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3790/978-3-428-52642-0
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CARL SCHMITT
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CARL SCHMITT
Vierte Auflage
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Inhalt
Einleitung 7
II. Bericht über zwei Abhandlungen aus The British Yearbook of International
Law 1936 32
Schluß 58
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Seit mehreren Jahren werden in den verschiedensten Teilen der Erde
blutige Kämpfe ausgetragen, bei denen ein mehr oder weniger allgemeines
Einverständnis den Begriff und die Bezeichnung des Krieges vorsichtig
vermeidet. Es ist allzu billig, darüber zu spotten. I n Wahrheit tritt hier nur
mit ungeschminkter Deutlichkeit zutage, daß alte Ordnungen sich auf-
lösen und noch keine neuen an ihre Stelle getreten sind. I n der Problema-
tik des Kriegsbegriffs spiegelt sich die Unruhe der heutigen Weltlage. Es
zeigt sich, was immer galt, daß die Geschichte des Völkerrechts eine
Geschichte des Kriegsbegriffs ist. Das Völkerrecht ist nun einmal ein
„Recht des Krieges und des Friedens", jus belli acpacis, und w i r d das blei-
ben, solange es ein Recht selbständiger, staatlich organisierter Völker, das
heißt: solange der Krieg ein Staatenkrieg und nicht ein internationaler
Bürgerkrieg ist. Jede Auflösung alter Ordnungen und jeder Ansatz zu
neuen Bindungen wirft dieses Problem auf. Innerhalb einer und derselben
Völkerrechtsordnung kann es ebensowenig zwei widersprechende Kriegs-
begriffe wie zwei einander aufhebende Neutralitätsvorstellungen geben.
Daher w i r d heute der Kriegsbegriff zu einem Problem, dessen sachliche
Erörterung geeignet ist, den Nebel trügerischer Fiktionen zu teilen und
die wirkliche Lage des heutigen Völkerrechts erkennen zu lassen.
Heute haben die großen Mächte viele guten Gründe, Zwischenbildun-
gen und Zwischenbegriffe zwischen offenem Krieg und wirklichem Frie-
den zu suchen. Die Tatsachen, die mit der Formel „totaler Krieg" gemeint
sind, legen solche Zwischenbildungen besonders nahe 1 . Diese sind aber
nur Hinausschiebungen und Vertagungen, durch die das neue Problem
des Kriegsbegriffs keineswegs gelöst werden kann. Entscheidend ist, daß
zur Totalität eines Krieges vor allem seine Gerechtigkeit gehört. Ohne sie
wäre jeder Totalitätsanspruch ebenso eine leere Prätention, wie umgekehrt
der gerechte Krieg großen Stils heute von selbst der totale Krieg ist.
M i t den Erklärungen, unter denen der Präsident Wilson am 2. A p r i l
1917 sein Land in den Weltkrieg gegen Deutschland führte, ist das Pro-
blem des diskriminierenden Kriegsbegriffs in die Geschichte des neueren
Völkerrechts eingetreten. Damit hat sich die Frage des gerechten Krieges
1
Darüber der Aufsatz: „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat", in der von Frei-
herrn von Freytagh-Loringhoven herausgegebenen Zeitschrift „Völkerbund und Völker-
recht" IV, 1937, S. 139-146, und der außerordentlich interessante Aufsatz von Baron
Julius Evola, „La guerra totale", in der Zeitschrift „La Vita Italiana (Ii Regime Fascista)"
XXV, 1937, S. 567.
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8 Einleitung
in einer ganz anderen Weise erhoben, als sie von scholastischen Theologen
oder von Hugo Grotius gemeint war. Für Nationen einer bestimmten
relativistischen oder agnostizistischen Geistesart gibt es heute keine heili-
gen Kriege mehr, obwohl die Erfahrungen des Weltkrieges gegen
Deutschland gezeigt haben, daß die Kriegspropaganda keineswegs auf die
Mobilisierung derjenigen moralischen Kräfte verzichtet, die nur durch
einen „Kreuzzug" zu erfassen sind. Für einen gerechten Krieg aber
braucht die moderne Geisteshaltung bestimmte Verfahren juristischer oder
moralischer „Positivierung". Der Genfer Völkerbund ist, wenn er über-
haupt etwas Nennenswertes sein soll, i m wesentlichen ein Legalisierungs-
system. Er soll das Urteil über den gerechten Krieg bei einer bestimmten
Stelle monopolisieren und die mit der Wendung zum diskriminierenden
Kriegsbegriff verbundene, folgenschwere Entscheidung über Recht und
Unrecht des Krieges bestimmten Mächten in die Hände geben. Er ist also,
solange er in dieser Form besteht, nur ein Mittel zur Vorbereitung eines i m
höchsten Grade „totalen", nämlich eines mit überstaatlichen und über-
nationalen Ansprüchen geführten, „gerechten" Krieges.
Die folgende Darlegung soll, an der Hand eines Berichtes über einige
kennzeichnende Veröffentlichungen des ausländischen völkerrechtlichen
Schrifttums, ein Bild des neuen Entwicklungsabschnittes geben, in den das
Völkerrecht der Nachkriegszeit seit den Jahren 1932/33 eingetreten ist.
Die Besonderheit dieses neuen Stadiums liegt darin, daß der Gedanke
einer Verbindung des heutigen Genfer Völkerbundes mit einer univer-
salen, ökumenischen Weltordnung, insbesondere die Durchführung der in
dieser Verbindung enthaltenen Unterscheidung von gerechten und unge-
rechten Kriegen, in eine solche Krisis geriet, daß man - wie die Ereignisse
in Ostasien, Afrika und Spanien zeigen - nicht nur nicht zwischen gerech-
tem und ungerechtem Krieg, sondern überhaupt nicht einmal mehr zwi-
schen Krieg und Nicht-Krieg zu unterscheiden vermochte. Eben diese
Krisis aber zwingt die Vertreter des Gedankens einer Verbindung von
Genfer Völkerbundsrecht und universalem Völkerrecht, für ihre Idee eine
deutlichere, sei es institutionell-föderalistisch, sei es rechtlich-moralisch
konkretere Gestaltung zu suchen. I n demselben Maße, in dem der Ge-
danke des Genfer Völkerbundes durch die politischen Ereignisse in eine
offensichtliche Krisis gerät, w i r d er gleichzeitig, durch eine A r t dialekti-
scher Notwendigkeit, zu einer Steigerung und Vertiefung weitergetrieben.
Eine Hierarchie bloßer Normen reicht jetzt offenbar nicht mehr aus; an
ihre Stelle soll entweder eine Hierarchie konkreter völkerrechtlicher Insti-
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Einleitung
2
Georges Scelle , Völkerbund und Völkerrecht, herausgegeben von Freiherrn von
Freytagh-Loringhoven, 1. Jahrgg. (1934), S. 7; dazu Carl Bilfinger; ebenda, 4. Jahrgg.
(1937), S. 345 (Zur Lage des VB.Rechts).
3
Uber diese Literatur und ihre durch Zitierungen allmählich sich ansammelnde
„herrschende Ansicht": Jos. Kunz, Die Staatenverbindungen (Handbuch des Völker-
rechts II, 4), Wien 1929, S. 505, und das dort zitierte Schrifttum, ferner Claudio Baldoni,
La sociétà delle Nazioni, Bd. I, p. 74, Studi di Diritto Pubblico, diretti da Donato Donati
Nr. 10, Padua 1936.
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10 Einleitung
4
Carl Schmitt, Nationalsozialismus und Völkerrecht, Berlin 1934, Schriften der
Deutschen Hochschule für Politik, herausgegeben von Paul Meier-Benneckenstein, Heft
9, dazu die Besprechung von Herbert Kraus, Niemeyers Zeitschrift für Internationales
Recht, Bd. 50, S. 151. Zu S. 11 der Ausführungen meines Vortrages „Nationalsozialismus
und Völkerrecht" hat mich Herr Professor A. von Verdroß (Wien) darauf aufmerksam
gemacht, daß er in seinem Buch „Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft", Berlin
1926, zwar den Satz „pacta sunt servanda" zur „Grundnorm der einheitlichen Völker-
rechtsordnung" gemacht, damit aber keineswegs eine Anerkennung der Pariser Vororts-
diktate gemeint habe, die vielmehr als unsittliche Verträge ungültig seien, wie spätere
Veröffentlichungen, insbesondere der Aufsatz „Heilige und unsittliche Staatsverträge"
in Völkerbund und Völkerrecht, 2. Jahrgg. (1935), S. 164, und „Der Grundsatz pacta sunt
servanda und die Grenze der guten Sitten", Ztschr. f. Öffentliches Recht, X V I (1936),
S. 79, klarstellen. Ich nehme gern davon Kenntnis und benutze gern diesen Anlaß, um
den von meinem Wiener Kollegen gewünschten Hinweis anzubringen.
5
W. Ziegler; Der Zerfall des Versailler Vertrages, eine geschichtliche Darstellung, Ver-
öffentlichungen der Forschungsabteilung der Deutschen Hochschule für Politik, Bd. 1,
Berlin 1937.
