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ERSTER TEILBAND

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VORWORT

Nach den Bänden 1/1–2 ‹Frühgriechische Philosophie› (herausgegeben von


Dieter Bremer, Hellmut Flashar, Georg Rechenauer, 2013), 2/1 ‹Sophistik, So­
krates, Sokratik, Mathematik, Medizin› (herausgegeben von Hellmut Flashar,
Klaus Döring, George B. Kerferd, Caroline Oser-Grote, Hans-Joachim Wasch­
kies, 1998), 2/2 ‹Platon› (herausgegeben von Michael Erler, 2007), 3 ‹Ältere
Akademie, Aristoteles, Peripatos› (herausgegeben von Hellmut Flashar, Leonid
Zhmud, Hans Krämer, Fritz Wehrli, Georg Wöhrle, 22004) und 4 ‹Die hellenis­
tische Philosophie› (herausgegeben von Michael Erler, Hellmut Flashar, Günter
Gawlick, Woldemar Görler, Peter Steinmetz, 1994) kommt mit Band 5/1–3 ‹Phi­
losophie der Kaiserzeit und der Spätantike› die Reihe ‹Die Philosophie der
­Antike› des beim Schwabe Verlag in Basel erscheinenden neuen ‹Grundrisses
der Geschichte der Philosophie› zum lange erwarteten Abschluss.
Wie alle übrigen Bände dieses monumentalen Projekts hat auch der hier vor­
liegende seine Geschichte. Nachdem ein erstes Vorhaben aus den letzten Dezen­
nien des vergangenen Jahrhunderts zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt
hatte, wurde im Jahr 2000 Christoph Riedweg (Zürich) vom Kuratorium des
Grundrisses angefragt, den fünften Antike-Band, der die von tiefgreifenden Ver­
änderungen gekennzeichneten ersten sieben Jahrhunderte n. Chr. zum Gegenstand
hat, herauszugeben. Angesichts der Komplexität der Aufgabe schien eine inter­
disziplinäre Zusammenarbeit mehr als angezeigt, und mit Christoph Horn (Bonn)
und Dietmar Wyrwa (Bochum, Berlin) konnten zwei Mitherausgeber gewonnen
werden, welche die philologische Perspektive um die philosophiehistorische und
die patristische Kompetenz glücklich ergänzten.
Auch für die im Zentrum dieses Bandes stehende Epoche wurde das mit dem
Namen ‘Ueberweg’ traditionellerweise verbundene hohe Niveau eines philosophie­
geschichtlichen Standardwerks in deutscher Sprache angestrebt. Mehr als fünfzig
international auf ihrem Gebiet führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft­
ler erschließen in den drei Teilbänden das außerordentlich facettenreiche pagane,
jüdische und frühchristliche philosophische Erbe der Kaiserzeit und der Spätantike
in detaillierten und präzise informierenden Darstellungen, die den neuesten Stand
der philosophiegeschichtlichen Forschung reflektieren. Aufgrund der thematischen
Breite sowie angesichts der Tatsache, dass in diesen Jahrhunderten die Grundlagen
nicht nur der abendländischen und byzantinischen, sondern ebenso der islamischen
Denktradition gelegt wurden, dürften ihre Beiträge gleichermaßen für die Alter­
tumswissenschaften wie für Theologie, Philosophie, Judaistik, Islamwissenschaft
und allgemein für die Geisteswissenschaften von Interesse sein.
Das von den Herausgebern gemeinsam entworfene Bandkonzept entspringt
der Überlegung, dass mit der griechisch-römischen und der jüdisch-christlichen
Philosophie nicht etwa zwei große weltanschauliche Blöcke gegeneinander abzu­
grenzen und somit in Teilbänden gesondert zu behandeln sind, sondern dass diese
vielmehr von Beginn an in lebendigem Austausch miteinander stehen. Entspre­

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XX Vorwort


chend liegt dem Bandaufbau ein Mischprinzip zugrunde, bei dem die chronologi­
sche Folge eine zentrale Rolle spielt, zudem aber auch das Lehrer-Schüler-
Verhältnis, die Schulzugehörigkeit eines Autors und schließlich ebenfalls seine
religiöse Orientierung sowie seine geographische Situierung berücksichtigt wer­
den. Dabei sind im Einzelnen Kompromisse unvermeidlich (so verdeckt etwa die
Einreihung des Themistios unter dem Aristotelismus die Bedeutung, die Platon
für sein Denken hat, und rückt ihn auch zeitlich zu weit weg von Kaiser Julian,
mit dem er in Kontakt stand). Doch aufs Ganze gesehen waren die Herausgeber
von Anfang an der Ansicht, dass sich auf diese Weise die Interdependenzen zwi­
schen Autoren und Schulen, die durchaus religionsübergreifend festzustellen sind,
besonders deutlich herausarbeiten lassen und die faszinierende Epoche damit an­
gemessener beschrieben und verstanden werden kann.
Wie generell im neuen Grundriss üblich, orientiert sich die Stoffauswahl im
Übrigen «weniger am aktuellen Philosophiebegriff als vielmehr daran, was in der
darzustellenden Epoche zur Philosophie gezählt wurde oder thematisch mit ihr
verknüpft war» (Helmut Holzhey im Vorwort zu Antike I, I). Dies erklärt u. a. die
ausführliche Behandlung der Orphischen Schriften oder allgemein theologischer
Fragen in diesem Band.

Dass der Abschluss der im März 2005 mit einer Tagung in Zürich offiziell auf­
genommenen Arbeit mehr Zeit als ursprünglich erwartet in Anspruch genommen
hat, ist bei der Größe des Unternehmens wohl kaum erstaunlich. Nicht allein die
Übersetzungs- und Redaktionstätigkeit, die hauptsächlich von der in Zürich an­
gesiedelten und von 2007–2016 vom Schweizerischen Nationalfonds und weiteren
Stiftungen finanzierten Arbeitsstelle (zwei 50%-Stellen) in enger Zusammenarbeit
mit den Herausgebern zu bewältigen war, erwies sich als sehr zeitintensiv. Zum
Teil musste auch kurzfristig Ersatz für Autoren gefunden werden, die aus verschie­
denen Gründen nicht weiter am Projekt mitwirken konnten. Um die fristgerecht
eingereichten Artikel à jour zu halten, wurde 2012 allen Beteiligten die Möglich­
keit geboten, ihre Artikel nochmals durchzusehen und wo nötig zu überarbeiten.
Im Rahmen der Korrektur der Druckfahnen 2016–2018 konnten außerdem letzte
bibliographische Ergänzungen angebracht werden.

Es bleibt zum Schluss die angenehme Pflicht des Dankes. An erster Stelle seien
nicht nur die Autorinnen und Autoren aus aller Welt genannt, die erfreulicher­
weise bereit waren, einen Teil ihrer Zeit, Energie und Intelligenz unserem Projekt
zu schenken, und damit dessen Gelingen überhaupt erst ermöglichten, sondern
insbesondere auch die Zürcher Mitarbeitenden, die sich um das Werk außerordent­
lich verdient gemacht haben: Damian Caluori, Regina Füchslin, Magdalena Hoff­
mann, Kaspar Howald und Andreas Schatzmann. Ihre vielfältigen Aufgaben
haben nach Ablauf der Drittmittelfinanzierung Bettina Bohle und Denis Walter
an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie Severin Hof,
Laura Napoli, Tim Richter, Camille Semenzato und Katja Vogel an der Universität
Zürich übernommen. Bei der Erstellung der Register haben außer Tim Richter
und Camille Semenzato auch Benedetta ­Foletti und Michèle Hegi (beide ebenfalls

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Vorwort
 XXI

Universität Zürich) mit vorbildlichem Engagement mitgewirkt. Allen Mitarbeiten­


den sei auch an dieser Stelle für die hervorragende Unterstützung aufs herzlichste
gedankt, außerdem Arlette Neumann vom Schwabe Verlag, bei der unser Projekt
in besten Händen war, sowie dem Gesamtherausgeber des Grundrisses Helmut
Holzhey (Zürich), der uns immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stand.
Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen For­
schung (SNF) hat während vieler Jahre die – überdies vom Istituto Svizzero di
Roma, der Dr. Charles Hummel Stiftung, der UBS Kulturstiftung, der Goethe-
Stiftung für Kunst und Wissenschaft in Zürich sowie von Herrn Dr. Ulrich Albers
unterstützte – Mit­arbeit tüchtiger akademischer Nachwuchskräfte am Projekt
möglich gemacht. Außerdem hat er ebenso wie die Dr. Charles Hummel Stiftung
und die Walter Haefner Stiftung einen substantiellen Beitrag an die Publikations­
kosten geleistet. Auch dafür sei allen Verantwortlichen von Herzen gedankt.
Unser Dank geht schließlich ebenfalls an die Schweizerische Akademie der
Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) für die großzügige Unterstützung der
Tagung 2005 in Zürich sowie der halbjährlichen Arbeitstreffen der Herausgeber
und der Mitarbeitenden, die während der Leitung des Istituto Svizzero di Roma
durch Christoph Riedweg (April 2005 bis Januar 2013) regelmäßig in der einzig­
artigen Atmosphäre der Villa Maraini auf dem Pincio stattfinden konnten.

Zürich, Bonn, Berlin, im Mai 2018 Die Herausgeber

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

A&A Antike und Abendland


AAWG Abhandlungen der Akademie (bis 1942: [bis 1926: Königlichen]
Gesellschaft) der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-­
historische Klasse
AAWM Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und Litera-
tur in Mainz. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse
AAWW Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
in Wien. Philosophisch-historische Klasse
AB Analecta Bollandiana
ABAW Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-historische Klasse
AC L’Antiquité classique
ACA Ancient Commentators on Aristotle
AChW Ancient Christian Writers
ACO Acta conciliorum oecumenicorum
AEPHE Annuaire de l’École pratique des Hautes Études, Section des
sciences religieuses
AGPh Archiv für Geschichte der Philosophie
AHAW Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaf-
ten. Philosophisch-historische Klasse
AIV Atti / Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, Classe di Sci-
enze Morali, Lettere ed Arti
AJPh American Journal of Philology
AKG Arbeiten zur Kirchengeschichte
AncPhil Ancient philosophy
ANRW Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, herausgegeben
von W. Haase, H. Temporini (Berlin, New York 1972ff.).
AugStud Augustinian studies
BAGB Bulletin de l’Association Guillaume Budé
BEHE Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Sciences religieuses
BGrL Bibliothek der griechischen Literatur
BICS Bulletin of the Institute of Classical Studies
BKP Beiträge zur Klassischen Philologie
BKV Bibliothek der Kirchenväter
BLE Bulletin de littérature ecclésiastique
BNJ Brill’s New Jacoby
BT Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana
BZ Byzantinische Zeitschrift
BzA Beiträge zur Altertumskunde
BZAW Beihefte zur Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft
BZNW Beihefte zur Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft
und die Kunde der älteren Kirche

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XXIV Abkürzungsverzeichnis


CACSS Corpus apologetarum Christianorum saeculi secundi


CAG Commentaria in Aristotelem Graeca
CAGB Commentaria in Aristotelem Graeca et Byzantia
CCSG Corpus Christianorum Series Graeca
CCSL Corpus Christianorum Series Latina
CGLC Cambridge Greek and Latin Classics
CIL Corpus Inscriptionum Latinarum. Consilio et auctoritate Aca-
demiae Litterarum Regiae Borussicae editum (Berolini 1862ff.).
CJ The Classical Journal
CMG Corpus Medicorum Graecorum
CPG Clavis Patrum Graecorum. Cura et studio M. Geerard et al., I–V
(Turnhout 1974–2003); Suppl. (Turnhout 1998); III A: Addenda
­volumini III a J. Noret parata (Turnhout 2003).
CPh Classical Philology
CQ The Classical Quarterly
CSCO Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium
CSEL Corpus Scriptorum ecclesiasticorum Latinorum
CSS (Variorum) Collected Studies Series
CTP Collana di testi patristici
CUF Collection des Universités de France
DHGE Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques
Diels Doxographi Graeci, collegit recensuit prolegomenis indicibus-
que instruxit H. Diels (Berolini 1879).
DK Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von
H. Diels, herausgegeben von W. Kranz, I–III (Hildesheim
6
1951–1952).
DNP Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, herausgegeben von
H. Cancik et al., I–XVI (Stuttgart 1996–2003).
Dörrie-Baltes Der Platonismus in der Antike. Grundlagen – System – Entwick-
lung, begründet von H. Dörrie, fortgeführt von M. Baltes, Ch.
Pietsch (Stuttgart/Bad Cannstatt 1987ff.).
DPhA Dictionnaire des philosophes antiques, publié sous la direction
de R. Goulet (Paris 1989ff.).
DSTradF Documenti e studi sulla tradizione filosofica medievale
EA Epigraphica Anatolica
EAA Collection des Études Augustiniennes, Série Antiquité
ECCA Early Christianity in the Context of Antiquity
ECF The Early Church Fathers
Entretiens Entretiens sur l’Antiquité classique de la Fondation Hardt
EPRO Études préliminaires aux religions orientales dans l’Empire
­Romain
FC Fontes Christiani
FGrHist Die Fragmente der griechischen Historiker, begründet von F.
Jacoby. Teil 1: Genealogie und Mythographie (Berlin 1923); Teil
2: Zeitgeschichte (Berlin 1926–1930); Teil 3: Geschichte von

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Abkürzungsverzeichnis
 XXV

Städten und Völkern (Leiden 1940–1994); Part 4: Biography and


antiquarian literature (Leiden 1998ff.).
FHG Fragmenta historicorum Graecorum, collegit, disposuit, notis et
prolegomenis illustravit, indicibus instruxit C. Muellerus, I–V
(Paris 1841–1884).
FKDG Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte
FZPhTh Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie
GB Grazer Beiträge
GCS Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhun-
derte
GNO Gregorii Nysseni Opera, herausgegeben von W. Jaeger et al., I–X
mit Suppl. (Berlin 1921–1925, Leiden 1952ff.).
GRBS Greek, Roman, and Byzantine Studies
Grundriss, Antike Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von F.
Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe herausgegeben von
H. Holzhey. Die Philosophie der Antike, I–V (Basel 1983–2018).
HDAC Histoire des doctrines de l’antiquité classique
HdbA Handbuch der Altertumswissenschaft
HSPh Harvard Studies in Classical Philology
HThR Harvard Theological Review (vor 1981: The Harvard Theologi-
cal Review)
HWdPh Historisches Wörterbuch der Philosophie, herausgegeben von
J. Ritter, K. Gründer, G. Gabriel, I–XIII (Basel 1971–2007).
HWdR Historisches Wörterbuch der Rhetorik, herausgegeben von G.
Ueding, mitbegründet von W. Jens, I–XII (Tübingen 1992–2015).
IG Inscriptiones Graecae (Berlin 1873ff.).
JA Journal asiatique
JbAC Jahrbuch für Antike und Christentum
JECS Journal of Early Christian Studies
JHI Journal of the History of Ideas
JHPh Journal of the History of Philosophy
JHS Journal of Hellenic Studies
JNStud The Journal of Neoplatonic studies
JPT International Journal of the Platonic Tradition
JRS Journal of Roman Studies
JSJ Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and
Roman Period
JThS The Journal of Theological Studies
K Claudii Galeni opera omnia, editionem curavit C. G. Kühn, I–
XX (Leipzig 1821–1833; ND Hildesheim 1964–1965).
KA Poetae comici graeci, ediderunt R. Kassel, C. Austin (Berolini
1983ff.).
KAV Kommentar zu den Apostolischen Vätern
KfA Kommentar zu frühchristlichen Apologeten

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XXVI Abkürzungsverzeichnis


LacL Lexikon der antiken christlichen Literatur, herausgegeben von


S. Döpp, W. Geerlings unter Mitarbeit von P. Bruns et al. (Frei-
burg i. Br. 1998, 32002).
Lampe A Patristic Greek Lexicon, edited by G. W. H. Lampe (Oxford
1961).
LCL Loeb Classical Library
LCM Liverpool classical monthly
LEC Les études classiques
LexMA Lexikon des Mittelalters, herausgegeben von R.-H. Bautier, R.
Auty et al., I–IX (München 1977–1999).
LSJ A Greek-English Lexicon, compiled by H.-G. Liddell and R.
Scott, revised and augmented throughout by H. S. Jones with the
assistance of R. McKenzie (Oxford 91940); Suppl. by P. G. W.
Glare (Oxford 1996).
MH Museum Helveticum
NAGW Nachrichten der Akademie (bis 1942: von der [bis 1933: König-
lichen] Gesellschaft) der Wissenschaften zu Göttingen. Philo­
logisch-Historische Klasse
NHC Nag Hammadi Codices
NHMS Nag Hammadi and Manichaean Studies
NHS Nag Hammadi Studies
NT Novum Testamentum
OC Oriens christianus
OCA Orientalia Christiana Analecta
OCP Orientalia Christiana Periodica
OCT Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis / Oxford Clas-
sical Texts
OECS Oxford Early Christian Studies
OECT Oxford Early Christian Texts
OLA Orientalia Lovaniensia Analecta
OLP Orientalia Lovaniensia Periodica
OPhM Oxford Philosophical Monographs
OSAPh Oxford Studies in Ancient Philosophy
OSLA Oxford Studies in Late Antiquity
PCPhS Proceedings of the Cambridge Philological Society
PG Patrologia Graeca
PhA Philosophia Antiqua
PhdA Philosophie der Antike
PhJ Philosophisches Jahrbuch
PhR The Philosophical review
PIR Prosopographia Imperii Romani Saec. I. II. III. Pars I–VIII,
edita consilio et auctoritate Academia Scientiarum Berolinen-
sis et Brandenburgensis, iteratis curis ediderunt E. Groag et al.
(Berolini 21933–2015).
PL Patrologia Latina

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Abkürzungsverzeichnis
 XXVII

PLRE Prosopography of the Later Roman Empire, edited by A. H. M.


Jones, J. R. Martindale, J. Morris, I–IV (Cambridge 1971–1992).
PO Patrologia Orientalis
PP La Parola del Passato
PTS Patristische Texte und Studien
RAC Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur
Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, he-
rausgegeben von Th. Klauser et al. (Stuttgart 1950ff.).
RAL Atti della Accademia Nazionale dei Lincei, Classe di Scienze
Morali, Storiche e Filologiche. Rendiconti
RBPh Revue belge de philologie et d’histoire / Belgisch tijdschrift voor
filologie en geschiedenis
RE Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft.
Neue Bearbeitung, herausgegeben von G. Wissowa et al. (Stutt-
gart 1893–1980).
REA Revue des études anciennes
REAug Revue d’études augustiniennes et patristiques
REB Revue des études byzantines
RecAug Recherches augustiniennes et patristiques
REG Revue des études grecques
REL Revue des études latines
RFIC Rivista di filologia e di istruzione classica
RHE Revue d’histoire ecclésiastique
RhM Rheinisches Museum für Philologie
RHPhR Revue d’histoire et de philosophie religieuses
RPhilos Revue philosophique de la France et de l’étranger
RQA Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und
für Kirchengeschichte
RSF Rivista (critica) di storia della filosofia
RSLR Rivista di storia e letteratura religiosa
RSO Rivista degli studi orientali
RSPh Revue des sciences philosophiques et théologiques
RSR Revue des sciences religieuses
RThPh Revue de théologie et de philosophie
RVV Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten
SAPERE Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque per-
tinentia
SAWW Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften in Wien
SBA Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft
SBAW Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaf-
ten
SC Sources Chrétiennes
SCO Studi classici e orientali

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XXVIII Abkürzungsverzeichnis


SEJG Sacris erudiri. Jaarboek voor Godsdienstwetenschappen


SHAW Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
SIFC Studi italiani di filologia classica
SM Claudii Galeni Pergameni scripta minora, recensuerunt J. Mar-
quardt, I. Müller, G. Helmreich, I–III (Leipzig 1884–1893).
SMSR Studi e materiali di storia delle religioni
SO Symbolae Osloenses
SPNPT Studies in Platonism, Neoplatonism, and the Platonic Tradition
SPrAW Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften
SSR Socratis et Socraticorum Reliquiae, collegit, disposuit, apparati-
bus notisque instruxit G. Giannantoni, I–IV (Napoli 1990–1991).
STAC Studien und Texte zu Antike und Christentum
StPatr Studia Patristica
StudEphAug Studia Ephemeridis Augustinianum
StudMed Studi medievali, terza serie
StudPhilon The Studia Philonica Annual
SVF Stoicorum veterum fragmenta, collegit I. ab Arnim, I–IV (Lip-
siae 1903–1964; ND Stutgardiae 1968).
TAPhA Transactions of the American Philological Association
TGrF Tragicorum Graecorum fragmenta, herausgegeben von B. Snell,
R. Kannicht, S. L. Radt, I–V (Göttingen 1971–2004).
ThH Théologie historique
ThQ Theologische Quartalschrift
TRE Theologische Realenzyklopädie, herausgegeben von G. Krause,
G. Müller, I–XXXVI (Berlin 1976–2007).
TU Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen
Literatur
TuK Texte und Kommentare
UaLG Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte
VChr Vigiliae Christianae
VetChr Vetera Christianorum
Wehrli Die Schule des Aristoteles. Texte und Kommentar, herausgege-
ben von F. Wehrli, I–X (Basel 21967–1969); Suppl. I–II (Basel
1974–1978).
WJA Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft
WS Wiener Studien
WUNT Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament
ZAC Zeitschrift für Antikes Christentum / Journal of Ancient Chris-
tianity
ZAW Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft
ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte
ZNW Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die
Kunde der älteren Kirche
ZPE Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik
ZThK Zeitschrift für Theologie und Kirche

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Abkürzungsverzeichnis
 XXIX

Allgemeine Abkürzungen

FS Festschrift
ND Nachdruck
NF Neue Folge
N. S. New Series / Nouvelle série / Nuova serie
Suppl. Supplement(s)

Für die Abkürzungen der Primärliteratur sei auf LSJ, DNP und Lampe verwiesen.

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Erstes Kapitel

Allgemeine Einleitung

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§ 1. Zeitlicher Rahmen und Grundzüge der Epoche

Christoph Horn

Die Begriffe ‘Römische Kaiserzeit’ und ‘Spätantike’, mit denen die Reihe ‹An­
tike› des ‹Grundrisses der Geschichte der Philosophie› nunmehr abgeschlossen
wird, sind nicht wirklich dazu geeignet, philosophiehistorische Zusammenhänge
präzise zu fassen. Philosophiegeschichte lässt sich allenfalls partiell nach äußeren
Zeitumständen schreiben. In der Geistesgeschichte wirken die üblichen Epochen­
abgrenzungen noch künstlicher und bestreitbarer, als sie es ohnehin schon in der
allgemeinen Geschichte sind; sie fungieren höchstens als ungefähre Hilfskon­
struktionen, um typische Merkmale oder grundlegende Wandlungen deutlicher
hervorzuheben. Während man in der politischen Geschichte der späteren Antike
immerhin auf einige signifikante Daten zurückgreifen kann – besonders auf das
Ende der Römischen Republik und den Beginn der Kaiserzeit um die Zeitenwende
sowie auf das Ende der Völkerwanderung und die Etablierung frühmittelalter­
licher Staaten –, lässt sich die Philosophiegeschichte der Epoche nicht besonders
stark an Daten und Fakten festmachen; sie muss vielmehr primär aus den genuin
philosophischen Themen, Motiven und Traditionen heraus interpretiert werden.
Seit Edward Gibbons grundlegendem Werk ‹The History of the Decline and
Fall of the Roman Empire› (1776–1788) hat man die politische Geschichte der Spät­
antike lange Zeit als Dekadenz- oder Verfallsgeschichte zu lesen versucht. Der
‘innere Niedergang’ des Römischen Reichs, der Aufstieg des Christentums und
die äußeren Bedrohungen, besonders die seitens der Germanen, scheinen die her­
ausragenden Zeitmerkmale gewesen zu sein. Doch muss man hier differenzieren;
ein linearer und durchgehender ‘Verfall’ liegt sicher nicht vor (zur Epoche im
Ganzen etwa Fuhrmann 1994 [*12] und Demandt 22008 [*19]). Für die Philosophie­
geschichte lässt sich diese Sichtweise jedoch gar nicht bestätigen; selbst in der
Reichskrise des 3. Jahrhunderts und im politisch besonders schwierigen 6. Jahr­
hundert gibt es eine gewisse Kontinuität erstrangiger Philosophie. Zur Zeit der
Schließung der letzten nicht-christlichen Philosophenschule im Römischen Reich,
der neuplatonischen Akademie in Athen, im Jahr 529 n. Chr. durch Kaiser Justinian,
gab es noch so hochrangige Philosophen wie Damaskios und Simplikios. Und die
Schließung selbst bedeutete keineswegs eine komplette Zäsur; vielmehr kehrten
die zwischenzeitlich nach Persien emigrierten paganen Philosophen wahrschein­
lich ins Reich zurück, und paganer Platonismus spielte weiterhin eine gewisse
Rolle (vgl. etwa Thiel 1999 [*13] sowie I. Hadot 2014 [*24]) – von der Weiterentwick­
lung einer christlichen Philosophie in Byzanz ganz zu schweigen.
Philosophiegeschichte bildet jedenfalls nicht einfach einen Reflex der allgemei­
nen politischen Geschichte; sie beruht auf Schul- und Lehrtraditionen, auf Schrift­
rezeption und mündlichem Ideentransfer. Es lässt sich aber auch nicht gänzlich
bestreiten, dass markante Ereignisse wie Kriege, Umstürze, Bevölkerungsdyna­
miken oder ökonomische Krisen und überhaupt Faktoren aus Politik, Wirtschaft,
Administration, Militär, Religion oder Recht auf die Art und Weise Einfluss nehmen,

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4 I. Allgemeine Einleitung

wie Philosophie betrieben wird. Man muss solche Epochenmerkmale zumindest im


Bewusstsein haben, ohne deshalb die Philosophiegeschichte auf ihrer Basis etwa in
unangemessener Weise politisch oder sozioökonomisch zu ‘kontextualisieren’.
Wenn man den Hintergrund der Philosophie im Mittelmeerraum zwischen der
Zeitenwende (der Augusteischen Epoche) und dem Ende der Antike (also der
Gründung germanischer Staaten auf dem westlichen Reichsgebiet im 6. Jahrhun­
dert bzw. der Verselbständigung des frühbyzantinischen Reichs) zumindest skiz­
zieren wollte, sollte man besonders vier außerphilosophische Gegebenheiten im
Auge behalten: Erstens eröffnete der Niedergang der Römischen Republik und
die Etablierung des Kaisertums unter Augustus eine neue kulturelle Situation, die
der Pax Romana oder Pax Augusta. Zweitens bildete die Reichskrise im 3. Jahr­
hundert n. Chr., also die Zeit zwischen dem Tod des Severus Alexander und Dio­
kletian, zugleich auch einen gewissen kulturellen Einschnitt. Drittens stellte die
Christianisierung des Reichs – besonders gut greifbar etwa im Toleranzedikt des
Galerius in Serdica 311 n. Chr. und in den Mailänder Beschlüssen zwischen Kon­
stantin und Licinius 313 n. Chr. – einen tiefen Einschnitt dar, weil das Christen­
tum von einer verfolgten Minderheit allmählich zur politisch und kulturell prä­
genden Reichsreligion aufstieg. Und viertens änderten sich die kulturellen
Bedingungen für die Philosophie markant mit dem Ende des weströmischen
Reichs und dem Beginn der frühmittelalterlichen Periode.
1) Der erste Epocheneinschnitt, das Augusteische Zeitalter, führte eine Tendenz
zur kulturellen ‘Globalisierung’ fort, die im Osten im Gefolge des Alexan­derzugs
bereits in der hellenistischen Periode eingesetzt hatte: Durch die Schaffung eines
das gesamte Mittelmeergebiet umfassenden stabilen und einheitlichen zivilisatori­
schen Raumes unter Kaiser Augustus setzte sich eine Entwicklung verstärkt fort,
in der sich die griechische Philosophie, beruhend auf der sprachlichen Verständi­
gungsbasis des Griechischen (und nunmehr auch des Lateinischen), extrem weit
ausdehnen und Einfluss auf die verschiedenen Kulturen und Religionen der be­
treffenden Völker ausüben konnte. Noch stärker als zuvor herrschte nun ein freier
Verkehr von Personen, Waren, Büchern, Gedanken und Weltanschauungen, wie
man ihn in vergleichbarer Weise erst wieder in der Neuzeit und der Gegenwart be­
obachten kann. Zwar waren philosophische Schulen bereits in hellenistischer Zeit
im östlichen Mittelmeerraum verbreitet; diese Tendenz wurde aber nun intensiviert
und expandierte auch nach Westen hin. Der entscheidende Unterschied zwischen
der hellenistischen Zeit und der Spätantike könnte darin liegen, dass sich jetzt nicht
nur die griechisch-römische Zivilisation im ganzen Mittelmeerraum ausbreitete,
sondern die Kulturen der okkupierten Völker auf ihre Okkupanten zurückwirkten
und einen erheblichen Eigenbeitrag leisteten (so etwa De Palma Digeser 2010 [*21:
15]). Als Philosophen treten neben Griechen nunmehr auch Römer, Ägypter,
Syrer, Spanier, Gallier und Afrikaner in Erscheinung, die jedoch alle durch und
durch hellenisiert waren. Philosophische Begriffe, Argumente und Theorien ver­
wendeten nicht mehr nur die Stoiker, Epikureer, Platoniker, Peripatetiker, Skepti­
ker und Kyniker, sondern ebenso die Juden, Christen, Gnostiker und Manichäer
(diese Entwicklung findet sich allerdings bereits präformiert im hellenistischen
Alexandrien). Philosophische Termini, Ideen und Methoden bestimmten alle

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§ 1. Zeitlicher Rahmen und Grundzüge der Epoche (Bibl. 104) 5

­ ereiche der Kultur und der Bildung, von der Astronomie und Medizin über die
B
Rhetorik und Poetik bis hin zur Religion und der Theologie.
2) Der zweite Epocheneinschnitt ergibt sich aus den politischen Wirren und mi­
litärischen Herausforderungen an den Reichsgrenzen, die im 3. Jahrhundert eine
Situation des bedrohlichen Ordnungsverlusts und des ökonomischen und kultu­
rellen Niedergangs erzeugten (allerdings ist hier zu konstatieren, dass diese Krisen­
phänomene je nach Reichsteil uneinheitlich sind: siehe etwa Duncan-Jones 1994
[*11]). Die Reichskrise wurde allgemein als gravierend und einschneidend emp­
funden; mit ihr ist wegen des vorübergehenden Niedergangs vieler Bildungsein­
richtungen auch eine kulturelle Zäsur verbunden. Es ist daher sinnvoll, die Zeit­
spanne zwischen Augustus und Severus Alexander als ‘Kaiserzeit’ zu bezeichnen
und für die Epoche zwischen den Kaisern Gallienus oder Diokletian und dem
7. Jahrhundert die Bezeichnung ‘Spätantike’ vorzubehalten – eine Differenzie­
rung, die ursprünglich auf Jacob Burckhardt zurückgeht (1853 [*2: 313]; dazu De­
mandt 22008 [*19]). In der Philosophiegeschichte ist der Wandel ebenfalls spürbar.
Während in der Zeit des Kaisers Mark Aurel noch alle hellenistischen Philo­
sophenschulen präsent waren (und einen wichtigen Gegenstand der Traditions­
pflege bildeten, wie die kaiserliche Finanzierung von vier Lehrstühlen in Athen
zeigt), beobachten wir im 3. Jahrhundert das dominante Aufkommen einer einzi­
gen Schule, des Neuplatonismus, der mit Ammonios Sakkas und Plotin beginnt
und sich mit Porphyrios und Iamblichos mitsamt seiner stark spiritualistischen
und soteriologischen Ausrichtung durchsetzt. Der Neuplatonismus erhielt im
4. Jahrhundert nach und nach beinahe eine Monopolstellung gegenüber allen an­
deren Philosophenschulen. Allerdings finden sich auch dann noch vereinzelte
Spuren der alten hellenistischen Schulen, also der Stoa, des Epikureismus, der
Skepsis und des Peripatos.
3) Die pagane Religion der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit war
eine dezidiert staatstragende, politische Institution, während sich das Christen­
tum zunächst als spirituell-verinnerlichte und universelle Religion verstand. Schon
die Christen des 1. Jahrhunderts warfen deshalb die Frage auf, ob sie dem Kaiser
Steuern bezahlen und Kriegsdienst leisten sollten. Wie eng sollte die Nähe des
Christentums zum Staat ausfallen? Die christlichen Kirchenväter setzten sich be­
reits seit dem 2. Jahrhundert mit der Frage auseinander, wie sich das Christentum
grundsätzlich zum Staat verhalten soll. Vor Konstantin lag es nahe, nach dem Vor­
bild Tertullians jede staatliche Herrschaft, da sie auf Kriege und die mit ihnen ver­
bundene Gewalt gegründet ist, zu diskreditieren (z. B. Apol. 25,14). Ein Gegen­
beispiel bildet aber etwa Irenäus von Lyon, der staatliche Herrschaft unter
Berufung auf Rm. 13,1 in gewissem Umfang rechtfertigte. Nach Konstantins
Wende bot es sich umgekehrt an, die Herrschaft christlicher Kaiser im Stil von
Eusebios’ christlicher Panegyrik zu verklären (z. B. Vit. Const. 4,48). Seitdem Kai­
ser Galerius das Christentum im Toleranzedikt von 311 n. Chr. dem Heidentum
gleichgestellt hatte, seitdem die Kirche von Kaiser Konstantin vielfältig begüns­
tigt worden war und seitdem sich das bislang heidnische Imperium in ein christ­
liches Reich umwandelte – im Jahr 380 erhob Kaiser Theodosius das Christentum
zur Staatsreligion –, schienen christliche Autoren den Staat nicht länger negativ

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6 I. Allgemeine Einleitung

bewerten zu können. Eine Ausnahmestellung zu dieser christlichen Reichstheo­


logie bildet jedoch etwa Augustinus in seinem nach der Eroberung Roms 410 n.
Chr. verfassten Werk ‹De civitate dei›, der das Römische Reich als «terrena civi­
tas» in die geschichtliche Linie Babylons rückt und ihm pointiert das himmlische
Jerusalem als «civitas caelestis» entgegenstellt. Jedenfalls nahm seit der Wende
des Jahres 311 das Christentum eine wichtige Stellung ein. Umgekehrt entwickelte
sich das Heidentum – etwa in der Verbindung von Neuplatonismus und Religion
seit Iamblichos – immer mehr zu einer spirituellen «praxis pietatis».
4) Den vierten Epocheneinschnitt bildet das politisch-militärische Ende der
Antike. Seit dem Beginn der Völkerwanderung (mit der Schlacht bei H­adrianopel
im Jahr 378) bewegten sich ‘barbarische’ Völker weitgehend ungehindert auf dem
Reichsgebiet. Für etwa 100 Jahre vollzogen sie zwar keine formelle Staatsgrün­
dung; erst mit der Auflösung des weströmischen Reichs durch die Absetzung von
Kaiser Romulus Augustulus im Jahr 476 traten germanische Fürsten auch formell
an die Stelle der römischen Kaiser. In der gesamten Zeit war jedoch die kulturelle
Situation deutlich verändert, wie man an der Biographie des römischen Spitzen­
politikers und Philosophen Boethius erkennen kann. Diese Phase der Geistes­
geschichte könnte man im lateinischen Westen ebenso gut als ‘späteste Antike’
wie als ‘Proto-Mittelalter’ bezeichnen. Denn die später im westlichen Mittelalter
zugänglichen antiken Texte wurden in dieser Zeit ausgewählt, ins Lateinische
übersetzt und in maßgeblicher Form kommentiert. Mehr noch, in dieser Zeit
nahm die für das Mittelalter wesentliche kulturelle Verbindung von Antike und
Christentum, deren Anfänge bereits im 1. Jahrhundert liegen, eine feste Form an,
nicht zuletzt durch die klösterliche Lebensform (allerdings ist die Herausbildung
einer selbständigen christlichen Literatur, Theologie und Philosophie bereits ein
älteres Phänomen: vgl. etwa Gnilka 1984–1993 [*8] und Markschies 2006 [*17]).
Nachdem das dogmatische Grundgerüst des Christentums auf den Konzilien des
4. und 5. Jahrhunderts formuliert war, finden sich hier solche das Mittelalter be­
stimmenden Elemente wie die Dominanz des Platonismus, die bis ins 13. Jahr­
hundert reicht, die proklisch-christliche Mystik des ‹Corpus Dionysiacum›, die
Konzeption eines «nach Erkenntnis suchenden Glaubens» («fides quaerens intel­
lectum») oder auch die hochdifferenzierte Kommentierungstechnik (einschließ­
lich der philosophisch-allegorischen Schriftauslegung). Es waren die führenden
christlichen Platoniker Augustinus, Dionysios Areopagites und Boethius, die für
das frühe, aber auch noch für das hohe Mittelalter eine prägende Wirkung entfal­
teten. Auch wenn etwa die Bildungskonzeption der ‘septem artes liberales’ deut­
lich älter ist, erhielt sie jetzt ihren kanonischen Rang. Vor allem Augustinus, der
ein gewaltiges Textcorpus von mehr als einhundert Schriften hinterlassen hat, bil­
dete mit seinem Werk – so lässt sich ohne Übertreibung sagen – eine zentrale und
maßgebliche Grundlage der westlichen mittelalterlichen Philosophie.
Neben der Präformation des westlichen, lateinischen Mittelalters durch die
Spätantike ist ebenso hinzuweisen auf die Kontinuität oder zumindest weitgehend
Prägung der byzantinischen Periode, der syrisch-armenischen Geisteswelt, des
frühmittelalterlichen Judentums und der arabisch-islamischen Philosophietradi­
tion durch die Spätantike. Am Beispiel aller dieser Kulturräume wird deutlich,

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§ 1. Zeitlicher Rahmen und Grundzüge der Epoche (Bibl. 104) 7

dass es trotz der teilweise starken politischen Wandlungen und Verwerfungen,


denen der Mittelmeerraum in dieser Periode ausgesetzt war, eine bemerkenswerte
Kontinuität in der Philosophie gibt. Die Philosophie von Byzanz bildet eine ziem­
lich direkte Fortführung antiker, besonders platonischer Traditionen; Ähnliches
gilt für die christlichen Kulturen Syriens und Armeniens, für das Judentum und
sogar für die frühe und die klassische arabische Philosophie.
Mit Blick auf die Spätantike gibt es eine Reihe von Vorurteilen und Klischees,
die auch eine gewisse Bedeutung für die Philosophiegeschichte besitzen, da sie
einer angemessenen Rezeption im Weg stehen. Der vielleicht wichtigste Punkt be­
trifft die Vorstellung einer ‘spätrömischen Dekadenz’ in Verbindung mit dem Vor­
wurf eines ‘orientalisierenden Eklektizismus’, also Klischees, die beginnend mit
dem 19. Jahrhundert eine unvoreingenommene Lektüre spätantiker Philosophie
behindert haben. In der Linie der Philosophiegeschichten von Jakob Brucker,
Dietrich Tiedemann und Wilhelm Gottlieb Tennemann gab es ganze Historiker­
generationen, für welche die Philosophie der Spätantike, besonders der Neupla­
tonismus, mit dem Odium des Nachklassischen, Epigonalen, Orientalischen, des
religiösen Enthusiasmus und des unoriginellen Kommentierens behaftet war. Ty­
pische Vorwürfe, die im 19. Jahrhundert vorgebracht wurden, lauteten, es handle
sich um eine ‘Schwärmerei’ (d. h. um eine dem religiösen Gefühl entstammende,
pseudo-rationale und nicht-argumentative Philosophie), sodann der Vorwurf, spät­
antikes Denken sei ein kulturfremdes, nicht griechisches, sondern orientalisches
Phänomen, und schließlich der spezielle Punkt, der Neuplatonismus stelle einen
fragwürdigen Pantheismus dar. Sogar der wohl einflussreichste Philosophiehisto­
riker dieser Zeit, Eduard Zeller, ist in seiner ‹Philosophie der Griechen in ihrer
geschichtlichen Entwicklung› (1856–1868) von diesen Klischees nicht ganz frei –
und dies trotz der positiveren Aufnahme der Spätantike im Kontext des Deut­
schen Idealismus besonders bei Schelling und Hegel, welche die spekulative Tief­
gründigkeit des Neuplatonismus hervorhoben und dessen Versuch rühmten, die
ältere Philosophiegeschichte und das gesamte Wissen ihrer Epoche zu einem um­
fassenden systematischen Ganzen zu verbinden (zur Deutung des Platonismus in
der Philosophie des Idealismus vgl. besonders Beierwaltes 1972 [*6] und Mojsisch,
Summerell 2003 [*14]). Sowohl das Klischee eines ‘Sittenverfalls’ als auch das
eines ‘altersschwachen Rom’ ist jedoch abwegig. Was das Thema der ‘Orientalisie­
rung’ anbelangt, ist es zwar richtig, das Phänomen der Kulturübernahme nach bei­
den Seiten hin zu lesen (und nicht eine einseitige Hellenisierung oder Romanisierung
des Reichs zu unterstellen); für die Philosophie ist aber trotz möglicher östlicher
Einflüsse entscheidend, dass ihre begrifflich-argumentative Form erhalten blieb, was
gerade an den Hauptfiguren des Neuplatonismus wie Plotin, Porphyrios, Proklos und
Simplikios gut sichtbar wird.
Ebenfalls von großer Bedeutung für unser modernes Bild der Spätantike ist der
Verdacht einer ‘Entpolitisierung’ der Öffentlichkeit durch die Schaffung einer
großangelegten kaiserlichen Reichsadministration sowie die Vorstellung, daraus
habe sich in der Spätantike eine Tendenz zur Individualisierung, Subjektivierung
und Spiritualisierung des Weltverhältnisses ergeben. Die bestimmende Kraft der
Epoche sei ein allgemein verbreitetes gnostisches Erlösungsbedürfnis. Man kann

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8 I. Allgemeine Einleitung

diesen Punkt besonders in der Formulierung untersuchen, die auf Hans Jonas und
die Heidegger-Schule zurückgeht. Für Jonas ist die Spätantike jene Epoche, die
durch Gnosis und Neuplatonismus geprägt ist; beide Phänomene gehören dem­
nach nicht nur historisch-kulturell in denselben Kontext, sondern beruhen zudem
auch auf ähnlichen Voraussetzungen in der existenzialen Weltwahrnehmung. Die
Spätantike sei die Epoche der orientalischen Religiosität gewesen, die sich an so­
zial Deklassierte, an «Sklaven, Arme und Unansehnliche» (Jonas 1934 [*3: 69])
gewandt habe, die durch das religiöse Angebot vom bloßen ‘Objekt’ zum ‘absoluten
Subjekt’ geworden seien. Hinzu komme die politisch-gesellschaftliche Entwicklung
des Imperiums, nämlich die «Ausschaltung der ehemals staatsbildenden Schich­
ten aus der politischen Macht» (ebd.). Damit entfalle die Vorstellung von der Welt
als dem Ort der ‘eigentlichen Selbstverwirklichung’. Jonas 1934 [*3: 70] schreibt
über die Aufnahmebereitschaft der spätantiken Gesellschaft für weltverneinende
religiöse und philosophische Anschauungen: «Desinteressement der Ohnmacht,
Todesgefühle einer Zivilisation, die sich mit Recht keine Zukunft mehr zugestand,
nachdem sie ihren Trägern die Gelegenheit zu ihrer aktiven Mitgestaltung entzog,
der Zusammenbruch des Humanitätsideals, das an die Verfügbarkeit dieser Ge­
legenheit geknüpft war – alle Hoffnungslosigkeit dieser niedergehenden Welt
wirkte in die Richtung jener Aufnahmebereitschaft. Das Autarkie-Ideal, in seiner
späteren Ausbildung bereits selber ein Verzichtgebilde, konnte dem nicht auf alle
Dauer standhalten.»
Zweifellos sind die zitierten Einschätzungen falsch: Ein grundlegender Einwand
ergibt sich bereits daraus, dass die politisch-administrative Beteiligung der Bürger
auch in der Spätantike nicht verschwunden ist; denn man darf sich das Reich nicht
ausschließlich als zentralisierte Verwaltungseinheit vorstellen. Vielmehr ist die Polis
oder «civitas» als organisatorisch-administrative Einheit nicht ganz verschwunden
(vgl. etwa van Oort 1991 [*9]). Zwar gibt es in der Epoche eine weitverbreitete
Tendenz zur Verinnerlichung, wie dies etwa die klassische Studie von Eric R.
Dodds, ‹Pagan and Christian in an Age of Anxiety› (1965 [*5]), belegt. Doch exis­
tierte sogar im Neuplatonismus immer auch eine politische Philosophie: So beab­
sichtige Plotin, eine verlassene Stadt in Kampanien neu zu besiedeln und in ihr
unter dem Namen ‘Platonopolis’ das Programm der καλλίπολις («schöne/gute
Stadt») aus Platons ‹Politeia› zu realisieren (Porph. Vit. Plot. 12,3–12). O’Meara 2003
[*15: insb. 40–44] zeigt, dass diese Tendenz mit der im Höhlengleichnis formulier­
ten Aufforderung Platons an die Philosophen in Verbindung steht, sie müssten in
die Höhle der politischen Realität zurückkehren. Gerade Plotin betont zudem –
ebenso wie die Mehrzahl seiner christlichen Zeitgenossen –, dass die sinnlich
wahrnehmbare Welt als schön und bejahenswert anzusehen sei und dass die Seele
nicht strafweise in sie gesandt sei. Die untere Welt und das Leben in ihr werden
nur relativ zur höheren Welt ungünstig beurteilt, nicht absolut. Die beiden Haupt­
strömungen der spätantiken Philosophie, der pagane und der christliche Neupla­
tonismus, unterstützten also keineswegs eine Sicht der Epoche, die einseitig auf
Weltverneinung und Weltflucht ausgerichtet gewesen wäre.
Von Bedeutung ist allerdings die Beobachtung, dass sich der Philosophiebegriff
in Kaiserzeit und Spätantike verändert und erweitert hat. Weltanschauliche und

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§ 2. Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche und spätantike Autoren (Bibl. 105) 9

religiöse Phänomene wie der Gnostizismus, der Manichäismus oder der Herme­
tismus sind nicht allein praktisch-spirituell ausgerichtet; und Texte wie die ‹Chal­
däischen Orakel›, die Theosophien oder das ‹Corpus Hermeticum› sind nicht allein
narrativ und mythisch. Vielmehr liefern sie Gesamtdeutungen der Wirklichkeit,
die man in vielen Aspekten als philosophisch bezeichnen muss, zumal sie vielfach
Verbindungen mit genuin philosophischen Ansätzen eingehen. Dies greift eine äl­
tere Tradition auf – repräsentiert etwa durch Empedokles. Im Neuplatonismus
sind umgekehrt seit Porphyrios und Iamblichos starke Elemente der Dämonologie,
der Mantik, der Theurgie und des Gebets präsent (vgl. etwa Addey 2014 [*23] und
Dillon, Timotin 2016 [*25]).
Seit dem 19. Jahrhundert ist der Vergleich der Gegenwart mit der ausgehenden
Antike zum Gemeinplatz geworden (vgl. das Diktum «Wir leben in der Spätantike»
in: Herzog 2002 [*65]). Aber statt gewisse (unbestreitbare) Ähnlichkeiten wie Kul­
turtransfer, Migration, Globalisierung, Pluralisierung, Eklektizismus, Synkretismus
usw. zu betonen, sollte es aus der Perspektive nüchterner Philosophiegeschichts­
schreibung eher um einen Blick auf die fremde und faszinierende Welt spätantiken
Denkens gehen, in der freilich mit der allmählichen Fusion der griechisch-römi­
schen mit der jüdisch-christlichen Tradition die Grundlagen der europäischen
Identität geschaffen wurden.

§ 2. Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche


und spätantike Autoren

Christoph Riedweg

Wer sich auf eine Auseinandersetzung mit der kaiserzeitlichen und spätantiken
Philosophie einlässt, tut gut daran, sich zunächst die im Vergleich zu heute grund­
verschiedene Quellenlage in Erinnerung zu rufen. Dies beginnt, wenig über­
raschend, bereits beim zeitgenössischen Umfeld: Während die Mehrzahl der im
vorliegenden Werk behandelten Autoren heute bestenfalls in längeren oder kür­
zeren Fragmenten erhalten ist, konnten die Philosophen der ersten nachchrist­
lichen Jahrhunderte die Werke ihrer Kollegen zu einem nicht geringen Teil bis ans
Ende der Spätantike lesen. Dies gilt für die Gruppe der sogenannten Mittelplato­
niker und Neupythagoreer nicht anders als für Neuplatoniker wie Amelios und
die Iamblichos-Schüler. Aber auch im Falle eines Porphyrios und Iamblichos
sowie verschiedener späterer Platoniker ist heute – selbst unter Einschluss der
nichtgriechischen Überlieferung (Syrisch, Arabisch, Armenisch usw.) – höchstens
ein Bruchteil des ursprünglichen, umfangreichen Werks erhalten.
Im Bereich der christlichen Literatur präsentiert sich das Bild noch disparater:
Von Chrysostomos, Augustinus und Kyrill von Alexandrien ist mit 18 bzw. 16 und

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10 I. Allgemeine Einleitung

10 Migne-Bänden ein Œuvre auf uns gekommen, das überhaupt zu den größten
der aus der Antike überlieferten Literatur gehört. Diesen und anderen Kirchen­
vätern stehen zahlreiche frühchristliche Autoren gegenüber, die im Laufe der Zeit
als heterodox betrachtet wurden und einer mehr oder weniger weitgehenden ‘dam­
natio memoriae’ unterlagen. Genannt seien außer Origenes, der vor allem dank
lateinischen Übersetzungen immer noch vergleichsweise gut zu fassen ist, beispiels­
weise Areios und seine Anhänger, Apollinarios von Laodikeia, Markell von Ankyra
und Diodor von Tarsos – von den Gnostikern ganz zu schweigen, für die sich die
Quellenlage freilich im 20. Jahrhundert durch Neufunde wie die Nag-Hammadi-
Bibliothek oder den Kölner Mani-Kodex markant verbessert hat. Der genaue Zeit­
punkt der Ächtung und des damit einhergehenden Verlusts heterodoxer Autoren
in den ersten Jahrhunderten n. Chr. schwankt von Fall zu Fall, wobei damit zu
rechnen ist, dass die entsprechenden Prozesse bereits früh einsetzten (vgl. Hippol.
Ref. 6,9–18 zu Simon Magos).
Noch wichtiger als die Erschließung des zeitgenössischen Umfelds ist aber ohne
Zweifel die Klärung der Frage, in welchem Umfang die kaiserzeitlichen und spät­
antiken Denker Zugriff auf die ältere philosophische Literatur hatten – von den
Vorsokratikern über die Sophisten, Platon und Aristoteles sowie deren Schüler
und den Skeptizismus bis zur hellenistischen Philosophie. Auch in dieser Hinsicht
können im Grunde nur Einzelstudien präzise Antworten liefern, doch scheinen
immerhin einige allgemeine Tendenzen unzweifelhaft.
Klar ist zum einen, dass sich die Quellenlage je nach geographischer Position
unterschiedlich darstellt: In Großstädten wie Rom, Pergamon und Alexandrien
oder – später – Konstantinopel waren die Bibliotheksverhältnisse generell viel
­besser als auf dem Land (wobei zuweilen Brände und andere Zerstörungen
Kontinui­tätsbrüche bewirkten; vgl. zu Alexandrien Casson 2001 [*40: 45–47, 138];
zu Konstantinopel Wendel 1942 [*32: 205]). Neben den teilweise auf Stiftungen
zurückgehenden öffentlichen Bibliotheken konnten auch Häuser der Bildungselite,
philosophische Schulen und mit der Zeit ebenfalls christliche Institutionen Orte
sein, wo Bücher gesammelt wurden und zugänglich waren (vgl. allgemein Wendel
1954 [*33] und Blanck 1992 [*37: 133–178]; für Privatsammlungen besonders in­
struktiv das Beispiel Galens, der anlässlich einer auch die großen Bibliotheken
auf dem Palatin betreffenden Feuersbrunst im Jahre 192 n. Chr. in Rom «seltene
und sonst nirgendwo vorhandene» bzw. mit besonderer «Sorgfalt» verfasste
fremde und eigene Editionen aus seiner privaten Sammlung verloren hat: De
indol. 12–37; vgl. Boudon-Millot, Jouanna, Pietrobelli 2010 [*48: XXXI–XXXVIII],
Hatzimichali 2013 [*50: 8–10]).
Zum andern sind Verschiebungen in der intellektuellen ‘Großwetterlage’ fest­
zustellen, die längerfristig massive Konsequenzen für die Verfügbarkeit philoso­
phischer Texte hatten und auch dafür verantwortlich sind, welche Autoren bei dem
für die spätere Überlieferung entscheidenden Medienwechsel von der Buchrolle
zum Codex neu abgeschrieben wurden und welche nicht (vgl. dazu Pöhlmann
1994 [*39: 79–86], Casson 2001 [*40: 124–135], Irigoin 2001 [*41: 65–73]). Vom
Christentum einmal abgesehen, das sich so oder so dem ‘Zeitgeist’ des globalisier­
ten Imperium Romanum nicht entziehen konnte, spielen Platon und der Platonis­

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§ 2. Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche und spätantike Autoren (Bibl. 105) 11

mus in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle. Die zunehmende Fixierung der philo­
sophischen Elite auf diesen Sokratesschüler löste Verdrängungsprozesse aus, die
durch den Attizismus und seine Rückbesinnung auf die ‘klassische’ Literatur des
5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., die allgemein das hellenistische Schrifttum immer
mehr aus dem Blickfeld geraten ließ, zusätzlich verstärkt wurden.
Im Unterschied zu heute dürften zwar die aus der Zeit des Hellenismus stam­
menden Texte der skeptischen Akademie und allgemein des Skeptizismus, Theo­
phrasts und der übrigen Schüler des Aristoteles, der älteren Stoa, Epikurs und
­seiner Jünger sowie des hellenistischen Pythagoreismus in den ersten drei nach­
christlichen Jahrhunderten noch mehrheitlich vorhanden gewesen sein (im Falle
der Stoa mag dies auf das Gesamtwerk des «singulär arbeitsamen» Chrysipp, der
mehr als 705 Schriften verfasst haben soll – zum Vergleich: im Hinblick auf den
«Vielschreiber ersten Ranges» Epikur hören wir von «an die 300 Buchrollen» (D.
L. 10,26) – , nur bedingt zutreffen: D. L. 7,180 = Chrysipp test. 1, II,1 SVF; vgl.
Gourinat 2005 [*45: 13f.]).
Doch mit dem Erstarken des sogenannten dogmatischen Platonismus, der ab
der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. den intellektuellen Diskurs zu dominieren
und die anderen philosophischen Schulen an den Rand zu drängen beginnt, er­
lischt das Interesse an diesen Werken mit der Zeit, zumal sie, wie angedeutet, auch
auf sprachlich-stilistischer Ebene als nachzuahmende Vorbilder ausschieden. Für
die Stoa aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass noch Ori­
genes Zugriff auf Chrysipp hatte (vgl. Orig. Cels. 1,5 = Zenon fr. 265, I,62 SVF;
1,64 und 8,51 = Chrysipp fr. 474, III,124f. SVF; 5,57 = Chrysipp test. 23, II,10 SVF
usw.). Dazu fügt sich, dass auf einer wohl als Bibliothekskatalog zu verstehenden
Bücherliste der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. aus dem ägyptischen
Memphis die Namen verschiedener Stoiker figurieren (Chrysipp, Diogenes [von
Babylon?], Poseidonios: vgl. Houston 2014 [*52: 53–57]). Bei der wohl im Jahre
356 erfolgten Gründung der konstantinopolitanischen Bibliothek durch Constan­
tius II. galten die Werke der älteren Stoiker dagegen bereits als Rarität (vgl. Them.
Or. 4, 60b–c; dazu Wendel 1942 [*32: 193–201]), und zu Simplikios’ Lebzeiten
«fehlte der größte Teil der Schriften [sc. der Stoiker]» (Simpl. In Cat. 334,1–3; vgl.
von Arnim 1903 [*31: XLV–XLVII]; allgemein Gourinat 2005 [*45: 16–19]). Für
die pyrrhoneische Skepsis und den Epikureismus hält Kaiser Julian schon im
4. Jahrhundert n. Chr. ähnlich fest, dass «die meisten ihrer Bücher» verloren seien
(Ep. 89b, 301c Bidez; sie dürften wohl bei der Bibliotheksgründung durch Julians
Vorgänger Constantius II. aus inhaltlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt
worden sein; vgl. auch Wendel 1942 [*32: 197]).
Was die Sophistik des 5. Jahrhunderts v. Chr. betrifft (vgl. allgemein Grund­
riss, Antike II, I Kap. 1), so wird deren Verunglimpfung durch Platon bereits früh
nicht ohne Folgen geblieben sein, auch wenn Sextus Empiricus beispielsweise Pro­
tagoras und Gorgias gut gekannt hat und noch Porphyrios «zufällig auf Protago­
ras’ Schrift ‹Über das Sein› stoßen» konnte (80 B 2 DK). Dass die Sophisten tat­
sächlich bis ins frühe 3. Jahrhundert n. Chr. verfügbar blieben, belegen u. a. der
Einschluss von Hippias’ Name in die oben genannte Bücherliste aus Memphis
(86 B 19 DK), Diogenes Laertios’ Liste der «erhaltenen Bücher» des Protagoras

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12 I. Allgemeine Einleitung

(D. L. 9,55 = 80 A 1 DK) sowie die in diese Zeit zu datierenden Oxyrhynchos-­


Papyri 1364 und 3647 mit Ausschnitten aus Antiphons ‹Wahrheit›; weitere längere
Auszüge aus Antiphons Werk finden sich später auch bei Stobaios, und zwei
epideiktische Reden des für die antike Rhetorik sehr wichtigen Gorgias sind
­bekanntlich sogar in direkter Überlieferung auf uns gekommen (‹Lobrede der
­Helena› und ‹Verteidigung des Palamedes›: 82 B 11 und 11a DK).
Für die fortschreitende Verdrängung der Vorsokratiker (vgl. allgemein Grund­
riss, Antike I, I–II) dürften hauptsächlich zwei Faktoren ausschlaggebend gewe­
sen sein: 1) die Popularität doxographischer Handbücher und anderer Kurzdar­
stellungen der philosophischen Lehren, und 2) die beherrschende Stellung von
Platons ‹Timaios›.
In der Kaiserzeit erfreuten sich Handbücher, in denen vornehmlich die natur­
philosophischen «Lehrmeinungen» (δόξαι) in einer an Platons ‹Timaios› erinnern­
den Systematik knapp zusammengefasst sind, außerordentlicher Beliebtheit.
Einen Eindruck von dieser Gattung bietet heute zum Beispiel Ps.-Plutarchs
Schrift ‹Über die Lehrmeinungen der Philosophen zur Naturphilosophie› (Περὶ
τῶν ἀρεσκόντων φιλοσόφοις φυσικῶν δογμάτων), aus der in Verbindung mit Ex­
zerpten bei Stobaios und weiteren Parallelen die im Kern möglicherweise auf eine
entsprechende Sammlung Theophrasts zurückgehende einflussreiche Schrift des
Aëtios, eines Doxographen des 1. Jahrhunderts n. Chr., rekonstruiert werden kann
(vgl. Grundriss, Antike I, I 150–174 und III, 514f., Betegh 2010 [*49: 35–37], jetzt
auch Bottler 2014 [*51]). Doxographien dieser Art waren die erste Anlaufstelle,
wenn man sich in Kaiserzeit und Spätantike über die Grundpositionen der Vorso­
kratiker und aller anderen vorchristlichen Philosophen kundig machen und diese
gegeneinander ausspielen wollte. Schriftsteller ohne genuin philosophische Inte­
ressen, und zwar pagane genauso wie jüdisch-christliche, begnügten sich nicht sel­
ten mit der Wiedergabe solchen – vermutlich auch im Schulunterricht vermittel­
ten – Handbuchwissens, ohne selbst auf die Originaltexte zurückzugreifen.
Neben diesen systematischen Doxographien gab es auch Überblickswerke, in
denen entweder die ‹Abfolgen der Philosophen› (Διαδοχαὶ τῶν φιλοσόφων) unter
Konzentration auf Biographisches oder einzelne Schulen bzw. wichtige Philo­sophen
nach Art des ‘Reader’s Digest’ vorgestellt wurden (vgl. auch Grundriss, Antike I,
I 150–154 und 175–181, III, 620–626 und IV, I 17–20, Betegh 2010 [*49: 33–35]). Von
diesen philosophiegeschichtlichen Werken, die vermutlich unter dem Einfluss des
Peripatos im Hellenismus aufkamen, sind heute nur noch Diogenes Laertios’ ‹Phi­
losophenviten› (Βίοι φιλοσφόφων, vermutlich 3. Jh. n. Chr.) ganz erhalten.
Allgemein als Quellen philosophischer Informationen nicht zu unterschätzen
sind überdies Florilegien und Sammlungen von «Aussprüchen» (ἀποφθέγματα)
bzw. «Auszügen, Exzerpte» (ἐκλογαί), wobei im Einzelnen freilich jeweils nicht
mit letzter Sicherheit zu entscheiden ist, ob eine Stelle aus solchen sekundären
Quellen oder aus dem Originaltext exzerpiert wurde (zu bedenken ist, dass Flo­
rilegien auf die Rezeption des Primärtextes auch wieder zurückwirken und inso­
fern eine dialektische Wechselwirkung zwischen beiden besteht). Eine Vorstellung
von dieser literarischen Gattung vermögen u. a. Epikurs ‹Hauptlehrsätze› (Κύριαι
δόξαι) auf der einen und Stobaios’ ‹Anthologie›, die u. a. die Hauptquelle für

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§ 2. Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche und spätantike Autoren (Bibl. 105) 13

­ emokrits Ethik darstellt, auf der andern Seite zu vermitteln (vgl. Grundriss, An­
D
tike IV, I 80f. und I, II 834f.; allgemein Chadwick 1969 [*34]). Für weitere mögliche
Informationsquellen über Platon ist außerdem auf einführende Werke wie Alkinoos’
‹Handbuch der Lehren Platons› (Διδασκαλικὸς τῶν Πλάτωνος δογμάτων) hinzu­
weisen, das eine der hellenistisch-peripatetischen Einteilung der Philosophie in
Dialektik, theoretische und praktische Philosophie folgende Kurzdarstellung der
Lehre Platons bietet.
Der zweite, nicht minder wichtige Grund für die allmähliche Verdrängung der
vorsokratischen Literatur ist in Platons ‹Timaios› zu sehen, der eine Art Summe
des vorsokratischen Denkens darstellt und im kaiserzeitlichen Platonismus zum
Referenztext für Kosmologie und Naturphilosophie schlechthin avancierte (cf.
u. a. Dörrie 1987 [*35: 20–22], Sharples, Sheppard 2003 [*44], Leinkauf, Steel 2005
[*46]). Die Lektüre dieses entsprechend intensiv diskutierten und kommentierten
Dialogs ließ ein gesondertes Studium von Platons Vorläufern wohl weithin als ent­
behrlich erscheinen. Daran ändert auch eine Ausnahme wie Simplikios wenig, der
im Hinblick auf Parmenides übrigens explizit davon spricht, wie selten dessen
Werk geworden sei (In Phys. 144,28), und dem wir neben größeren Abschnitten
aus Parmenides, Anaxagoras und Diogenes von Apollonia – dieser soll mehrere
Werke geschrieben haben, von denen aber einzig die Schrift ‹Über die Natur› bis
zu ihm, Simplikios, gelangt sei (In Phys. 151,28f.) – u. a. eine Vielzahl von Empe­
dokles-Versen verdanken (diese lassen sich jetzt teilweise durch den spektakulä­
ren Straßburger Papyrus des 1. Jh.s n. Chr. in den größeren Kontext einordnen
und ergänzen (vgl. Primavesi 2002 [*43: 187–189] und 2008 [*47]).
Komplexer stellt sich die Situation in Bezug auf Aristoteles dar: Während seine
esoterischen Schriften in dem vom vorliegenden Band abgedeckten Zeitraum
wohl durchgängig verfügbar waren und zumindest die später unter der Bezeich­
nung ‹Organon› zusammengefassten logischen Schriften als Propädeutik ins Cur­
riculum des kaiserzeitlichen und spätantiken Platonismus integriert wurden, ver­
lieren sich die Spuren der von Beginn weg für die Veröffentlichung bestimmten
exoterischen Werke, deren sprachliche Brillanz Cicero lobt (Ac. 2,38,119; vgl. auch
Quint. Inst. 10,1,83; Amm. In Cat. 6,29ff.), mit der Zeit (vgl. Donini 1994 [*38:
5036f.]; zur Rolle, die Andronikos’ Werkkatalog dabei gespielt haben könnte,
Hatzi­michali 2013 [*50: 23–27]). Ob die späten Neuplatoniker noch einen direk­
ten Zugriff auf die aristotelischen Dialoge hatten, ist umstritten. Laut Gigon 1987
[*36: 209 und 223] müssen die Dialoge «im Verlauf der ersten zwei Jahrhunderte
der Kaiserzeit untergegangen sein» und die späteren Zitate stammen «ausnahms­
los aus zweiter Hand». Doch nicht nur Iamblichos, sondern auch die Platoniker
am Ausgang der Antike wussten unzweifelhaft um deren Existenz und hatten zum
Teil klare Vorstellungen darüber (vgl. Syrian. In Metaph. 120,33–121,4 = Arist.
De ideis fr. 115 Gigon), wobei sie mitunter auch längere Zitate wörtlich anführen
(vgl. etwa Syrian. In Metaph. 160,1–4 = Arist. De phil. fr. 24 Gigon, unter präzi­
ser Quellenangabe «im zweiten Buch der Schrift ‹Über die Philosophie›», und
Philop. In De an. 144,23–145,7 = Arist. Eudem. fr. 59 Gigon).
Ein mit Aristoteles’ exoterischen Werken vergleichbares Schicksal hat schließ­
lich nicht nur die Schriften der Sokratiker, sondern genauso die publizierten

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14 I. Allgemeine Einleitung

Werke der Nachfolger an der Spitze des Peripatos, um die sich u. a. Galen beson­
ders bemüht hat (vgl. De indol. 15), sowie die Vertreter der alten Akademie ge­
troffen. Aber auch hier ist zu differenzieren: Im frühen 3. Jahrhundert n. Chr.
waren beispielsweise die Dialoge des Aischines noch immer verfügbar (vgl. P. Oxy.
2889 und 2890 = Aeschin. VI A 76 und 79f. SSR), und was die Schule Platons und
Aristoteles’ betrifft, so hat Kaiser Constantius II. im Rahmen seiner Bibliotheks­
gründung in Konstantinopel offenkundig nochmals gegenzusteuern versucht (vgl.
Them. loc. cit.). Noch der letzte Leiter der Akademie, Damaskios, konnte sich in
seiner Auseinandersetzung mit den Prinzipien der ältesten Kosmogonien auf ein
Buch des Aristotelesschülers Eudemos stützen (Eudem. fr. 150 Wehrli; vgl.
Grundriss, Antike I, I 102, Betegh 2002 [*42]; allgemein Grundriss, Antike III).
Fassen wir zusammen: Am besten dürfte die Quellenlage wohl in den ersten
drei Jahrhunderten n. Chr. gewesen sein (vgl. auch Betegh 2010 [*49: 26]). Damals
waren – zumindest in den kulturellen Zentren, die mit größeren Bibliotheken aus­
gestattet waren – nicht nur die Werke Platons und Aristoteles’ (letztere unter Ein­
schluss der exoterischen Schriften) im Prinzip greifbar, sondern wohl genauso die
der Vorsokratiker, der Sophisten, der weiteren Sokratiker neben Platon und
­Xenophon, diejenigen der ersten Schüler Platons und des Aristoteles, der helle­
nistischen Philosophien sowie der aus dieser Zeit stammenden doxographischen
und philosophiegeschichtlichen Handbücher. Gerade in dieser Phase der mehr
oder weniger umfassenden Verfügbarkeit philosophischer Literatur begannen
indes Dynamiken der Kanonisierung und Verdrängung zu greifen, die auf lange
Sicht dazu geführt haben, dass wir heute etwa die Texte der alten und mittleren
Stoa nicht mehr lesen können.
Eigenen Gesetzen folgte die Selektion innerhalb der frühchristlichen Literatur,
wo im Wesentlichen das – im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich gefasste und
zunehmend an Machtstrukturen gekoppelte – Kriterium der Rechtgläubigkeit
über die Weitertradierung von Werken entschied.
Wie besonders anschaulich Simplikios’ Beispiel zeigt, schließen die großen
Trends im Übrigen keineswegs aus, dass am Ausgang der Antike selbst von Den­
kern, die wie die Vorsokratiker nicht mehr im Zentrum des Interesses standen,
bei gezieltem Suchen noch Kopien auffindbar waren.
Schließlich ist daran zu erinnern, dass den späteren Platonikern im Unterschied
zu heute religiös-mythische Textcorpora – darunter insbesondere die orphische
Dichtung und die ‹Chaldäischen Orakel› –, die sie als Quellen alter Weisheit be­
trachteten und hoch verehrten, noch vollständig vorlagen. Wichtig ist außerdem,
dass diese Denker auch zahlreiche pseudepigraphische Schriften, wie sie beson­
ders Pythagoras und seiner Schule, aber auch Platon, Aristoteles (u. a. ‹Über den
Kosmos›) und anderen untergeschoben wurden, für echt hielten und diese daher
ganz selbstverständlich in ihre Reflexionen mit einbezogen.

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§ 3. Anknüpfung an die Schultradition (Bibl. 105–106) 15

§ 3. Anknüpfung an die Schultradition

Christoph Horn

In der klassischen Periode der griechischen Philosophie haben besonders die


(im engeren oder weiteren Sinn) auf den historischen Sokrates zurückgehenden
Schulen traditionsbildend gewirkt: nämlich Eukleides und die Megariker, Anti­
sthenes und die Kyniker, Aristipp und die Kyrenaiker, Platon und die ältere Aka­
demie, Aristoteles und das Lykeion (Peripatos) sowie Zenon von Kition und die
Stoa. Alle diese Schulen besaßen zumindest ein gewisses Fortleben in hellenisti­
scher Zeit. Daneben existierten in dieser Epoche die auf Leukipp und Demokrit
zurückgehende Schule des Epikur (κῆπος, der ‘Garten’) und die durch Pyrrhon
von Elis und Timon von Phleius inaugurierte Schule der pyrrhoneischen Skepsis.
Am Ende der hellenistischen Zeit sahen zwei dieser Schulen sehr anders aus als
zu Beginn: Platons Akademie hatte sich unter Arkesilaos (ca. 315–241 v. Chr.) und
Karneades (214–129 v. Chr.) in eine skeptische Schule verwandelt, und der Peri­
patos hatte (so jedenfalls die Standardsichtweise) einen starken Bedeutungsver­
lust erlitten (für eine Tabelle der Scholarchen von Akademie, Peripatos, Stoa und
κῆπος siehe Dorandi 1999 [*60: 53f.]).
Im 1. Jahrhundert v. Chr. trat jedoch ein Wandel ein, der besonders die Plato­
niker und die Aristoteliker betraf. Zweifellos der wichtigste Punkt, den man mit
Blick auf den späthellenistischen und frühkaiserzeitlichen Platonismus erwähnen
muss, besteht in der Rückkehr der platonisch-akademischen Schule zum Dogma­
tismus (Glucker 1978 [*209]). Die entscheidende Figur hierfür ist Antiochos von
Askalon (ca. 130–168 v. Chr.). Nachdem er in seiner Frühphase selbst Skeptiker
gewesen war, beantwortete er die Frage nach dem κριτήριον τῆς ἀληθείας («Kri­
terium der Wahrheit») später positiv und vertrat die Auffassung, dass philosophi­
sches Wissen möglich sei. Zudem war er der Auffassung, Platon sei ein metaphy­
sischer Dogmatiker gewesen. Damit revidierte Antiochos das zeitgenössische
Platon-Bild und eröffnete ein neues Kapitel in der Geschichte der platonischen
Akademie. Vor diesem Zeitpunkt waren die Akademiker Skeptiker gewesen; nun­
mehr verbanden sie eine Prinzipientheorie sowie die Ideenlehre mit Platons Auf­
fassungen von der Seele und machten daraus eine affirmative metaphysische Posi­
tion: den Mittelplatonismus.
Zu dieser Autorengruppe gehören so bedeutende Namen wie Philon von Alex­
andrien (15 v. Chr. – 50 n. Chr.), Plutarch (vor 50 – nach 120 n. Chr.), Gaios (Anfang
des 2. Jh.s n. Chr.), Apuleius von Madaura (geboren um 125 n. Chr.), Numenios
(2. Jh. n. Chr.) und Alkinoos (2. Jh. n. Chr.). Der Mittelplatonismus bezeichnet
somit eine (nicht sehr kohärente) metaphysische Schulrichtung, in der insbeson­
dere Platons ‹Timaios› eine intensive Lektüre und Interpretation erfuhr. Den Mit­
telplatonikern zufolge stellt der platonische Demiurg keine bloße literarische Illus­
tration dar, sondern repräsentiert eine selbständige geistige Entität, die oberhalb
der wahrnehmbaren Welt zu situieren ist. Zum anderen spielt im Mittelplatonis­
mus die Überzeugung eine wichtige Rolle, Platon habe seine ‘Ideen’ (εἴδη, ἰδέαι)

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16 I. Allgemeine Einleitung

als die Inhalte dieses demiurgischen Intellekts verstehen wollen. Nimmt man beide
Vorstellungen zusammen, so gelangt man dazu, die Ideen als νοῦς-immanente
Denkobjekte zu interpretieren. Die Ideen bilden mithin die ewigen Paradigmen
innerhalb des göttlichen Intellekts, an denen dieser sich orientiert, wenn er die
wahrnehmbare Welt gestaltet.
Damit zur aristotelischen Schule. Nach Aristoteles’ Tod (322 v. Chr.) nahm der
Peripatos eine weniger kontinuierliche Fortentwicklung als die platonische Aka­
demie. Ein zentraler Grund dafür ist, dass Aristoteles’ Schüler, darunter Theo­
phrast und Eudemos, eher eigene Sichtweisen entwickelten, statt einen dogmati­
schen Schulstandpunkt fortzuführen. Hinzu kommt, dass der Zugang zu den
schulinternen (‘esoterischen’) Schriften des Aristoteles in hellenistischer Zeit
deutlich erschwert war. Ob sie regelrecht verschwunden waren, weil ein gewisser
Neleus von Skepsis «die Papyrusrollen im Keller vermodern» ließ (Flashar 2013
[*69: 64], vgl auch Hatzimichali 2013 [*50]), mag zweifelhaft sein. Der historische
Wert von Strabons Erzählung, wonach erst der Buchliebhaber Apellikon von Teos
die Schriften aufgespürt und nach Athen gebracht habe, wo sie dann durch Sulla
geraubt und nach Rom transportiert worden seien, ist umstritten (Strab. 13,1,54;
Primavesi 2007 [*66]). Klar ist aber, dass das Corpus erst im 1. Jahrhundert v. Chr.
eine weitreichende Wirkung entfaltete, und zwar durch die Edition des Andro­
nikos von Rhodos (Sharples 2010 [*67]). Erst diese Ausgabe eröffnete einen brei­
ten Zugang zu jenem Corpus, das wir heute als die Werke des Aristoteles ansehen,
d. h. zu den esoterischen Pragmatien (während die exoterischen Schriften, Aris­
toteles’ Dialoge, die für Leser wie Cicero maßgeblich waren, heute fast komplett
verloren sind). Bald nach der Wiederentdeckung setzte eine intensive Kommen­
tierung und Diskussion ein; die maßgebliche Figur hierfür war der Peripatetiker
Alexander von Aphrodisias, von dem wir wissen, dass er um 200 n. Chr. den kai­
serlichen Lehrstuhl für peripatetische Philosophie in Athen innehatte.
Ein wichtiger Kenner des Peripatos, auch wenn er wohl selbst kein Aristoteliker
war, ist der um die Zeitenwende lebende Areios Didymos; man darf ihn nicht mit
jenem Areios identifizieren, der als Hofphilosoph bei Kaiser Augustus wirkte.
Areios Didymos schrieb eine umfangreiche Analyse der peripatetischen und stoi­
schen Ethik, die uns bei Stobaios erhalten ist (Ecl. 2,7); sie war wohl Bestandteil
einer umfassenden Philosophiegeschichte. Bemerkenswert ist, dass er den Peri­
patetikern eine eigenständige Version der Oikeiosis-Theorie zuschreibt, also jener
Aneignungskonzeption, die wir sonst allein für stoisch halten würden. In der pe­
ripatetischen Theorie-Variante spielt die Affinität, die ein moralisches Subjekt zu
anderen Menschen unterhält, die Rolle einer abgestuften Ordnung, die von den
Allernächsten (Kindern und Eltern) bis hin zur Menschheit insgesamt reicht.
Kyniker sind in der römischen Kaiserzeit am besten noch im 1. Jahrhundert
n. Chr. fassbar. Wir finden mit Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax, Pe­
regrinos oder Oinomaos Philosophen, die sich selbst ausdrücklich als Kyniker
bezeichneten. Daneben existierten zahlreiche stark von kynischen Gedanken
beeinflusste Autoren, besonders was die kynische Lebensführung betraf. Auch
ein Einfluss des Kynismus auf das frühe Christentum ist möglich (Goulet-Cazé
2016 [*70]).

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§ 3. Anknüpfung an die Schultradition (Bibl. 105–106) 17

Was den Epikureismus anbelangt, so könnte man zunächst glauben, dass ihm in
Kaiserzeit und Spätantike keine besondere Fortwirkung mehr beschieden war.
Denn zunächst drängte ihn die Stoa dieser Zeit in den Hintergrund, und dann ver­
hielten sich der pagane und der christliche Platonismus radikal anti-epikureisch,
u. a. wegen des Hedonismus Epikurs, seines atomistischen Materialismus, seiner
Zurückweisung der Idee fürsorglicher Götter und seiner Ablehnung der Lehren
von der Vorsehung und der Unsterblichkeit der Seele. Träfe dies zu, so müssten sich
die Auseinandersetzungen der Zeitgenossen mit dem Epikureismus auf Polemiken
gegen dessen Lehrgehalte beschränken. Man hat jedoch darauf aufmerksam ge­
macht, wie stark epikureische Argumente in der Epoche bei nicht-epikureischen
Autoren präsent bleiben: u. a. bei Plutarch, Seneca, Lukian, Diogenian, Kelsos
oder Augustinus (vgl. Althoff 1999 [*59: 46f.]). Sogar ein scharfer Kritiker wie Lak­
tanz scheint von Epikurs Gedanken nicht unbeeinflusst geblieben zu sein (dazu
Kany-Turpin 2000 [*63]); auch eine gewisse affirmative Präsenz Epikurs im Neu­
platonismus ist unbestreitbar (vgl. Erler 1999 [*62: 119–122], O’Meara 2000 [*64]).
Aber Epikur fand auch dezidierte Anhänger: Wir wissen aus Diogenes Laertios,
dass es Epikur-Anhänger noch im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. gab (D. L. 10,9–
10). Auch Epikurs Philosophie erhielt unter Kaiser Mark Aurel einen Stiftungs­
lehrstuhl in Athen. Ein ganz besonderes Dokument seiner Fortwirkung findet sich
im lykischen Oinoanda, nämlich die ursprünglich größte, heute nur noch zum Teil
erhaltene Inschrift der Antike: In diesem kaiserzeitlichen Text, der vollständig
wohl 3 mal 80 Meter groß war und ca. 25 000 Wörter umfasste, mahnt Diogenes
von Oinoanda seine Mitbürger zur epikureischen Philosophie.
Die kaiserzeitliche Stoa hat ebenfalls ihre größte Blüte bis zur Regierungszeit
von Kaiser Mark Aurel, der ja selbst ein bedeutender stoischer Philosoph gewe­
sen ist. Mark Aurel schließt auf diese Weise eine Reihe ab, zu der so wichtige
Köpfe wie Cornutus, Seneca, Musonius Rufus und Epiktet gehören. Man hat die
stoische Schule der römischen Zeit häufig dadurch charakterisiert, dass nunmehr
die Ethik stark in den Vordergrund tritt und die Logik sowie die Physik an den
Rand drängt. Das ist sicher überpointiert, aber auch nicht völlig falsch. Damit ver­
bunden ist, dass der Schreib- und Denkstil der genannten Autoren weniger streng
und systematisch wirkt als der der älteren Stoiker. Als ein zweites Unterschei­
dungsmerkmal bietet sich die Beobachtung an, dass im römischen Kontext die
konkrete Lebensberatung deutlich im Vordergrund steht und daher eher indivi­
duenrelative Problemlösungen und praktikable Übungen überwiegen (für Seneca
vgl. Kreuzwieser 2016 [*71]). In gewisser Weise scheint das hohe Weisheits­ideal
jetzt erreichbarer und alltagstauglicher formuliert zu sein.
Damit zur Tradition des ‘Pythagoreismus’. Da die philosophischen Positionen
des historischen Pythagoras schwer zu bestimmen sind, eignet er sich besonders
gut zur Rückdatierung späterer Einsichten, um diesen damit das Ansehen uralter
Weisheit zu verschaffen. Im Platonismus bestand diese Tendenz bereits seit der äl­
teren Akademie; so wurde etwa der ‹Timaios› als pythagoreisch charakterisiert
(Burkert 1972 [*58: 71]), und auch Aristoteles beschreibt Platons Prinzipientheorie
als eine pythagoreische Lehre (Metaph. 1,6; dazu Steel 2012 [*68]). Man kann den
‘Neupythagoreismus’ daher in gewissem Sinn bereits mit Speusipp, Xenokrates

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18 I. Allgemeine Einleitung

und Herakleides Pontikos beginnen lassen. Die wichtigsten Neupythagoreer sind


jedoch die Mittelplatoniker Eudoros von Alexandrien, Moderatos von Gades und
Numenios. Diese Autoren kleiden ihren Platonismus in ein pythagoreisierendes
Gewand und führen viele ihrer Einsichten auf Pythagoras zurück, gerade mit
Blick auf die spekulative Theorie erster Prinzipien. Diese Tendenz setzt sich über
die Traditionslinie von Nikomachos von Gerasa, Porphyrios und Iamblichos im
Neuplatonismus fort und übt einen prägenden Einfluss auf diesen aus.

§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen

Matthias Haake

1. Soziale Kontexte und kulturelle Bedingungen. – 2. Philosophen und Philosophie im Fokus kaiserlicher
Rechtsprechung und Gesetzgebung. – 3. Folgen der ‘Dezentralisierung der Philosophie’. – 4. Das Museion
in Alexandrien. – 5. Athen und die Philosophie. – 6. Mark Aurel und die Philosophie in Athen. – 7. Philo­
sophische Unterrichtspraxis. – 8. Der Neuplatonismus. – 9. Athen und Alexandrien als neuplatonische
Zentren. – 10. Philosophie und Christentum. – 11. Klöster, Mönchtum und Philosophie. – 12. Endpunkte
antiker Philosophie I: Athen. – 13. Endpunkte antiker Philosophie II: Aphrodisias. – 14. Endpunkte antiker
Philosophie III: Alexandrien. – 15. Schluss.

1. Soziale Kontexte und kulturelle Bedingungen

Wer das komplexe Phänomen der Philosophenschulen, der Formen des Unter­
richts und der Stellung der Philosophie im griechisch-römischen Bildungssystem in
Kaiserzeit und Spätantike verstehen möchte, tut gut daran, die sozialen Kontexte
und kulturellen Bedingungen der philosophischen Praxis zu berücksichtigen
sowie die politische Rahmenordnung und religiöse Einflüsse nicht zu ignorieren.
Denn während die Philosophie dieser Zeit auf inhaltlicher Ebene dem modernen
Betrachter als etwas partiell durchaus Bekanntes, vielfach gar Vertrautes erschei­
nen mag, dürfte sie aus einer sozial- und kulturhistorischen Perspektive mitunter
als etwas weitgehend Fremdartiges und schlechterdings Anderes wirken.
Philosophen und Philosophie bildeten im Imperium Romanum ein überaus ver­
breitetes und zugleich ungemein vielschichtiges Vorkommnis (Barnes 2002 [*346:
293], Riedweg 2017 [*603]; mit statistischem Anschauungsmaterial Goulet 2017
[*600]). Es reichte von der Benennung von Sklavenkindern mit Philosophennamen
(z. B. Maio, Solin 2014 [*549: 478–480 Nr. 5]) über die seltenen Eigennamen Philo­
sophos (Pruneti 1996 [*305: 399–401], Haake 2007 [*438: 314f.]; zum Großmärtyrer
Philosophos, dessen Vita eine Verknüpfung des traditionellen Topos der Stand­

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 19

haftigkeit des Philosophen im Angesicht des Tyrannen mit bedingungsloser christ­


licher sexueller Enthaltsamkeit darstellt: Lampsides 1964–1966 [*100: insb. 18f.];
dazu Halkin 1967 [*185] mit Haake 2007 [*438: 315 Anm. 117]) und Philosophia
(Reynolds, Roueché, Bodard 2007 [*144: Nr. 13.309 = IAph2007 13.309]) bis hin
zu einem inschriftlich als «filosofi[ae] magister» bezeichneten Kaiser, nämlich Ju­
lian (Fränkel 1895 [*79: 387f. Nr. 633 (Z. 3) = IPerg II 633 (Z. 3)] = Conti 2004
[*139: 79 Nr. 28 (Z. 3)]; dazu Haake 2017 [*601: 410f.] und in diesem Zusammen­
hang Elm 2012 [*505: 71–87]; für eine Anrede von Mark Aurel und Commodus
als Philosophen siehe Athenag. Leg. inscr.), von der Wirtshauskritzelei in Hercu­
laneum (CIL IV 10529; dazu Benefiel, DiBiasie, Sypniewski 2016 [*573: 10f.]) und
von touristischen Graffiti im Tal der Könige in Ägypten (Baillet 1926 [*88: LVI–
LX = I.Syringes, LVI–LX]) bis hin zur hochgelehrten Abhandlung oder auch zu
philosophischen Träumen, wie sie sich im Traumbuch des Artemidoros von Dal­
dis (Flamand 1989 [*248]), den ‹Oneirikritika›, finden (Hahn 1989 [*254: 47f.] zu
den ‘Philosophenträumen’, Kasprzyk 2014 [*548: 283f., 304–307] zu Philosophen
in den ‹Oneirikritika›, Pérez-Jean 2012 [*515] zum zeitgenössischen philosophi­
schen Bezugsrahmen).
Die insgesamt äußerst inhomogene, manchmal dichte, meist jedoch überaus
dünne Quellenlage ermöglicht es nicht, ein über Raum und Zeit des Imperium
Romanum in Kaiserzeit und Spät­antike hinweg gleichmäßig ausgeleuchtetes und
scharfes Bild zu entwerfen, sondern bedingt einen unregelmäßigen und vielfältigen
Flickenteppich, dessen Bestandteile aus ganz unterschiedlichen Themenfeldern
in Bezug auf Philosophen und Philosophie in Kaiserzeit und Spätantike bestehen:
Neben der Geschichte der ‘großen Philosophen’ muss man den Blick auf die ‘klei­
nen Vertreter’ der Philosophie richten, neben den sozialen Kontexten stehen die
kulturellen Bedingungen und rechtliche Bestimmungen, neben doxographischen
Fragen finden sich religiöse Aspekte, neben den Produzenten philosophischer
Texte geht es um die Rezipienten der Philosophie.
Sowohl die Philosophen als auch die Philosophie hatten ihren sozialen Ort im
öffentlichen Raum ebenso wie in der privaten Sphäre: So traten Philosophen in
der Öffentlichkeit auf und hielten Vorträge (Hahn 1989 [*254: 86–99] und 2009
[*473: 247–252]), in Form von Statuen bevölkerten sie öffentliche Platzanlagen
(Zanker 1995 [*301: 209–220], Borg 2009 [*466: 221–232]), und zahlreiche Ehren­
inschriften bezeugen die Präsenz von Philosophen und Philosophie im öffentlichen
Diskurs vieler Städte (Haake 2017 [*601: 372–409], Haake im Druck [*605]); in
den Häusern römischer Aristokraten lebten ‘Hausphilosophen’ (Hahn 1989 [*254:
150–153]), bildliche und plastische Darstellungen von Philosophen waren Bestand­
teil gehobener Wohnkultur (Lang 2012 [*513: 124–130]; vgl. exemplarisch das spät-
antike Philosophenmosaik aus der Villa von Soueidié in der Nähe von Baalbek,
auf dem neben Sokrates auch die Sieben Weisen mit Beischriften abgebildet sind
und das eine Inschrift enthält, in der ein Platoniker namens Eudoxios – zu diesem
Puech 2000 [*331] – erwähnt ist: Chéhab 1957 [*96: 29–52]; zu den Inschriften
Mouterde in Chéhab 1957 [*96: 37–40, 44–46] mit Chéhab 1959 [*97: Taf. XI–
XXVI, insb. XV–XX,2 und XXI,3] = Rey-Coquais 1967 [*105: 168f. Nr. 2884,
170f. Nr. 2886 = IGLS VI 2884 und 2886] = Merkelbach, Stauber 1998–2004 [*132:

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20 I. Allgemeine Einleitung

IV Nr. 20/13/03]; siehe auch Dareggi 1999 [*317], Aliquot 2010 [*481: 307–311])
sowie sepulkraler Selbstdarstellung (Ewald 1999 [*318: 29–134], Borg 2009 [*466:
232–236], Haake im Druck [*605]), und die Lektüre von philosophischen Texten
wurde im Kontext des «otium» (σχολή, «Muße») weithin betrieben (z. B. Plin. Ep.
8,9,1–2 mit Griffin 2007 [*437: 456]).
Dieses in sehr groben Zügen umrissene Bild der – in der Antike stets als etwas
spezifisch Griechisches wahrgenommenen (Gotter 2003 [*366: 166], Trapp 2014
[*557: 36f.]) – Philosophie zwischen der Zeitenwende und dem frühen 7. Jahrhun­
dert bedarf selbstverständlich der Differenzierung. Was sich nämlich wie ein re­
lativ homogenes Gebilde im Bereich des Imperium Romanum ausnimmt, war zu­
gleich ein überaus heterogener Komplex in einem Pluriversum zwischen den
Säulen des Herakles im Westen und der Syrischen Wüste im Osten, zwischen Bri­
tannien im Norden und dem ersten Nilkatarakt im Süden.
Denn auch wenn die nordwestlichen Provinzen keineswegs eine philosophiefreie
Zone waren (dazu von Hesberg 2004 [*381: 23f., 32–38]), wie exemplarisch etwa
Favorinos von Arelate sowie die seit einiger Zeit nicht mehr allein durch ein mit­
telalterliches Manuskript bekannte (Buecheler 1897 [*80: II 714f. Nr. 1516 = CLE
II 1516]; zu einer weiteren Handschrift: Furbetta 2015 [*562]), sondern auch durch
zwei inschriftliche Fragmente bezeugte Grabinschrift für den Philosophen und Bi­
schof Sidonius Apollinaris aus Clermont-Ferrand verdeutlichen (Prévot 1997 [*131:
116–126 Nr. 21 = RICG VIII 21]; siehe Prévot 1993 [*127], Montzamir 2004 [*385];
vgl. auch Cugusi 2007 [*143: 130]): Es waren insbesondere der griechische Osten
sowie Teile Nordafrikas und Italien mit der Hauptstadt Rom, wo Philosophie vor
allem in städtischen Kontexten eine wichtige Rolle spielte (Hahn 1989 [*254: 119–
171], Goulet 2013 [*528: 29–37 und Abb. 8–13]). Dabei existierten zwischen dem
lateinischen Westen und dem griechischen Osten strukturell bedingte Differenzen
im Umgang mit der Philosophie, die ihren sinnfälligen Ausdruck beispielsweise in
der unterschiedlichen Verwendung des Wortes «philosophus» bzw. φιλόσοφος in
epigraphischen Zeugnissen gefunden haben (Haake 2017 [*601: 412f.]), so dass
man in mancher Hinsicht geradezu von ‘zwei alten Geschichten’ (diese Formulie­
rung nach Martin 1997 [*309]) der Philosophie sprechen kann.
Und auch in chronologischer Hinsicht ist zu konstatieren, dass die gesellschaft­
liche Bedeutung, die der Philosophie im Verlaufe des mehr als sechshundertjäh­
rigen Zeitrahmens zugemessen wurde, und die Rolle, die Philosophen im öffent­
lichen Leben spielten, keineswegs konstant, sondern – fokussiert man exemplarisch
auf die Zeit der Zweiten Sophistik und das christlich werdende spätantike Impe­
rium Romanum – wiederholtem und verschieden stark ausgeprägtem Wandel un­
terworfen waren (vgl. die Ergebnisse von Bowersock 2002 [*348], Dillon 2002
[*350], Flaig 2002 [*351: 125–134], Hahn 2007 [*440], Trapp 2014 [*558] mit den
Resultaten von Brown 1980 [*215], de Haas 2003 [*365], Dillon 2005 [*395], Lane
Fox 2005 [*398], Wildberg 2005 [*410: 329–336], DePalma Digeser 2010 [*483],
King 2013 [*531], Watts 2015 [*570]; zur chronologischen Verteilung von Philoso­
phen: Goulet 2013 [*528: 18–26 und Abb. 3–6]). Eine besonders einschneidende
Veränderung im Verhältnis des Philosophen zur Öffentlichkeit wird in der Regel
im 3. Jahrhundert verortet, wobei die Zäsur zuweilen wohl etwas überzeichnet

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 21

wird (man denke etwa an die vielleicht nicht nur als Ausnahme von der Regel zu
betrachtenden Beispiele von Marin. Vit. Procl. 14,1–27 Saffrey–Segonds oder den
anonymen ‹Dialog über die politische Wissenschaft› (Περὶ πολιτικῆς ἐπιστήμης,
‹Dialogus de politica scientia›; zu diesem Text aus justinianischer Zeit: Mazzucchi
22002 [*121: XIII–XVIII], O’Meara 2002 [*357], MacCoull 2006 [*422], Bell 2009

[*146: 49–79]; zu einem der Dialogteilnehmer, Menas, mit weitreichenden Über­


legungen Rashed 2000 [*336]).
Die Ursachen dieser Zäsur sind keineswegs vorrangig in der ‘Krise des 3. Jahr­
hunderts’ zu sehen (so noch Hahn 1989 [*254: 31]), sondern auch in bereits früher
einsetzenden philosophie-immanenten Veränderungen (Hahn 2007 [*440: 406–
412]), die freilich nicht völlig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ent­
koppelt werden sollten. Schließlich bietet sich in der Spätantike dem Betrachter
der philosophischen Szenerie(n) ein überaus mannigfaltiges Panorama: Einer sich
vielerorts vollziehenden Marginalisierung in der Öffentlichkeit (Haake 2006
[*417: 537]; zur Philosophie im spätantiken Imperium Romanum jenseits von
Athen und Alexandrien: Sheppard 2000 [*338: 852–854]) steht eine erhebliche
Wertschätzung paganer wie christlicher Angehöriger der lokalen und imperialen
Eliten gegenüber (Wildberg 2005 [*410: 317f., 333–336]), und die fallweise auftre­
tende öffentliche Ehrenstellung von Philosophen (zu Athen: Watts 2006 [*430: 79–
110]; ein instruktives, wenn auch spezifisches Beispiel aus dem pisidischen Antio­
chien ist die Grabinschrift für Gaius Calpurnius Collega Macedo – zu diesem
Puech 2005 [*401] –, Jones 1982 [*223: 264–269]; dazu Haake 2008 [*460: 153])
korrespondiert mit gelegentlich gar letaler Gewaltanwendung gegen sie (vgl. die
Ermordung der Hypatia, als Frau weit mehr die Ausnahme denn die Regel unter
antiken Philosophen – zu antiken Philosophinnen allgemein Gauger 1998 [*314],
zu Frauen in spätantiken Philosophenviten Hartmann 2006 [*419] –, durch aufge­
brachte alexandrinische Bevölkerungsteile – dazu Al. Cameron 2013 [*525] –,
oder Proklos’ temporäre Flucht vor gewaltbereiten Christen – diese dürften mit
dem Hapax γυπογίγαντες, «Geier-Giganten», gemeint sein – aus Athen nach Lydien
[Marin. Vit. Procl. 15,14–35 Saffrey-Segonds]; dazu Bowersock 2006 [*414: 176],
Watts 2006 [*430: 205f.]).
All dies illustriert das öffentliche Interesse an der Figur des Philosophen, der
auch als ‘pagan holy man’ in Erscheinung treten konnte (Fowden 1982 [*221]), und
zeigt dessen nach wie vor bestehende Involvierung in das soziale, politische und
religiöse städtische Leben in seiner ganzen Bandbreite.
Neben dieser kulturell und historisch bedingten Diversität ist die Philosophie
auch in Bezug auf ihre Inhalte und hinsichtlich ihrer Vertreter ein vielgestaltiges
Phänomen, so dass man geradezu von einem ‘Markt der Philosophien’ sprechen
kann (für einen Überblick über die ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit:
André 1987 [*240]). Dies trifft einerseits auf die verschiedenen inhaltlichen Aus­
richtungen der Philosophie etwa kynischer, platonischer, aristotelischer, stoischer
oder auch eklektischer Natur (zu einem [φ]ιλόσοφον ἐγλεκ̣ [τικόν] [sic] namens Po­
tamon von Alexandrien, siehe Engelmann, Knibbe, Merkelbach 1980 [*116: 143
Nr. 789 (Z. 4) = IK Ephesos III 789 (Z. 4)]; vgl. Dorandi 2016 [*578]) und deren
innerschulische Nuancen zu, und besitzt andererseits Gültigkeit vor dem Hinter­

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22 I. Allgemeine Einleitung

grund der unterschiedlichen Typusausprägungen des Philosophen, deren Band­


breite vom schweigenden Philosophen Secundus (Follet 2016 [*581]) über Lucius
Annaeus Cornutus, Musonius Rufus, den ‘römischen Sokrates’, den Kyniker De­
metrios, einen paradigmatischen Populärphilosophen, Eudemos von Pergamon
(Boudon 2000 [*322]), Peregrinos Proteus, den jüdischen Philosophen Philon von
Alexandrien, der jüdisches und philosophisches Denken miteinander in Einklang
zu bringen versuchte, Plutarch von Chaironeia, Maximos von Ephesos (Delfim
Santos 2005 [*393]), Proklos, den Philosophen und späteren Bischof Synesios von
Kyrene sowie Seneca und Longinos, zwei Philosophen in Kaisernähe par excel­
lence, bis hin zu Mark Aurel einerseits und all jenen ‘vergessenen Philosophen’
(der Begriff nach Jones 2007 [*441]) wie etwa Hermokles von Alexandrien (Haake
2011 [*499]) andererseits reicht, die nur durch epigraphische oder auch papyrolo­
gische Quellen bekannt sind, jedoch weder selbst Spuren in der literarischen
Überlieferung hinterlassen noch Aufnahme in diese gefunden haben.
Über die Frage, was eigentlich genau unter Philosophie verstanden und wer als
Philosoph angesehen werden konnte (zur Begriffsgeschichte: Trapp 2007 [*18:
5–10], Hine 2016 [*585]; zur substantivischen wie adjektivischen Verwendung von
φιλόσοφος in epigraphischen Zeugnissen: Haake 2008 [*460: 150–155], Hahn 2010
[*484: 443]), bestand keineswegs Konsens im Imperium Romanum; sie war viel­
mehr Gegenstand polemischer Kontroversen. Ein zentraler Streitpunkt ent­
brannte immer wieder an den Motiven, sich mit Philosophie zu befassen und als
Philosoph aufzutreten, und der damit einhergehenden Thematik des ‘wahren’
bzw. ‘falschen’ Philosophen (Trapp 2007 [*18: 23–27], Fornaro 2009 [*471]). Neben
einem in das 2. Jahrhundert zu datierenden Brief, in dem ein gewisser Claudius
Antoninus, der erfolgreich an Agonen teilgenommen hatte, aufgrund seiner cha­
rakterlichen Qualitäten in prägnanten Worten als ‘wahrer’ Philosoph beschrieben
wird (ἀληθινὸς | φιλόσοφος: Meyer 1911–1924 [*82: II 154f. Nr. 37 (Z. 5f.) = P.
Hamb. 37 (Z. 5f.)]), und einer in das späte 2. oder 3. Jahrhundert zu datierenden
Sarkophaginschrift aus dem karischen Aphrodisias, in der ein Marcus Aurelius
Diodoros Kallimedes (Puech 1994 [*287]) als ‘wirklicher’ Philosoph bezeichnet
wird (τὸν ὄντως | φιλόσοφον: Reynolds, Roueché, Bodard 2007 [*144: Nr. 13.105
ii (Z. 15f.) = IAphr2007 13.105 ii (Z. 15f.)]; zum Sarkophag: Smith 2006 [*429: 307
Sarc. 10]), ist in dieser Hinsicht ein kurzer Passus in der monumentalen, wohl in
die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts zu datierenden ‘Epikureischen Inschrift’ aus
dem in den Bergen des nördlichen Lykien gelegenen Oinoanda instruktiv: Dioge­
nes, der Autor und Stifter dieses in Stein verewigten Textes in einem ursprüng­
lichen Umfang von mehr als 25 000 Wörtern (Hammerstaedt 2014 [*544: 738–
740]), empört sich dort über diejenigen, die sich im Gegensatz zu ihm der
Philosophie nicht aus hehren Gründen widmeten, sondern um aus dieser Beschäf­
tigung Ruhm und Reichtum zu ziehen (Diog. Oen. fr. 29 Smith).
Der unterschiedlich motivierte Umgang mit Philosophie lässt sich ganz wesent­
lich auf zwei ihrer zentralen Charakteristika zurückführen. Erstens ist es wie be­
reits in klassischer und hellenistischer Zeit (Haake 2007 [*438: 279–282] und 2009
[*472: 116f., 127–135]) hauptsächlich ein bestimmtes soziales Stratum der Bevöl­
kerung, das sich mit Philosophie befasste: die Oberschicht (Hahn 2010 [*484],

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 23

Haake 2017 [*601: 400–403]). Der Freigelassene Epiktet dürfte, wie schon der Kreis
seiner gelegentlichen Besucher und regelmäßigen Hörer zeigt (Brunt 1977 [*203:
19–23], Hahn 2011 [*500: 125]), in dieser Hinsicht für eine Ausnahme von der Regel
stehen; und eine Aussage in der fiktiven Grabinschrift für das geplante Grabmal
des zu unermesslichem Reichtum gelangten Freigelassenen Trimalchio in Petronius’
‹Satyrica› zeigt in ihrer Negation («nec umquam philosophum audivit», «und nie­
mals hat er einen Philosophen gehört»: Petron. 71,12), was die Norm für eine Per­
son darstellte, die zu den gesellschaftlich führenden Bürgern einer Stadt gehörte
(Schmeling 2011 [*148: 302]). Mit Philosophie vertraut zu sein war, so lässt sich ab­
strakt formulieren, für die männlichen Angehörigen der lokalen Eliten wie auch der
Reichsaristokratie in der Kaiserzeit integraler Bestandteil ihres Habitus (Jones 2005
[*396], Haake im Druck [*605]). Bei der Frage nach der Ausgestaltung des konkre­
ten Umgangs der Oberschichten mit der Philosophie kommt deren zweites zentra­
les Charakteristikum ins Spiel. Es ist eine wohl etablierte Ansicht, dass die antike
Philosophie in zwei Felder zu unterteilen ist: in die Philosophie als Lebensform
(P. Hadot 1984–1985 [*230]; als «ars vitae»: Hahn 1989 [*254: 37–43]) und in den
philosophischen Diskurs, in dem neben zahlreichen anderen Aspekten auch und
gerade das Leben gemäß philosophischen Maßgaben erörtert wurde (P. Hadot 1995
[*296: 265–352]; zum Verhältnis von philosophischem Diskurs und sozialer Praxis
im Handeln von Philosophen siehe Haake 2008 [*460: 163]).
Innerhalb der Oberschichten des Imperium Romanum lassen sich aufgrund un­
terschiedlicher Formen des Umgangs mit der Philosophie als Diskurs und als Pra­
xis verschiedene Typen beschreiben, die – unter Ausklammerung derjenigen, die
ein gänzlich philosophiefreies und deswegen ebenso kultur- wie stilloses Leben
führten (nach Plut. Lib. educ. 10) – in vier Gruppen gegliedert werden können.
Die kleinste Gruppe setzt sich aus denjenigen Personen zusammen, die sich für
eine ihr Leben dominierende, professionelle Beschäftigung mit der Philosophie
entschieden und die Philosophie sowohl als Diskurs als auch als Lebensform prak­
tizierten, die Philosophie vermittelten und sich inhaltlich mit ihr im Sinne diszip­
linärer Regeln auseinandersetzten. Für diese Gruppe gilt in ganz besonderer
Weise, was Simplikios nicht ohne Pathos sinngemäß folgendermaßen formuliert
hat: dass es für den Philosophen das Ziel sein müsse, den Worten entsprechende
Handlungen aus der Beschäftigung mit der Philosophie folgen zu lassen (Simpl.
In Epict. 67,4 Hadot; dazu I. Hadot 2003 [*368: 68]).
Eine zweite, größere Gruppe kann man als ‘Teilzeitphilosophen’ oder besser
noch ‘Dilettanten’ im ursprünglichen Sinne des Wortes bezeichnen: Bei ihr handelt
es sich um Personen, deren Leben vorrangig nicht von der Philosophie, sondern der
Übernahme von oberschichtsspezifischen Ämtern und Obliegenheiten geprägt
war, die aber zum philosophischen Diskurs aktiv beitrugen. Denken mag man in
diesem Zusammenhang an den sowohl literarisch als auch epigraphisch als Phi­
losophen bezeichneten Arrian (literarisch: FGrHist 156 T 8 = FGrHist 1075 T 1 =
Suda II,117,3 Adler s. v. Δίων ὁ Κάσσιος; inschriftlich: u. a. Kent 1966 [*102: 55f.
Nr. 124 (Z. 1) = Corinth VIII,3, Nr. 124] mit Bowersock 1967 [*183], Jones 2002
[*355: 113f.]): Neben seinen Ämtern etwa als Konsul, eponymer Archon in Athen,
Priester der Demeter und der Kore in seiner Heimatstadt Nikomedien verfasste

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24 I. Allgemeine Einleitung

er bekanntlich unter anderem auch die ‹Diatribai› seines philosophischen Lehrers


Epiktet sowie deren Kurzfassung, das ‹Encheiridion› (zu Arrian: Follet 1989
[*249], Haake 2017 [*601: 383–390]).
Eine dritte, zahlenmäßig noch größere Gruppe lässt sich als ‘Salonphilosophen’
charakterisieren: Unter diesem Begriff lassen sich Personen subsumieren, die
weder primär die Philosophie als Lebensform praktizierten noch nachhaltig den
philosophischen Diskurs bereicherten, die jedoch im Rahmen ihrer Selbstdarstel­
lung Wert darauf legten, sich als Teilhaber an der Philosophie zu inszenieren und
dementsprechend wahrgenommen zu werden. Ein treffendes Beispiel aus dem
3. Jahrhundert für diesen Typus ist Appius Alexander (Puech 1989 [*257]), der
nicht nur Statthalter der Gallia Lugdunensis war, sondern inschriftlich auch als
«herausragender Philosoph» in Smyrna bezeugt ist (τὸν κράτιστον φιλόσοφον:
Herrmann, Malay 2003 [*137: 4–6 Nr. 3 (Z. 3)]; siehe auch Christol, Drew-Bear,
Taçlialan 2005 [*392]; zu einer Inschrift aus Berytos: Aliquot 2015 [*559]).
Schließlich ist als vierte Gruppe der Kreis derjenigen Personen festzumachen,
die zwar mit der Philosophie in standesgemäßer Weise vertraut waren, sich auf
diesem Feld jedoch in keiner Weise profilierten – und damit sinngemäß in Über­
einstimmung mit den von Tacitus in Bezug auf die römische Führungsschicht ge­
tätigten Ausführungen im ‹Agricola› handelten: es mit der Philosophie nicht zu
übertreiben (Tac. Agr. 4,3; dazu Hahn 1989 [*254: 63f.]; zu dieser Textstelle siehe
auch Woodman, Kraus 2014 [*152: 99–102]).
Was dem gesamten hier ausdifferenzierten Personenkreis vom sozialen Hinter­
grund abgesehen gemeinsam war, ist die sozial determinierte Intention, mit der
Philosophie zunächst vermittelt wurde und die nicht unbedingt den Idealvorstel­
lungen der Philosophen entsprach (auch wenn sie diesen zweifelsohne mehr als
bewusst war): Ziel war es, durch eine zumindest temporäre Beschäftigung mit
dem exklusiven Gut Philosophie die Zugehörigkeit zur sozialen Elite zu inszenie­
ren und die Abgrenzung zu niederen Statusgruppen zu markieren. Als ober­
schichtsspezifische Zurschaustellung des Müßiggangs eignete sich die Philosophie
in besonderem Maße, weil ihre Inhalte rein theoretischer Natur und strukturell
vom sozialen Handeln im Sinne einer Realisierung weitestgehend entkoppelt
waren (Gotter 2003 [*366: 174–176], Gehrke 2004 [*378: 478f.], Haake 2008 [*460:
163]). Was darüber hinaus die Attraktivität der Philosophie für männliche Mit­
glieder im jungen Erwachsenenalter ausmachte, war eine Entwicklungstendenz,
die nicht erst in hellenistischer Zeit ihren Anfang genommen hatte und die sich in
der Kaiserzeit zunächst weiter verstärkte: die zunehmende Thematisierung ethi­
scher Aspekte (Grundriss, Antike IV, I 7; Trapp 2007 [*18: 10–13]), die in beson­
derem Maße oberschichtskompatibel waren und somit für die normative Formie­
rung der zukünftigen Eliten eine wichtige Rolle spielten (Hahn 2011 [*500: 123f.,
132f.]). Eindrücklich findet sich dieser Aspekt etwa in der in Plutarchs ‹Moralia›
überlieferten Schrift Περὶ παίδων ἀγωγῆς (‹De liberis educandis›, ‹Über die Er­
ziehung der Kinder›) formuliert: Aufgrund der Philosophie sei es möglich, zu er­
kennen, was das ehrenwerte, angemessene und rechte Verhalten sei (Plut. Lib.
educ. 10; zu der in ihrer Autorschaft nicht unumstrittenen Schrift vgl. Abbott 1980
[*214: IX–XXXI], Bloomer 2011 [*495: 58–80]).

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 25

Vermittelt wurde die Philosophie ihrer sozial weitgehend homogenen, in ihren


Interessen jedoch durchaus diversen Schülerschaft unter sehr unterschiedlichen
Bedingungen und in verschiedenen Formen. Grundsätzlich gilt, dass sie kein Be­
standteil der gewöhnlichen Schulbildung war, sondern sich an diese anschloss
(Marrou 71976 [*168: 310], Hahn 1989 [*254: 61–63]); in der Regel wurde sie kon­
zeptionell auch nicht als der ‘Standardbildung’ (ἐγκύκλιος παιδεία) zugehörig an­
gesehen, sondern diese war Grundlage bzw. Voraussetzung eines Studiums der
Philosophie (Marrou 71976 [*168: 266f. mit 568f.], Morgan 1998 [*316: 42f.],
I. Hadot 22005 [*228: 263–293]). Diese herausgehobene Stellung der Philosophie
ist nicht nur im antiken Bildungskanon zu beobachten, sondern sie gilt auch in
Hinsicht auf ihre Position innerhalb der Fachwissenschaften: Die Philosophie war
in gewisser Hinsicht als eine Art ‘Königsdisziplin’ akzeptiert (Hahn 1989 [*254:
62f.]). Besonders sinnfällig wird dies durch das Bestreben von Vertretern so un­
terschiedlicher Fächer wie der Geographie oder der Medizin, die ihre eigene Dis­
ziplin durch eine möglichst enge Verknüpfung mit der Philosophie zu nobilitieren
suchten (Strab. 1,1,1–2; Gal. Med. phil. II,1–8 SM = I,53–63 K]; dazu Frede 1986
[*237: v. a. 231], van der Eijk 2005 [*408: 123]; grundsätzlich Dihle 1986 [*236:
196–198]; siehe auch Sharples 2005 [*404: 5–7]).
Trotz dieser Wertschätzung sah sich die Philosophie insbesondere seit Beginn
der Zweiten Sophistik durch die Rhetorik und seitens der Sophisten einer starken
Konkurrenz ausgesetzt. Die komplexe Beziehung zwischen Philosophie und Rhe­
torik einerseits und das spannungsgeladene Verhältnis von Philosophen und So­
phisten andererseits hat nicht erst die moderne Forschung vor erhebliche Pro­
bleme gestellt (u. a. von Arnim 1898 [*157: 4–114], Stanton 1973 [*198], Gleason
1995 [*295: insb. 131f.], Schmitz 1997 [*310: 86], Puech 2002 [*358: 10–15], Lauwers
2015 [*565: 15–124]), sondern auch bereits antike Autoren. So ordnete beispiels­
weise Philostrat in seinen ‹Vitae sophistarum› (Βίοι σοφιστῶν) Dion von Prusa
unter denjenigen Philosophen ein, die aufgrund ihrer kunstfertigen Vortragsweise
zu den Sophisten gerechnet würden (Philostr. Vit. soph. 484; 487f.; dazu Jones
1978 [*211: 9–11], Brancacci 1985 [*231: 63–110], Hahn 1989 [*254: 46–53]), wofür
ihn Synesios von Kyrene in seiner Schrift ‹Dion› kritisierte (Synes. Dio 1,1–7 Treu
= 1,1–9 Lamoureux-Aujoulat; dazu Jones 1978 [*211: 11f.], Brancacci 1985 [*231:
137–197]). Er plädierte vielmehr in Anlehnung an Dion dafür, das Leben des
Chrysostomos in eine sophistische und eine philosophische Phase einzuteilen
(Synes. Dio 1,8–12 Treu = 1,10–15 Lamoureux-Aujoulat), die von einem für Phi­
losophenbiographien topischen Konversionserlebnis, seinem Exil, voneinander
geschieden seien (vgl. Nock 1933 [*164: 173f.], Hahn 1989 [*254: 58]; siehe aber
Jones 1978 [*211: 45–55], Moles 1978 [*212]; grundsätzlich Grau 2008 [*459]).
Wie komplex und ungelöst das triadische Geflecht aus Philosophie, Rhetorik
und Sophistik nach wie vor ist, zeigt sich beispielhaft an der fortwährenden Dis­
kussion um die Identifizierung eines aus zwei spätantiken athenischen Inschriften
bekannten, als Sophisten (σο̣ φιστής̣: IG II² 13283 [Z. 2]) und «König der Worte»
(βασιλῆ‹α› λόγων: IG II² 13281 [Z. 1]) bezeichneten Plutarch mit dem homony­
men Neuplatoniker, die sich vorrangig an der Frage entspinnt, ob es möglich war
und vorstellbar ist, dass der Philosoph auch als Sophist bezeichnet werden konnte

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26 I. Allgemeine Einleitung

oder nicht (vgl. einerseits u. a. Bowersock 2006 [*414: 171–173], Di Branco 2006
[*416: 123–128]; siehe andererseits z. B. Sironen 1994 [*291: 46–48 Nr. 29 und 50f.
Nr. 31], Puech 2002 [*358: 390–395 Nr. 207–208]; ferner Haake im Druck [*605]).
Grundsätzlich ist in Bezug auf die Kontroverse um die Abgrenzung von Philo­
sophen einerseits und Rhetoren und Sophisten andererseits Folgendes festzuhal­
ten: Obschon letztere immer wieder philosophische Themen aufgriffen und sich
in Texten von ersteren verschiedentlich Tendenzen einer Rhetorisierung ausma­
chen lassen (als Paradebeispiele für ‘Zwitter’ zwischen Philosophie und Sophistik
können der «platonicus philosophus» – siehe Gsell 1922 [*86: 196 Nr. 2115 (Z. 1f.)
= ILAlg I 2115 (Z. 1f.)] – Apuleius von Madaura sowie Maximos von Tyros die­
nen; Trapp 2007 [*450]), standen durchaus Felder zur Differenzierung und Dis­
tanzierung zur Verfügung, die für gewöhnlich seitens der Philosophen mehr ge­
pflegt wurden als von den Sophisten (Lauwers 2013 [*533: insb. 357–359]). Zentral
sind dabei auf der Handlungs- und auch der Diskursebene Habitusfragen, welche
die Performanz der Akteure, ihre öffentlichen Auftrittsweisen und Erscheinungs­
formen betrafen (zum Philosophen Hahn 1989 [*254: 33–45]; zum Sophisten
Schmitz 1997 [*310: 198–209]; außerdem Sidebottom 2009 [*476]).
Dennoch gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei der Scheidung zwischen So­
phisten und Rhetoren sowie Philosophen zumindest partiell um eine idealtypische
(Re-)Konstruktion handelt. Diese spiegelt zwar eine, jedoch keineswegs die ein­
zige formale schulweltliche Realität (siehe I. Hadot 22005 [*228: 228f.] mit einer
allerdings nicht unhinterfragbaren Interpretation von Porph. Vit. Plot. 20,48–57
und der in das 4. Jh. zu datierenden ‹Laudatio professoris Smyrnaei in universi­
tate Beryti docentis›, publiziert von Schubart, von Wilamowitz-Moellendorff 1907
[*81: 82–87] = P. Berol. 10559 A + B = Heitsch 21963 [*99: 94–97 Nr. XXX]; dazu
Bajoni 2001 [*341]) sowie die administrative Perspektive wider; und sie hat auch
ihren normativen Niederschlag in Gesetzen gefunden (Hahn 1989 [*254: 47]),
doch trat sie im Alltag manches Mal weit weniger klar zutage, als man annehmen
möchte. Dies indiziert beispielsweise das in das 3. Jahrhundert zu datierende athe­
nische Grabepigramm für einen anderweitig unbekannten Harpokration (Puech
2000 [*333]): «Denn er war ein Redner, wenn es zu sprechen, ein Philosoph aber,
wenn es zu denken galt» (οὕνεκ’ ἦν ῥήτωρ μὲν εἰπεῖν, | φιλόσοφος δ’ ἃ χρὴ νοεῖν:
IG II² 10826 [Z. 7f.]; siehe Puech 2002 [*358: 288f. Nr. 129]). Trotz aller Nivellie­
rungstendenzen zwischen den besagten Gruppen gab es eine spezifische soziale
Rolle, die exklusiv dem Philosophen vorbehalten war und die ein Sophist struk­
turell nicht einnehmen bzw. ausfüllen konnte: die Rolle des Intellektuellen (zu
einer Konzeptualisierung des Intellektuellen basierend auf der Antithese von Geist
und Macht: Haake 2003 [*367: 97–100]).

2. Philosophen und Philosophie im Fokus kaiserlicher Rechtsprechung


und Gesetzgebung

Die Rolle des Intellektuellen führt zu einem weiten Feld, in dem Philosophen im
1. Jahrhundert zum Gegenstand kaiserlicher Rechtsprechung werden konnten: der

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 27

Politik. In krisenhaften Momenten kaiserlicher Herrschaft konnten Philosophen kol­


lektiv in den Fokus der Kaiser geraten und aus Rom und Italien verbannt werden.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Philosophen en groupe aktiv entscheidend
in das politische Geschehen eingegriffen hätten; vielmehr verhielt es sich so, dass
Philosophen mit politisch nicht opportunen Ansichten dem Umfeld der gegen einen
Kaiser opponierenden senatorischen Akteure, die sich verschiedentlich ein philo­
sophisches, insbesondere stoisches Image aneigneten, zugerechnet werden konnten
(MacMullen 1966 [*181: insb. 61–68], Brunt 1975 [*200], Maier 1985 [*233: 164–220],
Shaw 1985 [*234: 46–49], Hahn 1989 [*254: 100], Fuhrer 2012 [*507: 245–249]).
Häufiger, wenn auch allem Anschein nach keineswegs oft, kamen die Philo­
sophen in den Fokus der imperialen Administration, wenn es um die Frage von
Privilegien ging, die immer im Zusammenhang mit ihrer Lehrtätigkeit zu sehen
sind (Hahn 1989 [*254: 100–108]). So beschieden beispielsweise Diokletian und
Maximianus einem anderweitig unbekannten Polymnestos (Goulet 2012 [*509]),
dass dessen Begehr, von Abgabenlasten befreit zu werden, weil er Philosoph sei,
gerade deswegen nicht nachgekommen werden könne (Cod. Iust. 10,42,6; dazu Mil­
lar 21992 [*206: 501]). Dieser Entscheid folgt einem etablierten Argumentations­
muster (vgl. z. B. Dig. 50,13,1,4), das eine besondere Stellung der Philosophen im
römischen Recht illustriert, bei der Rechtsnormen für Philosophen und ethische
Normen, die man an das Verhalten von Philosophen anlegte, nicht miteinander
konform gehen mussten, weshalb die kaiserliche Rechtssprechung bezüglich der
(Nicht-)Privilegierung von Philosophen auch kein einheitliches Bild abgibt: Ein
‘Antimissbrauchsgesetz’ der Kaiser Valentinian I. und Valens vom 19. Januar 369
(Cod. Theod. 13,3,7) zeigt beispielhaft auf, dass Philosophen wie andere Vermitt­
ler von Bildung Privilegien in Form der Befreiung von ‘munera’, mithin also status-
spezifischen und -relevanten, ehrenvollen Verpflichtungen, besitzen konnten.
Die Geschichte der römischen ‘Philosophengesetzgebung’ im Einzelnen nach­
zuzeichnen ist aufgrund der Überlieferungslage nicht möglich (zur kaiserlichen
‘Philosophengesetzgebung’ Marotta 1988 [*245: 93–168]). Immerhin sicher ist,
dass Philosophen später als etwa Rhetoren (bzw. Sophisten), Grammatiker und
Ärzte mit Privilegien ausgestattet wurden (Suet. Caes. 42,1: Verleihung des römi­
schen Bürgerrechts in der ersten Hälfte der 40er Jahre v. Chr. durch Caesar an
alle Ärzte und Lehrer der freien Künste in Rom [«omnisque medicinam Romae
professos et liberalium artium doctores»], zu denen I. Hadot 22005 [*228: 221]
ohne gute Gründe auch Philosophen rechnen möchte; Meriç, Merkelbach, Nollé,
Şahin 1981 [*116: 407–409 Nr. 4101 = IK Ephesos VII,2 4101] mit Knibbe 1981
[*119], Knibbe, İplіkçіoğlu 1981–1982 [*120: 136–140 Nr. 147], Bringmann 1983
[*123], Laffi 2006 [*421]: Senatsbeschlüsse um das Jahr 40 v. Chr. [wohl eher als
Edikt der Triumvirn] für Grammatiker, Rhetoren und Ärzte; siehe auch Puech
2002 [*358: 495–497 Nr. 281], Paz de Hoz 2015 [*568: 98–102]; zu beiden Formen
der Gewährung von Privilegien Vössing 2002 [*363: 245f. mit Anm. 12]).
Ein zweifelsfreier Terminus ante quem für die Gewährung von Privilegien für
Philosophen liegt, trotz verschiedentlich gegenteiliger Ansicht, mit einem Brief
von Plinius an Trajan aus der Zeit zwischen dem 28. Januar und dem 18. Septem­
ber 112 vor, in dem es unter anderem um die Frage geht, ob Flavius Archippos,

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28 I. Allgemeine Einleitung

eine schillernde Figur in Prusa (Ducos 1989 [*247]), von der Pflicht befreit wer­
den müsse, als Geschworener in einem Gerichtsverfahren zu fungieren, da er Phi­
losoph sei (Hahn 1989 [*254: 102f.]; contra Fein 1994 [*278: 294f.]). Dass der Phi­
losoph, von Domitian als Ehrenmann bezeichnet, dessen Lebensführung mit
seiner Profession übereinstimme («[…] bonum virum et professioni suae etiam
moribus respondentem […]»: Plin. Ep. 10,58,6), wegen Urkundenfälschung zu
Zwangsarbeit verurteilt worden war und sich der Strafe durch Ausbruch aus dem
Gefängnis entzogen hatte, weswegen die Forderung im Raum stand, ihn über­
haupt aus der Liste der Geschworenen zu streichen, ist für die Frage nach den Pri­
vilegien für Philosophen unerheblich (Plin. Ep. 10,58,1–3; dazu Sherwin-White
1966 [*104: 639–645], Millar 21992 [*206: 474f.], Kokkinia 2004 [*384: 490–495]).
Ob man gewillt ist, Vespasian als denjenigen anzusehen, für den als ersten Kai­
ser bezeugt ist, dass er Philosophen Privilegien gewährte, hängt davon ab, wie man
sich zu einer vieldiskutierten Diskrepanz zwischen einer Inschrift aus Pergamon,
die ein Edikt Vespasians vom 27. Dezember 74 enthält (Herzog 1935 [*90: 971
(Z. 7f.)]), und einem Zitat in den ‹Digesten› aus dem ‹Liber singularis de muneribus
civilibus› des Arcadius Charisius verhält (Dig. 50,4,18,30): Während in der Inschrift
von der Privilegierung von Ärzten, Erziehern und Massageärzten die Rede ist, er­
wähnt der Jurist hingegen Grammatiker, Redner, Ärzte und Philosophen (Hahn
1989 [*254: 101–104], Fein 1994 [*278: 292–294], I. Hadot 22005 [*228: 223f.]).
Wie eine Konstitution von Commodus zeigt, ist es Hadrian gewesen, der die
Frage der Privilegierung von Philosophen sowie Rhetoren, Grammatikern und
Ärzten umfassend regelte und ihnen die Immunität von einer Vielzahl höchst
kostspieliger städtischer Ehrenämter wie etwa der Aufsicht über die Marktpolizei
oder der Übernahme von Priestertümern ebenso gewährte wie die Freistellung
vom Militärdienst und von nicht weiter spezifizierten provinzialen Pflichten
(Dig. 27,1,6,8; dazu Fein 1994 [*278: 295]). Dass die Rechtspraxis durchaus anders
aussehen konnte, zeigt instruktiv der Fall des Favorinos von Arelate: Wohl auf­
grund seines schlechten Verhältnisses zu Hadrian (Swain 1989 [*261]) scheiterte
er mit seinem Ansinnen, sich durch den Kaiser von der Übernahme eines Pries­
teramtes in seiner Heimat befreien zu lassen, weil er Philosoph sei (Philostr. Vit.
soph. 490; Cass. Dio 69,3,6; dazu Bowersock 1969 [*189: 35], Haake 2008 [*460:
148]). Die breite, von Hadrian gewährte Palette von Privilegien bestätigte Antoni­
nus Pius (Dig. 27,1,6,8); doch in einem Schreiben dieses Kaisers an das Koinon
der Provinz Asia, das Gültigkeit für das gesamte Imperium besitzen sollte, zeigt
sich eine andere Facette, die in Widerspruch zu einer Aussage in der ‹Historia
­Augusta› steht, der zufolge Antoninus Pius Rhetoren und Philosophen in allen
Provinzen Privilegien («honores et salaria») zugebilligt hätte (Hist. Aug. Pius 11,3;
dazu Hahn 1989 [*254: 127]): Geregelt wird, wie viele Ärzte, Rhetoren und Gram­
matiker die Städte gemäß ihrem Rang von Leistungspflichten sollten befreien dür­
fen (Dig. 27,1,6,2). Ausgenommen von diesen Höchstzahl-Bestimmungen sind in
Antoninus Pius’ Schreiben ausdrücklich die Philosophen: Schließlich gäbe es
derer nicht so viele, und wohlhabende Personen würden von ihrem Vermögen frei­
willig ihren Heimatstädten etwas abtreten. Wäre dies nicht der Fall, so würde sich
dadurch zeigen, dass sie keine Philosophen seien (Dig. 27,1,6,7).

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 29

Kaiserlicher Regelungsbedarf für eine philosophische Grundversorgung be­


stand aus der Perspektive des Antoninus Pius also nicht, was – im Vergleich mit
den Bestimmungen für Rhetoren und Grammatiker – noch einmal eindrücklich
verdeutlicht, dass die Philosophie im Bildungskanon ein Luxusgut darstellte, ein
Luxusgut, das von wohlhabenden Bürgern vermittelt wurde, die strukturell kei­
ner Förderung bedurften und zugleich durch die freiwillige Aufwendung eigener
finanzieller Ressourcen unter Beweis stellen konnten, dass sie Philosophen waren
(Hahn 1989 [*254: 104f.], I. Hadot 22005 [*228: 226–230]). Dass die Philosophen
dennoch für ihre Lehrtätigkeit pekuniäre Gegenleistungen seitens ihrer Schüler
erwarteten, führt plastisch der Ausruf der Figur des Hermotimos in Lukians
gleichnamigem Dialog vor Augen: Nach eigenem Bekunden hatte er eine nicht
unbeträchtliche Summe für sein Studium aufgewendet (Luk. Herm. 83; zu Hono­
raren für Philosophen: Hahn 1989 [*254: 79, 82f., 97f.]). Trotz der von den Philo­
sophen zumindest diskursiv erwarteten Geringschätzung materieller Werte waren
sie von Vormundschaftspflichten befreit (Dig. 27,1,6,5 mit Frag. Vat. 149 Momm­
sen = Baviera 1940 [*91: 496 Nr. 149 = FIRA² II, p. 496 Nr. 149]; 50,5,8,4).

3. Folgen der ‘Dezentralisierung der Philosophie’

Diese imperiale Rechtswirklichkeit bildet allerdings nur einen Teil dessen ab,
was die Lehraktivitäten von Philosophen im Imperium Romanum betraf. Denn
in Folge der ‘Dezentralisierung der Philosophie’ wurde diese seit dem 2. Jahrhun­
dert v. Chr. vielerorts unterrichtet (I. Hadot 2003 [*368: 50], Sedley 2003 [*373]),
wie die Quellen zur Genüge nahelegen (Hahn 1989 [*254: 119–155]). Exempla­
risch sei auf einen in seiner historischen Glaubwürdigkeit zwar nicht über jeden
Zweifel erhabenen, tendenziösen Bericht in Philostrats ‹Vita Apollonii› verwiesen,
der aber gerade deswegen instruktiv ist, weil er dem intendierten Lesepublikum
zumindest in der Vorstellung des Autors strukturell glaubwürdig erschienen sein
muss (Philostr. Vit. Ap. 1,7): Dieser auf Maximos von Aigeai basierenden Darstel­
lung zufolge waren im kilikischen Ort Aigeai Philosophen aller großen Schulrich­
tungen anzutreffen, so dass der junge Apollonios sich entschloss, der Provinzhaupt­
stadt Tarsos, von Strabon als veritables philosophisches Zentrum beschrieben
(Strab. 14,5,13; dazu Haake 2012 [*512: 50f. Anm. 29]), den Rücken zu kehren und
in dem kleinen Küstenort seine Studien fortzusetzen (Graf 1984–1985 [*229: 70f.],
Haymann 2014 [*545: 54f.]). Wie bezüglich Aigeai, so ist auch in Hinsicht auf zahl­
reiche größere und kleinere andere Orte bekannt, dass dort ein oder auch meh­
rere mehr oder weniger bekannte und bedeutende Philosophen wirkten – über lo­
kale rechtliche, administrative, organisatorische und andere Aspekte erfährt man
dabei freilich in der Regel nichts. Wohl in den meisten Fällen ist davon auszuge­
hen, dass mit dem Tod ihres Gründers auch die von ihm ins Leben gerufene
Schule nicht weiterlebte; dies trifft selbst für diejenigen Gründungen zu, die sich
einer überlokalen Ausstrahlung und eines literarischen Nachlebens im Sinne einer
Rezeption erfreuen konnten. Bezeichnende Beispiele in dieser Hinsicht sind die von
Epiktet infolge der ‘domitianischen Philosophenverfolgung’ in Nikopolis etablierte

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30 I. Allgemeine Einleitung

Lehrstätte (Gell. 15,11,4–5) sowie die vom christlichen Philosophen und Märty­
rer Justin (Neymeyr 1989 [*255: 16–39], Minns, Parvis 2009 [*147: 57–60]; zu Jus­
tin und der Zweiten Sophistik siehe Nasrallah 2005 [*400: 306–312]) oder von Plo­
tin in Rom ins Leben gerufenen Zirkel (Porph. Vit. Plot. 7,1–51; 9,1–12; 12,1–2;
siehe Goulet-Cazé 1982 [*222: 231–257], O’Meara 2010 [*489: 303–305], Urbano
2013 [*539: 128–131]), die trotz aller Differenzen doch auch vergleichbare struk­
turelle Merkmale aufweisen.

4. Das Museion in Alexandrien

Durchgängig präsent hingegen waren Personen, die als Philosophen bezeich­


net wurden, an einer Institution, über die in der Kaiserzeit kaum etwas bekannt
ist und die nicht als ein Zentrum der Philosophie in den Quellen erscheint: das
Museion in Alexandrien (Hahn 1989 [*254: 137–140], Goulet 2017 [*600: 622–626],
Holder 2017 [*602]; zu Museia jenseits von Alexandrien siehe Şahin 1999 [*134:
212–219], Paz de Hoz 2015 [*568: 106–109]). Unter ‘den Philosophen im Museion’
(zu dieser Formulierung und ihren Varianten: Lewis 1963 [*176: 261] und 1981
[*218: 157]) lassen sich zwei Typen ausmachen: Neben Mitgliedern, für die eine
Beschäftigung mit der Philosophie anzunehmen ist – wie etwa dem im oberägyp­
tischen Antinoupolis geehrten Mittelplatoniker Flavius Maecius Se[verus] Diony­
sodoros (Hirschfeld, Marshall 1893–1916 [*77: 207 Nr. 1076 = GIBM IV 1076] =
Bilabel 1926 [*89: 3 Nr. 6012 = SB III 6012] mit Cauderlier, Worp 1982 [*220],
Puech 1994 [*288]) –, stehen Personen, deren inhaltliche Auseinandersetzung mit
philosophischen Themen eher fraglich ist – beispielhaft sei auf Marcus Aurelius
Asklepiades (Puech 1989 [*259], Strasser 2004–2005 [*390: 421f., 439–446) ver­
wiesen, der insbesondere als Pankratiast und Periodonike in der Mittelmeerwelt
in Erscheinung getreten ist und zu den ‘Philosophen im Museion’ gehörte, die mit
Steuerimmunität und Speisung bzw. Unterhalt(sleistungen) ausgezeichnet waren
(ἐν τῷ Μουσείῳ | [σειτου]μένων ἀτελῶν φιλοσόφων: IG XIV 1103 [Z. 4f.] = Mo­
retti 1968 [*106: 211f. Nr. 241 (Z. 4f.) = IGUR I 241 (Z. 4f.)]). Dies führt deutlich
den Umstand vor Augen, dass in der Kaiserzeit die Mitgliedschaft in dem unter
kaiserlicher Aufsicht stehenden Museion (Strab. 17,1,8) ein Privileg war, das ver­
mutlich vom Kaiser selbst verdienten Personen ganz unterschiedlicher Profession
gewährt wurde (Millar 21992 [*206: 505f.], Watts 2006 [*430: 147f.]) und das nicht
mit einer (permanenten) Präsenz in Alexandrien verbunden war, wie etwa eine
Ehreninschrift aus dem in der Landschaft Lydien gelegenen Hamidiye für einen
anderweitig unbekannten Fronton (Puech 2000 [*332]) τῶν ἐν τῷ | Μουσείου (sic)
σειτου|μένων φιλοσόφων | τῶν Ἀλεξανδρια|[νῶν anzeigt (Herrmann 1981 [*118:
159 Nr. 498 = TAM V 1, 498]). Dass zwischen den verschiedenen ‘Philosophen im
Museion’ differenziert werden konnte, deutet eine Begebenheit an, die Cassius
Dio überliefert: Weil Caracalla an Aristoteles’ Verwicklung in den Tod Alexan­
ders geglaubt habe, habe er die gemeinsamen Mahlzeiten für die aristotelischen
Philosophen in Alexandrien ebenso abgeschafft, wie er ihnen auch die übrigen,
nicht näher spezifizierten Privilegien aberkannt habe (Cass. Dio 77[78],7,3).

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 31

5. Athen und die Philosophie

Auch wenn Synesios im August des Jahres 399 in einem Brief an seinen Bruder
die Situation der Philosophie in Athen in düsteren Farben zeichnet (Synes. Ep.
136), so war Athen sowohl in der Kaiserzeit als auch in der Spätantike stets eines
der Zentren der Philosophie schlechthin; überhaupt kann die Stadt, trotz großer
Lücken, wohl als der Ort mit der dichtesten Überlieferung bezüglich der Philo­
sophie gelten (zu Athen als Ort der Sophistik Bowie 2015 [*560]).
Unweigerlich rückt damit eine Frage in den Fokus, die ein nur schwer lösbares
Forschungsproblem betrifft, da die literarische Überlieferung von einem bered­
ten Schweigen geprägt ist (Glucker 1978 [*209: 344–356]): die Frage nach dem Er­
löschen der vier großen athenischen Philosophenschulen im Späthellenismus bzw.
nach deren Fortbestand in der Kaiserzeit. Dabei geht es nicht um die Existenz der
philosophischen Denkrichtungen, sondern um die Philosophenschulen als Insti­
tutionen mit einer ununterbrochenen Abfolge von Schuloberhäuptern. Die Band­
breite der immer wieder überaus kontrovers diskutierten Positionen reicht dabei
von der Annahme eines institutionellen Fortbestehens aller vier großen Philo­
sophenschulen bis tief in die Kaiserzeit (Zumpt 1843 [*155], Mommsen 1891 [*157:
154]) über die Idee einer Wiederbegründung der ‘Diadoche’ in neuer Form (Oliver
1977 [*207: 162–166] und 1982 [*224: 125–129]) bis hin zu einer Präferenz für das
Erloschensein aller dieser Institutionen in der Kaiserzeit.
Mit guten Gründen ist davon auszugehen, dass der Peripatos im 1. Jahrhundert
v. Chr. aufgehört hatte zu bestehen (grundlegend Lynch 1972 [*196: 198–207]),
und Gleiches gilt wohl für die Akademie (grundlegend Glucker 1978 [*209: insb.
98–120]), obschon der Platonismus in der frühen Kaiserzeit in Athen mit wichti­
gen Vertretern präsent war (Kalligas 2004 [*383: 43–54]). Weniger eindeutig als
beim Peripatos und der Akademie ist die Situation im Fall der Stoa: Die Diskus­
sion entspinnt sich an der Interpretation dreier in das 2. Jahrhundert zu datieren­
der athenischer Inschriften, in denen Personen bezeugt sind, die als διάδοχος
(«Diadoche», d. h. der Nachfolger, hier im Sinne von Nachfolger als Schulober­
haupt verwendet) bezeichnet werden: Titus Coponius Maximus (Puech 2018
[*609]; διάδοχος Στωϊκός: IG II² 3571 [Z. 4]), Flavius Aurelius Herakleides (Puech
2000 [*334]) und Iulius Zosimianos (Puech 2018 [*608]; ὁ διάδοχος τῶν ἀπὸ
Ζήνωνος λόγων: IG II² 3801 [Z. 4–6]; IG II² 11551 [Z. 2–6]). Besser begründet als
die Annahme, dass es sich bei ihnen um in der Nachfolge des Schulgründers ste­
hende Oberhäupter der Stoa handelt (so Lynch 1972 [*196: 190f.]), ist vor dem
Hintergrund der kaiserzeitlichen Verbreitung des Terminus διάδοχος (man denke
an Aurelius Belios Philippos – zu diesem Puech 2012 [*518] –, Priester des Bel und
Schuloberhaupt der Epikureer in Apameia am Orontes in Syrien: διάδοχος ἐν
Ἀπαμείᾳ τῶν Ἐπικουρείων, Rey-Coquais 1973 [*111: 66–68 Nr. 3 (Z. 5f.)]; dazu
Smith 1996 [*306: 125–127]) die Ansicht, dass sie Philosophenschulen stoischer
Prägung vorstanden (Glucker 1978 [*209: 366–368], Hahn 1989 [*254: 122–125]).
Es darf also wohl davon ausgegangen werden, dass auch die Stoa in der frühen
Kaiserzeit im Sinne einer fortwährenden Institution seit ihrer Gründung nicht
mehr existierte.

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32 I. Allgemeine Einleitung

Noch komplizierter gestaltet sich die Situation in Bezug auf die Epikureer: Die
Schwierigkeiten erschöpfen sich nämlich nicht in der Interpretation des Quellen­
materials, sondern beginnen bereits mit der zum Teil äußerst umstrittenen Text­
konstitution zentraler Zeugnisse. Ausgangspunkt sind zwei Inschriften (IG II²
1097 und Wilhelm 1925 [*87: 61–64 Nr. 18]; IG II² 1099), in denen Plotina, die
Witwe Trajans, Hadrian und zwei epikureische διάδοχοι, Popillius Theotimus
(Puech 2016 [*589]) und Heliodoros (Follet 2000 [*324], van Bremen 2005 [*407:
523f.]) die entscheidenden Personen sind. Hält man sich an die sicheren Informa­
tionen, die den beiden unterschiedlich stark fragmentarischen Texten zu entneh­
men sind, und lässt die zum Teil sehr weitreichenden Ergänzungen und Schluss­
folgerungen außer Acht (zum ersten Text Follet 1994 [*279: 161f.], van Bremen
2005 [*407: 505f.]; zum zweiten Text van Bremen 2005 [*407: 525f.]), so ergibt sich
folgendes Bild: In frühhadrianischer Zeit wandte sich das epikureische Schulober­
haupt Popillius Theotimus erfolgreich an die den Epikureern wohlgesonnene Plo­
tina mit dem Wunsch, bei Hadrian hinsichtlich der Bestimmungen für die Nach­
folgeregelung vorstellig zu werden (IG II² 1099 [Z. 4–12]; «diadochus»: Z. 6). Der
Kaiser gewährte die an ihn herangetragenen Bitten in einem in lateinischer Spra­
che verfassten Brief und gestand einerseits zu, dass der «diadochus» nicht mehr
zwingend im Besitz des römischen Bürgerrechts sein müsse, sondern auch pere­
grinen Status’ sein dürfe; andererseits gestattete er, dass die die Nachfolge betref­
fenden Passagen im Testament in Griechisch verfasst sein dürften (IG II² 1099 [Z.
13–16]). So interessant diese Bestimmungen auch sein mögen, sie enthalten doch
nichts, was zwingend die Schlussfolgerung nahelegt, dass die Schule Epikurs von
ihrer Gründung an bis in die hadrianische Zeit hinein durchgehend bestanden
hätte (Glucker 1978 [*209: 365f., 368–371]). Vielmehr erscheint es vor dem Hin­
tergrund des gegenwärtigen Kenntnisstandes eher angemessen (für einen kriti­
schen Forschungsüberblick: Dorandi 2016 [*579: 30–37]), von einer epikureischen
Gemeinschaft in Athen auszugehen, die sich zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt
vor dem Jahre 120 auf unbekannte Weise konstituiert hat, für die es kaiserliche
Regelungen gab (Millar 21992 [*206: 504]) und die über ausgeprägtere und verfes­
tigtere Strukturen verfügt zu haben scheint als andere philosophische Einrichtun­
gen, was in gewisser Weise bereits Numenios konstatierte (Numen. fr. 24,22–36 des
Places; siehe auch die auf die Epikureer fokussierten Beobachtungen von Sedley
1989 [*260]).
Instruktiv sind in dieser Hinsicht zwei Inschriften aus dem lykischen Rhodia­
polis aus trajanischer Zeit, aus denen hervorgeht, dass ein anderweitig unbekann­
ter Herakleitos (Puech 2000 [*335]), Inhaber vieler Ämter, Priester des Asklepios
und der Hygieia, Arzt sowie Verfasser von 60 medizinischen und philosophischen
Werken, u. a. von den epikureischen Philosophen in Athen geehrt worden sei
(ὃν ἐτείμησαν | […] | καὶ οἱ | Ἀθήνησιν Ἐπικούρειοι φιλόσοφοι […]: Kalinka 1944
[*93: 351f. Nr. 910 (Z. 8–11) = TAM II 910 (Z. 8–11)]; İplіkçіoğlu 2014 [*546: 233
(Z. 7)]), was ein gewisses Maß öffentlicher Organisation und interner Struktur vo­
raussetzt; andererseits ist auf einen Brief des Epikureers Diogenes von Oinoanda
zu verweisen, in dem der ‘Mega-Euerget’ – ebenso wie Plotina in ihrem Brief an
die Epikureer in Athen (IG II² 1099 [Z. 17]) – von «Freunden» (φίλοι) in Athen

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 33

spricht und damit zweifelsohne die Gemeinschaft der Epikureer meint (Diog.
Oen. fr. 62 II [Z. 2–5] Smith).
Kurz, es erscheint auf der Grundlage des gegenwärtigen Kenntnisstandes plau­
sibel, dass im frühkaiserzeitlichen Athen keine der vier großen Philosophenschu­
len mehr in einer ununterbrochenen Abfolge von Schuloberhäuptern seit deren
jeweiliger Gründung bestand. Auszugehen ist vielmehr bis in die 170er Jahre von
einer quantitativ nicht abzuschätzenden Anzahl von vielfach sicher ephemeren
philosophischen Einrichtungen (wie es sie auch im Hellenismus im Schatten der
großen vier Philosophenschulen gegeben hat; siehe Haake 2015 [*563: 70 Anm.
61]), die zum Teil in der Tradition etwa der Stoa standen und von Personen gelei­
tet wurden, die den Titel ‘Diadochos’ trugen; man denke beispielsweise an Tibe­
rius Varius Caelianus (Puech 1994 [*286]), der in einer Grabinschrift als διάδοχος
ohne weitere Spezifikation bezeichnet ist (nach Oliver 1967 [*187: 42–44 Nr. 1] mit
Robert, Robert 1968 [*188: 453f. Nr. 226]; verbesserter Text bei Oliver 1977 [*207:
170]; zum Charakter der Inschrift Peppa-Delmousou 1970 [*109: 194]). Über die
Art der institutionellen Ausgestaltung solcher von Diadochoi geleiteten philoso­
phischen Schulen und die Form ihrer administrativen Einbettung lässt sich aller­
dings keine gesicherte Aussage treffen. Auch ist es schwer möglich, das Verhältnis
dieser Schulen zu philosophischen Zirkeln wie etwa demjenigen des einer der füh­
renden athenischen Familien entstammenden Marcus Annius Ammonios (Puech
1989 [*258]; siehe auch Jones 1967 [*186]), des Lehrers von Plutarch, näher zu be­
stimmen, deren Charakter stärker privater Natur gewesen zu sein scheint.
Es ist ein archäologisch-inschriftlicher Fundkomplex, der jenseits dieser Fra­
gen einen instruktiven Einblick in das philosophische Leben im kaiserzeitlichen
Athen ermöglicht: die um das Jahr 100 erfolgte Weihung einer Reihe von Gebäu­
deteilen, nämlich äußerer Stoen, eines Peristyls und einer Bibliothek mit Büchern
sowie ihrer Ausschmückung, deren sich Titus Flavius Pantainos (Puech 2012
[*517]), Priester der philosophischen Musen und Sohn des Diadochos Flavius Me­
nander (Puech 2005 [*402]), in einer Widmung an Athena Polias, Trajan und die
Athener rühmt (Meritt 1946 [*94: 233 Nr. 64 (Z. 2)]: ὁ ἱερεὺς Μουσῶν φιλοσόφων;
dazu etwa Hahn 1989 [*254: 122–124]). Diese epigraphisch bezeugten Baumaß­
nahmen lassen sich in dem zur Inschrift gehörigen Gebäudekomplex nachvollzie­
hen, der sich in prominenter Lage an der Panathenäenstraße unmittelbar südlich
der die Agora im Westen begrenzenden Stoa des Attalos befindet (zum archäolo­
gischen Befund Thompson, Wycherley 1972 [*193: 114–116], Shear 1973 [*113:
385–389], Camp 1986 [*235: 187–191] und 1989 [*246: 50f.]; zur Lage Thompson,
Wycherley 1972 [*193: Taf. 8], Perrin-Saminadayar 2010 [*491: 232–234]).
Zwar muss unklar bleiben, was sich hinter dem anderweitig nicht bezeugten,
vielleicht von Platons Vorbild angeregten Kult der philosophischen Musen genau
verbirgt, dessen Priester Pantainos sicher einer der athenischen Oberschicht an­
gehörigen Familie entstammte (er war eponymer Archon in Athen im frühen
2. Jh.: Shear 1935 [*165: 331f.] unter Verweis auf IG II² 2017 [Z. 5]; zum Stemma
Perrin-Saminadayar 2010 [*491: 237]; Oliver 1979 [*213: 158] hat ein hypotheti­
sches Stemma vorgelegt; Parsons 1949 [*169: 271f.] möchte in dem homonymen
Leiter der sogenannten Katechetenschule von Alexandrien, dem nach Eus. Hist.

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34 I. Allgemeine Einleitung

eccl. 5,10,1 in der stoischen Philosophie bewanderten Pantainos – zu diesem siehe


Le Boulluec 2012 [*514] –, einen Enkel des Musenpriesters sehen, zu dessen Schü­
lern u. a. Clemens von Alexandrien zählt). Dennoch lässt sich insgesamt folgendes
Szenario plausibel rekonstruieren: Der Diadochos Flavius Menander, für den eine
Verbindung zur Stoa anzunehmen kein zwingender Grund besteht (so aber Par­
sons 1949 [*169: 270f.]), betrieb eine Philosophenschule, die sein Sohn in besag­
tem Gebäude an der Panathenäenstraße fortführte. Der Grund für die Stiftung
des Pantainos, in die auch seine Kinder Flavius Menander und Flavia Secundilla
involviert waren, war wohl dem Ziel geschuldet, genau das sicherzustellen, was
hinsichtlich der meisten Philosophenschulen nicht funktionierte: den Fortbestand
der Schule in der Zukunft. Wenn es zutreffend ist, dass mit dem Museion, das in
einer in das 3. Jahrhundert zu datierenden Ehreninschrift für den Sophisten Kas­
sianos Antiochos, alias Synesios (Puech 2002 [*358: 74–87, 509–512] mit einem
Stemma der Familie), den Vorsteher dieser Institution (τὸν ἐπὶ τοῦ Μουσίο[υ]: IG
II² 3712 [Z. 4]), erwähnt ist, die auf Pantainos zurückgehende Einrichtung gemeint
ist, dann hätte dessen Ansinnen tatsächlich längerfristigen Erfolg gehabt (Puech
2002 [*358: 83–85]). Keineswegs geschadet haben dürfte dabei, dass Pantainos
seine private Stiftung an eine wirkmächtige Trias öffentlicher Autoritäten dediziert
hatte, die auf administrativer Ebene imperiale, lokale und sakrale Protektion ga­
rantieren sollten (Perrin-Saminadayar 2010 [*491: 229]).

6. Mark Aurel und die Philosophie in Athen

Vielleicht auch vor dem Hintergrund der stark fragmentierten philosophischen


Welt im Imperium und in Athen unternahm Mark Aurel bei seinem Besuch die­
ser Stadt im Jahre 176 den ambitionierten (und konservativen) Versuch, durch die
Einrichtung kaiserlicher Lehrstühle für Philosophie die philosophische Land­
schaft in Athen neu zu strukturieren und damit einhergehend sicher auch auf
Reichsebene das philosophische Feld durch imperialen Eingriff in gewisser Weise
zu ordnen und zu hierarchisieren und darüber hinaus vielleicht auch den entdif­
ferenzierenden Tendenzen in der Philosophie zwischen den großen vier philoso­
phischen Richtungen entgegenzuwirken, um so das klassische Tableau der Philo­
sophenschulen zu perpetuieren (zu Mark Aurel in Athen vgl. Oliver 1970 [*192:
80–82], Follet 1976 [*202: 136–138]). Denn viel anders lässt sich diese Maßnahme
kaum verstehen, mit der eine Reihe von in der Forschung sehr unterschiedlich ein­
geschätzten Unwägbarkeiten verbunden sind, die insbesondere die Frage betref­
fen, ob der Kaiser für die Platoniker, Peripatetiker, Stoiker und Epikureer jeweils
einen oder zwei ‘Lehrstühle’ (θρόνοι) auf Kosten des Fiskus einrichtete und mit
einem jährlichen Salär in Höhe von 10 000 Drachmen dotierte (Luk. Eun. 2), wo­
durch er seine Wertschätzung der Philosophie auch auf materieller Ebene mani­
festierte. Eine Polemik des im 2. Jahrhundert wirkenden Tatian macht deutlich,
dass Mark Aurels Praxis keineswegs ein Einzelfall war, führt der christliche Apo­
loget doch aus, dass Philosophen vom Kaiser 600 Aurei pro Jahr erhielten – damit
sie ihren langen Bart nicht umsonst hätten (Tat. Orat. 19,1 Nesselrath; dazu Hahn

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 35

1989 [*254: 127 Anm. 33], Nesselrath 2016 [*588: 149 Anm. 297]; zu Tatians Schrift
siehe in vorliegendem Kontext zuletzt besonders Gemeinhardt 2016 [*583]). Aus
Cassius Dio geht hervor, dass Mark Aurel zum Nutzen der ganzen Welt in Athen
dafür Sorge trug, dass es Lehrer (διδάσκαλοι) in allen Wissensbereichen gab, die
mit einem jährlichen Gehalt ausgestattet worden seien (Cass. Dio 72[71],31,3).
Den ‹Vitae sophistarum› Philostrats ist zu entnehmen, dass es neben einem Lehr­
stuhl für Rhetorik, dessen Inhaber vom Kaiser mit einem Betrag von 10 000 Drach­
men jährlich besoldet wurde, Lehrstühle für die vier großen Philosophenschulen
gab, mit deren Erstbesetzung er Herodes Atticus betraute und die mit einem Salär
in gleicher Höhe dotiert waren (Philostr. Vit. soph. 566; zum Lehrstuhl für Rhe­
torik Avotins 1975 [*199]; allgemein zu den Philosophengehältern Goulet 2017
[*600: 628–632]).
Es ist ein Halbsatz in Lukians ‹Eunuch›, der die Frage nach der Zahl der Lehr­
stühle je philosophische Schule aufwirft: Im Zusammenhang mit der klamauk­
haften Darstellung eines Nachfolgeverfahrens in der peripatetischen Schule, das
in einer Schlammschlacht zwischen den beiden Bewerbern, den anderweitig un­
bekannten Diokles (Goulet 1994 [*281]) und Bagoas (Goulet 1994 [*280]), mün­
det und in das führende athenische Bürger verfahrenstechnisch involviert sind
([…] δικασταὶ ψηφοφοροῦντες ἦσαν οἱ ἄριστοι καὶ πρεσβύτατοι καὶ σοφώτατοι
τῶν ἐν τῇ πόλει, «[…] dass die abstimmenden Richter die herausragendsten, ältes­
ten und weisesten Männer in der Stadt waren»; […] δοκιμασθέντα ψήφῳ τῶν
ἀρίστων, «[…] nachdem sie durch das Votum der angesehendsten Bürger als ge­
eignet erklärt worden sind»), heißt es nämlich, dass einer der beiden Peripatetiker
(τῶν Περιπατητικῶν […] τὸν ἕτερον) unlängst gestorben sei (Luk. Eun. 2–3; dazu
Jones 1986 [*238: 29f.]). Nimmt man diese Aussage Lukians ernst, dann folgt aus
ihr, dass Mark Aurel in Athen insgesamt acht philosophische Lehrstühle einrich­
tete, nämlich zwei für jede der vier Richtungen, statt – wie man erwarten würde –
lediglich vier. Aus diesem Szenario resultiert eine Aporie in der modernen For­
schung, die dem Philosophenspötter aus Samosata vermutlich eine diebische
Freude bereitet hätte und die sich in folgenden Positionen manifestiert: Der An­
nahme von vier philosophischen Lehrstühlen (so Ameling 1983 [*225: 158], Horst
2013 [*529: 193]) steht die Position gegenüber, die von einer doppelten Anzahl aus­
geht (z. B. Glucker 1978 [*209: 148–150]), und neben einer unentschiedenen Sicht­
weise (Oliver 1970 [*192: 80]) findet sich der Vorschlag, vier Lehrstühle in dop­
pelter Besetzung in Erwägung zu ziehen (Hahn 1989 [*254: 126f. Anm. 30]). Eine
Entscheidung für oder gegen eine der dargelegten Positionen hängt wesentlich an
der Einschätzung der Belastbarkeit von Lukians Aussage, ohne die man kaum der
per se wenig naheliegenden Idee verfallen würde, die Einrichtung von acht statt
vier philosophischen Lehrstühlen in Athen durch Mark Aurel in Erwägung zu zie­
hen; diese Feststellung gilt in gleicher Weise für die Idee von vier Lehrstühlen in
doppelter Besetzung (für einen kritischen Überblick über die gesamte Diskussion
siehe Toulouse 2008 [*464: 158–172], der nachdrücklich für acht kaiserliche Lehr­
stühle für Philosophie argumentiert).
Wie die Frage nach der Anzahl der Lehrstühle, die zweifelsohne neben den
weiterhin existierenden städtischen und privaten philosophischen Einrichtungen

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36 I. Allgemeine Einleitung

etabliert wurden, so muss die Frage nach dem Prozedere bei deren Besetzung
offen bleiben: Dass die von Mark Aurel womöglich ebenfalls im Jahre 176, viel­
leicht aber auch bereits kurz zuvor in Athen eingerichtete ἱερὰ γερουσία («Heilige
Gerousie», ein Gremium, das sich aus vierhundert Mitgliedern zusammensetzte,
die über das Recht, an der athenischen Volksversammlung teilzunehmen und über
ein unbekanntes Mindestalter und -vermögen verfügten, und das grundsätzlich
mit kultischen Angelegenheiten befasst war – dazu Geagan 1967 [*184: 138f.],
Oliver 1989 [*256: 410–412]) in dieses Prozedere involviert war und überhaupt im
Zusammenhang mit den philosophischen Lehrstühlen eine Rolle spielte, muss
eine Hypothese bleiben (Oliver 1970 [*192: 84] und 1981 [*219: 216f.]). Dass hin­
gegen der Kaiser in den Vorgang eingebunden war, lässt sich schwerlich bezwei­
feln: Alexander von Aphrodisias, einer der wenigen namentlich bekannten athe­
nischen Lehrstuhlinhaber (zu diesen Hahn 1989 [*254: 128]), dedizierte zum
Dank für seine Berufung Septimius Severus und Caracalla seine Schrift ‹De fato›
(Περὶ εἱμαρμένης – ‹Über das Schicksal›) in religiöser Terminologie als «Erstlings­
opfer» (ἀπαρχή: Alex. Aphr. Fat. 1,164,1–11; dazu Sharples 2005 [*403: 47f.]).
Durch Alexanders Weihung einer Statue seines gleichnamigen Vaters, des Philo­
sophen Titus Aurelius Alexander, in seiner Heimatstadt in Karien ist auch gesi­
chert, dass der Titel der kaiserlichen Lehrstuhlinhaber Diadochos war, bezeich­
net sich der Peripatetiker in der Inschrift doch selbst als einen der Diadochoi in
Athen (Chaniotis 2004 [*138: 388f. Nr. 4]: τῶν Ἀθή|νησιν διαδόχων [Z. 7f.]; siehe
auch Chaniotis 2004 [*375], Smith 2006 [*429: 24]; dazu Sharples 2005 [*403]).
Mehr ist es dann allerdings aber auch nicht, was über Mark Aurels ambitionier­
tes Projekt bekannt ist, dem möglicherweise kein allzu großer Erfolg beschieden
war: Weder über die Auswirkungen der kaiserlichen Gründungen noch über deren
Dauerhaftigkeit lässt sich Sicheres sagen. Ob sie etwa bereits während der Herr­
schaft des Maximinus Thrax (in diesem Sinne Oliver 1977 [*207: 165–167]) oder
erst drei Jahrzehnte später infolge des verheerenden Heruler-Einfalls im Jahre 267
(so Toulouse 2008 [*464: 173f.]) zu existieren aufhörten, lässt sich aufgrund man­
gelnder Evidenzen nicht endgültig entscheiden (dies umso weniger, als es nicht
zwingend anzunehmen ist, dass es ein konkretes Ereignis war, das zum Erlöschen
der kaiserlichen Philosophenlehrstühle führte; zu entsprechenden Lehrstühlen in
der Spätantike in Konstantinopel sowie in Rom vgl. Goulet 2017 [*600: 615–622]).

7. Philosophische Unterrichtspraxis

Mark Aurels Initiative fällt in einen Zeitrahmen, der durch eine Veränderung in
der philosophischen Unterrichtspraxis geprägt ist, die mit einem allmählichen Wan­
del in der wissenschaftlichen Vorgehensweise der Philosophen einhergeht: Gemeint
ist die immer stärker werdende Fixierung auf die Kommentierung von als kanonisch
angesehenen Texten. Am Ende dieses Prozesses der ‘Kommentarisierung’ der Phi­
losophie steht die lange, letzte Phase der antiken Philosophiegeschichte, in der neue
Ideen nahezu ausschließlich in Kommentaren der ‘Klassiker’, insbesondere plato­
nischer und aristotelischer Werke, entwickelt und formuliert worden sind (zu die­

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 37

sem hier nur angerissenen Komplex sei allein verwiesen auf P. Hadot 1995 [*296:
232–237], I. Hadot 2002 [*353], Baltussen 2016 [*571: insb. 186–190]).
Wie diese Entwicklung ihren Niederschlag in der Unterrichtspraxis der Philo­
sophen fand, die oftmals geprägt war von einem Nahverhältnis zwischen Lehrer
und zumindest ausgewählten Schülern, lässt sich auf Grundlage einiger instruk­
tiver Zeugnisse idealtypisch rekonstruieren (ausführlich, jedoch nicht immer un­
problematisch I. Hadot 2003 [*368]). Um die frühere Phase, die grob gesprochen
die ersten zwei bis zweieinhalb Jahrhunderte der Kaiserzeit umfasste, paradigma­
tisch nachzuvollziehen (dazu Hahn 1989 [*254: 67–85]), bieten sich Aulus Gellius’
‹Noctes Atticae› (‹Attische Nächte›) an. Destillieren lässt sich aus ihnen die Schul­
praxis seines Lehrers, des im 2. Jahrhundert in Athen wirkenden und in Delphi
geehrten (Flacelière 1954 [*95: 181 Nr. 91 = F. Delphes III 4, 91]; dazu Haake 2006
[*417: 534]) Mittelplatonikers Kalvenos Tauros aus Berytos (zum mittelplatoni­
schen Umfeld des Tauros: Tarrant 2007 [*449], Petrucci 2018 [*607: Kap. 1]).
­Dessen tägliche Unterrichtsstunden fanden in seinem Haus statt und lassen sich
in offenere und exklusivere Unterweisungseinheiten einteilen. Begonnen wurde
der Unterrichtsalltag mit der Lektüre und Kommentierung philosophischer Texte,
in diesem Falle platonischer Dialoge; darauf folgte in der Regel eine allgemeine
‘philosophische Fragestunde’, in der Tauros beliebige Fragen aus seinem Schüler­
kreis beantwortete, womit der an alle Schüler gerichtete Unterricht beendet war.
Anschließend fanden weitere Gespräche mit dem engeren Schülerkreis statt.
Abends schließlich waren ihm verbundene Schüler gelegentlich noch zum gemein­
samen Gastmahl geladen, bei dem philosophische Konversation über ganz unter­
schiedliche Themenbereiche betrieben wurde (vgl. Lakmann 1995 [*297: 216–220]
auf der Grundlage von Gell. 17,20,1–9; 1,26,1–11; 2,2,1–11; 7,13,1–12; 17,8,1–17).
Ob der Alltag in Taurus’ Schule tatsächlich stets diesem strikten Schema folgte,
mag dahingestellt bleiben – in seiner Grundstruktur dürfte das entworfene Bild
zweifellos zutreffen.
Dies zeigt auch ein vergleichender Blick auf Epiktet und seinen Unterricht in
Nikopolis, der sich dank der Aufzeichnungen Arrians nachzeichnen lässt. Mögen
die ‹Diatribai› auch vergessen lassen, dass sie mit ihren vielfach ethisch-moralischen
und alltagspraktischen Erörterungen nur einen Teil des Schulgeschehens wider­
spiegeln: Zu diesem gehörten die Lektüre und Erklärung philosophischer Werke
ebenso wie das Verfassen von Texten (siehe z. B. Epikt. Ench. 2,1,34–35. 14,1;
3,24,28; grundlegend Hijmans 1959 [*172: 41–48]). Fortsetzen lässt sich diese Reihe
mit der Darstellung des Unterrichts von Plotin, den sein Schüler Porphyrios in der
Vita seines Lehrers geschildert hat und der ebenfalls gekennzeichnet war durch
Vorlesungen, in denen (auch?) die Kommentare anderer Philosophen zunächst vor­
gelesen und dann von Plotin diskutiert wurden, sowie thematisch offene (wenn
allem Anschein nach auch weniger auf ethisch-moralische Aspekte abzielende)
‘Frage-Antwort-Runden’ und das Vortragen von Texten von Angehörigen und Gäs­
ten der Schule (Porph. Vit. Plot. 13,1–17; 14,9–15,22; siehe Goulet-Cazé 1982 [*222:
261–273], Lamberton 2001 [*343: 442–447], Tarrant 2014 [*556: 20f.]).
Wie systematisierend der Zugriff auf die Philosophie in der Vermittlung sein
konnte, führt ein für seine Zeit einzigartiges Werk des anderweitig unbekannten

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38 I. Allgemeine Einleitung

mittelplatonischen Autors Alkinoos, der ‹Didaskalikos› (‹Handbuch der platoni­


schen Lehren›), durch seinen klar strukturierten Aufbau deutlich vor Augen: Zwi­
schen drei einleitenden und zwei abschließenden Kapiteln ist in drei Hauptteilen
die Philosophie Platons einführend dargestellt, wobei sich die Aufteilung an der
klassischen Dreiteilung der Philosophie orientiert, nämlich der Dialektik, der
theo­retischen und der praktischen Philosophie (zum Aufbau des Werkes siehe
etwa Dillon 1993 [*126: XIII–XXVI]). Als frühen Ausdruck dieses Bemühens um
einen klaren curricularen Aufbau des Studiums der Philosophie darf man wohl
auch Thrasyllos’ Unterfangen in tiberianischer Zeit ansehen, die platonischen
Dia­loge in eine (bis heute gültige) tetralogische Ordnung zu bringen und zu edie­
ren, um so einen Lesezyklus vorzugeben (so Ahbel-Rappe 2006 [*413: 536] auf der
Grundlage von Tarrant 1993 [*275: insb. 89–107]).
Die mit dem Verlauf des 2. Jahrhunderts stärker in den Hintergrund rückende
dialogisch-diskursive Vermittlungskultur in den Philosophenschulen und die
damit einhergehende zunehmende Dominanz der Kommentierung (dazu stark
zugespitzt Hahn 2007 [*440: 408]) findet ihren beredten Ausdruck in einer Aus­
sage von Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar der aristotelischen
‹Topica› (Alex. Aphr. In Top. 27,13–14 Wallies; vgl. I. Hadot 2003 [*368: 62f.]). Da­
neben (und partiell auch damit verbunden) ist eine monologisierend-dozierende
Tendenz in der philosophischen Schulpraxis auszumachen, die beispielhaft in Za­
charias Scholastikos’ Schilderung der Lehrpraxis seines Lehrers Ammonios Her­
meiou zutage tritt und die trotz des tendenziösen Charakters des Dialogs ‹Am­
monios› nicht grundsätzlich infrage zu stellen ist: Wie die Deuter von Orakeln (οἱ
τοὺς χρησμοὺς ἐξηγούμενοι) habe Ammonios, erhöht sitzend, die Weisheit des
Aristoteles und die Prinzipien dessen, was ist, erklärt (Zach. Sch. Ammon. 96–99
Minniti Colonna; dazu Gertz 2012 [*149: 149 Anm. 15]). Betrachtet man die Aus­
grabungen von Kom el-Dikka und führt sich die bauliche Struktur dieser Hörsäle
aus dem spätantiken Alexandrien vor Augen, so ist es nicht von der Hand zu wei­
sen, den archäologischen Befund auch als Stein gewordenen Ausdruck der in der
Spätantike voll entwickelten Form der ‘ex cathedra-Lehre’ zu deuten; zugleich
lässt dieser Befund die von Elias (Elias In Porph. 21,29–30) und Johannes Philo­
ponos (Philop. In Phys. 7, 771,21–772,3; englische Übersetzung der arabischen Pa­
raphrase von Philoponos’ Kommentar ‹In Aristotelis Physica› von Yaḥyâ ibn ‘Adî:
Lettinck 1994 [*128: 125]) angeführten Funktionen der architektonischen Gestal­
tung der Hörsäle auf plastische Weise deutlich werden: die Möglichkeit des Blick­
kontaktes zwischen den Schülern und deren freie Sicht auf den Lehrer einerseits
und die Chance des Lehrers, die Gesichter seiner Schüler jederzeit zu kontrollie­
ren andererseits (zu den Hörsälen von Kom el-Dikka siehe Majcherek 2007 [*444]
und 2010 [*488], Łukaszewicz 2013 [*534]; vgl. auch Bowersock 2006 [*414: 180–
182], Sorabji 2014 [*554: 30–33]).
Wie man sich den Unterricht in diesen archäologischen Überresten strukturell
vorzustellen hat, darüber gibt ein beredtes Zeugnis Aufschluss, das es erlaubt, den
Aufbau des philosophischen Unterrichts am Ende der Antike nachzuvollziehen:
die ‹Prolegomena in Platonis philosophiam› (Προλεγόμενα τῆς Πλάτωνος
φιλοσοφίας, ‹Prolegomena zur Philosophie Platons›) eines anonymen Verfassers,

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 39

die wahrscheinlich den Unterricht eines unbekannten Nachfolgers des Olympio­


doros im Alexandrien der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zusammenfassend
widerspiegeln (siehe etwa Westerink, Trouillard 1990 [*125: LIX–LXXXIX]).
Dieser Text gehört zu einer Gruppe von alexandrinischen Werken neuplatonischer
Provenienz, die recht genaue Rückschlüsse über den Aufbau des philosophischen
Unterrichts gewähren, da es sich bei ihnen um ‘Vorlesungsmitschriften’ handelt
(zur Bedeutung des kaiserzeitlichen Aristotelismus und insbesondere des Aspa­
sios und seines Kommentars ‹In Ethica Nicomachea› für die Ausbildung des spät­
antiken philosophischen Curriculums siehe Perkams 2015 [*569]); zu denken ist
hier etwa an die Kommentare von Ammonios Hermeiou, Elias, David und Ps.-
Elias zu Porphyrios’ ‹Isagoge› (‹Einführung›; vgl. dazu I. Hadot 1987 [*242], Rou­
eché 2012 [*520: 125f.]), die ein diesbezüglich aufschlussreiches Zeugnis darstel­
len (Barnes 2003 [*136: XIII–XIX). Daneben ist ein Text zu nennen, der oft
weniger Aufmerksamkeit erhält, als er verdient, und der im wörtlichen Sinne mi­
nutiöse Einsichten in eine astrologische Unterrichtseinheit im Zeitraum zwischen
Mai und Juli des Jahres 564 in Alexandrien gewährt: der unter Heliodoros’ Namen
überlieferte Kommentar zu den ‹Eisagogika› des Paulos von Alexandrien ­(Goulet
2012 [*508]), der sich Olympiodoros zuschreiben lässt (Ps.-Heliod. [Olymp.] In
Paul. Alex. Boer; dazu Westerink 1971 [*194]).

8. Der Neuplatonismus

Eines der wesentlichen Charakteristika der Philosophie seit etwa der Mitte des
3. Jahrhunderts ist das bis in das 7. Jahrhundert fortdauernde Phänomen, das
unter dem modernen Begriff ‘Neuplatonismus’ gefasst wird und in dessen Gefolge
die anderen klassischen Philosophenschulen als eigenständig wahrnehmbare und
distinkte Denkrichtungen endgültig von der philosophischen Landkarte ver­
schwanden, ganz zu schweigen von diesbezüglichen spezifischen institutionellen
Einrichtungen. Dabei hat man es allerdings weniger mit einem primär systema­
tisch motivierten Ansatz zu tun, sondern – und dies dürfte einer der Gründe für
den nachhaltigen Erfolg des Neuplatonismus gewesen sein – vielmehr mit einer
offenen, verschiedene Positionen integrierenden Denkstruktur, in der es nicht den
einen Schulgründer, sondern unzählige Schulgründungen gab; insbesondere Pla­
ton sowie auch Aristoteles und ferner Pythagoras waren dabei zentrale Referenz­
punkte. Darüber hinaus vermochten die meisten anderen philosophischen Rich­
tungen bzw. zumindest Bestandteile von ihnen in den zu einer philosophischen
‘Koine’ (κοινή) gewordenen Neuplatonismus integriert und adaptiert zu werden.
Da diese Permeabilität auch für verschiedene ‘orientalische’ Weisheitslehren oder
die ‹Chaldäischen Orakel› gilt, hat man es mit einem überaus facettenreichen, teils
höchst diversen Komplex zu tun, der nicht ausschließlich als philosophisches Ge­
bäude verstanden werden sollte, sondern auch – und damit in gewisser Weise ver­
gleichbar der Zweiten (und, so man ihre Existenz akzeptiert, Dritten) Sophistik –
als ein (geographisch und sozial begrenztes) kulturelles Phänomen, das durch die
fortwährenden vielfältigen und tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft

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40 I. Allgemeine Einleitung

des Imperium Romanum seit der Mitte des 3. Jahrhunderts mitbedingt war und
das auf durchaus kreative Weise in einer Assemblage philosophischer Bausteine,
intellektueller Traditionen und religiös-paganer Vorstellungen samt theurgischen
Praktiken resultierte (siehe in diesem Zusammenhang besonders Wildberg 2016
[*598]; vgl. auch Edwards 2015 [*561: 42–44]; zu dem zuletzt genannten Aspekt
Addey 2014 [*23]).
Auch wenn man vielleicht keine Einigkeit in der Frage erzielen kann, ob Plo­
tin stricto sensu als der Begründer des Neuplatonismus anzusehen ist, so kommt
ihm doch ganz zweifelsfrei eine wichtige Bedeutung als Motor für dessen Ent­
wicklung zu (dazu etwa Gatti 1996 [*303], Chiaradonna 2009 [*469: 9–32]). Dass
er keine ihn überdauernde Schule etablierte (seine ambitionierten, jedoch im Ein­
zelnen nicht eindeutig rekonstruierbaren Pläne einer in Kampanien gelegenen Pla­
tonopolis konnten nicht realisiert werden, vgl. Porph. Vit. Plot. 12,1–12; dazu
O’Meara 2003 [*15: 15f.]), sondern sich der philosophische Kern seines Schüler­
kreises zu Ende seines Lebens vor allem über die östliche Hemisphäre des Impe­
riums dislozierte und dort eigene Zirkel ins Leben rief, von denen ausgehend dann
teilweise weitere neuplatonische Gemeinschaften etabliert wurden, ist zweifelsfrei
als eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Neuplatonismus anzusehen. In
diesem Prozess spielte aufgrund seiner Schriften der Enkel-Schüler Iamblichos
von Chalkis eine zentrale Rolle (O’Meara 2003 [*15: 16–19]), der eine Schule in
Apameia am Orontes leitete, die er entweder selbst gründete oder aber von sei­
nem Lehrer Amelios übernahm (dazu Saffrey, Westerink 1968 [*108: XLIV],
Penella 1990 [*265: 44]; instruktiv in diesem Zusammenhang ist ein Rangstreit
zwischen Laodikeia und Apameia vor Julian, in dem in den Reden für Apameia
implizit auch auf Iamblichos Bezug genommen wird: Lib. Or. 18,187) und die man
mit den Überresten eines Gebäudes unter der ‘cathédrale de l’Est’ in Verbindung
bringen zu können glaubt (Balty 1972 [*110: 103–123], Balty, Balty 1984 [*227],
Balty 2014 [*542]); bald nach dem Tod ihres Gründers löste sie sich auf und wurde
später von Aidesios (Goulet 1989 [*250]) in Pergamon wieder ins Leben gerufen
(Eun. Vit. soph. p. 19,21–27; 26,9–13 Goulet = p. 18,14–20; 25,1–4 Giangrande;
dazu Becker 2013 [*150: 244, 277]). Neben derartigen kurzlebigen neuplatoni­
schen Gemeinschaften gab es vor allem an zwei Orten eine langfristig-kontinuier­
liche Präsenz neuplatonischer Philosophen: in Athen und Alexandrien.

9. Athen und Alexandrien als neuplatonische Zentren

Über die Differenzen, Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen den phi­


losophischen Gemeinschaften an diesen beiden Orten in der Spätantike wird in
der Forschung seit mehr als einem Jahrhundert immer wieder kontrovers disku­
tiert: Auf die ältere Vorstellung, dass der beiderorts betriebene Philosophieunter­
richt zwar in seiner Form vergleichbar, inhaltlich jedoch durch eine stärker pagane
Ausprägung in Athen und eine stärker christliche Ausrichtung in Alexandrien
voneinander zu unterscheiden sei (so einflussreich Praechter 1910 [*160] und 1912
[*161]), folgend, wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Sichtweise

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 41

vorherrschend, dass vielmehr der Philosophieunterricht in seinen Strukturen und


in formaler Hinsicht nicht vergleichbar gewesen sei, wohingegen es auf inhaltlicher
Ebene keine grundsätzlichen Differenzen gegeben habe (Marrou 1963 [*177: 132–
138], I. Hadot 1978 [*210: insb. 9–14]). Aus diesen einander widersprechenden
­Positionen hat sich seither eine in gewisser Weise nivellierende Position heraus­
gebildet, der zufolge es in Bezug auf die Inhalte nicht möglich sei, wesentliche Un­
terschiede zu diagnostizieren, während es hinsichtlich der Organisationsformen
angebracht sei, die Vergleichbarkeit gegenüber der Verschiedenheit zu betonen
(Vinzent 2000 [*340]).
Diese Diskussion ist keineswegs als abgeschlossen zu betrachten, doch lassen
sich einige Punkte formulieren, welche die Ausgangslage für weitere vergleichende
Erörterungen über den Neuplatonismus in Athen und Alexandrien markieren
(umfassend: Watts 2006 [*430: 41–142, 155–261]).
Zweifelsfrei ist, dass es in Athen eine verschiedentlich umkämpfte Abfolge von
Schuloberhäuptern gab (O’Meara 2003 [*15: 19–22]; zu der aus Proklos’ Nachfolge
resultierenden schulinternen ‘Stasis’ mit in der Forschung umstrittenen Rollen des
Zenodotos – zu diesem Goulet 2018 [*604] – und des aus der Familie Plutarchs
stammenden Hegias – zu diesem Saffrey 2000 [*337] – siehe etwa Watts 2006
[*430: 112–125]; für eine quellennahe, jedoch unkritische und weitestgehend über­
holte Darstellung des intellektuellen Lebens in Athen im 4. und 5. Jahrhundert
vgl. Schemmel 1908 [*159]). Diese Abfolge reichte sicher von Plutarch von Athen
über Syrianos und Proklos, die in einer gemeinsamen Grablege bestattet wurden
(Marin. Vit. Procl. 36,24–41 Saffrey-Segonds; dazu Marchiandi 2006 [*423: 105–
113]; zum inschriftlich erhaltenen Grabepigramm für Syrianos, IG II² 13451, zu­
letzt Staab 2014 [*555: 85–95]), über Marinos (nicht zu überzeugen vermag Miller
2002 [*356] mit seiner Interpretation einer äußerst fragmentarischen Inschrift –
Peek 1942 [*92: 71f. Nr. 125] – als Zusammenfassung von Marinos’ ‹Vita Procli›),
Isidoros bis hin zu Damaskios. Diese Schuloberhäupter standen einer Einrichtung
privaten Charakters mit beträchtlichen ökonomischen Ressourcen vor (Dam.
Vit. Isid. fr. 102 Athanassiadi = fr. 265, p. 213,8–14 [Epit. Phot. 158, p. 212,1–5]
Zintzen; vgl. Brisson 2008 [*454: 36–40]), die sie in der Tradition der platonischen
Akademie sahen (Olymp. In Alc. 141 Westerink). Allem Anschein nach besaß
diese private Institution ein geregeltes Verfahren bezüglich der Nachfolge. Dies
legt zumindest eine Formulierung aus Damaskios’ ‹Vita Isidori› nahe, der zufolge
Marinos Isidoros davon zu überzeugen vermochte, seine Nachfolge – wie (wohl
seitens der kleinen philosophischen Gemeinschaft) beschlossen – anzutreten ([…]
δέξασθαι τὸ ψήφισμα τῆς διαδοχῆς, «[…] den Beschluss über die Nachfolge an­
zunehmen»: Dam. Vit. Isid. fr. 148C Athanassiadi = Epit. Phot. 226, p. 292,4–5
Zintzen; vgl. dazu Glucker 1978 [*209: 154f.]).
Anders als in Bezug auf Athen gibt es für die neuplatonischen Philosophen in
Alexandrien keine Zeugnisse, die es erlauben würden, eine Sukzession von
Schuloberhäuptern zu rekonstruieren, die der athenischen zwischen Plutarch und
Damaskios vergleichbar wäre (für einen Überblick siehe MacCoull 2007 [*443]).
Überhaupt ist es unklar, ob es eine derartige Sukzession aufgrund der lokalen alex-
andrinischen Bedingungen überhaupt hätte geben können, zumal sich der neu­

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42 I. Allgemeine Einleitung

platonische philosophische Unterricht – so viel lässt sich trotz der diesbezüglich


überaus unzulänglichen Quellenlage vorsichtig formulieren – in anderen, wohl
weniger dauerhaften Bahnen abspielte als in Athen.
So ist zwar für Hypatia, die der Kirchenhistoriker Sokrates in eine platonisch-
plotinische Tradition einordnet (Sokr. Hist. eccl. 7,15,1 Hansen; dazu Évrard 1977
[*205: 73f.]), ein großer Schülerkreis bezeugt (Dzielska 1995 [*294: 27–46]), doch
kann weder ihre verschiedentlich formulierte Verbindung mit dem Museion (Vin­
zent 2000 [*340: 68f.]), dessen Bestehen und Funktionieren an der Wende vom 4.
zum 5. Jahrhundert keineswegs klar ist (siehe Schiano 2002 [*360: 129–131]; dazu
Watts 2006 [*430: 194]), noch die häufige Annahme, dass sie einen der öffentlich
besoldeten philosophischen Lehrstühle (deren Existenz u. a. von Marin. Vit. Procl.
9,12–19 Saffrey-Segonds abhängt) innegehabt hätte, als gesichert angesehen wer­
den (Vinzent 2000 [*340: 67f.] auf der Grundlage von Dam. Vit. Isid. fr. 43A,5–7;
56,17–19 Athanassiadi = fr. 102, p. 77,5–7; fr. *124, p. 107,4–6 Zintzen; dazu Watts
2006 [*430: 194f.]). Vielmehr ist dies als genauso problematisch zu erachten wie
die zuweilen vermutete Übernahme einer postulierten Schule ihres Vaters Theon
(so Watts 2006 [*430: 187f., 191f.]; zu Theon: Feke 2016 [*580]), der neben seiner
allein in der ‹Suda› bezeugten Zugehörigkeit zum Museion (Suda II,702,10 Adler
s. v. Θέων) und einer daraus verschiedentlich abgeleiteten gleichzeitigen Ausübung
einer der öffentlichen Professuren alternativ oder supplementär auch eine private
Schule geleitet hätte (zu der der Sudastelle inhärenten Problematik vgl. Schiano
2002 [*360: insb. 135]). Denkbar (und in keinem Widerspruch zu den verfügbaren
Quellen stehend) ist am ehesten die – mit der gebotenen Vorsicht zu formulierende
– Annahme einer nicht öffentlich institutionalisierten Schule der Hypatia in Alex­
andrien.
Neben Hypatia gab es im späten 4. Jahrhundert noch weitere neuplatonische
Akteure auf der alexandrinischen Bühne, die außerhalb der Kreise der Philoso­
phin agierten: Beispielhaft genannt seien Antoninos und Olymp(i)os. Ersterer,
Sohn der Philosophen Eustathios von Kappadokien und Sosipatra von Ephesos
(Goulet 1989 [*251], 2000 [*325] und 2016 [*584]), führte in einem Tempel des Sa­
rapis in Kanobos vor den Toren Alexandriens ein asketisches Leben und soll kurz
vor seinem Tod die Zerstörung des Serapeions vorhergesagt haben (u. a. Eun. Vit.
soph. p. 37,18–26; 39,22–42,3 Goulet = p. 36,6–13; 38,10–40,19 Giangrande; Aug.
Div. daem. 1,1; 6,11); letzterer (Diebler 2005 [*394]) zählte zu den gewaltbereiten
paganen Protagonisten, die zu Beginn des Jahres 392 das Heiligtum vergeblich
vor seiner Zerstörung bewahren wollten (dazu Hahn 2006 [*418]).
Infolge des gewaltsamen Todes der Hypatia im Jahre 415, der im Zusammen­
hang mit dem Ausbruch lokaler religiöser Konflikte stand (Haas 1997 [*307: 313–
316], Hahn 2004 [*380: 106–120]), geriet Alexandrien gegenüber Athen als Ort
neuplatonischer Philosophie für ein gutes halbes Jahrhundert insofern ins Hinter­
treffen (Watts 2004 [*389]), als Athen als Studienort in gewisser Weise obligato­
risch war; beredte Beispiele sind in dieser Hinsicht Hierokles – für den sich frei­
lich durch keine Quellenzeugnisse stützen lässt, dass er in der Nachfolge Hypatias
einen öffentlichen Lehrstuhl in Alexandrien innegehabt hätte (so Vinzent 2000
[*340: 74, 77]; doch vgl. Watts 2006 [*430: 207 Anm. 14] und siehe zu Hierokles in

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 43

Athen und Alexandrien Schibli 2002 [*361: 4–13]) – und Hermeias. Letzterer kann
exemplarisch zugleich auch für die grundsätzlich engen, vielfach familiären Ver­
bindungen zwischen den athenischen und alexandrinischen Neuplatonikern ste­
hen (O’Meara 2003 [*15: 23], Ruffini 2004 [*386]): Er war mit Aidesia, einer Ver­
wandten des Syrianos, verheiratet (Puech 2012 [*516: 306–308]). Nach dem frühen
Tod des Hermeias, der in Alexandrien öffentlich dotiert Philosophie unterrich­
tete, trug sie dafür Sorge, dass ihre gemeinsamen Söhne, die das Kindesalter über­
lebten, nämlich Ammonios und Heliodoros, eine gute philosophische Bildung er­
hielten, und laut Damaskios gelang es ihr, ihnen den eigentlich für den Vater
bestimmten Lohn für eine Weile zu sichern (Dam. Vit. Isid. fr. 56,15–22 Athanas­
siadi = fr. *124, p. 107,2–8 Zintzen). Ob sich aus diesem schwierig zu interpretie­
renden Passus in der ‹Vita Isidori› in Kombination mit einer Aussage in der ‹Vita
Severi› des Zacharias Scholastikos (Zach. Sch. Vit. Sev. Ant. 16,10–12; 22,14–16
Kugener) allerdings schlussfolgern lässt, dass Ammonios viele Jahre nach dem
Tod seines Vaters dessen (unmittelbarer) Nachfolger in der Funktion eines öffent­
lich bestallten Philosophen wurde, ist zwar nicht auszuschließen. Doch sollte diese
sehr weitreichende Interpretation keineswegs als sicher veranschlagt und als vali­
der Beleg für eine zumindest kurze philosophische Sukzessionssequenz angese­
hen werden, aus der letztlich generalisierend die organisatorische Ähnlichkeit der
alexandrinischen und der athenischen neuplatonischen Gemeinschaften hergelei­
tet werden kann (so Vinzent 2000 [*340: 65]).
So offen also letztlich die Zuweisung von bestimmten öffentlichen philosophi­
schen Lehrfunktionen an einzelne Philosophen bleiben muss, so sicher ist, dass es
im spätantiken Alexandrien weit mehr als nur einen Ort des Unterrichtens der
Philosophie gab. Dies verdeutlicht eindrücklich ein zu wenig beachteter, jedoch
in vielfältiger Hinsicht höchst aufschlussreicher, in die zweite Hälfte des 6. Jahr­
hunderts zu datierender Papyrus (Maspero 1916 [*84: 47–54 Nr. 67295, I–II = P.
Cair. Masp. III 67295, I–II] = Caprara 2008 [*145 = CPF I,2 Kap. 19 (p. 234–241)];
dazu Maspero 1914 [*83], Caprara 1998 [*313]), der die Kopie einer Petition des
Philosophen Flavius Horapollon aus Phenebythis (Goulet 2000 [*327]) aus den
Jahren 491 bis 493 beinhaltet. Der Fall, um den es geht – ein Rechtsstreit um Be­
sitz zwischen Horapollon und seiner mit ihm zerstrittenen Ehefrau (verfahrens­
technisch handelt es sich um eine ‹Actio rerum amotarum›) –, ist hier weniger von
Belang als die Erwähnung von Akademien (ἀκαδημ̣ [ί]α̣ ς̣) in Alexandrien, in denen
Horapollon Philosophie unterrichtete (Z. 13f.), und von Museia (Μουσείοις), in
denen sein Vater Asklepiades (Goulet 1989 [*252]) die jungen Männer unterwie­
sen hatte (Z. 15f.).
Diesen philosophischen Pluralismus in der spätantiken Metropole Alexandrien
darf man wohl als Gegensatz zur Situation im eher etwas beschaulicheren Athen
auffassen, für das zumindest die Quellen das Bild einer philosophischen Monokul­
tur liefern, die von Plutarchs wieder begründeter Akademie geprägt war. Ob und
inwiefern dieser Unterschied in Verbindung mit weiteren Faktoren den differenten
Befund hinsichtlich der Existenz einer athenischen und einer alexandrischen Suk­
zession zu erklären vermag, ist eine letztlich kaum zu entscheidende Frage. Sicher
ist hingegen eine ganz wesentliche Gemeinsamkeit, die zwischen den philosophi­

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44 I. Allgemeine Einleitung

schen Gruppen in Athen und Alexandrien bestand: ihre Zusammensetzung aus


Mitgliedern der lokalen und auch imperialen Eliten der allerdings nurmehr öst­
lichen Mittelmeerwelt (eine für Boethius auf der Grundlage von Cassiod. Var.
1,45,3 Giardina in Erwägung gezogene ‘Bildungsreise’ nach Athen oder – basie­
rend auf einer Analyse seines philosophischen Œuvre – alternativ nach Alexand­
rien – dazu Courcelle 21948 [*167: 259–300] – ist nach Moorhead 2009 [*475: 29]
abzulehnen), die vielfach (große) Teile ihres Lebens nicht der Philosophie widme­
ten, sondern traditionelle Aufgaben der ‘herrschenden Klasse’ übernahmen (zu
Athen O’Meara 2003 [*15: 20f.]: «a veritable Gotha of aristocrats and high govern­
ment officials of the period»; zu Alexandrien bezüglich Hypatia, die über gute Kon­
takte etwa zum Präfekten Orestes verfügte: Haas 1997 [*307: 312f.], O’Meara 2003
[*15: 24]; Elias hatte in Alexandrien im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts die Stel­
lung eines Eparchen (ἔπαρχος), was wohl als ‘Ehrenpräfekt’ aufzufassen ist, inne:
Elias In An. pr. 134,1–2 Westerink mit Al. Cameron 1966–1967 [*182: 656 Anm.
20]). Als soziale Praxis und kulturelles Phänomen eignet der Philosophie trotz sich
ändernder Kontexte wie der Etablierung des Christentums mithin also eine erheb­
liche Persistenz, die eine Kontinuität zu früheren Epochen zutage treten lässt.
Mit dem Christentum ist nun ein Aspekt angesprochen, der noch einmal eine
Differenz zwischen den Neuplatonikern in Athen und Alexandrien bedingt. Wäh­
rend in Bezug auf die Protagonisten unter den athenischen Neuplatonikern nämlich
nichts über später prominente christliche Schüler zu erfahren ist (ob Christodoros
von Koptos – zu diesem Saffrey 1994 [*290] –, der ein einbändiges Werk in Hexa­
metern mit dem Titel Περὶ τῶν ἀκροατῶν τοῦ μεγάλου Πρόκλου, ‹Über die Hörer
des großen Proklos›, verfasste – siehe Lyd. Mag. 3,26,3,2–3 Schamp mit Tissoni 2000
[*135: 18–20] – Christ war, wie O’Meara 2003 [*15: 22] annimmt, und somit als
Zeuge dafür dienen kann, dass Proklos’ Verhältnis zu Christen nicht grundsätzlich
schlecht war, ist in der Forschung zumindest nicht unumstritten; siehe den Kom­
mentar von A. Kadellis zu Christodoros von Koptos, BNJ 283 T 1), verhält sich dies
in Alexandrien anders, was womöglich durch den Umstand mit bedingt ist, dass es
dort auch ein starkes christlich-intellektuelles Milieu gab – es genügt, an Origenes,
dessen außerordentliche philosophische Bildung außer Frage steht (zur kontrover­
sen und komplexen ‘Origenes-Frage’ siehe etwa Edwards 1993 [*274], Bruns 2008
[*455], Tanaseanu-Döbler 2010 [*494: 88–92], Urbano 2013 [*539: 70–77], Riedweg
2018 [*610]), und Origenes’ vom paganen zum christlichen Glauben konvertierten
Schüler Heraklas, späterhin Bischof von Alexandrien (Goulet 2000 [*326]), oder an
die viel diskutierte sogenannte Katechetenschule (zu dieser etwa Scholten 1995
[*300], van den Hoek 1997 [*311], Wyrwa 2005 [*412], Watts 2006 [*430: 164
Anm. 116]) und später an Johannes Philoponos zu denken.

10. Philosophie und Christentum

In diesem Kontext kann die überaus komplexe Geschichte der wechselseitigen


Beziehungen zwischen Philosophie und Christentum nicht eingehend thematisiert
werden (instruktiv in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Differenzen: Eshleman

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 45

2012 [*506]; in Bezug auf christliche und pagane Philosophie: Kobusch 2008
[*461]), und auch die vielschichtige Frage, ob, inwiefern und auf welche Weise der
Bischof in Teilen die Rolle des Philosophen in der spätantiken Stadt übernahm,
muss an dieser Stelle gänzlich außer Betracht gelassen werden (dazu vielfach
Brown 1992 [*271]). Betont sei allein, dass ein zentrales Merkmal dieses Verhält­
nisses die strukturelle Konkurrenz zwischen Philosophie und Christentum war
(dazu Pietzner 2007 [*447]; vgl. auch Rohmann 2016 [*591: 149–197]), die sich
nicht nur wegen der sich stets asymmetrischen, jedoch wandelnden ‘Machtverhält­
nisse’ auf verschiedene Weise und in unterschiedlicher Intensität zwischen den
Polen Adaption und Ablehnung manifestierte, wobei auf Seite der Christen bei
aller zu beobachtenden Ablehnung eine weit größere Offenheit gegenüber der
Philosophie zu beobachten ist (zur Diskussion über und zum Umgang mit Philo­
sophie bei christlichen Autoren siehe Stead 1994 [*292: insb. 79–94], Boys-Stones
2001 [*342: 176–202], Stroumsa 2012 [*522], Karamanolis 2013 [*530]) als seitens
paganer Philosophen gegenüber dem Christentum: Man denke hier auf christ­
licher Seite beispielsweise an Tertullian (Fredouille 2016 [*582: 761–769]), Cle­
mens von Alexandrien (Dainese 2012 [*504]), den zum Christentum konvertier­
ten Marius Victorinus (Karfíková 2018 [*606]; siehe außerdem Cooper 2016
[*577]) sowie auch Calcidius (Reydams-Schils 2010 [*492: 498–507]) und nicht zu­
letzt den mehrfachen Konvertiten Augustinus von Hippo bzw. an Aineias von
Gaza (Jones 2014 [*547: 86f.]) oder den anonymen Verfasser der Schrift ‹Contra
philosophos› (‹Gegen die Philosophen›; vgl. Colish 21990 [*232: 290–297]), wäh­
rend seitens paganer Philosophen exemplarisch Porphyrios’ Schrift ‹Adversus
Christianos› (‹Gegen die Christen›) genannt sei (dazu Männlein-Robert 2014
[*550], Becker 2016 [*153: 15–85]; allgemein zu philosophischer Polemik gegen
Christen siehe Riedweg 2016 [*590]). Dieser Text ist grundsätzlich mit anderen
Schriften philosophischer Provenienz zu vergemeinschaften, denen eine pole­
mische Intention gegen monotheistisch geprägte Heilsbewegungen eignet, die aus
der Warte der Philosophen auch als Bedrohung der eigenen gesellschaftlichen Re­
levanz erachtet wurden (auf die in der Forschung überaus kontrovers diskutierte
Frage um die Existenz und Formen eines philosophischen ‘paganen Monotheis­
mus’, der im vorliegenden Kontext von Belang gewesen sein könnte, sei hier ledig­
lich hingewiesen; siehe etwa Frede 1999 [*319], Edwards 2004 [*376], Addey 2010
[*480], Siniossoglu 2010 [*493], Brenk 2011 [*496], Edwards 2015 [*561: 132–134];
zum religiösen Charakter der spätantiken Philosophie siehe Perkams 2007 [*446]).
Beispielhaft verwiesen sei auf eine ‹Enneade› Plotins, die aufgrund einer Nachricht
von Porphyrios (Porph. Vit. Plot. 16,9–11) unter dem Titel ‹Adversus Gnosticos›
(‹Gegen die Gnostiker›) bekannt ist (Plot. Enn. II 9 [33]; dazu Kalligas 2014 [*151:
363–370]), und auf den Traktat Πρὸς τὰς Μανιχαίου δόξας (‹Contra Manichaei
opiniones disputatio› – ‹Gegen die Meinungen Manis›) des Platonikers Alexander
von Lykopolis (dazu etwa van der Horst, Mansfeld 1974 [*114: 2–47]).

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46 I. Allgemeine Einleitung

11. Klöster, Mönchtum und Philosophie

Eine spezifische Form institutioneller Rahmenbedingungen für die Auseinan­


dersetzung mit philosophischen Themen, die Tradierung philosophischen Wissens
sowie die Überlieferung philosophischer Texte liegt im Kontext des Mönchtums
und der Klöster vor. Allerdings hat das Mönchtum von seiner Genese her keine
unmittelbaren Beziehungen zur ‘klassischen’ philosophischen Tradition, auch
wenn in der älteren Forschung diese Möglichkeit bisweilen in Betracht gezogen
worden ist (vgl. Reitzenstein 1914 [*162: 44–68], Heussi 1936 [*166: 292–304]; siehe
zuletzt Rubenson 2012 [*521: 503–505]). Es basiert vielmehr auf Lebensweisen
frühchristlicher Askese, die radikal gesteigert wurden und ihre entscheidende
Ausprägung in der Anachorese, im räumlichen Rückzug aus der Welt und in der
Absonderung vom Gemeindeleben der Kirchgemeinde vor Ort, fanden. In der
Abgeschiedenheit und Einsamkeit suchten die frühen Mönche spirituelle Voll­
kommenheit zu erlangen (vgl. prägnant Maraval 1996 [*304: 816]; siehe auch
Frank 62010 [*201: 1–19]). Wenn in diesem Umfeld philosophisch-theologischer
Bildung Wert beigemessen wurde, so ist dies auf einzelne monastische Führungs­
persönlichkeiten zurückzuführen, die aufgrund ihres sozialen Hintergrunds über
entsprechende Interessen und Kenntnisse verfügten.
Als fundierender Text des Mönchtums ist die in der zweiten Hälfte des 4. Jahr­
hunderts vom hochgebildeten Bischof Athanasios von Alexandrien verfasste, in
der Forschung (teils auch hinsichtlich der Frage ihrer Autorschaft) kontrovers dis­
kutierte Lebensbeschreibung des Mönchsvaters Antonios (obwohl Antonios nicht
der erste Eremit in Ägypten war) anzusehen, die zu einem wirkmächtigen Vorbild
für alle christliche hagiographische Literatur werden sollte (zur ‹Vita Antonii›
siehe Urbano 2008 [*465] sowie insbesondere Wyrwa 2009 [*479] und ferner Ru­
benson 2013 [*536]). Athanasios zeichnet in der ‹Vita› das Lebensbild des Anto­
nios als Muster und Norm für die asketische Lebenspraxis des Mönchtums, wobei
er sich in seiner literarischen Ausgestaltung der Figur des Antonios durchaus Ele­
mente zunutze machte, die dem philosophischen Kontext entstammen (Reitzen­
stein 1914 [*162: 52–68]; zu ‘Pythagoreismen’ in der ‹Vita Antonii› Bremmer 2016
[*574]). Wenn Athanasios allerdings schildert, wie der koptisch sprechende Anto­
nios im hohen Alter trotz mangelnder Bildung griechische Philosophen, die ihn
an seinem Rückzugsort in der Wüste aufsuchten, mit seiner Weisheit in Staunen
versetzte (Athan. Vit. Anton. 72,1–74,10), so wird damit ein markanter Kontrast
geschaffen zwischen den Repräsentanten der ‘Königsdisziplin’ des überkomme­
nen griechischen Bildungsideals und dem ungebildeten, aber überlegenen Eremi­
ten, der als von Gott belehrt und Werkzeug Christi dargestellt wird (Athan. Vit.
Anton. 66,2; 80,6). Literarisch eingebettet ist die Szene der Überwindung der Phi­
losophen durch den «Mann Gottes» (ὁ τοῦ θεοῦ ἄνθρωπος: Athan. Vit. Anton.
70,2; 71,1) in einen übergreifenden Erzählbogen, der zeigen soll, wie die Ver­
heißung Christi, Antonios stets beizustehen und ihn überall berühmt zu machen
(Athan. Vit. Anton. 10,3), in Erfüllung gegangen ist: Bis an die Grenzen der be­
wohnten Welt lässt Athanasios den Ruhm seines ‘Helden’ dringen (Athan. Vit.
Anton. 93,1–6), und sogar Kaiser Konstantin und seine Söhne Constantius und

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 47

Constans sollen brieflich mit ihm in Kontakt gestanden haben (Athan. Vit. Anton.
81,1–6). In der ‹Vita Antonii› allein einen apologetischen anti-neupythagoreischen
bzw. anti-neopythagoreischen Traktat zu sehen (so Rubenson 2006 [*427: 208]),
heißt deshalb, die dieser Schrift zugrunde liegende Intention allzu stark zu redu­
zieren und ihre zweifelsfrei verschiedenen Adressatenkreise in ihrer Vielfältigkeit
und Verschiedenheit zu vernachlässigen (vgl. Wyrwa 2009 [*479: 18–25]).
Bildungsferne und Bildungsverachtung sind unzweifelhaft zentrale Charakteris­
tika des östlichen Mönchtums. Zwar hat die neuere Forschung an dem verbreiteten
Bild des ungebildeten Mönchs, dem die ‘paideia’ aufgrund seiner inferioren sozia­
len Herkunft geradezu wesensfremd war (siehe beispielsweise Brown 1998 [*312:
607]), deutliche Korrekturen angebracht und auf die außerordentliche Vielfalt von
nahezu gleichzeitig anzutreffenden monastischen Lebensformen sowie auf die He­
rausbildung monastischer Großräume aufmerksam gemacht, wo sich in verschiede­
nen sozialen und kulturellen Kontexten differente Profile von Frömmigkeitspraxis
und geistigem Leben herausbildeten, die auch das Verhältnis zur paganen Bildung
tangierten (Rubenson 2012 [*521: 487f.]). So sind die Gegebenheiten in Unter- und
Oberägypten, in Palästina, in Syrien, in Kleinasien oder in der Hauptstadt Konstan­
tinopel merklich voneinander unterschieden (Maraval 1996 [*304], Rubenson 2007
[*448]), und im Okzident liegen die Verhältnisse noch einmal anders (Biarne 1996
[*302], Dunn 2007 [*433]). Doch lassen sich in den verschiedenen ‘Mönchsland­
schaften’ (zu diesem Begriff Martin 31995 [*298: 212]) immer wieder monastische
Führungspersönlichkeiten ausmachen, die der Beschäftigung mit der Philosophie
in Verbindung mit theologischen Studien Bedeutung beimaßen.
Das ägyptische Mönchtum – sei es in der anachoretischen Gestalt, sei es in Form
der Eremitenkolonien oder des pachomianischen Koinobitentums – war nicht gänz­
lich ungebildet (auch Antonios war durch die origenistische Tradition geprägt und
kein Analphabet), aber es hielt je länger desto eindeutiger Distanz zur höheren grie­
chischen Bildung, wenngleich es vereinzelt auch Gegenbeispiele gab. Instruktiv ist
in dieser Hinsicht der aus Kleinasien stammende Euagrios Pontikos, der sein Leben
nach Stationen in Konstantinopel und Jerusalem in den im westlichen Nildelta ge­
legenen Mönchssiedlungen Nitria und Kellia in den beiden letzten Jahrzehnten des
4. Jahrhunderts verbrachte. Nachdem er in jungen Jahren eine seiner sozialen Her­
kunft gemäße Bildung erhalten und dabei auch eingehendere Kenntnisse in der Phi­
losophie erworben hatte (Lackner 1966 [*180], Guillaumont 2004 [*379: 31f.]),
wurde er als noch junger Mann durch die beiden hoch­gebildeten Kappadokier Ba­
sileios von Kaisareia und Gregor von Nazianz mit dem asketischen Ideal und mön­
chischen Lebensformen vertraut (Casiday 2006 [*415: 7]). Nach seiner Ankunft in
Ägypten um das Jahr 383 versammelte er in der Wüste, wo er auch einen Gutteil
seines umfänglichen Œuvre verfasste, einen gebildeten Zirkel um sich, der in der
Tradition des Origenes spekulative Theologie und allegorische Bibelauslegung be­
trieb (Casiday 2006 [*415: 11]); in Alexandrien disputierte er in dieser Zeit wieder­
holt erfolgreich mit Philosophen (Hist. Monach. 20,15 Festugière; dazu Cain 2016
[*575: 183]). Doch ist Euagrios’ geistig-intellektuelles Zentrum bald nach seinem
Tod in den von bildungsfeindlichen Mönchsgruppen getragenen antiorigenistischen
Auseinandersetzungen ausgelöscht worden (Casiday 2006 [*415: 14–17]).

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48 I. Allgemeine Einleitung

In Kleinasien, wo radikale Formen der asketischen Haltung (nicht selten in Ver­


bindung mit offener Ablehnung der hierarchischen Institutionen der Amtskirche)
breiten Widerhall fanden, spielte Basileios von Kaisareia, der Reorganisator des
östlichen Mönchtums, eine zentrale Rolle in der Frage der Einbindung der Philo­
sophie in die monastische Lebenswelt. Entsprechend seiner sozialen Herkunft
verfügte er über eine umfassende ‘klassische’ Bildung und über profunde Kennt­
nisse der Philosophie, die er zunächst in seiner Heimatstadt, dann in Konstanti­
nopel und schließlich in den 350er Jahren in Athen erworben hatte. Die philoso­
phische Bildung spielte für Basileios während seines ganzen Lebens eine wichtige
Rolle, was sich unter anderem in dem von Gregor von Nazianz in den frühen 380er
Jahren gehaltenen ‹Epitaphios auf den großen Basileios› leitmotivisch manifes­
tiert (Greg. Naz. Or. 43,12–60 Bernardi). Basileios’ lebenslange Wertschätzung
seiner Kenntnisse in der Philosophie und seine Vertrautheit mit der ‘paideia’ fan­
den ihren Niederschlag auch in seinen unter dem Titel ‹Asketikon› zusammenge­
stellten, überaus einflussreichen Regeln, die er für seine Klostergemeinschaft ent­
wickelt hatte (zum ‹Kleinen› wie ‹Großen Asketikon› und dessen Versionen siehe
Silvas 2005 [*140: 1–149]) und die auf weitere monastische Ordnungen in Ost und
West maßgeblichen Einfluss ausübten (Silvas 2002 [*362]): Zwar organisieren
diese Regeln das mönchische Leben vom Zentrum des Doppelgebotes der Got­
tes- und Nächstenliebe aus, sie sind aber auch durchzogen von philosophischen
Grundfragen und Motiven und räumen dem wissenschaftlichen Studium einen
festen Platz ein. Es ist durchaus vorstellbar, dass die ‹Philokalie›, eine Anthologie
mit Exzerpten aus den Schriften des Origenes, die – keineswegs unumstritten –
Basileios und Gregor von Nazianz zugeschrieben wird, in solch einem Kontext zu
verorten ist (vgl. Junod 1972 [*195], Harl 1983 [*124: 19–41]).
Auch in Antiochien – ebenfalls in einem christlichen Umfeld, das durch einen
extremen Hang zur radikalen Steigerung asketischer Leistungen und massive Bil­
dungsverachtung gekennzeichnet ist – findet sich mit Diodor von Tarsos eine prä­
gende Figur, die – wie man möglicherweise aufgrund einer Notiz Julians anneh­
men darf (Iul. Ep. 90 Bidez = Ep. 55 Wright) – in jungen Jahren zu Studienzwecken
in Athen weilte und dabei wie Basileios und Gregor von Nazianz wohl auch den
späteren Kaiser kennenlernte, der bei seinem kurzzeitigen Aufenthalt in Athen
im Jahr 355 sein Verhältnis zu dem aus Thesprotien stammenden Neuplatoniker
Priskos (Goulet 2012 [*510]), einem Schüler des Aidesios, vertiefte (Athanassiadi-
Fowden 1981 [*217: 49f.]). Diodor wurde 378 Bischof von Tarsos, aber bedeutsa­
mer ist, dass er zuvor in Antiochien an dem von ihm zusammen mit Karterios ge­
gründeten Asketerion wirkte. Das Asketerion war kein Kloster, sondern eine
Asketenschule, die einer freien klosterähnlichen Gemeinschaft auf Zeit entspro­
chen haben dürfte; um eine kirchliche Institution mit einem festen Lehrprogramm
handelte es sich wohl kaum. Sie war dem Bibelstudium in der antiochenischen
Richtung der Schriftauslegung gewidmet (Socr. Hist. eccl. 6,3,6; Sozom. Hist. eccl.
8,2,6; Theodor. Hist. eccl. 2,24,7; Leconte 1957 [*171], Beer 2016 [*572]), doch dass
auch die Auseinandersetzung mit der Philosophie eine Rolle spielte, legen die
spärlichen Nachrichten zu Diodors Schriften nahe (Suda II,103,1–23 Adler s. v.
Διόδωρος; zu einem Exzerpt siehe Phot. Bibl. cod. 223, 208b–222a); einen Einblick

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 49

in die Art und Weise des Unterrichts und der Wissensvermittlung erlauben diese
Zeugnisse allerdings nicht.
Unter Diodors Schülern befanden sich so gelehrte und bedeutsame Theologen wie
Theodor von Mopsuestia und Johannes Chrysostomos, die später wichtige Bischofs­
stühle einnehmen sollten, zunächst aber in jungen Jahren Schüler des Libanios ge­
wesen waren bzw. gewesen sein sollen (Sokr. Hist. eccl. 6,3,4; Sozom. Hist. eccl. 8,2,7;
siehe Wintjes 2005 [*411: 177–190], Nesselrath, Van Hoof 2014 [*553: 168]).
Wie wichtig einzelne Protagonisten der monastischen Bewegungen und Klöster
denn auch für die Überlieferung philosophischer Texte und den Eingang paganer
Philosopheme in die christlichen Kulturen des Orients und Okzidents gewesen sind,
zeigen paradigmatisch Benedikt von Nursia (de Vogüé 1980 [*216]), der in seiner
Historizität verschiedentlich angezweifelte ‘Vater des abendländischen Mönchtums’
(so Fried 2004 [*377: 344–356]; dagegen Wollasch 2007 [*452]) und der unter den
Umayyaden wirkende, aus einer vornehmen Damaszener Familie stammende Jo­
hannes von Damaskus (Yaḥyā ibn Sarjun ibn Manṣūr) sowie das Kloster von Ke­
neschre, dem antiken Chalkis ad Belum, das von Johannes bar Aphthonia (Yōḥanān
bar ʼAptōnyā; Bruns 32002 [*349]), dem gelehrten Archimandriten des nahe Antio­
chiens gelegenen Thomasklosters, am Ufer des Euphrats in den 520er Jahren ge­
gründet wurde (zu den Umständen siehe Menze 2008 [*462: 125–127]).
Benedikt ist durch seine über die Regel des ägyptischen Mönchsvater Pacho­
mios (Pachom. Praec. 140 [Pachomiana latina p. 50 Boon]) hinausgreifende Be­
stimmung, dass Mönche nicht nur zum Studium der Bibel des Lesens kundig, son­
dern auch zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Gelesenen fähig sein
sollten (Benedict. Reg. 48), nicht unwesentlich dafür verantwortlich, dass im ok­
zidentalen Mönchtum ab dem Frühmittelalter Bildung eine wichtige Rolle spielte
und seit dem frühen Hochmittelalter Bibliotheken geradezu als ein Wesensmerk­
mal von Klöstern anzusehen sind, wodurch auch philosophische Texte die Zeiten
überdauerten (siehe zu diesem weiten Feld Kintzinger 2003 [*370: 55–86] und
2006 [*420], Merkt 2008 [*463: 379–399], Hoffmann 2011 [*501]).
Johannes von Damaskus, der die zweite Hälfte seines Lebens in der altehrwür­
digen, südlich von Jerusalem gelegenen Laura Mâr-Saba verbrachte, verfasste im
Rahmen seines unter dem Titel Πηγὴ γνώσεως (‹Quelle der Erkenntnis›) bekann­
ten Werkes die ‹Philosophischen Kapitel›, die seit ihrem ersten lateinischen Druck
aus dem Jahr 1548 unter der Bezeichnung ‹Dialectica, sive capita philosophica›
geläufig sind. Diese Textkomposition führt vor Augen, welche philosophischen
Wissensbestände in Johannes’ Kloster(bibliothek) während der ersten Jahrzehnte
des 8. Jahrhunderts verfügbar waren und von Johannes als relevant für seine Un­
ternehmung angesehen wurden (Richter 1982 [*122: 62–83]).
In der Tradition seines Gründers Johannes bar Aphthonia kam im Kloster von
Keneschre Gelehrsamkeit und der Beschäftigung mit Philosophie eine große Be­
deutung zu (siehe King 2013 [*532: 80f.], Tannous 2013 [*538]), die ihr beredtes
Zeugnis in einem klar strukturierten Curriculum finden, auf das Severos Sebokht
(Hugonnard-Roche 2016 [*586]) wesentlich einwirkte und in dem die Beschäfti­
gung mit aristotelischen Werken in syrischer Übersetzung eine wichtige Rolle
spielte (King 2013 [*532: 64]). So verwundert es nicht, dass sich unter den syrischen

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50 I. Allgemeine Einleitung

Aristoteles-Übersetzern zahlreiche Namen finden, die mit Keneschre in Verbin­


dung standen (Watt 2016 [*596: 12–15]), das auf diese Weise eine wichtige Rolle
bei der Transmission der griechischen Philosophie in die islamische Philosophie
im Abbasidenreich mit dem Zentrum Bagdad spielte (vgl. dazu Teixidor 2001
[*345], Watt 2004 [*387], Gutas 2012 [*511]).
Indessen, so zutreffend es zweifelsohne ist, dass Mönche nicht grundsätzlich als
ungebildet angesehen und mit barbarischen Westgoten auf eine Stufe gestellt (so
Eun. Hist. fr. 48,2 Blockley; siehe Brown 1998 [*312: 601]) werden können (Ge­
meinhardt 2007 [*435: 254–275], Larsen 2016 [*587], Timbie 2016 [*594], Watts
2016 [*597], Larsen, Rubenson 2018 [*611]): Unter strukturellen Gesichtspunkten
ist zu betonen, dass im traditionellen Sinne Mönche keine Philosophen und Klös­
ter keine Philosophenschulen waren.
Interessant in diesem Kontext ist die Begriffsgeschichte des Wortes ‘Philo­
sophie’ unter christlichen Vorzeichen: In den Schriften gebildeter Protagonisten
des Mönchtums insbesondere des kleinasiatischen und syrischen Raumes wie
etwa bei den Kappadokiern Basileios, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa
oder bei Antiochenern wie Diodor von Tarsos, Johannes Chrysostomos und Theo­
dor von Mopsuestia lässt sich beobachten, dass seit dem späten 4. Jahrhundert
φιλοσοφία eine neue Bedeutungsfacette erhält, kann doch mit diesem Wort nun
auch die asketische und mönchische Lebensweise umschrieben werden (siehe
­Malingrey 1961 [*173: 207–288]; vgl. auch Rousseau 1994 [*289: 61–92]). Damit
setzt sich dieser Sprachgebrauch von demjenigen der christlichen Apologeten des
2.  Jahrhunderts ab, deren Anspruch, die ‘wahre Philosophie’ zu vertreten, auf
­religiös-doktrinärem Gebiet mit ihrer für sich behaupteten vollen Wahrheits­
erkenntnis begründet wurde, während nun das Merkmal, Philosoph zu sein, rein
in der asketischen Lebenspraxis fixiert wird.
Ein vielfach bemühter Passus aus Sozomenos’ ‹Kirchengeschichte› macht die
Differenz zwischen dem Konzept der Philosophie im Sinne einer asketisch-mön­
chischen Lebensweise und dem Philosophen im herkömmlichen Sinn deutlich:
Zwar bezeichnet der Kirchenhistoriker die mönchische Lebensform als Philo­
sophie (Sozom. Hist. eccl. 1,12,1–11), doch hat diese von Sozomenos geschilderte
Lebensform in vielerlei Hinsicht wenig mit derjenigen des traditionellen Philoso­
phen gemein, was nicht zum geringsten daran liegt, dass die Rolle des Philosophen
klassischerweise insbesondere durch seine Präsenz in der städtischen Öffentlich­
keit gekennzeichnet war, der Mönch aber ein durch die Abgewandtheit von der
diesseitigen Welt charakterisiertes und auf Gott hin ausgerichtetes Leben führte
(siehe in diesem Zusammenhang Caner 2009 [*468]). Dies bedingte, dass sich die
gesellschaftliche Autorität des Philosophen und des Mönchs in zentralen Punk­
ten auf verschiedene Aspekte gründete, obschon spezifische Formen der Lebens­
führung wie etwa Askeseleistungen für beide sozial konstitutiv waren (dazu
Brown 1998 [*312]; zu Differenzen, Gemeinsamkeiten und Konkurrenz zwischen
christlicher und paganer Askese vgl. Clark 2000 [*323: 41–48]).
Der Kampf zwischen der überkommenen (paganen) Philosophie und der
‘neuen’ (d. h. christlichen) Philosophie, der in besonderer Weise zwischen dem Phi­
losophen und dem Mönch ausgefochten und der auch im Feld der durch Verzichts­

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 51

leistungen geprägten (diskursiven) Lebensführung der Protagonisten ausgehan­


delt wurde, manifestiert sich auf instruktive Weise in einer in das 4. oder
5. Jahrhundert zu datierenden Grabinschrift aus Nikaia, die vor Augen führt, dass
die Konkurrenz um den ‘wahren’ Philosophen nicht auf das literarische Feld be­
schränkt war (aufschlussreich in diesem Zusammenhang Rydell Johnsén 2013
[*537]): In diesem Epigramm wird der christliche Lebenswandel einer Jungfrau
namens Attia gepriesen, die in exzeptioneller Weise als φιλοσόφισσα (sic; im
Sinne von ‘Nonne’) bezeichnet wird, womit zweifelsfrei auf eine in besonderem
Maße christlichen Normen konforme Lebensführung angespielt wird (Şahin 1979
[*115: 271 Nr. 550 = IK Iznik I 550] = Merkelbach, Stauber 1998–2004 [*132: II Nr.
09/05/15]; siehe dazu Horsley 1987 [*243: 257–259 Nr. 126]).

12. Endpunkte antiker Philosophie I: Athen

Über das Ende der meisten Philosophenschulen in der Spätantike ist wenig Si­
cheres bekannt, ihre Spuren verlieren sich in der Regel im Dunkel der Geschichte.
Selbst der wohl berühmteste Fall, die sogenannte ‘Schließung der Akademie’ in
Athen, wirft mehr Fragen auf, als man vielleicht vorderhand meinen möchte, und
ein wirklicher Konsens zeichnet sich in der kaum mehr überschaubaren Anzahl
an Publikationen gegenwärtig kaum ab, was zum einen an der vordergründigen
Bedeutung der Thematik und zum anderen an der schwierigen Quellenlage liegen
dürfte, die zu zahlreichen und zuweilen ingeniösen, jedoch kaum verifizierbaren
bzw. falsifizierbaren Hypothesen geführt haben (vgl. nur Blumenthal 1978 [*208],
Fernández 1983 [*226], Chuvin 21991 [*263: 139–144], af Hallström 1994 [*277],
Thiel 1999 [*13], Beaucamp 2002 [*347], Hartmann 2002 [*354], Walker 2002
[*364: 56–67], Zamora 2003 [*374], Watts 2004 [*388], Lane Fox 2005 [*397], Di
Branco 2006 [*416: 192–197], Watts 2006 [*430: 129–138], Börm 2007 [*431: 277–
283], Al. Cameron 2016 [*576]).
Ausgangspunkt für alle Überlegungen stellt traditionellermaßen das narrative
Handlungsgerüst in einem Exkurs in den ‹Historiae› des Agathias dar (Hist.
2,30,3–31,9; dazu die kommentierenden Bemerkungen von Av. Cameron 1­ 969–1970
[*191: 175f.]), der auf einer wohl informierten, jedoch nicht mehr identifizierbaren
Quelle (aus der Feder eines Teilnehmers an der Reise nach Ktesiphon?) basiert
(Hartmann 2002 [*354: 133–135]). Gemäß dem byzantinischen Historiker ver­
ließen sieben aus der östlichen Mittelmeerwelt stammende ‘glorreiche’ Philoso­
phen, nämlich neben Damaskios aus Syrien, dem Oberhaupt der neuplatonischen
Akademie in Athen, auch Simplikios aus Kilikien, Eulamios aus Phrygien (Mara­
val 2000 [*328]), Priskianos aus Lydien, Hermeias (Maraval 2000 [*329]) und Di­
ogenes aus Phönikien (Maraval 1994 [*285]) sowie Isidor von Gaza (Maraval 2000
[*330]; zur Siebenzahl Al. Cameron 2016 [*576: 215f.]; es muss ebenso unklar blei­
ben, ob die neuplatonische Gemeinschaft in Athen zum Zeitpunkt des Exodus
nurmehr aus den sieben genannten Philosophen bestand, wie es im Ungewissen
verbleiben muss, auf welche Weise man sich den Vorgang des Auszugs aus der
‘Akademie’ aus dem einst gelobten Philosophenparadies Athen vorzustellen hat)

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52 I. Allgemeine Einleitung

das Römische Reich und zogen, wie man unzweifelhaft annehmen darf, von
Athen aus (dazu Hartmann 2002 [*354: 137f.]) in das Sassanidenreich, von wo sie
allerdings nach kurzer Zeit bereits wieder zurückkehrten. Obschon allein Agathias
diese Begebenheit überliefert (Suda IV,192,18–29 Adler s. v. πρέσβεις ist von Aga­
thias abhängig und enthält keine über dessen Bericht hinausgehenden zutreffen­
den Informationen; siehe Thiel 1999 [*13: 9 Anm. 12]), besteht kein zwingender
Grund, diese (ein-)gängige Geschichte des Exodus der Philosophen in ihrer His­
torizität grundsätzlich anzuzweifeln (so jedoch Tardieu 1990 [*268: 128–132], der
die Ansicht vertreten hat, dass allein Damaskios ins Sassanidenreich reiste, die
anderen Philosophen aber in Ḥarrān, dem antiken Carrhae, auf römischem Boden
verharrten; für die communis opinio Hartmann 2002 [*354: 131f.]; siehe ferner
Gatier 1992 [*272: 179f.], I. Hadot 1996 [*130: 37–42]).
Vielmehr lässt sich durch eine Verbindung einiger von Agathias im Rahmen
seines Exkurses angegebenen Handlungsmotivationen mit anderen Quellenzeug­
nissen ein in sich schlüssiges Gesamtbild der Geschehnisse rekonstruieren, das
freilich eine ganze Reihe zentraler Leerstellen aufweist. Die vom byzantinischen
Historiker formulierte Motivation der paganen Philosophen, sich in das Sassani­
denreich zu begeben (Agath. Hist. 2,30,3–4), nämlich ein generelles Missfallen an
der religiösen Situation im Römischen Reich sowie die Gesetzeslage, die sie als
Nicht-Christen von der Teilnahme am öffentlichen Leben ausschloss, ist durchaus
als plausibel anzusehen. Sie fügt sich stimmig in den Kontext der restriktiven jus­
tinianischen Religionspolitik der späten 520er und frühen 530er Jahre ein (Meier
2003 [*371: 206–209] mit Corcoran 2009 [*470: 187–189, 193–203]; zu einer ten­
denziösen Darstellung der Folgen der justinianischen Religionspolitik vgl. Prok.
Hist. arc. 11,14–33). Das von Agathias angeführte Gesetz nimmt mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit Bezug auf einen Passus in einem Gesetz mit dem
Titel ‹De paganis, sacrificiis et templis› (‹Über Heiden, Opfer und Tempel›) in
Buch 1 des ‹Codex Iustinianus›, dem zufolge für diejenigen Paganen, die dem vom
Kaiser verordneten Bekenntnis zum Christentum nicht Folge leisteten, im Reich
kein Platz mehr wäre und auch kein Recht auf den Besitz von beweglicher Habe
und unbeweglichem Gut mehr bestünde (Cod. Iust. 1,11,10,1 Frier). Obschon die­
ses Gesetz, wie aus P. Oxy. 1814, einem Folio mit einem Index oder Register kai­
serlicher Konstitutionen aus dem ersten Buch des justinianischen Gesetzeswerkes,
hervorgeht, nicht Teil der ersten Edition des ‹Codex Iustinianus›, des ‹Codex
novus›, aus dem Jahr 529 war, sondern eine Ergänzung in der zweiten Edition,
dem ‹Codex repetitae praelectionis›, aus dem Jahr 534 ist, lässt es sich mit guten
Gründen in den Sommer oder Herbst des Jahres 529 datieren (Corcoran 2008
[*456: 102f., 107f.]; siehe auch Lounghis, Vlysidou, Lampakis 2005 [*399: 171 Nr.
598]). Eine entscheidende Rolle bei dieser Datierung kommt einem Passus in der
‹Chronographia› des Johannes Malalas zu, der für das Jahr 529 berichtet, dass
Justinian eine Verfügung (πρόσταξις) nach Athen gesandt habe, dass niemand
mehr in der Stadt Philosophie und Recht oder, wahrscheinlicher, Astronomie un­
terrichten dürfe (Ioh. Mal. 18,47 Thurn μηδένα διδάσκειν φιλοσοφίαν μήτε
νόμιμα bzw. nach der von Thurn aus dem Codex Vaticanus graecus 163 übernom­
menen Lesart ἀστρονομίαν ἐξηγεῖσθαι; dazu Al. Cameron 2016 [*576: 208 mit 333

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 53

Anm. 21]; siehe Corcoran 2009 [*470: 199 Anm. 64]). Dass hier ein Zusammen­
hang mit einer weiteren Bestimmung im justinianischen Gesetz aus dem Jahre 529
besteht, der gemäß kein Paganer unterrichten dürfe (Cod. Iust. 1,11,10,2 Frier; vgl.
auch ein nach Corcoran 2009 [*470: 199] vermutlich wenig früher erlassenes jus­
tinianisches Gesetz mit dem Titel ‹De Haereticis et Manichaeis et Samaritis›,
‹Über Häretiker und Manichäer und Samaritaner›, das Samaritanern und Paga­
nen neben anderen Tätigkeiten auch das Unterrichten untersagte: Cod. Iust.
1,5,18,4. 10 Frier), ist eine Annahme, die schwerlich zu negieren ist (Corcoran 2009
[*470: 200–203], dort auch zur Rekonstruktion der legislativen Verschärfung in
den Jahren von 529 bis 531 durch Watts 2006 [*430: 128–142]). Vor diesem Hinter­
grund ist es nicht verwunderlich, dass die Philosophen um Damaskios, einem er­
klärten Anhänger der alten Kulte und Verfasser der ‹Vita Isidori›, diesem ein­
drücklichen Manifest der ‘paganen Philosophie’ (dazu O’Meara 2006 [*425],
Watts 2013 [*540]; der Versuch von Mazzucchi 2006 [*424] und 2013 [*535], die
Autorschaft des ‹Corpus Dionysiacum› Damaskios zuzuweisen und dessen Texte
als eine ‘letzte pagane Gegenoffensive’ gegen den Siegeszug des Christentums zu
deuten – siehe Mazzucchi 2006 [*424: 299] –, überzeugt nicht; siehe auch Fiori
2008 [*457]), sich über ihre Situation Gedanken machten, die im Entschluss resul­
tierten, sich an den Sassanidenhof in Ktesiphon zum vermeintlichen ‘platonischen
Philosophenkönig’, dem jungen Chosrau I., zu begeben (zu Chosraus inszenier­
tem [?] Interesse an Gelehrsamkeit und seinen Kontakten mit Gelehrten – beides
manifestiert sich exemplarisch in der Person Pauls des Persers und seiner Chos­
rau gewidmeten ‹Abhandlung über das logische Werk des Aristoteles›, ‹Tractatus
de opere logico Aristotelis Philosophi, ad regem Chosroem› –, vgl. Wiesehöfer
1993 [*276: 289–291], Tardieu 1994 [*293: 310–318], Hartmann 2002 [*354: 145–
149], Wiesehöfer 2007 [*451: 206–211]; zum Bild Chosraus in der frühbyzantini­
schen Literatur Huyse 2015 [*564]).
Grundlage dieses Entschlusses sollen nach Agathias von den Philosophen be­
reitwillig akzeptierte zirkulierende Gerüchte über den sassanidischen König, die
im Lande herrschende Gerechtigkeit und die hohen moralischen Standards von
dessen Bewohnern gewesen sein. Dass positive ‘Orientbilder’ im Römischen
Reich in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts existierten, muss man nicht infrage
stellen (Börm 2007 [*431: 280]), und in Verbindung mit den Bedingungen in Athen
mag den Philosophen das Sassanidenreich durchaus als attraktive neue Heimat
erschienen sein, dies umso mehr, als es an Alternativen mangelte (Hartmann 2002
[*354: 142f.]). Vor dem Hintergrund der spätantiken Rechtsrealität stellt es kein
Problem dar (Corcoran 2009 [*470: 200f.]), dass die Pläne zum Exodus allerdings
erst im Frühjahr 532 umgesetzt worden sein können, als nach dem Tod des Sassa­
nidenkönigs Kavadh I. im Sommer des Jahres 531 dessen Sohn und Nachfolger
Chosrau Friedensverhandlungen mit Ostrom zur Beendigung der seit der zweiten
Hälfte der 520er Jahre immer wieder aufflackernden kriegerischen Auseinander­
setzungen führte, wodurch überhaupt erst eine gefahrlose Reise in das Sassani­
denreich möglich wurde (zur Chronologie der Ereignisse: Hartmann 2002 [*354:
135–139]). Diese Friedensverhandlungen mündeten in den im Herbst 532 ge­
schlossenen ‘Ewigen Frieden’ (Greatrex, Lieu 2002 [*352: 96f.]) – doch da hatten

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54 I. Allgemeine Einleitung

sich die Philosophen bereits schon wieder desillusioniert zu einer Rückkehr nach
Westen entschieden, weil sie ihre Erwartungen in Bezug auf die moralischen Qua­
litäten der Bevölkerung des Sassanidenreiches angeblich auf das Heftigste ent­
täuscht sahen und sich auch der philosophische Austausch mit Chosrau als wenig
erbaulich erwiesen hatte. Deswegen sollen sie laut Agathias den Tod auf römi­
schem Boden einem äußerlich ehrenvollen Leben unter den Sassaniden vorgezogen
haben (Agath. Hist. 2,31,2). Trotz dieser Entwicklung, über deren tatsächlichen
Hintergründe allenfalls Mutmaßungen angestellt werden können (Hartmann
2002 [*354: 149–155]), hätten die Philosophen nach wie vor in hohem Ansehen
beim Sassanidenkönig gestanden, auf dessen ausdrückliche Forderung hin laut
Agathias eine Klausel Bestandteil des besagten Friedensvertrages wurde, der zu­
folge die Philosophen in das Römische Reich zurückkehren durften, ohne ihren
angestammten Glauben ablegen oder diesem zuwiderlaufende Ansichten anneh­
men zu müssen (Agath. Hist. 2,31,3–4; Athanassiadi 1993 [*273: 25], die annimmt,
dass die Philosophen zu ihren eigenen Gunsten in die Friedensverhandlungen ein­
griffen, möchte diese Klausel in ihrer Formulierung Damaskios selbst zuschrei­
ben; siehe auch Athanassiadi 1999 [*133: 50f.]). Dank dieser Bestimmung, die in
der Forschung ganz überwiegend als historisch angesehen wird (skeptisch hinge­
gen Greatrex 1998 [*315: XIV]), obschon sie sich nicht in den von Prokop überlie­
ferten Regelungen des Friedensvertrages findet (Prok. De bell. pers. 1,22,1–19;
die Ausführungen von Kaldellis 2004 [*382: 101f.] zu dem seines Erachtens inten­
tionalen Schweigen Prokops in dieser Hinsicht vermögen nicht zu überzeugen, und
seine Prämisse, dass die Bestimmungen bezüglich der Rückkehr der Neuplatoni­
ker ein wichtiger Bestandteil des Friedensvertrages waren, hält einer kritischen
Überprüfung nicht Stand; siehe auch Al. Cameron 2016 [*576: 221f.]), konnten sie
friedlich bis an das Ende ihrer Tage auf dem Boden des Römischen Reiches leben.
Wo und auf welche Weise dies allerdings der Fall war, darüber hat sich Agathias
ausgeschwiegen und somit den Weg für zahlreiche voraussetzungsreiche Hypo­
thesen bereitet, da nämlich auch keine anderen Zeugnisse existieren, die über das
weitere Leben der sieben Philosophen in umfänglicherer Form eindeutig Aus­
kunft gäben. Nachfolgend geht es nun allein darum, ausschnitthaft einige beson­
ders wichtige Punkte in der Diskussion um die Orte aufzuzeigen, an die sich die
Rückkehrer aus dem Sassanidenreich hätten begeben haben können, nämlich
Athen, Alexandrien, Kleinasien und Ḥarrān (Carrhae), wobei der Fokus auf
Athen und Ḥarrān gerichtet sein wird, da die Diskussion um diese beiden Orte
seit geraumer Zeit im Vordergrund steht (für einen knappen Überblick siehe
Hartmann 2002 [*354: 138]).
Nicht durchzusetzen vermochte sich in der Forschung mit guten Gründen die
folgenreichste, kühnste und spektakulärste These zum Verbleib der Neuplatoni­
ker nach ihrer Rückkehr von Chosrau, da sie auf einer ganzen Reihe von anzwei­
felbaren und zweifelhaften Prämissen basiert (grundlegend Tardieu 1986 [*239];
zustimmend I. Hadot 1996 [*130: 24–50], Thiel 1999 [*13: 41–55], I. Hadot 2007
[*439]). Gemeint ist die Annahme der dauerhaften Niederlassung der Neuplato­
niker im syrischen Ḥarrān (Carrhae), deren Resultat die Etablierung einer neuen,
überaus langlebigen Philosophenschule in neuplatonischer Tradition gewesen sein

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 55

soll. Die dieser These zugrunde liegende sehr komplexe und umfangreiche Dis­
kussion kann hier nicht nachgezeichnet werden; es seien allein einige zentrale
Punkte dargelegt: Abgeleitet wurde die Annahme einer neuplatonischen Gemein­
schaft in Ḥarrān aus einer Nachricht des arabischen Autors al-Mas‘ūdī, der um die
Mitte des 10. Jahrhunderts den Ort besuchte. In seinem Werk ‹Murūğ aḏ-ḏahab
wa-ma’ādin al-ğawhar› (‹Goldweiden und Edelsteinminen› in der Übersetzung
von T. Bauer) berichtet al-Mas‘ūdī, dass er auf einem Türöffner zum Versamm­
lungsplatz der Ṣābier in Ḥarrān einen Ausspruch Platons in syrischer Schrift ge­
sehen habe, den ihm ein gewisser Malik ibn ‘Uqbūn sowie andere Mitglieder der
Ṣābier übersetzt hätten; der Ausspruch, der Bezug auf einen Passus in Platons
‹Erstem Alkibiades› nimmt (Tardieu 1986 [*239: 14]: Plat. Alk. 1 133c), laute «Der­
jenige, der sein Wesen kennt, wird göttlich» (zum arabischen Text: Tardieu 1986
[*239: 13] nach der Edition von Pellat 1966 [*103: 393,5–8 § 1395]; für eine fran­
zösische Übersetzung: Tardieu 1986 [*239: 13] auf der Grundlage von Pellat 1965
[*101: 536f. § 1395]; für den arabischen Text und eine englische Übersetzung: van
Bladel 2009 [*478: 72]). Ausgehend von diesem Ansatzpunkt ist in einer umfäng­
lichen, nicht immer überaus belastbaren Argumentation geschlussfolgert worden,
dass es sich bei den ‘Ṣābiern von Ḥarrān’ des 10. Jahrhunderts um ‘Platoniker’ ge­
handelt habe, die auf die neuplatonische Gründung der 530er Jahre zurückzufüh­
ren seien (nach I. Hadot 1987 [*241: 13] im Anschluss an Tardieu 1986 [*239: 15f.]).
Es ist unbestreitbar, dass diese Überlegungen ihren hohen intellektuellen Reiz
haben und eingebettet in das hier nicht ausführbare Gesamtszenario mit Ḥarrān
als einem Brückenpunkt der Transmission der Philosophie von ‘Alexandrien nach
Bagdad’ ein prima facie schlüssiges Bild ergeben. Dennoch sollten die von Seiten
unterschiedlicher Fächer plausibel vorgebrachten und teils massiven Einwände
argumentativer und sachlicher Natur (etwa in Bezug auf die von Tardieu 1986
[*239: 16–19] ausführlich begründete, für seine Argumentation zentrale Überset­
zung des nomen loci ‘mağma‘’ im Sinne von «académie» anstelle der dem klassi­
schen Sprachgebrauch entsprechenden Begrifflichkeit, nämlich ‘Versammlungsort’)
eigentlich dazu führen, die ‘Ḥarrān-These’ abzulehnen oder ihr aber, zurückhal­
tender, zumindest mit einem gehörigen Maß an Skepsis zu begegnen (u. a. Lameer
1997 [*308: 185–189], Gutas 1999 [*320: 155f. Anm. 2], Luna 2001 [*344], Lane
Fox 2005 [*397], Watts 2005 [*409: 290–306], van Bladel 2009 [*478: 70–79], Al.
Cameron 2016 [*576: insb. 231–234]).
Es spricht vielmehr einiges für die Annahme, dass sich die philosophische
Gruppe nach ihrer Rückkehr ins Römische Reich auflöste und sich in der Welt
des östlichen Mittelmeeres verstreute (vgl. etwa Watts 2005 [*409: 306, 314f.]). Al­
lein über drei ihrer Mitglieder, nämlich Damaskios, Priskianos und Simplikios,
ist aus der Zeit nach dem Jahr 532 noch etwas bekannt.
Der hochbetagte Damaskios hat seinen Lebensabend anscheinend in seiner sy­
rischen Heimat verbracht – zumindest legt diesen Schluss eine in das Jahr 538 da­
tierende Grabinschrift aus Emesa nahe: Dieses neuplatonisch eingefärbte Epi­
gramm für eine Sklavin namens Zosime ist sowohl literarisch unter dem Autor
‘Damaskios der Philosoph’ (Anth. Gr. 7,553 – womöglich hatte dieses Gedicht
Aufnahme in die Epigrammsammlung, den ‹Kyklos›, des Agathias gefunden: Av.

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56 I. Allgemeine Einleitung

Cameron, Al. Cameron 1966 [*179: 8 Anm. 18], McCail 1969 [*190: 94 Anm. 28],
Hoffmann 1994 [*283: 590], Schulte 2006 [*141: 10f.]) als auch inschriftlich (Jala­
bert, Mouterde 1959 [*98: 155 Nr. 2336 = IGLS V 2336] = Merkelbach, Stauber
1998–2004 [*132: IV Nr. 20/07/02]; siehe dazu Aliquot 2013 [*523], Haake im
Druck [*605]) überliefert.
Ebenfalls nach dem Jahr 532 literarisch nachweisbar ist Priskianos, der ein Ge­
spräch mit Chosrau in einem seiner Werke verarbeitete: in den nur in einer latei­
nischen Übersetzung erhaltenen ‹Solutiones ad Chosroem›, für die vermutlich Jo­
hannes Scottus oder dessen Umfeld verantwortlich war (zu letzterem Punkt
d’Alverny 1977 [*204]; zum Werk Marcotte 2015 [*566], Sorabji 2016 [*154], Dan
2017 [*599]). Wo Priskianos allerdings die besagte Schrift niederschrieb, ist ebenso
unklar wie es im Falle des Simplikios letztlich offen bleiben muss, wo er einen
Gutteil seines Œuvre, der erst nach dem Jahre 532 entstand, verfasste.
Es spricht allein einiges dafür, dass dies an einem Ort (oder Orten) geschah, wo
Simplikios auf eine gut bestückte Bibliothek zurückgreifen konnte, da er zahlreiche
Autoren von Hesiod bis Damaskios zitiert (vgl. etwa Simpl. In Phys. 527,11 [Hesiod];
774,30, 775,34 und 800,20 [Damaskios] Diels; siehe Baltussen 2008 [*453: 13, 51,
211–215]). Dass es sich bei diesem Ort um Athen gehandelt haben könnte, ist in der
Forschung mit ebenso viel Verve vertreten (z. B. Al. Cameron 2016 [*576: 234–245])
wie mit Nachdruck negiert worden (so etwa Thiel 1999 [*13: 32–40]). Eine Entschei­
dung ist in dieser Sache schwerlich zu treffen. Festzuhalten ist allerdings – und dies
geht über die Frage einer möglichen Rückkehr des Simplikios nach Athen hinaus –,
dass aus einem viel diskutierten Passus aus dem zweifelsfrei in die Mitte des 6. Jahr­
hunderts zu datierenden ‹Alkibiades›-Kommentar des Olympiodoros (Opsomer
2010 [*490: 698], Al. Cameron 2016 [*576: 210]; anders, jedoch nicht überzeugend
etwa Thiel 1999 [*13: 32–34]) hervorgeht, dass trotz wiederholter Konfiskationen
die neuplatonische Gemeinschaft in Athen (in welcher Form auch immer man sich
dies vorzustellen haben mag) noch über ein ‘Stiftungsvermögen’ (διαδοχικά; siehe
LSJ9, s. v. διαδοχικός «belonging to a philosophic school, τὰ δ. endowments») ver­
fügte (Olymp. In Alc. 141 Westerink; dazu Westerink, Trouillard 1990 [*125:
XVIIf.]). Somit hätte nach 532 zumindest noch ein Anlaufpunkt für Simplikios in
Athen existiert – als sonderlich valides Argument für eine Rückkehr des Simplikios
nach Athen sollte die keineswegs unproblematische Nachricht des Olympiodoros
allerdings nicht geltend gemacht werden. Umstritten ist, inwieweit das an der Süd­
seite der Akropolis gelegene Gebäude X, das von Teilen der Forschung, jedoch kei­
neswegs unwidersprochen als ‘Haus des Proklos’ identifiziert worden ist (Miliades
1955 [*170: 46–50], Frantz 1988 [*244: 42–44] mit Fowden 1990 [*264: 495f.]), Kari­
vieri 1994 [*284], Anghel 2012 [*503: 112f.], Caruso 2013 [*526: 174–183], Afonasina,
Afonasin 2014 [*541: 10–14]), dessen Lage Marinos beschrieben hat (Marin. Vit.
Procl. 29,36–39 Saffrey-Segonds), als Argument in der Diskussion um Simplikios’
Rückkehr nach Athen verwendet werden kann (Al. Cameron 2016 [*576: 234–236]);
Gleiches gilt auch für das am Nordhang des Areopags gelegene Haus C (oder auch
Ω), für das eine Identifizierung als ‘Haus des Damaskios’ diskutiert wird (Shear
1973 [*112: 156–164], Frantz 1988 [*244: 48], Athanassiadi 1999 [*133: 342–347],
Anghel 2012 [*503: 111f.], Afonasina, Afonasin 2014 [*541: 14–19]).

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 57

Auch wenn Papst Zacharias, der letzte Grieche auf dem Stuhl Petri, noch um
die Mitte des 8. Jahrhunderts die Vorstellung äußern konnte, dass der nachmalige
Erzbischof von Canterbury, Theodoros von Tarsos, in der ersten Hälfte des 7. Jahr­
hunderts in seiner Jugend in Athen Philosophie studiert hätte (Zach. Pap. Ep. 11
[PL 89, 943C] = Tangl 1916 [*85: 173 (Z. 17f.) Bonifatius-Briefe Nr. 80]; siehe auch
Rau 1968 [*107: 258,17f.]; vgl. Frantz 1965 [*178: 199f. Anm. 78]), und auch wenn
es in der im 10. Jahrhundert ausgestalteten hagiographischen Tradition über einen
gewissen, im 7. Jahrhundert angesiedelten Einsiedler namens Gislenus, Patron der
im Hennegau/Hainaut gelegenen Abtei Saint-Ghislain, heißt, dass er griechischer
Herkunft gewesen sei und, bevor er in das nördliche Merowingerreich gelangt sei,
in Athen Philosophie studiert habe (Bueus 1780 [*76: 1030 = ‹Vita Gisleni Prima›
(BHL 3552)]; zur Figur des Gislenus und seiner Viten siehe Helvétius 1994 [*282:
213–234, 325f.], Mériaux 2006 [*428: 356], Snijders 2009 [*477: 217f.]), so ist doch
zu vermuten, dass allerspätestens infolge des slawischen Einfalls der Sclavenen um
das Jahr 580 (dazu Metcalf 1962 [*175]; siehe außerdem Curta 2011 [*497: 16f.]) in
Athen Philosophie nicht mehr in einer organisierten Form betrieben wurde.
Möchte man der Annahme Folge leisten, dass Simplikios nach dem Jahr 532
nach Athen zurückkehrte, so ist zu mutmaßen, dass ein Schulbetrieb, wie er noch
vor dem Auszug der Neuplatoniker in das Sassanidenreich stattgefunden hatte,
nicht mehr praktiziert wurde und wohl nach der Mitte des 6. Jahrhunderts mit
dem nicht sicher datierbaren Tod des Simplikios sein Ende fand (Al. Cameron
2016 [*576: 245]; insgesamt weniger skeptisch Ekonomou 2007 [*434: 52f., 122]).
So viele offene Fragen mit der sogenannten ‘Schließung der Akademie’ auch
verbunden sein mögen: Ein Ende der Philosophie in der Antike waren die Ge­
schehnisse in Athen infolge des justinianischen Gesetzes aus dem Sommer oder
Herbst des Jahres 529 keineswegs, sondern sie läuteten das Ende einer bestimm­
ten organisierten Form des Philosophierens ein – nämlich das der neuplatonischen
Gemeinschaft in Athen, wie sie seit den Tagen Plutarchs bestanden hatte. Auch
wenn das justinianische Gesetz aus dem Sommer oder Herbst des Jahres 529
reichsweite Geltung hatte, so lassen sich dessen Konsequenzen nicht in einem ein­
heitlichen reichsweiten Narrativ über das Ende der antiken Philosophie zusam­
menfügen, sind doch seine Auswirkungen auf lokaler Ebene jenseits von Athen
keineswegs klar und zweifelsohne verschieden.

13. Endpunkte antiker Philosophie II: Aphrodisias

Dass womöglich auch in Aphrodisias das Gesetz Justinians nicht folgenlos war,
legt der archäologische Befund im sogenannten Atriumhaus nahe, das durch seine
philosophische Ausstattung Berühmtheit erlangt hat (Smith 1990 [*266], Lockey
2010 [*487: 179–271]): Vermutlich wurde die in diesem Gebäude ansässige Philo­
sophenschule, womöglich diejenige des Proklos-Schülers Asklepiodotos von Alex­
andrien (Goulet 1989 [*253]), im Zuge des justinianischen Gesetzes des Jahres 529
geschlossen, wie entfernte und beschädigte Exemplare unter den philosophischen
Schildporträts wohl signalisieren (Smith 1990 [*266: 155]). Trifft diese Deutung

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58 I. Allgemeine Einleitung

des archäologischen Befundes zu, dann würde – wie im Falle Athens – auch das
Beispiel von Aphrodisias einerseits die Stoßrichtung von Justinians Gesetzes­
initiative illustrieren, die nicht allgemein auf Philosophen, sondern – neben ande­
ren – auf pagane Philosophen zielte; andererseits machen das athenische wie auch
das aphrodisiensische Beispiel deutlich, wie entscheidend die lokalen Bedingun­
gen für die Umsetzung kaiserlicher Gesetzesvorhaben vor Ort sein konnten.

14. Endpunkte antiker Philosophie III: Alexandrien

Die Probe aufs Exempel liefert in gewisser Weise Alexandrien: Von Auswir­
kungen des justinianischen Gesetzes im Jahre 529 wissen die Quellen nichts zu
berichten. Dies hat seine Ursache, so steht zu vermuten, in dem ‘historischen
Kompromiss’, den Ende der 480er Jahre nach antipaganen Ausschreitungen, in
deren Kontext auch Philosophen in das Visier gewaltbereiter Christen geraten
waren, Ammonios Hermeiou mit dem alexandrinischen Patriarchen Petros Mon­
gos geschlossen hatte (Dam. Vit. Isid. fr. 118B Athanassiadi = fr. 316, p. 251,11–14
Zintzen). Allem Anschein nach war Ammonios bereit, auf religiöse Bestandteile
im philosophischen Unterricht zu verzichten, um so die Hoffnung zu haben, un­
behelligt weiterhin lehren zu können (Watts 2006 [*430: 218–231]; siehe auch So­
rabji 2005 [*406]). Gut vierzig Jahre später hat diese Abmachung dem Anschein
nach zumindest noch halbwegs funktioniert, so dass das Jahr 529 trotz eines struk­
turell antipaganen Umfelds keinen Einschnitt im philosophischen Leben Alexan­
driens dargestellt zu haben scheint (Watts 2006 [*430: 237–256]).
Das Ende des institutionalisierten und organisierten Philosophierens gestaltet
sich wie in Athen so auch in Alexandrien unklar, wo beispielsweise als einer, wenn
nicht gar der letzte pagane Philosoph Olympiodoros noch in der Mitte der 560er
Jahre wirkte (zur kontrovers diskutierten Frage der Christianisierung der neupla­
tonischen Philosophen in Alexandrien vgl. nur Sorabji 1990 [*267: 10–15], Wild­
berg 1990 [*269], Papazian 2015 [*567]), wie sich aus einer Bemerkung über einen
Kometen in seinem Kommentar ‹In Aristotelis Meteora› ableiten lässt (Olymp. In
Meteor. 52,30–32; siehe Viano 2006 [*142: 36], Opsomer 2010 [*490: 697]).
Für mehr als einhundert Jahre herrschte in der Forschung die communis opi­
nio, dass der oströmische Kaiser Herakleios zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des
7. Jahrhunderts den alexandrinischen Philosophen Stephanos, Verfasser einer be­
achtlichen Anzahl philosophischer Werke (dazu Roueché 2016 [*592: 547, 552–
560]), nach Konstantinopel berufen hätte, um dort als würdiger Vertreter seines
Faches an dem vom Kaiser wieder eingerichteten Lehrstuhl für Philosophie zu
unterrichten (Usener 1879 [*156: 1–5, insb. 5], angelehnt an Theophyl. 24B (prol.
5–7) de Boor-Wirth; zustimmend: Lumpe 1973 [*197], Kaldellis 2007 [*442: 177]),
den Phokas im Jahre 602 an der durch das ‘Kapitol-Gesetz’ (Cod. Theod. 14,9,3
[= Cod. Iust. 11,19,1]; 15,1,53; zum philosophischen Lehrstuhl: 14,9,3,18) von Theo­
dosius II. im Jahre 425 eingerichteten hauptstädtischen Hochschule beseitigt hatte
(vgl. in diesem Zusammenhang Schlange-Schöningen 1995 [*299: 114–121], De­
mandt 2013 [*527: 270f.]). Obschon über die Biographie des Stephanos kaum

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§ 4. Institutionelle Rahmenbedingungen (Bibl. 106–126) 59

etwas Gesichertes bekannt ist, wurde sein Leben von diesem vermeintlichen Fix­
punkt ausgehend immer weiter ausgeschrieben. Am Ende dieser Bemühungen
stand die Rekonstruktion einer eindrucksvollen Karriere, die Stephanos in Athen,
Alexandrien und Konstantinopel wirken ließ und die ihn zum Verfasser von
Schriften astrologischen, astronomischen, alchemistischen und medizinischen In­
halts machte (Wolska-Conus 1989 [*262: insb. 82–89], Papathanassiou 2006 [*426:
v. a. 163–165, 201–203]). Erst jüngst ist nun mit guten Gründen dargelegt worden,
dass das ganze Konstrukt auf zwei zwar überaus ingeniösen Hypothesen basiert,
von denen sich aber die eine auf unzutreffende und die andere auf sehr zweifel­
hafte Voraussetzungen stützt (Roueché 2011 [*502: insb. 1f., 29f.] und 2012 [*520:
120–122, 136f.]; kritisches Resümee: Searby 2016 [*593: insb. 575–579]). Trifft
diese durchaus als plausibel anzusehende Dekonstruktion zu, dann hat sie, da sie
mit einer Verortung von Stephanos’ Leben und Wirken allein im Alexandrien des
6. Jahrhunderts einhergeht (Roueché 2016 [*592: 551f.]), weitreichende Konse­
quenzen: Das Ende der antiken Philosophie in Alexandrien und der Beginn einer
neuen Epoche der Philosophie in Byzanz müssten dann anders als bislang erzählt
werden. Die eingängige Geschichte vom Auszug des ‘letzten’ Neuplatonikers aus
Ägypten, womöglich gar mit der ‹Collection philosophique› im Gepäck (Rashed
2002 [*359: 716f.]; siehe ferner Cavallo 2007 [*432], Goulet 2007 [*436: 54–57],
Marcotte 2007 [*445], Ronconi 2012 [*519], Marcotte 2014 [*551] und 2014 [*552]),
wäre nurmehr als Bestandteil der Forschungsgeschichte anzusehen (zur Philoso­
phie in Byzanz: Ierodiakonou, Zografidis 2010 [*486: 843–857]).
Wie sich die Forschung hinsichtlich Stephanos künftighin auch entwickeln mag:
Der Blick auf eine andere letzte Geschichte der Philosophie in Alexandrien ist je­
denfalls lohnend – sie spielt im Juni des Jahres 619 im Zusammenhang mit der Er­
oberung der Stadt durch die Sassaniden. Eine entscheidende Rolle, so wird es im
syrischen ‹Chronicon anonymum de ultimis regibus Persarum› (auch bekannt
unter dem Namen ‹Chusistan-Chronik›) überliefert, kam dabei einem gewissen
Peter aus Qatar zu: Dieser sei einst in die ägyptische Metropole gekommen, um
Philosophie zu studieren, und habe späterhin den Belagerern einen Weg in die
eingeschlossene Stadt gewiesen (CSCO 1 [Script. Syr. 1] Chron. Min. I,25,25–26,8
Guidi; siehe auch CSCO 2 [Script. Syr. 2] Chron. Min. I,22,32–23,4 Guidi [lat.],
Nöldeke 1893 [*78: 25; dt.]; zum Text: Howard-Johnston 2010 [*485: 128–135]; zur
Eroberung Alexandriens: Altheim-Stiehl 1992 [*270: 88–92]). Interessanter als
der sub specie aeternitatis zweifelsohne relevantere Umstand des Verrats mit sei­
nen Folgen ist hier die Motivation, die Peter aus Qatar an den Nil geführt haben
soll: das Studium der Philosophie.

15. Schluss

So steht am Ende der Geschichte der antiken Philosophie, als diese ihre pro­
minente Rolle in der Öffentlichkeit längst verloren hatte und sowohl im Bereich
der Elitenkultur als auch in Form der Populärphilosophie grundsätzlich kaum
mehr noch als ein Schattendasein fristete, als sie im Westen etwa durch Anicius

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60 I. Allgemeine Einleitung

Manlius Severinus Boethius ihren Weg in das lateinische Mittelalter nahm (dazu
Ebbesen 2011 [*498], Vogel 2016 [*595]; genannt sei hier auch die kontroverse Ar­
beit von Gouguenheim 2008 [*458]) und im Osten beispielsweise durch Sergios
(Sargīs) von Rešʻaynā (dem antiken Theodosiopolis in der Osrhoëne), der sich
während seiner Studien in Alexandrien nicht nur der Medizin, sondern auch der
Philosophie gewidmet hatte und womöglich in einem Schülerverhältnis zu Am­
monios Hermeiou stand, in das Syrische gelangte (Fiori 2014 [*543]; zu nennen ist
hier die mit einem einleitenden Traktat unter dem Titel ‹Abhandlung über das
geistige Leben› versehene Übersetzung des ‹Corpus Dionysiacum›, durch das pla­
tonisches Gedankengut in christlicher Brechung im syrischen Raum Verbreitung
fand – dazu Bettiolo 2005 [*391: 97f.], Hugonnard-Roche 2009 [*474: 318–322]),
als sie durch die Schriften Davids Eingang in das Armenische fand (Calzolari
2009 [*467], Andrews 2013 [*524: 35–37]) und später durch Übersetzungen auch
in der arabisch-islamischen Welt rezipiert werden sollte (D’Ancona 2010 [*482:
870–872]), noch einmal ein Zeugnis, das eine mehr als tausendjährige soziale Pra­
xis in der mediterranen Welt widerspiegelt – nämlich die antike Form der ‘grand
tour’, die vornehmlich junge Männer aus den Oberschichten in große oder kleine
Zentren der Philosophie führte, um sich meist temporär, manches Mal aber auch
dauerhaft mit der Philosophie zu befassen.

§ 5. Philosophische Leitideen

Christoph Horn

Dass die philosophischen Schulen aus der klassischen und der hellenistischen
Periode (trotz gewisser Umbrüche) inhaltlich und organisatorisch fortgeführt wur­
den – manchmal linientreu, oft aber auch mit beträchtlichen Neuerungen –, bildet
ein wesentliches Merkmal der römischen Kaiserzeit und der Spätantike, auch wenn
sich diese Fortführung am Ende der Epoche auf den paganen und christlichen Pla­
tonismus verengte (siehe oben § 3.). Die Nachzeichnung dieser Schultraditionen ist
eine wesentliche Aufgabe des ‹Grundrisses›. Man kann jedoch noch eine andere
Perspektive auf die Zeit richten, und zwar eine, die spezifisch mit der historischen
Distanz zusammenhängt, welche die Spätantike ihrem eigenen Empfinden nach
von der Zeit der Vorsokratik, der Klassik und der hellenistischen Periode trennt.
Denn aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen, auf eine glänzende Vergangenheit
zu folgen und selbst unter minder herausragenden Umständen zu leben, ergeben
sich in Kaiserzeit und Spätantike einige besondere philosophische Grundthemen,
Tendenzen und Motive. Für die Epoche ist es kennzeichnend, dass sie die volle
Wahrheit bei den ‘alten Philosophen’ vermutete und darum eine stark rezeptive
Einstellung zur Tradition einnahm. Natürlich sind die jeweiligen Bezugsgrößen

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§ 5. Philosophische Leitideen (Bibl. 127) 61

dieser Rezeptionsvorgänge verschieden, doch bildeten besonders Pythagoras, So­


krates, Platon, Aristoteles und Epikur zentrale Referenzpunkte dieser philosophi­
schen Suche nach der Wahrheit der ‘Alten’ (οἱ παλαιοί). Im Folgenden sollen acht
solcher grundlegenden Motive angesprochen und kurz erläutert werden:
1) Klassikeredition und -systematisierung: Ein Merkmal der Epoche ist die
Suche nach Originaltexten und deren Edition, und zwar verbunden mit stark ord­
nenden und systematisierenden Absichten. Charakteristisch dafür sind die Platon-
Edition des Thrasyllos und die Aristoteles-Edition des Andronikos von Rhodos.
So unterlegte Thrasyllos seiner Platon-Ausgabe die systematisierende Form einer
Tetralogien-Einteilung (die möglicherweise bereits auf Vorläufer aus dem 1. Jh.
v. Chr. zurückgeht). Und schon zuvor waren die esoterischen Schriften des Aris­
toteles ediert worden, wobei Andronikos von Rhodos eine thematische Zusam­
menfassung einiger aristotelischer Schriften zur Logik (‹Organon›), Physik und
‘Metaphysik’ unternahm (zur näheren Differenzierung vgl. Hatzimichali 2013
[*639]). Anderen Editionen sieht man die altakademische und stoische Einteilung
nach dem Schema Logik – Physik – Ethik an. Wiederum anders systematisierte
Porphyrios seine Plotin-Ausgabe: Er spaltete Plotins Schriften wohl aus zahlen­
theoretischen Überlegungen in Neunergruppen (‹Enneaden›) auf und ordnete sie
dann so an, dass sie den Leser von der sinnlichen Welt über die Seele und die in­
telligible Welt bis hin zum absoluten Einen führen sollten.
2) Doxographie: Für philosophisch interessierte Leser aus Kaiserzeit und Spät­
antike waren große Teile der philosophischen Literatur von Vorsokratik, Klassik
und hellenistischer Zeit unverfügbar. Diese waren über die Jahrhunderte verloren
gegangen oder zumindest schwer zu erreichen (siehe oben § 2.). Daher kam das
Bedürfnis nach doxographischen Schriften auf, die über die grundlegenden The­
men und Lehren der alten Philosophen, einschließlich ihres Lebens, aus zweiter
Hand berichteten. Die wichtigste dieser Sammlungen stammt von Diogenes La­
ertios (3. Jh. n. Chr.). Seine Philosophiegeschichte (‹Leben und Meinungen be­
rühmter Philosophen›) enthält wertvolles Material von sonst verlorenen Autoren
und entwickelt Perspektiven auf Philosophen, die diese markant kennzeichnen
sollen. Gerade das Bedürfnis nach charakteristischen Anekdoten lässt hier aber
auch Vorsicht geboten erscheinen; der Doxograph kann sein Material allzu leicht
missverstehen oder verfälschen, glätten oder zuspitzen, erhaben oder lächerlich
erscheinen lassen. Doxographie ist aber nicht nur eine eigene Literaturgattung;
sie bildet häufig auch einen Teil der in dieser Zeit entstandenen philosophischen
Werke selbst. Viele Autoren erinnern auf diese Weise an die Positionen ihrer Geg­
ner, deren Schriften unverfügbar oder rar gewesen sein mögen, um sie dann auf
der Basis der eigenen Darstellung zu attackieren. Oder man integriert so eine
fremde Meinung, die für den eigenen Standpunkt als hilfreich erscheint, in seine
Argumentation. Im Prinzip verfuhren zwar schon Platon und Aristoteles auf diese
Weise; jetzt aber bilden doxographische Referate einen weitaus wichtigeren Be­
standteil der philosophischen Texte.
3) Auswahl kanonischer Texte und Herausbildung von Lektüreordnungen: Aus
dem Phänomen der Klassikereditionen ergibt sich als epochentypischer, schul­
übergreifend weitgehend geteilter Punkt die Orientierung an kanonischen Texten

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62 I. Allgemeine Einleitung

oder Textfolgen. Das klarste Beispiel hierfür liefert der platonische ‹Timaios›, des­
sen Bedeutung besonders in seiner Lehre vom Demiurgen und vom ‘umfassenden
Lebewesen’ gesehen wurde. Was den ‹Timaios› für mittel- und neuplatonische,
aber auch für stoische und christliche Autoren so attraktiv machte, ist die Tatsa­
che, dass er eine Gesamtdarstellung der Kosmologie und Naturphilosophie Pla­
tons mit einer theologischen und teleologischen Erklärungstendenz enthält (dazu
etwa Lernould 2001 [*625], Opsomer 2001 [*626] und Gersh 2003 [*628]). Platon
äußert sich hier – in seltener doktrinaler Klarheit – darüber, wie er sich die Ge­
staltung der sinnlichen Welt denkt, wie die Konzeption der Weltseele zu verstehen
sei, wie man die Weltordnung als durch Vorsehung (πρόνοια) bestimmt konzipie­
ren kann und wie man sich die Konstitution der sinnlichen Welt aus solchen Ele­
mentarkörpern vorzustellen hat, die einfachen mathematisch-stereometrischen
Prinzipien folgen; hinzu kommt etwa seine Lehre von der χώρα («Raum»), einem
materie-analogen metaphysischen Prinzip. Die Wirkungsgeschichte dieser Theo­
rieelemente ist enorm (vgl. Baltes 1976–1979 [*612], Neschke-Hentschke 2000
[*622] und Reydams-Schils 2003 [*629]). Ein weiteres Beispiel, das allerdings spe­
zifisch für die neuplatonische Schultradition ist, liefert der zweite Teil, also die
Übungspassage, innerhalb von Platons ‹Parmenides›. Dieser Text wurde weithin
als Exposition einer Negativen Theologie des Einen mitsamt einer Entwicklung
der drei (oder mehr) grundlegenden Prinzipien der Wirklichkeit aufgefasst und
bekam daher in den schulischen Lektürekanons als krönender Abschluss den letz­
ten Platz zugewiesen. Die Inanspruchnahme des ‹Parmenides› für eine solche Stu­
fenmetaphysik erfordert eine genaue Lektüre mit einer besonderen Hermeneutik,
die auch dann bemerkenswert bleibt, wenn man sie für sachlich verfehlt halten
mag. Die Geschichte dieser ‹Parmenides›-Interpretation umfasst mit ihren Sta­
tionen Plotin, Amelios, Porphyrios, Iamblichos, Plutarch, Syrianos und Proklos
einige der herausragenden Denker dieser Epoche.
4) Kommentarliteratur: Einen Spezialfall der reflektierten Klassiker-Hermeneu­
tik bildet der Kommentar (dazu allgemein Goulet-Cazé 2000 [*621], Adamson, Bal­
tussen, Stone 2004 [*630] und unten § 6.). Der Kommentar als Textgattung, die auf
eine Erläuterung schwieriger einzelner Textpassagen sowie Gedankengänge und
ihrer Zusammenhänge gerichtet ist, geht bereits auf die hellenistische Zeit zurück.
In der Kaiserzeit und der Spätantike waren es besonders die dichten und schwieri­
gen Schriften des Aristoteles, die etwa ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. zum Gegen­
stand intensiver Kommentierung wurden (insgesamt ediert in der ­modernen Aus­
gabe der ‹Commentaria in Aristotelem Graeca›; siehe die Liste bei Sorabji 22016
[*615: 30–33]). Daneben gab es aber auch Kommentare zu den als uneindeutig emp­
fundenen Passagen in Platons Dialogen oder zu stoischen Autoren. Wichtige frühe
Vertreter der Kommentierungsarbeit zu Aristoteles waren Adrastos von Aphrodi­
sias, Sosigenes und Aristokles von Messene; später kamen etwa noch Porphyrios,
Themistios, Philoponos und Simplikios dazu. Als bedeutendster antiker Kommen­
tator des Aristoteles kann aber Alexander von Aphrodisias gelten (um 200 n. Chr.),
der zudem ein eigenständiger systematisch interessierter Peripatetiker war. Er er­
hielt um das Jahr 200 den von Kaiser Mark Aurel gestifteten Lehrstuhl für peripa­
tetische Philosophie in Athen. Alexander kommentierte einige der wichtigsten aris­

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§ 5. Philosophische Leitideen (Bibl. 127) 63

totelischen Schriften, darunter die ‹Analytica priora› und ‹Analytica posteriora›,


die ‹Metaphysik› (1–4), die ‹Physik›, die ‹Topik› sowie ‹De anima›. Zu den Leistun­
gen Alexanders gehört ferner, dass er Aristoteles’ Hylemorphismus aus ‹De anima›
wiederaufgegriffen und verteidigt hat. Erstmals stellt er eine enge Verbindung zwi­
schen dem aktiven Intellekt aus ‹De anima› 3,5 und dem sich selbst denkenden Gott
aus ‹Metaphysik› 12,7 und 9 her. Überhaupt lassen sich die Kommentatoren viel­
fach durchaus als eigenständige Philosophen interpretieren (dazu besonders das
dreibändige Werk von Sorabji 2004 [*633]). Die wichtigsten Platon-Kommentato­
ren waren Porphyrios, Dexippos, Plutarch von Athen, Syrianos und Proklos.
5) Konvergenz von Platon und Aristoteles: Schon bei Antiochos von Askalon
findet sich die Behauptung, Platon und Aristoteles (und übrigens auch die Stoi­
ker) gehörten im Wesentlichen einer einzigen Tradition an (Cic. Ac. 1,33–34). Be­
ginnend mit Ammonios Sakkas war es aber insbesondere die neuplatonische Tra­
dition, welche die These von der doktrinalen Harmonie von Platon und
Aristoteles vertrat (dazu Karamanolis 2006 [*635]). Umstritten ist die Frage, wie
weit Plotin dieser Tendenz folgt oder ob er eher anti-aristotelisch ist (z. B. de Haas
2001 [*624]). In jedem Fall ist diese Interpretationsrichtung seit Porphyrios vor­
herrschend. Umgekehrt mag man sich fragen, ob Themistios nicht vielleicht ein
anti-platonischer Aristoteliker ist. Eine wichtige Voraussetzung für die Harmo­
niethese ist, dass man erklären kann, inwiefern Aristoteles’ Ideenkritik nicht auf
einen kompletten Anti-Platonismus hinausläuft. Eine andere Herausforderung an
die Harmonietheoretiker bestand darin, plausibel zu machen, inwiefern Platons
‘Kreationismus’ im ‹Timaios› mit Aristoteles’ These von der Ewigkeit der Welt
vereinbar ist; seit Hierokles gibt es hierfür Lösungsvorschläge.
6) Direkte und indirekte Präsenz des Skeptizismus: In Kaiserzeit und Spätantike
gibt es, wie gesehen, eine Tendenz zur Doxographie, der Schulpolemik und der
hilfsweisen Übernahme fremder Positionen. Einen Sonderfall der Präsenz frem­
der Meinungen in den Texten spätantiker Schulen bildet das Phänomen, dass bis­
weilen der Skeptizismus als Hintergrundfolie benutzt wird. Das mag damit zu­
sammenhängen, dass man seine eigene Position zunächst verbirgt und sie nicht
offen darlegt – oder nur schulintern ganz preisgibt. Vor allem aber gibt es das Phä­
nomen, dass skeptisches Denken als eine Herausforderung herangezogen wird,
die von der eigenen Position erst einmal überwunden werden muss. Sowohl die
akademische als auch die pyrrhoneische Skepsis erreichten ein exzellentes argu­
mentationstechnisches Niveau, das offenbar als maßstabsetzend empfunden
wurde. Beispielsweise kann man bei Plotin an mehreren Stellen seines Werks
sehen, dass er sich die Formulierung seiner Problemstellungen sowie zentraler Ar­
gumentationsfiguren von der pyrrhoneischen Skepsis vorgeben lässt (vgl. Wallis
1987 [*614]). Das wichtigste Beispiel hierfür liefert seine Theorie von Selbstbewusst­
sein und Selbstwissen, deren aporetische Ausgangslage er mit einem berühmten
Dilemma des Sextus Empiricus formuliert (Adv. math. 7,284,1–287,1. 310–312).
Möglicherweise bildet sogar Plotins Negative Theologie des Einen die skeptische
Diskursform ab (O’Meara 2000 [*623]).
7) Schulinterne Systematisierung: In Kaiserzeit und Spätantike besteht die –
zuerst von der hellenistischen Stoikern praktizierte – Tendenz, Philosophie syste­

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64 I. Allgemeine Einleitung

matisch zu betreiben. Dazu bemühen sich alle Schulen um mehr oder minder feste
Terminologien (mit einer häufig synkretistisch-eklektischen Tendenz), um die Er­
stellung argumentativer Topiken, um kohärente Problembeschreibungen und um
konsistente Gesamtmodelle, etwa solche, welche die Themenbereiche Logik, Phy­
sik und Ethik in einen engen Zusammenhang zueinander stellen. Hinzu kommt
häufig eine starke Kanonisierung der im Schulbetrieb verwendeten Lehrschriften
sowie des Studiencurriculums. Typisch ist zudem das Bemühen (besonders für die
Platoniker), ein integrativ-harmonisierendes Bild der Philosophiegeschichte und
der als wertvoll erscheinenden literarischen und religiösen Traditionen zu zeich­
nen. Damit soll den partikularen Wahrheitsmomenten der Geistesgeschichte der
ihnen gebührende Platz zugewiesen werden, Widersprüchliches miteinander ver­
söhnt und Irrtümer und Halbwahrheiten der Vorgänger ‘richtiggestellt’ werden.
8) Lebenskunst: Wie man in den letzten Jahrzehnten besonders für die helle­
nistische Periode herausgearbeitet hat, wurde Philosophie in der Antike primär
nach dem Paradigma einer ‘Lebenskunst’ (τέχνη τοῦ βίου, «ars vivendi») betrie­
ben, nicht in erster Linie in Form eines akademischen Fachdiskurses. Denn Ant­
worten auf Lebensprobleme ließen sich am ehesten von der Philosophie erwarten;
Fragen nach dem Lebenssinn, nach der Stellung des Menschen im Kosmos, nach
der richtigen Lebensführung und nach Lebenserfolg sowie nach Methoden und
Praktiken zur Transformation der Persönlichkeit wurden an professionelle Philo­
sophen gerichtet mit dem Ziel, die Lebensführung der Philosophierenden auf eine
neue, vernünftige Grundlage zu stellen. Die dazu praktizierten Übungen sollten
die Philosophenschüler anleiten, ihre Biographie bewusst und an den richtigen
Zielen orientiert zu gestalten (dazu Foucault 1986 [*613], P. Hadot 1991 [*616],
Nussbaum 1994 [*617], P. Hadot 1995 [*296], Horn 1998 [*619], Nehamas 1998
[*620]). In der Kaiserzeit ist die Tendenz besonders deutlich, Philosophie auf ihre
lebenspraktisch-transformierende Rolle hin zu fokussieren, etwa bei den römi­
schen Stoikern. Für die Spätantike ist es kennzeichnend, Philosophie als spiritu­
elle Übung aufzufassen und gedanklichen Fortschritt als ‘Aufstieg’ zu den funda­
mentalen Prinzipien der Welt zu deuten.

§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer


Wissensvermittlung und Methoden der Textinterpretation
in historischer Perspektive

Irmgard Männlein-Robert und Christoph Riedweg

Das philosophische Nachdenken über den Aufbau des Kosmos sowie die Rolle
des Menschen im Weltganzen artikuliert sich je nach literarischer Gattung, die als
Medium der Vermittlung gewählt wird, in zuweilen markant verschiedener Ge­

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 65

stalt. Die Bandbreite reicht in Kaiserzeit und Spätantike von in der Regel für den
schulinternen Gebrauch bestimmten Notizen, philologischen und philosophischen
Einzelstudien und Kommentaren über philosophiegeschichtliche Werke und mehr
oder weniger stilisierte Briefe bis hin zu hochliterarischen Formen wie dem Dia­
log oder Gedichten, unter denen die Hymnen als poetisch besonders anspruchs­
volle und stark religiös geprägte Gebilde herausragen.
Generell könnte man die literarischen Formen der Philosophie mit P. Hadot
1989 [*703] in dichotomischen Gegenüberstellungen wie ‘philosophisch’ und ‘nicht-
philosophisch’, mündlich und schriftlich, Poesie und Prosa zu klassifizieren versu­
chen und systematisch die unterschiedliche Rolle des Philosophen im Werk reflek­
tieren – ist er Autor oder wird über ihn gesprochen? (zum ersten Fall gehören in der
Antike auch Mitschriften von Schülern, zum zweiten u. a. die Doxographien) – bzw.
Gesichtspunkte wie den «inneren Zweck» (wird eine These axiomatisch oder ‘zete­
tisch’ entfaltet?), die «Ausdrucks- und Argumentationsweise» (diskursive vs. apho­
ristische Gattung, ferner Mythen, Bilder usw.) sowie den «äußeren Zweck» (bloße
Wissensvermittlung vs. psychagogische Schriften, die den Leser verändern wollen,
darunter Protreptik und Paränese) der Einteilung zugrunde legen.
Der folgende Versuch, Charakteristika und Spezifika kaiserzeitlicher und spät­
antiker philosophischer Texte unter literaturkritischen Aspekten herauszustellen,
lehnt sich an solche Beschreibungsklassifikationen an, intendiert aber in erster
Linie eine nach literarischen Gattungen und Textsorten (im weitesten Sinne)
sowie nach texthermeneutischen Methoden differenzierte Synopse mit einer je­
weils kurzen historischen Einbettung. Es geht dabei nicht um eine vollständige
Auflistung, sondern vielmehr um einen Überblick über bestimmte Phänomene und
Besonderheiten hinsichtlich der literarischen Formen und Modi von Philosophie.
Genrebedingte Konventionen bestimmen nämlich in Kaiserzeit und Spät­antike
gleichermaßen die Produktions- wie die Rezeptionsprozesse philosophischer Lite­
ratur. Im Sinne eines kommunikativ-semiotischen Gattungsverständnisses ist
dabei nicht von einem starren Set von Regeln, sondern von einer dynamischen
Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte auszugehen (dazu gehört auch die Adap­
tion genrespezifischer Methoden auf andere literarische Genres, wie sie in philo­
sophischem Kontext etwa im Fall von Dialog und Kommentar zu beobachten ist).
Ein solches Gattungsverständnis schließt umgekehrt nicht aus, dass bestimmte,
als paradigmatisch empfundene Texte das Bündel von Merkmalen, die je als gat­
tungsspezifisch empfunden werden, besonders nachhaltig geprägt haben. Dies gilt
auch für die in den ersten Jahrhunderten n. Chr. gepflegten Gattungen, die mehr­
heitlich an bereits etablierte literarische Traditionen anschließen, die sich aber
auch neu herausbilden bzw. als neues Amalgam aus bereits bekannten Textsorten
und Schreibhaltungen resultieren können. Grundsätzlich ist für die kaiserzeit­liche
und spätantike Literatur von einer mitunter sehr weitreichenden rhetorischen Ge­
staltung und Überformung der Texte auszugehen, die bei der literaturkritischen
Beurteilung derselben als Indikator für bestimmte literarische Strategien und Ten­
denzen dienen kann (Männlein-Robert, Rother, Schorn, Tornau 2016 [*797]).
Mit Blick auf etablierte literarische Traditionen sind folgende Gattungen und,
damit eng verbunden, entsprechende Methoden und Praktiken zu nennen:

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66 I. Allgemeine Einleitung

1) Dialog (διάλογος / dialogus), von Aristoteles mit gutem Grund als «sokra­
tisch» bezeichnet (Arist. De poetis fr. 15 Gigon = F 44a Janko; vgl. Arist. Poet. 1,1,
1447b11): Er verdankt seine Entstehung offenkundig dem Bedürfnis, die für So­
krates charakteristische Form des philosophischen Gesprächs ‘erinnernd’ festzu­
halten (vgl. den xenophontischen Werktitel Ἀπομνημονεύματα, ‹Erinnerungen›;
Plat. Parm. 126c3; Tht. 142d4ff. usw.). War Platon anfänglich nur einer unter meh­
reren Verfassern solcher Dialoge (und nicht einmal der erste oder berühmteste:
siehe Grundriss, Antike II, II 65–68), so wurde er im Laufe der Zeit zum unan­
gefochtenen Meister und Bezugspunkt, an dem jeder spätere Verfasser philosophi­
scher Dialoge in der einen oder anderen Form Maß nahm. Zwar hatten auch Aris­
toteles und Theophrast sowie weitere Platon- und Aristotelesschüler, darunter
Herakleides Pontikos (vgl. Fox 2009 [*774]), die Gattung erfolgreich weitergepflegt
und -entwickelt, und zumindest Aristoteles, dessen Dialoge vermutlich noch bis
in die Spätantike hinein verfügbar blieben, erhielt für die stilistische Gestaltung
u. a. von Cicero hohes Lob (vgl. oben § 2.) und dürfte neben Platon als Vorbild
eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Doch zeigt sich etwa bei Ba­
sileios die Abstufung in der Wertschätzung deutlich (es fehle Aristoteles und
Theophrast «am platonischen Liebreiz»: Ep. 135,1), und auch Diogenes Laertios
teilt Platon in Bezug auf die Ästhetik fraglos «den ersten Platz» (τὰ πρωτεῖα: 3,48)
zu. Der von Cicero erfolgreich in der lateinischen Literatur heimisch gemachte
Dialog bleibt in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten eine sehr produktive
Literaturgattung, die auch im Christentum zur privilegierten Form der Kommu­
nikation mit der gebildeten Öffentlichkeit – zunächst vor allem der heidnischen,
dann ebenfalls der innerchristlichen – wird (ausführlicher zum Folgenden Bardy
in Hermann, Bardy 1957 [*662: 945–955] und vor allem Voss 1970 [*675]). Im la­
teinischen Bereich ragen neben Minucius Felix’ ‹Octavius› die zahlreichen philo­
sophischen Dialoge des Augustinus hervor, während in der griechischen Patristik
Justins ‹Dialog mit dem Juden Tryphon›, Methodios’ Neufassung des platonischen
‹Symposion›, Gregors von Nyssa dem platonischen ‹Phaidon› nachempfundener
‹Dialog (Διάλογος, var. lect. Ζήτησις, Untersuchung) mit Makrina über die Seele›
sowie Aineias’ von Gaza ‹Theophrast› zu den Höhepunkten zu zählen sind. Be­
sondere Erwähnung verdient die in der Forschung freilich umstrittene Nachricht
des Kirchenhistorikers Sokrates, der jüngere Apollinarios habe unter dem Ein­
druck des Schuledikts Kaiser Julians vom 17. Juni 362 «die Evangelien und die apo­
stolischen Lehren» nach der Art der platonischen Dialoge herausgebracht (Sokr.
Hist. eccl. 3,16,5; vgl. allerdings Soz. Hist. eccl. 5,18,3ff.; McLynn 2014 [*786: 129],
Agosti 2015 [*788: 235], Cecconi 2015 [*789: 208]). Von Ausnahmen wie Augusti­
nus’ Cassiciacum-Dialogen abgesehen tritt in den heidnischen wie in den christ­
lichen Dialogen dieser Zeit, soweit sie erhalten sind, das ‘dramatisch-mimetische’
Element gegenüber dem lehrhaften Vortrag stärker zurück, was angesichts der
enormen Bedeutung, die Platons Spätdialog ‹Timaios› mit seiner langen Rede über
die Entstehung der Welt für die gesamte Philosophie der ersten Jahrhunderte
n. Chr. hatte, kaum überrascht. Nach dem Vorbild des Aristoteles kann dabei auch
der Verfasser selbst als – den Gesprächsverlauf mitunter dominierende – Person
auftreten und außerdem ein Prooimion vorangestellt sein (vgl. Cic. Att. 4,16,2;

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 67

13,19,3–4; Grundriss, Antike III, 262f.; allgemein Hirzel 1895 [*646], Hösle 2006
[*760: 79–105], Goldhill 2008 [*769], Föllinger, Müller 2013 [*781]).
2) Diatribe (διατριβή / dissertatio): Auch hier scheint der sokratische Einfluss
bestimmend, wird doch der – ähnlich wie σχολή («Muße, freie Zeit») – zunächst
neutrale Begriff des ‘Verweilens’ und des (gehobenen) ‘Zeitvertreibs’ insbeson­
dere mit dem für Sokrates charakteristischen Lebensstil, seinem die anderen und
sich selbst prüfenden Fragen und Philosophieren, verbunden (vgl. Plat. Apol. 29c;
37c; allgemein dann von einem der Philosophie gewidmeten Leben Plat. Phd. 63e;
Tht. 172c; Rep. 7, 540b usw.). Es erstaunt daher kaum, wenn der entsprechende
Werktitel erstmals beim Sokratesschüler Aristipp von Kyrene und mehr oder we­
niger gleichzeitig auch beim Platonfreund Archytas von Tarent erscheint (vgl.
Aristipp SSR IV A 146 = Theopomp FGrHist 115 F 259 = Athen. Deipnosoph. 11,
508c–d und Sotion fr. 6 Wehrli = Panaitios fr. 123 van Straaten = D. L. 2,85 [cf.
2,84] – dazu Grundriss, Antike II, I 249 – bzw. Archytas 47 B 4 DK mit den Er­
läuterungen von Huffman 2005 [*755: 228–232]). Vor dem Hintergrund der wei­
teren Entwicklung in Kynismus und Alter Stoa möchte man vermuten, dass mit
diesem Titel Schriften bezeichnet wurden, die bei allen Berührungen mit dem so­
kratischen Dialog doch vergleichsweise geringere literarische Ansprüche erhoben.
Beachtung verdient in diesem Zusammenhang, dass im Katalog der Werke des
Zenonschülers Ariston von Chios neben Diatriben unterschiedlicher Thematik
(‹7 Bücher Diatriben über die Weisheit›, ‹Erotische Diatriben›) ausdrücklich auch
‹Dialoge› genannt werden, außerdem gelehrte Abhandlungen (‹6 Bücher Dispu­
tationen [Σχολαί]› bzw. ‹Aufzeichnungen [Ὑπομνήματα]›), von denen sich die Dia­
triben gewiss deutlich unterschieden (Ariston fr. 333, I,75f. SVF = D. L. 7,163; vgl.
Ioppolo 1980 [*685: 39–55]). Während über diese sowie die Bion von Borysthenes,
Zenon, Persaios von Kition, Kleanthes, Sphairos von Borysthenes zugeschriebe­
nen ‹Diatriben› kaum etwas bekannt ist (vgl. auch Jocelyn 1982 [*689: 5f.], dessen
allgemeiner Skeptizismus gegenüber der Gattung Diatribe freilich überzeichnet
scheint: siehe Gottschalk 1982 [*688]; allgemein zur Forschungsgeschichte Stowers
1988 [*702: 71–74]), lassen die bei Stobaios erhaltenen Ausschnitte aus der Epitome
eines Theodoros von den Schriften des Kynikers Teles (Mitte des 3. Jh.s v. Chr.) ei­
nige Züge erkennen, die auch für die späteren, sich zunehmend in Richtung popu­
lärphilosophische Unterweisung und Predigt entwickelnden Diatriben als charak­
teristisch gelten. Dazu gehören: vergleichsweise schlichter Stil, Konzentration auf
ethisch-moralische Themen, dialogische Grundstruktur (These bzw. Frage und
Widerlegung bzw. Antwort), häufige Anrede eines ‘Du’ (das mit drängenden Fra­
gen und Imperativen auf den richtigen Weg gebracht werden soll), Einflechten von
Beispielen, Anekdoten und Dichterzitaten zur Illustration (vgl. allgemein Marrou
in Capelle, Marrou 1957 [*661: 998], Schmeller 1987 [*699: 205–224], Stowers 1988
[*702: 75f.]). Zu bedenken ist freilich, dass für Teles im Unterschied zu seinem mut­
maßlichen Modell Bion (vgl. Bion T 8 A Kindstrand = D. L. 2,77; allgemein Grund­
riss, Antike II, I 308f.) der Titel ‹Diatribe› ebenso wenig gesichert ist wie für die –
gleichfalls Stobaios zu verdankenden – Auszüge aus dem Werk des frühkaiser-
zeitlichen Stoikers Musonius, bei denen es sich vermutlich um die Mitschrift
von Lehrvorträgen und Gesprächen durch einen Schüler namens Lukios handelt

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68 I. Allgemeine Einleitung

(vgl. Stob. Ecl. 2,15,46, II,193,3 Wachsmuth: Λυκίου ἐκ τῶν Μουσωνίου, «Von
­Lukios aus den [sc. Diatriben?] des Musonius»). Der Begriff διατριβή im Sinne der
richtigen philosophischen Lebensform begegnet immerhin in Musonius’ 6. Frag­
ment Περὶ ἀσκήσεως (‹Über die sittliche Übung›: «wir alle, die wir an der philo­
sophischen Lebensführung [διατριβῆς] Anteil haben»), und bereits der Beginn
­desselben Fragments lässt den Bezug dieser Mitschriften zum philosophischen
Lehrbetrieb deutlich erkennen («Er pflegte die mit ihm Zusammenseienden [τοὺς
συνόντας] stets beharrlich zur sittlichen Übung anzutreiben, indem er in etwa
­folgende Worte verwendete»; vgl. auch fr. 11, wo das permanente «Zusammensein
mit dem Lehrer» als besonderer Glücksfall genannt wird). Der Zusammenhang
mit dem philosophischen Unterricht scheint generell für Diatriben charakteristisch
– nicht ohne Grund bekommt das Wort vermutlich schon früh auch die Bedeutung
«Schule» (vgl. Athen. Deipnosoph. 5, 211d; Gell. 1,26,1 usw.; Glucker 1978 [*681:
162–166]; allgemein zur mündlichen Lehrtätigkeit als konstitutiv für literarische
Diatriben Stowers 1981 [*687: 75–78], Schmeller 1987 [*699: 9–14]).
Das moderne Gattungsverständnis ist maßgeblich durch Arrians Aufzeichnungen
von Epiktets ‹Diatriben› geprägt, in denen die genannten Merkmale gehäuft auf­
treten (der Titel Ἐπικτήτου ∆ιατριβαί, der von Gottschalk 1982 [*688: 92] ‹Epi­
ctetus’ discussions with his pupils› übersetzt wird, ist durch Simpl. In Ench. 1,
Phot. Bibl. cod. 58, 17b sowie die Subscriptiones der Haupthandschrift Bodleianus
misc. gr. 251 gesichert; die Angabe Διαλέξεις, ‹Vorträge›, bei Gell. 19,1,14 könnte
sich sehr wohl auf ein anderes Werk beziehen; Photios kannte neben 8 Büchern
‹Diatriben› auch 12 Bücher Ὁμιλίαι, ‹Unterredungen, Unterweisungen›; vgl.
D’Agostino 1928 [*653] und allgemein zu den hitzigen Forschungskontroversen
um diese Titel Fuentes González 2000 [*731: 118–125]). Dass auch diese ‹Diatri­
ben› den spezifischen Schulalltag reflektieren und zentral um die richtige, der
Pflege der Seele und der ethischen Vervollkommnung gewidmete Lebensform
nach sokratischem Vorbild kreisen (was einen umfassenden Philosophiebegriff
und das intensive Studium älterer stoischer und anderer Texte nicht ausschließt:
vgl. Long 2002 [*743: 43ff.]), geht aus einem Beispiel wie ‹Diatribe› 2,14 deutlich
hervor, wo ein vornehmer Römer zusammen mit seinem Sohn in Epiktets Schule
kommt, um Aufklärung über die wesentlichen Elemente eines philosophischen
Lebens bittet und vom Musonius-Schüler in einen typisch sokratisch-elenktischen
Dialog verwickelt wird (2,14,14–22; vgl. allgemein zur Rolle des Dialogs bei Epi­
ktet Wehner 2000 [*733]).
Zu den weiteren Verfassern von Diatriben könnte möglicherweise auch der von
Seneca bewunderte Kyniker Demetrios gehört haben (vgl. Billerbeck 1979 [*683:
57–60]), und ein Werk Dions von Prusa trägt den Titel Διατριβὴ τῶν ἐν συμποσίῳ
(‹Diatribe über das, was an einem Symposium geschieht›; vgl. Jocelyn 1982 [*689:
4]). Heikler ist der Versuch, diatribenhafte Elemente bei Autoren wie Seneca,
Plutarch und Maximos von Tyros, aber auch in der frühchristlichen Literatur zu
bestimmen (zu letzterem Marrou in Capelle, Marrou 1957 [*661: 998–1008]).
Denn ethisch-moralische Paränesen, fingierte Dialoge, familiärer Ton sowie wei­
tere «Kunstmittel der klassischen Rhetorik» (Marrou in Capelle, Marrou 1957
[*661: 998]) sind keine exklusive Domäne der Gattung der überwiegend, aber

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 69

nicht ausschließlich, kynisch-stoischen Diatribe (so einflussreich diese gewesen


sein mag; als Beispiel sei an die zum Teil fast wörtlichen Zitate aus Musonius bei
Clemens von Alexandrien erinnert), sondern kennzeichnen genauso Dialoge und
weitere an ein größeres Publikum gerichtete philosophische Schriften unter Ti­
teln wie Προτρεπτικὸς (‹Protreptische [zur Philosophie hinwendende] Rede›) und
Παραινετικὸς λόγος (‹Ermahnungsrede›, zu beiden siehe unten 7.) oder auch die
florilegienartige ἀποφθέγματα-Literatur (‹Aussprüche›; vgl. § 2.).
3) ‘Homilie’ (ὁμιλία, λόγος / homilia, sermo, praedicatio): Das Wort bezeichnet
im Griechischen anfänglich den «Umgang, Kontakt» mit anderen Menschen, ins­
besondere auch das Zusammensein mit Sophisten und Philosophen (vgl. Xen.
Mem. 1,2,6. 15 usw.; bei Ael. Var. hist. 3,19 wird mit ὁμιλία das «Sich-Unterreden»,
διαλέγεσθαι, innerhalb der Akademie bezeichnet). Insofern spiegelt der seit dem
5.  Jahrhundert v. Chr. belegte Werktitel Ὁμιλίαι mit der Diatribe vergleichbar
eine mündliche Gesprächssituation (zwei Bücher ‹Homilien› sind bereits für Kri­
tias von Athen bezeugt: 88 B 40f. DK; Phot. Bib. cod. 58, 17b = Epikt. test. VI
Schenkel schreibt Epiktet 12 Bücher ‹Homilien› zu; Philostr. Ap. 3,15 spricht von
mehreren ‹Homilien an die Ägypter› des Apollonios von Tyana; vgl. auch Eus. Hie-
rocl. 32). Entsprechend können seit Xenophon Schüler auch ὁμιληταί (wörtlich
«in vertrautem Umgang [mit jemandem] Seiende») genannt werden. In der Zwei­
ten Sophistik wird der Terminus dann – nicht anders als das zunächst ebenfalls
einfach eine «Unterredung», ein «Gespräch» bezeichnende Wort διάλεξις (vgl.
Philostr. Ap. 4,2. 3 usw.; zu διάλεξις als Werktitel siehe Max. Tyr. und Dion Chrys.
Or. 42; Iren. Ep. ad Flor. = Eus. Hist. eccl. 5,20,6 bezeichnet Polykarps Predigten
als διαλέξεις πρὸς τὸ πλῆθος, «Reden an die Menge», und Thdt. Gr. aff. cur. nennt
die einzelnen Bücher seiner Apologie διαλέξεις) – ebenfalls für epideiktische
Reden verwendet (vgl. Luk. Demon. 12; 26 usw.; interessant in diesem Zusam­
menhang auch Hesych δ 1131, wo διάλεξις und ὁμιλία gleichgesetzt werden).
Alle diese Bedeutungsnuancen spielen eine Rolle, wenn spätestens seit Cle­
mens von Alexandrien ὁμιλία zu einem Terminus technicus für die christliche Pre­
digt wird (vgl. über Valentinus Clem. Alex. Strom. 4,89,2 ἔν τινι ὁμιλίᾳ, «in einer
Predigt», und 6,52,3 ἐν τῇ Περὶ φίλων ὁμιλίᾳ, «in der Predigt ‹Über Freunde›»;
als Werktitel sicher ab Origenes belegt, vgl. Orig. Comm. in Ioh. 32,5, Eus. Hist.
eccl. 6,25,11 usw.; für Listen von Verfassern klassischer Sonntags- und Werktags-
‹Homilien› sowie von Fest- und katechetischen Predigten siehe Sachot 1994 [*719:
158–163]). Der Grundgedanke eines schlichten, volkstümlich belehrenden «Ge­
sprächs» bleibt dabei durch die Jahrhunderte hindurch gegenwärtig (vgl. noch
Aug. En. Ps. 118 prooem. [CCL 40, 1665]: «sermones …, qui proferantur in popu­
lis, quas Graeci ὁμιλίας uocant», «gelehrte Gespräche …, die in der Öffentlich­
keit vorgetragen werden, welche die Griechen Homilien nennen»; ähnlich Aug.
Ep. 224,2: «tractatus populares, quas Graeci ὁμιλίας uocant», «volksstümliche
Abhandlungen, welche die Griechen Homilien nennen»). Dies schließt indes die
Übernahme von Gestaltungselementen der paränetischen Diatribe und eine
zumal in Festpredigten mitunter recht weitgehende literarische und rhetorische
Stilisierung keineswegs aus (vgl. Sachot 1994 [*719: 167–170]). Angesichts der Ent­
stehung der Predigt aus der Schriftexegese im jüdischen und frühchristlichen

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70 I. Allgemeine Einleitung

­ ottesdienst (zu letzterem vgl. besonders Just. Apol. 1,67,3, wo auch der mora­
G
lisch-paränetische Charakter der Predigt anklingt) versteht es sich von selbst, dass
außerdem die für Kommentare typischen Techniken der Textauslegung, darunter
die Allegorese, in diesem Genre ebenfalls nicht selten zur Anwendung kommen
(vgl. Sachot 1994 [*719: 159], Young 1997 [*725: 217–264]).
4) Brief (ἐπιστολή, γράμματα / epistulae, litterae): Während die drei zuerst vor­
gestellten Gattungen die Herkunft aus dem philosophischen Unterricht bereits im
Namen erkennen lassen und auch später zwischen den beiden Polen ‘rein fiktive,
literarisch hochstilisierte Mündlichkeit’ und ‘(mehr oder weniger unbearbeitete)
Aufzeichnung von Vorträgen bzw. Lehrgesprächen’ schwanken, stellt die Wahl des
Briefes für die Vermittlung philosophischer Lehren im Grunde den Versuch dar,
das Gespräch mit einem – fiktiven oder realen – Adressaten bzw. mit einer be­
stimmten Öffentlichkeit auf Distanz fortzusetzen (vgl. Artemon [von Kassandreia?]
bei Demetr. De eloc. 223: «Man muss in derselben Art einen Dialog und auch
Briefe schreiben, denn der Brief ist gleichsam der andere Teil des Dialogs [εἶναι γὰρ
τὴν ἐπιστολὴν οἷον τὸ ἕτερον μέρος τοῦ διαλόγου]»; auch Ps.-Diog. Sinop. Ep. 3,1:
«Der Brief vermag nämlich vieles nicht weniger als die Unterhaltung [διάλεξις] mit
den Anwesenden»). Das dialogische Element bleibt daher in dieser Gattung, die
sich aus dem kulturübergreifend belegten Genus des privaten und amtlichen Brie­
fes herausentwickelt hat (allgemein Schneider 1954 [*660]; zur heiklen Abgrenzung
von Privat- und literarischem Brief vgl. auch Sykutris 1931 [*655: 186f.], Schwitter
2015 [*795: 45–64]), ebenso erhalten wie die Möglichkeit, ein bestimmtes Thema
entweder aphoristisch oder in größerer Systematik zu behandeln. Bezüglich stilis­
tisch-rhetorischer Gestaltung reicht die Bandbreite in Kaiserzeit und Spätantike
von alltagsnaher Schlichtheit bis zu höchstem literarischem Raffinement. Mit
Sammlungen von Briefen ist in der Antike seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. zu rech­
nen (Platon, Isokrates, Demosthenes, vgl. Grundriss, Antike II, II 310; eine um­
fangreiche moderne Sammlung, freilich ohne die Kirchenväter und Libanios, bie­
tet nach wie vor Hercher 1873 [*645], eine Auswahl Trapp 2003 [*750]).
Konstitutiv sind für den philosophischen Brief wie für Briefe allgemein – neben
der faktischen oder auch nur fiktiven Materialität (zuerst auf Schreibtafeln,
δελτοί, codicilli, dann auf Papyrus; zur Materialität des antiken Briefs Sarri 2018
[*801], allgemein Baasner 2008 [*767]), die zunächst ein kleinformatiges Genre
impliziert – traditionell die Strukturelemente Grußformel, Prolog, Anliegen und
abschließender Gruß, die in allen erdenklichen Varianten auftreten, aber zum Teil
auch individuelles Profil erkennen lassen (laut D. L. 3,61 ist für Platon der Gruß
εὖ πράττειν, «wohl ergehen [sc. wünschen]» [vgl. auch Plat. Ep. 3, 315b] charakte­
ristisch, für Epikur εὖ διάγειν, «[sc. das Leben] gut verbringen», und für einen
Kleon das schlichte χαίρειν, «sich freuen»; allgemein Trapp 2003 [*750: 34–38],
Gibson, Morrison 2007 [*762]). Konstitutiv ist außerdem die Existenz eines rea­
len, fiktiven oder apokryphen respektive pseudonymen Briefschreibers sowie die
eines als Person oder als weitere Öffentlichkeit zu begreifenden, fingierten oder
erhofften Adressaten(-kreises), den der Autor kennt bzw. zu kennen vorgibt. Kon­
stitutiv ist aber nicht zuletzt die grundständige generische Offenheit des Briefes,
die ein breites Spektrum an Textsorten wie an Autorintentionen mit einschließen

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 71

kann. Der Brief stellt ein besonders flexibles und daher auch besonders beliebtes
Medium der Kommunikation philosophischer Inhalte dar: Die Trennlinie zwi­
schen den zahlreichen Formen des philosophischen Briefes respektive eine finale
Ausdifferenzierung der zahlreichen Brieftypen kann kaum zuverlässig formuliert
werden, da sich in diesem literarischen Genre besonders zahlreiche (Sub-)Gattun­
gen, Textsorten und Schreibweisen kreuzen, überlagern oder ergänzen (Sykutris
1931 [*655: 185], Schneider 1954 [*660: 571–574]), und zwar mit diversen inhaltlichen
oder formalen Elementen aus durchaus divergenten Texttraditionen (z. B. Trost-,
Empfehlungs-, Widmungs-, Belehrungs-, paränetischer, protreptischer, autobio­
graphischer Brief; Stowers 1986 [*695: 51–173]; für eine Gruppierung nach kom­
munikativen Kriterien – «1. Darstellungs- oder besser Informationsintention,
2. Wertungs-, 3. Aufforderungs- und 4. Kontaktintention»: Schmidt 1997 [*724:
771f.] – vgl. Ermert 1979 [*684: 67–75, 95–102]). Für die philosophische Tradition
besonders relevant und leicht zu identifizieren sind Lehrbriefe, in denen philoso­
phische Anliegen systematisch und gleichsam didaktisch strukturiert sowie mit
Blick auf bestimmte, durchaus auch plurale Adressatenkreise komponiert sind
(z. B. Epikur-Briefe). Der vielfach stilistisch unterstrichene ‘mündliche’ Charak­
ter und Gestus des Briefes hat sicherlich die Nutzung eben dieses literarischen
Genres gerade zur Werbung für die Philosophie überhaupt befördert. Dieser cha­
rakteristische mündliche Ton des Briefes dient freilich in ganz besonderem Maße
auch der Vermittlung von eigentlich komplexen und schwierigen philosophischen
Inhalten, die in der Fiktion eines Gesprächs auf Distanz didaktisch gut umzusetzen
war (z. B. Epikurs Brief an Herodot). Aus diesem Grund verwenden auch christ­
liche Bischöfe häufig die Gattung des Briefes, da hier dogmatische oder theologi­
sche Probleme didaktisch verhandelt (z. B. beim Origenesschüler Dionysios von
Alexandrien) oder in Form von (echten oder fingierten) Sendschreiben der Pro­
pagierung bestimmter theologischer Ansichten dienen sollten (Origenes, dazu
Eus. Hist. eccl. 6,36,3; Cyprian, vgl. von Harnack 1926 [*652: 61]; Kyrill von Alex­
andrien; Schneider 1954 [*660: 578–580]). Die Verwendung rhetorisch zielführen­
der Stilistika reflektiert etwa Gregor von Nazianz selbst in einem seiner Briefe
(Ep. 51). Kaiserzeitliche und spätantike Sammlungen von Briefen, seien sie von
deren Verfassern oder von Späteren erstellt, orientieren sich vor allem an den seit
Plinius’ literarischem Briefcorpus etablierten Kompositionskriterien wie der «va­
riatio» in Aufbau und Adressatenverlauf sowie hinsichtlich der Konstruktion des
Selbstbildes (Zelzer 1997 [*726: 335–343], Morello, Morrison 2007 [*764]).
Unter den älteren Briefcorpora kommt dem platonischen für die Kaiserzeit und
Spätantike eine eminente Bedeutung zu. Während heute die Echtheit der Platon
zugeschriebenen Briefe, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bestritten wird, be­
trachtete die Antike die 13 erhaltenen Briefe weitestgehend als authentische Zeug­
nisse (vgl. Grundriss, Antike II, II 308–322). Nicht zuletzt der in der modernen
Forschung als unecht geltende 2. Brief wurde im Platonismus der Kaiserzeit als
Schlüsselstelle für die platonische Prinzipienlehre rezipiert (vgl. Kelsos fr. 6,18
Bader, dazu Lona 2005 [*756: 43f., 332f.]; Porph. Hist. phil. 4, fr. 222F. Smith = fr.
21 Sodano = Kyr. CI I,47,18–48,5 Riedweg mit den Anm. ad loc.; Plot. I 8 [51] 2
usw.), ebenso der heute von vielen als echt betrachtete 7. Brief (z. B. Kelsos fr. 6,1–

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72 I. Allgemeine Einleitung

10 Bader, dazu Lona 2005 [*756: 43f., 315–326]), der aufgrund der wertvollen –
echten oder fingierten – (auto-)biographischen Informationen zu Platon als Ein­
führung in dessen Leben und Werk dienen konnte (vgl. Dörrie, Baltes 1990 [*706:
356], Luchner 2011 [*779]).
Während die in antiken Werklisten genannten Briefe des Aristoteles, die u. a.
auch an Philipp und Alexander gerichtet sind, insgesamt wenig philosophisch ge­
wesen zu sein scheinen und allein in zitathaften kurzen Auszügen überliefert sind
(fr. 651–670 3Rose; vgl. Grundriss, Antike III, 271), sind vielmehr die drei erhalte­
nen Briefe Epikurs in unserem Kontext relevant, da sie für uns wichtige autorisierte
Kurzkompendien der großen philosophischen Anliegen Epikurs darstellen, die an
befreundete Schüler des Philosophen gerichtet sind (wohl frühes 3. Jh. v. Chr.):
Während der Brief an Menoikeus protreptisch ist (Jordan 1986 [*694]), den Adres­
saten mit den Grundsätzen der epikureischen Philosophie, vor allem mit dessen
Ethik vertraut machen bzw. dafür werben will (Heßler 2014 [*785: 40–99]), thema­
tisiert der Brief an Herodot schwierigere naturphilosophische Inhalte. Der Brief
an Pythokles über Astronomie und Meteorologie reagiert, wie die Eingangsbemer­
kung zeigt (Ep. Pyth. 84), auf eine Bitte des Adressaten, die schwierigen Philoso­
pheme in übersichtsartiger, leicht lernbarer Form zu präsentieren, und erweist sich,
ähnlich wie der Herodotbrief, als in Briefform verfasstes philosophisches Kompen­
dium mit pädagogischer Absicht (vgl. Grundriss, Antike IV, I 75–80).
Eine philosophiegeschichtlich interessante Rolle spielen ps.-epigraphische
Briefe, mit denen bestimmte Texte autorisiert werden sollten, darunter der die
Leistung der Übersetzung der Septuaginta preisende Aristeas-Brief sowie der
wohl mit den ps.-pythagoreischen ‹Hypomnemata› zusammen publizierte und
diese legitimierende Lysis-Brief (Thesleff 1965 [*667: 111–114], Städele 1980 [*686:
154–159]; vgl. Burkert 1961 [*664: 18f., 24f.], Riedweg 22007 [*765: 158f.]). Auch
vielen anderen Philosophen, darunter weiteren Pythagoreern, Thales, Solon, He­
raklit, Anacharsis, Sokrates und kynischen Philosophen, wurden oft sehr kurze
und in der Regel moralische bzw. moralisierende Briefe untergeschoben (diese
dürften mindestens teilweise das Resultat rhetorischer Übungen gewesen sein;
vgl. zu Sokrates Sykutris 1933 [*656]; allgemein Schneider 1954 [*660: 573f.]; zur
schulischen Übung des Briefeschreibens Cribiore 2001 [*736: 215–219]).
Im NT selbst gelten die heute als echt betrachteten Paulusbriefe als besonders
philosophienah: Mit ihrer reflektierten, an jüdische ebenso wie an pagane Gedan­
ken anknüpfenden theologischen und moralischen Belehrung haben sie entschei­
dend zur Ausbildung einer christlichen Philosophie beigetragen. Als ebenfalls vor­
rangig didaktisches und überdies noch psychagogisches Medium erweist sich der
philosophische Brief nicht zuletzt beim ungefähr zeitgleichen römischen Philo­
sophen Seneca, der mit seinen 124 lateinischen ‹Epistulae morales ad Lucilium›
einen programmatischen Cursus durch die späthellenistische stoische Philosophie
komponiert, in dem die Briefe im Verlauf an Komplexität gewinnen und dabei an­
agogische Komposition aufweisen, vor allem aber therapeutische, also psychago­
gische, Funktion für den Adressaten Lucilius sowie für andere Interessierte haben
(Rabbow 1954 [*659], I. Hadot 1969 [*674], Dietsche 2014 [*784]). Nach dem Fokus
der hellenistischen Philosophie vor allem auf die Ethik stellen diese Briefe ebenso

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 73

reflexive wie praktische, freilich hochliterarische und stilistisch modische (Setai­


oli 1985 [*693], Williams 2015 [*796: 140–144]) Handreichungen für ein glücken­
des, gelingendes Leben dar (Zimmermann 2008 [*772]). Dem persönlich anmu­
tenden, freilich überzeitlich und überräumlich den Rezipienten mit einbeziehenden
(Edwards 2015 [*790]) Briefgespräch kommt hier die Rolle eines auf ethische An­
liegen fokussierten, dezidiert pädagogischen Instruments zu (Teichert 1990 [*707]).
Die intensive und anhaltende Rezeption der Seneca-Briefe lässt sich bis in die
Briefsammlungen lateinischer Kirchenväter nachweisen, zum Beispiel in den Brie­
fen Cyprians im 3. Jahrhundert, aber auch in denen des Laktanz bis hin zu denen
des Ambrosius und des Augustinus im 4. und 5. Jahrhundert (Peter 1901 [*648:
238–242]). Der überlieferte Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus gilt als fik­
tiv und stammt aus den ersten Jahrhunderten (Zelzer 1997 [*726: 336]).
Beachtung verdienen auch die bei Stobaios überlieferten Briefe des neuplatoni­
schen Philosophen Iamblichos aus dem frühen 4. Jahrhundert n. Chr., die eine in­
tendierte Wiederaufnahme der vermeintlich pythagoreischen, zuletzt wohl von
Apollonios von Tyana gepflegten Tradition darstellen, in Form von Briefen zu phi­
losophieren. Dabei wählt Iamblichos in seinen an einzelne Persönlichkeiten adres­
sierten Briefen einen essayartigen Stil, in dem er die komplexe (neu-)pythagoreische
Philosophie, nicht selten ethische Themen, einer gebildeten Elite eher popularisie­
rend präsentiert. In den Briefen an Schüler (z. B. Dexippos, Eustathios, Sopatros)
bietet er freilich auch kurze Einführungen in Aristoteles’ ‹Kategorienschrift› oder
handelt über Dialektik, Seelenlehre, Providenz sowie Fragen der Tugend(-grade)
(vgl. Dillon, Polleichtner 2009 [*773], Taormina, Piccione 2010 [*777]).
Das besonders umfangreiche (knapp 1600 Briefe; vgl. Seeck 1906 [*649]) Cor­
pus der überlieferten, freilich nicht sämtlich echten, Briefe des Rhetors Libanios
harrt noch der Erschließung und Interpretation philosophisch relevanter Themen.
Besser erforscht sind die Briefe philosophisch-religiösen Inhalts, die im Corpus der
ca. 87 Briefe des Kaisers Julian erhalten sind und in denen dieser sein religionsphi­
losophisches Repaganisierungsprogramm skizziert (besonders Ep. 84 und 89).
Aber nicht nur im pagan-hellenischen Kontext der Neuplatoniker, sondern auch
dem der frühchristlichen Kirchenväter werden die reichen Möglichkeiten des Brief­
genres ausgiebig im Sinne der philosophischen wie theologischen Unterweisung
und Belehrung, der Propagierung eigener Ansichten, des Dissenses um orthodoxe
Interpretationen sowie der philosophisch verhandelten persönlichen Polemik aus­
geschöpft (vgl. auch Fürst 1999 [*728]) – dabei sind alle erdenklichen Facetten des
‘self-fashioning’ eingeschlossen (Garzya 1983 [*690], Trout 1993 [*712: 123]). Die
zum Teil sehr umfangreichen Briefe und Briefsammlungen christlicher Bischöfe
und Intellektueller, etwa der alexandrinischen Bischöfe Alexander und Kyrill, des
Athanasios, des Basileios, des Gregor von Nazianz, des Johannes Chrysostomos,
des Paulinus von Nola oder des Hilarius von Poitiers – um nur einige von vielen zu
nennen –, lassen nicht selten in aktuellen theologischen Debatten die Position ihres
Verfassers markant hervortreten (Zelzer 1997 [*726: 340–344]). Die 156 erhalte­
nen Briefe des Synesios von Kyrene, eines Zeitgenossen des Augustinus und des
Hieronymus, verhandeln in später vielfach nachgeahmtem attischem Stil (Fritz
1898 [*647]) immer wieder leitmotivische philosophische Themen, v. a. Lebens­

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74 I. Allgemeine Einleitung

bewältigung durch Philosophie. Aber auch gelehrte intertextuelle Bezüge, wie zum
Beispiel zu Plotin oder Alexander von Aphrodisias, finden sich bei Synesios, des­
sen Briefe an seine verehrte Lehrerin, die neuplatonische Philosophin Hypatia, seit
langem besondere Beachtung gefunden haben.
Die Ausdifferenzierung spezifisch philosophischer Briefe nimmt sich bei den
umfangreichen erhaltenen Briefcorpora von Hieronymus (ca. 120 Briefe) und
­Augustinus (über 300 Briefe) ausgesprochen schwierig aus, da hier das Spektrum
an erkennbaren gewählten Textsorten besonders groß und die Gattungsoffenheit
von Briefen besonders weit ist (Schwitter 2018 [*803], Divjak et al. 1996–2002 [*722:
899–901]). Bei aller typologischen Varianz kann man aber doch etlichen Briefen
letztlich Traktatcharakter zuschreiben (z. B. Hier. Ep. 22 an Eustochius mit dem
Thema «De virginitate» – eher ein «libellus» als eine «epistula» laut Conring 2001
[*735: 100–105]; vgl. für Augustinus Divjak et al. 1996–2002 [*722: 900]), auch wenn
der Adressat ein persönlicher Freund ist. So macht etwa Augustinus seine philo­
sophische Korrespondenz mit dem Freund Nebridius durch Sammlung und Publi­
kation später allen Interessierten zugänglich (vgl. Aug. Conf. 9,4,7; Lietzmann 1930
[*654], Divjak et al. 1996–2002 [*722: 922–927]). Augustinus nimmt nicht zuletzt
auch in Briefform seine philosophische Positionierung vor (zum «summum bonum»
siehe Aug. Ep. 118; Divjak et al. 1996–2002 [*722: 971]), handelt von der Unsterb­
lichkeit der menschlichen Seele (Ep. 166; Divjak et al. 1996–2002 [*722: 934]), wäh­
rend sich Hieronymus in Briefen über das mönchisch-asketische (Hier. Ep. 14; 58;
122) oder das klösterliche Leben (Ep. 52) programmatisch äußert. Gerade im Falle
des Augustinus wird dessen philosophische Kompetenz von den Zeitgenossen nicht
selten in Briefform im Zusammenhang mit Fragen des katholischen Glaubens oder
aktuellen Debatten (etwa des pelagianischen Streites) erbeten und von diesem auch
so geliefert (vgl. Ep. 40; 164; Krämer 2007 [*763: 160–173]).
5) Hymnus (ὕμνος, προοίμιον, ᾠδή, ᾆσμα, ψαλμός / hymnus, carmen, canti­
cum): Die alte, formal über die Jahrhunderte hinweg kaum strikt zu fixierende,
kultisch wie literarisch weit verbreitete Gattung des Hymnus erfreut sich auch in
Kaiserzeit und Spätantike großer Beliebtheit. War in archaischer Zeit im litera­
rischen Feld zunächst ein ὕμνος als ‘Lied’ (ähnlich wie ᾠδή) nur schwer zu defi­
nieren (vgl. Hes. Op. 657; so noch bei Philon, dazu Thraede 1994 [*720: 918, 922–
924]) oder gar vom προοίμιον abzugrenzen (Pind. Nem. 2,3; Thuk. 3,104,4f. zum
homerischen Apollonhymnus; Empedokles als Verfasser eines προοίμιον: Arist.
De poetis fr. 17 Gigon = F 73 Janko = D. L. 8,57), kristallisiert sich seit spätar­
chaisch-klassischer Zeit die spezifischere Bedeutung als gesungenes Gebet oder
Loblied für Götter heraus (vgl. schon Xenophanes 21 B 1,13 DK; Xen. Inst. Cyr.
8,1,23; Thraede 1994 [*720: 916f., 922]; allgemein, auch zum kultischen Kontext,
Burkert 1994 [*713]; eine kommentierte Auswahl religiöser Hymnen von der ar­
chaischen bis zur hellenistischen Zeit in Furley, Bremmer 2001 [*737]). Formale
und inhaltliche Kriterien bei der generischen Bestimmung des Hymnus variieren
die ganze Antike hindurch, die heuristisch nützlichen, hinsichtlich ihrer Verbind­
lichkeit freilich diskutierten Hymnus-Bausteine (vgl. Norden 1913 [*651: 157–
176]) sollten eher als variable strukturelle oder stilistische hymnische Elemente
gelten. Nachdem der platonische Sokrates in der ‹Politeia› neben Enkomien (für

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 75

gute Menschen) allein Hymnen (auf Götter) als literarische Formen im Ideal­staat
zulassen will (Rep. 10, 607a; vgl. Leg. 8, 822b; laut Phaed. 60d soll Sokrates selbst
im Gefängnis einen Apollonhymnus verfasst haben), scheint das hymnische
Genre eine für Philosophen besonders reizvolle poetische Form religiöser Betä­
tigung geworden zu sein: Nach dem sogenannten Arete-Hymnus des Aristoteles
(PMG 842) dokumentieren der prooimiale Zeus-Hymnus des stoisch versierten
Dichters Arat von Soloi (Phaen. 1–18) sowie der philosophisch gehaltvolle Zeus-
Hymnus des stoischen Philosophen Kleanthes in frühhellenistischer Zeit nach­
drücklich die philosophische Eignung dieses alten religiösen Genres. Bei Klean­
thes erscheint Zeus mittels der allegorischen Exegese der tradierten Epitheta als
universeller Weltenlenker nach stoischem Verständnis (vgl. Grundriss, Antike
IV, II 576–578, Zuntz 2005 [*758: 27–42], Thom 2005 [*757]). In der frühen Kai­
serzeit (1. Jh. n. Chr.) finden sich Hymnen des Mesomedes in lyrischen Maßen
sowie etliche weitere literarische Hymnen mit immer wieder philosophisch-theo­
logischen Akzenten in variablen Ausformungen (Heitsch 1961–1964 [*665: I 22–
47]; vgl. auch Lanna 2013 [*782]). In der lateinischen Hymnenliteratur ist «hym­
nus» terminologisch kaum von «canticum» und «carmen» abzugrenzen (das Wort
ist noch bei Augustinus fast identisch mit «canticum», vgl. Thraede 1994 [*720:
921]), was in der Regel wohl weniger auf echtes Singen als vielmehr auf rhetori­
sche Feierlichkeit in der sprachlichen Gestaltung zu beziehen ist (siehe z. B. be­
reits Ciceros Hymnus auf die Philosophie: Tusc. 5,5f.; auch Apul. Flor. 18), wie
sie sich auch in den Prosa-Hymnen des Ailios Aristeides (2. Jh. n. Chr.) findet
(Ail. Ar. Or. 37–46 Kroll; dazu Hodkinson 2015 [*794]). In der christlichen Lite­
ratur gehören Hymnen respektive Hymnodik vorwiegend zur liturgischen Pra­
xis, bis vor allem im griechischen Osten durch Clemens von Alexandrien (Paed.
3,101,3) wie auch Methodios von Olympos der literarische (philosophische) Hym­
nus zu neuer Geltung gelangt: Methodios platziert gegen Ende seines ‹Sympo­
sion› einen 24 Strophen langen, abecedarischen Hochzeitshymnus (bezeichnet
als ψαλμός) der Thekla, der programmatisch inhaltlich wie formal pagane Vor­
lagen (Parthenion; Epithalamion) durch christliche (‹Hohelied›; ‹Psalm› 44f.) theo-
logisch überformt (Pellegrino 1958 [*663]). Im lateinischen Westen sind vor allem
die kunstvollen Hymnen des Ambrosius stilbildend geworden. Durch Hierony­
mus (In Eph. 5,19) wird das ‘Lob des Schöpfers’ (laudes dei), in Abgrenzung von
«psalmus» als ‘moralischer Weisung’, zum «Deutungskriterium für hymnus»
­(Thraede 1994 [*720: 926f.]). Seit dem mittleren Platonismus, vor allem aber im
Neuplatonismus erhält der pagane Hymnus den Rang eines philosophischen re­
ligiösen Gebetes (ἡ τοῦ φιλοσόφου εὐχή: Max. Tyr. 5,8; vgl. Clem. Alex. Strom.
7,7,39f.), wie das etwa bei Gregor von Nazianz (im Hymnus ὦ πάντων ἐπέκεινα:
Carm. 1,1,29; allgemein Lattke 1991 [*708: 288f.]), in den ‘theozentrischen’ (Thrae-
de 1994 [*720: 934]) Hymnen des christlichen Platonikers und Bischofs Synesios
von Kyrene oder nicht zuletzt in den Hymnen des Neuplatonikers Proklos zu
sehen ist. Sie amalgamieren auf komplexe Weise ontologische Hypostasenkon­
zepte mit religiösem Götterbezug: Synesios, der stichische lyrische Maße (wohl
in Anlehnung an Mesomedes) verwendet, verschmilzt pagane mit christlichen
Ideen, etwa hinsichtlich des höchsten transzendenten Prinzips (Hymn. 1,145f.

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76 I. Allgemeine Einleitung

164. 168; 9,67; vgl. Tanaseanu-Döbler 2010 [*776: 124–127]) oder kosmologischer
Vorstellungen (Schleicher 2014 [*787: 110–113]). Proklos dagegen komponiert mit
seinen traditionell hexametrischen Hymnen Texte, die aufs Engste mit seiner ex­
egetischen Tätigkeit konvergieren und in besonderer Weise Exegese als religiö­
ses Handeln eines Philosophen kenntlich werden lassen (Marin. Procl. 17–18; 20;
24 u. ö.; Erler 1987 [*696], van den Berg 2001 [*740], Zuntz 2005 [*758: 105–155],
Devlin 2015 [*793]). Vor diesem Hintergrund heben sich die in Prosa abgefass­
ten, an Helios und die Magna Mater gerichteten Hymnen des Kaisers Julian ab,
da sie weniger als spirituelle denn vielmehr als philosophische Texte mit persua­
siv-argumentativen Strategien (z. B. gegen zeitgenössische christliche Kritik etwa
am Kybele-Kult gerichtet) und mit klarer Ausrichtung auf bestimmte Adressa­
tenkreise verfasst sind (vgl. Smith 1995 [*721: 139–163], Hose 2008 [*770]). In of­
fenbar heftiger Auseinandersetzung mit der religiösen, nicht zuletzt der hymni­
schen philosophischen Tradition der Hellenen steht der unbekannte christliche
Verfasser der spätantiken sogenannten ‹Tübinger Theosophie› (wohl spätes 5.
Jh.): In dieses eigenwillige Konglomerat an Texten sind auch pagane Hymnen
eingegangen, die aus christlicher Sicht theologisch akzeptabel und daher auf­
grund ihres philosophischen respektive theosophischen Gehaltes bewahrenswert
sind (vgl. Zuntz 2005 [*758: 76–85], Männlein-Robert im Druck [*802]). Ähnlich
kompatibel sowohl für pagane als auch für christliche Rezipienten erweist sich
die im Prosimetrum verfasste ‹Consolatio philosophiae› des Christen Boethius,
in die zahlreiche neuplatonische Hymnen, meist als poetische Zusammenfassun­
gen der vorhergehenden Ausführungen der tröstenden Philosophia, integriert
sind (z. B. das Schöpfungslied III 6 oder III 9 über den Weltenlenker).
6) Philosophiehistorische und doxographische Werke: vgl. dazu oben § 2.
7) Traktat (συγγραφή, σύγγραμμα, σύνταξις, σύνταγμα, ὑπόμνημα, ζήτημα /
liber, commentatio, commentarium/-us, quaestio, tractatus): Es handelt sich um
einen Sammelbegriff, der in einem weiteren Sinne die bereits erläuterten Textsor­
ten 1) bis 4) mit einschließt (auch wenn spezifische Merkmalbündel dort jeweils
eine präzisere Klassifizierung nahelegen), ja selbst die philosophiehistorischen
und doxographischen Werke (siehe oben 6; interessant in diesem Zusammenhang
auch Longinos’ Liste zeitgenössischer Platoniker, die lediglich «eine Zusammen­
stellung und Paraphrase der von den älteren [sc. Philosophen] verfassten Schrif­
ten angefertigt haben»: fr. 11B.II.1. Männlein-Robert = Porph. V. Plot. 20,57–60).
Die Anfänge dieser Textgruppe reichen bis in die Vorsokratik zurück, in der es
zur Ausbildung einer philosophischen Prosa kommt (von «Schriften», συγγραφάς,
aus denen Pythagoras «eine Auswahl traf», spricht schon Heraklit 22 B 129 DK;
dazu Riedweg 1997 [*723: 83f.] und 22007 [*765: 70–73], mit anderem Akzent
Huffman 2008 [*771: 34–46]). An seine Vorgänger anknüpfend schafft Aristote­
les mit den zunächst nicht zur Veröffentlichung bestimmten Pragmatien (vgl.
Grundriss, Antike III, 178–182) einen ersten Höhepunkt philosophischer Fach­
literatur, der dann auch das umfangreiche, heute weitestgehend verlorene techni­
sche Schrifttum des Epikureismus und der älteren Stoa inspirierte (zu den Frag­
menten philosophischer Abhandlungen Epikurs vgl. Grundriss, Antike IV, I 84ff.,
für die ersten Stoiker siehe IV, II 521f. 567–569. 579f. 586–592 usw.). Aristoteles’

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 77

‘esoterische’ Schriften blieben bis ans Ende der Spätantike weit über den Peripa­
tos hinaus eine wichtige Bezugsgröße.
Die Formen und Grade der Literarizität philosophischer Traktate schwanken
von Skizzenheften – u. a. ὑπόμνημα (wörtlich «Erinnerung»), bei Diogenes Laer­
tios als Werktitel aufgeführt für Xenokrates (4,13), Aristoteles (5,23), Theophrast
(5,48f.), Straton (laut 5,60 gab es allerdings Zweifel an der Authentizität), Ariston
von Keos (7,163), Demokrit (9,46); auch σχόλια (wörtlich «[Schulisch-]Gelehrtes,
kleine Vorträge, Notizen, knappe Einzelkommentare»; vgl. Epikt. 3,21,6, Porph.
V. Plot. 3,46; Zuntz 1939 [*657: 548–551]), als Werktitel belegt u. a. für Aspasios,
Alexander von Aphrodisias, Eunomios, Hermeias, Proklos, Johannes Philoponos,
Asklepios, Olympiodor, David (Dion. Hal. Dem. 46,3 unterscheidet zwischen
σχολικοὺς χαρακτῆρας im Sinne gelehrter Erläuterungen [vermutlich zu einzel­
nen Textstellen, vgl. ‘Scholien’] und schlichten Aufzeichnungen [ὑπομνηματισμοί,
vgl. auch Comp. verb. 22,8], beide Begriffe verbunden dagegen bei Athen. Deip­
nosoph. 3, 83b: σχολικὰ ὑπομνήματα; im spätantiken Platonismus stehen ὑπο-
μνήματα für die selbst verfassten Kommentare, während für Vorlesungsnach­
schriften σχόλια bevorzugt wird: Lamberz 1987 [*697: 5f.]; allgemein Fladerer in
Fladerer, Börner-Klein 2006 [*759: 276–278]) – bis hin zu stilistisch ausgefeilten
Abhandlungen. Letztere werden von Olymp. Prol. 6,24ff. Busse als συνταγματικά
(wörtlich «Zusammengeordnetes») den ὑπομνηματικά gegenübergestellt. Dazu
gehören auch an die Öffentlichkeit gerichtete, bewusst literarisch gestaltete Wer­
beschriften wie die ‹Protreptische Rede› und die ‹Paränetische Rede› (Προ-
τρεπτικὸς λόγος und Παραινετικὸς λόγος; vgl. Van der Meeren 2002 [*744] und
Heßler 2014 [*785: 40–61], zur Paränese auch Riedweg 1994 [*717: I 63–70]), die
epideiktische Spielart der ‹Unterredungen› (Διαλέξεις), bei der es Berührungen
mit der Zweiten Sophistik gibt (siehe oben 3), sowie philosophische Streitschrif­
ten, die den Christen als Modell für ihre elenktischen Werke ‹Gegen die Griechen
(bzw. Heiden)› dienten (vgl. Kinzig 2000 [*732]).
Den weiteren Unterklassen, die sich mit der Zeit ausgebildet haben, können
ebenfalls die exegetischen Kommentare zugerechnet werden (siehe unten 8). Der
Einfluss des Genus Kommentar, das in Kaiserzeit und Spätantike zum ὑπόμνημα
par excellence wurde (vgl. Romano 1994 [*718: 595f.]), reicht wegen der zentralen
Rolle, die das Auslegen von als maßgeblich empfundenen Texten im Denken die­
ser Zeit spielte, weit über diesen Texttypus hinaus (selbst Plotins ‹Enneaden›, von
Longinos fr. 10c Männlein-Robert = Porph. V. Plot. 19,33 interessanterweise als
ὑπομνήματα bezeichnet, sind ohne diesen Hintergrund nicht angemessen zu ver­
stehen). Besonderer Beliebtheit erfreuten sich außerdem so eng mit dem philoso­
phischen Unterricht verbundene – und nicht selten ebenfalls von exegetischen
Schwierigkeiten ausgehende – Textarten wie ‹Fragen und Antworten› (Ἐρωτήματα
καὶ ἀποκρίσεις, auch durch ‹Werktitel + κατὰ πεῦσιν καὶ ἀπόκρισιν›, ‹… in Frage
und Antwort› ausgedrückt [die Wortverschmelzung Ἐρωταπόκρισις ist byzanti­
nisch]) sowie ‹Aporien (bzw. Streitfragen oder Probleme) und Lösungen› (Ἀπορίαι
[bzw. Ζητήματα oder Προβλήματα] καὶ λύσεις). Die zuletzt genannte Unter­
gattung, die offenkundig an ein vor allem in Platons Frühdialogen erprobtes und
von Aristoteles systematisiertes methodisches Vorgehen anschließt (vgl. Motte,

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78 I. Allgemeine Einleitung

Rutten 2001 [*739]), wurde sowohl für Text- und Sacherklärungen als auch für sys­
tematische Einführungen (Εἰσαγωγαί) verwendet (vgl. für die Texterläuterung die
«Homerischen Streitfragen», Ὁμηρικὰ ζητήματα, seit Duris von Samos, ja – unter
dem Titel Ἀπορήματα Ὁμηρικά, «Homerische Schwierigkeiten» – schon seit Aris­
toteles belegt, und im jüdisch-christlichen Kontext die biblischen «Streitfragen
und Lösungen», Ζητήματα καὶ λύσεις, seit Philon von Alexandrien bezeugt; all­
gemein Dörrie, Dörries 1966 [*668], Volgers, Zamagni 2004 [*754]). Nicht selten
wurden im Übrigen Lehrvorträge – seit Aristoteles’ Physik auch gerne ἀκρόασις
(wörtlich «Zuhören») genannt – und exegetische Auslegungen ἀπὸ φωνῆς, d. h.
«nach der Stimme» (im Sinne von «nach der mündlichen Darlegung») des Meis­
ters, von Schülern aufgezeichnet (vgl. dazu Richard 1950 [*658], Lamberz 1987
[*697: 5f., 15–20]) – eine Praxis, die in den Diatriben vorgeprägt war und mit der
auch die Dialoge seit frühester Zeit ihr literarisches Vexierspiel treiben.
8) Kommentar (ὑπόμνημα, ἐξήγησις, ἐξηγητικά, σχόλια / commentarius, ex­
positio, enarratio, explanatio): Die Wurzeln philosophischer Textauslegung liegen
in der Auseinandersetzung der Vorsokratiker um den erzieherischen Wert tradi­
tioneller Dichtung. In Reaktion auf die scharfe Kritik an Homers unmoralischer
Götterdarstellung durch Xenophanes von Kolophon (vgl. Grundriss, Antike I, I
349–355) wird bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. eine Hermeneutik entwickelt, die
sich von der Denkstruktur her mit der naturphilosophischen Welterklärung un­
übersehbar berührt: Beide unterscheiden zwischen der Oberflächenwahrneh­
mung und einem verborgenen tieferen Grund – in der Naturerklärung ist dies die
ἀρχή/«principium» («Uranfang»), in der Exegese die ὑπόνοια («Untersinn», auch
αἴνιγμα, «Rätsel», später ἀλληγορία, wörtlich «das eine sagen und etwas anderes
meinen», genannt; vgl. zu den Termini Pépin 21976 [*678: 85–92] und Ford 1999
[*727: 38–42], zu ἀλληγορία auch Hahn 1967 [*672]; allgemein Riedweg 2012
[*780: 439–442]). Es gibt Gründe zur Annahme, dass diese für die Folgezeit
außerordentlich einflussreiche Interpretationsmethode, die in Homers Darstel­
lung der Λιταί («flehentliche Bitten») und der Ἄτη («Sinnesschädigung, Verblen­
dung») vorgeprägt ist (vgl. Il. 9,502ff.; 19,91ff.), im unteritalischen Pythagoreismus
entstanden ist (Theagenes, der Porphyrios als deren Erfinder gilt, stammt aus
Rhegion: Porph. Quaest. Hom. ad Il. 240,14 Schrader = Theagenes 8 A 2 DK, vgl.
Pépin 21976 [*678: 97f.]; zur Allegorese bei den Pythagoreern Riedweg 22007
[*765: 100–103, 107], auch Richardson 1975 [*677: 75–78] und Struck 2004 [*753:
96–104], zu Pythagoras’ Lehrer Pherekydes Struck 2004 [*753: 26f.] und Bouchard
2016 [*798: 31, 34]). Dabei mag schon früh auch die dem mythischen Sänger Or­
pheus zugeschriebene Theogonie (vgl. Grundriss, Antike I, I 105) eine Rolle ge­
spielt haben: Mit ihren zum Teil ausgesprochen kruden Mythologemen hat sie die
philosophischen Interpreten von Empedokles (vgl. Grundriss, Antike I, II 716)
über Platon (vgl. Bernabé 2011 [*778]) bis in die Spätantike gleichermaßen heraus­
gefordert wie angeregt. Jedenfalls legt dann der unbekannte spät-vorsokratische
Kommentator des Derveni-Papyrus eine ausgeklügelte und zugleich – wie für
diese exegetische Methode generell nicht untypisch – gewalttätige naturphiloso­
phische Allegorese orphischer Verse aus anaxagoreischer Perspektive vor (vgl. Be­
tegh 2004 [*751]), die wenigstens teilweise erhalten ist (insofern stellt der Derveni-

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 79

Papyrus für uns das früheste Beispiel eines freilich kaum fortlaufenden, sondern
eher systematisch angelegten [religions-]philosophischen Kommentars dar; vgl.
Obbink 2003 [*748]). Dass der Derveni-Kommentator in seiner Zeit kein Einzel­
fall war, zeigen bemerkenswerte Parallelen mit der sehr weit gehenden Homer­
allegorese eines Metrodor von Lampsakos (61 A 3 DK; vgl. Pépin 21976 [*678: 99–
101], Califf 2003 [*747]). Außerdem ist auch die Bedeutung der Rhapsoden sowie
der Sophisten des 5. Jahrhunderts für die Ausbildung eines zunehmend verfeiner­
ten sprachanalytischen und exegetischen Instrumentariums nicht zu unterschätzen
(vgl. zur sophistischen Beschäftigung mit Dichtung u. a. Plat. Prot. 338e–339a =
Protagoras 80 A 25 DK; besonderes Augenmerk scheinen die Sophisten auf
Sprachverständnis und «korrekte Diktion», ὀρθοέπεια, gerichtet zu haben; vgl. all­
gemein Richardson 1975 [*677], Pfeiffer 21978 [*682: 50–80], Ford 2002 [*742: 201–
208], Grundriss, Antike II, I 19–21).
Kurz, es gab wohl spätestens seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. eine bereits etab­
lierte Tradition philosophischer Kommentierung, und dafür spricht auch ein Titel
wie Herakleides Pontikos’ Ἡρακλείτου ἐξηγήσεις δʹ (‹Heraklitexegesen in vier
Büchern›: D. L. 5,88 = Herakl. Pont. fr. 22 Wehrli = fr. 17,41 Schütrumpf; vgl. D.
L. 9,15 = Herakl. Pont. fr. 39 Wehrli = fr. 127 Schütrumpf; ähnlich Kleanthes’ Τῶν
Ἡρακλείτου ἐξηγήσεις τέσσαρα, ‹Exegesen der [sc. Äußerungen?] Heraklits in
vier Büchern›: D. L. 7,174 = Kleanthes fr. 481, I,106–108 SVF; während in Aristo­
teles’ und Theophrasts Philosophie das Kommentieren noch kaum eine Rolle
spielte – so zu Recht Alex. Aphr. In Arist. Top. 1,2, 27 Busse –, ändert sich dies
also offenkundig in der älteren Stoa, vgl. Schreckenberg 1966 [*671: 1183f.]). Ein
eigentlicher Qualitätssprung erfolgte dann im hellenistischen Alexandrien, wo die
am Museion tätigen Dichter und Gelehrten – vermutlich unter dem Einfluss des
Peripatos (vgl. Richardson 1994 [*716], Bouchard 2016 [*798]) – vor allem an den
homerischen Epen sowie poetischen Texten systematische philologische Texter­
schließungs- und Kommentierungsmethoden entwickelten (vgl. Pfeiffer 21978
[*682: 114–337]), die mit der Zeit zum Allgemeinbesitz der Gebildeten wurden
und sowohl auf philosophische Prosatexte als auch auf Bibeltexte angewandt wer­
den konnten (zu Philon von Alexandrien als erstem Höhepunkt einer allegorisie­
renden Bibelexegese vgl. u. a. Fladerer in Fladerer, Börner-Klein 2006 [*759: 300–
302], zu seinem enormen Einfluss auf das Frühchristentum Runia 1993 [*711]; zur
Entstehung des christlichen gelehrten Kommentars bis und mit Origenes Mark­
schies 1999 [*730]; allgemein Gerber 1966 [*669], Fladerer in Fladerer, Börner-
Klein 2006 [*759: 309–329]).
Was die pagan-philosophische Kommentierungstätigkeit betrifft, so steht in
den ersten nachchristlichen Jahrhunderten fraglos Platons ‹Timaios› im Zentrum.
Angesichts der eminenten Rolle, die dieser Dialog für das Weltbild nicht nur der
paganen, sondern auch der jüdisch-christlichen Kaiserzeit und Spätantike spielt,
überrascht dies kaum. Während zunächst offenbar nur ausgewählte philosophi­
sche Passagen, vor allem natürlich die große Rede des Pythagoreers Timaios,
kommentiert und erläutert wurden – ältestes Beispiel dafür ist Platons Schüler
Krantor von Soloi (fr. 8 Mette; vgl. Grundriss, Antike III, 122–124, Dörrie, Baltes
1993 [*710: 166], Obbink 2003 [*748: 179]) –, scheint Longinos als erster der

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80 I. Allgemeine Einleitung

Mittel­platoniker auch das Prooimion (mitsamt dem – von Krantor freilich eben­
falls schon diskutierten – Atlantis-Mythos) in seine Erläuterungen mit einbezogen
und somit erstmals auch literarische und adressatenbezogene Kriterien (wie den
‘Unterhaltungsaspekt’) gewürdigt zu haben (vgl. Männlein-Robert 2001 [*738:
478–495]; allgemein zu den Platon-Kommentaren, darunter wohl auch ein
‹Phaidon›-Kommentar des 3. Jh.s v. Chr. Carlini 1995 [*129 = CPF III Kap. 7, p.
203–220], Dörrie, Baltes 1993 [*710: 20–60, 162–235]).
Bei Longinos, der ähnlich wie sein Schüler Porphyrios zugleich ein anerkann­
ter Homerphilologe war, wird auch deutlich, wie stark das Genus des Kommen­
tars mit der Zeit von der letztlich auf Platon und Aristoteles zurückzuführenden,
in Alexandrien nachweisbaren und seit hellenistischer Zeit etablierten Proble­
mata- bzw. Zetemata-Literatur geprägt wurde (vgl. Männlein-Robert 2017 [*799];
außer bei Longinos lässt sich die für die Problemata charakteristische Strukturie­
rung in «Aporie und Lösung» auch in den philosophischen Kommentaren des
Alexander von Aphrodisias – vgl. Fazzo 2002 [*741] –, in Proklos’ ‹Timaios›-
Kommentar sowie in Damaskios’ ‹De principiis› feststellen). Diese letztlich dia­
logisch angelegte Erklärungsstruktur von Kommentaren verfolgt häufig didakti­
sche Zwecke, wie etwa Plutarchs Ζητήματα Πλατωνικά (‹Platonische Streitfragen›)
oder die isagogisch konzipierten Schriften des Porphyrios (z. B. Εἰς τὰς Ἀριστο-
τέλους Κατηγορίας κατὰ πεῦσιν καὶ ἀπόκρισιν, ‹Zu Aristoteles’ ‘Kategorien’ in
Frage und Antwort›), der ‹Kategorien›-Kommentar des Dexippos (zum Titel vgl.
4, 1f. und 4, 21f. Busse: διαίτησον δὴ τοῖς εἰς τὰς Ἀριστοτέλους Κατηγορίας ἠπο-
ρημένοις καὶ τὰ ἀμφισβητούμενα διαλῦσαι πειράθητι, «Triff also eine Ent­
scheidung hinsichtlich der Aporien über Aristoteles’ ‹Kategorien› und versuche,
die umstrittenen Probleme zu lösen»; vgl. Thiel 2013 [*783: 141–146]) oder auch
die didaktischen wie rhetorischen Zielen folgenden christlichen Erotapokriseis
beweisen (u. a. Eusebios, Περὶ τῶν ἐν Εὐαγγελίοις ζητήματα καὶ λύσεις – ‹Streit­
fragen und Lösungen zu den ‘Evangelien’›; Ambrosiaster; Augustinus’ ‹Ad Sim­
plicianum›, ‹De diversis quaestionibus octoginta tribus›, ‹Quaestiones in Hepta­
teuchum› usw.).
Während kaiserzeitliche Kommentatoren philosophischer Texte vorwiegend
philologisch basierte Methoden und Praktiken anwendeten und so nicht immer
nur Lösungen, sondern vielfach Probleme im Verständnis des Textes festhielten
(Alexander von Aphrodisias, Longinos, Origenes, vgl. auch Porphyrios), findet
sich in den literarischen, von den neuplatonischen Autoren selbst redigierten und
komponierten Lemma-Kommentaren (zur Abgrenzung von Vorlesungsnach­
schriften ἀπὸ φωνῆς siehe oben am Ende von 7) zunehmend die gegenläufige Ten­
denz, eine einzige Interpretation als die vom Autor intendierte herauszuarbeiten
(εἷς σκοπός, «ein einziges Ziel»: Prokl. In Parm. 630,21–25 Cousin; dazu Festugi­
ère 1963 [*666], Radke 2006 [*761]; zur Bedeutung des σκοπός in der christlichen
Hermeneutik vgl. Pépin in Pépin, Hoheisel 1988 [*701: 759]). In der christlichen
Tradition wiederum verfolgte die Kommentierung der biblischen Schriften sehr
oft auch das Ziel, Beweismaterial zur Stützung der eigenen Position in dogma­
tisch-christologischen Streitfragen zusammenzutragen (vgl. Young 1997 [*725:
29–45] zu Athanasios’ Auseinandersetzung mit den Arianern; allgemein zur früh­

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§ 6. Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung (Bibl. 128–133) 81

christlichen Exegese Kannengiesser 2004 [*752]). Eine Sonderform des exegeti­


schen Kommentars stellen die als Katenen (σειρά, catena, ‘Kette’) bezeichneten,
wohl in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. aufgekommenen (vgl. Petit
1991 [*709: XV] zur ‹Genesis›-Katene) Florilegien dar, in denen die Meinungen
verschiedener Kirchenväter zu den einzelnen Bibelversen scholienartig zusam­
mengetragen wurden (vgl. Chadwick 1969 [*673: 1151f.]).

Abschließend seien in aller Kürze die Grundzüge der in Kaiserzeit und Spät­
antike verfügbaren Methoden der Textinterpretation skizziert (grundlegend Do­
nini 1994 [*714]; auch Schreckenberg 1966 [*671], Young 1989 [*704] und 1997
[*725]). Zu betonen ist dabei, dass diese der γραμματικὴ τέχνη («grammatica/-e»,
im weiten, die Literaturkritik mit einschließenden Sinne; vgl. Dionys. Thrax Ars
gramm. 1,1; Cribiore 2001 [*736: 185–219]) zugehörige Hermeneutik 1) nicht auf
den Kommentar beschränkt blieb, auch wenn diese Gattung selbstverständlich
das dafür prädestinierte literarische Gefäß war, und dass sie 2) genauso heidni­
schen wie jüdisch-christlichen Exegesen zugrunde liegt, wobei diese von den Au­
toren bald punktuell, bald stärker systematisch eingesetzt wird.
Kennzeichnend ist zum einen das Bewusstsein, dass Texte nicht ohne Weiteres
feststehen, sondern im Laufe der Überlieferung entstellt werden können und daher
gemäß der im hellenistischen Alexandrien entwickelten διόρθωσις («Berichtigung»,
Revision bzw. Emendation) kritisch gesichtet werden müssen (vgl. Pfeiffer 21978
[*682: 97 u. ö.], Neuschäfer 1987 [*698: I 85–138], Fladerer in Fladerer, Börner-
Klein 2006 [*759: 283f.]). Auf der Basis der Konstitution des bestmöglichen Tex­
tes erfolgt sodann das exegetische, kommentierende Verfahren im eigentlichen
Sinn (ἐξηγητικόν), das sprachliche (lexikalische, etymologische, semantische) und
sachliche Erläuterungen verfolgt (ἱστορικόν; außerdem auch grammatisch-rheto­
rische und rhythmisch-metrische Analyse: κριτικόν; vgl. Neuschäfer 1987 [*698: I
139–246]). Dazu gehören aber auch differenzierte literaturkritische und litera­
turästhetische Kriterien der Beurteilung, wenn etwa ἐκλογὴ τῶν ὀνομάτων (Wort­
auswahl) oder σύνθεσις τῶν ὀνομάτων (Wortfügung), Hiatvermeidung und über­
haupt akustische Phänomene nach dem Kriterium der εὐφωνία («Wohlklang»)
berücksichtigt werden oder wenn danach gefragt wird, wer genau eigentlich ge­
rade der Sprecher (etwa in einem kommentierten Dialog) ist – was sich vor der
vielfach ungenauen Zitierpraxis der Antike bemerkenswert ausnimmt (λύσις ἐκ
τοῦ προσώπου, «Lösung aus der Person heraus», z. B. Porph. Quaest. Hom. ad Il.
4,3f. Schrader; Dachs 1913 [*650], Neuschäfer 1987 [*698: I 263–276], Fladerer in
Fladerer, Börner-Klein 2006 [*759: 284], Nünlist 2009 [*775: 116–134], Bouchard
2016 [*798: 251–316]). Auch die Beurteilung des ἴδιον («Eigentümlichen») eines
Autors sowie die Frage nach der hauptsächlichen Aussageintention (σκοπός, vgl.
Neuschäfer 1987 [*698: I 60]) und Funktion eines Textes sowie dessen Adressa­
tenbezug (z. B. Unterhaltung, ψυχαγωγία, wörtlich «Seelenführung», lustvolle
emotionale Erregung / movere, oder «Vergnügen», τέρψις / dulce, delectare) ge­
hören in diesen Kontext der in Alexandrien wurzelnden Kommentierungs­
kriterien (vgl. Männlein-Robert 2001 [*738: 49–52]). Grundsätzlich gilt für die
Kommentierung philosophischer Texte das methodische, dort im Kontext der

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82 I. Allgemeine Einleitung

Homerphilologie entwickelte Prinzip Ὅμηρον ἐξ Ὁμήρου σαφηνίζειν («Homer


aus Homer deutlich machen»), das seit dem frühen Mittelplatonismus zu «Plato­
nem ex Platone» geworden war (dazu auch unten § 48.2.). Demnach muss ein
Autor immer zunächst aus sich selbst heraus erklärt werden, d. h. dass zur (Er-)
Klärung ‘dunkler’ Wörter, Gedanken oder Passagen auf vergleichbares Wortma­
terial oder analoge Vorstellungen an anderer Stelle oder in einem anderen Werk
desselben Autors zurückgegriffen wird (die genannte ‘Formel’ ist zuerst belegt bei
Porph. Quaest. Hom. ad Il. 297,16 Schrader, ist aber sicher älter, wie etwa auch
Galens «Hippocratem ex Hippocrate» – z. B. De com. sec. Hipp. 1,5, V,9,2,182,23ff.
CMG = VII,646,3ff. K – zeigt; sie wurzelt wohl in forensischer Praxis der Atti­
schen Redner, vgl. Schäublin 1977 [*680: 224–226]; allgemein auch Schreckenberg
1966 [*671: 1176f., 1182f.], Neuschäfer 1987 [*698: I 276–285], Fladerer in Flade­
rer, Börner-Klein 2006 [*759: 284f.], Wilson 2007 [*766: 62f.]).
Dazu kommt, dass gerade die neuplatonischen Kommentatoren sich dafür der
von den Vorsokratikern entwickelten und in der älteren Stoa intensiv gepflegten
philosophischen Allegorese bedienten, zu deren Verbreitung in der Kommentar-
und Zetemata-Literatur maßgeblich der hellenistische, in Pergamon wirkende sto­
ische Grammatiker Krates von Mallos beigetragen hat (vgl. Broggiato 2001 [*734:
LX–LXV]; zur älteren Stoa Pépin 21976 [*678: 125–131] und Struck 2004 [*753:
111–141]; Vertreter der kaiserzeitlichen Stoa sind Cornutus und der Homererklärer
Heraklit, vgl. Boys-Stones 2003 [*746] und Russell 2003 [*749]; physikalische,
ethische, metaphysisch-theologische Deutungen Homers finden sich auch in Ps.-
Plutarchs ‹De Homero›, vgl. Hillgruber 1994 [*715: 16–18] und 1999 [*729: 211–
213]; allgemein Struck 2004 [*753: 142–161]). Damit konnten problematische oder
gar anstößige Mythen oder Passagen immer durch eine Deutung gerechtfertigt
oder erklärt werden, die über das wörtliche Verständnis des Textes oft weit hin­
ausgeht, dessen Vieldeutigkeit (oder Polyphonie) überwindet und vielmehr einen
zunächst verborgenen, aber wahren Sinn entschlüsselt und damit zugleich den mo­
ralischen «Nutzen» (χρήσιμον, ὠφέλεια / utile, prodesse) des Textes erweist (vgl.
allgemein Whitman 1987 [*700], Bernard 1990 [*705], Boys-Stones 2003 [*745];
zum Nutzen als Teil der Literaturkritik vgl. auch Neuschäfer 1987 [*698: I 247–
263]). Bei Philosophen wie Iamblichos und vor allem Proklos ist die Allegorese
stringent auf einen einzigen σκοπός («Aussageziel») hin angelegt, der alle Ebenen
der Kommentierung (λέξις, «sprachliche Formulierung», und πράγματα, «Sa­
chen», bzw. θεωρία, «Betrachtung», inhaltliche Erklärung, vgl. Festugière 1963
[*666], Lamberz 1987 [*697: 16–19], Fladerer in Fladerer, Börner-Klein 2006
[*759: 295f.]) durchzieht und beweist, dass «alles in allem» enthalten ist (πάντα ἐν
πᾶσιν: Prokl. In Parm. 929,6ff. Cousin; zu ähnlichen Tendenzen in der christlichen
Exegese Young 1997 [*725: 21–28, 183f.]).
Es versteht sich von selbst, dass diese Methode auch für die jüdischen (Aristo­
bulos und dann besonders Philon von Alexandrien) und die christlichen Bibelex­
egeten (mit einem ersten Höhepunkt bei Origenes) außerordentlich attraktiv war,
bot sie doch die Möglichkeit, die zum Teil ein stark anthropomorphes Gottesbild
zeichnenden Texte insbesondere des Alten Testaments mit den Anforderungen
der zeitgenössischen, im wesentlichen platonisch gefärbten philosophischen Onto-

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 83

Theologie in Einklang zu bringen und eventuelle Unstimmigkeiten (διαφωνίαι)


zwischen verschiedenen Stellen ‘wegzuerklären’ (vgl. allgemein zur Unterschei­
dung des Literalsinns – meist als τὸ ῥητόν bezeichnet – und der allegorischen Be­
deutung bei Philon und in der frühchristlichen Literatur, in der auch die Termini
ἀναγωγή, wörtlich «Hinaufführung», und θεωρία, «Betrachtung», für Allegorie
verwendet werden, Pépin in Pépin, Hoheisel 1988 [*701: 750, 761–766], Bienert
1972 [*676: 32–68], Young 1997 [*725: 186–213]). In der weltanschaulichen Aus­
einandersetzung zwischen den platonischen und den christlichen Intellektuellen
der ersten nachchristlichen Jahrhunderte kam der Allegorese daher eine Schlüs­
selrolle zu, wobei man dem Gegner in der Regel jede Berechtigung für eine alle­
gorische Auslegung seiner eigenen Schlüsseltexte absprach (vgl. Riedweg 2012
[*780]; allgemein auch Pollmann 2017 [*800]).

§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte für jüdische,


christliche und gnostische Theologien

Dietmar Wyrwa

1. Anfänge im hellenistischen Judentum. – 2. Das Ur- und Frühchristentum. – 3. Die vornizänische Zeit.
– 4. Die Blütezeit der patristischen Literatur. – 5. Die Spätzeit des antiken Christentums.

Es ist seit langem eine umstrittene Frage, ob es berechtigt ist, von einer ‘christ­
lichen Philosophie’ zu sprechen, scheint doch ein auf Offenbarung beruhender
Glaube dem Anspruch der Philosophie auf autonomes, rationales Denken, das an
keine außerhalb seiner selbst liegenden Voraussetzungen gebunden ist, zu wider­
streiten, und das moderne Methodenbewusstsein hat diesen Konflikt weiterhin
virulent gehalten, was bis zu Heideggers geflügeltem Wort von der christlichen
Philosophie als einem «hölzernen Eisen» führte (vgl. das Referat zur Begriffs­
geschichte von Schmidinger 1987 [*815: 35f., 39f.], 1989 [*819: 890, 892] hier mit
Bezug auf die Aufklärungsphilosophie bei Christian Thomasius und Jakob Brucker
sowie auf Martin Heidegger). Allenfalls im übertragenen Sinn könnte der Begriff
‘Philosophie’ in dieser Wortverbindung als historische Epochenbezeichnung, die
sich hauptsächlich auf das christliche Denken der Antike und des Mittelalters be­
zieht, gebraucht werden. Obwohl diese Engführung nicht unwidersprochen blieb,
wählte Geyer 1927 [*809: 3f.] demgemäß in der 11. völlig neu bearbeiteten Auf­
lage des zweiten Teils des Ueberweg den Epochenbegriff «patristische Philoso­
phie», die er abgelöst von der Philosophie des Altertums als Vorspann zur Philo­
sophie des Mittelalters darstellte (allerdings behandelte Praechter 1926 [*808:
566–578] in derselben Neubearbeitung die «jüdisch-hellenistische Philo­sophie»

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84 I. Allgemeine Einleitung

noch im Kontext mit der hellenistisch-römischen Philosophie). Zu charakterisie­


ren sei diese geistesgeschichtliche Konstellation Geyer zufolge dadurch, dass das
Christentum sich in steter Auseinandersetzung mit der paganen Philo­sophie ex­
pliziert und sich dabei selbst als eine Form von Philosophie dargeboten habe,
wobei die Trennung zwischen Philosophie und Theologie bzw. Religion noch
fremd gewesen sei. Dieser in gewisser Hinsicht berechtigte Sprachgebrauch hat
sich zwar nicht durchgesetzt und wird im vorliegenden Fall aus wohlerwogenen
Gründen auch nicht aufgegriffen, aber es bleibt dennoch die philosophiegeschicht­
liche Aufgabe zu klären, wie die antiken Christen und vor ihnen schon hellenisti­
sche Juden zu den Grundfragen des Daseins, welche die philosophischen Prob­
leme ihrer Zeit waren, Stellung bezogen haben. Nicht zu Unrecht spricht Gerson
2010 [*831: I 3] im Zusammenhang mit dem Auftreten des Christentums von
«einem der schwierigsten Aspekte» bei der Behandlung der Philosophiegeschichte
dieser Epoche. Immerhin traten jüdische und christliche Autoren, sofern sie einen
entsprechenden Bildungsgang durchlaufen hatten, auf, welche die Position ihres
Glaubens auch als philosophische Frage wahrgenommen haben. Sie sind, nach
innen und nach außen gewandt, in Diskurse eingetreten, die unter biblischer Rück­
bindung weitgehend den gleichen Fragehorizont mit dem gleichen Begriffsapparat
beinhalteten und die in ähnlichen argumentativen Schuldebatten abliefen, wie es
ihre philosophisch gebildeten Zeitgenossen auch taten, und sie haben darauf auch
Bezug genommen. Es ist natürlich unbestreitbar, dass deutliche Unterschiede im
intellektuellen Niveau und in der Bereitschaft, sich auf die pagane Philosophie ein­
zulassen, anzutreffen sind, ja dass es auch an Tendenzen von mehr oder weniger
prinzipieller Ablehnung der Philosophie nicht gefehlt hat, und natürlich wandelten
sich die jeweiligen Gegebenheiten im historischen Verlauf deutlich. Aber es sollte
nach dem bewusst weitgefassten, antiken Philosophieverständnis keine Frage sein,
dass die Christen, um die es hier geht, im Allgemeinen die ihnen bekannten und
als brauchbar erachteten Denkformen der philosophischen Tradition und Diskus­
sion, in die sie im Rahmen ihres Bildungsganges wie von selbst hineingewachsen
sind, anwendeten, um im christlichen Sinn zu philosophieren. In diesem Sinn
spricht etwa Osborn 1981 [*812] von «Christian Philosophy» oder Karamanolis
2013 [*836] von «Philosophy of Early Christianity», im Unterschied zu Kobusch
2006 [*827], der einen prägnanten Philosophiebegriff zugrunde legt.
Dass in Gestalt des hellenistischen Judentums und dann auch des frühen Chris­
tentums eine Religion in die Diskurse der griechischen Philosophie eintritt und
am Ende der Antike zu ihrer dominierenden Gestalt wird, ist ein außergewöhn­
licher Vorgang, der auf dem Feld der Religionsgeschichte des Altertums keine di­
rekten Parallelen hat. Vertrauter ist eher die umgekehrte Bewegung. Seit ihrem
Auftreten hat die griechische Philosophie das religiöse Leben Griechenlands im
theoretischen Nachvollzug begleitet. Sie hat sich in radikaler Religionskritik, in
Anspruch auf vertiefte Frömmigkeit oder in philosophischer Deutung des wah­
ren gedanklichen Gehaltes vielfältig hervorgetan, was zu Entwürfen einer philo­
sophischen Religion führen konnte, der letztlich keine praktische Fundierung im
religiösen Leben des Kultes und Rituals mehr entsprach (vgl. Burkert 22011 [*832:
452–495]), und was die Tendenz beförderte, dass im Laufe der Spätantike die Phi­

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 85

losophie immer stärker religiöse Züge angenommen hat (Görgemanns 2009


[*828], Van Nuffelen 2011 [*833]). Aber die griechischen Religionen selbst, die
­Polisreligionen wie die Mysterienreligionen, haben nur in den seltensten Fällen
eine explizite Theologie hervorgebracht, die eine Berührung mit der Philosophie
ermöglicht hätte (Görgemanns 1989 [*818: 617], Cancik 42005 [*826: 253f.]). Zwar
konnte es im Rahmen von Mysterienkulten vorkommen, dass professionelle Pries­
terinnen und Priester über das, was sie rituell vollzogen, auch Rechenschaft zu
geben bereit waren (vgl. Plat. Men. 81a). Aber das war eher die Ausnahme. Durch­
weg fehlte hier ein festes tradierbares Priesterwissen, erst recht der exklusive Be­
kenntnisstand einer Dogmatik (Weiteres bei Bremmer 2012 [*834]). Solche sehr
variablen Erklärungen waren «ein Epiphänomen einer an sich autonomen Ritu­
altradition», nicht das religiöse Fundament selbst (Burkert 1990 [*820: 71]). Wenn
dagegen für die Religionspraxis rationale Deutungen, die einigermaßen ausgear­
beitet und umfassend waren, gegeben wurden, dann kamen diese weniger aus dem
innersten, esoterischen Kreis der Kultträger, sondern weit eher von außerhalb,
vonseiten philosophischer Spekulation. Es sind – zumindest aus unserer, durch
die Lückenhaftigkeit und Brüche der Überlieferung extrem begrenzten Perspek­
tive – in erster Linie Philosophen, die sich auf religiöse Gegebenheiten, auf Ritual
und Mythos, bezogen, um die eigene philosophische Weltsicht zu illustrieren und
zu bestätigen und um nicht zuletzt ihrer Sicht die zusätzliche Legitimierung einer
uralten, geheiligten, religiösen Tradition zu verschaffen (wichtig noch das späte
Zeugnis Iambl. Resp. 2,11: Kultpraxis, hier Theurgie, wirkt aus sich selbst und ist
unabhängig von intellektueller Erkenntnis). Sie haben damit aber fremde Deu­
tungsmuster an die religiösen Traditionen herangetragen, wofür platonisierende
Schriftsteller wie Plutarch, Numenios, Porphyrios oder Iamblichos bekannte Bei­
spiele sind, und inwieweit sie damit Rückwirkungen bei den Gläubigen erzielten,
ist nicht leicht zu sagen, weil es in den religiösen Begehungen primär darum ging,
eine besondere Art von Erleben hervorzurufen, und nicht darum, eine Glaubens­
welt zu vermitteln (vgl. Burkert 22011 [*832: 455]: «Das Bild der tatsächlichen Re­
ligion verändert sich kaum, den Taten der Geistesheroen zum Trotz»; zum Gan­
zen Burkert 1990 [*820: 50f., 56–74]).
Die biblische, jüdisch-christliche Tradition stellt in dieser Hinsicht einen Son­
derfall dar. Indem hier die Geschichte des alten Israels und des nachexilischen Ju­
dentums, gipfelnd im Christusgeschehen, als einheitlicher Überlieferungsprozess
der Offenbarungen des einzigen, universalen Gottes verstanden und gedeutet
wurde, umfasste eine rational ausgelegte Reflexionsstruktur mehr oder weniger
ausdrücklich alle Gestaltungen des religiösen Lebens. Man kann diese rationale
Seite in der modernen Bedeutung des Wortes als Theologie, d. h. als diskursive,
lehrhafte Explikation der Grundgehalte des jüdisch-christlichen Glaubens be­
zeichnen (zur antiken Begriffsgeschichte von ‘Theologie’ grundlegend Ebeling
31962 [*811] und weiterführend Markschies 2010 [*830: 11–31], wichtig ferner der

hellenistisch-jüdische Gebrauch bei Phil. Mos. 2,115; Opif. 12; Praem. 53: Mose
als Theologe). Dieses intellektuelle Reflexionspotential, das der biblischen Über­
lieferung eignet, dürfte weniger, wie zumeist angenommen (vgl. stellvertretend für
viele Pannenberg 1959 [*810]), aus missionarisch-apologetischen Zielsetzungen,

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86 I. Allgemeine Einleitung

als vielmehr aus dem Absolutheitsanspruch der Religion selbst resultieren. Dass
der biblische Glaube Gott als den einzigen Gott schlechthin bekannte, als den
Schöpfer und Allherrscher der Welt, als den Gott Israels und der Völker, als Herrn
über Leben und Tod und alleinigen Retter und Erlöser der Menschen, das musste,
zumal in der christlichen Zuspitzung des Inkarnationsgedankens, von sich aus das
gläubige Denken herausfordern und auf ein Verstehen seiner selbst drängen. Der
absolute und universale Geltungsanspruch dieses Glaubens konnte nicht bloß bei
affirmativen Bekenntnisformeln und rituellen Handlungen stehen bleiben, so fun­
damental und grundlegend sie auch waren, sondern musste sich in einem geistigen
Gesamthorizont zur Vergewisserung seiner Identität explizieren. Er musste sich
seine eigene dogmatische Glaubenswelt schaffen, wenn er auf inneren Nachvoll­
zug angelegt sein wollte. Dazu bedurfte es einer angemessenen rational-begriff­
lichen Sprache, es bedurfte umfassender systematisch ausbaufähiger Kategorien
und maßgeblicher Kriterien, welche die Vielgestaltigkeit der tradierten Glaubens­
zeugnisse in einem inneren, kohärenten Sachzusammenhang darzustellen und
normativ Maßstäbe sittlicher Lebensführung zu entwickeln ermöglichten. All das
jedoch – und für das Christentum gilt das im Grunde schon von Anfang an seit
Paulus – brachte den biblischen Glauben von sich aus in eine natürliche Affinität
zur griechischen Philosophie, die ihrerseits in analoger Weise nach der Erkennt­
nis der Wirklichkeit im Ganzen und ihrer letzten Ursache fragte. Beide geistigen
Welten zeichnete gemeinsam die prinzipielle Universalität ihres Wirklichkeitsbe­
zuges in der Perspektive auf die Erschlossenheit der letzten Ursache aus, und bei­
den eignet von daher der religiöse Charakter ihres Denkens.
Freilich ist dieser Brückenschlag über weite Strecken hin einseitig verlaufen, weil
zunächst nur das hellenistische Judentum und das frühe Christentum sich der grie­
chischen Philosophie öffneten, während die griechische Öffentlichkeit das Juden­
tum zwar anfangs als Volk von Philosophen wahrnahm, dann aber dem antiken
Antisemitismus Raum gab (vgl. Hengel 31988 [*816: 464–473]) und dem neu auf­
kommenden Christentum schon wegen seiner Neuheit und Fremdheit starken Wi­
derstand entgegensetzte (vgl. Gottlieb, Barceló 1982 [*813]). Gerade unter Philo­
sophen befanden sich die heftigsten Gegner (vgl. Morlet 2014 [*837: 47–78],
Riedweg 2016 [*838]), und dass von ihnen positive Impulse, die vom Christentum
ausgehen konnten, aufgenommen worden wären, ist nachweislich kaum vor dem
Ende des 3. bzw. dem Anfang des 4. Jahrhunderts zu verzeichnen (doch hat immer­
hin Amelios den ‹Johannes›-Prolog positiv herangezogen, vgl. Vollenweider 2009
[*829]; zu heterodoxen Deutungen Riedweg 2016 [*838]; Numen. fr. 8 des Places ist
wohl anders gelagert). Das Interesse an der Philosophie ist bei den Christen eben
im Blick auf die Reflexionsstruktur des biblischen Glaubens sehr viel dringlicher
gewesen. Indessen hat sich auch das Christentum nicht vorbehaltlos auf die grie­
chische Philosophie eingelassen. Zwar hat die Berührung mit ihr faktisch zu einer
substantiellen Transformierung des Glaubenszeugnisses geführt, von der noch jede
geschichtliche Gestalt der christlichen Theologie zeugt, doch an dem unverrück­
baren Primat des Offenbarungsanspruchs als Kriterium philosophischer Lehren
wurden nie Abstriche gemacht. Das spannungsvolle Beieinander gegenläufiger
Faktoren in Koordination und Kontrast, in Assimilation und Konflikt bestimmt

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denn auch durchgängig das Bewusstsein der Alten Kirche. Insofern ist es historisch
wie auch systematisch unberechtigt, den Vorgang im Sinne von Abfallstheorien als
Verfall oder gar Verrat des Christlichen zu werten (vgl. Markschies 2012 [*835]).
Andererseits wird die kritische philologische Analyse auf Fälle stoßen, wo die
christliche Adaption nicht vor bedenklich erscheinenden, vereinnahmenden Um­
deutungen eines philosophischen Referenztextes Halt macht. Doch auch aus die­
sem Blickwinkel wäre es verfehlt, pauschal von Niedergang oder gar Verfälschung
zu sprechen. Es gibt Gradunterschiede, und wirkliche Grenzfälle sind eher selten,
wie überhaupt derartige Freiheiten vor dem Hintergrund der Zeit und dessen, was
historisch gängig und möglich war, gesehen werden müssen. Das Phänomen von
Horizontverschmelzungen im Rahmen mehrdimensionaler, produktiver Interpre­
tationen war auch der philosophischen Tradition nicht fremd.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sowohl formal als auch inhaltlich mit einer
stark ausdifferenzierten Diversität zu rechnen ist. Dass jüdische und christliche
Theologen in einen Diskurs mit der griechisch-römischen Geisteswelt eingetreten
sind und ihren Glauben auch in philosophischen Kategorien expliziert haben,
schlägt sich am greifbarsten auf literarischen Kommunikationswegen nieder, auch
wenn Zeugnisse für andere Kontexte, wo sich Diskursfolien boten, nicht fehlen.
Hier, auf literarischem Gebiet, variieren die Wege und Formen der Adaption
stark. Es gibt integrierte oder ausgewiesene Übernahmen. Sie können bestimmte
Motive, Topoi, Themen und Argumentationsfiguren umfassen, die in mehr oder
weniger bewussten Anspielungen, in benannten Zitaten oder Referaten auftreten
und die oftmals nicht direkt den Originalquellen entstammen, sondern durch
­sekundäre Instanzen vermittelt sind. Ihr argumentatives Gewicht kann sehr un­
terschiedlich sein. Aussagekräftiger sind explizite Auseinandersetzungen, wo ein
Autor sich zu einer bestimmten philosophischen Position äußert und ihr gegen­
über aus eigener Warte Stellung bezieht, sei es polemisch-kritisch, sei es inhaltlich
modifizierend bzw. korrigierend, sei es sachlich zustimmend. Auch in solchen Fäl­
len muss es nicht heißen, dass der Autor seine Kenntnis unmittelbar aus direkten
Quellen schöpft; auch da sind sekundäre Vermittlungen möglich. Schließlich gibt
es auch Fälle, wo genuin philosophische Fragen gemäß eigenem Recht themati­
siert werden. Sie sind philosophiegeschichtlich besonders interessant, insofern sie
zeigen, dass christliche Denker sich mittlerweile völlig souverän in philosophi­
schen Konfigurationen zu bewegen verstehen.
Viel schwieriger ist die systematische Frage zu fassen, in welcher Weise die jü­
dischen und christlichen Schriftsteller der Antike grundsätzlich die pagane Phi­
losophie und ihre eigene theologische Arbeit einander zugeordnet haben. Denn
evoziert ist damit das weite Problemfeld der Verhältnisbestimmung von bibli­
schem Glauben und rationalem Denken, von Offenbarung und Vernunft, von
Theologie und Philosophie in der spannungsreichen Fokussierung auf die Legiti­
mierung jeweiliger Geltungsansprüche. Generell wird man, was allgemein aner­
kannt ist, im Hinblick auf das Altertum zwischen beiden Polen keinen antagonis­
tischen Gegensatz konstruieren dürfen. Anders als in Richtungen der aufgeklärten
Moderne heißt philosophische Rationalität für antike Menschen nicht säkulari­
siertes, religionsfeindliches Denken, sondern äußert sich oft genug gerade auch in

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88 I. Allgemeine Einleitung

frommem Denken. Und andererseits wird Offenbarung nirgends in der kaiserzeit­


lich-spätantiken Welt als widervernünftig empfunden, sondern eher als Potential
zusätzlicher Informations- und Erkenntnisvermittlung. Auch für Christen wäre
eine strikt auf Antinomie zielende Einschätzung nur um den Preis möglich, dass
der Glaube sich an etwas Absurdes, das nicht kommunizierbar ist, hielte. Deshalb
ist es frühchristliche Grundüberzeugung, dass der Glaube auf rationale Durch­
dringung angelegt ist und die Vernunft der Bestätigung durch Offenbarung be­
darf. Das konnte nun freilich immer noch auf recht verschiedene Weise ausgelegt
werden, weil der Zusammenhang mit der kulturellen Gesamtsituation stets im
Hintergrund stand. Doch da man nach wie vor aufseiten der griechischen Philo­
sophie Erkenntnis primär aus der Vernunft ableitete und aufseiten der jüdisch-
christlichen Tradition am Primat der Offenbarung festhielt, konnte eine symme­
trisch austarierte Komplementarität nicht in Betracht kommen. Gangbar waren
nur Modelle von Über- und Unterordnung, in denen die gegenläufigen Spannun­
gen von Koordination und Kontrast, von Assimilation und Konflikt irgendwie aus­
getragen wurden. Schnittflächen der Rezeption konnten beschrieben werden in
Verhältnisbestimmungen, die sich in Formeln niederschlugen wie der Philosophie
als Dienerin und der Theologie als Herrin, der Philosophie als Fragestellung und
der Theologie als entsprechende explizite Antwort, der Philosophie als ‘praepa­
ratio’ oder Vorbereitung und der Theologie als ‘demonstratio’ oder Erfüllung, der
Philosophie als abgeschattete, partielle Wahrheitserkenntnis und der Theologie
als direkte, volle Wahrheitserkenntnis. Nicht ausgeschlossen waren bei diesen Zu­
ordnungen Tendenzen der Harmonisierung und Vereinnahmung. Doch letztlich
lief es stets auf eine Figur der Überbietung hinaus, wonach das Christentum als
die Vollendung der griechischen Philosophie dargestellt wurde, aber es ist nicht
zu übersehen, dass durch den Rezeptionsprozess sowohl die christliche Glaubens­
botschaft als auch das philosophische Denken wechselseitig im Sinne einer geis­
tigen Synthese transformiert worden sind: Die Glaubensbotschaft ist zu christ­
licher Metaphysik geworden und die Philosophie hat zu einer Umkehr der
Denkrichtung gefunden.
Indessen kann die Frage nach der Verwendbarkeit philosophischer Konzepte
für jüdische, christliche und gnostische Theologien angesichts nicht geringer
Wandlungen und Umschichtungen im Laufe der kaiserzeitlichen und spätantiken
Geschichte und angesichts der schließlichen Einbettung in eine christliche Ge­
samtkultur konkret nur im historischen Durchgang beantwortet werden.

