann er weiterhin
kleine Püppchen aus Brotteig kneten,
wie er es im Turm von Lindholm gelernt hat. -

Das ist Frieden, beschloss Margarethe kurzerhand,


gib ihn mir, ich unterschreibe ihn!
Sie breitete beide Arme weit aus, ihre prallen Brüste
rundeten sich unter dem engen Gewand,

und der Drost öffnete seine triefenden Augen


und bestaunte seine Herrin
wie ein wundersames Geschöpf.
Gib! - Sie ließ sich auf dem gedeckten Stuhl

hinter dem Eichentisch nieder,


schnappte sich die Schwanenfeder
und setzte mit einem einzigen Strich
ihren Namen unter das Dokument.

Für eine Weile herrschte Stille in der kleinen Kammer,


die Weihe eines bedeutsamen Augenblicks erfüllte den Raum.
Aber nicht für lange. Wie im Traum
hatte die Königin mit einem winzigen Hammer

auf eine Silberplatte geschlagen,


und nachdem ein heraldischer Diener
auf den hellen Klang hin eingetreten war,
befahl sie halblaut mit der verschleierten Stimme

einer andächtig entrückten Frau:


Sagt es den Kirchen. Alle Glocken
sollen so bald wie möglich geläutet werden.
Der dreifaltige Gott hat uns und unserem leidenden Volk

den Frieden gebracht.


Behutsam legte sie ihre Hände auf den Tisch
und wartete, bis die Wache den Raum verlassen hatte.
Dann aber lehnte sie ihre geschmeidige Gestalt
mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung

an die steile Wand des Thronsessels zurück


und hob ihre scharfen Augen
zu den Schnitzereien der Überdachung.
Norwegen und Dänemark, flüsterte sie

mit der tiefen Kontemplation eines Schöpfers,


Drost, lass auch die Arme Schwedens
von morgen an über mir sein.
Unsere Stimme wird für ein großes Reich erklingen.

Doch bevor der alte Mann bezeugen konnte,


dass er das erhabene Wesen seiner Herrin
verstanden hatte, geschah etwas Seltsames.
Der Kopf der Prinzessin senkte sich langsam zur Seite,

bis er auf der Schulter des alten Mannes,


der dicht neben ihr saß, Halt fand.
Und doch merkte der so Geehrte
trotz seines Zitterns sofort, dass Margarethe

nicht Zärtlichkeit schenken wollte,


sondern wie sie nun wirklich handelte,
aus Zwang und Besessenheit. Halb gezeichnet
streckte sie den ganzen Arm nach den Masten aus,

an denen die schwarzen Wimpel flatterten.


Siehe, mein Freund, murmelte sie,
als spräche sie zu einem gegenwärtigen Traumbild,
das soeben aus ihrem eigenen Atem aufgestiegen war,

siehe dort! Meinst du nicht, dass ein höherer Ruf


an uns ergehen könnte?
Wie heißt es in der Heiligen Schrift?
Schlagt eure Zelte weiter auf.

Dort draußen schaukelt ein Schwert auf dem Wasser.


Und unser Meer spielt nach England,
Hispanien und Friesland.
Wäre es Sünde, nach der Waffe zu greifen,

die der Herr mit Winden und Fluten gegen uns führt?
Ihre großen, lebhaften Augen weiteten sich unheimlich,
ihre Lippen murmelten unhörbar weiter,
und ihr Atem stockte plötzlich.

Diesmal war es gewiss keine Täuschung,


denn der schöne Körper der Frau lag wie gebannt,
als sei ihr innerstes unstillbares Verlangen
aus ihr herausgetreten und sie führe nun

ein Zwiegespräch mit ihrem leiblichen Dämon.


Der Fürst aber zuckte vor Schmerz zusammen,
nicht nur, weil sein morsches Skelett das angenehme Gewicht
des ruhenden Frauenkopfes nicht mehr zu tragen vermochte,

sondern auch, weil ihn der trockene Glaube plagte,


Margarethe sei immer nur dann so hoch
in den Himmel entrückt, wenn es galt,
höchst irdische Geschäfte

als von oben empfangen darzustellen.


Deshalb war er auch ganz nüchtern in seiner Meinung
und strich jede übernatürliche Sphäre beiseite:
Die Freibeuter wissen genau, was sie wert sind.

Es sind ungeduldige, hoffnungsvolle Burschen.