6
Die Formel dürfte in dieser Prägung auf den Titel der im Jahre 1932 erschienenen
Schrift von Sir John Fischer Williams, International Change and International Peace, zu-
rückgehen. Weiteres Schrifttum bei Heinrich Rogge, Das Revisionsproblem, Theorie der
Revision als Voraussetzung einer internationalen wissenschaftlichen Aussprache über
„Peaceful Change of Status quo", Berlin 1937. Uber die Internationale Studienkonferenz
über kollektive Sicherheit, London, 2.-8. Juni 1935, vgl. den Bericht von F. Berber in
Bruns Ζ. V (1935), S. 803-818. In der Akademie für Deutsches Recht ist dieses Thema
auf Grund eines Vortrages von Professor Arnold Toynbee (London) am 28. Februar
1936 in Berlin erörtert worden (Jahrbuch der Deutschen Akademie für Deutsches Recht,
1936, S. 225). Uber die in Paris vom 28. Juni bis 3. Juli abgehaltene Internationale Stu-
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Einleitung
I n dieser Lage steht auch die am Genfer Völkerbund und seinen Zielen
und Idealen sich ausrichtende, rechtswissenschaftliche Theorie und Syste-
matik vor neuen Aufgaben und Fragestellungen. Ihre Anknüpfung an die
Normativistik des ersten Abschnitts ist dabei nicht zu verkennen. Syste-
matische Gebäude und gut durchdachte Theorien stehen gewöhnlich nicht
am Anfang, sondern am Ende einer Epoche. Daher sind die i m folgenden
behandelten theoretischen Arbeiten nicht etwa in bewußter Abkehr von
der Arbeit der vorangehenden Jahre, sondern sogar wesentlich aus ihr her-
aus entstanden. Ihre Bedeutung liegt darin, daß sie sozusagen von selbst,
durch die Entwicklung der Dinge getragen, in das neue Stadium eingehen
und durch die neuen Ereignisse eine andere, ernstere A r t von Aktualität
erhalten, als sie das Schrifttum des vorangehenden, durch die Illusion der
erreichten Legitimierung des Status quo gekennzeichneten Abschnittes
aufzubringen vermochte. Wenn sich hier selbstverständlich viele Zusam-
menhänge mit dem bisherigen Schrifttum, viele Anknüpfungen, Über-
gänge und Zwischenbildungen feststellen lassen, so kommt es doch darauf
nicht an. I m ganzen tritt die Eigenart des neuen, durch den Versuch einer
wirklichen „Institutionalisierung" gekennzeichneten Entwicklungsab-
schnitts seit mehreren Jahren deutlich genug zutage. Insbesondere haben
die Bemühungen um eine Aktivierung des Genfer Völkerbundes gegen
Italien (Herbst 1935) alle großen kritischen Fragen - Kriegsbegriff, neuer
Neutralitätsbegriff, rechtliche Natur des Völkerbundes - aufgeworfen; die
Sanktionsversuche gegen Italien können geradezu als ein „pathogno-
mischer Moment" betrachtet werden, das heißt als ein Augenblick, der
das kritische Stadium der „Institutionalisierung" oder „Konkretisierung"
von Völkerbund und Völkerrecht nach vorwärts wie nach rückwärts
plötzlich in hellstem Lichte zeigt und es dadurch wissenschaftlich erkenn-
bar macht.
Dabei ist es nicht zufällig, daß die interessantesten Leistungen des neuen
Stadiums dem französischen und dem englischen Schrifttum angehören.
I m ersten Abschnitt des Völkerrechts der Nachkriegszeit, von 1920 bis
dienkonferenz „Peaceful Change" vgl. die Berichte von F. Berber und D. von Kenvers in
den „Monatsheften für Auswärtige Politik", August 1937; zu dem Buch von Werner
Gramschy Grundlagen und Methoden internationaler Revision, Stuttgart und Berlin
1937 vgl. die Besprechung von Bertram in der Zeitschrift „Völkerbund und Völker-
recht", IV (1937), S. 398/99.
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12 Einleitung
1932, konnte das die Aktivität von Staatsmännern wie Benesch und Politis
begleitende rechtstheoretische Bemühen sich noch mit einem in Wien
geborenen Normativismus zufrieden geben, der in mancher Hinsicht nur
ein Reflex der abnormen völkerrechtlichen Lage des Nachkriegs-Öster-
reich war 7 , und an dem sogar noch die Züge einer für die vergangene habs-
burgische Monarchie typischen, abstrakten A r t von Jurisprudenz nach-
gewiesen worden sind 8 . Jetzt dagegen ändert und erweitert sich der H o r i -
zont. A m auffälligsten hat die mit den Sanktionsversuchen gegen Italien
seit Oktober 1935 sich aufdrängende, völkerbundsrechtliche Problematik
die Tatsache enthüllt, daß es sich seit langem nicht mehr um neue N o r -
men, sondern um neue Ordnungen handelt, um deren konkrete Gestal-
tung sehr konkrete Mächte ringen. So darf man sagen, daß das völker-
rechtliche Denken, wie es sich in den hier interessierenden, neueren Ver-
öffentlichungen bekundet, seine Folie in der politischen Gesamtlage von
Weltmächten wie England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von
Amerika findet, und daß es das Licht der Welt nicht zufälligerweise statt
in Wien, in London und Paris erblickt hat 9 .
Sobald die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen den A n -
sprüchen einer institutionalisierten, übervölkischen, ökumenischen Welt-
ordnung und dem Selbstbehauptungswillen freier Völker sich steigert und
vertieft, erscheinen zahlreiche Fragen und Probleme, die in anderen Zeiten
der Rechtsphilosophie oder einfach der pädagogischen Taktik des Unter-
richts überlassen werden, plötzlich in einem neuen, oft geradezu revolu-
tionären Aspekt. Das betrifft nicht nur die bekannten alten Grundfragen
allgemeiner Natur: Monismus oder Dualismus bzw. Pluralismus, Primat
des Völkerrechts oder des Landesrechts, Subordinations- oder Koordina-
tionsrecht, Souveränität oder Nicht-Souveränität der Staaten, Uberstaat-
lichkeit oder Zwischenstaatlichkeit des Völkerrechts, Herrschaftsgemein-
schaft oder Rechtsgemeinschaft; es gilt in ganz besonderem Maße auch für
die Frage, wie das neue völkerrechtswissenschaftliche System aufgebaut
werden soll und an welcher Stelle dieses Systems die einzelnen, praktisch
wichtigen Fragen einzureihen sind. So ist es beispielsweise ein folgenrei-
7
Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, 1926, S. 11, Völkerrechtliche Pro-
bleme im Rheingebiet (Rheinische Schicksalsfragen, Schrift 27/28), Berlin 1928,
S. 86/87; Rheinischer Beobachter, 1928, S. 340.
8
Erich Voegelin, Der autoritäre Staat, Wien 1936, S. 127 (die reine Rechtslehre Kel-
sens in der Tradition der österreichischen Staatslehre). Daß das Lehrbuch des Völker-
rechts von Alexander Hold-Ferneck (1930-1932) nicht in diesen Zusammenhang ge-
hört, versteht sich von selbst.
9
Der folgende Bericht beschränkt sich auf französische und englische Veröffentli-
chungen; die zum Gesamtbild gehörende amerikanische Literatur (Quincy Wright,
Hudson u. a.) soll in einem besonderen Bericht erörtert werden.
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Einleitung
cher Unterschied, ob man die Kolonie, wie bisher, nur als Ausstrahlung
der Staatsgewalt im Anhang zu der Lehre von den Staaten als Völker-
rechtssubjekten, vielleicht als eine Qualifizierung bei der Lehre vom
Staatsgebiet und dem räumlichen Herrschaftsbereich der Staaten behan-
delt, oder ob die Kolonialgewalt, wie das neuerdings vertreten wird, als
eine spezifisch völkerrechtliche Erscheinung anzusehen ist, die ihre recht-
liche Begründung in einem Auftrag und einer „Delegation" findet, die
von einer regionalen oder von der universalen Völkerrechtsgemeinschaft
erteilt wird, so daß der Mandatsgedanke des Art. 22 VS. ein erster, positiv-
rechtlicher Ansatz eines neuen, ins Regionale oder Universale zu verall-
gemeinernden Prinzips wäre. So ist es ferner zum Beispiel nicht gleich-
gültig, an welcher Stelle des völkerrechtlichen Gesamtsystems die Frage
des sogenannten völkerrechtlichen Minderheitenschutzes behandelt wird,
ob sie grundsätzlich eine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit,
„domaine exclusif" des einzelnen Staates ist oder Ausdruck eines die staat-
lichen Grenzen sprengenden Volksbegriffs, der im Gegensatz zum Staat
das Volk zum maßgebenden Völkerrechtssubjekt erhebt; ob sich eine völ-
kerrechtlich wirksame Qualifizierung des Staatsangehörigkeitsbegriffs in
ihr äußert oder ein völkerrechtliches Mandat eines bestimmten Staates,
einer Gruppe von Staaten oder gar der universalen Völkerrechtsgemein-
schaft; ob sie ein Homogenitätsproblem 1 0 , ein Interventionsproblem oder
ein Ausfluß der völkerrechtlich unmittelbaren Stellung des einzelnen,
Staatsangehörigen Individuums ist. So ist es, u m weitere Beispiele heraus-
zugreifen, auch für das politische Ergebnis nicht gleichgültig, ob die Freie
Stadt Danzig bei den „Staaten" oder aber etwa i m Rahmen der Lehre vom
Genfer Völkerbund ihren Platz i m System des Völkerrechts findet, ob der
Genfer Völkerbund als Krönung des Völkerrechts oder nur i m Rahmen
der völkerrechtlichen Verträge erscheint. Schließlich sei noch daran erin-
nert, daß auch der Begriff der „ Piraterie" der plötzlich wieder aktuell ge-
worden ist, seit langem ein merkwürdiges Problem darstellt, das auf der
einen Seite als eine nur noch theoretisch interessante Bagatelle, auf der an-
deren aber als Einbruchsteile eines völlig neuen, den Staatsbegriff spren-
genden Völkerrechts erscheint 11 .
10
Dazu die Darlegungen von H. Raschhofer, Die Krise des Minderheitenschutzes,
in Bruns Z. V I (1936), S. 238 f.: gewisse individualistisch konstruierte Freiheiten als
„base de l'organisation sociale dans tous les Etats de l'Europe" und „Standard der
Staatsstruktur".
11
Darüber unten in diesem Bericht, S. 51 und 57.
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14 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
Daher beginnt die folgende Darlegung mit einem Bericht über zwei
mehr theoretische, vielfach noch in der Denkarbeit des vorangehenden
Stadiums verwurzelte, völkerrechtswissenschaftliche Werke des französi-
schen und englischen Schrifttums, um dann einige konkret-praktische
Argumentationen, vor allem englischer Autoren, zu behandeln. I n dieser
Reihenfolge liegt kein Urteil über die größere oder geringere wissen-
schaftliche Bedeutung, vielmehr bedürfen alle systematischen und rechts-
theoretischen Behauptungen einer Ergänzung durch einige typische
Argumentationen konkret-praktischer Stellungnahmen. N u r dadurch ent-
steht ein Gesamteindruck, der dazu beitragen kann, das gegenwärtige
Stadium der am Genfer Völkerbund ausgerichteten Völkerrechtswissen-
schaft und ihre Stellung zum Problem des gerechten Krieges richtig zu ver-
stehen.
I.
12
William Gueydan de Roussell, Demaskierung des Staates, Europäische Revue 1936,
S. 799.
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
13
Für uns sind die theoretischen und praktischen Bedenken gegen Triepels „Verein-
barung", die schließlich doch in einem Willenspsychologismus stecken bleibt, durch
Gustav Adolf Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, Stuttgart 1933, S. 19-27,
abschließend dargelegt worden.
14
Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft,
herausgegeben von E. Kohlrausch und H. Peters, Berlin 1937.