1. Anfänge im hellenistischen Judentum

Es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass das Judentum bereits in der
frühhellenistischen Zeit in seinem Mutterland Palästina mit dem Anwachsen und
der Verbreitung der hellenistischen Zivilisation und Kultur konfrontiert war, aber
das offene Eindringen philosophischen Gedankenguts in das jüdische Geistes­
leben im engeren Sinn geschah im ersten Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. im
hellenistischen Diaspora-Judentum Alexandriens. Hier, im multikulturellen Bal­

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lungszentrum Alexandrien, wo peripatetische Einflüsse das intellektuelle Klima


seit jeher bestimmten, wurden von jüdischer Seite aus philosophische Ideen und
Konzepte bewusst und intensiv adaptiert, wobei der ps.-aristotelische Traktat ‹De
mundo› anfangs offenbar im Vordergrund stand. Die Übersetzung der Septua­
ginta verfolgte zunächst keine direkten philosophischen Tendenzen und hat sich
erst im Laufe eines längeren Entstehungsprozesses für philosophienahe Verste­
hensmöglichkeiten geöffnet. Mit dem jüdischen Toraausleger Aristobulos jedoch,
der in frühen Quellen auch «Peripatetiker» genannt wird, werden in mehrerer
Hinsicht Weichenstellungen für die Zukunft gelegt. Er hat aus ‹De mundo› die
Konzeption der göttlichen δύναμις (Kraft) zur Beschreibung der weltimmanenten
Wirksamkeit des transzendenten Gottes der Bibel, seither eine Grundkategorie
der religiösen Sprache bei Juden und Christen, aufgegriffen. In seiner Exegese
machte er, noch tastend zwar, erste Schritte, um für eine rational einsichtige Er­
klärung des Bibeltextes die Methode der allegorischen Deutung anzuwenden, die
unter Philosophen besonders bei Stoikern praktiziert wurde, aber auch in ‹De
mundo› präsent ist. Auch dass die griechischen Geistesgrößen vom biblischen
­Gesetzgeber Mose abhängig seien und von ihm ihre Weisheit bezogen hätten, die­
ser Leitgedanke, der fortan bei jüdischen (vgl. Jos. Ap. 2,168. 257) wie bei christli­
chen Autoren zum Standardargument werden sollte, ist bei ihm bereits vorgeprägt.
Insgesamt ist die Überlieferung der literarischen Zeugnisse der hellenistischen
Synagoge nur sehr dürftig auf uns gekommen, doch was sich trotz aller Spärlich­
keit der Quellen aus den erhaltenen Fragmenten und aus späteren christlichen
Überarbeitungen erkennen lässt, ist eine sehr große innere Reichhaltigkeit und
Kraft des religiös geistigen Lebens. Neben Aristobulos stoßen wir vielfach auf die
Einschmelzung von populärphilosophischem Gedankengut zumeist stoischer Pro­
venienz, was sich in mannigfachen Formen ethischer Moralunterweisungen wie
Tugend- und Lasterkatalogen, dem Zwei-Wege-Schema, der Goldenen Regel, gno­
mischen Sentenzen und Ähnlichem niederschlägt. Philosophisches Interesse, auch
dies zumeist mit stoischem Hintergrund, nimmt sich nicht weniger kosmologisch-
schöpfungstheologischen Themen und anthropologischen Fragen an. Zu beach­
ten ist besonders die philosophische Einfärbung der jüdischen Weisheitstradition,
wobei erneut stoisches Material überwiegt. Niemals jedoch wird die heilstiftende
und heilsentscheidende Bindung an die Tora auch nur irgendwie infrage gestellt.
Für das frühe Christentum sollten alle diese Adaptierungen von unabsehbarer
Bedeutung werden, wurden doch damit die Voraussetzungen geschaffen, ohne die
die theologische Explikation und paränetische Unterweisung der christlichen
Glaubensbotschaft gar nicht denkbar gewesen wären.
Die herausragende Gestalt des hellenistischen Judentums ist freilich Philon von
Alexandrien. Er hat nahezu sein ganzes Werk der Auslegung des Pentateuchs ge­
widmet, den er mithilfe der allegorischen Methode in seiner philosophischen Tie­
fendimension erschließen möchte, aber er ist gleichzeitig ein exzeptioneller Re­
präsentant des beginnenden Mittelplatonismus. Tatsächlich stößt man bei ihm
weitgehend auf die gleichen lehrbildenden Strukturmomente, die auch die Bestre­
bungen der Platoniker seiner Zeit kennzeichnen. Das größte Gewicht in religiös-
philosophischen Belangen kommt, wenn man von Mose absieht, Platon zu, den er

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einmal «den höchst heiligen Platon» nennt (Prov. 13, wenn der Text so zu lesen
ist), und unter seinen Werken wiederum, wie nicht anders zu erwarten, dem ‹Ti­
maios›, in dem Platon nach seiner Deutung in genauer Entsprechung zum bibli­
schen Schöpfungsbericht eine umfassende Sicht der Welt und der Stellung des
Menschen in ihr in Beziehung auf Gott entworfen habe. Dass Platon ein dogma­
tisch kohärentes System gelehrt hat, setzt er als selbstverständlich voraus, wofür
am ehesten die von ihm vertretene, am ‹Timaios› abgelesene Lehre von vier Prin­
zipien Anhalt bieten kann (Opif. 19–22; Cher. 125ff.; Prov. 1, 23, offenbar eine mo­
difizierte Form der später gängig gewordenen Drei-Prinzipien-Reihe), aber eine
zusammenhängende Darstellung der Philosophie Platons hat er nicht geboten
(vgl. aber Aet. 14f. zum Schulstreit um die ‹Timaios›-Auslegung). Zum platoni­
schen Bezugsrahmen tritt ferner, wie für den Mittelplatonismus charakterisch, die
neu belebte pythagoreische Tradition hinzu, die es Philon in Verbindung mit den
platonischen Vorgaben ermöglicht, die absolute Transzendenz Gottes, des ersten
Prinzips, in klaren philosophischen Kategorien unter Einschluss der negativen
Gottesprädikate zu artikulieren. So konvergieren die religiösen Züge dieser neu
erstarkten geistigen Strömungen mit seiner jüdischen Frömmigkeit, und er wird
diese Momente im Rahmen der Logos-Lehre etwa mit der speziellen, von ihm
schon vorgefundenen Fassung der Ideen als Gedanken Gottes oder mit der auf
Aristobulos zurückweisenden Lehre von den Kräften Gottes sowie dem Konzept
der Zwischenwesen weiter ausbauen. Symptomatisch für den neupythagoreischen
Bezug ist sein ausgiebiger Gebrauch von Arithmologie und Zahlensymbolik,
zumal in Bezug auf die Zahl Eins und die 7-Zahl. Doch hat Philon auch alle an­
deren Arbeitsfelder, die zum philosophischen Standardrepertoire der Zeit gehör­
ten, behandelt, wie er überhaupt bestrebt ist, so viel philosophisches Gut wie nur
möglich einzubringen. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von intelligibler
und sinnlich wahrnehmbarer Welt und unter Wahrung der Transzendenz Gottes
hat er in der Kosmologie den Aufbau der empirischen Welt in den Zügen der Stoa
gezeichnet. In der Ethik bricht er den stoischen Rigorismus der Apathie, für den
er sehr wohl eine gewisse Zuneigung empfindet, auf das Normalmaß der Metrio­
pathie herunter, aber die aristotelische Güterlehre lässt er nicht gelten und hält
sich an die stoische Position der Autarkie der Tugend. Seine ethische Zielformel
ist das platonische Motiv der Angleichung an Gott in Verbindung mit der pytha­
goreischen Maxime ‘Folge Gott!’. Damit kann er das ursprünglich weltimmanent
verstandene stoische Konzept des «secundum naturam vivere» bruchlos verbin­
den, weil die ‘Natur’ für ihn eine Manifestation des transzendenten Logos ist. Da­
neben vertritt er gerade auf ethischem Gebiet eine Reihe von Sondermeinungen,
die nur als Ausdruck seines jüdischen Glaubens verstanden werden können. In
der Logik schließlich verbindet Philon aristotelische und stoische Elemente. Da­
gegen weist er die Lehre Epikurs generell zurück, während er skeptische Argu­
mente über die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmungen im weiteren Sinn
als Vorbereitung für eine höhere Epistemologie inkorporieren kann (Fug. 132–36;
Ebr. 167–205; aus Ainesidemos vgl. von Arnim 1888 [*807: 56–100]).

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2. Das Ur- und Frühchristentum

Fand das Judentum seine alles beherrschende Mitte in der Bindung an die Tora,
an der sich grundsätzlich die Verwertbarkeit philosophischer Lehren messen las­
sen musste, so trat im Glauben der frühen Christen an die Stelle des Gesetzes das
Christusereignis, so dass Paulus am «Wort vom Kreuz» (I. Cor. 1,18) eine Umwer­
tung aller herkömmlichen religiös-kulturellen Werte, sei es jüdischer, sei es grie­
chischer, festmachen konnte. Am «Wort vom Kreuz», so konstatierte er, werde die
Weisheit der Welt, höchster intellektueller Ausdruck der Ordnungen und Struk­
turen der gegenwärtigen Weltzeit, zuschanden, aber im Niedrigen, Schwachen und
Verachteten werde den Gläubigen als Zugehörigen zum Gekreuzigten die Weisheit
Gottes, bestimmt als Enthüllung des Verborgenen, als übersinnliche Erkenntnis,
als Erforschung der Tiefen Gottes durch den gott-menschlichen Geist, offenbart,
was letztlich mit dem bloßen «Wort vom Kreuz» identisch bleibt (Vollenweider
2002 [*823]). Derartige transformierende Brechungen weisen bei Paulus mehr
oder weniger alle Nachklänge an philosophische Argumentationsformen auf,
ohne dass damit die Legitimität rationalen Denkens generell infrage gestellt
würde. Sie sind nicht ganz selten (vgl. die Aufstellungen in Strecker, Schnelle 1996
[*822], ferner auch Sampley 2003 [*824]), und sie sind auch nicht nur durch die
Adressaten bedingt, sondern entsprechen zum guten Teil dem eigenen Erkennt­
nisinteresse des Apostels. Auch das im paränetischen Kontext der frühchristlichen
Literatur in großer Fülle anzutreffende Material ethischer Unterweisungsformen
hat seine Vorbilder in der hellenistischen Populärphilosophie, doch wird es aus
der Perspektive der im Glauben gewonnenen Freiheit neu kodiert. Es dürfte zu­
meist schon durch das hellenistische Judentum vermittelt worden sein, was im be­
sonderen Maße für die Schriften der sogenannten Apostolischen Väter gilt. Indem
diese den weiträumig durch die hellenistische Synagoge abgesteckten Bezugsrah­
men christologisch artikulieren, führen sie die theologische Begriffsbildung er­
heblich über das Neue Testament hinaus und markieren so etwas wie eine früh­
christliche ‘Proto-Orthodoxie’.

3. Die vornizänische Zeit

Über diese ersten Ansätze hinaus kommt es zu einer breiten und nachhaltigen
Öffnung gegenüber der paganen Philosophie etwa ab Mitte des 2. Jahrhunderts
im apologetischen Kontext, wobei aber der Radius sehr schnell stark ausgeweitet
wird und alle Bereiche der christlichen Theologie erfasst werden. Getragen wer­
den diese Bestrebungen von freien Lehrern, bald auch von Kirchenmännern oder
einfach von intellektuell orientierten Männern und Frauen, die im Rahmen ihrer
allgemeinen Bildung mit der Philosophie in Kontakt gekommen sind oder sogar
eine philosophische Schulung durchlaufen haben, sei es dass sie über die Philo­
sophie den Weg zum christlichen Glauben gefunden haben, sei es dass sie als
Christen philosophische Interessen entwickelt haben. Und wie sie es bei ihren phi­
losophischen Studien gelernt und sich innerlich angeeignet haben, denken sie aus

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92 I. Allgemeine Einleitung

dem philosophisch vorgeprägten Verstehenshorizont ihrer Zeit, wenn sie den


christlichen Glauben für sich rational einsichtig zu durchdringen suchen und ihn
nach den gängigen wissenschaftlichen Standards artikulieren (literarisch tätig ge­
worden sind Frauen, wie es scheint, in dieser Zeit nicht, aber sie begegnen im Um­
kreis eines Justin, eines Clemens oder Origenes, eines Methodios und anderer).
Nicht selten geben sie sich in ihrer äußeren Erscheinung als Philosophen zu erken­
nen, sie praktizieren vergleichbare Modelle des Schulunterrichts, gebrauchen viel­
fach die gleichen literarischen Formen und suchen das öffentliche Streitgespräch
mit Außenstehenden. In der Konkurrenz mit anderen intellektuellen Formatio­
nen bezeichnen sie die christliche Religion als «die wahre Philosophie» (Justin,
Clemens, Origenes) oder «die bessere Philosophie» (Tertullian), als «die barbari­
sche Philosophie» (Tatian) oder einfach als «unsere Philosophie» (Miltiades, Me­
liton), ohne dass dies insgesamt zum normalen Sprachgebrauch geworden wäre
(nicht bei Theophilos, Irenäus, Ps.-Iust. Orat. u. a.).
Wenn die christlichen Schriftsteller ihren Glauben derart als höhere Form der
Philosophie exponierten, dann schließt das eine deutliche Meinung über den Wert
der geistigen Traditionen der griechischen Kultur ein. Tatsächlich gibt es kaum
einen christlichen Autor in der vornizänischen Zeit, der nicht in der einen oder an­
deren Weise grundsätzlich die Frage nach dem Ursprung und der Leistungsfähig­
keit der paganen Philosophie aufgeworfen und aus diesen Überlegungen für sich
selbst ein kritisches Regulativ abgeleitet hätte. Die Antworten gehen freilich weit
auseinander, sie differieren auch im Blick auf die verschiedenen Schulhäupter bei
den Griechen, aber generell reicht die Spanne von größtmöglicher Wertschätzung
bis zu völliger Verachtung und Ablehnung. So gibt es die Annahme, dass die grie­
chische Philosophie eine Gabe Gottes gewesen sei, eine Uroffenbarung sozusagen,
die im Laufe der Geschichte beeinträchtigt worden sei (Justin, Ps.-Iust. Mon., Cle­
mens). Verwandt damit ist die Vorstellung, dass die Philosophie als natürliche Er­
kenntnis sich der Partizipation der menschlichen Vernunft am göttlichen Logos ver­
danke und somit eine gewisse Wahrheitserkenntnis ermöglicht (Justin, Athenagoras,
evtl. Irenäus, Clemens). Am weitesten verbreitet ist die schon aus dem hellenisti­
schen Judentum bekannte Meinung, die griechischen Philosophen seien abhängig
von Mose (Origenes, doch Cant. prol. 3,4: von Salomon), sei es in der gemäßigten
Variante, dass sie auf Reisen in den Orient Schüler der mosaischen Lehre gewor­
den seien (Ps.-Iust. [Markell von Ankyra?] Cohort. ad Gr., Clemens), sei es in der
härteren Variante, dass sie geistigen Diebstahl an den mosaischen Schriften began­
gen hätten (Justin, Tatian, Clemens, Tertullian, Ps.-Iust. [Markell von Ankyra?] Co­
hort. ad Gr.). Impliziert ist dabei, dass das Verständnis der biblischen Tradition
nicht mehr ungetrübt bewahrt worden ist. In diesen Kontext gehört der immer um­
fänglicher geführte Altersbeweis, der durch chronologischen Vergleich das höhere
Alter der biblischen gegenüber der griechischen Tradition getreu dem Grundsatz
aufzeigen will, dass das Ältere auch das Wahre sei (Justin, Tatian, Theophilos,
­Hippolyt, Clemens, Origenes). Wieder eine andere Annahme besagt, dass die Phi­
losophie eine rein menschliche Vernunftbetätigung, gewissermaßen ein neutrales
Vermögen, sei (Origenes), oder in schrofferer Wendung, dass sie auf bloß mensch­
lichen Vermutungen beruhe, die bestenfalls zufällig etwas Wahres getroffen haben

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 93

(Pseudo-Klementinen, Laktanz), aber meist ohne irgendwelchen Wahrheitsgehalt


seien (Tatian, Ps.-Iust. Orat., Theophilos, Hermeias). Noch einen Schritt weiter geht
die in diesem Zusammenhang eher selten genannte ursprünglich apokalyptische
Theorie vom Engelsturz, die besagt, dass die griechische Philosophie ihren Anfang
beim Abfall einiger Engeln nahm und von Dämonen überbracht sei (Hermeias, be­
zeugt auch bei Clemens), und es ist belegt, dass auch die Meinung vertreten wurde,
die Philosophie stamme vom Teufel (bezeugt bei Clem. Alex. Strom. 1,80,5;
6,159,19), aber in der erhaltenen Literatur wird diese Position nirgends ausgeführt.
Unbestritten jedoch herrscht bei allen die Überzeugung, dass die griechische Phi­
losophie nicht zur vollen und klaren Erkenntnis der Wahrheit gelangt ist; denn
diese werde durch göttliche Offenbarung gewährt.
In dieser Bandbreite kann deshalb gegenüber der paganen Philosophie je nach
Beurteilung eine dezidiert philosophie-kritische Haltung an den Tag gelegt wer­
den, die sich in Einzelfällen geradezu zu philosophie-feindlichen Äußerungen
steigern kann. Angriffe, die von mehr rhetorischer Seite her gespeist sind, werfen
ihr Spitzfindigkeit, Formalismus, nutzlose Gelehrsamkeit oder fehlende Breiten­
wirksamkeit vor (Justin, Theophilos, Pseudo-Klementinen, Origenes). Andere
Einwände entstammen dem skeptischen Arsenal und zielen auf die Schulstreitig­
keiten zwischen den Philosophenschulen untereinander und auf ihre Uneinigkeit
ab (Justin, Tatian, Theophilos, Hippolyt, Tertullian, Origenes, Laktanz) oder spie­
len schulinterne Kontroversen unter Mittelplatoniker selbst gegeneinander aus
(Ps.-Iust. [Markell von Ankyra?] Cohort. ad Gr., evtl. Hippolyt), womit erwiesen
sei, dass die unverhüllte Wahrheit bei ihnen nicht zu finden ist. Von moralischer
Warte aus kann einzelnen Philosophen Ambivalenz zwischen ihrer theoretischen
Erkenntnis und ihrem praktischen Verhalten vorgeworfen werden, etwa wenn man
Platon vorhält, dass er trotz richtiger monotheistischer Erkenntnis aus Furcht, das­
selbe Schicksal wie Sokrates erleiden zu müssen, nicht mit dem polytheistischen
Kultwesen gebrochen habe (Athenagoras, Tertullian, Origenes, Ps.-Iust. [Markell
von Ankyra?] Cohort. ad Gr.). Aus häresiologischer Sicht wird der Angriff vorge­
bracht, die Philosophie bilde den Wurzelboden für die Entstehung der Häresien,
was einem glatten Verdikt gleichzukommen scheint, aber in relativierender Per­
spektive doch abgeschwächt wird (Irenäus, Hippolyt, Tertullian, Origenes).
Schließlich scheuen einige wenige Autoren nicht davor zurück, in polemischem
Ton selbst die renommiertesten Philosophen persönlich zu verunglimpfen (Tatian,
Theophilos, Tertullian, Pseudo-Klementinen) und den gesamten in ihren Augen
moralisch diskreditierten Bildungsgrundlagen der griechischen Kultur eine pau­
schale und grundsätzliche Absage zu erteilen (Tatian, Ps.-Iust. Orat., Hermeias).
Dass damit genau die Voraussetzungen verworfen werden, auf denen man selbst
aufbaut, ist hier scheinbar nicht als Problem empfunden worden.
Innerhalb der genannten Bandbreite der Beurteilungen der paganen Philoso­
phie gibt es jedoch auch breiten Raum für Positionen, die den geistigen Bemühun­
gen der griechischen Denker durchaus offen gegenüber stehen und ihnen einen
bleibenden positiven Wert für die rationale Darstellung der christlichen Religion
zubilligen. Das betrifft übrigens nicht nur die Philosophie, sondern schließt enzy­
klopädisches und sogar medizinisches Wissen ein (Hippolyt, Clemens, Origenes,

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94 I. Allgemeine Einleitung

Athenagoras, Tertullian, Methodios). Doch was die Philosophie betrifft, so sehen


die meisten christlichen Autoren eine besondere Leistung darin, dass die aufge­
klärte Religionskritik als Waffe gegen Mythologie und Polytheismus eingesetzt
werden kann (so schon Jos. Ap. 2,236–254, die Reihe beginnt bereits mit Aristei­
des und reicht bis zu Laktanz). Nicht weniger gebrauchen fast alle bevorzugt phi­
losophische Argumente, um Angriffe auf das Christentum abzuwehren und für
den neuen Glauben zu werben. Beträchtliche Bedeutung gewinnt die platonische
Metaphysik in Verbindung mit biblischer Schöpfungstheologie in der kritischen
Auseinandersetzung mit den ‘gnostischen Häresien’ (Irenäus, Tertullian, Clemens,
Origenes), die ihrerseits ihr Welt- und Erlösungsverständnis in remythisierender
Form, aber in struktureller Affinität zur Philosophie, vornehmlich zum Platonis­
mus, allerdings ohne den Apparat offener Rekurse entwickelten. Abgewiesen
wurde der Gnostizismus auch vom Neuplatonismus (Plotin, Amelios), aber ein ge­
meinsamer Schulterschluss kam nicht zustande. Vor allem aber hat die philosophi­
sche Rezeption im inneren Bereich der christlichen Theologie einen ausgezeich­
neten Stellenwert, wenn es gilt, den Glaubensgehalt intellektuell zu erschließen.
Origenes nennt die Philosophie Gehilfin für die christliche Lehre (Ep. ad Greg.
1). Auf dieser propädeutischen Ebene liefert sie das Instrumentarium zur Begriffs­
bestimmung zentraler Termini und schärft das Methodenbewusstsein für die Bi­
belauslegung und für die systematisch-spekulative Arbeit. In vieler Hinsicht ist
sie Einübung und Teil der theologischen Forschung. Sie führt auf inhaltliche Fra­
gestellungen hin und stellt Lösungsmöglichkeiten bereit, die akzeptiert, verwor­
fen oder überboten werden können. So ist sie selbst Teil des Vollzugs der intellek­
tuellen Durchdringung und des geistigen Erfassens der Wahrheit und bietet eine
Anleitung zum kontemplativen Aufschwung. Dass in kirchlichen Kreisen der
schlichten Gläubigen auch Widerstand gegen solche theologische Arbeit erwach­
sen konnte (Irenäus, bezeugt von Hippolyt), braucht daher nicht zu verwundern,
doch suchte man einen Ausgleich mit einem bezeichnenderweise an Platon orien­
tierten Stufungsmodell, das dem schlichten Glauben das volle Recht reserviert,
aber ihn in höherer Erkenntnis übergipfeln lässt (Clemens, Origenes).
Der Referenzhintergrund für die christliche Rezeption ist in dieser Periode
durchgängig der Mittelplatonismus, obwohl die zeitgenössischen Gewährsmänner
so gut wie nie namentlich genannt werden. Numenios ist in dieser Hinsicht eine
verständliche Ausnahme. Man profiliert sich nicht im Gegenüber zu gegenwär­
tigen Fachvertretern, sondern im Blick auf die großen Gestalten der Vergangen­
heit, auf die Vorsokratiker, auf Pythagoras und vornehmlich auf Platon. Von daher
erklärt sich die Vorliebe für bestimmte Zitate und ganze Zitatnester, bestehend
aus Anhäufungen berühmter Wanderzitate. Nur im lateinischsprachigen Bereich
prävalieren Cicero und Seneca, wobei gelegentlich noch Lukrez einbezogen wird.
Doch der mittelplatonische Schulzuschnitt ist bei den Griechen allenthalben prä­
sent (Versuche einer Annäherung an den Aristotelismus, von denen Eus. Hist.
eccl. 5,28,13f. und 7,32,6 berichtet, blieben vorerst einflusslos). Die christlichen
Schriftsteller beziehen ihre philosophischen Kenntnisse in der Regel kaum aus
den Originalschriften der großen Denker, sondern aus sekundären Hilfsmitteln,
aus doxographischen Handbüchern, Florilegien, biographischen Kompendien

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 95

oder Ähnlichem, und manches, was wie die gezielte Bezugnahme auf eine aus­
erlesene Lesefrucht aussieht, ist in Wirklichkeit längst gängiges Bildungsgut
­geworden. Zunehmend ist auch mit Vermittlung durch den innerchristlichen
Schulbetrieb und die jüdisch-christliche Literatur (insbesondere Philon als ‘Kir­
chenvater’ honoris causa: Hier. Vir. ill. 11) zu rechnen, aber in einzelnen Fällen
darf zweifellos auch Lektüre erster Hand angenommen werden. Bei einer Reihe
von Autoren wird die aus der Schulphilosophie geläufige, traditionelle Dreiteilung
der Philosophie, manchmal auch mit gewissen Modifikationen, explizit gemacht,
wobei aber dieses Schema fast nie die Organisation ihrer Schriften prägt und der
Wissensstoff von ihnen ebenso wenig lehrbuchmäßig verarbeitet wird. Freilich fin­
den sich Ansätze dazu, etwa bei Hippolyt oder bei Clemens, und Origenes hat eine
Dogmatik nach dem Muster eines antiken Physik-Handbuches verfasst. Origenes,
der wohl am besten den philosophischen Fachdiskurs beherrschte, war es auch,
der eine Wissenschaftslehre entsprechend den theologisierenden Tendenzen des
Mittleren Platonismus mit den Fächern Ethik, Physik, Epoptie (= Theologie) nicht
nur entworfen, sondern auch curricular umgesetzt hat in der Abfolge von Dialek­
tik, Physik (= Kosmologie, Geometrie, Astronomie), Ethik, Theologie, letztere
noch einmal gestuft nach paganer Theologie der alten Philosophen und Dichter
und dem Studium der Bibel als krönendem Abschluss. Im Allgemeinen lässt sich
für nahezu alle christlichen Autoren der Zeit feststellen, dass sie analog zum Mit­
telplatonismus bereit waren, Lehrgut der verschiedensten Schulrichtungen, sofern
es mit ihrem Verständnis einer christlichen Glaubenslehre konform war, zu inte­
grieren, wobei nur der Garten Epikurs in der Regel ausgeschlossen blieb. Die
Logik ist bei ihnen eher schwach ausgebildet. Grundlegend in der Ethik sind die
christlichen Normen der Bergpredigt, das Doppelgebot der Liebe und der Deka­
log, aber daneben wird auch das reiche Erbe der stoischen Moralphilosophie be­
rücksichtigt (die stoische Handlungstheorie einschließlich der menschlichen Wil­
lensfreiheit, die Tugend- und Pflichtenlehre, die Güterlehre, dazu der oft in eine
Zwei-Stufen-Ethik eingepasste Komplex der Affektenlehre), und den Höhepunkt
bildet die platonische Zielformel der ‘Angleichung an Gott soweit als möglich’ in
Verbindung mit dem biblischen Motiv der Gottebenbildlichkeit (Gen. 1,26f.), was
mit der stoischen und der pythagoreischen Zielformel noch erweitert werden
kann. Für die Kosmologie wird schon von Justin der platonische ‹Timaios› heran­
gezogen und mit dem biblischen Schöpfungsbericht zusammen gesehen, bald folgt
dann auch die Unterscheidung des intelligiblen Kosmos und des sinnlich wahr­
nehmbaren Kosmos, während der Aufbau des Universums im Einzelnen mit sto­
ischen Theorien erklärt wird. In der Theologie macht man sich die traditionellen,
ursprünglich stoischen Gottesbeweise zunutze, den Beweis ‘ex consensu omnium’,
den ‘ex testimonio animae’, den kosmologischen und den teleologischen, mit dem
die Lehre von der Providenz verknüpft ist (einen eigentümlichen rationalen Be­
weis für den Monotheismus entwickelt Athenagoras). Aber entscheidend ist für
sie alle der philosophische Gottesbegriff im Sinne der mittelplatonischen Seins­
metaphysik, der von Irenäus an (wie zuvor bei Philon) in Verbindung mit Ex. 3,14
gebracht wird. Dieser wird im Rahmen einer apophatischen Theologie mit den
negativen Gottesbegriffen zur Umschreibung der radikalen Transzendenz Gottes

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96 I. Allgemeine Einleitung

ausformuliert, wozu auch die Lehre von den drei ‘viae’ der Gotteserkenntnis
v­eranschlagt wird.
Insgesamt darf freilich nicht der Eindruck entstehen, als hätten die christlichen
Schriftsteller einige gängige Versatzstücke der philosophischen Koine ihrer Zeit
bloß additiv zusammengesammelt. Das Christentum hat vielmehr unter Auf­
nahme mannigfacher Anregungen aus dem hellenistischen Judentum recht schnell
und sicher einen eigenen philosophisch-theologischen Standort gefunden, der das
adaptierte Material in eine neue, geschlossene geistige Synthese transformierte.
Um das Erbe der biblischen Überlieferung, die Transzendenz Gottes, seine Ein­
zigkeit, Souveränität und Allmacht, zu wahren, haben die christlichen Theologen
von Anfang an auf die klare Unterscheidung zwischen dem Schöpfer und dem Ge­
schöpf geachtet. Diese ontologische Fundamentaldifferenz lässt kein ursprüng­
liches Sein neben dem Schöpfer bestehen und erlaubt keine gleitenden Übergänge
oder Zwischenstufen zwischen Gott und der Schöpfung. Deshalb sind recht bald
in der Prinzipienlehre und der Schöpfungslehre die maßgeblichen Korrekturen
an der philosophischen Tradition vorgenommen worden. Mit dem christlichen
Verständnis der ‘creatio ex nihilo’ wird die Annahme einer Gott vorgegebenen
ewigen Materie, die Gott lediglich gestaltet habe, bestritten, womit auch die mit­
telplatonische Drei-Prinzipien-Lehre außer Kraft gesetzt wird. Gott schafft aus
dem Nichts, er hat kein zweites Prinzip, die Materie, neben sich; er allein ist das
einzige Prinzip, und die Welt ist seine Schöpfung, die deshalb nicht ewig sein
kann, sondern im Sinne eines realen Anfangs geworden ist (Vorstufen bei Tatian,
dann Theophilos, Irenäus, Clemens, Tertullian und fortan; das dritte Prinzip, die
platonischen Ideen, geht meist in der Logos-Lehre auf). Ebenso ist sehr früh die
platonische Seelenlehre mit ihrer Voraussetzung einer Wesensverwandtschaft der
Seele mit Gott zurückgewiesen worden, weil die Seele, die ihr Leben aus Gott
empfängt, Geschöpf Gottes ist und nicht göttlich sein kann. Mit der Modifikation
der platonischen Seelenauffassung sind zugleich die Präexistenzlehre (mit Aus­
nahme von Origenes), die Anamnesislehre und die Reinkarnationslehre hinfällig
geworden (seit Justin fortan). Hand in Hand ging damit eine Umwertung der pla­
tonischen Anthropologie, die durch die Vorstellung der leiblichen Auferstehung
motiviert war (Ps.-Justin, Athenagoras, Theophilos, Irenäus, Tertullian, Metho­
dios). Mit der konsequent durchgehaltenen Grunddifferenz zwischen dem Schöp­
fer und der Schöpfung ist eine Reihe von weiteren Distanzierungen von philoso­
phischen Vorgaben gegeben, wie in der Kosmologie die Zurückweisung der
aristotelischen ‘quinta essentia’ und in der Ethik die der stoischen These, dass die
Tugend bei Gott und Mensch gleich sei. Anderes ließe sich nennen. Das Zentrum
der Transformierung philosophischen Denkens liegt indessen in der Christologie,
insbesondere im Inkarnationsgedanken. Die der Philosophie nahestehende Lo­
gos-Lehre wurde Zug um Zug tiefer durchdacht. Der präexistente Logos-Chris­
tus musste als Schöpfungsmittler ganz auf die Seite Gottes treten, ohne doch mit
ihm identifiziert zu werden, was nicht gleich auf Anhieb befriedigend auszufor­
mulieren gelang, aber weitere Anstöße für die Entwicklung der Trinitätslehre gab.
Doch schon in der frühesten Phase, als überhaupt erstmals der philosophische
Gottesbegriff aufgenommen wurde, ist im Inkarnationsgedanken der revolutionäre

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 97

Wendepunkt erkannt worden, der einer neuen Orientierung des Denkens Bahn
bricht und eine schöpferische Synthese zwischen der philosophischen Tradition
und dem biblisch-christlichen Glauben stiftet. Es ist der Grundgedanke, dass der
jenseitige, ferne Gott sich den Menschen zugekehrt hat, dass er sich erniedrigt hat
und in Christus Mensch geworden und nahe gekommen ist. Damit hängt die
christliche Gewissheit zusammen, dass das Heil, die Rückkehr zu Gott, nicht Leis­
tung der eigenen intellektuellen Anstrengung des Menschen ist, sondern als gna­
denhaftes Geschenk Gottes verstanden werden muss. Es ist erstaunlich, wie mas­
siv diese Christozentrik schon im Bewusstsein der frühen christlichen Denker
präsent ist (Justin, Meliton, Anon. [Ps.-Iust.] Diogn., Irenäus, Tertullian, Clemens,
Origenes, Methodios), während sie nur bei wenigen zurücktritt (Tatian) oder ganz
fehlt (Athenagoras, Theophilos, Pseudo-Klementinen).

4. Die Blütezeit der patristischen Literatur

Auf den Fundamenten, die in der vornizänischen Zeit gelegt worden sind, wird
von den Kirchenvätern fortan das Gebäude der christlichen Glaubenswelt nach
allen Seiten im großen, systematischen Stil ausgebaut. Monumentale Schriftwerke
mit teils ungeheueren Quellensammlungen auf den Gebieten der Apologetik, der
Ketzerbekämpfung und der Streitliteratur werden geschaffen, wozu noch Werke
auf den Gebieten der Bibelexegese und der Dogmatik sowie – als neuen Tätig­
keitsfeldern – der Geschichtsschreibung und der weniger umfänglichen Hagiogra­
phie treten. Diese literarischen Großunternehmen entstehen vor dem religions­
politischen Hintergrund, dass ungeachtet der sogenannten Konstantinischen
Wende beträchtliche Teile der Reichsbevölkerung gerade unter den Gebildeten
weiterhin in Opposition zum Christentum verharren, während andererseits die
Grenzen zwischen Heidentum und Christentum nicht überall scharf gezogen sind
und noch länger fließende Übergänge möglich bleiben. Insofern sind diese Werke
selbst Ausdruck gesteigerter Anstrengungen der Kirchenväter in dem geistigen
Ringen um die religiösen Grundlagen der antiken Gesamtkultur, die das 4. und
5. Jahrhundert erfasst hat. In den zum Teil von gewaltsamen Aktionen begleiteten
Auseinandersetzungen, in denen es in Ost und West darum ging, ob die überlie­
ferten Werte der paganen Kultur noch eine tragende Bedeutung in der Gesell­
schaft eines christlich gewordenen Reiches haben können, fühlen sich die geisti­
gen Repräsentanten der Kirche herausgefordert und angespornt, ein wirklich
großes christliches Schrifttum zu erarbeiten, das den Vergleich mit den besten
Zeugnissen der griechischen Kultur nicht zu scheuen braucht und doch den christ­
lichen Glauben umfassend zur Darstellung bringt. Und wiederum kommt der
griechischen Philosophie dabei ein entscheidender Stellenwert zu.
So entstehen die Großwerke in der Apologetik (Eusebios mit unschätzbaren
philosophiegeschichtlichen Fragmenten, Theodoret mit Zitathäufungen in Euse­
bios’ und Clemens’ Nachfolge bei philosophie-integrativer Absicht) und in der
Streitliteratur (Kyrill mit wertvollen Auszügen aus Kaiser Julians Angriff auf das
Christentum, und selbst philosophisch nicht ungebildet). Die philosophischen

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98 I. Allgemeine Einleitung

Zeugnisse werden darin bis in die neue Zeit präsentiert, doch die Leitthemen sind
weitgehend diejenigen der älteren Apologetik (der Altersbeweis, die Theorie der
Abhängigkeit der Griechen, die Widersprüche der philosophischen Schulen un­
tereinander u. a.), die ansonsten nach und nach eher an Zugkraft verlieren. Ebenso
spiegelt die gigantisch ausgeweitete antihäretische Literatur, die weithin einen an­
tiquarischen Eindruck macht, auch wenn sie bis in die neueste Zeit führt, die
großen weltanschaulichen Kämpfe um die Geltung des paganen Erbes wider (Epi­
phanios mit reichem häresiologischen Material, aber in philosophie-feindlicher
Stoßrichtung, Theodoret dagegen in philosophie-freundlicher Haltung). Eine neu
hinzukommende häretische Bedrohung stellt die Ausbreitung des Manichäismus
dar. Gegen das in christlichem Gewand auftretende Religionssystems streng du­
alistischer Weltverneinung wurde der Abwehrkampf mit philosophisch-dialekti­
schen Argumenten aufgenommen, was zuerst auf kirchlicher Seite Titos von Bostra
und auf platonischer Seite Alexander von Lykopolis taten, ohne dass es gelungen
wäre, eine dauerhafte gemeinsame Widerstandsfront aufzubauen. Doch für viele
kirchliche Autoren blieb das Thema vor allem exegetisch brennend (Didymos,
Epiphanios, Diodor u. a., nicht zuletzt Augustin; die Bekämpfung wird in späte­
rer Zeit weitergeführt, z. B. von Zacharias Scholastikos und dem Neuplatoniker
Simplikios). Dogmatische Streitigkeiten, die in den eigenen Reihen über die au­
thentische Fixierung des christlichen Glaubens literarisch im großen Stil ausge­
tragen werden, sind zwar nicht direkt Teil des ‘Kulturkampfes’ um das antike Bil­
dungsgut, doch bilden deren Klärungen die unabdingbare Voraussetzung, um
gegen die pagane Restauration bestehen zu können. Nicht zuletzt sind in diesem
Zusammenhang zwei der monumentalen Hauptwerke Augustins zu nennen (Trin.,
Civ., zumal letzteres durch den kulturellen Rückschlag im Gefolge des ‘Falls von
Rom’ 410 n. Chr. veranlasst wurde), die beides zugleich sind, Dogmatik und Phi­
losophie bzw. Apologetik und Dogmatik, denn Augustin wusste, was die christli­
chen Schriftwerke für die Nachwelt bedeuten.
Namentlich die ‘großen Kappadokier’ vermitteln den Eindruck, dass im grie­
chischen Sprachbereich der Umgang mit der Philosophie zunehmend sicherer wird
und sie selbst sich auf höchstem Qualitätsniveau bewegen, ohne dass die grund­
sätzlichen Vorbehalte und bereits getroffenen Grenzziehungen preisgegeben wür­
den, was sicherlich damit zusammenhängt, dass sie selbst an den Zentren der
höchsten Bildung studiert haben (Basileios und Gregor von Nazianz in Athen bei
Himerios und Prohairesios, Diodor in Athen [?], Chrysostomos in Antiochien bei
einem Andragathios u. a.). Der mittelplatonische Hintergrund bleibt präsent, aber
mehr und mehr stellen sich Kontakte zum Neuplatonismus ein (Apollinarios, Ba­
sileios, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Kyrill), und die Bekanntschaft mit
aristotelischem Gedankengut, einschließlich Alexander von Aphrodisias, nimmt
zu (Gregor von Nyssa, Diodor, Theodor von Mopsuestia, Kyrill). Dabei verändert
sich der Stil der eigenen Argumentation, indem man sich von engen Bindungen
an literarische Vorgaben wie Zitatsammlungen und Doxographien löst und eine
freiere, mit philosophischen Sprachanleihen durchsetzte Darlegung des Gedan­
kengangs befolgt. Philosophische Lehren werden nicht mehr als etwas Außenste­
hendes aufgefasst, sondern sind bereitstehende Elemente, mit denen selbständig

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 99

gearbeitet werden kann. Als philosophisches Leben wird nun auch häufig die
christliche Askese der Mönche und Nonnen bezeichnet (vor allem von den Antio­
chenern, evtl. in Anknüpfung an den Kynismus), bisweilen zweistufig weiterge­
führt auf höherer Ebene in der theoretischen Erkenntnis (Euagrios). Der latei­
nischsprachige Westen bietet indessen ein anders nuanciertes Bild. Hier ist nach
wie vor die wichtigste Referenzquelle Cicero, in zweiter Linie auch Seneca, und
insgesamt wirkt die philosophie-kritische Einstellung Tertullians weiter. Mit Ma­
rius Victorinus tritt zwar der Neuplatonismus in den Gesichtskreis des Westens,
aber paradoxerweise hat noch ein Ambrosius Anleihen am Neuplatonismus ge­
macht, um die Philosophie gerade zu neutralisieren. Erst Augustin ist es gelungen,
den Widerstreit von ‘auctoritas’ und ‘ratio’ auf höherer Ebene zu versöhnen, was
ihm ermöglichte, philosophische Positionen neu zu durchdenken und in eine
christliche Gedankensynthese zu integrieren. Es sind aber auch Gregor von Nyssa
und Augustin vor allen anderen gewesen, die genuin philosophische Fragen als
philosophische Fragen um ihrer selbst willen aufgeworfen und eigenständig be­
antwortet haben (Gregor von Nyssa in Neudeutungen im Bereich der Hermeneu­
tik, der Epistemologie, der Kosmologie z. B des Materie-Begriffs u. a., Augustin
im Zeitbegriff, in der Analyse des menschlichen Denkens und des Willens und in
der Deutung des Problems des Selbstbewusstseins u. a.).
Die größte Bedeutung für den Ausbau einer umfassenden christlichen Glau­
benslehre kommt indessen zweifellos der Festlegung derjenigen Dogmen zu, die
allein im strengen Sinn die Alte Kirche hervorgebracht hat, der Trinitätslehre und
der Christologie. Beiden Lehrentscheidungen gingen langjährige Phasen inner­
kirchlicher Diskussionen und Streitigkeiten voraus, in denen um die begriffliche
Fixierung wie um den sachlichen Gehalt schwer gerungen wurde, was ohne den
Einsatz philosophischer Hilfsmittel, unter besonderer Hilfestellung von Porphy­
rios’ Triadenlehre, gar nicht möglich gewesen wäre. Das Ergebnis, in philoso­
phisch-ontologischen Termini fixiert, ist denn auch nach der einen Seite hin wie
ein philosophisches Dogma zu lesen. Doch bemerkenswert ist, dass im Vorfeld
immer wieder sprachphilosophische Argumente in beiden Richtungen bestim­
mend geworden sind (Asterios, Eunomios, denen von orthodoxer Seite aristoteli­
sche Technologie, d. h. logische Haarspalterei und Spitzfindigkeit, vorgeworfen
wird; Basileios, Gregor von Nyssa) und dass gerade die strengsten Verfechter der
orthodoxen Lehre unbeschadet ihres Beharrens am Formelwerk des Dogmas ein
Bewusstsein dafür entwickelten, dass der menschlichen Erkenntnis eine nicht
überschreitbare Grenze gesetzt ist (Didymos, Basileios, Gregor von Nazianz, Gre­
gor von Nyssa, Kyrill). Das kann auf eine letztliche Ambivalenz deuten, dass die
christlichen Dogmen sowohl als Zeugnis christlicher Metaphysik als auch als De­
struktion der platonischen Philosophie interpretiert werden können.

5. Die Spätzeit des antiken Christentums

Es ist frappierend zu beobachten, wie die beiden weltanschaulichen Lager, die


sich soeben noch in einem regelrechten Kulturkampf feindlich gegenüberstanden

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100 I. Allgemeine Einleitung

und zwischen denen auch weiterhin im philosophischen Schulbetrieb zumindest


in Athen mehr oder weniger starke Spannungen herrschen, sich dennoch in die­
ser Spätzeit durch strukturelle Analogien aneinander angleichen. Ein Grund
dafür dürfte sein, dass Christen zunehmend die höheren Bildungsmöglichkeiten
nutzten und persönlich den philosophischen Unterricht an paganen Schulstätten
aufsuchten, wie es für Aineias und Prokop von Gaza, Zacharias Scholastikos (in
Alexandrien) oder Maximos den Bekenner (in Konstantinopel) belegt ist. Allent­
halben greifbar wird auf jeden Fall die professioneller werdende Art des Argu­
mentierens, indem nach den neuen Standards der schulphilosophischen Logik auf
erhöhte Strenge und Präzision des Denkens geachtet wird. Die Diskussion, strikt
rational ausgerichtet, wird deutlich technischer, gewissermaßen schon scholastisch
auf immanente Systemkohärenz bedacht, und oft ohne explizite Schriftbezüge.
Gleichzeitig reduziert sich das Spektrum der Arbeitsfelder, weil viele ältere F
­ ragen
nicht mehr als relevant empfunden werden und sich erübrigen, aber neue Fragen
sich in den Vordergrund drängen. Tatsächlich ist die Aufgeschlossenheit groß, die
neuesten Tendenzen des Neuplatonismus zu übernehmen, d. h. einen Unterbau
der Logik und einen Überbau der Theologie.
Man kann das Kennzeichen des späten Neuplatonismus in der vollständigen
Systematisierung und konsequenten Vereinheitlichung nahezu aller philosophi­
schen Tradition in einer paganen, explizit so bezeichneten Theologie, der Theolo­
gie Platons, unter Einschluss der Offenbarungstexte der Orphik, des Homer, Py­
thagoras und der ‹Chaldäischen Orakel› sehen, einer philosophischen Theologie,
die ihren religiös praktischen Vollzug in theurgischen und hieratischen Begehun­
gen findet, um einen überrationalen Zugang zum Göttlichen zu erlangen (Höhe­
punkt bei Proklos). Generell ist diese Entwicklung zur rituellen Begegnung mit
dem Göttlichen gewiss auch aus dem kritischen Gegenüber zum Christentum zu
erklären, aber einen religiösen Absolutheitsanspruch kennt der Neuplatonismus
nicht. Der Aufbau des philosophisch-theologischen Systems im engeren Sinne
durchmisst grob gesprochen zwei Bereiche, indem die Neuplatoniker Kommen­
tare und Abhandlungen zu den Werken von Aristoteles und zu Platon verfasst
haben. Entsprechend wurde das Schulcurriculum so konzipiert, dass die Kom­
mentierung der Werke des Aristoteles als Einführung in das philosophische Stu­
dium diente und Vorlesungen über die Dialoge Platons mit dem Dialog ‹Parme­
nides› in Schlüsselposition zur Entfaltung der philosophischen Theologie folgten,
wobei teils eher Porphyrios, teils eher Iamblichos maßgeblich waren. In jedem Fall
bedingte das aber, dass die Harmonisierung von Platon und Aristoteles zielgerich­
tet bis zur wechselseitigen Transformierung fortgeführt wurde, worin man wiede­
rum neben anderen Motiven auch eine Reaktion auf die intransigenten Anklagen
der Christen bezüglich innerer Widersprüche und Schulgegensätze sehen mag (So­
rabji 2004 [*825: I 2, 14]; skeptisch hingegen Morlet 2014 [*837: 180–193]).
Es sind nun genau diese beiden Bereiche, in dem sich die Christen der Spätzeit
mit paganer Philosophie beschäftigen. In Hinblick auf Aristoteles richtet sich
­einerseits ein besonderes Interesse auf die Aneignung der bis vor kurzem noch
kritisch beargwöhnten aristotelischen Logik. Als ein untrügliches und neutrales
Arbeitsinstrument wird sie nun weithin geschätzt und intensiv genutzt (in mehre­

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§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 101

ren der ps.-justinischen Traktate), zumal in der Deutung durch Porphyrios. In der
neuplatonischen Kommentierung der aristotelischen Schriften war dem ‹Orga­
non› die Einführungsschrift ‹Isagoge› von Porphyrios vorangestellt, in der dieser
die von Plotin abgelehnten aristotelische Kategorien in einer auf fünf Prädikabi­
lien zur Beschreibung des Seienden reduzierten Version für die schulphilosophi­
sche Lehrentfaltung gesichert hatte. Diese Deutung ist bei den Christen die herr­
schende geworden. Sie ist erkennbar bei Leontios von Byzanz, sie bestimmt die
‹Dialectica›, ein Handbuch der philosophischen Grundbegriffe, des Johannes von
Damaskus. Die ‹Isagoge› ist in Verbindung mit den Schriften des ‹Organon›, teils
auch separat, von Marius Victorinus und Boethius übersetzt und kommentiert
worden, so dass man im lateinischen Mittelalter von den ‘quinque voces’ bzw. der
‘arbor Porphyriana’ spricht. Desgleichen wirkt im syrischen Sprachbereich das
Konzept der alexandrinischen Neuplatoniker in der Kommentierung der aristo­
telischen ‹Kategorienschrift› durch Sergios von Reš‘aynā, der in Alexandrien bei
Ammonios Hermeiou und Johannes Philoponos studiert hatte, und in den logi­
schen Schriften der späteren Syrer (Paul, Proba, u. a.) nach.
Andererseits werden mithilfe genau dieser schon technisch-scholastisch wir­
kenden Arbeitsinstrumente die Grundannahmen der aristotelischen Kosmologie
und Metaphysik auf strikt rationalem Weg zurückgewiesen. Unter den ps.-justini­
schen Traktaten finden sich drei, die zum Teil unter wörtlicher Aristoteles-Zitie­
rung die These von der Ungeschaffenheit der Materie und der Ewigkeit der Welt
(inklusive der Ewigkeit der Himmelsbewegungen, der Zeit usw.) ohne biblisch-
dogmatische Rekurse philosophisch-rational widerlegen. Die christliche Perspek­
tive wird freilich in dem Zentralvorwurf gegen Aristoteles, dass er nicht klar
genug zwischen Gott, der Erstursache, und den von ihm geschaffenen Dingen un­
terschieden habe, ersichtlich. Dieselbe Kritik lanciert Zacharias Scholastikos,
selbst Schüler des Ammonios Hermeiou, in seinem ‹Ammonios› betitelten Dia­
log (ebenso berührt bei Aineias von Gaza). Doch den stärksten Stoß versetzte der
aristotelischen Weltewigkeitslehre nicht ein Theologe oder ein Bischof, sondern
ein exponierter Fachphilosoph in Alexandrien: Johannes Philoponos, ebenfalls
Schüler des Ammonios Hermeiou. Philoponos, der im großen Umfang Aristoteles
kommentierte, bricht mit dem Grundaxiom des späten Neuplatonismus von der
Harmonie zwischen Platon und Aristoteles und stellt damit die absolute Autori­
tät der großen Schulgründer infrage. Er arbeitet mit aristotelischen Vorgaben, um
zu zeigen, dass im Zentrum dessen Denkens innere Widersprüche auszumachen
seien, weshalb die bis dahin gültigen Grundpositionen der neuplatonischen Na­
turphilosophie, gipfelnd in der Lehre von der Ewigkeit der Welt, hinfällig würden.
Damit wendet er sich namentlich gegen den Hauptrepräsentanten des Neuplato­
nismus, gegen Proklos. Seine wichtigsten eigenen Beiträge sind die Einführung
der Impetus-Theorie, mit deren Hilfe er die aristotelische Lehre des Äthers sowie
dessen Konzeption der Ewigkeit von Zeit und Bewegung außer Kraft setzt, sowie
das Postulat der dreidimensional-körperlichen Ausdehnung, das er gegen die An­
nahme einer ersten, formlosen Materie stellt, mit weiteren Implikationen für die
Definition von Ort und Raum und die Gesetzmäßigkeit der Fallbewegung. Weiteres
könnte genannt werden wie seine Opposition gegen die aristotelische Lichttheorie.

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102 I. Allgemeine Einleitung

Philoponos war Christ. Auch wenn seine rein philosophische Argumentations­


weise keinen christlichen Einschlag aufweist (abgesehen von den theologischen
Schriften, möglicherweise hat er aber Anregungen von Gregor von Nyssa aufge­
nommen und weitergeführt), so konnten seine Werke die Gewissheit vermitteln,
dass der biblisch-christliche Schöpfungsglaube nicht mit den neuesten Erkennt­
nissen der Naturphilosophie im Widerstreit stehen müsse. Dazu dient speziell
seine Auslegung des Hexaëmeron in ‹De opificio mundi›.
Der andere durch die philosophische Konzeption des Neuplatonismus vorgege­
bene Bereich, in dem sich die Christen der Spätzeit mit paganer Philosophie be­
schäftigen, ist auf der höheren philosophisch-theologischen Ebene die platonische
Tradition. In derselben nüchternen, fast technisch-scholastisch wirkenden Arbeits­
weise wird bisweilen Kritik gegen die neuplatonische Seelenlehre vorgetragen
­(Aineias von Gaza im Dialog ‹Theophrast›); es wird Einspruch erhoben gegen
die Theurgie Julians, die Proklos ausgelegt habe (Prokop von Gaza; ähnlich auch
Philoponos; Reaktion auf Julian auch in einem der ps.-justinischen Traktate), oder
es wird eine vorsichtige Distanzierung von einer ontologisch aufgeladenen Theo­
rie des Bildes vorgenommen (Johannes von Damaskus). Viel bedeutender indes­
sen als all dies ist die positive Inanspruchnahme von neuplatonischen Konzepten,
die dem Aufbau einer geschlossenen christlichen Metaphysik dienlich wurde.
Das ‹Corpus Areopagiticum› entwirft eine geschlossene philosophische Gesamt­
wissenschaft der christlichen Offenbarungsreligion. Theologisch den Kappadoki­
ern verpflichtet, stützt es sich wesentlich, aber nicht ausschließlich auf Proklos’
Meta­physik der Monade des Seins und deren Emanationen und Remanationen,
um die ‘himmlischen’ und ‘kirchlichen Hierarchien’ des christlichen Universums
als jeweils sowohl monadischer als auch triadischer Seinsstufungen einer zeitlosen
Entfaltung des Göttlichen in die Vielfalt und der gleichfalls zeitlosen Rückkehr zur
göttlichen Einfalt darzustellen. Das Werk, das eine komplette Verschmelzung von
Christentum und Neuplatonismus beinhaltet und für einen konfliktfreien Umgang
mit den paganen Religionen wirbt, hat, nachdem seine vermeintliche Authentizi­
tät gesichert war, weithin wie ein Manifest gewirkt. Philo­ponos, Leontios von By­
zanz, Maximos der Bekenner, Johannes von Damaskus und viele Spätere haben
dem Verfasser in hohen Tönen Lob gespendet; gleichsam einen Siegeslauf trat das
Corpus an, als es in den Westen gelangte und dort sogleich zweimal übersetzt
wurde. Es ist in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, dass im s­ yrischen
Osten Sergios von Rešʻaynā das ‹Corpus Dionysiacum›, kaum dass es erschienen
war, ins Syrische übersetzt und offenbar als Höhepunkt des dortigen Studiengangs
angesetzt hat, entgegen der ihm aus Alexandrien geläufigen Abfolge, wonach auf
das Studium der aristotelischen Logik die Theologie Platons folgen sollte.
Etwa gleichzeitig entstand im lateinischen Westen Boethius’ ‹Philosophiae con­
solatio›, ein Werk, das sich durch seine kompositorische Geschlossenheit und
­logische Stringenz in einzigartiger Weise auszeichnet. Anlässlich der Erfahrung
­seines politischen Scheiterns versucht Boethius darin die existentiellen Grund­
fragen nach dem höchsten Gut, nach dem Bösen in der Welt, nach der göttlichen
Vorsehung und der menschlichen Willensfreiheit im philosophischen Dialog mit
der personifizierten ‘Philosophia’ zu beantworten. Trost spendet ihm letzten

01_1 Einleitung P01-P07.indd 102 25.09.18 09:21


§ 7. Verwendbarkeit philosophischer Konzepte (Bibl. 133–134) 103

Endes die Vergewisserung des ‘ordo’-Konzeptes gemäß der philosophischen Tra­


dition. Entsprechend sind als gedankliche Hintergründe stoische Elemente aus der
Konsolationsliteratur, aristotelisches Gut und vor allem der Neuplatonismus eines
Proklos und Ammonios Hermeiou, natürlich auch die platonischen Dialoge selbst,
erkennbar. Demgegenüber treten christliche Bezüge, wenigstens soweit es sich um
biblische Zitate oder Anspielungen handelt, fast völlig zurück, während gewisse
dogmatisch befremdliche Lehren durchaus anzuklingen scheinen, aber anderer­
seits viele Berührungen mit Augustin zu registrieren sind, die im Einzelnen auch
über den gemeinsamen neuplatonischen Fundus hinausgehen. Insofern kann auch
dieses Werk als ein Zeugnis gelesen werden, wie neuplatonisches Gedankengut
mit dem Christentum als konvergierend und nahezu als deckungsgleich ange-
sehen werden konnte. Boethius hat damit einen im Mittelalter breit rezipierten
philosophischen Text geschaffen, der sogar ins Griechische übersetzt worden ist,
wie denn auch seine theologischen Schriften durch die rationale, terminologisch
an Aristoteles geschulte Behandlung des christlichen Dogmas Vorbildcharakter
für die Scholastik erlangten.
Auch Maximos der Bekenner, der bedeutendste christliche Theologe des 7. Jahr­
hunderts, hat eine universale Gesamtschau christlicher Metaphysik entfaltet, die
einerseits entsprechend dem neuen Standard durch die an Aristoteles geschulte
Strenge und Präzision des Denkens hervorsticht und die andererseits wesentliche
Anregungen der Areopagitischen Schriften sowie Gedankenelemente von Gregor
von Nyssa und Euagrios Pontikos aufnimmt. Indem Maximos das dionysische Sys­
tem der Emanationen und Remanationen auf die geschaffene Natur der sinnlich
wahrnehmbaren Welt überträgt, bringt er den in der Weltbetrachtung stufenhaft
geschehenden Aufstieg vom Sinnlichen zum Geistigen und Göttlichen zur Geltung,
der auf das letzte Ziel der Vergöttlichung ausgerichtet ist. In diesem Dreischritt von
Werden, Bewegung und Ruhe (γένεσις, κίνησις und στάσις) nimmt die chalke­
donensische Christologie mit ihrer antithetischen Formel des ‘ungetrennt und un­
vermischt’ die Zentralstelle ein, aus der sich weitreichende Konsequenzen für die
ontologische Bestimmung der Individuation wie ‘Wesen und Dasein’, ‘Sein und
Person’, ‘Natur und Hypostase’ oder der Willensthematik ergeben. Maximos hat
(wie auch Johannes von Damaskus) tief in die byzantinische Theologie und Philo­
sophie hineingewirkt und dadurch, dass einige seiner Werke ins Lateinische über­
setzt wurden, hat er auch die mittelalterliche Scholastik beeinflusst.
Beachtenswert ist schließlich, dass dieselbe Sammlung von sechs Definitionen
der Philosophie, die auf die alexandrinische Kommentierung der ‹Isagoge› des Por­
phyrios bei Ammonios Hermeiou zurückgeht, sich parallel wiederfindet bei Joh.
D. Dialect. 3 und bei Cassiod. Inst. 2,3,5 und auch im syrischen Bereich bekannt
ist (Hein 1985 [*814: 86–130]) – ein Denkmal für die von den Neuplatonikern ini­
tiierte Vereinheitlichung und Geschlossenheit der philosophischen Tradition, die
auch auf diese Weise noch einmal ins Mittelalter und nach Byzanz vorausweist und
bis in die islamische Philosophie reicht. Deshalb steht am Ende der Spätantike
nicht das Erlöschen der Philosophie, sondern ihr Übergang in neue Kulturkreise.

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104

BIBLIOGRAPHIE ZUM ERSTEN KAPITEL

Zeitlicher Rahmen und Grundzüge der Epoche [*1–*25]; Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche
und spätantike Autoren [*31–*52]; Anknüpfung an die Schultradition [*58–*71]; Institutionelle Rahmen­
bedingungen [*76–*611]; Philosophische Leitideen [*612–*640]; Hauptsächliche literarische Gattungen
philosophischer Wissensvermittlung und Methoden der Textinterpretation in historischer Perspektive
[*645–*803]; Verwendbarkeit philosophischer Konzepte für jüdische, christliche und gnostische Theo­
logien [*807–*838].

Zeitlicher Rahmen und Grundzüge der Epoche

  1 E. Gibbon: The History of the Decline and Fall 14 B. Mojsisch, O. F. Summerell: Platonismus im
of the Roman Empire, I–VI (London 1776– Idealismus. Die platonische Tradition in der
1788). klassischen Deutschen Philosophie (München,
  2 J. Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen Leipzig 2003).
(Basel 1853). 15 D. J. O’Meara: Platonopolis. Platonic Political
  3 H. Jonas: Gnosis und spätantiker Geist. Teil 1: Philosophy in Late Antiquity (Oxford 2003).
Die mythologische Gnosis. Mit einer Einfüh­ 16 The Philosophy of the Commentators: 200–
rung zur Geschichte und Methodologie der 600 AD. A Sourcebook, edited by R. Sorabji,
Forschung (Göttingen 1934) [Forschungen zur I–III (London 2004).
Religion und Literatur des Alten und Neuen 17 Ch. Markschies: Das antike Christentum:
Testaments 51]. Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen
  4 S. Sambursky: The Physical World of Late An­ (München 2006) [Beck’sche Reihe 1692].
tiquity (London 1962). 18 M. Trapp: Philosophy in the Roman Empire.
  5 E. R. Dodds: Pagan and Christian in an Age of Ethics, Politics and Society (Aldershot 2007)
Anxiety (Cambridge 1965). [Ashgate Ancient Philosophy Series].
  6 W. Beierwaltes: Platonismus und Idealismus 19 A. Demandt: Geschichte der Spätantike: Das
(Frankfurt a. M. 1972, 22004) [Philosophische Römische Reich von Diocletian bis Justinian
Abhandlungen 40]. 284–565 n. Chr. (München 22008) [Beck’s his­
 7 G. Lloyd, E. Richard: Greek Science after torische Bibliothek].
Aristotle (New York 1973) [Ancient Culture 20 M. Tuominen: The Ancient Commentators on
and Society]. Plato and Aristotle (Stocksfield 2009) [Ancient
  8 Ch. Gnilka: XΡHΣIΣ/Chrêsis. Die Methode der Philosophies 6].
Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kul­ 21 E. De Palma Digeser: The Rhetoric of Power
tur, I–II (Basel 1984–1993). in Late Antiquity: Religion and Politics in By­
  9 J. van Oort: Jerusalem and Babylon. A Study of zantium, Europe and the Early Islamic World
Augustine’s City of God and the Sources of His (London 2010) [Library of Classical Studies 2].
Doctrine of the Two Cities (Leiden, Boston 22 G. Clarke: Late Antiquity. A Very Short Intro­
1991) [VChr Suppl. 14]. duction (Oxford 2011) [Very Short Introduc­
10 C. Colpe: Spätantike und Christentum. Bei­ tions 258].
träge zur Religions- und Geistesgeschichte der 23 C. Addey: Divination and Theurgy in Neopla­
griechisch-römischen Kultur und Zivilisation tonism: Oracles of the Gods (Farnham 2014)
der Kaiserzeit (Berlin 1992). [Ashgate Studies in Philosophy & Theology in
11 R. Duncan-Jones: Money and Government in Late Antiquity].
the Roman Empire (Cambridge 1994). 24 I. Hadot: Athenian and Alexandrian Neoplato­
12 M. Fuhrmann: Rom in der Spätantike. Porträt nism and the Harmonization of Aristotle and
einer Epoche (München, Zürich 1994). Plato (Leiden, New York 2014) [SPNPT 18].
13 R. Thiel: Simplikios und das Ende der neupla­ 25 Platonic Theories of Prayer, edited by J. Dillon,
tonischen Schule in Athen (Stuttgart 1999) A. Timotin (Leiden, Boston 2016) [SPNPT 19].
[AAWM 1999, Nr. 8].

01_2 Einleitung Biblio.indd 104 25.09.18 09:23


Anknüpfung an die Schultradition 105

Philosophische Quellenlage für kaiserzeitliche und spätantike Autoren

31 J. von Arnim: Stoicorum veterum fragmenta. I: Presocratic Philosophy?, édité par A. Laks,
Zeno et Zenonis discipuli (Leipzig 1903) C. Louguet (Villeneuve d’Ascq 2002) [Cahiers
[Sammlung wissenschaftlicher Commentare]. de philologie 20] 183–204.
32 C. Wendel: Die erste kaiserliche Bibliothek in 44 Ancient Approaches to Plato’s Timaeus, edited
Konstantinopel, in: Zentralblatt für Biblio­ by R. W. Sharples, A. Sheppard (London 2003)
thekswesen 59 (1942) 193–209. – Wieder in: [BICS Suppl. 78].
Ders.: Kleine Schriften zum antiken Buch- und 45 J.-B. Gourinat: La disparition et la reconstruc­
Bibliothekswesen (Köln 1974) 46–63. tion du stoicisme: éléments pour une histoire, in:
33 C. Wendel: Bibliothek, in: RAC 2 (1954) 231–274. Les Stoïciens, sous la direction de G. Romeyer
34 H. Chadwick: Florilegium, in: RAC 7 (1969) Dherbey, J.-B. Gourinat (Paris 2005) [Biblio­
1131–1160. thèque d’histoire de la philosophie] 13–28.
35 H. Dörrie: Die geschichtlichen Wurzeln des 46 Platons Timaios als Grundtext der Kosmologie
Platonismus. Bausteine 1–35: Text, Überset­ in Spätantike, Mittelalter und Renaissance /
zung, Kommentar (Stuttgart/Bad Cannstatt Plato’s Timaeus and the foundations of cosmo­
1987) [Der Platonismus in der Antike 1]. logy in Late Antiquity, the Middle Ages and
36 Aristotelis Opera. III: Librorum deperditorum Renaissance, edited by Th. Leinkauf, C. Steel
fragmenta, collegit et annotationibus instruxit (Leuven 2005) [Ancient and Medieval Philoso­
O. Gigon (Berolini, Novi Eboraci 1987). phy, Series 1, 34].
37 H. Blanck: Das Buch in der Antike (München 47 O. Primavesi: Empedokles ‹Physika› I. Eine
1992) [Beck’s Archäologische Bibliothek]. Rekonstruktion des zentralen Gedankengangs
38 P. Donini: Testi e commenti, manuali e inse­ (Berlin 2008) [Archiv für Papyrusforschung
gnamento: la forma sistematica e i metodi della und verwandte Gebiete, Beiheft 22].
filosofia in età postellenistica, in: ANRW II 48 Galien: Ne pas se chagriner. Texte établi et tra­
36,7 (1994) 5027–5100. duit par V. Boudon-Millot, J. Jouanna, A. Pie­
39 E. Pöhlmann: Einführung in die Überliefe­ trobelli (Paris 2010) [CUF].
rungsgeschichte und in die Textkritik der anti­ 49 G. Betegh: The Transmission of Ancient Wis­
ken Literatur. I: Altertum (Darmstadt 1994). dom: Texts, Doxographies, Libraries, in: Ger­
40 L. Casson: Libraries in the Ancient World son 2010 [*638: I 25–38].
(New Haven, London 2001). 50 M. Hatzimichali: The Texts of Plato and Aris­
41 J. Irigoin: Le livre grec des origines à la Re­ totle in the First Century BC, in: Aristotle, Plato
naissance (Paris 2001). and Pythagoreanism in the First Century BC,
42 G. Betegh: On Eudemus fr. 150 (Wehrli), in: edited by M. Schofield (Cambridge 2013) 1–27.
Eudemus of Rhodes, edited by I. Bodnár, W. 51 H. Bottler: Pseudo-Plutarch und Stobaios:
M. Fortenbaugh (New Brunswick NJ, London Eine synoptische Untersuchung (Göttingen
2002) [Rutgers University Studies in Classical 2014) [Hypomnemata 198].
Humanities 11] 337–357. 52 G. W. Houston: Inside Roman Libraries: Book
43 O. Primavesi: Lecteurs antiques et byzantins Collections and their Management in Anti­
d’Empédocle. De Zénon à Tzétzès, in: Qu’est- quity (Chapel Hill 2014) [Studies in the History
ce que la Philosophie Présocratique? What is of Greece and Rome].

Anknüpfung an die Schultradition

58 W. Burkert: Lore and Science in Ancient Pytha­ 60 T. Dorandi: Chronology, in: The Cambridge
goreism (Cambridge MA 1972). History of Hellenistic Philosophy, edited by J.
59 J. Althoff: Zur Epikurrezeption bei Laktanz, Barnes, J. Mansfeld, M. Schofield (Cambridge
in: Zur Rezeption der hellenistischen Philoso­ 1999) 31–54.
phie in der Antike. Akten der 1. Tagung der 61 T. Dorandi: Organization and Structure of the
Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.– Philosophical Schools, in: The Cambridge His­
25.  September 1997 in Trier, herausgegeben tory of Hellenistic Philosophy, edited by J. Bar­
von M. Erler, Th. Fuhrer (Stuttgart 1999) nes, J. Mansfeld, M. Schofield (Cambridge
[PhdA 9] 33–54. 1999) 55–62.

01_2 Einleitung Biblio.indd 105 25.09.18 09:23


106 Bibliographie zum ersten Kapitel

62 M. Erler: Hellenistische Philosophie als ‘prae­ 65 R. Herzog: Spätantike. Studien zur römischen
paratio Platonica’ in der Spätantike (am Bei­ und lateinisch-christlichen Literatur (Göttin­
spiel von Boethius’ Consolatio philosophiae), gen 2002) [Hypomnemata, Suppl.-Reihe 3].
in: Zur Rezeption der hellenistischen Philoso­ 66 O. Primavesi: Ein Blick in den Stollen von
phie in der Antike. Akten der 1. Tagung der Skepsis. Vier Kapitel zur frühen Überlieferung
Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.– des Corpus Aristotelicum, in: Philologus 151
25.  September 1997 in Trier, herausgegeben (2007) 51–77.
von M. Erler, Th. Fuhrer (Stuttgart 1999) 67 R. W. Sharples: Peripatetic Philosophy 200 BC
[PhdA 9] 105–122. to AD 200. An Introduction and Collection of
63 J. Kany-Turpin: Lactance, un critique més­ Sources in Translation (Cambridge 2010).
estimé de l’épicurisme, in: Epikureismus in der 68 C. Steel: Plato as seen by Aristotle (Metaphy­
späten Republik und der Kaiserzeit. Akten der sics A 6), in: Aristotle’s Metaphysics Alpha,
2. Tagung der Karl-und-Gertrud-Abel-Stif­ Chapt. 6, edited by O. Primavesi, C. Steel (Ox­
tung vom 30. September – 3. Oktober in Würz­ ford 2012) [Symposium Aristotelicum] 167–
burg, herausgegeben von M. Erler (Stuttgart 200.
2000) [PhdA 11] 218–230. 69 H. Flashar: Aristoteles – Lehrer des Abendlan­
64 D. J. O’Meara: Epikur bei Simplikios, in: Epiku­ des (München 2013).
reismus in der späten Republik und der Kaiser­ 70 M.-O. Goulet-Cazé: Cynisme et christianisme
zeit. Akten der 2. Tagung der Karl-und- dans l’Antiquité (Paris 2016).
Gertrud-Abel-Stiftung vom 30. September – 71 Ch. Kreuzwieser: Der Begriff natura und seine
3. Oktober in Würzburg, herausgegeben von M. ethische Relevanz in Senecas Prosaschriften
Erler (Stuttgart 2000) [PhdA 11] 243–251. (Mainz 2016).

Institutionelle Rahmenbedingungen

Primärquellen 80 Carmina Latina Epigraphica, conlegit F. Bue­


cheler, I–II (Lipsiae 1895–1897) [Anthologia
76 J. Bueus: Vita S. Gisleni Confessoris, Autore latina sive poesis latinae suppl., pars posterior].
anonymo, in: Acta Sanctorum Octobris, ex La­ 81 Epische und elegische Fragmente, bearbeitet
tinis & Graecis, aliarumque gentium Monu­ von W. Schubart, U. von Wilamowitz-Moellen­
mentis, servata primigenia veterum scriptorum dorff, mit einem Beitrage von F. Buecheler
phrasi, collecta, digesta, commentariisque & (Berlin 1907) [Berliner Klassikertexte, Heft V:
observationibus illustrata a C. Suyskeno P. M. Griechische Dichterfragmente, erste Häfte].
et al., IV (Bruxellis 1780) 1030–1035. 82 P. M. Meyer: Griechische Papyrusurkunden
77 The Collection of Ancient Greek Inscriptions der Hamburger Staats- und Universitätsbiblio­
in the British Museum. IV,1: Knidos, Hali­ thek, I,1–3 (Leipzig, Berlin 1911–1924).
karnassos and Branchidae, edited by G. 83 J. Maspero: Horapollon et la fin du paganisme
Hirschfeld; IV,2: Supplementary and Miscella­ égyptien, in: Bulletin de l’Institut français
neous Inscriptions, edited by F. H. Marshall d’archéologie orientale 11 (1914) 163–195.
(Oxford 1893–1916). 84 J. Maspero: Papyrus grecs d’époque byzantine.
78 Die von Guidi herausgegebene Syrische Chro­ III: Nos 67279–67359 (Le Caire 1916) [Cata­
nik, übersetzt und commentiert von T. Nöldeke logue général des antiquités égyptiennes du
(Wien 1893). Musée du Caire 73].
79 Die Inschriften von Pergamon. II: Römische 85 Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus.
Zeit – Inschriften auf Thon, herausgegeben Epistolae selectae in usum scholarum ex Mo­
von M. Fränkel unter Mitwirkung von E. Fa­ numentis Germanicae historicis separatim edi­
bricius, C. Schuchhardt (Berlin 1895) [Altertü­ tae, edidit M. Tangl (Berlin 1916).
mer von Pergamon VIII,2].

01_2 Einleitung Biblio.indd 106 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 107
  86 Inscriptions latines de l’Algérie. I: Inscrip­ 102 J. H. Kent: Corinth, VIII,3: The Inscriptions
tions de la Proconsulaire, recueillies et pu­ 1926–1950 (Princeton 1966).
bliées par S. Gsell (Paris 1922). 103 Mas‘ūdī: Les prairies d’or, II. Édition par B.
  87 A. Wilhelm: Attische Urkunden, III (Wien, de Meynard, P. de Courteille, revue et corri­
Leipzig 1925). – Wieder in: Ders.: Akade­ gée par C. Pellat (Beyrouth 1966).
mieschriften zur griechischen Inschriften­ 104 A. N. Sherwin-White: The Letters of Pliny. A
kunde (1895–1951). Teil 1: Neue Beiträge zur Historical and Social Commentary (Oxford
griechischen Inschriftenkunde: Attische Ur­ 1966).
kunden (Leipzig 1974) 463–524. 105 J.-P. Rey-Coquais: Inscriptions grecques et la­
  88 J. Baillet: Inscriptions grecques et latines des tines de la Syrie. VI: Baalbek et Beqa‘, Nos
tombeaux des rois ou syringes à Thèbes (Le 2711–3017 (Paris 1967) [Bibliothèque archéo­
Caire 1926) [Mémoires publiés par les logique et historique 78].
­mem­bres de l’Institut Français d’Archéologie 106 L. Moretti: Inscriptiones Graecae Urbis
Orientale du Caire 42]. Romae, fasc. I (1–263) (Roma 1968) [Studi
  89 F. Bilabel: Sammelbuch Griechischer Urkun­ pubblicati dall’Istituto Italiano per la Storia
den aus Ägypten, III (Berlin, Leipzig 1926). Antica 17].
  90 R. Herzog: Urkunden zur Hochschulpolitik 107 R. Rau: Briefe des Bonifatius – Willibalds
der römischen Kaiser, in: SPrAW, phil.-hist. Leben des Bonifatius, nebst einigen zeitge­
Klasse 32 (1935) 967–1019. nössischen Dokumenten. Unter Benützung
  91 Fontes Iuris Romani Antejustiniani, pars al­ der Übersetzungen von M. Tangl und P. H.
tera, edidit notisque illustravit J. Baviera. Libri Külb (Darmstadt 1968).
syro-romani interpretationem a C. Ferrini con­ 108 H. D. Saffrey, L. G. Westerink: Introduction,
fectam castigavit iterum edidit novis adnota­ in: Proclus: Théologie platonicienne. Texte
tionibus instruxit J. Furlani (Florentiae 1940). établi et traduit par H. D. Saffrey, L. G. Wes­
  92 W. Peek: Attische Inschriften, in: Mitteilun­ terink, I (Paris 1968) [CUF] IX–CLXV.
gen des Deutschen Archäologischen Instituts, 109 D. Peppa-Delmousou: Ἐπιγραφαὶ ἐκ τοῦ
Athenische Abteilung 67 (1942) 1–217. Ἐπιγραφικοῦ Μουσείου, in: Ἀρχαιολογικὸν
  93 Tituli Lyciae linguis Graeca et Latina con­ Δελτίον 25A (1970) 191–203.
scripti. III: Regiones montanae a valle Xanthi 110 J. C. Balty: Nouvelles mosaïques païennes et
fluminis ad oram Orientalem, enarravit E. groupe épiscopal dit «cathédrale de l’Est» à
Kalinka (Vindobona 1944) [Tituli Asiae Mi­ Apamée de Syrie, in: Comptes rendus de
noris II,3]. l’Académie des inscriptions et belles-lettres
  94 B. D. Meritt: Greek Inscriptions, in: Hesperia (1972) 103–127.
15 (1946) 167–253. 111 J.-P. Rey-Coquais: Inscriptions grecques
  95 R. Flacelière: Inscriptions de la terrasse du d’Apamée, in: Annales archéologiques arabes
temple et de la région nord du sanctuaire, Nos syriennes 23 (1973) 39–84.
87 à 275 (Paris 1954) [Fouilles de Delphes III: 112 T. L. Shear Jr.: The Athenian Agora: Excava­
Épigraphie, fascicule IV]. tions of 1971, in: Hesperia 42 (1973) 121–179.
  96 M. H. Chéhab: Mosaïques du Liban. Texte 113 T. L. Shear Jr.: The Athenian Agora: Excava­
(Paris 1957). tions of 1972, in: Hesperia 42 (1973) 359–407.
  97 M. H. Chéhab: Mosaïques du Liban. Planches 114 An Alexandrian Platonist against Dualism:
(Paris 1959). Alexander of Lycopolis’ Treatise ‹Critique of
 98 L. Jalabert, R. Mouterde: Inscriptions the Doctrines of Manichaeus›, translated,
­g recques et latines de la Syrie. V: Émésène, with an Introduction and Notes by P. W. van
Nos 1998–2710 (Paris 1959) [Bibliothèque der Horst, J. Mansfeld (Leiden 1974).
­a rchéologique et historique 56]. 115 S. Şahin: Katalog der antiken Inschriften des
 99 E. Heitsch: Die griechischen Dichterfrag­ Museums Iznik (Nikaia) / İznık Müzesı antık
mente der römischen Kaiserzeit, I (Göttingen yazitlar kataloğu (Deutsch – Türkisch). Teil
1961, ²1963) [AAWG, 3. Folge, Band 49]. (Kisim) I: Nr. 1–633 (Stadtgebiet und die
100 O. Lampsides: Ἀνέκδοτα ὑμνογραφικὰ ἔργα nächste Umgebung der Stadt) / (Şehır va
Ἰωάννου τοῦ Εὐγενικοῦ, in: Νέον Ἀϑήναιον 5 yakin çevresı) (Bonn 1979) [Inschriften grie­
(1964–1966) 5–26. chischer Städte aus Kleinasien 9].
101 Mas‘ūdī: Les prairies d’or, II. Traduction 116 Die Inschriften von Ephesos. Teil III: Nr.
française de B. de Meynard, P. de Courteille, 600–1000 (Repertorium), herausgegeben von
revue et corrigée par C. Pellat (Paris 1965). H. Engelmann, D. Knibbe, R. Merkelbach;

01_2 Einleitung Biblio.indd 107 25.09.18 09:23


108 Bibliographie zum ersten Kapitel

Teil VII,2: Nr. 3501–5115 (Repertorium), her­ translated by P. Lettinck, J. O. Urmson (Lon­
ausgegeben von R. Meriç, R. Merkelbach, J. don 1994) [ACA] 1–156.
Nollé, S. Şahin (Bonn 1980–1981) [Inschriften 129 A. Carlini: Commentarium in Platonis «Phae­
griechischer Städte aus Kleinasien 13, 17,2]. donem» (?), in: Corpus dei Papiri Filosofici
117 L. G. Westerink: Elias on the Prior Analytics, greci e latini (CPF). Testi e lessico nei papiri
in: Ders.: Texts and Studies in Neoplatonism di cultura greca e latina, parte III: Commen­
and Byzantine Literature. Collected Papers tari (Firenze 1995) 203–220.
(Amsterdam 1980) 59–72. – Zuerst erschie­ 130 Simplicius: Commentaire sur le Manuel
nen in: Mnemosyne 14 (1961) 126–139. d’Épictète. Introduction et édition critique du
118 Tituli Lydiae linguis Graeca et Latina con­ texte grec par I. Hadot (Leiden, New York
scripti. I: Regio septentrionalis ad Orientem 1996) [PhA 66].
vergens, schedis ab I. Keil elaboratis usus 131 F. Prévot: Recueil des inscriptions chrétiennes
enarravit P. Herrmann (Vindobona 1981) [Ti­ de la Gaule antérieures à la Renaissance caro­
tuli Asiae Minoris V,1]. lingienne. VIII: Aquitaine première (Paris
119 D. Knibbe: Quandocumque quis trium viro­ 1997).
rum rei publicae constituendae …: Ein neuer 132 Steinepigramme aus dem griechischen Osten,
Text aus Ephesos, in: ZPE 44 (1981) 1–10. herausgegeben von R. Merkelbach, J. Stau­
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01_2 Einleitung Biblio.indd 108 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 109
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110 Bibliographie zum ersten Kapitel

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Institutionelle Rahmenbedingungen 111
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fin, A. Samuels, with the assistance of M. 219 J. H. Oliver: Marcus Aurelius and the Philo­
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212 J. L. Moles: The Career and Conversion of Athens (Baltimore, London 1983) 66–75.
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214 N. J. S. Abbott: The Treatise ‹De Liberis Edu­ 227 J. Balty, J.-C. Balty: Un programme philoso­
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112 Bibliographie zum ersten Kapitel

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(Paris ²1987) [Bibliothèque de «L’évolution 243 G. H. R. Horsley: New Documents Illustrat­
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présidés par H. Flashar, O. Gigon (Van­ 249 S. Follet: Arrien de Nicomédie, in: DPhA I
dœuvres/Genève 1986) [Entretiens 32] 185–223. (1989) 597–604.
237 M. Frede: Philosophy and Medicine in Anti­ 250 R. Goulet: Aidésius de Cappadocie, in: DPhA
quity, in: Human Nature and Natural Knowl­ I (1989) 75–77.
edge. Essays Presented to Majorie Grene on 251 R. Goulet: Antoninus, in: DPhA I (1989) 257–
the Occasion of her Seventy-Fifth Birthday, 258.
edited by A. Donagan, A. N. Perovich, M. V. 252 R. Goulet: Asclépiadès d’Alexandrie, in:
Wedin (Dordrecht 1986) [Boston Studies in DPhA I (1989) 620–621.
the Philosophy of Science 89] 211–232. – Wie­ 253 R. Goulet: Asclépiodote d’Alexandrie, in:
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(Oxford 1987) 225–242. 254 J. Hahn: Der Philosoph und die Gesellschaft.
238 C. P. Jones: Culture and Society in Lucian Selbstverständnis, öffentliches Auftreten und
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239 M. Tardieu: Ṣābiens coraniques et «Ṣābiens» zeit (Stuttgart 1989) [Heidelberger althistori­
de Ḥarrān, in: JA 274 (1986) 1–44. sche Beiträge und epigraphische Studien 7].
240 J.-M. André: Les écoles philosophiques aux 255 U. Neymeyr: Die christlichen Lehrer im zwei­
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01_2 Einleitung Biblio.indd 112 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 113
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(1989) 117–118. London 1993).
258 B. Puech: Ammonios (M. Annius –), in: 276 J. Wiesehöfer: Das antike Persien. Von 550 v.
DPhA I (1989) 164–165. Chr. bis 650 n. Chr. (München, Zürich 1993).
259 B. Puech: Asclépiadès d’Alexandrie (M. Au­ 277 G. af Hallström: The Closing of the Neopla­
relius –), in: DPhA I (1989) 620. tonic School in A.D. 529: An Additional As­
260 D. Sedley: Philosophical Allegiance in the pect, in: Post-Herulian Athens. Aspects of
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261 S. Swain: Favorinus and Hadrian, in: ZPE 79 278 S. Fein: Die Beziehungen der Kaiser Trajan
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262 W. Wolska-Conus: Stephanos d’Athènes et zig 1994) [BzA 26].
Stephanos d’Alexandrie: Essai d’identifica­ 279 S. Follet: Lettres d’Hadrien aux Épicuriens
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263 P. Chuvin: Chronique des derniers païens. La II² 1097, in: REG 107 (1994) 158–171.
disparition du paganisme dans l’Empire ro­ 280 R. Goulet: Bagôas, in: DPhA II (1994) 48–49.
main, du règne de Constantin à celui de Jus­ 281 R. Goulet: Dioclès l’éristique, in: DPhA II
tinien (Paris 1990, ²1991). (1994) 777–778.
264 G. Fowden: The Athenian Agora and the Pro­ 282 A.-M. Helvétius: Abbayes, évêques et laïques.
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phists in the Fourth Century A.D. Studies in 283 P. Hoffmann: Damascius, in: DPhA II (1994)
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266 R. R. R. Smith: Late Roman Philosopher Por­ 284 A. Karivieri: The ‘House of Proclus’ on the
traits from Aphrodisias, in: JRS 80 (1990) Southern Slope of the Acropolis: A Contribu­
127–155. tion, in: Post-Herulian Athens. Aspects of
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268 M. Tardieu: Les paysages reliques. Routes et 285 P. Maraval: Diogène de Phénicie, in: DPhA II
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vain, Paris 1990) [BEHE 94]. 286 B. Puech: Cailianos (T. Varius –), in: DPhA II
269 Ch. Wildberg: Three Neoplatonic Introduc­ (1994) 155–156.
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270 R. Altheim-Stiehl: The Sasanians in Egypt – 288 B. Puech: Dionysodoros (Flavius Maecius
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272 P.-L. Gatier: «Le spectacle d’un ciel qui se 291 E. Sironen: Life and Administration of Late
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2 (1992) 173–182. tions, in: Post-Herulian Athens. Aspects of
273 P. Athanassiadi: Persecution and Response in Life and Culture in Athens, A.D. 267–529,
Late Paganism: The Evidence of Damascius, edited by P. Castrén (Helsinki 1994) [Papers
in: JHS 113 (1993) 1–29. and Monographs of the Finnish Institute at
274 M. J. Edwards: Ammonius, Teacher of Ori­ Athens 1] 15–62.
gen, in: Journal of Ecclesiastical History 44
(1993) 168–181.

01_2 Einleitung Biblio.indd 113 25.09.18 09:23


114 Bibliographie zum ersten Kapitel

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294 M. Dzielska: Hypatia of Alexandria (Cam­ Transmission of Greek Philosophy and Sci­
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ton 1995). 309 J. Martin: Zwei alte Geschichten: Verglei­
296 P. Hadot: Qu’est-ce que la philosophie an­ chende historisch-anthropologische Betrach­
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297 M.-L. Lakmann: Der Platoniker Tauros in der Saeculum 48 (1997) 1–20. – Wieder in: Ders.:
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298 J. Martin: Spätantike und Völkerwanderung schen Anthropologie, herausgegeben von W.
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301 P. Zanker: Die Maske des Sokrates. Das Bild in: HThR 90 (1997) 59–87.
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304 P. Maraval: Das Mönchtum im Osten, in: Die stic and Roman Worlds (Cambridge 1998)
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tik, Kultur. II: Das Entstehen der einen 317 G. Dareggi: Ancora sul complesso edilizio di
Christenheit (250–430), herausgegeben von Soueidiè (Baalbek), in: ZPE 125 (1999) 190–
C. Piétri, L. Piétri; deutsche Ausgabe von Th. 193.
Böhm et al. (Freiburg, Basel 1996) 816–847. 318 B. C. Ewald: Der Philosoph als Leitbild. Iko­
305 P. Pruneti: Il termine φιλόσοφος nei papiri nographische Untersuchungen an römischen
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a cura di M. S. Funghi (Firenze 1996) 389– mische Abteilung, Ergänzungsheft 34].
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306 M. F. Smith: An Epicurean Priest from Apa­ in Later Antiquity, in: Pagan Monotheism in
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307 C. Haas: Alexandria in Late Antiquity. Topo­ Frede (Oxford 1999) 41–67.
graphy and Social Conflict (Baltimore, Lon­ 320 D. Gutas: The ‘Alexandria to Baghdad’ Com­
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01_2 Einleitung Biblio.indd 114 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 115
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322 V. Boudon: Eudème de Pergame, in: DPhA 343 R. Lamberton: The Schools of Platonic Philo­
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323 G. Clark: Philosophic Lives and the Philoso­ the Biographers, in: Education in Greek and
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324 S. Follet: Héliodore, in: DPhA III (2000) 533. thèques et traductions syriaques, in: Des Alex-
325 R. Goulet: Eustathe de Cappadoce, in: DPhA andries. I: Du livre au texte, sous la direction
III (2000) 369–378. de L. Giard, C. Jakob (Paris 2001) [Biblio­
326 R. Goulet: Héraclas, in: DPhA III (2000) thèque nationale de France] 249–262.
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327 R. Goulet: Horapollon (Flavius –) de Phéné­ phy and Power in the Graeco-Roman World.
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328 P. Maraval: Eulamios de Phrygie, in: DPhA by G. Clark, T. Rajak (Oxford 2002) 293–306.
III (2000) 308. 347 J. Beaucamp: Le philosophe et le joueur. La
329 P. Maraval: Hermias de Phénicie, in: DPhA date de la «fermeture de l’École d’Athènes»,
III (2000) 651–652. in: Mélanges Gilbert Dagron. Ouvrage publié
330 P. Maraval, Isidore de Gaza, in: DPhA III avec le concours de la Fondation Ebersolt du
(2000) 878. Collège de France (Paris 2002) [Travaux et
331 B. Puech: Eudoxius, in: DPhA III (2000) Memoires 14] 21–35.
302–303. 348 G. W. Bowersock: Philosophy in the Second
332 B. Puech: Fronton, in: DPhA III (2000) 430– Sophistic, in: Philosophy and Power in the
431. Graeco-Roman World. Essays in Honour of
333 B. Puech: Harpocration, in: DPhA III (2000) Miriam Griffin, edited by G. Clark, T. Rajak
498. (Oxford 2002) 157–170.
334 B. Puech: Héraclide d’Athènes (Aurelius –), 349 P. Bruns: Johannes bar Aphtonia, in: LacL
in: DPhA III (2000) 559. (32002) 375.
335 B. Puech: Héraclite de Rhodiapolis, in: 350 J. Dillon: The Social Role of the Philosopher in
DPhA III (2000) 627. the Second Century C.E.: Some Remarks, in:
336 M. Rashed: Menas, préfet du Prétoire (528/9) Sage and Emperor. Plutarch, Greek Intellectu­
et philosophe: une épigramme inconnue, in: als, and Roman Power in the Time of Trajan
Elenchos 21 (2000) 89–105. (98–117 A.D.), edited by P. A. Stadter, L. Van
337 H. D. Saffrey: Hégias d’Athènes, in: DPhA der Stockt (Louvain 2002) [Symbolae Facultatis
III (2000) 530–531. Litterarum Lovaniensis, Series A, 29] 29–40.
338 A. Sheppard: Philosophy and Philosophical 351 E. Flaig: Bildung als Feindin der Philosophie:
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(2000) 49–82. New York 2002).
341 M. G. Bajoni: La retorica della memoria: A 353 I. Hadot: Der fortlaufende philosophische
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10559/10558 e della Commemoratio professo­ Mittelalter. Beiträge zu seiner Erforschung, he­
rum Burdigalensium di Ausonio, in: Hermes rausgegeben von W. Geerlings, C. Schulze (Lei­
129 (2001) 110–117. den, Boston 2002) [Clavis commentariorum
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01_2 Einleitung Biblio.indd 115 25.09.18 09:23


116 Bibliographie zum ersten Kapitel

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zwischen Orient und Okzident im Altertum, Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewäl­
herausgegeben von M. Schuol, U. Hartmann, tigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Göttingen
A. Luther (Stuttgart 2002) [Oriens et Occi­ 2003) [Hypomnemata 147].
dens 3] 123–160. 373 D. Sedley: Philodemus and the Decentralisa­
355 C. P. Jones: Epigraphica II: Two Consular tion of Philosophy, in: Cronache Ercolanesi
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356 M. C. J. Miller: A Lost Monument Containing 374 J. M. Zamora: Damascio e el cierre de la es­
a Summary of the Life of Proklos, in: Ancient cuela néoplatonica de Atenas, in: Revista es­
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357 D. J. O’Meara: The Justinianic Dialogue On 375 A. Chaniotis: Epigraphic Evidence for the
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359 M. Rashed: Nicolas d’Otrante, Guillaume de 377 J. Fried: Der Schleier der Erinnerung.
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362 A. M. Silvas: From Edessa to Casino: The ten. I: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, her­
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363 K. Vössing: Staat und Schule in der Spätan­ 379 A. Guillaumont: Un philosophe au désert:
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364 J. T. Walker: The Limits of Late Antiquity: traditions 8].
Philosophy between Rome and Iran, in: An­ 380 J. Hahn: Gewalt und religiöser Konflikt. Stu­
cient World 33 (2002) 45–69. dien zu den Auseinandersetzungen zwischen
365 F. A. J. de Haas: Late Ancient Philosophy, in: Christen, Heiden und Juden im Osten des Rö­
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Roman Philosophy, edited by D. Sedley sius II.) (Berlin 2004) [Klio, Beihefte NF 8].
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366 U. Gotter: Ontologie versus exemplum: Grie­ tinktion in der Provinz, in: Kölner Jahrbuch
chische Philosophie als politisches Argument 37 (2004) 23–38.
in der späten Republik, in: Philosophie und 382 A. Kaldellis: Procopius of Caesarea. Tyranny,
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K. Piepenbrink (Darmstadt 2003) 165–185. uity (Philadelphia 2004).
367 M. Haake: Warum und zu welchem Ende 383 P. Kalligas: Platonism in Athens during the
schreibt man ‹peri basileias›? Überlegungen First Two Centuries AD: An Overview, in:
zum historischen Kontext einer literarischen Rhizai 2 (2004) 37–56.
Gattung im Hellenismus, in: Philosophie und 384 C. Kokkinia: The Philosopher and the
Lebenswelt in der Antike, herausgegeben von Emperor’s Words: Trajan, Flavius Archippus
K. Piepenbrink (Darmstadt 2003) 83–138. and Dio Chrysostom, in: Historia 53 (2004)
368 I. Hadot: Der philosophische Unterrichtsbe­ 490–500.
trieb in der römischen Kaiserzeit, in: RhM
146 (2003) 49–71.

01_2 Einleitung Biblio.indd 116 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 117
385 P. Montzamir: Nouvel essai de reconstitution 397 R. Lane Fox: Appendix: Harran, the Sabians
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386 G. Ruffini: Late Antique Pagan Networks Smith (Swansea 2005) 231–244.
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2004) [Columbia Studies in the Classical A. Smith (Swansea 2005) 19–50.
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387 J. W. Watt: Syriac Translators and Greek Phi­ gesten der Kaiserurkunden des Oströmischen
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in: JRS 94 (2004) 168–183. 402 B. Puech: Ménandros (T. Flavius –), in: DPhA
389 E. Watts: Student Travel to Intellectual Cen­ IV (2005) 438.
ters: What Was the Attraction?, in: Travel, 403 R. W. Sharples: Implications of the New Alex­
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tiquity: Sacred and Profane, edited by L. (2005) 47–56.
Ellis, F. L. Kidner (Aldershot, Burlington VT 404 R. W. Sharples: Introduction: Philosophy and
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390 J.-Y. Strasser: Les Olympia d’Alexandrie et le the Sciences in Antiquity, edited by R. W.
pancratiaste M. Aur. Asklèpiadès, in: Bulletin Sharples (Alderhot, Burlington VT 2005)
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(2004–2005) 421–468. phy] 1–7.
391 P. Bettiolo: Scuole e ambienti intellettuali 406 R. Sorabji: Divine Names and Sordid Deals in
nelle chiese di Siria, in: Storia della filosofia Ammonius’ Alexandria, in: The Philosopher
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118 Bibliographie zum ersten Kapitel

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Institutionelle Rahmenbedingungen 119
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Boston 2007) [PhA 107] 29–61. Casiday, F. W. Norris (Cambridge 2007) [The
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01_2 Einleitung Biblio.indd 119 25.09.18 09:23


120 Bibliographie zum ersten Kapitel

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461 T. Kobusch: Philosophische Streitsachen: Zur setzt und mit interpretierenden Essays verse­
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lian Apostata und die philosophischen Reak­ gen 2009) [SAPERE 13] 163–182.
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C. Schäfer (Berlin, New York 2008) [Mille­ pital versus politischer Mißkredit? Zur Funk­
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463 A. Merkt: Das frühe christliche Mönchtum. in der athenischen Demokratie: Medien,
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bis Benedikt (Darmstadt 2008). System. Beiträge zu einem interdisziplinären
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aux IIe et IIIe siècles, in: L’enseignement su­ ber 2006, herausgegeben von C. Mann, M.
périeur dans les mondes antiques et médié­ Haake, R. von den Hoff (Wiesbaden 2009)
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l’Institut des Traditions Textuelles (Fédéra­ sophen im gesellschaftlichen und politischen
tion de recherche 33 du C.N.R.S.), édité par Leben des Prinzipats, in: Dion von Prusa. Der
H. Hugonnard-Roche (Paris 2008) [Textes et Philosoph und sein Bild, herausgegeben von
traditions 16] 127–174. H.-G. Nesselrath, eingeleitet, ediert, übersetzt
465 A. Urbano: “Read It Also to the Gentiles”: und mit interpretierenden Essays versehen von
The Displacement and Recasting of the Phi­ E. Amato, S. Fornaro, B. E. Borg, R. Burri, J.
losopher in the Vita Antonii, in: Church His­ Hahn, I. Ramelli, J. Schamp (Tübingen 2009)
tory 77 (2008) 877–914. [SAPERE 13] 241–258.
466 B. E. Borg: Das Bild des Philosophen und die 474 H. Hugonnard-Roche: Platon syriaque, in:
römischen Eliten, in: Dion von Prusa. Der Pensée grecque et sagesse d’Orient. Hommage

01_2 Einleitung Biblio.indd 120 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 121
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Late Antique Philosophy, in: The Cambridge Gagos (Ann Arbor 2010) [American Studies
Companion to Boethius, edited by J. Maren­ in Papyrology, Special Edition] 471–484.
bon (Cambridge 2009) [Cambridge Compan­ 489 D. J. O’Meara: Plotinus, in: Gerson 2010
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ture: A Reconstruction of the Manuscript nia VIII: Bibliothèques, livres et culture
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480 C. Addey: Monotheism, Henotheism, and Po­ van Nuffelen (Leuven, Walpole MA 2010)
lytheism in Porphyry’s Philosophy from Ora­ [Interdisciplinary Studies in Ancient Culture
cles, in: Monotheism between Pagans and and Religion 12] 127–148.
Christians in Late Antiquity, edited by S. 494 I. Tanaseanu-Döbler: Philosophie in Alexan­
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Crisis. Historians and Histories of the Middle totelian Commentator, in: Interpreting the
East in the Seventh Century (Oxford 2010). Bible and Aristotle in Late Antiquity. The
486 K. Ierodiakonou, G. Zografidis: Early Byzan­ Alex­andrian Commentary Tradition between
tine Philosophy, in: Gerson 2010 [*638: II Rome and Baghdad, edited by J. Lössl, J. W.
843–868]. Watt (Farnham, Burlington VT 2011) 121–133.
487 I. Lockey: The Atrium House at Aphrodisias, 499 M. Haake: Der akademische Philosoph Her­
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488 G. Majcherek: The Auditoria on Kom el- Zu I.Napoli 2.119 = CIG 3 add. 5831 b = IG
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122 Bibliographie zum ersten Kapitel

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Institutionelle Rahmenbedingungen 123
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124 Bibliographie zum ersten Kapitel

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01_2 Einleitung Biblio.indd 124 25.09.18 09:23


Institutionelle Rahmenbedingungen 125
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(Cambridge 2016) 29–48. Interpreted. New Findings on Seven Hundred
Years of the Ancient Commentators, edited

01_2 Einleitung Biblio.indd 125 25.09.18 09:23


126 Bibliographie zum ersten Kapitel

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in Late Antique Christianity. Reflections, So­ P. Vesperini (Paris 2017) 371–414.
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(London, New York 2016) 34–46. das Museion eine antike “Hochschule”?, in:
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Philosophische Grundlagen und didaktische Orte, Methoden und Personen der Bildungs­
Methoden eines spätantiken Wissenstransfers vermittlung, herausgegeben von B. Wyss, R.
(Wiesbaden 2016) [Episteme in Bewegung 6]. Hirsch-Luipold, S.-J. Hirschi (Tübingen
596 J. W. Watt: The Syriac Aristotelian Tradition 2017) [STAC] 27–37.
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Third/Ninth and Fourth/Tenth Centuries, gung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung
edited by D. Janos (Leiden, Boston 2016) [Is­ vom 16.–17. Oktober 2014 in Zürich, heraus­
lamic History and Civilization, Studies and gegeben von Ch. Riedweg in Zusammenar­
Texts 124] 7–43. beit mit R. Füchslin und C. Semenzato sowie
597 E. Watts: Teaching the New Classics: Bible Ch. Horn und D. Wyrwa (Berlin, Boston
and Biography in a Pachomian Monastery, in: 2017) [PhdA 34].
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Christianity. Reflections, Social Contexts and 341–342.
Genres, edited by P. Gemeinhardt, L. van 605 M. Haake: Greek Philosophy and Inscrip­
Hoof, P. van Nuffelen (London, New York tions, in: The Oxford Handbook of Greek
2016) 47–58. Epigraphy, edited by N. Papazarkadas (Ox­
598 Ch. Wildberg: Neoplatonism, in: The Stan­ ford, im Druck).
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dant l’Antiquité tardive et le Moyen Âge, in: DPhA VII (2018) 450.
Orbis disciplinae. Hommages en l’honneur de 609 B. Puech: Maximus (Titus Coponius –)
Patrick Gautier Dalché, édité par N. Bouloux, d’Hagnonte, in: DPhA VII (2018) 607–608.
A. Dan, G. Tolias (Turnhout 2017) 557–607. 610 Ch. Riedweg: Das Origenes-Problem aus der
600 R. Goulet: Les philosophes et leurs écoles au Sicht eines Klassischen Philologen, in: Orige­
Bas-Empire, in: Philosophari. Usages ro­ nes der Christ und Origenes der Platoniker,
mains des savoirs grecs sous la République et herausgegeben von B. Bäbler, H.-G. Nessel­
sous l’Empire. Actes des colloques organisés rath (Tübingen 2018) [SERAPHIM 2] 13–39.
par l’École française de Rome (8–9 octobre 611 Monastic Education in Late Antiquity, edited
2010 et 17–18 novembre 2011), édité par P. by L. I. Larsen, S. Rubenson (Cambridge
Vesperini (Paris 2017) 601–671. 2018).

01_2 Einleitung Biblio.indd 126 25.09.18 09:23


Philosophische Leitideen 127

Philosophische Leitideen

612 M. Baltes: Die Weltentstehung des platoni­ 627 R. Herzog: Spätantike: Studien zur römischen
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I–II (Leiden, Boston 1976–1979) [PhA 30, 35]. gegeben von P. Habermehl (Göttingen 2002)
613 M. Foucault: Die Sorge um sich (Frankfurt [Hypomnemata, Suppl.-Reihe 3].
a. M. 1986) [Sexualität und Wahrheit, Michel 628 S. Gersh: Reading Plato, Tracing Plato: From
Foucault, Band 3]. Ancient Commentary to Medieval Reception
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615 R. Sorabji: Aristotle Transformed. The An­ Reydams-Schils (Notre Dame 2003).
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616 P. Hadot: Philosophie als Lebensform. Aus P.  Adamson, H. Baltussen, M. W. F. Stone
dem Französischen von I. Hadot, Ch. Marsch (London 2004) [BICS Suppl. 83].
(Berlin 1991). 631 J. M. Dillon, L. P. Gerson: Neoplatonic Philo­
617 M. Nussbaum: The Therapy of Desire: Theory sophy: Introductory Readings (Indianapolis
and Practice in Hellenistic Ethics (Princeton 2004).
1994) [Martin Classical Lectures N. S. 2]. 632 A. Smith: Philosophy in Late Antiquity (Lon­
618 P. Hadot: Qu’est-ce que la philosophie an­ don, New York 2004).
tique? (Paris 1995) [Folio, Essais 280]. 633 The Philosophy of the Commentators: 200–
619 Ch. Horn: Antike Lebenskunst. Glück und 600 AD. A Sourcebook, edited by R. Sorabji,
Moral von Sokrates bis zu den Neuplatoni­ I–III (London 2004).
kern (München 1998) [Beck’sche Reihe 1271]. 634 M. Edwards, S. Swine: Approaching Late An­
620 A. Nehamas: The Art of Living. Socratic Re­ tiquity. The Transformation from Early to
flections from Plato to Foucault (Berkeley Late Empire (Oxford 2006).
1998) [Sather Classical Lectures 61]. 635 G. Karamanolis: Plato and Aristotle in
621 Le commentaire entre tradition et innovation. Agree­ment? (Oxford 2006) [OPhM].
Actes du colloque international de l’Institut 636 P. Dinzelbacher, W. H. Heinz: Europa in der
des traditions textuelles (Paris et Villejuif, Spätantike: 300–600. Eine Kultur- und Men­
22–25 septembre 1999), publiés sous la direc­ talitätsgeschichte (Darmstadt 2007) [Kultur
tion de M.-O. Goulet-Cazé (Paris 2000) [Bi­ und Mentalität].
bliothèque d’histoire de la philosophie N. S.]. 637 I. König: Die Spätantike (Darmstadt 2007)
622 A. Neschke-Hentschke: Le Timée de Platon. [Geschichte kompakt, Antike].
Contributions à l’histoire de sa réception – 638 The Cambridge History of Philosophy in Late
Platos Timaios. Beiträge zu seiner Rezepti­ Antiquity, edited by L. P. Gerson, I–II (Cam­
onsgeschichte (Leuven 2000) [Bibliothèque bridge 2010).
Philosophique de Louvain 53]. 639 M. Hatzimichali: The Texts of Plato and Aris­
623 D. J. O’Meara: Scepticism and Ineffability in totle in the First Century BC, in: Aristotle,
Plotinus, in: Phronesis 45 (2000) 240–251. Plato and Pythagoreanism in the First Cen­
624 F. A. J. de Haas: Did Plotinus and Porphyry tury BC, edited by M. Schofield (Cambridge
disagree on Aristotle’s Categories?, in: Phro­ 2013) 1–27.
nesis 46 (2001) 492–526. 640 The Routledge Handbook of Neoplatonism,
625 A. Lernould: Physique et théologie. Lecture edited by P. Remes, S. Slaveva-Griffin (Lon­
du Timée de Platon par Proclus (Lille 2001) don, New York 2014) [Routledge Handbooks
[Philosophie ancienne]. in Philosophy].
626 J. Opsomer: Who in Heaven is the Demiurge?
Proclus’ exegesis of Tim. 28C3–5, in: Ancient
World 33 (2001) 52–70.

01_2 Einleitung Biblio.indd 127 25.09.18 09:23


128 Bibliographie zum ersten Kapitel

Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung und


Methoden der Textinterpretation in historischer Perspektive

645 EΠΙΣTOΛOΓPAΦOI EΛΛHNIKOI – Epistolo­ 660 J. Schneider: Brief, in: RAC 2 (1954) 564–585.
graphi Graeci, recensuit recognovit adnota­ 661 W. Capelle, H. I. Marrou: Diatribe, in: RAC
tione critica et indicibus instruxit R. Hercher 3 (1957) 990–1009.
(Paris 1873). 662 A. Hermann, G. Bardy: Dialog, in: RAC 3
646 R. Hirzel: Der Dialog. Ein literarhistorischer (1957) 928–955.
Versuch, I–II (Leipzig 1895; ND 1963). 663 L’Inno del Simposio di S. Metodio Martire.
647 W. Fritz: Die Briefe des Bischofs Synesius von Introduzione, testo critico e commento a cura
Kyrene. Ein Beitrag zur Geschichte des Atti­ di M. Pellegrino (Torino 1958).
zismus im 4. und 5. Jahrhundert (Leipzig 664 W. Burkert: Hellenistische Pseudopythago­
1898). rica, in: Philologus 105 (1961) 16–43, 226–
648 H. Peter: Der Brief in der römischen Litera­ 246. – Wieder in: Ders.: Kleine Schriften. III:
tur (Leipzig 1901; ND 2013). Mystica, Orphica, Pythagorica, herausgege­
649 O. Seeck: Die Briefe des Libanius (Leipzig ben von F. Graf (Göttingen 2006) [Hypomne­
1906; ND 1966) [TU 30]. mata, Suppl.-Reihe 2] 236–277.
650 H. Dachs: Die λύσις ἐκ τοῦ προσώπου. Ein ex­ 665 E. Heitsch: Die griechischen Dichterfragmente
egetischer und kritischer Grundsatz Aris­ der römischen Kaiserzeit, I–II (Göttingen
tarchs und seine Neuanwendung auf Ilias und 1961–1964) [AAWG, 3. Folge, Band 49, 58].
Odyssee (Diss. Erlangen 1913). 666 A.-J. Festugière: Modes de composition des
651 E. Norden: Agnostos Theos. Untersuchungen commentaires de Proclus, in: MH 20 (1963)
zur Formengeschichte religiöser Rede (Leip­ 77–100. – Deutsche Übersetzung: Komposi­
zig 1913; ND 1996). tionsformen der Kommentare des Proklos, in:
652 A. von Harnack: Die Briefsammlung des Die Philosophie des Neuplatonismus, heraus­
Apostels Paulus und die anderen vorkonstan­ gegeben von C. Zintzen (Darmstadt 1977)
tinischen christlichen Briefsammlungen [Wege der Forschung 436] 331–369.
(Leipzig 1926). 667 The Pythagorean Texts of the Hellenistic Pe­
653 V. D’Agostino: Sulla divisione dell’opera di riod, collected and edited by H. Thesleff (Åbo
Epitteto, in: Bollettino di filologia classica 34 1965) [Acta Academiae Aboensis A 30,1].
(1928) 150–152. – Wieder in: Ders.: Studie sul 668 H. Dörrie, H. Dörries: Erotapokriseis, in:
neostoicismo: Seneca, Plinio il Giovane, Epit­ RAC 6 (1966) 342–370.
teto, Marco Aurelio (Torino 21962) 90–91. 669 W. E. Gerber: Exegese III (NT und Alte Kir­
654 H. Lietzmann: Zur Entstehungsgeschichte che), in: RAC 6 (1966) 1211–1229.
der Briefsammlung Augustins, in: SPrAW, 670 G. Mayer: Exegese II (Judentum), in: RAC 6
philosophisch-historische Klasse 23 (1930) (1966) 1194–1211.
356–388. – Wieder in: Ders.: Kleine Schrif­ 671 H. Schreckenberg: Exegese I (heidnisch, Grie­
ten. I: Studien zur spätantiken Religionsge­ chen u. Römer), in: RAC 6 (1966) 1174–1194.
schichte, herausgegeben von K. Aland (Berlin 672 R. Hahn: Die Allegorie in der antiken Rheto­
1958) [TU 67] 260–304. rik (Diss. Tübingen 1967).
655 J. Sykutris: Epistolographie, in: RE Suppl. V 673 H. Chadwick: Florilegium, in: RAC 7 (1969)
(1931) 185–220. 1131–1160.
656 J. Sykutris: Die Briefe des Sokrates und der 674 I. Hadot: Seneca und die griechisch-römische
Sokratiker (Paderborn 1933; ND 1968) [Stu­ Tradition der Seelenleitung (Berlin 1969)
dien zur Geschichte und Kultur des Alter­ [Quellen und Studien zur Geschichte der Phi­
tums 18,2]. losophie 13].
657 G. Zuntz: Die Aristophanes-Scholien der Pa­ 675 B. R. Voss: Der Dialog in der frühchristlichen
pyri, Teil III: Schlussfolgerungen, in: Byzan­ Literatur (München 1970) [Studia et Testimo­
tion 14 (1939) 545–605. – Wieder in: Ders.: nia Antiqua 9].
Die Aristophanes-Scholien der Papyri (Ber­ 676 W. Bienert: ‘Allegoria’ und ‘Anagoge’ bei Di­
lin 1975) 61–121. dymos dem Blinden von Alexandria (Berlin,
658 M. Richard: ΑΠΟ ΦΩΝΗΣ, in: Byzantion 20 New York 1972) [PTS 13].
(1950) 191–222. 677 N. J. Richardson: Homeric Professors in
659 P. Rabbow: Seelenführung. Methodik der Ex­ the Age of the Sophists, in: The Cambridge
erzitien in der Antike (München 1954). Classical Journal 21 (1975) 65–81. – Wieder

01_2 Einleitung Biblio.indd 128 25.09.18 09:23


Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung 129
in: Ancient Literary Criticism, edited by A. 695 St. K. Stowers: Letter Writing in Greco-Ro­
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678 J. Pépin: Mythe et allégorie. Les origines of Early Christianity 5].
grecques et les contestations judéo-chré­ 696 M. Erler: Interpretieren als Gottesdienst:
tiennes (Paris 21976). Proklos’ Hymnen vor dem Hintergrund sei­
679 A. Pignani: Parafrasi o metafrasi?, in: Atti della nes Kratylos-Kommentares, in: Proclus et son
Accademia Pontaniana 24 (1976) 219–225. influence. Actes du Colloque de Neuchâtel,
680 Ch. Schäublin: Homerum ex Homero, in: MH 20–23 juin 1985, édités par G. Boss, G. Seel
34 (1977) 221–227. – Wieder in: Ders.: Aus pa­ (Zurich 1987) 179–217.
ganer und christlicher Antike. Ausgewählte 697 E. Lamberz: Proklos und die Form des philo­
Aufsätze zur Klassischen Philologie (1970– sophischen Kommentars, in: Proclus: Lecteur
1997), herausgegeben von U. Breitenstein, R. et interprète des anciens. Actes du colloque
C. Schwinges unter Mitwirkung von Th. international du CNRS Paris, 2–4 octobre
Schmid (Basel 2005) 59–65. 1985, publiés par J. Pépin, H. D. Saffrey
681 J. Glucker: Antiochus and the Late Academy (Paris 1987) 1–20.
(Göttingen 1978) [Hypomnemata 56]. 698 B. Neuschäfer: Origines als Philologe, I–II
682 R. Pfeiffer: Geschichte der Klassischen Phi­ (Basel 1987) [SBA 18,1–2].
lologie. Von den Anfängen bis zum Ende des 699 Th. Schmeller: Paulus und die ‘Diatribe’. Eine
Hellenismus (München 21978) [Beck’sche vergleichende Stilinterpretation (München
Elementarbücher]. – Deutsche Übersetzung 1987) [Neutestamentliche Abhandlungen NF
von: A History of Classical Scholarship. From 19].
the Beginnings to the End of the Hellenistic 700 J. Whitman: Allegory. The Dynamics of an
Age (Oxford 1968). Ancient and Medieval Technique (Cambridge
683 M. Billerbeck: Der Kyniker Demetrius. Ein MA 1987).
Beitrag zur Geschichte der frühkaiserzeitlichen 701 J. Pépin, K. Hoheisel: Hermeneutik, in: RAC
Popularphilosophie (Leiden 1979) [PhA 36]. 14 (1988) 722–771.
684 K. Ermert: Briefsorten. Untersuchungen zu 702 St. K. Stowers: The Diatribe, in: Greco-Ro­
Theorie und Empirie der Textklassifikation man Literature and the New Testament,
(Tübingen 1979) [Reihe Germanistische Lin­ edit­ed by D. Aune (Atlanta 1988) [Sources
guistik 20]. for Biblical Study 21] 71–83.
685 A. M. Ioppolo: Aristone di Chio e lo stoicismo 703 P. Hadot: Literarische Formen der Philoso­
antico (Napoli 1980) [Elenchos 1]. phie, in: HWdPh VII (1989) 848–858.
686 A. Städele: Die Briefe des Pythagoras und der 704 F. Young: The Rhetorical Schools and their
Pythagoreer (Meisenheim am Glan 1980) Influence on Patristic Exegesis, in: The Mak­
[BKP 115]. ing of Orthodoxy. Essays in Honour of Herny
687 St. K. Stowers: The Diatribe and Paul’s Letter Chadwick, edited by R. Williams (Cambridge
to the Romans (Chico CA 1981) [Society of 1989) 182–199.
Biblical literature, Dissertations Series 57]. 705 W. Bernard: Spätantike Dichtungstheorien.
688 H. B. Gottschalk: Diatribe again, in: LCM 7,6 Untersuchungen zu Proklos, Herakleitos und
(1982) 91–92. Plutarch (Stuttgart 1990) [BzA 3].
689 H. D. Jocelyn: Diatribes and Sermons, in: 706 H. Dörrie, M. Baltes: Der hellenistische Rah­
LCM 7,1 (1982) 3–7. men des kaiserzeitlichen Platonismus. Bau­
690 A. Garzya: L’epistolografia letteraria tardo­ steine 36–72: Text, Übersetzung, Kommentar
antica, in: Ders.: Il mandarino e il quotidiano. (Stuttgart/Bad Canstatt 1990) [Der Platonis­
Saggi sulla letteratura tardoantica e bizantina mus in der Antike 2].
(Napoli 1983) 113–148. 707 D. Teichert: Der Philosoph als Briefschreiber:
691 H. B. Gottschalk: More on DIATRIBAI, in: Zur Bedeutung der literarischen Form von
LCM 8,6 (1983) 91–92. Senecas Briefen an Lucilius, in: Literarische
692 H. D. Jocelyn: ‘Diatribes’ and the Greek book- Formen der Philosophie, herausgegeben von
title Διατριβαί, in: LCM 8,6 (1983) 89–91. G. Gabriel, C. Schildknecht (Stuttgart 1990)
693 A. Setaioli: Seneca e lo stile, in: ANRW II 62–72.
32,2 (1985) 776–858. 708 M. Lattke: Hymnus. Materialien zu einer Ge­
694 M. Jordan: Ancient Philosophic Protreptic schichte der antiken Hymnologie (Fribourg,
and the Problem of Persuasive Genres, in: Göttingen 1991) [Novum Testamentum et
Rhetorica 4 (1986) 309–333. Orbis Antiquus 19].

01_2 Einleitung Biblio.indd 129 25.09.18 09:23


130 Bibliographie zum ersten Kapitel

709 F. Petit: La chaîne sur la Genèse. Édition 724 P. L. Schmidt: Brief, in: DNP II (1997) 771–
­intégrale. I: chapitres 1 à 3 (Louvain 1991) 773.
[Traditio Exegetica Graeca 1]. 725 F. M. Young: Biblical Exegesis and the Forma­
710 H. Dörrie, M. Baltes: Der Platonismus im 2. tion of Christian Culture (Cambridge 1997).
und 3. Jahrhundert nach Christus. Bausteine 726 M. Zelzer: Die Briefliteratur. Kommunika­
73–100: Text, Übersetzung, Kommentar tion durch Briefe: Ein Gespräch mit Abwe­
(Stuttgart/Bad Canstatt 1993) [Der Platonis­ senden, in: Spätantike, mit einem Panorama
mus in der Antike 3]. der byzantinischen Literatur, herausgegeben
711 D. T. Runia: Philo in Early Christian Litera­ von L. J. Engels, H. Hofmann (Wiesbaden
ture. A Survey (Assen MN 1993) [Jewish Tra­ 1997) [Neues Handbuch der Literaturwissen­
ditions in Early Christian Literature 3]. schaft 4] 321–353.
712 D. E. Trout: Auctoritas, and Self-Fashioning 727 A. Ford: Performing Interpretation: Early Al­
Texts: Paulinus of Nola and Sulpicius Severus, legorical Exegesis of Homer, in: Epic Tradi­
in: StPatr 28 (1993) 123–129. tions in the Contemporary World. The Poetics
713 W. Burkert: Griechische Hymnoi, in: Hym­ of Community, edited by M. Beissinger et al.
nen der Alten Welt im Kulturvergleich, her­ (Berkeley et al. 1999) [The Joan Palevsky Im­
ausgegeben von W. Burkert, F. Stolz print in Classical Literature] 33–53.
(Freiburg, Göttingen 1994) [Orbis Biblicus et 728 A. Fürst: Augustins Briefwechsel mit Hiero­
Orientalis 131] 9–17. nymus (Münster 1999) [JbAC Ergänzungs­
714 P. Donini: Testi e commenti, manuali e inse­ band 29].
gnamento: la forma sistematica e i metodi 729 M. Hillgruber: Die pseudoplutarchische
della filosofia in età postellenistica, in: Schrift De Homero. Teil 2: Kommentar zu
ANRW II 36,7 (1994) 5027–5100. den Kapiteln 74–218 (Stuttgart, Leipzig 1999)
715 M. Hillgruber: Die pseudoplutarchische [BzA 58].
Schrift De Homero. Teil 1: Einleitung und 730 Ch. Markschies: Origenes und die Kommentie­
Kommentar zu den Kapiteln 1–73 (Stuttgart, rung des paulinischen Römerbriefs: Bemer­
Leipzig 1994) [BzA 57]. kungen zur Rezeption von antiken
716 N. J. Richardson: Aristotle and Hellenistic Kom­ mentartechniken im Christentum des
Scholarship, in: La philologie grecque à dritten Jahrhunderts und zu ihrer Vorge­
l’époque hellénistique et romaine. Entretiens schichte, in: Commentaries – Kommentare, he­
préparés et présidés par F. Montanari (Van­ rausgegeben von G. W. Most (Göttingen 1999)
dœuvres/Genève 1994) [Entretiens 40] 7–38. [Aporemata 4] 66–94. – Wieder in: Ders.: Ori­
717 Ch. Riedweg: Ps.-Justin (Markell von An­ genes und sein Erbe. Gesammelte Studien
kyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher (Berlin, New York 2007) [TU 160] 63–90.
“Cohortatio ad Graecos”). Einleitung und 731 P. P. Fuentes González: Épictète, in: DPhA
Kommentar, I–II (Basel 1994) [SBA 25,1–2]. III (Paris 2000) 106–151.
718 F. Romano: La scuola filosofica e il com­ 732 W. Kinzig: Überlegungen zum Sitz im Leben
mento, in: Lo spazio letterario della Grecia der Gattung Πρὸς Ἕλληνας / Ad nationes, in:
antica. I,3: La produzione e la circolazione del Rom und das himmlische Jerusalem. Die frü­
testo: I Greci e Roma, a cura di G. Cambiano, hen Christen zwischen Anpassung und Ab­
L. Canfora, D. Lanza (Roma 1994) 587–611. lehnung, herausgegeben von R. von Haehling
719 M. Sachot: Homilie, in: RAC 16 (1994) 148– (Darmstadt 2000) 152–183.
175. 733 B. Wehner: Die Funktion der Dialogstruktur
720 K. Thraede: Hymnus I, in: RAC 16 (1994) in Epiktets Diatriben (Stuttgart 2000) [PhdA
915–946. 13].
721 R. Smith: Julian’s Gods. Religion and Philo­ 734 Cratete di Mallo: I frammenti. Edizione, in­
sophy in the Thought and Action of Julian the troduzione e note a cura di M. Broggiato (La
Apostate (London, New York 1995). Spezia 2001) [Pleiadi 2].
722 J. Divjak et al.: Epistulae, in: Augustinus-Le­ 735 B. Conring: Hieronymus als Briefschreiber.
xikon 2 (1996–2002) 893–1057. Ein Beitrag zur spätantiken Epistolographie
723 Ch. Riedweg: «Pythagoras hinterließ keine (Tübingen 2001) [STAC 8].
einzige Schrift» – ein Irrtum? Anmerkungen 736 R. Cribiore: Gymnastics of the Mind. Greek
zu einer alten Streitfrage, in: MH 54 (1997) Education in Hellenistic and Roman Egypt
65–92. (Princeton 2001).

01_2 Einleitung Biblio.indd 130 25.09.18 09:23


Hauptsächliche literarische Gattungen philosophischer Wissensvermittlung 131
737 W. D. Furley, J. M. Bremmer: Greek Hymns. 754 Erotapokriseis. Early Christian Question-
Selected Cult Songs from the Archaic to the and-Answer Literature in Context. Proceed­
Hellenistic Period, I–II (Tübingen 2001) ings of the Utrecht Colloquium, 13–14
[STAC 9–10]. October 2003, edited by A. Volgers, C. Zama­
738 I. Männlein-Robert: Longin: Philologe und gni (Leuven 2004) [Contributions to Biblical
Philosoph. Eine Interpretation der erhalte­ Exegesis & Theology 37].
nen Zeugnisse (München, Leipzig 2001) 755 C. A. Huffman: Archytas of Tarentum. Pytha­
[BzA 143]. gorean, Philosopher and Mathematician King
739 Aporia dans la philosophie grecque des ori­ (Cambridge 2005).
gines à Aristote. Travaux du Centre d’Études 756 Die ‹Wahre Lehre› des Kelsos, übersetzt und
aristotéliciennes de l’Université de Liège, erklärt von H. E. Lona (Freiburg et al. 2005)
édité par A. Motte, Ch. Rutten (Louvain-la- [KfA, Ergänzungsband 1].
Neuve 2001) [Aristote: Traduction et études]. 757 J. C. Thom: Cleanthes’ Hymn to Zeus. Text,
740 R. van den Berg: Proclus’ Hymns. Essays, Translation, and Commentary (Tübingen
Translations, Commentary (Leiden 2001) 2005) [STAC 33].
[PhA 90]. 758 G. Zuntz: Griechische philosophische Hymnen,
741 S. Fazzo: Aporia e sistema. La materia, la aus dem Nachlaß herausgegeben von H. Can­
forma, il divino nelle Quaestiones di Alessan­ cik, L. Käppel (Tübingen 2005) [STAC 35].
dro di Afrodisia (Pisa 2002) [Pubblicazioni 759 L. Fladerer, D. Börner-Klein: Kommentar, in:
della Facoltà di lettere e filosofia RAC 21 (2006) 274–329.
dell’Università di Pavia 97]. 760 V. Hösle: Der philosophische Dialog. Eine
742 A. Ford: The Origins of Criticism. Literary Poetik und Hermeneutik (München 2006).
Culture and Poetic Theory in Classical 761 G. Radke: Das Lächeln des Parmenides: Pro­
Greece (Princeton, Oxford 2002). klos’ Interpretationen zur Platonischen Dia­
743 A. Long: Epictetus. A Stoic and Socratic logform (Berlin 2006) [UaLG 78].
Guide to Life (Oxford 2002). 762 R. K. Gibson, A. D. Morrison: Introduction:
744 S. Van der Meeren: Le protreptique en philo­ What is a Letter?, in: Morello, Morrison 2007
sophie: Essai de définition d’un genre, in: [*764: 1–16].
REG 115 (2002) 591–621. 763 T. Krämer: Augustinus zwischen Wahrheit
745 Metaphor, Allegory and the Classical Tradi­ und Lüge. Literarische Tätigkeit als Selbstfin­
tion. Ancient Thought and Modern Revi­sions, dung und Selbsterfindung (Göttingen 2007)
edited by G. R. Boys-Stones (Oxford 2003). [Hypomnemata 170].
746 G. R. Boys-Stones: The Stoics’ Two Types of 764 Ancient Letters. Classical and Late Antique
Allegory, in: Boys-Stones 2003 [*745: 189– Epistolography, edited by R. Morello, A. D.
216]. Morrison (Oxford 2007).
747 D. J. Califf: Metrodorus of Lampsacus and 765 Ch. Riedweg: Pythagoras: Leben – Lehre –
the Problem of Allegory: an Extreme Case?, Nachwirkung. Eine Einführung (München
in: Arethusa 36 (2003) 21–36. 2
2007).
748 D. Obbink: Allegory and Exegesis in the Der­ 766 N. Wilson: Scholiasts and Commentators, in:
veni Papyrus: The Origin of Greek Scholar­ GRBS 47 (2007) 39–70.
ship, in: Boys-Stones 2003 [*745: 177–188]. 767 R. Baasner: Stimme oder Schrift? Materiali­
749 D. Russell: The Rhetoric of the Homeric Pro­ tät und Medialität des Briefs, in: Adressat:
blems, in: Boys-Stones 2003 [*745: 217–234]. Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung,
750 M. Trapp: Greek and Latin Letters. An An­ her­ausgegeben von D. Schöttker (München
thology with Translation (Cambridge 2003) 2008) 53–69.
[CGLC]. 768 A. Ford: The Beginnings of Dialogue. Socra­
751 G. Betegh: The Derveni Papyrus: Theology, tic Discourses and fourth-century Prose, in:
Cosmology and Interpretation (Cambridge Goldhill 2008 [*769: 29–44].
2004). 769 The End of Dialogue in Antiquity, edited by
752 Handbook of Patristic Exegesis. The Bible in S. Goldhill (Cambridge 2008).
Ancient Christianity, edited by Ch. Kannen­ 770 M. Hose: Konstruktion von Autorität: Julians
giesser, I–II (Leiden, Boston 2004). Hymnen, in: Kaiser Julian ‘Apostata’ und die
753 P. T. Struck: Birth of the Symbol: Ancient philosophische Reaktion gegen das Christen­
Readers at the Limits of Their Texts (Prince­ tum, herausgegeben von Ch. Schäfer (Berlin,
ton 2004). New York 2008) [Millennium-Studien 21] 157–
175.

01_2 Einleitung Biblio.indd 131 25.09.18 09:23


132 Bibliographie zum ersten Kapitel

771 C. A. Huffman: Heraclitus’ Critique of Pytha­ 782 Mesomede: Inno a Φύσις. Introduzione, testo
goras’ Enquiry in Fragment 129, in: OSAPh critico, traduzione, commento a cura di S.
35 (2008) 19–47. Lanna (Roma 2013) [Seminari romani di cul­
772 B. Zimmermann: Philosophie als Psychothe­ tura greca Quaderni 15].
rapie. Die griechisch-römische Consolations­ 783 R. Thiel: Zum philosophischen und philoso­
literatur, in: Stoizismus in der europäischen phisch-theologischen Dialog in der paganen
Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. und christlichen Spätantike, in: Föllinger,
Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Müller 2013 [*781: 141–152].
Moderne, herausgegeben von B. Neymeyr, J. 784 U. Dietsche: Strategie und Philosophie bei
Schmidt, B. Zimmermann (Berlin, New York Seneca. Untersuchungen zur therapeutischen
2008) I 193–213. Technik in den ‹Epistulae morales› (Berlin,
773 Iamblichus of Chalcis: The Letters, edited Boston 2014) [BzA 329].
with a translation and commentary by J. M. 785 Epikur: Brief an Menoikeus. Edition, Über­
Dillon, W. Polleichtner (Leiden 2009) [Writ­ setzung, Einleitung und Kommentar von J. E.
ings from the Greco-Roman World 19]. Heßler (Basel 2014) [Schwabe Epicurea 4].
774 M. Fox: Heraclides of Pontus and the Philoso­ 786 N. McLynn: Julian and the Christian Profes­
phical Dialogue, in: Heraclides of Pontus. sors, in: Being Christian in Late Antiquity. FS
Discussion, edited by W. W. Fortenbaugh, E. Gillian Clark, edited by C. Harrison, C. Hum­
Pender (New Brunswick NJ, London 2009) fress, I. Sandwell (Oxford 2014) 120–136.
[Rutgers University Studies in Classical Hu­ 787 F. Schleicher: Cosmographia Christiana. Kos­
manities 15] 41–67. mologie und Geographie im frühen Christen­
775 R. Nünlist: The Ancient Critic at Work. Terms tum (Paderborn 2014).
and Concepts of Literary Criticism in Greek 788 G. Agosti: Paideia greca e religione in iscri­
Scholia (Cambridge 2009). zioni dell’età di Giuliano, in: L’imperatore
776 I. Tanaseanu-Döbler: Synesios von Kyrene Giuliano. Realtà storica e rappresentazione,
zwischen Platonismus und Christentum, in: a cura di A. Marcone (Firenze 2015) [Studi
Synesios von Kyrene: Polis – Freundschaft – sul mondo antico 3] 223–239.
Jenseitsstrafen. Briefe an und über Johannes, 789 G. A. Cecconi: Giuliano, la scuola, i cristiani:
eingeleitet, übersetzt und mit interpretieren­ note sul dibattito recente, in: L’imperatore
den Essays versehen von K. Luchner et al. (Tü­ Giuliano. Realtà storica e rappresentazione,
bingen 2010) [Schriften der späteren Antike zu a cura di A. Marcone (Firenze 2015) [Studi
ethischen und religiösen Fragen 17] 119–150. sul mondo antico 3] 204–222.
777 Giamblico: I frammenti dalle Epistole. Intro­ 790 C. Edwards: Absent Presence in Seneca’s
duzione, testo, traduzione e commento a cura Epistles: Philosophy and Friendship, in: The
di D. P. Taormina, R. M. Piccione (Napoli Cambridge Companion to Seneca, edited by S.
2010) [Elenchos 56]. Bartsch, A. Schiesaro (Cambridge 2015) 41–53.
778 A. Bernabé: Platón y el orfismo. Diálogos 791 Hymnic Narrative and the Narratology of
entre religión y filosofía (Madrid 2011) [Lec­ Greek Hymns, edited by A. Faulkner, O.
turas, Serie Religión]. Hod­ k inson (Leiden 2015) [Mnemosyne
779 K. Luchner: Apologien in Briefen. Die Pla­ Suppl. 384].
ton-Briefe im Spiegel antiker Traditionen 792 N. Brumbaugh: Making the Hymn: Mesome­
über Platons Leben und Lehre (unveröffent­ dean Narrative and the Interpretation of a
lichte Habilitationsschrift München 2011). Genre, in: Faulkner, Hodkinson 2015 [*791:
780 Ch. Riedweg: Exegese als Kampfmittel in der 165–182].
Auseinandersetzung zwischen Heiden und 793 N. Devlin: A Philosopher and His Muse: The
Christen: Zum ‘Sündenbock’ von Lev 16 bei Narrative of Proclus’ Hymns, in: Faulkner,
Julian und Kyrill von Alexandrien, in: ZAC Hodkinson 2015 [*791: 183–205].
16 (2012) 439–476. 794 O. Hodkinson: Narrative Technique and Ge­
781 Der Dialog in der Antike. Formen und Funk­ neric Hybridity in Aelius Aristides’ Prose
tionen einer literarischen Gattung zwischen Hymns, in: Faulkner, Hodkinson 2015 [*791:
Philosophie, Wissensvermittlung und drama­ 139–164].
tischer Inszenierung, herausgegeben von S. 795 R. Schwitter: Umbrosa Lux. Obscuritas in der
Föllinger, G. M. Müller (Berlin 2013) [BzA lateinischen Epistolographie der Spätantike
315]. (Stuttgart 2015) [Hermes – Einzelschriften
107].

01_2 Einleitung Biblio.indd 132 25.09.18 09:23


Verwendbarkeit philosophischer Konzepte 133
796 G. Williams: Style and Form in Seneca’s Writ­ Tübingen, 28.–30. Juli 2014, herausgegeben
ing, in: The Cambridge Companion to von I. Männlein-Robert (Stuttgart 2017)
Seneca, edited by S. Bartsch, A. Schiesaro [Roma Aeterna 5] 85–110.
(Cambridge 2015) 135–149. 801 A. Sarri: Material Aspects of Letter Writing
797 Philosophus orator: Rhetorische Strategien in the Graeco-Roman World. 500 BC–AD
und Strukturen in philosophischer Literatur. 300 (Berlin, Boston 2018) [Materiale Textkul­
Michael Erler zum 60. Geburtstag, herausge­ turen 12].
geben von I. Männlein-Robert, W. Rother, St. 802 I. Männlein-Robert: Einleitung, in: Die ‹Tü­
Schorn, Ch. Tornau (Basel 2016) [Schwabe in­ binger Theosophie› (TüTh), eingeleitet, über­
terdisziplinär 10]. setzt und kommentiert von L. Carrara, I.
798 E. Bouchard: Du Lycée au Musée. Théorie Männlein-Robert (Stuttgart, im Druck).
poétique et critique littéraire à l’époque hel­ 803 R. Schwitter: Gebrauchstext oder Literatur?
lénistique (Paris 2016) [Hellenica]. Methodenkritische Überlegungen zur literari­
799 I. Männlein-Robert: Philosophie als Philolo­ schen Stellung des Privatbriefs in der Antike,
gie? Der Platoniker Longin und seine Kriti­ in: Zwischen Alltagskommunikation und lite­
ker, in: Riedweg 2017 [*603: 161–178]. rarischer Identitätsbildung. Kulturgeschichtli­
800 K. F. Pollmann: Porphyry, Metaphor/Alle­ che Aspekte lateinischer Epistolographie in
gory, and the Christians, in: Die Christen als Spätantike und Frühmittelalter, herausgege­
Bedrohung? Text, Kontext und Wirkung von ben von G. M. Müller (Stuttgart 2018) [Roma
Porphyrios’ Contra Christianos. Akten der Aeterna 7] 85–108.
internationalen Tagung an der Universität

Verwendbarkeit philosophischer Konzepte für jüdische, christliche und


gnostische Theologien

807 J. von Arnim: Quellenstudien zu Philo von losophischen Fakultäten der Universität
Alexandria (Berlin 1888) [Philologische Un­ Augsburg, historisch-sozialwissenschaftliche
tersuchungen 11]. Reihe 44].
808 Friedrich Ueberwegs Grundriss der Ge­ 814 Ch. Hein: Definition und Einteilung der Phi­
schichte der Philosophie. Erster Teil: Die Phi­ losophie. Von der spätantiken Einleitungslite­
losophie des Altertums. 12. umgearbeitete ratur zur arabischen Enzyklopädie (Frankfurt
und erweiterte Auflage von K. Praechter a. M., Bern, New York 1985) [Europäische
(Berlin 1926). Hochschulschiften, Reihe 20, Philosophie
809 Friedrich Ueberwegs Grundriss der Ge­ 177].
schichte der Philosophie. Zweiter Teil: Die 815 H. M. Schmidinger: Zur Geschichte des Be­
Patristische und Scholastische Philosophie. griffs «christliche Philosophie», in: Christli­
11. völlig neubearbeitete Auflage von B. che Philosophie im katholischen Denken des
Geyer (Berlin 1927). 19. und 20. Jahrhunderts. I: Neue Ansätze im
810 W. Pannenberg: Die Aufnahme des philoso­ 19. Jahrhundert, herausgegeben von E. Co­
phischen Gottesbegriffs als dogmatisches Pro­ reth, W. M. Neidl, G. Pfligersdorffer (Graz et
blem der frühchristlichen Theologie, in: ZKG al. 1987) 29–45.
70 (1959) 1–45. – Wieder in: Ders.: Grundfra­ 816 M. Hengel: Judentum und Hellenismus. Stu­
gen systematischer Theologie. Gesammelte dien zu ihrer Begegnung unter besonderer
Aufsätze (Göttingen 1967) 296–346. Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des
811 G. Ebeling: Theologie I. Begriffsgeschicht­ 2. Jahrhunderts vor Christus (Tübingen
lich, in: Die Religion in Geschichte und Ge­ 3
1988) [WUNT 10].
genwart 6 (Tübingen 31962) 754–769. 817 L. Honnefelder: Die Wissenschaftlichkeit der
812 E. Osborn: The Beginning of Christian Phi­ Theologie als Problem der Philosophie, in:
losophy (Cambridge et al. 1981). Philosophie und Wissenschaft, herausgegeben
813 Christen und Heiden in Staat und Gesell­ von W. Oelmüller (Paderborn 1988) 127–137.
schaft des zweiten bis vierten Jahrhunderts. 818 H. Görgemanns: Philosophie II. Patristik und
Gedanken und Thesen zu einem schwierigen Mittelalter. – A. Griechische Patristik, in:
Verhältnis, herausgegeben von G. Gottlieb, P. HWdPh 7 (1989) 616–623.
Barceló (München 1982) [Schriften der Phi­

01_2 Einleitung Biblio.indd 133 25.09.18 09:23


134 Bibliographie zum ersten Kapitel

819 H. M. Schmidinger: Philosophie, christliche, prolog in der Relektüre des Neuplatonikers


in: HWdPh 7 (1989) 886–898. Amelios, in: Studien zu Matthäus und Johan­
820 W. Burkert: Antike Mysterien. Funktionen nes. FS Jean Zumstein, herausgegeben von A.
und Gehalt (München 1990). Dettwiler, U. Poplutz (Zürich 2009) [Ab­
821 H. M. Schmidinger: Der Streit um die christ­ handlungen zur Theologie des Alten und
liche Philosophie in seinem Zusammenhang, Neuen Testaments 97] 377–397.
in: Christliche Philosophie im katholischen 830 Ch. Markschies: Kaiserzeitliche christliche
Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. III: Theologie und ihre Institutionen. Prolego­
Moderne Strömungen im 20. Jahrhundert, he­ mena zu einer Geschichte der christlichen
rausgegeben von E. Coreth, W. M. Neidl, G. Theologie (Tübingen 2010).
Pfligersdorffer (Graz et al. 1990) 23–47. 831 The Cambridge History of Philosophy in Late
822 Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament Antiquity, edited by L. P. Gerson, I–II (Cam­
aus Griechentum und Hellenismus. II,1–2: bridge 2010).
Texte zur Briefliteratur und zur Johannes­ 832 W. Burkert: Griechische Religion der archai­
apokalypse, herausgegeben von G. Strecker, schen und klassischen Epoche (Stuttgart et al.
U. Schnelle (Berlin, New York 1996). 2
2011) [Die Religionen der Menschheit 15].
823 S. Vollenweider: Weisheit am Kreuzweg: Zum 833 P. Van Nuffelen: Rethinking the Gods. Philo­
theologischen Programm von 1 Kor. 1 und 2, sophical Readings of Religion in the Post-
in: Kreuzestheologie im Neuen Testament, Hellenistic Period (Cambridge 2011).
herausgegeben von A. Dettwiler, J. Zumstein 834 J. N. Bremmer: Athenian Civic Priests from
(Tübingen 2002) [WUNT 151] 43–58. Classical Times to Late Antiquity, in: Civic
824 Paul in the Greco-Roman World. A Hand­ Priests: Cult Personnel in Athens from the
book, edited by J. P. Sampley (Harrisburg Hellenistic Period to Late Antiquity, edited
2003, London 22016). by M. Horster, A. Klöckner (Berlin, Boston
825 The Philosophy of the Commentators: 200– 2012) [RVV 58] 219–235.
600 AD. A Sourcebook, edited by R. Sorabji, 835 Ch. Markschies: Hellenisierung des Christen­
I–III (London 2004). tums. Sinn und Unsinn einer historischen
826 H. Cancik: Theologia, in: Religion in Ge­ Deutungskategorie (Leipzig 2012) [Forum
schichte und Gegenwart 8 (Tübingen 42005) Theologische Literaturzeitung 25].
251–254. 836 G. Karamanolis: The Philosophy of Early
827 Th. Kobusch: Christliche Philosophie. Die Ent­ Christianity (Durham NC, Bristol CT 2013).
deckung der Subjektivität (Darmstadt 2006). 837 S. Morlet: Christianisme et philosophie. Les
828 H. Görgemanns: Religiöse Philosophie und premières confrontations (Ier–VIe siècle)
philosophische Religion in der griechischen (Paris 2014).
Literatur der Kaiserzeit, in: Religiöse Philo­ 838 Ch. Riedweg: Aspects de la polémique philo­
sophie und philosophische Religion der frü­ sophique contre les chrétiens dans les quatre
hen Kaiserzeit, herausgegeben von R. premiers siècles, in: AEPHE 123 (2016) 151–
Hirsch-Luipold, H. Görgemanns, M. von Al­ 158. – Online unter: http://asr.revues.org/1442
brecht (Tübingen 2009) [STAC 51] 47–66. (Stand: Juli 2018).
829 S. Vollenweider: Der Logos als Brücke vom
Evangelium zur Philosophie: Der Johannes­

01_2 Einleitung Biblio.indd 134 25.09.18 09:23


Zweites Kapitel

Fortführung der hellenistischen Schulen

02_Hellenistische Schulen P08.indd 135 25.09.18 09:23


02_Hellenistische Schulen P08.indd 136 25.09.18 09:23
I. DIE SEXTIER UND POTAMON

§ 8. Quintus Sextius und seine Schule;


Potamon von Alexandrien

Gretchen Reydams-Schils

1. Quintus Sextius und seine Schule. – 2. Potamon von Alexandrien.

1. Quintus Sextius und seine Schule

Die wichtigste Quelle für Quintus Sextius ist Seneca, der eindeutig von ihm be­
einflusst ist (Lana 1992 [*2: 110–115], Griffin 22003 [*150: 37–43], Inwood 2005
[*147: 9–12, 15f.]). Dass es sich um eine Schule gehandelt haben soll und nicht um
einen einzelnen Denker, bezeugt Seneca mit der Andeutung «Sextiorum […] secta»
(Nat. 7,32,2). Obwohl Seneca festhält, dass die Schule noch in den Anfängen erlo­
schen sei, argumentiert Lana (1992 [*2: 111]), sie habe wahrscheinlich ca. sechzig
Jahre bestanden (40 v. Chr. – 19 n. Chr.), weil es mindestens zwei Generationen ge­
geben hat – Vater und Sohn (Claud. Mam. Anim. 2,8). Im Vergleich mit den ande­
ren Schulen, von denen bei Seneca die Rede ist – Akademiker, Skeptiker, Pytha­
goreer – ist das tatsächlich eine relativ kurze Zeit.
Sextius’ Selbststilisierung als Philosoph nach griechischem Vorbild war viel um­
fassender als diejenige Ciceros. Erstens schrieb er auf Griechisch (Sen. Epist. 59,7)
und ist in dieser Hinsicht auch wichtig für Stoiker der Kaiserzeit wie Musonius
Rufus, Epiktet und Mark Aurel. Zweitens verweigerte er jedes politische Engage­
ment (Sen. Epist. 98,13): Caesars Angebot einer Senatsstelle schlug er aus. Dies
könnte eine zeitgemäße Form politischer Opposition sein: Es ist z. B. bekannt,
dass M. Marcellus die Gnade Caesars nicht angenommen hat (Cic. Fam. 4,7–12).
Auf das ‘Römisch-Sein’ (romanitas) hat Sextius allerdings nicht verzichtet: Man
betont seine «Energie» («vigor»: Sen. Epist. 64,3) oder «Stärke» («robur»: Sen.
Nat. 7,32,2), die zu den ‘römischen Sitten’ (mores Romani) passen: «er philoso­
phiert in griechischer Sprache, aber römischer Geisteshaltung» («Graecis verbis,
Romanis moribus philosophantem»: Sen. Epist. 59,7). Aus dieser Perspektive lässt
sich auch sein Vergleich der Philosophie mit einem kriegerischen Unternehmen
verstehen (Sen. Epist. 59,7f.). Diese Selbststilisierung des Sextius hat den doppel­
ten Vorteil, dass er sowohl den ‘römischen Sitten’ als auch Platons Ideal vom
Wächter­Philosophen in der ‹Politeia› entspricht.
Das Denken des Sextius soll hauptsächlich vom Stoizismus beeinflusst gewesen
sein, und doch wollte er sich laut Seneca nicht als Stoiker bezeichnen (Epist. 64,2).

02_Hellenistische Schulen P08.indd 137 25.09.18 09:23


138 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Bemerkenswert ist die Aussage, Jupiter übertreffe durch nichts den «guten Mann»
(vir bonus) und sei nicht seliger als der Weise, auch wenn das Glück der Götter von
längerer Dauer sei (Sen. Epist. 73,12–15). Man weist öfter auf platonische und
pytha­goreische Einflüsse hin, und doch sind diese nicht eindeutig. Zwar hat ­Sextius
z. B. angenommen, die Seele sei unkörperlich (Claud. Mam. Anim. 2,8), aber er hat
hinzugefügt, dass ihr «keine bestimmte Stelle» (inlocalis) im Körper zugewiesen
ist, was im Gegensatz zur ersten Aussage nicht mit der platonischen Auffassung
der Psyche (vgl. Plat. Tim. 87aff.) übereinzustimmen scheint (vgl. aber kritisch dazu
I. Hadot 2007 [*6], die diese Aussagen als mittelplatonisch klassifiziert). Auch mit
Verweisen auf den Pythagoreismus sollte man zurückhaltend sein: In der Tat pro­
pagierte Sextius den Vegetarismus, aber nicht aufgrund einer Lehre von Seelen­
wanderung, sondern da er das Schlachten und Verspeisen von Tieren für grausam
und unnatürlich hielt (Sen. Epist. 108,17ff.; zum Vege­tarismus vgl. Musonius Diatr.
18a). Ein wichtiger Hinweis auf die Rezeption pythagoreischen Gedankenguts
durch Sextius ist die Passage in Senecas ‹De ira› (Dial. 5,36,1f.), nach der Sextius
die ­tägliche Gewissenserforschung am Abend empfahl, was eine Übung nach Art
der Pythagoreer ist, obwohl sie diesen eventuell nur zur Gedächtnisstärkung diente
(vgl. Cic. Cato 38; aber siehe auch Ps.-Pyth. Carm. aur. 40–44).
Unter den Schülern des Sextius sollen sein Sohn, Papirius Fabianus, L. Crassi­
cius Pasicles (Pansa) und A. Cornelius Celsus gewesen sein (Lana 1992 [*2: 112]).
Wenn der Sohn des Sextius der bei Plinius dem Älteren erwähnte Sextius Niger
ist (Plin. Nat. 1,14), dann ist durch den Enzyklopäden für diesen ein überwiegend
medizinisches Interesse bezeugt. Papirius Fabianus ist wichtig im Hinblick auf die
folgenden Betrachtungen, weil er eine Brücke zwischen Rhetorik und Philosophie
geschlagen haben soll, also zwischen Seneca dem Älteren und seinem Sohn, dem
Philosophen (Sen. Contr. 2,7,4f.). Unter den Philosophen, die indirekt von Q. Sex­
tius beeinflusst sind, sei hier noch Sotion erwähnt, auch ein Lehrer Senecas des
Jüngeren (Sen. Epist. 108,17f.).

2. Potamon von Alexandrien

Potamon von Alexandrien ist schwer einzuordnen. Nach Diogenes Laertios


(D. L. 1,21; vgl. auch Suda II,177,13–20 Adler s. v. αἵρεσις und eventuell epigra­
phisches Material bei Runia 1988 [*1]) soll er eine ‘eklektische’ Schule gegründet
haben, d. h. eine Schule, die sich mit Absicht der Aspekte verschiedener philo­
sophischer Lehren bedient und diese neu zusammengesetzt haben soll. Der Be­
richt bei Diogenes Laertios ist knapp, und doch zitiert er aus Potamons Werk ‹Ele­
mentarlehre› (Στοιχείωσις) drei zentrale Themen seiner Lehre: 1) Epistemologie:
Als Kriterien für die Wahrheit nennt er: a) «das leitende Prinzip» (ἡγεμονικόν) als
Ursprung des Urteils, und b)  die «genaueste Vorstellung» (τὴν ἀκριβεστάτην
φαντασίαν) als Beispiel für die Art und Weise der Bestimmung (eine Vermischung
stoischer und skeptischer Elemente); 2) (Meta-)Physik: Die Grundprinzipien der
Wirklichkeit sind Materie (ὕλη), tätige Ursache (ποιοῦν), Qualität (ποιότης) und
Ort (τόπος), mit einer Skizze einer sogenannten Metaphysik der Präpositionen

02_Hellenistische Schulen P08.indd 138 25.09.18 09:23


§ 8. Quintus Sextius und seine Schule; Potamon von Alexandrien (Bibl. 229) 139

(vgl. Sen. Epist. 65,8); 3) Ethik: Das Ziel (τέλος) ist ein Leben, das sich in der Ge­
samtheit von Tugend vervollkommnet, inklusive der naturgemäßen, körperlichen
und der äußeren Güter (d. h. eine Mischposition, so wie sie z. B. durch Cicero und
Antiochos von Askalon Platon und den Peripatetikern zugesprochen wird, Cic.
Fin. 4–5). Nach der ‹Suda› (IV,181,21f. Adler s. v. Ποτάµων) soll Potamon vor und
während der Zeit des Augustus gelebt und einen «Kommentar» (ὑπόμνημα) zu
Platons ‹Politeia› verfasst haben; da Simplikios in einem Kommentar von einem
Gelehrten desselben Namens berichtet, könnte es zumindest zwei verschiedene
Philosophen mit dem gleichen Namen gegeben haben (Simpl. In Cael. p. 606,33–
607,6; 652,9–654,11 Heiberg; vgl. Rescigno 2001 [*5]). Für die Entwicklung der
‘eklektischen’ Philosophie ab dem 17. Jahrhundert wurde Potamon als ein wichti­
ger Vorläufer bezeichnet (Kelley 2001 [*4: 579f.]).

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140 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

II. STOA

§ 9. Überblick

Gretchen Reydams-Schils

Die im Folgenden behandelten römischen Stoiker beschäftigen sich fast alle mit
der Ethik und ihrer Anwendung, und ihre Schriften sind weniger technisch-
philosophisch als die Werke der frühen Stoiker. Aufgrund unserer nur fragmen-
tarischen Einsicht in die erste Epoche des Stoizismus und der Tatsache, dass die
Unterscheidungen zwischen altem, mittlerem und kaiserzeitlichem Stoizismus
nicht rigide eingehalten werden können, sind die Neuerungen des römischen Sto-
izismus nicht eindeutig festzustellen. Offenkundig waren die Kenntnisse der üb-
rigen Gebiete des stoischen Systems außerhalb der Ethik in dieser Epoche gut.
Zeugen hierfür sind die sogenannten doxographischen Arbeiten, d. h. systemati-
sche Überblicke zur Lehre der verschiedenen Schulen, wie der des Diogenes
­Laertios, die durch Stobaios erhaltenen Texte des Areios Didymos, des Hofphilo-
sophen des Kaisers Augustus, und die Arbeiten des Sextus Empiricus. Auch in der
Polemik findet sich sehr viel Material, aber ent­sprechend subjektiv verfärbt. Diese
Polemik ist eine Fortsetzung der Debatte zwischen den Stoikern und der skepti-
schen Akademie im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. Eine Polemik ist implizit bezeugt
in mittelplatonischen Texten wie dem ∆ιδασκαλικός (‹Lehrbuch [über die Grund-
sätze Platons]›) des Alkinoos und explizit bei Philon von Alexandrien und späte-
ren Autoren wie Plutarch, Galen und Alexander von Aphrodisias. Die christlichen
Schriftsteller der ersten zwei Jahrhunderte, wenn sie sich für Physik, Psychologie
und Logik interessierten, griffen auf frühere Generationen der Stoiker zurück.
Die Werke der römischen Stoiker sind in ihrer ‘Tiefenstruktur’ über den Be-
reich der Ethik hinaus mit der stoischen Lehre verknüpft. So finden sich Andeu-
tungen zu Logik und Physik: Seneca widmete letzterer ein ganzes Werk, seine ‹Na-
turales quaestiones›. Von Musonius Rufus und Epiktet, die im Gegensatz zu
Seneca Philosophielehrer waren, wissen wir, dass sie technische Schulübungen
veranstaltet haben, bei denen im Falle Epiktets die Lektüre von Arbeiten Chry-
sipps eine z­ entrale Rolle spielte, auch wenn die erhaltenen Vorlesungen nicht aus
dieser Schulpraxis stammen. Die Betrachtungen des Hierokles zeigen, wie eine
theoretische Abhandlung über ein Thema, das zum Grenzbereich zwischen Phy-
sik und Ethik gehört, mit praktischen ethischen Empfehlungen zum Leben in der
Gemeinschaft und dem Verhältnis zu den Göttern verknüpft wird.
Im Folgenden wird ein Überblick geboten über Cornutus, Seneca, Musonius
Rufus, Epiktet, Mark Aurel und Hierokles. Zwei weitere Figuren sind ebenfalls
von Bedeutung für die Geschichte des Stoizismus in dieser Epoche: Chairemon
und Kleomedes. Chairemon (Van der Horst 1984 [*19], Frede 1989 [*34]) war ein
ägyptischer Priester und Stoiker, der Nero in Rom unterrichtet hat; für ihn ist In-
teresse auf den Gebieten Geschichte, Sprachlehre, Religion, Astrologie, Hiero-

02_Hellenistische Schulen P09-P17.indd 140 25.09.18 09:23


§ 10. L. Annaeus Cornutus (Bibl. 230) 141

glyphen und Allegorese bezeugt. Er wird u. a. durch Porphyrios zitiert. Von Kleo-
medes (Bowen, Todd 2004 [*27]) ist eine Arbeit über die Astronomie (‹Caelestia›)
erhalten, die auch ein wertvolles Zeugnis über Poseidonios ­darstellt.
Die zentrale Bedeutung der ethischen Praxis und der Soziallehre ist bei allen rö-
mischen Stoikern gleichermaßen festzustellen. Wie ihre platonischen Gegenspieler
beabsichtigten sie eine ‘Umkehr’ mittels der Psychagogie, weg von falschen Werten
zum Guten im stoischen Sinne; eine Art Konversion, die eine Konzentration auf das
Selbst und die innere Rationalität voraussetzt. Zu dieser Konversion gehören die
vielfach verbreiteten Übungen wie die Einschätzung der eigenen Fortschritte und
Fehlschläge, die ständige Reflexion über das Gute und die Stärkung gegen Un-
glücksfälle im herkömm­lichen Sinne wie Armut, Verlust, Krankheit und Tod. Diese
Innerlichkeit erhält aber ihre wahre B ­ edeutung nur im Rahmen eines rational und
von göttlicher Vorsehung geordneten Kosmos und steht im Dienste des richtigen
Verhaltens gegenüber den Mitmenschen und der sozialen Verantwortung.
Für all diese späteren Stoiker war Sokrates von grundsätzlicher Bedeutung
(Sellars 2003 [*37], Gill 2006 [*39]). Generell kann man sagen, dass diese Prägung
von dreierlei Art ist: 1) thematisch: in Thesen wie z. B., dass die Tugend das glück-
liche Leben ausmacht; 2) stilistisch: in der Art zu philosophieren, meistens durch
ein Gespräch; und 3)  paradigmatisch: Sokrates als Vorbild für ein g ­ elungenes
Leben und einen mutigen Tod.

§ 10. L. Annaeus Cornutus

Gretchen Reydams-Schils

Cornutus dürfte, wie sein Name andeutet, ein Freigelassener der ‘gens Annaea’
sein, d. h. der Familie Senecas. Er soll aus Leptis Magna in Nordafrika stammen.
Nach Dio Cassius (62,29,1–4) und ‹Suda› (III,159 Adler) fiel Cornutus der Rache
von Nero zum Opfer, wurde von ihm ins Exil geschickt (um 63–65, so Nock 1931
[*60: 995], wie Musonius Rufus) und vielleicht auch beseitigt (wie Seneca). Er war
der Lehrer der Dichter Persius und Lukan, und mög­licherweise widmete er eine
seiner Schriften Silius Italicus (Charisius Gramm. 1,125,16 Keil).
Er hatte breit gefächerte Interessen auf dem Grenzgebiet zwischen der Tätigkeit
des «Lehrers» (grammaticus) und des Philosophen. Arbeiten zu Literatur, Gram-
matik und Sprachlehre sind für ihn bezeugt, wie auch eine starke Anlehnung an
die stoische Verknüpfung zwischen Physik/Theologie und Ethik. Er verfasste
Werke in lateinischer und griechischer Sprache: Nach Porphyrios (In Cat. p. 86,20–
24 Busse) und Simplikios (In Cat. p. 62,24–28 Kalbfleisch; Hays 1983 [*52: App. 2,
a.1–8]) soll er über Aristoteles’ ‹Kategorien› geschrieben haben. Arbeiten über
Vergil sind bezeugt, wie auch ‹De figuris sententiarum› (‹Über Stilfiguren›),

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142 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Ῥητορικαὶ τέχναι (‹Lehrbuch der Rhetorik›) und ‹De enuntiatione vel orthographia›
(‹Von der Aussprache oder der Rechtschreibung›). Nach Angabe eines Papyrus
(P.  Oxy. 3649) hat er auch eine philosophische Abhandlung Περὶ ἑκτῶν (‹Über
Güter, die man besitzen kann›, oder vielleicht ‘Eigenschaften’; vgl. D. L. 3,105; Sed-
ley 2005 [*63]) veröffentlicht. Er besorgte wahrscheinlich durch Caesius Bassus die
Ausgabe des Persius. Zu den Schriften, die ihm zugeschrieben wurden, aber un-
echt sind, gehören Kommentare zu Persius und Juvenal, sowie Deutungen von
­Hesiods ‹Theogonie›.
Der Titel der Schrift, die von ihm erhalten ist, ist nicht eindeutig bezeugt:
Ἐπιδροµὴ τῶν κατὰ τὴν Ἑλληνικὴν θεολογίαν παραδεδοµένων (‹Kompendium
der überlieferten Meinungen zur griechischen Theologie›) oder auf Lateinisch
‹Theologiae Graecae compendium› nach Langs Ausgabe (aber auch ‹De natura
deorum› in der Überlieferung). Diese Schrift ist ein Lehrbuch für einen «Knaben»
(παιδίον). Es enthält hauptsächlich etymologische Erklärungen von Götternamen.
Die Methode ist wichtig, weil bekannt ist, dass es in der Stoa eine gut entwickelte
Tradition solcher etymologischer Auslegungen gab, obwohl heute die Frage um-
stritten ist, inwiefern die Stoiker allegorische Interpretationen von Dichtungen
anerkannten (siehe Überblick und Analyse von Ramelli 2003 [*53: 31–41]). Im
stoischen Umfeld sind solche Etymologien mit der Annahme verbunden, dass ers-
tens die Ursprache der Menschen der Natur und den Dingen gemäß war und dass
zweitens die ersten Generationen von Dichtern und Weisen dieser Verknüpfung
von Sprache und Wirklichkeit am nächsten standen und deswegen einen direkten
Zugang zur Wahrheit hatten (und so verweist auch Cornutus durchaus auf die
«Alten», παλαιοί, vgl. den Index bei Lang 1881 [*49], und Kap. 35 Lang; Boys-
Stones 2001 [*62]).
Im zeitgenössischen Rahmen kann Cornutus’ Arbeit verglichen werden mit
dem, was über Chairemons Interpretation der Hieroglyphen in Ägypten bekannt
ist, den ‹Homerischen Allegorien› Heraklits (1. Jh. n. Chr.) und der eher plato-
nisch orientierten Allegorese in der Ps.-Plutarchischen Schrift Περὶ τοῦ βίου καὶ
τῆς ποιήσεως Ὁµήρου (‹Über das Leben und die Dichtung Homers›).
Cornutus’ Abhandlung trägt deutliche Züge stoischer Physik: Der Himmel ist
äußere Grenze der Realität (1); eine feurige Substanz bildet die Grundlage aller
Dinge, so auch der menschlichen Seele (1); Zeus wird mit der Seele der Welt iden-
tifiziert (2), und der Himmel mit dem dominanten Teil der Seele; die verschiede-
nen Götter sind Aspekte der einen physisch tätigen Gottheit Zeus (passim, siehe
z. B. Athene 20; Atlas 26; Herakles 31); die Welt ist aus Feuer entstanden und wird
auch wieder in diesem erlöschen (17); die All-Seele ist gleichzusetzen mit einer
Fürsorge, die sich besonders auf den Menschen bezieht (18). Gegen die dominante
Tendenz im Stoizismus scheint er anzunehmen, dass das «leitende Prinzip» der
Seele (ἡγεµονικόν) sich im Kopf und nicht im Herzen befindet (20). Nach Iambli-
chos bei Stobaios (Ecl. 1,49,43, I,383,28–384,2 Wachsmuth) glaubte Cornutus, dass
die Seele entweder vor dem Körper stirbt oder mit ihm. Cornutus betont auch den
Zusammenhang zwischen Physik und Ethik, wenn er z. B. erwähnt, dass die
­Tugenden eine untrennbare Einheit bilden (14) oder dass die Menschen die
­«Absicht» (βούληµα) der Götter kennen durch «Gedanken, die sich aufgrund der

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 143

Rationalität in uns befinden» (ἐκ τῶν ἐνδεδοµένων ἡµῖν κατὰ τὸν λόγον ἐννοιῶν:
16). So fordert das Ende des Textes auch zu wahrer Pietät gegenüber den Göttern
auf, die vom Aberglauben zu unterscheiden sei. Cornutus’ ethische Interessen sind
­bezeugt bei Persius (5,21ff., wo Cornutus mit Sokrates verglichen wird) und Dio
Cassius, bei dem es über Cornutus heißt: «er war damals wegen seiner Bildung
­berühmt» (εὐδοκιµοῦντα τότε ἐπὶ παιδείᾳ: 62,29,2f.). Er scheint ein besonderes
Interesse an Kleanthes gehabt zu haben (Cornutus 31; Persius 5,62–64), und der
‹Vita Persii› (32,35–33,40 Clausen) zufolge soll er nach dem Tod des Satirikers des-
sen Bibliothek einschließlich ca. 700 Buchrollen mit Arbeiten Chrysipps erhalten
haben. Das Kapitel 15 über die Grazien ist vergleichbar mit den Aus­sagen, die
Seneca Chrysipp und Hekaton zuschreibt (Benef. 1,3f.; vgl. auch Epist. 88,5),
wobei der römische Philosoph diese Art von Etymologien scharf kritisiert.

§ 11. L. Annaeus Seneca

Gretchen Reydams-Schils

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Wir wissen nicht genau, wann Lucius Annaeus Seneca im spanischen CÓrdoba
geboren ist (wahrscheinlich zwischen 4 v. und 1 n. Chr.). Er war der zweite Sohn
des Rhetors Seneca des Älteren. Seine Mutter war Helvia. Ihr ältester Sohn war
L. Annaeus Novatus, später nach der Adoption durch den gleichnamigen Rhetor
Gallio genannt; L. Annaeus Mela war der jüngste. Seneca selbst berichtet uns,
dass sein Vater nicht viel von der Philosophie hielt (Epist. 108,22). Seneca soll von
Sotion, Attalus und Papirius Fabianus, die er als Lehrer nennt, beeinflusst wor-
den sein, und damit gehört er indirekt zum Kreis des Quintus Sextius. Er scheint
nicht in Griechenland studiert zu haben. Sein ganzes Leben lang litt er unter ge-
sundheitlichen Problemen (Epist. 78,1). Eine Tante soll ihn nach Rom begleitet
haben und später auch nach Ägypten, wo er sich von seiner Krankheit erholen
wollte. Nach seiner Rückkehr nach Rom (im Jahre 31, so Maurach 42005 [*149:
28]) war er politisch tätig, u. a. als Quaestor (zwischen 33 und 36 n. Chr.). Bereits
während Caligulas Herrschaft erregte er den Ärger des Kaisers (Suet. Cal. 53,2;
Cass. Dio 59,19,7f.). Unter Claudius wird er 41 n. Chr. nach Korsika verbannt,

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144 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

wegen einer vermeintlichen Affäre mit Julia Livilla, Caligulas jüngerer Schwester
(Cass. Dio. 60,8,5). Zu Beginn des Jahres 49 wird er aus dem Exil zurückberufen
(Grimal 1978 [*113: 81]) und kurz danach als Erzieher Neros angestellt, der
54  Kaiser wird (Seneca soll seine Thronrede geschrieben haben, vgl. Tac.
Ann. 13,3). Die Beziehung zu Nero dominiert sein weiteres Leben. Kurz nachdem
Nero Brittanicus ermorden ließ (55 n. Chr.), schreibt Seneca seine Arbeit ‹De cle-
mentia›, die an Nero gerichtet ist. Wir wissen nicht, ob Seneca ein- oder zweimal
verheiratet war, aber er erwähnt mit Namen seine Ehefrau Pompeia Paulina
(Epist. 104,1f.). Auch verweist er auf den Tod eines Sohnes (Dial. 12,2,5). Im Jahre
58 entsteht das negative Urteil, dass Seneca ein Heuchler sei, aufgrund des Kon-
flikts mit Suillius Rufus: Dieser wurde des Denunziantentums gegen Geld
­angeklagt und beschuldigte während des Prozesses Seneca, er habe sich als Günst-
ling Neros in ungeheurem Maße bereichert, was kaum zum bedürfnislosen Wei-
sen passe (Tac. Ann. 13,42f.; 14,52; Cass. Dio 61,10,1–6; 62,2,1; vgl. Maurach 42005
[*149: 10–14]). Des Weiteren sprechen seine Kritiker von einem schlechten Ein-
fluss auf Nero (Cass. Dio 61,12,1), Schmeichelei und anderem Fehlverhalten auf-
grund von Schwäche (Tac. Ann. 14,7. 11. 14). Das Verhältnis zu Nero wird nach
dessen Mord an seiner Mutter Agrippina (59 n. Chr.) immer problematischer, und
Seneca versucht nach Burrus’ Tod 62 – vergebens – sich seines Reichtums zu ent-
ledigen und sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen (Tac. Ann. 14,52–56;
15,45); wie die Reden in Tacitus’ Darstellung und seine eigene Schrift ‹De vita
beata› zeigen, bemühte sich Seneca um eine Art philosophisch begründete Apo-
logie. Im Jahr 65 n. Chr. wird sein Name im Zusammenhang mit der Verschwö-
rung Pisos genannt (Tac. Ann. 15,56; Cass. Dio 62,24,1), und Seneca wird von
Nero zur Selbsttötung aufgefordert (Tac. Ann. 15,60–64; Cass. Dio 62,25,1–3;
Müller 2003 [*142: 239–251]). Nach Tacitus soll Senecas Tod als Vorbild des stoi-
schen Muts ­gelten (Tac. Ann. 15,62).

2. WERKE

Gute Zusammenfassungen der Werke Senecas   5 ‹De clementia› – ‹Über die Milde›. Nicht voll-
bei Maurach 42005 [*149] und Cooper, Procopé ständig.
1995 [*87]. Die absolute Chronologie ist nicht ge-   6 ‹De beneficiis› – ‹Über die Wohltaten›.
sichert (Grimal 1978 [*113: 262–323]), aber man   7 ‹De constantia sapientis› (Dial. 2) – ‹Über die
kann Gruppen von Schriften unterscheiden (zur Standhaftigkeit des Weisen›.
Chronologie der Dialoge vgl. Giancotti 1957   8 ‹De brevitate vitae› (Dial. 10) – ‹Über die
[*103]: Synopsis diverser Datierungsversuche zw. Kürze des Lebens›.
447 und 449 eingefügt; Abel 1985 [*117: 703–711]).   9 ‹De vita beata› (Dial. 7) – ‹Über das glück­
liche Leben›. Nicht vollständig.
  1 ‹Consolatio ad Marciam› (Dial. 6) – ‹Trost- 10 ‹De tranquillitate animi› (Dial. 9) – ‹Über die
schrift an Marcia›. Seelenruhe›.
  2 ‹Consolatio ad Helviam matrem› (Dial. 12) – 11 ‹De otio› (Dial. 8) – ‹Über die Muße›. Nicht
‹Trostschrift an die Mutter Helvia›. vollständig.
  3 ‹Consolatio ad Polybium› (Dial. 11) – ‹Trost- 12 ‹De providentia› (Dial. 1) – ‹Über die Vorse-
schrift an Polybius›. Nicht vollständig. hung›.
  4 ‹De ira› (Dial. 3–5) – ‹Über den Zorn›. Nicht 13 ‹Naturales quaestiones› – ‹Naturwissen-
vollständig. schaftliche Untersuchungen›. Nicht vollständig,

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 145
bedeutende lacunae am Ende von IVa und am stitione›, ‹Exhortationes›, ‹Libri moralis
Anfang IVb; Senecas Anordnung könnte III, philosophiae›, ‹De vita patris›, ‹De remediis
IVa, IVb, V, VI, VII, I und II gewesen sein (Co- fortuitorum› (spätere Sammlung, aber vgl.
doñer 1989 [*121], Hine 1996 [*88: xxiv], vgl. In- Tert. Apol. 50,14). ‹De lapidum ­natura› und
wood 2005 [*147: 161–162]; anders Gercke 1896 ‹De piscium natura› sind keine Titel von Wer-
[*100: 7–158], Gauly 2004 [*146: 3–85]). ken Senecas, vgl. Lausberg 1989 [*122: 1930–
14 ‹Epistulae morales› – ‹Moralische Briefe›. 1932].
Nicht vollständig, 20 von mindestens 22 Bü- 16 Satire: ‹Apocolocyntosis› (über Claudius).
chern erhalten, nach Aussage von Aulus Gel- 17 Tragödien: ‹Agamemnon›, ‹Hercules furens›,
lius (12,2). ‹Hercules Oetaeus› (wohl nicht von Seneca),
15 Fragmente/Testimonia (Vottero 1998 [*89]): ‹Medea›, ‹Oedipus›, ‹Phaedra›, ‹Thyestes›,
‹Orationes›, ‹Poemata›, ‹Epistulae›, ‹De situ ‹Troades›, ‹Phoenissae› (nicht vollständig,
et sacris Aegyptiorum›, ‹De situ Indiae›, ‹De vielleicht ­u nbeendet), ‹Octavia› (unecht).
matrimonio›, ‹De motu terrarum›, ‹De forma 18 ‹Epigrammata› (Authentizität schwer zu be­
mundi›, ‹De officiis›, ‹Quomodo amicitia con- urteilen). Auch unecht: ‹Epistulae Senecae ad
tinenda sit›, ‹De immatura morte›, ‹De super- Paulum et Pauli ad Senecam›.

3. LEHRE

1. Sein und Ursache: Epist. 58 und 65. – 2. ‘Decreta’ und ‘praecepta’: Epist. 94 und 95. – 3. Die Bedeutung
der Ethik. – 4. Das Selbst, die Tugend und die Affekte. – 5. Die Gemeinschaft. – 6. Physik und Ethik. –
7. Verhältnis zur Tradition.

Möchte man Senecas Art des Philosophierens gerecht werden, beginnt man am
besten bei seiner Betrachtung einer konkreten Lebenslage und Herausforderung,
wie z. B. diejenige in Epist. 104. Das heißt auch, dass im Folgenden besonders die
Briefe Senecas, ein Spätwerk, als Rahmen für die Behandlung seiner Lehre be-
nutzt werden. Im gesamten Brief 104 wird das Selbst gleichermaßen auf philo­
sophische wie auf literarische Weise in seinen Beziehungen zu Mitmenschen und
Welt dargestellt. Der Brief beginnt mit einer aus gesundheitlichen Gründen un-
ternommenen Reise Senecas und seinem liebevollen Verhältnis zu seiner Ehefrau
Paulina. Die Perspektive des Briefes erweitert sich zunächst durch Gedanken über
die falsche Art des Reisens (Ortswechsel als Flucht, aus erhöhter Unruhe heraus,
aufgrund der Illusion von Freiheit und vermeintlicher Horizonterweiterung), dann
auch durch Überlegungen zu einer problematischen Abhängigkeit von Dingen
und Mitmenschen, von letzteren besonders angesichts des Todes (Epist. 104,11).
Das Vorbild des Sokrates, der ein schwieriges Verhältnis zu Frau und Kindern
hatte (Epist. 104,27f.), führt zu ethischen Vorbildern im Allgemeinen, wobei deut-
lich wird, dass korrektes Philosophieren die einzige und zugleich wichtigste
­Horizonterweiterung bewirkt, die Welt und Mitmenschen immer in Gedanken
präsent hält und zu persönlicher Freiheit führt (Epist. 104,34). Und hiermit sind
bereits viele der wichtigsten Themen Senecas angedeutet.
Auch wenn die Briefe an eine historische Person namens Lucilius adressiert
sein sollen, ist dieser mit fiktiven Zügen eines Adressaten gezeichnet, der an der
Schwelle einer Entscheidung für das philosophische Leben steht und dessen Fort-

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146 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

schritt der Leser, um sein eigenes Seelenheil besorgt, die Korrespondenz hindurch
verfolgen kann. Seneca hat einerseits ein unabhängiges Verhältnis zur Autorität
der Begründer des griechischen Stoizismus und deren Tradition: Er äußert Re­
spekt für einen Zenon oder Chrysipp (vgl. z. B. Epist. 22,11; 104,22; 108,38), aber
enthält sich nicht einer eigenen Stellungnahme (Epist. 33,4ff.; 45; 64). Anderer-
seits gibt er sich gegenüber Lucilius auch nicht als unfehlbar aus: Er erwähnt seine
eigenen Fehlschläge (z. B. Epist. 8,3; 63,14) und redet über sich selbst nicht, als sei
er ein Weiser, sondern als jemand, der Fortschritte macht (Epist. 116,5; vgl. 87,5;
Dial. 7,17f.). Mehrmals deutet er an, er schreibe so an Lucilius, als ob dieser bei
einem Selbstgespräch seines Freundes anwesend wäre (Epist. 27,1; vgl. 75,1). Und
so stellen die Briefe auch die philosophische Entwicklung Senecas dar und die
Selbsttherapie am Ende seines Lebens, aber nicht in systematisch-chronologischer
Form (I. Hadot 1969 [*108]).
Für die philosophische Identität Senecas könnte es wichtig sein, dass er in la-
teinischer Sprache philosophierte, im Gegensatz zu seinem Lehrer Sextius und
anderen Stoikern, von denen die meisten das Griechische bevorzugten. Damit
­erlangte er eine gewisse Eigenständigkeit als Autor. Als ethische Vorbilder er-
wähnt er häufig Cato Uticensis und Scipio Africanus maior (aber auch Cato Cen-
sorius und Scipio den Jüngeren; vgl. Dial. 6,25,2: «Scipiones Catonesque»). An-
ders als Cicero sah Seneca sich in seiner philosophischen Arbeit nicht in erster
Linie als Übersetzer und Vermittler griechischer Lehren (Grimal 1978 [*113: 34–
41], Inwood 2005 [*147: 20ff.]). Er zeigt ein Bewusstsein sprachlicher Unterschiede
zwischen dem Lateinischen und dem Griechischen (z. B. Epist. 58,6f.; 87,40; In-
wood 2005 [*147: 19f.]).

1. Sein und Ursache: Epist. 58 und 65

Die Briefe 58 und 65 sind sehr wichtig für die Geschichte der Philosophie
(­Setaioli 1988 [*120], Inwood 2007 [*93]). Brief 58 behandelt thematisch «das
Wesen» (οὐσία, essentia) und «das Seiende» (τὸ ὄν, quod est). Platon soll laut
Seneca sechs Formen des Seins bestimmt haben. Bevor sich Seneca mit diesen
beschäftigt, erläutert er eine peripatetisch inspirierte Einteilung des Seienden in
«Gattungen» (genera) und «Arten» (species), durch die er die «höchste G ­ attung»
(summum genus) ermitteln will. Für die Stoiker ist dieses das «etwas» (τι bzw.
quod), welches das Seiende der Platoniker überragt, weil es in unseren Gedan-
ken imaginäre Objekte wie z. B. Kentauren geben kann, die keinen Anspruch auf
das Sein erheben können, aber auch nicht ‘nichts’ sind (Epist. 58,15). Platons
sechs Modalitäten des Seins sind: 1) Das Sein «in Gedanken» (cogitabile), d. h.
die Dinge, die man nicht sensorisch wahrnehmen kann, wie Begriffe, welche die
Gattungen benennen, z. B. ‘Mensch’; 2) das Sein «per excellentiam», d. h. Gott;
3) das Sein «im eigentlichen Sinne» (quae proprie sunt) oder die Platonischen
Ideen, ewig und unveränderbar, die «Modelle» (exemplar) der physischen Reali-
tät; 4) mit deutlichem Anknüpfen an die peripatetische Tradition: die Form und
Struktur, die sich in den Dingen selbst befindet, in Nachahmung der Modell-Idee

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 147

(εἶδος oder «idos» bei Seneca); 5) die «gemeinsame Bestimmung» (quae commu-
niter sunt), die nach dem lateinischen Ausdruck wohl als Gegensatz zum eigent-
lichen Sein gemeint ist und auf die stoische «allgemeine Qualität» (κοινῶς ποιόν)
anspielt – z. B. Menschen, Tiere und Dinge (der Unterschied zum ersten und drit-
ten Seinsmodus ist nicht sofort deutlich); 6) als letztes, Dinge, die nur ein «Schein-
sein» (quae quasi sunt) haben, wie die Zeit und die Leere.
Brief 65 analysiert die ersten Ursachen, die Aristoteles und Platon bestimmt
haben sollen. Aristoteles nennt vier solche Ursachen: 1) die Materie; 2) den «Ur-
heber, Schöpfer» (opifex); 3) die «Form» in den Dingen (die in 58 schon erwähnte
«idos»); 4) das «Ziel» (propositum). Platon soll diese vier Ursachen auch ­anerkannt
haben, aber eine fünfte hinzugefügt haben: die Idee als Modell. Das Seiende ist
dann das Resultat, das aus der Interaktion dieser Ursachen hervorgeht. Hierbei
wird auch Platon eine Metaphysik der Präpositionen zugeschrieben: Die Ursachen
werden beschrieben als ‘ex quo’ (das «Aus-Was»), ‘a quo’ (das «Durch-Was»), ‘in
quo’ (das «In-Was»), ‘ad quod’ (das «Nach-Was»), ‘propter quod’ (das «Weswe-
gen») und schließlich ‘quod ex his est’ (das «Was aus diesen entsteht»). In seiner
Kritik an dieser ‘Masse’ von Ursachen (Epist. 65,11: «turba causarum»)
­argumentiert Seneca, dass diese Liste entweder nicht ausreichend sei (falls Platon
und Aristoteles alle Faktoren haben nennen wollen, die zu einer Tatsache beitra-
gen), oder aber, dass sie viel zu lang sei (für den Fall, dass sie nur die Hauptursa-
chen haben nennen wollen): Nach den Stoikern sind die zwei Grundprinzipien der
Realität die Materie und Gott, wobei nur Gott als das tätige Prinzip, als Ursache
bezeichnet werden kann. Es gibt also nur eine Grundursache.
Die beiden Briefe sind thematisch verknüpft durch die platonische Idee, die
aristotelische Form und Gott, die in Brief 58 als Seinsmodalitäten erwähnt wer-
den und in 65 als Ursachen. 65 verknüpft deutlicher als 58 die Ideen mit Gott: Hier
werden die Ideen, wie es auch für den sogenannten mittleren Platonismus bezeugt
ist, zu Gedanken Gottes (Epist. 65,7). Beide Briefe zeigen auch, dass die Debatte
über die stoische Auffassung einerseits und die platonisch-aristotelischen Posi­
tionen andererseits im Rahmen einer Deutung des platonischen ‹Timaios› gese-
hen werden muss (Reydams-Schils 1999 [*133]). So gehen beide Briefe mühelos
von einem menschlichen ‘artifex’, einem Bildhauer oder Maler, über zum ‘opifex’
der Welt, eben dem Demiurgen Platons (besonders deutlich ist dieses Echo in
Epist. 58,27–28; 65,10 ist ein ‹Timaios›-Zitat: Plat. Tim. 29d–e).

2. ‘Decreta’ und ‘praecepta’: Epist. 94 und 95

Ein wichtiger Schlüssel zum philosophischen Œuvre Senecas sind die Briefe 94
und 95 (I. Hadot 1969 [*108: 8f.], Ioppolo 2000 [*136]). Hier wird die Relevanz
theoretischer bzw. technisch philosophischer Reflexionen für den Lebensalltag
intensiv und kritisch diskutiert. Für Seneca sind die sogenannten ‘praecepta’, d. h.
«Ratschläge zu konkreten Lebenssituationen» (z. B. wie man sich als Sohn gegen-
über dem Vater zu verhalten hat), nicht gültig ohne die «Grundprinzipien» (de-
creta) der Philosophie, die sich auf das Leben als Ganzes beziehen (zur Definition

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148 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

beider vgl. Epist. 94,31). Umgekehrt können die Grundprinzipien ihre Kraft ohne
die konkreten Ratschläge nicht ausüben, womit Seneca sich gegen Ariston von
Chios wendet (inwiefern es sich dabei um moralische Regeln handelt, die dem Na-
turrecht entsprechen, ist eine umstrittene Frage, vgl. Inwood 2005 [*147: 95–131]).
Aus dieser Wechselbezüglichkeit von «Grundprinzipien» (decreta) und «Ratschlä-
gen» (praecepta) folgt, dass die mit den Ratschlägen übereinstimmenden Diskurs-
formen wie «Trostrede» (consolatio), «Ermunterung» (exhortatio), «Ermahnung»
(monitio), «Ratschlag» (suasio) und «Vorhaltung» (exprobratio: Dial. 9,5,2) aus
philosophischer Sicht genauso ernst zu nehmen sind wie z. B. eine Darstellung des
«höchsten Gutes» (summum bonum). Dies bedeutet, dass man nicht berechtigt
ist, Werke wie die drei Trostschriften als eher populär-moralisch zur Seite zu
schieben zugunsten eines sogenannten philosophischen Kerns. Berühmte und oft
diskutierte Briefe über eher theoretische Fragen wie das Sein (Epist. 58) oder die
ersten Ursachen (Epist. 65) – so wichtig sie für das Verständnis der Philosophie-
geschichte aufgrund ihres Reichtums an Informationen über die platonische und
peripatetische Tradition auch sind – sind für Seneca nicht ‘philosophischer’ als
­andere Passagen. Genau das Gegenteil könnte sogar der Fall sein. Vielleicht sind
solche Passagen nicht mehr als technische Fingerübungen, wie Seneca selbst zu
verstehen gibt, wenn er in beiden Briefen zur Frage übergeht, welchen Effekt
­solche spekulativen Auseinandersetzungen auf unser Handeln haben sollen
(Epist. 58,24ff., 65,15ff.; der Unterschied zwischen Rhetorik und ‘richtiger’ Phi-
losophie, so wie Cooper 2004 [*145] ihn anführt, trifft nicht zu).

3. Die Bedeutung der Ethik

Wie die Briefe 94 und 95 schon andeuten, spitzen sich die philosophischen
Werke Senecas insbesondere auf die Ethik zu. Sollte es für die Briefsammlung ein
Gesamtkonzept geben, ist ein solches am ehesten in Senecas Absicht erkennbar,
alle Hauptfragen der Ethik behandeln zu wollen. Diese Intention scheint z­ umindest
den letzten Briefen inhaltlich eine Struktur und Reihenfolge zu verleihen (Epist.
106,2; 109,17) und führte vielleicht auch zu einem systematischeren Werk, den
‹Libri moralis philosophiae› (nicht erhalten). Obwohl er nicht so weit geht wie der
frühere Stoiker Ariston, der Logik und Physik als völlig überflüssig betrachtet (D.
L. 7,160; Cic. Ac. 2,123), übt Seneca doch Kritik an diesen beiden Wissensformen,
sofern sie zum Selbstzweck werden. Wer sich in Syllogismen und technisch-logische
Fragen verstrickt, kann leicht das Ziel solcher Übungen verfehlen, namentlich die
Stärkung des Denkens für das korrekte Handeln (Epist. 45; 48; 49; 85; 117). Wie
mehrere seiner stoischen Zeitgenossen äußert Seneca Bedenken bezüglich rein
spekulativer Fragen. Daher lehnt er auch eine Physik ab, die sich nur für abstruse
Sachlagen interessiert (Nat. 3 pr.; Benef. 7,1,5), und warnt, dass die «freien Künste
und Wissenschaften» (liberalia studia) von der Philosophie ablenken, wenn sie
nicht nur als Propädeutik studiert werden (Epist. 88,20).
Wichtig für den Unterschied zwischen Stoikern einerseits und Platonikern und
Peripatetikern andererseits in dieser Epoche ist das Verhältnis der sogenannten

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 149

theoretischen zur praktischen Philosophie. Die Dreiteilung Ethik/Physik/Logik


genügt nicht, um den Unterschied deutlich zu machen, da diese sogar dem Plato-
niker und Altakademiker Xenokrates zugesprochen wird (Xenokr. fr. 1 Heinze =
Poseidonios fr. 88,1. 5 Edelstein-Kidd = S. Emp. Adv. math. 7,16). Für Platoniker
und Peripatetiker sind Theorie und Praxis zwei verschiedene Bereiche der Philo-
sophie. So bedient sich z. B. der Mittelplatoniker Alkinoos (2. Jh. n. Chr.) der
Dreiteilung Logik (Dialektik), theoretische und praktische Philosophie (Alkin. 3),
wobei die theoretische Philosophie Mathematik, Physik und Theologie umfasst
und die Ethik zur praktischen Philosophie gehört. Für die Stoiker dagegen sind
diese beiden untrennbar verknüpft. Wenn Seneca über die Teile der Philosophie
schreibt (Sen. Epist. 89,14), erklärt er, dass die Ethik selbst aus theoretischem,
­hormetischem und praktischem Wissen besteht (auch bezeugt für Eudoros von
Alexandrien bei Stob. Ecl. 2,7,2, II,42,7–45,6 Wachsmuth). Zudem hat, anders als
bei Aristoteles, für Seneca die Theoria ihr Ziel im guten Handeln. Die «Tugend»
(virtus) besteht sowohl aus «der Anschauung der Wahrheit» (contemplatio) als
auch aus «dem Handeln» (actio; Sen. Epist. 94,45). Hier umfasst die Philosophie
erneut Theorie und Praxis «zugleich» («simul»: Epist. 95,10). Dass dieser Stand-
punkt Senecas auch Auswirkungen auf seine Einstellung zur Physik hat, wird im
Folgenden genauer untersucht werden.

4. Das Selbst, die Tugend und die Affekte

In einer berühmten Passage aus ‹De ira› (Dial. 5,36) teilt Seneca seinem Leser
mit, dass er, in Nachahmung von Sextius, jeden Abend für sich selbst überprüft –
während seine Frau diese Zeit der Stille respektiert –, wie er sich den Tag über
verhalten hat und wie es mit seinem moralischen Fortschritt steht. Das Selbst,
dem hier eine zentrale Bedeutung zukommt, dominiert die Perspektive in
Senecas philo­sophischen Schriften (Guillemin 1952–1954 [*102], Edwards 1997
[*130]). Es entspricht der Seele oder genauer ihrem «leitenden Prinzip»
(ἡγεµονικόν) im Gegensatz zum Körper (Epist. 121,10ff.). Wie bei Lucilius ist
auch Senecas ‘Ich’ nicht rein historisch präsentiert – Historiker wie M. Griffin
2 2003 [*150: 1–26] warnen zu Recht, wie schwer es ist, biographische Daten mit

den philosophischen Werken zu verknüpfen. Das ‘Ich’ trägt Züge Senecas – des
Seneca am Ende seines Lebens, der um Muße ringt gegen einen allmählich
immer feindseligeren Kaiser; der weiß, dass der Tod jetzt unmittelbar bevorsteht;
oder der unstoisch Reue zeigt über ­vergeudete Zeit. Dieses ‘Ich’ ist existentiell
verankert, aber ohne einen systematischen Überblick über ein Leben zu gewäh-
ren (anders als Augustinus, der in seinen ‹Confessiones› einen chronologischen
und systematischen Überblick bietet). Dass eine existentielle Verankerung vor-
liegt, ist im Hinblick auf seine Philosophie von Bedeutung; aber zugleich gibt er
das Beispiel eines Menschen, dem manche Fortschritte schon gelungen sind, der
aber nach Vollendung strebt – mit einem solchen Ich und seinen Herausforderun-
gen kann sich der Leser genauso identifizieren wie mit Lucilius, dem Adressaten
der Briefe und anderer Schriften.

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150 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Die Stärkung des ‘Ich’ im stoischen Sinne ist es, worauf die Schriften Senecas
abzielen. ‘Ziehe dich in dich selbst zurück’ rät er mehrmals (Epist. 5; 22,1ff. und
9f.). Das freie ‘Ich’ ordnet sich keiner Sache unter, sondern alles wird ihm unter-
geordnet (Epist. 124,12). Aus dieser Perspektive heraus deutet Seneca die weitver-
breiteten Themen von Freiheit, Sicherheit und Seelengröße um und unterstreicht
die voluntaristischen Aspekte unseres Handelns (voluntas), ohne einen selbstän-
digen Willen zu postulieren (Inwood 2005 [*147: 132–156]).
Auch im Platonismus und Aristotelismus ist die Rationalität wichtig, aber die
Stoiker, und Seneca, verstehen die Rationalität anders als die beiden erstgenann-
ten Schulen: Im Stoizismus ist das Prinzip der Seele eins und nicht geteilt, obwohl
es unterschiedliche Funktionen hat. Wenn die ‘ratio’ ordnungsgemäß funktioniert,
ist das Leben gut und geordnet; wirkt sie aber nicht so, wie sie soll, dann sind
­Störungen in der Form von «Affekten» (πάθη bzw. affectus) das Resultat. Seneca
hinterlässt in seinen Schriften eine detaillierte Theorie, welche die «Anfänge und
Vorspiele zu den Affekten» (principia proludentia affectibus) von richtigen Affek-
ten unterscheidet (Dial. 4,2,5). Solche ‘Prä-Emotionen’ (Dial. 4,4,1: «quasi prae-
paratio affectus») sind eine erste, fast rein physische Reaktion – auch wenn sie in
der Seele stattfindet – auf irgendeinen äußeren Reiz. Nur wenn ein Urteil diese
erste Reaktion bestärkt, kommt es zu Affekten, die sich erheblich steigern kön-
nen (zu dieser Abstufung Sorabji 2000 [*137: 55–65], Graver 2007 [*40]; vgl. auch
Epist. 113,18). Die falschen Urteile des Verstandes beinhalten zwei Aspekte:
­Erstens wird ein Ereignis für ein Übel oder aber für das wahre Gut gehalten;
zweitens wird eine emotionale Reaktion wie Trauer oder Wut veranlasst (vgl.
auch Cic. Tusc. 4,12ff.). Das heißt genau genommen, dass Affekte ein Urteil vor­
aussetzen  – und dass folglich prä-rationalen Kindern und a-rationalen Tieren
keine Affekte zugesprochen werden können.
Aber wie kommt es zu diesen falschen Urteilen? In Senecas Schriften finden
sich Spuren einer ‘perversio’-Lehre. Zwei Faktoren sind die Hauptursachen für
Fehlurteile: 1) der Einfluss, den andere Leute auf uns ausüben, wie Eltern, Leh-
rer, falsche Freunde und generell jeder, der soziale Autorität ausstrahlt (Epist. 7;
115,10f.); 2) die Anziehungskraft der äußeren Dinge. In der ersten, prärationalen
Phase unseres Lebens sind äußere Dinge wie Nahrung, Kleidung, Wärme wichtig
für unsere Selbsterhaltung. Aber wenn der Mensch beim Übergang zur Rationa-
lität, ungefähr im vierzehnten Lebensjahr, nicht die nächste Stufe erreicht, auf der
die Vernunft das einzige Gut ist (Epist. 76,10; 121), weil andere Werte im besten
Fall nur nützlich sein können, dann verführen ihn Objekte zu übermäßigen Re-
aktionen – oder anders gesagt Affekten.
Eines der wichtigsten Objekte, auf die sich die falsch verstandene Selbsterhal-
tung richtet, ist die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben. Was unter allen
Umständen zu erhalten ist, sind Rationalität (Epist. 41,8) und Seelenruhe. Wer zu
sehr am Leben hängt, fürchtet den Tod; und die Angst ist ein Affekt oder eine
­Seelenstörung. Das Problem des Todes ist ein zentrales Thema in Senecas Schrif-
ten (Epist. 4; 26; 30; 36; 54; 61; 77; 78; 99; 101; 102). Doch zeugt diese Gewichtung
nicht unbedingt von einer Morbidität des stoischen Denkers oder einer obses­siven
Beschäftigung mit dem Tod. Wie für Sokrates in Platons ‹Phaidon› ist der Tod für

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 151

einen älter werdenden Seneca – der immer schon kränklich war – eine der be­
deutendsten existentiellen Herausforderungen und deswegen auch eine der ent-
scheidenden philosophischen Fragen. Wer die Seelenruhe und Rationalität er-
reicht hat, hat das Gute erreicht, das durch keine zeitliche Verlängerung vermehrt
werden kann. Deswegen ist Selbsttötung unter bestimmten Umständen – wie z. B.
körperlicher Gebrechlichkeit – angebracht (Epist. 30,2; 58,35; 70; 77). Die Frage
der Unsterblichkeit lässt Seneca dabei offen, obwohl er sich zu einem Traum der
Unsterblichkeit verführen lassen kann (Epist. 102,1f. 24ff.; vgl. 86,1).

5. Die Gemeinschaft

Das Verhältnis zu anderen Menschen ist wichtiger und zugleich komplizierter


als das zu Objekten, den eigenen Leib eingeschlossen. Wie oben angedeutet, kön-
nen Verwandte, falsche Freunde und die Gesellschaft im Allgemeinen einen
schlechten Einfluss ausüben. Seneca geht vereinzelt ausführlich auf den Sittenver-
fall seiner Zeitgenossen ein: den übermäßigen Reichtum, die Fresssucht und die
sexuellen Ausschweifungen, wie im Fall des Hostius Quadra, der Spiegel zu
­obszönen Zwecken anbringen ließ (vgl. Nat. 1,16,1ff.). Aufgrund solchen Fehlver-
haltens soll sich ein angehender Weiser am besten von der Menge fernhalten. Die
größte Bedrohung hingegen, die von zu Recht geliebten Mitmenschen wie Fami-
lie und guten Freunden ausgeht, ist die Trauer, welche die Trennung von ihnen und
ihr Tod verursachen können (Epist. 99,3ff.).
Aber ein Stoiker ist auch zu Zuneigung für seine Mitmenschen, zu Verantwor-
tung und politischer Tätigkeit bestimmt (Epist. 9,17; Benef. 4,18,1; 7,27,1ff.). Mit
welcher Begründung? Ein Diktum, das schon auf die Alte Stoa zurückgeht,
schreibt vor, dass der Weise heiraten und an der Politik teilnehmen soll (Cic. Fin.
3,68; D. L. 7,121; Ar. Did. Ap. apud Stob. Ecl. 2,7,11m, II,109,16ff. Wachsmuth),
und auch Aristoteles meinte, der Mensch sei von Natur aus ein soziales Wesen
(Pol. 1253a1–4; vgl. Sen. Clem. 1,3,2; Epist. 9,17). Aber wenn man Seneca im Rah-
men zeitgenössischer Stoiker liest, dann stellt sich heraus, dass der Sinn des Men-
schen für soziale Bindungen in der Rationalität begründet ist: Wie Mark Aurel
öfter betont, heißt ‘rational sein’ für Stoiker ‘sozial sein’. Das ist nicht nur der Fall,
weil alle Menschen durch ihre Verwandtschaft mit der göttlichen «Vernunft»
(λόγος) – von der die einzelne menschliche buchstäblich ein «Stück» (ἀπόσπασµα:
D. L. 7,143; vgl. Sen. Epist. 41,1f.; 92,30; Dial. 8,5,5f.; 12,6,7f.) sein soll – miteinan-
der verbunden sind. Das höchste göttliche Prinzip selbst ‘kümmert’ sich um die
Welt, ist mit dem Universum als Vorsehung und rationale Struktur des Alls ver-
flochten und hält sich nicht abseits oder in sich selbst verschlossen (D. L. 7,138f.).
Und wenn die «Vernunft» (λόγος) eines Weisen sich bis zur Ebene des Göttlichen
erhebt und ­ausdehnt, so umfasst sein ‘Selbst’ zugleich auch die Welt und steht in
direkter ­Beziehung zu den Mitmenschen.
Aber eine allgemeine Zuneigung für die Menschheit und Verwandtschaft mit
dem Kosmos, der im Ganzen die «Heimat» (patria) und der «Staat» (res publica)
des Weisen ist (Epist. 28,4f.; 68,2), genügen nicht. Die soziale Verantwortung zeigt

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152 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

sich in konkreten Verhältnissen mit Menschen, wie in Familie oder Freundschaft,


und in politischer Tätigkeit in der lokalen Gemeinschaft, in der man sich befindet.
Anders gesagt: Man strebt nach einem Verhältnis zur gesamten Menschheit durch
gute Verhältnisse zu den einzelnen Menschen, mit denen man zusammenlebt, und
zum Kosmos durch Verantwortung für den lokalen Kreis.
Und so kommt es, dass für Seneca und manche seiner stoischen Zeitgenossen
das Verhältnis zum Familienkreis ebenso bedeutend erscheinen kann wie die
Freundschaft (Benef. 6,33,3f.; Dial. 1,1,5), die traditionell schon von den Platoni-
kern, Peripatetikern und Epikureern gerühmt wurde. Elternschaft und Ehe sind
zentrale Beziehungen, in denen sich die Tugend zeigen kann (Epist. 94; 95; 104;
Dial. 12,16,2–7; 12,19). Aber im Gegensatz zu einem Ehepartner erwählt man
seine Kinder nicht (und auch bei Adoption weiß man nicht im Voraus, wie der Er-
wählte sich entwickeln wird). Die Ehe ist potentiell eine gewählte B ­ eziehung zwi-
schen zwei rationalen Menschen und daher von besonderer Be­deutung.
Hier stellt sich die Frage nach Senecas Verhältnis zu Frauen (Mauch 1997
[*132]): Obwohl sein Urteil über diese nicht so positiv war, wie es für Musonius
Rufus bezeugt ist, und er wohl glaubte, dass Männer und Frauen nicht von Natur
aus gleich sind – die Haupttugend der Frauen sei die «Keuschheit» («pudicitia»:
Dial. 12,16,3ff.; 12,19,6f.; Matr. fr. 50,1f. = 78f. Haase), die der Männer der «Ruhm»
(«gloria»: 78f. Haase) – und dass die Frauen im Allgemeinen schwächer sind als
Männer (Dial. 2,1,1; 6,7,3; Clem. 1,5,5; 2,5,1), so sprach er doch den Frauen grund-
sätzlich die Fähigkeit zur Tugend zu, wie die Trostreden an seine Mutter Helvia
und an Marcia zeigen (z. B. Dial. 6,16,1). Der Brief 104, mit dem dieser Überblick
über Senecas Gedanken begann, zeigt, dass dieser das Verhältnis z­ wischen sich
und seiner Gattin Paulina ganz anders einschätzte als das zwischen Sokrates und
Xanthippe, nämlich geprägt von einer gegenseitigen Zuneigung, die sich mit Tu-
gend und Rationalität vereinbaren lässt. Und so verwundert es nicht, dass Tacitus,
wenn er die Todesstunde und die (von Nero befohlene) Selbsttötung Senecas schil-
dert, trotz des Anklangs an den platonischen ‹Phaidon› die Beziehung zwischen
Seneca und Paulina in den Mittelpunkt stellt und nicht die des Philosophen zu sei-
nem Freundeskreis (Tac. Ann. 15,62ff.; vgl. Brinkmann 2002 [*140: 91–154, bes.
142–150]). Wichtig ist hier nicht die Frage, ob Tacitus’ Szene historisch korrekt ist,
sondern eher die Tatsache, dass sie eine für sein Publikum plausible Version des
Todes des Stoikers darstellte.
Das Thema der Verantwortung für und des Verhältnisses zu Mitmenschen
bestimmt erheblich die stoische Lehre des Suizids: Wie andere Stoiker (vgl.
D.  L. 7,130) gestattet Seneca Selbsttötung als einen Weg zur Erhaltung der
Würde und Rationalität (Reydams-Schils 2005 [*38: 44–52]). Aber die Ansprü-
che, die unsere Mitmenschen uns gegenüber haben, sind ein Grund für die Ab-
lehnung der Selbsttötung: Solange man anderen nützlich sein kann, politisch
und im engeren Kreis, soll man sich nicht des Lebens berauben und sich weiter
zur Verfügung stellen, auch wenn man unter einer Krankheit leidet (Epist. 78,2;
98,15f.; 104,2–5).
Eine andere Ebene, auf der sich bei Seneca die Bedeutung menschlicher
­Beziehungen deutlich zeigt, ist seine Bewertung der Rolle des Gedächtnisses: Wäh-

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 153

rend für Platoniker und Peripatetiker das Gedächtnis hauptsächlich eine


­ontologische oder epistemologische Rolle spielt – letztere wurde auch von den Stoi­
kern anerkannt (Zenon, SVF I, fr. 64; Chrysipp, SVF II, fr. 83) –, kann man sagen,
dass für Stoiker wie Seneca das Gedächtnis eine existentielle Funktion im Rahmen
der Ethik hat. Es gibt hier Annäherungen an die Epikureer, aber die Unterschiede
sind wichtiger: Erstens konzentriert sich Seneca nicht auf die vergangenen Ereig-
nisse, die «Lust» (ἡδονή) bereitet haben, sondern «Freude» (χαρά bzw. gaudium,
eine rational bestimmte Form der Gemütsverfassung); zweitens geht es nicht nur
um die Vergegenwärtigung der philosophischen Lehre, sondern um die Erinnerung
an ein ganzes Leben und die Gesamtheit der Zeit im historischen Rahmen, weil ja
die ganze Realität für die Stoiker von einer göttlichen Vorsehung gesteuert wird;
drittens ist die Erinnerung an Menschen nicht hauptsächlich auf Freunde einge-
schränkt, sondern umfasst alle menschlichen Beziehungen wie jene zu Ehepart-
nern und Kindern (Epist. 99; Dial. 6,3,2ff.). Der Weise ist derjenige, der ohne Angst
seine e­ igene Vergangenheit erfassen kann, sich in der Gegenwart souverän verhält
und mit Zuversicht in die Zukunft blickt (Epist. 49; 63,5ff.; 81,25; 124,17; Dial.
10,10,5); er ist Herr über die Zeit (Epist. 1,3; 99,4ff.; Benef. 3,4,1f.; Dial. 10,10,2).
Für den angehenden Weisen formt also die Erinnerung die eigene ­Identität und lie-
fert das Material, mit dem man arbeiten soll, um Fortschritte zu machen.
Die Rolle der Erinnerung zeigt auch, dass es falsch wäre, zu behaupten, dass
für einen Stoiker wie Seneca ein Freund oder Verwandter so gut sei wie der an-
dere und dass man, wenn man von einer geliebten Person durch Distanz oder gar
Tod getrennt wird, diese einfach durch jemand anderen ersetzen könne (Lesses
1993 [*126], Inwood 1997 [*131]). Der Verlust von Menschen ebenso wie derje-
nige externer Objekte bringt zwar manche Gefahren für die Seelenruhe mit sich,
die Anwesenheit von Menschen hat deshalb jedoch nicht genau die gleiche, rela-
tiv geringe Wertigkeit wie Objekte oder körperliches Wohlbefinden. Zudem
spielt die Erinnerung beim Erhalten von Beziehungen zu bestimmten Menschen
eine ganz besondere Rolle, da diese Personen eben mit Hilfe der Erinnerung in
ihrer Einzigartigkeit bewahrt bleiben (siehe auch ‹Quomodo amicitia continenda
sit› fr. 59 Vottero = fr. 93–95 Haase). In seinen Überlegungen zu menschlichen
Verhältnissen spielt für Seneca die bereits erwähnte politische Tätigkeit eine
wichtige Rolle, oder genauer gesagt die Frage, wie intensiv und wie lange man
sich mit Politik beschäftigen sollte und wann es angebracht ist, sich in einen Zu-
stand der «Ruhe» (otium) zurückzuziehen (z. B. Dial. 9,17,3). Auch mit dieser
Problematik setzt sich Seneca im Hinblick auf das eigene Leben und im Rahmen
existentieller Betrachtungen besonders in seinen Spätschriften auseinander (aber
nicht erst dann, vgl. z. B. die Trostrede an seine Mutter Helvia, die er während
seines Exils verfasste). Diese Problematik ist aber nicht überwiegend auf eine
­autobiographische Art dargestellt, sondern als eine allgemeine Thematik, und
gerade die Ratschläge zur «Ruhe» bzw. «Muße» (otium), die er an Lucilius, den
Adressaten der Briefe, richtet (z. B. Epist. 19,8), helfen Seneca, aus einer zu ego-
zentrischen Perspektive herauszutreten. Oft wurde die Frage erörtert, ob die Rat-
schläge Senecas nicht zu seiner politischen Tätigkeit in Widerspruch stehen
(beste Zusammenfassung bei Griffin 22003 [*150: 317–339]). Im Falle der Briefe

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154 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

könnte man vermuten, dass d ­ ieses Hin und Her dem Fortschritt des Lucilius ent-
spreche. Aber es gibt auch ­tiefere, philosophische Gründe, die dieses Zögern nur
als Paradox und nicht als völligen Widerspruch der eigenen Aussagen erscheinen
lassen. Erstens kommt es für Stoiker nicht nur darauf an, was man tut, sondern
wie und aus welchem Grund (Epist. 20; 45,5ff.; 48,7ff.; 70,4ff.; 82,9ff.; 85; 111;
117). Man kann Reichtum gut oder schlecht nutzen, Armut gut oder schlecht er-
tragen; und diese Zwei­deutigkeit trifft auch für den Bereich von politischem Han-
deln oder Muße zu – ein Aspekt, den man im Auge behalten sollte im Hinblick
auf den gegenüber Seneca erhobenen Vorwurf, er sei nur ein Heuchler gewesen
(Dial. 7,17f.; Fuhrer 2000 [*134]; zum ‘otium’ s. Momigliano 1969 [*109], Griffin
1988 [*119], Armisen-Marchetti 1996 [*129]). So kann Seneca sowohl Aktivität
als auch Muße preisen oder tadeln.
Relevant ist hier ebenfalls die oben erwähnte enge Verknüpfung von Theorie
und Praxis. Seneca (wie andere seiner stoischen Zeitgenossen) etabliert ein sym­
metrisches Verhältnis zwischen Tätigkeit und Muße (vgl. Dial. 8,5,7f.; Epist. 8,1):
Auch wenn man sehr beschäftigt ist, wahrt man immer eine innere Distanz (vgl.
Benef. 4,39). Wenn die Umstände gegeben sind, das aktive Leben aufzugeben, soll
man sich möglichst schrittweise zurückziehen (vgl. Dial. 9,4,6f.). Aber auch in
einer extremen Lage wie dem Exil ist man nie alleine, bleibt man ein Mitglied der
Gemeinschaft von Göttern und Menschen und behält seine ethische Verantwort-
lichkeit (Epist. 68,2).

6. Physik und Ethik

Die «Vorbemerkungen» (Praefationes) der ‹Naturales quaestiones›, eben der


Schrift, in der Seneca vornehmlich auf Detailfragen der Physik wie Meteoren,
Erdbeben und andere Naturphänomene eingeht, zeigen am deutlichsten die stoi-
sche Verknüpfung von Physik und Ethik (z. B. Nat. 3 pr. 18). Analog zur Logik
kann auch die Beschäftigung mit der Physik zu Zeitverschwendung und falscher
Zielsetzung führen, wenn man sich in abstrusen technischen Fragen verliert und
das Verhältnis zwischen menschlicher und göttlicher Vernunft außer Auge lässt:
Das Selbst kann nur dann korrekt verstanden werden, wenn man es in Beziehung
zur göttlichen «Vernunft» (λόγος) sieht, die den Kosmos strukturiert und lenkt,
umgekehrt ist das ordnungsgemäße Studium der Physik, eben weil es unsere
­Perspektive erweitert, unentbehrlich für die Ethik, wenn wir einen Weg aus dem
Labyrinth der Leidenschaften, Unruhe und Angst finden möchten.

7. Verhältnis zur Tradition

Wie war Senecas Verhältnis zur Tradition der Philosophie (Setaioli 1988
[*120])? Man hat ihm vorgeworfen, ein nicht sehr origineller Denker und Eklek-
tiker zu sein, der u. a. manche peripatetische und platonische Elemente in seine
Gedanken eingearbeitet hat. Es ist auffällig, dass Seneca, im Gegensatz z. B. zu

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§ 11. L. Annaeus Seneca (Bibl. 231–233) 155

späteren Platonikern, keine starke Schulautorität vertritt: Einerseits bezeichnet er


sich als unabhängig gegenüber den früheren griechischen Stoikern (Epist. 33,4ff.,
10; 113,23; 45; 64) und will für die ganze philosophische Tradition offen sein (Dial.
10,14). Andererseits verweigert er sich selbst der Rolle des Weisen und des Leh-
rers: So wie seine Adressaten zielt er auf Fortschritt ab (Dial. 7,17f.), er redet zu
ihnen eher als Gleicher und Freund – als Mitmensch, der vielleicht etwas mehr
Erfahrung hat, nicht aber als ein Überlegener wie Sokrates in Platons ‹Phaidon›.
Bemerkenswert ist, dass am Anfang der Briefsammlung Seneca fast jedes
­Schreiben mit einem Epikur-Zitat beendet und auch in anderen Texten die Prä-
senz Epikurs von Bedeutung ist. Mehrere Motive, die auch gleichzeitig denkbar
sind, könnten diese Züge erklären: Vielleicht hat Lucilius ein besonderes Inter-
esse an Epikur, so wie Senecas andere Adressaten Interesse an anderen philoso-
phischen Schulen haben könnten. Wer außerdem seine eigene Stellung mit einer
‘communis opinio’ begründen kann, argumentiert aus einer starken Position
­heraus: Er integriert in das eigene Denken soviel Material wie möglich von Ver-
tretern anderer Philosophenschulen. Dazu kommt die Möglichkeit einer ‘a forti-
ori-Strategie’: Wenn selbst die Epikureer Seelenruhe anstreben, wie sehr muß sich
dann erst ein Stoiker diesem Ziel widmen? Betrachtet man das platonische Ge-
dankengut in Senecas Schriften genauer, dann scheint er oft die Elemente ausge-
wählt zu haben, die sich mit seinem Stoizismus vereinbaren lassen (anders Donini
1979 [*115]). Bekanntlich konnte ein späterer Platoniker wie Simplikios einen
Kommentar zu Epiktets ‹Encheiridion› schreiben, weil er glaubte, stoische Ethik
könne nützlich sein für die Vorbereitung der Seele und deren Reinigung von Lei-
denschaften und sie somit empfänglicher für die Philosophie im plato­nischen
Sinne machen. Umgekehrt könnte es bei Seneca der Fall sein, dass er ­Aspekte des
Kontrasts zwischen Seele und Körper, wie ihn die Platoniker an­nahmen, als hilf-
reich für eine Förderung der Erkenntnis empfand, ohne ihnen bezüglich der Un-
körperlichkeit der Seele, deren Unsterblichkeit oder radikalen trans­zendenten
Ideen zuzustimmen (Reydams-Schils [*154]).

4. NACHWIRKUNG

Die große Wirkung, die seinen Schriften zuteil wurde (Literatur bei ­Colish
21990 [*123: I 15 Anm. 10], Maurach 42005 [*149: 225–228]), verdankt Seneca in
nicht unerheblichem Maße der Tatsache, dass er sie auf Lateinisch verfasste und
seine erhaltenen Werke im Westen immer zugänglich waren – auch wenn manche
seiner Arbeiten zeitweise unbekannt waren (Ross 1974 [*112], Colish 21990 [*123:
I 13–19]). Doch zunächst war sein Einfluss auf andere – abgesehen von einem
Kreis von Verwandten und Zeitgenossen wie Martial und Lukan – nicht sehr groß;
Persius sollte wohl nicht zu seinen Bewunderern gerechnet werden (‹Vita Persii›
32,23 Clausen). Quintilian (Inst. or. 10,1,125–131), Gellius (12,2,1–14) und Fronto
(‹Epistula de orationibus› 153–160 van den Hout), der Rhetoriklehrer Mark Aurels,
schätzen seinen Stil nicht sehr (vgl. auch Suet. Cal. 53,2), und nicht nur Epiktet,
sondern auch Musonius Rufus und Mark Aurel erwähnen ihn nicht.

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156 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Obwohl es umstritten ist, zu welchem Zeitpunkt die Vermutung aufkam, Seneca


sei ein Christ gewesen (Momigliano 1950 [*101], Reynolds 1965 [*83: 8­ 2–89], Tril-
litzsch 1971 [*111: I 170–185]), wird er schon früh in den Schriften der lateinischen
Kirchenväter erwähnt (Trillitzsch 1971 [*111: I 33–210, 251–265]). Tertullian zitiert
ihn als «Seneca, der häufig unserer Meinung ist» («Seneca saepe noster»: Tert.
Anim. 20,1; vgl. auch Hier. Adv. Iovin. 1,49) und nennt ihn als Quelle für seine
Theorie des in der Seele angelegten Vernunftpotentials des Menschen (Anim.
20,1; 21,4–6; Colish 21990 [*123: II 9–29]). Laktanz benutzt ihn ausgiebig (Laus-
berg 1970 [*110], Trillitzsch 1971 [*111: I 130–143; II 363–369]) und nennt ihn den
scharfsinnigsten römischen Stoiker (Inst. 1,5,26; 2,8,23). Senecas Gedanken über
die Ehe sind durch Hieronymus erhalten (T 22 – fr. 54 Vottero), der ihn in sein
Werk ‹Über berühmte Männer› (‹De viris illustribus› 12) aufnimmt (Trillitzsch
1971 [*111: I 143–161], Colish 21990 [*123: II 84]) und dabei auch zum ersten Mal
den apokryphen Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus erwähnt: Im 4. Jahr-
hundert n. Chr. kommt die Legende auf, Seneca und Paulus hätten eine Korres-
pondenz geführt, eine Fälschung, die erhalten ist (Momigliano 1950 [*101], Tril-
litzsch 1971 [*111: I 170–185; II 379–383], Colish 21990 [*123: II 5, 84, 90–91]; wei-
tere Literatur Colish 21990 [*123: I 16 Anm. 11–12]) und Senecas Wirkung auf die
­spätere Tradition noch verstärkte. Für Augustinus ist Seneca aufgrund seiner
Werke ­lobenswert, wenn auch nicht für die Art, in der er sein Leben führte (Civ.
6,10; Trillitzsch 1971 [*111: I 161–170], Colish 21990 [*123: II 142–238]).
Macrobius zitiert in der Praefatio seiner ‹Saturnalia› (Sat. pr. 5) ein längeres Ex-
zerpt Senecas (Epist. 84,3f.) über das Verhältnis zwischen Lektüre und Schriftstel-
lerei, aber ohne dessen Namen zu nennen; in Boethius’ ‹Trost der Philosophie› (‹De
consolatione philosophiae›) ist der Einfluss Senecas spürbar, auch der ­Tragödien,
und der Stoiker wird namentlich erwähnt (Cons. 1,3,9; 3,5,10). Bei ­Sidonius Apol-
linaris (Carm. 9,230–238) gibt es bereits die Verschmelzung von Seneca dem Älte-
ren mit seinem Sohn, dem Philosophen, einerseits und die Trennung von einem an-
deren Seneca, dem Tragödiendichter, wie sie noch bei Erasmus erscheint.
Senecas Rezeption im Mittelalter ist vielfältig: Die Briefe 58 und 65, mit ihren
theoretischen Auseinandersetzungen und Informationen über Platon und Aristote-
les – so untypisch sie vielleicht für Senecas Gesamtwerk sein mögen – werden eigen-
ständig rezipiert (Gersh 1986 [*118: I 195 Anm. 137]); die Briefe 1–88 (Reynolds
1965 [*83: 17–34]) und eine zweite Gruppe 89–124 (Reynolds 1965 [*83: 35–53]) wer-
den getrennt überliefert und erst im 10. Jahrhundert in einer Handschrift vereint
(Reynolds 1965 [*83: 15]); es existieren Sammlungen von Sentenzen (so wie
­‹Monita›, ‹Liber de moribus› und vielleicht auch ‹De remediis fortuitorum›; vgl. Tril-
litzsch 1971 [*111: I 215–220; II 399–417]) über allerlei meist ethische Themen, und
auch seine Naturphilosophie bleibt im 12. Jahrhundert einflussreich. Im 6. Jahrhun-
dert schreibt Martin von Braga ethische Werke, die aus Exzerpten von Senecas Wer-
ken zusammengestellt sind und lange Seneca selbst zugeschrieben werden (so die
‹Formula vitae honestae›; vgl. Trillitzsch 1971 [*111: I 212–215; II 393–399]). Peter
Abaelard (1079–1142) bewundert ihn und bezeichnet ihn im siebten Kapitel seiner
‹Historia calamitatum› als «den größten der antiken Philo­sophen» («insignes […]
philosophi […] quorum unus et maximus Seneca»; ähnlich Johannes Lydos im

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§ 12. C. Musonius Rufus und Lukios (Bibl. 234) 157

6. Jahrhundert [Mens. 4,107, p. 144,15–16 Wünsch]). Es könnte sein, dass in der Prae­
fatio des ersten Buches der ‹Naturales quaestiones› die Gottes­definition «über das
hinaus nichts Größeres denkbar ist» («qua nihil maius cogitari potest») des ontolo-
gischen Gottesbeweises des Anselm von Canterbury vorweggenommen ist (vgl.
‹Proslogion› 2). Dante erwähnt ihn im Inferno der ‹Divina commedia› als «morali-
scher Seneca» («Seneca morale»: Div. comm. inf. 4,141).
Wenn wir den Einfluss außer Acht lassen, den seine Tragödien ausgeübt haben,
so führt uns die Rezeption Senecas über Petrarca (der Seneca aber Fam. 5 kritisiert)
und Montaigne (besonders ‹Essais› 2,32ff.) zu den großen Humanisten Erasmus
und Justus Lipsius, die beide eine Ausgabe der Werke Senecas besorgen (Erasmus:
‹Senecae lucubrationes› Basel 1515; ‹Senecae opera› ebd. 1529; ‹Senecae Opera per
Erasmum emendata› ebd. 1537; Lipsius: Antwerpen 1605; Ross 1974 [*112: 143–145,
147]). Im 17. Jahrhundert, dem Höhepunkt des Einflusses des S ­ toizismus, klingt
auch Senecas Name überall an (Ross 1974 [*112: 148–151]). D ­ iderot schreibt eine
Apologie Senecas (‹Essai sur les règnes de Claude et de Néron› 1778).
Maurach interpretiert ausführlich ein Gemälde Rubens’ (1577–1640), das den
Tod Senecas darstellt (42005 [*149: 48–54]) als Echo von Sokrates’ Tod so, wie
­Tacitus die Szene beschreibt (Ann. 15,60–64; Grimal 1978 [*113: 239], Döring
1979 [*114: 37–42], Veyne 1993 [*127: 228], Griffin 22003 [*150: 367–388], Müller
2003 [*142: 248–249], Maurach 42005 [*149: 44–47]). Aber die Darstellung
J.-L. Davids – vielleicht auch, weil sie in einer späteren Periode entstand (1748–
1825), als die Rolle der Frau neu bewertet wurde – ist viel näher an derjenigen des
Tacitus, weil sie Paulina und Senecas Beziehung zu ihr in das Bild integriert.
Auch für die Neuentdeckung des Stoizismus in der Gegenwart ist Seneca von
zentraler Bedeutung (siehe z. B. Inwood 2005 [*147], Sellars 2006 [*151: 150–156]).

§ 12. C. Musonius Rufus und Lukios

Gretchen Reydams-Schils

1. Leben. – 2. Werk und Lehre.

1. LEBEN

Gaius Musonius Rufus wurde circa 30 n. Chr. in Volsinii geboren – einer ehe-
mals etruskischen Stadt – und gehörte einer Familie aus dem Ritterstand an. Er
hatte mindestens eine Tochter, für die er unter vielen Mitbewerbern den Philoso-

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158 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

phen Artemidoros als Gemahl wählte (Plin. Epist. 3,11). Er hatte Umgang mit
Thrasea Paetus, Barea Soranus und Rubilius Plautus und wurde so auch in die
Opposition gegen Nero mit hineingezogen. Ein erstes Exil erfolgte im Jahre
65 n. Chr. (Tac. Ann. 15,71; nach der Pisonischen Verschwörung) auf der Insel
­Gyaros  – später sprichwörtlich für einen öden Ort (siehe z. B. Epikt. Diss.
1,25,20) –, wo er auch unterrichtete. Obwohl er zuerst von Vespasian verschont
worden war, als dieser 71 n. Chr. die Stoiker aus Rom verbannte (Cass. Dio 66,13),
muss es doch noch ein zweites Exil gegeben haben, das von Titus aufgehoben
wurde (Eus. Chron. Hier. 271 F, p. 189 Helm).
Es ist nicht bekannt, ob eine Biographie des Musonius existiert hat (evtl. Hin-
weis bei Philostrat: Ap. 5,19), aber es lässt sich anhand von Musonius sehr gut
nachvollziehen, wie in der Antike Legenden und ‘biographische Geschichten’ oft
dem Ruf einer Person entsprachen. Daher kann man in Musonius’ Fall fast von
der H­ agiographie eines römischen Stoikers reden; und weil diese Anekdoten nach
Musonius’ philosophischer Lehre entstanden sein sollen, sind sie auch für ein bes-
seres Verständnis seiner Lehre von Bedeutung. Die Geschichten, z. B. die über
Musonius’ Wahl seines Schwiegersohns, zeigen eindeutig – da er über die Ehe ge-
schrieben hat –, dass für einen Stoiker wie Musonius Rufus das Handeln mit dem
Denken übereinstimmen soll bzw. die Praxis mit der Theorie und dass letztere
nicht zum Selbstzweck werden darf. Sie zeigen auch, wie für Musonius politische
Tätigkeit, gesellschaftliche Verantwortung sowie philosophische Distanz und
­Reserviertheit immer wie bei einer Waage ausbalanciert werden sollen.
So heißt es, dass er während des Exils auf Gyaros nicht nur seinen Mut be­
wiesen hat, sondern dass es ihm auch dort gelungen ist, seinen Mitmenschen nütz-
lich zu sein, nämlich durch seinen Unterricht und die Entdeckung einer Quelle
(Philostr. Ap. 7,16; Iul. Epist. 16 Wright; siehe auch Diatr. 9,49ff.: Musonius über
sein eigenes Exil). Im Jahre 69 n. Chr. steht er einem Soldatenheer gegenüber, das
er versucht zum Frieden zu bewegen – ein Versuch, der ihn fast das Leben kostete
(Tac. Hist. 3,81). Und so könnte es durchaus sein, dass mit dem Philosophen, der
nach Dion von Prusa (ὁ φιλόσοφος: Diatr. 31,122) vergebens versucht haben soll,
die Athener davon abzubringen, im Theater des Dionysos – einem Ort für religi-
öse Riten – Gladiatorenspiele abzuhalten, Musonius Rufus gemeint ist. In diesen
Kontext gehört auch die wahrscheinlich falsche Geschichte bei Themistios (Περὶ
τῆς ἀρχῆς = Diatr. 34,15,460 Dindorf), dass er Nero sein Saitenspiel aus­reden
wollte. Er führte 66 n. Chr. mit Erfolg einen Prozess gegen den Ankläger seines
Freundes Barea Soranus, dessen Selbsttötung auf die Anklage gefolgt war, und
nach einer anderen Legende bei Philostrat soll Musonius selbst den Unterschied
zwischen sich und Sokrates betont haben, weil er, als er im Gefängnis war, sich
gegen die Anklage verteidigen wollte (Ap. 4,46–47).
Musonius’ Ansehen in der Antike war sehr groß (vgl. Iul. Epist. ad Them. 265c–
d;­Tac. Ann. 15,71: «Musonius praeceptis sapientiae fovebat», «Musonius küm-
merte sich um die Lehren der Weisheit»). Er ist mehrmals mit Sokrates verglichen
worden (auch durch Origenes: Cels. 3,66) und wirkte auf die wichtigsten Männer
seiner Epoche ein. Er hat auch Epiktet unterrichtet, durch den verschiedene der
erhaltenen Fragmente überliefert sind. Es ist möglich, aber nicht sicher, dass er

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§ 12. C. Musonius Rufus und Lukios (Bibl. 234) 159

auch Hierokles beeinflusst hat. Obwohl es Andeutungen über Schriften des Mu-
sonius gibt (Briefe: Philostr. Ap. 4,46; Suda III,416 Adler; Eun. Vit. soph. 2,1,5f.),
wird heute allgemein angenommen, dass er keine solchen hinterlassen hat. In die-
sem Zusammenhang ist der Name des Lukios von Bedeutung, durch den wahr-
scheinlich die längeren Fragmente der Vorlesungen übermittelt wurden, wie es
Arrian mit den Schriften Epiktets getan haben soll. Diese Texte sind bei Stobaios
erhalten, wobei es mehrere Vorlesungen gegeben haben könnte, die Lukios ko-
piert und auch gekürzt zu haben scheint (eine Ausnahme bildet Vorlesung 14,
die wir als einzige vollständig besitzen; maßgebliche Ausgabe von Musonius
Rufus: Hense 1905 [*160]). Ob manche von den kürzeren Fragmenten, die sich im
Ton von den Vorlesungen unterscheiden, von einer jetzt verlorenen Schrift
Ἀποµνηµονεύµατα (‹Erinnerungen›) des Musonius stammen, ist ebenso umstrit-
ten wie die Frage, um welchen Pollio es sich handelt, der laut ‹Suda› (IV,185 Adler)
diese niedergeschrieben haben soll. Lukios wird durch Stobaios in der Überschrift
des Kapitels zur fünften Vorlesung erwähnt (Stob. Ecl. 2,15,46, II,193,3 Wachs-
muth, hier als Lykios). Außer dieser Erwähnung gibt es keine Hinweise, um wel-
chen Lukios es sich handelt. Die Geschichte Philostrats, ein Lukios, Schüler des
Musonius, habe sich mit Mark Aurel unterhalten, ist aus chronologischen Grün-
den nicht mit diesem Lukios zu vereinbaren (Philostr. Soph. 2,556ff.).

2. WERK UND LEHRE

Obwohl Musonius’ Unterricht, so wie derjenige von Epiktet, wahrscheinlich


auch theoretische Übungen umfasst hat sowie Erklärungen von Terminologie und
Aufgaben zur Logik (Diatr. 1), beschäftigen sich die erhaltenen längeren Texte
fast ausschließlich mit der Ethik, wobei Musonius bei der Diskussion von Fragen
und Situationen des Lebens sehr konkret wird. Die Vorlesungen sind Zusammen-
fassungen, aber dennoch bleibt ein Eindruck sokratischen Dialogstils spürbar.
Man erhält bereits mit der ersten Vorlesung einen Einblick in den Philosophie-
unterricht des Musonius. Hier geht es um Positionen wie z. B., dass die vermeint-
lichen Güter wie Vergnügen, Besitz und Ruhm in Wirklichkeit keine Güter sind
und die vermeintlichen Übel wie Armut, Krankheit, Tod oder Mühen keine e­ chten
Übel. Mit «Beweisführungen» (ἀποδείξεις) wird von dem, was leichter anzuneh-
men ist und auf der Hand liegt, zu schwierigeren und nicht selbstverständlichen
Thesen vorangeschritten. Logik oder die Fähigkeit, korrekt zu differenzieren
­zwischen Wahrem und Falschem, wird somit zum Unterscheidungsvermögen zwi-
schen Gutem und Bösem. Man soll nur die Beweise gebrauchen, die notwendig
sind, um eben den Punkt, um den es geht, deutlich zu machen, und keine Beweise
anhäufen; allerdings müsse man hierbei auch den Charakter des Schülers ein­
kalkulieren – manche brauchen eben mehr Unterricht als andere.
Die Physik ist noch eingeschränkter behandelt als die Logik, zumindest in
den erhaltenen Texten. So fällt auf, dass Musonius, wenn er das Thema «des Le-
bens gemäß der Natur» behandelt (τὸ ζῆν […] κατὰ φύσιν: Diatr. 17,89), sich auf
die spezifisch menschliche ‘Natur’ oder Art verlegt – verschieden von den Tieren

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160 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

und verwandt mit den Göttern – und auf die Tugend, die mit dieser Natur zu-
sammenhängt. Was fehlt, ist die sogenannte ‘Natur des Ganzen’ (oder κόσµος),
wie sie in anderen Formeln, die das Ziel (τέλος) des Daseins zum Inhalt haben,
und insbesondere bei Chrysipp, mit einbezogen wird. Für Stoiker wie Chrysipp
bedeutet diese, dass der Mensch sich nach der Rationalität richtet, die sich in
der Ordnung des Universums manifestiert, und besonders auch nach der Per-
fektion der himmlischen Körper (D. L. 7,88). Diese Perspektive ist z. B. für
Seneca noch sehr wichtig. Bei Musonius dagegen, obwohl er Zeus als Gesetzge-
ber erscheinen lässt (Diatr. 16,87) und den Menschen als Mitglied des Staates
des Zeus (d. h. des Kosmos) ansieht (Diatr. 9,42), wird sie nicht philo­sophisch
ausgenutzt. In einem Fragment wird sogar auf die grundsätzliche «Änderbar-
keit» der Natur hingewiesen (µεταβολή: fr. 42, vgl. aber auch fr. 47 über die gött-
liche Vorsehung).
Doch auch die Lehre der Ethik allein genügt nicht: Der Philosoph unterrichtet
nach Musonius am besten, wenn er den Worten Taten folgen lässt und somit zu
einem Vorbild wird. So definiert Musonius Philosophie als die Suche und Erfor-
schung der Frage «wie man ein gutes Leben führen kann» (ὅπως βιώσονται
καλῶς: Diatr. 3,9,14f.); sie beinhaltet das «Glück» (εὐδαιµονία): die «Fähigkeit»
(τέχνη), die einem erlaubt, «ein guter Mensch zu werden» (Diatr. 4,16,13f.); oder
auch das Zielen auf «sittliche Vortrefflichkeit» (καλοκἀγαθία: Diatr. 4,19,13f.).
Die Tugend, die mit der Erkenntnis zusammenhängt, ist bei Musonius die «prak-
tische Vernunft» (φρόνησις, nicht «Weisheit», σοφία, wie bei Platon Rep. 428b–
429a) – was an sich schon eine Umstellung des Verhältnisses zwischen Theorie und
Praxis gegenüber der platonisch-aristotelischen Tradition bedeutet (vgl. D. L. 7,92;
siehe auch die früheren Stoiker, SVF IV s. v. φρόνησις): Bei Musonius fällt die
Philo­sophie mit praktischer Vernunft und ihrer Äußerung zusammen. Das «(theo­
retische) Wissen» (λόγος) andererseits, und dies im Gegensatz zu den früheren
Stoikern, kann Musonius (Diatr. 5) beschränken auf technisches Wissen, das
einem zwar erlaubt, «eine Auseinandersetzung zu führen» (λέγειν), aber das an
sich nicht für den Erwerb der Tugend ausreicht. Zu letzterem gehört ein Prozess
der «Ge­wöhnung» (ἐθίζειν) nach den Prinzipien der Lehre der Ethik, der zu
einem ἔθος führt – hier verstanden als die Fähigkeit, die Grundsätze konsequent
in die Praxis «umzusetzen» (πράττειν). Wenn es auf die Tugend ankommt, sei das
richtige Ethos wichtiger als die «Vernunft» (λόγος) im Sinne von technischem
Wissen. Dieser Gewöhnungsprozess fordert ein ständiges Trainieren und Üben
(die sog. ἄσκησις), wobei ‘gemeinsame Übungen’ (d. h. Übungen für Körper und
Seele) von «der Seele e­ igenen Übungen» unterschieden werden (ἰδία τῆς ψυχῆς:
Diatr. 6,25,14. 26,10).
Auch wenn man mit einbezieht, dass die Vorlesungen sehr viel traditionelles
Material enthalten, einschließlich «klassischer Themen» (τόποι), die auch an-
derswo benutzt werden, sind Musonius’ Gedanken am originellsten in seinen
­Abhandlungen über Frauen und die Ehe; diese zwei Themen unterstützen einander:
Diatr. 3, ob Frauen auch philosophieren sollen; Diatr. 4, ob Töchter die gleiche Er-
ziehung wie Söhne erhalten sollen; Diatr. 13a und 13b über die Ehe; Diatr. 14, ob
die Ehe ein Hindernis für das Philosophieren sei. Nach Musonius’ Annahme sind

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§ 12. C. Musonius Rufus und Lukios (Bibl. 234) 161

Männer und Frauen gleich (Diatr. 3,9,1–10) bezüglich Rationalität, Wahrneh-


mungsvermögen, Körperteilen (zumindest ihrer Anzahl nach) und der Neigung
zur Tugend (vgl. Sen. Dial. 6,16,1–4); da alle Menschen von Natur aus eine Nei-
gung zur Tugend besitzen (Diatr. 2), sollen sich auch Frauen mit der Philosophie
beschäftigen. Wie Männer, so benötigen Frauen die Philosophie für die Tugend in
ihren vier Erscheinungsformen: praktische Vernunft, Gerechtigkeit, Besonnen-
heit und Mut (die vier Tugenden sind ein Leitmotiv in den erhaltenen Vorlesun-
gen; vgl. zu Musonius’ Argumentation: Nussbaum 2002 [*178]).
Zwar könnte man den Eindruck gewinnen, dass Musonius die Bereiche der
Männer und Frauen auf traditionelle Art trennt: Die Tugenden sollen die Frauen
zu besseren Hausfrauen, Müttern und Helferinnen ihrer Ehemänner machen. So
zumindest widerlegt Musonius den Einwurf, die Philosophie würde Frauen frech
machen und sie zur Vernachlässigung ihrer Pflichten verführen. Doch sind seine
Nuancen bei diesem Thema von sehr großer Bedeutung: Erstens kommt es nicht
nur bei Frauen auf die Praxis und auf das Arbeiten mit ‘den eigenen Händen’ an
(z. B. Diatr. 3,12,1), sondern auch bei den Männern, die sich ebenfalls nicht in
theo­retischen Subtilitäten verlieren sollen (Diatr. 3,12,11–15). Die beste Art, sich
einen Lebensunterhalt zu sichern, sei die Landwirtschaft (Diatr.  11), und auch hier
die «Arbeit mit den eigenen Händen» (αὐτουργία). Zweitens ist die Aufteilung
der Arbeitsbereiche nicht absolut notwendig: Sie basiert nur auf dem Unterschied
hinsichtlich physischer Kraft und nicht auf einer allgemeinen Schwäche der
Frauen; so können manchmal Aufgaben getauscht und die Rollen umgekehrt wer-
den, und Musonius ist bereit anzunehmen, dass vielleicht alle ­Arbeiten Männern
und Frauen gemeinsam sind (Diatr. 4,16,19–17,17).
Es ist diese positive Einschätzung der Frauen, die auch die Türe öffnet für eine
sehr positive Bewertung der Ehe, wie man sie sonst in der Antike nur bei Plutarch
antrifft (‹Amatorius› – ‹Dialog über die Liebe›; ‹Coniugalia praecepta› – ‹Rat-
schläge für die Ehe›, obwohl Plutarch in mancher Hinsicht traditioneller bleibt als
Musonius). Diese Lehre soll als eine Antwort auf Platons ‹Staat› verstanden wer-
den. Bekanntlich ist für die Stoiker die Frage, ob der Weise heiraten soll, mit der
Frage verbunden, ob er politisch tätig sein soll (Diatr. 8 über den König als Philo-
sophen, in Anklang an Plat. Rep. 473cff.). Musonius Rufus’ Aussagen über die
Ehe passen zu Fragmenten des Antipatros von Tarsos (Chrysipp, SVF III, fr. 62f.)
und Hierokles (Stob. Ecl. 4,22,21–25, I,502,1–512,7 Hense). Aber auch hier geht
er weiter als andere Stoiker: Es fällt auf, dass er die Ehe nicht nur als Fundament
der Gemeinschaft ansieht, sondern die Tiefe und Qualität der Beziehung betont.
Hier geht es um ein symmetrisches, gegenseitiges und von Zuneigung geprägtes
Verhältnis, in dem sogar die Seele geteilt wird (Diatr. 14,74,7–10; vgl. Nussbaum
2002 [*178]). Eine gute Ehe, genauso wie andere Handlungen, hat auch ihre phi-
losophischen Voraussetzungen: Man wählt einen Partner nicht aufgrund von
Schönheit, Reichtum oder Rang, sondern ausschließlich in Hinblick auf die Tu-
gend (Diatr. 13b). Zwar ist das Ziel der Sexualität auch für Musonius die Zeugung
von Kindern in einer Ehe (Diatr. 12,64,1f.; 15), aber er betont explizit, dass es
nicht die Kinder seien, die eine Ehe ausmachen, sondern die Qualität der Bezie-
hung selbst (Diatr. 13a). Und er verwirft eine sexuelle Doppelmoral, nach der es

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162 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Männern, aber nicht Frauen gestattet sein soll, mehrere Beziehungen zu haben,
beispielsweise mit Sklavinnen (Diatr. 12,66,7–67,2, vgl. auch Sen. Epist. 94,26).
Da einerseits für die Stoiker die sozialen Verhältnisse wichtig sind und zur
­Praxis der Philosophie gehören und andererseits Eltern in der Erziehung ihren
Kindern nicht immer die richtigen Ziele setzen (und manchmal sogar perverse,
wie der Vater, der seinen Sohn prostituiert), ist es mitunter nicht leicht, diese bei-
den Positionen miteinander zu versöhnen. Wenn ein junger Mann fragt, ob man
seinem Vater in allem gehorchen muss, besonders wenn dieser Vater das Studium
der Philosophie verbietet, ist dies auch für Musonius eine delikate Angelegenheit
(Diatr. 16). Er betont zwar, dass ein Vater meistens kein Experte in Philosophie
und dementsprechend nicht im Stande sei, guten Rat zu geben, aber er geht sehr
behutsam mit dieser Personenkonstellation um: Wo spätere Platoniker die Bezie-
hung zwischen Eltern und Kindern entweder durch das Verhältnis zwischen Leh-
rer und Schüler ersetzen oder erstere letzterem deutlich unterordnen (z. B. Porph.
Marc. 33,515–517 Wicker; Simpl. In Ench. 37,94–125 Hadot; Marin. Procl. 17),
zeigt Musonius sich hier eher zurückhaltend. Wenn ein Kind nach dem Guten han-
deln will, gehorcht es immer den Eltern, die sich dies ja für ihren Nachwuchs wün-
schen; es gehorcht folglich der «Intention» (βούλησις) der Eltern, auch wenn es
sich weigert, das Falsche zu tun, das sie ihm auftragen (Diatr. 16,84f.): Ein Sohn
kann versuchen, seinen Vater zu überzeugen, dass die Philosophie ihn zu einem
besseren Menschen machen werde und somit auch zu einem besseren Sohn gegen-
über seinem Vater (d. h. die Philosophie unterstützt das richtige Verhältnis zwi-
schen Eltern und Kindern; sie löst die Beziehung nicht auf); noch besser kann er
es durch die Praxis beweisen und so seinen Vater beeindrucken (Diatr. 16,85f.).
Nur wenn das alles nicht hilft, soll das Gebot des Zeus, als Vater von Menschen
und Göttern, das des eigenen Vaters übertreffen (Diatr. 16,86f.). Und kommt es
so weit, dass der Vater seinen Sohn einsperrt, so übt er damit nur Macht über den
Körper seines Sohnes aus und kann auch so das Philosophieren nicht verhindern
(Diatr. 16,87f.).
Die letzten längeren Vorlesungen, die von Musonius erhalten sind, behandeln
materielle Angelegenheiten wie Ernährung, Kleidung, Hausrat oder die äußere
Erscheinung. Obwohl Musonius selbst das Thema ‘maßvolle Ernährung’ für sehr
wichtig hält (Diatr. 18a,94,4–6; 18b), enthalten diese Vorlesungen seine am we-
nigsten originellen Aussagen. Im Grundsatz vertritt er die Tugend der Mäßigung
und die Vorstellung vom einfachen Leben, in materieller Hinsicht die Beschrän-
kung auf das Allernötigste.

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§ 13. Epiktet (Bibl. 234–235) 163

§ 13. Epiktet

Gretchen Reydams-Schils

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Wir wissen viel weniger über Epiktet als über seinen Lehrmeister Musonius
Rufus, den er öfter erwähnt (Biographische Zeugnisse bei Schenkl 1894 [*187:
XIV–XXIII], die ‘editio minor’ von 1916 enthält diese Testimonien nicht; für einen
guten Überblick über die wichtigsten Testimonia s. Long 2002 [*211: 34f.]). Es gibt
bei ihm z. B. weniger Berührungen mit der Politik in Rom. Was von Epiktet erhal-
ten ist, sind Zeugnisse aus seiner Zeit als Lehrer einer Schule in Niko­polis, einer
Stadt in Epirus in Griechenland. Er ist um 50 n. Chr. in Hiera­polis geboren (in der
heutigen Türkei) und war einen Teil seines Lebens Sklave des Epaphroditos (Suda
II,365 Adler; vgl. auch Diss. 1,9,29; 1,19,19ff.), des Sekretärs Neros und später auch
Domitians (ab 81 n. Chr.; Suda II,334–335 Adler; Suet. Nero 49,3; Dom. 14,4).
Nachdem Domitian alle Philosophen Roms und Italiens verbannt hatte (wahr-
scheinlich 89 n. Chr.), ging Epiktet spätestens 95 n. Chr. nach Nikopolis ins Exil
(Gell. 15,11,3–5). Er bezeichnet sich selbst (Diss. 1,8,14; 1,16,20) als einen alten, ge-
lähmten Mann. Die Autoren der Testimonien stimmen nicht überein, ob diese Läh-
mung die Folge einer schlechten Behandlung als Sklave (Orig. C. Cels. 7,53) oder
einer Krankheit wie Rheumatismus war (Suda II,365 Adler). Vielleicht hat Kaiser
Hadrian ihn in Nikopolis besucht (Hist. Aug. Hadr. 16,10; Alcuin Epist. 88), zu-
mindest ist es erwiesen, dass Epiktet in seiner Schule in Nikopolis öfter von Pro-
minenten besucht wurde (Diss. 1,9,27ff.; 1,10,1–6; 1,19,26–29; 2,14,1; 3,7; 4,1,6).
Nach Aussage von Simplikios in seinem Kommentar zu Epiktets ‹Encheiridion›
hat Arrian die Vorlesungen Epiktets aufgezeichnet und auch eine nicht erhaltene
Biographie über ihn geschrieben (Simpl. In Ench. prooem. 1–4; I. Hadot 1996 [*276:
152–160]). Aus dieser Biographie könnte die Anekdote stammen, dass Epiktet im
hohen Alter das Kind eines verstorbenen Freundes zu sich genommen hat, damit es
in guten Händen ist, und sich auch eine Frau in den Haushalt holte (Simpl. In Ench.
44,77–80 Hadot). Bei dieser handelte es sich wahrscheinlich um eine Amme und Die-
nerin, nicht um eine Ehefrau (nach Luk. Demon. 55 war Epiktet nicht verheiratet).
Diese Anekdote ist von Bedeutung, weil bekannt ist, wie wichtig die sozialen Ver-
hältnisse für römische Stoiker waren. Doch ist hier Vorsicht geboten, weil Simplikios
eine Praxis, die in neuplatonischen Kreisen üblich war, Epiktet zugeschrieben haben
könnte (Simpl. In Ench. 37,211–219. 303 Hadot; Reydams-Schils 2007 [*294]).

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164 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

2. WERKE

Wie Musonius Rufus hat auch Epiktet keine 19,1,14). Die zweite überlieferte Schrift ist das
e­ igenen Arbeiten hinterlassen. In den erhaltenen ‹Encheiridion› (‹Handbüchlein›), eine Zusam-
Vorlesungen ist manchmal die Rede von Schriften, menfassung von Hauptthesen Epiktets, manchmal
aber diese sind eine Art Übungen, wie sie Epiktet fast in der Art von Sentenzen. Philosophisch be-
auch Sokrates zuspricht (Diss. 1,1,25; 2,1,32f.; gründet ist die Form des Werks durch Epiktets
2,6,26f.). Arrian, der auch ein eigenständiger häufige Empfehlung, man solle die philosophi-
Autor war (am bekanntesten ist seine historische schen Lehrsätze immer «bei der Hand» (πρό-
Schrift über Alexander), hat uns Aufzeichnungen χειρον, z. B. Diss. 1,27,7; 1,30; 3,24,103) haben, um
von Epiktets Vorlesungen übermittelt. Zunächst sie stets der jeweiligen Herausforderung anzu­
sind vier Bücher ∆ιατριβαί (‹Dissertationes›, ‹Un- passen. Die meisten Fragmente, die von Epiktet
terredungen›) von vielleicht ursprünglich acht er- erhalten sind, stammen aus der Sammlung des
halten (Phot. Bibl. cod. 58,17b11ff.; vgl. auch Gell. Stobaios.

3. LEHRE

Deutlicher als bei den erhaltenen Vorlesungen des Musonius Rufus rückt bei
Epiktet in den Vordergrund, dass die Schulübungen auch Aspekte der Physik und
Logik umfasst haben, sowie die Auslegung von Werken der früheren Stoiker,
­besonders des Chrysipp. Die Anweisungen auf dem Gebiet der Logik bezeugen
fortgeschrittene Kenntnisse komplexer Probleme (Diss. 1,7; 2,17,34; 2,18,18; 2,19).
Allerdings besteht mit den Vorlesungen des Musonius Rufus die Übereinstim-
mung, dass auch Epiktets ‹Dissertationes› nicht der technischen Seite des Unter-
richts entsprechen. Manchmal sind sie sogar an Leute gerichtet, die auf der Durch-
reise sind und kurz Epiktets Schule besuchen – dann lassen sie sich fast wie eine
Art Werbung lesen: Sie geben dem Gast eine Kostprobe dessen, was die Philo­
sophie bewirken könnte, wenn er sich ernsthaft mit ihr beschäftigen würde (Diss.
1,11; 2,14; 3,9). Die Aufzeichnungen Arrians sind lebendig, oft humorvoll, aber
durchaus auch scharfzüngig formuliert. Auch Epiktet genügen wie den anderen
römischen Stoikern theoretische Auseinandersetzungen und Lehren nicht, sie sol-
len von «Praxis» (µελέτη) und ständiger «Übung» (ἄσκησις) begleitet werden
(Diss. 2,9,13f.).
Als Vorbild des richtigen Lebens und Sterbens ist Sokrates wichtig für die
ganze stoische Tradition, aber Epiktet scheint besonders vom sokratischen Erbe
geprägt zu sein (Döring 1974 [*205], Long 2000 [*209] und 2002 [*211: 67–96],
Gourinat 2003 [*212]). Dies reicht bis zu Themen wie z. B., dass niemand freiwil-
lig irrt; dass derjenige, der Böses tut, gefährdet sei und nicht derjenige, der es er-
leidet (Diss. 4,1,122–127; vgl. Plat. Gorg. 474cff.); und bis zu Aspekten des Dia-
logs, in dem der Gesprächspartner durch eigene Einsicht widerlegt wird (ἔλεγχος;
Diss. 3,14,9; Long 2002 [*211: 74–86, 95f.]). Das andere große Vorbild – neben Stoi-
kern wie Zenon und Kleanthes – ist der Kyniker, wie er in Diogenes seine Ausfor-
mung fand (Diss. 3,22), wobei Epiktet seinen idealen Kyniker ohne die sonst be-
zeugte Unverschämtheit (vgl. z. B. D. L. 6,20–81) dargestellt hat (siehe auch Bil-
lerbeck 1978 [*190], für einen ersten Überblick 6–9). Der ideale Lehrer soll nicht
nur die Weisheit besitzen, sondern auch einen geeigneten Charakter und einen

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§ 13. Epiktet (Bibl. 234–235) 165

hin­reichend reinlich gehaltenen Körper. Er soll für diese Verantwortung von Gott
vorbestimmt sein. Für sich selbst nimmt Epiktet den Status eines ‘Meisters’ nicht
in Anspruch (Diss. 4,1,151; vgl. Reydams-Schils 2011 [*43]); er bezeichnet sich
selbst als jemanden, der sich – wie seine Schüler – fortwährend üben muss und
gelegentlich etwa auch Gefährdungen sinnlichen Vergnügens ausgesetzt ist
­
(Diss. 2,18,15–18).
Wenden wir uns den Hauptthemen in Epiktets Ausführungen zu: Den Körper
und die äußeren Güter konnte Zeus als die Vorsehung, die den Kosmos geordnet
hat, nur so gestalten, dass sie nicht gänzlich der Macht des Menschen unterworfen
sind (Diss. 1,1,7–13; 4,1,99–110). Unser Körper und die Dinge sind nur ein Teil
einer Gesamtstruktur, des Kosmos, und damit den Gesetzen und Prozessen die-
ses Weltgebäudes unterworfen; sie sind nicht «in unserer Macht» (οὐκ ἐφ’ ἡµῖν).
Aber das Wichtigste in uns, unsere «Vernunft» (λόγος), ein Teil des Gottes selbst,
ist «in ­unserer Macht» (ἐφ’ ἡµῖν). Somit ist der Unterschied zwischen dem, was in
unserer Macht liegt, und dem, was nicht, der Maßstab für die richtige Beurteilung
der Dinge (vgl. auch Ench. 1).
Das Argument, das Epiktet Zeus in der eben erwähnten Passage in den Mund
legt – dass er auch den Körper und den Besitz als frei verfügbar gewährt hätte,
wenn es möglich gewesen wäre –, erinnert an Platons ‹Timaios› (75a–c). Auch dort
muss der Demiurg bei der Gestaltung des menschlichen Hauptes eine Wahl tref-
fen: Wird der Schädel zu dick, ist das Denken behindert; aber ein dünnerer Schä-
del führt zu größerer Verletzlichkeit. Der Demiurg wählt letzteres, aber dadurch
ist Verletzlichkeit und somit Sterblichkeit unvermeidbar. Bereits Chrysipp hat
diese Passage stoisch umgedeutet (Chrysipp, SVF II, fr. 1170 = Gell. 7,1,7). Aber
in einem stoischen Kontext wirkt das Argument anders: Im ‹Timaios› ist die Wahl
des Demiurgen eingeschränkt, weil er die Welt nur so gut wie möglich machen
kann; für den Stoiker ist der Kosmos durch und durch gut und von göttlicher Vor-
sehung gestaltet – aber es gehört eben zu dieser Vorsehung, dass sich ein Teil des
Kosmos dem Ganzen, dem Universum, unterzuordnen hat. Diese Unterordnung
gilt nicht für die menschliche Rationalität, weil sie eben im Ursprung der gött­
lichen ähnlich ist. Aber ein Mensch muss in seine Rationalität hineinwachsen und
kann sie auch verfehlen. Das Erziehungsprogramm Epiktets ist darauf ausgerich-
tet, dass man eben dieses Ziel erreicht.
Die Rationalität ist das einzige Vermögen, das sowohl sich selbst als auch andere
Gegenstände und Sachverhalte untersuchen kann – sie ist selbst-reflexiv. Aus die-
sem Grund wird sie zum Maßstab für alle Formen des Wissens und Könnens. ‘Ra-
tional sein’ bedeutet für Epiktet, dass wir unsere «Eindrücke» (φαντασίαι) in kor-
rekter Weise nutzen. Auch den Tieren werden durch die Sinneswahrnehmung Ein-
drücke vermittelt, aber sie nutzen diese einfach ohne Überlegung (Diss. 1,6,12–15;
2,8,3–9); Menschen dagegen können über ihre Eindrücke nachdenken und Ent-
scheidungen treffen.
Menschen sind von Natur aus so gestaltet, dass sie sich «all-
gemeine Begriffe» (προλήψεις) formen, wie das Gute, das Böse, das Vorteilhafte
und Schädliche. Aber man benötigt die Philosophie, um zu lernen, diese Begriffe
komplett auszugestalten sowie korrekt und systematisch auf konkrete Gegenstände
anzuwenden (Diss. 1,2,5ff.; 2,11,4; 2,17), sonst entstehen falsche «Vorstellungen»

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166 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

(δόγµατα) wie z. B., dass der Tod ein Übel sei und Reichtum ein Gut. Diese Auf-
fassungen werden durch Eindrücke vermittelt: Bei Menschen, die der Sprache und
des Denkens mächtig sind, gehen Impressionen einher mit Urteilen, die in Wor-
ten ausgedrückt werden. So kann man z. B., wenn man das schöne neue Haus des
Nachbarn sieht, diesen Eindruck umsetzen in ‘Es ist gut, so ein Haus zu besitzen,
ich möchte auch so eins’. Aber solche Vorstellungen sind falsch: Nach ursprüng-
lich orthodoxer Lehre beziehen sich die Begriffe ‘Gut’ und ‘Böse’ nur auf das
Denken und die ­Tugend, also darauf, ob wir unsere Rationalität richtig oder falsch
nutzen und dementsprechend unsere Entscheidungen treffen. Wie oben angedeu-
tet, ist nur die Ra­tionalität «in unserer Macht» (ἐφ’ ἡµῖν); andere Dinge und Sach-
verhalte können zwar einen Wert haben, aber auf sie trifft der Begriff des ‘Guten’
nicht zu, sie sind im Hinblick auf die Tugend «gleichgültig» (ἀδιάφορα).
Wie lernen wir unsere Eindrücke in der richtigen Weise zu nutzen? Epiktets Er-
ziehungsprogramm, das vermutlich ihm zuzuschreiben ist und Mark Aurel beein-
flusst hat, umfasst Übungen von dreierlei Art (τόποι, ausführlich Diss. 3,2): Die erste
beschäftigt sich mit unserem «Streben» (ὄρεξις und seinem Gegenteil, dem «Ver-
meiden»: ἔκκλισις); die zweite mit dem «Impuls oder Anstoß zum Handeln» (ὁρµή
und dem Gegenteil: ἀφορµή); und die dritte mit der «Zustimmung (συγκατάθεσις
und der «Urteilsenthaltung»: ἐποχή). P. Hadot hat diese Übungen mit den drei Tei-
len der Philosophie verknüpft: die erste mit der Physik und besonders der Theo­logie,
die zweite mit der Ethik und die dritte mit der Logik (P. Hadot 1978 [*204]).
Das «Streben» (ὄρεξις) und das «Vermeiden» (ἔκκλισις) bringen unsere allge-
meine Einstellung zu Dingen und Sachverhalten zum Ausdruck, eben die Struk-
tur unserer Motivationen. Ist unser Streben auf das Richtige ausgerichtet, d. h.
auf das wahrhaft Gute und Vorteilhafte, dann ist diese Struktur wie sie sein soll
und naturgemäß. In diesem Fall streben wir nach dem, was wir erreichen kön-
nen, der bestmöglichen Ausrichtung unserer rationalen Fähigkeiten, weil sie, wie
oben angedeutet, «in unserer Macht» (ἐφ’ ἡµῖν) ist, und meiden, was immer wir
meiden können. Aber die meisten Leute streben nach falschen Gütern wie Be-
sitz und Ruhm. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, beschränkt sich die erste
Übung auf die Ethik. Aber das richtige Streben ist nicht nur naturgemäß, weil es
unserer Natur als Menschen entspricht (Diss. 1,20,16f.), sondern auch, weil wir
dann unser Verlangen dem Willen Gottes unterordnen, eben jenem Gott, der das
Universum durch seine Vorsehung bis ins kleinste Detail geordnet hat (Diss.
1,12,17; 2,6,9f.). Daher kann man auch sagen, dass das Ziel unseres Strebens sein
sollte, Gott zu folgen (z. B. Diss. 1,30). Unser Körper und die äußeren Dinge sind
von ihm bestimmt; aber in unserer Rationalität ist auch die Freiheit vorhanden,
die es ermöglicht, den Kosmos zu bewundern, Gott zu loben und mit dem gött-
lichen Ursprung wieder eins zu werden (Diss. 1,6,19f.; 1,12,7ff.; 1,16,16ff.;
1,17,27ff.; 2,14,11ff.; 2,16,42ff.). Und so verweist die Übung unser ­Streben betref-
fend auf die Physik, von der die Theologie eben die höchste Stufe ist. Die Grund-
struktur unseres Strebens ist so wichtig und auch so schwierig, im richtigen Sinne
zu deuten, dass Epiktet Anfängern empfiehlt, ihr Streben aufzugeben bzw. zu-
rückzuhalten (Diss. 1,4,1; Ench. 2), bis sie mehr wissen über das Gute und Böse,
ihren Platz als Menschen im Kosmos und auch ihr Verhältnis zu Gott.

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§ 13. Epiktet (Bibl. 234–235) 167

Gegen die eben erwähnte Verknüpfung von Ethik und Physik scheint ein Frag-
ment Epiktets zu argumentieren (fr. 1 Oldfather = fr. 175 Schweighäuser = Stob.
Ecl. 2,1,31, II,13,3–14,8 Wachsmuth). Nach diesem kommt es darauf an, den Un-
terschied zwischen Gutem und Bösem zu kennen, sowie das richtige Streben und
den Antrieb zum Handeln. Dies folgt aus der Erkenntnis, dass ein Mensch nicht
alleine lebt, sondern von Natur aus zur Gemeinschaft bestimmt ist. Aber was die
Natur jetzt genau sei, wie sie den Kosmos angeordnet habe oder ob alles Existie-
rende aus Atomen – eine Anspielung auf die Epikureer – oder Feuer und Erde be-
stehe, darum müsse man sich nicht kümmern. Dass dieses Fragment – das eben
in ­erster Linie ein Fragment ist, weshalb die Argumentation nicht vollständig ist –
nicht einen Widerspruch zu sonstigen Aussagen Epiktets bedeuten muss, beweist
auch ein Vergleich mit Seneca (Benef. 7,1, Nat. 3 praef.): Es gibt eine falsche Art,
sich mit Physik zu beschäftigen, nämlich nur um ihrer selbst willen, als reine Theo­
rie, wobei man sich in abstrusen Detailfragen verliert. So gesehen ist das Fragment
Epiktets nur der erste Teil einer dialektischen Argumentation, dem wohl eine
Aussage wie bei Seneca folgte.
Die zweite Übung umfasst den Antrieb zum Handeln (ὁρµή/ἀφορµή). Sie be-
handelt die «gebotenen Handlungen» (καθήκοντα, «officia» bei Cicero), oder was
man der Natur und «seiner Position im Leben» (στάσιν […] ἐν τῷ βίῳ: Diss. 1,21,1)
gemäß zu tun hat. Dabei fällt auf – und hier zeigt sich Epiktet im Einklang mit an-
deren römischen Stoikern wie Seneca, Musonius Rufus und Hierokles –, dass es
sich meistens um die sozialen Pflichten handelt, also wie man sich z. B. als Freund,
Sohn, Bruder oder Mitglied des Staates zu anderen zu verhalten hat. So wie Pa-
naitios vor ihm (vgl. Cic. Off. 1,107–117), bedient sich Epiktet hier der Vorstellung
von einer Rolle des Individuums, was wahrscheinlich ursprünglich aus dem Be-
reich des Theaters stammt (Diss. 2,10,4–12: πρόσωπον, von Cicero als «persona»
übersetzt, was «Maske» bedeuten kann – wie auch bei Epiktet in Diss. 1,29,41ff.;
für die weiteren Bedeutungen wie z. B. «Charakter», vgl. Diss. 1,2; 1,29,44–49;
4,2,10; 4,3,3).
Zur Rationalität des Menschen gehört auch, dass er ein Sozialwesen ist, weil
ja eben auch Zeus sich um die Welt kümmert. Von Natur aus verfügen wir über
«Zuverlässigkeit» (τι πιστόν), «Zuneigung» (στερκτικόν), «Hilfsbereitschaft»
(ὠφελητικόν) und «Toleranz» (ἀλλήλων […] ἀνεκτικόν: Diss. 2,10,23). Zwar soll
man nicht von anderen abhängig sein (Diss. 1,12,21; 3,13,2–7) und sich nicht durch
sie zu falschen Zielen verführen lassen, aber derjenige, der das richtige Verständ-
nis von Gut und Böse hat, kann auch seine Verhältnisse zu Mitmenschen ord-
nungsgemäß gestalten. Zwar sollte das Gute die Oberhand haben, wenn zwischen
ihm und den sozialen Verhältnissen ein Konflikt besteht (vgl. auch Musonius
Diatr. 16); aber es gilt ebenso, dass die richtige Einstellung zu anderen zum Guten
gehört (Diss. 3,3,5–10).
Der Rang, den Menschen in der Gemeinschaft einnehmen, z. B. als Sklave, Se-
nator oder Freigelassener, ist an sich unwichtig. Die Grundgedanken Epiktets sind
hier, dass man einerseits seiner Rolle gemäß zu handeln hat, dass es andererseits
aber nicht auf den Rang in der Gemeinschaft ankommt, sondern auf die Art, wie
man diese Rolle spielt (Diss. 2,5). Ein berühmtes Bild, das zu dieser Auffassung

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168 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

passt, ist das vom Leben als einem Ballspiel: Es kommt nicht auf das Spiel an, son-
dern auf die Fähigkeit, mit der man spielt (Diss. 2,5,15ff.). Hierin besteht die
wahre menschliche Freiheit.
Wie Musonius erkennt man auch in Epiktet einen Lehrer im Schulunterricht;
die meist jungen Leute, die bei ihm studieren, sind zeitweise von ihren normalen
gesellschaftlichen Verhältnissen gelöst. Aber auch in einem solchen Kontext bleibt
die Wichtigkeit sozialer Beziehungen erhalten. Es gibt jedoch auch Personen, wel-
che die Schule auf der Durchreise besuchen, und so liefert ein Gespräch mit einem
römischen Beamten ein sehr gutes Beispiel von Epiktets Lehre über die «gebote-
nen Handlungen» (καθήκοντα: Diss. 1,11): Der Mann ist verheiratet. Auf die
Frage, was er von der Ehe hält, beklagt er sich, dass er vor kurzem nicht am Kran-
kenbett seiner Tochter ausharren konnte, da er sich zu sehr um sie sorgte. Der Phi-
losoph beweist nun, dass es nicht naturgemäß, «rational» (εὐλόγιστον) oder gut
sei, sein Kind in der Not anderen zu überlassen. Es reicht also nicht aus, dass der
‘pater ­familias’ dafür sorgt, dass irgendjemand sich um das Kind kümmert: Er
muss selbst seine Verantwortung übernehmen. Hier zeigt Epiktet, dass für einen
Stoiker wie ihn das Überwinden der Todesangst und der Furcht, aufgrund
mensch­licher Verletzlichkeit andere verlieren zu können, nicht primär auf eine
Verbindung mit einer höheren und ideellen Realität abzielt wie im Platonismus,
sondern auf eine Vertiefung unserer Verhältnisse zu Mitmenschen ausgerichtet
ist, die eben nicht Nebensache sind.
Die dritte Übung, diejenige bezüglich der «Zustimmung» (συγκατάθεσις), ist
für die Art der Urteilsbildung ausschlaggebend und hängt dementsprechend mit
der Logik zusammen oder der Fähigkeit, richtig zu differenzieren. Diese hat für
Epiktet nur dann einen Zweck, wenn man bereits Fortschritte durch die zwei ers-
ten Übungen gemacht hat (Diss. 3,2,5), sich also schon einen korrekten normati-
ven Rahmen zu eigen gemacht hat. Sehr oft zeigt Epiktet die Parallele zwischen
logischen Übungen (etwa Syllogismen), bei denen das Richtige vom Falschen zu
unterscheiden ist, und dem Handeln, bei dem es auf Gut und Böse ankommt. Die
Zustimmung ist am engsten verknüpft mit der Forderung, dass man seine Eindrü-
cke korrekt nutzen sollten. Man muss diesen nicht sofort zustimmen, sondern soll-
ten sie prüfen und sich dabei Zeit nehmen. Wenn man einmal einem Eindruck zu-
gestimmt hat, formt sich ein «Urteil» (δόγµα), das – wenn es falsch ist – das ganze
Leben auf die falsche Bahn lenken kann. Betrachten wir nochmals das oben er-
wähnte Beispiel genauer: Angenommen, jemand gewinnt den Eindruck, es sei gut,
auch so ein schönes und reiches Haus zu besitzen wie sein Nachbar. Er kann seine
Zustimmung geben und das Ziel des wirklich Guten dabei ­verfehlen, oder aber
diesen Eindruck erst prüfen und schließlich entscheiden, dass Dinge wie ein Haus
nicht zum Guten gehören und dementsprechend seine Z ­ ustimmung verweigern
(Diss. 2,18; Ench. 1, 18, 34).
Ein sehr wichtiger Begriff für Epiktet ist die «Fähigkeit zum vernünftigen Wol-
len» (προαίρεσις; Bonhöffer 1890 [*199: 118f., 259ff.]). Die ‘prohairesis’ soll sogar
mit dem ‘Ich’ identifiziert werden (Diss. 1,1,23f.; 1,17,26; 2,22,20). Die oben er-
wähnte Unterscheidung zwischen dem, was «in unserer Macht» (ἐφ’ ἡµῖν) steht
oder nicht, kann man umformuliert auch vornehmen zwischen dem, was zu unse-

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§ 13. Epiktet (Bibl. 234–235) 169

rer ‘prohairesis’ gehört, und dem, was nicht. Leider wird in den erhaltenen Vorle-
sungen keine Definition dieses Begriffs geboten, und so muss man versuchen, ihn
aus dem Kontext heraus zu deuten (über die Vorgeschichte dieses Begriffs, beson-
ders bei Aristoteles, s. Dobbin 1991 [*206]). ‘Prohairesis’ scheint ein Sammelbe-
griff zu sein, der sich auf den Entwicklungsstand unserer Rationalität bezieht, d. h.
der Art, wie wir als Menschen unser «leitendes Prinzip» (ἡγεµονικόν) in einem na-
turgemäßen Zustand erhalten (Diss. 3,5,3; 3,6,4; 3,9,11), unsere Ein­drücke nutzen,
unser Streben ordnen und unser Handeln an «Antrieben» (ὁρµαί) und Zustim-
mung ausrichten (Diss. 1,17,21ff.; Bonhöffer 1890 [*199: 259ff.], Asmis 2001 [*210],
Long 2002 [*211: 210–220]). Das Wort wird manchmal mit ‘Wille’ wiedergegeben,
doch könnte diese Übersetzung zu der falschen Annahme führen, die ‘prohaire-
sis’ sei eine eigenständige psychologische Funktion. ‘Prohairesis’ wird vielleicht
am besten umschrieben als Epiktets Begriff für Intentionalität, die auch von der
Lage im Leben bestimmt wird (Diss. 3,23,5). Nur ‘prohairesis’ kann ‘prohairesis’
verhindern (Diss. 1,17,26f.; 3,19,2).
Zum Schluss ist der interessante Punkt zu erwähnen, dass durch früher erwor-
bene Eindrücke mitbestimmt wird, wie man gegenwärtige nutzt: Die Rationalität
ist selbst-reflexiv, weil sie als die «Struktur» (σύστηµα), die sich mit Eindrücken
beschäftigt, selbst auch aus solchen besteht (Diss. 1,20,5–6). Schon deshalb sind
falsche Urteile und daraus erfolgte Handlungen so gefährlich; jeder Fehler hinter-
lässt eine Spur in der Seele (Diss. 2,18,11), wodurch sie nachher leichter den glei-
chen Fehler macht. Allerdings ist es auch so, dass man stets in der Lage ist, seine
Eindrücke zu testen, die schlechten Gewohnheiten zu durchbrechen und mit einem
neuen Prozess der Gewöhnung an das Gute zu beginnen (Diss. 2,18,19ff.; 3,25).

4. NACHWIRKUNG

Für die Wirkung in Platonismus und Christentum siehe § 17. Sowohl das
‹Encheiridion› als auch die ‹Dissertationes› profitierten vom großen Interesse an
den Stoi­kern im 16. und 17. Jahrhundert (Long 2002 [*211: 259–274]), bei Gelehr-
ten wie J­ ustus Lipsius (‹De constantia› 1584) und Guillaume du Vair, der das
‹Encheiridion› ins Französische übersetzt hat (erschienen 1586 in ‹La philosophie
morale des Stoiques›). Das ‹Encheiridion› erfreute sich weithin großer Beliebtheit,
und zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde es sogar zum Teil ins Chinesische über-
setzt vom ­Jesuitenmissionar Matteo Ricci (1552–1610), der eine Verwandtschaft
mit dem Konfuzianismus zu erkennen glaubte. Von besonderer Bedeutung sind
Blaise P­ ascals ‹Entretien avec monsieur de Sacy sur Epictète et Montaigne› (1655),
in dem Epiktet einem als pyrrhoneischen Skeptiker gezeichneten Montaigne ge-
genübergestellt wird, und Descartes’ dritte moralische Maxime in seinem ‹Dis-
cours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les
­sciences› (1637), in der sich ein Einfluss der Lehre des römischen Stoikers fest­
stellen lässt.

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170 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

§ 14. Marcus Aurelius

Gretchen Reydams-Schils

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Mark Aurels Leben als römischer Kaiser steht im Scheinwerferlicht der Ge-
schichte: Er wird 121 n. Chr. in Rom geboren. Seine Mutter ist Domitia Lucilla.
Sein Vater M. Annius Verus stirbt, als er noch ein Knabe ist. Er wird zunächst von
seinem Großvater väterlicherseits aufgenommen. Mit fünfzehn wird er mit der
Tochter von Hadrians Adoptivsohn verlobt, der als zukünftiger Kaiser gilt. Als die-
ser stirbt, adoptiert Hadrian Antoninus Pius, der 138 n. Chr. wiederum Mark Aurel
adoptiert; die frühere Verlobung wird aufgelöst, und Mark Aurel jetzt mit Faustina
verbunden, der Tochter des Antoninus Pius. Sie heiraten 145 n. Chr. Sie hatten drei-
zehn Kinder, von denen nur sechs das Erwachsenenalter erreichten; 161 wird Com-
modus geboren, der später seinem Vater nachfolgt. Ab 146 ist Mark Aurel an der
Seite von Antoninus Pius unmittelbar in die Staatsgeschäfte eingebunden. Er über-
nimmt die Macht, als Antoninus Pius 161 n. Chr. stirbt, und ernennt seinen Adop-
tivbruder Lucius zum zweiten Imperator, der die Tochter des Princeps Lucilla hei-
ratet. Lucius Aurelius Verus soll den Feldzug im Osten gegen die Parther und
Meder leiten. 167 erreicht die Pest Italien, und die Germanen müssen aus der Po­
ebene zurückgedrängt werden – von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem Tod wird
Mark Aurels Leben von militärischen Kampagnen gegen die Germanen und Sar-
maten beherrscht. 175 versucht Avidius Cassius im Osten die Macht zu ergreifen,
und die Revolte muss überwunden werden. Faustina stirbt 176 auf dem Rückweg
von einer Reise in den Osten. Im selben Jahr lässt Mark Aurel in Athen Lehrstühle
für Philosophie einrichten, und Athenagoras richtet eine Apologie für die Chris-
ten mit dem Titel ‹Die Bittschrift› (Πρεσβεία) an ihn (CPG 1,1070; in seinen Auf-
zeichnungen übt Mark Aurel einmal explizit Kritik an den Christen: 11,3; ob er di-
rekt mitverantwortlich ist für die Verfolgungen in Lyon und Vienne in Gallien, ist
umstritten). Ab 177 lässt Mark Aurel seinen Sohn Commodus an der Macht teil-
haben. Er selbst stirbt bei einem Feldzug gegen die Germanen 180 n. Chr. Von
großer Bedeutung ist, dass im Fall von Mark Aurel nicht nur die Geschichtsschrei-
bung und andere Quellen zur Verfügung stehen, sondern auch seine eigenen Aus-
sagen über die Menschen, die in seinem Leben wichtig waren (im ersten Buch der
Aufzeichnungen). Dort erwähnt er zum Beispiel die Fähigkeit, den Verlust eines
Kindes gleichmütig ertragen zu können (1,8). Die Geschichtsschreibung war nicht
milde seiner Gattin gegenüber, die des Ehebruchs und sogar der Teilnahme am

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§ 14. Marcus Aurelius (Bibl. 235–236) 171

Cassius-Komplott beschuldigt wird (Hist. Aug. M. Aur. 19,1–3. 7; 24,5f.; 26,5) –


Mark Aurel selbst erwähnt sie aber ohne eine Spur von Kritik (1,17).

2. WERK

Von Mark Aurel ist eine Korrespondenz mit sei- sätze der Lehre anzueignen, wie auch um seinen
nem Rhetoriklehrer M. Cornelius Fronto überlie- eigenen Fortschritt zu beurteilen. Bei Mark Aurel
fert sowie eine Sammlung von Aufzeichnungen in lässt sich sogar erkennen, wie diese Schreibübun-
zwölf Büchern, die in der Handschriften-Tradition gen die philosophische Fortsetzung – freilich auf
den Titel Εἰς ἑαυτόν (‹Selbstbetrachtungen› oder Griechisch – der Übungen sind, die er als Knabe
auch ‹Wege zu sich selbst›) erhalten haben, aber im Rahmen des Rhetorikunterrichts bei Fronto
auch häufig als ‹Meditationen› bezeichnet werden. absolviert hat (62f. van den Hout). Andererseits
Was seine Aufzeichnungen betrifft, so ist es nicht stehen diese Betrachtungen im Gegensatz zu den
eindeutig, ob Mark Aurel sie veröffentlichen Notizen, die Mark Aurel anhand f­ rüherer Lektüre
wollte, und wenn ja, in welcher Form, d. h. ob er angefertigt hat (3,14): Seine Aufzeichnungen
noch weitere Überarbeitungen vornehmen wollte. haben einen zwingenden Charakter, weil sie die
Die Aufzeichnungen haben eine einzigartige richtige Lebensführung zum Ziel haben und nicht
Form: Sie bestehen aus Notizen, deren Umfang das bloße Sammeln von Wissen. Beeindruckend
sich zwischen ein Paar Zeilen bis zu einigen Seiten ist auch, dass diese Aufzeichnungen aus einer Zeit
bewegt, manche sind skizzenhaft, andere wiede- stammen, die Mark Aurel größtenteils im Feld­
rum ausgearbeitet und deutlich strukturiert. Sie lager verbracht hat (siehe die Titel des zweiten und
kommen den Schreibübungen am nächsten, die dritten Buchs: «Geschrieben unter den Quaden
Epiktet im Dienste des philosophischen Fort- am Fluss Granus» [Buch 2] und «Geschrieben in
schritts empfiehlt. Man schreibt, um sich Grund- Carnutum» [Buch 3]).

3. LEHRE

P. Hadot 21997 [*236: 85f.] vertritt die These, dass die drei Hauptübungen
Epiktets auch für die Interpretation von Mark Aurel der Schlüssel sein können.
Diese drei Topoi beschäftigen sich 1) mit der Zustimmung oder der Fähigkeit,
zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, 2) dem Streben oder der Grund-
struktur unseres Wollens und 3) dem Ansatz zum Handeln. Im ersten Buch der
Aufzeichnungen des Kaisers (1,7) erfahren wir tatsächlich, dass er von Rusticus,
seinem ersten Philosophielehrer, ein Exemplar der Vorlesungen Epiktets erhal-
ten hat (hier ὑποµνήµατα, «Kommentare», genannt). Ein Fragment Epiktets, das
bei Mark Aurel erhalten ist, bezieht sich auf diese drei Topoi (11,37), und in sei-
nen ­eigenen Aufzeichnungen erwähnt er sie auch (am deutlichsten in 8,7).
Mark Aurel zeigt kaum Interesse an der Logik (aber vgl. Giavatto 2008 [*241]);
er erwähnt Syllogismen nur kurz als eine Beschäftigung, in die man sich ver­
stricken kann (1,17). Das gute Leben finde man nicht in Syllogismen (8,1), obwohl
man sein Urteilsvermögen auch nicht vernachlässigen solle (8,13). Die Physik
­dagegen ist sehr stark betont, viel mehr als z. B. in den erhaltenen Vorlesungen des
Musonius Rufus. Nach Auffassung von P. Hadot 21997 [*236: 57f.] bezeugt eine
Notiz (10,9), dass die «Physik» (φυσιολογία) unentbehrlich sei für das richtige
Handeln. Er benennt die zwei Prinzipien der stoischen Physik: das passive Prin-
zip, die «Materie» (ὕλη) als «Sein» (οὐσία), und das aktive Prinzip, die göttliche

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172 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

gestaltende «Ursache» (αἰτία, z. B. 5,13; 8,3. 11; 9,25. 37). Zeus als Natur und Vor­
sehung hat das Universum geordnet: Die Ordnung des Ganzen ist durchgehend
gut und von zyklischen Veränderungen bestimmt, die Phasen der Zerstörung ein-
schließen; die menschliche Natur ist als ein Teil des Ganzen unmittelbar mit der
Natur des Universums verknüpft (4,21; 8,18; 9,21).
Eigentümlich für Mark Aurel ist, dass er in seine Betrachtungen auch alterna-
tive Überlegungen integriert: So ist für ihn die Welt entweder ohne bestimmte
Ordnung aus Atomen zusammengesetzt (Atomisten, Epikur) oder es gibt eine Vor-
sehung, welche die Welt rational geordnet hat (4,27; 6,10; 7,32; 8,17; 9,39f.; 10,7;
11,18; 12,14f. 24). Man muss in diesem Weltbild keine Abweichung von der stoi­
schen Lehre sehen. Es scheint auf zwei Überlegungen zu beruhen: Die ‘entweder-
oder’-Struktur bekräftigt erstens, dass man – ob die Realität von Atomen oder der
Vorsehung bestimmt wird – sich gleich verhalten soll, d. h. angesichts des Wandels
in der Natur und im Hinblick auf die Sterblichkeit die Ruhe bewahren und sich auf
die eigene Rationalität verlassen soll. Zweitens unterliegt diesem ‘entweder-oder’
eine a-fortiori-Argumentation: Wenn man sich auch als Atomist (oder Epikureer,
vgl. 7,64; 12,14) so verhalten muss, dann hat ein Stoiker noch mehr A ­ nlass zu die-
ser Einstellung, weil sie durch die göttliche «Vernunft» (λόγος) bestätigt wird.
Sehr viele der Betrachtungen Mark Aurels verweisen auf die «Gemeinschaft»
(κοινωνία); für ihn sind unsere Beziehungen zu Mitmenschen von zentraler Be-
deutung (5,16). Schon das erste Buch seiner Aufzeichnungen bezeugt dies: Er er-
wähnt darin sein ganzes soziales Netzwerk, aber nicht um seine Einbindung in
eine soziale Hierarchie zu beschreiben, sondern im Hinblick auf seine moralischen
Fortschritte. Großeltern, Eltern, Lehrer, sein Adoptivvater Antoninus Pius, seine
Frau, seine Kinder, sie alle werden aufgeführt. Dieses erste Buch ist das G ­ egenteil
eines Testaments: Anstatt zu bestimmen, was Mark Aurel wem schenken möchte,
zählt er der Reihe nach auf, was er von wem geschenkt bekommen hat – nicht im
materiellen Sinne, sondern als Erfahrungen und Einflüsse, die ihn geprägt haben
(besonders 1,17).
Auf die Frage, wie die Fähigkeit zur Gemeinschaft zu unserer Natur gehört,
antwortet Mark Aurel ganz eindeutig, dass Menschen aufgrund ihrer Vernunft-
begabung soziale Wesen sind: ‘rational sein’ bedeutet ‘sozial sein’ (10,2; 12,30). In
dieser Hinsicht imitiert die menschliche Rationalität nur die göttliche, die sich als
Vorsehung um das Universum kümmert. Die Gemeinschaft der Menschen findet
ihren Ursprung im Anteil an der göttlichen Vernunft und ist gleichsam eingebun-
den in den Kosmos als übergeordneten Staat (4,4; 7,9; 8,2; 9,22; 11,8; 12,26. 30).
Auch deshalb deutet Mark Aurel die stoische ‘scala naturae’ (Stufenleiter der
Natur) von unbelebten Dingen, Pflanzen, Tieren, Menschen und Göttern so, dass
nicht nur die niedrigeren Stufen den Menschen dienen, sondern diese auch einan-
der (5,16. 30; 7,55; 8,59; 9,9).
In einer Passage spielt er auf seine Verantwortung als Kaiser an, als derjenige,
der die Gemeinschaft führen soll (11,18), indem er sich mit dem Widder und dem
Stier in einer Herde vergleicht. Doch fällt auf, wie bescheiden und realistisch die
Erwartungen Mark Aurels im politischen Bereich sind. Man sollte nicht auf
­Platons ‘Staat’ hoffen (9,29), weil es sehr schwierig sei, die Überzeugung von

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§ 14. Marcus Aurelius (Bibl. 235–236) 173

­ enschen zu ändern, und dies könne ohnehin nur unter Zwang erfolgen. Man soll
M
sich mit kleinen Schritten begnügen und tun, was die jeweilige Situation erfordert.
So prägt sich Mark Aurel auch ein, dass er sich nicht völlig mit seiner Rolle als
Kaiser und deren sozialem Status identifizieren soll (6,30). Aus dem Blickwinkel
der bescheidenen Erwartungen lässt sich auch verstehen, dass Mark Aurel Geduld
mit den Mitmenschen empfiehlt; auch wenn sie falsche Vorstellungen vom Guten
haben, sind es eben doch ihre Vorstellungen. Und anstatt sich in nutzloser Wut
und Ärger zu verlieren, kümmere man sich am besten um den Entwicklungsstand
seiner eigenen Rationalität.
Mit seinem Realismus hängt auch Mark Aurels Verwendung der Lehre der
ὑπεξαίρεσις zusammen («Zurückhaltung» oder «Vorbehalt»: 4,1; 5,20; 6,50; 8,41;
11,37; dieser Begriff ist auch für Seneca und Epiktet bezeugt [Ench. 2; fr. 27 Old-
father, bei Mark Aurel erhalten]): Wann immer wir uns zu einer Handlung ent-
schließen, sollen wir daran denken, dass etwas diese Aktion verhindern könnte und
es anders kommen könnte, als wir uns vorgenommen haben. Wenn Gott (d. h. die
vorbestimmte Ordnung des Universums) es will, können wir mithilfe der Zurück-
haltung immer unser Streben mit Gottes Plan in Einklang bringen. Damit wir nicht
in Passivität verfallen, empfiehlt Mark Aurel als Pendant zur ‘Zurückhaltung’ die
«Umkehr» (περιτροπή): Wir müssen das, was passiert, nicht einfach akzeptieren,
sondern können diese Geschehnisse immer als neues Material für die Anwendung
der Tugend nutzen und sie zum Guten wenden (Brunschwig 2005 [*240]).
Das ‘Selbst’ bei Mark Aurel ist hauptsächlich der «Intellekt» (νοῦς) oder der
«Verstand» (διάνοια). Er stellt den Intellekt nicht nur in Gegensatz zum Körper
wie die anderen römischen Stoiker, sondern auch zum «Hauch» (πνεῦµα), der die
Seele ausmacht (z. B. 2,2; 3,16; 5,33; 7,16). Hiermit begibt er sich an die Grenze der
stoischen Lehre, für die auch das «leitende Prinzip» (ἡγεµονικόν) aus Pneuma be-
steht (wie die ganze physische Realität). Doch sagt Mark Aurel nie explizit, dass
der Intellekt unkörperlich sei. Der Gegensatz Intellekt-Seele/Pneuma unterstreicht
für ihn die Wichtigkeit des Kerns unseres ‘Ich’, das aus der Rationalität besteht;
nur der Intellekt gehört im eigentlichen Sinne zu uns (12,3). In dieser Vernunftbe-
gabung liegt die wahre Freiheit. Nach Angabe Ciceros (Fat. 42f.) hat schon Chry-
sipp das Beispiel eines rollenden Zylinders benutzt, um zu unterscheiden zwischen
Ursachen, die etwas von außen bestimmen, und solchen, die zum eigenen Wesen
eines Gegenstandes gehören. Den Zylinder kann ein Stoß von außen zum Rollen
bringen, aber dass er rollt, hängt mit seiner Struktur zusammen. Wenn Mark Aurel
auf dieses Beispiel verweist, betont er, dass eine äußere Kraft einen Zylinder auch
am Rollen hindern könne, aber dass nichts in der Lage sei, die menschliche Ratio­
nalität zu behindern (10,33). Die ständige Vergegenwärtigung des Todes führt bei
Mark Aurel zu einer Besinnung auf den lebbaren Augenblick (z. B. 6,32; 9,21).

4. NACHWIRKUNG

Bei Mark Aurel muss man den Einfluss, den er als Inbegriff des bewunderten
Philosophenkaisers auf die Kunst ausübte, von der Wirkung seiner Aufzeichnungen

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174 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

trennen. Als ersterer wird er auch von einem Montesquieu oder J. S. Mill aner-
kannt. Die ‹Meditationen› werden in der Antike kaum erwähnt und zitiert; eine
erste eindeutige Erwähnung findet sich bei Themistios 364 n. Chr. (Or. 6, 81c).
Arethas, der Erzbischof in Kaisareia am Ende des 9. Jahrhunderts, besaß ein Ma-
nuskript (Farquharson 1944 [*220: xvi–xvii]), und die ‹Suda› hat Exzerpte be-
wahrt. In der Renaissance und später scheint Mark Aurels Einfluss mit dem des
römischen Stoi­zismus im Allgemeinen verknüpft gewesen zu sein und kann sehr
gut anhand der Geschichte der Ausgaben und Übersetzungen nachvollzogen wer-
den (Farquharson 1944 [*220], Kraye 2000 [*238]). Das erfundene ‹Libro áureo
de Marco Aurelio emperador› (‹Das goldene Buch des Kaisers Mark Aurel›) des
Franziskaners Antonio de Guevara (Sevilla 1528) sowie ein zweites Werk zu die-
sem Thema und deren Übersetzungen waren im 16. Jahrhundert sehr beliebt und
auch Montaignes Vater bekannt, aber sie boten ein verklärtes Bild Mark Aurels.
Die Editio princeps erfolgte 1559. Die Aufzeichnungen des Stoikers lassen sich
vielleicht am ehesten mit den ‹Pensées› (‹Gedanken›) von Pascal vergleichen.

§ 15. Hierokles

Gretchen Reydams-Schils

Über den Stoiker Hierokles, der bei Aulus Gellius gerühmt wird (9,5,8) und von
dem gleichnamigen Neuplatoniker des 5. Jahrhunderts unterschieden werden muss,
kann man keine biographischen Angaben machen. Seine Bedeutung resultiert aus
der Tatsache, dass man in seinen erhaltenen Texten die Verknüpfung zwischen der
theoretischen Grundlage der Ethik und den praktischen Empfehlungen beobach-
ten kann, die auf der Lehre von den «Pflichten» (καθήκοντa) in sozialen Be­
ziehungen basieren. Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass man zu Unrecht
behauptet, die römischen Stoiker seien nur Moralisten im engeren Sinne gewesen,
die Populärphilosophie betrieben haben. Von Hierokles ist einerseits ein Text mit
dem Titel ‹Ethische Elementarlehre› (Ἠθικὴ στοιχείωσις) erhalten, der in einer
Privatabschrift (von Arnim 1906 [*249: XIV]) auf Papyrus überliefert ist und die
theoretischen Grundlagen der stoischen Oikeiosis-Lehre («Zueignungs»-Lehre;
gr.: οἰκεί­ωσις) umfasst, und andererseits durch Stobaios eine Sammlung von
­Einzelaussagen über soziale Beziehungen und das Verhältnis zu den Göttern.
Beide Auszüge könnten zum gleichen Werk gehört haben, das vielleicht auch eine
Tugendlehre umfasst hat (evtl. Hinweis bei Stob. Ecl. 1,3,53, I,63,10 Wachsmuth;
Exzerpte gesammelt bei von Arnim 1906 [*249: 48–63]; vgl. auch Ramelli, Kons-
tan 2009 [*251]).
Die Oikeiosis, oder der Selbstbezug, ist ein sehr wichtiger Begriff in der
­stoischen Lehre, der zum Grenzgebiet zwischen Physik und Ethik gehört und von

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§ 15. Hierokles (Bibl. 236) 175

Diogenes Laertius als erstes Thema der Ethik genannt wird (7,85). Sie ist eine
­Fähigkeit, die sich Menschen und Tiere als beseelte Wesen teilen. Hierokles be-
ginnt seine Auseinandersetzung mit der Embryologie (1,1–30), indem er erörtert,
wie der Embryo, der im Mutterschoß noch der Spezies der Pflanzen oder der
«Natur» (φύσις) angehört, bei der Geburt zum Seelenwesen wird. Menschen und
Tiere unterscheiden sich von den niedrigeren Stufen der «Stufenleiter der Natur»
(scala naturae), wie z. B. Pflanzen, durch die «Sinneswahrnehmung» (αἴσθησις)
und den «Antrieb zum Handeln» (ὁρµή: 1,31ff.). Hierokles beschränkt sich auf die
Wahrnehmung und setzt aus diesem Grund die Seele mit dem Vermögen der
Wahrnehmung gleich. Er will erstens zeigen, dass Lebewesen eine Selbstwahr-
nehmung besitzen (1,34–6,24, als die «Erkenntnis des Ersten, was zu uns gehört»
[1,35: γνῶσις τοῦ πρώτου οἰκείου]), und zweitens, dass diese Selbstwahrnehmung
positive Reaktionen hervorruft und wir ein affektives Verhältnis zu uns selbst
haben, das uns dazu bringt, uns erhalten zu wollen (6,27ff.). Nach Hierokles ist es
erst das affektive Verhältnis, das die Selbstwahrnehmung zur Oikeiosis formt; die
Wahrnehmung an sich genügt nicht. Die Abhandlung des Hierokles ist mit einem
Brief Senecas über dasselbe Thema vergleichbar (Epist. 121).
Was die Selbstwahrnehmung betrifft, bestätigt Hierokles, dass es sie gibt, dass
sie ununterbrochen stattfindet und sogleich mit der Geburt anfängt. Das Vorhan-
densein der Selbstwahrnehmung und die Tatsache, dass sich die Wahrnehmung
nicht nur auf externe Dinge bezieht, behandelt Hierokles ausführlich, mit vielen
Beispielen vom Verhalten der Lebewesen (1,44–3,56), unter vier Prämissen: 1) Le-
bewesen sind sich der Teile ihres Körpers und des Gebrauchs dieser Teile ­bewusst
(1,44–2,1); 2) sie wissen, welche Körperteile sie zu ihrer Verteidigung b ­ enutzen
können (2,1–18); 3) sie kennen die relative Schwäche und Stärke ihrer Körperteile
(2,18–3,19; so weiß z. B. die Hirschkuh, dass der Schein trügt und die Natur ein
besserer L­ ehrer ist: Sie verlässt sich mehr auf die Geschwindigkeit ihrer Läufe als
auf die vermeintliche, aber trügerische Kraft ihres Geweihs); 4) sie kennen ihre
Schwäche und Stärke im Verhältnis zu anderen Lebewesen, d. h. sie wissen, vor
wem sie sich hüten sollten und wem sie überlegen sind (3,19–56). Das letzte Argu-
ment bezieht sich implizit auf eine Verknüpfung des inneren Wahrnehmens mit
dem der äußeren Realität (vgl. auch 6,1–3), wie sie der Stoizismus aufgrund des
Zusammenhangs der individuellen Natur mit der des Ganzen gestattet.
Dass die Selbstwahrnehmung «ununterbrochen» (διανεκῶς: 4,43f.) stattfindet
(3,54–5,43), erklärt Hierokles theoretisch durch die Tatsache, dass körperliche
Seele (3,58f.) und Leib ein Ganzes bilden, eine «komplette Mischung» (δι’ ὅλων
κέκραται: 4,41), und in ihrer Interaktion einen Einfluss aufeinander ausüben. Die
τονικὴ κίνησις (4,32f.), die «Bewegung der Spannkraft», die nicht nur der Seele
eigen ist, sondern allen Dingen, erlaubt der Seele, alle Prozesse im Körper und
sein Verhältnis zur Außenwelt zu spüren. Eigentlich bietet Hierokles mit dieser
Theorie die Erklärung für das Vorhandensein der Selbstwahrnehmung, d. h. seine
erste These. Dies scheint die ganze Abhandlung hindurch seine Arbeitsweise zu
sein: Spätere Argumente und Thesen erläutern die vorangegangenen. Diesen
­zweiten Komplex beendet er mit Beispielen zum Zustand während des Schlafs,
die beweisen sollen, dass auch dann die Selbstwahrnehmung aktiv ist.

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176 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Die dritte These bezüglich der Selbstwahrnehmung besagt, dass diese bereits
unmittelbar nach der Geburt stattfindet (5,43–6,24), wie Lebewesen auch von An-
fang an über die Sinneswahrnehmung verfügen (5,48–52). Auf der Ebene der
‘scala naturae’ hält die «Haltung» (ἕξις) grundsätzlich sich selbst zusammen, und
die «Natur» (φύσις) unterstützt sich selbst durch Nahrung und Wachstum (6,11–
17). Analog zu diesen Fällen ist die Wahrnehmung, das Kennzeichen der Seele,
auch in erster Linie Selbstwahrnehmung. Und hiermit ist auch geklärt, dass die
Seele nicht nur den Körper, sondern auch sich selbst wahrnimmt.
Nun kommt die Abhandlung erst zum eigentlichen Thema, der Oikeiosis, doch
ist der Text hier sehr lückenhaft. Wie oben angedeutet, geht die Selbstwahrneh-
mung mit einer Affektivität einher, die zur Selbsterhaltung motiviert. Jetzt, im
Nachhinein, wird auch deutlich, warum drei der vier Prämissen, die Hierokles zur
Unterstützung der These nutzt, dass es die Selbstwahrnehmung überhaupt gibt,
mit der Selbstverteidigung, also Selbsterhaltung zu tun haben. Diese Tat­sache un-
terstreicht, wie eng Selbstwahrnehmung, -akzeptanz und -erhaltung in der stoi-
schen Lehre miteinander verknüpft sind. Hier erwähnt Hierokles das b ­ erühmte
Beispiel, dass kleine Kinder, wenn man sie in einem dunklen Zimmer alleine lässt,
wo sie nichts sehen und hören können, Angst bekommen, nicht befreit zu werden,
und sich gegen die Lage wehren (7,5ff.). Die Selbstaffektivität soll auch erklären,
warum wir ausharren können, auch wenn wir unter schlimmen körperlichen
Krankheiten leiden. Wichtig für den Übergang zur Lehre vom Verhalten in der
Gemeinschaft ist schließlich, dass es verschiedene Arten von Oikeiosis gibt: Das
«Wohlwollen» (εὐνοητική) bezieht sich auf die Affektivität gegenüber sich selbst,
die «liebevolle Zuwendung» (στερκτική) auf diejenige gegenüber Mitmenschen –
mit der Liebe zu Kindern als Ausgangspunkt –, die «Wahl» (αἱρετική) und «Aus-
wahl» (ἐκλεκτική) beziehen sich auf die Auswahl der äußeren Dinge (9,3–10; vgl.
auch Anon. In Theaet. col. 7). Der letzte Abschnitt, den wir deuten können, han-
delt vom Menschen als Sozialwesen: «ein Lebewesen, das mit anderen Herden bil-
det und des anderen bedarf» (ζῷον […] συναγελατικὸν καὶ δεόµενον ἑτέρου:
11,14f.).
Die Texte, die bei Stobaios erhalten sind, behandeln die Frage, wie man sich
­gegenüber den Göttern, dem Vaterland, in der Ehe, gegenüber den Eltern, Ge-
schwistern und den Menschen im Allgemeinen und beim Führen eines Haushalts
verhalten soll (fünf weitere kurze Fragmente sind durch die ‹Suda› erhalten, siehe
von Arnim 1906 [*249: 64]). Diese Erörterungen sind sehr gut vergleichbar mit
den erhaltenen Vorlesungen des Musonius Rufus (vgl. auch Sen. Epist. 94–95;
Epikt. Diss. 3,22). Über die Götter sagt Hierokles, dass sich Menschen nicht über
sie beschweren oder ihnen Böses zuschreiben sollten. Wenn Böses geschehe, dann
sei dies als eine gerechte Strafe zu verstehen, die aus der Bosheit der Menschen
selbst resultiere. Hier fällt auf, dass in dem erhaltenen Fragment nicht das Prob-
lem behandelt wird, dass manches Leiden die guten Menschen trifft. Auch ratio-
nalisiert Hierokles das Böse nicht dadurch, dass er es als Teil des in sich guten
Weltganzen ansieht. Als eine zweite Ursache des Bösen werden die Materie sowie
der Unterschied zwischen dem himmlischen und dem irdischen Bereich erwähnt.
Dieses Argument lässt sich jedoch nicht leicht mit der stoischen Lehre in Einklang

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§ 16. Stoische Einflüsse in der römischen Literatur neronischer Zeit (Bibl. 237) 177

bringen, die einen Dualismus von der Hand weist und die Materie als ganz und
gar durchdringbar für das göttliche Prinzip sieht.
Die Bedeutung der sozialen Verhältnisse wird durch die Behauptung unterstri-
chen, dass auch sie ‘göttlich’ sind: das Vaterland, die Gesetze, die Eltern, alle sind
sie Götter zweiten Ranges. Der Mensch ist grundsätzlich ein Sozialwesen, das ohne
Gemeinschaft nicht auskommen könnte. Hinsichtlich aller Beziehungen ­betont
­Hierokles, dass sie uns Hilfe und Unterstützung im Leben gewähren. Er erwidert
demjenigen, der behauptet, die Ehe sei ein Übel, dass es keinen Sinn habe, Freunde
und Bundesgenossen zu gewinnen und dabei zur gleichen Zeit die Bundesgenos-
senschaft, die von der Natur, den Gesetzen und den Göttern her vorgesehen ist, zu
vernachlässigen. Das gleiche Argument gelte für das Verhältnis zu Geschwistern.
Die meistzitierte Passage dieser Texte enthält das Bild der konzentrischen
Kreise: Im Zentrum dieser Kreise ist das «Denken» (διάνοια) eines Individuums.
Der erste Kreis wird vom Körper und den Bedürfnissen gebildet. Zum zweiten
gehören die nahen Verwandten. Die Kreise dehnen sich aus über die weiteren Be-
ziehungen, auch die politischen, bis zur Gemeinschaft aller Menschen. Hierokles
empfiehlt, dass wir jeden weiter entfernten Kreis einen Schritt näher heranholen
sollen. Der Endeffekt sei, dass die Unterschiede durch die Enge der Beziehungen
verschwänden und wir alle Menschen gleich lieben würden, wenn auch nicht auf
die gleiche Art. Hierokles bezieht sich hier auf Platons ‹Staat›, wo sich im «guten
Staat» (καλλίπολις) alle Menschen derselben Generation als Geschwister betrach-
ten und von den jüngeren als Eltern angesehen werden (Plat. Rep. 5,461d–e). Der
Unterschied zwischen Platon und Hierokles ist jedoch, dass ersterer die Fami­
lienverhältnisse als ein Hindernis auf dem Wege zur idealen Gemeinschaft
­einschätzt, der Stoiker sie aber als unentbehrlich ansieht für die Gemeinschaft
überhaupt: Man gelangt zur Gemeinschaft mit allen Menschen durch die Verhält-
nisse im engeren Kreise und nicht, indem man sich gegen sie stellt.

§ 16. Stoische Einflüsse in der römischen Literatur


neronischer Zeit (Manilius, Persius, Lukan)

Gretchen Reydams-Schils

Obwohl Persius engen Kontakt zu Cornutus hatte (siehe § 10.) und Lukan der
Neffe Senecas war, ist es aus methodologischen Gründen – aus dem Blickwinkel
der Hermeneutik – nicht leicht, Einflüsse der stoischen Lehre in der Literatur zu
­entdecken, weil diese von anderen Voraussetzungen bestimmt wird als philo­
sophische Abhandlungen. Sogar im Falle Senecas, wo wir vom gleichen Autor
philo­sophische Werke und Tragödien besitzen, ist die Verknüpfung von Literatur
und Philosophie nicht eindeutig.

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178 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Im Falle des Manilius (Volk 2009 [*269]) fällt eine Analyse etwas einfacher aus,
weil seine ‹Astronomica› ein Lehrgedicht sind, das wie Kleomedes’ ‹Caelestia›
(‹Himmelskörper›, siehe § 9.) auf der stoischen Physik basiert, formuliert als Pole­
mik gegen die Epikureer (vgl. z. B. 1,483–531). Das Gedicht behandelt die Astrolo-
gie im Rahmen eines stoischen Universums (das eine Verwandtschaft mit Platons
­‹Timaios› aufweist; Reydams-Schils 1999 [*133]). Obwohl das Motiv des göttlichen
Prinzips als Pneuma fehlt, das den vier Elementen vorangeht (1,147–170), fällt Ma-
nilius’ Gott mit dem Kosmos zusammen, als eine Rationalität, welche die ganze
Natur durchdringt und bestimmt (1,247–254; 2,57–149; 3,47–55; 4,888ff.). Der Dich-
ter hält an einer ausgeprägten Lehre des «Schicksals» (fatum) fest (4,1–118): Gott
hat die ganze Realität durch eine Verknüpfung von Ursachen bestimmt; die himm­
lischen Körper sind nicht nur ein Zeichen solcher strikten Verknüpfung, sie üben
auch einen direkten Einfluss auf das Leben auf der Erde und das der Menschen aus
(2,82–104; 3,56–95). Die Zeichen des Himmels zu deuten, ist zwar eine schwierige
Aufgabe, aber im Sinne der stoischen ‘scala naturae’ ist Menschen diese Fähigkeit
gegeben, weil sie aufs Engste und in ihrer Rationalität mit dem Gott verwandt und
als Mikrokosmos dem Universum ähnlich sind (2,101–129; 4,387–407. 866–935).
A. Persius Flaccus (34–62 n. Chr.) hat seine Zuneigung zum Stoizismus in seine
Dichtkunst und die sechs erhaltenen Satiren einfließen lassen. Die fünfte Satire ist
eine Hommage an seinen Lehrer, den Stoiker Cornutus (5,2–24; Reckford 2009
[*270]), sowie eine Abhandlung über die wahre, innere Freiheit der Stoiker, d. h. die
Freiheit von Leidenschaften und falschen Werturteilen. Persius verweist auf das so-
kratische Erbe, das hinter dieser Ethik steht: Er nennt Cornutus einen «Sokrates»
(«Socratico»: 5,37), und die vierte Satire zeigt Sokrates und Alkibiades in der Art
von Platons ‹Alkibiades I›, um die Bedeutung der Selbstprüfung zu betonen, die un-
entbehrlich sei für die Tugend. Die Kritik an den verfallenen Sitten seiner Epoche
und den falschen sozialen Einflüssen lehnt sich an Senecas und Epiktets Analysen
an, wie auch der Gedanke, dass die Philosophie ebenso die volle Aufmerksamkeit
verdient wie die Heilung einer Krankheit (3. Satire). Das richtige Verhältnis zu Gott
besteht nicht aus Gebeten für die falschen Güter oder das Anhäufen von Reichtum
im Tempel, sondern aus der tugendhaften inneren Disposition (2. Satire).
M. Annaeus Lucanus (39–65 n. Chr.) ist der Sohn des M. Annaeus Mela und
somit Senecas Neffe. Auch er nimmt sich das Leben 65 n. Chr. infolge der Pisoni-
schen Verschwörung (Tac. Ann. 15,70). Der Einfluss des Stoizismus auf die ­einzige
von ihm erhaltene Arbeit, das Epos ‹Pharsalia› über den Bürgerkrieg zwischen
Pompeius und Caesar, ist sehr umstritten (Bibliographie bei Colish 21990 [*123:
Bd. 1], Wildberger 2005 [*266]) und ambivalent. Nach einer Scholiastenlegende
soll Seneca den Beginn des Werks verfasst haben (Trillitzsch 1971 [*111: 55–56]).
Zwar bezieht sich Lukan auf die stoische Physik (z. B. 2,7–11; 5,93–96; 9,1–14), aber
das Epos ist als stoisch, anti-stoisch oder sogar beides interpretiert worden (Wild-
berger 2005 [*266]). Angesichts der Erschütterung durch die grausamen Übel des
Bürgerkriegs scheint es in eine unvermeidliche Ambivalenz getaucht zu sein.
Cato der Jüngere trägt im zweiten und neunten Buch Züge des stoischen Wei-
sen: Er schränkt seine materiellen Bedürfnisse auf das Allernötigste ein, führt
­sexuelle Beziehungen nur zur Erzeugung von Kindern und richtet sein Leben auf

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§ 16. Stoische Einflüsse in der römischen Literatur neronischer Zeit (Bibl. 237) 179

die Tugend und die Gemeinschaft aus (2,380–391); wenn er sich Pompeius an-
schließen will, dann nur, um dessen Machtausübung in die richtigen Bahnen zu
lenken, falls dieser siegen sollte (2,319–323). Während des grausamen Marsches
durch Libyen in Nordafrika ist er seinen Männern ein Vorbild an Mut und Aus-
dauer (9,368ff.). Als sie an einem Schrein des Ammon-Jupiter vorbeikommen, wei-
gert sich Cato, das Orakel um Rat zu bitten: Als Menschen tragen wir den Gott in
uns, und dieser ist auch in der ganzen Realität anwesend, nicht nur in einem Tem-
pel. Am Fatum kann keiner etwas ändern, und man benötigt kein Orakel, um zu
wissen, dass man dem Tod nicht entkommen kann, was die Tugend ist und dass sie
einen unverletzlich macht gegenüber dem Schicksal (9,544–586).
Und doch findet in dieser Schilderung bereits eine Verschiebung statt: Ein Ver-
gleich mit einer ähnlichen Passage bei Epiktet zeigt – im Sinne des Stoizismus –,
dass besondere Zeichen der Götter nicht überflüssig sind, wenn man für die rich-
tigen Fragen eine Antwort sucht (Diss. 2,7). Im zweiten Buch reagiert Cato auf
seine Lage mit einer Heftigkeit, die mit dem Stoizismus nicht zu vereinbaren ist:
Er ist durch den Bürgerkrieg in großer Sorge (2,239f.), nennt ihn das schlimmste
Übel (2,286) und rechnet es den Göttern zum Vorwurf an, jetzt auch ihn zu einem
Schuldigen gemacht zu haben (2,288), indem er sich für Pompeius entschied.
Die Götter und das Fatum sind ein zweiter Hauptbereich, in dem Lukans
­Ambivalenz deutlich wird. Unmittelbar vor der entscheidenden Schlacht bei Phar-
salia äußert Lukan sogar, dieses Ereignis beweise, dass die Götter sich nicht um
Menschen und Welt kümmerten, dass die Realität vom Zufall beherrscht werde
(7,445–459). Aber sonst hält Lukan an der Lehre eines gottbestimmten Fatums
fest. Dass dieses grausame Ereignisse wie Bürgerkriege zulässt, gar die Guten zu
strafen scheint und die Schlechten belohnt (3,448f.), diese Tatsachen an sich las-
sen sich noch mit der stoischen Lehre vereinbaren. Nach den Stoikern ist die Welt,
in der wir leben, kein gemütlicher Ort: Ewiger Wechsel (vgl. z. B. Musonius fr. 42;
Mark Aurel 4,21; 8,17; 9,21), Naturkatastrophen und Krankheiten, sogar die Zer-
störung des Universums, sowie Verfehlungen der Menschen, Korruption und
Krieg gehören zur Ordnung des Kosmos. Auch ein Dichter wie Manilius, der stär-
ker als Lukan an der stoischen Physik und Götterlehre festhält, beschreibt Streit
und Bürgerkrieg als Teile des göttlichen Plans (Manil. 4,1–120). Aber bei Lukan,
anders als bei Seneca und Manilius, tritt die göttliche Rationalität und die Vor­
sehung, die alles zum Besten ordnet, in den Hintergrund, und er überlässt seine
Leser einem rauhen Fatum. Und so kommt es sogar dazu, dass thessalische Hexen
die Gesetze der Natur für ihre üblen Zwecke außer Kaft setzen können und sich
als stärker als manche Götter erweisen (6,434ff.).

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180 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

§ 17. Nachwirkung der stoischen Ethik


in Platonismus und Christentum

Gretchen Reydams-Schils

Die Nachwirkung Senecas ist bereits im zugehörigen Abschnitt behandelt wor-


den (siehe § 11.). Hier sei daher nur erwähnt, dass er von allen römischen Stoikern
den größten Einfluss auf die lateinisch-christliche Tradition ausgeübt hat, eben
weil er selbst auf Latein geschrieben hat. So ist auch zu erklären, dass sich Senecas
Ansichten über die Ehe, wiedergegeben durch Hieronymus (Adv. Iovin.), eher
durchgesetzt haben als die des Musonius Rufus.
Der deutlichste Einfluss auf das Christentum seitens Musonius Rufus ist bei
Clemens von Alexandrien zu spüren. Es gibt Passagen bei Clemens, die eindeutig
Zitate von und Verweise auf Musonius sind. Die meisten dieser Zitate befinden
sich im zweiten Buch des ‹Paedagogus› (‹Der Erzieher›; Spanneut 1957 [*287: 107–
112], Geytenbeek 1963 [*172]). Sie beschäftigen sich mit der «Selbstbeherrschung»
(ἐγκράτεια) in der Sexualität (vgl. z. B. auch Strom. 3,7,58; 3,11,71–72) und in ma-
teriellen Angelegenheiten, wie z. B. Essen, Hausrat und Kleidung. Doch das sind
Passagen, in denen Musonius Rufus sich wenig originell zeigt und eine allgemei-
nere philosophische Grundeinstellung vertritt, die nicht nur den Stoikern eigen
ist. Ferner gibt es Übereinstimmungen zwischen Musonius Rufus und C ­ lemens’
Aussagen, z. B. über die Erziehung der Frauen und die Ehe, aber in ­diesem Kon-
text sind besonders die Unterschiede beträchtlich, da Clemens zu einer traditio-
nelleren Einstellung zurückkehrt, in der die Frau dem Mann untergeordnet ist
(Paed. 1,4; Strom. 2,23,137–147; 4,8,59–65). In solchen Passagen könnte Clemens
ohne eine starke Abhängigkeit von Musonius auf die gleichen Topoi ­zurückgreifen,
die auch dieser benutzt hat. Noch schwieriger zuzuordnen sind Themen, die zwar
Anklänge stoischer Lehre enthalten, aber nicht eindeutig zugewiesen werden kön-
nen (siehe z. B. Stelzenberger 1933 [*286]).
Epiktets ‹Encheiridion› gewährt uns einen besonderen Blick auf die Nachwir-
kung der stoischen Ethik. Im 6. Jahrhundert schreibt der Neuplatoniker Simplikios
einen ausführlichen Kommentar über diesen Text. Wie kam ein Neuplatoniker dazu,
einen stoischen Text zu kommentieren? Seit Plotin entwickelten die Neu­platoniker
eine Hierarchie der Tugenden, von denen die ‘politische’ Tugend die unterste Stufe
bildet. Spätestens seit Iamblichos steht die ‘ethische’ Tugend der ‘politischen’ voran,
und es wird auch ein Curriculum für die philosophische Lehre entwickelt, das mit
dieser Hierarchie der Tugenden Schritt hält. So finden wir bei Simplikios einen Hin-
weis darauf, dass zusammen mit einer Grundeinführung in die Logik ein Text wie
Epiktets ‹Encheiridion› oder die ‹Goldenen Verse› (die Pythagoras zugeschrieben
werden) von Platonikern benutzt wurden, um die erste Umwendung der Seele zu
Rationalität und ethischer Tugend sowie die Ablehnung der ­Bedeutung des Körpers
und externer Güter zu bewirken (I. Hadot 1996 [*276: 51–60]). Erst später folgen
das Studium der Werke des Aristoteles, eine erste Stufe der Werke Platons und die

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§ 17. Nachwirkung der stoischen Ethik in Platonismus und Christentum (Bibl. 237) 181

zweite, höchste Stufe, die Lektüre von ‹Timaios› und ‹Parmenides›. In Simplikios’
Kommentar wird Epiktets Empfehlung, unsere Vorstellungen korrekt zu nutzen,
mit dem ‹Alkibiades I› verknüpft und mit dem Gedanken, dass die Seele den Kör-
per ausschließlich als ein Instrument benutzt. Simplikios deutet das stoische Mate-
rial um, nicht nur durch die Lehre der Metriopathie anstatt der Apathie, sondern
auch durch seine Deutung der «Pflichtenlehre» (καθήκοντα), die mit den sozialen
Beziehungen zusammenhängt. Er gründet seine Stellungnahme auf einen starken,
unstoischen Unterschied zwischen ­irrationalen, natürlichen Beziehungen und ra­
tionalen, aus guten Gründen gewählten Verhältnissen wie in der philosophisch
­motivierten Freundschaft (Reydams-Schils 2007 [*294]).
Vom gleichen Werk Epiktets sind drei christliche Umdeutungen erhalten (Boter
1999 [*277]). Zu einer von diesen, der sogenannten ‹Paraphrasis Christiana›
(‹Christliche Umschreibung›), ist in Auszügen ein Kommentar überliefert, der
auch auf den des Simplikios rekurriert (Spanneut 2007 [*278]). Stoizismus, Neu-
platonismus und Christentum sind hier aufs Engste miteinander verbunden.
Scheinbar konnten diese drei Traditionen einen gemeinsamen Anhaltspunkt in
der bereits oben erwähnten ‘Umkehr’ der Seele finden. Die christlichen Um­
deutungen bringen Epiktets Arbeit in die Nähe der monastischen Tradition; sie
ersetzen seine Autorität mit einer christlichen wie der des Apostels Paulus und
wenden Beispiele aus der Heiligen Schrift an. Dennoch bleiben die Grundgedan-
ken des Stoizismus bewahrt.
Augustinus hingegen, der mit einem breiten Spektrum der stoischen Lehre ver-
traut war, so nahezu der gesamten Logik und Physik (Colish 21990 [*123: II 142–
238]), entwickelte eine kritische Haltung gegenüber der stoischen Ethik (Colish
21990 [*123: II 212–234]) – eine Kritik, die sich im Folgenden fest im Christentum

etabliert hat. So wie den Epikureern immer wieder ein Hedonismus vorgeworfen
wird, so werden Stoiker als unrealistisch und sogar übermütig in ihrer Annahme
dargestellt, ein Mensch könne sich auf seine Rationalität verlassen, um eigenstän-
dig zur Tugend zu gelangen. Anstelle der Rationalität versteht Augustinus Gott
als höchstes Gut. Obwohl auch er anerkennt, dass die Leidenschaften und Fehler
der Menschen durch falsche Urteile verursacht werden, gibt es für ihn eine höhere
Tugend als die in korrekter Weise ausgerichtete Rationalität: die Liebe zu Gott im
Rahmen einer «Ordnung der Liebe» (ordo amoris: Mor. 1,15,25; Civ. 19,13; Colish
21990 [*123: II 217–220]). Während die Stoiker einräumen, dass es vielleicht keine

oder nur einzelne Weise gibt und dass die Weisheit auf einer engen Verknüpfung
mit dem Göttlichen beruht, betont Augustinus die eschatologische Dimension des
menschlichen Daseins und die Abhängigkeit von Gottes Gaben anstelle von
­Autarkie – um so mehr, als er eine Lehre von Gottes Gnade und Prädestination
ausarbeitete. Auch das Ideal der Apathie mit der Lehre von den ‘guten’ Emotio-
nen wird verworfen und im christlichen Sinne umgedeutet: Nicht Selbstbeherr-
schung sei erstrebenswert, sondern die Öffnung gegenüber Gott in Freud und
Leid. Gottes Zorn hat seinen Zweck, ebenso wie seine Barmherzigkeit und das
Leiden Christi (Civ. 9,5; 14,7,2ff.; Io. ev. tr. 60,3).

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182 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

III. KYNIKER

§ 18. Überblick

Aldo Brancacci

Die Geschichte des kaiserzeitlichen Kynismus verläuft auf drei Ebenen, die von
Beginn an klar auseinanderzuhalten sind. Man unterscheidet: 1) eigentliche Ky-
niker (κυνικοί), welche sich selbst so bezeichnen oder von ihren Zeitgenossen so
­genannt werden. 2) Philosophen, die aus unterschiedlichen Gründen Reflexionen
über die kynische Philosophie (κυνικὴ φιλοσοφία) anstellen, deren Geschichte
und Genealogie zu rekonstruieren und eine für die eigene Zeit gültige Neuinter-
pretation vorzuschlagen suchen, wobei sie den ­Kynismus zuweilen auch für ihre
eigene philo­sophische Überzeugung fruchtbar machen. Diese Gruppe kann sehr
enge Berührungen mit der ­ersten aufweisen (z. B. Dion Chrysostomos) oder auch
Philosophen, Moralisten und Gebildete einschließen, die von verschiedenen phi-
losophischen Erfahrungen herkommen und den Kynismus als eine mehr oder we-
niger wichtige Komponente ihres eigenen Lebens- und Philosophie-Entwurfs be-
trachten. Letzteres ist der Fall bei Epiktet, bei Maximos von Tyros, beim Autor
des Lukian zugeschriebenen ‹Kynikos›, bei Themistios und Julian. 3) Anonyme
Kyniker bzw. vom Kynismus be­einflusste anonyme Schriftsteller, welche sich in
erster Linie als Verfasser von ps.-epigraphischen Briefen hinter der Maske von
Kynikern verstecken (cf. Brancacci 2004 [*322: 221f.]).
Der Kynismus zeichnet sich seit seiner Ent­stehung durch ein eigentümliches theo-
retisches Gepräge aus: Stolz auf die Ethik beschränkt, umfasst er eine Moraltheo-
rie, eine Diätetik, eine b
­ estimmte Art der Lebensführung (κυνικὸς βίος), außer-
dem auch eine literarische Aktivität, die durch einen spezifischen Stil und den Ge-
brauch bestimmter literarischer Genera gekennzeichnet ist (insbesondere Diatribe
und Chreia [χρεία]). Diese Art des Kynismus wird als die «von Diogenes ausge-
hende» bezeichnet (ἀπὸ Διογένους). Ein weiteres Feld bildet dagegen der «von Anti-
sthenes herkommende» Kynismus (ἀπ’ Ἀντισθένους): Er umfasst auch politische
Lehren und eine bestimmte Auslegung der Dichter sowie eine Moraltheorie, in der
die berühmte kynische Schamlosigkeit (ἀναίδεια) deutlich weniger Gewicht hat.
Es war diese Art von Kynismus, welche von der Geschichtsschreibung mit dem Ziel
rekonstruiert wurde, dem Kynismus eine würdigere Genealogie und theoretische
Fundierung zu verleihen. Auf den Kynismus antisthenischer Prägung bezogen sich
in der Kaiserzeit auch die Denker, welche beim Kynismus Anleihen machten.
Nach einer Periode relativen Stillstands im mittleren und späten Hellenismus er-
lebte der Kynismus in der Kaiserzeit einen entscheidenden Aufschwung, wobei er
sich auch theoretischen Anregungen aus anderen philosophischen Traditionen ge-
genüber offen zeigte. Drei Faktoren sind wesentlich für die Renaissance des Kynis-
mus im 1. Jahrhundert n. Chr. verantwortlich: 1) die entschiedene Rückwendung zu
Sokrates, der – neben Menippos, Krates, Diogenes und auch Antisthenes – zum wich-

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§ 18. Überblick (Bibl. 238) 183

tigsten Modell für die kynische Lebensführung wird. Eine solche Orientierung an
Sokrates teilt der Kynismus mit den Hauptströmungen der kaiserzeitlichen Philoso-
phie (z. B. der Stoa, welche mit dem Kynismus immer enge Verbindungen unterhielt,
aber offenkundig auch mit der platonischen Tradition: vgl. Grundriss, Antike II, I
139–364). 2) Hinzu kommt die Geistesverwandtschaft des Kynismus mit zumindest
einigen Merkmalen, welche für die römische Gesellschaft und Mentalität kennzeich-
nend sind (Griffin 1989 [*315] und 1993 [*319]); Rom ist eines der Zentren, in denen
die Kyniker besonders aktiv waren und wo sie nicht nur Philosophie und Literatur
beeinflussten, sondern sich auch politisch engagierten. 3) Die große Ausbreitung der
kynischen Predigtform durch Wanderphilosophen, welche sich in der Regel jeder
schriftlichen Tätigkeit enthielten und ihre Lehr­tätigkeit ausschließlich oder vorwie-
gend mündlich ausübten (Brancacci 1994 [*320]). Eine wichtige Rolle spielte außer-
dem die erneute Lektüre der Werke des Antisthenes und der alten kynischen Lite-
ratur, wie sie bei vielen kaiserzeitlichen Autoren, nicht nur bei Kynikern, belegt ist.
Die Kyniker waren in der Kaiserzeit außer in Rom vor allem in Griechenland
und in den öst­lichen Provinzen tätig, wobei sich die wichtigsten Wirkungsstätten
in Kleinasien, in Syrien, in Gadara und im ägyptischen Alexandrien befanden.
Die Art des Auftretens des Kynismus, eine regelrechte «Philosophie in Aktion»,
ist an ebendiese Allgegenwart ihrer Vertreter gebunden sowie an ihre Fähigkeit,
in ganz verschiedenen sozialen M ­ ilieus, in oberen und niedrigeren Schichten, zu
wirken und diese zu durchdringen.
In der Antike wurde der Kynismus – mit Ausnahme des hellenistischen Philo-
sophiehistorikers Hippobotos (vgl. D. L. 1,19) – als vollwertige Denk­schule
(αἵρεσις) betrachtet und als solche in die Liste der zehn großen ethischen Schulen
aufgenommen, welche möglicherweise auf Panaitios zurückgeht (Brancacci 1992
[*317: 4051–4058]). Mit der dem griechischen Wort αἵρεσις entsprechenden latei-
nischen Bezeichnung ‘secta’ wird der ‘esoterische’, d. h. der die Lehre betreffende
Aspekt einer Denkrichtung betont. Tacitus z. B. beschränkt diesen Begriff auf die
Stoa und den Kynismus, um die Strenge ihrer ‘Vorschriften’ (praecepta) hervor-
zuheben, verwendet ihn aber nicht für den Epikureismus (André 1987 [*314]; die
Unterscheidung zwischen ‘esoterisch’ und ‘exoterisch’ findet sich in Cic. De fin.
5,12 und ist für beinahe alle Schulen bezeugt). Allerdings war der Kynismus nie –
und das gilt insbesondere für die Kaiserzeit – eine philosophische Schule mit einer
bestimmten institutionellen Struktur, mit einem Sitz, Schul­eigentum, Schulleitern
und einer Nachfolgeregelung für die Schul­leitung, in welcher die Schriften der
Vorgänger überliefert und gedeutet worden wären (Brancacci 1992 [*317]).
Dies tat seiner Vitalität jedoch keinen Abbruch. Mit seinem unverwechselba-
ren, primär ethischen Gepräge verfügte er über die Kraft, sich im Laufe der Zeit
zu erneuern und zu verändern, indem er Einflüsse verschiedener Herkunft in sich
aufnahm. Auf diese Weise überlebte die Schule des Antisthenes, des zweiten
großen Schülers des S ­ okrates neben Platon, lange in ganz unterschiedlichen phi-
losophischen und kulturellen Kontexten.

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori, Regina Füchslin


und Christoph Riedweg.

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184 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

§ 19. Demetrios, Dion Chrysostomos,


Demonax und Peregrinos

Aldo Brancacci

1. Demetrios. – 2. Dion Chrysostomos. – 3. Demonax. – 4. Peregrinos.

1. Demetrios

Demetrios, der in den Quellen ausdrücklich als «Kyniker» bezeichnet wird, ist
Vertreter eines strengen, vornehmen, auf die Ethik gegründeten Kynismus, der
auch von politischen Interessen nicht frei ist. Wohl zu Beginn des 1. Jahrhunderts
n. Chr. geboren, ließ er sich wahrscheinlich während der Regentschaft des Tiberius
in Rom nieder. Bezeugt sind seine Begegnungen mit den Kaisern Caligula (Sen.
De ben. 7,11,1–2), Nero (Epikt. 1,25,22) und Vespasian (Suet. Vesp. 13), der ihn um
71 n. Chr. (Dio Cass. 66,13,2) aus Rom und Italien mittels einer ‘relegatio in insu-
lam’ verbannte. Er war ein Freund des Stoikers Thrasea ­Paetus (Tac. Ann. 16,34–
35), dessen Kreis er frequentierte, und spielte eine zwiespältige Rolle beim Prozess
gegen den stoischen Philosophen P. Egnatius Celer (Tac. Hist. 4,40,3; vgl. Kind-
strand 1980 [*370]). Gegen Ende seines Lebens unterrichtete er eine gewisse Zeit
in Korinth (Philostr. Vit. Apoll. 4,25). Die Nachrichten über seine Philosophie
stammen hauptsächlich aus den Werken ‹De providentia› und ‹De beneficiis› von
Seneca, der sein Freund war und ihn sehr bewunderte (Sen. Epist. 62,3). Demet-
rios scheint keine schriftlichen Werke verfasst zu haben. Das Fragment einer Dia-
tribe, die einen Dialog zwischen Tapferkeit und Feigheit enthält, ist allerdings bei
Stobaios (Ecl. 3,8,20) unter dem Lemma ‘Demetrios’ erhalten. Obwohl die Echt-
heit des Fragments umstritten ist, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Diatribe aus
der literarischen Hinterlassenschaft des Demetrios stammt, welche von einem sei-
ner Schüler gesammelt worden sein könnte (Billerbeck 1979 [*334: 57–60]).
Eine Konzeption aus der sokratisch-antisthenischen Tradition aufnehmend, teilt
Demetrios das Wissen in ein solches, das den Geist schärft, ohne ihn moralisch zu
stärken und ihm die für ein besseres Leben nötigen Maximen zu ver­mitteln, und
in ein solches, das auf das ethisch Nützliche und Notwendige zielt. Ersterem kann
man sich erst dann zuwenden, wenn man den Geist gefestigt hat, indem man ge-
lernt hat, alles Zufällige zu missachten, die Furcht vor den Göttern abzulegen, in
sich selbst den wahren Reichtum zu suchen, sich jeder falschen Scheu zu entledi-
gen, den Tod nicht zu fürchten und sein eigenes Leben der Suche nach der Tugend
zu widmen. Demetrios hält außerdem daran fest, dass der Mensch zu einem ge-
meinschaftlichen Leben bestimmt sei und die Welt als gemeinsames Haus aller
Menschen betrachten soll; er habe sein Bewusstsein den Göttern gegenüber zu öff-

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§ 19. Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax und Peregrinos (Bibl. 238–240) 185

nen und sich in allen Umständen so zu verhalten, als ob er dem Urteil aller ausge-
setzt sei, insbesondere aber seinem eigenen (Sen. Benef. 7,1,7). In diesem Kontext
offenbart sich in Demetrios’ Kynismus eine authentische Religiosität, wie auch eine
andere Stelle bei Seneca bezeugt (Sen. Prov. 5,5–6): In einer von moralischem
­Pathos gekennzeichneten Anrufung der Götter bekräftigt Demetrios die eigene
Unterwerfung unter deren Willen, und zwar auf eine typisch kynische Weise, wel-
che sich zugleich von der stoischen eines Kleanthes, die vom Begriff des Schicksals
(εἱμαρμένη) bestimmt ist, wie auch von der spezifisch ­mittelplatonischen, welche
vom Begriff der Angleichung an Gott (ὁμοίωσις θεῷ) geleitet wird, unterscheidet
(man beachte im Übrigen, dass Demetrios immer von Göttern im Plural spricht).
In diesem Zusammenhang erhält der alte kynische und antisthenische Begriff des
Sich-Abmühens (πόνος) seine ganze Bedeutung. Aus ihm ergibt sich der morali-
sche Wert der Fähigkeit, sich den Widrigkeiten des L­ ebens zu stellen: Ein Mensch,
der sich nie an den Widrigkeiten gemessen und keine Schicksalsschläge erlitten hat,
ist «ein totes Meer» (Sen. Epist. 67,14) und muss sich – weit davon entfernt, ein
glückliches Leben erlangt zu haben – als elend ­betrachten (Sen. Prov. 3,3).

2. Dion Chrysostomos

Dio Cocceianus, genannt Dion Chrysostomos, wohl um 40 n. Chr. im bithyni-


schen Prusa geboren, lebte zwischen der Regierungszeit der Flavier und derjeni-
gen Trajans. Er ließ sich wahrscheinlich vor dem Tod Neros in Rom nieder und er-
hielt durch die Protektion der Flavier, vielleicht auf Betreiben Nervas, die römische
Staatsbürgerschaft (wie die Form ‘Dio Cocceianus’ zeigt, mit der er von Plinius be-
nannt wird: Ep. 10,81,1. 82,2). Unter Kaiser Domitian verlor er wohl zwischen 85
und 88 die kaiserliche Gunst und wurde aus Prusa, wahrscheinlich auch aus Bithy-
nien (nicht aber aus Rom und Italien) verbannt. Das Exil dauerte bis 96 n. Chr. (vgl.
Desideri 1978 [*366]). Er hatte eine erstrangige literarische E ­ rziehung genossen,
und Fronto zufolge war er Schüler des Stoikers Musonius Rufus. Von ihm sind
80 Reden erhalten, die zeigen, wie bei Dion Philosophie, Literatur und Politik eine
originelle und einmalige Synthese eingehen, welche eine neue Art von Literatur
und ein neues kulturelles Ideal begründete, das sich sowohl in der Kaiserzeit als
auch später in Byzanz größter Beliebtheit erfreuen sollte (Brancacci 1985 [*373]).
Synesios hat auf der Grundlage von Or. 13 eine intellektuelle Biographie des
Dion entworfen, in der er klar zwischen den Werken vor und nach dem Exil unter-
scheidet (vgl. Moles 1978 [*368]). Schon Philostrat war der Auffassung, Dion habe
sich während des Exils die Volkspredigt, nach der Art der Kyniker, angeeignet. Die
moderne Kritik hat diese Ansicht stark relativiert, auch wenn man immer noch an-
nimmt, dass das Exil eine Verstärkung von Dions Kynismus zur Folge hatte (vgl.
Harris 1991 [*377]). In seinen Werken stellt sich Dion nicht als Kyniker vor, doch
gehört er insofern zum Kynismus, als seine Bildung viele kynische Züge umfasst
(angereichert durch stoische und – seltener – platonische Einflüsse, was im kaiser-
zeitlichen Kynismus nicht außergewöhnlich war), und auch weil er dem Kynismus
in vielen seiner Schriften eine literarische Neudefinition und Vertiefung verleiht.

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186 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Eine besonders wichtige Quelle für Dion ist Antisthenes. Ihm verdankt Dion
die Strukturelemente seiner Theorie der Königsherrschaft, die Prinzipien seiner
Homer-Kritik und die grundsätzlichen Züge einer Ethik, welche mit den Prinzi-
pien des «von Antisthenes ausgehenden» Kynismus übereinzustimmen scheint
(Brancacci 2000 [*389: 246] und 1992 [*378]). Er kennt aber auch die Schriften
des Diogenes (Brancacci 1977 [*364]), die er indes nur sparsam benutzt, vermut-
lich wegen der für sie eigentümlichen «Schamlosigkeit» (ἀναίδεια). Deren Gewicht
sucht Dion im Gesamtbild seines (zuweilen mit eigenen Auffassungen und Le-
benserfahrungen verbundenen) Kynismus zu reduzieren (Brancacci 1980 [*369]).
Auf Antisthenes, insbesondere auf seinen ‹Protreptikos›, und das darin entwor-
fene Porträt von Sokrates greift Dion in Or. 13 (‹Über das Exil›) zurück, um die
Charakteristika seiner eigenen Lehre zu skizzieren. Diese handelt von der Natur
des Guten und Schlechten, von den Pflichten des Menschen und davon, was ihm
wirklich nützt; von der Notwendigkeit, sich von den Übeln zu befreien, von der
Unwissenheit und der Liebe zum Reichtum, von Ansehen und Vergnügen, wobei
das Ziel stets in der Befreiung der Seele besteht (Or. 13,11–13).
Sehr stark ist der Einfluss des Antisthenes in den vier Reden ‹Über die Königs-
herrschaft› (Περὶ βασιλείας), vor allem in Or. 3 und Or. 4. In Or. 3 entwickelt Dion
ausgehend vom ‹Archelaos› des Antisthenes seine eigene Theorie der Königs­
herrschaft. Einige Auszüge aus der Schrift des Antisthenes (Or. 3,1–3. 25–29. 30–41)
erlauben es Dion, Sokrates als Gewährsmann für seine Theorie literarisch in Szene
zu setzen (vgl. Brancacci 1992 [*378] und 2000 [*389]). Diese basiert auf dem klaren
Gegensatz zwischen König und Tyrann, auf der Charakterisierung des Königs als
eines mit genau bestimmten Tugenden ausgestatteten Herrschers, sei es, dass diese
den privaten Bereich, sei es, dass sie die Gemeinschaft betreffen, und auf der Defi-
nition der Königsherrschaft in ethisch-politischem Sinn. Auch im zweiten Teil der
Rede (Or. 3,42) bemüht sich Dion darum, die dort diskutierten Lehrinhalte auf die
Sokratiker (οἱ μετ’ αὐτὸν [sc. Σωκράτην]) zurückzuführen: ­einerseits die Definition
der grundlegenden politischen Begriffe, einschließlich der Auflistung der drei klas-
sischen Herrschaftsformen und ihrer jeweiligen Form der Entartung (Or. 3,43–49);
andererseits die Darstellung des idealen Königs, bei der die Auswahl und die Defi-
nition der königlichen Tugenden einen großen Raum einnehmen (Or. 3,50–138). Die
Vorstellungen des Antisthenes und der Kyniker werden im Übrigen in die weitere
stoische Perspektive einer universellen Monarchie aufgenommen, deren Lenker
Zeus ist. Die beste Staatsform ist für Dion die Monarchie, und der ideale König ist
der beste Mensch, da er am tugendhaftesten ist: Es ist die Tugend, die der Herrschaft
Macht verleiht, ja sie eigentlich erst begründet. Andernfalls würde die bloße Macht,
ohne Verstand und Tugend ausgeübt, ihre wesenhafte Kraftlosigkeit enthüllen und
sich auf politischer Ebene in eine Tyrannis auflösen. In Or. 4 ist nicht mehr Sokrates
der Protagonist, sondern Diogenes, dem aber weiterhin für Antisthenes charakteris-
tische Ansichten in den Mund gelegt werden (übrigens hält er den Kyniker für einen
direkten Schüler des Sokrates: vgl. Or. 8,1), wie z. B. die Theorie der zweifachen Bil-
dung (διττὴ παιδεία). Nach dieser Lehre gibt es eine göttliche Bildung (δαιμόνιος
oder θεία παιδεία), die für den Menschen von höchstem Wert ist – nämlich die Phi-
losophie und genauer die Ethik – sowie eine menschliche Bildung (ἀνθρωπίνη

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§ 19. Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax und Peregrinos (Bibl. 238–240) 187

παιδεία), welche die Lehren der freien Künste (ἐγκύκλιος παιδεία) umfasst, welche
mit vielen Gefährdungen und Täuschungen verbunden und der ersten untergeord-
net ist (Brancacci 1990 [*376]). Die Beschäftigung mit der menschlichen Bildung
kann auf richtige Weise erst erfolgen, wenn die grundlegenden ethischen Prinzipien
begriffen sind, die als einzige dem Menschen wirklich eine Hilfe sein können.
In den vier Diogenes-Reden (Or. 6 ‹Diogenes oder über die Tyrannenherr-
schaft›; Or. 8 ‹Diogenes oder über die Tugend; Or. 9 ‹Diogenes oder der Isthmi-
sche Dialog›; Or. 10 ‹Diogenes oder über die Sklaven›) wird eine umfassende
­Vision des Kynismus erarbeitet, für die sich Dion Materialien verschiedener Natur
bedient: einiger Schriften von Antisthenes, seltener solcher von Diogenes, sowie
mehrerer Diatriben unterschiedlicher Herkunft. Er fügt aber auch eigene Beob-
achtungen hinzu, indem er Erinnerungen und Einschätzungen, besonders aus der
Zeit des Exils, auf Diogenes projiziert. In Or. 6 wendet sich Dion dem Thema der
Tyrannenherrschaft zu und stellt den Tyrannen als unglücklichen und ungebilde-
ten Menschen dar, unsicher, von tausend Ängsten gepeinigt. Dessen Leben kon-
trastiert er mit dem glücklichen des Diogenes, das in Übereinstimmung mit der
Natur steht, eudaimonistisch und nicht ohne gemäßigt hedonistische Züge ist. In
Or. 8 stehen ein Lobpreis der Anstrengung (πόνος) im Hinblick auf das Erlangen
der Tugend, eine heftige Verdammung des Vergnügens (in diesem Zusammenhang
nimmt Dion Themen aus Antisthenes’ ‹Über die Kirke› auf) und die Verherr­
lichung der Arbeiten des Herakles im Zentrum, des großen Helden für die
­kynische Schule. Or. 9 vervollständigt die vorangehende, indem sie die Arten der
kynischen Volkspredigt zeigt: Auf Diogenes’ Anwesenheit bei den Isthmischen
Spielen und bei den öffentlichen Versammlungen in Korinth Bezug nehmend,
­unternimmt Dion eine Verurteilung des Athletentums, dem er Hauptpunkte der
kynischen Lehre entgegenhält. In Or. 10 schließlich wird die kynische Position
verteidigt, Besitz sei unwichtig, wenn man davon keinen rechten Gebrauch ma-
chen könne, und folglich sei es für den Menschen besser, gar nichts zu besitzen.
Im zweiten Teil wird eine interessante Behandlung des richtigen Gebrauchs der
Orakel geboten. Diese werden abschließend als unnütz bezeichnet, sofern der
Mensch die Vernunft besitze, welche allein angemessene Lebensregeln und für
alle Umstände geeignete Vorschriften zu geben vermöge. In diesem Zusammen-
hang sind auch Or. 14 und Or. 15 ‹Über Sklaverei und Freiheit› nicht zu ver­gessen,
welche die sokratisch-antisthenische These wiederaufnehmen, wonach die Frei-
heit als Wissen davon bezeichnet wird, welche Dinge erlaubt sind und welche ver-
boten (und die Sklaverei als Unkenntnis derselben). Deshalb ist der souverän freie
Mensch der gute König. Außerdem zu erwähnen ist Or. 30 ‹Charidemos›, in deren
erstem Logos (30,11–24) eine sehr wahrscheinlich von Antisthenes stammende
Beschreibung des menschlichen Lebens und der Welt gegeben wird.

3. Demonax

Demonax wurde wahrscheinlich um 70 n. Chr. auf Zypern geboren und


­verbrachte sein Leben, welches vielleicht bis 170 n. Chr. dauerte, überwiegend in

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188 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Athen. Von vornehmer Herkunft, hatte er als Lehrer den Kyniker Demetrios,
Epiktet und Agathoboulos sowie den Rhetor und philosophischen Eklektiker
­Timokrates von Herakleia. Er wurde seinerseits Lehrer von Lukian, der ein ‹Leben
des Demonax› verfasste, das als eine Art indirekter Autobiographie ­Lukians gese-
hen wird. Diese bildet unsere Hauptquelle für Informationen über Demonax.
Demonax scheint nichts geschrieben zu haben. Die Erfüllung seiner Philoso-
phie bestand für ihn in einem Leben in Übereinstimmung mit seiner Lehre.
Darin und auch in anderen Aspekten seines Denkens ist er Vertreter eines
­Kynismus, der dessen sokratische Prägung unterstreicht und wieder ans Licht
bringt. Interessant ist in diesem Zusammenhang seine gleichsam programma­
tische Erklärung, dass er Sokrates verehre, Diogenes bewundere und Aristipp
liebe, wobei er alle Philosophen für lobenswert halte (Luk. Demon. 62). Er weist
außerdem gewisse Auswüchse des zeitgenössischen kynischen Lebenswandels
zurück (ebd. 21, 48). Aufgrund seiner versöhnlichen Haltung gegenüber dem
Leben und der städtischen Gemeinschaft wurde Demonax (viel mehr als Sokra-
tes) von den Athenern geliebt, was soweit ging, dass er öffentliche Ämter in sei-
ner Wahlheimat übernahm und als «guter Daimon» in jedem Haus willkommen
war (ebd. 63). Er zeigte sich daran interessiert, erzieherisch auf die Menschen zu
wirken, um ihre innere Umkehr zu fördern. Sokratische Elemente scheinen hier
mit für den Kynismus charakteristischen Themen verbunden: absolute Bedürf-
nislosigkeit, die zur Rechtfertigung des Selbstmords führt (ebd. 5), Ironie an­
gesichts der Spekulationen der Physiker (ebd. 22), Polemik gegenüber den Mys-
terien und den Weissagern (ebd. 37 und 11), hohe Wertschätzung für die Leich-
tigkeit des Lebens (ἡ τοῦ βίου ῥαστώνη), das Tragikomische (σπουδαιογέλοιον),
die großen kynischen Tugenden, wie die – stärker stoische als kynische – Selbst-
beherrschung (κρατερία), die Selbstgenügsamkeit (αὐτάρκεια), die Anstrengung
(πόνος), die Verachtung von Dünkel (τῦφος), sowie die Zurückweisung von
Furcht und Hoffnung (ebd. 4, 5, 8, 20).

4. Peregrinos

Peregrinos, der sich selbst den Übernamen ‘Proteus’ und gegen Ende seines Le-
bens ‘Phönix’ gab, wurde in Parion an der Propontis geboren und starb betagt um
165 oder 167 n. Chr., woraus geschlossen wird, dass er in den letzten Jahren des 1.
Jahrhunderts n. Chr. geboren sein dürfte. Unsere genaueste und wichtigste Quelle
ist Lukian, der in seiner Schrift ‹Über den Tod des Peregrinos› den Kyniker h ­ eftig
angreift. Ein weiterer wichtiger Zeuge, der einen ganz anderen Ton anschlägt, ist
Aulus Gellius. Peregrinos stellt für uns den ersten und ältesten Beleg für Kontakte
zwischen Christentum und Kynismus dar. Er war außerdem von der Askese der
Brahmanen beeinflusst und belebte so eine Tradition neu, die auf den hellenisti-
schen Geschichtsschreiber Onesikritos von Astypalaia zurückgeht, der mit den
orientalischen Gymnosophisten in Kontakt stand. Aus seiner Heimat offenbar
wegen Vatermordes exiliert, kam Peregrinos mit der christlichen Gemeinschaft in
Palästina in Berührung, deren Lehren er teilte und in der er alsbald eine außer-

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§ 20. Oinomaos von Gadara (Bibl. 240) 189

ordentlich wichtige Stellung einnahm. Zu dieser Zeit schrieb er Bücher über die
­christliche Lehre und verfasste auch Kommentare zu Schriften der Christen (Luk.
Peregr. 11). Als er wegen seiner Tätigkeit ins Gefängnis geworfen wurde, unter-
stützten und beschützten ihn die Christen; wenig später wurde er vom Gouver-
neur Syriens wieder freigelassen. Nachdem es zum Bruch mit der christlichen
­Gemeinschaft gekommen war, kehrte er in seine Heimat zurück, wo er nach dem
Vorbild des Krates sein Erbe den armen Bürgern gab, einen kynischen Lebensstil
mit der charakteristischen «Schamlosigkeit» (ἀναίδεια) annahm und ein unstetes
Wanderleben führte. Er zeigte eine Vorliebe für die rauhesten Züge des Kynis-
mus: Ablehnung jeder politischen Macht (nach Rom gekommen, schmähte er
sogar den Kaiser), Rigorismus und Ertragen extremer Prüfungen, die in seiner
spektakulären Selbsttötung an den Olympischen Spielen gipfelten, an der Lukian
nach eigener Aussage teilgenommen hat: Peregrinos sprang auf den Scheiterhau-
fen, nachdem er in typisch brahmanischer Manier feierlich die Sonne gegrüßt und
sein Programm an alle berühmten griechischen Städte verkündet hatte, indem er
ihnen in brieflicher Form «Testamente, Empfehlungen und Gesetze» schickte
(ebd. 41; zu eventuellen Berührungen von Erscheinung und Lebensstil des Pere-
grinos mit der montanistischen Bewegung vgl. Ramelli 2005 [*392]).
Aulus Gellius hingegen stellt uns einen noblen und seriösen Peregrinos vor,
einen «virum gravem et constantem», der vom ruhmverliebten Scharlatan bei
­Lukian sehr verschieden ist. Er hat ihn nach eigenem Bekunden persönlich in
Athen kennengelernt, wo er «in einer Hütte außerhalb der Stadt» gelebt und
«nützlich und edel» gesprochen habe (Gell. 12,11,1). Bei Aulus Gellius ist uns als
ein Punkt der kynischen Lehre des Peregrinos überliefert, dass der Weise niemals
Fehler begehen solle, auch nicht wenn diese allen – Göttern wie Menschen – ver-
borgen bleiben könnten, weil man sich nicht aus Angst vor Strafe oder Ehrverlust
vor Fehlern hüten soll, sondern aus Liebe zum Guten (Gell. 12,11,2–7).

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori, Regina Füchslin


und Christoph Riedweg.

§ 20. Oinomaos von Gadara

Aldo Brancacci

Oinomaos war ein Zeitgenosse von Hadrian und Antoninus Pius. Er ist der
philo­sophisch bedeutendste Kyniker der Kaiserzeit und der einzige, von dem wir
heute noch einen beinahe vollständigen Traktat lesen können. Die erste Eigenheit
des Oinomaos mit Blick auf seine kynischen Vorgänger und Nachfolger besteht
darin, dass er sich nicht auf die Ethik beschränkt, sondern auch intensiv über das

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190 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Problem des Schicksals nachgedacht hat. Seine Ansicht hat er in einer anti-­
fatalistischen, gegen Stoiker und das Orakelwesen gerichteten Polemik entfaltet
(ausführliche Auszüge aus dieser Schrift über die ‹Entlarvung der Schwindler›,
Γοήτων φώρα, sind im 5. und im 6. Buch von Eusebios’ ‹Praeparatio evangelica›
erhalten). Als zweites unterscheidendes Merkmal ist zu nennen, dass Oinomaos
eine große Anzahl Schriften zu unterschiedlichen Themen verfasst hat, während
die zeitgenössischen Kyniker überwiegend die mündliche Unterweisung in Ethik
pflegten. Die ‹Suda› hat uns eine (wenn auch unvollständige) Liste seiner Werke
erhalten: ‹Über den Kynismus› (Περὶ κυνισμοῦ; bei Julian Or. 7, 209b heißt die
Schrift: ‹Die eigene Stimme des Hundes›, Αὐτοφωνία τοῦ κυνός, was ein alterna-
tiver Titel sein kann oder ein freier Ausdruck, mit dem sich Julian auf die Schrift
bezieht), ‹Politeia› (Πολιτεία), ‹Über die Philosophie gemäß Homer› (Περὶ τῆς
καθ’ Ὅμηρον φιλοσοφίας), ‹Über Krates und Diogenes› (Περὶ Κράτητος καὶ
Διογένους). Julian berichtet außerdem, Oinomaos habe Tragödien im Geiste des
Diogenes geschrieben (Iul. Or. 7, 210d).
Ein starker Traditionsbezug ist augenfällig. Die ‹Politeia› und die Tragödien
setzen Kenntnisse der gleichnamigen Werke des Diogenes voraus (wobei zu be-
achten ist, dass auch Zenon, als er noch Schüler des Krates war, ein entsprechen-
des Werk verfasste, in dem er extreme kynische Lehren wie die Rechtfertigung
des Inzests, die Abschaffung des Geldes usw. vertrat). Auf eine umfassende
­Reflexion über den Kynismus lässt der Titel ‹Über Krates und Diogenes› mit
­seinem Rückbezug auf die Anfänge des Kynismus schließen, was Oinomaos
­wiederum von seinen Zeitgenossen unterscheidet. Die in der ‹Suda› aufgeführte
Schrift ‹Über die Philosophie gemäß Homer› bezog sich wahrscheinlich auf
Anti­sthenes, der Homer für die Ethik ausgewertet hatte. Diese Tradition haben
vor Oinomaos auch Dion Chrysostomos und Maximos von Tyros aufgegriffen.
Ein interessantes Fragment, vielleicht aus der Schrift ‹Über den Kynismus›, ist
bei ­Julian erhalten und lautet: «Der Kynismus ist weder Antisthenismus noch
Diogenismus» (ὁ Κυνισμὸς οὔτε Ἀντισθενισμός ἐστιν οὔτε ∆ιογενισμός: Or. 6,
187c). Diese Behauptung scheint in erster Linie gegen den Kynismus als theo­
retische Lehre gerichtet zu sein. Die beiden gegensätzlichen Termini «Ἀντι-
σθενισμός» und «∆ιογενισμός» bedeuten aber nicht «Philosophie des Antisthe-
nes» und «Philo­sophie des Diogenes», sondern zwei paradigmatische Resultate,
die aus diesen Philosophien hervorgegangen sind und die beide in der kynischen
Tradition gemeinsam gegenwärtig sind. Oinomaos signalisierte mit dieser Aus-
sage nicht nur, dass der Kynismus einer Neubegründung bedürfe, sondern stellte
sich auch in W­ iderspruch zum zeitgenössischen Kynismus, der eine solche Un-
terscheidung ­akzeptierte (vgl. auch unten zum 19. Brief des Krates). Die Aus-
sage enthält außerdem eine anti-stoische Stoßrichtung, geht doch die Unter-
scheidung zweier Arten von Kynismus auf die Stoa zurück, welche bekanntlich
aus dem Kynismus hervorgegangen ist (zum ‘Diogenismus’ der Stoa vgl. den Ab-
schnitt ‘Kynika’ in den SVF, wo vom Weisen auch das κυνιεῖν, «den Hund
geben», verlangt wird: D. L. 7,121 = Apollodor, SVF III, fr. 17; über den ‘Anti­
sthenismus’ hingegen konnte die Stoa ihre Schule bis auf Sokrates zurückfüh-
ren: vgl. D. L. 6,14).

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§ 20. Oinomaos von Gadara (Bibl. 240) 191

Oinomaos gründete seine Neubestimmung des Kynismus auf eine neue Deu-
tung des Konzepts der Freiheit (welche von Eusebios im 6. Buch der Praep. ev. re-
feriert wird). Diesen Wert dürfte er nicht nur durch die Mantik und die stoische
Schicksalslehre gefährdet, sondern – aus dem Satz in Περὶ κυνισμοῦ zu schließen –
nicht einmal mehr innerhalb des Kynismus garantiert gesehen haben. Der Begriff,
mit dem Oinomaos die als «souverän über die notwendigsten Dinge» (αὐτοκράτωρ
τῶν ἀναγκαιοτάτων: Eus. Praep. ev. 6,7,2 = fr. 16,10 Hammerstaedt) qualifizierte
Freiheit bezeichnet, ist im Übrigen ‘exousia’ (ἐξουσία) und nicht, wie bei seinen
kynischen Vorgängern üblich, ‘eleutheria’ (ἐλευθερία; vgl. bereits Antisthenes’
Schrift ‹Über Freiheit und Sklaverei›, Περὶ ἐλευθερίας καὶ δουλείας). Er will
damit auf eine wirkliche und umfassende Wahlmöglichkeit hindeuten, d. h. eine
wirkliche Macht, die in der Praxis vollumfänglich verwirklicht werden kann.
Diese Deutung zeigt Oinomaos’ Originalität gegenüber dem klassischen Kynis-
mus, der die Freiheit des Menschen als innere begriffen hat, die sich sogleich in
Gleichmut (ἀδιαφορία) und Selbstgenügsamkeit (αὐτάρκεια) auflösen kann. Der
Grund dafür ist darin zu sehen, dass der klassische Kynismus Freiheit relativ zur
Grenze definierte, an der die Einflussnahme des Individuums auf äußere Dinge
endet und an der folglich Verzicht und Selbstgenügsamkeit beginnen. Bei Oino-
maos ist die Freiheit dagegen nicht auf das Innere beschränkt, und es ist nicht so,
dass an der Grenze zur äußeren Welt das Handeln des Menschen seine Unge-
zwungenheit verliert. Die Aufhebung dieser Grenze kommt nicht durch Verinner-
lichung eines größeren Teils der Realität zustande, sondern dadurch, dass Oino-
maos den Menschen als Prinzip (ἀρχή) seiner Handlungen sieht und glaubt, dass
dem Menschen die Fähigkeit (δύναμις) eigen ist, die Außenwelt zu verändern und
in ihr seine ‘exousia’ zu entfalten (Brancacci 2000 [*407]).
Auf der Grundlage dieses Begriffs wendet er sich gegen den Determinismus
des Demokrit und den stoischen Begriff des Schicksals (εἱμαρμένη). Oinomaos
ist sich der im Hellenismus gegen das stoische Wahrheitskriterium erhobenen
­Kritik bewusst und sehr wahrscheinlich auch der skeptischen Kritik gegen das
Wahrheitskriterium überhaupt (neben Chrysipp zitiert er explizit Arkesilaos und
weiß sowohl um die Polemik zwischen Arkesilaos und Chrysipp, wie auch um die
Kritik von Karneades an Chrysipp), so dass er in unangreifbarer Art und Weise
sein eigenes Kriterium formuliert. In seiner Gegenkonzeption sieht er als erste
Voraussetzung für das willentliche Handeln die Annahme, zu existieren und sich
dessen bewusst zu sein. Die Quelle von letzterem ist das Bewusstsein (συν­
αίσθησις) und das Erfassen (ἀντίληψις) seiner selbst, welche unmittelbar ­gegeben
sind. Dieses Prinzip ist das Fundament für die Gewissheit, welches O­ inomaos als
glaubwürdigstes Maß (πιστότατον μέτρον) für das Handeln sieht (Eus. Praep. ev.
6,7,16 = fr. 16,85 Hammerstaedt). Das Kriterium des Oinomaos findet sich auch
beim Stoiker Hierokles im Rahmen von dessen Oikeiosis-Lehre, nach welcher be-
reits das neugeborene Lebewesen ein Bewusstsein seiner selbst besitzt. Schon
beim hellenistischen Stoiker Chrysipp war die Wahrnehmung seiner selbst Voraus­
setzung der Selbstaneignung. Im Gegensatz zu den Stoikern nimmt Oinomaos je-
doch dieses Kriterium nicht als Ausgangspunkt für einen ­Naturalismus, sondern legt
es dem Prinzip der Freiheit des menschlichen Handelns und Wollens zugrunde.

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192 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Seine Beweisführung besteht aus fünf Bewegungen: 1) Vom Prinzip des Bewusst-
seins und des Erfassens seiner selbst gelangt man 2) zu seiner Bestimmung als un-
mittelbarste aller Erfahrungen, sodann 3) zur Parallelführung des ‘Erfassens sei-
ner selbst’ mit dem Akt, durch den man in sich die Unterscheidung dessen, was
frei und was erzwungen ist, erlangt, sodann 4) zur Stellung des ­Menschen als
Herrn seines Wollens (κύριος τῆς βουλήσεως) und schließlich 5) zur Fähigkeit
eines jeden Individuums, die schicksalshafte Verkettung aufzubrechen, indem
man in sie eine nicht vorhersehbare Reihe neuer Handlungsprinzipien einfügt, die
in jedem Augenblick dazu beitragen, das Geflecht des Dramas zu verändern
(Brancacci 2002 [*409]).
Die Polemik gegen die Orakel wird von Eusebios im 5. Buch der Praep. ev. re-
feriert (19–36). Tatsächlich sind diese und die anti-fatalistische Polemik miteinan-
der verflochten und stützen einander auch im langen Exzerpt aus der ‹Entlarvung
der Schwindler› gegenseitig, was letztlich in der engen Verbindung von Schicksals-
lehre und Mantik in der Stoa begründet ist. Hier zeigt sich auch ein typischer Zug
von Oinomaos’ Argumentationsweise: Er behandelt die Orakel wie Dokumente,
die gemäß streng logischen Kriterien zu untersuchen sind und auf deren Basis die
eigenen theoretischen Aussagen zu bekräftigen sind. Indem er so die stoische Ver-
bindung zwischen dem Bereich der Wahrsagung und der Schicksalslehre aufgreift,
deckt er alle ihre Widersprüche auf und entleert sie ironisch jeder Bedeutung. Be-
sonderen Scharfsinn zeigt er neben anderen berühmten Orakeln in der Wider­
legung des Mythos von Ödipus, an dem sich die rationalistische Auslegung der
Kyniker traditionellerweise geübt hat (Hammerstaedt 1988 [*399]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori, Regina Füchslin


und Christoph Riedweg.

§ 21. Der Kynismus bis Maximos von Alexandrien


und Salustios aus Syrien

Aldo Brancacci

In der Kaiserzeit gab es zahlreiche Kyniker, deren Existenz bezeugt ist, aber von
denen man beinahe nichts weiß, weil sie nicht literarisch tätig waren und uns daher
nur durch episodische Bemerkungen in den Quellen bekannt sind – Bemerkungen,
die nicht selten polemisch, wenn nicht geradezu feindselig, sind. Einen eigenen Fall
bildet Secundus, der im 2. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat und Zeitgenosse von Kai-
ser Hadrian war. Über ihn ist eine Biographie erhalten, die in der Antike stark ver-
breitet war, in diverse orientalische Sprachen übersetzt wurde und dank einer la-
teinischen Übersetzung ins westliche Mittelalter gelangt ist. Die Biographie stellt

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§ 21. Der Kynismus bis Maximos von Alexandrien und Salustios aus Syrien (Bibl. 241) 193

ihn als einen Pythagoreer dar – im Wesentlichen wegen seines Schweige­gelübdes,


welches er sich selbst dafür auferlegt hatte, dass er den Tod seiner Mutter verur-
sacht hatte –, doch geht aus ihr auch hervor, dass er zuvor die kynische Lebensform
angenommen hatte, und viele der ihm zugeschriebenen Sentenzen behandeln tat-
sächlich typisch kynische Themen (Perry 1964 [*419]; zu Berührungen zwischen
dem Pythagoreismus akusmatischer Prägung und dem Kynismus im Hinblick auf
die Lebensführung vgl. allgemein Burkert 1962 [*418: 196]).
Die Beziehungen zwischen Kynismus und Christentum sind ebenfalls komplex
und nicht vollkommen klar. Einerseits gibt es Fälle, wie den des Kynikers C­ rescens,
in denen die Kyniker dem Christentum gegenüber feindselig eingestellt waren; an-
dererseits fehlt es nicht an Episoden der Begegnung und Vermittlung, wie bei
Pere­grinos und Maximos von Alexandrien. Außerdem scheinen viele ­Indizien den
Einfluss der kynischen Literatur, insbesondere des Mythos von ­Herakles (der sog.
«Theologie von Herakles»), auf die literarische Betätigung der ersten Christen zu
bezeugen. Gegen Ende der Antike zeigt sich insofern eine Aussöhnung zwischen
Kynikern und Christen, als letztere viele kynische Tugenden gutheißen und nur
die Schamlosigkeit zurückweisen. Dasselbe Bild ergibt sich auch aus den Hinwei-
sen auf Antisthenes und vor allem auf Diogenes bei den Kirchenvätern.
Im 4. Jahrhundert ragt die Figur des Maximos von Alexandrien, eines kynischen
Philosophen christlichen Glaubens, heraus. Bekanntlich war er 379–380 in Kons-
tantinopel, wo er sich mit Gregor von Nazianz, damals Bischof jener Stadt, be-
freundete. Er verriet jedoch die Freundschaft, indem er sich selbst zum Bischof or-
dinieren ließ, und versuchte ohne Erfolg, den Posten Gregors zu übernehmen; er
verfasste eine Schmähschrift gegen ihn, die eine scharfe Antwort von diesem pro-
vozierte. Aufgrund von verschiedenen Quellen, v. a. Hier. Vir. ill. 117, scheint
Maxi­mos mit Heron von Alexandrien, dem Gregor einen enkomiastischen Dialog
gewidmet hat, identisch zu sein. Einzig die Unkenntnis des Bruches ­zwischen den
beiden, welcher zwischen der Zeit des Enkomiums und jenem der Invektive erfolgt
ist, ließ gewisse Zweifel an dieser Identifikation von Maximos und Heron (vielleicht
der ägyptische Name des Maximos) aufkommen, die heute aber allgemein akzep-
tiert ist (Goulet-Cazé 2005 [*428]). Maximos bezeugt anschaulich die engen Bezie-
hungen zwischen Kynismus und Christentum. Als Christ schrieb er Briefe an her-
ausragende Persönlichkeiten sowie ein Buch ‹De fide› gegen die Arianer, das von
Hieronymus zitiert wird (Vir. ill. 127). Als Kyniker vertritt er den Kosmopolitis-
mus, den strikten Gegensatz zwischen dem ‘Eigenen’ und dem ‘Fremden’ (der auf
Antisthenes zurückgeht), das Konzept der Wachsamkeit der Menschen, die Ver-
herrlichung des moralisch Guten und die Invektive gegen das Schlechte; selbstver-
ständlich lehnt er den kynischen Atheismus ab und verhöhnt die nur äußerliche
Aneignung der kynischen Lebensform durch zeitgenössische Kyniker. Vom Kynis-
mus übernahm er weiter die «freimütige Rede» (παρρησία), die Genügsamkeit
sowie die Polemik gegen die dogmatischen philosophischen Schulen.
Salustios ist hauptsächlich aus Damaskios’ ‹Vita Isidori› bekannt, die sich auf-
grund anderer Quellen rekonstruieren lässt (Asmus 1910 [*416]). Er wurde wohl um
430 in Syrien geboren. Damaskios spricht von ihm als einem Zeitgenossen. Er stu-
dierte Rechtswissenschaften und erhielt in Emesa oder auch später in Athen eine

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194 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

aus­gezeichnete Rhetorikausbildung. Danach muss er sich nach Dalmatien zu Mar-


cellinus begeben haben, später in Begleitung des Isidoros nach Alexandrien. Wahr-
scheinlich hat ihn seine Freundschaft zu Isidoros in Kontakt mit den ­alexandrinischen
Neuplatonikern gebracht, welche auch Interesse am Kynismus zeigten. Jedenfalls
schloss sich Salustios dem Kynismus an, und in den Augen der alexandrinischen
Neuplatoniker wird er vermutlich als typischer «Weiser» (σοφός) gemäß der großen
griechischen Tradition erschienen sein: Sein Ideal eines Wanderlebens, sein Aske-
tismus, seine Verachtung des Dünkels (τῦφος), seine Haltung der Unabhängigkeit
gegenüber Mächtigen werden besondere Bewunderung ausgelöst haben. Salustios
glaubte, dass die Philosophie für Menschen nicht nur schwierig, sondern unmög-
lich sei (Damask. Vit. Isid. 147 = Suda IV,316,4f. Adler s. v. Σαλούστιος). Auch in
dieser paradoxen Erklärung zeigt sich die Radikalität und das gleichsam asketische
Ideal des Philosophierens, welches einen rigorosen Anhänger des D ­ iogenes aus-
zeichnet.

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori, Regina Füchslin


und Christoph Riedweg.

§ 22. Kynische Epistolographen,


Philosophische Literatur über den Kynismus

Aldo Brancacci

Unter dem Namen ‘Diogenes’ ist ein Corpus von 51 Briefen erhalten, deren Un-
echtheit zuerst von Boissonnade bewiesen wurde (Boissonade 1818 [*441]). Es
handelt sich dabei um Werke einer Vielzahl verschiedener Autoren, welche viel-
leicht literarisch ausgerichtet und vom Kynismus beeinflusst, jedoch keine Rhe-
toren waren (wie früher angenommen wurde). Die Briefe dürften den Zielen der
kynischen Propaganda gedient haben. Ihre Entstehung erstreckt sich vom Helle-
nismus bis zum 2. Jahrhundert n. Chr., und einige Briefe stammen möglicherweise
aus noch späterer Zeit. Auf die Kaiserzeit, bis höchstens zum Beginn des 3. Jahr-
hunderts n. Chr., gehen nach Capelle die Briefe 13–18, 20–25, 27, 32, 41–42, 46,
48–51 zurück (Capelle 1896 [*442]). Die Briefe 19, 28–29, 39–40, 43, 45 entstan-
den in einer langen Zeitspanne, die im Fall von Brief 39 bis ins 4. Jahrhundert
n. Chr. reicht, während alle anderen Briefe aus der hellenistischen Zeit stammen.
Nach Emeljanow 1968 [*444: 4–6] hingegen gehören nur die Briefe 30–40 in die
Kaiserzeit. Diese Briefe stellen einen wichtigen Beleg für die Diogenes-Legende
dar und geben traditionelle k­ ynische Vorstellungen wieder: die Verherrlichung der
Bedürfnislosigkeit, den Wert des armen Wanderlebens, die Polemik gegen die Le-
bensform von Monarchen und Herrschern, den Rückgriff auf Mythen und die

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§ 22. Kynische Epistolographen, Philosophische Literatur über den Kynismus (Bibl. 241–242) 195

Worte der Dichter, die Wichtigkeit der kynischen Kleidung und das Lob der An-
strengung (πόνος) in einer rigorosen ethischen Perspektive, welche jedoch stets
eudaimonistisch ist. Bemerkenswert ist vor allem Brief 39 mit seiner Diskussion
des Einübens des Todes (μελέτη θανάτου), die eine einmalige Mischung von ky-
nischen und platonischen Themen aufweist und die These entwickelt, dass es lan-
ger Arbeit bedürfe, um sich vom Körper zu lösen und sich nicht nur auf den Tod,
sondern auch auf das Leben danach vorzubereiten.
Unter dem Namen ‘Krates’ sind 36 Briefe erhalten, die ins 1. und 2. Jahrhun-
dert n. Chr. gehören. Formal sind alle Briefe (mit Ausnahme von 20, 34 und 7, 24,
25) der ­Gattung der Mahnbriefe (παραινετικαί) zuzuordnen, und auch sie gehen
auf ­verschiedene Autoren zurück (Epist. 35 ist wohl eher stoisch als kynisch). Ein
beträchtlicher Teil sucht die Prinzipien der kynischen Philosophie zu illustrieren
(Epist. 1, 3, 5, 9, 12, 28, 30–32, 34–35), andere entwickeln das Thema des Kynis-
mus als «kurzen Weg zum Glück» (Epist. 6, 13, 21); die Mehrheit der Briefe be-
fasst sich mit der kynischen Lebensform und kynischen Pflichten.
Ein wenig beachtetes Dokument ist Brief 19 des Krates, in dem die Frage, ob
eher Odysseus oder Diogenes «der Vater der kynischen Philosophie» sei, gestellt
wird und in letzterem Sinn beantwortet wird, wobei mit «Odysseus» offenkundig
auf Antisthenes angespielt wird. Brief 19 ist damit ein Echo anderer Briefe, die
den Kynismus ἀπὸ Διογένους verteidigen, und trägt zum Kontext der oben er-
wähnten Aussage von Oinomaos bei, gemäß welcher der Kynismus weder Anti­
sthenismus noch Diogenismus sei (gewissermaßen ein Gegenbild findet sich in
einem kleinen Werk, das in den Handschriften Lukian zugeschrieben wird, dem
‹Kynikos›, der unter Rückgriff auf sokratisch-antisthenische Themen ein nüchter-
nes und würdiges Bild des wahren Kynikers zeichnet).
Auch die neun Briefe von Heraklit gehören zur kynischen Epistolographie.
Alle (mit der möglichen Ausnahme von Brief 3) sind ins 1. Jahrhundert n. Chr. zu
datieren, stammen jedoch nicht von ein und demselben Autor. Auch die sieben
Briefe, die Sokrates zugeschrieben werden (1. Jh. n. Chr., wenn nicht früher), und
die 26 Sokratikern zugewiesenen Briefe (nach der ersten Hälfte des 2. Jh.s n. Chr.)
sind Werke kynisch beeinflusster Schriftsteller.
Ein wichtiger Teil der allgemein philosophischen Literatur zum Kynismus sieht
in diesem ein besonders edles philosophisches Ideal wegen seiner strengen Ethik.
Nur in einigen Fällen wie in Lukians ‹Fugitivi› finden sich Beispiele für eine
­K ritik am Kynismus, welche aber vor allem den kynischen Lebenswandel be-
trifft, dessen radikale Züge die Sensibilität gebildeter Menschen wie Demonax
und Dion Chrysostomos verletzen bzw. sich im Gegensatz zu ihrer Ideologie be-
finden, welche nicht auf einen Bruch mit der Gesellschaft ausgerichtet ist, sondern
auf die anforderungsreiche Vermittlung mit dieser. Die Diogenes-Reden Dions,
von denen bereits die Rede war, sind die ältesten Zeugnisse für diesen Typus
­Literatur.
Dem Stoiker Epiktet, der viele mit Antisthenes und der kynischen Tradition
verbundene philosophische Themen wiederaufgreift, verdanken wir zahlreiche
Anspielungen auf die paradigmatische Figur des Diogenes und insbesondere eine
Diatribe ‹Über den Kynismus› (Περὶ κυνισμοῦ: Diss. 3,22). Diese thematisiert

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196 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

jene theoretische Komponente des Kynismus, welche Epiktet als Krönung des
­stoischen Systems betrachtet: Die Figur des Kynikers wird als Modell dargestellt,
auf das jeder blicken muss, welcher, zur Philosophie hinstrebend, Theorie und
Praxis zu einer vollkommenen Einheit zusammenführen will. Die starke Beach-
tung, die der Kynismus bei Epiktet erfährt, spiegelt die Tendenz zur Rückkehr
zum Alten wider, welche auch für Epiktets Stoizismus typisch ist. Gleichzeitig
­fungiert die kynische Radikalität bei ihm auch als Garantin für die strengsten
­Elemente der stoischen Theorie. Epiktet scheut sich dabei nicht, dem exemplari-
schen Kyniker selbst einige stoische Züge zuzuschreiben.
Im mittelplatonischen Umfeld zeugt Maximos von Tyros von einer eleganten
Rezeption des Kynismus, welcher als philosophische Realisierung der Welt im Na-
turzustand verstanden wird. In Diss. 36 ‹Ob das kynische Leben vorzuziehen sei›
greift Maximos auf eine mythische Erzählung zurück, um das goldene Zeitalter
zu umschreiben und dann Diogenes als Vertreter des einfachen und tugend­
gemäßen Lebens darzustellen, der durch seine Unabhängigkeit sogar Sokrates
überlegen sei. Einige Züge dieser Vision erinnern an jene des Dion Chrysostomos.
Im 4. Jahrhundert wird diese Literaturgattung durch die Werke des Themistios
und des Julian gekrönt. Themistios ist Verfasser einer Rede ‹Über die Tugend›
(Περὶ ἀρετῆς), in der drei Wege zur Glückseligkeit unterschieden werden: die
Philo­sophie Epikurs, diejenige des Aristoteles und der kynische Weg, der von So-
krates herkommt, unter seinen Hauptexponenten Antisthenes und Diogenes hat
und zu den Stoikern hinführt. Bei der Darstellung der kynischen Prinzipien be-
zieht sich Themistios v. a. auf Schriften des Antisthenes, von dem er uns zwei wich-
tige Fragmente überliefert. Zu Recht berühmt sind schließlich zwei Reden des
Kaisers Julian: Die siebte ‹Gegen den Kyniker Herakleios› ist ein wichtiges Zeug-
nis für die Hoffnungen, die Julian in den Kynismus gesetzt hat im Hinblick auf
sein Programm, das Reich auf die Werte des Hellenismus zu gründen; in der neun-
ten, ‹Gegen die unwissenden Kyniker› gerichteten Rede rekonstruiert er, aus­
gehend von seinem Widerstand gegen die zeitgenössische kynische Lebensform,
einen philosophischen Wesenskern des Kynismus, abgeleitet von Antisthenes,
­Diogenes und Krates, deren Werke er zitieren kann. Julian verbindet diese Re-
konstruktion mit dem Thema der Philosophie im Allgemeinen, deren Einzig­
artigkeit er ins Licht rückt anhand der Analyse des Prinzips des «Erkenne dich
selbst» (γνῶθι σαυτόν), welches als Notwendigkeit verstanden wird, dass sich der
Mensch in seinen beiden Komponenten, der menschlichen und der göttlichen, er-
kenne. Beispielhaftes Zeugnis dieser Notwendigkeit ist der Kynismus. Insgesamt
zeigen die beiden Reden, wie bis ans Ende der Antike der Kynismus wegen seiner
Ernsthaftigkeit, der Radikalität seiner Lehre und seiner grundlegenden Forde-
rung nach Über­einstimmung von Taten und Worten als beispielhafte ethische
Richtung ange­sehen wurde – eine Richtung, die deswegen von Persönlichkeiten
sehr unterschiedlicher philosophischer Herkunft geteilt werden konnte.

