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Z f Bildungsforsch (2018) 8:81–99

https://doi.org/10.1007/s35834-017-0190-7

ORIGINALBEITRAG

Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied


in der Mathematikkompetenz bei PISA, wenn dem
Schulsystem leistungsschwache Jungen verloren gehen?

Silvia Salchegger · Birgit Suchań

Angenommen: 17. September 2017 / Online publiziert: 12. Oktober 2017


© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017

Zusammenfassung Österreich weist bei PISA 2015 den größten Geschlechterun-


terschied in der Mathematikkompetenz zugunsten von Jungen unter allen 72 Teil-
nehmerländern weltweit auf. Der Geschlechterunterschied fällt z. B. in der Schweiz
signifikant geringer aus, obwohl in Bezug auf das Schulsystem, die Kultur und In-
dikatoren von Geschlechtergerechtigkeit eine große Ähnlichkeit besteht. In der vor-
liegenden Studie wird untersucht, inwiefern dieser große Geschlechterunterschied
in Österreich darin begründet sein könnte, dass leistungsschwache Jungen für PI-
SA häufiger nicht greifbar sind als Mädchen, entweder weil sie a) im Alter von
15 Jahren keine Schule mehr besuchen (und zur Out-of-School-Population zählen)
oder weil sie b) aufgrund einer Beeinträchtigung nicht am Test teilnehmen können.
In Österreich ist die Out-of-School-Population mit 6,1 % eine der größten OECD-
weit und wesentlich höher als in Deutschland und der Schweiz. Die Ergebnisse von
Simulationsanalysen zeigen, dass etwa ein Drittel des Leistungsunterschieds zwi-
schen Jungen und Mädchen bei PISA in Österreich durch eine geringere Inklusion
leistungsschwacher Jungen im Bildungssystem erklärbar ist, in Deutschland sind es
etwa 8 % und in der Schweiz war die Jungenpopulation sogar stärker abgedeckt
als die Mädchenpopulation. Hohe Geschlechterunterschiede zugunsten von Jungen
können somit nicht nur Ausdruck eines Vorteils von Jungen sein, sondern auch
ein Hinweis auf mangelnde Integration leistungsschwacher (und sozial schwacher)
Jungen im Bildungssystem.

Dr. S. Salchegger () · Dr. B. Suchań


Department Bildungsstandards & Internationale Assessments, BIFIE – Bundesinstitut
für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens,
Alpenstraße 121, 5020 Salzburg, Österreich
E-Mail: s.salchegger@bifie.at
Dr. B. Suchań
E-Mail: b.suchan@bifie.at

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82 S. Salchegger, B. Suchań

Schlüsselwörter Geschlecht · Mathematik · PISA

What does it mean for the gender gap in math achievement in PISA
when the school system loses low achieving boys?

Abstract In Austria the gender gap in favor of boys in mathematics in PISA 2015
is the largest among all 72 participating countries. In Switzerland, for example,
the difference is significantly smaller, although Austria and Switzerland are very
similar in terms of their school systems, culture and indicators of gender equity.
The aim of this study is to analyze to what extent this large gender gap in Austria
can be explained by the fact that under-performing boys are more often intangible
for PISA than girls because a) at age 15 they do not attend school any more (and
belong to the out-of-school population) or b) they are not able to participate in the
test because of special needs. The out-of-school population in Austria is 6,1%. This
is the largest among all OECD countries and considerably larger than in Germany
and Switzerland. The results of simulation analyses show that in Austria about
one third of the gender gap in PISA math achievement can be explained by the
fact that underperforming boys more rarely still attend a school at age 15 than
underperforming girls; in Germany only about 8% of the gender difference can be
explained by this fact. In Switzerland, however, population coverage is even larger
for boys than for girls. In sum, a high gender gap in favour of boys in PISA does
not always refer to an advantage of boys, but may also indicate a lack of inclusion
of under-performing (and socially deprived) boys in the education system.

Keywords Gender · Math achievement · PISA

1 Theoretischer Hintergrund

1.1 Einleitung

Österreich weist bei PISA 2015 den größten Geschlechterunterschied in der Ma-
thematikkompetenz zugunsten von Jungen unter allen 72 Teilnehmerländern auf.
Ebenso ist es das Land mit dem größten Leistungsvorsprung der Jungen in Na-
turwissenschaft, wenngleich die Effektstärke hier niedriger ist als in Mathematik
(OECD 2016a). Dieser Umstand ist von hoher politischer Brisanz (vgl. Gamon
et al. 2016), jedoch nur schwer zu erklären. So weist etwa die Schweiz, mit ei-
nem ebenfalls früh selektierenden und hoch differenzierten Schulsystem (OECD
2016b, S. 167) sowie ähnlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Geschlechterge-
rechtigkeit (z. B. United Nations Development Programme 20151), einen wesentlich
geringeren Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz auf als Österreich
und in Deutschland ist die Geschlechterdifferenz immerhin auch noch um 10 Punkte
geringer als in Österreich (Suchań et al. 2016). Wie lassen sich diese unterschied-

1Der Gender Development Index (GDI) und der Gender Inequality Index (GII) weisen für Österreich,
Deutschland und die Schweiz sehr ähnliche Werte auf.

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Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz bei PISA,... 83

lich großen Geschlechterdifferenzen in der Mathematikkompetenz bei solch hoher


geografischer und kultureller Nähe dieser Länder erklären? Der vorliegende Beitrag
untersucht hierzu länderspezifische Unterschiede in der Populationsabdeckung von
Mädchen und Jungen bei PISA 2015.
Bisherige Ergebnisse zeigten bereits, dass eine unterschiedliche Populationsabde-
ckung von Mädchen und Jungen einen Einfluss auf die Größe von Geschlechterunter-
schieden haben kann. Etwa schneiden beim amerikanischen Scholastic Assessment
Test (SAT) Jungen in Mathematik stets deutlich besser ab als Mädchen. Dieses Er-
gebnis lässt sich laut Reilly (2012) allerdings nicht auf die Population generalisieren,
da am SAT nur Jugendliche teilnehmen, die eine weitere Ausbildung am College
anstreben und dies sind stets mehr Mädchen als Jungen. Damit ist beim SAT die
Gruppe der Jungen stärker selektiert als die der Mädchen und folglich werden Ge-
schlechterunterschiede zugunsten der Jungen überschätzt. Ein ähnliches Phänomen
zeigt sich bei der österreichischen Standardisierten Reifeprüfung. Auch hier treten
deutlich weniger Jungen als Mädchen an und diese stärker selektierten Jungen er-
zielen in der Regel auch bessere Ergebnisse (in Mathematik und Englisch) als die
breiter abgedeckten Mädchen (vgl. Neuwirth 2016).