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16 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
15
D u principe fédératif, Paris 1863, S. 109. A n dieser Stelle zieht Proudhon auch die
oft (z. B. von Spengler) wiederholte Parallele der heutigen Gegenwart mit dem Beginn
der „ère actiaque", die 30 v. Chr. durch die Schlacht bei Aktium mit einer langen Frie-
densperiode einsetzte.
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
16
Über die Verschiedenheit des Begriffes „Rechtsstaat", die sich ergibt, je nachdem
ein Gemeinwesen mit common-law und Richterstand oder aber ein Gesetzesstaat mit
staatsbeamteter Justiz in Frage steht, vgl. Bruns Z. V I (1936), S. 268; über die Abhängig-
keit der völkerrechtlichen von der wechselnden innerstaatsrechtlichen Begriffsbildung:
Dickinson , Am. Journal of Int. Law 26 (1932), p. 239.
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18 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
17
Über diese pluralistische Sozialtheorie: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen,
3. Ausgabe, Hamburg 1933, S. 20 ff., Kant-Studien, X X X V (1930), S. 29 f.
18
Walter Schiffer; Die Lehre vom Primat des Völkerrechts in der neueren Literatur,
Wiener rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. X X V I I , Wien 1937,
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
zuschreibt, die Institutionen schafft und das „droit normatif" in ein „droit
constructif" verwandelt (11/53, 548). Normativistisch und objektivistisch
im Sinne der Ablehnung jedes subjektiven Willens, auch eines durch „Ver-
einbarung" entstehenden, internationalen „Gemeinwillens", ist die Erhe-
bung der objektiven, sozialen Regel über den Gesetzgeber; die Rechtsregel
w i r d als etwas vor und über dem Gesetzgeber Stehendes, „antérieure et
supérieure au législateur" gedacht (II, 337). Legistisch dagegen, i m Sinne
des Bedürfnisses nach einer Legislative ist die Konstruktion eines „législa-
teur" durch Verwandlung des völkerrechtlichen Vertrages in einen „acte-
règle". Das unlösbar scheinende Problem der „internationalen Gesetz-
gebung" w i r d dadurch gelöst, daß die völkerrechtlichen Verträge nicht
mehr, wie bisher, als obligationenrechtliche Verträge im Sinne eines bloßen
„contrat", sondern als legislative Akte gedeutet werden. Die nur obliga-
tionenrechtliche, nur subjektive, nicht gesetzlich-objektiv verbindliche
Verpflichtungen begründenden „contrats" werden als etwas Seltenes, als
bloße Nachwirkungen patrimonialen Staatsdenkens hingestellt, bei denen
es sich um Angelegenheiten wie Geld, bewegliches Vermögen, Gebiets-
abtretungen und dergleichen handelt. I m übrigen soll das, was man bisher
als völkerrechtlichen „Vertrag" bezeichnet hat, normalerweise nicht nur
eine „Vereinbarung" i m Sinne der Lehre Triepels, sondern unmittelbar ein
wahrer legislativer A k t sein, ein „traité-loi". Die Verbindlichkeit des völ-
kerrechtlichen Vertrages beruht daher nicht mehr auf dem Satz „pacta
sunt servanda", der nur ein Ausdruck der alten Willenstheorie ist und des-
halb lebhaft kritisiert w i r d (II, 334). Völkerrechtlicher Gesetzgeber ist je-
der Mensch, der zuständig ist, völkerrechtlich wirksame Rechtshandlun-
gen vorzunehmen, durch die eine völkerrechtliche Rechtsregel zustande
kommt; der so entstandene völkerrechtliche Gesetzgebungsakt hat dann
einen „effet global et unitaire" (II, 349).
S.104 f.; Heinrich Drost, Grundlagen des Völkerrechts, München und Leipzig 1936,
S. 97.
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20 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
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22 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
Nathan Feinberg aus dem Jahre 1933 „La pétition en droit international" 1 9
verwiesen wird. Dieses völkerrechtliche Petitionsrecht jedes einzelnen soll
bereits nach heutigem positiven Völkerrecht eine „compétence immé-
diate" des Individuums sein, „conférée directement par l'ordre juridique
international" (II, 33 / 34). Leider widerspricht auch hier wieder das posi-
tive innerstaatliche Recht aller heutigen Staaten einem solchen Petitions-
recht, aber im Grundsatz soll es trotzdem als positives Recht anerkannt
werden. Dieser folgerichtige Individualismus führt weiter zu der Forde-
rung, daß jeder einzelne das völkerrechtsunmittelbare Recht erhalten soll,
seine Staatsangehörigkeit jederzeit frei zu wählen, da man dem Indivi-
duum nicht zumuten könne, gegen seinen Willen einem Staat anzuge-
hören, und eine wirkliche individuelle Freiheit nur dort bestehe, w o die
wirtschaftlichen, moralischen und gefühlsmäßigen Interessen des einzel-
nen geschützt sind. Das Individuum soll daher auch gegenüber seinem
eigenen Staat das Recht haben, seine Staatsangehörigkeit zu behalten,
wenn es sie nicht aufgeben will; das deutsche Gesetz vom 14. Juli 1933
über den Widerruf von Einbürgerungen w i r d in diesem Zusammenhang
als ein Beispiel völkerrechtswidriger Diskrimination und Willkür hin-
gestellt 20 (II, 183). Jedes Individuum ist also gleichzeitig Weltbürger (im
vollen juristischen Sinne des Wortes) und Staatsbürger (II, 293).
Zugunsten von Leben und Freiheit der Individuen, auch von Staats-
angehörigen des betroffenen Staates, sollen die anderen Regierungen, ins-
besondere aber der Genfer Völkerbund, die völkerrechtliche Kompetenz
der Intervention haben (II, 13 Anm.). Die Intervention w i r d zur normalen
und zentralen Rechtsinstitution dieses Systems. Der Genfer Völkerbund
hätte nach Scelle auf Grund des Art. 11 VS. im Jahre 1933 auch gegen die
Behandlung der Juden in Deutschland „à juste titre" intervenieren dürfen
Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 40, I I (1932), S. 529 bis
639. Feinberg, der einige Jahre Sekretär des Komitees der jüdischen Delegationen in
Paris war, nimmt für die Wunsch-Petition (pétition-vœu) eine gewohnheitsrechtlich ent-
wickelte allgemein-völkerrechtliche Zulässigkeit an, die allerdings in ihrer Ausübung
nicht gegen ein Landesgesetz verstoßen darf; für die Beschwerde-Petition (pétition-
plainte) behauptet er auf Grund der Praxis des Völkerbundsrates gegenüber Petitionen
der Bewohner der Mandatsgebiete, der Angehörigen von Minderheiten und der Saar-
bewohner, daß durch die Entscheidungen des Völkerbundsrates als eines internationalen
Gesetzgebers alle diejenigen ein völkerrechtsunmittelbares Beschwerde-Petitionsrecht
haben, die durch eine Entscheidung des Völkerbundsrates dazu instand gesetzt (habili-
tés) sind; jeder Mitgliedsstaat hat diesem Petitionsrecht seine innerstaatliche Gesetz-
gebung anzupassen. Nach A. von Verdroß, Völkerrecht (1936), S. 48, hat das Petitions-
recht der Minderheiten den Grundsatz, daß die Angehörigen der Mitgliedsstaaten des
Völkerbundes staatsunterworfen bleiben, „etwas aufgelockert".
20
Gegen den Aufsatz von Scelle in der Revue critique de droit international (1934),
S. 63 ff., der die gleiche Ansicht vertritt, vgl. B. Schenk Graf von Stauffenberg in Bruns
Ζ. IV (1934), S. 261-276.
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
Das neue völkerrechtliche System, das Scelle für diese Lehre aufbaut,
macht es jedem Juristen anschaulich, welche praktische Bedeutung der
rechtswissenschaftlichen Systematik und der systematischen Placierung
der einzelnen völkerrechtlichen Frage zukommt. Daß das völkerrechtliche
sogenannte Minderheitenproblem nur als ein Anwendungsfall einer Zer-
trümmerung der staatlichen „Exklusivität" und der völkerrechtsunmittel-
baren Stellung des einzelnen erscheint, wurde bereits erwähnt. Die
Rechtslage Danzigs ist beim Völkerbund als ein Beispiel dafür behandelt,
2i Recueil des Cours 1925, II, S. 35; 1928, IV, S. 290; vgl. auch unten S. 51 unseres
Berichtes.
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24 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
Uber diese beiden Bände des Werkes von Scelle ist hier - unter Beiseite-
lassung der außerordentlich zahlreichen sonstigen Veröffentlichungen des
Autors - ausführlich berichtet worden, weil sein System des Völkerrechts
die polare Verbindung von liberalem Individualismus und völkerrecht-
lichem Universalismus zum erstenmal in einer neuen völkerrechtlichen
Systematik folgerichtig durchgeführt hat. I n seiner völkerrechtlichen
Konstruktion ist das, was man bisher „Staat" nannte, zu einem „sozialen
Phänomen" neben andern sozialen Phänomenen verallgemeinert; juri-
stisch ist der Staat in eine bloße „Kompetenz" bestimmter, in der Doppel-
rolle von internationaler und nationaler Funktion auftretender Menschen
verwandelt. Daß die Wirklichkeit der gegenwärtigen, positiven Rechtslage
ein ganz anderes Bild ergibt, ist dem Autor dieses Systems w o h l bekannt,
aber in solchen Abweichungen sieht er nur Rückstände der überkom-
menen Anarchie des Völkerlebens, Residuen mittelalterlicher Vorstellun-
gen von der „Exklusivität" der Clans. Daß die Entwicklung unter dem
Einfluß von Faschismus und Nationalsozialismus eine andere Richtung
zu nehmen scheint, kann ihn in seinem Fortschrittsglauben nicht beirren.
Das sind dann eben Entwicklungskurven, die vorübergehend auch einmal
abwärts verlaufen, auf die Dauer aber die politische und juristische Orga-
nisierung der Menschheit als eines ökumenischen Ganzen nicht aufhalten
(II, 548). I m übrigen ist das Völkerrecht seiner Natur nach so stark von
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
22
Über frühere Äußerungen Scelles, die sich gegen einen Weltstaat richten, vgl. die
Nachweise bei W. Schiffer a. a. O. S. 145.
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30 I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
habet imperium - und gegen die daraus gefolgerte Formel „omnis judex in
causa sua", w i r d der andere, ebenfalls allgemein anerkannte Grundsatz
„nemo judex in causa sua" geltend gemacht, den der StIG. in der Mossul-
sache (B 12 vom 21. November 1925) ausdrücklich anerkannt hat, und
den sogar Hobbes für den Naturzustand des „bellum omnium contra om-
nes" gelten lassen muß. Aus dem Begriff des Richters folgt die Unpartei-
lichkeit; Richter kann also nur sein, wer an keine der streitenden Parteien
gebunden ist. So wird, ohne ein neues System, ohne auffällige Entgegen-
setzungen und offene Frontalstellungen, wie sie für Scelle charakteristisch
sind, alles anerkannt und doch gleichzeitig relativiert und problematisiert.