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori, Regina Füchslin


und Christoph Riedweg.

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§ 23. Überblick (Bibl. 242–246) 197

IV. EPIKUREISMUS IN DER KAISERZEIT

§ 23. Überblick

Michael Erler

1. Stand der Forschung. – 2. Tradition. – 3. Pagane Kritik. – 4. Jüdische Auseinandersetzung mit dem
Epikureismus. – 5. Positive Rezeption. – 6. Epikur-Rezeption in der paganen Spätantike. – 7. Divergenzen
und Konvergenzen bei den Christen.

1. Stand der Forschung

Nicht selten enden moderne Darstellungen des Epikureismus im Rom des


1. vorchristlichen Jahrhunderts bei Lukrez oder behandeln die Kaiserzeit auf nur
wenigen Seiten (Ferguson, Hershbell 1990 [*486: 2260]). Der Grund dafür liegt
darin, dass man aus der Kaiserzeit keine Erweiterung unserer Erkenntnisse von
Epikurs Lehre erwartet, weil diese in den ersten beiden Jahrhunderten bis Mark
Aurel hinter der Stoa zurückstand und in der Spätantike mit der Dominanz von
Platonismus und Christentum gänzlich an Bedeutung für den philosophischen
Diskurs verlor. Sieht man von dem wichtigen Neufund der Inschrift des D ­ iogenes
in Oinoanda ab, wird unsere Kenntnis epikureischer Dogmatik in der Kaiserzeit
in der Tat durch kaiserzeitliche Quellen inhaltlich wenig erweitert. Wird Epikurs
Lehre thematisiert, so bedienen sich die Autoren der uns schon aus früheren
Quellen bekannten Lehrstücke und schöpfen anti-epikureische Polemik von pa-
ganer und christlicher Seite aus dem Arsenal altbekannter Argumente, die sich
gegen Grundlagen seiner Lehre richten, wie Materialismus, Ablehnung der Pro-
videnz, Leugnung der Unsterblichkeit der Seele oder den angeblich allein auf
Lustmaximierung ausgerichteten Hedonismus. Grundlegend ist hier immer noch
die Testimoniensammlung von Usener 1887 [*473]. Hilfreich für eine erste Orien-
tierung sind die Stellensammlungen bei kaiserzeitlichen Autoren von Ferguson,
Hershbell 1990 [*486] oder erste Versuche von Überblicksdarstellungen (vgl.
Jones 1989 [*484]). Von Interesse sind auch neuere rezeptionsorientierte Betrach-
tungen der epikureischen Tradition der Kaiserzeit im paganen oder christlichen
Kontext (vgl. Schmid 1962 [*482], Baltes 2000 [*493], Erler 2009 [*495]) z. B. mit
Blick auf rigorose Ablehnung, enthusiastische Zustimmung (Diogenes von Oino-
anda), Adaptation (Seneca), Integration durch Umetikettierung (Marin. Procl.
15), Funktionalisierung bei Dissens (Markschies 2000 [*602]) oder Rechtferti-
gung (Proklos; vgl. Erler 2001 [*558]). Die Vielfalt der Rezeptionsformen eröffnet
zudem Perspektiven für die weitere epikureische Tradition in Mittelalter, Renais-
sance und Neuzeit (Schmid 1962 [*482], vgl. Erler 2000 [*491]).

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198 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

2. Tradition

Vor dem Hintergrund sinkender Akzeptanz und Wirksamkeit des Epikureis-


mus in der Kaiserzeit ist es umso bemerkenswerter, dass Epikurs Lehre lange Zeit
durchaus Spuren hinterließ, bis sie in der Spätantike offenbar völlig in den Hin-
tergrund trat. Jedenfalls glaubt Kaiser Julian in einem Brief aus dem Jahr 367 n.
Chr. (Ep. 89b, 301c) konstatieren zu können, die Mehrzahl der Schriften Epikurs
und Pyrrhons sei von den Göttern vernichtet worden, und Augustinus behauptet
in einem Brief des Jahres 410 n. Chr., Stoiker und Epikureer würden in den Rhe-
torenschulen keine Rolle mehr spielen (Epist. 118,12). In den ersten Jahrhunder-
ten der Kaiserzeit hingegen hinterließ Epikurs Lehre in der Philosophie wie in
der Literatur vielfältige Spuren, die sie als wichtiges E
­ lement des kulturellen Dis-
kurses ausweisen. Wir begegnen Epikureischem im griechischen oder römischen
Kontext bei Autoren mit kritischer Sichtweise, wie Seneca und Plutarch, finden in
Diogenes von Oinoanda und Diogenes Laertios uneingeschränkte Befürworter,
registrieren eine sympathisierende Rezeption bei Lukian, Diogenian, Kelsos und
stellen fest, dass Epikurs Lehre auch von den alexandrinischen Kirchenvätern,
von Augustinus und von spätantiken Aristoteles-Kommentatoren trotz aller Kri-
tik ernst genommen oder zumindest als Folie für die Entwicklung eigener Positi-
onen gewählt wurde (Beiträge in Fuhrer, Erler 1999 [*490]). Zudem wird der epi-
kureischen Tradition eine starke Kontinuität zugeschrieben, die zwar polemisch
und zu Unrecht als Zeichen mangelnder Originalität gedeutet wird, die sich aber
durch eine geradezu religiöse Ver­ehrung des Meisters (vgl. Grundriss, Antike IV,
I 206–207), durch konsequentes Festhalten an Epikurs Grundlehre und dadurch
in der Tat durch große Konstanz auszeichnete (Numenios fr. 24 des Places).
Anders als die Akademie und der Peripatos bescheinigt Diogenes Laertios der
epikureischen Gemeinde Kontinuität bis zu seiner Lebenszeit, also bis ins späte
2. und 3. Jahrhundert n. Chr. (D. L. 10,9–10). Zwar spricht Diogenes Laertios in
seiner Auf­zählung berühmter Epikureer (10,25) nur bis Basilides (3./2. Jh. v. Chr.)
explizit von Schulleitern des Kepos (Dorandi 2000 [*540: 147–148]). Doch ­belegen
epigraphische Zeugnisse aus der Zeit Hadrians, dass es in dessen Zeit ‘Diado-
chen’ gab (Popillius Theotimus; dazu Dorandi 2000 [*540]). Auch wenn es sich
dabei nicht um Nachfolger in der Leitung des ‘Kepos’, sondern einer privaten ‘epi-
kureischen Schule’ handeln sollte (Glucker 1978 [*481: 365–371]), sprechen die
Zeugnisse doch für die Fortdauer und Lebendigkeit der epikureischen Tradition,
die sich zeitweise höchsten Wohlwollens erfreute. Trajans Witwe Plotina setzte bei
Hadrian durch, dass die epikureische Gemeinde in Athen ihren eigenen Anfüh-
rer aussuchen und dabei sogar solche berücksichtigen durfte, die keine Bürger
waren (Dorandi 2000 [*540]). Kaiser Mark Aurel veranlasste die Einrichtung
einer Professur auch für epikureische Philosophie in Athen (Philostr. Soph. 2,2;
Luk. Eun. 3). Wir begegnen Epikureern nicht nur in Athen (Apg. 17), sondern
hören von Epikureer­gemeinden im Westen (Herculaneum, Sorrent), im Osten auf
Rhodos und Kos, in Pergamon, im lykischen Oinoanda, im syrischen Apameia
(Smith 1996 [*693: 125–127]), im fernen südlykischen Rhodiapolis oder in Amas-
tris in Bithynien (Clay 1989 [*538: 316]). Lukians Schrift ‹Alexander oder der fal-

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§ 23. Überblick (Bibl. 242–246) 199

sche Prophet› lässt erkennen, dass im Pontus neben zahlreichen Christen auch
Epikureer anzutreffen waren (Luk. Alex. 25). Das Personal in den Dialogen des
­Epikur-Kritikers Plutarch zeigt zudem, dass die aufklärerischen Tendenzen der
epikureischen Lehre auch für städtische Honoratioren attraktiv waren. Ursache
war wohl auch, dass Epikurs Lehre zu jenem in der Schule tradierten philosophi-
schen Bildungsgut gehörte, aus dem man für die eigene Lebensplanung schöpfen
konnte, ohne sich einem philosophischen System verschreiben zu müssen (Timpe
2000 [*492]). Diese Haltung führte zu einer Verbreitung epikureischen Gedan-
kengutes, ohne dass dies immer kenntlich gemacht wurde, z. B. basiert Tacitus’
‘sine ira et studio’ o
­ ffenbar auf epikureischen Vorstellungen (Dihle 1971 [*511]).
Zudem verlieh die oftmals geschätzte Lebensweise Epikurs seiner Ethik Authen-
tizität und beeindruckte auch Gegner (z. B. De frat. am. 16 = Plut. Mor. 487d).
Dio­genes Laertios, selbst kein Epikureer, widmete das letzte Buch seiner umfang-
reichen Philosophiegeschichte vollständig Epikur und schließt sein Werk mit
einem Lobpreis der ‹Hauptlehrsätze› Epikurs (κύριαι δόξαι), «um das Ende [sc.
seines Werks] zum Anfang des Glücks» zu machen (D. L. 10,138). Offenbar kamen
das epikureische Verständnis von Philosophie als Lebenshilfe (‘philosophia me-
dicans’), Epikurs Handreichungen für praktische Lebensbewältigung in den Be-
drängnissen des Lebens für alle Alters­stufen (Epik. Epist. Pyth. 85) und die
Voraus­setzungslosigkeit seiner Belehrung dem praktischen Philosophieverständ-
nis der Römer und dem eher diesseitsorientierten Lebensgefühl zu Beginn der
Kaiserzeit entgegen. Jedenfalls zeichnet sich schon im 1. Jahrhundert v. Chr. ab,
was für die gesamte ­Kaiserzeit gilt: Epikurs praktische Ethik, sein ­Angebot von
Techniken für eine vernunftgeleitete Lebensführung, wird auch dort geschätzt,
wo seine materialistische Physik und Theologie auf scharfe Ablehnung stoßen.
Techniken praktischer epikureischer Ethik blieben z. B. sogar im jenseitsorien-
tierten Curriculum neu­platonischer Philo­sophie der Spät­antike als Stufe menta-
ler und c­ harakterlicher Vorbereitung für die eigentliche philosophische Belehrung
(‘praeparatio philosophica’) wirksam.

3. Pagane Kritik

Paradigmatisch für die unterschiedliche Rezeption von Epikurs Lehre in kri-


tischem Kontext in der frühen Kaiserzeit sind Seneca und Plutarch. Seneca macht
sich trotz grundsätzlicher Distanz epikureische Vorstellungen zunutze, vor allem
im Bereich der praktischen Ethik. Als bekennender Stoiker (Sen. Dial. 8,3,1–3)
versteht er sich als ‘Kundschafter’ auch in fremdem philosophischen Lager, bean-
sprucht für sich einen eigenen Weg (Epist. 33,4ff.) und erweist sich mit Epikurs
Schriften (Mutschmann 1915 [*501]), und vielleicht auch mit denen Philodems
(Gigante 2000 [*521]), bestens vertraut. Senecas situations- und adressatenbezo-
gene Essays und Briefe als Medium für die Vermittlung seiner Philosophie erin-
nern im Aufbau und mit ihrer Intention, das E ­ inüben von Wissen zu unterstützen,
an die epikureische Methode des Wissenserwerbs (Epik. Epist. Hdt. 35ff.). Nicht
zufällig enden die ersten 30 Briefe an Lucilius mit Epikur-Sentenzen, deren Inhalt

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200 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Seneca mit Blick auf den Adressaten an die stoische Grundkonzeption angleichen
will. Populistische Epikur-Polemik – etwa gegen die Lustlehre (Sen. Dial. 7,12,4) –
lehnt Seneca ab und stimmt Epikur zu, wo er Konvergenzen mit seiner Auffassung
von Philosophie erkennt (Epist. 12,11), deren Ziel es ist, ein glückliches Leben,
das auf ­Sicherheit und Seelengröße beruht (Epist. 92,3), zu erreichen (I. Hadot
1969 [*108]). Epikurs ­Normen für ethisches Verhalten hält Seneca für durchaus
erwägenswert (Dial. 8,13,1ff.).
Gleichwohl sind Divergenzen in wichtigen dogmatischen Fragen nicht zu über-
sehen und werden auch nicht verschwiegen (Epist. 90,35). Bisweilen liegen die Un-
terschiede freilich eher im graduellen Bereich, wie bei der Forderung nach poli­
tischem Engagement (Epist. 68,2): Der stoische Weise engagiert sich demnach,
wenn ihn nichts daran hindert, der Epikureer hingegen nur, wenn es unbedingt
notwendig ist (Dial. 8,3,2–8,5,8).
Weniger aufgeschlossen und souverän im ­Umgang mit Epikurs Lehre ist der
Platoniker Plutarch, der im 1./2. Jahrhundert in zahlreichen Schriften auch epi-
kureische Positionen zu Wort kommen lässt (Boulogne 2003 [*542]). Als guter
Kenner epikureischer Lehren vertritt Plutarch mit Epikur unvereinbare Stand-
punkte. Bisweilen nimmt er aus strategischen Gründen Epikurs P ­ osition ein, um
ihm einen Selbstwiderspruch nachzuweisen (Roskam 2005 [*545]). Plutarchs Ar-
gumente stammen zumeist aus dem Arsenal tradi­tioneller Polemik. Plutarch
nimmt kritisch zu verschiedenen Lehren Epikurs Stellung, wie z. B. zu der Ma-
xime ‘Lebe im Verborgenen’ (‹De latenter vivendo›; vgl. Roskam 2007 [*494]),
oder zu Schriften von einflussreichen Epikureern wie Epikurs Schüler Kolotes,
dessen Schrift ‹Nicht einmal leben könne man gemäß den Thesen anderer Philo­
sophen› (‹Ne vivi quidem posse secundum aliorum philosophorum decreta›) er in
einem e ­igenen Werk (‹Adversus Colotem›) zu widerlegen suchte (vgl. auch
Plutarchs ‹Dass Epikur folgend nicht angenehm gelebt werden kann›, ‹Non posse
suaviter vivi secundum Epicurum›). Plutarchs Schriften illustrieren zudem, dass
und wie gemeinsame Lektüre von Werken der Epikureer und ihre kritische Dis-
kussion Bestandteil des Unterrichts im Kreise Plutarchs waren. Im ethischen Be-
reich sind sogar Konvergenzen mit epikureischen Vorstellungen, z. B. im Hinblick
auf die ­Behandlung von Affekten wie Zorn in ‹De cohibenda ira› oder der Ge-
schwätzigkeit in ‹De garrulitate›, und methodische Übereinstimmungen (Ingen-
kamp 1971 [*510], Erler 2003 [*543]) zu beobachten. Plutarch weiß Epikur als Per-
son durchaus positive Züge abzugewinnen: «Wenn sie [sc. Epikureer] völlig falsch
lagen mit ihrer Meinung […] und ihrer Behauptung, es gebe niemanden, der wei-
ser sei als Epikur, so darf man doch den bewundern, der eine solche Zuneigung
auf sich zog» (De frat. am. 16 = Mor. 487d; Berner 2000 [*520: 119]). Plutarchs in-
tensive Auseinandersetzung mit Epikurs Lehre belegt, dass er ihr offenbar Ein-
fluss zubilligte und in ihrer aufklärerischen Intention eine Bedrohung für traditio­
nelle religiöse Prak­tiken sah (De Pyth. or. 8 = Mor. 398; De def. or. 45 = Mor. 434;
Ferguson, Hershbell 1990 [*486: 2286]).

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§ 23. Überblick (Bibl. 242–246) 201

4. Jüdische Auseinandersetzung mit dem Epikureismus

Besonders heftig war die Ablehnung epikureischer Lehre von jüdischer Seite.
Für die Juden war Epikurs Lehre Anathema (Ferguson, Hershbell 1990 [*486:
2273]), wie z. B. aus dem 10. Kapitel des Traktates ‹Sanhedrin› der ‹Mischnah›
hervorgeht. Dort werden drei Arten von Menschen an­gesprochen, die an der kom-
menden Welt keinen Anteil haben: diejenigen, welche die Auferstehung der Toten
bestreiten, diejenigen, welche den göttlichen Ursprung der Tora leugnen, und der
Ungläubige (‘eppiquros’ oder ‘appiqoros’). Das Wort ‘eppiquros’ ist von Epikur
abgeleitet und steht in der rabbinischen Literatur für zügellose Menschen (vgl. Set-
zer 2005 [*608]). Unsicher ist, ob die Kenntnis des Epikureismus, die durch das
Wort ‘eppiquros’ oder ‘appiqoros’ im Sinne von Häretiker in der rabbinischen Tra-
dition angedeutet wird, aus Kontakten mit dieser Lehre in Antiochien und aus der
Zeit der ‘syrischen Epikureer’ stammt (Schmid 1962 [*482: 802–803]). Zu erwä-
gen ist auch die Zeit, als unter Antiochos IV. Epiphanes mit dem Versuch begon-
nen wurde, die Juden zu hellenisieren (Steckel 1968 [*479: 643]). Eine Polemik des
Josephus gegen den epikureischen Deismus (Ant. Iud. 10,11,7 § 277–281) unter
Hinweis auf Prophetien Daniels belegt, dass er mit Epikurs Lehre in gewisser
Weise vertraut war (van Unnik 1973 [*581]). Besonders deutlich wird jüdische
Aversion gegen Epikurs Lehre bei Philon von Alexandrien (vgl. Lévy 2000 [*601],
Ranocchia 2008 [*610]). Epikurs Weltsicht – sein mechanistisches Weltbild, seine
Ethik, seine Lustlehre – war Philons Denkweise diametral entgegengesetzt. Epi-
kureisches diente Philon vielmehr nicht selten der Beschreibung negativer As-
pekte der Welt. Wenn er z. B. die Schlange des Paradieses schildert, dann tut er
dies in bewusstem Rekurs auf epikureische Vorstellungen (Booth 1994 [*591]).
Philon war vertraut mit Epikurs Lehre, sei es durch direkte Lektüre oder durch
doxographisches Material (Ferguson, Hershbell 1990 [*486: 2274], Lévy 2000
[*601: 130]); trotz mancher Konvergenzpunkte z. B. in der Epistemologie oder
Psycho­logie (Lévy 2000 [*601: 133–134]) bleibt Philon in großer Distanz zu Epi-
kurs Lehre (Ranocchia 2008 [*610: 101]).
Umgekehrt wurden auch von epikureischer Seite die Juden nicht freundlich an-
gesehen wie ein neues Fragment der Inschrift des Diogenes von Oinoanda belegt
(NF 126, vgl. Smith 1998 [*642: 132ff.]; vgl. auch Smith 2000 [*704: 68–70], Smith
2003 [*643: 74–84]). Der Rekurs auf den Aberglauben von Juden und Ägyptern
dient Diogenes als Beleg, dass Götter Unrecht von Menschen nicht verhindern
können (NF 126 III,7–IV,2 Smith).

5. Positive Rezeption

Neben einem kritisch distanzierten Umgang mit Epikurs Lehre begegnet man
im 2. Jahrhundert aber auch offener Sympathie. Sein Bemühen um Aufklärung
fand Interesse, bisweilen sogar Ver­bündete. Zunehmender Missbrauch religiöser
Vorstellungen (z. B. Orakel) führte zu leidenschaftlich geführten Auseinander-
setzungen, in denen Epikureer mit ihrer Ablehnung jeder Form religiösen Aber-

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202 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

glaubens zu willkommenen Verbündeten wurden. Derartiger Streit bildete den le-


bensweltlichen Hintergrund mancher Schriften Lukians, in denen Kritik an Epi-
kurs Lehre nicht fehlt (Ikar. 16), während dessen Person und Lehre aber oft auch
mit Sympathie dargestellt und Epikureer sogar zu Adressaten der Schrift werden
(z. B. Kelsos in Luk. Alex.; dazu Clay 1992 [*379: 3440ff.]). Besonders in der
Schrift ‹Alexander oder der falsche Prophet› wird Epikur als Philosoph vorge-
stellt, der durch Aufklärung zu einem Leben führen will, das ruhig, frei von
Furcht und dadurch glücklich ist. Dabei wird er als Retter (σωτήρ) apostrophiert,
was traditioneller epikureischer Vorstellung entspricht, aber auch mit der christ-
lichen Ausdrucksweise des Neuen Testaments ­konvergiert (II. Tim. 1,10; Clay 1989
[*538: 325f.]). Diesem ‘Retter’ Epikur will Lukians Traktat ‹Alexander› ein Denk-
mal setzen (Alex. 61), indem er den epikureischen Impetus im Kampf gegen ein
von Alexander etabliertes Schlangen­orakel hervorhebt. Lukian hielt Epikurs
Lehre für eine Quelle richtiger Überlegung, Wahrheit und Offenheit (Alex. 47).
Trotz aller Fiktion darf der lebensweltliche Hintergrund dieser Schrift nicht un-
terschätzt werden (Robert 1980 [*532], Jones 1986 [*374: 133–148]). Trauriger Hö-
hepunkt dieser Auseinandersetzung war die öffentliche Verbrennung von Epikurs
Hauptlehrsätzen auf einem Scheiterhaufen in Abonuteichos.

6. Epikur-Rezeption in der paganen Spätantike

Mit dem Aufkommen des Neuplatonismus trat die Lehre Epikurs in der Spät­
antike endgültig in den Hintergrund. Gleichwohl finden sich weiterhin Spuren,
die von Interesse sind. Denn die Neuplatoniker erwiesen sich als sehr integrations­
fähig, auch was Epikur anging (O’Meara 1999 [*555: 83]), wobei sie freilich oft in
platonisches Gewand hüllen, was sie von Epikur übernahmen. Trotz aller Ableh-
nung konzediert selbst Plotin, dass sich die Epikureer auf der Suche nach dem
guten Leben auf dem richtigen Weg befanden, freilich auf halber Strecke Halt ge-
macht hätten. Doch hindert dies weder Plotin noch andere Neuplatoniker, sich
bestimmter Vorstellungen zu bedienen, wenn es um praktische Philosophie im
Diesseits als Vorbereitung für das Jenseits geht (O’Meara 2000 [*556]). Epikure-
isches wird von den Platonikern im Bereich der Ethik nicht völlig abgelehnt, weil
sie Epikur keineswegs jenen groben Hedonismus unterstellen, den traditionelle
Polemik bei ihm finden will. Porpyhrios scheut sich nicht, in einem Brief, in dem
er seine Gattin Markella zur Philosophie auffordert, neben Platonischem auch
epikureische Aussagen einfließen zu lassen (Ad Marc. 27–31), ohne freilich Epi-
kur namentlich zu erwähnen. Vielleicht stammen sie aus einer populären Samm-
lung (Ferguson, Hershbell 1990 [*486: 2309f.]). Auch sonst (De abst. 1,47–53) ver-
rät Porphyrios, dass er mit epikureischer Lehre vertraut ist. Dies gilt auch für den
bedeutendsten spätantiken Platoniker Proklos. Proklos löst eine Aporie platoni-
scher Gebetstheorie, auf die schon der Epikureer Hermokrates hingewiesen hatte,
indem er sich epikureischer Vorstellungen vom Gebet als Meditation bedient, bei
dem das Gute kein von außen kommendes Ergebnis ist, sondern im Vollzug des
Gebetes selbst, also in der Pflege des Selbst, besteht (Prokl. In Tim. 2 I,216,18ff.

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§ 23. Überblick (Bibl. 242–246) 203

Diehl = Hermarchos fr. 37 Krohn = Hermachos fr. 48 Longo Auricchio; dazu Erler
2001 [*558]). Auch scheint er sich in der ‹Elementatio theologica› gelegentlich
gegen Epikureisches zu wenden (Prop. 122 gegen Epikurs Κύριαι δόξαι). Offen-
bar waren noch späte Neuplatoniker wie Damaskios oder Simplikios über Epikur
gut unterrichtet, wobei auch hier epikureische Re­miniszenzen oft neuplatonisch
gefärbt werden (O’Meara 2000 [*556]). Zwar kommt es in der neuplatonischen
Spätantike zu keiner lebendigen Auseinandersetzung mit Epikur mehr. Doch lässt
sich noch hier beobachten, dass Ablehnung epikureischer Grunddogmen einher-
geht mit positiver Würdigung epikureischer praktischer Ethik gleich­sam als ‘prae-
paratio Platonica’ (Erler 1999 [*596]).

7. Divergenzen und Konvergenzen bei den Christen

Im aufblühenden Christentum spielt der Epikureismus eine untergeordnete,


gleichwohl aber wahrnehmbare Rolle. Moderne Untersuchungen nehmen den
Epikureismus meist nur als Zielscheibe christlicher Polemik wahr. In der Tat galt
Epikur den Kirchenvätern zumeist als Verkünder des ‘homo carnalis’, als Leug-
ner der Unsterblichkeit der Seele und als Atheist, der die Weltordnung in Frage
stellte (Schmidt 1989 [*485: 208]). Doch sind auch Konvergenzen von Vorstellun-
gen zu beobachten, die sich durch die jeweils angebotene alternative Lebensform
in Form von Gemeinden ergaben, die auf Prinzipien wie Freundschaft (φιλία)
bzw. christlicher Liebe (ἀγάπη) basierten und für Glück im Diesseits bzw. für Se-
ligkeit im Jenseits sorgen wollten. Beide Richtungen setzten sich damit dem Vor-
wurf aus, sich öffentlichem Leben und Engagement für die Gemeinschaft zu ver-
weigern (Jones 1989 [*484: 116]). Es finden sich Epikureer und Christen – wenn
auch aus unterschiedlichen Gründen – verbunden im Widerstand gegen falsche
Propheten (Luk. Alex. 25). Ließen sich Epikureer von einem aufklärerischen Im-
petus gegen jede Form religiöser Begeisterung treiben, so sind die Christen von
ihrer Überzeugung geleitet, allein über den richtigen Glauben zu verfügen. Aspekte
epikureischer Psychagogie wie die freimütige Rede (παρρησία), die vom Epikureer
Philodem in eigenen Traktaten behandelt werden, erinnern an Ausführungen z. B.
bei Paulus (Glad 1995 [*592], Fitzgerald, Obbink, Holland 2004 [*607]). Verglei-
che der Funktion epikureischer Memoiren- und Briefliteratur mit der Rolle, wel-
che Apostelakten, Heiligenviten oder Briefe im frühen Christentum spielten, er-
geben interessante Parallelen (Eckstein 2004 [*605: 351]), wobei allerdings bei
derartigen Vergleichen Vorsicht geboten ist. Nicht selten beruhen Übereinstim-
mungen nur auf parallel verlaufenden Tradi­tionen; Unterschiede, z. B. zwischen
epikureischer und paulinischer Auffassung von Gemeinde sowie in der Funktion
der Briefe, sollten nicht übersehen werden. Bei Epikur dient Gemeinschaft dem
individuellen diesseitigen Glück, bei Paulus zielt sie auf die jenseitige Seligkeit.
Grundsätzlich ist die Haltung der griechischen und lateinischen Väter kritisch
bis ablehnend, was sie nicht hindert, bisweilen epikureische Vor­stellungen zu nut-
zen, um z. B. negative Aspekte des eigenen Weltbilds noch düsterer zu malen, wie
man es auch schon bei dem Juden Philon von ­Alexandrien beobachten kann, der

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204 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Epikurs Lehre nicht zuletzt wegen ihres Polytheismus und Hedonismus ablehnt
(Lévy 2000 [*601]). Wenn er die Schlange des Paradieses schildert, dann tut
er dies in bewusstem Rekurs auf epikureische Vorstellungen (Booth 1994 [*591]).
Zu epikureischen Argumenten in der Auseinandersetzung zwischen Platonikern
und Christen zur Frage der Erschaffung der Welt vgl. Baltes 2000 [*493: 107f.].
Tertullian, der zwischen 197 und 212 n. Chr. schrieb, bezieht sich in seiner Aus-
einandersetzung mit paganer Philosophie wiederholt auf Epikur, wobei er den
Eindruck vermittelt, dass er in dessen Lehre noch eine ernstzunehmende philo­
sophische Richtung und Bedrohung sieht (Apol. 3). Tertullian hat seine Kennt-
nisse vornehmlich aus zweiter Hand, kennt aber auch Werke Epikurs selbst,
ebenso wie das Gedicht des Lukrez. Er b ­ edient sich bisweilen epikureischer
Lehre – z. B. Epikurs Kritik des Determinismus – als Munition für die eigene Ar-
gumentation. So macht er sich etwa auch Epikurs Klassifizierung der Begierden
in natürliche und notwendige, natürliche und nicht notwendige und weder natür-
liche noch notwendige (vgl. D. L. 10,127) zunutze, um den ­natürlichen Nahrungs-
trieb als gottgewollt zu ­erweisen (Anim. 38,3) und ihn vom sexuellen In­stinkt zu
trennen. Oder er projiziert epikureisches Gedankengut auf Gegner, um diese an-
greifbarer zu machen, wie Tertullian dies z. B. mit Markion tut (Anim. 3,2; Fer-
guson, Hershbell 1990 [*486: 2302], Althoff 1999 [*595: 37]).
Clemens Alexandrinus’ Sympathie für griechische pagane Kultur erstreckt sich
nur mit Abstrichen auch auf Epikurs Lehre. Wie andere Epikur-Gegner schätzt
auch er die Person Epikurs infolge seiner als maßvoll und kontrolliert empfunde-
nen Lebensführung. Doch lehnt er Epikurs Lehre als gottlos ab. Allerdings fin-
det Clemens bestimmte Doktrinen wie die Lehre von der Vorstellung (πρόληψις)
akzeptabel und schätzt den Beginn von Epikurs Menoikeusbrief mit seiner Auf-
forderung, in jedem Lebensalter zu philosophieren (Clem. Alex. Strom. 4,69,2–4).
Auch Epikurs Schüler Metrodor findet Clemens’ Lob (Clem. Alex. Strom. 5,138,2,
vgl. noch Strom. 2,131,1; 6,57,3).
Im Vergleich hierzu radikaler ist Origenes, der wesentliche Inhalte von Epikurs
Lehre verdammt, sie bisweilen aber zu einer Waffe im innerkirch­lichen Kampf
macht (Markschies 2000 [*602: 192] und 2007 [*609]). Auch wenn er in seiner
Schrift ‹Gegen Kelsos› den Autor des ‹Wahren Logos› mit dem von Lukian ge-
nannten Epikureer Kelsos verwechselt, zeigt die Schrift Origenes’ Vertrautheit
mit Epikurs Lehre. Seine Beschäftigung dient dem Zweck, Epikurs Lehre wider-
legen zu können, und bestätigt die Aktualität der Lehre Epikurs zu seiner Zeit.
In der Nachfolge des Origenes mischt sich bei den alexandrinischen Theologen
Polemik verschiedener Herftigkeit gegen Epikurs Lehre mit Achtung vor seiner
Person. Bemerkenswert ist, wie kundig und differenziert die Kritik ist (Mark-
schies 2000 [*602]). Die Auseinander­setzung mit epikureischer Atomistik bei Dio­
nysios von Alexandrien, Bischof und Schüler des Origenes, in einer als Brief an
seinen Sohn Timotheus gestalteten Schrift ‹De natura›, von der uns Reste aus Eu-
sebios bekannt sind, ist hierfür ein gutes Beispiel (Bienert 1978 [*583: 109–115];
zum Adressaten vgl. Eus. Hist. eccl. 7,26,2; die Fragmente in Praep. ev. 14,23–27).
Dionysios bietet u. a. eine intensive Auseinandersetzung mit epikureischer Ato-
mistik. Er kritisiert Epikurs Lehre von der Zufälligkeit der Weltstruktur, argu-

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§ 23. Überblick (Bibl. 242–246) 205

mentiert für die Existenz eines Schöpfergottes und polemisiert gegen Epikurs De-
ismus. Dionysios’ Argumente sind traditionell und seine Epikur-Kenntnisse oft
oberflächlich. Sie sollten wohl auch als Hand­reichung für Diskussionen mit Epi-
kureern dienen.
Arnobius, dessen sieben Bücher ‹Adversus nationes› wohl zwischen 303 und
310 verfasst wurden und der wegen seiner offenbar guten Epikur-Kenntnisse bis-
weilen sogar als abgefallener ­Epikureer apostrophiert wurde, bediente sich Dog-
men epikureischer Lehre für eigene Zwecke. Lukrez’ Kulturentstehungslehre
wird verwendet, um dem Christentum den Makel zu nehmen, der ihm als ‘neuer
Religion’ gegenüber alten Glaubensformen anhaftete (Föllinger 1999 [*597: 18ff.]),
Unterweltsdarstellungen mit Gerichtsszene in der Dichtung z. B. sollen als Fikti-
onen entlarvt werden (Nat. 2,30; Lucr. 3,978ff.). Den Lobpreis Epikurs bei Luk-
rez (Lucr. 5,1–54) überträgt er auf Christus als Lehrer der Physik und Metaphysik
(Nat. 1,38). Mit Epikurs Theologie setzte er sich äußerst kritisch auseinander.
Sein Schüler Laktanz ist ebenfalls bestens mit Epikurs Lehre vertraut, wie sein
Hauptwerk ‹Divinae institutiones› belegt (verfasst wohl 304–311 n. Chr.; vgl. Alt-
hoff 1999 [*595]). Laktanz registriert die große Verbreitung von Epikurs Lehre
und führt dies auf deren Populismus und ihren angeblichen Appell an die niedri-
gen Instinkte des Menschen zurück. Besonderen Anstoß nimmt er an Epikurs
Leugnung der Providenz (Inst. 3,17,16) und dessen Verhalten gegenüber dem Tod.
Auch Augustinus ist mit Epikurs Lehre vertraut. Hauptquelle von Augustinus’
Epikur-Kenntnis war Cicero, vor allem dessen Werke ‹De natura deorum›, ‹Tus-
culanae disputationes› und ‹De finibus›. Aber auch Lukrez war ihm bekannt, wie
Anspielungen, Anklänge oder Beispiele zeigen. Epikurs Lehre gehörte zum Bil-
dungsgut, wenn auch als typisches Beispiel für eine der Offenbarung verschlos-
sene Sichtweise (Schmidt 1989 [*485: 208]). Freilich war Augustinus’ Verhältnis
zu Epikur nach eigenen Worten lange Zeit ambivalent. Er war beeindruckt von
Epikurs Lebenshaltung. Im Rückblick freilich sah er diese Ambivalenz als «mi-
seria» an (Conf. 6,26). Offenbar hat für Augustinus Epikurs Lehre nach seiner
Los­lösung von den Manichäern und vor seiner Hinwendung zum Platonismus bei
der Suche nach theologischer Gewissheit im Kontext von Lebensbewältigung eine
gewisse Rolle gespielt. Allein seine nicht näher begründete Überzeugung, dass
die Seele unsterblich sei, hat ihn abgehalten, so bekennt Augustinus, Epikur die
Siegespalme zu geben (Conf. 6,26; Erler 1996–2002 [*603]). Epikurs Lehre wird
bei Augustinus Hauptziel seiner Kritik an antiker Philosophie (Erler 1996–2002
[*603]). Leitthema seiner Polemik ist sein Vorwurf, dass Epikur die Tugenden zu
Sklavinnen der Fleischeslust macht (Conf. 6,26). Andere Kritikpunkte sind der
Materialismus oder die Theologie Epikurs. Die ambivalente Bewertung von Per-
son und Lehre Epikurs, die bei Augustinus, aber auch sonst in der paganen und
christlichen Spätantike begegnet, setzt sich im Mittelalter fort.

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206 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

§ 24. Diogenian

Michael Erler

Im 2. Jahrhundert begegnet man Autoren, die sich vom epikureischen Stand-


punkt aus mit Positionen anderer Schulen auseinandersetzen. Als Beispiel mag
Diogenian dienen (Dorandi 1994 [*623]), der sich aus epikureischer Perspektive
mit stoischer Lehre befasste. Die Lebenszeit des Diogenian ist unbekannt. Hin-
weise christ­licher Autoren und die Art seiner Argumentation legen nahe, dass er
im 2. Jahrhundert n. Chr. schrieb (Isnardi Parente 1990 [*621: 2426], Dorandi 1994
[*623: 833]). E
­ usebios bezeichnet Diogenian als Peripatetiker, und man hat Dio-
genian lange in der akademisch-peripatetischen Tradition angesiedelt (Gottschalk
1987 [*619: 1142–1143]). Andere (Gercke 1885 [*616: 701–702], Isnardi Parente
1990 [*621: 2425–2426], Dorandi 1994 [*623: 833]) unterstreichen die Nähe von
Diogenians Argumenten zur epikureischen Schule.
Die einzigen Zeugnisse für seine philosophische Position finden sich bei Euse-
bios, der Exzerpte aus einer Polemik Diogenians gegen die Schicksalslehre des
Chrysipp überliefert (Eus. Praep. ev. 4,3; 6,8; von Eus. abhängig Theodoret Gr.
aff. cur. 10,19–20 [Chrysipp, SVF II, fr. 914, 925, 939, 998–999; III, fr. 324, 668]).
Die Fragmente sind gesammelt von Gercke (1885 [*616: 748–755], vgl. Long, Sed-
ley 1987 [*483: 55P und 62F 1, p. 338–389; 2, p. 339 und 385]; ital. Übersetzung bei
Isnardi Parente 1989 [*620: 381–384, 577, 587f.]).
Aus den bei Eusebios erhaltenen Texten ergibt sich, dass sich Diogenian mit der
Schicksalslehre Chrysipps auseinandersetzt und gegen die stoische Vorstellung
von der Mantik polemisiert. Vor allem setzt er Epikurs Theorie von der mensch-
lichen, nicht göttlichen Herkunft der Sprache als Argument ein, um die stoische
Behauptung zu widerlegen, die Menschen hätten immer schon an das Schicksal
geglaubt. Gerade ein Rekurs auf die Sprache zeige, dass Menschen eben nicht nur
an Schicksal, sondern auch an menschliche Verantwortung oder Zufall glaubten.
Da sich Chrysipp für seine deterministische Weltsicht auf Homer bezieht, wonach
menschliches Handeln von den Göttern gelenkt und damit vorbestimmt sei, führt
Diogenian andere Stellen bei Homer ins Feld, die diesen als Fürsprecher einer
Freiheit menschlichen Handelns erweisen sollen. Diogenian weigert sich, einen
Autor wie Homer, der sich nach seiner Ansicht derart evident selbst widerspricht,
als Grundlage einer philosophischen Diskussion anzuerkennen. Er macht sich
somit das traditionelle Diaphonia-Argument gegen Homer als philosophischen
Autor zu eigen, das zur epikureischen Skepsis gegenüber Literatur im philosophi-
schen Diskurs passt, aber nicht epikureisch sein muss (Erler 2006 [*624]). Weiter-
hin weist er auf die zentrale Rolle hin, die dem Zufall im menschlichen Leben zu-
kommt, was ebenfalls zu epikureischen Vorstellungen passt, wie z. B. Diogenes
von Oinoanda zeigt (z. B. fr. 72 III,14 Smith = NF 7, vgl. Isnardi Parente 1990
[*621: 2441]; fr. 71 I,1 Smith = NF 8). Demnach gibt es nach Epikurs Auffassung
zwar das Schicksal (τύχη), doch hat es ebenso wie die Mantik keine reale Existenz
(D. L. 10,135 = fr. 27 Usener; vgl. Isnardi Parente 1990 [*621: 2439ff.]). Die Exis-

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§ 25. Diogenes von Oinoanda (Bibl. 246–249) 207

tenz des Zufalls entzieht der Mantik die Grundlage für wissenschaftliche Serio-
sität. Wenn nämlich Ereignisse wie vorausgesagt eintreten, kann dies auf Zufall
beruhen. Diese Argumentationsweise ähnelt traditioneller Polemik, die der Me-
dizin den Charakter einer seriösen Wissenschaft absprechen will (Isnardi Parente
1990 [*621: 2427f.]). Weiterhin bestreitet Diogenian den Nutzen von Mantik. Denn
gäbe es sicheres Vorauswissen, wäre dieses nutzlos, da die vorhergesehenen Er-
eignisse nicht vermeidbar sind. Handelt es sich bei dem Vorhergesehenen zudem
um Übel, wird das Leid durch Vorwissen noch vergrößert (Argument gegen die
stoische ‘praemeditatio malorum’). Derartige Argumentationen findet man in
akade­mischer (vgl. Cic. Div. 2,20–29), aber auch in epikureischer Tradition (Schol.
In Aischyl. Prom. 624 = fr. 395 Usener). All dies erlaubt zwar nicht, in Diogenian
mit ­Sicherheit einen Epikureer zu sehen und eine Zugehörigkeit zur peripateti-
schen Tradition auszuschließen. Doch darf man festhalten, dass Diogenian in der
zeitgenössischen Diskussion über religiöse Elemente im täglichen Leben, welche
das 2. und 3. Jahrhundert zunehmend prägte, eine Position bezieht, die epikure-
isch genannt ­werden kann.

§ 25. Diogenes von Oinoanda

Michael Erler

1. Text. – 2. Inhalt.

Bedeutendstes Zeugnis für die Lebendigkeit epikureischer Lehre und eine


­ ositive Einschätzung Epikurs als Retter der Menschen in der Kaiserzeit ist die
p
monumentale Inschrift, die Diogenes in Oinoanda, einem Ort Lykiens nahe dem
Fluss Xanthos, an einem öffentlichen Platz auf einer Stoa anbringen ließ (vgl. fr.
3 V,12–VI,2 Smith, dazu Smith 2003 [*643: 53–54]; zu Lokalität, Fundgeschichte
Smith 1993 [*640: 49–120]). Die Inschrift ist bedeutend wegen ihrer Gestaltung
und ihres Inhalts. Neben den herkulanensischen Papyri gehört sie zu den wich-
tigsten Quellen epikureischer Philosophie und bereichert das Corpus epikure­
ischer Schriften um neue Zeugnisse (Briefe, Sentenzen Epikurs) und um ausführ-
liche Diskussionen epikureischer Lehre.
Alles, was wir über den Verfasser Diogenes wissen, stammt aus der Inschrift.
Demnach war Diogenes bereits alt (fr. 3 II,7–8 Smith) und krank, als er die
­Inschrift aufstellen ließ. Wir erfahren von vielen Kontakten mit anderen Epiku-
reern und von Reisen nach Athen, Chalkis und Theben, die er plante, um Freunde
zu treffen. Offenbar handelt es sich bei Diogenes um einen wohlhabenden Bürger
von Oinoanda.

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208 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Im Jahre 1888 wurde von Cousin ein Fragment mit dem Namen Diogenes ge-
funden. Seither wird die Identität des Verfassers der Inschrift diskutiert (Smith
1993 [*640: 35–48], vgl. Puech, Goulet 1994 [*688]). Wenig spricht für die zuerst
angenommene und einflussreiche (Grilli 1960 [*630: 20], Jones 1989 [*484: 86, 272])
Identifizierung mit Flavianus Diogenes (Smith 2003 [*643: 49]). Von dieser In-
schrift sind nach Abschluss des bisher letzten Surveys von 2012 299 Fragmente be-
kannt. Unter den 77 seit 2004 publizierten Neufunden (Hammerstaedt, Smith 2008
[*646], 2009 [*647], 2010 [*648], 2011 [*649] und 2012 [*650]; Hammerstaedt brief-
lich) finden sich z. B. Ergänzungen (NF 167 und NF 182) für die bisher schon
längste Textsequenz auf nun 16 Kolumnen. In ihnen wendet sich Diogenes gegen
die stoische These, epikureische Theologie beseitige die Furcht vor den Folgen von
Unrecht. Zudem wird die stoische Ansicht über die Providenz als unhaltbar erwie-
sen. Ein anderer Fund (NF 207) erweitert die Einleitung zur Ethik mit der inter-
essanten und bekannten Empfehlung, dass Menschen jeden Alters Philo­sophie
treiben sollen (Epik. Epist. Men. 122), während ein weiterer Bedürfnis­losigkeit
empfiehlt (NF 146). NF 155 behandelt platonische Weltschöpfungslehre. In ande-
ren Fragmenten erfahren wir mehr über Diogenes’ soziales Netzwerk (NF 174 und
NF 186) und 22 neue Fragmente erweitern den Traktat ‹Über das Alter› (z. B. NF
277). Man darf vermuten, dass es sich um eine Inschrift von über 80 m Länge und
einer Höhe der Textabschnitte von insgesamt wohl 3,50 m ­handelte und dass von
ihr bisher nur etwa 30% gefunden wurden (Smith 2003 [*709: 270]).
Datierungsvorschläge reichen von der Zeit des Lukrez im 1. Jahrhundert v. Chr.
bis zu der Hadrians (117–138 n. Chr.) und Mark Aurels (161–180 n. Chr.). Für das
1. Jahrhundert v. Chr. wurde auf den Namen Karos hingewiesen, der in der Inschrift
zu finden ist (fr. 122 II,8f. Smith; Canfora 1992 [*683], 1993 [*684], 1994 [*687] und
1996 [*689], zumeist jedoch abgelehnt, vgl. Smith 2003 [*643: 48] mit Literaturhin-
weisen). Für die Zeit Hadrians wurde die Ähnlichkeit der Schriftform mit einer In-
schrift von Iulius Demosthenes in Oinoanda über ein Fest geltend gemacht, die wohl
um 125 n. Chr. verfasst wurde (zum Problem Smith 1993 [*640: 35–48] und 2003
[*643: 48–50]); für die Zeit Mark Aurels verweist man auf einen Namen, der mit
ABEI beginnt (fr. 70 I,6 Smith) und in dem man Avitus, den Konsul von 209 n. Chr.,
oder Avitus, den römischen Legaten für Bithynien und Pontus im Jahr 165 n. Chr.,
sehen möchte (Clay 1989 [*538: 318], vgl. aber Smith 1993 [*640: 517] und 2003 [*643:
48–50]). Bei aller Unsicherheit spricht wohl am meisten für die von Smith vorge-
schlagene zeitliche Einordnung in das frühe 2. Jahrhundert n. Chr.

1. TEXT

Mit seiner Inschrift wendet sich Diogenes an Verkündung von Epikurs Philosophie – in der
aufgeschlossene Anfänger in epikureischer Philo- ­Tradition des Sokrates (Plat. Gorg. 521d) – eine
sophie (fr. 3 III,4f. Smith). Man mag diese Hin- besondere Art von Politik (fr. 3 I,5ff. Smith;
wendung des Epikureers Diogenes an die Öffent- ­Roskam 2007 [*494: 132–144], Erler 2008 [*711]).
lichkeit in einem Gegensatz zu Epikurs Maxime Die didaktische Intention der Inschrift wird da-
sehen, dass Epikureer zurückgezogen zu leben durch unterstrichen, dass sie wie ein aufgerollter
hätten (Λάθε βιώσας). Doch sieht Diogenes in der Papyrus gestaltet ist. Jede Sektion ist in Kolumnen

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§ 25. Diogenes von Oinoanda (Bibl. 246–249) 209
mit Silbentrennung und Interpunktion geschrieben. des Physik-Abschnittes konnte man auf unter-
Dem Leser wird damit auf einem öffentlichen Platz schiedlichen Reihen u. a. Briefe des Diogenes
ein gleichsam offenes Buch mit einem Curriculum (fr.  62–67 Smith, fr. 68–74 oder 75 Smith) (III)
epikureischer Lehre angeboten, dessen Hilfsange- oder Sentenzen (Smith 1993 [*640: 86ff.]) lesen, zu
bote sich der Leser in gewissermaßen meditativer denen ein Brief Epikurs an seine Mutter gehört
Weise zu eigen machen soll, wie es in einem Brief- (fr. 125–126 Smith); den Abschluss nach oben bil-
fragment der Inschrift nahegelegt wird (fr. 74 det eine Abhandlung über die Probleme des Alters
Smith). Zwar ist die ursprüngliche Gestaltung des (‹De senectute›, fr. 137–179 Smith), die sich mit
Textes umstritten. Man darf jedoch davon ausge- Klagen über angebliche Nachteile des Alters wie
hen, dass der Text sieben (vgl. fig. 6 in Smith 1993 Untätigkeit, Krankheit, Verlust der Freuden und
[*640: 76–108], vgl. Clay 1990 [*681: 2465ff.]) über- Todesnähe kritisch auseinandersetzt.
einander geordnete, horizontale Schriftreihen mit Wie Epikur versteht Diogenes Philosophie als
zahlreichen Abschnitten bot. Davon befindet sich Vademecum für seine Mitbürger und für Passan-
unten (I) eine Epitome über epikureische Ethik (fr. ten aus aller Welt (fr. 30 II,3–11 Smith). Diogenes
28–61 Smith), in der Diogenes über Glücksgüter, meint, die meisten Menschen seien von der Pest
Tugend und Lust, die sogenannte Tetrapharmakos, des Unwissens über die wahre Natur der Dinge (fr.
die Klassifikation der Begierden und das Verhältnis 3 IV,4ff. Smith), von Furcht vor den Göttern, vor
Seele – Körper spricht. Noch unterhalb des Ethik- dem Tod und generell vor allem Fremden befallen.
Abschnitts war eine Zeile in größeren Buchstaben Mit seiner Inschrift möchte Diogenes den Lesern
mit Maximen aus den Hauptlehrsätzen Epikurs und Orientierungshilfe für das Leben und Hilfe zur
anderen Sentenzen zu lesen. Diese bilden damit für Selbsthilfe bieten. Zu diesem Zweck ­sollen die
den Leser optisch, aber auch inhaltlich Fundament Texte in einer bestimmten Reihenfolge gelesen
und gleichsam Legitimation für Diogenes’ epikure- und gelernt werden: Die Abhandlung über Physik
ische Abhandlungen. (II) ist als Einleitung für die gesamte Inschrift ge-
Über der Ethik-Abhandlung finden sich Aus- dacht (fr. 2–3 Smith); dann sollen die Texte über
führungen des Diogenes über epikureische Physik Ethik (I), die Briefe (III), die Leitsätze Epikurs
(fr. 1–27 Smith) (II), darüber Texte des Diogenes (Basis), dann die weiteren Texte bis hin zur Ab-
und Epikurs (fr. 97–116 Smith); weiter oberhalb handlung über das Alter gelesen werden.

2. INHALT

In der Abhandlung über Physik sucht Diogenes eine Position, wie sie z. B. Sokra-
tes in Platons Dialog ‹Phaidon› vertritt, zu widerlegen: dass Physiologie nutzlos sei
(fr. 1–27 Smith). Er setzt sich kritisch mit Heraklit und Demokrit auseinander, be-
handelt die sinnliche Wahrnehmung und diskutiert den Ursprung menschlichen Le-
bens und das Entstehen von Zivilisation und Kultur. Dabei streift er Probleme der
Astronomie, Meteorologie, Religion und Theologie und vertritt die These, dass nicht
die Epikureer, sondern Philosophen wie Protagoras als Atheisten anzusehen seien.
Im ethischen Traktat (fr. 28–61 Smith) erinnert Diogenes eindrücklich daran,
dass Glück (εὐδαιμονία) das Ziel menschlichen Strebens ist. Diese Eudaimonie
wird freilich nicht durch Tugend, sondern mit Hilfe der Lust gewonnen. Deshalb
wird untersucht, wie Lust zu erreichen ist. Als besonderes Hindernis wird die
Furcht vor Göttern, vor dem Tod oder vor Schmerz ausgemacht und zugleich vor
unbegrenzten Begierden gewarnt. Dabei werden Vorstellungen wie die der
­Seelenwanderung (μετεμψύχωσις) kritisch diskutiert und in Zusammenhang mit
der Frage von Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen das Problem der
­Divination thematisiert.
Bemerkenswert ist ein Fragment, in dem Diogenes ein epikureisches ‘Goldenes
Zeitalter’ ankündigt, in dem Freundschaft und Gerechtigkeit herrschen und Ge-

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210 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

setze und Schutzburgen überflüssig sind (fr. 56 Smith). Diese Art epikureischer
Utopie ist neu; sprachliche Anklänge erinnern an zeitgenössische Vorstellungen.
Doch folgt Diogenes’ These konsequent der Grundlage von Epikurs Lehre.
Im Traktat über das Alter (fr. 137–179 Smith) wendet sich Diogenes schließlich
gegen Vorurteile junger Leser über das Alter. Homer belegt, dass der Verstand
der Menschen auch im Alter aktiv bleibt. Alte Menschen seien zwar langsam wie
Elefanten, gleichen diesen aber an Intelligenz.
Interessant sind die Reste einiger Briefe des Diogenes an Freunde. Der Brief
an Antipatros (fr. 62–67 Smith) erinnert formal und inhaltlich an Epikurs Brief
an Pythokles und diskutiert die unbegrenzte Anzahl von Welten im Universum.
Weitere Briefe haben epistemologischen, ethischen und biographischen Inhalt. In
einem wird Epikur als Herold bezeichnet, der völlige Rettung brachte (fr. 72 III,13
Smith). Wir erfahren sogar von einer Rettung Epikurs bei einem Schiffs­unglück
(fr. 72 Smith).
Besonders eindrucksvoll sind die Reste eines bislang unbekannten Briefes des
noch relativ jungen Epikur an seine Mutter (fr. 125–126 Smith). Anlass für die
Korrespondenz ist ein Traum, der seine Mutter geängstigt hat. Offenbar reagiert
Epikur auf ein Schreiben seiner Mutter, in dem diese ihrer Sorge um den geis­tigen
Werdegang ihres Sohnes Ausdruck verliehen hat (fr. 125 II,9ff. Smith). Der Phi-
losophiestudent Epikur versucht seiner Mutter die Sorge zu nehmen, er treibe
etwas Nutzloses und folge falschen Propheten.
Wichtig sind zwei von M. Smith kürzlich gefundene und veröffentlichte Frag-
mente mit theologischem Inhalt (fr. NF 126 und 127; Smith 1998 [*642]; jetzt auch
Smith 2003 [*643: 74–84 mit Kommentar]: dazu Hammerstaedt, Smith 2014 [*651:
263–270]). In ihnen wird die These vertreten, dass der Glaube an die Götter kei-
neswegs die Gerechtigkeit der Menschen garantiere, wie dies oft behauptet werde.
Denn, so wird argumentiert, Menschen, die Gerechtigkeit nicht achten, werden
auch durch Furcht vor den Göttern von Unrecht nicht abgehalten. Weise Men-
schen hingegen sind gerecht, nicht weil sie die Götter fürchten, sondern weil ihr
Handeln von Vernunft geleitet wird. Gewöhnliche Menschen schließlich werden
sich gern an Gesetze halten. Als Beleg für die Behauptung, dass die Götter nicht
im Stande seien, Ungerechtigkeit zu verhindern, verweist Diogenes auf Juden und
Ägypter, die sich trotz ihres verbreiteten Götterglaubens ganz und gar schändlich
verhielten (dazu Smith 2000 [*704: 69–70]). Die Position, dass der Weise kein Ge-
setz braucht und Moralität vom Gesetz unabhängig ist, erinnert an Platon.
Inhaltlich erweist sich Diogenes als profunder Kenner epikureischer Lehre.
Doch kennt er sich auch im philosophischen Umfeld Epikurs aus, bei den Vorso-
kratikern, bei Pythagoras und Empedokles, bei Diagoras, Theodoros, Protagoras,
bei Sokrates, Platon und Aristoteles und vor allem bei Demokrit.
In seiner Inschrift tritt uns Diogenes nicht als ein origineller Denker entgegen.
Auch wenn man bisweilen Konvergenzen mit zeitgenössischen Sichtweisen der
Zweiten Sophistik vermuten kann, sind Diogenes’ Ausführungen doch alle als
­‘orthodox’ epikureisch zu bezeichnen. Seine Inschrift ahmt in Form und Inhalt in
jeder Hinsicht seinen Meister nach. Dennoch sollte dieser Mangel an Originalität
Diogenes keineswegs zum Vorwurf gemacht werden. Allen Epikureern geht es

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§ 25. Diogenes von Oinoanda (Bibl. 246–249) 211

vornehmlich darum, getreue Exegeten ihres Meisters zu sein. Eben dies aber ist
Diogenes auf bemerkenswerte Weise gelungen, wobei wir ihm neue Informatio-
nen und die Erkenntnis verdanken, dass der Epikureismus auch im 2. Jahrhundert
n. Chr. eine lebendige Macht war und auch deshalb entsprechende Berichte, wie
wir sie zum Beispiel bei Lukian finden, ernst zu nehmen sind.

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212 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

V. SKEPSIS IN DER KAISERZEIT

§ 26. Überblick

Damian Caluori (1.) und Richard Bett (2.)

1. Akademische Skepsis. – 2. Pyrrhoneische Skepsis.

1. Akademische Skepsis

Die akademische Skepsis nahm ihren Anfang mit der skeptischen Wende in­
nerhalb von Platons Akademie im 3. Jahrhundert v. Chr. und blühte während des
Hellenismus. Die Akademie als In­stitution hörte wohl im 1. Jahrhundert v. Chr.
zu existieren auf (zur akademischen Skepsis im Hellenismus siehe Grundriss, An­
tike IV, II Kap. 5), was jedoch nicht das Ende des akademischen Skeptizismus be­
deutete. Es gab noch im 2. Jahrhundert n. Chr. Philosophen, die sich als Akade­
miker bezeichneten oder als solche bezeichnet wurden. Bei Epiktet findet sich ein
Traktat mit dem Titel ‹Gegen die Akademiker› (Πρὸς τοὺς Ἀκαδημαϊκούς: Epict.
1,5; cf. 1,27; 2,20), der sich nach Glucker 1978 [*481: 293–295] gegen zeit­
genössische Akademiker richtet (siehe auch Cuvigny 1969 [*726: 563–564]). Galen
erwähnt eine Gruppe von neueren Akademikern (οἱ νεώτεροι), die er von den äl­
teren Akademikern der hellenistischen Zeit abgrenzt (Gal. Opt. doctr. 1,1; dazu
Ioppolo 1993 [*729: 188–190]). Ob es sich dabei um eine Wiederbelebung oder um
die Weiterführung der hellenistischen akademischen Skepsis handelt, ist aufgrund
der Quellenlage zwar nicht mit letzter Sicherheit zu entscheiden. Eine kontinuier­
liche Tradition vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. ist jedoch
weder nachweisbar noch aufgrund dessen, was über das Ende der Akademie als
Institution im 1. Jahrhundert v. Chr. bekannt ist, wahrscheinlich (Glucker 1978
[*481], Sedley 1981 [*727], Barnes 1989 [*728], Brittain 2001 [*735]). Das Wieder­
aufleben der akademischen Skepsis scheint nicht von Bestand gewesen zu sein:
Nach Galen findet in der Antike keine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen
Akademikern mehr statt.
Uns sind zwei kaiserzeitliche Philosophen namentlich bekannt, die sich Aka­
demiker nannten: der Platoniker Plutarch von Chaironeia und sein Schüler Favo­
rinos von Arelate (zu Plutarch siehe § 52.; zum Verhältnis des Mittelplatonismus
zur akademischen Skepsis Opsomer 1998 [*734]). Favorinos wurde im letzten
Viertel des 1. Jahrhunderts in Arelate (dem heutigen Arles) geboren. Zu seinen
Lehrern zählte neben Plutarch der Philosoph und Rhetor Dion von Prusa, seiner­
seits Schüler des Stoikers Musonius (Philostr. Vit. soph. 484, 492). Außerdem

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§ 26. Überblick (Bibl. 249–250) 213

hörte Favorinos Epiktet (Gell. 17,19,1. 5). Ob er auch sein Schüler war, bleibt frag­
lich (Colardeau 1903 [*725: 10], Barigazzi 1966 [*718: 4–5]). Später hat Favorinos
eine Streitschrift ‹Gegen Epiktet› verfasst (Πρὸς Ἐπίκτητον: Gal. Opt. doctr. 1,2),
in welcher er Plutarchs Sklaven Onesimos Epiktet angreifen lässt. Galen hat auf
diese Schrift mit der (nicht erhaltenen) ‹Verteidigung von Epiktet gegen Favori­
nos› (῾Υπὲρ Ἐπικτήτου πρὸς Φαβωρῖνον) reagiert (Gal. Libr. propr. II,120,6–7 SM).
Zu dieser Auseinandersetzung siehe Opsomer 1997 [*733].
Favorinos’ großes Interesse an Erkenntnis­theorie zeigt sich daran, dass er drei
Bücher ‹Über die kataleptische Vorstellung› (Περὶ τῆς κατα­ληπτικῆς φαντασίας)
verfasst und dafür argumentiert hat, dass es solche, für die stoische Erkenntnis­
theorie zentrale, Entitäten nicht gibt (Gal. Opt. doctr. 1,3). Eine weitere Schrift
trug den Titel ‹Plutarch oder über die akademische Haltung› (Πλούταρχος ἢ περὶ
τῆς Ἀκαδημαϊκῆς διαθέσεως), was darauf hindeutet, dass er seinen akademischen
Skeptizismus von Plutarch gelernt hat. Mit Plutarch scheint Favorinos freund­
schaftlich verbunden gewesen zu sein. Im Lamprias-Katalog, dem Werkverzeich­
nis Plutarchs, findet sich als Nr.  132 ein Brief Plutarchs an Favorinos über die
Freundschaft. Plutarch lässt Favorinos außerdem in seinen ‹Quaestiones conviva­
les› (Συμποσιακά) als Redner auftreten und widmet ihm die (erhaltene) Schrift
‹Über das ursprüngliche Kalte› (‹De primo frigido›, Περὶ τοῦ πρώτως ψυχροῦ).
Favorinos starb zwischen 143 (Gell. 2,26,1) und 176 (Luk. Eun. 7; zu Favorinos’
Leben und Werk siehe Colardeau 1903 [*725], Barigazzi 1966 [*718: 3–85], Bowie
1997 [*731], Holford-Strevens 1997 [*730]).
Von Favorinos ist kein philosophisches Werk e­ rhalten, weshalb sich seine dies­
bezüglichen ­Ansichten nur aus Fragmenten und Testimonien rekonstruieren las­
sen (gesammelt von Barigazzi  1966 [*718] und Amato 2005, 2010 [*719]). Die
Hauptquelle für seine erkenntnistheoretische Position ist Galens ‹Über die beste
Unterweisung› (‹De optima doctrina›, Περὶ τῆς ἀρίστης διδασκαλίας).
Obschon Favorinos in den Quellen als Akademiker bezeichnet wird (Luk. Eun.
7; Gell. 20,1,21; Gal. Opt. doctr. 1,2), wurde er in der älteren Forschung zumeist
als Pyrrhoneer betrachtet (Ausnahme: Colardeau 1903 [*725: 57–72]), und zwar
vor allem aufgrund der Tatsache, dass er ein zehn Bücher umfassendes Werk über
die zehn pyrrho­neischen Tropen verfasst hat (Gell. 9,5,5; D. L. 9,87; zu den Tro­
pen siehe unten). Seit Glucker 1978 [*481: 280–285] wird Favorinos jedoch in der
Forschung den Quellen entsprechend den Akademikern zugerechnet (Ioppolo
1993 [*729: 184–185], Holford-Strevens 1997 [*730: 212–217], Opsomer 1998 [*734:
221–222]). Trotzdem ist sein Verhältnis zum Pyrrhonismus nicht restlos geklärt.
Gemäß Philostrat (Vit. soph. 491) spricht Favorinos nämlich den Pyrrhoneern die
Fähigkeit zu urteilen (δύνασθαι δικάζειν) nicht ab und verzichtet damit ausdrück­
lich auf das sogenannte ‘Apraxie’-Argument, das nicht nur ein Standardargument
gegen die pyrrhoneische Skepsis ist, sondern auch als wichtiges Unterscheidungs­
merkmal zwischen akademischer und pyrrhoneischer Skepsis gilt (Ioppolo 1993
[*729: 184–185], Holford-Strevens 1997 [*730: 212–217]). Gemäß diesem Argu­
ment sind pyrrhoneische Skeptiker nicht fähig zu handeln, weil sie kein Kriterium
besitzen, aufgrund dessen sie entscheiden können, wie zu handeln ist (siehe dazu
unten § 27.). Akademische Skeptiker hingegen sind von diesem Argument nicht

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214 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

betroffen, weil sie ein Handlungskriterium besitzen: Sie folgen dem, was ihnen
plausibel (πιθανόν) erscheint (siehe dazu Grundriss, Antike IV, II Kap. 5). Diese
Haltung findet sich auch bei Favorinos (Gal. Opt. doctr. 1,2–3). Möglicherweise
sieht Favorinos also den Unterschied zwischen Akademikern und Pyrrhoneern
nicht in der Praxis, sondern vielmehr in der Theorie. Denn in der Theorie ent­
halten sich die Pyrrhoneer jeg­lichen Urteils, während die Akademiker mindes­
tens von Metrodor und Philon an auch hier dem folgen, was ihnen plausibel er­
scheint.
Offenkundig hat Favorinos theoretische Ansichten gehegt. Zumindest in der
Physik war er, wie wir von Plutarch erfahren, ein Anhänger von Aristoteles: «Zu­
meist ist er [sc. Favorinos] ein begeisterter Liebhaber von Aristoteles und schreibt
dem Peripatos die größte Plausibilität zu» (τὰ μὲν ἄλλα δαιμονιώτατος Ἀριστο-
τέλους ἐραστής ἐστι καὶ τῷ Περιπάτῳ νέμει μερίδα τοῦ πιθανοῦ πλεῖστην: Plut.
Quaest. conv. 734F). ­Daraus zu schließen, Favorinos sei dogmatischer Peripate­
tiker gewesen, wäre allerdings falsch. Vielmehr ist es durchaus mit seiner akade­
mischen Haltung konsistent, die peripatetische Physik für die ­plausibelste Natur­
erklärung zu halten und also auch in der Physik dem zu folgen, was ihm plausibel
(πιθανόν) erscheint, ohne dogmatisch zu behaupten, dass sich die Dinge in Wirk­
lichkeit so verhalten, wie sie sich in der aristotelischen Physik darstellen.
In traditionell akademischer Manier lehrt Favorinos, bei jeder Frage pro und
contra zu argumentieren (εἰς ἑκάτερον ἐπιχείρησις). Diese Methode dient dazu,
undogmatisch zu erforschen, welche Meinungen plausibel und welche nicht plau­
sibel sind (Gal. Opt. doctr. 1,1). Auf diese Weise wird es für den Skeptiker mög­
lich, theoretische Positionen (wie z. B. eine aristotelische Naturerklärung) gleich­
sam provisorisch anzunehmen, ohne sie jedoch dogmatisch zu vertreten. Die
­Tatsache, dass er ein Schüler von Plutarch war, lässt es als möglich erscheinen,
dass sein Skeptizismus im onto­logischen Status der sinnlich wahrnehmbaren Welt
begründet ist. Platons ‹Timaios› folgend könnte er die dogmatische Position, dass
über diese Welt höchstens plausible Aussagen gemacht werden können, dass es
aber im strengen Sinne kein Wissen von ihr geben kann, vertreten haben (diese
Position wird von Boys-Stones 1997 [*732] Plutarch zugeschrieben). Es gibt aller­
dings in keiner Quelle Hinweise auf eine platonische Position bei Favo­rinos. Von
seinem Werk ‹Über Platon› (Περὶ Πλάτωνος), welches darüber möglicherweise
Aufschluss gegeben hätte, ist nur der Titel bekannt (Suda IV,690,25 Adler s. v.
Φαβωρῖνος). Daher lässt sich diese Annahme aufgrund dessen, was von Favori­
nos überliefert ist, weder beweisen noch widerlegen.

2. Pyrrhoneische Skepsis

Sextus Empiricus ist der einzige griechische Skeptiker, sei es pyrrhoneischer,


sei es akademischer Prägung, von dem wir vollständige Werke besitzen. Über die
Geschichte des Pyrrhonismus zwischen Ainesidemos, der die Tradition des Phi­
losophierens «in der Weise Pyrrhons» (Phot. Bibl. cod. 2,12, 169b27) allem An­
schein nach begründet hat, und Sextus Empiricus ist kaum etwas bekannt (die

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§ 26. Überblick (Bibl. 250–253) 215

Liste der ‘Pyrrhoneer’ bei Diogenes Laertios 9,115–116 unterliegt Zweifeln; siehe
Glucker 1978 [*481: 351–354], Decleva Caizzi 1992 [*837: 177–179]). Diogenes
Laer­tios (D. L. 9,88) berichtet, dass die Fünf Tropen des Pyrrhonismus auf einen
Skeptiker namens Agrippa zurückgehen; Sextus Empiricus (P. H. 1,164) schreibt
diese Fünf Tropen «den späteren Skeptikern» zu, im Gegensatz zu «den frühen
Skeptikern», denen er die Zehn Tropen zuschreibt (P. H. 1,36). An einer anderen
Stelle schreibt Sextus die Zehn Tropen Ainesidemos zu (Adv. math. 7,345).
Agrip­pa muss daher irgendwann zwischen Ainesidemos und Sextus gelebt haben.
Diogenes erwähnt außerdem einen Skeptiker namens Theodosios (D. L. 9,70), der
ein Werk Σκεπτικὰ κεφάλαια (‹Summe des Skeptizismus›) geschrieben habe, in
dem er (im Gegensatz zu anderen Vertretern des Pyrrhonismus) argumentierte,
dass die Skepsis nicht pyrrhoneisch genannt werden sollte (zur Bedeutung dieser
Aussage siehe Barnes 1992 [*836: 4283–4289]). Galen erachtet den Pyrrhonismus
zu seiner Zeit zwar noch als aktuell (siehe z. B. Gal. Libr. propr. XIX,40 K; Diff.
puls. VIII,711 K; Praen. XIV,628 K), aber seine abschätzigen Bemerkungen über
den Pyrrhonismus bieten uns keine feste Basis für die Rekonstruktion seiner Ge­
schichte. Gemäß Diogenes (D. L. 9,116) hatte Sextus einen Schüler namens Sator­
ninos. In unseren Quellen wird kein späterer Pyrrhoneer aus der Antike erwähnt.
Neben den Schriften von Sextus Empiricus ist unsere einzige Quelle von Ge­
wicht der kurze Abriss über die pyrrhoneische Philosophie in Diogenes’ ‹Leben
des Pyrrhon› (D. L. 9,74–108), der eindeutig aus einer an Ainesidemos an­
schließenden Phase der pyrrhoneischen Tradition stammt. Die Werke von Sextus
wurden in den letzten Jahren in eine Reihe moderner Sprachen übersetzt und in­
tensiv erforscht und kommentiert. Seit den grundlegenden Arbeiten von Janáček
(siehe insb. 1948 [*807] und 1972 [*809]) herrscht allgemeine Übereinstimmung
darüber, dass sich Sextus in hohem Maße auf frühere Quellen stützt. Das besagt
jedoch nicht, dass seine Werke ohne philosophischen Wert sind oder dass er zu
originellen Beiträgen zur Philosophie unfähig war. Im Gegensatz zur älteren For­
schung tendiert die neuere Sekundärliteratur vielmehr dazu, sowohl den histori­
schen als auch den philosophischen Wert seiner Werke zu betonen.

Abschnitt 2. aus dem Englischen übersetzt von Damian Caluori.

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216 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

§ 27. Sextus Empiricus

Richard Bett

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Sextus Empiricus als Person bleibt für uns weitgehend im Dunkeln. Es ist keine
Biographie über ihn erhalten, und soweit bekannt, wurde auch nie eine geschrie­
ben. Was wir aus seinen Werken über sein Leben erfahren, ist ausgesprochen dürf­
tig. Immerhin geht aus ihnen hervor, dass er Arzt war (P. H. 2,238; Adv. math.
1,260). Sein Beiname ‘Empiricus’ sowie einige antike Zeugnisse (D.  L.  9,116;
[Galen] Int. XIV,683K; Anecd. Par. 1,395 Kramer) legen es nahe, in ihm ein Mit­
glied der empirischen Ärzteschule zu sehen. Dies wäre keineswegs überraschend,
denn mehrere andere Empiriker scheinen entweder Pyrrhoneer gewesen zu sein
oder zumindest dem Pyrrhonismus nahe gestanden zu haben (siehe die Texte in
Deichgräber 21965 [*747: 40–41]). In einem vieldiskutierten Abschnitt (P. H.
1,236–241) scheint sich Sextus zwar vom Empirismus zu distanzieren, indem er
behauptet, der Pyrrhonismus habe mehr mit der konkurrierenden Methodischen
Schule gemein. Möglicherweise will er aber den Skeptizismus nur von einer spe­
zifischen Form des Empirismus abgrenzen (Frede 1987 [*821]).
Darüber hinaus gibt es kaum gesicherte Informationen über Sextus’ Leben. Die
meisten Forscher datieren ihn ins 2. Jahrhundert n. Chr. Sextus erwähnt jedoch
keine sicher datierbare Person nach Kaiser Tiberius (P. H. 1,84). Wie bereits
­bemerkt, wird er von Diogenes Laertios erwähnt, aber die Lebensdaten von Dio­
genes sind selbst schwer zu bestimmen. Außerdem wird Sextus auch in der ps.-­
galenischen ‹Einführung oder Arzt› erwähnt. Falls dieser Text tatsächlich, wie
­argumentiert wurde, zwar nicht aus Galens Feder stammt, jedoch zu seinen Leb­
zeiten entstanden ist (Decleva Caizzi 1993 [*841: 329–330]), würde dies zumindest
mit der üblichen Datierung von Sextus übereinstimmen.
Was den Ort oder die Orte seines Lebens und Wirkens betrifft, gibt es viele
­einander widersprechende Angaben. Einige Hinweise in seinem Werk scheinen
darauf hinzudeuten, dass sich Sextus während der Abfassung in der einen oder
anderen namentlich erwähnten Stadt befindet bzw. nicht befindet. Aber da Sex­
tus in seinen Werken ausgiebig Gebrauch von früheren pyrrhoneischen Quellen
macht, die für uns verloren sind, ist es unmöglich, Gewissheit darüber zu erlan­
gen, ob Sextus diese Ortsangaben nicht unverändert aus den Schriften seiner Vor­
gänger kopiert hat.

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 217

Obschon er nicht früher als Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gelebt haben
kann, bezieht er sich nirgends unzweifelhaft auf einen Philosophen, der später als
im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Die meisten Philosophen, die er dis­
kutiert, gehören in die hellenistische oder eine frühere Zeit. Dies lädt zur Vermu­
tung ein, dass Sextus von den philosophischen Hauptströmungen seiner Zeit iso­
liert war, wo und wann genau er auch immer gelebt haben mag.

2. WERKE

Von Sextus’ Schriften sind insgesamt vierzehn wähnt Sextus als eigene Werke: ‹Medizinische Ab­
Bücher, die zu drei verschiedenen Werken gehö­ handlungen› (Ἰατρικὰ ὑπομνήματα: Adv. math.
ren, überliefert. Der ‹Grundriss des Pyrrhonis­ 7,202, cf. Adv. math. 1,61) und ‹Über die Seele›
mus› (Πυρρώνειοι ὑποτυπώσεις: P. H.) besteht aus (Περὶ ψυχῆς: Adv. math. 6,55; 10,284).
drei Büchern. Im ersten Buch stellt Sextus den In den Handschriften herrscht eine gewisse
Pyrrhonismus ganz allgemein dar. Im zweiten und Verwirrung über die Beziehungen zwischen den
dritten Buch diskutiert er die Ansichten, die ver­ erhaltenen Werken. So wird das Werk über die
schiedene nichtskeptische Philosophen in den drei speziellen Wissensgebiete und die unvollständig
als kanonisch anerkannten Gebieten der Philo­ erhaltene Abhandlung zusammen als ein Werk be­
sophie (Logik, Physik und Ethik) vertreten haben. handelt und mit dem Titel ‹Adversus mathemati­
Von einem weiteren Werk sind fünf Bücher er­ cos› (Πρὸς μαθηματικούς, ‹Gegen die Gelehrten›),
halten, nämlich zwei ‹Gegen die Logiker› (Πρὸς versehen. Es ist jedoch aufgrund der ersten und
λογικούς), zwei ‹Gegen die Physiker› (Πρὸς der letzten Zeilen des sechs Bücher umfassenden
φυσικούς) und eines ‹Gegen die Ethiker› (Πρὸς Werks über die speziellen Wissensgebiete (Adv.
ἠθικούς). Dieses Werk behandelt im Großen und math. 1,1; 6,68) klar, dass dieser Titel nur für die­
Ganzen dieselben Themen wie P. H. 2–3, jedoch ses Werk vorgesehen war (und dass es tatsächlich
viel ausführlicher. Es ist klar, dass es ursprünglich am Ende des sechsten Buches seinen Abschluss
auch eine allgemeine Diskussion des Pyrrhonis­ findet). ‹Gegen die Logiker›, ‹Gegen die Physiker›
mus enthielt, welche aber nicht erhalten ist. Denn und ‹Gegen die Ethiker› sind keine Fortsetzung
der erste Satz von ‹Gegen die Logiker› bezieht davon, sondern Teil eines anderen, gänzlich ver­
sich auf eine eben abgeschlossene allgemeine Dis­ schiedenen Werks. Aufgrund der Verwirrung in
kussion der pyrrhoneischen Skepsis, die P. H. 1 den Handschriften hat sich jedoch die Praxis ein­
entspricht (Janáček 1963 [*808]). Blomqvist 1974 gebürgert, auf ‹Gegen die Logiker› mit der Ab­
[*810] hat überzeugend dargelegt, dass das gesamte kürzung ‘Adv. math. 7–8’, auf ‹Gegen die Physi­
Werk ursprünglich aus zehn Büchern bestand. ker› mit ‘Adv. math. 9–10’, und auf ‹Gegen die
Wenn dies zutrifft, dann wird der verlorene allge­ Ethiker› mit ‘Adv. math. 11’ zu verweisen.
meine Teil fünf Bücher umfasst haben. Sextus Wie oben bemerkt, behandelt P. H. 2–3 im We­
selbst bezieht sich gelegentlich auf das gesamte sentlichen dasselbe wie Adv. math. 7–11. An vielen
Werk mit dem Titel ‹Skeptische Abhandlungen› Stellen ist die Argumentation und sogar die Spra­
(Σκεπτικὰ ὑπομνήματα: Adv. math. 7,29, cf. 1,26; che in beiden Werken so ähnlich, dass daraus ge­
2,106; 6,52; siehe auch D. L. 9,116 und Blomqvist folgert werden kann, dass eines der beiden Werke
1974 [*810]). eine überarbeitete Fassung des anderen ist.
Auch ein drittes Werk, bestehend aus sechs Üblicherweise wird angenommen, dass P. H. das
­Büchern, ist vollständig erhalten. Inhaltlich unter­ früheste der drei Werke sei, gefolgt von Adv. math.
scheidet es sich wesentlich von den zwei anderen 7–11 und schließlich von Adv. math. 1–6. Gemäß
Werken. Nach einer kurzen Einführung (Adv. dieser Ansicht ist Adv. math. 7–11 die überarbei­
math. 1,1–8) wird es mit einem Angriff auf die tete und erweiterte Fassung von P. H. 2–3. Rück­
Möglichkeit des Lehrens und Lernens im Allge­ bezüge zeigen deutlich, dass Adv. math. 7–11 frü­
meinen eröffnet (Adv. math. 1,9–40). Danach wird her als Adv. math. 1–6 einzuordnen ist (Adv. math.
in jedem Buch ein spezifisches Wissensgebiet an­ 1,35; 3,116). Das traditionelle Argument dafür,
gegriffen. Der Reihe nach werden Grammatik, dass P. H. wiederum Adv. math. 7–11 vorausgehe,
Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astrologie und basierte auf einem vermeintlichen Rückbezug auf
Musik behandelt. Zusätzlich zu den erhaltenen er­ P. H. in Adv. math. 7,1. Janáček 1963 [*808] hat nun

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218 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

aber nachgewiesen, dass sich diese Stelle auf die wenn man die stilistische Einheit eines jeden der
verlorene allgemeine Abhandlung über den Skep­ beiden Werke in Betracht zieht –, dann folgt dar­
tizismus bezieht, die Adv. math. 7–11 vorausgegan­ aus, dass Adv. math. 7–11 früher ist als P. H. und
gen war. Janáček 1972 [*809] hat trotzdem weiter­ dass das letztere eine überarbeitete und gekürzte
hin behauptet, dass P. H. das früheste Werk sei, Fassung des ersteren ist. Aufgrund der Tatsache,
nun aber aufgrund von rein stilistischen Kriterien dass sich die Werke von Sextus stark auf frühere
(siehe auch Janáček 1963 [*808: 277]). Die Resul­ Schriften beziehen, sind zwar Schlüsse über Ent­
tate seiner stilistischen Studien wurden im Allge­ wicklungen in Sextus’ Philo­sophie riskant, wenn es
meinen anerkannt (siehe z. B. Annas 1993 [*840: aber philosophische Unterschiede zwischen P. H.
360 Anm. 24], Spinelli 1995 [*755: 19]). Es wurde und Adv. math. 7–11 gibt, dann ist die Frage der re­
allerdings kürzlich teilweise aufgrund eines Ver­ lativen Chronologie von mehr als akademischem
gleichs von Parallelstellen in den zwei Werken Interesse. Wenn schließlich P. H. nach Adv. math.
dafür argumentiert, dass Adv. math. 11 dem ethi­ 7–11 entstanden ist, dann ist die Beziehung zwi­
schen Teil von P. H. 3 vorausgeht (Bett 1997 [*757], schen P. H. und Adv. math. 1–6 nicht mehr klar.
vor allem xxiv–xxxi, 257–271 sowie 274–276 für Bett 1997 [*757: insb. 266–270] versucht auf der
eine Kritik von Janáčeks ­stilistischen Argumen­ Basis von Parallelstellen zu zeigen, dass P. H. auch
ten). Wenn man annimmt, dass die zwei Werke je später als Adv. math. 1–6 ist. In diesem Fall reichen
als Ganze zu verschiedenen Zeiten entstanden die Belege jedoch nicht aus, die Frage endgültig zu
sind – und dies ist zumindest sehr wahrscheinlich, entscheiden.

3. LEHRE

1. Überblick über die pyrrhoneische Skepsis. – 2. Anwendungen der pyrrhoneischen Methode. – 3. Sextus’
Angriff auf die speziellen Wissensgebiete. – 4. Eine ältere Variante des Pyrrhonismus?.

1. Überblick über die pyrrhoneische Skepsis

Die klarsten allgemeinen Bemerkungen über die Natur des pyrrhoneischen


Skeptizismus finden sich in P. H. 1. Der wahrscheinlich wichtigste Satz im Buch
ist der folgende (1,8): «Skeptizismus ist eine Fähigkeit, Dinge einander gegenüber­
zustellen, auf welche Weise sie auch erscheinen und gedacht werden mögen, eine
Fähigkeit, von der her wir, weil den je gegensätzlichen Gegenständen und Argu­
menten gleiche Kraft (ἰσοσθένεια) zukommt, zunächst zur Urteilsenthaltung
(ἐποχή) gelangen und anschließend zur Gemütsruhe (ἀταραξία).» Eine Analyse
der pyrrhoneischen Skepsis, wie sie in den meisten von Sextus’ Werken dargestellt
ist, beginnt am besten mit diesem Satz.
Sextus bezeichnet den Skeptizismus als eine Fähigkeit (δύναμις). Er ist weder
eine Theorie noch eine Lehre. Wäre er dies, würde er seinen eigenen Kernpunkt,
die Urteilsenthaltung, verletzen. Vielmehr bedeutet ein Skeptiker zu sein, sich auf
ein bestimmtes Verfahren zu verstehen, das regelmäßig ein bestimmtes Ergebnis
erzielt. Sextus behauptet nicht, dass man sich des Urteils enthalten solle oder dass
es das Beste sei, dies zu tun. Er sagt einem nur, wie man das macht und was das
Ergebnis davon sein wird. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr sich Sextus
der Wichtigkeit bewusst ist, Selbstwiderlegung zu vermeiden (wenigstens Fälle von
Selbstwiderlegung, die zu eigener Inkonsistenz führen. Dafür, dass Sextus in

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 219

­ estimmten Zusammenhängen Selbstwiderlegung begrüsst, siehe McPherran


b
1987 [*822]).
Das Vorgehen ist dreistufig. Erstens sammelt man gegensätzliche Argumente
oder Vorstellungen über ein beliebiges Thema. Zweitens, nachdem man diese ge­
gensätzlichen Argumente oder Vorstellungen miteinander kontrastiert hat, ent­
deckt man, dass sie «gleiche Kraft» (ἰσοσθένεια) besitzen. Kein Argument und
keine Vorstellung veranlassten einen, dieses Argument oder diese Vorstellung
eher zu akzeptieren als irgendein anderes bzw. irgendeine andere. Angesichts der
«gleichen Kraft» bleibt als einzige mögliche Reaktion die Urteilsenthaltung: Man
nimmt davon Abstand, sich irgendeine der alternativen Positionen zum Thema zu
eigen zu machen. Wenn man dieses Verfahren ganz allgemein bei jedem belie­
bigen Thema, auf das man stösst, anwendet, dann resultiert daraus eine allge­
meine Urteilsenthaltung. Drittens wirkt sich diese Urteilsenthaltung praktisch
aus: Sie führt zu ἀταραξία, Gemütsruhe. Dies, sagt Sextus (P. H. 1,12; cf. 27), ist
das ­eigentliche Ziel, das Philosophen im Allgemeinen, darunter auch diejenigen,
die schließlich Skeptiker werden, an allererster Stelle wohl angestrebt haben.
Es stellen sich sehr viele Fragen in Bezug auf diese Darstellung, von denen Sex­
tus einige in der Diskussion beantwortet, die dieser einführenden Beschreibung
des skeptischen Vorgehens folgt. Einige der wichtigsten Fragen sind folgende:
1) Warum ist Sextus so zuversichtlich, dass sich Urteilsenthaltung unweigerlich
als Resultat aus der Gegenüberstellung von gegensätzlichen Argumenten ein­
stellt? Hält man nicht oft eine bestimmte Theorie oder Vorstellung weiterhin für
überzeugender als andere, auch wenn man eine Reihe von Alternativen zur Kennt­
nis genommen hat? Vielleicht würde Sextus als Antwort wiederholen, dass es bei
der Skepsis um den Besitz einer bestimmten Fähigkeit geht, nämlich um die
­Fähigkeit, «gleiche Kraft» zwischen konkurrierenden Alternativen zu erzeugen.
Dies könnte wiederum den Vorwurf der Unredlichkeit hervorrufen: Ist der
­Skeptiker willens, die Evidenz zu manipulieren oder rhetorische Täuschungen zu
benutzen, um die geforderte «gleiche Kraft» zu erzeugen? Sextus kann nicht voll­
ständig von diesem Vorwurf befreit werden. Seine eigenen Argumente sind oft
entweder irreführend oder verlieren zumindest ihre Überzeugungskraft voll­
ständig, wenn man sie genau studiert.
In der Praxis führen Sextus’ Argumente jedoch häufig rasch auf eine Meta­
stufe. Er stellt sich vor, dass sich irgendein nichtskeptischer Philosoph von der ein­
fachen Gegenüberstellung von gegensätzlichen Alternativen nicht beeindrucken
lässt und weiter darauf beharrt, dass eine dieser Alternativen korrekt ist. Sextus
fragt diesen Gegner dann, welchen Beweis er für die Richtigkeit dieser Alter­native
habe oder auf welchem Kriterium seine Behauptung beruhe, dass diese Alterna­
tive die korrekte sei. Auf diese Weise verlagert sich die Diskussion auf die Natur
von Beweisen oder von Kriterien im Allgemeinen. Wenn der Begriff des Bewei­
ses oder eines Wahrheitskriteriums selbst Schwierigkeiten bereitet, dann kann
diese Tatsache dazu verwendet werden, das Vertrauen von jemandem zu unter­
graben, der sich implizit oder explizit auf einen Beweis oder auf ein Kriterium als
Fundament für eine Theorie oder Lehre stützt. Diese Methode hat zumindest das
Potenzial, die obige Schwierigkeit anzugehen, auch wenn Sextus sie nicht immer

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220 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

zufriedenstellend anwendet. Jedenfalls zeigt die Tatsache, dass Sextus häufig


zu dieser Methode Zuflucht nimmt, dass er sich dieser Schwierigkeit wohl be­
wusst ist.
Sextus ist sich auch darüber im Klaren, dass die Art und Weise einer skepti­
schen Argumentation je nach Gesprächspartner verschieden sein muss (siehe
­insbesondere P. H. 3,280–281). Von den vorgängigen Überzeugungen und intel­
lektuellen Bindungen der Zuhörer hängt es nämlich ab, wie man einen mentalen
­Zustand herbeiführt, bei welchem dem Zuhörer keine alternative Theorie attrak­
tiver erscheint als irgendeine andere. Vor allem Philosophen (welche die primären
Adressaten von Sextus’ Schriften zu sein scheinen) brauchen eine andere Behand­
lung als Nichtphilosophen. Skeptische Argumente werden auch hier als Werk­
zeuge betrachtet, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.
2) Im Hintergrund der vorangehenden Diskussion steht eine andere wichtige
Frage: Wieweit genau erstreckt sich die skeptische Urteilsenthaltung? Mit ande­
ren Worten: Welche Arten von Meinung kann einem Skeptiker zugestanden wer­
den, wenn er überhaupt Meinungen haben kann? Sextus’ Antwort auf diese Frage
ist nicht so hilfreich, wie es anfänglich scheint. Er unterscheidet zwei Weisen, in
welchen man «Meinungen haben» (δογματίζειν) kann, und behauptet, dass es nur
bei einer Weise wahr sei, dass der Skeptiker keine «Meinungen hat» (P. H. 1,13).
Es ist nicht wahr, wenn «Meinung» (δόγμα) bloß «etwas zu billigen» (εὐδοκεῖν
τινι πράγματι) bedeutet. Man wird sich nicht weigern, seine eigene Erfahrung
anzuerkennen, zum Beispiel die Erfahrung, dass einem heiß ist. Andererseits ist
es wahr, dass der Skeptiker keine Meinungen hat, wenn «Meinung» bedeutet,
«einem der unklaren Gegenstände, die in den Wissenschaften untersucht wer­
den, seine Zustimmung zu geben» (τήν τινι πράγματι τῶν κατὰ τὰς ἐπιστήμας
ζητουμένων ἀδήλων συγκατάθεσιν). Eine Untersuchung des Wortes ‘δόγμα’
(Barnes 1982 [*816], gegen Burnyeat 1980 [*813]) zeigt, dass die zweite Be­
deutung eher dem ü ­ blichen umgangssprachlichen Gebrauch entspricht und dass
der Gebrauch von ‘δόγμα’ im ersten Sinn ein ungewöhnlich loser Gebrauch des
Wortes ist. Dieser Schluss allein trägt freilich wenig dazu bei, Sextus’ Unterschei­
dung zu erhellen.
Aufgrund des obigen Abschnitts gibt es keinen Zweifel: Der Skeptiker kann
keine theoretischen Lehrsätze irgendwelcher Art vertreten. Es ist außerdem deut­
lich, dass er in irgendeiner Weise anerkennt, was von den Sinnen kommt. Es ist je­
doch unklar, ob dieses ‘Anerkennen’ darauf beschränkt ist, die Tatsache festzu­
stellen, dass man einen bestimmten Sinneseindruck hat (z. B. den Eindruck, dass
ich jetzt am Tisch sitze und schreibe) oder ob es die Zustimmung zu der Tatsache
involviert, dass ein bestimmter Sachverhalt wirklich der Fall ist (z. B. dass ich jetzt
tatsächlich am Tisch sitze und schreibe). Gemäß letzterer, weiter gefassten Deu­
tung wäre es dem Skeptiker erlaubt, viele Meinungen zu haben, nämlich ­solche,
die wir üblicherweise dem gemeinen Menschenverstand (‘common sense’) zu­
schreiben. Der Skeptiker würde sich also nur theoretischer Meinungen enthalten
(Frede 1979 [*812], Brennan 1994 [*842]). Gemäß der anderen, engeren Deutung
wäre der Skeptiker auf Aussagen über den Inhalt seiner eigenen Erfahrung be­
schränkt, ohne jedoch zu einer Meinung über die Beschaffenheit irgendeines

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 221

­ egenstandes oder irgendeines Sachverhalts in der Welt verpflichtet zu sein (Bur­


G
nyeat 1980 [*813] und 1984 [*818], Barnes 1982 [*816]).
Zugunsten der weiter gefassten Deutung spricht die Tatsache, dass Sextus
­selten, falls überhaupt je, die Existenz von Gegenständen in Frage stellt. Wenn er
konkrete Beispiele erörtert, dann geht es normalerweise um die wirkliche Natur
der Gegenstände, die besprochen werden. Dies legt es nahe, dass er keine Pro­
bleme damit hat, die Existenz sowie die unmittelbar beobachtbaren Eigenschaf­
ten dieser Gegenstände anzuerkennen. Andererseits könnte man argumentieren
(und man nimmt vielleicht an, dass Sextus selbst so argumentieren würde), dass
die Meinung, dass ich jetzt an einem rechteckigen Tisch sitze, von gewissen ande­
ren, grundlegenderen Überzeugungen abhängt, zum Beispiel dass Raum und Zeit
existieren und dass man angemessen darüber Auskunft geben kann (Burnyeat
1984 [*818]) oder dass man über ein angemessenes Wahrheitskriterium verfügt
(Barnes 1982 [*816]). Möglicherweise sind Sextus’ Ausführungen nicht hinrei­
chend, um endgültig festzustellen, welche Interpretation die richtige ist, oder viel­
leicht ist seine Position in sich selbst nicht stimmig. Zur Zeit herrscht diesbezüg­
lich in der Forschung kein Konsens.
Eine verwandte Frage ist die, inwieweit Sextus glaubt, selbst für den gemeinen
Menschenverstand und gegen die abstrakten theoretischen Erörterungen der
­Philosophen zu argumentieren. An einigen Stellen scheint er diese Haltung ein­
zunehmen (z. B. P. H. 2,102. 246. 354; 3,2. 151; Adv. math. 8,158; 9,49). In P. H. 1,30
wirft er jedoch den «gewöhnlichen Leuten» (ἰδιῶται), wahrscheinlich zusätzlich
zu den Philosophen, vor, sie glaubten, gewisse Dinge seien von Natur aus gut und
andere von Natur aus schlecht. Da aber, wie oben bemerkt, seine erklärten Geg­
ner meist die Philosophen sind, gibt es erneut kaum Belege, aufgrund derer man
diese Frage entscheiden könnte.
3) Wie kann irgendjemand unter Verzicht auf δόγματα («Meinungen») handeln?
Diese Frage wurde schon mehrere Jahrhunderte vor Sextus von den Stoikern an
die skeptischen Akademiker der hellenistischen Zeit gerichtet. Sextus ist sich
­offensichtlich bewusst, dass er diese Frage beantworten muss. Die Schwierigkeit,
sie zu beantworten, hängt offenkundig von den Antworten auf die vorhin betrach­
teten Fragen ab. Es ist viel schwieriger zu sehen, wie jemand in der Lage sein kann
zu handeln, der gar keine Meinungen hat, als jemand, der nur keine theoretischen
Meinungen hat.
Sextus sagt, dass der Skeptiker sich bei seinen Entscheidungen und Handlun­
gen auf Erscheinungen stützt (P. H. 1,22). Er bezieht sich umstandslos auf diese
als ‘Handlungskriterium’ des Skeptikers, macht jedoch klar, dass es sich um ein
Kriterium ganz anderer Art handelt als diejenigen, welche die nichtskeptischen
Philosophen benutzen, um festzustellen, wie sich die Dinge in Wirklichkeit ver­
halten. Er zählt vier hauptsächliche Arten von Erscheinungen auf (1,23–24): die
Führung durch die Natur, die Notwendigkeit von Gefühlen, die Überlieferung von
Gesetzen und Traditionen und der Unterricht in Fertigkeiten. Die ersten zwei
kann man annähernd als natürlich bezeichnen. Je nachdem, welche Art Lebe­
wesen man ist, wird man bestimmte Bedürfnisse oder Antriebe erfahren, auf die
dann eine Handlung folgen wird. Wenn man beispielsweise hungrig ist, dann wird

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222 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

man etwas essen. Dazu ist keine Meinung nötig. Die anderen zwei kann man
­annähernd als kulturell bezeichnen: Da man in einer bestimmten Weise erzogen
und unterrichtet worden ist, ist man so disponiert, dass man sich in bestimmten
Situationen auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Wenn man beispielsweise
in einer bestimmten religiösen Tradition erzogen worden ist, dann wird man an
den religiösen Praktiken des überlieferten eigenen Glaubens teilnehmen. Oder
wenn man eine bestimmte medizinische Ausbildung genossen hat, dann wird man
vorgeschriebene Prozeduren befolgen, um Knochen ruhig zu stellen, Fieber zu be­
kämpfen und so weiter. Es ist wohl eher überraschend, dass angenommen wird,
diese Tätigkeiten würden ohne unerwünschte δόγματα (Meinungen, was immer
man genau darunter versteht) ausgeführt. Aber Gesetzen und Traditionen zu fol­
gen und die Fertigkeiten auszuüben, die man erlernt hat, erachtet Sextus als nichts
anderes, als bestimmten überlieferten Verhaltensmustern zu folgen.
Es gelingt Sextus also, den antiken Kritikern, die behauptet haben, es sei
­unmöglich, als Skeptiker zu leben, eine klare und informative Antwort zu geben.
Ob es sich dabei um eine wünschenswerte oder gar bewundernswerte Lebensform
handelt, ist eine andere Frage. Zum Beispiel: Wenn man den Gesetzen und Tradi­
tionen seiner Gesellschaft folgt (dafür siehe auch Adv. math. 11,166), bedeutet das
nicht, dass man gedankenlos dem status quo anhängt? Oder allgemeiner: Be­
schneidet so ein absichtlich unreflektiertes Leben nicht die menschlichen Fähig­
keiten? Die antiken Kritiker scheinen sich mit solchen Einwänden nicht beschäf­
tigt zu haben.
4) Warum behauptet Sextus, Urteilsenthaltung resultiere in Gemütsruhe? Die
Antwort lautet: Überzeugungen zu haben, und insbesondere Überzeugungen zu
haben, die implizieren, dass gewisse Dinge von Natur aus gut und andere von
Natur aus schlecht sind, führt zu ernsthafter seelischer Unruhe. Weil der Skepti­
ker diese Meinungen nicht hat, ist er auch von dieser Unruhe frei. Darauf weist
Sextus ­sowohl in der Einleitungspassage von P. H. (1,25–30) als auch im Abschnitt
über Ethik (3,235–238) hin. Er diskutiert dieses Thema auch in viel größerer Aus­
führlichkeit in ‹Gegen die Ethiker› (Adv. math. 11,110–167). Aus Gründen, die
unten im Abschnitt 4 diskutiert werden, sollte man jedoch möglicherweise ‹Gegen
die Ethiker› getrennt vom Rest von Sextus’ Werk behandeln.
Der zentrale Gedanke ist derjenige, dass man sich außerordentlich um die Be­
schaffung und den Besitz von Gütern und um die Vermeidung und Befreiung von
schlechten Dingen kümmern wird, wenn man davon überzeugt ist, dass gewisse
Dinge von Natur aus gut und andere von Natur aus schlecht sind. Wenn es einem
misslingt, die schlechten Dinge zu vermeiden oder sich von ihnen zu befreien,
oder wenn es einem misslingt, die guten Dinge zu beschaffen oder zu behalten,
hat das verheerende emotionale Auswirkungen. Wenn man gerade im Besitz von
Gütern ist, dann ist man einerseits überschwänglich, weil man diese Dinge besitzt
(was gemäß Sextus ein unerwünschter Gemütszustand ist), und andererseits von
der Aussicht gepeinigt, dass man sie verlieren könnte. Wenn man jedoch über­
haupt keine Überzeugungen des Inhalts hat, dass gewisse Dinge von Natur aus
gut bzw. schlecht sind, dann wird man gar keine so «intensiven» (σύντονοι)
Gemüts­zustände haben und sich somit der Gemütsruhe erfreuen. Dies ist genau

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 223

der Z­ ustand, in dem sich der Skeptiker befindet. Welchen Umfang die skeptische
Urteilsenthaltung auch immer haben mag, es ist zumindest klar, dass sich der
Skeptiker des Urteils über alle Behauptungen, welche die Natur der Dinge betref­
fen, enthält. Es ist nicht so, dass der Skeptiker glaubt, Behauptungen der Form ‘x
ist von Natur aus gut’ seien falsch. Denn auch dies wäre eine dogmatische Mei­
nung. Vielmehr hat der Skeptiker schlichtweg keine Meinungen zu diesem Thema.
Wie verhält es sich mit Überzeugungen, die andere Dinge als das Gute und das
Schlechte betreffen? Bei seiner Beschreibung der skeptischen «Fähigkeit» zu Be­
ginn von P. H. (1,8) behauptet Sextus ganz allgemein, dass die Urteilsenthaltung
Gemütsruhe hervorbringe. Einige weitere Abschnitte (P. H. 1,12. 26. 29. 31–34)
weisen ebenfalls darauf hin, dass sich die Gemütsruhe einer allgemeinen Urteils­
enthaltung verdankt. Sextus erklärt aber nirgends, warum dem so sei. Überall, wo
er die Frage diskutiert, warum der Skeptiker im Zustand der Gemütsruhe sei, kon­
zentriert er sich ausschließlich auf die Urteilsenthaltung bezüglich des Guten und
Schlechten. Zwei Gründe dafür können jedoch ohne allzu große Schwierigkeiten
erschlossen werden. Erstens sind Meinungen in anderen Be­reichen der Philo­
sophie häufig mit Meinungen über Gutes und Schlechtes verknüpft. Es kann also
sehr wohl sein, dass man sich auch von vielen Meinungen anderer Art befreien
muss, um sicherzustellen, dass man keine Meinungen über Gutes und Schlechtes
hat. Zweitens sagt Sextus, dass diejenigen Philosophen, die schließlich Skeptiker
geworden sind, ursprünglich hofften, Gemütsruhe dadurch zu erlangen, dass sie
die Wahrheit über die Dinge erführen (P. H. 1,12. 26). Wahrscheinlich waren sie
dann beunruhigt, weil sie unsicher darüber waren, w ­ elche ihrer Meinungen wahr
und welche falsch waren. Ihre Pein würde jedoch beseitigt, wenn sie alle Meinun­
gen aufgäben, die ihnen diese störende Unsicherheit bescherten, das heisst, wenn
sie sich ganz allgemein des Urteils enthielten. Sextus’ Allegorie des Malers Apel­
les (P. H. 1,28–29), der sein Ziel erreichte, indem er die Methode aufgab, die ur­
sprünglich dazu bestimmt war, das Ziel zu erreichen, deutet darauf hin, dass er
sich die Sache in etwa so dachte.
Gewiss, nicht nur die Pyrrhoneer hatten die Gemütsruhe zum Ziel. Aber
­Sextus erklärt, dass der Skeptiker viel besser in der Lage ist, dieses Ziel zu errei­
chen als die Anhänger irgendeiner nichtskeptischen philosophischen Richtung,
wie z. B. die Epikureer. Es stellt sich daher die Frage, ob Sextus danach strebt,
seine Gegner zum Skeptizismus zu bekehren. Das letzte Kapitel von P. H. (3,280–
281) scheint dies anzudeuten. Sextus beschreibt die Skeptiker als Philanthropen,
die sich wünschen, die Dogmatiker (d. h. die nicht-skeptischen Philosophen) von
ihrer Unbesonnenheit zu heilen. Dieser Beweggrund tritt in Sextus’ Werk jedoch
kaum in Erscheinung. Er will zwar gewiss seinem Publikum erklären, wie man
zum Skeptiker wird und wie man den Skeptizismus beibehält, wenn man ihn ein­
mal erworben hat, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass es ihm wichtig ist, ob
die Dogmatiker seiner Botschaft Aufmerksamkeit zollen. Damit stellt sich die
allgemeinere Frage, wen Sextus als Publikum überhaupt im Auge hat. Dies bleibt,
wie so vieles, was Sextus als Person, sowie was das Umfeld betrifft, in welchem
er schrieb, weitgehend im Dunkeln (zur Art und Weise des pyrrhoneischen Inte­
resses für andere Leute siehe Annas 1993 [*840: 244–248]).

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224 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

2. Anwendungen der pyrrhoneischen Methode

Was Sextus den «spezifischen» (εἰδικός: P. H. 1,5–6) Teil seiner skeptischen


Schriften nennt – nämlich seine Prüfung der Lehren, welche die nichtskeptischen
Philo­sophen in den als kanonisch anerkannten Gebieten der Philosophie vertre­
ten – kann weithin als einfache Anwendung der oben beschriebenen Methode
betrachtet werden. Oft stellt Sextus die Ansichten, welche die Dogmatiker in die­
sen Gebieten vertreten, so zusammen, dass die Widersprüche zwischen ihnen
klar hervortreten. An anderen Stellen liefert er eigene Argumente gegen irgend­
eine bestimmte dogmatische Lehrmeinung. Das erstrebte Ergebnis ist in beiden
Fällen die «gleiche Kraft» der Argumente und daher Urteilsenthaltung über den
in Frage stehenden Gegenstand. Diese Strategie kommt zur Anwendung in P. H.
2–3, Adv. math. 7–10 und vielleicht auch in Adv. math. 11 (siehe dazu jedoch
unten ­Abschnitt 4).
Auf ähnliche Weise stellt Sextus die verschiedenen Klassen von Tropen (d. h.
die standardisierten Formen von skeptischen Argumenten) als Mittel dar, durch
welche der Skeptiker Urteilsenthaltung herbeiführt (P. H. 1,31; 35). Die wichtigste
Klasse von Tropen sind die Zehn Tropen (P. H. 1,36–163) und die Fünf Tropen
(P. H. 1,164–177; zum Ursprung und zur relativen Chronologie dieser Tropen siehe
oben § 26.2.). Die Zehn Tropen bestehen aus einer Vielzahl von Beispielen von
gegensätzlichen Vorstellungen von Dingen, die in zehn Kategorien eingeteilt sind.
Diese Gegensätze sind teilweise auf Unterschiede in den wahrnehmenden Sub­
jekten zurückzuführen (Wahrnehmungssubjekte können verschiedenen Arten
angehören, unterschiedliche körperliche Beschaffenheit aufweisen, verschiede­
nen Alters, in einem unterschiedlichen Gesundheitszustand sein usw.). Teilweise
basieren sie auf unterschiedlichen Wahrnehmungsbedingungen oder auf verschie­
denen anderen Ursachen (siehe P. H. 1,38 zu Sextus’ eigener Einteilung der Zehn
Tropen). Die Einzelheiten, die häufig vorkommenden Unklarheiten sowie die
Mängel von Sextus’ Vorgehen wurden von Annas und Barnes 1985 [*819] gut
­erläutert. Die allgemeine Linie ist jedoch klar: Da man zugeben muss, dass keine
der gegensätzlichen Vorstellungen irgendeiner anderen vorzuziehen ist, ist die
­Urteilsenthaltung unausweichliche Folge.
Williams 1988 [*825] hat zu zeigen versucht, dass dies nicht die beabsichtigte
Funktion der Zehn Tropen sein könne, weil die Behandlung konkreter Beispiele
von gegensätzlichen Vorstellungen dem gerade beschriebenen Muster oft nicht
entspreche. Williams kommt stattdessen zu dem Schluss, dass die Zehn Tropen
nicht dazu dienen, Urteilsenthaltung direkt herbeizuführen, sondern dass sie
­vielmehr ein Argument für die Nichterkennbarkeit der Dinge darstellen. Dieses
Argument muss man den verschiedenen positiven dogmatischen Erkenntnis­
theorien gegenüberstellen, worauf erst die Urteilsenthaltung erreicht wird. Diese
Interpretation steht jedoch im Widerspruch zu Sextus’ wiederholtem Beharren
darauf, dass Urteilsenthaltung das unmittelbare Ergebnis der Tropen selbst sei
(P. H. 1,78. 89. 99. 117. 121. 128. 134. 140. 144. 163). Andererseits spricht Williams
ein tatsächlich bestehendes Problem an (für eine mögliche Erklärung siehe unten
Abschnitt 4).

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 225

Die Fünf Tropen benutzen weniger individuelle Beispiele als vielmehr abs­
trakte und allgemeine Argumente. Es sind der Reihe nach die Tropen aufgrund
von Dissens (διαφωνία), unendlichem Regress (εἰς ἄπειρον), Relativität (πρός τι),
‘Hypothese’ (d. h. nicht fundierte Annahme, ὑποθετικός) und Zirkel (διάλληλος).
Im Gegensatz zu den Zehn Tropen können sie zu einem einheitlichen, ausgedehn­
ten Beweisgang verknüpft werden. Gemäß Sextus verfängt sich jede dogmatische
Theorie im Fallstrick des einen oder anderen der Fünf Tropen (P. H. 1,169–175).
Die Fünf Tropen funktionieren daher als Reihe von dialektischen Zügen, die dazu
bestimmt sind, jeden Versuch zu verhindern, dogmatische Schlüsse zu begründen.
In diesem Fall vermag Williams’ Vorschlag eher zu überzeugen: Die Fünf Tropen
führen nicht von sich aus zur Urteilsenthaltung, sondern nur, wenn man sie mit
den Theorien der Dogmatiker zusammennimmt. Es ist kein Zufall, dass die
­Argumente, bei denen die Fünf Tropen am Werk sind, häufig in den «spezifi­
schen» Teilen von Sextus’ Werk zu finden sind – insbesondere dort, wo erkenntnis­
theoretische Fragen behandelt werden (P. H. 2; Adv. math. 7–8) –, während die
Zehn Tropen kaum mehr vorkommen, nachdem sie in P. H. 1 beschrieben worden
sind (Die Fünf Tropen werden im Detail analysiert in Barnes 1990 [*830]).
Sextus ist der Ansicht, dass Urteilsenthaltung (wie auch Gemütsruhe) fortwäh­
rende geistige Betätigung voraussetzt. Ist man in einem Fall zur Urteilsenthaltung
gelangt, wird das nicht notwendigerweise Bestand haben. Wenn man nicht damit
fortfährt, die skeptische «Fähigkeit» zu üben, die am Anfang von P. H. beschrie­
ben wird, dann läuft man Gefahr, in den Dogmatismus zurückzufallen. Sextus
bietet die Tropen und die ausführlichen Diskussionen nichtskeptischer philoso­
phischer Richtungen als Beispiele dafür an, wie man diese «Fähigkeit» übt, um
seinen Skeptizismus aufrecht zu erhalten. So führt er zum Beispiel die Tropen als
Werkzeuge des Skeptikers für den eigenen Gebrauch ein (P. H. 1,31). Dies schließt
natürlich keinesfalls aus, dass sie auch dazu benutzt werden können, andere zum
Skeptizismus zu bekehren.

3. Sextus’ Angriff auf die speziellen Wissensgebiete

Es ist nicht ganz klar, ob die bisher beschriebene Methode derjenigen in Adv.
math. 1–6, d. h. im Werk über die speziellen Wissensgebiete, entspricht. In der Ein­
leitung zu diesem Werk sagt Sextus zwar, dass sich das pyrrhoneische Vorgehen in
diesem Fall nicht vom Vorgehen unterscheide, das er in der Philosophie ganz all­
gemein anwende (Adv. math. 1,6). Auch wie er dieses Vorgehen im folgenden Satz
schildert, erinnert stark an die Beschreibung der «Fähigkeit» des Skeptikers in
P. H. 1,8. Allerdings wird hier über die pyrrhoneische Behandlung der speziellen
Wissensgebiete bloß gesagt, dass die Skeptiker ihre Schwierigkeiten «nicht ver­
bargen» (1,7), nachdem sie erkannt hatten, dass diese in den Wissenschaften
ebenso gravierend sind wie jene, die sie in der allgemeinen Philosophie entdeckt
hatten. Tatsächlich kommen die Ausdrücke «sich des Urteils enthalten» (ἐπέχω)
und «Urteilsenthaltung» (ἐποχή) in Adv. math. 1–6 sehr selten vor. An keiner
­anderen Stelle werden sie für das eigene Vorgehen der Pyrrhoneer verwendet.

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226 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

Stattdessen besteht das ausdrückliche Ziel stets darin, das jeweilige Wissensgebiet
anzugreifen oder dessen Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Vielleicht dienen
diese Angriffe auf Grammatik, Rhetorik usw. dazu, zusammen mit den jeweili­
gen positiven Argumenten der Vertreter dieser Wissensgebiete, Urteilsenthaltung
herbeizuführen (Blank 1998 [*759: l–lv], Barnes 1988 [*823: 60]). Wenn dem so
ist, dann ist es freilich überraschend, dass diese Strategie nie ausdrücklich erwähnt
wird. Im Gegensatz zu Adv. math. 1–6 weist Sextus nämlich in P. H. und in Adv.
math. 7–11 häufig darauf hin, dass seine Argumente für die Nichtexistenz einer
bestimmten Art von Entität (z. B. Zeichen, Kriterien, Beweise, Bewegung) dazu
dienen, den Argumenten der Dogmatiker etwas entgegenzusetzen mit dem Ziel
der Urteilsenthaltung (siehe z. B. P. H. 2,130–132; Adv. math. 7,443; 8,298. 476–
477; 9,137; 10,168).
Eine weitere Merkwürdigkeit von Adv. math. 1–6 besteht darin, dass der Text
Argumente für zwei ganz verschiedene Schlüsse zu enthalten scheint. Einerseits
wird umfassend von (hauptsächlich) epikureischen Argumenten Gebrauch gemacht,
welche die spezialisierten Wissenschaften wegen ihrer Nutzlosigkeit angreifen.
Andererseits enthält es radikalere Argumente, die typisch pyrrhoneisch sind und
die zeigen sollen, dass diese Wissenschaften überhaupt nicht existieren. Es ist zwar
legitim für einen Skeptiker, dogmatische Argumente für skeptische Zwecke zu be­
nutzen. Tatsächlich weist Sextus auf den ersten Seiten von Adv. math. 1–6 darauf
hin, dass auch die Epikureer die Spezialwissenschaften ange­griffen hätten. Das
Problem ist aber wiederum, dass Sextus nie dezidiert darüber Auskunft gibt, wie
man sich die Beziehung zwischen diesen zwei Arten von ­Argumenten vorstellen
soll (für Versuche, Sextus’ Vorgehen zu erklären, siehe Barnes 1988 [*823: 72–77],
Fortuna 1986 [*820: 133ff.], Bett 2006 [*850]).

4. Eine ältere Variante des Pyrrhonismus?

Wie auch immer es sich mit Adv. math. 1–6 tatsächlich verhalten mag, es gibt
Belege dafür, dass der Pyrrhonismus nicht immer in der Form existierte, die wir
in den Abschnitten 1 und 2 beschrieben haben. Es scheint vielmehr, dass es eine
andere Fassung des Pyrrhonismus gab, für welche das Sammeln von gegensätz­
lichen Vorstellungen ebenso wichtig war wie in derjenigen, die wir eben be­
sprochen haben, bei der aber, eher als die «gleiche Kraft», die Relativität dieser
Vorstellungen zentral war. Bei dieser anderen Version des Pyrrhonismus liegt die
Betonung auf der Wechselhaftigkeit der Erscheinungen in Abhängigkeit von den
Umständen. Ein bestimmtes Medikament mag sich bei einigen Leuten zum Bei­
spiel günstig auswirken, anderen dagegen schaden. Eine bestimmte Handlung ist
unter manchen Umständen tugendhaft, unter anderen aber verwerflich. Ein be­
stimmter Gegenstand mag in manchen Kontexten als groß erscheinen, in anderen
aber als klein. Die allgemeine Form dieser Gegensätze ist also: X weist unter be­
stimmten Umständen eine bestimmte Qualität F auf, aber unter anderen Umstän­
den eine andere und nicht kompatible Qualität Nicht-F. Aufgrund dieser Gegen­
sätze wird nun geschlossen, dass in Wirklichkeit (oder in seiner wahren Natur) X

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§ 27. Sextus Empiricus (Bibl. 250–253) 227

weder F noch Nicht-F sein kann. Der Grund dafür besteht darin, dass X die Qua­
lität F gleich bleibend und unabhängig von den Umständen aufweisen müsste, um
als wirklich (oder als seiner wahren Natur nach) F zu gelten. Wenn man dieses
Schema so verallgemeinert, dass keine der beobachtbaren Eigenschaften von X
als unveränderlich zu X gehörig gilt, dann folgt daraus, dass wir nicht in der Lage
sind, X in seiner wahren Natur auch nur irgendeine Eigenschaft zuzuschreiben:
Die wahre Natur von X ist für uns nicht fassbar. Die einzige mögliche Reaktion
besteht also darin, sich des Urteils über die wahre Natur von X zu enthalten.
Diese Fassung des Pyrrhonismus unterscheidet sich in wichtigen Punkten von
derjenigen, die bei Sextus vorherrscht. Es wurde bereits erwähnt, dass hier eher die
Relativität oder die Veränderlichkeit als die «gleiche Kraft» der Gegensätze betont
wird. Außerdem erlaubt es diese Fassung, bestimmt zu behaupten, dass X nicht von
Natur aus F ist, und den bestimmten Schluss, dass die Natur von X nicht erkannt
werden kann. Behauptungen beider Art würden gemäß der Formulierung des Pyr­
rhonismus, die wir oben beschrieben haben, als Dogmatismus, wenn auch als ‘ne­
gativer’ Dogmatismus, zurückgewiesen. Urteilsenthaltung besteht also darin, jeg­
lichen Versuch einer positiven Bestimmung der Natur der Dinge zurückzuweisen.
Die Existenz dieser Variante des Pyrrhonismus ist nicht unumstritten. In der For­
schung der letzten Jahre wurde sie jedoch mehrfach vertreten (Woodruff 1988
[*826], Hankinson 1995 [*800: 116–136], Bett 1997 [*757: ix–xxxiv und 45–256],
Bett 2000 [*846: 189–240]). Der Pyrrhonismus, den Photios in jenem Kapitel der
‹Bibliotheca› beschreibt, das Ainesidemos’ ‹Pyrrhoneische Abhandlungen› zusam­
menfasst (169b18–171a4), scheint mit diesem Modell übereinzustimmen. Außerdem
können zahlreiche Elemente in der Zusammenfassung des (nach-­ainesidemischen)
Pyrrhonismus, die sich in Diogenes Laertios’ ‹Leben des Pyrrhon› (D. L. 9,74–108)
finden, erklärt werden, unter der Voraussetzung, dass sie sich auf diese Fassung des
Pyrrhonismus beziehen. Schließlich lässt sich dafür a­ rgumentieren, dass diese Va­
riante des Pyrrhonismus selbst in Sextus’ Werk nicht vollständig fehlt.
Ein Beispiel dafür ist Sextus’ Darstellung der Zehn Tropen, die ihren Ursprung
bei Ainesidemos haben. Die Kommentatoren haben festgestellt, dass bei der Dis­
kussion der Zehn Tropen oft auf das Phänomen der Relativität Bezug genommen
wird (Striker 1983 [*817], sowie Annas und Barnes 1985 [*819]). Dies ist völlig in­
konsistent mit dem Pyrrhonismus, der in P. H. offiziell vertreten wird – einschließ­
lich der Abschnitte über die Tropen selbst. Diese Inkonsistenz wäre j­edoch sehr
wohl verständlich, wenn sich die Zehn Tropen, wie sie ursprünglich von Aineside­
mos konzipiert wurden, genau um das Phänomen der Relativität gruppieren wür­
den und wenn Sextus oder irgendein zwischenzeitiger Pyrrhoneer sie (unvollstän­
dig) an die Fassung des Pyrrhonismus angepasst hätte, die «gleiche Kraft» betont.
Dass eine Anpassung stattgefunden hat, wird durch die Tatsache gestützt, dass
­Material aus den späteren Fünf Tropen häufig in Sextus’ Zusammenfassung der
Zehn Tropen einfließt (P. H. 1,60–61. 88–90. 114–117. 121–123).
Ein weiteres Beispiel ist Adv. math. 11, ‹Gegen die Ethiker›. In diesem Buch
argumentiert Sextus, nichts sei von Natur aus gut oder schlecht (68–95). Er stellt
den Skeptiker außerdem als Vertreter der Relativität dar (114; 118) und erklärt
ausdrücklich (69–71), dass etwas ohne Einschränkung gut sein müsse, damit es

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228 II. Fortführung der hellenistischen Schulen

von Natur aus gut sei. Nun mag man zwar der Meinung sein, dass diese Argu­
mente dazu dienen, gegen die positiven Argumente der Dogmatiker abgewogen
zu werden, um Urteilsenthaltung zu erreichen (McPherran 1990 [*832], Hankin­
son 1995 [*800: 262–272]). Diese Interpretation vernachlässigt aber f­ olgende Tat­
sache: Das Ziel des Skeptikers, nämlich die Gemütsruhe, stellt sich gemäß einigen
Stellen als unmittelbares Ergebnis davon ein, dass man die bestimmte Schlussfol­
gerung, nichts sei von Natur aus gut oder schlecht, gutheisst (118; 130; 140). Dies
ist wiederum nicht konsistent mit dem Pyrrhonismus, wie er zu Beginn von P. H.
skizziert wird, aber es ist konsistent mit der anderen Art von Pyrrhonismus, die
in diesem Abschnitt dargestellt wurde.
Diese andere Fassung des Pyrrhonismus wird, wie es scheint, dem Ainesidemos
zugeschrieben, dem Vater des späteren Pyrrhonismus. Daher ist es wahrschein­
lich, dass sie früher existierte als die bei Sextus vorherrschende Version. Wenn
dem so ist, dann haben wir mit ‹Gegen die Ethiker› ein erhaltenes Zeugnis für
eine Version des Pyrrhonismus, die älter ist als Sextus selbst.

4. NACHWIRKUNG

Wie schon früher bemerkt, gibt es keine klaren Belege dafür, dass der Pyrrho­
nismus als philosophische Tradition Sextus’ Schüler Satorninos überlebt hat. Ex­
plizite Bezüge auf Sextus oder auf die Pyrrhoneer sind in der späteren Antike sehr
selten. Unter den Neuplatonikern scheint jedoch eine gewisse Kenntnis der Me­
thoden und Ansätze der Pyrrhoneer vorhanden gewesen zu sein und mindestens
ein Mitglied der Schule, nämlich Damaskios, scheint eine gewisse Sympathie für
sie gehabt zu haben (Wallis 1987 [*860], Rappe 1998 [*865]). Hinzu kommt, dass
das spezifisch mit dem Pyrrhonismus assoziierte Motiv des Dissenses (δια­φωνία)
im Denken der späteren Antike weite Verbreitung gefunden hat. Im Mittelalter
existierte eine lateinische Übersetzung von Teilen von Sextus’ Werk. Sextus
scheint allerdings zu dieser Zeit wenig bekannt gewesen zu sein (Porro 1994
[*862]). Erst in der Renaissance und in der Frühen Neuzeit kam ­Sextus’ Schriften
große Bedeutung für die Entwicklung der Philosophie zu (Schmitt 1983 [*857],
Popkin 2003 [*856]). Montaigne war eindeutig von Sextus inspiriert, wie auch De­
scartes und viele andere Denker, die sich den intellektuellen Herausforderungen
des Skeptizismus stellten. Obschon ‘Skeptizismus’ in der modernen Philosophie
eine andere Bedeutung bekam als bei Sextus, stellte er im 16., 17. und 18. Jahrhun­
dert für viele Philosophen einen entscheidenden Bezugspunkt dar. Sextus bleibt
auch heute noch eine Inspirationsquelle für Philosophen (Fogelin 1994 [*861]).
Außerdem wurde seine Wichtigkeit für die Geschichte der griechischen Philoso­
phie in den letzten Jahrzehnten neu erkannt und gewürdigt.

Aus dem Englischen übersetzt von Damian Caluori.

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229

BIBLIOGRAPHIE ZUM ZWEITEN KAPITEL

I. Die Sextier und Potamon: Quintus Sextus und seine Schule; Potamon von Alexandrien [*1–*7]. –
II. Stoa: Überblick [*13–*43]; L. Annaeus Cornutus [*49–*63]; L. Annaeus Seneca [*69–*157]; C. Muso­
nius Rufus und Lukios [*160–*181]; Epiktet [*187–*213]; Marcus Aurelius [*219–*244]; Hierokles [*249–
*260]; Stoische Einflüsse in der römischen Literatur neronischer Zeit [*266–*270]; Nachwirkung der
stoischen Ethik in Platonismus und Christentum [*276–*296]. – III.  Kyniker: Überblick [*302–*323];
Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax, Peregrinos [*329–*393]; Oinomaos von Gadara [*398–*411];
Der Kynismus bis Maximos von Alexandrien und Salustios aus Syrien [*415–*430]; Kynische Epistolo­
graphen, Philosophische Literatur über den Kynismus [*434–*467]. – IV. Epikureismus in der Kaiserzeit:
Überblick [*473–*610]; Diogenian [*616–*624]; Diogenes von Oinoanda [*630–*712]. – V. Skepsis in der
Kaiserzeit: Akademische Skepsis [*718–*737]; Pyrrhoneische Skepsis und Sextus Empiricus [*743–*866].

I. DIE SEXTIER UND POTAMON

Quintus Sextus und seine Schule; Potamon von Alexandrien

  1 D. T. Runia: Philosophical Heresiography: Evi­   4 D. R. Kelley: Eclecticism and the History of


dence in Two Ephesian Inscriptions, in: ZPE Ideas, in: JHI 62 (2001) 577–592.
72 (1988) 241–243.  5 A. Rescigno: Potamone, interprete del ‹De
 2 I. Lana: La scuola dei Sestii, in: La langue caelo› di Aristotele, in: Lexis 19 (2001) 267–282.
­latine. Langue de la philosophie. Actes du col­   6 I. Hadot: Versuch einer doktrinalen Neuein­
loque organisé par l’École française de Rome ordnung der Schule der Sextier, in: RhM 150
(17–19 mai 1990) (Roma 1992) 109–124. (2007) 179–210.
  3 V. Tietze Larson: Seneca and the Schools of   7 M. Hatzimichali: Potamo of Alexandria and
Philosophy in Early Imperial Rome, in: Illinois the Emergence of Eclecticism in Late Hellenis­
Classical Studies 17 (1992) 49–56. tic Philosophy (Cambridge 2011).

II. STOA

Überblick

Ausgaben und Übersetzungen Zu Chairemon


19 Chaeremon. Egyptian Priest and Stoic Philoso­
13 Stoicorum veterum fragmenta, collegit H. ab
pher: The Fragments Collected and Translated
Arnim, I–IV (Lipsiae 1903–1924; ND Stutgar­
with Explanatory Notes by P. W. van der Horst
diae 1968). – Ital. Neubearbeitung und Über­
(Leiden 1984, 21987). – 2. Auflage mit einem
setzung: Stoici antichi. Tutti i frammenti,
Vorwort des Herausgebers sowie Addenda und
raccolti da H. von Arnim. Introduzione, tradu­
Corrigenda.
zione, note e apparati a cura di R. Radice. Pre­
20 M. Frede: Chairemon der Stoiker, in: ANRW
sentazione di G. Reale (Milano 1998, 22006).
II 36,3 (1989) 2067–2103.
21 P. T. Keyser: Chairemon, in: BNJ (2007) Nr. 618.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 229 25.09.18 09:24


230 Bibliographie zum zweiten Kapitel

Zu Kleomedes 36 Ch. Gill: The School in the Roman Imperial


Period, in: The Cambridge Companion to the
25 Kleomedes: Die Kreisbewegung der Gestirne, Stoics, edited by B. Inwood (Cambridge 2003)
übersetzt und erläutert von A. Czwalina (Leip­ 33–58.
zig 1927). 37 J. Sellars: The Art of Living. The Stoics on the
26 Cléomède: Théorie élémentaire. Texte pré­ Nature and Function of Philosophy (Aldershot
senté, traduit et commenté par R. Goulet 2003).
(Paris 1980). 38 G. Reydams-Schils: The Roman Stoics. Self,
27 Cleomedes’ Lectures on Astronomy. A Trans­ Responsibility, and Affection (Chicago 2005).
lation of ‹The Heavens› with an Introduction 39 Ch. Gill: The Structured Self in Hellenistic and
and Commentary by A. C. Bowen, R. B. Todd Roman Thought (Oxford 2006).
(Berkeley CA 2004). 40 M. Graver: Stoicism and Emotion (Chicago
2007).
41 I. Ramelli: Stoici Romani Minori. Marco Ma­
Sekundärliteratur nilio, Musonio Rufo, Anneo Cornuto, Chere­
mone di Alessandria, Aulo Persio, Trasea Peto,
33 ANRW II 36,3, herausgegeben von W. Haase Anneo Lucano, Decimo Giunio Giovenale,
(Berlin, New York 1989). – Teilband zur Philo­ Mara Bar Serapion. Introduzione di R. Radice,
sophie des Stoizismus. saggi introduttivi, traduzione, note e apparati
34 M. Frede: Chaeremon der Stoiker, in: ANRW di I. Ramelli (Milano 2008).
II 36,3 (1989) 2067–2103. 42 Th. Bénatouïl: Les stoïciens III: Musonius,
35 J. Barnes: Logic and the Imperial Stoa (Lei­ Epictète, Marc Aurèle (Paris 2009).
den, Boston 1997) [PhA 75]. 43 G. Reydams-Schils: Authority and Agency in
Stoicism, in: GRBS 51 (2011) 296–322.

L. Annaeus Cornutus

Ausgaben und Übersetzungen ­ erausgegeben von H.-G. Nesselrath, eingelei­


h
tet, übersetzt und mit interpretierenden Essays
49 Cornuti Theologiae Graecae Compendium, re­ versehen von F. Berdozzo, G. Boys-Stones,
censuit et emendabat C. Lang (Lipsiae 1881) H.-J. Klauck, I. Ramelli, A. V. Zadorojnyi (Tü­
[BT]. bingen 2009) [SAPERE 14].
50 Cornuti Artis Rhetoricae Epitome, edidit et
commentatus est I. Graeven (Berolini 1891;
ND Dublin, Zürich 1973). Sekundärliteratur
51 Grammaticae Romanae Fragmenta Aetatis
Caesareae, collegit recensuit A. Mazzarino 60 A. D. Nock: Kornutos, in: RE Suppl. V (1931)
(Augustae Taurinorum 1955). – Fragmente zu 995–1005.
Cornutus: 167–209. 61 G. W. Most: Cornutus and Stoic Allegoresis: A
52 Lucius Annaeus Cornutus’ Epidrome (Intro­ Preliminary Report, in: ANRW II 36,3 (1989)
duction to the Traditions of Greek Theology). 2014–2065.
Introduction, Translation, and Notes by R. S. 62 G. R. Boys-Stones: Post-Hellenistic Philoso-
Hays (Austin 1983). phy: A Study of its Development from the
53 Anneo Cornuto: Compendio di teologia greca. Stoics to Origen (Oxford 2001).
Testo greco a fronte. Saggio introduttivo e in­ 63 D. N. Sedley: Stoic Metaphysics at Rome, in:
tegrativo, traduzione e apparati di I. Ramelli Metaphysics, Soul, and Ethics in Ancient
(Milano 2003). Thought. Themes from the Work of Richard So­
54 Cornutus: Die Griechischen Götter. Ein Über­ rabji, edited by R. Salles (Oxford 2005) 117–142.
blick über Namen, Bilder und Deutungen,

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 230 25.09.18 09:24


L. Annaeus Seneca 231

L. Annaeus Seneca

Ausgaben und Übersetzungen 85 L. Annaei Senecae dialogorum libri duodecim,


recognovit brevique adnotatione critica in­
struxit L. D. Reynolds (Oxonii 1977) [OCT].
86 L. Annaeus Seneca: Naturwissenschaftliche
Gesamtausgaben (seiner philosophischen Schriften)
Untersuchungen. Lateinisch und Deutsch,
69 L. Annaei Senecae Opera quae supersunt, edi­ ­herausgegeben und übersetzt von M. F. A. Brok
dit E. Hermes (vol. 1, fasc.1), C. Hosius (vol. 1, (Darmstadt 1995).
fasc. 2), A. Gercke (vol. 2), O. Hense (vol. 3), I– 87 Seneca: Moral and Political Essays, edited and
III (Lipsiae 1898–1907) [BT]. – In weiteren translated by J. M. Cooper, F. Procopé (Cam­
Ausgaben neu aufgelegt. bridge 1995) [Cambridge Texts in the History
70 Seneca: Philosophische Schriften, übersetzt, of Political Thought].
mit Einleitung und Anmerkungen versehen 88 L. Annaei Senecae naturalium quaestionum
von O. Apelt, I–IV (Leipzig 1923–1924; ­libros, recognovit H. M. Hine (Stutgardiae,
ND Wiesbaden 2004). Lipsiae 1996) [BT].
71 L. Annaeus Seneca: Philosophische Schriften. 89 Lucio Anneo Seneca: I frammenti, a cura di
Lateinisch und Deutsch, herausgegeben von D. Vottero (Bologna 1998).
M. Rosenbach, I–V (Darmstadt 1971).  – 90 Sénèque: De la clémence. Texte établi et tra­
­Diverse Nachdrucke der einzelnen Bände. Der duit par F.-R. Chaumartin (Paris 2005) [CUF].
lateinische Text ist den unten einzeln aufge­ 91 Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca
führten CUF-Ausgaben entnommen. und Paulus. Zusammen mit dem Brief des
72 Lucio Anneo Seneca. Tutte le opere: dialoghi, Mordechai an Alexander und dem Brief des
trattati, lettere e opere in poesia, a cura di Annaeus Seneca über Hochmut und Götter­
G. Reale. Con la collaborazione di A. Maras­ bilder, eingeleitet, übersetzt und mit inter­
toni, M. Natali, I. Ranelli (Milano 2000). pretierenden Essays versehen von A. Fürst,
Th.  Fuhrer, F. Siegert, P. Walter (Tübingen
2006) [SAPERE 11].
Einzelausgaben und Übersetzungen 92 L. Annaeus Seneca: Epistulae morales ad
78 Seneca: Epistles, with an English Translation by ­Lucilium. Lateinisch und deutsch, I–II. I, her­
R. M. Gummere, I–II (London, Cambridge MA ausgegeben und übersetzt von G. Fink. II, her­
1917–1920) [LCL 75]. – Diverse Nachdrucke. ausgegeben und übersetzt von R. Nickel
79 Sénèque: Dialogues. Texte établi et traduit par (Düsseldorf 2007–2009) [Sammlung Tusculum].
A. Bourgery, R. Waltz, I–IV (Paris 1921–1927) 93 Seneca: Selected Philosophical Letters, trans­
[CUF]. – Diverse Nachdrucke. lated with an Introduction and Commentary by
80 Sénèque: Des bienfaits. Texte établi par F. Pré­ B. Inwood (Oxford 2007) [Clarendon Later
chac, I–II (Paris 1926, 1929) [CUF]. – Diverse Ancient Philosophers].
Nachdrucke. 94 Seneca: Schriften zur Ethik. Die kleinen Dia­
81 Seneca: Moral Essays, with an English Transla­ loge, herausgegeben und übersetzt von G. Fink
tion by J. W. Basore, I–III (London, Cambridge (Düsseldorf, Zürich 2008) [Sammlung Tuscu­
MA 1928–1935) [LCL 214, 254, 310]. – Diverse lum].
Nachdrucke. 95 Lucius Annaeus Seneca: Letters on Ethics. To
82 Sénèque: Lettres à Lucilius. Texte établi par F. Lucilius, translated with an Introduction and
Préchac et traduit par H. Noblot, I–V (Paris Commentary by M. Graver, A. A. Long (Chi­
1945–1964) [CUF]. – Diverse Nachdrucke. cago 2015).
83 L. Annaei Senecae ad Lucilium epistulae mora­
les, recognovit et adnotatione critica instruxit L.
D. Reynolds, I–II (Oxonii 1965) [OCT]. – Di­ Sekundärliteratur
verse Nachdrucke.
84 Seneca: Naturales Quaestiones, with an Eng­ Zu Seneca’s Leben sind besonders zu empfeh­
lish Translation by T. H. Corcoran, I–II (Lon­ len Grimal 1978 [*113: 46–243], Brinkmann 2002
don, Cambridge MA 1971–1972) [LCL 450, [*140], Maurach 42005 [*149: 7–47] und Griffin
2 2003 [*150: 29–171].
457]. – Diverse Nachdrucke.

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232 Bibliographie zum zweiten Kapitel

Gute Hilfsmittel zur Annäherung an Senecas 115 P. Donini: L’eclettismo impossibile. Seneca e
­ rbeiten sind die Beiträge in Beyer, Erdmenger,
A il platonismo medio, in: Ders., G. F. Gianotti:
Kleinert 1992 [*124] für die ‹Naturales quaestio­ Modelli filosofici e letterari. Lucrezio, Ora­
nes› und die Bibliographie von Lana, Malaspina zio, Seneca (Bologna 1979) 149–300.
2005 [*148]. 116 J. Fillion-Lahille: Le ‹De ira› de Sénèque et
la philosophie stoïcienne des passions (Paris
100 A. Gercke: Seneca-Studien (Leipzig 1896; 1984).
ND Hildesheim, New York 1971). 117 K. Abel: Seneca. Leben und Leistung, in:
101 A. Momigliano: Note sulla leggenda del ANRW II 32,2 (1985) 653–775.
Christianesimo di Seneca, in: Rivista Storica 118 S. Gersh: Middle Platonism and Neoplatonism.
Italiana 62 (1950) 325–344. – Wieder in: The Latin Tradition, I–II (Notre Dame IN
Ders.: Contributo alla storia degli studi clas­ 1986) [Publications in Medieval Studies 23].
sici (Roma 1955) 13–32. 119 M. Griffin: Philosophy for Statesmen: Ci­
102 A. Guillemin: Sénèque, directeur d’âmes, in: cero and Seneca, in: Antikes Denken, mo­
REL 30 (1952) 202–219; 31 (1953) 215–234; 32 derne Schule. Beiträge zu den antiken
(1954) 250–274. Grundlagen unseres Denkens, herausgege­
103 F. Giancotti: Cronologia dei Dialoghi di ben von H. W. Schmidt, P. Wülfing (Heidel­
Seneca (Torino 1957). berg 1988) 133–150.
104 L. D. Reynolds: The Medieval Tradition of 120 A. Setaioli: Seneca e i Greci. Citazione e tra­
Seneca’s Letters (Oxford 1965). duzione nelle opere filosofiche (Bologna
105 K. Abel: Bauformen in Senecas Dialogen. 1988).
Fünf Strukturanalysen: dial. 6, 11, 12, 1 und 2 121 C. Codoñer: La physique de Sénèque: Ordon­
(Heidelberg 1967) [Bibliothek der klassischen nance et structure des ‹Naturales Quaestio­
Altertumswissenschaften NF, 2. Reihe, 18]. nes›, in: ANRW II 36,3 (1989) 1779–1822.
106 A. Bodson: La morale sociale des derniers 122 M. Lausberg: Senecae operum fragmenta:
Stoïciens, Sénèque, Epictète et Marc Aurèle Überblick und Forschungsbericht, in: ANRW
(Paris 1967). II 36,3 (1989) 1879–1961.
107 H. Cancik: Untersuchungen zu Senecas epis­ 123 M. Colish: The Stoic Tradition from Antiquity
tulae morales (Hildesheim 1967) [Spudas­ to the Early Middle Ages. I: Stoicism in Clas­
mata 18]. sical Latin Literature. II: Stoicism in Chris­
108 I. Hadot: Seneca und die griechisch-römische tian Latin Thought through the Sixth Century
Tradition der Seelenleitung (Berlin 1969) (Leiden, New York 21990) [Studies in the His­
[Quellen und S ­ tudien zur Geschichte der Phi­ tory of Christian Thought 34–35].
losophie 13]. 124 C. Beyer, J. Erdmenger, A. Kleinert: Die
109 A. Momigliano: Seneca Between Political and ­‹Naturales Quaestiones› von Lucius Annaeus
Contemplative Life, in: Ders.: Quarto contri­ Seneca: eine kommentierte Bibliographie, in:
buto alla storia degli studi classici e del mondo Nachrichten aus dem Institut für Geschichte
antico (Roma 1969; ND 1988) 239–256. der Naturwissenschaften, Mathematik und
110 M. Lausberg: Untersuchungen zu Senecas Technik, Universität Hamburg 22 (1992) ­22–35.
Fragmenten (Berlin 1970) [UaLG 7]. 125 P. Grimal: Le vocabulaire de l’intériorité
111 W. Trillitzsch: Seneca im literarischen Urteil dans l’œuvre philosophique de Sénèque, in:
der Antike. Darstellung und Sammlung der La langue latine. Langue de la philosophie,
Zeugnisse, I–II. I: Darstellung. II: Quellen­ Actes du colloque organisé par l’École fran­
sammlung (Testimonien) (Amsterdam 1971). çaise de Rome (17–19 mai 1990) (Roma 1992)
112 G. M. Ross: Seneca’s Philosophical Influence, 141–159.
in: Seneca, edited by C. D. N. Costa (London, 126 G. Lesses: Austere Friends: The Stoics and
Boston 1974) 116–165. Friendship, in: Apeiron 26 (1993) 57–75.
113 P. Grimal: Sénèque ou la conscience de 127 P. Veyne: Weisheit und Altruismus. Eine Ein­
l’empire (Paris 1978). führung in die Philosophie Senecas. Aus dem
114 K. Döring: Exemplum Socratis. Studien zur Französischen von H. Fliessbach (Frankfurt
Sokrateswirkung in der kynisch-stoischen a. M. 1993).
Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit
­ 128 M. C. Nussbaum: The Therapy of Desire.
und im frühen Christentum (Wiesbaden ­Theory and Practice in Hellenistic Ethics
1979) [Hermes – Einzelschriften 42]. (Princeton NJ 1994).

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 232 25.09.18 09:24


L. Annaeus Seneca 233
129 M. Armisen-Marchetti: L’intériorisation de 142 A. M. Müller: Die Selbsttötung in der Latei­
l’‹otium› chez Sénèque, in: Les loisirs et l’hé­ nischen Literatur der Kaiserzeit bis zum
ritage de la culture classique. Actes du XIIIe Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. (Zürich
congrès de l’Association G. Budé (Dijon, 2003).
27–31 août 1993), édités par J.-M. André, J. 143 R. Zöller: Die Vorstellung vom Willen in der
Dangel, P. Demont (Bruxelles 1996) 411–424. Morallehre Senecas (München, Leipzig 2003).
130 C. Edwards: Self-Scrutiny and Self-Transfor­ 144 M. von Albrecht: Wort und Wandlung:
mation in Seneca’s Letters, in: Greece & Senecas Lebenskunst (Leiden, Boston 2004)
Rome 44 (1997) 23–38. [Mnemosyne Suppl. 252].
131 B. Inwood: ‘Why Do Fools Fall In Love?’, in: 145 J. Cooper: Moral Theory and Moral Improve­
Aristotle and After, edited by R. Sorabji ment: Seneca, in: Proceedings of the Boston
(London 1997) [BICS Suppl. 68] 55–69. Area Colloquium of Ancient Philosophy 19
132 M. Mauch: Senecas Frauenbild in den philoso­ (2004) 57–84. – Wieder in: Ders.: Knowledge,
phischen Schriften (Frankfurt a. M., Bern Nature, and the Good. Essays on Ancient Phi­
1997) [Studien zur klassischen Philologie 106]. losophy (Princeton NJ, Oxford 2004) 309–334.
133 G. Reydams-Schils: Demiurge and Provi­ 146 B. M. Gauly: Senecas ‹Naturales Quaestio­
dence. Stoic and Platonist Readings of Plato’s nes›. Naturphilosophie für die römische Kai­
‹Timaeus› (Turnhout 1999) [Monothéismes et serzeit (München 2004) [Zetemata 122].
Philosophie 2]. 147 B. Inwood: Reading Seneca: Stoic Philosophy
134 Th. Fuhrer: The Philosopher as Multi-Millio­ at Rome (Oxford 2005).
naire: Seneca on Double Standards, in: Dou­ 148 Bibliografia Senecana del XX Secolo, ideata
ble Standards in the Ancient and Medieval e diretta da I. Lana, a cura di E. Malaspina
World, edited by K. Pollmann (Göttingen (Bologna 2005).
2000) [Beihefte zum Göttinger Forum für Al­ 149 G. Maurach: Seneca. Leben und Werk
tertumswissenschaft 1] 201–219. (Darmstadt 1991, 42005).
135 Ch. Gill: Stoic Writers of the Imperial Era, in: 150 M. T. Griffin: Seneca. A Philosopher in Poli­
The Cambridge History of Greek and Roman tics (Oxford 1976, 22003).
Political Thought, edited by C. J. Rowe, 151 J. Sellars: Stoicism (Berkeley CA 2006).
M. Schofield (Cambridge 2000) 597–615. 152 J. Wildberger: Seneca und die Stoa: Der Platz
136 A. M. Ioppolo: Decreta e praecepta in Seneca, des Menschen in der Welt, I–II (Berlin, New
in: La filosofia in età imperiale. Le scuole e le York 2006) [UaLG 84].
tradizione filosofiche, a cura di A. Brancacci 153 Seneca and the Self, edited by S. Bartsch, D.
(Napoli 2000) [Elenchos 21] 13–36. Wray (Cambridge 2009).
137 R. Sorabji: Emotion and Peace of Mind: From 154 G. Reydams-Schils: Seneca’s Platonism: The
Stoic Agitation to Christian Temptation Soul and its Divine Origin, in: Ancient Mo­
­(Oxford 2000). dels of Mind. Studies in Human and Divine
138 C. Torre: Il matrimonio del ‘sapiens’. Ricer­ Rationality, edited by A. Nightingale, D. Sed­
che sul ‹De Matrimonio› di Seneca (Genova ley (Cambridge 2010) 196–215.
2000). 155 G. Williams: The Cosmic Viewpoint: A Study
139 M. Foucault: L’herméneutique du sujet. Cours of Seneca’s ‹Natural Questions› (New York
au Collège de France (1981–1982). Édition 2012).
par F. Gros (Paris 2001). 156 Brill’s Companion to Seneca. Philosopher
140 M. Brinkmann: Seneca in den Annalen des and Dramatist, edited by G. Damschen, A.
Tacitus (Bonn 2002). Heil (Leiden 2014).
141 M. Morford: The Roman Philosophers: From 157 Seneca philosophus, edited by J. Wildberger,
the Time of Cato the Censor to the Death of M. Colish (Berlin 2014) [Trends in Classics
Marcus Aurelius (London, New York 2002). Suppl. 27].

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234 Bibliographie zum zweiten Kapitel

C. Musonius Rufus und Lukios

Ausgaben und Übersetzungen 173 E. Eyben: De latere Stoa over het huwelijk, in:
Hermeneus 50 (1978) 15–32, 71–94, 337–359.
160 C. Musonii Rufi Reliquiae, edidit O. Hense 174 R. Laurenti: Musonio, maestro di Epitteto, in:
(Lipsiae 1905; ND 1990) [BT]. – Maßgebliche ANRW II 36,3 (1989) 2105–2146.
Ausgabe. 175 E. Asmis: The Stoics on Women, in: Feminism
161 C. Lutz: Musonius Rufus, ‘The Roman Socra­ and Ancient Philosophy, edited by J. K. Ward
tes’, in: Yale Classical Studies 10 (1947) 3–147.
 (New York, London 1996) 68–92.
162 A. Jagu: Musonius Rufus. Entretiens et frag­ 176 R. Valantasis: Musonius Rufus and Greco-
ments. Introduction, traduction et commen­ Roman Ascetical Theory, in: GRBS 40 (1999)
taire (Hildesheim 1979) [Studien und 207–231.
Materialien zur Geschichte der Philosophie 5]. 177 V. Laurand: Stoïcisme et lien social à l’époque
163 Epiktet, Teles und Musonius: Wege zum impériale. Enquête autour de l’enseignement
Glück. Auf der Grundlage der Übertragung de Musonius Rufus (Diss. Paris 2002).
von W. Capelle neu übersetzt, mit Anmerkun­ 178 M. Nussbaum: The Incomplete Feminism
gen versehen und eingeleitet von R. Nickel of  Musonius Rufus, Platonist, Stoic, and
(Zürich, München 1987). Roman, in: The Sleep of Reason. Erotic Expe­
164 Musonio Rufo: Diatribe, frammenti e testi­ rience and Sexual Ethics in Ancient Greece
monianze, a cura di I. Ramelli, con introdu­ and Rome, edited by M. Nussbaum, J. Sihvola
zione, traduzione, note e apparati (Milano (Chicago, London 2002) 283–326.
2001). 179 G. Wöhrle: Wenn Frauen Platons Staat lesen.
165 Musonius Rufus, a cura di I. Andorlini, Oder: Epiktet und Musonius konstruieren
R.  Laurenti, in: Corpus dei papiri filosofici Geschlechterrollen, in: WJA NF 26 (2002)
Greci e Latini. Testi e lessico nei papiri di 135–143.
­cultura greca e latina. Parte I: Autori noti, 180 V. Laurand: Souci de soi et mariage chez Mu­
vol. 1** (Firenze 1992) 480–492. sonius Rufus: Perspectives politiques de la
κράσις stoïcienne, in: Foucault et la philo­
sophie antique, sous la direction de F. Gros,
Sekundärliteratur C. Lévy (Paris 2003) 85–116.
181 V. Laurand: Stoïcisme et lien social. Enquête
171 D. Babut: Les Stoïciens et l’amour, in: REG autour de Musonius Rufus. Préface de
76 (1963) 55–63. C. Lévy (Paris 2014).
172 A. C. van Geytenbeek: Musonius Rufus and
Greek Diatribe (Assen 1963).

Epiktet

Ausgaben und Übersetzungen 189 Épictète: Entretiens. Texte établi et traduit


par J. Souilhé, I–II (Paris 1948–1965; ND
2003) [CUF].
187 Epicteti dissertationes ab Arriano digestae ad 190 Epiktet: Vom Kynismus, herausgegeben und
fidem codicis bodleiani recensuit H. Schenkl übersetzt mit einem Kommentar von M. Biller­
(Lipsiae 1894; ed. minor 1916) [BT]. beck (Leiden 1978) [PhA 34].
188 Epictetus: The Discourses as Reported by 191 Epictetus: Discourses. Book 1, translated
­Arrian, Fragments, Encheiridion, with an with an Introduction and Commentary by
English Translation by W. A. Oldfather, I–II R. F. Dobbin (Oxford 1998).
(London, Cambridge MA 1925–1928; ND 192 K. Seddon: Epictetus’ Handbook and Cebes’
1998–2000) [LCL 131, 218]. Tablet. Guides to Stoic Living (London 2005).

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 234 25.09.18 09:24


Marcus Aurelius 235
193 Epiktet: Anleitung zum glücklichen Leben Épictète, in: Études philosophiques 1 (1978)
(Encheiridion), herausgegeben und übersetzt 65–83. – Wieder in: Ders.: Exer­cices spirituels
von R. Nickel (Düsseldorf 2006). et philosophie antique (Paris 1993) 165–192.
194 L. Willms: Epiktets Diatribe ‹Über die Frei­ 205 K. Döring: Sokrates bei Epiktet, in: Studia
heit› (4.1), I–II (Heidelberg 2011–2012) [Wis­ Platonica. FS Hermann Gundert, herausgege­
senschaftliche Kommentare zu griechischen ben von K. Döring, W. Kullmann (Amster­
und lateinischen Schriftstellern]. dam 1974) 195–226.
195 Epiktet: Was ist wahre Freiheit? Diatribe 206 R. Dobbin: Προαίρεσις in Epictetus, in:
IV 1, eingeleitet, übersetzt und mit interpre­ ­AncPhil 11 (1991) 111–135.
tierenden Essays versehen von S. Vollenwei­ 207 B. Inwood: L’Oikeiôsis sociale chez Épictète,
der, M. Baumbach, E. Ebel, M. Forschner, in: Polyhistor. Studies in the History and His­
T. Schmeller (Tübingen 2013) [SAPERE 22]. toriography of Ancient Philosophy presented
196 U. Brandt: Kommentar zu Epiktets ‹Enchei­ to Jaap Mansfeld on his sixtieth birthday,
ridion› (Heidelberg 2015) [Wissenschaftliche edit­ed by K. A. Algra, P. W. van der Horst,
Kommentare zu griechischen und lateini­ D. T. Runia (Leiden, New York 1996) [PhA
schen Schriftstellern]. 72] 243–264.
208 R. Kamtekar: ΑΙΔΩΣ in Epictetus, in: CPh 93
(1998) 136–160.
Sekundärliteratur 209 A. A. Long: Epictetus as Socratic Mentor, in:
PCPhS 46 (2000) 79–98.
199 A. Bonhöffer: Epictet und die Stoa. Unter­ 210 E. Asmis: Choice in Epictetus’ Philosophy, in:
suchungen zur Stoischen Philosophie (Stutt­ Antiquity and Humanity. Essays on Ancient
gart 1890). Religion and Philosophy. FS Hans Dieter
200 A. Bonhöffer: Die Ethik des Stoikers Epictet Betz, ­edited by A. Yarbro Collins, M. M. Mit­
(Stuttgart 1894; ND 1968). chell (Tübingen 2001) 387–412.
201 B. L. Hijmans: ἌΣΚΗΣΙΣ. Notes on Epictetus’ 211 A. A. Long: Epictetus. A Stoic and Socratic
Educational System (Assen 1959). Guide to Life (Oxford 2002).
202 R. Laurenti: Musonio et Epitteto, in: Sophia 212 J.-B. Gourinat: Le Socrate d’Épictète, in:
34 (1966) 317–335. ­Philosophie antique 1 (2003) 137–165.
203 W. Klassen: ‘Humanitas’ As Seen by Epicte­ 213 The Philosophy of Epictetus, edited by
tus and Musonius Rufus, in: Studi storico-­ Th. Scaltsas, A. Mason (Oxford 2007). – Auf­
religiosi 1 (1977) 63–82. sätze namhafter Philosophen zu verschiede­
204 P. Hadot: Une clé des Pensées de Marc nen ­Aspekten von Epiktets Philosophie.
­Aurèle: les trois topoi philosophiques selon

Marcus Aurelius

Ausgaben und Übersetzungen sich selbst. Textum graecum recognovit G.


Theiler / Herausgegeben und übertragen von
W. Theiler (Zürich, München 21974) [Die Bi­
219 Marc Aurèle: Pensées. Texte établi par
bliothek der Alten Welt, Griechische Reihe].
A. I. Trannoy (Paris 1925, 61983). – Neue Be­
223 Marci Aurelii Antonini Ad se ipsum libri XII,
arbeitung: Marc Aurèle: Écrits pour lui-même,
edidit J. Dalfen (Lipsiae 1979, 21987) [BT].
I. Texte établi et traduit par P. Hadot (Paris
224 Marc Aurel: Wege zu sich selbst, herausgege­
1998, 22002) [CUF]. – Tome 2 in Vorberei­
ben und übersetzt von R. Nickel (Düsseldorf,
tung.
Zürich 1990, 32004) [Sammlung Tusculum].
220 The Meditations of the Emperor Marcus An­
225 Fronton: Correspondance. Textes traduits et
toninus, edited with translation and commen­
commentés par P. Fleury (Paris 2003) [CUF].
tary by A. S. L. Farquharson (Oxford 1944).
226 Marc Aurel: Selbstbetrachtungen, übersetzt
221 M. Cornelius Fronto: Epistulae, edidit M. P. J.
und erläutert von W. Capelle, überarbeitet
van den Hout (Lipsiae 1954, 21988) [BT].
und neu eingeleitet von J. Fündling (Stuttgart
222 ΜΑΡΚΟΥ ΑΝΤΩΝΙΝΟΥ ΑΥΤΟ ΚΡΑΤΟΡΟΣ ΤΑ 13
2008). – Erstauflage 1933.
ΕΙΣ ΕΑΥΤΟΝ / Kaiser Mark Aurel: Wege zu

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 235 25.09.18 09:24


236 Bibliographie zum zweiten Kapitel

227 Marco Aurelio: Pensieri. Testo greco a fronte. 238 J. Kraye: ‘Ethnicorum omnium sanctissimus’:
Introduzione, traduzione, note e apparati di Marcus Aurelius and His ‹Meditations› from
C. Cassanmagnago (Milano 2008). Xylander to Diderot, in: Humanism and Early
228 Marcus Aurelius: Meditations Books 1–6, Modern Philosophy, edited by J. Kraye, M. W.
translated with an Introduction and Com­ F. Stone (London 2000) 107–134.
mentary by C. Gill (Oxford 2013). 239 J. Annas: Marcus Aurelius: Ethics and its
Background, in: Rhizai. A Journal for An­cient
Philosophy and Science 1 (2004) 103–119.
Sekundärliteratur 240 J. Brunschwig: Sur deux notions de l’éthique
stoïcienne. De la ‘réserve’ au ‘renversement’,
232 F. Martinazzoli: La «successio» di Marco Au­ in: Les Stoïciens. Études sous la direction
relio. Struttura e spirito del primo libro dei de  G. R. Dherbey, réunies et éditées par
«Pensieri» (Bari 1951) [MOUSIKAI DIA­ J.-B. Gourinat (Paris 2005) 357–380.
LEKTIKOI Suppl. 5, 1]. 241 A. Giavatto: Interlocutore di se stesso. La dia­
233 P. A. Brunt: Marcus Aurelius in His ‹Medita­ lettica di Marco Aurelio (Hildesheim 2008).
tions›, in: JRS 64 (1974) 1–20. 242 M. van Ackeren: Die Philosophie Marc
234 E. Asmis: The Stoicism of Marcus Aurelius, ­Aurels, I–II (Berlin 2011) [Quellen und Stu­
in: ANRW II 36,3 (1989) 2228–2252. dien zur Philosophie 103].
235 R. B. Rutherford: The ‹Meditations› of Mar­ 243 A Companion to Marcus Aurelius, edited by
cus Aurelius. A Study (Oxford 1989). M. van Ackeren (Malden MA 2012).
236 P. Hadot: La citadelle intérieure. Introduction 244 Selbstbetrachtungen und Selbstdarstellungen.
aux ‹Pensées› de Marc Aurèle (Paris 1992, Der Philosoph und Kaiser Marc Aurel in in­
21997). terdisziplinärem Licht. Akten des interdiszi­
237 T. Engberg-Pedersen: Marcus Aurelius on plinären Kolloquiums Köln, 23.–25. Juli 2009,
Emotions, in: The Emotions in Hellenistic herausgegeben von M. van Ackeren, J. Opso­
Philosophy, edited by J. Sihvola, T. Engberg- mer (Wiesbaden 2012).
Pedersen (Dordrecht 1998) 305–337.

Hierokles

Ausgaben und Übersetzungen Sekundärliteratur

249 Hierokles: Ethische Elementarlehre (Papyrus 257 K. Praechter: Hierokles der Stoiker (Leipzig
9780), nebst den bei Stobäus erhaltenen ethi­ 1901).
schen Exzerpten aus Hierokles unter Mitwir­ 258 B. Inwood: Hierocles: Theory and Argument
kung von W. Schubart bearbeitet von H. von in the Second Century AD, in: OSAPh 2
Arnim (Berlin 1906). (1984) 151–183.
250 G. Bastianini, A. A. Long: Hierocles, in: Cor­ 259 M. Isnardi Parente: Ierocle stoico. Oikeiosis e
pus dei papiri filosofici Greci e Latini. Testi e doveri sociali, in: ANRW II 36,3 (1989) 2201–
lessico nei papiri di cultura greca e latina. 2226.
Parte I: Autori noti, vol. 1** (Firenze 1992) 260 M. Whitlock Blundell: Parental Nature and
268–451. Stoic Οἰκείωσις, in: AncPhil 10 (1990) 221–
251 Hierocles the Stoic: ‹Elements of Ethics›, 242.
Fragments and Excerpts, by I. Ramelli, trans­
lated by D. Konstan (Leiden 2009). [Writings
from the Greco-Roman World 28].

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 236 25.09.18 09:24


Nachwirkung der stoischen Ethik in Platonismus und Christentum 237

Stoische Einflüsse in der römischen Literatur neronischer Zeit

266 J. Wildberger: Quanta sub nocte iaceret nos­ 268 D. B. George: The Stoic Poet Lucan. Lucan’s
tra dies (Lucan. 9,13f.) – Stoizismen als Mittel ‹Bellum civile› and Stoic Ethical Theory
der Verfremdung bei Lucan, in: Lucan im 21. (Ann Arbor MI 1986). – Xeroskopie.
Jahrhundert, herausgegeben von Ch. Walde 269 K. Volk: Manilius and His Intellectual Back­
(München, Leipzig 2005) 56–88. ground (Oxford 2009).
267 P. Grimal: Quelques aspects du stoïcisme de 270 K. J. Reckford: Recognizing Persius (Prince­
Lucain dans la ‹Pharsale›, in: Bulletin de la ton 2009).
Classe des lettres de l’Académie Royale de
Belgique 69 (1983) 401–416.

Nachwirkung der stoischen Ethik in Platonismus und Christentum

Ausgaben und Übersetzungen 289 M. Djuth: Stoicism and Augustine’s Doctrine


of Human Freedom after 396, in: Collectanea
Augustiniana. Augustine: ‘Second Founder of
276 Simplicius: Commentaire sur le ‹Manuel›
the Faith’, edited by J. C. Schnaubelt, F. van
d’Épictète. Introduction et édition critique du
Fleteren (New York 1990) 387–401.
texte grec par I. Hadot (Leiden, New York
290 M. Spanneut: L’impact de l’apatheia stoїcienne
1996) [PhA 66].
sur la pensée chrétienne jusqu’à saint Augus­
277 G. Boter: The ‹Encheiridion› of Epictetus and
tin, in: Cristianismo y aculturación en tiem­
its Three Christian Adaptations. Transmis­
pos del imperio romano, editado por A.
sion and Critical editions (Leiden, Boston
González Blanco, J. M. Blázquez Martines
1999) [PhA 82].
(Murcia 1990) 35–52.
278 Commentaire sur la ‹Paraphrase chrétienne›
291 I. Gobry: La critique augustinienne du
du ‹Manuel› d’Épictète. Introduction, texte
stoїcisme, in: Diotima 20 (1992) 115–121.
(partiellement) inédit, apparat critique, tra­
292 J. N. Torchia: St. Augustine’s Critique of the
duction, notes et index par M. Spanneut
Adiaphora. A Key Component of His Rebut­
(Paris 2007) [SC 503].
tal of Stoic Ethics, in: Studia moralia 38
(2000) 165–195.
293 Ch. Brittain: Non-Rational Perception in the
Sekundärliteratur
Stoics and Augustine, in: OSAPh 22 (2002)
253–308.
284 P. Wendland: Quaestiones Musonianae, De 294 G. Reydams-Schils: Virtue, Marriage, and
Musonio stoico Clementis Alexandrini alio­ Parenthood in Simplicius’ ‹Commentary on
rumque auctore (Diss. Berlin 1886). Epictetus’ ‹Encheiridion››, in: Platonisms:
285 C. P. Parker: Musonius in Clement, in: HSPh Ancient, Modern, and Postmodern, edited by
12 (1901) 191–200. J. Kraye, M. W. F. Stone (Leiden, Boston
286 J. Stelzenberger: Die Beziehungen der früh­ 2007) [SPNPT 4] 109–125.
christlichen Sittenlehre zur Ethik der Stoa. 295 S. Byers: Perception, Sensibility, and Moral
Eine moralgeschichtliche Studie (München Motivation in Augustine: A Stoic-Platonic
1933; ND Hildesheim 1989). Synthesis (Cambridge 2013).
287 M. Spanneut: Le stoïcisme des pères de 296 G. Reydams-Schils: Musonius Rufus, in:
l’Église de Clément de Rome à Clément RAC 25 (2013) 345–357. – Übersetzt von
d’Alexandrie (Paris 1957). M. Siede.
288 M. Spanneut: Le stoїcisme et Saint Augustin,
in: Forma futuri. Studi in onore del Cardinale
M. Pellegrino (Torino 1975) 896–914.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 237 25.09.18 09:24


238 Bibliographie zum zweiten Kapitel

III. KYNIKER

Überblick

302 H. Weber: De Senecae philosophi dicendi ge­ 314 J.-M. André: Les écoles philosophiques aux
nere Bioneo (Marpurgi Cattorum 1895). deux premiers siècles de l’Empire, in: ANRW
303 P. Wendland: Philo und die kynisch-stoische II 36,1 (1987) 5–77.
Diatribe, in: Beiträge zur Geschichte der 315 M. Griffin: Philosophy, Politics, and Politi­
griechischen Philosophie und Religion, her­ cians at Rome, in: Philosophia togata. Essays
ausgegeben von P. Wendland, O. Kern (Berlin on Philosophy and Roman Society, edited by
1895) 3–75. M. Griffin, J. Barnes (Oxford 1989) 1–37.
304 P. Vallette: Les Cyniques, in: RThPh 11 316 M.-O. Goulet-Cazé: Le cynisme à l’époque
(1923) 5–33. impériale, in: ANRW II 36,4 (1990) 2720–
305 A. Oltramare: Les origines de la diatribe ro­ 2833.
maine (Lausanne 1926). 317 A. Brancacci: I κοινῇ ἀρέσκοντα dei Cinici e
306 L. Robert: Pantomimen im griechischen la κοινωνία tra cinismo e stoicismo nel libro
­Orient, in: Hermes 65 (1930) 106–122. VI (103–105) delle ‘Vite’ di Diogene Laerzio,
307 L. Robert: Villes d’Asie mineure. Études de in: ANRW II 36,6 (1992) 4049–4075.
géographie ancienne (Paris 1935, 21962). 318 Le cynisme ancien et ses prolongements.
308 D. R. Dudley: A History of Cynicism from Actes du Colloque Internationale du CNRS
Diogenes to the 6th Century A.D. (London (Paris, 22–25 juillet 1991), sous la direction de
1937). – Zu Demonax: 158–162. M.-O. Goulet-Cazé, R. Goulet (Paris 1993).
309 F. Schweingruber: Sokrates und Epiktet, in: 319 M. T. Griffin: Le mouvement cynique et les
Hermes 78 (1943) 52–79. Romains: attraction et répulsion, in: Goulet-
310 A. Jagu: Epictète et Platon. Essai sur les rela­ Cazé, Goulet 1993 [*318: 241–258].
tions du Stoïcisme et du Platonisme à propos 320 A. Brancacci: Cinismo e predicazione popo­
de la Morale des Entretiens (Paris 1946). lare, in: Lo spazio letterario della Grecia
311 H. A. Musurillo: The Acts of the Pagan Mar­ ­a ntica. I,3: La produzione e la circolazione
tyrs (Oxford 1954). – Vor allem Appendix V, del testo: I Greci e Roma, a cura di G. Cam­
The Acta and the Cynics: 267–277. biano, L. Canfora, D. Lanza (Roma 1994)
312 J.-M. André: L’Otium dans la vie morale et in­ 433–455.
tellectuelle romaine des origines à l’époque 322 A. Brancacci: Il contributo dei papiri alla
augustéenne (Paris 1966) 209–277. gnomica di tradizione cinica, in: Aspetti di
313 J. Roca Ferrer: Kynikos tropos. Cinismo y letteratura gnomica nel mondo antico II, a
subversion literaria en la antiguedad (Barce­ cura di M. S. Funghi (Firenze 2004) 221–248.
lona 1974). 323 K. Döring: Die Kyniker (Bamberg 2006).

Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax, Peregrinos

Primärliteratur 331 Dionis Chrysostomi orationes, post Ludo­


vicum Dindorfium edidit G. de Budé, I–II
329 Dionis Prusaensis quem vocant Chrysosto­ (Lipsiae 1916–1919) [BT].
mum quae exstant omnia, edidit apparatu cri­ 332 Dio Chrysostom: Discourses, with an English
tico instruxit J. de Arnim, I–II (Berolini Translation by J. W. Cohoon, H. Lamar
1893–1896). Crosby, I–V (Cambridge MA, London 1932–
330 Lucian, with an English Translation by A. M. 1951) [LCL 257, 339, 358, 376, 385].
Harmon, K. Kilburn, M. D. MacLeod, I–VIII 333 Luciani opera, recognovit, brevique adnota­
(Cambridge MA, London 1913–1967) [LCL tione critica instruxit M. D. Macleod, I–IV
14, 54, 130, 162, 302, 430–432]. – Zu Demo­ (Oxonii 1972–1987) [OCT].
nax: I 141–173; zu Peregrinos: V 1–51.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 238 25.09.18 09:24


Demetrios, Dion Chrysostomos, Demonax, Peregrinos 239
334 M. Billerbeck: Der Kyniker Demetrius. Ein 358 H. Maier: Sokrates. Sein Werk und seine ge­
Beitrag zur Geschichte der frühkaiserzeit­ schichtliche Stellung (Tübingen 1913).
lichen Popularphilosophie (Leiden 1979) 359 L. François: Essai sur Dion Chrysostome
[PhA 36]. (Paris 1921).
335 Lukian: Werke in drei Bänden, aus dem 360 K. von Fritz: Quellenuntersuchungen zu Leben
­Griechischen übersetzt von C. M. Wieland, und Philosophie des Diogenes von Sinope
herausgegeben von J. Werner, H. Greiner-Mai (Leipzig 1926) [Philologus Suppl. 18,2].
(Berlin, Weimar 1981). – Zu Demonax: II 361 H. M. Hornsby: The Cynicism of Peregrinus
110–124. Proteus, in: Hermathena 48 (1933) 65–84. –
336 Lukian: Der Tod des Peregrinos. Ein Schar­ Wieder in: Die Kyniker in der modernen For­
latan auf dem Scheiterhaufen, herausgegeben, schung, herausgegeben von M. Billerbeck
übersetzt und mit Beiträgen versehen von (Amsterdam 1991) 167–181.
P.  Pilhofer, M. Baumbach, J. Gerlach, 362 K. von Fritz: Peregrinus (16), in: RE XIX 1
D. U. Hansen (Darmstadt 2005) [SAPERE 9]. (1937) 656–663.
363 R. Höistad: Cynic Hero and Cynic King.
Studies in the Cynic Conception of Man
­
Sekundärliteratur (Uppsala 1948).
364 A. Brancacci: Le orazioni diogeniane di
342 J. Bernays: Lucian und die Kyniker (Berlin Dione Crisostomo, in: Scuole socratiche
1879). ­m inori e filosofia ellenistica, a cura di G.
343 F. Dümmler: Antisthenica (Halle 1882). – ­Giannantoni (Bologna 1977) 141–171.
Wieder in: Ders.: Kleine Schriften I: Zur grie­ 365 M. Szarmach: Les discours diogéniens de
chischen Philosophie (Leipzig 1901) 10–78. Dion de Pruse, in: Eos 65 (1977) 77–90.
344 P. Hagen: Quaestiones Dioneae (Kiel 1887). 366 P. Desideri: Dione di Prusa. Un intellettuale
345 E. Weber: De Dione Chrysostomo Cynico­ greco nell’impero romano (Firenze, Messina
rum sectatore, in: Leipziger Studien für 1978).
­classische Philologie 10 (1887) 77–268. 367 C. P. Jones: The Roman World of Dio Chry­
346 F. Dümmler: Akademika. Beiträge zur Lite­ sostom (Cambridge MA, London 1978).
raturgeschichte der sokratischen Schulen 368 J. Moles: The Career and Conversion of Dio
(Giessen 1889). Chrysostom, in: JHS 98 (1978) 79–100.
347 K. Joël: Der echte und der xenophontische 369 A. Brancacci: Tradizione cinica e problemi di
Sokrates, I–II (Berlin 1893–1901).
 datazione nelle orazioni diogeniane di Dione
348 R. Hirzel: Der Dialog. Ein literarhistorischer di Prusa, in: Elenchos 1 (1980) 92–122.
Versuch, I–II (Leipzig 1895). – Zu Dion: II 370 K. J. F. Kindstrand: Demetrius the Cynic, in:
84–119. Philologus 124 (1980) 83–98.
349 C. Hahn: De Dionis Chrysostomi orationi­ 371 M. Billerbeck: La réception du Cynisme à
bus, quae inscribuntur Diogenes (VI, VIII, Rome, in: AC 51 (1982) 151–173.
IX, X) (Homburg 1896). 372 J. Moles: «Honestius quam ambitiosius»? An
350 J. Wegehaupt: De Dione Chrysostomo Xeno­ Exploration of the Cynic’s Attitude to Moral
phontis sectatore (Gotha 1896). Corruption in his Fellow Men, in: JHS 103
351 A. Sonny: Ad Dionem Chrysostomum ana­ (1983) 103–123.
lecta (Kiev 1896). 373 A. Brancacci: Rhetorike philosophousa.
352 H. von Arnim: Demetrios (91), in: RE IV 2 Dione Crisostomo nella cultura antica e
(1901) 2843–2844. ­bizantina (Napoli 1985) [Elenchos 11].
353 K. Praechter: Zur Frage nach der Composi­ 374 C. P. Jones: Culture and Society in Lucian
tion der sechsten Rede des Dion Chrysosto­ (Cambridge MA, London 1986).
mus, in: Hermes 37 (1902) 283–291. 375 M. J. Edwards: Satire and Verisimilitude.
354 H. von Arnim: Demonax (1), in: RE V 1 Christianity in Lucian’s Peregrinus, in: Histo­
(1903) 143–144. ria 38 (1989) 89–98.
355 W. Schmid: Dion (18), in: RE V 1 (1903) 848– 376 A. Brancacci: Oikeios logos. La filosofia del
877. linguaggio di Antistene (Napoli 1990) [Elen­
356 R. Helm: Lucian und Menipp (Leipzig 1906; chos 20]. – Französische Übersetzung: Anti­
ND Hildesheim 1967). sthène. Le discours propre (Paris 2005).
357 K. Funk: Untersuchungen über die luciani­ 377 B. F. Harris: Dio of Prusa: a Survey of Recent
sche ‹Vita Demonactis› (Leipzig 1907) [Phi­ Work, in: ANRW II 33,5 (1991) 3853–3881.
lologus Suppl. 10] 559–674.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 239 25.09.18 09:24


240 Bibliographie zum zweiten Kapitel

378 A. Brancacci: Struttura compositiva e fonti 386 H.-G. Nesselrath: Lucien et le Cynisme, in:
della terza orazione ‘Sulla regalità’ di Dione AC 67 (1998) 121–135.
Crisostomo. Dione e l’‘Archelao’ di Anti­ 387 R. Soto Rivera: De Parménides a Demonacte:
stene, in: ANRW II 36,5 (1992) 3308–3334. hilos de una urdimbre textual: para una nueva
379 D. Clay: Lucian of Samosata. Four Philoso­ historia de la filosofia (Puerto Rico 1999).
phical Lives (Nigrinus, Demonax, Peregrinus, 388 Dio Chrysostom. Politics, Letters, and Philo­
Alexander Pseudomantis), in: ANRW II 36,5 sophy, edited by S. Swain (Oxford 2000).
(1992) 3406–3450. – Zu Demonax: 3425– 389 A. Brancacci: Dio, Socrates, and Cynicism,
3429; zu Peregrinus: 3430–3438. in: Swain 2000 [*388: 240–260].
380 S. Follet: Les cyniques dans la poésie épi­ 390 J. Moles: The Dionian Charidemus, in: Swain
grammatique à l’époque impériale, in: Goulet-­ 2000 [*388: 187–210].
Cazé, Goulet 1993 [*318: 359–380]. 391 A. Brancacci: Le Socrate de Dion Chrysos­
381 P. Jones: Cynisme et sagesse barbare: Le cas tome, in: Philosophie antique 1 (2001) 167–
de Pérégrinus Proteus, in: Goulet-Cazé, 182.
­Goulet 1993 [*318: 305–317]. 392 I. Ramelli: Tracce di montanismo nel ‹Per­e­
382 F. Jouan: Le Diogène de Dion Chrysostome, grino› di Luciano?, in: Aevum 79 (2005)
in: Goulet-Cazé, Goulet 1993 [*318: 381–397]. ­79–94.
383 M. Billerbeck: Démetrios, in: DPhA II (1994) 393 J. Moles: The Thirteenth Oration of Dio
622–623. Chrysostom: Complexity and Simplicity,
384 P. Desideri: Dion Cocceianus de Pruse dit Rhetoric and Moralism, Literature and Life,
Chrysostome, in: DPhA II (1994) 841–856. in: JHS 125 (2005) 112–138.
385 S. Swain: Hellenism and Empire. Language,
Classicism, and Power in the Greek World AD
50–250 (Oxford 1996). – Zu Dion: 187–241.

Oinomaos von Gadara

Primärliteratur 407 A. Brancacci: Libertà e fato in Enomao di


Gadara, in: La filosofia in età imperiale. Le
398 De Oenomao Cynico disseruit, Oenomai libri scuole e le tradizioni filosofiche, a cura di
qui inscribitur γοήτων φώρα reliquias Graece A. Brancacci (Napoli 2000) [Elenchos 31] 37–
Latine edidit, commentario instruxit P. Val­ 67.
lette (Lutetiae Parisorum 1908). 408 A. Brancacci: La polemica antifatalistica di
399 Die Orakelkritik des Kynikers Oenomaus, Enomao di Gadara, in: Antichi e moderni
herausgegeben von J. Hammerstaedt (Frank­ nella filosofia di età imperiale, a cura di
furt a. M. 1988). A. Brancacci (Napoli 2001) [Elenchos 34] 71–
110.
409 A. Brancacci: L’attore e il cambiamento di
Sekundärliteratur ruolo nel cinismo, in: Philologus 146 (2002)
65–86.
405 H. J. Mette: Oinomaos (5), in: RE XVII 2 410 S. Husson: Œnomaus de Gadara: le dialogue
(1937) 2249–2251. contre le destin, in: Chôra. Revue d’études
406 J. Hammerstaedt: Le cynisme littéraire à anciennes et médiévales 12 (2014) 121–143.
l’époque impériale, in: Goulet-Cazé, Goulet 411 A. Brancacci: La polémique contre les oracles
1993 [*318: 399–418]. d’Œnomaos de Gadara, in: Revue de philoso­
phie ancienne 35 (2017) 197–220.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 240 25.09.18 09:24


Kynische Epistolographen, Philosophische Literatur über den Kynismus 241

Der Kynismus bis Maximos von Alexandrien und Salustios aus Syrien

415 R. Asmus: Gregorius von Nazianz und sein 423 F. G. Downing: Cynics and Early Christian­
Verhältnis zum Kynismus. Eine patristisch- ity, in: Goulet-Cazé, Goulet 1993 [*318: 281–
philosophische Studie, in: Theologische Stu­ 304].
dien und Kritiken 67 (1894) 314–339. – Wieder 424 D. Krueger: Diogenes the Cynic Among the
in: Die Kyniker in der modernen Forschung, Fourth Century Fathers, in: VChr 47 (1993)
herausgegeben von M. Billerbeck (Amster­ 29–49.
dam 1991) 185–205. 425 M. Ebner: Kynische Jesusinterpretation –
416 R. Asmus: Der Kyniker Sallustius bei Damas­ «disciplined exaggeration», in: Biblische Zeit­
cius, in: Neue Jahrbücher für das klassische schrift 40 (1996) 93–100.
Altertum, Geschichte und deutsche Literatur 426 F. G. Downing: The Jewish Cynic Jesus, in:
und für Pädagogik 25 (1910) 504–522. – Wie­ Jesus, Mark and Q. The Teaching of Jesus and
der in: Die Kyniker in der modernen For­ its Earliest records, edited by M. Labahn,
schung, herausgegeben von M. Billerbeck A. Schmidt (Sheffield 2001) 184–214.
(Amsterdam 1991) 207–229. 427 C. Moreschini: Dottrine ciniche ed etica cris­
417 K. Praechter: Sallustius (39), in: RE I A 2 tiana nella poesia di Gregorio Nazianzeno, in:
(1920) 1967–1970. La poesia tardoantica e medievale. Atti del
418 W. Burkert: Weisheit und Wissenschaft. Stu­ 1.  Convegno internazionale di studi (Mace­
dien zu Pythagoras, Philolaos und Platon rata, 4–5 maggio 1998), a cura di M. Salva­
(Nürnberg 1962). dore (Alessandria 2001) 231–248.
419 B. E. Perry: Secundus the Silent Philosopher 428 M.-O. Goulet-Cazé: Maxime Héron d’Alex­an­
(Ithaca NY 1964). drie, in: DPhA IV (2005) 348–363.
420 H. Funke: Antisthenes bei Paulus, in: Hermes 429 J. Moles: Cynic influence upon first-century
98 (1970) 459–471. Judaism and early Christianity?, in: The
421 G. Dorival: L’image des cyniques chez les ­L imits of Ancient Biography, edited by J.
Pères grecs, in: Goulet-Cazé, Goulet 1993 ­McGing, J. Mossman (Swansea 2006) 89–116.
[*318: 419–443]. 430 M.-O. Goulet-Cazé: Cynisme et Christia­
422 G. Dorival: Cyniques et Chrétiens au temps nisme dans l’Antiquité (Paris 2015) [Textes et
des Pères grecs, in: Valeurs dans le stoïcisme. traditions].
Du Portique à nos jours. Textes rassemblés en
hommage à Michel Spanneut, édité par
M. Soetard (Lille 1993) 57–88.

Kynische Epistolographen, Philosophische Literatur über den Kynismus

Primärliteratur Kynikerbriefe extraits des manuscrits de la bibliothèque du


roi et autres bibliothèques 10,2 (1818) 122–298.
434 The Cynic Epistles. A Study Edition by 442 W. Capelle: De Cynicorum epistulis (Gottin­
A. J. Malherbe (Missoula, Montana 1977). gae 1896).
435 E. Müseler: Die Kynikerbriefe. I: Die Über­ 443 A. Olivieri: Ricerche letterarie sui Cinici (Bo­
lieferung; II: Kritische Ausgabe mit deutscher logna 1899).
Übersetzung (Paderborn, München 1994) 444 V. E. Emeljanow: The Letters of Diogenes
[Studien zur Geschichte und Kultur des Al­ (Stanford University 1968).
tertums NF, 1. Reihe, 6–7]. 445 F. Junqua: Lettres de cyniques. Étude des
correspondances apocryphes de Diogène de
Sinope et de Cratès de Thèbes (Diss. Paris/
Sekundärliteratur Kynikerbriefe Sorbonne 2000).
446 K. M. Schmidt: Die pseudepigraphen Kyni­
441 M. Boissonade: Des lettres inédites de Dio­ kerbriefe, in: Mahnung und Erinnerung im
gène le Cynique, contenues dans les ma­ Maskenspiel. Epistolographie, Rhetorik und
nuscrits 1353 et 398 du Vatican, in: Notices et Narrativik der pseudepigraphen Petrusbriefe,

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 241 25.09.18 09:24


242 Bibliographie zum zweiten Kapitel

herausgegeben von K. M. Schmidt (Freiburg, 457 Giuliano imperatore: Al cinico Eraclio. Edi­
Basel 2003) 119–154. zione critica, traduzione e commento a cura
di R. Guido (Galtaina, Lecce 2000).

Primärliteratur zur philosophischen


Literatur über den Kynismus Sekundärliteratur zur philosophischen
Literatur über den Kynismus
452 E. Sachau: Inedita Syriaca. Eine Sammlung
syrischer Übersetzungen von Schriften grie­ 463 J. Gildemeister, F. Bücheler: Themistios Περὶ
chischer Profanliteratur (Halle 1870; ND Hil­ ἀρετῆς, in: RhM 27 (1872) 438–462.
desheim 1968). 464 R. Guido: ΑΛΗΘΕΙΑ e ΔΟΧΑ nell’etica ‘cinica’
453 Maximi Tyrii Philosophoumena, edidit di Giuliano Imperatore, in: Rudiae 5 (1993)
H. Hobein (Lipsiae 1910) [BT]. 91–108.
454 Themistii orationes quae supersunt, recensuit 465 K. Döring: Kaiser Julians Plädoyer für den
H. Schenkl, opus consummaverunt G. Dow­ Kynismus, in: RhM 140 (1997) 386–400.
ney, A. F. Norman, I–III (Lipsiae 1974) [BT]. 466 A. Brancacci: Temistio e il cinismo, in: Elen­
– Zu Περὶ ἀρετῆς: III 7–71. chos 21 (2000) 381–396. – Erweiterte Fassung
455 Giuliano imperatore: Contro i cinici igno­ in: A. Brancacci: Studi di storiografia filoso­
ranti. Edizione critica, traduzione e com­ fica antica (Florenz 2008) 131–145.
mento a cura di C. Prato, D. Micalella (Lecce 467 M. Schofield: Epictetus: Socratic, Cynic,
1988). Stoic, in: Philosophical Quarterly 54 (2004)
456 Maximus of Tyre: The Philosophical Ora­ 448–456.
tions, translated, with an introduction and
notes by M. B. Trapp (Oxford 1997).

IV. EPIKUREISMUS IN DER KAISERZEIT

Überblick

Primärliteratur 482 W. Schmid: Epikur, in: RAC 5 (1962) 681–


819. – Zur Kaiserzeit: 767ff. Italienische
473 Epicurea, edidit H. Usener (Lipsiae 1887; ND Übersetzung von I. Ronca (Brescia 1984).
Stuttgart 1966). 483 A. A. Long, D. N. Sedley: The Hellenistic Phi­
losophers (Cambridge 1987).
484 H. Jones: The Epicurean Tradition (London
Sekundärliteratur 1989).
485 J. Schmidt: Für und wider die Lust. Epikur
und Antiepikureismus von der Antike bis
zur Moderne. Mit einem Versuch über Hiero­
Allgemein
nymus Boschs ‹Garten der Lüste›, in: Auf­
479 H. Steckel: Epikuros, in: RE Suppl. XI (1968) klärung und Gegenaufklärung in der euro­-
579–652. päischen Literatur, Philosophie und Politik
480 E. Paratore: La problematica sull’epicureismo von der Antike bis zur Gegenwart, heraus­
a Roma, in: ANRW I 4 (1973) 116–204. gegeben von J. Schmidt (Darmstadt 1989)
481 J. Glucker: Antiochus and the Late Academy 206–219.
(Göttingen 1978) [Hypomnemata 56].

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 242 25.09.18 09:24


Überblick 243
486 J. Ferguson: Epicureanism under the Roman 507 O. Raith: Petronius, ein Epikureer (Nürnberg
Empire, revised and supplemented by 1963).
J.  P.  Hershbell, in: ANRW II 36,4 (1990) 508 W. R. Nethercut: Petronius, Epicurean and
2257–2327. moralist, in: Classical Bulletin 43 (1967) 53–
487 A. Stückelberger: Die Atomistik in römischer 55.
Zeit: Rezeption und Verdrängung, in: ANRW 509 J.-M. André: Sénèque et l’Épicurisme: ultime
II 36,4 (1990) 2561–2580. position, in: Actes du VIIIe congrès de
489 M. Erler: Epikuros, in: DNP III (1997) 1130– l’Association G. Budé (Paris, 5–10 avril 1968)
1140. (Paris 1969) 469–480.
490 Zur Rezeption der hellenistischen Philoso­ 510 H. G. Ingenkamp: Plutarchs Schriften über
phie in der Spätantike. Akten der 1. Tagung die Heilung der Seele (Göttingen 1971) [Hy­
der Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom pomnemata 34].
22.–25. September 1997 in Trier, herausgege­ 511 A. Dihle: Sine ira et studio, in: RhM 114
ben von Th. Fuhrer, M. Erler (Stuttgart 1999) (1971) 27–43.
[PhdA 9]. 512 F. Lo Moro: Seneca ed Epicuro: Memoria e
491 Epikureismus in der späten Republik und der Religione nel ‹De Beneficiis›, in: Studi Urbi­
Kaiserzeit. Akten der 2.  Tagung der Karl- nati di Storia, Filosofia e Letteratura 50 (1976)
und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 30. Septem­ 257–280.
ber–3.  Oktober 1998 in Würzburg, 513 S. Maso: Il problema dell’epicureismo nell’
herausgegeben von M. Erler (Stuttgart 2000) Epistola 33 di Seneca, in: AIV 138 (1979–
[PhdA 11]. 1980) 573–589.
492 D. Timpe: Der Epikureismus in der römi­ 514 W. Heilmann: «Wenn ich frei sein könnte für
schen Gesellschaft der Kaiserzeit, in: Erler ein wirkliches Leben …». Epikureisches bei
2000 [*491: 42–63]. Martial, in: A&A 30 (1984) 47–61.
493 M. Baltes: Zur Nachwirkung des Satzes «Τὸ 515 H. Freise: Die Bedeutung der Epikur-Zitate
μακάριον καὶ ἄφθαρτον οὔτε αὐτὸ πράγματα in den Schriften Senecas, in: Gymnasium 96
ἔχει», in: Erler 2000 [*491: 93–108]. – Wieder (1989) 532–556.
in: Ders.: EΠINOHMATA. Kleine Schriften 516 G. Mazzoli: Le ‘Epistulae morales ad Luci­
zur antiken Philosophie und homerischen lium’ di Seneca. Valore letterario e filosofico,
Dichtung, herausgegeben von M.-L. Lak­ in: ANRW II 36,3 (1989) 1823–1877.
mann (München, Leipzig 2005) [BzA 221] 517 A. Obstoj: Seneca und Epikur. Untersuchun­
27–47. gen zu Senecas Verhältnis zur epikureischen
494 G. Roskam: ‘Live unnoticed’. Λάθε βιώσας. Philosophie (Hannover 1989).
On the Vicissitudes of an Epicurean Doctrine 518 F. Casadesús Bordoy: Citas epicúreas en las
(Leiden 2007) [PhA 111]. ‹Epistulae morales› de Séneca, in: Séneca dos
495 M. Erler: Epicureanism in the Roman Em­ mil años después. Edición de M. Rodríguez-
pire, in: The Cambridge Companion to Epi­ Pantoja (CÓrdoba 1997) 541–549.
cureanism, edited by J. Warren (Cambridge 519 A. Setaioli: Séneca, Epicuro y Mecenas, in:
2009) 46–64. Séneca dos mil años después. Edición de
M. Rodríguez-Pantoja (CÓrdoba 1997) 563–
576.
Das 1. Jahrhundert
520 Plutarch: ΕΙ ΚΑΛΩΣ ΕΙΡΗΤΑΙ ΤΟ ΛΑΘΕ ΒΙΩ­
501 H. Mutschmann: Seneca und Epikur, in: Her­ ΣΑΣ. Ist ‘Lebe im Verbor­genen’ eine gute Le­
mes 50 (1915) 321–356. bensregel?, eingeleitet, übersetzt und mit
502 A. Sachelli: Lineamenti epicurei nello interpretierenden Essays versehen von U.
stoicismo di Seneca (Genova 1925). Berner, R. Feldmeier, B.  Heininger, R.
503 H. Schildhauer: Seneca und Epikur. Eine Stu­ Hirsch-Luipold (Darmstadt 2000) [SAPERE
die zu ihrer Ethik und Weltanschauung 1].
(Greifswald 1932). 521 M. Gigante: Seneca, ein Nachfolger Philo­
504 T. Hermes: Epikur in den ‹Epistulae morales› dems?, in: Erler 2000 [*491: 32–41].
Senecas (Marburg 1951).
505 R. Schottländer: Epikureisches bei Seneca,
Das 2. Jahrhundert
in: Philologus 99 (1955) 133–148.
506 L. Campese: Seneca e l’epicureismo (Bene­ 527 M. Caster: Lucien et la pensée religieuse de
vento 1960). son temps (Paris 1937).

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 243 25.09.18 09:24


244 Bibliographie zum zweiten Kapitel

528 P. Grenade: Le pseudo-épicurisme de Tacite, 544 I. Müller: Remarks on Physics and Mathe­
in: REA 55 (1953) ­36–57. matical Astronomy and Optics in Epicurus,
529 R. Westman: Plutarch gegen Kolotes. Seine Sextus Empiricus and some Stoics, in: Apei­
Schrift ‹Adversus Colotem› als philosophie­ ron 37 (2004) 57–87.
geschichtliche Quelle (Helsinki 1955) [Acta 545 G. Roskam: The displeasing secrets of the
Philosophica Fennica 7]. Epicurean life. Plutarch’s polemic against Epi­
530 P. Innocenti: Luciano di Samosata e l’epi­ curus’ political philosophy, in: Plutarco e l’età
cureismo, in: RSF 33 (1978) 30–53. ellenistica. Atti del Convegno Internazionale
531 H. Temporini: Die Frauen am Hofe Trajans. di Studi. Firenze, 22–24 settembre 2004, a
Ein Beitrag zur Stellung der Augustae im cura di A. Casanova (Firenze 2005) 351–368.
Principat (Berlin, New York 1978). 546 E. Kechagia: Plutarch against Colotes. A
532 L. Robert: À travers l’Asie mineure. Poètes et Lesson in History of Philosophy (New York
prosateurs, monnaies grecques, voyageurs et 2011).
géographie (Athènes, Paris 1980) [Biblio­
thèque des Écoles françaises d’Athènes et de
Das 3. Jahrhundert und die Spätantike
Rome 239] 393–421.
533 K. D. Zacher: Plutarchs Kritik an der Lust­ 552 S. Gennaro: Lucrezio e l’apologetica latina in
lehre Epikurs. Ein Kommentar zu ‹Non posse Claudiano, in: Miscellanea di Studi di Lette­
suaviter vivi secundum Epicurum›, Kap. 1–8 ratura cristiana antica 7 (1957) 5–60.
(Königstein 1982) [BKP 124]. 553 J. P. Dumont: Plotin et la doxographie épicu­
534 T. Dorandi: Gli scritti antiepicurei di rienne, in: Néoplatonisme. Mélanges offerts à
Plutarco, in: Syzetesis. Studi sull’epicureismo J. Trouillard (Fontenay-aux-Roses 1981) 191–
greco e romano offerti a M. Gigante (Napoli 204.
1983) 679–695. 554 E. Brown: Epicurus and voluptas in late An­
535 B. Branham: The Comic as Critic: Revenging tiquity: The curious testimony of Martianus
Epicurus – a Study of Lucian’s Art of Comic Capella, in: Traditio 38 (1982) 75–106.
Narrative, in: Classical Antiquity 3 (1984) 555 D. J. O’Meara: Epicurus neoplatonicus, in:
143–163. Fuhrer, Erler 1999 [*490: 83–91].
536 H. G. Nesselrath: Lukians Parasitendialog 556 D. J. O’Meara: Epikur bei Simplikios, in:
(Berlin, New York 1985) [UaLG 22]. Erler 2000 [*491: 243–251].
537 T. Gargiulo: Una parodia epicurea nel ‹De 557 K. A. Algra: The treatise of Cleomedes and its
Parasito› di Luciano, in: SIFC 6 (1988) 232– critique of Epicurean cosmology, in: Erler
235. 2000 [*491: 164–189].
538 D. Clay: A lost Epicurean community, in: 558 M. Erler: Selbstfindung im Gebet. Integration
GRBS 30 (1989) 313–335. – Wieder in: Clay eines Elementes epikureischer Theologie in
1998 [*697: 232–255]. den Platonismus der Spätantike, in: Plato­
539 J. P. Hershbell: Plutarch and Epicureanism, nisches Philosophieren. Zehn Vorträge zu
in: ANRW II 36,5 (1992) 3353–3383. Ehren von Hans Joachim Krämer, herausge­
540 T. Dorandi: Plotina, Adriano e gli Epicurei di geben von Th. A. Szlezák (Hildesheim 2001)
Atene, in: Erler 2000 [*491: 137–148]. [Spudasmata 82] 155–171.
541 F. Ferrari: La falsità delle asserzioni relative 559 I. Männlein-Robert: Longin und Plotin über
al futuro. Un argomento epicureo contro la die Seele. Beobachtungen zu methodischen
mantica in Plut. ‹Pyth. orac. 10›, in: Erler Differenzen in der Auseinandersetzung pla­
2000 [*491: 149–163]. tonischer Philosophen des 3. Jahrhunderts n.
542 J. Boulogne: Plutarque dans le miroir d’Épi­ Chr. mit Epikur und Stoa, in: Studi sull’
cure. Analyse d’une critique systématique de anima in Plotino, a cura di R. Chiaradonna
l’épicurisme (Villeneuve d’Ascq 2003). (Napoli 2005) [Elenchos 42] 223–250.
543 M. Erler: Exempla amoris. Der epikureische
Epilogismos als philosophischer Hintergrund
Bezugnahmen bei Christen und Juden
der Diatribe gegen die Liebe in Lukrez’ ‹De
rerum natura›, in: Le jardin romain. Épicu­ 565 E. Klussmann: Arnobius und Lucrez oder ein
risme et poésie à Rome. Mélanges offerts à durchgang durch den epikuräismus zum chris­
M. Bollack, édités par A. Monet (Lille 2003) tenthum, in: Philologus 26 (1867) 362–366.
147–162. 566 C. L. Feltoe: The Letters and Other Remains
of Dionysius of Alexandria (Cambridge 1904).

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 244 25.09.18 09:24


Überblick 245
567 F. Dal Pane: Se Arnobio sia stato un epicureo. 585 A. Dessi: Elementi epicurei in Clemente
Lucrezio e gli apologeti cristiani Minucio Alessandrino. Alcune considerazioni, in:
­Felice, Tertulliano, Cipriano, Lattanzio, in: Athenaeum 60 (1982) 402–435.
Rivista di storia antica 10 (1906) 405–435; 586 P. Fomaro: Dione Crisostomo (12,35ff.),
11 (1907) 222–236. ­epicurei e Lucrezio, in: Latomus 41 (1982)
568 J. Bergmann: Das Schicksal eines Namens, in: 285–304.
Monatsschrift für Geschichte und Wissen­ 587 S. Leanza: L’atteggiamento della più antica
schaft des Judentums 81 (1937) 210–218. esegesi cristiana dinanzi all’epicureismo ed
569 A. D. Simpson: Epicureans, Christians, Athe­ edonismo di Qohelet, in: Orpheus 3 (1982)
ists in the Second Century, in: TAPhA 72 73–90.
(1941) 372–381. 588 A. J. Malherbe: Self-Definition among Epicu­
570 S. Gennaro: Influssi di scrittori greci nel com­ reans and Cynics, in: Jewish and Christian
mento all’Ecclesiaste di Gregorio di Agri­ self-definition. III: Self-definition in the
gento, in: Miscellanea di Studi di Letteratura Graeco-Roman world, edited by B. F. Meyer,
cristiana antica 3 (1951) 162–184. E. P. Sanders (London 1982) 46–59.
571 N. W. De Witt: St. Paul and Epicurus (Min­ 589 D. Simpson: Epicureanism in the Confessions
nea­polis 1954). of St. Augustine, in: AugStud 16 (1985) 39–
572 W. Liebich: Ein Philodem-Zeugnis bei Am­ 48.
brosius, in: Philologus 98 (1954) 116–131. 590 R. Glei: Et invidus et imbecillus. Das angeb­
573 P. von der Mühll: Basilius und der letzte Brief liche Epikurfragment bei Laktanz, De ira
Epikurs, in: MH 12 (1955) 47–49. Dei 13,20–21, in: VChr 42 (1988) 47–58.
574 R. P. Jungkuntz: Epicureanism and the Church 591 A. P. Booth: The Voice of the Serpent. Philo’s
Fathers (Wisconsin 1961). Epicureanism, in: Hellenization Revisited.
575 H. Crouzel: Origène et la philosophie (Tou­ Shaping a Christian Response within the
louse 1962). Greco-Roman World, edited by W. E. Helle­
576 R. P. Jungkuntz: Fathers, Heretics and Epicu­ man (Lanham 1994) 159–172.
reans, in: Journal of Ecclesiastical History 17 592 C. E. Glad: Paul and Philodemus. Adaptabi­
(1966) 3–10. lity in Epicurean and early Christian Psych­
577 H. Hagendahl: Augustine and the Latin Clas­ agogy (Leiden 1995) [NT Suppl. 81].
sics, I–II (Göteborg 1967). 593 H. J. Klauck: Die religiöse Umwelt des Ur­
578 W. A. Bienert: Dionysios von Alexandrien. christentums, II (Stuttgart, Berlin, Köln
Das erhaltene Werk (Stuttgart 1972). 1996). – Besonders 113–123.
579 J. Bastomsky: The Talmudic view of Epicure­ 594 A. Le Boulluec: La place des concepts philo­
anism, in: Apeiron 7 (1973) 17–19. sophiques dans la réflexion de Philon sur le
580 H. A. Fischel: Rabbinic literature and Greco- plaisir, in: Philon d’Alexandrie et le langage
Roman philosophy. A study of Epicurea and de la philosophie, édité par C. Lévy (Turn­
Rhetorica in early Midrashic writings (Lei­ hout 1998) 129–152.
den 1973). 595 J. Althoff: Zur Epikurrezeption bei Laktanz,
581 W. C. van Unnik: An Attack on the Epicure­ in: Fuhrer, Erler 1999 [*490: 33–53].
ans by Flavius Josephus, in: Romanitas et 596 M. Erler: Hellenistische Philosophie als
Christianitas. FS J. H. Waszink, edited by W. ‘praeparatio platonica’ in der Spätantike (am
den Boer, P. G. van der Nat, C. M. J. Sicking, Beispiel von Boethius’ ‹Consolatio philo­
J. C. M. van Winden (Amsterdam 1973) 341– sophiae›), in: Fuhrer, Erler 1999 [*490: 105–
355. 122].
582 M. Simon: Epikureismus und Epikureertum, 597 S. Föllinger: Aggression und Adaptation. Zur
in: Hellenische Polis. Krise – Wandlung – Wir­ Rolle philosophischer Theorien in Arnobius’
kung, herausgegeben von E. C. Welskopf, IV apologetischer Argumentation, in: Fuhrer,
(Darmstadt 1974) 2017–2088. Erler 1999 [*490: 13–31].
583 W. Bienert: Dionysius von Alexandrien: Zur 598 P. Laurence: Jérôme, Lucrèce et Épicure, in:
Frage des Origenismus im 3. Jahrhundert Présence de Lucrèce. Actes du colloque tenu
(Berlin, New York 1978) [PTS 21]. à Tours (3–5 décembre 1998), édité par Rémy
584 H. D. Betz: Matthew 6,22f. and ancient Greek Poignault (Tours 1999) 267–278.
theories of vision, in: Text and interpretation. 599 Th. Fuhrer: Zwischen Skeptizismus und Pla­
Studies in the New Testament. Presented to tonismus: Augustins Auseinandersetzung mit
M. Black, edited by E. Best, R. McL. Wilson der epikureischen Lehre, in: Erler 2000 [*491:
(Cambridge 1979) 43–56. 231–242].

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 245 25.09.18 09:24


246 Bibliographie zum zweiten Kapitel

600 J. Kany-Turpin: Lactance, un critique més­- Epikureische Diesseitigkeit und christliche


estimé de l’épicurisme, in: Erler 2000 [*491: Auferstehung bei Augustinus und Lorenzo
218–230]. Valla, in: Abwägende Vernunft. Praktische
601 C. Lévy: Philon d’Alexandrie et l’Épicurisme, Rationalität in historischer, systematischer
in: Erler 2000 [*491: 122–136]. und religionsphilosophischer Perspektive,
602 Ch. Markschies: Epikureismus bei Origenes ­herausgegeben von F.-J. Bormann, C. Schröer
und in der origenistischen Tradition, in: Erler (Berlin 2004) 78–90.
2000 [*491: 190–217]. 607 Philodemus and the New Testament World,
603 M. Erler: Epicurei, Epicurus, in: Augustinus- edited by J. T. Fitzgerald, D. Obbink, G. S.
Lexikon 2 (1996–2002) 858–861. Holland (Leiden 2004) [NT Suppl. 111].
604 M. J. Lee: Greco-Roman philosophy of mind 608 C. Setzer: ‘Talking their Way into Empire’:
and Paul. Passion, power, and progress Jews, Christians and Pagans debate Resurrec­
accord­ing to the Platonists, the Stoics, and tion of the Body, in: Ancient Judaism in its
the Epicureans of the early Imperial period Hellenistic Contexts, edited by C. Bakhos
(1st century B.C.E. – 2nd century C.E.) and (Leiden, Boston 2005) [JSJ Suppl. 95] 155–175.
the ideology of the Epicurean wise in Paul’s 609 Ch. Markschies: Origenes und sein Erbe. Ge­
­C orinthian correspondence (Pasadena 2002). sammelte Studien (Berlin 2007) [TU 160].
605 P. Eckstein: Gemeinde, Brief und Heils­ 610 G. Ranocchia: Moses Against the Egyptian:
botschaft. Ein phänomenologischer Ver­ The Anti-Epicurean Polemic in Philo, in:
gleich zwischen Paulus und Epikur (Freiburg Philo of Alexandria and Post-Aristotelian
2004) [Herders biblische Studien 42]. Philosophy, edited by F. Alesse (Leiden, Bos­
606 M. Erler: «Et quatenus de commutatione ter­ ton 2008) [Studies in Philo of Alexandria 5]
renorum bonorum cum divinis agimus…». 75–102.

Diogenian

616 A. Gercke: Chrysippea, in: Jahrbücher für 621 M. Isnardi Parente: Diogeniano, gli epicurei
classische Philologie Suppl. 14 (1885) 691– e la τύχη, in: ANRW II 36,4 (1990) 2424–
704; 705–755 (Testimonien). 2445.
617 A. von Arnim: Diogenianos (3), in: RE V 1 622 J. Hammerstaedt: Das Kriterium der Prolep­
(1905) 777–778. sis beim Epikureer Diogenian, in: JbAC 36
618 H. O. Schröder: fatum (Heimarmene), in: (1993) 24–32.
RAC 7 (1969) 524–636. 623 T. Dorandi: Diogénianos, in: DPhA II (1994)
619 H. B. Gottschalk: Aristotelian philosophy in 833–834.
the Roman world from the time of Cicero to 624 M. Erler: Interpretatio medicans. Zur epiku­
the end of the second century A. D., in: reischen Rückgewinnung der Literatur im
ANRW II 36,2 (1987) 1079–1174. – Zum Epi­ philosophischen Kontext, in: Antike Philoso­
kureismus: 1139. phie verstehen. Understanding Ancient Phi­
620 M. Isnardi Parente: Stoici antichi (Torino losophy, herausgegeben von M. van Ackeren,
1989). J. Müller (Darmstadt 2006) 243–256.

Diogenes von Oinoanda

Editionen 632 Diogenes of Oenoanda: The fragments. A


Translation and Commentary by C. W. Chil­
ton (Oxford 1971) [University of Hull Publi­
630 Diogenis Oenoandensis fragmenta, recensuit cations].
A. Grilli (Milano 1960) [Testi e documenti 633 M. F. Smith: New Fragments of Diogenes of
per lo studio dell’antichità 2]. Oenoanda, in: American Journal of Archaeo­
631 Diogenis Oenoandensis fragmenta, edidit logy 75 (1971) 357–389.
C. W. Chilton (Lipsiae 1967) [BT].

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 246 25.09.18 09:24


Diogenes von Oinoanda 247
634 M. F. Smith: New Readings in the Text of Dio­ 651 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: The Epicurean
genes of Oenoanda, in: CQ 22 (1972) 159– inscription of Diogenes of Oinoanda. Ten
162. years of New Discoveries and Research
635 M. F. Smith: Two New Fragments of Diogenes (Bonn 2014). – Enthält schon anderswo er­
of Oenoanda, in: JHS 92 (1972) 147–155. schienene Aufsätze mit Texten, aber auch
636 M. F. Smith: Seven New Fragments of Dioge­ neue Ergänzungen, vgl. dazu 4–6.
nes of Oenoanda, in: Hermathena 118 (1974)
110–129.
637 M. F. Smith: Thirteen New Fragments of Dio­ Weitere Literatur
genes of Oenoanda (Wien 1974) [Tituli Asiae
minoris, Ergänzungsband 3]. 656 R. Heberdey, E. Kalinka: Die philosophische
638 M. F. Smith: More New Fragments of Dioge­ Inschrift von Oinoanda, in: Bulletin de cor­
nes of Oenoanda, in: Études sur l’Épicurisme respondance hellénique 21 (1897) 346–443.
antique, publié par J. Bollack, A. Laks (Lille 657 A. Grilli: Osservazioni al testo di Diogene da
1976) 279–318. Enoanda, in: PP 15 (1960) 125–152.
639 A. Casanova: I frammenti di Diogene 658 C. W. Chilton: An Epicurean view of Protago­
d’Enoan­da (Firenze 1984) [Studi e testi 6]. ras. A Note on Diogenes of Oenoanda, Frag­
640 Diogenes of Oenoanda: The Epicurean In­ ment XII (William), in: Phronesis 7 (1962)
scription, edited with Introduction, Transla­ 105–109.
tion, and Notes by M. F. Smith (Napoli 1993) 659 C. W. Chilton: The Epicurean Theory of the
[La scuola di Epicuro Suppl. 1]. Origin of Language. A Study of Diogenes of
641 M. F. Smith: The Philosophical Inscription of Oenoanda, Fragments X and XI (William),
Diogenes of Oinoanda (Wien 1996) [Tituli in: AJPh 83 (1962) 159–167.
Asiae minoris, Ergänzungsband 20]. 660 M. Guarducci: Chi è Dio? L’oracolo di Apollo
642 M. F. Smith: Excavations at Oinoanda 1997. Klarios e un epigrafe di Enoanda, in: RAL,
The New Epicurean Texts, in: Anatolian Stu­ serie 8, vol. 27 (1972) 335–347.
dies 48 (1998) 125–170. 661 D. Clay: Sailing to Lampsacus. Diogenes of
643 Supplement to Diogenes of Oinoanda: The Oenoanda, New Fragment 7, in: GRBS 14
Epicurean Inscription by M. F. Smith (Napoli (1973) 49–59. – Wieder in: Clay 1998 [*697:
2003) [La scuola di Epicuro Suppl. 3]. 189–199].
644 M. F. Smith: In Praise of the Simple Life. A 662 A. Laks, C. Millot: Réexamen de quelques
New Fragment of Diogenes of Oenoanda [NF fragments de Diogène d’Oenoanda sur l’âme,
136], in: Anatolian Studies 54 (2004) 35–46. la connaissance et la fortune (NF 7, NF 19,
645 M. F. Smith, J. Hammerstaedt: The Inscrip­ NF 2–34 Ch., NF 20, 7 Ch., NF 1, NF 5–6, NF
tion of Diogenes of Oenoanda. New Investi­ 13–12, 12 Ch.), in: Études sur l’Épicu­r isme
gations and Discoveries (NF 137–141), in: EA antique, édité par J. Bollack, A. Laks (Lille
40 (2007) 1–11. 1976) 321–357.
646 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: Diogenes of 663 C. W. Chilton: Rezension zu Smith 1974
Oinoanda. The Discoveries of 2008 (NF 142– [*637], in: Gnomon 49 (1977) 454–457.
167), in: EA 41 (2008) 1–37. 664 C. Gallavotti: La critica di Empedocle in
647 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: Diogenes of ­Diogene di Enoanda, in: Museum criticum 12
Oinoanda. The Discoveries of 2009 (NF 167– (1975–1977) 243–249.
181), in: EA 42 (2009) 1–38. 665 D. Clay: Philippson’s «Basilica» and Dioge­
648 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: Diogenes of nes’ Stoa (Diogenes of Oenoanda, Fr. 51), in:
­Oinoanda. The Discoveries of 2010 (NF 182– AJPh 99 (1978) 120–123. – Wieder in: Clay
190), in: EA 43 (2010) 1–29. 1998 [*697: 207–210].
649 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: Diogenes of 666 A. Grilli: Il naufragio d’Epicuro, in: RSF 33
Oinoanda. The Discoveries of 2011 (NF 191– (1978) 116–118.
205, and additions to NF 127 and 130), in: EA 667 D. Clay: An Epicurean Interpretation of
44 (2011) 79–114. Dreams, in: AJPh 101 (1980) 342–365. – Wie­
650 J. Hammerstaedt, M. F. Smith: Diogenes of der in: Clay 1998 [*697: 211– 231].
Oinoanda. The Discoveries of 2012 (NF 206– 668 A. Casanova: Contributi per un’edizione
212), and New Light on ‘Old’ Fragments, in: commentata dei frammenti di Diogene
EA 45 (2012) 1–37. d’Enoanda. Parte I: Sogni e astri nella Fisica,
in: Prometheus 7 (1981) 225–246.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 247 25.09.18 09:24


248 Bibliographie zum zweiten Kapitel

669 A. Casanova: Contributi per un’ edizione di 684 L. Canfora: Non giova l’impressionismo epi­
Diogene d’Enoanda. Parte II, in: Prometheus grafico. Ancora su Diogene di Enoanda e Lu­
9 (1983) 257–266. crezio, in: RFIC 121 (1993) 493–499.
670 A. Casanova: Diogene d’Enoanda oggi, in: 685 D. Clay: Individual and Community in the
Prometheus 9 (1983) 111–138. First Generation of the Epicurean School, in:
671 A. Grilli: Diathesis in Epicuro, in: Syzetesis. Syzetesis. Studi sull’Epicureismo greco e
Studi sull’epicureismo greco e romano offerti ­romano offerti a M. Gigante, I (Napoli 1993)
a M. Gigante, I (Napoli 1983) 93–109. 255–279. – Wieder in: Clay 1998 [*697: 55–74].
672 M. F. Smith: A bibliography of works on Dio­ 686 M. F. Smith: Did Diogenes of Oinoanda know
genes of Oenoanda (1892–1981), in: Syzetesis. Lucretius? A Reply to Professor Canfora, in:
Studi sull’ epicureismo greco e romano offerti RFIC 121 (1993) 478–492.
a M. Gigante, I (Napoli 1983) 683–695. 687 L. Canfora: Epikurs Verbreiter in Kleinasien
673 R. Westman: Zu einigen ‘New Fragments’ des und der römische Epikureismus, in: Rationa­
Diogenes von Oinoanda, in: Syzetesis. Studi lität im Diskurs. R. W. Müller zum 60. Ge­
sull’epicureismo greco e romano offerti a burtstag, herausgegeben von D. Thofern,
M. Gigante, I (Napoli 1983) 373–384. S. Gabbani, W. Vosse (Marburg 1994) 69–77.
674 A. Casanova: La critica di Diogene 688 B. Puech, R. Goulet: Diogène d’Oinoanda, in:
d’Enoanda alla metempsicosi empedoclea DPhA II (1994) 803–806.
(NF 2 + fr. 34 Ch.), in: Studi in onore di 689 L. Canfora: Thaumasios Karos, in: Epicu­
A. Barigazzi, I (Catania 1984) 119–130. reismo greco e romano, II, a cura di G. Gian­
675 D. Clay: The Means to Epicurus’ Salvation. nantoni, M. Gigante (Napoli 1996) [Elenchos
The ‘Crux’ at Diogenes of Oenoanda, NF 7 25] 969–975.
II,12, in: Studi in onore di A. Barigazzi, I (Ca­ 690 P. Gordon: Epicurus in Lycia. The Second-
tania 1984) 169–175. – Wieder in: Clay 1998 Century world of Diogenes of Oenoanda
[*697: 200–206]. (Ann Arbor 1996).
676 P. Frassinetti: Note a Diogene di Enoanda, in: 691 D. Konstan: Diogenes of Oenoanda, in: The
Atti della Accademia Ligure di Scienze e Let­ Oxford Classical Dictionnary, edited by
tere 41 (1984) 379–386. S. Hornblower, A. Spawforth (Oxford ³1996)
677 A. A. Long: Pleasure and social utility. The 474.
virtues of being epicurean, in: Aspects de la 692 M. F. Smith: A ‘Herculaneum’ in the moun­
philosophie hellénistique. Entretiens prépa­ tains of Turkey. Oinoanda as a source of
rés et présidés par H. Flash­ar, O. Gigon (Van­ Epicurean texts, in: Epicureismo greco e
­
dœuvres/Genève 1985) [Entretiens 32] ­romano, II, a cura di G. Giannantoni, M. Gi­
283–324. gante (Napoli 1996) [Elenchos 25] 951–968.
678 R. Westman: Neues Licht auf ‘New fragment 693 M. F. Smith: An Epicurean priest from Apa­
8’ des Diogenes von Oinoanda, in: Studia in mea in Syria, in: ZPE 112 (1996) 120–130.
honorem I. Kajanto (Helsinki 1985) [Arctos 694 D. Clay: Diogenes of Oenoanda, in: Encyclo­
Suppl. 2] 323–328. pedia of Classical Philosophy, edited by
679 D. Clay: The Cults of Epicurus, in: Cronache D. J. Zeyl (London, Chicago 1997) 191–192.
Ercolanesi 16 (1986) 11–28. – Wieder in: Clay 695 M. F. Smith: The Chisel and the Muse. Dioge­
1998 [*697: 75–102]. nes of Oenoanda and Lucretius, in: Lucretius
680 E. Flores: Due problemi riguardo agli atomi and his Intellectual Background, edited by
in Democrito e Epicuro e il fr. 40 Casan. di K.  A. Algra, H. Koenen, P. H. Schrijvers
Diogene di Enoanda, in: AION 9–10 (1987– (Amsterdam 1997) 67–78.
88) 3–17. 696 A. Casanova: Qualche riflessione sui fram-
681 D. Clay: The Philosophical Inscription of menti dell’iscrizione di Diogene d’Enoanda, in:
Diogenes of Oenoanda. New Discoveries
­ Fragmentsammlungen philosophischer Texte
1969–1983, in: ANRW II 36,4 (1990) 2446– der Antike – Le raccolte dei frammenti di fi­
2559, 3231–3232. losofi antichi. Atti del Seminario Internazio­
682 T. Kappeler: Das ‘Tote Meer’ bei Diogenes nale. Ancona, Centro Stefano Franscini, 22–27
von Oinoanda (NF 40), in: EA 15 (1990) 7–18. Settembre 1996, herausgegeben von W.  Bur­
683 L. Canfora: Diogene di Enoanda e Lucrezio, kert, L. Gemelli Marciano, E. Matelli, L. Orelli
in: RFIC 120 (1992) 39–66. (Göttingen 1998) [Aporemata 3] 2 ­63–272.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 248 25.09.18 09:24


Akademische Skepsis 249
697 D. Clay: Paradosis and Survival. Three Chap­ 706 M. F. Smith: The Introduction to Diogenes of
ters in the History of Epicurean Philosophy Oinoanda’s ‹Physics›, in: CQ 50 (2000) 238–
(Ann Arbor 1998). 246.
698 J.-P. Schneider: «La philosophie épicurienne 707 J. Warren: Diogenes ‘Epikourios’: Keep Ta­
sur pierre», in: RThPh 130 (1998) 75–82. king the Tablets, in: JHS 120 (2000) 144–148.
699 M. F. Smith: Epicurus’ ‹Kyria Doxa› 26 and a 708 D. Sedley: Diogenes of Oenoanda on Cyre­
New Fragment of Diogenes of Oinoanda, in: naic Hedonism, in: PCPhS 48 (2002) 159–174.
Hyperboreus 4 (1998) 193–195. 709 M. F. Smith: Herculaneum and Oinoanda,
700 É. Évrard: Diogène d’Oenoanda et Lucrèce, Philodemus and Diogenes. Comparison of
in: Présence de Lucrèce. Actes du colloque two Epicurean Discoveries and two Epicu­
tenu à Tours (3–5 décembre 1998), édité par rean Teachers, in: Cronache Ercolanesi 33
R. Poignault (Tours 1999) 51–63. (2003) 267–278.
701 D. Clay: Diogenes and his Gods, in: Erler 710 J. Hammerstaedt: Zum Text der epikure­
2000 [*491: 76–92]. ischen Inschrift des Diogenes von Oinoanda,
702 M. F. Smith: Elementary, my Dear Lycians: a in: EA 39 (2006) 1–48.
pronouncement on physics from Diogenes of 711 M. Erler: Utopie und Realität. Epikureische
Oinoanda, in: Anatolian Studies 50 (2000) Legitimation von Herrschaftsformen, in: Die
133–137. Legitimation der Einzelherrschaft im Kon­
703 M. F. Smith: Fresh Thoughts on Diogenes of text der Generationenthematik, herausgege­
Oinoanda fr. 68, in: ZPE 133 (2000) 51–55. ben von Th. Baier (Berlin 2008) 39–54.
704 M. F. Smith: Digging up Diogenes. New Epi­ 712 J. Hammerstaedt: Leib, Seele und Umwelt:
curean Texts from Oinoanda in Lycia, in: Überlegungen zum Hedonismus des Dioge­
Erler 2000 [*491: 64–75]. nes von Oinoanda, in: Philosophie der Lust.
705 M. F. Smith: Quotations of Epicurus common Studien zum Hedonismus, herausgegeben von
to Diogenes of Oinoanda and Diogenes Laer­ M. Erler, W. Rother (Basel 2012) [Epicurea 3]
tios, in: Hyperboreus 6 (2000) 188–197. 125–137.

V. SKEPSIS IN DER KAISERZEIT

Akademische Skepsis

Ausgaben 726 M. Cuvigny: Plutarque et Epictète, in: Actes


du VIIIe congrès de l’Association G. Budé
718 Favorino di Arelate: Opere. Introduzione, (Paris, 5–10 avril 1968) (Paris 1969) 560–566.
testo critico e commento, a cura di A. Bari­ 727 D. Sedley: The End of the Academy, in: Phro­
gazzi (Firenze 1966). nesis 26 (1981) 67–75.
719 Favorinos d’Arles: Œuvres. I: Introduction gé­ 728 J. Barnes: Antiochous of Ascalon, in: Philo­
nérale, Témoignages, Discours aux Corin­ sophia Togata. I: Essays on Philosophy and
thiens, Sur la fortune. Texte établi et commenté Roman Society, edited by M. Griffin, J. Bar­
par E. Amato, traduction par Y. Julien; III: nes (Oxford 1989) 51–96.
Fragments. Texte établi, traduit et commenté 729 A. M. Ioppolo: The Academic Position of
par E. Amato (Paris 2005, 2010) [CUF]. ­Favorinus of Arelate, in: Phronesis 38 (1993)
183–213.
730 L. Holford-Strevens: Favorinus: The Man of
Sekundärliteratur Paradoxes, in: Philosophia Togata II, edited
by J. Barnes, M. Griffin (Oxford 1997) 188–
725 T. Colardeau: De Favorini Arelatensis studiis 217.
et scriptis (Gratianopoli 1903). 731 E. Bowie: Hadrian, Favorinus, and Plutarch,
in: Plutarch and His Intellectual World.
­Essays on Plutarch, edited by J. Mossmann
(London, Swansea 1997) 1–15.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 249 25.09.18 09:24


250 Bibliographie zum zweiten Kapitel

732 G. Boys-Stones: Plutarch on the Probable 734 J. Opsomer: In Search of the Truth. Academic
Principle of Cold: Epistemology and the ‹de Tendencies in Middle Platonism (Brussels
primo frigido›, in: CQ 47 (1997) 227–238. 1998).
733 J. Opsomer: Favorinus versus Epictetus on 735 C. Brittain: Philo of Larissa. The Last of the
the philosophical heritage of Plutarch. A de­ Academic Sceptics (Oxford 2001).
bate on epistemology, in: Plutarch and His 736 A.-M. Ioppolo: Gli accademici «νεώτεροι» nel
­I ntellectual World. Essays on Plutarch, edited secondo secolo d.C., in: Méthexis  15 (2002)
by J. Mossman (London 1997) 17–39. 45–70.
737 C. Lévy: Favorinus et les «Academica», in: REA
111 (2009) 45–54.

Pyrrhoneische Skepsis und Sextus Empiricus

Primärliteratur I: Outlines of Pyrrhonism (Cambridge MA


1933).
743 Sextus Empiricus, ex recensione I. Bekkeri II: Against the Logicians (Cambridge MA
(Berolini 1842). 1935).
744 Des Sextus Empiricus Pyrrhoneïsche Grund­ III: Against the Physicists, Against the Ethi­
züge, aus dem Griechischen übersetzt und mit cists (Cambridge MA 1936).
einer Einleitung und Erläuterungen versehen IV: Against the Professors (Cambridge MA
von E. Pappenheim (Leipzig 1877). – Enthält 1949).
keinen Kommentar (trotz des Titels). Der 749 Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhone­
Kommentar wurde später separat publiziert ischen Skepsis, eingeleitet und übersetzt von
[*784]. M. Hossenfelder (Frankfurt a. M. 1968,
21985).
745 Sexti Empirici Opera, recensuit H. Mutsch­
mann, I–IV [BT]. – Die Standardausgabe von 750 Sesto Empirico: Contro i Matematici Libri I–
Sextus’ Werken: VI. Introduzione, traduzione e note di A.
I: Πυρρωνείων ὑποτυπώσεων libros tres conti­ Russo (Bari 1972).
nens (Lipsiae 1912); editionem stereotypam 751 Sesto Empirico: Contro i Logici. Introdu­
emendatam curavit, addenda et corrigenda zione, traduzione e note di A. Russo (Roma,
adiecit J. Mau (Lipsiae 1958). Bari 1975).
II: Adversus dogmaticos libros quinque con­ 752 Sextus Empiricus: Against the Musicians. A
tinens [Μ 7–11] (Lipsiae 1914). new critical text and translation on facing
III: Adversus mathematicos I–VI continens pages, with an introduction, annotations, and
edidit J. Mau (Lipsiae 1954, 21961). indices verborum and nominum et rerum by
IV: Indices ad vol. I–III collegit K. Janáček, D. Davidson Greaves (Lincoln NE 1986).
editio altera auctior (Lipsiae 1954, 21962). 753 Sesto Empirico: Contro i Fisici, Contro i
746 Sesto Empirico: Schizzi Pirroniani in tre libri ­Moralisti. Introduzione di G. Indelli, Tradu­
(con l’aggiunta dei passi paralleli di Sesto zione e note di A. Russo, riviste e integrate da
stesso, di Diogene Laerzio, di Filone e di G. Indelli (Roma, Bari 1990). – Übersetzung
altri), tradotti da O. Tescari (Bari 1926). unzuverlässig; folgt oft unkritisch Bury 1936
747 K. Deichgräber: Die griechische Empiriker­ [*748]. Für ‹Gegen die Ethiker› ist Spinelli
schule (Berlin, Zürich 1930, 21965). – Texte, 1995 [*755] bei weitem vorzu­ziehen.
die Informationen über die empiristische 754 Sextus Empiricus: Outlines of Scepticism,
Ärzteschule enthalten, nach Themen geglie­ translated by J. Annas, J. Barnes (Cambridge
dert. 1994, 22000). – Enthält auch eine Einleitung
748 Sextus Empiricus, with an English Transla­ und kurze Anmerkungen. Die beste englische
tion by the Rev. R. G. Bury, I–IV [LCL 273, Übersetzung von P. H.
291, 311, 382]. – Enthält den griechischen Text 755 Sesto Empirico: Contro gli etici. Introdu­
von Bekker 1842 [*743], mit leichten Ände­ zione, edizione, traduzione e commento a
rungen. Die Übersetzung ist nicht immer zu­ cura di E. Spinelli (Napoli 1995) [Elenchos
verlässig. 24]. – Enthält den Text von *745. Die Über-

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 250 25.09.18 09:24


Pyrrhoneische Skepsis und Sextus Empiricus 251
setzung berücksichtigt manchmal neuere Vor­ Sekundärliteratur
schläge zum Text. Sehr ausführlicher Kom­
mentar, vor allem zu philologischen Fragen.
756 The Skeptic Way: Sextus Empiricus’ Outlines
Bibliographie
of Pyrrhonism, translated, with Introduction
and Commentary, by B. Mates (New York 769 L. Ferraria, G. Santese: Bibliografia sullo
1996). – Kommentar kurz und von ungleicher scetticismo antico (1880–1978), in: Giannan­
Qualität. toni 1981 [*814: II 753–850].
757 Sextus Empiricus: Against the Ethicists, 770 P. Misuri: Bibliografia sullo scetticismo antico
translated with an Introduction and Com­ 1979–1988, in: Elenchos 11 (1990) 257–334.
mentary by R. Bett (Oxford 1997) [Clarendon 771 L. Floridi: Sextus Empiricus. The Transmis-
Later Ancient Philosophers]. sion and Recovery of Pyrrhonism (New York,
758 Sextus Empiricus: Esquisses pyrrhoniennes. Oxford 2002).
Introduction, traduction et commentaires par
P. Pellegrin (Paris 1997). – Enthält den Text Anmerkung: Siehe auch die Bibliographie in
von *745 mit leichten Änderungen. Der Kom­ Barnes 1992 [*836], welche alle Arbeiten von
mentar besteht aus kurzen Anmerkungen und Karel Janáček über Sextus Empiricus und den
einem Glossar. späteren Pyrrhonismus enthält.
759 Sextus Empiricus: Against the Grammarians,
translated with an Introduction and Com­
Text
mentary by D. L. Blank (Oxford 1998) [Cla­
rendon Later Ancient Philosophers]. 777 W. Heintz: Studien zu Sextus Empiricus, vor­
760 Sextus Empiricus: Gegen die Dogmatiker; gelegt von R. Harder (Halle 1932).
Adversus mathematicos libri 7–11, übersetzt 778 J. Blomqvist: Textkritisches zu Sextus Empi­
von H. Flückiger (Sankt Augustin 1998). ricus, in: Eranos 66 (1968) 73–100.
761 Sesto Empirico: Contro gli astrologi, a cura di
E. Spinelli (Napoli 2000) [Elenchos 32]. –
Moderne Kommentare
Enthält den Text von *745, mit leichten Ände­
rungen, Einführung, Übersetzung, Kommen- 784 E. Pappenheim: Erläuterungen zu des Sex­
tar. tus  Empiricus Pyrrhoneïschen Grundzügen
762 Sextus Empiricus: Contre les professeurs. In­ (Leipzig 1881).
troduction, glossaire et index par P. Pellegrin, 785 H. Flückiger: Sextus Empiricus: Grundriss
traduction par C. Dalimier, D. et J. Delattre, der pyrrhoneischen Skepsis, Buch I – Selekti­
B. Pérez sous la direction de P. Pellegrin ver Kommentar (Bern, Stuttgart 1990) [Ber­
(Paris 2002). – Enthält den Text von *745, mit ner Reihe philosophischer Studien 11].
leichten Änderungen; außerdem erklärende
Anmerkungen. Anmerkung: Siehe auch unter Primärliteratur
763 Sextus Empiricus: Against the Logicians, oben. Viele der oben zitierten Ausgaben und
translated with an Introduction and Notes by Übersetzungen enthalten auch Kommentare.
R. Bett (Cambridge 2005) [Cambridge Texts
in the History of Philosophy].
Biographie
764 Sextus Empiricus: Against the Physicists,
translated with an introduction and notes by 791 D. K. House: The Life of Sextus Empiricus,
R. Bett (Cambridge 2012). in: CQ 30 (1980) 227–238.
765 Sextus Empiricus: Against Those in the Dis­
ciplines (Adversus Mathematics I–VI), trans­
Allgemein
lated with an introduction and notes by R.
Bett (Oxford 2018). 797 V. Brochard: Les sceptiques grecs (Paris 1887,
21932, neueste Auflage: 2002).

798 A. Goedeckemeyer: Geschichte des griechi­


schen Skeptizismus (Leipzig 1905).
799 M. Dal Pra: Lo scetticismo greco (Milano
1950, Roma, Bari 21975, 31989). – In drei Tei­
len. Teil drei behandelt den späteren Pyrrho­
nismus.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 251 25.09.18 09:24


252 Bibliographie zum zweiten Kapitel

800 R. J. Hankinson: The Sceptics (London 819 J. Annas, J. Barnes: The Modes of Scepticism
1995). – In zwei Teilen; Teil 2 über Sextus. (Cambridge 1985). – Behandelt die Zehn Tro­
­Rezensionen: J. Annas, in: Classical Review pen. Enthält eine Diskussion der Fassungen
N. S. 46 (1996) 75–76; G. Fine, in: OSAPh 14 in Sextus Empiricus, Diogenes L ­ aertios und
(1996) 273–290. Philon von Alexandrien.
801 A. Bailey: Sextus Empiricus and Pyrrhonean 820 S. Fortuna: Sesto Empirico: ΕΓΚΥΚΛΙΑ
Scepticism (Oxford 2002). – Rezension: R. ΜΑΘΗΜΑΤΑ e arti utili alla vita, in: SCO 36
Bett, in: PhR 112 (2003) 102–104. (1986) 123–137.
802 The Cambridge Companion to An­cient Scep­ 821 M. Frede: The Ancient Empiricists, in: Ders.:
ticism, edited by R. Bett (Cambridge 2010). Essays in Ancient Philosophy (Minneapolis
803 C. Perin: The Demands of Reason. An Essay 1987) 243–260.
on Pyrrhonian Scepticism (Oxford, New York 822 M. McPherran: Skeptical Homeopathy and
2010). Self-Refutation, in: Phronesis 32 (1987) 290–
804 New Essays on Ancient Pyrrhonism, edited 328.
by D. E. Machuca (Leiden, Boston 2011) 823 J. Barnes: Scepticism and the Arts, in: Apei­
[PhA 126]. ron 21,2 (1988) 53–77.
805 Questions sur le scepticisme pyrrhonien, 824 J. Brunschwig: Sextus Empiricus on the
édité par J.-B. Gourinat, M. Narcy, Th. Bena­ Kritêrion, the Skeptic as Conceptual Legatee,
touïl (Villeneuve d’Ascq 2015) [PhA 15]. in: The Question of Eclecticism – Studies in
Later Greek Philosophy, edited by J. M. Dil­
lon, A. A. Long (Berkeley, Los Angeles 1988)
Spezielle Fragen
145–175.
807 K. Janáček: Prolegomena to Sextus Empiri­ 825 M. Williams: Scepticism without Theory, in:
cus (Olomouc 1948). Review of Metaphysics 41 (1988) 547–588.
808 K. Janáček: Die Hauptschrift des Sextus 826 P. Woodruff: Aporetic Pyrrhonism, in:
­Empiricus als Torso erhalten?, in: Philologus OSAPh 6 (1988) 139–168.
107 (1963) 271–277. 827 J. Allen: The Skepticism of Sextus Empiricus,
809 K. Janáček: Sextus Empiricus’ Sceptical in: ANRW II 36,4 (1990) 2582–2607.
Meth­ods (Praha 1972). 828 A. Bächli: Untersuchungen zur pyrrhone­
810 J. Blomqvist: Die Skeptika des Sextus Empi­ ischen Skepsis (Bern, Stuttgart 1990) [Berner
ricus, in: GB 2 (1974) 7–14. Reihe philosophischer Studien 10].
811 A. A. Long: Sextus Empiricus on the Crite­ 829 J. Barnes: Pyrrhonism, Belief and Causation.
rion of Truth, in: BICS 25 (1978) 35–49. Observations on the Scepticism of Sextus
812 M. Frede: Des Skeptikers Meinungen, in: Empiricus, in: ANRW II 36,4 (1990) 2608–
Neue Hefte für Philosophie 15/16 (1979) 2695.
­102–129. 830 J. Barnes: The Toils of Scepticism (Cambridge
813 M. Burnyeat: Can the Sceptic Live his Scepti­ 1990). – Über die Fünf Tropen.
cism?, in: Doubt and Dogmatism. Studies in 831 J. Brunschwig: La formule ὅσον ἐπὶ τῷ λόγῳ
Hellenistic Epistemology, edited by M. Scho­ chez Sextus Empiricus, in: Voelke 1990 [*834:
field, M. Burnyeat, J. ­Barnes (Oxford 1980) 107–121].
20–53. 832 M. McPherran: Pyrrhonism’s Arguments
814 G. Giannantoni: Lo scetticismo antico, I–II Against Value, in: Philosophical Studies 60
(Napoli 1981). – Enthält viele Aufsätze über (1990) 127–142.
Sextus Empiricus. Rezension: M. R. Stopper, 833 G. Striker: Ataraxia: Happiness as Tranquil­
in: Phronesis 28 (1983) 265–297. lity, in: The Monist 73 (1990) 97–110.
815 G. Striker: Über den Unterschied zwischen 834 Le scepticisme antique: Perspectives histo­
den Pyrrhoneern und den Akademikern, in: riques et systématiques. Actes du Colloque
Phronesis 26 (1981) 153–171. International sur le Scepticisme Antique,
816 J. Barnes: The Beliefs of a Pyrrhonist, in: Université de Lausanne, 1–3 juin 1988, édités
PCPhS 208 (1982) 1–29. par A.-J. Voelke (Genève, Lausanne 1990).
817 G. Striker: The Ten Tropes of Ainesidemos, 835 T. Ebert: Dialektiker und frühe Stoiker bei
in: Burnyeat 1983 [*858: 95–115]. Sextus Empiricus. Untersuchungen zur Ent­
818 M. Burnyeat: The Skeptic in his Place and stehung der Aussagenlogik (Göttingen 1991)
Time, in: Philosophy in History, edited by R
­ . [Hypomnemata 95].
Rorty, J. Schneewind, Q. Skinner (Cambridge
1984) 225–254.

02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 252 25.09.18 09:24


Pyrrhoneische Skepsis und Sextus Empiricus 253
836 J. Barnes: Diogenes Laertios IX 61–116. The 851 K. Vogt: Skeptische Suche und das Verstehen
Philosophy of Pyrrhonism, in: ANRW II 36,6 von Begriffen, in: Wissen und Bildung in der
(1992) 4241–4301. antiken Philosophie, herausgegeben von Ch.
837 F. Decleva Caizzi: Ainesidemos and the Acad­ Rapp, T. Wagner (Stuttgart 2006) 325–339.
emy, in: CQ 42 (1992) 176–189. 852 K. Vogt: Appearances and Assent: Sceptical
838 Sesto Empirico e il pensiero antico, a cura di Belief Reconsidered, in: CQ 62 (2012) 648–
G. Giannantoni (Napoli 1992) [Elenchos 13]. 663.
– Über Sextus’ Reaktion auf die frühere grie­ 853 Sextus Empiricus and Ancient Physics, edited
chische Philosophie und seine Verwendung by K. Algra, K. Ierodiakonou (Cambridge
von ihr. 2015).
839 J. Allen: Pyrrhonism and Medical Empiri-
cism, in: ANRW II 37,1 (1993) 646–690.
Wirkungsgeschichte
840 J. Annas: The Morality of Happiness (New
York, Oxford 1993). – Eine bedeutende Stu­ 856 R. H. Popkin: The History of Scepticism from
die zur griechischen Ethik; die Kap. 8, 11.3 Savanarola to Bayle. Revised and Expanded
und 17 sind den Skeptikern (insb. Sextus) ge­ Edition (New York, Oxford 2003).
widmet. 857 Ch. B. Schmitt: The Rediscovery of Ancient
841 F. Decleva Caizzi: L’elogio del cane. Sesto Skepticism in Modern Times, in: Burnyeat
Empirico, ‹Schizzi Pirroniani› I.62–78, in: 1983 [*858] 225–251.
Elenchos 14 (1993) 305–330. 858 The Skeptical Tradition, edited by M. Burn­
842 T. Brennan: Criterion and Appearance in yeat (Berkeley, Los Angeles 1983).
Sextus Empiricus. The Scope of Sceptical 859 J. Annas: Doing without Objective Values.
Doubt, the Status of Sceptical Belief, in: Ancient and Modern Strategies, in: The
BICS 39 (1994) 151–169. Norms of Nature, edited by M. Schofield, G.
843 H. Flückiger: Der Weg zum Glück in der pyr­ Striker (Cambridge 1986) 3–29.
rhoneischen Skepsis und im griechischen 860 R. Wallis: Scepticism and Neoplatonism, in:
Roman. Die Beobachtung des βίος gegen die ANRW II 36,2 (1987) 911–954.
Erkenntnis der Philosophen, in: MH 51 861 R. Fogelin: Pyrrhonian Reflections on Know­
(1994) 198–205. ledge and Justification (New York, Oxford
844 F. Decleva Caizzi: Enesidemo e Pirrone: Il 1994).
fuoco scalda “per natura” (Sext. Adv. Math. 862 P. Porro: Il Sextus Latinus e l’immagine dello
VIII 215 e XI 69), in: Elenchos 17 (1996) scetticismo nel medioevo, in: Elenchos 15
­37–54. (1994) 229–253.
845 J. Brunschwig: L’aphasie pyrrhonienne, in: 863 J. Annas: Scepticism, Old and New, in: Ratio­
Dire l’évidence (philosophie et rhétorique an­ nality in Greek Thought, edited by M. Frede,
tiques), édité par C. Lévy, L. Pernot (Paris G. Striker (Oxford 1996) 239–254.
1997) 297–320. 864 Scepticism in the History of Philosophy. A
846 R. Bett: Pyrrho, his Antecedents and his Le­ Pan-American Dialogue, edited by R. Popkin
gacy (Oxford 2000). – Kapitel 4 behandelt den (Dordrecht, Boston 1996) [Archives Interna­
späteren Pyrrhonismus. tionales d’Histoire des Idées 145].
847 L. Castagnoli: Self-Bracketing Pyrrhonism, 865 S. Rappe: Scepticism in the Sixth Century?
in: OSAPh 18 (2000) 263–328. Damascius’ Doubts and Solutions Concern­
848 G. Fine: Sextus and External World Scepti­ ing First Principles, in: JHPh 36 (1998) 337–
cism, in: OSAPh 24 (2003) 341–385. 360.
849 H. Thorsrud: Is the Examined Life Worth Li­ 866 Pyrrhonism in Ancient, Modern, and Con­
ving? A Pyrrhonian Alternative, in: Apeiron temporary Philosophy, edited by D. E. Ma­
36 (2003) 229–249. chuca (Dordrecht, Heidelberg et al. 2011)
850 R. Bett: La double “schizophrénie” de M. I– [The New Synthese Historical Library 70].
VI et ses origines historiques, in: Sur le
­‹Contre les Professeurs› de Sextus Empiricus,
édité par J. Delattre (Lille 2006) 17–34.

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02_Hellenistische Schulen P28 Bibliographie.indd 254 25.09.18 09:24
Drittes Kapitel

Kaiserzeitlicher Aristotelismus

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit
(inkl. Ps.-Aristoteles ‹De mundo›)

Inna Kupreeva

1. Überlieferung und Edition des ‹Corpus Aristotelicum› in der Kaiserzeit. – 2. Kommentierungstradition.


– 3. Fragen der Schul- bzw. Lehrkontinuität.

1. ÜBERLIEFERUNG UND EDITION DES ‹CORPUS ARISTOTELICUM›


IN DER KAISERZEIT

Die peripatetische Schule der Kaiserzeit zeichnet sich im Vergleich zur helle-
nistischen Zeit hauptsächlich durch ihr Interesse am Studium von Schultexten,
insbesondere von Texten des Aristoteles, aus. Die Annahme, dass ein solches In-
teresse während des Hellenismus überhaupt nicht bestanden hätte, wäre zwar
falsch, aber erste sichere Hinweise auf bedeutsame philosophische Beschäftigung
mit den Texten des aristotelischen Corpus seit Theophrast und Eudemos finden
sich erst gegen Ende der hellenistischen Zeit, bei Andronikos, Ariston von Alex-
andrien, Boethos von Sidon und Xenarchos von Seleukeia.
Offen ist die Frage, ob sich Andronikos für seine systematische und kritische
Zusammenstellung des Corpus auf Textquellen stützen konnte, die weiter zurück-
gehen als die hellenistischen Sammlungen. Primavesi 2007 [*144: 69] vertrat die
Ansicht, dass dies aufgrund des Zählsystems, das in alten Katalogen zur Numme-
rierung von Büchern in Werken mit mehr als fünf Büchern verwendet wurde, der
Fall sei. Das hellenistische System, das von den alexandrinischen Grammatikern
verwendet wurde, basierte auf dem 27 Buchstaben umfassenden griechischen Al-
phabet (mit dem archaischen Digamma für die Ziffer sechs, qoppa für 90 und
sampi für 900), während das archaische vor-alexandrinische System das 24 Buch-
staben umfassende Alphabet benutzte. Bei den Peripatetikern ist der Gebrauch
von Letzterem belegt (Simpl. In Phys. 923,3–7 Diels; Primavesi 2007 [*144: 67
Anm. 91]). In der Handschriften-Tradition der aristotelischen Schriften gibt es
keine Abweichungen im Zählsystem – mit einer Ausnahme: In einem Teil der
Überlieferung der ‹Eudemischen Ethik› gibt es Handschriften, die Buch sechs
mit Digamma nummerieren. Das muss ein Hinweis darauf sein, dass die Hinzu-
fügung der heutigen ‘mittleren Bücher’ (EE 4–6 = NE 5–7) unabhängig von der
ursprünglichen Zusammensetzung der EE (nach dem Verlust der ursprünglichen
Bücher 4–6) geschah.
Drei antike Verzeichnisse der aristotelischen Schriften sind erhalten: zwei aus
der Zeit vor Andronikos und ein drittes, in dem Andronikos ausdrücklich als
Quelle genannt wird. Bei den prä-andronikischen Katalogen handelt es sich um

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258 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

den bei Diogenes Laertios (D. L. 5,22–27) überlieferten und um einen Teil der so-
genannten ‹Vita Hesychii›. Letztere umfasst die Titel, die bei Diogenes Laertios
als Nr. 1–139 aufgeführt sind, zusätzlich aber einige weitere, die Nr. 140–197 (‘Ap-
pendix Hesychiana’, abgedruckt bei Düring 1957 [*18: 83–89]). Die Herkunft die-
ser beiden Verzeichnisse ist in der Forschung umstritten (zusammenfassend
Bollansée 1999 [*33: 233–243], vgl. Moraux 1951 [*15: 221–233], Düring 1957
[*451] und 1968 [*20], Moraux 1973 [*23: 4 Anm. 2], Blum 1977 [*25: 128–132]).
Der dritte Katalog, der sich von diesen beiden substantiell unterscheidet, ist Teil
einer späten griechischen ‹Vita Aristotelis›, die durch die syrisch-arabische Tradi-
tion überliefert wurde und einzig in einer arabischen Übersetzung erhalten ist. Ihr
griechischer Autor wird in den arabischen Quellen (im ‹Ta’rīḫ al-ḥukamā’› von Ibn
al-Qifṭī [1230–1235] und im ‹ʿUyūn ul-Anbāʾ fī Ṭabaqāt ul-Aṭibbāʾ› von Ibn Abī
Uṣaibi‘a [1245–1246], vgl. die Edition von Müller 1882 [*5: I 54, 67, 69]) als Ptole-
maios al-Gharīb («Ptolemaios der Fremde») und als Anhänger des Aristoteles
­bezeichnet; der Titel des Werks wird als ‹Kitāb aḫbār Arisṭūṭālīs wa-wafātihā
­wa-marātib kutubihi› (‹Vita Aristotelis et pinax›) angegeben; das Schriftenver-
zeichnis ist bei Hein 1985 [*26: 416–439] ediert.
Es gab mehrere Versuche, diesen Ptolemaios mit den Gelehrten, die aus der
griechischen Tradition bekannt sind, zu identifizieren. Der Vorschlag, in ihm den
Autor Ptolemaios Chennos (aus einer Verwechslung von Ξένος und Χέννος) aus
dem 1. Jahrhundert n. Chr. zu sehen (vorgeschlagen von Christ und unterstützt
von Littig 1890 [*51], Lippert 1894 [*10], Baumstark 1900 [*11], de Boer 1901 [*12],
Chatzis 1914 [*13] und Plezia 1985 [*103]), ist inzwischen vollständig widerlegt
(vgl. Hein 1985 [*26: 391f.], Gutas 1986 [*27]). Düring 1950 [*14] und Dihle 1957
[*17: 316] vertraten die Ansicht, dass es sich um einen Platoniker des 4. Jahrhun-
derts handelt, der von Proklos und Iamblichos erwähnt wird (Iambl. De an. fr. 26,
p. 54,5f. Finamore-Dillon = Stob. Ecl. 1,49,39, I,378,7 Wachsmuth; Prokl. In Tim.
I,20,7 Diehl). Moraux 1973 [*23: 60 Anm. 6] stellte diese Datierung aber infrage.
Gesichert sind als Terminus post quem Andronikos und als Terminus ante quem
das 6. Jahrhundert n. Chr., aufgrund eines Verweises in Elias’ Kommentar zu den
aristotelischen ‹Kategorien› (107,13f. Busse). Elias nennt den Autor allerdings
‘Ptolemaios Philadelphos’, ein Versehen, das in Alexandrien naheliegt, war doch
Ptolemaios II. Philadelphos (285–246 v. Chr.) ein großer Förderer der Bibliothek
in Alexandrien.
Andronikos’ Werk, auf das sich Ptolemaios stützt, wird in Eintrag 100 unter
dem Titel ‹Über die Liste der Bücher des Aristoteles› (Περὶ πίνακος τῶν
Ἀριστοτέλους βιβλίων) erwähnt. Bei einigen Einträgen in Ptolemaios’ Katalog
bestehen Verbindungen zu den hellenistischen Katalogen (z. B. muss Ptolemai­os’
Nr. 33: ‹Zwei Bücher über Beweise› – Ἀποδεικτικῶν βʹ identisch sein mit Diogenes
Laertios’ Nr. 50: ‹Zwei Bücher der Analytica posteriora› – Ἀναλυτικῶν ὑστέρων
μεγάλων βʹ), während es für andere Einträge schwieriger ist, eine Übereinstim-
mung zu finden (Birt 1882 [*6: 452–454], vgl. Moraux 1951 [*15]).
Der auffälligste Unterschied zur Tradition des Hermippos und Kallimachos ist
Ptolemaios’ systematische Gliederung, die von Nr. 29–54 alle erhaltenen esote­
rischen Werke des aristotelischen Corpus umfasst, wobei Titel und Anzahl der

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 259

Bücher weitgehend mit den heute bekannten aristotelischen Schriften überein-


stimmen. Dieses Element des Katalogs geht sehr wahrscheinlich auf Andronikos,
Ptolemaios’ Quelle, zurück (Moraux 1973 [*23: 60–63], Hatzimichali 2013 [*37],
Griffin 2015 [*39], Hatzimichali 2016 [*40]).
Spuren von Andronikos’ Arbeit finden sich möglicherweise auch in den Pro-
ömien mehrerer später neuplatonischer Kommentare zu verschiedenen Abhand-
lungen des Aristoteles (Philop. In Cat.; Simpl. In Cat.; Olymp. In Cat.; Elias In
Cat.; Simpl. In Cael.; Philop. In Meteor.), die (beinahe) identische Listen von zehn
Fragen enthalten, die man sich vor dem Studium der Werke des Aristoteles stel-
len sollte, darunter die Frage nach der Einteilung der aristotelischen Werke (2),
nach der Disziplin, mit der man das Studium der aristotelischen Werke beginnen
sollte (3), und die Frage, wieviele Kapitel es in den Schriften des Aristoteles gibt,
worin sie bestehen und nach welchen Kriterien sie eingeteilt werden (10; vgl.
Simpl. In Cat. 3,18–29 Kalbfleisch; Elias In Cat. 107,3–23 Busse und dazu Mans-
feld 1994 [*31]).
Ob die neuplatonische Einteilung der Werke auf Andronikos zurückgeht, ist
umstritten: Während Littig 1890 [*51: 43–58] und Moraux 1973 [*23: 80–85] es für
möglich halten, glaubt Düring 1957 [*451: 444f.], dass die Einteilung aufgrund
ihres «scholastischen Ansatzes» eine spätere Quelle hat.
Die Neuplatoniker unterscheiden folgende Gruppen von aristotelischen Schriften:
partikuläre (μερικά), z. B. Briefe
mittlere (μεταξύ), z. B. die Staatsverfassungen
allgemeine (καθόλου)
Notizen (hypomnematische Schriften, ὑπομνηματικά)
einfache (über ein Thema, μονοειδῆ)
komplexe (über mehrere Themen, ποικίλα)
Traktate (syntagmatische Schriften, συνταγματικά)
Dialoge (exoterische Schriften, διαλογικά, ἐξωτερικά)
Monologe (akroamatische Schriften, αὐτοπρόσωπα, ἀκροαματικά)
Theoretische (θεωρητικά)
Theologische (θεολογικά)
Mathematische (μαθηματικά)
Physikalische (φυσιολογικά)
Praktische (πρακτικά)
Ethische (ἠθικά)
Ökonomische (οἰκονομικά)
Politische (πολιτικά)
Instrumentale (Logische Schriften, ὀργανικά, λογικά)
Wie Moraux 1973 [*23] bemerkt, handelt es sich hierbei nicht um einen Katalog
aller bekannten Schriften des Aristoteles. Den neuplatonischen Philosophen geht
es vielmehr um eine Klassifizierung der Schriften nach inhaltlichen Kriterien wie
beispielsweise die Einteilung der Philosophie in Teilgebiete (während eine Ord-
nung, die bibliographischen Prinzipien folgt, die Werke eher alphabetisch ordnet
oder nach angenommener Bedeutung eines Werks innerhalb des ganzen Corpus).

03_1 Kaiserzeitlicher Aristotelismus P28-P34.indd 259 25.09.18 09:24


260 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Vergleicht man die neuplatonische Systematisierung mit dem Werkkatalog des


Ptolemaios, so lassen sich gewisse Berührungspunkte feststellen. Insbesondere
stimmt Ptolemaios’ Einteilung der Lehrschriften zum Teil mit jener der Neupla-
toniker überein. Es bestehen aber auch große und gewichtige Unterschiede, so
dass sich der Katalog und die Klassifizierung kaum direkt auf eine gemeinsame
Quelle zurückführen lassen und sich darin nur Spuren von Andronikos’ Arbeit
finden lassen. Insgesamt kommt Moraux 1973 [*23: 89–94] zum Schluss, dass die
Ähnlichkeiten zwischen Ptolemaios’ Katalog, der neuplatonischen Gliederung
«und dem, was wir sonst über Andronikos’ Verzeichnis wissen», von «so allgemei-
ner Natur» sind, dass man von einer Rekonstruktion des andronikischen Verzeich-
nisses weit entfernt ist.

2. KOMMENTIERUNGSTRADITION

1. Andronikos von Rhodos: 1.1. ‹Kategorien›; 1.2. ‹De interpretatione›; 1.3. ‹De divisione›; 1.4. ‹Physik›;
1.5. ‹De anima›; 1.6. Ethisches Corpus: Emotionen. – 2. Boethos von Sidon: 2.1. ‹Kategorien›-Kommentar;
2.2. ‹Analytica priora›; 2.3. Physik; 2.4. Seelenlehre; 2.5. Ethik. – 3. Xenarchos von Seleukeia: 3.1. ‹De
caelo›; 3.2. Seelenlehre; 3.3. Ethik; 3.4. Platons ‹Timaios›. – 4. Ariston von Alexandrien: 4.1. Kategorien;
4.2. Aristoteles’ Syllogistik; 4.3. Dubia. – 5. Kratippos von Pergamon: 5.1. Verstand und Weissagung. –
6.  ‹De mundo›: 6.1. Autorschaft und Datierung; 6.2. Struktur und Hintergrund; 6.3. Kosmologie; 6.4.
Geographie; 6.5. Meteorologie; 6.6. Unzerstörbarkeit des Kosmos; 6.7. Theologie; 6.8. Nachwirkung.

Kommentare zu Aristoteles werden im 1. Jahrhundert v. Chr. zur Hauptgattung


für philosophische Schriften. Im erhaltenen Katalog der Werke aus dem hellenis-
tischen Peripatos hingegen findet sich kein Titel, der auf einen Kommentar hin-
weist, und es gibt kaum Fragmente, die von Kommentaren stammen. Die wich-
tigsten literarischen Gattungen des hellenistischen Peripatos, die in der Kaiserzeit
neben dem Kommentar weiterbestehen, scheinen der traditionellere Dia­log oder
die Monographie über den Gegenstand gewesen zu sein. Zu den bedeutendsten
peripatetischen Kommentatoren der Kaiserzeit gehören Andronikos von Rhodos,
Boethos von Sidon und Xenarchos von Seleukeia. Abgesehen von den nicht voll-
ständig erhaltenen Kommentarwerken gibt es mehrere Schultraktate aus dersel-
ben Zeit: die ps.-aristotelischen Abhandlungen ‹De mundo› (Περὶ κόσμου, wobei
die Datierung umstritten ist) und ‹De virtutibus et vitiis› (Περὶ ἀρετῶν καὶ κακιῶν)
sowie der Traktat ‹Über Affekte› (Περὶ παθῶν), der Andronikos von Rhodos zu-
geschrieben wird.
Charakteristisch für das 1. Jahrhundert v. Chr. ist die starke Zunahme des In-
teresses von Philosophen aus verschiedenen Schulen an Aristoteles’ ‹Kategorien›,
zu denen die Stoiker Athenodoros und Cornutus, die Platoniker Eudoros, Lukios
und Nikostratos und natürlich Peripatetiker – als wichtigste sind Andro­nikos und
Boethos zu nennen – Kommentare verfassten (Gottschalk 1987 [*28], Shar­ples
2008 [*242]). Auch an anderen Texten des logischen Corpus bestand Interesse

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 261

(‹Topik›, ‹De interpretatione›, ‹Analytica priora›, ‹Analytica posteriora›) ebenso


wie an den naturkundlichen Werken (vor allem ‹Physik›, ‹De caelo›, ‹De genera-
tione et corruptione›, ‹Meteorologica›, ‹De anima› und ‹Parva naturalia›). Zu den
biologischen Schriften sind keine Kommentare bekannt, obwohl sie s­ owohl in der
hellenistischen Zeit als auch in der Kaiserzeit in Umlauf waren, wie die frühe
­Zusammenfassung der ‹Historia animalium› von Aristophanes von B ­ yzanz, die
Paraphrase von Nikolaos von Damaskus, und vielfache Verweise auf die zoolo­
gischen Werke in Pollux’ ‹Onomastikon› (2. Jh. n. Chr.) zeigen. Auch die Werke
von Galen und Alexander von Aphrodisias zeugen von einer guten Kenntnis der
biologischen Schriften.

1. Andronikos von Rhodos

Neben der biobibliographischen Monographie über die Schriften des Aristote-


les schrieb Andronikos wohl auch Zusammenfassungen mehrerer einzelner Ab-
handlungen. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass er die ‹Kategorien› kom-
mentierte, und einige Indizien für die Kommentierung von ‹De interpretatione›,
‹Physik›, ‹De anima› und ‹Nikomachische Ethik›. Außerdem schrieb er ein Werk
‹Über das Teilen›, das von Plotin und Porphyrios benutzt wurde. In der byzanti-
nischen Tradition wurden ihm fälschlich eine Zusammenfassung der ‹Nikomachi-
schen Ethik› (vgl. Heylbut 1889 [*78]) und eine Abhandlung mit dem Titel ‹Über
Affekte› (Περὶ παθῶν) zugeschrieben.

1.1. ‹Kategorien›

In seinem Überblick über frühere Kommentare nung, dass die ‹Topik› keiner Prolegomena be-
erwähnt Simplikios Andronikos’ Kommentar dürfe, und hielt die Hinzufügung der ‘Postprae­
nicht, möglicherweise weil er ihm nicht direkt vor- dicamenta’ für falsch (Simpl. In Cat. 379,8–12
lag und er nur durch die Kommentare von Porphy- Kalbfleisch; Ammon. In Cat. 14,18–20 Busse
rios (‹Ad Gedalium›) und Iamblichos Zugang [ohne Andronikos zu nennen]; Boeth. In Cat. 4,
dazu hatte (vgl. Sedley, Rashed, Chiaradonna, 263b3 Migne; für einen verbesserten Text vgl.
Tschernetska 2013 [*38]). Aufgrund ihrer Zeug- Shiel 1957 [*89: 183]). Die Mehrheit der Peripate-
nisse kann man vermuten, dass Andronikos’ Werk tiker teilte die Einschätzung des Andronikos al-
zu den ‹Kategorien› eine Zusammenfassung mit lerdings nicht und hielt die ‘Postpraedicamenta’
Diskussion von philologischen und philosophi- für einen Bestandteil des originalen Traktats.
schen Fragen war. Simplikios berichtet, dass Andronikos im An-
Mehreren Berichten zufolge stellte Andronikos schluss an Xenokrates die zehn Kategorien in zwei
den Aufbau der Abhandlung infrage, weil er Gruppen teilte – die Gruppe des «An-sich» (καθ’
meinte, dass die sogenannten ‘Postpraedicamenta’ αὑτὸ), zu der die Kategorie der Substanz gehört,
(Cat. 10–15) eine Hinzufügung früherer Gelehrter und die Gruppe der «Relation» (πρός τι), die alle
seien, welche die ‹Kategorien› als Einführung zur anderen Kategorien umfasst (Simpl. In Cat. 63,21–
‹Topik› betrachteten und glaubten, ihr Titel sei 24 Kalbfleisch) –, und kritisiert, dass diese Vor­
‹Was der Topik vorausgeht› (τὰ πρὸ τῶν τόπων; im gehensweise die Anzahl der Kategorien unnötig
Katalog der aristotelischen Schriften bei Diogenes erhöhe. Damit gibt Simplikios aber eher die
Laertios findet sich tatsächlich ein solcher Titel ­Meinung des Xenokrates wieder als jene des An-
unter Nr. 59, vgl. Moraux 1973 [*23: 101 Anm. 14], dronikos, da andere Berichte über Androni­kos’
eine Ansicht, die auch für Herminos und Adrastos ‹Kategorien›-Kommentar keine Bestätigung da-
bezeugt ist). Andronikos hingegen war der Mei- für geben, wie Moraux 1973 [*23: 103f.] betont.

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262 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Simplikios selbst berichtet in seinem Kommentar zusammen mit Ps.-Archytas (357,28f. Kalbfleisch)
zu ‹Kategorien› 7, Andronikos habe «alle Fälle bzw. zusammen mit Ps.-Archytas und Plotin
von Relativ-Sein (τὰ πρός τι) hinter alle anderen (342,22–26; 358,8–10 Kalbfleisch). Jedenfalls zeigt
Kategorien gestellt, weil es sich [sc. bei dieser Ka- sich, dass Andronikos’ Kommentar außerhalb der
tegorie] um ein Verhältnis handle und sie einem peripatetischen Schule, vor allem bei den Platoni-
Nebenzweig gleiche» (ἀλλ’ οὐδὲ Ἀνδρόνικον kern, gelesen und geschätzt wurde.
ἀποδεκτέον τὰ πρός τι μετὰ πάσας θέντα τὰς Andronikos wird auch die Unterscheidung von
κατηγορίας, διότι σχέσις ἐστὶν καὶ παραφυάδι zwei Klassen innerhalb der Kategorie der Quanti-
ἔοικεν: Simpl. In Cat. 157,18–20 Kalbfleisch), und tät zugeschrieben, nämlich die Klasse der be-
bezeugt damit, dass Andronikos in diesem Fall stimmten und der unbestimmten Quantität. Zu
πρός τι im üblichen aristotelischen Sinn gebraucht. letzterer gehören ‘groß’, ‘klein’, ‘viel’ und ‘wenig’
Reinhardt 2007 [*145: 521] schlägt deshalb vor, (Iambl. apud Simpl. In Cat. 144,7–14 Kalbfleisch).
davon auszugehen, dass Andronikos πρός τι auf Diese technische Klärung löst ein potentielles
zwei Arten verwendet hat: in einem weiteren Sinn, Problem, auf das Aristoteles selbst hingewiesen
entsprechend der von Simplikios berichteten hatte, als er sagte, dass solche Ausdrücke nicht he-
Zweiteilung, und im engeren Sinn der von Aristo- rangezogen werden können, um die These zu wi-
teles in Kap. 7 diskutierten Kategorie. Der Vorteil derlegen, dass es in der Quantität keinen Gegen-
der Zweiteilung mag darin bestehen, den speziel- satz gibt (Cat. 6, 5b11–6a11). Möglicherweise geht
len Status der Substanz und die logische Abhän- die Unterscheidung zwischen der «absolut» bzw.
gigkeit aller anderen Kategorien von der Substanz «relativ» ausgesagten «unbestimmten Quantität»
aufzuzeigen. (ἀόριστον ποσόν διχῶς λέγεται, τὸ μὲν ἁπλῶς, τὸ
Ebenfalls möglicherweise von Bedeutung ist δὲ πρός τι: Simpl. In Cat. 144,32 Kalbfleisch) auf
Andronikos’ Abweichung von der Standardinter- Andronikos zurück. Da dieser nicht namentlich
pretation der in ‹Kategorien› 2 aufgeworfenen erwähnt wird, könnte sie allerdings auch von Iam-
Frage, welche Prädikate «von einem Subjekt aus- blichos stammen (Moraux 1973 [*23: 106]).
gesagt» (καθ’ ὑποκειμένου λεγόμενα) werden kön- Weiter korrigierte Andronikos die aristoteli-
nen. Aristoteles’ Erklärung, wonach ‘Mensch’ von sche Definition des Relativen (πρός τι), indem er
Sokrates und ‘Lebewesen’ von einem Menschen die Formel «diejenigen Dinge sind relativ, für die
als «von einem Subjekt» ausgesagt werden kann, zu sein dasselbe ist, wie sich gegenüber etwas auf
lässt vermuten, dass nur essentielle Prädikate, die eine Weise zu verhalten» (ἔστι τὰ πρός τι οἷς τὸ
Formeln von zweiten Substanzen sind, von ersten εἶναι ταὐτόν ἐστι τῷ πρός τί πως ἔχειν: Arist. Cat.
Substanzen als «von einem Subjekt» prädiziert 7, 8a31f.) ersetzte durch «diejenigen Dinge sind re-
werden können. Andronikos schlägt hingegen vor, lativ, für die zu sein dasselbe ist, wie sich gegen-
die Klasse derjenigen Prädikate, die von einer über etwas anderem auf eine Weise zu verhalten»
Substanz als «von einem Subjekt» ausgesagt wer- (τὰ πρός τι ταῦτά ἐστιν οἷς τὸ εἶναι ταὐτόν ἐστι τῷ
den können, weiter zu fassen und auch nicht-es- πως ἔχειν πρὸς ἕτερον: Simpl. In Cat. 201,34–202,5
sentielle Prädikate einzuschließen (vgl. Chiara- Kalbfleisch; vgl. Porph. In Cat. 125,19–23ff.
donna, Rashed, Sedley, Tschernetska 2013 [*160: Busse). Dieses Eliminieren einer logischen Unsau-
150–153]), beispielsweise wenn ‘Athener’ oder berkeit durch das Ersetzen von πρός τι durch πρὸς
‘Philosoph’ von Sokrates ausgesagt wird oder ἕτερον (das Definiendum ist dann nicht mehr Be-
‘Musiker’ von Aristoxenos usw. (Simpl. In Cat. standteil der Definition) kann ein Beleg dafür sein,
54,8–16 Kalbfleisch). Ebenfalls Simplikios’ Be- dass Andronikos die ‹Kategorien› nicht als ein
richt entnehmen wir, dass Andronikos Zeit und kostbares Museumsstück und etwas zu Konservie-
Ort zu eigenen Kategorien machte – im Unter- rendes behandelte, sondern als maßgebliches
schied zu Aristoteles, der Zeit und Ort als konti- ­Dokument, das als Gebrauchstext für den Philo-
nuierliche Quantitäten in der Kategorie der Quan- sophieunterricht in seiner eigenen Zeit diente. Da-
tität behandelt hatte (Cat. 6, 4b24) – und diesen raus erklären sich vielfältige weitere Korrekturen,
beiden Kategorien die aristotelischen Kategorien Erläuterungen, Argumente zur Entkräftung klei-
‘wann’ bzw. ‘wo’ unterordnete, um die Zahl von nerer technischer Einwände, neben substantielle-
insgesamt zehn Kategorien nicht zu überschreiten. ren die Lehre betreffenden Punkten, für die er bei
Dieser Vorschlag scheint bei den Platonikern auf seiner Auslegung argumentierte.
Zustimmung gestoßen zu sein, stützt sich doch Ein anderes Beispiel für diese aktive Auslegungs-
Simplikios für seinen Bericht an einer Stelle auf arbeit sind seine Bemerkungen zur Kategorie der
Lukios und Nikostratos (Simpl. In Cat. 134,5–7 Qualität. Andronikos verbessert zwei der vier von
Kalbfleisch); außerdem erwähnt er Andronikos Aristoteles in ‹Kategorien› 8 unterschiedenen

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 263
Arten von Qualität und überlegt, ob nicht den vier Aristoteles unterschied zwei Arten von «passiven»
‘aristotelischen’ Klassen eine fünfte hinzugefügt (παθητικαί) Qualitäten: 1) Qualitäten, die in an-
werden müsste. Die erste Verbesserung betrifft deren Dingen gewisse Zustände verursachen kön-
diejenigen Eigenschaften, die nach einer natürlichen nen (z. B. wirken ‘süß’ und ‘warm’ auf die Sinnes-
Fähigkeit oder Unfähigkeit benannt sind (κατὰ wahrnehmung), 2) Qualitäten, die passiv genannt
δύναμιν φυσικὴν ἢ ἀδυναμίαν: 9a16): Männer, die werden, weil sie eher Effekte als Ursachen sind
von Natur aus geeignet sind für den Faustkampf, (z. B. ‘blass’, ‘gelb’ oder ‘rot’ zu sein im Gesicht als
werden ‘faustkämpferisch’ (πυκτικοί) genannt, be- Folge einer Krankheit oder Emotion, Cat. 8, 9b9–
gabte Läufer heißen ‘läuferisch begabt’ (δρομικοί), 26). Andronikos verwirft beide Erklärungen. Ihm
diejenigen mit bzw. ohne gesunder Konstitution zufolge sind die Qualitäten beider Klassen durch
ὑγιεινοί bzw. νοσώδεις (Cat. 8, 9a14–24). Aristo- Affiziertwerden entstanden: Was warm ist, behält
teles erklärt, dass diese Benennungen nicht mit diese Qualität unabhängig davon, ob es als Ur­
einer bestimmten Veranlagung zu tun haben, son- sache für Erwärmung wirkt oder nicht (Simpl. In
dern damit, dass jemand fähig bzw. unfähig ist, in Cat. 258,15–22 Kalbfleisch). Andronikos’ Erklä-
bestimmter Weise zu handeln oder auf bestimmte rung stimmt zweifellos mit Aristoteles’ ‹Physik›
Weise von etwas betroffen zu werden. Andronikos überein: Er korrigiert somit ‘Aristotelem ex Aris-
korrigiert diese Erklärung, indem er sagt, dass je- totele’, eine exegetische Methode, die in der peri-
mand nicht wegen einer Fähigkeit, die er hat, so patetischen Schule – und weit darüber hinaus –
genannt wird, sondern wegen einer Fähigkeit, die eine lange Tradition haben wird.
er haben wird, da sich alle diese Adjektive auf Andronikos überlegte auch, ob grundlegende
Menschen beziehen, die gut veranlagt sind im Qualitäten wie ‘schwer’, ‘leicht’, ‘dünn’ und ‘dicht’
Hinblick auf gewisse zukünftige Zustände (Simpl. eine eigene fünfte Klasse oder alternativ eine Un-
In Cat. 214,22–4 Kalbfleisch). Moraux 1973 [*23: terklasse der passiven Qualitäten bilden sollten. Im
108f.] hält das für eine Zurückweisung von Aristo- zweiten Fall würden sie sich von den anderen Qua-
teles’ Erklärung, die als unbefriedigend beurteilt litäten dadurch unterscheiden, dass sie nicht auf
werde, aber es könnte sein, dass Andronikos auch etwas anderes wirken könnten, um einen ähnlichen
hier versucht, Aristoteles’ ursprüng­l ichen Gedan- Effekt zu verursachen (Simpl. In Cat. 263,27–264,4
ken in einem technischen Sinn zu präzisieren: Kalbfleisch). Die Idee einer fünften Klasse von
Dessen Erklärung könnte nämlich so verstanden Qualitäten wurde von Eudoros und Achaikos un-
werden, dass sie im Infinitiv ‘ποιῆσαι’ einen Bezug terstützt, und der Gedanke, dass ‘Schwere’ und
zur Zukunft hat (πυκτικοὶ ἢ δρομικοὶ λέγονται οὐ ‘Leichtigkeit’ als grundlegende Qualitäten weder
τῷ διακεῖσθαί πως ἀλλὰ τῷ δύναμιν ἔχειν φυσικὴν selber auf etwas wirken noch durch eine Einwir-
τοῦ ποιῆσαί τι ῥᾳδίως: Cat. 8, 9a19–21). Eindeuti- kung entstanden sind, begegnet bei Alexander von
ger kritisiert Andronikos Aristoteles im Zusam- Aphrodisias wieder (De an. 5,11f. Bruns, vgl. auch
menhang mit der dritten Klasse der Qualitäten: Arist. Gen. corr. 329b18–32).

1.2. ‹De interpretatione›

Es ist unwahrscheinlich, dass Andronikos diese halten ist, die entsprechende Diskussion fehle,
Schrift ‘in einem selbständigen Werk’ zusammen- und da die Echtheit von ‹De anima› nicht ange-
fasste, da die bei Boethius (In herm. comm. ed. II, zweifelt werden könne, folge, dass ‹De interpreta-
praef., p. 11,19–30 Meiser) erhaltene Nachricht im tione› unecht sei. Im Detail unterscheiden sich die
Zusammenhang mit ‹De interpretatione› die Ab- Erklärungen aber: Nach Ammonios und Philopo-
lehnung ihrer Echtheit betrifft, und ein solches nos war Andronikos der Meinung, dass in ‹De in-
Urteil wird wohl in der ‹Werkliste› gestanden terpretatione› die «Gedankengehalte» (νοήματα)
haben. Andronikos’ Skepsis gegenüber der Echt- als παθήματα τῆς ψυχῆς bezeichnet werden und
heit von ‹De interpretatione› hängt mit der An- dass eine solche Identifikation in ‹De anima›
kündigung des Aristoteles zu Beginn der Abhand- fehle; entsprechend versuchen diese beiden, Andro-
lung (16a3f. und 6f.) zusammen, wonach er die nikos’ Einwand zu entkräften, indem sie Beweise
Thematik der παθήματα τῆς ψυχῆς («Eindrücke dafür anführen, dass Aristoteles auch in ‹De
der Seele») in ‹De anima› behandeln werde, da sie anima› νοήματα als πάθη verstanden hat (Ammon.
«zu einer anderen Untersuchung» gehöre (16a8f.). In Int. 5,28–7,14 Busse, Philop. In De an. 27,21–29;
Allen Berichten zufolge wies Andronikos darauf 45,8–14 Hayduck). Boethius, dessen Quelle Por-
hin, dass in der Schrift ‹De anima›, soweit sie er- phyrios ist, der sich seinerseits auf Alexander von

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264 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Aphrodisias stützt, berichtet eine leicht abwei- In Int. 1, II,11,26–30 Meiser). Moraux 1973 [*23:
chende Version: Andronikos habe darauf hinge- 118f.] hält richtigerweise Boethius’ Darstellung für
wiesen, dass Aristoteles in ‹De anima› Affekte der näher an der Quelle und die Berichte bei Ammo-
Seele wie Trauer, Freude oder Wut nicht diskutiere, nios und Philoponos für verkürzte Versionen des
und Alexander habe entgegnet, dass der Ausdruck ursprünglichen Texts. Andronikos’ Echtheits-Kri-
παθήματα τῆς ψυχῆς so verstanden werden müsse, tik scheint in der antiken Kommentartradition
dass er sich auf Gedankengehalte beziehe (Boeth. keine Anhänger gehabt zu haben.

1.3. ‹De divisione›

Auf diese verlorene Abhandlung von Andro­ Magee 1997 [*124] und 1998 [*125]). Boethius be-
nikos verweist Boethius im Proömium zu seinem ei- spricht sechs Arten von Teilung: drei in der Klasse
genen Traktat mit demselben Titel, wenn er auf den ‘per se’ (Gattung/Arten, Ganzes/Teile, Wort/Be-
Nutzen und das Alter seines Themas hinweist: «Das deutungen) und drei in der Klasse ‘secundum acci-
von Andronikos, einem sehr sorgsamen Gelehrten dens’ (Subjekt/Akzidentien, Akzidens/Subjekt, Ak-
der früheren Zeit, verfasste Buch ‹De divisione› zidens/Akzidentien). Am Ende der Abhandlung
handelt von dem beträchtlichen Nutzen, den die sagt Boethius: «Die spätere peripatetische Schule
Wissenschaft vom Teilen den Gelehrten bringt und unterschied sehr sorgfältig zwischen den Teilungen:
davon, dass dieser Wissenszweig bei den Peripateti- Sie trennte Teilung ‘per se’ und Teilung ‘secundum
kern immer hoch geschätzt war. Auch ein so bedeu- accidens’ und gliederte diese beiden weiter. Ihre
tender Denker wie Plotin schätzte Andronikos’ Vorgänger hingegen brauchten ohne Unterschied
Buch, und Porphyrios benutzte es für seinen Kom- ein Akzidens anstelle einer Gattung und Akziden-
mentar zu Platons ‹Sophistes›» (Boeth. Divis. 4,3–7 tien anstelle von Arten oder Differenzen» (Boeth.
Magee). Diese Abhandlung war kein Kommentar, Divis. 48,27–50,2 Magee). Die Unterscheidung zwi-
sondern wahrscheinlich eine Zusammenstellung schen früheren und späteren Peripatetikern geht
dessen, was Andronikos als aristotelische Theorie möglicherweise auf Porphyrios zurück; denn es ist
des Teilens betrachtete. Der Grad der Abhängigkeit nicht auszuschließen, dass er Kenntnisse von älte-
der späteren Quellen (Porphyrios und Boethius) ren peripatetischen Quellen zu diesem Thema hatte
von Andronikos ist schwierig zu ermitteln (vgl. (vgl. Magee 1998 [*125], Griffin 2015 [*39: 42–48]).

1.4. ‹Physik›

Es ist unklar, ob Andronikos zu einem Werk des weise auf einen Abschreibfehler zurückgeht, wie
physikalischen Corpus einen eigentlichen Kom- Moraux 1973 [*23: 114 mit Anm. 3] vermutet. An-
mentar verfasste. Simplikios erwähnt ihn in sei- dronikos’ Erklärung dieser Lesart, die von Simpli-
nem ‹Physik›-Kommentar dreimal. Eine Er­ kios ebenfalls überliefert wird, mag von philo­
wähnung ist philologischer Natur und hat mit der sophischem Interesse sein: Er sagt, dass «das, was
Reihenfolge der acht Bücher der ‹Physik› zu tun. bewegt wird» (τὸ κινητόν), durch sich selbst bewegt
Andronikos bezeugt, dass der alte Titel für die ers- zu sein scheint, auch wenn es von außen bewegt
ten fünf Bücher ‹Physik› (Φυσικά) gewesen ist, wird, wenn es von der inhärenten «Potenz»
während die letzten drei mit ‹Über die Bewegung› (δύναμις) zur «Aktivität» (ἐνέργεια) gebracht wird
(Περὶ κινήσεως) überschrieben gewesen sind. Er (Simpl. In Phys. 440,15–17 Diels). Moraux 1973
verweist dafür auf den Briefwechsel zwischen [*23: 114 Anm. 5] vermutet, dass Andronikos
Theophrast und Eudemos, der diese Reihenfolge damit Aristoteles’ Argument für die Existenz eines
und Benennung unterstützt (Simpl. In Phys. 923,8– ersten unbewegten Bewegers kritisiert und so Ga-
16 Diels). Diese Bemerkung könnte aus Andro­ lens Kritik vorwegnimmt. Doch könnte Andro­
nikos’ ‹Werkliste› stammen. Zwei weitere Verweise nikos auch der Auffassung gewesen sein, seine Les-
auf Andronikos stehen im Zusammenhang mit art lasse sich mit Aristoteles’ These, dass alles, was
‹Physik› 3. Simplikios erwähnt eine Textvariante in in Bewegung ist, von etwas bewegt wird, verein­
202a14 (ἐντελέχεια γάρ ἐστι τοῦ κινητοῦ ὑπὸ τοῦ baren, eine Auffassung, die Aristoteles ausgehend
κινητικοῦ). Andronikos liest an dieser Stelle: von der Annahme, dass das Ganze in Ruhe wäre,
ἐντελέχεια γάρ ἐστι τοῦ κινητοῦ καὶ ὑπὸ τούτου wenn man annehmen würde, dass seine Teile in
(Simpl. In Phys. 440,14f. Diels), was möglicher- Ruhe sind, formuliert hatte (Phys. 7,1, 242a5–15).

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 265
Simplikios berichtet weiter von einem Kom- die zuerst erwärmt wird, um anschließend selber
mentar des Andronikos zu Aristoteles’ Diskussion aktiv das Substrat zu erwärmen (Simpl. In Phys.
über Veränderung. Dieser hatte Veränderung be- 450,16–20 Diels). Gottschalk 1987 [*28: 1112f.]
schrieben als Aktualität dessen, was potentiell hält es für möglich, dass sowohl diese als auch die
etwas bewirkt oder worauf potentiell eine Wir- vorhergehende Bemerkung (dass es auch beim von
kung ausgeübt wird (Phys. 3,3, 202b23–29). Andro- außen Bewegten einen Beweger im Objekt gibt)
nikos erklärte offenbar die Vorstellung von der Tendenzen wiedergeben, die in der stoischen Phy-
Aktualität dessen, worauf potentiell eine Wirkung sik und im frühen Peripatos (Straton) präsent
ausgeübt wird, als eine Art innere Natur einer waren, und die Andronikos mit dem aristoteli-
Sache, auf die zuerst eine Wirkung ausgeübt wird schen Schema in Übereinstimmung zu bringen
und die in der Folge selber auf die ganze Sache versucht. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass An-
wirkt. Wenn beispielsweise Wasser durch Feuer er- dronikos damit wörtliche Übereinstimmung mit
hitzt wird, ist es eine bestimmte Natur im Wasser, den Texten des Aristoteles meint.

1.5. ‹De anima›

Mehrere Berichte in späteren antiken Quellen sem speziellen Fall, die Exaktheit der arabischen
bezeugen, dass Andronikos zur aristotelischen Quelle zu bezweifeln (Biesterfeldt 1973 [*96: 18]).
Lehre von der Seele einen eigenen Interpreta­ Aufgrund von Galens Bericht scheint es, dass An-
tionsansatz entwickelte. Bei den Quellen handelt dronikos die Seele 1) als Mischung des Körpers
es sich um zwei Kommentare (von Themistios und und/oder 2) als Kraft, die zur körperlichen Mi-
Galen) und zwei zusammenfassende Äußerungen schung hinzukommt, betrachtete. Galen lobt ihn
über Andronikos’ Position, die wahrscheinlich aus als mutigen Denker, was Punkt 1) betrifft, kriti-
einer doxographischen Tradition stammen und siert ihn für 2) und vergleicht Andronikos in die-
beide in der ps.-galenischen Schrift ‹De spermate› sem Punkt mit Aristoteles, für den Seele nur Sub-
überliefert sind, die in einer lateinischen Überset- stanz sein konnte und nicht Kraft einer Substanz
zung aus dem Mittelalter erhalten ist (vgl. Nutton (Gal. QAM 44,12–45,3 Müller = Sharples 2010
2008 [*152]). [*43: 24P]). Galens Bericht kann als Beweis für
Themistios zufolge (dessen Quelle möglicher- Andronikos’ Physikalismus in der Frage der Natur
weise Porphyrios war) wollte Andronikos Xeno- der Seele betrachtet werden (vgl. die Diskussionen
krates’ Definition der Seele als «sich selbst bewe- bei Moraux 1984 [*220: 782–785], Caston 1997
gende Zahl», die von Aristoteles in ‹De anima› 1,4, [*120: 339–342], Sorabji 2003 [*137], Sharples
408b32 kritisiert worden war, begründen. Er habe 2007 [*147: 610f.] und 2010 [*43: 247]).
erklärt, die Seele werde «Zahl» genannt, weil sie Die beiden Hinweise auf Andronikos’ Theorie
aus einem Körper bestehe, der sich aus vier einfa- der Seele, die aus dem ps.-galenischen ‹De sper-
chen Körpern (Elementen), die in numerischem mate› stammen, weisen hingegen eher auf eine
Verhältnis gemischt seien, zusammensetze. Der dualistische Interpretation von Andronikos’ Posi­
«selbst bewegende» Charakter dieser Zahl werde tion (Sharples 2007 [*147: 612f.]). Im ersten Zeug-
dadurch erklärt, dass die Seele selber Ursache für nis (Gal. Sem. VIII, 142C Cornarius = Sharples
das Mischungsverhältnis der Elemente in der kör- 2010 [*43: 24S]) wird Andronikos zu einer sehr
perlichen Struktur sei (Them. In De an. 32,22–31 gemischten Gruppe von Philosophen gezählt, wel-
Heinze = Sharples 2010 [*43: 24R]). che die Seele für unkörperlich hielten («Sokrates,
Ein weiterer Bericht findet sich in Galens Ab- Platon, Aristoteles, Theodoros der Platoniker,
handlung ‹Dass die Kräfte der Seele den Mischun- Andronikos der Peripatetiker und Porphyrios
gen des Körpers folgen› 4 (‹Quod animi mores und viele andere»). Aufgrund von Galens Bericht,
corporis temperamenta sequantur› = QAM), wo wonach Andro­n ikos die Seele nicht mit dem Kör-
Galen für seine eigene Definition der Seele als per identifiziert habe, sondern geneigt gewesen
Mischung des Körpers argumentiert, sich dafür sei, sie als eine Kraft des Körpers aufzufassen,
auf Autoritäten wie Platon und Aristoteles beruft lässt sich erklären, wie seine Position von Doxo-
und Andronikos’ Definition der Seele als seiner graphen als ‘unkörperlich’ verstanden werden
eigenen besonders nahe erwähnt. Andronikos’ konnte, ohne dass ein Dualismus daraus folgen
Name erscheint zwar nur in der arabischen Über- musste. Das zweite Zeugnis (Gal. Sem. VIII,
setzung der Schrift, in welcher der griechische 152D–153A Cornarius = Sharples 2010 [*43:
Text korrupt ist, es gibt aber keinen Grund in die- 24T]) enthält ein komplexeres Argument für die

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266 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Unsterblichkeit der Seele. Andronikos beruft sich cken». Dieses Argument setzt eine stärkere Tren-
auf einen mentalen Konflikt, um dafür zu argu- nung zwischen Körper und Seele voraus, ist aber
mentieren, dass die Seele «nicht aus körperlicher immer noch mit dem physikalistischen Ansatz,
Natur zusammengesetzt» sei, weil es sonst «nichts der bei Galen bezeugt ist, vereinbar. Für eine In-
gäbe, das die Seele daran hindern könnte, den terpretation der andronikischen Definition der
Körper durch spirituelle Prinzipien unter Kont- Seele als Vorwegnahme der Tradition des Emer-
rolle zu bringen, d.  h. die Laster des Körpers gentismus in der modernen Philosophie des Geis-
durch Fasten oder andere Tugenden zu unterdrü- tes vgl. Caston 1997 [*120].

1.6. Ethisches Corpus: Emotionen

Aspasios erörtert in seinem Kommentar zur Heylbut = Sharples 2010 [*43: 16R]). Andronikos’
‹Nikomachischen Ethik› 2,3 Andronikos’ Defini- Definition, die im Anschluss daran genannt wird,
tion des Affekts (πάθος, verstanden in einem ist der stoischen recht ähnlich: Affekt als «eine ir-
engen moralischen Sinn). Es gibt keinen Hinweis, rationale Bewegung der Seele aufgrund der An-
aus welchem Werk des Andronikos Aspasios sei- nahme von etwas Schlechtem oder etwas Gutem»
nen Bericht herleitet. Moraux 1973 [*23: 135] ver- (πάθος εἶναι τῆς ψυχῆς κίνησιν ἄλογον δι’ ὑπό­
mutet, dass es sich um eine Zusammenfassung von ληψιν κακοῦ ἢ ἀγαθοῦ: Αsp. In EN 44,21f. Heylbut
Aristoteles’ ‹De anima› handeln könnte. Aspasios = Sharples 2010 [*43: 16V(4)]). Wie Aspasios er-
erklärt, die «älteren» Peripatetiker (παλαιοί) hät- klärt, «meint Andronikos mit ‘irrational’ nicht ‘der
ten keine Definition der Emotion entwickelt, und richtigen Vernunft entgegengesetzt’ wie die Stoi-
zählt Andronikos und Boethos zu den «späteren» ker, sondern eine Erschütterung des irrationalen
Peripatetikern (οἱ ὕστερον). Seelenteils (τὸ τοῦ ἀλόγου τῆς ψυχῆς μορίου
Der Kontext ist eine Kontroverse um Aristote- κίνημα)» (Αsp. In EN 44,22–24 Heylbut). Diese Er-
les’ Behauptung, dass jede Handlung und jeder klärung, die sehr wahrscheinlich auf Andronikos
Affekt von Schmerz und Freude begleitet sei (EN zurückgeht, lässt vermuten, dass dieser bewusst
2,3, 1104b14f.), und um die Frage, ob der Affekt in versucht hat, die stoische Definition des Affekts zu
die zwei obersten Genera ‘Schmerz’ und ‘Freude’ verbessern und sie mit peripatetischer Ethik ver-
geteilt werden soll oder ob Schmerz und Freude einbar zu machen (vgl. Sorabji 2000 [*133: 134f.]).
Begleiterscheinungen des Affekts seien, wie ein Sorabji 2007 [*150: 624], der Arist. De an. 3,9,
gutes Aussehen zusammen mit einem gesunden 432a22–31 zitiert, bemerkt, dass Andronikos wie
Körper auftrete (Asp. In EN 44,5–7 Heylbut). As- auch Boethos (vgl. unten 2.5.) von einem ‘Teil’ der
pasios zitiert zuerst die stoische Definition des Seele sprechen, während Aristoteles eher den Aus-
­Affekts (πάθος): «Ein heftiger oder irrationaler druck ‘Vermögen der Seele’ gebrauchte. Moraux
Impuls, wobei mit irrational das der richtigen Ver- 1973 [*23: 140] wies darauf hin, dass die hier gege-
nunft Entgegengesetzte gemeint ist» (πάθος εἶναι bene Definition des Affekts identisch ist mit derje-
ὁρμὴν σφοδρὰν ἢ ὁρμὴν ἄλογον, λαμβάνοντες τὸ nigen, die sich in der ps.-andronikischen Schrift
ὑπεναντίον τῷ ὀρθῷ λόγῳ: Asp. In EN 44,13f. ‹Über Affekte› (Περὶ παθῶν) findet.

2. Boethos von Sidon

Die antiken Quellen erwähnen zwei Philosophen namens Boethos von Sidon:
einen stoischen Schüler des Diogenes von Babylon (gest. ca. 150–140 v. Chr.) und
einen peripatetischen Schüler des Andronikos. Das Auseinanderhalten der Be-
richte ist ein komplexes Problem, und es besteht in der Forschung nicht im Hin-
blick auf alle Texte Einigkeit (vgl. Moraux 1973 [*23], Gottschalk 1986 [*105] und
1987 [*28], Griffin 2009 [*422] und 2015 [*39], Falcon 2016 [*164]).
Boethos’ Lebenszeit kann aufgrund von Strabon festgelegt werden, der berich-
tet, er habe «mit» oder «bei Boethos Philosophie studiert» (συνεφιλοσοφήσαµεν:
Strab. 16,2,24): Wenn man annimmt, Strabon (ca. 64 v. Chr. – 25 n. Chr.) sei Boe-

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 267

thos’ Mitstudent gewesen, dürfte Boethos zwischen 70 und 60 v. Chr. geboren sein;
wenn Boethos Strabons Lehrer war, wäre er spätestens um 80 v. Chr. geboren. Er
wird von Ammonios als elfter Scholarch des Peripatos bezeichnet (In An. pr. 31,12
Wallies) und von Philoponos als Schüler des Andronikos (In Cat. 5,18 Busse). Er
verfasste einen ausführlichen Kommentar zu den ‹Kategorien›, der sich als über-
aus einflussreich für die gesamte antike Kommentartradition zu diesem Text er-
wies. In irgendeiner Form kommentierte er auch die ‹Analytica priora› und die
‹Physik›. Daneben gibt es antike Berichte über Beiträge des Boethos zur peripa-
tetischen Ethiktheorie und eine Anzahl umstrittener Fragmente zur Seelenlehre.

2.1. ‹Kategorien›-Kommentar

Boethos’ Kommentar zu den ‹Kategorien› des Relationen ‘Synonymie’, ‘Homonymie’ und ‘Par­
Aristoteles wird von Simplikios hoch gelobt und onymie’ beziehen; Aristoteles spricht von Dingen,
oft benutzt. Wahrscheinlich kannte Simplikios die einen gemeinsamen «Namen» (ὄνομα) haben
den Text nicht direkt, sondern durch Porphyrios’ (Cat. 1, 1a1–15). Die Stoiker Athenodoros und
verlorenen Kommentar ‹Ad Gedalium›. Laut Sim- Cornutus wendeten dagegen ein, dass die be-
plikios handelte es sich bei Boethos’ Kommentar schriebenen Relationen nicht nur für Namen gel-
um einen «Wort-für-Wort-Kommentar» (καθ’ ten, sondern auch für andere, nicht-nominale
ἑκάστην λέξιν: Simpl. In Cat. 30,2 Kalbfleisch). Rede­teile wie Verben, Partizipien usw. (Simpl. In
Die erhaltenen Fragmente beziehen sich auf den Cat. 18,26–19,1; 24,6f. Kalbfleisch). Boethos
Einleitungsteil, der den Begriffen des Homony- schlug vor, zwischen einer engeren und einer wei-
men, Synonymen und Paronymen gewidmet ist, teren Bedeutung von ‘Name’ zu unterscheiden:
weiter gibt es ein wichtiges Fragment zu Boethos’ Erstere meint nur den Redeteil, gebraucht mit
Behandlung der Kategorie ‘Substanz’. Simplikios dem Artikel, während bei der weiteren Bedeutung
zufolge hat Boethos «ein ganzes Buch» zur Kate- ‘Name’ jede bedeutungsvolle Aussage, die einen
gorie ‘Relation’ verfasst, aber Griffin 2009 [*422: Bezug zur Realität hat, einschließt (Simpl. In Cat.
214f.] weist zu Recht darauf hin, dass es sich dabei 25,18–20 Kalbfleisch). Dass Boethos bei seiner
um einen Teil des Kommentars handeln dürfte. Definition der Homonyme die Worte ‘τῆς οὐσίας’
Schließlich gibt es Berichte über Boethos’ Be- weglässt, könnte auf ähnliche Bedenken zurück-
handlung der Kategorien ‘tun’, ‘erleiden’, ‘liegen’, gehen (Simpl. In Cat. 29,24–30,5 Kalbfleisch; vgl.
‘wann’ und ‘haben’. Arist. Cat. 1, 1a1–2).
Zu Boethos’ Zeit gab es zwei verschiedene An- Von Boethos stammt weiter ein wichtiges Zeug-
sichten zur Frage, was das eigentliche Thema der nis für Speusippos’ Klassifikation der Redearten
‹Kategorien› sei: einerseits die Auffassung, dass es in Tautonyme (weiter unterteilt in Synonyme und
Aristoteles in den ‹Kategorien› um sprachliche Homonyme) und Heteronyme (unterteilt in die ei-
Phänomene gehe, andererseits, dass die Schrift gentlichen Heteronyme, Polyonyme und Par­
von den obersten Gattungen des Seienden handle. onyme, Simpl. In Cat. 38,19–39,17 Kalbfleisch).
Die jeweiligen Vertreter stützten sich hauptsäch- Bei der Erklärung von τὰ λεγόμενα (Arist. Cat.
lich auf die Einleitungskapitel bzw. auf die Ver- 4, 1b25) unterscheidet Boethos zwischen den ein-
weise auf «Seiendes» (ὄντα in Cat. 2, 1a20). Boe- fachen und den zusammengesetzten Ausdrücken,
thos scheint der Initiator einer dritten Ansicht basierend auf den unterschiedlichen Bedeutun-
­gewesen zu sein, nämlich dass es in den ‹Katego- gen, die für λεγόμενον infrage kommen. Von den
rien› «um die ersten und einfachen Aussagen grundsätzlich vier möglichen Bedeutungen – 1)
gehe, insofern als diese Seiendes bedeuten» (καθὸ eine Sache, 2) der Gedankeninhalt, der sich auf
σημαντικαὶ τῶν ὄντων εἰσίν: Simpl. In Cat. 13,13f. eine Sache bezieht, 3) ein bedeutungsvoller Aus-
Kalbfleisch), womit Dinge und Gedanken, die mit druck, 4) eine (bedeutungslose) Äußerung – kön-
den sprachlichen Ausdrücken bezeichnet werden, nen einfache λεγόμενα alle vier Bedeutungen
ebenfalls Teil der Untersuchung sind. haben, zusammengesetzte nur 2), 3) oder 4), weil
Diesen Ansatz nutzte Boethos zur Lösung des es zu einer Verknüpfung keine entsprechende
von einigen Lesern aufgeworfenen Problems im Sache gebe (Simpl. In Cat. 41,8–20 Kalbfleisch).
Zusammenhang mit dem Bereich, auf den sich die Moraux 1973 [*23: 152] bringt diese Ansicht mit

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268 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Boethos’ Anti-Realismus in der Universalienfrage den können, so dass im Normalfall eine Vielfalt
in Verbindung und schreibt ihm die Meinung zu, von Elementen aus allen Kategorien außer der
dass nur Gedanken oder Begriffe die Objekte einer Substanz die Form bilden». Rashed 2013 [*162: 72]
Aussage sein können. Der Text scheint diese Inter- hat darauf hingewiesen, dass Boethos den Aus-
pretation aber nicht zu bestätigen: Vielmehr sagt druck ‘Qualität’ hier möglicherweise im Sinn von
Boethos, dass Kategorien – verstanden als Objekte ‘substantieller Qualifikation’ gebraucht, wie es in
von Aussagen – ebenso Dinge (πράγματα) wie Ge- der ‹Kategorienschrift› (Cat. 5, 3b18–20) angedeu-
danken, die sich auf Dinge beziehen, sein können. tet wird, wo es heißt, Art und Gattung bedeuteten
Dieser Standpunkt unterscheidet sich von der von Qualitatives in Bezug auf die Substanz. Diese Er-
Boethos beschriebenen Position der ‘Alten’, der zu- klärung scheint besonders attraktiv, da sie es er-
folge nur Gedanken Objekte von Aussagen sein laubt, den Ausdruck ‘Quantität oder irgendeine
können (Simpl. In Cat. 41,28–42,8 Kalbfleisch). andere Kategorie’ auf ähnliche Weise auf die im
In Simplikios’ Kommentar ist ein wertvolles vorhergehenden Abschnitt erwähnte vereinheit­
Stück Information zu Boethos’ Interpretation der lichende Funktion der Form zu beziehen. Simpli-
aristotelischen Definition der Substanz erhalten. kios überliefert auch Boethos’ Antwort an einige
Charakteristisch für diese Interpretation ist, dass Kritiker des Aristoteles, welche die Liste der Ka-
Boethos die Definition der Substanz in den ‹Kate- tegorien für zu kurz hielten. Unter anderem bean-
gorien› mit der Erörterung desselben Begriffs in standeten sie, dass Aristoteles in seinen Katego-
der  ‹Metaphysik› vergleicht. In der ‹Metaphysik› rien das «Eine», die «Einheit» (μόνας) und den
braucht Aristoteles den Begriff der Substanz für «Punkt» (στιγμή) nicht unterbringen könne: Zur
alle drei Bestandteile der hylemorphistischen Tri- Kategorie der Quantität könnten sie nicht gehö-
ade: Form, Materie und das Zusammengesetzte. ren, da sie keine Teile haben, somit weder kontinu-
Laut Boethos genügen nur zwei davon, Materie und ierlich sind noch diskret (Simpl. In Cat. 65,13–17
das Zusammengesetzte, der von Aristoteles in den Kalbfleisch). Die von Boethos vorgeschlagene Lö-
‹Kategorien› formulierten Definition der ersten sung besteht darin, im Fall von zwei Arten von
Substanz: nicht in einem Zugrundeliegenden zu sein Zahlen, unkörperlichen und körperlichen, zwei
und nicht von einem Zugrundeliegenden ausgesagt Arten von Einheit anzunehmen: die zur intelligi-
zu werden (Cat. 5, 2a11–14). Form könne gemäß die- blen Zahl gehörende Einheit ist Sub­stanz, die zur
sem Kriterium «nicht Substanz sein, sondern falle ‘körperlichen’ Zahl gehörende entweder Quanti-
in eine andere Kategorie: Qualität, Quantität oder tät oder Relation (Simpl. In Cat. 65,19–21 Kalb-
irgendeine andere» (τὸ δὲ εἶδος τῆς μὲν οὐσίας fleisch). Die körperliche Einheit ist von besonde-
ἐκτὸς ἔσται, ὑπ’ ἄλλην δὲ πεσεῖται κατηγορίαν, ἤτοι rem Interesse für das Problem des kategorialen
τὴν ποιότητα ἢ ποσότητα ἢ ἄλλην τινά: Simpl. In Status der Form, weil Boethos Form als den
Cat. 78,18–20 Kalbfleisch). Diese vage Beschrei- Grund der Einheit der individuellen Substanz de-
bung des kategorialen Status der Form gab Anlass finiert. Diese Funktion der Form würde es ihm er-
zu verschiedenen Interpretationen. lauben, ihren kategorialen Status entweder als
Auf den ersten Blick scheint der Text zu bedeu- Quantität oder «etwas anderes», nämlich Relation
ten, dass Boethos der Form jegliche Substantiali- zu definieren. Boethos scheint die Kategorie der
tät abspricht und sie auf ein reines Akzidens redu- Quantität vorzuziehen, unter Hinweis darauf, dass
ziert (vgl. die Analyse von Movia 1968 [*92: «zwei Objekte» (τὰ δύο) und die «Dyade» (δύας)
195f.]). Nach Gottschalk 1987 [*28: 1109] spricht in die Kategorie der Quantität fallen, wie ‘weiß’
Boethos sogar den zweiten Substanzen Substanti- und ‘Weiße’ in die Kategorie der Qualität (Simpl.
alität ab. Doch entstehen laut Boethos überhaupt In Cat. 65,21–24 Kalbfleisch). Der kategoriale Sta-
nur dank der Form erste Substanzen, die individu- tus der Form ist von Boethos auf diese Weise im
ell und einheitlich sind (κατὰ δὲ αὖ τὸ εἶδος, Hinblick auf ihre Rolle bei der Realisation der
καθόσον ὥρισται καὶ ἕν ἐστιν ἀριθμῷ: Simpl. In substantiellen Qualifikation definiert, weil sie so-
Cat. 104,26f. Kalbfleisch), so dass die Rolle der wohl für Einheit als auch den individuellen Cha-
Form nicht auf die eines reinen Akzidens redu- rakter des Zusammengesetzten sorgt. In keiner
ziert werden kann (vgl. Moraux 1973 [*23: 156], Weise aber kann Form in Übereinstimmung mit
anders Gottschalk 1987 [*28: 1109]). dem Kriterium für die erste Substanz als Substanz
Das Problem des kategorialen Status der Form klassifiziert werden. Boethos’ Standpunkt wurde
ist damit nicht gelöst. Reinhardt 2007 [*145: 525] später von Alexander von Aphrodisias korrigiert,
zufolge hält Boethos Form für «ein Aggregat von der eine essentialistische Interpretation von Aris-
Eigenschaften, die in einer oder mehreren der toteles’ Form entwickelte und dabei einige von
nicht-substantiellen Kategorien klassifiziert wer- Boethos’ Thesen verwarf, andere akzeptierte.

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 269
Boethos’ Position in der Debatte um das Uni- delt werden), dass aber sekundäre Substanzen
versalienproblem wird in den Quellen als peripa- einer gewissen Klasse, die definiert werden kön-
tetische Standardposition dargestellt, was darauf nen als ‘zu etwas gehörig’, als relativ verstanden
hinweist, dass er für die definitive Formulierung werden können, beispielsweise ‘Hand’ und ‘Kopf’
dieser Position verantwortlich war. Dexippos (Cat. 7, 8a25–28). Boethos ist mit dieser Er­
schreibt ihm (und Alexander von Aphrodisias) die klärung offenbar einverstanden, kritisiert aber die
Ansicht zu, dass das Individuelle von Natur aus Formulierung, da für ihn ‘Hand’ und ‘Kopf’ nicht
früher ist als das Allgemeine (Dexipp. In Cat. qua primäre oder sekundäre Substanz relativ sind,
45,27–31 Busse). Simplikios nennt Alexander al- sondern qua Teile, wobei er – im Gegensatz zu
leine als Urheber derselben Auffassung, bezeich- Aristoteles – annimmt, dass Teile und Ganzes re-
net sie aber als «möglicherweise eigentlich peripa- lativ sind (Simpl. In Cat. 188,2–5 Kalbfleisch =
tetisch» (Simpl. In Cat. 82,6–10 Kalbfleisch; vgl. Sharples 2010 [*43: 9H]).
Syrian. In Metaph. 106,5–8 Kroll). Lösungsvorschläge von Boethos zu weiteren
In seinem ausführlichen Kommentar zur Kate- Problemen, die von Kritikern der aristotelischen
gorie der Relation (πρός τι) legt Boethos nicht nur Kategorienlehre aufgeworfen wurden, weisen
Details und Probleme des aristotelischen Texts ebenfalls auf sein tiefes systematisches Interesse
dar, sondern will Aristoteles’ Lehre in die lau- an diesem Traktat hin, nicht nur als einer Einfüh-
fende philosophische Diskussion einbetten, wobei rung in das logische Corpus, sondern als ein Ent-
er sich auf frühere Quellen bezieht. Er sagt, Aris- wurf der Ontologie, der durch die gesamte aristo-
toteles’ Definition der Relation als «all das, von telische Metaphysik bestätigt wird. So wendet er
dem man sagt, dass es das, was es ist, im Zusam- im Fall der Kategorien ‘tun’ und ‘erleiden’ (ποιεῖν
menhang mit anderem ist» (Cat. 7, 6a36f.) sei mit und πάσχειν) gegen den Vorschlag, dass diese bei-
derjenigen Platons identisch (Simplikios verweist den Kategorien in einer einzigen allgemeinen Ka-
auf Rep. 438a; Soph. 255a; Simpl. In Cat. 159,9–22 tegorie ‘Aktivität’ (ἐνέργεια) zusammengefasst
Kalbfleisch = Sharples 2010 [*43: 9E]), während werden sollten, ein, dass eine solche Einteilung
Aristoteles’ eigener Beitrag in der Hinzufügung der aristotelischen Theorie des ersten unbewegten
des Satzes «oder dass es in einem anderen Sinn re- Bewegers nicht gerecht würde, der handelt, ohne
lativ zu etwas anderem ist» bestehe (Cat. 7, 6a37; etwas zu erleiden, und deshalb nicht zusammen
Simpl. In Cat. 163,6–9 Kalbfleisch = Sharples 2010 mit Dingen, die etwas erleiden, Teil einer gemein-
[*43: 9F]). Boethos kritisiert beide Teile der Defi- samen Gattung sein könne (Simpl. In Cat. 302,12–
nition wegen ihrer Zirkularität, da der zu definie- 17 Kalbfleisch; vgl. Plot. Enn. VI 1 [42] 15).
rende Ausdruck Teil der Defini­tionsformel ist In seiner Diskussion der Kategorie der Lage
(Simpl. In Cat. 163,15–19 Kalbfleisch = Sharples (κεῖσθαι), zu der Aristoteles selbst nicht viel er-
2010 [*43: 9F]), und wendet sich auch gegen die klärt, antwortet Boethos auf frühere Kritiker.
stoische Ansicht des logischen Verhältnisses zwi- Diese argumentierten offenbar aufgrund ihrer
schen den Kategorien des ‘Sich zu etwas Verhal- Analyse der von Aristoteles gegebenen Beispiele
ten’ (πρός τί πως ἔχον) und des Relativen (πρός τι), in der Liste der Kategorien – «aufgestellt sein»
der gemäß aus Ersterem das Relativsein folge, (ἀνάκειται) und «sitzen» (κάθηται, Cat. 4, 2a2f.) –,
aber nicht umgekehrt. Laut Boethos muss das Ver- dass ‘Lage’ überhaupt nicht eine eigene Kategorie
hältnis genau umgekehrt sein: Das Relativsein sein sollte, sondern entweder 1) auf eine der Kate-
setze ein Verhältnis zu etwas anderem voraus, und gorien ‘tun’ oder ‘erleiden’ zurückzuführen sei, da
zwar «in Übereinstimmung mit einer bestimmten beide Verben ἀνάκειται und κάθηται dies nahe-
Eigenschaft, die einer Sache inhärent ist», wäh- legten, oder 2) als Kombination von Form und Ort
rend in einem Verhältnis zu etwas zu stehen, nicht zu betrachten seien. Auch das wird aus den beiden
voraussetzt, dass etwas relativ zu einem äußeren Beispielen abgeleitet, da die beiden Präfixe ἀνα
Ding ist (Simpl. In Cat. 167,20–26 Kalbfleisch). und κατα, auf ‘hinauf’ bzw. ‘hinunter’ – also auf
Boethos behandelte auch das von Aristoteles Orte – verwiesen. In seiner Antwort drängt Boe-
aufgeworfene Problem, ob es ausgeschlossen ist, thos auf eine präzise Definition von ‘Lage’, die
dass eine Substanz zum Relativen gehört, oder ob keine Reduktion erlaubt. Er argumentiert gegen
das für einige zweite Substanzen möglich ist (Cat. 1) mit einem Gegenbeispiel: Die Kategorie der
7, 8a13–15) – ein Problem, das viele spätere Kom- ‘Lage’ kann bedeutungsvoll von einer Sache aus-
mentatoren beschäftigte. Aristoteles’ selbst ver- gesagt werden, die weder handelt noch etwas erlei-
trat die Ansicht, dass keine primäre Substanz det (eine sitzende Statue, ein gewidmetes Bild).
­relativ ist (und er verneint ausdrücklich die Mög- Was 2) betrifft, so scheint Boethos mit der Gram-
lichkeit, dass Teile und Ganzes als relativ behan- matik, die den gebrauchten Beispielen zugrunde

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270 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

liegt, argumentiert zu haben: In beiden Fällen ist mentar 340–357, wo Boethos genannt ist (vgl.
die Grundbedeutung, die für eine Einordnung in Huby 1981 [*99: 402f.]). Der Autor führt die Kate-
die Kategorie κεῖσθαι verantwortlich ist, unab- gorie ‘wann’ mit einer detaillierten Diskussion der
hängig vom Verweis auf einen Ort, auch wenn ein Zeit ein, die auf einer genauen Analyse des vierten
solcher als Konnotation hinzugefügt werden kann Buchs der ‹Physik› beruht. Er hebt hervor, dass die
(Simpl. In Cat. 339,18–30 Kalbfleisch). Diese Dis- Kategorie ‘wann’ weder äquivalent ist mit der Zeit
kussion ist ein bezeichnendes Beispiel für Boe- (die zur Kategorie der Quantität gehört), noch zu
thos’ Auslegungsmethode, die von den meisten dem, was in der Zeit ist (was zur Kategorie der
späteren Aristoteles-Kommentatoren (sowohl pe- Substanz gehört), noch zu einer Kombination der
ripatetischen als auch neuplatonischen) übernom- beiden Kategorien: «denn die Kategorie ist einfach
men wird und die sich durch ein Streben nach ter- und das bloße Verhältnis einer Sache zur Zeit gibt
minologischer und konzeptueller Präzision beim der Kategorie des ‘wann’ ihre Form, z. B. das ‘In-
Erläutern der Hauptpunkte der aristotelischen der-Zeit-Sein’, nämlich das Dauern (χρονίζειν,
Thesen und Argumente charakterisiert. 22,4–8 Waitz = Sharples 2010 [*43: 10F(4)]).
Mit derselben exegetischen Methode, die sorg- Boethos interessiert sich auch für die letzten
fältig zwischen Bedeutungen und Umfang von sechs Kapitel der Abhandlung, die sogenannten
­kategorialen Ausdrücken unterscheidet, gibt Boe- ‘Postpraedicamenta’, und argumentiert auch hier
thos der Kategorie ‘wann’ ihren Status als vollwer- gegen Andronikos’ Kritik am Konzept der Ruhe,
tige Kategorie zurück, der von Andronikos, dem womit er Plotins Analyse dieses Konzepts vorweg-
später Plotin folgte, in Zweifel gezogen worden nimmt (Enn. VI 3 [44] 27; vgl. Hoffmann 2000
war (Simpl. In Cat. 348,2–7 Kalbfleisch). Huby [*131]).
hat dafür argumentiert, dass der mit dem Titel Fasst man zusammen, bietet Boethos eine der
‹Über die Kategorie ‘wann’› (Περὶ τῆς τοῦ ποτὲ ersten Interpretationen der ‹Kategorien› ausge-
κατηγορίας) überschriebene Text, den Waitz in hend von der hylemorphistischen Theorie, die
seiner Organon-Ausgabe abgedruckt hat (aus Aristoteles im physikalischen Corpus und in der
Codex Laurentianus 71,32 foll. 84–86, Waitz 1844 ‹Metaphysik› entwickelt hat, wobei seine eigenen
[*58: 19–23]), aus Boethos’ ‹Kategorien›-Kom­ philosophischen Ansichten deutlich im Hinter-
mentar stammt (Huby 1981 [*99], Sharples 2010 grund stehen. Er verhält sich gegenüber Andro­
[*43: 10F, G und 19D]). Boethos wird in diesem nikos, gegen dessen Interpretationsvorschläge er
Text zwar nicht erwähnt (pace Sorabji 2007 [*148: an einigen Stellen eine bewusst kritische Haltung
563]), es gibt darin aber eine Reihe bedeutsamer einnimmt, ebenso frei wie Andronikos gegenüber
Parallelen mit Simplikios’ ‹Kategorien›-Kom­ der Autorität des Aristoteles und der Tradition.

2.2. ‹Analytica priora›

Die genaue Form von Boethos’ Kommentar zur als Titel für Themistios’ Werk: ‹Eine Abhandlung
ersten Analytik ist nicht so klar, wie es bei seinem des Themistios in Erwiderung auf Maximos und
‹Kategorien›-Kommentar der Fall ist. In den er- Boethos betreffend die Reduktion der zweiten
haltenen griechischen Quellen gibt es zwei Hin- und dritten Figuren des Syllogismus auf die erste›
weise auf seine Auslegung der aristotelischen (Rashed 2016 [*45: 148f.], Badawi 1968 [*91: 180]).
Theo­r ie der Syllogismen: Bei Ammonios (In An. Galen berichtet, dass Boethos und einige an-
pr. 31,12–25 Wallies) und bei Galen (Inst. Logica dere Denker die Schlussfolgerungen aufgrund der
7,2 und 17,4–9 Kalbfleisch). Zusätzlich beinhaltet hypothetischen Syllogismen für «keines Beweises
die arabische Version von Themistios’ Abhand- bedürftig» (ἀναπόδεικτοι) und «primär» (πρῶτοι)
lung ‹Antwort an Maximos über die Reduktion hielten, dass sie aber nicht bereit gewesen seien,
der Syllogismen in der zweiten und dritten Figur «Schlussfolgerungen, die keines Beweises bedür-
auf die erste› weitere Informationen (arabischer fen (ἀναπόδεικτοι συλλογισμοί), aus kategori-
Text bei Badawi 1972 [*94], Rashed 2016 [*45], schen Prämissen primär zu nennen» (Gal. Inst.
französische Übersetzung bei Badawi 1968 [*91: Log. 7,2, 17,4–9 Kalbfleisch). Barnes 2007 [*141:
166–180] und Rashed 2016 [*45]). So verweist The- 536f.] hat vermutet, dass Boethos sich in Aristote-
mistios in dieser Abhandlung auf Boethos’ zweites les’ System eine Ableitung der kategorischen Syl-
Buch der ‹Demonstration› (Rashed 2016 [*45: logismen von den hypothetischen vorstellte. Ob-
109,13–14 (burhân)], Badawi 1968 [*91: 171]), und wohl es in den erhaltenen Quellen keine direkten
das ‘explicit’ der arabischen Übersetzung nennt Hinweise darauf gibt, ist es plausibel, dass Boe-

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 271
thos die deduktive Priorität des hypothetischen Einwand des Boethos, indem er Aristoteles’ Be-
Syllogismus darin gesehen haben könnte, dass die- weis für Darapti noch einmal erklärte, dem zu-
ser als gemeinsame Basis für alle Ableitungen die- folge Darapti durch den Modus Darii der ersten
nen kann, in denen ein gültiger syllogistischer Figur vervollständigt wird. Genau dieser Punkt
Modus von einem anderen abgeleitet wird, wie in aber scheint von Boethos und seinen Anhängern
den Fällen Cesare/Celarent und Barbara/Baroco. infrage gestellt worden zu sein: Weshalb sollte
Aristoteles zufolge sind die nicht-modalen Syl- Darii vollständiger sein als Darapti? (für die wei-
logismen der ersten Figur «vollkommen» (τέλειοι), tere Diskussion siehe Rashed 2016 [*45: 65ff.]).
jene der zweiten und dritten Figur «unvollkom- Für Boethos waren die Ableitungen der zehn
men» (ἀτελεῖς), können aber durch Ableitung von Modi der zweiten und dritten Figur von der ersten
der ersten Figur zur Vollkommenheit oder Voll- Figur «potentielle Reduktionen» (Badawi 1968
ständigkeit gebracht werden, und zwar direkt, [*91: 176]), ohne Folgen im Hinblick auf den Sta-
durch Konversion, oder indirekt, durch eine ‘re- tus der zweiten und dritten Figur als «unvollstän-
ductio ad absurdum’ (vgl. Arist. An. pr. 1,4, dig». Für eine weitere, detaillierte Diskussion die-
26b26–33; 1,5, 27a1–25. 27a36–b3. 28a1–9; 1,6, ser Auseinandersetzung siehe jetzt Barnes 2014
28b17–21. 29a11–18; 1,7, 29a30–29b25; Barnes [*163], Rashed 2016 [*45].
2014 [*163]). Nach Ammonios widersprach Boe- Themistios berichtet, dass Boethos eigene Be-
thos Aristoteles und vertrat «richtigerweise» die weismethoden entwickelte, die auf alle Modi in
Ansicht, dass auch die Syllogismen der zweiten allen drei Figuren anwendbar waren und zu denen
und dritten Figur vollkommen sind (Ammon. In offenbar eine semantische Analyse des Umfangs
An. pr. 31,14f. Wallies). Boethos schlossen sich der in den Prämissen gebrauchten Terme gehörte,
Porphyrios, Iamblichos, Iamblichos’ Schüler Hier- die als Beweis dafür genügt, dass eine gegebene
ios und Hierios’ Schüler Maximos, ebenso Her- Schlussfolgerung entsprechend dem Modus folgt
meias von Alexandrien und Proklos an (Ammon. (Barnes 2014 [*163: 193–197] und Rashed 2016
In An. pr. 31,15–17. 23–25 Wallies). Von Ammo- [*45] nennen diese Methode ‘mereologisch’, da
nios ist auch bekannt, dass Themistios in einer De- Boethos in seine eigenen, von den aristotelischen
batte gegen Maximos die aristotelische Ansicht verschiedenen Vollständigkeitsbeweisen die Be-
verteidigte und dass Kaiser Julian als Schiedsrich- ziehungen zwischen den Termen als mereologische
ter seine Stimme Boethos gab. Dieselbe Quelle ‘Einbeziehung’ und ‘Absonderung’ behandelt). So
berichtet weiter, dass sich Boethos möglicherweise erklärte Boethos, dass die dritte Figur unabhängig
auf Theophrast stützte, der «wie es scheint» diese von der ersten Figur beweiskräftig ist, weil «in
Ansicht vertreten habe (Ammon. In An. pr. ihrem ersten Modus (Darapti), in dem Ober- und
31,22f.; pace Barnes 2007 [*141: 538]). Unterbegriff universell vom Mittelterm ausgesagt
Themistios liefert weitere Details zu Boethos’ werden, gilt: Wenn über eine Sache zwei Aussagen
Argumenten: Letzterer stellte offenbar Aristote- gemacht werden, ist klar, dass jede dieser Aussa-
les’ These infrage, dass alle zehn Modi der Syllo- gen jeweils ‘in’ der anderen als Teil enthalten ist
gismen der zweiten und der dritten Figur (nämlich (Rashed 2016 [*45: 141,1–4], Badawi 1968 [*91:
vier plus sechs) wie auch die Modi der ersten 178]). So wurde wahrscheinlich eine partikuläre
Figur, die als Konklusion eine partikuläre Aus- Konklusion selbstevident aus den beiden univer-
sage haben (z. B. die Modi Darii und Ferio), durch sellen Prämissen abgeleitet, ohne dass ein Bezug
die zwei ‘universellen’ Modi der ersten Figur zur ersten Figur erforderlich war (siehe weiter
(nämlich die assertorische Barbara und Celarent) Barnes 2014 [*163: 192ff.]). Auch wenn Themistios
vervollständigt werden können: Wenn gewisse dem Ansatz des Boethos gegenüber sehr kritisch
Paare von Prämissen nicht durch Konversion aus ist, wird aus seinem Bericht klar, dass Boethos
Barbara und Celarent abgeleitet werden können, nach einer einheitlichen Methode suchte, um den
sollten diese nicht als durch die erste Figur ver- Umfang der in einem Syllogismus gebrauchten
vollständigt angesehen werden (Rashed 2016 [*45: Prädikatsterme zu vergleichen. Themistios nennt
109,15–111,4], Badawi 1968 [*91: 171]). Zum Bei- Herminos und Alexander von Aphrodisias unter
spiel für den ersten Modus der dritten Figur (Da- denjenigen, die Boethos’ Kritik an Aristoteles kri-
rapti), dessen Prämissen beide universell sind, tisch diskutierten (Rashed 2016 [*45: 143,11–13],
sollte nicht gelten, dass er mittels der aristoteli- Badawi 1986 [*91: 179]).
schen Methode der Konversion durch die erste
Figur vervollständigbar ist, da die Konversion der
universellen Prämisse eine partikuläre Aussage
ergeben würde. Themistios antwortete auf diesen

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272 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

2.3. ‹Physik›

In der Frage, welches Werk des Aristoteles als ­ oethos scheint ὕλη als vorausgehende Materie zu
B
Erstes studiert werden sollte, wich Boethos offen- verstehen, als Zugrundeliegendes vor der Verän-
bar von Andronikos ab: «Boethos von Sidon sagt, derung, während τὸ ὑποκείμενον, das eigentliche
dass man mit der ‹Physik› beginnen solle, was für Zugrundeliegende, sich ihm zufolge auf die einer
uns vertrauter und verständlicher ist, da man mit Sache zugrundeliegende Materie bezieht. Alexan-
Dingen beginnen soll, die klarer und verständ­ der kritisiert, dass Boethos nicht zwischen voraus-
licher sind» (Philop. In Cat. 5,16–18 Busse = gehender und erster Materie unterschieden habe,
Sharples 2010 [*43: 5A]; vgl. Elias In Cat. 117,17– die ­eigentlich als eigenschafts- und formlos cha-
25 Busse). Für diese Empfehlung könnte sich Bo- rakterisiert ist (vgl. Rashed 2007 [*858: 199–205],
ethos auf Aristoteles’ Unterscheidung zwischen Kupreeva 2009 [*153: 157f.]).
Dingen, die für uns einsichtiger und deutlicher Boethos wendet sich weiter gegen Aristoteles’
sind, und Dingen, die von Natur aus einsichtiger These, dass die Zeit, von der gezeigt worden war,
und deutlicher sind, in ‹Physik› 1,1 gestützt haben. dass sie zählbar ist, nicht außerhalb der rationalen
Verschiedene seiner Erläuterungen einzelner Seele existieren könne, die das Zählen durchführt
Abschnitte und Probleme aus der ‹Physik› sind (Phys. 4,14, 223a21–29). Boethos hält diese These
durch spätere Kommentatoren überliefert. Die ge- für zu nominalistisch und weist darauf hin, dass es
naue Form seines Kommentars zur ‹Physik› ist falsch wäre, der Zeit wegen ihrer Zählbarkeit eine
aber nicht klar. Simplikios erwähnt Boethos in sei- eigene Natur abzusprechen: «Nichts hindert eine
nem ‹Physik›-Kommentar dreimal explizit, und Zahl daran, auch unabhängig vom Zählenden zu
alle diese Stellen sind auch in Themistios’ Zusam- existieren» (Themist. In Phys. 160,26f. Schenkl =
menfassung belegt. Letztlich war die Quelle bei- Sharples 2010 [*43: 19E], vgl. Simpl. In Phys.
der Autoren wahrscheinlich der verlorene Kom- 759,29–760,3 Diels). Im weiteren Kommentar zu
mentar Alexanders von Aphrodisias. Aristoteles’ Argument zieht Boethos denselben
Die Kommentatoren zu ‹Physik› 1,7 berichten, Schluss explizit in Bezug zur Zeit (Them. In Phys.
dass Boethos zwischen «Zugrundeliegendem» (τὸ 163,6f. Schenkl = Sharples 2010 [*43: 19F], Simpl.
ὑποκείμενον) und «Materie» (ὕλη) unterschieden In Phys. 766,16–19 Diels).
habe: «‘Materie’ heißt, was ohne Gestalt und In den von Sharples (2010 [*43: 10E und F], vgl.
Form ist (ἄμορφος καὶ ἀνείδεος), denn Materie Huby 1981 [*99]) Boethos zugeschriebenen Texten
scheint im Hinblick auf etwas, was sein wird, trennt der Autor die Kategorien ‘wo’ und ‘wann’
­benannt zu sein. Wenn eine Sache aber Form von ihren physikalischen Gegenstücken ‘Ort’ und
­a ngenommen hat, heißt sie nicht mehr ‘Materie’, ‘Zeit’, wobei er die Reduktion von logischen Kate-
sondern ‘Zugrundeliegendes’, denn ‘Zugrunde­ gorien auf die physikalischen Aspekte der Katego-
liegendes’ wird im Hinblick auf etwas schon Exis- rie der Quantität kritisiert. Die Diskussion zeugt
tierendes gebraucht» (Simpl. In Phys. 211,15–18 von einer sehr guten Kenntnis des Textes der aris-
Diels; vgl. Them. In Phys. 26,20–24 Schenkl). totelischen ‹Physik›.

2.4. Seelenlehre

Es ist unklar, ob Boethos einen eigenen Kom- don›. Fr. 242F Smith (= Praep. ev. 11,27,20–28,5)
mentar zu ‹De anima› verfasste, aber in den erhal- enthält Porphyrios’ Kurzfassung des platonischen
tenen antiken Quellen sind einige seiner Ansich- Arguments für die Unsterblichkeit der Seele ‘auf-
ten zur Seelenlehre überliefert. Der Hauptteil der grund der Ähnlichkeit’ (Phaed. 78a–81c), wobei er
Zeugnisse sind Exzerpte des Eusebios aus Por- betont, dass die Tatsache, dass die Seele an gott-
phyrios’ Abhandlung ‹Gegen Boethos über die ähnlichen Handlungen Anteil haben kann, den
Seele› (Πρὸς Βόηθον περὶ ψυχῆς), die fünf Bücher Schluss erlaubt, dass sie auch an der göttlichen
umfasste. Zusätzlich gibt es einen Hinweis auf Substanz Anteil hat, also an Attributen wie Un-
Boe­t hos im Simplikios zugeschriebenen ‹De sterblichkeit und Unzerstörbarkeit. In fr. 243F
anima›-Kommentar, der möglicherweise von Pris- Smith (= Praep. ev. 11,28,6–10) berichtet Porphy-
kianos stammt, und einen Hinweis in Macrobius. rios, Boethos habe die Annahme, dass die Seele
Vier Fragmente aus dem ersten Buch von Por- an göttlichen Handlungen Anteil haben könne,
phyrios’ Abhandlung enthalten dessen Reaktion akzeptiert. Er zitiert Boethos mit der Aussage
auf Boethos’ Diskussion der Argumente im ‹Phai- «dass aber nichts von den Dingen, die uns betref-

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 273
fen, Gott ähnlicher ist als die Seele, das dürfte 106b–d) und in der Folge von Straton von
einer wohl ohne viel Diskussion glauben, nicht nur Lampsakos in den von Damaskios überlieferten
wegen der kontinuierlichen und unaufhörlichen dreizehn Einwänden weiterentwickelt worden war
Bewegung, welche die Seele in uns bewirkt, son- (Dam. In Phaed. 1, §§ 431–443, II,231,2–233,13
dern auch (wegen der Bewegung) des Geistes in Westerink = Straton fr. 76–81 Sharples).
ihr selbst (οὐ μόνον διὰ τὸ συνεχὲς καὶ ἄπαυστον Drei in ‹Praeparatio evangelica› 15 zitierte
τῆς κινήσεως, ἣν ἐν ἡμῖν ἐνδίδωσιν, ἀλλὰ τοῦ καθ’ Fragmente geben Auskunft über Porphyrios’ Kri-
ἑαυτὴν νοῦ)» (Boethos apud Eus. Praep. ev. tik an der aristotelischen Definition der Seele als
11,28,8f.). Aufgrund dieser Ansicht, so folgert Por- Entelechie des Körpers. Porphyrios kritisiert die
phyrios, müsste Boethos auch die Unsterblichkeit These des Aristoteles, wonach die Seele per se un-
der Seele akzeptieren (fr. 244F Smith = Praep. ev. bewegt sei (fr. 247F Smith = Praep. ev. 15,10,9–
11,28,11f.; vgl. Trabattoni 2011 [*155]), stattdessen 11,1; vgl. Them. In De an. 16,19–25 Heinze), und
gebrauchten Philosophen (wahrscheinlich solche stellt die Analogie zwischen Seele und Schwere
wie Boethos) ihren göttlichen Verstand auf sub- oder den uniformen Qualitäten der Körper infrage
versive Weise, um «die Mehrheit davon zu über- (fr. 248F Smith = Praep. ev. 15,11,2f.). Im Fragment
zeugen», dass diese gottähnlichen Eigenschaften 248F Smith (= Praep. ev. 15,11,4) greift Porphyrios
sterblichen Ursprung hätten (fr. 245F Smith = die Definition der Seele als Entelechie des organi-
Praep. ev. 11,28,13–16; vgl. auch fr. 246F Smith). schen natürlichen Körpers wegen ihrer Körperlich-
Weitere Hinweise auf Boethos’ Beschäftigung keit an und stellt sie in eine Reihe mit materialisti-
mit Platons Argumenten für die Unsterblichkeit schen Konzeptionen der Seele bei den Stoikern
der Seele im ‹Phaidon› sind im Simplikios zuge- und Atomisten. Boethos ist in keinem der Frag-
schriebenen ‹De anima›-Kommentar bewahrt. mente namentlich genannt. Die in den Fragmenten
Simplikios kommentiert Aristoteles’ Äußerung in 246 und 247 kritisierten Positionen zeigen klare
De an. 3,5, 430a23 «nur dieser [sc. der produktive Parallelen zu Alexanders von Aphrodisias Ab-
Intellekt] ist unsterblich und ewig» (καὶ τοῦτο handlung ‹De anima› (vgl. Alex. Aphr. De an. 5,4–
μόνον ἀθάνατον καὶ ἀΐδιον) folgendermaßen: «Er 18 Bruns). Dass in der Doxographie die Aristoteli-
[sc. Aristoteles] setzt zu Recht ‘ewig’ (ἀΐδιον) ker mit den Materialisten in eine Reihe gestellt
hinzu, wie Platon im ‹Phaidon› [106a–e] ‘unzer- wurden, könnte seinen Grund darin haben, dass
störbar’ (ἀνώλεθρον) hinzufügte, so dass wir Boe- auf diese Weise gegen Alexanders eigene Verteidi-
thos nicht folgen sollten, der glaubte, dass die gung von nicht-materialistischen Lesarten der
Seele wie das Beseelte in dem Sinne unsterblich ­a ristotelischen Definition polemisiert wird (vgl.
ist, dass sie selber beim Eintritt des Todes nicht Kupreeva 2003 [*850]). Möglicherweise gehörte
bleibt, sondern sich bei dessen Herannahen zu- Boethos zu den Schulquellen von Alexanders Ab-
rückzieht und zugrunde geht» (Simpl. In De an. handlung, obwohl die genaue Form seiner Schrif-
247,23–26 Hayduck = Sharples 2010 [*43: 24U]). ten über die Seelenlehre nicht klar ist. Aber auch
Auf der Grundlage dieses Berichts stellte Moraux wenn Porphyrios’ Gegner nicht ausdrücklich Boe-
1973 [*23: 172–176] die Zuschreibung dieses und thos sein sollte, sondern die ihm sehr gut bekannte
der anderen Zeugnisse an Boethos den Peripate- spätere aristotelische Tradition des 2. Jahrhunderts
tiker infrage und argumentierte dafür, dass sich n. Chr., zeigt doch die Tatsache, dass er dieses Ma-
alle Berichte auf Boethos den Stoiker beziehen, terial in eine Abhandlung mit dem Titel ‹Gegen
obwohl er zugeben musste, dass auch diese Zu- Boethos› einfügte, dass er die Ansichten von Boe-
schreibung wegen der bei den Stoikern fehlenden thos für vereinbar mit dieser späteren peripateti-
Lehre von der Unsterblichkeit der Seele proble- schen Position hielt. Die kleine Sammlung von
matisch ist. Gottschalk 1986 [*105] hat überzeu- Fragmenten aus dem verlorenen Werk des Porphy-
gend dafür argumentiert, dass der bei Simplikios rios ist deshalb wertvoll, weil sie zeigt, dass Denker
genannte Einwand nicht voraussetzt, dass Boethos verschiedener Zeitabschnitte – Straton, Boethos,
an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt hat, son- Alexander von Aphrodisias – als zur selben peripa-
dern dass es sich dabei um eine Kritik am letzten tetischen Tradition gehörig angesehen wurden, was
Argument des ‹Phaidon› (102a10–107a1) handeln durch die erhaltenen literarischen Zeugnisse eine
muss, die bis zu einem gewissen Grad bereits von Begründung erhält (wenn z. B. Boethos Stratons
Platon selbst vorweggenommen worden (Phaed. Kritik an Platon wieder aufnimmt).

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274 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

2.5. Ethik

In den antiken Quellen gibt es zwei Berichte schaft die Frage nach der Natur des «Objekts der
über Boethos’ Ansichten zur Ethik. Aspasios er- Liebe» (φιλητόν) aufwirft und einige Punkte auf-
wähnt in seinem Kommentar zur ‹Nikomachi- listet, die vorausgehend untersucht werden sollen:
schen Ethik› Boethos’ Definition des «Affekts» Jeder Mensch liebt, was gut für ihn selbst ist, und
(πάθος) zusammen mit derjenigen des Andro­ während das universelle Gute das Objekt der
nikos: «Boethos [sc. definierte] Affekt als irratio- Liebe in einem nicht bestimmten Sinn ist, ist das,
nale Bewegung der Seele, die eine gewisse Größe was gut ist für einen bestimmten Zweck, Objekt
hat, wobei er ‘irrational’ als Bewegung des irra­ der Liebe für diesen Zweck. Kein Mensch liebt,
tionalen Seelenteils verstand und die gewisse was gut ist, sondern was ihm gut für ihn selbst
‘Größe’ hinzusetzte, weil es auch andere Bewe- scheint. Der zweite Text, auf den verwiesen wird,
gungen des irrationalen Seelenteils gibt, die von ist EN 9,8, 1168a35–b10, Aristoteles’ Zusammen-
einer kurzen ‘Zuneigung’ bzw. ‘Abneigung’ fassung seines Arguments, dass der Mensch sich
(οἰκείωσις bzw. ἀλλοτρίωσις) anderen Menschen selbst der beste Freund ist.
gegenüber begleitet sind. Die [sc. Bewegungen], Das Konzept des «ersten Eigenen» (πρῶτον
die von einer kurzen [sc. Zu- bzw. Abneigung] be- οἰκεῖον) ist post-aristotelisch, stammt aus hellenis-
gleitet sind, hielt er nicht für wert, Affekte ge- tischen Debatten und gipfelt in der stoischen
nannt zu werden» (Asp. In EN 44,24–28 Heylbut). ­Theorie der οἰκείωσις (vgl. Brunschwig 1986
Diese Definition hat eine Parallele in der stoi- [*104], Inwood, Donini 1999 [*129: 677–682] für
schen Definition des Affekts als eines sehr starken einen Überblick und weitere Verweise). Es gab
Impulses (Moraux 1973 [*23: 177 Anm. 5]). So- Versuche, Theophrasts’ Theorie der οἰκειότης als
rabji 2007 [*150: 626] vergleicht Boethos’ Defini- Vorläufer der stoischen Theorie der οἰκείωσις zu
tion mit stoischen Theorien der unwillkürlichen erweisen (von Arnim 1926 [*80], Dirlmeier 1937
ersten Bewegungen (προπάθειαι), die keine Af- [*82]), die Argumente sind aber inzwischen als
fekte sind, weil ihnen die Zustimmung fehlt, er haltlos widerlegt (Philippson 1932 [*81], Pohlenz
weist aber auf den Unterschied hin: In Boethos’ 1940 [*84], Brink 1956 [*88], Long 1998 [*126],
Erklärung des Affekts kommt das Konzept der Klein 2016 [*165: 143 Anm. 3]).
Zustimmung gar nicht vor. Das πρῶτον οἰκεῖον von Boethos und Xenarchos
Alexanders von Aphrodisias Schultext ‹Über hat den hellenistischen, stoisierenden Prototyp zum
das erste eigene Ding auf der Basis aristotelischer Vorbild, wird aber mit strikt aristotelischen Formu-
[sc. Äußerungen]› (Τῶν παρὰ Ἀριστοτέλους περὶ lierungen begründet. Es ist nicht klar, ob der Autor
τοῦ πρώτου οἰκείου: ‹Mantissa› 17) berichtet von der ‹Mantissa› die Textstellen selbst eingefügt hat
den Ansichten des Xenarchos und des Boethos (in oder ob er die Zitate aus dem aristotelischen Text
dieser Reihenfolge): «Einige sagen, dass Aristote- bereits in seinen Quellen vorfand und diese also auf
les zufolge wir selbst das uns erste Eigene sind. das 1. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen, doch gibt
Wenn nämlich das Objekt der Liebe begehrens- es keinen Grund anzunehmen, dass der aristoteli-
wert ist (wir aber niemanden vor uns selbst lieben sche Kontext der Theorie von Boethos und Xenar-
und uns nichts anderes in dieser Weise gewohnt chos nicht original wäre. Alexander kritisiert die
sind, denn wir erheben Anspruch auf andere und Definition, weil sie das erste Eigene in uns im Sinne
lieben jemanden in Bezug auf uns selbst), so des ersten Objekts der Begierde nicht näher be-
dürfte wohl jeder sich selbst das erste ihm Eigene stimmt: Ohne eine solche Bestimmung ist es un-
sein» (Alex. Aphr. Mant. 17,151,3–8 Bruns = möglich, eine Verbindung zwischen dem ersten Ob-
Sharples 2010 [*43: 17C]). Der Autor der ‹Man- jekt der Begierde und dem letztlichen Objekt der
tissa› nimmt Bezug auf zwei aristotelische Texte, Begierde, nämlich der Glückseligkeit, herzustellen.
die im Hintergrund dieser Ansicht stehen, indem Wir könnten für uns nämlich unser ‘erstes Eigenes’
er den ersten und letzten Satz jeder Passage zitiert. sein, wenn wir uns in einem unglücklichen Zustand
Der erste Text ist EN 8,2, 1155b17–27, wo Aristo- befinden und hätten dann einen unglücklichen Zu-
teles zu Beginn seiner Diskussion der Freund- stand als eigenes Objekt der Begierde.

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 275

3. Xenarchos von Seleukeia

Strabon erwähnt Xenarchos als einen von zwei peripatetischen Philosophen,


die aus der Stadt Seleukeia stammen. Xenarchos, den Strabon als seinen Lehrer
bezeichnet, verbrachte laut Strabon nicht viel Zeit in seiner Heimat, sondern lebte,
da er sich für eine Laufbahn als Lehrer entschieden hatte, in Alexandrien, Athen
und schließlich in Rom. Er war mit Areios und Augustus befreundet und wurde
bis ins hohe Alter geehrt (Strab. 14,5,4 = T1 Falcon). Der Bericht lässt vermuten,
dass Xenarchos während der Regierungszeit des Augustus, d. h. nach 27 v. Chr.
und vor 14 n. Chr, starb. Eine frühere Datierung ergibt sich, wenn man Puglia
1998 [*127] folgt, der dafür argumentiert, dass Xenarchos’ Name in Philodems
‹Index Academicorum› im Text der Linie 12 wiederhergestellt werden könne (col.
XXXV,5–16). Dadurch würde Xenarchos zum Lehrer von Ariston von Alexand-
rien und Kratippos. In diesem Fall müsste Kratippos vor 51 v. Chr. bei Xenarchos
studiert haben, was eine frühere Datierung von Xenarchos zur Folge hätte. Puglia
1998 [*127: 150] korrigiert deshalb die von Moraux 1973 [*23: 197] vorgeschlagene
Chronologie (80/75 v. Chr. bis zur Zeitenwende) und schlägt ca. 100 v. Chr. bis ca.
25 v. Chr. als Lebenszeit vor (vgl. Falcon 2012 [*65: 12]). Unklar ist, welche Stel-
lung Xenarchos innerhalb der peripatetischen Schule einnahm.

3.1. ‹De caelo›

Am ausführlichsten ist Xenarchos’ Kritik an dige Elemente zu werden; sobald sie ihren natürli-
Aristoteles’ Argumenten für die Existenz des chen Platz erreicht hätten und vollständige Ele-
Himmelskörpers als erstes Element im ersten mente geworden seien, könnten sich einige von
Buch von ‹De caelo› überliefert. Unsere Haupt- ihnen (nämlich Luft und Feuer) im Kreis bewegen
quelle ist Simplikios, von dem wir erfahren, dass (Simpl. In Cael. 21,33–22,17 Heiberg = T3 Falcon,
Xenarchos seine Einwände gegen Aristoteles in vgl. ibid. 42,10–14 Heiberg = T8 Falcon). Kritik
einer Abhandlung mit dem Titel ‹Gegen das fünfte übt Xenarchos weiter an der Behauptung des Aris-
Element› formuliert hatte. Es gibt zwei Argument­ toteles, dass die Bewegung eines einfachen Kör-
reihen zu ‹De caelo› 1,2, die sich zum Teil über- pers einfach sei und eine einfache Bewegung die
schneiden und von denen Simplikios unter zwei Bewegung eines einfachen Körpers sei (Arist.
Lemmata (268b11–269a18; 269a18–32) berichtet, Cael. 1,2, 269a3f.). Xenarchos scheint anzuneh-
sowie zwei sonstige Verweise. Xenarchos kriti- men, dass diese These von einem allgemeineren
sierte Aristoteles’ Einteilung aller einfachen Li- Prinzip abgeleitet ist, wonach die Natur jeder Art
nien in gerade und kreisförmige, da die zylindri- von Körper eine entsprechende Art von Bewegung
sche Helix auch einfach sei (Simpl. In Cael. 13,22– zuteilt und umgekehrt. Auch wenn man zugebe, ar-
28; 14,14–21 Heiberg = T2 Falcon). Dieses gumentiert er, dass von Natur aus einem einfachen
Argument stützt sich auf die Arbeit von Apollo- Körper eine einfache Bewegung zugeschrieben
nios von Perge, der für die Einfachheit der zylin­ wird, folge daraus nicht, dass zu jeder einfachen
drischen Helix argumentierte (vgl. Hankinson Bewegung ein entsprechender einfacher Körper
2002–2003 [*136: 24], Rescigno 2004 [*574: 172– gehört (Simpl. In Cael. 23,11–15 Heiberg = T4 Fal-
176], Falcon 2012 [*65] 63–70 ad loc.). Xenarchos con). Simplikios zufolge begründete Xenarchos
widerspricht auch dem aristotelischen Prinzip, seine Haltung mit dem Argument, dass in diesem
dass jeder einfache Körper nur eine entspre- Fall folgen würde, dass zu jeder zusammengesetz-
chende einfache Bewegung hat. Er argumentiert, ten Bewegung ein entsprechender Körper gehört.
dass Aristoteles’ gerade einfache Bewegungen als Die Zahl der zusammengesetzten Bewegungen ist
zugehörig zu einfachen Körpern gesehen werden aber unendlich, während die Zahl der Körper nicht
könnten, solange diese erst daran seien, vollstän- unendlich sein kann (Simpl. In Cael. 23,11–15 Hei-

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276 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

berg). Alexander von Aphrodisias widerlegt später Tugend gleichzeitig als Gegenteil der beiden Ex­
dieselbe These auf andere Weise: Das allgemeine treme Exzess und Mangel (Simpl. In Cael. 55,25–
Prinzip verdunkle die Unterscheidung zwischen 31 Heiberg = T10 Falcon; Arist. EN 2,7–8, 1108b1–
zusammengesetzten und einfachen Bewegungen 1109a19; vgl. EE 2,2, 1221b31f.). Ziel dieses Argu-
(Simpl. In Cael. 23,22–31 Heiberg). ments ist es, das Bewegungssystem des Feuers er-
Weiter argumentiert Xenarchos, dass es auf- klären zu können, das Xenarchos zufolge die rotie-
grund von Aristoteles’ eigener Lehre, dass jedes renden Himmel zu begründen vermag: Die
der mittleren Elemente (Wasser und Luft) zwei Kreisbewegung des Feuers hat als Gegensätze so-
natürliche Bewegungen hat, auch für das Feuer wohl ihre Aufwärts- als auch ihre Abwärtsbewe-
zwei mögliche natürliche Bewegungen geben gung, die ihrerseits füreinander Gegensätze sind
sollte: eine gerade aufwärts, eine andere kreisför- wie Exzess und Mangel (Simpl. In Cael. 56,12–17
mige, abhängig von seiner Lokalisation (Simpl. In Heiberg = T10 Falcon). Dieses Argument zeigt Xe-
Cael. 23,31–24,7 Heiberg = T5 Falcon). narchos’ exegetisches Können: Nicht nur, dass er
Xenarchos kritisiert auch die Annahme eines das aristotelische Corpus sehr gut kennt, er ist
ersten Körpers, des himmlischen Elements, das auch im Stande, aristotelische Prinzipien gegenei-
sich von den vier sublunaren Elementen unter- nander zu verwenden, um die von ihm selbst favo-
scheidet. Ein sich im Kreis bewegender Körper risierte physikalische Lehre zu unterstützen. Es
könne nicht einfach sein, da sich seine verschiede- wird auch klar, dass es Xenarchos nicht darum
nen Teile mit unterschiedlicher Geschwindigkeit geht, den aristotelischen konzeptuellen Rahmen
bewegten (am Äquator und an den Polen, Simpl. aufzugeben. Im Gegenteil: Seine Methode besteht
In Cael. 24,20–27 Heiberg = T6 Falcon; vgl. Simpl. darin, Aristoteles’ Thesen auf der Basis von dessen
In Cael. 42,8–10 Heiberg = T8 Falcon). Prinzipien zu kritisieren, eine Vorgehensweise, die
Es gibt von Xenarchos auch einen methodolo- von vielen folgenden Kommentatoren (Peripateti-
gischen Einwand ‘ad hominem’, indem er argu- kern und Neuplatonikern) übernommen wird.
mentiert, dass Aristoteles einen Fehler mache, Aristoteles’ Definition des ‘Leichten’ – «das,
wenn er versucht, seine physikalischen Thesen mit was über allen Körpern schwebt» (Cael. 1,3,
mathematischen Beweisen zu belegen (Simpl. In 269b25f.; vgl. 4,4, 311a18; Meteor. 1,2, 339a17; 1,4,
Cael. 25,11–28 Heiberg = T7 Falcon; vgl. Simpl. In 341b11) – wurde von Xenarchos als nicht schlüssig
Cael. 42,7f. Heiberg = T8 Falcon). beurteilt, weil sie der anderen Definition – «das,
Xenarchos fragt, ob die Kreisbewegung für den was sich aufwärts bewegt» –, die in derselben Text-
«Körper der entflammbaren Sphäre» (τοῦ ὑπεκ- passage gegeben wird, widerspreche (Cael. 1,3,
καύματος), der sich unmittelbar unterhalb der 269b23f.; Simpl. In Cael. 70,20–22 Heiberg = T11
Himmelssphäre befindet, natürlich oder unnatür- Falcon). Außerdem zeigt Xenarchos’ Einwand,
lich ist. Angenommen, sie ist nicht natürlich: Dann wonach diese Definition leichte Körper, die sich
ist die Aufwärtsbewegung seine natürliche Bewe- unterhalb ihres natürlichen Platzes befinden, nicht
gung. Das Gegenteil der Aufwärtsbewegung ist die umfasse, seine Aufmerksamkeit gegenüber text­
Abwärtsbewegung, aber auch die nicht-natürliche licher und gedanklicher Unklarheit. Möglicher-
Kreisbewegung ist ein Gegenteil zur Aufwärtsbe- weise richtet sich diese Kritik auch gegen Straton,
wegung als natürlicher Bewegung: Diese hat damit der in seiner Erklärung der Auf- und Abwärtsbe-
zwei Gegenteile, was unmöglich ist. Die Annahme wegungen der Elemente Aristoteles’ natürliche
muss deshalb fallen gelassen werden: Die Kreisbe- Tendenz durch den Mechanismus des «Auspres-
wegung der entflammbaren Sphäre (Luft und sens» ersetzte (ἔκθλιψις: Simpl. In Cael. 267,29
Feuer in den oberen Regionen) ist natürlich Heiberg = Straton fr. 50B Sharples). Bei seinem
(Simpl. In Cael. 50,18–24 Heiberg = T9 Falcon). Kommentar zu Aristoteles’ These, dass es außer-
Dieser Einwand zeigt Xenarchos’ gute Kenntnis halb der Welt kein Leeres gebe (Cael. 1,9, 279a11–
des ersten Buches von Aristoteles’ ‹Meteorologie›, 18), berichtet Simplikios über Xenarchos’ Kritik
in dem die Theorie der Kreisbewegung der ent- an der stoischen Theorie eines leeren Raums
flammbaren Sphäre vorgestellt wird, und einmal außerhalb der Welt: Das Leere muss begrenzt
mehr wird die Annahme deutlich, es gebe eine oder unbegrenzt sein. Wenn es begrenzt ist, dann
Konsistenz innerhalb des ganzen Corpus. Ein ‘ad durch einen Körper (was zu einer bereits früher
hominem’-Argument findet sich auch in der nächs- besprochenen Aporie führt), wenn es unbegrenzt
ten erhaltenen Nachricht über Xenarchos, die des- ist, müsste es, weil das Leere Chrysipp zufolge
sen Kritik am Prinzip, dass eine Sache nur ein Ge- «das ist, was einen Körper aufnehmen kann, aber
genteil haben könne, enthält. Er zieht dafür Aris- keinen aufnimmt», einen unbegrenzten Körper
toteles’ Diskussion der Tugend als Mitte heran: geben, der das Leere auffüllen könnte, was die

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 277
Stoiker selber ablehnen. Zur Lösung schlägt Xen- folge, der sich ebenfalls dafür entschied, nicht
archos vor, «was einen Körper aufnehmen kann» nach der Ursache der unkörperlichen, intelligiblen
(οἷόν τε δέξασθαι) durch «von aufnehmender Art» Substanz zu suchen, sondern annahm, dass sie
(δεκτικός) zu ersetzen, um, wie Alexander erklärt, «von Natur aus so ist» (Theophr. fr. 158 FHSG;
den Einwand «aufgrund der Relativität» zu ent- vgl. Theophr. Metaph. 9b16–10a21). Julian ist nach
kräften (Simpl. In Cael. 285,27–286,6 Heiberg = eigenem Bekunden ein Amateurphilosoph, und
T12 Falcon). Xenarchos erhoffte sich davon wahr- sein Bericht enthält möglicherweise eine Reihe
scheinlich eine Verbesserung, weil der Ausdruck von terminologischen Ausrutschern. Auf jeden
δεκτικός nicht zur Kategorie des Relativen, son- Fall zeigt er aber, dass sich Xenarchos als Peripa-
dern zur Qualität gehört, so dass damit lediglich tetiker verstand, auch wenn er an einigen Über­
eine rein hypothetische Eigenschaft des Leeren legungen der Schulgründer Kritik übte.
angegeben wird. Auch wenn Alexander die Ände- Insgesamt scheint Xenarchos für seine Reform
rung verwirft, weil sie für ihn keine wirkliche Ver- der aristotelischen Lehre der Elemente sowohl
besserung darstellt, ist sie doch lehrreich, weil sie Methode als auch Material aus den Werken des
zeigt, wie wichtig der Begriffsrahmen der ‹Kate- Aristoteles abzuleiten: Die methodologischen
gorien› für die frühen Kommentatoren war. Verbesserungen, die er anstrebt, klingen ‘ad ho-
Aus Julians Rede ‹Auf die Mutter der Götter› minem’, und die von ihm bevorzugte alternative
erfahren wir von Xenarchos’ Kritik an Aristoteles Theorie für die Elemente scheint sich auf Aristo-
und Theophrast für deren Untersuchungen der teles’ Lehre des oberen sublunaren Kosmos aus
transzendenten, intelligiblen Prinzipien des Kos- ‹Meteorologica› 1,1–3 zu stützen. Es bestehen ei-
mos. Xenarchos zufolge lieferten die Himmels­ nige Parallelen zu Stratons Überarbeitung der
bewegungen ausreichend Begründungen, um die aristotelischen Lehre der Elemente, aber Xenar-
hylemorphe Zusammensetzung der natürlichen chos unterscheidet sich von Straton grundlegend
Dinge zu erklären (Iul. In matr. deor. 3, 162a–c = durch sein Interesse an theoretischer Konsistenz
T13 Falcon). Xenarchos gab offenbar an, dass er seines Ansatzes mit den anderen Teilen des aris-
mit seiner Kritik dem Beispiel des Theophrast totelischen Systems.

3.2. Seelenlehre

Zu Xenarchos’ Seelenlehre sind zwei Zeugnisse Nicht-Materialismus aufgefasst wird (Mansfeld


erhalten: Eines enthält eine Definition der Seele, 1990 [*114: 3083], Falcon 2012 [*65: 133]).
das andere hat mit der Theorie des Intellekts zu In der mittelalterlichen lateinischen Überset-
tun. Stobaios berichtet, «Xenarchos der Peripate- zung von Philoponos’ Kommentar zu ‹De anima›
tiker und gewisse andere derselben Schule [sc. 3,4 heißt es: «Alexander sagt, dass Aristoteles die
hielten die Seele für] Vollendung und Aktualität Meinung vertreten habe, der Intellekt existiere nur
der Form nach, für an sich selbst seiend und zu- potentiell, aber keineswegs aktuell» (429a22–27).
gleich verbunden mit dem Körper» (Stob. Ecl. Weiter stimmt Aristoteles nach Alexander der An-
1,49,1b, I,320,5–7 Wachsmuth = T14 Falcon). sicht zu, dass die Seele der Ort der Formen sei
Diese Definition ist nahe an der aristotelischen (429a27–29). Xenarchos habe sich von diesen Wor-
Standardposition, unterscheidet sich davon aber ten irreführen lassen und fälschlich vermutet, dass
durch die zweiteilige Beschreibung der Seele: Sie Aristoteles gemeint habe, die erste Materie sei In-
ist Vollendung und Aktualität ‘per se’ und zu- tellekt» (Philop. In De an. 3, 15,65–69 Verbeke =
gleich organisch verbunden mit dem Körper. Die T15 Falcon). Eine Anspielung auf dieselbe An-
aristotelische Definition enthält keine ähnlich be- sicht, ohne namentliche Nennung des Xenarchos,
tonte Antithese zwischen ‘per se’ und dem verbun- findet sich auch in Alexanders Schultraktat ‹De in-
denen Status des zu Erklärenden. Bei Stobaios ist tellectu› (= ‹Mantissa› 2, 106,19–24 Bruns). Auch
Xenarchos’ Definition zusammen mit ‘materiel- wenn die Details von Xenarchos’ Theorie nicht
len’ Theorien der Seele aufgelistet (zwischen Hip- klar sind, ist doch sein Gebrauch des Konzepts der
pon und Epikur), während Aristoteles’ Definition ersten Materie bemerkenswert, da dieser Begriff
die Liste der nicht-materiellen Erklärungen be- bei Aristoteles keinen prominenten Platz hat, son-
schließt. Diese Anomalie wird entweder als ein dern erst von Boethos ausgearbeitet worden ist.
Versehen erklärt (Accattino, Donini 1996 [*726: Alexander kritisiert die Theorie, dass der poten­
140–142]) oder dadurch, dass Xenarchos’ Position tielle Intellekt im Denkprozess dieselbe Rolle spiele
als ein Kompromiss zwischen Materialismus und wie die erste Materie im Prozess der Erschaffung.

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278 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3.3. Ethik

Die Lehre des «ersten Eigenen» (πρῶτον οἰκεῖον) dass er die ‹Nikomachische Ethik› gut und detail-
wird Xenarchos zusammen mit Boethos von Alex- liert kannte. Philippson vertrat die Auffassung,
ander von Aphrodisias zugeschrieben (Alex. Aphr. dass Xenarchos’ Lehre die Quelle für die peripate-
Mant. 17, 151,3–13 Bruns = T16 Falcon). Im Fall tische Oikeiosis-Lehre sein könnte, die sich bei
von Xenarchos ist aus Simplikios (In Cael. 55,25–31 Areios Didymos findet (vgl. Philippson 1932 [*81],
Heiberg; 56,12–17 Heiberg = T10 Falcon) bekannt, Pohlenz 1940 [*84: 42], Sharples 2010 [*43: 153f.]).

3.4. Platons ‹Timaios›

Proklos erwähnt Xenarchos’ Interpretation von gischen Arten: Bei den himmlischen Lebewesen
Tim. 30c, wo es um die Frage geht, was es für ein gibt es ein Modell für die Sonne, eines für den
Lebewesen gewesen sei, nach dessen Ähnlichkeit Mond, bei den irdischen eines für die Menschen,
der Demiurg die Welt geschaffen habe. Platons eines für die Löwen, usw. (Prokl. In Tim. I,425,22–
Antwort lautet, dass es sich nicht um ein Lebewe- 426,2 Diehl = T17 Falcon). In welcher Form Xenar-
sen handeln kann, das nur den Rang einer Species chos den ‹Timaios› behandelt hat, ist nicht klar (vgl.
hat, sondern dass anzunehmen ist, «dass sie [sc. Falcon 2012 [*65: 159–161]), aber seine Erklärung
die Welt] dem von allem am ähnlichsten ist, wovon ist möglicherweise so zu verstehen, dass sie die ver-
alle Lebewesen als Einzelne und nach ihren Gat- schiedenen Teile des Kosmos nach Aristoteles zei-
tungen Teile sind» (καθ’ ἓν καὶ κατὰ γένη μόρια: gen soll. Die drei Klassen von Lebewesen (Lebewe-
Tim. 30c6). Xenarchos habe den Ausdruck «nach sen mit Flügeln, im Wasser und mit Füßen) sind be-
ihren Gattungen» (κατὰ γένη) so verstanden, dass kannt, ihre Einteilung nach Elementen könnte
er sich auf die intelligiblen Ursachen der Lebewe- entweder von Xenarchos selbst stammen oder von
sen, geordnet nach den Elementen, bezieht (näm- Exzerptoren. In ‹De Caelo› 2,12 stellt Aristoteles
lich himmlische, zur Luft, zum Wasser und zur die Vermutung auf, dass die Aktivitäten der Sterne
Erde gehörige), und den Ausdruck «als Einzelne» mit denen der sublunaren Lebewesen vergleichbar
(καθ’ ἓν) so, dass mit diesem die jeweiligen Prinzi- sein müssen (292b1f.). Die Interpretation der Spe-
pien für die Vielfachheit innerhalb jeder Gattung cies als einer Einheit, die der Vielfalt der Indivi-
gemeint sind. Diese Prinzipien sind verschieden duen zugrunde liegt, und zwar auf eine jedem
bei verschiedenen Himmelskörpern und wiede- Genus eigene Weise, zeigt Xenarchos’ Interesse an
rum verschieden im Fall von verschiedenen biolo- Fragen der ersten Philosophie.

4. Ariston von Alexandrien

Die Zuschreibung einer kleinen Zahl von Zitaten, die in den Quellen mit dem
Aristoteles-Kommentator Ariston von Alexandrien in Verbindung gebracht wer-
den, ist schwierig. Dies umso mehr, als dieser immer noch regelmäßig mit ande-
ren Personen gleichen Namens verwechselt wird, beispielsweise mit dem Stoiker
Ariston von Chios (LSJ, s. v. κοσμωτός) oder mit dem Peripatetiker des 2. Jahr-
hunderts Ariston von Keos (Sorabji, Sharples 2007 [*44: II 688 s. v. Aristo of
Ceos]). Für die Zuschreibung der Fragmente an einen Aristoteles-Kommentator
gibt es mehrere Kandidaten (vgl. auch Caujolle-Zaslawsky, Goulet 1994 [*113]).
Der vielversprechendste ist ein Schüler des Antiochos, der dem Peripatos beitrat
(Nr. 393A bei Caujolle-Zaslawsky, Goulet 1994 [*113]). Cicero erwähnt, dass An-
tiochos diesem Ariston, einem weiteren Schüler – Dion – und seinem Bruder Aris-
tos höchste Autorität zuerkannt habe und dass Ariston bei Antiochos’ Diskussion
der Lehren Philons dabei gewesen sei, als Lucullus sich 87/86 v. Chr. in Alexand-
rien befand (Cic. Lucull. 12 = test. 2 Mariotti). Auch Philodem erwähnt in seinem

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 279

‹Index Academicorum› Ariston und Dion – und zusätzlich Kratippos – als Schü-
ler des Antiochos und berichtet, dass Ariston und Kratippos später Peripatetiker
geworden seien, während Dion in der Alten Akademie geblieben sei. So zumin-
dest lautet der stark beschädigte Papyrus-Text unter Berücksichtigung der neuen
Lesarten und Ergänzungen von Puglia und Blank: «Obwohl er [sc. Antiochos] viel
beschäftigt war, hatte er mehrere Schüler, zu denen meine Freunde Ariston und
Dion von Alexandrien und Kratippos von Pergamon gehörten. Ariston und Kra-
tippos wurden, nachdem sie Xenarchos gehört hatten und dazu angeregt worden
waren, ihn nachzuahmen, Peripatetiker, während Dion in der Alten Akademie
[sc. blieb]» (ἀκουστὰς δὲ καίπερ | ἀσχολούμενος̣ ἔσχε πλεί|ους καὶ δὴ καὶ συ̣ νήθεις ̣
ἡ|μῶν Ἀρίστωνά τε καὶ Δίω|να Ἀλεξανδρεῖς καὶ Κρά|τιππον Περγαμηνόν, ὧ ̣[ν |
Ἀρίστων [μὲν] καὶ Κράτ[ιπ|πος, ἐπ[̣ εὶ Ξε]νά[ρχου δια]|κούσαντε̣ ̣[ς] ζ ῆλον ̣ ̣ ἔ[σχον],
ἐγένοντο̣ ̣ | Περιπατ̣ η̣ [̣ τι|κοί, Δ[ί]ων̣ ̣ δὲ τῆς ἀρ[χ]αία[ς
̣ Ἀ|καδη ̣μείας: PHerc 1021 col.
XXXV ll. 5–16, vgl. Puglia 1998 [*127] und 2000 [*132], Blank 2007 [*142], Sharp-
les 2010 [*43: 1E], Sedley 2012 [*156: 335f., Appendix T3].
Im Vergleich zur Ausgabe von Dorandi 1991 [*115] sind zwei Textänderungen
für die Rekonstruktion der Geschichte der peripatetischen Schule im 1. Jahrhun-
dert v. Chr. von besonderer Bedeutung: Die Ergänzung des Namens des Peripa-
tetikers Xenarchos durch Puglia in Zeile 12 und Blanks Ersatz der zuvor allge-
mein akzeptierten Lesart Büchelers ἀ[ποστα]τήσα[ντες in Zeile 15 durch Δ[ί]ων
δὲ τῆς ἀρ[χ]αία[ς. Nach Büchelers Lesart wären Kratippos und Ariston klassische
Beispiele für einen Wechsel der ‘philosophischen Gefolgschaft’, was natürlich Spe-
kulationen über die Gründe für den Abfall von der Akademie hervorrief (vgl. Mo-
raux 1973 [*23: 225f.]). Die neu vorgeschlagenen Lesarten normalisieren jedoch
den Fall: Nachdem sie bei hervorragenden Philosophen verschiedener Schulen
studiert hatten, entschieden sie sich bewusst für eine Schulrichtung und wurden
Peripatetiker. Bemerkenswerterweise erwähnt Cicero im ‹Lucullus› diese Ent-
wicklung des Ariston nicht (wobei dies auch durch die Zwänge der literarischen
Darstellung oder den Zustand des erhaltenen Texts bedingt sein könnte).
Die Studienzeit bei Antiochos müsste vor 68 v. Chr., dessen Todesjahr, ange-
setzt werden. Kratippos’ floruit sind die 40er-Jahre v. Chr. Ein Peripatetiker mit
Namen Ariston wird von Strabon als Autor des Buches über die Gründe für die
jährliche Nilüberschwemmung erwähnt. Strabon berichtet, dass es zwei Bücher
zu diesem Thema gegeben habe, die «in unserer Zeit» von Eudoros und dem
­Peripatetiker Ariston verfasst worden waren, in Stil und Argumentation sehr ähn-
lich (wobei sie sich in der Anordnung der Themen unterschieden), und dass
­Eudoros Ariston des Plagiats beschuldigt habe; Strabon vertrat aber die Ansicht,
dass der sprachliche Ausdruck eher jener des Ariston sei (Strab. 17,1,5 = test. 7
Mariotti; vgl. Sharples 2010 [*43: 1H]). Strabons Hinweis gibt uns als sicheren Ter-
minus ante quem 23/24 n. Chr., hilft aber nicht weiter, um eine präzisere Chrono-
logie zu etablieren (da der Ausdruck «in unserer Zeit», καθ’ ἡμᾶς, einen weiten
Zeitraum umfasst, vgl. test. 3 Mariotti und Clarke 1997 [*121: 108]). Das Zeugnis
erlaubt uns anzunehmen, dass Eudoros und Ariston Zeitgenossen waren, ermög-
licht aber keine absolute Datierung. Ein weiterer Hinweis bei Strabon auf einen
«Ariston (von Kos), den Schüler und Erben des Peripatetikers», könnte sich auf

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280 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

den Aristoteles-Kommentator beziehen, muss aber nicht (Geogr. 14,2,19 = Shar­


ples 2010 [*43: 1G]; vgl. D. L. 7,164).
Das Verhältnis dieses Ariston zu dem bei Strabon erwähnten Autor des Buches
über den Nil sowie zu dem von Simplikios und Apuleius zitierten Aristoteles-
Kommentator wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt (vgl. Nr. 393B bei
Caujolle-Zaslawksy, Goulet 1994 [*113: 397]; laut Chiaradonna 2012 [*158] han-
delt es sich bei allen drei Namensträger um dieselbe Person).

4.1. ‹Kategorien›

Die genaue Form von Aristons Kommentar zu κοσμωτοῦ) und von dem auf der Erde als von dem
den ‹Kategorien› ist nicht bekannt, er erscheint «Erdartigen» (γεωτόν) und von dem, was in der Luft
aber in Simplikios’ Aufzählung unter den ‘älteren ist, als vom «Luftartigen», ἀερωτόν (Simpl. In Cat.
Kommentatoren’, neben Boethos, Andronikos, 188,31–36 Kalbfleisch = fr. 2 Mariotti). Die Form
­Eudoros und Athenodoros (In Cat. 159,32 Kalb- κοσμωτός ist ein ‘hapax’ im literarischen Corpus
fleisch). Wie Boethos widmet Ariston der Katego- (das Auftreten in Anon. In Cat. 35,3 Hayduck ist
rie der Relation spezielle Aufmerksamkeit. Simpli- klar von Ariston abhängig). Die genaue Rolle die-
kios berichtet von einer Aporie zu dem von ser Aporie in Aristons Darstellung ist nicht klar,
­Aristoteles diskutierten Problem, ob die Regel von aber aus der Diskussion bei Simplikios und dem
der Reziprozität aller Korrelative – der Sklave heißt Anonymus ergibt sich, dass Ariston eine eigene Er-
Sklave eines Herrn, und der Herr ist Herr eines klärung für die Reziprozität dieser Korrelative, die
Sklaven – in allen Fällen gilt. Es scheint, dass es nicht voneinander getrennt sind, gegeben hat und
Fälle gibt, in denen die Regel nicht stimmt, zum dass diese Erklärung die Korrelative nicht im von
Beispiel kann ‘Flügel’ als Korrelativ zu ‘Vogel’ auf- Aristoteles vorgeschlagenen Ganzes-Teile-Schema
gefasst werden (im Satz ‘Flügel eines Vogels’), ohne sah (‘Flügel’ als Teil des mit eben diesem Teil verse-
dass man natürlicherweise sagen könnte, dass der henen ‘Geflügelten’), sondern einen anderen Ge-
Vogel ‘eines Flügels’ sei. Aristoteles’ eigene Lösung brauch des Musters ‘Flügel’ – ‘geflügelt’ machte
zu diesem Problem besteht darin, ‘Flügel’ nicht als (Simpl. In Cat. 188,36–189,11 Kalbfleisch).
reziprok zu ‘Vogel’, sondern zu ‘das Geflügelte’ auf- Simplikios berichtet auch von einer Verbesse-
zufassen, da nicht nur Vögel Flügel haben können rung des Ariston für Aristoteles’ zweite Definition
(Cat. 6b28–7a5). Das von Ariston formulierte Pro- des Relativen. Aristoteles hatte formuliert: «Die-
blem ist folgendes: Wenn alles Relative relativ jenigen Dinge sind relativ, für die es dasselbe ist,
heißt, weil es relativ zu einer von ihm getrennten zu sein, wie auf gewisse Weise relativ zu etwas zu
Sache ist, wie zum Beispiel Vater relativ zu Sohn ist, sein» (ἔστι τὰ πρός τι οἷς τό εἶναι ταὐτόν ἐστι τῷ
dann wird der Kosmos kein Relatives sein, weil er πρός τι πως ἔχειν: Cat. 7, 8a31f.). Ariston ersetzte
nichts hat, was von ihm getrennt ist (denn es gibt im Definiens den Ausdruck «relativ zu etwas zu
nichts außerhalb des Kosmos). Und doch muss Kos- sein» durch «relativ zu einer anderen Sache zu
mos zu den Relativbegriffen gehören: Denn gerade sein» (τῷ πρὸς ἕτερον πως ἔχειν) und machte die
wie der Flügel der Flügel des geflügelten (Ge- Definition dadurch klarer (Simpl. In Cat. 201,34–
schöpfs) ist, ist es auf gleiche Weise (möglich) «von 202,5 Kalbfleisch). Boethos und Andronikos hat-
dem, was im Kosmos ist, als von dem Kosmosarti- ten dieselbe Änderung vorgeschlagen, aber Sim-
gen [sc. zu sprechen]» (οὕτως καὶ τὸ ἐν κόσμῳ plikios zitiert sie in der Version des Ariston.

4.2. Aristoteles’ Syllogistik

Es gibt keinen Beweis für die Existenz eines schreibung vgl. Londey, Johanson 1987 [*111: 11–
Kommentars Aristons zu den ‹Analytica priora›, 19]), dass «Ariston von Alexandrien und einige
aber ihm wird die Einführung von subalternen Modi jüngere Peripatetiker zu den Modi mit einer univer-
in Aristoteles’ Theorie der Syllogismen zugeschrie- sellen Konklusion [Lesart: praeter eos universalis il-
ben. Apuleius von Madaura berichtet in seinem la- lationis] fünf weitere Modi hinzugefügt (drei in der
teinischen Traktat ‹De interpretatione› (für die Zu- ersten Figur und zwei in der zweiten) und anstelle

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 281
[sc. der universellen Schlussfolgerungen] partikuläre Dem Bericht über die subalternen Modi folgt
abgeleitet haben» (Apul. De int. 13, 213,5–9 Mores- eine Diskussion der neunzehn gültigen Ableitungs-
chini = fr. 4 Mariotti; vgl. Sharples 2010 [*43: 13A]). modi aus den sechzehn möglichen Kombinationen
In der zweiten Figur sind die beiden universell der vier Arten von Prämissen, die Aristoteles aner-
schließenden Modi Cesare und Camestres, aus kannt hatte (universell und partikulär, affirmativ
denen sich als subalterne Modi Cesaro bzw. Cames- und negativ). Da er bei Aristoteles keinen Hinweis
trop ergeben. Die zwei direkt universell schließen- auf sechzehn Kombinationen fand, verbesserte
den Modi der ersten Figur, sind Barbara und Prantl 1855 [*76: 590 Anm. 23] das Apuleius-Manu-
­Celarent. Sie ergeben Barbari bzw. Cerlaront. Der skript, indem er statt Aristoteles Ariston las (De
indirekte Modus Celantes (abgeleitet von Celarent int. 14, 213,14 Moreschini) und das ganze Kapitel 14
durch Konversion der E-Konklusion) ergibt als Ariston zuschrieb. Mariotti 1966 [*71: 17] folgte
­subalternen Modus Celantos. Die Tatsache, dass Prantl und druckte den Text von ‹De interpreta­
Ariston in der ersten Figur nicht zwei, sondern drei tione› 14, 213,11–215,7 Moreschini als Ariston fr. 4.
subalterne Modi anfügt, zeigt, dass ihm die fünf von Moraux 1973 [*23: 190f.] widersprach mit der Be-
Theophrast hinzugefügten Modi bekannt sind (fr. 91 gründung, dass die Quelle von Kapitel 14 die von
FHSG; Theophr. Log. fr. 16–21 Graeser). Moraux Ariston hinzugefügten subalternen Modi nicht
1973 [*23: 189] weist darauf hin, dass Ariston der kennt, wobei er annimmt, dass Ariston die subal-
erste Peripatetiker gewesen sein muss, der für seine ternen Modi als separate, gültige Ableitungen in
Ableitungen die Modi des Theophrast benutzte. das System einbeziehen wollte. Mithilfe des über-
Der Kommentar, den Apuleius seinem Bericht lieferten Textes lässt sich dies indes nicht belegen.
über Ariston anfügt: «Wie absurd, weniger zu Auch wenn Aristons Beitrag auf die Hinzufü-
schließen, wenn es erlaubt ist, mehr zu schließen» gung der subalternen Modi beschränkt ist, zeigt
(De int. 13, 213,9f. Moreschini = fr. 4 Mariotti), sich darin doch, dass die frühen Aristoteles-Kom-
gibt – was auch immer seine Quelle ist – mögli- mentatoren die Werke des Aristoteles und des
cherweise den Grund dafür an, wieso die subalter- Theophrast studierten, ihre Ergebnisse systemati-
nen Modi in dieser Abhandlung nicht zu den gül- sierten und in eine Form brachten, die sich zum
tigen Modi gezählt wurden: Sie sind vollständig Unterricht eignete (zum Logikunterricht in dieser
abgeleitet und erhöhen deshalb die Zahl der gülti- Zeit vgl. Huby 2004 [*138]).
gen Ableitungen nicht wirklich.