1.1.1 Zielpopulation und nicht erfasste Jugendliche bei PISA

Zielpopulation von PISA sind 15-jährige Schüler/innen, die sich zumindest auf der
siebten Schulstufe befinden2 (vgl. OECD 2017a, S. 1). Die bei PISA erhobenen Da-
ten sind damit nicht repräsentativ für alle Jugendlichen eines Landes, da Jugendliche,
die im Alter von 15 Jahren keine Schule mehr besuchen (Out-of-School-Population)
oder die siebte Schulstufe noch nicht erreicht haben3, nicht Teil der PISA-Population
sind. Im Ländervergleich zeigt sich für Österreich eine wesentlich höhere Out-of-
School-Population-Rate (6,1 %) als für die Schweiz (2,2 %) und Deutschland (0 %;
vgl. OECD 2016a, p. 290, Table A2.14). Dass es in Deutschland keine 15-/16-Jäh-
rigen gibt, die nicht (mehr) beschult sind, kann darauf zurückgeführt werden, dass
hier die Schul- bzw. Berufsschulpflicht erst mit 18 Jahren endet. In Österreich und
der Schweiz ist dies bereits mit 15 Jahren der Fall (OECD 2015a, S. 535).
Darüber hinaus werden bei PISA auch jene Jugendlichen nicht erfasst, die zwar
eine Schule besuchen, aber aus sprachlichen Gründen (d. h. weniger als ein Jahr
Unterricht in der Testsprache) bzw. wegen körperlichen oder kognitiven Beeinträch-
tigungen nicht an der Testung teilnehmen können (vgl. OECD 2017a, Chapter 4, für
eine genaue Beschreibung der Ausschlusskriterien). In Österreich wurden 2,11 %
der beschulten Population aus mindestens einem dieser Gründe ausgeschlossen, in
Deutschland 2,14 % und in der Schweiz 4,35 %.

2 Das Ziel von PISA ist es, den kumulativen Bildungsertrag bis zum Ende der Pflichtschulzeit zu erfassen.

Da die Schulpflicht im Großteil der OECD-Länder im Alter von 15 Jahren endet, bilden 15-jährige Schüler/
innen die definierte Population von PISA.
3 Der Anteil an beschulten 15-Jährigen, der die siebte Schulstufe noch nicht erreicht hat, ist verschwindend

gering (z. B. 0,02 % bei PISA 2015 in Österreich), weshalb diese Gruppe hier nicht gesondert ausgewiesen,
sondern der Out-of-School-Population hinzugezählt wird.
4 Die Out-of-School-Population wurde berechnet aus der Differenz zwischen gesamter und beschulter

Population.

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1.1.2 Hintergrund- und Leistungsmerkmale der nicht erfassten Jugendlichen

Es kann davon ausgegangen werden, dass Jugendliche, die zur Out-of-School-Po-


pulation zählen oder einen der eben genannten Ausschlussgründe aufweisen, zu
den besonders Leistungsschwachen zählen. Konkret nimmt die OECD (2016c, Ta-
ble I.5.2b) an, dass Jugendliche, die bei PISA nicht repräsentiert sind, zur Risiko-
gruppe zählen (vgl. Abschn. 2.2.2 zur Definition des Begriffs „Risikogruppe“). Diese
Annahme wird auch durch eine Analyse von Steiner et al. (2016) gestützt, wonach
Early School Leavers5 häufig Schulen besucht haben, die bei der Bildungsstandard-
Überprüfung besonders schlecht abgeschnitten haben. Auch stellten Lentner und
Bacher (2014, S. 285) auf Basis der PIAAC-Daten6 einen starken Zusammenhang
zwischen Kompetenzarmut und Zertifikatsarmut bei Jugendlichen und jungen Er-
wachsenen fest. So sind 41,6 % der Early School Leavers von Kompetenzarmut im
Lesen betroffen, in der Gesamtpopulation der 16- bis 29-Jährigen sind es 10,7 %.
In den Statistiken der OECD wird zwar beschrieben, wie viele Jugendliche auf-
grund der unter Abschn. 1.1.1 angeführten Merkmale nicht in die Zielpopulation
von PISA eingehen, eine nach Geschlecht differenzierte Beschreibung dieser nicht
testbaren Jugendlichen erfolgt jedoch nicht (vgl. OECD 2016a, p. 290, Table A2.1).
Bisherige Ergebnisse zeigen allerdings, dass Jungen unter den Jugendlichen mit
frühem Bildungsabbruch überrepräsentiert sind (Steiner et al. 2016) sowie auch un-
ter den Schülerinnen und -schülern an Sonder- bzw. Förderschulen7 (Leitgöb et al.
2011; Statistik Austria 2016, S. 25; Malecki 2014, S. 598).
Neben männlichem Geschlecht identifizierten Steiner et al. (2016) Migrations-
hintergrund (v. a. erste Generation mit Herkunft aus einem Land außerhalb der EU),
Arbeitslosigkeit der Eltern sowie einen niedrigen Bildungsstand der Eltern als we-
sentliche soziodemografische Risikomerkmale für frühen Bildungsabbruch. Auf Ba-
sis dieser Ergebnisse kann davon ausgegangen werden, dass unter den bei PISA
nicht erfassten Jugendlichen männliche, leistungs- und sozial schwache Jugendliche
sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind.

1.2 Die vorliegende Untersuchung

In der vorliegenden Studie wird untersucht, inwiefern länderspezifische Unterschie-


de bei den im Rahmen von PISA 2015 gefundenen Geschlechterdifferenzen darin
begründet sein könnten, dass leistungsschwache Jungen über die Länder hinweg

5 Als Early School Leavers werden Jugendliche im Alter von 18 bis 24 Jahren definiert, welche maximal
über einen Pflichtschulabschluss verfügen und sich in keiner weiterführenden Ausbildung befinden. Die
Gruppe der Early School Leavers ist breiter als die Out-of-School-Population bei PISA, da PISA auch
Pflichtschüler/innen (v. a. an Polytechnischen Schulen) erfasst, von denen jene, die danach keine weitere
Ausbildung abschließen, später zur Gruppe der Early School Leavers zählen werden.
6 Das Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) richtet sich an er-

wachsene Personen (ab 16 Jahren) der Wohnbevölkerung und erreicht damit auch Personen, die im Alter
von 15 Jahren keine Schule mehr besuchten.
7 Bei PISA werden nur jene Sonderschüler/innen nicht getestet, deren Beeinträchtigung so gravierend

ist, dass eine Teilnahme am PISA-Test nicht möglich ist. Es ist anzunehmen, dass Jungen auch in dieser
Subgruppe der Sonderschüler/innen überrepräsentiert sind.