Man darf sie nicht zu lange warten lassen.
Kaum hatte das nickende Skelett im blauen seidenen Wams
diese Worte ausgesprochen, wurde seine Meinung
sofort durch ein äußeres Ergebnis bestätigt.
Ein dumpfer Schlag kam von den Schiffen,
eine Dampfwolke stieg auf, und die Königin,
aufgeschreckt durch den noch nie gehörten Knall,

sprang plötzlich auf, vergaß das Erwachen,


das sie soeben empfunden hatte,
und bewegte sich heftig und ohne jede Scheu
zum kleinen Fenster. Draußen schwelte

die graue Dampfwolke noch immer um die Schiffe.


Was ist denn? erkundigte sich Margarethe
jugendlich ungestüm.
Ein wohliges Lächeln umspielte den faltigen,

eingefallenen Mund des Drosten.


Es gefiel dem alten Mann, seine Herrin einmal
nicht so gut gelaunt zu sehen.
So antwortete er gemächlich:

Das, meine Herrin, sind die drei Lederschlangen


von der Agile, Störtebekers Admiralschiff.
Nehmt Euch in Acht, er ist ein Fürst unter seinesgleichen,
unermesslich reich und von wildem, verwegenem Gemüt.

Du weißt wohl, was das Volk von ihm singt? -


Ich erinnere mich, sagte die Regentin
und blickte forschend zu Boden.
Ein törichter, törichter Reim.

Plump und grob wie alle Bauerngedichte.


Vom Mast wehen die schwarzen Fahnen.
Klaus Störtebeker ist Kapitän.
Der Wind pfeift, die Flut schäumt,

Das Schwert kreist, das Blut spritzt.


Kein Unrecht wird mehr vererbt,
Komm, holde Maid, komm mit mir an Bord.
Wir müssen unter Segel gehen.

Klaus Störtebeker ist Kapitän.


Lach nicht, schloss die Fürstin
und wölbte abschätzig die Augenbrauen,
und doch entdeckte der scheinbar so müde Drost,

wie Margarethe ein paar Mal hemmungslos


mit der Zunge über die Lippen wedelte.
Warum preisen sie den wandernden Räuber wie einen Helden?
Hat das Volk keine würdigeren Helden?

Die Königin wirkte ernsthaft verletzt,


und so war es wohl nur ein Zufall,
dass sie bei dieser Bemerkung prüfend
den schweren Stoff über ihre Hüfte glättete.

Der Kanzler hingegen beugte sich zustimmend vor,


schlängelte seine langen gelben Beine umeinander
und rollte gleichzeitig das Staatsdokument auf.
Verzeihe, Herrin, versuchte er die verärgerte Frau

behutsam zu belehren, jeder, der lange gelebt hat,


weiß, dass Recht und Unrecht,
Gewalttat und Heldentat
keine tatsächliche Farbe ausstrahlen.

Vielmehr kommt es immer darauf an,


von wo das Licht auf sie fällt.
Und was diese Haufen da draußen betrifft,
so besitzen sie Urkunden aus Rostock und Wismar

und sind daher als kriegführende Macht anerkannt.


Glaubt Ihr, dass die Condottieri
Eurer italienischen Vettern
mit ihrem entlaufenen Gesindel besser sind?

Auch ihre Admirale Störtebeker und Gödeke Michael


halten sich an eine unerbittliche Manneszucht
und haben überdies den Titel Mehrer des Rechts erworben. -

Auch das, sagte die Fürstin finster


und machte eine hochmütige Handbewegung.
Wisst Ihr vielleicht auch, Herr Henning von Putbus,
woher die Kapitäne diese göttliche Berufung haben?

Das Tiefste in der Frau war irritiert,


ihr tief verborgener Stolz
auf ihre alte heldenhafte Abstammung;
Waldemar Attertags Tochter reckte sich,

eine unbeschreibliche Abgeschlossenheit


leuchtete von ihrer hohen Stirn.
Dann rang sich das dürre Gestell zusammen,
schwankte und wankte seiner Herrin entgegen,

und in seiner blechernen Stimme lag die seltsame,


fast bösartige Furchtlosigkeit eines überalterten Mannes,
der schon ein Freund des Todes war,
als er fast warnend in das Ohr der Macht hauchte:

Göttliche Berufung, Margarethe?


Kind, Kind, hast du schon die Hand gesehen,
die dir eine solche aus den Wolken reicht?
Nun, es genügt, dass ihr Auserwählten sie spürt.
Aber es gibt noch einen anderen Ruf.
Das wird gehört, das schreit nach Brot,
rebelliert gegen Druck,
seufzt mit Knechten und Leibeigenen. -

Hör auf! rief die Königin betroffen,


die plötzlich wieder ganz der Erde angehörte