4.3. Dubia

Marius Victorinus zitiert in seiner ‹Ars gramma- der Autor dieser Definition auf Vernunft und Ge-
tica› zwei Definitionen eines Ariston, und zwar für wohnheit bezieht, zeigt, dass er sowohl die Prinzi-
‘Kunst’ (ars) und die Wissenschaft ‘Grammatik’ pien der Analogisten als auch der Anomalisten ak-
(scientia grammatice). Ars wird definiert als «Sys- zeptiert, und Mariotti 1966 [*71] vertritt die An-
tem von Wahrnehmungen und Übungen, die sich sicht, dass eine Zuschreibung an Ariston von
auf ein Ziel des Lebens beziehen, d. h. im Allge- Alexandrien aus diesem Grund wahrscheinlicher
meinen alles, das unsere Seelen durch bestimmte ist, da die Versöhnung dieser beiden Ansätze kaum
Vorschriften zu unserem Nutzen formt» (Mar. Vic- vor dem 1. Jahrhundert v. Chr. hätte stattfinden
torin. Gramm. 1, VI,3,7–10 Keil). Diese Definition können. «In diesem Jahrhundert ist die peripateti-
hat viele Parallelen zu stoischen Definitionen der sche, aber stoisierende Schule des Andronikos das
τέχνη (vgl. Chrysipp, SVF II,23,21f.; 30,25. 30,29f. bestgeeignete Milieu, um den alexandrinischen
208,41). Grammatik wird definiert als «Wissen- Analogismus und den Anomalismus aus Pergamon
schaft, um Dichter und Historiker zu verstehen, sie zu verbinden» (Mariotti 1966 [*71: 75–91]). Mo-
richtet vor allem die Sprechweise auf Vernunft und raux 1973 [*23: 192f.] hat Bedenken gegenüber der
Gewohnheit aus» («grammatice est scientia poetas Zuschreibung und den beiden Hauptgründen, die
et historicos intellegere, formam praecipue lo- Mariotti für diese anführt, gibt aber zu, dass die
quendi ad rationem et consuetudinem dirigens»: Möglichkeit nicht vollständig ausgeschlossen wer-
Mar. Victorin. Gramm. 1, VI,4,7–9 Keil). Dass sich den kann.

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282 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

5. Kratippos von Pergamon

Verglichen mit anderen Philosophen seiner Zeit ist das Leben des Kratippos
von Pergamon sehr gut dokumentiert. Offenbar liegen durch das Grabmonument
in Pergamon sogar inschriftliche Belege für sein Leben und das Schicksal seiner
Kinder und Enkel vor (vgl. O’Brien-Moore 1942 [*85], Habicht 1969 [*93: 164f.]).
Kratippos wird von Philodem im ‹Index Academicorum› (PHerc. 1021, col.
XXXV,5–16 = Sharples 2010 [*43: 1E]) zusammen mit Ariston von Alexandrien
als Schüler des Antiochos erwähnt, der in der Folge Peripatetiker wurde, weil er
von einem anderen Lehrer, möglicherweise Xenarchos, inspiriert worden war
(aber vgl. Falcon 2016 [*164] für Xenarchos). Der Unterricht muss vor Antiochos’
Tod (ca. 68 v. Chr.) stattgefunden haben. Im Gegensatz zu Philodem erwähnt Ci-
cero Kratippos’ Unterricht bei Antiochos nicht. Cicero traf Kratippos 51 v. Chr.
(Cic. Tim. 1f. = Sharples 2010 [*43: 1J, wobei «from Mytilene» zu lesen ist]). Als
Pompeius nach der Niederlage bei Pharsalos (am 9. August 48 v. Chr.) auf seiner
Flucht mit einem Schiff im Hafen von Mytilene einen kurzen Halt machte, kam
laut Plutarch unter anderen Kratippos zum Hafen, um ihn zu sehen: Die beiden
Männer sprachen über die Vorsehung, wobei Kratippos sich zuvorkommend be-
nahm, starke Vorwürfe vermied und versuchte, seinem Gesprächspartner Hoff-
nung zu machen. Trotzdem konnte Kratippos, wie Plutarch bemerkt, einige gül-
tige Argumente gegen Pompeius vorbringen, um die Vorsehung unter den
gegebenen Umständen zu verteidigen (Plut. Pomp. 75). 46 v. Chr. besuchte Brutus
Marcellus in dessen Exil in Mytilene und erwähnt in seinem Buch ‹De virtute›,
dass Marcellus von der gebildeten Gesellschaft des Kratippos profitiere (Cic. Brut.
250), der bald darauf nach Athen ging. Plutarch liefert den Beweis dafür, dass er
sich in Athen niedergelassen hatte, wenn er Ciceros großzügige Unterstützung für
ausgewählte Intellektuelle seiner Zeit lobt (Plut. Cic. 24,5). Aus dem epigraphi-
schen Material lässt sich ersehen, dass Kratippos den Namen Ciceros, Marcus Tul-
lius, als römischen Namen annahm, der in seiner Familie über mehrere Genera-
tionen weitergegeben wurde (zu diesem Brauch vgl. O’Brien-Moore 1942 [*85]).
Kratippos lehrte mindestens seit dem Ende des Jahres 45 v. Chr. in Athen, da
Cicero Ende 44 v. Chr in der Widmung von ‹De officiis› an seinen Sohn Marcus
erwähnt, dass dieser ein Jahr bei Kratippos in Athen studiert hatte (Cic. Off. 1,1f.
= Sharples 2010 [*43: 1K]). Aus einem Brief des Trebonius, der vom Plan einer
Asienreise mit Marcus Cicero Junior und Kratippos handelt (Cic. Fam. 12,16,2),
schließt Moraux 1973 [*23: 226–227] mit Recht, dass Kratippos in Athen nicht den
Rang eines Schuloberhaupts gehabt haben konnte, auch wenn es eine solche
­Position gegeben hätte. Im August 44 v. Chr. preist Cicero Junior Kratippos, in
dessen Gesellschaft er die meiste Zeit verbringe, in einem Brief an Tiro aus Athen
und gibt so einen Eindruck von Kratippos’ Rolle als Tutor für den Sohn einer pro-
minenten öffentlichen Figur: «Wisse, dass ich dem Kratippos nicht wie ein Schü-
ler, sondern wie ein Sohn äußerst verbunden bin» («Cratippo me scito non ut dis-
cipulum sed ut filium esse coniunctissimum»: Cic. Fam. 16,21,3–5). Im Herbst
desselben Jahres kam Brutus nach Athen, um für die republikanische Sache um
politische Unterstützung zu werben. Er hörte Vorlesungen des Akademikers

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 283

Theomnestos und des Peripatetikers Kratippos (Plut. Brut. 24,1). Möglicherweise


saß auch der junge Horaz, der von Brutus rekrutiert wurde, in derselben Klasse
(vgl. Stenuit 1979 [*98]).
In diesen Zeugnissen erscheint Kratippos als populärer Lehrer, der Verbindun-
gen zu ausgesuchten öffentlichen Personen unterhielt (Cicero, Pompeius, Marcel-
lus, Trebonius, Brutus). Seine Stellung innerhalb der peripatetischen Schule seiner
Zeit ist unklar. Cicero spricht von ihm als «in meinem Urteil der Hauptvertreter
aller Peripatetiker, die ich gehört habe» (Tim. 2), vom «Führer der Philosophen der
Gegenwart» (Off. 3,5) – Lobesworte, die in unseren Quellen von Brutus, Trebo-
nius und Marcus Cicero Junior, die zum Zielpublikum gehörten, bestätigt werden.
Aber die Vergleichsbasis ist wohl absichtlich vage gehalten («alle Peripatetiker, die
ich gehört habe» ist nicht dasselbe wie «die Philosophen der Gegenwart»).

5.1. Verstand und Weissagung

Die meisten Belege für Kratippos’ philosophi- das zu einer Bestimmung von Kratippos’ Position
sche Ansichten haben mit Theorien des menschli- als dualistisch (vgl. van der Eijk 1994 [*119: 60 Anm.
chen Geistes und der Weissagung zu tun. Tertullian 43]). Für eine solche Interpretation spricht, dass sie
nimmt Kratippos in die Liste jener Schriftsteller mit der Lesart im Text von Philodems’ ‹Index Aca-
auf, die prophetische Träume sammelten und inter- demicorum› (PHerc. 1021, col. XXXV,15f.) über-
pretierten (‹De anima› 46,10). Unsere informativste einstimmen würde, der zufolge Antiochos’ Schüler
Quelle ist Ciceros ‹De divinatione›, wo Kratippos Kratippos und Ariston die Akademie verließen
zehnmal namentlich erwähnt wird. Cicero zufolge (Buecheler 1869 [*77], Dorandi 1991 [*115]). Die
akzeptierte Kratippos – wie Dikaiarch vor ihm – na- dualistische Position in Bezug auf den Geist könnte
türliche Weissagung durch Träume und propheti- dann als Rest der akademischen Ausbildung des
schen Wahnsinn, verwarf aber alle anderen Arten Kratippos erklärt werden.
(Cic. Div. 1,5 = Sharples 2010 [*43: 27F], vgl. Dikai- Bei einer solchen Interpretation scheint aber
archos fr. 31A Mirhady). In Ciceros Dialog liegt die die Konsistenz von Ciceros’ doxographischem Be-
peripatetische Position zwischen derjenigen der Sto- richt problematisch, weil dieselbe Position auch
iker, die sowohl natürliche Weissagung als auch Dikaiarch von Messene zugeschrieben wird (an
Weissagung als Kunst akzeptierten, und der akade- drei von zehn Stellen, an denen Kratippos na-
mischen Ablehnung jeglicher Weissagung. mentlich zitiert wird, ist auch Dikaiarch genannt,
Cicero berichtet, dass Kratippos beide Arten vgl. Div. 1,5; 1,113; 2,100). Über Dikaiarch berich-
der natürlichen Weissagung unter Hinweis auf die- ten Cicero und andere Quellen unmissverständ-
selbe natürliche Charakteristik des menschlichen lich, dass er die Seele für nichts hielt und alle
Geistes erklärte: «Der menschliche Geist kommt Funktionen der menschlichen Seele einer gewis-
zu einem gewissen Teil von außerhalb unser selbst sen Kraft zuteilte, die «über den ganzen lebendi-
und ist von dorther abgeleitet (damit ist gemeint, gen Körper gleichmäßig verteilt» und «untrennbar
dass es einen göttlichen Geist außerhalb gibt, von vom Körper» ist, «weil sie für sich selbst genom-
dem der menschliche abgeleitet wird). Derjenige men nichts ist und weil es außer dem Körper
Teil des menschlichen Geistes, zu dem Sinnes- nichts gibt, nur ihn allein und einfach, der so ge-
wahrnehmung, Bewegung und Antrieb gehören, formt ist, dass er durch eine natürliche Mischung
ist von den Handlungen des Körpers nicht ge- Stärke und Gefühle erhält» («nec sit quicquam
trennt, derjenige Teil des Geistes, der Anteil am nisi corpus unum et simplex, ita figuratum ut tem-
Verstand und der Intelligenz hat, ist hingegen am peratione naturae vigeat et sentiat»: Cic. Tusc. 1,21
stärksten, wenn er möglichst weit vom Körper ent- = Dikaiarchos fr. 19 Mirhady; vgl. ibid. fr. 13–32).
fernt ist (cum plurimum absit a corpore)» (Cic. Die Ausführungen, die zu Kratippos’ Position
Div. 1,70f. = Sharples 2010 [*43: 27C(1f.)]). bei Cicero erhalten sind, legen deshalb eine an-
Die genaue Bedeutung von «entfernt sein vom dere Interpretation nahe, nach der «entfernt sein
Körper» («a corpore abesse») ist umstritten. Fasst vom Körper» für den Geist bedeutet, dass er sich
man den Ausdruck als örtliche Trennung auf, führt nicht mit den Bedürfnissen des Körpers beschäf-

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284 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

tigt: «Der menschliche Geist weissagt niemals na- Cicero bespricht Kratippos’ Argumentation für
türlich, außer wenn er losgelöst ist und leer, so die Weissagung anhand einer Analogie mit körper-
dass er mit dem Körper absolut nichts zu tun hat; lichen kognitiven Funktionen. Nach Kratippos ver-
dies geschieht aber nur den Sehern oder den hält es sich mit der Weissagung wie mit den Augen,
Schlafenden. Deshalb stimmt Dikaiarch diesen die manchmal schlechter sehen, was nichts daran
beiden Arten [sc. der natürlichen Weissagung] zu, ändert, dass Sehen ihre natürliche Funktion ist:
und ebenso, wie gesagt, unser Kratippos» (Div. Obwohl die Fähigkeit zur Weissagung bei den
1,113 = Sharples 2010 [*43: 27D]; für diese Inter- Menschen meistens versagt, genügt es, wenn sie
pretation Glucker 1999 [*128], Sharples 2001 mindestens einmal gelingt, um sie als existent zu
[*134], vgl. Sharples 2010 [*43]). erweisen (Cic. Div. 1,113 = Sharples 2010 [*43:
Offen bleibt die Frage nach der Quelle für die 27D]). Cicero kritisiert dieses Argument und be-
Kraft des Vorhersehens. Moraux 1973 [*23: 237– tont, dass es unaristotelisch sei. Insgesamt scheint
241] untersuchte die aristotelischen Texte, auf die sich Kratippos auf die exoterischen Werke des
sich Kratippos beziehen könnte: ‹Parva naturalia› Aristoteles zu stützen und möglicherweise auch
(‹De somno›, ‹De divinatione per somnum› und ‹De auf einige Tendenzen der hellenistischen Schulen
insomniis›) und die ‹Eudemische Ethik›. Er kam (es lohnt sich, seine Theorie des Intellekts mit der
zum Schluss, dass keiner dieser Texte als Grundlage ‘dualistischen’ Definition der Seele bei Xenarchos
für Kratippos’ Darstellung herangezogen werden und der Analyse einer Zweiteilung bei Andro­nikos
kann, da für Aristoteles in allen drei Texten die zu vergleichen). Keine dieser Theorien kommt
Seele weissagt, wenn ihre rationale Kraft vermin- einem Dualismus gleich, aber sie enthalten die
dert ist, während für Kratippos das Voraussehen bei Tendenz, verschiedenen Teilen der Seele einen un-
der natürlichen Weissagung eine Manifestation von terschiedlichen Status im Hinblick auf den Körper
rationaler Stärke ist. Sharples 2010 [*43] macht dar- zuzuschreiben. Kratippos’ Lehre vom Geist von
auf aufmerksam, dass Aristoteles in ‹De philoso- außerhalb wurde zu Recht nicht nur mit dem aris-
phia› fr. 10 Ross davon spricht, dass bei der Weissa- totelischen νοῦς θύραθεν (Gen. an. 2,3, 736b28),
gung die rationale Kraft der Seele aktiv ist (auf ‹De sondern auch mit der Theorie des Intellekts, die
philosophia› als möglicher Hintergrund für Kratip- Aristoteles von Mytilene zugeschrieben wird, ver-
pos ist schon früh hingewiesen worden). glichen (vgl. § 38. unten, Sharples 2010 [*43: 275]).

6. ‹De mundo›

Die Abhandlung ‹De mundo› schließt sich in der Anlage an eine exoterische
Schrift des Aristoteles an: Sie ist in adhortativem Ton geschrieben und stellt in
­populärer Form Thesen einer angeblich aristotelischen Lehre vor; dabei richtet
sich die Schrift eher an eine weitere Hörerschaft als an die Experten der Schule
und stützt sich mehr auf die rhetorische Technik der Überzeugung als auf strenge
Argumentation. Die Frage nach Autorschaft und Datierung der Schrift ist äußerst
umstritten.

6.1. Autorschaft und Datierung

Es besteht Konsens darüber, dass der Terminus ante quem für die Schrift die
zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. darstellt, da dieser Zeitraum überein-
stimmend als ungefähre Abfassungszeit der lateinischen Übersetzung des Trak-
tats angesehen wird, die Apuleius von Madaura zugeschrieben wird (zum For-
schungsstand betreffend Chronologie und Stil dieses lateinischen Texts vgl. Bajoni
1994 [*234: 1789–1792]). Diese Datierung wird gestützt durch Parallelen bei Ma-
ximos von Tyros (vgl. Zeller 51923 [*202: 664f.], Lorimer 1933 [*169], Strohm 1952
[*207: 168f.]).

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 285

Einziger klarer Terminus post quem ist Aristoteles. Es gab frühe Versuche, auf-
grund von Analysen der im Traktat dargelegten Lehren einen späteren Terminus
post quem festzulegen. Die Zeit um 50 v. Chr. wurde vorgeschlagen mit dem Ar-
gument, dass Poseidonios die Quelle des stoischen Einflusses sei, der im Text aus-
gemacht werden kann, wie beispielsweise die Definition des Kosmos aus ‹De
mundo› 2, die mit derjenigen des Poseidonios identisch ist (vgl. Zeller 51923 [*202:
664–670], der solchen Einfluss im ganzen Text sah; Capelle 1905 [*198], der die
Abhandlung als Ganze für eine Zusammenstellung aus verschiedenen Werken des
Poseidonios hielt; Festugière 1949 [*186] und Furley 1955 [*170] beschränkten den
stoischen Einfluss auf Kap. 4). Auch ca. 40 v. Chr. wurde erwogen, da man annahm,
dass zu dieser Zeit die Ausgabe des Andronikos entstand; die Überlegung war
dabei, dass ‹De mundo› ohne Zugang zu den esoterischen Schriften des Aristote-
les, der vor Andronikos’ Ausgabe nicht gewährleistet gewesen war, nicht hätte ge-
schrieben werden können (Gottschalk 1987 [*28: 1138]). Beide Argumentationen
wurden in der späteren Forschung allerdings als Umkehrschlüsse kritisiert.
Reale 1974 [*171], der ‹De mundo› für echt hält, schlug als Terminus ante quem
ca. 250 v. Chr. vor, wobei er argumentierte, dass die Parallelen zwischen Chrysipp
und ‹De mundo› 2 und 3 zustande kamen, weil Chrysipp aus ‹De mundo› kopierte
– und nicht umgekehrt. Bos unterstützte diese Ansicht und führte sie weiter aus
(Reale, Bos 1995 [*172]). Außerdem wiesen einige Forscher darauf hin, dass sich
die festgestellten stoischen Einflüsse natürlicher durch das Material aus Theo-
phrasts meteorologischen Schriften erklären lässt, das zum ersten Mal 1918 von
Bergsträsser publiziert wurde.
Barnes 1977 [*216: 41f.] akzeptierte Reales Argument für das frühe ‘ante
quem’-Datum, teilte aber aus linguistischen und stilistischen Gründen dessen
Ansicht nicht, dass die Schrift von Aristoteles selbst verfasst sei, und wies darauf
hin, dass eine dementsprechende Analyse in Reales Werk fehle. Er erstellte eine
vorläufige Liste mit Ausdrücken und Konstruktionen, die ihm für Aristoteles
untypisch erschienen, und forderte ein weiteres Studium der Liste, bevor man im
Hinblick auf die Autorschaft zu plausiblen Schlüssen kommen könne. Schen-
keveld 1991 [*228: 252f.] studierte Sprache und Stil der Abhandlung, verglich sie
mit dem überlieferten ‹Corpus Aristotelicum›, mit der ‹Verfassung der Athener›,
anderen Autoren des 4. Jahrhunderts v. Chr. (Platon, Xenophon), mit hellenis­
tischen und späteren Autoren und kam zum Schluss, dass es kein Argument für
eine Autorschaft des Aristoteles gebe (einige Eigenheiten von Sprache und Stil
könnten sogar dagegen sprechen), für die Datierung hingegen unterstützte er den
Vorschlag von Reale und Barnes: Der Traktat sei wahrscheinlich eher in der ers-
ten Hälfte der hellenistischen Zeit (zwischen 322 und 250 v. Chr.) als in der zwei-
ten verfasst worden. Schenkeveld betonte, dass seine Analyse rein linguistisch
und stilistisch ist, ohne auf die inhaltlichen Aspekte der Frage Bezug zu nehmen
(für eine Datierung ins 2. Jh. v. Chr. aus linguistischen Gründen vgl. auch Boot
1981 [*219]). Aufgrund von Übereinstimmungen zwischen ‹De mundo› und der
Philosophie des Aristobulos (Unsichtbarkeit Gottes, Erkennbarkeit Gottes durch
den Geist und aus seinen Werken in der Natur usw.) schließen Riedweg 1993
[*232: 105f.] und Radice 1994 [*235], dass Aristobulos die Schrift ‹De mundo›

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286 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

bereits vorgelegen hat, woraus sich die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. als Ter-
minus ante quem ergibt.
Maguire 1939 [*205] brachte platonische und neu-pythagoreische Quellen ins
Spiel, Strohm 1952 [*207], 1970 [*189] und 1987 [*221] den post-aristotelischen Peri-
patos. Moraux 1984 [*220: 47f.] kommt in seiner detaillierten Untersuchung der
Frage zum Schluss, dass der Autor ein Peripatetiker sei mit Anleihen beim Platonis-
mus, die für das Konzept von Gott als Schöpfer und Wohltäter des Kosmos wichtig
sind, eine Rolle, die sich in Aristoteles’ Theologie in ‹Metaphysik› 12 nicht findet. Es
könnte sein, dass dadurch dem eleganten Stil der Abhandlung («flumen orationis
­aureum») zu viel Gewicht beigemessen wird: Die genaue Natur des göttlichen Han-
delns wird eher in üppigen Gleichnissen als in technischen Ausdrücken erklärt.
Die Meinungen zur Autorschaft der Abhandlung waren schon in der Antike
geteilt. Apuleius, der Autor der lateinischen Übersetzung, sagt, der Text könne so-
wohl von Aristoteles als auch von Theophrast stammen («quare nos Aristotelen
prudentissimum et doctissimum philosophorum et Theophrastum auctorem se-
cuti»: 147,25f. Moreschini). Proklos signalisiert im 5. Jahrhundert vorsichtige
Zweifel an der aristotelischen Autorschaft, wenn er auf die Lehren des Traktats
verweist (εἴπερ ἐκείνου τὸ Περὶ κόσμου βιβλίον: In Tim. III,272,21 Diehl). Im
6. Jahrhundert zitiert Johannes Philoponos das Werk hingegen ohne Zögern als
aristotelisch (Aet. mund. 174,26 und 179,24 Rabe) und auch in allen drei arabi-
schen Übersetzungen des Mittelalters gilt das Werk als aristotelisch (vgl. Raven
2003 [*241]). Maimonides verwirft am Ende des 12. Jahrhunderts in einem Brief
an Samuel b. Tibbon vom 30. September 1199 die Echtheit entschieden (vgl. Stern
1965 [*212: 392f.]). Im 16. Jahrhundert wurde das Werk sowohl von Erasmus als
auch von Melanchthon athetiert. Im 17. Jahrhundert gab es die ganze Spannbreite
von Meinungen: Von detailliert argumentierter Verwerfung der Echtheit (Scaliger,
Heinsius) zu ebenso starker Verteidigung, wie auch die Mittelposition, der zufolge
die Abhandlung, wenn sie nicht von Aristoteles selbst stamme, doch aus seinem
Umfeld kommen müsse (für Einzelheiten vgl. Kraye 1990 [*226], Kraye in Thom
2014 [*190: 181–197]).
Heute sind Reale und Bos 1995 [*172] die bekanntesten Verfechter der Echt-
heits-These. Die meisten modernen Forscher hingegen halten das Werk für eine
literarische Fälschung aus dem Hellenismus oder der Kaiserzeit. Aus dem 19. Jahr-
hundert stammen einige Vorschläge für mögliche Autoren: Chrysipp, Poseidonios,
Nikolaos von Damaskus (für eine Zusammenfassung vgl. Zeller 51923 [*202],
Reale, Bos 1995 [*172]). Im 20. Jahrhundert verschob sich nach den Werken von
Reinhardt, der dem Pan-Poseidonianismus ein Ende setzte (vgl. Reinhardt 1921
[*201] und 1953 [*208]), und – nicht weniger wichtig – nach der Entdeckung der
Fragmente und anschließend des vollständigen Texts von Theophrasts’ ‹Meteoro-
logie› (Bergsträsser 1918 [*200], Daiber 1992 [*229]) der Schwerpunkt von der
Suche nach einem individuellen Autor zu einer genaueren Erforschung des dok­
trinalen Hintergrunds der in der Abhandlung vertretenen Ansichten.

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 287

6.2. Struktur und Hintergrund

Die Abhandlung besteht aus sieben Kapiteln, die drei thematische Abschnitte
bilden: einen protreptischen (1), einen kosmologischen (2–4) und einen theologi-
schen (5–7). Das erste Kapitel hat die Form einer Widmung an Alexander, «den
besten aller Fürsten» (ἡγεμόνων ἀρίστῳ: 1, 391b6), der aufgefordert wird, mit
Hilfe der Philosophie über alle Dinge zu «theologisieren» (θεολογῶμεν: 1, 391b4),
was allein einen Menschen befähigen könne, die gesamte Welt zu betrachten und
die Wahrheiten, die sich in ihr befinden, zu entdecken. Der Autor meint vermut-
lich Alexander von Makedonien (dagegen Bernays 1885 [*195], der die Ansicht
vertrat, der Widmungsträger des Werks, das er Nikolaos von Damaskus zuschrieb,
sei Tiberius Iulius Alexander, der Prokurator von Judäa und Präfekt von Ägyp-
ten). Dem Autor zufolge ermöglicht es die Philosophie der Seele, sich von der nie-
deren Welt zu lösen und zu den Höhen des Wissens aufzusteigen: Dies wurde als
ein Bekenntnis zum Seele-Körper-Dualismus in der Art von Platon aufgefasst, ist
aber wohl nicht mehr als ein rhetorischer Kunstgriff.

6.3. Kosmologie

Der kosmologische Abschnitt hat klare thematische Einschnitte. Kapitel 2 und


der Beginn von Kapitel 3 beschreiben die elementare Struktur des himmlischen
und sublunaren Kosmos. Der Abschnitt beginnt mit zwei Definitionen des Kos-
mos, von denen die erste, nämlich dass der Kosmos «ein System aus Himmel und
Erde sowie den in diesen enthaltenen Elemente sei» (κόσμος μὲν οὖν ἐστι
σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις περιεχομένων φύσεων), wie be-
reits erwähnt, mit den Chrysipp (apud Stob. Ecl. 1,21,5, I,184,8–11 Wachsmuth =
Areios Didymos fr. 31 Diels) und Poseidonios (D. L. 7,138 = Poseidonios fr. 14
Edelstein-Kidd) zugeschriebenen Definitionen identisch ist.
Der Kosmos hat eine Kugelgestalt, mit einer fixen und unbewegten Erde im
Zentrum, umrundet vom Himmel, der die obere Grenze darstellt und der sich mit
allen daran befestigten Sternen ewig um die zwei fixen Pole dreht: den nördlichen
über uns – Arktis genannt – und den südlichen, den wir nicht sehen, die Antark-
tis. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Termini ‘arktisch’ und ‘antarktisch’ in
dieser Bedeutung erst bei Hipparchos (ca. 190–120 v. Chr.) vorkommen (vgl. Fur-
ley 1955 [*170] ad loc.).
Weiter sagt der Autor: «Wir nennen die Substanz des Himmels und der Sterne
Aither» (οὐρανοῦ δὲ καὶ ἄστρων οὐσίαν μὲν αἰθέρα καλοῦμεν: 2, 392a5). Und er
leitet das Wort ‘αἰθήρ’ etymologisch von ἀεὶ θεῖν («immer in Bewegung sein») ab,
wobei er diese, von ihm gebilligte Ableitung mit der Ableitung aus «brennen»
(αἴθεσθαι) vergleicht, die sich an der vermeintlich feurigen Natur des Himmels-
körpers orientiert. Bei diesen etymologischen Ausführungen folgt der Autor Aris-
toteles (vgl. Cael. 270b22), und der Gebrauch der ersten Person Plural ist wahr-
scheinlich als Hinweis auf die peripatetische Schule gemeint. Der Autor führt aus,
dass es sich dabei um «ein von den vier Elementen verschiedenes, reines und gött-
liches Element» handle (2, 392a8f.).

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288 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Die Fixsterne werden unterschieden von den sieben Planeten, von denen es
heißt, dass sie sich in ebenso vielen, d. h. sieben, Kreisen bewegen (2, 392a19f.).
Die Idee, dass der Bewegung eines jeden Planeten ein eigener Kreis entspricht,
scheint zu ‹Metaphysik› 12,8 in Widerspruch zu stehen; es ist allerdings nicht un-
möglich, dass sich der Autor auf die sichtbare Bewegung bezieht und nicht auf die
theoretische Erklärung. Bemerkenswert ist, dass jeder Planet ein Namens­paar hat,
einen (in einigen Fällen auch zwei) Namen, der mit der griechischen Mythologie
im Zusammenhang steht (Saturn – Κρόνος; Jupiter – Ζεύς; Mars – Ἄρης/Ἡρακλῆς;
Merkur – Ἑρμῆς/Ἀπόλλων; Venus – Ἀφροδίτη), und einen auf der Basis der phy-
sischen Erscheinung des jeweiligen ‘Sterns’ (z. B. Φαίνων, «der Helle»; Φαέθων,
«der Glänzende»; Πυρόεις, «der Feurige»; Στίλβων, «der Glitzernde»; Φώσφορος,
«der Lichtbringende»). Beide Arten von Namen kommen im überlieferten ‹Cor-
pus Aristotelicum› nicht vor (vgl. die Diskussion bei Cumont 1935 [*204] für eine
mögliche Chronologie dieser Namensgebung).
Die elementare Schichtstruktur des sublunaren Kosmos wird vom Verfasser im
Großen und Ganzen Aristoteles’ Darstellung in ‹Meteorologica› 1–3 folgend be-
schrieben. Die obere elementare Schicht ist feurig, und der Autor zählt eine Reihe
von Feuer-Phänomenen auf, die in dieser oberen Schicht ihren Anfang nehmen:
«Meteore» (obwohl das Wort σέλας von Aristoteles für Meteore nicht gebraucht
wird), «Flammen» (φλόγες), «Balken/Strahlen» (δοκίδες, auch eine spätere Ab-
leitung), «Gruben» (βόθυνοι, ein Polarlicht-Phänomen) und «Kometen» (κομῆται).
Unser Autor lässt die Milchstraße aus, die von Aristoteles in ‹Meteorologica› 1,8
ausführlich behandelt wird (es gibt auch Hinweise – allerdings nicht sehr klare –
auf Abweichungen von Aristoteles’ Theorie der Milchstraße bei Theophrast, vgl.
fr. 166f. FHSG). Indem er sich der nächsten Schicht unterhalb der feurigen zuwen-
det, beschreibt der Autor die Luft als «von Natur aus dunkel und eisig» (ζοφώδης
ὢν καὶ παγετώδης τὴν φύσιν: 392b6), was oft als Hinweis auf einen stoi­schen
­Ursprung der Abhandlung gesehen wurde (Maguire 1939 [*205: 166], vgl. noch
Moraux 1984 [*220: 15]). Aber die Idee, dass Luft von Natur aus kalt ist, könnte
auch von Theophrast ausgegangen sein (‹De igne› 26), der sich seinerseits wahr-
scheinlich auf Aristoteles’ Diskussionen der Eigenschaften von mittlerer Luft
stützte (Meteor. 1,4, 341b35–36; vgl. Strohm 1970 [189], Daiber 1992 [229]).

6.4. Geographie

Kapitel 3 beginnt mit einer Beschreibung von Erde und Wasser an deren ‘na-
türlichen Plätzen’, im Zentrum des Kosmos, wo sie den zentralen Körper einhül-
len. Diese Beschreibung geht über in einen geographischen Überblick über den
bewohnten Teil der Erde, die als eine rundum vom Atlantischen Ozean umflutete
Insel dargestellt wird. Die Geographie in ‹De mundo› enthält einige post-aristo-
telische Elemente (siehe auch Burri in Thom 2014 [*190: 89–106]). Der Hinweis
des Autors auf die Insel Taprobane (Sri Lanka; 3, 393b14f.), welche die Griechen
während Alexanders Feldzug entdeckten, und die Schätzung, dass ihre Größe
etwa derjenigen der britischen Inseln entspricht, zeigen, dass er mit den vorhan-
denen griechischen Schriften zu diesem Thema vertraut war, in denen sich ähnlich

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 289

übertriebene Schätzungen und ähnlich falsche Informationen zur Ausrichtung der


Insel finden (vgl. Belege bei Moraux 1984 [*220: 17]). Eine andere Abweichung
von Aristoteles betrifft die Angaben zum Kaspischen Meer: Für Aristoteles ist es
ein Binnenmeer (Meteor. 2,1, 354a2–5), während es der Autor von ‹De mundo›
als Ozeansgolf bezeichnet (3, 393b5–7). Weiter ist keine Darstellung des Aristo-
teles zu den Grenzen zwischen Europa und Asien überliefert, während in ‹De
mundo› zwei aktuelle Theorien diskutiert werden, nämlich dass die Grenze ent-
weder durch einen sehr schmalen Isthmos zwischen dem Schwarzen und dem Kas-
pischen Meer oder durch den Fluss Tanaïs (Don) gebildet wird (3, 395b21–24). Ca-
taudella 2003 [*240] vertrat die Ansicht, dass die erste der beiden Theorien eine
den späteren Autoren sehr vertraute propagandistische Erfindung des makedoni-
schen Königshofs sei (beide Theorien werden von Eratosthenes erwogen bei Strab.
1,4,7 [65c]), die hauptsächlich darauf abzielt, die Grenzen Europas weiter ostwärts
zu ‘verschieben’ und den Maiotis-See (das Asowsche Meer) mit dem Kaspischen
Meer zu verbinden, um diese beiden zu den Nordostgrenzen der Welt zu machen
und so Alexanders Eroberung der Welt zu ‘vervollständigen’. Damit ergäbe sich
als präziserer Terminus post quem für die Abhandlung das Zeitalter Alexanders.

6.5. Meteorologie

Kapitel 4 enthält eine Zusammenfassung von Aristoteles’ ‹Meteorologie›. Der


Autor stellt die Theorie von zwei Ausdünstungen dar – einer trockenen und einer
feuchten – und beschreibt die von beiden verursachten Phänomene, wobei er ver-
schiedene Definitionen auflistet, ohne detaillierte Erklärungen zu geben. Lange
nahm man an, dass auch dieses Kapitel auf verlorenen meteorologischen Werken
aus dem Kreis von Poseidonios beruht. Theiler druckte den gesamten Text dieses
Kapitels als Fragment I,255–264 seiner Poseidonios-Ausgabe und vertrat die An-
sicht, die Quelle des Kapitels sei Poseidonios’ ‹Grundriss der Meteorologie›
(Μετεωρολογικὴ στοιχείωσις: II,255). Dieses Argument wurde ausführlich von
Strohm 1987 [*221] widerlegt, der zeigte, dass die Quelle aller Elemente des Texts,
die Theiler als poseidonisch bezeichnet hatte, vielmehr die peripatetische Meteo-
rologie war, wie sie zum Beispiel in den Werken von Theophrast entwickelt war,
die durch die arabische Tradition wiederentdeckt wurden (für detailliertere Be-
lege vgl. Strohm 1970 [*189], für Werke des Theophrast, die syrisch und arabisch
wiederentdeckt wurden, Bergsträsser 1918 [*200], Drossaart Lulofs 1955 [*209],
Steinmetz 1964 [*290] und Daiber 1992 [*229]).

6.6. Unzerstörbarkeit des Kosmos

Kapitel 5 ist der Lehre von der Unzerstörbarkeit des Kosmos gewidmet. Die
Schwierigkeit, die mit dieser Theorie gelöst werden soll, hat damit zu tun, dass der
Kosmos sich scheinbar aus Gegensätzen zusammensetzt, die sich gegenseitig zer-
stören könnten. Der Autor erklärt die Beständigkeit des Kosmos durch die natür­
liche Harmonie zwischen den Gegensätzen. Kosmische Harmonie und Ordnung
werden durch «eine einzige Kraft hervorgebracht, die alles durchdringt und aus

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290 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

­ nvermischten und verschiedenen Elementen – Luft, Erde, Feuer und Wasser – den
u
ganzen Kosmos bildet und in einer Oberflächenkugel umfasst, dabei zwingt sie die
gegensätzlichsten Naturen im Kosmos, sich miteinander zu arrangieren, und be-
werkstelligt so die Bewahrung des Ganzen» (5, 396b28–34). Der Grund für die Er-
haltung des Kosmos liegt in der «Übereinstimmung der Elemente» (ἡ τῶν στοιχείων
ὁμολογία), die durch den «gleichen Anteil» (ἡ ἰσομοιρία) der Elemente erklärt wird,
d. h. durch das Prinzip, dem gemäß keines der gegensätzlichen Elemente im Kos-
mos über ein anderes die Oberhand gewinnen kann (5, 396b34–397a1).
Das Lob des Kosmos des Autors von ‹De mundo› (der Kosmos ist allen seinen
Teilen und Aspekten überlegen, er ist gleichbedeutend mit Ordnung, seine Größe
ist unübertroffen, seine Bewegung ist die schnellste, sein Licht das hellste, seine
Kraft die größte, seine Bewegungen legen die Lebensspannen aller Lebewesen fest,
alle Lebewesen haben ihren Atem und ihr Leben vom Kosmos) wurde auf verschie-
dene antike Quellen zurückgeführt (von Poseidonios zur platonischen und pytha-
goreischen Tradition), aber, wie Moraux 1984 [*220: 28] zu Recht bemerkt, gibt es
keine Hinweise auf den Kosmos als Gott oder höchstes rationales Lebewesen.
Der Autor sagt, dass auch die unerwarteten Wechselfälle, die im Kosmos vor-
kommen (zusammenprallende Winde, Blitzschläge, heftige Stürme) zur Harmo-
nie und Erhaltung des Ganzen beitragen (5, 397a19–24). Er hebt hervor, dass die
Naturkatastrophen «zum Wohl der Erde sind und ihr durch alle Zeiten Bestand
garantieren» (ταῦτα δὲ πάντα ἔοικεν αὐτῇ πρὸς ἀγαθοῦ γινόμενα τὴν δι’ αἰῶνος
σωτηρίαν παρέχειν; die Erdbeben setzen Winde frei, die in ihr zusammengekom-
men waren, Regenfälle und Winde haben reinigende Wirkung, Feuer macht ge-
frorene Dinge weich und Frost mildert Flammen [5, 397a30–397b2]). Moraux 1984
[*220: 30–32] vermutet, dass dieses kurze Argument, das auf Aristoteles zurück-
geht (Meteor. 1,14, 351a19–b8), eine Anspielung auf anti-teleologische Einwände
sein könnte, die in hellenistischer Zeit hauptsächlich durch Werke der epikure­
ischen Schule aufkamen, und dass der Autor sich möglicherweise auf Argumente
von Theophrast stützt (vgl. jetzt fr. 184 FHSG).

6.7. Theologie

Das Thema von Kapitel 6, das den Höhepunkt des zu Beginn vorgestellten theo-
logischen Projekts der Abhandlung darstellt, wird als «zusammenhaltende Ursa-
che» (συνεκτικὴ αἰτία) des Kosmos beschrieben (6, 397b9). Dabei handelt es sich
um den möglicherweise auf Chrysipp zurückgehenden stoischen Terminus techni-
cus, der dazu dient, eine Trennung zwischen vorausgehenden und eigentlichen
Gründen einzuführen: In den Quellen wird der Terminus συνεκτικόν als synonym
zu αὐτοτελές (αἴτιον) bezeichnet (Clem. Alex. Strom. 8,9,31–39 = SVF II, fr. 351).
Dieser Terminus muss vom Autor benutzt worden sein, um zu betonen, dass der
peripatetische Gott dem Kosmos in keiner Weise vorausgeht (wie es beim stoischen
Gott der Fall ist), sondern dass er zu denjenigen Ursachen gehört, die gleichzeitig
mit dem von ihnen Verursachten präsent sind (ibid.). Der Gebrauch des stoischen
Vokabulars sollte deshalb nicht zur Annahme verleiten, der Autor ‘stoisiere’ in sei-
ner Lehre.

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 291

Der Unterschied zur stoischen Theologie wird besonders dort deutlich, wo der
Verfasser eine Unterscheidung zwischen dem «Wesen» (οὐσία) Gottes und seiner
«unerschöpflichen Kraft» (ἄτρυτος δύναμις) einführt, die ihm Kontrolle über ent-
fernte Dinge, zu denen auch die Dinge in der sublunaren Welt gehören, ermöglicht
(6, 397b19f.; vgl. 23; vgl. Vollenweider 2016 [*245: 223ff.]). Gottes Kraft gestaltet alle
untergeordneten Prozesse im Kosmos, während sich Gott selbst, «der Bewahrer und
Schöpfer aller Dinge im Kosmos» (6, 397b20–22), in einem Gebiet darüber befin-
det, ohne irgendeiner materiellen Veränderung unterworfen zu sein, auf dem
«obersten Gipfel» (ἀκροτάτῃ κορυφῇ) des ganzen Himmels (6, 397b24–27). Seine
Kraft wirkt am stärksten auf die Himmelsregion, dann auf die Region darunter und
so weiter, bis die von uns bewohnte Welt erreicht ist (6, 397b27–30). Der Autor weist
darauf hin, dass diese Theorie eines Gottes, der durch unerschöpfliche Kraft in der
ganzen Welt wirkt, selber aber im Himmel wohnt, auf einem der Göttlichkeit viel
mehr entsprechenden Konzept von Gott beruht als die Ansicht, nach der Gott alle
Arbeit – auch die niedrigste – selbst macht und den Mühen harter Arbeit unterwor-
fen ist wie ein Geschöpf, das für sich selbst arbeitet (6, 397b22f. 398a1–6). Damit
spielt der Autor sehr wahrscheinlich auf eine verbreitete Kritik an der stoischen
Gottesvorstellung an, der gemäß Gott als aktives Prinzip alle Materie durchdringt
(vgl. Thom in Thom 2014 [*190: 107–120]).
Das göttliche Handeln im Kosmos wird vom Autor mit dem Persischen Groß-
könig verglichen, der «selber in Sousa oder Ekbatana lebte, für alle unsichtbar, in
einem großartigen Palast», dabei aber dank seiner Macht doch sein ganzes großes
Herrschaftsgebiet vom Hellespont bis nach Indien durch zahlreiche Generäle, Sa-
trapen, verschiedene Beamte, Aufseher, Kuriere und Boten kontrollierte (6,
398a6–35). Gott ist jedem irdischen Herrscher allerdings sogar noch überlegen:
Während diese wegen ihrer relativen Schwäche «viele helfende Hände» (τῆς
πολυχειρίας) benötigen, ist es die göttlichste aller Eigenschaften, alles «mit Leich-
tigkeit und durch einfache Bewegung» (μετὰ ῥᾳστώνης καὶ ἁπλῆς κινήσεως) zu
erledigen (6, 398b13–16). Der Autor erwähnt zum Vergleich die «Maschinisten»
(μεγαλότεχνοι) und die «Puppenspieler» (νευροσπάσται), die durch einen einzi-
gen Auslöse-Mechanismus oder durch Ziehen eines einzelnen Fadens viele ver-
schiedene Aktivitäten auslösen (6, 398b16–20). Im Fall des höchsten Gottes muss
es sich bei der einfachen Bewegung, mit der er eine Vielfalt von Effekten bewirkt,
um das Bewegen der äußersten Himmelssphäre handeln, die ihrerseits Bewegung
in der Schicht in ihrer unmittelbaren Nähe produziert usw. Wie Gott diese erste
Bewegung hervorbringt, welche die ganze Reihe von Bewegungen auslöst, wird
nicht erklärt. Möglicherweise denkt der Verfasser an die Art und Weise, wie der
erste unbewegte Beweger in ‹Metaphysik› 12 auf Dinge im Kosmos wirkt, in die-
sem Fall wird mit dem Ausdruck ‘göttliche Kraft’ auf bekannte Weise auf die Wir-
kungen dieser ersten Handlung Bezug genommen, deren Basis die ständige und
ewige Aktualität des göttlichen Wesens ist.
Der Autor erklärt, dass die Verschiedenheit der Wirkungen, die von dieser
‘göttlichen Kraft’ hervorgebracht werden, durch die Eigenschaften der dieser
Kraft unterworfenen Dinge bestimmt werden. Als Beispiel nennt er die vier Körper
Kugel, Würfel, Zylinder und Kegel, die, wenn sie gleichzeitig von einem erhöhten

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292 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Punkt geworfen werden, alle ihre je eigene Flugbahn haben. Dieses Beispiel
wurde als Beweis für eine stoisierende Haltung aufgefasst, aufgrund einer auffäl-
ligen Parallele mit Chrysipps Illustration seiner ‘Vereinbarkeits-These’ (apud Cic.
Fat. 42f.), der zufolge Schicksal und Freiheit nicht miteinander konkurrieren: Zy-
linder und Kegel bewegen sich verschieden und der Unterschied hat mit ihrer im-
manenten Natur zu tun, was für Freiheit spricht. Wie aber Duhot 1990 [*225: 207–
209] gezeigt hat, hat das Beispiel in ‹De mundo› nichts mit Schicksal zu tun.
Vielmehr soll es zeigen, wie die göttliche mit der immanenten Kausalität zusam-
menwirkt, ohne dass die erstere auf die letztere reduziert wird (vgl. Moraux 1984
[*220: 73 Anm. 255]).
Der Autor beschreibt kurz und allgemein die Bewegungen der Himmelskörper:
Dabei werden keine Details analog zu ‹Metaphysik› 12,8 angeführt, aber die Ord-
nung der Planeten entspricht wieder derjenigen des Aristoteles, und die Zeitspan-
nen für die Planetenbewegungen (im Hinblick auf den ekliptischen Kreis) stimmen
mit den in der aristotelischen Tradition seit Eudoxos bezeugten überein (6, 398b35–
399a11; vgl. Simpl. In Cael. 495,26–29 Heiberg; Lorimer 1925 [*203: 129]).
Die These von einem Gott, der alle Dinge in der Welt bewegt, während er selbst
unbewegt ist – vergleichbar dem Gesetz einer Stadt –, hat klar aristotelischen
Tenor, und die zahlreichen vom Autor angeführten illustrativen Beispiele, die alle
viele stoische und platonische Anklänge haben, stärken diese Grundhaltung (über
die Analogien in diesem Kapitel siehe Betegh, Gregorić 2014 [*244]).
Dass Gott niemals in aristotelischer Terminologie als ‘aktuell’ beschrieben, ja
die Unterscheidung zwischen Potentialität und Aktualität nicht einmal gemacht
wird, erklärt sich möglicherweise dadurch, dass es sich dabei um eine technische
Unterscheidung handelt und wir es mit einer populären Einführung mit protrep-
tischem Ziel zu tun haben. Bemerkenswerter ist hingegen, dass der Autor den
höchsten Gott nie als Intellekt beschreibt, was sowohl mit ‹Metaphysik› 12 als
auch mit der post-aristotelischen Tradition in Einklang wäre (vgl. Kritolaos fr. 16
Wehrli). Es könnte sein, dass er sich damit bewusst von der immanenten Theolo-
gie der Stoiker distanzieren will, in der das aktive rationale Prinzip (λόγος) alle
Dinge durchdringt (vgl. Moraux 1984 [*220: 50]). Dieselbe anti-stoische Tendenz
zeigt Moraux in der Liste der göttlichen Namen in Kapitel 7 auf, in der alle psy-
chologischen Charakteristika, die in ähnlichen stoischen Listen vorhanden sind,
sorgfältig vermieden zu sein scheinen.

6.8. Nachwirkung

Die Schrift von der Welt hatte in der Antike eine sehr große Wirkung. Wichtig
war vor allem die Unterscheidung zwischen dem Wesen Gottes (seiner οὐσία) und
seiner demiurgischen Kraft (seiner δύναμις: 397b19f.): Gott befindet sich zwar
außerhalb der Welt, bewirkt aber dank seiner δύναμις Veränderungen in der Welt,
indem er die äußerste Himmelssphäre in eine sich von Sphäre zu Sphäre fortset-
zende Bewegung bringt. Dieser ‘moderate’ Transzendentismus stand im Gegen-
satz zum weltimmanenten Gott des stoischen Materialismus, der sich im Hellenis-
mus mehr und mehr durchsetzte (Andolfo 1997 [*238: 119–225]). Der Gedanke,

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 293

dass Gott mit Hilfe seiner δύναμις in der Welt wirkt, verbindet ‹De mundo› mit
den jüdisch-alexandrinischen Schriftstellern Aristobulos (vgl. Riedweg 1993
[*232: 89–95], Radice 1994 [*235]) und Philon. Letzterer differenziert dabei noch
weiter, indem er zwei Hauptkräfte und mehrere Nebenkräfte unterscheidet
(Quaest. Ex. 2,68; Fug. 95), während in ‹De mundo› nur von einer Kraft die Rede
ist (zur weiteren Geschichte des Dynamis-Konzepts bis Plotin vgl. Andolfo 1996
[*236]). Ob Parallelen bei den Mittelplatonikern (z. B. Maximos von Tyros, vgl.
Pohlenz 1965 [*211: 376 Anm. 1], van Nuffelen 2011 [*243: 122–146], Smith in
Thom 2014 [*190: 121–131]) oder Neupythagoreern auf ‹De mundo› zurückgehen
oder ob man eher annehmen soll, dass eine gemeinsame Quelle vorlag, ist schwer
zu entscheiden und hängt auch davon ab, was für eine Entstehungszeit man für
‹De mundo› annimmt (Moraux 1984 [*220: 77–82]).
Der Text kann eine Idee von Inhalt und Ziel der peripatetischen Lehre geben,
die einer weiteren Leserschaft in Form eines Protreptikos zugänglich gemacht
wurde. In seiner Untersuchung der literarischen Form der Abhandlung beobachtet
Moraux 1984 [*220: 57–62] richtig, dass der Autor gekonnt konventionelle Elemente
des Protreptikos verwendet, um seine Darstellung des Systems für das Publikum
verständlich und unterhaltsam zu gestalten. Auf die besondere literarische Auf-
gabe könnte das Fehlen von detaillierten Argumenten zurückgeführt werden,
doch das in sehr kompakter Form dargelegte System der Welt deckt noch immer
weite Teile der peripatetischen Kosmologie ab und zeigt Ähnlichkeiten mit ‹Me-
taphysik› 12, ‹De caelo›, den ‹Meteorologica› und den Werken Theophrasts. Der
Autor ist sich der Unterschiede zwischen seinen eigenen und den stoischen An-
sichten bewusst, was ebenfalls einer Tendenz der peripatetischen Schule ent-
spricht. Für Peripatetiker wie Boethos von Sidon, welche die Meinung vertraten,
das Studium von Aristoteles’ Werken sei mit der ‹Physik› zu beginnen, könnte dies
ein sehr tauglicher Einführungstext gewesen sein.
Im 2. Jahrhundert n. Chr. wurde das Werk durch Apuleius ins Lateinische über-
tragen. Auch er hebt in seiner Übersetzung den Aspekt des Gottes, der die Welt
lenkt, und die Frage nach dessen Transzendenz besonders hervor. Übersetzungen
in orientalische Sprachen entstanden im 6. bis 8. Jahrhundert, ins Syrische durch
Sergios von Reš‘aynā (vgl. McCollum 2011 [*173]) und ins Armenische durch
einen Anonymus (für diese Übersetzungen und die orientalische Überlieferung
von ‹De mundo› siehe auch Takahashi in Thom 2014 [*190: 153–167], Daiber in
Thom 2014 [*190: 169–180]). Besonders bemerkenswert ist die Hochschätzung der
Schrift im Westen seit dem Hochmittelalter. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde sie
zweimal, unabhängig von Apuleius’ Version, ins Lateinische übersetzt, einmal von
Bartholomäus von Messina und ein zweites Mal in Paris von Nicolaus von Sizi-
lien, einem Mitarbeiter des Robert Grosseteste. Diese Version hat, wie die hand-
schriftliche Überlieferung erweist, sehr große Verbreitung gefunden. Unabhängig
von diesen beiden Übersetzungen entstanden jedoch in den Jahren zwischen 1449
und 1538 nicht weniger als sieben neue, drei in handschriftlicher Form und vier
bereits in gedruckter Fassung (Rinucius Aretinus [1449], Johannes ­Argyropulos
[ca. 1471], Jakob Sadolet [zwischen 1498 und 1511] sowie Petrus ­Alcyonius [Vene-
dig 1521], Johannes Genesius Sepulveda [Rom 1523/Paris 1532], Guillaume Budé

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294 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

[Paris 1526] und Andreas von Lacuna [Alcalá 1538]; vgl. zum Ganzen Lorimer,
Minio-Paluello 1965 [*182]). Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass etwa zur
gleichen Zeit der griechische Text in der Editio princeps der Werke des Aristote-
les von Aldus Manutius (Venedig 1497) und die lateinische Übertragung des Apu-
leius in der Editio princeps Romana der Werke des Apuleius (Rom 1469) publi-
ziert wurden und somit allgemein zugänglich waren. Die sieben neuen
Übersetzungen signalisieren das einzigartige Interesse, das an ‹De mundo› er-
wuchs.

3. FRAGEN DER SCHUL- BZW. LEHRKONTINUITÄT

1. Die Kontinuität der peripatetischen Schule in der Kaiserzeit. – 2. Kontinuität der Lehren.

Die Kontinuität der peripatetischen Schule und Lehren bleibt eine der schwie-
rigsten Fragen im Hinblick auf die nachhellenistische und kaiserzeitliche Philo-
sophie.

1. Die Kontinuität der peripatetischen Schule in der Kaiserzeit

Die Organisation der Schule im 1. Jahrhundert v. Chr. ist nicht sehr gut doku-
mentiert. In späten neuplatonischen Kommentaren werden sowohl Andronikos
als auch Boethos als ‘elfter Nachfolger’ des Aristoteles bezeichnet (Andronikos
bei Ammon. In Int. 5,28 Busse; Elias In Cat. 113,18f.; 117,22f. Busse; Boethos bei
Ammon. In An. pr. 31,12 Wallies). Viele Forscher haben vorgeschlagen, die sich
überschneidende Nummerierung dadurch zu erklären, dass Ammonios in ‹In
Analytica priora› Aristoteles selbst nicht mit in die Zählung einschließt. In die-
sem Fall wäre Boethos der zwölfte Scholarch. Auch die großzügigste Liste der uns
bekannten Abfolge (d. h. einschließlich des zweifelhaften Ariston von Keos und
Erymneus) enthält aber nur zehn Scholarchen: Aristoteles – Theophrast – Straton
– Lykon – (Ariston von Keos) – Kritolaos – Diodoros von Tyros – (Erymneus) –
Andronikos – Boethos, so dass mindestens zwei Namen der von den Neuplatoni-
kern vorausgesetzten Nachfolger fehlen.
Weitere Nachfolger sind nicht belegt, und es gibt Gründe anzunehmen, dass es
das Lykeion als Schule, wie sie von Aristoteles gegründet und von seinen Nach-
folgern weitergeführt worden war, ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr gab.
Die Tatsache, dass Cicero, der starke Beziehungen zu einzelnen Philosophen
hatte, unter anderem auch zum Peripatetiker Kratippos, den Nachfolger des Aris-
toteles zu seiner Zeit in Athen niemals erwähnt, könnte darauf hindeuten, dass
die Schule nicht mehr existierte. Das heißt indes nicht, dass es keine peripateti-
schen Schulen und Lehrer mehr gab, könnte aber bedeuten, dass die Schule in
Athen ihren früheren Status als ‘die peripatetische Schule par exellence’ verloren

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 295

hatte. Das würde die von Sedley 2003 [*263] als ‘Dezentralisation der Philosophie’
beschriebene Tendenz widerspiegeln.
Der Begriff διάδοχος begegnet wieder im Zusammenhang mit Alexander von
Aphrodisias, der sich in einer auf einer Statuenbasis in Aphrodisias gefundenen
Inschrift als «einen der Diadochen in Athen» (τῶν Ἀθήνησιν διαδόχων) bezeich-
net (zur Inschrift vgl. Chaniotis 2004 [*249: 388f.] und 2004 [*250], Sharples 2005
[*252]). In diesem Fall bezieht sich die in der Inschrift erwähnte «Nachfolge» aber
nicht auf die Leitung der alten peripatetischen Schule mit ihren auf Aristoteles
selbst zurückgehenden Diadochie-Regeln, sondern auf das Innehaben des kaiser-
lichen Lehrstuhls, der durch Mark Aurel 176 n. Chr. für die vier philosophischen
Hauptrichtungen – für die platonische, aristotelische, stoische und epikureische –
eingerichtet worden war (Sharples 2005 [*252: 52f.]). Wie Chaniotis 2004 [*249]
bemerkt, geht aus dem Text der Inschrift Alexanders Schulzugehörigkeit nicht
hervor. Diese ist aber durch seine überlieferten Werke bekannt, da er sich auf die
Lehren des Aristoteles als diejenigen bezieht, die er vertritt (De an. 2,4–9; Mixt.
228,5–10), und auf die Schule des Aristoteles als seine eigene (Fat. 164,14–15).
Weiter kennen wir aus dem Proömium zu ‹De fato› mit der Widmung an die zwei
Kaiser Septimius Severus und Caracalla auch den Zeitpunkt seiner Berufung in-
nerhalb der Zeitspanne der gemeinsamen Herrschaft dieser Kaiser (198–209).

2. Kontinuität der Lehren

Den Berichten bei Strabon und Plutarch zufolge besaßen und studierten die äl-
teren Peripatetiker, die auf Theophrast folgten, nicht viele Bücher von Aristoteles
und Theophrast und waren deshalb nicht in der Lage, auf «substantielle» oder «sys-
tematische» (πραγματικῶς) Weise zu philosophieren, sondern konnten nur «allge-
meine Positionen vortragen» (θέσεις ληκυθίζειν: Strab. 13,1,54). Diese vieldisku-
tierte Unterscheidung (Moraux 1973 [*23: 3–31], jüngst Hahm 2007 [*266],
Sharples 2010 [*43], Chiaradonna 2012 [*158]) hat mit dem Stil des Philosophierens
zu tun: Im Fall des substantiellen Philosophierens hat der philosophische Diskurs
als Grundlage die gelehrte Disziplin (πραγματεία) innerhalb eines systematischen
Curriculums, während beim Vortragen allgemeiner Positionen das Fehlen eines
solchen systematischen Kontextes die Übung weniger sub­stantiell erscheinen lässt.
So gesehen wurde der für seriöse philosophische Studien notwendige systemati-
sche Kontext für die Peripatetiker verfügbar, als sie Zugang zu Teilen des ‹Corpus
Aristotelicum›, das die sogenannten ‘esoterischen’ oder ‘akroamatischen’ Werke
enthielt, bekamen (oder größeres Interesse daran hatten). Diese Entwicklung ist
der Grund für den philosophischen Fortschritt der Peripatetiker (und sein Kenn-
zeichen), der mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, in dem der ursprüngliche Peripa-
tos, die von Aristoteles in Athen gegründete Schule, seine Bedeutung als einziges
Zentrum des Aristotelismus verlor und durch ein Netzwerk von Schulen und Leh-
rern mit größerer geographischer Ausdehnung ersetzt wurde.
Das Interesse an Aristoteles’ esoterischen Schriften ist nicht nur für die peri-
patetische Schule charakteristisch: Kommentare zu Aristoteles, besonders zu den

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296 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

‹Kategorien›, wurden im 1. Jahrhundert auch von Platonikern und Stoikern ver-


fasst. Unsere Quellen deuten an, dass dieser Prozess der Wiedereinführung der
aristotelischen Schriften in der peripatetischen Schule als Rückkehr zum origina-
len aristotelischen Curriculum gesehen wurde (φιλοσοφεῖν καὶ ἀριστοτε­λίζειν:
Strab. 13,1,54), im Gegensatz zur etwas eklektischeren Ausrichtung des späthelle-
nistischen Peripatos. Die Ansicht, dass der späthellenistische Peripatos in der Ge-
schichte der Schule eine Verfallszeit darstellt, findet sich schon bei Cicero (Fin.
5,13f.) und wird in der modernen Forschung kaum infrage gestellt, wobei diese An-
sicht üblicherweise mit der Idee vom 1. Jahrhundert v. Chr. als Periode eines Neu-
starts der Schule verbunden wird (einige neuere Versuche untersuchen die Frage
vom ‘Niedergang der Schule’ allerdings kritischer, vgl. Mejer 2004 [*251]). Mit die-
sem Neustart beginnt die Kommentartradition, die ihre Vollendung in den Werken
der Kommentatoren des späten 2. und frühen 3. Jahrhunderts n. Chr. findet.
Es gibt jedoch Gründe dafür, dass die chronologische und inhaltliche Teilung
nicht so klar ist, wie es diese Standardansicht glauben macht. Chiaradonna 2012
[*158] warnt zu Recht vor einem allzu vorgreifenden Verständnis der frühen Kai-
serzeit in der Schulgeschichte. Die Dezentralisierung und die Entstehung von
neuen Zentren philosophischer Aktivität außerhalb von Athen machen es schwie-
rig, von einem einzigen, einheitlichen Muster inhaltlicher Kontinuität zu sprechen,
das allen Entwicklungen innerhalb der Schule zugrunde liegt. Stattdessen gibt es
sehr unterschiedliche neue Formen der Beschäftigung mit den aristotelischen Tex-
ten, der philosophische Kommentar existiert dabei Seite an Seite mit traditionel-
leren Gattungen von Schultexten, wie beispielsweise Traktaten, in denen oft in
einem polemischen oder epideiktischen Kontext ein ausgewähltes Problem behan-
delt wird. Beim Kommentar handelt es sich um einen Schultext, der Elemente der
Schuldiskussionen enthält. Bereits die frühesten erhaltenen Kommentare von As-
pasios und Alexander zeigen, dass die Linie für Linie voranschreitende Auslegung
des aristotelischen Texts gelegentlich durch einen Exkurs unterbrochen wird, der
einer kurzen Diskussion von themenverwandten Schulansichten gewidmet sein
kann (oft zurückgehend auf hellenistisches Material) oder der sogar eine Mini-
Abhandlung eines Problems darstellen kann (ein Beispiel für ersteres ist Aspa-
sios’ kritische Diskussion der von Andronikos und Boethos aufgestellten Defini-
tionen von πάθος: In EN 44,20–45,16 Heylbut; ein Beispiel für letzteres ist die
kritische Diskussion von Chrysipps Ansicht, der zufolge «das Unmögliche nicht
aus dem Möglichen folgen kann», bei Alexander von Aphrodisias in dessen Kom-
mentar zu An. pr. 177,19–182,19 Wallies).
Das intellektuelle Erbe des hellenistischen Peripatos zeigt sich in der ganzen
Kaiserzeit in den gemeinsamen Themen der Peripatetiker, die in der post-aristo-
telischen Zeit aufkamen und sich oft polemisch gegen andere hellenistische Schu-
len, vor allem die stoische, gelegentlich aber auch gegen die epikureische und aka-
demische, wandten.
Im Gebiet der Logik lag das Hauptinteresse im 1. Jahrhundert v. Chr. auf den
‹Kategorien›, und die meisten Autoren der Kaiserzeit verfassten Kommentare zu
diesem aristotelischen Werk. Zu Recht wurde dieser Umstand als eine charakte-
ristische Entwicklung innerhalb der Schule bezeichnet (vgl. Reinhardt 2007 [*145],

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 297

Sharples 2007 [*267], 2008 [*242], Griffin 2009 [*422] und 2015 [*39]). Eine sol-
che Aufmerksamkeit scheint der Abhandlung in der hellenistischen Zeit nicht zu-
teil geworden zu sein, auch wenn antike Quellen Theophrast, Eudemos und Phai-
nias Werke mit dem Titel ‹Kategorien› zuschreiben (Eudemos fr. 7 Wehrli).
‹De interpretatione›, das von Andronikos athetiert worden war, wurde von Her-
minos, Aspasios und Alexander von Aphrodisias kommentiert. Letzterer formu-
lierte einige seiner Ansichten über Notwendigkeit und Möglichkeit unter anderem
ausgehend von Aristoteles’ Diskussion der ‘contingentia futura’ in ‹De interpre-
tatione› 9 (Fat. 10). Es gibt Hinweise darauf, dass die ‹Topik› vor Alexander von
Aphrodisias kommentiert worden war, nämlich von Sotion und dem anonymen
Kommentator im späten 1. Jahrhundert v. Chr./1. Jahrhundert n. Chr. und von
Herminos im 2. Jahrhundert n. Chr.
Neben dem erhaltenen Kommentar zu den ‹Analytica priora› von Alexander
von Aphrodisias sind auch Kommentare von Boethos, Ariston von Alexandrien,
Sosigenes und Herminos zu diesem Werk bezeugt. Das Interesse an diesem Fach
des aristotelischen Curriculums besteht sowohl im hellenistischen als auch im
nachhellenistischen Peripatos, und es wurden stetige Anstrengungen gemacht, um
das aristotelische System zu verbessern, zu vereinfachen und auszuarbeiten. Schon
Theophrast und Eudemos unterbreiteten in ihren eigenen Werken viele Vorschläge
zur Verbesserung von Aristoteles’ ursprünglicher Theorie der Syllogistik. Im
1. Jahrhundert v. Chr. arbeitet Ariston das aristotelische System der Modi der Syl-
logismen aus, Boethos kritisiert Aristoteles’ Darstellung der perfekten Figuren und
bietet eine Verbesserung, die Peripatetiker des 2. Jahrhunderts (Herminos, Sosi-
genes und Alexander von Aphrodisias) arbeiten am Problem der Modalität einer
Konklusion in einem Syllogismus mit gemischten modalen Prämissen, das zuerst
von Theophrast und Eudemos aufgeworfen und besprochen worden war.
Auch das Interesse am Studium der Natur ist eine charakteristische Konstante
der peripatetischen Schule vom Hellenismus bis in die Kaiserzeit. Es ist in der For-
schung darauf hingewiesen worden, dass der Peripatos die einzige hellenistische
Schule war, die das Studium der Natur um ihrer selbst willen betrieb und nicht nur
als illustratives oder pädagogisches Hilfsmittel, um übergeordnete ethische Ein-
sichten zu vermitteln, wie es in der epikureischen oder stoischen Schule der Fall
war. Die prominentesten Vertreter dieses Interesses waren Aristoteles’ Schüler
Theophrast und Eudemos sowie der dritte Scholarch Straton von Lampsakos, der
den Beinamen «Naturforscher» (φυσικός) bekam. Interesse an naturphilosophi-
schen Fragen ist auch in der späthellenistischen Zeit für Autoren wie Hieronymos
von Rhodos, Phainias, Klearchos und Kritolaos belegt (vgl. Sharples 2006 [*265]).
In der Liste der wichtigsten Texte und Themen, die das peripatetische Schul-
programm im Gebiet der Naturphilosophie bestimmten, gab es von der hellenis-
tischen Zeit bis in die Kaiserzeit einige bemerkenswerte Änderungen. Zu den am
sorgfältigsten gelesenen, kommentierten, kritisierten und manchmal nachgeahm-
ten Texten des Aristoteles gehören die ‹Physik›, ‹De caelo›, ‹De generatione et
­corruptione›, die ‹Meteorologie› und ‹De anima›.
In den Werklisten der ersten peripatetischen Scholarchen, Theophrast und
­Straton, findet sich eine Anzahl Titel, die mit Titeln von Werken des Aristoteles

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298 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

übereinstimmen oder mit Titeln von Kapiteln aus Werken des überlieferten ‹Cor-
pus Aristotelicum›. Weiter gibt es Abhandlungen, die einem spezifischeren Thema
gewidmet sind, wie die überlieferten Werke von Theophrast ‹Über Feuer›, ‹Über
Winde›, ‹Über Steine›, ‹Über das Schwitzen›, ‹Über Schwindel›. Es scheint hier
keine großen Unterschiede zu geben zu den Einträgen in den Werklisten des Aris-
toteles, die neben den überlieferten akroamatischen Schriften auch Titel auffüh-
ren, die auf ein begrenzteres, spezifischeres Thema hindeuten, wie z. B. ‹Über den
Magnet›. Aus den Informationen, die wir über nachhellenistische Autoren haben,
ist oft schwierig abzuleiten, was für eine Form ihre Darstellung einer bestimmten
Frage hatte. Da solche Informationen üblicherweise durch spätere Kommentare
zu aristotelischen Schriften überliefert werden, nehmen wir an, das ursprüngliche
Werk, aus dem zitiert wird, sei ebenfalls ein Kommentar gewesen, wenn nicht ein
vollständiger, so zumindest eine Monographie, die einen detaillierten Kommen-
tar zu ausgewählten Abschnitten enthalten habe (Beispiele sind Xenarchos Ab-
handlung ‹Über die fünfte Substanz› und Sosigenes’ ‹Über entgegenwirkende
Sphären›). Alexander von Aphrodisias, ‘der Kommentator’, hat Monographien
verfasst, die keine Kommentare waren, wie ‹Über die Mischung und das Wachs-
tum› und ‹Über das Schicksal›. Weiter geht die Tradition, kurze Lehrschriften als
Sammlungen von ‹Problemata› oder ‹Quaestiones› zu veröffentlichen, auf die Zeit
des Aristoteles zurück und besteht während der ganzen hellenistischen und nach-
hellenistischen Kaiserzeit.
Aristoteles’ Nachfolger zögern nicht, seine physikalischen Theorien infrage zu
stellen und, wenn nötig, zu verbessern, während sie die gedankliche Grundstruk-
tur, wie sie vom Gründer des Lykeions festgelegt worden war, im Großen und Gan-
zen beibehielten. Am meisten hinterfragt wurden die teleologische Lehre (Theo-
phrast, Straton) und die Theorie der kosmischen Elemente (Theophrast scheint in
‹De igne› die Ableitung der Eigenschaften der Elemente aus Gen. et corr. aufzu-
geben, da er Luft für kalt hält; bedeutender ist Stratons Kritik an der Lehre vom
Aither und der Theorie von der natürlichen Bewegung und dem natürlichen Ort).
In der frühen nachhellenistischen Zeit findet sich Xenarchos’ Kritik an der Theorie
des Aithers und an einigen Aspekten der Theorie der natürlichen Bewegung.
Viele Darstellungen von naturphilosophischen Begriffen in dieser Zeit bewe-
gen sich im Kontext der ‹Kategorien› des Aristoteles – so bringt die Diskussion
von Ort und Zeit in der ‹Physik› eine Diskussion der Kategorien ‘wo’ und ‘wann’
mit sich und umgekehrt, bei der Diskussion der Kategorie ‘Substanz’ beruft sich
Boethos auf die Darstellung der Substanz in der ‹Metaphysik›. Rückblickend kann
diese Tendenz als erster Schritt in einem Prozess gesehen werden, der zur Ent-
wicklung der Methode der umfassenden systematischen Auslegung führen wird.
In dieser ersten Etappe allerdings führt diese Herangehensweise vor allem dazu,
dass die diskutierte aristotelische Position revidiert wird: Andronikos schlägt vor,
dass die Kategorien ‘wann’ und ‘wo’ durch ‘Zeit’ und ‘Ort’ ersetzt werden, Boe-
thos vertritt die Ansicht, dass die Kategorie ‘Substanz’ nicht auf die Form von hy-
lemorphischen Komposita zutreffen kann, sondern nur auf die Materie und auf
das hylemorphische Kompositum als Ganzes. Gegen Ende der Kaiserzeit, in der
Schule von Alexander von Aphrodisias, zielt die Auslegungspraxis primär darauf,

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 299

eine systematische Darstellung der gesamten naturphilosophischen Lehre des


Aristoteles zu geben, die im Einklang mit anderen wichtigen Aspekten seiner Phi-
losophie steht, wie der Metaphysik und der Logik. Es werden dadurch viele wich-
tige Lehren in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt, nach einer detaillier-
ten Diskussion der Einwände, auf die differenziert geantwortet wird. Auf diese
Weise wird die Theorie von den Elementen nach einer sorgfältigen Darlegung der
Abhandlung ‹De generatione et corruptione› erneuert (vgl. Gannagé 2005 [*718]).
Bei der Theorie des Aither kehrt man wieder zum Schulstandard zurück (vgl. Re-
scigno 2004 [*574]).
Das Schicksal der peripatetischen Definition der Seele kann als Beispiel für die
Kontinuität und die Veränderungen im System der Schullehren innerhalb der Kai-
serzeit dienen. Aristoteles definierte die Seele als Form des Körpers, die potentiell
Leben besitzt (‹De anima› 2,1). Über seine Schüler und Kollegen Dikaiarch und
Aristoxenos wird berichtet, sie hätten die Meinung vertreten, die Seele sei nichts
anderes als die Harmonie aller körperlichen Elemente (Mirhady 2001 [*262]). Die
Bedeutung dieses Berichts steht zur Debatte, doch wenn er korrekt ist, stimmt
diese peripatetische Definition der Seele nicht ganz mit derjenigen des Aristote-
les überein. Straton seinerseits entwickelte eine eigene Theorie der Seele inner-
halb des weiteren peripatetischen Rahmens: Er stellt eine Fülle von Einwänden
gegen Platons Argumente für die Unsterblichkeit der Seele im ‹Phaidon› auf
(fr. 76–81 Sharples), vergleicht die Seele mit einer Harmonie, weil sie je nach In­
dividuum angespannter oder träger sein kann (fr. 79 Sharples), spricht über die
­Tätigkeiten der Seele als Bewegungen und verortet alle mentalen Prozesse, ein-
schließlich «Affekte der Seele» (πάθη τῆς ψυχῆς: fr. 63A,B Sharples) und Sinnes-
wahrnehmungen, im leitenden Seelenteil und «nicht in den affizierten Körper­
teilen» (οὐκ ἐν τοῖς πεπονθόσι τόποις: fr. 63A,B Sharples). Diese Änderungen
rühren hauptsächlich daher, dass sich Straton dafür interessierte, was die einge­
körperte Seele als Lebens- und Denkprinzip macht. In den (zugegebenermaßen
spärlichen) Quellen gibt es keine Hinweise darauf, dass die Frage des kategorialen
­Status der Seele (im Gegensatz zu den Fragen nach ihrer Lokalisation oder ihrer
Einkörperung) bei diesen Entwicklungen in der Seelenlehre des hellenistischen
Peripatos irgendeine Rolle gespielt hätte. Die Erörterungen der ‹Kategorien› im
1. Jahrhundert v. Chr. rückten die Frage nach dem kategorialen Status der haupt-
sächlichen hylemorphischen Prinzipien in den Vordergrund: Form, Materie und
hylemorphisches Kompositum. Die oben erwähnte Position von Boethos, der zu-
folge nur Materie und Kompositum Substanzen sein können, während Form einer
anderen Kategorie angehören muss, ebnete den Weg, um die Seele als eine Art Ak-
zidens eines Körpers, der eine Seele hat, zu sehen. Diese Position wird im späteren
Werk von Alexander von Aphrodisias angegriffen, der sich um eine Interpretation
der Form als Substanz bemüht. Auf dieser metaphysischen Grundlage setzt er die
aristotelische Definition der Seele als Substanz im Sinne einer Form durch. Alex-
anders Arbeit beruht auf umfassender und systematischer Lektüre des aristotelischen
Corpus, was am Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. zum Standard wurde.
Ein bedeutendes Gebiet verlor im philosophischen Bereich nach und nach den
prominenten Stellenwert, der ihm im Lykeion zur Zeit von Aristoteles und Theo-

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300 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

phrast zugekommen war, nämlich die Biologie. In hellenistischer Zeit wurde vom
alexandrinischen Gelehrten Aristophanes von Byzanz noch ein Auszug aus Aris-
toteles’ ‹Historia animalium› publiziert, und einige Buchtitel von peripatetischen
Autoren, die zu dieser Zeit aktiv waren, weisen auf ein Interesse an Biologie hin
(Klearchos, Phainias, vgl. Hellmann 2006 [*264]). In der Kaiserzeit lässt dieses
Interesse nach: Es gibt keine Kommentare zu Aristoteles’ biologischen Schriften
und nur wenige Hinweise darauf, dass sich die peripatetischen Autoren für dieses
Gebiet interessiert haben könnten (man kann Teil 8 und 9 von Nikolaos von Da-
maskus’ ‹Kompendium der aristotelischen Philosophie› erwähnen, die Zusam-
menfassungen von Hist. an. bzw. Part. an. enthalten, vgl. § 30.2. unten). Der
Grund für diesen Rückgang könnte darin liegen, dass man Aristoteles’ Methode
und die entsprechenden Forschungen nicht mehr verstand (so Lennox 1994
[*260]), möglicherweise hat die Abnahme des Interesses im philosophischen Be-
reich aber auch mit einer immer stärkeren fachlichen Ausdifferenzierung zu tun.
Bemerkenswerte Ausnahme zu dieser allgemeinen Regel ist für die Kaiserzeit
Galen (kein offizielles Mitglied der peripatetischen Schule), der die biologischen
Schriften des Aristoteles sehr gut kennt, begeistert ist von ihrer teleologischen Aus-
richtung und viele Details von Aristoteles’ anatomischen und physiologischen
­Erklärungen kritisiert. Galens Fall zeigt, dass Aristoteles’ Werk sicher zugänglich
war und von Spezialisten gelesen wurde, so dass der Rückgang des Interesses in
der Schule nicht durch das Fehlen der Texte bedingt ist.
Die hellenistische Zeit bringt auch einige neue Themen in die peripatetische
Physik ein. Die wichtigsten haben mit Fragen des Schicksals und der Vorsehung
zu tun. Aristoteles hatte keine Theorien für die Vorsehung und das Schicksal, aber
seine Nachfolger entwickelten auf der Grundlage einiger Besonderheiten des aris-
totelischen kosmologischen Systems und einiger Texte aus dem Corpus eine peri-
patetische Lehre in diesem Bereich wohl als Reaktion auf die stoische Philoso-
phie. Am relevantesten für die Lehre der Vorsehung ist Aristoteles’ Teilung des
Kosmos in den oberen Bereich, der aus Aither besteht, und den sublunaren Be-
reich, dessen Bestandteile die vier Elemente der griechischen Physik sind. Das
göttliche Prinzip des Kosmos, der erste unbewegte Beweger, wird in ‹Metaphysik›
12,9 beschrieben als Denken, das sich selbst zum Objekt hat (νόησις νοήσεως
νόησις). Die Ansicht, dass das göttliche Prinzip für die grundlegenden Teile des
kosmischen Prozesses verantwortlich ist, selbst aber nichts mit der Organisation
von Details zu tun hat, wird in den antiken Quellen bei Kritolaos verortet (fr.
37a,b Wehrli = Sharples 2010 [*43: 22K, L], vgl. Sharples 2007 [*268], Hahm 2007
[*266]). Im 2. Jahrhundert n. Chr. schreibt der Platoniker Attikos Aristoteles die
Ansicht zu, nach der die göttliche Vorsehung sich nur auf den himmlischen Be-
reich bezieht, nicht auf den sublunaren. Die Ansicht, dass sie sich nicht auch auf
den sublunaren Bereich beziehen könne, die er Epikur zuschreibt, greift er an (fr.
3,7–10 des Places = Sharples 2010 [*43: 22N], vgl. Sharples 2007 [*268]). Alexan-
der von Aphrodisias antwortet auf diese Kritik, indem er eine aristotelische Theo­
rie der Vorsehung entwickelt, der zufolge sich die göttliche Vorsehung auch auf
die sublunare Welt erstreckt, dort aber nicht Individuen, sondern Species betrifft.
An diesem Beispiel lässt sich erkennen, wie das im Hellenismus aufgeworfene und

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§ 28. Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (Bibl. 428–436) 301

diskutierte Problem auch für die Peripatetiker der Kaiserzeit seine Wichtigkeit
bewahrte und wie sie das Problem lösten, indem sie sich als Hauptmethode auf
die systematische Auslegung stützten, nicht nur um erhaltene aristotelische Texte
zu interpretieren, sondern auch um mit neuen Problemen, mit denen das aristote-
lische System konfrontiert wurde, umzugehen. Es zeigt sich so, dass hinter dem
philosophischen Kommentar ein starkes theoretisches Potential steckt, das über
die reine Textinterpretation hinausgeht.
Bei der Frage des Schicksals ist die Lage komplizierter, da antike Quellen Aris-
toteles diesbezüglich eine sehr viel breitere Palette von Positionen zuschreiben:
Determinismus (Cic. De fato 39 = Sharples 2010 [*43: 23R]), Schicksal als Not-
wendigkeit, welche die regelmäßigen Himmelsbewegungen charakterisiert (Atti-
kos fr. 8,2 des Places = Sharples 2010 [*43: 23O]), Schicksal als kausaler Faktor,
der die sublunare Welt dominiert, die ohne direkte Leitung der Vorsehung ist
(Thdt. Gr. aff. cur. 5,47 = Sharples 2010 [*43: 23P], ibid. 6,7 = Sharples 2010 [*43:
23Q]). Die von den Kommentatoren des 2. Jahrhunderts Aspasios und Alexander
verteidigte Ansicht ist jener der stoischen Version des Determinismus entgegen-
gesetzt und behält die Begriffe von Wahlfreiheit und Verantwortung («was von
uns abhängt», τὸ ἐφ’ ἡμῖν) bei, was das Konzept der Möglichkeit voraussetzt, bei
dem ‘p ist möglich’ nur bedeutet, dass nicht-p nicht notwendig ist (‘die Proposition
p kann wahr sein’). Im Gegensatz dazu fügt das stoische (chrysippische) Konzept
der Möglichkeit der Standard-Definition eine Qualifikation hinzu, so dass ‘p ist
möglich’ bedeutet, dass ‘nicht-p nicht notwendig ist’ (‘p kann wahr sein’) und p
nicht durch äußere Umstände daran gehindert wird, wahr zu sein (vgl. Bobzien
1998 [*261: 112–116]). Alexander kritisiert das stoische Konzept und entwickelt ein
Verständnis des Schicksals als ‘eigentlicher Natur’ eines Individuums, die aber Aus-
nahmen zulässt. Was dieses Verständnis bedeutet, wird illustriert durch Schulbuch-
Beispiele von Menschen, die ihre natürlichen Tendenzen überwanden, d. h. die von
der Natur zugelassenen Ausnahmen nutzten, um eine tugendhafte moralische Ge-
sinnung zu entwickeln. Alexanders Diskussion der hellenistischen Kontroverse des
Schicksals in seiner Abhandlung ‹De fato› und in den Schultraktaten basiert auf
einer systematischen Auslegung der für diese Frage relevanten Werke des aristo-
telischen Corpus: ‹Physik›, Ethiken, ‹De interpretatione› und die ‹Analytica pri-
ora›. Im Fall des Schicksals kann also eine ähnliche Kontinuität aufgezeigt werden
wie im Fall der Vorsehung: Ein von Aristoteles nicht behandeltes Problem, mit dem
die peripatetische Schule aber in der hellenistischen Zeit konfrontiert wurde, er-
hielt in der Kaiserzeit eine systematische Diskussion und Lösung.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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302 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

§ 29. Areios Didymos

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Der Name Areios Didymos wird seit Meineke und Diels mit Areios, dem Hof-
philosophen des Augustus, gleichgesetzt. Dieser Areios stammte aus Alexandrien
(Cass. Dio 51,16,3–4; Plut. Anton. 80; Plut. Praec. ger. reip. 18, 814d; Plut. Reg. et
imp. apophth. 207a–b; Them. Or. 8,163,21–164,3 Downey). In der Zeit zwischen
45 v. Chr. und 30 v. Chr. kam er zusammen mit seinen zwei Söhnen nach Rom, wo
er Octavians Philosophielehrer wurde (Suet. Aug. 89). Nach Strabon (Geogr.
14,5,4) war Xenarchos sein Freund. Als Octavian nach der Schlacht von Actium
Alexandrien besuchte, begleitete ihn Areios. Dass Areios um das Jahr 9 v. Chr.
noch lebte, geht aus Senecas Bemerkung hervor, Areios habe Livia beim Tod des
Drusus Trost zugesprochen (Consol. ad Marciam 4,2). Der ‹Suda› zufolge wurde
er am Hof des Augustus von einem Stoiker namens Theon von Alexandrien ersetzt,
wobei seine Funktion allerdings unklar bleibt (vgl. Moraux 1973 [*23: 261 Anm.
20]). Die Identifikation dieses Areios mit Areios dem Ägypter, der in Lukians
‹Wahrer Geschichte› 2,22 erwähnt wird (Renehan 1965 [*291]), wurde von Gör-
ansson 1995 [*300: 109] zu Recht kritisiert. Diels 1879 [*274: 79–88] schlug vor, dass
der Hofphilosoph Areios identisch sei mit dem stoischen Philosophen dieses Na-
mens, der in der Liste von Stoikern, die sich in zwei Manuskripten von Diogenes
Laertios (= Poseidonios T 66 Edelstein-Kidd) findet, zwischen Antipatros von Tar-
sos und Cornutus erwähnt wird. Auch Göransson 1995 [*300: 210] hält den Freund
des Augustus für einen Stoiker. Da er aber glaubt, dass dieser und der Doxograph
Areios Didymos zwei verschiedene Personen sind, beurteilt er letzteren aufgrund
der doxographischen Texte eher als außerhalb der philosophischen Schulen stehend
oder dann als einen, der Sympathien für die Skeptiker oder Akademiker hat (vgl.
auch Bremmer 1998 [*301]; für die neueste Diskussion siehe Tsouni 2016 [*309]).

2. WERKE

Der Herausgeber von Stobaios’ Werk, August hatte, Areios Didymos zu. Meineke 1859 [*289]
Meineke, schrieb als Erster das Material zur stoi- hatte bemerkt, dass der anonyme Auszug in Stob.
schen und peripatetischen Ethik in Stob. Ecl. Ecl. 2,7,17, II,129,19–130,12 Wachsmuth identisch
2,7,5–26, II,57,13–152,25 Wachsmuth, das zuvor ist mit dem Abschnitt Stob. Ecl. 4,39,28,
als eigene Kompilation des Stobaios gegolten III,918,16–919,6 Hense, der überschrieben ist mit

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§ 29. Areios Didymos (Bibl. 436–437) 303
«aus der Epitome des Didymos». Meineke identi- des Augustus, die Meineke am Ende seiner doxo-
fizierte diesen Didymos mit Areios Didymos, den graphischen Studien vorgeschlagen hatte.
Eusebios in ‹Praeparatio evangelica› 15,15 und Seit Diels glaubt man, dass die substantiellsten
15,20 zitiert. Hinweise auf Didymos finden sich Reste von Areios’ Schriften aus den erwähnten
auch bei Clem. Alex. Strom. 1,61,1–2 und 1,80,4 beiden Textgruppen in Stobaios’ ‹Eclogae› beste-
(Referate seiner Aussagen über Thales, Solon und hen: 1) die von Diels veröffentlichten physikali-
die Pythagoreer). Stob. Ecl. 2,1,17, II,6,13–20 schen und kosmologischen Fragmente, sowohl pe-
Wachsmuth enthält außerdem ein Zitat über Xe- ripatetisch als auch stoisch (447–472 Diels), und 2)
nophanes aus Didymos’ Werk ‹Über die Philoso- die ausführlichen Auszüge aus der Schrift zur
phieschulen› (Περὶ αἱρέσεων), und bei Eusebios ist Ethik, die ebenfalls stoisches und peripatetisches
ein Fragment aus Didymos’ ‹Über die Lehrmei- Material enthalten (Stob. Ecl. 2,7, II,37,14–152,25
nungen Platons› (Περὶ τῶν ἀρεσκόντων Πλάτωνι) Wachsmuth). Diels dachte, dass beide Textgruppen
erhalten (Praep. ev. 11,23,3–6), das anonym und aus einem einzigen, umfangreichen Werk stam-
ohne Titel in Stob. Ecl. 1,12,2a, I,135,20–136,13 men, das den Titel ‹Auszug› (Ἐπιτομή) oder ‹Über
Wachsmuth zitiert wird. Aufgrund dieses Materi- die Philosophieschulen› (Περὶ αἱρέσεων) trug und
als schloss Meineke, dass Areios eine Geschichte die Lehren von drei philosophischen Schulen prä-
der gesamten griechischen Philosophie – von Tha- sentierte: Platonismus, Stoa und Peripatos. Gemäß
les bis zu seinen Zeitgenossen – verfasst habe. Diels’ Rekonstruktion war das Werk nach Schulen
Weiter vermutete er Areios Didymos als gemein- geordnet, begann aber mit Prolegomena, die eine
same Quelle aller anonymen Auszüge aus griechi- Zusammenfassung der Ansichten aller drei philo-
schen Philosophen im Werk des Stobaios und sophischen Schulen enthielten. Eine der viel disku-
möglicherweise auch der doxographischen Zu- tierten Fragen ist jene nach Areios’ Methode: Wie
sammenstellungen bei Hippolyt, Ps.-Plutarch groß war sein eigener Beitrag zur Zusammenfas-
und Ps.-Galen. Diels 1879 [*274: 69–88] korri- sung? Nach welchen Prinzipien ordnete er das Ma-
gierte diese Folgerungen und argumentierte terial? Eine der Schwierigkeiten bei der Beantwor-
dafür, dass es sich bei der gemeinsamen Quelle tung dieser Fragen besteht darin, dass der Autor
der doxographischen Schriften um ein von Areios unserer Hauptquelle, Stobaios, selbst ein Epitoma-
Didymos verschiedenes, doxographisches Werk tor war und das Material, mit dem er arbeitete,
eines Aëtios handle, das seinerseits auf die verlo- möglicherweise verändert hat. In Stob. Ecl. 2,7,2,
rene große doxographische Sammlung des Theo- II,39,20–41,25. 42,7–45,6 Wachsmuth) weist der
phrast zurückgehe. Diels akzeptierte aber Areios’ Autor – vermutlich Areios – darauf hin, dass er
Autorschaft für die ethischen Doxographien und einige akademische, philosophiegeschichtliche
­
die anonymen doxographischen Fragmente zur Werke benutzt habe, auch wenn er ihnen nicht
aristotelischen und stoischen Kosmologie (diese durchwegs gefolgt sei, sondern über die Anord-
letzteren sind in den ‹Doxographi graeci› als eine nung des Materials selbst entschieden habe. Beide
eigene doxographische Quelle abgedruckt). Diels Behauptungen scheinen sich bei genauerer Prü-
befürwortete auch die Identifikation des Doxogra- fung des Texts zu erhärten (vgl. Moraux 1973 [*23:
phen Areios Didymos mit dem Hofphilosophen 333–341], Long 1983 [*295: 43]).

3. LEHRE

1. Physik. – 2. Ehtik. – 3. Bedeutung für die Erschließung der stoischen Ethik.

Diels folgend betrachtete Moraux 1973 [*23: 259] Areios Didymos als einen
­ toiker, dessen Werk aber gleichwohl wichtig ist für das Verständnis der nach-aris-
S
totelischen, peripatetischen Philosophie. Kahn 1983 [*294: 9–11] vertrat die Auf-
fassung, dass Areios ein Akademiker war, ungefähr zeitgleich mit Eudoros und
möglicherweise beeinflusst von Antiochos. Für die Geschichte des kaiserzeitlichen
Aristotelismus ist es wichtig, dass Areios Didymos (ab jetzt ist der Autor des

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304 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

­ oxographischen Materials gemeint) offenbar kein Aristoteliker war, dass er aber


d
die aristotelischen und peripatetischen Lehren gut kannte und für deren Präsen-
tation diejenigen Quellen benutzte, von denen er glaubte, dass sie für diese Schule
der anerkannte Wissensstand seien. Der für das vorliegende Kapitel relevante
Lehrgehalt besteht also aus dem, was in Areios Didymos’ Darstellung als aristo-
telisch oder peripatetisch belegt ist.

1. Physik

Diels 1879 [*274: 448–457] entdeckte siebzehn anonyme Fragmente über Aris-
toteles’ Physik bei Eusebios und Stobaios, die von Areios Didymos kommen. In
den ersten beiden werden die Prinzipien für das Studium der Natur, nämlich Form
und Materie, dargestellt. Diese Darstellung steht im Einklang mit der normalen
Schuldoktrin, allerdings – wie Moraux 1973 [*23: 278] richtig bemerkt – mit einer
Betonung der Unkörperlichkeit von Form und Materie, die für Aristoteles nicht
charakteristisch ist. Möglicherweise soll damit der Kontrast zu den stoischen Prin-
zipien, die alle körperlich sind, hervorgehoben werden. Um denselben Kontrast
geht es in fr. 4 Diels, wo es von «unkörperlichen Formen» (ἀσώματοι λόγοι) heißt,
sie würden sich vermischen. Die Lehre zur Vorsehung im kosmologischen Frag-
ment 9 hat Ähnlichkeiten mit der Ansicht, die an anderer Stelle Kritolaos zuge-
schrieben wird: Der höchste Gott ist die Quelle der Vorsehung (anders als Arist.
Metaph. 12,9, 1074b15–1075a10), die aber nur in der Himmelsregion wirkt und
nicht in den sublunaren Kosmos übergreift (fr. 9 Diels). Im folgenden Fragment
(fr. 10 Diels) wird erklärt, dass Sonnenfinsternisse nicht von jedem Ort aus auf
gleiche Weise beobachtet werden können, sondern wegen der Parallaxe an ver-
schiedenen Orten der Welt verschieden erscheinen. Dieser Effekt wurde von Hip-
parchos zwischen 161 und 127 v. Chr. entdeckt, womit ein für diese Quelle des
Areios sicherer Terminus post quem vorliegt (vgl. Moraux 1973 [*23: 289]). Die
meteorologischen Fragmente (fr. 11–14a Diels) geben eine sehr genaue Darstel-
lung der aristotelischen Meteorologie. Steinmetz 1964 [*290] vertrat die Ansicht,
dass Areios als Vorlage für dieses Material eher die verlorene Abhandlung ‹Me-
teorologie› von Theophrast als diejenige des Aristoteles benutzt habe. Moraux
1973 [*23: 289–299] kritisiert diese Meinung. Im psychologischen fr. 15 Diels
stimmt die Darstellung der Sinneswahrnehmung im Großen und Ganzen mit
Aristoteles’ ‹De anima› überein, abgesehen von der Einführung der Idee der «zu-
sammengesetzten Wahrnehmung (σύνθετος αἴσθησις), in der das Vorstellungs-
vermögen, das Gedächtnis und das Meinungsvermögen ihren Platz haben und die
nicht ohne Anteil am Intellekt ist» (vgl. Aët. Plac. 4,8,6 und 4,10,2 Diels). In fr. 16
Diels kommt der hellenistische Begriff des Kriteriums für die Wahrheit einer
­Vorstellung vor, wobei Areios’ peripatetische Quelle zwei Kriterien nennt: Für
Vorstellungen von wahrnehmbaren Dingen ist es die Sinneswahrnehmung, für
Vorstellungen von intelligiblen Dingen ist es der Intellekt.

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§ 29. Areios Didymos (Bibl. 436–437) 305

2. Ethik

Die Darstellung der peripatetischen Ethik hat zwei Teile: Einerseits besteht sie
aus einem Teil der vermuteten Einleitung des Werks (in der modernen Forschung
als Doxographie A bezeichnet = Stob. Ecl. 2,7,1–4, II,37,18–57,12 Wachsmuth, Aus-
schnitte davon übersetzt in Sharples 2010 [*43: 16U, 18I, 18V]), der den Peripateti-
kern gewidmet ist; andererseits gibt es einen zusammenhängenden Abschnitt in Sto-
baios, der sich vollständig den Peripatetikern zuwendet (bezeichnet als Doxographie
C = Stob. Ecl. 2,7,13–26, II,116,19–152,25 Wachsmuth = Sharples 2010 [*43: 15A]).
Letzterer zeigt gewisse strukturelle und stilistische Ähnlichkeiten mit dem Text zur
stoischen Ethik (Doxographie B = Stob. Ecl. 2,7,5–12, II,57,13–116,18 Wachsmuth).
In den Prolegomena wird kurz dargestellt, wie das moralische Ziel in allen philoso-
phischen Schulen, inklusive Peripatos, behandelt wird. Doxographie C beinhaltet
drei größere Themen: Die Oikeiosis-Lehre (Stob. Ecl. 2,7,13f., II,116,21–128,9
Wachsmuth), die Ethik-Konzeption (Stob. Ecl. 2,7,15–25, II,128,10–147,25 Wachs-
muth) sowie Ökonomie und Politik (Stob. Ecl. 2,7,26, II,147,26–152,25 Wachsmuth).
Areios’ peripatetische Doxographie wirft die schwierige Frage nach den Ur-
sprüngen der Oikeiosis-Lehre auf. Die Tatsache, dass Areios die Oikeiosis-Lehre
als Teil der aristotelischen Moralphilosophie darstellt, führte von Arnim 1926
[*80: 132ff.] zu der Annahme, dass Areios’ Quelle für dieses Thema – und in der
Tat für die ganze Doxographie C – die frühe peripatetische Lehre sei, die letztlich
auf Theophrast zurückgehe. Einige Forscher vertreten hingegen die Ansicht, die
Oikeiosis-Lehre sei ursprünglich stoisch und der Grund dafür, dass sie in einer
Darstellung der peripatetischen Ethik erscheine, liege darin, dass Areios eine
späthellenistische peripatetische Quelle benutzte, in der diese stoische Theorie in
peripatetischer Adaption aufgenommen war. Diese Quelle gebraucht stoisches Vo-
kabular und stoische Argumente, um peripatetische Ideen auszudrücken, oft sind
die Formulierungen so, dass sie den Unterschied zur stoischen Lehre möglichst
stark zum Ausdruck bringen.
Das «erste Zugehörige» (πρῶτον οἰκεῖον) in dieser peripatetischen Oikeiosis-
Lehre wird als ‘der Mensch’ definiert, allgemein gedeutet als individueller Mensch
für sich selbst und andere Vertreter der Menschheit, angefangen bei den nahen
Verwandten, endend bei der ganzen Menschheit – dies ist auch der stoischen
Lehre nicht fremd. Ein substantieller Unterschied zu den Stoikern scheint darin
zu bestehen, dass die naturalistische Ableitung des Konzepts der Zueignung aus
der allen Lebewesen gemeinsamen Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge fehlt.
In der stoischen Theorie der Oikeiosis steht ein individuelles Selbst im Mittel-
punkt, sei es ein Tier oder ein Mensch, bei der peripatetischen Version der Theo-
rie ist es eine bestimmte Natur – die menschliche und rationale –, die sowohl das
individuelle Selbst als auch die anderen umfasst. Diese oder eine ähnliche Vari-
ante der peripatetischen Oikeiosis-Lehre ist bei Alexander von Aphrodisias
(Mant. 17, 151,4–13 Bruns) für Xenarchos und Boethos belegt, welche die Auffas-
sung vertraten, dass laut Aristoteles wir selbst das erste Zugehörige seien.
Areios beschreibt den Aufstieg vom ersten Zugehörigen zur Tugend, indem er
die stoische Terminologie des «Gebotenen» (καθῆκον) und der «tugendhaften

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306 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Handlung» (κατόρθωσις) benutzt, und fügt hinzu, dass wir, wenn wir uns den
Menschen zueignen, uns sowohl Seele als auch Körper zueignen müssen und dass
deshalb seelische und körperliche Güter ebenso wie ‘äußere’ Güter erstrebens-
wert sind. Er kritisiert aber die Ansicht, dass die Glückseligkeit, das menschliche
Ziel, sich aus diesen drei Klassen von Gütern aufsummiert: «Glückseligkeit ist tu-
gendhafte Tätigkeit in Handlungen, die nach Wunsch ausgestattet sind. Von kör-
perlichen und äußeren Gütern sagt man, dass sie Glückseligkeit hervorbringen,
weil ihr Vorhandensein zur Glückseligkeit beiträgt, diejenigen aber, die glauben,
sie vervollständigten die Glückseligkeit, wissen nicht, dass Glückseligkeit Leben
ist und Leben aus Handlung besteht. Von den körperlichen und äußeren Gütern
aber ist keines Handlung an sich noch überhaupt Tätigkeit» (Stob. Ecl. 2,7,14,
II,126,18–127,2 Wachsmuth). Die kritisierte Position ist jener ähnlich, die Krito-
laos zugeschrieben wird (vgl. Kritolaos fr. 19–20 Wehrli; Moraux 1973 [*23: 328f.]),
was ein sinnvoller Terminus post quem für Areios’ Quelle ist. Areios’ Variante der
peripatetischen Oikeiosis-Lehre hat viele Ähnlichkeiten mit der peripatetischen
Lehre, die Cicero in ‹De finibus› 5 darlegt (vgl. Inwood 2014 [*308]). Areios’ Theo­
rie der Glückseligkeit scheint aber von derjenigen des Antiochos verschieden zu
sein, der einen Unterschied macht zwischen dem «glücklichen Leben» (vita beata),
für das Tugend allein hinreichend ist (Cic. Fin. 71, in Übereinstimmung mit der
stoischen Theorie), und dem «glücklichsten Leben» (vita beatissima), für das Tu-
gend allein nicht ausreicht, sondern das sich sowohl aus Tugend als auch aus kör-
perlichen und äußeren Gütern zusammensetzt (Cic. Fin. 81, vgl. Irwin 2012 [*305],
Schofield 2012 [*306], Tsouni 2012 [*307]). Wie Moraux 1973 [*23: 336–338] her-
vorhebt, sind für Antiochos äußere und körperliche Güter konstitutive Elemente
des höchsten Glücks, während sie für Areios, der nicht zwischen zwei Arten von
Glückseligkeit unterscheidet, zwar notwendige Bedingungen bleiben, aber nicht
Bestandteile der Glückseligkeit sind.
Areios’ Darstellung der ethischen Hauptthemen (Glückseligkeit, Telos, Güter,
Tugenden, Affekte, Lebensformen) hat keinen großen inneren Zusammenhang mit
der Oikeiosis-Lehre und stammt aus verschiedenen Quellen. Der Lehrgehalt ist
aber in sich konsistent und entspricht sehr wahrscheinlich den Theorien des spät-
hellenistischen Peripatos. Areios unterscheidet die peripatetische Lehre der Glück-
seligkeit von der stoischen, indem er die Ansicht vertritt, dass der Gebrauch von ma-
teriellen Hilfsmitteln die Tugend als Hauptbestandteil der Glückseligkeit nicht
relativiert, da Glückseligkeit aus «Handlungen» (πράξεις) entsteht, d. h. Tätigkeiten
der Seele (Stob. Ecl. 2,7,17, II,129,20–130,4 Wachsmuth). Ebenfalls anti-stoisch ist
die These, dass es sowohl für Weise wie auch für Nicht-Weise ein mittleres Leben
gibt, das weder glücklich noch elend ist, obwohl Areios der stoischen Ansicht zu-
stimmt, wonach Lasterhaftigkeit zur «Unglückseligkeit» (κακοδαιμο­νία) ausreicht
(Stob. Ecl. 2,7,18, II,132,22–133,11 Wachsmuth). Voraussetzung für die Tätigkeit der
Seele, d. h. für die Glückseligkeit, sind: Wachzustand, der natürliche Geisteszustand
(Wahnsinn oder Ekstase sind ausgeschlossen) und ein «in günstigen Umständen ge-
lebtes Leben» (προηγούμενον ἔχειν τὸ ζῆν), d. h. die Erreichbarkeit von äußeren und
körperlichen Gütern (Stob. Ecl. 2,7,18, II,133,11–22 Wachsmuth). Areios zieht die
‘inklusive’ Auffassung des glücklichen Lebens, die Kontemplation mit praktischer

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§ 29. Areios Didymos (Bibl. 436–437) 307

und politischer Betätigung verbindet (die in Aristoteles’ ‹Eudemischer Ethik› ver-


tretene Ansicht), der im zehnten Buch der ‹Nikomachischen Ethik› vorgetragenen
Auffassung vor, der gemäß das kontemplative Leben das glücklichste ist.
Der Text spielt auf den stoischen Unterschied zwischen Telos und Skopos an, d. h.
zwischen dem Zustand, den das Subjekt anstrebt («glücklich sein», εὐ­δαιμονεῖν),
und dem angestrebten Objekt («Glückseligkeit», εὐδαιμονία), empfiehlt aber auch
«die Gewohnheit der Alten» (ἡ τῶν ἀρχαίων συνήθεια), die eine solche Unterschei-
dung nicht gebrauchten, und zitiert Aristoteles (EN 1,1, 1094a3. 18). Bei der Klassi-
fikation der Güter zeigt sich ein besonders zusammengewürfeltes Muster von Her-
angehensweisen mit mindestens zehn verschiedenen Unterteilungen; dennoch
scheinen alle Unterteilungen auf aristotelische oder peripatetische Herkunft zu-
rückführbar zu sein (Moraux 1973 [*23: 365–377]). Es wurde auch die Meinung ver-
treten, dass die Abfolge der Unterteilungen nicht zufällig sei, sondern eine innere
Logik habe und wahrscheinlich von einem späthellenistischen, peripatetischen
Autor stamme (Sharples 1983 [*296], pace Moraux 1973 [*23]). Die Darstellung der
Tugendlehre beinhaltet ein Zitat von Theophrast und hat einige Ähnlichkeiten mit
der ‹Eudemischen Ethik› und den ‹Magna Moralia›. Fortenbaugh 1983 [*293] hat
dafür argumentiert, dass die für die ‹Eudemische Ethik› und die ‹Magna Moralia›
besonders charakteristische Auffassung der Tugend – nämlich dass sich diese auf
den «Affekt» (πάθος) bezieht – ein kognitivistisches Verständnis des Affekts als
eines komplexen emotionalen Zustands voraussetzt, im Gegensatz zu der Ansicht,
dass es sich beim Affekt um eine Bandbreite von eher einfachen mentalen Zustän-
den zwischen Lust und Schmerz handelt. Weiter meint Fortenbaugh, dass dieses ko-
gnitivistische Verständnis von Affekt in Theophrasts Werken vorgeschlagen und in
der späteren peripatetischen Tradition aufrechterhalten worden sei.

3. Bedeutung für die Erschließung der stoischen Ethik

Innerhalb des Textstücks bei Stobaios, welches als das Ethik-Referat des Arei­os
Didymos anzusehen ist, ist die Passage Ecl. 2,7,5–12, II,57,13–116,18 Wachsmuth der
stoischen Ethik gewidmet. Dass es sich hier um eine Darstellung der stoischen Mo-
ralphilosophie handeln muss, wird daraus ersichtlich, dass man enge Parallelen zu
den Referaten der stoischen Ethik bei Cicero (‹De finibus› 3) und Diogenes Laertios
(7) ausmachen kann. Aber Areios bietet mehr Details als diese. Long 1983 [*295: 56]
rühmt daher Areios’ Darstellung der stoischen Ethik als «probably more accurate
and certainly fuller than anything else we possess». Während Diels 1879 [*274] den
Abriss des Areios als unsystematisch und repetitiv charakterisierte, hat Long 1983
[*295: bes. 57–62] den Versuch unternommen, die systematische Abfolge der von
Areios behandelten Themen der stoischen Ethik im Detail zu rekonstruieren. Dem-
nach beginnt Areios mit einer Darstellung der stoischen Gütertheorie, einschließlich
der Lehre vom «Indifferenten» (ἀδιάφορον) und von den «bevorzugten Indifferen-
ten» (προηγμένα; Stob. Ecl. 2,7,5–7, II,57,13–85,11 Wachsmuth). Innerhalb dieser
­Partie findet sich eine Erläuterung der Tugenden als «Wissenschaften und Fertigkei-
ten» (58–59), hieran schließt sich eine Fassung der Oikeiosis-Theorie an, die Long

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308 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

als deutlich abweichend von der stoischen Standardversion bezeichnet: Demnach


sind es die vier hauptsächlichen Tugenden (Weisheit, Besonnenheit, Tapferkeit und
Gerechtigkeit), auf die sich der erste natürliche Impuls des Menschen richtet und
deren Besitz zu einem naturgemäßen Leben des Menschen führt. Bei Diogenes La-
ertios und Cicero ist der «natürliche Impuls» (ὁρμή) hingegen allen Lebewesen ge-
meinsam, erst danach tritt die Rationalität als menschliches Spezifikum auf den Plan.
Auffällig bei Areios ist ferner, dass die Taxonomie der Güter und Tugenden sowie
der Übel und Laster entwickelt wird, bevor er die Lehre vom Telos behandelt.

4. NACHWIRKUNG

Bei Clemens von Alexandrien finden sich Berichte, wonach ein gewisser Arei­os
eine Quelle für die Sprüche der Sieben Weisen sei (Strom. 1,14,61) und zudem ein
Werk ‹Über die pythagoreische Philosophie› verfasst habe (Strom. 1,80,4). Dass
es sich dabei tatsächlich um Areios Didymos handelt, wie Meineke 1859 [*289]
glaubte, ist wiederholt bezweifelt worden. Wesentlich glaubwürdiger ist dagegen,
dass Eusebios den Areios in der ‹Praeparatio evangelica› benutzte. Er berichtet,
Areios habe ein Handbuch über die stoische Physik verfasst, zudem liefert Euse-
bios Auszüge aus einem Werk des Areios über den Platonismus (Praep. ev. 15,15,9;
11,23,2). Der wichtigste Rezipient des Areios Didymos ist aber zweifellos Johan-
nes Stobaios, der in seiner ‹Anthologie› ausgedehnte Passagen aus den Referaten
zur stoischen und zur peripatetischen Ethik überliefert hat.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 30. Nikolaos von Damaskus

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Nikolaos von Damaskus wurde um 64 v. Chr. geboren und diente in den dreißiger
Jahren am Hof von Antonius und Kleopatra als Lehrer ihrer um 40 v. Chr. gebore-
nen Zwillinge. Wann er in den Dienst des Herodes, des Königs von Judäa, eintrat,

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§ 30. Nikolaos von Damaskus (Bibl. 437) 309

ist unbekannt, aber 14 v. Chr. begleitete er Herodes auf einer Reise nach Klein-
asien, und von diesem Zeitpunkt an (wenn nicht schon früher) stand er permanent
in dessen Diensten. Nach Herodes’ Tod 4 v. Chr. blieb er für einige Zeit im Dienst
seines Sohnes Herodes Archelaos. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt. In
seiner Autobiographie (FGrH 90 F 135 Jacoby) erwähnt Nikolaos, dass er sich am
Hof des Herodes mit Philosophie, Rhetorik und Geschichte beschäftigt habe. Es
wurde die Meinung vertreten, dass dieser Nikolaos mit dem von Simplikios als
«Nikolaos der Peripatetiker» bezeichneten Autor eines syrisch erhaltenen ‹Kom-
pendiums der aristotelischen Philosophie› identisch ist; allerdings bestehen an die-
ser Identifikation einige Zweifel, da eine alte Quelle verschiedene Autoren dieses
Namens nennt: «Aus Damaskus war unter den hervorragenden Politikern auch
Dionysios, der aus einer Familie stammte, die sich schon immer ausgezeichnet
hatte. Deren Anfang und Wurzel war Nikolaos der Philosoph, Lehrer des Hero-
des und der Kinder von Antonius und Kleopatra. Nach ihm wurden der Reihe
nach zwölf Nikolaoi bekannt, die stolz waren auf die Philosophie und die das Ge-
schlecht glänzend machten und zu großem Ruhm und Herrlichkeit führten»
(Sophr. H. Mir. Cyr. et Jo. PG 87,3, 3622D; vgl. Fazzo 2005 [*329] und 2008
[*331]). Fazzo meint, dass man zwischen mindestens zwei, eventuell sogar drei Per-
sonen unterscheiden muss. Es gibt einerseits den Verfasser der ‹Universalgeschichte›,
der in den Quellen als ‘Nikolaos von Damaskus’ bezeichnet wird und im 1. Jahr-
hundert v. Chr. aktiv war; andererseits den von Simplikios und auch Porphyrios
genannten, ebenfalls als ‘Nikolaos von Damaskus’ bezeichneten Autor von ‹Über
die Götter› und einer ethischen Abhandlung ‹Über das, was beim Handeln ange-
messen ist›. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese beiden Autoren identisch sind,
Fazzo ist aber skeptisch. Ganz sicher um einen anderen Nikolaos handelt es sich,
Fazzo zufolge, hingegen beim Verfasser des ‹Kompendiums der aristotelischen
Philosophie›, den Simplikios als ‘Nikolaos den Peripatetiker’ bezeichnet, der aus
Laodikeia stammt und dessen Lebenszeit zwischen das 3. und 6. Jahrhundert
n. Chr., sehr wahrscheinlich ins 4. Jahrhundert n. Chr., fällt (für detaillierte Be-
lege und Argumente vgl. Fazzo 2008 [*331], Fazzo, Zonta 2008 [*332]). Diesem
Nikolaos dem Peripatetiker schreibt Simplikios auch ein Werk ‹Über den Kosmos›
zu, dessen Verhältnis zum ‹Kompendium› unklar ist.

2. WERKE

Περὶ τῆς Ἀριστοτέλους φιλοσοφίας Der syrische Text ist seinerseits ein Auszug, und es
‹Über die Philosophie des Aristoteles› ist schwierig zu sagen, wie viel Material beim Kür-
zungsprozess im Vergleich zum ursprünglichen
Erwähnt bei Simplikios (In Cael. 399,1 Heiberg). ‹Kompendium› verloren gegangen ist. Der Auszug
Von diesem Werk ist ein substantielles Fragment in zeigt aber, dass das ‹Kompendium› eine klare
syrischer Übersetzung erhalten, im Ms. Gg. 2.14 Struktur hatte: 1) ‹Physik›; 2–3) ‹Metaphysik›; 4)
der Universitätsbibliothek Cambridge (vgl. Zonta ‹De caelo› 1–2; 5) ‹De caelo› 3–4, ‹De generatione
2001 [*326] für neue Testimonien in Handschriften et corruptione›; 6) ‹Meteorologica› 1–3; 7) ‹Meteo-
des Vatikans, Bibl. Apostolica, syr. 613 und 614). rologica› 4; 8) ‹Historia animalium›; 9) ‹De partibus

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310 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

animalium›; 10) ‹De anima›; 11) ‹De sensu›, ‹De in- (Kap. 6), natürliche und künstlich herbeigeführte
somniis›; 12) ‹De generatione animalium› 1–4; 13) Veränderungen der Pflanzen und Klassifikation der
‹De generatione animalium› 5, ‹De plantis›. Pflanzen (Kap. 7). Das zweite Buch behandelt be-
Das ‹Kompendium› enthält überhaupt kein Ma- sondere Charakteristiken der Pflanzen im Vergleich
terial aus dem ‹Organon›, und es gibt keine Hin- zu Tieren (Kap. 1), Umweltfaktoren wie Erdbeben,
weise darauf, dass Nikolaos die logischen Werke Steine, Sand und Wasser (Kap. 2), Wildpflanzen in
des Aristoteles kommentiert hat. Es wäre interes- Wasser, Schnee und Bergen (Kap. 3–5), natürliche
sant zu wissen, ob die Reihenfolge der Werke in Bedingungen des Pflanzenlebens (Kap. 6), Bäume,
diesem ‹Kompendium› einer bestimmten Ausgabe Blätter, Früchte, Laub und dessen Farben (Kap.
von Aristoteles’ Werken folgt. Jedenfalls gibt es ei- 7–9) und Reifeprozess der Frucht (Kap. 10).
nige Eigenheiten: Die ‹Metaphysik› kommt nach
der ‹Physik›, wie es der Titel verlangt. ‹De anima›
steht nicht am Anfang der biologischen Schriften, ‹Universalgeschichte›
sondern zwischen ‹De partibus animalium› und
‹De generatione animalium›. Die Abfolge ‹De Die ‹Universalgeschichte› umfasste 144 Bücher.
caelo›, ‹De generatione et corruptione›, ‹Meteoro- Sie ist verloren, die Fragmente sind gesammelt in
logica› zeigt keine offensichtlichen Unregelmäßig- FGrH II A, 90 F 1–102 (zur Charakterisierung des
keiten (abgesehen von einer kleinen Verwechslung Werks vgl. FGrH II C 230–235, Moraux 1973 [*23:
im Titel von Abschnitt 5 im syrischen Text). Es gibt 447]).
weiteres syrisches Material aus Nikolaos’ ‹Kompen-
dium› zur ‹Meteorologie› in Barhebraeus’ Werk
‹Buch des Leuchters des Allerheiligsten›, Buch 1 Περὶ θεῶν
und (ohne Namen) Buch 2. Das ursprüngliche ‹Über die Götter›
‹Kompendium› muss weitere Teile umfasst haben,
wie ‹De motu animalium›, das von Averroes er- Verloren, erwähnt bei Simplikios (In Phys.
wähnt wird. Diese wurden entweder nicht in den 23,14ff. 149,18 Diels).
Auszug oder die gekürzte Fassung aus Cambridge
aufgenommen oder gingen in letzterer wegen der
Beschädigung des Manuskripts verloren. Περὶ τοῦ παντός
‹Über den Kosmos›

‹De plantis› Verloren, erwähnt bei Simplikios (In Cael.


‹Über die Pflanzen› 3,28f. Heiberg = T1 Drossaart Lulofs) als ein
Werk, in dem «alle Dinge im Kosmos nach Arten
Die Abhandlung ‹De plantis›, die als ganzes geordnet erörtert werden». Auf der Grundlage
Werk erhalten ist, hat ursprünglich sehr wahr- dieser Beschreibung wurde es von Bergk 1882
scheinlich zum ‹Kompendium› gehört, war da­ [*322] mit dem ps.-aristotelischen ‹De mundo›
neben aber auch separat im Umlauf. Drossaart identifiziert (zur früheren Geschichte dieser Iden-
Lulofs, Poortman 1957 [*316] erarbeitete die maß- tifikation vgl. Moraux 1973 [*23: 463f.], aber diese
gebliche, fünfsprachige Ausgabe des Texts und Hypothese hat heute keine Anhänger mehr).
einen ausführlichen Kommentar. Er bewies die
Autorschaft des Nikolaos und erwies als Quellen
die verlorene aristotelische Abhandlung ‹De plan- Περὶ τῶν ἐν τοῖς πρακτικοῖς καλῶν
tis› und, vornehmlich, die noch vorhandenen ‹Über das, was beim Handeln
Werke des Theophrast sowie einige hellenistische angemessen ist›
Quellen, die heute verloren sind. Herzhoff 2006
[*330] hat dagegen die Meinung vertreten, dass in Bei Simplikios erwähnt (In Ench. 346,15f.
Nikolaos’ Auszug aus ‹De plantis› aristotelisches Hadot = T2 Drossaart Lulofs), der keine genauen
Material überwiege. Informationen dazu gibt (außer, dass das Werk
Das Werk umfasst zwei Bücher. Das erste be- massig und unklar sei). Eine aus dem Griechischen
handelt Pflanzen als eine Art von Lebewesen übersetzte Abhandlung über Ethik wird im Ms.
(Kap. 1), das Problem des Geschlechtsunterschieds Fez dem Nikolaos zugeschrieben (wobei der Kom-
im Bereich der Pflanzen (Kap. 2), die Morphologie pilator bemerkt, dass der griechische Text keinen
der Pflanzen (Kap. 3–5), Samen, Pflanze, Frucht Autorennamen trage), vgl. Lyons 1960/61 [*323].

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§ 30. Nikolaos von Damaskus (Bibl. 437) 311

‹Widerlegung derjenigen, die behaupten,


der Intellekt sei identisch
mit dem Intelligiblen›

Dem Nikolaos in der arabischen Tradition zu­


geschrieben (Ibn an-Nadīm ‹Kitāb al-Fihrist›
254,1–4 Flügel).

3. LEHRE

1. Metaphysik als Theologie. – 2. Seelenlehre.

Die Textgrundlage ist bei Nikolaos von Damaskus notwendigerweise begrenzt.


Die Fragmente, die bei Simplikios stehen, sind bei weitem zu knapp, um einen
größeren Lehrgehalt übermitteln zu können. Und was das syrische Kompendium
anbelangt, ist es selbst das Werk eines Epitomators und übergeht deshalb eine ge-
wisse Menge an Material. Trotzdem vermag das, was zur Verfügung steht, einige
unschätzbare Einblicke in Nikolaos’ Darstellungsweisen und zum Teil auch in
seine inhaltlichen Vorlieben zu gewähren.

1. Metaphysik als Theologie

Im Allgemeinen wirkt Nikolaos als ein sehr geradliniger und orthodoxer Aus-
leger der aristotelischen Lehren. Es gibt in seinem Kompendium keine Spuren von
Einflüssen anderer philosophischer Schulen und auch keine Anspielungen auf sol-
che, und er akzeptiert ohne Diskussion Aristoteles’ Ansichten, die von anderen
Kommentatoren als umstritten betrachtet werden. Trotzdem hat er gewisse eigene
Ansichten, wie das Material geordnet werden sollte, und wahrscheinlich war er zu
diesen Ansichten nicht nur durch editorische Anliegen gekommen. So berichtet
Averroes, dass Nikolaos die Darstellungsweise, die Aristoteles in der ‹Physik›
braucht, nämlich auf die Darstellung eines Problems unmittelbar dessen Bespre-
chung folgen zu lassen, der in der ‹Metaphysik› gebrauchten Methode vorzieht, wo
es Listen von Problemen gibt, die im Text von den Listen der Lösungen getrennt
sind, wie im Fall von ‹Metaphysik› 3 und 4 (vgl. Drossaart Lulofs 1965 [*315: 33f.]).
Nikolaos macht es nichts aus, den aristotelischen Text bei Bedarf auseinanderzu-
trennen und zusammenhängende Teile nebeneinanderzustellen, wenn dieses Vor-
gehen dazu beiträgt, die Beweisführung klarer zu machen. Zum Beispiel ‘zerteilt’
er Aristoteles’ ‘philosophisches Lexikon’ (Metaph. 5) und ‘verbaut’ einzelne Ka-
pitel in der Diskussion der entsprechenden Probleme in der Metaphysik. Es ist
einleuchtend, dass eine solche Freiheit in der Darstellung auf einer bestimmten
Vorstellung des Lehrgebäudes als Ganzem beruht, sei es auf Nikolaos’ eigener
oder einer irgendwoher übernommenen.

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312 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Nikolaos’ Darstellung der Prinzipien zu Beginn von ‹Physik› 1,1 fängt mit einer
Reihe von Definitionen der Prinzipien an, die aus dem ganzen Corpus stammen.
Ein interessanter Punkt dabei ist, dass die Liste seiner Definitionen der Materie
nicht nur Zitate aus Aristoteles enthält, sondern auch die Definition der Materie
als erste Materie, was darauf hinweist, dass er sich bei der Vorbereitung seines
‹Kompendiums› nicht nur auf das aristotelische Corpus, sondern auch auf Schul-
texte stützte, in denen diese Definition bereits geprägt war (Kupreeva 2009 [*153]).
In der darauf folgenden Passage betont Nikolaos, dass die Substanz des Alls
das höchste Prinzip sei. Diese Behauptung geht nicht aus dem unmittelbaren Kon-
text von ‹Physik› 1,1 hervor, sondern ist wahrscheinlich bestimmt von Nikolaos’
Philosophieverständnis im Ganzen, zu dem auch eine Vorstellung von der Bezie-
hung zwischen Physik und Metaphysik gehört. In einem anderen Text fasst Niko-
laos die Hierarchie der Wissenschaften in ‹Metaphysik› 6 zusammen und weist
jeder der drei theoretischen Disziplinen – Physik, Theologie und Mathematik –
einen je eigenen Bereich des Kosmos zu (fr. 5 Drossaart Lulofs). Diese Zuweisung
wird von einem Bericht des Averroes bestätigt, wonach Nikolaos die Ansicht ver-
treten habe, das Wissen, das Gott am meisten zukommt, sei das angemessenste
Erkenntnisobjekt der ersten Philosophie (fr. 26 Drossaart Lulofs).

2. Seelenlehre

Bei Porphyrios ist ein langer Bericht von Nikolaos’ Diskussion der Frage, ob die
Seele Teile oder Kräfte habe, überliefert (Stob. Ecl. 1,49,25a, I,353,12ff. Wachs-
muth). Nikolaos zufolge sind die Teile der Seele nicht «quantitativ» (κατὰ τὸ ποσόν),
sondern «qualitativ» (κατὰ τὸ ποιόν) zu verstehen. Quantitativ aufgefasste Teile
nämlich «füllen» das Ganze «auf», während Teile im qualitativen Sinn vergleich-
bar den Teilen der Kunst zum Gesamten beitragen. Nikolaos macht aber auch auf
einen Unterschied aufmerksam: Während eine Kunst auf keinen ihrer Teile ver-
zichten kann, ist jede Seele vollständig. Was unvollständig ist, ist das ganze Lebe-
wesen, wenn es sein naturgemäßes Ziel nicht erreicht hat. So ist das, was eine Seele
besitzt, ein Lebewesen, wobei die Seele Ursache und Prinzip verschiedener Kräfte
ist: Lebensfunktionen, Wahrnehmung, Denken, Lust. Nikolaos behandelt diese
Kräfte als Teile der Seele: Obwohl die Seele als solche nicht in Teile geteilt ist, hin-
dert uns nichts daran, ihr Hervorbringen von Aktivitäten als in Teile geteilt aufzu-
fassen. Wie Moraux 1973 [*23: 481ff.] betont, steht diese Darstellung wahrschein-
lich in einem polemischen Kontext gegen eine platonische Ansicht. Letzterer
zufolge wird die eigentlich unteilbare Seele bei der Verkörperung teilbar als Folge
der Teilbarkeit des Körpers (Stob. Ecl. 1,49,25a, I,353,1–11 Wachsmuth).
Der Titel ‹Widerlegung derjenigen, die behaupten, der Intellekt sei identisch
mit dem Intelligiblen› deutet darauf hin, dass Nikolaos an der Problematik von
Aristoteles’ ‹De anima› 3,5 und an Diskussionen rund um die Theorie des Intel-
lekts interessiert war. Averroes zählt Nikolaos zusammen mit Theophrast und
Themistios zu jenen, die eine richtige Ansicht der Natur des materiellen Intellekts
haben, im Gegensatz zur Ansicht des Alexander von Aphrodisias.

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§ 30. Nikolaos von Damaskus (Bibl. 437) 313

4. NACHWIRKUNG

Nikolaos’ Werke waren späteren griechischen Philosophen, die Kommentare


zu Aristoteles verfassten, bekannt. Er wird von Porphyrios und Simplikios zitiert.
Seine Ansicht von der Seele als Ganzem, das aus Kräften besteht, nimmt Boethius
in ‹De divisione› 888A auf.
Nikolaos’ Kompendium wurde ins Syrische übersetzt (der Text von Cambridge
stammt aus einer Epitome dieser Übersetzung). Diese Übersetzung hatte eine dau-
erhafte Wirkung auf die syrische Tradition bis weit ins 14. Jahrhundert. Barhebrae-
us’ ‹Buch des Leuchters des Allerheiligsten› beinhaltet eine Anzahl von Zitaten
aus Nikolaos und einige Textparallelen zum Fragment der ‹Meteorologie› im Ma-
nuskript in Cambridge (vgl. Drossaart Lulofs 1957 [*314] und Takahashi 2002
[*327: 219–228]). Ebenso gibt es in seinem Werk ‹Sahne der Weisheit› einige Pas-
sagen, die mit verschiedenen Teilen des Cambridge Corpus übereinstimmen (im
Zusammenhang mit Meteorologie, Physik, Metaphysik, vgl. Zonta 2001 [*326]).
Die arabische Tradition scheint früh Zugang zum ‹Kompendium› gehabt zu
haben (Ḥunains Übersetzung von ‹De plantis› ist ins 10. Jahrhundert zu datieren).
Der ‹Fihrist› erwähnt 19 Bücher ‹Über Lebewesen›, die Nikolaos zugeschrieben
werden. Takahashi 2004 [*328: 38f.] vertritt die Ansicht, dass die arabische Version
von Olympiodoros’ Kommentar zur ‹Meteorologie› des Aristoteles eigentlich in wei-
ten Teilen eine Übersetzung der syrischen Übertragung des ‹Kompendiums› ist, in
die neben dem Haupttext des Nikolaos auch Material aus Olympiodoros’
‹Meteorologie›-Kommentar eingeflossen war. Averroes hatte Zugang zu Nikolaos’
Zusammenfassung von ‹Metaphysik› 7, die er benutzte, um Lücken in seinem eige-
nen, fehlerhaften Exemplar von Aristoteles’ Buch zu füllen. Averroes zitiert Niko-
laos auch in seinem großen Kommentar zu ‹De anima›. An einer Stelle verweist er
auf Nikolaos’ Zusammenfassung von Aristoteles’ ‹De motu animalium› und betont,
dass er keinen Zugang zum Text des aristotelischen Werks habe (Taylor 2009 [*333:
423 und Anm. 341]). An anderer Stelle zählt er Nikolaos zusammen mit Theophrast
und Themistios unter die Denker, die eine von Alexander von Aphrodisias ab­
weichende, aber seiner eigenen näherkommende Interpretation der aristotelischen
Theorie des materiellen Intellekts geben (Taylor 2009 [*333: 345 und Anm. 160]).
Das Schicksal von ‹Über die Pflanzen›, das ursprünglich ein Teil des ‹Kompen-
diums› war, ist das bestdokumentierte Beispiel für den Einfluss von Nikolaos’
Werk in der Spätantike und im Mittelalter. ‹Über die Pflanzen› wurde von Ḥunain
ibn Isḥāq ins Arabische übersetzt. Diese Übersetzung wurde in das arabische
‹Compendium Alexandrinorum› aufgenommen. Weiter gibt es zwei verschiedene
hebräische Übersetzungen: eine von Šem Ṭov lbn Falaquera (ca. 1295) auf der
Grundlage des arabischen Texts im ‹Compendium Alexandrinorum›, eine andere
von Kalonymos ben Kalonymos (ca. 1312), ausgehend von Ḥunains Version. Um
1200 erstellte Alfred von Sareshel eine lateinische Übersetzung von Ḥunains ara-
bischer Version. Diese Übersetzung war im Mittelalter weit verbreitet (wir ken-
nen zurzeit ca. 160 Kopien) und um 1300 wurde ausgehend von dieser Überset-
zung eine Rückübersetzung ins Griechische gemacht.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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314 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

§ 31. Beginn der kaiserzeitlichen Kommentierungstradition

Inna Kupreeva

1. Sotion. – 2. Anonymus, zur ‹Topik›. – 3. Apollonios von Alexandrien. – 4. Achaikos.

1. Sotion

Es besteht keine volle Klarheit über die Identität des Sotion, der von Alexan-
der von Aphrodisias und Simplikios unter den Kommentatoren des aristotelischen
‹Organon› erwähnt wird. Er ist indes nicht identisch mit dem Sotion des 2. Jahr-
hunderts v. Chr., der eine ‹Abfolge der Philosophen› (Διαδοχαὶ τῶν φιλοσόφων)
verfasst hat, die von Diogenes Laertios zitiert wird.
Wenn er mit demjenigen Sotion identisch ist, den Plutarch als jüngeren Bruder
des peripatetischen Philosophen Apollonios erwähnt (Plut. De frat. am. 16, 487d;
vgl. auch unten 3.), hat er im späten 1. Jahrhundert v. Chr. gelebt. Er war nicht vor,
sondern sehr wahrscheinlich nach Andronikos und Boethos tätig.
Sotions Arbeitsweise ist ein interessantes Beispiel für die Auslegungspraxis der
Aristoteles-Kommentatoren nach dem 1. Jahrhundert v. Chr. Simplikios berich-
tet, Sotion habe zusammen mit Achaikos die «älteren» Kommentatoren der
­‹Kategorien› – Boethos, Ariston, Andronikos (die Peripatetiker), Eudoros und
Athenodoros – kritisiert, weil diese den Ausdruck ‘πρός τι’ manchmal im Plural
und manchmal im Singular verwendet hätten (In Cat. 159,23ff. Kalbfleisch). Diese
Nachricht gibt einen Terminus post quem und möglicherweise einen Hinweis auf
die Lebenszeit von Sotion und Achaikos, da sie einerseits sicher später lebten als
die Kommentatoren, die von ihnen kritisiert werden, und da andererseits der zeit-
liche Abstand beträchtlich gewesen sein dürfte, wenn Simplikios (oder wahr-
scheinlicher seine Quelle: Porphyrios) Sotion und Achaikos nicht zur Gruppe der
«älteren» Kommentatoren zählt. Der Inhalt von Sotions und Achaikos’ Kritik ist
folgender: Eine Relation bedingt immer mehrere Relativbegriffe, wie beispiels-
weise in den Fällen ‘Vater/Sohn’, ‘halb/doppelt’. Im Gegensatz zu den Kategorien
der Substanz oder der Quantität, wo man von den Beispielen im Singular und im
Plural sprechen kann, sind die Objekte, die zur Kategorie Relation gehören, des-
halb immer im Plural. Von einem Relativbegriff als ‘τὸ πρός τι’ zu sprechen, ist ge-
nauso unmöglich wie von «einer gegenseitigen Sache» (τὸ πρὸς ἄλληλα). Sotion
und Achaikos behaupten, dass Aristoteles von Relativbegriffen immer im Plural
spreche, und zitieren ‹Kategorien› 7 (6b2. 12. 15. 16. 17). Wie Moraux 1984 [*220:
213 Anm. 11] betont, muss ihnen ein anderer Text vorgelegen haben als uns. Bei
der scheinbaren Ausnahme οὐ μὴν τοῦτό γε ἐστιν αὐτοῖς τὸ πρός τι εἶναι («für
diese ist das Relativ-Sein nicht gerade dieses»: Cat. 7, 8a34) erklären sie, dass τό

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eher mit εἶναι zusammengehöre als mit πρός τι und somit keine Inkonsistenz vor-
liege, da sich τό nicht auf einen Relativbegriff beziehe, sondern auf das Relativ-
sein (Porphyrios übrigens stimmt Sotion und Achaikos zu). Diese philologische
Pedanterie – so Moraux – erklärt sich aus der Überzeugung, dass Aristoteles,
wenn er über Relativbegriffe spricht, sich eher auf die Objekte bezieht als auf die
relationalen Charakteristiken dieser Objekte. Bei seiner Diskussion des seman­
tischen Feldes der Kategorie ‘Relation’ geht es ihm deshalb um Paare von wirk­
lichen Relata (und in diesem Sinne gibt es kein einzelnes Relatum).
Die gleiche Verpflichtung zur logischen Genauigkeit bezeugt die nächste über-
lieferte Nachricht des Sotion. Diese stammt aus seinem Kommentar zur ‹Topik›.
Alexander von Aphrodisias berichtet, dass Sotion Aristoteles kritisiert habe, weil
dieser seinem eigenen Prinzip nicht gefolgt sei, wonach in einer Definition interne
Wiederholungen vermieden werden sollten, da diese die Stärke einer Definition be-
einträchtigen. So kritisiert Aristoteles die Definition von Kühlung als «Privation der
naturgemäßen (κατὰ φύσιν) Wärme». ‘Naturgemäß’ ist überflüssig, da jede Priva-
tion (wahrscheinlich als eines der drei Prinzipien der Veränderung) etwas Natür­
liches betrifft (Arist. Top. 6,3, 141a9–14). Aristoteles hält sich laut Sotion aber selbst
nicht immer an seine Vorschrift. So definiert er in ‹De somno› Schlaf als «eine ge-
wisse Privation der Wachheit gemäß der Natur» (De somn. 1, 453b26). In den vor-
handenen Handschriften von ‹De somno› und in den meisten Handschriften mit
Alexanders Kommentar zur ‹Topik› fehlen die Worte «gemäß der Natur», die nur
in der Handschrift N und der Aldina-Ausgabe überliefert sind (Moraux 1984 [*220:
214 Anm. 20]); es ist aber offensichtlich, dass sowohl Sotion als auch Alexander von
Aphrodisias sich auf einen Text stützen, in dem diese Worte vorkamen. Um Aristo-
teles gegen Sotions Vorwurf zu verteidigen, fasst Alexander von Aphrodisias den
Ausdruck «gemäß der Natur» (κατὰ φύσιν) in den beiden Beispielen unterschied-
lich auf: Jede Privation geschieht von etwas, das naturgemäß ist, aber nicht jede Pri-
vation selbst geschieht auf naturgemäße Weise. So verletzt Aristoteles in ‹De somno›
sein in der ‹Topik› aufgestelltes Prinzip nicht: Schlaf ist eine Privation, die auf na-
turgemäße Weise geschieht (Alex. Aphr. In Top. 434,3–6 Wallies). Moraux 1984
[*220: 214] bemerkt wiederum die philologische Ausrichtung von Sotions Unter­
suchung und beobachtet, dass dieser bei seiner Textauslegung volle Konsistenz in-
nerhalb des ganzen aristotelischen Corpus erwartet und nicht zögert, Aristoteles zu
kritisieren, wenn sich diese Erwartung beim Textstudium nicht bewahrheitet. So
findet Sotion in unserem Fall beim Kommentieren der ‹Topik› – so ist es anzuneh-
men – ein Gegenbeispiel zu einem Prinzip, das in einem anderen Text, der aus einem
völlig verschiedenen Teil des aristotelischen Corpus stammt, besprochen ist. Schließ-
lich dürfte es von einiger Bedeutung sein, dass Alexander Sotions Einwand ernst
nimmt und mit einer technischen Lösung auf das Problem eingeht.

2. Anonymus, zur ‹Topik›

Ein kurzes Fragment eines anonymen Kommentars zur ‹Topik› ist in einem
­Fayūm-Papyrus aus Harīt überliefert (British Museum, Inv. No. 815), der auf das

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Ende des 1. oder auf die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden
kann (Moraux 1984 [*220: 215]). Das Fragment beinhaltet einen fortlaufenden
Kommentar zu ‹Topik› 2, 109a34f. (1. Kolumne), 109b4–9 (2. Kolumne) und
109b9–15 (3. Kolumne; vgl. Moraux 1984 [*220: 215 Anm. 22]). Der Kommenta-
tor zitiert in einem kurzen Lemma den Text des Aristoteles und gibt einen etwa
gleich langen Kommentar mit einer ganz knappen Erklärung des Texts. Moraux
1984 [*220: 216] stellt diesem Kommentar fortgeschrittenere Kommentare gegen-
über, die in derselben Zeit entstanden wie der Kommentar des Sotion und der
sogar noch frühere Kommentar zu den ‹Kategorien› von Boethos.


3. Apollonios von Alexandrien

Apollonios von Alexandrien könnte Apollonios der Peripatetiker sein, von dem
Plutarch in seinem nach 96 n. Chr. geschriebenen Werk als von einem der «jünge-
ren Philosophen» spricht (De frat. am. 16, 487d). Sein Kommentar zu den ‹Katego-
rien› wird nur einmal von Simplikios zitiert, und zwar bei der Diskussion von Aris-
toteles’ Argument in ‹Kategorien› 7 (6b28–7a30), wonach alle Relationen umkehr-
bar sind: Der Sklave ist Sklave eines Herrn, und der Herr ist Herr eines Sklaven.
Problematische Fälle wie ‘der Flügel ist Flügel eines Vogels’, wo es sonderbar wäre
zu sagen, dass der Vogel in umkehrbarer Weise ein Korrelat wäre, können gerettet
werden, indem man einen passenden Ausdruck einsetzt, der die Natur der Relation
widerspiegelt: Man sollte nicht vom Flügel eines Vogels, sondern eines «mit Flügeln
Versehenen» (πτερωτόν) sprechen, da es Flügel gibt, die nicht zu Vögeln gehören,
und entsprechend statt vom Kopf eines Tieres von «einem mit Kopf Versehenen»
(κεφαλωτόν), da es viele Tiere gibt, die keinen Kopf haben (Cat. 7, 7a15–18). Apol-
lonios macht dazu eine kritische Bemerkung, indem er darauf hinweist, dass die
zwei Beispiele nicht strikt parallel sind: Wenn sie parallel sein sollten, hätte Aristo-
teles nicht von vielen Tieren, die keinen Kopf haben, sprechen sollen, sondern von
vielen Köpfen, die nicht zu Tieren gehören (Simpl. In Cat. 188,16–21 Kalbfleisch).
Diese Bemerkung lässt erkennen, dass Apollonios’ Kommentar wohl recht detail-
liert war und viel Analyse von logischen Einzelheiten enthielt.

4. Achaikos

Wenig ist bekannt über die Persönlichkeit von Achaikos, der ein Zeitgenosse
des Sotion gewesen sein dürfte, d. h. tätig im 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr., nach
Andronikos, Boethos und Eudoros. Er schrieb einen von Simplikios erwähnten
Kommentar zu den ‹Kategorien› (Simpl. In Cat. 159,24; 202,5; 203,3; 208,6; 263,28;
269,19 Kalbfleisch). Diogenes Laertios und Clemens von Alexandrien beziehen
sich auf sein Werk ‹Ethik› (Ἠθικά: D. L. 6,99; Clem. Alex. Strom. 4,56,2).
Wie Sotion argumentierte auch Achaikos dafür, dass der Ausdruck ‘πρός τι’ nur
im Plural gebraucht werden sollte (Simpl. In Cat. 159,23–160,11 Kalbfleisch).
Achaikos verteidigte auch Aristoteles’ zweite Definition für πρός τι (Cat. 7, 8a31)

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§ 31. Beginn der kaiserzeitlichen Kommentierungstradition (Bibl. 437) 317

gegen die Kritik von Andronikos und Ariston, die behaupteten, sie sei zirkulär,
weil die Definition einen Verweis auf das zu Definierende einschließe. Achaikos
schlug vor, dass das zweite πρός τι, das in der Definition vorkommt, als äquivalent
mit πρὸς ὁτιοῦν verstanden werden sollte, so dass die Definition «relativ sind
Dinge, deren Sein in einem bestimmten Verhältnis zu etwas anderem besteht» lau-
ten würde, ohne Zirkularität (Simpl. In Cat. 202,5–8; 203,2–4 Kalbfleisch). Mo-
raux 1984 [*220: 218 Anm. 32] weist darauf hin, dass dieselbe Formulierung auch
bei Porphyrios (In Cat. 125,19–22 Busse) vorkommt, ohne dass Achaikos genannt
wird. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Tradition der frühen Kommen-
tatoren überall in den späteren Kommentaren vorhanden ist.
Bei Simplikios findet sich auch eine Nachricht von Achaikos’ Ansicht zur Klas-
sifikation von Qualitäten, die bei den Kommentatoren oft behandelt wird. In ‹Ka-
tegorien› 8 unterscheidet Aristoteles vier Arten von Qualität: 1) Zustände und Dis-
positionen (8b27–9a13); 2) natürliche Fähigkeit oder Unfähigkeit (9a14–28); 3)
passivische Qualitäten oder Affekte (9a29–10a10); und 4) Gestalt und äußere Form
einer Sache (10a11–26). Der Bereich dieser letzten Klasse ist etwas problematisch,
da Aristoteles in seiner Darstellung die Eigenschaften ‘locker’, ‘dicht’, ‘rauh’ und
‘glatt’ ausschließt, die, wie er sagt, «der Klassifikation der Qualitäten fremd zu sein
scheinen», da es bei ihnen auf die Art und Weise ankommt, wie ihre jeweiligen Be-
standteile zueinander positioniert sind (10a17–20). Unmittelbar folgend spricht er
von der Möglichkeit einer fünften Art von Qualität (10a25–26). Einige Kommen-
tatoren (Eudoros, Andronikos) versuchten, die Eigenschaften «Feinheit»
(λεπτότης) und «Dichte» (παχύτης) als jene fünfte Klasse zu konstruieren oder sie
auf die dritte Klasse der passiven Qualitäten zurückzuführen. Achaikos steht die-
sen Versuchen kritisch gegenüber und versteht diese Eigenschaften als genuin zu-
gehörig zur vierten Klasse, wobei seine Argumentation nicht überliefert ist (Simpl.
In Cat. 263,28f.; 269,19–23 Kalbfleisch). Laut Simplikios will er in die fünfte von
Aristoteles erwähnte Klasse einige Eigenschaften einordnen, die in Gen. et corr.
als elementare Qualitäten diskutiert werden, insbesondere ‘leicht’ und ‘schwer’
(vgl. Arist. Gen. et corr. 2,2; Achaikos apud Simpl. In Cat. 263,29–32 Kalbfleisch).

Obwohl nur wenig Material zur Verfügung steht, lässt sich doch sagen, dass die
frühen Kommentatoren der nach-andronikischen Generation die Kunst des Kom-
mentierens zu sehr großer Feinheit entwickelten und bei ihren Auslegungen der
umfassenden Konsistenz der aristotelischen Lehren, die in verschiedenen Teilen
seines Corpus oder an verschiedenen Stellen desselben Werks dargelegt wurden,
große Priorität einräumten, ebenso, dass im Falle einer Zeile-für-Zeile-Kommen-
tierung auf die logische Konsistenz zwischen einzelnen Ausdrücken Wert gelegt
wurde. Viele dieser Charakteristiken werden später in entwickelter Form in den
Kommentaren des 2. Jahrhunderts vorhanden sein.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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318 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

§ 32. Alexander von Aigai

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Traditionell wurde die Lebenszeit für Alexander von Aigai – Hauptschaffens-


zeit nach 49 n. Chr. – aus dem entsprechenden Eintrag in der ‹Suda› (I,104,17–26
Adler) abgeleitet: «Ein peripatetischer Philosoph, zusammen mit dem Philoso-
phen Chairemon Lehrer von Kaiser Nero. Er hatte einen Sohn namens Caelius.
Nero nannte er ‘mit Blut vermischten Kot’ (πηλὸν αἵματι πεφυρμένον). Die Leh-
rer von schlechten Schülern sind, wie ich glaube, selber noch schlechter, denn Tu-
gend ist lehrbar und Schlechtigkeit kann man sich antrainieren» (vgl. Moraux 1984
[*220: 222], Sharples 2010 [*43: 1S]). Sueton allerdings schreibt das Urteil über
Nero dessen Rhetoriklehrer Theodoros von Gadara zu (Suet. Tib. 57; für diese
Zuschreibung auch Rashed 2003 [*354]). Rescigno 2004 [*574: 58f.] schlägt vor,
die auf der ‹Suda› basierende Chronologie zu überdenken, und stellt die Hypo-
these auf, dass Aspasios der Schüler von Alexander von Aigai gewesen sein
könnte, da auf diese Weise natürlicher erklärt werden kann, wie die Informatio-
nen über Alexander von Aigai die Quellen des 2. Jahrhunderts erreichten.

2. WERKE

Kommentar zu Aristoteles’ ‹Kategorien› stimmt dafür und Syrianos bringt Klarheit und
meine Lehrer [sc. Ammonios und Damaskios]
Der Kommentar wird von Simplikios zweimal übernehmen es.» Allerdings gibt es keinen Hin-
erwähnt, beide Male zusammen mit Alexander weis auf den Kommentar des Alexander von Aigai
von Aphrodisias, der möglicherweise seine Quelle in Simplikios’ Übersicht über frühere Kommen-
für diese Hinweise ist (Simpl. In Cat. 10,19f.; tare im Proömium, so dass er davon nur aus zwei-
13,11–18 Kalbfleisch). Dass Simplikios an der ter Hand zu wissen scheint.
zweiten Stelle, an der er sich auf Alexander von
Aigai bezieht, diesen in eine Reihe stellt mit den
Autoren der detaillierteren und einflussreicheren Kommentar zu Aristoteles’ ‹De caelo›
Kommentare, könnte darauf hindeuten, dass der
Kommentar dieses Alexanders ebenso detailliert Der einzige Hinweis auf einen ‹De caelo›-
und ausführlich war: «Dies ist die Meinung der Kommentar des Alexander von Aigai kommt von
beiden Alexander, des Herminos, Boethos und Simplikios, der selbst aus einem verlorenen Kom-
des Porphyrios, und auch der göttliche Iamblichos mentar des Alexander von Aphrodisias schöpft

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§ 32. Alexander von Aigai (Bibl. 438) 319
(Simpl. In Cael. 430,29–32 Heiberg). Da der Hin- Kommentar zu Aristoteles’
weis aber mit einem sehr spezifischen Auslegungs- ‹Meteoro­logie› (?)
problem zu ‹De caelo› 2,6, 288b22–27 in Zu­
sammenhang steht, darf man annehmen, dass Ideler 1834 [*345: I XVI–XVIII und passim] be-
­Alexander von Aigai ‹De caelo› in irgendeiner merkte als Erster, dass die Zitate aus Alexander im
Form kommentiert hat. Rescigno 2004 [*574: 58] ‹Meteorologie›-Kommentar des Olympiodoros
hat vorgeschlagen, dass Herminos die Quelle des nicht mit den entsprechenden Passagen in dem
Alexander von Aphrodisias für Alexander von Alexander von Aphrodisias zugeschriebenen
Aigai gewesen sein könnte. Herminos könnte Kommentar, der erhalten ist, übereinstimmen. Er
diese Informationen wiederum von Aspasios er- vertrat deshalb die Meinung, dass der Autor des er-
halten haben, der zusammen mit Alexander von haltenen Kommentars nicht Alexander von Aph-
Aigai studiert haben könnte. rodisias, sondern Alexander von Aigai sei. Diese
Ansicht fand aber kaum Zustimmung (vgl. Stüve
1900 [*346: VIII–IX], Capelle 1911 [*353], Shar­
ples 1987 [*812: 1184] sowie unten § 35. und § 39.).

3. LEHRE

1. Logik. – 2. Kosmologie.

1. Logik

Simplikios erwähnt Alexander zweimal und teilt mit, dass dessen Ansicht mit
derjenigen von Alexander von Aphrodisias übereinstimme, sowohl was das Ziel
der ‹Kategorien› betrifft (Simpl. In Cat. 10,19f. Kalbfleisch), als auch beim Thema
der Logik im Allgemeinen (Simpl. In. Cat. 13,11–18 Kalbfleisch). Im Hinblick auf
das Ziel der Abhandlung ist Alexander der Ansicht, dass Aristoteles, um anzuge-
ben, was für Arten von «Gedankeninhalten» (νοήματα) mit den ersten und grund-
legendsten Elementen des Sprechens gemeint sind, das Seiende in zehn höchste
Gattungen unterteilt hat, die er ‘Kategorien’ nennt. Diese höchsten Gattungen
werden von anderen Dingen ausgesagt, ohne selbst Substrat von etwas zu sein. Die
Abhandlung hat also mit einfachen, allgemeinen Bestandteilen der Rede zu tun,
die einfache Dinge und entsprechende Gedankeninhalte bezeichnen (Simpl. In
Cat. 10,8–19 Kalbfleisch). Moraux 1984 [*220: 223] bemerkt richtig, dass Alexan-
der eine fortgeschrittenere Ansicht vom Ziel der Schrift hat, im Vergleich zu ein-
facheren Theorien, die als Objekt der Kategorien entweder die einfachen Wörter
oder die einfachen Arten des Seienden oder einfache Begriffe angaben. In seiner
eigenen Lösung des Problems suchte Alexander nach einer Formulierung, die eine
angemessene Darstellung aller dieser drei Aspekte ermöglichte. Dem ist hinzu-
zufügen, dass diese Art von Lösung die Kenntnis von zumindest einigen dieser
früheren Theorien voraussetzt.

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2. Kosmologie

Bei Simplikios ist eine Nachricht über Alexanders Diskussion des aristotelischen
Arguments für die Regelmäßigkeit und konstante Geschwindigkeit der Himmels-
bewegung überliefert (Arist. Cael. 2,6, 288b22–27). Alexander von Aigai verstand
Aristoteles’ Argument so, dass dieser behauptet, es sei unmöglich, eine unregel-
mäßige Bewegung einzuführen, da eine Verlangsamung der Himmelsbewegung
infolge eines gewissen Kraftverlusts des ersten Bewegers unendlich wäre. Aristo-
teles hatte keine Erklärung dafür gegeben, weshalb die Verlangsamung unendlich
sein müsste, aber Alexander bot eine solche. Simplikios berichtet: «Die vorher ge-
nannte Erklärung aber, wonach die Verlangsamung notwendigerweise unendlich
sein müsse, weil es nichts gebe, das die Kraft des ersten Bewegers wiederherstellen
und den Kraftverlust ausgleichen könnte, schreibt er [sc. Alexander von Aphrodi-
sias] Alexander von Aigai zu» (Simpl. In Cael. 430,27–32 Heiberg = fr. 154 Resci-
gno [teilweise]). Aristoteles sagt nichts über Beschleunigung, aber das könnte sich
dadurch erklären, dass die Beschleunigung, als eine Art von «Kraft» (δύναμις) und
weniger von «Kraftverlust» (ἀδυναμία), der Verlangsamung überlegen sein muss;
wenn nun letztere aufgrund des obigen Arguments unendlich sein muss, müsste
die Beschleunigung wegen des Prinzips des Überlegenseins ‘a fortiori’ ebenfalls
unendlich sein (Simpl. In Cael. 430,12–21 Heiberg). Wie Rescigno 2004 [*574: 58–
61] zeigt, wurde diese Erklärung von späteren Kommentatoren des Texts, Aspasios
und Herminos, in ihren an diese Interpretation des aristotelischen Arguments an-
schließenden Ausführungen übernommen. Es zeigt sich, dass sich Alexander von
Aigai tiefgehend mit dem aristotelischen Text beschäftigt hat, und auch, dass be-
reits Alexander von Aphrodisias sein Werk durch vermittelnde Quellen gekannt
hat. Rescigno vermutet, dass der Kommentar in mündlicher Form in Seminaren
vorgetragen worden war, an denen Aspasios anwesend gewesen sein könnte.

4. NACHWIRKUNG

Der Kommentar des Alexander von Aigai zu den ‹Kategorien› des Aristoteles
lag Alexander von Aphrodisias sicher vor. Es ist aufgrund des Verweises auf
«beide Alexander» (οἱ Ἀλέξανδροι) bei Simplikios nicht unmöglich, dass er auch
Simplikios noch zur Verfügung stand (Simpl. In Cael. 13,16 Heiberg).
Alexanders Erklärung des Abschnitts aus ‹De caelo› 2,6 (288b22–27) scheint
von den zwei nachfolgenden Kommentatoren Aspasios und Herminos übernom-
men worden zu sein (Simpl. In Cael. 430,33–36 Heiberg; vgl. Alexander apud
Simpl. In Cael. 430,15–18. 29f. Heiberg). Da Alexander von Aigai von Simplikios
nur einmal, und zwar aus dem Kommentar von Alexander von Aphrodisias, zi-
tiert wird, ist es schwierig, dafür zu argumentieren, dass ihm der ‹De caelo›-
Kommentar noch vorlag. Rescigno 2004 [*574: 59–61] vertritt die Meinung, dass
sowohl Alexander von Aphrodisias als auch Herminos ihr Wissen über den ‹De
caelo›-Kommentar des Aigaiers Aspasios verdanken. Im Fall der ‹Kategorien› ist
diese Argumentation schwieriger zu verteidigen, da es bei Simplikios keine Nach-

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§ 33. Aspasios (Bibl. 438) 321

richten über Aspasios’ Kommentar gibt und Alexander von Aigai beide Male in
engem Zusammenhang mit Alexander von Aphrodisias genannt wird. Es ist des-
halb besser, in beiden Fällen – für ‹De caelo› und die ‹Kategorien› – Alexander von
Aphrodisias als Quelle für Simplikios’ Information über Alexander von Aigai an-
zunehmen, auch wenn eine Vermittlerrolle des Herminos nicht ausgeschlossen ist.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 33. Aspasios

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Aspasios’ Hauptschaffensperiode kann aufgrund einer Nachricht von Galen


auf die Zeit kurz vor oder um 143/44 n. Chr. festgelegt werden: «Um diese Zeit
(ca. 143/44) kehrte ein anderer unserer Mitbürger von einem langen Aufenthalt in
der Fremde zurück, ein Schüler des Peripatetikers Aspasios, und nach ihm ein an-
derer aus Athen, ein Epikureer. Meinetwegen prüfte mein Vater die Lebensweise
und Lehren all dieser, indem er mit mir zu ihnen ging» (Aff. dig. V,41,17–42,4 K
= 5,4, I,1,19–28 CMG). Aspasios ist nach dem Platoniker Eudoros von Alexand-
rien (1. Hälfte des 1. Jh.s), da er eine Änderung erwähnt, die Eudoros am Text der
‹Metaphysik› vorgenommen hat (apud Alex. Aphr. In Metaph. 59,6–8 Hayduck),
und ebenfalls nach Alexander von Aigai anzusetzen, da er offensichtlich dessen
Interpretation von ‹De caelo› 2,6 übernommen hat. Alexander von Aphrodisias
wiederum berichtet, dass er eine von Herminos in einem Seminar vorgetragene
Erklärung auch im ‹De caelo›-Kommentar des Aspasios gefunden habe (Alex.
Aphr. apud Simpl. In Cael. 430,32–431,11 Heiberg; für eine Diskussion der Chro-
nologie vgl. Barnes 1999 [*373]).

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322 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

2. WERKE

Kommentar zu Aristoteles’ ‹Kategorien› standteile Nomen und Verb (Boeth. In Int. 1,


II,10,4–14 Meiser). Aspasios benutzte in seinem
Der einzige Hinweis für die Existenz eines sol- Kommentar neben der grundlegenden Auslegung
chen Kommentars findet sich bei Galen, der den von Aristoteles’ Text auch die Methode von ‘Pro-
Kommentar, zusammen mit demjenigen des blem und Lösung’ (ἀπορία καὶ λύσις; vgl. Boeth.
A­d rastos, in ‹Über meine eigenen Werke› beiläu- In Int. 1, II,74,31–33 Meiser).
fig erwähnt. Galen stellt die Kommentare der bei-
den als Einführungswerke dar und kontrastiert sie
mit seinem eigenen Kommentar für Fortgeschrit- Kommentar zu Aristoteles’ ‹Physik›
tene (den er in seiner Jugend geschrieben hat und
der verloren ist; Scr. Min. 118,17–119,2 Mueller). Die meisten Informationen über Aspasios’ ver-
Bemerkenswerterweise erwähnt Simplikios in lorenen Kommentar zur ‹Physik› stammen von
­seinem ausführlichen Bericht über frühere Kom- Simplikios, der allerdings keinen direkten Zugang
mentare im Proömium seines eigenen ‹Katego- dazu gehabt zu haben scheint, sondern aus dem
rien›-Kommentars weder Aspasios noch Adrastos. Kommentar des Alexander von Aphrodisias zitiert,
Weiter gibt es keinen einzigen Hinweis auf Aspa- der ebenfalls verloren ist. Obwohl das meiste auf
sios in den späteren griechischen Kommentaren diesem Weg überlieferte Material mit Fragen der
zu den ‹Kategorien›. Moraux 1984 [*220: 228–230] Textkritik zu tun hat, bemerkt Moraux 1984 [*220:
erwägt zwei mögliche Erklärungen für diese Tat- 238] zu Recht, dass Alexander wahrscheinlich in
sache: 1) Aspasios’ Kommentar war mehr ein­ sehr viel größerem Umfang von Aspasios abhängig
führender Art, was Galen ja tatsächlich betont, ist, als er zugibt. Moraux betont auch, dass der von
und wenn Simplikios über «einige Kommentare» Aspasios benutzte Text der ‹Physik› wesentlich
spricht, «die das Thema behandeln, ohne groß in schlechter ist als der uns durch die byzantinische
die Tiefe zu gehen», seien mit den «anderen dieser Tradition überlieferte. Das vermittelt einen wert-
Art» Aspasios und Adrastos gemeint (ἄλλοι δὲ vollen Eindruck von der Art der Editionstätigkeit
πρὸς τούτοις καὶ ζητημάτων ἐφήψαντο μετρίως, ὡς in der frühen Kaiserzeit: Man kann von einem ge-
ὁ Ἀφροδισιεὺς Ἀλέξανδρος καὶ Ἑρμῖνος καὶ ὅσοι wissen Maß an Willkür bei editorischen Entschei-
τοιούτοι: Simpl. In Cat. 1,13f. Kalbfleisch); 2) dungen in der Zeit des Andronikos ausgehen. Eine
Galen irrt sich oder seine Aussage bezieht sich kleine Auswahl von Beispielen, die bei Moraux ab-
nicht speziell auf den ‹Kategorien›-Kommentar, gedruckt ist, zeigt einige aussagekräftige Fälle, in
sondern auf das allgemeine Niveau der Kommen- denen sich der Text, den Aspasios kommentiert,
tare von Aspasios, ohne dass es einen ‹Katego­ stark von unserem Standardtext unterscheidet
rien›-Kommentar gegeben hätte. Moraux bevor- (4,11, 217b7–9 Standardtext: ὁ δὲ χρόνος ἐστὶ τὸ
zugt erstere Erklärung. ἀριθμούμενον καὶ οὐχ ᾧ ἀριθμοῦμεν· ἔστι δ’ ἕτερον
ᾧ ἀριθμοῦμεν καὶ τὸ ἀριθμούμενον. Αspasios: ὁ δὲ
χρόνος ἐστίν οὐχ ὁ ἀριθμούμενος, ἀλλ’ ᾧ ἀριθ-
Kommentar zu Aristoteles’ ‹De inter­ μοῦμεν· ἔστι δὲ ἕτερον οὐχ ᾧ ἀριθμοῦμεν, ἀλλὰ τὸ
pretatione› ἀριθμούμενον; vgl. Moraux 1984 [*220: 239]).

Alle Zeugnisse zu Aspasios’ ‹De interpreta­


tione›-Kommentar finden sich in den zwei Fassun- Kommentar zu Aristoteles’ ‹De caelo›
gen von Boethius’ Kommentar zu diesem Werk.
Boethius’ Hauptquelle ist Porphyrios, von dem Es gibt nur zwei Verweise auf Aspasios’ Diskus-
man nicht weiß, ob ihm Aspasios’ Kommentar sion von ‹De caelo› bei Simplikios, vermittelt
noch vorlag oder nicht. So gut wie alle Nachrich- durch Alexander von Aphrodisias. Ob Aspasios
ten über Aspasios stehen in Verbindung mit sol- einen vollständigen Kommentar zu ‹De caelo› ver-
chen über Alexander von Aphrodisias (obwohl fasst hat oder ob es sich um eine kürzere Schrift
Porphyrios in der ‹Vita Plotini› 14 erwähnt, dass handelte, die einigen besonderen Problemen ge-
Aspasios’ Werke in Plotins Kreis studiert wurden). widmet war, ist unmöglich zu bestimmen. Einer
Aspasios glaubte, das Thema der Abhandlung sei der Verweise hat mit dem Verständnis von Aristo-
eher die «Aussage» (oratio, λόγος) als deren Be- teles’ Argument in ‹De caelo› 2,6, 288b22–27 zu

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§ 33. Aspasios (Bibl. 438) 323
tun, der andere zitiert als ein Beispiel für «be- nicht nur der Zahl nach, sondern in der Art, der
grenzte Prinzipien» (πεπερασμέναι ἀρχαί: Cael. Gattung oder einer Analogie» (διάφορα λέγεται ὅσ’
3,4, 302b29f. kommentierend) die «fünf Postu- ἕτερα ἐστι τὸ αὐτό τι ὄντα, μὴ μόνον ἀριθμῷ, ἀλλ’ ἢ
late» (τὰ πέντε αἰτήματα; gemeint sind die fünf εἴδει ἢ γένει ἢ ἀναλογίᾳ: 1018a12f.). Alexander ver-
Postulate des Euklid) als Prinzipien, die durch die steht die Definition so, dass sie den Aspekt des
Quantität oder Zahl definiert seien (apud Simpl. Gleichseins betonen soll, und schlägt deshalb vor,
In Cael. 607,5–7 Heiberg). Die Art dieser Ver- μὴ μόνον als μόνον μὴ aufzufassen: «[…] aber doch
weise deutet darauf hin, dass es sich um einen fort- in irgendeiner Weise gleich sind, nur nicht in der
laufenden Kommentar zum ganzen aristotelischen Zahl, wohl aber in der Art […]». Er berichtet, Aspa-
Werk gehandelt hat (gegen Moraux 1984 [*220: sios habe den Satz so verstanden, dass sich die nu-
240], der argumentiert, dass Alexander, wenn er merische Unterscheidung auf das Anderssein und
einen solchen Kommentar gekannt hätte, diesen der Rest des Satzes auf das Gleichsein beziehe, als
häufiger zitiert hätte). ob er ergänzt hätte: διάφορα λέγεται ὅσ’ ἕτερα ἐστι
τὸ αὐτό τι ὄντα, μὴ μόνον ἀριθμῷ [ἕτερα], ἀλλ’ ἢ
εἴδει ἢ γένει ἢ ἀναλογίᾳ [τὸ αὐτό]. Moraux 1984
Kommentar zu Aristoteles’ ‹De sensu› [*220: 248–249] lobt Alexanders Interpretation als
einen Fortschritt im Vergleich zu Aspasios, man
Der einzige Hinweis darauf, dass Aspasios ‹De sollte diesbezüglich indes vorsichtiger sein. Das
sensu› kommentiert hat, stammt aus dem Kom- richtige Verständnis des Satzes scheint dasjenige zu
mentar von Alexander von Aphrodisias, der von sein, beide Teile der Definition auf ἕτερα zu bezie-
einer Variante in der von Aspasios benutzten Text- hen, das durch die angefügte Partizipialkonstruk-
version berichtet: In 436b17, wo Alexander die tion eingeschränkt wird. Möglicherweise hat Aspa-
Lesart ὁ χυμός ἐστι τοῦ γευστικοῦ μορίου πάθος sios den Satz so verstanden, während Alexander
(«der Geschmack ist die Affektion des kostenden einen tendenziösen Bericht gibt, um die Betonung
Teils») hat, steht in Aspasios’ Text θρεπτικοῦ auf das Gleichsein legen zu können.
(«nährend») an Stelle von γευστικοῦ («kostend»). Der dritte Hinweis belegt Aspasios’ Interesse an
Alexander behauptet, er kenne eine dritte, zusam- der Geschichte des ‹Metaphysik›-Textes: Alexander
mengesetzte Lesart, die beide Wörter im Text berichtet von zwei Lesarten des Satzes in ‹Metaphy-
habe (Alex. Aphr. In Sens. 9,24–10,6 Wendland). sik› 1,6, 988a10–11 (Alex. Aphr. In Metaph. 58,31–
59,6 Hayduck), die auch Aspasios schon kannte und
deren Quelle dieser zu bestimmen versuchte, wobei
Kommentar zu Aristoteles’ ‹Metaphysik› er herausfand, dass die zweite Lesart die Korrektur
eines Platonikers namens Eudoros war (Alex. Aphr.
Alexander von Aphrodisias weist in seinem In Metaph. 59,6–8 Hayduck; über Aspasios’ Meta-
‹Metaphysik›-Kommentar dreimal auf Aspasios physiktext siehe Kotwick 2016 [*884]).
hin, wobei es sich sehr wahrscheinlich um Verweise
auf Aspasios’ ‹Metaphysik›-Kommentar handelt.
Der erste Hinweis betrifft Aspasios’ Diskussion Kommentar zu Aristoteles’ ‹Nikomachi-
von Aristoteles’ Bericht über die Pythagoreer in scher Ethik›
‹Metaphysik› 1,5, wo Aristoteles sagt, dass die Py-
thagoreer die Zahl als ein Prinzip im Sinne von Aspasios gilt als der erste bekannte Kommen-
«Materie» (ὕλη), von «Affektionen» (πάθη) und tator der ‹Nikomachischen Ethik› des Aristoteles
von «Zuständen» (ἕξεις) des Seienden auffassen. (zu Spekulationen über einen älteren Kommentar
Aspasios ergänzt, dass unbestimmte Zahlen der des Adrastos von Aphodisias Barnes 1999 [*373:
Materie, gerade Zahlen den Bestimmtheiten und 14–18]). Dies ist auch der einzige Kommentar des
ungerade Zahlen den Zuständen entsprechen Aspasios, von dem substanzielle Teile erhalten
(Alex. Aphr. In Metaph. 41,21–28 Hayduck). sind. Aspasios’ Schrift behandelt die Bücher 1–4,
Der zweite Verweis auf Aspasios findet sich bei die zweite Hälfte des 7. Buches sowie das 8. Buch
der Definition des Verschiedenen in ‹Metaphysik› 5: der ‹Nikomachischen Ethik› (über mögliche Kom-
«Verschieden werden die Dinge genannt, die andere mentare zu den anderen Büchern siehe Barnes
sind, aber doch in irgendeiner Weise gleich sind, 1999 [*373: 14–18]).

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324 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3. LEHRE

1. Sprachphilosophie. – 2. Physik und Kosmologie. – 3. Ethik.

1. Sprachphilosophie

Im Zusammenhang mit der Erklärung des konventionellen Charakters der


sprachlichen Bezeichnungen stellte Aspasios Aristoteles’ Behauptung aus ‹De in-
terpretatione› 1 (16a3–8) infrage, dass «zwar nicht alle Menschen dieselben Laute
haben, aber dieselben seelischen Erfahrungen (παθήματα τῆς ψυχῆς), für welche
die Laute Ausdrücke sind, ebenso wie die Dinge, deren Abbilder unsere Erfah-
rungen sind, gleich sind». Aspasios weist darauf hin, dass diese Behauptung of-
fensichtlich im Widerspruch steht zur Erfahrung, dass die Menschen sehr ver-
schiedene Ansichten des Guten, Gerechten, usw. haben. Als Lösung für diese
Schwierigkeit schlägt er vor, «dass Aristoteles nicht bei unkörperlichen [d.h. be-
grifflichen] Dingen von παθήματα τῆς ψυχῆς gesprochen habe, sondern nur bei
sinnlich Wahrnehmbarem» (arbitratur Aristotelem passiones animae non de rebus
incorporalibus, sed de his tantum quae sensibus capi possunt passiones animae
dixisse: Aspas. apud Boeth. In Int. 1, II,41,13–19 Meiser = Sharples 2010 [*43:
11F]). Moraux 1984 [*220: 232] zufolge meint Aspasios, dass Aristoteles mit den
παθήματα τῆς ψυχῆς «nicht völlig unkörperliche, begriffliche Wesenheiten, son-
dern eher die Eindrücke der Sinneswahrnehmung habe bezeichnen wollen». Ob
er damit Aspasios’ Lösung trifft, ist allerdings nicht klar, insbesondere weil eine
solche Ansicht überhaupt keine Lösung zu bieten scheint und nur erklärt, weshalb
jemand überhaupt Aristoteles’ Behauptung infrage stellen könnte. Es scheint sich
eher um einen Teil von Boethius’ Analyse (und daran anschließend seine Wider-
legung) der Position des Aspasios zu handeln (vgl. Sharples 2010 [*43: 74]).
Aspasios prüft auch Aristoteles’ Behauptung, dass «Verben für sich gesagt
Worte sind und etwas bedeuten, da derjenige, der sie ausspricht, den Verstand des
Hörers festmacht und der Hörer sich bei ihnen in Ruhe befindet» (Int. 3, 16b19–
21). Er sieht folgende Schwierigkeit: Weder ein Verb noch ein Nomen allein scheint
die Wissbegierde der Hörer befriedigen zu können, da beide vervollständigt wer-
den müssen, um eine sinnvolle Information zu geben. Aspasios löst die Schwierig-
keit so, dass Aristoteles das Wort ‘Bedeutung’ lediglich brauche, um zwischen be-
deutungsvollen Ausdrücken wie ‘Mensch’ und solchen, die an sich überhaupt keine
fest umschriebene Bedeutung haben, zu unterscheiden. Boethius gibt kein Beispiel
für diese zweite Klasse von Ausdrücken, vielleicht weil er sie in seiner Quelle nicht
fand. Bei diesem Fall handelt es sich um ein Beispiel für das Vorgehen nach «Pro-
blem und Lösung» (ἀπορία καὶ λύσις: apud Boeth. In Int. 1, II,74,9–31 Meiser).
Aspasios’ Verständnis von Logos am Anfang von ‹De interpretatione› 4, wo-
nach Logos sich hier nur auf einfache Aussagen, bestehend aus Subjekt und Prä-

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§ 33. Aspasios (Bibl. 438) 325

dikat, beziehe, wird von Boethius als unnötig restriktiv kritisiert (Boeth. In Int.
2, II,87,17–30 Meiser).
Weiter unterbreitet Aspasios einen Lösungsvorschlag für das Verhältnis zwi-
schen unbestimmter «Aussage» (ἀπόφανσις) und «bejahendem» oder «verneinen-
dem Urteil» (κατάφασις und ἀπόφασις) in ‹De interpretatione› 6, der später von
Alexander von Aphrodisias übernommen wurde. Dieser Lösung entsprechend
kann die unbestimmte Aussage nicht die Gattung sein, von der Bejahung oder
Negation die Arten wären, sondern ein äquivoker Ausdruck, dessen Bestimmung
(manchmal Zustimmung, manchmal Verneinung) durch den Kontext festgelegt
wird. Wenn Aristoteles also sagt: «Eine Bejahung ist eine positive Aussage von
etwas über etwas, eine Negation eine negative Aussage», meint er damit, dass jede
Aussage entweder eine Zustimmung oder eine Verneinung ist, während eine
­unqualifizierte Aussage ein unbestimmter Ausdruck ist. Möglicherweise gehen
einige Argumente, mit denen Alexander diese bei Boethius (In Int. 2, II,119,11–
122,3 Meiser) zitierte Erklärung untermauert, auf Aspasios zurück.
Aspasios erwähnt auch als erster der Kommentatoren die beiden Interpreta­
tionen von Aristoteles’ Behauptung in ‹De interpretatione› 7, dass universelle Ur-
teile, deren Subjekte keine Allgemeinbegriffe sind, nicht konträr zueinander sein
können (Int. 7, 17b7f.). Entsprechend der ersten Interpretation können unbestimmte
Urteile als universell (in diesem Fall würde ‘Der Mensch ist ein Lebewesen’ be-
deuten ‘Alle Menschen sind Lebewesen’) oder partikulär (in diesem Fall würde
sich ‘Der Mensch geht’ auf einen bestimmten Menschen beziehen) aufgefasst wer-
den. Gegensätzliche Urteile der ersten Art (‘Alle Menschen sind Lebewesen’ und
‘Kein Mensch ist ein Lebewesen’) sind konträr (d. h. können nicht beide zugleich
wahr sein, aber beide zugleich falsch). Gegensätzliche Urteile der zweiten Art
(‘Ein Mensch geht’ und ‘Ein Mensch geht nicht’) sind subkonträr (d. h. können
beide zugleich wahr sein, aber nicht beide zugleich falsch). Gemäß der zweiten In-
terpretation meint Aristoteles, dass einige unquantifizierte, verneinende Urteile
in ein bejahendes Urteil mit einem konträren Prädikat überführt werden können,
zum Beispiel ‘Mensch ist nicht weiß’ kann bedeuten ‘Mensch ist schwarz’, wäh-
rend man andere Urteile nicht in dieser Weise umwandeln kann, wie z. B. ‘Mensch
geht nicht’, da es keinen konträren Ausdruck zu ‘gehen’ gibt (Boeth. In Int. 2,
II,158,17–159,24 Meiser). Boethius teilt mit, dass Alexander von Aphrodisias die
erste Erklärung übernommen habe, während er selbst und Porphyrios die zweite
vorzogen.
Schließlich hat Aspasios auch eine Stelle aus ‹De interpretatione› 8 kommen-
tiert: «Wenn ein einziges Wort zwei Bedeutungen hat, die sich nicht zu einer kom-
binieren lassen, so handelt es sich nicht um eine einfache Bejahung. Wenn zum
Beispiel jemand sowohl ein Pferd als auch einen Menschen ‘Mantel’ nennen
würde, wäre die Aussage ‘Der Mantel ist weiß’ nicht eine einfache Bejahung, noch
wäre ihr Gegenteil eine einfache Verneinung. Denn das wäre dasselbe, wie wenn
man sagen würde ‘Ein Pferd und ein Mensch sind weiß’, was wiederum dasselbe
ist wie ‘Ein Pferd ist weiß’ und ‘Ein Mensch ist weiß’» (Int. 8, 18a18–23). Nach As-
pasios’ Interpretation hat eine Aussage mit einem zusammengesetzten Subjekt
entweder mehrere Bedeutungen (d. h. sie bedeutet sowohl ‘Ein Mensch ist weiß’

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326 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

als auch ‘Ein Pferd ist weiß’) oder überhaupt keine Bedeutung. Diese Ansicht, der
gemäß das Einheitskriterium die Einheit der Definition ist, wird von Alexander
von Aphrodisias und Porphyrios übernommen (Boeth. In Int. 2, II,183,21f. Mei-
ser), ebenso von Ammonios (In Int. 127,21–33 Busse), während Herminos eine
andere Lösung hat (In Int. 2, II,183,7–20 et infra Meiser).

2. Physik und Kosmologie

Über Aspasios’ Diskussion des aristotelischen Arguments für die Regelmäßig-


keit der Himmelsbewegung (Cael. 2,6) berichtet Alexander von Aphrodisias, sein
Lehrer Herminos habe Aspasios’ Interpretation dieser Passage übernommen
(apud Simpl. In Cael. 430,12–431,37 Heiberg = fr. 145a Rescigno). Aristoteles’ Ar-
gument besteht in der Widerlegung aller möglichen Fälle, in denen die erste
(äußerste) Himmelssphäre sich nicht regelmäßig bewegen würde, sondern 1) sich
unendlich lange verlangsamen und danach unendlich lange beschleunigen würde,
2) sich entweder unendlich lange verlangsamen oder unendlich lange beschleuni-
gen würde, 3) zwischen Beschleunigung und Verlangsamung schwanken würde
(Cael. 288b22–289a8). Herminos, Aspasios und Alexander von Aigai werden von
Alexander von Aphrodisias im Zusammenhang mit der Widerlegung der ersten
Möglichkeit genannt. Nach Alexander waren sich diese frühen Kommentatoren
der dreiteiligen Struktur des Arguments nicht bewusst und fassten den ersten Be-
weis, wonach bei einer unregelmäßigen Bewegung des Himmels entweder seine
Beschleunigung oder seine Verlangsamung unendlich lange dauern würde, als ein
separates Argument auf. Aspasios, dem Herminos folgt, resümiert das Argument
folgendermaßen: 1) Eine Verlangsamung der Himmelsbewegung bedeutet, dass
eine langsamere Bewegung der schnelleren folgt, und zwar 2), weil die langsamere
Bewegung unendlich lange andauern muss, da es keine Kraft gibt, welche die
Schwäche des ersten Bewegers, der in die Verlangsamung geraten ist, beheben
könnte, 3) setzt sich auch die schnellere Bewegung, die der langsameren immer
vorausgeht, unendlich lange fort und die unendliche Verlangsamung ist die Ver-
langsamung der schnelleren Bewegung, die auf ewig schneller ist. 4) Dabei ergibt
sich allerdings ein Widerspruch: Die schnellere Bewegung, die naturgemäß ist,
hätte die gleiche (nämlich unendliche) Dauer wie die langsamere Bewegung, die
der Natur entgegengesetzt ist. 5) Folglich kann es keine Verlangsamung geben
(Simpl. In Cael. 430,32–431,11 Heiberg). Diese Interpretation ist zwar viel detail-
lierter im Vergleich zu Alexander von Aigai, aber einige Kernpunkte – es gibt
keine Quelle, welche die Kraft des geschwächten ersten Bewegers wiederherstel-
len könnte, die Beschleunigung als eine Manifestation der Kraft ist natürlich und
der Verlangsamung überlegen, die eine Schwäche und deshalb der Natur des ers-
ten Bewegers entgegengesetzt ist – sind seiner Interpretation entnommen.

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§ 33. Aspasios (Bibl. 438) 327

3. Ethik

Aspasios sieht bei Aristoteles zwei Grundarten der Glückseligkeit, die sich in
ihrer Intensität unterscheiden. Während die erste, schwächere durch die «Praxis»
(πρακτὸν ἀγαθόν) zustande komme, sei die andere, stärkere aufgrund von «Kon-
templation» (θεωρία) erreichbar (Sharples 1999 [*377: 86]). Die Verbindung bei-
der würde schließlich in der vollkommenen Glückseligkeit münden (Moraux 1984
[*220: 273]). Dabei versteht er die aristotelische Güterlehre nicht so, dass äußere
Güter einen Teil der Glückseligkeit ausmachen, sondern als Instrumente für gute
Taten dienen (Sharples 1999 [*377: 86]; zur anti-stoischen Argumentationslinie
Becchi 1994 [*370: 5385]).
Ferner sieht Aspasios bei Aristoteles eine Differenz zwischen perfekten und
nicht-perfekten Tugenden darin, dass die perfekten Tugenden mit Beweisen der
Vernunft einhergehen, während die nicht-perfekten Tugenden auf der Basis von
Meinungen wirken (Ierodiakonou 1999 [*375: 147–148]). Die nicht-perfekten Tu-
genden wiederum ließen, so Aspasios, verschiedene Grade an Steigerungen zu
(Ierodiakonou 1999 [*375: 161]). Gleichzeitig bestreitet er aber, dass alle Menschen
dieselben Tugenden hätten. Da die Herrschaftsrelationen zwischen Mann und
Frau oder Vater und Sohn verschiedene Funktionen beinhalten, sei auch die Tu-
gend nicht bei allen Agenten dieselbe (Moraux 1984 [*220: 263])
Aspasios versteht die aristotelische Emotionslehre anhand des 7. Buches der
‹Nikomachischen Ethik›, ohne auf das 2. Buch der ‹Rhetorik› einzugehen (Sorabji
1999 [*378: 97], vgl. zur ἀκρασία auch Sedley 1999 [*376]). Deshalb gelten ihm
Lust und Unlust in einer breiten Verständnisweise als die beiden Gattungen aller
anderen Emotionen (zur anti-stoischen Argumentation seiner Emotionstheorie
Sorabji 1999 [*378: 100–102]), wobei sich Lust bei natürlicher Aktivität einstelle,
Unlust hingegen, wenn die natürliche Aktivität verhindert werde. Er versteht fer-
ner die drei von Aristoteles unterschiedenen Hauptfreundschaftsarten so, dass die
Tugendfreundschaft Freundschaft im eigentlichen Sinne ist, während die Vorteils-
freundschaft und diejenige der Lust als durch eine ‘strenge’ Homonymie, πρὸς ἔν,
abgeleitete Freundschaft bezeichnet werden (Berti 1999 [*374: 186–187]).
Seine Interpretation der aristotelischen Handlungstheorie beinhaltet eine Dif-
ferenzierung zweier Begriffe von «Freiwilligem» (ἑκούσιον), wobei sich der erste
auf irrationale Agenten bezieht und der zweite auf rationale (Alberti 1999 [*372:
113]). Ferner versteht er βούλησις im Unterschied zur aristotelischen Aussage als
die Folge einer Wahl (προαίρεσις; Alberti 1999 [*372: 125–126]). Zwar zählt man
Aspasios selbst zu den Peripatetikern, er scheint jedoch kein Gegner des Platonis-
mus gewesen zu sein. Platonische Elemente erhalten offenbar wegen der zeitge-
nössischen Diskussion Einzug in seinen Kommentar, wie beispielsweise die Nen-
nung der «Angleichung an Gott» (ὁμοίωσις θεῷ; Moraux 1984 [*220: 264–265]).

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328 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

4. NACHWIRKUNG

Aspasios’ Kommentare waren im 3. Jahrhundert in den Philosophenschulen


noch immer in Gebrauch. Wie Porphyrios mitteilt, stützte sich Plotin in seinen
Philosophieseminaren auf die Kommentare von Alexander, Aspasios und Adras-
tos (Vit. Plot. 14,10–14). Aus Boethius’ Kommentar zu ‹De interpretatione› wird
klar, dass der verlorene Kommentar von Aspasios zu diesem Werk sehr einfluss-
reich war, wobei manche seiner Positionen von Herminos übernommen und von
Alexander von Aphrodisias und späteren Denkern, zu denen Porphyrios und Boe­
thius selbst gehören, kritisch diskutiert wurden (vgl. Moraux 1984 [*220: 235]). Ob
spätere Kommentatoren wie Simplikios und Boethius direkten Zugang zu Aspa-
sios’ Werken hatten, ist nicht klar, da die meisten Zitate aus den Kommentaren
des Alexander von Aphrodisias zu stammen scheinen.
Der Kommentar zur ‹Ethik› behielt seine Bedeutung bis in byzantinische Zeit
und wurde von Johannes Bernardus Felicianus ins Lateinische übersetzt (vgl.
Lines 2006 [*363]).

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 34. Adrastos von Aphrodisias

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Adrastos’ Lebenszeit lässt sich nur ungefähr ermitteln, nämlich aufgrund von
Verweisen und Zitaten in späteren Quellen. Galen bezeichnet in der Mitte des
2. Jahrhunderts Adrastos’ Kommentare zu den logischen Werken des Aristoteles
als Standardeinführungen, was bedeutet, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits ei-
nige Zeit in Umlauf gewesen sein müssen (Libr. propr. 118,17–119,2 Mueller). Aus-
züge aus Adrastos’ Kommentar zum platonischen ‹Timaios› werden in einem
Werk des Platonikers Theon von Smyrna zitiert, der in der ersten Hälfte des
2. Jahrhunderts n. Chr. aktiv gewesen sein dürfte (zu Theons Datierung siehe Pe-
trucci 2012 [*394: 9–11]). Mehrere spätere Quellen bestätigen seine Herkunft aus
Aphrodisias (Achill. Isag. Exc. 43,9, 46,29–31 Maass; Simpl. In Cat. 16,1 Kalb-

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§ 34. Adrastos von Aphrodisias (Bibl. 439) 329

fleisch; Elias In Cat. 132,27 Busse). Wahrscheinlich handelt es sich um Aphrodi-


sias in Karien, Moraux 1984 [*220: 295 Anm. 9] vermutete, dass er mit Adrastos,
dem Sohn des Peritas, identisch sein könnte, der in einer Inschrift aus Aphrodi-
sias erwähnt wird, die auf das frühe 2. Jahrhundert datiert wird (103–116). Das
würde es erlauben, als spätest mögliches Todesdatum 115/16 n. Chr. anzunehmen,
was aber ohne weitere Beweise nicht mehr als eine Möglichkeit ist, wie auch Mo-
raux eingesteht.

2. WERKE

Εἰς τὸν Τίμαιον Περὶ τῆς τάξεως τῶν Ἀριστοτέλους


Kommentar zu Platons ‹Timaios› συνγραμμάτων / Περὶ τῆς τάξεως τῆς
Ἀριστοτέλους φιλοσοφίας
Der Titel dieses Werks wird in Porphyrios’ ‹Über die Ordnung der aristotelischen
Kommentar zu Ptolemaios’ ‹Harmonika› erwähnt Werke› / ‹Über die Ordnung der aristote­
(96,1–6 Düring; vgl. ibid. 7,24–8,5), und viele Aus- lischen Philosophie›
züge daraus sind in Theon von Smyrnas Werk ‹Ex-
positio rerum mathematicarum ad legendum Pla- Diese Abhandlung wird mehrere Male von Sim-
tonem utilium› überliefert. Auch Calcidius macht plikios zitiert (In Phys. 4,12 Diels; In Cat. 16,2;
in seinem Kommentar zum ‹Timaios› ausgiebig 18,16 Kalbfleisch). Ihr genaues Thema ist aufgrund
Gebrauch von adrasteischem Material, wenn auch der spärlichen Anhaltspunkte nicht leicht fest­
der Name Adrastos nie erwähnt wird. Calcidius zustellen. Möglicherweise ging es Adrastos um
benutzt eine von Theon unabhängige Quelle (vgl. ­historische und philologische Probleme bei der
Switalski 1902 [*390: 59–91], Petrucci 2012 [*393: ­Zusammensetzung des aristotelischen Corpus, wie
1–33] und 2012 [*394: 514–530]), und Moraux Moraux 1984 [*220: 314] vermutet, aber auch in die-
1984 [*220: 298 mit Anm. 17] schließt nicht aus, sem Fall könnten seine redaktionellen Präferenzen
dass es sich um den tatsächlichen Kommentar von Licht auf seine philosophischen Interessen werfen.
Adrastos handelt, den Calcidius kürzte und über- Simplikios teilt mit, dass Adrastos mit denjeni-
setzte. Außer diesen Zitaten bei Porphyrios und gen Peripatetikern wie Andronikos einer Meinung
Theon und den anonymen Auszügen bei Calcidius sei, welche die ersten fünf Bücher der ‹Physik› als
gibt es zwei Verweise auf Adrastos’ astronomische Abhandlung ‹Über die Prinzipien› (Περὶ ἀρχῶν)
Werke beim Astronomen Achilleus Tatios (Isag. und die letzten drei als Abhandlung ‹Über die Be-
Exc. 43,9; 46,29–31 Maass) und fünf Zitate in Pro- wegung› (Περὶ κινήσεως) betrachten. Adrastos
klos’ ‹Timaios›-Kommentar (In Tim. II,169,21–31. dachte auch, dass der eigentliche Titel der ‹Kate-
170,5–21. 170,26–171,4. 187,17–26. 192,24–26 gorien› ‹Vor der Topik› (Πρὸ τῶν τοπικῶν) sei und
Diehl). Dieses Material beinhaltet hauptsächlich sie im Corpus vor der ‹Topik› eingeordnet werden
Adrastos’ Darstellungen von mathematischen und müssten: Möglicherweise handelt es sich hier um
astronomischen Problemen, so dass nicht klar ist, ein bewusstes Wiederbeleben des vor-androniki-
ob er einen vollständigen Zeile-für-Zeile-Kom- schen Titels ‹Πρὸ τῶν τόπων›. Simplikios scheint
mentar zum ‹Timaios› verfasst hat oder ob er sich sich über die Gründe für Adrastos’ Wahl nicht
auf diese Art von technischen Problemen konzen- ganz sicher zu sein. Seiner Meinung nach dachte
trierte. Adrastos benutzte eine Anzahl zeitgenös- sich Adrastos die Werke des logischen Corpus
sischer und hellenistischer Quellen für seine Aus- nach zunehmendem Gewissheitsgrad geordnet:
legung. Bei seiner Diskussion der Harmonielehre von den deskriptiven ‹Kategorien› und der ‹Topik›,
machte er von einigen hellenistischen pythagore- die mit dialektischer Überlegung arbeitet, zu den
ischen Schriften Gebrauch (vgl. Theon Exp. rer. rigorosen Beweistheorien und Syllogismen der
math. 50,4–5 Hiller; Porph. In Ptol. 7,22–23 Dü- ‹Analytiken› (In Cat. 15,30–16,13 Kalbfleisch).
ring). Sehr wahrscheinlich kannte und benutzte er Ob diese Erklärung auf Adrastos zurückgeht, ist
die Werke von Eratosthenes und Hipparchos (vgl. unklar (vgl. Moraux 1984 [*220: 315 Anm. 85]).
Moraux 1984 [*220: 302–304]). Adrastos kannte offenbar auch eine Version des

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330 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

‹Kategorien›-Texts, die von der in unserer Tradi- überliefert Simplikios einen ausführlichen Exkurs
tion überlieferten abweicht, doch gingen die Un- des Adrastos über Prädikation als Erklärung für
terschiede wahrscheinlich nicht über Stilistisches Aristoteles’ Analyse des parmenideischen Kon-
hinaus. Diese Nachricht des Simplikios (In Cat. zepts des Seienden in ‹Physik› 1,3 (186b1–3: Simpl.
18,16–21 Kalbfleisch) zeigt jedoch wiederum Ad- In Phys. 122,33–125,9 Diels). Dieser Bericht war
rastos’ Interesse an philologischen und techni- in Porphyrios’ verlorenem ‹Physik›-Kommentar
schen Fragen im Zusammenhang mit dem aristo- enthalten, der wahrscheinlich Simplikios’ Quelle
telischen Text, was übereinstimmt mit dem, was war. Auf dieser Grundlage ist es unmöglich, das
aus anderen Zeugnissen über ihn bekannt ist. Ziel von Adrastos’ Kommentar festzumachen; der
Bericht gibt aber eine gute Vorstellung vom Stil
und Detailreichtum, ebenso von der Bedeutung
Kommentar zu Aristoteles’ ‹Kategorien› der ‹Kategorien› in Adrastos’ gesamter Auslegung
des Aristoteles.
Aus Galens kurzem Bericht in ‹De libris pro­
priis› (118,17–119,2 Mueller) erfahren wir, dass
Adrastos (wie auch Aspasios) einen Kommentar Eine Monographie zur Ethik
zu den ‹Kategorien› verfasst hat, den Galen als
elementar bertrachtete oder dessen Lektüre er zu- Wie Athenaios berichtet, «gab Adrastos fünf
mindest voraussetzte für jemanden, der seinen ei- Bücher ‹Über historische und sprachliche Fragen
genen Kommentar zu Aristoteles’ Werk studieren in der ‹Ethik› des Theophrast› heraus und ein
wollte. Es liegt daher die Vermutung nicht fern, sechstes ‹Über das, was Aristoteles in der ‹Niko-
dass das Werk dem erhaltenen Kommentar des machischen Ethik› sagt› und fügte ausführliche
Aspasios zur ‹Ethik› in Ziel und Methode ver- Gedanken hinzu über Plexippos beim Tragödien-
gleichbar war, vielleicht sogar, dass Adrastos den dichter Antiphon und sagte vieles über Antiphon
philologischen Details und der sorgfältigen Erklä- selber» (Athen. 15, 673e–f; der überlieferte Text
rung der technischen Schwierigkeiten noch mehr hat Ἀδραντον, was von Casaubon in Ἀδραστον kor-
Aufmerksamkeit widmete. In Simplikios’ Bericht rigiert wurde). Moraux 1984 [*220: 323–330] hat
über Adrastos’ ‹Physik›-Kommentar findet sich dafür argumentiert, dass einiges Material aus die-
eine Diskussion, die eine sehr detaillierte Ausle- ser Monographie im anonymen Kommentar zu
gung von ‹Kategorien› 2 voraussetzt. den Büchern 2–5 der ‹Nikomachischen Ethik› ver-
wendet wurde (der Kommentar, der nicht vor dem
späten 2. Jahrhundert verfasst wurde, ist publiziert
Kommentar zu Aristoteles’ ‹Physik› in CAG 20 von G. Heylbut). Moraux’ Vermutung
beruht auf der Menge von historischen und philo-
Es gibt in den erhaltenen Quellen keinen direk- logischen Erklärungen zu aristotelischen Beispie-
ten Verweis auf einen solchen Kommentar, doch len, seiner Sprache und seinem Stil.

3. LEHRE

1. Logik. – 2. Kosmologie. – 3. Vorsehung.

1. Logik

Simplikios berichtet, dass Adrastos bei seiner Diskussion von Aristoteles’ ‹Phy-
sik› 1,3 einen Exkurs eingeschoben habe bezüglich des für ihn schwierigen Satzes,
dass es «für ihn [sc. Parmenides] nicht nur notwendig sei anzunehmen, dass das

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§ 34. Adrastos von Aphrodisias (Bibl. 439) 331

Prädikat ‘seiend’ immer die gleiche Bedeutung habe, von was auch immer es aus-
gesagt werde, sondern dass es ‘gerade was ist’ (ὅπερ ὄν) und ‘gerade was eines ist’
(ὅπερ ἕν) bedeute». Adrastos wollte allgemein seine Interpretation von Aristote-
les’ Theorie der Prädikation auf der Grundlage von ‹Kategorien› 2 darlegen. Er
unterteilt alle Dinge in zwei Klassen: 1) die Subjekte und 2) die Dinge, die zu den
Subjekten gehören und von ihnen ausgesagt werden. Subjekte im engeren Sinne
sind Aristoteles’ «erste Substanzen» (πρῶται οὐσίαι, ‘dieser Mann’, ‘dieser Stein’),
aber im weiteren Sinne ist das Subjekt etwas, von dem etwas anderes ausgesagt
werden kann, so dass auch ‘diese weiße Farbe’ oder ‘dieses (Wissen in) Gramma-
tik’, weil sie Prädikate haben können, als Subjekte behandelt werden können, auch
wenn sie nicht für sich selbst subsistieren (wie es Aristoteles’ Bedingung für Sub-
jekte erfordert). Man kann nämlich sagen ‘Dieses Weiß ist ein Weiß’ oder ‘Dieses
Weiß ist eine Farbe’ oder ‘dieses (Wissen in) Grammatik ist ein Wissen’, usw.
(Simpl. In Phys. 123,2–9 Diels).
Die Ausweitung des Konzepts «Subjekt» (ὑποκείμενον) über die ersten und zwei-
ten Substanzen hinaus auf jeden Terminus, der in einem Satz die Subjektfunktion
innehaben kann, geht ganz klar weiter als die aristotelische Ansicht in den ‹Katego-
rien› und ermöglicht einen interessanten Einblick in den Kontext der intensiven
Kommentierungsarbeit an den ‹Kategorien› zur Zeit des Adrastos. Um Aristoteles’
Gebrauch von ὅπερ ὄν und ὅπερ ἕν zu erklären, unterscheidet Adrastos weiter zwi-
schen zwei Arten von Prädikation: ‘synonymisch’, wenn sowohl der Name als auch
die Definition des Prädikats an Stelle des Subjekts stehen könnten und mit dem Prä-
dikat das Wesen des Subjekts ausgedrückt wird (Aristoteles’ Gebrauch des Kon-
zepts der Synonymie entsprechend), und ‘akzidentell’, wenn das Prädikat eher ak-
zidentell als essentiell ist. Bei der ersten Art von Prädikation kann man vom Subjekt
sagen, es sei ὅπερ das Prädikat: Wenn man beispielsweise sagt ‘Sokrates ist ein ra­
tionales, sterbliches Lebewesen’, handelt es sich um eine synonyme Prädikation, weil
Sokrates genau das ist, nämlich ein rationales, sterbliches Lebewesen. Wenn man
hingegen sagt, Sokrates sei stumpfnasig, handelt es sich um eine akzidentelle Prä-
dikation, da ‘stumpfnasig’ nicht Sokrates’ Wesen ausmacht und er nicht ‘gerade das
ist, nämlich der Stumpfnasige’ (Simpl. In Phys. 123,10–124,1 Diels). Adrastos unter-
scheidet bei den Akzidentien zwischen denen, die einem Subjekt konstant angehö-
ren, wie Sokrates’ Stumpfnasigkeit, und denjenigen, die austauschbar sind, wie
‘schlafend’, ‘gehend’, usw. Die akzidentellen Prädikate, ob austauschbar oder kons-
tant, können nicht Teil einer synonymen Prädikation werden. Auch wenn Sokrates’
Stumpfnasigkeit ihn ständig begleitet, macht sie nicht eine Definition aus.
Im Hinblick auf Aristoteles’ Analyse des Parmenides erklärt Adrastos, dass es
unter der Voraussetzung des Parmenides, dass das Seiende eines bedeute, nichts
gebe, wovon ‘seiend’ akzidentell ausgesagt werden könnte, folglich wird man vom
Seienden immer sagen, es bezeichne das «wesentlich Seiende» (ὅπερ ὄν) und «we-
sentlich Eine» (ὅπερ ἕν). Der Grund dafür, dass jede Prädikation mit dem Prädi-
kat ‘seiend’ essentiell sein muss, ist folgender: Wenn ‘seiend’ akzidentell ausgesagt
würde, könnte das Subjekt nicht ‘seiend’ sein, da es vom Prädikat verschieden sein
muss. Dass es ebenfalls ‘seiend’ und trotzdem vom Prädikat verschieden ist, wäre
nur möglich, wenn ‘seiend’ Mehreres bedeuten würde. Aus demselben Grund

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332 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

kann ‘seiend’ aber auch nicht essentiell Prädikat sein, weil auch in diesem Fall von
einem nicht Seienden ausgesagt würde, es sei wesentlich seiend. Das heißt, dass
‘seiend’ überhaupt nicht Prädikat sein kann (weder akzidentell noch essentiell).
Bleibt noch die Möglichkeit, dass es Subjekt ist, was aber ebenfalls zu einem Wi-
derspruch führt: Denn entweder hat es zum Prädikat etwas, was nicht Seiendes
bezeichnet (z. B. weiß), was dann aber zur Folge hätte, dass man vom wesentlich
Seienden sagt, es sei weiß, also nicht seiend. Oder es hat als Prädikat etwas, was
Seiendes bezeichnet, was bedeutet, dass ‘seiend’ Mehreres bezeichnet, was im
­Widerspruch zur Annahme steht, das Seiende bezeichne eines (Simpl. In Phys.
124,33–125,9 Diels). Moraux 1984 [*220: 322] vertritt die Auffassung, dass die Un-
terscheidung zwischen zwei Arten von Akzidentien – konstanten und austausch-
baren – eine Rolle spielt bei der Auslegung einer vorangehenden Passage von
‹Physik› 1,3 (186b18–23); ebenso seien Adrastos’ Bemerkungen darüber, dass Teile
einer Aussage in der ganzen Aussage enthalten sind, während die ganze Aussage
nicht in einem ihrer Teile (und ihrer Definition) enthalten sein kann (124,19–23
Diels, ein Kommentar zu ‹Physik› 186b23–26).

2. Kosmologie

Adrastos ist sich der Probleme der aristotelischen, auf konzentrischen Model-
len des Eudoxos und Kallippos basierenden Theorie der Planetenbewegung, wie
sie in ‹Metaphysik› 12,8 vorgestellt wird, bewusst. Das System galt schon bei hel-
lenistischen Astronomen als veraltet, da es eine Reihe von Phänomenen nicht er-
klären konnte, wie beispielsweise die variierende Größe der Planeten und Retro-
gradationen. Aufgrund von Material aus dem ‹Timaios›-Kommentar, das bei
Theon von Smyrna erhalten ist, ist zu erkennen, dass Adrastos in einigen Punkten
bedeutsam von der aristotelischen Theorie der Planetenbewegungen abwich. Ad-
rastos ersetzte das konzentrische System, das jedem Planeten mehrere Sphären
zuwies, um die Retrogradationen der Planetenbewegungen erklären zu können,
durch das von hellenistischen Astronomen eingeführte Modell, das auf der Idee
von Epizyklen beruhte (üblicherweise wird als Erfinder dieses Modells Apollo-
nios von Perge genannt). Adrastos zufolge ist jeder Planet an einer festen Sphäre
befestigt, deren Durchmesser zwischen demjenigen der nächstgrößeren bzw. klei-
neren konzentrischen Sphäre liegt (mit dem Mittelpunkt im Zentrum des Univer-
sums). Die Planetenbewegungen können dann folgendermaßen beschrieben wer-
den: 1) die westwärts gerichtete Bewegung der Fixsternsphäre um die senkrecht
auf dem Himmelsäquator stehende Achse; 2) die ostwärts oder ebenfalls west-
wärts, aber langsamer, gerichtete Bewegung (Adrastos sagt, dass beide Hypothe-
sen die Erscheinungen erklären können) der konzentrischen Hohlsphäre um die
Achse senkrecht zur Ebene der Planetenwege entlang des ekliptischen Kreises;
und 3) die reguläre Westwärtsbewegung um ihr eigenes Zentrum der kleinen, fes-
ten Sphäre innerhalb der Hohlsphäre, d. h. die eigentliche epizyklische Bewegung.
Adrastos sagt, ein Planet schließe einen vollständigen Epizykel ab entweder 1)
in derselben Zeit, in der die Hohlsphäre des Planeten (die Sphäre) der Fixsterne

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§ 34. Adrastos von Aphrodisias (Bibl. 439) 333

in entgegengesetzter Richtung umkreist oder (eine ganze Runde) im Rückstand


bleibt, oder 2) schneller oder 3) langsamer (Theon Exp. rer. math. 181,12–182,25
Hiller = Sharples 2010 [*43: 21M]). Fall 1) entspricht einer Bewegung ohne Retro-
gradationen, wie diejenige von Sonne und Mond. In den beiden anderen Fällen 2)
und 3) kann man die ‘Unregelmäßigkeiten’ der Planetenbewegungen beobachten.
Die epizyklische Bewegung des Planeten bedeutet, dass seine Distanz zur Erde
sich verändert und dass sein Weg in Bezug auf die Sphären nicht konzentrisch,
sondern exzentrisch verläuft. Adrastos anerkennt das, sagt aber, dass diese Ex-
zentrizität eher zufällig sei als eine inhärente Eigenschaft der Planetenbewegung
(Theon Exp. rer. math. 185,4 Hiller; Diskussion in Sorabji 2007 [*149: 581–583],
Petrucci 2015 [*395]). Es ist nicht bekannt, ob Adrastos’ Änderungen am aristo-
telischen System irgendwelche Vorbilder in der peripatetischen Tradition haben.
Wichtig ist aber die Feststellung, dass sein Interesse und seine Kenntnisse in die-
sen Themen einen wichtigen Teil der aristotelischen Tradition ausmachen, wie sich
aus Sosigenes’ Darstellung von astronomischen Fragen ersehen lässt.

3. Vorsehung

Adrastos’ Ansichten zur Vorsehung scheinen, soweit ersichtlich, mit der Posi-
tion übereinzustimmen, die Kritolaos in hellenistischer Zeit skizziert hat: Gött­
liche Vorsehung reicht nicht weiter als bis zum Bereich der Himmelskörper. In sei-
nem ‹Timaios›-Kommentar sagt Adrastos, dass die Verursachung der Prozesse in
der sublunaren Welt durch die Himmelskörper nicht so zu verstehen sei, dass die
Himmelskörper der sublunaren Welt wegen existierten, sondern «dass jene [die
Himmelskörper] immer so sind, wie sie sind, um des Schönsten, Besten und
Glücklichsten willen, während die Dinge in unserer Welt ihnen zufällig folgen»
(Theon Exp. rer. math. 149,4–150,4 Hiller; vgl. Sharples 2010 [*43: 22I(2)]). Diese
Formulierung ist jener ähnlich, die Aëtios für die aristotelische Position verwen-
det (vgl. Sharples 2010 [*43: 22H]), aber Adrastos bietet einige weitere Details zur
Beschaffenheit der akzidentellen Verbindung zwischen oberem und sublunarem
Kosmos. Sie wird in erster Linie mit der Lage des sublunaren Kosmos rund um
das Zentrum des Alls erklärt, welche die ganze sublunare Welt zu einem Teil der
notwendigen Bedingung für die Himmelsbewegung werden lässt. Ferner erklärt
Adrastos einige weitere Charakteristika des sublunaren Kosmos als notwendig:
Die Erde muss unten bleiben und das Feuer den ihr entgegengesetzten Ort (den
oberen Teil des Kosmos) einnehmen. Wasser und Luft müssen sich dann vernünf-
tigerweise dazwischen befinden. Die Veränderung in der sublunaren Welt ist laut
Adrastos zwingend, da die Materie der sublunaren Dinge wandelbar ist und ent-
gegengesetzte Kräfte in sich hat: Diese Veränderung, so heißt es, wird von der
komplexen Bewegung der Planeten bewirkt. Vermutlich sind die Notwendigkei-
ten, welche die sublunare Welt charakterisieren, eine Folge der Bewegung auf dem
Ekliptikkreis, was den Wechsel der Jahreszeiten erklärt, die umfassendste Form
von elementarer Veränderung. Alexander von Aphrodisias entwickelt und vertritt
in einer detaillierteren Fassung eine ähnliche Position.

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334 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

4. NACHWIRKUNG

Aufgrund von Galens Zeugnis ist klar, dass Adrastos’ Werke bei seinen Zeit-
genossen weit verbreitet waren und dass seine Interessen für einen peripatetischen
Gelehrten seiner Zeit nicht außergewöhnlich waren. Dazu gehört, dass er der Aus-
legung der ‹Kategorien› einen zentralen Platz einräumte, dass er großes Interesse
an Astronomie hatte, besonders im Hinblick auf eine Überarbeitung der veralte-
ten Passagen von Aristoteles’ kosmologischem System, und dass er dem Problem
von Schicksal und Vorsehung einige Aufmerksamkeit widmete, da es sich dabei
um das Gebiet handelte, für das Aristoteles keine abschließende Darstellung hin-
terlassen hatte. Zu all diesen Themen scheint Adrastos wichtige Beiträge gemacht
zu haben, auch wenn seine Werke nur fragmentarisch erhalten sind. Es gibt den-
noch viele Hinweise darauf, dass seine Werke viel gebraucht wurden, sei es direkt
oder sei es indirekt, sowohl von seinen Zeitgenossen als auch von späteren Auto-
ren. Seine Bedeutung mag auch daher kommen, dass er ein bemerkenswert syste-
matischer und belesener Gelehrter war, wahrscheinlich in der Art von Varro, der
sich in Mathematik, Astronomie, Philologie und Geschichte gut auskannte. Zu
gewissen Zeiten müssen seine Werke unentbehrliche Bezugspunkte für die anti-
ken Autoren gewesen sein. Die bedeutendsten Spuren von Adrastos in der späte-
ren Literatur finden sich in der Tradition der ‹Timaios›-Kommentare (vgl. oben
das Material, das bei Theon und Calcidius überliefert ist). Wenn wir der Argumen-
tation von Moraux 1973 [*23: 324–327] folgen, dürfte adrasteisches Material im
anonymen Kommentar zur ‹Ethik› II–V vorhanden sein. Die Tatsache, dass Ad-
rastos’ ‹Physik›-Kommentar von Porphyrios gebraucht wurde, lässt vermuten, dass
einiges aus Adrastos’ Werken in die neuplatonische Tradition eingegangen ist.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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§ 35. Sosigenes (Bibl. 439) 335

§ 35. Sosigenes

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Sosigenes war der Lehrer des Alexander von Aphrodisias (Alex. Aphr. In Me-
teor. 143,13 Hayduck: ὁ διδάσκαλος ἡμῶν Σωσιγένης; vgl. Them. In De an. 61,23
Heinze: Σωσιγένης ὁ Ἀλεξάνδρου διδάσκαλος). Eine Verwechslung mit dem As-
tronomen Sosigenes, der Caesars Kalenderreform durchführte, trug dazu bei, dass
der ‹Meteorologie›-Kommentar des Alexander von Aphrodisias irrtümlicherweise
Alexander von Aigai zugeschrieben wurde.

2. WERKE

Kommentar zu Aristoteles’ ‹Kategorien› Kommentar zu Aristoteles’


‹Analytica priora›
Die Nachricht von Sosigenes’ Erläuterung der
‹Kategorien› kommt von Dexippos (vgl. Dillon Dass Sosigenes Aristoteles’ ‹Analytica priora›
1990 [*401], Sharples 2010 [*43: 8G]). Ob Sosigenes kommentierte, wissen wir aus Philoponos’ Kom-
das ganze Werk kommentierte oder ob das, was er mentar und Ps.-Ammonios’ Scholien zu den
hinterließ, eine Art Monographie zu ausgewählten ­‹Analytica priora›. Philoponos erwähnt, dass sich
Problemen war, ist unklar. Auch ist unbekannt, Alexander von Aphrodisias «in einer gewissen
was für einen Zugang zu Sosigenes’ Werken Dexip- Monographie» (ἔν τινι μονοβίβλῳ) auf Sosigenes’
pos hatte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er in Ansicht bezogen habe (Philop. In An. pr. 126,20–
diesem Fall, wie auch in einigen anderen Fällen, 22 Wallies). Alexander von Aphrodisias bezieht
sein Wissen über Sosigenes einer der zwei gelehr- sich in seinem erhaltenen Kommentar zu An. pr. 1
ten Quellen verdankte, die er benutzte und die für mehrmals auf diese Monographie (‹Über die Un-
uns verloren sind, nämlich den ‹Kategorien›- terschiede [Var.: Meinungsverschiedenheiten]
Kommentaren von Porphyrios und Iamblichos zwischen Aristoteles und seinen Schülern betref-
(vgl. Dillon 1990 [*401: 9–15]). Der Hinweis dar- fend gemischte Modalitäten› – Περὶ τῆς κατὰ τὰς
auf, dass Sosigenes das Problem der λεγόμενα μίξεις διαφορᾶς [var. lect.: διαφωνίας] ’Αριστο­
­behandelt habe, hat jedenfalls keine Parallelen in τέλους τε καὶ τῶν ἑταίρων αὐτοῦ) und bespricht
anderen erhaltenen Quellen, und es wird insbeson- das Problem der gemischten Modalitäten, aber
dere auch von Simplikios nicht erwähnt. ohne je Sosigenes’ Namen zu erwähnen (Alex.
Aphr. In An. pr. 1, 125,30–31 Wallies; 1, 249,38–
250,1 Wallies). Der Bericht des Ps.-Ammonios
(eine Quelle, die von Philoponos abhängt, vgl.
Flan­nery 1995 [*826: 68–74]) über die Probleme,
die Alexander diskutiert, enthält einen direkten

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336 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Hinweis auf Sosigenes. So wissen wir, dass die von Modells von Eudoxos und Kallippos, die beide
Philoponos erwähnte Monographie identisch mit keine «entgegenwirkenden» Sphären im aristoteli-
‘Über die gemischten Prämissen’ ist und dass Alex- schen Sinn postulierten, da sie keine kausale Inter-
ander Sosigenes dort diskutiert hat. aktion zwischen den Sphärengruppen, die zu indi-
viduellen Planeten gehören, annahmen. In diesem
zweiten Sinn, mit Bezug auf die Lehre von Eudo-
Περὶ τῶν ἀνελιττουσῶν [sc. σφαιρῶν] xos und Kallippos (im Gegensatz zu späteren Theo-
‹Über entgegenwirkende [sc. Sphären]› rien der Epizyklen und Exzentren), beschreibt So-
sigenes jede Sphäre, die von der Sphäre der Fix-
Sosigenes’ Abhandlung ‹Über entgegenwir- sterne verschieden ist, als «entgegenwirkend». Wie
kende Sphären› wird von Proklos erwähnt, wobei Moraux 1984 [*220: 347] plausibel vermutet, war
seine Formulierung vermuten lässt, dass das Werk Sosigenes’ Abhandlung nicht der engen Fragestel-
möglicherweise aus mehr als einem Buch bestand lung des aristotelischen konzentrischen Modells
(ὃ ἱστόρησε Σωσιγένης ὁ Περιπατητικὸς ἐν τοῖς gewidmet, sondern einer kritischen Diskussion
περὶ τῶν ἀνελιττουσῶν: Hypotyp. astron. posit. aller konzentrischen Systeme (eudoxeischer, kal-
IV,98, 130,17ff. Manitius). Eines der Probleme, das lippeischer und aristotelischer Art) im Licht späte-
Sosigenes Proklos zufolge diskutierte, ist das der rer Entwicklungen in der Astronomie. Moraux
ringförmigen Sonnenfinsternis. Dasselbe Problem 2001 [*846: 224] vermutete, dass Simplikios durch
nennt Simplikios in einem ausführlichen Bericht den Kommentar von Alexander von Aphrodisias
über Sosigenes ohne genauere Angabe eines Werk- indirekt Zugang zum Text der Abhandlung von So-
titels (Simpl. In Cael. 2,12, 505,1–11 Heiberg). Mo- sigenes hatte (aber vgl. Moraux 1984 [*220: 347],
raux 1984 [*220: 344] glaubt, daraus mit Sicherheit wo er vorauszusetzen scheint, dass Simplikios aus
schließen zu können, dass Simplikios’ Quelle im Sosigenes’ Abhandlung zitiert; auch neuerdings
‹De caelo›-Kommentar Sosigenes’ Abhandlung wurde wieder dafür argumentiert, dass Simplikios
‹Über entgegenwirkende Sphären› ist. Der Titel Sosigenes aus erster Hand zitiert, vgl. Bodnár 1997
des Werks dürfte einige Fragen aufwerfen. Der [*830: 197], Rescigno 2008 [*575: 310f.]).
Ausdruck «entgegenwirkend» (ἀνελιτ­τοῦσαι) wird
von Aristoteles in ‹Metaphysik› 12,8 (1079a2–11)
in seinem konzentrischen Modell der Planetenbe- Περὶ ὄψεως
wegungen zur Bezeichnung von postulierten ‘neu- ‹Über das Sehen›
tralisierenden’ Sphären gebraucht, die sich zwi-
schen den Gruppen von Sphären befinden, welche Es gibt zwei Zeugnisse für diese Abhandlung,
die Bewegung jedes einzelnen Planeten hervor- die mindestens acht Bücher umfasst haben muss.
bringen. Sosigenes ist sich dieses aristotelischen Themistios verweist in seiner Zusammenfassung
Gebrauchs bewusst (Moraux weist auf die Stelle von ‹De anima› auf Sosigenes’ Erläuterungen im 3.
Simpl. In Cael. 498,4 Heiberg hin, wo Sosigenes Buch von ‹Über das Sehen› (Them. In De an. 61,23
sich ausdrücklich darauf bezieht) und nimmt die- Heinze), und Alexander von Aphrodisias erwähnt
sen bei seiner Interpretation von Aristoteles’ die Diskussion der Halo (Sonnen- und Mondhöfe)
Lehre zu Hilfe, indem er die aristotelischen «ent- «unseres Lehrers Sosigenes» im 8. Buch von ‹Über
gegenwirkenden» (ἀνελιττοῦσαι) Sphären den das Sehen› (Alex. Aphr. In Meteor. 143,12–14 Hay-
«tragenden» (φέρουσαι) Sphären, d. h. denjenigen, duck; vgl. Sharples 2010 [*43: 26D]). Plausibel ist
die nach Aristoteles direkt für die Planetenbewe- die Vermutung von Moraux 1984 [*220: 359], dass
gungen verantwortlich sind, gegenüberstellt. In Themistios aus Alexander schöpfte, der Sosigenes’
einem anderen Sinn braucht Sosigenes den Aus- Theorien sehr wahrscheinlich in seinem verlorenen
druck bei seiner Diskussion des konzentrischen Kommentar zu ‹De anima› diskutierte.

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§ 35. Sosigenes (Bibl. 439) 337

3. LEHRE

1. Das Ziel der aristotelischen ‹Kategorien›. – 2. Syllogismen mit gemischten modalen Prämissen. –
3. Himmelsbewegungen. – 4. Theorie des Sehens.

1. Das Ziel der aristotelischen ‹Kategorien›

Eines der Hauptprobleme, das die Peripatetiker seit Andronikos und Boethos
beschäftigte, war das Ziel von Aristoteles’ ‹Kategorien›. Bei der Beschreibung der
Objekte seiner Untersuchungen braucht Aristoteles den Ausdruck «das, was ge-
sagt wird» (τὰ λεγόμενα, vgl. Cat. 2, 1a16; 4, 1b25). Das könnte sich auf «eine
Äußerung, ein Ding oder auf einen Gedanken» beziehen (Dexipp. In Cat. 6,32
Busse). Dexippos berichtet in seinem Kommentar ausführlich von Sosigenes’ Dis-
kussion der Argumente für zwei Positionen, d. h. dafür, dass sich die Kategorien
einerseits auf Dinge und andererseits auf Äußerungen beziehen (Dexipp. In Cat.
7,4–9,22 Busse). Laut Dexippos hat Sosigenes in der Debatte nicht Stellung bezo-
gen: «Der Peripatetiker Sosigenes stellte parallele Untersuchungen an über die
λεγόμενα, sprach sich jedoch nicht abschließend für eine Lösung aus, sondern ließ
die Argumente als gleich stark im Kampf bleiben» (In Cat. 7,5–7 Busse). Er über-
liefert drei Argumente des Sosigenes für die ‘objektive’ Interpretation der Kate-
gorien. Auf jedes Argument folgt eine Diskussion, wobei nicht klar ist, in welchem
Maß die Diskussion auf Sosigenes selbst zurückgeht. In mindestens einem Fall
(als Erwiderung auf das zweite Argument weist Dexippos darauf hin, dass ein be-
stimmtes Gegenargument von Sosigenes nicht erwähnt wird).
1) Das Objekt, worauf sich die λεγόμενα beziehen, sind die «Dinge» (πράγματα),
weil uns die Existenz von Dingen ermöglicht, eine Aussage zu machen, während
wir nichts sagen würden, wenn sie nicht existierten (In Cat. 7,10–12 Busse). Die
Antwort auf dieses von Dexippos zitierte Argument lautet, dass nichts die Dinge
hindert, «Ursache» (αἴτια) von dem zu sein, was gesagt wird, ohne «unmittelbar»
(προσεχῶς) das zu sein, was gesagt wird. Er nennt Fälle, in denen die zu den Äuße-
rungen gehörenden Objekte Dinge sind, die nicht unmittelbar präsent sind, wie
vergangene oder zukünftige Dinge oder sogar Dinge, die nicht existieren, wie der
Kentaur oder der Bockhirsch.
2) Weiter sind die «Dinge» (πράγματα) die Bezugsobjekte, die eine Aussage
wahr machen. «Wenn die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage von den Dingen
abhängt, kann es nicht sein, dass das, was gesagt wird, und das, was die Wahr- oder
Falschheit ausmacht, voneinander verschieden sind, so dass mit den λεγόμενα die
Ursachen für eine selbständige Aussage gemeint sind» (In Cat. 7,25–27 Busse). Die
Entgegnung eröffnet Dexippos mit einer Bemerkung, die nicht aus Sosigenes stammt,
wenn er sagt, er wundere sich, dass Sosigenes nicht Fälle anführe, die weder wahr
noch falsch seien. Es könnte sich um einen Zusatz von ihm selbst handeln (wie

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338 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Dillon 1990 [*401: 12] anzunehmen scheint), oder er könnte ihn aus seinen Quellen
übernommen haben. In jedem Fall müssen wir es als ein indirektes Zeugnis dafür
sehen, dass zumindest einige der Gegenargumente, die Dexippos zitiert, auf Sosi-
genes zurückgehen. Der Rest des Gegenarguments zu 2) verläuft anders und ba-
siert auf einer Unterscheidung zwischen dem Sprechen über eine Sache und dem
Treffen einer wahren oder falschen Aussage darüber. Ersteres hat mit dem direk-
ten Bezugsobjekt zu tun, letzteres mit «Dingen» (πράγματα). Dieses letztere aber,
so wird behauptet, ist im Gegensatz zum ersten eine zufällige Eigenschaft einer
Aussage, das Objekt der Aussage muss deshalb nicht ein Ding sein.
3) Mit den λεγόμενα sind Dinge gemeint, weil diese unabhängig von der Äuße-
rung bestehen: «Wenn die Dinge wie Pferd zum Beispiel oder Ochse oder Stein auch
nach ihrer Erwähnung weiterbestehen, ist es offensichtlich, dass sie es sind, die be-
zeichnet werden; denn sonst würden sie nicht mehr länger existieren, wenn die Äuße-
rung abgeschlossen ist» (In Cat. 8,12–14 Busse). Das Gegenargument besagt, dass
gerade dieses Argument vielmehr zeige, dass es nicht die Dinge sind, die mit dem
«Was gesagt wird» bezeichnet werden. Wenn dies der Fall wäre, würden die Dinge
zusammen mit den Äußerungen enden. Und wiederum wird das Gegenbeispiel, wo-
nach auch von Dingen, die nicht existieren, gesprochen werden kann, gebraucht, um
zu zeigen, dass mit dem «Was gesagt wird» nicht die Dinge bezeichnet werden.
Die Argumente dafür, dass in Aristoteles’ Abhandlung die Äußerung das Ob-
jekt der Kategorisierung ist, sind nach Sosigenes folgende:
1) Mit dem «Was gesagt wird» ist die Äußerung gemeint; denn «Viele Leute
können sie hören, und sie kann existieren und gesagt werden, ob die Dinge exis-
tieren oder nicht» (In Cat. 8,24–26 Busse). Daran wird kritisiert, dass es einen Un-
terschied gibt zwischen «eine Äußerung treffen» (τὸ τῇ φωνῇ προφέρειν) und
«sprechen» (τὸ λέγειν), insofern als es bei Letzterem darum geht, mit Hilfe von
einer Äußerung etwas auszusagen. Deswegen genügt es nicht zu zeigen, dass in
den ‹Kategorien› mit dem «Was gesagt wird» die Elemente der Äußerung (d. h.
die formalen Elemente eines grammatikalischen Ausdrucks) gemeint sind.
2) Die eigentliche Tätigkeit des Sprechenden ist das Reden, so dass das Kate-
gorisieren die Redeteile als Objekte haben muss: «Wie das Gehen die Tätigkeit
des Gehenden ist und das Schreiben diejenige des Schreibenden, so ist auch das
Sprechen die Tätigkeit des Sprechenden, der Sprechende behandelt Worte und
Redeteile, so dass diese die Objekte des Redens sind» (In Cat. 9,2–4 Busse).
3) Das Argument ‘aufgrund von Paronymie’: «Wiederum sagt Sosigenes, dass
‘reden’ (λέγειν) vom gleichen Wortstamm gebildet ist wie ‘Äußerung’ (λέξις) oder
‘Rede’ (λόγος), so dass auch deshalb folgen würde, dass mit dem ‘was gesagt wird’
die Äußerungen (λέξεις) gemeint sind» (In Cat. 9,9f. Busse).
Wie gesagt ist unklar, was für einen Zugang Dexippos zum Text von Sosigenes
hatte und ob irgendwelche der Einwände gegen die jeweiligen Argumente von So-
sigenes selbst stammen. Dexippos’ Antwort zu 3) könnte darauf hindeuten, dass
er nur Sosigenes’ Aufstellung der parallelen Argumente hatte, ohne zugehörige
Diskussion. Doch wird aus seinem Bericht klar, dass das Ziel von Sosigenes’ Auf-
stellung der parallelen Argumente sehr wahrscheinlich eine Diskussion ihrer Vor-
und Nachteile war. Dass Dexippos keine genauen Informationen zu Sosigenes’

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§ 35. Sosigenes (Bibl. 439) 339

Diskussion hat, könnte deshalb bedeuten, dass sein Wissen über Sosigenes aus
einer sekundären Quelle stammt.
Sosigenes’ Anordnung der Argumente in Form einer dialektischen Diskussion
‘in utramque partem’ zeigt nach Moraux 1984 [*220: 338], dass diese Methode in
der peripatetischen Schule weitergelebt hat (für die Benutzung dieser Methode
des Boethos siehe Griffin 2015 [*39]). Sosigenes’ Auswahl der Kandidaten für die
Diskussion ‘in utramque partem’ (auf der einen Seite die Dinge, auf der anderen
die Äußerungen als λεγόμενα) wird von Dexippos die Ansicht der «Alten» (οἱ
ἀρχαῖοι) gegenübergestellt, der zufolge die «Gedanken» (νοήματα) das von den
λεγόμενα primär und die Dinge (πράγματα) das von diesen sekundär (per acci-
dens) Bezeichnete sind. Diese Ansicht wird in Simplikios’ Kommentar dem Boe-
thos zugeschrieben (Simpl. In Cat. 41,28–42,2 Kalbfleisch; siehe Moraux 1984
[*220: 337 Anm. 8], Griffin 2012 [*60] und 2015 [*39: 187–189]).

2. Syllogismen mit gemischten modalen Prämissen

Bei seiner Diskussion der modalen Syllogismen, in denen die Prämissen ver-
schiedene Modalitäten haben (die sogenannten ‘gemischten’ oder ‘kombinierten’
Modalitäten), in ‹Analytica priora› 1,9 argumentierte Aristoteles dafür, dass bei
den Syllogismen der ersten Figur, falls eine Prämisse notwendig und die andere
assertorisch ist, die Modalität der Konklusion immer der Modalität des Obersat-
zes folgt (maiorem-Regel), d. h. im Modus Barbara der ersten Figur: Wenn der
Obersatz assertorisch und der Untersatz notwendig ist, wird die Konklusion
­assertorisch sein, während sie im Fall eines notwendigen Obersatzes und eines
­assertorischen Untersatzes notwendig ist. Diese kontraintuitive Analyse wurde
bereits von Aristoteles’ Gefährten im Lykeion angefochten: Theophrast und
­Eudemos vertraten die Ansicht, dass die Konklusion die Modalität der schwäche-
ren der beiden Prämissen übernimmt (peiorem oder deteriorem-Regel), so dass
im Fall eines notwendigen Obersatzes und eines assertorischen Untersatzes die
Konklusion assertorisch sein muss, da sie der schwächeren der beiden Modalitäten
in den Prämissen folgt (vgl. Theophrast fr. 105–106 FHSG). Sosigenes war einer
der Peripatetiker im 2. Jahrhundert, der versuchte, Aristoteles’ Ansicht zu vertei-
digen (vgl. Herminos, Alexander von Aphrodisias). Er argumentierte dafür, dass
im Fall eines notwendigen Obersatzes und eines assertorischen Untersatzes die
Konklusion tatsächlich notwendig ist (in Übereinstimmung mit Aristoteles), dass
aber die Notwendigkeit der Konklusion nicht einfach, sondern eingeschränkt sein
wird. In Philoponos’ Bericht über Sosigenes wird Aristoteles, ‹De interpretatione›
9 zitiert, wo Aristoteles verschiedene Bedeutungen von ‘notwendig’ unterscheidet.
Sosigenes benutzt die Unterscheidung zwischen «absoluter» (κυρίως) und «beding-
ter» (ἐξ ὑποθέσεως) Notwendigkeit folgendermaßen: Die Bewegung der Sonne ist
durch absolute Notwendigkeit charakterisiert. Um bedingte Notwendigkeit hin-
gegen handelt es sich in den Fällen, in denen das Prädikat einem Subjekt so lange
zukommt, wie dieses Geltung hat. So ist die Aussage ‘Sokrates ist ein Lebewesen’
aufgrund bedingter Notwendigkeit notwendig, d. h. sie ist notwendig, solange

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340 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

­ okrates existiert. Vergleichbar ist Folgendes: Wenn wir einen Syllogismus mit not-
S
wendigem Obersatz und assertorischem Untersatz haben, dann ist die Konklusion
bedingt notwendig, und zwar unter der Bedingung, dass der Untersatz wahr ist:

S ist M, Notwendig (M ist P), ergo Notwendig hypothetisch (S ist P).

Alexander von Aphrodisias stimmte mit Sosigenes darin überein (gegen Theo-
phrast und Eudemos), dass die Modalität der Konklusion der Modalität des Ober-
satzes folgen sollte, argumentierte aber dafür, dass die Notwendigkeit der Kon-
klusion nicht bedingt ist (für eine detaillierte Diskussion und Kritik von Sosigenes’
Lösung vgl. Flannery 1995 [*827], Barnes 2007 [*141: 542–546], Sharples 2010
[*43: 96–100], Gili 2014 [*412: 55–59]).

3. Himmelsbewegungen

In seiner Monographie ‹Über entgegenwirkende [sc. Sphären]› (Περὶ τῶν


ἀνελιττουσῶν [sc. σφαιρῶν]; vgl. Bowen 2013 [*411: 278–283]) erläuterte Sosige-
nes sowohl die homozentrische Theorie als auch die Theorie, die Epizyklen und
exzentrische Sphären einführt, indem er auf die Gründe für jede Theorie und die
Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, hinwies. Am Ende seiner Darstellung
schlug er möglicherweise eine zusammengesetzte Theorie vor, welche die Stärken
der beiden Ansätze kombinierte. Moraux 1984 [*220: 351] vertrat die Ansicht, dass
es aufgrund der Berichte bei Simplikios möglich sei, Inhalte und Struktur von So-
sigenes’ Werk folgendermaßen zu rekonstruieren: Die Abhandlung begann mit
einem Einleitungs­kapitel, das u. a. ein wichtiges Beweisstück enthielt, das aus
­Eudemos’ ‹Geschichte der Astronomie› (Ἀστρολογικὴ ἱστορία) stammte und das
Platons Programm der theoretischen Grundlagen der Astronomie und die Auf-
gabe, die er dem Astronomen zuteilte, betraf (Eudoxos war unter den ersten, die
das in Angriff nahmen; Simpl. In Cael. 488,18–24 Heiberg; Sharples 2010 [*43:
1L]; zu Sosigenes’ Gebrauch von Eudemos vgl. Zhmud 2006 [*410: 230–237],
Bowen 2013 [*411: 81–83]). Der erste Teil des Werks widmete sich der Darstellung
und Kritik des konzentrischen Systems der Planetenbewegung (Eudoxos, Kallip-
pos, Aristoteles), der zweite Teil behandelte die neueren Theorien der Epizyklen
und Exzentren. Simplikios überliefert einige Details von Sosigenes’ Kritik an kon-
zentrischen astronomischen Systemen, aus denen klar hervorgeht, dass es Sosige-
nes vor allem darum ging, dass diese Systeme keine zufriedenstellende Erklärung
für die Phänomene geben (διασῶσαι τὰ φαινόμενα) können (Simpl. In Cael.
504,17 Heiberg). Er erwähnt insbesondere den ungleichmäßigen Abstand von Pla-
neten zum Mittelpunkt der Erde, der durch alltägliche Beobachtung vielfach be-
legt ist (erwähnt werden die wechselnden Größen von Venus und Mars, die «im
mittleren Teil ihres Umlaufs um ein vielfaches größer erscheinen» sowohl mit der
Hilfe von Messgeräten als auch aufgrund von Beobachtung, wobei an dieser Stelle
das Auftreten von ringförmigen Sonnenfinsternissen erwähnt wird; Simpl. In
Cael. 504,17–506,3 Heiberg; vgl. Sharples 2010 [*43: 21K]).

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§ 35. Sosigenes (Bibl. 439) 341

Es ist bemerkenswert, dass Sosigenes offenbar Aristoteles aus dieser Kritik an


der konzentrischen Theorie ausnehmen will, wenn er sagt, dass Aristoteles selbst
das Problem der ungleichen Größe in den ‹Physikalischen Problemen› angespro-
chen habe (es gibt in der erhaltenen Sammlung der ‹Probleme› keinen Hinweis
darauf, vgl. Sharples 2010 [*43: 186 Anm. 15]). Zur Unterstützung dieser Vertei-
digung zitiert er ‹Metaphysik› 12,8: «Wieviele [sc. Himmelsbewegungen] es sind,
dazu nennen wir jetzt der Übersicht wegen die Angaben gewisser Astronomen,
damit man in Gedanken eine bestimmte Zahl annehmen kann, im Übrigen müs-
sen wir einiges selber erforschen und anderes erfragen von denen, die die Sache
erforschen; wenn sich aber denen, die sich damit beschäftigen, etwas zeigt, was
dem jetzt Gesagten entgegensteht, müssen wir zwar beide Seiten schätzen, den ge-
naueren aber uns anvertrauen» (1073b11–17 = Simpl. In Cael. 505,30–506,3 Hei-
berg). Wie Sharples 2010 [*43: 186 Anm. 17] bemerkt, ist das Zitat «tendenziös, da
es den Eindruck erweckt, als hätte Aristoteles gerade an der Theorie der konzen-
trischen Sphären Zweifel geäußert», während die aristotelische Passage sich spe-
ziell auf die Zahl der Himmelsbewegungen bezieht. Dies lässt gut erkennen, auf
welchem Weg Sosigenes hofft, die aristotelische Astronomie mit späteren Ent-
wicklungen in Übereinstimmung bringen zu können, und es charakterisiert auch
seine Aristoteles-Auslegung im Allgemeinen. Insbesondere ist es wichtig, dass er
die aristotelische Position für Überarbeitungen offenhält, die aus Fortschritten in
der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion über die betreffenden
Themen resultieren könnten, und dass er es im Fall von Meinungsverschiedenhei-
ten für einen notwendigen Teil der Methode hält, beide Seiten genau zu prüfen.
Simplikios überliefert auch Sosigenes’ Einwände gegen die Theorien der Epi-
zyklen und Exzentren. Es ist unklar, ob Simplikios’ Darstellung dieser Theorien
(Simpl. In Cael. 507,9–509,12 Heiberg) Material aus Sosigenes enthält; aber un-
mittelbar nachdem er beide Hypothesen zusammengefasst und bemerkt hat, dass
sie einfacher sind und mit den Phänomenen besser übereinstimmen als die kon-
zentrischen Modelle (509,16–19 Heiberg), zitiert er die Kritik an den beiden Theo­
rien, die er Sosigenes zuschreibt. Dieser beanstandet, dass die «späteren»
(μεταγενέστεροι: 507,9 Heiberg) Astronomen Aristoteles’ Prinzip, wonach jeder
Körper, der sich in einem Kreis bewegt, sich um das Zentrum des Universums be-
wegen müsse, nicht beachtet hätten (Simpl. In Cael. 509,19–21 Heiberg). Weiter
verletzen die neuen Theorien offensichtlich das aristotelische Prinzip der Ausglei-
chung (ἀνισασμός), dem gemäß die einzelne äußerste Sphäre des Kosmos unend-
lich viele Fixsterne transportiert, während in den Regionen näher am Zentrum
jeder Planet von mehreren Sphären getragen wird (509,22–26 Heiberg). Simplikios
zitiert dann Erwiderungen auf diese beiden Einwände, wobei unklar ist, wer ant-
wortet. Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass einiges Material in
den Erwiderungen aus Sosigenes’ Diskussion der Schwierigkeiten stammt.

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342 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

4. Theorie des Sehens

Aus dem ersten Beleg für die Abhandlung ‹Über das Sehen› geht hervor, dass
Sosigenes die Natur des Leuchtens in einigen natürlichen Körpern, die Aristoteles
in ‹De anima› 2,7 (419a1–7) berührt, im Zusammenhang mit der Frage behan-
delte, ob Farbe das einzige spezielle Objekt des Sehens sei. Laut Themistios (In
De an. 61,20ff. Heinze) vertrat Sosigenes die Ansicht, dass die leuchtenden Kör-
per an derselben Natur Anteil haben, die auch im leuchtenden Stoff der Himmels-
körper und in geringerem Maße auch im Feuer vorhanden ist. Die phosphoreszie-
renden sublunaren Körper besitzen diese Natur in minimalem Grad, weshalb sie
außer im Dunkeln nicht gesehen werden können.
Das zweite Zeugnis (Alex. Aphr. In Meteor. 142,34–143,14 Hayduck = Shar-
ples 2010 [*43: 26D]) hat mit der Erklärung der Halos zu tun. Alexander weist
­darauf hin, dass die meisten späteren Autoren diese als eine «Brechung der
­Sehstrahlen» (κατακλάσεις ὄψεων) verstanden, wie es bei Dingen geschieht, die
durchs Wasser gesehen werden, während Aristoteles und Poseidonios solare und
lunare Halos als Effekt einer «Reflexion» (ἀνάκλασις) des Lichts am atmosphä-
rischen Nebel erklärt hatten. Die späteren nahmen nämlich an, dass die Wolke
kugelförmig und hohl sei, und sagten dann, dass der Himmelskörper (Sonne oder
Mond), der sich oberhalb davon befindet, darin in einen Kreis aufgebrochen
­erscheine. Dass solche Ansichten über die Halos falsch seien, habe sein Lehrer
Sosigenes aber im achten Buch von ‹Über das Sehen› hinlänglich gezeigt (143,9–
14 Hayduck). Sosigenes verteidigt hier also wiederum die aristotelische Position
der ‘alten Schule’ gegen die von Alexander erwähnte innovative Lehre. Moraux
1984 [*220: 360] stellt die Frage nach der Quelle dieser neuen Lehren und erwähnt
in diesem Zusammenhang die zeitliche Nähe zwischen dem Werk des Sosigenes
und Ptolemaios’ ‹Optik›. Mit der Tatsache der zeitlichen Nähe argumentiert auch
Knorr 1985 [*409: 102–105] für seine Vermutung, dass die dem Ptolemaios zuge-
schriebene erhaltene Abhandlung ‹Optik› ein Werk von Sosigenes sein könnte.
Der Verfasser dieser ‹Optik› vertritt aber ganz klar die Ansicht, dass vom Auge
ausgesandte Sehströme die Träger des Sehens seien; diese Annahme wurde wahr-
scheinlich eher von Ptolemaios vertreten, da sie derjenigen ähnlich ist, auf die So-
sigenes’ Kritik abzielt (vgl. Sharples 2010 [*43: 263–265]).

4. NACHWIRKUNG

Sosigenes war der Lehrer des Alexander von Aphrodisias, so dass sich mit eini-
ger Sicherheit annehmen lässt, dass Alexander mit allen Problemen, an denen dieser
arbeitete, vertraut war. Informationen über Sosigenes’ Interessen, insbesondere
über dasjenige an einer technisch präzisen Auslegung des Aristoteles, die gleich-
zeitig die freundlichste und plausibelste Lesart der aristotelischen Lehren ergibt, sind
äußerst relevant für unser Verständnis von Alexanders Aristotelismus. Moraux
1984 [*220: 335 Anm. 6] hebt zu Recht hervor, dass Sosigenes’ Gebrauch des Argu-
ments ‘in utramque partem’ (das durch unabhängige Quellen für so verschiedene

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§ 36. Herminos (Bibl. 439) 343

Gebiete wie die Logik und die Astronomie bezeugt ist) möglicherweise Alexanders
Gebrauch der Darstellungsform ‘Probleme und Lösungen’ beeinflusst hat.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 36. Herminos

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Aufgrund einiger Hinweise in den alten Quellen lässt sich Herminos’ Schaffens-
zeit ins 2. Jahrhundert n. Chr. datieren. Lukian überliefert einen bissigen Scherz des
Kynikers Demonax, der von ca. 80 bis 175/180 n. Chr. lebte: «Herminos, sagte er, du
verdienst wirklich zehn Anklagen» (ἄξιος εἶ δέκα κατηγοριῶν: Vit. Demon. 56 –
ein Wortspiel mit dem Doppelsinn von κατηγορία: Kategorie bzw. Anklage). Alex-
ander von Aphrodisias spricht von Herminos offensichtlich als von seinem Lehrer
(bei Simpl. In Cael. 430,32f. Heiberg: Ἑρμίνου δέ […] ἤκουσα) und sagt, dass die-
ser in seinen Vorlesungen Ideen des Aspasios benutzt habe. In Alexanders Ab-
handlung ‹Über die Bewegung gegen Galen›, die nur arabisch überliefert ist, wird
als Adressat von Galens Brief, in dem Aristoteles’ Bewegungstheorie kritisiert
wird, ein gewisser ’rmyws erwähnt. Pines 1961 [*771: 23] emendierte ’rmyws zu
’rmnws und vermutete, dass es sich bei Galens Adressaten um Herminos handelt.
Die Emendation wird heute allgemein als richtig angesehen. Ob Herminos mit
Galens peripatetischem Lehrer, einem Schüler des Aspasios, identisch ist, der in
der Abhandlung ‹Über Leiden und Fehler der Seele› (Scripta minora I,32,5–7
Marquardt) erwähnt wird, ist unsicher. Für eine Identifikation sprechen sich Mar-
mura, Rescher 1965 [*636: 1] aus, während Moraux 1984 [*220: 362f.] die Meinung
vertritt, dass eine solche zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass die uns zur
Verfügung stehenden Belege für einen sicheren Nachweis aber nicht ausreichen.

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344 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

2. WERKE

Kommentar zu Aristoteles’ ‹Kategorien› allen drei Stellen wirft Herminos Fragen auf, dis-
kutiert Aristoteles’ Argumente und macht eher
Herminos wird von Simplikios als einer der frü- eigene ergänzende Beiträge, als dass er Textaus-
heren Kommentatoren der aristotelischen ‹Katego- legung betreibt (Moraux 1984 [*220: 382]). Die
rien› erwähnt. Sein Kommentar gehört im Unter- genaue literarische Gattung des Kommentars ist
schied zu demjenigen des Boethos nicht zur Gruppe deshalb unklar.
der detailliertesten Kommentare. Moraux 1984
[*220: 364f.] vergleicht das Ziel des Kommentars
mit demjenigen des (verlorenen) Kommentars von Kommentar zu Aristoteles’ ‹Topik›
Alexander von Aphrodisias und ist sich nicht sicher,
ob Simplikios direkten Zugang zu Herminos’ Werk Herminos wird in Alexanders ‹Topik›-Kom­
hatte. Griffin 2009 [*422: 340f.] vertritt die Auffas- mentar zweimal erwähnt, beide Male im Zusam-
sung, dass sich aus dem überlieferten Material nicht menhang mit Buch 8 (569,3–5; 574,22–26 Wallies).
zwingend auf die Existenz eines publizierten Kom- Da beide überlieferten Stellen die Auslegung des
mentars schließen lässt; es könnte auch auf einen aristotelischen Texts betreffen, kann man vermu-
Kommentar von Alexander von Aphrodisias zu- ten, dass Herminos in diesem Fall den Text eher
rückgehen, den dieser auf der Grundlage seiner No- kommentierte, als dass er Eigenes zum Lehrgehalt
tizen aus Herminos’ Seminar verfasst hat. beitrug, doch könnte dies auch mit dem Thema des
Texts zu tun haben.

Kommentar zu Aristoteles’ ‹De inter­


pretatione› Kommentar zu Aristoteles’ ‹De caelo›

Wir wissen von Herminos’ Kommentar zu ‹De In den antiken Quellen gibt es zwei Nachrich-
interpretatione› aus den Kommentaren des Am- ten über Herminos’ Beschäftigung mit dieser Ab-
monios und besonders von Boethius (Boeth. In handlung. Beide stammen aus Simplikios’ Kom-
Int. 4, II,293,27–294,4 Meiser). Sehr wahrschein- mentar und gehen auf Alexander von Aphrodisias
lich verdanken aber beide späteren Kommentato- zurück (Simpl. In Cael. 380,3–5; 430,32–431,11
ren ihre Informationen über Herminos Alexanders Heiberg). Es ist aber nicht sicher, ob Herminos
verlorenem Kommentar zu ‹De interpretatione›. wirklich einen Kommentar zum ganzen aristoteli-
schen Text geschrieben hat. Moraux 1984 [*220:
396f.] vermutet, dass sich in Alexanders Darstel-
Kommentar zu Aristoteles’ ‹Analytica lung Herminos’ Vorlesungen über die Bewegung
priora› der Himmelssphären widerspiegeln (vgl. Gott-
schalk 1987 [*28: 1158f.]). Rescigno 2004 [*574:
Es gibt drei Hinweise auf Herminos’ Erörte- 63] schlägt vor, als Quelle für Alexander eine
rungen zu den ‹Analytica priora›, und zwar im Reihe von mono-thematischen Vorlesungen des
Kommentar des Alexander von Aphrodisias Herminos zum Text von ‹De caelo› anzunehmen.
(72,26–74,6; 89,30–90,6 Wallies) und im Kom- Das würde die Konzentration auf Details und den
mentar des Ps.-Ammonios (39,31–40,1 Wallies), Gebrauch früherer Quellen (z. B. Aspasios und
der letztlich auch auf Alexander zurückgeht. An Alexander von Aigai) erklären.

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§ 36. Herminos (Bibl. 439) 345

3. LEHRE

1. ‹Kategorien›. – 2. ‹De interpretatione›. – 3. ‹Analytica priora›. – 4. ‹Topik›. – 5. ‹De caelo›.

1. ‹Kategorien›

Herminos widmet einen Abschnitt den begrifflichen und technischen Belan-


gen bei der Auslegung dieses Traktats. Tatsächlich scheinen einige der Hauptfort-
schritte in der Interpretation von kontroversen Problemen, die von der späteren –
sowohl aristotelischen als auch neuplatonischen – Tradition aufgenommen und
weiterentwickelt wurden, auf von Herminos vertretene Positionen zurückzugehen.
Dabei geht es insbesondere um seine Darstellung des Ziels der Abhandlung und
ihres Platzes im aristotelischen Corpus. Herminos wollte nachweisen, dass es in
diesem Traktat um angemessene Aussageweise für jede der zehn höchsten Gat-
tungen von Seiendem gehe (vgl. Porph. In Cat. 59,20–25 Busse; Moraux 1984
[*220: 364–367], Griffin 2009 [*422: 30–38]). Seiner Meinung nach sollte das Werk
als erstes der aristotelischen Werke studiert werden und die Fragen nach dem Sta-
tus der zehn höchsten Gattungen nur berühren. Die zehn Kategorien betreffen
eher die «Dinge» (πράγματα) als die «Gedanken» (νοήματα), Herminos scheint
sich demnach gegen die konzeptualistische Interpretation von Aristoteles zu wen-
den, die unter späteren Autoren vorherrscht (vgl. Boeth. In Int. 1, II,37,30–40,20
Meiser; für eine detaillierte Quellenanalyse vgl. Griffin 2009 [*422: 38–69]).
Herminos behandelt auch die Frage, zu welcher Kategorie die ‘differentia spe-
cifica’ gehöre. Simplikios zufolge betrachtet Herminos die sogenannten ‘konstitu-
tiven Differenzen’ nicht als Differenzen im eigentlichen Sinne, sondern will diese
Bezeichnung den ‘trennenden Differenzen’ vorbehalten (Simpl. In Cat. 55,22f.
Kalbfleisch). So sind die konstitutiven Differenzen ‘beseelt’ und ‘wahrnehmend’
nicht eigentliche Differenzen im Hinblick auf die Gattung ‘Lebewesen’, wohl aber
die Differenzen ‘rational’ und ‘irrational’, insofern sie die Gattung in Arten un-
terteilen. Moraux 1984 [*220: 368] vermutet, dass Herminos darin Boethos folgt,
der die Meinung vertrat, dass die Differenzen nicht zur Gattung gehören, sondern
zur Art, da sie bei allen Vertretern der jeweiligen Art vorkommen, nicht aber bei
allen Vertretern der Gattung (Simpl. In Cat. 97,28–34 Kalbfleisch). Eine Folge
dieser Ansicht könnte Herminos’ Interpretation von ‹Kategorien› 3, 1b15f. sein.
An dieser Stelle sagt Aristoteles, die Differenzen zweier Gattungen, die nicht ge-
genseitig untergeordnet seien, seien «der Art nach verschieden» (ἕτεραι τῷ εἴδει).
Er meint damit, dass die Differenzen zweier verschiedener Gattungen (z. B. der
Gattungen ‘Lebewesen’ und ‘Wissenschaft’) der Art nach verschieden sind (d. h.
die Differenzen der einen Gattung – ‘mit Füßen versehen’, ‘beflügelt’ usw. – kom-
men bei der anderen Gattung nie vor). Herminos versteht die Stelle so, dass zwei
Gattungen, die nicht einander, sondern einer gemeinsamen Obergattung unter­

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346 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

geordnet sind (z. B. die Gattungen ‘beflügelt’ und ‘mit Füßen versehen’ unter der
Obergattung ‘Lebewesen’), gemeinsame Differenzen wie ‘zweifüßig’ oder ‘vier-
füßig’ haben können und dass diese jeweiligen Differenzen in den zwei unterge-
ordneten Gattungen «der Art nach» (εἴδει) verschieden, aber in Bezug auf die
übergeordnete Gattung (γένει) identisch sind (Simpl. In Cat. 57,22–58,7 Kalb-
fleisch). Alexander von Aphrodisias kritisiert diese Auslegung in seiner Abhand-
lung ‹De differentiis specificis›, die auf Arabisch erhalten ist (vgl. Rashed 2007
[*858: 104–126], Kupreeva 2010 [*873: 224]).
Weiter argumentiert Herminos gegen die Ansicht, die Liste der zehn Kategorien
sei das Resultat einer Teilung der Gattungen oder eines Ganzen; er vertritt hin-
gegen die Meinung, dass es sich um eine «Aufzählung» (ἀπαρίθμησις) handle
(Simpl. In Cat. 62,7–9 Kalbfleisch). Simplikios erwähnt auch Herminos’ Auslegun-
gen von technischen Fragen. In einem Fall geht es um das Kapitel zur Quantität,
wo Herminos offenbar eine Lösung für ein von einem Kritiker des Aristoteles,
dem Platoniker Lukios, aufgeworfenes Problem bietet. Die Kritik betrifft Aris­
toteles’ Nennung eines Körpers, d. h. einer Substanz, als Beispiel für die Kategorie
der Quantität in der Diskussion von kontinuierlichen Quantitäten in ‹Kategorien›
6, 5a1–6. Herminos schlägt vor, dass Aristoteles von einem geometrischen Körper
spreche, d. h. vom Dreidimensionalen, der zur Quantität gehöre, und nicht von
einem physikalischen Körper, der Substanz ist (Simpl. In Cat. 124,31–35 Kalb-
fleisch; für diese Simplikios korrigierende Interpretation vgl. Moraux 1984 [*220:
370f.]). Herminos gibt ferner einen Lösungsvorschlag für das Problem von ‘oben’
und ‘unten’, das von Aristoteles als angebliches Beispiel für Gegensätze innerhalb
der Kategorie der Quantität genannt wird (6a11–18), indem er erklärt, dass diese
Gegensätze eher in die Kategorie ‘Wo’ als in die Kategorie ‘Ort’ fallen und so
nicht zur Quantität gehören (Porph. In Cat. 107,25–30 Busse), eine Lösung, die
Simplikios dem Andronikos zuschreibt (Simpl. In Cat. 142,34–143,1 Kalbfleisch).
Herminos diskutierte offensichtlich auch die Stellung und das Ziel der Postprädi-
kamente, wobei er die vor-andronikische Auffassung wieder aufnahm, dass es sich
dabei um eine Einführung in die ‹Topik› handle (Elias In Cat. 241,30–34 Busse;
Moraux 1984 [*220: 373]).

2. ‹De interpretatione›

Auf die Frage, welche Rolle die kurze Diskussion der Gedanken und der Wör-
ter als deren Symbole im ersten Kapitel von ‹De interpretatione› spielt, antwor-
tete Herminos, dass sie den Nutzen der folgenden Erläuterungen betonen solle,
da die Gedanken nur durch die sprachlichen Ausdrücke erfasst werden könnten
(Boeth. In Int. 1, II,25,15–26,14 Meiser).
Die Herangehensweise von Herminos an die Interpretation dieser Stelle scheint
mit der Bedeutungstheorie, die seiner Interpretation der ‹Kategorien› zugrunde
liegt, übereinzustimmen, wo er ebenfalls nachweist, dass die Kategorien sich direkt
auf die Gattungen von Seiendem beziehen, unbeeinflusst von Gedanken. Mit Blick
auf ‹De interpretatione› 1 teilt er die Zweifel des Aspasios und stellt die traditio-

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§ 36. Herminos (Bibl. 439) 347

nelle Lesart und das entsprechende Verständnis der Stelle infrage, die lautet: «Und
wie die Buchstaben nicht für alle gleich sind, sind es auch die gesprochenen Laute
nicht. Wofür diese aber an erster Stelle Zeichen sind – die Affektionen der Seele –
diese sind für alle dieselben; und womit die Affektionen Ähnlichkeit haben – mit
den Dingen – die sind auch dieselben» (Int. 1, 16a5–8). Herminos schlägt vor, in
16a6 «diese» (ταῦτα) statt «dieselben» (ταὐτά) zu lesen; denn Boethius zufolge
«sagt [sc. Herminos], dass es nicht wahr sei, dass die Gedanken, die die Wörter zum
Ausdruck bringen, für alle Menschen gleich sind. Denn wie sollte dann etwas zwei-
deutig gesagt werden, argumentiert er, da ja in diesem Fall ein und dasselbe Wort
Mehreres bedeutet? Vielmehr hält er eher die folgende Lesart für richtig: ‘Wofür
diese aber an erster Stelle Zeichen sind – das sind die Affektionen der Seele –, und
womit diese Affektionen Ähnlichkeit haben, das sind die Dinge’, so dass die Stelle
eher zu zeigen scheine, was die gesprochenen Wörter zum Ausdruck bringen oder
womit die Affektionen der Seele Ähnlichkeit haben» (Boeth. In Int. 1, II,39,25–
40,2 Meiser = Sharples 2010 [*43: 11E (Auszug)]). Herminos versucht hier, die kon-
zeptualistische Lesart der Passage abzuwehren, diese Position scheint aber keine
Anhänger gefunden zu haben (vgl. Ebbesen 1981 [*421: 159], Moraux 1984 [*220:
375]). Boethius überliefert weiter mehrere technische Erklärungen des Herminos
im Zusammenhang mit den Problemen der Quantifizierung (Moraux 1984 [*220:
376–382]). Bemerkenswert ist, dass Herminos bei seinen Erklärungen zum Prob-
lem der Kontrarietät von unquantifizierten Urteilen (Int. 7, 17b7–12) nur den Fall
erklärt, in dem das Prädikat dem Subjekt von Natur aus zukommt, wie im Fall von
‘Der Mensch ist rational’ die Rationalität dem Menschen von Natur aus zukommt
(Boeth. In Int. 1, II,157,30–158,9 Meiser). Es ist die Tatsache des natürlichen Zu-
kommens, welche die Kontrarietät der Relation zwischen zwei unquantifizierten
Aussagen (z. B. ‘Der Mensch ist rational’ und ‘Der Mensch ist nicht rational’) aus-
zumachen scheint. Diese Tatsache wird in Boethius’ Kritik offensichtlich nicht be-
rücksichtigt (Boeth. In Int. 1, II,158,9–17 Meiser).

3. ‹Analytica priora›

Es gibt drei Erklärungen des Herminos zu Aristoteles’ ‹Erster Analytik›, die


in späteren Kommentaren überliefert sind. Alexander von Aphrodisias berichtet
von seinen Bemühungen, eine Methode zu entwickeln, um in einem Syllogismus
in der zweiten Figur (wo der Mittelbegriff in beiden Prämissen Prädikat ist) den
Ober- und Unterbegriff zu bestimmen (Alex. Aphr. In An. pr. 72,26–74,6 Wallies).
Die Methode wird von Alexander und den modernen Kommentatoren der ‹Ana-
lytica priora› allerdings als nutzlos und unangemessen kritisiert (vgl. Alex. Aphr.
In An. pr. 72,5f. Wallies; Patzig 1959 [*420: 128]) und ist auch nicht wegen ihres
technischen Werts für die Darstellung der Syllogistik interessant, sondern nur als
Hinweis auf Herminos’ philosophische Ontologie, in der die natürlichen Hierar-
chien von Gattungen und Arten eine besondere Rolle spielen. Sein Hauptkrite-
rium für die Entscheidung, welches der zwei Subjekte der Prämissen der Ober-
bzw. der Unterbegriff ist, hat nämlich mit der relativen Position dieser Begriffe in

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348 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

solchen natürlichen Hierarchien zu tun: Derjenige Begriff, der näher an der über-
geordneten Gattung der Hierarchie ist, ist Oberbegriff, derjenige, der in der
Rangleiter weiter unten steht, Unterbegriff. Herminos betrachtet mehrere Fälle:
1) beide Begriffe gehören zur selben Gattung und haben einen verschieden großen
Abstand zur Gattung; 2) beide Begriffe gehören zur selben Gattung und sind
gleich weit von der Gattung entfernt; beide Begriffe gehören zu verschiedenen
Gattungen, wobei auch in diesem Fall zwischen 3) Äquidistanz und 4) Nicht-Äqui-
distanz zur Gattung unterschieden wird. Für jeden dieser Fälle entwickelt er eine
Methode. Diese ist manchmal etwas gewunden, aber immer konsistent mit seiner
grundsätzlichen Stoßrichtung, alle Begriffe als Bestandteile der natürlichen Hier­
archien von Gattungen und Arten aufzufassen, in denen Distanz in Bezug auf die
relative Position auf der Gattung-Art-Leiter definiert ist, d. h. entsprechend der
Anzahl von Gabelungsschritten, welche die ‘differentia specifica’, die den frag­
lichen Begriff charakterisiert, von der Gattung trennt.
Die zweite Erklärung, die ebenfalls von Alexander überliefert wird, hat mit der
Methode zu tun, mit der die nicht schlüssigen Modi von Syllogismen bewiesen
werden. Aristoteles’ Verfahren, das Alexander «materielles Schließen für alles
und nichts (τὸ εὐπορῆσαι ὕλης καὶ τῷ παντὶ καὶ τῷ μηδενί)» nennt (Alex. Aphr.
In An. pr. 89,30 Wallies), setzt die Konstruktion von zwei Syllogismen derselben
Form voraus, mit zwei Beispielen von konkreten Begriffen, die im einen Fall ein
allgemein bejahendes (A), im anderen Fall ein allgemein verneinendes (E) Urteil
ergeben. Herminos – offenbar einigen ungenannten früheren Denkern folgend –
glaubt, dass die Nichtschlüssigkeit eines Syllogismus mithilfe eines Paares von Syl-
logismen bewiesen werden kann, bei dem der eine eine allgemein verneinende (E),
der andere eine partikulär bejahende (I) Konklusion hat, wobei E und I sich wider-
sprechen (Alex. Aphr. In An. pr. 89,31–91,33 Wallies). Alexander wendet ein, dass
diese Kombination nicht beweise, dass der Syllogismus nicht-schlüssig sei, da sie
die Möglichkeit einer partikulär verneinenden Schlussfolgerung (O) offenlässt
(ibid. 90,6–27 Wallies).
Die dritte Erklärung hat mit dem berühmt-berüchtigten Problem der Modali-
tät der Konklusion in Syllogismen mit gemischten modalen Prämissen zu tun
(Arist. An. pr. 1,9). Aristoteles hatte die Meinung vertreten, dass die Konklusion
die Modalität des Obersatzes übernimmt (maiorem sequitur), eine Ansicht, die
schon von Theophrast und Eudemos kritisiert wurde, welche die ‘peiorem’ oder
‘deteriorem’-Regel vertraten: Die Konklusion übernimmt die schwächere Moda-
lität (Theophr. fr. 105f. FHSG), d. h. im Modus Barbara der ersten Figur: Wenn
der Obersatz notwendig und der Untersatz assertorisch ist, dann wird die Kon-
klusion assertorisch sein. Herminos versucht, wie Sosigenes, Aristoteles’ Ansicht
zu verteidigen. Herminos unterscheidet nämlich zwischen Form und Materie eines
Syllogismus und schlägt vor, dass die Notwendigkeit der Konklusion für gewisse
konkrete Begriffe (wobei konkrete Begriffe die ‘Materie’ eines Syllogismus sind)
Gültigkeit habe, für andere aber nicht (Ps.-Ammon. In An. pr. 39,31–40,1 Wal-
lies). Alexander kritisiert diese Theorie in seinem Kommentar, ohne Herminos zu
nennen (Alex. Aphr. In An. pr. 125,17–24 Wallies). Ps.-Ammonios’ Quelle für die
Diskussion muss, direkt oder indirekt, die verlorene Abhandlung Alexanders

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§ 36. Herminos (Bibl. 439) 349

‹Über die Meinungsverschiedenheiten zwischen Aristoteles und seinen Kollegen


mit Blick auf gemischte Prämissen› (Περὶ τῆς κατὰ τὰς μίξεις διαφορᾶς [var. lect.
διαφωνίας] Ἀριστοτέλους τε καὶ τῶν ἑταίρων αὐτοῦ) gewesen sein (Alex. Aphr.
In An. pr. 125,30f. Wallies; Philopon. In An. pr. 126,20 Wallies; Flannery 1995
[*827], Gili 2014 [*412: 49–55] für detaillierte Diskussion).

4. ‹Topik›

Eine erste durch Alexander von Aphrodisias überlieferte Bemerkung des Her-
minos zur ‹Topik› hat mit der Frage zu tun, wie in der aristotelischen Aufzählung
der fünf möglichen Kritikpunkte an einem Argument, das durch Frage und Ant-
wort zustande kommt, der Text unterteilt werden soll (161b19). Aristoteles zählt
mittels Zahlen (‘erstens’, ‘zweitens’, ‘drittens’) drei Fehler auf: 1) unkorrigierbar
nicht-schlüssige oder falsche Prämissen; 2) eine für die Fragestellung irrelevante
Ableitung; 3) eine nicht-schlüssige Ableitung, die durch zusätzliche Annahmen
korrigiert werden kann. Und er schließt mittels Verbindungspartikeln – «wiederum»
(πάλιν: 161b28) und «ferner» (ἔτι: 161b31; Top. 8,11, 161b19–33) – die zwei folgen-
den Kritikpunkte an: 4) Herleitung, die durch das Weglassen von Prämissen er-
möglicht wird; 5) unplausible Prämissen oder Prämissen, die schwieriger zu bewei-
sen sind als die behauptete Schlussfolgerung. Herminos verteilte die Aufzählung
anders, indem er den traditionellerweise vierten Kritikpunkt zum dritten zählt
(d. h. er behandelt das Hinzufügen bzw. Weglassen von Prämissen als Teilpunkte
derselben Kritik) und den fünften Kritikpunkt in 1) unplausible Prämissen und
2) Prämissen, die schwierig zu beweisen sind, unterteilt.
Eine zweite Bemerkung zur ‹Topik› betrifft die knappe Beschreibung, die Aris-
toteles von der zweiten Art von «falschem Argument» (ψευδὴς λόγος) in ‹Topik›
8,12, 162b3–15 gibt. Aristoteles erklärt, das Argument sei falsch, wenn sich eine
Konklusion ergebe, die sich nicht auf das zu Beweisende bezieht – «was meistens
im Fall der reductio ad absurdum geschieht» (ὅπερ συμβαίνει μάλιστα τοῖς εἰς
ἀδύνατον ἄγουσιν: 162b5f.). Herminos versteht Aristoteles so, dass dieser alle
Fälle von indirektem Beweis (durch reductio) «falsche Argumente» nennt, da in
allen diesen Fällen etwas nicht durch eine direkte Ableitung, sondern durch eine
reductio ad absurdum (d. h. im Widerspruch zur Prämisse) bewiesen wird (Alex.
Aphr. In Top. 574,22–26 Wallies). Alexander zieht eine andere Erklärung vor. Für
ihn ist der Hinweis auf die reductio nicht eine grundsätzliche Kritik an dieser Art
von Beweis, sondern lediglich eine Angabe derjenigen Beweisart, in welcher der
von Aristoteles genannte Fehler am häufigsten vorkommt, nämlich wenn man im
indirekten Beweis Prämissen wählt, die ohne Bezug zum demonstrandum sind
(ibid. 574,26–575,7 Wallies).
Diese beiden Bemerkungen tragen nichts Wichtiges zur Schuldoktrin bei (vgl. Mo-
raux 1984 [*220: 394]), liefern aber Hinweise zu Herminos’ Auslegungsmethode:
­Offensichtlich haben wir es in diesem Fall nicht mit einer Spezialmonographie zu
tun, sondern mit einem ausführlichen Kommentar zum Text, der entweder publiziert
war oder in den Seminaren, die Alexander besuchte, mündlich vorgetragen wurde.

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350 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

5. ‹De caelo›

Nach Alexander von Aphrodisias folgt Herminos bei seiner Erläuterung von
Aristoteles’ Argument für die Regelmäßigkeit der Himmelsbewegung in ‹De
caelo› 2,6 der Interpretation von Aspasios (apud Simpl. In Cael. 430,12–431,37
Heiberg = fr. 145a Rescigno).
Ein anderer Hinweis auf Herminos steht im Zusammenhang mit Aristoteles’
Argument, dass die Himmelsbewegung ewig und mühelos sei und nicht durch ir-
gendeinen äußeren Zwang zustande komme (Cael. 2,1, 284a15–b5). Herminos’
Ansicht wird von Alexander von Aphrodisias als eine Antwort auf eine Art Schul-
problem vorgestellt: «Wir untersuchten, sagt [sc. Alexander], als wir zu diesem Teil
des zweiten [sc. Buches von ‹De caelo›] kamen, mit welcher Bewegung die Seele
den Körper bewegt, der eine Kreisbewegung ausführt, wenn er sich von Natur aus
im Kreis bewegt. Die Untersuchung ist notwendig, und es lohnt sich, sich diese
Frage als Problem vorzulegen. Wir müssen die Lösungen betrachten […]. Iulianos
von Tralleis meinte, dass die Seele verantwortlich dafür sei, dass sich der Körper
nach rechts, ausgeglichen und geordnet bewege. Herminos hingegen sagte, die
Seele sei der Grund für seine unendliche Bewegung, denn kein begrenzter Kör-
per besitze in seiner eigenen Natur die Kraft zur unendlichen Bewegung» (apud
Simpl. In Cael. 379,32–380,5 Heiberg = fr. 129d12–22 Rescigno; vgl. Sharples 2010
[*43: 21J]). Das Schulproblem hat mit einer Spannung in Aristoteles’ Erklärung
der Himmelsbewegungen zu tun, die sich einerseits auf die Eigenschaften des
himmlischen Körpers (αἰθήρ), andererseits aber auch auf die These, dass die Him-
mel beseelt sind, bezieht (vgl. Sharples 2002 [*391: 4]). Die in der Schule unter-
nommenen Lösungsversuche gehen in die Richtung, dass man verschiedene Funk-
tionen der Himmelskörper durch verschiedene Faktoren erklärte (Sharples 2010
[*43: 191]). Herminos deutet den unendlichen Charakter der Himmelsbewegung
mithilfe der Seele, indem er auf Aristoteles’ Beweis in ‹Physik› 8,10 verweist, wo-
nach eine unendliche Kraft ihren Sitz nicht in einem endlichen Körper haben
könne (266a24–b27). Alexander wendet gegen Herminos’ Erklärung ein, dass der
erste Beweger dafür verantwortlich sei, dass die Himmelsbewegung unendlich sei.
Das lässt vermuten, wie Rescigno 2008 [*575: 144] betont, dass Herminos den
Himmel als vollständige, sich selbst bewegende Einheit betrachtet, die aus einem
Bewegenden – der Seele – und aus einem Bewegten – dem Körper – besteht (vgl.
Moraux 1984 [*220: 398], Bodnár 1997 [*830: 190]). Diese Lösung, die ihrerseits
Probleme im Hinblick auf die Rolle der Finalursache aufwirft, dürfte aus dem
Wunsch entstanden sein, die Differenzen zwischen den Erklärungen der Him-
melsbewegung in der ‹Physik› und denjenigen in ‹De caelo› aufzuheben.

4. NACHWIRKUNG

Herminos war der Lehrer von Alexander von Aphrodisias, und beinahe alle
wichtigen Informationen über seine Lehre sind durch Alexander überliefert. Die
Vermutung, dass er Galen unterrichtet haben könnte, ist spekulativ, sollte aber

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 351

doch nicht gänzlich abgetan werden. Sie gründet auf der Tatsache, dass Galen
einen Schüler von Aspasios unter seinen peripatetischen Lehrern erwähnt, und
auf einem glaubhaften Verweis auf Herminos als Adressat eines Briefes von Galen
in der auf Arabisch erhaltenen Abhandlung des Alexander von Aphrodisias ‹Über
die Bewegung gegen Galen›.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 37. Aristokles von Messene

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Laut der ‹Suda› (I,356,8 Adler s. v. Ἀριστοκλῆς) kam der peripatetische Philo-
soph Aristokles aus dem sizilianischen Messene. Der Hinweis auf Sizilien soll
wohl dazu dienen, Aristokles’ Geburtsort vom berühmteren Messene auf der Pe-
loponnes zu unterscheiden, und geht möglicherweise auf eine ältere Quelle zurück
(Follet 1989 [*475: 382f.] argumentiert für Messene auf der Peloponnes, dagegen
vgl. Chiesara 2001 [*429: XIX, 51]).
Aristokles’ Lebenszeit wurde bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts von einer
Mehrheit der Forscher auf die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts datiert, weil an-
genommen wurde, dass er der Lehrer des Alexander von Aphrodisias gewesen sei.
Dieser wurde in mehreren antiken Texten ‘Aristoteles’ genannt, was man für einen
Schreibfehler für ‘Aristokles’ hielt (Alex. Aphr. De intell. 110,4 Bruns; Simpl. In
Cael. 153,16f. Heiberg; Cyr. Alex. CI 2,38; 5,9). Die frühesten modernen Emen-
dationen von ‘Aristoteles’ zu ‘Aristokles’ gehen auf das 16. Jahrhundert ­zurück
und erhielten im 19. Jahrhundert Unterstützung durch Eduard Zellers ­Autorität.
Verwechslungen zwischen den beiden mit Ἀριστ- beginnenden Namen sind in den
griechischen Quellen nicht selten (vgl. die Liste der vielen richtigen Korrekturen
von Ἀριστοτέλης zu Ἀριστοκλῆς bei Rose 1863 [*436: 615–622]). In seiner Ausgabe
der Aristokles-Fragmente druckt Heiland 1925 [*428: 16–23 = Testimonia III–V]
diese emendierten Texte als Testimonien für Aristokles. Als aber im 20. Jahrhun-
dert neue Hinweise darauf bekannt wurden, dass es im 2. Jahrhundert wirklich
einen peripatetischen Philosophen und Lehrer des Alexander von Aphrodisias mit

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352 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

dem Namen Aristoteles gegeben hat, wurden diese Emendationen überprüft und
verworfen.
Die früheste antike literarische Quelle, in der Aristokles erwähnt wird und
die damit den Terminus ante quem für Aristokles darstellt, ist Eusebios’ ‹Prae-
paratio evangelica›, die im frühen 4. Jahrhundert n. Chr. verfasst wurde. Die am
spätesten datierte Person, die in Aristokles’ Fragmenten erwähnt wird, ist Apel-
likon, von dem man weiß, dass sein Lebenshöhepunkt zwischen 88 und 84 v. Chr.
lag. Ebenfalls erwähnt wird Ainesidemos von Knossos, dessen floruit heute über-
einstimmend ins 1. Jahrhundert v. Chr. datiert wird (vgl. Polito 2014 [*491: 41f.])
und der als Terminus post quem für Aristokles angenommen werden kann. Mo-
raux 1984 [*220: 89] vertrat die Ansicht, dass Aristokles nicht später als 50 Jahre
nach der Wiederbelebung der pyrrhoneischen Skepsis durch Ainesidemos ge-
schrieben habe, d. h. nicht später als Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Chiesara
2001 [*429: XIX] schlug vor, die Datierung auf das späte 1. Jahrhundert v. Chr.
vorzuziehen.
Über Aristokles’ Leben ist nichts bekannt, doch erörtert Chiesara, inwieweit
Aristokles eine enge Verbindung zu Alexandrien hatte: Sein Werk weist Vertraut-
heit mit alexandrinischen Realien auf (vgl. den Titel seines Werks ‹Über Sarapis›),
und Ainesidemos, für den Aristokles möglicherweise unsere früheste Quelle ist,
war laut Aristokles’ eigenem Bericht in Alexandrien aktiv. Spätere alexandrinische
Philosophen (Asklepios und Philoponos) sind mit Aristokles’ Werk vertraut. Einen
weiteren Hinweis könnte man aus der Lesart σοφός (weise) anstelle des überliefer-
ten κλυτός (berühmt) im Homer-Zitat (σοφὸς ἤραρε τέκτων: Il. 23,712) gewinnen,
das bei der Diskussion der Bedeutungen von σοφόν in den Testimonien 3,4 und 5,4
vorkommt (hier und im Folgenden werden alle Testimonien und Fragmente des
Aristokles nach der Ausgabe von Chiesara 2001 [*429] zitiert). Diese Lesart bei
Philoponos und Asklepios geht sehr wahrscheinlich auf Aristokles zurück und fin-
det sich auch bei Clemens von Alexandrien (Strom. 1,25) und Ammonios (In Isag.
9,13 Busse), möglicherweise repräsentieren alle diese Texte die alexandrinische
Überlieferungstradition des homerischen Texts (Chiesara 2001 [*429: 57]).
In antiken Quellen sind mehrere Namensvetter von Aristokles erwähnt, deren
Identität mit dem Messenier zum Teil diskutiert wird. Es handelt sich vor allem um
den Grammatiker Aristokles von Rhodos, der im 1. Jahrhundert v. Chr. aktiv war
(vgl. Wentzel 1896 [*444]), und um Aristokles von Pergamon, einen peripatetischen
Philosophen aus dem 2. Jahrhundert, der, nachdem er bei Herodes Atticus studiert
hatte, Rhetor wurde (Schmid 1896 [*443], Follet 1989 [*476]). Proklos erwähnt in
seinem Kommentar zum ‹Timaios› einen Aristokles, der argumentiert habe, dass
die fehlende Person im ‹Timaios› Theaitetos sei (1,20,2 Diehl). Gercke 1896 [*442]
meinte, dass sich Proklos hier möglicherweise auf Aristokles von Messene beziehe.
Festugière 1949 [*450] vertrat hingegen die Ansicht, dass es wahrscheinlicher sei,
dass der Grammatiker Aristokles von Rhodos gemeint sei, den Proklos auch bei
einer anderen Gelegenheit zitiert (1,85,28 Diehl), wo er seinen vollen Namen mit
dem geographischen Beinamen gebraucht. Follet 1989 [*476] bezieht die Stellen
aus Proklos in die Testimonien zu Aristokles von Messene ein und Chiesara 2002
[*487] diskutiert die Möglichkeit, dass sich In Tim. I,20,2 auf den Messenier bezie-

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 353

hen könnte. Goulet 1989 [*477] dagegen vertritt die Meinung, dass Proklos an die-
ser Stelle eher auf den Grammatiker aus Rhodos Bezug nimmt.
Weiter erwähnt Simplikios bei der Frage nach der Himmelsmaterie in seinem
Kommentar zur aristotelischen ‹Physik› Proklos’ Brief «an» oder «gegen» Aristo-
kles. Chiesara 2001 [*429] behandelt diese Stelle (Simpl. In Phys. 615,15 Diels) wie
auch In Tim. I,20,2 so, als meine sie den Messenier; sie nimmt jedoch keinen der
beiden Texte in ihre Testimonien auf. Hinzuzufügen ist, dass der Name Aristok-
les einer der häufigsten in der alten Welt war, so dass jede prosopographische Zu-
schreibung guter Belege bedarf.

2. WERKE

Die ‹Suda› (I,356,9–12 Adler s. v. Ἀριστοκλῆς) schaft des Messeniers (besonders wenn man an
listet in folgender Reihenfolge fünf Werke des Aris- die Diskussionen zur Rhetorik unter den Peripa-
tokles auf: ‹Über Philosophie› (Περὶ φιλοσοφίας) tetikern des späten Hellenismus denkt).
in zehn Büchern, ‹Ob Homer oder Platon besser
ist› (Πότερον σπουδαιότερος Ὅμηρος ἢ Πλάτων),
‹Handbücher der Rhetorik› (Τέχναι ῥητορικαί), Περὶ Σαραπίδος
‹Über Sarapis› (Περὶ Σαραπίδος) und ‹Ethik› ‹Über Sarapis›
(Ἠθικά) in acht oder neun Büchern (T1 Chiesara).
Das einzige Werk, das in anderen antiken Quellen Es gibt keine weiteren Zeugnisse, aber Chiesara
sicher belegt ist und von dem wir als einzigem 2001 [*429: XIX–XX] vermutet, dass der Titel Aris-
Fragmente besitzen, ist ‹Über Philosophie›. tokles’ Verbindung zu Alexandrien widerspiegelt.
Die Titel der Werke zu Homer und Platon und
über Sarapis deuten auf ein literarisches und histo-
Πότερον σπουδαιότερος Ὅμηρος ἢ Πλάτων risches Interesse hin, und Moraux 1984 [*220: 89f.]
‹Ob Homer oder Platon besser ist› spekuliert, ob vielleicht beide Werke, wie auch die
Abhandlung über die Rhetorik, Aristokles von
Über dieses Werk gibt es keine weiteren Infor- Messene fälschlich aufgrund einer Verwechslung
mationen aus anderen antiken Quellen. Die Ver- mit Aristokles von Pergamon zugeschrieben wor-
mutung von Gercke 1896 [*442], dass sich Proklos den sind. Doch sind solche Interessen nicht unver-
in In Tim. I,20,2 Diehl möglicherweise auf Aristo- einbar mit dem üblichen Hintergrund der peripa-
kles von Messene bezieht, schließt die Vermutung tetischen Philosophen, so dass die Autorschaft des
mit ein, dass das Werk, in dem Aristokles seine Messeniers nicht ausgeschlossen werden kann.
Bemerkung über die fehlende Person im ‹Timaios›
macht, der Vergleich zwischen Homer und Platon
sein könnte. Es gibt aber für diese Vermutung kei- Ἠθικά
nen Beleg. Der Titel ist typisch für rhetorische ‹Ethik›
Übungen zu Themen der Literaturkritik, und es
ist offen, ob darin philosophische Themen aus Pla- Der Titel heißt in der ‹Suda› Ἠθικά βιβλία θʹ.
tons Kritik an Homer in der ‹Politeia› vorkamen. Moraux 1984 [*220: 90] übersetzt «Ethik in neun
Karamanolis 2006 [*488: 37] vermutet, dass Aris- Büchern», Chiesara 2001 [*429: 3] «in acht Bü-
tokles in diesem Werk Platon lobte. chern» und Heiland 1925 [*428: 4, 104] unerklär­
licherweise «in sieben Büchern». Die Angabe
hängt vom Zählsystem ab: Das hellenistische Sys-
Τέχναι ῥητορικαί tem basierte auf dem 27 Buchstaben umfassenden
‹Handbücher der Rhetorik› Alphabet und enthielt das alte Stigma als Nummer
6, was für θʹ den Wert neun ergibt. Im vor-alex­
Auch dieses Werk ist mit Ausnahme der ‹Suda› andrinischen System, basierend auf dem 24 Buch-
nicht belegt. Moraux 1984 [*220: 90] vertrat die staben umfassenden Alphabet, hatte θʹ den Wert
Ansicht, dass der Autor Aristokles von Pergamon acht. Angesichts von Aristokles’ Lebenszeit und
sein könnte. Doch spricht nichts gegen die Autor- der Tatsache, dass in der ‹Suda› das archaische

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354 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Stigma für Buch sechs von ‹Über Philosophie› ge- und die Lehren von Metrodor und Protagoras
braucht zu sein scheint (T2 Chiesara = Suda (Praep. ev. 14,20,1–12 = F6 Chiesara).
IV,409,20f. Adler s. v. Σωτάδας), ist es plausibel, an- Abgesehen von diesen Fragmenten gibt es ein
zunehmen, dass auch für die Bücher der ‹Ethik› das substantielles Testimonium für ‹Über Philo­
alexandrinische Zählsystem gebraucht wurde, d. h. sophie› (ohne Angabe eines Buches) in den zwei
die Zahl der Bücher wäre neun, für eine definitive Kommentaren zu Nikomachos’ ‹Einführung in die
Klärung bräuchte es aber mehr Belegmaterial. Arithmetik› von Philoponos und Asklepios, die
Moraux 1984 [*220: 90] bemerkt, dass ein solcher über Aristokles’ Darstellung der Bedeutung des
Titel in der Werkliste des Aristokles sehr gut mit Wortes σοφία («Weisheit») berichten (T3–T6
seinen Interessen als peripatetischer Philosoph zu- Chiesara). Außerdem haben wir einen kurzen Be-
sammenpassen würde. Es gibt keine weiteren richt in der ‹Suda›, dass Aristokles im 6. Buch von
Zeugnisse in antiken Quellen, die dieses Werk be- ‹Über Philosophie› den Philosophen Sotadas aus
legen könnten. Es lässt sich daher nur spekulieren, Byzanz erwähnt habe (T2 Chiesara, vgl. Clem.
ob es eher eine Abhandlung war, die auf Aristokles’ Alex. Strom. 1,61,3; Gercke 1896 [*442]).
eigenen Überlegungen zu ethischen Themen ba- Das Textmaterial ist nicht unbeträchtlich, und
sierte, oder ein Kommentar zu einer von Aristote- doch ist jede Rekonstruktion der Struktur, Metho-
les’ Ethiken. Wenn Letzteres der Fall ist, findet sich den oder Inhalte des Buches über diese Fragmente
kein Hinweis auf Aristokles im erhaltenen ‹Ethik›- und Berichte hinaus schwierig und notgedrungen
Kommentar des Aspasios, der sich sonst auf Schul- spekulativ. Gercke 1896 [*442] vergleicht Aristo­
material aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. stützt. Auf kles’ Methode mit derjenigen des Theophrast, da
jeden Fall ist es bedeutsam, möglicherweise einen beide untersuchen, wie verschiedene Ansichten zu
Titel aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. zu haben, der einem philosophischen Problem zustande kamen,
auf ein Interesse an ethischen Themen hinweist. ohne den Fokus auf das Problem selbst aufzugeben.
Heiland 1925 [*428: 90–94] schlägt in seiner Frag-
mentsammlung vor, dass das Werk auf der Eintei-
Περὶ φιλοσοφίας lung der Philosophie in Logik (Bücher 1–4), Ethik
‹Über Philosophie› (Bücher 5 und 6), Physik (Bücher 7 und 8) und
Theologie (Bücher 9 und 10) beruht habe, mit einem
Dieses Werk ist als einziges des Aristokles in Vorwort, in dem das Konzept ‘Philosophie’ disku-
mehreren Quellen belegt, und einige Fragmente tiert worden sei (vgl. Gercke 1896 [*442]). Buch 7
daraus sind erhalten. Es bestand aus zehn Bü- und 8 wären dann der Naturphilosophie gewidmet
chern, wie die ‹Suda›, Philoponos und Asklepios gewesen, wobei zu Buch 7 die Fragmente über Pla-
bezeugen (T1, T3,3, T4, T5,3, T6 Chiesara). Die bei ton (= F1 Chiesara), Aristoteles (= F2 Chiesara) und
Eusebios erhaltenen Fragmente umfassen drei Ex- die Stoiker (= F3 Chiesara) gehört hätten, zu Buch
zerpte aus Buch 7 (Platons Einteilung der Philoso- 8 die Fragmente zu Metrodor und Protagoras (= F6
phie, Eus. Praep. ev. 11,3,1–9 = F1 Chiesara), etwas Chiesara), Xenophanes und Parmenides (= F7
zur biographischen Tradition zu Aristoteles (Eus. Chiesara) und die Lehren von Aristipp (= F5
Praep. ev. 15,2,1–15 = F2 Chiesara), eine kurze Chiesara) und Epikur (= F8 Chiesara). Trabucco
Darstellung von Zenons Prinzipienlehre (Eus. 1958 [*454] argumentiert gegen diese Rekonstruk-
Praep. ev. 15,4,1–2 = F3 Chiesara), einen Aus- tion und schlägt seinerseits vor, dass Aristokles in
schnitt aus Buch 8 (Widerlegung der eleatischen den Büchern 1 bis 6 seine eigenen Ansichten vorge-
und megarischen Schule, Eus. Praep. ev. 14,17,1–9 stellt habe, während er in Buch 7 die Lehren der
= F7 Chiesara), drei Fragmente ohne Angabe einer Akademie, des Lykeions und der Stoa diskutiert
Buchnummer (die aber inhaltlich mit der Widerle- habe. Die neuere Forschung hat sich solch spekula-
gung der Eleaten und Megariker verknüpft sind, so tiver Rekonstruktionen meist enthalten und ihre
dass sie möglicherweise auch aus Buch 8 stam- Aufmerksamkeit stattdessen Aristokles als Quelle
men), die Darstellung der Skeptiker (Eus. Praep. für verschiedene antike Schulen (besonders die
ev. 14,18,1–31 = F4 Chiesara), die Lehren der Kyre- skeptische) und seinem Platz in der peripatetischen
naiker (Eus. Praep. ev. 14,19,1–8 = F5 Chiesara) Tradition zugewandt (Moraux 1984 [*220: 91f.]).

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 355

3. LEHRE

1. Die Bedeutung von Sophia und Kulturgeschichte. – 2. Über Platon, Aristoteles und die Stoiker (F1–3
Chiesara): 2.1. Platons Philosophie (F1 Chiesara); 2.2. Die Verteidigung des Aristoteles (F2 Chiesara); 2.3.
Stoische Physik (F3 Chiesara). – 3. Das Problem der Erkenntnis: 3.1. Kritik am Pyrrhonismus (F4 Chiesara);
3.2. Aristokles’ Bericht der pyrrhoneischen Hauptprinzipien (F4,2–10 Chiesara); 3.3. Aristokles’ Widerle-
gung der pyrrhoneischen Position (F4,5–9 Chiesara); 3.4. Aristokles’ Darstellung der Tropen (F4,11
Chiesara); 3.5. Aristokles’ Kritik an den Tropen (F4,12–29 Chiesara); 3.6. Schlussfolgerung zu Aristokles’
skeptischen Quellen und seinem Gebrauch von Aristoteles; 3.7. Kritik an den Kyrenaikern (F5 Chiesara);
3.8. Kritik an den ‘Sensualisten’ (F6 Chiesara); 3.9. Kritik an den Anti-Sensualisten (F7 Chiesara); 3.10.
Kritik an der epikureischen Ansicht, dass Lust ein Kriterium für das Handeln sei (F8 Chiesara).

Die wenigen erhaltenen Zeugnisse und Fragmente geben uns einen kleinen
Einblick in Aristokles’ Auffassungen und Argumente. Sie genügen nicht für eine
vollständige Rekonstruktion seiner Lehre, sind aber doch informativ und werfen
zusätzliches Licht auf die Geschichte des Aristotelismus zu Beginn des 1. Jahrtau-
sends n. Chr. Die erhaltenen Texte können in drei Gruppen eingeteilt werden: Die
Diskussion der Bedeutungen von ‘Sophia’, wie sie in den Testimonien bei Askle-
pios und Philoponos erhalten ist, die Fragmente einer – wie es scheint – histori-
schen Einführung in die Lehren von Platon, Aristoteles und den Stoikern und
schließlich eine Diskussion von ‘Wissen’, die fünf verschiedene Argumente um-
fasst: gegen die Skeptiker, gegen die Kyrenaiker, gegen Protagoras und Epikur
über Sinneswahrnehmung, gegen die Behauptung der Eleaten und Megariker,
dass man der Sinneswahrnehmung nicht trauen kann, und gegen die Epikureer
über Lust als Kriterium. Der genaue Ort all dieser Darstellungen in der Gesamt-
struktur von ‹Über Philosophie› ist schwer feststellbar. Sie sind aber miteinander
verbunden und vermitteln eine Idee von den für die Peripatetiker zur Zeit des
Aristokles zentralen Problemen, ihren Argumenten und der Art und Weise, wie
sie Aristoteles’ Texte und Lehren benutzten. Einer der interessantesten Punkte in
diesem Zusammenhang ist, dass diese Texte die frühesten Belege für die Rezep-
tion von Aristoteles’ ‹Metaphysik› in der peripatetischen Tradition liefern.

1. Die Bedeutungen von Sophia und Kulturgeschichte

Sowohl Johannes Philoponos als auch Asklepios von Tralleis erwähnen Aris-
tokles in ihren Kommentaren zur ‹Einführung in die Arithmetik› des Nikoma-
chos von Gerasa im Zusammenhang mit der Erklärung der Bedeutung des grie-
chischen Wortes σοφία (Weisheit) in der von Nikomachos zitierten Definition von
Philosophie als «Liebe zur Weisheit» (φιλία σοφίας: I,1,1 Hoche).
Die Kommentare von Philoponos und Asklepios basieren beide auf Vorlesungen
von Ammonios, und es wurde von einigen Forschern die Meinung vertreten, dass
Philoponos den Kommentar des Asklepios bei der Abfassung seines Werks benutzt
habe (Westerink 1964 [*458], Moraux 1984 [*220: 95], vgl. Chiesara 2001 [*429:
57f.]). Beide Kommentare enthalten lange Zitate von älterem Material, das aus der-

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356 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

selben Quelle kommt und drei Punkte enthält: In beiden Kommentaren geht dem
Verweis auf Aristokles’ zehn Bücher ‹Über Philosophie› 1) eine etymologische Ab-
leitung von σοφία aus dem Kunstwort σάφεια (in Anlehnung an σαφήνεια, «Klar-
heit») voraus, wobei letztere mit den Wörtern φάος und φῶς («Licht») verbunden
wird. 2) Diese Etymologie wird durch einen Bericht unterstützt (der in den beiden
Kommentaren etwas verschieden lautet), wonach Aristoteles alles, was evident
(φανότατα) ist, als «erleuchtet» und «rein» bezeichnet habe (Askl. In Nikom. 1,1,9f.
Tarán = T3,2 Chiesara [Auszüge]; vgl. Philop. In Nikom. = T5,2 Chiesara [Aus-
züge]). Auf diese etymologische Ableitung von σοφία und den Verweis auf Aristo-
teles folgt in beiden Kommentatoren 3) die Bemerkung, dass das Wort τὸ σοφόν
(und σοφία bei Philoponos) homonym und bei den Alten laut Aristokles in fünf ver-
schiedenen Bedeutungen verwendet werde, worauf die weitere Darstellung des Aris-
tokles in ‹Über Philosophie› zitiert wird.
Philoponos’ Text (der bis im Jahr 1969, als Taráns Edition von Asklepios’ Kom-
mentar erschien, als einziger der beiden Texte in einer modernen Ausgabe zugäng-
lich war) weckte im Zusammenhang mit Aristoteles’ verlorenem Dialog ‹Über
Philosophie› früh das Interesse der Forscher. Bald nach der Publikation von Philo­
ponos’ Kommentar durch Hoche 1864 [*437] schlug Bywater 1877 [*438] vor, dass
alle drei oben aufgelisteten Elemente der Diskussion aus derselben Quelle stamm-
ten, nämlich aus Aristokles, der seinerseits Aristoteles’ verlorenen Dialog ‹Über
Philosophie› (Περὶ φιλοσοφίας) zitiere, und dass der Titel von Aristokles’ eigenem
‘opus magnum’ nicht zufällig gleich laute wie der Titel des Werks von Aristoteles.
Bywaters Hypothese erwies sich als einflussreich: Einige Gelehrte vertraten zwar
die Meinung, dass der infrage kommende Vorlage-Text nicht Aristoteles’ Dialog
‹Über Philosophie›, sondern der ‹Protreptikos› sei (Bignone 1936 [*448: II 511–
525], Gaiser 21968 [*462: 236–242, 457f.]), einige argumentierten auch dafür, dass
die fünf Bedeutungen nicht von Aristoteles, sondern von Poseidonios stammten
(Jaeger 1923 [*446: 139 Anm. 1]); im Großen und Ganzen fand die Vermutung,
dass Aristoteles’ verlorene Schrift durch Aristokles überliefert wurde, aber erheb-
lichen Anklang (Festugière 1949 [*450: 222–227], Untersteiner 1963 [*457: 14–16],
wobei bei ihm die Texte von Philoponos und Asklepios als fr. 8 von ‹Über Philo-
sophie› abgedruckt werden, ferner Trabucco 1958 [*454]).
Ein schlüssiges Argument gegen diese Ansicht brachte Haase 1965 [*459] vor,
der zeigte, dass nicht zwingend eine Verbindung zwischen den Punkten 1) und 2)
angenommen werden muss, d. h. zwischen der Etymologie σοφία – σάφεια und
dem Verweis auf Aristoteles’ Aussage. Haase zeigte, dass die Aristoteles zuge-
schriebene Aussage, wonach diejenigen Dinge am meisten evident seien, die er-
leuchtet sind, aus überlieferten Werken des Aristoteles abgeleitet und von neupla-
tonischen Kommentatoren ausgearbeitet worden war. Er argumentierte weiter,
dass weder die Etymologie (die, auch wenn sie bei Aristoteles nicht zu finden ist,
nicht als eine neue oder originelle Erfindung angesehen und einer speziellen
Schule zugeschrieben werden sollte, vgl. Eur. Orest. 397) noch der Verweis auf
Aristoteles aus Aristokles’ Text stammen müssen. Da auf der anderen Seite so-
wohl Asklepios als auch Philoponos den Bericht über die fünf Bedeutungen von
σοφία Aristokles zuschreiben (= Punkt 3 oben), ist es nicht zwingend, ein verlorenes

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 357

aristotelisches Werk als Quelle für diesen Bericht zu postulieren. Als Autor von
3) kann Aristokles selbst angenommen werden. Die zwei wichtigen Schlussfolge-
rungen von Haase sind daher, dass es keinen Grund gibt, die Punkte 1) und 2) der
Diskussion von σοφία auf Aristokles zurückzuführen, und dass die Annahme,
Aristokles’ Diskussion von Punkt 3) stamme aus Aristoteles’ verlorenem Werk,
nicht nötig ist. Moraux 1984 [*220: 94] und Chiesara 2001 [*429: 57–59] stimmten
Haases Schlussfolgerungen zu.
Den Bericht über die fünf Stufen in der Entwicklung des Begriffs «Weisheit»
in der menschlichen Kultur ist daher als aristokleisch aufzufassen. Aristokles un-
terscheidet fünf Bedeutungen der Wörter τὸ σοφόν/σοφία, die mit fünf verschie-
denen Stadien in der kulturellen Entwicklung der Menschheit korrespondieren
sollen. Die erste Bedeutung wird der frühen Kultur der Schafhirten und Bergbe-
wohner zugeordnet, die Überlebende von großen Naturkatastrophen wie Über-
schwemmungen, Plagen und Erdbeben waren. Sie gebrauchten die Wörter σοφόν
und σοφία, wenn sie sich auf die Entdeckung von Hilfsmitteln und Kunstfertig-
keiten bezogen, die ihren Bedürfnissen dienten, z. B. «das Mahlen von Korn in
Mühlen oder das Sähen oder etwas in dieser Art» (T3,4, T5,4 Chiesara). Im Text
von Asklepios und Philoponos wird im Zusammenhang mit dieser Art von Erfin-
dungen der Menschen nicht das Wort τέχνη («Kunstfertigkeit») verwendet, son-
dern ἐπίνοια («Erfindung»). Von den eigentlichen Kunstfertigkeiten, τέχναι, ist
erst auf der zweiten Stufe der kulturellen Entwicklung die Rede. Diese zweite
Stufe und die zweite Bedeutung von ‘Weisheit’ haben mit Entdeckungen zu tun,
die nicht nur lebenswichtig sind, «sondern auch mit Schönem und Elegantem zu
tun haben» (T5,4 Chiesara). Diese Entdeckungen verdanken sich den eigentlichen
τέχναι, Beispiele sind Zimmerei und Architektur.
Die dritte Bedeutung bezieht sich auf das Können in der politischen Kunst, die
Entdeckung von Gesetzen und allem, was zur Organisation einer Polis gehört. Philo-
ponos sagt, das Verdienst der Sieben Weisen habe darin bestanden, gewisse poli­
tische Tugenden entdeckt zu haben (T5,4 Chiesara). Moraux 1984 [*220: 118] weist
darauf hin, dass die Nennung der Sieben Weisen als Illustration für politisches Wis-
sen nicht mit Platons Darstellung im ‹Hippias maior› 281c übereinstimmt, hingegen
im Einklang steht mit ihrer Charakterisierung, die sich zum ersten Mal bei Dikaiarch
findet, der sagt, dass sie «weder weise gewesen seien noch Philosophen, sondern
­fähige Männer und Gesetzgeber» (fr. 37 Mirhady). Zu bemerken ist, dass Dikaiarch
mit politischer Kompetenz keine spezielle Bedeutung von σοφία verbindet.
Die vierte Bedeutung von ‘Weisheit’ hat mit der «Erforschung der Natur» zu
tun (φυσικὴ θεωρία: T3,4, T5,4 Chiesara), deren Aufgabe das Studium der «Kör-
per selber und ihrer Natur» (T3,4 Chiesara) bzw. «der sie erschaffenden Natur»
(T5,4 Chiesara) ist.
Die fünfte Bedeutung von ‘Weisheit’ verweist auf das Wissen von «göttlichen
und ewigen Entitäten und […] von immer und unveränderlich seienden Dingen»
(T3,4 Chiesara) bzw. «von göttlichen, überirdischen und absolut unveränderlichen
Dingen» (T5,4 Chiesara).
Es gibt verschiedene Parallelen zwischen Aristokles’ Darstellung der mensch­
lichen kulturellen Evolution und ähnlichen Passagen bei Platon und Aristoteles. Die

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358 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

beiden aussagekräftigsten Parallelen im platonischen Corpus sind die Diskussion


der Entstehung des Gemeinwesens aus einem unpolitischen Zustand der Mensch-
heit in Buch 3 der ‹Gesetze› und die Darstellung der Entwicklung des Begriffs
‘Weisheit’ in der nach-platonischen ‹Epinomis›. In ‹Gesetze› 3 liegt der Fokus nicht
auf dem Begriff ‘Weisheit’, sondern auf dem moralischen Fortschritt der mensch­
lichen Gesellschaft; die Stelle dürfte aber als Kontext für Aristokles dennoch eine
Bedeutung haben, weil die drei an dieser Stelle von Platon unterschiedenen Stufen
des sozialen Fortschritts (das Leben von Schafhirten und Bergbewohnern, die Er-
findung von Kunstfertigkeiten und die Gründung von Gemeinwesen) den ersten
drei Stufen in Aristokles’ Schema entsprechen. Die letzte Stufe in ‹Gesetze› 3
könnte ein klarer Referenzpunkt für Aristokles’ Darstellung von politischem Wis-
sen sein, ein Punkt, der in allen anderen parallelen Klassifikationen fehlt.
Die Diskussion der Weisheit in der ‹Epinomis› scheint näher an Aristokles’
Text, was ihre Zielsetzung betrifft, die Typologie der Weisheiten hat aber mehrere
bedeutsame Unterschiede: Es gibt interessanterweise keine genaue Entsprechung
zu Aristokles’ politischer Weisheit (Philippos von Opus führt stattdessen ein
­Wissen in stochastischer Kunstfertigkeit an) und theoretisches Wissen wird nicht
vom Studium der Natur unterschieden.
Die klarste Parallele bei Aristoteles ist ‹Metaphysik› 1,1, wo Aristoteles ver-
schiedene Bedeutungen von Weisheit unterscheidet, indem er sie mit drei generel-
len Arten von sich entwickelnder Kompetenz verbindet: erstens mit den Kunstfer-
tigkeiten, die zum Ziel haben, das Notwendige bereitzustellen, zweitens mit den
Kunstfertigkeiten, die Vergnügen und Ablenkung (διαγωγή) bereiten, und drittens
mit der höchsten Kunst, nämlich interesseloses theoretisches Wissen von Ursachen
und Prinzipien. Weiter spiegelt Aristokles’ Unterscheidung zwischen der vierten
und der fünften Bedeutung von Weisheit möglicherweise Aristoteles’ Unterscheidung
zwischen der ersten und der zweiten Philosophie wider (Metaph. 6,1).

2. Über Platon, Aristoteles und die Stoiker (F1–3 Chiesara)

Die drei bei Eusebios erhaltenen Auszüge aus Buch 7 sind in ihrem Charakter
recht verschieden: Der Platon betreffende konzentriert sich auf dessen Verständnis
von Gegenstand und Struktur der Philosophie, derjenige über Aristoteles ist eine
Verteidigung des Aristoteles gegen literarische Verleumder, beim dritten handelt
es sich um einen kurzen Abschnitt über Zenon.

2.1. Platons Philosophie (F1 Chiesara)

In diesem bei Eusebios erhaltenen Auszug aus ‹Über Philosophie› gibt Aristo-
kles einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Philosophie vor Platon,
wobei er betont, dass Platon der erste gewesen sei, der «im eigentlichen Sinne»
(γνησίως) Philosophie betrieben habe – im Gegensatz zum spezialisierten Wissen
von Ärzten, Musikern, Mathematikern –, und der erste, der die Philosophie «voll-
ständig» (τελείως) entwickelt habe, d. h. die ganze Philosophie und nicht nur einen

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 359

Aspekt (z. B. nur Physik wie die Ionier, nur Dialektik wie die Eleaten oder nur
Ethik wie Sokrates). Aristokles zufolge erkannte Platon, «dass die Wissenschaft
der menschlichen und göttlichen Dinge eine einzige ist», und «unterschied als erster
zwischen dem Studium der Natur des Alls, dem Studium der menschlichen Ange-
legenheiten und dem Studium von Reden» (F1,6 Chiesara). Für die Beschreibung
der Philosophie als «Wissenschaft der menschlichen und göttlichen Dinge» ge-
braucht Aristokles eine stoische Wendung, die Einteilung der Philosophie in «das
Studium der Natur des Alls», «das Studium der menschlichen Angelegenheiten»
oder «politische Philosophie» und «das Studium von Argumenten» oder «Logik»
(F1,6. 9 Chiesara) ist hellenistisch. Die Ansicht, dass Platon diese Einteilung als
Erster eingeführt habe, geht auf Antiochos zurück (Cic. Ac. 1,19). Im Gegensatz
dazu schreibt Sextus Empiricus die Einteilung der Philosophie in drei Teilgebiete
Xenokrates, den Peripatetikern und den Stoikern zu (Adv. Math. 7,17–20). Wenn
man annimmt, dass die Reihenfolge, in der die Teile der Philosophie in Aristokles’
Fragment aufgelistet werden, der Reihenfolge entspricht, in der diese Teilgebiete
der Philosophie studiert werden sollten (darauf könnte die Bemerkung in F1,7
Chiesara hinweisen, dass das Studium der menschlichen Angelegenheiten unmög-
lich sei, ohne die göttlichen Dinge studiert zu haben), weicht diese Abfolge von
jener ab, die Platon von Antiochos zugeschrieben wird (dieser gibt Ethik als Start-
punkt an). Näher ist die bei Aristokles gegebene Abfolge derjenigen des Peripate-
tikers Boethos (1. Jh. n. Chr., vgl. Chiesara 2001 [*429: 66]) und sie stimmt mit mit-
telplatonischen Darstellungen überein (vom Studium des Ganzen zu den Teilen).
Ein Unterschied besteht hingegen zur neuplatonischen Abfolge, in der das Studium
der göttlichen Dinge den Abschluss des philosophischen Unterrichts bildet, nach
Ethik, Dialektik und Physik (Moraux 1984 [*220: 132 Anm. 175]). Aristokles
schreibt in F3 Chiesara jedoch in Übereinstimmung mit der peripatetischen Tra-
dition Platon zwei Prinzipien zu und nicht drei, wie im Mittelplatonismus üblich.
Parallelen zum Mittelplatonismus in F1 Chiesara dürften deshalb wohl eher auf
Aristokles’ Quelle zurückgehen, als dass sie seine eigene Ansicht widerspiegeln.
Aristokles bewertet Platon positiv. In seiner Kritik an Protagoras bezieht er
sich häufig auf die Argumente in Platons ‹Theaitetos›. Es gibt eine auf Zeller 51923
[*202: 815] zurückgehende Tradition, die Aristokles eine besonders positive Ein-
stellung zum Platonismus zuschreibt oder sogar die Meinung einschließt, er habe
seinen Aristotelismus auf die Annahme einer Harmonie zwischen Platon und
Aristoteles gegründet (Karamanolis 2006 [*488: 38–41]). Auch wenn eine positive
Einstellung gegenüber Platon bei Philosophen anderer Schulen in der Antike im
Allgemeinen nicht unüblich ist, bedeutet das nicht, dass keine Differenzen in
Bezug auf die Lehre bestanden hätten (vgl. Alex. Aphr. fr. 2 Vitelli). Im Fall von
Aristokles verfügen wir nicht über genügend Anhaltspunkte, um daraus zu er-
schließen, welchen Stellenwert der Platonismus bei ihm hatte.

2.2. Die Verteidigung des Aristoteles (F2 Chiesara)

Das zweite bei Eusebios erhaltene Kapitel aus Buch 7 von ‹Über Philosophie› ent-
hält Aristokles’ Verteidigung des Aristoteles gegen Anschuldigungen verschiedener

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360 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

antiker Kritiker und Gegner. Aristokles unterteilt die Kritiker in zwei Gruppen:
Zeitgenossen oder beinahe Zeitgenossen des Aristoteles und Spätere (F2,9
Chiesara). In der ersten Gruppe nennt er acht Namen: Epikur in seinem Brief
‹Über Beschäftigungen› (Περὶ ἐπιτηδευμάτων: F2,1 Chiesara), Timaios von Tau-
romenion in seinen ‹Geschichten› (Ἱστορίαι: F2,2 Chiesara), Aristoxenos in
‹Leben des Platon›, zumal nach der Auslegung einiger Interpreten (F2,3
Chiesara), den Eristiker Alexinos (F2,4 Chiesara), Eubulides (den Megariker;
F2,5 Chiesara), Demochares (F2,6 Chiesara), Kephisodoros, einen Schüler des
Isokrates (F2,7 Chiesara), schließlich den Pythagoreer Lykon (F2,8 Chiesara).
Die zweite Gruppe bleibt anonym. Die meisten Anschuldigungen gegen Aris-
toteles hält Aristokles für reine Erfindungen und widerlegt sie mehr rhetorisch,
als dass er Beweise für ihr Gegenteil anführt. Es sei reiner Unsinn anzunehmen,
dass Aristoteles sein Erbe verschleudert habe, als Söldner gedient oder Drogen-
händler gewesen sei, bevor er sich Platon angeschlossen habe (so Epikur, vgl.
Sedley 1976 [*464: 125], der argumentiert, dass es sich dabei nicht um Epikurs
eigene Meinung handle, sondern um die Interpretation des Timokrates). Ebenso
irrig wären die Annahmen, Aristoteles sei ein gescheiterter Arzt gewesen (Ti-
maios), habe eine Schule (den Περίπατος) aus Rebellion gegen Platon gegrün-
det, als dieser nicht in Athen gewesen sei (so würden einige fälschlich Aristoxe-
nos auslegen, der laut Aristokles immer mit Ehrfurcht von Aristoteles spricht),
oder sei von Alexander vor den Augen von Philipp herablassend behandelt wor-
den (Alexinos in seinen ‹Erinnerungen›). Eubulides erzähle in seiner Schrift
gegen Aristoteles Lügen über dessen Heirat und seine Verbindungen zu Her-
mias, sowie dass er Philipp verletzt habe und sich gegenüber Platon respektlos
verhalten habe (F2,5 Chiesara). Demochares bringe gegen Aristoteles vor, dass
er seine Geburtsstadt Stageira wie auch die Bewohner von Olynthos an die Ma-
kedonier verraten habe (F2,6 Chiesara). Kephisodoros behaupte, Aristoteles
habe den Luxus geliebt (F2,7 Chiesara), und Lykon der Pythagoreer lege eine
Liste mit höchst absurden Erfindungen vor, wonach Aristoteles seiner Frau ge-
opfert habe wie Demeter oder ein Bad in warmem Öl genommen und es danach
verkauft habe. Weiter seien in seinem Boot von Zollbeamten 75 bronzene Tel-
ler gefunden worden, als er nach Chalkis segelte (F2,8 Chiesara). Die späteren
Ankläger wiederholten nur die alten Vorwürfe aus zweiter Hand, ohne die Bü-
cher zu konsultieren.
Es gibt allerdings zwei Anschuldigungen, die nach Meinung des Aristokles
ernst genommen werden sollten, da sie – obschon sie falsch sind – zumindest vor-
geben, sich auf Fakten zu beziehen. Beide Vorwürfe könnten mit denjenigen, die
in Eubulides’ Buch angeführt sind, in Zusammenhang stehen. Der erste habe mit
Aristoteles’ Motiven bei seiner Heirat mit Pythias zu tun, die als Schmeichelei ge-
genüber Hermias dargestellt wird. Aristokles sagt, dass es für jeden, der Apelli-
kons Bücher über die Beziehung zwischen Aristoteles und Hermias liest, klar sei,
dass diese Anschuldigung falsch ist (F2,13 Chiesara). Ebenso zeige Aristoteles’
eigener Brief an Antipatros, dass er Pythias erst nach dem Tod des Hermias ge-
heiratet habe, und erkläre seine Heirat mit Herpyllis nach Pythias’ Tod (F2,14f.
Chiesara). Der zweite Vorwurf, den Aristokles ernst nimmt, betrifft Aristoteles’

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 361

Undankbarkeit gegenüber Platon (F2,12 Chiesara): Diese Widerlegung fehlt in


Eusebios’ Text (zur Diskussion über einen möglichen Inhalt der Widerlegung vgl.
Moraux 1984 [*220: 144–147], Chiesara 2001 [*429: 75f.]).
Die Frage nach Aristokles’ Quellen für diese Apologie des Aristoteles war in
der Forschung heftig umstritten (Details in Moraux 1984 [*220: 140–144]). Momen-
tan besteht der Konsens darin, dass Aristokles eine sekundäre Quelle benutzte,
wahrscheinlich wirklich Apellikons Buch, auf das er in einer Weise Bezug nimmt,
die vermuten lässt, dass es zu seiner Zeit zugänglich war und von ihm benutzt
wurde (F2,13 Chiesara). Diese Tatsache gibt einer frühen Datierung des Aristo-
kles zusätzlich Gewicht und ist generell ein Zeugnis für die Kontinuität des intel-
lektuellen Rahmens und der Interessen vom hellenistischen Peripatos zu den Pe-
ripatetikern des frühen 1. Jahrhunderts.

2.3. Stoische Physik (F3 Chiesara)

Die kurze Darstellung der stoischen Physik (= Zenon, SVF I, fr. 98) enthält 1)
einen Bericht über Zenons These vom Feuer als Element, die mit Heraklits An-
sicht verglichen wird, 2) eine Darstellung der stoischen (immer noch Zenon zuge-
schriebenen) Theorie der zwei «Prinzipien» (ἀρχαί) Gott und Materie, von denen
behauptet wird, dass sie mit Platons Prinzipien übereinstimmen, abgesehen davon,
dass beide stoischen Prinzipien körperlich sind, während Platons erste aktive Ur-
sache unkörperlich ist, und 3) eine Kurzfassung der Theorie der ewigen Wieder-
kehr und des kosmischen Kreislaufs.
1) Dass Zenon Feuer als einziges Ur-Element versteht, wird klar durch den Ge-
brauch des Ausdrucks κατ’ ἐξοχήν in Chrysipp, SVF II, fr. 413 (Feuer als das Ele-
ment ‘par excellence’, aus dem alle anderen Elemente entstehen). Der Vergleich
mit Heraklit geht wohl auf eine stoische Quelle zurück (Chiesara 2001 [*429: 80]).
2) Die Darstellung der stoischen Prinzipien hat eine enge Parallele in D. L. 7,134,
wo sie Zenon, Kleanthes, Chrysipp, Archedemos und Poseidonios zugeschrieben
wird. Der Vergleich mit den zwei platonischen Prinzipien, wie sie in der früheren
Tradition bestimmt werden (Xenokr. fr. 98 Isnardi Parente; Theophr. fr. 230
FHSG), im Gegensatz zu den drei Prinzipien der mittelplatonischen Tradition und
späteren doxographischen Quellen (Alkin. Did. 162,25–166,13 H.; Aët. Plac.
1,3,21, 287,17–288,6 Diels; vgl. Moraux 1984 [*220: 149 Anm. 231]) zeigt, dass
Aristokles sich wohl wiederum auf eine ältere Tradition stützt und in seiner Be­
wertung des platonischen Systems vom Mittelplatonismus unabhängig ist. 3) Die
Beschreibung des kosmischen Zyklus kann auf Zenon zurückgeführt werden (mög-
licherweise auf sein Werk ‹Über Substanz›, Περὶ οὐσίας), aber die chrysippeische
Definition des Schicksals, ein Teil des Vokabulars und einige Parallelen in der
­späteren doxographischen Tradition (Arius fr. 29 Diels) weisen auf einen späteren
stoischen Vermittler, möglicherweise Poseidonios, als gemeinsame Quelle für diese
und Aristokles hin (Chiesara 2001 [*429: 84f.]).

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362 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3. Das Problem der Erkenntnis

Fünf der acht Fragmente aus ‹Über Philosophie›, die bei Eusebios erhalten sind,
enthalten Aristokles’ Kritik an verschiedenen epistemologischen Lehren vom aris-
totelischen Standpunkt aus, auch wenn in vielen Fällen die gegnerischen Ansichten
post-aristotelisch sind. Aristokles kritisiert den totalen Skeptizismus der Pyrrhoneer
(F4 Chiesara), die kyrenaische These, dass nur «Affekte» (πάθη) glaubwürdig seien
(F5 Chiesara), die Behauptung, nur Sinneswahrnehmungen sei zu trauen, in ihren
zwei Versionen bei Protagoras und den Epikureern (F6 Chiesara), die Behauptung,
dass man der Sinneswahrnehmung nicht trauen könne, die den eleatischen und me-
garischen Philosophen zugeschrieben wird (F7 Chiesara), und die epikureische Be-
hauptung, Lust und Schmerz seien die Kriterien, nach denen etwas gewählt bzw.
vermieden wird (F8 Chiesara). Die fünf Abschnitte sind möglicherweise Teile einer
zusammenhängenden Darstellung, wie man den Anfangssätzen von F5, F6 und F7
Chiesara entnehmen kann. Das längste Fragment gegen die Pyrrhoneer (F4
Chiesara) beginnt mit einem Satz, der als Ankündigung für die ganze Diskussion
gestanden haben könnte: «Vor allem anderen müssen wir unser eigenes Wissen un-
tersuchen». Die Buchnummer (acht) gibt Eusebios nur für F7 Chiesara an, aber
wenn alle Fragmente zum gleichen Hauptargument gehören, sind wohl alle Teil des
achten Buches (Moraux 1984 [*220: 124 Anm. 146]). Moraux 1984 [*220: 126] re-
konstruiert versuchsweise die Abfolge der Darstellungen in Buch 8 folgendermaßen
(mit Chiesaras Zählung): F4, F5, F8, F6, F7.

3.1. Kritik am Pyrrhonismus (F4 Chiesara)

Der längste Auszug aus Aristokles’ Buch bei Eusebios (F4 Chiesara) ist der
Kritik der pyrrhoneischen Lehren gewidmet. Für die Geschichte des Skeptizismus
ist dieses Fragment der beste oder sogar «der einzige» Text, der Pyrrhons Denken
zusammenfasst (Bett 2000 [*484: 14]). In der Geschichte des Aristotelismus be-
legt das Fragment als einer der frühesten Texte, dass Aristoteles’ ‹Metaphysik› in
den peripatetischen Bibliotheken der frühen Kaiserzeit nicht nur vorhanden war,
sondern auch Einfluss auf die peripatetischen Argumente jener Zeit nahm. Das
Fragment umfasst: Aristokles’ Präsentation der pyrrhoneischen Hauptthesen
(F4,2–4 Chiesara), Kritik an den pyrrhoneischen Prinzipien wegen wechselseiti-
ger und interner Inkonsistenz (F4,5–10 Chiesara), Ainesidemos’ Tropen (F4,11
Chiesara), Kritik an den Tropen (F4,12f. Chiesara), Kritik an den pyrrhoneischen
Prinzipien, da sie mit ihren eigenen praktischen Leitlinien nicht kompatibel seien
(F4,14–22 Chiesara), ein Argument dafür, dass es unmöglich sei, zu philosophie-
ren oder zu leben, ohne Meinungen zu haben (F4,23–26 Chiesara).

3.2. Aristokles’ Bericht der pyrrhoneischen Hauptprinzipien


(F4,2–10 Chiesara)

Aristokles sagt zu Beginn, die skeptische Ansicht, wonach wir von Natur aus
nicht dafür gemacht seien zu wissen und deshalb die Erforschung (anderer Dinge)

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 363

nicht weitertreiben dürften, habe schon bei den Alten, d. h. vor Pyrrhon, kursiert
und Aristoteles habe ihr widersprochen (F4,1 Chiesara). Aus diesem Argument
wird klar, dass er die pyrrhoneische Position in die Nähe jener rückt, die das Prin-
zip der Widerspruchsfreiheit ablehnen. Es stellt sich die Frage, wie verlässlich die
Informationen sind, die er über die pyrrhoneische Position gibt, da sie durch diese
Konstruktion auch verzerrt sein könnten.
Aristokles nennt in seinem Bericht drei verschiedene Quellen für die pyrrho-
neische Sicht: Pyrrhon von Elis, der selbst nichts geschrieben hat, über dessen
Lehren aber Timon berichtet; Timon, der seine eigene Meinung zu den pyrrho­
neischen Prinzipien vertrat, und als dritte Quelle Ainesidemos. Der im Fragment
erwähnte Dialog ‹Python› des Timon wird als Quelle für die Zusammenfassung
von Timons Ansichten angesehen, aber der Verweis auf Ainesidemos, dessen An-
sicht sich von derjenigen des Timon unterscheidet, zeigt, dass Aristokles möglicher-
weise eine vermittelnde Quelle benutzte. Chiesara 2001 [*429: 88f.] vertritt die
Meinung, dass es sich dabei um einen Pyrrhoneer handelt, der nach Ainesidemos
und vor Agrippa, Menodotos und Theodosios zu datieren ist.
Nach Timon muss ein Mensch, der glücklich sein will, drei Fragen erwägen: 1)
Wie sind die Dinge von Natur aus beschaffen? 2) Was für eine Haltung sollten wir
gegenüber den Dingen einnehmen? 3) Was für einen Gewinn haben diejenigen,
die eine solche Haltung einnehmen? Pyrrhon habe Timon zufolge gelehrt, dass 1’)
(i) die Dinge gleichermaßen «indifferent», «instabil» und «unbestimmt»
(ἀδιάφορα, ἀστάθμητα, ἀνεπίκριτα) sind und «deswegen» (διὰ τοῦτο) (ii) weder
unsere Sinneswahrnehmungen noch unsere Meinungen wahr oder falsch seien.
2’) Aus diesem Grund sollten wir (i) unseren Wahrnehmungen und Meinungen
nicht glauben, sondern ohne Meinung, standhaft und unerschüttert sein und (ii)
von jeder einzelnen Sache sagen, dass sie nicht eher ist als nicht ist oder dass sie
sowohl ist als auch nicht ist oder dass sie weder ist noch nicht ist. 3’) Denjenigen,
die in einer solchen Verfassung sind, wird, so Timon, als erstes «Sprachlosigkeit»
(ἀφασία) und dann «Seelenruhe» (ἀταραξία) zuteil. Ainesidemos spricht anstelle
von ἀταραξία von Freude.
Sowohl die Frage 1) als auch die Pyrrhon zugeschriebene Antwort 1’) wurden
verschieden interpretiert. Einerseits gibt es die ‘epistemologische’ oder ‘subjektiv
unbestimmte’ Lesart, nach der die Frage und die Antwort sich nicht auf die Natur
der Dinge bezieht, die selber undifferenziert, instabil und unbestimmt wären, son-
dern auf die Tätigkeit unserer kognitiven Fähigkeiten, die sie ununterscheidbar
und unbestimmbar machen. Diese Interpretation geht auf Zeller 51923 [*202: 501
Anm. 4] zurück, der den Schluss von der Natur der Dinge 1’i) auf das Zurückwei-
sen von Wahrheit und Falschheit als Merkmale, die auf unsere Wahrnehmungen
und Meinungen anwendbar sind 1’ii), infrage stellte und vorschlug, διὰ τοῦτο
durch διὰ τό zu ersetzen, womit er wirksam die Lesart ‘objektive Unbestimmtheit’
auf ‘subjektive Unbestimmtheit’ reduzierte. Zellers Lesart ist energisch verteidigt
worden von Stopper (zur Emendation vgl. Stopper 1983 [*469: 293 Anm. 53]) und
auch von Castagnoli 2002 [*486]. Vor kurzem hat Thorsrud 2009 [*490: 23] dafür
argumentiert, dass die epistemologische Lesart durch Aristokles’ Darstellung un-
terstützt wird, da diese insgesamt einen erkenntnistheoretischen Fokus habe.

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364 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Einer anderen, ‘metaphysischen’ oder ‘objektiv unbestimmten’ Lesart zufolge


beziehen sich Pyrrhons drei Prädikate auf die Natur der Dinge. Diese Ansicht
wurde von Reale 1981 [*468], Berti 1981 [*465] und Ferrari 1981 [*467] vertreten
sowie von Decleva Caizzi 1981 [*466: 225–227], Brunschwig 1994 [*479] und Bett
2000 [*484: 18–29] verteidigt. Der Haupteinwand gegen diese Lesart ist, dass sie
Pyrrhons Position ohne gute Gründe ‘dogmatisch’ macht. Die Vertreter dieser In-
terpretation argumentieren, dass der radikale Skeptizismus, der dazu aufruft, sich
jeglicher positiven Aussage zu enthalten, und den wir bei Sextus Empiricus fin-
den, möglicherweise eine spätere Entwicklung ist, die weder die pyrrhoneische
Erneuerung durch Ainesidemos noch die ursprünglichen Positionen von Pyrrhon
und Timon widerspiegelt (für einen kritischen Überblick über diese Verteidigung
vgl. Castagnoli 2002 [*486]). Aristokles’ Widerlegung der pyrrhoneischen Position
in F4,5–10 Chiesara lässt vermuten, dass er den Ausdruck «alle Dinge sind unun-
terschieden» metaphysisch auffasste, da er die metaphysische Version widerlegt,
wie Warren 2000 [*485] zeigt.
Es gibt eine weitere Lesart, bei der die ‘moralische Unbestimmtheit’ eine Rolle
spielt. Gemäß dieser ist Pyrrhons Charakterisierung der Dinge eher in einem ethi-
schen als in einem rein epistemologischen Sinn aufzufassen: Dinge sind unbe-
stimmt, instabil und indifferent in Bezug auf moralische Prädikate wie ‘gut’ und
‘schlecht’. Um diese Interpretation zu unterstützen, zitieren ihre Verfechter D. L.
61 (= Pyrrhon fr. 1A Decleva Caizzi), wo die Ansicht, dass «nichts in Wahrheit
existiert» (μηδὲν εἶναι τῇ ἀληθείᾳ) und «dass eine jede Sache nicht eher dies als
das ist», klar in einen moralischen Kontext gesetzt ist und abgeleitet wird von der
Behauptung, dass Dinge moralisch indifferent sind, zusammen mit einer ganzen
Reihe von Berichten bei Cicero, die auf dasselbe abzielen (vgl. Pyrrhon fr. 69A–H
Decleva Caizzi). Diese Interpretation geht auf Brochard 1887 [*439: 58–76] zu-
rück und wird verteidigt von Ausland 1989 [*474], Brunschwig 1994 [*479] und
Thorsrud 2009 [*490].
Was die Haltung, die wir gegenüber den Dingen einnehmen sollen betrifft 2’),
werden Stärke und Gültigkeitsbereich des dem Pyrrhon zugeschriebenen οὐ
μᾶλλον-Prinzips (= 2’b) diskutiert. Das traditionelle Verständnis fasste die Formel
in 2’b) so auf, dass sie aus drei äquivalenten Thesen besteht, von denen die erste
unter Benutzung des οὐ μᾶλλον-Operators formuliert ist:
Wir sollten über jedes einzelne Ding x sagen: (1/3) dass es ‘nicht eher’ (οὐ
μᾶλλον) ist als nicht ist, (2/3) dass es sowohl ist als auch nicht ist, (3/3) dass es
weder ist noch nicht ist. Die dreiteilige Struktur des Arguments wurde so aufge-
fasst, dass die Pyrrhoneer in den sauren Apfel bissen und eine Position vertraten,
die von Aristoteles abgelehnt worden war (in Metaph. 4,4, 1008a30–34, in einem
sehr knapp formulierten Argument: «Er [sc. der den Satz vom Widerspruch ver-
neint] sagt nichts. Denn er sagt weder x noch nicht-x, sondern sowohl x als auch
nicht-x und verneint wiederum beide [sc. indem er sagt], dass es weder x noch nicht-
x sei»). Nach dieser Lesart kommt der οὐ μᾶλλον-Operator nur einmal vor, näm-
lich in (1/3), während (2/3) und (3/3) zur Aussage (1/3) äquivalente Behauptungen
sind, in denen ein solcher Operator nicht auftaucht. Sie können als zwei mögliche
Formulierungen aufgefasst werden, den Satz vom Widerspruch zu verwerfen.

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 365

In seiner Diskussion des οὐ μᾶλλον-Prinzips wies De Lacy 1958 [*453: 69] dar-
auf hin, dass die dreiteilige Lesart problematisch ist, weil sie den Pyrrhoneern eine
positive, dogmatische Anweisung zuschreibt («wir sollten über jedes einzelne Ding
sagen …»). Er schlug deshalb vor, diese Lesart durch eine klarere Aussage zu erset-
zen, die dogmatische Eingeständnisse vermeidet. Wir sollten über jedes einzelne
Ding x sagen, dass es nicht eher (οὐ μᾶλλον) (1/4) ist als (2/4) nicht ist, oder (3/4) ist
und nicht ist, oder (4/4) weder ist noch nicht ist. Bei dieser Interpretation charakte-
risiert kein Satz (1/4) bis (4/4) ein Ding x mehr als die anderen Sätze. Der Unter-
schied zwischen den beiden Lesarten wurde von Stopper 1983 [*469: 272–274] de-
tailliert analysiert. Er kommt zum Schluss, dass Aristokles’ Text sowohl in der
dreiteiligen als auch in der vierteiligen Version gelesen werden kann. Stopper zieht
letztere vor, weil sie stärker mit der Darstellung desselben Prinzips in späteren skep-
tischen Quellen übereinstimmt, die möglicherweise frühere pyrrhoneische Quellen
widerspiegeln. Auch Bett 2000 [*484: 29–37] spricht sich für diese Rekonstruktion
aus, weil sie besser mit Pyrrhons Unbestimmtheits-These (1’) im Einklang ist.
Als wichtige Schlussfolgerung für die Bewertung von Aristokles als Quelle er-
gibt sich aus diesem Überblick über die Lesarten, dass der Bericht des Aristo­kles,
obwohl er die pyrrhoneische Position klar mit derjenigen zusammennimmt, die
den Satz vom Widerspruch ablehnt, immer noch präzise ist, insofern er eine pyr-
rhoneische Quelle abbildet und eine Rekonstruktion des ursprünglichen pyrrho-
neischen Arguments ermöglicht.

3.3. Aristokles’ Widerlegung der pyrrhoneischen Position (F4,5–9 Chiesara)

Aristokles zeigt die innere Inkonsistenz und fehlende Plausibilität der pyrrho-
neischen These, dass alle Dinge ohne Unterschied (F4,5–7 Chiesara) und «un-
klar» (ἄδηλα: F4,8f. Chiesara) seien. Seine Widerlegung zeigt Parallelen zu Pla-
tons Argumenten im ‹Theaitetos› gegen die These des Protagoras, dass alle
Meinungen wahr seien, und zu Aristoteles’ Argumenten in ‹Metaphysik› 4,4–8
gegen diejenigen, die den Satz vom Widerspruch ablehnen. In F4,5 Chiesara stellt
Aristokles den Pyrrhoneern die Frage, ob diejenigen, die mit ihrer Ansicht nicht
einverstanden sind und meinen, dass die Dinge verschieden sind, sich irren. Ob
die Pyrrhoneer nun mit ‘ja’ oder ‘nein’ antworten – die pyrrhoneische Position
wird sich so oder so als inkonsistent erweisen. Dabei handelt es sich um ein Argu-
ment zur Selbstwiderlegung, das aus ‹Theaitetos› 170a–171d bekannt ist und das
auch als θρυλούμενον (offenkundig) in Aristoteles’ ‹Metaphysik› 4,8, 1012b13–18
erwähnt wird. Das Argument in F4,6 Chiesara soll zeigen, dass die Pyrrhoneer
weise Menschen, und sich selbst als Weise, überflüssig machen. Auch dazu gibt es
Parallelen in ‹Theaitetos› 171, 178f. und ‹Metaphysik› 4,5, 1010b11f. Das Argument
in F4,7 Chiesara besagt, dass es in dem Fall, dass alles ohne Unterschied ist, streng
genommen auch keinen Unterschied zwischen ‘verschieden sein’ und ‘ohne Un-
terschied sein’ gibt und also auch nicht zwischen ‘eine Meinung haben’ und ‘keine
Meinung haben’, so dass der pyrrhoneische Ratschlag, keine Meinung zu haben,
ebenfalls selbstwidersprüchlich ist (vgl. Tht. 182a–183c; Metaph. 4,4, 1008b12–17).
Das Argument in F4,8f. Chiesara zielt auf die These, wonach «alles unklar» sei.

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366 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Ihre Vertreter müssen entweder stumm bleiben oder etwas sagen (Tht. 182a–b;
Metaph. 4, 1006a15–25). Im zweiten Fall (F4,9 Chiesara) werden sie etwas klar
sagen oder nicht. Falls nicht, ist mit ihnen kein weiteres «rationales Argument»
(λόγος) mehr möglich, und man ist wieder bei der Stummheit angelangt. Falls der
Vertreter seiner Aussage eine Bedeutung beilegen will (σημαίνοι), wird er entwe-
der etwas Unbegrenztes oder etwas Begrenztes sagen. Im ersten Fall ist das rati-
onale Argument zerstört, da es kein Wissen des Unbegrenzten gibt (vgl. Metaph.
4,4, 1007a8–20). Falls etwas Begrenztes gesagt wird oder etwas eine Bedeutung
beigelegt wird, ist es falsch, dass alle Dinge unerkennbar und unbestimmt sind.
Diese Widerlegungen zielen gegen die Ableitung der These, dass es aufgrund
des Fehlens von Unterschieden «zwingend ist, keine Meinung zu haben» (χρὴ
μηδὲν δοξάζειν). Wie Warren 2000 [*485: 156–159] hervorhebt, spricht das für die
‘metaphysische’ Lesart desselben Prinzips (1’ oben).
Am Ende von F4,9 Chiesara steht eine Zusammenfassung der Gründe, wes-
halb die pyrrhoneische Position zu verwerfen ist: Wenn die Pyrrhoneer behaup-
ten, dass Sein und Nichtsein dasselbe sei, heben sie den Unterschied zwischen
Wahrheit und Falschheit auf, schaffen Bedeutung und rationales Argumentieren
ab, und sie werden uns auffordern, ihnen zu glauben, und gleichzeitig zugeben,
dass sie lügen. In F4,10 Chiesara weist Aristokles darauf hin, dass die Darlegung
ihrer Behauptung voraussetzt, dass die Pyrrhoneer diese irgendwo als positive
Lehre gelernt haben, da das «positive Wissen» (κατάφασις) dem «Wissen der Ver-
neinung» (ἀπόφασις) immer vorausgeht, wobei er wieder auf Aristoteles’ Postu-
lat verweist (vgl. Int. 5, 17a9).

3.4. Aristokles’ Darstellung der Tropen (F4,11 Chiesara)

Aristokles nennt neun Tropen, die Ainesidemos in seinem Überblick aufliste.


Diese Liste unterscheidet sich von den bekannteren Listen der zehn Tropen bei
Sextus Empiricus und Diogenes. Moraux 1984 [*220: 168f. Anm. 289] meint, dass
‘neun’ der Fehler eines Schreibers sein könnte, der sich aufgrund der zwei existie-
renden Zählsysteme geirrt habe, und dass man in der überlieferten Gliederung in
Aristokles’ Liste zehn Tropen unterscheiden könne (Annas, Barnes 1985 [*471:
27]). Chiesara 2001 [*429: 115–125] vergleicht die vier überlieferten Listen von Tro-
pen (Aristokles F4,11 Chiesara; Phil. Ebr. 171–202; S. Emp. P. H. 1,36–163; D. L.
9,78–88) in Form einer Tabelle (siehe unten) und vertritt die Meinung, dass Aris-
tokles’ Liste möglicherweise näher an Ainesidemos’ Original ist als die anderen.

Aristokles Philon Sextus Diogenes


 1 Tiere Tiere Tiere Tiere
 2 Menschen Menschen Menschen Menschen
 3 Bräuche Sinne? Sinne Sinne
 4 Sinne Innere Zustände Innere Zustände Innere Zustände

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 367

Äußere Äußere Äußere


 5 Bräuche
­Zustände ­Zustände ­Zustände
 6 Innere Zustände Quantität Mischung Mischung
Äußere
 7 Mischung Relativität Quantität
­Zustände
 8 Verwirrung Mischung Relativität Quantität
 9 Relativität Bräuche Seltenheit Seltenheit
10 --- --- Bräuche Relativität

3.5. Aristokles’ Kritik an den Tropen (F4,12–29 Chiesara)

Aristokles beruft sich bei seiner Kritik darauf, dass sich die Pyrrhoneer selbst
widerlegen, indem er den epistemischen Status ihrer Darlegung der Tropen-­
Argumente infrage stellt (F4,12 Chiesara). Das könnte darauf hinweisen, dass er
mit der Lehre der ‘skeptischen Wörter’, die bei Sextus einen prominenten Platz
einnimmt, nicht vertraut war (P. H. 1,192–209). Weiter bezeichnet Aristokles die
Methode der Pyrrhoneer in den Tropen als Induktion, wobei er den aristotelischen
Ausdruck ἐπαγωγή gebraucht. Induktion bringt Meinungen über das Wesen von
einzelnen Dingen hervor: Dem müssen die Pyrrhoneer entweder zustimmen und
so ihrer eigenen Behauptung widersprechen, oder aber nicht, worauf kein ratio-
nales Argumentieren mehr möglich sei (F4,13 Chiesara). Es gebe eine ganze
Reihe von Argumenten, die zeigten, dass die pyrrhoneische Position mit jeglichem
menschlichen Handeln unvereinbar ist. Aristokles prüft eingehend die von Timon
im ‹Python› beschriebene Szene, in der dieser Pyrrhon trifft und mit ihm zum
Tempel des Amphiaraos in Delphi geht. Dabei fragt Aristokles: «Fand dieses Tref-
fen laut Timon dem Pyrrhoneer statt oder nicht?» oder «Weshalb ging Pyrrhon
dorthin, wohin er ging?» (F4,14f. Chiesara; vgl. Arist. Metaph. 4,4, 1008b10–15).
Weiter kommen die üblichen praktischen Vorschriften zur Sprache (F4,18
Chiesara) und die pyrrhoneische Empfehlung, «in Übereinstimmung mit der
Natur und den Gebräuchen» zu leben, die wahrscheinlich von Ainesidemos ein-
geführt worden war (F4,20 Chiesara). Aristokles’ Argumentationsstrategie ist
immer darauf ausgerichtet zu zeigen, dass jemand, der diese Prinzipien befolgt,
sich im Widerspruch befindet zu den pyrrhoneischen Tropen. Die Serie von Ein-
wänden endet mit einigen Argumenten, die zeigen sollen, dass es unmöglich ist,
ohne Meinungen zu leben oder Philosophie zu betreiben (F4,23–26 Chiesara), und
schließt mit zwei Argumenten ad personam (F4,27f. Chiesara), in denen Pyrrhon
und Timon als wertlose Menschen dargestellt werden.

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368 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3.6. Schlussfolgerung zu Aristokles’ skeptischen Quellen und seinem Gebrauch


von Aristoteles

Aus Aristokles’ Diskussion des Pyrrhonismus wird klar, dass er Zugang zur
frühen pyrrhoneischen Tradition hatte, möglicherweise vermittelt durch die frü-
hen nach-ainesidemischen Quellen. In Aristokles’ Darstellung fehlen die Wörter
‘skeptisch’ oder ‘Skeptiker’, die bei Sextus Empiricus gebräuchlich sind. Seine Kri-
tik am Pyrrhonismus basiert auf der Selbstwiderlegung, was den Eindruck hinter-
lässt, dass er sich der skeptischen Antworten auf diese Einwände nicht bewusst
ist, in denen die Theorie eines speziellen Status skeptischer Sätze entwickelt wird.
Das könnte bedeuten, dass solche Sätze und Konzepte, die im 2. Jahrhundert
n.  Chr. prominent waren, zur Zeit des Aristokles noch nicht verfügbar waren.
Gleichzeitig ist Aristokles eindeutig vertraut mit Ainesidemos’ Wiederbelebung
des Pyrrhonismus, und seine Diskussion der medizinischen Metapher einer ‘rei-
nigenden Medizin’ für das skeptische Argument (was bei Sextus mit der Lehre der
‘skeptischen Wörter’ verknüpft ist) könnte auf Ainesidemos’ Ausarbeitung des
nach-pyrrhoneischen, nicht-akademischen Skeptizismus hindeuten, der auf der
medizinischen Schule des Empirismus basierte.

3.7. Kritik an den Kyrenaikern (F5 Chiesara)

Die These, die Aristokles in diesem Fragment kritisch untersucht, lautet, dass
«nur die Empfindungen erfasst werden können» (μόνα τὰ πάθη καταληπτά: F5,1
Chiesara). Sie entspricht der ursprünglichen kyrenaischen Lehre, auch wenn der
Gebrauch des stoischen Terminus technicus καταληπτά auf eine spätere, mög­
licherweise akademische, Quelle hindeuten könnte. Aristokles interessiert sich
nicht vordringlich für die Gewissheit unserer Erkenntnis im Fall der Empfindun-
gen, sondern für den privilegierten Zugang, den wir zu den Empfindungen als Er-
kenntnisobjekten haben. Er stellt die kyrenaische Ansicht folgendermaßen dar:
«Sie bestehen darauf, als ob sie von einem tiefen Schlaf niedergedrückt würden,
dass sie überhaupt nichts wüssten, wenn nicht jemand neben ihnen stünde und sie
schlage und steche. Dass sie [sc. von einem Arzt] gebrannt oder geschnitten wer-
den, sagten sie, würden sie erkennen, ob aber das Brennende ein Feuer sei oder
das Schneidende ein Messer, könnten sie nicht sagen» (F5,1 Chiesara).
Aristokles’ Kritik beginnt mit der Frage, ob die Kyrenaiker wüssten, dass sie
etwas erleiden oder wahrnehmen. Sie müssten bejahend antworten, da sie andern-
falls ihre These nicht aufrechterhalten könnten. In diesem Fall sei aber nicht nur
die Empfindung zugänglich, sondern auch eine Aussage wie ‘Ich werde gebrannt’,
was eine diskursive Behauptung sei und nicht auf eine reine Empfindung reduziert
werden könne (F5,2 Chiesara). Er meint also, dass die kyrenaische These über den
engen Gültigkeitsbereich unserer Erkenntnis nicht ohne diese Inkonsistenz mög-
lich sei. Dieser Einwand kann so verstanden werden, dass ein einzelner kyrenai-
scher Wahrnehmender zugeben müsse, dass das Erkennen auch den Zustand des
Bewusstseins, affiziert zu werden, einschließt. Also können nicht nur Empfindun-
gen, sondern auch gewisse mentale Zustände erkannt werden. Die Kyrenaiker

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 369

könnten antworten, dass das Eingeständnis einer Bewusstheit des Empfindens


den Bereich unserer Erkenntnis nicht ändert, wenn man annimmt, dass jeder Akt
des Sich-bewusst-Werdens zusammen mit der entsprechenden Empfindung auf-
tritt (vgl. Tsouna 1998 [*482: 63]).
Eine zweite Möglichkeit wäre es, Aristokles’ Einwand stärker zu formulieren,
so dass damit gemeint wäre, dass das Prinzip an sich, dem gemäß wir nur von
Empfindungen Erkenntnisse haben können, nicht von einer Empfindung abgelei-
tet werden kann. Aufgrund eines Berichts in Sextus Empiricus’ ‹Adversus mathe-
maticos› 7,193f. skizziert Tsouna zwei mögliche Antworten der Kyrenaiker. Die
eine arbeitet mit dem anomalen Charakter der Relation zwischen Empfindungen
und dem, was man unter normalen Umständen für ihre Ursache hält: Die Emp-
findung von Süße muss nicht notwendigerweise durch etwas verursacht werden,
das selbst süß ist, sondern kann eine Funktion des Empfindungsprozesses sein, so
dass es vernünftig ist, anzunehmen, dass wir nur unsere Empfindungen erkennen
können. Die andere Antwort bezieht sich auf die Natur der Affektion als ein Er-
eignis, das in unserem Innern passiert, also immanent ist, und deshalb nichts über
sich Hinausgehendes aussagen kann (Tsouna 1998 [*482: 64f.]). Welche Version
des Einwands meinte Aristokles? Möglicherweise beide. Er hat wohl die zentrale
These angegriffen (und dürfte in diesem Fall von den zwei Antworten der Kyre-
naiker nicht überzeugt gewesen sein), lässt aber zugleich die Gelegenheit nicht un-
genutzt, mit Hilfe von ad hominem-Argumenten eine Polemik gegen die Kyrenai-
ker vorzubringen.
Im folgenden Argument (F5,3 Chiesara) scheint Aristokles von Aristoteles’
Theorie der Sinneswahrnehmung Gebrauch zu machen. Er betont, dass die drei
Elemente des Prozesses der Affektion – die Affektion, das, was affiziert wird, und
das, was die Affektion verursacht – zusammen präsent sein müssen, so dass je-
mand, der die Affektion wahrnimmt, eo ipso auch wahrnehmen muss, was affi-
ziert wird und was die Affektion verursacht. Dies könnte ein Hinweis auf Aristo-
teles’ Argument in ‹Metaphysik› 4,4 (1010b30–39) sein, nach dem es die
Wahrnehmung und das Subjekt der Wahrnehmung nicht geben könnte ohne das
Objekt der Wahrnehmung, das auf den Wahrnehmenden als Bewegungsursache
wirkt. Doch während Aristoteles in ‹Metaphysik› 4,4 mit αἰσθητόν das spezielle
Objekt der Wahrnehmung zu meinen scheint (vgl. 1010b2f.), handelt es sich bei
Aristokles’ Beispielen für αἰσθητά um eine bunte Mischung: Andere Menschen,
Straßen, Städte und Nahrungsmittel sind Objekte der Wahrnehmung für uns alle,
für den Handwerker sind es die Werkzeuge, für Ärzte und Steuermänner die Sym-
ptome, aufgrund derer sie ihre Voraussagen machen, und für Hunde wahrschein-
lich die Duftspuren, durch die sie die Fährte der wilden Tiere finden (F5,4
Chiesara). Nach der Klassifikation von ‹De anima› 2,6 wären all das Beispiele für
‘zufällige Wahrnehmungsobjekte’. Die Kraft von Aristokles’ Argument scheint
hier zweifach zu sein: Einerseits besteht er darauf, dass etwas «Wahrgenomme-
nes» (αἴσθημα) nicht wahrgenommen werden kann, ohne dass der Wahrneh-
mende sich der Ursache für die Wahrnehmung bewusst wird (so sollte jemand, der
die akute Wahrnehmung hat, gebrannt zu werden, gleichzeitig kognitiven Zugang
zum Objekt ‘heiß’ haben). Andererseits scheint er darauf hinzuweisen, dass die

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370 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Theorie der Kyrenaiker, die diese Verbindung abstreiten, nicht mit unserer ge-
wöhnlichen kognitiven Erfahrung übereinstimmt, nach der wir mit den verschie-
denen Arten von Dingen, die verschiedene Wahrnehmungen verursachen, mehr
oder minder vertraut sind. Auf einen ähnlichen Punkt zielt das nächste Argument,
in dem Aristokles vorbringt, dass wir weder Wünsche haben noch Dinge wählen
oder vermeiden könnten, falls die Theorie der Kyrenaiker wahr wäre (F5,5
Chiesara). Weiter folgert Aristokles, dass die Vertreter dieser Theorie nicht über
ihre eigenen Erfahrungen berichten können und dass es unmöglich ist, mit ihnen
rational zu diskutieren (F5,6 Chiesara) – was wiederum der aristotelischen Stra-
tegie in ‹Metaphysik› 4,4 entspricht, mit der dieser gegen jene argumentiert, die
den Satz vom Widerspruch abstreiten.

3.8. Kritik an den ‘Sensualisten’ (F6 Chiesara)

Aristokles stellt zwei verschiedene Versionen der These vor, laut der wir «nur
den Sinneswahrnehmungen glauben sollten» (μόναις δεῖν πιστεύειν ταῖς
αἰσθήσεσι), und kritisiert sie.
Die erste Version wird auf Homer und dessen Behauptung, dass der Ozean das
erste Prinzip sei, zurückgeführt, ebenso auf Metrodor von Chios, wird aber Pro-
tagoras als direktem Vertreter zugeschrieben, als Teil seiner These, dass ‘der
Mensch das Maß aller Dinge’ sei (im Folgenden M). Die zweite Version wird kei-
nem Philosophen namentlich zugeschrieben, muss aber epikureisch sein.

3.8.1. Protagoras’ Relativismus (F6,1– 8 Chiesara)

Die Zuschreibung von Protagoras’ Phänomenalismus an Homer geht auf Pla-


tons ‹Theaitetos› zurück, wie viele der Argumente gegen Protagoras. Dass auch
Metrodor in diese Tradition eingereiht wird, ist nirgendwo sonst belegt, und sein
angeblicher Glaube an die Sinneswahrnehmungen steht prima facie im Wider-
spruch zu einigen doxographischen Quellen (Aët. Plac. 4,9,1, 396,12–16 Diels = 70
A 22 DK; vgl. 70 A 23). Möglicherweise bezieht sich Aristokles auf den generell
skeptischen Tenor in Metrodors Epistemologie (Moraux 1984 [*220: 192]), oder
er folgt einer akademischen Quelle, in der Metrodor mit Demokrit verbunden
wird, ohne dass darauf geachtet wird, dass Metrodor zwar der Physik des Demo-
krit ­zustimmt, dessen Epistemologie aber ablehnt (vgl. Theophrast bei Simpl. In
Phys. 28,27 Diels = 70 A 3 DK; Chiesara 2001 [*429: 143], s. auch Brunschwig 1996
[*480: 24 Anm. 15]). Es könnte auch sein, dass Aristokles bei seiner Klassifi-
kation von Metrodor als ‘Sensualist’ Platons Beschreibung der protagoreischen
These im ‹Theaitetos› folgt, wo die Ausdrücke ‘Sinneswahrnehmung’, ‘Erschei-
nung’ und ‘scheinbar’ oft austauschbar benutzt werden. Die These δοκήσει […]
ἐστι τὰ πάντα wird Metrodor von Epiphanios zugeschrieben (= DK 70 A 23; zur
Verteidigung dieses Berichts vgl. Brunschwig 1996 [*480: 23f.]).
Aristokles’ Formulierung von Protagoras’ These M ist jener in Platons ‹Theai-
tetos› sehr ähnlich: «‘von allen Dingen das Maß’ sei der Mensch, ‘von den Seien-
den, wie sie sind, von den nicht Seienden aber, wie sie nicht sind.’ […] Und er meint

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 371

doch, dass, wie jedes Ding mir erscheint, ein Derartiges es für mich ist, wie aber
dir, ein Derartiges es wiederum für dich ist. Ein Mensch bist du und ich auch.»
(Tht. 152a2–8, vgl. 177c, wo φαίνεσθαι durch δοκεῖν ersetzt ist). Aristokles über-
nimmt von Platon auch mehrere Argumente gegen die Position des Protagoras:
Wenn ein solcher Phänomenalismus wahr ist, weshalb sollte dann der Mensch eher
als ein Schwein oder ein Pavian das Maß aller Dinge sein? (F6,3 Chiesara = Tht.
161c). Wenn M wahr ist, stellt sich die Frage, wieso die Protagoreer, die diese These
vertreten, weiser sein sollen als andere (d. h. die diese These nicht vertreten)? (F6,3
Chiesara = Tht. 161d–e). Wie werden die Anhänger des Protagoras, wenn M wahr
ist, die Meinungen anderer widerlegen (mutmaßlich, weil diese ebenso wahr sind)?
(F6,3 Chiesara = Tht. 161e). Wie ist es möglich, dass wir manchmal Dinge nicht
wissen, auch wenn wir sie wahrnehmen, beispielsweise wenn wir eine fremde Spra-
che hören? (F6,3 Chiesara = Tht. 163b). Ein Mensch kann eine vergangene Wahr-
nehmung von x behalten, auch wenn er sie nicht länger wahrnimmt, und so ein Wis-
sen von x haben (F6,4 Chiesara = Tht. 163d–164a). Ein Mensch kann ein Ding x
sehen, während ein Auge geschlossen ist, und so zugleich x wissen und nicht wis-
sen (F6,4 Chiesara = Tht. 165b–c). Wenn M wahr ist, uns aber nicht wahr erscheint,
dann ist M aufgrund von M selbst nicht wahr, M ist also selbstwidersprüchlich
(F6,5 Chiesara = Tht. 170d–171c). M kann auch den Unterschied zwischen dem
Ausgebildeten und dem Ungelernten, zwischen Fachmann und Laie nicht erklären
und auch nicht, weshalb ein Steuermann, ein Arzt und der General zukünftige Er-
eignisse im Allgemeinen besser voraussagen können (als ein Laie im jeweiligen
Fachgebiet; F6,6 Chiesara = Tht. 178c–179a; vgl. Arist. Metaph. 4,5, 1010b10–14).
Bei dieser Art Gebrauch der platonischen Argumente kann man klar sehen, dass
Aristokles keinen Unterschied zwischen ‘einfacheren’ und ausgefeilteren Einwän-
den macht, wie sie in Platons Dialog unterschieden werden. Die Argumente sind
nach rhetorischem Gesichtspunkt aneinandergereiht, mit Nachdruck am Schluss,
und nicht nach dialektischer Hinsicht.
In seiner Diskussion der protagoreischen Lehre macht Aristokles auch mehrere
Male erkennbar Gebrauch von Aristoteles’ Kritik an Protagoras im vierten Buch
der ‹Metaphysik›: Die Ansicht von Protagoras macht «mehr und weniger» unmög-
lich (F6,7 Chiesara = Metaph. 4,4, 1008b30–1009a5), ebenso eliminiert sie «notwen-
dig und möglich» (F6,7 Chiesara = 1010b26–30), «natürlich und unnatürlich» (F6,7
Chiesara = Metaph. 4,4, 1008b2–7). Für die Anhänger des Protagoras ist es akzep-
tabel zu sagen, dass «ein und dasselbe Ding sowohl ist als auch nicht ist, da es nicht
unmöglich ist, dass eine Sache jemandem als seiend erscheint und jemand anderem
als nicht seiend» (F6,7 Chiesara = Metaph. 4,5, 1009a11f.). «Dieselbe Sache könnte
gleichzeitig ein Mensch und ein Stück Holz sein, denn manchmal erscheint jeman-
dem etwas als Mensch und einem anderen als Holzstück» (F6,7 Chiesara = Metaph.
4,4, 1007b19–23). Zum Abschluss seiner Diskussion des Protagoreismus sagt Aris-
tokles, dass es keine Arbeit mehr gäbe für Richter und Anwälte, da dieselben Aus-
sagen gleichzeitig wahr und falsch wären, dass es keinen Unterschied mehr gäbe zwi-
schen gut und schlecht und dass Laster und Tugend dasselbe wäre (F6,8 Chiesara).
Platons Darstellung im ‹Theaitetos› zufolge waren Protagoras die moralischen
Implikationen seiner Position nicht klar: Es gibt eine klare Unterscheidung

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372 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

z­ wischen gut und schlecht, und der Weise und Tugendhafte sind die Experten, ge-
rade insofern es um das Gute geht, auch wenn es, was die Wahrheit betrifft, keine
Experten gibt, bzw. jeder ein Experte ist (Tht. 166d–167b). Aristokles spricht diese
Verteidigung des Protagoras nicht an, auch wenn er wahrscheinlich durch Platons
Dialog Zugang dazu hatte. Diese Taktik könnte eine Parallele im Kapitel über den
Pyrrhonismus haben, wo Aristokles ebenfalls die ausgefeilteren Verteidigungs-
strategien der Pyrrhoneer, wie sie in den skeptischen Quellen überliefert sind, aus-
lässt. Es lässt sich darüber nicht abschließend urteilen, da unbekannt ist, auf wel-
che pyrrhoneischen Quellen sich Aristokles genau stützte, aber man kann
zumindest im Fall des ‹Theaitetos›, der uns als Kontrollbeispiel vorliegt, eine sol-
che Auslassung feststellen.

3.8.2. Die Wahrheit aller Sinneswahrnehmungen als Basis für das Wahrheits­
kriterium (F6,9–12 Chiesara)

Im zweiten Teil von Fragment sechs diskutiert Aristokles die These (T), dass
«jede Sinneswahrnehmung und jede Vorstellung wahr ist» (πᾶσαν αἴσθησιν καὶ
πᾶσαν φαντασίαν ἀληθῆ […] εἶναι: F6,9 Chiesara). Epikur wird zwar nicht als
Autor von T genannt, aber aufgrund der Darstellung und Kritik ist klar, dass es
Aristokles um die epikureische Behauptung geht, der zufolge «alle Wahrneh-
mungen wahr» sind (S. Emp. Adv. math. 8,63f.; vgl. D. L. 10,31f.). Aristokles be-
tont, dass die Verfechter von T diese These «aus Angst» vertreten, dass es sonst
unmöglich wäre, ein verlässliches Wahrheitskriterium zu haben, wenn T nicht
aufrechterhalten würde (F6,9 Chiesara). Diese Rechtfertigung von T ist in vielen
Quellen gut bezeugt, von Epikurs ‹Brief an Herodotos› 52, ‹Kyriai doxai› 24A
bis zu den Berichten in der sekundären Tradition wie Cic. Ac. 2,25,79; 2,32,101
(vgl. fr. 251 Usener). Aristokles’ Einwand gegen T zielt auf ein anderes Element
der Theorie Epikurs: Gerade durch das Festhalten an der Wahrheit der Sinnes-
eindrücke verpflichten sich die Epikureer auf die Ansicht, dass «alle Meinungen
wahr» sind (F6,9 Chiesara). Die Wahrheit von Meinungen wird aber von Epikur
in einer Reihe von Texten explizit verworfen, ja, Epikur argumentiert dafür, dass
Meinungen die Wahrheiten, die uns durch die Sinne geliefert werden, verdrehen
und Falschheit zur Folge haben (Hdt. 50). Aristokles argumentiert also ad homi-
nem, was zeigt, dass er mehr über die Theorie weiß, die er kritisiert, als in der
Aussage T dargestellt wird.
Aristokles kritisiert auch das Konzept des Kriteriums, indem er anhand zahl-
reicher Beispiele zeigt, dass das, was jeweils als Kriterium benutzt wird (z. B.
Messinstrumente wie Waage oder Kompass), nicht unqualifiziert als solches taugt
(ἀεὶ καὶ διὰ φύσεως), sondern nur, wenn das Instrument in gutem Zustand ist und
korrekt gebraucht wird. Dasselbe gilt für die Sinneswahrnehmungen: Nicht alle
sind wahr, sondern nur diejenigen, die auf einen guten Zustand der Sinnesorgane
zurückgehen (F6,10 Chiesara). Zu einem guten Zustand gehört, dass die Sinnes-
organe gesund sind und die Wahrnehmung innerhalb der natürlichen Bandbreite
der sinnlichen Objekte stattfindet; Aristokles grenzt diesen Zustand gegenüber
Fällen ab, in denen auf die Sinne kein Verlass ist (F6,10 Chiesara). Das führt zu

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 373

einem nächsten Einwand, der ein anderes Argument für die These T widerlegt.
Die Vertreter von T behaupten, dass die Verlässlichkeit der Sinne darauf beruht,
dass mit ihnen keinerlei rationale Aktivität verbunden ist, die dem wahrgenom-
menen Inhalt irgendetwas hinzufügen könnte (F6,11 Chiesara). Ein weiterer Ein-
wand hat die Form einer Peritrope, einer Argumentationsform, die Aristokles bei
der Kritik an seinen Gegnern häufig benutzt: Die These T ist falsch, weil sie Aris-
tokles’ entgegengesetzte These falsch macht, während durch die Ableitung in
einem früheren Einwand (F6,9 Chiesara) aus T folgt, dass alle Meinungen wahr
sind, also auch Aristokles’ Meinung wahr sein müsste. Damit impliziert T einen
Widerspruch, so dass T nicht gültig ist und nicht wahr sein kann.
Die Kombination von zwei so verschiedenen Versionen der These von der
Wahrheit aller Sinneswahrnehmungen in einem Kapitel ist (wenn sie nicht auf
­Eusebios zurückgeht) bemerkenswert, da sie an eine von Aristoteles selbst häufig
benutzte doxographische Technik erinnert. Auch er identifizierte Vertreter von ge-
gensätzlichen Arten von Philosophie mit derselben philosophischen Position, auf
die seine Kritik zielte.

3.9. Kritik an den Anti-Sensualisten (F7 Chiesara)

Die Besprechung dieser These muss in Aristokles’ Darstellung unmittelbar auf


die Diskussion der Verfechter der Sinneswahrnehmung gefolgt sein: «Andere aber
vertreten die zu diesen gegenteilige Meinung. Sie glauben nämlich, man müsse die
Wahrnehmungen und Vorstellungen verwerfen und nur der Vernunft vertrauen»
(F7,1 Chiesara). Aus dieser epistemologischen Position zum Wert der Sinne leitet
Aristokles die ontologische Position ab, die deren Verfechter vertraten: 1) dass
«das Seiende» (τὸ ὄν) eines ist, 2) dass «das Andere» (τὸ ἕτερον) nicht ist, und 3)
dass nichts entsteht, vergeht oder bewegt wird (F7,1 Chiesara).
Als Vertreter dieses Standpunkts nennt Aristokles Xenophanes, Parmenides,
Zenon, Melissos, «und dann […] Stilpon und die Megariker» (F7,1 Chiesara). Die
Tradition, die Megariker mit der eleatischen Schule zu verknüpfen, findet man in
akademischen Quellen, sie geht möglicherweise auf Aristoteles selbst zurück (vgl.
Chiesara 2001 [*429: 155–158] für eine Zusammenfassung des Forschungsstan-
des). Aristokles beginnt seine Darstellung mit der Feststellung, dass «Verstand
das göttlichste unserer [sc. Vermögen]» sei, dass wir aber auch Wahrnehmung und
den Körper brauchen. Weiter argumentiert er, dass «auch die Sinneswahrneh-
mung von Natur aus dazu geeignet ist, wahr zu sein» (F7,2 Chiesara). Er stützt
sich dabei auf Aristoteles’ generelles Prinzip, nach dem Wahrnehmung geschieht,
wenn der Wahrnehmende vom Objekt der Wahrnehmung affiziert wird (vgl. De
an. 2,5, 417a16–20). Aber das Argument lautet ein wenig anders. Aristokles sagt,
dass Wahrnehmung eine Art von Affektion sei und das, was affiziert wird, nicht
umhinkann, von der Affektion zu wissen (πάσχων δὲ τὸ πάθος ἂν εἰδείη), weshalb
die Sinneswahrnehmung auch «eine Art von Wissen» (γνῶσίς τις: F7,2 Chiesara)
sei. Der springende Punkt dabei ist, dass zur Sinneswahrnehmung gehört, dass
man sich der Affektion bewusst ist, was nicht dasselbe ist wie die Affektion selbst
und eine rationale kognitive Dimension hat.

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374 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Aristokles gebraucht in der weiteren Argumentation die Definition der Sinnes-


wahrnehmung als zugehörig zur Gattung der Affektion: Da alles, was affiziert
wird (τὸ πάσχον), durch einen produktiven Faktor, der etwas tut, affiziert wird,
sind das Tun (τὸ ποιοῦν) und das Affizierte völlig verschieden voneinander. Die-
ser Gedanke beruht wahrscheinlich auf Aristoteles’ Unterscheidung zwischen der
bewegenden (produktiven) Ursache und dem Bewegten. Daraus leitet Aristokles
die Existenz des «Anderen» ab (was von den Anti-Sensualisten in 2) abgestritten
wird) und fährt dann fort, ihre Behauptung, dass Seiendes eines 1) und dass es un-
bewegt sei 3), zurückzuweisen (F7,3 Chiesara).
Aristokles betont weiter, dass wir unsere Sinne im natürlichen Zustand haben
möchten, da wir gesunden Sinnen mehr trauen als kranken, und dass wir eine starke
Liebe zu unseren Sinnen empfinden (F7,4 Chiesara). Beide Punkte sind bei Aristo-
teles gut belegt (De an. 2,12, 424a28–32; 3,4, 429a31–b3; Metaph. 1,1, 980a20–27).
Aristokles fügt ein praktisches Argument ad hominem an, indem er darauf hinweist,
dass die Kritik an den Sinnen überzeugender wäre, wenn ihre Vertreter es ablehnen
würden, ihre eigenen Sinne zu gebrauchen, dies sei aber nicht der Fall (F7,5f.
Chiesara). Eine feinere Version von ad hominem-Kritik richtet sich gegen Melissos’
Kritik an den Sinnen (= 30 B 8 DK). Melissos argumentiert, dass die Sinne, wenn sie
denn verlässlich wären, uns die Dinge zeigen müssten, wie sie in Wirklichkeit sind
und nicht wie sie zu anderen Dingen werden, wie das der Fall ist, wenn uns die Sinne
das Heiße zeigen, wie es kalt wird, und das Harte weich und umgekehrt (F7,7
Chiesara). Aristokles macht darauf aufmerksam, dass Melissos das für dieses Argu-
ment erforderliche Wissen, nämlich das Wissen, dass etwas heiß war und dann kalt
wurde, durch Sinneswahrnehmung gewonnen hat (αἰσθόμενος ἔγνως). Aristokles
kritisiert mit diesem ad hominem-­Argument also, dass die Anti-Sensualisten nicht
in der Lage sind, ihre Kritik an den Sinnen zu formulieren, ohne diese zu benutzen.

3.10. Kritik an der epikureischen Ansicht, dass Lust ein Kriterium für das Han­
deln sei (F8 Chiesara)

Aristokles unterscheidet zwischen dem Wissen über äußere Dinge und dem
Wissen darüber, was wir wählen bzw. vermeiden sollen, und berichtet dann, dass
einige Lust und Schmerz als Kriterien für das Wählen und Vermeiden annähmen
(F8,1 Chiesara). Diese Ansicht wird den Epikureern zugeschrieben. Sie ist durch
zahlreiche epikureische, doxographische Quellen belegt (Epik. Ep. Men. 128–130
= D. L. 10,128–130).
Aristokles lehnt die Rolle ab, welche die Epikureer der «Affektion» (πάθος)
zuschreiben. Die Affektion beweist nur die Existenz einer Sache (διότι μὲν γὰρ
ἔστιν), während es zur Beurteilung von Qualität und Art (ὁποῖον δ’ ἐστίν) weite-
rer urteilender Vermögen bedarf, von denen er zwei nennt: die Sinneswahrneh-
mung, um zu beurteilen, ob die Affektion von eigener oder fremder Art ist
(οἰκεῖον ἢ ἀλλότριον), und die «Vernunft» (λόγος), um zu entscheiden, ob die
Sache gewählt oder gemieden werden soll (αἱρετὸν ἢ φευκτόν: F8,2 Chiesara).
Aristokles argumentiert auch ad hominem, indem er sich auf die epikureische
Maxime beruft, der zufolge nicht jede Lust zu wählen und nicht jedem Schmerz

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§ 37. Aristokles von Messene (Bibl. 440–441) 375

auszuweichen ist. Manche Lust sollte ausgelassen werden, um größeren Schmerz


zu vermeiden, und mancher Schmerz ausgehalten werden, um in der Zukunft
größere Lust zu erreichen (Epik. Ep. Men. 129 = D. L. 10,129). Diese Behauptung
zeigt, dass Lust (oder Schmerz) als Kriterium ungenügend sind, da ein richtiges
Kriterium sowohl sich selbst als auch das, worüber es urteilt, zu erkennen gibt,
während Schmerz und Lust nur sich selbst zu erkennen geben, wie die Epikureer
tatsächlich auch selbst zugeben. Ihre eigene ‘praktische’ Maxime zeige, dass das,
was sie selbst als Kriterium, d. h. als Maß, bezeichnen, seinerseits gemessen wer-
den müsse, zumindest was die Quantität betrifft, wenn nicht sogar die Qualität
(F8,3 Chiesara). Und es sei vollkommen klar, dass dieses quantitative Abwägen
vom Verstand ausgeführt werde (F8,4 Chiesara).
Zum Schluss seiner Kritik entwirft Aristokles eine alternative Sicht unserer kog­
nitiven Vermögen. Unsere Sinne und Eindrücke seien wie Spiegel und Bilder, die
äußere Objekte reflektieren, während Schmerz und Lust Änderungen in uns selbst
sein sollen. Wir schauen deswegen, wenn wir etwas wahrnehmen, auf Dinge außer-
halb unserer selbst. Wenn wir hingegen Schmerz oder Lust empfinden, wenden wir
uns uns selbst zu. Unsere Wahrnehmungen seien deshalb von den äußeren Objek-
ten verursacht und haben dieselben Qualitäten wie diese Objekte. Schmerzen und
Lust hingegen seien durch unsere eigene Verfassung verursacht (F8,5 Chiesara).
Aus diesem Grund (wahrscheinlich weil unsere Verfassung Änderungen unterwor-
fen ist) fühlten wir manchmal Lust, manchmal Schmerz, manchmal stärker und
manchmal weniger. «Wir können daraus schließen, dass diejenigen Denker die bes-
ten Prinzipien für das Wissen vorschlagen, die sich sowohl auf den Verstand als
auch auf die Sinneswahrnehmung beziehen» (F8,6 Chiesara). Der letzte Punkt
wird nicht detaillierter ausgearbeitet, aber mit einer Jagd-Metapher illustriert:
Während die Sinneswahrnehmungen den Fallen und Netzen des Jägers glichen,
seien Geist und Verstand Hunden ähnlich, die ihrer Beute auf der Spur sind. Zum
Schluss kritisiert Aristokles diejenigen Philosophen, die ihre Sinne zufällig gebrau-
chen oder sich auf irrationale Lust und Schmerzen abstützten, statt den Verstand,
den göttlichsten Richter, zu gebrauchen (F8,7 Chiesara). Mit diesen Philosophen
scheinen die Epikureer gemeint zu sein, die sowohl für ihren Sensualismus kriti-
siert werden als auch für ihren Gebrauch der Gefühle als Kriterium.
Welche Art von Epistemologie vertritt Aristokles selbst? Es wurde vermutet,
dass die Schlussdiskussion mit der Jagd-Metapher und ihrem Lob des Verstandes
beabsichtigt, eine Theorie zu verteidigen, in der Sinneswahrnehmung und Ver-
stand als Wahrheitskriterien zusammenarbeiten (Barnes 2007 [*489: 555–557]).
Es wird jedoch aus den Fragmenten nicht vollständig klar, dass das Konzept eines
Kriteriums in Aristokles’ Denken überhaupt verwurzelt war: Öfter kritisiert er
die Einseitigkeit beim Gebrauch der Kriterien in den nicht-skeptischen Theorien.
Wenn er auf die Rolle hinweist, die Sinne und Verstand bei der Erkenntnis spie-
len, ist nicht klar, ob er eine positive Theorie von Kriterien im Auge hat, wie sie
in den hellenistischen Schulen entwickelt worden war. Möglicherweise folgt er ein-
fach Aristoteles’ Ansicht, wonach die speziellen Sinne über die ihnen eigenen Ob-
jekte immer – oder meist – die Wahrheit vermitteln, und auch der Verstand nur
die Wahrheit kennt und nie Falsches. In späteren Quellen wird Aristoteles die

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376 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Theorie des doppelten Kriteriums zugeschrieben (am klarsten in Ptolemaios’


‹Über das Kriterium› und in vielen doxographischen Quellen). Diese Interpretation
des Aristoteles könnte durch Aristokles’ Kritik an denen, die jedes Kriterium ver-
neinen bzw. ein begrenztes Kriterium annehmen (nur Affektion, nur Sinneswahr-
nehmung, nur Verstand), angeregt worden sein. Ob er selbst aber bereits dachte,
dass diese Haltung einer Theorie von zwei Kriterien gleichkommt, wird aus den
Quellen nicht klar.

4. NACHWIRKUNG

Man darf als gesichert annehmen, dass Alexander von Aphrodisias nicht Aris-
tokles’ Schüler war und jeglicher Einfluss, falls vorhanden, nur durch die Schrif-
ten ausgeübt wurde. In dieser Hinsicht wäre eine Untersuchung, ob Alexander
oder Aspasios zu Aristokles’ Werk über die aristotelische ‹Metaphysik› Zugang
hatten, angezeigt.
Was die sicheren Einflüsse angeht, kann auf die alexandrinische Tradition ver-
wiesen werden, namentlich auf den Kreis des Ammonios, wo aufgrund der Be-
richte bei Philoponos und Asklepios Aristokles’ Werk ‹Über Philosophie› bekannt
gewesen sein dürfte.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 38. Aristoteles von Mytilene

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Es gibt mehrere antike Texte, die als Lehrer des Alexander von Aphrodisias
einen Aristoteles nennen. Dazu gehören Simplikios’ ‹De caelo›-Kommentar
(συνῃρημένως δὲ ὁ Ἀλέξανδρος, ὥς φησι, κατὰ τὸν αὑτοῦ διδάσκαλον Ἀρισ-
τοτέλην οὕτως ἐξέθετο τὴν λέξιν, «generell aber hat Alexander, wie er sagt, diese
Lesart seinem Lehrer Aristoteles folgend so dargelegt»: 153,16–18 Heiberg), zwei
Passagen aus ‹Contra Iulianum› von Kyrill von Alexandrien (γράφει τοίνυν

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§ 38. Aristoteles von Mytilene (Bibl. 441–442) 377

Ἀλέξανδρος ὁ Ἀριστοτέλους μαθητὴς ἐν τῷ Περὶ προνοίας οὑτως, «es schreibt nun


Alexander, der Schüler des Aristoteles, in seiner Schrift ‹Über die Vorsehung› Fol-
gendes»: 2,38; καὶ γοῦν ὁ Ἀριστοτέλους ἐραστὴς [var. lect. μαθητὴς] Ἀλέξανδρος
ἐν τῷ Περὶ καθ’ ἑκαστα προνοίας λόγῳ φησίν, «und zumindest Alexander, der Ge-
liebte [oder: Schüler] des Aristoteles sagt in seiner Schrift über die einzelnen Vor-
sehungen»: 5,9) und der Traktat ‹De intellectu› (= ‹Mantissa› 2) aus der Schul-
sammlung, die Alexander von Aphrodisias zugeschrieben wird (ἤκουσα δὲ περὶ
νοῦ τοῦ θύραθεν παρὰ Ἀριστοτέλους, «Ich habe von Aristoteles über den Intel-
lekt von außen gehört»: 110,4 Bruns; vgl. § 39.).
Traditionellerweise wurde seit der Zeit humanistischer Textkritik in diesen Tex-
ten die Lesart Ἀριστοτέλης durch Ἀριστοκλῆς ersetzt (vgl. Nuñez 1621 [*435: 73f.
Anm. 26]). Es wurde argumentiert, dass in der Abhandlung ‹De intellectu› die
Lesart Ἀριστοτέλους als Referenz auf Aristoteles von Stageira chronologisch un-
möglich sei und deshalb zu Ἀριστοκλέους geändert werden müsse, da der Autor
der Abhandlung, wer auch immer er gewesen sei, unmöglich Aristoteles «gehört»
haben könne (vgl. Nuñez 1621 [*435: 73], Zeller 51923 [*202: 814 Anm. 1]). Der
Name von Aristokles als Lehrer des Alexander erscheint in der Ausgabe des
Aldus Manutius von Simplikios’ Kommentar zu ‹De caelo›, der eine Retroversion
der lateinischen Übersetzung von Moerbeke darstellt. Wie Moraux 1984 [*220:
400] bemerkt, haben alle lateinischen Handschriften die Abkürzung ‘Arlem’, was
entweder für ‘Aristoklem’ oder ‘Aristotelem’ stehen kann, während die Lesart in
allen griechischen Manuskripten Ἀριστοτέλην ist. In seiner Ausgabe von Aristo-
kles’ Fragmenten druckt Heiland 1925 [*428: 16–23 = Testimonia III–V] unter Be-
rücksichtigung von Zellers Emendation, d. h. indem er durchgehend Ἀριστοτέλης
durch Ἀριστοκλῆς ersetzt, beide Texte und die Passagen aus Kyrill von Alexandrien
als Testimonien für Aristokles.
In seiner Dissertation argumentierte Moraux 1942 [*587: 143–149] dafür, dass
die Stelle in ‹De intellectu› (110,5 Bruns) sich doch auf Aristoteles von Stageira
beziehen könnte, wenn man ἤκουσα […] παρὰ Ἀριστοτέλους versteht als «ich
hörte diese Theorie [weitergegeben] von Aristoteles».
Später argumentierte Moraux 1967 [*460] dafür, dass es sich beim ‘Aristoteles’
genannten Lehrer des Alexander von Aphrodisias um den peripatetischen Philo-
sophen Aristoteles von Mytilene aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. handeln könnte.
Letzterer wird von Galen als «einer der ersten in den peripatetischen Studien»
(ἀνὴρ πρωτεύσας ἐν τῇ Περιπατητικῇ θεωρίᾳ: De consuet. 11,4–12 Müller =
Sharples 2010 [*43: 1Z]) bezeichnet. In dieser während der Regierungszeit von
Mark Aurel verfassten Schrift (Schmutte 1941 [*499: XXXVf.]) beschreibt Galen
Krankheit und Tod dieses Philosophen als ein gerade vergangenes Ereignis, so
dass sich als Terminus ante quem 180 n. Chr. ergibt.
Um diese Vermutung zu stärken, führte Moraux zwei weitere antike Quellen
an, in denen ein Aristoteles erwähnt wird, der ein Zeitgenosse Alexanders und
möglicherweise sogar sein Lehrer gewesen sein könnte. Beim ersten Text handelt
es sich um Syrianos’ Kommentar zur ‹Metaphysik›, wo der «jüngere Aristoteles»
vom «Philosophen» unterschieden wird: «Der jüngere Aristoteles, der Kommen-
tator des Philosophen Aristoteles, der bei diesem Punkt vorsichtig war, sagte,

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378 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

dass der Philosoph es umgekehrt gemeint habe» (ὃ δὴ καὶ εὐλαβηθεὶς ὁ νεώτερος


Ἀριστοτέλης ὁ ἐξηγητὴς τοῦ φιλοσόφου Ἀριστοτέλους, ἀνάπαλιν ἔφη λέγειν τὸν
φιλόσοφον: In Metaph. 100,6f. Kroll). Beim zweiten Text, der wegen Überliefe-
rungsproblemen problematischer ist, handelt es sich um eine Passage aus Elias’
Kommentar zu den ‹Kategorien›, in der Namensvettern von Aristoteles aus Sta-
geira erwähnt werden: «Nicht allein Aristoteles von Stageira hieß so, sondern es
gab auch andere [Menschen mit dem Namen] Aristoteles, zu seiner Zeit, wie den
Gymnasten, der den Beinamen Mythos hatte, und zu späterer Zeit Alexander
den Lehrer. Dieser dürfte als zweiter Aristoteles gelten» (ὅτι οὐ μόνος
Ἀριστοτέλης ὁ Σταγειρίτης οὕτως ἐκαλεῖτο ἀλλὰ καὶ ἄλλοι Ἀριστοτέλεις
ἐγένοντο ἐπὶ αὐτοῦ, ὡς ὁ παιδοτρίβης καὶ ἐπίκλην Μῦθος, καὶ μετὰ ταῦτα, ὡς ὁ
διδάσκαλος Ἀλέξανδρος· ἔδει γὰρ αὐτὸν οἷον δεύτερον ὄντα Ἀριστοτέλην:
128,10–13 Busse; hier sollte der Text nach Moraux lauten: ὁ διδάσκαλος
Ἀλεξάνδρου, «der Lehrer Alexanders»).
Der nächste Meilenstein in der Forschungsgeschichte zu Aristoteles von Myti-
lene besteht in zwei Artikeln von Moraux 1985 [*472] und Accattino 1985 [*503],
die in demselben Jahr publiziert wurden und in denen beide unabhängig vonein-
ander auf eine Textstelle in Alexanders ‹Kommentar zur ‘Metaphysik’› 2,3 hin-
wiesen, in der Alexander zwischen «unserem eigenen» Aristoteles und «Aristote-
les von Stageira», dem Autor der ‹Metaphysik›, unterscheidet: «[Aristoteles] selbst
bewies, indem er so vorging, dass es nicht möglich ist, dass die Ursachen unend-
lich sind, unser Aristoteles aber bewies es auch selbst, indem er dialektisch argu-
mentierte» (αὐτὸς μὲν οὕτως ἐφοδεύσας ἔδειξεν ὅτι μὴ οἷόν τε ἄπειρα εἶναι τὰ
αἴτια· ὁ δὲ ἡμέτερος Ἀριστοτέλης καὶ αὐτὸς ἐπιχειρῶν ἐδείκνυεν: Alex. Aphr. In
Metaph. 166,18–21 Hayduck). Sowohl Accattino wie auch Moraux argumentieren,
wiederum unabhängig voneinander, dass «unser Aristoteles» sich auf Alexanders
Lehrer beziehen muss, und beide erhärten mit Hilfe dieses Texts die Vermutung,
dass dieser Lehrer Aristoteles von Mytilene gewesen ist.
Es kann deshalb als sicher gelten, dass Alexander einen Lehrer hatte, der Aris-
toteles hieß. Dass dieser Aristoteles den Beinamen ‘von Mytilene’ hatte, ist eine
Vermutung, die sich auf die Identifikation von Alexanders Lehrer Aristoteles mit
dem von Galen in ‹De consuetudine› erwähnten Aristoteles von Mytilene stützt
(dabei handelt es sich um den bis jetzt einzigen Hinweis auf diesen vollen Namen
im griechischen Corpus).