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unterschiedlich stark bei PISA 2015 repräsentiert waren. Einbezogen werden auf-
grund der schulsystembezogenen, kulturellen, sprachlichen und geografischen Nähe
Österreich, Deutschland und die Schweiz.
Konkret werden die folgenden Hypothesen untersucht:
1. Unter jenen Jugendlichen, die bei PISA per Definition nicht erfasst werden (un-
beschulte 15-Jährige sowie beschulte 15-Jährige, die aufgrund sprachlicher, kör-
perlicher oder kognitiver Defizite nicht getestet wurden), sind Jungen im Vergleich
zur Gesamtpopulation überrepräsentiert. Dies wird dadurch deutlich, dass der Jun-
genanteil bei PISA geringer ist als der Jungenanteil in der Gesamtpopulation.
2. Unter den bei PISA erfassten Jugendlichen sind insbesondere Jungen mit Migra-
tionshintergrund, niedrigem sozioökonomischem Status (SES) und niedrig gebil-
deten Eltern unterrepräsentiert. Dies wird dadurch deutlich, dass die bei PISA er-
fassten Jungen seltener einen Migrationshintergrund, aber höher gebildete Eltern
und einen höheren SES aufweisen als die bei PISA erfassten Mädchen.
3. Der mittlere Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern würde sich deut-
lich verringern, wenn leistungsschwache Jungen und Mädchen entsprechend ih-
rem Anteil in der Gesamtpopulation bei PISA repräsentiert wären.
Wie eingangs beschrieben, ist die Out-of-School-Population in Österreich we-
sentlich höher als in Deutschland und der Schweiz. Es wird daher darüber hinaus
davon ausgegangen, dass
4. die Hypothesen 1 bis 3 in Österreich am stärksten zutreffen, während sie in
Deutschland und der Schweiz nur in einem schwächeren Ausmaß oder gar nicht
zutreffen.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Die vorliegenden Analysen beruhen auf Daten, die bei PISA 2015 erhoben wurden
sowie auf öffentlich zugänglichen Daten der nationalen Statistikinstitute (Österreich:
Statistik Austria, Deutschland: Statistisches Bundesamt und Schweiz: Bundesamt
für Statistik). Die PISA-Stichproben sind repräsentativ für beschulte Jugendliche,
die im Kalenderjahr 16 Jahre vor der jeweiligen Erhebung geboren worden sind.
Konkret müssen die Schüler/innen zu Beginn des Testfensters zwischen 15 Jahre,
3 Monate und 16 Jahre, 2 Monate alt sein, um für eine Teilnahme an PISA infrage
zu kommen8 (OECD 2016a, S. 210). Da in der Schweiz und in Deutschland im
Frühjahr 2015 getestet wurde und in Österreich im Herbst 2015, das Alter zum
Erhebungszeitpunkt jedoch konstant gehalten werden musste, unterscheiden sich die
Geburtszeiträume der Zielschüler/innen zwischen diesen Ländern. In Österreich lag

8 Der Einfachheit halber wird in diesem Beitrag von 15-Jährigen gesprochen, wenn von dieser Altersgrup-

pe die Rede ist, obwohl etwa ein Drittel der Schüler/innen (32 % in Österreich, 35 % in der Schweiz und
37 % in Deutschland) zum Zeitpunkt der Testung bereits 16 Jahre alt war.

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der Geburtszeitraum der Zielpopulation zwischen 1. August 1999 und 31. Juli 2000,
in der Schweiz und in Deutschland zwischen 1. Januar 1999 und 31. Dezember
1999.
In Österreich wurden bei PISA 2015 7007 Schüler/innen (davon 3564 männlich)
getestet, in der Schweiz 5860 (davon 3053 männlich) und in Deutschland 6504 Schü-
ler/innen (davon 3307 männlich). Alle in der Folge angeführten Analysen wurden
mit gewichteten Daten durchgeführt. Das heißt, jede/r Schüler/in geht gemäß dem
Anteil seines/ihres Stratums (in Österreich: Schulform) und seines/ihres Geschlechts
in der PISA-Zielpopulation in die Analysen ein. Einen Überblick über die Anzahl
gewichteter Schüler/innen gibt Tab. 2. Genauere Informationen zu Stichprobende-
sign und Datengewichtung finden sich bei der OECD (2017a, b).

2.2 Verwendete Maße

Alle hier verwendeten Maße der Erhebung von PISA 2015 stammen aus dem öf-
fentlich verfügbaren PISA-2015-Datensatz. Dieser kann frei heruntergeladen werden
von https://www.oecd.org/pisa/data/2015database/.

2.2.1 Geschlecht

Die Informationen zum Geschlecht der Schüler/innen stammen bei PISA von den
Schulleiterinnen und Schulleitern und es gibt keine fehlenden Werte.
Informationen zur Geschlechterverteilung in der Population der 15-Jährigen wur-
den von den Webseiten der nationalen Statistikinstitute abgerufen. Entsprechend
der Definition der Zielpopulation von PISA (vgl. Abschn. 2.1), wurde für Öster-
reich die Zahl der Mädchen und Jungen in der Gesamtpopulation abgerufen, die
zum 1. Juli 2015 (das ist der Stichtag für Statistiken zum dritten Quartal) 15 Jahre
alt waren9; für Deutschland10 und die Schweiz11 wurde die Zahl der Mädchen und
Jungen in der Gesamtpopulation abgerufen, die zum 31. Dezember 2014 15 Jahre
alt waren. Die so gewonnene Summe aus Jungen und Mädchen weicht geringfügig
von den Populationsgrößen der OECD (2016a, Table A.2) ab, da diese zwei Jahre
vor der Testung geschätzt wurden und die Werte der vorliegenden Untersuchung im
Nachhinein direkt für den Zeitraum der Testung abgerufen wurden.

2.2.2 Mathematikkompetenz

Bei der Mathematikkompetenz steht bei PISA die Anwendung und Nutzung des
mathematischen Wissens in einer Vielzahl von unterschiedlichen Kontexten im Vor-

9 http://statcube.at/statistik.at/ext/statcube/jsf/tableView/tableView.xhtml.
10 https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/data;jsessionid=3B023509FD00E2FC214CDC1F3BB1
EA2A.tomcat_GO_1_1?operation=abruftabelleBearbeiten&levelindex=1&levelid=1484906020364&
auswahloperation=abruftabelleAuspraegungAuswaehlen&auswahlverzeichnis=ordnungsstruktur&
auswahlziel=werteabruf&selectionname=12411-0006&auswahltext=%23SGES-GESW%2CGESM%23Z-
31.12.2014%23SALT013-ALT015&nummer=5&variable=2&name=GES&werteabruf=Werteabruf.
11 https://www.pxweb.bfs.admin.ch/Selection.aspx?px_language=de&px_db=px-x-0102010000_101&

px_tableid=px-x-0102010000_101%5cpx-x-0102010000_101.px&px_type=PX

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dergrund (vgl. Suchań und Breit 2016). Die PISA-Mathematikskala wurde im Jahr
2003 so verankert, dass der Mittelwert über alle OECD-Länder, die sich an PISA
2003 beteiligten, 500 beträgt und die Standardabweichung 100 (OECD 2014). Um
die von den Schülerinnen und Schülern erbrachten Leistungen inhaltlich interpretie-
ren zu können, wurde die Leistungsskala an bestimmten Schnittpunkten geteilt und
so Kompetenzstufen gebildet. Im vorliegenden Beitrag kommt dem Schnittpunkt
von 420,07 Punkten besondere Bedeutung zu, denn dieser markiert die Trennung
zwischen der Risikogruppe (auf oder unter Kompetenzstufe 1) und allen anderen
Gruppen (ab Kompetenzstufe 2). Da die PISA-Leistungsskalen auf Plausible Values
beruhen (vgl. OECD 2014), gibt es keine fehlenden Werte.