Der bisherige Vertragspositivismus w i r d durch allgemeine Rechtsgrund-
sätze mühelos ad absurdum geführt. Gleichzeitig aber w i r d die bisherige,
wesentlich staatliche Theorie des Völkerrechts als „Metaphysik" und als
„unwissenschaftlich" abgetan. Gegenüber den unzulänglichen und pri-
mitiven Unterscheidungen von Recht und Politik ist richtig erkannt, daß
jede internationale Frage, ebenso wie sie der Möglichkeit nach immer
politisch sein kann, so auch an irgendeinem Punkt immer eine rechtliche
Seite hat und daher immer potentiell justiziabel ist. M i t Hilfe allgemeiner
Rechtsgrundsätze und Begriffe kann jede Lücke i m Recht ausgefüllt wer-
den; trotz Anerkennung der besonderen Schwierigkeiten und Mängel ist
die Schwäche des Völkerrechts doch heilbar und ist für die Zulassung
eines „non liquet" bei der internationalen Gerichtsbarkeit ebensowenig
ein Grund gegeben wie beim innerstaatlichen Richter. Demnach steht der
universalen internationalen Rechtsgemeinschaft eines Richterrechts
rechtswissenschaftlich nichts mehr i m Wege. Die Institutionalisierung ist
auch hier erreicht. N u r daß die zentrale, strukturbestimmende Institution
nicht, wie bei dem französischen Juristen eine Legislative, sondern, nach
englischem Vorbild, ein das internationale Common-Law tragendes Rich-
tertum ist 2 3 .
Zwischen der völkerrechtlichen Theorie Lauterpachts und dem System
von Scelle besteht bei aller Verschiedenheit und sogar Gegensätzlichkeit
der Gedankengänge, i m Ergebnis doch darin Ubereinstimmung, daß beide
für ein den Staat entthronendes internationales Recht konkrete Institutio-
nen finden. Hier liegt ein Nebeneinander von Verschiedenheit in der
Argumentation und Ubereinstimmung i m praktischen Endergebnis vor,
das am besten an Lauterpachts Stellungnahme zu den konkreten Fragen
der Völkerbundssanktionen des Herbstes 1935 anschaulich wird. Lauter-
pacht hat sich in einem Aufsatz des British Year Book of International
23
Die Vorlesung „The development of International Law by the Permanent Court of
International Justice" vor der Haager Akademie 1934 enthält im wesentlichen denselben
Gedanken und dieselbe Methode der Herausarbeitung eines „Law behind the Case".
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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke
Law, X V I I I (1936) S. 54, zu der Frage geäußert, ob die Satzung des Genfer
Völkerbundes gegenüber anderen völkerrechtlichen Vertragsnormen
„höheres Recht" „higher law" ist. Die Frage erhob sich für die zahlrei-
chen, an den sogenannten Völkerbundssanktionen gegen Italien teilneh-
menden Völkerbundsstaaten, aus Anlaß der praktischen Entscheidung,
wieweit bestehende Handelsverträge, Meistbegünstigungsklauseln zugun-
sten Italiens usw. gegenüber den Verpflichtungen des Art. 16 VS. Bestand
haben. Das „Legal Sub-Committee" des auf Grund einer Empfehlung der
Völkerbundsversammlung gebildeten „Coordinating-Committees" (vgl.
unten S. 35) stellte den Vorrang der Völkerbundssatzung fest. Für die juri-
stische Argumentation Lauterpachts ist es hier von Interesse, daß er den
Art. 20 der VS., der bisher keine besondere Rolle gespielt hatte, zur
Grundlage seiner Argumentation macht 2 4 . So kommt er zu dem Ergebnis,
daß die Völkerbundssatzung als Vertrag die stärkere Verbindlichkeit
begründet und in diesem Sinne „higher law" ist. Dabei wendet er sich,
nicht ohne Schärfe, gegen den für Scelle - der hier nicht genannt w i r d -
typischen Versuch, der Völkerbundssatzung einen legislativen und sogar
konstitutionellen Charakter zu geben. Solche Konstruktionen legislativer
Typen sind für Lauterpacht nur leere „Beschwörungen (incantations)
eines höheren Typus". Er hält daran fest, daß es sich bei der Völkerbunds-
satzung um vertragsobligatorische, nicht um gesetzliche oder verfassungs-
gesetzliche Verpflichtungen handelt, aber diese Bindungen genügen ihm,
um mit Hilfe des Grundsatzes der allgemeinen Rechtslehre, daß Verträge,
die einem gültigen Vertrag widersprechen, unverbindlich sind, das prak-
tisch-politisch entscheidende Ergebnis, nämlich den Vorrang der Bundes-
satzung als des „higher law", zu gewinnen. Art. 20 VS. ist für ihn nur der
Ausdruck des allgemeinen Rechtssatzes von der Nichtigkeit des späteren
Vertrages; der in Art. 20 gebrauchte Ausdruck „abrogates to" besagt dem-
nach „superior to", wobei es keinen Unterschied ausmachen soll, ob, wie
öfters in Nachkriegsverträgen 25 , die Verpflichtungen gegenüber dem Völ-
kerbund ausdrücklich vorbehalten sind, oder ob ein solcher ausdrück-
licher Vorbehalt fehlt. Die Völkerbundssatzung w i r d vermieden, aber i m
Ergebnis ist das gleiche und sogar auch noch eine Begründung der neueren
24
Art. 20 lautet: The Members of the League severally agree that this Covenant is
accepted as abrogating all obligations or understandings inter se which are inconsistent
with the terms thereof, and solemnly undertake that they will not hereafter enter into
any engagements inconsistent with the terms thereof.
25
Charles Rousseau, De la compatibilité des normes juridiques et contradictoires
dans Tordre international, Revue générale de droit international public 39 (1932),
p. 133-192; besonders p. 161 zu Art. 20 VS: Vorbehalt des Völkerbundsvertrages als ei-
nes Vertrages „à puissance renforcée" mit „prééminence" über alle widersprechenden
anderen, früheren wie späteren, mehrseitigen wie bilateralen Verträge.
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32 I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
II.
26
Im Anschluß an die an Japan und China gerichtete Note des Staatssekretärs Stim-
son vom 7. Januar 1932, wonach die Vereinigten Staaten keine im Widerspruch mit der
Völkerbundssatzung oder dem Kellogg-Pakt geschaffene Situation anerkennen würden
(sog. Stimson-Doktrin), hat die Resolution der Völkerbundsversammlung vom 11. März
1932 eine Pflicht aller Völkerbundsmitglieder ausgesprochen, keinen Vertrag oder keine
Abmachung anzuerkennen, die gegen die VS oder den Kellogg-Pakt entstanden sind;
vgl. dazu American Journal of International Law, X X V I (1932), S. 342 und 499; Sir John
Fischer Williams, The new Doctrine of recognition, Grotius Society, X V I I I (1933),
p. 109.
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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
k e r r e c h t l i c h e n S t e l l u n g n a h m e n gleicher R i c h t u n g z u d e m gleichen T h e m a .
Diese w i r k e n aus i h r e m gesetzesstaatlichen D e n k e n heraus meistens z u
sehr begriffsjuristisch u n d logizistisch, w i e z u m Beispiel der i m ü b r i g e n
j u r i s t i s c h sehr interessante A u f s a t z v o n Charles Rousseau 27, der bei diesem
A n l a ß d e n ganzen Gegensatz v o n v o l u n t a r i s t i s c h e m u n d o b j e k t i v i s t i s c h e m
V ö l k e r r e c h t , v o n „ i n d i v i d u a l i s m e c o n t r a c t u e l " u n d „ o b j e k t i v e r N o r m " auf-
r o l l t , die juristische N a t u r der V ö l k e r b u n d s s t e l l u n g n a h m e n präzisieren u n d
das ganze P r o b l e m des „ d r i t t e n Staates" revidieren w i l l , u m d e n „caractcère
sociétaire" des V ö l k e r b u n d e s z u stärken. D i e englischen Rechtsgelehrten,
die i n i h r e r rechtswissenschaftlichen D e n k w e i s e n i c h t v o n Staat und
Gesetz, sondern v o n einem C o m m o n L a w geprägt sind, v e r m e i d e n solche
Begriffsantithesen; sie w i r k e n d u r c h die p r a k t i s c h - k o n k r e t e Art ihrer
A r g u m e n t a t i o n , s i n d aber a m entscheidenden P u n k t , n ä m l i c h i n der Frage
des gerechten Krieges, n i c h t w e n i g e r entschieden, w i e sich d e n n auch jede
der beiden englischen D a r l e g u n g e n i n i h r e n Schlußsätzen z u einer ganz
u n g e w ö h n l i c h e n , geradezu w a r n e n d e n E i n d r i n g l i c h k e i t s t e i g e r t 2 8 .
27
L'application des sanctions contre Pltalie, Revue de Droit International et de Légis-
lation comparée, 3. série, t. X V I I (1936), S. 5-64.