2. WERKE

Über die Schriften des Aristoteles von Mytilene und auch der Titel ‘Kommentator’ (ἐξηγητής), den
ist nichts bekannt. Alle Hinweise auf seine Aristo- ihm Syrianos beilegt, spricht zumindest für einen
teles-Auslegungen kommen von späteren Quellen, sehr formalen und systemischen Charakter seiner
letztlich von Alexander von Aphrodisias. Moraux Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Text.
1984 [*220: 401] glaubt, dass Alexanders Berichte Rescigno 2004 [*574: 296] schlägt in der Tat vor,
eher auf mündlicher Unterweisung beruhen als dass Aristoteles von Mytilene eine Monographie
auf schriftlichen Werken. Gleichzeitig weist er auf geschrieben habe, die sich mit bestimmten dilem-
den systematisierenden Zugang hin, den Aristote- matischen Argumentationsmustern im aristoteli-
les von Mytilene zum aristotelischen Text hatte, schen Corpus befasst haben könnte.

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§ 38. Aristoteles von Mytilene (Bibl. 441–442) 379

3. LEHRE

1. Die Kreisbewegung hat kein Gegenteil (Arist. Cael. 1,4). – 2. ‘Dialektischer Beweis’: Ursachen können
nicht unendlich sein (Alex. Aphr. In Metaph. 2,2, 166,18–167,3 Hayduck) – 3. Potentialität und Aktualität
von mathematischen Objekten (Metaph. 13,3, 1078a21–31). – 4. Der göttliche Intellekt (ὁ θύραθεν νοῦς,
wörtlich «der Intellekt von außerhalb»; bei Alex. Aphr. De intell. 110,4–113,11 Bruns): 4.1. ‹De intellectu›:
Struktur der Schrift; 4.2. ‹De intellectu›: Das Argument; 4.3. Das Problem der Zuschreibung: Aktueller
Forschungsstand.

1. Die Kreisbewegung hat kein Gegenteil (Arist. Cael. 1,4)

Im Kommentar zu ‹De caelo› 1,4 zitiert Simplikios ausgiebig aus Alexanders


Kommentar, in dem dieser angibt, dass er eine Erklärung des Arguments gegen
ein Gegenteil der Kreisbewegung (Cael. 1,4, 271a22–33) seines Lehrers Aristo-
teles zusammenfasse (Simpl. In Cael. 153,16–154,5 Heiberg = Alex. Aphr. In
Cael. fr. 40 Rescigno). Das Argument ist als Dilemma konstruiert: Die der Kreis-
bewegung entgegengesetzte Bewegung wäre entweder 1) geradlinig oder 2) kreis­
förmig. Es kann aber gezeigt werden, dass beides nicht möglich ist. 1) Keine Be-
wegung in einer geraden Linie kann der Kreisbewegung entgegengesetzt sein,
weil es keinen Grund dafür gibt, dass eine von diesen eher der Kreisbewegung
entgegengesetzt wäre als eine andere, weiter sind alle Bewegungen in einer gera-
den Linie einander entgegengesetzt (d. h. jede von ihnen hat bereits ein Gegen-
teil) und für jeden Gegensatz gibt es nur genau einen anderen. Da also keine ein-
zelne Bewegung in einer geraden Linie der Kreisbewegung entgegengesetzt sein
kann, kann die Bewegung in einer geraden Linie allgemein genommen nicht
deren Gegenteil sein. 2) Eine Kreisbewegung kann auch nicht einer Kreisbewe-
gung entgegengesetzt sein, da gegensätzliche Bewegungen von und zu gegensätz-
lichen Orten führen. Zwei Kreisbewegungen aber führen, auch wenn sie in ent-
gegengesetzter Richtung verlaufen, vom selben Ort zum selben Ort, so dass die
Bewegung zweier Körper, die sich in entgegengesetzter Richtung in einem Kreis
bewegen, nicht konträr ist, sondern subkonträr. Nach Hankinson 2002 [*516: 136
Anm. 469] sind die entgegengesetzten Bewegungen subkonträr in dem Sinne,
dass sie beide für dasselbe Ding (oder Gruppe von Dingen) gelten, nämlich die
Punkte, von denen sie aus­gehen bzw. zu denen sie sich hinbewegen. Die Kreisbe-
wegung hat deshalb keine Gegensätze. Aristoteles von Mytilene fügt weiter an,
dass die Bewegung entlang eines Halbkreises nicht dasselbe sei wie die Kreis­
bewegung – wahrscheinlich um darauf hinzuweisen, dass die Schlussfolgerung
des Dilemmas nicht für die Bewegung entlang eines Halbkreises gilt. Bei der
Kreisbewegung beschreibt der sich bewegende Körper einen vollständigen Kreis,
während die Bewegung entlang des Halbkreises nicht kontinuierlich ist, so dass
der Körper (um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren) umkehren und
dafür zuerst anhalten muss.

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380 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

In der Forschung wird darauf hingewiesen, dass dieses Argument ein Beispiel
für eine analytische Auslegung sei, in der Aristoteles’ komplexe und gewundene
Argumentation, die verschiedene, nicht einfach nachvollziehbare Argumente mit-
einander verknüpft, im Rahmen ‘eines’ Arguments mit der Form eines destrukti-
ven Dilemmas vorgestellt wird: «Wenn p, dann (q v r). Aber weder q noch r, des-
halb nicht p» (vgl. Moraux 1984 [*220: 402], Rescigno 2004 [*574: 296]).

2. ‘Dialektischer Beweis’: Ursachen können nicht unendlich sein


(Alex. Aphr. In Metaph. 2,2, 166,18–167,3 Hayduck)

An der Stelle in Alexanders Kommentar, an der Aristoteles von Stageira klar


von Alexanders Lehrer Aristoteles unterschieden wird (In Metaph. 166,19–21
Hayduck), findet sich ein weiteres Argument, das Alexander aus den Vorlesungen
seines Lehrers übernommen haben muss. Das Argument ist ein ‘dialektischer Be-
weis’ (ἐπιχείρησις: vgl. 166,20) der aristotelischen Hauptthese dieses ganzen Ka-
pitels, nämlich dass Ursachen keine unendlichen Folgen bilden können (994a1f.).
Alexander überliefert das Argument seines Lehrers in der Form eines Dilemmas,
von dem das eine Horn ein weiteres Trilemma einschließt. Der Beweis lautet: «Da
es Ursachen der seienden Dinge gibt, gibt es entweder mehrere 1) oder eine 2). Es
ist aber nicht möglich, dass es nur eine Ursache gibt für die seienden und entste-
henden Dinge, wie an anderer Stelle gezeigt worden ist. Denn was entsteht,
braucht ein Zugrundeliegendes und eine produktive Ursache. Weiter ist gezeigt
worden, dass das, was entsteht, dies aufgrund seiner Form tut, so dass es nicht nur
eine Ursache sein kann» (damit ist 2) widerlegt). Es bleibt also 1) «dass es mehr
als eine Ursache ist. Wenn es aber mehrere gibt, sind entweder alle 3) oder einige
4) oder (mindestens) eine 5) der Ursachen unendlich». Sowohl 3) als auch 4) ist
aber unmöglich, da es nicht mehrere Unendliche geben kann. Es ist aber ebenso
unmöglich, zu behaupten 5), eine Ursache sei unendlich, die anderen endlich. Da
(5’) das Unendliche überall ist, gestattet es keiner anderen Sache Zugang, sei sie
unbegrenzt oder begrenzt; (5’’) wenn es weiter (per impossibile, vgl. 2) oben) nur
eine Ursache gäbe, könnte diese nicht unendlich sein, sie wäre dann nämlich
­Ursache von nichts, denn das, wovon sie Ursache wäre, hätte keinen Platz, da die
Ursache überall wäre. Denn insofern die Ursache unendlich wäre, wäre sie auch
in der Ausdehnung unendlich, sei es in der Quantität (so dass eine Ursache über-
all ist), sei es in der Zeit.
Alexander kommentiert: «Das Argument scheint etwas Dialektisches zu haben
und logisch zu sein, dem vorher Diskutierten aber nicht gleichermaßen angemes-
sen» (167,1f. Hayduck), wozu Dooley 1992 [*509: 57 Anm. 152] bemerkt: «Alex-
ander means that the dialectical argument proposed by his teacher is adequate to
refute the proponent of the infinite causes, but that this subject requires a more
positive type of reasoning, presumably, apodeixis, demonstration, the sort of ar-
gument that, by implication, Aristotle himself has employed in the treatment of
the question.»

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§ 38. Aristoteles von Mytilene (Bibl. 441–442) 381

3. Potentialität und Aktualität von mathematischen Objekten


(Metaph. 13,3, 1078a21–31)

In seinem Kommentar zu ‹Metaphysik› 13,3 stellt Syrianos die Frage, wie Aris-
toteles’ Behauptung zu interpretieren sei, dass «das Seiende zweifach sei, einerseits
in Aktualität, andererseits materiell» (διττὸν γὰρ τὸ ὄν, τὸ μὲν ἐντελεχείᾳ, τὸ δὲ
ὑλικῶς: 1078a30f.). Diese bildet den Abschluss von Aristoteles’ Erklärung zur Art
und Weise, wie Arithmetiker bzw. der Geometer ihre jeweiligen Themen behandeln.
In der ‹Metaphysik› verwendet Aristoteles das Beispiel des Menschen, der einer ist
und unteilbar qua Mensch. Dieser wird von den Arithmetikern als ein Beispiel für
eine Monade, von den Geometern als ein Körper von einer bestimmten Gestalt auf-
gefasst. Die Frage, die Syrianos stellt, lautet: Wann haben die Monade bzw. die Ge-
stalt ihr Sein in Aktualität (bzw. wann potentiell)? Wenn sie nicht von der Substanz
des Menschen getrennt sind oder wenn sie von den Mathematikern erkannt und ge-
trennt werden? (Syrian. In Metaph. 99,31–100,13 Kroll). Wenn sie 1) potentiell sind,
wenn sie nicht vom Menschen getrennt sind, und wirklich werden, wenn Mathema-
tiker sie denken qua mathematische Objekte (als Einheit im Fall der Arithmetik,
als Figur oder Körper von einer bestimmten Form im Fall der Geometrie), stellt sich
eine weitere Frage: Was ist es, was sie aktuell macht? Nach Aristoteles’ eigener An-
sicht erfordert nämlich der Übergang eines X von der Potentialität zur Aktualität,
dass es etwas gibt, das bereits ein X in Aktualität ist, das auf das potentielle X wirkt
und seinen Übergang zur Aktualität verursacht (Phys. 3,3). Wenn 2) aktuell und
­potentiell gerade umgekehrt verteilt werden, so dass mathematische Objekte (Ein-
heit und Figur/Körper) in den Dingen aktuell sind und von den Mathematikern in
ihrer potentiellen Form studiert werden, dann ist nicht klar, wie es möglich ist, dass
das Potentielle präziser ist in seiner Bestimmung als das Aktuelle. Syrianos berich-
tet, dass Möglichkeit 1) vom «jüngeren Aristoteles» vorgezogen worden sei, wäh-
rend Alexander selbst der Variante 2) den Vorzug gegeben habe.
Das Problem muss bereits vor Syrianos in dieser dilemmatischen Form formu-
liert worden sein, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er es in Alexanders Kom-
mentar gefunden hat, zu dem er noch Zugang hatte (vgl. Moraux 1984 [*220: 404
Anm. 22]; zum Gebrauch von Alexanders Kommentar durch Syrianos vgl. Luna
2001 [*514: 72–98]). In diesem Fall könnte das Dilemma bereits von Alexanders
Lehrer, «dem jüngeren Aristoteles», also Aristoteles von Mytilene, formuliert wor-
den sein. Es würde sich dann um eine ähnliche Argumentationsweise handeln,
wie wir sie im Kommentar zu ‹De caelo› 1,4 und in Alexanders Kommentar zu
‹Metaphysik› 2,2 gesehen haben.

4. Der göttliche Intellekt (ὁ θύραθεν νοῦς, wörtlich «der Intellekt von


außerhalb»; bei Alex. Aphr. De intell. 110,4–113,11 Bruns)

Die bei weitem umstrittenste Zuschreibung an Aristoteles von Mytilene betrifft


die Darstellung des göttlichen Intellekts in der Abhandlung ‹De intellectu›, die
Teil der sogenannten ‹Mantissa› oder des ‹Supplements zu ‘Über die Seele’› ist,

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382 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

einer Sammlung von Schultraktaten, die zusammen mit der Abhandlung ‹Über
die Seele› von Alexander von Aphrodisias überliefert wurden. Der Ausdruck ὁ
θύραθεν νοῦς bezieht sich auf die Darstellung der Zeugung in Aristoteles’ Schrift
‹De generatione animalium› (Gen. an. 2,3).

4.1. ‹De intellectu›: Struktur der Schrift

Als Erster hat Moraux 1942 [*449] die Struktur der Abhandlung analysiert. Er
verstand sie als zusammengesetzt und unterschied drei Hauptteile mit jeweiligen
Unterabschnitten. Diese wurden später von Sharples 1987 [*812: 1212] mit Titeln
versehen, die in der aktuellen Forschung Standard sind. Teil A (106,19–110,3
Bruns) ist eine Darstellung des Intellekts, die vollständig auf Aristoteles’ ‹De
anima› basiert, die vom Autor, von dem heute angenommen wird, dass es Alex-
ander oder mindestens jemand aus seinem Kreis sei (vgl. Sharples 2007 [*147:
616]), zusammengefasst wird. Dieser Teil kann in drei Unterkapitel unterteilt
werden: A1 (106,19–107,20) ist dem «materiellen Intellekt» (νοῦς ὑλικός) gewid-
met, A2 (107,21–28) dem Intellekt als Disposition (νοῦς ἐν ἕξει), A3 (107,29–
110,3) dem produktiven Intellekt (νοῦς ποιητικός). Die Abschnitte B (110,4–
112,4) und C (112,5–113,24) enthalten dasjenige Material, das von einigen
Forschern Aristoteles von Mytilene zugeschrieben wird, der genaue Umfang die-
ser Zuschreibung ist indes umstritten, und es gibt keinen generellen Konsens.
Abschnitt B gliedert sich in zwei Teile: Der erste, B1 (110,4–110,25), beginnt mit
dem Satz «Ich habe von Aristoteles über den Intellekt von außen gehört» (ἤκουσα
δὲ περὶ νοῦ τοῦ θύραθεν παρὰ Ἀριστοτέλους), was als, wenn auch nicht unum-
strittener Bezug auf Aristoteles, den Lehrer des Alexander, aufgefasst wurde
(110,4). Weiter wird in diesem Abschnitt berichtet, welche Gründe Aristoteles
von Stageira (genannt in 110,5, eine Zeile unter einem anderen Aristoteles) ver-
anlasst haben könnten, die Theorie des göttlichen Intellekts aufzustellen. Ab-
schnitt B2 (110,25–112,5) stellt die Rolle des göttlichen Intellekts für das Funk-
tionieren des menschlichen Intellekts dar. Abschnitt C (112,5–113,24) enthält in
Unterkapitel C1 (112,5–113,12) einen Bericht über die peripatetische Antwort
auf Vorwürfe, die gegen Aristoteles’ Theorie des Intellekts erhoben worden sind
(wahrscheinlich vom Platoniker Attikos). C2 (113,12–24) enthält Alexanders Kritik
an dieser peripatetischen Darstellung.

4.2. ‹De intellectu›: Das Argument

Der Autor von ‹De intellectu› beginnt seinen Bericht über die Lehre des Aris-
toteles von Mytilene in B, indem er die Gründe aufzählt, die den Stagiriten ver-
anlassten, die Lehre vom äußeren Intellekt (νοῦς θύραθεν) zu entwickeln: die
Analogie mit der Sinneswahrnehmung, bei der die Objekte, welche die Sinnes-
wahrnehmung verursachen, in Aktualität existieren, und das generelle Prinzip,
dass etwas nur dann von der Potentialität zur Aktualität kommen kann, wenn es
eine Ursache gibt, die in Aktualität existiert und die das potentielle X in einen
Zustand von aktuellem X bringen kann (110,4–24 = B1).

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§ 38. Aristoteles von Mytilene (Bibl. 441–442) 383

Die Denkobjekte unseres Intellekts sind sinnlich wahrnehmbare Dinge, von


denen keines in Aktualität intelligibel ist, sondern nur potentiell. Bei der Aktivität
des menschlichen Intellekts werden zwei Tätigkeiten unterschieden: die Produk-
tion des Intelligiblen durch Abstraktion und das Begreifen dieser Intelligibilia,
nachdem sie bereits produziert worden sind (111,15–18 = ein Teil von B2). Unser
Intellekt wird bei dieser Tätigkeit unterstützt vom Intellekt, der «von Natur aus»
und «von außen» ist. Dieser ist als einziger aufgrund seiner Natur intelligibel. Er
«entsteht durch das Gedachtwerden in demjenigen, der ihn denkt, und er wird ge-
dacht als ‘von außen’ und er ist unsterblich und versetzt den materiellen Intellekt
in einen Zustand, in dem dieser das potentiell Intelligible denkt» (111,29–32). Die
Rolle des göttlichen Intellekts besteht also darin, den materiellen Intellekt in
einen Zustand zu versetzen, der ihm das Denken ermöglicht.
Abschnitt C1 enthält die ursprüngliche Antwort des Aristoteles von Mytilene
auf die Kritik an der peripatetischen Lehre des «Intellekts von außen». Die Kri-
tiker heben hervor, dass der νοῦς θύραθεν, um diesen Effekt haben zu können,
seinen Ort wechseln muss, dass er aber wegen seiner Unkörperlichkeit nicht an
einem Ort sein oder den Ort wechseln noch zu verschiedenen Zeiten an verschie-
denen Orten sein kann (112,6–8). Aristoteles von Mytilene antwortet auf diesen
Einwand, indem er erklärt, dass der νοῦς θύραθεν präsent sei «in der Materie als
eine Substanz in einer Substanz, in Aktualität, und dass er seine Aktivitäten
immer ausführt» (112,10f.). Wann immer der göttliche Intellekt der richtigen
­Mischung von Elementen begegnet, die es einem Körper ermöglicht, eine Veran-
lagung zum Denken zu haben, bringt er die menschliche Disposition zum Den-
ken hervor. In diesen Fällen handelt der göttliche Intellekt wie ein Handwerker
mit einem Werkzeug, während er in anderen Fällen, wenn Körper keine passende
Materie aufweisen, wie ein Handwerker in Übereinstimmung mit seinem Hand-
werk, aber ohne Instrumente handelt.
Die Aporie, auf die diese Theorie eine Antwort bieten soll, stammt wahrschein-
lich aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. vom Platoniker Attikos (vgl. fr. 7,75–81 des
Places; Donini 1974 [*369: 51], Rashed 1997 [*511: 189–191], Accattino 2001 [*661:
55]). Die Aristoteles von Mytilene zugeschriebene peripatetische Antwort enthält
einige stoisierende Elemente: nämlich die Idee, dass der Intellekt die Materie
durchdringt, dass das menschliche Denken vom göttlichen Intellekt abhängt, der
mit der richtigen «Mischung» der Körper zusammentrifft, und auch der Vergleich
der passenden körperlichen Disposition mit «Feuer oder etwas dieser Art» (112,12).
Der Autor von ‹De intellectu›, vielleicht Alexander selbst, kritisiert die Theo-
rie seines Lehrers in Abschnitt C2. Seine Einwände sind: 1) Nach dieser Theorie
findet sich der göttliche Intellekt in den niedersten Dingen (was auch die stoische
Ansicht sei, 113,12–14); 2) nach dieser Theorie sind der göttliche Intellekt und die
Vorsehung in der sublunaren Welt präsent, während die richtige (vermutlich peri-
patetische Schul-)Meinung sei, dass Vorsehung in der sublunaren Welt aufgrund
der Verbindung der sublunaren Dinge mit den Himmelsbewegungen zustande
komme (113,14–16; vgl. Kritolaos fr. 15 Wehrli); 3) gemäß dieser Theorie liegt
unser Denken nicht in unserer Verfügung (μὴ ἐφ’ ἡμῖν) und ist nicht in unserer
­eigenen Funktion (ἔργον) gegründet, sondern ist eine Beschaffenheit und eine

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384 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

­ ktivität des potentiellen und instrumentellen Intellekts, die direkt bei unserer
A
Geburt vom göttlichen Intellekt hervorgebracht wird (113,16–18). Es handelt sich
hier um typische anti-stoische Einwände, wobei die Stoiker in 1) explizit erwähnt
werden. Alexander schließt seine Abhandlung mit einer eigenen Antwort auf At-
tikos’ Einwände, die sich von jener seines Lehrers unterscheidet.

4.3. Das Problem der Zuschreibung: Aktueller Forschungsstand

Zeller schrieb die Abschnitte B1 bis C1 Aristokles von Messene zu, den er für
den Lehrer von Alexander von Aphrodisias hielt. Nach Zeller 51923 [*202: 815f.]
sollte in 110,4 der Name des Aristoteles durch denjenigen von Aristokles ersetzt
werden. Diesem Vorschlag folgte Trabucco 1958 [*454: 117–126]. Moraux 1942 [*449:
143–149] widmete der Kritik an Zellers Emendation ein eigenes Kapitel in seiner
Studie zu Alexanders Noetik. Er vertrat die Ansicht, dass in 110,4 auf Aristoteles
von Stageira verwiesen werden könnte, ungeachtet der Nähe zum Verweis auf den
Stagiriten in 110,5. Nach dieser These wäre der ganze Abschnitt B eine Darstellung
der Theorie von Aristoteles aus Stageira durch den Autor der ‹Mantissa› (von dem
Moraux 1942 [*449: 132–142] denkt, dass es sich nicht um Alexander handelt). Ab-
schnitt C1 würde dann einem anonymen peripatetischen Philosophen zugeschrie-
ben, dessen Ansichten eine Mischung aus stoischen und peripatetischen Lehren
wären und der in C2 von einem anderen Peripatetiker, möglicherweise dem Autor
der Abhandlung, für seine Nähe zum Stoizismus kritisiert würde.
Nachdem die Person des Aristoteles von Mytilene ans Licht kam, änderte Mo-
raux 1967 [*460] und 1984 [*220: 412f.] seine Meinung und argumentierte dafür,
dass die ganze Passage B1 bis C1 Alexanders Lehrer zugeschrieben werden könne,
wobei die beiden Abschnitte B1 und B2 keinen originellen, von Aristoteles von
Mytilene selbst verfassten Inhalt aufweisen, sondern Schuldoktrin enthalten –
communis opinio Peripateticorum –, die von Aristoteles von Mytilene vorgestellt
und von seinem Schüler Alexander referiert wird. Dieser Bericht ist noch immer
nützlich, insofern er uns einen Eindruck der peripatetischen Noetik aus der Zeit
vor Alexander gibt. Im Gegensatz dazu findet sich in C1 eine originelle Interpre-
tation von Aristoteles’ Theorie des göttlichen Intellekts durch Aristoteles von My-
tilene mit dem Anspruch, die von Kritikern angeprangerten Schwierigkeiten zu
lösen. C2 enthielte nach dieser Ansicht Alexanders Kritik an der Theorie seines
Lehrers. Diese Version wurde von Accattino, Donini 1996 [*726: xxvii Anm. 77
und 78] übernommen.
Accattino 2001 [*661: 12–15] distanzierte sich später wieder davon und argu-
mentierte, das Material, das Aristoteles von Mytilene zugeschrieben werden
könne, müsse auf B1 und C1 beschränkt werden, während B2 den Großteil der
communis opinio enthalte.
Die Zuschreibung des Abschnitts B an den Autor der ‹Mantissa› – Moraux 1942
[*449] folgend – wurde von Thillet 1984 [*501: XI–XXI], Schroeder, Todd 1990
[*507: 23f., 28–31], Opsomer, Sharples 2000 [*512] und Sharples 2004 [*749: 38
Anm. 92] verteidigt. Sharples 2010 [*43: 275] und 2010 [*523: 152 Anm. 149 und
150] schreibt den Abschnitt C1 einem unbekannten peripatetischen Philosophen,

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§ 38. Aristoteles von Mytilene (Bibl. 441–442) 385

den Abschnitt B einem anderen nicht bekannten Peripatetiker zu, möglicherweise


einem von Alexanders Lehrern.
Die Frage nach der Zuschreibung des Inhalts dieser Abhandlung an Aristote-
les von Mytilene bleibt also kontrovers.

4. NACHWIRKUNG

Der Name des Aristoteles von Mytilene, der Alexanders Lehrer ist, basiert auf
einer Konjektur in Galens ‹De consuetudine› und erscheint sonst nirgendwo im er-
haltenen griechischen Corpus. Es ist nicht klar, ob die späteren griechischen Kom-
mentatoren von Aristoteles’ ‹De anima› 3 (Themistios, Ps.-Philoponos, Ps.-Simpli-
kios) irgendwelche der diesem Aristoteles zugeschriebenen Positionen als von der
Position des Alexander verschieden ansahen, die sie aus dessen (jetzt verlorenem)
Kommentar und aus seiner Abhandlung ‹De anima› kannten sowie möglicherweise
aus den Schultraktaten. Moraux 1942 [*449: 137–142] hat versucht, Spuren des Ge-
brauchs von ‹De intellectu› in Philoponos’ Kommentar zu Aristoteles’ ‹De anima›
zu finden (Philop. In De an. 3,5; 44,19 Verbeke, vgl. Charlton 1991 [*508: 63]), aber
die Formulierungen sind zu allgemein, als dass sie eine Entscheidung zulassen könn-
ten. In der mittelalterlichen arabischen Tradition wurde ‹De intellectu› früh über-
setzt und getrennt vom Rest der ‹Mantissa› überliefert (für einen Überblick über
das Geschick von ‹De intellectu› vgl. Geoffroy 2002 [*515]). Bemerkenswerterweise
zitiert Averroes in seinem ‹Langen Kommentar› zu Aristoteles’ ‹De anima› die
obige Position C1, die allgemein Aristoteles von Mytilene (oder jedenfalls einem
nicht identifizierten Peripatetiker vor Alexander) zugeschrieben wird, als von Alex­
ander selbst stammend. Averroes zitiert wörtlich aus De intell. 112,11–16 (in ara­
bischer Übersetzung) und fährt fort, diese Ansicht als einen Bestandteil von Alex-
anders Lehre zu kritisieren (vgl. Taylor 2009 [*333: 310]).

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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386 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

§ 39. Alexander von Aphrodisias

Inna Kupreeva

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Alexander von Aphrodisias, mit vollem römischen Namen Titus Aurelius Alex-
ander, der wichtigste Aristoteles-Kommentator und der letzte bekannte peripate-
tische Philosoph der Antike, stammte aus der Stadt Aphrodisias in Karien, wo sein
Vater, der ebenfalls Titus Aurelius Alexander hieß, Philosoph war. Den römischen
Namen nach zu urteilen, erhielt sowohl Alexander als auch sein Vater das römische
Bürgerrecht von Antoninus Pius, wahrscheinlich als dieser noch Statthalter in
Kleinasien war (135–136). Der Sohn Alexander, eben Alexander von Aphrodisias,
erhielt einen Ruf auf den Lehrstuhl für peripatetische Philosophie in Athen wäh-
rend der Regierungszeit von Septimius Severus und Caracalla (198–211). Diese Da-
tierung folgt aus der Widmung an Septimius Severus und Caracalla zu Beginn von
Alexanders Werk ‹De fato›. Todd 1976 [*607: 1 Anm. 3] hat das Jahr 209 als Termi-
nus ante quem vorgeschlagen, da danach als dritter Mitkaiser Geta hinzukam, aber
Montanari 1980 [*789] hat darauf hingewiesen, dass Getas Name wegen einer spä-
teren ‘damnatio memoriae’ gelöscht worden sein könnte (vgl. Sharples 2001 [*847:
513 Anm. 3]). Weitere biographische Informationen liefert eine kürzlich in Aphro-
disias entdeckte Inschrift, die aufgrund von archäologischen Evidenzen ins 2. Jahr-
hundert datiert wird. Sie stammt vom Sockel einer Statue und lautet folgender-
maßen: «In Übereinstimmung mit dem Beschluss des Rates und des Volks [hat]
Titus Aurelius Alexander der Philosoph, einer der Leiter der philosophischen
Schulen in Athen, für seinen Vater Titus Aurelius Alexander, den Philosophen,
[diese Statue aufgestellt]» (ψηφισαμένης τῆς βουλῆς καὶ τοῦ δῆμου, Τίτος Αὐρήλιος
Ἀλέξανδρος φιλόσοφος, τῶν Ἀθήνησιν διαδόχων, Τ. Αὐρήλιον Ἀλέξανδρον φιλό-
σοφον τὸν πατέρα: Chaniotis 2004 [*249]; Sharples 2005 [*252]).
Sehr wahrscheinlich wurde Alexander von seinem Vater in die Philosophie ein-
geführt. Zu seinen weiteren Lehrern gehörten Herminos, Sosigenes und Aristo-
teles von Mytilene. Dass auch Aristokles von Messene in die Reihe der Lehrer ge-
höre, ist unzutreffend, auch wenn es in der modernen Forschung wiederholt
behauptet wurde; für eine Verbindung zwischen Alexander und Aristokles gibt es
keine Belege. In der mittelalterlichen arabischen Tradition gibt es einige Berichte
über einen persönlichen Kontakt zwischen Alexander und Galen, in der griechi-
schen Tradition ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür überliefert. Der einzige Ver-
weis auf Galen im griechischen Corpus von Alexander ist die Stelle ‹In Topica›

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 387

549,25, wo Galen als Beispiel für einen berühmten Mann zitiert wird, vergleich-
bar mit Platon und Aristoteles (für eine aktuelle Diskussion dieser umstrittenen
Frage vgl. Fazzo 2002 [*848], Harari 2016 [*885]).

2. WERKE

1. Kommentare zu Aristoteles’ Werken. – 2. Opuscula. – 3. Schulsammlungen und kürzere Abhandlungen.

1. Kommentare zu Aristoteles’ Werken

Ἀναλυτικὰ πρότερα αʹ Kommentaren des Michael von Ephesos (die in


‹Analytica priora› I den Handschriften und in der Ausgabe von Hay-
duck 1891 [*541] Alexander von Aphrodisias zuge-
Der griechische Text wurde von Wallies 1883 schrieben werden) und des Asklepios geht auf
[*529] herausgegeben (CAG 2,1). Die englische Alex­a nders Kommentar zurück (vgl. Luna 2001
Übersetzung von Kapitel 1–7 findet sich in Barnes [*845]). Fragmente von Alexanders Kommentar
et al. 1991 [*679], von Kap. 8–22 in Mueller, Gould zu Buch 12, bei Averroes zitiert, sind von Freu-
1999 [*680] und 1999 [*681], von Kap. 23–46 in denthal 1885 [*542] publiziert (vgl. di Giovanni,
Mueller 2006 [*682] und 2006 [*683]. Der Kom- Primavesi 2016 [*883]).
mentar zum zweiten Buch ist nicht erhalten, mit
Ausnahe einiger Hinweise bei späteren Auslegern.
Περὶ αἰσθήσεως
‹De sensu›
Τοπικά
‹Topica› Der griechische Text wurde von Wendland 1901
[*549] herausgegeben (CAG 3,1), die englische
Der griechische Text wurde von Wallies 1891 Übersetzung stammt von Towey 2000 [*706].
[*535] herausgegeben (CAG 2,2). Die englische
Übersetzung des ersten Buches findet sich in van
Ophuijsen 2001 [*689]. Über das Echtheitsproblem, Μετεωρολογικά
siehe Brandis 1833 [*769], Wallies 1891 [*770]. ‹Meteorologie›

Der griechische Text wurde von Hayduck 1899


Τὰ μετὰ τὰ φυσικά αʹ–δʹ [*555] herausgegeben (CAG 3,2), die englische
‹Metaphysik› 1–5 Übersetzung des 4. Buches stammt von Lewis
1996 [*712].
Der griechische Text wurde von Hayduck 1891
[*541] herausgegeben (CAG 1). Die englische
Übersetzung des 1. Buches stammt von Dooley Περὶ τῶν κατηγορίων
1989 [*696], des 2. und 3. Buches von Dooley, Ma- ‹Kategorien›
digan 1992 [*697], des 4. Buches von Madigan
1993 [*698], des 5. Buches von Dooley 1993 [*699]; Verloren, aber bezeugt durch vielfache Hin-
die italienische Übersetzung der fünf Bücher in weise in den ‹Kategorien›-Kommentaren des Sim-
Movia 2007 [*700]. Über die Textüberlieferung, plikios, Dexippos, Philoponos und Porphyrios.
siehe Kotwick 2016 [*884]. Der Kommentar zu
den Büchern 6 bis 14 ist verloren. Einiges in den

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388 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Περὶ ἑρμηνείας Περὶ οὐρανοῦ


‹De interpretatione› ‹De caelo›

Verloren, aber Berichte davon in den späteren Der Kommentar ist verloren, aber viele Frag-
griechischen bzw. lateinischen Kommentaren von mente sind bei Simplikios und Themistios erhal-
Ammonios und Boethius. ten. Ausgabe der Fragmente von Buch 1 und Buch
2–4 bei Rescigno 2004 [*574] und 2008 [*575].

Ἀναλυτικὰ ὕστερα
‹Analytica posteriora› Περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς
‹De generatione et corruptione›
Verloren, Fragmente gesammelt bei Moraux
1979 [*561]. Der griechische Text ist verloren, aber in späte-
ren griechischen und arabischen Quellen bezeugt.
Ausgabe der Fragmente in arabischer Überset-
Περὶ σοφιστικῶν ἐλέγχων zung bei Gannagé 1998 [*581], englische Überset-
‹Sophistici elenchi› zung von Gannagé 2005 [*718].

Verloren. Der in CAG 2,3 von Wallies 1898


[*690] unter dem Namen von Alexander gedruckte Περὶ ψυχῆς
Kommentar stammt wahrscheinlich von Michael ‹De anima›
von Ephesos.
Der griechische Text ist verloren, der Kommen-
tar ist aber in einigen späteren griechischen Quel-
Φυσικὴ ἀκρόασις len bezeugt (Themistios, Philoponos, Ps.-Simpli-
‹Physik› kios). Fragmente zum Intellekt sind bei Moraux
1942 [*587] gesammelt.
Der Kommentar ist verloren, aber bei Simpli-
kios und Philoponos sowie bei arabischen Bio­
bibliographen bezeugt (Peters 1968 [*774). Einige Ethik (?)
Fragmente in arabischer Übersetzung sind bei
­Giannakis 1995–1996 [*567] abgedruckt und dis- Es ist unklar, ob Alexander je einen vollständi-
kutiert, Fragmente aus byzantinischen Scholien in gen Kommentar zu einer ethischen Schrift des
Rashed 2010 [*875]. Aristoteles geschrieben hat, obwohl es in den
Schulsammlungen eine beträchtliche Menge exe-
getischen Materials zum ethischen Corpus gibt.

2. Opuscula

Περὶ ψυχῆς Περὶ εἱμαρμένης


‹Über die Seele› ‹Über das Schicksal›

Ediert durch Bruns 1887 [*593]. Moderne Ediert durch Bruns 1892 [*599]. Englische
Übersetzungen: Fotinis 1979 [*725] (Englisch, un- Übersetzung von Sharples 1983 [*733], deutsche
vollständig), Accattino, Donini 1996 [*726] und Übersetzung von Zierl 1995 [734].
Accattino 2001 [*756] (Italienisch), Bergeron, Du-
four 2008 [727] (Französisch), Caston 2012 [*728]
(Englisch, Teilübersetzung).

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 389

Περὶ κράσεως καὶ αὐξήσεως Übersetzungen und Diskussion der Quellen bei
‹Über Mischung und Wachstum› Rashed 2007 [*858].

Ediert durch Bruns 1892 [*606].


‹Widerlegung von Galens Angriff auf die
Lehre des Aristoteles, dass alles, was sich
‹De principiis omnium› bewegt, von einem Beweger in Bewegung
‹Über die Prinzipien von allem› gesetzt ist›

Nur auf Arabisch erhalten. Arabischer Titel: ‹Fī Auf Arabisch erhalten: ‹Al-Radd ‘ala Jalīnus›,
mabādi’ al-kull›. ediert von Marmura, Rescher 1965 [*636], vgl.
Pines 1961 [*771], Rashed 1995 [*828], Fazzo 2002
[*848], Harari 2016 [*885].
‹De providentia›
‹Über die Vorsehung›
‹De tempore›
Nur auf Arabisch erhalten. Arabischer Titel: ‹Fī ‹Über Zeit›
l-‘ināyati›. Arabischer Text bei Ruland 1976 [*619],
Fazzo, Zonta 1998 [*620] und Thillet 2003 [*621]; Erhalten ist die arabische Version und eine latei-
griechische Fragmente bei Riedweg 2011 [*622]. nische Übersetzung aus dem Arabischen. Der ara-
bische Text (‹Fī al-waqt›) ist abgedruckt bei Badawi
1971 [*642], der lateinische in Thillet 1984 [*644].
‹De differentiis specificis›
‹Über die spezifischen Unterschiede›
‹Über die Meinungsverschiedenheiten zwi­
Der arabische Text, ‹Fī al-fuṣūl›, der in zwei schen Aristoteles und seinen Kollegen mit
verschiedenen Redaktionen erhalten ist, geht auf Blick auf gemischte Prämissen›
Alexanders Diskussion des Problems der ‘diffe-
rentia specifica’ zurück. Die genaue griechische Verloren; für die Diskussion von noch vorhan-
Vorlage des arabischen Texts ist unsicher. Teile des denen Anhaltspunkten in griechischen und arabi-
arabischen Texts sind publiziert von Badawi 1947 schen Quellen vgl. Moraux 2001 [*846: 94–125],
[*628] und Dietrich 1964 [*629]. Französische Flannery 1995 [*827].

3. Schulsammlungen und kürzere Abhandlungen

Περὶ ψυχῆς βʹ ‹De intellectu› (‹Mantissa› 2)


‹Über die Seele, 2. Buch› ‹Über den Intellekt›

Supplement zu ‹De anima›. Eine Sammlung Diese berühmte zweite Abhandlung hatte eine
von kürzeren Abhandlungen aus Alexanders unabhängige Verbreitung auf Arabisch und Latei-
Kreis. Sharples 2010 [*523: 1010] beschreibt die nisch und wurde getrennt von der ganzen griechi-
Sammlung folgendermaßen: «Probably from schen Sammlung herausgegeben. Zu zwei ver-
Alexander’s papers, but incorporating material by schiedenen arabischen Versionen vgl. Finnegan
earlier authors some of which is explicitly criti- 1955 [*659] und Badawi 1971 [*660]. Eine lateini-
cized; it would be unwise to assume that whatever sche Übersetzung (aus dem Arabischen) bei Théry
is not criticized is therefore endorsed by him». 1926 [*658].

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390 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

‹Quaestiones et solutiones› Zu kürzeren Abhandlungen, die in der arabi-


Ἀπορίαι καὶ λύσεις – ‹Probleme und schen Tradition bewahrt sind, vgl. die Listen bei
Lösungen› (3 Bücher) Dietrich 1964 [*629], van Ess 1966 [*673], Sharples
1987 [*812].
‹Problemata ethica›
Ἠθικὰ προβλήµατα – ‹Ethische Probleme›
(1 Buch)

Bei diesen beiden Werken handelt es sich um


Schulabhandlungen aus Alexanders Kreis.

3. LEHRE

1. Allgemeines (Quellen, Schule, Aristoteles-Auslegung, Neuerungen). – 2. Logik. – 3. Die metaphysischen


Themen: 3.1. Die aristotelische Metaphysik als strenge Wissenschaft; 3.2. Universalien; 3.3. Form und
Substanz. – 4. Physik: 4.1. Prinzipien und Ursachen; 4.2. Teleologie und Vorsehung; 4.3. Ort; 4.4. Zeit;
4.5. Bewegung. – 5. Kosmologie. – 6. Seelenlehre: 6.1. Die Seele; 6.2. Erkenntnistheorie; 6.3. Intellekt. –
7. Ethik.

1. Allgemeines (Quellen, Schule, Aristoteles-Auslegung, Neuerungen)

Alexander ist der berühmteste griechische Kommentator: Die spätere Antike


nannte ihn ‘den Exegeten’, ein Titel, den er erst im Mittelalter an Averroes abge-
ben musste. Seine Kommentare sind eindeutige Beispiele für die hypomnemati-
sche Form des Kommentierens: Der zu kommentierende Aristoteles-Text ist in
kürzere, mit Lemmata (der Anfangssatz des jeweiligen Abschnitts) überschrie-
bene Abschnitte unterteilt, der Kommentator diskutiert Textprobleme, insbeson-
dere, wenn sie für das Verständnis wichtig sind. Alexander kennt sich in der jün-
geren peripatetischen Literatur (seines eigenen Jahrhunderts wie auch der
andronikischen Zeit) sowie in der früheren Tradition des Lykeions (die Werke von
Theophrast und Eudemos waren wahrscheinlich in den philosophischen Schulen
noch weit verbreitet) und im hellenistischen Peripatos gut aus. Dieses Wissen zeigt
sich insbesondere, wenn Alexander textliche oder inhaltliche Schwierigkeiten der
aristotelischen Werke diskutiert, wobei hervorsticht, dass er in jedem Fall dem In-
halt seine volle Aufmerksamkeit widmet. Üblicherweise legt er das Problem dar,
das der Text aufwirft, unterbreitet einen oder mehrere mögliche Lösungsvor-
schläge, die wahrscheinlich aus seinen Seminarnotizen oder aus Aufzeichnungen
aus seiner Schule stammen, bevor er seine eigene Lösung präsentiert und erklärt.
Häufig können diese Diskussionen innerhalb des Kommentars wie kurze Abhand-
lungen gelesen werden, in Struktur und Stil denjenigen ähnlich, die sich in den
Schulsammlungen finden.

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 391

Bei der Interpretation von Aristoteles’ philosophischen Lehren beschäftigt sich


Alexander mit der Stichhaltigkeit und inneren Konsistenz der aristotelischen Posi-
tion wie auch mit ihrer Haltbarkeit in zeitgenössischen philosophischen Ausein-
andersetzungen. Alexander entwickelt in seinen Kommentaren und kleineren
Werken ein philosophisches System, das im Großen und Ganzen auf Aristoteles’
Metaphysik des Hylemorphismus basiert. Diese Art Metaphysik betrachtet die
immanente Form als das erste Prinzip jeder individuellen Substanz im Kosmos –
ein unkörperliches, von der körperlichen Substanz untrennbares und per se unbe-
wegliches Prinzip mit entscheidender Erklärungsfunktion. Das Prinzip ist glei-
chermaßen gültig in den Himmeln und im sublunaren Kosmos, in letzterem
sowohl in der biologischen Sphäre der beseelten Lebewesen als auch auf der
Ebene der unbelebten materiellen Körper. Aristoteles’ Prinzip des kontinuier­
lichen Vorhandenseins von Individuen innerhalb einer Species deutet Alexander
als ein sich Zeigen der Vorsehung, die das kosmische Prinzip in der sublunaren
Welt ausübt. Diese Art von Vorsehung schließt jedoch weder eine Verantwortung
von rational Handelnden in der sublunaren Welt aus noch die Wahlfreiheit, die so
ihren natürlichen Hintergrund in der physikalischen Struktur des Kosmos erhält.
Die aus neuplatonischer Sicht wahrscheinlich wichtigste Neuerung von Alexander
ist seine Gleichsetzung des ‘aktiven Intellekts’ in Aristoteles’ ‹De anima› 3,5 mit
dem sich selbst denkenden Gott in ‹Metaphysik› 12,9, dem ersten unbewegten Be-
weger des Kosmos (Alex. Aphr. In De an. 89,16ff.).
Alexander stellt diesem System die Lehren von zeitgenössischen Philosophen-
schulen gegenüber: den Platonismus (da Alexanders Aristotelismus keinen Platz
für transzendente Ideen im platonischen Sinn lässt – der unkörperliche Status des
ersten unbewegten Bewegers wird von Alexander nicht den platonischen Ideen
vergleichbar gedeutet), den Epikureismus mit seiner atomistischen Physik und
Verneinung von Teleologie und Vorsehung und die materielle Metaphysik und den
Determinismus der Stoa, dem Alexander eine wohlwollende Interpretation ver-
weigert. Alexanders Kenntnis des aristotelischen Corpus ist sehr gründlich und
genau: Er ist imstande, zur Begründung selbst der innovativsten Schritte seiner
Auslegung relevante Belegstellen zu finden. Sein Ziel ist es deshalb nicht nur, ein
möglichst brauchbares und konkurrenzfähiges philosophisches System vorzulegen,
sondern auch zu zeigen, dass es sich dabei um das ursprüngliche aristotelische Sys-
tem in seiner strengsten Version handelt. Widerspruch gegen Aristoteles in einzelnen
technischen Punkten ist gewiss erlaubt, ebenso Optimierungen des Systems – bei-
des wird aber normalerweise mit einer besseren Meinung an einer anderen Stelle
des Systems begründet, niemals wirklich mit einer dem System nicht eigenen ad-
hoc-Überlegung.

2. Logik

Alexander bespricht die Stellung der Logik als philosophische Disziplin (was
die Theorien zu den Syllogismen und zur Beweisführung, Dialektik und zu den
sophistischen Widerlegungen einschließt) im Kontext der Debatte, ob die Logik

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392 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

ein Teil der Philosophie sei (die stoische Ansicht) oder ein Instrument der Philo-
sophie (wahrscheinlich die frühere peripatetische Position). Alexander zufolge ist
die Logik ein Instrument, aber auch ein Produkt der Philosophie. Er verwirft die
stoische Position, dass es einen Teil der Logik gebe, der mehr als rein instrumen-
tellen Wert habe und ein Teil der Philosophie sein könnte. Dabei betont er, dass
bei Aristoteles’ Interesse an Ableitung und Folgerung die Nützlichkeit zentral ist.
Alexanders Diskussion dieses Problems im Proömium zu seinem Kommentar zu
den ‹Analytica Priora› ist bis jetzt der früheste überlieferte Beleg dieser Debatte.
Weiter behandelt Alexander die Bedeutung des Wortes «Analyse» (ἀνάλυσις)
im Titel ‹Analytica› der beiden wichtigsten logischen Abhandlungen des Aristo-
teles: Im Fall der ‹Analytica priora› erklärt er, die «Analyse» habe mit dem Vor-
gehen zu tun, das diejenigen Eigenschaften ermittelt, durch die ein Syllogismus
schlüssig ist (auf dem Weg der Reduktion auf vollkommene Syllogismen und der
Konversion), im Fall der ‹Analytica posteriora› beinhaltet die «Analyse» eine Un-
tersuchung der Beweiskraft von verschiedenen Arten von Beweisen.
Bei der Darstellung von Aristoteles’ Definition des Syllogismus in ‹Analytica
priora› 1,1, 24b18–20 achtet Alexander besonders darauf, welche Arten von Schlüs-
sen in der post-aristotelischen Logik gebraucht wurden, insbesondere auf die nach
stoischer Auffassung gültigen Schlüsse. Im Großen und Ganzen geht Alexander
die Frage nach dem Wesen der Ableitung konservativ an: Er scheint der Meinung
zuzustimmen, dass Aristoteles’ Definition hauptsächlich als Definition des kate-
gorischen Syllogismus gedacht ist, wobei er als Syllogismen auch hypothetische und
(mit einigen Einschränkungen) disjunktive Syllogismen berücksichtigt, die stoi-
schen «Schlüsse mit nur einer Prämisse» (μονολήμματοι) aber ausschließt.
Ferner bespricht Alexander die Methoden, mit denen Aristoteles die Gültigkeit
von Syllogismen prüft: reductio ad absurdum, Umkehrung und das «Herausgrei-
fen» (ἔκθεσις) von Termini des Syllogismus. Letztere versteht er als eine besondere
nicht-syllogistische Beweismethode, die Aristoteles beispielsweise beim indirekten
Beweis der Umkehrung einer allgemein verneinenden Aussage braucht (An. pr.
1,2, 25a15–17). Alexander erklärt, dass das herausgegriffene, konkrete Gegenbei-
spiel direkt «durch Wahrnehmung» (δι’ αἰσθήσεως) und nicht aufgrund von syllo-
gistischen Regeln (d. h. nicht als eintretender Fall einer partikulär bejahenden Aus-
sage) erfasst wird (für eine ausführliche Diskussion vgl. Flannery 1995 [*827],
Barnes’ Einleitung in Barnes, Bobzien, Flannery, Ierodiakonou 1991 [*679]).
Sowohl in seinem Kommentar zu den ‹Analytica priora› als auch in ‹Über die
Meinungsverschiedenheiten zwischen Aristoteles und seinen Kollegen mit Blick
auf gemischte Prämissen› widmet Alexander der aristotelischen Lehre der Mo-
dalsyllogismen eine eigene Diskussion. Er entwickelt eine eigenständige Interpre-
tation der aristotelischen Regel für die Modalität der Konklusion in der ersten
Figur (Barbara) mit gemischten Prämissen. Aristoteles hatte in ‹Analytica Priora›
1,9 festgestellt, dass die Konklusion in solchen Syllogismen die Modalität des
Obersatzes übernimmt. Diese Interpretation funktioniert gut bei assertorischen
Obersätzen, führt aber zu nicht stichhaltigen Resultaten, wenn der Obersatz not-
wendig, der Untersatz dagegen assertorisch ist. Theophrast und Eudemos kriti-
sierten Aristoteles’ Regel und schlugen vor, sie durch eine andere zu ersetzen, der

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 393

gemäß die Konklusion die schwächere Modalität übernimmt (im Mittelalter: ‹pei-
orem vel deteriorem semper conclusio sequitur partem› – die Konklusion folgt
immer dem schlechteren oder schwächeren Teil). Beide Lehrer von Alexander,
Herminos und Sosigenes, versuchten – auf je verschiedene Art und Weise – bei
der Besprechung dieses Problems Aristoteles zu verteidigen. Auch Alexander ver-
hält sich loyal zu Aristoteles und entwickelt seine eigene Interpretation der aris-
totelischen Regel, indem er Sosigenes’ Vorschlag verfeinert, die Notwendigkeit
der Konklusion nicht als absolut, sondern als bedingt (oder hypothetisch) anzu-
nehmen. Dabei zog Sosigenes die Definition der hypothetischen Notwendigkeit
bei, die Aristoteles in ‹De interpretatione› 9 als Teil seiner Lösung für das Prob-
lem der ‘futura contingentia’ gab: «Es ist notwendig, dass das, was ist, dann ist,
wenn es ist, und dass das, was nicht ist, dann, wenn es nicht ist, nicht ist. Aber
weder für alles, was ist, ist es notwendig, dass es ist, noch für das, was nicht ist,
dass es nicht ist» (19a23–25). Sosigenes’ Vorschlag war es, die Notwendigkeit der
Konklusion in diesem Sinne entsprechend der Notwendigkeit des Obersatzes auf-
zufassen. Alexander schlägt hingegen vor, den Untersatz nicht als assertorisch,
sondern als notwendig aufzufassen (weil sein Mittelbegriff passend zum Bereich
des Mittelbegriffs im modalen Obersatz sein sollte), und es ist die Notwendigkeit
dieses Satzes, die nach Alexander hypothetisch ist:

Notwendig hypothetisch (SaM), Notwendig (MaP), ergo Notwendig (SaP).

In diesem Fall, in dem beide Prämissen notwendig sind, folgt die Konklusion
tatsächlich der Modalität des Obersatzes.

3. Die metaphysischen Themen

3.1. Die aristotelische Metaphysik als strenge Wissenschaft

Obwohl bereits die früheren Peripatetiker – Andronikos, Boethos, Aristokles,


Aspasios – Zugang zu Aristoteles’ ‹Metaphysik›-Text hatten und diesen offenbar
in irgendeiner Form kommentiert hatten, ist Alexanders Kommentar zu den ers-
ten fünf Büchern die erste antike Auslegung der ‹Metaphysik›, die als vollständi-
ger Text erhalten ist. Alexander entwickelt und erläutert den Begriff Metaphysik
als erste Philosophie, die eine Wissenschaft vom Seienden als Seiendem und auch
die Weisheit ist (siehe dazu Genequand 1979 [*786], Bonelli 2010 [*872],
Guyomarc’h 2015 [*881]). Aristoteles folgend unterscheidet Alexander zwischen
der dialektischen und der apodeiktischen Methode und vertritt die Ansicht, dass die
Methode der ersten Philosophie die einer apodeiktischen Wissenschaft ist (Bo-
nelli 2001 [*844], Guyomarc’h 2015 [*881]). Auch wenn Alexanders Kommentar
zu den wichtigen zentralen Büchern der ‹Metaphysik› nicht erhalten ist, geben die
erhaltenen Teile eine gute Vorstellung von seiner Interpretation der aristotelischen
Metaphysiklehre. Aus Alexanders weiteren Werken und Schulabhandlungen lässt

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394 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

sich seine Anwendung dieser Methode auf die verschiedenen Probleme der Sub-
stanztheorie rekonstruieren, deren wichtigste das Universalienproblem und die
Frage nach der Interpretation des Hylemorphismus sind.

3.2. Universalien

Alexanders Lesart der aristotelischen Ansicht der Universalien wurde oft als
Nominalismus identifiziert, da er an mehreren Stellen behauptet, Einzeldinge hät-
ten Priorität vor den Universalien (vgl. Moraux 1942 [*587], Lloyd 1981 [*791: 53–
55], Moraux 2001 [*846]). Es wurde aber darauf hingewiesen, dass Alexander zwi-
schen Universalien qua Universalien, d.  h. Allgemeinbegriffen, die durch
Abstraktion aus einer Menge von Einzeldingen mit derselben bestimmten Eigen-
schaft abgeleitet werden können, und Arten (Genera und Species) unterscheidet,
die mit dem Wesen der Einzeldinge übereinstimmen (Tweedale 1984 [*803]). Die-
ses Wesen ist das eigentliche Objekt der Definitionen (Quaest. 1,3), und es ist als
solches zu unterscheiden von den Begriffen, mit denen auf Klassen verwiesen
wird, die aus verschiedenen Objekten bestehen. Einzeldinge haben Priorität vor
den Universalien qua Universalien (Klassenbegriffen), sind aber ihrer eigenen Art
nachgeordnet. So hat ein einzelner Hund Priorität vor dem Allgemeinbegriff
‘Hund’, insofern als letzterer auf eine Klasse vieler verschiedener Hunde verweist,
er ist aber der Art ‘Hund’ nachgeordnet. Das Universale als Klassenbegriff wird
es nicht mehr geben, wenn die Klasse eliminiert ist, die Art aber wird bleiben (vgl.
Quaest. 1,11 [II]; Sharples 1992 [*762: 52–55] und 2005 [*854]). Auf dieselbe Weise
hat das Genus Priorität vor der Species, nicht wegen der größeren Extension, son-
dern weil die Existenz des Genus nicht von der Existenz einer Vielzahl von Arten
abhängt. Das Genus wird auch existieren, wenn es nur eine Art gibt, die zu ihm
gehört. Alexander entwickelt ein Argument für die Priorität des Genus gegen
­Xenokrates (Rashed 2004 [*140]). Rashed 2007 [*858] urteilt, dass Alexanders
Position nicht nominalistisch, sondern konzeptualistisch zu nennen sei, im Sinne
eines Konzeptualismus, der dem Realismus nähersteht als dem Nominalismus
(Sharples 2005 [*854], Kupreeva 2010 [*873]).

3.3. Form und Substanz

Alexander zufolge handeln die ‹Kategorien› von den «allgemeinsten und ein-
fachsten Elementen der Rede, die die einfachen Dinge und die sich auf diese ein-
fachen Dinge beziehenden einfachen Begriffe bezeichnen». Eine solche Unter­
suchung bringt eine Einteilung des Seienden in die obersten Gattungen, die von
allen Dingen universell ausgesagt werden, mit sich (Alex. apud Simpl. In Cat.
10,8–19 Kalbfleisch). Alexander hält die Metaontologie der ‹Kategorien›, mit ihrer
Unterscheidung zwischen Inhärenz («in einem Subjekt sein», ἐν ὑποκειμένῳ εἶναι)
und wesentlicher Prädikation («von einem Subjekt ausgesagt werden», καθ’
ὑποκειμένου λέγεσθαι: Cat. 2) für grundlegend bei der Interpretation von Aris-
toteles’ Hylemorphismus-Theorie der Substanz. Schon frühere peripatetische
Kommentatoren wie Boethos und Andronikos verwendeten die Theorie der Sub-

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 395

stanz aus den ‹Kategorien› für die Analyse der hylemorphen Substanz. Von Boethos
ist die Behauptung überliefert, von den drei Hauptbestandteilen der hylemorphen
Substanz (Form, Materie und das aus beidem Zusammengesetzte) erfüllten nur
Materie und Zusammensetzung die Kriterien, die in den ‹Kategorien› für Sub­
stantialität aufgestellt werden (apud Simpl. In Cat. 78,4–20 Kalbfleisch). Alex­ander
widerspricht dieser Behauptung, auch wenn er weder Boethos noch einen ande-
ren Vertreter dieser Ansicht erwähnt. In ‹Quaestiones› 1,8 findet sich eine Reihe
von Argumenten und Antworten auf Einwände, die zeigen sollen, dass Form nicht
in der Materie ist wie in einem Subjekt. Die Unterscheidung zwischen der Inhä-
renz einer Eigenschaft in einem Subjekt und der Art und Weise, wie die Form der
Materie zukommt, hat damit zu tun, dass die Form Substanz ist und deshalb dem
Prinzip der ‹Kategorien› unterliegt, wonach Substanzen (sowohl primäre als auch
sekundäre) nie in einem Subjekt sein können (vgl. Sharples 1992 [*762], Ellis 1994
[*822], Sharples 2004 [*749]).
Dieselbe Herangehensweise kann man in Alexanders Analyse der Veränderung
sehen, beispielsweise in seiner Interpretation von Aristoteles’ Darstellung des
Wachstums in ‹De generatione et corruptione› 1,5, wo sich die Form als der be-
ständige Faktor erweist, während die Materie im Prozess der Veränderung Schritt
für Schritt ersetzt wird (Kupreeva 2004 [*852]). Und dasselbe Prinzip gilt für Alex-
anders Psychologie. In seinem Traktat ‹De anima› argumentiert er, dass die Seele
Substanz sei im Sinne von Form, und das Ziel des Schultraktats ‹Mantissa› 5 ist
es zu zeigen, dass die Seele qua Form dem Körper (der Materie) nicht inhärent ist
wie einem Subjekt.

4. Physik

In seinem ‹Physik›-Kommentar stützt sich Alexander auf das Werk früherer


Kommentatoren von Eudemos und Theophrast bis zu Boethos und Aspasios. Sein
Kommentar wurde von vielen späteren Schriftstellern wie Porphyrios, Themis-
tios, Philoponos und Simplikios benutzt, sie alle, aber besonders Simplikios, sind
unsere Hauptquelle für Alexanders Interpretation der ‹Physik›.

4.1. Prinzipien und Ursachen

Im Kommentar zum ersten Buch der ‹Physik› skizziert Alexander sein Ver-
ständnis der methodologischen These des Aristoteles, dass die Wissenschaft uni-
verselle Prinzipien als Ausgangspunkte hat, von denen aus sie durch Beweis vor-
anschreitet. Diese universellen Prinzipien muss man sich als allen Wissenschaften
gemeinsam vorstellen, nicht als Axiome und Definitionen, die spezifisch für eine
bestimmte Wissenschaft gelten (apud Simpl. In Phys. 12,5–8 Diels). In der Diskus-
sion dieser ersten Prinzipien betont Alexander die natürliche Priorität des Allgemei-
nen, die nicht die Priorität «im eigentlichen Sinne» (κυρίως) ist, da das Allgemeine
keine Substanz ist. Diese Behauptung lässt sich wahrscheinlich am besten mithilfe
seiner Darstellung der Prinzipien der Veränderung verstehen, wo er hervorhebt,

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396 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

dass die Prinzipien der Veränderung, Form und Materie, zwar ewig sind, wenn man
sie als Universalien auffasst, als Prinzipien von einzelnen Prozessen des Entstehens
und Vergehens aber vergänglich (apud Simpl. In Phys. 197,22ff. Diels). Bei der Be-
sprechung von Materie und Privation führt Alexander Aristoteles’ Analyse der dop-
pelten Bedeutung von ‘Subjekt’ in der Theorie der Veränderung näher aus (Phys.
1,8): Das Subjekt kann einerseits, ohne Qualitäten genommen, als Materie betrach-
tet werden, andererseits, aufgefasst als Subjekt, in dem akzidentell die Privation prä-
sent ist, als ein zusammengesetztes Subjekt (apud Simpl. In Phys. 234,23ff.).

4.2. Teleologie und Vorsehung

Alexander betrachtet üblicherweise die Wirkung der vier aristotelischen Ursachen


in der gesamten Natur in Bezug auf die hauptsächlichen kosmischen Faktoren:
den ersten unbewegten Beweger, die Himmelskörper und die sublunare Welt. Die
Wirksamkeit der Zweckursache (des ersten unbewegten Bewegers) wird vermit-
telt durch die Bewegungen der Himmelssphären, insbesondere der Bewegung der
Sonne entlang des ekliptischen Kreises, die als Mitursachen der Natur zu den Pro-
zessen des Entstehens und Vergehens beitragen. Im kosmischen Geschehen
scheint die Natur als Ganze die Rolle einer globalen Formursache zu spielen (apud
Simpl. In Phys. 310,25–311,37 Diels; vgl. Rashed 2007 [*858: 278–285]). Alexander
nennt die Natur «göttliche Kunst»: Man sollte hier an die Analogie zwischen
Natur und Kunst denken, die Aristoteles in ‹Metaphysik› 7,7 aufstellt (vgl. Ruland
1976 [*619]).
In der von wenigen griechischen Fragmenten abgesehen nur arabisch erhalte-
nen Abhandlung ‹Über die Vorsehung› und in einigen Schultraktaten (Quaest.
2,21) entwickelt Alexander die peripatetische Theorie der Vorsehung. Diese Theo­
rie muss post-aristotelisch sein, da sie keine klaren Vorläufer in den erhaltenen
aristotelischen Werken hat. Alexander folgt zum Teil früheren Entwicklungen in
der peripatetischen Schule (Kritolaos), zum Teil nimmt er Stellung zu Einwänden
von zeitgenössischen Kritikern (wie des Platonikers Attikos), die auf die akziden-
telle Natur der Beziehung zwischen Himmelsbewegungen und sublunaren Pro-
zessen im peripatetischen System hinwiesen (vgl. Sharples 2002 [*391]). Charak-
teristisch für Alexanders Antwort auf diese Einwände ist die Tendenz, die
Wirkung der göttlichen Vorsehung, die seiner Ansicht nach eher auf Species als
auf einzelne Individuen ausgeübt wird, naturalistisch zu interpretieren. So ist der
immerwährende Kreislauf von Entstehen und Vergehen innerhalb der überdau-
ernden Species das Objekt der göttlichen Vorsehung und gleichzeitig auch deren
Ergebnis (vgl. Fazzo 2002 [*848], Sharples 2002 [*391] und 2002 [*849], Thillet
2003 [*621]). Im Schultraktat ‹Quaestiones› 2,3 untersucht Alexander die Frage
nach der Art von Kraft, die dem sublunaren Kosmos durch die Bewegung des ihm
benachbarten Himmelskörpers vermittelt wird. Von verschiedenen Antworten
(u. a. dass die ankommende göttliche Kraft den Kräften der physikalischen Kör-
per nur äußerlich hinzugefügt sei) scheint er diejenige vorzuziehen, die keine
­zusätzlichen Entitäten postuliert, sondern die göttliche Kraft direkt für die Un-
terschiede bei den Elementen verantwortlich macht (d. h. die göttliche Kraft lässt

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 397

die Elemente überhaupt erst entstehen), diese Unterschiede bei den Elementen
wiederum bestimmen ihre Eigenschaften und Interaktionen. Die Himmelsbewe-
gungen werden so als immerwährende Quelle für die elementaren Formen aufge-
zeigt (Quaest. 2,3, 49,28–50,27 Bruns; vgl. Moraux 1967 [*772], Fazzo 2002 [*848]).
Auch im Traktat ‹Quaestiones› 3,5 bespricht Alexander die Hierarchie der Abhän-
gigkeiten im Kosmos, wo die Himmelsbewegungen die elementaren Veränderun-
gen hervorbringen, indem sie den geordneten Wechsel der Jahreszeiten verursachen
(vgl. Sharples 1994 [*763], Kupreeva 2010 [*874]).

4.3. Ort

Alexanders Behandlung des Ortes unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der
aristotelischen. Es gibt aber einige Aspekte der aristotelischen Lehre, die Alexan-
der im Licht seiner eigenen Lehre und im Rahmen seiner Polemik besonders be-
tont oder ausarbeitet. So entwickelt er ausführliche Argumente zur Stärkung der
aristotelischen Behauptung, dass ein Körper einen anderen Körper nicht durch-
dringen könne – die zentrale These gegen die stoische Theorie der Mischung (apud
Simpl. In Phys. 530,14–30 Diels). Aristoteles’ Diskussion des Ortes gab Anlass zur
umstrittenen Frage nach dem Ort des Kosmos als Ganzem. Aristoteles definiert
Ort als «die Grenze des umfassenden Körpers, an der er in Kontakt ist mit dem
umfassten Körper» (Phys. 4,4, 212a6–8): Da der Kosmos als Ganzer keinen wei-
teren umfassenden Körper hat, muss er ein Körper sein, der nicht an einem Ort
ist (vgl. Arist. Phys. 4,5, 212b8–10; 212b14–18; Cael. 1,9, 279a12). Das macht es
schwierig, den Status der immerwährenden Bewegung der äußersten Sphäre des
Kosmos zu verstehen: Es handelt sich dabei nämlich um eine Kreisbewegung, d. h.
um eine Bewegung, die auf einen Ort bezogen ist. Alexander kritisiert die Lösung
jener Kommentatoren, welche die Bewegung der Fixsternsphäre als relativ zu
einem ‘inneren’ Ort auffassen (wahrscheinlich frühere peripatetische Kommen-
tatoren von Aristoteles’ ‹Physik›, vgl. Rashed 1995 [*828]). Alexanders eigene Lö-
sung besteht darin, Kreisbewegung und Ortsbewegung zu trennen: Einige rotie-
rende Körper haben tatsächlich beides (so die Planetensphären), aber andere,
nämlich die äußerste Sphäre, rotieren ohne Bezug auf einen Ort. Dieser Stand-
punkt wird aus verschiedenen Gründen von den späteren neuplatonischen Kom-
mentatoren der ‹Physik›, Philoponos und Simplikios, kritisiert.

4.4. Zeit

Auch bei der Behandlung der Zeit folgt Alexander, abgesehen von einigen cha-
rakteristischen Unterschieden bei der Gewichtung, Aristoteles. Alexander betont
die Einheit der Zeit, was er offenbar mit der Tatsache verbindet, dass Zeit nicht
nur die Zahl aller Bewegung, sondern insbesondere der Bewegung der Himmels-
sphären ist. Dem Denken weist er eine wichtigere Rolle bei der Hervorbringung
der Zeit zu, als es der aristotelische Text rechtfertigt (vgl. Arist. Phys. 4,11, 219b12–
33), indem er beiläufig vorschlägt, dass das Denken das ‘Jetzt’ nicht nur wahr-
nimmt, sondern es hervorbringt und damit die Zeit als zahlenmäßigen Prozess

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398 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

generiert (Sharples 1982 [*798: 70]). Die bei Simplikios bewahrte Erörterung hat
teilweise Parallelen zu Alexanders Traktat ‹Über die Zeit›, der arabisch erhalten
ist; es wurde vorgeschlagen, dass diese Diskussion teilweise gegen Galens Kon-
zeption der Zeit als einer Substanz, die für sich existiert (und nicht nur eine Folge
der Bewegung ist), gerichtet ist und letztlich aus dem bei Ibn an-Nadīm erwähn-
ten Traktat ‹Gegen Galen über Ort und Zeit› stammt (Ibn an-Nadīm ‹Fihrist›
II,609 Dodge, Zimmermann in Sharples 1982 [*799: 73], vgl. Rashed 1995 [*828]).

4.5. Bewegung

Alexander verteidigt Aristoteles’ These aus ‹Physik› 7,1 und 8, dass alles, was
sich bewegt, von etwas bewegt wird, gegen die Einwände Galens. Galen hatte den
Beweis der aristotelischen These in ‹Physik› 7,1, 241b34–242a49 kritisiert, der die
Form einer reductio, basierend auf einer kontrafaktischen Annahme, hat. Dage-
gen argumentiert Alexander, dass es in indirekten Beweisen vollkommen legitim
sei, eine unwirkliche Annahme zu machen. Die Uneinigkeit zwischen Alexander
und seinem Gegner (belegt in Simplikios’ Kommentar und in Alexanders Traktat,
der arabisch erhalten ist, vgl. Pines 1961 [*771], Marmura, Rescher 1965 [*636])
ist aber grundsätzlicher und hat mit verschiedenen Auffassungen von Selbstbewe-
gung zu tun. Alexander erklärt, dass Aristoteles’ These (alles, was sich bewegt,
wird von etwas bewegt) für alle Arten von Bewegung gilt, die Aristoteles in ‹Phy-
sik› 8,4 unterscheidet. Nach Galens Ansicht hingegen sollte klar differenziert wer-
den zwischen dem, was durch einen Beweger bewegt wird (verstanden als eine ver-
schiedene Sache), und etwas, das sich selbst bewegt. Uniforme Körper (wie z. B.
homogene Mischungen und organische Homoiomere) besitzen natürliche Bewe-
gungen, die ihnen nicht von irgendeinem äußeren Beweger verliehen werden (vgl.
Kupreeva 2004 [*852], Harari 2016 [*885]). Die aristotelische Beschreibung der
Bewegung wirft die Frage nach dem Beweger in den naturgemäßen Bewegungen
der Elemente auf (aufwärts die Bewegung von Feuer und Luft, abwärts die Bewe-
gung von Erde und Wasser). Alexanders Lösung für dieses Problem stützt sich auf
eine Analogie zwischen der hylemorphen Struktur der Elemente und der Lebe-
wesen. Wie bei den Bewegungen der Lebewesen das entsprechende Lebensprin-
zip als Beweger fungiert, d. h. die Seele als Form dieser Art von Körper, so wer-
den die Elemente durch die der Natur der fraglichen Elemente inhärente Neigung
(mā’il, ῥοπή) bewegt, die auch ein Teil des formalen Bestandteils der Element-
Substanz ist. Diese Theorie der Neigung wurde sowohl unter späteren griechi-
schen als auch arabischen Aristoteles-Kommentatoren einflussreich und wirkte
auf Johannes Philoponos, der sie in seiner neuen Impuls-Theorie umarbeitete
(Pines 1961 [*771], Sorabji 1972 [*778]).

5. Kosmologie

Im verlorenen Kommentar zu ‹De caelo› verteidigt Alexander Aristoteles’ Argu-


mente für die Existenz des ersten Elements, d. h. des Aithers, mit all seinen Attributen.

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 399

Dabei stützte er sich auf die Werke einer ganzen Generation von Kommentatoren
nach Xenarchos, die sich das Verdienst der Rückkehr zur Orthodoxie teilen – Ad-
rastos, Aspasios, Herminos, Sosigenes. Alexander folgt seinem Lehrer Herminos
und übernimmt die Ansicht, dieses erste Element, Aither, sei beseelt und die Him-
melskörper seien von ihren Seelen-Bewegern bewegt. Die Seele ist die Form der
Himmelskörper und fällt als solche mit ihrer Natur in eins. Die Bewegung der Him-
melssphären ist geleitet vom Verlangen, dem ersten unbewegten Beweger in ewiger
Kreisbewegung so nahe wie möglich zu kommen, d. h. ihn nachzuahmen (apud
Simpl. In Cael. 379,18–381,2 Heiberg = fr. 129d Rescigno; Genequand 2001 [*613]).
Alexander nimmt einige Änderungen an Aristoteles’ Theorie der Planetenbewe-
gungen vor, wobei er wahrscheinlich früheren Entwicklungen in der peripatetischen
Schule folgt. In seiner Darstellung finden sich nur sieben Planetensphären anstelle
des verschachtelten Systems der konzentrischen Sphären (Genequand 2001 [*613]).
Es ist wohl nicht so, dass Alexander die aristotelische Darstellung in ‹Metaphysik›
12,8 einfach verwirft: Seine Vereinfachung muss ihren Ursprung in der praktischen
Astronomie haben, vielleicht in Einklang mit der Beschreibung des Astrolabiums
gemäß Ptolemaios’ ‹Hypothesen über die Planeten›. Es ist nicht klar, ob Alexander
dieses Werk oder andere vor-ptolemaische Quellen für astronomisches Wissen
kannte (von einigen der aktuellen Theorien wusste er sicher von Sosigenes). Einen
Hinweis auf eine seiner astronomischen Quellen scheint er in seinem Kommentar
zu den ‹Meteorologica› zu geben, wenn er von einem gewissen Diodotos als einem
Experten für Kometen spricht (In Meteor. 28,15).
Alexander unterscheidet in seiner Darstellung der sublunaren Elemente zwi-
schen der Form (Eigenschaften der Elemente) und der Materie, er ist also ein Ver-
treter der Ansicht, dass es ein aristotelisches Konzept der ‘ersten Materie’ gegeben
habe. In seiner Theorie der hylemorphen Zusammensetzung der Elemente bringt
Alexander zwei verschiedene Herleitungen der Elemente, die sich im aristoteli-
schen Corpus finden, zu einer einheitlichen Darstellung zusammen: Einerseits
spielen die fühlbaren Eigenschaften (heiß, kalt, feucht, trocken) in ‹De generatione
et corruptione› 2,2–4 eine Rolle, andererseits die natürlichen Bewegungen in ‹De
caelo› 3–4. Jedes Element besteht aus erster Materie und zwei der vier aktiven und
passiven elementaren Qualitäten (eine aktive: heiß oder kalt, und eine passive:
feucht oder trocken). Letztere machen zusammen mit einer hinzukommenden dy-
namisch-kinetischen Neigung (leicht oder schwer) eine elementare Form aus. Es
gibt deshalb auch vier einfache Körper als die minimalen hylemorphen Zusam-
mensetzungen (De an. 3,25–5,19 Bruns; vgl. Gannagé 2005 [*718]). Die hylemor-
phistische Theorie der Elemente bildet zusammen mit der Analyse von materiel-
len Zusammensetzungen (im Hinblick auf körperliche und unkörperliche,
qualitative, Aspekte) den Hintergrund für Alexanders Kritik der stoischen Theo-
rie der Mischung in seiner Abhandlung ‹Über die Mischung›. In der Stoa ist – über-
einstimmend mit der grundlegenden Definition des Körpers als etwas, das wirkt
und erleidet – Körperlichkeit das Kriterium für die kausale Wirksamkeit, so dass
Qualitäten körperliche Entitäten sind; die Theorie der «Mischung» (κρᾶσις) setzt
voraus, dass die körperlichen Komponenten der Qualitäten sich mischen, ohne die
Individualität der betroffenen Bestandteile zu beeinträchtigen, so dass sie intakt

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400 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

wieder aus einer Mischung herausgelöst werden können. Diese Theorie brauchten
die Stoiker, um die Einheit des Kosmos zu begründen, insofern das aktive Prinzip
des Pneuma den ganzen Körper des Kosmos vollständig durchdringt, ohne seine
Identität zu verlieren (vgl. Todd 1973 [*780] und 1976 [*607]). Alexander kritisiert
diese Theorie, indem er Aristoteles’ These anführt, dass ein Körper einen anderen
nicht durchdringen könne, und verteidigt ausführlich die aristotelische Theorie der
Mischung, der gemäß die Bestandteile der Mischung potentiell in der neuen Qua-
lität der Mischung vorhanden sind. Zur Frage nach der Einheit des Kosmos sagt
Alexander, dass eine solche Einheit nicht mit der ‘totalen Mischung’ der kosmi-
schen Prinzipien begründet werden sollte, sondern durch die Gesamtstruktur des
Kosmos, die Bewegung der Himmelskörper, besonders der Sonne, die für die Re-
gelmäßigkeit der sublunaren Prozesse verantwortlich ist.
Alexanders Diskussion der Transformationen der Elemente ineinander im er-
haltenen Teil seine Kommentars zu Aristoteles’ ‹De generatione et corruptione›
und in einigen damit zusammenhängenden Schultraktaten bildet eine wichtige
Grundlage für seine gegen die Stoiker gerichtete Polemik bezüglich Determinis-
mus. Insbesondere erklärt er Aristoteles’ Argument im letzten Kapitel der Schrift
(Gen. et corr. 2,11) dahingehend, dass es in der Natur keine einfache Notwendig-
keit gibt, und liefert zahlreiche Argumente zur Verteidigung dieser Behauptung,
wobei er sich auf anderes Material aus Aristoteles’ Diskussion der elementaren
Transformationen in ‹De generatione et corruptione› stützt (apud Philop. In Phys.
234,19ff.; Quaest. 2,22; 3,5; vgl. Sharples 1979 [*787], Kupreeva 2010 [*874]).
Ein ähnliches Problem wie in seiner Abhandlung ‹De mixtione› behandelt Alex-
ander auch im ‹Meteorologie›-Kommentar. In ‹Meteorologica› 1,3 wirft Aristoteles
die Frage auf, wie erklärt werden kann, dass die Wärme der Sterne die Erde erreicht
(340a21–23). Alexander führt Aristoteles’ Lösungsansatz weiter (In Meteor. 18,8–
19,13 Hayduck), wobei deutlich wird, dass seine Erklärung auf dem Mechanismus
von Wirken und Erleiden basiert, den er der peripatetischen Physik entnimmt.

6. Seelenlehre

6.1. Die Seele

Zu Alexanders erhaltenen psychologischen Schriften gehören seine Abhandlung


‹De anima›, der Kommentar zu Aristoteles’ ‹De sensu›, einige Traktate der ‹Man-
tissa›, eine Anzahl der ‹Quaestiones› und einiges Material aus seinem verlorenen
Kommentar zu ‹De anima›, das in späteren Kommentaren erhalten ist.
Eines der charakteristischen Merkmale von Alexanders Interpretation der aris-
totelischen Naturphilosophie besteht darin, dass er bei der Untersuchung der
Natur die hylemorphistische Analyse auf jeder Stufe anwendet. Von den Lebe­
wesen wissen wir, dass sie für Aristoteles paradigmatische Substanzen sind, d. h.
also auch paradigmatische, hylemorphe Zusammensetzungen. Er zögert aber,
auch die vier Elemente – Erde, Luft, Feuer und Wasser – als Substanzen zu be-

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 401

zeichnen, und ebenso, die vollständige hylemorphistische Analyse auf die Him-
melskörper anzuwenden. Im Gegensatz dazu verwendet Alexander diese Methode
bei seiner Darlegung der Lehre von den Prinzipien und der Theorie der Verände-
rung, sowohl im Bereich der Himmel, der sublunaren Elemente, als auch der Le-
bewesen. Natürlich bedingt dieses Vorgehen keinerlei ontologische Einheitlich-
keit, im Gegenteil: Seine Analyse ermöglicht es, viele neue Probleme und
Kontraste zwischen den verschiedenen ontologischen Bereichen aufzudecken, und
tut das auch. Diese Einheitlichkeit der Herangehensweise an den ganzen Kosmos
kann als charakteristisches Merkmal von Alexanders Auslegung des Aristoteles
wie auch seiner eigenen Betrachtungsweise beim Studium der Natur, wie es sich
in den kleineren Werken und den Schultraktaten zeigt, bezeichnet werden. Kenn-
zeichen dafür ist eine charakteristische terminologische Schöpfung, die von Alex­
ander selbst stammen muss und die er recht oft benutzt, nämlich der Ausdruck
der ‘materie-immanenten Form’ (ἔνυλον εἶδος). Dieser existiert im ganzen über-
lieferten aristotelischen Corpus nicht. Die einzige Stelle für ἔνυλον ist eine Text-
variante in ‹De anima› 1,1, 403a25: «Es ist klar, dass die Leidenschaften Logoi in
der Materie sind» (δῆλον ὅτι τὰ πάθη λόγοι ἐν ὕλῃ εἰσίν), wo einige Handschrif-
ten ἔνυλοι an Stelle von ἐν ὕλῃ überliefern. Möglicherweise geht diese Lesart auf
Alexander zurück.
Auch in seiner Seelenlehre verwendet Alexander durchwegs seine Interpreta-
tion der aristotelischen Theorie des Hylemorphismus. Am Anfang seiner Abhand-
lung ‹De anima› beruft er sich auf die Analogie zwischen der hylemorphen Struk-
tur eines einfachen Körpers und einer zusammengesetzten lebendigen Substanz,
um kontrovers zu argumentieren, dass die Seele als Form zur körperlichen Mi-
schung hinzukommt. Dabei ist es so, dass bei den zusammengesetzten Dingen be-
reits die als Substrat fungierende Materie selbst aus Form und Materie besteht.
Jede im Substrat vorhandene Form trägt zur Form des ganzen Dinges bei, die
somit eine «Form der Formen» (εἶδος εἰδῶν) ist (vgl. Moraux 2001 [*846: 355ff.]).
Dieses Argument wurde von vielen Forschern als materialistisch und unaristote-
lisch beurteilt (Moraux 1942 [*587], Gottschalk 1971 [*776], Thillet 1981 [*792],
Robinson 1991 [*818]), während andere betonten, dass Alexander das Argument
nicht als eine materialistische Reduktion gemeint habe, sondern es im Gegenteil
vielleicht seine Absicht war, damit die reduktionistischen Tendenzen im früheren
nach-aristotelischen Peripatos zu überwinden (Donini 1971 [*775], Caston 1997
[*120], de Haas 2016 [*882]). Tatsächlich betrachtet Alexander diese Darstellung
als eine Einführung in die aristotelische Definition der Seele als erste Aktualität
(ἐντελέχεια) des lebendigen Körpers oder als die erste Aktualität des Körpers,
der mit Organen ausgestattet ist.
Weiter diskutiert Alexander metaphysische Eigenschaften der Seele: ihre Un-
trennbarkeit vom Körper, Unkörperlichkeit und Unbeweglichkeit an sich, wobei
er die aristotelische Interpretation aller dieser Eigenschaften verteidigt und für
einzelne Punkte Argumente gegen andere Schulen entwickelt, vor allem gegen
­Stoiker und Platoniker. Er verficht die Substantialität der Seele und betont, dass
ihre Präsenz im Körper nicht mit Inhärenz (dem ἔν τινι εἶναι aus Cat. 2) gleich­
zusetzen ist und dass die Seele qua Form kein Akzidens des Körpers ist. Er distan-

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402 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

ziert sich zudem mit aller Deutlichkeit von der Harmonie-Theorie der Seele, die
auch von Aristoteles in ‹De anima› 1,4 kritisiert wird. Alexander schließt jede Mög-
lichkeit aus, die Seele, wie sie Aristoteles beschrieb, als unsterblich aufzufassen.

6.2. Erkenntnistheorie

Nach Alexanders Auffassung folgt aus der aristotelischen Theorie des Wirkens
und Erleidens, dass Körper durch ihre unkörperlichen Aspekte auf andere Kör-
per wirken, wobei er diese Position gegen die Ansichten der Stoiker und Platoni-
ker abgrenzt (In Sens. 73,18–30 Wendland; De an. 7,9–14 Bruns). Er benutzt die-
ses Prinzip, um den Mechanismus der Sinneswahrnehmung zu erklären, so dass
beim Empfangen der Form ohne Materie sowohl physikalische als auch mentale
Prozesse involviert sind. Alexander gibt eine einheitliche Darstellung des Wahr-
nehmungsvermögens, das als ein kognitives System präsentiert wird, zu welchem
die Tätigkeit der fünf Spezialsinne sowie die Gesamtfunktionen des ‘Gemein-
sinns’ gehören, der durch das zentrale Organ, d. h. das Herz, ausgeübt wird
(Quaest. 3,9).

6.3. Intellekt

Aristoteles’ Ansicht zum ontologischen Rang des Intellekts ist der umstrittenste
Punkt seiner Seelenlehre. In Bezug auf «den sogenannten Intellekt der Seele»
macht Aristoteles mehrere hypothetische Zugeständnisse für ein mögliches Ge-
trenntsein der Seele vom Körper. In ‹De anima› 3,5 unterscheidet er zwischen dem
Intellekt, «der alles wird», und dem Intellekt, «der alles macht». In ‹De generatio-
ne animalium› 2,3 spricht er vom «Intellekt von außerhalb» (νοῦς θύραθεν) als dem
einzigen Vermögen der Seele, dessen Entstehung nicht mit derjenigen der Körper-
teile verbunden ist (736b30–737a8). Probleme mit dieser Theorie hatte bereits
Theophrast gesehen (apud Prisk. Lyd. Metaphr. 26,26ff.). Die zwei Haupttexte, in
denen Alexander den Intellekt diskutiert, sind seine Abhandlung ‹De anima› und
der Schultraktat ‹Mantissa› 2 mit dem Titel ‹De intellectu›. Es gibt zwischen die-
sen beiden Betrachtungen einige, bereits früher (Moraux 1942 [*587]) bemerkte
Unterschiede, die durch unterschiedliche Autorschaft oder eine verschiedene Ent-
stehungsgeschichte der beiden Texte bedingt sein könnten. Die Argumentation in
‹De intellectu› ist lückenhaft, aber es können drei Abschnitte unterschieden wer-
den (A, B, C in Sharples 2004 [*749], mit einer Lücke zwischen B und C), was drei
verschiedene Quellen widerspiegeln könnte (oder zwei, wenn man annimmt, dass
B und C zu derselben Darstellung gehören). Der Autor von ‹De intellectu› erwähnt
zu Beginn von B1 (Mant. 2, 110,4 Bruns), dass er die Position bewahre, die er bei
Aristoteles «gehört» (ἤκουσα) habe: Damit könnte Alexanders Lehrer Aristoteles
von Mytilene oder Aristoteles von Stageira gemeint sein.
In beiden Texten wird zwischen einem «materiellen Intellekt» (ὑλικὸς νοῦς) und
einem Intellekt, der «schon denkt und eine Veranlagung zum Denken hat» (ὁ ἤδη
νοῶν καὶ ἕξιν ἔχων τοῦ νοεῖν) unterschieden (Mant. 2, 107,21–28 Bruns; De an.
82,19–83,3 Bruns). In beiden Texten gibt es weiter eine dritte Art von Intellekt, die

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 403

als «Intellekt von außerhalb» (νοῦς θύραθεν) bezeichnet wird. Er ist eine eigene
intelligible Form, vom menschlichen Intellekt getrennt, mit welcher der menschliche
Intellekt aber im Moment seiner Aktivität identisch werden kann. Beide Texte
sagen, dass dieser Intellekt «von außerhalb» im Denkenden eine Bereitschaft zum
Denken schaffe, ähnlich wie das Licht die potentiell sichtbaren Farben tatsächlich
sichtbar macht und das vorhandene Sehvermögen aktiviert (Mant. 2, 107,29–34; 2,
111,29–36; De an. 88,24 Bruns; vgl. Arist. De an. 3,5, 430a15). Die Rolle des gött-
lichen Intellekts besteht immer noch darin, das herausragende intelligible Objekt
zu sein, das getrennt existiert und Unsterblichkeit genießt, die dem menschlichen
Intellekt nur im Akt des Denkens gegeben werden kann und an welcher der
menschliche Intellekt einzig indirekt während solcher Aktivität Anteil haben kann.

7. Ethik

Zu den Werken, in denen Alexander ethische Themen behandelt, gehören seine


Schrift ‹De fato›, eine Schulsammlung ‹Ethische Probleme› und einige Abhand-
lungen in den ‹Mantissa› (Mant. 17–25). ‹De fato› behandelt Probleme im Zusam-
menhang mit Schicksal, Determinismus und Verantwortung. Alexander verteidigt
aus aristotelischer Perspektive die freiheitliche Position und argumentiert gegen
die ‘Deterministen’, deren Schulzugehörigkeit nicht genau angegeben wird, deren
Lehren aber oft eine große Nähe zu stoischen Theorien über Schicksal, Notwen-
digkeit und Freiheit haben.
Bei Aristoteles findet sich keine Theorie des Schicksals. Was Alexander dazu
zu sagen hat, ergibt sich aus seiner Auslegungsarbeit und aus der Einordung die-
ser Ergebnisse in den Rahmen der hellenistischen Schuldebatten, wo die Frage
des Schicksals eines der Hauptthemen der Moralphilosophie bildete. Alexander
bestimmt das Schicksal als «die jeweilige Natur» (οἰκεία φύσις) jeder Sache, die
ihr Anfang ist und «Ursache für das geordnete Muster von dem, was ihr gemäß
der Natur geschieht» (τῆς τῶν γινομένων ἐν αὐτῷ κατὰ φύσιν τάξεως: Fat. 6,
170,9–11 Bruns). Diese «jeweilige Natur» lässt, wie die Natur im Allgemeinen, laut
Aristoteles Ausnahmen zu, sowohl bei körperlichen Reaktionen – individuelle
körperliche Verfassungen haben einen natürlichen Hang zu bestimmten Krank-
heiten oder körperlichen Bedingungen, die aber durch medizinische Behandlung
und Training überwunden werden können – als auch in Bezug auf Seele und Cha-
rakter. Im zweiten Fall sind Ausnahmen besonders bedeutsam, wenn sie durch
eine bewusste Bemühung des Handelnden zustande kommen. Diese Möglichkeit
für Ausnahmen lässt Raum für bedeutungsvolle freie Wahl und Abwägen. Alex-
anders Schicksalskonzept ist weniger stark als dasjenige, das üblicherweise von
hellenistischen Verteidigern und Gegnern des Determinismus gebraucht wird, was
aber kaum zufällig ist, da er selbst zugibt, dass sein Schicksalsbegriff vom konven-
tionellen abweicht (Mant. 25, 186,9–14 Bruns; Sharples 2001 [*847: 530]).
Alexander entwickelt verschiedene Argumente gegen strengen Determinismus,
zuerst indem er die unplausiblen Konsequenzen, die sich aus einer solchen An-
sicht ergeben, entwickelt: Determinismus verhindert Möglichkeit und Zufall (Fat.

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404 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

7–10, was vielleicht der umstrittenste Teil von Alexanders Darstellung ist, da er
den kausalen Mechanismus, der das Auftreten von Möglichkeit zur Folge hat,
nicht erklärt), Determinismus macht menschliches Handeln lächerlich und be-
deutsames Abwägen unmöglich (Fat. 11–15), ebenso verunmöglicht er Verantwor-
tung, zerstört die Grundlagen für moralische Bewertung und für die göttliche Vor-
sehung, womit sich eine solche Position selbst widerlegt (Fat. 16–21). Alexander
stützt sich auf Aristoteles’ Darstellung des freien Willens und des Abwägens, be-
nutzt bei der Formulierung seiner Lehre aber auch oft stoische Konzepte. So
braucht er das stoische Konzept der «Zustimmung» (συγκατάθεσις), um eine
Handlung als rational kontrollierten Impuls darzustellen, bei dem der Handelnde,
der mit einem Eindruck (φαντασία) konfrontiert wird, nach gewisser Überlegung
einem Handlungsablauf zustimmen oder seine Zustimmung verweigern kann.
Dieses Element des Wählens eines Ziels und des Abwägens der besten Mittel, die
zu einem Ziel führen, sind notwendige Bestandteile einer freien Handlung, und
so ist die Möglichkeit, auf bestimmte Weise zu handeln oder nicht zu handeln, eine
notwendige Bedingung einer solchen Handlung – allgemeiner: einer Handlung,
die einer moralischen Bewertung unterworfen werden kann. Alexander kritisiert
die deterministische (sehr wahrscheinlich stoische) Darstellung dessen, wofür wir
verantwortlich sind (τὸ ἐφ’ ἡμῖν), als das, was wir durch unser Handeln in Über-
einstimmung mit unserer Natur (δι’ ἡμῶν: Fat. 13, 181,14 Bruns) zustande brin-
gen. Dabei hebt er hervor, dass eine solche Analyse zu einer Verwischung des
­Unterschieds zwischen rationaler und irrationaler Tätigkeit zwingt, eine Unter-
lassung, von der er weiß, dass er sie seinen Gegnern nicht wirklich vorwerfen kann
(Fat. 14, 183,21–184,5 Bruns; vgl. Fat. 34, 205,27–29 Bruns; vgl. Frede 1982 [*794],
Sharples 2001 [*847: 552–554]).
Alexander nimmt einige Argumente auf, die von Vertretern des Determinis-
mus zur Verteidigung ihrer Lehre von Freiheit und Notwendigkeit vorgebracht
worden waren, um die Überlegenheit der peripatetischen Theorie bei der Darstel-
lung der Probleme, die angegangen werden sollen, zu zeigen. Dazu gehört die
Sorge um die Einheit des Universums. Alexander formuliert die Kausalitäts-
Lehre seiner Gegner folgendermaßen: «Wenn alle Begleitumstände einer Ursa-
che und dessen, wofür sie Ursache ist, gleich sind, ist es unmöglich, dass etwas
bald so, bald nicht so geschieht; denn wenn es so wäre, gäbe es eine Bewegung
ohne Ursache» (Fat. 22, 192,22–24 Bruns). Alexander argumentiert, dass diese
Theorie nicht den Tatsachen entspricht: Es gibt viele Fälle in Natur und Kunst, wo
etwas, was eigentlich die Ursache für etwas sein sollte, dies nicht ist, ohne dass der
Prozess deswegen ohne Ursache ist. Er argumentiert, dass von den Ergebnissen
her gesehen jeder Prozess zu seiner Ursache zurückgeführt werden kann (eine
Feststellung von Aristoteles in Gen. et corr. 2,11; An. post. 2,12; Part. an. 1,1). Es
ist deshalb nicht nötig, eine unendliche Serie von vorgegebenen Ereignissen an-
zunehmen, um das Kausalitätsprinzip und die Einheit des Universums zu wahren.
Alexander hat auch eine aristotelische Antwort auf die stoische Theorie, dass
es für einen Weisen unmöglich sei, seine Tugend zu verlieren – eine Behauptung,
der er ebenso zustimmt wie derjenigen, dass es für einen üblen Menschen unmög-
lich sei, seinen üblen Charakter abzulegen (Fat. 27, 197,3–5 Bruns). Er argumen-

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§ 39. Alexander von Aphrodisias (Bibl. 442–450) 405

tiert, dass in beiden Fällen die Verantwortung für den Charakter besteht, bevor
der tugendhafte oder üble Charakter vollständig geformt ist: Zu diesem frühen
Zeitpunkt wäre es für eine Person möglich gewesen, so oder gegenteilig zu han-
deln, und die Ausbildung ihres Charakters war deshalb eine Sache ihrer freien
Wahl (Fat. 27–29). Diese Erklärung liegt auf der gleichen Linie wie Aristoteles’
Darstellung der Verantwortung für den Charakter (EN 3,5). Es ist aber charak-
teristisch für Alexanders Argument, das in einem polemischen Kontext steht, dass
es ihm darum geht, jene Art von rationalem Handeln hervorzuheben, bei der Ab-
wägen in einem freiheitlichen, nicht nur hypothetischen Sinn möglich ist.
Auf das stoische Argument für den Determinismus aufgrund des göttlichen
Vorherwissens antwortet Alexander mit der Überlegung, dass die Götter kein
Vorherwissen von kontingenten Dingen haben, da es in der Natur dieser Dinge
liegt, dass sie von niemandem vorausgewusst werden können und deshalb auch
nicht von Göttern (Fat. 30, 200,17–28 Bruns). Alexanders Ansicht zum Status der
‘futura contingentia’ gründet wahrscheinlich auf seiner Interpretation der aristo-
telischen Lösung für das Seeschlacht-Problem in ‹De interpretatione› 9. Sein
Standpunkt mit Blick auf göttliches Vorherwissen, den er in ‹De fato› 30 darlegt,
wurde von einigen späteren Denkern übernommen (unter ihnen Plotin, Porphy-
rios und Calcidius), aber von Proklos verworfen; wie Sharples 2001 [*847: 574–
575] betont, ist es allerdings unklar, wieweit das Argument in ‹De fato› als Alex-
anders eigene Meinung zu diesem theologischen Problem erachtet werden kann.
Es könnte auch sein, dass er diese Ansicht unter dem Druck seines polemischen
Ziels so formuliert. Seine Behauptung lässt sich jedoch besser auf der Grundlage
seiner Theorie der Vorsehung verstehen. Gemäß dieser wirkt die göttliche Vorse-
hung nur auf Species, nicht auf Individuen. Auf diese Weise steht eine Ablehnung
des göttlichen Vorherwissens des Kontingenten qua Kontingentem nicht im Ge-
gensatz zu theologischen Ansichten, die Alexander an anderen Stellen äußert.

4. NACHWIRKUNG

Die Bedeutung von Alexanders Kommentaren für seine eigene Zeit und die
folgende Tradition ist enorm. Alle neuplatonischen Philosophen der Spätantike
haben Alexanders bedeutende Interpretation des aristotelischen Systems berück-
sichtigt: Einige setzten sie voraus (z. B. Plotin), andere setzten sich kritisch mit
Alexander auseinander, boten eigene Lesarten oder kritisierten und verwarfen
seine. Die Tatsache, dass so viele verlorene Werke Alexanders fragmentarisch in
späteren griechischen, syrischen, arabischen und hebräischen Quellen erhalten
sind, ist ein Beweis für seinen langdauernden Einfluss. Es wäre falsch zu behaup-
ten, dass die aristotelische Schule nach Alexander vollständig verschwand – ver-
schiedene Quellen erwähnen aristotelische Lehrer bis ins 5. Jahrhundert –, aber
Alexanders Schule war für den Aristotelismus das letzte antike Lehr- und For-
schungszentrum von solchem Format.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

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406 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

§ 40. Themistios

Michael Schramm

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Um 317 auf dem Landgut seines Vaters Eugenios in Paphlagonien geboren, ent-
stammte Themistios einer adligen Beamtenfamilie aus Byzanz. Nach der Ausbil-
dung in griechischer Literatur unterrichtete ihn sein Vater Eugenios, der selbst in
Byzanz Philosophielehrer war, in Philosophie (Ballériaux 1996 [*985]). Nachdem
er in Nikomedien und anderen Städten in Asia Minor gelehrt hatte, betrieb er ab
345 eine eigene Philosophenschule in Konstantinopel, durch die der philo­
sophische Unterricht in der noch jungen Hauptstadt einen bedeutenden Auf-
schwung nahm (Schemmel 1908 [*996: 152]). Nach seiner eigenen Darstellung
habe er «viele» dazu gebracht, «das alte Griechenland und das benachbarte Ionien
zu verlassen, die beide die größten Schulen der Philosophie haben» – gemeint sind
die Schulen in Athen und Pergamon, dort vermutlich die Iamblichos-Schule des
Aidesios (vgl. Schramm 2013 [*1063: 199 Anm. 59]) –, und zu ihm nach Konstan-
tinopel zu kommen (Or. 23, 294b3–6). Sein Erfolg als Philosophielehrer gründete
sich besonders auf seine Aristoteles-Paraphrasen (Or. 23, 294d4–7; 295a7–9) und
führte sogar dazu, dass er am 1. September 355 durch Kaiser Constantius in den
Senat berufen wurde (Or. Const. 20a2–b2; 23a1–b3). Danach war er bis 384 bei
zehn Gesandtschaften der Hauptvertreter des Senats (Or. 17, 214b) und hielt als
Senatsvertreter mehrfach panegyrische Glückwunsch- oder Dankreden an die
verschiedenen Kaiser. Um 358/59 wurde er zum Prokonsul von Konstantinopel
berufen und sogar mit der Auswahl neuer Senatoren für die von Constantius be-
absichtigte Vergrößerung dieses Gremiums von 300 auf 2000 Angehörige betraut
(Or. 34,13). Außerdem war er für die Ausgabe der staatlichen Getreidespenden
verantwortlich (Or. 34,13). Im Herbst 383 wurde er von Theodosius I. für einige
Monate zum Stadtpräfekten von Konstantinopel ernannt (Or. 17) und gleichzei-
tig der Erzieher von dessen Sohn Arkadios (Or. 18, 224a–225c). Trotz veränderter
Religionspolitik behielt er als zeitlebens paganer Philosoph und Redner unter den
vier christlichen Kaisern Constantius, Jovian, Valens und Theodosius über drei
Jahrzehnte hohes Ansehen und Einfluss und wurde von Bischof Gregor von Na-
zianz nicht nur als «König der Reden», sondern auch als sein Freund bezeichnet
(Ep. 24; 38). Oftmals nutzte Themistios seinen Einfluss, um bei kirchenpolitischen
Streitigkeiten zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und zu Toleranz, auch
zwischen Heiden und Christen, zu mahnen (paradigmatisch für seine religions-

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 407

politische Toleranz Or. 5, 67b–70a). Wie lange er seine Schule leitete und wer sein
Nachfolger war, ist unklar, aber zumindest für einige Zeit scheint er auch neben
seiner politischen Tätigkeit weiter als Philosophielehrer gearbeitet zu haben (Ku-
preeva 2010 [*995: 398]). Vermutlich um 388/89 ist er gestorben.

2. WERKE

1. Paraphrasen: 1.1. Erhaltene; 1.2. Verlorene; 1.3. Unechte; 1.4. Unsichere. – 2. Andere philosophische
Werke. – 3. Reden: 3.1. Politische Reden (Or. 1–19); 3.2. Privatreden (Or. 20–34); 3.3. Unecht.

Von Themistios sind 33 politische Reden erhal- treten, sondern nur den Wortlaut des Aristoteles-
ten (Phot. Bibl. cod. 74 erwähnt sogar 36 πολιτικοὶ Textes erläutern und eine Erinnerungshilfe für
λόγοι), dabei werden die ‘Staatsreden’ (Or. 1–11; den Unterricht schaffen (In An. post. 1,2–12; Or.
13–19), also vor Kaisern oder staatlich eingesetzten 23, 294d–295a). Dass er selbst Kommentare zu
Körperschaften zu öffentlichen Anlässen gehaltene Aristoteles’ Werken geschrieben hat, wie Photios
Reden, von den ebenfalls politischen, aber weni- sagt (Bibl. cod. 74, 52a15f.), wird zumeist bestrit-
ger offiziellen ‘Privatreden’ (Or. 20–34) unter- ten (Blumenthal 1979 [*968], Vanderspoel 1989
schieden. Außerdem gehören zu seinem Werk Pa- [*971] und 1995 [*984: 226]; Steel 1973 [*966] hat
raphrasen zu einigen Werken des Aristoteles, die die Existenz von Kommentaren zunächst behaup-
er in den Jahren vor seiner eigentlichen politischen tet, später aber widerrufen). Photios (Bibl. cod. 74,
Tätigkeit, ungefähr zwischen 337 und 357 (Blu- 52a19f.) spricht auch von Themistios’ «exegeti-
menthal 1990 [*994: 113]), schrieb und von denen schen Bemühungen» zu den Platon-Dialogen, die
fünf erhalten sind. Mit dieser neuartigen literari- Formulierung ist im Gegensatz zu den Ausdrü-
schen Form wollte er nicht in Konkurrenz zu den cken für die Aristoteles-Paraphrasen aber wohl zu
bereits existierenden großen Kommentarwerken vage, um hieraus auf heute verlorene Platon-Para-
(vor allem denen des Alexander von Aphrodisias) phrasen zu schließen (Kupreeva 2010 [*995: 399]).

1. Paraphrasen

1.1. Erhaltene ‹Themistii in libros Aristotelis ‘De anima’ Para­


phrasis› (CAG 5,3)
Θεμιστίου παράφρασις τῶν Περὶ ψυχῆς
Ἀριστοτέλους – ‹Themistios’ Paraphrase zu ‘De
‹Themistii ‘Analyticorum Posteriorum’ Para­ anima’ des Aristoteles
phrasis› (CAG 5,1)
Θεμιστίου παράφρασις Ἀναλυτικῶν ὑστέρων – Auch in arabischer und lateinischer Überset-
‹Themistios’ Paraphrase zu den ‘Analytica poste­ zung erhalten, vgl. Lyons 1973 [*951] und Verbeke
riora’› 1957 [*900].
Auch in lateinischer Übersetzung erhalten, vgl.
O’Donnell 1958 [*901]. ‹Themistii in libros Aristotelis ‘De caelo’ Para­
phrasis hebraice et latine› (CAG 5,4)
‹Themistios’ Paraphrase zu den Büchern des Aris­
‹Themistii in Aristotelis ‘Physica’ Paraphrasis› toteles ‘De Caelo’ auf Hebräisch und Lateinisch›
(CAG 5,2)
Θεμιστίου παράφρασις εἰς τὸ αʹ–ηʹ Φυσικῆς Ins Hebräische aus dem Arabischen übersetzt,
ἀκροάσεως – ‹Themistios’ Paraphrase zu den Bü­ ins Lateinische wiederum aus dem Hebräischen,
chern 1– 8 der ‘Physik’›. vgl. Kupreeva 2010 [*995: 1065].

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408 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

‹Themistii in Aristotelis ‘Metaphysicorum’ librum Paraphrase zu ‹De generatione et corruptione›


Λ Paraphrasis hebraice et latine› (CAG 5,5)
‹Themistios’ Paraphrase zu Buch Λ der ‘Metaphy­ Vgl. Rose 1867 [*957: 193f.] und Peters 1968
sik’ des Aristoteles auf Hebräisch und Lateinisch› [*774: 37].

Erhalten ist auch die arabische Kurzfassung der


hebräischen Übersetzung, abgedruckt in Badawi Paraphrase (?) zur aristotelischen ‹Poetik›
1947 [*950: 329–333]. Vgl. Peters 1968 [*774: 29].

1.2. Verlorene 1.3. Unechte

Paraphrase zu den ‹Kategorien› Paraphrase zu den ‹Analytica priora›


Vgl. Them. Or. 21, 256a2f.; In Phys. 4,26 CAG 23,3, zur Unechtheit Rose 1867 [*957],
Schenkl; Simpl. In Cat. 1,9f. Kalbfleisch, außer- vermutlich von Sophonias.
dem Peters 1968 [*774: 7], zu einem arabischen
Fragment und lateinischem Material vgl. Todd
2003 [*975: 60 Anm. 11] und Kupreeva 2010 [*995: Paraphrase zu den ‹Parva naturalia›
1065]. CAG 5,6, zur Unechtheit Rose 1867 [*957], ver-
mutlich von Sophonias.
Paraphrase zu den ‹Analytica priora›
Vgl. Suda II,690 Adler; Them. Or. 21, 256a4, zu
weiteren Referenzen bei Boethius und Photios vgl. 1.4. Unsichere
Rose 1867 [*957: 191f.].

Paraphrase zu einer der aristotelischen Ethiken


Paraphrase zur ‹Topik›
Vgl. Brague 1999 [*930: 11].
Vgl. Them. In De an. post. 42,15 Wallies; Eu­
strat. In An. post. 11,5–7 Hayduck, bezeugt durch
Boeth. Diff. top. und durch Averroes’ mittleren Paraphrase zur ‹Historia animalium›
Kommentar zur Topik. Die Autorschaft des arabischen Textes einer
solchen Paraphrase, die Themistios zugeschrieben
Paraphrase zu ‹De sensu› wird, ist umstritten, vgl. Kupreeva 2010 [*995:
1067].
Them. In De an. 70,8 und 77,27 Heinze.

2. Andere philosophische Werke

‹Traktat des Themistios in Antwort auf Ma­ Περὶ ἀρετῆς


ximos über die Reduktion der zweiten und ‹Über Tugend›
dritten Figur auf die erste›
Syrischer Text aus dem 6. Jahrhundert, erste
Arabischer Text in Badawi 1947 [*950: 309– Edition durch Sachau 1870 [*888], davon deutsche
325], französische Übersetzung von Badawi 1968 Übersetzung bei Gildemeister, Bücheler 1872
[*929]. [*908], außerdem herausgegeben von Mach, mit
lateinischer Übersetzung in Schenkl, Downey,
Norman 1974 [*897: 9–71].

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 409

‹Brief über den Staat› Περὶ φρονήσεως


‹Über Klugheit›
Arabischer Text, herausgegeben von Shahid,
mit lateinischer Übersetzung in Schenkl, Downey, Fragment einer epideiktischen Rede, griechi-
Norman 1974 [*897: 73–119]. scher Text in Schenkl, Downey, Norman 1974
[*897: 4f.].

Περὶ ψυχῆς
‹Über die Seele›

Vier Fragmente unter diesem Titel aus Stobai­os,


griechischer Text in Schenkl, Downey, Norman
1974 [*897: 2–4].

3. Reden

3.1. Politische Reden (Or. 1–19) Or. 11 Δεκετηρικὸς ἢ Περὶ τῶν πρεπόντων λόγων
τῷ βασιλεῖ – ‹Rede zum zehnjährigen Re-
Ausgabe Schenkl, Downey, Norman 1965 [*897]. gierungsjubiläum oder Über die Reden,
Or. 1 Περὶ φιλανθρωπίας ἢ Κωνστάντιος – die dem Kaiser gegenüber angemessen
‹Über Philanthropie oder Constantius›. sind› (an Valens).
Or. 2 Εἰς Κωνστάντιον τὸν αὐτοκράτορα, ὅτι Or. 13 Ἐρωτικὸς ἢ Περὶ κάλλους βασιλικοῦ –
μάλιστα φιλόσοφος ὁ βασιλεύς, ἢ χαρισ- ‹Über die Liebe oder Über die königliche
τήριος – ‹An Kaiser Constantius, dass der Schönheit› (an Gratian).
König am meisten ein Philosoph sei, oder Or. 14 Πρεσβευτικὸς εἰς Θεοδόσιον
Dankrede› (für die Ernennung des The- αὐτοκράτορα – ‹Gesandtschaftsrede an
mistios zum Senator). Kaiser Theodosius›.
Or. 3 Πρεσβευτικὸς ὑπὲρ Κωνσταντινουπόλεως Or. 15 Εἰς Θεοδόσιον· τίς ἡ βασιλικωτάτη τῶν
ῥηθεὶς ἐν Ῥώμῃ – ‹Gesandtschaftsrede ἀρετῶν – ‹An Theodosius: Welche die kö-
zugunsten Konstantinopels, gehalten in nigslichste der Tugenden ist›.
Rom›. Or. 16 Χαριστήριος τῷ αὐτοκράτορι ὑπὲρ τῆς
Or. 4 Εἰς τὸν αὐτοκράτορα Κωνστάντιον – ‹An εἰρήνης καὶ τῆς ὑπατείας τοῦ στρατηγοῦ
Kaiser Constantius›. Σατορνίνου – ‹Dankrede an den Kaiser
Or. 5 Ὑπατικὸς εἰς τὸν αὐτοκράτορα Ἰοβιανόν für den Frieden und das Konsulat des
– ‹Rede zum Konsulatsantritt, an Kaiser Feldherrn Saturninus›.
Jovian›. Or. 17 Ἐπὶ τῇ χειροτονίᾳ τῆς πολιαρχίας – ‹Über
Or. 6 Φιλάδελφοι ἢ Περὶ φιλανθρωπίας – ‹Die die Ernennung zum Stadtpräfekten› (von
Geschwisterliebenden oder Über Philan- Konstantinopel).
thropie› (über die Doppelherrschaft der Or. 18 Περὶ τῆς τοῦ βασιλέως φιληκοΐας – ‹Über
Brüder Valentinian I. und Valens, in An- die Liebe des Königs zum Zuhören›.
wesenheit des Valens). Or. 19 Ἐπὶ τῇ φιλανθρωπίᾳ τοῦ αὐτοκράτορος
Or. 7 Περὶ τῶν ἠτυχηκότων ἐπὶ Οὐάλεντος – Θεοδοσίου – ‹Über die Philanthropie des
‹Über die ins Unglück Geratenen (in An- Kaisers Theodosius›.
wesenheit des Valens)›.
Or. 8 Πενταετηρικός – ‹Rede zum fünfjährigen ‹Φιλόπολις› – ‹Philopolis› (Panegyrikos auf
Regierungsjubiläum› (an Valens). Kaiser Julian, verloren. Erhalten ist eine Zusam-
Or. 9 Προτρεπτικὸς Οὐαλεντινιανῷ νέῳ – ‹Er- menfassung, vgl. Seeck, Schenkl 1906 [*959]).
munterungsrede an Valentinian den Jün-
geren› (d. i. Valentinian Galates, Sohn des
Valens).
Or. 10 Ἐπὶ τῆς εἰρήνης Οὐάλεντι – ‹Zum Frie-
densschluss, an Valens›.

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410 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3.2. Privatreden (Or. 20–34) Or. 30 Θέσις εἰ γεωργητέον – ‹Frage, ob man


Landbau betreiben soll›.
Ausgabe Schenkl, Downey, Norman 1971 [*897]. Or. 31 Περὶ προεδρίας εἰς τὴν σύγκλητον – ‹Über
Or. 20 Ἐπιτάφιος ἐπὶ τῷ πατρί – ‹Grabrede zu den Vorsitz (im Senat) an den Senat›.
Ehren des Vaters›. Or. 32 Μετριοπαθὴς ἢ Φιλότεκνος – ‹Über die
Or. 21 Βασανιστὴς ἢ φιλόσοφος – ‹Prüfer oder Mäßigung von Emotionen oder Über die
Philosoph›. Liebe zu den Kindern› (vgl. hierzu Ballé-
Or. 22 Περὶ φιλίας – ‹Über Freundschaft›. riaux 1988 [*970]).
Or. 23 Σοφιστής – ‹Sophist›. Or. 33 ‹Περὶ τῶν ὀνομάτων τοῦ βασιλέως καὶ τοῦ
Or. 24 Προτρεπτικὸς Νικομηδεῦσιν εἰς φιλο- ὑπάτου› – ‹Über die Namen des Königs
σοφίαν – ‹Ermunterungsrede an die Ni- und des Konsuls›.
komeder zur Philosophie›. Or. 34 Πρὸς τοὺς αἰτιασαμένους ἐπὶ τῷ δέξασθαι
Or. 25 Πρὸς τὸν ἀξιώσαντα λέγειν ἐκ τοῦ τὴν ἀρχήν – ‹Gegen die, die ihn wegen der
παραχρῆμα – ‹Gegen jemanden, der ver- Annahme eines Amtes getadelt haben›
langt, aus dem Stegreif zu reden›. (vgl. Schneider 1966 [*909]).
Or. 26 Ὑπὲρ τοῦ λέγειν ἢ Πῶς τῷ φιλοσόφῳ
λεκτέον – ‹Über das Reden oder Wie der
Philosoph reden muss› (vgl. hierzu Kes- 3.3. Unecht
ters 1959 [*895]).
Or. 27 Περὶ τοῦ μὴ δεῖν τοῖς τόποις ἀλλὰ τοῖς Or. 12 Ad Valentem de religionibus – ‹An Valens
ἀνδράσι προσέχειν – ‹Darüber, dass man über die Religionen› (lateinische Themis-
nicht auf die Orte (wo man studieren tios-Imitation des Humanisten Andreas
kann), sondern auf die Männer (bei Dudith 1583–1589). In der ersten Ausgabe
denen man studieren kann) achten muss›. der Reden von G. Remus von 1605 als Or.
Or. 28 Ἡ ἐπὶ τῷ λόγῳ διάλεξις – ‹Unterredung 12 gezählt, ebenso bei Dindorf 1832
über die Rede›. [*886], Text bei Schenkl, Downey, Nor-
Or. 29 Πρὸς τοὺς οὐκ ὀρθῶς ἐξηγουμένους τὸν man 1974 [*897: 137–144]; zur Unechtheit
σοφιστήν – ‹Gegen die, die den ‘Sophist’ der Rede vgl. R. Foerster 1900 [*958].
[sc. Or. 21] nicht richtig interpretiert
haben›.

3. LEHRE

Vorbemerkung: Themistios’ philosophische Position. – 1. Logik. – 2. Naturphilosophie: 2.1. Physik;


2.2. Kosmologie. – 3. Psychologie: 3.1. Seelenlehre; 3.2. Geistlehre. – 4. Metaphysik und Theologie. –
5. Praktische Philosophie: 5.1. Ethik; 5.2. Politische Philosophie.

Vorbemerkung: Themistios’ philosophische Position

Themistios nimmt hinsichtlich seines Selbstverständnisses als Philosoph in


doppelter Hinsicht eine Mittelposition ein: Erstens vertritt Themistios den schon
von seinem Vater Eugenios verfolgten Ansatz, dass Philosophie praktischen Nut-
zen haben und die Rhetorik nicht scheuen müsse, sondern diese wichtig und legi-
tim sei, sofern sie von der Philosophie geleitet sei (Or. 20; vgl. Vanderspoel 1995
[*984: 39f., 43–48], Penella 2000 [*919: 4f.]). Themistios wie Eugenios scheinen

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 411

darum in ihrer Schule sowohl Elemente der Rhetoren- als auch der Philosophen-
schule miteinander verbunden zu haben, was etwa die Auswahl der in der Schule
gelesenen Autoren dokumentiert (vgl. Schramm 2013 [*1063: 194–197]): an Phi-
losophen Pythagoras, Platon, Aristoteles, Epikur und die Stoa, wobei Aristoteles –
vermutlich in Nachfolge des Porphyrios und seines neuplatonischen Curriculums –
als Vorbereitung auf Platon und Epikur nur in kritischer Absicht gelesen wurde
(Or. 20, 234d5–236b4), an Dichtern Homer, Menander, Euripides, Sophokles,
Sappho und Pindar (236b5–7; 236c2–6), wobei die drei zuletzt Genannten kaum
in den klassischen, an politischer Rhetorik interessierten Rhetorenschulen gele-
sen worden sein dürften (Dion beispielsweise empfiehlt einem König zur Rheto-
renausbildung wie Themistios Homer, Menander und Euripides, dann aber His-
toriker wie Herodot und Thukydides sowie Redner wie Demosthenes, Lysias und
Aischines: Dion Chrys. Or. 18,6–12).
Auch Themistios’ eigenes politisches Engagement ist für einen Philosophen die-
ser Zeit nicht untypisch (vgl. O’Meara 2003 [*1060: 13–26]). Seine Selbstverteidi-
gung wegen der Übernahme politischer Ämter, die auf Vorwürfe reagiert, ein Phi-
losoph solle in der Studierstube bleiben und nicht in das Licht der breiten politischen
Öffentlichkeit treten (z. B. Or. 23, 283c–d; 26, 313c–314b; 29, 344d; 34,1), dokumen-
tiert damit weniger, dass die politische Betätigung eines Philosophen ungewöhnlich
war, sondern vielmehr den außerordentlichen Erfolg des Themistios in diesem Me-
tier, der ihm den Neid und die Verleumdung von konkurrierenden Lehrern ein-
brachte. Seine eigene Polemik gegen eine bloß auf die Schule beschränkte Philoso-
phie bezieht nicht offen Stellung gegen zeitgenössische Philosophenschulen, sondern
richtet sich vornehmlich gegen Stoiker und Epikureer (z. B. Or. 2, 31c3–d4; 26,
323d4–324b1), während er Platon und Aristoteles dafür lobt, dass sie ganz auf die
praktische Philosophie ausgerichtet sind, was für ihn auch das Studium der An­
thropologie, Kosmologie und Theologie einschließt (Or. 34,5f.; vgl. hierzu Schramm
2013 [*1063: 189–194]): Philosophieren heiße, «Tugend zu praktizieren» (ἐργάζεσθαι
ἀρετήν: Or. 2, 31d5f.). Daher behandelte Themistios in der Schule sehr wohl Prob-
leme der Logik und Naturphilosophie, hielt sie aber in der politisch-philosophischen
Rede vor großer Öffentlichkeit für fehl am Platz (zur Logik z. B. Or. 2, 30b1–
9. 32d8–33a2; 34,3; zur Naturphilosophie z. B. Or. 26, 327cff.).
Die zweite Mittelposition bezieht Themistios im Hinblick auf seine philosophi-
sche Ausrichtung, auch wenn die Forschungslage hierzu nicht einheitlich ist. Sich
selbst sah er anscheinend als Aristoteliker, wenn er ausdrücklich Aristoteles als
den bezeichnet, «den ich mir als Vorsteher des Lebens und der Weisheit erwählt
habe» (Or. 2, 26d7f.). Auch Simplikios sieht Themistios eher als Peripatetiker, der
gelegentlich den Platonikern gefolgt sei (Simpl. In Cael. 69,9–10 Heiberg). Daher
ist er gar der «letzte antike Peripatetiker» (Blumenthal 1990 [*994: 123]) genannt
worden. Andere (vor allem Ballériaux 1989 [*1027] und 1994 [*1030]) sehen ihn
als Neuplatoniker, sein Vater, dessen philosophisches Erbe er seinem Selbstver-
ständnis nach weiterführt (Or. Const. 22d2–23b3), sei sogar Schüler des Iamblichos
gewesen (Ballériaux 1996 [*985], anders Schramm 2013 [*1063: 194 Anm. 44]).
Wieder andere ordnen ihn in die breite kaiserzeitliche Tradition der Harmonisierung
zwischen Platon und Aristoteles ein, indem sie entweder stärker die Provenienz

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412 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

einzelner Theorieelemente aus dem Mittelplatonismus (so Vanderspoel 1995


[*984: 20–22], Kupreeva 2010 [*995: 416]) oder aus dem Neuplatonismus (so
Schramm 2008 [*1032: 217–219] und 2013 [*1063: 183, 192–194, 206–209]) beto-
nen. Klar grenzt er sich hingegen gegen die «neue Melodie» (vgl. Or. 23, 295a8–
b5) des jamblichischen Neuplatonismus ab, der auch chaldäische Orakelphiloso-
phie und praktische Kultverehrung in die Philosophie einschloss (Schramm 2013
[*1063: 196]).
Wenn Themistios die Lehrmethode seines Vaters Eugenios – und damit seine
eigene – so beschreibt, dass er die «Mysterien» des Aristoteles als einen hervor­
ragenden «vorbereitenden Ritus» (προτέλειον) und «Schutzwall» (φυλακτή­ριον)
für das «Bacchanal» des Platon-Unterrichts angesehen habe, da dessen Werke
leicht von Sophisten angegriffen und diese durch Aristoteles abgewehrt werden
könnten (Or. 20, 235d3–8), ist damit vor allem die Logik des aristotelischen ‹Or-
ganon› gemeint, die von Porphyrios als Beginn des Philosophieunterrichts in das
neuplatonische Curriculum aufgenommen worden ist. Außerdem gehörten die
aristotelischen Pragmatien zu Ethik, Physik und Metaphysik in den neuplatoni-
schen Anfängerunterricht, die sogenannten ‘kleinen Mysterien’, die auf die
‘großen Mysterien’ Platons vorbereiteten (vgl. O’Meara 2003 [*1060: 61f.]). Die
Liste der erhaltenen und verlorenen Paraphrasen des Themistios scheint diesen
Lektüreplan widerzuspiegeln, wenn auch, zugeschnitten auf den Zweck des Un-
terrichts, eher eine philosophische Grundbildung für kommende Beamte als eine
Spezialistenausbildung für zukünftige Schulphilosophen zu bieten. Dies zeigen
die Titel der Paraphrasen, die ausschließlich Werken des Aristoteles gewidmet
sind, die auch in den ‘kleinen Mysterien’ der Neuplatoniker gelesen wurden, wie
auch die Textform der Paraphrase überhaupt, die Themistios ja im Unterschied
zu den in den Neuplatonikerschulen sonst üblichen Kommentaren verfasste.

1. Logik

Es gibt Nachrichten, dass es von Themistios zu allen Werken des ‹Organon› –


mit Ausnahme von ‹De interpretatione› – Paraphrasen gegeben habe, überliefert
ist allerdings einzig jene zu den ‹Analytica posteriora›. Soweit man das erkennen
kann, folgte Themistios getreu dem Text des Aristoteles und seinen Lehren zur
Logik. Allerdings scheint er auch in der Logik eine inhärente Verbindung bis hin
zur Kongruenz des Aristoteles mit platonischen Lehren gesehen zu haben, wenn
für ihn das Studium des ‹Organon› als Vorbereitung der Platon-Lektüre fungiert
(Or. 20, 235d3–8) und wenn er die ‹Analytiken›, immerhin eines der Hauptwerke
des Aristoteles, nicht als dessen originäres Werk, sondern als systematisierte Ex-
trapolation der Regeln betrachtet, die in den Schluss- und Beweisverfahren der
platonischen Dialoge angewandt worden seien (Philop. In An. pr. 6,14–18 Wallies).
Vermutlich lag sein Hauptaugenmerk auf der ‹Topik› und den ‹Sophistici elen-
chi›, die als neuntes Buch der ‹Topik› überliefert sind, sowie auf den ‹Analytiken›.
Denn für Themistios besteht die Hauptleistung des ‹Organon› darin, zwischen
dem «wirklich Wahren» und dem «aufgrund einer Ähnlichkeit [sc. wahr] Erschei-

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 413

nenden», in Wirklichkeit aber Falschen zu unterscheiden (Or. 26, 320a1–10); das


spielt auf Aristoteles’ Unterscheidung in wissenschaftliche (= wahre), dialektische
(= anerkannte, plausible) und sophistische bzw. eristische (= scheinbar anerkannte,
falsche) Prämissen oder Syllogismen an (An. pr. 1,1, 24a22–b12; Top. 1,1, 100a27–
101a4; Soph. el. 2, 165a38–b11). Das ist der Auseinandersetzung des Philosophen
mit der sophistischen Rhetorik seiner Zeit geschuldet, so betont ja Themistios als
vorrangige Leistung des Aristoteles-Unterrichts gerade die Schulung der logi-
schen Kompetenz zur Abwehr sophistischer Angriffe (Or. 20, 235d3–8). Von sei-
ner Paraphrase zur ‹Topik› – und damit auch zu den ‹Sophistici elenchi› – ist für
uns allerdings nur die Auflistung und Gruppierung der Topoi fassbar, die Boe-
thius in ‹De differentiis topicis› überliefert und ausdrücklich aus Themistios über-
nommen hat (vgl. Diff. top. 2, 1186C–1194B; Green-Pedersen 1984 [*1080: 46–
54]). Das zeigt immerhin, dass Themistios vor allem an der Systematisierung und
begrifflichen Bestimmung der Topoi interessiert gewesen zu sein scheint.
Aus seiner Interpretation der ‹Analytica priora› ist besonders seine Ansicht zu
einem viel diskutierten Problem der assertorischen Syllogistik überliefert, näm-
lich zur Vollkommenheit der Syllogismen: Aristoteles hatte behauptet, dass nur
die Modi der 1. Figur «vollkommen» sind und die Modi der anderen beiden Figu-
ren durch Reduktion auf die Modi der 1. Figur ‘vervollkommnet’ werden können
(An. pr. 1,7, 29a30–b25); ein «vollkommener Syllogismus» ist nach Aristoteles
einer, der über die explizit durch die Prämissen formulierten Voraussetzungen für
seine Gültigkeit keiner weiteren Voraussetzungen bedarf, der unvollkommene be-
nötigt diese (An. pr. 1,1, 24b22–26). Dieser These wurde vielleicht bereits von
Theophrast, gewiss aber vom Peripatetiker Boethos von Sidon (2. Hälfte 1. Jh.
v. Chr.) widersprochen, wonach alle Modi und Figuren dieselbe Vollkommenheit
hätten und eine Reduktion daher unnötig sei. Auf ihn beriefen sich auch die Neu-
platoniker Porphyrios, Iamblichos und dessen ‘Enkel-Schüler’ Maximos von
Ephesos, der Lehrer Kaiser Julians, gegen den Themistios die aristotelische Posi-
tion – vermutlich in Anlehnung an Alexander von Aphrodisias (vgl. Lee 1984
[*1005: 120f.]) – verteidigte, Kaiser Julian gab indes als Schiedsrichter in diesem
Streit Maximos recht (Ammon. In An. pr. 31,11–23 Wallies). Erhalten ist eine aus
dem 11. Jahrhundert stammende arabische Übersetzung eines eigenen ‹Traktats
des Themistios in Antwort auf Maximos über die Reduktion der zweiten und drit-
ten Figur auf die erste› (vgl. französische Übersetzung bei Badawi 1968 [*929], zur
Diskussion von Themistios’ Lösung vgl. Lee 1984 [*1005: 121–126]).
Aus Themistios’ Paraphrase zu den ‹Analytica priora› sind Exzerpte zur Mo-
dallogik in einer hebräischen Übersetzung erhalten (englische Übersetzung bei
Rosenberg, Manekin 1988 [*1006: 92–103]). Behandelt werden bekannte Prob-
leme der aristotelischen Modallogik, zum Beispiel die Einteilung der Modalitäten,
die Interpretation der assertorischen Prämisse oder die Modalität der Konklusion
der 1. Figur mit möglichen Prämissen. Die Modalitäten werden, gemäß der aris-
totelischen Einteilung (An. pr. 1,2, 25a1f.), dreigeteilt in «notwendig», «möglich»
und «wirklich», wobei «notwendig» mit Theophrast wiederum dreigeteilt wird in
das, was immer, zu jeder Zeit bzw. jenseits der Zeit existiert, zum Beispiel der
Himmel oder Gott, das, was nicht immer ist, aber mit Notwendigkeit so lange

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414 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

e­ xistiert, wie sein Subjekt existiert, zum Beispiel Hitze am Feuer, und das, was exis-
tiert, solange es existiert, zum Beispiel das Sitzen des sitzenden Sokrates (Rosen-
berg, Manekin 1988 [*1006: 94f.]). Modalität wird hier also stets zeitlich interpre-
tiert (Rosenberg, Manekin 1988 [*1006: 86]). Gegen Alexanders modallogische
Interpretation des wirklichen oder assertorischen Zukommens eines Prädikats zu
einem Subjekt als das gegenwärtig wirklich Mögliche, das weder notwendig noch
unmöglich ist, wendet Themistios mit Theophrast ein, dass das wirkliche Zukom-
men eines Prädikats keine eigene Modalität ist (Rosenberg, Manekin 1988 [*1006:
87, 96f.]). Hinsichtlich der Modalität der Konklusion in Syllogismen mit gemisch-
ten modalen Prämissen widerspricht Themistios wiederum mit Theophrast Aris-
toteles, der behauptet, dass die Konklusion notwendig sei, wenn die ‘praemissa
maior’ notwendig und die ‘praemissa minor’ assertorisch ist (An. pr. 1,9, 30a15–
24), und behauptet, dass die Konklusion nur assertorisch sein kann (Rosenberg,
Manekin 1988 [*1006: 100]). Hierbei benutzt Themistios auch explizit die Regel,
wonach die Konklusion stets der schwächeren Modalität der beiden Prämissen
folgt (peiorem semper conclusio sequitur partem), die von Alexander Theophrast
zugeschrieben wird (Rosenberg, Manekin 1988 [*1006: 88]).
In Themistios’ Paraphrase zu den ‹Analytica posteriora› ist besonders die Er-
kenntnistheorie von Interesse, die im letzten Kapitel entfaltet wird. Platons
Anam­nesis-Lehre, die auch von allen Neuplatonikern vertretene Erkenntnislehre,
lehnt er explizit ab (In An. post. 4,27–33 Wallies) und folgt stattdessen eng dem
aristotelischen Text (An. post. 2,19, 99b35–100a15) und dem Stufenbau der Er-
kenntnis, der als fortlaufende «Induktion» (ἐπαγωγή) von der Partikularität der
einzelnen Wahrnehmung über Erinnerung und Erfahrung zur Allgemeinheit von
Wissen und Prinzipienerkenntnis konzipiert ist (In An. post. 62,21–66,6 Wallies;
vgl. Schramm 2008 [*1032: 188–196]). Beeinflusst ist Themistios’ Erklärung von
Alexanders Erkenntnistheorie, wonach der Fortgang der Erkenntnis ein zuneh-
mender Abstraktionsprozess der intelligiblen Form aus wahrnehmbaren Formen
in Materie darstellt (Alex. Aphr. De an. 83,3–13 Bruns), und seiner Dreiteilung
des Geistes (potentieller, habitueller und aktiver Geist, Alex. Aphr. De an. 81,13–
82,6; 88,23–89,12 Bruns; Them. In An. post. 65,12–66,6 Wallies; vgl. Kupreeva
2010 [*995: 402]), wobei Themistios einige Modifikationen anbringt: Gegenstände
der Prinzipienerkenntnis sind nicht nur die intelligiblen Formen und deren Defi-
nition, sondern auch die Axiome des Beweisens, außerdem ist der Spracherwerb
als ein wichtiges Stadium des Erkenntnisprozesses hervorgehoben, denn bereits
beim Erlernen einfacher Wörter würden Vorbegriffe des Wesens der Dinge ge-
lernt, die das diskursive Denken dann entfaltet – damit geht eine gegenüber Alex­
ander veränderte Deutung des Verhältnisses von potentiellem zu aktivem Geist
einher (vgl. Schramm 2008 [*1032: 191–195]). Anti-platonisch ist die Deutung der
Gattung als eines Gedanken ohne reale Existenz, der aufgrund der Ähnlichkeit
der Individuen gebildet wird (vgl. Sorabji in Todd 1996 [*918: 2 Anm. 12]), aristo-
telisch die Bestimmung des Wesens als die in den Individuen subsistierende «Art-
form» (εἶδος: In De an. 3,32–4,7 Heinze).

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 415

2. Naturphilosophie

Themistios’ naturphilosophische Vorstellungen sind im Wesentlichen aus sei-


nen Paraphrasen zu Aristoteles’ ‹Physik› und ‹De caelo› fassbar. Die ‹Physik›-
Paraphrase zu den Büchern 1 bis 4 ist detaillierter als die zu den Büchern 5 bis 8,
Auseinandersetzungen mit dem zeitgenössischen Neuplatonismus dürfte es hier
aufgrund der Themen nicht gegeben haben, sondern Themistios scheint wesent-
lich der orthodox aristotelischen Deutung des Alexander von Aphrodisias aus sei-
nem verlorenen ‹Physik›-Kommentar gefolgt zu sein (Todd 2003 [*921: 1f.]). Auch
seine lediglich in lateinischer und hebräischer Übersetzung erhaltene ‹De caelo›-
Paraphrase enthält wichtige Spuren des verlorenen Kommentars Alexanders zu
diesem Werk (Kupreeva 2010 [*995: 404]).

2.1. Physik

Die aristotelische ‹Physik› behandelt Grundbegriffe der Naturphilosophie wie


Bewegung, Raum und Zeit. Ein von den Kommentatoren viel diskutiertes Pro­blem
war die Interpretation der aristotelischen Definition der «Bewegung» (κίνησις).
Aristoteles definierte sie als «Verwirklichung (ἐντελέχεια) eines der Möglichkeit
nach Seienden als solchen» (Phys. 3,1, 201a10f.), d. h. als etwas, das zugleich möglich
und wirklich bzw. unvollkommen und vollkommen ist, z. B. das Gehen einer Stre-
cke, das erst verwirklicht ist, wenn die Strecke tatsächlich zurückgelegt ist. Themis-
tios differenziert den Entelechie-Begriff, da die Entelechie sowohl den Prozess des
Gehens (Verwirklichung) als auch des Gegangen-Seins (Wirklichkeit, Vollendung)
bezeichnen kann. Eine Bronze beispielsweise, die der Möglichkeit nach eine Skulp-
tur sein kann, erfährt die Entelechie der in ihr der Möglichkeit nach seienden Skulp-
tur, wenn sie zur Skulptur wird, sie hat aber auch Entelechie, wenn sie zur Skulptur
geworden ist (In Phys. 69,7–20 Schenkl; vgl. Sorabji in Todd 2003 [*921: VIII]).
Themistios verteidigt außerdem Aristoteles’ Raum- und Zeittheorie gegen Ein-
wände. Galen etwa plädierte offenbar für eine von Aristoteles verworfene Raum-
definition, nämlich Raum als die vom Körper unterschiedene dreidimensionale
«Ausdehnung (διάστημα) zwischen den Grenzen» (Arist. Phys. 4,4, 211b7f.; Them.
In Phys. 114,7–12 Schenkl), die später auch der neuplatonische Aristoteliker Phi-
loponos der aristotelischen Definition vorzog (vgl. Philop. In Phys. 557,7–585,4 Vi-
telli; ausdrücklich kritisiert Philoponos auch Themistios’ Argumente gegen die
Definition des Raums als dreidimensionaler Ausdehnung, In Phys. 575,27–578,4
Vitelli). Aristoteles wiederum definierte ja Raum als «Grenze des umfassenden
Körpers, ‘an der er in Berührung ist mit dem umfassten Körper’, d. h. mit dem
gemäß Ortsbewegung beweglichen Körper» (Phys. 4,4, 212a6f.; Them. In Phys.
118,8f. Schenkl). Themistios entgegnet Galen, dass man – unter Voraussetzung
von dessen Raumdefinition – annehmen müsse, dass es einen Körper und abge-
trennt davon einen leeren Raum gebe, die einander durchdringen, d. h. miteinan-
der koinzidieren, was der Regel widerspreche, dass nicht zwei Ausdehnungen bzw.
zwei Körper an derselben Stelle zugleich sein könnten (In Phys. 134,25–135,1
Schenkl; vgl. Sorabji in Todd 2003 [*921: VIII]).

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416 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Aristoteles’ Zeitdefinition – Zeit sei die «Zahl der Bewegung gemäß dem Frü-
her und Später» (Arist. Phys. 4,11, 219b1f.) – verteidigt Themistios wiederum
gegen den Vorwurf der Zirkularität; Galen etwa wandte ein, dass das Früher und
Später zeitlich sei und damit Zeit besser als «Zahl der Bewegung gemäß der Zeit»
zu definieren sei (Them. In Phys. 149,4–7 Schenkl). Mit Aristoteles weist Themis-
tios darauf hin, dass das Früher und Später nach der Quantität und der Position,
nicht nach der Zeit bestimmt sei (Arist. Phys. 219a14–19; Them. In Phys. 149,7–13
Schenkl) und dass Galen bei seinem Reformulierungsversuch übersehen habe,
dass das Definiendum nicht im Definiens erscheinen dürfe (In Phys. 149,13–19
Schenkl; vgl. Todd 2003 [*921: 103 Anm. 439]).
Hinsichtlich der aristotelischen Behauptung, es gebe keine Zeit, wenn es keine
Seele gebe, um die Bewegung zu zählen (Arist. Phys. 4,14, 223a21–29), widerspricht
Themistios der daraus abgeleiteten Behauptung, die Zeit habe keine eigene Natur,
sondern sei nur ein «Gedanke (ἔννοια) unserer Seele» (Them. In Phys. 163,1–7
Schenkl; Themistios schreibt diese Aussage vorsichtig Aristoteles zu, tatsächlich
gehört sie Kritolaos, einem Peripatetiker des 2. Jh.s v. Chr., vgl. Aët. Plac. 1,22,6,
318,22f. Diels = Stob. Ecl. 1,8,40b, I,103,7f. Wachsmuth). Er widerspricht aber auch
dem Peripatetiker Boethos von Sidon (1. Jh. v. Chr.), der meinte, die Zeit existiere
unabhängig von der Tätigkeit des Zählens durch die Seele, und erklärt, dass ein
potentiell Zählbares auch eines potentiell Zählenden bedürfe, dass aber etwas,
das nur akzidentell zählbar ist, zum Beispiel eine bestimmte Bewegung, auch ohne
das aktual Zählende existiert (In Phys. 160,26–161,2 Schenkl), eine Position, die
ähnlich auch Thomas von Aquin vertreten wird (vgl. Thom. In Phys. n. 627–629,
L. IV, l. XXIII,3–5 Maggiòlo).

2.2. Kosmologie

In der Kosmologie folgt Themistios Aristoteles, wenngleich mit einigen (neu-)


platonischen Zutaten und durchaus auch Kritik an Aristoteles im Detail. Der aris-
totelische Gott oder Unbewegte Beweger ist «das Gute (ἀγαθόν), die erste Form
oder Idee (πρῶτον εἶδος), die erste Ursache (πρῶτον αἴτιον), zu der alles hinge-
neigt ist, dem sich alles, soweit ein jedes es vermag, anzugleichen (ὁμοιωθῆναι)
bemüht» (In Phys. 33,9–11 Schenkl), oder er ist «das Gute» bzw. «die erste Subs-
tanz», die ihrer Natur nach wahrhaft «einzig und einfach» («una et simplex») ist
(Them. In Metaph. 12, 18,21–19,8, Zitat 18,39; 19,5. 8 Landauer). Der aristotelische
Gott wird also mit platonischen Termini beschrieben – das Gute oder Idee, Platons
«effizierende Ursache» sei «das Eine, ich meine die Idee» (In Phys. 13,15f.
Schenkl) –, und das Verhältnis des Kosmos zu seiner effizierenden Ursache, dem
Unbewegten Beweger wird mit dem platonischen Ausdruck für das höchste Gute
beschrieben, nämlich der «Angleichung an Gott, soweit möglich» (Tht. 176b1).
Auch scheint Themistios eine Vereinbarkeit der aristotelischen Kosmologie mit
der platonischen Weltseelenlehre anzunehmen. Bewegung gebe es nicht ohne
Seele, da das Prinzip der Bewegung, die Himmelsbewegung, die Bewegungen der
Einzellebewesen wie Entstehung, Wachstum und Schwinden «durch Geist und als
Begehren» bewirkt, also mit Seele (In Phys. 161,5–11 Schenkl); mit dem Terminus

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 417

«Begehren» (ὄρεξις) wird auch die Wirkung des Unbewegten Bewegers auf den
Kosmos beschrieben (Arist. Metaph. 12,7, 1072a26; Them. In Metaph. 12, 18,21–
39). Außerdem ist die Weltseele die «belebende Kraft» (δύναμις ζωτική) im gan-
zen Kosmos, durch welche die Beseelung der Körper zustande kommt (In De an.
26,25–27 Heinze). Hinsichtlich der Ewigkeit der Welt widerspricht Themistios
aber explizit dem platonischen ‹Timaios›, der von einem Beginn der Zeit zu spre-
chen scheint, und plädiert mit Aristoteles für die Ewigkeit der Welt (vgl. In Phys.
211,26–30 Schenkl). Tatsächlich hielten die neuplatonischen Interpreten die Rede
des ‹Timaios› von Anfang und Schöpfung der Zeit als der mythischen Darstel-
lungsform geschuldet und gingen auch für Platon von der Ewigkeit der Welt aus
(z. B. Plot. III 7 [45] 12,20–25).
Für seine Antwort auf die Frage nach dem Ort des Kosmos als Ganzen wurde
Themistios von späteren Neuplatonikern (z. B. Simpl. In Phys. 590,27–32; 592,25–
593,6 Diels; Philop. In Phys. 565,21–566,7 Vitelli) kritisiert. Wenn der Raum die
«Grenze des umfassenden Körpers» ist (Phys. 4,4, 212a6) und es für den äußers-
ten umfassenden Körper, die Fixsternsphäre, und damit für den Kosmos als Gan-
zen keinen Körper gibt, der ihn umfasst, ist er nach Aristoteles «an sich» (καθʼ
αὑτά) an keinem Ort, «akzidentell» (κατὰ συμβεβηκός) hingegen schon (Phys.
4,5, 212b7–12). Themistios erklärt «akzidentell» in Übereinstimmung mit der Aus-
legungstradition als synonym mit «in Hinsicht auf die Teile» (κατὰ μόρια), wobei
dies für ihn entweder «Teil im Teil» oder «das Ganze im Teil» bedeutet (In Phys.
120,22–28 Schenkl). Im Fall des Kosmos ist nach Themistios nur die letzte Bedeu-
tung sinnvoll, wonach der Kosmos als Ganzer akzidentell an einem Ort ist, da er
als Ganzer in seinen Teilen ist, die jeweils an einem Ort sind, und von diesen Tei-
len nicht abgetrennt werden kann (120,31f.), «Teile» in diesem Kontext sind die
konzentrischen Planetensphären, bei denen die Kreisbewegung der umfassende-
ren Sphäre auf die Oberfläche der von ihr umfassten Sphäre einwirkt (119,21f.).
Die letzte Sphäre, die von keiner anderen Sphäre mehr umfasst wird, ist «an
einem Ort in Hinsicht auf ihre innere Seite», d. h. auf die konvexe Oberfläche ihrer
selbst, während sie nach ihrer äußeren Oberfläche keine Berührung mit einem sie
Umfassenden hat (121,2–4, vgl. Trifogli 1989 [*1014], Sorabji in Todd 2003 [*921:
IX], Kupreeva 2010 [*995: 403f.]).
Kritik äußert Themistios an Aristoteles’ These, dass Elemente noch an ihrem
natürlichen Ort schwer oder leicht seien, weil die Elemente, sobald sie an ihren
natürlichen Ort gelangt sind, diese Bewegungsneigung – und damit auch die Eigen-
schaften ‘schwer’ und ‘leicht’ – verlieren (In Cael. 232,17–235,21 Landauer). Gegen
Alexander weist Themistios auch den Begriff der himmlischen Materie zurück,
da die Kreisbewegung, also auch die Bewegung des Aithers, kein entgegengesetz-
tes Prinzip und damit auch keine Materie habe, an der sie sich vollziehe (In Cael.
14,12–15, später wieder aufgenommen von Philoponos in seiner Argumentation
gegen Aristoteles’ Aithertheorie, vgl. Simpl. In Cael. 70,2–9; 71,20; 72,10–16 Hei-
berg; vgl. Kupreeva 2010 [*995: 404f.]).

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418 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

3. Psychologie

Zentral für die Bestimmung von Themistios’ philosophischer Position ist die
‹De anima›-Paraphrase, sein bei weitem einflussreichster Text. Seine philo­
sophische Ausrichtung wird vor allem in der Frage nach dem Leib-Seele-Verhält-
nis und in der Geistlehre sichtbar. Die Forschungsdebatte über die Schulzugehö-
rigkeit des Themistios knüpft hauptsächlich an letztere an und diskutiert
besonders den Gebrauch neuplatonischer Termini und die Parallelen zu Plotin da-
hingehend, ob Themistios’ Geistlehre neuplatonisch ist (so Ballériaux 1989 [*1027]
und 1994 [*1030]) oder nicht (Blumenthal 1990 [*994: 119f.], Schroeder, Todd 1990
[*755: 39], Todd 1996 [*918: 2, 10]; eine vermittelnde Position vertritt Schramm
2008 [*1032]). Offensichtlich hat Themistios Kenntnis des ‹De anima› betitelten
Traktats des Alexander von Aphrodisias, in dem die aristotelische Psychologie zu-
sammengefasst ist; ob dies auch für dessen Kommentar zu ‹De anima› gilt, ist un-
klar (Todd 1996 [*918: 1]).

3.1. Seelenlehre

Die Seelenlehre des Themistios scheint – anders als die Geistlehre – weitest­
gehend Aristoteles zu folgen. Das Hauptproblem aller Kommentatoren, welche
die aristotelische und die platonische Psychologie miteinander zu verbinden trach-
teten, besteht darin, dass Aristoteles die Seele, definiert als «die erste Entelechie
eines natürlichen Körpers, der potentiell Leben besitzt» (De an. 2,1, 412a27f.), of-
fensichtlich als Form ihres Körpers und daher unauflöslich von ihm denkt, wäh-
rend sie aus platonischer Sicht ablösbar und damit unsterblich sein muss (Blu-
menthal 1990 [*994: 116f.]). Themistios vertritt hier die aristotelische Position,
dass die individuelle inkorporierte Seele unabtrennbar vom Körper und damit
vergänglich ist, aber «nicht vergänglich schlechthin, sondern wie das Licht im Was-
ser» (In De an. 26,21–23; vgl. 43,21–27 Heinze): Die Seele, an sich selbst eins und
abgetrennt, fungiere wie die Sonne, die das Licht auf verschiedene Gegenstände,
wie beispielsweise Luft, Wasser, Stein, Holz, scheinen lässt und so auf verschie-
dene Weise erscheint, so ähnlich sei auch der Unterschied der abgetrennten Seele
und der jeweils verschiedenen und damit vergänglichen Inkorporation der Seele
(In De an. 25,35f.; 26,2–8 Heinze).
Weiter hält sich Themistios an die aristotelische Struktur der Seele und ihrer
einzelnen Vermögen, d. h. vegetative, sensitive und rationale Seele (In De an.
44,9–49,12 Heinze), und verteidigt die aristotelische Seelendefinition gegen Ein-
wände, dass sie nicht für jeden Seelenteil zutreffe (In De an. 48,19–34 Heinze).
Auch bei der Erklärung der niedrigeren Seelenvermögen besteht kaum eine Ab-
weichung von Aristoteles. Hinsichtlich der Wahrnehmung, nach Aristoteles das
«Aufnehmen der wahrgenommenen Formen ohne die Materie» (De an. 2,12,
424a18f.), vertritt Themistios – in Übereinstimmung mit Aristoteles und Alexan-
der von Aphrodisias (Sorabji 1991 [*1029: 232–235]) – deren Unkörperlichkeit (In
De an. 56,39–57,10; 77,28–78,18 Heinze). Gegen Alexander (De an. 58,2–5 Bruns)
betont er allerdings die Körperlichkeit der «Berührung» (ἁφή) durch den Tastsinn

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 419

(Them. In De an. 72,11–77,26 Heinze; vgl. Sorabji 1991 [*1029: 231f.]). Auch hin-
sichtlich des «Vorstellungsvermögens» (φαντασία) bleibt Themistios bei der aris-
totelischen Definition, wobei er hieran auch einige Abweichungen vornimmt (vgl.
Todd 1981 [*1026]).

3.2. Geistlehre

Themistios’ Geistlehre wird in einem Exkurs zu ‹De anima› 3,5 in seiner ‹De
anima›-Paraphrase entwickelt. Die von Aristoteles in diesem Kapitel formulierte
Dichotomie von «produktivem Geist» (νοῦς ποιητικός) und «passivem Geist»
(νοῦς παθητικός) interpretiert Themistios vor allem in Abgrenzung zu Alexander
von Aphrodisias, der den aktiven Geist mit dem Geist des aristotelischen Unbe-
wegten Bewegers aus ‹Metaphysik› 12 identifiziert (Alex. Aphr. De an. 89,1–11
Bruns), und nimmt einige neuplatonische Interpretamente auf. Er unterscheidet
– wie Alexander nach der 1. und 2. Stufe der Potentialität bzw. Aktualität – 1) den
potentiellen Geist (δυνάμει νοῦς), 2) den habituellen Geist (νοῦς ὁ καθ’ ἕξιν) und
3) den aktiven Geist (ἐνεργείᾳ νοῦς) bzw. den produktiven Geist (νοῦς ποιητικός).
Daneben führt er 4) den «gemeinsamen» oder «passiven» Geist (κοινὸς νοῦς, νοῦς
παθητικός) ein, der für ihn mit der Erinnerung, den Affekten und dem diskursi-
ven Denken verbunden ist (die Bezeichnung «gemeinsamer Geist» resultiert aus
einer Fehllektüre von De an. 1,4, 408b25–29). Seine Hauptthese ist: «Wir sind der
produktive Geist (νοῦς ποιητικός)» (Them. In De an. 100,37f. Heinze). Das be-
deutet nicht das jeweilige Individuum, sondern den kollektiven Geist, der aus der
gemeinsamen Artnatur des Menschen folgt. So unterscheidet Themistios zwischen
dem einzelnen «Ich» (ἐγώ), das aus potentiellem und aktivem Geist zusammen­
gesetzt ist, und dem allgemeinen «Ich-Sein» (τὸ ἐμοὶ εἶναι) bzw. dem Wesen des
Ich, d. h. dem produktiven bzw. aktiven Geist (In De an. 100,18–20 Heinze). Die
Unterscheidung von ‘Wir’ und ‘Wesen des Wir’ hat ihren Ursprung bei Plotin (I
1 [53] 10,5–15), Themistios modifiziert sie allerdings (Schramm 2008 [*1032: 186–
188]). Der produktive Geist wird als Einheit eines von allen Menschen geteilten
Geistes gedacht, der jedes Individuum überschreitet, weil es ansonsten kein ge-
meinsames Wissen und Verstehen, keine Erkenntnis und Lernen gäbe (Them. In
De an. 103,36–104,14 Heinze). Dieser «Mononoismus» (Merlan 1963 [*1022: 55f.])
ist die Voraussetzung der menschlichen Rationalität, an der alle Menschen teilha-
ben und deren selbständige Aktivierung eine «form of self-realization» (Schroe­
der, Todd 1990 [*755: 38f.]) darstellt. Der eine produktive Geist ist damit eine Art
«transcendance intérieure» (Ballériaux 1989 [*1027: 227]) des Menschen.
Das dianoetisch-diskursive Denken verteilt sich auf den potentiellen und den
passiven Geist. Den potentiellen Geist bezeichnet Themistios als «Vorläufer
(πρόδρομος) des produktiven Geistes», vergleichbar dem Verhältnis der Strahlen
der Sonne zum Licht oder der Blüte zur Frucht (In De an. 105,30–32 Heinze), oder
als ein «Schatzhaus» oder eine «Vielheit an Gedanken» (θησαυρὸς bzw. πλῆθος
τῶν νοημάτων) «wie eine Materie» (ὥσπερ ὕλη: In De an. 99,6–8. 21f. Heinze).
Der produktive Geist vollendet den potentiellen Geist, indem er, wie das Licht im
Hinblick auf das mögliche Sehen und die möglichen Farben, 1) den potentiellen

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420 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Geist zu einem aktuellen Geist und 2) die potentiell gedachten Inhalte – das sind
die immateriellen Formen – zu aktuell gedachten macht (In De an. 98,35–99,4
Heinze). So ist der potentielle Geist an sich selbst auch nicht zum diskursiven Den-
ken befähigt, sondern erst, wenn der produktive Geist mit dem potentiellen Geist
eins wird (In De an. 99,5–10 Heinze). Während für Themistios sowohl der poten-
tielle als auch der aktive Geist abtrennbar (In De an. 105,26–30 Heinze) und damit
unsterblich sind – für Alexander war es nur der aktive bzw. produktive Geist (Alex.
Aphr. De an. 90,13–20) –, ist einzig der passive Geist untrennbar vom Körper. Mit
Hilfe des passiven Geistes schließt Themistios die Kluft zwischen Körper und Geist.
Somit können körpergebundene psychische Vorgänge wie Erinnerungen oder Emo-
tionen, die zugleich auch vernunftgeleitet sind, erklärt werden wie auch der körper-
gebundene Anteil am diskursiven Denken, insofern dieses auf aus Erinnerungen
stammende «Vorstellungen» (φαντάσματα) rekurriert (Them. In De an. 113,14. 19f.
Heinze; vgl. Arist. De an. 3,7, 431a14–17). Damit unterscheidet sich Themistios deut-
lich von den späteren Neuplatonikern, die den νοῦς παθητικός mit der φαντασία
identifizieren (z. B. Prokl. In Eucl. 51,20–52,8 Friedlein; Philop. In De an. 6,1–5
Hayduck). Indem er den νοῦς παθητικός als νοῦς herausstreicht, nimmt er die Ver-
gänglichkeit in den Geist auf und betont die Einheit des menschlichen Geistes.

4. Metaphysik und Theologie

Themistios’ Aussagen zur Metaphysik finden sich in seiner Paraphrase zu Aris-


toteles’ ‹Metaphysik› 12. Das griechische Original ist verloren, erhalten sind einzig
eine hebräische und eine lateinische Übersetzung von 1255 bzw. 1558 (beide in
Landauer 1903 [*893]; zur Überlieferungsgeschichte vgl. Landauer 1903 [*893: V–
VII], Pines 1987 [*1038: 177f.]). Da Themistios somit nur die aristotelische Theo-
logie und nicht die der Ontologie gewidmeten Bücher der ‹Metaphysik› paraphra-
siert hat, bestand für ihn, ähnlich wie für die Neuplatoniker, der Hauptgegenstand
der ‹Metaphysik› vermutlich in der Theologie (Guldentops 2001 [*1039: 102–104]).
Der Ausgangspunkt seiner Paraphrase ist die aristotelische These, dass Gott,
der höchste Geist, nur sich selbst denkt, weil er als göttlichstes Wesen in der Welt
das Beste denkt, also sich selbst – sein Denken ist das «Denken des Denkens»
(νόησις νοήσεως: Arist. Metaph. 12,9, 1074b21–35). Themistios vertritt nun die
neuplatonische These, dass der aristotelische Gott qua Geist nicht nur sich selbst
denkt, sondern dass er, indem er sich selbst denkt, auch alle anderen intelligiblen
Dinge denkt, d. h. dass aus seinem Selbstdenken auch das Denken alles Seienden
folgt (vgl. Plot. IV 4 [28] 2,11; V 3 [49] 6,5–7; Pines 1987 [*1038: 187f.], Brague 1999
[*930: 37f.]). Das impliziert nach Themistios das Wesen, aber auch die Existenz
des Seienden: Gott denkt alle seienden Dinge in der Weise, «durch die sie sind»
(«quo sunt»), und in der Weise, «durch die er sie bestimmt hat, seiend zu sein»
(«quo ipse posuit ea entia esse»: In Metaph. 15, 23,19f. Landauer). Gott ist «erste
Ursache» (πρῶτον αἴτιον, prima causa: In Phys. 33,9 Schenkl; In Metaph. 12, 19,1
Landauer), die folgendermaßen bestimmt ist: Er ist «auf eine Weise das Seiende
selbst und auf eine andere dessen Chorführer» (πὼς μὲν αὐτὰ τὰ ὄντα ἐστί, πὼς

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 421

δὲ ὁ τούτων χορηγός: Them. In De an. 99,23–25 Heinze). Das heißt, er ist zugleich
die Form- und Finalursache sowie die Bewegungs- oder Wirkursache (In Metaph.
22, 34,15f. Landauer). Das widerspricht klar Aristoteles und auch Alexander, die
den Unbewegten Beweger zwar als Final- und Bewegungsursache der Welt, nicht
aber als Formursache des jeweiligen Seienden bestimmen.
Gott wird – wie gesagt – sogar mit platonischen Ausdrücken als das «Gute»
(ἀγαθόν) und die «erste Form oder Idee» (πρῶτον εἶδος) bezeichnet, dem «sich
alles, soweit ein jedes es vermag, anzugleichen (ὁμοιωθῆναι) bemüht» (In Phys.
33,9–11 Schenkl; In Metaph. 12, 18,39 Landauer), d. h. Gottes Denken der imma-
teriellen Formen bzw. Ideen bestimmt deren Sein und Wesen, und seine ewige Be-
wegung bewirkt und erhält die Bewegung in der sensiblen Welt, indem die Dinge
bzw. Formen dieser Welt in ihrer Unvollkommenheit zur Vollkommenheit Gottes
streben. Die Verbindung des göttlichen Selbstdenkens mit dem Denken der intel-
ligiblen Welt wird mit neuplatonischen Ausdrücken als «Hervorgang» aus sich
(provenire, πρόοδος) bzw. «Rückkehr zu sich» (convertere ad se, ἐπιστροφή) ge-
dacht (Schramm 2008 [*1032: 213f.]): Aus Gottes Denken «geht die Ordnung und
Regelmäßigkeit des Seienden hervor» («ordo et rectitudo entium proveniet»: In
Metaph. 13, 20,2–4 Landauer). Indem Gott die intelligiblen Formen «alle zu-
gleich» («omnia subito» = πάντα ὁμοῦ) denkt (In Metaph. 20, 32,1–4. 16–18 Lan-
dauer), «bringt» er alles Seiende «hervor» («producit»), und alles Seiende «ist das,
was er ist» (In Metaph. 16, 23,39–24,1 Landauer). Zugleich «wendet» sich Gottes
Denken im Denken der intelligiblen Formen «zu sich selbst zurück» («ad se con-
vertitur»: In Metaph. 22, 33,40–34,3 Landauer). Und auch das neuplatonische
Eine bzw. Gute scheint dem Geist Gottes einbeschrieben zu sein, da er explizit als
«das Gute» bzw. als die «erste, wahrhaft eine Substanz» bezeichnet wird (In Me-
taph. 12, 18,39; 19,5. 8 Landauer), und das Eine und Gute, das den Geist Gottes
durchdringt, aber «mehr» als dieser sei, ist laut Themistios dasjenige, wonach der
ganze Kosmos und jedes einzelne Seiende «strebt» (In Metaph. 22, 34,27–34; 23,
35,31–37; 26, 39,26–32 Landauer) – eine Argumentationsstrategie, die Themistios
von Porphyrios übernommen haben dürfte (vgl. Schramm 2013 [*1063: 207–209]).
Schließlich ist mit Blick auf Themistios’ politische Philosophie seine Bestim-
mung Gottes als «Gesetz» (νόμος, «lex») oder sogar als «lebendiges» oder «beseel-
tes Gesetz» (νόμος ἔμψυχος, «viva» bzw. «animata lex») von Bedeutung (In Me-
taph. 13, 19,39f.; 16, 24,1–4 Landauer), die sich weder bei Aristoteles noch bei den
Neuplatonikern finden lässt. Für eine Bestimmung Gottes als «Gesetz» kann auf
die Stoiker verwiesen werden (z. B. Zenon, SVF I, fr. 162; Chrysipp, SVF II, fr.
1077; vgl. Pines 1987 [*1038: 189]). Die Konzeption des «beseelten Gesetzes» ist
hingegen neupythagoreisch (z. B. Diotogen. 72,18ff. Thesleff), steht dort aber nur
auf den Herrscher bezogen, wie sie auch von Themistios in seinen Lobreden für
den Kaiser, zur Begründung von dessen Sonderstellung, verwendet wird (Or. 1,
15b3–8; 5, 64b4–c4; 16, 212d7f.). So wird in der ‹Metaphysik›-Paraphrase nicht
nur der Kaiser, sondern auch die gesamte Ämterhierarchie bis hin zur Stellung
der Untertanen immer wieder als Vergleich zur Verdeutlichung der kosmischen
Bewegungen herangezogen (z. B. In Metaph. 13, 19,29–36; 16, 24,3–13; 22, 34,33f.;
23, 35,20–31 Landauer; vgl. Schramm 2013 [*1063: 209–211]). Der Grund hierfür

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422 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

liegt in Themistios’ Vorstellung, dass die Politik theologisch begründet ist und die
im physikalischen Kosmos waltende göttliche Ordnung als Vorbild der politischen
Ordnung fungieren soll. Darin sieht er auch eine Übereinstimmung platonischer,
aristotelischer und stoischer Vorstellungen: Das Ziel der platonischen Philosophie
sei es, «die menschliche Politeia, soweit möglich, der Politeia des Alls nachzubilden»
(Or. 34,5). Aristoteles’ ganze Philosophie und jede seiner Abhandlungen sei auf das
«menschliche Gute» oder die Eudaimonie bezogen (Or. 34,6), und der aristoteli-
sche Unbewegte Beweger und die Gestirne würden praktische und politische Phi-
losophie betreiben, indem sie «die ganze Natur stabil und unversehrt in Ewigkeit
bewahren» (Or. 34,6; vgl. Schramm 2013 [*1063: 189, 191f.]). Schließlich wird der
ganze Kosmos in Übereinstimmung mit der Stoa als eine Götter und Menschen
gemeinsame kosmische Polis verstanden (vgl. Schramm 2013 [*1063: 212–214]).

5. Praktische Philosophie

Mit Aristoteles, aber auch den Mittel- und Neuplatonikern, die diese Einteilung
übernommen haben (vgl. O’Meara 2003 [*1060: 53f.]), teilt Themistios die prak-
tische Philosophie in Ethik, Ökonomie und Politik ein (Or. 26, 327a8–b6). Aus-
sagen zur Ökonomie finden sich bei ihm kaum – außer dass die einzige dem Phi-
losophen angemessene Freizeitbeschäftigung die Landwirtschaft sei, was bereits
sein Vater Eugenios praktiziert habe (vgl. Or. 30) –, dafür aber umso mehr zu
Ethik und Politik, hierzu vor allem in den Reden.

5.1. Ethik

Themistios’ Ansichten zur Ethik kommen hauptsächlich in zwei Diatriben zum


Ausdruck, nämlich einer ‹Über die Tugend› (Περὶ ἀρετῆς), die einzig in einer sy-
rischen Übersetzung aus dem 6. Jahrhundert überliefert ist (in Schenkl, Downey,
Norman 1974 [*897: 10–71, mit lateinischer Übersetzung], vgl. auch die erste Edi-
tion bei Sachau 1870 [*888], auf Deutsch übersetzt durch Gildemeister, Bücheler
1872 [*908]), und einer ‹Über Metriopatheia und die Kinderliebe› (Or. 32). In
‹Über die Tugend› stellt Themistios zunächst die tugendethischen Positionen des
Epikur, des Aristoteles und verschiedener Nachfolger des Sokrates (darunter Pla-
ton, die Stoiker und die Kyniker) vor: Er lobt ausdrücklich die Position der letz-
teren, die er so zusammenfasst, dass allein die Tugend das höchste Gut sei und
man der anderen Güter nicht bedürfe (Virt. 21, 442; 24f., 444; 28–31, 447–449 Gil-
demeister-Bücheler), schließt sich dann aber einer aristotelischen Position an, wo-
nach zur Ausübung der Tugend auch äußere Güter wie Besitz und Gesundheit
nötig seien (Virt. 38f., 455 Gildemeister-Bücheler) und die Tugend die Hexis sei,
seinen Besitz und seinen Körper «auf richtige Weise zu gebrauchen» (Virt. 40,
456,8–12 Gildemeister-Bücheler).
Die aristotelische Tugendtheorie wird auch deutlich in seinem Plädoyer für
μετριοπάθεια, dem kaiserzeitlichen Verständnis der aristotelischen μεσότης-Lehre
als genereller Mäßigung der Affekte bzw. ihrer Intensität (z. B. D. L. 5,31), und sei-

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 423

ner Ablehnung des stoischen Ideals der ἀπάθεια bzw. Affektlosigkeit. Affekte seien
nicht generell schlecht, sondern dienten u. a. der Selbsterhaltung (Or. 32, 360a1–8),
es komme lediglich darauf an, «im Maß» (ἐν τῷ μέτρῳ) zu bleiben (360a8f.) und sich
hinsichtlich seiner Affekte «von der Vernunft» (ὑπὸ τοῦ λόγου) leiten zu lassen
(360b4–9), um nach dem «Willen der Natur» (τὸ βούλημα […] τῆς φύσεως), d. h.
nach dem naturgegebenen Zweck eines jeden Affekts zu fragen und die vernunft-
gemäßen Affekte zu fördern und die vernunftwidrigen zu unterdrücken (360c2–d2).
Diese Position nimmt also – trotz der Ablehnung der stoischen ἀπάθεια – durchaus
einige stoische Termini und Vorstellungen auf, allerdings aristotelisch modifiziert,
was seine Quelle in Porphyrios’ Definition der politischen Tugend (Sent. 32,6–8)
haben dürfte (vgl. Schramm 2013 [*1063: 229–239, bes. 235–237]).

5.2. Politische Philosophie

Ein Gedanke, der sowohl mittel- als auch neuplatonische Ethiken auszeichnet,
nämlich dass die platonische «Angleichung an Gott (ὁμοίωσις θεῷ), soweit es mög-
lich ist» (Plat. Tht. 176b1), das höchste Gute sei, fehlt bei Themistios in den beiden
genannten tugendtheoretischen Traktaten, wird aber stets in den an die Kaiser ge-
richteten politischen Reden propagiert, und zwar als Ziel des kaiser­lichen Handelns
(z. B. Or. 2, 32d3–6 sowie b9–c3). Der Zentralbegriff der politischen Philosophie
des Themistios ist die Philanthropie, durch die der Kaiser – und zwar durch seine
hervorgehobene politische Stellung faktisch er als Einziger (Or. 19, 226d6f.) – die
Angleichung an Gott vollziehen kann. Der Philanthropiebegriff, der in klassischer
Zeit die Sorge der Götter für die Menschen meint und später immer mehr Ausdruck
einer zwischenmenschlichen Tugend, einer allgemeinen, in seiner guten Bildung be-
gründeten Menschenliebe (z. B. bei Plutarch) oder gar der griechischen Kultur über-
haupt wird, gehört spätestens seit Dion Chrysostomos (z. B. Or. 1,15–36) zum fes-
ten Kern der römischen Kaiserideologie (vgl. Downey 1957 [*1049: 271f.], Daly 1975
[*1055: 26f.], allgemein Hunger 1963 [*1050] und Hiltbrunner 1992 [*1057]).
Themistios knüpft an diese Kaiserideologie an, wenn er die Philanthropie ins
Zentrum seiner Reden an den Kaiser stellt – in den ‹Orationes› 1, 6 und 19 steht
die Philanthropie sogar im Titel der Rede –, gibt ihr aber eine ganz eigene Wen-
dung. Er verbindet die traditionellen Herrscherattribute ‘Philanthropie’ und
‘Gottähnlichkeit’ tugendethisch miteinander und gibt dem Philanthropiebegriff
so seine ursprüngliche theistische Bedeutung zurück (Daly 1975 [*1055: 31]), ohne
dass er als pagane Alternative zum christlichen Nächstenliebekonzept intendiert
gewesen ist (anders Downey 1955 [*1048] und 1957 [*1049]). Themistios gewinnt
seinen Philanthropiebegriff vielmehr in Anknüpfung an die philosophische, ins-
besondere die platonische Tradition: In Anlehnung an neuplatonische und aristo-
telische Termini schreibt er Gott die Attribute «Sein» (οὐσία), «Macht» (δύναμις)
und «Güte» (ἀγαθότης) zu (Or. 1, 8b6–9), die diesem in der Art der neuplatoni-
schen negativen Theologie in eigentlich unbegreiflicher, über das menschliche
Denken hinausgehender Weise zukommen (Schramm 2013 [*1063: 201–205]). Von
diesen kann der Mensch via Philanthropie nur an der Güte teilhaben, nicht am
ewigen Leben oder der übergroßen Machtfülle Gottes (Or. 6, 78d7–79b2).

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424 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

Die Philanthropie ist nun vornehmlich als Tugend bestimmt, und zwar als die
einzige Tugend, die der Mensch mit Gott gemeinsam hat, da keine der anderen
Tugenden, zum Beispiel Gerechtigkeit oder Tapferkeit, die ja stets auf menschliches
Handeln bezogen seien, mit Recht auf Gott übertragen werden könnten (Or. 1,
8a1–b6, vgl. Arist. EN 10,8, 1178b10–18 und Plot. I 2 [19] 1,10–21). Die Philan­
thropie ist ihrem Begriff nach aber keine eigene Tugend mit einem eigenen Hand-
lungsbereich wie die anderen Tugenden, sondern sie ist die im Kaiser sichtbare
vollkommene Ausprägung aller menschlichen Tugenden als Abbild der Güte bzw.
Philanthropie Gottes (vgl. Or. 1, 4b9–c1. 6a8–b4). Daher unterscheidet sich die
Philanthropie des Kaisers der Sache nach nicht von der politischen Tugend der
Untertanen, aber sehr wohl in der Sichtbarkeit und Wirksamkeit seiner Taten
(Schramm 2013 [*1063: 215–217]). Nach dem Wirkungskreis seiner Macht sind
dies vor allem Taten im Bereich Kriegsführung, Gerichtswesen, Religionsaus-
übung und öffentliche Armenfürsorge (vgl. Schramm 2013 [*1063: 219–228]). Für
den Untertan ist wie für den Kaiser die Angleichung an Gott das höchste tugend­
ethische Gut, aber sie ist für den Untertan im politischen Leben nur indirekt mög-
lich, indem er «nach dem Gesetz lebt», «den König nachahmt und auf dessen
Handlungsweise achtgibt» (In Metaph. 13, 20,8f. 23 Landauer), d. h. durch Anglei-
chung an den Kaiser. In seinem sozialen Leben ist auch dem einfachen Menschen
Philanthropie als allgemeine Menschenliebe möglich; denn mit einer stoischen
Vorstellung ist in der naturgegebenen Liebe zur Familie bereits die Grundlage für
das Wohlwollen allen Menschen gegenüber enthalten, und zwar wegen der Ver-
wandtschaft aller Menschen aufgrund der gleichen göttlichen Vernunft (Or. 6,
76c2–78b5; vgl. Schramm 2013 [*1063: 291–293]). Der Kaiser ist also nur in einem
rechtlich-politischen Sinne als Einziger philanthropisch, als soziale Wesen haben
alle Menschen potentiell Philanthropie oder im Wortsinne Freundschaft mit allen
anderen Menschen.
Im Mittelpunkt der politischen Philosophie des Themistios steht also weniger
die politische Handlung oder Tugend – mit Ausnahme jener des Kaisers – als viel-
mehr die Ordnung des Staates. Dieser ist – mit dem Kaiser als Mittlerinstanz zwi-
schen Gott und den Menschen – ein Bild der kosmischen Ordnung Gottes, die ge-
prägt ist durch Gerechtigkeit, Frieden und Güte (Or. 15, 188b5–189a7). Vorbild
für Themistios’ Theorie der politischen Ordnung ist Dion Chrysostomos, der pla-
tonische und stoische Vorstellungen miteinander verbindet, wenn er die irdische
und die himmlische Polis bzw. Königsherrschaft in eine kosmische Polis zusam-
mennimmt, die durch ein gemeinsames Gesetz und eine gemeinsame Ordnung
verbunden seien (Dion Chrys. Or. 1,42–45; 36,29–32; vgl. Schramm 2013 [*1063:
212–214]), oder auch Eusebios von Caesarea, der Dions Theorie der Königsherr-
schaft christlich adaptiert, indem er Christus und in dessen Nachahmung den Kai-
ser als Mittler zwischen Gott und Menschen ansieht (Eus. Laus. Const. 1,6–2,5;
3,5f.; vgl. Baynes 1955 [*1047], Calderone 1973 [*1054] und 1985 [*1056]; zur Frage
des idealen Herrschers vgl. auch Julians Antwort auf einen (verlorenen) Brief des
Themistios: Iul. Or. 6).
Ambivalent erscheint Themistios’ Verhältnis zum platonischen Philosophen-
königtum. Einerseits behauptet er in seinen Lobreden von fast jedem der von ihm

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 425

gelobten Kaiser, trotz ihrer realen Defizite, dass sie Philosophenkönige seien (zu
den Stellen vgl. Colpi 1987 [*998: 113]). Andererseits genüge es für den Kaiser,
dem Rat des Philosophen zu folgen, und so sei der Gehorsam gegenüber gutem
Rat (εὐπείθεια) – eine stoische Tugend (vgl. Zenon, SVF I, fr. 235) – für den Kai-
ser wichtiger als eigene theoretische Einsicht (Or. 8, 108c6–d6; 13, 171d4–6). Was
die Philosophen betrifft, verlangt Themistios entsprechend, dass sie nicht, wie Pla-
ton fordere, Könige sein sollten, sondern im Sinne des Aristoteles den Königen
als Berater zur Seite stehen (Or. 8, 107c2–6). Der Philosoph habe eine Pflicht zum
Ratgeben, es sei denn, sein Ratschlag sei nicht gefragt (Or. 8, 104b6–d9). Das Ver-
hältnis von Philosoph und König ist also komplementär: Der Philosoph und der
König haben dasselbe Ziel, nämlich den Menschen Gutes zu tun, aber nur der
Herrscher hat die Macht dazu (Or. 1, 9a7–c3; 2, 34b5–c4). Beide ahmen sie Gott
nach, der Philosoph durch «Rede und Wissen», der König durch «Handlung und
Tat» (Or. 2, 34b5–c4). Daher gehört zu den Aufgaben des Philosophen einerseits
die philosophische Beratung und Erziehung des Volkes und seines Herrschers,
andererseits die politische Herstellung von Frieden im Krieg und von Eintracht
im Volk (Virt. 44–47, 458–462 Gildemeister-Bücheler). Zwar schätzt Themistios
in der Philosophie die ‘vita activa’ höher als die ‘vita contemplativa’ (z. B. in sei-
nem Glückwunschschreiben an Kaiser Julian, der die Philosophenschule verlas-
sen und nun in Wettstreit mit den großen Politikern und Gesetzgebern der Ver-
gangenheit treten könne, vgl. Iul. Ep. ad Them. 253c–254a; 262d), anders als
originäre Neuplatoniker (O’Meara 2003 [*1060: 207]). Dennoch rangiert die po-
litische Philosophie für ihn vor der aktiven Politik aufgrund der Unveränderlich-
keit des theoretischen Wissens gegenüber der Veränderlichkeit und Zeitgebunden-
heit der politischen Handlung (Or. 31, 354a5–b4; vgl. Schramm 2013 [*1063:
187f.]). Trotz der realen Trennung zwischen aktiver Politik und ratgebender Phi-
losophie, die den verschiedenen Rollen des Philosophen und des Kaisers in der
Politik entspricht, bleibt also das Ideal, an dem sich Themistios’ politische Philo-
sophie ausrichtet, das des platonischen Philosophenkönigtums (vgl. Blumenthal
1990 [*994: 114], Schramm 2014 [*1064: 133f.]).

4. NACHWIRKUNG

Themistios galt im gesamten Mittelalter als verlässlicher Aristoteles-Interpret.


Besonders erfolgreich war er in Byzanz, wo Sophonias und Theodoros Metochites
seine Methode der Paraphrase adaptierten. Zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert
wurden Themistios’ Aristoteles-Paraphrasen ins Syrische, Hebräische, Arabische
und Lateinische übersetzt (Übersichten zu den arabischen Übersetzungen bei Peters
1968 [*774], zu den lateinischen bei Todd 2003 [*975]). Seine Einteilung und Liste
der Topoi der aristotelischen ‹Topik› wurde, vermittelt durch Boethius’ ‹De diffe-
rentiis topicis› (Diff. top. 2, 1186C–1194B), im lateinischen Mittelalter die Stan-
dardliste der Topoi (Green-Pedersen 1984 [*1080: 46–54]). In Averroes’ ‹Mittlerem
Kommentar› zu Aristoteles’ ‹Topik› sind einige Zitate des Themistios zu finden
(Kupreeva 2010 [*995: 401]). Seine ins Arabische übersetzte Paraphrase zu den

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426 III. Kaiserzeitlicher Aristotelismus

‹Analytica priora› war den wichtigsten arabischen Aristotelikern bekannt (Rose


1867 [*957: 206–208], Rosenberg, Manekin 1988 [*1006: 85 mit Anm. 9f.]). Die
darin oder in Exzerpten daraus vorkommende Dreiteilung des Notwendigkeits-
begriffs ist vermutlich die Quelle für entsprechende Einteilungen bei al-Fārābī,
Avicenna und Averroes (Rosenberg, Manekin 1988 [*1006: 86 mit Anm. 13]).
Auch die bei ihm aufgeführte Gelehrtendiskussion zur Interpretation der asser-
torischen Prämisse wird bei Averroes in vier verschiedenen Werken erwähnt (Ro-
senberg, Manekin 1988 [*1006: 87 mit Anm. 16]). Die Paraphrase zu den ‹Ana-
lytica posteriora› zirkulierte in einer arabischen Version von Abū Bišr, die später
von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt wurde (vgl. O’Donnell 1958
[*901], Peters 1968 [*774: 18]). Seine Paraphrase zur ‹Physik› wurde von den spä-
teren Kommentatoren Simplikios und Philoponos ausgiebig genutzt (Kupreeva
2010 [*995: 402 Anm. 18]) und war auch im arabischen Raum verbreitet (Peters
1968 [*774: 34]), zudem gab es eine syrische Übersetzung des ersten Buchs (Peters
1968 [*774: 30]). In der Übersetzung von Wilhelm von Moerbeke hat Thomas von
Aquin die ‹Physik›-Paraphrase benutzt und Themistios’ Lösungen zu Problemen
der aristotelischen ‹Physik› übernommen, beispielsweise hinsichtlich des Prob-
lems der Abhängigkeit der Zeit von der Seele oder des Orts des Kosmos im Gan-
zen (vgl. Todd 2003 [*921: 86 Anm. 187]). Seine ‹De anima›-Paraphrase wurde
positiv von Stephanos von Alexandrien rezipiert (Bormann 1982 [*1078: 18–20]).
Großen Einfluss übte seine Geisttheorie in der arabischen Philosophie und in
der lateinischen Scholastik aus. Im Zentrum der Rezeption stand die Frage nach
der Einheit oder Vielheit des Geistes. Averroes bezog sich in seinem großen, nur
auf Lateinisch erhaltenen ‹De anima›-Kommentar besonders auf Themistios als
Bestätigung für seine eigene Theorie von der Einheit des Geistes, wonach sowohl
der produktive als auch der materiale bzw. potentielle Geist ewig, unkörperlich
und für alle Menschen gleich ist. Die averroistische Geisttheorie wurde im
13. Jahrhundert Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen an der Pariser Uni-
versität. In seinem Traktat ‹De unitate intellectus contra Averroistas› argumen-
tierte Thomas von Aquin gegen die averroistische These von der Einheit des Geis-
tes und nahm dafür affirmativ Bezug auf die von Wilhelm von Moerbeke 1267
übersetzte ‹De anima›-Paraphrase des Themistios, wonach dieser einen einzigen
transzendenten produktiven Geist, nämlich den Gottes, und eine Vielheit von in-
dividuellen produktiven und potentiellen Geisten, die dem individuellen Menschen
immanent seien, angenommen habe (Wilpert 1935 [*1073: 459–461], Mahoney
1973 [*1077: 434–438]). Damit wurde für Thomas Aristoteles – in der Auslegung
des Themistios – ein Vorläufer der christlichen Vorstellung der Unsterblichkeit
der individuellen Seele (Sorabji in Todd 2003 [*921: VII]). Auch Siger von Brabant,
der Moerbekes Themistios-Übersetzung für seinen Traktat ‹De anima intellec-
tiva› benutzte und Themistios als Aristoteles-Kommentator dem Averroes vorzog,
sah in Themistios den Vertreter einer Vielheit der intellektiven mensch­lichen
Seele sowie des individuellen produktiven und potentiellen Geistes im Menschen
(Mahoney 1973 [*1077: 438–441]). Dank einer häufig nachgedruckten Renais-
sanceübersetzung von Themistios’ ‹De anima›-Paraphrase von Ermolao Barbaro
trug Themistios’ Geisttheorie zur Ausbildung eines neuplatonisch geprägten Aris-

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§ 40. Themistios (Bibl. 451–455) 427

totelismus im Italien des 16. Jahrhunderts bei, etwa bei Agostino Nifo, der The-
mistios und Simplikios als Vertreter der averroistischen These von der Einheit des
Geistes ansah und Thomas’ Gebrauch von Themistios als falsch zurückwies (Ma-
honey 1973 [*1077: 427] und 1982 [*1079: 170–173]).
Themistios’ Gottesbegriff hat einige der bekanntesten arabischen und jüdischen
Philosophen und damit indirekt auch die christlichen Scholastiker beeinflusst (vgl.
zum Folgenden Pines 1987 [*1038: 191–202], Brague 1999 [*930: 24–34]). Avicenna
übernahm in seinem Kommentar zu ‹Metaphysik› 12 und vor allem in seinem
‹Kitāb al-Šifā’› (‹Das Buch der Heilung›), in dem er die Lehren aus diesem Kom-
mentar näher ausführte und der durch seine lateinische Übersetzung im 12. Jahr-
hundert auch unter den Scholastikern Verbreitung fand, Themistios’ These, dass
Gott als erste Ursache sich selbst und dann alle Dinge der intelligiblen Welt denkt.
Averroes hingegen widersprach dieser These in seinem großen Kommentar zu
Aristoteles’ ‹Metaphysik›, weil die intelligiblen Dinge eine Vielheit darstellten und
daher nicht die Einheit der Essenz des göttlichen Geistes selbst ausmachen könn-
ten. Averroes’ Zeitgenosse Maimonides bezog in seinem Werk ‹Führer der Un-
schlüssigen›, das zum Lehrbuch aller mittelalterlichen jüdischen Philosophen
wurde, aus Themistios’ Kommentar zu ‹Metaphysik› 12 Argumente der positiven
Theologie, um seine eigene Konzeption einer negativen Theologie daran zu entwi-
ckeln. Bei Thomas von Aquin, der Themistios’ Argumente nur aus arabischer
Überlieferung kennen konnte, wirken an einigen Stellen seines Werks, wo er das
Wissen Gottes diskutiert, Themistios’ Argumente weiter (z. B. In Metaph. L. XII,
l. 11, n. 2615: Gott muss alle Dinge wissen, weil er deren Ursache ist).

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428

BIBLIOGRAPHIE ZUM DRITTEN KAPITEL

Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit (inkl. Ps-Aristoteles ‹De mundo›) [*1–*269];
Areios Didymos [*274–*309]; Nikolaos von Damaskus [*314–*333]; Beginn der Kommentierungstradition
[*339]; Alexander von Aigai [*345–*354]; Aspasios [*360–*383]; Adrastos [*389–*395]; Sosigenes [*401–
*412]; Herminos [*418–*422]; Aristokles von Messene [*428–*491]; Aristoteles von Mytilene [*497–*523];
Alexander von Aphrodisias [*529–*885]; Themistios [*886–*1081].

Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit


(inkl. Ps.-Aristoteles ‹De mundo›)

Überlieferung und Edition des ‹Corpus 13 A. Chatzis: Der Philosoph und Grammatiker
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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 428 25.09.18 09:25


Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit 429
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430 Bibliographie zum dritten Kapitel

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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 430 25.09.18 09:25


Überblick: Aristoteles und der Peripatos in der Kaiserzeit 431
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120 V. Caston: Epiphenomenalisms, Ancient and W. W. Fortenbaugh, E. Schütrumpf (New
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121 K. Clarke: In Search of the Author of Strabo’s 135 P. Lautner: Andronicus of Rhodes on
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liber, edited by J. Magee (Leiden 1998). ­études sur le ‹De motu animalium›, édité par
126 A. A. Long: Theophrastus and the Stoa, in: A. Laks, M. Rashed (Villeneuve d’Ascq
Theophrastus: Reappraising the Sources, 2004) 185–202.
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(Leiden 1998) 355–384. entre Andronicos et Alexandre. Vestiges
127 E. Puglia: Senarco di Seleucia nella ‹Storia ­a rabes et grecs inédits, in: Arabic Sciences
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128 J. Glucker: A Platonic Cento in Cicero, in: 141 J. Barnes: Peripatetic Logic: 100 BC – 200 AD,
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432 Bibliographie zum dritten Kapitel

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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 434 25.09.18 09:25


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251 J. Mejer: The Life of Lyco and the Life in the teric Works: Summaries and Commentaries,
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Fortenbaugh 1983 [*292: 3–13].
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Ausgabe von Stobaios. [*292: 41–65].
296 R. W. Sharples: The Peripatetic Classification
of Goods, in: Fortenbaugh 1983 [*292: 139–
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159].
274 H. Diels: Doxographi Graeci (Berlin 1879). – 297 D. E. Hahm: The Ethical Doxography of
Physikalische Fragmente. Arius Didymus, in: ANRW II 36,4 (1990)
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recensuit C. Wachsmuth (Berolini 1884). 298 F. Della Corte: Areio Didimo, Orazio e la
276 D. T. Runia: Additional Fragments of Arius dossografia d’età augustea, in: Maia 43 (1991)
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edit­ed by A. J. Pomeroy (Atlanta GA 1999). – Household and πόλις, in: RhM 145 (2002)
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324 H. J. Drossaart Lulofs: Aristotle, Bar und ihre Rezeption 16 (2006) 69–108.
Hebrae­us, and Nicolaus Damascenus on Ani- 331 S. Fazzo: Nicolas, l’auteur du ‹Sommaire de la
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Beginn der Kommentierungstradition

339 Aristoteles Graecus. Die griechischen Manu- London, heausgegeben, untersucht und be-
skripte des Aristoteles. I: Alexandrien bis schrieben von P. Moraux (Berlin 1976).

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 437 25.09.18 09:25


438 Bibliographie zum dritten Kapitel

Alexander von Aigai

Primärliteratur Sekundärliteratur

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mentaria›, edidit W. Stüve (Berolini 1900) 354 M. Rashed: «Boue pétrie de sang», in: Philo-
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347 Simplicius on Aristotle ‹On the Heavens 2.1–
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Aspasios

Primärliteratur 372 A. Alberti: Il volontario e la scelta in Aspasio,


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360 Aspasii ‹In ‘ethica nicomachea’ quae super­ 373 J. Barnes: An Introduction to Aspasius, in:
sunt comentaria›, edidit G. Heylbut (Berlin Alberti, Sharples 1999 [*371: 1–50].
1889) [CAG Supplementum Aristotelicum 374 E. Berti: Amicizia e “focal meaning”, in: Al-
19]. berti, Sharples 1999 [*371: 176–190].
361 Aspasius: On Aristotle, ‹Nicomachean 375 K. Ierodiakonou: Aspasius on Perfect and Im-
Ethics› 8, with Anonymous: Paraphrase of perfect Virtues, in: Alberti, Sharples 1999
Aristotle ‹Nichomachean Ethics› 8 and 9, and [*371: 142–161].
Michael of Ephesus: On Aristotle, ‹Nicoma- 376 D. Sedley: Aspasius on Akrasia, in: Alberti,
chean Ethics› 9, translated by D. Konstan Sharples 1999 [*371: 162–175].
(London 2001). 377 R. W. Sharples: Aspasius on Eudaimonia, in:
362 Aspasius: On Aristotle, ‹Nicomachean ethics› Alberti, Sharples 1999 [*371: 85–95].
1–4, 7–8, translated by D. Konstan (London 378 R. Sorabji: Aspasius on Emotion, in: Alberti,
2006). Sharples 1999 [*371: 96–106].
363 Aristotelis Stagiritae ‹Moralia Nicomachia› / 379 P. L. Donini: La giustizia nel medioplato-
Eustratius, Aspasius, Michael Ephesius et al. nismo, in Aspasio e in Apuleio, in: La ‹Re-
übersetzt von Johannes Bernardus Felicia- pubblica› di Platone nella tradizione antica, a
nus. Neudruck der Ausgabe Paris 1543 mit cura di M. Vegetti, M. Abbate (Napoli 1999)
einer Einleitung von D. A. Lines (Stuttgart/ 131–150.
Bad Cannstatt 2006) [CAG 11]. 380 F. Becchi: La nozione platonica e medioplato-
nica di ‘giustizia’, in: Prometheus 27 (2001)
222–232.
Sekundärliteratur 381 I. Kupreeva: Rezension zu Alberti, Sharples
1999 [*371], in: AncPhil 22 (2002) 219–225.
369 P. L. Donini: Tre studi sull’aristotelismo nel II 382 C. Natali: Aspasius on ‹Nicomachean Ethics
secolo d. C. (Torino 1974). 7›: an Ancient Example of ‘Higher Criti-
370 F. Becchi: Aspasio, commentatore di Aristo- cism’?, in: OSAPh 33 (2007) 347–367.
tele, in: ANRW II 36,7 (1994) 5365–5396. 383 A. Alberti: Il «volontario» e la «scelta» in As-
371 Aspasius: The Earliest Extant Commentary pasio, in: L’arte del vivere. Aspetti dell’etica
on Aristotle’s Ethics. Essays edited by A. Al- aristotelica ed epicurea, a cura di A. Alberti
berti, R. W. Sharples (Berlin 1999). (Genova 2008) 47–83.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 438 25.09.18 09:25


Sosigenes  439

Adrastos

389 E. Hiller: De Adrasti Peripatetici ‹In Platonis Cristante (Trieste 2006) [Incontri Triestini di
Timaeum commentario›, in: RhM 26 (1871) filologia classica 4] 315–334.
582–589. 393 F. M. Petrucci: Il ‹Commento al ‘Timeo’› di
390 B. Switalski: Des Chalcidius ‹Kommentar zu Adrasto di Afrodisia (2012) [DSTradF 23]
Plato’s Timaeus› (Münster 1902). 1–33.
391 R. W. Sharples: Aristotelian Theology after 394 Teone di Smirne: Expositio rerum mathema-
Aristotle, in: Traditions of Theology, edited ticarum ad legendum Platonem utilium, in­
by D. Frede, A. Laks (Leiden 2002) 1–40. troduzione, traduzione e commento a cura di
392 J. Delattre, D. Delattre: La ‘phantasía’ des F. M. Petrucci (Sankt Augustin 2012).
planètes dans la moyenne Antiquité, in: Phan- 395 F. M. Petrucci: Adrastus on Aristotle’s Cos-
tasia: Il pensiero per immagini degli antichi e mology. The Peripatetic Exegesis of ‹De
dei moderni. Atti del convegno internazio- caelo› and ‹Metaphysics› Lambda, in: Rhizo-
nale, Trieste, 28–30 aprile 2005, a cura di L. mata 3 (2015) 159–199.

Sosigenes

Primärliteratur 409 W. Knorr: Archimedes and the Pseudo-Eu­


clidean Catoptrics. Early Stages in the An­
401 Dexippus: On Aristotle ‹Categories›, transla- cient Geometric Theory of Mirrors, in:
ted by J. Dillon (London 1990). Archives Internationales d’Histoire des
402 Simplicius: On Aristotle ‹On the Heavens› ­Sciences 35 (1985) 28–105.
2.10–14, translated by I. Mueller (London 410 L. Zhmud: The Origin of the History of
2005). ­Science in Classical Antiquity (Berlin 2006).
411 A. C. Bowen: Simplicius on the Planets and
Their Motions: In Defense of a Heresy (Lei-
Sekundärliteratur den 2013).
412 L. Gili: La sillogistica di Alessandro di Afro-
408 P. Moraux: La joute dialectique d’après le hui­ disia (Hildesheim, Zürich 2014).
tième livre des ‹Topiques›, in: Aristotle on
Dia­lectic: The ‹Topics›. Proceedings of the
Third Symposium Aristotelicum, edited by G.
E. L. Owen (Oxford 1968) 277–312.

Herminos

418 H. Schmidt: De Hermino Peripatetico (Mar- 421 Commentators and Commentaries on


burg 1907). Aristot­le’s ‹Sophistici elenchi›. A Study of
419 H. von Arnim: Herminos (2), in: RE VIII 1 Post-Aristotelian Ancient and Medieval Writ-
(1913) 835. ings on Fallacies. I: The Greek Tradition,
420 G. Patzig: Die aristotelische Syllogistik. Lo- ­edited by S. Ebbesen (Leiden 1981).
gisch-philologische Untersuchungen über das 422 M. Griffin: The Reception of the ‹Categories›
Buch A der ‹Ersten Analytiken› (Göttingen of Aristotle, c. 80 BC to AD 220 (Diss. Ox-
1959, 31969). ford 2009). – Online publiziert.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 439 25.09.18 09:25


440 Bibliographie zum dritten Kapitel

Aristokles von Messene

Primärliteratur 452 G. Giannantoni: I Cirenaici. Raccolta delle


fonti antiche, traduzione e studio introduttivo
428 H. Heiland: Aristoclis Messenii reliquiae. (Firenze 1958).
(Diss. Giessen 1925). 453 Ph. De Lacy: Οὐ μᾶλλον and the Antecedents
429 M. L. Chiesara: Aristocles of Messene (Ox- of Ancient Scepticism, in: Phronesis 3 (1958)
ford 2001). 59–71.
454 F. Trabucco: Il problema del ‹De philosophia›
di Aristocle di Messene e la sua dottrina, in:
Sekundärliteratur Acme 11 (1958) 97–150.
455 F. Trabucco: La polemica di Aristocle di Mes-
435 P. J. Nuñez: Vita Aristotelis Peripateticorum sene contro Protagora e Epicuro, in: Atti
principis per Ammonium seu Philoponum, dell’Accademia delle Scienze di Torino 93
addita vetere interpretatione Latina longe (1958–1959) 473–515.
auctiore nunc primum ex MS edita, cum copi- 456 F. Trabucco: La polemica di Aristocle di Mes-
osis et eruditis scholiis (Leiden 1621). sene contro lo scetticismo di Aristippo e i Ci-
436 V. Rose: Aristoteles Pseudepigraphus (Leip- renaici, in: RSF 15 (1960) 115–140.
zig 1863). 457 Aristotele: Della Filosofia. Introduzione,
437 R. G. Hoche: Ἰωάννου Γραμματικοῦ Ἀλεξαν­ testo, traduzione e commento esegetico di M.
δρέως (τοῦ Φιλοπόνου) εἰς τὸ πρῶτον τῆς Untersteiner (Roma 1963).
Νικομάχου Ἀριθμητικῆς Εἰσαγωγῆς (Leipzig 458 L. G. Westerink: Deux commentaires sur Ni-
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438 I. Bywater: Aristotle’s Dialogue ‘On Philoso- REG 77 (1964) 526–535.
phy’, in: Journal of Philology 7 (1877) 64–87. 459 W. Haase: Ein vermeintliches Aristoteles-
439 V. Brochard: Les Sceptiques grecs (Paris Fragment bei Johannes Philoponos, in: Syn-
1887). usia. FS Wolfgang Schadewaldt, herausge-
440 H. Usener: Epicurea (Leipzig 1887). geben von H. Flashar, K. Gaiser (Pfullingen
441 J. Freudenthal: Aristokles (17), Freund des 1965) 323–354.
Proklos, in: RE II 1 (1896) 935. 460 P. Moraux: Aristoteles, der Lehrer Alexan­
442 A. C. Gercke: Aristokles (15), in: RE II 1 ders von Aphrodisias, in: AGPh 49 (1967)
(1896) 934–935. 169–182.
443 W. Schmid: Aristokles (19) von Pergamon, in: 461 G. A. Ferrari: Due fonti sullo scetticismo an-
RE II 1 (1896) 937. tico (Diog. Lae. IX,66–108; Eus., Praep. Ev.
444 G. Wentzel: Aristokles von Rhodos (18), in: XIV,18,1–20), in: SIFC 40 (1968) 200–224.
RE II 1 (1896) 935–937. 462 K. Gaiser: Platons ungeschriebene Lehre
445 M. Pohlenz: Das Lebensziel der Skeptiker, in: (Stuttgart 21968).
Hermes 39 (1904) 15–29. 463 L. Tarán: Asclepius of Tralles. Commentary
446 W. Jaeger: Aristoteles. Grundlegung einer to Nicomachus’ ‹Introduction to Arithmetic›
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447 E. Zeller: Die Philosophie der Griechen in 464 D. N. Sedley: Epicurus and his Professional
ihrer geschichtlichen Entwicklung. III,1: Die Rivals, in: Études sur l’épicurisme antique.
nacharistotelische Philosophie (Tübingen Textes réunis par J. Bollack, A. Laks (Lille
51923). 1976) 121–159.
448 E. Bignone: L’Aristotele perduto e la forma- 465 E. Berti: La critica allo scetticismo nel IV
zione filosofica di Epicuro (Firenze 1936). libro della ‹Metafisica›, in: Lo scetticismo an-
449 P. Moraux: Alexandre d’Aphrodise, exégète tico. Atti del convegno organizzato dal centro
de la noétique d’Aristote (Liège, Paris 1942). di studio del pensiero antico del C.N.R.,
450 A.-J. Festugière: La révélation d’Hermès Tris- Roma, 5–8 novembre 1980, a cura di G. Gian-
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451 I. Düring: Aristotle in the Ancient Biographi- 466 F. Decleva Caizzi: Pirrone, Testimonianze
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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 440 25.09.18 09:25


Aristoteles von Mytilene 441
467 G. A. Ferrari: L’immagine dell’equilibrio, in: 479 J. Brunschwig: Once again on Eusebius on
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468 G. Reale: Ipotesi per una rilettura della fi- trodore de Chio, in: Polyhistor. Studies in the
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antico. Atti del convegno organizzato dal cen- sophy. FS Jaap Mansfeld, edited by K. A.
tro di studio del pensiero antico del C.N.R., Algra, P. van der Horst, D. T. Runia (Leiden
Roma, 5–8 novembre 1980, a cura di G. Gian- 1996) 21–38.
nantoni (Napoli 1981) I 243–336. 481 T. Brennan: Pyrrho on the Criterion, in:
469 M. R. Stopper: Schizzi pirroniani, in: Phrone- ­AncPhil 18 (1998) 417–434.
sis 28 (1983) 265–297. 482 V. Tsouna: The Epistemology of the Cyrenaic
470 P. Moraux: Der Aristotelismus bei den Grie- School (Cambridge 1998).
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in: AGPh 67 (1985) 266–269. (2000) 140–164.
473 H. B. Gottschalk: Aristotelian Philosophy in 486 L. Castagnoli: Rezension zu Bett 2000 [*484],
the Roman World from the Time of Cicero to in: AncPhil 22 (2002) 443–457.
the End of the Second Century AD, in: 487 M. L. Chiesara: Enesidemo e i tropi in Aris­
ANRW II 36,2 (1987) 1079–1174. tocle di Messene, in: Acme 55 (2002) 33–56.
474 H. Ausland: On the Moral Origin of the Pyr- 488 G. E. Karamanolis: Plato and Aristotle in
rhonian Philosophy, in: Elenchos 10 (1989) Agree­ment? Platonists on Aristotle from An-
359–434. tiochus to Porphyry (Oxford 2006).
475 S. Follet: Aristoclès de Messine, in: DPhA I 489 J. Barnes: Peripatetic Epistemology: 100 BC–
(1989) 382–384. 200 AD, in: Greek and Roman Philosophy
476 S. Follet: Aristoclès de Pergame, in: DPhA I 100 BC–200 AD, edited by R. W. Sharples, R.
(1989) 384–385. Sorabji (London 2007) II 547–562.
477 R. Goulet: Aristoclès de Rhodes, in: DPhA I 490 H. Thorsrud: Ancient Scepticism (Stocksfield
(1989) 385–386. 2009).
478 R. Bett: Aristocles on Timon on Pyrrho. The 491 Aenesidemus of Cnossus: Testimonia, a cura
Text, its Logic, and its Credibility, in: OSAPh di R. Polito (Cambridge 2014).
12 (1994) 137–181.

Aristoteles von Mytilene

497 P. J. Nuñez: Vita Aristotelis Peripateticorum 500 P. Moraux: Aristoteles, der Lehrer Alexan­
principis per Ammonium seu Philoponum, ders von Aphrodisias, in: AGPh 49 (1967)
addita vetere interpretatione Latina longe 169–182.
auctiore nunc primum ex MS edita, cum copi- 501 Alexandre d’Aphrodise: Traité du destin,
osis et eruditis scholiis (Leiden 1621). texte établi et traduit par P. Thillet (Paris
498 E. Zeller: Die Philosophie der Griechen in 1984).
ihrer geschichtlichen Entwicklung. III,1: Die 502 P. Moraux: Der Aristotelismus bei den Grie-
nacharistotelische Philosophie (Tübingen chen von Andronikos bis Alexander von Aph-
51923). rodisias. II: Der Aristotelismus im I. und II.
499 Galeni de consuetudinibus, edidit J. M. Jh. n. Chr. (Berlin 1984) 399–425.
Schmutte (Leipzig, Berlin 1941) [CMG Suppl. 503 P. Accattino: Alessandro di Afrodisia e Aris-
3]. totele di Mitilene, in: Elenchos 6 (1985) 67–74.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 441 25.09.18 09:25


442 Bibliographie zum dritten Kapitel

504 P. Moraux: Ein neues Zeugnis über Aristote- 515 M. Geoffroy: La tradition arabe du ‹Περὶ νοῦ›
les, den Lehrer Alexanders von Aphrodisias, d’Alexandre d’Aphrodise et les origines de la
in: AGPh 67 (1985) 266–269. théorie farabienne des quatre degrés de
505 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias: l’intellect, in: Aristotele e Alessandro di Af-
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36,2 (1987) 1176–1243. D’Ancona, G. Serra (Padua 2002) 191–231.
506 R. W. Sharples: The School of Alexander?, in: 516 Simplicius on Aristotle ‹On the Heavens› 1.1–
Aristotle Transformed. The Ancient Com- 4, translated by R. J. Hankinson (London
mentators and their Influence, edited by R. 2002).
Sorabji (London 1990) 83–111. 517 Alessandro di Afrodisia: Commentario al
507 Two Greek Aristotelian Commentators on ‹De caelo› di Aristotele. Frammenti del
the Intellect. Introduction, translation, com- primo libro a cura di A. Rescigno (Amster-
mentary and notes by F. M. Schroeder, R. B. dam 2004).
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Anima 3.4–8), translated by W. Charlton don 2004).
(London 1991) [ACA]. 519 Alessandro di Afrodisia: ‹De anima› II (Man-
509 Alexander of Aphrodisias on Aristotle ‹Me- tissa). Premessa, testo rivisto, traduzione e
taphysics› 2 & 3, translated by W. Dooley note di P. Accattino (Alessandria 2005).
(London 1992) [ACA]. 520 R. W. Sharples: Peripatetics on Soul and In-
510 Alessandro di Afrodisia: ‹L’anima›. Tradu­ tellect, in: Sorabji, Sharples 2007 [*44: II 607–
zione, introduzione e commenti a cura di P. 620].
Accattino, P.-L. Donini (Bari 1996). 521 Averroes (Ibn Rushd) of Cordoba: Long
511 M. Rashed: A ‘New’ Text of Alexander on the Commentary on the ‹De anima› of Aristotle,
Soul’s Motion, in: Aristotle and After, edited translated and with Introduction and Notes
by R. Sorabji (London 1997) [BICS Suppl. 68] by R. C. Taylor (New Haven 2009).
181–196. 522 Peripatetic Philosophy, 200 BC – AD 200. An
512 J. Opsomer, R. W. Sharples: Alexander of Introduction and Collection of Sources in
Aphrodisias, ‹De intellectu› 110.4: «I heard Translation, edited by R. W. Sharples (Cam-
this from Aristotle». A modest proposal, in: bridge 2010).
CQ 50 (2000) 252–256. 523 R. W. Sharples: Peripatetics, in: The Cam-
513 Alessandro di Afrodisia: ‹De intellectu›. In­ bridge History of Philosophy in Late Anti-
troduzione, testo greco rivisto, traduzione e quity, edited by L. P. Gerson (Cambridge
commento di P. Accattino (Torino 2001). 2010) I 140–160.
514 C. Luna: Trois études sur la tradition des
commentaires anciens à la Métaphysique
d’Aristote (Leiden 2001).

Alexander von Aphrodisias

Ausgaben ‹Topica›
535 ‹Topica›, herausgegeben von M. Wallies (Ber-
lin 1891) [CAG 2,2].
Kommentare zu Aristoteles’ Werken
‹Metaphysik›
541 ‹Metaphysik›, herausgegeben von M. Hay-
‹Analytica priora›
duck (Berlin 1891) [CAG 1].
529 ‹Analytica priora›, herausgegeben von M. 542 Die durch Averroes erhaltenen Fragmente
Wallies (Berlin 1883) [CAG 2,1]. Alexanders zur ‹Metaphysik› des Aristoteles
untersucht und übersetzt von J. Freudenthal
(Berlin 1885; ND New York 1987).

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Alexander von Aphrodisias 443
‹De sensu› Alexandri de anima cum mantissa (Berlin
549 ‹De sensu›, herausgegeben von P. Wendland 1887) [CAG Supplementum Aristotelicum
(Berlin 1901) [CAG 3,1]. 2,1] 1–100.

‹Meteorologie› ‹De fato›


555 ‹Meteorologie›, herausgegeben von M. Hay- 599 De fato, herausgegeben von I. Bruns (Berlin
duck (Berlin 1899) [CAG 3,2]. 1892) [CAG Supplementum Aristotelicum
2,2] 164–212.
‹Analytica posteriora› 600 Alexander of Aphrodisias On Fate. Text,
translation, and commentary by R. W. Shar­
561 Le commentaire d’Alexandre d’Aphrodise
ples (London 1983). – Revidierter griechi-
aux ‹Seconds Analytiques› d’Aristote par P.
scher Text.
Moraux (Berlin 1979).
601 Alexandre d’Aphrodise: Traité du destin,
texte établi et traduit par P. Thillet (Paris
‹Physik›
1984). – Text mit französischer Übersetzung
567 E. Giannakis: Fragments from Alexander’s und Kommentar.
Lost Commentary on Aristotle’s ‹Physics›, in:
Zeitschrift für Geschichte der Arabisch-Isla- ‹De mixtione›
mischen Wissenschaften 10 (1995–1996) 157–
606 ‹De mixtione›, herausgegeben von I. Bruns
187.
(Berlin 1892) [CAG Supplementum Aristote-
568 M. Rashed: Alexandre d’Aphrodise, Commen-
licum 2,2] 213–238.
taire perdu à la ‹Physique› d’Aristote (livres
607 Alexander of Aphrodisias on Stoic Physics. A
IV–VIII). Les scholies byzantines. Édition,
Study of the ‹De mixtione› with Preliminary
traduction et commentaire (Berlin 2011).
Essays, Text, Translation and Commentary by
R. B. Todd (Leiden 1976). – Englische Über-
‹De caelo›
setzung mit Kommentar und griechischem
574 Alessandro di Afrodisia: Commentario al Text von Bruns 1892 [*606].
‹De caelo› di Aristotele. Frammenti del 608 Alexandre d’Aphrodise: Sur la mixtion et la
primo libro a cura di A. Rescigno (Amster- croissance (De mixtione). Texte établi, tra-
dam 2004). duit et commenté par J. Groisard (Paris 2013)
575 Alessandro di Afrodisia: Commentario al [CUF].
‹De caelo› di Aristotele. Frammenti del se-
condo, terzo e quarto libro, a cura di A. Res- ‹De principiis omnium›
cigno (Amsterdam 2008).
613 Alexander of Aphrodisias ‹On the Cosmos›,
edited by C. Genequand (Leiden 2001). –
‹De generatione et corruptione›
Einleitung, arabischer Text mit englischer
581 Le commentaire d’Alexandre d’Aphrodise, Übersetzung, Kommentar.
‹In De generatione et corruptione›, perdu en
grec, retrouvé en arabe dans Ǧabir ibn ‹De providentia›
Ḥayyān, Kitāb al-Taṣrīf. Édition, traduction
619 H.-J. Ruland: Die arabischen Fassungen von
annotée et commentaire par E. Gannagé
zwei Schriften des Alexanders von Aphrodi-
(Paris 1998).
sias. ‹Über die Vorsehung› und ‹Über das li-
berum arbitrium› (Saarbrücken 1976). – Text,
‹De anima›
deutsche Übersetzung und Kommentar.
587 P. Moraux: Alexandre d’Aphrodise, exégète 620 Alessandro di Afrodisia: ‹La Provvidenza›.
de la noétique d’Aristote (Liège, Paris 1942). Questioni sulla provvidenza a cura di S.
– Fragmente zum Intellekt. Fazzo, M. Zonta (Milano 1998). – Arabischer
Text sowie griechischer Text der Quaestiones
Opuscula 1,25 und 2,3. 19. 21 mit italienischer Überset-
zung und Anmerkungen.
621 Alexandre d’Aphrodise: ‹Traité de la provi-
‹De anima› dence›, ‹Περὶ προνοίας›. Version arabe de Abū
593 De anima, herausgegeben von I. Bruns, in: Bišr Mattä ibn Yūnus. Introduction, édition
Alexandri Aphrodisiensis scripta minora. I: et traduction de P. Thillet (Paris 2003). – Ara-

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444 Bibliographie zum dritten Kapitel

bischer Text mit französischer Übersetzung 649 ‹De anima libri mantissa›, herausgegeben von
und Kommentar (mit arabischem Text). I. Bruns (Berlin 1887) [CAG Supplementum
622 Ch. Riedweg: Alexander of Aphrodisias ‹De Aristotelicum 2,1] 101–186.
providentia›: Greek Fragments and Arabic 650 Alessandro di Afrodisia: De anima II (Man-
Versions, in: Culture in Pieces. Essays on An- tissa). Premessa, testo rivisto, traduzione e
cient Texts in Honour of Peter Parsons, edited note di P. Accattino (Alessandria 2005). –
by D. Obbink, R. Rutherford (Oxford 2011) Griechischer Text und italienische Überset-
277–301. – Neuedition der griechischen Frag- zung.
mente. 651 Alexander Aphrodisiensis ‹De anima libri
mantissa›, edited by R. W. Sharples (Berlin
‹De differentiis specificis› 2008). – Neue kritische Edition mit Einlei-
628 A. Badawi: Aristû ‘inda al-‘Arab (Cairo 1947) tung und Kommentar.
259–308. – Teile des arabischen Texts.
629 A. Dietrich: Die arabische Version einer un- ‹De intellectu› (‹Mantissa 2›)
bekannten Schrift des Alexander von Aphro- 657 ‹De intellectu›, herausgegeben von I. Bruns
disias über die differentia specifica, in: (Berlin 1887) [CAG Supplementum Aristote-
NAWG Nr. 2 (1964) 85–148. – Teile des arabi- licum 2,1] 106–122. – Griechischer Text.
schen Texts mit deutscher Übersetzung (122– 658 G. Théry: Autour du décret de 1210. II: Alex-
129 und 136–143) und Rückübersetzung ins andre d’Aphrodise. Aperçu sur l’influence de
Griechische. sa noétique (Le Saulchoir 1926) [Biblio-
630 M. Rashed: «Les parties de la substance sont thèque Thomiste 7] 69–83. – Lateinische Ver-
des substances», in: Rashed 2007 [*858]. – sion (ausgehend vom arabischen Text).
Französische Übersetzung mit Diskussion 659 J. Finnegan: Texte arabe du ‹Περὶ νοῦ›
der Quellen: 53–79, 104–117. d’Alexandre d’Aphrodise, dû à Ishaq ibn Ho-
nein, IXe siècle. Avec une introduction sur
‹Widerlegung von Galens Angriff auf die l’influence du Περὶ νοῦ dans le monde de la
Lehre des Aristoteles, dass alles, was sich be- pensée arabe, in: Mélanges de l’Université
wegt, von einem Beweger in Bewegung gesetzt Saint Joseph (Beirut) 33 (1955) 157–202.
wird› 660 Shurûh ‘alâ ’Aristû: Commentaires sur Aris-
636 The Refutation by Alexander of Aphrodisias tote perdus en grec et autres épîtres, publiés
of Galen’s Treatise on the Theory of Motion, et annotés par A. Badawi (Beirut 1971) 31–
translated from the Medieval Arabic Version, 42. – Andere arabische Version.
with an Introduction, Notes and an Edition of 661 Alessandro di Afrodisia: ‹De intellectu›. In­
the Arabic Text by M. Marmura, N. Rescher troduzione, testo greco rivisto, traduzione e
(Islamabad 1965). – Arabischer Text, engli- commento di P. Accattino (Torino 2001). –
sche Übersetzung und Kommentar. Griechischer Text mit italienischer Überset-
zung und Kommentar.
‹Über Zeit› 662 Alexander of Aphrodisias: Περὶ νοῦ, in:
642 Shurûkh ‘ala ’Aristû: Commentaires sur Aris- Sharples 2008 [*651]. – Neue kritische Text-
tote perdus en grec et autres épîtres, publiés ausgabe.
et annotés par A. Badawi (Beirut 1971) 19–
24. ‹Quaestiones et solutiones› / ‹Problemata
643 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias, On ethica›
Time, in: Phronesis 27 (1982) 58–81. – Engli- 667 Quaestiones et solutiones, herausgegeben von
sche Übersetzung: 59–67. I. Bruns (Berlin 1892) [CAG Supplementum
644 Du temps. Version latine faite sur l’arabe par Aristotelicum 2,2] 1–163.
Gérard de Crémone, édition et traduction par
P. Thillet (Paris 1984). Kürzere Abhandlungen, die in der arabischen
Tradition erhalten sind
673 J. van Ess: Über einige neue Fragmente des
Schulsammlungen und kürzere Abhandlungen
Alexander von Aphrodisias und des Proklos
in arabischer Übersetzung, in: Der Islam 42
‹De anima libri mantissa› (Supplement zu ‹De (1966) 148–168.
anima›)

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Alexander von Aphrodisias 445

Übersetzungen 700 Alessandro di Afrodisia e Pseudo-Alessandro,


Commentario alla ‹Metafisica› di Aristotele, a
cura di G. Movia (Milano 2007). – Enthält eine
italienische Übersetzung des Kommentars.
Kommentare zu Aristoteles
‹De sensu›
‹Analytica priora› 706 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle ‹On
679 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle Sense Perception›, translated by J. A. Towey
‹Prior Analytics 1.1–7›, translated by J. Bar- (London 2000).
nes, S. Bobzien, K. Flannery, K. Ierodiako-
nou (London 1991). ‹Meteorologie›
680 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle 712 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle ‹Me-
‹Prior Analytics 1.8–13› (with 1.17, 36b35– teorology 4›, translated by E. Lewis (London
37a31), translated by I. Mueller, J. Gould 1996). – Englische Übersetzung von Buch 4
(London 1999). des Kommentars.
681 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle
‹Prior Analytics 1.14–22›, translated by I. ‹De generatione et corruptione›
­Mueller, J. Gould (London 1999). 718 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle ‹On
682 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle Coming-to-Be and Perishing 2.2–5›,
‹Prior Analytics 1.23–31›, translated by I. translat­ed by E. Gannagé (Ithaca NY 2005).
­Mueller (London 2006). – Englische Übersetzung der aus der mittel-
683 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle alterlichen arabischen Quelle rekonstruierten
‹Prior Analytics 1.32–46›, translated by I. Fragmente.
Mueller (London 2006).

‹Topica› Opuscula
689 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle ‹To-
pics› 1, translated by J. M. van Ophuijsen ‹De anima›
(London 2001). 724 Alexandri Aphrodisiensis enarratio ‹De
anima› ex Aristotelis institutione, übersetzt
‹Sophistici elenchi›
von Hieronymus Donatus, mit einer Einlei-
690 Alexandri Aphrodisiensis quod fertur in Aris- tung von E. Kessler: Alexander von Aphrodi-
totelis Sophisticos elenchos commentarium, sias, Exeget der aristotelischen Psychologie
edidit M. Wallies (Berlin 1898) [CAG 2,3]. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts (Brescia
1495, Neudruck Stuttgart/Bad Cannstatt
‹Metaphysik› 2008) [CAGL 13]. – Lateinische Überset-
695 Ibn Rushd’s Metaphysics: a Translation with zung.
Introduction of Ibn Rushd’s Commentary on 725 A. P. Fotinis: The ‹De Anima› of Alexander
Aristotle’s ‹Metaphysics›, Book Lambda, by of Aphrodisias (Washington DC 1979). –
C. Genequand (Leiden ND 1984). Englische Übersetzung und Kommentar; un-
696 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle vollständig.
­‹Metaphysics 1›, translated by W. E. Dooley 726 Alessandro di Afrodisia: ‹L’anima›. Tradu­
(London 1989). zione, introduzione e commenti a cura di P.
697 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle Accattino, P.-L. Donini (Bari 1996). – Italie-
­‹Metaphysics 2 & 3›, translated by W. E. Doo- nische Übersetzung, Einleitung und Kom-
ley, A. Madigan (London 1992). mentar.
698 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle 727 Alexandre d’Aphrodise: De l’âme. Texte grec
­‹Metaphysics 4›, translated by A. Madigan introduit, traduit et annoté par M. Bergeron,
(London 1993). R. Dufour (Paris 2008).
699 Alexander of Aphrodisias: On Aristotle 728 Alexander of Aphrodisias: ‹On the Soul›: Part
­‹Metaphysics 5›, translated by W. E. Dooley I. Translation with Introduction and Com-
(London 1993). mentary by V. Caston (London 2012).

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446 Bibliographie zum dritten Kapitel

‹De fato› ‹De intellectu› (Mantissa 2)


733 Alexander of Aphrodisias: ‹On Fate›. Text, 755 Two Aristotelian Greek Commentators on
Translation and Commentary by R. W. Shar­ the Intellect: The ‹De Intellectu› attributed to
ples (London 1983). – Text, englische Über- Alexander of Aphrodisias and Themistius’
setzung und Kommentar. Paraphrase of Aristotle ‹De anima› 3.4–8. In-
734 Alexandre d’Aphrodise: Traité du destin. troduction, Translation, Commentary and
Texte établi et publié par P. Thillet (Paris Notes by F. M. Schroeder, R. B. Todd (To-
1984) [CUF]. ronto 1990). – Englische Übersetzung und
735 Alexander von Aphrodisias: ‹Über das Kommentar.
Schicksal›, übersetzt und kommentiert von A. 756 Alessandro di Afrodisia: ‹De intellectu›. In­
Zierl (Berlin 1995). – Deutsche Übersetzung troduzione, testo greco rivisto, traduzione e
mit griechischem Text. commento di P. Accattino (Torino 2001).
736 Alessandro di Afrodisia: ‹Sul Destino›. Intro- 757 Alexander of Aphrodisias: On Intellect, in:
duzione, traduzione e note di A. Magris (Fi- Sharples 2004 [*749: 24–44].
renze 1996). – Italienische Übersetzung mit
griechischem Text. ‹Quaestiones et solutiones›, ‹Problemata
737 Alessandro di Afrodisia: ‹Il Destino›, a cura ethica›
di C. Natali (Mailand 1996, St. Augustin 761 Alexander of Aphrodisias: Ethical Problems,
2
2009). – Italienische Übersetzung mit grie- translated by R. W. Sharples (London 1990).
chischem Text. 762 Alexander of Aphrodisias: Quaestiones 1.1–
738 Alejandro de Afrodisia: ‹Sobre el destino›, 2.15, translated by R. W. Sharples (London
‹De fato›. Introducción, traducción y notas de 1992).
J. M. Ayala, R. Salles (México 2009). – Spani- 763 Alexander of Aphrodisias: Quaestiones 2.16–
sche Übersetzung mit griechischem Text. 3.15, translated by R. W. Sharples (London
1994).
‹De mixtione›
743 F. Rex: Chrysipps Mischungslehre und die an
ihr geübte Kritik in Alexander von Aphrodi- Sekundärliteratur
sias’ ‹De mixtione›. Mit einer vollständigen
Übersetzung von Alexanders Schrift ‹Über 769 C. Brandis: Von den griechischen Auslegern
die Mischung und das Wachstum› (Frankfurt des Organons (Berlin 1833) [Abhandlungen
1966). – Deutsche Übersetzung mit Kommen- der Königlichen Akademie der Wissenschaf-
tar. ten zu Berlin].
744 Alexander of Aphrodisias on Stoic Physics. A 770 M. Wallies: Die griechischen Ausleger der
Study of the ‹De mixtione› with Preliminary aristotelischen ‹Topik› (Berlin 1891).
Essays, Text, Translation and Commentary by 771 S. Pines: Omne quod movetur necesse est ab
R. B. Todd (Leiden 1976). – Englische Über- aliquo moveri: A Refutation of Galen by
setzung mit Kommentar und griechischem ­Alexander of Aphrodisias and the Theory of
Text von Bruns 1892 [*606]. Motion, in: Isis 52 (1961) 21–54.
745 Alexandre d’Aphrodise: Sur la mixtion et la 772 P. Moraux: Alexander von Aphrodisias.
croissance (De mixtione). Texte établi, tra- Quaest. 2,3, in: Hermes 95 (1967) 159–169.
duit et commenté par J. Groisard (Paris 2013) 773 H. J. Blumenthal: Plotinus ‹Ennead› IV.3.20–
[CUF]. 21 and its Sources – Alexander, Aristotle and
Others, in: AGPh 50 (1968) 254–261.
774 F. E. Peters: Aristoteles Arabus: The Oriental
Schulsammlungen und kürzere Abhandlungen
Translations and Commentaries on the Aris-
totelian ‘Corpus’ (Leiden 1968).
‹De anima libri mantissa› (Supplement zu De 775 P. L. Donini: L’anima e gli elementi nel ‹De
anima) anima› di Alessandro di Afrodisia, in: Atti
749 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias: dell’Accademia delle Scienze di Torino,
Supplement to ‹On the Soul› (London 2004). Classe di scienze morali, storiche e filologiche
– Englische Übersetzung. 105 (1971) 61–107.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 446 25.09.18 09:25


Alexander von Aphrodisias 447
776 H. B. Gottschalk: Soul as Harmonia, in: 792 P. Thillet: Matérialisme et théorie de l’âme et
Phronesis 16 (1971) 179–198. de l’intellect chez Alexandre d’Aphrodise, in:
777 F. E. Peters: Harvest of Hellenism: A History RPhilos 106 (1981) 5–24.
of the Near East from Alexander the Great to 793 P. L. Donini: Le scuole, l’anima, l’impero: la
the Triumph of Christianity (New York 1971). filosofia antica da Antioco a Plotino (Torino
778 R. Sorabji: Aristotle, Mathematics and Co- 1982).
lour, in: CQ 22 (1972) 293–308. – Wieder in: 794 D. Frede: The Dramatisation of Determinism:
The Senses. Classic and Contemporary Philo- Alexander of Aphrodisias’ ‹De fato›, in: Phro-
sophical Perspectives, edited by F. Macpher- nesis 27 (1982) 276–298.
son (Oxford 2011) 64–82. 795 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias:
779 R. B. Todd: Alexander of Aphrodisias and the Problems about Possibility I, in: BICS 29
Alexandrian ‹Quaestiones› 2.12, in: Philolo- (1982) 91–108.
gus 116 (1972) 293–305. 796 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias on
780 R. B. Todd: The Stoic Common Notions: A Divine Providence: Two Problems, in: CQ 32
Re-Examination and Reinterpretation, in: (1982) 198–211.
SO 48 (1973) 47–75. 797 R. W. Sharples: An Ancient Dialogue on Pos-
781 R. B. Todd: Alexander of Aphrodisias, ‹De sibility: Alexander of Aphrodisias, ‹quaestio›
mixtione› 11, 226, 13: An emendation, in: 1.4, in: AGPh 64 (1982) 23–38.
Hermes 101 (1973) 278–282. 798 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias on
782 R. W. Sharples: Aristotelian and Stoic Con- the Compounding of Probabilities, in: LCM 7
ceptions of Necessity in the ‹De fato› of Alex­ (1982) 74–75.
ander of Aphrodisias, in: Phronesis 20 (1975) 799 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias
247–274. ‹On Time›, in: Phronesis 27 (1982) 58–81.
783 R. W. Sharples: Responsibility, Chance and 800 P. Thillet: Éléments pour l’histoire du texte
Not-being (Alexander of Aphrodisias ‹Man- du ‹De fato› d’Alexandre d’Aphrodise, in:
tissa› 169–172), in: BICS 22 (1975) 37–64. Revue d’histoire des textes 12 (1982) 13–56.
784 R. W. Sharples: Responsibility and the Possi- 801 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias:
bility of More than one Course of Action: A Problems about Possibility II, in: BICS 30
Note on Aristotle ‹De caelo› 2.12, in: BICS 23 (1983) 99–110.
(1976) 69–72. 802 R. W. Sharples: The Unmoved Mover and the
785 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias, Motion of the Heavens in Alexander of Aph-
‹De fato›: Some Parallels, in: CQ 28 (1978) rodisias, in: Apeiron 17 (1983) 62–66.
243–266. 803 M. M. Tweedale: Alexander of Aphrodisias’
786 Ch. Genequand: L’objet de la métaphysique Views on Universals, in: Phronesis 29 (1984)
selon Alexandre d’Aphrodisias, in: MH 36 279–303.
(1979) 48–57. 804 P. Accattino: Alessandro di Afrodisia e Aris-
787 R. W. Sharples: «If what is earlier, then of ne- totele di Mitilene, in: Elenchos 6 (1985) 67–
cessity what is later»?: Some Ancient Discus- 74.
sions of Aristotle, ‹De generatione et 805 R. W. Sharples: Ambiguity and Opposition:
corruptione› 2.11, in: BICS 26 (1979) 27–44. Alexander of Aphrodisias, ‹Ethical problems›
788 R. W. Sharples: Dr John Fell – Editor of Alex­ 11, in: BICS 32 (1985) 109–116.
ander of Aphrodisias?, in: LCM 4 (1979) 9–11. 806 R. W. Sharples: Species, Form and Inheri-
789 E. Montanari: Rezension zu Todd 1976 [*607], tance: Aristotle and After, in: Aristotle on
in: Annali della Scuola Normale Superiore di Nature and Living Things: Philosophical and
Pisa. Classe di Lettere e Filosofia 10 (1980) Historical Studies. FS David M. Balme, edit-
1438–1449. ed by A. Gotthelf (Pittsburgh 1985) 117–128.
790 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias’ 807 P. Accattino: Ematopoiesi, malattia cardiaca
Second Treatment of Fate? ‹De anima libri e disturbi mentali in Galeno e in Alessandro
mantissa›, pp. 179–186 Bruns, in: BICS 27 di Afrodisia, in: Hermes 115 (1987) 454–473.
(1980) 76–94. 808 H. J. Blumenthal: Alexander of Aphrodisias
791 A. C. Lloyd: Form and Universal in Aristotle in the Later Greek Commentaries on
(Liverpool 1981; mehrere Nachdrucke). Aristotle’s ‹De anima›, in: Aristoteles: Werk
und Wirkung. II: Kommentierung, Überliefe-
rung, Nachleben, herausgegeben von J. Wies-
ner (Berlin 1987) 90–106.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 447 25.09.18 09:25


448 Bibliographie zum dritten Kapitel

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tioni di coerenza, in: ANRW II 36,2 (1987) ‹Categories›, in: Phronesis 39 (1994) 69–89.
1244–1259. 823 A. R. Madigan: Alexander on Aristotle’s Spe-
810 P. L. Donini: Aristotelismo e indeterminismo cies and Genera as Principles, in: Aristotle in
in Alessandro di Afrodisia, in: Aristoteles: Late Antiquity, edited by L. Schrenk (Wash­
Werk und Wirkung. II: Kommentierung, ington DC 1994) 76–91.
Überlieferung, Nachleben, herausgegeben 824 R. W. Sharples: On Body, Soul, and Genera-
von J. Wiesner (Berlin 1987) 72–89. tion in Alexander of Aphrodisias, in: Apeiron
811 A. R. Madigan: Alexander of Aphrodisias, 27 (1994) 163–170.
The Book of Ethical Problems, in: ANRW II 825 G. Abbamonte: Metodi esegetici nel com-
36,2 (1987) 1260–1279. mento in Aristotelis Topica di Alessandro di
812 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias: Afrodisia, in: Seconda Miscellanea Filolo-
Scholasticism and Innovation, in: ANRW II gica, a cura di I. Gallo (Napoli 1995) [Univer-
36,2 (1987) 1176–1243. sità degli Studi di Salerno, Quaderni del
813 R. W. Sharples: Could Alexander (Follower of Dipartimento di Scienze dell’Antichità 17]
Aristotle) Have Done Better? A Response to 249–266.
Professor Frede and Others, in: OSAPh 5 826 P. Accattino: Generazione dell’anima in Ales-
(1987) 197–216. sandro di Afrodisia, ‹De anima› 2.10–11.13?,
814 P. Accattino: Alessandro di Afrodisia e la in: Phronesis 40 (1995) 182–201.
trasmissione della forma nella riproduzione 827 K. Flannery: Ways into the Logic of Alexan-
animale, in: Atti dell’Accademia delle der of Aphrodisias (Leiden 1995).
­Scienze di Torino, Classe di scienze morali, 828 M. Rashed: Alexandre d’Aphrodise et la
storiche e filologiche 122 (1988) 79–94. ‘Magna Quaestio’. Rôle et indépendance des
815 S. Fazzo: Alessandro di Afrodisia e Tolomeo: scholies dans la tradition byzantine du corpus
Aristotelismo e astrologia fra il II e il III se- aristotélicien, in: LEC 63 (1995) 295–351.
colo d. C., in: RSF 43 (1988) 627–649. 829 H. J. Blumenthal: Aristotle and Neoplatonism
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Alexander von Aphrodisias 449
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839 S. Fazzo: La versione araba del ‹Περὶ Mixture and Growth, in: OSAPh 27 (2004)
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26–28 mars 1998, edités par J. Hamesse 856 C. Natali: La deliberazione nel ‹De fato› di
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843 R. W. Sharples: Alexander of Aphrodisias mologie (Berlin 2007).
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phie antique: Problèmes, Renaissances, andre d’Aphrodise et Plotin, in: Études philo-
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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 449 25.09.18 09:25


450 Bibliographie zum dritten Kapitel

865 L. X. López Farjeat: La problemática del «τὸ 877 V. Cordonier: Du moyen-platonisme au néo-
ἐφ’ ἡμῖν/fa’il/agens» en Alejandro de Afrodi- platonisme: sources et postérité des argu-
sias y la tradición árabe-islámica, in: Nova ments d’Alexandre d’Aphrodise contre la
Tellus 26 (2008) 155–178. doctrine stoïcienne des mélanges, in: Plato,
866 R. W. Sharples: L’accident du déterminisme: Aristotle, or Both? Dialogues Between Plato-
Alexandre d’Aphrodise dans son contexte nism and Aristotelianism in Antiquity, edited
historique, in: Études philosophiques 86 by Th. Bénatouïl, E. Maffi, F. Trabattoni
(2008) 285–303. (Hildesheim 2011) 95–116.
867 M. Bonelli: Dialectique et philosophie premi- 878 P.-M. Morel: Cardiocentrisme et antiplato-
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Syrianus et la métaphysique de l’Antiquité d’Aphrodise, in: Plato, Aristotle, or Both?
tardive. Actes du colloque international, Uni- Dia­logues Between Platonism and Aristote­
versité de Genève, 29 septembre–1er octobre lianism in Antiquity, edited by Th. Bénatouïl,
2006, édités par A. Longo (Naples 2009) 423– E. Maffi, F. Trabattoni (Hildesheim 2011) 63–
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868 M. Bonelli: Alexandre d’Aphrodise et la 879 M. Rashed: Un corpus de logique anti-plato-
cause matérielle, in: Journal of Ancient Phi- nicienne d’Alexandre d’Aphrodise, in: Plato,
losophy 3 (2009) 1–17. Aristotle, or Both? Dialogues Between Plato-
869 V. Cordonier: De la transmission à la sympa- nism and Aristotelianism in Antiquity, edited
thie: Plotin et la désaffection du milieu per- by Th. Bénatouïl, E. Maffi, F. Trabattoni
ceptif (‹Enn.› IV, 5 [29]), in: Philosophie (Hildesheim 2011) 85–94.
antique 9 (2009) 35–69. 880 M. Bonelli: Aristotele e Alessandro di Afro-
870 J.-L. Labarrière: De «ce qui dépend de nous», disia (Questioni etiche e Mantissa): Metodo e
in: Études philosophiques 88 (2009) 7–26. oggetto dell’etica peripatetica (Napoli 2015)
871 A. Longo: La réécriture analytico-syllogis- [Elenchos 62].
tique d’un argument platonicien en faveur de 881 G. Guyomarc’h: L’unité de la métaphysique
l’immortalité de l’âme (Plat. Phaedr. 245C5– selon Alexandre d’Aphrodise (Paris 2015)
246A2): Alcinoos, Alexandre d’Aphrodise, [Textes et traditions 27].
Hermias d’Alexandrie, in: Philosophie an- 882 F. A. J. de Haas: The Human Body and its
tique 9 (2009) 145–164. ­Natural Environment: Aristotle, Alexander
872 M. Bonelli: Alexander of Aphrodisias on the of Aphrodisias and the Perceived Threat of
Science of Ontology, in: Interpreting Reductionism, in: ΣΩΜΑ. Körperkonzepte
Aristotle’s ‹Posterior Analytics› in Late Anti- und körperliche Existenz in der antiken
quity and Beyond, edited by F. de Haas, M. Philo­sophie und Literatur, herausgegeben
Leunissen, M. Martijn (Leiden 2010) 101– von T. Buchheim, D. Meissner, N. Wachs-
121. mann (Hamburg 2016) [Archiv für Begriffs-
873 I. Kupreeva: Alexander of Aphrodisias on geschichte, Sonderheft 13] 45–59.
Form: A Discussion of M. Rashed ‹Essentia- 883 M. di Giovanni, O. Primavesi: Who Wrote
lisme›, in: OSAPh 38 (2010) 211–249. Alexander’s Commentary on Metaphysics
874 I. Kupreeva: Aristotle on Causation and Con- Λʹ? New Light on the Syro-Arabic Tradition,
ditional Necessity: ‹An. Post.› 2.12 in Con- in: Aristotle’s ‹Metaphysics› Lambda – New
text, in: Interpreting Aristotle’s ‹Posterior Essays, edited by Ch. Horn (Berlin, Boston
Analytics› in Late Antiquity and Beyond, 2016) [PhdA 33] 11–66.
edit­ed by F. de Haas, M. Leunissen, M. Mar- 884 M. E. Kotwick: Alexander of Aphrodisias and
tijn (Leiden 2010) 203–234. the Text of Aristotle’s ‹Metaphysics› (Berke-
875 M. Rashed: Alexander of Aphrodisias on Par- ley 2016) [California Classical Studies 4].
ticulars and the Stoic Criterion of Identity, in: 885 O. Harari: Alexander against Galen on Mo-
Particulars in Greek Philosophy: the Seventh tion: A Mere Logical Debate?, in: OSAPh 50
S. V. Keeling Colloquium in Ancient Philoso- (2016) 201–236.
phy, edited by R. W. Sharples (Leiden 2010)
157–180.
876 M. Tuominen: Receptive Reason: Alexander
of Aphrodisias on Material Intellect, in:
Phronesis 55 (2010) 170–190.

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 450 25.09.18 09:25


Themistios 451

Themistios

Primärliteratur et A. F. Norman (Lipsiae 1974). – Standard-


ausgabe der Reden; enthält außerdem Frag-
886 Themistii orationes. Ex codice Mediolanensi mente (Περὶ ψυχῆς, griechisch, III 2–4; Περὶ
emendavit G. Dindorfio (Lipsiae 1832; ND φρονήσεως, griechisch, III 4f.) sowie in Über-
Hildesheim 1961). setzung überlieferte Texte (Περὶ ἀρετῆς, sy-
887 Themistii Paraphrases Aristotelis librorum risch mit lat. Übersetzung, III 9–71; Brief
quae supersunt, edidit L. Spengel, I–II (Lip- über den Staat, arabisch mit lat. Übersetzung,
siae 1866). III 73–119).
888 Themistius, Über Tugend, in: Inedita syriaca:
Eine Sammlung syrischer Übersetzungen von
Lateinisch
Schriften griechischer Profanliteratur. Mit
einem Anhang. Aus den Handschriften des Bri- 900 Thémistius: ‹Commentaire sur le traité ‘de
tischen Museums herausgegeben von E. Sachau l’âme’› d’Aristote, traduction de Guillaume
(Halle 1870; ND Hildesheim 1968) 17–47. de Moerbeke. Édition critique et étude sur
889 Themistii ‹In libros Aristotelis ‘De anima’ l’utilisation du commentaire dans l’œuvre de
Paraphrasis›, edidit R. Heinze (Berolini Saint Thomas par G. Verbeke (Louvain, Paris
1899) [CAG 5,3]. 1957) [Corpus Latinum Commentariorum in
890 Themistii ‹‘Analyticorum Posteriorum’ Para- Aristotelem Graecorum 1].
phrasis›, edidit M. Wallies (Berolini 1900) 901 Themistius’ ‹Paraphrasis of the ‘Posterior
[CAG 5,1]. Analytics’› in Gerard of Cremona’s Transla-
891 Themistii ‹In Aristotelis ‘Physica’ Paraphra- tion, edited by J. R. O’Donnell, in: Mediaeval
sis›, edidit H. Schenkl (Berolini 1900) [CAG Studies 20 (1958) 239–315.
5,2]. 902 Themistii libri paraphraseos […] Interprete
892 Themistii ‹In libros Aristotelis ‘De caelo’ Pa- H. Barbaro (Frankfurt a. M. 1978) [CAG,
raphrasis› hebraice et latine, edidit S. Lan­ Versiones Latinae 18]. – ND der Ausgabe von
dauer (Berolini 1902) [CAG 5,4]. Venedig 1499 mit einer Einführung des Her-
893 Themistii ‹In Aristotelis ‘Metaphysicorum’ ausgebers Ch. Lohr.
Librum Λ Paraphrasis› hebraice et latine, edi-
dit S. Landauer (Berolini 1903) [CAG 5,5].
Deutsch
894 Traktat des Themistios in Antwort auf Maxi-
mos über die Reduktion der zweiten und drit- 908 J. Gildemeister, F. Bücheler: Themistios ‹Περὶ
ten Figur auf die erste, in: A. Badawi: Aristū ἀρετῆς›, in: RhM 27 (1872) 438–462.
̔ inda’l-̔A rab: dirâsah wa nuṣûṣ ghair mans- 909 Die 34. Rede des Themistios (‹Περὶ τῆς
hûralt (Kairo 1947) 309–325. – Nur auf Ara- ἀρχῆς›). Einleitung, Übersetzung und Kom-
bisch erhalten; französische Übersetzung in: mentar von H. Schneider (Winterthur 1966).
A. Badawi: La transmission de la philosophie 910 Themistios: Staatsreden. Übersetzung, Ein-
grecque au monde arabe (Paris 1968) 166–180. führung und Erläuterungen von H. Leppin
895 Plaidoyer d’un Socratique contre le ‹Phèdre› und W. Portmann (Stuttgart 1998) [BGrL 46].
de Platon. XXVIe Discours de Thémistius.
Introduction, texte établi et traduit par H.
Englisch
Kesters (Louvain, Paris 1959).
896 Θεμίστιος: I. Εἰς τὸν αὑτοῦ πατέρα, II. 916 Themistius’ First Oration, translated with
Βασανίστης ἢ Φιλόσοφος (20. und 21. Rede). ­Introduction and Notes by G. Downey, in:
Überlieferung, Text und Übersetzung von S. GRBS 1 (1958) 49–69.
Oppermann (Göttingen 1962). 917 Two Greek Aristotelian Commentators on
897 Themistii orationes quae supersunt, I, recen- the Intellect. The ‹De Intellectu› attributed to
suit H. Schenkl, opus consummavit G. Dow- Alexander of Aphrodisias and Themistius’
ney (Lipsiae 1965); II, recensuit H. Schenkl, Paraphrase of Aristotle ‹De Anima› 3.4–8.
opus consummaverunt G. Downey et A. F. Introduction, Translation, Commentary and
Norman (Lipsiae 1971); III, recensuit H. Notes by F. M. Schroeder, R. B. Todd (To-
Schenkl, opus consummaverunt G. Downey ronto 1990).

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 451 25.09.18 09:25


452 Bibliographie zum dritten Kapitel

918 Themistius: On Aristotle ‹On the Soul›, trans- Antwort auf Maximos über die Reduktion
lated by R. B. Todd (London 1996) [ACA]. der zweiten und dritten Figur auf die erste›;
919 The Private Orations of Themistius, trans­ außerdem 329–333 die arabische Kurzfassung
lat­ed, annotated, and introduced by R. J. der hebräischen Übersetzung der Paraphrase
Penella (Berkeley 2000). – Übersetzung der zu ‹Metaphysik› Λ.
Reden 20–34. 951 An Arabic Translation of Themistius’ ‹Com-
920 Politics, Philosophy and Empire in the Fourth mentary of Themistios on Aristoteles ‘De
Century. Select Orations of Themistius, anima’›, edited by M. C. Lyons (London
translated with an introduction by P. Heather 1973).
and D. Moncur (Liverpool 2001). – Überset-
zung der Reden 1, 3, 5, 6, 14–17, 34.
921 Themistius: On Aristotle ‹Physics› 4, translat- Sekundärliteratur
ed by R. B. Todd (London 2003) [ACA].
922 Themistius: On Aristotle ‹Physics› 5–8, trans-
lated by R. B. Todd (London 2008) [ACA].
Textüberlieferung und Textgeschichte
923 Themistius: On Aristotle ‹Physics› 1–3, trans-
lated by R. B. Todd (London 2012) [ACA]. 957 V. Rose: Über eine angebliche Paraphrase des
Themistius, in: Hermes 2 (1867) 191–213.
958 R. Foerster: Andreas Dudith und die zwölfte
Französisch
Rede des Themistius, in: Neue Jahrbücher für
929 A. Badawi: Traité de Thémistius en réponse à das klassische Altertum, Geschichte und
Maxime au sujet de la réduction de la deu­ Deutsche Literatur und für Pädagogik 6
xième et la troisième figures à la première, in: (1900) 74–93.
Ders.: La transmission de la philosophie 959 O. Seeck, H. Schenkl: Eine verlorene Rede
­grecque au monde arabe (Paris 1968) 166–180. des Themistius, in: RhM 61 (1906) 554–566.
930 Thémistius: Paraphrase de la ‹Métaphysique› 960 W. Pohlschmidt: Quaestiones Themistianae
d’Aristote (livre lambda), traduit de l’hébreu (Münster 1908).
et de l’arabe, introduction, notes et indices 961 P. Shorey: Emendations of ‹Themistius’ Para-
par R. Brague (Paris 1999). phrase of Aristotle’s ‘Physics’›, in: CPh 3
931 Thémistios: ‹Discours› 6, introduction et tra- (1908) 447–449.
duction par J. Schamp, in: Miroirs de prince 962 H. Scholze: De temporibus librorum Themis-
de l’Empire romain au IVe siècle. Anthologie tii (Göttingen 1911).
éditée par D. O’Meara, J. Schamp (Fribourg, 963 H. F. Bouchery: Contribution à l’étude de la
Paris 2006) 173–251. chronologie des discours de Themistius, in:
AC 5 (1936) 191–208.
964 M. C. Lyons: An Arabic Translation of the
Italienisch
Commentary of Themistius, in: Bulletin of
937 Temistio: ‹Parafrasi dei libri di Aristotele the School of Oriental and African Studies 17
‘sull’anima’›. Traduzione di V. de Falco (1955) 426–435.
(Padua 1965). 965 R. M. Frank: Some Textual Notes on the Ori-
938 Temistio: Discorsi. A cura di R. Maisano (To- ental Versions of Themistius’ ‹Paraphrase of
rino 1995). – Text und italienische Überset- Book I of the ‘Metaphysics’›, in: Byrsa 8
zung. (1958/59) 215–230.
966 C. Steel: Des commentaires d’Aristote par
Thémistius?, in: Revue philosophique de
Spanisch
Louvain 71 (1973) 669–680.
944 Temistio: Discursos políticos. Introducción, 967 H. Gätje: Bemerkungen zur arabischen Fas-
traducción y notas de J. Ritoré Ponce (Ma- sung der Paraphrase der aristotelischen
drid 2000). Schrift ‹Über die Seele› durch Themistius, in:
Der Islam 54 (1977) 272–291.
968 H. J. Blumenthal: Photius on Themistios
Arabisch
(Cod. 74): Did Themistios Write Commen­
950 A. Badawi: Aristū ̔ inda’l-̔A rab: dirâsah wa taries on Aristotle?, in: Hermes 107 (1979)
nuṣûṣ ghair manshûralt (Kairo 1947). – Ent- 168–182.
hält 309–325 den ‹Traktat des Themistios in

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 452 25.09.18 09:25


Themistios 453
969 G. M. Browne: Ad Themistium Arabum, in: 994 H. J. Blumenthal: Themistius: the Last Peripa-
Illinois Classical Studies 11 (1986) 223–245. tetic Commentator on Aristotle?, in: Aristotle
970 O. Ballériaux: Le Μετριοπαθὴς ἢ φιλότεκνος Transformed. The Ancient Commentators
(Discours XXXII de Thémistius), in: Byzan- and their Influence, edited by R. Sorabji
tion 58 (1988) 22–35. ­(London 1990) 113–123. – Zuerst erschienen
971 J. Vanderspoel: The ‘Themistius Collection’ in: Arktouros. Hellenic Studies presented to
of Commentaries on Plato and Aristotle, in: B. M. Knox, edited by G. W. Bowersock et al.
Phoenix 43 (1989) 162–164. (Berlin, New York 1979) 391–400.
972 M. Capone Ciollaro: Osservazioni sulla 995 I. Kupreeva: Themistius, in: The Cambridge
‹Para­f rasi di Temistio al ‘De anima’› Aristo- History of Philosophy in Late Antiquity,
telico, in: Esegesi, parafrasi e compilazione in edit­ed by L. P. Gerson (Cambridge 2010)
età tardoantica, a cura di C. Moreschini (Na- I 397–416, II 1065–1074.
poli 1995) 79–92.
973 R. B. Todd: An Inventory of the Greek Ma-
Lehre
nuscripts of Themistius’ Aristotelian Com-
mentaries, in: Byzantion 67 (1997) 268–276. 996 F. Schemmel: Die Hochschule von Konstanti-
974 G. M. Browne: Ad Themistium Arabum 2, in: nopel im IV. Jahrhundert p. Ch. n., in: Neue
Illinois Classical Studies 23 (1998) 121–126. Jahrbücher für das klassische Altertum, Ge-
975 R. B. Todd: Themistius, in: Catalogus Trans- schichte und deutsche Literatur und für Päda­
lationum et Commentariorum: Medieval and gogik 22 (1908) 147–168.
Renaissance Latin Translations and Com- 997 R. Maisano: La paideia del logos nell’opera di
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14. Jh., von Exzerpten aus Themistios’ Para-
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03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 453 25.09.18 09:25


454 Bibliographie zum dritten Kapitel

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12 (1994) 171–200.
Naturphilosophie und Kosmologie 1031 S. M. Bay: Toward a New Edition of Themis-
1014 C. Trifogli: Il luogo dell’ultima sfera nei tius’ ‹Paraphrase of Aristotls’s ‘De anima’›
commenti tardo-antichi e medievali a ‹Phy- (Urbana-Champaign 2004). – Dissertation
sica› IV,5, in: Giornale critico della filosofia University of Illinois.
italiana 9 (1989) 144–160. 1032 M. Schramm: Göttliches und menschliches
1015 D. Henry: Themistius and Spontaneous Ge- Denken bei Themistios, in: RhM 151 (2008)
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1023 S. B. Martin: The Nature of the Human In- 1040 G. Guldentops: Themistius on Evil, in: Phro-
tellect as it is Expounded in Themistius’ ‹Pa- nesis 46 (2001) 189–208.
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in: The Quest for the Absolute, edited by F. Praktische Philosophie
J. Adelmann (Boston 1966) 1–21. 1046 V. Valdenberg: Discours politiques de Thé-
1024 B. C. Bazán: La noética di Temistio (c. 320– mistius dans leur rapport avec l’antiquité, in:
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1025 P. Moraux: Le ‹De Anima› dans la tradition Empire, in: Byzantine Studies and Other Es-
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tion du traité, de Théophraste à Thémistius, migliano (London 1955) 168–172. – Zuerst
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1026 R. B. Todd: Themistius and the Traditional Christ, in: Historia 4 (1955) 199–208.
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tasia, in: Acta Classica 24 (1981) 49–59. Hellenism in the Fourth Century, in: HThR
1027 O. Ballériaux: Thémistius et l’exégèse de la 50 (1957) 259–274.
noétique aristotélicienne, in: Revue de phi- 1050 H. Hunger: ΦΙΛΑΝΘΡΩΠΙΑ. Eine griechi-
losophie ancienne 7 (1989) 199–233. sche Wortprägung auf ihrem Wege von Ais-
1028 H. J. Blumenthal: Nous pathētikos in Later chylos bis Theodoros Metochites, in:
Greek Philosophy, in: Aristotle and the AAWW 100 (1963) 1–20.
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H. Robinson (Oxford 1991) [OSAPh Suppl.] l’œuvre de Thémistios, in: REG 79 (1966)
191–205. XIII.
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in: Travaux et Mémoires, Centre de re­

03_3 Kaiserzeitlicher Aristotelismus Biblio.indd 454 25.09.18 09:25


Themistios 455
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rausgegeben von O. Brehm, S. Klie (Bonn und Umbildung der aristotelischen Lehre
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1059 Th. Gerhardt: Philosophie und Herrscher- phil.-hist. Klasse 1936, Nr. 4]. – Wieder in:
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6–8 de noviembre de 2003, editado por M. Thomas, Siger of Brabant and Henry Bate),
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taries on Aristotle’s and Boethius’ ‹Topics›
(München, Wien 1984).
Wirkungsgeschichte
1081 J. Watt: From Themistius to al-Fārābī: Platon-
1070 L. Méridier: Le philosophe Thémistios de- ic Political Philosophy and Aristotle’s Rhet­
vant l’opinion de ses contemporains (Rennes oric in the East, in: Rhetorica 13 (1995)
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Viertes Kapitel

Philosophiegeschichtsschreibung,
Doxographie und Anthologie

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§ 41. Allgemeines

Tiziano Dorandi

Die philosophische Literatur der Kaiserzeit charakterisiert sich durch ein


l­ebendiges Interesse an der Biographie berühmter griechischer Denker und an
ihren Lehren, die in kompakten und mitunter vereinfachten Zusammenfassungen
dargelegt werden. Das Werk ‹Leben und Lehre berühmter Philosophen› des
­Diogenes Laertios (erste Hälfte des 3. Jh.s n. Chr.) ist das bedeutsamste und um-
fassendste Erzeugnis dieser Literaturgattung. In den zehn Büchern der ‹Leben›
knüpft Diogenes an die (im Hellenismus blühende) Tradition der ‹Abfolgen der
Philosophen› (Διαδοχαὶ τῶν φιλοσόφων) an und skizziert Biographien der meis-
ten Vertreter der griechischen philosophischen Kultur, die bis zum 1. Jahrhundert
v. Chr. gelebt haben; er gliedert sie in eine Form von Lehrer-Schüler-Abfolgen,
mit dem Begründer der jeweiligen Schule am Anfang. In den ‹Leben› teilt Dio­
genes in singulärer Weise die philosophischen Schulen in zwei große Strömungen
ein: in die ionische (Bücher 1–7) und die italische Philosophie (Bücher 8–10). Die
erste Strömung fängt mit Thales an und setzt sich bis zur Stoa in einer Serie von
Zwischenstufen fort, die von Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras bis zu
­Sokrates und den Sokratikern reichen; zu Letzteren werden auch Platon und
­dessen Nachfolger bis Kleitomachos sowie Aristoteles mit den Mitgliedern des
­Peripatos bis Demetrios und Herakleides Pontikos gezählt. Es folgen die Kyniker,
die über Antisthenes und Diogenes von Sinope auf die Sokratik zurückgehen, und
die Stoi­ker von Zenon von Kition zumindest bis Chrysipp von Soloi. Die zweite
Strömung beginnt mit Pythagoras und geht mit Empedokles, den Pythagoreern
und Eudoxos weiter. Darauf folgen die sogenannten alleinstehenden Philosophen
(οἱ σποράδην): Heraklit und Xenophanes zusammen mit Parmenides, Melissos,
Zenon von Elea, Leukipp, Demokrit, Protagoras, Diogenes von Apollonia,
­Anaxarchos, Pyrrhon von Elis und Timon von Phleius. Mit derselben Strömung
wird schließlich der Epikureismus verbunden.
Ein anderes typisches Merkmal von Diogenes’ ‹Leben› ist die konstante Wieder-
kehr umfangreicher doxographischer Abschnitte, d. h. von mehr oder weniger aus-
führlichen Zusammenfassungen der Lehren der wichtigsten Philosophen oder phi-
losophischen Schulen: der Kyrenaiker, Platons, Aristoteles’, der Kyniker, der Stoiker,
der Pyrrhoneer und Epikurs. Unter diesen Abschnitten ragt jener über Epikur heraus.
In der langen Lebensbeschreibung des Philosophen, die das gesamte zehnte Buch
ausfüllt, gibt Diogenes, zum ersten und einzigen Mal in seinem Werk, neben einem
kurzen, in zwei Abschnitte aufgeteilten doxographischen Bericht (§ 28–34: über die
Kanonik; § 117–121: über den Weisen und dessen Eigenschaften) auch drei lange
Lehrbriefe ungekürzt wieder, die Epikur an drei seiner Schüler gerichtet hat (an He-
rodot [§ 35–83: über die Physik], Pythokles [§ 84–116: über die himmlischen Phäno-
mene] und Menoikeus [§ 122–135: über die Ethik]), außerdem eine Sammlung von
vierzig ‹Hauptlehrsätzen› (§ 139–154: Κύριαι δόξαι). Wahrscheinlich geht die ein-
zigartige und eigentümliche Strukturierung, die biographische und doxographische

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460 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

Elemente vermischt, auf Diogenes selbst zurück und stellt die wichtigste Innovation
seiner Geschichte der griechischen Philosophie dar.
Einige Jahrhunderte später, in einem ganz anderen geographischen Gebiet und
mit ganz anderen Absichten, verfasste Iohannes Stobaios (5. Jh. n. Chr.) ein ‹Antholo-
gion› betiteltes Werk in vier Büchern, das ebenfalls von großer Wichtigkeit für die
Vermittlung einiger Aspekte und Momente des antiken Denkens ist. Stobaios’ ‹An-
thologion›, wie das ‹Gastmahl der Gelehrten› (Δειπνοσοφισταί) von Athenaios aus
Naukratis (Ende des 2. – Anfang des 3. Jh.s), ist ein Werk, das für sich in seiner Ein-
heit und Struktur betrachtet werden muss, indem man den Zielen, die der Verfasser
sich gesetzt hatte, Rechnung trägt und es nicht bloß als einen ‘Behälter’ für Schrif-
ten anderer auffasst. Das ‹Anthologion› ist an Stobaios’ Sohn Septimios gerichtet
und seiner Erziehung gewidmet. Es wurde durch byzantinische Handschriften in
einer teilweise gekürzten und umgearbeiteten Form überliefert. Eine Vorstellung
von der Struktur und den Inhalten der ursprünglichen Fassung des ‹Anthologion›
lässt sich durch die Zusammenfassung gewinnen, die Photios (810–891) im cod. 167
seines ‹Myriobiblon› (auch ‹Bibliotheke› genannt) liefert. Gemäß Photios gliederte
sich das erste Buch, nach einem Proömium, in zwei Teile. Es enthielt eine Lobrede
auf die Philosophie und eine Liste der verschiedenen philosophischen Schulen; dann
folgten Kapitel über metaphysische und physische ­Themen. Das zweite Buch behan-
delte die Dialektik, die Rhetorik, die Mantik und andere ethische Fragen. Das dritte
war der Tugend und Untugend gewidmet. Das vierte beschäftigte sich besonders mit
der Politik und der häuslichen Verwaltung. Photios bietet auch eine nach literari-
schen Gattungen alphabetisch geordnete Liste der von Stobaios zitierten Autoren:
Es sind dies Philosophen, Dichter, Rhetoren, Historiker, Könige, Generäle und
Ärzte – insgesamt eine eindrückliche Zahl von fast fünfhundert Namen.
Zwar sind die Werke des Diogenes Laertios und des Iohannes Stobaios bezüg-
lich Struktur, Inhalt und Zweck verschieden, doch geben beide eine konkrete Vor-
stellung von bestimmten Aspekten der Rezeption und Verwendung der griechi-
schen Philosophie der Kaiserzeit. Diogenes’ ‹Leben› und Stobaios’ ‹Anthologion›
repräsentieren zwei verschiedene, aber parallele Arten der Lektüre und Überlie-
ferung der Klassiker des griechischen Denkens. Diese Bücher waren wahrschein-
lich an ein breiteres Publikum gerichtet, das weniger Vorbildung besaß als jenes,
für das die monographischen Werke über einzelne philosophische Fragen oder die
langen und gelehrten Kommentare der Neuplatoniker zu Platons Dialogen und
Aristoteles’ Traktaten gedacht waren; ein Publikum freilich, das stets nach ver-
gangenem Wissen suchte. Als solche verdienen beide Werke eine eigene Behand-
lung, die ihre Inhalte herausstellt, ihre Charakteristiken bestimmt und ihre Wich-
tigkeit für die moderne Historiographie der antiken Philosophie würdigt.
Das vorliegende Kapitel ist parallel zu den Abschnitten über die doxographi-
sche Tradition und über die Biographien im Grundriss, Antike I, I 150–174 (unter
Ergänzung der Beobachtungen von Mansfeld 2015 [*1: 334]) und 175–181 (vgl. auch
oben § 2.) zu lesen.

Aus dem Italienischen übersetzt von Camille Semenzato


in Zusammenarbeit mit Severin Hof.

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§ 42. Diogenes Laertios (Bibl. 479–483) 461

§ 42. Diogenes Laertios

Tiziano Dorandi

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Wir wissen nichts über Diogenes Laertios’ Leben und seine Person. Seine Le-
bensdaten müssen anhand jener von Sextus Empiricus bestimmt werden, der in
Diogenes’ ‹Leben› (9, 116) gemeinsam mit seinem Schüler Satorninos ­zitiert wird.
Jouanna 2009 [*114] bezieht außerdem auch ein Zeugnis aus dem ‹Corpus Gale-
nicum› mit ein. Am wahrscheinlichsten ist eine Datierung in die erste Hälfte des
3. Jahrhunderts n. Chr.
Was die geographische Herkunft und die Bedeutung des Namens betrifft, hat
Masson 1995 [*91] (einen Vorschlag von Gilles Ménage [1664] in Hübner 1830 [*14:
147–148] wiederaufnehmend) vorgeschlagen, dass das Adjektiv Laertios von der
Stadt Laertes in Kilikien abgeleitet sein könnte, wo er demnach geboren wäre (die
Stadt liegt nicht weit weg von Korakesion, heute Alanya in der Türkei). Gemäß
Wilamowitz 1880 [*44] wäre der Name Diogenes Laertios hingegen nichts ande-
res als ein Spitzname, der auf das homerische Epitheton von Odysseus διογενὲς
Λαερτιάδη (Homer, ‹Ilias› 2,173; 4,358 usw.) anspielt.
Aus der Tatsache, dass in D. L. 9,109 Apollonides aus Nikaia als «der von uns»
(ὁ παρ᾽ ἡμῶν) bezeichnet wird, schließt Reiske in Diels 1889 [*46: 324–325], dass
Diogenes aus Nikaia in Bithynien stammte, indem er die Formel ὁ παρ᾽ ἡμῶν im
Sinne von «unser (Landsmann)» (ὁ ἡμέτερος) interpretiert. Die Formel ὁ παρ᾽ ἡμῶν
ist jedoch zweideutig, und so versteht sie Schwartz 1903 [*47: 761] im Sinne von
«unser Sektengenosse» und schloss daraus auf Diogenes’ Zugehörigkeit zum Skep-
tizismus (Apollonides wird nämlich als Kommentator der ‹Silloi› von Timon von
Phleius zitiert). Unwahrscheinlich ist die Idee von Wilamowitz 1881 [*45: 32] und
Usener 1914 [*48], dass Diogenes die Formel ὁ παρ᾽ ἡμῶν direkt von seiner Quelle
abgeschrieben habe, die Usener mit Nikias aus Nikaia identifizierte, dem Autor
der ‹Philosophen-Diadochai› (Διαδοχαὶ τῶν φιλοσόφων). Mejer 1978 [*57: 46
Anm. 95] gibt der Formel ὁ παρ᾽ ἡμῶν den Sinn von «meiner Familie angehörend»,
unter Verweis auf die Verwendung dieses Ausdrucks in NT Markus 3,21. Schließ-
lich kehrt Mansfeld 1986 [*68: 300–301] mit Blick auf eine Stelle des platonischen
‹Sophistes› (242d5, wo er die Lesart παρ᾿ ἡμῶν anstelle von παρ᾿ ἡμῖν vorzieht)
zur Hypothese von Reiske zurück und geht somit von einer Herkunft des Dioge-
nes aus der Stadt Nikaia aus. Falls Diogenes tatsächlich in einer kleinen bithyni-
schen Stadt gelebt haben sollte, könnte dies erklären, warum er eine eher begrenzte

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462 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

Kenntnis von den Entwicklungen der philosophischen Schulen und besonders


des Aristotelismus und des Platonismus der Kaiserzeit hatte. Goulet-Cazé 1999
[*24: 13] betont jedoch zu Recht, dass eine endgültige Lösung für das Problem
noch nicht gefunden worden ist.

2. WERKE

‹De clarorum philosophorum vitis et dog- schen Weisen und Philosophen und die Abfolge
matibus libri decem› der philosophischen Schulen in zwei großen Linien
Λαερτίου Διογένους Βίοι καὶ γνῶμαι τῶν ἐν bespricht: in jener der ionischen Philosophie (der
φιλοσοφίᾳ εὐδοκιμησάντων καὶ τῶν die Bücher 1–7 gewidmet sind) und in jener der
ἑκάστῃ αἱρέσει ἀρεσκόντων ἐν ἐπιτόμῳ italischen Philosophie (der die Bücher 8–10 gel-
συναγωγή – ‹Des Laertios Diogenes Leben ten); danach schlägt er eine Einteilung der Philo-
und Meinungen der berühmten Philoso- sophie in drei Bereiche vor: Physik, Ethik und
phen sowie knappe Zusammenstellung der ­Dialektik. Schließlich zählt er die zehn philoso-
phischen Hauptschulen auf (vgl. Gigon 1960 [*54],
Lehren jeder Schule›
Sassi 1994 [*89] und 2011 [*118]). Die Fortsetzung
Diogenes Laertios hat sowohl das mit ‹Leben des Buches ist bemerkenswerterweise der Tradi-
und Lehren berühmter Philosophen› betitelte Werk tion der sieben Weisen gewidmet: Thales, Solon,
in zehn Büchern als auch eine (teilweise verlorene) Chilon, Pittakos, Bias, Periander, Anacharsis,
Gedichtsammlung mit dem Titel ‹Vermischte Ge- Myson, Epimenides und Pherekydes (vgl. Goulet
dichte› (Πάμμετρος) verfasst. Die ‹Leben› sind 2001 [*96] und [*97] sowie Dührsen 1994 [*86]).
einer Frau gewidmet, die als «Platon-Liebhaberin» Mit dem zweiten Buch beginnt die Vorstellung
(φιλοπλάτων) vorgestellt wird (3,47; vgl. 10,29), der Philosophen, die zur ionischen Schule gehören.
deren Identität jedoch unbekannt bleibt. Die Protagonisten dieses Buches sind Anaximander,
Der Werktitel wird durch die Handschriften Anaximenes, Anaxagoras, Archelaos, Sokrates und
nicht einheitlich überliefert. Die wahrschein- die Sokratiker (Xenophon, Aeschines, Aristipp,
lichste Form ist die (mit dem im Codex B verlore- Phaidon, Eukleides, Stilpon, Kriton, Simon, Glau-
nen Titel möglicherweise identische) ursprüngliche kon, Simmias, Kebes und Menedemos von Eretria).
Lesart des Codex P, die oben aufgeführt ist. Im Wichtig ist die in der Vita von Aristipp enthaltene
Codex F variiert der Titel leicht: ‹Das erste von Doxographie über die Schule von Kyrene. Diogenes
den zehn Büchern des Diogenes Laertios über unterscheidet dort zwischen dem Denken des He-
Leben und Meinungen der berühmten Philoso- gesias, Annikeris, Theodoros und ihrer Anhänger
phen sowie die Lehren jeder Schule› (Λαερτίου (vgl. allgemein Narcy, Goulet-Cazé 1999 [*26]
Διογένους Βίων καὶ γνωμῶν τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ sowie Giannantoni 1986 [*64] und 1992 [*80]).
εὐδοκιμησάντων καὶ τῶν ἑκάστῃ αἱρέσει ἀρεσάν­ Das dritte Buch ist allein Platon gewidmet. Der
των τῶν εἰς δέκα τὸ πρῶτον). Es ist unbekannt, eigentlichen Biographie folgt eine Diskussion über
welche der beiden Versionen (und ob überhaupt die Unterteilung der Dialoge in Tetralogien und
eine der beiden) auf Diogenes selbst zurückgeht. über ihre Titel in der Katalogversion von Thrasyl-
Diogenes’ ‹Leben› stellen eine umfangreiche los sowie eine knappe Zusammenfassung der
Geschichte der griechischen Philosophie von den Lehre, die von einer mittelplatonischen Lesart sei-
Anfängen bis zum Beginn des 1. Jahrhunderts nes Denkens unter hauptsächlicher Konzentration
v. Chr. dar. Offenkundig zeigt Diogenes kein Inte- auf den ‹Timaios› geprägt ist. Das Buch endet mit
resse für die Philosophie der Kaiserzeit und kennt einer Sammlung von Aristoteles zugeschriebenen
(oder berücksichtigt) weder den Neuplatonismus platonischen ‹Divisiones› (Διαιρέσεις, ‹Untertei-
noch den Neupythagoreismus. lungen›: 3,80–109; vgl. Gigon 1986 [*66], Brisson
Das Werk besteht aus zehn Büchern und ist wie 1992 [*76] und 1999 [*27]; über die platonische
folgt aufgebaut: Das erste Buch wird von einem Doxographie und ihre Quellen Untersteiner 1970
Prolog (1,1–21) eröffnet, in dem Diogenes den Ur- [*55] mit den Bemerkungen von Centrone 1987
sprung der Philosophie, die Unterscheidung zwi- [*71], zu den Διαιρέσεις Grundriss, Antike III,

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§ 42. Diogenes Laertios (Bibl. 479–483) 463
96f.; diese werden auch in mehreren parallelen Zenon von Kition und den Stoikern bis Chrysipp
Fassungen in byzantinischen Handschriften über- gewidmet, mit Ariston, Herillos, Dionysios, Klean-
liefert: vgl. Rossitto 22005 [*100], Dorandi 2016 thes und Sphairos als Zwischenstufen. Wie es
[*130] mit einer neuen Edition aller Rezensionen). scheint, schloss das Buch auch spätere Stoiker ein,
Im vierten Buch wird die Vorstellung der Aka- wobei es sich bis zum 1. Jahrhundert n.  Chr. er-
demie anhand der Nachfolger Platons von Speu- streckte. Der mittlere Teil von Zenons ‹Leben›
sipp bis Kleitomachos fortgesetzt: Xenokrates, (7,38–160) enthält eine detaillierte Darstellung der
­Polemon, Krates, Krantor, Arkesilaos, Lakydes in die drei kanonischen Abschnitte Logik (7,41–
und Kleitomachos. Seltsam mag der Einschub der 83), Ethik (7,83–131) und Physik (7,132–160) ein-
Bibliographie von Bion von Borysthenes nach geteilten stoischen Lehre. Diese Abschnitte sind
jener von Arkesilaos (4,46–58) in diesem Buch er- meist die einzige erhaltene antike Quelle für spe-
scheinen. Die Biographien von Speusipp und zifische Aspekte der stoischen Lehren. Chrysipps
Xenokrates enthalten detaillierte Listen ihrer
­ ‹Leben› schloss einen langen Katalog seiner
Werke (zu den häufigen Bücherlisten in Diogenes’ Schriften ein, der durch eine Lücke unterbrochen
Werk vgl. Dorandi 2013 [*120], allgemein Dorandi wird, die bereits am Ende der Antike zu dessen
1992 [*79] und 1999 [*28], für die Vita des Arkesi­ Verlust geführt hat (vgl. Mansfeld 1986 [*68], Ver-
laos Long 2006 [*102], für die Bion-Vita Kind- beke 1986 [*70], Hahm 1992 [*82], Goulet 2006
strand 1976 [*56]). [*35: 153–174]; zum Katalog der Schriften Chry-
Das fünfte Buch ist Aristoteles und dem frühen sipps Barnes 1996 [*92], P. Hadot 2000 [*95]).
Peripatos gewidmet: Theophrast, Straton, Lykon, Der Übergang von der ionischen zur italischen
Demetrios von Phaleron und Herakleides aus He- Schule erfolgt zu Beginn des achten Buches: «Nach-
rakleia am Pontus. Diogenes folgt einer Quelle, dem wir von Thales her die ionische Philosophie
die Herakleides als einen Peripatetiker betrach- und ihre bedeutenden Männer behandelt haben,
tete und ihn also von der akademischen Tradition wollen wir jetzt die italische Philosophie durch­
trennte. Der größte Teil dieser Biographien wird gehen» (8,1; wo nicht anders vermerkt, stammen die
von Bücherkatalogen vervollständigt. Diogenes Übersetzungen von Jürß 1998 [*23]). Das Buch wird
überliefert auch die Testamente von Aristoteles, mit Pythagoras’ Biographie eröffnet (Laks 2013
Theophrast, Straton und Lykon (wie er es für Pla- [*123] und 2014 [*125]). Es folgen Empedokles’
ton gemacht hatte und auch für Epikur machen Leben, das reich an Zitaten aus seinen Gedichten
wird). Interessant ist schließlich die kurze Doxo- ist, und die kurzen Skizzen zu Epicharm, Archytas,
graphie des aristotelischen Denkens, die bezüg- Alkmaion, Hippasos, Philolaos und Eudoxos (vgl.
lich der tatsächlichen Kenntnisse, die Diogenes Centrone 1992 [*77], Balaudé, Brisson 1999 [*31]; zu
von Werk und Lehre des Stagiriten hatte, überra- Eudoxos’ ‹Leben› Gysembergh 2013 [*122]).
schen mag (vgl. unten 3.; allgemein Moraux 1986 Das neunte Buch ist den sogenannten alleinste-
[*69], Sollenberger 1992 [*84], Narcy 1999 [*29]). henden Philosophen (οἱ σποράδην) vorbehalten:
Mit dem sechsten Buch geht Diogenes zum Ky- Heraklit und Xenophanes. Es folgen die ‹Leben›
nismus über. Das Buch beginnt mit Antisthenes’ von Parmenides, Melissos, Zenon von Elea, Leu-
‹Leben›, das durch einen detaillierten Katalog sei- kipp, Demokrit, Protagoras, Diogenes von Apol-
ner Schriften erweitert ist. Es folgt die Vita des Di- lonia, Anaxarchos, Pyrrhon von Elis und Timon
ogenes von Sinope, die sich durch eine geballte von Phleius. In Diogenes’ Darstellung sind Philo-
Fülle von Anekdoten und Chrien des Philosophen sophen sozusagen vermischt, die in der modernen
auszeichnet, denen eine Schlüsselrolle als Doku- philosophischen Historiographie mit drei ver-
mente für die Definition des Denkens des kyni- schiedenen Schulen in Verbindung gebracht
schen Philosophen zukommt. Der anschließende ­werden: Eleaten, Atomisten und pyrrhoneische
Teil des Buches fährt mit Diogenes’ Schülern fort: Skeptiker. In Demokrits ‹Leben› ist die (wie die-
Monimos, Onesikritos, Krates, Metrokles, Hipp- jenige Platons im dritten Buch) von Thrasyllos
archias und den zwei anderen Kynikern Menippos (1. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) angefertigte Liste
und Menedemos. Die Schlussabschnitte enthalten seiner Schriften ausgeschrieben; in der Vita Leu-
eine knappe Doxographie des kynischen Denkens kipps lesen wir einen synthetischen doxographi-
(vgl. Goulet-Cazé 1992 [*81], 1999 [*30] und 2003 schen Bericht über seine Lehre. Wichtig ist beson-
[*98], Gugliermina 2006 [*101]; über die Tradition ders die lange Doxographie über das skeptische
der Chrien Kindstrand 1986 [*67], Usher 2009 Denken, die Pyrrhons ‹Leben› ergänzt. Diese Sei-
[*115], Dorandi 2014 [*124]). ten bilden zusammen mit den Schriften des Sextus
Das umfangreiche siebte Buch (durch mechani- Empiricus die zwei vollständigsten Behandlungen
schen Verlust am Ende verkürzt überliefert) ist des skeptischen Denkens, wobei sich diese in be-

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464 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

deutenden Punkten berühren, aber auch vonein- Wichtig ist auch der Beitrag der indirekten
ander abweichen (vgl. Barnes 1992 [*74], Decleva Überlieferung, der insbesondere aus den vielen
Caizzi 1992 [*78], Brunschwig 1999 [*32]; für die Zitaten der ‹Leben› in Werken der spätantiken
Doxographie siehe auch Vogt 2015 [*38]). oder byzantinischen Literatur besteht: der ‹Suda›
Das zehnte und letzte Buch der ‹Leben› hat (um 975–980), der ‹Anthologia Palatina› (im 10.
eine singuläre Struktur. Es ist, wie Buch 3 (Platons Jh. angefertigt) und der ‹Anthologia Planudea›
Leben), einem einzigen Philosophen gewidmet: (von Maximos Planudes um 1255–1305 zusam-
Epikur. Die Darstellung von Epikurs Leben mit mengestellt).
einer Liste von ausgewählten Schriften und sei- Die Übereinstimmung von B, P und F erlaubt
nem Testament befindet sich am Anfang des oft, den Text des gemeinsamen Hyparchetyps Ω zu
­Buches (10,1–28). Es folgt eine kurze Darlegung rekonstruieren. Begrenzter sind dagegen die Fälle,
der epikureischen Lehre (10,28–34), die sich be- in denen es gelingt, bis zu Χ (dem spätantiken
sonders auf die Kanonik konzentriert. Der Rest ­Archetyp), der Vorlage von Ω, Φ und den ‘excerpta
des Buches überliefert vier doktrinäre Texte Epi- Byzantina’, zurückzugelangen, weil diese zu be-
kurs, die Diogenes in ihrer Gesamtheit wieder- grenzte Textstücke bewahren.
gibt: den ‹Brief an Herodot› (10,35–83) mit einer Diogenes Laertios hatte keine Zeit, sein post-
Darlegung der Physik; den ‹Brief an Pythokles› hum veröffentlichtes Werk in allen seinen Einzel-
über die Himmelsphänomene (10,84–116); den heiten durchzusehen. Fehler und Widersprüche
‹Brief an Menoikeus› über die Ethik (10,122–138) können jedoch nicht immer mit der Theorie des
und schließlich vierzig ‹Hauptlehrsätze› (10,139– ‘opus imperfectum’ erklärt werden. In den Jahr-
154), eine Reihe synthetischer Maximen Epikurs hunderten zwischen der Publikation der ‹Leben›
und anderer Epikureer der ersten Generation, die und der Entstehung des spätantiken Archetyps
sich unter anderem auf Ethikfragen und die Rechts- drangen zweifellos zusätzliche Fehler in den Text
philosophie beziehen. In den wenigen Abschnitten ein. Außerdem hat der Text verschiedentlich Scha-
(10,117–121) zwischen dem ‹Brief an Pythokles› den genommen, wobei der Verlust des letzten Teils
und dem ‹Brief an Menoikeus› findet sich eine des siebten Buches der offensichtlichste ist.
ethische Doxographie über den epikureischen
Weisen und seine Attribute.
Seit Gassendi (1592–1655) wird das zehnte Buch ‹Epigramme› bzw. ‹Pammetros›
oft unabhängig vom Rest der ‹Leben› gelesen. Es Ἐπιγράμματα bzw. Πάμμετρος – ‹Epi-
wurde von allen, die sich mit dem Epikureismus gramme› bzw. ‹[Buch mit Versen] in ver-
­beschäftigt haben, getrennt herausgegeben, über- schiedenen Versmaßen›
setzt, kommentiert und studiert. Tatsächlich bleibt
es neben den fragmentarischen Resten der Papyri Das Werk, das wahrscheinlich der Abfassung der
von Herculaneum eine der Hauptquellen – stellen- ‹Leben› voranging, ist größtenteils verloren. Doch
weise auch die einzige Quelle – für die Rekonstruk- hat Diogenes 52 Gedichte aus dieser Sammlung in
tion der Lehre des Kepos (vgl. Verde 2015 [*128]). die ‹Leben› aufgenommen. Soweit es sich dem
Diese spezifische Situation hat ein Herausgeber Zeugnis von Diogenes selbst (1,39. 63) entnehmen
des Diogenes Laertios, der anderen Kriterien und lässt, umfasste das Werk mindestens zwei Bücher, in
Methoden folgen wird als einer, der eine Edition denen Diogenes verschiedene poetische Gattungen
von Epikurs Schriften in Angriff nimmt, zu be- in unterschiedlichen Metren vereinigt hatte (Do-
rücksichtigen (vgl. Dorandi 2010 [*117], Lapini randi 2013 [*36: 873–875]). Die Gestalt des Titels ist
2015 [*127]). unsicher. Gigante 1994 [*88: 245] hat (ohne zwin-
Die Handschriften der ‹Leben› sind von Do- gende Gründe) vorgeschlagen, Παμ­μέτρῳ (1,39) in
randi 2009 [*112: 1–37] und 2013 [*36: 1–10] katalo- Παμμέτρου zu korrigieren, und daraus abgeleitet,
gisiert worden. Die ältesten Zeugnisse, die das dass der Titel Πάμμετρος (miteingeschlossen βίβλος
Werk vollständig überliefern, sind die drei folgen- oder συναγωγή) von Diogenes im Nachhinein ein-
den Codices: Neapel, Neapolitanus III B 29 gesetzt und dem anderen gängigeren, aber ein­
(12. Jh.) = B; Paris, Parisinus graecus 1759 (11./12. seitigen Titel Ἐπιγράμματα vorgezogen wurde.
Jh.) = P; und Florenz, Laurentianus 69.13 (13. Jh.) Πάμμετρος hätte in diesem Fall nicht das erste Buch
= F. Zu diesen gesellen sich die zwei vom Codex Va- bezeichnet, sondern die ganze Sammlung, die sich
ticanus graecus 96 (12. Jh.) überlieferten Aus- aus mindestens zwei Büchern zusammensetzte.
schnittssammlungen (Φ, Φh) und eine dritte (mit Was das Verhältnis zwischen den ‹Epigram-
wenigen Abschnitten des dritten Buches) aus Wien, men› und den ‹Leben›, die Originalität und die
Vindobonensis phil. graecus 314 (28. Juli 925) = Vi. Qualitäten des Diogenes als Dichter betrifft,

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§ 42. Diogenes Laertios (Bibl. 479–483) 465
schwanken die Einschätzungen. Kolář 1955 [*52] (ἐλλόγιμοι) Philosophen Gegenstand von Dioge-
und 1959 [*53] hat versucht, Diogenes’ poetische nes’ Gedichten, danach auch deren Leben und
Qualitäten aufzuwerten, indem er die Tatsache Lehre. Darin lässt sich die Originalität des Dio­
hervorhob, dass dieser fähig gewesen sei, Verse in genes erkennen, die sich auch in der Vermischung
denselben Metren zu verfassen, die Horaz in sei- der dichterischen ‹Epigramme› in den ‹Leben›
nen ‹Epoden› verwendet hatte (mit Ausnahme der zeigt (vgl. Bollansée 1999 [*94: 227–232], Casantini
dreizehnten Epode). Für Gigante 1984 [*62] und 2007 [*103], Di Marco 2007 [*104], Casantini 2008
1986 [*65: 35–38] war zunächst der Tod berühmter [*107], Di Marco 2009 [*111] sowie 2010 [*116]).

­3. LEHRE

Die erste Frage, die sich stellt, ist jene bezüglich Diogenes’ Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Philosophenschule. Eine einstimmige und definitive Antwort
darauf ist unmöglich. Man hat angenommen, dass Diogenes ein Skeptiker war
(Schwartz 1903 [*47: 761]) oder ein Epikureer (Wilamowitz 1880 [*44: 162] und
1881 [*45: 321]). Vermutlich aber hat Diogenes kein philosophisches Credo vertre-
ten, sondern war ein Gebildeter mit einem ausgeprägten Interesse für die Philo-
sophie ohne fundierte fachliche Vorbildung (Gigante 52002 [*19: XV]). Bevor er
sich der Abfassung der ‹Leben› widmete, war Diogenes als Dichter tätig und hatte
die ‹Epigramme› verfasst.
Das Niveau von Diogenes’ philosophischen Kenntnissen mag erstaunen. Einige
seiner Beobachtungen scheinen zumindest merkwürdig, bisweilen sogar kurios.
Die ‹Leben› werden mit der Behauptung eröffnet, die Ursprünge der Philosophie
seien, entgegen der Annahme einiger Gelehrter, hauptsächlich griechisch: «Das
philosophische Studium sei, so sagen einige Autoren, bei den Nichtgriechen ent-
standen […]. Doch diese Leute machen sich etwas vor, wenn sie den Nichtgriechen
die Leistungen der Griechen zuschreiben, die nicht nur die Philosophie, sondern
auch die Bildung der Menschheit begründet haben» (1,1–3). In den ‹Leben› wer-
den weder Plotin noch Porphyrios noch die späteren Neuplatoniker und nicht ein-
mal die Neupythagoreer und der Neupythagoreismus erwähnt; immerhin sind dort
Namen von Philosophen vom Ende des 2. und auch Anfang des 3. Jahrhunderts
n. Chr. zitiert. Diogenes’ Kenntnisse bezüglich der Geschichte gewisser Philosophen-
schulen sind gleichermaßen beschränkt, wenn es um die Chronologie geht. So
schließt die Geschichte der Akademie beispielsweise mit Kleitomachos von Kar-
thago (1. Jh. v. Chr.) ohne jeglichen Hinweis auf Philon von Larissa und Antiochos
von Askalon (beide lebten zwischen dem 2. und dem 1. Jh. v. Chr.). Jene des Peri-
patos geht hingegen nicht über Lykon von Troas hinaus (der zwischen dem 3. und
dem 2. Jh. v. Chr. gelebt hat). Dies alles lässt sich unter der Annahme erklären,
dass Diogenes veraltete Quellen zur Hand gehabt und nicht über aktuelles Mate-
rial verfügt habe. Man kann freilich ebensowenig eine bewusste Auswahl und ein
Desinteresse an der zeitgenössischen Welt und Kultur ausschließen.
Diogenes ist im Besonderen am Ruhm der Philosophen interessiert, deren bio-
graphische Wechselfälle er beschreibt und deren Lehren er darlegt. Er zeigt einen
gewissen Respekt gegenüber allem, was alt ist, und hat die Tendenz, das traditio-
nelle und kanonische Denken der einzelnen Philosophenschulen, die er berück-

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466 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

sichtigt, vorzuziehen, ohne etwaige abweichende Strömungen zu übergehen (bei-


spielsweise jene des Stoikers Ariston von Chios). Ein anderes Charakteristikum
seiner Biographien ist seine unersättliche Neugierde, die er für Anekdoten und
Details zeigt: Meist verweist er auf sie, ohne persönliche Urteile auszudrücken, so
wie er auch die philosophischen Theorien nicht kritisiert, die er darstellt. Mit sys-
tematischem Geist und gleichsam farbloser Objektivität scheint sich Diogenes
damit zu begnügen, unermüdlich Abfolgen von Philosophen zu klassifizieren und
deren Lehre zusammenzufassen. Er erweist sich als Gelehrter mit enormer Wiss-
begierde, der gerne seiner Freude über die Entdeckung eines seltenen Textes wie
den doktrinären Schriften Epikurs Ausdruck gibt (10,28–29; vgl. Goulet-Cazé
1999 [*24: 14–15]).
Nietzsche (Glau 2003 [*99: 39]) definierte Diogenes als den «Nachtwächter der
grie[c]hisch[en] Philosophiegeschichte man kann nicht in sie hinein, ohne dass
einem nicht von ihm der Schlüssel gegeb[en] wird», aber auch als den
«tölpelhafte[n] Wächter […] der Schätze hütet, ohne ihren Werth zu kenn[en]»
(Barnes 1992 [*74], Dorandi 2013 [*121]).
In der Schatzkammer des Diogenes finden sich Epikurs drei Briefe an Hero-
dot, an Pythokles und an Menoikeus und seine 40 ‹Hauptlehrsätze› (10,35–116.
122–154). Ohne diese Zeugnisse wären unsere Kenntnisse von Epikurs Lehre bis
zur Entdeckung und Dechiffrierung (die noch immer unsicher und unvollständig
ist) von Epikurs Hauptwerk ‹Über die Natur› (Περὶ φύσεως) in 37 Büchern, ­soweit
es noch erhalten ist, und der Schriften anderer Epikureer (Polystratos, Demetrios
Lakon, Philodem) in den Papyri von Herculaneum recht begrenzt gewesen. Ab-
gesehen von spärlichen Fragmenten, die in der indirekten Überlieferung zu fin-
den sind, hätten wir uns als Zeugnis mit Lukrez’ Gedicht ‹De rerum natura›
(‹Über die Natur›) und einigen philosophischen Schriften Ciceros, Senecas und
Plutarchs zufrieden geben müssen. Die Schriften Ciceros und Plutarchs wiederum
sind mit angezeigter Vorsicht zu benutzen, wenn man die Abneigung jener Auto-
ren der epikureischen Lehre gegenüber bedenkt.
Diogenes ist sich des Werts der Texte bewusst, die er entdeckt hat und die er
niederschreibt, um sie der «Platon-Liebhaberin» (ϕιλοπλάτων) zu präsentieren,
an die er sich schon früher gewandt hat (3,47): «Was er in diesen Schriften lehrt,
will ich durch Mitteilung jener drei Briefe von ihm darstellen, wo er seine Philo-
sophie skizziert. Zitieren werde ich auch seine ‹Hauptlehrsätze› und was sonst
noch zu erwähnen wichtig scheint, damit du den Mann gründlich begreifst und
auch zu beurteilen weißt» (D. L. 10,28–29; vgl. 10,138).
Das Gesagte trifft gleichermaßen auch auf viele Aspekte der fragmentarischen
vorsokratischen Philosophie zu. Zahlreiche Texte dieser Philosophen werden aus-
schließlich von Diogenes zitiert: der erste Vers von Empedokles’ Gedicht ‹Über die
Natur› (Περὶ φύσεως; D. L. 8,61 = 31 B 1 DK); die Fragmente Heraklits «Vielwis-
serei erzeugt keine Intelligenz; sonst hätten sie Hesiod, Pythagoras, Xenophanes
und Hekataios gehabt» und «Man muss Hybris mehr bekämpfen als einen Brand
[…]. Das Volk muss das Gesetz ebenso verteidigen wie die Stadtmauer» (D. L.
9,1–2 = 22 B 40–41 und 43–44 DK). Oder auch die ersten Worte des Buches ‹Über
die Natur› (Περὶ φύσεως) des Pythagoreers Philolaos von Kroton: «Das Wesen der

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§ 42. Diogenes Laertios (Bibl. 479–483) 467

Welt ist zusammengefügt aus Unbegrenztem und Begrenzendem, und der ganze
Kosmos und alles darin ist dadurch konstituiert» (D. L. 8,85 = 44 B 1 DK).
Es kommt indes auch vor, dass die Informationen, die Diogenes liefert, Ent-
sprechungen in anderen antiken Quellen finden. In solchen Fällen ist es möglich,
dass sich die Zeugnisse gegenseitig erhellen bzw. dass das eine oder das andere
Zeugnis die Lehre eines bestimmten Philosophen oder einer spezifischen Denk-
richtung in einer plausibleren Art und Weise wiedergibt. Nimmt man als Beispiel
die skeptisch-pyrrhoneische Doxographie in der Fassung des Diogenes (9,70–108),
findet sie eine wichtige Parallele im ‹Grundriss des Pyrrhonismus› (Πυρρωνείαι
ὑποτυπώσεις) und in den Büchern ‹Gegen die Gelehrten› (Πρὸς μαθημαθικούς)
und ‹Gegen die Dogmatiker› (Πρὸς δογματικούς) des Sextus Empiricus. Wenn
man die Schlussfolgerung von Janáček 2008 [*108] akzeptiert, ist die von Dioge-
nes überlieferte Version die am vertrauenswürdigsten. Doch hat Barnes 1992 [*74]
diese Hypothese kritisiert, und neueste Studien haben eine sehr viel nuanciertere
Realität ans Licht gebracht (Vogt 2015 [*38]).
Während Diogenes’ Abschnitte für die skeptische Doxographie in den Werken
des Sextus Empiricus eine Parallele finden, ist die lange und detaillierte Präsen-
tation des Stoizismus (7,39–160) weitgehend die einzige antike Quelle, die uns eine
Vorstellung von der Philosophie der Stoa vermittelt. Diogenes fügt diese Doxo-
graphie mitten in die Vita Zenons (7,38–39), des Gründers der Schule, ein: «Nun
folgen die gemeinsamen Lehren, die, wie wir es auch sonst immer gemacht haben,
nur in den Hauptpunkten dargestellt werden.» Diogenes beginnt mit der Präsen-
tation der drei Gebiete, in welche die Stoiker die Philosophie teilen: «Sie [sc. die
Stoiker] gliedern die Lehre in drei Teile: Naturphilosophie, Ethik, Logik.» Auf
den folgenden Seiten ändert Diogenes die Reihenfolge der drei Teile und beginnt
die Darstellung der stoischen Lehre mit der Logik, der er die Ethik und die Na-
turphilosophie folgen lässt.
In dieser wie in den anderen Doxographien, die sich in den ‹Leben› finden, fügt
Diogenes (wahrscheinlich nur in indirekter Weise) unzählige Verweise auf die Bü-
cher der Lehrmeister der Stoa ein, von Zenon bis Panaitios und Poseidonios. Nach
einer knappen Darstellung der Logik zitiert Diogenes (7,48) als Ergänzung einen
Auszug aus dem Werk ‹Kurzfassung der Philosophenlehren› (Ἐπιδρομὴ τῶν
φιλοσόφων) des Diokles von Magnesia (2. Jh. v. Chr.), dessen Umfang schwer zu
bestimmen ist. Das siebte Buch der ‹Leben› schließt heute mit einer (aufgrund
einer Lücke unvollständigen) Liste der Schriften des Philosophen Chrysipp, die
noch die Werke der Logik und den Anfang der Werke der Ethik enthält.
Sehr viel problematischer ist die kurze Zusammenfassung der Philosophie des
Aristoteles (5,27–34). Die Präsentation gliedert sich in vier Teile: 1) Die Eintei-
lung der Philosophie des Aristoteles (5,28); 2) die Logik (5,28–29); 3) die Ethik
(5,30–31), und 4) die Physik (5,32–34).
Auch wer nur einen begrenzten Einblick in die aristotelische Philosophie hat,
dürfte ins Staunen geraten. Der einzige Satz, der eine Parallele im aristotelischen
Corpus findet, ist jener, der die Definition der Seele enthält (5,32): «Auch die
Seele sei unkörperlich und die erste Entelechie eines natürlichen, organischen und
lebensfähigen Körpers.» Tatsächlich ist diese Definition der Seele das Resultat

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468 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

der Zusammenlegung von zwei Formulierungen, die in Aristoteles’ ‹Über die


Seele› (Περὶ ψυχῆς) stehen: «Die Seele ist die erste Entelechie eines natürlichen
Körpers, der lebensfähig ist» (Β 1, 412a27–28), und dieser natürliche Körper ist
«ausgestattet mit Organen» (412b5–6). Ansonsten wurde nicht nur das Denken
des Stagiriten extrem synthetisiert, sondern in gewissen Punkten entsteht auch
der Eindruck, dass ihm Lehren zugewiesen werden, die ihm fremd sind. Um dies
zu belegen, genügt es, die wenigen Zeilen zu lesen, die Aristoteles’ Lehre der
Logik (5,28–29) zusammenfassen. Der Logik habe der Stagirit das doppelte Ziel
gesetzt, «das Wahrscheinliche (πιθανόν) und das Wahre (ἀληθές) deutlich zu ma-
chen. Jedem Ziel ordnet er zwei Disziplinen zu: dem Wahrscheinlichen die Dia-
lektik und Rhetorik, dem Wahren die Analytik und die Philosophie, wobei er
alles e­ rfasst, was sich auf die Auffindung (εὕρεσις), die Beurteilung (κρίσις) und
den Gebrauch (χρῆσις) bezieht. Für die Auffindung hat er die ‹Topik›, die ‹Me-
thodik› und eine Fülle von Prämissen herausgebracht, die, wenn es um Wahr-
scheinlichkeitsargumente geht, gute Dienste leisten. Für die Beurteilung ver-
fasste er die ‹Erste Analytik› und die ‹Zweite Analytik›. In der ersten werden die
Prämissen analysiert, in der zweiten die Schlüsse. Zum praktischen Gebrauch
(χρῆσις) sind die Regeln für Disputationen, für Frage- und Antwortverfahren,
für sophistische Widerlegung, Syllogismen und Änliches. Wahrheitskriterium
(κριτήριον τῆς ἀληθείας) dessen, was Vorstellungen leisten, war für ihn die Wahr-
nehmung; für das Ethische, welches Polis, Hauswirtschaft und Gesetze betrifft,
die Vernunft.»
In der Vergangenheit haben Wissenschaftler diese Doxographie in mehreren
Punkten zu Unrecht korrigiert und manipuliert, um sie ‘kohärenter’ mit dem aris-
totelischen Denken zu machen. In Wirklichkeit präsentiert Diogenes hier eine
­Zusammenfassung der Lehre des Aristoteles, die er in einem viel älteren Werk
gefunden hat, das aus dem späten Hellenismus stammte (offensichtlich vor Andro­
nikos von Rhodos: vgl. Moraux 1986 [*69: 286]). Der Text zeigt an sich eine starke
Kohärenz, und einige (nur scheinbare) Eigenheiten lassen sich leicht erklären,
wenn man annimmt, dass die von Diogenes benutzte Quelle vom Stoizismus be-
einflusst war (Bodéüs 1995 [*90]).
Diogenes’ Seiten – ähnlich wie jene des Sextus Empiricus über das stoische «Kri-
terium» (κριτήριον) in Adv. math. 7,217–226 – geben eine Vorstellung von einer viel
‘volkstümlicheren’ Art der Deutung des aristotelischen Denkens, die im Zeitalter
des Späthellenismus geboren wurde, aber mindestens bis ins 2. und 3. Jahrhundert
n. Chr. andauerte, einer Periode, in der die Kommentatoren von Aristoteles sehr
aktiv waren. Man gewinnt den Eindruck eines Rückwärtssprungs von mindestens
drei Jahrhunderten im Vergleich zur Epoche, in der Sextus und Diogenes gelebt
haben (Dorandi 2007 [*105] und 2016 [*129: 291–296]). Damit soll indes kein Wert-
urteil über die intellektuellen und historiographischen Fähigkeiten des Diogenes
und Sextus Empiricus gefällt werden. Wenn man die Texte dieser Autoren ohne
Vorurteile liest und historisch interpretiert, erkennt man leicht die in ihnen bewahr-
ten Perlen und erhält einen Zugang, der für eine vertiefte Kenntnis und ein breite-
res Verständnis der Geschichte der griechischen Philosophie unentbehrlich ist.

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§ 42. Diogenes Laertios (Bibl. 479–483) 469

4. NACHWIRKUNG

Diogenes’ ‹Leben› hatten eine geringe Verbreitung in der antiken Welt. Erwähnt
werden sie von einem gewissen Sopatros, dem Autor der ‹Verschiedene Auszüge›
(Ἐκλογαὶ διάϕοροι, zitiert von Photios in Bibl. cod. 104a2) und von Stephanos von
Byzanz (6. Jh. n. Chr.). Die ‹Leben›, die in der ‹Bibliothek› des Photios fehlen,
wurden einige Zeit nach dem Ableben des Patriarchen (um 893) wahrscheinlich
von Arethas von Kaisareia gelesen (um 860–nach 944), sofern die Auszüge der
platonischen Doxographie, die im Codex Vindobonensis bewahrt sind, mit ihm in
Verbindung zu bringen sind. Die ‹Leben› waren später eine der indirekten Quel-
len der ‹Suda›, die in den Jahren 975–980 zusammengestellt wurde. Es ist wahr-
scheinlich, dass die Redaktoren der ‹Suda› die Auszüge philosophischen Inhalts
aus einer älteren Quelle bezogen haben (vielleicht einem Lexikon). Die ‘biogra-
phischen’ Abschnitte wiederum stammen meistens aus der im 9. Jahrhundert
n. Chr. verfassten Epitome der ‹Sammlung berühmter Schriftsteller› (Ὀνοματο-
λόγος) des Hesychios von Milet (6. Jh. n. Chr.). Eine Auswahl an Gedichten von
Diogenes sowie von Autoren, die von ihm zitiert werden, wurde in die ‹Antho­
logia› des Konstantinos Kephalas (um 900) aufgenommen und lebte, über diese
Vermittlung, in der ­‹Anthologia Palatina› weiter und in geringer Zahl auch in der
‹Anthologia› des Planudes (um 1255–1305). Das Modell für beide Nacherzählun-
gen waren die ‹Leben› und nicht die ‹Epigramme› bzw. der ‹Pammetros›.
Im folgenden Jahrhundert scheinen die byzantinischen Gelehrten den ‹Leben›
nicht viel Beachtung geschenkt zu haben. Zumindest in einer ersten Phase han-
delt es sich um Kenntnis aus zweiter Hand, vermittelt durch Anthologien und
Gnomologien oder die ‹Excerpta Vaticana› (überliefert vom Codex Φ bzw. seinen
Abschriften).
Iohannes Tzetzes (um 1110–1185) las zumindest die Vita des Demokrit (9,34–49).
Auch Eustathios von Thessalonike (um 1115–1195/6), ein Zeitgenosse des Tzetzes,
besass eine begrenzte und wahrscheinlich indirekte Kenntnis von den ‹Leben›.
Nikephoros Gregoras (um 1295–1359) führte Auszüge der ‹Leben› zusammen,
die er aus dem Codex Φ kopierte. Ein Jahrhundert später entnahmen Michael
Apostolios (um 1422–1474 oder 1486) und dessen Sohn Aristoboulos Apostolios
(1468/9–1535), Bischof von Monemvasia (gest. 1535) mit dem Namen Arsenios,
aus den ‹Leben› viel Material für ihre Sammlung von Sentenzen, Denksprüchen,
mythischen Geschichten und neuen Proverbien. Mit derselben Methode arbeitete
der Autor des ‹Violetum›, das der Kaiserin Eudokia zugeschrieben wird, aber in
Wirklichkeit eine Fälschung aus der Renaissance ist (Dorandi 2009 [*112: 125–
194] und 2013 [*36: 877–878]).

Im abendländischen Mittelalter hatten die ‹Leben› auch auf Lateinisch eine ge-
ringe Verbreitung. Die mittelalterliche Übersetzung von Enrico Aristippo (gest.
1162) ging wahrscheinlich nicht über das zweite Buch hinaus. Wenige Reste sind
überliefert von Geremia von Montagnone (um 1250–1321) und Walter Burley
(1274/1275–nach 1344), dem Verfasser des ‹Buch über das Leben und die Sitten der
Philosophen› (‹Liber de vita et moribus philosophorum›; wahrscheinlich ein Pseud­
epigraph). Die lateinische Übersetzung von Ambrogio Traversari (1386–1439) war

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470 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

hingegen vollständig. Diese beschäftigte den Kamaldulenserbruder lange Zeit


(zwischen 1418 und 1433) und erfreute sich später einer weiten Verbreitung, zuerst
in Form von zahlreichen handschriftlichen Kopien, dann seit dem Buchdruck in
Gestalt von Editionen, die minderwertig und dem Original wenig treu waren. Die
‘versio Ambrosiana’ wurde zum ersten Mal in Rom im Jahre 1472 gedruckt, mehr
als 60 Jahre vor der Editio princeps Frobeniana (1533) des griechischen Texts.
Diese Übersetzung, mehr als die viel bessere von Aldobrandini (1594), trug
dazu bei, den Inhalt der ‹Leben› während der Renaissance in immer größeren,
des Griechischen nicht mächtigen Kreisen zu verbreiten, und ermöglichte eine
recht breite Vorstellung von den biographischen Wechselfällen und dem Denken
der antiken Philosophen, die sonst nicht (oder zumindest nicht so gut) bekannt ge-
wesen wären. Die ‘versio Ambrosiana’ ist ferner mit den zahlreichen italienischen
Übersetzungen in Verbindung zu bringen, die alle von der Mitte des 15. Jahrhun-
derts an (erster Druck in Venedig im Jahre 1480) auf der Grundlage des lateini-
schen Textes von Traversari und nicht auf jener des griechischen Textes erstellt
wurden (Dorandi 2009 [*112: 201–228] und 2013 [*36: 9–10]).
Unter den Lesern der ‘versio Ambrosiana’ sind auch Niccolò Machiavelli (1469–
1527) und Michel de Montaigne (1533–1592) zu nennen.
Durch die Übersetzungen sowie den Originaltext inspirierten die ‹Leben› wäh-
rend Jahrhunderten in ihrer Struktur und noch vielmehr in ihrem Inhalt die phi-
losophische Geschichtsschreibung Europas, von der ‹Historia philosophica›
(1655) des Georgius Hornius (1620–1670) bis zur ‹History of Philosophy› (1655–
1662) von Thomas Stanley (1625–1678) und zu ‹De scriptoribus Historiae philo-
sophicae libri IV› (1659) des Johannes Jonsius (1624–1659). Auf der Grundlage
des zehnten Buches der ‹Leben› rekonstruierte schließlich Gassendi zum ersten
Mal das System der Philosophie Epikurs (Algra 1994 [*85]).
In den folgenden Jahrhunderten mangelt es nicht an treuen Lesern der ‹Leben›,
vom Dichter Giacomo Leopardi (1798–1837) bis zu Monsieur Mabeuf in ‹Les Mi-
serables› von Victor Hugo (1802–1885; Knoepfler 1983 [*61], Gigante 52002 [*19:
LII–LXIV]).
Ein besonderes Interesse für die ‹Leben› und vor allem für die heikle Frage
der Quellenforschung zeigte der junge Friedrich Nietzsche (1844–1900), damals
Schüler Friedrich Ritschls (1806–1876) in Leipzig. Nietzsche publizierte ­einige
Artikel über die Quellen des Diogenes (Nietzsche 1982 [*58, *59 und *60]) und
kam wiederholt auf das Thema zurück, auch in den Jahren seines Lehrauftrags
für Klassische Philologie in Basel (1869–1879; vgl. Barnes 1986 [*63]).
Die ‹Leben› haben nichts an ihrer Faszination verloren, wie die stetig stei-
gende Zahl an Übersetzungen in zahlreiche moderne Sprachen zeigt. Die beste
Übersetzung, begleitet von einem reichen Apparat mit Anmerkungen und einer
detaillierten Einführung, ist jene ins Französische von Goulet-Cazé 1999 [*24].
Die italienische Übersetzung, die eine lange, leidenschaftliche Einleitung und
kritische Anmerkungen von Gigante 52002 [*19] enthält, ist inzwischen veraltet
und bedarf substantieller Aktualisierung. Die Übersetzung von Reale 2005
[*34], die auf dem Text von Marcovich 1999 [*33] beruht, ersetzt diese jedoch
nicht, da sie keinen Kommentar enthält und allzu oft vom gegenüber abgedruck-

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§ 43. Iohannes Stobaios (Bibl. 483–485) 471

ten griechischen Text weit entfernt ist. Die deutsche Übersetzung von Jürß 1998
[*23] erneuert jene von Apelt 1921 [*16], die aufgrund ihrer zahlreichen Anmer-
kungen immer noch nützlich ist. Im Englischen bleibt die Übersetzung von
Hicks (1925) unentbehrlich, nachgedruckt mit einer neuen Einleitung von Long
71972 [*18]. Grau 2014 [*37] hat eine neue Übersetzung ins Katalanische begon-

nen (die sich vorerst auf das erste Buch beschränkt), auf der Grundlage des Tex-
tes von Dorandi 2013 [*36] und begleitet von einer langen informativen Einlei-
tung und Anmerkungen.

Aus dem Italienischen übersetzt von Camille Semenzato


in Zusammenarbeit mit Tim Richter.

§ 43. Iohannes Stobaios

Tiziano Dorandi

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Über das Leben des Iohannes Stobaios ist nichts bekannt. Das Ethnikon Sto-
baios lässt vermuten, dass er aus der Stadt Stoboi in Makedonien stammte (in der
Nähe von Gradsko in der heutigen Republik Mazedonien). Da der Philosoph und
Redner Themistios (gest. um 388 n. Chr.) der jüngste von Stobaios zitierte Autor
ist, setzt man seine Lebenszeit oft im 5. Jahrhundert n. Chr. und sein ‘floruit’ im
Jahre 420 n. Chr. an (Hense 1916 [*159: 2549]). Der Name Iohannes lässt womög-
lich an eine Zugehörigkeit des Autors zum Christentum denken (Mansfeld, Runia
1997 [*171: 197]). Die meisten Forscher (Diels 1879 [*143: 66], Hense 1916 [*159:
2551], Fowden 21987 [*164: 197]) gehen jedoch davon aus, dass Stobaios ein Heide
war und dies der Grund dafür ist, dass in seinem Werk Zitate christlicher Auto-
ren fehlen. Stobaios’ Zugehörigkeit zum Heidentum könnte eine Bestätigung im
jüngsten Vorschlag von Hose 2005 [*184] finden, wonach Stobaios mit der Abfas-
sung des ‹Anthologion› in einer Zeit des Niedergangs des Heidentums eine Karte
der ‘mentalen Infrastruktur’ jener Welt zu zeichnen versucht habe, um deren In-
halte und Prinzipien zu bewahren.

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472 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

2. WERK

‹Eclogarum, sententiarum, praeceptorum als Vorwort, in dem Stobaios seinem Sohn Septi-
libri quattor›. mios sein Werk vorstellte (Wachsmuth 1884 [*144:
Ἐκλογῶν, ἀποφθεγμάτων, ὑποθηκῶν βιβλία I 3]). Diesem Brief folgte wahrscheinlich eine Zu-
τέσσαρα – ‹Auszüge, Sprüche und ethische sammenfassung aller Kapitel des Werkes. Bei
Ratschläge in vier Büchern›. Photios findet sich außerdem ein Verzeichnis von
208 Kapiteln, aus denen das ‹Anthologion› be-
stand. Von diesen sind einige, die zu den ersten
beiden Büchern gehören, offensichtlich im Laufe
1. Das Zeugnis des Photios der Überlieferung verloren gegangen (Elter 1880
Die ursprüngliche Fassung des ‹Anthologion› [*156], Wachsmuth 1884 [*144: I 3–10]).
ist teilweise verloren, aber dank einer Zusam-
menfassung, die der Patriarch Photios (810–891) 2. Werkbeschreibung
im Codex 167 seines ‹Myriobiblon› (auch ‹Biblio-
theke› genannt) angefertigt hat, kann man sich Das ‹Anthologion› präsentiert sich wie eine
eine Vorstellung von dessen Inhalt machen (maß- r­iesige Sammlung von Auszügen verschiedener
gebliche Ausgabe des Photios bleibt jene von Autoren, die von Stobaios nach wohldefinierten
Bekker 1824 [*140: 112–115]; die jüngere, von Kriterien und Prinzipien zusammengestellt und
Canfora, Bianchi, Schiano 2016 [*150: 202–207] angeordnet worden sind. Nach dem Einleitungs-
besorgte ist wegen ihrer italienischen Überset- brief und vielleicht einem zusammenfassenden In-
zung nützlich). haltsverzeichnis ließ Stobaios zwei Kapitel mit
Laut Photios war Stobaios’ Anthologie für die einführendem Charakter folgen, die großenteils
Erziehung seines Sohnes Septimios bestimmt und verloren sind. Das erste enthielt ein Lob der Philo-
hatte zum Ziel, dessen natürliche Schwäche beim sophie (ἔπαινος φιλοσοφίας). Das zweite behan-
Memorieren von Lektüren zu kompensieren. Pho- delte verschiedene philosophische Schulen. Es folg-
tios lag eine Ausgabe des Werkes ‹Auszüge, Sprü- ten Auszüge aus Texten über Geometrie, Musik
che und ethische Ratschläge in vier Büchern› in und Arithmetik. Von diesem letzten Abschnitt
zwei Bänden (ἐν τεύχεσι δυσί) vor, die vollständi- (περὶ ἀριθμητικῆς) ist der letzte Teil mit Auszügen
ger war als jene, die über die mittelalterlichen by- von neupythagoreischen Autoren erhalten.
zantinischen Codices überliefert ist. In diesen Das Buch wird fortgesetzt von einer Reihe von
Handschriften ist das ‹Anthologion› in zwei ver- Kapiteln über Metaphysik: die Existenz des Gött-
schiedene Teile geteilt: Der erste ist bekannt unter lichen und seine Eigenschaften (Vorsehung, gött-
dem Namen ‹Eclogae physicae et ethicae› (‹Aus- liche Gerechtigkeit, Notwendigkeit und Schicksal).
züge aus Werken über Physik und Ethik›); der Es folgt eine Behandlung der ἀρχαί (Prinzipien),
zweite unter dem Namen ‹Florilegium› (‹Blüten- mit denen sich der Diskurs bis zu Kapitel 6 des
lese›). Diese Teile entsprechen, wie es scheint, zweiten Buches stärker auf die Physik verlagert.
nicht der ursprünglichen Struktur des ‹Antholo- Der Rest des ersten Buches enthält unter anderem
gion› und lassen eine Reihe von Manipulationen einen langen Abschnitt über Naturerscheinungen,
vermuten, die wahrscheinlich erst nach dem 9. die Erde und die Welt: über Kosmologie, Meteoro-
Jahrhundert und Photios vorgenommen wurden. logie, Geologie, Tiere und Pflanzen, Anthropolo-
Die Teilung ist willkürlich und gibt eine falsche gie und Physiologie und schließlich Psychologie.
Vorstellung von der ursprünglichen Struktur des Das zweite Buch beginnt mit einer Darstellung
Werkes und in der Folge auch von den Kriterien, des Problems der menschlichen Erkenntnis der
die Stobaios gewählt und beim Verfassen ange- göttlichen Dinge. In der Folge verlagert sich der
wendet hatte (Hense 1916 [*159: 2550]). Diskurs auf die Dialektik, die Rhetorik und die
Der Versuch, die ursprüngliche Struktur des Grammatik. Mit Kapitel 7 dieses Buches und für
‹Anthologion› zu rekonstruieren, ist sehr schwie- den ganzen Rest des ‹Anthologion› trägt Stobaios
rig und hängt zu einem großen Teil von der Inter- hauptsächlich Material über Ethik zusammen,
pretation von Photios’ Zeugnis ab. Wenn man als wobei der Begriff Ethik im weitesten Sinne ver-
Ausgangspunkt den Codex 167 der ‹Bibliotheke› standen wird und auch Politik und Hausverwal-
nimmt, begann das ‹Anthologion› mit einem Brief tung (οἰκονομία) mit einschließt. Im zweiten Buch

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§ 43. Iohannes Stobaios (Bibl. 483–485) 473
werden konkrete Aspekte der Ethik einer Prüfung dass das Werk zu einem bestimmten Zeitpunkt
unterzogen. Das dritte Buch beginnt mit einem nicht nur umgestaltet, sondern auch teilweise epi-
langen und recht problematischen Kapitel über die tomiert worden ist.
Tugend (περὶ ἀρετῆς). Das vierte und letzte Buch Es lässt sich nicht sagen, ob die fünf Listen von
schließlich behandelt Themen der speziellen Ethik, Stobaios oder einem unbekannten Gelehrten ver-
insbesondere Fragen der Politik (περὶ πολιτικῆς) fasst wurden, der zwischen Stobaios und Photios
und der Hausverwaltung (περὶ οἰκονομίας). einzuordnen wäre (Goulet 2000 [*176: 1012]). Die-
Alle Kapitel des ‹Anthologion› sind in ähnlicher ser hätte die Namen aus den Stichworten, welche
Weise strukturiert. Sie bestehen aus einer Reihe die Auszüge im ‹Anthologion› einleiteten, bezo-
von Auszügen griechischer Autoren, die Stobaios gen und sie dann selbständig in verschiedene Ab-
zitiert, wobei er sie jeweils mit kurzen Stichworten schnitte eingeteilt, wobei er sie in alphabetischer
einführt. Die Kapitel sind von unterschiedlicher Reihenfolge ordnete. Einige Fälle, bei denen die
Länge, wobei einige mehr als 200 Auszüge enthal- Namen in der alphabetischen Reihenfolge am fal-
ten, und auch diese sind von unterschiedlichem schen Platz stehen, sind offensichtlich auf Fehler
Umfang. Normalerweise gehen die Zitate aus poe- im Laufe der Textüberlieferung zurückzuführen.
tischen Texten jenen der Prosaautoren voran. Eine Das ‹Anthologion› ist ein Werk mit offener
nützliche Übersichtsdarstellung aller Kapitel des Überlieferung. Dieses Merkmal begünstigte im
‹Anthologion›, die anschaulich die architektoni- Laufe der Überlieferung einerseits Vergrößerung
sche Struktur des Werkes und dessen Inhalt wie- und Verkleinerung einzelner Teile und anderer-
dergibt, hat Piccione 2010 [*189: 635–646] erstellt, seits auch die Teilüberlieferung einzelner Ab-
wobei sie auch die Ergänzungen, die von Wachs- schnitte unterschiedlicher Länge. Die Zweitei-
muth im ‹Florilegium Laurentianum› wiederent- lung des ‹Anthologion›, von der bereits die Rede
deckt wurden, und die Kapitel, die nur im Zeugnis war, spiegelt sich in den bezeugten Handschrif-
von Photios erwähnt werden, berücksichtigt. ten, die es überliefern: Jedes Bücherpaar der
Außer der Übersicht der 208 Kapitel, die das ‹Eclogae› und des ‹Florilegium› ist in der Tat aus
Gerüst des ‹Anthologion› bildeten, zitiert Photios verschiedenen und unabhängigen Codices wie-
eine Liste von mehr als 450 Autorennamen, denen derhergestellt.
Stobaios Auszüge entnommen hat (Wachsmuth Die von Wachsmuth 1884 [*144: VII–XXXIII]
1884 [*144: I 13–14]). Die Namen dieser Autoren auf der Basis vorausgehender Untersuchungen
sind in verschiedene Listen unterteilt, von denen (Wachsmuth 1882 [*158]) rekonstruierte Überlie-
jede alphabetisch geordnet ist (der Reihenfolge der ferung der ersten beiden Bücher (‹Eclogae›) ist
Buchstaben des griechischen Alphabets folgend). von Mansfeld, Runia 1997 [*171: 198–202 mit
Die erste Liste zählt die Philosophen vom Sokrati- einem Stemma, 200] aufgegriffen und aktualisiert
ker Aischines bis Chion von Herakleia (Αἰσχίνης ὁ worden. Die Überlieferung der Bücher 3 und 4
Σωκρατικός – Χίων) auf; die zweite listet die Dich- (‹Florilegium›) ist wegen der vertrackten Bezie-
ter von Athenodoros bis Chares (Ἀθηνοδώρος – hungen zur gnomologischen Tradition komplexer.
Χάρης) auf, die dritte die Redner und Historiker Hense 1895 [*144: VII–LVII] zeichnet deren
von Aristeides bis Chrysermos (Ἀριστείδης – Hauptetappen nach und beschreibt die wichtigs-
Χρύσερμος), die vierte die Könige und Generäle ten Zeugnisse. Seine Untersuchungen sind von
von Alexander dem Großen bis Chares (Ἀλέξ- Piccione 1994 [*168: 188–216] und 2010 [*189:
ανδρος – Χάρης) und die fünfte schließlich eine 632–645] überarbeitet und vervollständigt wor-
Reihe von Autoren, die schwierig zu klassifizieren den. Die Untersuchungen von Di Lello-Finuoli
sind, von Aristophanes bis Speusipp (Ἀριστοφάνης – 1971 [*161] (mit den Beobachtungen von Di Lello-
Σπεύσιππος). Unter diesen letzten finden sich zahl- Finuoli 1977–1979 [*162], Bühler 1987 [*145: 293–
reiche Ärzte und Philosophen, von denen einige 298], Di Lello-Finuoli 1999 [*173] und 2011 [*193])
schon in der ersten Liste erscheinen. haben die Stellung der späten Codices Trincavel-
Die Namen vieler Autoren und deren Texte liest liani erhellt (sie sind benannt nach dem ‘Editor
man in den heute noch erhaltenen Teilen des ‹An- princeps’ des ‹Florilegium›, Vettore Trincavelli
thologion› nicht mehr. Daraus hat man abgeleitet, 1536 [*135]; Sicherl 1993 [*166: 53–57]).

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474 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

3. LEHRE

1. Stobaios und die Geschichte der antiken Philosophie. – 2. Zweck und Absicht des ‹Anthologion›.

1. Stobaios und die Geschichte der antiken Philosophie

Bereits bei einer oberflächlichen Lektüre der Kapitelliste und der Quellen des
‹Anthologion› bemerkt man Stobaios’ Bildung und seine breiten Interessen, die
großenteils dem philosophischen Diskurs gelten (Runia in Piccione, Runia 2001
[*177: 1009f.]). Goulet 2000 [*176: 1014–1016] führt ein nützliches Verzeichnis aller
Philosophen auf, die von Stobaios zitiert werden, gruppiert nach Kategorien.
Wenn auch die Philosophie überwiegt, so fehlt es doch nicht an Beachtung für an-
dere Autoren und Texte – unter diesen viele der Poesie (Reydams-Schils 2011
[*190]). Stobaios zitiert oft Verse von Menander und Euripides, von denen er ei-
nige Dramen gelesen hat, die heute verloren sind (Piccione 1994 [*168]). Er kennt
und benutzt auch die Sammlung der Theognis-Verse (Ferreri 2011 [*194]). Homer
ist erstaunlich wenig präsent, und seine Verse werden von Stobaios oft indirekt in-
nerhalb von größeren Passagen aus Prosawerken zitiert.
Bei der Auswahl der Texte, philosophischen und anderen, folgt Stobaios kohä-
renten Prinzipien, die einem wohldefinierten Organisationsplan entsprechen.
Unter den Philosophen ist zweifelsohne Platon der am meisten vertretene;
Stobai­os zitiert Auszüge aus der Gesamtheit seiner Dialoge (der authentischen
und der unechten) und der ihm zugeschriebenen Briefe (Curnis 2011 [*192]) sowie
eine Auswahl von ἀποφθέγματα (Aussprüchen: Curnis 2004 [*181]). Ein substan-
tielles Interesse zeigt Stobaios auch für die Philosophen der nachfolgenden plato-
nischen Tradition: Porphyrios, Iamblichos von Chalkis, die Pythagoreer (mit be-
sonderer Beachtung der pseudepigraphischen Schriften der hellenistischen
Epoche) und das ‹Corpus Hermeticum› (Goulet 2000 [*175]). Von Iamblichos gibt
er Passagen aus dem Προτρεπτικός (‹Aufruf zur Philosophie›) und aus ‹De anima›
(‹Über die Seele›) wieder sowie eine Auswahl der ‹Briefe› (Taormina, Piccione
2010 [*149]). Von Porphyrios führt Stobaios, abgesehen von Auszügen aus einigen
verlorenen Werken (Περὶ Στυγός – ‹Über den Styx›; Περὶ ἀγαλμάτων – ‹Über die
Götterstatuen›; Περὶ τοῦ ἐφ᾽ ἡμῖν – ‹Über das, was in unserer Macht steht›; Περὶ
τῶν τῆς ψυχῆς δυνάμεων – ‹Über die Potenzen der Seele›; Περὶ τοῦ γνῶθι σαυτόν
– ‹Über das Erkenne dich selbst›), eine Fassung der ‹Ἀφορμαί πρὸς τὰ νοητά›
(‹Ausgangspunkte, die zum Intelligiblen führen›) an, die unabhängig von jener ist,
die durch die byzantinischen Handschriften überliefert ist (Dorandi 2005 [*183]).
Aufschlussreich ist das Fehlen von Auszügen aus dem traditionellen ‹Corpus Aris-
totelicum›. Man findet dagegen im ‹Anthologion› Passagen aus Werken, die fälsch-
licherweise Aristoteles zugeschrieben werden, sowie die ‹Epitome der peripateti-
schen Ethik›, die ein Pendant zur ‹Epitome der stoischen Ethik› bildet, die einem

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§ 43. Iohannes Stobaios (Bibl. 483–485) 475

gewissen Didymos zugeschrieben wird, der von manchen mit dem Philosophen
am Hof des Augustus, Areios Didymos, identifiziert wird (Tsouni 2016 [*198]
­bestreitet diese Identifikation). Diese beiden grundlegenden Texte sind auch als
‹Doxographie A› und ‹Doxographie B› bekannt (Hahm 1990 [*165]) und geben
eine konkrete Vorstellung von der Verbreitung des peripatetischen und stoischen
Denkens zu Beginn der Kaiserzeit (Göransson 1995 [*169] und Gourinat 2011
[*196]). Didymos – wer auch immer er ist – kann hingegen die sogenannte ‹Doxo-
graphie C› nicht zugewiesen werden (Bonazzi 2011 [*191]), die gemeinsam mit den
beiden vorherigen überliefert ist. Beachtenswert ist der umfangreiche Abschnitt
über die Physik, den Stobaios aus den ‹Placita› eines gewissen Aëtios gewinnt, die
auch durch das Zeugnis anderer griechischer Autoren (‹Placita› des Ps.-Plutarch,
die ‹Heilung der griechischen Krankheiten› des Theodoret Bischof von Kyrrhos
und die ‹Philosophiegeschichte› des Ps.-Galen) sowie aus einer arabischen Über-
setzung bekannt sind (Daiber 1980 [*163]). Die Rekonstruktion dieser schwieri-
gen Schrift, die den jungen Diels 1879 [*143] beschäftigte, wird derzeit einer er-
neuten und gewinnbringenden Überarbeitung unterzogen, die von einer
Wiederherstellung des Originaltexts durch Mansfeld, Runia 1997–2010 [*171] be-
gleitet wird. Ihre Resultate sind breit abgestützt und dürften trotz entgegengesetz-
ter ­Positionen (Gourinat 2011 [*196], Bottler 2014 [*197]) Bestand haben. Stobai-
os’ Interesse am Stoizismus erstreckt sich bis zu den Vertretern der Kaiserzeit:
Epiktet, Musonius Rufus und ein Hierokles, der wahrscheinlich mit dem gleich-
namigen Autor der ‹Ethischen Elementarlehre› zu identifizieren ist, die durch
einen Berliner Papyrus (inv. 9780 verso) fragmentarisch überliefert ist (Long 1996
[*170]). Auch die Kyniker nehmen einen wichtigen Platz im ‹Anthologion› ein: Es
werden insbesondere umfangreiche Fragmente von Teles von Megara zitiert (Fu-
entes Gonzáles 2011 [*195]). Unter den Autoren, die nicht als Philosophen wirk-
ten, aber dennoch einen beachtlichen Beitrag zur Bekanntheit dieser Disziplin ge-
leistet haben, kennt und zitiert Stobaios unter anderem Xenophon, Isokrates und
Plutarch (Piccione 1998 [*172]).
Die große Präsenz von Autoren und Auszügen im ‹Anthologion› aus der plato-
nischen und pythagoreischen Tradition, mit einem besonderen Augenmerk auf
Neuplatonismus und Neupythagoreismus, wurde als Beweis für die Hypothese
angeführt, Stobaios habe sich in einem Ambiente gebildet und betätigt, das vom
Neuplatonismus nach Iamblichos geprägt gewesen sei, beeinflusst (zumindest
scheinbar) von dessen Lehre und ausgestattet mit einer reichen Bibliothek an
­Texten (Taormina, Piccione 2010 [*149]).

2. Zweck und Absicht des ‹Anthologion›

Stobaios’ ‹Anthologion› ist nicht nur als Werk, das als Behältnis dient, zu lesen,
als eine unerschöpfliche Fundgrube von gebildeten Zitaten und eine Sammlung
von Texten, die sonst nicht oder eventuell in parallelen Fassungen aus anderen
Überlieferungen bekannt sind. Stobaios’ Werk hat seine innere Einheit und be-
ruht offenbar auf Kriterien, die der Autor strikt befolgt hat. Nicht nur die kompi-

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476 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

latorische Methode des Stobaios lässt sich rekonstruieren, sondern auch und vor
allem die Prinzipien, die ihn zu Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. zu einem so
umfangreichen kulturellen und intellektuellen Projekt inspirierten (Piccione 1994
[*167], 2003 [*180], 2010 [*189] und Taormina, Piccione 2010 [*149]).
Die Exzerpte sind im ‹Anthologion› verschiedenartig zusammengefügt. Es gibt
keinen einheitlichen Zugriff auf die Quellen, und die Textstellen sind sowohl bei
Versen als auch bei Prosapassage nach verschiedenen Kriterien und auf unter-
schiedliche Art und Weise herausgeschnitten. Dies zeigt sich in den Fällen deut-
lich, in denen man zum Vergleich eine Parallelüberlieferung heranziehen kann.
Es finden sich leicht Retuschen, Modifikationen und auch Spuren exegetischer
Tätigkeit, die vielleicht Stobaios selbst zuzuschreiben sind. Die recht heterogene
Auswahl von Quellen und Auszügen ist, mit wenigen Ausnahmen, von der Not-
wendigkeit des «leichten Genusses» (Piccione 2010 [*189: 623]) des umfangreichen
Materials bestimmt.
Es ist offenkundig, dass Stobaios nicht auf alle Werke der Autoren, die er zitiert
und deren Auszüge er einarbeitet, aus erster Hand Zugriff hatte. Für viele ein-
zelne Auszüge oder Abfolgen von Auszügen ist es nötig, Zwischenquellen anzu-
nehmen. Beispielsweise überliefern das lange Zitat aus den ‹Placita› des Aëtios
und die beiden ‹Doxographien› (die stoische und die peripatetische) des Didymos
im 2. Buch der ‹Eclogae›, selbst falls sie von Stobaios aus erster Hand gelesen und
kopiert worden sein sollten, in ihrem Innern Material, zu dem unser Kompilator
keinen direkten Zugang gehabt haben konnte.
Es ist ferner anzunehmen, dass das Lesen und Sammeln der Quellen viele
Jahre von Stobaios’ Leben in Anspruch genommen hat und die außerordentliche
Fülle an Material von ihm erst zu einem späteren Zeitpunkt nach spezifischen
Kriterien und einer recht klaren architektonische Struktur neu angeordnet wurde.
Wenn man Photios’ Inhaltsangabe Glauben schenkt, fällt auf, dass das ‹Antholo-
gion› im Aufbau drei großen begrifflichen Bereichen folgt: Metaphysik und Phy-
sik (Buch 1), Logik (Buch 2,1–6) und Ethik (Buch 2,7 – Buch 4). Das verlorene
Einleitungskapitel, welches das Werk eröffnete und die Form eines ‘Lob der Phi-
losophie’ hatte, machte von Anfang an die Absichten von Stobaios’ Vorgehen klar.
Die Lektüre des ausgedehnten ethischen Abschnitts des ‹Anthologion› verdeut-
licht Stobaios’ Intention, ausgewählte Themen unter Anwendung eines Verfahrens
zu präsentieren, das mit Gegensätzen operiert (Tugend – Laster; Besonnenheit –
Unklugheit; Mäßigung – Unmäßigkeit; Mut – Feigheit; Erinnerung – Vergessen
usw.). In gewissen Fällen lässt sich sogar ein klar dialektischer Verlauf erkennen,
durch den die Hauptthemen weiter präzisiert werden mit spezifischen zusätzlichen
Elementen (Lob der Armut – Tadel der Armut; Gegenüberstellung von Armut
und Reichtum; dass es das Beste ist zu heiraten – dass es keine gute Sache ist zu
heiraten usw.)
Die Abfolge der Kapitel und ihre argumentative Struktur ist offensichtlich
durch ein didaktisches und pädagogisches Kriterium gesteuert, das wohl in der
Tatsache begründet liegt, dass das ‹Anthologion› von Stobaios im Hinblick auf die
Erziehung seines eigenen Sohnes Septimios konzipiert und zusammengestellt wor-
den ist (Piccione 2002 [*178]).

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§ 43. Iohannes Stobaios (Bibl. 483–485) 477

Die einzelnen Kapitel werden von Titeln eingeleitet, die verschiedene Formen
annehmen. Sie wurden wahrscheinlich von Stobaios selbst ausgewählt und hinzu-
gefügt (Piccione 1999 [*174]), wobei er sie in manchen Fällen in seinen Quellen vor-
gefunden haben konnte. Die häufigste Formulierung des Titels besteht aus Περί
(«Über»), gefolgt vom Thema im Genitiv. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der
Titel mit einem Ὅτι («Dass») oder einem indirekten Interrogativpronomen be-
ginnt. Seltener sind Kapitel, deren Titel die Form eines einfachen Nominativs hat.
Einzelne Auszüge oder Sequenzen von Auszügen (besonders im ‹Florilegium›)
stehen nicht in Einklang mit dem Inhalt, der für die Kapitel angegeben wird, in
denen sie vereinigt sind. Diese Gegebenheit lässt sich mit der Annahme erklären,
dass das gnomische Material, das von Stobaios für die Abfassung dieser Kapitel be-
nutzt wurde, bereits zuvor Gegenstand von Umschichtungen geworden war. In sol-
chen Fällen handelt es sich also nicht um Entstellungen, die im Laufe der Überliefe-
rung des ‹Anthologion› entstanden sind und die deswegen auf die eine oder andere
Weise korrigiert werden müssen, sondern vor einer (freilich merkwürdigen) Gege-
benheit, die schon in den von Stobaios benutzten Quellen vorlag (Piccione 2010
[*189: 627–633] und Piccione in Taormina, Piccione 2010 [*149: 442–451 Anm. 213]).
Stobaios’ Abhängigkeit (vor allem im ‹Florilegium›) von der früheren gnomi-
schen Tradition (Piccione 2003 [*179] und 2004 [*182]) ist unbestreitbar. Stobaios
war aber dennoch nicht ein passiver Kopist des (überwiegend ethischen) Stoffs, der
diese Abschnitte kennzeichnet, sondern fügte dort wiederholt substantielle Ände-
rungen ein, die seinen Bedürfnissen und seinen kompositorischen Kriterien ent-
sprachen. Auf diese Weise gelang es ihm, die Struktur seiner Quellen zum Zeit-
punkt der Abfassung des ‹Anthologion› zu erneuern. Durch die Hinzufügung
insbesondere der umfangreichen Abschnitte, die der (Meta-)Physik und der Logik
gewidmet sind – aus diesen bestehen die ‹Eclogae› – und die Stobaios der doxogra-
phischen Tradition entnimmt, gelang es ihm, ein neues Werk nicht nur hinsichtlich
der Struktur, sondern auch bezüglich der Inhalte zu schaffen. In dieser stetigen
Spannung zwischen Doxographie und Gnomologie sowie im Verhältnis zwischen
Tradition und Innovation kann man daher eine der tragenden Charakteristiken
von Stobaios’ ‹Anthologion› und seine bedeutendste Neuerung sehen.

4. NACHWIRKUNG

Über die Nachwirkung des ‹Anthologion› gibt es wenig zu sagen. Eine wichtige
Position nimmt die Inhaltsangabe im Codex 167 der ‹Bibliotheke› des Photios ein.
Diese ist wertvoll, weil sie eine, wenn auch nur partielle Vorstellung von der ur-
sprünglichen Struktur und dem ursprünglichen Inhalt des Werkes gibt, bevor die
heutigen zwei Bücher der ‹Eclogae› epitomiert und die gesamthaft vier Bücher
des Werkes Umarbeitungen unterworfen worden sind. Spuren der Verbreitung des
‹Anthologion› und seiner Benutzung sind in viel später zusammengestellten und
bisweilen zum Teil noch unveröffentlichten gnomologischen Sammlungen offen-
sichtlich (Taormina, Piccione 2010 [*149: 38–40]). Von diesen am wichtigsten sind
das ‹Corpus Parisinum› (Searby 2007 [*147], Gerlach 2008 [*148] und 2008 [*187]),

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478 IV. Philosophiegeschichtsschreibung, Doxographie und Anthologie

das ‹Florilegium Laurentianum› (Florenz, Laurentianus plut. 8.22, 14. Jh. = L),
das ‹Florilegium Bruxellense› (Bruxelles, Bruxellensis 11360 = B, von Hense 1882
[*157] entdeckt), die Ῥοδωνιά, überliefert im Codex Venedig, Marcianus graecus
452 (= coll. 796), einem Autographen des Makarios Chrysokephalos (dem Metro-
politen von Philadelphia von 1336 bis 1382), das ‹Florilegium Vossianum›, das
‹Florilegium Frobenianum› und schließlich die ‹Loci communes› des Ps.-Maxi-
mos (Ihm 2001 [*146]).
Im 15. Jahrhundert schöpften Apostolios und Arsenios aus dem ‹Anthologion›,
wie sie es auch mit den ‹Leben› des Diogenes Laertios bei der Abfassung des ‹Vio­
letum› getan hatten.
Hinweise auf Lektüre und Benutzung des ‹Anthologion›, angefangen vom spä-
ten Humanismus bis zum 19. Jahrhundert, ergeben sich schließlich auch aus der
Analyse der Editionen, die lange Zeit den zwei Büchern des ‹Florilegium› zu Las-
ten jener der ‹Eclogae› den Vorzug gaben (Curnis 2008 [*186]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Tim Richter


in Zusammenarbeit mit Laura Napoli.

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479

BIBLIOGRAPHIE ZUM VIERTEN KAPITEL

Allgemeines [*1]; Diogenes Laertios [*7–*130]; Iohannes Stobaios [*135–*198].

Allgemeines

1 J. Mansfeld: Rezension zu Grundriss, Antike I,


in: Mnemosyne 68 (2015) 331–343.

Diogenes Laertios

7 T. Dorandi: Diogenes Laertius, in: Oxford Bib­ decem, ex italicis codicibus nunc primum ex­
liographies in Classics (2015). – Online unter: cussis rec. C. G. Cobet (Parisiis 1850).
http://www.oxfordbibliographies.com/ (Stand: 16 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen be­
Juli 2018). rühmter Philosophen, übersetzt und erläutert
von O. Apelt, I–II (Hamburg 11921, 31990)
[Philosophische Bibliothek 53–54]. – Unter
Ausgaben und Übersetzungen in Auswahl, Mitarbeit von H. G. Zekl neu herausgegeben
Index sowie mit Vorwort, Einleitung und neuen An­
merkungen zu Text und Übersetzung versehen
Knoepfler 1991 [*21] hat alle Ausgaben von von K. Reich.
Dio­genes’ ‹Leben› sorgfältig präsentiert und er­ 17 Epicuri Epistulae tres et Ratae sententiae a
läutert, von der Editio princeps oder der Editio Laer­tio Diogene servatae, edidit P. Von der
Frobeniana (1533) bis zu jener von Long 1966 Mühll (Lipsiae 1922) [BT].
[*20]. Dorandi 2009 [*112: 39–48] hat diese Liste 18 Diogenes Laertius: Lives of the Eminent Phi­
mit einer Analyse der Ausgabe von Marcovich losophers, with an English Translation by R. D.
1999 und 2002 [*33] verbunden. Die neueste Aus­ Hicks, I–II (Cambridge MA, London 11925,
71972) [LCL 184–185].
gabe ist jene von Dorandi 2013 [*120] (vgl. Marti­
nelli Tempesta 2014 [*126]). 19 Diogene Laerzio: Vite dei filosofi, a cura di M.
Gigante, I–II (Roma, Bari 11962, 52002; rivista
13 H. Froben, N. Episcopius: Διογένους Λαερτίου e ampliata 21976, 31983) [Biblioteca Universale
περὶ βίων, δογμάτων καὶ ἀποϕθεγμάτων τῶν ἐν Laterza 98–99].
ϕιλοσοϕίᾳ εὐδοκιμησάντων, βιβλία δέκα, νῦν 20 Diogenis Laertii Vitae philosophorum, recog­
πρῶτον ἐντυπωθέντα. Diogenis Laertii De novit brevique adnotatione critica instruxit
vitis, decretis, et responsis celebrium philoso­ H. S. Long, I–II (Oxonii 11964, 21966) [OCT].
phorum Libri decem, nunc primum excusi (Ba­ 21 La Vie de Ménédème d’Érétrie de Diogène
sileae 1533). – Editio princeps. Laërce. Contribution à l’histoire et à la critique
14 Diogenis Laertii de vitis, dogmatibus et apo­ du texte des Vies des philosophes, par D.
phthegmatibus clarorum philosophorum libri Knoepf­ler (Basel 1991) [SBA 21].
decem, instruxit H. G. Huebnerus, I–II (Lip­ 22 K. Janáček: Indice delle Vite dei filosofi di
siae 1828–1831). Dio­gene Laerzio (Firenze 1992) [Accademia
Commentarii in Diogenem Laertium […] Toscana di scienze e lettere La Colombria,
Isaaci Casauboni Notae atque Aegidii Menagii Studi 123].
Observationes et emendationes in Diogenem 23 Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Phi­
Laertium […] editionem […] curavit H. G. losophen. Aus dem Griechischen übersetzt und
Hueb­nerus, I–II. Vol. II, post Huebneri mor­ herausgegeben von F. Jürß (Stuttgart 1998).
tem absolvit C. Iacobitz (Lipsiae 1830, 1833). 24 Diogène Laërce: Vies et doctrines des philo­
15 Diogenis Laertii de clarorum philosophorum sophes illustres. Traduction française sous la
vitis, dogmatibus et apophthegmatibus libri direction de M.-O. Goulet-Cazé. Introduction,

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 479 25.09.18 09:25


480 Bibliographie zum vierten Kapitel

traductions et notes de J.-F. Balaudé, L. Bris­ Scharffenberger, D. Sedley, J. Warren (Tübin­


son, J. Brunschwig, T. Dorandi, M.-O. Goulet- gen 2015) [SAPERE 25].
Cazé, R. Goulet et M. Narcy. Avec la
collaboration de M. Patillon. Deuxième édi­
tion, revue et corrigée (Paris 1999) [Classiques Sekundärliteratur
Modernes].
25 R. Goulet: Diogène Laërce, Livre I. Introduc­ 44 Epistula ad Maassium, in: De biographis Grae­
tion, traduction et notes, in: Goulet-Cazé 1999 cis quaestiones selectae, acc. U. de Wilamo­
[*24: 43–158]. witz-Moellendorff ad E. Maassium epistola
26 M. Narcy, M.-O. Goulet-Cazé: Diogène (Berlin 1880) [Philologische Untersuchungen
Laërce, Livre II, in: Goulet-Cazé 1999 [*24: 3] 142–164.
159–367]. 45 U. von Wilamowitz-Moellendorff: Antigonos
27 L. Brisson: Diogène Laërce, Livre III, in: Gou­ von Karystos (Berlin 1881) [Philologische Un­
let-Cazé 1999 [*24: 369–464]. tersuchungen 4].
28 T. Dorandi: Diogène Laërce, Livre IV, in: Gou­ 46 H. Diels: Reiskii Animadversiones in Laertium
let-Cazé 1999 [*24: 465–540]. Diogenem, in: Hermes 24 (1889) 302–325.
29 M. Narcy: Diogène Laërce, Livre V, in: Goulet- 47 E. Schwartz: Diogenes (40) Laertios, in: RE V
Cazé 1999 [*24: 541–653]. 1 (1903) 738–763. – Wieder in: Ders.: Griechi­
30 M.-O. Goulet-Cazé: Diogène Laërce, Livre VI, sche Geschichtschreiber (Leipzig 1957) 453–
in: Goulet-Cazé 1999 [*24: 655–772]. 491.
31 J.-F. Balaudé, L. Brisson: Diogène Laërce, 48 H. Usener: Die Unterlage des Laertius Dioge­
Livre VIII, in: Goulet-Cazé 1999 [*24: 919– nes, in: Kleine Schriften III (Leipzig, Berlin
1023]. 1914) 163–175.
32 J. Brunschwig: Diogène Laërce, Livre IX, in: 49 E. Howald: Handbücher als Quellen des Dio­
Goulet-Cazé 1999 [*24: 1025–1145]. genes Laërtius, in: Philologus 74 (1917) 119–
33 Diogenis Laertii Vitae philosophorum, I–III. I: 130.
Libri 1–10; II: Excerpta Byzantina (Stuttgart, 50 R. Hope: The Book of Diogenes Laertius, its
Leipzig 1999); III: Indices confecit H. Gärtner, Spirit and its Method (New York 1930).
edidit M. Marcovich (Stutgardiae, Lipsiae 52 A. Kolář: De Diogenis Laertii Pammetro, in:
1999) [BT]. – Marcovich normalisiert zu sehr Listy filologické 78 (1955) 190–195. – Auf
oder schreibt sogar in mehreren Punkten den Tschechisch mit lateinischer Zusammenfas­
Text von Diogenes um, ohne Diogenes’ ‘usus sung.
scribendi’ oder dessen Arbeitsmethode gebüh­ 53 A. Kolář: De quibusdam carminibus in Dioge­
rend zu berücksichtigen. nis Laertii Vitis, in: Eunomia 3 (1959) 65–67. –
34 Diogene Laerzio: Vite e dottrine dei più celebri Auf Tschechisch mit lateinischer Zusammen-
filosofi. Testo greco a fronte, a cura di G. Reale fassung.
con la collaborazione di G. Girgenti e I. Ra­ 54 O. Gigon: Das Prooemium des Diogenes Laer­
melli (Milano 2005) [Il pensiero occidentale]. tios: Struktur und Probleme, in: Horizonte der
35 Diogène Laërce: Vies et doctrines des Stoï­ Humanitas. FS Walter Willi, herausgegeben
ciens. Introduction, traduction et notes par R. von G. Luck (Bern, Stuttgart 1960) 37–64.
Goulet (Paris 2006) [La Pochothèque – Clas­ 55 M. Untersteiner: Posidonio nei placita di Pla­
siques modernes]. tone secondo Diogene Laerzio III (Brescia
36 Diogenes Laertius: Lives of Eminent Philoso­ 1970) [Antichità classica e cristiana 7].
phers. Edited with Introduction by T. Dorandi 56 Bion of Borysthenes. A collection of the Frag­
(Cambridge 2013) [Cambridge Texts and Com­ ments with Introduction and Commentary,
mentaries 50]. edit­ed by J. F. Kindstrand (Uppsala 1976) [Stu­
37 S. Grau: Diògenes Laerci, Vides i doctrines dia Graeca Upsaliensia 11].
dels filòsofs més il.lustres, I [llibre 1]. Introduc­ 57 J. Mejer: Diogenes Laertius and his Hellenistic
ció general, notícies preliminaras, text revisat, Background (Wiesbaden 1978) [Hermes – Ein­
tradució i notes (Barcelona 2014) [Escriptors zelschriften 40].
Grecs]. 58 F. Nietzsche: De Laertii Diogenis fontibus, in:
38 Pyrrhonian Skepticism in Diogenes Laertius. Ders.: Philologische Schriften, bearbeitet von
Introduction, Text, Translation, Commentary F. Bornmann, M. Carpitella (Berlin, New York
and Interpretative Essays by K. M. Vogt, R. 1982) [Nietzsche Werke. Kritische Gesamtaus­
Bett, L. Corti, T. Dorandi, C. M. M. Olfert, E. gabe Werke und Briefe 2,1] 75–167.

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 480 25.09.18 09:25


Diogenes Laertios 481
59 F. Nietzsche: Analecta Laertiana, in: Ders.: 76 L. Brisson: Diogène Laërce, livre III: structure
Philologische Schriften, bearbeitet von F. et contenu, in: Mejer et al. 1992 [*75: 3619–
Bornmann, M. Carpitella (Berlin, New York 3760 et 2*–25* (indices)].
1982) [Nietzsche Werke. Kritische Gesamtaus­ 77 B. Centrone: L’VIII libro delle Vite di Diogene
gabe Werke und Briefe 2,1] 169–190. Laerzio, in: Mejer et al. 1992 [*75: 4183–4217].
60 F. Nietzsche: Beiträge zur Quellenkunde und 78 F. Decleva Caizzi: Il libro IX delle Vite dei fi­
Kritik des Laertius Diogenes, in: Ders.: Philo­ losofi di Diogene Laerzio, in: Mejer et al. 1992
logische Schriften, bearbeitet von F. Born­ [*75: 4218–4240].
mann, M. Carpitella (Berlin, New York 1982) 79 T. Dorandi: Il quarto libro delle Vite di Dio­
[Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe gene Laerzio: l’Academia da Speusippo a Cli­
Werke und Briefe 2,1] 191–245. tomaco, in: Mejer et al. 1992 [*75: 3761–3792].
61 D. Knoepfler: Le Diogène Laërce de M. Ma­ 80 G. Giannantoni: Il secondo libro delle Vite di
beuf dans les Misérables de Victor Hugo, in: Diogene Laerzio, in: Mejer et al. 1992 [*75:
BAGB (1983) 319–325. 3603–3618].
62 M. Gigante: Demetrio di Magnesia e Cicerone, 81 M.-O. Goulet-Cazé: Le livre VI de Diogène
in: SIFC 76 (1984) 98–106. Laërce: analyse de sa structure et réflexions
63 J. Barnes: Nietzsche and Diogenes Laertius, in: méthodologiques, in: Mejer et al. 1992 [*75:
Nietzsche-Studien 15 (1986) 16–40. – Wieder 3880–4048].
in: Ders.: Mantissa. Essays in Ancient Philoso­ 82 D. Hahm: Diogene Laertius VII: on the Stoics,
phy IV, edited by M. Bonelli (Oxford 2015) in: Mejer et al. 1992 [*75: 4076–4182, 4404–
584–611. 4411].
64 G. Giannantoni: Socrate e i Socratici in Dio­ 83 J. Mejer: Diogenes Laertius and the Transmis­
gene Laerzio, in: Elenchos 7 (1986) 183–216. sion of Greek Philosophy, in: Mejer et al. 1992
65 M. Gigante: Biografia e dossografia in Diogene [*75: 3556–3602].
Laerzio, in: Elenchos 7 (1986) 7–102. 84 M. Sollenberger: The Lives of the Peripatetics:
66 O. Gigon: Das dritte Buch des Diogenes Laer­ An Analysis of the Content and Stucture of
tios, in: Elenchos 7 (1986) 33–182. Dio­genes Laertius’ Vitae philosophorum Book
67 J. F. Kindstrand: Diogenes Laertius and the 5, in: Mejer et al. 1992 [*75: 3793–3879].
chreia tradition, in: Elenchos 7 (1986) 217–234. 85 K. Algra: Gassendi et le texte de Diogène
68 J. Mansfeld: Diogenes Laertius on Stoic Philo­ Laërce, in: Elenchos 15 (1994) 79–103.
sophy, in: Elenchos 7 (1986) 295–382. – Wieder 86 N. C. Dührsen: Die Briefe der Sieben Weisen
in: Ders.: Studies in the Historiography of bei Diogenes Laertios. Möglichkeiten und
Greek Philosophy (Assen 1990) 343–428. Grenzen der Rekonstruktion eines verlorenen
69 P. Moraux: Diogène Laërce et le Peripatos, in: griechischen Briefromans, in: Der griechische
Elenchos 7 (1986) 245–294. Briefroman, herausgegeben von N. Holzberg,
70 G. Verbeke: Panétius et Posidonius chez Dio­ unter Mitarbeit von S. Merkle (Tübingen 1994)
gène Laërce, in: Elenchos 7 (1986) 103–131. [Classica Monacensia 8] 84–115.
71 B. Centrone: Alcune osservazioni sui Placita di 87 M. Gigante: Diogene Laerzio, in: Lo spazio let­
Platone in Diogene Laerzio, in: Elenchos 8 terario della Grecia antica, III, a cura di G.
(1987) 105–118. Cambiano, L. Canfora, D. Lanza (Roma 1994)
72 F. Aronadio: Due fonti laerziane: Sozione e 723–740.
Demetrio di Magnesia, in: Elenchos 11 (1990) 88 M. Gigante: Diogene Laerzio: da poeta a pro­
203–255. satore, in: Sileno 10 (1994) 245–248.
73 B. A. Desbordes: Introduction à Diogène 89 M. M. Sassi: La filosofia italica: genealogia e
Laërce. Exposition de l’«Altertumswissen­ varianti di una formula storiografica, in: An­
schaft» servant de préliminaires critiques à une nali dell’Istituto Orientale Napoli, Sezione fi­
lecture de l’œuvre (Utrecht 1990). lologico-letteraria 16 (1994) 29–53.
74 J. Barnes: Diogenes Laertius IX 61–116: The 90 R. Bodéüs, L’influence historique du Stoïcisme
Philosophy of Pyrrhonism, in: ANRW II 36,6 sur l’interprétation de l’œuvre philosophique
(1992) 4241–4301. – Wieder in: Ders.: Man­ d’Aristote, in: RSPh 79 (1995) 553–586.
tissa. Essays in Ancient Philosophy IV, edited 91 O. Masson: La patrie de Diogène est-elle in­
by M. Bonelli (Oxford 2015) 510–583. connue?, in: MH 52 (1995) 225–230.
75 J. Mejer et al.: Doxographica: Diogenes Laer­ 92 J. Barnes: The Catalogue of Chrysippus’ Logi­
tius, Hippolytus, in: ANRW II 36,5 (1992) cal Works, in: Polyhistor: Studies in the History
3556–4411. and Historiography of Ancient Philosophy.

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 481 25.09.18 09:25


482 Bibliographie zum vierten Kapitel

Presented to Jaap Mansfeld on his Sixtieth 107 L. Casantini: La Πάμμετρος di Diogene Laer­
Birth­day, edited by K. A. Algra et al. (Leiden zio (Diss. Roma 2008). – Unveröffentlicht.
1996) [PhA 72] 169–184. – Wieder in: Ders.: 108 K. Janáček: Studien zu Sextus Empiricus,
Mantissa. Essays in Ancient Philosophy IV, Dio­genes Laertius und zur pyrrhonischen
edited by M. Bonelli (Oxford 2015) 479–494. Skepsis (Berlin, New York 2008) [BzA 249].
93 D. T. Runia: Diogenes Laertios, in: DNP III 109 K. Janáček: Zum Stil des Diogenes Laertios,
(1997) 601–603. in: Janáček 2008 [*108: 244–250].
94 J. Bollansée: Hermippos of Smyrna and His 110 K. Janáček: Aus der Werkstatt des Diogenes
Biographical Writings. A Reappraisal (Leu­ Laertios, in: Janáček 2008 [*108: 310–315].
ven 1999) [Studia Hellenistica 35]. 111 M. Di Marco: Senocrate asino (Diog. Laert.
95 P. Hadot: Chrysippe, in: DPhA III (2000) 4. 15 = A. P. 7. 102), in: Seminari Romani 12
336–356. (2009) 85–94.
96 R. Goulet: Des sages parmi les philosophes: 112 T. Dorandi: Laertiana. Capitoli sulla tradizio-
le premier livre des Vies des philosophes de ne manoscritta e sulla storia del testo delle
Diogène Laërce, in: Études sur les Vies des Vite dei filosofi di Diogene Laerzio (Berlin,
philosophes de l’Antiquité tardive (Paris New York 2009) [BzA 264].
2001) [Textes et traditions 1] 67–77, 387. 113 S. Grau: La imatge del filòsof i de l’activitat
97 R. Goulet: Les références chez Diogène filosòfica a la Grècia antiga: Anàlisi dels tò­
Laërce: sources ou autorités, in: Études sur pics biogràfics presents a les Vides i doctrines
les Vies des philosophes de l’Antiquité tar­ dels filòsofs més illustres de Diògenes Laerci
dive (Paris 2001) [Textes et traditions 1] 79– (Barcelona 2009) [Co·leció cum laude 2].
96. 114 J. Jouanna: Médecine et philosophie: sur la
98 M.-O. Goulet-Cazé: Les Kynika du Stoïcisme date de Sextus Empiricus et de Diogène
(Stuttgart 2003) [Hermes – Einzelschriften Laërce à la lumière du ‹Corpus galénique›, in:
89]. REG 122 (2009) 359–390.
99 F. Nietzsche: Nachgelassene Aufzeichnungen. 115 M. D. Usher: Diogenes’ doggerel: ‘chreia’ and
Frühjahr 1868 – Herbst 1869. Bearbeitet von quotation in Cynic performance, in: CJ 104
K. Glau, in: Ders.: Werke. Kritische Gesamt­ (2009) 207–223.
ausgabe. Begründet von G. Colli, M. Monti­ 116 M. Di Marco: Un eccesso di brindisi: la morte
nari. Weitergeführt von V. Gerhardt, N. di Crisippo in un epigramma di Diogene
Miller, W. Miller-Lauter, K. Pestalozzi. Erste Laer­zio (VII 184 = AP VII 706), in: SIFC 8
Abteilung herausgegeben von J. Figl. Fünfter (2010) 77–85.
Band herausgegeben von J. Figl, K. Glau, G. 117 T. Dorandi: Diogene Laerzio, Epicuro e gli
W. Most (Berlin, New York 2003). editori di Epicuro e di Diogene Laerzio, in:
100 C. Rossitto: Aristotele e altri autori. Divisioni Eikasmós 21 (2010) 273–301.
(Milano 22005) [Il pensiero occidentale]. 118 M. M. Sassi: Ionian Philosophy and Italic Phi­
101 I. Gugliermina: Diogène Laërce et le Cy­ losophy: From Diogenes Laertius to Diels, in:
nisme (Lille 2006) [Philosophie Ancienne]. The Presocratics from the Latin Middle Ages
102 A. A. Long: Diogenes Laertius, Life of Arce­ to Hermann Diels, edited by O. Primavesi,
silaus, in: Ders.: From Epicurus to Epictetus: K. Luchner (Stuttgart 2011) [PhdA 26] 19–44.
Studies in Hellenistic and Roman Philosophy 119 T. Hägg: The Art of Biography in Antiquity
(Oxford 2006) 96–114. (Cambridge 2012).
103 L. Casantini: Osservazioni su tre epigrammi 120 T. Dorandi: Diogene Laerzio e la tradizione
di Diogene Laerzio. D. L. II 144 (Anth. App. catalogica. Liste di libri nelle Vite e opinioni
V 40), in: Rivista di Cultura Classica e Medie­ dei filosofi, in: Antiquorum Philosophia 7
vale 49 (2007) 71–80. (2013) 107–126.
104 M. Di Marco: Su un epigramma di Diogene 121 T. Dorandi: Diogene Laerzio e la storia della
Laerzio (Anth. App. V 40 Cougny): nota me­ filosofia antica. Con qualche considerazione
trico-testuale, in: RFIC 135 (2007) 91–95. di un editore, in: Aristotele e la storia, a cura
105 T. Dorandi: Diogène Laërce ‘lecteur’ d’Aris­ di C. Rossitto, A. Coppola, F. Biasutti (Pa­
tote, in: Elenchos 28 (2007) 435–446. dova 2013) [Ithaca] 185–203.
106 J. Warren: Diogenes Laërtius, biographer of 122 V. Gysembergh: Une référence à la médecine
philosophy, in: Ordering Knowledge in the de Cnide dans le débat philosophique entre
Roman Empire, edited by J. Koenig, T. Whit­ Platon et Eudoxe, in: REG 126 (2013) 34–58.
marsch (Cambridge 2007) 133–149.

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 482 25.09.18 09:25


Iohannes Stobaios 483
123 A. Laks: The Pythagorean Hypomnemata 127 W. Lapini: L’Epistola a Erodoto e il Bios di
Reported by Alexander Polyhistor in Dioge­ Epicuro in Diogene Laerzio. Note testuali,
nes Laertius (8.25–33): A Proposal for Read­ esegetiche e metodologiche (Roma 2015)
ing, in: On Pythagoreanism, edited by G. [Pleiadi 20].
Cornelli, C. Macris, R. McKirahan (Berlin 128 F. Verde: Epicureanism, in: Oxford Biblio­
2013) [Studia Praesocratica 5] 371–384. graphies in Classics (2015). – Online unter:
124 T. Dorandi: Diogenes Laertius and the Gno­ http://www.oxfordbibliographies.com/ (Stand:
mological Tradition: Considerations from an Juli 2018).
Editor of the Lives of the Philosophers, in: 129 T. Dorandi: Aristotle in the Biographical Tra­
Ars Edendi Lectures 3, edited by E. Odel­ dition, in: Brill’s Companion to the Reception
man, D. Searby (Stockholm 2014) 71–103. of Aristotle in Antiquity, edited by A. Falcon
125 A. Laks: Diogenes Laertius’ Life of Pythago­ (Leiden 2016) [Brill’s Companions to Classi­
ras, in: A History of Pythagoreanism, edited cal Reception 7] 277–298.
by C. A. Huffman (Cambridge 2014) 360– 130 T. Dorandi: Le ‹Divisiones quae vulgo dicun­
380. tur Aristoteleae›. Storia del testo e edizione
126 S. Martinelli Tempesta: La nuova edizione di delle Recensiones Marciana, Florentina e
Diogene Laerzio, in: Elenchos 35 (2014) 157– Leidensis, in: Studia Graeco-Arabica 6 (2016)
189. 1–58.

Iohannes Stobaios

Ausgaben und Übersetzungen in Auswahl delectae […] et in Sermones sive Locos com­
munes digestae, a Conrado Gesnero […] in la­
Eine erläuterte Geschichte der antiken Editio­ tinum sermonem traductae […], Tiguri 1543
nen des Stobaios bis zu jener von Meineke 1855– (Basileae 21549, Tiguri 31549).
1864 [*142] bietet Curnis 2008 [*186]. 137 Ioannis Stobaei Eclogarum libri duo: quorum
Die maßgebliche Edition des ganzen ‹Antholo­ prior physicas, posterior ethicas complectitur;
gion› bleibt diejenige von Wachsmuth, Hense nunc primum Graece editi; interprete G.
1884–1912 [*144], herausgegeben in fünf Bänden: Cantero (Antverpiae 1575). – Editio princeps
Wachsmuth (1884 [*144]) veröffentlichte die ers­ des griechischen Texts der ‹Eclogae›.
ten beiden Bände mit den ‹Eclogae›, Hense (1894– 138 Ioannis Stobaei Eclogarum physicarum et
1912 [*144]) edierte hingegen das ‹Florilegium›, ethicarum libri duo, I–IV, ad codd. mss.
das die Bände 3–5 einimmt. Der 1. Band (Wachs­ fidem suppleti et castigati annotatione et ver­
muth 1884 [*144: VII–XXXIII]) und der 3. Band sione Latina instructi ab A. H. L. Heeren
(Hense 1894 [*144: VII–LVII]) enthalten eine (Gottingae 1792–1801).
grundlegende Einführung in die Geschichte des 139 Ioannis Stobaei Florilegium, I–IV, ad ma­
Textes und die Überlieferung des ‹Anthologion›, nuscriptorum fidem emendavit et supplevit
die in verschiedener Hinsicht aktualisiert werden Th. Gaisford (Oxonii 1822). – Editio auctior
sollte. Gemeinsames Charakteristikum beider (Leipzig 1823–1824).
Editionen sind die zahlreichen radikalen, norma­ 140 Photii Bibliotheca, ex recensione I. Bekker
lisierenden Eingriffe und die fast allzu systemati­ (Berolini 1824).
sche Berücksichtigung der sakroprofanen Florile­ 141 Th. Gaisford: Ioannis Stobaei Eclogarum
gien für die Wiederherstellung von Stobaios’ Text. physicarum et ethicarum libri duo, accedit
Hieroclis commentarius in Aurea Carmina
135 V. Trincavelli: Ἰωάννου τοῦ Στοβαίου Ἐκ­ Pythagoreorum, I–II (Oxonii 1850).
λογαὶ ἀποφθεγμάτων – Ioannis Stobaei collec­ 142 Ioannis Stobaei Florilegium I–IV, recognovit
tiones sententiarum (Venetiis 1536). – Editio A. Meineke (Lipsiae 1855–1857); Ioannis Sto­
princeps des ‹Florilegium›, wiederaufgenom­ baei Eclogarum physicarum et ethicarum
men von Gesner 1543 und 1549 [*136]. libri duo, I–II, recensuit A. Meineke (Lipsiae
136 Κέρας Ἀμαλθείας. Ἰωάννου τοῦ Στοβαίου ἐκ­ 1860–1864). – Der 4. Band des ‹Florilegium›
λογαὶ ἀποφθεγμάτων καὶ ὑποθηκῶν – Ioannis enthält auch die Veröffentlichung von weite­
Stobaei Sententiae ex thesauris Graecorum rem gnomologischem Material, das nützlich

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 483 25.09.18 09:25


484 Bibliographie zum vierten Kapitel

ist für das Verständnis und die Rekonstruk­ 160 A. L. Di Lello-Finuoli: Il Florilegio Lauren­
tion dieses Teils von Stobaios’ Werk. ziano, in: Quaderni Urbinati di Cultura Clas­
143 Doxographi Graeci, collegit recensuit prole­ sica 4 (1969) 137–173.
gomenis indicibusque instruxit H. Diels (Be­ 161 A. L. Di Lello-Finuoli: Un esemplare auto­
rolini 1879). grafo di Arsenio e il Florilegio di Stobeo. Con
144 Ioannis Stobaei Anthologii libri duo priores, uno studio paleografico di P. Canart (Roma
I–II, recensuit C. Wachsmuth (Berolini 1884); 1971).
Ioannis Stobaei Anthologii libri duo posterio­ 162 A. L. Di Lello-Finuoli: A proposito di alcuni
res, III–V, recensuit O. Hense (Berolini 1894– codici trincavelliani: Rivista di studi bizantini
1912). – Nachdruck (Berolini 1958) mit dem e neoellenici 14–16 (1977–1979) 349–376.
von O. Hense veröffentlichten Autorenindex: 163 H. Daiber: Aetius Arabus. Die Vorsokratiker
Ioannis Stobaei Editionis Weidmannianae in arabischer Überlieferung (Wiesbaden
Appendix. Indicem auctorum in tertio libro et 1980) [Akademie der Wissenschaften und der
quarto laudatorum continens (Berolini 1923). Literatur, Veröffentlichungen der orientali­
145 Zenobii Athoi Proverbia. Volumen primum schen Kommission 33].
(Prolegomena), edidit et narravit W. Bühler 164 G. Fowden: The Egyptian Hermes. A Histori­
(Gottingae 1987). cal Approach to the Late Pagan Mind (Cam­
146 Ps.-Maximus Confessor. Erste kritische Edi­ bridge 21987).
tion einer Redaktion des sacro-profanen Flo­ 165 D. Hahm: The Ethical Doxography of Arius
rilegiums ‹Loci Communes›, herausgegeben Didymus, in: ANRW II 36,4 (1990) 2935–
von S. Ihm (Stuttgart 2001) [Palingenesia 73]. 3055.
147 The ‹Corpus Parisinum›: A Critical Edition of 166 M. Sicherl: Die griechischen Erstausgaben
the Greek Text with Commentary and Eng­ des Vettore Trincavelli (Padeborn 1993) [Stu­
lish Translation (A Medieval Anthology of dien zur Geschichte und Kultur des Alter­
Greek Texts from the Pre-Socratics to the tums, Reihe 1, Monographien, NF 5].
Church Fathers, 600 B.C. – 700 A.D.). Trans­ 167 R. M. Piccione: Sulle fonti e le metodologie
lated, with Commentary and Introduction by compilative di Stobeo, in: Eikasmós 5 (1994)
D. M. Searby. With a Commendatory Fore­ 281–317.
word by D. Gutas (Lewiston, Queenston, 168 R. M. Piccione: Sulle citazioni euripidee in
Lampeter 2007). Stobeo e sulla struttura dell’‹Anthologion›,
148 Gnomica Democritea. Studien zur gnomolo­ in: RFIC 122 (1994) 175–218.
gischen Überlieferung der Ethik Demokrits 169 T. Göransson: Albinus, Alcinous, Arius Didy­
und zum Corpus Parisinum mit einer Edition mus (Göteborg 1995) [Studia Graeca et La­
der ‹Democritea› des ‹Corpus Parisinum›, tina Gothoburgensia 61].

von J. Gerlach (Wiesbaden 2008) [Serta 170 A. A. Long: Notes on Hierocles Stoicus apud
Graeca 26]. Stobaeum, in: ΟΔΟΙ ΔΙΖΗΣΙΟΣ. Le vie della ri­
149 Giamblico: I frammenti dalle epistole. Intro­ cerca. Studi in onore di F. Adorno, a cura di
duzione, testo, traduzione e commento, a cura M. S. Funghi (Firenze 1996) 299–309.
di D. P. Taormina, R. M. Piccione (Napoli 171 J. Mansfeld, D. T. Runia: Aëtiana. The Me­
2010) [Elenchos 56]. thod and Intellectual Context of a Doxogra­
150 Fozio: Biblioteca. Introduzione di L. Canfora, pher. I: The Sources (Leiden, New York, Köln
a cura di N. Bianchi, C. Schiano (Pisa 2016). 1997); II: The compendium (Leiden, Boston
2009); III: Studies in the Doxographical Tra­
ditions of Ancient Philosophy (Leiden, Bos­
Sekundärliteratur ton 2010) [PhA 73, 114, 118].
172 R. M. Piccione: Plutarco nell’‹Anthologion› di
156 A. Elter: De Ioannis Stobaei codice Photiano Giovanni Stobeo, in: L’eredità culturale di
(Bonnae 1880). Plutarco dall’Antichità al Rinascimento, a
157 O. Hense: De Stobaei Florilegii excerptis cura di I. Gallo (Napoli 1998) [Collectanea]
Bruxellensibus (Friburgi, Tubingae 1882). 161–201.
158 K. Wachsmuth: Studien zu den griechischen 173 A. L. Di Lello-Finuoli: Ateneo e Stobeo nella
Florilegien (Berlin 1882). biblioteca Vaticana: tracce di codici perduti,
159 O. Hense: Ioannes (18) Stobaios, in: RE IX 2 in: Ὁπώρα. Studi in onore di Mgr. P. Canart,
(1916) 2549–2586. III (1999) [Bollettino della Badia Greca di
Grottaferrata N. S. 53] 13–55.

04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 484 25.09.18 09:25


Iohannes Stobaios 485
174 R. M. Piccione: Caratterizzazioni di lemmi 187 J. Gerlach: Die kompositorische Einheit des
nell’Anthologion di Giovanni Stobeo. Ques­ Corpus Parisinum. Eine methodologische
tioni di metodo, in: RFIC 127 (1999) 139–175. Stellungnahme zu Searbys Gesamtedition, in:
175 R. Goulet: Hermetica, in: DPhA III (2000) Medioevo Greco 8 (2008) 201–253.
641–650. 188 D. Speranzi: Vicende umanistiche di un an­
176 R. Goulet: Jean Stobée, in: DPhA III (2000) tico codice. Marco Musuro e il Florilegio di
1012–1016. Stobeo, in: Segno e Testo 7 (2009) 313–350.
177 R. M. Piccione, D. T. Runia: Stobaios, in: 189 R. M. Piccione: Materiali, scelte tematiche e
DNP XI (2001) 1006–1010. criteri di ordinamento nell’Anthologion di
178 R. M. Piccione: Encyclopédisme et enkyklios Giovanni Stobeo, in: Condensing Texts –
paideia? À propos de Jean Stobée et de Condensed Texts, edited by M. Horster, Ch.
l’Anthologion, in: Philosophie antique 2 Reitz (Stuttgart 2010) [Palingenesia 98] 619–
(2002) 169–197. 647.
179 R. M. Piccione: Le raccolte di Stobeo e Orio- 190 Thinking through Excerpts. Studies on Sto­
ne: fonti, modelli, architetture, in: Aspetti di baeus, edited by G. J. Reydams-Schils (Turn­
letteratura gnomica nel mondo antico I, a hout 2011) [Monothéismes et philosophie].
cura di M. S. Funghi (Firenze 2003) [Accade­ 191 M. Bonazzi: Il platonismo nel secondo libro
mia Toscana di scienze e lettere La Colomba­ dell’‹Anthologion› di Stobeo: il problema Eu­
ria, Studi 218] 241–261. doro, in: Reydams-Schils 2011 [*190: 441–
180 R. M. Piccione: Scegliere, raccogliere e ordi­ 456].
nare. La letteratura di raccolta e la trasmissio- 192 M. Curnis: Plato Stobaensis. Citazioni ed es­
ne del sapere, in: Bisanzio tra storia e lettera­ tratti platonici nell’Anthologion, in: Rey­
tura, a cura di E. V. Maltese (Brescia 2003) dams-Schils 2011 [*190: 71–123].
[Humanitas 1] 44–63. 193 A. L. Di Lello-Finuoli: Il Vaticano greco 954
181 M. Curnis: Doxai e Apophthegmata platonici e il restauro del Florilegio di Stobeo, in: Rey­
all’interno dell’Anthologion di Giovanni Sto­ dams-Schils 2011 [*190: 125–142].
beo, in: Aspetti di letteratura gnomica nel 194 L. Ferreri: Le citazioni di Teognide in Stobeo
mondo antico II, a cura di M. S. Funghi (Fi­ e il problema della formazione della silloge
renze 2004) [Accademia Toscana di scienze e Teognidea, in: Reydams-Schils 2011 [*190:
lettere La Colombaria, Studi 225] 189–220. 267–338].
182 R. M. Piccione: Forme di trasmissione della 195 P. P. Fuentes Gonzáles: Cyniques et autres
letteratura di raccolta, in: Aspetti di lettera­ philosophes populaires chez Stobée, in: Rey­
tura gnomica nel mondo antico II, a cura di dams-Schils 2011 [*190: 387–439].
M. S. Funghi (Firenze 2004) [Accademia Tos­ 196 J.-B. Gourinat: Aëtius et Arius Didyme
cana di scienze e lettere La Colombaria, ­sources de Stobée, in: Reydams-Schils 2011
Studi 225] 403–441. [*190: 143–201].
183 T. Dorandi: La tradition manuscrite, in: Por­ 197 H. Bottler: Pseudo-Plutarch und Stobaios:
phyre: Sentences I. Travaux édités sous la res­ Eine synoptische Untersuchung (Göttingen
ponsabilité de L. Brisson et al. (Paris 2005) 2014) [Hypomnemata 198].
[HDAC 33] 275–284. 198 G. Tsouni: Peripatetic Ethics in the First Cen­
184 M. Hose: Das Gnomologion des Stobaios. tury BC: The Summary of Didymus, in: Brill’s
Eine Landkarte des ‘paganen’ Geistes, in: Companion to the Reception of Aristotle in
Hermes 133 (2005) 93–99. Antiquity, edited by A. Falcon (Leiden 2016)
185 F. Ciccolella: Stobaios, in: DNP Suppl. 2 [Brill’s Companions to Classical Reception 7]
(2007) 563–565. 120–137.
186 M. Curnis: L’Antologia di Giovanni Stobeo.
Una biblioteca antica dai manoscritti alle
stampe (Alessandria 2008) [Minima philolo­
gica 4].