2.2.3 Migrationshintergrund

Schüler/innen mit Migrationshintergrund sind jene, deren Elternteile beide im Aus-


land geboren wurden (vgl. OECD 2012). Wenn im Schülerfragebogen keine Anga-
ben zum Geburtsland der/des Jugendlichen und zumindest eines Elternteils gemacht
wurden, konnte der Migrationshintergrund nicht rekonstruiert werden. Dies war in
Österreich (mit 1,3 %) und der Schweiz (mit 2,3 %) nur bei einem sehr geringen
Anteil an Schülerinnen und Schülern der Fall. In Deutschland allerdings lag dieser
Anteil bei PISA 2015 bei 13,4 %.

2.2.4 Sozioökonomischer Status (SES)

Der SES wird im vorliegenden Beitrag anhand des HISEI (Highest International
Socio-Economic Index of Occupational Status; Ganzeboom et al. 1992) operatio-
nalisiert. Dieser wurde von den Schülerantworten auf die Frage nach dem Beruf
der Eltern abgeleitet und fußt auf der Annahme, dass sich Berufe je nach erforderli-
chem Bildungsniveau und erwartetem Einkommen hierarchisch skalieren lassen. Der
HISEI basiert auf dem Beruf des Vaters oder der Mutter, je nachdem, wer die höhere
Stellung hat. Die Indexwerte reichen von 10 (z. B. Küchenhilfen) bis 89 (Ärztinnen
und Ärzte; vgl. Ganzeboom 2010).
Der Anteil fehlender Werte beim HISEI betrug bei PISA 2015 in Österreich
6,3 %, in der Schweiz 7,1 % und in Deutschland 19,0 %.

2.2.5 Bildung der Eltern

Antworten der Schüler/innen zum Beruf der Eltern wurden auf Basis der Interna-
tional Standard Classification of Education (ISCED) 1997 kodiert (OECD 1999).
Der Index of Highest Parental Education (HISCED) bezieht sich auf die ISCED-
Stufe des Elternteils mit dem höheren Bildungsabschluss. Im vorliegenden Beitrag
wird auf einen Index zurückgegriffen, bei dem der HISCED in Beschulungsjahre
umgerechnet wurde (Index of Highest Parental Education in Years of Schooling
[PARED]). Welche ISCED-Stufe mit wie vielen Beschulungsjahren korrespondiert,
findet sich in Anhang D des internationalen technischen Berichts (OECD 2017c).
Der Anteil fehlender Werte beim PARED betrug bei PISA 2015 in Österreich
2,5 %, in der Schweiz 2,0 % und in Deutschland 17,5 %.

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2.2.6 Umgang mit fehlenden Werten

Wie eben beschrieben, liegen bei den Herkunftsmerkmalen fehlende Werte vor, wo-
bei sich der höchste Anteil fehlender Werte für Deutschland verzeichnen lässt. Wie
Gebhardt et al. (2013, S. 279) berichten, liegt der Hauptgrund darin, dass die Bearbei-
tung des Schülerfragebogens nur in einem kleinen Teil der deutschen Bundesländer
verpflichtend ist. In den anderen Bundesländern verlangen Datenschutzrichtlinien
das Einverständnis der Erziehungsberechtigten und der Jugendlichen.
Fehlende Werte werden in den nachfolgenden Analysen nicht ignoriert – wie
dies zum Beispiel in den Publikationen der OECD (z. B. OECD 2016a, b) der Fall
ist – sondern gezielt in die Analysen mitaufgenommen. So werden im Ergebnisteil
Geschlechterunterschiede beim Anteil fehlender Werte berichtet.

2.3 Datenanalyse

2.3.1 Analysen mit originalen PISA-2015-Daten

Die Berechnungen erfolgten unter Verwendung des IEA IDB-Analyzer Version


3.2.23.0 (IEA 2016), der das komplexe Stichprobendesign bei PISA (Schüler/innen
geschachtelt in Schulen) berücksichtigt. Alle Signifikanzprüfungen erfolgten auf
einem Alpha-Niveau von p < 0,05.

2.3.2 Simulationsanalysen

Wie in der Einleitung beschrieben, ist es wahrscheinlich, dass Jugendliche, die bei
PISA nicht erfasst wurden, sehr schwache Kompetenzen aufweisen. Für die folgen-
den Simulationsanalysen wurden drei Szenarien angenommen:

Szenario 1 Die bei PISA nicht erfassten Jugendlichen erreichen denselben Mathe-
matik-Mittelwert, den auch die 10 % schwächsten bei PISA getesteten Jugendlichen
des jeweiligen Landes erreichen.

Szenario 2 Die bei PISA nicht erfassten Jugendlichen erreichen denselben Mathe-
matik-Mittelwert, den auch die 25 % schwächsten bei PISA getesteten Jugendlichen
des jeweiligen Landes erreichen.

Szenario 3 Die bei PISA nicht erfassten Jugendlichen erreichen denselben Ma-
thematik-Mittelwert, den auch die bei PISA getestete Mathematik-Risikogruppe des
jeweiligen Landes erreicht.

Für Simulationsanalysen wurden die bei PISA nicht erfassten Mädchen und Jungen
für jedes Land im PISA-Datensatz ergänzt. Dabei wurde für jede der drei Simu-
lationsanalysen (Schwächste 10 %, Schwächste 25 %, Risikogruppe) ein eigenes
Datenfile erstellt. Konkret wurde folgendermaßen vorgegangen:

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1. Um die für PISA nicht erreichbaren Jugendlichen zu repräsentieren, wurden für


jedes Land zwei Datenfälle im originalen Datensatz eingefügt. Je ein Fall wurde
als männlich kodiert, einer als weiblich.
2. Diese beiden Fälle wurden entsprechend der in Tab. 2 festgestellten Differenz zwi-
schen der Gesamtpopulation und der PISA-Population gewichtet. In Österreich
erhielt der Fall „Mädchen“ ein Gewicht von 5616, der Fall „Junge“ 7279. Für
Deutschland und die Schweiz wurde analog vorgegangen.
3. Alle Plausible Values in Mathematik wurden für diese Fälle auf den jeweiligen
Mittelwert gesetzt, das heißt, je nach Simulationsanalyse auf den Mittelwert der
schwächsten 10 %, der schwächsten 25 % bzw. der Risikoschüler/innen. Diese
Mittelwerte sind aus Tab. 1 ersichtlich. Beispielsweise erhielten die fehlenden
Jugendlichen (sowohl Jungen als auch Mädchen) in Österreich bei den Simula-
tionsanalysen zu den schwächsten 10 % einen Mathematik-Punktwert von 326,1
zugeordnet, in der Schweiz 349,3 und in Deutschland 347,2.

Mit dieser Vorgehensweise wird der bei der OECD (2016a, S. 212) beschriebenen
analytischen Strategie gefolgt.