28
Ein kurzer Aufsatz aus demselben Band dieses Jahrbuchs von J. G. Starke über
„Monism and Dualism" (S. 66-81) sei hier anmerkungsweise mit einigen Worten vor-
weg erwähnt, nicht als ob er gleichen Gewichts wäre wie die beiden Aufsätze der be-
rühmten Herausgeber jener hochangesehenen völkerrechtlichen Veröffentlichung, son-
dern als ein Symptom für die einfache Selbstverständlichkeit, mit der Begriffe eines nor-
mativistischen Monismus empirische Realität erhalten können und mit Hilfe föderalisti-
scher Analogien eine überstaatliche Ordnung „institutionalisieren" helfen. Starke gibt
der „hypothetischen Ursprungsnorm" empirische Wirklichkeit. Für ihn ist infolgedes-
sen heute bereits eine internationale Verfassung mit verfassungsrechtlichen, konstitutio-
nellen oder, wie Starke sagt, „funktionalen" Normen der Völkerrechts vorhanden. Diese
sind die „Ursprungsnorm" sowohl der übrigen völkerrechtlichen wie auch aller landes-
rechtlichen Normen. Die Leugnung des Primats der völkerrechtlichen Verfassungsnorm
erscheint diesem Autor als Leugnung des Völkerrechts selbst; die überlieferte dualisti-
sche Lehre ist „Anarchie und Fiktion"; „State law is conditioned by international law"
(p. 477). Daß die völkerrechtliche Praxis heute immer noch vom Willen der Staaten aus-
geht, und daß der StIG. in der bekannten Äußerung des Gutachtens zum Lotusfall
(Nr. 10) an dem Grundsatz festhält, daß Beschränkungen der Souveränität der Staaten
nicht vermutet werden, ist „mehr die Feststellung einer historischen Tatsache als die
Analyse einer wirklich juristischen Situation" (S. 81). Dieser Aufsatz zeigt am besten,
wie plausibel und eindrucksvoll die föderalistischen Analogien sind, um sowohl den
Genfer Völkerbund wie die universale Völkerrechtsordnung zu stützen, zu ergänzen
und vorwärtszutreiben. Seine Kenntnis des australischen Bundesverfassungsrechts
kommt dem Autor dabei zustatten. Der Primat der Bundesverfassung vor der Einzelver-
fassung wird ihm zu einem vollkommenen Beispiel („a perfect example") der Hierarchie
konkreter Normen und damit im Ergebnis wirklicher Institutionen. Die Analogie mit
dem Bundesrecht ermöglicht auch die Unterscheidung von völkerrechtlicher Verfas-
sungsnorm und einfacher völkerrechtlicher Norm, weil es außer dem Bundesverfas-
sungsrecht auch einfaches Bundesgesetzesrecht gibt. „Gewisse Verschiedenheiten" erge-
ben sich allerdings schon daraus, daß im „normalen" Bundessystem eine geschriebene
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34 I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
1. Der Aufsatz von Sir John Fischer Williams über die Völkerbundssank-
tionen enthält unter dem Namen „Weiterentwicklung" (development) der
Völkerbundssatzung in seinem Kern ebenfalls das, was in diesem Bericht
als „Föderalisierung" des Genfer Völkerbundes bezeichnet wird. Er be-
handelt das im Oktober 1935 akut gewordene Völker- und völkerbunds-
rechtliche Problem einer gemeinsamen, kollektiven A k t i o n von Völker-
bundsmitgliedern gegen ein satzungsbrüchiges Mitglied nach Art. 16 VS.
Seine Darlegungen behalten noch heute und in Zukunft ihre Bedeutung,
wenn sie auch durch den weiteren Verlauf der Ereignisse und insbeson-
dere durch den Sieg Italiens und die Eroberung Abessiniens politisch
überholt sind. Fischer Williams spricht nicht vom Krieg als einem „inter-
nationalen Verbrechen", nicht von Strafaktionen, weil beides, Verbrechen
und Strafe, nicht für Staaten und Völker, sondern nur für die Handlungen
von Individuen gebraucht werden soll; er weist darauf hin, daß Art. 16
VS. auch das Wort „Sanktionen" nicht kennt. Was man darunter versteht
und was Art. 16 VS. meint, soll nur darin bestehen, den Erfolg eines sat-
zungswidrigen Krieges zu verhindern, damit sich die Völkerbundsmitglie-
der, unter dem Eindruck einer erfolgreichen Verhinderung, in Zukunft
satzungsmäßig verhalten (133). Dann w i r d die Anwendung und vor allem
die Weiterentwicklung des Art. 16 erörtert, wie sie sich aus Anlaß des ita-
lienisch-abessinischen Konflikts ergeben hat. Die Sanktionen gegen Italien
sind bekanntlich nicht durch einen Beschluß des Völkerbundsrats in Gang
gekommen 2 9 ; in der Ratssitzung vom 7. Oktober haben die einzelnen M i t -
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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus The B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
glieder des Rates, mit Ausnahme Italiens, ihre Meinung dahin geäußert,
daß Italien unter Mißachtung der Art. 12 VS. „zum Kriege geschritten"
sei. Der Präsident der Ratssitzung nahm von der Tatsache Kenntnis, „daß
vierzehn i m Völkerbundsrat vertretene Mitglieder des Völkerbundsrats
der Ansicht sind, daß w i r uns angesichts eines Krieges befinden, der
unter Mißachtung der Verpflichtungen des Art. 12 der Satzung begonnen
wurde". I m Anschluß daran stellte der Präsident fest, daß ein ihm vorlie-
gender Bericht eines Sechserausschusses des Rats, der zu demselben
Ergebnis gekommen war, sowie ein Protokoll dieser Sitzung allen M i t -
gliedern des Völkerbundes übersandt werden sollte, brachte die Resolu-
tion der Bundesversammlung vom 4. Oktober 1921 über die „ W i r t -
schaftswaffe nach A r t 16" in Erinnerung und fügte hinzu, daß „der Rat
nunmehr seine Pflicht zur Koordination hinsichtlich der zu treffenden
Maßnahmen aufnehmen" müsse. Das war nach Fischer Williams nicht
mehr Anwendung der Völkerbundssatzung, aber notwendige und berech-
tigte „Weiterentwicklung" (138). Es folgte eine zweite „Weiterentwick-
lung": Die Völkerbundsversammlung, die in Art. 16 nicht erwähnt ist,
wurde in das Verfahren einbezogen. Sie faßte aber ebenfalls keinen
Beschluß, sondern jedes Mitglied brachte seine Stellungnahme zu der
Meinung der 14 Ratsmitglieder zum Ausdruck, wobei allerdings in eini-
gen Fällen der Grundsatz zur Anwendung kam, daß Stillschweigen Zu-
stimmung bedeutet, und wobei bekanntlich drei Staaten, Osterreich, U n -
garn und Albanien, ihre abweichende Meinung äußerten. A u f dieser
Grundlage erging mit großer Mehrheit eine „Empfehlung", ein „vœu"
der Versammlung vom 10. Oktober 1935, das die Mitglieder einlud, ein
sogenanntes Koordinationskomitee für die gemeinsame Beratung und
„Erleichterung" der von den einzelnen teilnehmenden Staaten ins Auge
gefaßten Maßnahmen zu bilden.
Herbstes 1935 übereilt und unsachlich war. Daß der Ausweg ins Justizförmige aber noch
tiefer in die juristische Diskriminierung und damit in die Aufhebung des Kriegsbegriffes
führen müßte, wird sich aus den späteren Ausführungen unseres Berichtes (unten S. 47)
ergeben. Mit dem Satz „la Cour nous dira le droit", den Briand am 19. Mai 1931 vor
dem Völkerbundsrat ausgesprochen hat, um die Frage der deutsch-österreichischen Zoll-
union vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof zu bringen, hat man keine guten
Erfahrungen gemacht.
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36 I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
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38 I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus The British Yearbook of International L a w 1936
Dieser Teil der Ausführungen von Fischer Williams ist für uns deshalb
besonders wichtig, weil sich in ihnen die Schwierigkeiten und Widersprü-
che enthüllen, zu denen jeder Versuch einer Konkretisierung des Genfer
Völkerbundes führen muß. Es bleibt in Wirklichkeit kein anderer Ausweg,
als den alten, von dem überlieferten, nicht-diskriminierenden Kriegs-
begriff abhängigen Begriff der Neutralität ganz fallen zu lassen. Das ist
auch das umwälzende, das Antlitz des Völkerrechts verändernde Ergebnis,
zu dem der englische Jurist sich in den eindrucksvollen Schlußsätzen sei-
nes Aufsatzes feierlich bekennt. Er gibt hier einen Ausblick in die Zu-
kunft, der den ganzen Ernst der Frage offenbart und den Kernpunkt des
gegenwärtigen Entwicklungsabschnitts des Völkerrechts klarer und schär-
fer zum Bewußtsein bringt, als jede weitere Rede oder Argumentation. Sir
John Fischer Williams sagt: die kommende Generation werde wahrschein-
lich mehr die Pflichten als die Rechte der Neutralen in den Vordergrund
stellen. Außerdem aber könnten Kriege kommen, in denen - wenn nicht
durch eine Aktion, so doch in Gedanken - nicht Stellung zu nehmen, für
jeden sittlich denkenden Menschen unmöglich würde. I n einem solchen
Weltkrieg, der kein bloßer „dog-fight" wäre und mit allen moralischen
Energien geführt würde (in der heute üblichen Ausdrucksweise hieße das:
in einem „totalen" Krieg) könnte die Neutralität, mag sie auch respektabel
sein, doch nicht sehr weitgehend respektiert werden. Dante, so schließt
der berühmte englische Rechtsgelehrte, hat diejenigen Engel, die in dem
großen Kampf zwischen Gott und dem Teufel neutral blieben, besonderer
Verachtung und Strafe überliefert, nicht nur weil sie ein Verbrechen begin-
gen, indem sie ihre Pflicht, für das Recht zu kämpfen, verletzten, sondern
auch deshalb, weil sie ihr eigenstes, wahrstes Interesse verkannt haben; die
Neutralen eines solchen Kampfes träfe also ein Schicksal, dem nicht nur
Dante, sondern auch Macchiavelli zustimmen würde.
So tritt vor das Vae victis! noch ein warnendes Vae neutris! Seine völker-
rechtliche Begründung beruht darauf, daß der Genfer Völkerbund als eine
wirkliche Gemeinschaft unterstellt wird, wobei es auf juristisch-begriff-
liche Unterscheidungen von Bund, Gemeinschaft und Gesellschaft nicht
ankommt, da der Genfer Völkerbund jedenfalls eine „Society" ist, deren
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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
30
Rudolf Smendy Festgabe für Otto Mayer, Tübingen 1916, S. 260 f.; ders., Verfassung
und Verfassungsrecht, München und Leipzig 1928, S. 170/71; Carl Bilfinger, Der Ein-
fluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, Tübingen 1923, S. 52 f.
31
Some aspects of the Covenant of the League of Nations, 1934.