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04_2 Philosophiegeschichtsschreibung Biblio.indd 486 25.09.18 09:25
Fünftes Kapitel

Philosophienahe Fachwissenschaft

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05_1 Philosophienahe Fachwissenschaft P44-P47.indd 488 25.09.18 09:26
§ 44. Überblick

Christoph Horn

Ein Handbuch zur Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike darf nicht das
Faktum übersehen, dass das, was wir heute als ‘Philosophie’ bezeichnen würden,
auch zu einem beträchtlichen Teil von Gelehrten bzw. in Schulen betrieben wurde,
die sich nicht die Selbstbezeichnung ‘philosophisch’ beilegten (oder die zumindest
wir nicht unter diesem Titel einordnen würden). Das betrifft zum einen viele
Theologen und religiöse Weisheitslehrer (mitsamt ihren dogmatischen oder my-
thologisch-narrativen Texten, die dennoch philosophisches Gewicht besitzen) und
zum anderen die Vertreter der Fachwissenschaften (mit ihren empirischen oder
spekulativen Vorgehensweisen von oft grundlegender theoretischer Bedeutung).
Wenn man unter Philosophie eine Form der Grundlagenreflexion versteht, die
auf der Basis von abstrakten Begriffen, Argumenten und Theorien Beiträge zur
Welterklärung liefert, dann muss man zugeben, dass auch in den beiden genann-
ten Bereichen so viel an bedeutender Philosophie entwickelt wurde, dass sie in der
Darstellung der ausgehenden Antike angemessen zu berücksichtigen sind.
Die drei Fachwissenschaften, um die es hier besonders geht, sind die Mathema-
tik, die Astronomie (oder Kosmologie) und die Medizin. In allen drei Bereichen
ist die Affinität der Fachvertreter zur Philosophie (und umgekehrt die der Philo-
sophen zu den Fachwissenschaften) besonders alt und konstant. Für die Mathe-
matik gilt dies spätestens seit den Werken des Euklid, die durch ihre Genauigkeit
und Vollständigkeit geradezu das Paradigma axiomatisch-deduktiver Wissenschaft
bildeten und auch die Methodologie der Philosophie inspirierten (vgl. Grundriss,
Antike II, I Drittes Kapitel). Was die Astronomie (oder Kosmologie) anbelangt,
so spielt diese bereits bei Platon und Aristoteles, die diesbezüglich an die Vorso-
kratiker anschließen (vgl. Grundriss, Antike II, II sowie Antike III), eine so her-
ausragende Rolle, dass es nicht verwunderlich ist, wie sehr sich spätere Philosophen
für sie (und spätere Fachwissenschaftler ihrerseits für Philosophie) interessiert
haben. Bei Platon und Aristoteles lassen sich mindestens die folgenden vier kon-
stitutiven Überzeugungen identifizieren: 1) Astronomisch-kosmologische These:
Die Ewigkeit und die reguläre Bewegung der Himmelskörper zeigt die göttlich-
vernünftige Weltordnung an. 2) Naturphilosophische These: Auch die weiteren
Ordnungsphänomene in der Natur, einschließlich jener der sublunaren Welt, weisen
auf ein hohes Maß an vernünftiger Strukturiertheit hin. 3) Theologische These:
Das Göttliche ist als ein Intellekt zu beschreiben, der die Welt vernünftig ordnet.
4) Teleologische These: Die Ordnung der Welt spiegelt vernünftige Planung,
­Absicht und Zielorientierung.
Auch die Medizin hat eine lange gemeinsame Geschichte mit der Philosophie.
So wissen wir beispielsweise von Alkmaion von Kroton, einem philosophierenden
Arzt aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, dass er in enger Verbindung zu
­Pythagoras und dessen Anhängern stand, offenbar ohne dass er selbst Pythagoreer
gewesen wäre (vgl. auch Grundriss, Antike I, II 407–412, wo er als Pythagoreer

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490 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

behandelt wird). Alkmaion gehörte einer Ärzteschule an, die vermutlich bereits
vor Pythagoras’ Auftreten in Kroton existierte. Daneben scheint er sich jedoch
auch für Kosmologie und Astronomie interessiert zu haben. Bekannt ist ­Alkmaion
auch etwa dafür, dass er den physischen Gesundheitszustand des Menschen als
eine ‘Rechtsgleichheit’ (ἰσονομία) verschiedener Kräfte oder Komponenten be-
schrieb (wie des Feuchten, Trockenen, Warmen, Kalten, Bitteren und Süßen) im
Gegensatz zur ‘Alleinherrschaft’ (μοναρχία) eines einzigen Prinzips (Aët. Plac.
5,30,1, 442,1–443,4 Diels = 24 B 4 DK). Von herausragender philosophischer Be-
deutung für die Antike ist aber besonders das ‹Corpus Hippocraticum›, das viele
seiner zentralen Lehren – etwa die Theorie der Körpersäfte – direkt mit philo­
sophischer Spekulation verbindet (vgl. Grundriss, Antike II, I Viertes Kapitel).
In gewissem Umfang bereits bei Platon, verstärkt aber bei Aristoteles finden
sich auch philosophische Reflexionen zur Medizin. Platons teleologische Physio-
logie im ‹Timaios› knüpft unmittelbar an seine Kosmologie und Naturphilosophie
an. Bei Aristoteles finden sich zahlreiche Überlegungen zu physiologisch-medizi-
nischen Themen, etwa dem Formentransfer bei der Fortpflanzung, die ebenfalls
direkt mit seinen biologisch-zoologischen Theorien verknüpft sind.
Im vorliegenden Kapitel V geht es zunächst nur um drei Autoren: um Kleome-
des, Klaudios Ptolemaios und Galen. Kleomedes ist zweifellos mehr als Astronom
denn als Philosoph zu bezeichnen: Seine subtile mathematische Berechnung des
Erdumfangs sowie seine Argumente zugunsten der Kugelgestalt der Erde bilden
herausragende Stationen der Wissenschaftsgeschichte. Gleichzeitig kann er jedoch
auch als beachtenswerter stoischer Philosoph angesehen werden. Auch für Klau-
dios Ptolemaios gilt, dass er neben seinen bekannten astronomischen Schriften
zum geozentrischen Planetensystem eine philosophisch relevante Schrift ‹Über
das Erkenntniskriterium und den leitenden Seelenteil› verfasste. Galen ist wohl
der bekannteste Arzt der Antike nach Hippokrates; zu seinen Entdeckungen ge-
hören wichtige anatomisch-physiologische Beobachtungen. Zugleich trat er als
platonisierender Philosoph in Erscheinung; zu seinen Schriften zählt etwa der
Traktat ‹Quod optimus medicus sit quoque philosophus›, in dem er die Verbin-
dung von Medizin und Philosophie sogar explizit behandelt.
Die Beschränkung dieses Kapitels auf Kleomedes, Ptolemaios und Galen be-
deutet allerdings nicht, dass hier nicht auch andere Autoren hätten Platz finden
können, etwa Plinius der Ältere (dessen naturwissenschaftliche Bedeutung im
Vordergrund steht), Firmicus Maternus oder Hypatia. Diese scheinen jedoch an-
derswo insgesamt besser platziert zu sein. Umgekehrt hätte man viele Philosophen
(im engeren Wortsinn) mit ihren Beiträgen zu Mathematik, Astronomie oder Me-
dizin erwähnen können, sofern sie gleichzeitig Teil ihrer philosophischen Über­
legungen sind. Allerdings soll es im Folgenden nicht um eine allgemeine Wissen-
schaftsgeschichte gehen; die Beschränkung auf philosophische Themen bleibt das
Auswahlprinzip.

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§ 45. Kleomedes (Bibl. 527–528) 491

§ 45. Kleomedes

Wolfgang Hübner

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Der stoische Kosmologe Kleomedes gilt eher als Astronom denn als Philosoph.
Über sein Leben ist nichts bekannt. Die Datierungen seines Werks schwanken
zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. (Terminus post quem ist Poseidonios, den er
zitiert) und dem 4. Jahrhundert (Neugebauer 1975 [*53: II 960] nimmt eine
­Datierung zwischen 320 und 420 n. Chr. an, gebilligt von Todd im Druck [*66:
Anm. 25]; vgl. Goulet 1994 [*55: 438]). Sprachliche Indizien weisen am ehesten
auf einen Ansatz zwischen 50 und 150 n. Chr. hin, auf jeden Fall vor Ptolemaios,
den er nicht zitiert (Schumacher 1875 [*54]).

2. WERKE

Kleomedes verfasste mindestens zwei Werke «Einführung» [εἰσαγωγή]; 2,7,12 «diese Vorlesun-
über Kosmologie, von denen nur eines überliefert gen» [αἱ σχολαὶ αὗται]; vgl. 2,2,7 «in der ersten
ist. Sein Titel steht nicht fest (vgl. Goulet 1980 der Vorlesungen» [ἐν τῷ πρώτῳ τῶν σχολικῶν])
[*22: 35 Anm. 1], Todd 1985 [*34], Goulet 1994 und kann insofern mit der Εἰσαγωγή des Geminos
[*55: 438]). Der handschriftlich überlieferte Titel verglichen werden, wenn auch die Vermutung von
Κυκλικῆς θεωρίας μετεώρων αʹ/βʹ kontaminiert Goulet, dass es sich um eine Einführung speziell
wohl zwei verschiedene Versionen. Umstritten ist in die ‹Phainomena› Arats handelt, eher unwahr-
dabei besonders die Bedeutung des Wortes scheinlich ist (Goulet 1994 [*55: 438f.] nach Wein-
κυκλική: «Umdrehungen der Gestirne» (also hold 1912 [*51: 23ff.]).
‹Eine Theorie über Kreisbewegungen der Him- Auf ein zweites Werk Ἡ διδασκαλία τῆς ἐπὶ τὸ
melskörper›) oder «elementar» (‹Eine elementare μέσον φορᾶς τῶν βαρέων σωμάτων (‹Lehre über
Theorie der Himmelserscheinungen›) im Sinne die zentripetale Bewegung schwerer Körper›)
der ‘Enzyklopädie’ (Goulet 1994 [*55: 438])? Das nimmt der Autor mehrfach Bezug: 1,1,191f., vgl.
Werk präsentiert sich als Schulbuch (1,8,160f. 1,1,94f. und 173f.

3. LEHRE

Buch 1 behandelt die allgemeine Kosmologie, die Zonen der Erde, Tages- und
Jahreszeiten, Planetenbewegungen (besonders die Anomalie der Sonnenbewe-
gung) sowie die Breite der Ekliptik, Buch 2 den Durchmesser von Sonne, Mond
und Fixsternen (den Erdumfang bemisst Kleomedes nach dem ‹Arenarius› des

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492 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

Archimedes auf 1:10 000 der Sonnenbahn), ferner die Mondtheorie (Abstand


Mond – Erde 5 000 000 Stadien), Mondphasen, Finsternisse (die konische Gestalt
des Erdschattens) sowie Breiten- und Längenbewegungen der Planeten.
Kleomedes bietet keine eigene Forschung, sondern kompiliert zum Zweck der
Unterweisung meist stoisches Gedankengut («Sympathie» [συμπάθεια], «Welten-
brand» [ἐκπύρωσις], die Erde ein verschwindend kleines «Zentrum» [κέντρον] in-
mitten des riesigen, kugelförmigen Kosmos; der Kosmos wird im Übrigen in
1,1,2ff. einleitend definiert als ein begrenztes, alle Körper umfassendes, von der
Natur planmäßig gelenktes System von Himmel und Erde, das kein Vakuum ent-
hält, aber außen vom unbegrenzten, leeren Raum umgeben ist). Der Autor benutzt
Krates von Mallos, Arat und besonders (wenn wohl auch nur indirekt) Poseido-
nios (1,8,161f.). Die Poseidonios-Ausgabe von Theiler misst dem Einfluss des
Posei­donios größere Bedeutung zu als die von Edelstein-Kidd (Goulet 1994 [*55:
439]). Der Schlusssatz «Das meiste des Gesagten wurde aus Poseidonios entnom-
men» (τὰ πολλὰ δὲ τῶν εἰρημένων ἐκ τῶν Ποσειδωνίου εἴληπται: 2,7,13f.) wurde
früher als Scholion verdächtigt, wird aber heute wieder für echt gehalten. Es gibt
ferner Übereinstimmungen mit Geminos, Plutarch, dem Arat-Erklärer Achilleus
und Plinius’ ‹Naturalis historia› sowie Zitate aus Homer, Heraklit und Hippar-
chos (die gradgenaue Opposition von Aldebaran und Antares). Gegen Epikur
nimmt er polemisch Stellung (namentlich gegen dessen These, die Sonne sei wirk-
lich so groß, wie sie erscheine, vgl. 2,1,2–12). Besonders wichtig ist Kleomedes als
Quelle für die stoische Kosmologie, aber auch wegen der Definitionen.

4. NACHWIRKUNG

Der ‘Sonnenhymnos’ (2,1,359–403) hat Basileios von Kaisareia in seinem


‹­ Hexaëmeron› beeinflusst. Die von Todd 1990 [*3: V–XVIII mit Stemma] genau-
estens kollationierten über 70 Handschriften aus dem 12. (?) oder Anfang 13. bis
zum 16. Jahrhundert zeigen die reiche Nachwirkung ebenso wie der kurze byzan-
tinische Kommentar von Johannes Pediasimos (geb. ca. 1250), vgl. Todd 1985
[*34]. Das Werk wird zitiert von Michael Psellos und Georgios Pachymeres (Todd
1990 [*3: XXIX]). Nachdem es schon 1497 und 1498 in lateinischer Übersetzung
gedruckt worden war, erschien die Editio princeps 1539 in Paris.

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 493

§ 46. Klaudios Ptolemaios

Wolfgang Hübner

1. Leben. – 2. Werke.

1. LEBEN

Ptolemaios lebte in Alexandrien, dem damaligen Wissenschaftszentrum der


hellenistischen Welt, wo unter den Lagiden einst Eratosthenes gewirkt hatte, mit
dem er die universale Ausrichtung seiner Studien teilt. Er stellte in den Jahren
zwischen 121 und 156 n. Chr. Beobachtungen an und schrieb unter den Kaisern
Hadrian, Antoninus Pius und Mark Aurel. Die ‹Syntaxis› vollendete er, bevor die
Kanobos-Inschrift im 10. Jahr des Antoninus Pius (147/48 n. Chr.) aufgestellt
wurde. Er verfasste sie vor den ‹Hypothesen zu den Planeten› und den ‹Apoteles-
matika› und wohl auch vor den ‹Optika› und dem verlorenen Werk über die Ele-
mente (Boll 1894 [*268: 75]). Die im engeren Sinne philosophische Schrift ‹Über
das Erkenntniskriterium und den leitenden Seelenteil› ist wahrscheinlich vor den
dieser thematisch nahestehenden ‹Harmonika› und wohl auch vor den ‹Optika›
entstanden. Das wohl unvollendet gebliebene geographische Werk scheint sein
spätestes gewesen zu sein (Chronologie seiner Schriften bei Neugebauer 1975 [*53:
834–836]). Spätere Astrologen und Geographen bezeichnen Ptolemaios als «gött-
lich» (θεῖος, θειότατος).

2. WERKE

1. Astronomie: 1.1. ‹Syntaxis›; 1.2. ‹Phasen der Fixsterne›; 1.3. ‹Handliche Tafeln›; 1.4. ‹Hypothesen über
die Planeten›; 1.5. Kanobos-Inschrift; 1.6. ‹Über das Hochgeklappte›; 1.7. ‹Planisphaerium›. – 2. Astrolo-
gie: 2.1. ‹Apotelesmatika›; 2.2. ‹Karpos›. – 3. Sonstige Wissenschaften: 3.1. Geographie; 3.2. Harmonie-
lehre; 3.3. ‹Optik›; 3.4. Erkenntnistheorie. – 4. Verlorene Schriften und Pseudepigrapha.

Die Werke des Ptolemaios zeichnen sich durch eine enorme Vielfalt aus. Abge-
sehen von seinem berühmten und vielfach übersetzten Epigramm (AP 9,577, dazu
Boll 1921 [*269]) gehören sie insofern ausnahmslos zur Philosophie, als auch die
Schriften, die man heute der Fachwissenschaft zuordnen würde, in das Gebiet der
Physik im antiken Sinne, d. h. der Kosmologie, fallen. Philosophie im heutigen
­engeren Sinne behandelt einzig das Werk über die Erkenntnistheorie, philosophi-
sche Diskurse und Gedanken enthalten aber auch die ‹Harmonika› sowie die

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494 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

­ eiden sternkundlichen Hauptwerke, die ‹Syntaxis› und die ‹Apotelesmatika›.


b
Pto­lemaios versucht, die Daten der Beobachtungen numerisch zu quantifizieren
und damit die Ursachenlehre mit der mathematischen Astronomie zu vereinen
(Mead 1975 [*274]). Er ist Eklektiker mit einer peripatetischen Grundausrichtung,
die in seiner frühen ‹Syntaxis› noch vorherrscht. In den späteren Werken kommen
stoische Gedanken hinzu, insbesondere weil die Stoa der hellenistischen Astrolo-
gie das philosophische Gerüst gegeben hat (Boll 1950 [*360: 33] und 1921 [*365:
48]). In der ‹Harmonik› wird auch die platonische Lehre von den drei Seelentei-
len und pythagoreische Zahlenspekulation verwendet (Boll 1894 [*268: 93–109]).
Was zunächst im Fortschritt von einem Werk zum anderen auffällt wie etwa von
der ‹Syntaxis› zu den ‹Apotelesmatika›, gilt teilweise auch für den Fortgang von
den Phänomenen zur interpretierenden Spekulation innerhalb der einzelnen
Werke wie in den ‹Apotelesmatika›, der Kanobos-Inschrift oder den ‹Harmo-
nika›. An der letzten großen Entwicklung des Platonismus nimmt Ptolemaios
nicht teil. Ebensowenig lassen sich Verbindungen zur Theosophie feststellen (Boll
1894 [*268: 109–111]; allgemein über die Stellung des Ptolemaios zur Philosophie
vgl. Boll 1894 [*268: 66–111]). Proklos und seine Nachfolger hielten die Astrono-
mie, deren Gipfel sie in Ptolemaios erreicht sahen, für einen wesentlichen Be-
standteil ihrer Theologie, während Ptolemaios selbst am Anfang der ‹Syntaxis›
die Mathematik über die Theologie stellt.

1. Astronomie

Bei den sternkundlichen Werken ist zu berücksichtigen, dass Astronomie und


Astrologie in der Antike weder begrifflich noch in Bezug auf jene, die sich mit ihr
beschäftigten, streng geschiedene Gebiete waren (Hübner 1989 [*278]). Viele
Werke des Ptolemaios wurden von den Arabern intensiv benutzt. Teilweise sind
die arabischen Versionen unsere einzige Quelle. Ein Forschungsprojekt ‘Ptole­
mae­us Arabus et Latinus’ wurde jüngst in Angriff genommen, vgl. das Schwer-
punktheft Akademie Aktuell 2013 [*286].

1.1. ‹Syntaxis›

Der ursprüngliche Titel des Werks ‹Wissenschaftliche Zusammenstellung›


(Μαθηματικὴ σύνταξις) wurde später in ‹Große Synthese› (Μεγάλη σύνταξις)
oder ‹Größte Synthese› (Ἡ μεγίστη σύνταξις) umbenannt, was im Arabischen zur
Bezeichnung ‹Almagest› führte. Das Werk bietet ein umfassendes Handbuch der
mathematischen Astronomie in 13 Büchern. Im Vorwort zu Buch 1 geht Ptole­
mai­os von der Zweiteilung der Philosophie in einen praktischen und einen theo-
retischen Teil aus, welche die «wahren Philosophen» (οἱ γνησίως φιλοσοφήσαντες,
vermutlich die Peripatetiker) vorgenommen haben. Die praktische Philosophie
unterscheidet sich von der theoretischen nicht nur dadurch, dass einige «sittliche
Tugenden» (ἠθικαὶ ἀρεταί) auch ohne «wissenschaftliche Kenntnis» (μάθησις)
erworben werden können, während man sich die «Wissenschaft vom Weltganzen»

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 495

(ἡ τῶν ὅλων θεωρία) einzig mit Gelehrsamkeit aneignen könne, sondern auch da-
durch, dass dort der größte Gewinn aus dem «Wirken» (ἐνέργεια) im Leben selbst,
hier nur aus dem Fortschritt in den «Lehrsätzen» (θεωρήματα) erwächst. Angesichts
der aristotelischen Dreiteilung der theoretischen Philosophie erklärt Pto­lemaios
seine Vorliebe für die Mathematik, die gegenüber der Theologie und der Physik
das exakteste Wissen an die Hand gebe (Boll 1894 [*268: 66–76]). Die Physik be-
schäftigt sich mit der Erforschung der stofflichen Beschaffenheit, die ewig in Be-
wegung ist (ὑλικὴ καὶ αἰεὶ κινουμένη ποιότης), die Mathematik mit den «Formen
und den überschreitenden Bewegungen» (εἴδη καὶ μεταβατικαὶ κινή­σεις), die
Theologie mit dem «ersten Bewegenden» (πρῶτον κινοῦν). Teilweise weiter im
Rückgriff auf Aristoteles erklärt der Autor, warum die Erde kugelförmig ist und
unbewegt im Mittelpunkt des Kosmos ruht. Diese wird ganz außen von der alles
umschließenden Fixsternsphäre umkreist, die in ihrer täglichen Rotation um die
Erde sämtliche Himmelskörper mitnimmt. Alle jenseits des Mondes befindlichen
Sterne sind göttlich, und ihre Bewegung ist gleichmäßig und kreisförmig. Zwi-
schen der äußersten Sphäre und der Erde bewegen sich die sieben ­‘Planeten’ in
der ‘chaldäischen’ Folge Mond – Merkur – Venus – Sonne – Mars – Jupiter – Saturn
(unten Abb. 1). Es folgen die Grundlagen der Sehnentrigonometrie und eine Seh-
nentafel. In Buch 2 werden, ausgehend von dem Wert 23° 51’ 50’’ für die Ekliptik-
schiefe, die Aufgangszeiten für verschiedene geographische Breiten auf Tafeln zu-
sammengestellt. Die Bücher 3 bis 5 behandeln die Bewegungen der beiden niemals
rückläufig werdenden Luminare (Sonne und Mond) und Buch 6 deren Finster-
nisse. Buch 7 und 8 bieten den ausführlichsten Fixsternkatalog der Antike mit
1025 Sternen, die Ptolemaios in 48 (21 nördliche, 12 zodiakale, 15 südliche) Stern-
bilder einteilt. Für jeden Stern werden seine ekliptikale Länge, seine nordsüdliche
Abweichung sowie seine Helligkeit (nach sechs Klassen) angegeben. In den Bü-
chern 9 bis 11 beschreibt Ptolemaios die Bewegungen der fünf echten Planeten in
aufsteigender Reihenfolge, und zwar weiter unter der Voraussetzung, dass im su-
pralunaren Raum nur gleichmäßige kreisförmige Bewegungen möglich sind. Um
diese Annahme zu «retten» (διασώζεσθαι: Synt. 9,2 p. 212,21 Heiberg), ersetzt er
die eudoxische Theorie von den konzentrischen Sphären durch eine hochkom­
plizierte Epizykeltheorie, die versucht, die beiden Bewegungen der Erde – wie wir
heute wissen – in ein geozentrisch definiertes System zu integrieren: Die Planeten
bewegen sich auf Epizykeln, deren Mittelpunkt jeweils auf einem exzentrischen
Kreis um die Erde läuft. Buch 12 und 13 behandeln abschließend die Rückläufig-
keit und die Breitenabweichung der Planeten von der Ekliptik.
Die ‹Syntaxis› beruht sowohl auf den Beobachtungen als auch auf den Schrif-
ten des Hipparchos von Nikaia, den er als «in höchstem Maße wahrheitsliebend»
(φιλαληθέστατον: Synt. 9,2 p. 210,8 Heiberg) bezeichnet. In der Sonnentheorie
stimmt Ptolemaios mit seinem Vorgänger überein, die Mondtheorie verfeinert er.
Die lange geltende Ansicht, er habe bei den Längenangaben der Fixsterne den
­Ergebnissen des Hipparchos mechanisch 2° 40’ hinzugefügt, wurde bestritten
(Graßhoff 1990 [*279]), scheint er doch die Daten der Äquinoktien und Solstitien
aus eigener Beobachtung gewonnen zu haben. Für die Präzession (Synt. 7,2) über-
nimmt er den zu langsamen Wert von 100 (statt richtig 71,6) Jahren für einen Grad

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496 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

der Ekliptik (erst die Araber sollten dank längerer Beobachtungsdauer dem rich-
tigen Wert näherkommen). In den theoretischen Teilen folgt er hauptsächlich den
Lehrsätzen des Apollonios von Perge. Im Ganzen hat er das nach ihm benannte
System nicht erfunden, sondern den damaligen Kenntnisstand in einer eleganten
und gültigen Form der Nachwelt überliefert.
Die ‹Syntaxis› blieb bis zum Ende des 16. Jahrhunderts das maßgebliche Lehr-
buch der theoretischen Astronomie. Theon von Alexandrien scheint im 4. Jahr-
hundert zumindest Buch 1–2 herausgegeben zu haben, seine Tochter Hypatia wohl
Buch 3 (Cameron 1990 [*298], Pingree 1994 [*301: 77]). Kommentare verfassten
in der Antike ein gewisser Artemidoros um 213 n. Chr. (Jones 1990 [*97]), Pappos
von Alexandrien (um 300 n. Chr.) und Theon, nicht aber Heliodoros (Pingree 1994
[*301: 83f.]). Der Philosoph Proklos schrieb eine reservierte Kritik in einem Werk,
das einen ptolemäischen Titel (unten 1.4.) abwandelt: ‹Entwurf der astronomi-
schen Hypothesen› (Ὑποτύπωσις τῶν ἀστρονομικῶν ὑποθέσεων; Hartner 1964
[*317: 323f.], Pingree 1994 [*301: 78f.]), Damaskios studierte die ‹Syntaxis› in Alex-
andrien unter Anleitung des Ammonios (Pingree 1994 [*301: 79]). Auch reiche
Scholien zeugen von intensiver Benutzung, für die Pingree 1994 [*301: 80–95] sie-
ben Gelehrte in Betracht zieht: Heliodoros, Eutokios, Johannes Philoponos, Sim-
plikios, Olympiodoros, Rhetorios von Ägypten und Stephanos von Alexandrien.
Größte Wertschätzung fand das Werk bei den Arabern, die es übersetzten, kom-
mentierten und nach ihm Tafelwerke erstellten (van der Waerden 1959 [*272:
1798f.]), wobei der Text bei ihnen in mindestens fünf verschiedenen Fassungen zir-
kulierte (Kunitzsch 1974 [*294: VII]).
Der griechische Text beruht im Wesentlichen auf vier Handschriften aus dem
9. und 10. Jahrhundert (Pingree 1994 [*301]). Er wurde ins Mittelpersische, in der
Frühzeit des Islam ins Syrische, dann mehrfach ins Arabische, im 13. Jahrhundert
ins Hebräische und schließlich (1732) sogar ins Sanskrit übersetzt (Kunitzsch 1974
[*294: 11–13]). Ediert wurde von den arabischen Versionen bisher nur der Stern-
katalog (Kunitzsch 1986–1991 [*88]). Die ‹Syntaxis› veranlasste al-Battānī und
andere Astronomen zu Kommentaren (Saliba 1987 [*297]) und weiterführenden
Schriften (Saliba 1994 [*302]) und Tafelwerken. Wirkungsgeschichtlich am bedeu-
tendsten war die lateinische Übersetzung des Gerhard von Cremona (Kunitzsch
1991 [*299] und 1993 [*300]), von der zwei Fassungen bekannt sind (vor 1175 und
um 1180) und von der bisher ebenfalls nur der Sternkatalog ediert ist (Kunitzsch
1990 [*88]). Praktisch wirkungslos blieb eine um 1160 entstandene Übersetzung
aus dem Griechischen ins Lateinische, bevor Georg von Trapezunt eine solche im
Auftrag von Papst Nicolaus V. anfertigte (vollendet 1451, gedruckt 1528). Diese
wurde von Johannes Regiomontanus im Zuge der Gregorianischen Kalender­
reform anhand von griechischen Handschriften des Kardinals Bessarion sowie
von Theons Kommentar verbessert. Die griechische Editio princeps stammt von
Simon Grynaeus (1538).

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 497

1.2. ‹Phasen der Fixsterne›

Von den beiden Büchern über die ‹Phasen der Fixsterne und Sammlung der
Wetterzeichen› (Φάσεις ἀπλανῶν ἀστέρων καὶ συναγωγὴ ἐπισημασιῶν) ist das
zweite vollständig, das erste nur fragmentarisch in arabischer Übersetzung erhal-
ten. Letzteres enthält Angaben über die erste bzw. letzte Sichtbarkeit von 30 hel-
len Fixsternen am Abend kurz nach Sonnenuntergang bzw. am Morgen kurz vor
Sonnenaufgang (oft missverständlich als ‘Auf-’ und ‘Untergänge’ bezeichnet). Die
Wetterzeichen stammen aus früheren Kalendern des Euktemon, Eudoxos und
Meton. Eine lateinische Übersetzung erstellte Federico Bonaventura (1592).

1.3. ‹Handliche Tafeln›

Die ‹Handlichen Tafeln› (Πρόχειροι κανόνες) enthielten alle Daten, die man
für die Berechnungen von Planeten- und Fixsternpositionen und Ähnlichem be-
nötigt. Überliefert ist nur die Einleitung, in der die Einrichtung und der Gebrauch
der Tafeln erklärt wird. Die Tafeln selbst sind zwar – wie die Karten in der ‹Geo-
graphie› – in ihrer ursprünglichen Form verloren, jedoch in der Bearbeitung
­Theons von Alexandrien (4. Jh.) erhalten, der in seinem ‘Kleinen’ und ‘Großen’
Kommentar nichts Wesentliches verändert hat. Gegenüber der ‹Syntaxis› hat
­Ptolemaios die Breitenbewegung der Planeten nach einer verbesserten Theorie
berechnet. Stichzeit für die Umrechung von saisonalen in äquinoktiale Stunden
ist jeweils der Mittag in Alexandrien (Jones 1999 [*130: I 103]).
Kommentare schrieben Marinos von Tyros (Pingree 1994 [*301: 79]), Theon und
vielleicht auch Hypatia und Kleomedes. Die Tafeln wurden in der Spätantike viel-
fach für astronomische und astrologische Berechnungen benutzt (Papyrusfunde
bei Jones 1999 [*130: I 102–108 und II 26–39]) und unterlagen als typisches Produkt
von Gebrauchsliteratur vielfachen Veränderungen. Stephanos von Alexandrien gab
sie 615–618 neu heraus; auch in Byzanz wurden sie häufig abgeschrieben, beson-
ders weil sie der Osterfestberechnung dienten (van der Waerden 1959 [*272: 1824]).
Sie wurden weiter vom frühen arabischen Gelehrten al-Fazārī ­benutzt (Sezgin 2007
[*273: XIII 204, 210]) und regten die Araber zur Verfertigung ähnlicher Werke an.

1.4. ‹Hypothesen über die Planeten›

Eine Gesamtedition der ‹Hypothesen über die Planeten› (Ὑποθέσεις τῶν πλα­
νωμένων) fehlt bisher. Von den beiden Büchern sind der erste Teil von Buch 1 auf
Griechisch und beide Bücher in arabischer Übersetzung erhalten, Buch 2 vielleicht
in verkürzter Form (Hartner 1968 [*317: 345]). Das von Heiberg 1907 [*78: II 69–
107] edierte griechische Textstück beschreibt die verschiedenen Planetenmodelle,
der arabisch erhaltene zweite Teil des ersten Buches erörtert die Gründe der Plane-
tenbewegungen und kritisiert die aristotelische Adaptation von Eudoxos’ Theorie
der homozentrischen Sphären. Ptolemaios bleibt bei dem ‘chaldäischen’ Modell
(unten Abb. 1) und berechnet die absoluten Abstände der Planeten (von der Erde
und von der Sonne aus), die er nach Erdradien à 2,52 Myriaden von Stadien angibt –

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498 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

offensichtlich nach einem Modell und nicht aufgrund von Beobachtung. Danach
­bestimmt er die Durchmesser der Planeten und den Sehbogen (arcus visionis) bei
akronynichischen Aufgängen (d. h. Aufgängen abends am Anfang der Nacht), was
in dieser Form weder in der ‹Syntaxis› noch in den ‹Hand­lichen Tafeln› zu lesen ist.
Der Schluss über optische Täuschungen hinsichtlich der Durchmesser der Planeten
berührt sich thematisch, aber nicht im Einzelnen, mit den ‹Optika› (Inhaltsangabe
des – gegenüber von Heiberg – neuen Teils von Buch 1 bei Goldstein 1967 [*117: 4f.]).
Die Daten entsprechen eher den ‹Handlichen Tafeln› als der ‹Syntaxis› (van der
­Waerden 1959 [*272: 1816f.]). In Buch 2 (nach der Einteilung Heibergs) betrachtet
Ptolemaios den Kosmos als ein «umfassendes Lebewesen» (nach Plat. Tim. 32d ζῷον
τέλειον) und erklärt die Planeten zu ätherischen Körpern, die in Reinheit und ab-
soluter Selbstbestimmung ihre gleichmäßigen Kreisbewegungen vollführen. Gegen-
über Aristoteles und dessen Nachfolgern, die mit hohlen Sphären gearbeitet haben,
bevorzugt er «Ausschnitte» von massiven Sphären nach Art eines «Tamburins» oder
von «Wirteln» des platonischen Er-Mythos (Plat. Rep. 10, 616d: σφονδύλους). Die-
sen hatte bereits der Platoniker Derkylides im 1. Jahrhundert (Dörrie, Baltes 1993
[*319: 44f., 202f.]: Papyrus aus der Zeit des Ptolemaios) und etwa gleichzeitig mit
Ptolemaios der Peripatetiker Adrastos in seinem ‹Timaios›-Kommentar astronomisch
interpretiert. Beiläufig weist Ptolemaios die Vorstellung zurück, dass sich die Erde
samt der sie umgebenden Luft drehe. Um die Planetenbewegungen zu demonstrie-
ren, erteilt er Anweisungen zur Konstruktion eines hochkomplizierten Instruments
mit exzentrischen Kreisen und Epizyklen (41 an der Zahl), die an den Antikythera-
Mechanismus erinnern (Jones 2012 [*320]). Oben bei der Fixsternsphäre begin-
nend, teilt er die Himmelskörper in «nicht geneigte» und «verschieden geneigte Be-
weger». Am Ende kündigt er ein fünfteiliges Tafelwerk mit Beginn am 1. Thot 322
v. Chr. an, unter dem wohl die ‹Handlichen Tafeln› zu verstehen sind.
Die Schrift, die Simplikios in seinem Kommentar zu Aristoteles’ ‹De caelo›
und Proklos in seinen Kommentaren zur platonischen ‹Politeia› und dem ‹Tima-
ios› benutzt und der Proklos eine eigene entgegenstellt (oben 1.1.), wurde im
­späten 9. Jahrhundert durch Tābit ibn Qurra ins Arabische übersetzt und kursierte
unter zwei verschiedenen Titeln: ‹Kitāb al-Iqtiṣāṣ› und ‹Kitāb al-Manshūrāt›
(Hartner 1968 [*317: 346f.], Sezgin 1978 [*273: VI 94f.]). Eine in Paris auf­
bewahrte, bisher unedierte Übersetzung ins Hebräische stammt aus dem frühen
14. Jahrhundert (Steinschneider 1893 [*314: 538]).

1.5. Kanobos-Inschrift

Die in drei Handschriften überlieferte Inschrift, die Ptolemaios im 10. Regie-


rungsjahr des Antoninus Pius (147/48 n. Chr.) auf einer Stele im nahen Kanobos
aufstellen ließ, besteht hauptsächlich aus Zahlen, welche die Werte von Planeten-
positionen und -bewegungen angeben. Die meisten Daten stimmen mit der ‹Syn-
taxis› überein, einige wurden geringfügig verbessert. Am Ende werden die sieben
Planeten und die vier Elemente den musikalischen Intervallen zugeordnet, es be-
stehen also Verbindungen zum umstrittenen Schlusskapitel der ‹Harmonika› und
somit trotz des technischen Charakters der Inschrift auch zur Philosophie.

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 499

1.6. ‹Über das Hochgeklappte›

Von der ebenfalls rein technischen Schrift ‹Über das Hochgeklappte› (Περὶ
ἀναλήμματος) haben sich einzig Fragmente in einem Mailänder Palimpsest erhal-
ten. Eine lateinische Übersetzung des gesamten Textes fertigte um 1270 Wilhelm
von Moerbeke aus dem Griechischen an. Das Analemma erlaubt eine zweidimen-
sionale Darstellung der Kreisbögen auf einer Kugel. Die Punkte der Sphäre wer-
den zunächst senkrecht auf eine Meridian-Ebene projiziert, bevor andere Ebenen
in diese umgeklappt werden (van der Waerden 1959 [*272: 1827–1829]; Böker 1979
[*344]). Im heutigen Sinne Philosophisches scheidet in den erhaltenen Partien aus.

1.7. ‹Planisphaerium›

Diese nur in drei bekannten Handschriften (Sezgin 1974 [*273: V 170]) in ara-
bischer und nach dieser in lateinischer Übersetzung erhaltene Schrift ‹Vereinfa-
chung der Erscheinung der Kugel› (Ἅπλωσις ἐπιφανείας σφαίρας) versucht eine
stereographische Projektion der Himmelskugel von dem (damals den Menschen
verborgenen) Südpol aus auf die Ebene des Äquators. Ptolemaios bestimmt das
Verhältnis der parallelen Kreise zum Himmelsäquator und konstruiert daraus die
Ekliptik und deren Parallelkreise. Die Schrift wurde vom spanisch-arabischen
­Astronomen Maslama ben Achmed el-Magriti (gest. 1007) ins Arabische und im
Jahre 1143 von Hermannus Dalmata (de Carinthia) und später von anderen zu-
sammen mit dessen Zusätzen ins Lateinische übersetzt. Gedruckt wurde sie zum
ersten Mal 1536.
Auf der Methode der stereographischen Projektion beruht das im Mittelalter
weit verbreitete Instrument des Astrolabiums (Kunitzsch 1996 [*353]). Die theo-
retischen Grundlagen dieser Methode waren vielleicht bereits dem Hipparchos
bekannt. Inwieweit sie auch dem Ptolemaios vertraut waren, ist umstritten.

2. Astrologie

2.1. ‹Apotelesmatika›

Die Schrift ‹Wirkungen der Gestirne› (Ἀποτελεσματικά) oder ‹Vierbuch›


­(Τε­τράβιβλος, lateinisch ‹Quadripartitum›, zum Titel Hübner 1998 [*78: III 1,
XXXVI–XXXIX]), für welche die ‹Syntaxis› die astronomischen Grundlagen lie-
fert, ist das einflussreichste und am meisten benutzte Werk der antiken Astrolo-
gie. In einer betont nüchternen Reserve betrachtet Ptolemaios aus der Distanz die
Einflüsse der Gestirne auf die sublunare Welt. Der Teilung des Universums in
einen supralunaren Raum mit stetigen, unveränderlichen Bewegungen und in
einen sublunaren Raum mit vielfältigen Veränderungen liegt letztlich die plato­
nische Zweiweltenlehre zugrunde. Zu Beginn unterscheidet Ptolemaios die beiden
Sparten der umfassenden Himmelskunde: Das eine Gebiet, heute Astronomie

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genannt, betrifft die bereits in der ‹Syntaxis› abgehandelte Lehre von den stetigen
Bewegungen der Himmelskörper, das zweite, weniger sichere und weniger ge-
schlossene «prognostische» (τὸ δι’ ἀστρονομίας προγνωστικόν), heute als Astrolo-
gie bezeichnet, versucht, aus den Erkenntnissen der Sternbewegungen Voraussa-
gen über deren Wirkungen auf die Erde zu treffen. Philosophisches Interesse
haben besonders die ersten drei Kapitel der Einleitung gefunden (Apotel. 1,1–3).
Darin verteidigt Ptolemaios die Möglichkeit und den Nutzen astrologischer Prog-
nosen: Im astrologischen Lehrsystem waltet «Vernunft» (λόγος), das sich durch
eine besondere «Folgerichtigkeit» (ἀκολουθία) auszeichnet. In seiner Argumenta-
tion pro und contra stützt sich Ptolemaios, außer auf den Peripatos, weitgehend
auf Argumente, die seit Karneades und Panaitios – insbesondere angesichts des
‘stoischen Paradoxons’ von Determinismus und Willensfreiheit – innerhalb der
Stoa diskutiert oder gegen die Stoiker vorgebracht wurden (Boll 1894 [*268: 131–
163, 218–235], Long 1982 [*373]); fassbar sind diese bei ­Cicero im zweiten Buch
von ‹De divinatione› und in ‹De fato› sowie bei dem Skeptiker Sextus Empiricus
(Fazzo 1988 [*376] und 1991 [*380]). Neuerdings hat man wieder Bolls alte Vermu-
tung in Betracht gezogen, dass Poseidonios die Quelle dafür sein könnte (Vegetti
1994 [*381: 227]). Gegenüber seinem Zeitgenossen ­Vettius Valens, einem zünftigen
Astrologen, für den die Menschen «Soldaten des Schicksals» sind (στρα­τιῶται τῆς
εἱμαρμένης: Vett. Val. 5,6,9), lässt Ptolemaios mehr Raum für den freien Willen,
und das eröffnet dem Astrologen reichlichen Spielraum für Interpretationen und
Modifikationen. Stets gebe es eine «Interferenz mehrerer Ursachen» (συναίτια).
Im Übrigen gingen die Deterministen von einem falschen «Schicksalsbegriff»
(εἱμαρμένη) aus, der von der «Notwendigkeit» (ἀνάγκη) durchaus zu unterschei-
den sei (Gundel 1914 [*363: 79f.]). Eine strenge Notwendigkeit ist nur in der Bewe-
gung der Himmelskörper wirksam, jedoch nicht bei den Veränderungen im irdi-
schen Bereich. Dort gibt es nur eine «Kohärenz» (ἀκολουθία) der Phänomene. Zu
der Kardinalfrage der Willensfreiheit nimmt Ptolemaios nicht eindeutig Stellung,
sondern verharrt als Vertreter der weniger strengen Kausalität (Fazzo 1991 [*380:
224] nach Gundel 1914 [*363: 78–80] und Long 1982 [*373: 170 mit Anm. 19]) in
einer gewissen Ambivalenz (Fazzo 1991 [*380: 225–238]). Positiv stellt er fest: Der
Einfluss der Gestirne, besonders von Sonne und Mond, auf die Erde sei unbestreit-
bar und im Voraus zu berechnen. Falsche Prognosen beruhen auf Fehlern der
­Astrologen bei der schwierigen Berechnung oder bei der Inter­pretation. Das Un-
wesen der Scharlatanerie spreche nicht gegen die seriöse Wissenschaft als solche.
Zum Vergleich zieht er die ebenfalls auf Ursachenforschung und Prognose ange-
wiesene ‘Stochastik’ (Apotel. 3,2,6; 3,6,2: Komorowska 2009 [*386]) der Medizin
heran (Fazzo 1991 [*380: 241–243]), die – wie auch andere Techniken – ebenfalls
mit materiellem Gewinn verbunden sei. Den Nutzen der Astrologie hat Ptolemaios
wohl ohne Rückgriff auf andere Schriften bestimmt (Fazzo 1991 [*380: 231–236]):
Er liegt in dem Glücksgefühl jeglicher Erkenntnis sowie in der Einsicht in das, was
unserem Körper nützt oder schadet. Die Voraussicht fördert die Seelenruhe, sie
«gewöhnt die Seele an die vergangenen wie zukünftigen Geschehnisse und bringt
sie in den rechten Rhythmus» (ἐθίζει καὶ ῥυθμίζει τὴν ψυχήν: Apotel. 1,3,5; vgl.
Plat. Tim. 47b–c und 90d: Die Beobachtung der Sternbahnen korrigiert die fehl-

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 501

geleiteten inneren ‘Bewegungen’ des Menschen). Der wahre Astrologe ist kein Ma-
gier, sondern ein «Fachmann» (τεχνίτης). Ihm geht es nicht um das Geldverdienen,
sondern um die Suche nach der Wahrheit: Somit ist er ein Philosoph (Apotel. 1,1,2
und 1,3,3: Fazzo 1991 [*380: 244 mit Anm. 69]).
Nach dieser Einleitung behandelt Buch 1 die Grundlagen der Astrologie: die
Eigenschaften der Planeten, die sich trotz der Geozentrik symmetrisch um die
zentrale Sonne herum gliedern (Hübner 1988 [*377]): In Sonnennähe herrscht bei-
derseits Hitze, in Sonnenferne Kälte und dazwischen ein ausgeglichener Zustand.
Die Fixsternbilder (12 Tierkreiszeichen, 21 nördliche und 15 südliche Paranatel-
lonten) werden im Einzelnen auf ihre planetaren Qualitäten zurückgeführt. Es fol-
gen die vier Jahreszeiten und Himmelsrichtungen, die Aspekte (Winkelabstände)

Abb. 1: Die Symmetrie des


‘chaldäischen’ Planetensystems.

Abb. 2: Die planetaren Tag- und Nachthäuser. Abb. 3: Die drei Quadrate im Tierkreis.

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502 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

trocken feucht
warm
Feuer Luft
männlich
kalt
Erde Wasser
weiblich

Abb. 4: Das Quartett der vier Elemente.

der Tierkreiszeichen und Planeten, die sich mit den Zahlenverhältnissen der ‹Har-
monika› berühren (Boll 1894 [*268: 163], Düring 1934 [*211: 126–134]). Die bei-
den Sechsecke der männlichen und weiblichen sowie der zum Tag und zur Nacht
gehörenden Tierkreiszeichen auf ungerader und gerader Position folgen der py-
thagoreischen Zahlenlehre, die drei Quadrate (τετράγονα) der δίσωμα – στερεά
– τροπικά (vgl. Abb. 3; vgl. Hübner 1982 [*372: 74–80 unter Nr. 1,311 mit ausführ-
licher Interpretation 464–472]) berühren sich mit den drei Arten der Quarte
(αὔξησις – ἀκμή – φθίσις). Es folgen die um die Tagundnachtgleichen bzw. Son-
nenwenden zentrierten Parallelverbindungen der einander ‘sehenden’ oder ‘hö-
renden’ Tierkreiszeichen, die planetaren Tag- und Nachthäuser (Abb. 2), die pla-
netare Verteilung der vier zodiakalen Triplizitäten (τρίγωνα: Abb. 6, in Abb. 5 auf
die vier irdischen Quadranten verteilt). Dagegen spielt das spätere mit kontinuier-
lichen saisonalen Zodiakalquadranten (τεταρτημόρια) arbeitende System kaum
eine Rolle. Es folgen die Erhöhungen und Erniedrigungen der Planeten sowie drei
verschiedene Systeme von «Planeten-­Bezirken» (ὅρια) der Tierkreiszeichen (mit
Tabellen) und schließlich die «Bedeckung» (συναφή) und das «Abfließen (= Zu-
rückbleiben hinter der Sonne)» (ἀπόρροια) der Planeten. Buch 2 behandelt die
«Universalastrologie» (γένος καθολικόν) und geht in einem traditionellen Abstieg
von oben nach unten (Hübner 2002 [*385]) von Großräumen wie Ländern, Völ-
kern und Städten aus und bietet eine nach den vier zodiakalen Dreiecken ausge-
richtete umfassende Geo- und Ethnographie mit ­Tabelle (Apotel. 2,1–3, dazu Boll
1894 [*268: 181–235], Uhden 1933 [*367]). Die fünf echten Planeten werden in
einem Quincunx-Schema den vier kardinalen Himmelsrichtungen und die vier
Triplizitäten des Tierkreises den Zwischenrichtungen zugewiesen (Abb. 5); in
einem zwölfteiligen Trigonalsystem besetzen die Planeten in der Häuserfolge
(Abb. 2) die Spitzen der vier Dreiecke (Abb. 6). Es folgen die Finsternisse, insbe-
sondere mit Angaben darüber, welche Orte, Zeiten und welcherart Menschen be-
troffen sind, sodann Formen und Farben der Finsternisse und Kometen (die im
sublunaren Bereich vermutet werden). Ptolemaios stellt die Frage nach dem Jah-
resbeginn und behandelt «Wetterzeichen» (ἐπισημασίαι) und schließlich – aller-
dings sehr knapp – sonstige meteorologische Erscheinungen in Erdnähe in der
peri­patetischen Tradition im Stil von Theophrasts ‹Über Wetterzeichen› (Περὶ
σημείων), dem schon Arat am Ende seines kosmologischen Lehrgedichts der
‹Phainomena› gefolgt war.

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 503

Die Bücher 3 und 4 schildern nach Art der Astrologie im heutigen Verständnis
die individuellen Wirkungen der Gestirne auf die Menschen (γένος γενεθλιακόν:
Riley 1988 [*378]). Buch 3 beginnt mit der Frage nach dem Anfang des mensch­
lichen Lebens (Zeugung oder Geburt), behandelt Eltern, Geschwister, Mehrlings-
geburten sowie missgestaltete und nicht lebensfähige Geburten. Das astronomisch
anspruchsvollste Kapitel 3,11 berechnet auf höchst komplizierte Weise die Lebens-
erwartung anhand der Dodekatropos, einer Art von sphärischem Koordinaten-
system für die tägliche Rotation. Danach geht es wieder schlichter um die Kör-
pergestalt, somatische und psychische Krankheiten oder Abartigkeiten. Buch 4
behandelt in fortschreitender «Differenzierung» (Apotel. 4,4,9; 4,9,2: ποικιλία),
die bis ins «Unermessliche» geht (Apotel. 2,9,20: ἄπειρον), die einzelnen mensch-
lichen Aktivitäten, Möglichkeiten des Erwerbs, Ehren und Würden, Berufe, Ehe-
schließung und Kinder, Freunde und Feinde, Reisen, den Aufenthalt in der
Fremde und die Todesart. Bei dem in der Inhaltsübersicht nicht aufgeführten letz-
ten Kapitel (Apotel. 4,10) über die Lebensdauer – aufsteigend durch sieben Pla-
neten der Heptazonos –, dessen Echtheit bezweifelt wurde, dürfte es sich um einen
späteren Zusatz des Autors selbst handeln (Boll 1894 [*268: 123f.] und 1913 [*362:
118–128]); es lässt sich – ebenso wie die Aspektlehre – mit den Schlüssen der ‹Har-
monika› und der Kanobos-Inschrift vergleichen. Die einzelnen Lehren folgen der
astrologischen ‘Vulgata’, die man auf Ps.-Nechepso und Petosiris (wahrscheinlich
2. Jh. v. Chr.) zurückführt (Gundel, Gundel 1966 [*370: 27–36], Heilen 2015 [*389:
40–47, 539–583]). Sie basieren auf dem aristotelischen, von den Stoikern übernom-
menen Quartett der vier Elemente und deren Grundqualitäten (Abb. 4); keine
Rolle spielt hingegen die ‘Quinta essentia’. Im Gegensatz zu den Platonikern, die
dem Element der Erde – auch wegen des homonymen Himmelskörpers – die
tiefste und unterste Stelle im Kosmos anwiesen, nimmt bei den Astrologen das
Wasser, das andere weibliche und passive Element, die unterste Stelle ein. Die
Prognosen werden hauptsächlich vom Stand der Planeten abgeleitet, während die
Tierkreiszeichen nur Modifizierungen erlauben. Die zusammenwirkenden Kräfte
bilden nach spätplatonisch-aristotelischer Lehre im Idealfall einen «ausgewoge-
nen Schwebezustand» (μεσότης) zwischen «Übermaß» (ὑπερβολή) und «Defi­
zienz» (ἔλλειψις).
Obwohl Ptolemaios, verglichen mit früheren astrologischen Lehrdichtern wie
Manilius oder Dorotheos von Sidon, den etwa gleichzeitigen ‹Anthologiai› des
Vettius Valens und den späteren Handbüchern des Firmicus Maternus, Hephais-
tion von Theben, Paulos von Alexandrien oder Rhetorios, wesentliche Teile der As-
trologie entweder gar nicht behandelt (Triplizitäten der vier Elemente, Götter­
tutelae, planetare wie zodiakale Melothesie, thema mundi = Horoskop der Welt,
Dekane, Dodekatemoria, Parapegma und drakonitische Mondknoten, vgl. Riley
1987 [*375]) oder höchstens am Rande einbezieht (Eigenschaften der Tierkreis-
zeichen, Paranatellonten, Dodekatropos, Rollenspiel der vier Kardinalpunkte und
Katarchai = Wahl des zeitlichen Beginns einer bestimmten Handlung), wurde sein
Werk als ein umfassendes Handbuch der Astrologie gelesen.
Die philosophische Einleitung der ersten Kapitel mit der Schicksalsdiskussion,
der Rechtfertigung der Divination und der Erwägung der Möglichkeit eines Ein-

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504 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

flusses der Gestirne auf die sublunare Welt findet sich einige Dezennien später bei
dem Peripatetiker Alexander von Aphrodisias in seinen Schriften ‹An die Kaiser
über das Schicksal› (Περὶ εἱμαρμένης πρὸς τοὺς αὐτοκράτορας), der ‹­ Mantissa› Nr.
25 und der ‹Quaestio› 2,3 (Fazzo 1988 [*376]). Kommentiert werden die ‹Apoteles-
matika› zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert von Porphyrios, Pancharios, Proklos
und Eutokios von Askalon, dessen Kommentar arabisch erhalten ist (Sezgin 1979
[*273: VII 48]). Hephaistion von Theben schreibt das Werk streckenweise wörtlich
aus, Pappos von Alexandrien, Firmicus Maternus und ­Johannes Lydos benutzen
es. Einen anonymen, unedierten griechischen Kommentar bietet der Codex Lau-
rentianus gr. 28,34 aus dem 10. Jahrhundert (Boer 1959 [*272: 1833]), den andere
Handschriften dem Abū Ma‘šar zuschreiben (Ruelle 1910 [*361: 32–34]).
Dem lateinischen Mittelalter war das Werk unbekannt, ins Arabische wurde es
im 8. und 9. Jahrhundert übersetzt. Sezgin 1979 [*273: VII 43f.] nennt sieben ara-
bische Kommentare, von denen der am weitesten verbreitete von ‘Alī Ibn Riḍwān
stammt und ins Türkische, Persische und in Auszügen auch ins Lateinische über-
setzt wurde; vielleicht gab es zudem eine Übertragung ins Syrische. Im Westen

Abb. 5: Quincunx der fünf echten Planeten und der vier zodiakalen Triplizitäten
(vgl. Abb. 6) zu Quadranten geordnet.

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 505

Abb. 6: Planetare und zodiakale Himmelsrichtungen.

brachte erst das verstärkte naturwissenschaftliche Interesse seit dem 12. Jahrhun-
dert mehrere lateinische Übersetzungen hervor: Plato Tiburtinus übertrug das
Werk 1138 aus dem Arabischen (gedruckt 1551), eine weitere anonyme Übertragung
(1206) blieb ungedruckt, Aegidius de Thebaldis übersetzte das Werk im 13. Jahr-
hundert auf Geheiß des Königs Alfons X. von Kastilien (gedruckt 1484 u. ö.).
Guillaume Oresme übertrug es im 14. Jahrhundert ins Französische (Lejbowicz
1983 [*374]). Die ersten lateinischen Renaissance-Übersetzungen entstanden
­zusammen mit den Editiones principes des griechischen Textes von Joachim
­Camerarius (1535: mit Übersetzung von Buch 1 und 2 sowie Teilen von Buch 3 und
4) und Philipp Melanchthon (1553: mit Übersetzung aller vier Bücher); besonders
erfolgreich war die Übersetzung von Antonius Gogava (zuerst 1548). Hinzu kom-
men erläuternde Werke: Lateinische Kommentare verfassten Giorgio Valla (1504)
und Gerolamo Cardano (1554); Melanchthon edierte die dem Proklos zugeschrie-
bene griechische Paraphrase (1554, danach Leo Allatius 1635), sein Schüler
­Hieronymus Wolf jenen anonymen, ebenfalls dem Proklos zugeschriebenen Kom-
mentar zusammen mit der ‹Einführung› des Porphyrios (1559). Fast 400 Jahre
nach den beiden lateinischen Renaissance-Editionen erschienen im Jahre 1940

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506 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

zum ersten Mal wieder – unabhängig voneinander – zwei kritische Ausgaben des
griechischen Textes (Boll, Boer 1940 [*78: III 1] und Robbins 1940 [*163]).

2.2. ‹Karpos›

Die ps.-ptolemäische Schrift mit dem Namen ‹Frucht› (Καρπός, ‹Fructus›) wird
zuerst vom syrischen Bischof Severos Sebokht im 7. Jahrhundert erwähnt, doch in
welcher Sprache er sie las, ist ungewiss, denn der Ursprung der Schrift ist umstritten.
Nach Boer 1959 [*272: 1838f.] wurde sie ursprünglich auf Griechisch, nach Lemay
1978 [*394] als ‹Kitāb aṯ-Ṯamara› in Kairo am Anfang des 10. Jahrhunderts auf
Arabisch verfasst, und zwar von dem Arzt Abū Ja‘far Aḥmad ibn Yūssuf ibn Ibra-
him, der sie zugleich auch kommentierte. Die Frage verdient eine genauere
Unter­suchung.
Die Schrift besteht aus 100 Thesen oder Aphorismen, welche die Grundbe-
standteile der Astrologie betreffen, daher wird sie auch ‹Buch der 100 Sätze›
(‹Centiloquium›) genannt. Sie steht in manchem im Widerspruch zu der Lehre des
Ptolemaios und berührt sich teilweise mit dem ‹Picatrix› (einer spanisch-arabi-
schen Sammlung von Texten zur Magie, Astrologie und Talismankunde, deren
Titel aus ‘Hippokrates’ abgeleitet wurde). Das Werk wurde im 12. Jahrhundert
mindestens fünfmal aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt, unter ande-
rem von Plato Tiburtinus und Johannes Toletanus, im 14. Jahrhundert auch ins
Hebräische. Die 52 Handschriften mit dem griechischen Text gehen auf einen
­Archetypus des 10. Jahrhunderts zurück und bilden zumeist eine Überlieferungs-
gemeinschaft mit den ‹Apotelesmatika›, mit denen das Werk seit 1484 auch
­zusammen lateinisch gedruckt wurde, ergänzt um den Kommentar des Ps.-Haly
(= Abū Ja‘far Achmad). Sezgin 1979 [*273: VII 44–46] nennt im Ganzen vier
­arabische Kommentare. Das Werk galt in der Renaissance bis auf wenige Ausnah-
men (Cardano) als echt ptolemäisch und wurde in ganz Europa häufig gelesen.
Georg von Trapezunt übersetzte es zwischen 1452 und 1455 am Hof des Alfons
von Aragon aus dem Griechischen ins Lateinische und kommentierte es (Rinaldi
2011 [*396]), ebenso wie ebendort Pontano. Auch dessen Freund Bonincontrius
hat es kommentiert (vor 1477).

3. Sonstige Wissenschaften

3.1. Geographie

Die antike Geographie war Teil der universalen Kosmologie. Die ptolemäische
‹Anleitung zur Geographie› (Γεωγραφίας ὑφήγησις), d. h. zur «Kartenzeichnung»,
enthält im Gegensatz zu früheren erdkundlichen Schriften weder eine «Küsten-
beschreibung» (περίπλους) noch eine Beschreibung einzelner Länder und Völker,
sondern – als Gegenstück zum Sternkatalog der ‹Syntaxis› – eine Ortsliste, die
alle damals bekannten Teile der bewohnten Welt umfasst. Dabei muss man be-

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 507

rücksichtigen, dass die Antike den Sternhimmel – mit Ausnahme der damals den
Menschen verborgenen Südkalotte – besser kannte als die Erde. In der Breite um-
fasst die Kenntnis des Ptolemaios ca. 80° von der Insel Thule im Norden (63°) bis
zum südlichen Breitenkreis (16° 25’), in der Länge ca. 126° von den ‘Inseln der
­Seligen’ im Westen bis nach China im Osten. Während Eratosthenes den Äqua-
torumfang mit 700 Stadien pro 1° durch die gegenseitige Neutralisierung von
Messfehlern ziemlich genau bestimmt hatte, übernahm Ptolemaios von Poseido-
nios den zu niedrigen Wert von 500 Stadien pro 1°, rechnete also mit insgesamt
nur 180  0 00 Stadien.
Nach einer an Hipparchos orientierten theoretischen Einführung in Buch 1,
der ältesten erhaltenen Anleitung zur exakten Kartographie, bieten die Bücher 2
bis 7 Positionsangaben von Orten des ‘orbis tripertitus’: Europa (Buch 2–3), Nord-
afrika (Buch 4) und Asien (Buch 5–7). Aufgelistet werden die Längen- und Brei-
tengrade von ca. 8100 einzelnen Orten (auch Flussmündungen, Bergen, u. ä.). Be-
sonders bei den schwieriger zu ermittelnden Längen stützt sich Ptolemaios auf das
Werk seines jüngeren Vorgängers Marinos von Tyros, doch statt dessen zylin­
drischer Projektion bevorzugt er eine kegelförmige oder eine mit gekrümmten
Meridianen. Buch 8 enthält Angaben über 26 kleinere Regionalkarten, auf denen
er die bewohnte Welt schematisch darstellt: 10 für Europa, 4 für Afrika, 12 für
Asien. Die Breiten einzelner Städte werden traditionell nach der Dauer des längs-
ten Tages und ihre Länge nach der Abweichung vom Null-Meridian Alexandriens
angegeben (gleichgesetzt mit dem eratosthenischen von Rhodos). Hier gibt es Be-
rührungen mit den Positionsangaben von 360 «herausragenden Städten» (κανὼν
ἐπισήμων πόλεων), die einige Handschriften der ‹Handlichen Tafeln› überliefern
(Honigmann 1929 [*404: 73–81], Polaschek 1965 [*407: 681–692]), wenn auch der
Anfangsmeridian in den ‹Handlichen Tafeln› nicht durch Alexandrien, sondern
durch die ‘Glücklichen Inseln’ im äußersten Westen verläuft. Ptolemaios stützt
seine Daten teils auf eigene Beobachtung, teils auf Arbeiten seiner Vorgänger
(Geogr. 7,5,1). Das als Begleittext zu den Karten konzipierte Werk, wieder ein
­typisches Produkt von Gebrauchsliteratur, hat Ptolemaios wohl nicht vollendet.
Weil seine eigenen Karten nicht fertig geworden waren, benutzte er die Karten
des Marinos. Kurz vor seinem Tod plante er eine zweite Ausgabe des Werkes.
Die ‹Geographie› hat die Neuzeit stärker beeinflusst als die ‹Syntaxis›. Eine
arabische Übersetzung aus dem frühen 9. Jahrhundert ist nicht erhalten. Einzelne
Bearbeitungen beschränken sich auf den arabisch-islamischen Teil der Oikumene,
deren älteste von al-Ḫwārizmī (um 820) stammt (Mžik 1926 [*190], ferner Nallino
1894 [*402]). Die Karten galten lange – ähnlich wie die originalen Tabellen der
‹Handlichen Tafeln› – als verloren. Doch kurz nach 1295 fand Maximos Planudes
nach intensiver Suche eine Handschrift, die auch die dazugehörigen Karten ent-
hält, und er preist den Fund mit einem Gedicht. Damit ist die alte Theorie einer
selbständigen planudeischen Redaktion überwunden (Stückelberger 2000 [*411:
190], Burri 2003 [*412]). In Westeuropa wurde das Werk erst zu Anfang des 15.
Jahrhunderts (um 1406) durch die Übersetzung des Jacobus Angelus aus dem
Griechischen bekannt (Editio princeps 1475). Obwohl einzelne Angaben schon
damals überholt waren, wurde es in prächtigen großformatigen Werken verbreitet

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508 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

und gab der neuzeitlichen theoretischen und praktischen Geographie die Richtung
vor. Der von Poseidonios und Ptolemaios zu niedrig angesetzte Erdumfang war
dazu angetan, Kolumbus zu seiner Entdeckungsfahrt nach Indien zu ermutigen.

3.2. Harmonielehre

Nach Platon (Rep. 7, 530d: den Pythagoreern folgend) bedient sich die Mathe-
matik, wenn sie sich mit Astronomie und Harmonielehre beschäftigt, jener beiden
verschwisterten Sinne, die dem «leitenden Seelenteil» (ἡγεμο­νικόν) am nächsten
stehen, des Sehens und des Hörens. Auch Ptolemaios hat diesen beiden Sinnen je
ein Werk gewidnet: die ‹Optika› und die ‹Harmonika› (Ἁρμονικά), wobei die von
Platon dem Sehen zugeordnete Astronomie bereits in der ‹Syntaxis› berücksichtigt
worden war. Die Nähe der ‹Harmonika› zu der wahrscheinlich früher verfassten
erkenntnistheoretischen Schrift ‹Über das Erkenntniskriterium und den leitenden
Seelenteil› (Περὶ κριτηρίου καὶ ἡγεμονικοῦ) wird dadurch sinnfällig, dass der Titel
des ersten Kapitels der ‹Harmonika› «Über die Kriterien in der Harmonik» (Περὶ
τῶν ἐν ἁρμονικῇ κριτηρίων) lautet und einst sogar als Titel des ganzen Werks galt.
Die drei Bücher behandeln systematisch und umfassend die antike Musiktheorie,
Buch 1 und 2 die homophonen und symphonen, emmelischen und ekmelischen
Klänge sowie die drei Grundintervalle (Oktave = 2:1; Quinte = 3:2; Quarte = 4:3)
bis hin zum «vollendeten System» (σύστημα τέλειον), in dem alle drei Intervalle
enthalten sind. Hinzu kommen die Klanggeschlechter (enharmonisch, chromatisch
und diatonisch) sowie «Tonarten» (τόνοι, Transpositionsskalen). Die ältesten Ton-
arten sind dorisch, phrygisch und lydisch. Die Definition des «Schalls» (ψόφος) ist
stoisch (Boll 1894 [*268: 94]). Die Aufgabe des Akustikers entspricht der des Ast-
ronomen: Beide haben beim Hören bzw. Sehen die durch den Kanon gewonnenen
Ergebnisse «festzuhalten» (διασῶσαι). Den Pythagoreern wirft Ptolemaios vor,
dass sie sich zu sehr auf Zahlenspekulation, den Anhängern des Aristoxenos, dass
sie sich zu sehr auf Beobachtung gestützt und ihre Berechnungen nur beiläufig und
auf falsche Weise angestellt hätten. Wie dem Kommentar des Porphyrios zu ent-
nehmen ist, hat Ptolemaios ohne Quellenangabe aus dem Werk ‹Über den Unter-
schied der pythagoreischen Musik› (Περὶ τῆς διαφορᾶς τῆς Πυθαγορείου μουσικῆς)
des Didymos von Alexandrien geschöpft. Zwischen den praktischen Musikern (Or-
ganikern) und den reinen Akustikern (Phonastikern) vertritt er, ähnlich wie bereits
Aristoxenos, eine Mittelstellung. Bei der Beschreibung des Verhältnisses zwischen
«Wahrnehmung» (αἴσθη­σις) und «Denken» (λόγος) gibt es inhaltliche Berührun-
gen mit seiner Schrift über die Erkenntnislehre, allerdings verwendet er nur in den
‹Harmonika› die stoische «Zustimmung» (συγκατάθεσις) gegen Aristoxenos (Boll
1894 [*268: 97ff.]). Der mathematische Kern dieser beiden Bücher besteht in einer
Prüfung, welche Proportionen zulässig und für die Konstruktion von Tetrachorden
brauchbar sind.
In Buch 3 bezeichnet Ptolemaios die «harmonische Kraft» (ἁρμονικὴ δύναμις)
als im höchsten Maße «vernunftgebunden» (λογικωτάτη): Die Hörer werden «von
einer göttlichen Sehnsucht» erfüllt (ὑπό τινος ἔρωτος θείου: Harm. 3,3). In weiter
ausgreifender Spekulation erörtert er die Stellung der ἁρμονική innerhalb des

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 509

Weltganzen. Das Werk gipfelt in der Analogie zwischen der ‘Harmonie’ der Seele
und des Universums (Harm. 4–7): Die ersten Konsonanzen (Oktave, Quinte und
Quarte) werden nach peripatetischer und dann nach platonischer Psychologie den
drei Seelenkräften und schließlich die drei Tongeschlechter den theoretischen und
praktischen Tätigkeiten der Seele zugeordnet (Abb. 7):

ἀρχὴ θεωρητική φυσικόν μαθηματικόν θεολογικόν


ἀρχὴ πρακτική ἠθικόν οἰκονομικόν πολιτικόν
τὰ τρία γένη ἐναρμονικόν χρωματικόν διατονικόν
Abb. 7: Tongeschlechter und Seelenkräfte.

Im Gegensatz zur Wertung bei Aristoxenos steht das diatonische Geschlecht am


höchsten, die Mathematik befindet sich (wie in der ‹Syntaxis›) zwischen Physik und
Theologie. Veränderungen im privaten und öffentlichen Leben entsprechen den
Veränderungen der Melodie. Es folgt die Übereinstimmung der Ekliptik (der Bahn
der Planeten) mit dem vollendeten System, der west-östlichen Planeten­bewegungen
mit den Bewegungen des Tonsystems, der steigenden und fallenden Bewegung der
Planeten mit den Tongeschlechtern und ihrer nord-südlichen Abweichungen mit
den Modulationen (Harm. 3,8–13). Von den Kapiteln 14 und 15 sind kaum mehr
als die Überschriften überliefert. Das letzte Kapitel (Harm. 3,16), das die musika-
lischen Intervalle zu den Umlaufbahnen der Planeten in Beziehung setzt, hat eine
Sonderüberlieferung. Es wurde lange für unecht gehalten, doch hat Düring 1934
[*211: 281–284] im Vergleich mit den ‹Apotelesmatika› und deren Schlusskapitel
sowie mit einem Zitat bei Macrobius seine Echtheit wahrscheinlich gemacht.
Porphyrios schrieb auch zu diesem Werk einen Kommentar, der bis Harm. 2,7
reicht, Macrobius benutzte es, und Boethius paraphrasierte das erste Buch im
fünften Buch von ‹De institutione musica›. Über den Letztgenannten wirkte die
Lehre auch im Mittelalter weiter, besonders die Dreiteilung in musica mundana –
musica humana – musica instrumentalis, die noch den drei Sätzen einer Sinfonie
von Paul Hindemith zugrunde liegt (1951). Das Werk wurde auch in der arabi-
schen Musiktheorie genutzt (Reinert 1979 [*421]; vgl. auch Reinert 1990 [*423]).
Der Byzantiner Nikephoros Gregoras löste mit seiner Redaktion des Werkes eine
heftige Kontroverse aus. Im Druck erschienen die ‹Harmonika› zunächst latei-
nisch in Venedig (1562), griechisch erst 1682 in Oxford. Sie beflügelten die Diskus-
sionen um die Dissonanzenbehandlung der Polyphonie.

3.3. ‹Optik›

Von den ‹Optika›, meist im Singular als ‹Optik› bezeichnet, ist einzig ein Teil
in lateinischer Übersetzung aus dem Arabischen erhalten, die Eugen von Sizilien
im 12. Jahrhundert am normannischen Hof unter dem Titel ‹De aspectibus› an-
fertigte (Lejeune 1948 [*430]). Von den ursprünglich fünf Büchern fehlt das erste

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510 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

und das Ende des fünften, doch konnte der Inhalt weitgehend rekonstruiert
­werden: Buch 1 behandelte die Grundlagen des Sehens, das sich Ptolemaios wie
Euklid durch Sehstrahlen vorstellt, die vom Auge ausgehen, Buch 2 die Bedeu-
tung von Licht und Farbe für das Sehen; dabei kommen auch Sinnestäuschungen
zur Sprache (Opt. 2,84–142). In Buch 3 und 4 geht es um die Reflexion der Seh-
strahlen in verschiedenen Spiegeln. In Buch 5 stellt Ptolemaios drei Brechungs­
gesetze auf und berichtet über eigene Messungen von Brechungen in Wasser und
Glas mit einer kreisförmigen Bronzescheibe, somit verbindet er ein erstes Mal die
experimentelle Methode mit theoretischer Deduktion. In den drei zusammenfas-
senden Tabellen bilden die Brechungswinkel arithmetische Reihen zweiter Ord-
nung. Ptolemaios fragt weiter nach der Möglichkeit der Refraktion in der Astro-
nomie, hält es aber für unmöglich, hierfür eine Tafel aufzustellen, weil die Grenze
zwischen der Luft und dem Äther nicht zu bestimmen sei. Soweit aus den Über-
setzungen zu schließen ist, kamen philosophische Gedanken nach heutigem Ver-
ständnis in diesem Werk nicht zur Sprache.
Das Werk wird von dem Optiker Damianos (4. Jh.?) zitiert, die Theorie der vom
Auge ausgehenden Sehstrahlen durch den Araber Alhazen überwunden. Die kri-
tische Ausgabe von Lejeune 21989 [*225] stützt sich auf zwölf Handschriften.

3.4. Erkenntnistheorie

In der kurzen Schrift ‹Über das Erkenntniskriterium und den Primat des Geis-
tes› (Περὶ κριτηρίου καὶ ἡγεμονικοῦ, ‹De iudicandi facultate et animi principatu›)
entwickelt Ptolemaios kein selbständiges System, sondern knüpft an die Lehren
früherer Philosophen an. Die beiden im Titel genannten Begriffe wurden beson-
ders von den Stoikern benutzt, über den ersten hatte bereits Poseidonios eine
Schrift verfasst. Dennoch fußt Ptolemaios’ Schrift auf einem peripatetischen
Kompendium (Boll 1894 [*268: 80]). Das Werk gliedert sich in zwei Teile: Der
erste, erkenntnistheoretisch ausgerichtete (Kapitel 1–12) behandelt die Vorgänge
beim geistigen Erkennen und Beurteilen. Das eigentliche erkennende Subjekt ist
der «Geist» (νοῦς). Ohne sinnliche Wahrnehmung gibt es kein Denken. Der Stoff
von Wahrnehmen und Denken ist derselbe, die Wahrnehmung vermittelt ihre Ein-
drücke «wie ein Bote» (ἄγγελος) dem Denken, das sie mit Hilfe des «Bewusst-
seins» (ἔννοια) festhält. Seine eigene aktive Tätigkeit übt das Denken durch die
«Vernunft» (λόγος) aus. Wird diese einfach und kunstlos angewandt, erwirbt man
eine vage «Meinung» (δόξα καὶ οἴησις); wird sie dagegen kunstvoll und «nicht
umzustimmend» (ἀμετάτρεπτος) angewandt, entsteht «Wissen und Erkenntnis»
(ἐπιστήμη καὶ γνῶσις). Der «theoretische Geist» (νοῦς θεωρητικός) bezieht sich
auf das Selbe und Andere, Gleiche und Ungleiche, Ähnliche und Unähnliche
sowie überhaupt auf Gleichheiten und Unterschiede der Begriffe, der «praktische
Geist» (νοῦς πρακτικός) auf Angemessenes und Unangemessenes sowie auf
­Affekte. In beiden Bereichen unterscheidet der Autor zwischen «einfachen»
(ἁπλᾶ) und «verknüpften» (συμπεπληγμένα) «Urteilen» (κρίματα), wobei Letz-
tere die Möglichkeit des Irrtums eröffnen. Bei aller Kürze der Schrift polemisiert
Ptolemaios gegen die Stoa, insbesondere gegen die Heranziehung des λόγος

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§ 46. Klaudios Ptolemaios (Bibl. 528–536) 511

προφορικός (das «ausgesprochene Wort» im Gegensatz zur inneren Rede, dem


λόγος ἐνδιάθετος) sowie gegen die Verwirrung der Dialektik durch «Wortklauberei»
(φωνομαχία). Eine ziemlich genaue Parallele hierzu überliefert Galen (Boll 1894
[*268: 86]).
Der zweite, psychologisch-anthropologische Teil (Kapitel 13–18) ist vielmehr
der Stoa als dem Peripatos verpflichtet. Er verbindet die für die ‹Apotelesmatika›
grundlegende Lehre von den vier Elementen mit der ‘Quinta essentia’ (πέμπτη
οὐσία) des Aristoteles. Die Seele wird als etwas Materielles aufgefasst, wenn ihre
Substanz auch feiner und beweglicher ist als jene des Körpers. Nach dem Tod geht
sie zu den ihr verwandten Elementen über. Der dem Stofflichen stärker verbun-
dene Tastsinn verteilt sich über den ganzen Körper, Gesicht und Gehör befinden
sich dagegen näher am «vernunftbestimmten» Körperteil (διανοητικόν), die
anderen drei, weniger bedeutenden, Sinne gehören zum «triebhaften» Teil
­
(ὁρμητικόν), und dieser zerfällt wiederum in einen luftartigen «Appetit» (ὀρεκ­
τικόν) im Magen und Unterleib und ein feuerartiges «Begehren» (θυμικόν) in der
Nähe der «Eingeweide» (σπλάγχνα) und des Herzens. Die vier genannten Seelen-
teile (αἰσθητικόν, ὀρεκτικόν, θυμικόν und διανοητικόν) kombinieren die aristote-
lische mit der platonischen Psychologie. Der «vernunftbestimmte» Teil (διανοη­
τικόν) hat seinen Sitz im Kopf, besonders im Gehirn. Angesichts einer bereits bei
den Pythagoreern fassbaren schlichten Zweiteilung befindet sich das «führende
Vermögen» (ἡγεμονικόν) zwar absolut gesehen im Gehirn, relativ gesehen jedoch
entweder (wenn es nur auf das Leben gerichtet ist) im Herzen oder (wenn es so-
wohl auf das Leben als auch auf das gute Leben bezogen ist) im ­Gehirn (dies wie-
derum nach Aristoteles). Ptolemaios vermittelt also nicht nur zwischen Peripatos
und Stoa, sondern auch zwischen stoischer (ἡγεμονικόν im Herzen) und platoni-
scher Doktrin (ἡγεμονικόν im Gehirn).
Die Schrift war den Arabern anscheinend unbekannt und wurde zuerst 1663
von Ismael Bullialdus, dem Sohn eines Astronomen, griechisch und lateinisch her­
ausgegeben. Dessen begleitender Kommentar bezieht gegen Descartes Stellung.

4. Verlorene Schriften und Pseudepigrapha

Über den lange für echt gehaltenen ‹Karpos› siehe oben unter 2.2. Nicht erhal-
ten ist eine Schrift über das Parallelenpostulat des Euklid, von der Proklos eine
ausführliche Zusammenfassung gerettet hat (Heiberg 1907 [*78: II 266–270, dazu
Heath 1921 [*270: 295–297]). Nur durch Zitate bekannt sind drei Bücher über die
Mechanik, je eine Schrift ‹Über Gewichte› (Περὶ ῥοπῶν) und – wohl nach der
‹Syntaxis› entstanden (Boll 1894 [*268: 75]) – ‹Über die Elemente› (Περὶ στοι­
χείων) sowie ‹Über den Abstand› (Περὶ διαστάσεως), in der Ptolemaios bewiesen
haben soll, dass es nicht mehr als drei Dimensionen gibt (Fragmente bei Heiberg
1907 [*78: II 261–266]). Weitere zumeist astrologische Schriften werden ihm in
arabischen Texten zugeschrieben, zwölf Titel nennt Sezgin 1979 [*273: VII 46–
48]). Davon befindet sich eine Edition des ‹Iudiciorum Ptolomei ad Aristonem fi-
lium suum liber› (‹Das Buch der [astrologischen] Gutachten des Ptolemai­os an

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512 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

seinen Sohn Aristo›) in Arbeit (Burnett 1993 [*454: 29 Anm. 14]; vgl. Burnett,
Juste: A Catalogue of Medieval Translations of Texts on Astronomy and Astro-
logy, von dem bisher allerdings noch kein Band erschienen ist). Dieses Werk be-
gegnet parallel zu den dem Aristoteles zugeschriebenen ‹Iudicia› (Burnett 2009
[*455]). Eine gewisse Bedeutung hatte in der Renaissance außer dem beliebten
‹Centiloquium› eine dem Ptolemaios zugeschriebene Liste der 30 hellen Sterne
(‹De XXX stellis›) sowie das ebenfalls pseudepigraphische, aus dem Arabischen
übersetzte Werk des Jérôme Torella ‹Über Sternbilder› (‹De imaginibus›) mit
einer Beschreibung der 36 Dekane (Gundel 1936 [*255: 299], Sezgin 1979 [*273:
VII 47], Boudet 2008 [*448]); Joseph Justus Scaliger übersetzte dieses Werk in sei-
ner postum erschienenen dritten Manilius-Ausgabe (1655) ins Lateinische.

§ 47. Galen

James Allen

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Galen wurde im Jahr 129 n. Chr. in Pergamon geboren. Das Todesdatum ist un-
bekannt, wahrscheinlich ist es jedoch nach 210 anzusetzen (Nutton 1984 [*708]).
Sein Vater Nikon traf umfassende Vorkehrungen für die Erziehung seines Soh-
nes. Als Galen das vierzehnte Lebensjahr vollendete, sorgte sein Vater dafür, dass
er in Pergamon bei Vertretern der vier damals führenden philosophischen Schu-
len studieren konnte: bei einem Schüler des Stoikers Philopator, bei einem Schü-
ler des Mittelplatonikers Gaios, bei einem peripatetischen Schüler von Aspasios,
dem Kommentator des Aristoteles, und bei einem Epikureer aus Athen (Aff. dig.
5,4, I,1,28,9–19 CMG = V,41,10–42,4 K). Nikon selbst unterrichtete Galen in
Arithmetik, Rechnen und Grammatik und sorgte dafür, dass er Dialektik studie-
ren konnte (Libr. ord. 4,4, II,88,10–15 SM = XIX,59,4–9 K; Libr. propr. 14,4,
II,116,22–26 SM = XIX,40,5–8 K). Als Galen siebzehn war, veranlasste sein Vater,
beeinflusst durch einen Traum, dass er zusätzlich zu seinem Philosophiestudium
das Studium der Medizin aufnahm (Libr. ord. 4,4, II,88,15–17 SM = XIX,59,9–
11 K; MM X,609,8–11 K). Nach dem Tod seines Vaters betrieb Galen, mittlerweile
wohl zwanzig Jahre alt, medizinische und philosophische Studien in Smyrna, letz-
tere beim Mittelplatoniker Albinos, einem Schüler des Gaios (Libr. propr. 2,1,

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 513

II,97,9–11 SM = XIX,16,9–10 K). Nach seiner Rückkehr nach Pergamon im Alter


von achtundzwanzig Jahren wurde er Arzt in der dortigen Gladiatorenschule, wo
er viele wichtige medizinische Erfahrungen sammeln konnte. Von 162–166 n. Chr.
und nochmals ab 169 n. Chr. weilte er in Rom. Sein Leben schloss Phasen ausge-
dehnter Reisen ein. Der Todesort ist unbekannt.
Zu Lebzeiten war Galen besonders als Arzt und Medizintheoretiker sehr be-
rühmt, und sein Einfluss auf die nachfolgende Geistesgeschichte war größer als
der irgendeines anderen Arztes in der Antike, abgesehen von Hippokrates (oder
vielmehr dem ‹Corpus Hippocraticum›). Er kannte drei römische Kaiser und
wurde von ihnen in medizinischen Belangen zu Rat gezogen: Mark Aurel, Com-
modus und Septimius Severus. Er kann einige anatomische Entdeckungen von
bleibender Bedeutung für sich in Anspruch nehmen. Aus seinem eigenen Zeug-
nis zu schließen, wurden seine medizinischen Schriften vielerorts gelesen, und er
war in viele Debatten verwickelt. Galens Hinwendung zur Medizin und das An-
sehen, das er als Arzt erlangte, bedeuteten jedoch nicht das Ende seiner philoso-
phischen Studien und Ambitionen. Er vertrat die Auffassung, dass Erfolg in der
Medizin profunde Kenntnisse der Philosophie voraussetze, und verteidigte in
einer Schrift die These, dass der beste Arzt ebenfalls Philosoph sei, ‹Quod opti-
mus medicus sit etiam philosophus› (Ὅτι ὁ ἄριστος ἰατρὸς καὶ φιλόσοφος). Darin
beschreibt er, über welches philosophische Wissen derjenige Arzt verfügen muss,
der Medizin auf höchstem Niveau ausüben will (Med. phil. II,1–8 SM = I,53–63
K). Seine philosophischen Interessen gingen jedoch weit über das hinaus, was für
die Medizin im engeren Sinne notwendig war, und er wurde zu seiner Zeit als Phi-
losoph ernst genommen (Nutton 1984 [*708]). Wenn man Galen Glauben schen-
ken darf, war Mark Aurel der Meinung, dass er der beste Arzt und ein einzigarti-
ger Philosoph sei (Praen. 5,8, I,128,25–28 CMG = XIV,660,9–11 K). Alexander
von Aphrodisias, ein jüngerer Zeitgenosse Galens, führt ihn zusammen mit Aris-
toteles und Platon an, um die Bedeutung des Wortes ἔνδοξος zu veranschaulichen
(Alex. Aphr. In Top. 549,24). Eusebios berichtet von einem Angriff gegen eine
Gruppe von Christen des späten 2. Jahrhunderts in Rom, die zeigen wollte, dass
die christliche Lehre den rigorosen Argumentationsstandards der Philosophie ge-
nügen könne (Eus. Hist. eccl. 5,28,13f.). Dem Urheber dieses Angriffs zufolge be-
wunderten Anhänger dieser Gruppierung Aristoteles und Theophrast, und einige
von ihnen «verehrten Galen geradezu». Dies legt nahe, dass Galen in den Augen
der Zeitgenossen das Ideal philosophischer Strenge, dem sie nacheifern wollten,
am besten verkörperte (Walzer 1949 [*715: 75–79]; zu Galens intellektuellem und
kulturellem Kontext siehe Bowersock 1969 [*705], Kollesch 1981 [*707], von Sta-
den 1997 [*769]).

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514 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

2. WERKE

Galen war ein außergewöhnlich produktiver [*690], Nutton 2002 [*691]; eine Liste der von Kühn
Autor. Athenaios behauptet zu Beginn des 3. Jahr- gesammelten Werke mit einer Konkordanz zu an-
hunderts n. Chr., Galen habe mehr medizinische deren Editionen bei Hankinson 1991 [*570: 238–
und philosophische Werke geschrieben als irgend- 246] und 1998 [*632: 282–287]; eine ausführlichere
einer seiner Vorgänger (Athen. 1,1e–f); seine Behandlung bei Fichtner 2005 [*692]): Darin befin-
Werke machten einen Achtel der griechischen den sich viele fälschlich Galen zugeschriebene
­Literatur aus, die von Homer an bis zum Ende des Schriften, und es gibt Werke von Galen, die in
2. Jahrhunderts überliefert ist. Durch das Feuer, Kühns Ausgabe fehlen (Hankinson 1991 [*570:
das Galens eigene Bibliothek in Rom im Jahr 192 247] und 1998 [*632: 287–288], Nutton 2002 [*678:
zerstörte, gingen den nachfolgenden Generationen 165–168]; zu Editionen und Übersetzungen von
einige seiner Werke verloren (Libr. propr. 3,7, Galens Werk siehe auch Kollesch, Nickel 1994
XIX,19,13–15 K; 14,9, II,117,21–23 SM = XIX,41,9– [*666: 1384–1420]). Galen stellte zwei bibliographi-
11 K; Comp. med. gen. XII,362,1–363,5 K; Indol. sche Werke über seine eigenen Bücher zusammen,
4). Die Überlieferung der erhaltenen Werke ist häu- ‹De libris propriis› (Περὶ τῶν ἰδίων βιβλίων γραφή)
fig außergewöhnlich kompliziert. Wegen Galens und ‹De ordine librorum suorum› (Περὶ τῆς τάξεως
enormer Bedeutung als Arzt wurden viele seiner τῶν ἰδίων βιβλίων; Boudon-Millot 2007 [*477]).
Schriften ins Syrische, Arabische, Hebräische und Die Kapitel 14 bis 19 von ‹De libris propriis›
Mittellateinische übersetzt, und in manchen Fällen sind seinen philosophischen Werken gewidmet.
blieben sie nur in der übersetzten Fassung erhalten, Philosophische Themen werden aber nicht nur in
manchmal in mehreren Sprachen. Das von der den dort angeführten Werken behandelt, sondern
­Gesamtausgabe aus dem Jahr 1825, herausgegeben finden sich über sein gesamtes Werk verteilt (zu
von Karl Gottlob Kühn, vermittelte Bild stellt zu- Galens Tätigkeit als Schriftsteller und zur Chro-
gleich mehr oder weniger seine vollständigen nologie seiner Werke siehe Ilberg 1889–1897
Werke dar (zu Kühns Edition siehe Schubring 21965 [*688], Bardong 1942 [*689: 603–640]).

3. LEHRE

1. Erkenntnistheorie und Logik. – 2. Naturphilosophie. – 3. Ethik und Moralpsychologie.

Galen akzeptierte die Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik
(Med. phil. 3,8, II,7,6–8 SM = I,60,16–61,1 K), die, obwohl von den Stoikern in den
Vordergrund gerückt, mindestens bis auf Xenokrates, den Leiter der Akademie
im späten 4. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Der logische Teil ist sehr viel umfas-
sender als das, was heutzutage unter die Bezeichnung ‘Logik’ fällt, die eher der
antiken Disziplin der Dialektik entspricht. Er umfasst insbesondere Themen, die
heute in die Erkenntnistheorie fallen.
Galen war berüchtigt als scharfer Kritiker seiner Zeitgenossen und Vorgänger.
Neben den vielen Fehlern, die er bei ihnen vorfindet, sind zwei vor dem Hinter-
grund seiner eigenen erkenntnistheoretischen Ansichten besonders erwähnens-
wert. Egal, wohin man schaue, so Galen, sehe man Philosophen und Ärzte, die
wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule der Wahrheit gegenüber
blind geworden seien. Jene, die sich selbst als Praxagoreer oder Hippokratiker o. ä.
bezeichneten, sagt er, seien Sklaven (Libr. propr. 1,9, II,95,6–8 SM = XIX,13,16–
18 K; vgl. MM X,274,1–13 K; Pecc. dig. 5,4, I,1,62,17–18 CMG = V,93,3–4 K). Er

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 515

selbst versteht sich als Eklektiker, der nur das Beste, was jede Schule zu bieten hat,
wählt (Libr. propr. 1,9, II,95,8–9 SM = XIX,13,18 K). In dieser Hinsicht beruft er
sich auf den Ratschlag seines Vaters, sich nicht an eine Schule zu binden, sondern
sich Ansichten nur nach sorgfältiger Prüfung zu eigen zu machen (Aff. dig. 5,4,
I,1,28,25–29,2 CMG = V,42,11–14 K; siehe Hankinson 1992 [*749]). Diese Auffas-
sung hat er in einem verlorenen Buch über die beste Schule entwickelt, in dem
nicht eine existierende Schule gepriesen, sondern die Methode beschrieben wer-
den sollte, mit der man das beste System in der Medizin oder auf irgendeinem an-
deren Gebiet entwickeln könne (Libr. ord. 1,6ff., II,81,13–19 SM = XIX,51,5–11
K). Obwohl Galens Selbstverpflichtung auf eine unabhängige Urteilsbildung echt
war, ist an seiner Haltung auch ein traditionsbewusster Zug festzustellen (Frede
1981 [*728]). Er betrachtete nämlich die Auswahl von Lehrmeinungen von Per-
sönlichkeiten, die er als Autoritäten anerkannte, als zentralen Bestandteil seiner
Arbeit und er ging davon aus, dass wissenschaftlicher Fortschritt in hohem Maße
in der Weiterentwicklung von Vorstellungen der antiken Autoritäten bestehe
(siehe Hankinson 1994 [*760]).
Im Abschnitt von ‹De libris propriis›, der seinen Werken zur aristotelischen
Philosophie gewidmet ist, listet Galen zwölf Titel auf (17, II,122,19–123,9 SM =
XIX,47,1–10 K). Die meisten davon behandeln logische Themen, eines aber han-
delt von Aristoteles’ Lehre, dass der erste Beweger unbewegt ist. Es ist gelungen,
bedeutende Anleihen bei Aristoteles und den Peripatetikern nachzuweisen (Mo-
raux 1981 [*730] und 1984 [*733], Gottschalk 1987 [*736]). Obwohl er ihm durch-
aus auch widersprechen kann, erkennt Galen seine besonders starke Affinität zu
Platon an (siehe ‹De placitis Hippocratis et Platonis›, im Folgenden mit PHP ab-
gekürzt, 5,4, I,2,334,25–27 CMG = V,478,3–5 K; UP 1,173,11–15 Helmreich =
III,236,8–11 K; vgl. De Lacy 1972 [*724], Singer 1991 [*747]). Er führt in ‹De lib-
ris propriis› neun Titel zur platonischen Philosophie auf (16, II,122,7–18 SM =
XIX,46,11–19 K). Darunter finden sich acht Bücher mit Synopsen von Dialogen,
außerdem eine Epitome des ‹Timaios›, dem er auch ein weiteres Werk widmete,
und, wenn Kalbfleischs Emendation 1896 [*484: 690] zutreffend ist, eines über von
Platon abweichende Ansichten hinsichtlich der Ideen; auf der Grundlage der ara-
bischen Übersetzung von Ḥunain ibn Isḥāq wird in der jüngsten Ausgabe von Libr.
prop. hingegen folgender Titel angenommen: ‹Über diejenigen, die hinsichtlich
der logischen Theorie eine andere Meinung als Platon vertreten› (Boudon-Millot
2007 [*477: 230]). Seine Anleihen bei den Mittelplatonikern waren ebenfalls um-
fangreich (dies wird insbesondere unterstrichen von Donini 1980 [*727] und 1992
[*748] sowie Chiaradonna 2009 [*793]). Wie viele seiner Zeitgenossen steht Galen
dem Epikureismus feindselig gegenüber. Er lehnt die Auffassung, dass Lust das
(höchste) Gut sei, als falsch und irrig ab (PHP 5,4, I,2,256,18–20 CMG = V,388,1–3
K). In ‹De libris propriis› sind acht Titel zur epikureischen Philosophie aufgelis-
tet, hauptsächlich zu ethischen Fragen (19, I,123,19–124,5 SM = XIX,48,1–7 K).
Obwohl er wie seine Zeitgenossen nolens volens durch den Stoizismus beeinflusst
war und er für diese Schule mehr Respekt aufbringt als für die epikureische, sind
seine Verweise auf die Stoa in der Regel feindselig. Sie tauchen oft in Kontexten
auf, wo er die Überlegenheit der platonischen und der aristotelischen Philosophie

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516 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

nachweisen will. So ist der Abschnitt zum Stoizismus in ‹De libris propriis› betitelt
mit ‘Werke, die von der Philosophie der Stoiker abweichen’ (τὰ πρὸς τὴν τῶν
Στωϊκῶν φιλοσόφων διαφέροντα: 18, II,123,10–18 SM = XIX,47,11–17 K). Die
sechs Werke befassen sich mit einer Ausnahme, die von der Minderwertigkeit der
stoischen Geometrie handelt, alle mit der stoischen Logik. Galens ernsthaftes
­Interesse an diesem Gebiet spiegelt sich auch in der ‹Institutio logica› wider, die
anscheinend später als ‹De libris propriis› geschrieben worden ist (zu Galens Ein-
stellung gegenüber dem Stoizismus siehe Manuli 1993 [*756]).

1. Erkenntnistheorie und Logik

Das hauptsächliche Instrument zur Beurteilung möglicher Lehrmeinungen und


zur Bestimmung ihrer Wahrheit oder Falschheit ist der Beweis (ἀπόδειξις: Libr.
ord. 1,12, II,82,20–83,6 SM = XIX,52,15–53,10 K). Und der zweite Fehler, über
den sich Galen – nach der blinden Loyalität gegenüber einer Schule – beschwert,
ist die Unkenntnis oder der Missbrauch von Beweisen (Libr. ord. 1,9f., II,82,3–14
SM = XIX,52,1–11 K; MM X,122,10–16 K). Dieser Fehler trägt zum ersten bei,
weil er die Anhänger der verschiedenen Schulen ermutigt, falsche Ansichten zu
vertreten, die durch einen Beweis widerlegt werden können, und ein sicheres Wis-
sen über Dinge vorzugeben, die nicht mithilfe eines Beweises zu klären sind. Die
meisten Meinungsverschiedenheiten, von denen die Medizin und andere Gebiete
beherrscht sind, können laut Galen überhaupt nur aufkommen und fortdauern,
weil die jeweiligen Konfliktparteien nicht wissen, wie man etwas beweist (MM
X,469,14–470,2 K; zur Verwendung von Beweisen in der Medizin siehe Barnes
1991 [*744] und 1993 [*753]). Der Begriff ‘Dissens’ (διαφωνία) spielt im pyrrho­
neischen Skeptizismus eine wichtige Rolle, wo ungelöste M
­ einungsverschiedenheiten
zur Urteilsenthaltung führen. Galen behauptet, dass ihn die Meinungsverschie-
denheiten seiner Lehrer wohl in einen Zustand der pyrrhoneischen Ausweglosig-
keit (ἀπορία) geführt hätten, wenn es nicht die Geometrie, die Arithmetik und die
Rechenkunst gegeben hätte, insbesondere die Art des Beweises, der in der Geo-
metrie verwendet wird und dessen Autorität von allen anerkannt wurde (Libr.
propr. 14,4–6, II,116,21–117,16 SM = XIX,40,4–18 K). Im Buch über seine eigenen
Ansichten und anderswo gibt er sich große Mühe, zwischen Dingen zu unterschei-
den, von denen er Wissen besitzt, solchen, zu denen er eine glaubwürdige Meinung
haben kann, und jenen, bei denen nicht einmal dies möglich ist (Prop. plac. 187,10–
13; 188,6–13 Boudon-Millot-Pietrobelli = 5,3, II,108,25–110,3; 114,8–19 CMG;
Sub. nat. fac. IV,759,18–760,3 K).
Galens Widerstand gegen voreiliges Urteilen, seine Feindseligkeit gegenüber
Schulautoritäten und seine Bereitschaft, sich des Urteils zu enthalten oder mit
glaubwürdigen Meinungen bei Themen durchzukommen, die für einige Philoso-
phenschulen zum Kernbestand der Lehre gehören, dies alles zeigt seine große
Nähe zum Skeptizismus, insbesondere zu jener Form des akademischen Skepti-
zismus, die Meinungen, basierend auf ihrer Glaubwürdigkeit, zuließ (Frede 1981
[*728]). Galen unterscheidet sich aber insofern von den Skeptikern, als er die Mei-

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 517

nung vertritt, dass sicheres Wissen über viele Dinge möglich sei (Hankinson 2009
[*795]). Die sichere Erkenntnis der Wahrheit, die in den mathematischen Wissen-
schaften erreicht wird, stellte für ihn ein Vorbild für ein Wissen dar, das auch in
der Medizin oder in anderen Gebieten manchmal möglich ist. Obwohl er heftig
dagegen opponierte, Lehrmeinungen aufgrund von Loyalität einer Schule gegen-
über zu akzeptieren, schrieb er das Werk ‹De optimo docendi genere› (Περὶ
ἀρίστης διδασκαλίας, ‹Über die beste Art der Unterweisung›; Barigazzi 1991
[*522: 89–109] = I,40–52 K) gegen die akademische Methode des Unterrichts. Die-
ses Werk war vor allem gegen Favorinos gerichtet, einen Philosophen in der ers-
ten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr., dem zufolge sich ein Lehrer ganz darauf
beschränken sollte, pro und contra zu argumentieren, und eine positive Stellung-
nahme vermeiden sollte (siehe Ioppolo 1993 [*755]). In seinen medizinischen
Schriften beweist Galen viel Gespür dafür, dass es notwendig ist zu unterscheiden
zwischen dem, was sicher gewusst werden kann, und dem, was einzig vermutet
werden kann und dementsprechend nicht mit völliger Gewissheit angenommen
werden darf (siehe Allen 1994 [*758: 94–106], Boudon 2003 [*779]).
Galen verfasste ein gewaltiges Werk in fünfzehn Büchern über den Beweis, das
verloren ist (Libr. propr. 14,8, II,117,18–20 SM = XIX,41,7–9 K; Fragmentsamm-
lung und Diskussion in Müller 1897 [*714]; Hankinson 1991 [*745], Lloyd 1996
[*763], Barnes 2003 [*778], Chiaradonna 2009 [*794]). Er fordert eindringlich ein
sorgfältiges Studium der darin enthaltenen Methoden von all jenen, welche die
Wahrheit, auf welchem Wissensgebiet auch immer, entdecken möchten (Libr. ord.
1,12, II,82,21–83,6 SM = XIX,52,17–53,10 K). Galen schätzte die Lehren von Aris-
toteles und Theophrast zur Beweistheorie besonders hoch ein (PHP 5,4,
I,2,104,3–5 CMG = V,213,8–10 K) und verfasste eine sorgfältige Studie zu Aristo-
teles’ Werk über den Beweis, den ‹Analytica Posteriora›, und zu seinen anderen
logischen Schriften (Libr. propr. 14,11–13, II,118,2–12 SM = XIX,41,15–42,6 K).
Es gibt jedoch wichtige Unterschiede zwischen Galens Ansichten über den Beweis
und jenen des Aristoteles. Ein aristotelischer Beweis ist ein Syllogismus, dessen
Verständnis gleichzeitig das Wissen der Konklusion bereitstellt, in dem Sinne, dass
man ihre Erklärung erfasst hat. Zu diesem Zweck muss ein Beweis von Prämis-
sen ausgehen, die wahr, ursprünglich und unvermittelt sowie bekannter, vorran-
gig und ursächlich im Verhältnis zur Konklusion sind (An. post. 1,2, 71b17–22).
Der Akzent liegt nicht auf der Klärung von umstrittenen Tatsachen. Man kann
tatsächlich sehr wohl die Wahrheit einer Konklusion eines Beweises annehmen,
und diese Annahme mag auch gerechtfertigt sein, noch bevor man überhaupt den
Beweis führt. Was man beim Begreifen des Beweises gewinnt, ist nämlich weni-
ger eine Rechtfertigung, oder eine Rechtfertigung im höheren Maße, als vielmehr
Verstehen – in aristotelischer Terminologie: das Wissen um die Ursache (wissen,
warum: τὸ διότι) und nicht bloß um die Tatsache (wissen, dass: τὸ ὅτι). Aber ob-
gleich Galen wohl eine Art von Beweisen, die in aristotelischer Manier erklärend
ist, in seinem Buch ‹Über die Beweise gemäß dem Warum› (Περὶ τῶν κατὰ τὸ
διότι ἀποδείξεων: Libr. propr. 14,18, II,119,15–16 SM = XIX,43,13–14 K) disku-
tiert haben dürfte, betrachtete er den Beweis in besonderer Weise als ein Mittel
zur Klärung von umstrittenen Tatsachen, mit dem festgestellt werden kann, ob

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518 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

eine gegebene Behauptung wahr oder falsch ist. In dieser Hinsicht ähnelte seine
Auffassung vom Beweis jener der Stoiker, die von Sextus Empiricus dargelegt und
ausführlich untersucht worden ist (PH 2,134–192; Adv. math. 8,300–481; vgl. Cic.
Lucullus 26). Dementsprechend haben sich bei Galen auch die Bedingungen ge-
ändert, welche die Prinzipien des Beweisens erfüllen müssen. Sie müssen nicht
kausale oder erklärende Priorität aufweisen, auf der Aristoteles insistiert. Vielmehr
muss gewährleistet sein, dass sie als wahr erfasst werden können, ohne selbst be-
wiesen werden zu müssen. Damit dies geschieht, müssen sie selbstevident sein
(MM X,33,16–34,2 K). Evidente Wahrheiten nennt er Axiome, von denen einige
für die Sinne evident sind, andere für den Geist. Menschen sind mit zwei natür-
lichen Kriterien ausgestattet, Wahrnehmung (αἴσθησις) und Geist (νοῦς), mit
denen sie die beiden Arten des Evidenten begreifen können (Opt. doctr. 5,1,
I,104,5–12 CMG = I,49,14–50,8 K; PHP 5,4, I,2,542,8–20 CMG = V,723,2–16 K;
Hipp. off. med. XVIII,B,659,1–660,2 K; siehe Hankinson 1997 [*767]).
Galens Erkenntnistheorie unterteilt die möglichen Wissensgegenstände also
entsprechend in zwei Klassen, in die evidenten und in die nicht-evidenten. Sie
stellt die Kenntnis evidenter Gegenstände in die Verantwortung der natürlichen
Kriterien, während das Wissen vom Nicht-Evidenten durch Schlussfolgerungen
aus evidenten Wahrheiten gewonnen wird (Subf. emp. 89,10–18 Deichgräber; Inst.
log. I,1). Dabei gibt es aber Schwierigkeiten. So beschränkte Galen die Rolle der
Wahrnehmung nicht darauf, den Ausgangspunkt für Beweise zu liefern. Der
Grund dafür wird aus Galens Standpunkt in der lang andauernden Debatte zwi-
schen den sogenannten medizinischen Empirikern und Rationalisten ersichtlich,
zu der er sich in der ‹Subfiguratio empirica› (῾Υποτύπωσις ἐμπειρική, ‹Empirischer
Grundriss›: 42–90 Deichgräber) und in ‹De experientia medica› (Περὶ τῆς ἰατρικῆς
ἐμπειρίας, ‹Über die medizinische Erfahrung›) äusserte und auf die er sich häu-
fig auch anderswo bezog, insbesondere in ‹De sectis ad eos qui introducuntur›
(Περὶ αἱρέσεων τοῖς εἰσαγομένοις, ‹Über die Schulen an die Anfänger›: III,1–32
SM = I,64–105 K; zu dieser Debatte siehe die Einleitung von Frede in Walzer,
Frede 1985 [*472: ix–xxxiv] sowie die Fragmente, die bei Deichgräber 21965 [*528]
gesammelt und erläutert sind).
Beweisendes Denken stellt natürlich eine Anwendung des Vernunftvermögens
dar, und Galen tadelt die Rationalisten manchmal dafür, dass sie den Beweis nicht
so studieren, wie man es angesichts ihres eigenen Anspruchs auf eine rationale
Methode erwarten sollte (MM X,32,2–33,5 K; zur Kritik an den Medizinern
wegen ihrer mangelhaften Beherrschung von Logik siehe Barnes 1991 [*744: 58–
60]). Die Bedeutung, die Galen dem Beweisen beimisst, lässt ihn natürlicherweise
als Rationalisten erscheinen, und gemäß seiner Charakterisierung des Rationa-
lismus als der Position, bei der die Vernunft nebst der Erfahrung ebenfalls einen
wichtigen Beitrag zum medizinischen Wissen leistet, ist er dies auch (Sect. intr.
III,1,15–16 SM = I,65,5–6 K; Diff. feb. VII,281,16–282,5 K; Hipp. epid.
XVII,A,13,14–14,1 K). Nichtsdestoweniger bekundet er überraschend starke
­Sympathien für den Empirismus. Er behauptete, dass ein Empiriker ein wirkungs-
voller und erfolgreicher Arzt sein könne (MM X,122,11–12 K), und er schrieb die
‹Subfiguratio empirica›, um zu zeigen, dass es möglich sei, durch Erfahrung und

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 519

ohne Zuhilfenahme der Vernunft zu einer angemessenen Beherrschung der me-


dizinischen Kunst zu gelangen (Subf. emp. 88,19–25 Deichgräber), selbst wenn
diese Kunst begrenzt ist, weil sie nicht das gesamte medizinische Wissen ein-
schließt, das für einen Arzt nützlich wäre. Galen glaubt, dass einige nützliche
Wahrheiten allein durch Erfahrung entdeckt werden können (MM X,962,5–6 K;
Comp. med. gen. XIII,886,17–887,2 K) und dass Erfahrung wegen der vielfälti-
gen Schwierigkeiten, denen die rationale Methode ausgesetzt ist, einen wichtigen
Beitrag zur Bestätigung der Schlussfolgerungen der Vernunft spielt (Comp. med.
gen. XIII,376,2–4 K; Hipp. epid. XVII,A,13,14–14,14 K; vgl. Frede 1981 [*728],
van der Eijk 1997 [*766]). Galens Einstellung zum Methodismus, einer medizini-
schen Schule, die im 1. Jahrhundert n. Chr. entstand und eine epistemologische
Sichtweise entwickelte, die sich stark vom Rationalismus und Empirismus unter-
schied, zeigt keinerlei Sympathie, wie er sie für die beiden anderen Schulen besaß,
sondern war konstant und offen feindselig.
Galen schrieb eine ‹Einführung in die Logik› (Εἰσαγωγὴ διαλεκτική, ‹Institutio
logica›), die das früheste erhaltene Exemplar dieses einst populären Genres ist.
Es ist schwierig zu bestimmen, wie originell sie ist. Da die ‹Institutio logica› nur
in einem, außerdem schwer beschädigten Manuskript erhalten ist, weist der Text
viele Schwierigkeiten auf (Kalbfleisch 1896 [*578]).
Die ‹Institutio logica› handelt von Syllogismen, deren Untersuchung der Be-
schäftigung mit formal gültigen Schlüssen in der modernen Logik entspricht.
Galen betrachtet den Wert dieses Gebiets von einer rein instrumentellen Position
aus: Es lohnt sich, es bis zu dem Grad zu betreiben, zu dem es zum Verständnis
von Beweisen und zur Fähigkeit der Beweisführung beiträgt. Folglich bezieht er
in seine Diskussion sowohl die kategorischen Syllogismen des Aristoteles und der
Peripatetiker als auch die stoische syllogistische Theorie ein, deren Syllogismen
Galen als ‘hypothetisch’ bezeichnet, da beide nützlich sind (Inst. log. 7,3). Er kri-
tisiert scharf den dritten der gemäß stoischer Logik unbeweisbaren Schlüsse von
Chrysipp als nutzlos zum Zweck des Beweisens (Inst. log. 14,3. 10). Die stoische
Logik definiert einen Syllogismus als ein gültiges Argument, das zu einer unbe-
weisbaren Schlussform gehört oder auf eine solche Form reduzierbar ist, und zwar
gemäß gewissen präzise bestimmten formalen Verfahren (D. L. 7,78; siehe zur
­stoischen Logik auch Grundriss Antike IV, II).
Es ist bemerkenswert, wie Galen stoische Auffassungen systematisch zu den
Lehren der alten Philosophen (οἱ παλαιοί) über hypothetische Syllogismen in Be-
ziehung setzt, die seiner Meinung nach bereits Äquivalente der stoischen unbeweis-
baren Schlüsse – bis auf den dritten – gekannt hätten. Diese Philosophen scheinen
frühere Peripatetiker gewesen zu sein (Bobzien 2002 [*775: 64–72]). Weiter ist er-
wähnenswert, dass Galen eine dritte Art des Syllogismus neben dem kategori-
schen und dem hypothetischen anerkannt hat, nämlich den sogenannten relatio-
nalen Syllogismus (siehe Barnes 1993 [*752], Hankinson 1994 [*759]). Obwohl
Galen keine klare Charakterisierung von relationalen Syllogismen gibt, scheinen
es Argumente zu sein, deren Gültigkeit von der Bedeutung relationaler Terme ab-
hängt. Folglich hängt die Gültigkeit von ‘Theon besitzt doppelt soviel wie Dion,
Philon besitzt doppelt soviel wie Theon, also besitzt Philon viermal soviel wie

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520 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

Dion’ – ein Beispiel, das Galen anführt (Inst. log. 16,1) – von der Relation ‘besitzt
doppelt soviel wie’ ab. Die Gültigkeit dieser Syllogismen ist, wie er feststellt, durch
universelle Axiome gewährleistet (Inst. log. 16,5; 17,1–2), und sie können reduziert
werden auf bzw. umgewandelt werden in kategorische oder hypothetische Syllo-
gismen, wenn die Axiome, von denen sie abhängen, als Prämissen explizit gemacht
werden (Inst. log. 16,5. 11). Vielleicht kommt Galen die Ehre zu, dass er diese
dritte Art von Syllogismus eingeführt hat. Er sagt, dass die Bezeichnung ‘relatio-
nal’ (πρός τι) von ihm stamme (Inst. log. 16,1). Er zitiert jedoch Poseidonios für
Syllogismen, die ‘gültig durch die Kraft eines Axioms’ (αὐτοὶ συνακτικοὶ κατὰ
δύναμιν ἀξιώματος) sind (Inst. log. 18,8). Es ist daher nicht klar, wie viel von
­Galens Diskussion der relationalen Syllogismen auf Poseidonios zurückzuführen
ist (fr. 191 Edelstein-Kidd = fr. 455 Theiler).
In der ‹Institutio logica› besteht Galen darauf, dass es nur drei Figuren des ka-
tegorischen Syllogismus gebe (Inst. log. 12,1), aber aufgrund von griechischen und
insbesondere arabischen Testimonien ist die Meinung vertreten worden, dass die
vierte Figur der traditionellen Logik auf ihn zurückgeht, was aber umstritten ist
(siehe zur Diskussion Rescher 1966 [*723], Hülser 1992 [*750: 3553f.). Eine kurze
Schrift in vier Kapiteln, die ‹De captionibus penes dictionem› (Περὶ τῶν παρὰ τὴν
λέξιν σοφίσματων, ‹Über sprachliche Trugschlüsse›), diskutiert Trugschlüsse, die
auf die Sprache zurückzuführen sind (Text in Ebbesen 1981 [*589]). Der Aus-
gangspunkt der Schrift ist die Bemerkung des Aristoteles in ‹Sophistici elenchi›,
dass es sechs Arten von Trugschlüssen aufgrund von Sprache gebe und dies so-
wohl durch Induktion als auch durch Syllogismen gezeigt werden könne (SE 4,
165b24–30). Galen zielt darauf ab, den Syllogismus zu liefern, den Aristoteles
schuldig geblieben ist. Das vierte Kapitel enthält wichtige Informationen zur sto-
ischen Theorie der Ambiguität, die Galen anführt, um seine Ansicht, dass die aris-
totelische Auflistung vollständig sei, induktiv weiter zu stützen (siehe Atherton
1993 [*751: 175–184, 199–212]). Dieses Buch gibt auch Gelegenheit zu mancher
kurzen Reflexion über die Natur und Funktion der Sprache (zu Galens allgemei-
nem Interesse an Sprache siehe Hankinson 1994 [*762] und Morison 2008 [*791]).

2. Naturphilosophie

Galen enthielt sich des Urteils über viele Fragen, welche die Schulen in der
­ aturphilosophie voneinander trennten. Er war der Ansicht, dass es möglich sei,
N
über Gegenstände außerhalb des Kosmos bestenfalls wahrscheinliche Meinungen
zu hegen, z. B. in der Frage, ob es eine unendliche Leere gebe, ob sie unendliche
Kosmen enthalte und Ähnliches (Pecc. dig. 5,4, I,1,62,18–28; 66,15–18 CMG =
V,93,4–16; 100,3–6 K). Er beteuert, nicht zu wissen, ob die Welt entstanden sei
oder was die Natur oder das Wesen Gottes oder der Seele sei (Prop. plac. 172,31–
173,18 Boudon-Millot-Pietrobelli = 5,3, II,56,12–60,6 CMG). Galens Agnostizis-
mus in diesen Fragen ist ein weiterer Ausdruck davon, wie er sich gegen blind be-
folgte Schulloyalität wendet. Diese Einstellung hinderte ihn allerdings nicht
daran, eine ganze Reihe von Ansichten zu Themen der Naturphilosophie zu ver-

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 521

treten. Zahlreiche seiner Interessen spiegeln eine medizinische Ausrichtung, aber


nicht alle. So schrieb Galen einen Kommentar zu den Passagen in Platons ‹Timai-
os›, die für die Medizin relevant sind (Schröder, Kahle 1934 [*597], Larrain 1992
[*599]), aber ebenso eine Epitome des gesamten ‹Timaios›, die in einer arabischen
Übersetzung überliefert ist (Kraus, Walzer 1951 [*598]). Alexander von Aphrodi-
sias schrieb Werke, um Galens Ansichten zur Modalität der Möglichkeit und seine
Kritik an der aristotelischen Meinung, dass alles, was bewegt wird, durch einen
Beweger bewegt wird, zu widerlegen (siehe Pines 1961 [*720], Marmura, Rescher
1965 [*722]).
Galen hatte insbesondere über Gott und über die Seele viel zu sagen. Selbst
wenn er sich außerstande sieht, mit Gewissheit eine Ansicht über das Wesen Gottes
zu vertreten – zum Beispiel, ob Gott einen Körper besitzt oder unkörperlich ist –,
ist er sich doch darin sicher, dass Gott existiert, dass er sich in Träumen und Weis-
sagungen selbst offenbart und dass er der Schöpfer der Welt und aller in ihr leben-
den Wesen ist (allgemein dazu siehe Frede 2003 [*780], speziell zum Verhältnis
Galens zu Asklepios siehe Kudlien 1981 [*729]). Er ist überzeugter Teleologe und
erkennt offen seine Anleihen bei Aristoteles und Platon an. Seine Sichtweise ist
aber jener Platons näher, da er die wohltätigen Anordnungen in der Natur als das
Werk eines Demiurgen sieht, der die Absicht hat, sie hervorzubringen (Hankinson
1989 [*742], Schiefsky 2007 [*788]). Das geht aus vielen Stellen hervor, insbeson-
dere aber aus ‹De usu partium› (Περὶ χρείας μορίων, ‹Vom Gebrauch der [Kör-
per-]Teile›), einem gewaltigen Werk von siebzehn Büchern, das detailgetreu den
Zweck, dem die jeweiligen Organe des Körpers dienen, entfaltet (Helmreich
1907–1909 [*605] = III,1–4,366 K). Die Anordnung und der Aufbau der Organe,
so meint er, zeugt unbestreitbar von göttlicher Vorsehung, und er beschreibt das
Werk als eine Lobeshymne auf die Götter (2,451,19–27 Helmreich = IV,365,13–
366,5 K; vgl. 2,446,3–19 Helmreich = IV,358,8–359,6 K; PHP 5,4, I,2,596,5–598,5
CMG = V,789,13–791,17 K). Er ist sich indes weniger sicher darüber, wie die Vor-
sehung ihre Pläne umsetzt. Folglich kritisiert er einen seiner platonischen Lehrer
wegen dessen Erklärung, dass die Bildung von Tierembryonen auf die Gegenwart
der Weltseele zurückzuführen sei (Foet. form. 5,3, III,104,25–106,1 CMG =
IV,700,17–701,6 K). In Galens Denkweise grenzt es an Blasphemie, die Weltseele
direkt für Lebewesen wie Skorpione verantwortlich zu machen.
Platonische und aristotelische Einflüsse zeigen sich auch in den fünf Typen von
Ursachen, die Galen unterscheidet, nämlich die Final-, die Wirk-, die materielle, die
instrumentelle und die formale Ursache, von denen er die erste für die wichtigste
erachtet (UP 1,338,20–339,18 Helmreich = III,464,6–465,10 K). Wie man bereits
bei Seneca sieht, ist es möglich, die vier aristotelischen Ursachen genauso Platon
wie Aristoteles zuzuschreiben (Sen. Epist. 65,4–8). Aber Galens Verständnis von
Verursachung und Erklärung ist auch von einer anderen Tradition beeinflusst, die
letztlich auf die Stoa zurückgeht, selbst wenn er sie in einer stark von den Medizin-
theoretikern beeinflussten Form rezipiert hat, insbesondere von der sogenannten
pneumatischen Schule. Kausale Kategorien aus diesem Rahmen hat Galen in
­seinem Werk in hohem Maße angewendet; sie waren aber auch der Gegenstand
zweier spezieller Monographien und zwar ‹De causis procatarcticis› (Περὶ τῶν

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522 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

προκαταρκτικῶν αἰτίων; Hankinson 1998 [*632]) und ‹De causis contentivis› (Περὶ τῶν
συνεκτικῶν αἰτίων; Lyons 1969 [*468]). Dieser Rahmen erkennt nicht nur die prokat-
arktische (vor-anfängliche) Ursache (αἴτιον προκαταρκτικόν) und die synhektische (zu-
sammenhaltende) Ursache (αἴτιον συνεκτικόν) an, sondern auch die vorhergehende
Ur­sache (αἴτιον προηγούμενον). Die ersten beiden sind klar stoischen Ursprungs; die
stoische Herkunft der letzteren ist weniger sicher (Hankinson 2003 [*781]).
Die prokatarktische Ursache einer Krankheit ist das eindeutige, offensichtliche
äußere Vorkommnis, das eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, welche die
Krankheit entstehen lassen und die nicht mehr aktiv sind, wenn die Krankheit erst
ausgebrochen ist, wenn man beispielsweise Fieber hat oder erkältet ist. Es bedarf
nicht notwendigerweise dieser Wirkung, um als eine Ursache zu gelten, doch für
gewöhnlich hängt sie auch vom Zusammenspiel anderer kausaler Faktoren ab, ins-
besondere davon, ob vor-disponierende Faktoren im Körper vorhanden sind. So
kann eine robuste Körperverfassung von einer prokatarktischen Ursache unbe-
rührt bleiben, die im Falle einer schwächeren Verfassung eine Krankheit auslöst.
Außerdem braucht ihre Intensität in Fällen, in denen die Krankheit erfolgt, nicht
im Zusammenhang mit der Intensität der Einwirkung der prokatarktischen Ur-
sache zu stehen. Die Intensität der Erkrankung wird normalerweise variieren, je
nachdem wie sich der interne Zustand des erkrankten Körpers verändert. Im Ge-
gensatz dazu agiert die synhektische Ursache der Krankheit gleichzeitig mit der
Krankheit, die ihre Wirkung ist. Die synhektische Ursache ist eine hinreichende
Bedingung für das Auftreten der Krankheit, deren Intensität sich direkt propor-
tional zur Intensität der Ursache verändert.
Die vorhergehende Ursache ist weniger strikt definiert. Prokatarktische Ur­
sachen werden manchmal wie eine Art der vorhergehenden Ursache aufgefasst,
doch der Ausdruck ‘vorhergehende Ursache’ wird typischerweise eher auf interne
Ursachen angewandt, die zu der Kette von Ereignissen gehören, die von der pro-
katarktischen Ursache in Gang gesetzt wird. Sie steht also zwischen dieser und
der synhektischen Ursache. Alle drei Formen von Ursachen versteht man am bes-
ten als zumindest grobe Entsprechungen zur aristotelischen Wirkursache, und so
scheinen sie auch von den Stoikern und von der medizinischen Tradition verwandt
worden zu sein, auf die sich Galen stützt. So werden sie offenkundig zur Erklä-
rung von Krankheiten benutzt, jedoch nicht nur zur Erklärung von Krankheiten:
Sie konnten auch auf eine normale Aktivität, beispielsweise des Pulses, angewandt
werden (Caus. puls. IX,1,1–3,15 K). Hier allerdings – und dies ist ein weiteres
Merkmal von Galens Eklektizismus – ist er bereit, den Nutzen oder die Funktion
eines Organs, d. h. seine Finalursache, als ein Element in der synhektischen Ur­
sache seiner Aktivität zu sehen (Hankinson 2003 [*781]).

3. Ethik und Moralpsychologie

Der andere Bereich der Naturphilosophie, dem Galen besondere Aufmerksam-


keit schenkte, war die Seele. Er behandelte sie allerdings in einer Weise, die zu-
mindest genauso zu dem Teil der Ethik, den wir Moralpsychologie nennen, gehört

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 523

wie zur Naturphilosophie (Tieleman 2003 [*783], Donini 2008 [*789]). Wie bereits
gesagt, ließ er auch hier bestimmte Fragen offen, z. B. über die Substanz der Seele
und ob sie oder ein Teil von ihr unsterblich sei (Prop. plac. 173,13–18; 187,14–
188,13 Boudon-Millot-Pietrobelli = 5,3, II,58,22–60,6; 110,4–114,19 CMG; Foet.
form. 5,3, III,106,7–13 CMG = IV,701,14–702,4 K; QAM II,36,12–16 SM =
IV,772,18–773,3 K). Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, in Übereinstimmung mit
Platon die Meinung zu vertreten, dass die Seele drei getrennte Teile aufweise, von
denen jeder einen anderen Sitz im Körper habe (PHP 5,4, I,2,312,25–34 CMG =
V,454,10–455,4 K), und zwar einen vernünftigen Teil (λογιστικόν), der im Kopf
angesiedelt ist, einen mutartigen Teil (θυμοειδής) in der Brust und einen begehr-
lichen Teil (ἐπιθυμητικόν) in der Leber (QAM II,36,9–12 SM = IV,772,15–18 K;
vgl. Schiefsky 2012 [*801]). In der Tat glaubt Galen dies bewiesen zu haben (Foet.
form. 5,3, III,106,3–7 CMG = IV,701,7–14 K). Die Verteidigung und Ausarbeitung
dieser These nimmt viel Raum ein in seinem Werk ‹De placitis Hippocratis et Pla-
tonis› (Περὶ τῶν Ἱπποκράτους καὶ Πλάτωνος δογμάτων, ‹Über die Ansichten von
Hippokrates und Platon›), das so heißt, weil Galen der Meinung ist, dass Platon
diese wie auch andere Ansichten von Hippokrates übernommen habe. Mit dieser
Auffassung von der Seele steht Galen klar in Opposition zu den Stoikern, denen
zufolge die Seele (genauer gesagt der herrschende Teil der Seele, das ἡγεμονικόν)
aus einer einzigen Kraft oder einem einzigen Vermögen besteht, nämlich der Ver-
nunft, die in der Brust angesiedelt sei. Laut den Stoikern sind die Affekte (πάθη)
der Seele, d. h. die Emotionen und Begierden, keine Produkte eines nichtrationa-
len Vermögens, sondern Urteile der Vernunft, wenn auch falsche. Die Schrift ‹De
placitis Hippocratis et Platonis› enthält eine eingehende Polemik gegen Chrysipp
(siehe Tieleman 1996 [*764]).
Galen widerspricht außerdem, wenn auch nur teilweise, Aristoteles und
­Poseidonios, die, wie er behauptet, zwar anerkennen, dass die Seele verschiedene
Vermögen besitzt, nämlich Vernunft, Emotion und Begehren, aber ablehnen,
dass sie heterogene Teile mit einem jeweils unterschiedlichen Sitz im Körper sind
(PHP 5,4, I,2,312,30–34 CMG = V,454,17–455,4 K). Laut Galen reicht es für die
Ethik, dass die drei Vermögen der Seele anerkannt werden, und er stellt fest, dass
Platon diese entsprechend im vierten Buch der ‹Politeia› ohne Bezug zu ihrem
körperlichen Sitz unterschieden und diese Frage für eine separate Behandlung
im ‹Timaios› aufgespart habe (Prop. plac. 180,11–23 Boudon-Millot-Pietrobelli
= 5,3, II,82,9–15 CMG; PHP 5,4, I,2,336,21–338,14 CMG = V,480,2–481,17 K).
Er betont die aus seiner Sicht bestehende Übereinstimmung zwischen Platon,
Aristoteles und Poseidonios in der Moralpsychologie stärker als die Unter-
schiede, die es zwischen ihnen bezüglich der Struktur der Seele gibt. Galen ist
insbesondere in seinem Lob auf Poseidonios überschwänglich, den er in der Aus-
einandersetzung mit Chrysipp über die Natur der Affekte anführt (QAM
II,77,17–78,2 SM = IV,819,13–820,1 K; PHP 5,4, I,2,292,20–25; 338,14–16;
482,33–484,4 CMG = V,429,14–430,2; 481,17–482,1; 652,17–653,4 K). Was er über
Poseidonios’ Wende zum Platonismus sagt, sollte allerdings mit Vorsicht betrach-
tet werden. Einige Gelehrte haben unlängst dafür argumentiert, dass Galen das
Ausmaß, in dem Poseidonios von der stoischen Orthodoxie abweicht, übertreibe

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524 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

(Fillion-Lahille 1984 [*732: 121–162], Cooper 1998 [*770], Gill 1998 [*771], Tie-
leman 2003 [*782: 198–287], Gill 2006 [*787: 266–290]). Es sollte außerdem er-
wähnt werden, dass in Galens Version der dreiteiligen Seelenlehre der dritte Teil
der Seele nicht nur für Begierden verantwortlich ist, sondern auch für die Ernäh-
rung, d. h. er kombiniert die Funktionen von Platons appetitiver Seele mit denen
von Aristoteles’ vegetativer Seele (QAM II,44,10–12 SM = IV,782,12–14 K; Foet.
form. 5,3, III,104,17–18 CMG = IV,700,7–9 K; vgl. De Lacy 1988 [*738]).
Die Aufmerksamkeit, die Galen der Interaktion von Seele und Körper schenkt,
ist ein weiteres hervorstechendes Merkmal seiner Seelenlehre. So schrieb er ein
Werk, ‹Quod animi mores corporis temperamenta sequantur› (Ὅτι τὰ τῆς ψυχῆς
ἤθη ταῖς τοῦ σώματος κράσεσιν ἕπεται, ‹Dass der Charakter der Seele den Mi-
schungen des Körpers folgt›), wo er die These verteidigt, dass die Vermögen der
Seele von der körperlichen Mischung abhängig sind oder von ihr beeinflusst wer-
den. Als Beleg dieser These zitiert er Platon, Aristoteles und Hippokrates (QAM
II,32–79 SM = IV,767–822 K; siehe Lloyd 1988 [*741]). Er berührt dabei Probleme
der moralischen Verantwortung, die durch diese These aufgeworfen werden, ohne
dass man aber sagen kann, dass er sie löst (QAM II,73,3–74,21 SM = IV,814,8–
816,7 K). Stattdessen scheint er zu glauben, dass es für diejenigen, die ihren eige-
nen Charakter oder den anderer verbessern wollen, hilfreich ist, wenn sie verste-
hen, wie sich die körperliche Mischung auf die Seele auswirkt und wie sie durch
Ernährung und andere Faktoren beeinflusst werden kann.
Unter den weiteren Werken, die sich mit weitgehend moralpsychologischen Fra-
gen befassen, befinden sich ‹De propriorum animi cuiuslibet affectuum ­dignotione
et curatione› (Περὶ διαγνώσεως καὶ θεραπείας τῶν ἐν τῆ ἑκάστου ψυχῆ ἰδίων
παθῶν, ‹Über die Diagnose und Heilung der der Seele eigentümlichen Affekte
eines jeden›) und ‹De animi cuiuslibet peccatorum dignotione et curatione› (Περὶ
διαγνώσεως καὶ θεραπείας τῶν ἐν τῆ ἑκάστου ψυχῆ ἁμαρτημάτων, ‹Über die Dia­
gnose und Heilung der Irrtümer der Seele eines jeden›; de Boer 1937 [*644: 1–37,
39–68] = V,1–57. 58–103 K), die seit der Renaissance von vielen Herausgebern als
zwei Werke behandelt worden sind, obwohl Galen sie in ‹De libris propriis› als ein
einziges Werk erwähnt (II,121,9–10 SM = XIX,45,11–12 K). Außerdem ‹De mo-
ribus› (Περὶ ἠθῶν, ‹Über die Sitten›), das nur in Form einer Zusammenfassung in
arabischer Sprache erhalten ist (englische Übersetzung in Mattock 1972 [*660]).
Anders als ‹De placitis Hippocratis et Platonis› sind diese Werke nicht theoretisch
oder polemisch. Die Stoiker werden selten und mit Wohlwollen erwähnt, in erster
Linie wegen ihrer Einstellung den Affekten gegenüber, weniger wegen ihrer Auf-
fassung von deren Natur. Stattdessen zielen die Werke darauf ab, praktische Rat-
schläge zur moralischen Selbstverbesserung zu geben. Wie der Titel nahe legt, geht
es darum zu entdecken, worin unsere Fehler und Schwächen bestehen, und so zu
handeln, dass sie beseitigt oder reduziert werden. Entsprechend empfiehlt Galen,
Beziehungen mit solchen Freunden zu pflegen, die ehrlich sagen, wenn man sich
falsch verhält. Die Grundlage für die Unterscheidung zwischen Affekten (πάθη)
und Fehlern (ἁμαρτήματα) ist eine Teilung der Seele, wie sie Platon vornimmt
(vgl. PHP 5,4, I,2,242,32–244,12 CMG = V,371,15–373,1 K). Erstere sind auf einen
irrationalen Impuls zurückzuführen und gehen auf die irrationalen Teile der Seele

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§ 47. Galen (Bibl. 536–543) 525

zurück; letztere sind Fehler der Vernunft, die durch falsche Meinung oder falsches
Urteil (δόξα, κρίσις) zustande kommen, auch wenn sie, wie Galen anmerkt, von
Affekten beeinflusst sein können (Aff. dig. 5,4, I,1,7,1–2 CMG = V,7,12–13 K). Die
Heilmittel sind dementsprechend unterschiedlich. Der mutartige Teil kann ge-
zähmt oder überzeugt werden (Aff. dig. 5,4, I,1,19,1–7. 18–20 CMG = V,26,17–27,6.
28,1–3 K), und Galen empfiehlt, ihn zum Verbündeten der Vernunft im Kampf
mit dem begehrlichen Teil zu machen. Der begehrliche Teil kann nicht auf dieselbe
Weise trainiert werden, sondern muss der Züchtigung (κόλασις) unterworfen und
so schwach wie möglich gemacht werden (Aff. dig. 5,4, I,1,19,20–25 CMG =
V,28,3–10 K). Als intellektuelles Versagen können Fehler durch Beweise behoben
werden, wenn die Sache, auf die sich der Fehler bezieht, nicht evident ist (Pecc.
dig. 5,4, I,1,43,3–11 CMG = V,61,4–15 K). Dies gibt Galen die Gelegenheit, aus-
führlich über sein bevorzugtes Thema zu sprechen, nämlich wie wichtig es ist, die
Logik zu beherrschen. Gleichzeitig macht es deutlich, dass er den Beweis nicht
nur in den theoretischen und wissenschaftlichen Bereichen für unerlässlich hält,
sondern auch dafür, ein gutes und glückliches Leben zu erlangen (Pecc. dig. 5,4,
I,1,47,8–12 CMG = V,68,8–13 K). Es ist möglich, sich entweder hinsichtlich des
Lebensziels (τέλος) zu irren oder darin, was aus diesem folgt oder womit es kon-
sistent ist (siehe Donini 1988 [*739]). In diesem Zusammenhang erwähnt Galen
ein (heute verlorenes) Werk, das davon handelt, was sich aus jedem einzelnen Ziel
ergibt (d. h. vermutlich jedes der Ziele, das die einzelnen Schulen für das Ziel des
Lebens halten; Pecc. dig. 5,4, I,1,52,12–13. 53,13–14 CMG = V,76,11–13. 78,1–3 K;
vgl. Libr. propr. II,121,19–20 SM = XIX,46,2–3 K).
Die Schrift ‹De moribus› war diesen Werken thematisch und in der Ausrich-
tung ähnlich. Darin wird ebenfalls auf die dreigeteilte Seele Bezug genommen,
die mit einem Jäger und seinem Hund verglichen wird, die beide mit einer wilden
Bestie zusammengebunden sind, die droht, sie plötzlich und ohne Vorwarnung
von ihrem richtigen Weg abzubringen. Der Charakter (ἦθος) ist ein Zustand der
Seele, der eine Handlung ohne Überlegung oder Reflexion auslösen kann. Die
charakterliche Beschaffenheit ist zu einem erheblichen Maß natürlich und zeigt
sich bei Kindern und Tieren, obwohl sie auch durch Gewohnheit ausgebildet oder
verändert werden können. Sie prädisponiert jene, die sie haben, zu den entspre-
chenden Tugenden und Lastern. Galen glaubt, dass es für moralische Selbstver-
besserung zwar Spielraum gibt, dieser aber nicht unbegrenzt ist. Jene, die von
Natur aus charakterlich lasterhaft sind oder fest verwurzelte Gewohnheiten be-
sitzen, können mit unüberwindlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein (zu ‹De
moribus› siehe Walzer 1949 [*716] und 1954 [*718], Maróth 1993 [*757]). Galen
listet insgesamt dreiundzwanzig Schriften im Abschnitt zur Ethik in ‹De libris
propriis› auf (15, II,121,5–122,6 SM = XIX,45,9–46,10 K). Diese decken viel mehr
ab als die Themen, die in den erhaltenen moralpsychologischen Werken abgehan-
delt werden. Aus arabischen Quellen ist jedenfalls bekannt, dass Galen die plato-
nische Ansicht teilt, dass das höchste Ziel des menschlichen Lebens darin besteht,
Gott ähnlich zu werden (Walzer 1949 [*716], Strohmaier 2003 [*812]).

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526 V. Philosophienahe Fachwissenschaft

4. NACHWIRKUNG

Galens Einfluss war gewaltig, und er begann erst nach mehr als dreizehn Jahr-
hunderten zu schwinden (Temkin 1973 [*806], Nutton 2008 [*813]). Obwohl er
lange in Rom gelebt hatte, scheint sein Einfluss im lateinischen Westen in den
Jahrhunderten nach seinem Tod vernachlässigbar gewesen zu sein. Im griechisch-
sprachigen Osten hingegen war er vor allem, aber nicht nur, als Arzt berühmt
(siehe Todd 1977 [*807]). Von der Reaktion Alexanders von Aphrodisias auf ­einige
seiner philosophischen Ansichten war bereits die Rede. Aber auch die
­Aristoteles-Kommentatoren Themistios (4. Jh. n. Chr.) und Simplikios (6. Jh. n.
Chr.) haben seine philosophischen Positionen wahrgenommen. Philoponos, im
6. Jahrhundert tätig, lobte Galen als einen Mann, der nicht nur ein Meister in sei-
ner eigenen Disziplin, sondern auch in der Philosophie außergewöhnlich bewan-
dert gewesen sei (‹De aeternitate mundi contra Proclum› 599,24–26 Rabe). In der
Spät­antike, insbesondere ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, waren Per-
sonen, die wie Galen sowohl medizinische als auch philosophische Interessen hat-
ten und entsprechend in der Lage waren, Galen aus beiden Perspektiven zu beur-
teilen, keine Seltenheit (Westerink 1964 [*805]). Galens Werk beherrschte das
medizinische Curriculum in Alexandrien vor der arabischen Eroberung. Dies
legte den Grundstein für die enorme Wirkung, die er in der islamischen Welt er-
zielen sollte. Eine wichtige Rolle spielten dabei syrische Ärzte, die häufig Chris-
ten waren. Viele seiner Schriften wurden zunächst ins Syrische übersetzt und
dann vom Syrischen ins Arabische, während andere direkt ins Arabische übersetzt
wurden (Strohmaier 1994 [*810]). Auch in der islamischen Welt wurde Galen so-
wohl als Philosoph als auch als Arzt ernst genommen. Als Philosoph wurde er
zwar zum Teil geringer als andere, in der Regel Aristoteles, eingeschätzt, seine
Vorrangstellung als Arzt wurde jedoch niemals angezweifelt. Im Westen erfuhr
das Interesse an Galen im 11. Jahrhundert starken Auftrieb, als arabische Über-
setzungen seiner Schriften zugänglich wurden. Anschließende Bemühungen, grie-
chische Manuskripte zu finden und sie ins Lateinische zu übersetzen, trugen eben-
falls zu einer Wiederbelebung der Galenstudien bei. Einen besonders wichtigen
Beitrag hat dabei Niccolò da Reggio geleistet, der in den Jahren von 1308 bis 1345
insgesamt 27 Werke Galens übersetzt hat (Baader 1981 [*808]). Das wiederer-
wachte Interesse an klassischer Bildung in der Renaissance gab einen weiteren
Anstoß. Die Editio Aldina von Galens Werken aus dem Jahr 1525, die auf Arbei-
ten in den vorangegangenen Jahrhunderten basierte, bildete die Grundlage für
alle weiteren Editionen bis hin zu jener von Kühn. Diese Epoche zeugt auch von
der einsetzenden und später zunehmenden Tendenz, die Autorität Galens und an-
derer antiker Größen immer mehr herauszufordern (zur bedeutenden Rolle, die
Galen in den medizinischen und wissenschaftlichen Debatten im 16. Jahrhundert
und frühen 17. Jahrhundert spielte, siehe Wear 1981 [*809]).

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann.

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527

BIBLIOGRAPHIE ZUM FÜNFTEN KAPITEL

Kleomedes [*1–*72]; Klaudios Ptolemaios [*78–*455]; Galen [*461–*813].

Kleomedes

Ausgaben Französisch
22 Cléomède: Théorie élémentaire («De motu cir­
Eine vollständige Liste bei Todd 1990 [*3: XXII].
culari corporum caelestium»). Texte présenté,
1 Κλεομήδους κυκλικὴ θεωρία εἰς βιβλία βʹ
traduit et commenté par R. Goulet (Paris
­(Parisiis 1539). – Editio princeps.
1980) [HDAC 3]. – Bibliographie: 77–84.
2 Cleomedis Meteora graece et latine a Roberto
Balforeo ex ms. codice bibliothecae illustris­
simi cardinalis Joyosii multis mendis repur­ Englisch
gata, latine versa et perpetuo commentario
28 Cleomedes’ Lectures on Astronomy. A Trans­
illustrata [...] (Burdigalae 1605).
lation of ‹The Heavens› with an Introduction
3 Cleomedis Caelestia (Μετέωρα), edidit R. B.
and Commentary by A. C. Bowen, R. B. Todd
Todd (Leipzig 1990) [BT]. – Maßgeblich, über­
(Berkeley 2004).
holt die frühere Teubneriana von H. Ziegler
1891 [*10], benutzt über 70 Handschriften und
ist ziemlich konservativ; mit neuer Untertei­
Sekundärliteratur
lung der Kapitel in Paragraphen; Bibliogra­
phie: XXIII–XXV; Index auctorum, Index
verborum. – Hiernach wird zitiert.
Textüberlieferung und Titel
34 R. B. Todd: The Title of Cleomedes’ Treatise,
Übersetzungen in: Philologus 129 (1985) 250–261.
35 R. B. Todd: An Inventory of the Manuscripts of
Cleomedes, in: Scriptorium 40 (1986) 261–264.
Lateinisch 36 R. B. Todd: Praefatio und Testimonia Byzan­
tina, in: Todd 1990 [*3: V–XXI, XXIX].
  9 R. Balfour 1605 [*2]. – Verbessert von J. Bake
37 R. B. Todd: Cleomedes, in: Catalogus Trans­
(Leiden 1820) und H. Ziegler 1891 [*10].
lationum et Commentariorum. Mediaeval and
10 Κλεομήδους κυκλικῆς θεωρίας μετεώρων
Renaissance Latin Translations and Commen­
βιβλία δύο. Cleomedis De motu circulari cor­
taries. Annotated Lists and Guides, VII (Wash-
porum caelestium libri duo ad novorum codi­
ington 1992) 1–11.
cum fidem edidit et latina interpretatione
instruxit H. Ziegler (Lipsiae 1891) [BT]. –
Nach der Übersetzung von Balfour 1605 [*2]. Kommentare
43 R. Balfour 1605 [*2].
Deutsch 44 R. Goulet: Notes critiques, in: Goulet 1980
[*22: 51–75].
16 Kleomedes: Die Kreisbewegungen der Ge­
45 Unedierter kurzer Kommentar von Johannes
stirne, übersetzt und erläutert von A. Czwalina
Pediasimos; Scholien. Edition von B. R. Todd
(Leipzig 1927) [Ostwald’s Klassiker der exak­
in Aussicht gestellt.
ten Wissenschaften 220]. – Nach Neugebauer
1975 [*53: II 959 Anm. 1] «unreliable and the
explanatory notes are usually valueless if not
absurd».

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 527 25.09.18 09:26


528 Bibliographie zum fünften Kapitel

Allgemeine Darstellungen und Datierung 64 K. Algra: The Treatise of Cleomedes and its
Critique of Epicurean Cosmology, in: Epikure­
51 H. Weinhold: Die Astronomie in der antiken
ismus in der späten Republik und der Kaiser­
Schule (München 1912).
zeit. Akten der 2. Tagung der Karl-und-Ger-
52 A. Rehm: Kleomedes (3), in: RE XI 1 (1921)
trud-Abel-Stiftung vom 30. September bis
679–694.
3. Oktober 1998 in Würzburg, herausgegeben
53 O. Neugebauer: A History of Ancient Mathe­
von M. Erler in Zusammenarbeit mit R. Bees
matical Astronomy, I–III (Berlin, Heidelberg,
(Stuttgart 2000) 164–189.
New York 1975). – Besonders II 959f.
65 R. B. Todd: Cleomedes and the Problems of
54 W. Schumacher: Untersuchungen zur Datie­
Stoic Astrophysics, in: Hermes 129 (2001) 75–78.
rung des Astronomen Kleomedes (Köln 1975).
66 R. B. Todd: Physics and Astronomy in Post-Posi­
55 R. Goulet: Cléomède, in: DPhA II (1994) 436–
donian Stoicism, in: ANRW II 37,4 (im Druck).
439.
56 W. Hübner: Kleomedes, in: DNP VI (1999)
578f. Wirkungsgeschichte
72 R. B. Todd: The Manuscripts of John Pediasi­
Lehre mus’ Quotations from Dio Cassius, in: Byzan­
tion 56 (1986) 275–284.
62 R. B. Todd: Cleomedes and the Stoic Concept
of the Void, in: Apeiron 16 (1982) 129–136.
63 R. B. Todd: The Stoics and their Cosmology in
the First and Second Centuries A. D., in:
ANRW II 36,3 (1989) 1365–1378.

Klaudios Ptolemaios

Ausgaben und Übersetzungen 85 J. L. Heiberg 1898–1903 [*78: I].


86 Ptolemäus: Handbuch der Astronomie, deut­
sche Übersetzung und erläuternde Anmerkun­
gen von K. Manitius, I–II (Leipzig 1912–1913);
Sammelausgabe (außer ‹Optik›, ‹Geographie›
Vorwort und Berichtigungen von O. Neuge­
und ‹Harmonielehre›)
bauer (Leipzig 1963) [BT].
78 Claudii Ptolemaei opera quae exstant omnia, 87 Ptolemy’s Almagest, Translated and A­ nnotated
I–III (Lipsiae, später Lipsiae, Stutgardiae by G. J. Toomer (London 1984, 21998). – Mit
1898–1998) [BT]: Kommentar.
I: Syntaxis mathematica, edidit J. L. Heiberg 88 Claudius Ptolemäus: Der Sternkatalog des Al­
(1898–1903). magest. Die arabisch-mittelalterliche Tradition,
II: Opera astronomica minora, edidit J. L. Hei­ herausgegeben, ins Deutsche übertragen und
berg (1907). bearbeitet von P. Kunitzsch, I–III (Wiesbaden
III,1: Apotelesmatika, post F. Boll, Ae. Boer 1986–1991). – I: Die arabischen Übersetzungen
[1940] secundis curis edidit W. Hübner (1998). (1986); II: Die lateinische Übersetzung Ger­
III,2: De iudicandi facultate et animi principatu, hards von Cremona (1990); III: Gesamtkonkor­
edidit F. Lammert; Ps.Ptolemaei Fructus sive danz der Sternkoordinaten (1991).
Centiloquium, edidit Ae. Boer (1951, 21962).
Antike Kommentare
‹Syntaxis› 94 Commentaire de Théon d’Alexandrie sur le
livre III de l’Almageste de Ptolémée; tables ma­
84 Composition mathématique de Claude Ptolé­ nuelles des mouvements des astres, édité par N.
mée ou astronomie ancienne, traduit par N. Halma (Paris 1822–1825; ND 1990). – Griechi­
Halma et suivie des notes de M. Delambre scher Text und französische Übersetzung.
(Paris 1813–1816). – Französische Übersetzung
mit Kommentar.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 528 25.09.18 09:26


Klaudios Ptolemaios 529
95 Πρόκλoυ Διαδόχου ὑποτύπωσις τῶν ἀστρονομι­ Bemerkungen des Heliodoros, Übersetzung
κῶν ὑποθέσεων – Procli Diadochi Hypotyposis und Anmerkungen.
astronomicarum positionum, edidit C. Mani­
tius (Lipsiae 1909; ND Stutgardiae 1974) [BT].
Handliche Tafeln
– Mit deutscher Übersetzung.
96 Commentaires de Pappus et de Théon d’Alex­ 129 J. L. Heiberg 1907 [*78: II 157–185].
andrie sur l’Almageste. Texte établi et annoté 130 A. Jones: Astronomical Papyri from Oxyrhyn­
par A. Rome. I: Pappus d’Alexandrie: Commen­ chus, I–II (Philadelphia 1999). – P. Oxy. 4142–
taire sur les livres 5 et 6 de l’Almageste (Città 4143: I 102–108.
del Vaticano 1931) [Studi e testi 54]; II: Théon
d’Alexandrie: Commentaire sur les livres 1 et 2 Antike Kommentare
de l’Almageste (Città del ­Vaticano 1936) [Studi 136 Le ‘petit commentaire’ de Théon d’Alexandrie
e testi 72]; III: Théon d’Alexan­drie: Commen­ aux Tables faciles de Ptolémée. Histoire du
taire sur les livres 3 et 4 de l’Almageste (Città texte, édition critique, traduction par A. Tihon
del Vaticano 1943) [Studi e testi 106]. (Città del Vaticano 1978) [Studi e testi 382].
97 A. Jones: Ptolemy’s First Commentator (Phil­ 137 Le ‘grand commentaire’ de Théon d’Alexandrie
adelphia 1990). – Artemidor (ca. 213 n. Chr.). aux Tables faciles de Ptolémée. Histoire du
texte, édition critique, traduction par J. Moge­
Mittelalterlicher Kommentar net, revues et completées par A. Tihon, com­
103 P. Kunitzsch: Ibn aṣ-Ṣalāḥ: Zur Kritik der mentaire par A. Tihon, I–III (Città del Vaticano
­Koordinatenüberlieferung im Sternkatalog 1985, 1991, 1999) [Studi e testi 315, 340, 390].
des ‹Almagest›. Arabischer Text nebst deut­
scher Übersetzung, Einleitung und Anhang ‹Analemma›
(Göttingen 1975) [AAWG, 3. Folge, Nr. 94].
143 J. L. Heiberg 1907 [*78: II 187–223].
144 D. R. Edwards: Ptolemy’s Περὶ ἀναλέµµατος.
‹Phaseis› An annotated transcription of Moerbeke’s
109 Fragment arabe du premier livre du ‹Phaseis› Latin translation and of the surviving Greek
de Ptolémée, édité par R. Morelon, in: Jour­ fragments with an English version and com­
nal for the History of Arabic Science 5 (1981) mentary (Providence RI 1984).
3–22.
‹Planisphaerium›
‹Hypotheseis› 150 J. L. Heiberg 1907 [*78: II 225–259].
115 J. L. Heiberg 1907 [*78: II 69–107]. – Der grie­ 151 J. Drecker: Das Planisphaerium des Claudius
chisch erhaltene Teil von Buch 1 mit deut­ Ptolemaeus, in: Isis 9 (1927) 255–278. – Deut­
scher Übersetzung. sche Übersetzung.
116 L. Nix, F. Buhl, P. Heegaard, in: J. L. Heiberg 152 The Arabic Version of Ptolemy’s Planisphae­
1907 [*78: II 109–145]. – Deutsche Überset­ rium, edited by Ch. Anagnostakis (Diss. Yale
zung von Buch 2 (das aber auch Teile aus dem University 1984). – Arabische Faksimile-Edi­
ursprünglichen Buch 1 enthält) aus dem Ara­ tion mit englischer Übersetzung und Kom­
bischen. mentar.
117 B. R. Goldstein, The Arabic Version of Ptole­ 153 P. Kunitzsch: Fragments of Ptolemy’s Plani­
my’s Planetary Hypotheses (Philadelphia sphaerium in an Early Latin Translation, in:
1967). – Englische Übersetzung und Kom­ Centaurus 36 (1993) 97–101.
mentar des zweiten Teils des ersten Buches 154 Maslama’s Notes on Ptolemy’s Planisphae­
sowie kritische Edition des gesamten arabi­ rium and Related Texts, edited by P. Kunitzsch,
schen Textes nach drei Handschriften. R. Lorch (München 1994) [SBAW, phil.-hist.
Klasse 1994, Nr. 2]. – Arabischer und lateini­
scher Text mit englischer Übersetzung und
Kanobos-Inschrift
Kommentar.
123 J. L. Heiberg 1907 [*78: II 147–155]. 155 The Arabic Version of Ptolemy’s ‹Planisphere
124 A. Jones: Ptolemy’s Canobic Inscription and or Flattening the Surface of the Sphere›. Text,
Heliodorus’ Observation Reports, in: Scia­ Translation, Commentary by N. Sidoli, J. L.
mus 6 (2005) 68–95. – Text mit Scholien und Berggren, in: Sciamus 8 (2007) 37–139.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 529 25.09.18 09:26


530 Bibliographie zum fünften Kapitel

‹Apotelesmatika› ‹Geographie›

Gesamteditionen und Übersetzungen Gesamtausgaben und Übersetzungen


Weitere Übersetzungen bei Boll, Boer, Hübner 188 Περὶ τῆς γεωγραφικῆς ὑφηγήσεως, traduit par
1998 [*78: III 1, LIIIf.]. N. B. Halma (Paris 1828).
161 Claudius Ptolemaeus: Astrologisches System, 189 Claudii Ptolemaei Geographia, edidit C. F. A.
I.–IV. Buch (Tetrabiblos), übersetzt von J. W. Nobbe (Lipsiae 1843–1845; ND mit Einleitung
Pfaff (Erlangen 1822–1823). – Neuer Abdruck, von A. Diller: Hildesheim 1966 und 1990).
herausgegeben von H. Korsch (Düsseldorf 190 Das ‹Kitāb Sūrat al-Ar› des Abū Ğa’far Mu­
1938). hammad ibn Mūsā al-Ḫwārizmī, edidit H. von
162 Claudius Ptolemaeus: Tetrabiblos. Die hundert Mžik (Leipzig 1926) [Bibliothek arabischer
Aphorismen, nach der von Philipp Melanch­ Historiker und Geographen 3]. – Arabisch.
thon besorgten und mit einer Vorrede versehe­ 191 Claudii Ptolemaei Geographiae codex Urbi­
nen seltenen Ausgabe [Basel] aus dem Jahre nas graecus 82 phototypice depictus, edidit J.
1553 griechisch und lateinisch ins Deutsche Fischer (Città del Vaticano 1932) [Codices e
übertragen von M. E. Winkel (Berlin 1923). Vaticanis selecti 19]. – Mit einführenden Un­
163 Ptolemy: Tetrabiblos, edited and translated tersuchungen.
into English by F. E. Robbins (London 1940; 192 Claudius Ptolemy: The Geography, translated
diverse ND) [LCL 435]. and edited by E. L. Stevenson (New York
164 Ptolemaic Astrology. A Complete Commen­ 1932; ND 1991).
tary on the Tetrabiblos of Claudius Ptolemy 193 Klaudios Ptolemaios: Handbuch der Geogra­
by W. J. Tucker (Sidcup 1961). phie, griechisch-deutsch, Einleitung, Text und
165 Claudio Tolomeo: Le previsioni astrologiche Übersetzung, Index und Ergänzungsband mit
(Tetrabiblos), a cura di S. Feraboli (Vicenza einer Edition des ‹Kanons bedeutender
2
1989; diverse ND) [Scrittori greci e latini]. – Städte› von A. Stückelberger, G. Graßhoff et
Mit italienischer Übersetzung und Kommen­ al., I–III (Basel 2006–2009). – Maßgeblich.
tar.
166 Ptolémée: Manuel d’astrologie. La Tétrabible, Teilausgaben
traduit par C. Bourdin, A. Verse (Paris 1993). 199 Claudii Ptolemaei Geographia, e codicibus
167 F. Boll, Ae. Boer, W. Hübner 1998 [*78: III 1]. recognovit, prolegomenis, annotationibus, in­
– Maßgeblich. dicibus, tabulis instruxit C. Müller (Paris
1883–1901). – Buch 4–5 griechisch-lateinisch.
Teileditionen 200 Die Geographie des Ptolemaeus: Galliae
173 F. Boll 1916 [*364: 7–12]. – Kapitel 1,9. Germania Raetia Noricum Pannoniae Illyri­
174 Commento al primo libro della Tetrabiblos di cum Italia, edidit O. Cuntz (Berlin 1923; ND
Claudio Tolomeo con una nuova traduzione e New York 1975). – Text 2,7–3,1 nebst Unter­
le interpretazioni dei maggiori commentatori suchungen.
a cura di G. Bezza (Milano 1990, 21992). 201 La géographie de Ptolémée: l’Inde (7,1–4),
texte établi par L. Renou (Paris 1925). – Mit
Antike Kommentare französischer Übersetzung.
180 Εἰς τὴν τετράβιβλον τοῦ Πτολεμαίου ἐξηγη­ 202 E. Honigmann: Die sieben Klimata und die
τὴς ἀνώνυμος – In Claudii Ptolemaei quadri­ ΠΟΛΕIΣ ΕΠIΣΗΜΟI. Eine Untersuchung zur
partitum enarrator ignoti nominis, quem Geschichte der Geographie und Astrologie
tamen Proclum fuisse quidam existimant, im Altertum und Mittelalter (Heidelberg
edidit H. Wolf (Basel 1559) 1–180. 1929). – Liste der 360 herausragenden Städte
181 Procli Diadochi paraphrasis in Ptolemaei Li­ (κανὼν ἐπισήμων πόλεων): 193–224.
bros IV de siderum effectionibus a L. Allatio 203 Des Klaudios Ptolemaios Einführung in die
e graeco in latinum conversa (Leiden 1635). darstellende Erdkunde. Ins Deutsche über­
182 Porphyrii Philosophi introductio in tetrabib­ tragen und mit Erläuterungen versehen von
lum Ptolemaei, ediderunt Ae. Boer, St. Wein­ H. von Mžik, unter Mitarbeit von F. Hopfner
stock, in: Catalogus Codicum Astrologorum (Wien 1938). – Deutsche Übersetzung von
Graecorum V 4, edidit S. Weinstock (Bruxelles Buch 1.
1940) 184–228.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 530 25.09.18 09:26


Klaudios Ptolemaios 531
204 Ptolemy: Geography, Book 6: Middle East, Ps.-Ptolemaios
Central and North Asia, China, edited by H.
Humbach, S. Ziegler, I–II (Wiesbaden 1998– ‹Karpos›
2002). – I: Text and English/German Transla­
239 Die hundert Sprüche, übersetzt von J. W.
tions by S. Ziegler; II, in collaboration with
Pfaff, in: Astrologie (1916) 227–242.
K. Faiss: Maps in Simplified Reconstruction,
240 M. E. Winkel 1923 [*162].
Notes and Indexes with a Supplement: NW
241 E. Boer 21962 [*78: III 2]. – Maßgeblich.
and W India.
242 Ptolemy’s ‹Centiloquy›, translated from the
Greek by J. H. Holden, in: Five Medieval As­
‹Harmonielehre› trologers. An Astrological Miscellany, trans­
lated and edited by J. H. Holden (Tempe AZ
210 Die Harmonielehre des Klaudios Ptolemaios,
2008) 67–87.
herausgegeben von I. Düring (Göteborg 1930;
ND 1980). – Maßgeblich.
211 Ptolemaios und Porphyrios über die Musik, ‹De triginta stellis›
herausgegeben von I. Düring (Göteborg
248 F. Boll 1916 [*364: 77–82].
1934). – Enthält eine deutsche Übersetzung
mit Kommentar.
212 A. Barker: Greek Musical Writings. II: Har­ ‹De imaginibus›
monic and Acoustic Theory (Cambridge
254 Marci Manilii Astronomicon a Josepho Sca­
1989). – Ptolemy: 270–391 (englische Über­
ligero ex vetusto codice Gemblacensi infinitis
setzung mit Anmerkungen).
mendis repurgatum (Argentorati 31655) 336–
213 Ptolemy: Harmonics. Translation and Com­
462. – Lateinische Übersetzung.
mentary by J. Solomon (Leiden 2000). – Eng­
255 W. Gundel: Dekane und Dekansternbilder.
lische Übersetzung und Kommentar.
Ein Beitrag zur Geschichte der Sternbilder
der Kulturvölker (Glückstadt 1936; bearbei­
Kommentar des Porphyrios
tet von H. G. Gundel: Darmstadt 21969). –
219 Porphyrios: Kommentar zur Harmonielehre 394–401: Deutsche Übersetzung.
des Ptolemaios, herausgegeben von I. Düring 256 Hieronymus Torrella: Opus praeclarum de
(Göteborg 1932; ND Hildesheim 1982). imaginibus, édité, présenté et annoté par N.
Weill-Parot (Florenz 2008).
‹Optika›
225 L’optique de Claude Ptolémée dans la version ‹Iudiciorum Ptolomei ad Aristonem filium suum
latine d’après l’arabe de l’émir Eugène de liber›
­Sicile. Édition critique et exégétique par A. 262 Ch. S. F. Burnett 1993 [*454: 33–41]. – Teil­
Lejeune (Leiden 1956, 21989). edition.
226 Ptolemy’s Theory of Visual Perception, an
English Translation of the Optics, with intro­
duction and commentary by A. M. Smith
(Philadelphia 1966). Sekundärliteratur

‹Über das Erkenntniskriterium und den Sitz des


Geistes› Allgemeines

232 F. Lammert 1962 [*78: III 2].


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233 The Criterion of Truth. Essays written in Beitrag zur Geschichte der griechischen Phi­
­Honour of George Kerferd together with a losophie und Astrologie (Leipzig 1894) [Jahr­
text and translation (with annotations) of bücher für classische Philologie Suppl. 21].
Ptolemy’s ‹On the kriterion and hegemo­ 269 F. Boll: Das Epigramm des Claudius Ptole­
nikon›, edited by P. Huby, G. Neal (Liverpool mäus, in: Socrates 9 (1921) 2–12. – Wieder in:
1989) 179–230 (mit Tafel). Ders.: Kleine Schriften zur Sternkunde des
Altertums, herausgegeben von V. Stegemann,
E. Boer (Leipzig 1950) 143–155.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 531 25.09.18 09:26


532 Bibliographie zum fünften Kapitel

270 T. L. Heath: A History of Greek Mathematics 284 Ptolemy in Perspective. Use and Criticism of
(Oxford 1921). his Work from Antiquity to the Nineteenth
271 B. L. van der Waerden: Ontwakende weten­ Century, edited by A. Jones (Dordrecht 2010).
schap. Egyptische, Babylonische en Griekse 285 O. Pedersen: A Survey of the Almagest. With
wiskunde (Groningen 1950). – Englisch: Sci­ Annotation and New Commentary by A.
ence Awakening, translated by A. Dresden Jones (New York, Dordrecht 2011).
with Additions of the Author (Groningen 286 Claudius Ptolemäus. Zur Rezeption seiner
1954 u. ö.); Deutsch: Erwachende Wissen­ Werke in der islamischen Welt und in Europa.
schaft. Ägyptische, babylonische und griechi­ Schwerpunkt, in: Akademie Aktuell. Zeit­
sche Mathematik, übersetzt von H. Habicht schrift der Bayerischen Akademie der Wissen­
mit Zusätzen vom Verfasser (Basel 21966). schaften 46 (2013) 7–45. – Vor allem: D. N.
272 K. Ziegler, B. L. van der Waerden, E. Boer, F. Hasse: Ptolemäische Astrologie in der Re­
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XXIII 2 (1959) 1788–1859. – Grundlegend;
Polaschek 1965 [*407] mit einem Supplement
‹Syntaxis›
über die Geographie.
273 F. Sezgin: Geschichte des arabischen Schrift­ 292 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1797–1813].
tums. V: Mathematik bis ca. 430 H. (Leiden 293 A. Aaboe: On the Tables of Planetary Visibi­
1974); VI: Astronomie bis ca. 430 H. (Leiden lity in the ‹Almagest› and the ‹Handy Tables›
1978); VII: Astrologie – Meteorologie und (København 1960).
Verwandtes bis ca. 430 H. (Leiden 1979); X: 294 P. Kunitzsch: Der Almagest. Die Syntaxis Ma­
Mathematische Geographie und Kartographie thematica des Claudius Ptolemäus in arabisch-
im Islam und ihr Fortleben im Abendland: lateinischer Überlieferung (Wiesbaden 1974).
Historische Darstellung, Teil 1 (Frankfurt a. 295 P. Kunitzsch 1975 [*103].
M. 2000); XIII: Mathematische Geographie 296 F. Sezgin 1978 [*273: VI 88–94].
und Kartographie im Islam und ihr Fortleben 297 G. Saliba: The Role of the ‹Almagest› Com­
im Abendland: Autoren (Frankfurt a. M. 2007). mentaries in Medieval Arabic Astronomy: A
274 H. L. Mead: The Methodology of Ptolemaic Preliminary Survey of Ṭūsī’s Redaction of
Astronomy: an Aristotelian View, in: Laval Ptolemy’s ‹Almagest›, in: Archives Interna­
théologique et philosophique 31 (1975) 55–74. tionales d’Histoire des Sciences 37 (1987) 3–20.
275 G. J. Toomer: Ptolemy, in: Dictionary of Scien­ 298 A. Cameron: Isidore of Miletus and Hypatia:
tific Biography 11 (New York 1975) 186–206. On the Editing of Mathematical Texts, in:
276 S. J. Tester: A History of Western Astrology GRBS 31 (1990) 103–127.
(Woodbridge 1987; diverse ND). 299 P. Kunitzsch: Gerhard von Cremona als Über­
277 B. L. van der Waerden: Die Astronomie der setzer des Almagest, in: Festgabe für Hans-Ru­
Griechen. Eine Einführung (Darmstadt dolf Singer (Frankfurt a. M. 1991) I 347–358.
1988). 300 P. Kunitzsch: Gerhard von Cremona und
278 W. Hübner: Die Begriffe ‘Astrologie’ und ‘As­ seine Übersetzung des ‹Almagest›, in: Die
tronomie’ in der Antike. Wortgeschichte und Begegnung des Westens mit dem Osten, Kon­
Wissenschaftssystematik, mit einer Hypothese greßakten des 4. Symposions des Mediävis­
zum Terminus ‘Quadrivium’ (Stuttgart 1989) tenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des
[AAWM 1989, Nr. 7]. 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu,
279 G. Graßhoff: The History of Ptolemy’s Star herausgegeben von O. Engels, P. Schreiner
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280 G. Aujac: Claude Ptolémée, astronome, astro­ 301 D. Pingree: Teaching of the Almagest in Late
logue, géographe. Connaissance et représen­ Antiquity, in: Apeiron 27 (1994) 75–98.
tation du monde habité (Paris 1993). 302 G. Saliba: A Sixteenth-Century Arabic Cri­
281 L. C. Taub: Ptolemy’s Universe (Chicago tique of Ptolemaic Astronomy: The Work of
1993). Shams al-Dīn al-Khafrī, in: Journal for the
282 E. Gamba: Claudio Tolomeo. Uno studio History of Astronomy 25 (1994) 15–38.
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Facoltà di Lettere e Filosofia dell’Università
‹Phaseis›
degli Studi di Milano 53,2 (2000) 75–124.
283 M. Folkerts, R. Harmon, W. Hübner: Klau­ 308 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1813–
dios Ptolemaios (65), in: DNP X (2001) 559– 1815].
570.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 532 25.09.18 09:26


Klaudios Ptolemaios 533
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314 M. Steinschneider: Die Hebräischen Überset­ 350 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1829–1831].
zungen des Mittelalters und die Juden als 351 F. Sezgin 1978 [*273: VI 95].
Dolmetscher (Berlin 1893). 352 P. Kunitzsch: The Second Arabic Manuscript
315 P. Heegaard, in: Heiberg 1907 [*78: II XVI– of Ptolemy’s ‹Planispherium›, in: Zeitschrift
XVII]. für Geschichte der arabisch-islamischen Wis­
316 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1816–1818]. senschaften 9 (1994) 83–89.
317 W. Hartner: Mediaeval Views on Cosmic Di­ 353 P. Kunitzsch: Das Astrolab, in: Europäische
mensions and Ptolemy’s Kitāb al-Manshūrāt Technik im Mittelalter. 800 bis 1400. Tradition
(1964), in: Ders.: Oriens-Occidens. Ausge­ und Innovation. Ein Handbuch, herausgege­
wählte Schriften zur Wissenschafts- und Kul­ ben von U. Lindgren (Berlin 1996) 399–404.
turgeschichte. FS zum 60. Geburtstag
(Hildesheim 1968) 319–348.
‹Apotelesmatika›
318 Sezgin 1978 [*273: VI 94f.].
319 H. Dörrie †, M. Baltes: Der Platonismus in der Bibliographie bei Boll, Boer, Hübner 1998 [*167:
Antike im 2. und 3. Jahrhundert nach Chris­ III 1, LXVIII–LXXIII].
tus. Bausteine 73-100: Text, Übersetzung, 359 F. Boll 1894 [*268: 111–238].
Kommentar (Stuttgart/Bad Cannstatt 1993) 360 F. Boll: Vom Weltbild der griechischen Astro­
[Der Platonismus in der Antike, Band 3]. logen (1910), in: Ders.: Kleine Schriften zur
320 A. Jones: The Antikythera Mechanism and Sternkunde des Altertums, herausgegeben
the Public Face of Greek Science. Paper pre­ von V. Stegemann, E. Boer (Leipzig 1950)
sented at a workshop titled “From Antiky­ 29–41.
thera to the Square Kilometre Array: Lessons 361 Ch.-É. Ruelle: Deux identifications. L’exé­
from the Ancients”, 12–15 June 2012 in Ke­ gèse dite anonyme de la ‹Tétrabible› de
rastari, Greece. – Online unter: https://pos. Claude Ptolémée et le traité dit d’Hermès le
sissa.it/170/038/pdf (Stand: Juli 2018). philosophe ‹De revolutionibus nativitatum›
attribué à l’astrologue arabe Aboumashar –
Découverte du texte grec du second traité, in:
Kanobos-Inschrift
Comptes rendus de l’Académie des Inscrip­
325 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1818– tions et Belles-Lettres (Paris 1910) 32–39.
1823]. 362 F. Boll: Die Lebensalter. Ein Beitrag zur an­
tiken Ethologie und zur Geschichte der Zah­
len. Mit einem Anhang zur Schrift περὶ
‹Handliche Tafeln›
ἑβδομάδων, in: Neue Jahrbücher für das clas­
331 B. L. van der Waerden: Bemerkungen zu den sische Altertum, Geschichte und deutsche Li­
Handlichen Tafeln des Ptolemaios, in: SBAW, teratur 31 (1913) 89–145. – Wieder in: Ders.:
math.-nat. Klasse (1953) 261–272. Kleine Schriften zur Sternkunde des Alter­
332 B. L. van der Waerden: Die Handlichen Tafeln tums, herausgegeben von V. Stegemann, E.
des Ptolemaios, in: Osiris 13 (1958) 54–78. Boer (Leipzig 1950) 156–224.
333 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1823–1827]. 363 W. Gundel: Beiträge zur Entwickelungsge­
334 A. Aaboe 1960 [*293]. schichte der Begriffe Ananke und Heimar­
335 A. Tihon: Les scolies des ‹Tables Faciles› de mene (Gießen 1914).
Ptolémée, in: Bulletin de l’Institut Historique 364 F. Boll: Antike Beobachtungen farbiger
Belge de Rome 43 (1973) 49–110. Sterne (München 1916) [ABAW 30, Nr. 1].
336 F. Sezgin 1974 [*273: V 174] und 1978 [*273: 365 F. Boll: Die Entwicklung des astronomischen
VI 95f.]. Weltbildes im Zusammenhang mit Religion
und Philosophie, in: Die Kultur der Gegen­
wart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, her­
‹Analemma›
ausgegeben von P. Hinneberg. Teil III,3,3:
342 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1827–1829]. Astronomie, unter Redaktion von J. Hart­
343 F. Sezgin 1974 [*273: V 171–173]. mann (Leipzig, Berlin 1921) 1–56. – Wieder
344 R. Böker: Analemma, in: Der Kleine Pauly 1 in: Ders.: Kleine Schriften zur Sternkunde
(1979) 330f. des Altertums, herausgegeben von V. Stege­
mann, E. Boer (Leipzig 1950) 225–282.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 533 25.09.18 09:26


534 Bibliographie zum fünften Kapitel

366 C. Bailey: Phases in the Religion of Ancient ap. J.-C.). Actes du Colloque International de
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367 R. Uhden: Das Erdbild in der ‹Tetrabiblos› des Argoud, J. Y. Guillaumin (Saint-Étienne 1998)
Ptolemaios, in: Philologus 88 (1933) 302–325. 325–345.
368 E. Boer 1959 [*272: 1831–1858]. 383 W. Hübner: The Ptolemaic View of the Uni­
369 L. Thorndike: The A. D. 1234 Latin Transla­ verse, in: GRBS 41 (2000) 59–93.
tion of Ptolemy’s ‹Quadripartitum›, in: Ma­ 384 I. A. Seymore: The Life of Ibn Ridwan and
nuscripta 8 (1964) 98–101. His Commentary on Ptolemy’s ‹Tetrabiblos›
370 W. Gundel, H. G. Gundel: Astrologumena. (Diss. Columbia 2001).
Die astrologische Literatur in der Antike und 385 W. Hübner: Der ‘descensus’ als ordnendes
ihre Geschichte (Wiesbaden 1966). Prinzip in der ‹Naturalis historia› des Plinius,
371 F. Sezgin 1979 [*273: VII 43f.]. in: Die Enzyklopädie im Wandel vom Hoch­
372 W. Hübner: Die Eigenschaften der Tierkreis­ mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Akten des
zeichen in der Antike. Ihre Darstellung und Kolloquiums des Projekts D im Sonderfor­
Verwendung unter besonderer Berücksichti­ schungsbereich 231, 29.11.–1.12.1996, heraus­
gung des Manilius (Wiesbaden 1982) [Sud­ gegeben von Ch. Meier (München 2002) 25–41.
hoffs Archiv, Beihefte 22]. 386 J. Komorowska: Astrology, Ptolemy and ‘tech­
373 A. A. Long: Astrology: Arguments pro and nai stochastikai’, in: Mene 9 (2009) 191–203.
contra, in: Science and Speculation. Studies 387 H. D. Rutkin: The Use and Abuse of Ptolemy’s
in Hellenistic Theory and Practice, edited by ‹Tetrabiblos› in Renaissance and Early Modern
J. Barnes, J. Brunschwig, M. Burnyeat, M. Europe: Two Case Studies (Giovanni Pico
Schofield (Cambridge 1982) 165–192. della Mirandola and Filippo Fantoni), in:
374 M. Lejbowicz: Guillaume Oresme, traducteur Jones 2010 [*284: 135–149].
de la ‹Tétrabible› de Claude Ptolémée, in: Pal­ 388 W. Hübner: Gender in Ptolemy’s ‹Apoteles­
las 30 (1983) 107–133. matika›, in: Mene 40 (2014) 147–166.
375 M. Riley: Theoretical and Practical Astro­ 389 S. Heilen: ‹Hadriani genitura›. Die astrologi­
logy: Ptolemy and his Colleagues, in: TAPhA schen Fragmente des Antigonos von Nikaia.
117 (1987) 235–256. Edition, Übersetzung und Kommentar (Ber­
376 S. Fazzo: Alessandro d’Afrodisia e Tolomeo: lin 2015) [TuK 43].
aristotelismo e astrologia fra il II e il III se­
colo d. C., in: RSF 43 (1988) 627–649.
‹Karpos›
377 W. Hübner: Religion und Wissenschaft in der
antiken Astrologie, in: Zwischen Wahn, Glaube 393 E. Boer 1959 [*272: 1832–1839].
und Wissenschaft. Magie, Astrologie, Alche­ 394 R. Lemay: Origin and Success of the ‹Kitāb
mie und Wissenschaftsgeschichte, herausgege­ Thamara› of Abū Ja ‘far Amad ibn Yûsuf ibn
ben von J.-F. Bergier (Zürich 1988) 9–50. Ibrāhīm, from the Tenth to the Seventeenth
378 M. Riley: Science and Tradition in the ‹Tetra­ Century in the World of Islam and the Latin
biblos›, in: Proceedings of the American Phi­ West, in: Proceedings of the First International
losophical Society 132 (1988) 67–84. Symposium for the History of Arabic Science
379 L. Anthonis: ‹Iudicialia ad Syrum›: Une traduc­ (Aleppo 5–12 April 1976). II: Papers in Euro­
tion de Guillaume de Moerbeke du ‹Quadri­ pean Languages, edited by A. Y. Al-Hassan, G.
partitum› de Cl. Ptolémée, in: Guillaume de Karmi, N. Namnum (Aleppo 1978) 91–107.
Moerbeke. Recueil d’études à l’occasion du 700e 395 F. Sezgin 1979 [*273: VII 44–46].
anniversaire de sa mort (1286), édité par J. 396 M. Rinaldi: La traduzione ed i commentari
Brams, W. Vanhamel (Leuven 1989) 253–255. sul Καρπός pseudo-tolemaico di Giorgio da
380 S. Fazzo: Un’arte inconfutabile: la difesa dell’ Trebisonda, in: Mene 11 (2011) 544–556.
astrologia nella ‹Tetrabiblos› di Tolomeo, in:
RSF 46 (1991) 213–244.
‹Geographie›
381 M. Vegetti: L’utilità della divinazione. Un ar­
gomento stoico in Tolomeo, ‹Tetrabiblos› I Vgl. Uhden 1933 [*367].
3.5, in: Elenchos 15 (1994) 219–228. 402 C. A. Nallino: Al-Ḫuwārizmī e il suo rifaci­
382 W. Hübner: Astrologie et mythologie dans la mento della Geografia di Tolomeo (Roma
Tétrabible de Ptolémée d’Alexandrie, in: 1894) [Atti della Academia dei Lincei, Classe
Sciences exactes et sciences appliquées à
­ di Scienze Morali, Storiche et Filologiche.
­Alexandrie (III e siècle av. J.-C. – I er siècle Memorie, serie 5, vol. 2, fasc. 1]. – Wieder in:

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 534 25.09.18 09:26


Klaudios Ptolemaios 535
Ders.: Raccolta di scritti editi ed inediti. V: 423 B. Reinert: Die arabische Musiktheorie zwi­
Astrologia, astronomia, geografia, a cura di schen autochthoner Tradition und griechi­
M. Nallino (Roma 1944) 458–532. schem Erbe, in: Die Blütezeit der arabischen
403 H. Berger: Geschichte der wissenschaftlichen Wissenschaft, herausgegeben von H. Balmer,
Erdkunde der Griechen (Leipzig 21903; ND B. Glaus (Zürich 1990) 79–108.
Berlin 1966). – Ptolemaios: 616–648. 424 A. Barker: Reason and Perception in Ptole­
404 E. Honigmann: Die sieben Klimata und die my’s ‹Harmonics›, in: Harmonia mundi: mu­
ΠΟΛΕIΣ ΕΠIΣΗΜΟI. Eine Untersuchung zur sica e filosofia nell’antichità – Music and
Geschichte der Geographie und Astrologie im Philosophy in the Ancient World, a cura di F.
Altertum und Mittelalter (Heidelberg 1929). Ahl, R. W. Wallace, B. MacLachlan (Roma
405 P. Schnabel: Text und Karten des Ptolemäus 1991) 104–130.
(Leipzig 1939).
406 E. Polaschek: Ptolemy’s ‹Geography› in a
‹Optika›
New Light, in: Imago Mundi 14 (1959) 17–37.
407 E. Polaschek: Ptolemaios (66): Das geographi­ Bibliographie bei van der Waerden 1959 [*272:
sche Werk, in: RE Suppl. 10 (1965) 680–833. – 1847f.].
Supplement zu Ziegler, van der Waerden, 430 A. Lejeune: Euclide et Ptolémée. Deux stades
Boer, Lammert 1959 [*272]. de l’optique géométrique grecque (Louvain
408 U. Lindgren: Die ‹Geographie› des Claudius 1948).
Ptolemaeus in München. Beschreibung der 431 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1847–1853].
gedruckten Exemplare in der Bayerischen 432 A. I. Sabra: Ibn al-Haytham’s Criticisms of
Staatsbibliothek, in: Archives Internationales Ptolemy’s ‹Optics›, in: JHPh 4 (1966) 145–149.
d’histoire des sciences 35 (1985) 148–239.
409 O. A. Dilke: The Culmination of Greek Car­
‹Über das Erkenntniskriterium und den Sitz
tography in Ptolemy, in: Cartography in Pre­
des Geistes›
historic, Ancient, and Medieval Europe and
the Mediterranean, edited by J. B. Harley, D. 438 F. Boll 1894 [*268: 77–93].
Woodward (Chicago 1987) [The History of 439 F. Lammert: Kritische Untersuchung zu Pto­
Cartography 1] 177–200. lemaios Περὶ κριτηρίου καὶ ἡγεμονικοῦ, in:
410 F. Sezgin 2000 [*273: X 31–57] und 2007 Hermes 72 (1937) 450–465.
[*273: XIII 167–204]. 440 F. Lammert 1959 [*272: 1854–1859].
411 A. Stückelberger: Klaudios Ptolemaios, in: 441 A. A. Long: Ptolemy On the Criterion. An
Geschichte der Mathematik und der Natur­ Epistemology for the Practising Scientist, in:
wissenschaften in der Antike. II: Geographie Huby, Neal 1989 [*233: 151–177]. – Wieder in:
und verwandte Wissenschaften, herausgege­ The Question of ‘Eclecticism’: Studies in
ben von W. Hübner (Stuttgart 2000) 185–208. Later Greek Philosophy, edited by J. Dillon,
412 R. Burri: Die Wiederentdeckung der ‹Geo­ A. A. Long (Berkeley 1988) 176–207.
graphie› des Ptolemaios durch Planudes, in:
Antike Naturwissenschaft und ihre Rezep­
‹De imaginibus›
tion 13 (2003) 127–136.
413 A. Stückelberger, R. Burri, F. Mittenhuber: 447 F. Sezgin 1979 [*273: VII 47].
Die «neue» Ptolemaios-Handschrift von Istan­ 448 J.-P. Boudet: Un traité de magie astrale ara­
bul (Cod. Seragliensis GI 57), vorläufige Er­ bo-latin: le ‹Liber de imaginibus› du Pseudo-
kenntnisse, in: MH 60 (2003) 211–221 und Ptolémée, in: Natura, scienze e società
Tafeln 1–2 . medievali. Studi in onore di A. Paravicini Ba­
gliani, a cura di C. Leonardi, F. Santi (Fi­
renze 2008) 17–35.
‹Harmonielehre›
419 F. Boll 1894 [*268: 93–111].
‹Iudicia›
420 B. L. van der Waerden 1959 [*272: 1840–1847].
421 B. Reinert: Das Problem des pythagoräischen 454 Ch. S. F. Burnett: An Unknown Latin Version
Kommas in der arabischen Musiktheorie, in: of an Ancient ‘parapēgma’; The Weather-
Asiatische Studien 33 (1979) 199–217. Forecasting Stars in the ‹Iudicia› of Pseudo-
422 F. R. Levin: πληγή and τάσις in the Harmo­ Ptolemy, in: Making Instruments Count.
nika of Klaudios Ptolemaios, in: Hermes 108 Essays on Historical Scientific Instruments
(1980) 205–229. presented to G. L’Estrange Turner, edited by

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 535 25.09.18 09:26


536 Bibliographie zum fünften Kapitel

R. G. W. Anderson, J. A. Bennet, W. F. Ryan Études offertes à Jacqueline Hamesse à


(Aldershot 1993) 27–41. l’occasion de son éméritat, publiées par J.
455 Ch. S. F. Burnett: Aristotle as an Authority on Meirinhos, O. Weijers (Louvain-la-Neuve
Judicial Astrology, in: Florilegium Mediaevale. 2009) 41–62.

Galen

Werkausgabe 474 Galen: Selected Works, translated with an In­


troduction and Notes by P. N. Singer (Oxford
461 ΚΛΑΥΔΙΟΥ ΓΑΛHΝΟΥ ΑΠΑΝΤΑ, Claudii Ga­ 1997).
leni opera omnia, editionem curavit C. G. 475 Galien: Traités philosophiques et logiques.
Kühn, I–XX (Lipsiae 1821–1833; ND Hildes­ Traductions inédites par C. Dalimier, J.-P.
heim 1964–1965). Levet, P. Pellegrin, introduction par P. Pel­
legrin (Paris 1998).
476 Galien: Exhortation à l’étude de la médecine,
Auswahlausgaben und Übersetzungen Art médical. Texte établi et traduit par V.
Boudon (Paris 2000) [CUF].
467 Claudii Galeni Pergameni Scripta minora, re­ 477 Galien: Introduction générale, Sur l’ordre de
censuerunt I. Marquardt, I. Muel­ ler, G. ses propres livres, Sur ses propres livres, Que
Helmreich, I–III (Lipsiae 1884–1893; ND l’excellent médecin est aussi philosophe.
Amsterdam 1967) [BT]. Texte établi, traduit et annoté par V. Boudon-
468 Galen: On the Parts of Medicine, On Cohe­ Millot (Paris 2007) [CUF].
sive Causes, On Regimen in Acute Diseases 478 Galen: Psychological writings, translated by
in Accordance with the Theories of Hippo­ P. Singer (Cambridge 2013). – Mit Überset­
crates. First Edition of the Arabic Versions zungen von ‹De indolentia›, QAM, Aff. dig.,
with English Translation by Malcolm Lyons. Pecc. dig., ‹De moribus›.
The Latin Versions of On the Parts of Medi­
cine edited by H. Schoene and On Cohesive
Causes edited by K. Kalbfleisch, reedited by Einzelne Schriften und Übersetzungen
J. Kollesch, D. Nickel, G. Strohmaier (Berlin
1969) [CMG Supplementum Orientale 2].
469 Opere Scelte di Galeno, a cura di I. Garofalo,
‹De libris propriis› (Libr. Propr.; XIX 8–48 K = II
M. Vegetti (Torino 1978) [Classici Della
91–124 SM)
­Scienza].
470 Galen: On Respiration and the Arteries. An 484 K. Kalbfleisch: Zu Galenos, in: Philologus 55
edition with English translation and commen­ (1896) 689–694.
tary of De usu respirationis, An in arteriis na­ 485 Galeno: I miei libri, in: Garofalo, Vegetti 1978
tura sanguis contineatur, De usu pulsuum, De [*469: 61–90].
causis respirationis by D. J. Furley, J. S. Wil­ 486 Galen: My Own books, in: Singer 1997 [*474:
kie (Princeton 1984). 3–22].
471 Galien de Pergame: Souvenirs d’un médecin. 487 Galien: Sur ses propres livres, in: Boudon-
Textes traduits du grec et présentés par P. Mo­ Millot 2007 [*477: 134–173].
raux (Paris 1985).
472 Galen: Three Treatises on the Nature of Sci­
‹De ordine librorum suorum› (Libr. ord.;
ence, translated by R. Walzer, M. Frede, with
XIX 49– 61 K = II 80–90 SM)
an Introduction by M. Frede (Indianapolis,
Cambridge 1985). 493 Galen: The Order of my Own Books, in: Sin­
473 Galien: L’âme et ses passions. Introduction, ger 1997 [*474: 23–29].
traduction et notes par V. Barras, T. Birchler, 494 Galien: Sur l’ordre de ses propres livres, in:
A.-F. Morand, Préface de J. Starobinski Boudon-Millot 2007 [*477: 88–102].
(Paris 1995).

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 536 25.09.18 09:26


Galen 537
‹De propriis placitis› (Prop. plac.) 537 Galen: On Medical Experience, in: Frede,
Walzer 1985 [*472: 47–106].
500 Galen: On my Own Opinions. Edition, trans­
538 Galien: De l’expérience médicale, in: Dali­
lation and commentary by V. Nutton (Berlin
mier, Levet, Pellegrin 1998 [*475: 127–215].
1999) [CMG V 3,2].
501 V. Boudon-Millot, A. Pietrobelli: Galien res­
suscité: Édition princeps du texte grec du De ‹De sectis ad eos qui introducuntur› (Sect. intr.;
propriis placitis, in: REG 118 (2005) 168–213. I 64–105 K = III 1–32 SM)
544 Galen: On the Sects for Beginners, in: Frede,
‹Quod optimus medicus sit etiam philosophus› Walzer 1985 [*472: 1–20].
(Med. phil.; I 53– 63 K = II 1– 8 SM) 545 Galien: Des sectes pour les débutants, in: Da­
limier, Levet, Pellegrin 1998 [*475: 63–93].
507 Galeno: Il miglior medico è anche filosofo, in:
546 Galeno: Le scuole di medicina, per gli studenti,
Garofalo, Vegetti 1978 [*469: 91–101].
in: Garofalo, Vegetti 1978 [*469: 103–134].
508 Galen: The Best Doctor is also a Philosopher,
in: Singer 1997 [*474: 30–34].
509 Galien: Que l’excellent médecin est aussi phi­ ‹De praenotione› (Praen.)
losophe, in: Boudon-Millot 2007 [*477: 284–
552 Galen: On Prognosis. Edition, translation and
292].
commentary by V. Nutton (Berlin 1979)
[CMG V 8,1].
‹Exhortatio ad medicinam› (Protrepticus;
I 1–39 K = I 103–129 SM)
‹De indolentia› (Indol.)
515 Galien: Exhortation à l’étude de la médecine,
Englische Übersetzung in Singer 2013 [*478].
in: Boudon 2000 [*476: 84–117].
558 Galien: Ne pas se chagriner. Texte établi et
516 Galeno: Sull’ottima maniera d’insegnare.
traduit par V. Boudon-Millot et J. Jouanna
Esortazione alla medicina, testo e traduzione
avec la collaboration de A. Pietrobelli (Paris
di A. Barigazzi (Berlin 1991) [CMG V 1,1].
2010) [CUF].

‹De optima doctrina› (Opt. doctr.; I 40–52 K = I


‹De constitutione artis medicae ad Patrophilum›
82–92 SM)
(I 224–304 K)
522 Galeno: Sull’ottima maniera d’insegnare.
564 Galeno: A Patrofilo sulla costituzione della
Esortazione alla medicina, testo e traduzione
medicina. Testo e traduzione di S. Fortuna
di A. Barigazzi (Berlin 1991) [CMG V 1,1].
(Berlin 1997) [CMG V 1,3].

‹Subfiguratio empirica› (Subf. emp.)


‹De methodo medendi› (MM; X 1–1021 K)
528 Die griechische Empirikerschule: Sammlung
570 Galen: On the Therapeutic Method Books I
der Fragmente und Darstellung der Lehre
and II, translated with an Introduction and
von K. Deichgräber (Berlin, Zürich 1930,
Commentary by R. J. Hankinson (Oxford
2
1965). – Enthält den lateinischen Text und
1991).
die Rückübersetzung von Galens Subfigura­
571 Galien: Méthode de traitement. Traduction
tio empirica.
intégrale et annotation par J. Boulogne (Paris
529 Galen: An Outline of Empiricism, in: Frede,
2009).
Walzer 1985 [*472: 21–45].
572 Galen: Method of Medicine, edited and trans­
530 Galien: Esquisse empirique, in: Dalimier,
lated by I. Johnston, G. H. R. Horsley, I–III
Levet, Pellegrin 1998 [*475: 95–126].
(Cambridge MA, London 2011) [LCL 516–
518].
‹De experientia medica›
536 Galen: On Medical Experience. First edition ‹Institutio logica› (Inst. log.)
of the Arabic version with English translation
578 ΓΑΛHΝΟΥ ΕΙΣΑΓΩΓΗ ΔΙΑΛΕΚΤΙΚΗ, Galeni
and notes by R. Walzer (London et al. 1944,
Institutio logica, edidit C. Kalbfleisch (Lip­
²1946; ND 1947).
siae 1896) [BT]. – Ist die einzige vollständige
kritische Ausgabe.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 537 25.09.18 09:26


538 Bibliographie zum fünften Kapitel

579 Galen: Einführung in die Logik. Kritisch-ex­ 606 Galen: On the Usefulness of the Parts of the
egetischer Kommentar mit deutscher Über­ Body, Περὶ χρείας μορίων, De usu partium,
setzung von J. Mau (Berlin 1960). translated from the Greek with an Introduc­
580 Galen’s Institutio Logica. English translation, tion and Commentary by M. Tallmadge May,
introduction and commentary by J. Spangler I–II (Ithaca NY 1968) [Cornell Publications
Kieffer (Baltimore 1964). in the History of Science].
581 Galeno: Manuale di logica, in: Garofalo, Ve­ 607 Galeno: L’utilità delle Parti, in: Garofalo, Ve­
getti 1978 [*469: 1081–1130]. getti 1978 [*469: 291–832].
582 Galeno: Dalla „Introduzione alla dialettica“,
a cura di M. Baldassarri (Como 1986) [La Lo­
‹De foetuum formatione› (Foet. form.;
gica Stoica Testimonianze e Frammenti VII
IV 652–702 K)
A]. – Enthält Teile des Werkes zur stoischen
Logik, mit einigen Emendationen. 613 Galen: Über die Ausformung der Keimlinge,
583 Galien: Institution logique, in: Dalimier, herausgegeben, übersetzt und erläutert von
Levet, Pellegrin 1998 [*475: 237–286]. D. Nickel (Berlin 2001) [CMG V 3,3].

‹De captionibus penes dictionem› ‹De elementis ex Hippocrate› (I 413–508 K)


589 S. Ebbesen: Commentators and Commen­ 619 Galen: On the Elements According to Hippo­
taries on Aristotle’s Sophistici Elenchi. A crates. Edition, translation and commentary
Study of Post-Aristotelian Ancient and by Ph. De Lacy (Berlin 1996) [CMG V 1,2].
­Medieval Writings on Fallacies, I–III (Leiden
1981) [Corpus Latinum Commentarium in
‹De naturalibus facultatibus› (Nat. fac.;
Aristotelem Graecorum VII 1–3]. – Enthält II 1–204 K = III 101–257 SM)
den Text von Galens ‹De captionibus in dic­
tione› in II viii–xii, 1–26. Zur Diskussion 625 Galen: On the Natural Faculties, with an Eng­
siehe I 78–87. lish Translation by A. J. Brock (Cambridge
590 Galen: On Language and Ambiguity. An MA 1947) [LCL 71].
English translation of Galen’s ‹De Captioni­ 626 Galeno: Le Facoltà Naturali, in: Garofalo,
bus (On Fallacies)› with Introduction, Text, Vegetti 1978 [*469: 833–956].
and Commentary by R. Blair Edlow (Leiden
1977) [PhA 31]. ‹De causis procatarcticis›
591 Galien: Des sophismes verbaux, in: Dalimier,
Levet, Pellegrin 1998 [*475: 217–235]. 632 Galen: On Antecedent Causes, edited with an
introduction, translation and commentary by
R. J. Hankinson (Cambridge 1998) [Cam­
‹In Platonis Timaeum Commentarii› bridge Classical Texts and Commentaries 35].
597 Galeni In Platonis Timaeum Commentarii
Fragmenta, collegit disposuit explicavit H. O. ‹De placitis Hippocratis et Platonis› (PHP;
Schröder. Appendicem Arabicam addidit P. V 181– 805 K)
Kahle (Lipsiae, Berolini 1934) [CMG Supple­
mentum I]. 638 Galen: On the Doctrines of Hippocrates and
598 Galeni Compendium Timaei Platonis, alio­ Plato. Edition, translation and commentary
rumque dialogorum synopsis quae extant by Ph. De Lacy, I–III (Berlin 1978–1984)
fragmenta, ediderunt P. Kraus et R. Walzer [CMG V 4,1,2].
(Londinii 1951) [Plato Arabus I].
599 Galens Kommentar zu Platons Timaios, von C. ‹De propriorum animi cuiuslibet affectuum digno-
J. Larrain (Suttgart 1992) [BzA 29]. – Die Au­ tione et curatione› (Aff. dig.; V 1–57 K = I 1–44 SM)
thentizität wird bestritten von Nickel [*776].
641 Galeni De propriorum animi cuiuslibet affec­
tuum dignotione et curatione, De animi cuius-
‹De usu partium› (UP; III 1 – IV 366 K) libet peccatorum dignotione et curatione, De
605 Galeni De usu partium, ad codicum fidem re­ atra bile, edidit W. de Boer (Lipsiae, Berolini
censuit G. Helmreich, I–II (Lipsiae 1907– 1937) [CMG V 4,1,1].
1909; ND Amsterdam 1968) [BT].

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 538 25.09.18 09:26


Galen 539
‹De animi cuiuslibet peccatorum dignotione et 674 Galen’s Method of Healing. Proceedings of
curatione› (Pecc. dig.; V 58–103 K = I 45– 81 SM) the 1982 Galen Symposium, edited by F. Kud­
lien, R. J. Durling (Leiden et al. 1991) [Stu­
644 Galeni De propriorum animi cuiuslibet affec­
dies in Ancient Medicine 1].
tuum dignotione et curatione, De animi cuius-
675 Galeno: Obra, pensamiento e influencia. Co­
libet peccatorum dignotione et curatione, De
loquio internacional celebrado en Madrid
atra bile, edidit W. de Boer (Lipsiae, Berolini
22–25 de Marzo de 1988, editado por J. A.
1937) [CMG V 4,1,1].
López Férez (Madrid 1991).
645 Galen: The Affections and Errors of the Soul,
676 Galen und das hellenistische Erbe. Verhand­
in: Singer 1997 [*474: 100–149].
lungen des IV. Internationalen Galen-Sym­
646 Galien: Les passions et les erreurs de l’âme,
posiums, Berlin 18.–20. September 1989,
in: Barras, Birchler, Morand 1995 [*473: 1–74].
herausgegeben von J. Kollesch, D. Nickel
(Stuttgart 1993) [Sudhoffs Archiv, Beihefte 32].
‹Quod animi mores corporis temperanta sequan- 677 Galen on Pharmacology. Philosophy, History
tur› (QAM; IV 767– 822 = II 32–79 SM) and Medicine. Proceedings of the Vth Interna­
652 Galen: The Soul’s Dependence on the Body, tional Galen Colloquium, Lille, 16–18 March
in: Singer 1997 [*474: 150–176]. 1995, edited by A. Debru (Leiden et al. 1997)
653 Galien: Les facultés de l’âme suivent les tem­ [Studies in Ancient Medicine 16].
péraments du corps, in: Barras, Birchler, Mo­ 678 The Unknown Galen, edited by V. Nutton
rand 1995 [*473: 75–116]. (London 2002) [BICS Suppl. 77].
654 Galeno: Le facoltà dell’anima seguono il tem­ 679 Galien et la philosophie. Entretiens préparés
peramento dei corpi, in: Garofalo, Vegetti et présidés par J. Barnes, J. Jouanna (Van­
1978 [*469: 957–997]. dœuvres/Genève 2003) [Entretiens 49].
680 The Cambridge Companion to Galen, edited
by R. J. Hankinson (Cambridge 2008).
‹De moribus› 681 Galen and the World of Knowledge, edited by
660 J. N. Mattock: A Translation of the Arabic C. Gill, T. Whitmarsh, J. Wilkins (Cambridge
Epitome of Galen’s Book Περὶ ἠθῶν, in: Is­ 2009; paperback edition 2012).
lamic Philosophy and the Classical Tradition. 682 Philosophical Themes in Galen, edited by P.
Essays presented by his friends and pupils to Adamson, R. Hansberger, J. Wilberding (Lon­
R. Walzer on his seventieth birthday, edited don 2014).
by S. M. Stern, A. Hourani, V. Brown (Oxford
1972) [Oriental Studies 5] 235–260. Galens Werke: Authentizität, Chronologie, Aus-
gaben
688 J. Ilberg: Über die Schriftstellerei des Klau­
Sekundärliteratur
dios Galenos, in: RhM 44 (1889) 207–239; 47
(1892) 489–514; 51 (1896) 165–196; 52 (1897)
591–623. – Wieder in: Ders.: Über die Schrift­
Bibliographie stellerei des Klaudios Galenos (Darmstadt
1974); Teil IV diskutiert die philosophischen
666 J. Kollesch, D. Nickel: Bibliographia Galenia-
Werke.
na. Die Beiträge des 20. Jahrhunderts zur
689 K. Bardong: Beiträge zur Hippokrates- und
­Galenforschung, in: ANRW II 37,2 (1994)
Galenforschung, in: NAGW Nr. 7 (1942) 577–
1351–1420.
640.
690 K. Schubring: Bemerkungen zur Galenaus­
Sammelbände gabe von Karl Gottlob Kühn und zu ihrem
Nachdruck, in: Kühn 21965 [*461: XX ix–lxii].
672 Galen: Problems and Prospects. A Collection
691 V. Nutton: In Defence of Kühn, in: Nutton
of Papers submitted at the 1979 Cambridge
2002 [*678: 1–7].
Conference, edited by V. Nutton (London
692 Corpus Galenicum: Verzeichnis der galeni­
1981).
schen und pseudogalenischen Schriften, her­
673 Le opere psicologiche di Galeno. Atti del
ausgegeben von G. Fichtner (Tübingen 2005).
terzo Colloquio Galenico Internazionale,
Pavia, 10–12 Settembre 1986, a cura di P. Ma­
nuli, M. Vegetti (Napoli 1988) [Elenchos 13].

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 539 25.09.18 09:26


540 Bibliographie zum fünften Kapitel

Allgemeine Studien 721 R. Walzer: Greek into Arabic. Essays on Isla­


mic Philosophy (Oxford 1962) [Oriental Stu­
698 G. Sarton: Galen of Pergamon (Lawrence KS
dies 1].
3
1965).
722 The Refutation by Alexander of Aphrodisias
699 L. G. Ballester: Galeno. En la sociedad y en
of Galen’s Treatise on the Theory of Motion,
la ciencia de su tiempo (c. 130–c. 200 d. de C.)
translated from the Medieval Arabic Version,
(Madrid 1972).
with an introduction, notes and an edition of
670 V. Boudon-Millot: Galien de Pergame, un
the arabic text by M. Marmura, N. Rescher
médecin grec à Rome (Paris 2012) [Histoire
(Islamabad 1965). – Arabischer Text, engli­
117].
sche Übersetzung und Kommentar.
723 N. Rescher: Galen and the Syllogism. An Ex­
Biographisches amination of the Thesis that Galen Origina­
ted the Fourth Figure of the Syllogism in the
705 G. W. Bowersock: Greek Sophists in the
Light of New Data from Arabic Sources
Roman Empire (Oxford, 1969). – Kapitel 5
includ­i ng an Arabic Text Edition and Anno­
behandelt Galen und seinen zeitgenössischen
tated Translation of Ibn al-Salah’s Treatise
Ruf.
‹On the Fourth Figure of the Categorical Syl­
706 V. Nutton: The Chronology of Galen’s Early
logism› (Pittsburgh 1966).
Career, in: CQ 23 (1973) 158–171. – Wieder
724 Ph. De Lacy: Galen’s Platonism, in: AJPh 93
in: Ders.: From Democedes to Harvey: Stu­
(1972) 27–39.
dies in the History of Medicine (London
725 P. L. Donini: Tre studi sull’aristotelismo nel II
1988) [CSS 277] Kap. II.
secolo d. C. (Torino 1974). – Das dritte Kapi­
707 J. Kollesch: Galen und die zweite Sophistik,
tel beschäftigt sich mit Galen und Alexander
in: Nutton 1981 [*672: 1–11].
von Aphrodisias.
708 V. Nutton: Galen in the Eyes of his Contem­
726 P. Moraux: Galien et Aristote, in: Images of
poraries, in: Bulletin of the History of Medi­
Man in Ancient and Medieval Thought. Stu­
cine 58 (1984) 315–324. – Wieder in: Ders.:
dia Gerardo Verbeke ab amicis et collegis di­
From Democedes to Harvey: Studies in the
cata, edenda curaverunt discipuli eius
History of Medicine (London 1988) [CSS
Lovanienses, F. Bossier et al. (Leuven 1976)
277] Kap. III.
127–146 [Symbolae series A 1].
727 P. L. Donini: Motivi filosofici in Galeno, in:
Einzelstudien PP 35 (1980) 333–370.
728 M. Frede: On Galen’s Epistemology, in: Nut­
714 I. von Müller: Ueber Galens Werk vom wis­
ton 1981 [*672: 65–86]. – Wieder in: Ders.:
senschaftlichen Beweis, in: Abhandlungen
Essays in Ancient Greek Philosophy (Oxford
der Philosophisch-Philologischen Classe der
1987) 279–298.
Königlich Bayerischen Akademie der Wissen­
729 F. Kudlien: Galen’s Religious Belief, in: Nut­
schaften, Band 20 (München 1897) 403–478.
ton 1981 [*672: 117–130].
715 R. Walzer: Galen on Jews and Christians (Ox­
730 P. Moraux: Galien comme philosophe: la phi­
ford 1949).
losophie de la nature, in: Nutton 1981 [*672:
716 R. Walzer: New Light on Galen’s Moral Phi­
87–116].
losophy (From a recently discovered Arabic
731 M. Frede: The Method of the So-Called Me­
source), in: CQ 43 (1949) 82–96. – Wieder in:
thodical School of Medicine, in: Science and
Walzer 1962 [*721: 142–163]).
Speculation. Studies in Hellenistic Theory
717 A.-J. Festugière, R. M. Tonneau: Le Compen­
and Practice, edited by J. Barnes, J. Brun­
dium Timaei de Galien, in: REG 65 (1952)
schwig, M. Burnyeat, M. Schofield (Cam­
97–118.
bridge, London 1982) 1–23. – Wieder in:
718 R. Walzer: A Diatribe of Galen, in: HThR 47
Ders.: Essays in Ancient Greek Philosophy
(1954) 243–254. – Wieder in: Walzer 1962
(Oxford 1987) 261–278.
[*721: 164–174].
732 J. Fillion-Lahille: Le De ira de Sénèque et la
719 M. Isnardi: Techne, in: PP 16 (1961) 257–296.
philosophie stoïcienne des passions (Paris
720 S. Pines: Omne quod movetur necesse est ab
1984) [Études et Commentaires 94].
aliquo moveri: A Refutation of Galen by
Alex­a nder of Aphrodisias and the Theory of
Motion, in: Isis 52 (1961) 21–54.

05_2 Philosophienahe Fachwissenschaft Biblio.indd 540 25.09.18 09:26


Galen 541
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542 Bibliographie zum fünften Kapitel

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Galen 543
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Sechstes Kapitel

Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

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§ 48. Der Begriff ‘Mittelplatonismus’
und die Forschungsgeschichte

Franco Ferrari

1. Philosophiegeschichtliche Fragen. – 2. Auslegung und Kommentar. – 3. Philosophische Lehre.

1. Philosophiegeschichtliche Fragen

Der Begriff ‘Mittelplatonismus’, als philosophiegeschichtliche Kategorie, wurde


von K. Praechter, wohl in Anlehnung an den Begriff ‘Mittlere Stoa’, geprägt
(Schmekel 1892 [*15]; dazu Männlein-Robert 2001 [*44: 15]), um die Gesamtheit
der platonisch ausgerichteten Autoren der ersten Jahrhunderte der römischen
Kaiserzeit, d. h. vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zu Plotin, zu bezeichnen (Praech-
ter 121926 [*16: 524–556]). Seither ist er allgemein gebräuchlich und dient als
­Terminus technicus zur Bezeichnung der spezifischen Ausprägung, die den Pla-
tonismus vom Ende der Vorherrschaft des Skeptizismus in der ersten Hälfte des
1. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Auftreten des Neuplatonismus im 3. Jahrhundert
n. Chr. charakterisiert.
Das Ende der Vorherrschaft des Skeptizismus fiel mit einer komplizierten
Übergangsphase zusammen, die auch die institutionellen Aspekte der Geschichte
des Platonismus betraf. Üblicherweise lässt man das Ende dieser Schule mit der
Zerstörung der Akademie während der Belagerung Athens durch das römische
Heer (88–86 v. Chr.) zusammenfallen. Die – im Übrigen eher spärlichen – Zeug-
nisse scheinen den Titel ‘Scholarch’ (διάδοχος) keinem einzigen der zwischen der
ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. und der zweiten Hälfte des 2. Jahrhun-
derts n. Chr. aktiven Platoniker zuzuweisen. Die Philosophiehistoriker neigen
daher dazu, Philon von Larissa als das letzte Schuloberhaupt der von Platon ge-
gründeten Institution zu betrachten (Scholarch von 110/09 bis 87 v. Chr.). Wahr-
scheinlich waren die uns bekannten Platoniker der folgenden zwei Jahrhunderte,
möglicherweise seit Antiochos von Askalon, in erster Linie Privatlehrer (Glucker
1978 [*26: 121–158, 306–315, 322–356], Dillon 1979 [*27: 65ff.], Donini 1986 [*275:
97–99]). Allerdings mangelte es – vor allem ab Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. –
nicht an öffentlichen Unterstützungsmaßnahmen für den Philosophie-Unterricht.
Diese gipfelten 176 n. Chr. in der Einrichtung eines kaiserlichen Lehrstuhls für
jede der vier philosophischen Hauptrichtungen – Platonismus, Aristotelismus,
Stoa und Epikureismus – durch Mark Aurel (Philostr. Vit. Soph. 566 = test. 73.3
Dörrie-Baltes sowie Cass. Dio 72,31,3; dazu Glucker 1978 [*26: 145–150], Dörrie,
Baltes 1993 [*8: III 135–139]). Diese Lehrstühle standen jedoch in keiner direk-
ten Beziehung zu den ursprünglichen athenischen Institutionen, auch wenn eine

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548 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

gewisse – zumindest ideelle – Kontinuität mit diesen Einrichtungen die Lehrstuhl-


inhaber in ihrem Wirken motivierte.
Der Gebrauch des Begriffs ‘Mittelplatonismus’ ist auf Kritik gestoßen, da sich
keiner der Autoren, auf die er angewendet wird, selbst als ‘Mittelplatoniker’ be-
trachtete, sondern sich alle einfach für ‘Platoniker’ hielten (Frede 1987 [*952:
1040f.], Boys-Stones 2001 [*43: V–VI] und Zambon 2006 [*49: 561ff.]). Und tat-
sächlich wurde der Begriff «Platoniker» (Πλατωνικός) seit den ersten beiden Jahr-
hunderten n. Chr. zur Bezeichnung eines bis zu einem gewissen Grade ‘dogmati-
schen’ Denkers, der Platon grundsätzlich positive Lehrmeinungen zuschreibt,
verbreitet verwendet. Man unterschied ihn dadurch von Anhängern der skepti-
schen Auslegung Platons, den üblicherweise sogenannten «Akademikern» (Ἀκα­
δημαϊκοί). Die Autoren, die normalerweise zu den ‘Mittelplatonikern’ gerechnet
werden, definieren sich selbst – mit Ausnahme von Plutarch – als ‘Platoniker’
(Gaios, Albinos, Kalvenos Tauros, Maximos von Tyros; dazu Bonazzi 2003 [*46:
208–211] und Ferrari 2012 [*51: 72–74]).
Es gibt indes gute Gründe, am Begriff ‘Mittelplatonismus’ festzuhalten (Donini
1990 [*38: 82–86], Dillon 21996 [*25: 422–423], Zambon 2002 [*45: 23–28], Ferrari
2003 [*47: 343–346]). Unstreitig hat er den Vorteil, eine Zusammenfassung von
untereinander stark verschiedenen Autoren ohne gemeinsamen Nenner unter die
grobe Bezeichnung ‘Platoniker’ zu vermeiden. Der heute vorherrschende Sprach-
gebrauch geht daher dahin, den Begriff ‘Mittelplatoniker’ zur Bezeichnung der
platonisch ausgerichteten Autoren der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr.
bis zur Zeit Plotins zu verwenden. Es handelt sich dabei um Philosophen, die sich
mit Blick aufs Ganze in ihrer Ablehnung der skeptischen Auslegung P ­ latons einig
sind. Nur am Rande und begrenzt auf wenige Vertreter lebte diese weiter (z. B.
Plutarch und Favorinos; dazu Opsomer 1998 [*41: 83–240], Bonazzi 2003 [*46:
139–178] und Brittain 2007 [*102]). Die Mittelplatoniker stimmen darin überein,
Platon eine dogmatische Philosophie zuzuschreiben, und sie bemühen sich – wenn
auch in unterschiedlicher Form – ein philosophisches System aufzubauen, das hin-
sichtlich Vollständigkeit und Folgerichtigkeit in der Lage ist, mit den Stoikern zu
konkurrieren, denen Cicero einen «bewundernswerten Aufbau der Lehre und
eine unglaubliche Ordnung ihrer Inhalte» (admirabilis compositio disciplinae in-
credibilisque rerum ordo) nachgerühmt hatte (Cic. Fin. 3,74; dazu Donini 1994
[*66: 5027–5035]).
Dagegen scheint die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitete
Tendenz, die Autoren jener Epoche als ‘eklektisch’ zu bezeichnen (so noch bei
Praechter 121926 [*16]; vgl. Donini 1988 [*36]), endgültig überwunden (z. B. Männ-
lein-Robert 2012 [*52: insb. 7–13]). In der Tat ist die Bezeichnung ‘Eklektizismus’
kaum anwendbar auf Denker, die sich selbst – unabhängig von ihrer Bereitschaft,
Lehren und Begriffe anderer Schulrichtungen aufzunehmen – als ‘Platoniker’ be-
trachteten und sich auf die Philosophie Platons, interpretiert in der Weise, die
jedem einzelnen als richtig erschien, beriefen (Dillon 1988 [*277]).
Beträchtliches Interesse hat dagegen der Begriff der ‘Vorbereitung des Neu­
platonismus’ geweckt, der von Theiler geprägt und von zahlreichen Philosophie-
historikern aufgenommen wurde (Theiler 1930 [*17], Donini 1982 [*29: 16f.],

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§ 48. Der Begriff ‘Mittelplatonismus’ und die Forschungsgeschichte (Bibl. 671–677) 549

Gombocz 1997 [*40: 17–26], Ferrari 2005 [*98: 104–107]). Mit diesem Begriff soll
das Augenmerk auf ein Element gerichtet werden, das sich zweifellos als nützlich
für die Charakterisierung dieser Phase der Geschichte des antiken Platonismus
erweist: Bei den mittelplatonischen Autoren beginnen nämlich einige Konzepte
Form anzunehmen, die im Denken Plotins und der nachfolgenden Neuplatoniker
eine herausragende Rolle spielen sollten. So finden sich in einigen Texten des Mit-
telplatonismus (z. B. den Fragmenten des Eudoros, Senecas ‹Epistulae morales ad
Lucilium› 58 und 65, dem ‹Didaskalikos› des Alkinoos, den philosophischen Wer-
ken des Apuleius und den Zeugnissen zu Numenios) klare Spuren jenes Prozes-
ses der Theologisierung und Hierarchisierung der Realität, der sich in den folgen-
den Jahrhunderten von Plotin an durchsetzen sollte. Aus diesem Grund scheint
es nicht verfehlt, im Mittelplatonismus weiterhin eine Phase der ‘Vorbereitung des
Neuplatonismus’ zu sehen. Dabei sollte man sich jedoch immer vor Augen halten,
dass der philosophische und geistesgeschichtliche Wert dieser Phase der Geschichte
des Platonismus nicht außerhalb (d. h. in der Vorbereitung des Neuplatonismus),
sondern in ihr selbst liegt und darin besteht, einen Moment der Wende hinsichtlich
der philosophischen Inhalte sowie der Arbeitsmethode dargestellt zu haben.
Eine weitere Fragestellung, welche die Forschung lange Zeit beschäftigt hat und
heute weitgehend als irrelevant erscheint, betrifft das Problem des Begründers des
Mittelplatonismus. Folgende drei Hypothesen haben den größten Zuspruch ge-
funden: 1) Poseidonios (Bickel 1960 [*19]), 2) Antiochos (Theiler 1930 [*17: 1–60])
und 3) Eudoros (Dörrie 1944 [*137] und v. a. Dillon 21996 [*25: 114ff.]). Es gibt al-
lerdings keine definitiven Argumente, die für einen dieser drei Kandidaten spre-
chen würden.

2. Auslegung und Kommentar

Die mittelplatonischen Philosophen waren sich in der Überzeugung einig, dass


die Philosophie Platons im Wesentlichen systematisch und nicht aporetisch sei.
Diese Ansicht sah sich in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Wesen der pla-
tonischen Schriften, die keine Traktate, sondern Dialoge darstellen, aus denen nicht
ohne Weiteres eine einheitliche, kohärente und systematische Lehre zu gewinnen
ist (Karamanolis 2006 [*48: 5–28], Ferrari 2012 [*51: 80–83]). Tatsächlich konnten
die Anhänger eines skeptischen Platonbildes insbesondere die vielstimmige Natur
der Dialoge ins Feld führen, um ihre Auffassung zu stützen, dass es keine einheit­
liche Philosophie bei Platon gebe. Auf diesen Einwand antworteten die Mittelpla-
toniker mit der Formulierung eines berühmten text-hermeneutischen Prinzips, das
bei Stobaios bezeugt ist: τὸ δέ γε πολύφωνον τοῦ Πλάτωνος οὐ πολύδοξον, d. h. das
Denken Platons ist zwar zweifelsohne polyphon (d. h. aus vielen Stimmen zusam-
mengesetzt), es ist aber nicht durch eine Vielheit miteinander unvereinbarer Mei-
nungen charakterisiert (Stob. Ecl. 2,7,3f, II,49,25–50,1; dazu Dörrie 1960 [*20: 195]
und 1971 [*22: 22], Tarrant 2000 [*42: 73] und Ferrari 2001 [*71: 543]).
Einer der ersten mittelplatonischen Autoren, die der platonischen Philosophie
explizit ein systematisches Wesen attestierten, war Attikos, der Platon das Ver-

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550 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

dienst zuschrieb, alle Teile der Philosophie vereinigt und sie geradezu als einen
«lebendigen und vollkommen gegliederten Körper» aufgefasst zu haben (σῶμά τι
καὶ ζῷον ὁλόκληρον: fr. 1,19–23 des Places; dazu Donini 1982 [*29: 51f.] und 1994
[*66: 5033] und Ferrari 2001 [*71: 537f.]; vgl. auch Apul. Plat. 1,4, 189).
Der Prozess der Systematisierung der platonischen Philosophie, der zur (Re-)
Konstruktion des Platonismus als System führte, entwickelte sich entlang unter-
schiedlicher und untereinander oft widersprüchlicher Linien. Es gab jedoch einen
gemeinsamen Nenner, der im eminent exegetischen Zugang bestand, d. h. im Ge-
wicht, das beinahe alle mittelplatonischen Autoren der Textauslegung beimaßen
(Donini 1994 [*66: 5056–5063, 5089–5094], Sedley 1997 [*69: 116–122], Ferrari
2001 [*71: 525–530, 566–570] und Dillon 2006 [*72]). Die Interpretationsstrate-
gien, welche die mittelplatonischen Philosophen zur Anwendung brachten, um die
Dialoge Platons zu systematisieren, waren dagegen zahlreich. Sie lassen sich unter
das (aus der Homer-Exegese hervorgegangene) Prinzip subsumieren, «Platon aus
Platon heraus zu erklären» (Πλάτωνα ἐκ Πλάτωνος σαφηνίζειν; dazu Ferrari 2001
[*71: 533–538]). Außerdem versuchten die Mittelplatoniker, den Eindruck der
«Widersprüchlichkeit» (διαφωνία) in den Dialogen, der durch das Auftreten zahl-
reicher Personen mit unterschiedlichen Charakteren und Meinungen hervorgeru-
fen wird, dadurch abzuschwächen, dass sie sich der sogenannten Auslegung «aus
der Maske/Person [sc. heraus gesprochen]» (ἐκ/ἀπὸ προσώπου τινός) bedienten:
Darauf gestützt wird der Grad der Zustimmung Platons zu einer bestimmten in
den Dialogen enthaltenen Aussage von der Person abhängig gemacht, welche
diese Lehre vertritt. So teile Platon beispielsweise die Ansichten, die Sokrates,
Parmenides, Timaios, dem Fremden im ‹Sophistes› und dem Athener in den
­‹Gesetzen› zugeschrieben werden, während er sich von den Theorien, die durch
Thrasymachos, Kallikles, Gorgias, Protagoras und überhaupt durch die Sophis-
ten vertreten werden, distanziere (D. L. 3,52; Alb. Prol. 2, 148,2–8 Hermann; dazu
Mansfeld 1994 [*216: 12, 80–82] und Ferrari 2010 [*73]).
Die Ansicht, dass die Mittelplatoniker «geradezu philologisch» vorgehen
­(Dörrie 1960 [*20: 194]), ist ohne Zweifel begründet. Die übermäßig philologische
Ausrichtung der philosophischen Tätigkeit wurde bereits von Seneca kritisiert,
der die Wandlung der Philosophie in Philologie beklagt: «quae philosophia fuit
facta philologia est» (Sen. Epist. 108,23; dazu Barnes 1993 [*65: 138] und Ferrari
2001 [*71: 525ff.]). Auch wenn ein großer Teil der Schriften aus der betreffenden
Epoche verloren gegangen ist, lassen die Zeugnisse, die uns zur Verfügung stehen,
die wichtige Rolle erkennen, die Textexegese und Kommentierung der Dialoge,
die ein hohes Niveau an philologischer Vertiefung erreichten, bei den mittelplato-
nischen Autoren spielten (Dillon 1989 [*62], Barnes 1992 [*64], Donini 1994 [*66],
Gioè 1996 [*68], Männlein-Robert 2001 [*44: 46–56], Opsomer 2004 [*320] und
Zambon 2006 [*49: 564–567]).
Die Präsenz einer starken philologischen Komponente lässt sich vor allem in
den Kommentaren im engeren Sinne (ὑπομνήματα) feststellen, d. h. in den Schrif-
ten, die der Exegese anderer Schriften gewidmet sind: Plutarch verfasste einen
Kommentar ‹Über die Erschaffung der Seele im ‘Timaios’› (‹De animae procrea-
tione in Timaeo›) zu dem Abschnitt des ‹Timaios›, der die ‘compositio’ und die ‘di-

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§ 48. Der Begriff ‘Mittelplatonismus’ und die Forschungsgeschichte (Bibl. 671–677) 551

visio animae’ beinhaltet; bekannt sind auch Kommentare zu Teilen des ‹Timai­os›
von Tauros, Severos, Galen, Ailianos und Adrastos von Aphrodisias, und bedeu-
tend war der anonyme Kommentar zum ‹Theaitetos›; außerdem gibt es Zeugnisse,
welche die Existenz von mittelplatonischen Kommentaren zum ‹Phaidon›, ‹Staat›,
‹Alkibiades I›, ‹Gorgias›, ‹Phaidros› und ‹Symposion› belegen (test. 78–80 Dör-
rie-Baltes). Wahrscheinlich hatten die in dieser Epoche verfassten ­Erklärungen
zu den Dialogen nicht die Form eines fortlaufenden Kommentars, der dem plato-
nischen Text vom Anfang bis zum Ende folgte, sondern glichen eher thematischen
Monographien, die einzelnen Abschnitten in einem Dialog ge­widmet waren (so
z.  B. Galens ‹Kommentar zu den medizinischen Abschnitten des Timai­os›,
Plutarchs Schrift ‹De animae procreatione in ‘Timaeo’› und die Kommentare zu
den Abschnitten über die Mathematik und Harmonielehre des ‹Timai­os› von Ad-
rastos und Ailianos; dazu Ferrari 2000 [*70: 179–186]).
Eine weitere Gattung philosophischer Literatur war die ‘quaestio’ (ζήτησις/
ζήτημα) bzw. die Sammlung von ‘quaestiones’. Dabei handelt es sich um Werke,
die Textprobleme erörtern, die aus der Lektüre und der Kommentierung beson-
ders schwieriger Passagen der Dialoge erwachsen waren. In der Tat ist die «Unklar-
heit» (ἀσάφεια) einer Textstelle einer der Hauptgründe, weshalb man sich zur
Kommentierung entschließt (Barnes 1992 [*64: 267ff.] und Ferrari 2001 [*71: 530–
538, 552–558]); daher verfassten zahlreiche Platoniker Schriften, die dem Aufbau
«Probleme und Lösungen» (ἀπορίαι καὶ λύσεις) folgen und in denen der Text vom
Lehrer einer äußerst detaillierten Analyse unterzogen wird (Beispiele solcher
Werke sind die ‹Platonicae quaestiones› von Plutarch und wahrscheinlich Harpo-
krations Schrift ‹Kommentar zu Platon›, Ὑπόμνημα εἰς Πλάτωνα; dazu Dillon
1971 [*571], Romano 1994 [*67: 601f.]).
Ohne Zweifel war ein Teil dieser Literatur auf die eine oder andere Weise mit
der Lehrtätigkeit verbunden, der eine große Zahl dieser Platoniker nachging
­(Donini 1994 [*66: 5089–5094]). So lässt sich sowohl die Abfassung von einfüh-
renden Schriften, in denen die der Lektüre der Dialoge vorausgehenden Grund-
fragen erörtert wurden (z. B. der ‹Prolog› von Albinos; dazu Mansfeld 1994 [*216:
58–107]), als auch von Kompendien erklären, in denen die platonische Lehre in
systematischer und zusammenfassender Form dargestellt wurde (z. B. Alkinoos’
‹Lehrbuch [sc. der Grundsätze Platons]›, Διδασκαλικός, oder Apuleius’ ‹Über Pla-
ton und seine Lehre›, ‹De Platone et eius dogmate›; dazu vgl. Donini 1982 [*29:
63–66], Romano 1994 [*67: 597–604]).
Der hohe Stellenwert der Auslegungspraxis wird auf zwei unterschiedliche, je-
doch nicht unvereinbare Weisen erklärt. Man nimmt einerseits an, dass die zent-
rale Stellung der Exegese mit der Forderung zusammenhängen könnte, dass ein-
zig auf der Basis der erhaltenen Texte eine systematische, einheitliche und
kohärente Philosophie rekonstruiert werden könne. Dabei galt es zu zeigen, dass
sich eine solche Philosophie in den Dialogen finde, wenn man nur fähig sei, sie
aufzuspüren (Donini 1994 [*66: 5027–5035]). Andererseits geht man aber auch
davon aus, dass mit der Schließung der von Platon gegründeten Akademie nicht
nur die institutionelle Kontinuität der Schule verloren gegangen war, sondern auch
das Gefühl der Zugehörigkeit, die es einem Denker erlaubte, sich (als tatsächliches

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552 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Mitglied der von Platon begründeten Schule) als ‘platonisch’ zu betrachten. Da


die Zugehörigkeit zur platonischen Philosophie nicht mehr durch die konkrete
Präsenz im Innern der Schule garantiert werden konnte, musste sie sich durch die
Bezugnahme auf die Texte des Meisters begründen (Hadot 1987 [*61: 14–22],
Zambon 2006 [*49: 562]; Vermittlung zwischen diesen beiden Ansichten bei Sed-
ley 1997 [*69: 112–116]).
Der mit Abstand meistgelesene und meistkommentierte Dialog Platons war der
‹Timaios›, der eine herausragende Rolle in der Wiedergeburt des dogmatischen
­Platonismus in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit übernahm. Ein erster Hin-
weis auf die Bedeutung dieses Dialogs liefert die Tatsache, dass Cicero eine Über-
setzung anfertigte. Auch Varro scheint sich auf eine Lehre von drei Prinzipien –
«Himmel, Erde, Modelle der Dinge» (caelum, terra, exempla rerum) – zu beziehen,
die aus dem ‹Timaios› hergeleitet sein dürfte (Aug. Civ. 7,28 = Varro Antiq. rer. div.
fr. 206 Cardauns = test. 113.1 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 389–
392]). Die Gründe für die beherrschende Stellung des ‹Timaios› sind vielfältig, aber
gewiss trug seine deutlich systematische und konstruktive Anlage dazu bei. Außer-
dem spielt im ‹Timaios› das theologische Motiv (in der Figur des demiurgischen
Gottes) eine große Rolle, das bei den mittelplatonischen Philosophen eine so be-
achtliche Bedeutung gewinnen sollte. Der Dialog lässt schließlich den Versuch er-
kennen, Theologie, Ontologie, Physik (Astronomie), Ethik, Anthropologie und
Heilsperspektive miteinander zu vereinbaren. Überhaupt gibt er eine umfassende
Erklärung der Welt und der Stellung des Menschen in ihr (Dörrie 1976 [*24: 174],
Barnes 1993 [*65: 140], Dörrie, Baltes 1993 [*8: III 174], Donini 1994 [*66: 5072],
Gioè 2002 [*9: 22], Ferrari 2005 [*97: 1f.] und 2012 [*74: 84–89]).

3. Philosophische Lehre

In den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit prallen rivalisierende Interpretatio­


nen der Philosophie Platons zum Teil in großer Schärfe aufeinander (Dörrie 1976
[*24: 186–190] und Donini 1990 [*38: 85]). Die mittelplatonischen Autoren setz-
ten es sich zum Ziel, ein einheitliches und systematisches Bild des Platonismus zu
konstruieren, machten dabei aber Anleihen bei verschiedenen Philosophen: Die
einen riefen die Stoa zur Hilfe (Antiochos und vielleicht Attikos), der größte Teil
wandte sich an Aristoteles und den Aristotelismus (erneut Antiochos, Alkinoos,
Plutarch). Es gab auch solche, die sich der Lehren der ersten Akademie bedienten
(Antiochos und in gewissen Bereichen Eudoros und Plutarch). Sehr bedeutend
war schließlich jene Richtung, die ein platonisches System auf der Grundlage von
Lehren pythagoreischer Prägung errichtete (Eudoros, Moderatos, Plutarch, Theon
von Smyrna, Nikomachos und Numenios; dazu Whittaker 1987 [*34: 110–123] und
Lilla 1992 [*39: 4f.]).
Diese Vielfalt an Herangehensweisen an die platonische Philosophie gab den
Ausschlag dafür, dass ein verhältnismäßig neues Phänomen im antiken Denken
aufkam: die Notwendigkeit, Überlegungen zur Geschichte der Akademie anzustel-
len, um die eigene Auslegung von Platons Denken zu legitimieren. Die berühmte

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§ 48. Der Begriff ‘Mittelplatonismus’ und die Forschungsgeschichte (Bibl. 671–677) 553

Auseinandersetzung zwischen Philon von Larissa und Antiochos von Askalon


(Cic. Ac. pr. 13ff., Ac. post. 10ff.) über die Legitimität der Präsenz des Skeptizis-
mus innerhalb der platonischen Tradition war ein erstes Beispiel, das bald Schule
machen sollte. Wir wissen, dass Plutarch eine Schrift mit dem Titel ‹Über die Ein-
heit der Akademie seit Platon› (n. 63 Lamprias-Katalog) verfasst hat, in der er
nachzuweisen suchte, dass sich der Skeptizismus – sofern er richtig verstanden
wurde – in den Platonismus eingliedern lässt. Attikos schrieb ein Werk mit dem
bedeutsamen Titel ‹Gegen die Philosophen, die die Lehren Platons durch die des
Aristoteles erklären wollen›, womit er die aristotelisierende Richtung des Mittle-
ren Platonismus bekämpfte. Von Numenios stammt eine Schrift mit dem Titel
‹Über den Abfall der Akademiker von Platon›, in der er die Einführung des Skep-
tizismus in den Platonismus als illegitim verwarf und die Philosophie Platons auf
Pythagoras und die Weisheit des Orients zurückführte (Donini 1994 [*286: 41],
Bonazzi 2003 [*46: 110ff.]).
Trotz dieser Vielfalt an Herangehensweisen lassen sich gewisse gemeinsame
Grundüberzeugungen in allen philosophischen Bereichen feststellen. Im Bereich
der Ontologie arbeiteten die Mittelplatoniker an einer Rückgewinnung der Trans­
zendenz-Dimension, indem sie die Ideen (Ferrari 2005 [*96: 233–236]) bzw. die
platonisch-akademischen Prinzipien des Einen (oder der Monade) und der Unbe-
stimmten Zweiheit (Dillon 21996 [*25: 46f.]) wiederentdeckten und der demiurgi-
schen Gottheit des ‹Timaios› eine herausragende Rolle zuwiesen. Dieser Demiurg
wurde üblicherweise als Intellekt (νοῦς) interpretiert und von einigen an den ers-
ten unbewegten Beweger, das ‘Denken des Denkens’, des 12. Buchs von Aristoteles’
Metaphysik angeglichen (Krämer 1964 [*82: 23ff., 62ff., 72–75, 88ff.] und Lilla
1992 [*39: 6f.]). Die Fortdauer der akademischen Zweiprinzipienlehre ist beispiels-
weise bei Eudoros, Plutarch und Numenios bezeugt. Sehr wahrscheinlich wurde
sie zusätzlich mit Elementen pythagoreischen Ursprungs angereichert (Dörrie,
Baltes 1996 [*8: IV 448–458]).
Ziemlich verbreitet – insbesondere in Texten doxographischer Prägung – war
die sogenannte Dreiprinzipienlehre (Gott – Idee – Materie), die bisweilen als das
typische Kennzeichen des Mittelplatonismus betrachtet wird: Alkin. Did. 163,11–
14 = test. 113.3 Dörrie-Baltes; Hippol. Refut. 1,19,1–4 = test. 113.6 Dörrie-Baltes;
Ps.-Just. (Markell von Ankyra?) Cohort. ad Gr. 6,1 Marcovich = test. 113.4 Dör-
rie-Baltes; Ps.-Plut. Aët. Plac. 1,3,21 = Dox. gr. 287a17–288a6 Diels = test. 113.2
Dörrie-Baltes (dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 387–399]).
Im Allgemeinen tendieren die mittelplatonischen Autoren dazu, die ontologische
Perspektive (das Sein, die Welt der Ideen) der theologischen (Gott) unterzuordnen
und Gott (oder den Ersten Gott) als höchste Realität aufzufassen. In einigen Fäl-
len – aber nicht in allen, wie bisweilen fälschlicherweise angenommen wird –
nimmt die Subordination der Ideen unter die Gottheit die Form einer Theorie an,
nach der die Ideen ‘Gedanken Gottes’ sind (Alkin. Did. 163,14f.; 163,32–34; Aët.
Plac. 1,3,21 = Dox. gr. 287f.; 1,10,3 = Dox. gr. 309; Hippol. Refut. 1,19,2 = Dox. gr.
567; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 392–394], Ferrari 2005 [*96: 240] und Dillon
2011 [*106]). Die Bedeutung der Theologie zeigt sich in einer umfassenden und
vertieften Reflexion über die Beziehungen zwischen einem Ersten Gott, oft

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554 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

gleichgesetzt mit der Idee des Guten (und des Einen), und einem zweiten Gott,
dem Baumeister der sinnlichen Welt. In der Tat nehmen einige Denker wie Nu-
menios und Alkinoos zwei Gottheiten an – die erste identisch mit der Idee des
Guten, die zweite mit dem Demiurgen –, während andere wie Plutarch und Atti-
kos den Demiurgen und die Idee des Guten zu einem zusammenfassen (Ferrari
2005 [*98: 110–122] und Opsomer 2007 [*298: 298–303]).
Die Sphäre der Gottheit wird den Mittelplatonikern zufolge nicht bloß von
­metaphysischen Entitäten (dem Guten, dem Intellekt, den Ideen, dem Demiurgen)
eingenommen. Einige Philosphen zeigen sich auch empfänglich für die – ebenfalls
platonische (vgl. Symp. 202d–203a) – Annahme der Existenz von ‘Dämonen’, die
meist als Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen betrachtet werden
(Plutarch, Apuleius, Alkinoos, Numenios; dazu Timotin 2012 [*110]). Wahrschein-
lich ist die Annahme von Dämonen Ausdruck eines in dieser Epoche oft fest­
gestellten Bedürfnisses, Vermittlungen und Kontakte zwischen dem Leben der
Menschen und dem Bereich des Göttlichen herzustellen.
Eines der zentralen Themen in den Überlegungen der mittelplatonischen Phi-
losophen war die Frage nach der Ursache und dem Ursprung des Bösen. Dabei
schlugen einige eine interessante Lösung vor: Eine vorkosmische, böse Seele sei
Ursache der Unordnung und der Irrationalität, die sich im Menschen und im Uni-
versum finden (Plutarch und Attikos; vgl. aber auch Numenios und Apuleius; dazu
Baltes 1983 [*543: 47–56] und Deuse 1983 [*86: 12–80]).
Im Bereich der Kosmologie markiert der Mittelplatonismus wohl den Höhe-
punkt der Auseinandersetzung über die richtige Deutung der Weltentstehung, wie
sie im ‹Timaios› beschrieben wird. Während Plutarch und Attikos mit Nachdruck
die wörtliche Auslegung vertraten, dergemäß das Universum in einem punktuel-
len Moment seinen Anfang genommen habe, argumentierten Eudoros, Alkinoos
und vor allem Tauros zugunsten eines metaphorischen Verständnisses (bereits von
Speusipp und Xenokrates vertreten), wonach das Universum ewig sei und die pla-
tonische Rede über seine Erschaffung nur zum Ausdruck bringen wolle, dass das
Universum einem ewigen Entstehungsprozess unterworfen sei (‘creatio perpetua’:
Baltes 1976 [*83: vol. I] und Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 373–535]).
Im Bereich der Logik integrierten die Mittelplatoniker (mit einigen Ausnah-
men: z. B. Lukios und Nikostratos) die aristotelischen Auffassungen in das plato-
nische System und versuchten zu beweisen, dass sowohl die Kategorienlehre als
auch die Syllogistik bereits bei Platon angelegt waren (Alkin. Did. 158,17–159,6
und Plut. An. procr. 1023e; dazu Donini 1982 [*29: 104f.] und Dillon 21996 [*25:
49–51]), eine Position, die sich im Neuplatonismus allgemein durchsetzen sollte.
Die Mittelplatoniker plädierten für den Primat von Theorie der Praxis gegen-
über (Bénatouïl, Bonazzi 2012 [*108]). In der Ethik polemisierten sie gegen die
stoische Konzeption der ἀπάθεια (vollkommene Abwesenheit von Leidenschaf-
ten), die sie als unverwirklichbares und geradezu schädliches Ideal betrachteten,
und stellten ihr die Lehre der μετριοπάθεια (Kontrolle und Mäßigung der Leiden-
schaften) entgegen (Gill 2006 [*100: 207ff.]). Generell trieben sie die Verschmel-
zung platonisch-pythagoreischer und aristotelischer Elemente voran (Donini 1982
[*29: 111–113], Dillon 1983 [*88], Karamanolis 2006 [*48]). Viele Vertreter (Theon,

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§ 49. Eudoros von Alexandrien (Bibl. 677–678) 555

Alkinoos, Albinos, Apuleius und Plutarch) sahen das «Ziel» (τέλος) des Menschen
in der «Annäherung an Gott» (ὁμοίωσις τῷ θεῷ), womit sie ein bei Platon vorhan-
denes Motiv aufnahmen und sich gegen die stoische Auffassung des ‘Gemäß-der-
Natur-leben’ richteten (Dörrie 1976 [*24: 178], Tarrant 2007 [*104], Helmig 2013
[*113: 245–251] und Männlein-Robert 2013 [*1034]). In der Frage nach der Rolle
der äußerlichen Güter für die Erlangung der Glückseligkeit schwankten sie zwi-
schen einer der Stoa nahe stehenden Position, nach der solche Güter keinerlei
­Bedeutung hätten (Eudoros und Attikos), und der mit der aristotelischen Haltung
übereinstimmenden Anerkennung von deren Wichtigkeit (Plutarch und Tauros;
dazu Dillon 21996 [*25: 44]). Eine gewisse Aufmerksamkeit widmeten sie schließ-
lich auch der komplexen Beziehung zwischen Notwendigkeit und menschlicher
Freiheit – ein Problem, das von der Stoa intensiv diskutiert und in radikaler Weise
gelöst wurde (Dörrie 1977 [*84: 76–82], Boys-Stones 2007 [*101], Sharples 2007
[*103], Pietsch 2013 [*114: 202–209]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 49. Eudoros von Alexandrien

Irmgard Männlein-Robert

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Gesamtwürdigung.

Über das Leben des Eudoros und über seine philosophischen Lehren sind wir
ausschließlich durch indirekte Zeugnisse informiert. Nur wenige dieser Testimonien
können zweifelsfrei mit Eudoros in Verbindung gebracht werden. Die bei dem
spät­antiken Doxographen Stobaios erhaltenen Berichte, mit denen man bislang
eher optimistisch verfuhr, werden in letzter Zeit mit zunehmendem Problembe-
wusstsein bezüglich ihrer unsicheren Quellenlage behandelt. Das gilt sowohl für
die Auswertung von anonymen oder doxographischen Texten, die man bisher auf
Eudoros bezog, als auch für die Abgrenzung der nachweislichen Eudoros-Texte
von Referaten anderer Autoren bei Stobaios.

1. LEBEN

Die spärliche Evidenz lässt für die Lebensdaten des Eudoros nur einen unge-
fähren Zeitrahmen erkennen (suggestiv, aber letztlich spekulativ Dillon 1981 [*162]
und 21996 [*25: 115–135]): Strabon (64 v. Chr. – 19 n. Chr.) bezeichnet Eudoros als

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556 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Zeitgenossen (καθ’ ἡμᾶς: 17,1,5 = fr. 13 Mazzarelli). Anhand von Eudoros-Zitaten


des von Stobaios verwendeten Doxographen (bei Stob. Ecl. 2,7,2, II,42,7 Wachs-
muth = fr. 1 Mazzarelli; zur Diskussion um dessen Identität siehe Göransson 1995
[*587], auch Baltes 1996 [*621]; Gombocz 1997 [*40: 415 Anm. 2]) sowie ex nega-
tivo aus dem Schweigen Ciceros über ihn, darf man Eudoros wohl in die zweite
Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. datieren (Dillon 21996 [*25: 115]). Dass Eudoros
sich zumindest längere Zeit in Alexandrien aufgehalten habe, legt neben dem Her-
kunftstitel «Alexandriner» (Ἀλεξανδρεύς) das Zeugnis nahe, dem zufolge er eine
Schrift über den Nil oder die Nilflut verfasst haben soll (Strab. 17,1,5). Die antiken
Zeugnisse bezeichnen Eudoros nicht nur als Alexandriner (z. B. Stob. Ecl. 2,7,2,
II,42,7 Wachsmuth), sondern auch als «Akademiker» (ὁ Ἀκαδη­μαϊκός, z. B. Stob.
Ecl. 2,7,2, II,42,7 Wachsmuth; Anonym. I In Arati Isagogen 6, 97,2 Maass; Simpl.
In Arist. Cat. 187,10 Kalbfleisch = fr. 16 Mazzarelli; dazu Bonazzi 2003 [*175: 55–
59] und 2013 [*182: 160–164]). Das erste wirklich sichere wörtliche Eudoros-Zitat
– im Sinne eines Terminus ante quem – lässt sich erst bei Plutarch nachweisen (An.
procr. 1012dff. = fr. 6 Mazzarelli: kosmogonischer Kontext).

2. WERKE

Derzeit sind 22 Fragmente des Eudoros be- scheint; letzterer greift hier möglicherweise auf
kannt (unvollständige Sammlung echter und um- Eudoros zurück (fr. 23 Mazzarelli; Kohnke 1968
strittener Fragmente und Testimonien bei Zoubos [*158: 589]).
1958 [*152], vollständige Sammlung bei Mazza- 2) Weiterhin haben sich Zeugnisse eines Kom-
relli 1985 [*143]; Überblick bei Dillon 2000 [*171, mentars zum ‹Timaios› erhalten (Plut. An. procr.
mit Literaturangaben]). In der fragmentarischen 1012dff. = fr. 6 Mazzarelli). Hier geht es um eine
Überlieferung zeichnet sich deutlich sein Bemühen Harmonisierung der Auslegung des Xenokrates,
um systematische Darstellung der Lehren Platons der die Seele der Substanz nach als eine Zahl
ab (Bonazzi 2013 [*182]); Eudoros rekurriert ­a nsieht, mit jener des Krantor, der die Seele als
zudem auf den originalen Wortlaut der Dialoge Mischung zwischen Intelligiblem und sinnlich
und zeigt ein neues Interesse an Metaphysik und Wahrnehmbaren auffasst. Zur Erklärung der
Prinzipienlehre (Moraux 1984 [*165: 509f.]). Modi der Mesotes – einer schwierigen Materie –
1) Als Eudoros’ Hauptwerk gilt für Stobaios die bezieht sich Plutarch ausdrücklich und lobend auf
Schrift ‹Einteilung der Philosophie› (Διαίρεσις τοῦ Eudoros, dieser argumentiere «einfach und klar»
κατὰ φιλοσοφίαν λόγου), die ihren Stoff offenbar (ἁπλῶς καὶ σαφῶς: ebd.). Es schließen sich kom-
nach Art der Problemata-Literatur darbot (πᾶσαν plizierte, aber nachvollziehbare Rechenexempel
προβληματικῶς τὴν ἐπιστήμην, «die gesamte Wis- für den Bereich der Arithmetik an (ebd. 1019e–f =
senschaft nach einzelnen Fragen gegliedert») und fr. 7 Mazzarelli). Eudoros folgt Krantor, indem er
dabei zuerst Ethik, dann Physik und schließlich (nach Plat. Tim. 35b–c) die Zahl 384 als Proporti-
Logik thematisierte (Titel und ganzer Text bei onszahl bzw. Grundzahl für die Aufteilung der
Stob. Ecl. 2,7,2, II,42,7–45,10 Wachsmuth = fr. 1 Seele heranzieht (ebd. 1020c = fr. 8 Mazzarelli;
Mazzarelli). Es handelt sich offenbar um eine Bonazzi 2002 [*173: 30–33]). Baltes 1972 [*825:
überblicksartige, enzyklopädische Darstellung der 22–24] und 1976 [*83: I 86] vermutet hier einen
Philosophie, die wohl doxographisch die Haupt- Rekurs des Eudoros auf Timaios von Lokroi.
meinungen der führenden philosophischen Vertre- 3) Eudoros verfasste eine möglicherweise mo-
ter benennt (Trapp 2007 [*865: 351], Bonazzi 2011 nographisch angelegte Schrift zu den ‹Kategorien›
[*180]). Wir finden hier eine Dihärese der Ethik in des Aristoteles (Simpl. In Arist. Cat. 159,23ff.
einen «theoretischen» (τὸ θεωρητικόν), in einen Kalbfleisch = fr. 14 Mazzarelli; siehe Moraux 1984
«den Trieben gewidmeten» (τὸ ὁρμητικόν) sowie [*165: 520–527], Bonazzi 2007 [*177: 374–376],
einen «praktischen» Teil (τὸ πρακτικόν), die in Chiaradonna 2009 [*178] und 2013 [*183: 42–50]).
­d ieser Form bei Seneca (Epist. 89,9. 14) wieder er- Simplikios reiht Eudoros in eine Liste der alten

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§ 49. Eudoros von Alexandrien (Bibl. 677–678) 557
Exegeten der ‹Kategorien› ein und nennt ihn im der das Eine hier als explikative Parenthese liest;
Verbund mit Boethos, Ariston, Andronikos und Iak­setich 1983 [*164: 27–30], Gombocz 1997 [*40:
Athenodoros. Diese werden von den Anhängern 416 Anm. 6]). An anderer Stelle (zu Arist. Phys.
des Achaikos und des Sotion beschuldigt, die Ka- 188a19–26) geht es um das höchste Prinzip, die
tegorien nicht richtig verstanden und auch sprach- Monade, sowie um die «Unbegrenzte Zweiheit»
lich nicht klar benannt zu haben. An anderer (ἀόριστος δυάς: Simpl. In Arist. Phys. 181,7ff.
Stelle (ebd. 174,14ff. Kalbfleisch = fr. 15 Mazza- Diels = fr. 3 Mazzarelli; ebd. 181,17ff. Diels = fr. 4
relli) «übt Eudoros Kritik» an Aristoteles (αἰτιᾶ­ Mazzarelli; ebd. 181,19ff. Diels = fr. 5 Mazzarelli;
ται): Er vermisst eine dihairetische Abhandlung dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 473 mit weiter-
des dem πρός τι (dem «Relativ-Sein») entgegenge- führenden Literaturangaben]). Dabei legt Eudo-
setzten καθ’ αὑτό («An-Sich-Sein») bei Aristote- ros eine innovative Interpretation der altakademi-
les (Moraux 1984 [*165: 520f.]). schen Metaphysik vor, wenn er in Form eines
Weiterhin kritisiert Eudoros Aristoteles hin- ­‘Triangel-Schemas’ (so treffend Dillon 21996 [*25:
sichtlich seiner Äußerung zur Frage nach der Um- 127]) den beiden bislang höchsten Prinzipien
kehrbarkeit einer Relation, die Eudoros verneint ‘Monas’ und ‘Ahoristos Dyas’ eine weitere ‘Monas’
(das Korrelat von ‘Flügel’ ist nicht ‘Vogel’, sondern überordnet. Wohl ausgehend von Platons ‹Philebos›
‘geflügelt’). Insgesamt scheint Eudoros Aristote- (26e–30e) und den dort formulierten Prinzipien
les’ ‹Kategorienschrift› skeptisch, wenn nicht ab- der «Begrenzung» (πέρας) und des «Unbegrenzten»
lehnend gegenüberzustehen (Dillon 2000 [*171: (ἄπειρον) betont Eudoros, dass den Pythagoreern
290]; zur Kritik des Eudoros und anderer Mittel- das Eine als höchstes Prinzip gilt, dem zwei wei-
platoniker an den Kategorien des Aristoteles siehe tere Prinzipien untergeordnet seien: das Eine
Calvetti 1977 [*161: 4, Anm. 8 mit Literaturan­ (μονάς) und seine ihm entgegengesetzte Natur
gaben]). Mehrfach erhebt er Vorwürfe gegen (ἀόριστος δυάς; siehe Ostenfeld 1989 [*170]). Eu-
­Aristoteles oder weist ihm Widersprüche nach doros postuliert für die Pythagoreer also eine Art
(z. B. Simpl. In Arist. Cat. 236,28ff. Kalbfleisch = Über-Eines über der gewöhnlich angenommenen,
fr. 18 Mazzarelli; ebd. 246,22 Kalbfleisch = fr. 19 neben der ‘Ahoristos Dyas’ platzierten ‘Monas’
Mazzarelli; ebd. 256,16ff. Kalbfleisch = fr. 20 (Whittaker 1973 [*848: 78], Dillon 1988 [*35:
Mazzarelli; ebd. 263,19ff. Kalbfleisch = fr. 21 Maz- 121f.], Kahn 2001 [*861: 59–62]). Eudoros’ Monis-
zarelli; ebd. 268,13 Kalbfleisch = fr. 22 Mazza- mus darf somit als bemerkenswerter Versuch
relli). Richtig betont Bonazzi 2007 [*177: 376 mit ­i nterpretiert werden, den viel diskutierten Dualis-
Anm. 44], dass es hier nicht um eine grundlegende mus der Alten Akademie zu überwinden. Interes-
Verwerfung der aristotelischen Kategorien geht, sant ist Eudoros’ Referenz nicht zuletzt vor dem
sondern dass vielmehr die Kritik des Eudoros als zeitgenössischen Hintergrund des in etwa gleich-
Ausdruck seiner Schwierigkeiten verstanden wer- zeitig aufkommenden Neupythagoreismus, da er
den kann, diese in den Kontext der platonischen (bei Simpl. ebd.) diese Lehre ausdrücklich «den
Philosophie zu integrieren (vgl. aber Moraux 1984 Pythagoreern» zuschreibt (Trapp 2007 [*865:
[*165: 527], der in der Polemik gegen Aristoteles 351f.]). Diese neu entdeckte Tradition eines ‘trans­
das Hauptanliegen des Eudoros sieht). zendentalen’ Platonismus wird offenbar, wie im
4) Bei Eudoros’ Schrift zur ‹Metaphysik› des Falle des Eudoros ersichtlich, nun unter dem
Aristoteles handelt es sich nach dem Ausweis bei Namen des Pythagoras und seiner Anhänger ver-
Alexander von Aphrodisias (In Metaph. 58,25– handelt (Kahn 2001 [*861: 97]).
59,24 Hayduck = fr. 2 Mazzarelli) zunächst um 5) Eudoros verfasste möglicherweise auch eine
einen Kommentar, genauer eine Emendation Schrift über das Universum (Vermutung von Dil-
eines Textpassus aus Aristoteles’ ‹Metaphysik› lon 2000 [*171: 292f.]) oder einen Kommentar
(1,6, 988a9–11; Iaksetich 1983 [*164: 27–30]). bzw. eine Abhandlung zu Arats ‹Phainomena›: In
­Alexander bezieht sich an dieser Stelle auf seinen fr. 9 Mazzarelli (= Achill. Isag. Exc. 2, 30,20ff.
Vorgänger Aspasios, und zwar hinsichtlich einer Maass) referiert Eudoros die Meinung des Mathe-
von Eudoros vorgeschlagenen Textkorrektur zur matikers Diodoros von Alexandrien, eines Schü-
Stelle (Metaph. 1,6, 988a11): Es handelt sich dort lers des Poseidonios, dass sich Mathematik und
um ein Referat aus Platon. Eudoros schreibt durch Physiologia (d. h. Physik) darin voneinander un-
seine Emendation Platon einen monistischen terschieden, dass die Mathematik die sich aus dem
Standpunkt zu, wonach sich alles – auch die Mate- «Wesen» (οὐσία) ergebenden Folgen (παρ­επόμενα,
rie – aus dem Einen herleite. Das Eine ist dem- z. B. Entstehung von Eklipsen), die Physik dage-
nach die Formursache für alles (zur Diskussion gen das «Wesen» selbst (z. B. die Natur der Sonne)
um die Konsequenzen siehe Moraux 1969 [*159], untersuche, wobei beide miteinander verflochten

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558 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

und aufeinander angewiesen seien. In fr. 10 Maz- Kosmos im Einzelnen und im Ganzen durchaus
zarelli (= Achill. Isag. Exc. 13, 40,25ff. Maass) mit Eudoros’ Interessen zu konvergieren.
folgt Eudoros’ Definition des Lebewesens als 6) Eudoros soll außerdem wie Ariston von
eines «beseelten Seins» (ἔμψυχος οὐσία). Eudoros Alex­a ndrien, ein Peripatetiker und Schüler des
referiert weiter, dass eine Beseelung der Sterne Antiochos von Askalon, ein Buch über den Nil ge-
von Anaxagoras, Demokrit und nicht zuletzt Epi- schrieben haben (Strab. 17,1,5 = fr. 13 Mazzarelli).
kur abgelehnt, dagegen von Platon, Aristoteles Strabon zufolge unterscheiden sich beide Schrif-
sowie vom Stoiker Chrysipp befürwortet werde. ten nur in der τάξις (Anordnung) voneinander, da-
Unterschiedlich seien vor allem die Auffassungen gegen seien Stil und Methode dieselben. Strabon
von Epikureern und Stoikern. Immer gehe es ist selbst in Aporie, wer den anderen plagiiert
darum, ob die Seele den Körper umschließe oder habe, hält jedoch den Stil eher für den des Aris-
umgekehrt. Poseidonios hingegen, so Eudoros, ton, während Eudoros den Ariston des Plagiats
kritisiert die Unkenntnis der Epikureer darüber, beschuldigt haben soll.
dass doch Seelen Körper zusammenhalten (wie 7) Dem Hinweis von Theiler 1965 [*157: 204
Leim). Eudoros bietet hier einen kurzen philoso- Anm. 6] folgend, verweist auch Dillon 2000 [*171:
phiegeschichtlichen Abriss zum Verhältnis von 292] auf P. Oxy. 1609 recto, col. II (2. Jh. n. Chr.): In
Körper und Seele. An anderer Stelle (Anonym. II diesem Papyrusfragment, das bereits Grenfell,
In Arati Isagogen 2, 142,19ff. Maass = fr. 12 Maz- Hunt 1919 [*150: 94–98] Eudoros (mit Frage­
zarelli) geht es um die Gestirne, ihre Bezeichnun- zeichen) zuschreiben, geht es um Optik, die an
gen und ihre Symbolgehalte: Eudoros verteidigt ­Eudoros’ ‹Timaios›-Kommentar erinnert, der in
die Meinung des Berossos, wonach die Weltschöp- Zeile 13f. auch erwähnt ist: Behandelt wird hier die
fung nicht auf Zeus zurückzuführen sei. Brechung von Bildern im Spiegel (= fr. 33 Mazza-
Weiterhin soll Eudoros mit dem Stoiker Panai- relli). Erkennbar ist ein deutlich doxographisches
tios die Auffassung geteilt haben, dass die soge- Interesse sowie die Ablehnung der Ansichten von
nannte ‘verbrannte’ Klimazone der Erde entgegen Demokrit, Empedokles und Epikur, die «Emana­
der landläufigen Meinung doch bewohnt sei (= tionen» aus den materiellen Dingen annehmen,
Äquatorzone). Sie begründen das mit der Mi- welche Bilder auch im Spiegel erzeugen (ἀπορροαί).
schung der Luft unter der Einwirkung 1) stärkerer Problematisch ist allerdings eine ionische Sprach-
Jahreswinde und 2) des Verdampfens des dortigen form (περιεούσας), die aus dem Rahmen des attisch
großen Meeres (Anonym. I In Arati Isagogen 6, schreibenden Eudoros fällt. Freilich könnte es sich
96,24ff. Maass = test. 11 Mazzarelli). dabei um einen gewollten Ionizismus handeln, da
Wie auch die nicht sicher Eudoros zuzuschrei- im Kontext auch Empedokles untersucht wird. Falls
benden Fragmente bei Mazzarelli (fr. 34–53) zei- das Zeugnis tatsächlich Eudoros zugeschrieben
gen, scheint die philosophisch-doxographische werden kann, wird einmal mehr sein Interesse an
Auseinandersetzung mit den Elementen und dem fachwissenschaftlichen Fragestellungen erkennbar.

3. LEHRE

1. Ethik. – 2. Seelenlehre. – 3. Prinzipienlehre und Physik. – 4. Logik.

1. Ethik

Wie bereits erwähnt, teilt Eudoros seine Ethik in einen ‘theoretischen’, einen
dem ‘Trieb gewidmeten’ sowie einen ‘praktischen’ Bereich, eine Untergliederung,
die mit Blick auf den sonst üblichen Konservatismus in der späthellenistischen
Ethik ungewöhnlich zu sein scheint (Dörrie 1944 [*137: 30–32]). Entsprechend

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§ 49. Eudoros von Alexandrien (Bibl. 677–678) 559

der Meinung Dörries ist bislang immer noch die alte ‘communis opinio’ verbreitet
(z. B. Lilla 1992 [*39: 11]), nach der Stobaios im Anschluss an seinen Überblick
über die Dihairesis der Philosophie, wie Eudoros sie darlegt, auch dessen Ethik
weiter auffaltet (Stob. Ecl. 2,7,3, II,49,8–16 Wachsmuth). Falls dieser Passus in Sto­
baios tatsächlich auf Eudoros zurückgeht, wäre der erste im Mittelplatonismus
greifbare Beleg für die Formel von der «Angleichung an Gott» (ὁμοίωσις θεῷ) Eu-
doros zuzuschreiben (= fr. 25 Mazzarelli; zu einer Zuschreibung an Eudoros ten-
diert z. B. Dillon 1981 [*162: 13–17]). Auch der Passus, in dem von einer Überein-
stimmung zwischen Demokrit und Platon die Rede ist, wonach das «Glück»
(εὐδαιμονία) in der Seele liege, ist nicht zweifelsfrei auf Eudoros zurückzuführen
(Stob. Ecl. 2,7,3, II,52,13ff. Wachsmuth = fr. 28 Mazzarelli). Mazzarelli vermutet
lediglich in der bei Stobaios (2,7,3c–4a, II,47,1–56,23 Wachsmuth) erhaltenen weit-
gehend systematischen Darlegung über das «Ziel» (τέλος) bzw. «das Glück»
(εὐδαιμονία) die «Gliederung» (διαίρεσις) des Eudoros als verwendete Vorlage
(fr. 24–32 Mazzarelli). Gerade die in der Sekundärliteratur vielfach Eudoros zuge-
schriebene philologische Exegesemethode, schwierige Passagen aus Platons Werk
unter Zuhilfenahme anderer Stellen aus seinem Œuvre zu erklären (‘Platonem ex
Platone’), sowie die Verteidigung von Platons Stil als «vielstimmig» (πολύφωνος),
aber nicht etwa «reich an [diskrepanten] Lehren» (πολύδοξος), findet sich in die-
sen problematischen Stobaios-Passagen (vgl. fr. 30 Mazzarelli). Zu Recht mahnt
auch Bonazzi 2007 [*177: 366f.] (siehe auch bereits 2005 [*176]) zu großer Vorsicht
bei der Zuschreibung dieser unsicheren Textstellen an Eudoros. Faktum ist, dass
Sto­baios bzw. seine Quelle, die sicher nicht Areios Didymos war (vgl. Göransson
1995 [*587: 186–191, 219–227], Baltes 1996 [*621: 108], Gombocz 1997 [*40: 415
Anm. 2]), hier nicht auf Antiochos zurückgegriffen haben kann, da dieser nach
­Cicero (Fin. 5,26) noch ein gleichsam stoisches, immanentes Telos formulierte.
Daher geriet in der älteren Forschung schnell Eudoros in den Blick, wohl nicht zu-
letzt deshalb, da nun Sokrates, Platon und Pythagoras als übereinstimmende Phi-
losophen und Urheber der ‘ὁμοίωσις θεῷ-Formel’ erwiesen werden, wodurch wie-
derum die pythagoreisierende Tendenz des Verfassers Eudoros bestätigt zu werden
scheint (Trapp 2007 [*865: 353f.]). In diesem Stobaios-Passus, dessen zweifelsfreie
Zuschreibung an Eudoros anhand klarer Evidenzen allerdings erst noch zu leisten
ist, finden sich sämtliche der für Eudoros reklamierten Anschauungen und über-
haupt zum ersten Mal viele der bekannten mittelplatonischen Charakteristika (Me-
thode, Verteidigung von Platons Stil, Systematik, doxographisches Interesse), die
bis weit ins 3. Jahrhundert n. Chr. hinein identisch bleiben.

2. Seelenlehre

In seinem Kommentar zum ‹Timaios› schließt sich Eudoros an die Lehre Kran-
tors, des ersten Kommentators, dann auch an die des Xenokrates, mithin an die
Alte Akademie und die ersten Schüler Platons an. Er versucht eine Art Harmo-
nisierung der Auslegungen des Xenokrates – die Seele ist der Substanz nach eine
Zahl, die sich selbst bewegt – und des Krantor – die Seele ist eine Mischung aus

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560 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Intelligiblem und sinnlich Wahrnehmbarem – zum ‹Timaios› (35a), der Plutarch


nicht zustimmt (Theiler 1965 [*157: 204] vermutet hier Eudoros’ Kenntnis von
Tim. Lokr. 96b hinsichtlich der Seelenzahl). Eudoros, der allgemein Interesse an
Fragen der Beseelung – auch von Gestirnen – sowie an der engen Verflechtung
von Physik und Seelenlehre zeigt, meint, dass in beiden Erläuterungen etwas Plau-
sibles liege. Die erkennbare komplizierte Zahlenmystik verweist auf pythagore-
ische Quellen (Dillon 1981 [*162: 19]).

3. Prinzipienlehre und Physik

Eudoros bezieht auch Stellung zum pythagoreischen Monismus (vgl. «Das Eine
ist das Prinzip aller Dinge»: Philolaos 44 B 8 DK = Iambl. In Nic. 77,9f. Pistelli). Al-
lerdings stimmt Eudoros’ Monismus nicht mit dem Bericht des Alexander ­Polyhistor
überein (siehe Calvetti 1977 [*161: 6]). Eudoros hält die Lehre für pythagoreisch,
nach der das Eine die ἀρχή («Urgrund») von allem sei und dass es zugleich zwei
ἀρχαί gebe: das Eine und das ihm Entgegengesetzte, woraus sich das paradoxe Pro-
blem der beiden verschiedenen Einheiten ergibt (Simpl. In Phys. 181,7ff. Diels = fr.
3 Mazzarelli). Hierbei handelt es sich offenbar um ein Missverständnis des Eudoros
der pythagoreischen Lehre gegenüber, wenn er die pythagoreische ‘Monas’ für die
untergeordnete Ursache hält. Man könnte Eudoros’ Auffassung damit erklären,
dass er die ‘Henas’ als Höchstes von der ‘Monas’ unterscheiden will (Rist 1962
[*154: 391]; zur Unterscheidung von «Prinzip», ἀρχή, und «Element», στοιχεῖον,
siehe Bonazzi 2007 [*177: 369f.]). Eudoros’ monistische Metaphysik (Rist 1962
[*154: 394]) steht nur dem Anschein nach in Verbindung mit altpythagoreischer
Lehre, sie ist aber wohl weder alt noch pythagoreisch, sondern gehört vielmehr in
den altakademischen Kontext um Speusipp, Xenokrates und deren Schüler, die im
Rekurs auf Platon selbst das Prinzipienpaar ‘Monade’/‘Ahoristos Dyas’ postuliert
haben. Eudoros scheint also den Pythagoreern eine mit der sogenannten ‘Unge-
schriebenen Lehre’ Platons verwandte Prinzipienlehre zuzuschreiben (Moraux 1984
[*165: 510], Mansfeld 1988 [*169: 99–100], Bonazzi 2007 [*177: 368f.]; siehe auch Na-
politano 1985 [*166: 40–49] und v. a. 1985 [*167], Armstrong 1992 [*551]). Wenn er
das erste Prinzip als «Gott darüber» (ὁ ὑπεράνω θεός) ansieht (bei Simpl. In Phys.
181,19 Diels = fr. 4 Mazzarelli), ist dies letztlich eine theologische Interpretation,
was durchaus mit dem zeitgenössischen theologischen Interesse der sogenannten
Neupythagoreer seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. sowie dem Interesse an Platons ‘Un-
geschriebener Lehre’ in ps.-pythagoreischen Schriften dieser Zeit konvergiert (Bo-
nazzi 2002 [*172: passim, insb. 167]). Zu betonen ist jedoch, dass Eudoros seine
Lehre eines höchsten ersten Prinzips (das er auch ‘Gott’ nennt) wohl nach einer ei-
genen Interpretation des pythagoreisierenden ‹Timaios› entwickelt hat (so nach
Dörrie auch Bonazzi 2002 [*172: 170–174], Staab 2009 [*179: 68–70]) und dass er
somit als Wegbereiter für die mittelplatonische Theologie gelten darf: Der oberste
Gott kann nur in Negationen beschrieben werden (z. B. bei Alkinoos Did. 165,14ff.
Hermann). Eine solche Lehre vom höchsten kausalen Prinzip führt zu einem poin-
tierten Monismus ­(Dillon 1981 [*162: 18f.]).

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§ 49. Eudoros von Alexandrien (Bibl. 677–678) 561

Das Interesse des Eudoros an klimatologisch-geographischen sowie naturkund-


lichen Phänomenen (etwa Klimatheorien, Nilschwemme) stimmt bemerkenswer-
terweise mit Nachrichten beim sogenannten ‘Anonymus Photii’ (bei Phot. Bibl.
cod. 250, 441b), einem doxographischen Bericht über pythagoreische Lehren
(Thesleff 1965 [*824: 242]), überein.

4. Logik

Schwer zu beurteilen ist Eudoros’ intensive Kritik an den ‹Kategorien› des


Aristoteles (Moraux 1984 [*165: 520]; vgl. Chiaradonna 2009 [*178: 108]).

4. GESAMTWÜRDIGUNG

Die bei Eudoros greifbare Integration stoischer und aristotelisch-peripateti-


scher Terminologie und Methodik zur Erhellung platonischer Texte wirkt wegwei-
send für den Mittelplatonismus. In der älteren Forschung gilt er als eigentlicher
Initiator des Mittelplatonismus (Dillon 1981 [*162: 27f.]). Zeittypisch ist die ge-
rade auch bei Eudoros konstatierbare enge Verbindung von Platon und Pythagoras
bzw. (ps.-)pythagoreischen Schriften. Da viele Pseudepigrapha enge Parallelen
mit Eudoros’ bekannten Lehren aufweisen, bleibt nicht zuletzt angesichts der
schwierigen Quellenlage die Gefahr groß, alles Eudoros zuzuschreiben (Rist 1986
[*168: 468] warnt zu Recht vor einem ‘Paneudorismus’; ebenso Dillon 1981 [*162:
28]). Doch drängt sich die Vermutung auf, dass Eudoros wohl ein wichtiger Weg-
bereiter auch für das ps.-pythagoreische Schrifttum, etwa die Schriften eines Ti-
maios von Lokroi oder Ps.-Archytas (Szlezák 1972 [*826], Dillon 1981 [*162: 22]),
war. Die aristotelischen ‹Kategorien› scheint Eudoros jedoch nur als Kategorien
für die physische Welt zugelassen zu haben, er trennt sie deutlich von der intelli-
giblen Welt (vgl. später ebenso Plotin in seiner ‹Kategorien›-Kritik Enn. VI 1–3;
bereits der Platoniker Nikostratos folgte hierin Eudoros: Dillon 1981 [*162: 25f.]).
Ungeachtet der äußerst lückenhaften Überlieferung und der vielen ungelösten
Fragen ist Eudoros aus philosophiehistorischer Sicht in jedem Fall als einer der
ersten Repräsentanten der vor- oder frühkaiserzeitlichen Platon-Renaissance, d. h.
des nicht-skeptischen Platonismus, zu würdigen.

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562 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

§ 50. Derkylides

Irmgard Männlein-Robert

Beim Platoniker Derkylides verfügt man über keinerlei Lebensdaten oder Her-
kunftsangaben (sicherlich zu skeptisch hinsichtlich einer Zuordnung zu Akademie
oder Platonismus überhaupt ist Glucker 1978 [*26: 123]). Der Platoniker Albinos
erwähnt ihn zusammen mit Thrasyllos im Kontext jener Platoniker, die Platons
Schriften in Tetralogien (Vierergruppen) eingeteilt haben, und erwähnt als Bei-
spiel die Abfolge ‹Euthyphron›, ‹Apologie›, ‹Kriton› und ‹Phaidon› (Alb. Prol. 4).
Da Derkylides in diesem Kontext unmittelbar vor Thrasyllos genannt wird, gilt er
der älteren Forschung als dessen Vorläufer in der Tetralogienordnung (dagegen
argumentiert Tarrant 1993 [*215: 11–13], die Reihung der Namen spiegle keine
zeitliche Abfolge der Autoren wider). Mit Albinos’ Nachricht stimmt ein Passus
aus Varro überein (Ling. 7,37), in dem dieser, anspielend auf Platons ‹Phaidon›
(112a–114b), diesen Dialog als «vierten» deklariert, also die Einordnung des
‹Phaidon› als letzten Dialog einer Vierergruppe bereits kennt. Sollte diese Ein-
ordnung tatsächlich auf Derkylides zurückgehen, müsste er mindestens als Zeit-
genosse Varros (116–27 v. Chr.) oder sogar früher datiert werden (Alline 1915
[*149: 112–121]). Sicher ist einzig der Terminus ante quem, den ein Derkylides-­
Zitat des Theon von Smyrna aus dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. liefert (Exp.
rer. math. 198,11–207,7 Hiller; Dillon 1994 [*190]).
Derkylides verfasste ein umfangreiches Werk in elf Büchern ‹Über die Philo-
sophie Platons› (Περὶ τῆς Πλάτωνος φιλοσοφίας), aus dem Porphyrios später re-
feriert (bei Simpl. In Phys. 247,31ff. und 256,31f. Diels): Im Rahmen seiner Be-
handlung der Materie soll Derkylides auch einen Abschnitt aus einer Schrift des
Platonfreunds Hermodoros von Syrakus zitiert haben, der das Prinzip der Mate-
rie für «nicht seiend» hielt (οὐκ ὄν; de Vogel 1949 [*196: 301]). Möglicherweise
schrieb Derkylides auch einen Kommentar zu Platons ‹Politeia›. Dafür spricht ein
Zeugnis bei Theon von Smyrna, dem zufolge sich Derkylides mit dem astronomi-
schen Problem der Spindel der Notwendigkeit in Rep. 10 (616cf.) beschäftigt habe
(Exp. rer. math. 198,11–207,7 Hiller), außerdem zwei bei Proklos erhaltene Zeug-
nisse ebenfalls mathematisch-astronomischen Inhalts (Prokl. In Rep. II,24,6–15.
25,14–26 Kroll). Dabei könnte seine Formulierung «die im Kreis um Derkylides»
(οἱ περὶ Δερκυλλίδην) auch Schüler des Derkylides miteinbeziehen (ebd. II,25,14
Kroll). Eine Interpretation des Derkylides zum ‹Timaios› (17a) ist bei Proklos er-
halten (In Tim. I,20,9f. Diehl): Derkylides vermutet hier im abwesenden vierten
Gast Platon selbst. Anhand der erhaltenen Zeugnisse erweist sich Derkylides als
streng textbezogener Platoniker, bei dem offensichtlich mathematisch-astronomi-
sche Interessen im Vordergrund stehen, die eventuell auf pythagoreische Neigun-
gen zurückzuführen sind (vgl. Kroll 1905 [*189]).

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§ 51. T. Klaudios Thrasyllos (Bibl. 679) 563

§ 51. T. Klaudios Thrasyllos

Irmgard Männlein-Robert

Weder Geburtsort noch Geburtsjahr des bekannten Astrologen und Platoni-


kers Thrasyllos sind überliefert (ohne Beleg nennt Gundel 1936 [*202: 581] ihn
einen Alexandriner; Sammlung der Fragmente und Testimonien bei Tarrant 1993
[*215: 215–249]). Thrasyllos war ein enger Berater und Freund des möglicherweise
etwa gleichaltrigen Tiberius (geb. 42 v. Chr.), bereits bevor dieser 14 n. Chr. römi-
scher Kaiser wurde. Mehrere Anekdoten wurden kolportiert, welche die Treffsi-
cherheit der Prophezeihungen und astrologischen Vorhersagen des Thrasyllos an-
schaulich schildern (Tac. Ann. 6,20–21, v. a. 20,2f. = test. 5a Tarrant; Suet. Tib. 14,4
= test. 5e Tarrant; Cass. Dio 55,11,1–3 = test. 5b Tarrant; Anon. Byzant. ed.
­Cumont, CCAG 8.4, 99,7ff. = test. 5c Tarrant; zu Varianten siehe Krappe 1927
[*206], Cichorius 1922 [*205: 390ff.]). Seine astrologischen Verdienste bezeugen
auch Vettius Valens (9,10 = test. 24 Tarrant) und Porphyrios (Isag. Tetr. 189 = test.
25a Tarrant; ebd. 195 = test. 26a Tarrant). Vermutlich ist er mit dem Tiberius Clau-
dius Thrasyllos identisch, der von Tiberius das römische Bürgerrecht bekam, als
sich dieser vor seiner Adoption in einer Art Exil (6 v. Chr. – 2 n. Chr.) auf Rhodos
aufhielt (CIL III,7107 = IG 4,1392 = test. 8 Tarrant). Thrasyllos starb kurz vor Ti-
berius im Jahr 36 n. Chr. (Suet. Tib. 62,3 = test. 7d Tarrant; Cass. Dio 58,27,1 =
test. 7a Tarrant). Ein Juvenal-Scholion (ad Sat. 6,576 = test. 1a Tarrant) beschreibt
ihn als Platoniker: «Als ein Kenner vieler Wissenschaften hat er sich schließlich
der platonischen Philosophie und hierauf der Astrologie gewidmet, in welcher er
besonders bei Tiberius großen Einfluss hatte» («multarum artium scientiam pro-
fessus postremo se dedit Platonicae sectae ac deinde mathesi, in qua praecipue
­viguit apud Tiberium»). Es handelt sich dabei um die erste Bezeugung eines Ge-
lehrten und Philosophen als «Platonicus» (Platoniker), der nicht als Mitglied der
Schule Platons in einem engeren Sinne gelten darf (Glucker 1978 [*26: 123f., insb.
206]). Man nimmt Thrasyllos jedoch durchaus auch als einen Pythagoreer wahr
(Longinos bei Porph. Vit. Plot. 20,75 = fr. 11 Männlein-Robert). Möglicherweise
ist die für Thrasyllos konstatierte enzyklopädische Gelehrsamkeit (test. 10a–test.
18d Tarrant) der Grund dafür, dass er in der Sekundärliteratur mitunter als ‘Alex­
andriner’ deklariert wird. Darauf basieren nun Überlegungen, ihn mit dem viel-
seitigen Gelehrten Thrasyllos aus Mendes (im Nil-Delta) zu identifizieren, den
Ps.-Plutarch erwähnt (Fluv. 11,4,1–5 = test. 11a Tarrant; ebd. 16,2,1–10 = test. 11b
Tarrant = Thras. Mendesius fr. 1 und 2 Müller). Jener soll eine Schrift mit dem
Titel ‹De lapidibus›, also über die magische Kraft von Steinen in enger Verbindung
mit Astrologie und Astromagie, und ‹Aegyptiaca› verfasst haben (test. 11a–12 Tar-
rant). Vermutlich handelt es sich bei dem gefeierten Astrologen Tiberius Claudius
Balbillus um einen Sohn des Thrasyllos (vgl. Tac. Ann. 6,22 = test. 9a Tarrant; für
Zeugnisse bezüglich einer möglichen Tochter siehe test. 9b Tarrant).
Der Name des Thrasyllos wird vor allem mit der Ordnung der Schriften Pla-
tons (Dialoge und Briefe) in Tetralogien (Vierergruppen) in Verbindung gebracht,

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564 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

die nach Thrasyllos auf Platon selbst zurückgeht (D. L. 3,47–66 = test. 22 Tarrant).
Bereits dem alexandrinischen Philologen Aristophanes von Byzanz (ca. 257–180
v. Chr.) wird eine Organisation des platonischen Œuvre (d. h. eigentlich nur der
Dialoge) in fünf Gruppen zu je drei Dialogen zugeschrieben, die durchaus eine
gewisse Systematik verrät (ausführlich D. L. 3,49–51. 61–62; Chroust 1965 [*208],
Lucarini 2010/11 [*217]). Thrasyllos soll also in Anlehnung an solche Gruppie­
rungen, möglicherweise an ältere Tetralogiemodelle, Platons Schriften in neun
­Tetralogien gegliedert und somit eine ‘dramatische’ Grundstruktur konstruiert
haben, welche durch ‘philosophische’ Gruppenbildungen weiter differenziert
wurde (D. L. 3,56. 58f.; maßgeblich dazu Mansfeld 1994 [*216: 58–107, insb. 59–
71]). In der älteren Forschung wurde eine Ordnung der platonischen Dialoge in
Tetralogien bereits in der Alten Akademie vermutet (z. B. Wilamowitz-Moellen-
dorff 1920 [*204: 324], Pfeiffer 1968 [*210: 196f.]), welche die neuere Forschung in
Anlehnung an Hermann 1853 [*201: 13] hingegen überwiegend erst ins 1. Jahr-
hundert v. Chr. datiert (seit Usener 1892 [*203], Alline 1915 [*149: 113]; Überblick
bei Dunn 1976 [*212: 75f.]). Meist wird sie Thrasyllos, manchmal aber auch Varro
(Ling. 7,37), dem berühmten Grammatiker Tyrannion von Amisos (so Usener
1892 [*203: 214], Chroust 1965 [*208: 44–46]) oder Derkylides (Alb. Prol. 4) zu-
geschrieben. Auf jeden Fall weist diese Tetralogienordnung die Sinnstruktur eines
intendierten Curriculums auf (Dunn 1976 [*212]). Überdies schreibt die antike
Philosophiegeschichte, wenn auch wohl zu Unrecht, Thrasyllos die Verwendung
von Doppel­titeln für Platons Dialoge zu (Mansfeld 1994 [*216: 71–74]): Demnach
umfasst der Titel stets den Eigennamen einer Dialogfigur sowie das Thema des
Dialogs (D. L. 3,57; vgl. Hoerber 1957 [*207]). Thrasyllos soll seiner systema­
tischen Platon-Ausgabe sowohl eine Biographie Platons, mit einem Stammbaum
bis zum Gott Poseidon (D. L. 3,1 = test. 21 Tarrant), sowie eine generelle Vorrede
(‹Prolegomena zur Lektüre der Dialoge Platons›) vorangestellt haben (D. L. 3,47–
66). Tarrant 1993 [*215: 17–30] postuliert für einen großen Teil dieses Passus bei
Diogenes Laertios die Autorschaft des Thrasyllos, dem er außerdem auch die pla-
tonischen Briefe 2, 6 und 7 zuweisen möchte, was sicherlich zu spekulativ ist. Thra­
syllos soll ebenfalls eine vollständige Edition der Werke Demokrits, dessen Nähe
zu den Pythagoreern er unterstreicht, erstellt, diese gleichfalls nach Tetralogien
geordnet und mit einem generellen Vorwort (‹Prolegomena zur Lektüre der Bü-
cher des Demokrit›) versehen haben (D. L. 9,41 = test. 18a Tarrant; ebd. 9,46–49
= test. 18d Tarrant). Porphyrios nennt Thrasyllos im selben Kontext wie die plato-
nischen Neupythagoreer Moderatos, Numenios und Kronios, er könne sich hin-
sichtlich intellektueller Akribie jedoch wie diese nicht mit Plotin messen (Porph.
Vit. Plot. 20f. = test. 19a Tarrant). Er soll ferner über die ersten Prinzipien bei
­Pythagoras und Platon geschrieben haben (ebd.).
Möglicherweise hat Thrasyllos eine Logos-Theologie vertreten, die in einem
Passus von Porphyrios’ Ptolemaios-Kommentar greifbar wird (In Harm. 11–15
Düring, ebd. 12,21). Ganz ähnlich wie Philon von Alexandrien schreibt Thra­syllos,
wenn denn der Passus tatsächlich seine Lehre wiedergibt, dem Logos die Rolle
des Demiurgen zu, der im Dienste eines höchsten Gottes agiert, was als Beleg für
stoisierenden Platonismus bzw. Neupythagoreismus gelten darf (so Tarrant 1993

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 565

[*215: 108–147]; siehe auch Dörrie 1981 [*213]). Eventuell ordnet Thra­syllos den
12. Brief, der Platon zugeschrieben wird, aber wohl neupythagoreischer Proveni-
enz des 1. Jahrhunderts v. Chr. ist, in seine neunte Tetralogie der Platon-Schriften
ein (Rist 1965 [*209]). Theon von Smyrna beruft sich vielfach auf Thra­syllos als
vorbildliche Autorität insbesondere der Harmonik (z. B. Exp. rer. math. 47,18;
85,8; 87,8; 93,8 und v. a. 205,5 Hiller). Möglicherweise stehen die für Thra­syllos
konstatierten neupythagoreischen Tendenzen in Zusammenhang mit der erwähn-
ten Tradition der tetralogischen Anordnung der Platon-Dialoge, wobei in diesem
Fall pythagoreische Zahlenmodelle eine entsprechende Substruktur unter Platons
Text legen würden (vgl. Mansfeld 1994 [*216: 65]). Ob das Viererschema außer-
dem von der vorsokratischen Spekulation etwa eines Empedokles (Erde, Feuer,
Wasser, Luft), die stoisch vermittelt worden wäre (Chrysipp fr. 413, II,137,7–11
SVF; siehe Varro Ling. 5,14–104; Chroust 1965 [*208: 45]), mitangeregt ist, bleibt
ohne neue Textevidenz eine offene Frage.

§ 52. Plutarch von Chaironeia

Franco Ferrari

1. Leben. – 2. Die philosophischen Schriften. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Plutarch wurde um 45 n. Chr. in Chaironeia, Böotien, geboren, wo er kurz nach


120 auch starb (in den ‹Chroniken› des Eusebios wird er im Jahr 119 als lebend
angegeben). Er entstammte einer angesehenen Familie und genoss eine Aus­
bildung auf hohem Niveau, in der Rhetorik, Philosophie, Mathematik und Natur-
wissenschaften im Zentrum standen. Er heiratete Timoxena, mit der er fünf Kin-
der hatte, vier Knaben und ein Mädchen, von denen nur zwei (Autobulos und
Plutarch) das Erwachsenenalter erreichten (ihnen ist ‹De animae procreatione›
gewidmet: 1012a). Plutarch spielte eine herausragende Rolle in seiner Geburts-
stadt, in der er wichtige öffentliche Ämter bekleidete, und zwar sowohl in der
­Heimat als auch als Botschafter im Ausland. Bereits in jugendlichem Alter nahm
er an einer wichtigen diplomatischen Gesandtschaft zum Prokonsul der Provinz
Achaia teil (Praec. ger. reip. 816d–e; Ziegler 1951 [*251: 653]). Er war aber auch
bereit, seiner Vaterstadt weniger bedeutende Dienste zu leisten (Praec. ger. reip.
811b–c).

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566 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Zahlreiche Informationen zu seinem Leben können aus Plutarchs eigenen Wer-


ken gewonnen werden. Er reiste viel und hatte enge Kontakte zu wichtigen Per-
sönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens seiner Zeit (Brenk 1987
[*357: 252–254]), von denen einige als Protagonisten in seinen Schriften auftreten.
Er studierte in Athen beim Platoniker Ammonios (De E 387f; Opsomer 2009
[*258]) und blieb immer in regem Kontakt mit der Hauptstadt Attikas, die ihm –
als er berühmt geworden war – das Ehrenbürgerrecht verlieh (Swain 1997 [*254:
175–181]). Während seines ganzen Lebens blieb er dem Apollon-Heiligtum in Del-
phi eng verbunden, das nicht weit von Chaironeia entfernt liegt (An seni rep. 792f;
dazu Feldmeier 1998 [*368: 413f.]); Plutarch übernahm dort bedeutende religiöse
Aufgaben und wurde schließlich Priester des Tempels (Quaest. conv. 8,2, 700e).
Bekanntlich besuchte er zahlreiche griechische Städte, darunter Sparta, und die
wichtigsten Austragungsorte der Spiele. Er war zweimal (vielleicht auch öfter) in
Rom, wo er die Interessen Chaironeias vertrat und auch Vorträge zu philosophi-
schen Themen hielt (De curios. 522d–e). Ziemlich sicher hielt er sich auch in an-
deren Städten Italiens auf und hielt Vorträge (Demosth. 2,2). Seine guten Bezie-
hungen zum Kaiserhaus lässt die Tatsache erkennen, dass Trajan ihm die
konsularische Würde verlieh (Suda IV,150,27–29 Adler; dazu Ziegler 1951 [*251:
657f.], Stadter, Van der Stockt 2002 [*256] und Frazier 2012 [*259: 1112–1115]).
Neben seinen politisch-diplomatischen und den mit Delphi verbundenen reli-
giösen Ämtern ging Plutarch in Chaironeia einer intensiven Lehrtätigkeit nach,
wobei er als Privatmann Schüler und Freunde bei sich empfing, mit denen er lite-
rarische, philosophische und wissenschaftliche Themen diskutierte (Ziegler 1951
[*251: 639–665], Dillon 21996 [*25: 185f.]).

2. DIE PHILOSOPHISCHEN SCHRIFTEN

Plutarch gehört zu den paganen Autoren grie- doch ist er unvollständig, da darüber hinaus
chischer Sprache, von denen ein besonders um- Schriften bekannt sind, die nicht im Katalog er-
fangreiches Corpus überliefert ist. Er war der Ver- wähnt werden. Viele der überlieferten Werke be-
fasser der berühmten ‹Parallelbiographien›, einer rühren in direkter oder indirekter Weise Themen
Sammlung paarweise angeordneter Lebens­ philosophischer Natur. Dabei behandelt der
beschreibungen berühmter Persönlichkeiten der größte Teil moralische Fragestellungen, die in
griechischen und römischen Welt. Daneben ver- einem der kynisch-stoischen Diatribe ähnlichen
fasste er eine lange Reihe von Werken unterschied- Stil angegangen werden. Gut zwanzig der erhalte-
lichen Inhalts, die von der Tradition als ‹Moralia› nen Werke zeichnen sich dagegen durch ein be-
(Ἠθικά) bezeichnet wurden, da sich ein großer Teil merkenswertes philosophisches Interesse aus und
dieser Schriften um ebendiese Thematik dreht können den wichtigsten Zeugnissen der mittel­
(Frazier 2012 [*259: 1124–1144]). Von diesem na- platonischen Philosophie zugerechnet werden
hezu grenzenlosen Gesamtwerk ist weniger als die (eine Beschreibung des Inhalts der ‹Moralia› in
Hälfte überliefert, nämlich 23 Paare der ‹Parallel- Ziegler 1951 [*251: 719–890]).
biographien›, 4 einzelne Viten und 78 moralische Von den überlieferten Schriften sind zwei spe-
Werke (zur Datierung vgl. Jones 1966 [*252]). zifisch der Auslegung der platonischen Philoso-
Ebenfalls überliefert ist ein Katalog der plutar- phie oder einiger ihrer Aspekte gewidmet. Es sind
chischen Werke, der möglicherweise ins 3. oder dies ‹De animae procreatione in ‘Timaeo’› (Περὶ
4.  Jahrhundert zurückgeht und ‘Lamprias-Kata- τῆς ἐν Τιμαίῳ ψυχογονίας, ‹Über die Erschaffung
log’ genannt wird. Dieser zählt die Titel der Werke der Seele im Timaios›), eine Monographie, die sich
Plutarchs auf, von denen viele verloren gingen, mit dem Abschnitt 35a1–36b5 des ‹Timaios› be-

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 567
schäftigt, in dem der Aufbau und die Einteilung ­ olitischen Leben fernzuhalten (Hershbell 1992
p
der Weltseele behandelt wird (dazu Helmer 1937 [*282] und Roskam 2007 [*421]).
[*405], Thévenaz 1938 [*406], Hershbell 1987 Drei der überlieferten Schriften behandeln
[*410], Ferrari 1999 [*315], Ferrari, Baldi 2002 ­Aspekte des delphisch-apollinischen Kultes. Auch
[*240] und Opsomer 2004 [*320]), und die ‹Plato- sie enthalten zahlreiche Ansatzpunkte philosophi-
nicae quaestiones› (Πλατωνικὰ ζητήματα, ‹Plato- schen Interesses (Babut 1992 [*312]). In ‹De defectu
nische Fragestellungen›), eine Sammlung von oraculorum› (Περὶ τῶν ἐκλελοιπότων χρηστηρίων,
10  Fragestellungen im Zusammenhang mit der ‹Über die erloschenen Orakel›), einem der viel-
Auslegung einzelner Stellen oder mit der Gegen- schichtigsten und besonders geglückten Dialoge
überstellung verschiedener Passagen aus den pla- Plutarchs, geht der Autor das Problem des Versie-
tonischen Dialogen (Romano 1965 [*407] und Op- gens der Orakel an und in der Diskussion dieser
somer 1996 [*412]). In diesen zwei Werken legt Problematik berührt er wichtige Fragestellungen
Plutarch bemerkenswerten philosophischen religiöser, kultischer, physisch-kosmologischer
Scharfsinn und eine profunde Kenntnis der plato- und philosophischer Art. Von besonderer Bedeu-
nischen Dialoge an den Tag (Ferrari 2000 [*317]). tung erweisen sich seine Aussagen über die Natur
Plutarch verfasste zahlreiche Werke polemi- der Dämonen, auf welche die Mantik zurückge-
scher Natur, die sich gegen die rivalisierenden Phi- führt wird (Timotin 2012 [*110: 165–171, 194–
losophenschulen richteten, vor allem gegen die 198]). Der Dialog schließt mit einer Darlegung der
Stoa und den Epikureismus. Gegen die Stoiker platonischen Lehre der zwei Ursachen: einer ra­
schrieb er ‹De Stoicorum repugnantiis› (Περὶ tionalen und göttlichen (welche die Zweck- und
Στοϊκῶν ἐναντιωμάτων, ‹Über die Widersprüche die Wirkursache umfasst) und einer notwendigen
der Stoiker›), wo er zu zeigen suchte, dass die (welche die Material- und die Instrumentalursa-
­L ebensweise der Stoiker im Widerspruch zu ihren che umfasst). Da das Erlöschen der Orakel nicht
Lehren stehe, was dem Verrat an einer grund­ mit einer Entscheidung der Gottheit in Verbin-
legenden Regel der Philosophie, nämlich der For- dung gebracht werden kann, hängt es von der Ab-
derung nach Übereinstimmung zwischen Leben nahme der Wirkkraft der notwendigen Ursache ab
und Lehre, gleichkomme. Ebenfalls gegen die Sto- (Donini 1992 [*313], Babut 1994 [*359] und Resci-
iker wendet sich ‹De communibus notitiis adver- gno 1995 [*238]). Ebenfalls den Orakeln und der
sus Stoicos› (Περὶ τῶν κοινῶν ἐννοιῶν πρὸς τοὺς Mantik gewidmet ist der Dialog ‹De Pythiae ora-
Στοϊκούς, ‹Über die allgemeinen Vorstellungen culis› (Περὶ τοῦ μὴ χρᾶν νῦν ἔμμετρα τὴν Πυθίαν,
gegen die Stoiker›), wo Plutarch in aller Schärfe ‹Über die nicht mehr metrisch gebundenen Orakel
gegen Chrysipp polemisiert und ihn bezichtigt, der Pythia›), in dem Plutarch das Problem angeht,
Lehren zu vertreten (hauptsächlich in den Berei- weshalb die pythischen Orakel nicht mehr in Vers-
chen Logik, Ethik und Theologie), die im offenen form formuliert werden. Im Verlaufe des Dialogs
Widerspruch zu den allgemeinen Annahmen und eröffnen sich interessante Probleme hinsichtlich
dem gesunden Menschenverstand stehen (Babut des Status der Weissagung (Schröder 1990 [*235]
1969 [*268: 22–69], Hershbell 1992 [*283]). und Ferrari 2000 [*371]).
Einige Werke sind der Kritik an der epikurei- Der wichtigste der delphischen Dialoge ist
schen Philosophie gewidmet. Die wichtigste dieser zweifellos ‹De E apud Delphos› (Περὶ τοῦ Ε τοῦ ἐν
Schriften ist sicherlich ‹Adversus Colotem› (Πρὸς Δελφοῖς, ‹Über das E in Delphi›), der auch eines
Κωλώτην, ‹Gegen Kolotes›), eine Polemik gegen der aus philosophischer Sicht anspruchsvollsten
eine Schrift des Epikureers Kolotes, in der ihrer- Werke Plutarchs darstellt. Die Schrift gibt ein Ge-
seits die Philosophen, die nicht der epikureischen spräch wieder, das während der Reise Neros nach
Schule angehören, angegriffen wurden (dazu Op- Griechenland (66–67 n. Chr.) beim Apollon-Tem-
somer 1998 [*41: 84–105], Bonazzi 2003 [*46: 219– pel in Delphi stattgefunden hat. Die Gesprächs-
232] und Kechagia 2011 [*429]). Ebenfalls gegen teilnehmer, die von Ammonios, dem Lehrer
den Epikureismus richten sich die zwei Schriften Plutarchs, angeführt werden, wollen die Bedeu-
‹Non posse suaviter vivi secundum Epicurum› tung des Buchstabens E ergründen, der auf der
(῞Οτι οὐδ’ ἡδέως ζῆν ἔστιν κατ’ Ἐπίκουρον, ‹Dass Stirnseite des Apollon-Tempels angebracht ist.
die Lehre Epikurs sogar ein angenehmes Leben Vor der Abschlussrede des Ammonios, der die Lö-
unmöglich macht›) und ‹De latenter vivendo› sung des Rätsels um das E liefert, tragen die ande-
(Περὶ τοῦ λάθε βιώσας, ‹Über das ‘Lebe im Ver- ren Dialogteilnehmer, unter ihnen auch Plutarch
borgenen’›), in denen Plutarch gegen die ethischen selbst (in der Rolle des jungen Schülers des Am-
Lehren der Epikureer polemisiert, und zwar in monios), Lösungsvorschläge vor, die unterschied-
erster Linie gegen die Aufforderung, sich vom liche philosophische Standpunkte zum Ausdruck

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568 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

bringen, in erster Linie den stoischen (basierend stellt (Scholten 2009 [*422]). In der Schrift ‹De
auf der Dialektik und dem hypothetischen Syllo- ­superstitione› (Περὶ δεισιδαιμο­νίας, ‹Über den
gismus) und den pythagoreischen (basierend auf Aberglauben›) betont Plutarch die Gefahr des
der mathematischen Welterklärung). Die Antwort Aberglaubens, die sogar noch größer sei als die
des Ammonios besteht im Verweis auf die ontolo- des Atheismus.
gische und theologische Bedeutung des Buchsta- Eine besondere Erwähnung verdient der um-
bens E. Diese beruht auf der Grußformel, mit der fangreiche Traktat ‹De Iside et Osiride› (Περὶ
sich die Kultanhänger beim Betreten des Tempels Ἴσιδος καὶ Ὀσίριδος, ‹Über Isis und Osiris›), in
an den Gott wenden: Der Buchstabe soll die dem Plutarch zu zeigen beabsichtigt, dass zwi-
zweite Person Singular des Verbs Sein bezeichnen schen dem ägyptischen Mythos von Isis und Osiris
(εἶ = du bist), ein Ausdruck, mit dem der Gottheit und der philosophischen Auffassung, die in Pla-
die absolute ontologische Vollkommenheit zuge- tons Dialogen und insbesondere im ‹Timaios› dar-
schrieben werde. Ammonios setzt dabei das plato- gelegt wird, zahlreiche Analogien bestehen.
nische Sein (τὸ ὄντως ὄν) mit der Gottheit (θεός) Gemäß Plutarch vertreten sowohl die griechische
gleich, womit er eine Position vorwegnimmt, die Philosophie (von den Vorsokratikern bis Platon
unter den mittelplatonischen Philosophen weite und Aristoteles) als auch der ägyptische Mythos
Verbreitung erlangen sollte (Whittaker 1969 [*322], eine dualistische Auffassung, die durch den Ge-
Donini 1986 [*275: 107–110], Opsomer 2009 [*258: gensatz zwischen einem Prinzip der Ordnung und
147–174] und Ferrari 2010 [*300]). der Vernunft (Osiris, der Demiurg, die gute Seele)
In einigen literarisch besonders ausgefeilten und einem Prinzip der Unordnung (Typhon, die
Schriften behandelt Plutarch auf indirekte Weise böse Seele) charakterisiert wird (Griffiths 1970
wichtige philosophische Fragen, die innerhalb [*234], Vernière 1977 [*355], Brenk 2001 [*372],
narrativer, wissenschaftlicher und bisweilen auch Richter 2001 [*416], Hirsch-Luipold 2002 [*319:
ziemlich komplexer mythologischer Zusammen- 174–224] und Timotin 2012 [*110: 179–190]).
hänge auftauchen. Erwähnenswert unter diesen Plutarchs wichtigstes ethisches Werk ist der Trak-
Schriften ist ‹De facie in orbe lunae› (Περὶ τοῦ ἐν tat ‹De virtute morali› (Περὶ τῆς ἠθικῆς ἀρετῆς,
τῇ σελήνῃ φαινομένου προσώπου, ‹Über das im ‹Über die moralische Tugend›), in dem der Autor
Mond erscheinende Gesicht›), in der – sowohl aus gegen den psychologischen Monismus und den
wissenschaftlicher (Optik und Kosmologie) als ethischen Rigorismus der Stoiker polemisiert und
auch aus mythologischer Perspektive – das Wesen die Grundzüge einer dreiteiligen Seelenlehre pla-
und Aussehen des Mondes behandelt werden tonischer Prägung sowie einer auf dem Prinzip der
(Görgemanns 1970 [*408] und Donini 2011 [*243]). «Kontrolle der Leidenschaften» beruhenden Ethik
Ebenfalls von großem Interesse ist der ‹Amato- (μετριοπάθεια; Babut 1969 [*233]) skizziert. Unter
rius› (᾿Ερωτικός, ‹[Dialog] über die Liebe›), in dem den äußerst zahlreichen Schriften zu ethisch-mo-
Plutarch, ausgehend von einer komplizierten Er- ralischen Themen seien außerdem ‹De tranquilli-
zählung eines konkreten Ereignisses (eine junge tate animi› (Περὶ εὐθυμίας, ‹Über die Seelen-
Witwe, die sich in einen noch jüngeren Mann ver- ruhe›), ‹De cohibenda ira› (Περὶ ἀοργησίας, ‹Über
liebt), das Wesen des Eros diskutiert (Rist 2001 die Mäßigung des Zorns›), ‹De garrulitate› (Περὶ
[*417], Görgemanns 2005 [*419], Görgemanns et ἀδολεσχίας, ‹Über die Geschwätzigkeit›), ‹De cu-
al. 2006 [*241], Opsomer 2007 [*420]). Sehr viel- riositate› (Περὶ πολυπραγ­μοσύνης, ‹Über die Neu-
schichtig präsentiert sich außerdem der Aufbau gierde›), ‹De vitioso pudore› (Περὶ δυσωπίας,
der Schrift ‹De genio Socratis› (Περὶ Σωκράτους ‹Über falsche Scham›), ‹De invidia et odio› (Περὶ
δαιμονίου, ‹Über das Daimonion des Sokrates›), φθόνου καὶ μίσου, ‹Über Neid und Hass›) und ‹De
in der die Thematik des sokratischen Daimons mit laude ipsius› (Περὶ τοῦ ἑαυτὸν ἐπαινεῖν ἀνεπιφθό­
der Schilderung der Verschwörung der thebani- νως, ‹Über unanstößiges Eigenlob›) erwähnt, die
schen Demokraten im Jahr 379 verwoben wird alle Anweisungen zur Mäßigung der einzelnen
(Donini 2007 [*297] und Timotin 2012 [*110: 244– Laster enthalten (Ingenkamp 1971 [*384] und Van
259]). Auch die Schrift ‹De sera numinis vindicta› Hoof 2010 [*400]).
(Περὶ τῶν ὑπὸ τοῦ θείου βραδέως τιμωρουμένων, Zahlreich sind ferner die Schriften wissen-
‹Über die späten Bestrafungen durch die Gott- schaftlichen Inhalts, in denen Bezugnahmen auf
heit›) enthält zahlreiche Fragestellungen von phi- bedeutende philosophische Auffassungen erschei-
losophischer Bedeutung innerhalb eines Dialogs, nen. Hervorzuheben ist – abgesehen von den
welcher der Ursache der zeitlichen Verzögerung ‹Quaestiones convivales› (Συμποσιακά, ‹Themen
der göttlichen Strafe gewidmet ist und der daher rund ums Symposion›), einer Sammlung von
eine Verteidigung der göttlichen Vorsehung dar- Tischgesprächen unterschiedlichen Inhalts – ‹De

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 569
primo frigido› (Περὶ τοῦ πρώτως ψυχροῦ, ‹Über wird: als Substanz (οὐσία) und als Tätigkeit
das primär Kalte›), in dem die Diskussion des (ἐνέργεια). Als Substanz wird das Fatum mit der
­Wesens der Kälte den Verfasser dazu bringt, ab- Weltseele identifiziert, die in drei Teile unterteilt
schließend die Frage nach der Gültigkeit des skep- wird – den unbeweglichen, den «umherirrenden»
tisch-akademischen Prinzips der Urteilsenthal- (planetarischen) und jenen Teil, der sich unterhalb
tung anzugehen (Donini 1986 [*274: 209–212], des Himmels in der irdischen Region befindet –,
Boys-Stones 1997 [*413] und Opsomer 1998 [*41: die mit den drei Moiren gleichgesetzt werden:
213–221]). Klotho, Atropos, Lachesis. Wahrscheinlich ent-
Der Lamprias-Katalog erwähnt außerdem die spricht diese Einteilung einer Dreiteilung der
Titel zahlreicher weiterer verloren gegangener Wirklichkeit in den intelligiblen Bereich, den Be-
Schriften, die philosophische Themen behandel- reich der Sterne und den irdischen Bereich. Als
ten. Zu den interessantesten gehörten wohl: ‹Über Tätigkeit wird das Fatum mit dem göttlichen und
die fünfte Substanz› (Περὶ τῆς πέμπτης οὐσίας, n. unverletzlichen Gesetz identifiziert, das alle Er-
44), in der die aristotelische Auffassung des Äthers eignisse im Universum bestimmt. Das Werk geht
diskutiert wurde; ‹Einführung über die Seele in die Probleme an, die sich im Zusammenhang mit
drei Büchern› (Περὶ ψυχῆς εἰσαγωγῆς βιβλία γʹ, n. der Einnahme einer deterministischen Perspek-
48), in der möglicherweise die Dreiteilung der tive stellen, und versucht, der individuellen Frei-
Seele vertreten wurde; ‹Über die Einheit der Aka- heit wenigstens einen Randbereich zu sichern. Der
demie seit Platon› (Περὶ τοῦ μίαν εἶναι τὴν ἀπὸ Autor dürfte wohl ein für aristotelische (und stoi-
τοῦ Πλάτωνος Ἀκαδήμειαν, n. 63), worin Plutarch sche) Einflüsse offener Platoniker der zweiten
seine Auffassung der Geschichte des Platonismus Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. gewesen sein
skizzierte und gegen jene polemisierte, die den (Valgiglio 1993 [*237]).
Skeptizismus als der platonischen Tradition voll- ‹De placitiis philosophorum› (Περὶ τῶν ἀρεσ­
kommen fremd betrachteten; ‹Über den Unter- κόντων φιλοσόφοις φυσικῶν δογμάτων, ‹Über die
schied zwischen den Pyrrhoneern und den Akade- Lehrmeinungen der Philosophen zur Naturphilo-
mikern› (Περὶ τῆς διαφορᾶς τῶν Πυρρωνείων καὶ sophie›) ist eine doxographische Schrift in fünf Bü-
Ἀκαδημαϊκῶν, n. 64), in welcher der moderate chern, die sich formal als eine von den ‹Placita› des
Skeptizismus der Akademiker dem radikalen und Aëtios hergeleitete «Zusammenfassung» (ἐπιτομή)
übertriebenen Skeptizismus der Pyrrhoneer ge- darstellt. Sie wurde von Eusebios in den Büchern
genübergestellt wurde; ‹Über Platons Auffassung, XIV und XV der ‹Praeparatio evangelica› sowie
die Welt sei entstanden› (Περὶ τοῦ γεγονέναι κατὰ von Ps.-Galen verwendet und von Qusta Ibn Lûqâ
Πλάτωνα τὸν κόσμον, n. 66), in der Plutarch für ins Arabische übersetzt; außerdem wurde sie unter
die wörtliche Auffassung der Weltentstehung des anderen von Athenagoras, Irenäus, Ps.-Justin
‹Timaios› argumentierte; ‹Wo die Ideen sind› (Ποῦ (Markell von Ankyra?), Kyrill von Alexandrien,
εἰσιν αἱ ἰδέαι, n. 67), ‹Wie die Materie an den Theodoret und zahlreichen byzantinischen Auto-
Ideen teilhat, insofern sie die ersten Körper ren verwendet (Mansfeld, Runia 1997 [*414: 121–
schafft› (Πῶς ἡ ὕλη τῶν ἰδεῶν μετείληφεν, ὅτι τὰ 195]). Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie für die
πρῶτα σώματα ποιεῖ, n. 68) und ‹Über die Mate- Rekonstruktion der ‹Placita› des Aëtios eine wich-
rie› (Περὶ ὕλης, n. 185), in denen wahrscheinlich tige Rolle spielt. Unklar ist, weshalb diese Schrift
die Konzeption der Materie des ‹Timaios› disku- Plutarch zugeschrieben wurde: Entweder wurde
tiert wurde; ‹Über den Leitspruch: ‘Erkenne dich sie von einem Namensvetter des Autors der ‹Mora-
selbst’› (Περὶ τοῦ γνῶθι σαυτόν, n. 177), in der einige lia› verfasst und so in dessen Corpus eingefügt
Themen, die bereits in ‹De E› behandelt wurden, oder sie wurde Plutarch zugewiesen mit dem Ziel,
wieder aufgenommen wurden; ‹Welches ist das ihr ein größeres Ansehen zu geben (Mansfeld,
höchste Gut nach Platon?› (Τί κατὰ Πλάτωνα Runia 1997 [*414: 122–125]).
τέλος, n. 221), in der die unterschiedlichen Formu- Erwähnung verdient schließlich ‹De musica›
lierungen des höchsten Gutes, die sich in den pla- (Περὶ μουσικῆς, ‹Über die Musik›), ein mit großer
tonischen Dialogen finden, diskutiert wurden. Wahrscheinlichkeit apokrypher Dialog, der be-
Auch einigen der unechten Schriften, die der deutenden Einfluss auf die musikalische Tradition
Tradition nach Plutarch zugeschrieben werden, der Antike und des Mittelalters ausübte. Diese
kommt eine gewisse philosophische Bedeutung Schrift enthält reiche historische Informationen
zu. Bei ‹De fato› (Περὶ εἱμαρμένης, ‹Über das und unterstreicht die erzieherische Funktion der
Schicksal›) handelt es sich um eine interessante Musik aus einer platonisch-pythagoreischen Pers-
Abhandlung zum Thema der εἱμαρμένη, die von pektive (Gamberini 1979 [*409: 143ff.] und Las-
zwei unterschiedlichen Perspektiven aus analysiert serre 1954 [*232]).

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570 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

3. LEHRE

1. Allgemeine philosophische Haltung. – 2. Theologie und Ontologie. – 3. Prinzipienlehre und Seelenlehre.


– 4. Kosmologie. – 5. Ethik und Politik.

1. Allgemeine philosophische Haltung

Wie die meisten Platoniker seiner Zeit war Plutarch davon überzeugt, dass die
philosophische Wahrheit bereits in den Werken Platons enthalten sei. Bisweilen
werde sie explizit formuliert, in anderen Fällen werde sie in rätselhafter Form ge-
äußert und müsse daher mithilfe der Textexegese deutlich gemacht werden (De
Iside 370e–f; De def. or. 420f; dazu Hadot 1987 [*61: 23] und Dörrie, Baltes 1993
[*8: III 162]). Im Allgemeinen teilt Plutarch mit den anderen mittelplatonischen
Philosophen die Überzeugung, dass Platons Denken propositiv, d. h. ‘dogmatisch’,
kohärent und systematisch sei. Er schreibt Platon eindeutige Lehren in den Berei-
chen Metaphysik, Psychologie, Physik, Kosmologie, Ethik, Politik und Logik zu.
Um Platons Philosophie zu rekonstruieren, bedient er sich auch Lehren, die von
anderen Schulen stammen, insbesondere des Aristotelismus und des Pythagoreis-
mus (Donini 1986 [*274] und 1986 [*275], Ferrari 2000 [*290: 109ff.] und Karama-
nolis 2006 [*48: 85–126]). Im Unterschied zu vielen Mittelplatonikern versucht er
jedoch auch, die skeptisch-akademische Tradition in den Platonismus zu integrie-
ren (Opsomer 1998 [*41: 127–212], Donini 2003 [*1031] und 2007 [*297]). Dies
­betrifft zwei Elemente: 1) die radikale Kritik an der auf sinnlicher Wahrnehmung
beruhenden Erkenntnis, deren Unbeständigkeit keine Form der Festlegung und
damit auch der Erkenntnis zulässt (De E 392b–e); diese Einsicht kann einen her-
vorragenden Ausgangspunkt für den Weg zur Erkenntnis der höheren Sphäre der
Realität darstellen, wo sich das wahre Sein und die Gottheit befinden (Bonazzi 2003
[*46: 219–232], Ioppolo 2004 [*293: 308–310] und Ferrari 2005 [*295: 378–384]); 2)
die vorsichtige Zurückhaltung (εὐλάβεια) dem Anspruch gegenüber, die Gottheit
in vollem Umfang zu erkennen (De sera 549e–f; dazu Donini 2007 [*297: 108f.]).

2. Theologie und Ontologie

In der Rede am Ende des Dialogs ‹De E apud Delphos› stellt Ammonios,
Plutarchs Lehrer, die Grundlinien der Theologie und der Ontologie dar, von
denen auch Plutarchs eigene Überlegungen ihren Ausgangspunkt nehmen (De E
392a–394c = test. 204.2 Dörrie-Baltes; dazu Donini 1986 [*275: 106–110], Brenk
1987 [*357: 269ff.], Ferrari 1995 [*327: 51–62] und 1996 [*329: 382–386], Brenk
2005 [*341: 38–45], Ferrari 2005 [*342: 14–16], Opsomer 2009 [*258: 155–161],
Thum 2009 [*423: 245–250] und Ferrari 2010 [*300: 80–84]). Ammonios greift die

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 571

klassische platonische Unterscheidung zwischen dem Bereich des Werdens und


dem des Seins wieder auf, wobei er im Vergleich zu Platon den anthropologischen
Aspekt dieser Unterscheidung akzentuiert: Er setzt die sterbliche Natur (θνητὴ
φύσις), die durch Entstehung und Verderben bestimmt und ohne jegliche Stabili-
tät ist, der Situation gleich, in der sich die Menschen befinden, während das Sei-
ende (τὸ ὄν), das ewig, ungeschaffen, unverderblich und gänzlich der zeitlichen
­Dimension entzogen ist, den ontologischen Zustand konstituiert, in dem sich Gott
(θεός) befindet, der auch ‘Eines’ (ἕν) genannt wird. Auf diese Weise überträgt
­Ammonios die Eigenschaften des platonischen Seins (die Welt der Ideen) auf die
Gottheit, womit er den theologisierenden Ansatz begründet (oder vielleicht von
Eudoros übernimmt: Whittaker 1969 [*322]), dem viele Mittelplatoniker folgen
sollten (Kenney 1991 [*91: 48ff.], Zambon 2002 [*45: 116–127]; gegen die These
einer Abhängigkeit von Eudoros vgl. Pleše 2010 [*345]). Im zweiten Teil seiner
Rede identifiziert Ammonios diese Gottheit mit Apollon (verstanden als Ἀ-πόλλων,
‘Un-Viele’, 393c; dazu Dillon 2002 [*375: 225]), womit er die Verbindung zwischen
apollinischer Religiosität und platonischer Metaphysik herstellt, die für Plutarchs
Denken typisch ist (Moreschini 1996 [*364], Sfameni Gasparro 1996 [*365]).
Auch für Plutarch, den treuen Nachfolger des Ammonios (Dillon 2002 [*375:
224]), nimmt die intelligible Realität je nach Kontext die Form Gottes und des
Demiurgen-Intellekts an (θεός, δημιουργός), des Seins und der Welt der Ideen (τὸ
ὄντως ὄν, τὸ νοητόν, τὸ παράδειγμα, ἡ ἰδέα) sowie des Guten und des Einen (τὸ
ἀγαθόν, τὸ ἕν: Schoppe 1994 [*326: 158]). An einigen Stellen scheint Plutarch Gott
mit dem Ideenkosmos zu identifizieren und die Ansicht zu vertreten, Gott über-
nehme die Funktion des Urbilds des Weltganzen und erfülle daher die Rolle der
paradigmatischen Ursache (Plat. quaest. 8,4, 1007c–d; De def. or. 435f–436a und
De sera 550d; dazu Dörrie 1969 [*269: 524], de Vogel 1983 [*87: 284], Donini 1992
[*324: 104–107] und Helmig 2005 [*343: 14–23]). An anderen Stellen unterschei-
det er klar die Wirkursache, die durch den demiurgischen Gott repräsentiert wird,
und die paradigmatische Ursache, die durch die Welt der Ideen repräsentiert wird
(An. procr. 1023c–d und Symp. 8,2, 720b; dazu Ferrari 1995 [*327: 242–247] und
1996 [*329: 385f.]). Plutarch tendiert indes dazu, den demiurgischen Intellekt, das
ideelle Paradigma und die Idee des Guten in einer einzigen Wesenheit zusammen-
zufassen (Schoppe 1994 [*326: 151–153] und Ferrari 1995 [*327: 233–242]; sehr in-
teressant ist die Darstellung der platonischen Theorie der Ideen in Adv. Col.
1015c–1016c; dazu Schoppe 1994 [*326: 53–57], Ferrari 1995 [*327: 194–198] und
Kechagia 2011 [*429: 213–250]).
Der intelligible Bereich wird aber nicht nur von Gott (Intellekt und Demiurg)
und den Ideen eingenommen, sondern es finden sich darin auch die mathemati-
schen Entitäten (Zahlen, Figuren, Beziehungen und Verhältnisse). Diese können
als ‘zweite Intelligibilia’ betrachtet werden (im Unterschied zu den Ideen, den ‘ers-
ten Intelligibilia’, πρῶτα εἴδη: Plat. quaest. 3, 1001c–d). Die mathematischen En-
titäten nehmen dabei, wie es scheint, die Rolle von Ordnungsprinzipien wahr, die
in der Materie und der Seele präsent sind (An. procr. 1013a–d; 1015e–f; 1023d;
1029e; Symp. 8,2, 720a–c; dazu Ferrari 1995 [*327: 117–171]). Sie sind die «Werk-
zeuge» (ὄργανα), derer sich Gott der Lehre des ‹Timaios› gemäß sowohl bedient,

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572 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

um die vorkosmische, irrationale Seele zu ordnen, als auch um Ordnung und Maß
in die präkosmische Materie zu bringen und dadurch dem Körper der Welt seinen
Ursprung zu geben. Plutarch unterscheidet also offenbar zwei Stufen des Intelli-
giblen: eine erste transzendente und abgetrennte Sphäre (bestehend aus den Ideen
und der Gottheit) und eine in gewisser Weise in Raum und Zeit verwobene zweite,
wenn diese auch ursprünglich dem Bereich des Intelligiblen angehört (De Iside
373a–b; dazu Dillon 21996 [*25: 200–202]).
Im Unterschied zu Autoren wie Alkinoos, Numenios und Attikos verzichtet
Plutarch, wie es scheint, darauf, die metaphysischen Beziehungen innerhalb der
intelligiblen Welt, d. h. die Frage nach dem Verhältnis (Identität oder Abhängig-
keit) zwischen dem Guten, dem Demiurgen und den Ideen, sowie die eng damit
zusammenhängende Frage nach der Anzahl der Götter (erster, zweiter, dritter
Gott) in dogmatischer Form festzulegen (Donini 1994 [*66: 5066]). Dieser Ver-
zicht gründet wohl einerseits in Plutarchs «Vorsicht/Scheu gegenüber dem Gött­
lichen» (εὐλάβεια πρὸς τὸ θεῖον: De sera 549e = test. 189.1 Dörrie-Baltes), ande-
rerseits auf die von der skeptischen Akademie übernommene «Urteilsenthaltung»
(ἐποχή; Opsomer 1998 [*41: 179ff.], Donini 2002 [*291: 250f.] und Dörrie, Baltes
2008 [*8: VII 353–358]). Sehr wahrscheinlich unterschied Plutarch nicht zwischen
einem ersten, vollkommen transzendenten Gott und einem zweiten, mit dem De-
miurgen identischen Gott, wie es Numenios und Alkinoos taten. In seiner Inter-
pretation von Tim. 28c3, wo sich der auf den Ursprung des Universums bezogene
Ausdruck ποιητὴς καὶ πατήρ findet, weist er die beiden Bezeichnungen nicht zwei
verschiedenen Gottheiten zu (wie es Numenios tun wird), sondern er bezieht sie
auf zwei verschiedene Tätigkeiten derselben Gottheit, die sowohl «Urheber»
(ποιητής) des Körpers der Welt als auch «Vater» (πατήρ) der Seele ist (Plat. quaest.
2, 1001b–c = test. 202 Dörrie-Baltes; dazu Ferrari 2005 [*342: 18–20], Dörrie, Bal-
tes 2008 [*8: VII 573–580] und Ferrari 2014 [*349: 65–68]). Plutarch unterscheidet
nicht zwischen dem Demiurgen des ‹Timaios› und dem Guten des ‹Staats›, die für
ihn dieselbe Entität darstellen, und zwar als ontologisches Prinzip wie auch als
demiurgisch-providentielle Ursache (Ferrari 1995 [*327: 257–262] und Opsomer
2005 [*99: 87–96]). Zwar finden sich im Abschlussmythos von ‹De facie in orbe
lunae› gewisse Hinweise auf eine mögliche Hierarchie im Bereich des Göttlichen,
Plutarch vertieft diese Andeutungen aber nicht weiter und sie bleiben auf den
­Mythos beschränkt (Donini 2011 [*243: 74–84]).
Trotz der interpretatorischen Anstrengungen einiger Forscher (Schoppe 1994
[*326: 139–181] und Dillon 2011 [*106: 40 Anm. 28]) überzeugt der Versuch,
Plutarch die Auffassung der Ideen als ‘Gedanken Gottes’ zuzuschreiben – eine
Formulierung, die sich in keinem seiner überlieferten Werke findet –, nicht (de
Vogel 1983 [*87: 284] und Ferrari 1996 [*331: 131–134]). Außerdem scheint Plutarch
auch die Idee zurückzuweisen, die üblicherweise mit jener der Ideen als Gedanken
Gottes verbunden ist, nämlich die aristotelische Idee des Intellekts, der sich selbst
denkt (De def. or. 426d; dazu Donini 1999 [*287: 9], Ferrari 1999 [*333], Karama-
nolis 2006 [*48: 106ff.]). Wahrscheinlich sah Plutarch einen Widerspruch zwischen
der aristotelischen Auffassung des Intellekts, der sich selbst denkt, und der plato-
nischen Lehre der Vorsehung, wie sie in den ‹Gesetzen› dargelegt ist, und wählte

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 573

zwischen diesen beiden Ansichten die zweite. Tatsächlich stellt die «Vorsehung»
(πρόνοια) eine der Eigenschaften der Gottheit dar (De Iside 371e; De def. or. 426d,
436d; dazu Opsomer 1997 [*367]); sie zeigt sich vor allem im Umstand, dass Gott
die Vorgänge in der Welt kennt (und ebenso die menschlichen Schicksale) und sich
ihrer annimmt (De Iside 351c–f; dazu Ferrari 1995 [*327: 21f.]). Diese Vorsehung
würde durch einen Gott wie jenen des Aristoteles aufgehoben, der zumindest
Plutarch zufolge nur sich selbst denkt und sich nicht für die Welt interessiert.

3. Prinzipienlehre und Seelenlehre

Die Grundausrichtung von Plutarchs Philosophie ist von dualistischer Prägung,


wie in ‹De Iside et Osiride› deutlich wird (Deuse 1983 [*86: 27–42], Bianchi 1987
[*323], Ferrari 1995 [*327: 74–80], Chlup 2000 [*370: 149ff.] und Dillon 2002 [*375:
229–234]). Das positive Prinzip, das für die Ordnung, die Vernunft und das Gute
in der Welt verantwortlich ist, wird von Osiris verkörpert, der in mythologischer
Form die Gesamtheit der Elemente der intelligiblen Welt Platons zum Ausdruck
bringt. Das negative Prinzip, das für die Unordnung, die Unvernunft und das Böse
verantwortlich ist, wird im ägyptischen Mythos von Typhon verkörpert, der die
metaphysischen Züge der vorkosmischen, unvernünftigen Seele darstellt. Gemäß
Plutarch hat Platon dieses Prinzip in expliziter Form im 10. Buch der ‹Gesetze›
dargelegt (896d), wobei er jedoch in unterschiedlicher Weise auch in anderen Dia­
logen darauf angespielt habe (die «Notwendigkeit», ἀνάγκη, in Tim. 47e–48a; das
«die Körper betreffende teilbare Sein», οὐσία μεριστὴ περὶ τὰ σώματα γιγνομένη,
in Tim. 35a; die «Unbegrenztheit», τὸ ἄπειρον, in Phil. 23c; das «eingeborene Ver-
langen», σύμφυτος ἐπιθυμία, in Polit. 272e und 273b).
Die umfassendste und eingehendste Behandlung der vorkosmischen, irrationa-
len Seele, von Plutarch «Seele an sich» genannt, befindet sich in ‹De animae pro-
creatione› (ψυχὴ καθ’ αὑτήν: An. procr. 1014e; vgl. Deuse 1983 [*86: 42–45], Bal-
tes 2000 [*335: 248–251]). Hier versucht Plutarch nachzuweisen, dass das die
Körper betreffende teilbare Sein, das eines der zentralen Bestandteile der Welt-
seele in Tim. 35a darstellt, nichts anderes sei als die vorkosmische Urseele, d. h. die
Seele an sich: Es handelt sich dabei um eine Seele bar jeglicher Vernunft und Ein-
sicht (ἄνους ψυχή), ewig, immer in Bewegung und selbst Ursache von ungeordne-
ter und vernunftloser Bewegung (An. procr. 1014d–1017b; dazu Deuse 1983 [*86:
13–27], Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 399–407] und Ferrari 2010/11 [*346: 22–30]). Der
Irrtum einiger Philosophen (unter ihnen vielleicht auch einige Platoniker) bestehe
darin, dass sie in der «Materie» (ὕλη) die Ursache des Bösen sähen (während die
Stoiker Gefahr liefen, das Vorhandensein des Bösen unerklärt zu lassen). Die
­Materie ist jedoch «ohne Beschaffenheit» (ἄποιος) und kann daher keine Ursache
für die Entstehung von Unordnung und Bösem sein (Dillon 2002 [*375: 233–236]).
Für Plutarch sind Materie (unbestimmt und wertfrei) und die vorkosmische, ir­
rationale Seele (Ursache der Unordnung) ewige und seit jeher inter­dependente
Prinzipien (Plat. quaest. 4, 1003a), d.  h. sie lassen sich nur aus logisch-metaphy­
sischer, nicht aber aus zeitlicher Perspektive voneinander unterscheiden.

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574 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Der Kosmos bildet also nach Plutarch den Ort, an dem zwei gegnerische, un-
versöhnliche Prinzipien aufeinanderprallen. Diese sind jedoch nicht gleichwertig,
da das Gute, d. h. Ordnung und Vernunft, eine gewisse Vormachtstellung (κράτος:
De Iside 371a–b) innehat. Plutarch übernimmt diese Auffassung aus Tim. 47e–
48a, wo sich die «Notwendigkeit» (ἀνάγκη) vom «Intellekt» (νοῦς) überzeugen
lässt. Doch hat er selbst möglicherweise diese Lehre in vertiefter Weise weiterent-
wickelt und ist schließlich zur hypothetischen Annahme einer präkosmischen oder
einer «ersten Entstehung» (πρώτη γένεσις: De Iside 373b–c) gelangt, in der sich
bereits «Spuren des Intelligiblen» fänden (ἴχνη τοῦ νοητοῦ), die dann die eigent-
liche Entstehung des Kosmos in Richtung des Guten gelenkt hätten (Ferrari 1996
[*330], Rescigno 1997 [*332: 57–66]; vgl. dagegen jedoch Castelnérac 2007 [*395:
160 Anm. 37]).
Im Allgemeinen legt Plutarch in der Darlegung seiner eigenen Auffassung der
Prinzipien eine gewisse Flexibilität an den Tag, er erweist sich jedoch nie als in
sich widersprüchlich. Bisweilen gibt er die traditionellere mittelplatonische Vari-
ante wieder (Gott, Ideen und Materie: Symp. 8,2, 720a–c = test. 110.1 Dörrie-Bal-
tes); in anderen Fällen greift er auf seine eigene Theorie der Prinzipien zurück
(Gott, Materie, vorkosmische Seele: An. procr. 1015a–b = test. 114.1 Dörrie-Bal-
tes; De Iside 370e–371a = test. 114.2 Dörrie-Baltes); in wieder anderen Fällen prä-
sentiert er eine dualistische Prinzipienlehre, in der nur Gott als Wirk- und Ver-
nunftursache und die Materie als Instrumental- und Materialursache in
Erscheinung treten (De def. or. 435f–436f). Es finden sich sogar Hinweise auf die
platonisch-akademische Auffassung der zwei Prinzipien des Einen (oder der Mo-
nade) und der Unbestimmten Zweiheit (An. procr. 1024d = test. 120.4 Dörrie-Bal-
tes; De def. or. 428f–429a = test. 120.3 Dörrie-Baltes). Plutarch scheint dabei die
vollständige Kette der positiven und negativen Ursachen auf diese zwei Prinzipien
zurückführen zu wollen, und bisweilen erweckt er den Eindruck, als setze er das
Eine mit dem demiurgischen Intellekt und die Zweiheit mit der vorkosmischen
Seele gleich (Opsomer 2007 [*344: 379–383]). Aber auch in diesem Fall wäre es
verfehlt, ihm eine allzu sehr auf Systematik zielende Intention zuzuschreiben.
In den Mythen in ‹De genio Socratis› und in ‹De facie in orbe lunae› wird eine
umfassende Beschreibung der Struktur der Realität vorgelegt, die einen stark
hier­archischen Charakter aufweist. Plutarch präsentiert in Form eines Mythos –
möglicherweise im Sinne eines ‘Gedankenexperiments’ – eine dreiteilige Konzep-
tion: Die oberste Sphäre ist diejenige des Intelligiblen, die mittlere wird vom Him-
mel und den Sternen eingenommen, und die dritte Stufe entspricht der sinnlichen
Realität, d. h. der sublunaren Welt. Im Mythos in ‹De facie›, in dem die Dreitei-
lung zudem eine offensichtliche anthropologische Bedeutung bekommt, wird 1)
die transzendente und intelligible Stufe durch den Intellekt (νοῦς) und die Sonne
repräsentiert, 2) die Sphäre der Sterne durch die Seele (ψυχή) und den Mond,
während 3) der Körper (σῶμα) für die irdische Welt steht (De facie 943a–f). In
diesem wie auch in anderen Kontexten scheint Plutarch den Unterschied zwischen
Seele und Intellekt zu betonen, wobei er so weit geht, dass er letzteren zu einem
eigenen und von der Seele unabhängigen metaphysischen Prinzip macht (Bos 2001
[*337: 58–60], Dillon 2001 [*338]).

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 575

In ‹De genio Socratis› ist die Unterteilung komplexer, sie lässt sich aber wohl
ebenfalls auf drei grundsätzliche Bereiche reduzieren: 1) den transzendenten und
abgetrennten, dargestellt durch das Prinzip des Lebens (ζωή) – möglicherweise
ein Analogon zum «intelligiblen Lebewesen» (ζῷον νοητόν) in Tim. 30c, 37d, 39e
– und der Monade, 2) den mathematisch-astronomischen, dargestellt durch das
Prinzip der Bewegung (κίνησις), und 3) den irdischen, der den Prinzipien der Ent-
stehung und des Vergehens unterliegt (Gen. Socr. 591b–c; dazu Krämer 1964 [*82:
98 Anm. 250], Deuse 1983 [*86: 45–47], Ferrari 1995 [*327: 173–183], Dillon 21996
[*25: 214–216], Alesse 2001 [*336], Dillon 2001 [*338: 37–42]).
Eine beachtliche Bedeutung kommt im plutarchischen Denken den Dämonen
zu, wobei es indes nicht leicht fällt, eine kohärente und systematische Theorie der-
selben auszumachen. Plutarch spricht oft von den Dämonen, sei es innerhalb von
mythologischen Darstellungen oder im Kontext von argumentativen und diskur-
siven Partien (Def. orac. 415aff.; De Iside 360d–363d). Bisweilen nehmen die Dä-
monen den Charakter von Mittelwesen ein, die zwischen den Menschen und den
Göttern verortet sind und als Vermittler zwischen diesen beiden Bereichen die-
nen (vgl. Plat. Symp. 202d–203a; Def. orac. 416e–f). Da die Dämonen sterblich
und den Affekten unterworfen sind, können ihnen Handlungen zugeschrieben
werden, die mit der göttlichen Natur unvereinbar wären (Def. orac. 417a–c). Die
Dämonen sind auch verantwortlich für die Reduktion und das fortschreitende
Verschwinden der Orakel (Def. orac. 418c–d; dazu Timotin 2012 [*110: 194–198]).
In anderen Fällen, insbesondere in eschatologischen Mythen, versteht Plutarch
die Dämonen als Seelen, die entweder im Begriff sind, sich in einen Körper zu in-
karnieren, oder den Abschluss einer Zeitspanne erreicht haben, in der sie inkar-
niert gewesen waren. Im zweiten Fall können die Dämonen sowohl gut als auch
böse und für schreckliches Unheil verantwortlich sein. In ersterem Fall – den Dä-
monen als Zwischen-Wesenheiten – scheint Plutarch eine ‘statische’ Theorie zu
vertreten, während er im zweiten Fall eine ‘dynamische’ Auffassung vorlegt
(Soury 1942 [*354], Brenk 1987 [*357: 275–294], Babut 1994 [*359] und Dillon
21996 [*25: 216–221]).

4. Kosmologie

Das Problem, wie die Entstehung der Welt nach Platons ‹Timaios› zu deuten
ist, stellt eines der Themen dar, die Plutarch ganz besonders am Herzen lagen.
Dieser Frage widmete er eine ganze Schrift (Περὶ τοῦ γεγονέναι κατὰ Πλάτωνα
τὸν κόσμον: n. 66 Lamprias-Katalog), die jedoch verloren ging. Plutarchs Aussa-
gen in anderen Schriften (v. a. in An. procr. 1013d–1017c; Plat. quaest. 4, 1002e–
1003b und 8, 1007d) vermitteln gleichwohl eine recht klare Vorstellung seiner dies-
bezüglichen Position.
Plutarch räumt ein, dass seine Auffassung in radikalem Gegensatz steht zu der
unter den Platonikern am weitesten verbreiteten, die wie Xenokrates, Krantor und
Eudoros die Worte Platons über die Weltentstehung im metaphorischen Sinne auf-
fassten. Für Plutarch dagegen stellt die Entstehung des Universums ein reales und

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576 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

einmaliges Ereignis dar, das nicht im Sinne einer Metapher aufgefasst werden
darf. Vor der Entstehung des Universums existierten drei Prinzipien, Gott-Sein,
Materie-Raum und die vorkosmische, irrationale Seele (so interpretiert Plutarch
die Passage in Tim. 52d, in der er die γένεσις mit der vorkosmischen Seele identi-
fiziert: An. procr. 1024c; dazu Ferrari 2010/11 [*346: 27f.]). Die Entstehung der
Welt verdankt sich einem kosmopoietischen Akt des Demiurgen, der Prinzipien
der Ordnung und des Maßes einführt und die Materie zum Weltkörper und die
irrationale Seele zur Weltseele umgestaltet. Um diese Auffassung zu stützen, kann
Plutarch eine Reihe von platonischen Passagen zitieren, in denen festgehalten ist,
die Welt sei entstanden (γεγονώς und γενητός), während Platon nie behauptete, sie
sei ewig und ungeschaffen. Darüber hinaus erlaubt die wörtliche Auffassung, nach
Plutarch, die Auflösung einiger scheinbarer Widersprüche in Platons Aussagen.
In den Dialogen liest man sowohl, die Seele sei ungeschaffen (Phdr. 245c–246a),
als auch, sie sei geschaffen (Tim. 34c; 37a); dieser Widerspruch verschwindet, wenn
sich diese Aussagen nicht auf dieselbe Entität, sondern auf zwei verschiedene
­Entitäten beziehen, nämlich eine vorkosmische (die Seele an sich, die ewig und
ungeschaffen ist) und eine kosmische (die Weltseele, die vom Demiurgen geschaf-
fen wurde). Dieselbe Überlegung lässt sich auf den Weltkörper anwenden: Aus
einer ewigen Materie hat Gott den geordneten Weltkörper hervorgebracht. Gott
ist daher weder für die Körperlichkeit noch für die Beseeltheit verantwortlich,
sondern für die Ordnung und das Maß, durch die sich Weltkörper und -seele aus-
zeichnen (An. procr. 1016a–1017b; Baltes 1976 [*83: I 38–45], Dörrie, Baltes 1998
[*8: V 406–414]).
In Symp. 8,2, 720a–c (= test. 110.1 Dörrie-Baltes) präsentiert Plutarch eine
etwas komplexere kosmologische Theorie, die jedoch den Prinzipien der wört­
lichen Auslegung des ‹Timaios› treu bleibt. Er unterstreicht, dass Gott die unbe-
stimmte Materie ordne, und zwar durch einen einzigen Akt, der in der Einfüh-
rung von Zahlen, Formen und Verhältnissen besteht. Dann fügt er jedoch hinzu,
Gott «bewahre für alle Zeiten» (φυλάττει διὰ παντός) die Natur des Kosmos, die
materiell mit der ὕλη identisch sei und formal dem idealen Vorbild gleiche. Ob-
wohl nach Plutarch das Universum seine Entstehung einem einzigen demiurgi-
schen Akt verdankt, nimmt er auf diese Weise eine gewisse Form der ‘creatio con-
tinua’ an, da er Gott auch eine beständige und fortdauernde Handlung zuschreibt
(Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 360–365]).

5. Ethik und Politik

Ethische Themen durchdringen die gesamten ‹Moralia› und sind auch in den
‹Biographien› reichlich vorhanden (Nikolaidis 2008 [*257]). Sehr oft bedient sich
Plutarch einer moralisierenden Topik, die in der kynisch-stoischen Diatribe recht
weit verbreitet ist: Kritik der Leidenschaften; Ermutigungen, das Gute für die Seele
demjenigen für den Körper vorzuziehen; allgemeines Lob der Tugenden und des
Weisen. Es handelt sich um ein allgemeines Repertoire, das einige offenkundige
Zugeständnisse an stoische Positionen mit sich bringt. Wenn Plutarch jedoch ethi-

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 577

sche Fragestellungen aus einer im engeren Sinne philosophischen Perspektive an-


geht, ist seine Haltung bei weitem klarer, und seine Kritik an der stoischen Ethik
und Psychologie erweist sich als äußerst scharf (Babut 1969 [*268: 318–366]).
Die wichtigste ethische Schrift Plutarchs ist ‹De virtute morali›, die zugleich als
eines der bedeutendsten Zeugnisse der mittelplatonischen Ethik betrachtet wer-
den kann. Plutarch greift darin auf die aristotelische Unterscheidung zwischen
ethischer und dianoetischer Tugend zurück und versteht die ethische Tugend als
durch zwei Elemente bestimmt: die «Leidenschaft» (πάθος), welche die Materie
darstellt, und den Logos, der für die Form steht (Virt. mor. 440d; Bellanti 2003
[*390: 5ff.]). Daher polemisiert er gegen den psychologischen Monismus der Stoa,
dem er in platonischer Tradition eine zweiteilige (Vernunft/Unvernunft) oder drei-
teilige Auffassung der Seele entgegenstellt (Virt. mor. 441c–442a), die er jedoch
um zahlreiche Beigaben aristotelischer Prägung erweitert (Karamanolis 2006 [*48:
115–123]). Tatsächlich dürfte bereits die Erfahrung, die jeder bei sich selbst mache,
beweisen, dass die Seele keine monolithische, einheitliche Entität darstelle, son-
dern dass sie vielgliedrig und komplex sei, da es kein Denken gebe, das gänzlich
frei von emotionalen Aspekten sei, so wie es ebenfalls keine Leidenschaft gebe, die
vollständig ohne Denken und Abwägen auskomme (An. procr. 1025c–d; Castel-
nérac 2007 [*395: 155f.]). Plutarch führt das Vorhandensein eines irrationalen und
leidenschaftlichen Bestandteils im Innern der menschlichen Seele auf ihren kos-
misch-metaphysischen Ursprung, d. h. auf die Weltseele, zurück, deren Zusammen-
setzung eine irrationale Grundlage mit einschließt, die in der Seele an sich, d. h. in
der vorkosmischen, bösen Seele besteht (die menschliche Seele ist ein «Teil oder
ein Abbild», μέρος ἤ τι μίμημα, der Weltseele und umfasst daher dieselben Be-
standteile wie letztere: Opsomer 1994 [*325: 41–45], Baltes 2000 [*335: 253–259]).
Wenn die Leidenschaften auf das Vorhandensein eines irrationalen Bestand-
teils verweisen, der zum Innersten der Seele gehört – ein irrationaler Bestandteil,
der zwei Aspekte aufweist, einen aufbrausenden (θυμοειδές) und einen begehren-
den (ἐπιθυμητικόν) –, bedeutet dies, dass sie nicht vollständig ausgemerzt und
­beseitigt, sondern nur gemäßigt und unter Kontrolle gehalten werden können. Bei
dieser Auffassung handelt es sich um die μετριοπάθεια («Kontrolle und Mäßigung
der Leidenschaften»), die einen der Angelpunkte der mittelplatonischen Ethik
darstellt. Plutarch fügt hinzu, dass die vollständige Eliminierung der Leidenschaf-
ten (πάθη) nicht nur unmöglich, sondern geradezu schädlich sei, da dies die Ver-
nunft schwächen und sie nahezu zur Tatenlosigkeit verurteilen würde, nach der
Art eines Steuermanns, dem der Wind abhandengekommen sei (Virt. mor. 452a–
d; dazu Opsomer 2007 [*420: 153–159] und Ferrari 2008 [*397: 153–157]). Die
menschliche Tugend besteht also in einer beständigen Anstrengung, durch die
Auferlegung von Ordnung und Maß mittels der Vernunft die eigenen Leiden-
schaften zu zügeln (Virt. mor. 444b–c) – ein Verfahren, das in analoger Weise von
der Gottheit auf das ungeordnete und irrationale psychisch-materielle Substrat
der Welt angewandt wurde. Im Unterschied zu Aristoteles, der die Tugend als
einen «erworbenen Habitus» (ἕξις) betrachtete, beschreibt sie Plutarch als eine
auf den Bereich der Leidenschaften bezogene Bewegung und Fähigkeit (κίνησις
καὶ δύναμις: Virt. mor. 444f.).

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578 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Viele Schriften der ‹Moralia› setzen den oben beschriebenen theoretischen Rah-
men voraus. Plutarch nimmt sich vor, eine Reihe von Regeln und Denkanstößen
zur Kontrolle der wichtigsten Leidenschaften und zur Verbesserung des Individu-
ums zu geben. Er hat nicht die Absicht, einen alternativen Lebensstil aufzuzeigen,
will also nicht die menschliche Grundhaltung der Individuen ändern, sondern
schlägt eine Art ‘Heilung der Seele’ vor, die eine Verbesserung der Menschen er-
möglicht, ohne den Anspruch zu erheben, die Menschen perfekt machen zu kön-
nen (Ingenkamp 1971 [*384: 7–13] und Van Hoof 2010 [*400: 19–65]). Die Thera-
pie Plutarchs bewegt sich innerhalb folgender Grundsätze: 1) Die Leidenschaften
können nicht ausgelöscht, sondern nur gemäßigt werden. 2) Im Gegensatz zur An-
sicht der Stoiker gibt es einen «Fortschritt» (προκοπή) beim Tugenderwerb und die-
ser Fortschritt wird durch das Vorhandensein bestimmter Anzeichen signalisiert
(Prof. virt. 75b–76e; dazu Wright 2008 [*398]). 3) Die Behandlung der Leidenschaf-
ten sieht die Zusammenarbeit von rationalen und nicht-rationalen Faktoren, wie
der «Gewohnheit» (ἔθος, ἐθισμός) und der «Übung» (ἄσκησις), vor. In Garrul.
510c–d bezeichnet Plutarch das «Urteil» (κρίσις), d. h. das Erkennen der verdorbe-
nen Natur einer Leidenschaft, und die Übung als die zwei fundamentalen «Heil-
mittel» (φάρμακα) gegen die Leidenschaften (Van Hoof 2010 [*400: 60]). Im All-
gemeinen halten sich die moralischen Schriften Plutarchs an dieses Schema: Sobald
man zu einem negativen Urteil über eine bestimmte Leidenschaft gekommen ist,
müssen eine Reihe von äußeren Verhaltensweisen durchgeführt werden, um diese
«Leidenschaft» (πάθος) vom betreffenden Individuum fernzuhalten.
Mit der heiklen Frage nach der Bedeutung der körperlichen und äußeren Güter
im Hinblick auf die Erreichung der Glückseligkeit setzt sich Plutarch nicht expli-
zit auseinander, aber die Tatsache, dass er Chrysipp deswegen kritisiert, weil jener
sie nicht als wesentlichen Bestandteil des Glücks betrachtet habe, lässt darauf
schließen, dass sie für ihn – wie für Aristoteles – einen fundamentalen Bestand-
teil der εὐδαιμονία darstellten.
Das höchste Ziel (τέλος) besteht für Plutarch in der Angleichung an Gott
(ὁμοίωσις τῷ θεῷ), also darin, der Gottheit ähnlich zu werden (Becchi 1996
[*389]). Diese Auffassung kommt in expliziter Form in ‹De sera numinis vindicta›
550d zum Ausdruck, wo Plutarch behauptet, dass «der Gott, indem er sich in die
Mitte stellt als ein Vorbild aller vollkommenen Dinge, die menschliche Tugend,
die eine gewisse Angleichung ist an ihn, denjenigen eingibt, die imstande sind,
Gott zu folgen» (Ferrari 1995 [*327: 239–241], Dillon 21996 [*25: 192f.] und Hel-
mig 2005 [*343]).
So gesehen entwickelt Plutarch eine Art ‘politische Theologie’, da er Gott als
Modell für den Menschen betrachtet, sei es in ethischer, sei es in politischer Hin-
sicht (Bonazzi 2012 [*401: 149–153]).
Im Bereich der Politik nimmt Plutarch einige platonische Elemente auf, wobei
er jedoch deren utopische und revolutionäre Tragweite zugunsten eines modera-
ten, der römischen Macht sehr wohlgesinnten Konservatismus einschränkt. Er
­polemisiert heftig gegen die epikureische Idee des Lebens in Zurückgezogenheit
(Adv. Col. 1125cff.; ‹Non posse suaviter vivi secundum Epicurum› und vor allem
‹De latenter vivendo›; dazu Roskam 2007 [*421]) und betrachtet die Rolle des

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§ 52. Plutarch von Chaironeia (Bibl. 680–686) 579

Staatsmanns als die edelste Beschäftigung (An seni rep. 786b). Für Plutarch ist
das «theoretische Leben» (βίος θεωρητικός) nicht eine Form von Gelehrtenleben,
sondern besteht in der richtigen Verbindung von Theorie und Praxis: Die wahre
Theorie muss imstande sein, in der Praxis Orientierung zu bieten. Die Figur des
Sokrates ist ein Beispiel für eine solche Einheit (An seni rep. 796c–d). Außerdem
zeigt er eine deutliche Vorliebe für die Monarchie gegenüber den anderen Regie-
rungsformen (De unius in re publica domin. 827b) und nimmt dabei die unter den
Stoikern verbreitete Auffassung auf, wonach die Monarchie gewissermaßen ein
Abbild der Herrschaft Gottes über das Universum darstelle (Ad princ. iner. 780e;
Gallo, Scardigli 1995 [*387], Dillon 21996 [*25: 198], Bonazzi 2007 [*177]).

4. NACHWIRKUNG

Plutarch gehört zu den antiken Autoren, die einen besonders dauerhaften


­ influss auf die Nachwelt ausgeübt haben. Dies gilt in erster Linie für die ‹Parallel-
E
biographien›, aber auch die ‹Moralia› haben eine bedeutende Nachwirkung
­entwickelt und Dichter, Dramaturgen, Philosophen, Theologen, Politiker, Wissen-
schaftler, Maler und Musiker inspiriert.
Plutarch erfreute sich einer gewissen Bekanntheit bei den Neuplatonikern, die
ihn größtenteils durch Porphyrios kannten (Zambon 2002 [*45: 47–127]). Es feh-
len auch nicht Erwähnungen von Plutarch bei den christlichen Autoren (Frazier
2012 [*259: 1172–1175]).
Während die Werke Plutarchs im Mittelalter ein Schattendasein fristeten,
­änderte sich die Situation mit dem Aufkommen des Humanismus und der Renais-
sance grundlegend, und zwar nicht zuletzt dank zahlreicher Übersetzungen. Zu
erwähnen sind auf der einen Seite Übersetzungen ins Lateinische, die durch be-
rühmte Humanisten wie Erasmus von Rotterdam (1466–1536), Guillaume Budé
(1467–1540), Angelo Poliziano (1454–1494) und Henri Estienne (1528–1598) ange-
fertigt worden sind. Ebenfalls seit Beginn des Humanismus machte die Veröffent-
lichung von nationalsprachlichen Übersetzungen die plutarchischen Texte zudem
unmittelbar zugänglich, so dass sie zu einem Kulturerbe gesamteuropäischer
­Dimension wurden. In diesem Verbreitungsprozess spielt die ‘versio gallica’ des
französischen Bischofs Jacques Amyot (1515–1593) eine herausragende Rolle (‹Les
Vies des hommes illustres› wurden 1559 veröffentlicht, ‹Les Oeuvres morales›
1572). Amyots Übersetzung bildet den Bezugspunkt für Michel de Montaignes
(1533–1592) Lektüre der Werke Plutarchs, der sich bei der Abfassung seiner ‹Es-
sais› von den ‹Moralia› anregen ließ (Gallo 1998 [*433] und Frazier 2012 [*259:
1178–1182]). An Amyots Übersetzung orientierte sich auch Jean-Jacques Rousseau
(1712–1778), der den ‹Moralia› seine Nachrichten und Unterweisungen über die
antiken Staatswesen sowie deren bürgerliches und politisches Leben, insbesondere
über Sparta, entnahm. Rousseau ließ außerdem einige pädagogische Ideen
Plutarchs in seinen ‹Émile› einfließen. Die Wirkung von Amyots Übersetzung
reichte über die Grenzen Frankreichs hinaus und erstreckte sich bis nach England
(seine Übersetzung wurde 1579 ins Englische übertragen). Shakespeare kannte die

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580 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

‹Moralia› möglicherweise in der englischen Übersetzung, die 1603 von Philemon


Holland (1552–1637) veröffentlicht wurde, oder aber auf indirektem Weg über
Montaignes ‹Essais›, die ebenfalls ins Englische übersetzt worden waren.
In Spanien datiert die erste Übersetzung der ‹Moralia› ins Katalanische aus
dem 16. Jahrhundert und wird Diego Gracián de Alderete (1510–1600) verdankt,
dem Sekretär König Karls V., der zusammen mit Francisco de Enzinas eine her-
ausragende Rolle für Kenntnis und Verbreitung der plutarchischen Werke im spa-
nischen Humanismus gespielt hat. Möglicherweise in der Übersetzung Graciáns
wurden die ‹Moralia› auch von Miguel de Cervantes (1547–1616), dem Autor des
‹Don Quijote›, gelesen.
In Deutschland muss man dagegen bis ins 18. Jahrhundert warten für eine erste
Übersetzung der Schriften Plutarchs: Diese wird Johann Friedrich Salomon Kalt-
wasser (1752–1813) verdankt. Plutarchs ‹Biographien› wurden von Goethe, Schil-
ler, Beethoven und Nietzsche gelesen und geschätzt, wobei letzterer auch eine
­gewisse Kenntnis der ‹Moralia› an den Tag legt, denen er beispielsweise einige
Anekdoten aus dem Leben und der Lehre des Kynikers Diogenes verdankt. Die
erste italienische Übersetzung der plutarchischen Schriften von Marcello Adriani
(1464–1521) erschien erst im 19. Jahrhundert im Druck (die ‹Moralia› wurden 1819
publiziert). Das Fehlen eines ‘italienischen’ Plutarch verhinderte jedoch keines-
wegs, dass Autoren wie Machiavelli (1469–1527), Torquato Tasso (1544–1595; dazu
Volpe Cacciatore 2004 [*434: 79–98]), Vittorio Alfieri (1749–1803) und Giacomo
Leopardi (1798–1837) von ihm Kenntnis hatten.

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 53. Theon von Smyrna

Franco Ferrari

1. Leben und Werk. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND WERK

Eine auf die Zeit des Kaisers Hadrian zurückgehende Büste, die in Smyrna
g­ efunden wurde, trägt die Widmung eines gewissen Priesters namens Theon an
seinen Vater «Theon, den platonischen Philosophen» (Θέωνα, Πλατωνικὸν φιλό­
σοφον: IGR IV 1449; Petrucci 2009 [*453: 296 Anm. 8]). Gemeint ist mit Sicher-

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§ 53. Theon von Smyrna (Bibl. 686–687) 581

heit Theon von Smyrna, der Verfasser der ‹Expositio rerum mathematicarum ad
legendum Platonem utilium› (Τῶν κατὰ τὸ μαθηματικὸν χρησίμων εἰς τὴν Πλάτω­
νος ἀνάγνωσιν, ‹Darlegung des mathematischen Wissens, das für die Lektüre Pla-
tons nützlich ist›). Theon lebte und lehrte in Smyrna zwischen dem Ende des
1. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Er kannte das
Werk des Thrasyllos, des Hofastrologen des Kaisers Tiberius (1. Jh. v. Chr. – 1. Jh.
n. Chr.), und jenes des Aristotelikers Adrastos von Aphrodisias (Anfang 2. Jh.
n. Chr.), dessen Zeitgenosse er war. Dass er hingegen nirgends Ptolemaios’ ‹Al-
magest› erwähnt (zweite Hälfte 2. Jh. n. Chr.), dürfte mit dem wenig fachmänni-
schen Charakter seiner Abhandlung zusammenhängen (es fehlen direkte Bezug-
nahmen auf wichtige Vorläufer der Astronomie wie z.  B. Apollonios und
Hipparchos). Dieser passt schlecht zur Komplexität von Ptolemaios’ Werk, so dass
letzteres auch bewusst beiseite gelassen worden sein könnte (Petrucci 2009 [*453:
296f.] und 2012 [*440: 10f.]). Auf jeden Fall scheint Theons zeitliche Verortung um
das Ende des 1. und den Beginn des 2. Jahrhunderts ziemlich sicher.
Von Theon ist nur ein einziges Werk überliefert, die ‹Expositio›. Aufgrund
einer darin enthaltenen Äußerung ist aber anzunehmen, dass er auch einen Kom-
mentar (ὑπομνήματα) zu Platons ‹Staat› verfasst hat (Exp. rer. math. 146,3–4 Hil-
ler). Wahrscheinlich beschränkte sich dieser auf das 10. Buch oder wahrschein­
licher auf den Mythos von Er, auch wenn nicht vollständig auszuschließen ist, dass
das Werk der Kommentierung der mathematischen (und astronomischen) Ab-
schnitte im ‹Staat› gewidmet war (Petrucci 2009 [*453: 300f.]).
Als komplizierter erweist sich die Frage, ob die Schrift ‹De Platonis lectionis
ordine et de inscriptionibus librorum quos composuit› (‹Über die Reihenfolge
bei der Lektüre Platons und die Titel der von ihm verfassten Bücher›) Theon zu-
geschrieben werden kann, was aufgrund einer Anspielung im ‹Kitāb al-Fihrist›
von Ibn an-Nadīm versucht wurde (Rosenthal, Walzer 1943 [*446: XVf.], Dodge
1970 [*448: 592f.]), sich aber letzlich als schlecht begründet erweist (Petrucci 2009
[*453: 299 Anm. 18] und 2012 [*440: 12–15]). Der arabische Verfasser scheint
Theon die Erstellung einer Lektüre-Ordnung der platonischen Dialoge zuzu-
schreiben, ­woraus einige Forscher schlossen, Theon habe die tetralogische Ord-
nung des ­Thrasyllos übernommen, an der er einige Änderungen vorgenommen
habe (Tarrant 1993 [*215: 58–72]). In dieser Ordnung fehlt jedoch die ‹Epinomis›,
die in Theons Darstellung des Platonismus in der ‹Expositio› eine herausragende
Rolle spielt. Natürlich lässt sich nicht ohne Weiteres ausschließen, dass Theon
einen solchen Katalog, der auch die Lektüre-Ordnung der Dialoge enthielt, ver-
fasst, und ebensowenig, dass er diesen zum Teil von Thrasyllos übernommen hat
(den er ­offenkundig kannte), doch bleibt die Annahme reichlich zweifelhaft.
Die ‹Expositio› ist durch zahlreiche Handschriften überliefert, die sich auf zwei
Hauptstränge zurückführen lassen, von denen jeder nur einen Teil des Werks ent-
hält: Marc. 307 (11.–12. Jh.) umfasst die Einleitung, den arithmetischen und den
musikalischen Abschnitt (ff. 1–119), während Marc. 303 (14.–15. Jh.) den astrono-
mischen Teil (ff. 120–205) enthält. Es scheint keine zwingenden Gründe für die
Annahme zu geben, dass das Werk unvollständig auf uns gekommen sei (Petrucci
2009 [*453: 306–310]).

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582 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

2. LEHRE

Die Rekonstruktion von Theons philosophischer Position stützt sich auf seine
einzige verbliebene Schrift. Dabei besteht ein Hauptproblem in der Unterscheidung
der Position Theons von der seiner Vorlagen, d.  h. in erster Linie des Thra­syllos
(Exp. rer. math. 47,18; 85,8; 87,8; 93,8; 205,5 Hiller) und des Adrastos von Aphrodi-
sias: Die Abhängigkeit Theons von Adrastos betrifft ebenso den arithmetisch-­
musikalischen Abschnitt (49,6–57,10; 61,20–66,18 Hiller) wie den astronomischen
Abschnitt (120,1–198,9 Hiller; zur Abhängigkeit Theons von Adrastos vgl. Petrucci
2012 [*454]). Bei der von Theon benutzten Schrift des Adrastos handelt es sich um
einen ‹Kommentar zum Timaios› (῾Υπομνήματα εἰς τὸν Τίμαιον), wie sich einer
Äußerung des Porphyrios entnehmen lässt (In Harm. 96,1–6 Döring), der einen Ab-
schnitt aus Adrastos wiedergibt, der mit Exp. rer. math. 50,22–51,4 Hiller identisch
ist (Ferrari 2000 [*70: 183]). Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Theon da, wo er
den Text seiner Quelle umfassend wiedergibt, die berichteten Auffassungen weitest-
gehend teilt, so dass sich daraus auch seine Lehre in den großen Zügen ableiten lässt.
Die ‹Expositio› präsentiert sich als eine grundlegende Einführungsschrift mit
dem Ziel, eine Reihe von Begriffen darzulegen, die für das Verständnis der ma-
thematischen Partien der platonischen Dialoge (Mansfeld 1998 [*918: 4f.]) und
insbesondere des ‹Timaios› zentrale Bedeutung haben. Es handelt sich also nicht
um ein technisches Handbuch zur Mathematik, sondern um eine exegetische
Schrift (Petrucci 2009 [*453: 323–326] und 2012 [*440: 43–62]). Trotz seiner Äuße-
rungen zu Beginn des Werks scheint die Mathematik für Theon, anders als für
Platon, keine propädeutische oder einführende Rolle hinsichtlich eines Wissens
(Dialektik) und übergeordneter Gegenstände (Ideen) zu spielen. In dieser Hin-
sicht zeigt der beständige Verweis auf die göttliche Natur der Mathematik, die den
Höhepunkt des Wissens darstellt, bemerkenswerte Übereinstimmungen mit der
‹Epinomis›, die Theon tatsächlich auch häufig zitiert.
Die Schrift gliedert sich in drei Hauptteile und eine kurze Einleitung, in der
die Bedeutung und der Nutzen der Mathematik für die höchsten Stufen der pla-
tonischen Philosophie erläutert wird (1,1–17,24 Hiller). Der erste Teil ist der Arith-
metik gewidmet und besteht in einer Untersuchung des Wesens der Zahl im All-
gemeinen und ihres Prinzips, des Einen (der Monade), sowie in der Darlegung der
Eigentümlichkeiten der unterschiedlichen Arten von Zahlen (17,25–46,19 Hiller).
Der zweite Teil ist der Musiktheorie gewidmet und besteht in einer vertieften Un-
tersuchung der numerischen Verhältnisse, welche die wichtigsten musikalischen
Harmonien hervorbringen (46,20–119,21 Hiller). Der dritte Teil schließlich han-
delt von der Astronomie und besteht in einer Darlegung der allgemeinen Grund-
lagen dieser Wissenschaft, die vom ‹Timaios› ausgeht und – wo nötig – auf den
neuesten Stand gebracht und bereichert wird (120,1–205,6 Hiller).
Die philosophische Bedeutung des Einleitungsteils, der zum großen Teil aus
Zitaten aus Platons ‹Politeia› und der ‹Epinomis› besteht (dazu Petrucci 2012
[*440: 288–302]), liegt in der Theorie einer graduell aufsteigenden Erkenntnis, die
dem Prozess der Einweihung in die Mysterien gleichgesetzt wird (Lilla 1992 [*39:
76f.]). Dieser Prozess, der fünf Stufen umfasst, gipfelt in der «Angleichung an

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§ 53. Theon von Smyrna (Bibl. 686–687) 583

Gott, soweit es uns möglich ist» (ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν) in Übereinstim-
mung mit der platonischen Lehre (Exp. rer. math. 14,17–16,2 Hiller = test. 102.7
Dörrie-Baltes; dazu Dillon 21996 [*25: 398], Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 250–253],
Petrucci 2012 [*440: 302–305] und Bonazzi 2013 [*455: 31]).
Im arithmetischen Teil scheint Theon zahlreiche Motive der arithmologischen Tra-
dition der Pythagoreer aufzunehmen, wenn auch Auffassungen euklidischer Prägung
keineswegs fehlen (Simeoni 2000 [*451: 276–282]). Die Zahl wird definiert als ein
«System von Einheiten» (σύστημα μονάδων: 18,3 Hiller). Das Eine/die Monade stellt
das Prinzip der Zahlen dar, weil in ihm die Einfachheit und die Vollkommenheit zum
Ausdruck kommen, die das Sein aller Zahlen garantieren, und ebenso, weil die
Reihe der Zahlen mit der Einheit beginnt und endet. Die Monade scheint dabei die
Rolle eines ontologischen Prinzips zu übernehmen in einer Weise, die den Neupla-
tonismus vorwegnimmt und vielleicht Lehren der älteren Akademie, insbesondere
von Xenokrates, wieder aufgreift (Petrucci 2012 [*440: 307–320]): Sie ist «Prinzip
aller Dinge» (ἀρχὴ πάντων), «alle Dinge leiten sich aus ihr ab» (ἐξ ἧς πάντα), wäh-
rend «sie sich aus nichts herleitet» (αὐτὴ δὲ ἐξ οὐδενός), und sie ist «potentiell alle
Dinge» (δυνάμει πάντα); im Hinblick auf die Monade existiert der gesamte Bereich
des Intelligiblen, das Wesen der Ideen, Gott, der Intellekt und das Schöne, das Gute
und alle intelligiblen Wesenheiten (Exp. rer. math. 99,24–100,6 Hiller).
Der Abschnitt über die Musik beginnt mit der Definition der Hauptbegriffe der
musikalischen Theorie (Exp. rer. math. 46,20–62,1 Hiller). Danach behandelt
Theon die mathematischen Gesetzmäßigkeiten, welche die Werte der Harmonien
bestimmen (62,2–87,3 Hiller). Der aus philosophischer Sicht interessanteste Teil
ist der Darlegung der verschiedenen Formen der «Vierheit» (τετρακτύς) gewidmet.
Möglicherweise handelt es sich bei der Anführung der platonischen Tetrade (Tim.
35b–36b) neben jener der Pythagoreer um einen späteren Zusatz, der wohl Adras-
tos’ ‹Kommentar› verdankt wird. Auf jeden Fall unterstreicht Theon die räumliche
Bedeutung der platonischen Zahlen, die in beiden Reihen (1-2-4-8 und 1-3-9-27)
der räumlichen Sequenz Gerade-Fläche-Körper entsprechen, wobei die Einheit
beiden Reihen gemeinsam ist und dem Punkt entspricht (Pieri 2005 [*922: 165–
178], Petrucci 2009 [*453: 318f.] und 2012 [*440: 408–427]). Der astronomische Teil,
der weitgehend von Adrastos abhängt, unternimmt die Erklärung und die ‘Aktua­
lisierung’ der astronomischen Abschnitte des ‹Timaios›, wobei einerseits Platon
eine Reihe von erst nach ihm aufgekommenen Auffassungen zugeschrieben wird,
wie das Modell der Epizyklen und der Exzentrizitäten (das mit dem akademisch-
eudoxianischen Modell der konzentrischen Sphären in Übereinstimmung gebracht
wird) und andererseits zahlreiche Lücken geschlossen werden, die der Text des ‹Ti-
maios› offen gelassen hat (beispielsweise in der Behandlung der Planetenbewe-
gung: Ferrari 2000 [*70: 196–204, 213–222]). Theon versucht, die scheinbaren An-
omalien in den Planetenbahnen auf reguläre und gleichförmige Bewegungen
zurückzuführen: Sein Ziel besteht also darin, «die Phänomene zu bewahren»
(σῴζειν τὰ φαινόμενα), indem er zu beweisen versucht, dass das Universum ein ge-
ordnetes Gefüge darstellt (Petrucci 2009 [*453: 320–322] und 2012 [*440: 31–37]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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584 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

§ 54. Manaichmos aus Alopekonnesos

Franco Ferrari

Eine Notiz in der ‹Suda› erwähnt einen gewissen Manaichmos (Μάναιχμος) aus
Alopekonnesos in Thrakien (oder aus Prokonnesos: die beiden Städte liegen nahe
beieinander), einen platonischen Philosophen, der Schriften zu philosophischen
Fragestellungen und einen Kommentar in drei Büchern zu Platons ‹Staat› verfasst
haben soll (φιλόσοφος Πλατωνικός, ἔγραψε φιλόσοφα· καὶ Εἰς τὰς Πλάτωνος
Πολιτείας βιβλία γʹ: Suda III,317,32–318,2 Adler = test. 80.13 Dörrie-Baltes).
Manaichmos wurde fälschlich mit dem Mathematiker Menaichmos, dem Bru-
der des Deinostratos, identifiziert, einem Schüler des Eudoxos und Freund Platons,
der im 4. Jahrhundert Mitglied der Akademie war. Gegen diese Identifizierung
lässt sich nämlich ins Feld führen, dass der in der ‹Suda› erwähnte Manaichmos
einzig als ‘Philosoph’ beschrieben wird, während der Schüler des Eudoxos in ers-
ter Linie Mathematiker war. In der Tat berichtet die ‹Suda›, dass er nur Schriften
zu philosophischen und nicht auch zu mathematischen Themen verfasst habe
(dazu Dörrie, Baltes 1993 [*8: III 203 Anm. 4]; auch Fuentes González 2005
[*461]). Die Erwähnung in der ‹Suda› ist die einzige Information zu diesem plato-
nischen Autor, dessen Wirken sich offenbar auf die Kommentierung der Dialoge
Platons beschränkt zu hat.

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 55. Severos

Franco Ferrari

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFTEN

Aufgrund einer vor einigen Jahrzehnten vorgeschlagenen Konjektur hinsicht-


lich des Widmungsträgers einer Inschrift in Antinoupolis ist zu vermuten, dass der
vollständige Name Flavios Maikios Severos Dionysodoros gelautet hat. Die In-
schrift besagt weiter, dass dieser für die Bibliothek in Alexandrien arbeitete und

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§ 55. Severos (Bibl. 687) 585

vom Rat von Antinoupolis, möglicherweise seinem Heimatort, geehrt wurde (SB
III 6012 = IBM IV 1076 = 1 T. Gioè; dazu Cauderlier, Worp 1982 [*469: 72ff.], Dör-
rie, Baltes 1993 [*8: III 146], Gioè 2002 [*9: 395–397]). Severos war wahrschein-
lich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts tätig. Er erwarb sich eine gewisse
Anerkennung und Bedeutung, wurden doch seine Kommentare (ὑπομνήματα) zu
Platon zusammen mit jenen des Kronios, Numenios, Gaios und Attikos in der
Schule Plotins gelesen (Porph. Vit. Plot. 14,10–14 = 2 T. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9:
397–399]). Die Bibliothek von Alexandrien war wohl der Sitz seiner Gelehrtentä-
tigkeit, aber Kontakte zu anderen Kulturzentren – darunter auch Athen – sind
nicht auszuschließen.
Severos verfasste einen Kommentar zum ‹Timaios›, in dem er sich, unter Weg-
lassung des Prooimions des Dialogs (Prokl. In Tim. I,204,16–18 Diehl = 3 T. Gioè
= test. 81.15 Dörrie-Baltes), auf einige zentrale Passagen konzentrierte, insbeson-
dere die Ausführungen zur ontologischen Dichotomie zwischen Sein und Werden
(Tim. 28a), zur Weltentstehung (28b–31c) und zur Entstehung der Seele (35a–36c).
Aufgrund eines Zeugnisses des Eusebios ist anzunehmen, dass er auch eine Schrift
‹Über die Seele› (Περὶ ψυχῆς) verfasst hat, in der er sich offenbar von der platoni-
schen Auffassung, wie sie im ‹Timaios› vorliegt, distanziert und jener aus dem
‹Phaidon› den Vorzug gegeben hat (Eus. Praep. ev. 239,9–240,17 Mras = 17 F. Gioè).

2. LEHRE

Severos’ philosophiegeschichtliche Bedeutung gründet in erster Linie auf


s­ einem ‹Kommentar zum Timaios›. Von diesem Dialog behandelte er theologisch-
kosmologische Fragen im Zusammenhang mit der Weltentstehung und den
­Abschnitt über die ontologische Zusammensetzung und die numerische Unter-
teilung der Weltseele.
Bezüglich der ‘vexatissima quaestio’ nach der Bedeutung der Passage über die
Weltentstehung im ‹Timaios› nahm Severos eine recht eigenständige Position ein.
Zwischen der wörtlichen Auffassung Plutarchs (und Attikos’) und der metapho-
rischen Interpretation, die von der Mehrheit der Platoniker vertreten wurde, ver-
suchte er, in mancher Hinsicht zu vermitteln. So behauptete er, dass der Kosmos
«für sich selbst» (ἁπλῶς) ewig sei, dass aber «unser jetziger, der sich in dieser
Weise bewegt, entstanden» sei (τοῦτον δὲ τὸν νῦν ὄντα καὶ οὕτως κινούμενον γενη­
τόν). Zu dieser These gelangt Severos, indem er sich auf den Mythos von den kos-
mischen Zyklen aus dem ‹Politikos› (270b–273d) stützt. Dieser spricht von zwei
Zyklen, von denen sich der eine durch Ordnung auszeichnet und durch die Prä-
senz Gottes geprägt ist, während im anderen das Universum sich selbst überlas-
sen ist (Prokl. In Tim. I,289,6–13 Diehl = test. 137.9 Dörrie-Baltes = 6 T. Gioè;
dazu Baltes 1976 [*83: I 102–105], Gioè 1991–1994 [*478: 407–410], Dörrie, Baltes
1998 [*8: V 419–421]). Die Abfolge der kosmischen Zyklen, d.  h. das gesamte
Leben des Universums, ist ewig, während die Phase, in der wir uns befinden, einen
Ursprung hatte (Prokl. In Tim. II,95,29–96,1 Diehl = 7 T. Gioè) und gewisser-
maßen «ein Durchgangsstadium hin zum Chaos, das an seinem Ende steht», dar-

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586 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

stellt (Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 420]). Es ist jedoch nicht klar, ob die kosmische
Phase, in der wir uns befinden, die von Gott beherrschte ist oder ob es sich um
jene handelt, in welcher der Kosmos sich selbst überlassen ist.
Mit der geschaffenen Natur des Kosmos hängt thematisch auch die zweite theo-
logisch-kosmische Fragestellung zusammen, mit der sich Severos auseinander-
setzt: Bringt ebendieser Umstand, dass der Kosmos geschaffen sei, zugleich auch
seine Vernichtung mit sich? Gemäß Proklos soll Severos zusammen mit Plutarch
und Attikos – und in Übereinstimmung mit Plat. Tim. 41a7–b6 – behauptet haben,
dass der Kosmos potentiell der Vernichtung unterworfen sei (da er eine geschaf-
fene Entität ist), dass aber der Wille (βούλησις) des Vaters verhindere, dass er tat-
sächlich vernichtet werde (Prokl. In Tim. III,212,6–11. 23–29 Diehl = test. 137.8
Dörrie-Baltes = 8 T. Gioè; dazu Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 417–419] und Gioè 2002
[*9: 410–412]). Severos versuchte offenbar, die These von der vollkommenen
­Deckungsgleichheit von «geschaffen» (γενητόν) und «vergänglich» (φθαρτόν; Rep.
546a) und die Idee einer Vorsehung Gottes miteinander in Übereinstimmung zu
bringen, und übernahm damit die wahrscheinlich von Attikos und Harpokration
vertretene Auffassung, dass der Kosmos, für sich selbst betrachtet (d. h. im Hin-
blick auf sein eigenes Wesen), der Vergänglichkeit unterworfen sei, dass er aber
durch den Willen Gottes im Sein gehalten werde; auf diese Weise läge die Unsterb-
lichkeit des Kosmos nicht in seiner Natur, sondern sie wäre eine ἐπισκευαστὴ
ἀθανασία, d. h. eine durch Gott verschaffte Unsterblichkeit.
Eine weitere Thematik, auf die sich Severos in seiner ‹Timaios›-Auslegung in
spezieller Weise konzentriert, ist die Lehre von der Weltseele. Er übernahm die
bereits von Speusipp vertretene und von Poseidonios erneuerte geometrische Deu-
tung und behauptete, dass die Seele eine «geometrische Ausdehnung» sei
(διάστημα γεωμετρικόν), womit er sich jedoch Proklos’ Kritik einhandeln sollte,
die Seele in eine ausgedehnte und unterteilbare Entität verwandelt zu haben
(Prokl. In Tim. II,152,24–32 Diehl = 11 T. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 412–419]).
Möglicherweise gelangte Severos zu dieser Interpretation nicht zuletzt auch auf
der Grundlage des aristotelischen Zeugnisses in ‹De anima› 404b18–27 (Syrian.
In Metaph. 84,23–25 Kroll = 10 T. Gioè; dazu Deuse 1983 [*86: 102–108]).
Auch der berühmte Passus über die ‘divisio animae’, d. h. die numerische Tei-
lung der Seele, wurde von Severos untersucht. In dieser kontrovers diskutierten
Frage nahm er eine eigenständige Position ein. Er schlug eine numerische Folge
vor, die sehr hohe Werte umfasste, da er als erste Zahl anstelle der 1 dem Tim.
35b5 die Zahl 768 entnahm, mit welcher er dann alle platonischen Verhältnisse
multiplizierte mit dem Ziel, eine Reihe ohne Brüche zu konstruieren, die mit
20 736 endete, d. h. mit dem Produkt aus 768 und 27, der höchsten Zahl der plato-
nischen Reihe (Prokl. In Tim. II,191,1–192,27 Diehl = 16 T. Gioè; dazu Gioè 1991–
1994 [*478: 422–425]). Im Unterschied zur überwiegenden Mehrheit der Platoni-
ker lehnte Severos außerdem die Anordnung der Zahlen der ‘divisio animae’ in
Form eines Lambda (λαμβδοειδές) ab und schlug vor, alle Zahlen entlang einer
einzigen Geraden aufzureihen – möglicherweise in der Absicht, seine einheitliche
Auffassung des Wesens der Seele zu stützen (Prokl. In Tim. II,171,4–9 Diehl = 15
A. Gioè).