Tab. 1 Die schwächsten Schüler/innen in Mathematik: Leistungsmittelwerte und Jungenanteil


Schwächste 10 % Schwächste 25 % Mathematik-Risikogruppe
MW Jungen- MW Jungen- MW Anteil an Jungen-
anteil anteil der PISA- anteil
(%) (%) Population (%)
(%)
Österreich 326,1 (3,3) 42,7 372,4 (2,5) 43,7 364,5 (2,2) 21,8 43,6
Schweiz 349,3 (2,7) 52,3 395,5 (2,2) 51,0 370,6 (2,2) 15,8 51,2
Deutschland 347,2 (3,2) 43,2 390,9 (2,5) 46,1 371,7 (2,2) 17,2 44,8
Standardfehler stehen in Klammern

Tab. 2 Populationsabdeckung bei PISA 2015 nach Geschlecht


Population (15-Jährige) PISA 2015 Differenz Popu-
lation – PISA
N % N (gewichtet) % N
Österreich
Mädchen 41.961 48,64 36.345 49,53 5616
Jungen 44.313 51,36 37.034 50,47 7279
Gesamt 86.274 100,00 73.379 100,00 12.895
Schweiz
Mädchen 41.194 48,66 39.395 47,91 1799
Jungen 43.459 51,34 42.829 52,09 630
Gesamt 84.653 100,00 82.223 100,00 2430
Deutschland
Mädchen 382.142 48,58 364.365 49,11 17.777
Jungen 404.519 51,42 377.507 50,89 27.012
Gesamt 786.661 100,00 741.872 100,00 44.789

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3 Ergebnisse

3.1 Repräsentation von Jungen und Mädchen bei PISA 2015

Tab. 2 zeigt die Populationsabdeckung von Mädchen und Jungen bei PISA 2015.
Alle Angaben zur Population der 15-Jährigen beruhen dabei auf den Abfragen der
nationalen Statistikdatenbanken (vgl. Abschn. 2.2.1). Angaben zur bei PISA 2015
abgedeckten Population beruhen auf dem PISA-2015-Datensatz.
Es zeigt sich, dass in Österreich und Deutschland der Jungenanteil in der Popu-
lation der 15-Jährigen (mit 51,36 bzw. 51,42 %) höher ist als der Jungenanteil bei
PISA (mit 50,47 bzw. 50,89 %). In der Schweiz ist hingegen der Jungenanteil in der
Population der 15-Jährigen (mit 51,34 %) geringer als bei PISA (mit 52,09 %).
Insgesamt kann Hypothese 1 („Jungen sind in der PISA-Stichprobe im Vergleich
zur Gesamtpopulation 15-Jähriger unterrepräsentiert“) für Österreich und Deutsch-
land bestätigt werden, für die Schweiz hingegen nicht. Für die Schweiz zeigt sich
sogar gegenläufig, dass Jungen bei PISA im Vergleich zur Gesamtpopulation leicht
überrepräsentiert sind (und Mädchen unterrepräsentiert). Die Tatsache, dass Jungen
in Österreich am stärksten unterrepräsentiert sind, entspricht allerdings Hypothese 4.

3.2 Geschlechterunterschiede bei Herkunftsmerkmalen

In den Tab. 3, 4 und 5 ist dargestellt, inwiefern sich Mädchen und Jungen bei PISA
2015 in Bezug auf die Merkmale Migrationshintergrund, SES und Elternbildung

Tab. 3 Geschlechterunterschiede beim Migrationshintergrund und bei den fehlenden Werten zum
Migrationshintergrund
Mit Migrationshintergrund (%)a Fehlende Werte zum Migrationshintergrund
(%)
Mädchen Jungen Mädchen – Mädchen Jungen Mädchen –
Jungen Jungen
Österreich 21,50 (1,32) 19,11 (1,38) 2,39 (1,51) 1,03 (0,22) 1,63 (0,28) –0,60 (0,35)
Schweiz 30,64 (1,33) 31,45 (1,48) –0,81 (1,15) 2,10 (0,30) 2,52 (0,30) –0,42 (0,39)
Deutschland 16,39 (1,07) 17,45 (1,14) –1,05 (1,48) 10,94 (0,80) 15,80 (1,06) –4,86 (0,84)
Standardfehler stehen in Klammern. Signifikante Werte (p < 0,05) werden fett dargestellt
a
Fälle mit fehlenden Werten wurden ausgeschlossen

Tab. 4 Geschlechterunterschiede beim sozioökonomischen Status und bei den fehlenden Werten zum
sozioökonomischen Status
HISEI (Mittelwerte)a Fehlende Werte zum HISEI (%)
Mädchen Jungen Mädchen – Mädchen Jungen Mädchen –
Jungen Jungen
Österreich 50,47 (0,62) 52,19 (0,65) –1,73 (0,86) 5,70 (0,50) 6,97 (0,52) –1,27 (0,75)
Schweiz 52,81 (0,67) 53,25 (0,64) –0,44 (0,76) 5,59 (0,70) 8,57 (0,73) –2,98 (0,82)
Deutschland 50,70 (0,47) 52,34 (0,58) –1,64 (0,54) 15,88 (0,94) 21,97 (1,10) –6,08 (0,98)
Standardfehler stehen in Klammern. Signifikante Werte (p < 0,05) werden fett dargestellt
HISEI Highest International Socio-Economic Index of Occupational Status
a
Fälle mit fehlenden Werten wurden ausgeschlossen

K
Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz bei PISA,... 91

Tab. 5 Geschlechterunterschiede bei der Bildung der Eltern und bei den fehlenden Werten zur Bildung
der Eltern
PARED (Mittelwerte)a Fehlende Werte zum PARED (%)
Mädchen Jungen Mädchen – Mädchen Jungen Mädchen –
Jungen Jungen
Österreich 13,93 (0,07) 14,22 (0,07) –0,29 (0,10) 1,65 (0,28) 3,32 (0,42) –1,67 (0,49)
Schweiz 14,33 (0,09) 14,41 (0,08) –0,09 (0,09) 1,45 (0,23) 2,45 (0,33) –1,00 (0,39)
Deutschland 14,23 (0,07) 14,42 (0,08) –0,19 (0,08) 14,74 (0,95) 20,10 (1,11) –5,36 (0,99)
Standardfehler stehen in Klammern. Signifikante Werte (p < 0,05) werden fett dargestellt
PARED Index of Highest Parental Education in Years of Schooling
a
Fälle mit fehlenden Werten wurden ausgeschlossen

unterschieden. Für Österreich und Deutschland zeigt sich, dass Jungen einen signifi-
kant höheren SES als Mädchen angeben und auch signifikant höher gebildete Eltern.
Beim Migrationshintergrund zeigen sich in keinem der drei Länder signifikante Ge-
schlechterunterschiede, in Österreich lässt sich allerdings eine Tendenz dahingehend
feststellen, dass die bei PISA getesteten Jungen seltener (um 2,39 Prozentpunkte)
einen Migrationshintergrund angeben als die Mädchen (t = 1,58, p = 0,114). Für
die Schweiz zeigen sich für keines dieser Merkmale signifikante Mittelwertunter-
schiede zwischen Mädchen und Jungen. Es wird allerdings über alle drei Länder
hinweg deutlich, dass Jungen die Fragen häufiger nicht beantworten als Mädchen.
Besonders große Unterschiede ergeben sich hierbei in Deutschland, wo die Anzahl
fehlender Werte auch insgesamt wesentlich höher liegt als in Österreich und der
Schweiz.
Aufgrund dieser Ergebnisse kann Hypothese 2 teilweise bestätigt werden: In
Österreich und Deutschland stammen die bei PISA erfassten Jungen tatsächlich
häufiger aus höher gebildeten Elternhäusern und weisen einen höheren SES auf
als die Mädchen. Beim Migrationshintergrund zeigt sich nur für Österreich eine
leichte Tendenz dahingehend, dass Jungen weniger oft einen Migrationshintergrund
angeben als Mädchen. Für die Schweiz muss Hypothese 2 allerdings vollkommen
verworfen werden: Hier ergeben sich in keinem Herkunftsmerkmal signifikante Un-
terschiede zwischen den bei PISA erfassten Mädchen und Jungen. Dies deutet darauf
hin, dass für die Schweiz keine geschlechtsspezifischen Verzerrungen in Bezug auf
Herkunftsmerkmale vorliegen.