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40 I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus The B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
32
Auf die ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörenden Veröffentlichungen von
J. L. Brierly, insbesondere auch seine kürzlich erschienenen Vorlesungen Règles généra-
les du droit de la paix, Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 1936, IV,
S. 109 f. (la guerre juste et injuste), sei hier wenigstens mit einem Wort hingewiesen.
33
Vgl. die Dokumente in der von Viktor Bruns herausgegebenen Sammlung „Politi-
sche Verträge", Band II, 1. Teil (1920-1927), Materialien zur Entwicklung der Sicher-
heitsfrage im Rahmen des Völkerbundes, bearbeitet von Georg von Gretschaninow, Ber-
lin 1936; die Genfer Generalakte vom 26. Sept. 1928 im Recueil des Traités der SdN.,
X X I I , S. 272. Uber weitere Vorschläge vgl. besonders den Bericht von M. Bourquin auf
der Londoner Studienkonferenz über die kollektive Sicherheit vom 3. bis 8. Juni 1935,
SdN., Coopération Intellectuelle Nr. 53 / 54, und die Vorlesung von Bourquin y Le Pro-
blème de la Sécurité Internationale, Recueil des Cours, Bd. 49 (1934); zur Kritik von deut-
scher Seite vor allem: Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Die Regionalverträge, Fünf
Vorlesungen an der Haager Akademie für Völkerrecht, Deutsche Ausgabe in den Schrif-
ten der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe Völkerrecht Nr. 4; Asche Graf von Man-
https://doi.org/10.3790/978-3-428-52642-0
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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus The B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936
die Anzeichen dafür, daß die Menschheit sich auf dem Weg zu neuen For-
men einer wirksamen Kollektivierung befindet. Zwang und Gewalt wer-
den nicht abgeschafft, wohl aber „kollektiviert" und „entnationalisiert".
Das soll freilich nicht durch Bildung einer selbständigen, internationalen
Regierung, wie manche vorschlagen, und nicht durch eine eigene von den
einzelnen nationalen Regierungen verschiedene, neue internationale
Macht geschehen; die Machtanwendung muß vielmehr in der Hand der
einzelnen Regierung bleiben, die über die Voraussetzung und die A r t einer
solchen A k t i o n i m Rahmen der gemeinsamen Beratung und Zusammen-
arbeit selbst entscheidet. Die Föderalisierung des Genfer Völkerbundes
geht demnach, wie bei Sir John Fischer Williams, durch eine praktisch-
verständige Beimischung föderalistischer Vorstellungen, aber ohne anti-
thetische Zuspitzungen und ohne Institutionalisierungen französischen
Stils vor sich, unter Wahrung der vertraglichen Grundlagen und mit sorg-
fältiger Rücksicht auf die Selbständigkeit der einzelnen Staaten. Kein Völ-
kerbundsmitglied ist zu einer militärischen A k t i o n verpflichtet, aber die
Satzung ermächtigt es zur Teilnahme an einer solchen, wenn es das nach
seinem Ermessen für richtig hält. Dabei hat jedes Mitglied vernünftiger-
weise ein Recht darauf, sich i m voraus mit einem genügend starken Teil
der kooperierenden Mächte zu verständigen, wenn der zu bekämpfende
Angreifer vermutlich von seiner bewaffneten Macht Gebrauch macht, um
Widerstand zu leisten. Wichtiger als alles andere ist die Unterscheidung
von gerechten und ungerechten Kriegen und die praktische Durchsetzung
dieser Unterscheidung gegenüber dem Angreifer, das heißt gegen einen
ungerechterweise kriegführenden Staat. I n Art. 10 und 16 VS. sieht
M c N a i r die bereits heute gültige, rechtliche Grundlage für praktische
Schlußfolgerungen aus der Unterscheidung gerechter und ungerechter
Kriege. Von der Regierung der Vereinigten Staaten hofft er, daß sie die
Folgerungen aus dem Kellogg-Pakt ziehen und gegenüber einem als
Angreifer erklärten Staat nicht an dem überlieferten Begriff der Neutrali-
tät festhalten werde, obwohl der Präsident der Vereinigten Staaten i m ita-
lienisch-abessinischen Konflikt die notwendige Unterscheidung zwischen
Angreifer und Objekt des Angreifers noch nicht gemacht habe.
Auch diese Darlegungen sind trotz ihrer Kürze von größter völker-
rechtlicher Tragweite; sie enthalten in ihrer prägnanten, auf das Wesentli-
che konzentrierten Stellungnahme die vollständigste Zusammenfassung
der für das gegenwärtige Stadium des Völkerrechts entscheidenden Fragen
delsloh, Politische Pakte und völkerrechtliche Ordnung (Sonderdruck aus: 25 Jahre Kai-
ser Wilhelm-Gesellschaft, Dritter Band: Die Geisteswissenschaften), Berlin 1937; Carl
Schmitt, Über die innere Logik der Allgemeinpakte auf gegenseitigen Beistand, in der
Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht", I I (1935), S. 92-98.
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42 I I I . Kritische Erörterung
und stellen das Problem mit sicherer Einfachheit auf die richtige Ebene:
die des Kriegsbegriffs. Der Schlußabsatz erinnert an den Schluß des Auf-
satzes von Sir John Fischer Williams. Zunächst freilich beginnt M c N a i r
mit einem Vergleich, der für einen beeindruckbaren Leser auf den ersten
Blick geradezu phantastische Aspekte eröffnen könnte. Er deutet nämlich
an, daß das reiche England vor der Notwendigkeit einer Revision des Sta-
tus quo vielleicht in die Rolle des reichen Jünglings aus dem Evangelium
hineingerät, der zwar die besten Absichten hatte, aber „traurig davon-
ging", als ihm zugemutet wurde, wirklich auf seinen Reichtum zu verzich-
ten. Leider w i r d dieser schöne und tiefsinnige Vergleich nur einen Augen-
blick gestreift; das Bild des reichen Jünglings versinkt, kaum gegrüßt,
gemieden, und es ist nicht etwa davon die Rede, es zu konkreten Folge-
rungen oder praktischer Detaillierung zu vertiefen. Statt dessen w i r d
sofort daran erinnert, daß England durch seine Beteiligung an der Bildung
einer internationalen Truppe bei der Abstimmung i m Saargebiet und seine
Haltung i m Völkerbund während des September 1935 bereits einen wich-
tigen Beitrag zur Durchführung kollektiver Aktionen geleistet habe, so
daß jetzt auch die anderen Staaten, wenn sie an den Segnungen der kollek-
tiven Sicherheit teilnehmen wollten, bereit sein müßten, die Lasten und
das Risiko der neuen Methode auf sich zu nehmen, damit der Zustand
dauernden Friedens allmählich herbeigeführt werden könne.
III.
34
Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 1932, IV, p. 680.
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I I I . Kritische E r ö r t e r u n g
35 A. von Verdroß, Völkerrecht (Berlin 1937), § 45, S. 192/93, erklärt den Krieg nur
bei einer justa causa als völkerrechtliche Zwangsmaßnahme zulässig; davon gehe auch
Art. 15 Abs. 7 VS aus; auf S. 88 wird ein Zusammenhang von erzwungenem Friedensver-
trag und rechtmäßigem Krieg angedeutet; da der Staat aber souverän bleibt und ihm die
Entscheidung über Recht und Unrecht des Krieges zusteht, so bleibt es auch bei dem
alten, nicht-diskriminierenden Kriegsbegriff. Auf S. 320 heißt es daher bei der Lehre von
der Neutralität: „Dieser Grundsatz der Unparteilichkeit durchzieht wie ein roter Faden
das ganze Neutralitätsrecht".
36
Das „Völkerrecht" von Ernst Wolgast (Berlin 1934), das sich durch viele treffende
und originelle Beobachtungen auszeichnet, ist an diesem Punkt ebenfalls sehr zurück-
haltend. Zwar wird in § 493 (S. 934 / 35) gesagt, daß es unmöglich sei, den gegenwärtigen
Stand des Neutralitätsrechts exakt darzulegen („dies um so weniger, als der Völkerbund-
und der Kellogg-Pakt, Stimson-Doktrin, das Neutralitätsrecht in seiner Gänze schlecht-
hin fraglich gemacht haben"), vgl. auch § 475 und 477. Aber in den „Obersten Sätzen"
heißt es dann doch, daß die Pflicht zum „gleichmäßigen" Verhalten die Annahme eines
besonderen rechtlichen Grades „wohlwollende Neutralität" ausschließe. Wolgast hat
also das Dilemma: Neutralität oder Nichtneutralität? wohl erkannt.
37
Kriegsrecht und Neutralitätsrecht. Wien 1935.
38
Die Frage der Neutralität der Schweiz im Genfer Völkerbund soll hier nicht erör-
tert werden; es sei nur bemerkt, daß auch an ihr der Zwangscharakter des Dilemmas:
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44 I I I . Kritische Erörterung
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I I I . Kritische Erörterung
40 Le Droit des Gens, t. II, Buch 3, Kap. 1, § 2, und Kap. 3; in Buch 3, Kap. 3, § 39
und 40, tritt am deutlichsten der agnostizistische Gesichtspunkt hervor, daß, wenn jede
Nation an ihr Recht glaubt, jeder souveräne Staat kraft seiner Souveränität selbst ent-
scheiden muß.
41
Welche praktischen Folgerungen der neutrale Staat aus dem von ihm anerkannten
Recht oder Unrecht einer kriegführenden Partei zieht, ist eine zweite Frage; jedenfalls
ist ein in solcher Weise zwischen Recht und Unrecht unterscheidender dritter Staat nicht
mehr „neutral", auch dann nicht, wenn er sich nicht an militärischen oder wirtschaftli-
chen Zwangsmaßnahmen beteiligt.
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46 I I I . Kritische Erörterung
Gegenüber dieser Grundfrage kommt es nicht darauf an, wie der Krieg
rechtstheoretisch konstruiert und abgegrenzt wird, ob er „actio" oder
„status" ist, ein Rechtsverfahren, eine Rechtsinstitution, Selbsthilfe oder
nur ein nicht wider-, aber außerrechtlicher Vorgang, ob der „Wille zum
Krieg" oder „objektive" Tatsachen das Entscheidende sind usw. 4 2 . Weder
berührt es unsere Frage, daß die kriegführenden Staaten zu allen Zeiten
ihre Sache selbstverständlich als gerecht und die des Gegners als ungerecht
hinstellen, noch ist es entscheidend, daß es auf der Seite der „dritten" Staa-
ten Modifikationen wie eine „wohlwollende", eine „bewaffnete", eine
„bedingte" und ähnliche Arten der Neutralität gibt. Die Praxis der Neu-
tralität hat immer viele Nuancen gekannt. Aber eine für dritte Staaten oder
gar die Völkerrechtsgemeinschaft bindende Entscheidung über Recht und
Unrecht war damit nicht beansprucht. Ist ein neutraler Staat davon über-
zeugt, daß die eine kriegführende Partei gegenüber der anderen i m Recht
oder Unrecht ist, so steht es ihm frei, auf der Seite, auf der er das Recht
sieht, in den Krieg einzutreten; er w i r d dadurch selbst kriegführende Par-
tei, aber er kann nicht mit völkerrechtlicher Wirkung den Krieg auf der
einen Seite zum völkerrechtlichen Recht, auf der anderen Seite zum völ-
kerrechtlichen Unrecht machen. I m entscheidenden Augenblick und
gegenüber der Frage, wieweit das heutige Völkerrecht gerechte und unge-
rechte Kriege kennt, erhebt sich stets ein einfaches Entweder-Oder und
gilt immer noch: „ O n est neutre ou on ne l'est pas" 4 3 . Die Neutralität läßt
sich nuancieren, aber nicht halbieren. Sie ist vom Staats- und Volksbegriff
und von der heutigen Völkerrechtsordnung unabtrennbar.