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§ 56. Lukios und Klaudios Nikostratos aus Athen (Bibl. 688) 587

In seinem ‹Kommentar zum Timaios› beschäftigte sich Severos auch mit der be-
rühmten Dichotomie zwischen Sein und Werden und schlug dafür ebenfalls eine
eigenständige Interpretation vor, die möglicherweise von der stoischen Kategori-
enlehre beeinflusst war. Severos scheint nämlich das fragende τί aus Tim. 27d6 als
unbestimmtes Pronomen aufgefasst zu haben, um dann zu behaupten, dass dieses
τι die übergeordnete Gattung darstelle, unter die das Sein (ὄν) und das Werden
(γιγνόμενον) fielen (Prokl. In Tim. I,227,13–18 Diehl = test. 104.8 Dörrie-Baltes =
4 T. Gioè; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 288f.] und Gioè 2002 [*9: 402–406]).
Ebenfalls bezogen auf Tim. 28a scheint Severos das von Platon festgelegte Ver-
hältnis zwischen Denken (νόησις) und Vernunft (λόγος; das Sein wird vom Den-
ken mit Hilfe der Vernunft erfasst) umgedreht zu haben, um so den Vorrang des
λόγος zu behaupten, für den die νόησις ein bloßes Werkzeug (ὄργανον) darstelle
(Prokl. In Tim. I,255,3–9 Diehl = 13 T. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 419–422]).
In seiner Schrift ‹Über die Seele› kritisierte Severos die zweiteilige Seelenlehre
des ‹Timaios›, nach der die Seele aus einem rationalen und einem irrationalen Teil
zusammengesetzt sei, und stellte ihr eine streng monistische Seelenlehre entge-
gen, die zwar jener des ‹Phaidon› verwandt, aber wohl nicht frei von stoischen Ein-
flüssen war (Eus. Praep. ev. 239,9–240,17 Mras = 17 F. Gioè; dazu Dillon 21996
[*25: 263f.]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 56. Lukios und Klaudios Nikostratos aus Athen

Franco Ferrari

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFTEN

Ein delphischer Beschluss von 163 ehrt Klaudios Nikostratos zusammen mit an-
deren Personen aus Athen (darunter auch Gaios), die alle als «platonische Philo-
sophen» bezeichnet werden, mit der Verleihung des Bürgerrechts (πολιτεία) und
weiterer wichtiger Vorrechte, wie etwa der Proxenie und der Erlaubnis, ein Haus
zu besitzen (FD III 4, n. 94 = SIG3 II n. 868 B = Nicostr. 1 T. Gioè; dazu Gioè 2002
[*9: 180–182]). Es handelt sich dabei ohne Zweifel um denselben Nikostratos, der
oft in Simplikios’ Kommentar zu den ‹Kategorien› des Aristoteles erwähnt wird

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588 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

(Praechter 1922 [*491: 481ff.]). Bisweilen erscheint der Name des Nikostratos
neben dem des etwas älteren Lukios, von dem Nikostratos zahlreiche polemische
Einwürfe gegen Aristoteles übernommen haben soll (Simpl. In Cat. 1,18–2,5 Kalb-
fleisch = test. 86.4 Dörrie-Baltes = Luc. 1 T. Gioè). In Anbetracht dessen, dass eine
der Aporien, die Nikostratos gegen Aristoteles vorbrachte, von Attikos übernom-
men wurde (fr. 41 des Places = Simpl. In Cat. 30,16–18 Kalbfleisch = Nicostr. 8 T.
Gioè), dessen ‘floruit’ um das Jahr 176 n. Chr. datiert wird, darf angenommen wer-
den, dass Lukios in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts aktiv war und Nikostra-
tos nur wenig später. Über die Persönlichkeit und das Leben des Lukios haben wir
hingegen keinerlei Kenntnis, weil sämtliche Versuche, ihn mit anderweitig bekann-
ten Personen zu identifizieren, gescheitert sind (Luna 2005 [*497: 167]).
Wahrscheinlich hatte bereits Simplikios nicht mehr direkten Zugang zu den
Schriften des Lukios und des Nikostratos, deren Positionen ihm jedoch durch die
Vermittlung der Kommentare Porphyrios’ und Iamblichos’ bekannt waren (Luna
2005 [*497: 169]). Der Umstand, dass Simplikios die beiden Platoniker bisweilen
Seite an Seite erwähnt und behauptet, dass Nikostratos sich auf die Argumente
des Lukios stützte, hat einige Gelehrte dazu gebracht, auf eine Unterscheidung
ihrer Positionen zu verzichten: «Es wäre wohl ein aussichtsloses Unterfangen, den
Versuch zu machen, anhand der Angaben des Simplikios das Gedankengut des
Lukios von dem des Nikostratos zu trennen» (Moraux 1984 [*493: 530]). Das Feh-
len von Verweisen auf Lukios in Simplikios’ ‹Kategorien›-Kommentar nach Ka-
pitel 7 könnte darauf hinweisen, dass dessen Kommentar nicht weiter reichte, wäh-
rend Nikostratos die Widerlegung der aristotelischen Schrift fortgeführt hätte.
Auf jeden Fall hielt Nikostratos im Unterschied zu Andronikos von Rhodos die
sogenannten Postpraedicamenta für echt (Moraux 1984 [*493: 552–561]).

2. LEHRE

Lukios und Nikostratos zeigten eine stark polemische Haltung gegenüber Aris-
toteles. Ihre Argumente mögen zuweilen spitzfindig und wenig fundiert erschei-
nen, doch enthalten sie auch philosophisch interessante Anregungen. Abgesehen
davon muss sogar Simplikios selbst anerkennen, dass ihre Aporien späteren Den-
kern Anlass zu einer Vertiefung dieser Themen gaben (Porphyrios und Iambli-
chos präsentierten die «Lösungen», λύσεις, für diese Aporien), und auch Plotin
machte sich vermutlich in den großen Traktaten ‹Über die Gattungen des Seins›
(VI 1–3) Beobachtungen dieser Platoniker zunutze, wenngleich Lukios’ und Ni-
kostratos’ Standpunkt im Wesentlichen polemisch ist, während bei Plotin eine
konstruktive und systematische Haltung dominiert (Chiaradonna 2005 [*495]).
Lukios’ und Nikostratos’ Einwände gegen die aristotelischen ‹Kategorien› be-
rühren nahezu alle Themen der Schrift: die Lehre der Substanz, den Begriff der
Homonymie, Anzahl und Ordnung der Kategorien, die Erweiterung ihres Anwen-
dungsbereichs auf die intelligible Welt usw.
Vor allem Nikostratos richtete seine Aufmerksamkeit auf den Begriff der Ho-
monymie und versuchte – bisweilen mit spitzfindigen und trügerischen Argumen-

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§ 56. Lukios und Klaudios Nikostratos aus Athen (Bibl. 688) 589

ten –, ihr widersprüchliches Wesen ans Licht zu bringen. Er geht dabei von der
Feststellung aus, dass sich ein bestimmter Name auf verschiedene Realitäten be-
ziehen müsse, um homonym zu sein; so bezeichnet beispielsweise der Name
‘Hund’ (κύων) ein Landtier, ein Sternbild, ein Meerestier und die einseitige Ge-
sichtslähmung. Auf diese Weise zeigt ein Homonym nichts Bestimmtes an, und da
es keine Realität bezeichnet, d. h. keine bestimmte Bedeutung hat, handelt es sich
dabei nicht einmal um einen Namen. Damit dieser etwas bedeuten kann, müsste
man dem homonymen Begriff eine nähere Bestimmung beifügen, die seine Be-
deutung klar macht, doch läge dann nicht mehr ein Name (ὄνομα) vor, sondern
eine Definition (λόγος), was dazu führt, dass der homonyme Begriff aufhört, ein
solcher zu sein (Simpl. In Cat. 26,21–27,33 Kalbfleisch = Nicostr. 6 T. Gioè; dazu
Moraux 1984 [*493: 532–536], Gioè 2002 [*9: 86–89]).
Um einen eindeutigen Trugschluss handelt es sich bei einem später von Attikos
aufgenommenen und vertieften Argument, mit dem Nikostratos ebenfalls das wi-
dersprüchliche Wesen des Begriffs der Homonymie zu erweisen sucht. Er gibt zu
bedenken, dass jene Dinge synonym sind, die Namen und Definition gemeinsam
haben; in diesem Sinne erweisen sich am Ende aber auch die homonymen Dinge
als synonym, da den homonymen Entitäten (die nur den Namen, nicht aber die De-
finition gemeinsam haben) in dem Moment, in dem sie ‘homonym’ genannt wer-
den, auch die Definition von Homonymen gemeinsam ist und sie sich so bis zu
einem gewissen Grad in Synonyme verwandeln: Es handelt sich hierbei um das so-
genannte ‘Homonym-Synonym-Paradox’ (Simpl. In Cat. 30,16–23 Kalbfleisch =
Nicostr. 8 T. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 192f.] und Flannery 1999 [*494: 269–273]).
Sowohl Lukios als auch Nikostratos werfen Aristoteles vor, den Unterschied zwi-
schen der sinnlich wahrnehmbaren und der intelligiblen Welt nicht bedacht zu
haben. Durch die Kategorienlehre habe er die intelligible Welt entweder vollstän-
dig ignoriert oder aber gefordert, die Kategorien, die in der sinnlich wahrnehmba-
ren Welt ihre Gültigkeit haben, auf die intelligible Welt auszudehnen. Lukios er-
klärt, dass es nicht zulässig sei, eine «Gemeinschaft» (κοινωνία) festzulegen
zwischen «dem, was vorausgeht» (τὸ πρότερον), und «dem, was folgt» (τὸ ὕστερον),
zwischen Modell und Abbild (Simpl. In Cat. 73,15–28 Kalbfleisch = Luc. 5 T. Gioè).
Auf analoge Weise bestreitet Nikostratos, der von Simplikios hinsichtlich dieser
Äußerung sogar mit Plotin verbunden wird (Enn. VI 1 [42] 2,8–18; Chiaradonna
2005 [*495: 248–252]), Aristoteles’ Auffassung, nach der die Substanz (οὐσία) eine
einzige Gattung (γένος) sei, die sowohl das Intelligible als auch das sinnlich Wahr-
nehmbare umfasse. Wenn die Substanz eine allgemeine Gattung wäre, die sowohl
von der sinnlich wahrnehmbaren als auch von der intelligiblen Substanz ausgesagt
wird, wäre sie weder körperlich noch unkörperlich, denn wenn sie eines davon wäre,
wäre das Körperliche unkörperlich (insofern darauf bezogen Substanz als ‘unkör-
perlich’ ausgesagt würde) und das Unkörperliche körperlich (insofern darauf bezo-
gen Substanz als ‘körperlich’ ausgesagt würde; Simpl. In Cat. 79,13–17 Kalbfleisch
= Nicostr. 13 T. Gioè; dazu Moraux 1984 [*493: 543f.] und Gioè 2002 [*9: 197f.]).
Die Einwände der beiden Platoniker galten auch den einzelnen aristotelischen
Kategorien. So lenkte Lukios die Aufmerksamkeit auf die zweideutige Natur des
Begriffs «Körper» (σῶμα): Auf der einen Seite fällt er als geometrische, dreidimen-

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590 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

sionale Entität unter die Kategorie der Quantität, als «Zugrundeliegendes»


(ὑποκείμενον) ist er dagegen Substanz (Simpl. In Cat. 125,13–16 Kalbfleisch = Luc.
6 T. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 45–47], Luna 2005 [*497: 172]). Beide stellten auch
die Ordnung und die Anzahl der Kategorien zur Diskussion. Nikostratos kritisiert
außerdem die Kategorie des «Habens» (ἔχειν), indem er nachzuweisen sucht, dass
sich jede einzelne der zahlreichen Verwendungsweisen dieses Begriffs auf eine
andere Kategorie zurückführen lässt (Simpl. In Cat. 368,12–369,14 Kalbfleisch =
Nicostr. 18 F. Gioè; dazu Moraux 1984 [*493: 550–552]). Von Interesse ist schließ-
lich auch Nikostratos’ Einwand gegen die berühmte aristotelische Auffassung, der
Gegensatz Wahr-Falsch lasse sich nur auf Behauptungen und Verneinungen an-
wenden und habe in anderen Formen der Rede wie in der Bitte, dem Befehl usw.
keine Gültigkeit. Nikostratos wendet dagegen ein, dass er auch den Ausrufen der
Bewunderung (z. B. «Wie schön ist der Piräus!») oder den Schmähungen (z. B.
«Wie dumm er ist!») inhärent sei. Außerdem behauptet er, dass ein solcher Ge-
gensatz nicht für alle aussagenden oder verneinenden Sätze Gültigkeit habe, da er
sich nicht auf Aussagen über zukünftige kontingente Ereignisse anwenden lasse
(z. B. «Morgen wird oder wird nicht eine Seeschlacht stattfinden»: Simpl. In Cat.
406,6–16 Kalbfleisch = Nicostr. 25 F. Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 211–214]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 57. Kalvenos Tauros aus Berytos

Franco Ferrari

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFTEN

Lukios Kalvenos Tauros, platonischer Philosoph, erscheint als Empfänger des


Bürgerrechts, der Proxenie, des Vorrangs im Gericht und des Rechts, Boden und ein
Haus zu besitzen, in einem delphischen Beschluss, den manche ins Jahr 163 n. Chr.
datieren, der aber auch einige Jahrzehnte älter sein könnte (FD III 4, n. 91 = SIG3 II
n. 868A = test. 2 Lakmann = 1 T. Gioè; dazu Göransson 1995 [*587: 36f.], Gioè 2002
[*9: 285f.]; die oben erwähnte Inschrift zu Klaudios Nikostratos befindet sich direkt
neben dem Beschluss bezüglich Tauros). Es handelt sich dabei um den platonischen
Philosophen und Lehrer des Aulus Gellius, der ihn in den ‹Noctes Atticae› oft er-
wähnt. Sein Name ist gemäß der delphischen Inschrift Καλβῆνος Ταῦρος, während

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§ 57. Kalvenos Tauros aus Berytos (Bibl. 688) 591

die Form Calvisius, die sich in Gell. 18,10,3 (= test. 15 Lakmann = 20 T. Gioè) findet,
wohl durch eine fehlerhafte Transkription im Laufe der handschriftlichen Überlie-
ferung zu erklären ist (Lakmann 1995 [*513: 183f.] und Gioè 2002 [*9: 287f.]).
Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt, aber es dürfte in die ersten Jahre des 2. Jahr-
hunderts datieren, möglicherweise um 105. Auch die Bestimmung des Geburtsorts
erweist sich als schwierig: Während die delphische Inschrift, die ‹Suda› und Hiero-
nymus (test. 1 Lakmann = 2 T. Gioè) Berytos, das heutige Beirut, angeben, spre-
chen Philostratos und Ps.-Heron von Tyros bzw. Sidon (Philostr. Vit. Soph. 71,23–
30 Kayser = test. 3 Lakmann = 4 T. Gioè; Ps.-Heron. Def. 156,21–158,1 Heiberg =
test. 21 Lakmann = 21 F. Gioè; dazu Tarrant 2007 [*589: 457]). Auf jeden Fall han-
delt es sich um eine Stadt im Osten des Reiches, und der nicht-griechische Ur-
sprung des Tauros lässt sich kaum bestreiten. Die ‹Suda› (IV,509,12–15 Adler =
test. 18 Lakmann = 3 T. Gioè) datiert Tauros’ Leben in die Herrschaftszeit des An-
toninus Pius (138–161). Er erlangte als platonischer Philosoph ein so bemerkens-
wertes Ansehen, dass er von wichtigen Amtsträgern aufgesucht wurde (Gell. 2,2,1
= test. 6 Lakmann = 13 T. Gioè) und Gellius ihn als einen «zu unserer Zeit in der
platonischen Philosophie berühmten Mann» («vir memoria nostra in disciplina pla-
tonica celebratus») bezeichnet (Gell. 7,10,1 = test. 7 Lakmann = 7 T. Gioè). Er
wirkte vor allem in Athen, wo er eine Privatschule für platonische Philosophie
führte, die er möglicherweise in seinem eigenen Haus beherbergte.
Über Tauros’ Lehrtätigkeit berichtet Aulus Gellius, wenn er dessen Unter-
richtsstil beschreibt. Sicherlich wurden Passagen aus den platonischen Dialogen
gelesen und kommentiert (Gell. 17,20,1–7 = test. 14 Lakmann = 10 T. Gioè). Im
Großen und Ganzen war die Atmosphäre ungezwungen, und die Studenten konn-
ten Fragen allgemeinen philosophischen Interesses stellen, auf die der Lehrer zu
antworten suchte, wobei er wohl auch Passagen aus Platon anführte. Gellius be-
richtet außerdem, dass Tauros seine Schüler zum Mittagessen einzuladen pflegte,
nach dessen Abschluss philosophische Fragen leichteren Inhalts (non gravia nec
reverenda) besprochen wurden (Gell. 7,13,1–12 = test. 8 Lakmann = 11 T. Gioè):
Wann stirbt ein Sterbender? Während er noch lebt oder wenn er schon tot ist?
Oder: Wann steht ein aufstehender Mann auf? Während er noch sitzt oder wäh-
rend er schon steht? Möglicherweise handelt es sich hierbei um nur scheinbar nich-
tige Probleme, brachte Tauros sie doch mit der berühmten Behandlung des
­«Augenblicks» (ἐξαίφνης) in Platons ‹Parmenides› in Verbindung (Parm. 156dff.;
Engert 2011 [*515: 132–134]). So scheint Tauros versucht zu haben, an seiner
Schule ein auf dem Gemeinschaftsleben (συνουσία) basierendes Lehrer-Schüler-
Verhältnis nach dem Vorbild der platonischen Akademie wiederzubeleben.
Tauros verfasste einen bedeutenden Kommentar zu Platons ‹Timaios›, von dem
längere Auszüge in Philoponos’ Schrift ‹De aeternitate mundi› enthalten sind.
Außerdem schrieb er einen Kommentar in mehreren Büchern zum ‹Gorgias›
(Gell. 7,14,5 = test. 20 Lakmann = 14 T. Gioè), einen Kommentar zum ‹Staat› (Ps.-
Heron. Def. 156,21 Heiberg = test. 21 Lakmann = 21 F. Gioè), eine Schrift gegen
die Stoiker (Gell. 12,5,5 = test. 12 Lakmann = 17 T. Gioè) und, laut ‹Suda›
(IV,509,12–15 Adler = test. 18 Lakmann = 3 T. Gioè), zwei Werke allgemeinen phi-
losophischen Charakters mit den Titeln ‹Über den Unterschied zwischen den Leh-

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592 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

ren des Platon und des Aristoteles› (Περὶ τῆς τῶν δογμάτων διαφορᾶς Πλάτωνος
καὶ Ἀριστοτέλους) und ‹Über körperliche und unkörperliche Dinge› (Περὶ
σωμάτων καὶ ἀσωμάτων).

2. LEHRE

In der unter den Mittelplatonikern hitzig geführten Debatte über das Problem
der Weltentstehung im ‹Timaios› war Tauros einer der vehementesten Vertreter
der didaktisch-metaphorischen Interpretation. Die von ihm ins Feld geführten
­Argumente stellten einen wichtigen Bezugspunkt für die künftigen Vertreter der
didaktischen Auslegung dar, die Platon die Annahme der Ewigkeit der Welt zu-
schrieben. Spuren von Tauros’ Thesen finden sich bei Plotin, Porphyrios und Pro-
klos (Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 426–523]).
Einer unter den mittelplatonischen Kommentatoren verbreiteten Praxis folgend
zögerte Tauros nicht, den Text des ‹Timaios› zu ändern, um seine eigene Interpre-
tation zu stützen. Der bekannteste dieser exegetisch motivierten Eingriffe findet
sich im Passus 27c4–5: εἰ γέγονεν ἢ καὶ ἀγενές («ob er entstanden ist oder unge-
schaffen»), wo Tauros dahingehend korrigiert, dass die disjunktive oder dubitative
Konjunktion ἤ durch ein εἰ ersetzt und damit der platonischen Aussage ein kon-
zessiver Sinn gegeben wird: «ob er entstanden, auch wenn er ungeschaffen ist»
(Philop. Aet. mund. 123,19–23 Rabe = test. 25A Lakmann = 29 T. Gioè; dazu
­Baltes 1976 [*83: I 112–115], Whittaker 1989 [*63], Gioè 2002 [*9: 362–366]).
Tauros’ erster Argumentationsschritt besteht in der Feststellung, dass das Ad-
jektiv γενητός seinem Wesen nach ein πολλαχῶς λεγόμενον ist, d. h. dass es über
mehrere Bedeutungen verfügt, von denen zumindest vier keine temporale Kon-
notation mit sich bringen. Wenn Platon behauptet hat, der Kosmos sei entstanden
(γέγονε), bedeutet dies nicht, dass er damit sagen wollte, er habe einen zeitlich be-
stimmten Anfangspunkt. Unter Berufung auf Aristoteles’ Forderung, dass ein-
deutig bestimmt werden müsse, in welchem Sinne man sage, die Dinge seien un-
geschaffen oder geschaffen, vergänglich oder unvergänglich (Cael. A 11, 280b1–2),
unterscheidet Tauros mindestens vier Bedeutungen, in denen der Ausdruck
γενητόν einen nicht-zeitlichen Sinn annimmt: 1) ‘Geschaffen’ wird genannt, was
nicht geworden ist, aber zur selben Gattung gehört wie die γενητά, d. h. die ge-
schaffenen Realitäten (in diesem Sinne kann etwas ‘sichtbar’ genannt werden,
auch wenn wir es nicht sehen). 2) ‘Geschaffen’ wird auch das nur «in Gedanken
Zusammengesetzte» (τὸ ἐπινοίᾳ σύνθετον) genannt, auch wenn es nicht wirklich
zusammengesetzt ist (so wird der Ton ‘Mese’ ausgehend von der ‘Nete’ und der
‘Hypate’ generiert/geschaffen); der Kosmos ist in diesem Sinne geschaffen, da er
aus den Elementen besteht, auf die er sich mittels einer logischen Analyse zurück-
führen lässt. 3) ‘Geschaffen’ wird der Kosmos genannt, weil er immer im Werden
begriffen ist. 4) Der Kosmos soll ‘geschaffen’ genannt werden, weil sein Sein an-
derswoher stammt, nämlich von Gott, auf den hin er geordnet ist. In diesem letz-
ten Fall soll der Verweis auf seine Erschaffung belegen, dass er in seiner Existenz
von Gott oder von einem ihm extrinsischen Kausalsystem abhängig ist. Aufgrund

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§ 57. Kalvenos Tauros aus Berytos (Bibl. 688) 593

dieser vier Bedeutungen ist es für Tauros unproblematisch, die Welt im Sinne Pla-
tons als γενητός zu bezeichnen; allein die zeitliche Deutung wird verworfen (Phi-
lop. Aet. mund. 145,1–147,25 Rabe = test. Lakmann 22B = 23 F. Gioè = test.
140.1–2 Dörrie-Baltes; dazu Dillon 21996 [*25: 242–244], Dörrie, Baltes 1998 [*8:
V 454–465], Gioè 2002 [*9: 346–355] und Tarrant 2007 [*589: 459f.]).
Tauros versucht auch, die Gründe sorgfältig zu klären, die Platon dazu bewogen
haben, die Welt als eine in der Zeit geschaffene Entität darzustellen, auch wenn er
von ihrer Ewigkeit überzeugt war. Er nennt dabei zwei Gründe philosophischer
Natur: Der erste betrifft die Thematik der religiösen Scheu (εὐσέβεια), der zweite
die Forderung nach Klarheit (σαφηνείας χάριν). Im Hinblick auf den ersten Punkt
bemerkt Tauros, dass die meisten Menschen nur dann fähig sind, Beziehungen des
Vorrangs und der Abhängigkeit zu verstehen, wenn diese zeitlicher Natur sind, und
dass sie nicht in der Lage sind, die Existenz einer anderen Art von Ursache zu be-
greifen als jene, die zeitlich vor ihren Effekten wirkt. Hätte Platon die Abhängig-
keit der Welt von Gott nicht mit einer zeitlichen Dimension veranschaulicht, so hät-
ten die meisten das Vorhandensein der Vorsehung (πρόνοια) nicht begriffen.
Hinsichtlich der Forderung nach Klarheit, die Tauros der akademischen Interpre-
tation (Speusipp und Xenokrates) des ‹Timaios› verdankt, bemerkt er, dass Platons
Darstellung, in der die Welt als geschaffen erscheint, sein Argument auf dieselbe
Weise klarer macht, wie dies auch bei den geometrischen Figuren der Fall ist, die
– obschon nicht zusammengesetzt – als zusammengesetzt dargestellt, d. h. gezeich-
net würden, damit ihre Struktur leichter verständlich wird (Philop. Aet. mund.
187,1–189,9 Rabe = test. 23B Lakmann = 26 F. Gioè = test. 138.2 Dörrie-Baltes;
dazu Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 428–435], Gioè 2002 [*9: 355–361]).
Ebenfalls im Bereich der Kosmologie scheint Tauros – gegen die aristotelische
Tradition – die These verteidigt zu haben, dass sich die Anzahl der Naturelemente
auf vier beschränke (Philop. Aet. mund. 481,13–17 Rabe = test. 26A Lakmann =
32 T. Gioè). Die verfügbaren Quellen bieten keine detaillierten Informationen über
Tauros’ Prinzipienlehre. Eine Andeutung in einem Fragment, das Johannes Philo-
ponos überliefert hat, scheint darauf hinzuweisen, dass er eine Dreiprinzipienlehre
vertrat (Gott, ideales Vorbild, Materie), wobei freilich der Prinzipienstatus der Ma-
terie in Frage gestellt wurde (Philop. 147,19–21 Rabe; dazu Lilla 1992 [*39: 55]).
Auf dem Gebiet der Ethik polemisierte Tauros gegen die stoische Lehre der
«Affektlosigkeit» (ἀπάθεια) und vertrat die mittelplatonische Auffassung der
«Mäßigung der Affekte» (μετριοπάθεια). Insbesondere in der Frage, ob der Weise
sich erzürnen dürfe – mit größter Wahrscheinlichkeit ein ‘Topos’ der Schuldiskus-
sionen –, unterscheidet Tauros zwischen der vollkommenen «Unempfindlichkeit
gegenüber Gefühlsregungen» (ἀναλγησία), die sich als schädlich erweise, und der
«Freiheit von Zorn» (ἀοργησία), die nicht zur Eliminierung der Emotionen, son-
dern zu deren Kontrolle führe. Er war der Ansicht, dass «die völlige Eliminierung,
die von den Griechen στέρησις genannt wird, nicht von Nutzen sei, dagegen je-
doch die Mäßigung, die μετριότης genannt wird» («non privationem esse utilem
censuit, quam Graeci στέρησιν dicunt, sed mediocritatem, quam μετριότητα illi
appellant»: Gell. 1,26,11 = test. 5 Lakmann = 16 T. Gioè; dazu Lakmann 1995
[*513: 28–45], Gioè 2002 [*9: 323–328]).

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594 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

In seinem Kommentar zum platonischen ‹Gorgias› legt Tauros auch die Gründe
dar, die eine Bestrafung der begangenen Fehler rechtfertigen: Es handelt sich um
1) Züchtigung und dadurch Verbesserung des Übeltäters, 2) Wiederherstellung
der Ehre des Opfers und 3) das Bedürfnis, mittels der Bestrafung ein Exempel zu
statuieren (exemplum/παράδειγμα: Gell. Noct. Att. 7,14,1–9 = test. 20 Lakmann
= 14 T Gioè; dazu Gioè 2002 [*9: 317–321] und Engert 2011 [*515: 135–137]).
Tauros legt eine vertiefte Kenntnis der allgemeinen Grundsätze der stoischen
Ethik und insbesondere der Auffasung der Oikeiosis sowie der «ersten Güter
gemäß der Natur» (τὰ πρῶτα κατὰ φύσιν) an den Tag. Seiner Ansicht nach lassen
sich solche Auffassungen nicht mit dem Anspruch verbinden, dass der Weise die
Apathie erreiche: Wenn der Mensch tatsächlich von Geburt an die Lust anstrebt
und den Schmerz vermeidet und ihm erst zu einem späteren Zeitpunkt von der
Vernunft das ‘decorum’ und das ‘honestum’ (d. h. das Gute und die Tugend) als
Ziele auferlegt werden, denen gegenüber Schmerz und Lust bedeutungslos sind,
bestehen diese Neigungen, nämlich die Lust anzustreben und den Schmerz zu ver-
meiden, weiter und können daher nicht gänzlich ausgerottet, sondern nur durch
die Vernunft beherrscht werden. Daher erweist sich das stoische Ideal der ἀπάθεια
als in der Tat unverwirklichbar und als der menschlichen Natur entgegengesetzt
(Dillon 21996 [*25: 240–242]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 58. Attikos

Irmgard Männlein-Robert

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Attikos ist ein bedeutender und trotz grundsätzlich orthodoxer Haltung auch
eigenwilliger Platoniker des 2. Jahrhunderts n. Chr. (Fragmente und Testimonien
sind zitiert nach des Places 1977 [*527]; Ergänzungen bei Baltes 1983 [*543]; des
Places ersetzt Baudry 1931 [*524], siehe dazu die wichtige Rezension von Merlan
1934 [*534: 263–270]; Mullach 1879 [*523: 185–202]; Sammlung der Attikos-Tes-
timonien und -fragmente aus Proklos und Eusebios bei Martano 1955 [*525: 69–
97]; überholt ist Freudenthal 1896 [*533]; knapp Baltes 1997 [*553]). Die einzige

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§ 58. Attikos (Bibl. 689–690) 595

für die Datierung verwertbare Information über die Lebenszeit des Attikos ist
eine Angabe in der lateinischen ‹Weltchronik› des Hieronymus, die auf der grie-
chischen ‹Chronik› des Eusebios von Caesarea basiert: Attikos wird für das Jahr
176 n. Chr. als angesehener Platoniker genannt. Von Georgios Synkellos wird der
Platoniker Attikos in das 5. Jahr der Regierung Mark Aurels datiert (166 n. Chr.).
Möglicherweise darf also die Zeitspanne von 166–176 n. Chr. als ἀκμή des Atti-
kos verstanden werden (Eus./Hier. Chron. 207 Helm = Dörrie, Baltes 1993 [*8: III
147ff.]; Georg. Synk. Chron. 353b, 432,5 Mosshammer). Für Attikos’ Lebenszeit
ist daher wohl die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. anzusetzen. Ob seine
Erwähnung präzise für das Jahr 176 n. Chr. in direktem Zusammenhang mit den
im selben Jahr durch Mark Aurel institutionell neu begründeten Philosophielehr-
stühlen in Athen steht (Philostr. Vit. Soph. 566; Cass. Dio 72,31,3; vgl. Dörrie, Bal-
tes 1993 [*8: III 135ff.]) und ob Attikos gar selbst Inhaber des neuen kaiser­lichen
Lehrstuhls für platonische Philosophie war, lässt sich nicht sicher feststellen (Dil-
lon 21996 [*25: 248], Whittaker 1989 [*548: 665]). Als sein Schüler gilt der Plato-
niker und Lexikograph Harpokration aus Argos (fr. 2 Gioè), der als Verfasser des
wohl umfangreichsten ‹Timaios›-Kommentars in 24 Büchern bekannt ist (Suda
I,366,27ff. Adler; Boys-Stones 2012 [*558]).

2. WERK

Bei Eusebios (Praep. ev. 11,1,2 = fr. 1 des des Aristoteles erklären zu können› zugeordnet
Places; 15,4–9. 12f. = fr. 2–9 des Places) sind aus- werden (Dörrie, Baltes 1993 [*8: III 248], Baltes
führliche Passagen aus einer polemischen Schrift 1997 [*553: 245]; vgl. Mras 1936 [*535: 186f.] und
des Attikos mit dem Titel ‹Gegen diejenigen, die 1956 [*536: 213 mit Anm.], Karamanolis 2006 [*48:
versprechen, die Lehren Platons durch die des 177f.]). Proklos verweist ausdrücklich auf die phi-
Aristoteles erklären zu können› (Πρὸς τοὺς διὰ lologischen Qualitäten des «überaus fleißigen»
τῶν Ἀριστοτέλους τὰ Πλάτωνος ὑπισχνουμένους) (φιλοπονώτατος) Attikos in seiner Kommentie-
erhalten, die den argumentativen Einsatz des At- rung Platons (Prokl. In Tim. III,247,12–15 Diehl =
tikos gegen die seit Antiochos von Askalon etab- fr. 14 des Places), da er immer am Wortlaut Platons
lierten Bemühungen zeigt, die Lehren Platons mit festhalte und diesen gegen jede metaphorische
denen des Aristoteles zu harmonisieren (deutsche Auslegung verteidige (Prokl. In Tim. I,284,13f.
Übersetzung bei Gigon 1961 [*526: 293–321], Mo- Diehl; ebd. III,234,9–18; ebd. III,247,13f. = fr. 14
raux 1984 [*545]; zur Diskussion um den Anlass und 15 des Places; dazu Baltes 1983 [*543: 39]).
dieser Polemik siehe Dillon 21996 [*25: 250]). Wei- Der strenge Rekurs auf den Wortlaut der platoni-
terhin sind im ‹Timaios›-Kommentar des Proklos schen Schriften ist einem genuin philologischen
(315A = I,247 Diehl; vgl. Porph. Vit. Plot. 14,10– Zugang geschuldet, der die größtmögliche An­
14) viele Ausführungen des Attikos zum ‹Timaios› näherung an den göttlichen Platon selbst gewähr-
kenntlich, der offensichtlich selbst einen Kom- leisten sollte. Anders als die meisten mittelpla­
mentar verfasst hat (fr. 12–39 des Places). Mögli- tonischen Kommentatoren des ‹Timaios› bietet
cherweise hat er sich auch mit Platons ‹Phaidon›, Attikos Erläuterungen nicht nur zum philo­
wahrscheinlicher mit dem ‹Phaidros›, beschäftigt sophisch sicherlich bedeutendsten dritten Teil
(fr. 44 und fr. 14 des Places; Moreschini 1990 (Tim. 27cff.), sondern auch zum dramatischen
[*549]). Unsicher ist, welcher Art seine Schrift Prolog (Tim. 17a–20c) sowie zum zweiten Teil, der
über die Seele war (fr. 10–11 des Places). Frag- Vorgeschichte und der ersten Version der Erzäh-
mente, die einen Kommentar zu den ‹Kategorien› lung von Atlantis und Ur-Athen (Tim. 20d–27b):
des Aristoteles nahe legen (fr. 2,136ff.; 40–42 des Das heißt, Attikos arbeitet den gesamten Text
Places), müssen wohl der Schrift ‹Gegen diejeni- ­Platons durch, kommentiert alles, nimmt den Text
gen, die versprechen, die Lehren Platons durch die in seinem Wortlaut und seiner Gesamtkomposi-

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596 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

tion sehr genau, konstatiert zu Recht philoso­ Attikos die Schriften Platons interpretiert, so
­
phische Probleme bei Uneindeutigkeit des Textes ­ ngenau verfährt er mit jenen des Aristoteles. In
u
(z. B. zu Plat. Tim. 28a6f. – der Demiurg blickt auf seinem Kampf gegen dessen Lehren rekurriert
das Vorbild –, als er die Stellung von «immer», ἀεί, ­Attikos nicht auf seine Schriften, sondern nur auf
entweder zu κατὰ ταὐτὰ ἔχον, «das sich immer allgemeine Thesen, wie sie in der doxographischen
gemäß demselben verhält», oder zu βλέπων, «bli- ­Tradition kolportiert werden (Merlan 1934 [*534:
ckend», diskutiert = fr. 18 des Places; dazu Baltes 269], Moraux 1984 [*545: 580f.], Gombocz 1997
1983 [*543: 39]). So philologisch und skrupulös [*40: 125]).

3. LEHRE

1. Prinzipienlehre. – 2. Seelenlehre. – 3. Ethik. – 4. Kategorienlehre.

1. Prinzipienlehre

Attikos beschäftigt sich vor allem in seinem Kommentar zum platonischen


‹­Timaios›, dem Usus der mittelplatonischen Philosophen entsprechend, intensiv
mit der Erläuterung der drei ersten Prinzipien nach Platon (Lilla 1992 [*39: 59–67
Synopse der Fragmente], Gombocz 1997 [*40: 126–131]): Das erste Prinzip stellt
für ihn der Demiurg des ‹Timaios› dar. Diesen sieht er als «allerersten Gott»
(πρώτιστος θεός: fr. 28,7f. des Places), als «höchsten und erhabensten intelligiblen
Gott» (θεὸς πρεσβύτατος καὶ νοητός: fr. 37,4f. des Places) an und identifiziert ihn
anders als z. B. Numenios (etwa fr. 16 und 20 des Places) oder später Plotin (vgl.
Porph. Vit. Plot. 17) ontologisch mit dem höchsten Prinzip, «dem Guten» (τὸ ἀγαθόν),
aus Platons ‹Politeia› (fr. 12–13 des Places). Attikos bezieht damit Stellung in einer
zeitgenössischen Diskussion um die Frage nach dem höchsten Gott (siehe Nume-
nios und Maximos von Tyros, Diss. 11; dazu Baltes 1983 [*543: 39f.], Moreschini
1987 [*546: 487–489], Brenk 1992 [*552: 58f.]) und entscheidet sich für den kon-
servativen Standpunkt einer Identität von Demiurg und höchstem Prinzip. Anders
als z. B. Albinos argumentiert er jedoch eng am Text, wenn er darauf verweist, dass
sowohl Sokrates in der ‹Politeia› (379a) als auch Timaios im gleichnamigen Dia-
log (29e) den Gott als «gut» (ἀγαθός) bezeichne und aus dieser gleichlautenden
Qualitätsbeschreibung eine Identität der genannten Gottesinstanzen schlussfol-
gert (zur Widerlegung dieser These durch Proklos siehe Baltes 1983 [*543: 40];
Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 269]). Der Demiurg als Weltschöpfer erschafft Attikos
zufolge die Dinge der Welt, indem er auf die Ideen blickt, die das zweite Prinzip
darstellen. Attikos formuliert dabei eine originelle, von der traditionellen mittel-
platonischen ‘communis opinio’ abweichende Lehrmeinung, nach der die Ideen
als Gedanken im «Geist» (νοῦς) des Demiurgen zu verstehen sind (fr. 9,35–45 des
Places). Attikos interpretiert nämlich das immerwährende «Blicken» des Demi-
urgen auf das Paradigma der Ideen (Tim. 28a7) als immerwährendes «Denken»

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§ 58. Attikos (Bibl. 689–690) 597

des Demiurgen. Dabei schreibt er den Ideen eine untergeordnete, selbständige


Existenz außerhalb des Nous des Demiurgen zu, obgleich diese dennoch Gedan-
ken des Demiurgen sind. Diesen Widerspruch löst Attikos, indem er das Para-
digma der Ideen als einen erdachten «intelligiblen», dem Demiurgen untergeord-
neten «Kosmos» (νοητὸς κόσμος) beschreibt, der aber durch das ununterbrochene
Betrachten des Demiurgen existiert (fr. 26; 34; 18; 9,35–45; 28,2–7 des Places; dazu
Merlan 1934 [*534: 267f.], Baltes 1983 [*543: 41f.], Männlein-Robert 2001 [*44:
538–540]). Daher nennt er die unkörperlichen und im Nous erdachten «unkörper-
lichen und intelligiblen» (ἀσώματα καὶ νοητά) Ideen zwar «ewig» (ἀΐδια), nicht
aber «ungeworden» (ἀγένητα; fr. 9,18. 41 des Places). In Anlehnung an den ‹Timai-
os› (30b) und den ‹Philebos› (30c) postuliert Attikos, dass der Demiurg als Nous
auch eine Seele haben müsse, da seine Tätigkeit im Erschaffen liege, also Bewe-
gung impliziere, was wiederum ohne Seele undenkbar sei (fr. 8,28f.; 23,5f.; 7,81–
87 des Places). Die Ideen befinden sich demnach in der dem Nous des Demiurgen
untergeordneten Seele desselben (fr. 40 des Places; dazu Dörrie, Baltes 1998 [*8:
V 257, 270]; vgl. Männlein-Robert 2001 [*44: 539f.] und 2008 [*557]). Attikos
äußert sich differenziert über die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen und geht
davon aus, dass die Welt einen zeitlichen Anfang gehabt habe (zu den Überein-
stimmungen und Abweichungen sowie Weiterentwicklungen der ontologischen
Lehren des Plutarch durch Attikos siehe Deuse 1983 [*86: 51–56]). Sie sei also
durch einen plötzlichen Schöpfungsakt des Demiurgen entstanden, während an-
dere Platoniker Platons Bericht über die Weltentstehung metaphorisch interpre-
tierten (des Places 1977 [*527: 11–15]). Hier wird das philologisch begründete
wörtliche Verständnis des ‹Timaios›-Textes durch Attikos greifbar. Die Frage, was
der Demiurg vor der Erschaffung der Welt gemacht habe, beantwortet Attikos da-
hingehend, dass dieser damals das Paradigma der Welt in seinem Nous hervor­
gebracht und durch Denken bzw. Blicken erhalten habe. Dabei kann der Demiurg
seinem Wesen entsprechend niemals untätig gewesen sein (fr. 27 des Places):
Bevor er die Welt schafft, bringt er den Kosmos der Ideen hervor und erhält ihn
(so bereits Philon Prov. 1,21 Hadas-Lebel; dazu Baltes 1983 [*543: 43], Gombocz
1997 [*40: 128]). Anders als Plutarch geht Attikos also von einer vorkosmischen
Zeit aus (fr. 31 des Places; dazu Deuse 1983 [*86: 52]). Zu einem ihm günstig er-
scheinenden Zeitpunkt beginnt der Demiurg mit der Weltschöpfung. In diesem
Kontext spielt nun das dritte Prinzip, die «Materie» (ὕλη), eine wichtige Rolle in
der Erklärung des Attikos (des Places 1977 [*527: 20–22]): Diese ist nämlich un-
geschaffen, also vom Demiurgen unabhängig bereits vor der Entstehung der Welt
vorhanden. Als vorkosmische Materie ist sie vor der Weltentstehung in ständiger
chaotischer Bewegung und hat – aufgrund ihrer Bewegtheit (fr. 8,28f. des Places) –
eine Seele. Diese ist dementsprechend ungeordnet und daher schlecht: Attikos be-
nennt sie als «übeltuende» Seele (κακεργήτις ψυχή), die «Ursache» und «Prinzip»
(αἴτιον, ἀρχή) des Schlechten in der Welt ist (fr. 23,5f. des Places; Attikos bei
Prokl. In Tim. I,391,19. 30; 394,22 Diehl). Ähnlich wie bei Plutarch ist also auch
bei Attikos ein gewisser Dualismus festzustellen (Armstrong 1992 [*551: 38f.]), da
er neben Gott auch die präexistente Materie als Ursache benennt, die er mit der
«Notwendigkeit» (ἀνάγκη) aus dem ‹Timaios› (48a) identifiziert (fr. 4,101–104 des

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598 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Places; vgl. auch die bei Philon Prov. 1,22 und D. L. 3,75f. genannten anonymen Pla-
toniker; dazu Baltes 1976 [*83: I 69f.]). Durch den Schöpfungsakt des Demiurgen,
der diese ungeordnete bewegte Materie vorfindet, wird die schlechte Seele der Ma-
terie geordnet, erhält Anteil an der Ideenwelt und führt nun geordnete Bewegun-
gen aus. Freilich bleibt eine gewisse Wirkung der ursprünglich schlechten Materie
erhalten, die sich jedoch, laut Attikos, nur im Bereich zwischen Erde und Mond be-
merkbar macht (so wahrscheinlich Attikos bei Proklos De Mal. subs. 40,5–7. 14. 17,
dazu Baltes 1983 [*543: 50]). Mit der Entstehung des Kosmos in der Zeit fällt nach
Attikos (wie bereits für Plut. Symp. 7,4, 1007c; De E 19, 392e) auch die Entstehung
der Zeit selbst zusammen. Dieses Paradox löst Attikos, indem er zwei Arten von
Zeit annimmt: eine vorkosmische, ungeordnete Zeit und eine geordnete, die es erst
seit dem Schöpfungsakt des Demiurgen gibt (fr. 19 und 31 des Places; Attikos bei
Prokl. In Tim. I,286,26–29 Diehl; dazu Baltes 1976 [*83: I 44f.] und 1978 [*83: II 41,
45], Gombocz 1997 [*40: 130f.]). Der demiurgische höchste Gott hat den geeigne-
ten Moment, abhängig vom momentanen Zustand der Hyle, für die Erschaffung der
Welt ausgewählt. Damit erweist sich der Demiurg als planender, entscheidender und
fürsorglicher Gott, der aufgrund dieser Züge jüdisch-christlichen Gottesvorstellun-
gen ähnelt (Baltes 1983 [*543: 47]). Möglicherweise gehört in einen solchen Kontext
auch die vehemente Polemik des Attikos gegen Aristoteles, der seiner Auffassung
nach eine göttliche Vorsehung ablehnt (fr. 3 des Places; dazu Moraux 1984 [*545:
569–571], Dillon 21996 [*25: 252f.]). Attikos bedient sich dabei traditioneller Argu-
mente, die sich in der Polemik gegen Epikur, der gleichfalls eine Vorsehung leug-
nete, etabliert und bewährt hatten, und stellt Aristoteles somit dem von den Plato-
nikern (z. B. Plutarch) scharf attackierten «gottlosen» Epikur an die Seite (Merlan
1967 [*540], Van Unnik 1976 [*542: 206–209], Moreschini 1987 [*546: 482f.]). Ob-
gleich also der Kosmos durch den, so ­Attikos, planvollen Akt des Demiurgen zu
existieren beginnt und als entstandener auch vergänglich sein könnte, ist er dennoch
unvergänglich, da dies dem Willen des Demiurgen entspricht (fr. 4 und 25 des
Places; dazu des Places 1984 [*544: 11–15], Moreschini 1987 [*546: 485–487], Tra-
battoni 1987 [*547], Bechtle 1998 [*554: 389–392]).

2. Seelenlehre

Attikos tritt nachdrücklich, nicht zuletzt gegen Aristoteles, für die Unsterblich-
keit der ganzen menschlichen Seele nach Platon ein (fr. 7,5–8. 17–28. 74 des Places;
des Places 1977 [*527: 22–24]). Aristoteles leugne deren Substanzcharakter und
trenne sie vom Nous ab. Zunächst entsteht, so Attikos, bei der Weltschöpfung
durch die Teilhabe der vorkosmischen schlechten Seele der Materie an der Ideen-
welt die Weltseele, die alles ordnet und durchdringt (fr. 8, 23 und 26 des Places,
dazu Baltes 1983 [*543: 45], Deuse 1983 [*86: 48ff.], Moraux 1984 [*31: 45] und
1984 [*545: 577–579], Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 414f.]), Phillips 2002 [*556: 232–
235]). Attikos vertritt in Anlehnung an entsprechende Lehren des Plutarch und
Numenios (des Places 1977 [*527: 19f.], Baltes 1983 [*543: 48]) die dualistische An-
sicht, dass es auch danach eine «böse» oder «unvernünftige Seele» (ἄλογος ψυχή)

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§ 58. Attikos (Bibl. 689–690) 599

neben einer «göttlichen Seele» gibt (θεία ψυχή, dazu Armstrong 1992 [*551]; um-
fassend Bechtle 1999 [*555]). Die Verbindung beider ergebe, sowohl im Falle der
Weltseele als auch der Menschenseele, die «vernünftige Seele» (λογικὴ ψυχή: fr.
35; vgl. fr. 7,14. 26f.; fr. 15; 23; auch fr. 10–11 des Places, dazu Moreschini 1987
[*546: 483–485], Gombocz 1997 [*40: 131–135]). Als originell galt späteren Exe-
geten Attikos’ Exegese von Tim. 41d4, in der er von zwei Mischgefäßen spricht, in
denen die Seelen vom Demiurgen gemacht werden (fr. 14 des Places; zur Diskus-
sion darüber siehe Baltes 1983 [*543: 52f.]). Die unvernünftige Seele ist Teil der
übeltätigen Seele, die nach der Trennung der vernünftigen Seele vom Körper im
Tod zu ihren Ursprüngen zurückkehrt. Attikos formuliert auch hinsichtlich der
unter den Zeitgenossen viel diskutierten Frage nach dem Zeitpunkt der Besee-
lung des Menschen (Eintritt der vernünftigen Seele schon beim ungeborenen Em-
bryo oder erst bei Geburt) einen eigenen Standpunkt (siehe auch Alkin. Did.
178,26ff. Hermann; Numen. fr. 36 des Places; Galen De foetuum formatione
4,700f. K; Porph. [Ps.-Galen] ‹Ad Gaurum›; Männlein-Robert 2001 [*44: 427f.]):
Nach Attikos ist die Belebung und Ausbildung des Embryos auf die Weltseele zu-
rückzuführen (fr. 11 des Places), welche die Aufnahme der später hinzutretenden
vernünftigen Seele vorbereitet, durch die der Embryo erst zum Menschen werde.
Möglicherweise vertritt bereits Attikos die bei späteren Neuplatonikern so be-
liebte Theorie des «pneumatischen Seelenwagens» (ὄχημα ψυχῆς), der dann wohl
mit der unvernünftigen Seele verbunden war (vgl. fr. 15 des Places; so Baltes 1983
[*543: 56] gegen Dodds 21963 [*537: 313–321]).

3. Ethik

Gegen Aristoteles richtet sich Attikos auch in seiner Ethik (fr. 2 des Places): Er
lehnt dezidiert die aristotelische Telos-Lehre ab (vgl. Arist. EN 1178a24; 1179a11),
nach welcher der Mensch zum Erlangen des «Glücks» (εὐδαιμονία) äußerer und
leiblicher Güter bedürfe, und vertritt eine gut platonische, auch von den Stoikern
vertretene Lehre. Nach Attikos genügt nämlich die Tugend allein (Moreschini
1987 [*546: 480–482]). Attikos formuliert gerade seine auf die Ethik bezogenen
Ausführungen gegen Aristoteles besonders rhetorisch und desavouiert seinen
Gegner nicht nur durch Rekurse auf einschlägige Passagen im Œuvre Platons,
sondern auch auf Homers ‹Ilias› und Archilochos: Er konstruiert so eine künst­
liche ‘communis opinio’ gegen Aristoteles, dessen Ethik auf diese Weise als jener
Epikurs verwandt und damit als um so absurder erscheint.

4. Kategorienlehre

Die Haltung des Attikos zur aristotelischen Logik bzw. Kategorienlehre, die
im 2. Jahrhundert n. Chr. in ihrem Wert für die Platonexegese umstritten war, ist
ebenso rigide: Anders als z.  B. Alkinoos oder der anonyme ‹Theaitetos›-
Kommentar schreibt Attikos (wie z. B. auch Tauros, Lukios oder Nikostratos; des

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600 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Places 1977 [*527: 15–17], Moreschini 1987 [*546: 482]) der aristotelischen Logik
keinen Wert bei der Erklärung der Schriften Platons zu. Vielmehr wendet er sich,
wie bereits Nikostratos, scharf gegen den Homonymiebegriff des Aristoteles (Ni-
kostr. 8 F. Gioè), den er durch den Beweis, dass jedes Homonym ein Synonym sei,
ad absurdum führt (fr. 40–42b, hier: 42a des Places; dazu Merlan 1934 [*534: 266],
Moraux 1984 [*493: 532–536]). Überhaupt bemängelt Attikos die vermeintlich
programmatische Unklarheit des Aristoteles und unterstellt ihm somit die Taktik
von Tintenfischen, die sich bei Gefahr mittels eigener Schwärze dem Blick entzie-
hen (fr. 7,75–81 des Places).

Attikos erweist sich insgesamt als orthodoxer Platoniker, der nichtsdestotrotz


originelle Einzelinterpretationen zu viel diskutierten Problemen, die sich aus Pla-
tons Text ergeben, vorschlägt (Dillon 21996 [*25: 257f.], Gombocz 1997 [*40: 131]).
Seine Polemik gegen Aristoteles ist entweder exzentrisch oder vor einem uns un-
bekannten zeitgenössischen Hintergrund strategisch bedingt (Dillon 21996 [*25:
249f.], Gombocz 1997 [*40: 125]). Möglicherweise richtet Attikos seinen Kampf
gegen den aristotelischen Einfluss im Platonismus nicht so sehr gegen Vertreter
der eigenen Schulrichtung, die eine Harmonisierung Aristoteles’ mit Platon vor-
nehmen, sondern vielmehr gegen Peripatetiker, die den Anspruch erheben, Pla-
ton richtig erklären zu können (so Baltes 1983 [*543: 38 Anm. 2]). Umstritten war
längere Zeit die Frage, inwiefern Attikos in seiner Ablehnung peripatetischer
Lehre und Methodik bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber Dogmen der Stoa als
‘eklektischer’ Philosoph zu gelten habe (Diskussion bei Dillon 1988 [*35: 117f.],
der diesen Begriff für Attikos zu Recht ablehnt). Vielleicht sind vor einem solchen
Hintergrund Attikos’ Betonung einer ‘hellenischen’ Auslegung und sein Selbst-
verständnis als ‘Hellene’ besser zu verstehen, die mit Blick auf zeitgenössische
nicht-griechische Platoniker an Kontur gewinnen (fr. 4,16–19 des Places = Tauros
test. 27 Gioè mit Komm. [*9: 361f.]).

4. NACHWIRKUNG

Die Nachwirkung des Attikos ist in methodischer wie philosophischer Hinsicht


beträchtlich (des Places 1977 [*527: 24–27], Baltes 1983 [*543: 56f.], Moreschini
1987 [*546: 489f.]). Bereits Galen, der berühmte Arzt und sein Zeitgenosse, setzt
sich mit seinen Lehren auseinander (Baltes 1976 [*83: I 63–65]). Hinsichtlich sei-
nes sorgfältigen Rekurses auf den Wortlaut der Schriften Platons sowie aufgrund
seiner Lehre von den Ideen außerhalb des demiurgischen Nous darf Attikos als
wichtiger Vorläufer des Platonikers Longinos (3. Jh. n. Chr.) gelten. Überdies wer-
den beide von christlichen Autoren als ‹Timaios›-Interpreten im Sinne der ‹Ge-
nesis› vereinnahmt (Männlein-Robert 2001 [*44: 89f., 606f.] und 2008 [*557: 95–
97]). Attikos’ Schriften werden im Plotin-Kreis in Rom gelesen (Porph. Vit. Plot.
14,72), er wird von Porphyrios, Iamblichos, Syrianos, Hierokles (bei Phot. Bibl.
cod. 214, 171b–173b; ebd. 251, 460b–466b), Proklos, Damaskios und Simplikios,
auch dem anonymen Kommentar zur ‹Nikomachischen Ethik› (CAG XX) zitiert,

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§ 59. Harpokration von Argos (Bibl. 690) 601

meist allerdings kritisch, da er als zu philologisch und daher als unphilosophisch


gilt. Da seine Lehre vom zeitlichen Anfang der Welt mit der christlichen Über-
zeugung konvergiert, wird Attikos von christlichen Autoren gerne als Gewährs-
mann herangezogen (Eusebios, Theodoret, Johannes Philoponos, Aineias von
Gaza, Photios [Bibl. cod. 167, 112a–115b]), auch seine Ideenlehre wird aufgrund
ihrer Kompatibilität mit der Trinitätslehre, z. B. von Augustinus, diskutiert (Pépin
1990 [*550]). Möglicherweise stehen Attikos’ Lehren sogar in Zusammenhang mit
den Lehren des sog. Arianismus (Stead 1964 [*538], Meijering 1974 [*539: 161]).

§ 59. Harpokration von Argos

Franco Ferrari

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFTEN

Harpokration von Argos war Schüler des Attikos (Prokl. In Tim. I,305,6–7
Diehl = 2 T. Gioè), wahrscheinlich in Athen. Er muss zu gewissem Ruhm und An-
sehen gelangt sein, da die ‹Suda› ihn als «Vertrauten des Kaisers» bezeichnet
(συμβιωτὴς Καίσαρος: Suda I,366,27–28 Adler = 1 T. Gioè = test. 77.5 Dörrie-Bal-
tes), auch wenn sich nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob er sich in Rom aufgehal-
ten hat (Gioè 2002 [*9: 455]). Da die ἀκμή des Attikos ins Jahr 176 n. Chr. datiert
wird, muss Harpokration wahrscheinlich um 150 geboren und in der zweiten
Hälfte des 2. Jahrhunderts aktiv gewesen sein.
Die ‹Suda› (I,366,28–9 Adler) schreibt ihm zwei Werke zu: ein ῾Υπόμνημα εἰς
Πλάτωνα, d. h. einen ‹Kommentar zu den Dialogen Platons› in 24 Büchern, und
ein ‹Platonisches Lexikon› (Λέξεις Πλάτωνος) in zwei Büchern (test. 77.5 Dörrie-
Baltes). Aufgrund der verfügbaren Zeugnisse ist anzunehmen, dass der ‹Kom-
mentar› den ‹Alkibiades I› (fr. 1 Dillon = test. 79.1a Dörrie-Baltes), den ‹Phaidon›
(fr. 3–6, 8 Dillon = test. 78.5–11 Dörrie-Baltes), den ‹Phaidros› (fr. 9 Dillon = 79.3b
Dörrie-Baltes), den ‹Staat› (test. 80.12 Dörrie-Baltes) und den ‹Timaios› (fr. 13
Dillon = test. 81.13 Dörrie-Baltes) behandelte, aber aufgrund seines Umfangs ist
nahezu sicher, dass er sich auch mit weiteren Dialogen befasst hat. Wahrscheinlich
handelte es sich um ein zetetisches Werk, in dem am platonischen Text eine Reihe
von Aporien aufgezeigt wurden, für die der Verfasser Lösungen zu geben suchte
(Dörrie, Baltes 1993 [*8: III 180–182]). In diesem Sinne dürfte die Schrift des

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602 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Harpokration eine gewisse Nähe zu Plutarchs ‹Platonicae quaestiones› und viel-


leicht zu Porphyrios’ Σύμμικτα ζητήματα (‹Vermischte Untersuchungen›) aufge-
wiesen haben. Aus den wenigen Zeugnissen scheint hervorzugehen, dass Harpo-
krations Textanalyse außerordentlich gewissenhaft war und dass er Platons
Schriften sowohl auf Wortebene (κατὰ λέξιν) als auch auf Sachebene (κατὰ
πράγματα) in vertiefter Weise diskutierte (Dillon 2006 [*72: 27f.]).

2. LEHRE

Die Bereiche, hinsichtlich derer sich Harpokrations Position – wenn auch teil-
weise nur in Form von Vermutungen – rekonstruieren lässt, sind 1) seine Seelen-
lehre, 2) seine Auslegung der Weltentstehung des ‹Timaios› und 3) seine Auffas-
sung der Hierarchie innerhalb der Sphäre des Göttlichen.
1) Was die Seelenlehre betrifft, scheint sich Harpokration besonders intensiv mit
dem Begriff der Tugend auseinandergesetzt zu haben, wobei er unter Bezugnahme
auf den ‹Phaidon› zwischen den wahren und den falschen Tugenden unterschied,
ohne jedoch bereits die komplexe Hierarchie der Tugenden zu erarbeiten, die spä-
ter von den Neuplatonikern in der Nachfolge von Iamblichos entwickelt wurde (Ps.-
Olymp. In Phaed. B, 115,8–116,2 Norvin = test. 78.7–8 Dörrie-Baltes = fr. 5 Dillon
= 10 T. Gioè; dazu Dillon 1971 [*571: 132ff.], Gioè 2002 [*9: 462–465]).
Die Zeugnisse, die sich vor allem auf den Kommentar zum ‹Phaidros› beziehen,
lassen deutlich erkennen, dass Harpokration eine Theorie der Seelenwanderung
vertrat, die auch mit der Inkarnation von Menschenseelen in Tiere rechnete. Im
Hinblick auf Phdr. 245c5, wo es heißt, dass «jede Seele unsterblich ist» (ψυχὴ πᾶσα
ἀθάνατος), behauptet Harpokration, dass sich das Adjektiv πᾶσα nicht auf die
Weltseele beziehe (wie Poseidonios annahm), sondern auf alle Seelen distributiv
verstanden. Das bedeutet, dass er wohl alle Seelen als unsterblich betrachtete, ein-
schließlich jener der Fliege und der Ameise (Herm. Alex. In Phdr. 102,10–15 Cou-
vreur = fr. 10 Dillon = 15 T. Gioè). In dieselbe Richtung lässt sich ein anderes Zeug-
nis lesen, das Aineias von Gaza verdankt wird, der Harpokration die Überzeugung
zuschreibt, dass «die menschliche Seele in jede Tierart transmigriere» (ἡ τῶν
ἀνθρώπων ψυχὴ πάντα τὰ ζῷα μεταβαίνει: Aen. Dial. 12,2–11 Colonna = fr. 7 Dil-
lon = 18 T. Gioè; dazu Dillon 1971 [*571: 136f.], Gioè 2002 [*9: 475–479]).
Harpokration scheint sich auch mit der Frage nach dem Abstieg der Seele in
die Körper beschäftigt zu haben, die er mit dem Problem des Ursprungs des
Bösen verband. In einer umstrittenen Passage bei Iamblichos wird Kronios und
Numenios die Auffassung zugeschrieben, das Böse (τὸ κακόν) verdanke seinen
Ursprung der Materie und den Körpern selbst. Letztere Lösung, die das Böse von
den Körpern herleitet, sei auch von Harpokration vertreten worden (Stob. Ecl.
1,49,37, I,375,12–18 Wachsmuth = Iambl. De an. fr. 23, p. 48,24–29 Finamore-Dil-
lon = test. 123.7 Dörrie-Baltes = Harpokr. fr. 11 Dillon = 16 T. Gioè). Er hätte sich
demnach von seinem Lehrer Attikos distanziert, der die Ursache des Bösen der
vorkosmischen, irrationalen Seele zuwies, und ebenso von Numenios, laut dem
sich das Böse entweder auf eine ‘anima silvae’ oder auf die (von der irrationalen

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§ 59. Harpokration von Argos (Bibl. 690) 603

Seele durchdrungene) Materie zurückführen lasse. Gemäß Harpokration – in die-


sem Punkt möglicherweise dem platonischen ‹Politikos› folgend, wo sich dem Wir-
ken der Gottheit der Widerstand des körperlichen Elements entgegensetzt – läge
die Ursache des Bösen gerade in der Körperlichkeit und würde in letzter Instanz
vom Abstieg der Seelen in die Körper herrühren (Gioè 2002 [*9: 471–475], Zam-
bon 2002 [*45: 216]).
2) Auch in der Diskussion über die Auslegung der Weltentstehung im ‹Timaios›
bezog Harpokration Stellung. Er folgte seinem Lehrer Attikos in der Verteidigung
der wörtlichen Interpretation und in der daraus resultierenden Annahme einer tat-
sächlichen und zeitlich bestimmten Entstehung des Universums. Er ging auch ein
weiteres mit dieser Interpretation zusammenhängendes Problem an, nämlich die
Frage nach der Vergänglichkeit bzw. Unvergänglichkeit des Universums. Wenn die
Welt geschaffen ist (γενητός), müsste sie das Schicksal aller anderen geschaffenen
Dinge teilen und zugrunde gehen, somit ein Ende haben. Dieses Argument hatte
Aristoteles gegen Platon vorgebracht, der – nach Aristoteles – die Welt als geschaf-
fen, aber ewig betrachtet hatte, womit er eine Widersinnigkeit in die Welt gesetzt
habe, da alle den Menschen bekannten geschaffenen Dinge dazu bestimmt sind, zu
vergehen und zugrunde zu gehen (Cael. A 10, 280a30ff.). Um Platon gegen den aris-
totelischen Einwurf zu verteidigen, bedient sich Harpokration einer Strategie, die
in ähnlicher Weise bereits von Severos (und Attikos) vorgezeichnet worden war: Er
anerkennt die Gültigkeit des Prinzips der Gleichwertigkeit zwischen «geschaffen»
(γενητόν) und «vergänglich» (φθαρτόν), das in Rep. 546a formuliert wird, doch weist
er dann dem «Willen der Gottheit» (βούλησις τοῦ θεοῦ: Tim. 41b4) die Entschei-
dung zu, die Welt so zu schaffen, dass sie nicht zugrunde geht und ewig lebt (Schol.
zu Prokl. In Rep. II,377,15–378,6 Kroll = test. 137.7 Dörrie-Baltes = fr. 13 Dillon =
21 T. Gioè; dazu Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 417–419], Gioè 2002 [*9: 479f.]). Die
Ewigkeit der Welt wäre demnach nach Harpokration ebenso wie nach Severos eine
Art ἐπισκευαστὴ ἀθανασία (eine durch Gott «verschaffte Unsterblichkeit»).
3) Zur Theologie liegt ein einziges Zeugnis vor, das – wenn es denn verlässlich
ist – erlaubt, Harpokration die Formulierung einer komplexen Hierarchie des
Göttlichen zuzuschreiben. Tatsächlich nennt Proklos Harpokration an der Seite
von Numenios als Vertreter der Annahme dreier Götter, wobei der erste dem
«Vater» (πατήρ) entspreche, der zweite dem «Schöpfer» (ποιητής) und der dritte
dem «Geschöpf» (ποίημα), d. h. der Welt. Es ist klar, dass die Formulierung einer
entsprechenden Hierarchie im Rahmen der Auslegung von Tim. 28c3–5 entstand,
wo Platon die Schwierigkeit darlegt, den Schöpfer und Vater dieser Welt zu fin-
den, und die Unmöglichkeit, wenn man ihn gefunden hat, zu allen darüber zu
sprechen. Viele Platoniker, unter ihnen auch Numenios und möglicherweise Har-
pokration, deuteten die beiden Bezeichnungen, als ob sie sich auf zwei verschie-
dene Gottheiten beziehen würden: ‘Vater’ auf den ersten Gott und ‘Schöpfer’ auf
den zweiten, der seinerseits mit dem Demiurgen identifiziert wurde. Harpokra-
tion sei Numenios auch in der Verdoppelung des Demiurgen gefolgt, und daher
sind nach ihm der zweite und der dritte Gott ein einziger. Nach Proklos versuchte
Harpokration außerdem, eine Verbindung zwischen diesen Prinzipien und den
traditionellen Gottheiten (Uranos, Kronos und Zeus) herzustellen, doch sei er auf

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604 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

verworrene Weise vorgegangen, indem er seine Meinung geändert und Zeus den
ersten Gott genannt habe, den er zunächst mit Uranos identifiziert hätte (Prokl.
In Tim. I,304,22–305,6 Diehl = test. 197.6 Dörrie-Baltes = Harpokr. fr. 14 Dillon
= 22 T. Gioè; dazu Dörrie, Baltes 2008 [*8: VII 482f.]). Es ist jedoch wahrschein-
lich, dass Proklos’ Vorwurf der Verwirrung eher böswillig und hauptsächlich aus
polemischer Absicht heraus formuliert wurde (Dillon 1971 [*571: 144f.]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

§ 60. Gaios und seine ‘Schule’

Franco Ferrari

1. Der Mythos einer ‘Schule des Gaios’. – 2. Gaios.

1. DER MYTHOS EINER ‘SCHULE DES GAIOS’

Für lange Zeit wurde die Forschung zum Mittelplatonismus von einem veritab-
len philosophiegeschichtlichen Mythos dominiert, demjenigen der ‘Schule des
Gaios’. Vom Ende des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Fun-
damente für die Entstehung dieses Mythos gelegt, der in der Folge die Erforschung
des Platonismus der ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit beeinflusst hat (Sinko 1905
[*585]). Die Hauptgründe, die zur Überzeugung führten, der platonische Philo-
soph Gaios habe die Entwicklung des vorplotinischen Platonismus in entscheiden-
der Weise beeinflusst, sind leicht zu erkennen: 1) Der Autor des ‹Didaskalikos› sei
nicht der anderweitig unbekannte Alkinoos, wie in den Handschriften zu lesen ist,
sondern – gemäß einer von Freudenthal vorgeschlagenen Konjektur – der Mittel-
platoniker Albinos, Schüler des Gaios und ebenso Verfasser des ‹Prologs›. 2) Der
‹Didaskalikos› des Albinos zeige bemerkenswerte inhaltliche Parallelen zu Apu-
leius’ ‹De Platone et eius dogmate›. 3) Die beiden Werke verdankten sich einer ein-
zigen Quelle, und dabei handle es sich um nichts anderes als um die «Vorlesungen»
(σχολαί) des Gaios, der folglich den nachfolgenden Platonismus in entscheidender
Weise beeinflusst habe (Sinkos Rekonstruktion wurde – wenn auch mit bisweilen
etwas abweichender Akzentsetzung – von Praechter 121926 [*16: 546], Witt 1937
[*606], Moreschini 1978 [*735: 133–191] u. a. akzeptiert).
Die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch auf überzeugende
Weise aufgezeigt, dass die Annahmen der Punkte 1) und 2) nicht zutreffen und

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§ 60. Gaios und seine ‘Schule’ (Bibl. 690) 605

dass somit auch die in Punkt 3) gezogene Folgerung falsch ist. Albinos, der Ver-
fasser des ‹Prologs›, hat nichts mit dem ‹Didaskalikos› zu tun; dieser muss entspre-
chend der handschriftlichen Tradition dem geheimnisvollen Alkinoos zugeschrie-
ben werden. Der ‹Didaskalikos› und der ‹Prolog› können nicht auf denselben
Verfasser zurückgehen, da die Unterschiede zwischen ihnen zu zahlreich sind.
Aber auch zwischen dem ‹Didaskalikos› und Apuleius’ ‹De Platone› bestehen –
neben den Analogien – wichtige Uneinigkeiten dogmatischer Art, welche die ge-
meinsame Abhängigkeit von einer einzigen Quelle, eben den Vorlesungen des
Gaios, unwahrscheinlich machen (Whittaker 1987 [*34: 83–110], Lilla 1992 [*39:
49f.], Gö­ransson 1995 [*587: 13–27]). Gaios ist demnach nicht der Autor, von dem
der Platonismus der folgenden Jahrzehnte in entscheidendem Maße abhing. Die
‘Schule des Gaios’ muss reduziert werden auf Gaios selbst, auf Albinos, der sicher-
lich sein Schüler war, sowie möglicherweise auf den (nicht namentlich bekannten)
Professor der platonischen Philosophie und Schüler des Gaios, bei dem der junge
Galen in Pergamon studiert hatte, bevor er den Unterricht bei Albinos in Smyrna
aufnahm (Gal. Aff. dig. 28,9–15 De Boer = test. 8 Göransson = 3 T. Gioè).
All dies bedeutet nicht, dass es keine Ähnlichkeiten in den Platon-Auslegun-
gen des Albinos, des Alkinoos und des Apuleius gäbe. Es hat jedoch zur Folge,
dass diese Ähnlichkeiten die Annahme eines eigenen, auf den Unterricht des
Gaios zurückführbaren Systems nicht rechtfertigen und Gaios’ Bedeutung daher
beträchtlich geschmälert werden muss (Dillon 21996 [*25: 266f., 445–448], Gioè
2002 [*9: 35 Anm. 34 und 66f.] und Tarrant 2007 [*589: 450–452]).

2. GAIOS

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. Leben und Schriften

Aus den wenigen greifbaren Informationen zu Gaios ein Bild dieses Platoni-
kers zu gewinnen, ist schwierig. Dass er in gewissem Ruhm und Ansehen stand,
beweist der Umstand, dass er das Bürgerrecht in Delphi erhielt, wie eine auf 120–
130 n. Chr. datierte Inschrift bezeugt (FD III 4 n. 103 = SIG3 n. 868 C = test. 6
Göransson = 1 T. Gioè). Proklos nimmt Gaios in eine Liste wichtiger Platoniker
auf (unter ihnen auch Albinos, Numenios und Harpokration), die den Mythos des
Er aus dem 10. Buch des ‹Staats› interpretiert haben (Prokl. In Rep. II,96,10–15
Kroll = test. 2 Göransson = 6 T. Gioè). Gaios’ Name erscheint außerdem in einer
Aufzählung der Autoren, deren Kommentare in der Schule Plotins gelesen wur-
den (Porph. Vit. Plot. 14,10–14 = test. 9 Göransson = 4 T. Gioè; dazu Gioè 2002
[*9: 61–64]) – ein Hinweis auf sein Prestige im Bereich der Platon-Exegese. Der

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606 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Umstand, dass Galen seinen Besuch der Vorlesungen bei einem Schüler des Gaios
in Pergamon in die Jahre 143–144 datiert, lässt die Annahme plausibel erscheinen,
dass Gaios in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts gelebt hat und wahrscheinlich
gegen Ende des 1. Jahrhunderts in der östlichen Mittelmeerregion geboren wurde
(Whittaker 2000 [*588]).
Albinos, ein Schüler des Gaios, verfasste eine Schrift in 11 Büchern mit dem
Titel ‹Grundzüge der Lehren Platons› (῾Υποτυπώσεις Πλατωνικῶν δογμάτων), die
auf den «Vorlesungen» (σχολαί) des Gaios beruhte (Cod. Par. Graec. 1962, fol.
146 = test. 1 Göransson = 7 T. Gioè = test. 77.6 Dörrie-Baltes). Es ist schwierig, ge-
nauer zu bestimmen, woraus diese ‘Grundzüge’ bestanden. Wahrscheinlich han-
delte es sich um eine Sammlung von Kommentaren (ὑπομνήματα) zu platonischen
Dialogen, der möglicherweise ein Teil beigefügt war, in dem das platonische
­Denken in systematischer und didaktischer Form dargelegt wurde (Dörrie, Baltes
1993 [*8: III 182–184], Göransson 1995 [*587: 45–49] und Gioè 2002 [*9: 66–70]).
Schwierig zu beantworten bleibt die Frage, ob Albinos’ ‹Prolog› Auffassungen
wiedergab, die sich auf den Unterricht des Gaios zurückführen lassen (Göransson
1995 [*587: 51f.]).

2. Lehre

Das einzige überlieferte Zeugnis betrifft die berühmte methodologische Prä-


misse aus Tim. 29b–d, in der Platon eine Abhängigkeit zwischen der Rede und
dem Wesen der Dinge festlegt, von denen die Rede handelt: Die Wahrheit könne
nur im Bereich jener Reden erreicht werden, die vom Vorbild (das beständig und
unveränderlich ist) handeln, während die Reden über das Abbild, d. h. die sinnlich
wahrnehmbare Welt (die unbeständig ist), nur danach streben könnten, die Stufe
des Wahrscheinlichen zu erreichen. Auf diese Unterscheidung gestützt gelangten
Gaios und Albinos zur These, dass Platon seine Lehren auf «zweifache Weise dar-
lege» (δογματίζει διχῶς): entweder «wissenschaftlich-stringent» (ἐπι­στημονικῶς)
oder «annähernd-wahrscheinlich» (εἰκοτολογι­κῶς), was eine unterschiedliche Stu-
fung des Wahrheitsgehalts mit sich bringt, die von den Gegenständen abhängt, um
die sich die Ausführungen drehen (Prokl. In Tim. I,340,21–341,9 Diehl = test. 3
Göransson = 9 T. Gioè = test. 109.1 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8:
IV 357–359], Gioè 2002 [*9: 70–76] und Tarrant 2007 [*589: 452]). Es handelt sich
um ein Zeugnis, das eine gewisse Vertrautheit mit den in den platonischen Dialo-
gen vorliegenden erkenntnistheoretischen Fragestellungen anzuzeigen vermag.

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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§ 61. Alkinoos (Bibl. 690–692) 607

§ 61. Alkinoos

Franco Ferrari

1. Leben und Schrift. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFT

Für nahezu ein Jahrhundert akzeptierte die Forschergemeinschaft die Hypo-


these, dass der ‹Didaskalikos›, den die Handschriften Alkinoos zuschreiben, in
Wirklichkeit ein Werk des Mittelplatonikers Albinos sei, der den ‹Prolog› verfasst
hat. Diese Überzeugung geht auf einen Beitrag Freudenthals zurück, der vor-
schlug, die von den Handschriften überlieferte Lesart durch ᾿Αλβίνου zu ersetzen
(Freudenthal 1879 [*605]; die beiden ältesten und wichtigsten Handschriften in
der Überlieferung des ‹Didaskalikos› sind der Parisinus Graecus 1962, 9. Jh., und
der Vindobonensis philosophicus Graecus 314, 925 n. Chr. von einem gewissen
­Johannes Grammatikos geschrieben, alle anderen Handschriften sind Abschriften
des Parisinus: Whittaker 1990 [*597: XXXII–XLVIII]). Untermauert wurde Freu-
denthals Idee durch die Angabe einiger vermeintlicher Analogien zwischen dieser
allgemeinen Darstellung der platonischen Philosophie und dem Inhalt von Albi-
nos’ ‹Prolog› sowie von Apuleius’ Schrift ‹De Platone et eius dogmate›, Werke, die
alle auf die ‘Schule des Gaios’ zurückzuführen seien (Sinko 1905 [*585]).
In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch die mangelnde paläographische
Glaubwürdigkeit von Freudenthals Konjektur aufgezeigt und die Abweichungen
zwischen dem ‹Didaskalikos› und Albinos’ ‹Prolog› ins Licht gerückt, was schließ-
lich dazu führte, dass die Lesart der Handschriften wieder akzeptiert und der ‹Di-
daskalikos› als Werk des Alkinoos betrachtet wurde (Giusta 1961 [*610], Whitta-
ker 1974 [*613], Giusta 1986 [*615: 170–193], Whittaker 1987 [*34: 83–102] und
1990 [*597: VII–XIII], Becchi 1993 [*619]; die Zuschreibung zu Albinos noch bei
Nüsser 1991 [*650: 210–223]). Einige Forscher versuchten in der Folge, diesen Al-
kinoos mit dem gleichnamigen Stoiker, der bei Philostratos erwähnt wird, zu iden-
tifizieren (Philostr. Vit. Soph. 1,2, 40,22–32 Kayser; Giusta 1961 [*610: 186], Whit-
taker 1990 [*597: IX–XI]) oder mit dem Alkinoos, von dem bei Photios die Rede
ist (Bibl. cod. 48, 11b17–22). Diese vorletzte Identifizierung ist jedoch problema-
tisch, denn auch wenn der ‹Didaskalikos› zahlreiche Lehren enthält, die sich auf
die Stoa zurückführen lassen, so ist sein Verfasser dennoch eindeutig ein über-
zeugter Platoniker, und es ist wenig wahrscheinlich, dass ihn Philostrat als ‘Stoi-
ker’ etikettiert hätte (Donini 1990 [*38: 88]). Es scheint daher unausweichlich, sich
mit der Feststellung zufrieden zu geben, dass man über den Autor des ‹Didaska-
likos› nahezu nichts weiß und nur annehmen kann, dass er wohl in der zweiten

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608 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Hälfte des 2. Jahrhunderts lebte und arbeitete (Becchi 1993 [*619: 243–245], Tar-
rant 2007 [*589: 460]).
Der ‹Didaskalikos› (Διδασκαλικὸς τῶν Πλάτωνος δογμάτων, ‹Handbuch der
platonischen Lehren›) stellt eine zusammenfassende (vgl. Ἐπιτομή in der Subscrip-
tio) und systematische Darstellung der Philosophie Platons dar, die nicht so sehr
für Schüler, als vielmehr für Lehrer und Anhänger der platonischen Philosophie
verfasst wurde (Dillon 1993 [*598: XIV], Zambon 2002 [*45: 296]). Er zeigt zahl-
reiche Berührungspunkte mit doxographischen Texten (z. B. Kap. 12, das in einem
nahezu wörtlichen Zitat des Areios Didymos Epit. phys. fr. 1 = Dox. gr. 447 Diels
besteht) und wurde daher als eine bloße Zusammenstellung von heterogenen
Quellen ohne jeglichen philosophischen Eigenwert betrachtet (Giusta 1986 [*615:
170ff.], Göransson 1995 [*587: 105–136]). Die Abhängigkeit des Werks von doxo-
graphischen Quellen sollte jedoch kein Grund sein, die philosophischen Qualitä-
ten des Verfassers zu schmälern, die in einigen Passagen aufscheinen und den ‹Di-
daskalikos› zu einem der interessantesten Zeugnisse des Mittelplatonismus
machen (Baltes 1996 [*621: 97–104]).

2. LEHRE

1. Einteilung der Philosophie. – 2. Logik. – 3. Prinzipienlehre, Theologie und Physik. – 4. Ethik.

1. Einteilung der Philosophie

Die im ‹Didaskalikos› präsentierte Gliederung der Philosophie basiert auf der


klassischen hellenistischen Dreiteilung (Logik, Physik und Ethik), der Elemente
aristotelischer und alt-akademischer Herkunft hinzugefügt sind. Da es zwei
Hauptarten von Lebensweisen (βίοι) gibt, die theoretisch-kontemplative und die
praktische, gibt es auch zwei Hauptarten von Lehren, die theoretischen und die
praktischen. Der Vorrang gebührt dabei den theoretischen Disziplinen, weil das
theoretische Leben höher zu werten ist als das praktische (Did. 152,30–153,24 =
test. 174.1 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes 2002 [*8: VI 255–258] und Zambon
2002 [*45: 303f.]). Zu den theoretischen und praktischen Disziplinen gesellt sich
die Untersuchung der verschiedenen Formen des Argumentierens, d. h. die Logik,
die Alkinoos ‘Dialektik’ nennt. Die Philosophie verfügt also über drei Aspekte:
den ‘theoretischen’, der in der Erkenntnis der seienden Dinge, insbesondere der
«ersten Denkbaren» (τὰ πρῶτα νοητά), besteht (Did. 155,20f.; dazu Sedley 2012
[*633: 166]), den ‘praktischen’, der auf der Verwirklichung von Handlungen b ­ eruht,
und den ‘dialektischen’, welcher der Untersuchung des Argumentierens gewidmet
ist. Jeder dieser Teile lässt sich weiter untergliedern: Die Dialektik unterteilt sich
in die begriffliche Zergliederung (διαιρετικόν), die Definition (ὁρισ­τικόν), die

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§ 61. Alkinoos (Bibl. 690–692) 609

I­ nduktion (ἐπαγωγικόν) und die syllogistische Schlussfolgerung (συλλογιστικόν).


Die praktische Kenntnis unterteilt sich einem aristotelischen Schema gemäß in
Ethik, Ökonomie und Politik. Der theoretische Bereich schließlich gliedert sich,
wiederum dem aristotelischen Vorbild folgend, in Theologie, Physik und Mathe-
matik (Did. 153,25–154,7 = test. 101.4 Dörrie-Baltes; dazu Moraux 1984 [*647:
449–453], Gö­ransson 1995 [*587: 110–118], Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 214–218]
und Zambon 2002 [*45: 306–317]).

2. Logik

Auf dem Gebiet der Logik (nach stoischem Vorbild auch im Sinne von ‘Episte-
mologie’ verstanden) besteht das Hauptziel des Verfassers im Nachweis, dass die
Grundlagen dieser Disziplin bereits von Platon gelegt wurden, in dessen Werken
sich Beispiele von Analysen, Synthesen, Induktionen, Syllogismen (kategorische
und hypothetische) und sogar – im ‹Parmenides› – die Vorwegnahme der zehn
aristotelischen Kategorien nachweisen lassen (Did. 158,6–160,44). Auch die stoi-
sche Auffassung der ‘angeborenen’ bzw. ‘natürlichen Begriffe’ (φυσικαὶ ἔννοιαι)
wurde im Zusammenhang der platonischen Lehre der Wiedererinnerung vorweg-
genommen (Did. 155,20–34; dazu Boys-Stones 2005 [*629: 216–223], Chiaradonna
2007 [*630: 209–215] und Helmig 2012 [*632: 141–154]). Alkinoos orientiert sich
in der Behandlung der Erkenntnistheorie am stoischen Modell, das mit Blick auf
die Kriterien der Wahrheit entwickelt war (Did. 154,9ff.; dazu Sedley 1996 [*622:
302ff.] und Boys-Stones 2005 [*629: 207–212]). Er erkennt im λόγος das Werkzeug,
mittels dem das Urteil gefällt und die Erkenntnis gewonnen wird. Ein solcher
Logos ist zweifacher Natur: Der erste erweist sich als vollkommen unzugänglich
und unfehlbar und gehört zu Gott, während der zweite dem Irrtum unterworfen
ist und zu den Menschen gehört (Did. 154,21–25; dazu Dörrie, Baltes 2002 [*8: VI
123]). Alkinoos erarbeitet eine Systematisierung der platonischen Erkenntnisthe-
orie (die er zu großen Teilen aus dem ‹Theaitetos›, dem ‹Staat›, dem ‹Phaidros›,
dem ‹Phaidon› und dem ‹Timaios› gewinnt) und bezeichnet die «Vernunfterkennt-
nis» (νόησις) als höchste Stufe der menschlichen Erkenntnis. Sie wird definiert
als «Wirken der Vernunft bei der Betrachtung der ersten intelligiblen Gegen-
stände» (νοῦ ἐνέργεια θεωροῦντος τὰ πρῶτα νοητά) und hat zwei Aspekte: Einer-
seits handelt es sich um die Einsicht der Seele, wenn sie das Intelligible betrach-
tet, bevor sie in Kontakt mit dem Körper kommt, während die zweite Einsicht
auftritt, nachdem die Seele in den Körper gelangt ist. Alkinoos zufolge heißt diese
zweite Art von Einsicht «natürlicher Begriff» (φυσικὴ ἔννοια: Did. 155,20–8 =
test. 169.2 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes 2002 [*8: VI 128–130]). Für Alki-
noos ist nur die erste Art der Vernunfterkenntnis Prinzip der wissenschaftlichen
Erkenntnis, während die zweite mit der «Erinnerung» identifiziert wird (μνήμη:
Did. 155,32–34). Anschließend unterscheidet Alkinoos zwei Arten von Vernunft­
erkenntnis. Diese ist zweifach, weil ihre Gegenstände zweifach sind: auf der einen
Seite die «ersten Intelligibilia» (πρῶτα νοητά), d. h. die Ideen, und auf der ande-
ren Seite die «zweiten Intelligibilia» (δεύτερα νοητά), die den «Formen auf der

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610 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Materie» (τὰ εἴδη τὰ ἐπὶ τῇ ὕλῃ) entsprechen. In analoger Weise bezieht sich auch
die sinnliche Erkenntnis, die auf dem λόγος δοξαστικός, der meinungsbasierten
Vernunft, beruht, auf zwei Arten von Gegenständen, auf die ersten und zweiten
Sensibilia, denen Alkinoos eine dritte Art hinzufügt, die sich aus diesen beiden
zusammensetzt (Did. 155,42–156,5). Auf diese Weise wird ein gewisser Parallelis-
mus zwischen der Erkenntnis des Intellekts und der auf Meinung beruhenden Er-
kenntnis hergestellt (Sedley 1996 [*622: 304ff.]).
In der Folge wendet sich Alkinoos der Untersuchung der begrifflichen Zerglie-
derung, der Analyse (von der es drei Arten gibt), der Induktion und des Syllogis-
mus zu, wobei er Beispiele dieser Verfahren aus den Dialogen anführt (Did.
156,24–160,41; dazu Moraux 1984 [*647: 453–458]). Der letzte Teil des logisch-­
dialektischen Abschnitts ist der Mathematik gewidmet, deren propädeutische
Funktion vom Verfasser gemäß den Ausführungen im ‹Staat› betont wird (Did.
160,42–162,23).

3. Prinzipienlehre, Theologie und Physik

Im ‹Didaskalikos› findet sich die klassische Auffassung der mittelplatonischen


Dreiprinzipienlehre: Gott, Ideen und Materie (Did. 163,11–14 = test. 113.3 Dör-
rie-Baltes). Die Behandlung der Materie übernimmt nahezu wörtlich den Inhalt
von Tim. 49a–52d, mit dem Unterschied, dass Alkinoos in Übereinstimmung mit
der unter den Platonikern inzwischen üblich gewordenen (und auf Aristoteles zu-
rückgehenden) Gepflogenheit das räumliche Prinzip Platons ὕλη nennt. Dieses
wird als bar jeglicher Qualität, unbestimmt und wertneutral aufgefasst (Did.
162,29–163,10 = test. 123.1 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 491–
497], Reydams-Schils 1999 [*94: 193–196] und Vimercati 2007 [*631: 436ff.]). Für
die Idee bietet Alkinoos fünf Definitionen: 1) Im Hinblick auf Gott ist sie seine
eigene Vernunfteinsicht (νόησις αὐτοῦ). 2) Im Hinblick auf uns ist sie erstes Intel-
ligibles (νοητὸν πρῶτον). 3) Im Hinblick auf die Materie ist sie Maß (μέτρον). 4)
Im Hinblick auf den sichtbaren Kosmos ist sie Vorbild (παράδειγμα). 5) Im Hin-
blick auf sich selbst ist sie Substanz (οὐσία; Did. 163,14–17 = test. 127.4 Dörrie-
Baltes; dazu Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 240–246] und Ferrari 2005 [*96: 236–240]).
Darüber hinaus finden sich in Alkinoos’ Text Spuren eines Versuchs, das Sein der
Ideen im göttlichen Denken zu begründen. So behauptet er, dass der erste Intel-
lekt, d. h. der erste Gott, da er ja die bessere Wirklichkeit darstellt, das schönere
Intelligible denken muss: In diesem Fall würde Gott «sich selbst und seine eige-
nen Gedanken» (ἑαυτὸν ἂν οὖν καὶ τὰ ἑαυτοῦ νοήματα) denken, und die Idee
würde tatsächlich «seine Tätigkeit» (ἐνέργεια αὐτοῦ), d.  h. das Produkt seines
Denkens, darstellen (Did. 164,27–31 = test. 188.1 Dörrie-Baltes; dazu Dillon 1993
[*598: 103ff.], Dörrie, Baltes 2008 [*8: VII 329f.]).
Der Vorrang Gottes gegenüber den Ideen wird in der Behandlung des dritten
Prinzips, nämlich Gottes, bestätigt. Alkinoos nimmt eine Art ontologischer
­Hierarchie an, die mit der Seele beginnt und über den Intellekt (zunächst den
­potentiellen und dann den aktualen) aufsteigt, um schließlich in der Ursache des

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§ 61. Alkinoos (Bibl. 690–692) 611

Intellekts zu gipfeln, die dem ersten Gott entspricht (Did. 164,18–23): «Da der
­Intellekt besser ist als die Seele, der aktuale Intellekt aber, der alles zugleich und
auch immer denkt, besser als der potentielle und noch besser als dieser dessen Ur-
sache, so ist diese wohl der erste Gott, der für den Intellekt des gesamten Kosmos
die Ursache seines immerwährenden Wirkens ist» (test. 188.1 Dörrie-Baltes). In
dieser Hierarchie lassen sich drei Stufen unterscheiden: die Weltseele, der Intel-
lekt (zunächst in Potenz, dann im Akt) der Weltseele und die Ursache dieses In-
tellekts, die ihrerseits ein Intellekt ist (Deuse 1983 [*86: 81ff.], Di Stefano 2002
[*626: 188]). Alkinoos’ erster Gott muss in der Tat mit dem ersten Intellekt gleich-
gesetzt werden, der über dem Intellekt der Weltseele steht, die ihrerseits aus dem
Schlaf geweckt wird und sich auf den ersten Gott ausrichtet (Did. 164,42–165,2).
Alkinoos scheint daher die Existenz zweier Gottheiten behauptet zu haben, einer
demiurgischen (der zweite Gott) und einer transzendenten (der erste Gott;
­Mansfeld 1972 [*612: 61–67], Donini 1988 [*616: 124–127], Alt 1996 [*620: 14–23],
Opsomer 2005 [*99: 79–83] und Dörrie, Baltes 2008 [*8: VII 323–341]).
In der Beschreibung dieses ersten Gottes schwankt Alkinoos zwischen onto­
logischen Bestimmungen aus den platonischen Dialogen, die dessen Vollkommen-
heit, Vollendung, Göttlichkeit und Güte (αὐτοτελής, παντελής, θειότης, ἀγαθόν)
aufzeigen, und der Behauptung, er sei «unaussprechbar» (ἄρρητος: Did. 164,31–
36). In Did. 165,5 vertritt Alkinoos jedoch in einer scheinbar widersprüchlichen
Formulierung die Auffassung, er sei «unaussprechbar und nur mit dem Intellekt
fassbar» (ἄρρητος καὶ νῷ μόνῳ ληπτός). Damit wollte er wohl behaupten, dass
Gott nicht vom λόγος, sondern einzig vom νοῦς erfasst werden könne, womit mög-
licherweise eine unvermittelte, intuitive und nicht-propositionale Erkenntnis zum
Ausdruck gebracht werden sollte (dazu Dillon 1993 [*598: 104–107], Dörrie, Bal-
tes 2008 [*8: VII 330–341]). Danach erwähnt Alkinoos drei verschiedene Wege,
um zur Erkenntnis des ersten Prinzips zu gelangen: Es handelt sich dabei um
1) die Einsicht, die mittels Subtraktion zustande kommt (κατὰ ἀφαίρεσιν: dieser
Weg geht nach Art und Weise der Mathematiker vor, die vom Körper ausgehend
zum Punkt gelangen, indem sie Schritt für Schritt eine Dimension entfernen),
2)  die Einsicht, die durch Analogie voranschreitet (κατὰ ἀναλογίαν: diese Er-
kenntnis bestimmt das Wesen des ersten Gottes aufgrund seiner Analogie zur
Sonne) und schließlich 3) die Einsicht, die ausgehend von der Schönheit der sinn-
lichen Dinge zur Erfassung der Schönheit der Intelligibilia gelangt, d. h. die ‘via
eminentiae’ (Did. 165,16–34 = test. 190.3 Dörrie-Baltes; Dillon 1993 [*598: 109–
111], Abbate 2002 [*625: 71–75], Di Stefano 2002 [*626: 190–193] und Dörrie, Bal-
tes 2008 [*8: VII 377–381]). Tatsächlich hat der erste Gott des Alkinoos bemer-
kenswerte Ähnlichkeit mit dem ersten unbewegten Beweger im 12. Buch der
‹Metaphysik› des Aristoteles: Dieser ist «unbewegt» (ἀκίνητος), ein Intellekt, der
sich selbst denkt, und setzt als das Objekt des Verlangens die Vernunft des ganzen
Himmels in Bewegung (ὡς τὸ ὀρεκτόν: Did. 164,25 = ὡς ἐρώμενον: Metaph. 12,7,
1072b3).
Die Behandlung des Aufbaus der körperlichen Welt hängt weitgehend vom
­‹Timaios› ab, insbesondere was den Prozess der Rückführung der elementaren
Körper (Luft, Wasser, Erde und Feuer) auf die fundamentalen geometrischen

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612 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Strukturen anbelangt, die in den Dreiecken gipfeln (Did. 166,39–169,15). Im


­Folgenden vertritt Alkinoos die didaktische Auslegung der Weltentstehung (Did.
169,32–41 = test. 139.2 Dörrie-Baltes). Weitgehend abhängig vom ‹Timaios› ist
auch der Abschnitt über den menschlichen Körper (Did. 172,20–173,15), während
Alkinoos in Hinblick auf die Teile der Seele behauptet, dass nur ihr rationaler Teil
unsterblich, die übrigen jedoch sterblich seien (Did. 178,24–46 = test. 168 Dörrie-
Baltes; dazu Gombocz 1997 [*40: 95f.] und Dörrie, Baltes 2002 [*8: VI 420–434]).
In der Frage nach dem Schicksal und der menschlichen Freiheit versucht Alkinoos
entgegen dem radikalen Determinismus der Stoiker, dem Menschen gewisse
Räume der Freiheit zu bewahren (Did. 179,1–33; dazu Reydams-Schils 1999 [*94:
204f.], Boys-Stones 2007 [*101: 431ff.]).

4. Ethik

Die Ethik des ‹Didaskalikos› ist platonisch-aristotelisch ausgerichtet, doch fin-


den sich auch Zugeständnisse an das stoische Denken (Becchi 1993 [*619: 244–
252]). Das höchste Gut für die Menschen besteht in der Betrachtung des ersten
Guten, d. h. Gottes, der auch erster Intellekt ist (Did. 179,39–42; dazu Dillon 21996
[*25: 298f.]). Alkinoos scheint weiter einen gewissen moralischen Rigorismus zu
vertreten, der sokratischer Herkunft, jedoch möglicherweise auch nicht frei von
stoischen Einflüssen ist: Er behauptet nämlich, dass sich die Glückseligkeit in den
Gütern der Seele finde, die Güter des Körpers (Schönheit, Kraft, Reichtum) da-
gegen vollkommen belanglos seien für die Erlangung der Glückseligkeit (Did.
180,1–28; dazu Dillon 1993 [*598: XXIIff.], Karfík 2013 [*635: 120–122]). Auch
für Alkinoos besteht das Ziel (τέλος) in der Angleichung an Gott: nicht jedoch an
den ersten, transzendenten und überkosmischen Gott, der keine Tugenden besitzt,
sondern an den kosmischen Gott (ἐπουράνιος), d. h. wahrscheinlich an den zwei-
ten Gott, den Demiurgen (Did. 181,19–45; dazu Donini 1982 [*29: 111f.] und 1988
[*616: 128], Dillon 1993 [*598: XXIII], Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 100–104] und
Baltzly 2004 [*627: 300]).
Die Auffassung der Tugend ist typisch mittelplatonisch. Alkinoos übernimmt
die aristotelische Definition und behauptet, dass die Tugend ein «absolut vollkom-
mener Zustand der Seele» (διάθεσις ψυχῆς τελεία καὶ βελτίστη) sei, die dem
Menschen Harmonie, Mäßigung und Festigkeit in seinem Verhalten sich selbst
und anderen gegenüber verleiht (Did. 182,15–19). Er unterscheidet dem aristote-
lischen Schema folgend die Tugenden der Vernunft (λογικαί) von denen, die den
irrationalen Teil der Seele betreffen (αἱ περὶ τὸ ἄλογον αὐτῆς μέρος). Diese
­beziehen sich nach dem traditionellen platonischen Schema entweder auf den
­reizbaren Seelenteil (περὶ τὸ θυμικόν), wie z. B. den Mut, oder aber auf den be­
gehrenden (περὶ τὸ ἐπιθυμητικόν), wie z. B. die Mäßigung (Did. 182,19–24). Die
Tugenden, die sich auf den rationalen Seelenteil beziehen, werden «primär»
(προηγούμεναι) genannt, jene der irrationalen Seelenteile «sekundär» (ἑπόμεναι).
Da sie den affektiven Teil betreffen, handelt es sich bei den sekundären Tugenden
nicht um Wissen oder Fachkenntnisse, weshalb sie nicht «lehrbar» (διδακταί) sind,

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§ 61. Alkinoos (Bibl. 690–692) 613

sondern sie bringen «die schönen Taten gemäß einer Vernunft hervor, die nicht in
ihnen selbst ist (denn sie besitzen keine), sondern gemäß der Vernunft, die ihnen
durch die Einsicht zugeteilt wird, indem sie aus Gewohnheit sowie Übung entste-
hen (ἐξ ἔθους καὶ ἀσκήσεως)» (Did. 183,37–184,5; dazu Annas 1999 [*623: 124]
und Ferrari 2013 [*634: 162–165]).
Gegen den stoischen Radikalismus vertritt Alkinoos die Idee der μετριοπάθεια,
des Maßes, der Kontrolle der Leidenschaften. Außerdem lässt er die Möglichkeit
einer Abstufung im Bereich der Tugenden zu, womit er sich wiederum gegen die
Stoiker stellt, für die es zwischen Laster und Tugend keine Zwischenstufe gibt
(Did. 183,17–41; dazu Donini 1982 [*29: 112f.]). Aristoteles verdankt er auch die
Auffassung der (ethischen) Tugend als des richtigen Mittelmaßes zwischen zwei
Extremen (Did. 184,14–21). Interessant, aber möglicherweise nicht ohne Weiteres
mit der restlichen Behandlung der Ethik vereinbar ist der Rückgriff auf das so­
kratische Thema der Unfreiwilligkeit des moralischen Lasters, das durch einen
Erkenntnismangel bedingt ist, weil niemand willentlich das Böse wählen würde
(Did. 184,42–185,23).
Wie andere Mittelplatoniker beschäftigte sich auch Alkinoos mit der Frage des
«Schicksals» (εἱμαρμένη). Er schreibt Platon die Ansicht zu, dass alles im Schick-
sal enthalten sei, aber nicht in dem Sinne, dass alles vom Schicksal festgelegt wäre.
Wenn es nämlich so wäre, gäbe es keinen Raum für die freie Wahl und folglich
auch nicht für Lob und Tadel. Für Alkinoos wirkt das Schicksal nicht als ein Ge-
setz, das alles bestimmt, sondern als ein Gesetz, das die Folgen für bestimmtes
Handeln festlegt. Nachdem die Seele in freier Entscheidung eine Lebensweise ge-
wählt hat, legt das Schicksal alle Ereignisse fest, die aus dieser Wahl folgen (Did.
179,1–19 = test. 174.2 Dörrie-Baltes; dazu Dillon 1993 [*598: 160–163], Dörrie, Bal-
tes 2002 [*8: VI 258–263] und Pietsch 2013 [*114: 202–209]).
Auf dem Gebiet der politischen Theorie übernimmt Alkinoos schließlich die
klassischen Themen aus Platons ‹Staat›, dem ‹Politikos› und den ‹Gesetzen›, wobei
er sich in erster Linie auf die Beziehung zwischen der Dreiteilung der Seele und
jener des Staates sowie den Unterschied zwischen dem im ‹Staat› beschriebenen
Idealstaat und den real existierenden Staaten, von denen in den anderen Dialogen
die Rede ist, konzentriert (Did. 188,8–189,11; dazu Dillon 1993 [*598: 204–209]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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614 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

§ 62. Albinos aus Smyrna

Franco Ferrari

1. Leben und Schriften. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND SCHRIFTEN

Spärlich sind Informationen über das Leben und die Schriften des Albinos,
eines Schülers des Gaios. Er wirkte in Smyrna um 150 n. Chr., denn Galen teilt
mit, seine Vorlesungen besucht zu haben (Gal. Libr. propr. 97,8–11 Mueller = test.
10 Göransson = 1 T. Gioè). Wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, war Smyrna
seine Geburtsstadt (Göransson 1995 [*587: 39], Gioè 2002 [*9: 87–89]). Zwar ist
die These des Einflusses einer ‘Schule des Gaios’ in Athen, die von Apuleius und
Albinos besucht wurde, heute überwunden, doch die Anwesenheit von Albinos in
der attischen Hauptstadt als Lehrer der platonischen Philosophie lässt sich nicht
vollständig ausschließen (Göransson 1995 [*587: 38–41], Reis 1999 [*652: 19]). Auf
jeden Fall dürfte er in der Mitte des 2. Jahrhunderts tätig gewesen und daher in
dessen ersten Jahrzehnten geboren worden sein.
Etwas mehr Informationen liegen bezüglich seiner Schriften vor. Er verfasste
ein Werk ‹Grundzüge der Lehren Platons› (῾Υποτυπώσεις Πλατωνικῶν δογμάτων),
die er den Vorlesungen (σχολαί) des Gaios verdankte, und eine Schrift mit dem
Titel ‹Über die Lehren Platons› (Περὶ τῶν Πλάτωνι ἀρεσκόντων) in mindestens
drei Büchern (Cod. Par. Graec. 1962, fol. 146 = test. 1 Göransson = Albin. 4 T. und
Gaios 7 T. Gioè = test. 77.6 und 83.5 Dörrie-Baltes). Beide gingen verloren. Wahr-
scheinlich schrieb Albinos auch Kommentare zu platonischen Dialogen oder zu
einzelnen Teilen davon: Es gibt einen Beleg für sein Interesse am Mythos des Er
im 10. Buch des ‹Staates› (Prokl. In Rep. II,96,10–15 Kroll = test. 2 Göransson =
3 T. Gioè = test. 76.4 Dörrie-Baltes), aber wahrscheinlich verfasste er auch einen
oder mehrere Kommentare zum ‹Timaios›, vor allem zu den Abschnitten über die
Weltentstehung, sowie möglicherweise zum ‹Phaidon› (Göransson 1995 [*587: 55–
60, 68–77]).
In einer syrischen Quelle findet sich ein Hinweis auf eine Schrift des Albinos
mit dem Titel ‹Über das Unkörperliche› (Ephraem Syrus, Against Bardaisan’s
Domnus, III Mitchell = test. 14 Göransson = 7 T. Gioè), die man fälschlich mit
dem ps.-galenischen ‹De qualitatibus incorporeis› zu identifizieren versuchte (z. B.
Merlan 1967 [*21: 70 Anm. 3]). Allerdings zeigen die wenigen Informationen, die
in dieser Quelle enthalten sind, deutliche Unterschiede zwischen dem mutmaß­
lichen Aufbau der verlorenen Schrift des Albinos und des ps.-galenischen Trak-
tats (Göransson 1995 [*587: 53f.], Gioè 2002 [*9: 90–93]).

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§ 62. Albinos aus Smyrna (Bibl. 692) 615

Da inzwischen wohl definitiv gesichert ist, dass Albinos nicht der Verfasser des
‹Didaskalikos› ist (für Albinos’ Verfasserschaft nur Nüsser 1991 [*650: 210–223]),
bleibt als einziges erhaltenes Werk der ‹Prolog›, eine kurze «Einleitung» (εἰσ­
αγωγή) in die Lektüre der platonischen Dialoge, dessen Hauptzeuge die berühmte
Platon-Handschrift Vindob. suppl. graec. 7 darstellt, die ins 10.–11. Jahrhundert
datiert wird (Nüsser 1991 [*650: 25–29], Göransson 1995 [*587: 49–52] und vor
allem Reis 1999 [*652: 156–287]). Wahrscheinlich lautete der ursprüngliche Titel
einfach Πρόλογος, während der Zusatz Εἰσαγωγή auf einen späteren Schreiber zu-
rückzuführen ist (Göransson 1995 [*587: 51]).
Es handelt sich dabei um ein Werk in sechs kurzen Kapiteln, in dem drei Fra-
gestellungen aus dem Bereich der Prolegomena zur Lektüre des Corpus Platoni-
cum angegangen werden: 1) Was ist ein Dialog? 2) Wie unterscheiden sich die Dia­
loge in ihrer Charakteristik und ihren Zielsetzungen? 3) Mit welchem Dialog soll
die Lektüre sinnvollerweise begonnen werden? Die Schrift gehört zu jener Gat-
tung schulmäßiger Produktion, die in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit
weit verbreitet war und zum Ziel hatte, ein systematisches und einheitliches Bild
der Philosophie Platons zu präsentieren (Ferrari 2010 [*73]).

2. LEHRE

Die Einteilung der Dialoge «nach dem Charakter», die in Kap. 3 des ‹Prologs›
dargelegt (rekonstruiert von Dörrie, Baltes 1990 [*8: II 516–520], vgl. aber auch
Göransson 1995 [*587: 83–96]; dazu Baltes 1996 [*621: 94–98], Reis 1999 [*652:
53–96] und Tarrant 2007 [*589: 453–456]) und mit einigen substantiellen Ände-
rungen im Kap. 6 wieder aufgenommen wird, stellt eines der Instrumente dar,
derer sich die Mittelplatoniker bedienten, um zu zeigen, dass die Dialoge, wenn
auch in Charakter und Zielsetzung voneinander verschieden, doch ein einheit­
liches und kohärentes Denken abbilden. Eine ähnliche Einteilung wie in Prol. 3
findet sich in Diogenes Laertios 3,49; somit muss es sich um einen mittelplatoni-
schen ‘Topos’ handeln (Mansfeld 1994 [*216: 74–89]). Im Vergleich mit dem voll-
ständigen Schema bei Diogenes Laertios erscheint die Klassifizierung des Albi-
nos vereinfacht, aber analog im Aufbau: Die «Hauptunterscheidung» (διαίρεσις)
ist jene zwischen der «lehrenden» (ὑφηγητικός) und der «untersuchenden» (ζητη­
τικός) Gattung; dann wird die Einteilung verfeinert, und jede der beiden Gattun-
gen wird für sich in vier Arten unterteilt: die lehrende Gattung in die «physikali-
sche» (φυσικός), die «logische» (λογικός), die «politische» (πολιτικός) und die
«ethische» (ἠθικός) Art; die untersuchende in die «prüfende» (πειραστι­κός), die
«maieutische» (μαιευτικός), die «nachweisende» (ἐνδεικτικός) und die «widerle-
gende» (ἀνατρεπτικός) Art (Prol. 148,24–37 Hermann; zum Unterschied zwischen
den Klassifizierungen in Kap. 3 und 6 vgl. Mansfeld 1994 [*216: 84–89] und Reis
1999 [*652: 105–116]).
Im Hinblick auf die Lektürereihenfolge der Dialoge stellt sich Albinos gegen
die – von ihm auf Derkylides und Thrasyllos zurückgeführte – tetralogische Ord-
nung, weil sie mehr biographisch (gebunden an die Handlungsträger) als tatsäch-

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616 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

lich philosophisch, d.  h. auf die Erlangung von Weisheit ausgerichtet, sei (Prol.
149,5–17 Hermann; dazu Zambon 2002 [*45: 313f.]). Auch wenn er anerkennt, dass
sich das platonische Corpus als perfekter, geschlossener Kreis präsentiert, in dem
es keinen bevorzugten Ausgangspunkt gibt, und ebenso, dass die Lektürereihen-
folge von dem im Voraus festgesetzten Ziel und gewiss auch vom Ausgangsniveau
des Lesers abhängt, schlägt Albinos eine eigene Reihenfolge vor, die zur Erkennt-
nis der göttlichen Dinge und sogar zur Annäherung an diese führen sollte: Man
solle mit dem ‹Alkibiades I› beginnen, um zur Erkenntnis seiner selbst zu gelan-
gen, danach mit dem ‹Phaidon› fortfahren, in dem das Bild des Philosophen ge-
zeichnet wird, im Folgenden zum ‹Staat› weitergehen, wo die «Erziehung»
(παιδεία) dargelegt wird, um schließlich die Lektüre des ‹Timaios› in Angriff zu
nehmen, der die Darstellung der göttlichen Dinge, d.  h. die Theologie, enthält
(Prol. 149,35–150,12 Hermann = test. 50.1 Dörrie-Baltes; dazu Neschke-Hentschke
1991 [*649] und vor allem Reis 1999 [*652: 117–144]).
Die spärlichen Informationen zu anderen Schriften des Albinos lassen ein
­Interesse an Kosmologie und Seelenlehre durchscheinen. Im Hinblick auf die ‘ve-
xata quaestio’ nach der Weltentstehung im ‹Timaios› ist Albinos zu den Vertretern
der didaktisch-metaphorischen Auslegung zu zählen. Er ist der Ansicht, dass der
Kosmos für Platon «ungeschaffen» (ἀγένητος) sei, aber dass er ein «Entstehungs-
prinzip» (ἀρχὴ γενέσεως) habe, d. h. eine Ursache, von der er abhängt; deshalb be-
trachte Platon ihn zugleich als ‘ewig’ (insofern er ungeschaffen ist) und als ‘ge-
schaffen’ (insofern er ein Entstehungsprinzip hat; Prokl. In Tim. I,218,28–219,3
Diehl = test. 15 Göransson = 12 T. Gioè = test. 139.3 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie,
Baltes 1998 [*8: V 443–452], Gioè 2002 [*9: 108–113]).
Seine Betrachtungen auf dem Gebiet der Seelenlehre legte Albinos möglicher-
weise in den Kommentaren zum ‹Phaidon› und zum ‹Timaios› dar. Im Zusam-
menhang mit dem ‹Phaidon› soll er auf das berühmte Argument aus den Gegen-
sätzen zurückgegriffen haben (Phaed. 70c–72d), wobei er Unterscheidungen
erarbeitete, welche die Gültigkeit des platonischen Arguments verteidigen konn-
ten (Tertul. Anim. 41,13–23 Waszink = test. 12 Göransson = 9 T. Gioè; dazu Gioè
2002 [*9: 96–99]). Wohl im Kommentar zum ‹Timaios› schrieb Albinos die Un-
sterblichkeit einzig dem rationalen Teil der Seele, d. h. dem Intellekt (νοῦς), zu und
betrachtete ihre irrationalen Teile als ‘sterblich’ (Prokl. In Tim. III,234,9–18 Diehl
= test. 16 Göransson = 11 T. Gioè = test. 167.1 Dörrie-Baltes; dazu Dörrie, Baltes
2002 [*8: VI 407–409] und Gioè 2002 [*9: 103–108]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 617

§ 63. Apuleius von Madaura

Irmgard Männlein-Robert

1. Leben. – 2. Die philosophischen Schriften. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

Apuleius ist ein bekannter Intellektueller aus der Zeit der Zweiten Sophistik
(Bowersock 1969 [*722], Hahn 1989 [*753], Anderson 1993 [*762], Sandy 1997
[*772], Harrison 2000 [*776]), der sich als besonders talentierter Stilist und Lite-
rat sowohl wissenschaftlichen als auch populären Themen der platonischen Philo­
sophie widmet.

1. LEBEN

Wohl um 125/130 n. Chr. in Madaura, Numidien (heute Mdaurusch, Algerien),


in wohlhabender römischer Familie geboren, erhält Apuleius eine kostspielige
Ausbildung in Karthago. Er absolviert bereits dort erste Studien der Philosophie,
bevor er diese auf einer langen Bildungsreise vor allem nach Athen intensiviert
(Belege bei Hammerstaedt 2002 [*781: 12]). Diese Bildungsreise führt ihn auch
nach Hierapolis in Phrygien (Mund. 17, 327) und Samos (Flor. 15,4). In Athen be-
schäftigt sich Apuleius mit Dichtung, Geometrie (Mathematik), Dialektik (Logik),
Musik und (platonischer) Philosophie (Flor. 20,2–4). Möglicherweise lässt er sich
dort in Mysterien einweihen (Apol. 55,8). Danach hält er sich, wohl als Anwalt, in
Rom auf (Met. 11; Flor. 17,4) und wird dort als Redner berühmt (Flor. 17,4). Nach
seiner Rückkehr nach Africa heiratet er in Oea, in der Provinz Africa nahe Tri-
polis, die reiche Witwe Aemilia Pudentilla. Möglicherweise hat er mit ihr einen
gemeinsamen Sohn Faustinus – diesem widmet er nämlich zwei philosophische
Werke (Mund. 285; Plat. 2,1, 219; Beaujeu 1973 [*665: 310] hält Faustinus für fik-
tiv; weniger skeptisch ist Hijmans 1987 [*749: 428]; vgl. auch Redfors 1960 [*705],
Moreschini 1966 [*714: 103–106] mit kurzem Abriss der älteren Forschungslitera-
tur). Als in der Nachbarstadt Sabratha Gerüchte über ihn wegen Zauberei im Kon-
text seiner Eheschließung mit Pudentilla in Umlauf gebracht werden, kommt es
158/59 n. Chr. zu einem Prozess gegen Apuleius, aus dessen Verlauf seine selbst
gehaltene Verteidigungsrede in schriftlicher Version erhalten ist (‹Apologia› oder
‹De magia›, datiert auf ca. 158/59 n. Chr.; Text, deutsche Übersetzung, Kurzkom-
mentar sowie erläuternde Essays in Hammerstaedt et al. 2002 [*780]; Sallmann
1995 [*769: 137–156], Puccini-Delbey 2010 [*786]). Offenbar wurde Apuleius vom
Vorwurf der Zauberei freigesprochen (Hijmans 1994 [*766: 1712–1714]). An-
schließend wirkt er in den 60er Jahren vor allem in Karthago als Vortragsredner
(Flor. 18,16). Er wird zum Priester des Kaiserkultes gewählt (sacerdos provinciae:
Flor. 16,38; dazu Rives 1994 [*767]), bekleidet sonst aber keine öffentlichen Ämter

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618 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

(Aug. Epist. 138,19). Sein Studienfreund Aemilianus Strabo, für dessen politische
Karriere als Prokonsul Apuleius sich tatkräftig einsetzte, stiftet ihm in Karthago
mit Zustimmung des Stadtrates ein Standbild an einem Ehrenplatz (Flor. 16,1;
16,36ff.; Inscriptions Latines Afrique I 215), eine Ehrenstatue in Oea erkämpft
sich Apuleius selbst (Aug. Epist. 138,19; vgl. Anth. Pal. 2,303–305, dazu von
Schwabe 1895 [*658: 246–248], Vallette 1924 [*694: V–XIII], Dörrie 1979 [*738]).

Selbstverständnis und Stil

Der exzellente Redner Apuleius darf als Meister Rhetorische Präsentation und elegante Stilisierung
der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung gel- mit auffälligem Wortmaterial sollen dabei die Ak-
ten. Er prahlt mit seinen Griechischkenntnissen zeptanz und die Attraktivität der platonischen Phi-
und seiner Vermittlerrolle zwischen den Sprachen losophie beim jeweiligen Publikum verstärken.
und Kulturen. Zugleich definiert und beschreibt er Eben dieses weite stilistische Spektrum gab gerade
sich selbst stets als platonischen Philosophen (z. B. im rhetorikfeindlichen 19. Jahrhundert wiederholt
Apol. 4–24; 64). Immer ist bei Apuleius eine publi- Anlass zu Spekulationen über die Echtheit seiner
kumswirksame Anpassung von Stil und Disposi- philosophischen Schriften, die sich jedoch genus-
tion an das gewählte literarische Genre gegeben. bedingt auch stilistisch unterscheiden.

2. DIE PHILOSOPHISCHEN SCHRIFTEN

Werkbeschreibungen: Textgrundlage ist More- bei Harrison 2001 [*673: 195–216]; zur Diskus-
schini 1991 [*666]; Überblick über Ausgaben usw. sion, ob es sich bei diesem Passus um einen Über-
bei Beaujeu 1973 [*665], Hijmans 1987 [*749], gang von einer griechischen zu einer lateinischen
Klibansky, Regen 1993 [*763]; siehe die neuere Bi- Rede handelt, siehe Hijmans 1994 [*766: 1781f.]).
bliographie von Bajoni 1992 [*656]. Die originale Zugehörigkeit dieses Prologs wird
jedoch neuerdings wieder bestritten, da kein un-
mittelbarer thematischer Bezug zur Dämonen-
‹De deo Socratis› schrift erkennbar sei (Lakmann 2004 [*678: 23–
‹Über den Gott des Sokrates› 26]; vgl. Helm 1900 [*668]). Freilich ist die Authen-
tizität des Prologs denkbar, da in der rhetorischen
In dieser Schrift behandelt Apuleius die mittel- Praxis seit alters und so auch in der Zweiten So-
platonische Dämonenlehre. Die Schrift darf als phistik gerade Prologe und Prooimien vielfach als
Vorlagentext einer publikumswirksamen epideik- variable Versatzstücke komponiert wurden (z. B.
tischen Rede gelten. Darauf weisen die kunstvolle Hunink 1995 [*768], der überdies eine innere
Wortwahl, der meist streng parallele Satzbau ­Einheit des Prologs postuliert; Sandy 1997 [*772:
sowie zahlreiche Stilmittel (auch akustischer Art, 192–196], Regen 1999 [*774: 436 mit Anm. 45],
wie etwa Klauselrhythmen) hin (allgemein Lak- Regen 2000 [*777] und Hammer­staedt 2002 [*781:
mann 2004 [*678: 34–39]; zu modischen stilisti- 21]; allgemein Janson 1964 [*709]), zudem der
schen Archaismen Roncaioli 1966 [*715: 332–345]; Charakter der sogenannten ‘Falschen Vorrede’
zur antiken Glossierung Magnaldi 2011 [*787]). durchaus als protreptisch im philosophischen
Die Schrift beginnt unvermittelt mit «Platon hat Sinne verstanden werden kann (Harrison 2001
die ganze Natur der Dinge [dreifach geteilt]» [*673: 185–194]). Dass der Einsatz der Schrift mit
(Plato omnem naturam rerum), was ein Fehlen der ‘Plato’ als erstem Wort programmatischen Cha-
ursprünglichen Einleitung oder Vorrede vermuten rakter hat und demnach vom Verfasser so beab-
ließ. Im Allgemeinen gilt ein Passus aus den ‹Flo- sichtigt ist, meint neuerdings Lakmann 2004
rida›, einer Blütenlese aus zahlreichen Werken des [*678: 18f.], unter Hinweis auf den vergleichbaren
Apuleius (siehe Moreschini 1991 [*666: app. crit. Anfang in Apuleius’ Schrift ‹De Platone et eius
p. 1]), als Prolog (Flor. 18,38–43), der in der ge- dogmate› (‹Über Platon und seine Lehre›), die
samten handschriftlichen Überlieferung der ebenfalls mit Platons Namen als erstem Wort an-
Schrift voransteht (engl. Übersetzung des Prologs hebt (Platoni: Plat. 1,1). Unabhängig davon ist es

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 619
möglich, dass der Schluss der Schrift unvollstän- folgen Ausführungen zu Naturphilosophie und
dig ist, da jegliche abschließende oder weiterfüh- Ethik. Ein dritter Teil, wohl zur Logik, fehlt.
rende Bemerkung fehlt (so Baltes 2004 [*675: 119 Diese rhetorisch geschliffene (Hiatvermeidung,
Anm. 273]; vgl. aber Lakmann 2004 [*678: 19]). sorgfältige Klauselrhythmisierung), im Vergleich
Diese Schrift des Apuleius gilt als erste erhaltene zu anderen Werken des Apuleius freilich doch
systematische Dämonenlehre (Dörrie, Baltes 1993 sachlicher und nüchterner anmutende Schrift
[*8: III 315–319], Donini 2004 [*677]). Der Titel (Bernhard 1927 [*696: 334], Axelson 1952 [*701:
‹De deo Socratis› weicht mit dem deus-Begriff von 3–20], Roncaioli 1966 [*715: 345–356]) ist philoso-
den anderen Dämonenschriften (z. B. Plutarch oder phiehistorisch von großer Bedeutung, da sich aus
Maximos von Tyros) ab. Das wird bereits von Au- dem 2. Jahrhundert n. Chr. nur sehr wenige, meist
gustinus (Civ. 8,14) als gezielte Abweichung vom fragmentarische, überdies kaum doxographische
zeitgenössisch negativ konnotierten Daimon-Be- Werke aus dem Feld des Mittelplatonismus erhal-
griff interpretiert (Lakmann 2004 [*678: 20–22]). ten haben (z. B. Albinos’ ‹Prolog›; Alkinoos’ ‹Di-
Nach einer umfangreichen allgemeinen Dämono- daskalikos›). In der älteren Forschung wurde vor
logie (Kap. 1–16: Existenz und Stufung des Göttli- allem das Kriterium des sachlich-trockenen Stils
chen, Dämonen als niedere oder mittlere Gotthei- dieser Schrift als Argument gegen die Zuschrei-
ten, die zwischen Göttern und Menschen stehen) bung an Apuleius ins Feld geführt (Redfors 1960
folgen eher knappe Ausführungen über das Daimo- [*705]; noch Dillon 21996 [*25: 310]), freilich
nion des Sokrates (Kap. 17–20: die spezifische dürfte diese Stillage von Apuleius sehr gezielt dem
Natur des Sokratischen Daimonion als – wie bei Genre des Handbuchs angepasst worden sein
Platon stets nur abratende – innere Stimme und als (siehe auch Barra 1966 [*713]; zur antiken Glossie-
persönlicher Schutzgott), woran sich ein Appell und rung vgl. Magnaldi 2011 [*788]). Apuleius ver­
Aufruf zur Philosophie anschließt (Kap. 21–24; mittelt hier platonische Natur-, Moral- und Staats-
Gliederung bei Lakmann 2004 [*678: 43]). ‹De deo philosophie in knappen, gut lehr- und lernbaren
Socratis› ist an ein Publikum gerichtet, das zwar Sätzen in enger Anlehnung an die tradierten Dia-
mit griechischer Sprache und Kultur vertraut, in loge Platons und unter Verwendung griechischer
der lateinischen Sprache jedoch ungleich mehr zu Termini, die er gezielt latinisiert und erklärt (die
Hause ist. Daher verzichtet Apuleius hier auf grie- griechischen δόγματα übersetzt er als ‘consulta’,
chische Termini, vielmehr latinisiert er diese und ebd. Kap. 1,4, p. 189). Das Ergebnis zeichnet sich
zitiert hauptsächlich aus lateinischen Autoren, wie durch klare Systematik aus, wie sie im Rahmen
etwa Ennius, Vergil, Lukrez (dazu Lakmann 2004 einer an Didaktik, Dogmatik und Orthodoxie ori-
[*678: 16f.]). Die Intention dieser Schrift ist eine entierten Schulphilosophie nötig ist, wobei die
ethisch-paränetische: Man soll aus der Dämonen- Doxographie der Lehren Platons im Zentrum
lehre Konsequenzen für das Leben ziehen. Apu- steht. Wie im Mittelplatonismus üblich bedient
leius prangert Aberglauben und unseriöse Wahrsa- sich Apuleius bei seinen Erläuterungen der plato-
gerei an und kritisiert falsche Wertvorstellungen nischen Philosophie auch stoischer und aristoteli-
der Menschen. ‹De deo Socratis› mündet in einen scher Termini und Konzepte, deren Integration
Appell ein, sich am «Beispiel des Sokrates» (exem- ­jedoch allein der größeren Anschaulichkeit sowie
plum Socratis) auszurichten, um nach seinem Vor- Verständlichkeit der Lehren Platons dient.
bild das Ziel der «Angleichung an Gott» (simili- Die Schrift wird eingeleitet durch die älteste
tudo numinum) zu erreichen (Socr. 21; zum derzeit bekannte und erhaltene Biographie Pla-
Schlusspassus Bingenheimer 1993 [*672: 182f.]). tons, die sehr deutlich hagiographische Züge trägt
(Kap. 1,1–4): Platon wird nicht nur heroisiert (1,2,
p. 183; 6, p. 229), sondern geradezu als göttlicher,
‹De Platone et eius dogmate› apollinischer Philosoph stilisiert und beschrieben
‹Über Platon und seine Lehre› (Moreschini 1966 [*714]; dann auch Moreschini
1978 [*735: 51–132], ferner Sinko 1927 [*698],
Aufgrund der Widmung an den Sohn, die ein für Barra 1967 [*717], Schmutzler 1974 [*732]). Inter-
Philosophie geeignetes Alter vermuten lässt, essant ist vor allem der in Kap. 1,3 beschriebene
dürfte diese Schrift in die frühen 70er Jahre des philosophische Entwicklungsgang des Philoso-
2. Jahrhunderts n. Chr. zu datieren sein. Die phen Platon, in dem Apuleius über verschiedene
­beiden erhaltenen Bücher 1 und 2 bieten eine Stationen Platons pythagoreische Interessen stark
­systematische Darstellung der zeitgenössischen in den Vordergrund stellt, Platon auf seinen Rei-
mittelplatonischen Philosophie. Es findet sich eine sen nach Kyrene, Ägypten und Unteritalien, pro-
einleitende Darstellung von Platons Leben, dann grammatisch jedoch nicht nach Indien gelangen

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620 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

lässt, was wohl stärker den Akzent auf Platons on- über wichtige moralische Themen, über die indif-
tologische und epistemologische Interessen legen, ferenten Dinge, die Adiaphora der Stoiker, sowie
als sein Interesse an religiösen Lehren verdeutli- über die moralischen Aspekte der Lust (Kap. 12;
chen soll (dazu Dörrie 1979 [*738], Männlein-Ro- dazu Mossay 1963 [*708]) folgen gut platonische
bert 2009 [*866: 343–346]). Im übrigen Teil von Themen wie Freundschaft und Liebe (Kap. 13f.).
Buch 1 legt Apuleius auf der Grundlage des plato- Dann geht es um Handeln und Lebensweise ver-
nischen ‹Timaios› eine «Naturphilosophie» (phi- werflicher Menschen (Kap. 15f.), die Unfreiwillig-
losophia naturalis) dar (Kap. 5–18): Zuerst werden keit des Unrechttuns und die Relevanz des Be-
die drei im Mittelplatonismus wichtigsten «Prinzi- straftwerdens (Kap. 17), abschließend ist die Rede
pien» (initia rerum tria) Gott, Ideen, Materie ein- vom unmoralischen Menschen überhaupt (Kap.
geführt (Kap. 5f.; dazu Barra 1967 [*717]). Die 18). Freilich gehören, so Apuleius weiter, die meis-
Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft bestehen ten Menschen zur Kategorie der moralisch mittel-
aus Materie und bilden die Dinge der Körperwelt mäßigen Menschen (Kap. 19), von denen sich der
(Kap. 7f.). Es folgen Ausführungen über die hinter Weise klar abhebt (Kap. 20–23): Das Gesamtkon-
der Körperwelt existierende «Weltseele» (anima zept des idealen Weisen, das die bekannten Züge
caelestis: Kap. 9, p. 199), die Apuleius ganz in mittel- des stoischen Weisen aufnimmt, erweist sich durch
platonischer Tradition von der «Seele aller beseel- die stark akzentuierte erstrebte «Angleichung an
ten Wesen» (anima animantium omnium) unter- Gott» (ὁμοίωσις θεῷ) letztlich als gut (mittel-)pla-
scheidet. In Abweichung von der mittelplatonischen tonisch (Hijmans 1987 [*749: 465–467]). Es
Tradition (z. B. Alkin. Did.) schreibt er jedoch der schließen sich staatsphilosophische Ausführungen
Weltseele die Rolle der ‘jungen Götter’ aus dem an (Kap. 24–29), die in enger Bezugnahme auf
‹Timaios› zu. Indem er dabei eine enge Verbindung platonische Dialoge den idealen Staat (vgl. ‹Po-
von Geist und Seele postuliert, zeigt er eben da- liteia›; Kap. 24f.), das realistischere Staatsideal der
durch große Nähe zum Weltseele-Konzept des ‹Gesetze› (Kap. 26), dann verschiedene Staatsfor-
­Attikos (Dillon 21996 [*25: 315f.]). Es folgen kos- men und die Moral im Staat behandeln (Kap. 27),
mologische Betrachtungen über die Zeit (Kap. 10; auch falsche, wie die Demokratie (Kap. 28). Die
dazu Hijmans 1987 [*749: 448–451]) sowie über die Darlegungen brechen an dieser Stelle abrupt,
Sphären des Himmels (Kap. 11) und die Vorsehung ohne erkennbaren Abschluss, ab.
(Kap. 12; dazu Krafft 1979 [*739]). Daran schließen Sollte die in ihrer Echtheit immer noch umstrit-
sich Ausführungen über die Seelenteile des Men- tene Schrift ‹De interpretatione› (Περὶ ἑρμηνείας),
schen (Kap. 13), die Sinneswahrnehmung (Kap. 14) ein lateinischer Traktat über formale peripateti-
sowie die Teile des menschlichen Körpers (Kap. sche Logik mit griechischem Titel, der unter dem
15–17) an, dessen Gesundheit wie Krankheit als Namen des Apuleius, aber getrennt von ‹De Pla-
letztlich seelisch motiviert beschrieben werden tone et eius dogmate› und nicht in der Haupttradi-
(dazu Beaujeu 1973 [*665: 279], Hijmans 1987 tion der Apuleius-Werke überliefert wurde, doch
[*749: 460f.]). Der Mensch kann nur dann vollkom- in einem kompositorischen Zusammenhang mit
men, ein ‘homo perfectus’ sein, wenn Seele und ‹De Platone et eius dogmate› stehen und sich als
Körper sich gleichmäßig miteinander verbinden der dritte Teil erweisen, der dort (Plat. 1,4, 189) an-
(Kap. 18). Es handelt sich ab Kap. 13 also eher um gekündigt wird, würde dies – nach Physik und
biologische Erklärungen in Anlehnung an den ‹Ti- Ethik – auch einen Einblick in die Logik des Apu-
maios›, die überhaupt auf der vorher skizzierten leius gewähren. Zu bedenken ist, dass Apuleius
platonischen Anthropologie beruhen. auch im zweiten Buch von ‹De Platone et eius dog-
In Buch 2 behandelt Apuleius «Moral- und mate› nicht auf das erste Buch verweist, vielmehr
Staatsphilosophie», also philosophia moralis. Das beide Bücher in sich geschlossen stehen. Gegen die
Gute stellt das Ziel dar (Kap. 1–2): Der Mensch Echtheit, von der allerdings antike Autoren ausge-
bewegt sich zwischen Tugend und Laster (Kap. 3), hen (z. B. Cassiod. Art. 3,569 [PL 70, 1173a]; Isid.
von denen zuerst die Laster (Kap. 4), dann die Tu- Sev. Etym. 2,28,22 Lindsay), werden folgende Ein-
genden (Kap. 5) ausgeführt werden. Diese werden wände geltend gemacht (siehe ausführlich zur De-
sodann als die vier Kardinaltugenden Weisheit, batte Flamand 1989 [*659: 305f.]; für Unechtheit
Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit vorge- plädierte zuerst Hildebrandt 1842 [*663], dann
stellt, zu denen allerdings noch die «Staatskunst» z. B. Goldbacher 1876 [*664] und 1885 [*680]; für
(civilitas) hinzutritt (Kap. 6–9). Es folgt eine Ein- unecht hält das Werk noch Moreschini 1990 [*757]
teilung des Guten und des Schlechten (Kap. 10), und 1991 [*666: IX–XIII]; dagegen tendiert die
wobei Tugend und Laster klar voneinander ge- neuere Forschung zur Annahme der Echtheit, z. B.
trennt werden (Kap. 11). Auf die Ausführungen Hijmans 1987 [*749: 408–411], Londey, Johanson

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 621
1987 [*682], Gombocz 1988 [*751: 279 Anm. 1], Weitere Schriften
Flamand 1989 [*659: 303f.], Dillon 21996 [*25:
310f.]): Neben überlieferungsgeschichtlichen und Philosophische Einschlüsse finden sich auch in
stilistischen Argumenten steht hauptsächlich die den ‹Florida›, einer Sammlung von Passagen aus
inhaltliche Beobachtung, es sei hier keine spezi- epideiktischen Reden des Apuleius, sowie – mit
fisch platonische Logik erkennbar, ja Platon werde religiöser Relevanz – in den ‹Metamorphosen›,
überhaupt nicht erwähnt. In jedem Fall dürfte es einem komplexen mehrdeutigen Eselsroman. Die-
sich um ein philosophiegeschichtlich interessantes ser enthält Anklänge an Philosophisches nicht
und frühes auf Latein abgefasstes Dokument zur ­z uletzt im bekannten Märchen von ‘Amor und
Logik des 2. Jahrhunderts n. Chr. handeln, das ein Psyche’ (4,28–6,24) sowie in der Einweihung des
wichtiges Bindeglied zwischen der aristotelisch- Lucius in die Mysterien der Isis in Buch 11. Beide
stoischen und der kaiserzeitlichen lateinischen Partien der ‹Metamorphosen› des Apuleius kön-
Logik darstellt (Sullivan 1967 [*720: insb. 235– nen platonisch gelesen und gedeutet werden. Ab-
242], Lumpe 1982 [*742], Johanson 1983 [*745], gesehen von der Thematisierung der ambivalenten
Gombocz 1988 [*751] und 1990 [*756]). «Neugier» (curiositas) werden hier vor allem die
religiösen Züge der platonischen Philosophie,
konkret die Rolle der Philosophie als eine Art
‹De mundo› Vorbereitung der Mysterienreligion, gespiegelt
‹Über die Welt› (Moreschini 1965 [*711], überarbeitet in Mores-
chini 1978 [*735: 19–42]; Thibau 1965 [*712],
Hier handelt es sich um eine lateinische Überset- Schlam 1970 [*725], Heller 1983 [*744], O’Brien
zung des ps.-aristotelischen griechischen Traktats 2002 [*783]; Literatur bis 1989 bei Flamand 1989
‹Über die Welt› (Περὶ κόσμου), der kosmogoni- [*659: 307–310], De Filippo 1990 [*755]).
schen und kosmologischen Inhalts ist. Apuleius’ la- Unter philosophischen Gesichtspunkten ist die
teinische Übersetzung desselben wurde wohl, wie im ‹Corpus Hermeticum› anonym überlieferte
man aufgrund der Widmung an den Sohn vermuten Schrift ‹Asclepius› interessant, die in den Hand-
kann, in den 70er/80er Jahren des 2. Jahrhunderts schriften des 9. Jahrhunderts n. Chr. auf die echten
n. Chr. verfasst. Es handelt sich hierbei um eine sti- Schriften des Apuleius folgt. Freilich wird dieser
listisch durchaus geschliffene Abhandlung (Axel- Text bei Augustinus (Civ. 8,23) Apuleius zuge-
son 1952 [*701: 3–20]). Apuleius rückt in seiner schrieben. Es handelt sich dabei um die lateinische
Übertragung die Frage nach dem einen Gott, der Übersetzung einer hermetischen griechischen
die Welt lenkt, dessen Transzendenz, dessen Größe Schrift, in der ägyptisch-orphische Mysterien­
und dessen Einheit sowie die Vielheit der göttli- lehren mit neuplatonischem Gedankengut ver-
chen Namen besonders ins Zentrum. In seiner schmolzen sind und als deren Urheber Hermes
Übersetzung sind interessante, philosophisch be- Trismegistos gilt. Maßgeblich für die Interpreta-
deutsame Verschiebungen im Vergleich zur griechi- tion des hermetischen (Mittel-)Platonismus dieser
schen Vorlage festzustellen (Müller 1939 [*700], Schrift ist nach wie vor Moreschini 1985 [*747]
Hijmans 1987 [*749: 399–403]): So spielen bei- (Analyse des ‹Asclepius› v. a. ebd. Kap. II, 69–
spielsweise anders als dort auch in dieser Überset- 119). Der ‹Asclepius› des Apuleius ist ein Dialog
zung des Apuleius die Dämonen eine wesentliche zwischen dem göttlichen Hermes Trismegistos und
Rolle; sie haben den vierten Rang der universalen seinem Schüler Asclepius über die Hierarchie des
Hierarchie im Kosmos inne, bewohnen also die Seienden im Kosmos, Theurgie, Eschatologie und
zwischen irdischer und göttlicher gelegene mittlere die Stellung und Rolle des Menschen im kosmi-
Sphäre des Aër (dazu Regen 1971 [*727]). In Kap. schen System. Apuleius beschäftigt sich freilich
13f. zieht Apuleius einen Passus über Winde aus auch in seiner ‹Apologie-Rede› (Apol. 55) einge-
einer Schrift des Favorinos von Arelate, eines hend mit Asclepius (‹De Aesculapii maiestate dis-
wenig älteren berühmten Rhetors und Sophisten, putatio›; dazu Siniscalco 1966/67 [*716], Gersh
heran, den Apuleius’ Zeitgenosse Aulus Gellius, 1986 [*33: I 329–387] vor allem zur Anthropologie,
ein Hörer des Platonikers Tauros, in seinen ‹Noctes mit Unterschieden zum Platonismus des 2. Jh.s n.
Atticae› (2,22) ebenfalls zitiert. Apuleius scheint Chr.). Der ‹Asclepius› wurde von Moreschini, da
hier das Referat des Gellius zusammenzufassen, es in alter handschriftlicher Tradition unter Apu-
also als Vorlage zu benutzen. Problematisch bleiben leius’ Namen überliefert, in seine Ausgabe der
Spekulationen, wonach Apuleius mit dem Kreis um philosophischen Schriften des Apuleius mit aufge-
den Platoniker Tauros in Athen in Kontakt gekom- nommen. Das Kapitel 41 ist im griechischen Ori-
men sein soll (Dillon 21996 [*25: 307f.]). ginal erhalten (Pap. Minaut col. 18, ed. Preisendanz,

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622 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Papyri Graecae Magicae 3,591). Da weder inhalt- komachos von Gerasa (‹Introductio arithmetica›,
lich-thematische noch stilistische Argumente eine Cassiod. Inst. div. 2, z. B. 4,7), ein philosophischer
Autorschaft des Apuleius an dieser Übersetzung Dialog oder Roman mit dem Titel ‹Hermagoras›
ausschließen, muss mit der Möglichkeit der Authen- (Prisc. Gramm. II 85, 111, 135, 279, 528 Keil; Fulg.
tizität dieser Schrift gerechnet werden (Hunink Serm. ant. 3), eine Übersetzung von Platons ‹Phai-
1996 [*771] mit reichen Literaturangaben). don› (fr. 9f. = Prisc. Gramm. II 511, 520 Keil), ein
Nur dem Titel nach bezeugte, nicht erhaltene ‹Buch über den Staat› (fr. 13 = Fulg. Serm. ant.
Schriften des Apuleius mit vermutlich philoso- 44), eine Schrift zur Musiktheorie (Cassiod. Inst.
phisch relevantem Gehalt sind eine lateinische div. 2,5,10, dazu Harrison 2000 [*776: 31f.]) sowie
Übersetzung der mathematischen Schrift des Ni- der Titel ‹Erotikos› (Ioh. Lyd. Mag. 3,64).

3. LEHRE

1. Selbstverständnis. – 2. Themen. – 3. Theologie. – 4. Einbettung der Dämonologie des Apuleius in den


historischen platonischen Kontext. – 5. ὁμοίωσις θεῷ. – 6. Ethik. – 7. Tradition.

1. Selbstverständnis

Apuleius bezeichnet sich nachdrücklich immer wieder als Platoniker (Apol. 12;
39,1; 64,3; vgl. 41,7) und betont seine Nachfolge Platons im umfassenden Sinne
(Apol. 11,5; 36,1; 65). Daneben sieht er Sokrates als «Vorbild» an (maior meus So-
crates: Flor. 2,1; dazu Todd Lee 2005 [*785] sowie Schindel 2000 [*660]), begeis-
tert sich auch für Pythagoras und den pythagoreisierenden Platonismus in seiner
Athener Studienzeit (Flor. 15,26). Pythagoras, Sokrates und Platon sind ihm
glaubwürdige Modelle der Nachahmung in lebensweltlicher wie philosophischer
Hinsicht. Apuleius vertritt, bei aller Vertrautheit mit der Schulphilosophie, das
Konzept einer Philosophie als Lebensform, er ist daher nicht an scholastischer
Abgrenzung oder Polemik gegen andere philosophische Richtungen interessiert
(Hijmans 1987 [*749: 470]). Platonische Philosophie hat für ihn persönlich den
Stellenwert einer theologisch fundierten umfassenden universalen Lebensweise,
die stark an hellenistische, mitunter an populäre Konzepte erinnert (vgl. die so un-
platonisch anmutende Eingangsdefinition der Ethik in ‹De Platone et eius dog-
mate› 2,1, 219: «ut scias quibus ad beatam vitam perveniri rationibus possit», «Wis-
sen darüber, wie man zum glücklichen Leben gelangen kann»). Apuleius zitiert
sehr häufig – auch außerhalb primär philosophischer Kontexte – wörtlich aus Pla-
tons Dialogen (z. B. Alc. I in Apol. 25,11; Charm. 157a in Apol. 26,4; in Apol. 64,4–6
zitiert er Phdr. 247b–c und Epist. 2, 312e etc.; ausführlicher Hijmans 1987 [*749:
417 Anm. 86]). Dass dieses Selbstverständnis sehr ernst zu nehmen ist, zeigt die
modellhafte Biographie Platons (Plat. 1,1–4), die sich in wesentlichen Punkten
wohl programmatisch mit der des Apuleius kreuzt, der also sein Leben in das des
göttlichen Platon einschreibt und aufgrund erkennbarer Parallelen seine Authen-

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 623

tizität als Platoniker bekräftigt (Barra 1963 [*707: 8ff.], Hijmans 1987 [*749: 434f.]).
Möglicherweise ist der im Kontext der ‹Metamorphosen› isolierte Hinweis (Met.
1,2), die Mutter des Haupthelden Lucius stamme aus der Familie des Platonikers
Sextus von Chaironeia, des Lehrers Mark Aurels und Enkels Plutarchs, als ähnli-
cher Selbstverweis des Apuleius auf seine platonischen Wurzeln aufzufassen. Dass
Apuleius mit dem Kreis um den Platoniker Tauros in Athen in Kontakt stand, ist
nicht ausgeschlossen, derzeit aber nicht nachweisbar (vgl. die erwähnte Referenz
über die Winde aus Favorinos bei Gellius [2,22] und Apuleius [Mund. 13f.], dazu
Dillon 21996 [*25: 307f., ebd. 338]). Dass Apuleius Schüler hatte, ist nicht bekannt.
Den philosophischen Wert der Schriften des Apuleius, der lange bezweifelt wurde
(noch Dillon 21996 [*25: 311]), stellte als Erster Moreschini 1966 [*714] klar heraus.

2. Themen

Apuleius beschäftigt sich in seinen philosophischen Schriften mit typischen


Themen des zeitgenössischen mittleren Platonismus: Theologie (basierend auf der
Kosmologie vor allem des platonischen ‹Timaios›), Dämonologie und Ethik ste-
hen bei ihm klar im Vordergrund; diese sind aufs Engste konzeptionell miteinan-
der verbunden. Dabei lassen sich fast immer fließende Übergänge von Theologie
und religiösen Darlegungen hin zu ethischen Anliegen feststellen (Moreschini
1981 [*710: 220]; Überblick bei Dillon 21996 [*25: 311–338]).

3. Theologie

Apuleius, der sich vielerorts in seinem Œuvre (z. B. Apol. 55; Met. 3, 15; man
beachte auch die Bezeichnung des ‹Asclepius› als ‘religiosissimus sermo’ in Ascl.
1) als ‘philosophus religiosus’ erweist (so Hijmans 1987 [*749: 397]), zeigt in sei-
nen philosophischen Schriften großes Interesse an Theologie, an der Gottesfrage
überhaupt, sowie an Fragen nach der Verbindung und Verbindungsmöglichkeiten
zwischen der Welt der Menschen und der Sphäre des transzendenten höchsten
Gottes; letzteres wird vor allem an seinen Ausführungen zur Dämonenlehre sowie
seiner starken Akzentuierung paradigmatischer philosophischer Leitbilder (Py-
thagoras, Sokrates, Platon) deutlich. Der höchste Gott spielt bei Apuleius eine
wichtige Rolle (Plat. 1,5, 190f.; Apol. 64). Er wird mit etlichen positiven und ne-
gativen Attributen belegt (Übersicht bei Hijmans 1987 [*749: 437]; Mortley 1972
[*729]). Die Theologie des Apuleius in ‹De Platone et eius dogmate› eröffnet mit
‘Gott’ die systematisch aufgefaltete hierarchische Ordnung der drei ersten (mit-
telplatonischen) Prinzipien (Gott – Idee – Materie; dazu Gersh 1986 [*33: I 215–
328]), während z. B. Alkinoos diese Reihe mit Darlegungen über die Materie be-
ginnt (Abgleich bei Dillon 21996 [*25: 312–315]; Lilla 1992 [*39: 41–48] mit
Belegstellen aus ‹De Platone et eius dogmate› zum Gottesbild des Apuleius). Das
Gottesthema ist für Apuleius auch in seiner Schrift ‹De mundo› von Bedeutung:
Hier hebt er in seiner Übersetzung der griechischen Vorlage deutlich den Aspekt

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624 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

des weltenlenkenden Gottes heraus (Herrmann 1959 [*704], Van den Broek 1982
[*743]). Überdies lässt sich hier (wie auch in Plat. 1,5–7, 190–196) ein Dualismus
zwischen Gott und Materie feststellen, der an gnostische Theorien erinnert
(Mund. 24f., 343–344; dazu Barra 1972 [*728]).

4. Einbettung der Dämonologie des Apuleius


in den historischen platonischen Kontext

In Anknüpfung an Platons ‹Symposion›, in dem der Dämon Eros suggestiv als


einflussreiches Band zwischen Göttern und Menschen beschrieben wird (Plat.
Symp. 202e3ff.), begründet Xenokrates, der Schüler und Nachfolger Platons in der
Leitung der Akademie, die Tradition einer systematischen Dämonologie, auf die
sich letztlich alle späteren Platoniker, auch Apuleius, beziehen (Brenk 1986 [*748:
2131–2135], Hijmans 1987 [*749: 434–469]). Xenokrates, dessen Schrift über die
Dämonen nicht überliefert ist, hat indes, aus den erhaltenen Testimonien zu
schließen, die bei Platon erkennbaren Ansätze zur Dämonenlehre deutlich wei-
terentwickelt (Dillon 2003 [*784: 123ff.] und 2004 [*676: 128]). Nach Xenokrates
beschäftigt sich mit Dämonen, freilich nicht immer systematisch, der mutmaß­liche
Verfasser der ps.-platonischen ‹Epinomis›, Philippos von Opus (dazu Tarán 1975
[*734]). In der frühen Kaiserzeit versucht Philon von Alexandrien, jüdischen
Schriftglauben mit mittelplatonischer Dämonologie zu verbinden (z. B. Gig. 6–18;
Somn. 1,134f. 141f.; Leg. alleg. 3,177; Quaest. in Ex. 1,23; dazu Dillon 2004 [*676:
134–137]). Ausführlicher befasst sich der Platoniker Plutarch mit der Dämonen-
lehre (z. B. in Gen. Socr. 24ff.; De def. or. 13, 416–417; 419b–e; De Iside 360e–361).
Alkinoos integriert in seinen ‹Didaskalikos› eine Art Zusammenfassung der mit-
telplatonischen Dämonenlehre, die deutlich den Einfluss des Dämonen-Passus
aus der ps.-platonischen ‹Epinomis› in Kombination mit einem ‹Timaios›-Zitat
aufweist (Did. 171,15ff.; vgl. Ps.-Plat. Epin. 981c–d; 984c–e; Plat. Tim. 39e–40d;
Dillon 2004 [*676: 137–139]). Auch der Zeitgenosse des Apuleius, Maximos von
Tyros (Diss. 8,185ff. Trapp = 8,160ff. Koniaris; 9,30–48 Trapp = 9,28–43 Koniaris
= Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 318f.]), sowie Calcidius (Mitte des 4. Jh.s n. Chr., ba-
siert aber auf Quellen des 2. Jh.s n. Chr.) befassen sich mit der mittelplatonischen
Dämonologie, welche die Darstellung der ‹Epinomis› modifiziert (ausführlicher
Dillon 2004 [*676: 139f.]). Trotz der deutlichen Distanz von Xenokrates (Walsh
1981 [*741], Dillon 2004 [*676: 141]) lehnen sich diese Autoren mit der Annahme
der Existenz böser Dämonen an Xenokrates an (fr. 25 Heinze = Plut. De Iside
361b; so Philon Gig. 17–18; Quaest. in Ex. 1,23; Plut. De def. or. 417b–e; vgl. De
facie 944c–d; De Iside 361b) und leisten damit dualistischen Tendenzen Vorschub.
In den ‹Chaldäischen Orakeln› gibt es nur böse Dämonen (Orac. Chald. fr. 135;
88; vgl. ferner auch Origenes Princ. 1,8 über die gefallenen Engel; dazu Cremer
1969 [*723: 68–85]; zum Modethema des sokratischen Daimonions in der Zwei-
ten Sophistik siehe Trapp 1997 [*1002: 67f.]).
Vor diesem Hintergrund scheint Apuleius in der mittelplatonischen Diskussion
um böse Dämonen gezielt Stellung zu beziehen, denn er blendet diese absichtlich

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 625

aus. Bei ihm stellen nicht sie die metaphysische Ursache des Bösen dar. Wenn es
etwas Derartiges gibt, kommt es – laut Apuleius – von den Menschen (Socr. 15,
153; dazu Dillon 2004 [*676: 130f.], Lakmann 2004 [*678: 34]). Indem also Apu-
leius in Abweichung von der älteren akademischen Position, etwa eines Xenokra-
tes, keine bösen Dämonen annimmt, eliminiert er Elemente des Volksglaubens
aus seiner Dämonologie und erweist sich als strenger Platoniker. Er betont über-
dies seine eigene Rolle als Vermittler der griechischen Philosophie, wenn er die
ursprünglich ganz dem griechischen Kulturraum zugehörige platonische Dämo-
nenlehre erstmals auf Lateinisch formuliert (Socr. 14, 150). Seine Darlegungen
über die Dämonen und ihre Rolle in der Hierarchie des Kosmos sollen Aberglau-
ben und Missverständnissen über göttliches Wirken vorbeugen und werden insge-
samt durch eine letztlich theologische Konzeption begründet (Bernard 1994
[*765]). Bei Apuleius sind die Dämonen wie bei seinen platonischen Vorgängern
Vermittler und Seelenbeschützer. In Übereinstimmung mit Platon (v. a. ‹Timaios›)
haben die Götter im Kosmos den höchsten Rang inne, sie wohnen im Bereich der
Sterne. Abweichend von Platon leben im Kosmos des Apuleius allerdings nicht
nur die sichtbaren Götter, sondern auch die intelligiblen. Nur der Göttervater
transzendiert diesen Bereich, er ist ‘ultramundanus’ (Plat. 1,11, 204; vgl. ebd. 1,12,
205: exsuperantissimus) und daher – auch sprachlich – nicht erfassbar. Die Men-
schen und der Bereich der Welt stehen in genauem Gegensatz zur göttlichen
Sphäre (Socr. v. a. 3, 122–124 und 4, 127). Zwischen der Sphäre der Götter und
jener der Menschen gibt es an sich keinen direkten Austausch oder Kontakt. Die-
ser wird einzig durch Dämonen als «göttliche Mittlerwesen» möglich (divinae me-
diae potestates: Socr. 6, 132f. et al.; vgl. Habermehl 1996 [*770]). Während sich die
Götter durch «Erhabenheit» (sublimitas) und die Menschen durch «Niedrigkeit»
(infimitas) auszeichnen, ist für die Dämonen «Mittelmaß» (mediocritas) charak-
teristisch (Socr. 4, 127f.; ebd. 13, 147). Sie stehen als «mittlere Götter» (medii divi:
Socr. 7, 137) räumlich in der Mitte, da sie im Luftbereich zwischen Erde und Mond
leben, und sie stehen auch ihrem Wesen nach in der Mitte: zum einen, da sie wie
die Götter unsterblich sind und wie die Menschen einen Körper, freilich einen
luftartigen, durchsichtigen (Socr. 9–11, 140–145), sowie Affekte haben (Socr. 13,
147f. et al.) und «vernunftbegabt» (rationabilia: Socr. 13, 148) sind, zum anderen
da sie, als «Lebewesen» (animalia: Socr. 13, 148), als «Vermittler/Dolmetscher»
(interpretes) zwischen Göttern und Menschen fungieren (Plat. 1,12, 205f.). Sie
übermitteln Gebete und Bitten der Menschen an die Götter und überbringen von
diesen Aufträge und Gaben an die Menschen (ebd. Socr. 6, 133, alles gemäß Plat.
Symp.). Alle Arten von Wundern, Weissagungen, Träumen, überhaupt Magie, sind
auf Dämonen zurückzuführen. Jeder Dämon hat einen bestimmten Kompetenz-
bereich, über den er herrscht (Socr. 6f., 133–137). Dämonen werden leicht mit Göt-
tern verwechselt, da sie oft die gleichen Namen haben (z. B. Socr. 11f., 145f.). Es
gibt mehrere, genauer drei Arten von Dämonen, von denen sich die einen als
(Menschen-)Seelen bezeichnen lassen, etwa als ‘genius’ bei lebenden (ebd. 15,
150–152), andere als Seelen von verstorbenen Menschen, ‘lemures’, auch als ‘Lar,
Larva, Manis deus’ (Socr. 15, 152–154). Die dritte Art Dämonen sind höhere, über-
menschliche Mächte, gleichsam Götter (Somnus, Amor) oder individuelle Schutz-

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626 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

geister (wie das Daimonion des Sokrates), die alles Denken und Handeln überwa-
chen und auf die man achten soll (Socr. 16–17, 154–157; dazu Boyancé 1935 [*699],
Alt 2000 [*775: 219]). Apuleius’ Dämonenlehre zielt insgesamt auf eine ethische
Belehrung ab, der zufolge die mittelplatonische «Angleichung an Gott» (Literatur
bei Baltes 2004 [*675: 115 Anm. 233]; dazu auch Merki 1952 [*702], ­Roloff 1970
[*724]) vor allem über Vermittlerfiguren wie Dämonen möglich wird, wie dies am
Beispiel des sokratischen Daimonion prominent illustriert wird: Als bereits tugend-
hafter Mensch braucht Sokrates keinen Daimon, der ihn zum Guten anleitet, aber
sein Daimonion hilft ihm durch seine abratende Stimme als Korrektiv bei der
Selbstvervollkommnung. Offensichtlich schlägt sich hier ein zeit­genössisches Be-
dürfnis nach einer gewissen Systematisierung der lebhaft diskutierten mittelplato-
nischen Auffassung von den Dämonen nieder. Gerade bei Apuleius lässt sich deut-
lich ein Bemühen um präzise Differenzierungen innerhalb seiner Dämonologie
feststellen, die einem didaktischen Interesse geschuldet ist. Er argumentiert klar,
bietet präzise Klassifizierungen, von denen sich die weniger klaren des Maximos
erkennbar absetzen (Vergleich bei Beaujeu 1973 [*665: 229f.], dazu Donini 2004
[*677: 159 Anm. 41]). Dabei zeigt sich deutlich eine Hierarchisierung der göttlichen
Welt: unterschiedliche göttliche Ebenen mit unterschied­lichen Kompetenzen und
Einflussmöglichkeiten, ebenso die Möglichkeit einer Einmischung der Götter in
die physische und menschliche Welt. Die Dämonen tragen als halbgöttliche Wesen
Sorge für die Menschen, deren Kontakt zu den oberen Göttern sie ermöglichen.
Dämonen sind im Werk des Apuleius ein beliebtes Thema auch in nicht-philoso-
phischen Texten, z. B. der ‹Apologie› (dazu Vallette 1924 [*694: 221–290]).

5. ὁμοίωσις θεῷ

Es ist nicht zuletzt das Daimonion des Sokrates, das im Kontext von Apuleius’
Ausführungen über den idealen Weisen und das Telos der «Glückseligkeit» (bea-
titudo), die in der «Angleichung an Gott» (ὁμοίωσις θεῷ) gipfelt (vgl. Plat. 2,23,
252f.; dazu Donini 2004 [*677: 144–146, 149–151]), eine maßgebliche Rolle spielt.
Sokrates, die von Apuleius gezeichnete Modellfigur, durch die das Daimonion die
Welt der Götter und die Welt der Menschen in Beziehung treten lässt, besitzt apel-
lativen Charakter: Durch Ausrichtung an diesem dem Daimonion verpflichteten
Vorbild kann der Mensch seine Lebensführung, seine Tugenden vervollkommnen
und bei der Angleichung an Gott Orientierung und Hilfe finden (Socr. 21). Dabei
kristallisiert sich ein Sokrates-Bild heraus, das von dem des akademischen Sok-
rates erheblich abweicht, diesen vielmehr als gleichsam ‘pythagoreischen’ Philo-
sophen zeigt. Damit steht Apuleius freilich in einer Tradition, die sich sicher auch
bei Plutarch (‹De genio Socratis›), dann aber vor allem bei Numenios nachweisen
lässt (Numen. fr. 24, 51ff. des Places) und die seit dem frühen Mittelplatonismus
bekannt ist, auch wenn sie nicht ohne Weiteres Eudoros zugeschrieben werden
darf (siehe Doxographie bei Stob. Ecl. 2,7,3f, II,49,8–9 Wachsmuth).
Im Grunde bezieht Apuleius mit seinem Konzept wieder einen strengeren pla-
tonischen Standpunkt, als dies beispielsweise der Verfasser des ps.-platonischen

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 627

Dialoges ‹Theages› getan hatte. Dieser formulierte eine bedeutsame Erweiterung


in der Auffassung des sokratischen Daimonion, indem er Sokrates in direkter
Auseinandersetzung mit seinem Daimonion vorführte (Theages 128d–131a; dazu
Dillon 2004 [*676: 128]).
Apuleius legt sowohl in Socr. (20–23) als auch in Plat. eine konzeptionell kohä-
rente Lehre der «Angleichung an Gott» nach Platon vor. Indem er ganz traditio-
nell die entsprechenden Sentenzen aus verschiedenen Dialogen Platons zusam-
menführt (Tht., Phdr. usw.), bewegt er sich auch methodisch auf den seit dem
frühen Mittelplatonismus etablierten Wegen (vgl. Moreschini 1981 [*710: 229f.]).
Im Kontext des Prozesses einer «Angleichung an Gott» spielt auch der ideale
Weise, wie Apuleius ihn begeistert schildert (Plat. 2,20–22), eine maßgebliche
Rolle als generelle Vorbildfigur. Der Zustand des idealen Weisen ist nicht Ergeb-
nis eines Prozesses, sondern tritt unvermittelt ein: Diese Perfektion umfasst Ge-
genwart und Zukunft gleichzeitig, der Weise «fällt damit aus der Zeit» (intempo-
ralis), da er mit dem intelligiblen Sein vereint ist. Er ist selbstgenügsam,
leidenschaftslos, ohne Todesfurcht, unsterblich, kehrt gleichsam als Gott in seine
ewige Heimat zurück (ebd. 20, 249). Obgleich sich hier etliche stoische Elemente
finden, ist Apuleius’ Konzept des idealen Weisen insbesondere aufgrund der pos-
tulierten Unsterblichkeit der Seele sowie des anschließend (ebd. Kap. 23) geschil-
derten Telos des Weisen, der ὁμοίωσις θεῷ, platonisch. Mittels der Tugenden Ge-
rechtigkeit, Frömmigkeit und Klugheit sowie durch die Verbindung seines
geistigen Lebens mit dem praktischen kann er diese erreichen und Gott nachfol-
gen (ebd. 2,23, 253: sapientem quippe pedisequum et imitatorem dei dicimus et
sequi arbitramur deum: id est enim ἕπου θεῷ, «Wir sagen freilich, der Weise sei
ein Gefolgsmann Gottes und ahme ihn nach, und wir glauben, er folge Gott: Das
nämlich bedeutet ἕπου θεῷ»). Das Modellbild des Weisen ist von Apuleius offen-
sichtlich nach den Vorgaben großer Philosophen, vor allem Platons, gezeichnet
(Plat. 1,1, 183f.; ebd. 2,19, 247f.; dazu Hijmans 1987 [*749: 465–467], Dillon 21996
[*25: 334f.]). Als charakteristisch darf die Heroisierung des Weisen als grundsätz-
liche Denkfigur bei Apuleius gelten: So wird Platon den Göttern gleichgestellt und
zum ‘Heros’ ­erklärt (Plat. 2,7, 229), in ‹De deo Socratis› (15, 153f.) spiegelt sich ein
eigentlich euhemeristisches Götterbild, wenn es heißt, die Bezeichnung ‘deus’
werde nur ­einigen wenigen «aus derselben Schar nach einem gerechten und wei-
sen Leben» (ex eodem numero iuste ac prudenter curriculo vitae gubernato) ver-
liehen, wie dies etwa Amphiaraos, Osiris oder Asklepios widerfahren sei (Hij-
mans 1987 [*749: 466]).

6. Ethik

Insgesamt darf die Ethik des Apuleius, trotz Integration stoischer Elemente,
wie bei der Konzeption des Idealbildes eines Weisen, als gut platonisch gelten.
Differenziert scheint seine Adaptation aristotelischer Philosopheme zu sein: So
ist eine gewisse Einschränkung der ursprünglich peripatetischen Anschauuung
von der Selbstgenügsamkeit der Tugend, wie sie bereits Antiochos von Askalon

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628 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

vertreten hat, festzustellen (Plat. 2,23, 253; Moreschini 1981 [*710: 222]). Zugleich
findet sich im Kontext der Abhandlung der vier Tugenden ein vor dem Hinter-
grund des zeitgenössischen Platonismus (v. a. Alkinoos) durchaus originelles Kon-
zept der Gerechtigkeit (Plat. 2,7, 229), mit dem Apuleius aristotelische Vorgaben
aufgreift und fortführt: Hier setzt er eine auf den eigenen Nutzen gerichtete und
als «Wohlwollen» (benivolentia) bezeichnete von der auf den Nutzen des andern
ausgerichteten, gewissermaßen objektiven «Gerechtigkeit» (iustitia) ab. Dabei
schließt er an Überlegungen des Aristoteles an, der in der ‹Nikomachischen
Ethik› 5,3 betont, dass, wer im Besitz der Gerechtigkeit ist, diese nicht nur sich
selbst gegenüber anwendet, sondern vor allem auch gegenüber anderen, und der
die Gerechtigkeit insofern als «ganze (d.  h. vollkommene) Tugend» bezeichnet
(Arist. EN 5,3, 1130a9: ὅλη ἀρετή – bei Apuleius ebd. universa virtus). Apuleius
unternimmt also, kurz gesagt, eine Differenzierung des platonischen Tugendbe-
griffs unter aristotelischen Vorgaben (Dillon 21996 [*25: 332], Donini 1999 [*773:
134–150], Karfík 2013 [*789: insb. 123–127]).

7. Tradition

Hinsichtlich der gewählten thematischen Schwerpunkte sowie der Methodik


und Systematik der Darstellung in den unterschiedlichen literarischen Genres
dürfen die philosophischen Schriften des Apuleius der mittelplatonischen Tradi-
tion zugerechnet werden (allgemein Donini 1979 [*737]). Mit Blick auf die Wid-
mungen an Faustinus und die damit implizierte Unterweisung eines Jüngeren
zeichnen sich auch protreptische Tendenzen in seinen Schriften ab (vgl. Hijmans
1987 [*749: 428]).
Der älteren Forschung galt Apuleius, wie auch Alkinoos und Albinos (nach
Freudenthal 1879 [*605] v. a. Sinko 1905 [*693] und Praechter 1916 [*586]; zu Ge-
meinsamkeiten mit Albinos siehe Gersh 1986 [*33: I 222–127]), vor dem Hinter-
grund des Platonismus im 2. Jahrhundert n. Chr. als Platoniker, der aufgrund sei-
ner sogenannten ‘eklektischen Methodik’ als Mitglied der ‘Gaios-Schule’
angesehen wurde. Angesichts der Problematik, überhaupt eine solche Schule
nachweisen zu können, und der offensichtlichen Diskrepanzen zwischen Apuleius’
‹De Platone et eius dogmate› und Alkinoos’ ‹Didaskalikos› (Whittaker 1987 [*34:
83–110], Lilla 1992 [*39: 49f.], Göransson 1995 [*587: 13–27]) sowie des allgemein
gehaltenen Selbstzeugnisses des Apuleius (Flor. 18,15) über sein Studium der pla-
tonischen Philosophie in Athen ist sicherlich Zurückhaltung bei der Zuschreibung
des Apuleius zur ‘Gaios-Schule’ angebracht (Dillon 21996 [*25: 266–340, insb.
340]; ebenso Hijmans 1987 [*749: 435], Whittaker 1987 [*34: 102–110]). Apuleius
darf vielmehr als zeittypischer Vertreter der platonischen Schulrichtung gelten,
deren Anhänger längst in freilich individuell unterschiedlicher Weise rhetorische
Studien ebenso wie stoische und peripatetische Elemente als letztlich der platoni-
schen Philosophie dienliche oder verwandte Versatzstücke integriert und homo-
genisiert hatten (Moreschini 1978 [*735: 133–191], Hijmans 1987 [*749: 434–469];
vgl. Merlan 31991 [*719]). Entsprechend dieser Praxis nutzt also auch Apuleius die

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§ 63. Apuleius von Madaura (Bibl. 692–697) 629

Erkenntnisse sowie das terminologische Material anderer philosophischer Schul-


richtungen zur Erklärung Platons und demonstriert überhaupt weitreichende
Kenntnisse philosophischer Literatur im engeren und weiteren Sinne (Überblick
über von Apuleius erwähnte und zitierte antike Philosophen bei Hijmans 1987
[*749: 416 mit Anm. 85]).

4. NACHWIRKUNG

Das Echo des Apuleius in der Spätantike ist zwiespältig: Nach seinem Tod wird
Apuleius zwar noch lange als heidnischer Wundertäter und Zauberer, als «gött­
licher Mensch» (θεῖος ἀνήρ) ähnlich Apollonios von Tyana, wahrgenommen (Aug.
Epist. 136,1; 102,32; Lact. Inst. 5,3,7; Hier. Tract. in Psalm. 81,9; siehe Costanza
1937 [*791]). Doch einige christliche Autoren, z.  B. Tertullian, verschweigen ihn
ganz (Moreschini 1973 [*792], Simon 1974 [*733], Klibansky, Regen 1993 [*763:
31f.], Karfíková 2004 [*795: 162 mit Anm.]). Cassiodor (Inst. 2,12) und Isidor von
Sevilla (Etym. 2,28,22) schätzen die (möglicherweise echte, zumindest unter Apu-
leius’ Namen zirkulierende) Schrift ‹De interpretatione› als logische Schrift (Kar-
fíková 2004 [*795: 163 Anm. 4]). Wieder andere arbeiten Gedanken aus Apuleius
ein: z. B. Ambrosius aus ‹De Platone et eius dogmate› (in ‹De excessu fratris ­Satyri›,
dazu Courcelle 1961 [*706], Beaujeu 1973 [*665: IX–XXIX], Daniélou 1973 [*730]).
Die Verbreitung der Philosophie des Apuleius verdankt sich Calcidius (In Tim.
131–135; vgl. Dillon 21996 [*25: 318 Anm. 1], Klibansky, Regen 1993 [*763: 33f. mit
Anm. 92]), Martianus Capella und vor allem Augustinus, der den ‹Metamorpho-
sen› den einschlägigen Titel ‹Der goldene Esel› verleiht und Apuleius als Autor
der Schrift ‹De mundo› bezeugt, die lange als Standardwerk zur Weltentstehung
benutzt wurde. Vor allem in ‹De civitate dei› setzt sich Augustinus intensiv mit
Apuleius’ ‹De deo Socratis› auseinander (Übersicht der Zitate und Erwähnungen
des Apuleius bei Augustinus bei Hagendahl 1967 [*718: I 17–28], Horsfall Scotti
1990 [*793: 297–320]). Augustinus nimmt im 8. und 9. Buch von ‹De civitate dei›
den ‘Platonicus nobilis’ Apuleius als Gesprächspartner (Civ. 8,12; allein der Passus
8,23–27 ist Diskussion mit dem hermetischen Asclepius). Augustinus kritisiert
vom christlichen Standpunkt aus die Auffassung der Platoniker, nach der nicht
nur der transzendente Gott selbst, sondern auch andere, von ihm erschaffene Göt-
ter verehrt werden müssen, damit der Mensch nach dem Tod selig wird (Civ. 8,1;
vgl. ebd. 8,12). Überhaupt bezieht er sich in seiner Widerlegung des Apuleius aus-
schließlich auf dessen Schrift ‹De deo Socratis›, zitiert sie wörtlich und ausführ-
lich (Civ. 8,14–22; siehe Habermehl 2002 [*782: 292–298]). Augustinus sieht hier
offenbar eine repräsentative Darstellung der platonischen Philosophie (Civ. 8,14;
ausführlich zur Widerlegung des Apuleius v. a. anhand der moralischen Unter-
scheidung von gut und böse durch Augustinus, denn Dämonen sind für ihn immer
negativ konnotiert und böse, können daher nicht zwischen Menschen und Göttern
vermitteln: Karfíková 2004 [*795: 174–189]). Im Zentrum seiner Kritik steht die
soteriologische Frage nach der Vermittlung zwischen Gott und Mensch (Siniscalco
1990 [*759], Karfíková 2004 [*795: 189]). Es geht Augustinus letztlich darum zu

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630 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

zeigen, dass die platonische Dämonologie, wie sie systematisch greifbar wird in
Apuleius’ ‹De deo Socratis›, in sich nicht schlüssig und konsequent ist, sondern
dass sie vielmehr auf Grundannahmen einer populären Frömmigkeit beruht
(Fuhrer 1997 [*794: 102ff.]). Zahlreiche spätantike und mittelalterliche Autoren
würdigen Apuleius als ‘philosophus platonicus’ (Haight 1927 [*697], Gersh 1986
[*33: I 215f.]; weitere Literaturangaben bei Hammerstaedt 2002 [*781: 22]). In mit-
telalterlichen Exzerptensammlungen finden sich vor allem Zitate und Wendun-
gen aus ‹De deo Socratis›. Apuleius wird dort als ernst zu nehmende philosophi-
sche Autorität zitiert, die neben Platon und Aristoteles steht (Karfíková 2004
[*795: 165–168]; zur Überlieferung der philosophischen Schriften des Apuleius
seit der karolingischen Zeit siehe ausführlich Karfíková 2004 [*795: 168–171], seit
dem Mittelalter Moreschini 1978 [*735: 259–266]). Die Nachwirkung des Apuleius
scheint nicht zuletzt sprachlich-stilistischer Art zu sein: Apuleius’ Stil und seine
teils neu geschaffene lateinische philosophische Terminologie prägt christliche
Autoren wie Tertullian, Cyprian und Zenon von Verona (Fontaine 1968 [*721:
149–176]). Eine Untersuchung der Nachwirkung der sprachprägenden Wirkung
des Apuleius auf die lateinisch abgefassten philosophischen Texte der späteren
Kaiserzeit steht noch aus (Flamand 1989 [*659]). Im 15. und 16. Jahrhundert
n. Chr. entbrennt ein humanistischer Streit um eine apuleianische, der ciceronia-
nisch-quintilianischen entgegengesetzte Stilrichtung (D’Amico 1984 [*746]).
­Literarischer Modellcharakter wurde vor allem dem Romancier Apuleius zu­
geschrieben (Walsh 1970 [*726: 235–243], Scobie 1978 [*736]).

§ 64. Anonymus, ‹In Platonis ‘Theaetetum’›

Franco Ferrari

1. Autor und Werk. – 2. Lehre.

1. AUTOR UND WERK

In den letzten Jahren hat der Text eines anonymen Kommentars zum ‹Theaite-
tos›, der auf einem ins 2. Jahrhundert n. Chr. datierten Papyrus (P. Berol. 9782)
überliefert ist, in der Forschung zum Mittelplatonismus beträchtliches Aufsehen
erregt, insbesondere aufgrund der neuen Edition von Bastianini und Sedley 1995
[*800], die 90 Jahre nach der Erstveröffentlichung durch Diels und Schubart her-
auskam (Tarrant 1983 [*808] und 1985 [*32: 66–88], Opsomer 1998 [*41: 34–69],

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§ 64. Anonymus, ‹In Platonis ‘Theaetetum’› (Bibl. 697) 631

Bonazzi 2003 [*175: 41ff.] und 2013 [*816]). Es handelt sich um einen Papyrus, der
ungefähr 75 Kolumnen (in relativ gutem Zustand) überliefert, die Teil eines
‹Theaitetos›-Kommentars von beträchtlichem Umfang gewesen sein müssen (Bas-
tianini, Sedley 1995 [*800: 237–239]). Der Text folgt dem platonischen Dialog bis
153e2; einige Fragmente lassen sich nicht mit Sicherheit verorten, aber man ver-
mutet, dass sie sich auf eine Textpartie zwischen 157b und 158a beziehen (Basti-
anini, Sedley 1995 [*800: 239], Tarrant 2000 [*42: 171f.]).
Der Autor gibt den platonischen Text wieder, den er zu kommentieren beab-
sichtigt (ohne wesentlichen Unterschied zum handschriftlich überlieferten Platon-
text: Carlini 1994 [*812] und Bastianini, Sedley 1995 [*800: 244–246]); es folgt des-
sen Auslegung sowohl auf sprachlicher (κατὰ λέξιν) als auch auf inhaltlicher
Ebene (κατὰ πράγματα). Im Kommentar finden sich ebenso banale Beobachtun-
gen und solche didaktischer Natur wie gedanklich tiefere Aussagen, auch wenn
der Ton der Auslegung aufs Ganze gesehen eher oberflächlich scheint.
Zahlreich waren die Versuche, den Urheber dieses Werks auszumachen, wobei
man von der Überzeugung ausging, dass sein Verfasser einer der uns bekannten
Platoniker sein müsse. Die vereinte Autorität von Diels und Schubart, in Verbin-
dung mit der für lange Zeit vorherrschenden Annahme der Existenz und des Ein-
flusses der sogenannten ‘Schule des Gaios’, auf die sich auch dieser Kommentar
zurückführen ließe, hat für viele Jahrzehnte die Ansicht gefördert, ihn Albinos
zuzuschreiben (Dillon 21996 [*25: 270f.]). Als Alternative wurde vorgeschlagen,
das Werk Eudoros von Alexandrien oder Philon aus Larissa zuzuweisen, was eine
Rückdatierung des Kommentars ins 1. Jahrhundert v. Chr. zur Folge hätte (Tar-
rant 1983 [*214] und 1985 [*32: 66–88]; dagegen Mansfeld 1991 [*811: 543f.]). Diese
Rückdatierung wird von den Herausgebern der jüngsten Edition akzeptiert, doch
schließen sie aus, dass Eudoros der Autor sein könne (Bastianini, Sedley 1995
[*800: 254–256]). Unlängst wurde von Neuem eine Datierung ins 2. Jahrhundert
n. Chr. vorgeschlagen, wobei der Inhalt des Kommentars mit dem philosophischen
Umfeld des Favorinos in Zusammenhang gebracht wurde (Bonazzi 2003 [*175:
66–74]). Es gibt somit zahlreiche Vermutungen, doch keinerlei Gewissheit.
Mit einer gewissen Sicherheit lässt sich bloß sagen, 1) dass der Autor des Kom-
mentars ein überzeugter Platoniker war (er verfasste außerdem Kommentare zum
‹Timaios›, zum ‹Symposion› und zum ‹Phaidon›: vgl. col. XXXV,10–12; LXX,10–
12 und XLVIII,7–11; dazu Bastianini, Sedley 1995 [*800: 246f.]); 2) dass er auf
dem Laufenden war bezüglich der Diskussionen rund um die Frage, ob die Philo-
sophie Platons in ihrer Gesamtheit skeptisch oder vielmehr dogmatisch ausgerich-
tet war; 3) dass er einige Grundüberzeugungen der mittelplatonischen, d. h. der
dogmatischen Auslegung Platons teilte (Bonazzi 2013 [*816: 310–312]); 4) dass er
gegenüber dem Aristotelismus recht offen war (Moraux 1984 [*809]). Alle diese
Informationen lassen die Hypothese am glaubwürdigsten erscheinen, die den Ver-
fasser (der sich offenbar mit keinem der uns bekannten Platoniker identifizieren
lässt: Bastianini, Sedley 1995 [*800: 251–254]) in die Zeit zwischen dem 1. und
dem 2. Jahrhundert n. Chr. datiert.

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632 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

2. LEHRE

Die philosophische Position des Anonymus scheint in einem Passus des Kom-
mentars auf, in dem er sich gegen jene stellt, die Platon als ‘Akademiker’ (d. h. als
‘Skeptiker’) betrachten, wobei er erklärt, 1) dass nur eine einzige Akademie exis-
tiere, d. h. dass es keine skeptische Phase gegeben habe, welche die Lehrkontinu-
ität der Schule unterbrochen hätte, 2) dass auch die Akademiker Lehrmeinungen
(δόγματα) vertreten hätten, und schließlich, 3) dass Platon selbst über Lehrmei-
nungen verfügte (LIV,38–LV,13). Die Position des Anonymus scheint jener
Plutarchs zu ähneln, der eine Schrift über die Einheit der platonischen Akademie
verfasst hatte (n. 63 Lamprias-Katalog).
Bezüglich des ‹Theaitetos› vertritt der Anonymus die These, dass sich der Dia­
log nicht um das ‘Kriterium’ drehe, wie einige fälschlich glauben, sondern um die
Erkenntnis selbst (ἐπιστήμη: II,11–52; dazu Sedley 1996 [*813: 89–93], Opsomer
1998 [*41: 37–41], Tarrant 2000 [*42: 167–170] und Bonazzi 2013 [*816: 312f.]).
Dem Kommentator zufolge kennt Platon die Antwort auf die Frage nach dem
Wesen der Erkenntnis sehr wohl, doch liefere er sie in diesem Dialog nicht, nä-
here sich ihr jedoch in der dritten Definition, welche die Erkenntnis mit der «rich-
tigen Meinung in Verbindung mit Vernunft» gleichsetzt, sehr stark an (Bastianini,
Sedley 1995 [*800: 250f.]): Hätte Platon zu δόξα ὀρθὴ μετὰ λόγου noch das «Band
der Ursache» (δεσμὸς τῆς αἰτίας) hinzugefügt, wären seine Ausführungen voll-
ständig (III,15–25), und wir verfügten über eine exakte Definition des Wissens.
Nach dem Kommentator erklärt Platon im ‹Theaitetos›, auf welche Gegenstände
sich die Erkenntnis nicht beziehe, doch sage er nicht ausdrücklich, auf welche sie
sich beziehe (II,39–52; dazu Sedley 1996 [*813: 94]). Die Erkenntnis scheint für
den Anonymus mit der Wiedererinnerung (ἀνάμνησις) verbunden zu sein (Sedley
1996 [*813: 95f.]), und ihr Gegenstand sind offensichtlich die Ideen, die er «natür-
liche Begriffe» (φυσικαὶ ἔννοιαι: XLVI,43ff. und LV,30–35; dazu Bonazzi 2013
[*816: 322–324]) nennt. In einer Kritik an der Oikeiosis-Lehre der Stoiker schlägt
er als Alternative die mittelplatonische Lehre der Angleichung an Gott vor
(VII,14–20), und er polemisiert gegen den stoischen Anspruch, alle Tugenden in
einer einzigen zu vereinen (XI,12–40). Von Aristoteles übernimmt er sowohl den
Begriff der Kategorien, dem er das alt-akademische Schema zur Seite stellt, das
auf der Gegenüberstellung von καθ’ αὑτό/πρός τι beruht (LXVIII,1–36; vgl. Mo-
raux 1984 [*809: 485–487], Bastianini, Sedley 1995 [*800: 552f.] und Bonazzi 2003
[*175: 47–49]), als auch die Lehre der Syllogismen (LXVI,12–22; vgl. auch
XVI,14–41; dazu Moraux 1984 [*809: 487–490]). Aufs Ganze gesehen scheint sich
seine Philosophie somit in das Umfeld der mittelplatonischen Überlegungen in-
tegrieren zu lassen.

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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§ 65. Der Neupythagoreismus (Bibl. 698–699) 633

§ 65. Der Neupythagoreismus

Irmgard Männlein-Robert

1. Überblick. – 2. Quellen.

1. Überblick

Spätestens seit Platons ‹Timaios› war bereits in der Alten Akademie das Inter-
esse an den Lehren des Pythagoras groß: Platons Schüler, etwa Xenokrates oder
Aristoteles, dann auch Aristoxenos von Tarent und Theophrast beschäftigten sich
aus unterschiedlichen Perspektiven mit Pythagoras und seinen Lehren. Doxogra-
phische Nachrichten über Pythagoras oder ‘die Pythagoreer’ gehen wohl auf sie
zurück (Thesleff 1961 [*838: 117], Kahn 2001 [*861: 63–85]; Sammlung aller py-
thagoreischen Schriften mit italienischer Übersetzung bei Timpanaro Cardini
2010 [*829]). Für philosophische Fragestellungen sind die in hellenistischer Zeit
entstehenden pythagoreischen Pseudepigrapha von Bedeutung, die wohl seit dem
späten 4. Jahrhundert v. Chr., vor allem aber ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. an ver-
schiedenen Orten des römischen Reiches, etwa Rom, Süditalien und möglicher-
weise auch Alexandrien, auftauchen und wohl bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. hin-
ein verfasst wurden (Thesleff 1961 [*838]; Sammlung dieser Texte bei Thesleff
1965 [*824]). Offen ist, ob und in welcher Form pythagoreische Philosophie wäh-
rend des Hellenismus gepflegt wurde und ob sich Vertreter eines charakteristi-
schen pythagoreischen βίος in dieser Zeit nachweisen lassen, etwa mit Reflexen
in der hellenistischen Dichtung (zur Diskussion der Bruch-These von Zeller und
der Kontinuitätstheorie Carcopinos siehe Burkert 1961 [*837: 227f. = KS 261f.],
der treffend formuliert «es gibt in hellenistischer Zeit eine ganze Flut pythagore-
ischen Schrifttums, aber es gibt keine Pythagoreer» [ebd.: 234 = KS 267]; vgl. Ar-
dizzoni 1965 [*841: 257–267]). Unabhängig davon dokumentieren diese (spät-)hel-
lenistischen Pseudepigrapha mehr oder weniger ernsthaftes Interesse an der
Philosophie des Pythagoras, wie sie bereits durch Platon und seine ersten Schüler
in die philosophischen Diskussionen der Akademie einbezogen oder diskutiert
worden, im Zuge der andersartigen Tendenzen der hellenistischen (eher skepti-
schen) Akademie jedoch dort aus dem wissenschaftlich-philosophischen Fokus
verschwunden waren (Trapp 2007 [*865: 347f.]). Die Pythagoras zugeschriebenen
philosophischen Lehren, die in diesen literarischen, in künstlich archaisierendem
Dorisch verfassten Apokryphen verhandelt werden, entstammen wesentlich der
Philosophie Platons und der Alten Akademie und weisen vielfach Übereinstim-
mungen mit den späteren Nachrichten über Platons ‘Ungeschriebene Lehre’, aber
auch mit aristotelischen und stoischen Philosophemen auf (Merlan 1967 [*844],

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634 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Kahn 2001 [*861: 59–62], Trapp 2007 [*865: 351f.]). Vielfach haben diese anony-
men oder pseudonymen Schriften eher den Charakter von Offenbarungen oder
Verkündigungen als von Lehrschriften; sie legitimieren sich durch ihre (behaup-
tete) Rückführung auf Pythagoras selbst (Dörrie 1963 [*839: 273]). Besonders be-
kannt ist aus diesem Corpus der sog. ‹Lysis-Brief› (Text bei Thesleff 1965 [*824:
111–114]), der über die inneren Verhältnisse der pythagoreischen Gemeinschaft
Aufschluss gibt. Dieser ist etwa in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr.
entstanden (so Burkert 1961 [*837: 24f. = KS III, 243f.], Thesleff 1961 [*838: 113];
vgl. aber Städele 1980 [*827: 212, 215f.]). Wichtig ist der ‹Lysis-Brief› vor allem
deshalb, weil er aller Wahrscheinlichkeit nach der Legitimierung der ebendort in
Kap. 7 erwähnten ‹Hypomnemata› des Pythagoras dient, die dieser seiner Toch-
ter und diese wieder ihrer Tochter als philosophisches Erbe mit dem Anliegen
überreicht haben soll, sie nicht an Außenstehende weiterzugeben. Diese ‹Hypo-
mnemata› sind wohl mit dem bei Alexander Polyhistor bezeugten Titel identisch
(Burkert 1961 [*837: 18f. = KS III, 238], Thesleff 1965 [*824: 234, Z. 18], Riedweg
2 2007 [*864: 158f.]). Mit einem solchen metareferentiellen Verweis auf ‘authenti-

sche’, exklusive Schriften des Pythagoras werden die kursierenden Apokryphen


gleichsam zu historischen Dokumenten des Schulgründers. Das Schrifttum der
pythagoreischen Pseudepigrapha ist außerordentlich umfangreich und in seiner
philosophischen Zuordnung komplex (ältere Sammlung bei Timponara Cardini
1958–1964 [*823], neuere bei Thesleff 1965 [*824]; vgl. Thesleff 1961 [*838], Cen-
trone 1996 [*856: 144–159], Kahn 2001 [*861: 74–79]; die verschiedenen Pythago-
reerinnen zugeschriebenen Schriften bei Montepaone 2011 [*868] und Pomeroy
2013 [*869]). Besonders bekannte Apokryphen sind die Abhandlungen des
Timai­os von Lokroi und des Okkelos von Lukanien (Thesleff 1961 [*838: 16f., 23]
und 1965 [*824: 124–138, 202–225]; zu Timaios von Lokroi siehe Baltes 1972
[*825: 1–3, 24ff.], der allerdings für eine Datierung des Tim. Lokr. nach Cicero plä-
diert; Harder 1926 [*822]). Vielfach werden philosophisch recht allgemein gehal-
tene, letztlich religiös motivierte Verhaltensregeln Pythagoras und seiner Schule
zugeschrieben (z.  B. gehört auch die ‹Tafel des Kebes› in diesen Kontext; siehe
Fitzgerald, White 1983 [*828], Hirsch-Luipold 2005 [*377], Trapp 2007 [*865:
348]). Auch die hexametrischen ‹Goldenen Verse› (Χρυσᾶ ἔπη, ‹Carmen aureum›;
nach Thesleff 1961 [*838: 18f.] wohl um 200 n. Chr. zusammengestellt, nach Thom
1995 [*855: 57f.] vor 300 v. Chr. entstanden) gehören in diesen Kontext, da sie äl-
teres, hellenistisches Versmaterial enthalten: In diesen dürfen zum Beispiel die
Gewissenserforschung oder die allem unterlegte Zahlenstruktur, der Eid auf den
Entdecker der Tetraktys sowie einige Speiseverbote als pythagoreisch gelten
(Riedweg 22007 [*864: 159–161]; zur späteren Kommentierung z. B. bei H ­ ierokles
oder zu den arabischen Übersetzungen späterer neuplatonischer Kommentare
siehe O’Meara 1989 [*915: 114–118, 230–232]). Während sich mit dem Namen des
Pythagoras bis in späthellenistische Zeit hinein vor allem eine philosophisch mo-
tivierte religiös-asketische Lebensform verbinden lässt und darauf basierend in
der Spätantike Pythagoras-Biographien zu Modellen philosophischen Lebens
avancieren (Dörrie 1963 [*839: 269f., 275f.], Zhmud 2010/11 [*867]), so kann für
die Mehrzahl der philosophisch komplexeren pythagoreischen Pseudepigrapha

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§ 65. Der Neupythagoreismus (Bibl. 698–699) 635

dieser Zeit ein gesteigertes Interesse an der Prinzipienlehre, an Kosmologie und


Theologie vermerkt werden. In einer ganzen Reihe der unter Pythagoras’ Namen
apokryph verbreiteten Schriften wird neben einer nicht eben homogenen Seelen-
lehre (Merlan 1967 [*21: 89f.]) vor allem die Lehre von zwei einander entgegenge-
setzten Prinzipien greifbar sowie Versuche, diesen Dualismus durch ein höher ste-
hendes Prinzip zu überwinden, was an Platons ‹Parmenides› sowie an Plotins
Konzeption des «Einen» (ἕν) erinnert (Brontinos, Philolaos und ­Archainetos bei
Syrian. In Metaph. 165,33–166,6 Kroll; vgl. Ps.-Archytas bei Stob. Ecl. 1,41,2,
I,278,18–281,3 Wachsmuth; vgl. Rist 1965 [*842], Bonazzi 2000 [*958]). Das Paar
der gegensätzlichen Prinzipien wird vielfach mit Begrifflichkeiten beschrieben, die
an die aristotelischen Kategorien erinnern (z. B. bei Ps.-Kallikratidas, der sie mit
den Kategorien des Relationalen und Nicht-Relationalen beschreibt, bei Stob. Ecl.
4,22,101, I,534,10–536,5 Hense; dazu Merlan 1967 [*844: 85f.], Szlezák 1972 [*826]).
Erst ab etwa dem 1. Jahrhundert v. Chr. lässt sich philosophiehistorisch der Be-
ginn des sogenannten ‘Neupythagoreismus’ fassen. Während die ältere communis
opinio basierend auf Cicero dessen Zeitgenossen Nigidius Figulus (gest. 45 v. Chr.)
als einen ‘Erneuerer’ der pythagoreischen Lehre (Cic. Tim. 1,1) auffasste (Burkert
1961 [*837]; dagegen wendet sich Thesleff 1965 [*843: 47]), betont man in der neu-
eren Forschung die deutlich ältere Beanspruchung des Pythagoras als Vertreter
einer ‘italischen’ Philosophie (so seit Aristoteles): So gilt bereits der legendenum-
wobene zweite König Roms, Numa Pompilius (ca. 715–673 v. Chr.), aufgrund sei-
ner Sakralgesetzgebung und harmonisierenden Machtausübung als ‘Schüler’ des
Pythagoras (Diod. 8,14; Ov. Met. 15,7ff. und Pont. 3,3,44; Kritik an dieser chrono-
logisch unmöglichen Verbindung bereits bei Cic. Rep. 2,28; dazu Kahn 2001 [*861:
86–88], Riedweg 22007 [*864: 161f.]). Auch der römische Epiker Ennius (‹Annales›,
‹Epicharmus›) formuliert zentrale Gedanken der pythagoreischen Seelenwande-
rungslehre. Nach Ciceros Einschätzung hätten die Römer «vieles in ihren Einrich-
tungen» von den Pythagoreern übernommen (Tusc. 4,4). In seiner Schrift ‹Cato
maior› (12,39) lässt Cicero Cato den Älteren über eine Rede des Pythagoreers
­Archytas über Begierde, Sinnenlust und Tugend berichten. Deutlich zeichnet sich
bereits bei Cicero die Tendenz ab, von römischer Seite aus eine «alte» Verbunden-
heit diesem «italischen» Philosophen gegenüber, auch im eigenen Werk (z. B. im
‹Somnium› des Scipio, 3,16), programmatisch zu bekunden (Burkert 1961 [*837:
238–246 = KS III, 270–277], Van der Waerden 1979 [*850: 274–284], Kahn 2001
[*861: 89 mit Anm.], Joost-Gaugier 2006 [*862: 26–29]). Tatsache bleibt aber, dass
zumindest nach der aktuellen Quellenlage erst ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. na-
mentlich bekannte Personen als Pythagoreer greifbar werden. Freilich scheinen
sie mitunter, wie im Fall des Nigidius Figulus (und später des Apollonios von
Tyana), vor allem aufgrund einer eigenwilligen Mischung aus philosophischen,
­astronomischen und magischen Interessen, aufgrund eines charakteristischen Le-
bensstils sowie durch charismatische Ausstrahlung Aufmerksamkeit erregt zu
haben. So wird auch Varro, der ohnehin Interesse an pythagoreischer Lehre er-
kennen lässt (vgl. den Werktitel ‹Hebdomades›), 27 v. Chr. nach «pythagoreischem
Ritus» bestattet (Plin. Nat. 35,160; Gell. 3,10,1f.; dazu Rawson 1985 [*851: 291–
293, 309–312], Storchi Marino 2000 [*860], Kahn 2001 [*861: 88f.], Trapp 2007

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636 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

[*865: 348f.]). Als seriöse Philosophen neupythagoreischer Prägung sind als unge-
fähre Zeitgenossen des Nigidius Figulus dann vor allem Quintus Sextius sowie
sein Schüler Sotion, der spätere Lehrer des Philosophen Seneca, bekannt, die al-
lerdings pythagoreische Lehren mit stoischen verbinden (Sen. Epist. 59,7; 64,2f.;
108,17–23; Dial. 5,36,1 = De ira 3,36,1–3; Kahn 2001 [*861: 90–93, 139–146]). Ab-
gesehen von diesen handelt es sich bei den weiteren uns bekannten Neupythago-
reern um Platoniker (im weitesten Sinne, siehe Dillon 1988 [*35: 119f.], Joost-
Gaugier 2006 [*862: 101f.], Trapp 2007 [*865: 353–355]) mit pythagoreischen
Interessen: Wir hören nämlich nicht nur von Nigidius Figulus (bei Cicero), son-
dern auch von Eudoros aus Alexandrien, wenig später von Thrasyllos (Übersich-
ten bei Centrone 1996 [*856: 170–189], Dillon 21996 [*25: 341–383], Gombocz 1997
[*40: 143–151]), denen man eine intensive Auseinandersetzung mit den Lehren des
Pythagoras zuschreibt. Insgesamt dürfen die vermeintlich pythagoreischen Schrif-
ten (wie etwa die bereits genannten Pseudepigrapha; zur möglichen Rolle Roms
bei deren Verbreitung siehe Kahn 2001 [*861: 90]) mit Blick auf die ebenfalls etwa
um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. wieder aufblühende platonische Philo-
sophie als vergleichbares Phänomen eines neuartigen Interesses an den origina-
len Lehren des jeweiligen Schulgründers identifiziert werden. Analog zum neu er-
wachten Interesse an Platons Schriften und dem Bemühen, aus den schriftlich
überlieferten Werken Platons die maßgeblichen Lehren zur Ethik, Logik und Phy-
sik mitsamt Kosmologie und Theologie herauszudestillieren und diese gegen skep-
tische Tendenzen der eigenen Schulrichtung sowie gegen konkurrierende Schulen
wie etwa Stoa und Peripatos abzugrenzen (Trapp 2007 [*865: 349f.]), dienen of-
fenbar die unter dem Namen des Pythagoras verfassten Schriften dieser Zeit einer
autoritätsstiftenden Legitimierung der vermeintlich alten originalen Lehren. Pytha-
goras selbst avanciert dabei zu einer symbolhaften Figur der Integration östlicher
Weisheit in den Platonismus, der gelegentlich sogar orphische Elemente enthält
(vgl. Servius Ecl. 4,10, III,46 Thilo-Hagen = Nigid. fr. 67 Swoboda; dazu Dörrie
1963 [*839: 270], Bernabé 2007 [*863: 622–625], Männlein-Robert 2009 [*866:
341–343, 350–355]).
Der neue, seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. fassbare Pythagoreismus ist somit
letztlich als eine Spielart des kaiserzeitlichen Platonismus aufzufassen (Centrone
2000 [*858], Riedweg 22007 [*864: 163]). Während einige Platoniker, wie Alkinoos,
jede Andeutung einer Affinität platonischer zu pythagoreischen Lehren zu ver-
meiden suchen (vgl. Did. 169,24–26, dazu Whittaker 1987 [*34: 118]), gilt für an-
dere eine Verschmelzung platonischer mit pythagoreischen Lehren als natürlich
(z. B. Eudoros, Numenios, Philon von Alexandrien), die letztlich darauf beruht,
dass beide dieselben Fragestellungen zugrunde legen. Die Doxographie, die Pla-
ton und Pythagoras vielfach als Gewährsmänner für dieselben Anschauungen be-
nennt, dürfte das Ihre dazu beigetragen haben, dass Pythagoras und Platon als
Vertreter derselben Philosophie gelten mussten (Dörrie 1963 [*839: 271]).

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§ 65. Der Neupythagoreismus (Bibl. 698–699) 637

2. Quellen

Die erhaltenen Quellen der doxographischen Nachrichten spiegeln die kompli-


zierte und vielschichtige Gemengelage wider, die der schriftlichen Tradition der
neupythagoreischen Philosophie eigen ist: Seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. referie-
ren einige Autoren pythagoreische Lehren, die sie aus anonymen Quellen bezie-
hen, die ihrerseits unterschiedliche Akzente zu setzen scheinen und unterschied-
lichen Epochen entstammen. Möglicherweise stehen die von den einschlägigen
Autoren Diodor und Alexander Polyhistor (beide 1. Jh. v. Chr.), Ovid, Sextus Em-
piricus sowie Photios (Merlan 1967 [*21: 87]; Überblick bei Donini 1982 [*29: 137–
146]) benutzten Anonymi in einem Zusammenhang mit den oben genannten hel-
lenistischen Pseudepigrapha. Auf der einen Seite sind der sogenannte ‹Anonymus
Diodori› und der sogenannte ‹Anonymus Ovidii› zu sehen, die beide eher popu-
läre pythagoreische ethisch-religiöse Lehren oder Verhaltensregeln kolportieren:
Der ‹Anonymus Diodori› (Diod. 10,3–11; Text auch bei Thesleff 1965 [*824: 229–
234]) bietet Informationen aus dem Leben des Pythagoras, eher popularphiloso-
phisch anmutende Verhaltensmaßregeln über Selbstkontrolle, Freundschaft, Se-
xualität sowie Vorschriften für Gebet und Ritual (Thesleff 1961 [*838: 25f.]). Der
‹Anonymus Ovidii› (Ov. Met. 15,1–478) legt der legendären Begegnung Numas
mit Pythagoras sowie dessen Rede zahlreiche bekannte pythagoreische Lehren
bei, wie etwa Reinheitsgebote, Seelenwanderungslehre oder die Lehre vom
­beständigen Wechsel und Erhalt der Elemente (Thesleff 1961 [*838: 26]). Dem
­gegenüber stehen die vor allem an philosophischer Prinzipienlehre und Theolo-
gie des ‘Pythagoras’ und der Pythagoreer interessierten Gewährsmänner, auf die
Alexander Polyhistor, Photios und Sextus Empiricus ihre Berichte stützen: Beim
‹Anonymus Alexandri›, den Alexander Polyhistor (wohl um 80 v. Chr.; bei D. L.
8,24–33; Text auch bei Thesleff 1965 [*824: 234–237]) seiner Darstellung zugrunde
legt, handelt es sich wohl um eine Quelle aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., die sich
möglicherweise von den ‹Erinnerungen des Pythagoras› (Πυθαγορικὰ ὑπομνήματα)
ableitet (Wiersma 1942 [*835], Thesleff 1961 [*838: 26], Centrone 1992 [*853]).
Hier geht es um eine Konzeption des gesamten Kosmos, dessen Urbeginn (ἀρχή)
die ‘Monas’ darstellt. Aus der Monade leitet sich die ‘Ahoristos Dyas’ gleichsam
als ‘Materie’ für die ‘Monas’ ab, die ihre «Ursache» (αἴτιον) darstellt. Daraus wie-
derum gehen die Zahlen hervor, aus diesen die Punkte, aus diesen die Linien, aus
diesen die Figuren, aus diesen wiederum die Festkörper, aus diesen schließlich die
sinnlich wahrnehmbaren Körper, die aus den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser
und Luft zusammengesetzt sind. Deren Verbindungen und Veränderungen bedin-
gen den beseelten Kosmos. Auffällig sind hier stoische Reminiszenzen sowie ein
gewisser durchaus erkennbarer Materialismus (so besteht z. B. die Seele teilweise
aus Äther). Das ganz grundsätzliche Problem, wie sich aus dem ersten Prinzip, der
‘Monas’, die ‘Ahoristos Dyas’, also das zweite Prinzip, ableitet, wird so erklärt,
dass die Monade zum einen in ihrer «Selbstheit» (αὐτότης) bestehen kann, wobei
sie durch «Teilhabe» (μετοχή) alles umfasst. Die ‘Monas’ kann aber auch in ihrer
«Andersheit» (ἑτερότης) verstanden werden, aufgrund derer sie die ‘Ahoristos
Dyas’ hervorbringen kann. Mit diesen beiden Aspekten werden im Grunde die

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638 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

platonischen Prinzipien des «Absoluten» (καθ’ αὑτό) und des «Relativen» (πρὸς
ἕτερον) umschrieben (Dillon 21996 [*25: 342f.]; vgl. Whittaker 1973 [*848]).
Photios bezieht sich für seine Kenntnis auf einen anonymen, möglicherweise
nach-plotinischen Gewährsmann (Phot. Bibl. cod. 249, 438b1: Πυθαγόρου βίος;
Text auch bei Thesleff 1965 [*824: 237–242]). Neben Informationen zu begriff­
lichen Differenzierungen zwischen Πυθαγορικοί als zeitgenössischen Anhängern
der Schulrichtung des Pythagoras und Πυθαγόρειοι als späteren Vertretern und
Πυθαγορισταί als rein assoziierten Mitgliedern der Bewegung liegt in diesem
­Bericht ein erkennbarer Schwerpunkt der Darstellung auf der pythagoreischen
Prinzipienlehre: Auch hier findet sich die Lehre von den beiden gegensätzlichen
Prinzipien in monistischer Interpretation (die ‘Monas’ avanciert zum höchsten
Prinzip). Aus der ‘Monas’ als höchster Ursache leitet sich in Form von Hyposta-
sen alles Weitere ab. Sogar Körperliches ist letztlich auf das Intelligible zurückzu-
führen. Aber auch religiös motivierte Lehren wie die Enthaltsamkeit von Fleisch
und Bohnen, die Unsterblichkeit der Seele sowie astronomische Erkenntnisse
oder der Zusammenhang zwischen Mikro- und Makrokosmos werden referiert
(Thesleff 1961 [*838: 27]). Sollte der ‹Anonymus Photii› vor Plotin zu datieren
sein, wäre die bei ihm erkennbare Verbindung platonischer mit aristotelischen
Lehren bemerkenswert (Merlan 1967 [*21: 88]).
Auch Sextus Empiricus benutzt eine anonyme, mit dem ‹Anonymus Alexandri›
wohl vergleichbare, pythagoreische Quelle aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. (Adv.
math. 4,2–9; 7,94–109; 10,248–284; P. H. 3,152–155; dazu Thesleff 1961 [*838: 24f.],
Merlan 31968 [*846: 175f.]). Aufschlussreich ist besonders Sextus’ Bericht über die
«pythagoreischen» Kategorien, die jedoch als platonisch gelten dürfen (Adv. math.
10,248–284; ausführlicher Dillon 21996 [*25: 343]). Auch hier wird eine pythago-
reische, auf ‘Monas’ und ‘Ahoristos Dyas’ basierende Prinzipienlehre greifbar, in
der auf die beiden ersten Prinzipien die Schaffung der Zahlen folgt, auf denen
wiederum die Erschaffung des Kosmos und aller Dinge, die er umfasst, beruht.
Eine solche Herkunft der Zahlen kritisiert freilich schon Aristoteles (Metaph.
13,7) und verdeutlicht so, dass diese Lehre bereits in der Alten Akademie verhan-
delt wurde – genau eine solche wurde aber offensichtlich von Anhängern der neu-
pythagoreischen Philosophie vertreten (zur schwierigen Quellenlage des Sextus
siehe Gaiser 1968 [*845: 63–83] mit deutscher Übersetzung des Textes; Dillon
21996 [*25: 344]). Hieraus wird ersichtlich, dass es zwei Richtungen innerhalb der

pythagoreischen Schule gegeben haben muss, von denen die eine, ältere – gleich-
sam dualistisch – alles (auch die Zahlen) auf ‘Monas’ und ‘Ahoristos Dyas’, die
andere, jüngere – gleichsam monistisch – alles (auch Zahlen, Figuren und Fest-
körper) auf die ‘Monas’ als das Eine zurückführte, aus dem dann alles andere sich
ergeben hätte (Whittaker 1973 [*848], Gombocz 1997 [*40: 136–138]). Möglicher-
weise zeigt sich hier eine Verbindung zum eigenwilligen Monismus des Eudoros,
der dem Gewährsmann des Sextus aber noch nicht bekannt war.

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§ 66. Moderatos von Gades (Bibl. 699) 639

§ 66. Moderatos von Gades

Franco Ferrari

1. Leben und Werke. – 2. Lehre.

1. LEBEN UND WERKE

Über Leben und Werk des Moderatos von Gades (Μοδέρατος ὁ ἐκ Γαδείρων)
ist sehr wenig bekannt. Als gesichert dürfte einzig Gades, eine Stadt im heutigen
Jordanien, als Geburtsort und Moderatos’ zeitliche Verortung ins 1. Jahrhundert
n. Chr. gelten. Plutarch (Symp. 8,7, 727b–c) erwähnt unter den Teilnehmern eines
Gastmahls, das zu Ehren seiner Rückkehr nach Rom (90 n. Chr.) gefeiert wurde,
einen gewissen Lucius, Schüler des Moderatos. Dieser Lucius wird als von etrus-
kischer Herkunft und Anhänger pythagoreischer Überzeugungen dargestellt. Mit
hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich die Beschreibung des Lucius als eines über-
zeugten Anhängers der pythagoreischen Lebensform auch auf seinen Lehrer
­Moderatos anwenden, der gegen Ende des 1. Jahrhunderts jedenfalls eine gewisse
Bekanntheit genossen haben muss, da er Schüler hatte, die in Rom aktiv waren
(Dillon 21996 [*25: 344f.], Centrone, Macris 2005 [*879: 545f.]).
Bescheiden sind auch unsere Kenntnisse seiner Werke. Die einzige Schrift,
deren Existenz gesichert und deren Titel bekannt ist, ist ein Werk in zehn oder elf
Büchern (die Handschriften weichen voneinander ab) mit dem Titel ‹Pythagore-
ische Vorlesungen› (Πυθαγορικαὶ σχολαί), das von Porphyrios erwähnt und para-
phrasiert wird (Vit. Pyth. 48–53). Stephanos von Byzanz erwähnt ein Werk des-
selben Titels in fünf Büchern (Ethnica γ 11 s. v. Γάδειρα), bei dem es sich wohl um
dieselbe Schrift handelt, die auch Porphyrios verwendete, jedoch mit einer ande-
ren Bucheinteilung (Centrone, Macris 2005 [*879: 546]). Wahrscheinlich auf das-
selbe Werk bezieht sich auch das berühmteste Zeugnis zu Moderatos, das wir
ebenfalls Porphyrios verdanken, der im zweiten Buch ‹Über die Materie› Mode-
ratos’ Auffassung der Entstehung der Materie referiert, die er in eine Gesamtdar-
stellung der metaphysischen Positionen dieses Philosophen einfügt (Porph. bei
Simpl. In Arist. Phys. 230,34–231,24 Diels = test. 122.2 Dörrie-Baltes).
Iamblichos berichtet in ‹De anima› (bei Stob. Ecl. 1,49,32, I,364,8–11 Wachs-
muth = fr. 4, p. 28,7–9 Finamore-Dillon) über Moderatos’ Seelenlehre. Es lässt sich
jedoch nicht feststellen, aus welchem Werk dieses Zeugnis stammt.

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640 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

2. LEHRE

Moderatos war gewiss ein überzeugter Pythagoreer, der von einigen geradezu
als ‘aggressiv’ bezeichnet wurde (Dillon 21996 [*25: 346]; vgl. aber auch Centrone
2000 [*857: 157–160]). Er ging von der Überzeugung aus, dass sich «die ersten For-
men und die ersten Prinzipien» (τὰ πρῶτα εἴδη καὶ αἱ πρῶται ἀρχαί), bei denen
es sich um «unkörperliche» Wesenheiten handelt (ἀσώματα), nicht in klarer Weise
in Worten zum Ausdruck bringen lassen und dass man aus diesem Grund auf
Zahlen zurückgreifen müsse, die damit einen symbolischen Wert und eine didak-
tische Funktion übernehmen. So repräsentiere das ‘Eine’ beispielsweise das Prin-
zip der Identität und der Gleichheit und bilde die Ursache ebenso der universalen
Sympathie wie auch – als Prinzip der Identität – der Erhaltung der Dinge. Die
Zweiheit dagegen repräsentiert das Prinzip der Andersheit, der Ungleichheit und
der Teilbarkeit. Auf diese Weise ließ Moderatos jeder Zahl der Dekade eine be-
stimmte Potenz (δύναμις) entsprechen, wobei er die Zahlen als ‘Symbole’ der
grundlegenden metaphysischen Begriffe betrachtete (Porph. Vit. Pyth. 48–53).
Das wichtigste, dem Porphyrios zu verdankende Zeugnis zu Moderatos’ Lehren
wird durch Simplikios überliefert. Es handelt sich um einen sehr komplizierten Ab-
schnitt, der zu widerstreitenden Auslegungen geführt hat (Tarrant 1993 [*215: 150–
161], Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 477–485], Tornau 2000 [*875] und Hubler 2010
[*880]). Der Passus gliedert sich in zwei Teile: Im ersten umreißt Porphyrios in
Form einer Paraphrase Moderatos’ Auffassung der Materie vor dem Hintergrund
seines hierarchisch-metaphysischen Systems (Simpl. In Phys. 230,34–231,5 Diels);
im zweiten Teil zitiert er wörtlich Moderatos’ Lehre über die Entstehung der Ma-
terie aus einem geheimnisvollen ‘einheitlichen Logos’ heraus (231,7–24 Diels).
Moderatos hat eine Auffassung vertreten, nach der es drei verschiedene Arten
des Einen gibt. Es handelt sich dabei um eine metaphysische Hierarchie, die na-
hezu mit Sicherheit eine Auslegung des zweiten Teils des platonischen ‹Parmeni-
des› darstellt und die Struktur von Plotins Hypostasen-System vorwegnimmt
(Dodds 1928 [*872: 136–139] und Romano 2002 [*876: 200–236]; dagegen Hubler
2010 [*880: 124–128]). An höchster Stelle findet sich das erste Eine, das alles Sein
und Wesen transzendiert (ὑπὲρ τὸ εἶναι καὶ πᾶσαν οὐσίαν); an die zweite Stelle
setzt Moderatos das zweite Eine, das mit dem wahrhaft Seienden und dem Intelli-
giblen (d. h. mit den Ideen) identisch ist (τὸ ὄντως ὂν καὶ νοητόν); an dritter Stelle
folgt das dritte Eine, das den Bereich des Seelischen (τὸ ψυχικόν) bezeichnet und
das am ersten Einen und den Ideen teilhat. In der Folge identifiziert Moderatos
eine weitere Ebene, die von den sinnlich wahrnehmbaren Entitäten repräsentiert
wird, die ihrerseits nicht an den vorangehenden Ebenen teilhaben, die aber durch
den Umstand geordnet sind, dass jene in ihnen aufscheinen. An diesem Punkt fügt
Moderatos hinzu, dass die Materie, die sich in den sinnlich wahrnehmbaren Enti-
täten befindet, einen Schatten des Nicht-Seienden darstellt, das primär in der
Quantität bestehe, womit er die Existenz von zwei Stufen andeutet: das Nicht-Sei-
ende als Quantität (πόσον) und die eigentliche Materie (ὕλη; Staab 2009 [*179: 72]).
Der zweite Teil des Berichts von Porphyrios bzw. Simplikios, in dem Moderatos
wörtlich zitiert wird, erweist sich als noch schwieriger (Donini 1982 [*29: 138–140]):

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§ 66. Moderatos von Gades (Bibl. 699) 641

Hier behauptet Moderatos, dass der «einheitliche Logos» (ὁ ἑνιαῖος λόγος) von sich
selbst ausgehend «die Entstehung der seienden Dinge» (τὴν γένεσιν τῶν ὄντων) her-
vorbringen möchte und dass er daher zunächst eine rein negativ bestimmte, form-
lose Quantität (ποσότης) schafft, die alle möglichen Formen und Gestalten aufneh-
men kann. Diese Quantität wird mit der χώρα des ‹Timaios› identifiziert und als
Vorbild für die den Körpern zugrunde liegende Materie aufgefasst. Das Zitat bringt
drei Hauptschwierigkeiten mit sich: 1) Mit welchem Einen lässt sich der ‘einheit­
liche Logos’ identifizieren? 2) Welches sind die Entitäten, die von diesem Logos er-
schaffen werden, d. h. um welche Erschaffung handelt es sich? 3) Worum handelt es
sich bei der Quantität-χώρα, die durch Privation (κατὰ στέρησιν) aus dem Logos
entsteht? Die Antworten der Forscher auf diese Fragen divergieren in beachtlicher
Weise: Der ‘einheitliche Logos’ wurde mit dem ersten, dem zweiten und dem drit-
ten Einen identifiziert; die Erschaffung der Entitäten wurde sowohl als Erschaf-
fung der Ideen, d. h. der Intelligibilia, seitens des ersten Einen und der Quantität
(Tornau 2000 [*875: 206–210, 214–219]) als auch als Weltschöpfung verstanden, d. h.
als Erschaffung der sinnlich wahrnehmbaren Entitäten seitens des dritten Einen,
der Seele, und des Raumes (Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 480–485]). Entsprechend
wurde auch die ποσότης-ὕλη sowohl als Stellvertreter der Unbestimmten Zweiheit
in der Erschaffung der Ideen (Tornau 2000 [*875] sowie Dillon 21996 [*25: 348]) als
auch als Raum, der zur Aufnahme der körperlichen seienden Dingen angelegt
wurde, interpretiert (Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 482f.], Staab 2009 [*179: 72]).
Wie deutlich wird, erweist sich dieses Zeugnis als höchst komplex, und eine
­allgemein akzeptierte Auslegung scheint kaum erreichbar. Auch gehen die Mei-
nungen der Forscher bezüglich des ersten Einen auseinander, da einige darin
­geradezu die Vorwegnahme des plotinischen Einen «jenseits des Seins und des
­Intellekts» (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας καὶ τοῦ νοῦ) sehen, während andere es als eine
Art Über-Intellekt oder als ersten Intellekt, ähnlich dem ersten Gott des Nume-
nios, auffassen (Tornau 2000 [*875: 216–219]). Aufgrund der Spärlichkeit der zur
Verfügung stehenden Informationen muss die Frage offen bleiben.
Moderatos befasste sich auch mit dem Wesen der Seele, die er dem Vorbild der
akademischen und pythagoreischen Tradition folgend mit einer Zahl gleichsetzte,
welche die «Verhältnisse» (λόγοι) umfasst. Dank Stobaios ist überdies Moderatos’
Definition der Zahl bekannt: Es handelt sich dabei um ein «System von Einheiten»
(σύστημα μονάδων). Ebenfalls Stobaios referiert Moderatos’ Unterscheidung zwi-
schen der Monade als «Prinzip der Zahlen» (τῶν ἀριθμῶν ἀρχή) und dem Einen als
«Prinzip der zählbaren Dinge» (τῶν ἀριθμητῶν ἀρχή; Stob. Ecl. 1,praef. 8–9, I,21,6–
25 Wachsmuth).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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642 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

§ 67. Ailianos

Franco Ferrari

Ailianos scheint kaum mehr als ein Schatten zu sein. Bekanntlich hat er eine
Schrift in mindestens zwei Büchern verfasst, die der Auslegung des ‹Timaios› ge-
widmet war. Ihr Titel lautet Εἰς τὸν Τίμαιον (Porph. In Harm. 33,16–7 und 96,7
Düring); einige Auszüge sind in Porphyrios’ ‹Kommentar zur Harmonielehre des
Ptolemaios› überliefert (33,19–35,12; 35,13–36,3; 36,9–37,5; 96,8–15 Düring; vgl.
auch 91,12 Düring; dazu Goulet 1989 [*892]). Vermutlich hat er im 2. Jahrhundert
n. Chr. gelebt.
Ailianos’ Kommentar zum ‹Timaios› gehört mit großer Wahrscheinlichkeit der
Gattung der Spezialkommentare an, in denen der Verfasser nur diejenigen Passa-
gen behandelt und kommentiert, die untereinander thematisch verwandt sind
(z. B. Abschnitte zur Mathematik bzw. zur Astronomie, Psychologie, Kosmologie,
Musik usw.). Im Falle des Ailianos handelt es sich um die Abschnitte zur Musik
(Tim. 67b–c; 80a–b). Platon beschreibt kurz das Zustandekommen der akusti-
schen Wahrnehmung (sie hängt von der durch den Klang entstehenden Bewegung
ab; der Klang ergibt sich aus dem Stoß, der über Luft, Gehirn und Blut bis zur
Seele gelangt) und nennt als Ursache der hohen Töne die Schnelligkeit der Bewe-
gung und als Ursache der tiefen ihre Langsamkeit. Ailianos versucht, Platons Aus-
sagen in den Kontext des harmonisch-musikalischen Wissens einzuordnen, indem
er die unterschiedlichen Arten des Klangs auf unterschiedliche Bewegungen zu-
rückführt. Außerdem analysiert er von einem theoretischen Gesichtspunkt aus
die Beziehung zwischen «Intervall» (διάστημα) und «Harmonie» (συμφωνία),
wobei er zeigt, dass nicht jedes Intervall harmonisch ist. Insgesamt zielt sein Kom-
mentar darauf ab, die musikalischen Partien im ‹Timaios› durch Erhellung der
Bedeutung der von Platon verwendeten Begriffe zu erklären (Ferrari 2000 [*70:
193–195]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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§ 68. Nikomachos von Gerasa (Bibl. 700–701) 643

§ 68. Nikomachos von Gerasa

Franco Ferrari

1. Leben und Werke. – 2. Lehre. – 3. Nachwirkung.

1. LEBEN UND WERKE

Über das Leben von Nikomachos ist kaum etwas bekannt. Seine Verbindung
mit der Stadt Gerasa, seinem wahrscheinlichen Geburtsort, wird durch eine Nach-
richt von Ps.-Lukian (Νικόμαχος ὁ Γερασηνός: Philopatr. 12) sowie durch einige
Hinweise bei Philoponos und in den Handschriften, die seine Werke überliefern,
bezeugt (Haase 1982 [*914: 34–49] und Centrone, Freudenthal 2005 [*921: 689]).
Was die zeitliche Einordnung betrifft, gibt es nur wenige Indizien, die eine ge-
nauere Bestimmung zulassen. Ausgehend vom Umstand, dass Nikomachos Thra­
syllos, den Hofastrologen von Tiberius, erwähnt (der zu Beginn des 1. Jh.s n. Chr.
tätig war: Harm. Enchir. 260,16 Jan), dürfte Nikomachos jünger als Thrasyllos
sein. Außerdem behaupten sowohl Cassiodor (Inst. 140,17–20 Mynors) als auch
Isidor von Sevilla (Etymol. 3,2), dass Apuleius dessen ‹Introductio arithmetica›
ins Lateinische übersetzt habe – möglicherweise um 170–180 n. Chr. (Haase 1982
[*914: 56–59]). Es ist daher wahrscheinlich, dass Apuleius den Terminus ante
quem darstellt. In Ps.-Luk. Philopatr. 12 wird Nikomachos für bekannt genug er-
achtet, um als Vorbild für mathematische Fähigkeiten zu dienen. Porphyrios er-
wähnt ihn schließlich als Quelle, aus der sich einige Aspekte der pythagoreischen
Lehre rekonstruieren lassen (Porph. Vit. Pyth. 59). Aufgrund dieser und weiterer
Beobachtungen lässt sich Nikomachos’ Geburt in die zweite Hälfte des 1. Jahr-
hunderts n. Chr. und seine ἀκμή entsprechend in die ersten Jahrzehnte des 2. Jahr-
hunderts datieren (Haase 1982 [*914: 66–70], Criddle 1998 [*917: 325]).
Nikomachos’ literarische Produktion war gewiss beträchtlich. Vollumfänglich
überliefert ist seine ‹Introductio arithmetica› (Ἀριθμητικὴ εἰσαγωγή, ‹Einführung
in die Arithmetik›), ein einführendes Werk in zwei Büchern, das einige Ähnlich-
keiten mit Theons ‹Expositio rerum mathematicarum ad legendum Platonem uti-
lium› aufweist, das im Unterschied dazu aber nicht auf die Erklärung platonischer
Passagen, sondern auf die Darstellung einer sehr präzisen philosophischen Lehre
platonisch-pythagoreischer Prägung abzielt (Mansfeld 1998 [*918: 82–87], Giar-
dina 1999 [*919: 46]). Dieses Werk hatte eine außerordentliche Nachwirkung.
Nikomachos verfasste ferner ein Werk mit dem Titel ‹Theologoumena arithme-
ticae› (Τὰ θεολογούμενα τῆς ἀριθμητικῆς) in zwei Büchern, das gemäß Photios
auf die ‹Introductio› folgte (Bibl. 187, 142b15–24) und möglicherweise eine Ver-
tiefung derselben in theologisch-spekulativem Sinne darstellte (vgl. Anon. Prol.

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644 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

in Nikom. Ar., bei Dioph. Alex. Opera omnia, 2,73–77 Tannery; dazu Centrone,
Freudenthal 2005 [*921: 689]). Dessen Inhalt ist bekannt erstens dank einer stark
polemischen Zusammenfassung des Photios, zweitens dank Auszügen, die in
einem Werk desselben Titels ‹Theologoumena arithmeticae› enthalten sind, das
fälschlich Iamblichos zugeschrieben wurde, und drittens dank Auszügen in der
Schrift ‹Über die Dekade und die in ihr enthaltenen Zahlen› des Anatolios
(D’Ooge, Robbins, Karpinsky 1926 [*901: 84–87], O’Meara 1989 [*915: 15] und
Helmig 2007 [*924: 127f.]).
Außerdem ist eine handbuchartige Schrift harmonisch-musikalischen Inhalts mit
dem Titel ‹Enchiridium Harmonicum› (Ἐγχειρίδιον ἁρμονικόν = test. 87.9 Dörrie-
Baltes) überliefert, die eine allgemeine Einführung in die pythagoreische Musik-
theorie darstellt (Haase 1982 [*914: 120–150], Dörrie, Baltes 1993 [*8: III 271f.]).
Weiter verfasste Nikomachos ein ‹Leben des Pythagoras›, das verloren ging, dessen
Spuren jedoch in den gleichnamigen Werken des Porphyrios und Iamblichos über-
dauerten, auch wenn es praktisch unmöglich ist, diese Spuren in ihrem Umfang prä-
zise zu bestimmen. Nikomachos selbst (Ar. 83,4 Hoche) erwähnt ein weiteres seiner
Werke mit dem Titel ‹Einführung in die Geometrie› (Γεωμετρικὴ εἰσαγωγή = test.
87.8 Dörrie-Baltes), heute ebenfalls verloren (Mansfeld 1998 [*918: 85f.]). Die Exis-
tenz dieser Schrift beweist, dass sich Nikomachos’ Interesse nicht auf die Arithme-
tik beschränkte, sondern auch auf andere Gebiete der Mathematik erstreckte (Staab
2002 [*877: 83f.]). Schließlich erwähnt Syrianos (In Metaph. 103,5–7 Kroll) kurz
eine Schrift mit dem Titel ‹Zusammenstellungen der pythagoreischen Lehren›
(Συναγωγαὶ τῶν πυθαγορείων δογμάτων), die sich Nikomachos verdanke, während
Athenaios (Deipnosoph. 11, 478a) Nikomachos ein Werk mit dem Titel ‹Über die
ägyptischen Feste› (Περὶ ἑορτῶν Αἰγυπτίων) zuschreibt.

2. LEHRE

1. Ontologie. – 2. Einteilung der Wissenschaften. – 3. Prinzipienlehre und Mystik der Zahl.

1. Ontologie

Die philosophische Position des Nikomachos lässt sich anhand seiner beiden
wichtigsten Schriften, der ‹Introductio arithmetica› und der ‹Theologoumena
arithmeticae›, rekonstruieren. Nikomachos weist Pythagoras das Verdienst zu, als
Erster die Weisheit (σοφία) als Erkenntnis der Wahrheit, die sich in den seienden
Dingen befinde, definiert zu haben (Ar. 1,1–2,9 Hoche; dazu Staab 2002 [*877:
84]; vgl. auch David Prol. 26,8–13 Busse = test. 102.1b Dörrie-Baltes, wo Nikoma-
chos Pythagoras drei Definitionen der Philosophie zuschreibt: 1) Erkenntnis der
seienden Dinge, 2) Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge, 3) Liebe

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§ 68. Nikomachos von Gerasa (Bibl. 700–701) 645

zur Weisheit; dazu Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 242f.]). Auf die Frage, was diese
seienden Dinge seien, antwortet er mittels der klassischen platonischen Unter-
scheidung zwischen den seienden Dingen im eigentlichen Sinn (κυρίως ὄντα) und
den auf homonyme Weise seienden (ὁμωνύμως ὄντα): Erstere sind immateriell,
ewig, sich selbst gleich und unwandelbar, während die zweiten Geburt und Ver-
nichtung, Wachstum und Schwund und jeder Art von Veränderung unterworfen
sind (Ar. 3,9–18 Hoche; dazu Dillon 21996 [*25: 353f.], Giardina 1999 [*919: 50ff.]
und Pieri 2005 [*922: 31–34]). Zu dieser Dichotomie fügt Nikomachos eine wei-
tere hinzu, die vorrangig und grundlegender erscheint, da auch die Unterschei-
dung zwischen den seienden Dingen im eigentlichen Sinn und den homonym sei-
enden unter sie fällt: Es handelt sich um jene zwischen dem kontinuierlichen Sein,
d. h. der Größe (μέγεθος), und dem diskreten oder abgegrenzten Sein, d. h. der
Vielheit (πλῆθος). Für Nikomachos stellen ‘kontinuierlich’ und ‘abgegrenzt’ die
Hauptarten des Seins dar (Ar. 7,3 Hoche: τὰ τοῦ ὄντος πρώτιστα δύο εἴδεα), und
sie werden mit den Größen und den Zahlen gleichgesetzt (Radke 2003 [*920: 243–
245]). Er scheint in der Tat zu behaupten, dass sowohl die Intelligibilia als auch
die sinnlich wahrnehmbaren Dinge unter diese Dichotomie fallen (Ar. 4,13–21
Hoche). Weiter fügt er hinzu, dass, da sowohl das Kontinuierliche als auch das Ab-
getrennte unbegrenzt seien (die Größe, insofern sie unbegrenzt teilbar ist, und die
Vielheit, insofern sie unbegrenzt anwachsen kann), diese nicht als solche erkannt
werden können, da sich die Erkenntnis nur auf begrenzte Realitäten erstrecke.
Aus diesem Grund erwiesen sich Vielheit und Größe als unbestimmte und daher
auch als nicht-erkennbare Begriffe und sie würden nur in der Form der «bestimm-
ten Quantität» (τὸ ποσόν) bzw. der «bestimmten Größe» (τὸ πηλίκον) erkannt (Ar.
4,21–5,12 Hoche; dazu Napolitano Valditara 1988 [*89: 424f.], Pieri 2005 [*922:
35–38] und Helmig 2007 [*924: 131–136]). Indem er zwei mathematische Begriffe
wie die Quantität und die Größe als die grundlegenden Formen des Seins an-
nimmt und die Weisheit als Erkenntnis derselben auffasst, hat Nikomachos eine
implizite Gleichsetzung von Mathematik und Philosophie vorgenommen, womit
er der von ihm selbst vertretenen These widerspricht, nach welcher der Mathema-
tik gegenüber der Dialektik eine propädeutische und einführende Funktion zu-
komme (Ar. 7,21–9,4 Hoche; dazu O’Meara 1989 [*915: 15f.], aber auch Helmig
2007 [*924: 136–139]).

2. Einteilung der Wissenschaften

In Nikomachos’ ‹Introductio arithmetica› finden sich die Grundzüge seiner


Auffassung des ‘quadriviums’ der mathematischen Disziplinen (Radke 2003
[*920: 242–261]). Die Quantität kann absolut oder relativ sein: Im ersten Fall wird
sie von der Arithmetik untersucht, im zweiten von der Musik. Auch die Größe
zeigt sich in zwei Formen, in Ruhe und in Bewegung: Die statische Größe ist Ge-
genstand der Geometrie, die dynamische Größe ist Gegenstand der Sphärenlehre,
d. h. der Astronomie, und so ergibt sich die Reihenfolge Arithmetik, Musik, Geo-
metrie, Astronomie (Ar. 5,13–6,7 Hoche; dazu Pieri 2005 [*922: 36–38]). Nikomachos

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646 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

weist der Arithmetik den absoluten Vorrang zu und begründet dies mit zwei Ar-
gumenten: Einerseits geht die Arithmetik auch im Verstand des Gottes (διάνοια
τοῦ θεοῦ) allen anderen mathematischen Wissenschaften voraus; sie befindet sich
im göttlichen Geist wie ein Modell, dessen sich der Demiurg für die Ordnung des
Kosmos bedient (Ar. 9,5–18 Hoche = test. 134.1 Dörrie-Baltes). Andererseits geht
die Arithmetik den übrigen mathematischen Wissenschaften auch logisch und on-
tologisch voraus, insofern als alle übrigen sie voraussetzen, während sie selbst
keine der übrigen voraussetzt (Ar. 12,1–12 Hoche = test. 134.2 Dörrie-Baltes; dazu
Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 354–359]). Zum Beispiel: Falls es die Zahl 3 nicht gäbe,
gäbe es auch kein Dreieck, während die Aufhebung des Dreiecks nicht die Auf-
hebung der Zahl 3 mit sich bringt (Napolitano Valditara 1988 [*89: 429f.], Staab
2002 [*877: 84] und Pieri 2005 [*922: 38–41]). Wahrscheinlich beinhaltet diese
Auffassung implizit das Prinzip «mitaufheben, aber nicht mitaufgehoben werden»
(συν­αναιρεῖν καὶ μὴ συναναιρεῖσθαι; Radke 2003 [*920: 212]).
Die Frage nach der Beziehung zwischen Mathematik und Weisheit (und damit
auch zwischen den Gegenständen der Mathematik und jenen der Philosophie im
eigentlichen Sinn) stellt einen der umstrittensten Punkte in der Interpretation von
Nikomachos’ Denken dar. Auf der einen Seite scheint er tatsächlich die Ideen
durch Zahlen ersetzt zu haben, die im göttlichen Geist den Platz der Ideen ein-
nehmen (Dillon 21996 [*25: 354f.]; dagegen vgl. Dörrie, Baltes 1998 [*8: V 354–
357]). Auf der anderen Seite scheint er die Ideen mit den Zahlen gleichgesetzt
oder sie auf die Zahlen zurückgeführt zu haben, als seien diese die Prinzipien der
Ideen (O’Meara 1989 [*915: 17]). Außerdem listet er eine Reihe von Kategorien
auf, denen die Eigenschaft der höchsten Realität zukommen sollte: Es handelt sich
dabei um die Qualitäten (ποιότητες), die Quantitäten (ποσότητες), die Ausgestal-
tungen (σχηματισμοί), die Größen (μεγέθη), die Kleinheiten (μικ­ρότητες), die
Gleichheiten (ἰσότητες), die Verhältnisse (σχέσεις), die Handlungen (ἐνέργειαι),
die Zustände (διαθέσεις), die Orte (τόποι), die Zeiten (χρόνοι) und alle Bestim-
mungen, welche die Eigentümlichkeiten eines jeden Körpers umfassen (Ar. 2,21–
3,3 Hoche und Anon. Theol. arithm. 44,7–13 De Falco). Auf den ersten Blick neh-
men diese Kategorien den Platz der platonischen Ideen ein, doch haben sie auch
eine numerische Bedeutung, da es sich um Bestimmungen handelt, die als Ord-
nungsprinzipien der Materie fungieren. Eine von ihnen, die ποσότης, ist außer-
dem identisch mit der Zahl und nimmt vielleicht eine bevorzugte Stellung ein
(Pieri 2005 [*922: 50]).
Nikomachos scheint zwei Arten von Zahl unterschieden zu haben: die «intelli-
gible» (νοητός), die immateriell ist und mit dem «ewigen Sein» (οὐσία ἀίδιος)
gleichgesetzt wird, und die «epistemische» (ἐπιστημονικός), die sich innerhalb der
natürlichen Erscheinungen findet, deren Ordnungsprinzip sie darstellt (Ar. 12,6–
14 Hoche; dazu Pieri 2005 [*922: 53–62] und Helmig 2007 [*924: 140–145]). Niko-
machos entwickelt den Unterschied zwischen den beiden Arten der Zahl nicht in
vertiefter Weise und verzichtet darauf, auf die klassische platonische (und später
neuplatonische) Lehre zurückzugreifen, welche die idealen Zahlen (als Gegen-
stand der νόησις) von den arithmetischen Zahlen (als Gegenstand der διάνοια)
unterscheidet. Er scheint die zwei Arten der Zahl nicht als zwei ontologisch ver-

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§ 68. Nikomachos von Gerasa (Bibl. 700–701) 647

schiedene Wesen zu betrachten, sondern als zwei unterschiedliche Ebenen, die


erste situiert im Geiste Gottes, die zweite in der Materie.

3. Prinzipienlehre und Mystik der Zahl

In den ‹Theologoumena arithmeticae› vertieft Nikomachos in mystischem Ton-


fall seine Auffassung der Zahl aus der ‹Introductio arithmetica› und konzentriert
sich auf die intelligible Zahl, die im demiurgischen Intellekt verortet ist. Die gött-
liche Zahl erscheint in der Form der ‘Dekade’, da die Zahlen außerhalb der De-
kade nichts anderes als Wiederholungen der Zahlen innerhalb der Dekade sind.
Jede einzelne Zahl innerhalb der Dekade besitzt eine theologische Bedeutung
und wird einer oder mehreren Gottheiten angenähert (O’Meara 1989 [*915: 20–
22], Dillon 21996 [*25: 355–358]). Nikomachos übernimmt, wie es scheint, die py-
thagoreische Auffassung der Entstehung der Realität aus einem einzigen Prinzip,
der Monade (μονάς), die mit Gott gleichgesetzt wird. Diese Monade enthält in der
Form eines Zeugungsprinzips (σπερματικῶς) alle Entitäten, die auf dieselbe
Weise aus ihr hervorgehen, wie die Zahlen aus dem Einen entstehen (Anon.
Theol. arithm. 3,1–11 De Falco; dazu Dillon 21996 [*25: 355]). Die Monade ist
nicht nur Gott, sondern auch Intellekt (νοῦς) und Demiurg, von dem die Erschaf-
fung des Kosmos abhängt (Anon. Theol. arithm. 3,21–4,13 De Falco). Wahr-
scheinlich enthält der demiurgische Intellekt (νοῦς τεχνικός) in sich die Zahlen
der Dekade und ordnet auf der Grundlage dieses Modells die unbestimmte Ma-
terie, um so dem sinnlich wahrnehmbaren Universum zur Entstehung zu verhel-
fen (Anon. Theol. arithm. 79,5–8 De Falco). Die Prinzipienlehre des Nikomachos
scheint monistisch angelegt zu sein (die Monade generiert auch die Materie: Anon.
Theol. arithm. 5,4ff. De Falco), aber im Unterschied zu analogen Auffassungen
pythagoreisierender Prägung (Eudoros, Moderatos und Numenios) scheint er den
höchsten Gott, d. h. die Monade, nicht vom demiurgischen Gott unterschieden zu
haben (Dillon 21996 [*25: 357f.]).
Auch die Ethik erweist sich als eng verbunden mit der arithmologischen Aus-
richtung, die Nikomachos’ gesamtes Denken auszeichnet: Er schreibt den Zahlen
das Vermögen zu, das Maß für die Erlangung der Glückseligkeit angeben zu kön-
nen (Staab 2002 [*877: 84f.]). Nikomachos betrachtet die Tugend als die Mitte zwi-
schen Übermaß und Mangel, aber er versteht diesen Grundsatz mehr im pytha-
goreischen als im aristotelischen Sinne (Ar. 36,6–37,3 und 64,21–65,16 Hoche). Im
pythagoreischen Sinne versteht er auch die platonische Teilung der Seele, in der
die Gleichheit (τὸ ἴσον) dem göttlichen und rationalen Teil, die Ungleichheit dem
sterblichen und irrationalen Teil entspricht (Anon. Theol. arithm. 35,14–36,5 De
Falco). In der Darlegung der Charakteristiken der Tetrade erwähnt er die körper-
lichen und die äußerlichen Tugenden, die den eigentlichen Tugenden der Seele ent-
sprechen: Es handelt sich dabei 1) um die Vortrefflichkeit der Sinne (εὐαισθησία)
und das Glück (εὐτυχία), die der Einsicht (φρόνησις) entsprechen; 2) um die
­Gesundheit (ὑγιεία) und den guten Ruf (εὐδοξία), die der Besonnenheit entspre-
chen; 3) um die Kraft (ἰσχύς) und die politische Macht (δυναστεία), die dem Mut

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648 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

entsprechen, und schließlich 4) um die Schönheit (κάλλος) und die Freundschaft


(φιλία), die der Gerechtigkeit entsprechen (Anon. Theol. arithm. 25,7–12 De
Falco; dazu Dillon 21996 [*25: 360] und Staab 2002 [*877: 85f.]).

3. NACHWIRKUNG

Nikomachos’ Einfluss war bedeutend und erstreckte sich über das gesamte
a­ ntike und mittelalterliche Denken bis zum Beginn der Neuzeit. Dieser Einfluss
betraf nicht nur die griechische und lateinische, sondern auch die hebräische, syri-
sche und arabische Welt. Insbesondere die ‹Introductio arithmetica› hatte einen
außerordentlichen Erfolg. Sie wurde von Iamblichos (Romano 2006 [*923: 39–41]),
Asklepios von Tralles, Johannes Philoponos und Soterios (vielleicht auch von
einem sonst unbekannten Heron: vgl. Eutok. In Arch. de sphaer. et cylind.
3,120,22f. Heiberg) kommentiert (Haase 1982 [*914: 319–398], Giardina 1999 [*919:
48] und Pieri 2005 [*922: 56f.]) und entwickelte sich zu einer der Hauptschriften
für die Überlieferung des mathematischen Wissens in der Antike (Westerink 1964
[*912], Napolitano Valditara 1988 [*89: 422f.], Mansfeld 1998 [*918: 87–91], Staab
2002 [*877: 82], Pieri 2005 [*922: 56 Anm. 114]). Sie wurde von Apuleius ins Latei-
nische übersetzt. Während diese Übersetzung verloren ging, erhielt Boethius’ Werk
‹De institutione arithmetica› für die Überlieferung von Nikomachos’ Theorien eine
bemerkenswerte Bedeutung. Dabei handelt es sich nicht um eine eigentliche Über-
setzung, sondern um eine Art Paraphrase, die durch eigene Betrachtungen des Ver-
fassers angereichert wurde. Durch die Vermittlung von Boethius beeinflusste die
‹Introductio arithmetica› stark die arithmetischen Traktate Cassiodors und Isidors
von Sevilla (D’Ooge, Robbins, Karpinsky 1926 [*901: 132–145]).
Zwischen dem Ende des 8. und dem Beginn des 9. Jahrhunderts wurde die ‹In-
troductio› ins Syrische übersetzt. Diese Version wurde ihrerseits von Habîb Ibn
Bahrîz im Laufe der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, wahrscheinlich um 822,
ins Arabische übertragen. Die Übersetzung von Habîb Ibn Bahrîz wurde in der
Folge einigen Überarbeitungen unterzogen, insbesondere von al-Kindī. Wenig
später wurde die ‹Introductio› von Tâbit ibn Qurra (836–901) direkt aus dem Grie-
chischen ins Arabische übersetzt. Bekannt ist außerdem eine Übersetzung ins He-
bräische im Jahr 1317 durch Qalonymos ben Qalonymos (Giardina 1999 [*919:
48], Centrone, Freudenthal 2005 [*921: 690–694]). Das Werk wurde auch in der
byzantinischen Welt gelesen und studiert, namentlich von Georgios Pachymeres,
Theodoros Metochites und Michael Psellos (Pieri 2005 [*922: 63–72]).

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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§ 69. Numenios von Apameia (Bibl. 701–702) 649

§ 69. Numenios von Apameia

Franco Ferrari

1. Leben. – 2. Schriften. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Nachrichten über das Leben des Numenios (Νουμήνιος ist wahrscheinlich ein
Name phönizischer Herkunft) gibt es nur wenige. Als gesichert darf gelten, dass
seine Geburtsstadt identisch ist mit der des Poseidonios, d. h. Apameia im Norden
Syriens. In Apameia war er sehr wahrscheinlich auch aktiv in Forschung und Lehre
(Gombocz 1997 [*40: 143]). Nicht ausschließen lässt sich die Annahme eines län-
geren Aufenthalts in Rom, der den Umstand erklären würde, dass Johannes Lydos
von ihm als von ‘Numenios dem Römer’ spricht (fr. 57 des Places; dazu Frede 1987
[*952: 1038] und Dillon 21996 [*25: 361]). Auf jeden Fall dürfte das große philoso-
phische Ansehen, das er erlangte, für eine länger währende Tätigkeit außerhalb
seiner Geburtsstadt sprechen. Numenios’ Name wird in den Quellen oft in Verbin-
dung mit Kronios genannt (z. B. Porph. Vit. Plot. 14,11–12 und 20,74), der mögli-
cherweise sein ἑταῖρος war, über den indes nur wenig bekannt ist (des Places 1973
[*945: 7f.] und Frede 1987 [*952: 1038f.] und siehe auch unten § 70.).
Der früheste Autor, der Numenios erwähnt, ist Clemens von Alexandrien
(Strom. 1,150,4), der zwischen 140/150 und ca. 220 n. Chr. lebte. Die neuere For-
schung neigt dazu, Numenios zeitlich nicht nur früher als Harpokration von
Argos, sondern auch früher als dessen Lehrer Attikos anzusetzen. Auf jeden Fall
gehört sein ‘floruit’ wohl ungefähr in die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr., was
bedeutet, dass Numenios ein Zeitgenosse von Kalvenos Tauros und Albinos war
und nur wenig früher als Attikos gelebt hat (Frede 1987 [*952: 1039], Fuentes
González 2005 [*962: 726]).

2. SCHRIFTEN

Das literarische Schaffen von Numenios war leicht Speusipp bis hin zu Antiochos von Askalon –
beträchtlich, und es macht diesen Philosophen zur von der wahren platonisch-pythagoreischen Lehre
interessantesten Figur unter den Platonikern, die abgewandt hatten. Von diesem Werk sind einige
Plotin vorausgingen. Er verfasste einen Traktat in längere Fragmente in der ‹Praeparatio evangelica›
mindestens zwei Büchern mit dem Titel ‹Über den von Eusebios von Caesarea überliefert (fr. 24–28
Abfall der Akademiker von Platon› (Περὶ τῆς τῶν des Places).
Ἀκαδημαϊκῶν πρὸς Πλάτωνα διαστάσεως; test. Numenios’ anspruchsvollstes philosophisches
84.2 Dörrie-Baltes), in dem er heftig gegen all jene Werk war ohne Zweifel der Dialog ‹Über das Gute›
polemisierte, die sich – von Xenokrates und viel- (Περὶ τἀγαθοῦ) in mindestens sechs Büchern, in

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650 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

dem die allgemeinen Grundlagen der platonisch- [*958: 48f.] und Zambon 2002 [*45: 190]). Erhalten
pythagoreischen Ontologie und Theologie dar­ ist dank Origenes (‹Contra Celsum›) ein Fragment
gelegt waren. Auch aus diesem Werk finden sich von ‹Über die Unvergänglichkeit der Seele› (Περὶ
Auszüge bei Eusebios, neben anderen wichtigen ἀφθαρσίας τῆς ψυχῆς), einer Schrift in mindestens
Zeugnissen, die andere Autoren überliefert haben, zwei Büchern, in der Numenios wahrscheinlich das
wie Proklos und Calcidius. Es handelte sich um unkörperliche und unvergängliche Wesen der Seele
einen Dialog, der eher nach dem Vorbild des her- nachwies (fr. 29 des Places). Dank Proklos ist außer-
metischen als des platonischen Dialogs angelegt dem bekannt, dass Numenios eine Auslegung des
war (Dillon 21996 [*25: 363]): Das erste Buch Mythos von Er im 10. Buch des ‹Staates› (fr. 35 des
enthielt wohl die Beweisführung für die Unkörper- Places) unternahm, möglicherweise im Rahmen
lichkeit des Seins, das zweite die Definition des eines Kommentars, in dem der Verfasser auch die
wahren Seins, das dritte und vierte möglicherweise Passage über die Nymphengrotte aus dem 13. Buch
eine allegorische Interpretation des Alten Testa- der ‹Odyssee› interpretierte (Dillon 21996 [*25:
ments, während das fünfte und sechste Buch die 364], Zambon 2002 [*45: 191–194]).
berühmte Auffassung der Natur des Ersten und des Von drei weiteren Werken sind dagegen ledig-
Zweiten Gottes enthielten (Krämer 1964 [*82: 69]). lich die Titel bekannt: ‹Der Wiedehopf› (ὁ ἔποψ),
Nur ein einziges, von Eusebios überliefertes wobei der Name des Vogels vielleicht an die Praxis
Fragment stammt dagegen aus der Schrift ‹Über die der abschließenden Vision in den Mysterien erin-
Dinge, die bei Platon unsagbar sind› (Περὶ τῶν παρὰ nern sollte (ἐποπτεία; dazu Martano 21960 [*942:
Πλάτωνι ἀπορρήτων), in der Numenios eine Inter- 17f.]), ein Traktat mit dem Titel ‹Über die Zahlen›
pretation des ‹Euthyphron› vorlegt; demnach stelle (Περὶ ἀριθμῶν), der wahrscheinlich den Schriften
dieser Dialog ein Mittel dar, mit dem Platon den na- des Theon und des Nikomachos oder aber Plotins
iven Polytheismus der Athener, verkörpert durch Traktat VI 6 ähnelte, sowie eine Schrift ‹Über den
Euthyphron, kritisieren und ihm eine philosophisch Ort› (Περὶ τόπου), die möglicherweise dem Ver-
angemessenere Position entgegenstellen wollte, gleich des Begriffs des Raums im ‹Timaios› und in
wobei er letztere dem Sokrates zuwies (fr. 23 des der aristotelischen Lehre gewidmet war (fr. 1c des
Places; dazu Dillon 21996 [*25: 364], Bonazzi 2000 Places; Fuentes González 2005 [*962: 728]).

3. LEHRE

1. Allgemeine philosophische Haltung. – 2. Ontologie. – 3. Theologie. – 4. Prinzipienlehre, Seelenlehre


und Kosmologie.

1. Allgemeine philosophische Haltung

Die Schrift ‹Über den Abfall der Akademiker von Platon› gehört zu jener
­ attung der unter den Platonikern weit verbreiteten Werke, deren Ziel es war, die
G
Geschichte der vorausgehenden philosophischen Tradition zu klären. Numenios
vertrat darin vehement die Notwendigkeit, wieder zum ursprünglichen platoni-
schen Denken zurückzukehren jenseits aller Missverständnisse, die sich im Lauf
der Tradition angesammelt hatten. Verantwortlich für den «Abfall» (διάστασις)
von Platon waren nicht nur die Vertreter des akademischen Skeptizismus (wie be-
reits Antiochos behauptete), sondern alle auf Platon folgenden Denker ab Speu-
sipp, Xenokrates und Polemon. Ihnen sei zwar zugutezuhalten, dass sie nicht das
skeptische Prinzip der Urteilsenthaltung (ἐποχή) eingeführt haben, es treffe sie

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§ 69. Numenios von Apameia (Bibl. 701–702) 651

aber dennoch die Schuld, das platonische Denken verschiedenen Änderungen un-
terzogen zu haben (fr. 24,5–18 des Places; dazu Donini 1982 [*29: 141], Frede 1987
[*952: 1049], Boys-Stones 2001 [*43: 130–134] und Zambon 2002 [*45: 173f.]).
Auch Aristoteles verdient Kritik dafür, sich von Platon entfernt zu haben, und
kann daher nicht zur Rekonstruktion eines Systems herangezogen werden, das für
sich philosophische Wahrheit beanspruchen kann. Numenios zufolge sind bereits
einige Schüler des Sokrates für den Abfall von der wahren Lehre verantwortlich,
weil sie die in Epist. 2, 312e enthaltene sokratische Botschaft missverstanden hät-
ten, in der die Lehre von den drei Königen, d. h. den drei Göttern, dargelegt wird.
Diese sei in vollem Umfang einzig von Platon verstanden worden, weil er die
Grundlagen der pythagoreischen Lehre besessen habe (πυθαγορίσας: fr. 24,57 des
Places) und daher in der Lage gewesen sei, das Geheimnis zu verstehen, das hin-
ter den Worten des Sokrates verborgen war (fr. 24,47–64 des Places; dazu Frede
1987 [*952: 1044f.]). Auch Platon habe es vorgezogen, seine Auffassung nicht in
klarer Weise zum Ausdruck zu bringen, und seine Rätselhaftigkeit sei der Ur-
sprung der Missverständnisse gewesen, die sich im Laufe der Tradition angesam-
melt hätten und gegen die sogar Antiochos selbst nicht ganz gefeit gewesen sei
(fr. 28 des Places; dazu Donini 1982 [*29: 140f.]).
Gemäß Numenios ist Platon der Philosoph, in dessen Werk die Wahrheit in
vollendeter Form enthalten ist: Er weicht nie von Platon ab und polemisiert heftig
gegen all jene, die dies taten. Aber Platon war nicht selbst der Entdecker dieser
Wahrheit, findet sie sich doch bereits bei Pythagoras, und nicht nur bei ihm: Für
Numenios handelt es sich um eine alte Lehre, die in verschiedener Form sowohl
bei den großen Weisen Griechenlands (bei Homer: fr. 33 und 34,16; bei Hesiod,
den Orphikern und Pherekydes: fr. 36,11–12; bei Heraklit: fr. 52,60; bei Parmeni-
des: fr. 31,27 des Places) als auch bei den Barbaren und den orientalischen Völkern
ausgebildet ist, beispielsweise bei den Brahmanen, den Hebräern, den Magiern,
den Ägyptern (fr. 1a des Places) und daher auch bei Mose (fr. 1c), dem Platon an-
genähert wird mit jener berühmten Definition, nach der er ein «attisch sprechen-
der Mose» gewesen sei (fr. 8,13 des Places = test. 69.4 Dörrie-Baltes; dazu Whit-
taker 1967 [*944], Edwards 1990 [*955], Boys-Stones 2001 [*43: 114–122],
Burnyeat 2005 [*961: 143ff.] und Männlein-Robert 2009 [*866: 351f.]). Um in die-
sen Texten die Präsenz der Wahrheit aufzuspüren, muss man sie einer allegori-
schen Auslegung unterziehen, die sowohl für die Dialoge Platons als auch für die
homerischen Texte und ebenso für jene des Alten Testaments (Zambon 2002 [*45:
190–204]) Gültigkeit besitzt.
Die Idee, dass die Wahrheit gemeinsames Erbe der orientalischen Völker sei,
hat vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einige Forscher dazu
geführt, die These eines orientalischen Einflusses auf Numenios’ Denken zu ver-
treten (Puech 1934 [*939: 747ff.]). Die Tendenz der Untersuchungen der letzten
Jahrzehnte geht jedoch dahin, diesen orientalischen Einfluss beträchtlich ein­
zuschränken und im Denken Numenios’ vielmehr den Ausdruck einer philosophi-
schen Einstellung zu sehen, die im Wesentlichen griechischen Ursprungs ist (Beut-
ler 1940 [*940: 666ff.], Dodds 1960 [*941: 4–11], Merlan 1967 [*21: 103], Invernizzi
1978 [*950: 604ff.], Donini 1982 [*29: 141] und Fuentes González 2005 [*962: 736]).

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652 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Die Überzeugung, dass das Alter eine Garantie für Wahrheit sei und dass diese
in einem altehrwürdigen Erbe bestehe, das älter als Platon und sogar als Pytha-
goras selbst sei (Boys-Stones 2001 [*43: 99ff.]), hat Numenios dennoch nicht dazu
gebracht, nach einem πρῶτος εὑρετής zu suchen: Für ihn ist Platon, wenn auch
später, keineswegs geringer als seine Vorgänger; weder ist er bedeutender noch
unbedeutender als Pythagoras (fr. 24,18–20, vgl. auch fr. 7,5–7 des Places), und die
Lehre, die es wiederherzustellen gilt, ist die platonische (Frede 1987 [*952: 1045f.],
Zambon 2002 [*45: 176–178] und Burnyeat 2005 [*961: 144f.]).

2. Ontologie

Die Schrift ‹Über das Gute› hat zum Ziel, die Frage «Was ist das Sein?» (τί δή
ἐστι τὸ ὄν: fr. 3,1 des Places) zu beantworten, die nach Numenios der Frage «Was
ist das Gute?» entspricht, da die Untersuchung des Seins der Untersuchung des
Guten gleichkomme (fr. 2 des Places). Mag die Frage auch aristotelisch geprägt
erscheinen (vgl. Metaph. 7,1, 1028b2–3), so ist für Numenios der platonische Ur-
sprung doch unzweifelhaft, wie der Verweis auf Tim. 27d–28a zeigt (fr. 7,7–12 des
Places = test. 103.3 Dörrie-Baltes; dazu Frede 1987 [*952: 1050f.] und Dörrie, Bal-
tes 1996 [*8: IV 262–265]). Die Art und Weise, wie Numenios auf diese Frage ant-
wortet, ist jedenfalls typisch platonisch, da er sich auf die klassische Dichotomie
zwischen dem Intelligiblen (νοητόν) und Unkörperlichen (ἀσώματον) auf der
einen und dem sinnlich Wahrnehmbaren und Körperlichen auf der anderen Seite
stützt (fr. 6, 7 und 8 des Places; dazu Burnyeat 2005 [*961: 155ff.]).
Die körperlichen Elemente (Erde, Feuer, Luft und Wasser) und das Prinzip, von
dem sie abhängen, d. h. die Materie, lassen sich nicht mit dem wahren Sein gleich-
setzen, weil sie weder über Beständigkeit noch über Einheit verfügen (fr. 3 des
Places). Außerdem ist die Materie unbegrenzt (ἄπειρος) und unbestimmt (ἀόριστος)
und daher irrational (ἄλογος) und unerkennbar (ἄγνωστος). Es handelt sich hierbei
um Charakterisierungen, die mit der Abwesenheit von Ordnung, Einheit und Be-
ständigkeit zusammenhängen (fr. 4,1–9 des Places; dazu Baltes 1975 [*947: 255–
257]). Das Sein hingegen muss beständig, selbst-identisch und einheitlich sein. Es
entzieht sich jeder Form von Veränderung: Weder war es einmal, noch wird es je-
mals sein, sondern es ist immer in einer bestimmten Zeit, allein in der Gegenwart
(τὸ ὄν οὔτε ποτὲ ἦν οὔτε ποτὲ μὴ γένηται, ἀλλ’ ἔστιν ἀεὶ ἐν χρόνῳ ὁρισμένῳ, τῷ
ἐνεστῶτι μόνῳ), die der Ewigkeit entspricht (fr. 5,5–16 des Places). Dies bedeutet,
dass das Sein (τὸ ὄν) ewig, beständig und immer auf dieselbe Weise ist: Es erleidet
keine Veränderung, es nimmt weder zu noch ab, noch ändert es seinen Ort, sondern
es ist unbeweglich und immer mit sich selbst identisch (fr. 5,19–28 des Places). Nu-
menios reformuliert Platons ontologische Dihairesis auf ähnliche Weise wie Am-
monios in Plutarchs ‹De E apud Delphos› (Whittaker 1969 [*322]).

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§ 69. Numenios von Apameia (Bibl. 701–702) 653

3. Theologie

Nachdem er das unkörperliche, intelligible und ewige Wesen des Seins bestimmt
hat, nimmt sich Numenios eine eingehendere Untersuchung des Aufbaus der intel-
ligiblen Welt vor. Dabei formuliert er die klarste bislang bekannte Version der mit-
telplatonischen Unterscheidung zwischen zwei Göttern, einem ersten, vollkommen
transzendenten und abgetrennten Gott und einem zweiten Gott, dem auch die de-
miurgische Rolle zukommt (Frede 1987 [*952: 1054–1064], Opsomer 2005 [*99:
66–73], Dillon 2007 [*963: 397–399] und Michalewski 2012 [*966: 33f.]). Er erklärt,
dass sich diese Unterscheidung bereits in den Dialogen Platons findet, auch wenn
sie nicht in expliziter Form formuliert sei, da Platon «wusste, dass bei den Men-
schen einzig der Demiurg bekannt ist, die erste Vernunft (ὁ πρῶτος νοῦς) hinge-
gen, die als das Seiende an sich (αὐτοόν) bezeichnet wird, vollkommen unbekannt
ist (ἀγνοούμενος)». Es sei, als ob Platon hätte sagen wollen: «Ihr Menschen! Der,
den ihr vermutlich für die Vernunft (νοῦς) haltet, ist nicht die erste [sc. Vernunft],
sondern eine andere Vernunft ist noch vor dieser, früher und göttlicher
(πρεσβύτερος καὶ θειότερος)» (fr. 17 des Places = test. 189.4 Dörrie-Baltes, Über-
setzung nach Dörrie-Baltes; dazu Zambon 2002 [*45: 221f.], Bonazzi 2004 [*960:
73] und Dörrie, Baltes 2008 [*8: VII 361f.]). Numenios setzt sich zum Ziel, in den
platonischen Dialogen Spuren dieser grundlegenden Unterscheidung zu finden.
Eines der interessantesten Beispiele für Numenios’ Auslegungspraxis betrifft
die berühmte Aussage in Tim. 28c3–5, wo von der Schwierigkeit gesprochen wird,
den Schöpfer und den Vater dieses Alls (ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦδε τοῦ παντός) zu
finden. Numenios kehrt die Reihenfolge dieser Bezeichnungen um und behaup-
tet, dass sich die eine, «Vater», auf den ersten Gott beziehe, während die andere,
«Schöpfer», den zweiten Gott, d. h. den Demiurgen, meine. Damit schreibt er Pla-
ton die Formulierung einer Hierarchie innerhalb der göttlichen und intelligiblen
Sphäre des Seins zu. Proklos zufolge hat er zudem noch einen dritten Gott ange-
nommen, der mit dem Geschöpf, d. h. mit dem Kosmos, zu identifizieren sei (fr.
21,1–7 des Places = test. 197.4 Dörrie-Baltes; dazu Frede 1987 [*952: 1061], Dör-
rie, Baltes 2008 [*8: VII 472ff.] und Ferrari 2014 [*349: 61–65]). Numenios’ Auf-
fassung des ersten und zweiten Gottes erscheint vielschichtig und schwierig zu re-
konstruieren (Dodds 1960 [*941: 12–16], Baltes 1975 [*947: 257–261], Donini 1982
[*29: 142–145], Frede 1987 [*952: 1054ff.], Bonazzi 2000 [*958: 60–63] und 2004
[*960], Ferrari 2005 [*98: 115–122]). Gleichwohl lassen sich einige verlässliche
Punkte festmachen: 1) Der erste Gott ruht in sich selbst, ist einfach und niemals
teilbar (ἐν ἑαυτοῦ ὤν ἐστιν ἁπλοῦς […] μή ποτε εἶναι διαιρετός: fr. 11,11–13 des
Places = test. 197.1 Dörrie-Baltes). 2) Er ist identisch mit der Idee des Guten (fr.
16,9–10; 20,4–7), die ihrerseits mit dem Einen identisch ist (fr. 19,12–3 des Places).
3) Während der erste Gott mit dem Guten an sich des ‹Staates› identisch ist, ent-
spricht der zweite Gott dem Demiurgen des ‹Timaios›: Während also der erste
Gott Demiurg des Seins (ὁ τῆς οὐσίας δημιουργός), d. h. ontologisches Prinzip,
ist, ist der zweite Gott Demiurg des Werdens (ὁ δημιουργὸς ὁ τῆς γενέσεως), d. h.
kosmologisches Prinzip (fr. 16,6–10 des Places = test. 128.1 Dörrie-Baltes). 4)
Während der erste Gott das Gute an sich ist (αὐτοαγαθόν), ist der Demiurg ‘gut’

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654 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

(ἀγαθός) aufgrund seiner Teilhabe am ersten Guten, d. h. am ersten Gott (μετουσίᾳ
τοῦ πρώτου ἀγαθοῦ: fr. 20,10–12 des Places). 5) Der erste Gott ist feststehend
(ἑστώς) und befasst sich mit den intelligiblen Dingen (περὶ τὰ νοητά), während der
zweite in Bewegung ist (κινούμενος) und mit den intelligiblen und den sichtbaren
Dingen (περὶ τὰ νοητὰ καὶ αἰσθητά) zu tun hat; d. h. der erste Gott gehört der
­reinen Dimension der Transzendenz an, während der zweite Gott sowohl einen
noetisch-intelligiblen als auch einen demiurgisch-kosmischen Aspekt aufweist (fr.
15,1–5 des Places = test. 197.3 Dörrie-Baltes).
Für Numenios ist der erste Gott, ebenso wie das platonische Gute, ontologische
Ursache und daher Prinzip des Seins, d. h. der Ideen (fr. 16,2–4 des Places). Dies
lässt vermuten, dass er auch einen höheren Rang einnimmt (πρεσβύτερος) als das
Sein, insofern er dessen Ursprung (αἴτιον) darstellt. Tatsächlich geben einige Frag-
mente, wie es scheint, zu verstehen, dass das Gute für Numenios über dem Sein
steht (fr. 2,16 des Places: ἐποχούμενον ἐπὶ τῆς οὐσίας, «aufsitzend auf dem Sein»)
und damit auch über dem Intellekt. Dennoch geht Numenios nie so weit, explizit
zu behaupten, der erste Gott bzw. das Gute sei «über das Sein und den Intellekt
hinausgehend» (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας καὶ τοῦ νοῦ). Vielmehr bleibt er immer dies-
seits der Schwelle, die in expliziter Form erst von Plotin überschritten wird (Dil-
lon 2007 [*963: 398f.] und Michalewski 2012 [*966: 31 Anm. 12]). Numenios be-
hauptet, der erste Gott sei der erste Intellekt (πρῶτος νοῦς: fr. 17,3–4; 20,12 des
Places), sein Tun bestehe im Denken (τὸ φρονεῖν: fr. 19,4–5 des Places), und sogar,
er entspreche dem Lebewesen an sich (ὅ ἐστι ζῷον), d. h. wahrscheinlich der Welt
der Ideen (fr. 22 des Places). Außerdem wird der erste Gott mit dem Sein an sich
(αὐτοόν: fr. 17,4 des Places) gleichgesetzt, d. h. wohl mit der Essenz des Seins, und
er wird als dem Sein eingeboren bezeichnet (σύμφυτος τῇ οὐσίᾳ: fr. 16,10 des
Places; dazu Burnyeat 2005 [*961: 152–155]). Schließlich zeigt sich das doppeldeu-
tige Wesen des ersten Prinzips auch darin, dass ihm zugleich eine vollkommene
Unbeweglichkeit (στάσις) wie auch eine ihm zugehörige Bewegung (κίνησις
σύμφυτος) zugeschrieben werden (dazu Dillon 21996 [*25: 368f.]).
Die überzeugendste Erklärung dieser scheinbaren Ambiguität dürfte in der
Tatsache liegen, dass der erste Gott als Ursache bestimmter Eigenschaften, wie
des Seins und des Intellekts, diesen übergeordnet ist, und zwar in eben der Weise,
in der die Ursache den Dingen, deren Ursache sie ist, übergeordnet ist. Gleichzei-
tig verfügt er in herausragender Weise über das, was er anderen Dingen weiter-
gibt, und ist daher zugleich auch Intellekt und erstes Sein oder Sein an sich (Frede
1987 [*952: 1062f.], Zambon 2002 [*45: 227–230] und Bonazzi 2004 [*960: 82f.]).
Ebenso schwierig, wenn nicht vielleicht noch schwieriger, erweist sich ange-
sichts der Zeugnisse die Frage nach dem Wesen des zweiten Gottes und nach der
möglichen Existenz eines dritten Gottes, der vom zweiten Gott verschieden ist.
Die Annahme von drei Gottheiten wird Numenios, wie oben erwähnt, von Prok-
los zugeschrieben (fr. 21 und 22 des Places = test. 197.4–5 Dörrie-Baltes), und sie
dürfte durch den Umstand gestützt werden, dass in Epist. 2, 312e, einem der
grundlegenden Texte für Numenios, ausdrücklich von drei göttlichen Entitäten
die Rede ist (Frede 1987 [*952: 1064–1068]). Doch enthalten die verfügbaren
Zeugnisse nur eine einzige Andeutung eines dritten Gottes, die besagt, dass «der

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§ 69. Numenios von Apameia (Bibl. 701–702) 655

zweite und dritte Gott […] ein einziger sind» (fr. 11,13–4 des Places = test. 197.1
Dörrie-Baltes). Dieses Spannungsverhältnis zwischen Proklos’ Zeugnis und den
Fragmenten des Numenios hat zahlreiche Deutungsvorschläge gezeitigt (Merlan
1967 [*21: 100], des Places 1973 [*945: 10–15], Baltes 1975 [*947: 259–267], Donini
1982 [*29: 143f.], Dillon 2007 [*963: 399–401], Dörrie, Baltes 2008 [*8: VII 472–
482]). Auch hinsichtlich dieses Problems lassen sich allerdings einige verlässliche
Punkte festmachen: 1) Der zweite Gott weist sicherlich zwei Aspekte auf, einen
kontemplativen, der in der intuitiven Erkenntnis der Ideen besteht, und einen de-
miurgisch-hervorbringenden, der in der Ordnung des sinnlich wahrnehmbaren
Bereichs besteht. 2) Der zweite Gott ist ein demiurgischer Intellekt, der mit dem
Demiurg des ‹Timaios› identisch ist und der mit einem Steuermann verglichen
wird (fr. 18 des Places); sein Denken ist intuitiver Art. 3) Der dritte Gott, so er
denn tatsächlich vom zweiten verschieden ist, zeichnet sich durch ein Denken dis-
kursiver Natur aus (κατὰ τὸν διανοούμενον: fr. 22,4–5 des Places). Ausgehend von
diesen Elementen erscheint die von Proklos vorgeschlagene Gleichsetzung des
dritten Gottes mit dem Kosmos (fr. 21,3 des Places) wenig überzeugend. Tatsäch-
lich ist dieser dritte Gott, falls er denn unabhängig vom zweiten existiert, nicht der
Kosmos, sondern vielmehr das rationale Prinzip des Kosmos, d. h. die Weltseele.
Das Problem besteht darin, festzustellen, ob sich dieses rationale Prinzip ontolo-
gisch vom Intellekt, d. h. vom zweiten Gott, unterscheidet oder ob es eine Funk-
tion bzw. ein Aspekt desselben ist. Tatsache ist, dass sich die demiurgische Akti-
vität des zweiten Gottes in zwei Momente aufspaltet, einen kontemplativen und
einen produktiven: Offen bleibt die Frage, ob diesen beiden Funktionen zwei ver-
schiedene Wesenheiten entsprechen oder ob sie von ein und derselben Wesenheit
ausgeführt werden, die sich auf diese Weise als kontemplativer Intellekt und pro-
duktive Weltseele in einem erwiese.
Eine umfassende Darlegung von Numenios’ Theologie bietet Proklos in einem
wichtigen, aber problematischen Zeugnis. Proklos behauptet, dass «Numenios den
ersten Gott dem Lebewesen, das ist (κατὰ τὸ ὅ ἐστι ζῷον), zuordnet und sagt, dass
er unter Zuhilfenahme (ἐν προσχρήσει) des zweiten Gottes denkt. Den zweiten
Gott ordnet er dem Intellekt zu (κατὰ τὸν νοῦν); dieser schaffe seinerseits als De-
miurg unter Zuhilfenahme des dritten Gottes. Den dritten Gott aber ordnet er
dem Überlegenden zu (κατὰ τὸ διανοούμενον)» (fr. 22 des Places = test. 197.5 Dör-
rie-Baltes; Übersetzung nach Dörrie-Baltes). Vor allem der rätselhafte Begriff der
πρόσχρησις hat zu vertieften Diskussionen Anlass gegeben (Dodds 1960 [*941:
15f.], Donini 1982 [*29: 144f.], Kenney 1992 [*957], Dillon 21996 [*25: 372], Fuen-
tes González 2005 [*962: 734], Dillon 2007 [*963: 401]). Der Sinn des Zeugnisses
dürfte in etwa folgender sein: Der erste Gott ist mit dem intelligiblen Lebewesen
identisch, das die Welt der Ideen in einheitlicher und undifferenzierter, d. h. un-
unterschiedener Form enthält. Diese Einheit wird durch das Eingreifen des zwei-
ten Gottes, d. h. des noetischen Intellekts, in intuitiver Form in die einzelnen Ideen
gegliedert; die intelligible Welt wird dann in diskursiver Form dank des Eingrei-
fens des dritten Gottes, d. h. des rationalen Teils der Weltseele, ausdifferenziert
und gibt auf diese Weise dem sinnlich wahrnehmbaren Kosmos Ordnung (Micha­
lewski 2012 [*966: 35–37]).

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656 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

4. Prinzipienlehre, Seelenlehre und Kosmologie

Numenios vertritt eine radikal dualistisch geprägte Prinzipienlehre, die domi-


niert wird von der Gegenüberstellung eines positiven Prinzips, Gott-Monade,
und eines negativen Prinzips, Materie-Zweiheit, das unabhängig vom ersten
­Prinzip ist und sich nicht auf jenes zurückführen lässt (fr. 52,6–14 des Places). In
dieser Hinsicht distanziert sich Numenios von den platonisch-pythagoreischen
Autoren (z. B. Eudoros und Moderatos), die eine monistische Prinzipienlehre ent-
wickelt hatten, in der das zweite Prinzip durch das erste hervorgerufen wurde (fr.
11,15–20 und 52,15–24 des Places). Das umfassendste Zeugnis hierfür liefert Cal-
cidius, der Numenios eine von Pythagoras übernommene Auffassung ­zuschrieb
(«ex Pythagorae magisterio»: fr. 52,2 des Places = test. 121.2 Dörrie-Baltes). Das
positive Prinzip entspricht der intelligiblen Welt, d. h. der Gottheit: Diese ist Mo-
nade (singularitas), Vorsehung (providentia), Anfang und Ursache der guten
Dinge (initium et causa bonorum), Urheberin des rationalen Seelenteils (ratio-
nabilis animae partis auctor) und überaus wohltätige (Welt-)Seele (anima bene-
ficentissima); das negative Prinzip wird mit der Materie (silva) identifiziert,
mit der unbestimmten Zweiheit (duitas indeterminata), mit der Notwendigkeit
(necessitas), mit der bösen (Welt-)Seele (anima maligna), der Urheberin des auf-
nehmenden Seelenteils (patibilis animae partis […] auctrix; dazu Deuse 1983
[*86: 62–68], Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 466–471] und Zambon 2002 [*45: 205–
209]).
Numenios scheint der Ansicht zu sein, das negative Prinzip zeige sich nicht so
sehr in der Materie, sondern vielmehr in der Seele, mit der die Materie seit jeher
verbunden ist. Wahrscheinlich meint er die böse Weltseele, auf die Platon in Leg.
10,896e und 897d anspielt und die bereits von Plutarch als Ursache der Unordnung
und der Unvernunft, die sich im Universum befinden, genannt wurde (Dillon
21996 [*25: 373f.] und 2007 [*963: 402], Vimercati 2012 [*968: 88–91]; vgl. auch

Phillips 2003 [*959: 147]). Numenios zufolge entspricht diesem metaphysisch-kos-


mologischen Dualismus ein psychologischer Dualismus, was bedeutet, dass er
nicht die Existenz von verschiedenen Aspekten derselben Seele annahm, sondern
zwei getrennte Seelen, eine rationale (ἡ λογική) und eine irrationale (ἡ ἄλογος),
womit er in Widerspruch zur traditionellen platonisch-aristotelischen Auffassung
trat (fr. 44 des Places; dazu Deuse 1983 [*86: 79–80], Dillon 21996 [*25: 374–378]
und Rescigno 1997 [*332: 71–78]).
In der Frage, ob die Weltentstehung im ‹Timaios› im wörtlichen oder im meta-
phorischen Sinne verstanden werden müsse, scheint Numenios nicht explizit Stel-
lung bezogen zu haben. Der Umstand, dass er eine Unterscheidung zwischen einer
geschaffenen Materie (silva generata), d.h. dem Kosmos, und einer ungeschaffe-
nen Materie (silva minime genita: fr. 52,6ff. des Places), d. h. der ursprünglichen
Materie, vornahm, hat zur Auffassung geführt, dass auch er, wie Plutarch und At-
tikos, zwei Phasen, eine vorkosmische und eine kosmische, unterschieden und
damit die Weltentstehung in einem wörtlichen Sinne verstanden hätte (Baltes 1976
[*83: I 68f.]). Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Hypothese, die sich auf
keine direkten Textzeugnisse stützen kann.

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§ 69. Numenios von Apameia (Bibl. 701–702) 657

Vom radikalen metaphysischen Dualismus zwischen dem Intelligiblen und dem


Körperlichen hängt wohl auch die Überzeugung ab, dass der Abstieg der Seele in
den Körper ohne Wenn und Aber ein Übel (fr. 48,10–14 des Places; dazu Jourdan
2013 [*969: 42f.]) und die Inkarnation als ein Gefängnis zu sehen sei (fr. 38 des
Places) sowie dass das Ziel des Menschen darin bestehen müsse, jede Verbindung
mit dem Körperlichen zu sprengen, um zur intelligiblen Welt zurückzukehren
(Martano 21960 [*942: 66–68]). Ein anderes Zeugnis schreibt Numenios die An-
sicht zu, dass die Seele auch vor der Inkarnation im Körper von Irrationalität er-
füllt werden kann (fr. 49 des Places; dazu Jourdan 2013 [*969: 47]).

4. NACHWIRKUNG

Numenios’ Bedeutung in der Antike war zweifellos beachtlich, und er genoss


das Interesse sowohl der paganen als auch der christlichen Philosophen (Fuentes
González 2005 [*962: 737–740]). Er wurde in der Schule Plotins gelesen und kom-
mentiert (Porph. Vit. Plot. 14,11–2), und sein Einfluss auf den neuplatonischen Phi-
losophen muss so stark gewesen sein, dass er einigen Athenern den Anlass zum
Vorwurf des Plagiats gegen diesen gab. Dies führte dazu, dass sich Amelios, ein
Schüler Plotins, genötigt sah, eine Schrift mit dem Titel ‹Über den Unterschied der
Lehren Plotins gegenüber Numenios› (Περὶ τῆς κατὰ τὰ δόγματα τοῦ Πλωτί­νου
πρὸς Νουμήνιον διαφορᾶς) zu verfassen, die darauf abzielte, diese Anklage zu ent-
kräften (Porph. Vit. Plot. 17,1–6; dazu Bonazzi 2000 [*958: 40]). Ohne Zweifel stellt
Numenios’ Aufbau der intelligiblen Welt mit der Annahme von drei Gottheiten,
von denen die erste über dem demiurgischen Intellekt verortet und die dritte mit
der Weltseele oder ihrem rationalen Teil identifiziert wird, mehr als bloß eine Ana-
logie zu Plotins Hypostasen-Triade dar (Eines – Intellekt – Seele). Doch scheint
Numenios dem obersten Prinzip der Wirklichkeit keinen meta-ontologischen oder
meta-noetischen Status zugeschrieben zu haben: Im Unterschied zu Plotin befand
sich für ihn das Prinzip trotz seiner Funktion als Ursache des Seins nicht jenseits
des Seins und des Denkens. Was seine Verbindung zu den ‹Chaldäischen Orakeln›
betrifft, wurden beide Möglichkeiten erwogen; ein abschließendes Urteil zu fällen,
scheint nicht leicht (des Places 1973 [*945: 17–19] und Dillon 21996 [*25: 363f.]). Als
gesichert darf jedoch Numenios’ Einfluss auf den lateinischen Neuplatonismus und
vor allem auf Calcidius und Macrobius betrachtet werden (Phillips 2003 [*959]).
Numenios hatte auch einen beachtlichen Einfluss auf Porphyrios (Waszink 1966
[*943] und Zambon 2002 [*45: 171–250]), der möglicherweise die Vermittlerposi-
tion zwischen jenem und den späten neuplatonischen Philosophen einnahm.
Ebenso bedeutend war sein Einfluss auf die christlichen Denker und in erster Linie
auf Eusebios, der sich in systematischer Weise seiner bedient hat (des Places 1973
[*945: 28–32] und Saffrey 1975 [*948]). Numenios wird außerdem von Clemens von
Alexandrien, Origenes und Theodoret zitiert. Zweifellos weckte seine Konzeption
der drei Gottheiten das besondere Interesse der christlichen Patristik.

Aus dem Italienischen übersetzt von Kaspar Howald.

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658 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

§ 70. Kronios

Irmgard Männlein-Robert

Kronios wird in der Regel im selben Kontext wie andere pythagoreisierende Pla-
toniker, meist zusammen mit Numenios, erwähnt (z. B. Syrian. In Metaph. 109,11f.
Kroll = test. 1 Leemans; Porph. Vit. Plot. 14,10–14 = fr. 9 Männlein-Robert; Lon-
gin bei Porph. Vit. Plot. 20,71–76 = fr. 11 Männlein-Robert, dazu Frede 1999 [*990];
Arnob. Nat. 2,11, PL 5, col. 825). Er gilt nicht selten, insbesondere bei christlichen
Autoren, als ‘Pythagoreer’ (bei Orig., Eus. Hist. eccl. 6,19,8 = Longin fr. 12 Männ-
lein-Robert; Calc., Suda; vgl. aber auch Porph. bei Stob. Ecl. 2,1,32, II,14,17 Wachs-
muth = fr. 372F Smith = test. 8 Leemans; Nemes. 2,116, p. 34,24 Morani: ἀπὸ
Πλάτωνος). Die häufige Verbindung des Kronios mit Numenios, als dessen ἑταῖρος
Porphyrios ihn bezeichnet (De antr. 21, 71,1 Nauck2 = 64,20f. Simonini), verweist
möglicherweise nicht nur auf die in etwa parallele Lebenszeit, sondern auch auf die
enge doktrinale Übereinstimmung beider Philosophen. Anhand von Zeugnissen
des Longinos, der Kronios zusammen mit Numenios, Moderatos und Thrasyllos
im Kontext pythagoreisierender Platoniker nennt (Longin bei Porph. Vit. Plot.
20,71–76 = fr. 11 Männlein-Robert; Männlein-Robert 2001 [*44: 196–200]), sowie
des Porphyrios, demzufolge nicht näher beschriebene ‹Hypomnemata› des Kro-
nios in der Schule Plotins in Rom gelesen wurden (Porph. Vit. Plot. 14), kann man
Kronios, wie auch Numenios, in das 2. Jahrhundert n. Chr. datieren (Brisson 1982
[*986: 91]). Falls Kronios mit dem Adressaten von Lukians 165 n. Chr. verfasster
Schrift ‹Über das Ende des Peregrinus Proteus› identisch sein sollte, worauf der
platonisierende Eingangsgruß hinweist (Luc. Peregr. init., vgl. auch Laps. 4; so Ber-
nays 1879 [*984: 3f.], Jones 1986 [*987: 20 mit Anm. 77]; k ­ ritisch nach Trapp 2003
[*992: 35] auch Pilhofer 2005 [*993: 48]), würde das die Lebenszeit des Kronios zu-
mindest für die 60er Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. erweisen (Praechter 1922
[*985: 1978], Whittaker 1994 [*989: 527], Dillon 21996 [*25: 362, 380]). Kronios ist
in jedem Fall ein Platoniker, freilich mit klaren pythagoreischen Tendenzen, mit
dem sich andere Anhänger derselben Schulrichtung im 3. Jahrhundert n. Chr., wie
etwa Longinos, Plotin oder Origenes, später noch sehr intensiv befassen (Eus. Hist.
eccl. 6,19,8 = Longin fr. 12 Männlein-Robert).
An schriftlichen Werken des Kronios (Fragmente und Testimonien bei Lee-
mans 1937 [*977]; ebd. 154 Nr. 3 ist kein Zeugnis zu Kronios, dazu Festugière 1970
[*978: 127 Anm. 2]) ist neben den oben bereits genannten, durch Porphyrios be-
zeugten ‹Hypomnemata› ein dem Titel nach bei Nemesios bezeugtes Buch ‹Über
Wiedergeburt› (Περὶ παλιγγενεσίας) bekannt (Nemes. Nat. hom. 2,117, p. 35,2–5
Morani = test. 12 Leemans). Nemesios zufolge habe Kronios in der Diskussion
darum, ob Einkörperungen menschlicher Seelen in Tierkörper möglich sind, Stel-
lung bezogen. Welcher Auffassung Kronios allerdings war, wird nach wie vor
­diskutiert. Vermutlich lehnte er jedoch ein Eingehen der Seele in Tierköper ab
(Dillon 21996 [*25: 380], Gioè 1999 [*991]). Kronios vertritt, wie auch Numenios,
die Ansicht, dass jede Einkörperung der Seele als ein Übel zu betrachten sei.

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§ 71. Maximos von Tyros (Bibl. 703–704) 659

Jedes Übel gelangt über die Materie, also von außen, in die Seele (Stob. Ecl.
1,49,37, I,374,21ff. Wachsmuth = test. 6 Leemans; ebd. 1,49,40, I,380,6ff. = test. 7
Leemans; dazu Gombocz 1997 [*40: 148f.]). Er scheint überhaupt dieselbe Seelen-
lehre wie Numenios vertreten zu haben (siehe Iambl. De an. bei Stob. Ecl. 1,49,37,
I,375,12–16 Wachsmuth; ebd. 1,49,40, I,380,6–19, dazu Dillon 21996 [*25: 380]).
Kronios gehört zu den Verfechtern der Lehre von der Ewigkeit der Welt und in-
terpretiert den platonischen ‹Timaios› nicht im Sinne einer zeitlichen Entstehung
des Kosmos, sondern eines ewigen Kausalitätsverhältnisses zwischen Schöpfer
und Schöpfung (Prokl. In Rep. II,22,20ff. Kroll; dazu Gombocz 1997 [*40: 147f.]).
Möglicherweise verfasste Kronios einen auf Allegorese basierenden Kommentar
zur homerischen Nymphengrotte, auf jeden Fall interpretiert er die homerische
Darstellung allegorisch (Porph. De antr. 2–4, 55,14–57,21 Nauck2 = 36–43 Simo-
nini, v. a. 17ff. = test. 9 Leemans; ebd. 21–23, 70,25–72,2 Nauck2, v. a. 71,1ff. = test.
10 Leemans; Porph. Περὶ Στυγός bei Stob. Ecl. 2,1,32, II,14,9–15,3 Wachsmuth =
fr. 372F Smith = test. 8 Leemans; dazu Lamberton 1986 [*988: 121–132, 318–324]).
Proklos bezeugt, dass sich Kronios zur ‘Hochzeitszahl’ in der ‹Politeia› Platons
(546b–c) geäußert habe (Prokl. In Rep. II,22,20ff. Kroll = test. 2 Leemans; ebd.
23,6ff.). In diesem Kontext wendet sich Kronios auch gegen die stoische Überzeu-
gung, der zufolge der Kosmos durch Feuer zerstört werden könne (Dillon 21996
[*25: 380]). Weiterhin äußert sich Kronios zum Mythos von Er, den er als histori-
sche Person und als Lehrer des Zoroaster ansieht (Prokl. In Rep. II,110,2ff. Kroll
= test. 4 Leemans), und dokumentiert damit sein Interesse an barbarischer Sophia
(Frede 1999 [*990: 864]).

§ 71. Maximos von Tyros

Irmgard Männlein-Robert

1. Leben und Werk. – 2. Lehre. – 3. Nachwirkung.

1. LEBEN UND WERK

Maximos darf als platonischer Philosoph im weiteren Sinne gelten, der, ähnlich
wie Apuleius, die gängigen philosophischen Themen seiner Zeit aufgreift und sti-
listisch ansprechend popularisiert, ohne freilich eigene Interpretationsansätze zu
formulieren. Platon, Sokrates und Pythagoras sind für ihn Repräsentanten der-
selben Weisheits- und Wissenstradition, deren Lehren (zusammen mit stoischen)

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660 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

eine Art (platonischer) Universalphilosophie darstellen, aus der allein Epikurs


Ansichten ausgegrenzt werden.
Maximos stammt aus dem syrischen Tyros und wird in spätantiken und byzan-
tinischen Quellen und Handschriften als ‘Philosoph’, auch als ‘Platonischer Philo-
soph’ bezeichnet (z. B. Suda III,321,35–37 Adler; dreimal im Codex Parisinus Grae-
cus 1962, fol. 1v, 18v und 146v; siehe Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032:
340]; Gesamtdarstellung bei Szarmach 1985 [*1026]; zu ‹Suda› und zum Parisinus
als Dokumenten der Überlieferung des Maximos siehe Trapp 1997 [*1002: LV–
LXI]; weitgehend paraphrastisch ist Meiser 1909 [*1010]; knapp Pépin 1975 [*1018:
258f.]). Mindestens einmal hielt sich Maximos zur Regierungszeit des römischen
Kaisers Commodus (180–192 n. Chr.) in Rom auf (Suda, ebd.; siehe Mutschmann
1917 [*1012: 185ff.], dagegen Koniaris 1982 [*1021]). Er ist jedoch nicht, wie das ein-
flussreiche Zeugnis des Eusebios (in der lateinischen Übersetzung des Hierony-
mus) besagt, identisch mit dem gleichnamigen Stoiker und Erzieher Mark Aurels
(Hier. Chron. 203 Helm), auch nicht mit Cassius Maximus, dem Adressaten des
‹Traumbuches› des Artemidor. Somit ist seine ἀκμή auch nicht auf die Jahre 149–
152 einzugrenzen, vielmehr wird die Lebenszeit des Platonikers Maximos im We-
sentlichen auf die Mitte der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. anzusetzen
sein. Das vielfach genannte Geburtsjahr 125 bleibt Vermutung (Übersicht über die
bekannten Anhaltspunkte bei Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 324–
327]). Maximos führt wie viele andere Sophisten und Philosophen der ‘Zweiten
Sophistik’ (vgl. Dion von Prusa, Lukian von Samosata, Apuleius von Madaura)
wahrscheinlich ein Wanderleben, hält an unterschiedlichen Orten des Römischen
Reiches Vorträge oder Vortragsserien (Kroll, Hobein 1930 [*1014: 2556f.]) zu The-
men, die als philosophisch gelten können. Das umfangreiche erhaltene Werk des
Maximos besteht aus 41 mehr oder weniger philosophischen ‹Vorträgen› (διαλέξεις).
Diese sorgfältig komponierten Texte spiegeln zum Teil noch sehr lebhaft die ur-
sprünglich wohl improvisierten, einfach konzipierten, aber rhetorisch außerordent-
lich geschliffenen, an gelehrten literarischen Reminiszenzen vor allem aus Homer
und Platon reichen Vorträge des Maximos wider (Trapp 1997 [*1028: 1960–1970],
Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 345f.]). Die letztlich kynische Prove-
nienz des popularphilosophischen Diatriben- oder Dialexis-Stils bleibt dabei un-
verkennbar (Kroll, Hobein 1930 [*1014: 2558f.], Koniaris 1983 [*1023], Campos Da-
roca, López Cruces 2005 [*1032: 338f.]). Das größte Anliegen des Maximos
gegenüber seiner zweifellos griechisch gebildeten Hörerschaft dürfte die Protrep-
tik zur (platonischen) Philosophie gewesen sein (Schönberger, Schönberger 2001
[*1003: 7f.]). Das inhaltlich breite Themenspektrum reicht von Ethik (z. B. Diss. 12;
3; 18–21; vgl. 13; 15; ferner 2; 25; 27; 29–33; 36; 38–40), Dämonologie (Diss. 8–9),
Theologie (Diss. 11; vgl. 2; 4; 13; vgl. 38) und Gebet (Diss. 5) über epistemologische
Fragen (vgl. Diss. 6) bis zum freien Willen (Diss. 13), Wiedererinnerung (Diss. 10),
der Analogie von Seele und Staat (Diss. 26) und der Herkunft des Bösen hin (Diss.
41; siehe die Übersichtslisten über die Titel und Inhaltsangaben der einzelnen Dia­
lexeis bei Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 327–329 sowie 329–332 mit
weiterführenden Literaturangaben zu den einzelnen Dialexeis]; Koniaris 1995
[*1001: LVf.]; zu Diss. 41 Ramelli 2010 [*1033]).

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§ 71. Maximos von Tyros (Bibl. 703–704) 661

Das Selbstverständnis des Maximos, wie es mehrfach in den Dialexeis zu Tage


tritt, ist eindeutig das eines Platonikers (z. B. Diss. 21,4; 24,3; 41,2; weitere Belege
bei Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 341], ferner Kroll, Hobein 1930
[*1014: 2560], Schönberger, Schönberger 2001 [*1003: 8f.]). Maximos erweist sich
dabei als (Mittel-)Platoniker im weiteren Sinne, nicht etwa als Anhänger einer
mittelplatonischen Schule (vgl. Kroll, Hobein 1930 [*1014: 2558], die ihn als So-
phisten ansehen; Glucker 1978 [*26: 137, 206–225]; Trapp 1997 [*1002: XXIIff.]
will ihn lediglich als ‘Philosophen’ bezeichnen). Er zeigt kein Interesse an streng
dogmatischen Fragen und Problemen der zeitgenössischen Platoniker-Szene (wie
etwa der Ideenlehre bzw. Lokalisierung der Ideen oder der Differenzierung zwi-
schen einem ersten und einem zweiten Gott) und formuliert auch keine individu-
ellen Interpretationen platonischer Texte oder Probleme (das Fehlen der Ideen-
lehre wertet Trapp 1997 [*1002: XXVII] als Indiz für starken stoischen Einfluss
bei Maximos). Gleichwohl bezieht er sich sehr häufig auf Platon und zitiert sowohl
intensiv als auch extensiv aus dessen Schriften, die er bestens kennt, und macht
überdies durch allegorische Auslegung Homers auch diesen für die (platonische)
Philosophie ergiebig (Dürr 1899 [*1009], Trapp 1997 [*1028: 1971f.]; vgl. auch
Trapp 1997 [*1002: XXII–XXX] und 1999 [*1029], Campos Daroca, López Cru-
ces 2005 [*1032: 343]). Er greift zwar ethische und theologische Themen und Fra-
gen auf, wie sie tatsächlich im strengen Schulplatonismus seiner Zeit verhandelt
wurden, präsentiert sie aber rhetorisch elegant aufbereitet in werbender Absicht
einem jugendlichen Laienpublikum außerhalb des Kontexts einer bestimmten
philosophischen Schule (Trapp 1997 [*1002: XX–XII, XLI–XLIV]; zu den Philo-
sophica weniger ergiebig ist Trapp 1997 [*1028]). Seine Integration nicht weniger
stoischer oder kynischer Elemente sowie auch pythagoreischer Themen, ein Ge-
menge, das mitunter zum Verdikt des Eklektizismus führt, entspricht üblicher mit-
telplatonischer Praxis, wie sie auch bei anderen Platonikern erkennbar wird (z. B.
Attikos und Tauros), auch wenn er, entsprechend dem gewählten epideiktischen
Genre, sicherlich keine philosophischen Differenzierungen bietet (Kritik z. B. bei
Koniaris 1983 [*1023] und Trapp 1997 [*1002: XXII–XXX]; vgl. Dillon 1988
[*35]). Maximos präsentiert sein offenes Philosophieverständnis werbewirksam
in Dialexis 1, wo er das allen philosophischen Schulrichtungen gemeinsame Be-
mühen um die eine Wahrheit herausstellt (Diss. 1,10; siehe Hobein 1911 [*1011],
Koniaris 1983 [*1023]). Allein Epikur schließt er aus seinem philosophischen Kos-
mos aus, da er weder philosophisch fundierte theologische noch durch Allegorese
erhellte poetische Gottesbilder akzeptiere (Diss. 4,8f.; 25,4; 41,2; dazu Trapp 1997
[*1002: 31f.]) und dazu einen fragwürdigen Hedonismus verfechte (z. B. Diss. 29–
33; siehe auch Diss. 11,5; 19,3; Trapp 1997 [*1002: 236–267]). Sehr allgemein, aber
gewöhnlich ist seine im Kern gut platonische Definition der Philosophie in Diss.
26,1: «genaue Wissenschaft von göttlichen und menschlichen Dingen, Vermittle-
rin von Tugend, edlen Gedanken, einem harmonischen Leben und richtigen
Handlungen» (ἐπιστήμην ἀκριβῆ θείων τε πέρι <καὶ> ἀνθρωπίνων, χορηγὸν ἀρε­
τῆς καὶ λογισμῶν καλῶν καὶ ἁρμονίας βίου καὶ ἐπιτηδευμάτων δεξιῶν; zur wech-
selhaften Tradition dieser universalistischen Philosophiedefinition Trapp 1997
[*1002: XVI–XX], Männlein-Robert 2002 [*1030]). Maximos ist ganz Kind seiner

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662 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Zeit, wenn er im Kontext seines weiten Philosophiebegriffes Wissen und Offenba-


rung nicht nur Platon, sondern auch dessen Lehrer Sokrates und sogar Pythagoras
zuschreibt, bei denen sich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit die
göttliche Weisheit klar gezeigt habe (vgl. Numenios). Allerdings zeichnet sich in sei-
nem philosophiehistorischen Verständnis eine deutliche Depravierung und Deka-
denz der Philosophie nach Platon ab, was wohl der Grund für seine ausschließliche
Bezugnahme auf die Vergangenheit, in jeglicher historischen und literarischen Hin-
sicht, ist (Andresen 1955 [*1065: 252ff.], Trapp 1997 [*1002: XXX–XXXII]). Als
Themenschwerpunkte heben sich in Maximos’ Œuvre etwa das Daimonion des So-
krates wie überhaupt die Sokrates-Figur heraus, das große Interesse an Pythagoras,
der Gottesbegriff nach Platon sowie ethische Anliegen, etwa die sokratische Erotik
und die platonische «Angleichung an Gott», die von anderen zeitgleichen Sophis-
ten (z. B. Lukian) nicht in derselben Weise behandelt werden (Döring 1979 [*1019:
130–138], Puiggali 1980 [*1020], 1982 [*1022] und 1983 [*1024: 571f.], Donini 2003
[*1031: 357–359], Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 341]).
Auch die Außenwahrnehmung des Maximos in der Überlieferung ist offen-
sichtlich die eines Philosophen: Seine 41 Dialexeis stehen im selben Codex (dem
erwähnten Archetypus, Codex Parisinus Graecus 1962) wie Alkinoos’ und Al­
binos’ platonische Lehrschriften (Kroll, Hobein 1930 [*1014: 2561]; v. a. Campos
Daro­ca, López Cruces 2005 [*1032: 334, 340f.]; besonders gründlich ist Trapp 1997
[*1002: LV–LXI, insb. LVII]).

2. LEHRE

1. Theologie. – 2. Dämonologie. – 3. Seelenlehre. – 4. Ethik.

1. Theologie

Maximos’ Theologie basiert, konform mit den grundsätzlichen Lehren des Mit-
telplatonismus, auf der Überzeugung, dass eine irdisch-materielle Sphäre der
sinnlichen Wahrnehmung von einer rein intelligiblen Sphäre als dem Bereich eines
transzendenten Gottes zu trennen ist (z. B. Diss. 10,9; 11,7–12; 21,7). Dieser Gott
ist Urgrund und Ursache alles Guten (Diss. 41,1f.). Der theologischen Tradition
der Mittelplatoniker entsprechend, deklariert Maximos weiterhin den Nous als
höchsten, «unaussprechlichen» (ἄρρητος) Gott (Diss. 2,10; 11,9; dazu Whittaker
1983 [*1025]). Die Wege zu dessen Erkenntnis bestehen in der ‘via negationis’, der
‘via eminentiae’ und der ‘via analogiae’ (Diss. 11,8f.; dazu Puiggali 1983 [*1024:
573f.]; siehe ferner Whittaker 1969 [*847: 115f.]). Die Gotteserkenntnis vollzieht
sich laut Maximos nach dem Modell des aufsteigenden Weges unter Führung von
Logos und Eros, bis die Seele zur Vision Gottes gelangt (Diss. 11,10). Diese wird

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§ 71. Maximos von Tyros (Bibl. 703–704) 663

sehr poetisch beschrieben und muss als letztlich religiöse Schilderung verstanden
werden. Eine prinzipielle Hierarchie innerhalb des Bereiches des Göttlichen deu-
tet Maximos wohl in Diss. 11,12 an, wenn er den höchsten Gott von den Gestirns-
göttern und den Dämonen absetzt. Insgesamt vertritt Maximos das übliche Got-
tesbild des Mittelplatonismus, das er, dem Genre seiner Reden entsprechend, in
griffiger, anschaulicher und gut verständlicher Form darbietet (Diss. 2,10; 5,3; 8,8;
9,2; 27,8; 38,5f.; 41,5; siehe Andresen 1955 [*1065: 271f.], Ramelli 2010 [*1033];
Sammlung der einschlägigen Textstellen bei Lilla 1992 [*39: 87–91], Trapp 1997
[*1028: 1956]). In seiner Dialexis über das Gebet (Diss. 5) nimmt er – ungewöhn-
lich innovativ – Aspekte der späteren neuplatonischen Einstellung zum Gebet vor-
weg, wenn er die Ansicht vertritt, dass «Vorsehung» (πρόνοια), «Schicksal»
(εἱμαρμένη) und «Zufall» (τύχη) nicht vom menschlichen Bittgebet beeinflusst
werden können. Gebete eines Sokrates oder Pythagoras hingegen kämen eher
einem inneren Zwiegespräch mit der Gottheit als einem Bittgebet gleich; auch die
Erfüllung solcher Gebete basiere vielmehr auf den diesen außergewöhnlichen
Menschen verliehenen Gottesgaben, die sie entsprechend einzusetzen wüssten
(Soury 1942 [*1015: 15–38], Esser 1967 [*1016], Van der Horst 1996 [*1027], Trapp
1997 [*1028: 1956]).

2. Dämonologie

Maximos trägt dem zeitgenössischen großen Interesse an Dämonen und Dä-


monenlehre dahingehend Rechnung, dass er sich in zwei seiner Dialexeis, die das
berühmte Daimonion des Sokrates im Titel tragen (Diss. 8 und 9), diesem Thema
widmet. Freilich steht in Diss. 8 die Natur der Dämonen im Vordergrund des In-
teresses, vor allem die wahrsagende Funktion des Daimonions des Sokrates, die
mit religiösen Formen und Traditionen der Wahrsagung bis Homer verbunden
wird. Sokrates wird hier einmal mehr (so bereits Eudoros) als pythagoreisieren-
der Philosoph erkennbar, dessen wichtigste Kompetenz in seiner unmittelbaren
Kommunikation mit dem Göttlichen liegt (Donini 2003 [*1031]). Dagegen geht es
in Diss. 9, wo von Sokrates gar nicht mehr die Rede ist, ausschließlich um Beschaf-
fenheit und Funktionen der Dämonen (vgl. Trapp 1997 [*1002: 67f.] zum Daimo-
nion des Sokrates als beliebtem Thema der Zweiten Sophistik).

3. Seelenlehre

Überaus häufig kommt Maximos auf den unseligen Zustand der eingekörper-
ten, jedoch unsterblichen menschlichen Seele zu sprechen: Die Seele ist im Kör-
per in einem uneigentlichen und fremden Zustand, sie strebt nach Befreiung und
Rückkehr aus ihrem Exil in ihre eigentliche Heimat zu Gott (z. B. Diss. 7,5; 8,7;
9,6; 10,1. 9; 11,10; 21,7; 22,5; 26,1). Meist vertritt Maximos eine Zweiteilung der
menschlichen Seele in einen vernünftigen Teil (λόγος) und einen unvernünftigen,
leidenschaftlichen Teil (πάθος), die er einmal Platon (Diss. 20,4), an anderer Stelle

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664 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

jedoch Pythagoras zuschreibt, von dessen Schule bzw. Schülern aus diese Lehre auf
Platon und Aristoteles gekommen sei (Diss. 27,5). Es findet sich jedoch auch, aller-
dings im Kontext der engen Analogie von Seele- und Staatsmodell gemäß P ­ laton,
die Darlegung einer dreigeteilten Seele (Diss. 16,4; siehe Puiggali 1983 [*1024:
571f.]). Solange sich die Seele im Körper befindet, durchdringt sie diesen gänzlich,
so wie das Licht die Luft (Diss. 28,2; dazu Dörrie, Baltes 2002 [*8: VI 234f.]).

4. Ethik

Maximos vertritt im Unterschied zu stoischen Zeitgenossen nicht die Überzeu-


gung, Affekte und Leidenschaften müssten völlig ausgemerzt werden, sondern fa-
vorisiert in Anlehnung an Platon (und Aristoteles) lediglich Kontrolle, Beherr-
schung und Reduktion derselben (z. B. Diss. 27,5f.; 33,7f.; 41,5; dazu Trapp 1997
[*1002: XXVIII]). Hinsichtlich des Zieles bzw. ‘Telos’ des philosophischen Lebens
formuliert Maximos in völliger Übereinstimmung mit zeitgleichen mittelplatoni-
schen Philosophen im engeren Sinne (etwa Alkinoos) die Notwendigkeit der eige-
nen sittlich-moralischen Vervollkommnung mit dem Ziel der «Angleichung an
Gott» nach den ‘loci classici’ insbesondere in Platons ‹Theaitetos› (176b) und
‹Phaidros› (248a; siehe Dillon 21996 [*25: 43f.]). Maximos rekurriert (Diss. 25) auf
die mythische Figur des Odysseus als zeitloses Paradigma und als Verkörperung
innerweltlicher platonischer ‘Arete’. Plotin (Enn. I 6) wird Odysseus ebenfalls als
‘anthropologische’ Chiffre einsetzen, dabei aber ungleich stärker als Maximos den
Aspekt der Flucht in die Heimat betonen. Freilich beschreibt auch Maximos den
Aufschwung der Seele nach einem notwendigen Erkenntnis- und Läuterungspro-
zess hinauf zum Göttlichen (Männlein-Robert 2013 [*1034]; vgl. Puiggali 1983
[*1024: 167f.]; zum Aufflug der Seele vgl. Jones 1926 [*1013]).

3. NACHWIRKUNG

In byzantinischer Zeit kursieren die Dialexeis des Maximos in einigen Hand-


schriften, er selbst wird in einem Essay des Gelehrten Theodoros Metochites (1270–
1332) erwähnt (Trapp 1997 [*1002: LXI–LXV]) – offenbar werden die Schriften des
Maximos aufgrund ihres rhetorisch-literarischen Charakters vor allem aus stilisti-
schem Interesse gewürdigt. Im 15. Jahrhundert werden die Dialexeis insbesondere
von italienischen Humanisten (z. B. Landino, Ficino, Poliziano, Zanobi Acciaiuoli),
aber auch von humanistischen Gelehrten wie Bessarion, Laskaris und Reuchlin
breit rezipiert (ausführlich bei Trapp 1997 [*1002: LXVI–LXXVIII], Schönberger,
Schönberger 2001 [*1003: 14f.], Campos Daroca, López Cruces 2005 [*1032: 346–
348]). Im Jahr 1607 erscheint die Maximos-Ausgabe von Daniel Heinsius, worauf
in den nächsten Jahrzehnten weitere folgen. Die erste moderne kritische Ausgabe
von Hobein 1910 [*999] erfüllt nicht die bereits damals geläufigen Standards kriti-
scher Ausgaben, wurde aber erst durch die beiden fast gleichzeitig erschienenen
Editionen von Trapp 1994 [*1000] und Koniaris 1995 [*1001] ersetzt.

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§ 72. Kelsos (von Alexandrien?) (Bibl. 704–705) 665

§ 72. Kelsos (von Alexandrien?)

Irmgard Männlein-Robert

1. Leben und Werke. – 2. Lehre. – 3. Nachwirkung.

1. LEBEN UND WERKE

Der Platoniker Kelsos ist der erste uns bekannte antike Philosoph, der sich
schriftlich intensiv und extensiv mit dem Christentum auseinandersetzt, das zur
Zeit der Abfassung seines Werks, d. h. im Zeitraum der Zweiten Sophistik, offen-
bar bereits eine gewisse, mit Befremden registrierte Präsenz in der Öffentlichkeit
bis in die Kreise der Gebildeten und der Philosophen hatte, zu denen der litera-
risch wie philosophisch ungeheuer versierte Intellektuelle Kelsos zu rechnen ist
und für die er schreibt (Lona 2005 [*1079: 32–41, 52–54]). Kelsos verfasste eine
polemische Streitschrift gegen christliche Lehren, durch die er die Grundlagen
der eigenen hellenischen Kultur akut gefährdet sah (de Labriolle 1934 [*1061: 111–
169]). In seiner Polemik und Kritik sind freilich durchaus auch positive Lehren er-
kennbar, die eine ungefähre Rekonstruktion seiner philosophischen Überzeugun-
gen erlauben und sowohl protreptische Elemente als auch politische Anliegen
erkennen lassen (Lona 2005 [*1079: 22, 50–52]). Der Platoniker Kelsos selbst ist
fast ausschließlich in der Widerlegung seines Werks ‹Wahre Lehre› (Ἀληθὴς
λόγος) durch den Christen Origenes greifbar, das in dessen Schrift ‹Gegen Kel-
sos› fragmentarisch erhalten ist (Forschungsbericht mit Textgeschichte bei Pich-
ler 1980 [*1070: 5–26]; umfassendes Verzeichnis aller verfügbaren Textausgaben,
Hilfsmittel und Sekundärliteratur bei Lona 2005 [*1079: 12–16, 486–495, siehe
auch 62–64]). Origenes zitiert passagenweise, zum Teil verkürzt oder umgeordnet,
zum Teil recht wörtlich aus Kelsos’ Werk (Zitate des Titels Cels. 3,1; 4,47; 8,1) und
bezieht dazu umfangreich in insgesamt acht Büchern Stellung (zur Rekonstruk-
tion des ursprünglichen Kelsos-Textes siehe Lona 2005 [*1079: 16–19, 61]). Auf
dieser Basis ist die ‹Wahre Lehre› des Kelsos wenn auch nicht vollständig rekon-
struierbar, so doch in ihrer Anlage, Struktur und den Argumentationsschemata
nachvollziehbar (zur Struktur Lona 2005 [*1079: 23–27]). Ob freilich auch das
Werk des ­Kelsos 8 Bücher umfasste, wie ein Scholion zu Lukians ‹Alexandros›
bezeugt, muss offen bleiben, auch wenn sich der genannte Umfang an jenem der
Widerlegung durch Origenes zu orientieren scheint (Schol. ad Luc. Alex. 180,14ff.
Rabe, dazu Frede 1994 [*1074: 5186]). Origenes verfasst seine Widerlegung der
Schrift des Kelsos «zur Zeit der Regierung des Philippus Arabs», also in den Jah-
ren 244–249 n. Chr. (so Eus. Hist. eccl. 6,36,2; eine Fixierung auf 248 n. Chr. ent-
behrt jeglicher faktischen Grundlage, dazu Bader 1940 [*1042: 5]), und zwar auf

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666 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Wunsch und Bitte eines gewissen Ambrosios, des mehrfach genannten Adressa-
ten (Orig. Cels. praef. 1,1; 3,1; 4,1; 7,1). Origenes kennt von Kelsos offenbar aus-
schließlich dessen ‹Wahre Lehre› und hat von der Person selbst keine nähere
Kenntnis. Er spricht über ihn wie über einen bereits lange Verstorbenen (Cels.
praef. 1,4), setzt ihn also in deutlicher Distanz zur eigenen Zeit an. Während Ori-
genes Kelsos zu Beginn seiner Widerlegung offenbar als Epikureer ansieht (Cels.
1,8), aber zugleich vermerkt, dass man dessen Epikureismus nicht bemerke (Cels.
1,8; 3,35. 80), und gegen Ende von Buch vier (54) in ihm sogar einen vom Epiku-
reismus abgefallenen Konvertiten vermutet, finden sich nach Buch fünf (ab 5,3)
keine entsprechenden Titulierungen des Kelsos mehr, vielmehr betont Origenes
nun verstärkt, dass Kelsos Platon mit sehr großem Respekt behandle (Cels. 4,56.
83,38f.: ἐν πολλοῖς πλατωνίζειν θέλει; 6,47; vgl. auch Di Pasquale Barbanti 2011
[*1081]). Denkbar ist, dass die anfängliche Zuordnung des Kelsos zur Schule Epi-
kurs auf Origenes’ Identifizierung dieses ihm bislang unbekannten Kelsos mit
einem ihm bekannten Epikureer gleichen Namens aus hadrianischer Zeit basiert
(bei Orig. Cels. 1,8; so Frede 1994 [*1074: 5186, 5191f.], Lona 2005 [*1079: 27f.]).
Problematisch ist es, in diesem Epikureer Kelsos nun den gleichnamigen Adres-
saten von Lukians religionskritischer Schrift ‹Alexandros› zu sehen, wie dies in
der älteren Forschung der Fall ist (z. B. Keim 1873 [*1055: 275f., 283–293]; ebenso
noch Hoffmann 1987 [*1046: 30–33], Lona 2005 [*1079: 29f.]). Vielmehr ist die in
den ersten Büchern bei Origenes erkennbare Klassifizierung des Platonikers Kel-
sos als ‘Epikureer’ auch im Sinne einer polemischen Rhetorik erklärbar: So soll
der scharfe Kritiker des Juden- und Christentums Kelsos – zumindest aus der
christlichen Perspektive des Origenes – als «gottlos» oder zumindest als philoso-
phischer Gegner gebrandmarkt werden (Bader 1940 [*1042: 3f.], Chadwick 1980
[*1045: XXV–XXVI], Watson 1992 [*1073: 166 mit Anm. 8], Magris 1998 [*1076:
230 Anm. 6]). Origenes scheinen freilich im Laufe der Auseinandersetzung mit
Kelsos’ Kritik selber Zweifel an dessen philosophischer Zuordnung zur epikure-
ischen Schulrichtung gekommen zu sein. Eine Datierung der ‹Wahren Lehre› ist
nur ungefähr in den Zeitraum zwischen 160 und 240 n. Chr., wahrscheinlich in die
Jahre 160–180 n. Chr., möglich (vgl. die ältere anhand vager interner Anspielun-
gen des Kelsos rekonstruierte Abfassungszeit 178 n. Chr., zuerst Keim 1873 [*1055:
261–273], Neumann 1899 [*1058]; vgl. noch Whittaker 1994 [*1075: 255]; ausführ-
lich zur Diskussion Frede 1994 [*1074: 5188–5191]; vgl. Chadwick 1980 [*1045:
XXVI–XXVIII]; Überblick bei Lona 2005 [*1079: 54f.], der sich auch gegen eine
Spätdatierung auf 200 ausspricht, wie sie Hargis 1999 [*1078: 20–24] vornimmt).
Kelsos verweist, so Origenes ganz am Ende seiner Widerlegung, auf das Vorha-
ben, ein Lehrbuch über die – wohl philosophisch – richtige Lebensweise zu schrei­
ben (ὅπῃ βιωτέον τοὺς βουλομένους καὶ δυναμένους πείθεσθαι, «Wie die leben
müssen, die ihm gehorchen wollen und können»), dessen Widerlegung Origenes
für den Fall, dass Kelsos es tatsächlich vollendet hätte und Ambrosios es findet,
ankündigt (Orig. Cels. 8,76). Von diesem Werk hat sich kein Zeugnis erhalten.
Während einige (Neumann 1899 [*1058: 1885]; vgl. Chadwick 1980 [*1045:
­X XVIIIf.]) herausstellen, dass Kelsos in der ‹Wahren Lehre› vor allem über
Ägypten genauere Kenntnisse zu haben scheint und in Verbindung damit über das

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§ 72. Kelsos (von Alexandrien?) (Bibl. 704–705) 667

orientalische, eine Logos-Lehre vertretende Judentum und somit beispielsweise


Alexandrien als Umfeld der Abfassung der ‹Wahren Lehre› denkbar wäre, ver-
muten andere Rom (Keim 1873 [*1055: 274f.], Bader 1940 [*1042: 1 mit Anm. 1]).
Plausibel erscheint jedenfalls eines der großen geistigen Zentren der zweiten
Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr., am ehesten Alexandrien (Watson 1992 [*1073:
166], Lona 2005 [*1079: 31, 56f.]).

2. LEHRE

1. Tradition. – 2. Metaphysik, Theologie und Prinzipienlehre. – 3. Dämonenlehre. – 4. Kosmologie. –


5. Seelenlehre.

Die philosophische Überzeugung des Kelsos lässt sich trotz der durch Orige-
nes’ Widerlegung fragmentarisierten Evidenz der ‹Wahren Lehre› in etwa rekon-
struieren, so dass sich die eigenen philosophischen Positionen zumindest im Um-
riss umschreiben lassen, auch wenn mitunter Widersprüchlichkeiten, wohl bedingt
durch Verkürzung oder Umstellung des Textes sowie unsachliche Darbietung des
Origenes, stehen bleiben. Ob Kelsos von sich aus kein Interesse an den zeitgenös-
sischen Diskussionen um die Ideenlehre Platons (z. B. deren Lokalisierung im Ver-
hältnis zum Nous) hatte oder ob Origenes entsprechende Passagen im Kontext
seiner Widerlegung des Kelsos überging, ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht
zu ermitteln.

1. Tradition

Kelsos erweist sich in seinen Überzeugungen, Interessen, Argumentationen


und in den in seiner Polemik gegen Juden und Christen angewandten Methoden
als typischer Platoniker seiner Zeit (Koch 1932 [*1060: 276–280], Dörrie 1967
[*1066], Lona 2005 [*1079: 42–50]). Seine Auseinandersetzung mit den christ­
lichen Lehren darf sicherlich als umfassende Kritik verstanden werden und nicht
als Manifestation einer defensiven Reaktion auf das Christentum (wie Merlan
1954 [*1064: 962f.] behauptet). Kelsos’ Polemik gegen die christlichen Lehren re-
sultiert letztlich aus der Befürchtung und dem Vorwurf, mit dem Christentum
könne sich eine neue Philosophie etablieren, die jegliche Dialektik oder argumen-
tative Begründung ihrer Lehren ablehne und vielmehr einfach Glauben verlange
– was für Platoniker problematisch ist (z. B. bei Orig. Cels. 1,9; 6,7. 10. 11). Ganz
im Sinne einer durchaus auch politisch zu interpretierenden platonischen Philo-
sophie kritisiert er vehement die Weigerung der Christen, sich an der staatlich-­
religiösen Gemeinschaft zu beteiligen (bei Orig. Cels. 8,68–71), da dies die Auf-
lösung der Ordnung bedeuten würde (vgl. auch Frede 1994 [*1074: 5212]). Kelsos
darf sicherlich als Repräsentant eines vorrangig an metaphysisch-theologischen

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668 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Dogmen interessierten Platonismus gelten, auch wenn Merlan 1954 [*1064: 962f.]
und de Vogel 1983 [*87: 290] dem Gelehrten Kelsos den Rang eines Philosophen
oder auch Theologen strikt absprechen.
Der Titel seines Werks ‹Wahre Lehre› (Ἀληθὴς λόγος) verweist (Wifstrand
1941/42 [*1062: 396–402]) auf die auch Kelsos’ ungefährem Zeitgenossen Nu­
menios (fr. 1a des Places; evtl. auch Kronios) bekannte Anschauung, nach der sich
bei unterschiedlichen alten Völkern wie Ägyptern, Babyloniern, Persern oder
­Indern eine überzeitliche Urwahrheit gezeigt habe, die bis in die Gegenwart bei
einzelnen, wie etwa Heraklit, Homer, Orpheus, Pythagoras, Zoroaster und auch
Platon, wieder offenbar geworden sei (bei Orig. Cels. 1,5. 14. 16; 4,36; 6,1. 3. 10.
12–13. 42. 80; 7,28. 58; 8,28; siehe Frede 1994 [*1074: 5192–5196]). Anders als Nu-
menios (ebd.) rechnet Kelsos die Juden gerade nicht zu den Trägern des alten und
verehrungswürdigen Logos (siehe 1,14, dazu Lona 2005 [*1079: 45]). Kelsos zitiert
dabei (ebd. 6,15), dem Usus der zeitgenössischen Platoniker entsprechend, Platons
‹Gesetze› (715e–716a) und den ‹Siebten Brief› (Epist. 7, 342a–b), wenn er sich auf
diesen alten Logos bzw. diese «alte Lehre» (παλαιὸς λόγος) bezieht (bei Orig.
Cels. 6,9; siehe Bader 1940 [*1042: 2f.]). Die Christen dürfen deshalb keinen Wahr-
heitsanspruch auf ihre Lehren erheben, da sie sich Kelsos zufolge trotz klarer Ab-
hängigkeit von der alten Wissenstradition nicht in diese einreihen wollen (Cels.
8,2; vgl. ebd. 3,5–15; 4,31; ferner 2,4; 5,33, dazu Baltes 1999 [*1077: 386]). Mit dem
Titel ‹Wahre Lehre› akzentuiert Kelsos also deutlich den impliziten, auf Alter und
Tradition gegründeten Wahrheitsanspruch seiner (platonischen) Philosophie, von
dem nun die modische, unphilosophische christliche Lehre abgegrenzt werden
soll (Andresen 1955 [*1065: 51]). Wohl aus der jüdischen anti-christlichen Polemik
kommen die gegen christliche Argumente formulierten Einwände, die Kelsos vor
allem im ersten Hauptteil (1,28–2,79, dazu Lona 2005 [*1079: 24f.]) fast immer der
Figur eines fiktiven Juden in den Mund legt (Ethopoiie). Es sind dies vor allem
Einwände gegen die christliche Lehre von Jesus als Gottes Sohn (Merlan 1954
[*1064: 958, 960]). Es handelt sich stets um Argumente gegen christ­liche Lehren,
die von gelehrter platonischer Warte aus und unter Verwendung von repräsenta-
tiven und im zeitgenössischen Platonismus besonders beliebten Referenztexten
aus Platons Werk (etwa Epist. 2 und 7; Apol., Leg., Phdr., Phaed., Tim., Rep., Krit.)
formuliert werden (Lona 2005 [*1079: 43f.], Cornavaca 2010 [*1080]). Dabei
nimmt Kelsos nicht in Anspruch, neue Lehren zu formulieren, vielmehr betont er,
sich stets Ansichten von Vorgängern anzuschließen (bei Orig. Cels. 4,14), stellt sich
damit also als orthodoxen Vertreter in der Auslegung der alten Urweisheit dar
(vgl. auch Cels. 6,1. 3. 10. 13; zum Altertums- und Geschichtsverständnis des Kel-
sos Frede 1994 [*1074: 5201–5203]).

2. Metaphysik, Theologie und Prinzipienlehre

Die auf den metaphysischen Grundlagen der kaiserzeitlichen Platon-Interpre-


tation beruhende Theologie des Kelsos ist im Vergleich zu der anderer Mittelpla-
toniker überraschend (v. a. Cels. 4,82–85): Kelsos beschreibt den höchsten Gott

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§ 72. Kelsos (von Alexandrien?) (Bibl. 704–705) 669

ganz mittelplatonisch in seiner unendlichen Gutheit in Anlehnung an Platons


U­mschreibung der Idee des Guten (Rep. 509b) als unveränderlich, jenseits aller
Veränderlichkeit der Welt, thronend in Ruhe (bei Orig. Cels. 4,14). In einem ein-
schlägigen Passus (ebd. 7,45 = Dörrie, Baltes 1996 [*8: IV 329–332]) legt er die ent-
sprechenden Begrifflichkeiten aus bekannten Passagen aus Platons Œuvre (etwa
Phdr. 246d–e; Rep. 381b–c; Polit. 269d; Phaed. 78c) zugrunde (Andresen 1955
[*1065: 299]). Obgleich Kelsos ganz der platonischen Tradition verpflichtet (z. B.
Tim. 27dff.) einen Bereich des Intelligiblen als Sphäre des reinen und echten Seins
von dem des Werdens und des sinnlich Wahrnehmbaren absetzt und den höchs-
ten Gott wie Alkinoos (Did. 164,6ff.), Apuleius (Plat. 1,5) oder Maximos (Diss.
11,8f.) in Erläuterung der negativen Theologie aus dem ‹Timaios› Platons (28c3–
5) als «unaussprechlich» (ἄρρητος) bezeichnet (bei Orig. Cels. 7,43. 45; vgl. 6,65),
dem man sich methodisch über die ‘via negationis’, ‘via eminentiae’ und ‘via ana-
logiae’ nähern könne (ebd. 7,42; vgl. Alkin. Did. 165,14ff.), so weist das Gottesver-
ständnis des Kelsos doch einige Besonderheiten auf (Whittaker 1969 [*847] und
1983 [*1025]): Zum einen nennt er ihn ganz im Sinne einer negativen Theologie
«Jenen» (ἐκεῖνος; vgl. auch ebd. 6,3; 6,6; 7,42), zum anderen betont er in Anleh-
nung an Plat. Epist. 7, 341c–d, «Jener» sei nicht durch den Nous und sein «Denk-
vermögen» (νόησις), sondern nur durch eine «gewisse unaussprechliche Kraft er-
fassbar» (ebd. 7,45a: ἀρρήτῳ τινὶ δυνάμει νοητός). Hatte Alkinoos (Did. 164,10)
den ersten Gott als ersten Nous als intellektuell erfassbar beschrieben und Maxi-
mos ihn mittelplatonisch generell als den höchsten Nous bezeichnet (Diss. 11,8),
hebt Kelsos hervor, dass «Jener» nicht der göttliche Intellekt selbst, sondern viel-
mehr «ursächlich» (αἴτιος) dafür sei, dass der Nous verstehen könne (Cels. 7,45).
Mit Bezug auf Plat. Tim. 28c beschreibt er den höchsten Gott als «Vater» (Cels.
7,42). Diese fast formelhaften Darlegungen des Kelsos basieren zum größten Teil
begrifflich und gedanklich auf dem Sonnengleichnis Platons (Rep. 507a1–509d4),
dessen Bildlichkeit hier systematisch verkürzt wird. Kelsos kombiniert dieses Bild
mit der für die ontologische Lokalisierung der Idee des Guten viel diskutierten
Wendung Platons «über das Sein hinaus» (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας: Rep. 509b9; siehe
Andresen 1955 [*1065: 292–294]), die zum Beispiel Alkinoos bei seiner theologi-
schen Konzeption des Nous nicht berücksichtigt hatte (Did. 164,7ff.), und erklärt
«Jenen» als entsprechend transzendenten, dem Bereich des Werdens völlig entho-
benen, daher nicht mit dem Demiurgen-Nous identifizierbaren höchsten Gott (vgl.
dagegen Numenios, der zwar den Ersten Gott mit dem Guten identifiziert, ihn
aber noch als «Prinzip des Seins» (ἀρχὴ οὐσίας) ansieht: Numen. fr. 16 des Places;
vgl. aber fr. 2 des Places). Insofern postuliert Kelsos also einen für den vor-ploti-
nischen Platonismus ungewöhnlich transzendenten Gott im Kontext einer in sich
geschlossenen Theologie (Dörrie 1967 [*1066: 47f.] und 1975 [*1067: 123–130],
Ullmann 1976 [*1068], Lona 2005 [*1079: 45–49, 412–415]). Während Andresen
1955 [*1065: 292–307] die Originalität des Kelsos gerade in der Gotteskonzeption
hervorhebt, wird diese von Borret 1976 [*1043: V 154] bezweifelt, der Kelsos mit
dem Verdikt des Eklektizismus belegt, da er stoische Elemente integriere. Da der
höchste Gott bei Kelsos nicht in die Sphäre des Werdens involviert, vielmehr klar
davon separiert ist (Cels. 4,52. 54), muss er offenbar zwischen dem höchsten Gott

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670 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

und dem Schöpfer der Welt, dem Demiurgen, unterscheiden. Möglicherweise dif-
ferenziert er sogar drei Götter: den höchsten transzendenten Gott, den göttlichen
Nous und den Kosmos, wie es für Numenios bezeugt ist (Cels. 5,7; Numen. bei
Prokl. In Tim. I,303,27ff. Diehl = fr. 21 des Places; Numen. bei Eus. Praep. ev.
11,18). Ob Kelsos damit im Grunde Plotin vorwegnehmend eine Abfolge von
­Hypostasen aus dem höchsten Gott heraus seinen Ausführungen zugrunde legt,
bedarf künftig weiterer Überprüfung (so Frede 1994 [*1074: 5208]; eher skeptisch
Lona 2005 [*1079: 66f.]). Ein solch transzendenter ferner Gott stünde in Gegen-
satz zu der von den Christen propagierten Gottebenbildlichkeit des Menschen
(Cels. 6,63). Kelsos wendet sich als Platoniker nicht nur gegen das anthropomor-
phe Gottesbild der Christen, sondern auch gegen eine vermeintlich privilegierte
Stellung des Menschen im Kosmos (ebd. 6,60–62 und 4,74. 99, siehe Frede 1994
[*1074: 5211]). Neben Gott als erstem und höchstem Prinzip befasst sich Kelsos,
soweit erkennbar, mit dem Prinzip der Materie, die er als metaphysischen Gegen-
pol zu Gott ansieht, ein Kontrastverhältnis, das bereits die alte Mythologie, frei-
lich allegorisch, beschreibe (ebd. 6,42). Eng mit der Problematik der Prinzipiali-
tät der Materie ist die Frage nach dem Ursprung des Bösen verbunden (ebd.
4,52b–65, siehe Andresen 1955 [*1065: 65–68, 295f.]). Kelsos vertritt den mittel-
platonisch orthodoxen Standpunkt, der gute Gott könne nicht Ursache des Bösen
in der Welt sein, da er das Gute schlechthin sei (Cels. 4,65,1ff.). Die Materie als
kosmologisches Prinzip selbst beinhaltet das Böse (ebd.). Die Welt der Materie ist
ständigem Wandel unterworfen, bereits vor der Schöpfung ist die präexistente Ma-
terie in unaufhörlicher ungeordneter Bewegung (ebd. 4,60f. 66; 6,42). Wie der
Gott, als das Gute, unveränderlich gut ist, so ist die Materie, das Böse, unverän-
derlich böse (ebd. 4,69,3f.). Es handelt sich also um zwei voneinander unabhän-
gige metaphysische Konstanten. Auch wenn Kelsos offenbar nicht von der Exis-
tenz einer bösen Weltseele ausgeht, zeigt sich bei ihm ein strenger metaphysischer
Dualismus, der somit jeglichen Einfluss des spätestens seit Eudoros greifbaren
kaiserzeitlichen ‘pythagoreischen’ Monismus ausschließt (vgl. die Berichte des
Alexander Polyhistor und des Sextus Empiricus; siehe Frede 1994 [*1074: 5204f.]).
Kelsos erklärt jedoch nicht das Problem des sittlich-moralisch Bösen, greift auch
nicht auf eine mögliche Lösung durch Einbeziehung der menschlichen Willens-
freiheit zurück (Andresen 1955 [*1065: 67]).

3. Dämonenlehre

Kelsos geht in seiner Dämonenlehre, soweit sie aus Origenes’ Widerlegung


kenntlich wird, von guten und bösen Dämonen aus (Cels. 4,24). Die niederen, ir-
dischen Dämonen sind, da völlig ins Materielle involviert, gefährlich (ebd. 8,60).
Aus diesem Grunde dürfe man sie nicht verehren (ebd. 8,60,1–3). Hier erklärt Kel-
sos eine zeitgenössische Auffassung als ‘alte’ Lehre (Andresen 1955 [*1065: 302]).
Sein Widerwille gegen alles Erdhaft-Materielle belegt einmal mehr Kelsos’ dua-
listische Weltsicht (Andresen 1955 [*1065: 62f.]). Die guten, in den höheren Regi-
onen des Kosmos bei den Sternen wohnenden Dämonen scheint Kelsos mit den

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§ 72. Kelsos (von Alexandrien?) (Bibl. 704–705) 671

«Engeln» gleichzusetzen, von denen seine jüdischen (vgl. ebd. 5,6) wie christlichen
Gegner sprechen (ebd. 4,24; 5,2). Offenbar interpretiert er die Engel oder guten,
höheren Dämonen als göttliche Boten oder Verwalter im Sinne einer göttlichen
Vorsehung (ebd. 7,68; 8,33. 63. 65). Insgesamt wird deutlich, dass Kelsos Götter
und Dämonen strikt voneinander sondert und diese Trennung in einer hierarchi-
schen Abfolge von Göttern, Dämonen und Menschen abbildet (ebd. 2,17), die an
mehreren Stellen durchaus weiter differenziert wird (z. B. ebd. 8,2; ferner 7,62. 68;
8,30; dazu Frede 1994 [*1074: 5209f.]).

4. Kosmologie

In der im Mittelplatonismus viel diskutierten Frage (z.  B. auch bei Plutarch,


­ ttikos, Tauros) nach der Entstehung und Vergänglichkeit oder Unvergänglichkeit
A
der Welt bietet Kelsos an unterschiedlichen Stellen (so zumindest bei Origenes) di-
vergierende Ansätze, ohne dabei in eindeutiger Weise zu differenzieren oder Stel-
lung zu beziehen: Während er in 4,79 die Welt als ungeworden und ewig bezeichnet,
ist sie in 6,47 aus Gott entstanden, aber unvergänglich, und in 6,52 ist sie geworden
und vergänglich (Andresen 1955 [*1065: 276–291], Frede 1994 [*1074: 5206], der je-
doch Kelsos als Anhänger der Lehre von der Ewigkeit der Welt sehen will). Mög-
lich ist, dass sich Kelsos nicht in die Problematik einer differenzierten Diskussion
begeben wollte, da ihm dies keine neuen Argumente gegen Juden und Christen ge-
boten hätte (so Lona 2005 [*1079: 45f.]). Vor diesem eigenwilligen, letztlich freilich
platonischen Hintergrund wird seine Polemik gegen das teleologische Geschichts-
verständnis der Christen besser verständlich (vgl. Andresen 1955 [*1065: 306f.]).

5. Seelenlehre

Soweit aus Origenes’ Text ersichtlich, vertritt Kelsos eine recht orthodoxe mit-
telplatonische Seelenlehre: Während der menschliche Körper als materiell dem
Verfall geweiht ist, ist die Seele im Wesentlichen von Gott geschaffen und unsterb-
lich (ebd. 4,58f.; 5,14; 7,28). Intensiver beschäftigt sich Kelsos mit der Frage,
warum Seelen eingekörpert und im Körper in Kerkerhaft gehalten werden (ebd.
8,53). Er bietet mehrere Lösungsvorschläge an: Entweder dient dies der Verwal-
tung des Kosmos oder die Einkörperung der Seele ist als eine Bestrafung für frü-
here Vergehen anzusehen, oder aber Leidenschaften und Lüste machen die Seele
schwer und senken sie in Körper ab. Nach einem Reinigungsprozess und der Be-
freiung von der körperlichen Materie kann die Seele aber zu ihrem eigentlichen
Zustand und Ursprung zurückkehren (ebd. 8,53; siehe auch 1,8; 8,49. 63 sowie
7,23; dazu Frede 1994 [*1074: 5210f.]).

Insgesamt beweist Kelsos große Offenheit darin, stoische Philosopheme in


seine eigenen philosophischen Überzeugungen zu integrieren. So verwendet er
z. B. stoische Formulierungen in durchaus nicht-stoischem Sinne, wie «göttliche

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672 VI. Mittelplatonismus und Neupythagoreismus

Vorstellungen» (θεῖαι ἔννοιαι: 4,88; vgl. auch die Gegenüberstellung von Zenon
und Jesus, ebd. 5,20; dazu Bader 1940 [*1042: 21], Andresen 1955 [*1065: 72–78,
304f.], Lona 2005 [*1079: 44f.]), erwähnt jedoch kein einziges Mal Aristoteles oder
irgendeine peripatetische Anschauung. In dieser Hinsicht zumindest steht er zeit-
genössischen Platonikern wie etwa Tauros, Numenios oder auch Attikos nahe
(Frede 1994 [*1074: 5198]).

3. NACHWIRKUNG

Eine eindeutige Nachwirkung der ‹Wahren Lehre› des Kelsos ist, da kaum zwei-
felsfrei nachweisbar, in der Forschung bis heute umstritten und harrt einer intensi-
ven Bearbeitung. Vor allem die ältere französische Forschung ist durch die Arbei-
ten von Schwartz und Vermander geprägt, die allein aufgrund thematischer
Parallelen Autoren wie Theophilos von Antiochien, Minucius Felix, Tertullian und
weitere mehr zur ‹Wahren Lehre› des Kelsos in Bezug setzen wollten und zu einer
Art ‘Pancelsismus’ im Zeitraum von 1960 bis 1978 beigetragen haben (mit Litera-
turangaben Lona 2005 [*1079: 67]; ähnlich Hauck 1985/86 [*1071]). Bislang lassen
sich zwar zahlreiche Vermutungen anführen, aber keine sicheren Evidenzen dafür
beibringen, dass andere pagane oder christliche Autoren die ‹Wahre Lehre› des
Kelsos gekannt hätten. Der berühmte philosophisch gebildete Arzt Galen, ein un-
gefährer Zeitgenosse des Kelsos, formuliert beispielsweise in einem in arabischer
Sprache erhaltenen Fragment denselben Vorwurf wie Kelsos, die Christen wollten
eine neue Philosophie etablieren, lehnten aber philosophische Methoden wie etwa
die Dialektik ab (Walzer 1949 [*1063: 15]; vgl. Galen. De diff. puls. 2,4, VIII,579
K; siehe auch Frede 1994 [*1074: 5197f.]). Plausibel ist die Vermutung, einige der
späteren Neuplatoniker, etwa Porphyrios und Julian, die ebenfalls christenfeind­
liche Schriften verfassten, hätten Kenntnis von Kelsos gehabt (optimistisch Keim
1881 [*1056: 258]; vorsichtiger Loesche 1884 [*1057: 269–301], Pichler 1980 [*1070:
60–62]; Forschungsüberblick bei Lona 2005 [*1079: 67–69]; zu Julian Boulnois 2014
[*1082]). Möglicherweise spielt Sossianos Hierokles mit dem Titel seiner ‹Der
Wahrheit verpflichteten Lehren› (λόγοι φιλαλήθεις) auf den Titel von Kelsos’ Werk
an (Neumann 1899 [*1058: 1885]). Eine indirekte Überlieferung von Origenes’
‹Contra Celsum› findet sich in der dicht überlieferten ‹Philokalia›, einer von Basi-
leios und Gregor von Nazianz erstellten Anthologie von Origenes-Texten (dazu
Bader 1940 [*1042: 5f.], Lona 2005 [*1079: 11f.]), in der auch Spuren und Fragment-
splitter der Philosophie des Kelsos enthalten sind.

06_1 Mittelplatonismus Neupythagoreismus P48-P72.indd 672 25.09.18 09:27


673

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102 C. Brittain: Middle Platonists on Academic tonisme moyen, in: Aitia II. Avec ou sans
Scepticism, in: Sharples, Sorabji 2007 [*50: II Aristote. Le débat sur les causes à l’âge hellé-
297–315]. nistique et impérial, édité par C. Natali, C.
Viano (Louvain-la-Neuve 2014) 185–205.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 676 25.09.18 09:27


Eudoros 677
116 A. Michalewski: La puissance de l’intelligible. F. M. Petrucci: L’esegesi e il commento di Pla-
La théorie plotinienne des Formes au miroir de tone (a partire dall’esegesi della cosmogonia
l’héritage médioplatonicien (Leuven 2014) del Timeo), 295–320.
[Ancient and Medieval Philosophy, Series 1, 51]. F. Ferrari: Metafisica e teologia nel mediopla-
117 J. Opsomer: The Middle Platonic Doctrine of tonismo, 321–337.
Conditional Fate, in: Fate, Providence and M. Bonazzi: La teoria della conoscenza nel
Moral Responsability in Ancient, Medieval medioplatonismo, 339–357.
and Early Modern Thought. Studies in Hon­ A. Linguiti: L’etica medioplatonica, 359–379.
our of Carlos Steel, edited by P. D’Hoine, G. A. Timotin: La démonologie médio-platoni-
van Riel (Leuven 2014) 137–167. cienne, 381–398.
118 G. Reydams-Schils, F. Ferrari: Middle Plato- B. Centrone: Medioplatonismo e neopitago-
nism and its Relation to Stoicism and the Peri- rismo: un confronto difficile, 399–423.
patetic Tradition, in: The Routledge Handbook R. Chiaradonna: Medioplatonismo e aristote-
of Neoplatonism, edited by P. Remes, S. Sla- lismo, 425–446.
veva-Griffin (London, New York 2014) 40–51. M. Vegetti: Galeno, il ‘divinissimo’ Platone e
119 M. Bonazzi: À la recherche des Idées. Plato- i Platonici, 447–471.
nisme et philosophie hellénistique (Paris 2015). M. Zambon: Il confronto tra cristiani e plato-
120 Sistema, tradizioni, esegesi. Il medioplato- nici nel II–III secolo, 473–488.
nismo, a cura di M. Bonazzi, P. Donini, F. 121 C. S. O’Brien: The Demiurge in Ancient
Ferrari (Milano 2015) [Numero monografico Thought. Secondary Gods and Divine Medi-
di RSF 70]. – Enthält: ators (Cambridge 2015).

Eudoros

Leben und Werk 151 A.-J. Festugière: La révélation d’Hermès Tris-


mégiste. IV: Le dieu inconnu et la gnose
136 E. Martini: Eudoros (10) von Alexandrien, in: (Paris 1954).
RE VI 1 (1907) 915–916. 152 A. N. Zoubos: Εὐδῶρος ὁ Ἀλεξανδρεύς, in:
137 H. Dörrie: Der Platoniker Eudoros von Alex- Ἀθηνᾶ 62 (1958) 194–203.
andreia, in: Hermes 79 (1944) 25–39. – Wie- 153 P. Boyancé: Philon d’Alexandrie selon le P.
der in: Dörrie 1976 [*23: 297–309]. Daniélou, in: REG 72 (1959) 377–384.
154 J. M. Rist: The Neoplatonic One and Plato’s
‹Parmenides›, in: TAPhA 93 (1962) 389–401.
Fragmente, Testimonia, Übersetzung 155 P. Boyancé: Études philoniennes, in: REG 76
(1963) 64–110. – Unter dem Titel ‹Philon-Stu-
143 C. Mazzarelli: Raccolta e interpretazione dien› wieder in: Zintzen 1981 [*28: 33–51].
delle testimonianze e dei frammenti del me- 156 M. Giusta: I Dossografi di Etica, I–II (Torino
dioplatonico Eudoro di Alessandria. Parte 1964–1967).
prima: testo e traduzione delle testimonianze 157 W. Theiler: Philo von Alexandria und der Be-
e dei frammenti sicuri, in: Rivista di filosofia ginn des kaiserzeitlichen Platonismus, in: Pa-
neo-scolastica 77 (1985) 197–209; Parte se- rusia. Studien zur Philosophie Platons und
conda: testo e traduzione delle testimonianze zur Problemgeschichte des Platonismus. FS
non sicure, in: ebd. 535–555. Johannes Hirschberger, herausgegeben von
K. Flasch (Frankfurt a. M. 1965) 199–218.
158 F. W. Kohnke: Das Bild der echten Münze bei
Sekundärliteratur Philon von Alexandria, in: Hermes 96 (1968)
583–590.
149 H. Alline: Histoire du texte de Platon (Paris 159 P. Moraux: Eine Korrektur des Mittelplatoni-
1915). kers Eudoros zum Text der Metaphysik des
150 B. P. Grenfell, A. S. Hunt: The Oxyrhynchus Aristoteles, in: Beiträge zur Alten Geschichte
Papyri XIII (London 1919). und deren Nachleben. FS Franz Altheim,

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 677 25.09.18 09:27


678 Bibliographie zum sechsten Kapitel

­ erausgegeben von R. Stiehl, H. E. Stier (Ber-


h Universität Mannheim, herausgegeben von H.
lin 1969) 492–504. J. Horn (St. Katharinen 2002) 1–7.
160 H. Dörrie: Die Erneuerung des Platonismus 175 M. Bonazzi: Un dibattito tra Accademici e
im ersten Jahrhundert vor Christus, in: Le Platonici sull’eredità di Platone: la testimo­
Néoplatonisme. Colloque international du nianza del commentario anonimo al ‹Tee-
CNRS (Royaumont, 9–13 juin 1969) (Paris teto›, in: Papiri filosofici. Miscellanea di studi
1971) 17–33. – Wieder in: Dörrie 1976 [*23: IV (Firenze 2003) 41–74.
154–165]. 176 M. Bonazzi: Eudoro di Alessandria alle ori-
161 G. Calvetti: Eudoro di Alessandria: medio- gini del platonismo imperiale, in: L’eredità
platonismo e neopitagorismo nel I secolo a. platonica. Studi sul platonismo da Arcesilao
C., in: Rivista di filosofia neo-scolastica 69 a Proclo, a cura di M. Bonazzi, V. Celluprica
(1977) 3–19. (Napoli 2005) [Elenchos 45] 115–160.
162 J. M. Dillon: Eudoros und die Anfänge des Mit- 177 M. Bonazzi: Eudorus of Alexandria and Early
telplatonismus, in: Zintzen 1981 [*28: 3–32]. Imperial Platonism, in: Sharples, Sorabji
163 W. Theiler: Philo von Alexandria und der hel- 2007 [*50: II 365–377].
lenisierte Timaeus, in: Zintzen 1981 [*28: 52– 178 R. Chiaradonna: Autour d’Eudore: Les dé-
63]. buts de l’exégèse des ‹Catégories› dans le
164 G. Iaksetich: Eudoro e la Metafisica di Aris- moyen platonisme, in: The Origins of the Pla-
totele, in: Quaderni di filologia classica tonic System: Platonisms of the Early Empire
dell’Università di Trieste 4 (1983) 25–30. and their Philosophical Contexts, edited by
165 P. Moraux: Eudoros von Alexandrien, in: Mo- M. Bonazzi, J. Opsomer (Louvain 2009)
raux 1984 [*31: 509–527]. [Collection d’études classiques 23] 89–111.
166 L. M. Napolitano: Il platonismo di Eudoro: 179 G. Staab: Das Kennzeichen des neuen Py­
tradizione protoaccademica e medioplato- thagoreismus innerhalb der kaiserzeitlichen
nismo alessandrino, in: Museum Patavinum 3 Platoninterpretation: “Pythagoreischer” Du-
(1985) 27–49. alismus und Einprinzipienlehre im Einklang,
167 L. M. Napolitano: Eudoro di Alessandria: in: The Origins of the Platonic System. Plato-
monismo, dualismo, assiologia dei principi nisms of the Early Empire and their Philo­
nella tradizione platonica, in: Museum Pata- sophical Contexts, edited by M. Bonazzi,
vinum 3 (1985) 289–312. J. Opsomer (Louvain 2009) [Collection
168 J. Rist: Rezension zu Tarrant 1985 [*32], in: d’études classiques 23] 55–88.
Phoenix 40 (1986) 467–469. 180 M. Bonazzi: Il platonismo nel secondo libro
169 J. Mansfeld: Compatible Alternatives: Middle dell’‹Anthologium› di Stobeo. Il problema di
Platonist Theology and the Xenophanes Re- Eudoro, in: Thinking through Excerpts. Stu-
ception, in: Knowledge of God in the Greco- dies on Stobaeus, edited by G. J. Reydams-
Roman World, edited by R. van den Broek, T. Schils (Turnhout 2011) [Monothéismes et
Baarda, J. Mansfeld (Leiden 1988) [EPRO philosophie] 441–456.
112] 92–117. 181 Aristotle, Plato and Pythagoreanism in the
170 E. N. Ostenfeld: Early Pythagorean Princi­ First Century BC. New Directions for Philo-
ples: Peras and Apeiron, in: Ionian Philoso- sophy, edited by M. Schofield (Cambridge
phy, edited by K. J. Boudouris (Athens 1989) 2013).
304–311. 182 M. Bonazzi: Pythagoreanising Aristotle: Eu-
171 J. Dillon: Eudore d’Alexandrie, in: DPhA III dorus and the Systematisation of Platonism,
(2000) 290–293. in: Schofield 2013 [*181: 160–186].
172 M. Bonazzi: Eudoro di Alessandria e il 183 R. Chiaradonna: Platonist Approaches to
‹Timeo› di Platone (a proposito di Simpl. ‹In Aristotle: from Antiochus of Ascalon to Eu-
Phys.›, p. 181,7–30 Diels), in: Hyperboreus 8 dorus of Alexandria (and beyond), in: Scho-
(2002) 159–179. field 2013 [*181: 28–52].
173 M. Bonazzi: Eudoro e il Timeo di Platone, in: 184 A. Michalewski: The Reception of Aristotle
Calabi 2002 [*95: 11–34]. in Middle Platonism: From Eudorus of Alex-
174 H. J. Horn: Jakobs Traum – Zu Eudoros und andria to Ammonius Saccas, in: Brill’s Com-
Philon, in: Jakobs Traum – Zur Bedeutung der panion to the Reception of Aristotle in
Zwischenwelt in der Tradition des Platonismus: Antiquity, edited by A. Falcon (Leiden, Bos-
Vorträge eines fachübergreifenden Kolloqui- ton 2016) [Brill’s Companions to Classical
ums am Seminar für Klassische Philologie der Reception 7] 218–237.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 678 25.09.18 09:27


Thrasyllos 679

Derkylides

Leben und Werk Sekundärliteratur

189 W. Kroll: Derkylides (2), in: RE V 1 (1905) 196 C. J. de Vogel: Problems Concerning Later
242. Platonism II, in: Mnemosyne 2 (1949) 299–
190 J. Dillon: Dercyllidès, in: DPhA II (1994) 318.
747–748.

Thrasyllos

Leben und Werk Wieder in: Ders.: Platonism and its Christian
Heritage (London 1985) Kap. II.
201 K. F. Hermann: De Thrasyllo grammatico et 210 R. Pfeiffer: History of Classical Scholarship I
mathematico (Göttingen 1853). (Oxford 1968).
202 W. Gundel: Thrasyllos (7), in: RE VI A 1 211 A. D’Alessandro: Cronologia e formazione
(1936) 581–584. culturale di Democrito, in: Annali della Fa-
coltà di lettere e Filosofia di Bari 18 (1975)
89–106.
Sekundärliteratur 212 M. Dunn: Iamblichus, Thrasyllus and the
Reading Order of the Platonic Dialogues, in:
203 H. Usener: Unser Platontext, in: NAGW Nr. The Significance of Neoplatonism, edited by
2 (1892) 25–50 und Nr. 6 (1892) 181–215. – R. B. Harris (Norfolk 1976) [Studies in Neo-
Wieder in: Ders.: Kleine Schriften III, her- platonism 1] 59–80.
ausgegeben von L. Radermacher et al. 213 H. Dörrie: La manifestation du logos dans la
(Leipzig 1914) 104–162. création. Quelques remarques à propos d’une
204 U. von Wilamowitz-Moellendorff: Platon II contribution du platonicien Thrasyllos à la
(Berlin 1920). théorie des idées, in: Néoplatonisme. Mé­
205 C. Cichorius: Römische Studien. Histori- langes offerts à Jean Trouillard (Fontenay-
sches, Epigraphisches, Literargeschichtliches aux-Roses 1981) 141–157.
aus vier Jahrhunderten Roms (Leipzig 1922). 214 H. Tarrant: Middle Platonism and the Se-
206 A. H. Krappe: Tiberius and Thrasyllus, in: venth Epistle, in: Phronesis 28 (1983) 75–103.
AJPh 48 (1927) 359–366. 215 H. Tarrant: Thrasyllan Platonism (Ithaca NY,
207 R. G. Hoerber: Thrasyllus’ Platonic Canon London 1993).
and the Double Titles, in: Phronesis 2 (1957) 216 J. Mansfeld: Prolegomena. Questions to be
10–20. Settled before the Study of an Author, or a
208 A.-H. Chroust: The Organization of the Cor- Text (Leiden, New York 1994) [PhA 61].
pus Platonicum in Antiquity, in: Hermes 93 217 C. M. Lucarini: Osservazioni sulla prima cir-
(1965) 34–46. colazione delle opere di Platone e sulle ‹Tri-
209 J. Rist: Neopythagoreanism and Plato’s Sec­ logiae› di Aristofane di Bisanzio (D. L.
ond Letter, in: Phronesis 10 (1965) 78–81. – 3,56–66), in: Hyperboreus 16/17 (2010/11)
346–361.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 679 25.09.18 09:27


680 Bibliographie zum sechsten Kapitel

Plutarch von Chaironeia

Ausgaben 240 Plutarco: La generazione dell’anima nel


‹Timeo›. Introduzione, testo critico, tradu­
zione e commento a cura di F. Ferrari, L.
Baldi (Napoli 2002) [Corpus Plutarchi Mora-
Ausgabe des gesamten Corpus der ‹Moralia›
lium 37].
223 Plutarchi Moralia, recensuerunt et emenda- 241 Plutarch: Dialog über die Liebe, Amatorius,
verunt W. R. Paton, I. Wegehaupt, M. Pohlenz eingeleitet, übersetzt und mit interpretieren-
et al. (Leipzig 1925ff.) [BT]. den Essays versehen von H. Görgemanns, B.
224 Plutarch: Moralia, edited by F. C. Babbitt, W. Feichtinger, F. Graf, W. Jeanrond, J. Opsomer
C. Helmbold, P. H. De Lacy, B. Einarson et (Tübingen 2006, 22010) [SAPERE 10].
al., I–XVI (Cambridge MA, London 1927– 242 Plutarco: Frammenti, a cura di P. Volpe Cac-
2004) [LCL 197, 222, 245, 305–306, 321, 337, ciatore (Napoli 2007, 22010) [Strumenti per la
405–406, 424–429, 470, 499]. ricerca plutarchea 6].
225 Plutarque: Œuvres Morales, édité par P. 243 Plutarco: Il volto della luna. Introduzione,
Raingeard, J. Defradas, R. Flacelière et al. testo critico, traduzione e commento a cura di
(Paris 1935ff.) [CUF]. – Beinahe vollständig. P. L. Donini (Napoli 2011) [Corpus Plutarchi
226 Corpus Plutarchi Moralium, a cura di I. Gallo Moralium 48].
et al. (Napoli 1988ff.). – Noch nicht abge- 244 Plutarch: De E apud Delphos – Über das
schlossen (im Folgenden einzeln aufgeführt). Epsi­lon am Apolltempel in Delphi. Einfüh-
rung, Ausgabe und Kommentar von H. Ob-
sieger (Stuttgart 2013) [Palingenesia 101].
Ausgaben einzelner Werke
245 Plutarco: Il demone di Socrate. Introduzione,
232 Plutarque: De la musique. Texte, traduction et testo critico, traduzione e commento di P. L.
commentaire par F. Lasserre (Olten, Lau- Donini (Roma 2017).
sanne 1954) [Bibliotheca Helvetica Romana
1].
233 Plutarque: De la vertu éthique. Introduction, Sekundärliteratur
texte, traduction et commentaire par D.
Babut (Paris 1969).
234 Plutarch’s De Iside et Osiride, edited with an
Leben und Schriften
Introduction, Translation and Commentary
by J. G. Griffiths (Cardiff 1970). 251 K. Ziegler: Plutarchos von Chaironeia, in: RE
235 Plutarchs Schrift De Pythiae oraculis. Text, XXI 1 (1951) 636–962.
Einleitung und Kommentar von S. Schröder 252 C. P. Jones: Towards a Chronology of
(Stuttgart 1990) [BzA 8]. Plutarch’s Works, in: JRS 56 (1966) 61–74.
236 Plutarque: Opinions des Philosophes. Texte 253 M.-A. Zagdoun: Plutarque à Delphes, in:
établi et traduit par G. Lachenaud (Paris REG 108 (1995) 586–592.
1993) [Œuvres morales 12,2]. 254 S. Swain: Plutarch, Plato, Athens, and Rome,
237 [Ps.-Plutarco:] Il fato. Introduzione, testo cri- in: Philosophia Togata. II: Plato and Aristotle
tico, traduzione e commento, a cura di E. Val- at Rome, edited by J. Barnes, M. Griffin
giglio (Napoli 1993) [Corpus Plutarchi ­(Oxford 1997) 165–187.
Moralium 16]. 255 J. Sirinelli: Plutarque de Chéronée. Un philo-
238 Plutarco: L’eclissi degli oracoli. Introduzione, sophe dans le siècle (Paris 2000).
testo critico, traduzione e commento a cura di 256 Sage and Emperor: Plutarch, Greek Intellec-
A. Rescigno (Napoli 1995) [Corpus Plutarchi tuals, and Roman Power in the Time of Trajan
Moralium 19]. (98–117 A. D.), edited by Ph. Stadter, L. Van
239 Plutarch von Chaironeia: Moralphilosophi- der Stockt (Leuven 2002).
sche Schriften, ausgewählt, übersetzt und he- 257 The Unity of Plutarch’s Work. ‘Moralia’
rausgegeben von H.-J. Klauck (Stuttgart ­Themes in the ‘Lives’, Features of the ‘Lives’
1997). in the ‘Moralia’, edited by A. G. Nikolaidis
(Berlin, New York 2008) [Millenium-Studien
19].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 680 25.09.18 09:27


Plutarch von Chaironeia 681
258 J. Opsomer: M. Annius Ammonius, a Philoso- 278 P. L. Donini: Science and Metaphysics. Plato-
phical Profile, in: The Origins of the Platonic nism, Aristotelianism, and Stoicism in
System. Platonism of the Early Empire and Plutarch’s ‹On the Face in the Moon›, in: Dil-
their Philosophical Contexts, edited by M. lon, Long 1988 [*750: 126–144].
Bonazzi, J. Opsomer (Leuven 2009) [Collec- 279 Aspetti dello stoicismo e dell’epicureismo in
tion d’études classiques 23] 123–186. Plutarco. Atti del II convegno di studi su
259 F. Frazier: Plutarque de Chéronée, in: DPhA Plutarco, a cura di I. Gallo (Ferrara 1988)
Vb (2012) 1096–1185. [Quaderni del Giornale filologico ferrarese
9].
280 M. Isnardi Parente: Il Parmenide di Plutarco,
Allgemeine philosophische Haltung: Platonis-
in: PP 43 (1988) 225–236.
mus, Aristotelismus, Skeptizismus, Stoizismus,
Epikureismus und Tradition 281 Plutarco e le scienze. Atti del IV Convegno
Plutarcheo, a cura di I. Gallo (Genova 1992).
265 R. Miller Jones: The Platonism of Plutarch 282 J. P. Hershbell: Plutarch and Epicureanism,
(Menasha 1916; ND mit einer Einleitung von in: ANRW II 36,5 (1992) 3353–3383.
L. Taran: New York, London 1980). 283 J. P. Hershbell: Plutarch and Stoicism, in:
266 P. H. De Lacy: Plutarch and the Academic ANRW II 36,5 (1992) 3336–3352.
Sceptics, in: CJ 49 (1953–1954) 79–85. 284 M. Isnardi Parente: Plutarco e la matematica
267 H. Dörrie: Zum Ursprung der Neuplatoni- platonica, in: Gallo 1992 [*281: 121–145].
schen Hypostasenlehre, in: Hermes 82 (1954) 285 D. Babut: Du scepticisme au dépassement de
331–342. – Wieder in: Dörrie 1976 [*23: 286– la raison. Philosophie et foi religieuse chez
296]. Plutarque, in: Babut 1994 [*764: 549–581].
268 D. Babut: Plutarque et le Stoïcisme (Paris 286 P. L. Donini: Plutarco e la rinascita del plato-
1969). nismo, in: Lo spazio letterario della Grecia
269 H. Dörrie: Le platonisme de Plutarque, in: antica. I,3: I Greci e Roma, a cura di G. Cam-
Actes du VIIIe Congrès de l’Association biano, L. Canfora, D. Lanza (Roma 1994)
Guillaume Budé (Paris 1969) 519–529. 35–60.
270 H. Dörrie: Die Stellung Plutarchs im Plato- 287 P. L. Donini: Platone e Aristotele nella tradi-
nismus seiner Zeit, in: Philomathes. Studies zione pitagorica secondo Plutarco, in: Pérez
and Essays in the Humanities in Memory of Jiménez, Garcia López, Aguilar 1999 [*289:
P. Merlan, edited by R. B. Palmer, R. Hamer- 9–24].
ton-Kelly (The Hague 1971) 36–56. 288 A. G. Nikolaidis: Plutarch and the Old,
271 J. Whittaker: Plutarch, Platonism and Chris- Middle and New Academies, and the Acad­
tianity, in: Neoplatonism and Early Christian emy in Plutarch’s Day, in: Pérez Jiménez,
Thought. Essays in Honour of A. H. Arm­ Garcia López, Aguilar 1999 [*289: 397–415].
strong, edited by H. J. Blumenthal, R. A. 289 Plutarco, Platón y Aristóteles. Actas del V
Markus (London 1981) 50–63. Congreso Internacional de la I.P.S., editado
272 F. H. Sandbach: Plutarch and Aristotle, in: Il- por A. Pérez Jiménez, J. Garcia López, R. M.
linois Classical Studies 7 (1982) 207–232. Aguilar (Madrid 1999).
273 Miscellanea Plutarchea. Atti del I convegno 290 F. Ferrari: Plutarch: Platonismus und Tradi-
di studi su Plutarco, a cura di F. E. Brenk, I. tion, in: Philosophen des Altertums. Vom
Gallo (Ferrara 1986) [Quaderni del Giornale Hellenismus bis zur Spätantike. Eine Einfüh-
filologico ferrarese 8]. rung, herausgegeben von M. Erler, A. Grae­
274 P. L. Donini: Lo scetticismo academico, Aris- ser (Darmstadt 2000) 109–127.
totele e l’unità della tradizione platonica se- 291 P. L. Donini: L’eredità academica e i fonda-
condo Plutarco, in: Storiografia e dossografia menti del platonismo in Plutarco, in: ΕΝΩΣΙΣ
nella filosofia antica, a cura di G. Cambiano ΚΑΙ ΦΙΛΙΑ. Omaggio a Francesco Romano, a
(Torino 1986) 203–226. cura di M. Barbanti, G. R. Giardina, P. Man-
275 P. L. Donini: Plutarco, Ammonio e l’Academia, ganaro (Catania 2002) 247–273.
in: Brenk, Gallo 1986 [*273: 97–110]. 292 La biblioteca di Plutarco. Atti del IX Con-
276 C. Froidefond: Plutarque et le platonisme, in: vegno plutarcheo, a cura di I. Gallo (Napoli
ANRW II 36,1 (1987) 184–233. 2004).
277 J. Dillon: Plutarch and Platonist Orthodoxy, 293 A. M. Ioppolo: La posizione di Plutarco nei
in: Illinois Classical Studies 13 (1988) 357– confronti dello scetticismo, in: Gallo 2004
364. [*292: 289–310].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 681 25.09.18 09:27


682 Bibliographie zum sechsten Kapitel

294 A. Casanova: Plutarco e l’età ellenistica. Atti Literarische Aspekte und Methode der
del convegno internazionale di studi, a cura di Interpretation
A. Casanova (Firenze 2005).
312 D. Babut: La composition des dialogues py-
295 F. Ferrari: Plutarco e lo scetticismo ellenis-
thiques de Plutarque et le problème de leur
tico, in: Casanova 2005 [*294: 369–384].
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296 D. Babut: L’unité de l’Académie selon
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A Companion to Plutarch, edited by M. Beck ANRW II 36,1 (1987) 350–365.
(Oxford 2014) 104–120. 324 P. L. Donini: I fondamenti della fisica e la teo­
306 J. Opsomer: Plutarch and the Stoics, in: A ria delle cause in Plutarco, in: Gallo 1992
Companion to Plutarch, edited by M. Beck [*281: 99–120].
(Oxford 2014) 88–103. 325 J. Opsomer: L’Âme du monde et l’Âme de
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06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 682 25.09.18 09:27


Plutarch von Chaironeia 683
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struttura della materia in Plutarco, in: MH 53 Dyad, in: Sharples, Sorabji 2007 [*50: II 379–
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331 F. Ferrari: La teoria delle idee in Plutarco, in: 345 Z. Pleše: Plato and Parmenides in Agree-
Elenchos 17 (1996) 121–142. ment: Ammonius’s Praise of God as One-
332 A. Rescigno: ‘Desiderare componi a Deo’: Being in Plutarch’s ‹The E at Delphi›, in:
Attico, Plutarco, Numenio sulla materia Plato’s ‹Parmenides› and its Heritage. I: His-
prima della creazione, in: ΚΟΙΝΩΝΙΑ 21 tory and Interpretation from the Old Acad­
(1997) 39–81. emy to later Platonism and Gnosticism,
333 F. Ferrari: Πρόνοια platonica e νόησις edited by J. D. Turner, K. Corrigan (Atlanta
νοήσεως aristotelica: Plutarco e l’impossi­ 2010) 93–114.
bilità di una sintesi, in: Pérez Jiménez, Garcia 346 F. Ferrari: La psichicità dell’anima del mondo
López, Aguilar 1999 [*289: 63–77]. e il divenire precosmico in Plutarco, in: Plou-
334 F. Ferrari: Trascendenza e immanenza tarchos 9 (2010/11) 15–36.
dell’intellegibile: l’interpretazione plutarchea 347 J. Opsomer: Plutarch on the Division of the
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di Platone nella tradizione antica, a cura di R. Barney, T. Brennan, C. Brittain (Cam-
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335 M. Baltes: La dottrina dell’anima in Plutarco, 348 F. Ferrari: Materia, movimento, anima e
in: Elenchos 21 (2000) 245–270. tempo prima della nascita dell’universo:
336 F. Alesse: La tripartizione dell’uomo nel mito Plutarco e Attico sulla cosmologia del
di Tespesio: la sua origine ‘socratica’ e alcuni ‹Timeo›, in: De l’Antiquité tardive au Moyen
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Plutarch, in: Pérez Jiménez, Casadesús 351 F. M. Petrucci: Plutarch’s Theory of Cosmolo-
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340 F. Ferrari: La trascendenza razionale: il prin- Apeiron 49 (2016) 329–367.
cipio secondo Plutarco, in: Calabi 2002 [*95:
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06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 683 25.09.18 09:27


684 Bibliographie zum sechsten Kapitel

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356 K. Döring: Plutarch und das Daimonion des
371 F. Ferrari: La falsità delle asserzioni relative al
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358 D. Babut: La part du rationalisme dans la re-
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372 F. E. Brenk: In the Image, Reflection and
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Cults, in: Pérez Jiménez, Casadesús Bordoy
359 D. Babut: Le rôle de Cléombrote dans le ‹De
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Plutarco, editado por A. Pérez Jiménez, F.
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Plutarco, editado por M. García Valdés (Ma-
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375 J. Dillon: Plutarch and God: Theodicy and
362 W. Burkert: Plutarco: religiosità personale e
Cosmogony in the Thought of Plutarch, in:
teologia filosofica, in: Gallo 1996 [*363: 11–
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ligion und philosophische Theologie› wieder
edited by D. Frede, A. Laks (Leiden 2002)
in: Ders.: Kleine Schriften. VIII: Philoso-
[PhA 89] 223–237. – Wieder in: Ders.: The
phica, herausgegeben von Th. A. Szlezák,
Platonic Heritage. Further Studies in the His-
K.-H. Stanzel (Göttingen 2008) [Hypomne-
tory of Platonism and Early Christianity
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(Farnham 2012) [CSS 1008] Kap. XII.
363 Plutarco e la religione. Atti del VI Convegno
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plutarcheo, a cura di I. Gallo (Napoli 1996).
liche Gottesbeziehung im Spätwerk
364 C. Moreschini: Religione e filosofia in
Plutarchs, in: Hirsch-Luipold 2005 [*377:
Plutarco, in: Gallo 1996 [*363: 29–48].
111–137].
365 G. Sfameni Gasparro: Plutarco e la religione
377 Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbild –
delfica: il dio «filosofo» e il suo esegeta, in:
Gottesbilder – Weltbilder, herausgegeben von
Gallo 1996 [*363: 157–188].
R. Hirsch-Luipold (Berlin, New York 2005)
366 F. E. Brenk: Plutarch, Judaism and Christia-
[RVV 54].
nity, in: Studies in Plato and the Platonic Tra-
378 F. Frazier: Philosophie et religion dans la pen-
dition. Essays presented to John Whittaker,
sée de Plutarque. Quelques réflexions autour
edited by M. Joyal (Aldershot 1997) 97–117.
des emplois du mot πίστις, in: Études Platoni-
367 J. Opsomer: Quelques réflexions sur la notion
ciennes 5 (2008) 41–61.
de Providence chez Plutarque, in: Plutarco y
379 Plutarch in the Religious and Philosophical
la historia. Actas del V Simposio Español
Discourse of Late Antiquity, edited by L.
sobre Plutarco, editado por C. Schrader, V.
Roig Lazillotta, I. Muñoz Gallarte (Leiden,
Ramón, J. Vela (Zaragoza 1997) 343–356.
Boston 2012).

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 684 25.09.18 09:27


Plutarch von Chaironeia 685
380 R. Hirsch-Luipold: Religion and Myth, in: A 398 R. A. Wright: Plutarch on Moral Progress, in:
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(Oxford 2014) 163–176. Thought, edited by J. T. Fitzgerald (London,
381 R. Radice: L’allegoria dei miti egiziani in New York 2008) [Routledge Monographs in
Plutarco, in: ΚΑΛΛΟΣ ΚΑΙ ΑΡΕΤΗ. Bellezza e Classical Studies] 136–150.
virtù. Studi in onore di Maria Barbanti, a 399 Tyché et Pronoia. La marche du monde selon
cura di R. L. Cardullo, D. Iozzia (Acireale, Plutarque, édité par F. Frazier, D. F. Leão
Roma 2014) 309–320. (Coimbra 2010).
400 L. Van Hoof: Plutarch’s Practical Ethics. The
Social Dynamics of Philosophy (Oxford 2010).
Ethik und Politik
401 M. Bonazzi: ‘Theoria and Praxis’. On
384 H.-G. Ingenkamp: Plutarchs Schriften über Plutarch’s Platonism, in: Bénatouïl, Bonazzi
die Heilung der Seele (Göttingen 1971) [Hy- 2012 [*108: 139–161].
pomnemata 34]. 402 C. Pelling: Political Philosophy, in: A Compan-
385 C. Mueller-Goldingen: Politische Theorie und ion to Plutarch, edited by M. Beck (Oxford
Praxis bei Plutarch, in: WJA 19 (1993) 201–213. 2014) 149–162.
386 A. Barigazzi: Studi su Plutarco (Firenze
1994).
Kommentare und Aufsätze zu einzelnen ­S chriften
387 Teoria e prassi politica nelle opere di
oder Stellen
Plutarco. Atti del V Convegno plutarcheo, a
cura di I. Gallo, B. Scardigli (Napoli 1995). 405 J. Helmer: Zu Plutarchs ‘De animae procrea-
388 J. P. Hershbell: ‘Paideia’ and ‘Politeia’ in tione in Timaeo’. Ein Beitrag zum Verständ-
Plutarch: The Influence of Plato’s ‹Republic› nis des Platon-Denkers Plutarch (Würzburg
and ‹Laws›, in: Gallo, Scardigli 1995 [*387: 1937).
209–219]. 406 P. Thévenaz: L’âme du monde, le devenir et la
389 F. Becchi: Plutarco e la dottrina dell’ matière chez Plutarque, avec une traduction
ὁμοίωσις θεῷ tra platonismo e aristotelismo, du traité «De la Genèse de l’âme dans le
in: Gallo 1996 [*363: 321–335]. Timée», 1 partie (Paris 1938).
390 A. Bellanti: Aristotele pitagorico? La conce- 407 F. Romano: Le ‹Questioni Platoniche› di
zione della medietà nel ‹De virtute morali› di Plutarco di Cheronea, in: Sophia 33 (1965)
Plutarco, in: Rivista di filosofia neo-scolas- 116–131.
tica 95 (2003) 3–36. 408 H. Görgemanns: Untersuchungen zu Plu-
391 The Statesman in Plutarch’s Works, edited by tarchs Dialog De facie in orbe lunae (Heidel-
J. Bons, L. De Blois, T. Kessels, D. M. Schen- berg 1970).
kenveld, I–II (Leiden 2004–2005) [Mnemo- 409 L. Gamberini: Plutarco, «Della musica». In­
syne Suppl. 250]. troduzione e traduzione (Firenze 1979) [Histo-
392 F. Becchi: Apatheia e Metriopatheia in riae musicae cultores, Biblioteca 32]. – Enthält
Plutarco, in: Casanova 2005 [*294: 385–400]. eine italienische Übersetzung, basierend auf
393 A. Bellanti: La teoria plutarchea della virtù dem Text von Lasserre.
tra platonismo, pitagorismo e aristotelismo, 410 J. P. Hershbell: Plutarch’s ‘De animae pro-
in: Volpe Cacciatore, Ferrari 2007 [*299: 221– creatione in Timaeo’: An Analysis of Struc-
264]. ture and Content, in: ANRW II 36,1 (1987)
394 M. Bonazzi: Plutarco, l’Academia e la poli- 234–247.
tica, in: Volpe Cacciatore, Ferrari 2007 [*299: 411 L. M. Napolitano Valditara: Plutarco di Che-
265–280]. ronea e la linea divisa di Platone (su Ques­
395 B. Castelnérac: Plutarch’s Psychology of tioni Platoniche 1001 C–1002 E), in: Esercizi
Moral Virtue: ‘Pathos’, ‘Logos’, and the Unity Filosofici 1 (1992) 41–72.
of the Soul, in: AncPhil 27 (2007) 141–163. 412 J. Opsomer: Ζητήματα: Structure et argumen-
396 F. Ferrari: I fondamenti metafisici dell’etica di tation dans les Quaestiones Platonicae de
Plutarco, in: Ploutarchos 5 (2007/8) 19–32. Plutarque, in: Estudios sobre Plutarco: aspec-
397 F. Ferrari: Moderatismo etico e controllo tos formales. Actas del IV Simposio Español
delle passioni in Plutarco, in: Le emozioni se- sobre Plutarco, editado por J. A. Fernández
condo i filosofi antichi. Atti del Convegno del Gado, F. Pordomingo Pardo (Madrid
Nazionale (Siracusa, 10–11 maggio 2007), a 1996) 71–83.
cura di G. Giardina (Catania 2008) 135–162.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 685 25.09.18 09:27


686 Bibliographie zum sechsten Kapitel

413 G. Boys-Stones: Plutarch on the Probable Luipold, H. Görgemanns, M. von Albrecht


Principle of Cold: Epistemology and the ‹De unter Mitarbeit von T. Thum (Tübingen 2009)
primo frigido›, in: CQ 47 (1997) 227–238. [Ratio Religionis Studien 1] 237–250.
414 J. Mansfeld, D. T. Runia: Aëtiana. The Me- 424 A. Giavatto: Le dialogue des sources dans les
thod and Intellectual Context of a Doxogra- ‹Questions Platoniciennes› de Plutarque, in:
pher. I: The Sources (Leiden, New York 1997) Brouillette, Giavatto 2010 [*321: 117–129].
[PhA 73]. 425 Symposium and Philanthropia in Plutarch,
415 Plutarch: Εἰ καλῶς εἴρηται τὸ λάθε βιώσας. edited by J. Ribeiro Ferreira, D. F. Leão, M.
Ist ‘Leben im Verborgenen’ eine gute Lebens- Trösten, P. Barata Dias (Coimbra 2010).
regel?, eingeleitet, übersetzt und mit interpre- 426 M. Shiffman: Erotic Wisdom and the Socratic
tierenden Essays versehen von U. Berner, R. Vocation in Plutarch’s ‹Platonic Question I›,
Feldmeier, B. Heininger, R. Hirsch-Luipold in: GRBS 50 (2010) 243–271.
(Darmstadt 2000) [SAPERE 1]. 427 Plutarch: On the daimonion of Socrates.
416 D. S. Richter: Plutarch on Isis and Osiris: Human Liberation, Divine Guidance and
Text, Cult, and Cultural Appropriation, in: Philosophy, edited by H.-G. Nesselrath. In­
TAPhA 131 (2001) 191–216. troduction, Text, Translation and Interpreta-
417 J. M. Rist: Plutarch’s ‹Amatorius›: A Com- tive Essays by D. Russel et al. (Tübingen
mentary on Plato’s Theories of Love?, in: CQ 2010) [SAPERE 16].
51 (2001) 557–575. 428 M. Taufer: Il mito di Tespesio nel ‹De sera nu-
418 J. Warren: Socratic Scepticism in Plutarch’s minis vindicta› di Plutarco (Napoli 2010).
‹Adversus Colotem›, in: Elenchos 23 (2002) 429 E. Kechagia: Plutarch Against Colotes. A
333–356. Lesson in History of Philosophy (Oxford
419 H. Görgemanns: Eros als Gott in Plutarchs 2011) [Oxford Classical Monographs].
“Amatorius”, in: Hirsch-Luipold 2005 [*377: 430 A. Corti: L’‹Adversus Colotem› di Plutarco.
169–195]. Storia di una polemica filosofica (Leuven
420 J. Opsomer: Eros and Knowledge in Plutarch’s 2014) [Plutarchea Hypomnemata].
Amatorius, in: El amor en Plutarco, editado 431 F. M. Petrucci: Argumentative Strategies in
por J. M. Ibáñez, R. L. López (León 2007) the ‘Platonic Section’ of Plutarch’s De Iside et
149–168. Osiride (chapters 45–64), in: Mnemosyne 69
421 G. Roskam: A Commentary on Plutarch’s ‹De (2016) 226–248.
latenter vivendo› (Leuven 2007). 432 P. de Simone: Mito e verità. Uno studio sul ‹De
422 H. Scholten: Göttliche Vorsehung und die Be- Iside et Osiride› di Plutarco (Milano 2016).
deutung des Griechentums in Plutarchs ‹De
sera numinis vindicta›, in: A&A 55 (2009)
Nachwirkung
­9 9–117.
423 T. Thum: ‘Welche Fülle von Reden’. Plutarchs 433 L’eredità culturale di Plutarco dall’antichità
Schrift ‹De E apud Delphos›, in: Religiöse al rinascimento. Atti del VII Convegno
Philosophie und philosophische Religion der plutarcheo, a cura di I. Gallo (Napoli 1998).
frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche 434 P. Volpe Cacciatore: L’eredità di Plutarco
Perspektiven, herausgegeben von R. Hirsch- (Napoli 2004).