3.3 Simulationsanalysen: Mögliche Veränderungen bei den Geschlechter-


unterschieden in der Mathematikkompetenz nach Herstellung
repräsentativer Geschlechterverhältnisse

Für die nachfolgenden Analysen wurden dem PISA-Datenfile durch eine entspre-
chende Gewichtung so viele Jungen und Mädchen hinzugefügt, dass ihre Anzahl
exakt jener in der Population der 15-Jährigen entspricht (vgl. Abschn. 2.3.2 für die
konkrete Vorgehensweise). In Bezug auf die Mathematikkompetenz der hinzugefüg-
ten Fälle wurden die drei in Abschn. 2.3.2 präsentierten Szenarien simuliert. Die
Ergebnisse dieser Analysen finden sich in Tab. 6.

K
92

K
Tab. 6 Differenzen in den Mathematik-Leistungsmittelwerten zwischen Mädchen und Jungen auf Basis originaler und simulierter Daten (PISA 2015)
Originale Geschlechterdifferenz in Mathematik Simulationsanalysen: Nicht getestete Jugendliche erreichen den Mittelwert der ...b
bei PISA 2015a
Schwächsten 10 % Schwächsten 25 % Mathematik-Risikogruppe
MW Mäd- MW Jungen Mädchen – MW MW Mädchen – MW MW Mädchen – MW MW Mädchen –
chen Jungen Mäd- Jun- Jungen Mäd- Jun- Jungen Mäd- Jun- Jungen
chen gen chen gen chen gen
Österreich 483,1 (3,6) 510,1 (3,8) –27,0 (5,0) 462,1 479,9 –17,8 468,3 487,5 –19,2 467,3 486,2 –18,9
Schweiz 515,0 (3,5) 527,0 (3,2) –12,0 (3,3) 507,7 524,4 –16,7 509,8 525,1 –15,3 508,7 524,7 –16,1
Deutschland 497,5 (3,0) 514,1 (3,5) –16,6 (2,9) 490,5 503,0 –12,4 492,6 505,9 –13,3 491,7 504,6 –12,9
Standardfehler stehen in Klammern
a
Signifikante Mittelwertdifferenzen (p < 0,05) werden fett dargestellt
b
Bei den Simulationsanalysen ist eine Bestimmung des Standardfehlers (und folglich der Signifikanz) nicht möglich; hier werden Differenzwerte >12 Punkte fett dargestellt,
da Geschlechterunterschiede solcher Größenordnung bei PISA jedenfalls statistisch signifikant sind (entspricht der originalen Geschlechterdifferenz in der Schweiz)
S. Salchegger, B. Suchań
Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz bei PISA,... 93

Ergebnisse zu Szenario 1 (Annahme, dass die fehlenden Jungen und Mädchen den
Mittelwert der 10 % schwächsten bei PISA 2015 getesteten Jugendlichen erreichen)
zeigen, dass der Vorsprung der Jungen in der Mathematikkompetenz in Österreich
um 9,2 Punkte geringer ausfallen würde (17,8 statt 27,0 Punkte). In Deutschland
würde sich unter Szenario 1 der Vorsprung der Jungen um 4,2 Punkte verringern
(von 16,6 auf 12,4 Punkte). Da in der Schweiz Mädchen leicht unterrepräsentiert
sind, erhöht sich hier der Vorsprung der Jungen bei den Simulationsanalysen und
würde um 4,7 Punkte größer ausfallen (16,7 statt 12,0 Punkte).
Unter Szenario 2 (Annahme, dass die fehlenden Jungen und Mädchen den Mittel-
wert der 25 % schwächsten bei PISA 2015 getesteten Jugendlichen erreichen) würde
sich die Geschlechterdifferenz in Österreich um 7,8 Punkte verringern (von 27,0 auf
19,2 Punkte). In Deutschland würde sich der Vorsprung der Jungen um 3,3 Punkte
verringern (von 16,6 auf 13,3 Punkte). In der Schweiz würde sich der Vorsprung der
Jungen wiederum vergrößern und unter Szenario 2 um 3,3 Punkte größer ausfallen
als im Original (15,3 statt 12,0 Punkte).
Unter Szenario 3 (Annahme, dass die fehlenden Jungen und Mädchen den Mittel-
wert der Risikogruppe erreichen) würde sich die Geschlechterdifferenz in Österreich
um 8,0 Punkte verringern (von 27,0 Punkten auf 18,9 Punkte), in Deutschland würde
sie sich um 3,7 Punkte verringern (von 16,6 auf 12,9 Punkte) und in der Schweiz
würde sie sich um 4,0 Punkte erhöhen (von 12,0 auf 16,1 Punkte).
In der Zusammenschau nähern sich in den Simulationsanalysen die Leistungsab-
stände zwischen Jungen und Mädchen in den drei Ländern stärker an. Während bei
der Analyse der originalen Daten Österreich (mit 27 Punkten Vorteil der Jungen)
eine um 15 Punkte größere Differenz aufweist als die Schweiz (mit 12 Punkten Vor-
teil der Jungen) und eine um 10,4 Punkte größere Differenz als Deutschland (mit
16,6 Punkten Vorteil der Jungen), fällt in den Simulationsanalysen der Abstand Ös-
terreichs weniger gravierend aus und beträgt in Szenario 1 5,4 Punkte, in Szenario 2
5,9 Punkte und in Szenario 3 6,0 Punkte – jeweils in Bezug auf Deutschland, das in
allen Simulationsanalysen die niedrigste Geschlechterdifferenz aufweist.
Insgesamt wird deutlich, dass Österreich auch in den Simulationsanalysen wei-
terhin die größte Geschlechterdifferenz unter diesen drei Ländern aufweist, diese
ist aber wesentlich geringer als die originale, sowohl in Absolutwerten als auch im
relativen Abstand zum jeweiligen Land mit den geringsten Geschlechterdifferenzen
(das ist die Schweiz bei den originalen Daten und Deutschland bei den simulierten).
In einer Zusatzanalyse wurde untersucht, wie sehr sich die Gesamtmittelwerte
der einzelnen Länder ändern würden, wenn man die Werte der nicht abgedeckten
Jugendlichen mitberücksichtigt. Die Ergebnisse (Tab. 7) zeigen, dass vor allem für
Österreich der Gesamtmittelwert wesentlich niedriger ausfallen würde (um 20 bis
30 Punkte), wenn man die unberücksichtigt gebliebenen Jugendlichen unter den oben
getroffenen Annahmen miteinbezieht. Für Deutschland würde sich der Mittelwert
„nur“ um 8 bis 11 Punkte verringern und in der Schweiz würde der Verlust 5 bis
6 Punkte betragen.