Wenn heute ein Staat oder eine Gruppe von Staaten diese grundsätzlich
nichtdiskriminierende Haltung aufgibt und in der Weise zum Kriege
schreitet, daß in einer auch für Dritte rechtlich maßgeblichen Weise die
eine Kriegspartei von der anderen rechtlich unterschieden wird, so ist
damit der Anspruch erhoben, nicht nur i m eigenen Namen, sondern auch
i m Namen einer höheren, das heißt überstaatlichen Ordnung und Ge-
meinschaft aufzutreten; es ist der Anspruch erhoben, etwas ganz anderes
zu tun als das, was man bisher unter Kriegführen verstand, also etwas zu
tun, was folgerichtig überhaupt nicht mehr als „Krieg" i m bisherigen völ-
kerrechtlichen Sinn bezeichnet werden darf. Sobald die Vorstellung der
möglichen Neutralität und damit die eines unbeteiligten „dritten Staates"
verneint wird, ist ein universaler oder regionaler Herrschaftsanspruch er-
42
Vgl. die Übersichten bei J. Kunz a. a. O. S. 4 f.; Georg Kappus: Der völkerrechtliche
Kriegsbegriff in seiner Abgrenzung gegenüber militärischen Repressalien, Breslau 1936
(für die „Willenstheorie").
43
Hammarskjöldy La neutralité en général, Bibliotheca Visseriana III, p. 59, Leyden
1924.
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I I I . Kritische Erörterung
44
Vgl. John H. Spencer; Die Vereinigten Staaten und die Rechte der Neutralen im
Seekriege, Bruns Ζ. V (1935), S. 293-304. Das umfangreiche amerikanische Schrifttum,
das insbesondere in den letzten Jahren entstanden ist, bewegt sich nur um das Dilemma
dieser beiden Extreme. Der Zwangscharakter dieses Dilemmas ergibt sich ohne weiteres
aus dem andern: Krieg oder Nicht-Krieg, wie es im Text behandelt ist, so daß eine wei-
tere Behandlung des amerikanischen Schrifttums für die Zwecke dieses Berichtes nicht
erforderlich ist. Eine lehrreiche Parallele aus der Anerkennungspraxis bei Makarov,
Bruns. Ζ. IV (1934), S. 3. Im übrigen vgl. unten S. 56 f. dieses Berichtes.
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48 I I I . Kritische Erörterung
Einheitlichkeit des Kriegsbegriffs gesprengt und liegt auf der einen Seite
ein völkerrechtlich gerechter, zulässiger, auf der anderen Seite ein völker-
rechtlich ungerechter, unzulässiger „Krieg" vor. Das wären eigentlich
zwei Kriege, die aber, da Recht und Unrecht rechtlich nicht zu einem
Begriff verbunden werden kann, jeder etwas ganz Verschiedenes und Ent-
gegengesetztes bedeuten und daher nicht mit demselben Rechtsbegriff
erfaßt werden können. Ein anerkannt rechtmäßiger und ein ebenso aner-
kannt rechtswidriger Vorgang kann, innerhalb derselben Rechtsordnung,
nicht einen und denselben Rechtsbegriff bilden. Das wäre ebensowenig
denkbar, wie daß etwa innerhalb eines Staates der Kampf zwischen Polizei
und Verbrecher, oder der rechtswidrige Angriff und die rechtmäßige N o t -
wehr als eine einheitliche „Rechtseinrichtung" mit einer rechtmäßigen
und einer rechtswidrigen „Seite" aufgefaßt werden könnten. Ebenso um-
gekehrt: Solange eine Rechtsordnung einen Vorgang wie das Duell duldet
oder gar als Rechtseinrichtung anerkennt, kann sie gewisse Auseinander-
setzungen als Nicht-Duell, zum Beispiel als strafbare Körperverletzung,
ansehen, nicht aber, sobald ein Duell vorliegt, zwischen „gerechten" und
„ungerechten" Duellen unterscheiden. Sobald eine Völkerrechtsordnung
also wirklich mit überstaatlicher, das heißt für dritte Staaten maßgeblicher
Gültigkeit zwischen berechtigten und unberechtigten Kriegen (zwischen
zwei Staaten) unterscheidet, ist die bewaffnete A k t i o n auf der gerechten
Seite nur Rechtsverwirklichung, Exekution, Sanktion, internationale
Justiz oder Polizei; auf der ungerechten Seite ist sie nur Widerstand gegen
rechtmäßiges Vorgehen, Rebellion oder Verbrechen und jedenfalls etwas
anderes als die überkommene Rechtsinstitution „ K r i e g " 4 5 .
45
Norbert Gürke hat das große Verdienst, zu der Frage des gerechten Krieges mit
einer konkreten Unterscheidung (statt mit den sonst üblichen scholastisch-naturrecht-
lichen Allgemeinheiten) Stellung genommen zu haben, indem er den auf einen gerechten
Lebensausgleich zielenden Krieg dem mit einer universalistischen Ideologie gegen einen
„totalen Feind" geführten Vernichtungskrieg gegenüberstellt (Volk und Völkerrecht,
Tübingen 1935, S. 73; Der Begriff des totalen Krieges in der Zeitschrift „Völkerbund und
Völkerrecht" IV, 1937, S. 207/ 212). Diese Unterscheidung ist sehr fruchtbar und macht
den Gegensatz eines universalistischen zu einem politisch-pluralistischen Weltbild
anschaulich. Doch ist zu beachten, daß der universalistisch-ideologisch gerechtfertigte
Vernichtungskrieg gerade wegen seines ökumenischen Anspruchs zunächst den Staat als
geschlossene Volks- und Raumordnung seines bisherigen Ordnungscharakters beraubt,
den Staatenkrieg in einen internationalen Bürgerkrieg verwandelt (wobei der sogenannte
Bürgerkrieg natürlich nicht mehr auf derselben Ebene Krieg ist, wie der Staatenkrieg),
daß er infolgedessen den Begriffen von Krieg und Feind ihre Ehre und Würde nimmt
und beide Begriffe vernichtet, indem er den Krieg auf der „gerechten" Seite zu einer
Exekution oder Säuberungsmaßnahme, auf der ungerechten Seite zu einem rechts- und
moralwidrigen Widerstand von Schädlingen, Unruhestiftern, Piraten und Gangstern
macht. In meiner Abhandlung über den „Begriff des Politischen" (1. Ausgabe 1927,
3. Ausgabe 1932), auf die Gürke hinweist, ist dieser Zusammenhang der Beseitigung des
Kriegs- und Feindbegriffs mit einem universalistischen Pazifismus klargestellt. Daß es
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I I I . Kritische Erörterung
sich bei dieser Verwandlung des „Krieges" in einen „Nicht-Krieg" nicht etwa nur um
begriffstheoretische Feinheiten handelt, zeigen die Bemühungen derjenigen Autoren, die
die Luftwaffe als spezifische Sanktions- oder auch Bürgerkriegswaffe hinstellen, um den
Fortschritt der militärtechnischen Entwicklung gleichzeitig als einen weltgeschicht-
lichen Fortschritt zur Verwandlung des Krieges in eine Befriedungsaktion gegen rebel-
lische oder zivilisatorisch rückständige Bevölkerungen zu erweisen, da es selbstverständ-
lich kein „Krieg" mehr ist, wenn auf solche Bevölkerungen Bomben abgeworfen wer-
den. Im übrigen verweise ich auf die folgenden Ausführungen meines Berichtes sowie
auf Anm. 56 und 57.
46
Lauterpacht sucht die Diskriminierung auf Grund der Völkerbundssatzung und
des Kellogg-Paktes mit dem überlieferten Kriegsbegriff zu vereinigen und begründet das
damit, daß er sagt, auch die innerstaatliche Rechtsordnung müsse den Bürgerkrieg ableh-
nen und könne doch nicht verhindern, daß erfolgreiche Revolutionäre als kriegführende
Partei anerkannt werden und von einem Bürger krieg gesprochen wird. Das Argument
ist wichtig, nicht weil es zutrifft, sondern weil es den Zusammenhang des diskriminie-
renden Kriegsbegriffs mit der Verwandlung der Staatenkriege in Bürgerkriege erkennen
läßt; vgl. unten S. 51. Folgerichtige Verneinung des Rechtsinstituts „Krieg", bei Wolzen-
dorff, „Die Lüge des Völkerrechts", 1919.
Eine interessante Erörterung der völkerbundsrechtlichen Gemengelage von erlaubten
und nicht erlaubten Kriegen und alter und neuer Neutralität gibt die Vorlesung von John
B. Whitton, Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, X V I I , I I (1927),
S. 453-571. Auch die Pariser These von Ph. Michailides, La neutralité et la Société des
Nations, 1933, stellt fest, daß gegenüber dem früheren Neutralitätsrecht zwar tiefe
Änderungen eingetreten sind (weil die Völkerbundsstaaten untereinander etwas wie eine
„famille tribale" bilden, innerhalb deren alle solidarisch gegen das Unrecht stehen, das
einem von ihnen angetan wird), andererseits aber auch noch viele Fälle der alten Neutra-
lität bestehen bleiben. Von deutscher Seite ist eine zusammenfassende Behandlung der
Frage durch G. von Schmoller zu erwarten. Inzwischen vgl. die Aufsätze „Neue Neutra-
lität" von Frhr. von Freytagh-Loringhoven, Zeitschrift für Völkerrecht X X (1936),
S. 1 - 1 3 ; W. Troitzsch, Ende oder Wandlung der Neutralität? in „Völkerbund und Völ-
kerrecht" I I (1935/36), S. 237-248; K. Keppler; Zwischen Neutralität und Sanktionen,
Deutsche Juristen-Zeitung (1936), S. 1336-1344; H. Rogge, Kollektivsicherheit, Bünd-
nispolitik und Völkerbund, Berlin 1937, S. 360 f. (Wiederaufkommen der Neutralitäts-
politik; Sicherheitskalkulationen der „Neutralitätspolitik"; zur Soziologie der Neutrali-
tätspolitik).
47
Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 2 Anm. 4: „Wohl
bestehen vertragsmäßige Beschränkungen des ius ad bellum. Aber auch V.B.P. (= Völker-
bundpakt) und Kellogg-Pakt lassen den Krieg als Rechtsinstitution prinzipiell beste-
hen".