K
94 S. Salchegger, B. Suchań

Tab. 7 Mathematik-Leistungsmittelwerte auf Basis originaler und simulierter Daten (PISA 2015)
Originale Simulationsanalysen: Nicht getestete Jugendliche errei-
Mittelwerte chen den Mittelwert der ...
Schwächsten Schwächsten Mathematik-
5% 10 % Risikogruppe
MW gesamt MW gesamt MW gesamt MW gesamt
Österreich 496,7 (2,9) 466,9 471,2 477,0
Schweiz 521,3 (2,9) 515,5 516,3 516,9
Deutschland 506,0 (2,9) 495,4 496,9 498,3
Standardfehler stehen in Klammern. Bei den Simulationsanalysen ist eine Bestimmung des Standardfehlers
nicht möglich

4 Diskussion

Österreich war bei PISA 2015 das Land mit dem größten Geschlechterunterschied in
der Mathematikkompetenz zugunsten von Jungen unter allen 72 Teilnehmerländern
weltweit. Als Gründe dafür wurden bisher vor allem Sozialisationsbedingungen
diskutiert.12 Doch die Frage, warum Geschlechterunterschiede beispielsweise in der
Schweiz mit sehr ähnlichen Sozialisationsbedingungen wesentlich geringer ausfallen
als in Österreich, blieb bislang offen.

4.1 Die Ergebnisse im Lichte bisheriger Erkenntnisse

Die vorliegende Studie untersucht die Bedeutung von Stichprobenmerkmalen bei


der Erklärung von Geschlechterunterschieden. Wesentlich dafür ist die Feststellung,
dass PISA aufgrund seiner Zielgruppendefinition keine repräsentativen Daten für
die gesamte Population der 15-Jährigen erhebt, sondern ausschließlich für 15-jähri-
ge Schüler/innen (ab Schulstufe 7, die mehr als ein Jahr in der Sprache des Testlands
unterrichtet wurden und keine ausschlussrelevanten Beeinträchtigungen aufweisen).
Die Gruppe der Jugendlichen, die im Alter von 15 Jahren keine Schule mehr be-
sucht und daher bei PISA nicht repräsentiert ist (Out-of-School-Population), ist in
Österreich mit 6,1 % wesentlich größer als in Deutschland und der Schweiz (maxi-
mal 2,2 %). Zudem wurde bereits gezeigt, dass Jungen sowohl in der Gruppe mit
frühem Bildungsabbruch (Steiner et al. 2016) als auch unter den Sonderschülerinnen
und -schülern (Statistik Austria 2016, S. 25) überrepräsentiert sind. Entsprechend
zeigt ein Vergleich der gewichteten PISA-Stichprobe mit den Populationsdaten der
Statistik Austria, dass Jungen bei PISA im Vergleich zu Mädchen seltener vertreten
sind als in der Population der 15-Jährigen. Auch für Deutschland ist eine Unterre-
präsentation der Jungen erkennbar, die jedoch geringer ausfällt als in Österreich. In
der Schweiz sind hingegen Jungen leicht überrepräsentiert.
Die vorliegenden Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass die bei PISA auf-
grund der Populationsdefinition nicht erfassten Jungen einen wesentlich schwäche-
ren sozialen Hintergrund aufweisen als jene mit. Dies wird dadurch deutlich, dass

12 Z. B. http://diepresse.com/home/bildung/schule/5133683/Pisa_Reine-Maedchenklassen-sind-sehr-
heikel.

K
Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz bei PISA,... 95

die Jungen der PISA-Population einen höheren SES sowie höher gebildete Eltern
aufweisen als die Mädchen der PISA-Population. Signifikante Unterschiede zeig-
ten sich neben Österreich auch für Deutschland, nicht aber für die Schweiz, wo
sich auf Basis von PISA 2015 keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den
Hintergrundmerkmalen feststellen ließen.
Die beiden obigen Ergebnisse zusammengenommen – Unterrepräsentation von
Jungen in der PISA-Population und höherer sozialer Status der Jungen gegenüber
Mädchen – weisen darauf hin, dass es sich in Österreich und Deutschland bei den
Jungen der PISA-Population um eine stärker selektierte Gruppe handelt als bei den
Mädchen.
Analysen, in denen die Leistungen der nicht repräsentierten (leistungsschwachen)
Jugendlichen simuliert wurden zeigen, dass 29 bis 34 % der Leistungsdifferenz in
Österreich (7,8 bis 9,2 der 27 Punkte) dadurch erklärt werden können, dass leis-
tungsschwache Jungen bei PISA 2015 in einem geringeren Ausmaß erfasst werden
konnten als leistungsschwache Mädchen. Das heißt, wenn alle Jugendliche dieses
Alters tatsächlich noch die Schule besuchen würden (und es keine sonstigen Aus-
schlüsse gäbe), würde der Geschlechterunterschied bei der Mathematikkompetenz
in Österreich wahrscheinlich „nur“ etwa 19 Punkte betragen. Damit würde sich
Österreich stark an Deutschland und die Schweiz annähern, jedoch ist ein Unter-
schied von 19 Punkten noch immer bedeutsam und beträgt etwa zwei Drittel eines
Lernjahrs (vgl. OECD 2016a, S. 65 zur Umrechnung von Leistungsunterschieden in
Lernjahre). Ein Unterschied von 20 Punkten bedeutet etwa auch, dass eine Aufgabe,
die 50 % der Mädchen lösen, von 56 % der Jungen gelöst wird (vgl. Neuwirth 2015).
Dies zeigt eindeutig, dass weiterhin auch andere als methodische Gründe eine
Rolle für den Leistungsvorsprung der Buben in Mathematik spielen. In der Litera-
tur werden hierfür vor allem soziokulturelle Ursachen diskutiert (z. B. Ceci et al.
2009; Else-Quest et al. 2010; Salchegger 2015). Im Rahmen des österreichischen
Schulsystems, wo ab der neunten Schulstufe eine Aufgliederung in allgemeinbil-
dende höhere Schulen versus einer großen Anzahl unterschiedlicher berufsbildender
Schulen erfolgt (vgl. Bundesministerium für Bildung 2016a), könnte auch die starke
Differenzierung auf der Sekundarstufe II eine Rolle spielen. Etwa weisen Salcheg-
ger et al. (2017) darauf hin, dass Schüler/innen der Sekundarstufe II in Österreich
stark geschlechtersegregiert auf bestimmte Schulformen sind, nach der Regel: Je
mehr Mathematik, desto weniger Mädchen (vgl. auch Bruneforth et al. 2016). Ein
wichtiger Effekt dieser Segregation ist, dass Mädchen in Österreich schulwahlbe-
dingt deutlich weniger Mathematikunterricht erhalten als Burschen (OECD 2015b,
Tab. 3.9). Dies könnte auch dazu beitragen, dass sich die Mathematikleistungen von
Jungen und Mädchen immer noch weiter auseinanderentwickeln. Dafür sprechen
ebenfalls Ergebnisse von Hübner et al. (2017), die zeigen, dass Geschlechterunter-
schiede in der Mathematikleistung geringer wurden, nachdem in Baden-Württem-
berg Leistungskurse in Mathematik für alle Jugendlichen verpflichtend eingeführt
wurden (während es davor eine Wahlmöglichkeit gab).