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50 I I I . Kritische Erörterung
48
Über tolerierte Kleinkriege, dog-fights, vgl. unten im Text S. 53.
49
In der Vorrede zu dem Buch von Georges T. Eies, Le principe de l'unanimité dans
la Société des Nations et les exceptions à ce principe, Paris 1935.
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I I I . Kritische Erörterung
50
Deutsche Ausgabe der im Recueil des Cours de l'Académie du Droit International,
X X I V (1929), veröffentlichten Vorlesung, Berlin 1930, S. 141.
si Behemoth, Part I, S. 491 der Ausgabe von 1750.
52
Vgl. unten S. 57 Anm. 56 und 57
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52 I I I . Kritische Erörterung
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I I I . Kritische Erörterung
Es ist nur ein neuer Weltherrschaftsanspruch erhoben, den nur ein neuer
Weltkrieg verwirklichen könnte.
2. Föderalismus und ökumenischer Universalismus heben sich in der
gegenwärtigen Lage des Völkerrechts gegenseitig auf. Die hier genannten
Autoren gehen sämtlich und ohne nähere Prüfung 5 3 davon aus, daß der
Genfer Völkerbund zwar noch nicht universal und ökumenisch ist, aber
doch universal und ökumenisch sein müßte und seine Universalität wenig-
stens als Ziel anzuerkennen sei; gleichzeitig versuchen sie, ihn durch ver-
schiedene Methoden der Konkretisierung zu einem wirklich föderalisti-
schen Gebilde zu machen. Auch hier erweist sich die Frage der kollekti-
ven bewaffneten Aktion, mit anderen Worten: das Problem des Kriegs-
begriffs, als der sicherste Prüfstein. Innerhalb eines Bundes irgendwelcher
A r t kann es keinen Krieg geben, solange der Bund besteht. Das ist der
unbestreitbar richtige Kern des Aufsatzes von Sir John Fischer Williams.
Die Schwierigkeiten aber, die sich für ihn und die anderen Autoren der
gleichen Richtung erheben, werden unüberwindlich, sobald die Frage der
Einbeziehung von Nichtmitgliedsstaaten in dieses föderalistische System,
das heißt das Problem der ökumenischen Universalität erscheint. Eine
Einbeziehung von Nichtmitgliedern ist nach geltendem, nicht universa-
listischem Völkerrecht unmöglich, weil der Begriff des Krieges stets eine
einfache Entscheidung verlangt. Die, wenn ich so sagen darf, logische
Dignität des Kriegsbegriffs ist so stark und ausschlaggebend, daß von ihr
stets ein einfaches Dilemma: Krieg oder Nicht-Krieg? ausgeht. Man muß
also stets vom Kriege her definieren. Was nicht „Krieg" ist, ist dann eben
„Frieden". Bringt die „Kollektivierung" wirklich einen echten Bund
zustande, so kommt diese ganze Logik zum Zuge, das heißt innerhalb des
Bundes w i r d nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Kriegen
entschieden, vielmehr gibt es überhaupt keine Kriege mehr, sondern nur
noch Exekutionen. „Erlaubte" Kriege sind noch denkbar, aber nur als
ungefährliche Kleinkriege, als dog-fights, wie Fischer Williams (oben S. 38)
sagt. Sie können innerhalb des Bundes toleriert werden, wie zum Beispiel
auch die Ordnung des modernen Staates Duelle tolerieren kann. Außer-
halb des Bundes dagegen sind noch Kriege möglich; diese fallen aber unter
den alten, nichtdiskriminierenden Kriegsbegriff. Erhebt die zu einem
Bund zusammengeschlossene Gruppe von Staaten für sich den Anspruch,
einen gerechten Krieg zu führen, so ist das gegenüber dem Nichtmitglied
völkerrechtlich ebensowenig maßgeblich, wie es nach bisherigem Völker-
recht maßgeblich war, wenn irgendein Staat oder eine Staatengruppe mit
53
Als Beispiel eines Ansatzes zu einer solchen Prüfung sei die Abhandlung von R.
Genet, SdN. et Communauté internationale in der Revue internationale du Droit des
Gens, Bd. I (1936), S. 92 f., 149 f. hier wenigstens genannt.
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54 I I I . Kritische Erörterung
Wirkung über ihren eigenen Bereich hinaus über Recht und Unrecht ent-
scheiden wollte. Die Beseitigung des Kriegsbegriffs tritt nicht, wie
M c N a i r will, bereits durch vertragliche Bindungen von der A r t des Kel-
logg-Pakts ein, sondern erst durch die institutionelle, organisierte Zusam-
menfassung zu einem Bund. Es gehört zum Wesen des bisherigen Völker-
rechts, daß der Krieg der stärkere Begriff ist und alle Verträge zwischen
den Kriegführenden aufhebt, daß auch der im Krieg liegende Vertrags-
bruch, zum Beispiel ein Bündnisbruch, daher für die neutralen dritten
Staaten den Krieg nicht als Krieg i m völkerrechtlichen Sinne beseitigt.
Diejenigen Autoren, die aus der Völkerbundssatzung statt eines Vertrages
eine echte „Verfassung", eine „Konstitution" machen wollen, erstreben
mit Hilfe dieses Begriffs die Institutionalisierung zu einem wirklichen
Bund und, soweit sie der universalen Völkerrechtsgemeinschaft eine sol-
che Verfassung geben, die radikale Beseitigung des bisherigen, wesentlich
nichtdiskriminierenden, paritätischen Kriegsbegriffs. Kein pazifistischer
Eifer, aber auch kein noch so berechtigter Abscheu vor den Greueln eines
Krieges kann darüber hinweghelfen, daß auch heute noch ein Krieg zwi-
schen zwei Staaten etwas anderes ist als Mord, Raub und Piraterie. Bevor
der Kriegsbegriff beseitigt und aus einem Staatenkrieg zu einem inter-
nationalen Bürgerkrieg wird, müssen erst die staatlich organisierten Völ-
ker beseitigt werden. Der Krieg hat nach überliefertem Völkerrecht sein
Recht, seine Ehre und seine Würde darin, daß der Feind kein Pirat und
kein Gangster, sondern ein „Staat" und ein „Völkerrechtssubjekt" ist. Das
w i r d gelten, solange es mit einem jus belli (im Sinne des jus ad bellum) aus-
gestattete politische Organisationen gibt. Z u m Begriff des Bundes dagegen
gehört der Verzicht auf âzsjus belli innerhalb des Bundes. Wird eine Besei-
tigung des jus belli über den Rahmen des Bundes hinaus mit Wirkung
gegen dritte Staaten erstrebt, so ist der darin liegende Anspruch nicht
mehr völkerrechtlich i m bisherigen Sinne, sondern ein universalistischer
Herrschaftsanspruch auf Neuordnung der Welt. Tritt gegenüber solchen
weltrechtlichen Prätentionen der Fall ein, auf den Sir John Fischer Wil-
liams am Schluß seines Aufsatzes so eindrucksvoll hinweist (oben S. 38),
nämlich der Fall eines totalen Weltkrieges, mit einem genügend starken
Gegner, der dann einen „ungerechten" Krieg führt, so w i r d dieser durch
die Kraft seines Widerstandes die Beibehaltung des alten völkerrechtlichen
Kriegsbegriffs, das heißt die rechtliche Nichtdiskriminierung durchsetzen.
Dann war der auf dem Weg über den Genfer Völkerbund legitimierte
Krieg eben doch nur ein Krieg bisherigen Völkerrechts, wie ja auch der
1914-1918 gegen Deutschland geführte Weltkrieg, trotz aller Bemühun-
gen, ihn zu einer völkerrechtlichen „Exekution" gegen die vom deutschen
Volk unterschiedene deutsche Regierung zu machen, und trotz aller son-
stigen Diskriminierungen Deutschlands, dank der Widerstandskraft des
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I I I . Kritische Erörterung
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I I I . Kritische Erörterung
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In dieser Rede warnt Wilson seine Landsleute sogar vor der seelischen Versuchung,
selbst einer nur in Gedanken und Gefühlen erfolgenden Parteinahme („die Seele in Ver-
suchung zu führen, neutral zu bleiben dem Namen nach"). „Wir müssen unparteiisch
sein, in Gedanken und Taten, unsere Gefühle im Zaum halten, so gut wie jede Hand-
lung, die als Bevorzugung irgendeiner der kämpfenden Parteien ausgelegt werden kann."
Vgl. dazu die auch heute noch lesenswerte Schrift von H. Pohl, Amerikas Waffenausfuhr
und Neutralität, Berlin 1917, S. 17 f.; interessante weitere Belege für die Entwicklung
Wilsons bei Felix Brüggemann, Woodrow Wilson und die Vereinigten Staaten von Ame-
rika, Gießener Phil. Diss. 1933, in der auch weiteres Schrifttum angegeben ist.
56
Neuerdings hat George A. Finch in einer Bemerkung zu dem Anti-Piratenabkom-
men von Nyon vom 14. September 1937 in American Journal of International Law 31
(1937), p. 665, an den Zusammenhang der Argumentation Wilsons mit der Definition
der Piraterie erinnert. Wilson hat in seiner Rede vom 2. April 1917 den Ausdruck „Pira-
terie" zwar nicht gebraucht, wohl aber den deutschen Unterseebootkrieg als einen
„gegen die Menschheit" geführten Krieg bezeichnet, der ein „Krieg gegen alle Natio-
nen" sei. Damit war Deutschland mit den für die Piraterie üblichen Formulierungen
zum hostis generis humani erklärt. Die rechtslogische Folge ist, daß der Krieg aufhört,
Krieg zu sein; denn gegen Piraten führt man nicht Krieg, sie sind nur das Objekt antikri-
mineller oder seepolizeilicher Aktionen und Zwangsmaßnahmen.
57
Carl Bilfingen Die russische Definition des Angreifers, Bruns Ζ. V I I (1937), S. 490,
über solche Definitionsversuche als eine „Umschreibung und Organisation der Idee des
gerechten Krieges gegen den Angreifer". Über den Begriff der Piraterie: Carl Schmitt, in
Völkerbund und Völkerrecht, 4. Jahrgg. (1937), S. 351. In dem oben S. 33 erwähnten
Aufsatz von J. G. Starke, British Yearbook of International Law, X V I I (1936), S. 71, fin-
det sich ein hübsches Beispiel dafür, wie der Pirateriebegriff als Einbruchsstelle für den
„Primat des Völkerrechts" dienen kann.
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