K
96 S. Salchegger, B. Suchań

4.2 Implikationen und Einschränkungen

Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass sich der deutliche Leistungsvorsprung der
Jungen bei PISA 2015 in Österreich, der beim ersten Hinsehen als ein Nachteil
der Mädchen erscheint, sich bei näherer Betrachtung auch als Nachteil der Jungen
entpuppt: Der Geschlechterunterschied ist in Österreich zu einem Gutteil deshalb
so groß, weil mehr leistungsschwache Jungen als leistungsschwache Mädchen keine
Schule mehr besuchen und somit auch bei PISA nicht getestet wurden. Aus diesem
Grund sind die bei PISA getesteten Jungen stärker selektiert als die Mädchen und
diese stärker selektierten Jungen erbringen wesentlich höhere Leistungen als die
weniger selektierten Mädchen. Dennoch ist nur etwa ein Drittel des Geschlechter-
unterschieds durch die stärkere Selektion bei den Jungen erklärbar, der Rest geht auf
andere Faktoren – etwa Sozialisationsbedingungen – zurück. Wichtig wäre daher in
Zukunft, an zwei Strängen anzusetzen:
1. Maßnahmen im Schulsystem und in der Gesellschaft, die zu höherer Mathematik-
kompetenz und höherem Mathematikinteresse der Mädchen beitragen;
2. Stärkere Inklusion von Schülerinnen und Schülern, die gefährdet sind, die Schule
früh abzubrechen (v. a. sozial- und leistungsschwache Jungen).
Zu Punkt 1 wurden bereits eine Reihe an Maßnahmen vorgeschlagen (z. B. Sal-
chegger et al. 2017; Bundesministerium für Bildung 2016b; Wang und Degol 2013),
sodass hier nicht genauer darauf eingegangen wird.
Zu Punkt 2 weist etwa auch die OECD (2016a, S. 209) auf die Wichtigkeit der
Beschulung möglichst aller 15-Jährigen eines Landes als wesentliche Voraussetzung
für ein inklusives und gerechtes Bildungssystem hin. Ein wichtiger Schritt in Rich-
tung größerer Inklusion im österreichischen Bildungssystem ist die Einführung der
Ausbildungspflicht bis 18 mit dem Schuljahr 2017/18 (www.ausbildungbis18.at).
Diese gilt erstmals für jene Jugendlichen, deren Schulpflicht 2017 endet. Dies lässt
bereits ab PISA 2018 eine größere Populationsabdeckung erwarten und damit ein-
hergehend einen geringeren Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz
(sofern sich dadurch für Jungen und Mädchen eine gleich hohe Populationsabde-
ckung erzielen lässt). Die breitere Inklusion schwächerer Schüler/innen würde aber
auch ein deutliches Absinken der durchschnittlichen PISA-Leistungswerte für Ös-
terreich bedeuten, wie in Tab. 7 dargelegt.
Die vorliegenden Ergebnisse sind nicht nur für Österreich relevant, sondern auch
ganz allgemein für Studien, die auf Basis der PISA-Daten Geschlechterunterschie-
de untersuchen. So werden die bei PISA gefundenen Geschlechterunterschiede in
der Mathematikkompetenz oft als Spiegel kultureller Werte und Normen interpre-
tiert (Else-Quest et al. 2010; Guiso et al. 2008). Etwa wird angenommen, dass in
geschlechtergerechteren Gesellschaften, in denen Frauen öfter höhere beruflichen
Positionen einnehmen, auch der Leistungsnachteil von Mädchen in der Mathema-
tikkompetenz geringer ist. Während die Forschung uneins ist, ob ein solcher Zu-
sammenhang tatsächlich besteht (Else-Quest et al. 2010, Guiso et al. 2008 sowie
Reilly 2012) plädieren dafür, Stoet und Geary (2015) dagegen), wird von Vertrete-
rinnen und Vertretern beider Richtungen auf PISA-Daten zurückgegriffen, um ihre
Argumente empirisch zu untermauern. Das heißt, es wird jeweils davon ausge-

K
Was bedeutet es für den Geschlechterunterschied in der Mathematikkompetenz bei PISA,... 97

gangen, dass die bei PISA gefundenen Geschlechterunterschiede repräsentativ für


die einzelnen Länder sind, wie dies Reilly (2012, S. 2) auch ganz explizit dar-
legt. Die vorliegenden Analysen zeigen allerdings, dass sich auch die bei PISA
gefundenen Geschlechterunterschiede aufgrund der bewusst getroffenen Entschei-
dung, ausschließlich 15-/16-jährige Schüler/innen zu testen, nicht unbedingt auf die
Gesamtpopulation generalisieren lassen. Hier wären in Zukunft Studien notwendig,
die für alle PISA-Teilnehmerländer untersuchen, ob Geschlechterunterschiede durch
eine unterschiedliche Repräsentation von Jungen und Mädchen bei PISA zustande
gekommen sein könnten.
Ein wesentlicher Unschärfefaktor des vorliegenden Beitrags ist, dass die Kom-
petenzen der nicht getesteten Schüler/innen auf Annahmen beruhen, die zwar im
Lichte der bisherigen Erkenntnisse als plausibel erscheinen, aber dennoch nicht ve-
rifiziert werden können, solange nicht die Leistungen der Bildungsabbrecher/innen
gemessen werden. Ergebnisse der Erwachsenen-Studie PIAAC weisen jedenfalls
darauf hin, dass diese über besonders schwache Kompetenzen verfügen (Lentner
und Bacher 2014). Zudem gibt es Hinweise darauf (z. B. Stoet und Geary 2013,
auf Basis von PISA), dass unter den leistungsschwachen Jugendlichen Jungen noch
schwächere Leistungen erbringen als Mädchen (da Jungen unter den schwächsten
1 % stärker überrepräsentiert sind als unter den schwächsten 5 %). Dieser Umstand
konnte in den vorliegenden Simulationsanalysen nicht berücksichtigt werden, da
bislang keine Daten zum konkreten Ausmaß dieser Unterschiede in der Population
vorliegen.
Aus den vorliegenden Ergebnissen lassen sich sowohl Implikationen für PISA als
auch für das österreichische Bildungssystem ableiten. In Bezug auf PISA wäre es
erstrebenswert, wenn auch die Gruppe der frühen Bildungsabbrecher/innen in weite-
ren Erhebungen inkludiert werden würde, damit die Ergebnisse auf einer möglichst
breiten Basis fußen. Auf Ebene des Bildungssystems scheint es jedoch noch erstre-
benswerter, die Inklusion leistungsschwacher (und sozial schwacher) Jugendlicher
voranzutreiben, damit möglichst alle 15-Jährigen auch zur beschulten Population
zählen.

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