Theon

Ausgabe, Übersetzungen 439 Théon de Smyrne: Exposition des connais-


sances mathématiques utiles pour la lecture
438 Theonis Smyrnaei philosophi platonici: Ex- de Platon, traduit par J. Dupuis (Paris 1892).
positio rerum mathematicarum ad legendun 440 Teone di Smirne: Expositio rerum mathema-
Platonem utilium, recensuit E. Hiller (Lip- ticarum ad legendum Platonem utilium. In­
siae 1878). troduzione, traduzione, commento a cura di
F. M. Petrucci (Sankt Augustin 2012).

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 686 25.09.18 09:27


Manaichmos 687

Sekundärliteratur 451 L. Simeoni: Teone di Smirne e le scienze


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448 B. Dodge: The Fihrist of Al-Nadīm. A Tenth L’esegesi di Platone nell’‹Expositio› di Teone
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and Studies 83]. Adrasto di Afrodisia, in: DSTradF 23 (2012)
449 J. Delattre: Théon de Smyrne: modèles méca- 1–33.
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loque international de Saint-Étienne. Textes sche Weg zum Glück in Systematik, Entste-
réunis et édités par G. Argoud, J.-Y. Guillau- hung und historischem Kontext. Akten der
min (Saint-Étienne 1998) 371–395. 12. Tagung der Karl-und-Gertrud-Abel-Stif-
450 F. Ferrari: I commentari specialistici alle se- tung (vom 15. bis 18. Oktober 2009 in Müns-
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fia in età imperiale. Le scuole e le tradizioni 2013) [PhdA 32].
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2000) 169–224.

Manaichmos

461
P. P. Fuentes González: Manaichmos
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Severos

Ausgaben Sekundärliteratur

467 Severi Platonici Testimonia et fragmenta, in: 475 K. Praechter: Severus, in: RE II A 2 (1923)
Gioè 1991–1994 [*478: 422–437]. 2007–2010.
468 Severo: Testimonianze (T) e Frammenti (F), 476 G. Martano: Severo. Un filosofo platonico del
in: Gioè 2002 [*9: 377–393]. II secolo d. C. (Napoli 1945).
469 P. Cauderlier, K. A. Worp: SB III 6012 = IBM 477 A. Gioè: Severo, il medioplatonismo e le cate-
IV 1076: Unrecognized Evidence for a Myste- gorie, in: Elenchos 14 (1993) 33–53.
rious Philosopher, in: Aegyptus 62 (1982) 72– 478 A. Gioè: Il medioplatonico Severo: testimo­
79. nianze e frammenti, in: Annali dell’Istituto
Italiano per gli Studi Storici 12 (1991–1994)
405–437.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 687 25.09.18 09:27


688 Bibliographie zum sechsten Kapitel

Lukios und Klaudios Nikostratos aus Athen

Ausgaben 494 K. L. Flannery: The Synonymy of Homo-


nyms, in: AGPh 81 (1999) 268–289.
484 Lucio: Testimonianze (T) e Frammenti (F), 495 R. Chiaradonna: Plotino e la corrente anti­
in: Gioè 2002 [*9: 117–127]. aristotelica del platonismo imperiale: analo-
485 Nicostrato: Testimonianze (T) e Frammenti gie e differenze, in: L’eredità platonica. Studi
(F), in: Gioè 2002 [*9: 155–180]. sul platonismo da Arcesilao a Proclo, a cura
di M. Bonazzi, V. Celluprica (Napoli 2005)
[Elenchos 45] 235–274.
Sekundärliteratur 496 R. Goulet: Nicostratos d’Athènes, in: DPhA
IV (2005) 699–701.
491 K. Praechter: Nikostratos der Platoniker, in: 497 C. Luna: Lucius, in: DPhA IV (2005) 167–174.
Hermes 57 (1922) 481–517. 498 M. Griffin: Aristotle’s Categories in the Early
492 K. von Fritz: Nikostratos, in: RE XVII 1 Roman Empire (Oxford 2015) [Oxford Clas-
(1936) 547–551. sical Monographs].
493 P. Moraux: Lukios und Nikostratos, in: Mo-
raux 1984 [*31: 528–563].

L. Kalvenos Tauros

Ausgaben 514 H. Tarrant: Platonic Interpretation in Aulus


Gellius, in: GRBS 37 (1996) 173–193.
504 Die Testimonien und Fragmente des Tauros, 515 M. Engert: Gellius als Quelle bekannter und
in: Lakmann 1995 [*513: 229–258]. unbekannter Autoren – Zur Funktion der
505 L. Calveno Tauro: Testimonianze (T) e Fram- Tauros-Figur in der Darstellung der Lehre
menti (F), in: Gioè 2002 [*9: 221–284]. Platons in den ‹Noctes Atticae›, in: WJA 35
(2011) 123–145.
516 F. Ferrari: Lucio Calveno Tauro e
Sekundärliteratur l’interpretazione didascalica della cosmoge-
nesi del Timeo, in: ΚΑΛΛΟΣ ΚΑΙ ΑΡΕΤΗ. Bel-
511 K. Praechter: Tauros, in: RE V A 1 (1934) 58– lezza e virtù. Studi in onore di Maria
68. Barbanti, a cura di R. L. Cardullo, D. Iozzia
512 H. Dörrie: L. Kalbenos Tauros. Das Persön- (Acireale, Roma 2014) 321–333.
lichkeitsbild eines platonischen Philosophen 517 F. M. Petrucci: Argumentative Strategies for
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310–323]. nesis 61 (2016) 43–59.
513 M.-L. Lakmann: Der Platoniker Tauros in der 518 F. M. Petrucci: Taurus of Beirut. The Other
Darstellung des Aulus Gellius (Leiden, New Side of Middle Platonism (London, New York
York 1995) [PhA 63]. 2018) [Issues in Ancient Philosophy].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 688 25.09.18 09:27


Attikos 689

Attikos

Fragmente und Übersetzungen 544 É. des Places: Le platonisme moyen au IIe


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523 F. G. Mullach: Fragmenta philosophorum ΚΟΙΝΩΝΙΑ 8 (1984) 7–15.
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524 Atticos: Fragments de son œuvre, avec intro- 564–582].
duction et notes par J. Baudry (Paris 1931). 546 C. Moreschini: Attico: una figura singolare
525 G. Martano: Due precursori del neoplato- del medioplatonismo, in: ANRW II 36,1
nismo (Napoli 1955). (1987) 477–491.
526 Aristoteles: Einführungsschriften, eingeleitet 547 F. Trabattoni: Il frammento 4 di Attico, in:
und neu übertragen von O. Gigon (Zürich, RSF 42 (1987) 421–438.
Stuttgart 1961) [Die Bibliothek der alten 548 J. Whittaker: Atticus, in: DPhA I (1989) 664–
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527 Atticus: Fragments. Texte établi et traduit par 549 C. Moreschini: L’esegesi del Fedro e il medio-
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550 J. Pépin: Augustin et Atticus: la quaestio De
ideis, in: Herméneutique et ontologie. Mé-
Sekundärliteratur langes en hommage à Pierre Aubenque, édi-
tés par R. Brague, J.-F. Courtine (Paris 1990)
533 J. Freudenthal: Attikos (18), in: RE II 2 (1896) 163–180.
2241. 551 A. H. Armstrong: Dualism: Platonic, Gnostic,
534 P. Merlan: Rezension zu Baudry 1931 [*524], and Christian, in: Neoplatonism and Gnosti-
in: Gnomon 10 (1934) 263–270 und 336. cism, edited by R. T. Wallis, J. Bregman (Al-
535 K. Mras: Zu Attikos, Porphyrios und Euse- bany NY 1992) [Studies in Neoplatonism 6]
bios, in: Glotta 25 (1936) 183–188. 33–54.
536 K. Mras: Die Stellung der Praeparatio Evan- 552 F. E. Brenk: Darkly beyond the Glass: Middle
gelica des Eusebios im antiken Schriftentum, Platonism and the Vision of the Soul: Plato-
in: AAWW 93 (1956) 209–217. nism in Late Antiquity, edited by S. Gersh,
537 E. R. Dodds: Proclus, The Elements of Theo- Ch. Kannengiesser (Notre Dame IN 1992)
logy (Oxford 21963). 39–60.
538 G. C. Stead: The Platonism of Arius, in: JThS 553 M. Baltes: Attikos, in: DNP II (1997) 245–
15 (1964) 16–31. 246.
539 E. Meijering: ἦν ποτε ὅτε οὐκ ἦν ὁ υἱός. A Dis- 554 G. Bechtle: La problématique de l’âme et du
cussion on Time and Eternity, in: VChr 28 cosmos chez Philon et les médio-platoniciens,
(1974) 161–168. in: Philon d’Alexandrie et le langage de la
540 P. Merlan: Aristoteles und Epikurs müßige philosophie. Actes du colloque international
Götter, in: Zeitschrift für philosophische For- organisé par le Centre d’études sur la philoso-
schung 21 (1967) 485–498. phie hellénistique et romaine de l’Université
541 P. Merlan: Zwei Untersuchungen zu Alexan- de Paris XII-Val de Marne (Créteil, Fontenay,
der von Aphrodisias, in: Philologus 113 (1969) Paris, 26–28 octobre 1995), édité par C. Lévy
85–91. – Wieder in: Ders.: Kleine philosophi- (Turnhout 1998) 377–392.
sche Schriften, herausgegeben von F. Merlan 555 G. Bechtle: La problématique de l’âme désor-
(Hildesheim, New York 1976) [Collectanea donnée chez Plutarque et Atticus, in: Études
20] 282–288. de philosophie ancienne et de phénoménolo-
542 W. C. Van Unnik: Two Notes on Irenaeus, in: gie, éditées F. Dastur, C. Lévy (Paris 1999)
VChr 30 (1976) 201–213. 15–71.
543 M. Baltes: Zur Philosophie des Platonikers 556 J. F. Phillips: Plato’s ‹psychogonia› in Later
Attikos, in: Platonismus und Christentum. FS Platonism, in: CQ 52 (2002) 231–247.
Heinrich Dörrie, herausgegeben von H.-D.
Blume, F. Mann (Münster, Westfalen 1983)
[JbAC Ergänzungsband 10] 38–57. – Wieder
in: Baltes 1999 [*93: 81–111].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 689 25.09.18 09:27


690 Bibliographie zum sechsten Kapitel

557 I. Männlein-Robert: Longins Ideen bei Sy- 558 G. R. Boys-Stones: Harpocration of Argos.
rian, in: ZAC 12 (2008) 81–98. Etymology and Metaphysics in the Platonist
Revival, in: JHS 132 (2012) 1–6.

Harpokration von Argos

Ausgaben Sekundärliteratur

564 Harpocration: Fragments, in: Dillon 1971 571 J. Dillon: Harpocration’s ‹Commentary on
[*571]. Plato›: Fragments of a Middle Platonic Com-
565 Arpocrazione: Testimonianze (T), in: Gioè mentary, in: California Studies in Classical
2002 [*9: 435–452]. Antiquity 4 (1971) 125–146. – Wieder in: Dil-
lon 1990 [*37: Kap. XIV].
572 J. Whittaker: Harpocration d’Argos, in:
DPhA III (2000) 503–504.
573 G. R. Boys-Stones: Harpocration of Argos.
Etymology and Metaphysics in the Platonist
Revival, in: JHS 132 (2012) 1–6.

Gaios

Ausgaben 586 K. Praechter: Zum Platoniker Gaius, in: Her-


mes 51 (1916) 510–529. – Wieder in: Zintzen
578 The Testimonies for Gaius and Albinus, in: 1981 [*28: 67–88].
Göransson 1995 [*587: 28–33]. 587 T. Göransson: Albinus, Alcinous, Arius Didy-
579 Gaio: Testimonianze (T), in: Gioè 2002 [*9: mus (Göteborg 1995) [Studia Graeca et La-
45–52]. tina Gothoburgensia 61].
588 J. Whittaker: Gaius, in: DPhA III (2000) 437–
440.
Sekundärliteratur 589 H. Tarrant: Platonist Educators in a Growing
Market: Gaius; Albinus; Taurus; Alcinous, in:
585 T. Sinko: De Apulei et Albini doctrinae Pla- Sharples, Sorabji 2007 [*50: II 449–465].
tonicae adumbratione (Diss. Krakow 1905)
129–178.

Alkinoos

Ausgaben, Übersetzungen 597 Alcinoos: Enseignement des doctrines de Pla-


ton. Introduction, texte établi et commenté
595 Albinos: Epitomé. Introduction, texte et tra- par J. Whittaker et traduit par P. Louis (Paris
duction par P. Louis (Paris 1945). 1990) [CUF].
596 G. Invernizzi: Il Didaskalikos di Albino e il 598 Alcinous: The Handbook of Platonism,
medioplatonismo. Saggio di interpretazione Translated with an Introduction and Com-
storico-filosofica con introduzione e com- mentary by J. Dillon (Oxford 1993).
mento del Didaskalikos, I–II (Roma 1976) 599 Alkinoos: Didaskalikos. Lehrbuch der
[Collana di filosofia antica 4]. Grundsätze Platons. Einleitung, Text, Über-
setzung und Anmerkungen von O. F. Summe-

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 690 25.09.18 09:27


Alkinoos 691
rell, Th. Zimmer (Berlin 2007) [Sammlung 619 F. Becchi: Il ‹Didaskalikos› di Alcinoo, in:
wissenschaftlicher Commentare]. Prometheus 19 (1993) 235–252.
620 K. Alt: Gott, Götter und Seele bei Alkinoos
(Stuttgart 1996).
Sekundärliteratur 621 M. Baltes: Muss die ‘Landkarte des Mittelpla-
tonismus’ neu gezeichnet werden?, in: Göttin-
605 J. Freudenthal: Der Platoniker Albinos und gische Gelehrte Anzeigen 248 (1996) 91–111.
der falsche Alkinoos (Berlin 1879). – Wieder in: Baltes 1999 [*93: 327–350].
606 R. E. Witt: Albinus and the History of Middle 622 D. N. Sedley: Alcinous’ Epistemology, in: Po-
Platonism (Cambridge 1937; ND Amsterdam lyhistor. Studies in the History and Historio-
1971) [Transactions of the Cambridge Philo- graphy of Ancient Philosophy. FS Jaap
logical Society 7]. Mansfeld, edited by K. A. Algra, P. W. van der
607 H. A. Wolfson: Albinus and Plotinus on Divine Horst, D. T. Runia (Leiden, New York 1996)
Attributes, in: HThR 45 (1952) 115–130. – [PhA 72] 300–312.
Unter dem Titel ‹Albinos und Plotin über gött- 623 J. Annas: Platonic Ethics, Old and New
liche Attribute› wieder in: Zintzen 1981 [*28: (Ithaca NY 1999) [Cornell Studies in Classi-
150–168]. cal Philology 57].
608 J. H. Loenen: Albinus’ Metaphysics. An At­ 624 J. Mansfeld: Alcinous on Fate and Provi-
tempt at Rehabilitation, 1: The Inner Consis- dence, in: Tradition of Platonism. Essays in
tency and the Original Character of Albinus’ Honour of J. Dillon, edited by J. Cleary (Al-
Interpretation of Plato, in: Mnemosyne 9 dershot 1999) 139–150.
(1956) 296–319. 625 M. Abbate: Non-dicibilità del «primo Dio» e
609 J. H. Loenen: Albinus’ Metaphysics. An At­ via remotionis nel cap. X del ‹Didaskalikos›,
tempt at Rehabilitation, 2: The Sources of Al- in: Calabi 2002 [*95: 55–75].
binus’ Metaphysics, in: Mnemosyne 10 (1957) 626 E. Di Stefano: Il ‹Parmenide› di Platone e il
35–56. ‹Didaskalikos› di Alcinoo, in: Il ‹Parmenide›
610 M. Giusta: Ἀλβίνου Ἐπιτομή o Ἀλκινόου di Platone e la sua tradizione. Atti del III Col-
Διδασκαλικός?, in: Atti dell’Accademia delle loquio Internazionale del Centro di Ricerca
Scienze di Torino, Classe di scienze morali, sul Neoplatonismo, a cura di M. Barbanti, F.
storiche e filologiche 95 (1961) 167–194. Romano (Catania 2002) [Symbolon 24] 185–
611 K. Kleve: Albinus on God and the One, in: SO 195.
47 (1972) 66–69. 627 D. C. Baltzly: The Virtues and ‘Becoming like
612 J. Mansfeld: Three Notes on Albinus, in: God’: Alcinous to Proclus, in: OSAPh 26
Thêta-Pi 1 (1972) 61–79. (2004) 297–321.
613 J. Whittaker: Parisinus Graecus 1962 and the 628 J. M. Zamora: La vertu comme “chose di-
Writings of Albinus, in: Phoenix 28 (1974) vine” chez Alcinoos, in: Revue de philoso-
320–354, 450–456. phie ancienne 22 (2004) 39–50.
614 C. Mazzarelli: L’autore del ‹Didaskalikos›: 629 G. Boys-Stones: Alcinous, ‹Didaskalikos› 4:
l’Alcinoo dei manoscritti o il medioplatonico In Defence of Dogmatism, in: L’eredità plato-
Albino?, in: Rivista di filosofia neo-scolastica nica. Studi sul platonismo da Arcesilao a
72 (1980) 606–639. ­P roclo, a cura di M. Bonazzi, V. Celluprica
615 M. Giusta: Due capitoli sui dossografi di (Napoli 2005) [Elenchos 45] 201–234.
fisica, in: Storiografia e dossografia nella fi- 630 R. Chiaradonna: Platonismo e teoria della co-
losofia antica, a cura di G. Cambiano (Torino noscenza stoica tra II e III secolo d. C., in:
1986) 149–201. Platonic Stoicism – Stoic Platonism. The Dia-
616 P. L. Donini: La connaissance de Dieu et la logue between Platonism and Stoicism in An-
hiérarchie divine chez Albinos, in: Knowl­ tiquity, edited by M. Bonazzi, C. Helmig
edge of God in the Graeco-Roman World, (Leuven 2007) [Ancient and Medieval Philo-
edited by R. van den Broek, T. Baarda, J. sophy, Series 1, 39] 209–241.
Mansfeld (Leiden 1988) [EPRO 112] 118–131. 631 E. Vimercati: La materia nel ‘Didaskalikòs’ di
617 J. Whittaker: Alcinoos, in: DPhA I (1989) Alcinoo (cap. VIII), in: La sapienza di Timeo.
112–113. Riflessioni in margine al «Timeo» di Platone,
618 L. P. Schrenk: Faculties of Judgement in the a cura di L. M. Napolitano Valditara (Milano
‹Didaskalikos›, in: Mnemosyne 44 (1991) 2007) 431–460.
347–363.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 691 25.09.18 09:27


692 Bibliographie zum sechsten Kapitel

632 C. Helmig: Forms and Concepts. Concept 635 F. Karfík: Mittelplatonische Lehre de finibus
Formation in the Platonic Tradition (Berlin, bei Stobaios, Alkinoos und Apuleius, in:
New York 2012) [CAGB 5]. Pietsch 2013 [*456: 115–129].
633 D. Sedley: The ‘Theoretikos Bios’ in Alcinous, 636 F. M. Petrucci: Letteralismo e cosmogenesi
in: Bénatouïl, Bonazzi 2012 [*108: 163–181]. eternalista nel medioplatonismo: Il caso di
634 F. Ferrari: Insegnabilità della virtù e ruolo Alcinoo Didaskalikos XIV 169, 32–35, in:
della paideia nel medioplatonismo: Pietsch Antiquorum Philosophia 9 (2015) 111–125.
2013 [*456: 159–170].

Albinos aus Smyrna

Ausgaben, Übersetzungen Sekundärliteratur

638 Ἀλβίνου εἰσαγωγὴ εἰς τοὺς Πλάτωνος 645 O. Schissel: Zum ΠΡΟΛΟΓΟΣ des Platonikers
διαλόγους, in: Platonis dialogi secundum Albinos, in: Hermes 66 (1931) 215–226.
Thrasylli tetralogias dispositi, ex recognitione 646 R. B. Todd: The Author of the ‹De qualitati-
C. F. Hermanni (Lipsiae 1884) 147–151. bus incorporeis›. If not Albinus, who?, in: AC
639 G. Invernizzi: Il «Prologo» di Albino. Intro- 46 (1977) 198–204.
duzione, traduzione e note, in: Rivista di fi- 647 P. Moraux: Albinos, in: Moraux 1984 [*31:
losofia neo-scolastica 71 (1979) 352–361. 441–480].
640 Albinus: Prologos, in: Nüsser 1991 [*650: 30– 648 J. Whittaker: Albinos, in: DPhA I (1989) 96–
34]. 97.
641 The Testimonies of Gaius and Albinus, in: 649 A. B. Neschke-Hentschke: La transformation
Göransson 1995 [*587: 28–33]. de la philosophie de Platon dans le «Prolo-
642 Albinus: Prologos, in: Reis 1999 [*652: 307– gos» d’Albinus, in: Revue philosophique de
319]. Louvain 89 (1991) 165–183.
643 Albino: Testimonianze (T), in: Gioè 2002 [*9: 650 O. Nüsser: Albins Prolog und die Dialogthe-
79–86]. orie des Platonismus (Stuttgart 1991) [BzA
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651 A. Agus: La nuova edizione commentata del
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Apuleius

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Apuleius 693
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De deo Socratis
di M. Baldassarri (Como 1986).
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fronte, a cura di B. M. Cagli (Venezia 1992). mina interpretationum recentiorum edentibus
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Apuleius 695
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696 Bibliographie zum sechsten Kapitel

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768 V. Hunink: The Prologue of Apuleius’ De crate? Une analyse des rapports d’inter­
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06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 696 25.09.18 09:27


Anonymus, ‹In Platonis ‘Theaetetum’› 697
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in: RFIC 139 (2011) 394–412.
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795 L. Karfíková: Augustins Polemik gegen Apu-
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Anonymus, ‹In Platonis ‘Theaetetum’›

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799 Anonymer Kommentar zu Platons Theaetet 810 H. Tarrant: Zeno on Knowledge or on Geo-
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losophischen Inhalts (Pap. N. 8; P. 9766, tum, in: Phronesis 29 (1984) 96–99.
9569), herausgegeben von H. Diels, W. Schu- 811 J. Mansfeld: Two Attributions, in: CQ 41
bart (Berlin 1905) [Berliner Klassikertexte 2]. (1991) 541–544.
800 Commentarium in Platonis «Theaetetum» 812 A. Carlini: Il commento anonimo al Teeteto e
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D. N. Sedley, in: Corpus dei Papiri Filosofici siero nel mondo antico. Studi in onore di Mar-
Greci e Latini, Testi e lessico nei papiri di cul- cello Gigante (Napoli 1994) 83–91.
tura greca e latina, parte III: Commentari 813 D. Sedley: Three Platonist Interpretations of
(Firenze 1995) 227–562. the ‹Theaetetus›, in: Form and Argument in
Late Plato, edited by C. Gill, M. M. McCabe
(Oxford 1996) 79–103.
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«Theaetetus» Commentary (PBerol. 9762
806 J. Mansfeld: Notes on some Passages in Fragment D), in: Papiri filosofici. Miscellanea
Plato’s Theaetetus and in the ‘Anonymous di studi I (Firenze 1997) 139–144.
Commentary’, in: Zetesis. Album amicorum, 815 M. Bonazzi: The Commentary as Polemical
door vrienden en collega’s aangeboden aan Tool. The Anonymous Commentator on the
Prof. Dr. E. de Strycker (Antwerpen, Utrecht ‘Theaetetus’ against the Stoics, in: Laval
1973) 108–114. théo­logique et philosophique 64 (2008) 597–
807 G. Invernizzi: Un commentario medioplato- 605.
nico al ‹Teeteto› e il suo significato filosofico, 816 M. Bonazzi: Le commentateur anonyme du
in: Rivista di filosofia neo-scolastica 68 ‹Théétète› et l’invention du platonisme, in: La
(1976) 215–233. mesure du savoir. Études sur le ‹Théétète› de
808 H. Tarrant: The Date of Anon. ‹In Theaete- Platon, sous la direction de D. El Murr (Paris
tum›, in: CQ 33 (1983) 161–187. 2013) 309–333.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 697 25.09.18 09:27


698 Bibliographie zum sechsten Kapitel

Der Neupythagoreismus

Ausgaben, Kommentare,Übersetzungen 841 A. Ardizzoni: Echi Pitagorici in Apollonio


Rodio e Callimaco, in: RFIC 93 (1965) 157–
822 R. Harder: Ocellus Lucanus. Text und Kom- 267.
mentar (Berlin 1926) [Neue philologische 842 J. Rist: Monism. Plotinus and some Predeces-
Untersuchungen]. sors, in: HSPh 69 (1965) 329–344.
823 M. Timpanaro Cardini: Pitagorici. Testimo­ 843 H. Thesleff: Rezension zu A. della Casa, Ni-
nianze e frammenti, I–III (Firenze 1958– gidio Figulo (Roma 1962), in: Gnomon 37
1964) [Biblioteca di studi superiori 28, 41, 45]. (1965) 44–48.
824 H. Thesleff: The Pythagorean Texts of the Hel- 844 P. Merlan: The Pythagoreans, in: Merlan 1967
lenistic Period (Aabo 1965). – Rezension von [*21: 84–86: Pseudepigrapha].
W. Burkert, in: Gnomon 39 (1967) 548–556. 845 K. Gaiser: Quellenkritische Probleme der in-
825 Timaios Lokros. Über die Natur des Kosmos direkten Platonüberlieferung, in: Idee und
und der Seele, kommentiert von M. Baltes Zahl. Studien zur platonischen Philosophie,
(Leiden 1972) [PhA 21]. herausgegeben von H.-G. Gadamer et al.
826 Pseudo-Archytas über die Kategorien: Texte (Heidelberg 1968) 31–84. – Wieder in: Ders.:
zur griechischen Aristoteles-Exegese, heraus- Gesammelte Schriften, herausgegeben von T.
gegeben, übersetzt und kommentiert von T. A. Szlezák, K.-H. Stanzel (Sankt Augustin
A. Szlezák (Berlin 1972) [Peripatoi 4]. 2004) [International Plato Studies 19] 205–
827 A. Städele: Die Briefe des Pythagoras und der 263.
Pythagoreer (Meisenheim am Glan 1980) 846 P. Merlan: From Platonism to Neoplatonism
[BKP 115]. (The Hague 31968, 11953; ital. Übersetzung:
828 J. T. Fitzgerald, L. M. White: The Tabula of Milano 1990). – Dritte, überarbeitete Auf-
Cebes (Chico CA 1983) [Graeco-Roman Re- lage.
ligion Series 7]. 847 J. Whittaker: Neopythagoreanism and Nega-
829 Pitagorici antichi. Testimonianze e fram- tive Theology (1969), in: SO 44 (1969) 109–
menti, a cura di M. Timpanaro Cardini (Mi- 125. – Unter dem Titel ‹Neupythagoreismus
lano 2010) [Il pensiero occidentale]. und negative Theologie› wieder in: Zintzen
1981 [*28: 169–186].
848 J. Whittaker: Neopythagoreanism and the
Sekundärliteratur Transcendent Absolute, in: SO 48 (1973) 77–
86.
835 W. Wiersma: Das Referat des Alexandros Po- 849 J. Pépin: Neopitagorismo e Neoplatonismo,
lyhistor über pythagoreische Philosophie, in: in: Storia della filosofia. IV: La filosofia elle-
Mnemosyne 10 (1942) 97–112. nistica e la patristica cristiana dal III secolo a.
836 L. Ferrero: Storia del pitagorismo nel mondo C. al V secolo d. C., a cura di M. dal Pra (Mi-
romano (Torino 1955). lano 1975) 307–328.
837 W. Burkert: Hellenistische Pseudopythago- 850 B. L. Van der Waerden: Die Pythagoreer. Re-
rica, in: Philologus 105 (1961) 16–43, 226– ligiöse Bruderschaft und Schule der Wissen-
246. – Wieder in: Ders.: Kleine Schriften III: schaft (Zürich, München 1979) [Die
Mystica, Orphica, Pythagorica, herausgege- Bibliothek der Alten Welt, Reihe Forschung
ben von F. Graf (Göttingen 2006) [Hypomne- und Deutung].
mata Suppl. 2, III] 236–277. 851 E. Rawson: Intellectual Life in the Late
838 H. Thesleff: An Introduction to the Pythago- Roman Republic (London 1985).
rean Writings of the Hellenistic Period (Aabo 852 F. E. Brenk: Neopythagoreans, in: ANRW II
1961). – Rezension von W. Burkert, in: Gno- 16,3 (1986) 2094–2098.
mon 34 (1962) 763–768. 853 B. Centrone: L’VIII libro delle ‘Vite’ di Dio-
839 H. Dörrie: Pythagoreer, in: RE XXIV 1 gene Laerzio, in: ANRW II 36,6 (1992) 4183–
(1963) 209–300. 4217.
840 R. Del Re: Il neopitagorismo. Problemi della 854 P. L. Reynolds: The Essence, Power and Pre-
sua storia. Gli studi dell’ultimo cinquanten- sence of God: Fragments of the History of an
nio, in: Cultura e Scuola 9 (1964) 68–74. Idea, from Neopythagoreanism to Peter Abe­

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 698 25.09.18 09:27


Moderatos von Gades 699
lard, in: From Athens to Chartres: Neopla­ 861 C. H. Kahn: Pythagoras and the Pythagore-
tonism and Medieval Thought. Studies in ans. A Brief History (Indianapolis, Cam-
Honour of Édouard Jeauneau, edited by J. bridge 2001).
Westra Haijo (Leiden 1992) 351–380. 862 C. L. Joost-Gaugier: Measuring Heaven. Py-
855 J. C. Thom: The Pythagorean Golden Verses. thagoras and his Influence on Thought and
With Introduction and Commen­tary (Leiden, Art in Antiquity and the Middle Ages (Ithaca
New York 1995) [Religions in the Graeco-Ro- NY, London 2006).
man World 123]. 863 A. Bernabé: El orfismo y el neopitagorismo,
856 B. Centrone: Introduzione a i Pitagorici in: Biblia y helenismo: el pensamiento griego
(Rom, Bari 1996) [I filosofi 65]. y la formación del cristianismo, editado por
857 B. Centrone: Cosa significa essere pitagorico A. Piñero (Córdoba 2007) 595–627.
in età imperiale: per una riconsiderazione 864 Ch. Riedweg: Pythagoras. Leben, Lehre,
della categoria storiografica del neopitago- Nachwirkung. Eine Einführung (München
rismo, in: La filosofia in età imperiale: le 2 2007, 1 2002).

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A. Brancacci (Napoli 2000) 137–168. 866 I. Männlein-Robert: Griechische Philoso-
858 B. Centrone: Platonism and Pythagoreanism phen in Indien? Reisewege zur Weisheit, in:
in the Early Empire, in: The Cambridge His- Gymnasium 116 (2009) 331–357.
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edited by C. Rowe, M. Schofield (Cambridge From Individuals to a Collective Portrait, in:
2000) 559–584. Hyperboreus 16/17 (2010/11) 311–327.
859 M. Frede: Neupythagoreismus, in: DNP VIII 868 C. Montepaone: Pitagoriche. Scritti femminili
(2000) 879–880. di età ellenistica. Traduzione e note di Ida
860 A. Storchi Marino: Il pitagorismo romano: per Brancaccio (Bari 2011).
un binacio di studi recenti, in: Tra Orfeo e Pita- 869 S. B. Pomeroy: Pythagorean Women. Their
gora. Origini e incontri di culture nell’antichità, History and Writings (Baltimore 2013).
a cura di M. Tortorelli Ghidini, A. Storchi Ma-
rino, A. Visconti (Neapel 2000) 335–366.

Moderatos von Gades

872 E. R. Dodds: The ‹Parmenides› of Plato and 877 G. Staab: Pythagoras in der Spätantike. Stu-
the Origin of the Neoplatonic ‘One’, in: CQ dien zu ‹De Vita Pythagorica› des Iamblichos
22 (1928) 129–142. von Chalkis (München, Leipzig 2002) [BzA
873 W. Capelle: Moderatus, in: RE XV 2 (1932) 165].
2318–2320. 878 E. A. Ramos Jurado: Moderato de Gade: es-
874 J. Halfwassen: Speusipp und die metaphysi- tado de la cuestión: cronología y forma de
sche Deutung von Platons “Parmenides”, in: vida, in: Habis 34 (2003) 149–160.
ΕΝ ΚΑΙ ΠΛΗΘΟΣ. Einheit und Vielheit. FS 879 B. Centrone, C. Macris: Modératus de Gadès,
Karl Bormann, herausgegeben von L. Hage- in: DPhA IV (2005) 545–548.
mann, R. Glei (Würzburg 1993) [Religions- 880 J. N. Hubler: Moderatus, E. R. Dodds, and
wissenschaftliche Studien 30] 339–373. the Development of Neoplatonist Emanation,
875 Ch. Tornau: Die Prinzipienlehre des Modera- in: Plato’s ‹Parmenides› and its Heritage. I:
tos von Gades. Zu Simplikios in Ph. 230,34– History and Interpretation from the Old
231,24 Diels, in: RhM 143 (2000) 197–220. ­Academy to later Platonism and Gnosticism,
876 F. Romano: La probabile esegesi pitagoriz- edited by J. D. Turner, K. Corrigan (Atlanta
zante (accademica, medioplatonica e neopita- 2010) 115–128.
gorica) del ‹Parmenide› di Platone, in: Il
‹Parmenide› di Platone e la sua tradizione.
Atti del III Colloquio Internazionale del
Centro di Ricerca sul Neoplatonismo, a cura
di M. Barbanti, F. Romano (Catania 2002)
[Symbolon 24] 197–248.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 699 25.09.18 09:27


700 Bibliographie zum sechsten Kapitel

Ailianos

Fragmente Sekundärliteratur

886 Porphyrius: Kommentar zur Harmonielehre 892 R. Goulet: Ailianos, in: DPhA I (1989) 78.
des Ptolemaios, herausgegeben von I. Düring
(Göteborg 1932). – 33,19–35,12; 36,9–37,5;
96,8–15.

Nikomachos von Gerasa

Ausgaben, Übersetzungen Sekundärliteratur

898 Nicomachi Geraseni Pythagorei: Introductio- 912 L. G. Westerink: Deux commentaires sur Nico-
nis Arithmeticae libri II, recensuit R. Hoche maque: Asclépius et Jean Philopon, in: REG 77
(Lipsiae 1866). (1964) 526–535.
899 Nicomaque de Gérase: Manuel d’harmonique 913 J. Dillon: A Date for the Death of Nicoma-
et autres textes relatifs à la musique, traduit chus of Gerasa, in: Classical Review N. S. 19
avec commentaire perpetuel par Ch.-É. (1969) 274–275. – Wieder in: Dillon 1990 [*37:
­Ruelle (Paris 1881). Kap. XV].
900 Nicomachus: Harmonicum Enchiridium, in: 914 W. Haase: Untersuchungen zu Nikomachos
Musici Scriptores Graeci: Aristoteles, Eucli- von Gerasa (Diss. Tübingen 1982).
des, Nicomachus, Bacchius, Gaudentius, Aly- 915 D. J. O’Meara: Pythagoras Revived. Mathe-
pius et melodiarum veterum quidquid exstat, matics and Philosophy in Late Antiquity (Ox-
recognovit prooemiis et indice instruxit C. ford 1989).
Janus (Lipsiae 1895) 235–265. 916 J.-Y. Guillaumin: Longueur, largeur et pro-
901 Nicomachus of Gerasa: Introduction to Arith- fondeur dans les diagrammes de Nicomaque
metic, translated into English by M. L. (‹Introduction Arithmétique›), in: REA 92
D’Ooge, with Studies in Greek Arithmetic by (1990) 265–271.
F. E. Robbins and L. C. Karpinski (London 917 A. H. Criddle: The Chronology of Nicoma-
1926). chus of Gerasa, in: CQ 48 (1998) 324–327.
902 Thâbit Ibn Qurra: Arabische Übersetzung 918 J. Mansfeld: Prolegomena Mathematica.
der Introductio arithmeticae des Nikoma- From Apollonius of Perga to Late Neoplato-
chos, herausgegeben von W. Kutsch (Bey­ nism. With an appendix on Pappus and the
routh 1958). History of Platonism (Leiden 1998) [PhA 80].
903 [Iamblichus:] Theologoumena arithmeticae, 919 Giovanni Filopono matematico. Tra neopita-
edidit V. De Falco (Lipsiae 1922). Editionem gorismo e neoplatonismo. Commentario alla
addendis et corrigendis adiunctis curavit H. ‹Introduzione aritmetica› di Nicomaco di Ge-
Klein (Stutgardiae 1975). rasa. Introduzione, testo, traduzione e note a
904 Nicomaque de Gérase: Introduction arithmé- cura di G. R. Giardina (Catania 1999).
tique. Indroduction, traduction, notes et 920 G. Radke: Die Theorie der Zahl im Platonis-
index par J. Bertier (Paris 1978) [HDAC 2]. mus. Ein systematisches Lehrbuch (Tübin-
905 La manualistica musicale greca: [Euclide], gen, Basel 2003).
Cleonide, Nicomaco, Excerpta Nicomachi, 921 B. Centrone, G. Freudenthal: Nicomaque de
Bacchio il vecchio, Gaudenzio, Alipio, Ex- Gérasa, in: DPhA IV (2005) 686–694.
cerpta Neapolitana, a cura di L. Zanoncelli 922 S. Pieri: Tetraktys. Numero e filosofia tra I e
(Milano 1990). II secolo d. C. (Firenze 2005).
906 The Manual of Harmonics of Nicomachus the 923 Giamblico: Summa Pitagorica. Introduzione,
Pythagorean. Translation and commentary by traduzione, note e apparati a cura di F. Ro-
F. R. Levin (Grand Rapids MI 1994). mano (Milano 2006) [Il pensiero occidentale].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 700 25.09.18 09:27


Numenios 701
924 C. Helmig: The Relationship between Forms rial Age, edited by M. Bonazzi, C. Lévy, C.
and Numbers in Nicomachus’ ‹Introduction Steel (Turnhout 2007) [Monothésimes et phi-
to Arithmetic›, in: A Platonic Pythagoras. losophie] 127–146.
Platonism and Pythagoreanism in the Impe-

Numenios

Sammlungen 945 É. des Places: Notice, in: des Places 1973


[*932: 7–36].
930 F. Thedinga: De Numenio philosopho plato- 946 É. des Places: La matière dans le platonisme
nico (Bonn 1875). moyen, surtout chez Numénius et dans les
931 E.-A. Leemans: Studie over den wijsgeer Nu- ‹Oracles chaldaïques›, in: Zetesis. Album
menius van Apamea met uitgave der fragmen- amicorum, door vrienden en collega’s aange-
ten (Bruxelles 1937) [Mémoires de l’Académie boden aan Prof. Dr. E. de Strycker (Antwer-
royale de Belgique, Classe des Lettres et des pen, Utrecht 1973) 215–223.
Sciences Morales et Politiques 37,2]. 947 M. Baltes: Numenios von Apamea und der
932 Numénius: Fragments, texte établi et traduit Platonische Timaios, in: VChr 29 (1975) 241–
par É. des Places (Paris 1973) [CUF]. 270. – Wieder in: Baltes 1999 [*93: 1–32].
933 The Fragments of Numenius of Apamea. 948 H. D. Saffrey: Un lecteur antique des œuvres
Translation and commentary by R. Petty de Numénius: Eusèbe de Césarée, in: Forma
(Westbury 2012). futuri. Studi in onore del cardinale Michele
Pellegrino (Torino 1975) 145–153.
949 F. L. Lisi: Los tres niveles de la divinidad en
Sekundärliteratur Numenio de Apamea, in: Cuadernos de Fi-
losofía 17 (1977) 111–130.
939 H.-Ch. Puech: Numénius d’Apamée et les 950 G. Invernizzi: Lo stato degli studi su Nume-
théologies orientales au second siècle, in: Mé- nio di Apamea, in: Rivista di filosofia neo-
langes J. Bidez. Annuaire de l’Institut de phi- scolastica 70 (1978) 604–625.
lologie et d’histoire orientales 2 (Bruxelles 951 H. Tarrant: Numenius fr. 13 and Plato’s
1934) 745–778. – Unter dem Titel ‹Numenios Timae­us, in: Antichthon 13 (1979) 19–29.
von Apameia und die orientalischen Theolo- 952 M. Frede: Numenius, in: ANRW II 36,2
gien im 2. Jh. n. Chr.› wieder in: Zintzen 1981 (1987) 1034–1075.
[*28: 451–487]. 953 H. Tarrant: Salvation from God in De mundo
940 R. Beutler: Numenius, in: RE Suppl. VII and Numenius, in: The Idea of Salvation, edit-
(1940) 664–678. ed by D. W. Dockrill, R. G. Tanner (Auckland
941 E. R. Dodds: Numenius and Ammonius, in: 1988) 24–30.
Les sources de Plotin. Dix exposés et discus- 954 M. J. Edwards: Numenius Fr. 13 (Des Places):
sions par E. R. Dodds et al. (Vandœuvres/ A Note on Interpretation, in: Mnemosyne 42
Genève 1960) [Entretiens 5] 3–32. (1989) 478–482.
942 G. Martano: Numenio d’Apamea. Un precur- 955 M. J. Edwards: Atticising Moses? Numenius,
sore del neo-platonismo (Napoli 21960, Roma the Fathers and the Jews, in: VChr 44 (1990)
1
1941). 64–75.
943 J. H. Waszink: Porphyrios und Numenios, in: 956 J. Holzhausen: Eine Anmerkung zum Ver-
Porphyre. Huit exposés suivis de discussions hältnis von Numenios und Plotin, in: Hermes
par H. Dörrie et al. (Vandœuvres/Genève 120 (1992) 250–255.
1966) [Entretiens 12] 35–78. – Wieder in: Die 957 J. P. Kenney: ‘Proschresis’ Revisited: an Essay
Philosophie des Neuplatonismus, herausgege- in Numenian Theology, in: Origeniana
ben von C. Zintzen (Darmstadt 1977) [Wege Quinta: Historica, Text and Method, Biblica,
der Forschung 436] 167–207. Philosophica, Theologica, Origenism and
944 J. Whittaker: Moses Atticising, in: Phoenix 21 Later Developments, edited by R. Daly (Leu-
(1967) 196–201. ven 1992) 217–230.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 701 25.09.18 09:27


702 Bibliographie zum sechsten Kapitel

958 M. Bonazzi: Plotino e la tradizione pitagorica, platónica, in: Cuadernos de filosofía 59


in: Acme 53 (2000) 38–73. (2012) 121–139.
959 J. Phillips: Numenian Psychology in Calci- 968 E. Vimercati: La materia e il male in Nume-
dius?, in: Phronesis 48 (2003) 132–151. nio di Apamea, in: Filosofia e Teologia 26
960 M. Bonazzi: Un lettore antico della ‹Repub- (2012) 77–92.
blica›: Numenio di Apamea, in: Méthexis 17 969 F. Jourdan: La matière à l’origine du mal chez
(2004) 71–84. Numénius. Un enseignement explicité chez
961 M. F. Burnyeat: Platonism in the Bible: Nume- Macrobe? Première partie: la doctrine du
nius of Apamea on ‹Exodus› and Eternity, in: corps astral et des facultés produites par
Metaphysics, Soul, and Ethics in Ancient l’âme lors de sa descente à travers les sphères
Thought. Themes from the Work of Richard So- planétaires, in: Revue de philosophie anci-
rabji, edited by R. Salles (Oxford 2005) 143–169. enne 31 (2013) 41–97.
962 P. P. Fuentes González: Nouménios (Numé- 970 F. Jourdan: Materie und Seele in Numenios’
nius) d’Apamée, in: DPhA IV (2005) 724– Lehre vom Übel und Bösen, in: Die Wurzel
740. allen Übels. Vorstellungen über die Herkunft
963 J. Dillon: Numenius: Some Ontological Ques- des Bösen und Schlechten in der Philosophie
tions, in: Sharples, Sorabji 2007 [*50: II 397– und Religion des 1.–4. Jahrhunderts, heraus-
402]. gegeben von F. Jourdan, R. Hirsch-Luipold
964 M. Edwards: Numenius of Apamea, in: The (Tübingen 2014) [STAC 91] 133–210.
Cambridge History of Philosophy in late An- 971 F. Jourdan: Traditions bibliques et traditions
tiquity, edited by L. P. Gerson (Cambridge égyptiennes au service d’une exégèse du
2010) I 115–125. mythe d’Er: Numénius et l’allégorie
965 G. Müller: La doctrina de los principios en d’Homère dans le fragment 30 des Places, in:
Numenio de Apamea, in: Cuadernos de fi- Les Études philosophiques 153 (2015) 431–
losofía 56 (2011) 51–75. 452.
966 A. Michalewski: Le Premier de Numénius et 972 M. Bonazzi: Numenio, il platonismo e le tra-
l’Un de Plotin, in: Archives de Philosophie 75 dizioni orientali, in: χώρα 13 (2015) 225–240.
(2012) 29–48.
967 G. Müller: Ἰδέα y οὐσία en Numenio de Apa-
mea. Una reinterpretación de la ontologia

Kronios

Fragmente Sekundärliteratur

977 E.-A. Leemans: Studie over den wijsgeer Nu- 984 J. Bernays: Lucian und die Kyniker (Berlin
menius van Apamea met uitgave der fragmen- 1879).
ten (Bruxelles 1937) [Mémoires de 985 K. Praechter: Kronios (3), in: RE XI 2 (1922)
l’Académie royale de Belgique, Classe des 1978–1982.
Lettres et des Sciences Morales et Politiques 986 L. Brisson: Prosopographie, in: Porphyre: La
37,2] 153–157. Vie de Plotin. I: Travaux préliminaires et
978 Proclus. Commentaire sur la République. index grec complet par L. Brisson, M. O.
Traduction et notes par A.-J. Festugière (Paris Goulet-Cazé, R. Goulet, D. O’Brien (Paris
1970) [Bibliothèque des textes philoso- 1982) 55–114.
phiques]. 987 C. P. Jones: Culture and Society in Lucian
(Cambridge MA, London 1986).
988 R. Lamberton: Homer the Theologian. Neo-
platonist Allegorical Reading and the
Growth of the Epic Tradition (Berkeley
1986).

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 702 25.09.18 09:27


Maximos von Tyros 703
989 J. Whittaker: Cronios, in: DPhA II (1994) 993 P. Pilhofer: Anmerkungen, in: Lukian: Der
527–528. Tod des Peregrinos. Ein Scharlatan auf dem
990 M. Frede: Kronios, in: DNP VI (1999) 863– Scheiterhaufen, herausgegeben, übersetzt
864. und mit Beiträgen versehen von P. Pilhofer,
991 A. Gioè: Marginalia medioplatonica, in: PP M. Baumbach, J. Gerlach, D. U. Hansen
54 (1999) 204–205. (Darmstadt 2005) [SAPERE 9] 48–93.
992 M. B. Trapp: Greek and Latin Letters. An An-
thology, with Translation (Cambridge 2003).

Maximos von Tyros

Textausgaben 1016 H. P. Esser: Untersuchungen zu Gebet und


Gottesverehrung der Neuplatoniker (Diss.
 999 Maximi Tyrii Philosophumena, edidit H. Köln 1967).
Hobein (Lipsiae 1910) [BT]. 1017 J. F. Kindstrand: Homer in der zweiten So-
1000 Maximus Tyrius: Dissertationes, edidit M. B. phistik (Uppsala 1973) [Acta Universitatis
Trapp (Stutgardiae 1994) [BT]. Upsaliensis, Studia Graeca Usaliensis 7].
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ΔΙΑΛΕΧΕΙΣ, edited by G. L. Koniaris (Ber- Cristiana, in: Storia della Filosofia IV, di-
lin 1995) [TuK 17]. retta da M. Dal Pra (Milano 1975) 251–289.
1002 Maximus of Tyre: The Philosophical Ora- 1019 K. Döring: Exemplum Socratis. Studien zur
tions, translated with an introduction and Sokratesnachwirkung in der kynisch-sto­
notes by M. B. Trapp (Oxford 1997). ischen Popularphilosophie der frühen
1003 Maximos von Tyros: Philosophische Vor- K aiserzeit und im frühen Christentum
­
träge, übersetzt von O. Schönberger und E. (Wiesbaden 1979) [Hermes – Einzelschrif-
Schönberger (Würzburg 2001). ten 42].
1020 J. Puiggali: Maxime de Tyre et Favorinos, in:
Annales de la faculté des lettres et sciences
Sekundärliteratur humaines de l’université de Dakar 10 (1980)
47–62.
1009 K. Dürr: Sprachliche Untersuchungen zu 1021 G. L. Koniaris: On Maximus of Tyre: Zete-
den Dialexeis des Maximus von Tyrus, in: mata I, in: Classical Antiquity 1 (1982) 87–121.
Philologus Suppl. 8 (1899) 83–86. – Platoni- 1022 J. Puiggali: Dion Chrysostome et Maxime de
sche Wortverbindungen. Tyre, in: Annales de la faculté des lettres et
1010 K. Meiser: Studien zu Maximos Tyrios sciences humaines de l’université de Dakar
(München 1909). 12 (1982) 9–24.
1011 H. Hobein: Zweck und Bedeutung der ers- 1023 G. L. Koniaris: On Maximus of Tyre: Zete-
ten Rede des Maximus Tyrius, in: ΧΑΡΙΤΕΣ. mata II, in: Classical Antiquity 2 (1983) 212–
FS Friedrich Leo (Berlin 1911) 188–219. 250.
1012 H. Mutschmann: Das erste Auftreten des 1024 J. Puiggali: Étude sur les dialexeis de Ma-
Maximus von Tyrus in Rom, in: Sokrates 71 xime de Tyr, conférencier platonicien du
(1917) 185–197. IIème siecle (Lille 1983).
1013 R. M. Jones: Posidonius and the Flight of the 1025 J. Whittaker: ΑΡΡΗΤΟΣ ΚΑΙ ΑΚΑΤΟΝΟΜΑΣ­
Mind through the Universe, in: CPh 21 ΤΟΣ, in: Platonismus und Christentum. FS
(1926) 97–113. Heinrich Dörrie, herausgegeben von H.-D.
1014 W. Kroll, H. Hobein: Maximos (37), in: RE Blume, F. Mann (Münster 1983) [JbAC Er-
XIV 2 (1930) 2555–2562. gänzungsband 10] 303–306.
1015 G. Soury: Aperçus de philosophie religieuse 1026 M. Szarmach: Maximos von Tyros. Eine lite-
chez Maxime de Tyr, platonicien éclectique: rarische Monographie (Torún 1985).
la prière, la divination, le problème du mal
(Paris 1942) [Collection d’études anciennes].

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 703 25.09.18 09:27


704 Bibliographie zum sechsten Kapitel

1027 P. W. Van der Horst: Maximus of Tyre on 1031 P. L. Donini: Socrate ‘pitagorico’ e medio-
Prayer. An annotated Translation of Εἰ δεῖ platonico, in: Elenchos 24 (2003) 332–359.
εὔχεσθαι (Dissertatio 5), in: Geschichte – 1032 J. Campos Daroca, J. L. López Cruces (note
Tradition – Reflexion. FS Martin Hengel. II: traduite de l’espagnol et adaptée par F. Egea
Griechische und Römische Religion, her- Tsibidou): Maxime de Tyr, in: DPhA IV
ausgegeben von H. Cancik, H. Lichtenber- (2005) 324–348.
ger, P. Schäfer (Tübingen 1996) 323–338. 1033 I. L. E. Ramelli: «Maximus» on Evil, Matter,
1028 M. B. Trapp: Philosophical Sermons: The and God. Arguments for the Identification
‘Dialexeis’ of Maximus of Tyre, in: ANRW of the Source of Eusebios (PE VII,22) with
II 34,3 (1997) 1945–1976. Maximus of Tyre, in: Adamantius 16 (2010)
1029 M. B. Trapp: Maximos von Tyros (1), in: 230–255.
DNP VII (1999) 1074–1075. 1034 I. Männlein-Robert: Tugend, Flucht und Ek-
1030 I. Männlein-Robert: «Wissen um die göttli- stase: Zur ὁμοίωσις θεῷ in Kaiserzeit und
chen und die menschlichen Dinge». Eine Spätantike, in: Pietsch 2013 [*456: 99–111].
Philosophiedefinition Platons und ihre Fol-
gen, in: WJA 26 (2002) 14–38.

Kelsos

Textausgaben 1048 Celsus: Gegen die Christen, aus dem Grie-


chischen von Th. Keim, mit Beiträgen von F.
1040 P. Koetschau: Origenes Werke. I: Die Schrift W. Korff, E. Fuhrmann (München 1991).
vom Martyrium. Buch 1–4 Gegen Celsus 1049 Origenes: Contra Celsum libri VIII, edidit
(Leipzig 1899). M. Marcovich (Leiden 2001) [VChr Suppl.
1041 P. Koetschau: Origenes Werke. II: Buch 5–8 54]. – Problematisch aufgrund unbegründe-
Gegen Celsus. Die Schrift vom Gebet (Leip- ter Konjekturen.
zig 1899).
1042 R. Bader: Der ἀληθὴς λόγος des Kelsos
(Stuttgart 1940) [Tübinger Beiträge zur Al- Sekundärliteratur
tertumswissenschaft 33].
1043 Origène: Contre Celse. Introduction, texte 1055 Celsus: Wahres Wort. Älteste Streitschrift
critique, traduction et notes par M. Borret, antiker Weltanschauung gegen das Christen-
I–IV (Paris 1967–1969) [SC 132, 136, 147, tum vom Jahr 178 n. Chr., wiederhergestellt,
150]; V: Introduction générale, tables et aus dem Griechischen übersetzt, untersucht,
index (Paris 1976) [SC 227]. erläutert, mit Lucian und Minucius Felix
1044 L. Rougier: Celse: Contre les Chrétiens. La verglichen von Th. Keim (Zürich 1873).
réaction païenne sous l’Empire romain 1056 Th. Keim: Rom und das Christentum. Eine
(Paris 1977) [Théoriques 1]. – Essay und Darstellung des Kampfes zwischen dem
französische Übersetzung. alten und dem neuen Glauben im römischen
1045 Origen: Contra Celsum, translated with an Reiche während der beiden ersten Jahrhun-
introduction and notes by H. Chadwick derte unserer Zeitrechnung (Berlin 1881).
(Cambridge 1980). 1057 G. Loesche: Haben die späteren Neuplatoni-
1046 Celsus: On the True Doctrine. A Discourse schen Polemiker gegen das Christentum das
against the Christians, translated with a ge- Werk des Celsus benutzt?, in: Zeitschrift für
neral introduction by R. J. Hoffmann (Ox- wissenschaftliche Theologie 27 (1884) 257–
ford 1987). 302.
1047 Celso: Il discorso vero, a cura di G. Lanata 1058 K. J. Neumann, Celsus (20), in: RE III 2
(Milano 1987, 21994) [Piccola biblioteca (1899) 1884–1885.
Adelphi 206]. 1059 P. Koetschau: Die Gliederung des ἀληθὴς
λόγος des Celsus, in: Jahrbuch für protestan-
tische Philologie 18 (1892) 604–632.

06_2 Mittelplatonismus Neupythagoreismus Biblio.indd 704 25.09.18 09:27


Kelsos 705
1060 H. Koch: Pronoia und Paideusis: Studien 1071 R. J. Hauck, Omnes Contra Celsum?, in: The
über Origenes und sein Verhältnis zum Pla- Second Century 5 (1985/86) 211–225.
tonismus (Berlin, Leipzig 1932; ND New 1072 P. Pilhofer: Presbyteron kreitton. Der Al-
York 1979) [AKG 22]. tersbeweis der jüdischen und christlichen
1061 P. de Labriolle: La réaction païenne. Étude Apologeten und seine Vorgeschichte (Tü-
sur la polémique antichrétienne du I au VI bingen 1990) [WUNT, 2. Reihe 39].
siècle (Paris 1934; ND 1948). 1073 G. Watson: Celsus and the Philosophical
1062 A. Wifstrand: Die wahre Lehre des Kelsos, Opposition to Christianity, in: Irish Theolo-
in: Bulletin de la Société Royale des Lettres gical Quarterly 58 (1992) 165–179.
de Lund (1941/42) 391–431. 1074 M. Frede: Celsus philosophus Platonicus, in:
1063 R. Walzer: Galen on Jews and Christians ANRW II 36,7 (1994) 5183–5213.
(Oxford 1949) [Oxford Classical and Philo- 1075 J. Whittaker: Celsus, in: DPhA II (1994)
sophical Monographs]. 255–256.
1064 P. Merlan: Celsus, in: RAC 2 (1954) 954– 1076 A. Magris: Aufklärerischer Platonismus:
965. – Wieder in: Ders.: Kleine philoso­ Kelsos und Origenes, in: Chartulae. FS
phische Schriften, herausgegeben von F. Wolfgang Speyer (Münster 1998) 228–243.
Merlan (Hildesheim, New York 1976) [Col­ 1077 M. Baltes: Kelsos, in: DNP VI (1999) 385–
lectanea 20] 352–357. 387.
1065 C. Andresen: Logos und Nomos. Die Pole- 1078 J. W. Hargis: Against the Christians. The
mik des Kelsos wider das Christentum (Ber- Rise of Early Anti-Christian Polemic (New
lin 1955). York 1999) [Patristic Studies 1].
1066 H. Dörrie: Die platonische Theologie des 1079 H. E. Lona: Die ‹Wahre Lehre› des Kelsos,
Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der übersetzt und erklärt von H. E. Lona (Frei-
christlichen Theologie auf Grund von Orige- burg i. Br. 2005).
nes, C. Celsum 7,42ff., in: NAGW Nr. 2 1080 R. E. Cornavaca: Citas del ‹Fedro› y de la
(1967) 19–55. – Wieder in: Dörrie 1976 [*23: ‹República› del Platón en algunos Padres
229–262]. cristianos de los siglos II y III, in: Revista de
1067 H. Dörrie: Logos-Religion? Oder Nous- estudios clásicos 37 (2010) 31–55.
Theologie? Die hauptsächlichen Aspekte 1081 M. Di Pasquale Barbanti: Platone contro
des kaiserzeitlichen Platonismus, in: Kepha- Platone nel ‹Contra Celsum› di Origene.
laion. Studies in Greek Philosophy and its Presupposti storici e strutture teoriche, in:
Continuation. FS C. J. de Vogel, edited by J. Temi e forme della polemica in età cristiana
Mansfeld, L. M. De Rijk (Assen 1975) [Phi- (III–V secolo), a cura di M. Marin, M. Vero-
losophical Texts and Studies 23] 115–136. nese (Bari 2011) 233–256.
1068 W. Ullmann: Die Bedeutung der Gotteser- 1082 M.-O. Boulnois: Le Contre les Galiléens de
kenntnis für die Gesamtkonzeption von Cel- l’empereur Julien répond-il au Contre Celse
sus’ Logos Alethes, in: StPatr 14 (1976) d’Origène?, in: ΕΝ ΚΑΛΟΙΣ ΚΟΙΝΟΠΡΑΓΙΑ.
180–188. Hommages à la mémoire de Pierre-Louis
1069 H. Usener: Glossarium Epicureum, eden- Malosse et Jean Bouffartigue, édités par E.
dum curaverunt M. Gigante, W. Schmid Amato (Nantes 2014) [Revue des études
(Rom 1977). tardo-antiques Suppl. 3] 103–128.
1070 K. Pichler: Streit um das Christentum. Der 1083 J. Arnold: Der Wahre Logos des Kelsos.
Angriff des Kelsos und die Antwort des Ori- Eine Strukturanalyse (Münster 2016) [JbAC
genes (Bern 1980). – Forschungsbericht mit Ergänzungsband 39].
Textgeschichte.

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Siebtes Kapitel

Philosophie im hellenistischen Judentum

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§ 73. Septuaginta

Martin Karrer

1. Werkbeschreibung. – 2. Lehre. – 3. Nachwirkung.

1. WERKBESCHREIBUNG

In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. begann in Alexandrien die


Übersetzung der zentralen Schriften Israels, zunächst der Tora (Gen.–Dtn.). Der
Legende nach wurde sie durch Ptolemaios II. veranlasst und durch 72, nach an-
derer Tradition durch 70 Übersetzer vollzogen (daher der Name Septuaginta,
­abgekürzt LXX). Doch können innerjüdische Bedürfnisse und ein hohes Selbst-
bewusstsein der großen jüdischen Bevölkerungsgruppe in Alexandrien eine glei-
chermaßen wichtige Rolle gespielt haben.
Die Übersetzer formulierten in Dtn. 4,5–8 den Auftrag, allen Völkern die
Rechtsbestimmungen des einen Gottes zu Gehör zu bringen; denn dadurch wür-
den sie die «Weisheit» (σοφία) und «Einsicht» (σύνεσις) Israels als eines «verstän-
digen» (ἐπιστήμων) Volkes erkennen. Es wäre eine Überschätzung, wollte man in
diesen Sätzen das Ziel ihrer Übersetzung finden; trotzdem ist die in der Auswahl
der genannten griechischen Begriffe erkennbare Tendenz wichtig: Die Tora Israels
(die ‘Weisung’ Gottes im allgemeinen Sinne) soll als ‘Gesetz’, νόμος, d. h. als
Grundlage menschlichen Zusammenlebens und Ausdruck größter Weisheit ver-
standen werden. Das verbindet Theonomie und Vernunft; durch die Übersetzung
entsteht – ohne dass die Terminologie der Philosophie in größerem Umfang be-
nützt würde – eine Brücke zur Philosophie im Sinne der damals hoch geschätzten
Staats- und Rechtsphilosophie. Bereits Platon hatte ja die Gesetze (νόμοι) und das
Gerechte (τὰ δίκαια) ins Zentrum seines Denkens gestellt (Plat. Epist. 7, 326a
u. ö.), was in der Zeit der LXX beträchtliche Wirkung entfaltete (bis hin zu Cice-
ros ‹De legibus›).
Ob die Übersetzer diese Brücke bewusst schlugen, ist umstritten. Doch die Re-
zeption knüpfte schon während des Fortgangs der Übersetzungsarbeit daran an.
Spätestens um 150 v. Chr. verbreitete sich auf jüdischer Seite die Überzeugung,
Platon habe Israels Gesetz studiert und rezipiert (Aristobulos fr. 3 = Eus. Praep.
ev. XIII,12,1–2), aus heutiger Sicht ein Anachronismus, damals eingebettet in die
Neigung, Wurzeln griechischer Philosophie im Orient zu suchen (vgl. Hekataios
von Abdera), und gestützt durch volkstümliche Chronologie, der gemäß Mose in
die ägyptische Zeit und Platon zur jüngeren griechischen Epoche gehörte. In der
zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts machte die Gründungslegende des Aristeas-
Briefes die Übersetzer der Tora zu Gesprächspartnern des Ptolemaios in Fragen

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710 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

der Herrschaftsgestaltung und Herrschaftsethik, eine Reminiszenz der Idee,


Herrscher ließen sich durch Weise beraten.
Die Tora-Übersetzung war in dieser Zeit abgeschlossen, die Übertragung der
weiteren Heiligen Schriften Israels im Gang. Bis 140 v. Chr. erfasste sie den Groß-
teil der Geschichtsbücher und prophetischen Schriften und beträchtliche Teile der
‹Psalmen› und Weisheitsschriften (siehe den Prolog von Sir. mit einer der wich-
tigsten antiken Reflexionen auf Probleme des Übersetzens). Der Übersetzer der
‹Proverbia› stellte sich das an der Weisheit orientierte jüdische Leben nun wie ein
«Zusammenkommen in Säulenhallen» zur Belehrung vor (ὁμιλεῖτε ἐν περιπάτοις:
Prov. 23,31 LXX gegen den hebräischen Text), was, unbeschadet religiöser Dis-
tanz, eine Berührung zum aristotelischen Peripatos impliziert. Nicht ausgeschlos-
sen, aber vorsichtiger als früher zu erörtern, ist ein gelegentlicher Einfluss eines
LXX-Motivs auf die Philosophie (am bekanntesten das Lob eines recht gelebten
Tages Ps. 83,11 LXX; vgl. Philon Her. 290; Cic. Tusc. 5,5f.; Sen. Epist. 78,28; O.
Weinreich, R. Brucker in Kraus, Karrer 2011 [*18: 1743]).
Die Übersetzung der letzten verbleibenden Schriften (Erzählungen, Lieder)
zog sich bis ins späte 1. Jahrhundert v. Chr., im Einzelfall bis ins 1. Jahrhundert
n. Chr. hin (einige Datierungen sind umstritten). In dieser Epoche wandelte sich
das Übersetzungsverständnis. Die meisten Übersetzungen bis zum 2. Jahrhundert
gaben Eigenheiten des Griechischen Raum (sie wären in heutiger Terminologie
‘zielsprachlich’ zu nennen) und gestatteten Aktualisierungen oder freie Wieder-
gaben, was in der Prophetie bis zum ‹Jesaja›-Buch besonders relevant ist. Ab dem
späten 2. Jahrhundert, verstärkt im 1. Jahrhundert v. Chr. verbreitete sich dagegen
ein Wunsch nach Abbildung des Ausgangstextes bis in die phonetische und syn-
taktische Textoberfläche. Solche Abbildungen waren nicht neu; z. B. dürfte sich
die für die philosophische Ethik wichtige Bevorzugung des Begriffs ‘Liebe’
(ἀγάπη) statt ‘Eros’ (ἔρως) aus der phonetischen Nähe zum hebräischen ‘ahabah’
erklären, nicht, wie früher gerne gedacht, aus einem anti-erotischen Affekt. Aber
die Abbildungen vermehrten sich nun. Auch Zweitübersetzungen begannen zu
entstehen (z. B. der sog. Theodotion-Text von Dan.).
Die Besprechung der Septuaginta muss nicht nur diesen Wandel einbeziehen,
sondern auch junge jüdisch-griechische Schriften, die besonders stark hellenis-
tisch geprägt sind (philosophisch am relevantesten Sapientia und das 4. ‹Makka-
bäer›-Buch). Hinzu kommt, dass die Übersetzung und Sammlung der Schriften
in keiner Phase zentral organisiert wurden. Neben alexandrinischen Übersetzern
waren mit Sicherheit Bearbeiter aus Judäa tätig (siehe das Kolophon F 11 von ‹Es-
ther› LXX), gelegentlich vielleicht auch einzelne Mitwirkende aus der Ägäis (letz-
teres ist allerdings fraglich; auffällige Details wie der parische Marmor 1. Chron.
29,2 LXX können im Mittelmeerraum allgemein verbreitetes Wissen spiegeln).
Die verwendeten hebräischen Handschriften waren nicht standardisiert; der sog.
proto-masoretische Text (d. h. der noch nicht vokalisierte Mehrheitstext der he­
bräischen Bibel), die Basis für die heutigen Textausgaben, verdrängte alternative
Textfassungen erst allmählich, so dass viele Besonderheiten der Septuaginta auf
eine später verlorene hebräische Vorlage verweisen (am bekanntesten der abwei-
chende Ier.-Text).

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§ 73. Septuaginta (Bibl. 754–756) 711

Als Übersetzung der ‘Siebzig’ im engeren Sinn galt zunächst die Übersetzung
des Pentateuchs, auf die dann die anderen Übersetzungen zu beziehen waren.
Noch der jüdische Philosoph Philon zitiert aus den anderen Schriften der Septua­
ginta nicht unabhängig, sondern stets unter Bezug auf den Pentateuch. Parallel
dazu bildete sich aber bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. allmählich das Bewusstsein
für eine Gesamtsammlung aus (Jos. Ap. 1,38–45). Der Sammlung würdig wurde
dabei nun auch eine Reihe von ab Beginn auf Griechisch verfassten Erzählungen
und Weisheitsschriften gehalten (so die erwähnten Bücher Sir., Sap. und 4. Makk.).
Die Rollen, auf die alle Texte geschrieben wurden, erlaubten allerdings lediglich
Teileditionen. So blieb bis ins frühe Christentum der Rand der Sammlung offen.
Ein kleiner Teil der Handschriften integriert die für Reflexionen über die Gerech-
tigkeit wichtigen jüdischen ‹Psalmen Salomons›, die große Mehrheit eine Samm-
lung der Lieder, die nicht in den Psalter eingingen (die ‹Oden›); diese Quelle hat
jüdische Wurzeln, wurde jedoch erst im christlichen Kontext in die heutige Form
gebracht. Sie enthält auch neutestamentliche Lieder und endet in einem christ­
lichen Morgenhymnus.
Die Septuaginta ist also kein einheitliches Werk, vielmehr eine Sammlung von
Schriften verschiedener Epochen, die im Judentum entstand und im Christentum
zum Abschluss kam. Die kritischen Editionen orientieren sich an der herzustel-
lenden ältesten jüdischen Textfassung, bei den ‹Oden› am vermutet ältesten christ-
lichen Text. Der Streit der Spezialforschung, ob die Septuaginta interlinear zum
hebräischen Text aufzufassen sei, mithin inhaltlich nur begrenzt über diesen hin-
ausgehe (ein wichtiges, vor allem von A. Pietersma eingebrachtes Moment in Pie-
tersma, Wright 2007 [*9]), oder ob sie mit den Augen der Leser und daher als grie-
chisches Werk eigenständig zu lesen sei (so ein wichtiger Teil der europäischen
Forschung), ist auf mittlerem Wege zu lösen: In der Vielfalt der Schriften suchen
manche strikt das Hebräische abzubilden, während andere sich weit zum griechi-
schen Raum hin öffnen. Ein einzigartiges Dokument jüdisch-christlichen Den-
kens entsteht, das sich einer strikten Einheitlichkeit verweigert, jedoch Vielfalt
und Entwicklungen umso bedeutsamer anzeigt.

2. LEHRE

Übersetzungsliteratur ist an die Vorlage gebunden, und das Hebräische kennt


kein Äquivalent für ‘Philosophie’. Daher ist der Umweg über die im ganzen Ori-
ent verbreitete Lebensorientierung mit Hilfe der ‘Weisheit’ unumgänglich (he­
bräisch ‘chokhma’). Der hebräische Pentateuch aber sprach von Weisheit nur be-
grenzt. Er bezog sie auf praktische Fähigkeiten (σοφία: Ex. 31,3; 35,26. 31 u. ö.)
und die Qualität von Leitung in Israel (σοφός: Dtn. 1,13. 15). Das macht die zi-
tierte These, ganz Israel besitze «Weisheit» (Dtn. 4,6 LXX), zum exzeptionellen
Spitzensatz, konterkariert durch den Vorwurf, Israel verspiele töricht seine Weis-
heit (Dtn. 32,6). Der Pentateuch, Israels Grundtext, ist also unbeschadet wichti-
ger Aspekte, auf die zurückzukommen sein wird, nicht weisheitlich-philosophisch
zu lesen.

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712 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Anders stellte das Schlüsselwerk der jüdischen Weisheitsliteratur, die ‹Prover-


bia›, wahrscheinlich bereits hebräisch einen Bezug zur griechischen Weisheit her;
«ṣôphîah» («sie [nämlich die ideale Frau, bildlich die Frau Weisheit] schaut») in
Prov. 31,27 lässt sich jedenfalls gut als Anspielung auf das griechische Wort σοφία
lesen, was der perserzeitlich-frühhellenistische Autor dieses Verses nach Ansicht
eines Teils der gegenwärtigen Forschung intendierte. Die Übersetzer gingen einen
Schritt weiter. Sie wählten σοφία zur Standardübersetzung von Weisheit im um-
fassenden Sinne und sprachen Salomon, dem fiktiven Urheber der Sprichwörter,
die Fähigkeit zu, andere Weise in der «Vernunftdiskussion» (λόγοι φρονήσεως),
der «Leitungskunst» (κυβέρνησις) und der «Rechts- und Erziehungsweisheit»
(δικαιοσύνη und παιδεία) zu fördern sowie «dunkle Worte zu verstehen» (νοεῖν
[…] σκοτεινὸν λόγον; man vgl. die griechische Erinnerung an die dunklen Worte
der Vorsokratiker). Salomon erhielt nicht explizit, aber in der Sache den Rang
eines Weltweisen (Prov. 1,1–6 LXX).
Die griechische Philosophie freilich unterschied in dieser Epoche bereits län-
ger Weisheit und Philosophie, oft mit scharfen Kontrasten (vgl. Pythagoras nach
D. L. 1,12). Sie würdigte die Spruchweisheit der sieben Weisen, deren Form sich
mit der jüdischen Weisheit vergleichen lässt, ohne sie mit Philosophie der Gegen-
wart zu identifizieren. Jüdische Weisheit behielt insofern einen Abstand zur Phi-
losophie. Die Berührungen der ‹Proverbia› zu Platon und Aristoteles blieben ge-
ring (trotz mancher Versuche, Prov. 8,22ff. mit dem ‹Timaios› und Prov. 6,8a–c
LXX mit Aristot. Hist. an. 622b20f. 24–27; 623b13f. 17ff. zu vergleichen; vgl. von
Lips 2003 [*39: 47f.], kritisch Cook 2008 [*48]).
In der LXX-Rezeption wurde diese Distanz als Würde des heiligen Textes in-
terpretiert, der das Gespräch mit der Philosophie unter die eigenen hermeneuti-
schen Herausforderungen stelle. Ob bereits die Übersetzer und die Textüberliefe-
rung bis zur Zeitenwende eine solche Auffassung entwickelt hatten, ist dagegen
fraglich (Léonas 2007 [*44: 187, 195 u. ö.]). Hier ist zunächst die Traditionsgebun-
denheit eines Übersetzungstextes zu beachten.
Den Anfang der Weisheit bilden – fährt Prov. 1,7 fort – «Gottesfurcht und
Frömmigkeit» (φόβος θεοῦ […] εὐσέβεια). Das schlägt einen Bogen zur Aussage
von Ier. 9,23f. (nach anderer Zählung 9,22), wonach sich der «Weise» (σοφός) spe-
zifisch dessen rühmen soll, dass er den einen Gott, dessen Recht und dessen Wil-
len verstehe und erkenne. Dieses jeremianische Wort wurde zum geflügelten
Motiv; es ging ins Lied der Hanna nach 1. Sam. 2,10 (1. Reg. 2,10 LXX) und die
‹Oden› (Od. 3,10) ein: Der «verständige» (φρόνιμος) bzw. «weise» (σοφός) Mensch
entwickelt sein Denken daraus, «den Herrn zu verstehen und zu erkennen» (συν­
ίειν καὶ γινώσκειν τὸν κύριον), und bringt das in «gerechtem Urteilen und Han-
deln» (κρίμα καὶ δικαιοσύνη) zum Ausdruck. Prophetie, Weisheit und Lied be-
kunden demnach die Basis jüdisch-christlicher Philosophie nach der Septuaginta:
Jüdisch-christliche Philosophie entfaltet ein theonomes Bewusstsein in vernünf-
tiger Reflexion mit dem Ziel einer Ethik der Gerechtigkeit.
Das berühmte Wort vom neuen Bund Ier. 38,31–34 LXX steigert in seiner grie-
chischen Fassung dieses Selbstverständnis (mit mehreren Änderungen gegenüber
der Fassung im 31. Kap. des hebräischen Buches Ier.): «Erkenne den Herrn» (γνῶθι

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§ 73. Septuaginta (Bibl. 754–756) 713

τὸν κύριον: v. 34) sei der Leitspruch von Israels Mitbürgern in den griechischen
Städten, nicht das griechische «erkenne dich selbst» (das von der LXX nie zitiert
wird, aber an unserer Stelle durch den Singular «erkenne» gegen den Plural «er-
kennt» des hebräischen Textes anklingt). Und wenn Gott Israel seinen neuen Bund
gewährt, wird er seine Gesetze und solche Erkenntnis unmittelbar an Herz und
«Verstand» (διάνοια: v. 33) mitteilen. Des «Lehrens» (wie Lehrhäuser Israels oder
Philosophenschulen es pflegen; διδάσκειν: v. 33) wird es dann nicht mehr bedürfen.
Im Zentrum solch theonomer Philosophie steht (wenn der Ausdruck ‘Philoso-
phie’ gestattet ist) – das ist durch den Pentateuch vorgezeichnet – das Gesetz im
Sinne der Lebensordnung, durch die Gott Einsicht gewährt und die Gerechtigkeit
schafft. In Sir. 24,23 wird dieses Verständnis des Gesetzes vertieft zur διαθήκη,
der «Bundes-Setzung» Gottes. Mit philosophischen Augen gelesen, kommt der
Ethik eine Schlüsselrolle für die Theoriebildung zu, ohne letztere ganz zu bestim-
men. Denn in großen Liedern der Septuaginta überragt die Weisheit – die Grund-
lage für Israels Art der Philosophie – alle menschlichen Fähigkeiten und steht dem
Göttlichen unmittelbar nahe (Sir. 24,1–22; Bar. 3,15–38).
Die Weisheit ist also mehr als das Gesetz und konkretisiert sich doch im «Ge-
setz» (νόμος: Sir. 24,23; Bar. 4,1), das Momente des Weltgesetzes integriert. Falls
die «Schriftrolle», die dieses Gesetz aufnimmt (βίβλος an beiden genannten Stel-
len), auf den Pentateuch (die Tora) verweist, würde dessen Gesetz höchste ethi-
sche Weisheit. Die Belege reichen nicht, um die Identifizierung nachzuweisen (der
Pentateuch wurde auf mehrere Rollen geschrieben). Die Tendenz indes gilt in
jedem Fall; wo das Judentum (und frühe Christentum) ihre Tradition philo­
sophisch durchdringen, müssen sie der Rechtsethik höchsten Raum gewähren und
sie mit anderen Rechtsethiken der (antiken) Philosophie korrelieren, zudem Züge
der antiken Kosmologie einbeziehen.
Das hebräische Original des Pentateuchs begann mit Schöpfung und Grund-
geschichte der Menschheit. Beides konnte bei der Übertragung philosophienah
reflektiert werden. Nach einem Teil der Forschung war den Übersetzern des Bu-
ches Gen. (im 3. Jahrhundert, zeitlich vor den im letzten Abschnitt angesproche-
nen Weisheitsspekulationen) Platons ‹Timaios› vertraut (Rösel 1994 [*34]; gut be-
gründet); nach anderen wählten sie verwandte Begriffe aufgrund der allgemeinen
Sprachkonvention (spezifisch philosophische Intentionen verlieren sich beim Mo-
dell einer interlinearen Übersetzung; vgl. van der Louw 2007 [*47: Kap. 2 und
Kap. 4]). Jedenfalls erinnern die Termini «unsichtbar und unbearbeitet» (ἀόρατος
καὶ ἀκατασκεύαστος: Gen. 1,2), «fester Körper» (στερέωμα: 1,6), «lebendige
Seele» (ψυχή: 1,21) und die leichte, aber folgenreiche Glättung in 2,3–5 (vgl. 2,9.
19) an eine frühe Wirkung Platons: Die zwei hebräischen Schöpfungsberichte in
Gen. 1–2 werden zur Abfolge von immaterieller Konzeptionierung, vergleichbar
der platonischen Ideenwelt (1,1–2,4a), und materieller Gestaltung (2,4b–25). Ent-
weder führt damit die LXX-Übersetzung selbst den Platonismus ins jüdische Ver-
ständnis der Heiligen Schriften ein oder sie eröffnet zumindest diese Möglichkeit
der Rezeption (realisiert ab Philon).
Interessanterweise entdecken wir daraufhin philosophische Berührungen auch
in der Anthropologie jüngerer Schriften (z. B. das Motiv des «Einklangs», ἁρ­

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714 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

μονία, im Bild der Belebung Hes. 37,7 LXX). Sap. 7,1–6 kennt vielleicht Aris­
toteles’ ‹De generatione animalium› (Leproux 2007 [*45: 84–89]; kritisch Bons
2012 [*51]).
Das Gottesverständnis konnte davon nicht unberührt bleiben. In Ex. 3,14 LXX
nähert sich die Formulierung – wahrscheinlich nicht bewusst philosophisch, doch
unter Berührung mit philosophischer Sprache – ontologischer Terminologie (Gott
sei «der Seiende» (ὁ ὤν); Rösel 1998 [*37]). Ies. LXX vertieft dies geschichtsphilo-
sophisch: Gott wird zum ‘Ersten’ und ‘ist’ bis zum Kommenden (Ies. 41,4; 48,12).
Das ‹Buch der Weisheit› führt dies fort (bezüglich 7,23–26, 13,1–5 und 15,3 werden
Berührungen zu mittlerem Platonismus und Stoa diskutiert; Positionen bei Engel
et al. 1991 [*32], Kepper 1999 [*38: bes. 174ff.], Neher 2004 [*40: 179f., 229] u. a.). In-
teressanterweise bleibt dabei die Möglichkeit offen, dass einzelne philosophisch re-
levante Begriffe erstmals in diesem Kontext geprägt wurden (θειότης, «Gottheit»,
könnte in Sap. 18,9 der Verwendung in philosophischen Fragmenten vorausgehen,
da die Rekonstruktion in Epikur fr. 38 Usener [Philodem De piet. 1263–1267 Ob-
bink] fraglich ist; Kugelmeier 2010 [*50: 351–356]). Von Einflüssen ist deshalb
manchmal weniger zu sprechen als einer allgemeinen Entwicklung der Bildung.
Platon kritisierte im ‹Euthydemos› Proteus, ‘den Ägypter’, als ‘Sophisten’ im
Sinne eines Zauberers und Scharlatans (288b). Ex. 7,11 LXX nennt ähnlich die
Gegner Moses «Sophisten» voller Magie, und eine jüngere Übersetzungsschicht
von Gen. 41,24 (Theodotion) macht auch aus den ägyptischen Traumdeutern «So-
phisten» (LXX hat «Exegeten»; vgl. Hdt. 1,78). Ohne dass Kenntnis von Platons
Werk vorauszusetzen ist, klingt darin seine Sophisten-Kritik an.
Wo die Dan.-Übersetzung (2. Jahrhundert v. Chr.?) entstand, wissen wir nicht.
In der erzählten Welt führt sie ins Zweistromland und gebraucht dabei das erste
und einzige Mal in den Übersetzungsschriften den Terminus «Philosoph»
(φιλόσοφος): Am babylonischen Hofe erweisen sich die legendären Gestalten Da-
niels und seiner Gefährten zehnfach den dortigen ‘Philosophen’ überlegen, weil
sie als Verehrer des einen Gottes Nebukadnezar kundig und recht beraten (Dan.
1,20 LXX nach Hs. 88 und Teilen der lat. Tochterüberlieferung; Text von Rahlfs
2006 [*1]). Einige Handschriften ersetzen das durch die Variante ‘Philologe’. Die
Göttinger Edition bevorzugt diese Lesart, die eventuell eine Reminiszenz an die
Homer-Philologie Alexandriens darstellt. Ist die Lesart «Philosoph» ursprüng-
lich, wofür viel spricht, bietet der Fortgang des Verses weiteren Aufschluss über
das Ideal der Staatsphilosophie in jüdischen Augen: Daniel und seine Gefährten
werden vom König glanzvoll belobigt und – wiederum nach einem Teil der Über-
lieferung – mit Amtsstellen ausgestattet. Sie werden «Archonten» (ἄρχοντες: Dan.
1,20 LXX; Text von Rahlfs 2006 [*1]), was an die Forderung von Platons ‹Siebten
Brief› (326b) erinnert, Philosophen sollten zu «Führungsstellen» (εἰς ἀρχάς) ge-
langen. Die platonische Sophistenkritik tritt zugleich zurück. Daniel heißt in sei-
ner Fähigkeit zur Traumdeutung unbeschwert «Anführer der Sophisten» (Dan.
4,15 [18] LXX), so dass Philosophie zur Weltdeutung und Herrscherberatung mit
astrologischen und traumdeuterischen Kenntnissen wird.
Die Philosophie des späten Hellenismus befasst sich insbesondere mit dem Leid
(mit unterschiedlichen Zugängen von der Stoa bis zum Epikureismus). Die Frage­

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§ 74. ‹Weisheit Salomons› (Bibl. 756–757) 715

stellung beeinflusst die hochreflektierte, aber philosophische Terminologie nur


zögerlich verwendende Übersetzung des ‹Hiob›-Buches und deren Forderung
nach Besonnenheit im Leid (2. Jh. v. Chr., Nachträge jünger; vgl. M. Witte und
M. Kepper in Kraus, Karrer 2011 [*18: 2057f.]). Im 1. Jahrhundert n. Chr. veran-
lasst sie die von vornherein griechische Abfassung eines explizit philosophischen
Traktates über die Beherrschung der Leiden durch den gottvertrauenden Men-
schen, des 4. ‹Makkabäer›-Buches. Der Autor dieser jungen Schrift versucht, das
Gesetzesdenken Israels und griechisches Lebensideal durch einen dehnbaren
­Philosophiebegriff in Einklang zu bringen. Theologie wird durch eine eklektische
Synthese philosophischer Akzente unter besonderem Gewicht der Stoa zur
­Philosophie (vgl. φιλόσοφος usw. in 4. Macc. 1,1–7,7. 21; Klauck 1989 [*31] u. a.).
Die LXX, deren hebräische Vorlagen nicht der Philosophie zugeordnet werden
können, gewinnt philosophische Züge.

3. NACHWIRKUNG

Die Septuaginta entfaltet bei Philon und den griechischen Kirchenvätern eine
umfassende Wirkung, immer wieder in Konkurrenz mit der Philosophie (z. B. liest
Clemens von Alexandrien in Strom. 1,54,4 Prov. 10,17 als Kritik an nur scheinbar
Weisen). Sie ist der Referenztext für Zitate des Alten Testaments im Neuen Tes-
tament. Die Verschmelzung der Weltenstehungserzählung der griechischen ‹Ge-
nesis› und des platonischen ‹Timaios› begründete die über Jahrhunderte hinweg
gültige Kosmologie, und Schlüsselstellen wie Ex. 3,14 prägen philosophisch-theo-
logische Entscheidungen bis in die Gegenwart.

§ 74. ‹Weisheit Salomons›

David Winston

Die ‹Weisheit Salomons›, von einem hellenisierten Juden von vornherein in


griechischer Sprache und aller Wahrscheinlichkeit nach in Alexandrien selbst ab-
gefasst, dürfte in der Zeit zwischen 30 v. Chr. und 70 n. Chr. entstanden sein, als
nach der Eroberung der Stadt durch die Römer 30 v. Chr. (vgl. 6,3; 14,22; 19,16)
die frühere Hoffnung der alexandrinischen Juden auf soziale und kulturelle An-
erkennung seitens der griechischen Bevölkerung zunehmender Desillusionierung
und Enttäuschung gewichen war. Von einigen Forschern wird allerdings an der äl-
teren Datierung auf Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. bzw. Anfang des 1. Jahrhun-
derts festgehalten (Schmitt 1989 [*63: 6]). Bereits ein flüchtiger Blick auf das Werk
macht deutlich, dass es sich weniger um eine philosophische Abhandlung als viel-

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716 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

mehr um eine rhetorische Schrift handelt, die gattungsgeschichtlich Elemente


eines Protreptikos mit solchen eines Enkomiums verbindet. Eingerahmt durch
eine Ermahnungsrede bietet sie in kunstvollem und literarisch ausgefeiltem Stil
(Winston 2005 [*90]) eine enthusiastisch preisende Anrufung der Weisheit. Der
Aufbau – mehrfach in konzentrischen Ringkompositionen angelegt – ist dreiglied-
rig (Gilbert 2005 [*89]): 1) Mahnrede an die Mächtigen, nach der Unsterblichkeit
verleihenden Weisheit zu trachten (Sap. 1,1–6,21); 2) Lobrede auf die Weisheit mit
einer Beschreibung von deren Wesen und Wirken und Salomons Suche nach ihr
(Sap. 6,22–9,18); 3) Heilsgeschichtlicher Rückblick auf das Walten der göttlichen
Weisheit vom Beginn der Erschaffung des Menschen bis zum Exodus des Volkes
Israel (Sap. 10,1–19,22). Dieser letzte Teil enthält ausgefeilte «Vergleiche» (συγ­
κρίσεις), indem in sieben ‘Diptychen’ die Bestrafung der Gottlosen und die Be-
lohnung der Gerechten einander gegenübergestellt werden. Doch ungeachtet der
rhetorischen Gesamtanlage der Schrift erweist sich der Autor im Rahmen seiner
Allgemeinbildung ebenso gut mit zeitgenössischen philosophischen Strömungen
vertraut. Dadurch, dass er gewisse Begriffe, Konzepte und Grundsätze der Philo-
sophie selektiv übernimmt, nähert er die Weisheitstradition des hellenistischen
Judentums so augenfällig an die philosophische Tradition an, dass das in die Sep-
tuaginta integrierte ‹Buch der Weisheit› das am stärksten philosophisch wirkende
Buch der griechischen Bibel ist.
Eine neue Gewichtung innerhalb der jüdischen Tradition nimmt der Verfasser
vor, wenn er der platonischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele eine zent-
rale Rolle einräumt (vgl. Sap. 1,15; 2,23; 3,4; 8,17 usw.) und sogar die Vorstellung
von der Präexistenz der Seele möglicherweise erstmals in der jüdischen Literatur
anklingen lässt, falls eine vage Formulierung (Sap. 8,19f.) wirklich in diesem Sinn
zu verstehen sein sollte. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass er die anthropo-
logischen Grundkoordinaten des Platonismus, den in dieser Weise der jüdischen
Tradition fremden Dualismus von Körper und Seele, teilt, indem er die Über­
legenheit der tugendhaften Seele gegenüber der Zeugung leiblicher Nachkommen-
schaft vertritt (Sap. 4,1; vgl. Plat. Symp. 208eff.) und die widrigen Einwirkungen
des Körpers auf die Seele (vgl. Plat. Phaed. 66b; Rep. 10, 611c) in dem berühmten,
einem populären Platonismus verpflichteten Diktum pointiert zum Ausdruck
bringt: «Der vergängliche Leib beschwert die Seele, und das irdische Zelt belastet
den Geist voll von Sorgen» (Sap. 9,15; vgl. Plat. Phaed. 81c, Phdr. 247b).
Die hellenistische philosophische Ethik kommt ins Spiel bei der Darstellung
eines traditionell biblischen Themas wie der göttlichen Vergeltung nach dem Ta-
lionsprinzip (der Vergeltung nach dem Auge-um-Auge-Prinzip). Die ausgeführ-
ten Vergleiche des letzten Teils, wo in sieben ‘Diptychen’ die Bestrafung der Ägyp-
ter und die Belohnung der Israeliten dargestellt wird, ist nach dem Grundsatz
strukturiert, dass die Verfehltheit einer bösen Tat nicht in ihr selbst liegt, sondern
in der Irrationalität, aus der sie hervorgeht (vgl. Sap. 11,15; 14,22 usw.). Das ent-
spricht besonders der stoischen Ethik, der zufolge sich die Werthaftigkeit der
Handlung eines Weisen in seiner tugendhaften Haltung zeigt, von der sein Han-
deln zeugt, nicht in dem, was er tut (Amir 1992 [*78: 37ff.]). Dem Autor wichtig
ist, dass den Missetätern selbst der Zusammenhang zwischen ihren Vergehen und

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§ 74. ‹Weisheit Salomons› (Bibl. 756–757) 717

ihrem Leiden klar wird (Sap. 18,19). Eine ähnliche Position wird später Maimo-
nides einnehmen (in den ethischen Partien seines ‹Kommentars zur Mischna› und
in seinem großen halachischen Werk, der ‹Mischne Tora›).
Das größte Gewicht kommt jedoch dem zweiten Teil (Sap. 6,22–9,18) zu, der
von Wesen, Ursprung und Wirkung der Weisheit handelt. Der Autor skizziert
seine eigene spirituelle Odyssee und bekennt seine Leidenschaft für Frau Weis-
heit, die ihn von früher Jugend an beseelt und ihn dazu gebracht habe, mit ihr sein
Schicksal zu teilen. Seine überschwängliche Liebe zur Weisheit zeigt sich ein-
drücklich in der wundervollen hymnischen Beschreibung, die er von ihr gibt. Zu-
nächst werden in synkretistischer Manier 21 Attribute meist stoischer Herkunft
auf sie bezogen (z. B. intelligent, fein, beweglich, unbefleckt, unhemmbar, uner-
schütterlich), um die Weisheit ihrem Wesen nach als die die Welt durchwaltende
und gestaltende göttliche Potenz zu preisen (Sap. 7,22–24). Dies erinnert an die
stoische Lehre des die Welt durchdringenden und zusammenhaltenden πνεῦμα
(Chrysipp, SVF II, fr. 416, 1027, 1033), doch ist auch das Bestreben erkennbar, den
ursprünglich subtil stofflichen Charakter des stoischen Pneumaverständnisses ab-
zustreifen und die stoische Sprache in literarische Metaphern für eine immateri-
elle Realität zu transformieren. Das Wesen der Weisheit beschreiben sodann fünf
ihr beigelegte Prädikate: ἀτμίς («Hauch»), ἀπόρροια («Ausfluss») – an Flüssigkeits­
phänomenen abgelesen –, ἀπαύγασμα («Abglanz»), ἔσοπτρον («Spiegel»), εἰκών
(«Bild») – an Lichtphänomenen abgelesen –, wodurch sie als ewige Emanation von
Gottes Macht und Herrlichkeit dargestellt wird (Sap. 7,25–26. 29–30). Sie ist nicht
mit Gott identisch, aber auch nicht erschaffen (anders Prov. 8,22; Sir. 1,4; 24,9),
sondern sie ist ein göttlicher Widerschein in der Gegenwart, «immer im Zustand
des Hervorgebracht-Werdens und des Hervorgebracht-Seins», um eine spätere
Formulierung des Neuplatonikers Proklos zu verwenden (In Tim. I,290,17–25
Diehl). Die exakte Herleitung des mit dem Begriff ἀπόρροια umschriebenen Kon-
zeptes – der Terminus selbst wird hier erstmals explizit auf ‘Sophia’ (und damit
gleichbedeutend auf ‘Logos’) bezogen im Sinne einer von Gott ausgehenden und
der göttlichen Sphäre zugehörigen, personhaften Emanation – ist schwierig und
umstritten. Noch der philosophisch ambitioniertere Philon zögerte, diese Vorstel-
lung zu gebrauchen. In engeren Betracht können neupythagoreische Vorlagen
(Winston 1979 [*62: 184–186]) sowie die hellenistische Königsideologie (Chesnut
1978 [*74: 1318–1319]) und synkretistische Isis-Aretalogien (Reese 1970 [*71: 42–
49]) kommen. Schließlich wird zuletzt, literarisch wieder in Form einer kleinen
Ringkomposition, das Wirken der Weisheit thematisiert. In der Dialektik von Im-
manenz und Transzendenz wird sowohl die Weltüberlegenheit der Weisheit als
auch ihre dynamisch-schöpferische Gegenwart bei den Frommen und im Welt-
ganzen gepriesen (Sap. 7,27–8,1).
In Weiterführung der jüdischen Weisheitstradition spricht der Autor der Ge-
stalt der Weisheit sowohl kosmologisch-schöpfungstheologische als auch heils­
geschichtlich-soteriologische Bedeutung zu. Kosmologisch belangvoll ist, dass die
Weisheit, Gottes Throngenossin (Sap. 9,4. 10), bei der Welterschaffung anwesend
war und Gottes Schöpfungsplan kannte (Sap. 9,9), dass sie Gottes Ratgeberin/
Wählerin (?) war (Sap. 8,4: αἱρετίς, vermutlich Verdeutlichung zu Prov. 8,30), die

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718 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Werkmeisterin und Konstrukteurin von allem (Sap. 7,21: τεχνῖτις; Sap. 7,12:
γενέτις), durch die als Schöpfungsmittlerin Gott die Welt und den Menschen ge-
schaffen hat (Sap. 9,1f.: ‘Logos’ und ‘Sophia’ im Parallelismus gleichbedeutend
­gebraucht; vgl. Winston 1979 [*62: 38]).
Geschaffen hat Gott das All aus formloser Materie (Sap. 11,17) – eine stoisch-
mittelplatonische Lehre, die vielleicht theologisch bedenklich sein mag, aber nicht
im Widerspruch zu jener der Rabbinen steht (Winston 1971 [*72]). Auch die oft
als Gegeninstanz reklamierten Stellen, Epist. Aristeas 136 und 2. Macc. 7,28, be-
zeugen genau genommen noch keine ‘creatio ex nihilo’ (Winston 1971 [*72]). Zu
erwähnen ist auch, dass die mathematisch-physikalische Ordnungsstruktur der
Welt in freier Anwendung eines Ausspruchs von Platon beschrieben wird (Sap.
11,20: «Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet», vgl. Plat. Leg. 6,
757b) und dass das stoische Argument des teleologischen Gottesbeweises wieder-
holt wird (Sap. 13,1–9). Da die Weisheit alle Vorgänge im Universum leitet und
kontrolliert, ist sie es auch, die das gesamte Spektrum aller Kenntnisse der Welt
lehrt (Sap. 7,17–22a).
Das heilsgeschichtliche Rettungshandeln der Weisheit wird in einer schönen
Ode thematisiert (Sap. 10,1–21), wo in einer Beispielreihe die Gerechten der alten
Bundesgeschichte, die dank der Weisheit gerettet wurden, aufgezählt werden, um
so die Hoffnung auf Rettung in der Gegenwart zu stärken (vgl. auch Sap. 7,27b).
Es ist allerdings auffällig, dass der Autor, im Gegensatz zu Sirach 24,23 und Ba-
ruch 3,36–4,1, an keiner Stelle die Weisheit mit der Tora identifiziert. Wenn es in
einem Kettenspruch heißt: «Liebe zur Weisheit ist Halten ihrer Gebote»
(Sap. 6,18), so sind wahrscheinlich die ethischen Normen im Einklang mit dem
Naturgesetz gemeint, nicht die Toragebote. Vermutlich glaubte er wie Philon, dass
die Lehren der Tora Zeichen auf die kosmischen Gesetze der Weisheit sind
(Winston 1979 [*62: 42–43]). Insofern läge in der Weisheit die archetypische Tora,
die ‹Tora Qedumah› der Kabbalisten, beschlossen, während das mosaische Ge-
setz, wie es ähnlich auch eine singuläre Feststellung von Rabbi Abin im 4. Jahr-
hundert (Gen. R. 17,5) besagt, nur ein unvollkommenes Abbild ist.
Bei seiner Beschreibung der ‘Sophia’ ist der Autor zutiefst erfüllt von glühen-
dem Enthusiasmus, der seine Zeilen mit strahlender und leidenschaftlicher Inten-
sität versieht. Aus seinen Worten geht die feste Überzeugung hervor, dass die
Weisheit von denen, die nach ihr suchen, leicht gefunden werden kann, – so sehr,
dass sie sich den Suchenden sogar im Voraus zu erkennen gibt (Sap. 6,12–16). Er
spricht von seiner Liebe zu ihr und seinem Verlangen, sie zu seiner Braut zu ma-
chen (Sap. 8,9; vgl. 7,28). Zu beachten ist, dass die Verbindung zwischen der Weis-
heit und Gott weitgehend jener zwischen ihren Verehrern und der Weisheit ent-
spricht. Dies impliziert zweifellos, dass das letzte Ziel der Menschen die
Vereinigung mit dem Göttlichen ist, die nur durch Vereinigung mit seinem Weis-
heits-Aspekt erreicht werden kann. Die Vereinigung mit der Weisheit wird durch
unsere Verwandtschaft mit ihr ermöglicht (Sap. 8,17), dadurch, dass wir Verstand
besitzen, der von ihrem vernünftigen Geist durchdrungen wird (Sap.  7,22–24).
Wenn aber die Weisheit im menschlichen Geist schon vorhanden ist, wie sie es in
der Tat im ganzen Universum ist, wozu dann dieses intensive Streben nach ihr und

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§ 75. Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides (Bibl. 757–759) 719

weswegen bedarf es besonderen Flehens an den Herrn, sie vom himmlischen


Thron herabzuschicken (Sap. 9,10)? Weisheit ist beides: immanent und transzen-
dent, weil sie, während sie das Universum durchdringt, in ungebrochener Einheit
mit Gott bleibt, so dass sie je nach dem momentanen Fokus des Autors auf beide
Arten beschrieben werden kann. Seneca verwendet ein lebendiges Gleichnis, um
diesen doppelten Aspekt zu erklären: «Wie die Sonnenstrahlen zwar wirklich die
Erde berühren, aber doch dort verbleiben, woher sie ausgesandt werden, so ver-
bindet sich auch die große und heilige Seele, die zu uns gekommen ist, um uns ge-
nauere Kenntnis des Göttlichen zu bringen, zwar mit uns, bleibt aber mit ihrem
Ursprung verbunden» (Sen. Epist. 41,5; vgl. Phil. QG 2,40; Det. 90). Der Neupla-
toniker Proklos gibt später eine prägnante Formulierung für diese doppelte Per-
spektive: «Die Götter sind für alle Dinge auf gleiche Weise gegenwärtig; nicht alle
Dinge hingegen sind auf gleiche Weise gegenwärtig für die Götter, aber alles hat
Anteil an der Präsenz entsprechend seiner Ordnung und Möglichkeit […]» (El.
theol. 142; vgl. Phil. Opif. 23). Vom menschlichen Standpunkt aus tritt die göttli-
che Weisheit in uns ein und aus. Aus der ewigen Perspektive Gottes hingegen ist
sie in uns stets präsent, wobei es von unserer Bereitschaft, sie zu empfangen, ab-
hängt, wie viel wir uns von ihr aneignen.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Füchslin.

§ 75. Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides

Roberto Radice

1. Philosophiegeschichtliche Situierung von Aristobulos. – 2. Lehre. – 3. Die Bedeutung des Werks des
Aristobulos. – 4. Andere Stimmen des alexandrinischen Judentums: Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides.

1. PHILOSOPHIEGESCHICHTLICHE SITUIERUNG VON ARISTOBULOS

Aristobulos, über dessen Leben kaum etwas bekannt ist, lebte um ca. 170–150
v. Chr., zur Zeit von Ptolemaios VI. Philometor (Kraus Reggiani 1973 [*129: 162–
168]). Er ist dem alexandrinischen Judentum zuzuordnen, wie er selbst zu erken-
nen gibt (fr. 2 = Eus. Praep. ev. 8,10,3. 8: «unser Gesetzgeber Mose» u. ö., Heger-
mann 1973 [*128: 341–349]), wobei er sowohl in Bezug auf den sogenannten
Aristeas-Brief als auch im Hinblick auf Philon von Alexandrien eine eigenstän-
dige Position einnimmt. Sein jüdisch-alexandrinischer Charakter zeigt sich vor

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720 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

allem in der Themenwahl, die er ähnlich wie Philon vornimmt, wenn auch nicht in
vergleichbarer Breite und Tiefe, außerdem im Gebrauch der philosophischen Alle-
gorese zur Überwindung des biblischen Anthropomorphismus (Hanson 1959 [*124:
41–43]) und in der Zielsetzung, jüdische Religion und Gebräuche zu verteidigen.
Dabei werden einerseits Elemente der hellenistischen Theologie und Religion im
Sinne des Monotheismus korrigiert (Amir 1993 [*173]) und andererseits die griechi-
sche Dichtung und Philosophie in die jüdische Tradition integriert, wobei er das
griechische Denken auf alte Vorbilder bezieht. So sagt er in fr. 3, Pythagoras, Sok-
rates und Platon hätten viele Ideen aus dem jüdischen Gesetz übernommen. Ähn-
liche Rückbezüge finden sich bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Hekataios von
Abdera, der die ägyptische Weisheit als Quelle der griechischen betrachtete und
beim Historiker Megasthenes, der denselben Versuch mit Blick auf die indische und
jüdisch-syrische Philosophie unternahm, während der Peripatetiker Hermippos im
Übergang vom 3. zum 2. Jahrhundert die Quelle gewisser pythagoreischer Begriffe
im jüdischen Denken situierte. Auf jüdischer Seite erkannte Ps.-Aristeas, wohl um
dieselbe Zeit wie Aristobulos und im selben Umfeld tätig, indirekt die Nähe der he-
bräischen und der griechischen Welt an, und zeitlich nach Aristobulos bekräftigten
auch Philon (Mos. 1,21–24 und mit Bezug auf Heraklit Her. 214) und Josephus (Wal-
ter 1964 [*126: 51]) wiederholt die Abhängigkeit der griechischen Philosophie von
Mose – ein Gedanke, der später zum Standard­argument der christlichen Apologe-
tik werden sollte (vgl. Riedweg 1994 [*140: 123–129]).

2. LEHRE

Vom Werk des Aristobulos, das in Form eines Gespräches zwischen ihm und
dem König gehalten war (fr. 2 = Eus. Praep. ev. 8,10,1. 7), sind fünf kürzere Frag-
mente erhalten. Zwar wurde ihre Echtheit in der älteren Forschung manchmal an-
gezweifelt, sie wird aber seit der grundlegenden Arbeit von Walter 1964 [*126] weit-
hin anerkannt. Der Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Lehre von
Aristobulos ist das Beiwort ‘Peripatetiker’ (περιπατητικός), welches ihm von den
zwei doxographischen Hauptquellen Clemens von Alexandrien (Strom. 1,72,4) und
­Eusebios von Caesarea (Praep. ev. 9,6,6; 13,11,3) zugeschrieben worden ist. Ob-
schon in Alexandrien ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. dieser Beiname nicht unbe-
dingt auf eine Zugehörigkeit zur aristotelischen Schulrichtung weist, sondern auch
ganz allgemein einen literaturhistorischen, biographischen oder naturwissenschaft-
lichen Schriftsteller bezeichnen kann, wurde Aristobulos wahrscheinlich als Aris-
toteliker gesehen (Radice 1994 [*139: 17–22]; anders Walter 1964 [*126: 10–13]).
Zwar ist in den erhaltenen Fragmenten kein einziges Zitat zu finden, welches klar
auf ein kanonisches Werk von Aristoteles Bezug nimmt, aber das Aristoteles zu-
geschriebene Werk ‹Über die Welt› (Περὶ κόσμου, ‹De mundo›) ist für Aristobulos
von großer Bedeutung. Die Tatsache, dass ihn Eusebios als «hebräischen Philoso-
phen» (Praep. ev. 13,11,3) bezeichnet, ist auch mit einem Aristotelismus zu verein-
baren, wenn man seine bei Eusebios direkt bezeugte Absicht ernst nimmt, die Ab-
hängigkeit der peripatetischen Philosophie vom Gesetz Moses zu beweisen. Die

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§ 75. Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides (Bibl. 757–759) 721

griechischen Philosophen sind für Aristobulos nicht Personen, die oberflächlich


nachredeten, was sie in der Bibel gefunden hatten, sondern er schätzte sie, weil sie
sich sorgfältig um jede Einzelheit in ihr bemüht hatten (fr. 3 = Eus. Praep. ev.
13,12,1–2). Davon ist seine eigene Intention im Grunde nicht so weit entfernt. Er
will durch gezielte Auslegung einzelner Bibelperikopen zeigen, dass Moses Gesetz-
gebungswerk mit den Maßstäben philosophischer Bildung perfekt im Einklang
steht, mehr noch, dass die jüdische Religion selbst die wahre Philosophie ist. Mit
dem Nachweis, dass die Juden im Grunde ein Volk von Philosophen sind, ließ sich
nach außen die Attraktivität der jüdischen Religion untermauern und nach innen
die geistige Offenheit für philosophische Denkformen fördern.
Aristobulos verfolgte dieses Ziel auf dem Wege exegetischer Auslegungen, er
wollte sicherstellen, dass man bei der Bibellektüre nicht in mythologische oder an-
thropomorphe Vorstellungen verfalle. Aber obwohl er später für seine allegorische
Methode gerühmt wurde (Origenes Cels. 4,51), darf nicht übersehen werden, dass
er wohl eher noch am Anfang steht; noch rudimentär, noch tastend und zurückhal-
tend macht er von ihr Gebrauch. Das technische Vokabular dazu fehlt gänzlich,
und die meisten Interpretationen sind ganz anders gelagert (Hengel 31988 [*127:
298 mit Anm. 371], Goulet 1989 [*136: 380]). Ausdrücke wie «Hände», «Arm» und
«Antlitz Gottes» versteht er völlig zutreffend als Metaphern für die göttliche Macht
(fr. 2 = Eus. Praep. ev. 8,10,1). Das Licht von Gen. 1,3 ist seiner Auffassung zufolge
eher ein Symbol für das Urlicht, das mit der Weisheit identisch ist (fr. 5 = Eus.
Praep. ev. 13,12,9f.; vgl. Walter 1964 [*126: 139]). Rein allegorisch dagegen deutet
er, auffällig genug, einige Homerverse (fr. 5 = Eus. Praep. ev. 13,12,14f.).
Sachlich indessen von größter Bedeutung für Aristobulos’ Bibelverständnis ist
ein philosophisches Konzept, das er der ps.-aristotelischen Schrift ‹De mundo›
entnimmt. Seine Lektüre von ‹De mundo› ist recht außergewöhnlich. Er interpre-
tiert die Schrift nicht im Lichte der esoterischen Pragmatien des Aristoteles, die
wahrscheinlich zu seiner Zeit nicht (mehr) zirkulierten. Auch steht das Wesen
Gottes nicht im Fokus, stattdessen wird insbesondere das Problem der Beziehung
zwischen Gott und Welt betont. Diese Ausrichtung seines Interesses vermochte
die Aufnahme von Themen aus ‹Über die Welt› in die religiöse jüdische Kultur zu
begünstigen.
Für Aristobulos’ Verständnis der Beziehung Gottes zur Welt ist der Begriff der
göttlichen Macht oder Kraft (δύναμις) zentral. Dieser Begriff, welcher in der
Schrift ‹Über die Welt› häufig verwendet wird, ist zwar wohl stoischen Ursprungs,
hat aber beim Autor von ‹Über die Welt› (Moraux 1984 [*134: 38f.]) und, diesem
folgend, bei Aristobulos einen anderen Status: Während die Stoiker Gott mit sei-
ner Macht oder Kraft identifizieren (z. B. in Chrysipp, SVF II, fr. 1044, 1047) und
daher Gott als der Welt immanent betrachten, bedienen sich Ps.-Aristoteles und
Aristobulos des Begriffs der Macht oder Kraft gerade, um Gottes Wesen einer
materialistischen Konzeption zu entziehen und seine Weltüberlegenheit zu si-
chern: Gott selbst ist transzendent, aber er wirkt immanent vermöge seiner
δύναμις. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen Aristobulos und der Schrift
‹Über die Welt›. In letzterer wird behauptet, die göttliche Macht wirke über ver-
mittelnde Zweit- und Drittursachen, so dass die kosmische Ordnung stufenweise

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722 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

von den höchsten ­Gestirnen bis zu den tiefsten Regionen immer mehr abnimmt.
Bei Aristobulos fehlt dieser Aspekt gänzlich.
Aristobulos’ Hauptinteresse richtet sich demgemäß auf die Schöpfungslehre
bzw. die Kosmologie. Die im biblischen Schöpfungsbericht wiederkehrende For-
mel «Und Gott sprach» (καὶ εἶπεν ὁ θεός) versteht er nicht als Sprechen Gottes im
wörtlichen Sinne, sondern als «Verwirklichung der Werke» (ἔργων κατασκευή),
d. h. direkt als Gottes Schöpfungshandeln, wobei er nur umschreibt, was der Bi-
beltext selbst sagt (fr. 4 = Eus. Praep. ev. 13,12,3). Wenn es heißt, dass Gott am
siebten Tag geruht habe, so besage dies nicht, dass Gott untätig geworden sei und
zu handeln aufgehört habe (Gott ist überhaupt nicht der zeitlichen Ordnung un-
terworfen), sondern dass Gott damit – und hier lenkt Aristobulos in eine allego-
rische Bahn ein – die Ordnung der Schöpfung in ihren regelmäßigen Zeitrhyth-
men für immer festgesetzt habe. Speziell zielt Aristobulos auf die kosmische
Siebenerstruktur, für die der heilig zu haltende Sabbat ein Zeichen sein soll und
der wir die Erkenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge verdanken (fr. 5 =
Eus. Praep. ev. 13,12,11–13). Gott hält also die kosmische Gesamtordnung unver-
ändert aufrecht, er lässt aber das Einzelne sich stetig wandeln (vgl. auch fr. 2 =
Eus. Praep. ev. 8,10,10; Mras 1944 [*122: 221f.]). Außerdem könne man den sieb-
ten Tag auch als ersten Tag bezeichnen und als Entstehung des Urlichts verstehen,
in dem alles betrachtet wird (fr. 5 = Eus. Praep. ev. 13,12,9). Dieses wiederum deu-
tet Aristobulos als die Weisheit, die vor der Entstehung von Himmel und Erde
schon da war (Eus. Praep. ev. fr. 5 = 13,12,10–11).
In den schöpfungstheologischen Zusammenhang gehört auch die allegorische
Deutung des «Stehens Gottes» (z. B. Ex. 17,6). Es besage im Sinne der Welt- und
Zeitüberlegenheit Gottes, dass er über allem steht, während alle Dinge ihm unter-
geordnet sind und von ihm her ihren Bestand haben: unveränderlich in ihrer kos-
mischen Gesamtheit, doch jeweils für sich dem Wandel und Vergehen unterworfen
(fr. 2 = Eus. Praep. ev. 8,10,9–12). Und mit Blick darauf erklärt Aristobulos, dass
das All von der göttlichen Macht (δύναμις) durchwaltet wird (fr. 4 = Eus. Praep. ev.
13,12,4. 7). Eher nicht allegorisch ist die Auslegung, die Aristobulos von der Her-
abkunft Gottes auf den Berg Sinai (Ex. 19,17–20) gibt. Sie hat wirklich stattgefun-
den, aber sie fand nicht örtlich statt – denn Gott im Sinne seiner δύναμις ist allge-
genwärtig –, vielmehr waren die Feuererscheinungen und der Posaunenschall
wunderhaft gewirkte Begleitumstände zum Erweis der göttlichen Majestät, da alle
die Macht Gottes (ἐνέργεια) schauen sollten (fr. 2 = Eus. Praep. ev. 8,10,11–17).
Aristobulos möchte nicht nur die Abhängigkeit der griechischen Philosophen
von der biblischen Offenbarung beweisen, sondern auch die der griechischen
Dichter. Deshalb fügt er in fr. 4 und fr. 5 zur Unterstützung seiner Auslegung der
Bibel einige orphische Verse hinzu sowie solche von Arat, Hesiod, Linos und
Homer. Vor allem die orphische ‹Heilige Rede› (Ἱερὸς λόγος), die als Zitat in fr. 4
eingefügt ist, muss als Fälschung von Versen des Dichters betrachtet werden, die
entweder von Aristobulos selbst (Riedweg 1993 [*138: 105] und 2008 [*144: 386]
sowie Jourdan 2010 [*145: 145f.]) oder von einem oder mehreren Autoren hebräi-
scher Herkunft (Radice 1994 [*139: 153f.]) verfasst wurden. Aristobulos hat in den
orphischen Versen – wo er sogleich die polytheistischen Gottesnamen Δία und

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§ 75. Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides (Bibl. 757–759) 723

Ζεῦς ersetzt (fr. 4 = Eus. Praep. ev. 13,12,7) – im Wesentlichen drei ihm wichtige
Themen gefunden, nämlich die Herrschaft der göttlichen Macht über die Welt, die
Geschaffenheit der Welt und die Weltüberlegenheit Gottes. Den Texten Arats ent-
nimmt er ferner das Thema der Allgegenwart der göttlichen Macht. So bestätigt
sich für ihn auch aus dieser Perspektive das spannungsvolle Verhältnis zwischen
der Transzendenz Gottes und der Immanenz seiner δύναμις.

3. DIE BEDEUTUNG DES WERKS DES ARISTOBULOS

Neben dem inneren Wert seiner Ideen verdient Aristobulos vor allem von
einem philosophiehistorischen Standpunkt aus Beachtung, weil er einer der we-
nigen Zeugen des vorphilonischen Judentums ist (Walter 1976 [*130: 91]). Das
­alexandrinische Judentum hat eine eigenständige Entwicklung unter dem Einfluss
des griechischen Denkens durchlaufen und zwar sowohl methodisch als auch in-
haltlich. Methodisch ist der zunehmende Einfluss der philosophischen Allegorese
zu nennen. Inhaltlich lassen sich zwei Phasen unterscheiden: Die erste Phase, die
mit Aristobulos oder wenig später endet, ist durch den Einfluss von ‹Über die
Welt› charakterisiert und hat vorwiegend kosmologischen Charakter. Die zweite,
die mit dem Werk Philons identifiziert werden kann, muss vor einem platonischen
Hintergrund gesehen werden. Der Unterschied zwischen diesen zwei Phasen be-
steht im Wesentlichen darin, dass erst Philon eine klar in philosophischen Kate-
gorien gedachte Konzeption der Transzendenz Gottes hat.

4. ANDERE STIMMEN DES ALEXANDRINISCHEN JUDENTUMS:


PS.-ARISTEAS UND PS.-PHOKYLIDES

Der Aristeas-Brief ist in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. von einem
jüdischen Autor verfasst worden und gehört ebenfalls ins alexandrinische Milieu
(Schürer 1988 [*174]). Thema des Briefes ist die bei einem Symposion vorgetragene
Lehre über die Königsherrschaft, für den vorliegenden Zusammenhang relevant ist
indes vor allem die Rahmenhandlung: Erwähnt wird das angeblich von Ptolemaios
Philadelphos (285–247 v. Chr.) geförderte und finanzierte Vorhaben einer Bibelüber-
setzung ins Griechische, das von siebzig Weisen, abgesandt aus Judäa, verwirklicht
worden sein soll. Diese sollen sich bei ihrer Arbeit auf modernste Methoden der alex­
andrinischen Philologie gestützt haben. Der Aristeas-Brief enthält außerdem eine
Diskussion über die mosaische Anordnung der Speisen (§§ 142–171), die auf einen
allegorischen Sinn des biblischen Textes anspielt (§§ 150–151). Das alexandrinische
Judentum, beginnend mit Ps.-Aristeas, stellt die praktische Philosophie als fortschrei-
tende Annäherung des hebräischen an das griechische Denken dar und als zuneh-
mende Integration der beiden. Tatsächlich wird in §§ 187–294 der griechischen Theo­
rie der Bildung (παιδεία) die jüdische Frömmigkeit (εὐσέβεια) gegenübergestellt. Wie
Aristobulos der früheste Beleg für eine allegorische Bibelauslegung in kosmolo­
gischer Hinsicht ist, so ist Ps.-Aristeas dies in ethischer Hinsicht.

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724 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Die ‹Sentenzen des Phokylides› zählen zur sogenannten Weisheitsliteratur und


wurden von einem jüdischen Autor wohl in didaktischer Absicht verfasst. Ob-
schon in der Forschung über den Ursprung dieser Schrift keine Einigkeit herrscht,
gehört sie wohl ebenfalls ins alexandrinische Milieu und ist in die Zeitspanne zwi-
schen 30 v. Chr. und 40 n. Chr. zu datieren (Van der Horst 1978 [*173]). Bezüglich
der Zielsetzung der Schrift bestehen beim jetzigen Forschungsstand zwei Hypo-
thesen: Vielleicht ist es ein apologetisches Werk, das sich in erster Linie an die He-
bräer selbst wendet, um sie in ihrem Glauben zu bestärken, vielleicht ein Schul-
buch, das ebenfalls an eine hebräische Leserschaft gerichtet ist. Es handelt sich in
jedem Fall um ein popularethisches Werk mit jüdischem Grundcharakter, das, in
gnomischem Stil verfasst, Themen wie Gerechtigkeit, Redlichkeit, Mäßigung und
Philanthropie gewidmet ist. Bemerkenswert ist die Polemik gegen das Sezieren
von menschlichen Leichen (v. 102).

Aus dem Italienischen übersetzt von Damian Caluori.

§ 76. Philon von Alexandrien

David Winston
unter Mitwirkung von Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

Philon von Alexandrien stellt den Höhepunkt aller geistigen Bestrebungen des
hellenistischen Judentums dar. Als frommer, auf Rechtgläubigkeit bedachter Jude
praktizierte er im Rahmen der synagogalen Gottesdienste von Alexandrien treu
den Glauben seiner Väter und nahm aktiv leitende Aufgaben als Repräsentant sei-
ner alexandrinischen Diasporagemeinde wahr, doch war er zugleich in außerge-
wöhnlicher Weise von der geistigen Kultur der griechischen Bildung durchdrungen.
Beides hat sein Denken zutiefst geprägt, beides sieht er in letzter Einheit zusam-
mengehörig und beides will er in seinem literarischen Werk zum Ausdruck bringen.
Überwiegend schreibt er Kommentare zu Moses Pentateuch, aber er setzt dabei
­virtuos die Technik der allegorischen Bibelauslegung ein, um die philosophischen
Tiefen der Tora, ja, die in ihr verborgen liegenden Ursprünge der Philosophie über-
haupt zu erschließen. Dass er auf eine längere Tradition allegorischer Schrift­
kommentierung zurückblicken konnte, angefangen von den noch tastenden Ver­
suchen eines Aristobulos und eines Aristeas-Briefes bis hin zu versierteren
Ausarbeitungen bestimmter Kreise seiner Zeitgenossen, ist heute in der Forschung
weitgehend akzeptiert (Hay 1979/80 [*252], Tobin 1983 [*256: 4–9, passim], Mack

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 725

1984 [*258], Runia 1986 [*264: 504f.], Goulet 1987 [*265], Radice 1989 [*273: 181–
225], Runia 2012 [*358: 376f.], anders Dillon 21996 [*250: 143] sowie 1993 [*285: 155],
dessen These, Philon habe Vorgänger erfunden, nicht zu überzeugen vermag). Phi-
lon selbst rekurriert in seinen Schriften über 70-mal auf andere, nicht namentlich
genannte jüdische Allegoristen, deren Ansichten er nach Gutdünken übernimmt,
weiterführt oder zurückweist. So schwierig diese Positionen im Einzelnen abzugren-
zen und zu identifizieren sein mögen, die Anstrengungen der Vorgänger scheinen
doch hauptsächlich auf säkulare Wissensgebiete etwa kosmologischer, mathemati-
scher, psychologischer oder ethischer Art gerichtet gewesen zu sein, während sich
Philon stark der theologisch-religiösen Ebene zuwendet (Hay 1979/80 [*252]; oft
notgedrungen spekulativ Goulet 1987 [*265]). Man wird für diese Neuorientierung
gewiss eine Reihe von Motiven geltend machen können, doch zweifellos hängt sie
aufs Engste mit den Interessen zusammen, die Philon mit dem beginnenden Mittel-
platonismus, der Wiederentdeckung des platonischen ‹Timaios› und der Neu­
belebung pythagoreischer Traditionen verbinden. Das umfangreiche philosophie­
geschichtliche Material, das er in seinen Schriften aufgenommen und verarbeitet
hat, ist trotz der eklektisch scheinenden Anmutung aus dem Blickwinkel der neues-
ten mittelplatonischen Impulse einheitlich und kohärent konturiert. Gerade in dem
quellenmäßig nur spärlich abgedeckten Frühstadium des Mittelplatonismus liefert
Philon, der zudem im mutmaßlichen Zentrum des philosophischen Neubeginns
lebte, bedeutende, unverzichtbare Zeugnisse, ja manche Schlüsselsätze des Mittel-
platonismus sind überhaupt erstmals bei ihm belegt (so erneut Bonazzi 2008 [*338]).
Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob er selbst als Mittelplatoniker anzusprechen
sei. Als eigenständiger Denker hat er, wie es scheint, die weitere philosophiege-
schichtliche Entwicklung jedenfalls nicht vorangetrieben (gegen Radice 1989 [*273]
und 1993 [*286]; Runia 2012 [*358: 383]). Seinem Selbstverständnis nach wird man
sagen müssen, dass er sich als Ausleger Moses, nicht der Werke Platons gesehen hat,
wenngleich das Ergebnis, ohne Frage auf höchstem Niveau, dann eben doch ein
eher platonisierender Mose als ein hebräischer ist (vgl. die Diskussion einer Tagung
des Philo Seminar zwischen Sterling, Runia, Winston, Tobin und Dillon, San Fran-
cisco 1992, gedruckt 1993 [*285]). Aber gerade dadurch hat er das Spektrum der
mittelplatonischen Positionen qualitativ bereichert.

1. LEBEN

Das einzige gesicherte Datum aus Philons Leben ist der Winter des Jahres 39 n.
Chr., als er im Auftrag der alexandrinischen Juden eine Gesandtschaft zu Kaiser
Caligula anführte (Jos. Ant. Iud. 18,257–260), die ohne Erfolg blieb und über die
er in seinem Werk ‹Legatio ad Gaium› berichtet. Darin bezeichnet er sich selbst
als alten Mann, was auf ein Alter von etwa sechzig Jahren schließen lässt. Das
Geburts­datum wird entsprechend zwischen 25 und 20 v. Chr. angesetzt, während
sein Tod um 45 n. Chr. datiert wird.
Philon stammte aus einer der wohlhabendsten und bekanntesten jüdischen Fa-
milien in Alexandrien. Sein Bruder Alexander, vielleicht identisch mit dem Gaius

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726 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Iulius Alexander der Papyri CPJ II 420a.b, hatte den Posten eines Alabarchen
(Vorsteher der Zollbehörde) inne und war Josephus zufolge (Ant. Iud. 20,100) der
reichste Mann seiner Zeit in Alexandrien. Alexanders Sohn, Tiberius Iulius Alex­
ander, trat in den kaiserlichen Dienst ein und wurde im Jahr 46 n. Chr. Prokura-
tor von Judäa und später, unter Nero, Präfekt von Ägypten. Er scheint völlig pa-
ganisiert gewesen zu sein, und Josephus bemerkt: «An die Gebräuche seiner
Vorfahren hielt sich dieser nicht.» (Jos. Ant. Iud. 20,100–101; vgl. Étienne 2000
[*306]). Philon adressiert zwei Schriften an seinen abtrünnigen Neffen, dem er
eine skeptische Position (im Sinne der Neuen Akademie) zuschreibt.
Seine Schriften zeigen, dass die Atmosphäre in Philons Familienkreis kosmo-
politisch und luxuriös, aber auch intellektuell geprägt war. Er muss eine gründ­
liche griechische Erziehung genossen haben (ἐγκύκλιος παιδεία), von der er wie-
derholt und mit großem Respekt spricht. Grammatik, Geometrie und Musik hat
er als Vorbereitung auf die Philosophie gelernt (Congr. 74–76). Seine Kenntnis der
griechischen Literatur ist umfassend und in seinem ganzen Werk präsent. Seine
Prosa ist in einem einwandfreien Griechisch geschrieben.
Besonders stark ist der Einfluss Platons auf ihn, wobei die Auswahl und seine
besondere Wertschätzung bestimmter Dialoge den Vorlieben des zeitgenössischen
Platonismus entsprechen. An erster Stelle sind der ‹Timaios› und der ‹Phaidros›
zu nennen, gefolgt vom ‹Phaidon›. Daneben bezieht er sich auf Schlüsselpassagen
aus dem ‹Theaitetos›, dem ‹Symposion›, der ‹Politeia› und den ‹Nomoi›. Seine
Kenntnis Platons verdankt sich eigener, sorgfältiger Lektüre; teils hat er zentrale
Passagen sogar auswendig gelernt.
Seine jüdische Bildung hingegen hat Philon auf praktischem Wege erworben,
durch regelmäßigen Gottesdienstbesuch, Teilnahme an religiösen Riten und Be-
folgung der einzelnen Tora-Vorschriften (Heinemann 1932 [*232]). Inwieweit er
theoretische Kenntnis der rabbinischen Gesetzesauslegung besessen hat, ist um-
stritten; zumindest für die Gebiete des Tempelkultes und des Gelübdewesens darf
es aber angenommen werden. Beiläufig erwähnt er einmal, dass er eine Pilgerreise
nach Jerusalem unternommen habe, um im Tempel zu beten und zu opfern (Prov.
fr. 2,64 = 2,107 arm.). Bei der Interpretation des Pentateuchs, bei der er die Begriff-
lichkeit griechischer Philosophie bemüht, war Philon vollständig auf die Überset-
zung der Septuaginta angewiesen. Er wusste mit den ihr zugrunde liegenden heb-
räischen Begriffen und sprachlichen Konventionen nicht adäquat umzugehen,
woran ersichtlich ist, dass er so gut wie kein Hebräisch verstand. Dies stellte für ihn
kein Problem dar, da er die Übersetzung der Septuaginta ebenfalls für göttlich in-
spiriert hielt. Dennoch gebrauchte er gerne hebräische (wie auch griechische) Ety-
mologien für jüdische Eigennamen, wofür er ein hebräisches Onomastikon ver-
wendete, von dem Spuren auf Papyrus gefunden worden sind (Rokeah 1968 [*186]).

2. WERKE

Philon war ein sehr produktiver Autor. Von dest fragmentarisch in lateinischer oder armeni-
s­ einem umfangreichen Œuvre haben sich an die scher Übersetzung erhalten. Von etwa 20 weiteren
40 Schriften im griechischen Original oder zumin- Schriften sind durch das Werkverzeichnis bei

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 727
­ usebios (Hist. eccl. 2,18) und andere Bezeugun-
E tare» bekannt, die in Form von neunzehn Ab-
gen wenigstens die Titel oder Themen bekannt. handlungen eine detaillierte allegorische Exegese
Trotz interner Querverweise ist es nicht gelungen, vornehmen, von Gen. 2,1 (abgesehen von wenigen
eine allseits überzeugende chronologische Ord- ­Lücken, wobei die einschlägigen Abhandlungen
nung der Werke zu ermitteln. Was aber klar er- verloren gegangen sein könnten) bis zu Gen. 17,22
kennbar ist und in der Forschung auch seit dem (Änderung von Abrahams Namen). Weil Philon,
Ende des 19. Jahrhunderts relativ konstant ohne seiner Gewohnheit entsprechend, lange Parallel-
größere Abweichungen vertreten wird, ist eine von stellen zur Illustration der erläuterten Lehre an-
Philon selbst beabsichtigte Gruppierung mehrerer führt, gelingt es ihm, über diese Partien von Buch
Schriften zu größeren Serien. Sein größtes und ‹Genesis› hinaus den größten Teil des übrigen
wichtigstes literarisches und philosophisches Pro- Pentateuchs mit abzudecken. Die neunzehn Ab-
jekt besteht in der detaillierten, zum Teil geradezu handlungen sind: ‹Allegorische Erklärung des hei-
Vers für Vers fortschreitenden Auslegung der ligen Gesetzbuches› (Νόμων ἱερῶν ἀλληγορίαι,
Schrifen Moses, des Pentateuchs, in drei Serien. ‹Legum Allegoriae› I–III); ‹Über die Cherubim›
Zunächst zu nennen ist die Schriftenreihe, zu- (Περὶ τῶν Χερουβίμ, ‹De Cherubim›); ‹Über die
meist im Anschluss an Praem. 1–3 als «expositio Geburt Abels und die Opfer, die er und sein Bru-
legis» betitelt, die mit der Abhandlung ‹Über die der Kain darbringen› (Περὶ γενέσεως Ἄβελ καὶ ὧν
Weltschöpfung nach Mose› (Περὶ τῆς τοῦ κατὰ αὐτός τε καὶ ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ Κάϊν ἱερουργοῦσιν,
Μωυσέα κοσ­μοποιίας, ‹De opificio mundi›) be- ‹De sacrificiis Abelis et Caini›); ‹Über die Nach-
ginnt. Darin findet sich eine Beschreibung der sie- stellungen, die das Schlechtere dem Besseren zu
ben Schöpfungstage von Gen. 1–2,3, auf die eine bereiten pflegt› (Περὶ τοῦ τὸ χεῖρον τῷ κρείττονι
Darstellung der Leben der Patriarchen folgt φιλεῖν ἐπιτίθεσθαι, ‹Quod deterius potiori insidi-
(‹Über Abraham›, Βίος σοφοῦ τοῦ κατὰ διδασκα­ ari soleat›); ‹Über die Nachkommen des sich weise
λίαν τελειωθέντος ἢ νόμων ἀγράφων τὸ πρῶτον ὅ dünkenden Kain und darüber, wie er zum Aus-
ἐστι περὶ Ἀβραάμ [wörtlich ‹Leben eines in der Un- wanderer wird› (Περὶ τῶν τοῦ δοκησισόφου ἐγ­
terweisung vollendeten Weisen oder Buch 1 der γόνων καὶ ὡς μετανάστης γίγνεται, ‹De posteritate
ungeschriebenen Gesetze, das über Abraham Caini›); ‹Über die Riesen› (Περὶ γιγάντων, ‹De gi-
geht›], ‹De Abrahamo›; ‹Über Joseph›, Βίος πολιτι­ gantibus›); ‹Über die Unveränderlichkeit Gottes›
κοῦ ὅπερ ἐστὶ περὶ Ἰωσήφ [wörtlich ‹Leben eines (Ὅτι ἄτρεπτον τὸ θεῖον, ‹Quod Deus sit immutabi-
Staatsmanns, das über Joseph geht›], ‹De Iose- lis›); ‹Über die Landwirtschaft› (Περὶ γεωργίας,
pho›), die als «lebendige Verkörperungen des na- ‹De agricultura›); ‹Über die Pflanzung Noahs›
türlichen Gesetzes» gedeutet werden; auch das (Περὶ φυτουργίας Νῶε, ‹De plantatione›); ‹Über
Leben des Mose ist darin enthalten (‹Über das Trunkenheit› (Περὶ μέθης, ‹De ebrietate›); ‹Über
Leben des Mose›, Περὶ βίου Μωυσέως, ‹De vita Nüchternheit› (Περὶ ὧν νήψας ὁ Νῶε εὔχεται καὶ
Mosis›), das in gewisser Weise an die legendarische καταρᾶται [wörtlich ‹Über die Dinge, für die
Lebensbeschreibung des Pythagoras angelehnt zu Noah, nüchtern geworden, betet und was er ver-
sein scheint. Danach folgt eine Reihe von Schrif- flucht›], ‹De sobrietate›); ‹Über die Verwirrung
ten, nämlich eine zu den Zehn Geboten, ‹Über den der Sprachen› (Περὶ συγχύσεως διαλέκτων, ‹De
Dekalog› (Περὶ τῶν δέκα λογίων, ‹De Decalogo›), confusione linguarum›); ‹Über Abrahams Wande-
vier Bücher ‹Über die Einzelgesetze› (Περὶ τῶν ἐν rung› (Περὶ ἀποικίας, ‹De migratione Abrahami›);
μέρει διαταγμάτων, ‹De specialibus legibus›), und ‹Wer ist Erbe der göttlichen Dinge?› (Περὶ τοῦ τίς
anschließend die Abhandlungen ‹Über die Tugen- τῶν θείων ἐστὶν κληρονόμος, ‹Quis rerum divina-
den› (Περὶ ἀρετῶν, ‹De virtutibus›) und ‹Über die rum heres sit›); ‹Über das Zusammenleben um der
Belohnungen und Strafen› (Περὶ ἄθλων καὶ Allgemeinbildung willen› (Περὶ τῆς πρὸς τὰ προ-
ἐπιτιμιῶν, ‹De praemiis et poenis›). Geljon 2002 παιδεύματα συνόδου, ‹De congressu eruditionis
[*318: Teil 1] vertritt die Meinung, dass das Werk gratia›); ‹Über die Flucht und das Finden› (Περὶ
‹Über das Leben des Mose› als intellektuelle Bio- φυγῆς καὶ εὑρέσεως, ‹De fuga et inventione›);
graphie Moses Lesern ohne Kenntnisse des Penta- ‹Über Namensänderungen und warum sie erfol-
teuchs als Einführung in die jüdische Philosophie gen› (Περὶ τῶν μετονομαζομένων καὶ ὧν ἕνε­κα
diene und daher zu Beginn aller nachfolgenden ex- μετονομάζονται, ‹De mutatione nominum›); zu
egetischen Schriften gelesen werden müsse (siehe ­ergänzen ist die nur armenisch erhaltene Schrift
auch Runia 2001 [*204: 1]). ‹De Deo› (‹Über Gott›) bzw. richtiger ‹De visione
Ein noch ambitionierteres Projekt stellen die trium angelorum ad Abraham› (‹Über die Er-
Traktate der großen allegorischen Auslegungen scheinung dreier Engel an Abraham›), vgl. Terian
dar, auch allgemein als «Allegorische Kommen- 2016 [*190]. Als Anhang sind zwei von ursprüng-

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728 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

lich wohl vier oder fünf Büchern über die gott­ Ägypten von 32 bis 38 n. Chr., und ‹Gesandtschaft
gesandten Träume (Περὶ τοῦ θεοπέμπτους εἶναι an Caligula› (Φίλωνος Περὶ ἀρετῶν πρῶτον ὅ ἐστι
τοὺς ὀνείρους, ‹De somniis›) angefügt, die ver- τῆς αὐτοῦ πρεσβείας πρὸς Γάϊον [wörtlich: ‹Phi-
schiedene Arten von in der ‹Genesis› erwähnten lons Über die Tugenden Buch 1, das seiner Ge-
Träumen behandeln. sandtschaft an Gaius entspricht›], ‹Legatio ad
Außerdem existiert eine dritte Schriftenreihe, Gaium›), eine kraftvolle Schmähschrift gegen den
die als Ganzes nur in einer armenischen Version Kaiser Gaius (Caligula).
(mit einigen griechischen und lateinischen Frag- Schließlich existieren rein philosophische
menten) auf uns gekommen ist. Sie deckt die Bü- Schriften: ‹Über die umfassende Freiheit des
cher ‹Genesis› und ‹Exodos› in Form von Frage Tüchtigen› (Περὶ τοῦ πάντα σπουδαῖον εἶναι ἐλεύ­
und Antwort ab: ‹Fragen und Lösungen zu ‘Gene- θερον, ‹Quod omnis probus liber sit›) und ‹Über
sis’ und ‘Exodus’› (Ἐν Γενέσει καὶ Ἐξαγωγῇ ζητή­ die Unvergänglichkeit der Welt› (Περὶ ἀφθαρσίας
ματα τε καὶ λύσεις, ‹Quaestiones et solutiones in κόσμου, ‹De aeternitate mundi›), wo eine peripate-
Genesin et in Exodum› – die beiden Teile werden tische Haltung zu dieser Frage vertreten wird, die
häufig als zwei Werke aufgeführt: Quaest. Gen. in dieser Form unvereinbar ist mit dem jüdischen
und Quaest. Ex.). Schöpfungsglauben – diese Haltung ist vermutlich
Neben diesen Schriftenreihen verfügen wir fer- ursprünglich durch einen entgegengesetzten Essay
ner über einige individuelle apologetisch-histori- relativiert worden (vgl. Runia 1981 [*253]). Dane-
sche Abhandlungen: Vier Fragmente haben sich ben sind zwei Dialoge mit seinem Neffen Alexan-
von einem ursprünglich mindestens zwei Bücher der überliefert, beide jedoch nur in armenischen
umfassenden Werk ‹Verteidigung für die Juden› und einzelnen griechischen Fragmenten erhalten:
(᾿Απολογία ὑπὲρ ᾿Ιουδαίων, ‹Apologia pro Iu­ ‹Alexander oder darüber, ob Tiere Vernunft besit-
dae­is›) bzw. ‹Hypothetica› (῾Υποθετικά) erhalten. zen› (Ἀλέξανδρος ἢ περὶ τοῦ λόγον ἔχειν τὰ ἄλογα
‹Über das betrachtende Leben› (Περὶ βίου ζῷα, ‹Alexander sive de eo quod rationem habeant
θεωρητικοῦ, ‹De vita contemplativa›) enthält eine bruta animalia›) und zwei Fragmente ‹Über die
Lebensbeschreibung einer asketischen jüdischen Vorsehung› (Περὶ προνοίας, ‹De providentia› – in
Gruppe, die bei Alexandrien lebte, der sogenann- der heute vorliegenden Fassung findet sich die Dia­
ten ‘Therapeuten’. Ferner sind zwei Abhandlun- logform indes einzig im zweiten der beiden Frag-
gen zur zeitgenössischen Politik zu nennen: mente). In diesen beiden Werken gibt es abgesehen
‹Gegen Flaccus› (Εἰς Φλάκκον, ‹In Flaccum›), ein von einer beiläufigen biographischen Notiz keine
Bericht über die Missetaten und den endgültigen Hinweise auf Philons jüdischen Glauben. Zum
Fall von Aulus Avillius Flaccus, Statthalter von Ganzen vgl. Royse 2009 [*346].

3. LEHRE

1. Logik: 1.1. Kategorienlehre; 1.2. Die Ursprünge der Sprache und die Bedeutung der Etymologie; 1.3.
Erkenntnistheorie. – 2. Ethik: 2.1. Höchste Ziele und höchstes Gut; 2.2. Menschenliebe (φιλανθρωπία);
2.3. Die Affekte (πάθη); 2.4. Politik. – 3. Physik: 3.1. Prinzipienlehre; 3.2. Der Logos; 3.3. Die Weisheit und
die Kräfte; 3.4. Kosmologie; 3.5. Zwischenwesen; 3.6. Psychologie; 3.7. Prophezeiung; 3.8. Kontemplativer
Aufschwung und Schau Gottes.

Philon übernimmt die traditionelle Dreiteilung der Philosophie in Logik, Ethik


und Physik, wobei in ‘Physik’ nach antikem Verständnis die Theologie einge-
schlossen ist (Leg. all. 1,57; Spec. 1,336). Zur Veranschaulichung greift er auf das
stoische Bild der Philosophie als Garten zurück (Agr. 14): Die Physik entspricht
den Bäumen und Pflanzen, die Ethik den Früchten und die Logik der Umzäu-
nung des Gartens, welchen Philon mit dem Garten Eden identifiziert.

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 729

1. Logik

1.1. Kategorienlehre

In Philons Theorie zur Logik lassen sich sowohl aristotelische als auch stoische
Elemente ausmachen. Was die Kategorien betrifft, beginnt Philon seine Auflistung
der zehn an sich aristotelischen Kategorien in der Reihenfolge ‘Substanz – Quali-
tät – Quantität’ (Decal. 30–31), wobei er durch die Vertauschung der Positionen
von Qualität und Quantität von dessen Reihung abweicht, wie bereits ­Eudoros vor
ihm (fr. 17 Mazzarelli). Als Erstes wird von den Kategorien ausgesagt, dass sie «in
der Natur» (ἐν τῇ φύσει) seien, was eine von Aristoteles belassene Unklarheit da-
rüber, ob sich die Kategorien auf sprachliche Ausdrücke, auf Gedachtes oder auf
real existierende Gegenstände beziehen, behebt. Mit dieser Formulierung wird
auch die Anwendung der Kategorien auf den intelligiblen Bereich bestritten. Wenn
Philon sodann für die Kategorie der Substanz das Beispiel ‘Mensch’ anführt, wobei
er οὐσία stoisch als Äquivalent für Materie versteht, entfaltet er das im stoischen
Sinne der «qualifizierten Substanz» (Chrysipp, SVF II, fr. 380).
Aus Decal. 30f. ist ferner zu entnehmen, dass Philon, anders als Aristoteles, die
Kategorien ‘wann’ (πότε) und ‘wo’ (ποῦ) mit Zeit (χρόνος) bzw. Raum (τόπος)
gleichsetzt. Während Aristoteles Zeit und Raum in Cat. 4b25f. unter dem Begriff
der Quantität subsumiert, führt er ‘wann’ und ‘wo’ in der ‹Kategorienschrift› und
in Top. 1,9, 103b22–24 als eigene Kategorien auf. Philon hingegen positioniert
diese Kategorien, nun zu Zeit und Raum transformiert, an das Ende seiner Liste.
Er betont, dass sie das sine qua non aller anderen Kategorien seien, so dass ihre
Schlussposition emphatisch zu verstehen ist. Interessanterweise stimmt die von
ihm vertretene Reihenfolge mit Ps.-Archytas’ ‹Über die Kategorien› (Περὶ τοῦ
καθόλου λόγου) überein; eine Kenntnis dieses Werkes erscheint daher möglich
(vgl. zum Ganzen Chiaradonna 2009 [*347: 97f.]).
Auch weitere stoische Einflüsse sind bei Philon erkennbar: In einer Allegorese
des Manna von Ex. 16 greift er auf die stoische Kategorie des «Etwas» (τί) zurück.
Die Speisung durch Gott bedeute, «dass er uns mit seiner allgemeinsten Vernunft
speist» (διατρέφει γὰρ ἡμᾶς τῷ γενικωτάτῳ αὑτοῦ λόγῳ), denn ‘Manna’ bedeute
«etwas» (τί) und das sei «der allgemeinste Begriff überhaupt» (τὸ γενικώτατον τῶν
ὄντων), d. h. er sieht darin die höchste Kategorie der Stoiker, die noch allgemeiner
ist als die aristotelische der Substanz und deshalb gut mit dem Logos identifiziert
werden kann (Leg. all. 3,175 mit Chrysipp, SVF II, fr. 333f.). Dass Philon die stoi-
sche Logik grundsätzlich akzeptierte, ist aus einer Passage wie Agr. 139–141 er-
sichtlich, wo er die ganze stoische Theorie der ‘sagbaren’ Dinge (λεκτά) anführt
(vgl. Chrysipp, SVF II, fr. 182).

1.2. Die Ursprünge der Sprache und die Bedeutung der Etymologie

Philon lobt Mose dafür, dass er ganz richtig Adam, dem ersterschaffenen Men-
schen, die Namensgebung zuschreibt, während die Griechen nur noch eine vage Er-

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730 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

innerung daran besäßen. Für alle Nachgeborenen sollte sichergestellt sein, dass «die
Namensgebung der Sache entsprechen und für alle als gleiches Symbol des vorhan-
denen oder bezeichneten Gegenstandes dienen würde» (Leg. all. 2,14f.; Opif. 148–
150; Quaest. Gen. 1,20f.), d. h. dass die sprachlichen Bezeichnungen der Dinge mit
der Natur der Dinge übereinstimmen und sie abspiegeln. In der Namensgebung
Adams, des ersten und weisesten aller Menschen, kommen mithin weise, vernünf-
tige Setzung und Naturgemäßheit zusammen. Diese Theorie vom Ursprung der
Sprache ist im Kern die stoische Position, die ausgehend vom platonischen Dialog
‹Kratylos›, insbesondere der Passage Crat. 430a–431e, bis in den Diskurs des zeit-
genössischen Platonismus reichte. Wenn Philon andererseits gelegentlich auch in der
Mehrzahl von weisen Männern, die solche naturkonformen Bezeichnungen gege-
ben hätten, spricht, dann widerspricht sich das für ihn nicht, denn der Gegensatz
liegt bei der Sprachgewohnheit der Menge. «Die große Masse der Menschen gibt
gewöhnlich den Dingen Namen, die von den bezeichneten Dingen abweichen»
(Cher. 56), und «die meisten Menschen kommen notwendig zu Verfehlungen in der
Wortwahl, weil sie das Wesen der Dinge nicht kennen» (Agr. 1). Wenn Philon also
den mosaischen Bericht von der Namensgebung wegen ihrer höchsten Angemes-
senheit hervorhebt, ist dies nicht als eine Abwertung anderer weiser Männer zu ver-
stehen, die fähig wären, ein ähnliches, wenn auch etwas niedrigeres Niveau der Ex-
zellenz zu erreichen. Vielmehr verfolgt er damit sein allgemeines Ziel, Mose als den
Weisen schlechthin darzustellen, und ergreift die Gelegenheit, den einzigartigen
Charakter von Moses linguistischem Scharfsinn zu betonen (Winston 1991 [*280]).
Mit der Annahme der Naturgemäßheit der Wörter eröffnet sich auch die
­Möglichkeit, auf dem Wege der Etymologie das wahre Wesen der Dinge zu erfas-
sen, was Philon wie die Stoiker stark genutzt hat (vgl. Goulet 1987 [*265: 58–62]
mit tabellarischer Auflistung). Eine Besonderheit bilden dabei doppelte Etymo-
logien, gibt Philon doch für gewisse Eigennamen im Pentateuch sowohl eine grie-
chische als auch eine hebräische Etymologie (z. B. für Pheison, einen der vier
Flüsse im Garten Eden: Leg. all. 1,74f., oder für Leah, die ältere Tochter von
Laban: Cher. 41). Wahrscheinlich gehörten doppelte Etymologien zur exegeti-
schen Kunst der damaligen Zeit; je mehr unterstützende Etymologien erbracht
werden konnten, desto überzeugender erschienen die Interpretationen, die sich
auf den Namen bezogen.
Was Umfang, Systematik und Komplexität von Philons etymologischen Alle-
gorisierungen der ca. 170 Namen des Pentateuchs betrifft, so sind keine unmittel-
baren hellenistischen Parallelen überliefert, wo, wie Philon es tut, aus einem Text
die verborgene, tiefer liegende Intention des Autors eruiert werden soll (zur stoi-
schen Allegorese siehe Long 1992 [*284]). Vielleicht hat es Auslegungsmodelle –
seien es stoische, seien es pythagoreische oder platonische – gegeben, die in ihrer
Homer- oder Hesiod-Behandlung Philon den Weg gewiesen haben, aber dafür gibt
es kaum Belege. So bleibt nur der eindrucksvolle, geradezu erstaunliche Befund
zu konstatieren, dass Philon eine allegorisch orientierte Hermeneutik praktiziert
hat, die in ihrem schieren Umfang, in ihrer systematischen Anwendung auf alle
Sprachformen und in ihrer gedanklichen Kohärenz für das gesamte Gebiet der
Ethik und Spiritualität ihresgleichen sucht (zum Ganzen Runia 2004 [*330]).

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 731

1.3. Erkenntnistheorie

Die grundsätzliche Frage nach dem Kriterium von Wissen beantwortet Philon
auf stoische Weise. So gibt er in Congr. 141 folgende Definition von Wissen (ἐπι­
στήμη): «ein sicheres und festes Begreifen (κατάληψις), das durch die Vernunft
nicht widerlegt werden kann» (vgl. Zenon, SVF I, fr. 68). Doch ist er wie Antiochos
von Askalon überzeugt, damit die Position Platons wiederzugeben (Dillon 2008
[*340: 225f.]).

2. Ethik

2.1. Höchstes Ziel und höchstes Gut

Als höchstes Ziel (τέλος) nimmt Philon, wie wahrscheinlich Eudoros vor ihm,
die «Angleichung an Gott» (ὁμοίωσις θεῷ) an (Fug. 63, mit Zitierung von Plat.
Tht. 176a–b; Decal. 73; 107; Imm. 48; Opif. 144; Post. 23), wobei er zugleich an dem
stoischen Konzept der Übereinstimmung mit der Natur als höchstem Ziel festhält
(z. B. Decal. 81; Plant. 49). Aus der Verknüpfung der mehr pythagoreischen Defi-
nition der Angleichung an Gott (in Anlehnung an Pythagoras’ «Folge Gott!», ἕπου
θεῷ: Spec. 4,187f.) mit der stoischen Definition des Ziels erwächst für Philon kein
Widerspruch, da für ihn Natur gleichbedeutend mit dem Wirken der göttlichen
Vernunft in der Welt ist. Mit dem Ziel der Gottähnlichkeit betonte er gleichzeitig
einen zentralen Aspekt jüdischer Lehre (Marmorstein 1950 [*238], Abrahams
1924 [*231: 138–182]).
Entsprechend fällt Philons Interpretation der Lebensweisen der Patriarchen und
Moses aus: Philon sieht diese weisen Männer als lebendige Verkörperungen des
Naturgesetzes, da sie ein klares und genaues Verständnis vom Logos und seiner
vorherrschenden Stellung im Universum hatten und alle ihre Handlungen in Über-
einstimmung mit ihm ausübten (vgl. dazu den Ausspruch des chassidischen Meis-
ters R. Mosheh H’ayyim Efrayim von Sudylkow [ca. 1748–1788]: «der Zaddik ist
sich selbst Gesetz und Vorschrift», Degel Mah’aneh Efrayim 4a; vgl. Rm. 2,14).
Bei der Frage, ob Tugend allein hinreichend für das Glück (εὐδαιμονία) sei, was
Peripatetiker und Stoiker bekanntlich verschieden beantwortet haben, ist Philon
grundsätzlich der stoischen Position verpflichtet. In Quaest. Gen. 4,167 beispiels-
weise führt er die Ansicht auf Mose zurück, dass «das Gute allein um seiner selbst
willen wünschenswert und lustbringend ist, aber dass das, was nicht von dieser Art
ist, wegen seiner Nützlichkeit als Beitrag zum tugendhaften Leben geschätzt
wird». Dies entspricht sehr der Position von Eudoros (fr. 32 Mazzarelli), die selbst
im Wesentlichen stoisch ist.
Darüber hinaus wendet sich Philon nachdrücklich gegen die dreiteilige Güter-
lehre der Peripatetiker, was an seiner Kritik an Joseph (z. B. in Det. 6–8) offen-
sichtlich wird, den er als einen Vertreter dieser Position darstellt. Joseph steht für
die Meinung, dass alle drei Arten von Gütern – seelische, körperliche und äußere –

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732 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

zusammen für die Erlangung von Glück notwendig seien. Dies betrachtet Philon
als irrige Verfehlung, von der Joseph durch Entsendung zu seinen Brüdern geläu-
tert werden muss, die der (stoischen) Theorie anhängen, dass nur das Tugendhafte
gut sei (Chrysipp, SVF III, fr. 30). Andere Textstellen (z. B. Her. 285f.; vgl. auch
Virt. 78–126) lassen erkennen, dass er geneigt ist, die Position des Antiochos von
Askalon (sowie die der Alten Akademie wie des Xenokrates und Polemon) von
der Steigerungsfähigkeit des Glücks einzunehmen, nämlich dass, während die see-
lischen Güter den Kern des Glücks bilden, es zumindest auch einer kleinen Menge
an körperlichen und äußeren Gütern zu dessen Erreichung bedarf.
Philons Ethik ist also vorwiegend stoisch geprägt, und in der Tat trägt er viel zu
unserer Kenntnis der stoischen Fachterminologie bei, aber dieser Stoizismus ist
in einen umfassenden pythagoreisierenden Platonismus eingeordnet, was bei sei-
ner Behandlung der Tugenden «Einsicht» (φρόνησις), «Besonnenheit» (σωφρο­
σύνη), «Tapferkeit» (ἀνδρεία) und «Gerechtigkeit» (δικαιοσύνη) offensichtlich
wird. Er präsentiert die vier Kardinaltugenden mit ihren stoischen Definitionen
in Leg. all. 1,63–65, aber greift zugleich auch das sehr pythagoreische Lob auf die
Gerechtigkeit im Sinne der durch die Zahl 4 symbolisierten «Gleichheit» (ἰσότης)
in Spec. 4,230f. auf. Er ist außerdem bereit, «Frömmigkeit» (εὐσέβεια) oder «Hei-
ligkeit» (ὁσιότης) als die «Königin» (ἡγεμονίς oder βασιλίς) und «Quelle» (ἀρχή)
aller Tugenden zu sehen (Spec. 4,135; Decal. 52), und nicht die «(praktische) Weis-
heit» (φρόνησις), was angesichts des häufigen Gebrauchs der zur «Frömmigkeit»
(εὐσέβεια) gehörenden Wortgruppe (Sterling 2006 [*336: 105] zufolge taucht sie
196-mal bei Philon auf) ein Element genuin jüdischer Frömmigkeit anzeigen mag,
obwohl es auch platonische Vorläufer dafür gibt, wie Euthyphr. 12e.

2.2. Menschenliebe (φιλανθρωπία)

Die besondere Verwandtschaft zwischen Gott und Mensch, die von der Vor-
stellung des göttlichen Logos als immanent und gleichzeitig transzendent her-
rührt, führte im Rahmen der Lehrbildung bei Panaitios, aber auch bei Antiochos
unweigerlich zum Konzept von der Einheit der Menschheit (vgl. Sen. Epist. 9,17:
«hominem homini natura conciliat»).
Im Grunde finden wir dieselbe konzeptionelle Entwicklung auch bei Philon.
Alle Menschen, sagt Philon, sind miteinander verwandt und Brüder, insofern sie
die Gabe der Rationalität miteinander teilen (Decal. 41; Quaest. Gen. 2,60). Mit
einer geselligen und sozialen Natur ausgestattet, sind sie dazu aufgerufen, gegen-
seitige Verbundenheit und partnerschaftlichen Geist zu zeigen (Decal. 132–134).
Wie Panaitios betont Philon den positiven Aspekt von Gerechtigkeit als ein akti-
ves Wohlwollen (Virt. 166–169), das er mit dem Wort «Menschenliebe» (φιλ­
ανθρωπία) umschreibt (Virt. 95; Decal. 119; Spec. 4,97; Mos. 2,163; zusammen mit
dem Adjektiv φιλάνθρωπος über 80 Belege, vgl. Borgen 1996 [*288]) – ein Begriff,
der in den Schriften von Panaitios und Antiochos, später auch bei Musonius Rufus
und besonders bei Plutarch philosophische Bedeutung erlangt hat.
Im zweiten Teil seiner Abhandlung ‹De virtutibus›, welcher der Menschenliebe
gewidmet ist und mit Abstand der längste der vier Teile ist (51–174), unterstreicht

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 733

Philon, dass sie die Frömmigkeit (εὐσέβεια) zu ihrer Zwillingsschwester hat, denn
die Liebe zu Gott beinhaltet auch die Liebe zum Menschen (Decal. 134; Quaest.
Gen. 3,42; Abr. 208). Philon bezieht sich damit auf den Dekalog, der in zwei Teile
zu je fünf Geboten aufgeteilt ist, von denen die erste Tafel die Pflichten gegenüber
Gott, die Frömmigkeit enthält, und die andere die Pflichten gegenüber dem Mit-
menschen, die Gerechtigkeit (Her. 168; Spec. 2,63; vgl. M. Yoma 8,9). In ähnlicher
Weise strukturiert er gerne seine Biographien der Patriarchen. So führt er zu-
nächst Beispiele für ihre Frömmigkeit an, auf die sogleich Beispiele für ihre Ge-
rechtigkeit folgen. Wer aber entweder nur Gott oder nur die Menschen liebt, ist in
der Tugend unvollkommen, denn nur jene, die sich in beiderlei Hinsicht auszeich-
nen, besitzen sie vollständig. Auf der anderen Seite ist, wer weder Gott noch
Mensch liebt, nichts anderes als ein wildes Tier (Decal. 108–110).
Die zentrale Stoßrichtung von Philons ausführlicher Diskussion der Menschen-
liebe ist es zu zeigen, dass die Tora menschliches Verhalten nicht nur den eigenen
Glaubensgenossen und Mitbürgern gegenüber fordert, sondern allen Menschen
gegenüber. Er versucht dies dadurch zu verstärken, dass er auch Tiere und Pflan-
zen in den Horizont dieses hohen ethischen Ideals einbezieht (Virt. 125–160), wie
er umgekehrt damit auch das hohe Ideal der Menschenliebe in einem ‘a minore
ad maius-Argument’ bekräftigt: Wenn das Gesetz ein derartiges gerechtes Ver-
halten schon gegenüber vernunftlosen Wesen fordert, dann müsse dies umso mehr
für unsere Mitmenschen gelten (Berthelot 2002 [*312: 51–54]; vgl. auch Philons
Vision der ethischen Entwicklung zu einem universalen Friedensreich, Praem.
85–92; vgl. Sen. Epist. 95,31–32).
Menschenliebe erfordert eine gütige Einstellung gegenüber Sklaven, und Phi-
lons Position entspricht dabei ganz der stoischen, auch wenn seine Formulierun-
gen im Vergleich eindeutiger ausfallen (Virt. 121; vgl. Chrysipp, SVF III, fr. 349–
366). Obwohl er in Spec. 2,123 die biblische Regelung, die den Erwerb von Sklaven
aus anderen Nationen erlaubt, wiederholt, zeigt sich seine wahre Haltung in ‹De
vita contemplativa›, wo er mit höchster Bewunderung von der grundsätzlichen
Ablehnung der Sklaverei bei den sogenannten ‘Therapeuten’ spricht (Contempl.
70). Seine Haltung zum Krieg steht ebenfalls jener der Stoa nahe. Die den Krieg
betreffenden Weisungen in Dtn. 20,10–18 begrenzt Philon auf den Krieg gegen
jene, die aus einem Verbund heraus revoltieren, in der Überzeugung, dass «das
Gesetz niemals beabsichtigt haben könnte, Eroberungskriege zu billigen» (Spec.
4,219–223, mit Anmerkung von Colson [*184: VIII 145]).

2.3. Die Affekte (πάθη)

Dass Philon von den eher technischen Begriffen der stoischen Handlungspsy-
chologie Gebrauch macht, auch wenn deren genaues Verständnis mangels adäqua-
ter Belege im Einzelfall etwas undeutlich bleibt, ist bemerkenswert. So spricht er
in Mut. 160, nachdem er einige Beispiele gegeben hat, wie die Natur Zeichen für
bevorstehende Ereignisse aussendet, davon, dass diese Art von Vorkommnissen
von denen, die neue Worte prägen, d. h. von den Stoikern, «Antrieb» (ὄρουσις) im
Sinne eines Impulses vor dem Impuls bezeichnet wird. Die Seele, so fährt er fort,

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734 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

macht dieselbe Erfahrung. «Erhofft sie das Gute, frohlockt sie zum voraus, so dass
sie in gewissem Sinne sich vor der Freude freut und wohlgemut ist vor der Wohl-
gemutheit. […] Ganz entsprechend verhält es sich mit dem Gegenteil. Die Anwe-
senheit des Schlechten erzeugt Leid, die Erwartung Furcht. Wie sich nämlich,
meine ich, zu Leid Furcht, so verhält sich zu Freude Hoffnung» (Mut. 161–163; vgl.
Leg. all. 3,86f.). Die Doxographie des Areios Didymos zur stoischen Ethik (Stob.
Ecl. 2,7,9, II,86,17–87,13 Wachsmuth = Chrysipp, SVF III, fr. 169) nennt ὄρουσις
eine «Bewegung des Geistes in Hinblick auf die Zukunft». Als eine ihrer Unter-
arten rangiert «Unternehmung» (ἐγχείρησις), die bei Stobaios als «ein Streben
nach etwas, was schon griffbereit ist», d. h. als Impuls zu einer zukünftigen Hand-
lung, bezeichnet wird (Inwood 1985 [*261: 231]), und auch diesen Begriff verwen-
det Philon (Somn. 2,200). Ebenso greift er in diesem Zusammenhang den Termi-
nus «Vorausleiden» (προπάθεια) auf, wenn er die Hoffnung als eine «gewisse
Vorwegnahme der Freude» (προπάθειά τις τῆς χαρᾶς) bezeichnet (Quaest. Gen.
1,79; vgl. Spec. 4,121; Praem. 161; dazu Graver 2008 [*341]).
Größten Raum aber nimmt die Thematik der Affekte ein, denen er möglicher-
weise wie Chrysipp und Poseidonios sogar eine eigene Abhandlung widmen wollte
(Leg. all. 3,139, falls der Text so zu verstehen ist). Auf jeden Fall ist sein Werk
durchzogen von kurzen Erwähnungen oder eingehenderen Erörterungen der vier
kanonischen Grundaffekte: «Begierde» (ἐπιθυμία), «Lust» (ἡδονή), «Furcht»
(φόβος) und «Leid» (λύπη; z. B. Congr. 81; Mut. 72). Wie die Stoiker definiert er
die Affekte als «maßlosen, unbändigen Trieb und unvernünftige, naturwidrige
Bewegung der Seele» (Spec. 4,79; Her. 245; Decal. 142; vgl. Zenon, SVF I, fr.
205f.), und wie sie erklärt er ihre Entstehung aus einer Schwäche bzw. einem
Schlaf der Vernunft, wenn sie nicht mehr Herr über Sinneseindrücke und entspre-
chende Vorstellungen ist (Fug. 189). Sie sind die Krankheit der Seele, sie stellen
die schwerste Gefahr für die Selbstbestimmung der Vernunft und für die sittliche
Lebensführung dar (Spec. 1,167. 257; Her. 269–271; Congr. 55).
Aber in diese stoische Gesamtorientierung sind auch fremde Elemente integ-
riert, und sogar Philon selbst hat dieses Konzept in mehrerer Hinsicht bewusst
aufgebrochen. So hebt er im Unterschied zu den Stoikern innerhalb der Vierzahl
manchmal die Begierde und die Lust besonders hervor, weil sie die schlimmsten
Affekte und die Quelle allen Übels sind (Leg. all. 2,17; Spec. 4,84). In seiner Aus-
legung des Dekalogs löst er im Einklang mit einer jüdischen Tradition das letzte
Gebot «Du sollst nicht begehren» (οὐκ ἐπιθυμήσεις) von allen Objekten ab und
versteht es im generellen Sinne als das Grund-Gebot gegen die alles mit sich
reißende Begierde (Decal. 142; 173); er erklärt die Sonderstellung damit, dass,
während alle anderen Affekte von außen wie durch eine Tür hereinkommen und
uns überfallen und unfreiwillig zu sein scheinen, allein die Begierde aus uns selbst
herrührt und freiwillig ist (Decal. 142; vgl. Plat. Rep. 8, 561c; 9, 571b–572b). Damit
hat Philon mit Rücksicht auf die Erfordernisse der Bibelexegese die monistische
Anthropologie der Stoa durch die dualistische Seelenlehre des Platonismus über-
lagert (vgl. Reydams-Schils 2008 [*343], mit umfassender Stellensammlung und
einlässlicher Diskussion). Auch das ist den Tendenzen des zeitgenössischen Mit-
telplatonismus nicht fremd (Inwood 1985 [*261: 140–143]).

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 735

Entsprechendes lässt sich bei der weiteren Klassifikation der Affekte beobach-
ten. Außer den schädlichen, vernunftwidrigen Affekten waren die Stoiker bereit,
affektive Regungen im guten Sinne, die rational geleitet sind, zu akzeptieren, die
εὐπάθειαι, zu denen sie drei primäre Formen jeweils als Gegenstücke zu den ver-
werflichen Leidenschaften und ein breiteres Spektrum von untergeordneten
menschlichen Regungen rechneten (Chrysipp, SVF III, fr. 431). Philon kennt diese
Lehre (Quaest. Gen. 2,57; Det. 119f.), aber er nimmt sie nur in charakteristischen
Modifikationen auf. Sein Tableau weist als Gegenstück zu «Leid» auch einen ra-
tionalen Affekt auf, den «Gewissensbiss» (δηγμός), was den Stoikern fremd sein
musste (Quaest. Gen. 2,57 mit der textkritischen Konjektur von Dillon 21996
[*250: 151 Anm. 2]; Graver 2008 [*341: 213f.]). Ebenso rechnet er die «Hoffnung»
(ἐλπίς) dazu (Det. 120), die von den Stoikern nie als εὐπάθεια angesehen wurde.
Vollends entfernt er sich von ihnen bei den untergeordneten Regungen. Zustim-
mend spricht er von «gerechtem Zorn» (ὀργὴ δικαία: Fug. 90; Somn. 1,91) und
vom «Hass gegen das Böse» (μισοπονηρία: Mos. 2,9; Spec. 1,55; vgl. auch Spec.
4,170), den Chrysipp ausdrücklich in Abrede gestellt hatte (Chrysipp, SVF III, fr.
672). Ebenso ordnet er die «Reue» (μετάνοια), wenn auch nur zweitrangig, unter
die Tugenden ein – ihr widmet er sogar einen eigenen Abschnitt in ‹De virtutibus›
(175–186) – und betrachtet sie, obwohl er die mit ihr verbundene Bitterkeit nicht
verkennt, als ein Kennzeichen des weisen Mannes (Virt. 177; Abr. 26; Somn. 1,91;
Quaest. Ex. 1,15). Hier mag es das neupythagoreische Interesse an der Selbstprü-
fung, das später von der römischen Stoa aufgegriffen wurde, Philon leichter ge-
macht haben, die Reue als eine Tugend zu werten (Winston 1995 [*291: 39]). Und
vor allem findet sich bei ihm auch die Wertschätzung des «Erbarmens» (ἔλεος);
es ist dies «ein im höchsten Maße unentbehrlicher und der vernünftigen Seele an-
gemessener Affekt» (Virt. 144), was keine Parallele bei den Stoikern hat, auch
wenn sie ihre harte ­Position häufig gegen gegnerische Einwände verteidigen muss-
ten (Cic. Tusc. 4,26,56; Epikt. Diss. 4,13,16; Sen. Dial. 7,24,1; Benef. 6,29). Dies ist
aber unmittelbarer Ausdruck von Philons jüdischer Frömmigkeit. Deshalb ver-
wundert es nicht, wenn er das Erbarmen im Einklang mit jüdischer Lehre sowohl
dem Weisen als auch Gott zuschreibt (Sacr. 121; Imm. 75f.).
Bemerkenswert ist ferner, dass Philon auch eine hilfreiche Funktion von Af-
fekten anerkennt, wenngleich sie nur in uneigentlicher Sprache als «Helfer»
(βοηθοί) bezeichnet werden können: «… denn auch die Lust trägt zur Erhaltung
unseres Geschlechtes bei, ebenso die Begierde; Schmerz und Furcht veranlassen
die Seele, indem sie sie peinigen, nichts zu vernachlässigen; der Zorn hat als Ab-
wehrwaffe schon vielen sehr genützt; Ähnliches gilt auch sonst» (Leg. all. 2,8).
Dass die Affekte eine wichtige und unerlässliche Komponente der menschlichen
Natur darstellen und daher nicht beseitigt werden können, entspricht der peripa-
tetischen Position (Cic. Tusc. 4,19,43; Ac. 2,135 mit Zuweisung an die Alte Akade-
mie; Sen. Dial. 5,3,1), die anscheinend auch von Poseidonios geteilt wurde (fr. 31;
161; 187 Edelstein-Kidd).
Aus alledem wird ersichtlich, dass Philon das stoische Idealbild der «Affekt­
losigkeit» im Sinne der völligen Ausrottung der Leidenschaften (ἀπάθεια) nicht
unbesehen gelten lassen konnte, so sehr sie seine Sympathie gefunden haben mag

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736 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

und so klar er sie an nicht wenigen Stellen gefordert hat (z. B. Leg. all. 2,102; 3,68.
141; Agr. 10; Plant. 98; Migr. 92; Imm. 67). Doch er weiß auch, dass die völlige Un-
terdrückung der Affekte, selten genug, nur einem vollkommenen Mann gelingen
wird (Sacr. 111), als Beispiele dafür gelten Mose oder Isaak (Leg. all. 3,128f.; Migr.
67; Det. 46); deshalb obliegt generell den Menschen die sittliche Verpflichtung,
wenigstens den Kampf gegen sie zu führen und sie zu bändigen, wofür Aaron als
Beispiel dient (Leg. all. 3,128f.; auch Abraham scheint hierher zu gehören: Abr.
257). Auf diese Weise übernimmt Philon das aristotelisch-platonische Konzept
der «Affektmäßigung», der μετριοπάθεια, und fügt es in seine Sicht von morali-
scher Entwicklung ein (Fug. 213; Somn. 2,234f.; vgl. Winston 1984 [*260: 409–414];
Weisser 2011 [*355]). Für den «Fortschreitenden» (προκόπτων) ist die μετριοπάθεια
die angemessene Verfassung, aber für den Vollkommenen ist es die ἀπάθεια (Leg.
all. 132. 144; Quaest. Gen. 4,177). «Selbstbeherrschung» (ἐγκράτεια) und «Stand-
haftigkeit» (καρτερία) spielen bei diesem Kampf eine besondere Rolle (Spec.
4,112; Her. 274; Mut. 229; Mos. 2,185). Was ehedem Schlagworte für Schulgegen-
sätze waren, wird für Philon zu einer Stufenfolge, wobei er dem Fortschreitenden
eine sittliche Würde nicht abstreitet. Und um den Gedanken des Fortschritts
näher auszugestalten, macht er sich eine auf Aristoteles (z. B. EN 10, 1179b20–21)
zurückgehende Zusammenstellung von drei Aspekten, die das Streben nach Tu-
gend und Vollkommenheit befördern, zunutze, nämlich den Dreiklang «Naturan-
lage – Unterricht – Übung» (φύσις – μάθησις – ἄσκησις). Wer Vollkommenheit
anstrebt, sollte von Natur aus ethischer Unterweisung gegenüber aufgeschlossen
sein und sich an geeignete Lehrer halten, und er muss beharrlich die erteilten An-
weisungen ausüben. Philon identifiziert jeden dieser Aspekte aufgrund eigenwil-
liger Namensetymologien mit einem der biblischen Patriarchen, weil sie alle zwar
die drei erfüllten, aber bei jedem ein Aspekt dominierte: bei Abraham die
μάθησις, bei Isaak die φύσις und bei Jakob die ἄσκησις (Abr. 52–54).
Angesichts Philons religiöser Grundhaltung ist nichts anderes zu erwarten, als
dass Vollkommenheit, wie er sie versteht, weit entfernt ist von der Affektlosigkeit
des stoischen Weisen. Für ihn ist sie in allen ihren Entwicklungsphasen niemals
ein bloß natürlicher Prozess, wo der Mensch das ihm von Natur gegebene Ideal
aus sich heraus verwirklicht. Vielmehr ist Gott, der transzendente Herr über die
Natur, der wahre Urheber aller menschlichen Vollkommenheit, Tugend und
Glückseligkeit. Jeder sittliche Erfolg ist in seinen Augen letztlich eine Wirkung
von Gottes zuvorkommendem Beistand, da er die Kraft seines Erbarmens gna-
denhaft aufstrahlen lässt (Post. 159). Es ist Gottes Wille, die Bürde der bedrü-
ckenden Leidenschaften zu erleichtern, und er wird denen, die ihn um Hilfe an-
flehen, Befreiung und Lösung der Fesseln verschaffen (Her. 272f.); er verheißt die
Umwandlung der Leidenschaften in positive Seelenregungen (Plant. 119). Er ist
es, der die Begierden aus der Seele schafft und die Seele reinigt (Cher. 50; Somn.
2,25; Leg. all. 286f.), der Tugenden herabregnen lässt und sie einpflanzt in die
Seele (Mut. 258; Leg. all. 3,181; Plant. 37). Deshalb wäre es vermessen und gott-
los, wenn der Mensch sittliche Auszeichnungen seiner eigenen Leistung, seinen
eigenen Anstrengungen zuschreiben wollte, während sie doch auf Gott zurück­
zuführen sind (Leg. all. 1,49; 3,29. 136). Aus diesem Grund verwirft Philon auch

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 737

die stoische οἰκείωσις-Lehre (Lévy 1998 [*300]). Der Mensch muss seine wesent-
liche «Nichtigkeit» (οὐδένεια) vor Gott eingestehen; angesichts der Überfülle der
Wohltaten Gottes sich selbst zu erkennen, heißt für Philon, dass der Mensch sich
bewusst wird, dass er «Staub und Asche» (Gen. 18,27), ja eher noch, dass er wahr-
haft nichts ist (Her. 29f.; Mut. 54; 155; Spec. 1,263).

2.4. Politik

Obwohl Philon das kontemplative Leben hochschätzt, befürwortet er die Teil-


nahme des Weisen am öffentlichen Leben; einen übertriebenen Asketismus oder
einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Rückzug heißt er nicht gut (Fug. 32–36).
Das hindert ihn jedoch nicht daran, die Konzeption des Politikers, hinter der die
peripatetische Theorie steht, in der Person Josephs zu kritisieren (Det. 7, doch va-
riiert das Bild Josephs, vgl. Frazier 2002 [*317]). Als Paradigma des idealen Ge-
setzgebers führt er stattdessen Mose an, dem er – in Anlehnung an Platon (Rep.
5, 473c–e) – die Fähigkeit eines ‘Philosophenkönigs’ zuspricht (Mos. 2,2; 187:
Mose als König, Gesetzgeber, Hohepriester und Prophet), denn Mose war in sei-
ner Person, wie die biblischen Patriarchen auch, eine lebendige Verkörperung des
Naturgesetzes (Mos. 1,162; 2,4).
So steht das stoische Konzept des Naturgesetzes, das durch Elemente des zeit-
genössischen Platonismus und möglicherweise des Neupythagoreismus (vgl. Calabi
2008 [*339: 185–215]) gefiltert ist, im Zentrum von Philons politischer Theorie. Das
«Naturgesetz» (νόμος τῆς φύσεως), identisch mit der «Weltvernunft» (ὀρθὸς λόγος:
Opif. 143), ist die vom göttlichen Logos gestiftete kosmische Gesetzmäßigkeit im
Weltganzen und gleichzeitig die normative Instanz für menschliches Handeln,
indem es allen Menschen im Einklang mit der Ordnung der Natur gebietet, was zu
tun, und verbietet, was zu unterlassen ist. Mögen die konkreten Staatsverfassungen
und Gesetzgebungen unter den einzelnen Völkern stark variieren, mögen Weltrei-
che aufsteigen oder fallen, so sind die besonderen Gesetze der Einzelstaaten doch
nur Zusätze zu dem einen universalen Naturgesetz, das die «Megalopolis» dieser
Welt regiert (Jos. 28–31). Dessen regulierendes Prinzip im Kosmos wie im Staat
und im Individuum ist die Gleichheit (ἰσότης), sie ist die Mutter der Gerechtigkeit
(Spec. 4,231f.; 236f.; Contempl. 17), und konkrete politische Gestalt findet all dies
in der Staatsform der Demokratie. Wenn im Laufe der Geschichte Großreiche
immer wieder aufgestiegen und untergegangen sind (Imm. 173–175), so sind solche
zyklischen Erschütterungen «der Tanz des göttlichen Logos» – nicht das Fatum,
wie manche meinen –, des göttlichen Logos, der durch Austausch und Umvertei-
lung von Macht und Besitz die ständigen Verletzungen des Gleichgewichts der gött-
lichen Ökonomie wieder zurechtrückt und behebt und dadurch auf die Errichtung
einer die ganze Welt als eine einzige Polis umfassenden Friedensordnung in einer
Demokratie hinarbeitet (Imm. 176; vgl. Her. 162).
Die Einführung des Konzepts der Demokratie als der besten aller Verfassungs-
formen (Imm. 176; Abr. 242) hat angesichts der Tatsache, dass Philon selbst seine
volle Sympathie für das Ideal der Philosophenherrschaft erklärt (vgl. Centrone
2000 [*305: 563–567]) und die Demokratie auch in der griechischen Staatsphilo-

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738 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

sophie nie als die ideale Verfassung angesehen wurde, etwas Überraschendes, und
es ist nicht leicht zu entscheiden, woher Philon die Anregung dazu empfing. Aus
den Kontexten, in denen er diesen Begriff verwendet (z. B. Agr. 45; Conf. 108;
Spec. 4,231–237), lässt sich jedoch entnehmen, dass er darunter eine Verfassung
versteht, die jedem das ihm Zustehende zuweist – das, was Platon und Aristoteles
«geometrische Gleichheit» nennen würden, die eine angemessene Gewichtung
zugunsten der Wohlhabenden impliziert (Plat. Gorg. 508a; Leg. 6, 757b–c; Arist.
EN 5, 1131a10–b20).
Keine Frage indessen ist es, dass für Philon das Mosegesetz nichts anderes als
die schriftlich fixierte Form des Naturgesetzes ist (Najman 1999 [*302]). Wenn er
in wenigen, seltenen Passagen die jüdisch-apokalyptische Hoffnung auf ein letzt-
gültiges messianisches Zeitalter anklingen lässt (Praem. 163–172; vgl. Termini
2009 [*346: 109–111]), so bedeutet dies, dass die mosaische Tora – nicht im Sinne
nationaler politischer Suprematie, sondern kraft definitiver Durchsetzung der
ἰσότης durch den Logos Gottes – alle Staaten der Welt regieren wird, so dass keine
Erschütterungen der göttlichen Ökonomie mehr auftreten werden und damit auch
keine Notwendigkeit mehr für periodisch stattfindende Neuverteilungen gegeben
sein wird (Winston 1985 [*262: 55–58], Hecht 1987 [*266]).

3. Physik

3.1. Prinzipienlehre

Das höchste Prinzip in Philons metaphysischem System ist das Eine oder die
Monas; damit ist zugleich die Einzigkeit und Einfachheit und das Alleinsein des
Höchsten zum Ausdruck gebracht (Leg. all. 2,1–3). Es ist das wahrhaft Seiende
(τὸ ὄντως ὄν: Imm. 11), das für Philon natürlich mit dem monotheistischen, per-
sonalen Gott des jüdischen Glaubens identisch ist. Deshalb ändert er häufig die
platonische Bezeichnung τὸ ὄν in Anschluss an Ex. 3,14 zu der mehr personalen
Form ὁ ὤν um (über 30-mal kommt Philon auf Namensoffenbarung Gottes am
Horeb zu sprechen; Biblia Patristica 1982 [*216: 60]). In Spec. 2,176 wird von der
arithmetischen Monas gesagt, dass sie «das unkörperliche Bildnis Gottes»
(ἀσώματος θεοῦ εἰκών) sei, dem sie in ihrem Alleinsein gleicht. Neben anderen
üblichen Attributen wie ‘ewig’, ‘unveränderlich’ und ‘unvergänglich’ verwendet
Philon auch solche, für die er unsere früheste Autorität ist. In Somn. 1,67 bei-
spielsweise wird Gott als «unnennbar» (ἀκατονόμαστος), als «unsagbar» (ἄρρητος)
und «in jeder Beziehung unfassbar» (κατὰ πάσας ἰδέας ἀκατάληπτος) beschrie-
ben. Es ist unwahrscheinlich, dass diese negativen Gottesprädikate von Philon
selbst stammen (anders Radice 1989 [*273: 229–319] und 1991 [*278]); vielmehr
ist anzunehmen, dass er Spuren einer Terminologie bewahrt hat, die von platoni-
schen Kreisen im 1. Jahrhundert v. Chr. entwickelt worden ist, vielleicht von Eu-
doros selbst – möglicherweise beeinflusst durch die erste Hypothese des ‹Parme-
nides›. Auf jeden Fall sind diese Bezeichnungen, wenn sie später erscheinen, wie

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 739

im ‹Didaskalikos› des Alkinoos, sicher nicht Philon entnommen. Es gibt Textstel-


len, an denen Philon die transzendentale Terminologie ins Extrem steigert, wenn
er etwa Gott als «besser als das Gute, reiner als das Eine und ursprünglicher als
die Monas» oder «höher als das Eine und die Monas und das erste Prinzip» be-
schreibt (Contempl. 2; Opif. 8; Praem. 40; Quaest. Ex. 2,68). Diese Aussagewei-
sen dürften auf den platonisierenden Neupythagoreismus von Philons Zeit zurück-
gehen (so Whittaker 1973 [*246: 80]), bei Philon sind sie vielleicht eher rhetorische
Floskeln (so Dillon 21996 [*250: 156]; dagegen Bonazzi 2008 [*338: 239f.]). Doch
liegen sie genau in der Fluchtlinie seines auf die Transzendenz Gottes gerichteten
Denkens. Eine prägnante Rolle spielt dabei auch der Gebrauch des Adverbs
ὑπεράνω: Gott ist erhaben über Raum und Zeit, erhaben über die gesamte Schöp-
fung (Post. 14; Congr. 105; Conf. 137), er übersteigt grundsätzlich die menschliche
Fassungskraft. Man kann auf mehreren Wegen – die bekanntesten sind die ‘via
negationis’, ‘via analogiae’ und ‘via eminentiae’ – nach Gotteserkenntnis suchen.
Doch wieder und wieder betont Philon, wir könnten nur die Existenz Gottes, dass
er ist, erkennen, niemals jedoch sein Wesen. Gott in seinem Wesen bleibt uns un-
zugänglich (Praem. 39; Spec. 1,41–44; Mut. 11; Somn. 1,230f.; Mos. 1,75; Post.
168f.; zum Ganzen Calabi 2008 [*339: 3–69]).

3.2. Der Logos

Angesichts eines völlig transzendenten Gottes stellt sich die Frage nach seinem
Verhältnis zu dem von ihm hervorgebrachten Universum. Philon macht deutlich,
dass das Universum von Gott als seiner Wirk- und Formursache abhängig, also
‘geschaffen’ ist (Opif. 26–27), aber eine Schöpfung ex nihilo scheint er nicht ver-
treten zu haben (vgl. Winston 1981 [*197: 7–21]). Gottes Beziehung zur Schöpfung
bedarf einer vermittelnden Instanz, welche in Philons System durch den Logos
gegeben ist – ein Konzept, das eine komplexe Verbindung platonischer und stoi-
scher Elemente sowie aus der Bibel erwachsener Spekulationen über die Weisheit
und das göttliche Schöpfungswort darstellt. Dies passt weitaus besser zu Philons
Monotheismus als eine separate demiurgische Figur oder eine rationale Weltseele.
Philon glaubte, in den beiden ersten Kapiteln der ‹Genesis› die Beschreibung
einer zweifachen Schöpfung, zunächst die der intelligiblen Welt (νοητὸς κόσμος),
dann die der sinnlich wahrnehmbaren Welt (αἰσθητὸς κόσμος) zu erkennen (vgl.
Opif. 16). Die intelligible Welt ist die Gesamtheit der Ideen und stellt eine Anwen-
dung des «Modells» (παράδειγμα) von Platons ‹Timaios› dar, dergestalt, dass die
Ideen die Inhalte im Geist Gottes sind. Diese Gedankenformation hat Philon
zweifellos nicht selbst entwickelt, sondern sie könnte zu Spekulationen des Antio-
chos von Askalon (vgl. Varros Allegorie der Geburt Minervas aus dem Haupt Ju-
piters bei Aug. Civ. 7,28) oder vielleicht sogar bis zur Alten Akademie zurückrei-
chen (Dillon 2008 [*340: 230], Bonazzi 2008 [*338: 244f.]). Der Logos erscheint
bei Philon als das aktive Element von Gottes schöpferischem Denken. In seinem
dem göttlichen Geist immanenten Aspekt konstituiert er die intelligible Welt,
während er in seinem aus dem Geist heraustretenden Aspekt die sinnlich wahr-
nehmbare Welt hervorbringt. Jetzt heißt er δεύτερος θεός oder θεός ohne Artikel

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740 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

(Quaest. Gen. 2,62; Somn. 1,229f.), aber der Begriff «Hypostase» (ὑπόστασις)
fehlt im Bezug auf ihn, wie auch die Vorstellung einer Emanation des Logos aus
Gott nicht klar formuliert ist (Quaest. Gen. 4,1; Cher. 97; dagegen Det. 82; Somn.
2,221; Fug. 198; die ihm ansonsten geläufige Gegenüberstellung von dem «inne-
ren» und dem «ausgesprochenen» Gedanken [ἐνδιάθετος – προφορικός: Abr. 83]
hat er nicht auf den göttlichen Logos bezogen). Die individuellen Ideen werden zu
‘samenartigen Vernunftprinzipien’ (σπερματικοὶ λόγοι), ein Gedanke, der sich an
die Stoiker anlehnt. Tatsächlich werden sie nur einmal in ‹Legatio ad Gaium› so
bezeichnet (Leg. 55); häufiger ist es der Logos selbst (im Singular), der als samen-
artig bezeichnet wird (z. B. Leg. all. 3,150; Her. 119). Er ist demnach die Gesamt-
heit der Ideen in Aktivität, wie der intelligible Kosmos ihre Gesamtheit im Ruhe-
zustand ist. Als ‘samenartige Vernunftprinzipien’ dienen die Ideen als Modelle
und schöpferische Prinzipien der physikalischen Welt (vgl. Opif. 20).
Eine bemerkenswerte Charakterisierung des Logos bezeichnet ihn als «Teiler»
(λόγος τομεύς) in seiner Eigenschaft als Zerleger der ungeschiedenen materiellen
Substanz der Welt, sowohl in logischer als auch in kosmologischer Hinsicht. Die-
ses Bild, in enormer Länge im Mittelteil von ‹Quis rerum divinarum heres› (133–
236) ausgeführt, entspringt einer Exegese von Gen. 15,10. Der hier genannte
Logos nimmt nicht eine aristotelische Analyse vor, sondern eher eine Dihärese in
der Manier des ‹Sophistes› nach Art der Alten Akademie, indem er die undiffe-
renzierte Materie fortschreitend in jeweils gleiche Hälften bis hin zur Vielfalt der
Gegensätze, aus denen die Welt besteht, zerlegt. Er ist damit nicht nur für die
arithmetische Gleichheit, sondern auch für die proportionale Gleichheit verant-
wortlich (Her. 144–146). Der Logos selbst wird durch die Zahl sieben symbolisiert
(Her. 219).
Andere vorherrschende Darstellungen des Logos sind die des Logos als «Werk-
zeug» (ὄργανον) Gottes bei der Erschaffung der Welt (z. B. Leg. all. 3,96; Migr. 6;
Prov. 1,23) oder als «Abbild» (εἰκών) Gottes, wobei Gott das Vorbild des Abbil-
des und der Logos das Vorbild für alle geschaffenen Dinge ist (z. B. Spec. 1,81;
Leg. all. 3,96; Conf. 97; 147; Fug. 101). Indem Philon die sogenannte Metaphysik
der Präpositionen bemüht, charakterisiert er ihn als δι’ οὗ, als dasjenige, durch
das die Welt gemacht worden ist (Cher. 125–127). Er ist der erstgeborene oder der
ältere Sohn Gottes, unterschieden vom Kosmos, dem jüngeren Sohn, für den er
Schöpfungsmittler ist (Imm. 31; Agr. 51; Conf. 63; 146; Somn. 1,229f.).
Ein dritter, klar unterschiedener (vgl. Mos. 2,127) Aspekt des Logos ist seine
in der Schöpfung immanent wirksame Aktivität, die in stoischem Vokabular – je-
doch im Grundsatz frei von materiellen Konnotationen – beschrieben wird. Er ist
der unlösliche Kitt und das unzerreißbare Band, das alles in vollkommener Har-
monie zusammenhält (Her. 188; Migr. 220; Fug. 112; Quaest. Ex. 2,90. 118). Er ist
das unwandelbare, das All durchdringende Naturgesetz und die alles lenkende
und leitende Weltvernunft (Cher. 36; Migr. 6). Er ist die Stütze des Universums;
indem er sich vom Zentrum der Welt bis hin zu den Enden und wieder zurück aus-
dehnt, schließt er alle Teile durch seine Spannkraft in fester, unlöslicher Ordnung
zusammen (Plant. 8f.; Imm. 36). Entsprechend ist die Welt sein Gewand, denn er
bekleidet sich mit den vier Elementen und dem daraus Bestehenden (Fug. 110).

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 741

Im Ganzen ist nicht zu verkennen, dass Philons Lehre vom Logos von ungelös-
ten inneren Spannungen durchzogen ist. Soll der Logos als vermittelnde Instanz
zwischen dem transzendenten Gott und der geschaffenen Welt fungieren (Conf.
136f.; Post. 20; Spec. 1,329), so muss er in Beziehung zu beiden stehen, ohne indes
mit einer der zu vermittelnden Seiten identisch sein zu dürfen. Das wirft weitrei-
chende Probleme auf, mit denen Philon spürbar ringt. Insbesondere darf die Lo-
gos-Lehre das monotheistische Bekenntnis des jüdischen Glaubens an den einen
und einzigen Gott nicht tangieren. Philon glaubt, dem Rechnung zu tragen, indem
er die hypostatische Eigenständigkeit des Logos bewusst unscharf lässt; bisweilen
erscheint dieser eher wie das Antlitz von Gottes Weltzugewandtheit, bisweilen
scheint er tatsächlich eher so etwas wie eine real subsistierende Entität zu sein.
Und in letzterem Fall beeilt er sich sogleich, zu versichern, dass der Logos keine
unabhängige, von Gott getrennte Existenz, sondern nur eine untergeordnete
Herrschaft innehat (Fug. 101; 111), dass er Gottes Unterstatthalter, Bote und
­Diener ist, der Gottes Willen ausführt (Agr. 51; Her. 205). Ähnliche Spannungen
begegnen mehrmals.

3.3. Die Weisheit und die Kräfte

Während sich Philons Konzeption des Logos mehrheitlich aus philosophischen


Gedankenelementen speist, liegen die Wurzeln für seine Aussagen über die gött-
liche Weisheit in der biblisch-jüdischen Weisheitstradition, namentlich in Prov. 8
und im ‹Sapientia›-Buch (vgl. zum ganzen Komplex Weiss 1966 [*243: 204–211]).
Indessen sind der ontologische Status der Weisheit sowie ihre herkömmlichen kos-
mologischen Funktionen weitgehend von der Logos-Doktrin absorbiert, wie denn
auch «Weisheit» und «Logos» nicht selten Wechselbegriffe sind und geradezu mit-
einander identifiziert werden können (Leg. all. 1,65; Det. 115; 118). Doch gibt es
auch Stellen, an denen sie einander untergeordnet oder voneinander abgeleitet
werden (Fug. 97 vs. Som. 2,242. 245). Doch, wo von der Weisheit als einer distink-
ten eigenständigen Gestalt – und nicht nur wie in Som. 2,242 und Migr. 41 als von
einer Eigenschaft Gottes – gesprochen wird, da ist der mythologische Charakter
der Weisheit durchweg sehr viel ausgeprägter. Auf der Linie der biblischen Weis-
heitstexte liegt es, wenn Philon erklärt, dass Gott mit Hilfe der Weisheit bzw.
durch sie (δι᾿ ἧς) die Welt erschaffen hat (Her. 199; Fug. 109; vgl. die Anspielun-
gen in Leg. all. 1,64; Virt. 62). Aber die auffälligste und stärkste Verhaftung in der
Mythologie ist mit der Vorstellung einer weiblichen kosmogonischen Potenz ge-
geben, die sich dahingehend äußert, dass Gott der Vater und die Weisheit die Mut-
ter des Alls sind und der materielle Kosmos aus der Eheverbindung Gottes mit
der Weisheit hervorgegangen ist (Fug. 109; Det. 54; Ebr. 30f. mit Zitat von Prov.
8,22; Cher. 49). Das weist auf einen hoch mythologischen Hintergrund einer
Leben spendenden Muttergottheit. Darüber hinaus nennt Philon die Weisheit
auch «Mutter und Amme (τιθήνη) des Alls» (Ebr. 30f.; nicht kosmologisch: Det.
115f.; Conf. 49), eine Bezeichnung, die Platon im ‹Timaios› (49a; 52d; 88d) dem
aufnehmenden Prinzip beigelegt hatte und die in der platonischen Tradition auf
die Materie bezogen wird (z. B. Plut. De Iside 372e–373c). Auch Philon tut dies

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742 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

einmal – aber nicht in Bezug auf die Weisheit (Ebr. 61). Die Weisheit – auch männ-
liche Tochter Gottes genannt (Fug. 50) – repräsentiert für ihn wie der Logos den
intelligiblen Kosmos (Congr. 116f.; Migr. 40; Her. 112; Som. 2,270), eine weltim-
manente Rolle hat sie aber nicht (vgl. Radice 2009 [*346: 139]), und mit der Ma-
terie wird sie nicht identifiziert (Mack 1973 [*245: 117, 155], anders Dillon 21996
[*250: 163f.], Winston 1985 [*262: 20f.]). Die Weisheit wird durchweg aktiv vorge-
stellt, während die Materie als tot gilt (Fug. 198).
Die Lehre von den Kräften (δυνάμεις) Gottes – auch λόγοι genannt und in der
Weisheit bzw. im Logos zusammengefasst (Leg. all. 2,86) – ist neben der Logos-
Lehre eine der bemerkenswertesten Konzeptionen Philons. Mit ihr sucht er ein-
sichtig zu machen, wie der ferne Gott, ohne selbst in die Welt einzugehen, auf sehr
verschiedenen Ebenen in seiner Schöpfung handelt und seinen Geschöpfen im Er-
weis seiner Existenz und Macht nahe kommt. Seine Wirkungen in der Welt sind
so vielfältig und so reichhaltig, dass weitere Differenzierungen nötig sind. Philo-
sophiegeschichtlich lässt sich die Lehre nicht eindeutig zurückverfolgen, wahr-
scheinlich lehnt sie sich an die ps.-aristotelische Schrift ‹De mundo› (398a) und an
deren Weiterwirkung bei Aristobulos an (Radice 1989 [*273: 187–196], so schon
Pohlenz 1942 [*234: 442, 480–487], vgl. auch Dillon 21996 [*250: 161–163]).
Allerdings ist die δύναμις in ‹De mundo› eine einzige Entität, während bei Phi-
lon eine sorgfältiger ausgearbeitete Lehre anzutreffen ist, die in erster Linie zwei
Hauptkräfte beinhaltet, nämlich Gottes Güte (ἀγαθότης), mittels welcher Gott
die Welt erschafft (ποιητικὴ δύναμις), und Gottes Souveränität (ἐξουσία), mittels
welcher er sie beherrscht (βασιλικὴ δύναμις). Auf diese, so Philon, weisen die bei-
den traditionellen Anreden Gottes «Herr» (κύριος) und «Gott» (θεός) hin (Mos.
2,99; Spec. 1,307; Abr. 121; Conf. 137). In der Exegese der beiden Cherubim mit
dem flammenden Schwert, die das Paradies bewachen (Cher. 27–30, zu Gen. 3,24),
symbolisieren die Cherubim diese beiden Kräfte und das Schwert zwischen ihnen
den Logos. Die relative Rangfolge zwischen dem Logos und den Kräften besteht
nach Quaest. Ex. 2,68 und Fug. 100f. darin, dass der Logos höherrangig ist und
dass die Kräfte aus ihm entspringen «wie aus einer Quelle». Darüber hinaus er-
wähnt Philon eine Anzahl weiterer Kräfte, wie etwa die vorhersehende Kraft, die
wohltätige und die strafende. Insbesondere stellt er gern eine Fünfzahl zusammen
(Quaest. Ex. 2,68; Fug. 95). Sie mag durch exegetische Erfordernisse bedingt sein.

3.4. Kosmologie

Die Auslegung der ersten Kapitel der ‹Genesis› gibt Philon Gelegenheit, am
a­ utoritativen Bibeltext entlang die Grundkoordinaten seiner Kosmologie zu ent-
wickeln, für die zugleich Platons ‹Timaios› die stärkste Stütze ist (Runia 1986
[*264], mit detaillierten Gegenüberstellungen, sowie Runia 2001 [*204]). Die
Schöpfung ist geworden und hatte einen Anfang – das stellt Philon gleich vorweg
in einem polemischen Vorspann gegen die aristotelische Auffassung von der Ewig-
keit der Welt und der Untätigkeit Gottes, was zugleich die Leugnung der göttli-
chen Providenz impliziere, sicher (Op. 7–12, vgl. Trabattoni 2009 [*349]). Gott hat,
wie es im Schöpfungsbericht heißt, die Welt in sechs Tagen geschaffen. Das be-

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deutet freilich nicht, dass Gott eines Zeitraums bedurfte, um sein Werk zu vollen-
den, vielmehr schuf er alles auf einmal, in einer Simultanschöpfung, denn die Zeit
als «Intervall kosmischer Bewegung» (διάστημα τῆς τοῦ κόσμου κινήσεως: Op.
26) ist erst mit dem Kosmos entstanden. Aber die Darstellungsweise der ‹Gene-
sis› will in erzählerischem Stil veranschaulichen, dass die geschaffene Welt eine
geordnete Struktur aufweist, die mit Zahlen zu tun hat. Tag eins betrifft die Ide-
enwelt (Gen. 1,1–5, sodann 1,26f. und 2,4f. = Op. 15–35; 76; 129f.; 134), vom zwei-
ten Tag an geht es um die Erschaffung der empirischen, materiellen Welt (Op.
36ff., vgl. Radice 2009 [*346: 131–135, 144f.]).
Philons Erklärung enthält sachlich indes ein unbewältigtes Problem, das die
Frage nach einem zweiten, passiven Prinzip, der Materie, betrifft (Op. 9; 21f.). In
der Regel spricht er davon, dass Gott die ungeordnete, gestaltlose und eigen-
schaftslose Materie umgewandelt, geordnet und gestaltet habe (Op. 22; Plant. 3;
Spec. 4,187; vgl. Fug. 8–10). Bisweilen kommen seine Formulierungen, dass Gott
schuf, was noch nicht war, der Vorstellung einer ‘creatio ex nihilo’ nahe, aber
genau genommen besagen sie dies nicht, und andere Stellen scheinen diese Deu-
tung geradezu auszuschließen (Aet. 5; Spec. 1,266). Die Sache bleibt in der
Schwebe (zur Forschungsdiskussion vgl. Runia 2001 [*204: 152f., 171f.]). Offenbar
hat er darin weniger ein Problem gesehen, weil die rein passive Materie – mangel-
haft, minderwertig, leblos, ja tot wie sie als solche nun einmal ist – nicht die Ein-
zigkeit Gottes beeinträchtigen kann, dem allein Kausalität zukommt und der
weder vor der Weltentstehung noch danach etwas neben sich hat (Leg. all. 2,2).
Das konkrete Weltbild, das Philon unwillkürlich vor Augen steht, ist das gän-
gige griechisch-wissenschaftliche, das geozentrische (Plan. 3; Conf. 156), das er in
seinem immanenten Aufbau im wesentlichen wie die Stoa (vgl. drei stoische De-
finitionen von κόσμος in Aet. 4; Prov. 1,21) – freilich durch die Annahme des trans-
zendenten Schöpfers aufgebrochen – konzipiert; das altorientalisch-biblische hat
er nicht mehr verstanden. Das Universum ist ein beseeltes Lebewesen, was schon
Platon im ‹Timaios› (30b) vertreten hat (Gig. 7); aller materieller Stoff ist dafür
aufgebraucht worden (Plant. 5), ein den Kosmos außen umgebendes Vakuum, wie
die Stoiker wollen, gibt es nicht (Plant. 6f.; Her. 228). Voll ausgebaut ist die Vier-
Elementen-Lehre. Gelegentlich wertet Philon den Äther, das fünfte Element des
Aristoteles, als die Substanz der himmlischen Sphäre (Plant. 3; Her. 283; Quaest.
Ex. 2,73), doch in der Regel rechnet er mit den kanonischen vier Elementen Erde,
Wasser, Luft und Feuer (z. B. Op. 52), wobei am äußersten Himmel das Feuer in
reinster Gestalt anzutreffen ist (Plant. 120; Det. 154). Ohnehin unterscheidet er
in stoischer Gefolgschaft zwischen dem «Feuer zum praktischen Gebrauch» (πῦρ
χρειῶδες) und dem «himmlischen Feuer» (πῦρ οὐράνιον: Haer. 136; Mos. 2,148)
oder dem Feuer, das verbrennt, und dem, das erleuchtet (Decal. 49). Obschon sich
die Elemente ineinander verwandeln (Quaest. Ex. 2,81; 82; Aet. 116), haben sie
spezifische Qualitäten und jeweils ihren natürlichen Ort im Universum mit den
entsprechenden Bewohnern (Contempl. 3; Gig. 7; Agr. 51; Plant. 12). Doch scharf
weist Philon die stoische Theorie vom Weltenbrand (Her. 228; 300) und vom zyk-
lischen Vergehen und Entstehen des Alls (Aet. 39–44) zurück. Die Welt, obwohl
prinzipiell vergänglich, wird von Gott in immerwährendem Bestand erhalten

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(Sacr. 40; Migr. 181; Her. 246; Decal. 58). So ist für ihn die Welt «das schönste und
größte und vollkommenste Werk» Gottes (Abr. 74; Aet. 15). Ob ihrer Rationali-
tät und Ordnung zieht sie seine Bewunderung auf sich (Spec. 3,189f.; Praem. 41f.),
aber mehr noch als den Kosmos bewundert er dankbar dessen Schöpfer (Op. 7;
Spec. 1,210f.; Plant. 131).

3.5. Zwischenwesen

Zwischen Gott und Mensch und dem Logos untergeordnet – der manchmal als
ἀρχάγγελος, als «Anführer der Engel» bezeichnet wird (Her. 205; Somn. 1,157) –
gibt es eine große Zahl von Zwischenwesen. Philon kann dafür die Autorität der
Heiligen Schrift anführen, letztlich ist seine Auffassung platonisch.
Er anerkennt die Rolle der geschaffenen Untergötter von Tim. 41a–d, die in
platonischen Kreisen seiner Zeit mit Bestimmtheit mit den planetaren Göttern
gleichgesetzt wurden. Wie Platon erklärt er anlässlich der Auslegung des Plurals
von Gen. 1,26: «Lasset uns Menschen machen …», dass es Gott nicht geziemte,
selbst Wesen von gemischter Natur, die zum Guten wie zum Bösen fähig sein wür-
den, zu schaffen, und dass er deshalb andere Mitarbeiter heranzog, die den nie-
deren Teil des Menschen bilden sollten (Opif. 72–75). Wenig früher hat er die Hel-
fer mit den planetaren Göttern identifiziert, denen Gott Kräfte, wenn auch nicht
unumschränkte, verliehen habe (Opif. 46; gegen die Gleichsetzung Runia 2001
[*204: 238]). Dass sie vernunftbegabte Lebewesen sind, ist für ihn selbstverständ-
lich (Opif. 73), aber er bekämpft ihre religiöse Verehrung (Migr. 178f.).
Neben den planetaren Göttern setzt Philon eine Heerschar an reinen, unkör-
perlichen Seelen in der Luft als gegeben voraus, die als Dämonen oder Engel be-
zeichnet werden können. Sie sind die wahren Bewohner der Luft, nicht die Vögel,
sie sind zahlengleich mit den Sternen (Gig. 6–9; vgl. Somn. 1,135. 137; Apul. De
deo Socr. 8–12; vgl. Tim. 41d). Dämonen, Engel und Seelen sind nur verschiedene
Begriffe für dieselbe Klasse von Wesen (Gig. 16). Mit einem Verweis auf Plat.
Symp. 202e bezeichnet er sie als «Boten nach beiden Seiten zwischen Menschen
und Gott» (vgl. Somn. 1,141–142). Eine anschauliche Illustration dafür bietet Phi-
lon bei der Auslegung der Jakobsleiter von Gen. 28,12 in Verbindung mit der Stelle
aus dem ‹Symposion› (Somn. 1,133–137).
Gelegentlich scheinen die Engel mit den λóγoι, den wirkenden ‘Kräften’ in der
Natur, identifiziert zu werden (Leg. all. 3,177), aber normalerweise werden sie als
reine Seelen beschrieben (z. B. in Sacr. 5, wo auf den Mythos des ‹Phaidros› ver-
wiesen wird). Es gibt Hinweise auf böse oder übelwollende Engel in Gig. 17f. und
in Quaest. Ex. 1,23: Sie sind von Gott geschaffen, damit sie stellvertretend für ihn
Bestrafungen vornehmen, wodurch er von dem Makel befreit wird, der Ur­heber
des Bösen zu sein. Böse Dämonen kommen durchaus in der platonischen Tradi-
tion vor, etwa bei Xenokrates (vgl. Plut. De Iside 360d = fr. 225 Isnardi-Parente),
weshalb dies auch bei Philon nicht irritieren sollte. Er betont jedoch nachdrück-
lich, dass sie Gott völlig untergeordnet sind (auf jüdische Elemente weist Termini
2009 [*346: 101–103]).

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3.6. Psychologie

Die Seele ist für Philon letztlich unerkennbar (ἄγνωστος: Mut. 10; vgl. Cher.
114). In Somn. 1,30–33 steckt er vier Problemkreise zum höchsten Seelenvermö-
gen, dem ἡγεμὼν νοῦς, ab, für die es keine eindeutigen Klärungen gibt: Was ist er
seinem Wesen nach? Woher entstammt er? Was geschieht mit ihm nach dem Tod?
Wo ist sein Sitz im menschlichen Körper? Und Philon beschließt diese doxo­
graphische Revue mit der Bekräftigung, dass er «unbegreiflich» (ἀκατάλεπτος)
ist (Runia 2008 [*345: 24–28, 51–53]). Aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit, als
Ort der Gotteserfahrung, hat dieser an der Unerkennbarkeit Gottes selbst teil
(Opif. 69). Deshalb fühlt sich Philon frei, vielfältigste Seelenbestimmungen der
philosophischen Traditionen aufzugreifen, weil sie alle nur ungenügende Annä-
herungen an etwas Unbegreifbares sind.
Im Allgemeinen befolgt Philon die vorherrschende platonische Zweiteilung der
Seele in einen rationalen und einen irrationalen Teil (z. B. Leg. all. 2,6; Spec.
1,333). Der rationale Teil wird mit dem Intellekt (νοῦς) gleichgesetzt oder mit dem
stoischen «herrschenden Element» (ἡγεμονικόν), der irrationale Teil mit den
­Sinnen und Affekten, «dem Nachwuchs der Sinne». Obwohl dies seine grundsätz-
liche ­Unterteilung ist, spricht er anderswo auch von einer Dreiteilung, nämlich in
einen rationalen, muthaften und begehrlichen Teil (z. B. Spec. 4,92, wo der Einfluss
von Plat. Rep. 4, 438d, Phaidr. 246a und Tim. 69c im Hintergrund steht). In Her.
225 wird die Dreiteilung bemerkenswerterweise zum Gegenstand einer weiteren
Dichotomie gemacht, so dass letztlich sechs Elemente entstehen, mit dem Logos
selbst als siebtem. Wenn es ihm passend erscheint, übernimmt Philon die stoische
Unterteilung in das ἡγεμονικόν und die sieben physischen Vermögen, d. h. die fünf
Sinne, das Sprach- und Fortpflanzungsvermögen, so z. B. in Opif. 117. Auch in
Quaest. Gen. 2,59 nimmt er wieder eine Dreiteilung vor, die mehr aristotelisch als
platonisch ist, wenn er die drei Teile des «vegetativen» (θρεπτικόν), des «wahrneh-
menden» (αἰσθητικόν) und des «rationalen» (λογικόν) Seelenteils aufführt. Jede
Art dieser Unterteilungen soll den Grundaspekt reflektieren, dass die Seele in ra-
tionale und irrationale Elemente unterteilt ist. Eine von Philons tragenden Allego-
resen ist die von Adam als «Intellekt» (νοῦς) und Eva als «Wahrnehmung»
(αἴσθησις) oder als irrationale Seele generell (z. B. Leg. all. 2,24; Cher. 57–60),
deren Einheit im Körper notwendig für die Funktion des menschlichen Geistes ist.
Eine andere Zuweisung, die ebenfalls an die doxographische Tradition an-
knüpft (Cic. Tusc. 1,19; Aët. Plac. 4,3,14; D. L. 8,30), kommt zum Tragen, wenn
Philon mit ihr die biblische Vorstellung verbindet, dass Blut die Lebenskraft oder
die Seele des Fleisches ist (Gen. 9,4; Lev. 17,11. 14; Dtn. 12,23). Diese Aussage
kann sich für sein Verständnis nur auf den niederen, irrationalen Teil der Seele
beziehen. Wenn er von einer Dreiteilung der Seele nach dem Schema «vegetativer –
wahrnehmender – rationaler Teil» ausgeht, ist die Substanz des vegetativen und
wahrnehmenden Teils Blut, die des rationalen Teils das göttliche Pneuma. In die-
sem Zusammenhang unterscheidet er auch zwischen Venen und Arterien, wobei
letztere ein Übergewicht an Pneuma und nur einen kleinen Anteil an Blut aufwei-
sen, weshalb sie der richtige Sitz des rationalen Vermögens sind, während die

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746 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Venen, die mehr Blut als Pneuma enthalten, der Sitz der niederen Teile sind
(Quaest. Gen. 2,59). Und wenn er zwischen dem Menschen als Lebewesen und
dem Menschen als vernunftbegabten Lebewesen unterscheidet, dann ist das Blut
die Lebenskraft des Lebewesens bzw. die Seele des Fleisches und das göttliche
Pneuma die Denkkraft (Her. 55; Det. 82; Spec. 4,123).
Was schließlich die Unsterblichkeit anbelangt, glaubt Philon fest an die Un-
sterblichkeit der von Gott persönlich geschaffenen rationalen Seele (Imm. 46;
Congr. 97), während der von den Untergöttern geschaffene niedere Seelenteil ver-
gänglich und sterblich ist (Fug. 69). Es ist nicht ganz klar, ob er der Ansicht ist,
dass alle rationalen Seelen unsterblich seien oder nur die der Weisen und Guten,
wie man es aus einer Passage in Quaest. Gen. 1,16 schließen könnte, wo es sinn-
gemäss heißt, dass die Seele eines «schlechten Menschen» (φαῦλος) beim Tod
ebenfalls stirbt; jedenfalls kehrt sie auf keinen Fall in das «Vaterland» zurück (vgl.
B. Ber. 18a–b; Sanh. 64b; Maimonides M.T. Teshuvah 8,1).

3.7. Prophezeiung

In ‹De vita Mosis› 2,188 listet Philon drei Arten von göttlichen Orakeln auf:
1) solche, die Gott selbst gesprochen und durch die Vermittlung seines Propheten
als Dolmetschers gegeben hat. Philon denkt dabei offenbar an die Einzelgesetze,
die Gott zu Mose, als er auf den Berg hinauf gerufen war, sprach und die dieser
in menschliche Rede übersetzte, nicht aber an den Dekalog, den Gott ohne Pro-
phet und Dolmetscher verkündet hat (Spec. 3,7; Winston 2002 [*320: 117]). 2) Of-
fenbarungen, die in Form von Frage und Antwort ergangen sind, insofern Mose
im Zustand göttlicher Begeisterung Fragen an Gott richtete und Gott antwortete,
was natürlich Mose wiederum übersetzte. Philon nennt diese Form eine ge-
mischte, weil sie die Elemente der ersten Art, dass Gott mit eigener Stimme
spricht und Mose dolmetscht, mit dem Element der dritten, dass Mose im Zustand
göttlicher Begeisterung spricht, in sich verbindet (Mos. 2,192). Philon führt dafür
vier Bibelstellen an. 3) Weissagungen der Zukunft, die Mose im Zustand gött­
licher Ergriffenheit dank der ihm verliehenen vorausschauenden Kraft des Geis-
tes Gottes geäußert hat; und dafür nennt Philon acht Bibelstellen. Letztlich gibt
es mithin für Philon zwei Grundformen von Prophezeiungen, die hermeneutisch-
intelligible und die ekstatische, doch hat er es unterlassen, die weiteren Implika-
tionen dieser Unterscheidung voll auszuführen.
Was die hermeneutisch-intelligible Form betrifft, hat Philon in solchen Fällen
eine Art von intelligibler Geist-zu-Geist-Kommunikation angenommen, bei der
das Bewusstsein des Propheten keineswegs ausgeschaltet, verdrängt oder in Be-
schlag genommen gewesen wäre, sondern Moses intelligibles Vermögen sei dabei
vielmehr aktiv beteiligt gewesen und außerordentlich animiert und geschärft wor-
den. Eine solche Vorstellung verdankte Philon der mittelplatonischen Tradition
(Soury 1942 [*235: 128]). Die Platoniker beschäftigten sich mit entsprechenden
Fragen, um die Natur von Sokrates’ berühmtem Daimonion zu erklären, und eine
der überlieferten Deutungen bei Plutarch (De gen. Socr. 588e) ähnelt sehr stark
der von Philon vertretenen. Wahrscheinlich hat Philon diese Erklärung ganz im

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Einklang mit der Aktivität der intuitiven Erkenntnis gesehen, die sich auf die
grundlegenden Prinzipien des allgemeinen Seins im Ganzen bezieht (Winston
1989 [*274] und 2002 [*320: 116–127]).
Die andere Grundform, nämlich die ekstatische Prophezeiung, ist entscheidend
dadurch gekennzeichnet, dass der Prophet vom göttlichen Pneuma ergriffen und
erfüllt wird. In den meisten Fällen, beispielsweise bei den Zukünftiges weissagen-
den Orakeln Abrahams und Bileams (Her. 264–266; Quaest. Gen. 3,9; Mos.
1,274–291), hat Philon das radikale griechische Modell der ekstatischen Prophe-
zeiung angewandt, wonach der Weissagende außer sich ist, er über seine eigenen
prophetischen Worte im Unklaren ist und er ein bloßes, passives Medium des in
ihm sprechenden Geistes ist. Leicht anders hingegen sind Moses ekstatische Pro-
phezeiungen gezeichnet, auch wenn gewisse rhetorische Stilisierungen dem ver-
einzelt nahe zu kommen scheinen (vgl. Mos. 2,250; Spec. 1,65; 4,49). Philon hat,
was Mose betrifft, nirgends einen expliziten Hinweis gegeben, dass seine Vernunft
durch die Inspiration des göttlichen Geistes ausgeschaltet gewesen wäre (vgl. Mos.
2,265). Unter den acht die Zukunft weissagenden Prophezeiungen Moses finden
sich aber zwei Beispiele, die klar zeigen, dass Mose unter dem Einfluss göttlicher
Inspiration bestimmte Visionen hatte (Mos. 2,251f.: der Tod der Ägypter am
Roten Meer; Mos. 2,281: der Untergang der Rotte Korach). Kurzum, um die Ter-
minologie von Aune 1983 [*255: 32–34, 149–152] aufzunehmen, die ekstatischen,
Zukünftiges vorhersagenden Prophezeiungen Moses können am besten als das
Ergebnis einer «vision trance» und weniger einer «possession trance» charakteri-
siert werden. All dies passt gut zum Charakter der Einzigartigkeit, der das Port-
rät Moses umgibt. Nicht nur die prophetische Form seiner Gesetzgebung, sondern
auch seine Zukunftsweissagungen – menschliche Fähigkeiten an sich überstei-
gende Gnadenerweise Gottes, die auch den Patriarchen und anderen Propheten
zuteil wurden (Mos. 2,6; Her. 260f.) – sind darin strukturell einzigartig, so dass sie
nicht Folge psychischer Besitznahme und Verdrängung sein können.

3.8. Kontemplativer Aufschwung und Schau Gottes

Eines der bekanntesten Motive der Religionsgeschichte, das im philonischen


Werk an zahlreichen Stellen wiederbegegnet, ist der Himmelsflug der Seele bzw.
der kontemplative, mystische Aufstieg der Seele zur Schau Gottes. Bibelstellen,
die diesen Gedanken immer wieder evozieren, sind etwa die Erscheinung Gottes
vor Abraham in Sichem (Gen. 12,7; vgl. 17,1) oder bei Mamre (Gen. 18,1f), Jakobs
Kampf am Jabok (Gen. 32,31), seine Namensänderung zu ‘Israel’, gedeutet als
‘Gott sehend’ (Gen. 32,28f., vgl. Abr. 57) oder Moses Eintritt in die Wolke auf dem
Berg Horeb, wo er die Tora empfing (Ex. 20,21), und Moses Bitte, die Majestät
Gottes zu schauen (Ex. 33,18–23). Aber es ist klar, dass mit Reminiszenzen an be-
stimmte platonische Dialoge wie den ‹Phaidros›, das ‹Symposion›, den ‹Ion› u. a.
die Tradition des Platonismus im Hintergrund steht (Theiler 1965 [*242: 199–
203]). Dazu kommen zweifellos auch persönliche Erfahrungen Philons, was er ge-
legentlich durchblicken lässt (Migr. 34f.; Cher. 27; Leg. all. 2,32. 85; Somn. 2,252).
Er ist überzeugt, dass das edelste Ziel des Menschen, sein höchstes Gut in der Er-

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748 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

kenntnis Gottes liegt (Decal. 81; Abr. 58) und dass bereits das bloße Streben da-
nach einen beglückenden Vorgeschmack auf die noch ausstehende Herrlichkeit
gibt (Post. 21). Aber wie schon die biblischen Aussagen, so ist auch der themati-
sche Komplex in der Behandlung Philons gedanklich nicht aus einem Guss. Es
gibt Beschreibungen, bei denen der Weg des Aufstiegs über den Kosmos verläuft
(Abr. 69–71, 77–80; Praem. 41–43), andere, bei denen er über die Tugenden führt
(Ebr. 82f.; Mut. 81f.; Plant. 36–40), oder solche, die einer vollkommeneren und
reineren Geistesart entsprechen, die besagen, dass sich Gott selbst aus ihm selbst
durch sein eigenes Licht zu erkennen gibt (Leg. all. 3,100–102; Praem. 43–46). Bis-
weilen liegt die Initiative allein bei Gott, bisweilen ist die menschliche Anstren-
gung die unabdingbare Voraussetzung, und bisweilen schafft Philon eine ausge-
wogene Balance zwischen menschlichem Anteil und göttlicher Gnade (Mut. 81f.;
Praem. 37–39; Mackie 2012 [*357]). Und vor allem gibt es divergierende, ja wider-
sprüchliche Aussagen darüber, ob bzw. inwiefern es überhaupt einem Geschöpf
möglich ist, dieses hohe Ziel zu erreichen. Grundsätzlich erwägt Philon diesen
Fall nur mit Blick auf die irdische Lebenszeit; dass die Schau Gottes für ein Leben
nach dem Tod reserviert wäre, bleibt außer Betracht. An einer Reihe von Stellen
spricht er ohne Umschweife von der positiv gegebenen Möglichkeit, was allerdings
ohne nähere Qualifizierung bleibt; an anderen Stellen bricht er, eingedenk der bi-
blischen Warnungen vor der Lebensgefährlichkeit, Gott zu sehen (Ex. 33,20; Idc.
13,22; Gen. 32,31), diese Möglichkeit dahingehend herunter, dass das für geschaf-
fene Wesen allein erreichbare Ziel in der Schau des Logos oder der Kräfte Gottes
bestehe (Conf. 95–97; Somn. 1,61–67; Spec. 1,41–50; Quaest. Gen. 4,2); und an
wieder anderen Stellen limitiert er die Aussage in dem Sinne, dass die fragliche
Schau nur darin bestehen könne, die Existenz Gottes, dass er ist, zu erkennen,
aber nicht sein Wesen (Fug. 141; Praem. 39f.). So ist es nicht verwunderlich, dass
die Forschungsdiskussion darüber nicht zur Ruhe kommt (vgl. beispielsweise
Winston 1996 [*293: 74], der von «mystical contact that was limited only to an as-
pect of the Deity, namely, his manifestation as Logos» spricht, und Mackie 2009
[*348: 47]: «… he more often than not accords those in the highest class a glimpse
of the transcendent Existent One»).
Philons wohl bekannteste Beschreibung des kontemplativ-mystischen Aufstiegs
findet sich in ‹De opificio mundi› als Erläuterung dessen, was es heißt, dass der
Mensch «nach dem Bilde Gottes und nach seiner Ähnlichkeit» (Gen. 1,26) ge-
schaffen ist (Op. 69–71). Diese Auszeichnung bestehe im menschlichen Geist (τῆς
ψυχῆς ἡγεμὼν νοῦς), der in Analogie zu seinem Urbild unsichtbar ist und doch
alles sieht, der selbst seinem Wesen nach unbekannt ist und doch alles erkennt.
Auf der Suche nach Erkenntnis durchmisst er die körperliche Welt durch die Re-
gionen der vier Elemente hinauf und «überschreitet» (ὑπερκύψας) diese, geführt
von der «Liebe zur Weisheit» (ἔρωτι σοφίας), zur rein geistigen Welt, zur Schau
der Urbilder und Ideen im Logos. Hier wird er, überwältigt von der außerordent-
lichen Schönheit, «von nüchterner Trunkenheit» (μέθῃ νηφαλίῳ; vgl. Fug. 167;
Leg. all. 1,84; 3,82) ergriffen und «fällt» wie die Korybanten «in Verzückung»
(ἐνθουσιᾷ). Doch der Aufstieg ist noch nicht zu Ende. Erfüllt von anderer Sehn-
sucht und höherem Verlangen, wird der Geist in einer letzten Steigerung zum

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 749

höchsten Gipfel des rein Geistigen empor getragen und meint, bis zum Großkö-
nig selbst vorzudringen. Doch ehe es zum Anblick Gottes kommt, ergießen sich
wie ein reißender Strom reinste und ungetrübte Lichtstrahlen über ihn, so dass
durch den entgegenstrahlenden Glanz sein geistiges Auge geblendet und ihm
schwindlig wird. Eine mystische Vereinigung findet dieser Stelle zufolge (paral-
lel: Praem. 38f.) nicht statt (zum Einzelnen vgl. Runia 2001 [*204: 222–235]).
Einige Aspekte, die trotz aller Divergenzen in der Beschreibung der Schau
Gottes konstant wiederkehren und besonders markant sind, sind hier hervorzu-
heben (zum Folgenden siehe Winston 1996 [*293] und 2010 [*351: 252–255]). Es
darf insbesondere nicht übersehen werden, dass der ganze Vorgang einen funda-
mental intellektuellen Charakter hat, wenngleich es zu den wesentlichen Zügen
gehört, dass der Mensch, will er für die Schau Gottes offen sein, sich dem Einfluss
aller äußeren Dinge entziehen, dass er sich selbst entfliehen, sich selbst vergessen,
sein Selbst zurücknehmen und sogar den eigenen Geist verlassen muss (Leg. all.
3,29. 41; Migr. 191; Her. 68–70; Somn. 2,232). Trotzdem verläuft der Aufstieg nicht
anders als durch rationale Erkenntnis (Fug. 92). Ein anderer Punkt, der beson-
dere Beachtung verdient, ist der Nachdruck, den Philon auf den dynamischen
Charakter des Aufstiegs legt. Das auf Schritt und Tritt begegnende platonische
Motiv der drängenden Liebe (ἔρως), des unersättlichen Liebessehnens, des Lie-
besrasens (οἶστρος in Plant. 59), in welchem der Geist emporgehoben, ja hinauf-
getrieben wird zum Höchsten (Her. 70; Plant. 25; Somn. 2,232), geht einher mit
Moses Weisung, Gott zu lieben und ihm anzuhangen (Dtn. 30,20 in Fug. 58;
Congr. 134; Post. 12; in Fug. 58 interpretiert er das biblische ἀγαπᾶν durch ἔρως
und φιλία; ferner Ps. 36,4: «Schwelge im Herrn!», in Plant. 39; Somn. 2,242). Phi-
lon sieht darin den äußerst gesteigerten Ausdruck für die intensivste vitale Bezo-
genheit des Menschen auf die Quelle seines Seins und seines Lebens. (Der einzige
explizite Beleg für ἕνωσις in diesem Kontext, Post. 12, meint schwerlich «unio my-
stica», sondern steht offenbar als Hendiadyoin zusammen mit ἁρμονία für den in-
neren Zustand dessen, der Gott anhangt. Mit ἕνωσις in Leg. all. 1,37f. ist die Ver-
einigung der δύναμις [!] Gottes – nicht Gottes selbst – durch das vermittelnde
πνεῦμα mit dem menschlichen Geist gemeint.) In diesem Zusammenhang kann
sich ferner auch eine scheinbare Inkonzinnität in Philons Äußerungen bezüglich
der Beständigkeit oder Momenthaftigkeit der intendierten Schau erklären. Das
Streben selbst ist, wie Philon es sieht, ohne Frage eine psychologische Konstante,
und dieses ist auf Beständigkeit und Ruhe in der zu erfahrenden Gotteserkennt-
nis, auf das Anhangen an Gott in zeitloser Nähe zu ihm gerichtet (Post. 12; Praem.
27; Gig. 49). Dagegen ist die konkrete Erfahrung der Schau nur wie ein vorüber-
gehender, punktueller Moment von kurzer Dauer ohne bleibende Verwandlung
des Schauenden, der nach der Gottesbegegnung, wie auch immer sie zu verstehen
sein mag, wieder in den ursprünglichen Status seiner menschlichen Natur zurück-
kehrt (Quaest. Gen. 4,29; Somn. 2,232f.; 1,115f.). Demnach hat die kontemplativ-
mystische Erfahrung der Gottesschau einen intermittierenden Charakter, dessen
Rhythmus zwischen Eintritt und Abklingen eher dem Wechsel von Flut und Ebbe
gleicht. Schließlich ist auf eine gedankliche Formel aufmerksam zu machen, die
ein bedeutendes philosophisches Motiv anklingen lässt, das später, sicher ohne

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750 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

philonische Vermittlung, große Bedeutung erlangen sollte. Philon gesteht für voll-
kommener Eingeweihte noch einen höheren Weg der Gottesbegegnung zu, den er
mithilfe der Lichtsymbolik beschreibt. Dieser besteht in einer Erkenntnis völlig
eigener Art ohne menschliche Selbsttätigkeit, dass nämlich Gott selbst sich seinen
Auserwählten von sich her, kraft eigener Offenbarung, zeigt und zu erkennen gibt
(Leg. all. 3,100–102 mit Ex. 33,13) – in der Begegnung der einsam gewordenen und
allein zurückgebliebenen Vernunft mit Gott allein (Fug. 92; Migr. 191). «Wird
nicht überhaupt das Licht nur durch Licht gesehen? So ist auch Gott sein eigenes
Licht und wird durch sich allein gesehen, und nichts anderes wirkt mit oder könnte
auch nur mitwirken zur reinen Erkenntnis seines Daseins […]. In Wahrheit erlan-
gen diese nur die, die Gott durch Gott vorstellen, Licht durch Licht» (Praem. 45f.;
Spec. 1,42). Indessen geht auch hier der Inhalt der Offenbarung nicht über das
‘Dass’ der Existenz Gottes hinaus (Winston 2010 [*351: 255] interpretiert die
‘Licht durch Licht’-Formel im Sinne eines noch unentwickelten ontologischen
Gottesbeweises).

4. NACHWIRKUNG

Die Überlieferung und Rezeption Philons ist über sehr lange Zeit ausschließ-
lich auf christlichen Wegen erfolgt. Das rabbinische Judentum hat von Philon bis
zur beginnenden Neuzeit keine Notiz genommen. Mögen auch in einzelnen selte-
nen Fällen schwache Nachklänge in der rabbinischen Literatur aufzuspüren sein
(zu Rabbi Hoschaia von Caesarea vgl. Winston 2009 [*346: 232f.]), so zeigten die
Rabbinen wenig Interesse an philosophischen Spekulationen, wie sie sich ja ins-
gesamt vom griechischsprachigen Erbe des hellenistischen Judentums getrennt
haben, und einem Intellektuellen vom Zuschnitt Philons, dessen Projekt der Al-
legorisierung ihnen fremd sein musste, wären sie mit Misstrauen begegnet. Dass
sie jemals seine Schriften studiert hätten, ist gänzlich unwahrscheinlich.
Dagegen beginnt eine reiche Bezeugung seiner Nachwirkung gegen Ende des
2. Jahrhunderts in Alexandrien bei den Christen (die wichtigsten Texte sind ab­
gedruckt bei Cohn, Wendland [*183: I lxxxxv–cxiii], grundlegend ist die Unter­
suchung von Runia 1993 [*287], eine Kurzfassung auch Runia 2009 [*346]). Zwar
gibt es bereits zuvor einige sehr auffällige Berührungen in einzelnen Schriften des
Neuen Testaments, besonders im ‹Hebräerbrief›, im ‹Johannes-Evangelium› und,
stärker transformiert, im paulinischen Briefkorpus, doch bleibt die Art der Ver-
mittlung weitgehend dunkel und erlaubt keine Rückschlüsse (Runia 1993 [*287:
63–86]; Siegert 2009 [*346] denkt an Vermittlung durch persönliche Kontakte in
Rom und durch den Alexandriner Apollos in Ephesos). Der erste christliche
Autor, der Philon explizit nennt und aus seinem Werk ausführlich zitiert, ist
­Clemens von Alexandrien (van den Hoek 1988 [*271]). Man muss annehmen, dass
nach der Katastrophe der jüdischen Gemeinde von Alexandrien in den Jahren
115–117 die literarische Hinterlassenschaft Philons in den Besitz der nunmehr sich
rein heidenchristlich orientierenden christlichen Kirche gelangte und vermutlich
in der dortigen der sogenannten Katechetenschule angegliederten Bibliothek auf-

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 751

bewahrt wurde. Der nächste Zeuge in der reichen Wirkungsgeschichte ist Orige-
nes, der, als er Alexandrien 233 verlassen musste, Abschriften der Werke Philons
nach Caesarea in die von ihm gegründete Bibliothek mitnahm. Dort hat sie fast
100 Jahre später der Kirchenhistoriker Eusebios von Caesarea benutzt und von
dem Bestand ein Katalogverzeichnis erstellt (Hist. eccl. 2,18). Wahrscheinlich ist
in diesem Exemplar der Archetyp für die gesamte weitere handschriftliche Über-
lieferung zu erblicken (Cohn, Wendland [*183: I iii–iv]). Doch zirkulierten Schrif-
ten Philons weiterhin, wie Papyrusfunde zeigen, auch unabhängig davon in christ-
lichen Kreisen Ägyptens und in Alexandrien, wo Didymos der Blinde die frühe
alexandrinische Tradition allegorischer Schriftauslegung weiterführte.
Bis dahin ergibt sich somit das Bild, dass Philon weithin ein ungeschmälert
hohes Ansehen genoss, weil man, wie aus Eusebios’ Mitteilungen ersichtlich wird,
seine stupende Bildung bewunderte (Hist. eccl. 2,4,2f.), weil man seine histori-
schen Aufstellungen für den Altersbeweis im Sinne des höheren Alters der Heb-
räer gegenüber den Griechen verwerten konnte (Hist. eccl. 4,13,7) und weil man
ihn als Informant zeitgeschichtlicher Informationen schätzte (Hist. eccl. 2,5,1.
5,6–6,3). Außerdem galt er als Augenzeuge der Anfänge des Christentums in
Rom, wo er in persönlichen Kontakt mit Petrus gekommen sein soll (Hist. eccl.
2,17,1), und in Ägypten, wo er die Ursprünge des christlichen Mönchtums sowie
kirchliche Gemeindestrukturen vermeintlich selbst kennen gelernt hat, wie er in
‹De vita contemplativa› berichtet (Hist. eccl. 2,17,1–24). Vor allem und nicht zu-
letzt sah man in ihm einen hilfreichen Wegbegleiter und Förderer in Fragen der
Bibelexegese und bei der Aufgabe, eine philosophisch-theologische Lehre zu ent-
wickeln (vgl. Praep. ev. 7,13. 21; 8,13f.; 11,15. 24); seine Auslegungen wurden ge-
rade deshalb besonders geschätzt und als Vorbilder verwertet, weil er in höchster
Professionalität die volle Bandbreite aller Techniken der Interpretation mit einer
beeindruckenden philosophisch-theologischen Erschließung der spirituellen Tiefe
der Texte zu verbinden gewusst hatte. Ein markantes Zeichen dieser Wertschät-
zung ist es, dass ihn Hieronymus an elfter Stelle (nach den neutestamentlichen
Autoren und zusammen mit Seneca und Josephus vor den Apostolischen Vätern)
in seinen Katalog christlicher Schriftsteller ‹De viris illustribus› aufgenommen
hat. Aufgrund solcher Motivationen sind auch die Übersetzungen entstanden: eine
recht dürftige lateinische Übersetzung von zwei Werken vom Ende des 4. Jahr-
hunderts, die den Grundstock für den mittelalterlichen, auch unechtes Material
enthaltenden ‹Liber Philonis› bildete, und eine getreue armenische von mehr als
zehn Werken aus dem 6. Jahrhundert (Näheres dazu bei Royse 2009 [*346: 63f.]).
Indessen ist das Ende des 4. Jahrhunderts auch die Zeit, in der ihm gegenüber
kritische Stimmen zu vernehmen sind oder Vorbehalte spürbar werden. Für den
Kappadokier Gregor von Nyssa ist Philons Reputation durch die arianische Krise
belastet, für den Antiochener Theodor von Mopsuestia ist er für die verderbliche
allegorische Methode bei Origenes verantwortlich. Bei beiden schwingen anti­
jüdische Ressentiments mit, und auch Ambrosius, der Philons Schriften extensiv
und detailliert wie kein zweiter benutzt hat, hat stets ein wachsames Auge auf
eventuelle Unzulänglichkeiten oder Defizite bei seinem jüdischen Gewährsmann.
An der einzigen Stelle, an der er ihn namentlich nennt, wirft er ihm vor, dass seine

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752 VII. Philosophie im hellenistischen Judentum

Interpretation von Gen. 2,15 im Bereich der «moralia» verbleibe, weil sein Juden-
tum ihn hindere, die tiefere mystische, die christliche Bedeutung der «spiritalia»
zu erkennen (De paradiso 4,25). Dieser Stimmungsumschwung hindert aber nicht
daran, dass man weiterhin, wenngleich in geringerem Umfang, Philon-Stellen aus-
schreibt (zu Calcidius vgl. Runia 1993 [*287: 281–290], zu Augustin Runia 1993
[*287: 320–330]); nicht selten sind die Exzerpte anonymisiert. Einen gewissen
Endpunkt stellt die Katenen-Tradition dar, in der Philon teils ganz ohne Namens-
nennung, teils verdeckt und teils unter den wechselnden Lemmata Φίλωνος,
Φίλωνος ἑβραίου oder sogar Φίλωνος ἐπισκόπου zitiert wird. Damit war Philon
vollständig als christlicher Autor reklamiert (Runia 1993 [*287: 28ff.] und 2009
[*346: 225f.]).
Mit der Editio princeps, die der französische Humanist Adrien Turnèbe, lati-
nisiert Adrianus Turnebus, 1552 in Paris veröffentlichte, und mit der vervollstän-
digten und verbesserten Edition, die der Augsburger Philologe David Hoeschel
1587 in Frankfurt folgen ließ (nochmals ein Nachtrag 1614), wurde der Grundstein
für die philologische Beschäftigung mit Philon gelegt. Schrittweise büßte hinfort
Philon seinen Status als Zeuge der christlichen Wahrheit ein. Der katholische
Dogmenhistoriker D. Petavius (1644/1650) und der protestantische Physikotheo-
loge J. A. Fabricius (1698) brachen der Erkenntnis Bahn, dass Philons Lehrsätze
beispielsweise zur vermeintlichen Trinitätslehre gar nicht christliche, sondern pla-
tonische waren und dass seine Bedeutung auf dem Gebiet der entstehenden Al-
tertumswissenschaften zu suchen sei. Etwa gleichzeitig setzte seine Wiederentde-
ckung als jüdischer Autor ein. Die erste und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
einzige kritische Ausgabe stammt vom Canonicus aus Durham, Thomas Mangey
(London 1742). Noch heute maßgeblich ist die Editio Maior von Cohn und Wend-
land 1896–1930 [*183].
In der jüdischen Literatur wird Philon erstmals im 16. Jahrhundert erwähnt, als
Azariah de’ Rossi, der einflussreichste Wegbereiter der modernen Wissenschaft
vom Judentum, einige charakteristische Lehren in seiner Schrift ‹Me’or Eynayim›
(Mantua 1573–1575) hervorhob (Marcus 1948 [*236]). Dieser berichtet, dass
­einige Zeitgenossen wie die Provenzali-Brüder für Philon eingetreten sind und
«ihn mit einem goldenen Kranz gekrönt» haben (de’ Rossi Meor Eynayim 129 ed.
Cassel). Seine eigene Einstellung zu Philon hingegen blieb ambivalent. Obwohl
er seine philosophischen Fähigkeiten anerkannte, kritisierte er Philons Unkennt-
nis des Hebräischen und Aramäischen, seine Annahme der Ewigkeit der Materie,
seine Allegorisierung der Heiligen Schrift und seine Abweichungen von der pa-
lästinensischen Halakha. Im Ergebnis ließ er offen, ob Philons Werk, wie er sich
ausdrückte, «rein oder unrein» war. Er bezeichnete ihn nicht als Rabbi oder
h’akham, da er sektiererische oder essenische Tendenzen bei ihm wahrnahm, aber
er verurteilte ihn auch nicht als Häretiker. Er behandelte ihn als einen Weisen der
nicht-jüdischen Welt und nannte ihn ‘Yedidyah [«Freund Gottes»] der Alexand-
riner’, ein treffendes hebräisches Äquivalent seines griechischen Namens. Inter-
essanterweise identifizierte er Philons intelligible Welt mit dem Sefirot der Kab-
balisten, auch war er der erste, der die Ähnlichkeit zwischen Rabbi Hoschaias
Position in ‹Genesis Rabba› 1,1 und Philons Bild vom Architekten in Opif. 17–20

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§ 76. Philon von Alexandrien (Bibl. 759–765) 753

wahrnahm. De’ Rossis Freund und Mentor, Rabbi Judah Moscato, der einige Be-
züge zu Philon in seinen eigenen Schriften herstellte, nannte ihn ‘Rabbi Yedidyah’.
Im 17. Jahrhundert vermutete der venezianische Rabbi Simone Luzzatto in sei-
nem Werk ‹Discorso circa il stato de gl’Hebrei di Venezia› von 1638, dass Philon,
den er sehr bewunderte und den er aus einer lateinischen Version zitierte, mit der
Allegorisierung der Heiligen Schrift ein paganes Publikum habe ansprechen wol-
len. Er wünschte, dass Philon Juden ausgebildet hätte, statt zum Zwecke der Kon-
version von Griechen zu schreiben (Septimus 1987 [*267: 419f.], Weinberg 1988
[*272: 179]). Den Höhepunkt erreicht die jüdische Bewertung von Philon in einem
seltsamen und wenig bekannten Buch von Rabbi David Cohen (1887–1972), ‹Qol
ha-Nevuah› (‹Die Stimme der Prophezeiung›, 1970). Cohen, besser bekannt als
Rav ha-Nazir, lobte Philon als «den Riesen der antiken jüdischen Philosophie».
Im Gegensatz zur griechischen Philosophie charakterisierte er das Judentum als
eine Schule des Hörens: Der Mensch werde durch die kosmische Stimme aufge-
rufen, Gott nicht zu sehen – was unmöglich ist –, sondern ihn zu verstehen und auf
ihn zu hören. Dass dies bei den mittelalterlichen jüdischen Philosophen nicht
mehr beachtet worden sei, dafür macht er die fehlende Berücksichtigung Philons
mit seiner Lehre von Ma’amar, dem Logos, verantwortlich. Allein die Kabbala
sei Philon treu geblieben. Ironischerweise ist Cohens grundlegende Lehre, dass
«Hören größer ist als Sehen», gar nicht im Sinne Philons, der Dtn. 6,4 («Höre, Is-
rael!») nirgends explizit zitiert.
Abgesehen von der verzerrten Einschätzung Cohens erfolgte die erste wirklich
anerkennende und bewundernde Sicht auf Philon im 20. Jahrhundert durch den
jüdischen Theologen Rabbi Arthur Green. In seinem Buch ‹Seek my face, speak
my name› – der Versuch, eine zeitgenössische jüdische Theologie aus der Perspek-
tive des jüdischen Mystizismus zu formulieren – beschreibt Green Philon als «one
of the earliest and most interesting exponents of the Torah […] who speaks of a
notion of natural law, an eternal way of wisdom that teaches humans how to lived
in harmony with the natural world. Abraham’s affinity for natural law was the ‘orig-
inal Judaism’. The Torah as we have it is Moses’ attempt to approximate this nat­
ural law by means of human legislation.» (Green 2003 [*324: 124]).

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann


und Regina Füchslin.

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754

BIBLIOGRAPHIE ZUM SIEBTEN KAPITEL

Septuaginta [*1–*51]; ‹Weisheit Salomons› [*56–*90]; Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides


­[*96–*175]; Philon von Alexandrien [*182–*359].

Septuaginta

Ausgaben, Übersetzungen Eine aktuelle Gesamtdarstellung mit Literatur


bietet jetzt:
15 M. Karrer: Septuaginta and antike Philoso-
phie, in: Die Septuaginta – Orte und Intentio-
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1 Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal
iuxta LXX interpretes, edidit A. Rahlfs. Editio 24.–27. Juli 2014, herausgegeben von S. Kreu-
altera quam recognovit et emendavit R. Han- zer, M. Meiser, M. Sigismund (Tübingen 2016)
hart (Stuttgart 2006; ND 2014). [WUNT 361] 3–35.
2 Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum.
Auctoritate Academiae Scientiarum Gottin-
Einleitungen, Kommentare
gensis editum (Göttingen 1931ff.). – Noch un-
abgeschlossene kritische Edition. 16 F. Siegert: Zwischen Hebräischer Bibel und
Altem Testament. Eine Einführung in die Sep-
tuaginta (Münster 2001) [Münsteraner Judais-
Übersetzungen
tische Studien 9].
8 La Bible d’Alexandrie (BdA). Traduction et 17 M. Tilly: Einführung in die Septuaginta
annotation des livres de la Septante sous la di- (Darmstadt 2005).
rection de Marguerite Harl (Paris 1986ff.). – 18 Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und
Französische Übersetzung mit Erläuterungen. Kommentare zum griechischen Alten Testa-
Abschluss steht noch aus. ment. I: Genesis bis Makkabäer; II: Psalmen
9 A New English Translation of the Septuagint bis Daniel, herausgegeben von M. Karrer, W.
and the Other Greek Translations Traditio- Kraus (Stuttgart 2011).
nally Included Under That Title (NETS),
edit­ed by A. Pietersma, B. G. Wright (New
Beiträge
York 2007). – Englische Übersetzung.
10 Septuaginta Deutsch (LXX.D), herausgegeben 24 P. Heinisch: Die griechische Philosophie im
von W. Kraus, M. Karrer (Stuttgart 22010). – Buche der Weisheit (Münster 1908).
Deutsche Übersetzung; zu ihr erschienen Er- 25 P. Heinisch: Der Einfluss Philos auf die älteste
läuterungen und Kommentare, s. unten [*18]. christliche Exegese (Barnabas, Justin und
­Clemens von Alexandria). Ein Beitrag zur Ge-
schichte der allegorisch-mystischen Schrift­
Sekundärliteratur auslegung im christlichen Altertum (Münster
1908) [Alttestamentliche Abhandlungen 1–2].
Der Forschungsstand ist unbefriedigend. Philo- 26 P. Heinisch: Griechische Philosophie und Altes
sophische Aspekte werden in den Einleitungen Testament. I: Die palästinensischen Bücher
und derzeitigen Forschungsdebatten wenig be- (Münster 1913) [Biblische Zeitfragen, Folge 6,
rücksichtigt. Eine Bibliographie zur Septuaginta 6/7].
entsteht unter: http://www.septuagintaforschung. 27 P. Heinisch: Griechische Philosophie und Altes
de/ (Stand: Juli 2018). Testament. II: Septuaginta und Buch der Weis-
heit (Münster 1914) [Biblische Zeitfragen,
Folge 7, 3].

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Septuaginta 755
28 O. Weinreich: Ciceros Hymnus an die Philoso- 41 E. G. Dafni: Gen. 1–11 und Platos ‹Sympo-
phie und ein Psalmenvers, in: Ders.: Ausge- sion›. Überlegungen zum Austausch von heb-
wählte Schriften 3 (Amsterdam 1979) 381–394. räischem und griechischem Sprach- und
– Ursprünglich erschienen in der Stuttgarter Gedankengut in der Klassik und im Hellenis-
Tageszeitung vom 6.12.1958. mus, in: Old Testament Essays 19 (2006) 584–
29 R. Renehan: The Greek Philosophic Back- 632.
ground of Fourth Maccabees, in: RhM 115 42 D. A. DeSilva: The Perfection of ‘Love for Off-
(1972) 223–238. spring’: Greek Representations of Maternal
30 E. Schürer: The History of the Jewish People in Affection and the Achievement of the Heroine
the Age of Jesus Christ (175 B. C. – A. D. 135). of 4 Maccabees, in: New Testament Studies 52
A new English version, revised and edited by (2006) 251–268.
G. Vermes, F. Millar, M. Goodman, I–III 43 R. Cox: By the Same Word. Creation and Sal-
(Edinburgh 1973–1987). vation in Hellenistic Judaism and Early Chris-
31 H.-J. Klauck: 4. Makkabäerbuch (Gütersloh tianity (Berlin, New York 2007) [BZNW 145].
1989) [Jüdische Schriften aus hellenistisch-rö- 44 A. Léonas: L’aube des traducteurs. De l’hébreu
mischer Zeit III,6]. au grec: traducteurs et lecteurs de la Bible des
32 Lehrerin der Gerechtigkeit: Studien zum Buch Septante (IIIe s. av. J.-C.– IVe s. apr. J.-C.)
der Weisheit, herausgegeben von H. Engel, G. (Paris 2007).
Hentschel, E. Zenger (Leipzig 1991) [Erfurter 45 A. Leproux: Un discours de sagesse. Étude
theologische Schriften 19] 13–25. exégétique de Sg 7–8 (Rome 2007) [Analecta
33 H. Hübner: Die Sapientia Salomonis und die Biblica 167].
antike Philosophie, in: Die Weisheit Salomos 46 A. Schenker: Wurde die Tora wegen ihrer ein-
im Horizont biblischer Theologie, herausgege- zigartigen Weisheit auf Griechisch übersetzt?
ben von H. Hübner (Neukirchen 1993) [Bib- Die Bedeutung der Tora für die Nationen in Dt
lisch-Theologische Studien 22] 55–81. 4:6–8 als Ursache der Septuaginta, in: FZPhTh
34 M. Rösel: Übersetzung als Vollendung der 54 (2007) 327–347.
Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta 47 Th. A. W. van der Louw: Transformations in
(Berlin, New York 1994) [BZAW 223]. the Septuagint. Towards an Interaction of Sep-
35 J. Cook: Greek Philosophy and the Septuagint, tuagint Studies and Translation Studies (Leu-
in: Journal of Northwest Semitic Languages 24 ven 2007) [Contributions to Biblical Exegesis
(1998) 177–191. & Theology 47].
36 H. Engel: Das Buch der Weisheit (Stuttgart 48 J. Cook: The Translator of the Septuagint of
1998) [Neuer Stuttgarter Kommentar AT 16]. Proverbs – Is his Style the Result of Platonic
37 M. Rösel: Theo-Logie der griechischen Bibel. and/or Stoic Influence?, in: Die Septuaginta –
Zur Wiedergabe der Gottesaussagen im LXX- Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale
Pentateuch, in: Vetus Testamentum 48 (1998) Fachtagung veranstaltet von Septuaginta
49–62. – Bes. S. 55f. Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli
38 M. Kepper: Hellenistische Bildung im Buch 2006, herausgegeben von M. Karrer, W. Kraus,
der Weisheit. Studien zur Sprachgestalt und M. Meiser (Tübingen 2008) [WUNT 219] 544–
Theologie der Sapientia Salomonis (Berlin, 558.
New York 1999) [BZAW 280]. 49 M. Karrer: Septuaginta und Philosophie, in:
39 H. von Lips: Beobachtungen zur griechischen Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit.
Übersetzung des Proverbia-Buches, in: Früh- Herrschaft – Widerstand – Identität. FS Heinz-
judentum und Neues Testament im Horizont Josef Fabry, herausgegeben von U. Dahmen, J.
Biblischer Theologie, herausgegeben von W. Schnocks (Göttingen 2010) [Bonner biblische
Kraus, K.-W. Niebuhr (Tübingen 2003) Beiträge 159] 191–212.
[WUNT 162] 36–49. – Wieder in: Ders.: «… 50 Chr. Kugelmeier: Voces biblicae oder voces
und nicht die Perlen vor die Säue». Gesam- communes? Zum Sprachgebrauch der Septua-
melte Studien zum Neuen Testament, heraus- ginta im Lichte neuer Papyrusforschungen, in:
gegeben von Chr. Senkel (Leipzig 2012) Die Septuaginta – Texte, Theologien, Ein-
[Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 43] flüsse. 2. Internationale Fachtagung veranstal-
118–131. tet von Septuaginta Deutsch (LXX.D),
40 M. Neher: Wesen und Wirken der Weisheit in Wuppertal 23.–27. Juli 2008, herausgegeben
der Sapientia Salomonis (Berlin 2004) [BZAW von W. Kraus, M. Karrer, M. Meiser (Tübingen
333]. 2010) [WUNT 252] 340–356.

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 755 25.09.18 09:27


756 Bibliographie zum siebten Kapitel

51 E. Bons: Beobachtungen zum anthropologi- Wirkungsgeschichte


schen Vokabular von Weish 7,1–6, in: Die Sep-
Zur älteren Wirkungsgeschichte viele Hinweise
tuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte.
in der Bible d’Alexandrie 1986ff. [*8], zur jünge-
3. Internationale Fachtagung veranstaltet von
ren z. B. J. Ratzinger: Einführung in das Christen-
Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal
tum. Vorlesungen über das Apostolische Glau-
22.–25. Juli 2010, herausgegeben von S. Kreu-
bensbekenntnis (München 1968). – 84–99: Ex.
zer, M. Meiser, M. Sigismund (Tübingen 2012)
3,14.
[WUNT 286] 144–154.

‹Weisheit Salomons›

Ausgaben, Übersetzungen, Kommentare 74 G. F. Chesnut: The Ruler and the Logos in


Neopythagorean, Middle Platonic, and Late
Stoic Political Philosophy, in: ANRW II 16,2
(1978). – Zu Ekphantos: 1318–1320.
Ausgabe
75 C. Larcher: Le Livre de la Sagesse ou la Sa­
56 Sapientia Salomonis, edidit J. Ziegler (Göttin- gesse de Salomon, I–III (Paris 1983–1985)
gen 1962, 21980) [Septuaginta. Vetus Testamen- [Études bibliques 1, 3, 5].
tum Graecum, vol. XII,1]. 76 P. Bizzeti: Il Libro della Sapienza. Struttura e
genere letterario (Brescia 1984) [Rivista Bib-
lica Suppl. 11].
Übersetzungen, Kommentare
77 M. Kolarcik: The Ambiguity of Death in the
62 The Wisdom of Solomon. A New Translation Book of Wisdom 1–6: A Study of Literary
with Introduction and Commentary by D. Structure and Interpretation (Rome 1991)
Winston (Garden City, New York 1979) [An- [Analecta Biblica 127].
chor Bible 43]. 78 Y. Amir: Measure for Measure in Talmudic Lit­
63 A. Schmitt: Weisheit (Würzburg 1989) [Die erature and in the Wisdom of Solomon, in:
Neue Echter Bibel. Kommentar zum Alten ­Jus­tice and Righteousness: Biblical Themes
Testament mit der Einheitsübersetzung, Liefe- and their Influence, edited by H. Graf Revent-
rung 23]. low, Y. Hoffman (Sheffield 1992) 29–46.
64 H. Engel: Das Buch der Weisheit (Stuttgart 79 D. Winston: Wisdom in the Wisdom of Solo-
1998) [Neuer Stuttgarter Kommentar AT 16]. mon, in: In Search of Wisdom. Essays in me-
65 Die Weisheit Salomons. Liber Sapientiae Salo- mory of J. G. Gammie, edited by L. G. Perdue,
monis, übersetzt und erklärt von H. Hübner B. Scott, W. Wiseman (Louisville 1993) 149–
(Göttingen 1999) [Das Alte Testament 164.
Deutsch, Apokryphen Band 4]. 80 L. Mazzinghi: Notte di Paura e di Luce. Ese-
gesi di Sap 17,1–18,4 (Roma 1995) [Analecta
Biblica 134].
Sekundärliteratur 81 J. J. Collins: Jewish Wisdom in the Hellenistic
Age (Louisville 1997).
71 J. M. Reese: Hellenistic Influence on the Book 82 J. J. Collins: Seers, Sibyls and Sages in Hellenis-
of Wisdom and its Consequences (Rome 1970) tic-Roman Judaism (Leiden 1997). – Insb. 316–
[Analecta Biblica 41]. 367.
72 D. Winston: The Book of Wisdom’s Theory of 83 P. Enns: Exodus Retold: Ancient Exegesis of
Cosmogony, in: History of Religions 11 (1971) the Departure from Egypt in Wis 10:15–21 and
185–202. – Revised version in Sterling 2001 19:1–9 (Atlanta 1997).
[*85: 59–77]. 84 M. McGlynn: Divine Judgement and Divine
73 M. Gilbert: La critique des dieux dans le Livre Benevolence in the Book of Wisdom (Tübin-
de la Sagesse (Sg 13–15) (Rome 1973) [Ana- gen 2001) [WUNT 139].
lecta Biblica 53].

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 756 25.09.18 09:27


Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides 757
85 The Ancestral Philosophy: Hellenistic Philoso- [Deuterocanonical and Cognate Literature:
phy in Second Temple Judaism: Essays of Yearbook 2005].
David Winston, edited by G. E. Sterling (Pro- 88 J. J. Collins: The Reinterpretation of Apoca-
vidence 2001). lyptic Traditions in the Wisdom of Solomon, in:
86 D. Winston: Theodicy in the Wisdom of Solo- Passaro, Bellia 2005 [*87: 143–157].
mon, in: Theodicy in the World of the Bible, 89 M. Gilbert: The Literary Structure of the Book
edited by A. Laato, J. C. de Moor (Leiden of Wisdom. A Study of Various Views, in: Pas-
2003) 525–545. saro, Bellia 2005 [*87: 19–32].
87 The Book of Wisdom in Modern Research. 90 D. Winston: A Century of Research on the
Studies on Tradition, Reduction, and Theology, Book of Wisdom, in: Passaro, Bellia 2005 [*87:
edited by A. Passaro, G. Bellia (Berlin 2005) 1–18].

Aristobulos, Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides

Aristobulos 118 A. Elter: De Gnomologiorum Graecorum


historia atque origine commentatio (Bonn
1893–1895).
119 H. Willrich: Juden und Griechen vor der mak-
Kritische Ausgabe
kabäischen Erhebung (Göttingen 1895).
96 Fragmenta pseudepigraphorum quae super­ 120 A. Gercke: Aristobulos (15), in: RE II 1
sunt graeca, collegit et ordinavit A.-M. Denis (1896) 918–920.
(Leiden 1970) 217–228. 121 E. Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes
im Zeitalter Jesu Christi, III (Leipzig 41909).
– Erste Auflage 1874 als ‹Lehrbuch der neu-
Übersetzungen
testamentlichen Textgeschichte›.
122 K. Mras: Ein Vorwort zur neuen Eusebius-
Deutsch Ausgabe (mit Ausblicken auf die spätere Grä-
102 P. Riessler: Altjüdische Schriften außerhalb cität), in: RhM 92 (1944) 217–236.
der Bibel (Augsburg 1928) 179–185. 123 R. Keller: De Aristobulo Judaeo (Bonn
103 N. Walter: Fragmente jüdisch-hellenistischer 1948).
Exegeten, in: Jüdische Schriften aus hellenis- 124 R. P. C. Hanson: Allegory and Event. A Study
tisch-römischer Zeit III,2 (Gütersloh 1975) of the Sources and Significance of Origen’s
261–279. Interpretation of Scripture (London 1959). –
41–44: Aristobulos.
Englisch 125 N. Walter: Anfänge alexandrinisch-jüdischer
109 C. R. Holladay: Fragments from Hellenistic Bibelauslegung bei Aristobulus, in: Helikon 3
Jewish Authors. III: Aristobulus (Atlanta (1963) 363–372.
1995). – Mit griechischem Lesetext. 126 N. Walter: Der Thoraausleger Aristobulos.
110 A. Y. Collins: Aristobulus (Second century Untersuchungen zu seinen Fragmenten und
B. C.). A new translation and introduction, in: zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-
The Old Testament Pseudepigrapha, edited hellenistischen Literatur (Berlin 1964). – Das
by J. M. Charlesworth (London 1983–1985) II grundlegende Werk zu Aristobulos, von dem
831–842. alle nachfolgende Forschung ausgeht.
127 M. Hengel: Judentum und Hellenismus. Stu-
dien zu ihrer Begegnung unter besonderer Be-
Sekundärliteratur rücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2.
116 L. C. Valckenaer: Diatribe de Aristobulo Iu- Jahrhunderts v. Chr. (Tübingen 1969, 31988).
daeo, philosopho peripatetico Alexandrino 128 H. Hegermann: Das griechisch sprechende
(Leiden 1806). Judentum, in: Literatur und Religion des
117 R. Binde: Aristobulische Studien I–II, in: Frühjudentums, herausgegeben von J. Maier,
Programme des Königlichen Evangelischen J. Schreiner (Würzburg 1973) 328–352.
Gymnasiums zu Groß-Glogau (Glogau 1869–
1870).

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 757 25.09.18 09:27


758 Bibliographie zum siebten Kapitel

129 C. Kraus Reggiani: Aristobulo e l’esegesi alle- schichte – Tradition – Reflexion. FS Martin
gorica dell’Antico Testamento nell’ambito del Hengel zum 70. Geburtstag, herausgegeben
Giudaismo Ellenistico, in: RFIC 101 (1973) von H. Cancik, H. Lichtenberger, P. Schäfer.
162–185. I: Judentum (Tübingen 1996) 159–180.
130 N. Walter: Fragmente jüdisch-hellenistischer 142 C. R. Holladay: Pseudo-Orpheus. Tracking a
Historiker, in: Jüdische Schriften aus helle- Tradition, in: The Early Church in its Con-
nistisch-römischer Zeit, herausgegeben von text, edited by A. J. Malherbe, F. W. Norris, J.
W. G. Kümmel. I,2: Historische und legenda- W. Thompson (Leiden, Boston, Köln 1998)
rische Erzählungen (Gütersloh 1976, 21980) 192–220.
91–163. – Für weitere Parallelen, vor allem 143 A.-M. Denis et al.: Aristobule, in: Introduc-
historischer Art. tion à la littérature religieuse judéo-hellénis-
131 K.-G. Sandelin: Zwei kurze Studien zum alex­ tique II (Turnhout 2000) 1216–1237.
andrinischen Judentum, in: Studia Theolo- 144 Ch. Riedweg, Literatura órfica en ámbito
gica 31 (1977) 147–152. judío, in: Orfeo y la tradición órfica. Un reen-
132 S. Sabugal: La exégesis biblica da Aristóbulo cuentro I, coordinado por A. Bernabé y F.
y del seudo-Aristeas, in: Revista Agustiniana Casadesús (Madrid 2008) [Akal Universita-
de Espiritualidad 20 (1979) 195–202. ria. Serie Religiones y mitos 280] 379–392.
133 C. Kraus Reggiani: I frammenti di Aristo- 145 F. Jourdan, Poème judéo-hellénistique attribué
bulo, esegeta biblico, in: Bollettino dei Clas- à Orphée. Production juive et réception chré-
sici 3 (1982) 87–134. – Mit Text und tienne (Paris 2010) [Collection Fragments].
Übersetzung.
134 P. Moraux: Der Aristotelismus bei den Grie-
chen von Andronikos bis Alexander von Aph- Ps.-Aristeas und Ps.-Phokylides
rodisias II (Berlin, New York 1984).
135 E. Schürer: The History of the Jewish People
in the Age of Jesus Christ (175 B.C.–A.D.
Kritische Ausgaben
135). A new English version, revised and
­edited by G. Vermes, F. Millar, M. Goodman. 146 Aristeae ad Philocratem epistula, edidit P.
III,1 (Edinburgh 1988) 745–755. – Weithin Wendland (Lipsiae 1900) [BT].
neu geschriebene englische Fassung von 147 Lettre d’Aristée à Philocrate. Introduction,
Schürer 41909 [*121]; italienische Fassung: texte critique, traduction et notes, index com-
Brescia 1998. plet des mots grecs par A. Pelletier (Paris
136 R. Goulet: Aristoboulos, in: DPhA I (1989) 1962) [SC 89].
379f. 148 Theognis, Ps.-Pythagoras, Ps.-Phocylides,
137 Y. Amir: Monotheistische Korrekturen heid- Chares, Anonymi Aulodia, Fragmentum
nischer Texte, in: Begegnungen zwischen ­Teliambicum, post E. Diehl edidit D. Young,
Christentum und Judentum in Antike und editio secunda (Lipsiae 1971) [BT] 95–112. –
Mittelalter. FS Heinz Schreckenberg, heraus- Kritische Ausgabe von Ps.-Phokylides.
gegeben von D. A. Koch, H. Lichtenberger 149 Les Sentences du Pseudo-Phocylide. Texte
(Göttingen 1993) 9–19. établi, traduit et commenté par P. Derron
138 Ch. Riedweg: Jüdisch-hellenistische Imita- (Paris 1986) [CUF].
tion eines orphischen Hieros Logos. Beob-
achtungen zu OF 245 und 247 (sog. Testament
Übersetzungen
des Orpheus) (Tübingen 1993) [Classica Mo-
nacensia 7]. – Text, Übersetzung, kritischer
Kommentar und Interpretation. Deutsch
139 R. Radice: La filosofia di Aristobulo e i suoi 155 P. Wendland: Der Brief des Aristeas, in: Die
nessi con il «De mundo» attribuito ad Aristo- Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten
tele. Prefazione di A. Bos (Milano 1994; ND Testaments. II: Die Pseudepigraphen, heraus-
1995). – Mit Text und Übersetzung. gegeben von E. Kautzsch (Tübingen 1900,
140 Ch. Riedweg: Ps.-Justin (Markell von An- 2
1921) 1–31.
kyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher 156 P. Rießler: Brief des Aristeas, in: Altjüdisches
“Cohortatio ad Graecos”). Einleitung und Schrifttum außerhalb der Bibel, übersetzt
Kommentar (Basel 1994) [SBA 25,1–2]. und erläutert von P. Rießler (Augsburg 1928)
141 C. R. Holladay: The Textual Tradition of 193–233.
Pseudo-Orpheus: Walter or Riedweg?, in: Ge-

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 758 25.09.18 09:27


Philon von Alexandrien 759
157 P. Rießler: Phokylides, in: Altjüdisches 168 J.-G. Février: La date, la composition et les
Schrifttum außerhalb der Bibel, übersetzt sources de la lettre d’Aristée à Philocrate
und erläutert von P. Rießler (Augsburg 1928) (Paris 1925).
862–870. 169 E. Bickermann: Zur Datierung des Pseudo-
158 N. Meisner: Aristeasbrief, in: Jüdische Schrif- Aristeas, in: ZNW 29 (1930) 280–298.
ten aus hellenistisch-römischer Zeit, heraus- 170 H. G. Meecham: The Letter of Aristeas. A
gegeben von W. G. Kümmel. II: Unterweisung Linguistic Study with Special Reference to
in erzählender Form (Gütersloh 1973) 35–87. the Greek Bible (Manchester 1935).
159 N. Walter: Pseudo-Phokylides, in: Jüdische 171 V. Tcherikover: The Ideology of the Letter of
Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Aristeas, in: HThR 51 (1958) 59–85.
herausgegeben von W. G. Kümmel. IV: Poe­ 173 P. W. van der Horst: The Sentences of Pseudo-
tische Schriften (Gütersloh 1983) 182–216. Phocylides, with Introduction and Commen-
tary (Leiden 1978). – Status quaestionis:
Englisch 3–54.
160 The Letter of Aristeas, translated with an ap- 174 E. Schürer: The History of the Jewish People
pendix of ancient evidence of the origin of the in the Age of Jesus Christ (175 B.C.–A.D.
Septuagint by H. St. J. Thackeray (London 135). A new English version, revised and edit-
1917). ed by G. Vermes, F. Millar, M. Goodman.
161 Aristeas to Philocrates. Letter of Aristeas, III,1 (Edinburgh 1988) 677–687.
edited and translated by M. Hadas (New 175 J. Thomas: Der jüdische Phokylides. Formge-
York 1951). schichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides
und Vergleich mit der neutestamtlichen Parä-
nese (Freiburg, Göttingen 1992) [Novum Tes-
Sekundärliteratur tamentum et Orbis Antiquus 23].
167 K. Kuiper, De Aristeae ad Philocratem frat-
rem epistola, in: Mnemosyne 20 (1892) 230–
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Philon von Alexandrien

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186 D. Rokeah: A new Onomasticon Fragment
from Oxyrhynchus and Philo’s Etymologies,
Ausgaben (inkl. Papyrustexte)
in: JThS 19 (1968) 70–82.
182 Fragments of Philo Judaeus, newly edited by 187 J. R. Royse: The Oxyrhynchus Papyrus of
J. R. Harris. With two facs. (Cambridge Philo, in: Bulletin of the American Society of
1886). Papyrologists 17 (1980) 15–165.
183 Philonis Alexandrini opera quae supersunt 188 H. Harrauer: Ein neuer Philo-Papyrus mit
ediderunt L. Cohn et P. Wendland, I–VII περὶ φιλανθρωπίας, in: Analecta Papyrolo-
(Berolini 1896–1930). gica 14–15 (2002–2003) 111–115.
184 Philo: Vol. I–X, with an English translation by 189 J. R. Royse: Philo of Alexandria, Quaestiones
F. H. Colson and G. H. Whitaker. Suppl. 1: in Exodum 2.62–68: Critical Edition, in:
Questions and answers on Genesis, and StudPhilon 24 (2012) 1–68.
Suppl. 2: Questions and answers on Exodus, 190 A Terian: ‹Philonis de visione trium angelo-
translated from the ancient Armenian version rum ad Abraham›: A New Translation of the
of the original Greek by R. Marcus (Cam- Mistitled ‹De Deo›, in: StudPhilon 28 (2016)
bridge MA, London 1929–1953; ND 1958– 77–93.
1962) [LCL 226–227, 247, 261, 275, 289, 320,
341, 363, 379–380, 401]. – Hat seither mehrere
Übersetzungen, Kommentare
Auflagen erlebt.
185 Les Œuvres de Philon d’Alexandrie, publiées 195 Philo von Alexandria: Die Werke in deutscher
sous le patronage de l’Université de Lyon par Übersetzung, herausgegeben von L. Cohn, I.

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 759 25.09.18 09:27


760 Bibliographie zum siebten Kapitel

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196 Filone di Alessandria: La creazione del Wilson (Leiden, Boston 2011) [Philo of Alex-
mondo; Le allegorie delle leggi. Prefazione, andria Commentary Series 3].
traduzione e note di G. Calvetti e di R. Bi- 207 Philo of Alexandria: ‹On Cultivation›. Intro-
gatti; a cura di G. Reale (Milano 1978) [I clas- duction, Translation and Commentary by A.
sici del pensiero]. C. Geljon and D. T. Runia (Leiden, Boston
197 Philo of Alexandria: The contemplative Life, 2013) [Philo of Alexandria Commentary Se-
The Giants and Selections, by D. Winston ries 4].
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198 Filone di Alessandria: L’erede delle cose di-
vine. Prefazione, traduzione e note di R. Ra- Indices, Bibliographien
dice, introduzione di G. Reale (Milano 1981;
nuova ed. 1994) [I classici del pensiero].
199 Two treatises of Philo of Alexandria. A Com-
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mentary on De Gigantibus and Quod Deus sit
immutabilis, by D. Winston, J. Dillon (Chico 213 J. Leisegang: Indices ad Philonis Alexandrini
1983) [Brown Judaic Studies 25]. opera, in: Philonis Alexandrini opera quae
200 Filone di Alessandria: Le origini del male: I supersunt ediderunt L. Cohn et P. Wendland,
cherubini, I sacrifici di Abele e di Caino, Il VII 1 und 2 (Berolini 1926, 1930). – Es fehlen
malvagio tende a sopraffare il buono, La pos- Lemmata.
terità di Caino, I giganti, L’immutabilità di 214 G. Mayer: Index Philoneus (Berlin, New York
Dio. Traduzione di C. Mazzarelli; introdu­ 1974).
zione, prefazioni, note e apparati di R. Ra- 215 P. Borgen, K. Fuglseth, R. Skarsten: The
dice (Milano 1984) [I classici del pensiero]. Philo Index. A Complete Greek Word Index
201 Filone di Alessandria: L’uomo e Dio; Il con- to the Writings of Philo of Alexandria, Lem-
nubio con gli studi preliminari, La fuga e il ri- matised and Computer-Generated (Trond-
trovamento, Il mutamento dei nomi, I sogni heim 1997; ND Grand Rapids MI 2000)
sono mandati da Dio. Introduzione, tradu­ [Unitrel Studieserie 25].
zione, prefazione, note e apparati di C. Kraus 216 Biblia Patristica: index des citations et allu­
Reggiani, presentazione di G. Reale (Milano sions bibliques dans la littérature patristique.
1986) [I classici del pensiero]. Supplément: Philon d’Alexandrie. Centre
202 Filone di Alessandria: La filosofia mosaica, d’Analyse et de Documentation Patristiques.
La creazione del mondo secondo Mosè (tra- Équipe de Recherche Associée au CNRS
duzione di C. Kraus Reggiani); Le allegorie (Paris 1982).
delle leggi (traduzione di R. Radice). Prefa­
zioni, apparati e commentari di R. Radice;
Bibliographien
monografia introduttiva di G. Reale e R. Ra-
dice (Milano 1987) [I classici del pensiero]. 222 R. Radice, D. T. Runia, R. A. Bitter: Philo of
203 Filone di Alessandria: La migrazione verso Alexandria. An annotated Bibliography
l’eterno, L’agricoltura, La piantagione di Noè, 1937–1986 (Leiden 1988, 21992) [VChr Suppl.
L’ebrietà, La sobrietà, La confusione delle 8].
lingue, La migrazione di Abramo. Saggio in­ 223 D. T. Runia, H. M. Keizer: Philo of Alexan­
troduttivo, traduzione, note e apparati di R. dria. An annotated Bibliography 1987–1996
Radice, presentazione di G. Reale (Milano with addenda for 1937–1986 (Leiden 2000)
1988) [I classici del pensiero]. [VChr Suppl. 57].
204 Philo of Alexandria: ‹On the Creation of the 224 D. T. Runia, E. Birnbaum: Philo of Alexan­
Cosmos according to Moses›. Introduction, dria. An annotated Bibliography 1997–2006
Translation and Commentary by D. T. Runia with addenda for 1987–1996 (Leiden 2012)
(Leiden, Boston 2001) [Philo of Alexandria [VChr Suppl. 109].
Commentary Series 1].
205 Philo of Alexandria: Philo’s ‹Flaccus›: The Jährliche bibliographische Berichte in: Stud-
First Pogrom. Introduction, Translation and Philon 1 (1989–).
Commentary by P. W. van der Horst (Leiden,
Boston 2003) [Philo of Alexandria Commen-
tary Series 2].

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 760 25.09.18 09:27


Philon von Alexandrien 761

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243 H.-F. Weiss: Untersuchungen zur Kosmologie d’Alexandrie dans l’œuvre du Rav Hanazir,
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762 Bibliographie zum siebten Kapitel

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267 B. Septimus: Biblical Religion and Political 280 D. Winston: Aspects of Philo’s Linguistic
Rationality in Simone Luzzatto, Maimonides Theory, in: Heirs of the Septuagint. Philo,
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teenth Century, edited by I. Twersky, B. Sep- FS Earle Hilgert, edited by D. T. Runia, D. M.
timus (Cambridge MA, London 1987) Hay, D. Winston (Atlanta 1991) [StudPhilon
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Scripture in the Writings of Philo, in: Mikra. (Berkeley 1992).
Text, Translation, Reading and Interpretation 282 D. Daube: Jewish Law in the Hellenistic
of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and World, in: Collected Works of David Daube.
Early Christianity, edited by M. J. Mulder, H. I: Talmudic Law, edited by C. M. Carmichael
Sysling (Assen, Philadelphia 1988) 421–453. (Berkeley 1992) 213–229. – Der erste Ab-
269 H. Burkhardt: Die Inspiration heiliger Schrif- schnitt (Philo’s Hebrew: A Hebrew-Greek
ten bei Philo von Alexandrien (Giessen, Basel Pun) behandelt die Frage nach Philons Heb-
1988). räischkenntnissen.
270 L. L. Grabbe: Etymology in Early Jewish In- 283 D. Dawson: Allegorical Readers and Cultural
terpretation. The Hebrew Names in Philo Revision in Ancient Alexandria (Berkeley,
(Atlanta 1988). Los Angeles 1992).
271 A. van den Hoek: Clement of Alexandria and 284 A. A. Long: Stoic Readings of Homer, in:
his Use of Philo in the Stromateis. An Early Homer’s Ancient Readers. The Hermeneutics
Christian Reshaping of a Jewish Model (Lei- of Greek Epic’s Earliest Exegetes, edited by
den 1988). R. Lamberton, J. J. Keaney (Princeton 1992)
272 J. Weinberg: The Quest for Philo in Six- 41–66.
teenth-Century Jewish Historiography, in: 285 StudPhilon 5 (1993), Special Section: Philo
­Jewish History. Essays in Honour of C. Ab- and the Middle Platonism, 95–155. – Darin
ramsky, edited by A. Rapoport-Albert, S. J. enthalten sind folgende Beiträge:
Zippertstein (London 1988) 163–187. G. E. Sterling: Platonizing Moses. Philo and
273 R. Radice: Platonismo e creazionismo in Fi- the Middle Platonism, 96–111.
lone di Alessandria (Milano 1989). D. T. Runia: Was Philo a Middle Platonist? A
274 D. Winston: Two Types of Mosaic Prophecy difficult question revisited, 112–140.
According to Philo, in: Journal for the Study D. Winston: Response to Runia and Sterling,
of the Pseudepigrapha 4 (1989) 49–67. 141–146.
275 D. T. Runia: Exegesis and Philosophy. Studies T. H. Tobin: Was Philo a Middle Platonist?
on Philo of Alexandria (Aldershot 1990). Some suggestions, 147–150.
276 Both Literal and Allegorical. Studies in Philo J. Dillon: A Response to Runia and Sterling,
of Alexandria’s Questions and Answers on 151–155.
Genesis and Exodus, edited by D. M. Hay 286 R. Radice: «Didaskalikos», 164,29–30 e la
(Atlanta 1991). probabile influenza di Filone di Alessandria,
277 B. McGinn: The Foundations of Mysticism. in: La storia della filosofia ebraica, a cura di
Origins to the Fifth Century (New York I. Kajon (Padova 1993) [Biblioteca dell’«Ar­
1991). – Erster Band der vierbändigen Aus- chivio di Filosofia» 9] 45–63.
gabe von: The Presence of God. A History of 287 D. T. Runia: Philo in Early Christian Litera-
Western Christian Mysticism. ture. A Survey (Assen, Minneapolis 1993)
278 R. Radice: Observations on the Theory of the [Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum
Ideas as the Thoughts of God in Philo of Alex- Testamentum 3,3].

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 762 25.09.18 09:27


Philon von Alexandrien 763
288 R. M. Berchman: The Categories of Being in gage de la philosophie, édité par C. Lévy
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Memory of H. R. Moehring, edited by J. P. gins of the Stoic ΠΡΟΠΑΘΕΙΑ, in: Phronesis
Kenney (Atlanta 1995) 98–140. 44 (1999) 300–325. – Wieder in: Alesse 2008
289 H. R. Moehring: Arithmology as an Exegeti- [*337: 197–221].
cal Tool in the Writings of Philo of Alexan­ 302 H. Najman: The Law of Nature and the Au-
dria, in: The School of Moses. Studies in Philo thority of Mosaic Law, in: StudPhilon 11
and Hellenistic Religion, in Memory of H. R. (1999) 55–73.
Moehring, edited by J. P. Kenney (Atlanta 303 G. Reydams-Schils: Demiurge and Provi-
1995) 141–176. dence. Stoic and Platonist Readings of Plato’s
290 M. R. Niehoff: What is in a Name? Philo’s Timaeus (Turnhout 1999). – Zu Philon: 135–
Mystical Philosophy of Language, in: Jewish 165.
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Moeh­r ing, edited by J. P. Kenney (Atlanta 305 B. Centrone: Platonism and Pythagoreanism
1995) 29–40. in the Early Empire, in: The Cambridge His-
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FS John F. Priest, edited by L. B. Elder, D. L. 2000) 559–584. – 561–567 sind Philons politi-
Barr, E. Struthers Malbon (Atlanta 1996) scher Philosophie gewidmet.
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293 D. Winston: Philo’s Mysticism, in: StudPhilon rius Julius Alexander, in: StudPhilon 12
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(Atlanta 1997) [StudPhilon 9] 219–238. allegoriae». Prefazione di C. Kraus Reggiani
299 A. Le Boulluec: La place des concepts philo- (Milano 2000).
sophiques dans la réflexion de Philon sur le 311 R. Sorabji: Emotion and Peace of Mind. From
plaisir, in: Philon d’Alexandrie et le langage Stoic Agitation to Christian Temptation (Ox-
de la philosophie, édité par C. Lévy (Turn- ford 2000). – Kap. 22.
hout 1998) [Monothéismes et Philosophie 1] 312 C. Termini: Le Potenze di Dio. Studio su
129–152. δύναμις in Filone di Alessandria (Roma
300 C. Lévy: Éthique de l’immanence, éthique de 2000) [StudEphAug 71].
la transcendance. Le problème de l’oikeiôsis 313 Interpretation and Allegory. Antiquity to the
chez Philon, in: Philon d’Alexandrie et le lan- Modern Period, edited by J. Whitman (Bos-

07_2 Hellenistisches Judentum Biblio.indd 763 25.09.18 09:27


764 Bibliographie zum siebten Kapitel

ton, Leiden 2000). – Mit einführenden Essays 328 J. E. Taylor: Jewish Women Philosophers of
des Herausgebers. First-Century Alexandria. Philo’s ‘Therapeu-
314 M. R. Niehoff: Philo on Jewish Identity and tae’ Reconsidered (Oxford 2003).
Culture (Tübingen 2001) [Texte und Studien 329 S. Knuuttila: Emotions in Ancient and Medie-
zum antiken Judentum 86]. val Philosophy (Oxford 2004). – Bes. 87–103.
315 A. de’ Rossi: The Light of the Eyes, translated 330 D. T. Runia: Etymology as an Allegorical
and annotated by J. Weinberg (New Haven Technique in Philo of Alexandria, in: Stud-
2001). Philon 16 (2004) 101–121.
316 K. Berthelot: Philo and Kindness towards 335 G. E. Sterling: The Place of Philo of Alexan-
Animals (‹De virtutibus› 125–147), in: Stud- dria in the Study of Christian Origins, in:
Philon 14 (2002) 48–65. Philo und das Neue Testament, herausgege-
317 F. Frazier: Les visages de Joseph dans le ‹De ben von R. Deines, K.-W. Niebuhr (Tübingen
Josepho›, in: StudPhilon 14 (2002) 1–30. 2004) [WUNT 172] 21–52.
318 A. C. Geljon: Philonic Exegesis in Gregory of 336 G. E. Sterling: “The Queen of the Virtues”:
Nyssa’s ‹De vita Moysis› (Providence RI 2002). Piety in Philo of Alexandria, in: StudPhilon
319 G. Reydams-Schils: Philo of Alexandria on 18 (2006) 103–123.
Stoic and Platonist Psycho-Physiology: The 337 Philo of Alexandria and post-Aristotelian
Socratic Higher Ground, in: AncPhil 22 Philosophy, edited by F. Alesse (Leiden, Bos-
(2002) 125–147. – Wieder in: Alesse 2008 ton 2008) [Studies in Philo of Alexandria 5].
[*337: 169–195]. 338 M. Bonazzi: Towards Transcendence: Philo
320 D. Winston: Philo and the Wisdom of Solomon and the Renewal of Platonism in the Early
on Creation, Revelation, and Providence: The Imperial Age, in: Alesse 2008 [*337: 233–
High-Water Mark of Jewish Hellenistic Fusion, 251].
in: Shem in the Tents of Japhet. Essays on the 339 F. Calabi: God’s Acting, Man’s Acting. Tradi-
Encounter of Judaism and Hellenism, edited tion and Philosophy in Philo of Alexandria
by J. L. Kugel (Leiden, Boston 2002) [JSJ (Leiden, Boston 2008) [Studies in Philo of
Suppl. 74] 109–130. Alexandria 4].
321 B. W. Winter: Philo and Paul among the So- 340 J. Dillon: Philo and Hellenistic Platonism, in:
phists (Grand Rapids MI 22002). Alesse 2008 [*337: 223–232].
322 K. Berthelot: Philanthrôpia Judaica. Le débat 342 R. Radice: Philo and Stoic Ethics. Reflections
autour de la ‘misanthropie’ des lois juives on the Idea of Freedom, in: Alesse 2008
dans l’Antiquité (Leiden, Boston 2003) [JSJ [*337: 141–167].
Suppl. 76]. 345 D. T. Runia: Philo and Hellenistic Doxogra-
323 P. Bosman: Conscience in Philo and Paul. A phy, in: Alesse 2008 [*337: 13–54].
Conceptual History of the Synoida Word 346 The Cambridge Companion to Philo, edited
Group (Tübingen 2003) [WUNT, 2. Reihe by A. Kamesar (Cambridge 2009). – Darin
166]. – Englische Übersetzung der ursprüng- enthalten sind folgende Beiträge:
lich auf Afrikaans verfassten Dissertation. D. R. Schwartz: Philo, His Family, and His
324 A. Green: Seek My Face: A Jewish Mystical Times, 9–31.
Theology (Woodstock, Vermont 2003). – Frü- J. R. Royse: The Works of Philo, 32–64.
here Version unter dem Titel: Seek my Face, A. Kamesar: Biblical Interpretation in Philo,
Speak my Name: A Contemporary Jewish 65–94.
Theology (Northvale NJ 1992). C. Termini: Philo’s Thought within the Con-
325 J. W. Martens: One God, One Law. Philo of text of Middle Judaism, 95–123.
Alexandria on the Mosaic and Greco-Roman R. Radice: Philo’s Theology and Theory of
Law (Boston, Leiden 2003) [Studies in Philo of Creation, 124–145.
Alexandria and Mediterranean Antiquity 2]. C. Lévy: Philo’s Ethics, 146–174.
326 S. Nadler: Spinoza and Philo. The Alleged F. Siegert: Philo and the New Testament, 175–
Mysticism in the Ethics, in: Hellenistic and 209.
Early Modern Philosophy, edited by J. Miller, D. T. Runia: Philo and the Early Christian Fa-
B. Inwood (Cambridge 2003) 232–250. thers, 210–230.
327 G. E. Sterling: Universalizing the Particular. D. Winston: Philo and Rabbinic Literature,
Natural Law in Second Temple Jewish Ethics, 231–254.
in: StudPhilon 15 (2003) 64–80. 347 R. Chiaradonna: Autour d’Eudore. Les dé-
buts de l’exégèse des Catégories dans le

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Philon von Alexandrien 765
Moyen Platonisme, in: The Origins of the Pla- 354 S. Mancini Lombardi: Studies on the ancient
tonic System. Platonisms of the Early Empire Armenian Version of Philo’s Work (Leiden,
and their Philosophical Contexts, edited by Boston 2011) [Studies in Philo of Alexandria
M. Bonazzi, J. Opsomer (Leuven 2009) 89– 6].
111. 355 Sh. Weisser: La Figure du Progressant ou la
348 S. M. Mackie: Seeing God in Philo of Alexan- Proximité de la Sagesse, in: Inowlocki, De-
dria: The Logos, the Powers, or the Existent charneux, Bertho 2011 [*352: 221–239].
One?, in: StudPhilon 21 (2009) 25–47. 356 M. Hadas-Lebel: Philo of Alexandria. A
349 F. Trabattoni: Philo, «De opificio mundi», Thinker in the Jewish Diaspora (Leiden, Bos-
7–12, in: The Origins of the Platonic System. ton 2012) [Studies in Philo of Alexandria 7].
Platonisms of the Early Empire and their Phi- – Französische Originalausgabe: Paris 2003.
losophical Contexts, edited by M. Bonazzi, J. 357 S. M. Mackie: Seeing God in Philo of Alexan-
Opsomer (Leuven 2009) 113–122. dria: Methods and Means, in: JSJ 43 (2012)
351 D. Winston: Philo of Alexandria, in: The 147–179.
Cambridge History of Philosophy in Late An- 358 D. T. Runia: Philon d’Alexandrie, in: DPhA
tiquity, edited by L. P. Gerson (Cambridge Va (2012) 362–390.
2010) I 235–257. 359 F. Siegert: Die theoretische Bewältigung des
352 Philon d’Alexandrie. Un penseur à l’inter- Bösen bei Philon, in: Die Wurzel allen Übels.
section des cultures gréco-romaine, orientale, Vorstellungen über die Herkunft des Bösen
juive et chrétienne. Actes du colloque inter- und Schlechten in der Philosophie und Reli-
national organisé par le Centre interdiscipli- gion des 1.–4. Jahrhunderts, herausgegeben
naire d’étude des religions et de la laïcité de von F. Jourdan, R. Hirsch-Luipold (Tübingen
l’Université libre de Bruxelles, édités par S. 2014) [Ratio Religionis Studien 3] 69–85.
Inowlocki, B. Decharneux, B. Bertho (Turn-
hout 2011) [Monothéismes et Philosophie 12].
353 F. Alesse: Prohairesis in Philo of Alexandria,
in: Inowlocki, Decharneux, Bertho 2011
[*352: 205–220].

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Achtes Kapitel

Philosophie im frühen Christentum


der vornizänischen Zeit

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§ 77. Überblick

Dietmar Wyrwa

Während in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike die älteren philo­
sophischen Traditionen der klassischen und hellenistischen Zeit in der Regel wei­
tergeführt oder wiederbelebt werden, ohne dass eine philosophische Schulrich­
tung entsteht, die sich dezidiert als völlige Neugründung versteht (Perkams 2017
[*20]), entwickelt sich mit dem Christentum recht bald ein Faktor, der neu in den
bestehenden philosophischen Diskurs eintritt. Der christliche Glaube war jedoch
nicht von Hause aus und nicht von Anfang an philosophisch ausgerichtet. Die Je­
sus-Bewegung in Galiläa stand der hellenistischen Kultur fern. Selbst der Apostel
Paulus, der neben seiner jüdischen Erziehung offensichtlich auch über griechi­
sches Bildungsgut aus den Bereichen von Rhetorik und Philosophie verfügte, setzt
dieses in seinen Briefen doch so zur Explikation theologischer Gehalte ein, dass
trotz streckenweise gemeinsamer Kontexte sachliche Umdeutungen aufbrechen
und sich letztlich mit der Predigt vom gekreuzigten Christus eine sperrige Diffe­
renz zwischen Weltweisheit und Gottesweisheit konstituiert (I. Cor. 1,18–2,16;
Vollenweider 2012 [*17]). Daher rührt der über die Jahrhunderte hin nicht ver­
stummende Vorbehalt gegenüber einer allzu glatten Ineinssetzung von ‘Athen’
und ‘Jerusalem’ (vgl. Tert. Praescr. 7,9). Auch die übrigen im Neuen Testament zu­
sammengefassten Schriften verbleiben, wenngleich variierende Gewichtungen
nicht zu verkennen sind, aufs Ganze gesehen in diesem Rahmen. Sie weisen zwar
Spuren eines atmosphärischen, bisweilen konvergierenden Kontaktes mit der grie­
chischen Philosophie auf (namentlich Act. 17,16–34), setzen aber, insofern sie das
urchristliche Kerygma artikulieren, keine Bestrebungen frei, die Glaubensbot­
schaft mit philosophischen Kategorien reflexiv zu verschränken.
Dass dieser Prozess einer rational argumentierenden Lehrbildung im 2. Jahr­
hundert initiiert werden konnte, liegt indessen nicht einfach in der Fortsetzung
des urchristlichen Kerygmas, sondern beruht auf den geistigen Voraussetzungen,
die das hellenistische Judentum bereitgestellt hat und die den festumrissenen Re­
ferenzrahmen für die weiterführende theologische Begriffsarbeit absteckten (vgl.
Chadwick 1967 [*2: 137, 158], Hengel 1981 [*4]). Eine aus der hellenistischen Sy­
nagoge entstammende tiefe und breite Geistesströmung, fassbar an der Septua­
ginta, an der griechisch-jüdischen Literatur aus der Zeit des zweiten Tempels und
an Philon, dem späterhin bei den christlichen Theologen einflussreichsten Expo­
nenten, der vielleicht gar nicht einmal für die Bewegung im Ganzen repräsentativ
ist, fassbar aber auch an Josephus (vgl. Holladay 1983–1996 [*6], Stone 1984 [*7],
Collins 2002 [*13]) – diese Geistesströmung gibt die Grundkoordinaten einer Syn­
these aus alttestamentlich-biblischem Glauben und griechisch-philosophischem
Denken vor. Der ‹1. Clemensbrief› zeigt beispielhaft für die Generation der soge­
nannten Apostolischen Väter, dass die hellenistisch-jüdische Tradition das feste
Fundament ist, zu dem der Glaube an Christus zunächst wie ein gedanklich noch
unvermittelter Zusatz hinzutritt und die dort geleistete Verschmelzung bestätigt,

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770 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

um diesen Komplex dann in einem zweiten Schritt auf Christus hin zu orientieren
(Wickert 1979 [*3: 462–468]). Insofern ist der Wurzelboden für die Entstehung
einer wie auch immer näher zu bestimmenden christlichen Philosophie, um es
pointiert zu formulieren, im hellenistischen Judentum zu verorten.
Das Christentum des 2. Jahrhunderts erlebte etwa von der Mitte des Jahrhun­
derts an einen Schub tiefgreifender Wandlungen, der auf fast allen Gebieten seine
Spuren hinterließ und theologiegeschichtlich zu stärkeren Ausdifferenzierungen
und Pluralisierungen der von Fall zu Fall konkurrierenden, theologischen Profile
führte. Diese Tendenzen, wenn anfangs auch noch rudimentär und bei fließenden
Übergängen im Einzelnen, positionierten sich in ihren doktrinären Ausformun­
gen aufs Ganze gesehen teils als herkömmliche, der kirchlichen Frömmigkeit ver­
bundene Gemeindetheologie, teils im Ansatz als wissenschaftliche, mit philo­
sophischen Instrumentarien operierende Theologie, teils als spekulative, mit
remythisierenden Elementen angereicherte Religionsphilosophie. Noch gehörte
auch das traditionelle Judenchristentum in diese Bandbreite ebenso wie die Kon­
kurrenzposition des Ultrapauliners Markion, der gerade solche Offenheiten ein­
zudämmen trachtete. Bemerkenswert ist nun, dass auf allen Seiten philosophische
Elemente zumindest ansatzweise anzutreffen sind.
Die Gemeindetheologie, die für uns durch die sogenannten Apostolischen Väter
repräsentiert wird, führt die im Urchristentum eingeschlagenen Wege unter Ein­
schluss gewisser populär-philosophischer Momente weiter und hat nach dem Zeug­
nis des Irenäus, der sich immer wieder auf nicht namentlich genannte Presbyter be­
ruft, eine große Fülle an hochstehenden theologischen Entwürfen hervorgebracht.
Auch die Literatur der neutestamentlichen Apokryphen wäre hier zu nennen.
Die Wegbereiter einer nach den zeitgenössischen Standards arbeitenden wis­
senschaftlichen Theologie sind indes die frühchristlichen Apologeten. Sie sind
zwar nicht selten auch auf verschiedenen anderen, innergemeindlichen Feldern
tätig, doch ihr hervorstechendes gemeinsames Charakteristikum liegt darin, dass
sie sich literarisch nach außen an die pagane Öffentlichkeit richten, um den christ­
lichen Glauben gegen feindliche Anschuldigungen zu verteidigen und ihn als ver­
nunftgemäß zu erweisen, um die heidnischen Religionen zu widerlegen und um
staatliche Rechtssicherheit für die Christen zu erwirken. Natürlich hat es unter
ihnen deutliche Niveauunterschiede im Bildungsstand und eine beträchtliche
Spannbreite im argumentativen Vorgehen gegeben. Manche Autoren kennen sich
nur wenig in der philosophischen Literatur aus und benutzen ausschließlich se­
kundäres Quellenmaterial, andere verfügen über beachtliche Kenntnisse und wis­
sen damit auch sachgerecht umzugehen. Manche sind von echter Wertschätzung
der Erkenntnisbemühungen bei den Griechen durchdrungen, andere, wenige
zwar, verachten die Philosophie, ja legen gegenüber der ganzen griechischen Kul­
tur nur eine abschätzige, feindselige Haltung an den Tag. Einige bejahen, dass die
Philosophen auf vernünftigem Wege Teilmomente der Wahrheit erfasst haben,
und requirieren diese für das Christentum. Aber dass die Griechen nicht zur vol­
len und klaren Wahrheitserkenntnis gelangt sind, davon sind alle überzeugt und
bekräftigen dies mit Einwänden des Skeptizismus; denn sie, die volle Wahrheits­
erkenntnis, beruhe nach einhelliger Meinung auf göttlicher Offenbarung. Zum

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§ 77. Überblick (Bibl. 1053–1054) 771

Erweis der Überlegenheit gewinnt der Altersbeweis, der demonstrieren soll, dass
die biblischen Schriften älter als jegliche griechische Weisheit und die Philosophen
abhängig von Mose seien, große Bedeutung (Pilhofer 1990 [*9]). Dennoch begnü­
gen sich die frühchristlichen Apologeten nicht damit, die offenbarten biblischen
Aussagen einfach zu wiederholen, sondern sie alle haben die Lehrdarstellung des
Christentums nach den rationalen Wahrheitskriterien der griechischen Philosophie
formuliert. Man würde dieses Vorgehen missverstehen, wenn man darin einfach
eine Hilfestellung für die Adressaten, ein taktisches Manöver, um Anerkennung
zu erlangen oder zu missionieren, sehen wollte (Karamanolis 2013 [*18: 8–19]). Ge­
wiss haben sie das auch getan, aber der eigentliche Grund liegt tiefer. Gerade die
Besten unter ihnen wie beispielsweise Justin haben ihren Weg zum Christentum
über die Philosophie gefunden, und sie haben den von ihrem Bildungsgang mitge­
brachten, durch die zeitgenössische Philosophie vorstrukturierten Verstehenshori­
zont als Christen beibehalten, um sich selbst vor dem Forum der Vernunft über
ihren Glauben Rechenschaft zu geben. So behandeln sie getreu dem auch auf phi­
losophischer Seite geteilten Grundsatz, dass das Ältere das Wahre sei, die christ­
liche Religion als ‘die wahre Philosophie’ bzw. als ‘barbarische Philosophie’, was
übrigens beides Analogien im Spektrum der konkurrierenden Philosophenschulen
der Zeit hat. In der Polemik gegen die pagane Götterwelt und gegen gewisse inak­
zeptable Positionen konnten sie auf hellenistisch-jüdische Vorlagen zurückgreifen,
ebenfalls in manchen dogmatischen Sätzen, ansonsten haben sie mehr oder weni­
ger, doch stets selektiv Anleihen beim stoisch durchmischten Mittelplatonismus,
der philosophischen Koine der Zeit, gemacht. Entsprechend dem Reflexionspoten­
tial der biblischen Tradition konnte sich die rationale, philosophische Durchdrin­
gung grundsätzlich auf alle Gebiete der Glaubenslehre erstrecken, auf den trans­
zendenten Gottesbegriff, die Logoslehre, die Kosmologie bzw. Schöpfungslehre,
die Lehre von der Providenz, die Anthropologie und die Ethik, die Eschatologie
und selbst auf die Lehre von der leiblichen Auferstehung. Und je nach Absicht und
Vermögen haben daran die frühchristlichen Apologeten gearbeitet. So unfertig und
unbeholfen auch manches wirkt, so liegen in ihren Bemühungen doch Ansätze zu
einer schöpferischen Neuorientierung, indem die biblisch-christliche Botschaft und
das griechisch-philosophische Denken durch wechselseitige Horizontverschmel­
zung transformiert wurden. Dass dabei eine Hellenisierung des Christentums zu
konstatieren ist (wie umgekehrt mittelfristig natürlich ebenfalls), lässt sich auch in
materialer Hinsicht als Faktum gar nicht leugnen, aber die negative Bewertung als
eine Überfremdung des Evangeliums, die von Harnack 41909 [*1: 19f., 24f., 496–
550] dem Sachverhalt im Interesse der Destruktion des kirchlichen Dogmas gege­
ben hat, ist unangemessen, weil sie von sachfremden Prämissen geleitet ist (Wyrwa
42000 [*11], Markschies 2012 [*16]).

Der Gnostizimus, charaktierisiert als spekulative, mit remythisierenden Elemen­


ten angereicherte Religionsphilosophie, ist nach Meinung der gegenwärtigen For­
schung nicht als religionssoziologisch kohärentes, historisch zusammenhängendes
Phänomen zu verstehen, sondern Gnostizismus ist ein moderner Sammelbegriff,
der allerdings bis zu einem gewissen Grad schon durch die altkirchlichen Häre­
siologen vorgeprägt ist. Er meint bestimmte literarisch bezeugte, weltanschauliche

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772 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Strömungen, die vielleicht der sensibelste Indikator für «das plötzliche Aufkom­
men einer starken Verfinsterung der Weltsicht» sind (Markschies 2001 [*12: 85]),
und umfasst bestimmte, sich als religiöse Elite verstehende Trägerkreise im anti­
ken Christentum, beginnend im frühen 2. Jahrhundert bis weit in die Spätantike
hinein. Die hier zusammengestellten ‘gnostischen’ Positionen, untergründig ver­
anlasst durch die Frage nach dem Bösen in der Welt, sind Ausdruck von akut emp­
fundenen Beunruhigungen und geistigen Spannungen, die auf der Grundlage pla­
tonischer Philosopheme zu einer pessimistischen Abwertung der Welt geführt
haben und sich bis hin zu offener Weltverachtung steigern konnten. Entsprechende
Tendenzen begegnen in dieser Zeit auch in der Philosophie, bei Plutarch etwa, bei
Numenios oder Mark Aurel. Zu unterscheiden sind im Gnostizismus radikal dua­
listische Einstellungen wie in manchen sethianischen Texten und besonders schroff
im Manichäismus und gemäßigt dualistische Einstellungen bzw. monistische Du­
alismen wie bei den Valentinianern, Basileidianern und in anderen sethianischen
Texten, während bei Bardaisan dieser Zug eher in der Schwebe gelassen erscheint.
Das hochmythologische Gewand dieser Entwürfe weist ein erhebliches Spektrum
an Modellen und Varianten auf, die zudem durch widersprüchliche Überlieferun­
gen noch verkompliziert werden, doch stammen leitende Bestandteile aus der bib­
lisch-jüdischen Tradition, und fest integriert ist das christliche Motiv einer Erlöser­
gestalt. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die erzählenden Mythen auf
philosophische Theorien verweisen, auch wenn dies nicht direkt anerkannt wird.
Um nur einige besonders markante Beispiele zu nennen: In sethianischen Texten
kann man eine negative ‘Relecture’ des platonischen ‹Timaios› erkennen, und in
vier späten ‘platonisierenden Traktaten’, in denen ein christlicher Einschlag kaum
wahrnehmbar ist, wird eine geistige Aufstiegsbewegung vollzogen, die enge Berüh­
rungen zum Neuplatonismus hat. Bei den Basileidianern lassen sich stoische Ele­
mente in der Epistemologie und in der Psychologie identifizieren. Im System der
Valentinianer ist die neupythagoreische Zahlentheorie von Monas und Dyas sowie
die platonische Urbild-Abbild-Struktur maßgeblich. In die Kosmologie Bardai­
sans, die im Wesentlichen einem syrischen Synkretismus verpflichtet zu sein
scheint, spielen gleichwohl auch philosophische Elemente wie die Vorstellung von
Atomen und anderes hinein, und in der Thematik von Fatum und Freiheit ist Bar­
daisan möglicherweise Alexander von Aphrodisias gefolgt. Der manichäische
­Mythos macht von philosophischer Sprache Gebrauch, aber er ist seinem Anspruch
nach religiöse Offenbarung, ohne auf eine dahinter stehende philosophische Welt­
deutung zu verweisen. Es darf jedoch nicht aus dem Auge verloren werden, dass
grundsätzlich alle ‘gnostischen’ Dokumente religiöse Zeugnisse sind, die eine von
außen kommende Erlösung des Menschen zur Vergewisserung bringen.
Während sich vor allem die Valentinianer noch längere Zeit über die Jahrhun­
dertwende hinaus als esoterische Zirkel innerhalb der katholischen Kirche halten
konnten, ist Markion sehr schnell um das Jahr 144 aus der kirchlichen Gemein­
schaft ausgeschlossen worden. Markion ist kein Gnostiker, er ist auch kein an der
Philosophie ausgerichteter Theologe, obwohl er nach beiden Seiten hin Berührun­
gen aufweist, aber er ist hier zu nennen, weil an ihm das Modell von Rechtgläu­
bigkeit und Ketzerei eingespielt worden ist und er zum Prototyp des Häretikers

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§ 77. Überblick (Bibl. 1053–1054) 773

stilisiert wurde. Markion vertrat eine Zwei-Götter-Lehre, die Entgegensetzung


vom Gott des Alten Testaments und des Vaters Jesu Christi, für deren Grund­
legung er durch philologische Rezension der ihm verfügbaren christlichen Schrif­
ten einen eigenen Bibelkanon schuf, bestehend aus dem ‹Evangelium› (ein von ju­
daistischen Bezügen gereinigtes ‹Lukas-Evangelium›) und dem ‹Apostolikon›
(zehn ebenfalls gereinigte Paulusbriefe). Und zur Begründung seines Kanons fügte
er eine Beilage mit dem Titel ‹Antithesen› hinzu. Diese Arbeiten sind verloren,
aber in der Rekonstruktion stellt sich der Grundzug seines Systems wie folgt dar:
Der Gott des Alten Testaments ist demnach der Gott der Juden, der Gesetzgeber,
unbeständig, eifernd, zürnend und richtend, sowie der Schöpfer der Welt, die er aus
vorgegebener, ewiger, schlechter Materie gemacht hat. Der Vater Jesu Christi da­
gegen ist der höchste, der fremde und unbekannte, der gute Gott, der aus reiner
Barmherzigkeit durch seinen Sohn die Erlösung der Gläubigen aus dieser misera­
blen Welt bewirkt. Fraglos ordnet sich eine solche Position allgemein in den Kon­
text der weltanschaulichen Debatten des 2. Jahrhunderts ein (enge Beziehungen
zur zeitgenössischen Philosophie, besonders des Platonismus zeigen Löhr 2010
[*15] und auf breiter Basis Lieu 2015 [*19: 323–386] auf, vom Gnostizismus trennt
ihn aber der völlig unmythologische Charakter seines Denkens und die Abwesen­
heit des Konzeptes einer Wesensverwandtschaft des inneren spirituellen Seins des
Menschen mit Gott sowie das Fehlen der Annahme von Geheimtraditionen; vgl.
Markschies 2001 [*12: 89]). Doch der eigentliche Impuls, der Markion bewegte,
dürfte von Paulus ausgegangen sein, dessen Theologie der dialektischen Zuord­
nung von Gesetz und Evangelium er unter dem Eindruck zeitgenössischer Denk­
voraussetzungen zu einer dualistischen Radikalisierung geführt hat (Aland 1992
[*10]). Die Erschütterung, die Markion mit seinen Thesen auslöste, hat, zumal als
er nach der Trennung von der römischen Kirche eine eigene, Katholizität beanspru­
chende Gegenkirche gründete, beginnend bei Justin sofort eine heftige Gegenre­
aktion hervorgerufen, die ihn zum Erzhäretiker stempelte.
Mit großem Aufgebot haben die sogenannten altkatholischen Theologen die
Bekämpfung der ‘Häresien’ zu ihrem Thema gemacht, wobei sie ein Bild von
‘Rechtgläubigkeit und Ketzerei’ entwickelt haben, das während des ganzen Alter­
tums und bis weit über die Antike hinaus wirksam blieb. Demnach steht am An­
fang der Kirche die reine Lehre, die durch die Überlieferung der Apostel über die
Zeiten hin in immer gleichbleibender Identität gesichert ist, während die Irrlehrer,
durch Dämonen und pagane Denktraditionen verführt, diese verlassen. Als dog­
matische Abweichung und Verfälschung der Wahrheit ist Häresie etwas Späteres,
Inkonsistentes und vieldeutig Schillerndes. Häresie artikuliert sich in der Abfolge
von Schulhäuptern mit ihren Gruppierungen, in ihren Widersprüchen und stän­
digen Neuerfindungen, ihr Nährboden ist in fremden geistigen Welten verortet,
wozu meist auch die griechische Philosophie gerechnet wird. Der Sinn dieser ket­
zerpolemischen Stereotypen, unstreitig ein unhistorisches Konstrukt, ist stets die
Ausgrenzung dessen, was nicht mehrheitlich konsensfähig ist (vgl. zum Ganzen
Le Boulluec 1985 [*8: I 113 –188]). Auf der anderen Seite haben paradoxerweise
die sogenannten altkatholischen Väter selbst zur Entfaltung der katholischen
Wahrheit in unterschiedlichem Umfang Anleihen bei philosophischer Begrifflich­

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774 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

keit und bei philosophischen Konzepten gemacht. Man kann ihre große Bedeu­
tung darin sehen, dass Irenäus den Abschluss und die Summe der theologischen
Arbeit des 2. Jahrhunderts vorgelegt hat, dass Hippolyt das Bildungswissen sei­
ner Zeit in die christliche Theologie zu integrieren unternommen hat und dass
Tertullian, der Begründer der christlichen Latinität, das begriffliche Instrumen­
tarium bereitgestellt hat, das bleibende Geltung für die Formulierung des kirch­
lichen Dogmas haben sollte.

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§ 78. Die Schriften des Neuen Testaments (Bibl. 1054–1055) 775

I. ANFÄNGE

§ 78. Die Schriften des Neuen Testaments

Hermut Löhr

1. Überblick. – 2. Die einzelnen Schriften. – 3. Philosophischer Hintergrund. – 4. Nachwirkung.

1. ÜBERBLICK

Über die Autoren der meisten der später im Neuen Testament gesammelten
und überlieferten Schriften ist nichts oder wenig bekannt. Die historische For­
schung ist vielfach auf den Rückschluss vom impliziten auf den historischen Autor
angewiesen. Hinzu treten einzelne explizite Angaben, die aber je und je auch
pseudepigraphe Fiktionen sein können (z. B. Ioh. 21,24f.). Die Verfassernamen der
in den Handschriften überlieferten Schriftentitel sind sekundär. In der späteren
frühchristlichen Literatur, im 2. Jahrhundert zum Beispiel bei Papias von Hiera­
polis (bei Eus. Hist. eccl. 3,39,14f. zu Mc. und Mt.) oder bei Irenäus von Lyon
(Haer. 3,11,1 zu Ioh.), sind zusätzliche Nachrichten erhalten; ihr historischer Wert
ist umstritten. Über den Autor des ‹Hebräerbriefs› hat schon die Alte Kirche ge­
rätselt (Origenes bei Eus. Hist. eccl. 6,25,14).
Zwar existieren plausible Hypothesen über die chronologische Abfolge der Ent­
stehung der Schriften und Schriftengruppen, doch bleibt hier, wie in Hinsicht auf
Entstehungsort und kulturelles Milieu, manches unsicher: Während die Verfasser
der ältesten Texte im Neuen Testament noch ungefähre Zeitgenossen Jesu von Na­
zareth (ca. 6 v. Chr. – ca. 30 n. Chr.) gewesen sein dürften, weisen andere Schriften
in das letzte Viertel des 1. oder bis weit in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts
n. Chr. Besonders das westliche Kleinasien scheint frühchristliche Texte hervorge­
bracht zu haben, doch auch Syrien, Alexandrien und Rom werden als Abfassungs­
orte für einzelne Schriften vermutet. Die Mehrzahl der Autoren dürfte jüdisch auf­
gewachsen sein; für die jeweils intendierten Adressaten ist dies weit weniger sicher.
Allein vom Wanderprediger (Eigenbezeichnung: «Apostel», d. h. Gesandter,
nämlich Jesu Christi) Paulus – der hebräisch-griechische Name Σαῦλος («Saul»: Act.
7,58; 8,1. 3) begegnet nie in seinen authentischen Schreiben! – lässt sich ein detail­
lierteres Bild zeichnen: Er soll nach Act. 21,39 und 22,3 aus der kilikischen Groß­
stadt Tarsos stammen, nach späteren Nachrichten (Hier. Vir. ill. 5) jedoch in
Gischala in Galiläa geboren sein. Das genaue Geburtsjahr ist unbekannt. Er war
Sohn einer jüdischen Familie des Stammes Benjamin (Phil. 3,5). Vielleicht besaß er
neben dem Bürgerrecht seiner Heimatstadt (Act. 21,39) auch das römische Bürger­

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776 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

recht (Act. 16,37f. u. ö.) – warum, ist unklar. Seine Briefe lassen vermuten, dass er
eine Art rhetorischer oder philosophischer Elementarbildung genoss (Vegge 2006
[*46]); manche Exegeten erkennen eine besondere Nähe zur stoischen Philosophie
in seinen Briefen (Engberg-Pedersen 2000 [*65]), doch werden in diesen auch pla­
tonische Motive und Begriffe identifiziert. In Jerusalem schloss er sich (als Schüler
Gamaliels I.? vgl. Act. 22,3) der Partei der Pharisäer an (Phil. 3,5) und trat in der
Folge gegen die jüdische Gruppierung der Jesus-Anhänger auf (Phil. 3,6; Gal. 1,13).
Auch noch als Missionar der Christus-Bewegung war er als Handwerker tätig. Auf­
grund einer Christus-Vision bei Damaskus (ca. 32 n. Chr.) verstand er sich fortan
als berufen und dazu beauftragt, das «Evangelium» nicht primär in Israel, sondern
unter den «Völkern» bekannt zu machen. Trotz wiederholter Kontakte blieb sein
Verhältnis zur Gruppe der Jesus-Anhänger in Jerusalem gespannt; mit Jakobus,
einem Bruder Jesu, und seinen Parteigängern kam es im syrischen Antiochien über
Fragen der Mahlpraxis zum offenen Bruch (Gal. 2,11–14). Das durch die Act. ver­
mittelte Bild des Paulus als rastloser Wanderprediger trifft nur zum Teil zu; neben
einer im antiken Maßstab tatsächlich intensiven Reisetätigkeit, besonders in Klein­
asien und Griechenland, standen Phasen längerer Ortsstabilität, so in Korinth (wo
Paulus um 51 n. Chr. dem Proconsul L. Iunius Gallio, einem Bruder Senecas, be­
gegnet sein dürfte; Apg. 18,12–17) und in Ephesos (Act. 18,3; vgl. I. Cor. 9,12). Ob
Paulus seine Pläne, über Rom nach Spanien zu reisen (Rm. 15,28), noch verwirkli­
chen konnte, ist ungewiss. Wahrscheinlich wurde er in Jerusalem verhaftet und von
dort nach Rom deportiert. Dort dürfte er, vielleicht noch vor der stadtrömischen
Christen-Verfolgung durch Nero (64 n. Chr.), eines gewaltsamen Todes gestorben
sein (Act. 20,25. 38; 1. Clem. 5,5–7). In seiner Tätigkeit als Wanderprediger und Mis­
sionar stützte sich Paulus auf namentlich bekannte, zum Teil wechselnde Mitarbei­
ter, wie Barnabas, Silas, Timotheos, Titos, Epaphras und Onesimos. Von diesen
Kreisen ausgehend dürfte das paulinische Denken und Werk weiter tradiert und
fortgeschrieben worden sein; Beleg dafür sind die unter dem Namen des Paulus
überlieferten, aber nicht von ihm stammenden Briefe. Eine solche frühe Paulus-
‘Schule’ (von einer festen Institution ist nicht auszugehen) ist im späten 1. Jahrhun­
dert n. Chr. im westlichen Kleinasien zu lokalisieren. In der gleichen Region, viel­
leicht etwas später, mag auch eine johanneische ‘Schule’ existiert haben.

2. DIE EINZELNEN SCHRIFTEN

Die neutestamentlichen Schriften lassen sich in der Taufe des erwachsenen Jesus bis zur Hinrich­
vier Gattungen und weitere Untergruppen gliedern: tung und Auffindung des leeren Grabes, in Mt.
und Lc. um Kindheits- und Ostergeschichten und
zahlreiche Worte Jesu ergänzt. Mt. und Lc. benut­
‹Evangelien› zen dazu vielleicht eine hypothetische Spruch-
oder Logienquelle (Q), die vor allem szenisch ge­
1) Synoptische ‹Evangelien›: Überwiegend epi­ rahmte Worte und Dialoge Jesu enthalten haben
sodenhafte Darstellungen der Geschichte Jesu, mag.
des Messias («Christus») und Sohnes Gottes; 2) ‹Johannes-Evangelium›: Starke Umgestal­
im  vermutlich ältesten Evangelium, Mc. (um tung des synoptischen Stoffes durch Zurücktreten
70  n. Chr.), nur wenige Monate umfassend von der kleinen Szenen und die Einführung langer

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§ 78. Die Schriften des Neuen Testaments (Bibl. 1054–1055) 777
Monologe Jesu. Vorangestellt ist ein Prolog über – Deutero-Paulinen einschließlich Pastoral­
den göttlichen λόγος (1,1–18). briefe (diese auch als Trito-Paulinen abgesetzt).
2) ‹Hebräerbrief›, ein für die frühchristliche
Kosmologie und Anthropologie wichtiger Traktat
‹Apostel­geschichte› (Geschichts­ über das überlegene himmlische Priestertum Jesu
schreibung) Christi, vielleicht mittelplatonisch beeinflusst (Ei­
sele 2003 [*68]).
Im zweiten Teil der Darstellung auf Paulus kon­ 3) Sieben katholische Briefe, vermutlich Pseud­
zentrierte Erzählung der Geschichte des entste­ epigrapha, darunter ‹Jakobusbrief›, setzen sich u. a.
henden Christentums auf dem Weg von Jerusalem mit paulinisch beeinflusster Soteriologie ausein­
nach Rom. Act. 17,16–34 schildert die Begegnung ander.
des Paulus mit Epikureern und Stoikern auf dem
Areopag in Athen.
‹Offenbarung des Johannes› (Apo­kalypse)

Briefe Bild- und wirkmächtige visionäre Darstellung


der Endzeitereignisse.
1) Corpus Paulinum, darin:
– Sieben echte Paulusbriefe (Proto-Paulinen), Die neutestamentliche Formkritik hat darüber
u. a. ‹Römerbrief›, umfangreichste Darlegung des hinaus Teiltexte dieser Schriften einer ganzen
theologischen Denkens des Apostels; ‹Galater­ Reihe antiker Stile und Gattungen zuordnen kön­
brief›, früheste Ausarbeitung der paulinischen nen (Berger 2005 [*55]), von denen etliche in der
Rechtfertigungslehre; ‹1. Thessalonicherbrief›, zumal moralphilosophischen Literatur der Antike
frühester erhaltener Paulusbrief, ca. 50 n. Chr.; Analogien und Parallelen aufweisen (Sterling
‹Brief an Philemon›, behandelt den Fall eines ent­ 1997 [*64]). Vor diesem Hintergrund fällt das Feh­
laufenen Sklaven. len des Dialogs im Neuen Testament auf.

3. PHILOSOPHISCHER HINTERGRUND

1. Theologie, Christologie, Pneumatologie, Dämonologie, Kosmologie. – 2. Anthropologie. – 3. Ethik.

Ein systematisches oder spekulatives philosophisches Interesse haben die Schrif­


ten des Neuen Testaments insgesamt nicht. Dem diskursiven Charakter des Genres
geschuldet, erscheinen die Briefe philosophienäher als die narrativen Texte, deren
umfassende Analyse in Hinsicht auf Berührungen mit dem philo­sophischen Den­
ken in der Antike allerdings noch aussteht. Ausgangspunkt der Denkbewegung des
Neuen Testaments im Ganzen ist der Glaube an die historisch kontingente Offen­
barung des einen Gottes in Jesus Christus, eine grundlegende Feststellung, die in
den Schriften wiederholt bekräftigt und gegen Einwände verteidigt wird.
Orientiert man sich an der Einteilung der Philosophie in Physik, Ethik und
Logik, so lassen sich den beiden zuerst genannten Bereichen zahlreiche Textstücke
zuordnen, der Logik jedoch kaum (aber vgl. Mayordomo 2005 [*69]). Aussagen,
die auf einen pointierten Anti-Rationalismus schließen lassen könnten (Mt. 11,25;
I. Cor. 1,19. 26–29; Col. 2,8; I. Tim. 6,20), sind freilich ohne Beachtung des jewei­
ligen Kontextes und als generelle Ablehnung von rationaler Argumentation im
­religiösen Kontext (schon von Kelsos, bei Orig. Cels. 1,13) missverstanden. So ar­
gumentiert Paulus im Textzusammenhang I. Cor. 1,18–3,23 gegen andere früh­

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778 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

christliche Positionen und Personen (Apollos: vgl. I. Cor. 1,12; Act. 18,24f.; 19,1),
die, anknüpfend an (jüdisches?) Weisheitsdenken und rhetorisch geschult, Ein­
fluss auf die Adressaten ausübten. Die dagegen von Paulus formulierte Opposi­
tion von Weltweisheit und göttlicher (Torheit bzw.) Weisheit (I. Cor. 1,25; 2,6f.),
die als «Wort vom Kreuz» (ὁ λόγος […] ὁ τοῦ σταυροῦ: I. Cor. 1,18) inhaltlich ge­
füllt wird, greift zugleich auf einen Topos jüdischer Apokalyptik zurück. Damit
wird freilich weder die Kategorie der Weisheit generell desavouiert noch die Le­
gitimität eines rationalen Diskurses in Frage gestellt; vielmehr sind offenbarungs­
theologisches Denken und Rationalität im Konzept des gott-menschlichen Geis­
tes verbunden (I. Cor. 2,10–16). Ob hinter der Polemik gegen die ‘Philosophie’ in
Col. 2,8 die Kritik einer bestimmten (theologischen oder kosmologischen) Lehre
steht oder ob allgemeiner ein (vielleicht anti-elitärer) Stereotyp der Paulus-Pseud­
epigraphie aufgerufen wird, ist kaum sicher zu bestimmen.
Die vom Autor geschaffene, kaum historische Begegnung des Paulus mit Phi­
losophen in Athen, gipfelnd in einer Rede des Apostels auf dem Areopag (Act.
17,16–34), versucht ein Verhältnis der Anknüpfung und Überbietung zwischen
paulinischem Evangelium und zeitgenössischer Philosophie zu inszenieren. Die
Aufnahme eines Dichter-Zitats (Arat. Phainomena 5 in Act. 17,28) stellt Gemein­
samkeiten fest und zielt auf die Abwehr von Götterbildern, während die eschato­
logische Erwartung der Auferstehung von den Toten eine bleibende Differenz
markiert (17,32f.; allgemein Vollenweider 2012 [*17]).

1. Theologie, Christologie, Pneumatologie, Dämonologie, Kosmologie

Das Erzählen und Argumentieren der Texte ist theologisch geprägt durch den
Bezug auf den in den Heiligen Schriften des Judentums bezeugten, durch perso­
nale Attribute wie «barmherzig», «gnädig» und «gerecht» näher bestimmten Gott
Israels (zugleich als Schöpfer der ganzen Welt verstanden) einerseits und auf das
geschichtlich vergangene, doch bleibend bedeutsame Auftreten Jesu von Nazareth
andererseits. Jesus ist Gesandter und Repräsentant des einen Gottes («Christus»
= Messias/Gesalbter; «Herr», «Sohn Gottes», «Menschensohn», «Sohn»), Vermitt­
ler göttlichen Heils für die Glaubenden und Offenbarer des göttlichen Willens.
Seine gegenwärtige universale Bedeutung findet schon früh ihren Ausdruck in der
Überzeugung, er sei präexistent (Phil. 2,6) und Schöpfungsmittler (I. Cor. 8,6),
vom Tod auferweckt bzw. auferstanden (I. Thess. 4,14; Rm. 4,24) bzw. (zu Gott)
erhöht worden (Phil. 2,9) und lebe und wirke gegenwärtig fort, den Bedingungen
irdischer Raum-Zeit entrückt, doch zugleich in diese hinein wirkend.
Nach Ioh. 1,1–18 ist er uranfänglicher göttlicher λόγος («Wort», «Vernunft»), der
im Sinne der ‘revelatio generalis’ als Licht den Kosmos erhellt (1,9) und sich zu be­
stimmter Zeit im Sinne der ‘revelatio specialis’ als «Einziggeborener» Gottes, des
Vaters, inkarniert (1,14). Der dichte Text stellt eine Umformulierung älterer Zusam­
menfassungen des Weges Jesu von Gott her und zu Gott (Phil. 2,6–11) dar und ver­
bindet jüdische Messianologie und Weisheitsspekulation. In der durchgehenden
Unterscheidung von ewig Seiendem und Gewordenem lehnt der Text sich vielleicht

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§ 78. Die Schriften des Neuen Testaments (Bibl. 1054–1055) 779

an mittelplatonisches Denken an (Sterling 1997 [*64: 333f.]). Die Erwartung der


(zweiten) «Ankunft» (παρουσία: I. Thess. 2,19; 3,13 u. ö.) des Gottgesandten auf
Erden ist ein Element der Endzeitvorstellung einiger neutestamentlicher Texte.
Mit der mythisch-theologischen Umformung der Erinnerung an das (historisch
gesicherte) Auftreten des jüdischen Wanderpredigers Jesus aus Galiläa konver­
giert die neutestamentliche Rede vom «Geist» (auch «Geist Gottes», «heiliger
Geist»), in der sich traditionell-jüdische und griechisch-römische Vorstellungen
vom göttlichen, wohl stofflich verstandenen πνεῦμα mit charismatischen Erfah­
rungen in den frühesten Gemeinden verbinden. Von einer entwickelten Trinitäts­
theologie ist zwar nicht zu sprechen, doch sehr wohl von einer triadischen Entfal­
tung des Ein-Gott-Glaubens, in Anknüpfung an entsprechende Entwicklungen
in der biblisch-jüdischen Tradition (Dochhorn 2011 [*72]). Die Rede vom Geist
kann früh auch als hermeneutischer Schlüssel zu den Heiligen Schriften Israels
dienen (I. Cor. 10,1–13; II. Cor. 3,6).
Eine implizite Modifikation des Ein-Gott-Glaubens stellen auch Vorstellungen
von Teufel, Satan oder Dämonen als in der Menschenwelt wirkenden Gegenspie­
lern Gottes dar, die nicht konsequent durchgeführt sind und so beispielsweise das
Theodizeeproblem nicht lösen. Sachlich angrenzend finden sich Spuren des aus
der jüdischen Apokalyptik aufgenommenen Dualismus zweier Äonen, deren ers­
ter – der gegenwärtige und schlechte – sich krisenhaft dem Ende zuneigt (I. Cor.
7,29–31). Die Jesus zugeschriebene und historisch auf ihn zurückgehende Ankün­
digung der nahen Königsherrschaft Gottes (oder «Reich Gottes») betont den heil­
bringenden Charakter des neuen Äons und die Befreiung von den Dämonen. Im
‹Johannes-Evangelium› ist «der Kosmos» als die Gott und dem Offenbarer feind­
liche Menschenwelt verstanden (Ioh. 1,10f.).

2. Anthropologie

Verstreute Aussagen zur Anthropologie sind meist soteriologisch interessiert,


daneben auch eschatologisch orientiert. In diesen Bezügen sind auch individual­
anthropologische Motive zu interpretieren, die einerseits die Leiblichkeit des
Menschseins akzentuieren, andererseits aber auch dicho- oder trichotomische Dif­
ferenzierungen durchaus kennen (Löhr 1997 [*63], van Kooten 2008 [*70]); hier­
her gehört auch das platonische Motiv des «inneren Menschen» bei Paulus (Rm.
7,22; II. Cor. 4,16; Heckel 1993 [*62]). Skizziert wird das Bild eines Menschenge­
schlechts, das in einer auch moralisch sich manifestierenden Gottferne lebt und
handelt. Krankheit und physischer Tod können als ihre Auswirkungen verstanden
werden (I. Cor. 11,30; Rm. 6,23; vgl. Ioh. 9,2f.). Im paulinischen Begriff der σάρξ
(«Fleisch») ist diese Existenzweise des Menschen insgesamt zusammengefasst und
dem Geist Gottes und seinem Einfluss auf den Menschen gegenübergestellt
(Vollenweider 2002 [*66]). Ebenfalls bei Paulus verdichtet sich die Vorstellung von
den Sünden (im Sinne von dem Willen Gottes widersprechenden Taten des Men­
schen) zum Singular «die Sünde», als metaphorischem Ausdruck des machthaften
Charakters der Immoralität und Selbst- und Gottverfehlung menschlicher Exis­

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780 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

tenz. In diesen Rahmen wird, unter Aufnahme von Motivik der antiken Tragödie
und moralisch interessierter Psychologie, in Rm. 7,7–25 auch das Dilemma des
Menschen zwischen gutem Wollen und schlechtem Vollbringen eingezeichnet
(Müller 2009 [*71]). Die Position des Textstücks im Ganzen des ‹Römerbriefes›
deutet darauf, dass Paulus hier keine zeitlos gültige Beschreibung des Menschen
und seines unfreien, an der Realisierung gehinderten Wollens bieten, sondern den
Nachweis menschlicher Erlösungsbedürftigkeit als rhetorische Vorbereitung der
Behauptung göttlicher Befreiung führen will.
Argumentativ funktionalisiert werden daneben auch das vielleicht jüdisch-hel­
lenistisch vermittelte Motiv der natürlichen Gotteserkenntnis (Rm. 1,19f.) und die
Vorstellungen vom «Gewissen» (συνείδησις; Bosman 2003 [*67]) sowie vom den
ἔθνη («Völker», «Heiden») bekannten, aber nicht befolgten natürlichen Gesetz
(vgl. Rm. 2,12–15) aufgerufen.

3. Ethik

In ethischer Hinsicht sprechen die neutestamentlichen Texte ihre Adressaten als


zu einer moralischen Existenz Befreite an. In Aufnahme biblisch-jüdischer Spra­
che weist Paulus die Rede von der «Gerechtigkeit» Gottes und der «Rechtferti­
gung» des Sünders den konzeptionellen Voraussetzungen der moralischen Weisung
zu, die nur im «Glauben» (πίστις) angenommen werden können. Die so einsichtig
gemachte neue menschliche Freiheit soll sich in einer vorwiegend an verschiede­
nen Tugenden, weniger an Geboten oder Pflichten, orientierten alltäglichen Exis­
tenz bewähren. Das antike Tugendwissen wird eklektisch (z. B. ohne den Verweis
auf die «Tapferkeit») aufgenommen; herausgestellt werden «Glaube» (Hebr. 11)
und ἀγάπη («Liebe», «Mitmenschlichkeit»), die, in Aufnahme des Tora-Gebotes in
Lev. 19,18, primär auf den «Nächsten» (Rm. 13,9; Mc. 12,31; Ioh. 13,34f.), daneben
in Spitzenaussagen auch auf die «Feinde» (Rm. 12,14; Mt. 5,44) zielt. Die Liebe
wird als ‘bleibende’ Tugend gepriesen (I. Cor. 13); sie kann geradezu mit Gott iden­
tifiziert werden (I. Ioh. 4,16). Der Normanspruch der Tora wird nicht vollständig
aufgehoben, aber zusammengefasst, modifiziert oder relativiert (Mc. 12,28–34; Mt.
5,20–48). Mit Familienmetaphorik oder dem Bezug auf die Ordnung des antiken
Hauses wird ein vorwiegend binnenethischer Rahmen konstruiert. Orientierung
bieten auch moralische Vorbilder – neben Jesus Gestalten der biblisch-jüdischen
Überlieferung oder frühchristliche Autoren, tatsächlich oder pseudepigraph (ex­
plizit nie aus der griechisch-römischen Mythologie oder Geschichte). In Pro­
grammsätzen wie Gal. 3,28 und 6,15 (vgl. II. Cor. 5,17) sind, auf theologischer
Grundlage, überkommene soziale und kulturelle Differenzen in Frage gestellt,
wenn auch nicht konzeptionell oder alltagspraktisch überwunden. Zu wenig Be­
achtung fand bisher, dass es daneben weder in der Jesus-Tradition noch bei Paulus
an einem allgemeinen Begriff des Guten fehlt (Löhr 2013 [*74]).
Eine moralische Existenz ist zwar nur dem durch gnadenhaftes göttliches Han­
deln befreiten Menschen möglich, jedoch nicht einfach gegeben: Die Vorstellung,
dass das Heilsangebot abgelehnt wird, begegnet ebenso wie die Erfahrung mora­

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§ 78. Die Schriften des Neuen Testaments (Bibl. 1054–1055) 781

lischen Scheiterns auch der ‘Glaubenden’. Dabei kann die Vorstellung der endzeit­
lich-jenseitig verstandenen vollständigen Glückseligkeit pragmatisch als morali­
sches Regulativ eingesetzt werden, sowohl als Lohn und Ziel menschlichen
Handelns als auch in Hinsicht auf göttliche Strafe (II. Cor. 5,10; Mt. 25,31–46).
Eine Ethik des politischen Handelns entfaltet das Neue Testament nicht, auch
wenn Spitzensätze wie Act. 5,29 oder Phil. 3,20 in ihrer Rezeptionsgeschichte dazu
Anlass boten. In Rm. 13,1–7 und I. Ptr. 2,13–16 werden umfassender Anweisun­
gen zum Verhalten gegenüber politischen und militärischen Autoritäten gegeben,
deren Bedeutung ohne Beachtung ihres historischen und diskursiven Kontextes
aber missverstanden wäre.

4. NACHWIRKUNG

Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Schriften des Neuen Testaments


bis in die Gegenwart ist kaum zu überblicken und nur lückenhaft erforscht. Schon
die Entwicklung hin zum Kanon, die im 2. Jahrhundert im Wesentlichen vollzogen
ist (Markschies 2012 [*39]), stellt, als bewusste auch theologische Auswahl aus dem
frühchristlichen Schrifttum, die Weichen für die weitere Entwicklung. Folgenreiche
Grundpositionen sind besonders die Anknüpfung an israelitisch-jüdische Traditio­
nen und Heilige Schriften, das Festhalten am (binär oder triadisch differenzierten)
Ein-Gott-Glauben und das Abweisen dualistischer Theologien, die Ablehnung des
christologischen Doketismus und die Wahrnehmung der irdischen Geschichte des
Gottessohnes, eine am Gnadenhandeln Gottes orientierte Soteriologie, die den
Menschen als leib-seelische Einheit betrifft, ein auf die eschatologische Erwartung
gerichtetes Geschichtsdenken sowie eine besonders an Dekalog (Ex. 20,2–17; Dtn.
5,6–21) und Bergpredigt (Mt. 5–7) orientierte, rational einsichtig gemachte Moral.
Der Kanon wird als autoritatives Ur-Dokument des christlichen Glaubens zur
Referenz für die gesamte christliche oder christlich beeinflusste Theologie und
Philosophie seit der Antike, aber auch für die kritische Auseinandersetzung mit
dem christlichen Denken, schon bei Kelsos und Porphyrios. Doch ist der Kanon
nicht nur formale oder sachlich normierende Autorität; er fordert zugleich immer
neu zur Interpretation und Adaption der Textaussagen heraus.

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782 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

§ 79. Die sogenannten Apostolischen Väter

Hermut Löhr

1. Werke und Leben. – 2. Lehre. – 3. Nachwirkung.

Sammlungen von später der Gruppe der Apostolischen Väter zugerechneten


Schriften existierten spätestens im Mittelalter (z. B. Codex Hierosolymitanus,
1056 n. Chr., enthält Barn., I. Clem., II. Clem., Did.), jedoch nie als ein fester, all­
gemein akzeptierter oder autorisierter ‘Kanon’. 1672 besorgte Jean-Baptiste Cote­
lier die erste Druckausgabe der ‹SS. Patrum qui temporibus apostolicis floru­
erunt› (Cotelier 1672 [*86]). Einendes Band der Auswahl und Zusammenfassung
war die angenommene sachliche und zeitliche Nähe zu den urchristlichen Apos­
teln. Gewöhnlich werden jetzt elf nach Gattung und Datierung unterschiedliche
Schriften bzw. Sammlungen aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. zu den Apos­
tolischen Vätern gerechnet. Gemeinsam ist diesen Texten, dass sie keine allgemein
anerkannte Aufnahme in den Kanon des Neuen Testaments fanden und, anders
als die ‘apokryphe’ frühchristliche Literatur, die neutestamentlichen Schriften
nicht ergänzen oder fortschreiben wollen. Alle Texte blicken bereits auf die Zeit
Jesu und seiner unmittelbaren Nachfolger (der «Apostel» der kirchlichen Tradi­
tion) zurück, ohne schon zum Mittel der Pseudepigraphie zu greifen. Die Mehr­
heit der Texte ist, soweit erkennbar, christliche Binnenliteratur (Ausnahmen: das
Quadratus-Fragment und die Schrift an Diognet). Die Distanz der Apostolischen
Väter gegenüber prononciert judenchristlichen, markionitischen, montanistischen
oder ‘gnostischen’ theologischen Positionen macht sie in theologiegeschichtlicher
Perspektive zu Zeugnissen frühchristlicher ‘Proto-Orthodoxie’ und trug zu ihrer
Wertschätzung in der späteren großkirchlichen Tradition bei.

1. WERKE UND LEBEN

‹Doctrina patrum› ‹Barnabae epistola›


Διδαχή – ‹Lehre [der Zwölf Apostel]› Βαρναβᾶ ἐπιστολή – ‹Barnabasbrief›
(Did.) (Barn.)

Didache, die älteste erhaltene christliche Ge­ Ein anonymes, mit schriftgelehrten Schulmate­
meindeordnung, stärker als die anderen Schriften rialien arbeitendes Lehrschreiben zur innerkirch­
von judenchristlichen bzw. jüdischen Traditionen lichen Klärung soteriologisch-eschatologischer
geprägt. Fragen, das unter schroffem Antijudaismus das
christliche Verständnis des gesamten Alten Testa­
ments reklamiert und gegen Ende paränetische
Mahnungen unterbreitet (1. Drittel des 2. Jh.s).

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§ 79. Die sogenannten Apostolischen Väter (Bibl. 1055–1057) 783

‹Epistula Clementis ad Corinthios› meinden in Kleinasien besucht und einige Briefe an


Κλήμεντος Πρὸς Κορινθίους αʹ – ‹Erster Gemeinden sowie an den Bischof von Smyrna ver­
Brief des Clemens an die Korinther› fasst. Die historische Zuverlässigkeit dieser Nach­
(I. Clem.) richten, die dem sich aus den Briefen ergebenden
Bild entsprechen, wird sehr unterschiedlich einge­
‹Erster Clemensbrief›, wohl die älteste Schrift der schätzt; deutlich ist jedenfalls die Anlehnung an
Apostolischen Väter, geschrieben vielleicht schon das Paulus-Bild der frühesten Kirche. Dass, wie
in der Zeit Domitians; erstes Zeugnis für das Ein­ bisweilen vermutet, die Gestalt des Ignatios im spä­
greifen der römischen Gemeinde in die Angelegen­ teren 2. Jahrhundert frei erfunden sei, ist aber un­
heiten einer anderen Gemeinde. Nach altkirchlicher wahrscheinlich. Fraglicher ist die auf Eusebios zu­
Tradition (Eus. Hist. eccl. 3,16; Iren. Haer. 3,3,3; rückgehende Datierung in die Zeit Trajans.
Hegesipp bei Eus. Hist. eccl. 4,22,1; Dionysios von
Korinth bei Eus. Hist. eccl. 4,23,11) wurde das
­Schreiben von einem römischen «Bischof» (d. h. ‹Polycarpi Epistula ad Philippenses›
einem Presbyter) Clemens im Auftrag der Ge­ Πολυκάρπου ἐπιστολὴ πρὸς Φιλιππησίους
meinde verfasst. Manche Forscher erwägen, ob es – ‹Brief des Polykarp an die Philipper›
sich bei Clemens um den in Herm. 8,3 erwähnten (Polyc.)
Sekretär der römischen Gemeinde handle.
‹Polykarpbrief›, dessen literarische Einheitlich­
keit des Textes kontrovers diskutiert wird. Poly­
‹Epistula secunda Clementis ad karp soll noch von den Aposteln als Bischof von
Corinthios› Smyrna eingesetzt worden sein (Iren. Haer. 3,3,4).
Κλήμεντος Πρὸς Κορινθίους βʹ – ‹Zweiter Er stand in enger Verbindung mit Ignatios (Ign.
Brief des Clemens an die Korinther› Eph. 21,1; Ign. Polyc.; Polyc. 13) und war vielleicht
(II. Clem.) sein Schüler. Gegenüber dem römischen Bischof
Aniketos verteidigte er die kleinasiatische Praxis
‹Zweiter Clemensbrief›, nach Ansicht mancher des Osterfestes (Irenäus bei Eus. Hist. eccl.
eine frühchristliche Predigt. 5,24,14–17). Nach 150 – das genaue Jahr ist um­
stritten; wahrscheinlich 155/56, aber auch 167 bzw.
177 werden noch vertreten – erlitt Polykarp im Zu­
‹Ignatii Antiocheni Epistulae ad Ephesios, sammenhang lokaler Christenverfolgungen den
Märtyrertod in Smyrna.
ad Magnesios, ad Trallianos, ad Romanos,
ad Philadelphios, ad Smyrnaeos, ad
Polycarpum›
‹Martyrium Polycarpi›
᾿Ιγνατίου Πρὸς Ἐφεσίους, Πρὸς Μαγνήτας,
Μαρτύριον Πολυκάρπου – ‹Martyrium des
Πρὸς Τραλλιανούς, Πρὸς Ῥωμαίους, Πρὸς
Polykarp› (Mart. Polyc.)
Φιλαδελφεῖς, Πρὸς Σμυρναίους, Πρὸς
Πολύκαρπον – ‹Briefe des Ignatios an die Die älteste erhaltene literarisch eigenständige
Epheser, an die Magnesier, an die Trallia­ Darstellung eines christlichen Martyriums in
ner, an die Römer, an die Philadelpher, an Form eines Schreibens der Gemeinde von Smyrna
die Smyrnäer, an Polykarp› (Ign. Eph., nach Philomelion zeitlich direkt nach dem Marty­
Magn., Trall., Rom., Philad., Smyrn., rium, Vorbild für die weitere christliche Märtyrer­
Polyc.) literatur.

Datierung und Echtheit dieser und weiterer Ig­


natios-Briefe sind umstritten: Nach Eusebios Papias
(Hist. eccl. 3,36,2) war Ignatios der «zweite Nach­ Παπίας – Fragmente des Papias (Papias)
folger des Petrus» als Bischof der christlichen
Gemeinde(n) im syrischen Antiochien. Er wurde Verstreut (u. a. bei Irenäus, Eusebios und Hie­
nach Rom deportiert, wo er den wilden Tieren vor­ ronymus) überlieferte Zitate und paraphrasie­
geworfen wurde (vgl. auch Ign. Eph. 1,2; Ign. Rom. rende Exzerpte der ‹Fünf Bücher Auslegung von
5,2f.). Auf der Reise als Gefangener von Syrien Herrenworten des Papias› sowie biographische
nach Rom habe er verschiedene christliche Ge­ Notizen zu ihrem Autor.

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784 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Quadratus wahrscheinlich, aber nicht ge­sichert. Kap. 11f. wird


Κοδρᾶτος (Quad.) ein Nachtrag oder das Fragment einer anderen
Schrift sein (vgl. zum ‹Diognetbrief› auch unten § 82.).
Fragment der vermutlich ältesten, an Hadrian
überreichten frühchristlichen Apologie, nur bei
Eus. Hist. eccl. 4,3,2 erhalten. ‹Hermae Pastor›
Ποιμήν – ‹Hirte› [sc. des Hermas] (Herm.)

Anonymus (Ps.-Iustinus) ‹Epistula ad Eine noch in der ersten Hälfte des 2. Jahrhun­
Diognetum› derts in Rom verfasste Bußschrift. Die oft verwen­
Πρὸς Διόγνητον – ‹An Diognet› (Diogn.) dete Gattungsbezeichnung ‘Apokalypse’ trifft den
literarischen Charakter des umfangreichen Wer­
Strukturierte Darstellung des christlichen Glau­ kes nur zum Teil; in drei Abschnitten: «visiones»
bens zu protreptischem Zweck; die Schrift wird oft («Visionen»), «mandata» («Gebote»), «similitudi­
zu Recht zu den frühchristlichen Apo­logien gerech­ nes» («Gleichnisse»). Der Autor von Herm. stellt
net. Ihre Datierung noch in das 2. Jahrhundert ist sich selbst als Freigelassener vor.

2. LEHRE

Die philosophische Relevanz der einzelnen Schriften ist unterschiedlich hoch.


Allen Texten ist gemeinsam, dass sie über den Charakter bloßer Gelegenheits­
schriften mehr oder weniger deutlich hinausgehen und die theologische Begriffs­
bildung des entstehenden Christentums über die Schriften des Neuen Testaments
hinaus erheblich fortentwickeln (von Harnack 1929 [*143: 85f.]). Einflüsse aus
der griechisch-römischen Philosophie (Platonismus, Stoa, Zweite Sophistik) wer­
den für einige Texte (I. Clem., Ignatios-Briefe, Diogn.) erwogen. Im Falle von I.
Clem. sind zwar einige Motive (6,2; 20,8; 25,1–5; 37,4; 54,2f.; 55,1) der umgeben­
den populären Mehrheitskultur entliehen. Eine direkte Beeinflussung durch die
kaiserzeitliche Philosophie ist aber (auch für den in diesem Zusammenhang oft
angeführten Text I. Clem. 20) nicht sicher nachzuweisen. Vielmehr ist auch da,
wo I. Clem. von der Terminologie und den Konzepten älterer christlichen Schrif­
ten abweicht, das hellenisierte Judentum, und hier bisweilen Philon von Alexan­
drien, als Vorbild und Quelle erkennbar, was sich exemplarisch an den Gottes­
bezeichnungen (u. a. δεσπότης, δημιουργός, κτίστης, παντοκράτωρ) zeigen lässt
(Lona 1998 [*123: 59, 183f.]). So ist I. Clem. kein Zeugnis einer vom Judentum
unabhängigen ‘Hellenisierung’ des Christentums oder einer schon intensiven
Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Philosophie; diese gehört einer etwas
späteren Zeit an. Teile insbesondere der auf die Gemeinschaft und ihre Hierar­
chie bezogenen Terminologie in den Briefen des Ignatios wie τύπος («Vorbild»),
ἕνωσις («Vereinigung»), ὁμόνοια («Eintracht»), εἰρήνη («Friede») zeigen Beziehun­
gen zur Zweiten Sophistik auf (Brent 2006 [*146]); ob damit der primäre diskur­
sive Kontext der Texte gefunden ist, bleibt aber unsicher.
Bei Ignatios begegnet zum ersten Mal auch der Begriff des «Christentums»
(χριστιανισμός, gedacht ist nach dem jeweiligen Kontext vor allem an eine profi­
lierte Lebenspraxis im Unterschied zum ἰουδαϊσμός). Die Vorstellung von den
Christen als «drittem Geschlecht» neben Juden und Griechen ist in mehreren
Schriften angedeutet bzw. ausgearbeitet (Diogn. 3f.).

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§ 79. Die sogenannten Apostolischen Väter (Bibl. 1055–1057) 785

In den Schriften treten unterschiedliche Anliegen und Themen profiliert hervor:


Der hermeneutischen Herausforderung, die fortdauernde Gültigkeit der Heili­
gen Schriften des Judentums in Abgrenzung zu diesem und seinen Ritualen zu
­begründen, widmet sich besonders Barn. 2–16. Dabei werden wörtliches, typologi­
sches und allegorisches Verständnis der Heiligen Schrift eklektisch verknüpft. Als
theologisches Ziel dieser Schriftinterpretation wird die vollkommene «Erkennt­
nis» (γνῶσις: 1,5; 6,9; 13,7) herausgestellt. Das zur Verfügung stehende Instrumen­
tarium der Interpretation wird in den Apostolischen Vätern aber nicht nur auf das
Alte Testament angewendet: So schließen sich auch an literarische Visionen und
Bilder im ‹Hirten› des Hermas ausführliche allegorische Interpretationen an.
Die Verschränkung einer auch rational einsichtigen Moralität mit der Gottes­
beziehung ist fundamentale Überzeugung in den Apostolischen Vätern. Die
Mehrzahl der Schriften enthält Weisungen, Mahnungen und Ratschläge für die
alltägliche Lebensführung der Adressaten. Im breiten Tugendwissen der Schrif­
ten nimmt die «Liebe» (ἀγάπη) einen prominenten Platz ein, doch begegnen auch
Leitbegriffe wie Eintracht, Einheit und Frieden, die zum Teil aus der politischen
Ideologie der Zeit aufgenommen sein dürften. Der νόμος («Gesetz»), verstanden
als die schriftliche Tora der jüdischen Tradition, steht nicht im Mittelpunkt der
Normendiskussion. Es begegnet auch die Vorstellung vom «neuen Gesetz» Jesu
Christi (Barn. 2,6; Ign. Magn. 2,1; νόμος und «Sohn Gottes» können sogar mit­
einander metaphorisch identifiziert werden (Herm. 69,2; Brox 1991 [*120: 516]).
Von besonderer ethischer Relevanz sind die ‹Didache› und der ‹Hirte› des
Hermas: Der erste Teil der ‹Didache› (Kap. 1–6) ist insgesamt als moralische Un­
terweisung der Gläubigen gestaltet. Dabei bildet das populärphilosophische
Zwei-Wege-Schema (vgl. auch Barn. 18–20) einen Rahmen, in dem sowohl dem
Dekalog nahe Mahnungen (Ex. 20,2–17; Dtn. 5,6–21) als auch Ratschläge gege­
ben werden, die an die Bergpredigt Jesu in Mt. 5–7 erinnern. Auch die Struktur
des antiken Hauses findet Berücksichtigung (Did. 4,9–11). Die «mandata» des
Hermas verbinden moralische Weisungen mit einer rudimentären individual-an­
thropologischen Handlungstheorie und gewinnen so den Charakter eines (ersten
christlichen) populärphilosophischen Traktats. Die Schrift greift auf die rheto­
rische und elementar-philosophische Technik der Dihärese zur Begriffsklärung
zurück und entwickelt sogar eine Art Handlungsbegriff (πρᾶξις: Herm. 37,1 u. ö.).
Das ‹Martyrium des Polykarp› ist ein wichtiger Beleg für die Entstehung des
christlichen Martyrium-Begriffs. Das Leidens- und Todes-«Zeugnis» für die re­
ligiöse Überzeugung wird dabei als Nachahmung Christi verstanden (Mart.
Polyc. 19,1; vgl. Ign. Rom. 6,3). Wie bei Ignatios ist in Mart. Polyc. das Martyrium
leidens­paränetisch ausgewertet; doch warnt letzteres deutlicher vor einem Stre­
ben nach dem Martyrium und wahrt deutlicher die Distanz zwischen dem Heils­
bringer und den Gläubigen (Buschmann 1998 [*122: 58–66]).
Für die Verknüpfung von Ethik und Eschatologie ist Hermas von besonderem
Interesse; die zentrale Botschaft des Textes ist die Verkündigung einer nach der
Taufbekehrung zweiten und letztmaligen Möglichkeit zur Neuorientierung
(μετάνοια: «Umkehr», «Buße») der eigenen Existenz angesichts des erwarteten
nahen Endes der geschichtlichen Zeit.

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786 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Im ‹Barnabasbrief› wird die Überzeugung, «in den letzten Tagen» (4,9) zu


leben, durch die Andeutung chiliastischer Erwartungen (15,4) ergänzt. Auch Pa­
pias wurden solche Erwartungen zugeschrieben (Iren. Haer. 5,33,4; Eus. Hist.
eccl. 3,39,11–13 u. ö.). Die ältere apokalyptische Enderwartung wird in den Apo­
stolischen Vätern durch Did. 16 repräsentiert.
Das Verständnis Gottes in den Apostolischen Vätern nimmt die schon ältere bi­
näre bzw. triadische Entfaltung des aus der biblisch-jüdischen Überlieferung über­
kommenen Ein-Gott-Glaubens auf: Gott ist Schöpfer der Welt und Retter der
Menschen, er wird mit personalen Attributen qualifiziert (Diogn. 8,8; 9,6). Beson­
ders eindrücklich preist I. Clem. 20 die Stabilität der kosmischen Ordnung als Werk
des göttlichen Schöpfers (Wyrwa 2006 [*148: 709–711]). Dass hier direkte stoische
(oder platonische) Einflüsse anzunehmen sind, ist, wie die jüngere Forschung ge­
zeigt hat, historisch wenig wahrscheinlich; die nächstliegenden und engsten Paral­
lelen bietet das Werk Philons von Alexandrien (Lona 1998 [*123: 249–274]). Dass
die Beziehung zum jüdischen Gottesglauben nicht durchweg als problemlose Kon­
tinuität wahrgenommen wurde, zeigen Texte wie der ‹Barnabasbrief› oder ‹An Dio-
gnet› deutlich, in denen eine heilsgeschichtliche (Barn.) oder offenbarungstheo­
logische (Diogn.) Bedeutung der geschichtlichen Zeit vor Christus bestritten wird.
Die Einheit von Gottheit und Menschheit des von Gott gesendeten Heilsbrin­
gers Jesus Christus wird festgehalten oder antidoketisch zugespitzt (Ign. Eph.
7,2). Präexistenz und Auferstehung Christi sind vorausgesetzt. Von den verwen­
deten christologischen Hoheitstiteln stehen «Herr» und «Sohn Gottes» im Vor­
dergrund; klar wird Jesus auch als «Gott» bezeichnet (Ign. Smyrn. 1,1; Ign. Trall.
7,1) oder als Logos verstanden (Diogn. 7,2; 11,3–5). Gattungsbedingt tritt der
Bezug auf das irdische Leben Jesu von Nazareth zurück; Ausnahme sind natür­
lich das Leiden und Sterben des Gottgesandten.
Die vielleicht komplexeste Pneumatologie der Apostolischen Väter findet sich
im ‹Hirten› des Hermas, wo die Rede vom «Geist» bzw. den «Geistern» christo­
logische, angelologische, dämonologische, anthropologische und ethische Dimen­
sionen besitzt und insgesamt dualistisch anmutet (Brox 1991 [*120: 541–546]).

3. NACHWIRKUNG

Die Nachwirkung der Apostolischen Väter in der Geschichte der (christlichen


und sonstigen) Philosophie ist nicht erforscht. Wie die handschriftliche Überlie­
ferung, die Bezugnahmen bei den Kirchenvätern sowie die Entstehung weiterer
Texte unter den bekannten Autorennamen zeigen (viele Hinweise bei Lightfoot
21889–1890 [*112]), verläuft die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Einzel­

schriften sehr unterschiedlich: Einzelne Schriften wurden offenbar in Teilen der


Alten Kirche zeitweise als kanonisch anerkannt. Insgesamt aber sind die Texte
weniger einzeln als Anreger für einzelne Autoren oder Ideen greifbar denn als
Zeugnisse einer wichtigen frühen Etappe in der Geschichte christlicher Theolo­
gie und Ethik. In dieser Perspektive finden die Apostolischen Väter in jüngerer
Vergangenheit auch in der historisch-philosophischen Analyse von Moral und
Ethik durch Michel Foucault Beachtung (Foucault 2012 [*149: 165–188]).

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§ 80. Aristeides (Bibl. 1060) 787

II. DIE APOLOGETEN DES 2. JAHRHUNDERTS

§ 80. Aristeides

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Das Wenige, das über Aristeides bekannt ist, geht fast ausschließlich auf den
Kirchenhistoriker Eusebios zurück. In seiner ‹Chronik› betitelt er ihn als «Athe-
niensis noster philosophus» (Chron. ad ann. 2141 = 125 n. Chr. = 199,8 Helm), was
möglicherweise eine Selbstbezeichnung war (siehe das Präskript in den Überset-
zungen), und in der ‹Kirchengeschichte›, wo er ihn gleich im Anschluss an einen
sehr kurzen Auszug aus der frühesten bekannten ‹Apologie des Quadratus› (um
124/129) nennt, rechnet er seine ‹Apologie für den Glauben› zu den ältesten christ-
lichen Verteidigungsschriften, die sich bis zu seiner Zeit erhalten haben (Hist. eccl.
4,3,3). Die Schrift sei, so Eusebios und ein Teil der Versionen, an Kaiser Hadrian
gerichtet gewesen, nach dem Präskript der syrischen Version jedoch an Kaiser An-
toninus Pius. Eine eindeutige Entscheidung ist bei der gegenwärtigen Quellenlage
kaum möglich; auch ist zu erwägen, ob die Adresse nicht lediglich literarische Ein-
kleidung und das Schreiben in Wirklichkeit eine für ein breiteres Lesepublikum
bestimmte Rede ist (Hunger 1949 [*255], Pouderon, Pierre 2003 [*248: 39–49], Par-
vis 2007 [*264: 118ff.]). Man kann in jedem Fall davon ausgehen, dass Aristeides
vor dem Apologeten Justin zu datieren ist (gegen Parvis 2007 [*264: 118ff.]).

2. WERK

‹Apologia› (‹Apologeticum pro Christia­ fragmenten des 4. Jahrhunderts, aus griechischen


nis› bei Hier. Vir. ill. 20) Auszügen, die in den früh-byzantinischen Roman
῞Υπερ τῆς πίστεως ἀπολογία (nach der syri­ ‹Barlaam und Joasaph› (8. oder 10. Jh.) integriert
schen Version περὶ θεοσεβείας [?]) – sind, und aus einer armenischen Teilübersetzung
‹Apologie für den Glauben› der ersten beiden Kapitel des 5. Jahrhunderts. Doch
herrscht über die ursprüngliche Textgestalt keine
Das Werk muss rekonstruiert werden aus einer, Einigkeit, zumal die Verlässlichkeit der syrischen
wie es scheint, vollständigen syrischen Übersetzung Version nicht völlig über jeden Zweifel erhaben ist
des 4. Jahrhunderts, aus zwei griechischen Papyrus- (Alpigiano 1988 [*247: 31f., 173–179]) und bei den

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788 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

griechischen Textpartien deutliche Spuren sekun- erzählt Aristeides vom Ursprung ihrer Religion,
därer Überarbeitung erkennbar sind (die Edition vom Leben Jesu, seiner Verkündigung, seinem Tod
von Pouderon, Pierre 2003 [*248] druckt die ver- und seiner Auferstehung, von der weltweiten Mis-
schiedenen Textzeugen einfach hintereinander). sion der Jünger, und in fast beredten, persönlich
Der Inhalt folgt weithin schablonenhaft vorge- empfundenen Worten preist er ihre untadelige Le-
gebenem Material. Ausgehend vom populärphilo- bensführung und den vorbildlichen Dienst ihrer
sophischen Gottesbegriff (Apol. 1) und von der re- Nächstenliebe (Apol. 15–17). Ihren Gebeten sei
ligionsgeschichtlichen Gegenüberstellung der drei der Fortbestand der Welt zu verdanken (Apol. 16,6
Geschlechter der Menschheit (Apol. 2: Heiden, syr.; vgl. Geffcken 1907 [*164: 92]). Aristeides will,
Juden und Christen als τρίτον γένος; syrische Ver- wie er sagt, bösartige Verleumdungen zum Schwei-
sion: Barbaren, Griechen, Juden und Christen; gen bringen (Apol. 17,3 syr.). Die Rechtslage der
dazu Alfonsi 1976 [*259]) führt Aristeides scharfe Christen hat er weniger im Blick; Inhaftierungen
Angriffe gegen die Verehrung der Elemente bei den und Bedrängnisse um des bloßen Namens willen
Chaldäern (Apol. 3–6), gegen den unmoralischen wertet er als Verpflichtung für die Glaubensbrüder
Polytheismus der mythischen Götter und Heroen und -schwestern, sich geschwisterlich beizustehen,
bei den Griechen (Apol. 7–13) und gegen die über- ohne dass er die Rechtspraxis als solche anpran-
wiegend theriomorphen Götterkulte bei den gert (Apol. 15,7 syr.; vgl. 15,7 gr.). Wiederholt wird
Ägyptern (Apol. 12) aus. Die Juden werden güns- der Kaiser aufgefordert, er möge sich selbst aus
tiger beurteilt, weil sie die wahre Gotteserkenntnis den Heiligen Schriften informieren. Mit einem all-
haben und sich als menschenfreundlich erweisen, gemein gehaltenen Bekehrungsappell endet das
aber mit ihrem Engelskult und dem Ritualismus Schreiben (Apol. 17,3 syr.).
ihres Zeremonialgesetzes seien sie in die Irre ge- Unecht sind eine Homilie und ein Brief, die in
gangen (Apol. 14). Allein die Christen seien im armenischer Übersetzung unter dem Namen des
Vollbesitz der Wahrheit, und zum Beweis dessen Aristeides überliefert sind.

3. LEHRE

Philosophisch relevant ist in der ‹Apologie› des Aristeides im Wesentlichen der


zu Beginn dargestellte monotheistische Gottesbegriff, der als Wahrheitskriterium
für die folgende Musterung der verschiedenen Religionen dienen soll. Gebildet
wird dieser durch den kosmologischen, auf den Beweger des Alls schließenden
Gottesbeweis und eine lange Reihe von Gottesprädikaten, teils apophatischen,
teils kataphatischen, meist mit einer kurzen Begründung, die Gottes Transzen-
denz umschreiben. Solche sind, um nur einige aufzuzählen, «unbegreiflich», «un-
geworden», «unvergänglich», «ewig», «vollkommen», «ohne Namen» und «ohne
Gestalt», «ganz Weisheit und Erkenntnis» u. ä. (Apol. 1,2 syr.). Es wäre verfehlt,
aus diesen Aussagen Rückschlüsse auf eine bestimmte philosophische Schulzu-
gehörigkeit des Autors ziehen zu wollen, sie entsprechen durchweg dem populär-
philosophischen Gemeingut der Zeit, und ein hellenisierter Jude hätte genauso
sprechen können. Möglicherweise hat Aristeides tatsächlich hellenistisch-jüdische
Vorlagen zur Hand gehabt (Geffcken 1907 [*164: 31–41], Lazzati 1938 [*254], Al-
pigiano 1988 [*247: 14f., 130–136]), ohne dass man deshalb annehmen müsste, das
Werk im Ganzen sei ein jüdischer Traktat, der nur oberflächlich christlich bear-
beitet worden wäre (gegen O’Ceallaigh 1958 [*256]).
Das Bemerkenswerteste an diesem frühesten Zeugnis der christlichen Apolo-
getik ist indessen etwas anderes. Es ist nicht zu übersehen, dass der anfangs skiz-
zierte philosophische Gottesbegriff für die später folgende Darstellung der christ-
lichen Religion überhaupt keine Bedeutung hat. Der christliche Glaube wird nicht

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§ 80. Aristeides (Bibl. 1060) 789

durch Reflexion oder philosophischen Diskurs empfohlen, sondern indem einfach


erzählt wird, wie Jesus Christus, der Sohn des höchsten Gottes, vom Himmel her­
abgestiegen ist, die christliche Religion als etwas grundlegend Neues gestiftet hat
und wie sich seine Verkündigung in der Ethik der Christen, dem dritten Ge-
schlecht, so einzigartig bewährt (vgl. Vona 1950 [*246: 25–55]). Der Glaube gilt
für Aristeides auch gar nicht als Philosophie oder als ‘die wahre Philosophie’, wie
es schon eine Generation später lauten sollte. Beide Komplexe, die christliche Bot-
schaft und die philosophischen Anleihen, stehen gedanklich unverbunden und
unvermittelt nebeneinander; von einer geistigen Durchdringung kann nicht die
Rede sein. Dem entspricht, dass auch theologisch die Position noch ganz rudimen-
tär ist. Von der Präexistenzchristologie, wiewohl implizit vertreten, wird kein Ge-
brauch gemacht, und auch die alttestamentliche Heilsgeschichte ist beiseitegelas-
sen, so dass der Weissagungsbeweis und Altersbeweis für die Wahrheit der
christlichen Religion fehlen.

4. NACHWIRKUNG

Aristeides’ Name ist dank der Erwähnung bei Eusebios und in dessen Nachfolge
bei Hieronymus (Vir. ill. 20; Ep. 70,4) und Orosius (Hist. 7,13,2) über die Jahrhun-
derte hin stets in hoch geachteter Erinnerung geblieben. Über Hieronymus ist
Aristeides auch in die lateinischen Martyrologien (nicht aber in die griechischen)
gelangt, nun legendarisch umrankt (ad 2. Kal. Septr.; ad 5. nonas Octobr.). Anders
freilich steht es mit der Kenntnis seines Werkes. So gewiss sich manche Berührun-
gen mit den nachfolgenden Apologeten ergeben, so wenig lässt sich eine direkte
Abhängigkeit von ihm nachweisen. Am weitesten gehen die Gemeinsamkeiten in
der Schilderung der Lebensweise der Christen mit der anonymen ‹Epistula ad Dio­
gnetum›, doch ist dort das theologiegeschichtliche Gesamtprofil deutlich weiter
entwickelt als bei Aristeides; ansonsten wird man bei allen nur das Vorhandensein
eines gemeinsamen, letztlich auf jüdische Apologetik zurückgehenden Grundstof-
fes konstatieren können. Ob Eusebios Aristeides’ ‹Apologie› direkt eingesehen hat,
kann man wegen der unbestimmten Art seiner Formulierung fragen (vgl. Harnack
1897 [*186: II 1,271]). Dagegen bezeugt die indirekte Überlieferung, dass die
Schrift im syrischen und armenischen Sprachbereich weiterhin Verbreitung gefun-
den hat. Allgemein galt sie als verschollen, bis im Jahre 1878 die Mechitaristen das
Fragment der armenischen Version publizierten, im Jahr 1889 J. R. Harris die
Schrift in einer syrischen Handschrift des Katharinenklosters auf dem Sinai ent-
deckte und etwa zur gleichen Zeit J. A. Robinson den entsprechenden griechischen
Text im Roman ‹Barlaam und Joasaph› identifizieren konnte.

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790 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

§ 81. Justin

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Für die Biographie Justins, der mindestens seit dem Ende des 2. Jahrhunderts
den Ehrennamen «der Philosoph und Märtyrer» trägt (vgl. Tert. Adv. Val. 5,1),
stehen als Quellen eine Reihe von Selbstzeugnissen in den ihm sicher zugehören-
den Schriften (1. Apol. 1; 2. Apol. 3; Dial. 1–8), ferner der Martyriumsbericht
‹Acta Martyrii Iustini et Sociorum› (dazu Freudenberger 1968 [*333], Georges
2012 [*374: 76–80]) sowie ein Schriftenverzeichnis in der ‹Kirchengeschichte› des
Eusebios von Caesarea (Hist. eccl. 4,18,2–6) zur Verfügung. Justin stammte dem-
nach aus Flavia Neapolis in Syria Palaestina (1. Apol. 1,1), dem heutigen Nablus,
einer ursprünglich samaritanischen Stadt. Er bezeichnet sich einmal als Samari-
taner (Dial. 120,6; vgl. 2. Apol. 15,1), aber der Kultgemeinschaft der Samaritaner
gehörte er nicht an, da er sich zu den Heiden zählt (Dial. 41,3 und Dial. 28,2, vgl.
Donaldson 2013 [*378]). Ob die Namen seines Vaters und Großvaters, Priscus und
Bakcheios (1. Apol. 1,1), darauf hinweisen, dass er in eine Familie von römischen
Veteranen geboren wurde (so Bagatti 1979 [*339: 319]), ist ungewiss, doch zeigen
sie immerhin, dass seine Familie ganz der römisch-hellenistischen Lebenswelt ver-
bunden war, so dass ihm eine gediegene griechische Erziehung zuteilwerden sollte
(Grant 1988 [*209: 50]; eine tabellarische Auflistung von Justins Bildungswissen
bei Lampe 21989 [*208: 227–231, 353–361]). In der Szenerie seines ‹Dialog mit Try-
phon› treffen wir auf ihn um das Jahr 135 in Ephesos (Dial. 1,3; 9,3 mit Eus. Hist.
eccl. 4,18,6). Dieselbe szenische Schilderung setzt voraus, dass er sich zu dieser
Zeit in Erfüllung seines philosophischen Bildungsgangs bereits zum Christentum
bekehrt hatte und auch als Christ weiterhin selbstbewusst den Philosophenman-
tel trug, in der Überzeugung, dass das Christentum die wahre Philosophie sei
(Dial. 1,2; 8,1f.). Die späteren Jahre seines Lebens hat Justin in Rom verbracht,
wo zwei Aufenthalte bezeugt sind (Acta Iustini Rec. A, 3,3). Hier, wo die Mehr-
zahl seiner Schriften entstanden sein dürfte, hat er nach dem Vorbild philosophi-
scher Schulen in seiner eigenen Wohnung (oberhalb der Myrtinus[?]-Thermen:
Acta Iustini Rec. A 3,3) ein Schullokal zur christlichen Glaubensunterweisung er-
öffnet, das für alle Interessierten, für außenstehende Nichtchristen wie für Chris-
ten, für Männer wie für Frauen, offen stand. Seine Aufgabe sah er darin, unent-
geltlich – darauf legt er Wert (Dial. 58,1; 82,4) – Unterricht zu erteilen und dadurch
nach der einen Seite hin mit Gegnern und Kritikern des christlichen Glaubens

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 791

eine apologetisch-missionarische Auseinandersetzung zu führen, um sie nach


Möglichkeit zu bekehren (Dial. 64,2; 1. Apol. 12,11, vgl. Acta Iustini Rec. A 3,3).
Nach der anderen Seite hin wollte er im exegetisch-bibeltheologischen Lehrgespräch
das Schriftverständnis seiner Hörer befördern und vertiefen (Dial. 58,1). Die hier
behandelten Themen sowie ihre didaktische Aufbereitung dürften alle ihren in-
direkten Niederschlag in seinen Schriften gefunden haben (Heid 2001 [*360:
816f.]); dagegen lässt sich kaum etwas Genaueres über die institutionellen Gege-
benheiten seines Unterrichtes sagen (Ulrich 2012 [*377]). Es ist unbekannt, wie
groß und wie eng sein Schülerkreis war, ob es regelmäßige Zusammenkünfte,
eventuell sogar mit einem festen Curriculum, gab oder nur lockere, gelegentliche
Begegnungen. So gewiss Justin im Gemeindeleben der römischen Kirche seinen
persönlichen Glauben praktizierte (vgl. 1. Apol. 61–66) und sich mit seiner Sach-
kenntnis am Abwehrkampf gegen die innerkirchlichen häretischen Gefährdungen
aktiv beteiligte (s. seine Schrift ‹Syntagma›), so wenig lässt sich etwas über die in-
stitutionellen Beziehungen seines Schulunternehmens zur offiziellen Kirchenlei-
tung Roms in Erfahrung bringen (zum Ganzen vgl. auch Neymeyr 1989 [*212: 16–
35]). Desgleichen kann man nicht genauer bestimmen, welche Stellung sein
Schulbetrieb im Spektrum der anderen Philosophenschulen in Rom einnahm. Im-
merhin ist in einem Fall bekannt, dass es in seinen letzten Jahren zu einem schwe-
ren öffentlichen Zusammenstoß mit einem Kyniker namens Crescens gekommen
ist (zu Unrecht bestreitet die Historizität Malherbe 1981 [*340]; entgegen 2. Apol.
3,7 will Thorsteinsson 2013 [*380] in Crescens keinen Kyniker, sondern einen Sto-
iker sehen), wobei Justin selbst der Herausforderer gewesen zu sein scheint, nach-
dem Crescens die Christen als gottlose Atheisten angegriffen hatte (2. Apol. 3,1–4).
Offenbar standen bei diesem Konflikt auch Schulkonkurrenzen und Differenzen
eines unterschiedlichen Bildungsniveaus im Hintergrund, ergriff der Streit doch
auch Justins Schülerkreis: Sein Schüler Tatian wurde von den feindseligen Ma-
chenschaften des Crescens ebenso betroffen (Tat. Orat. 19,2 Mss.). Justin unter-
lässt es darüber hinaus nicht, zu bemerken, dass Crescens gar kein Philosoph sei
– das Wirkungsfeld des Kynikers lag eben nicht auf der Ebene des intellektuellen
philosophischen Diskurses (2. Apol. 3,1f.). Dass infolge von Crescens’ Intrigen
Justin daraufhin den Tod fand, berichtet Eusebios, wobei er sich nicht ganz kor-
rekt auf Tatian beruft (Eus. Hist. eccl. 4,16,7–9 mit Tat. Orat. 19,2; anders Marco-
vich 1995 [*476: 2]: er hat ihn richtig verstanden). Tatsächlich wurde Justin zusam-
men mit sechs Schülern – darunter Charito, einer Frau, aber Tatian war nicht
unter ihnen – ergriffen, von dem Stadtpräfekten Iunius Rusticus verhört, wegen
Opferverweigerung zum Tode verurteilt und daraufhin enthauptet (Acta Iustini
Rec. A 1. 5,6). Er erlitt das Martyrium zwischen ca. 163 und 168, der Amtszeit des
Rusticus (PIR IV,345f. Nr. 814); das Datum des ‹Chronicon paschale› im Jahre
165 (Ol. 236, «Ophito et Pudente Coss.»: I,482 Dindorf) dürfte eine willkürliche
Präzisierung gegenüber Eusebios’ Angaben sein.

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792 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

2. WERKE

Eusebios teilt ein Werkverzeichnis mit, das die weitet ist dieses Grundmuster, indem ausführlich
Titel von acht von ihm direkt eingesehenen Schrif- die Widerlegung der heidnischen Vorwürfe gegen
ten sowie von zwei weiteren, ihm nur indirekt be- die Christen (1. Apol. 4–12: das «nomen ipsum»,
kannten umfasst (Hist. eccl. 4,18,2–6). Davon Atheismus, sittliches Fehlverhalten, mangelnde
haben sich, wenn man von wenigen umstrittenen Staatsloyalität), die Darstellung der christlichen
Bruchstücken absieht, nur zwei Werke erhalten. Lehre (1. Apol. 13–60) und die Beschreibung der
Nach der handschriftlichen Überlieferung sind es religiösen Kultpraxis der Christen (1. Apol. 61–67:
jedoch drei, da die in den Handschriften laufen- Taufe, Eucharistie, Sonntagsgottesdienst) zur
den zwei Apologien für Eusebios nur eine einzige Sprache kommen. Dass der Text vielfach entstellt
sind, aus der er zwölf Auszüge exzerpiert (neun ist und eine größere Zahl von Lakunen enthält,
aus 1. Apol. und drei aus 2. Apol.; vgl. Minns, Par- zeigt die Edition von Minns, Parvis 2009 [*284:
vis 2009 [*284: 12]), und zwar ist es die erste, denn 28–31, 46–56, 81, passim]. Die Datierung kann aus
er zählt noch, ohne jedoch etwas Näheres mitzu- der im Einzelnen freilich strittigen Adresse ent-
teilen, eine zweite Apologie auf, die nicht mit der nommen werden. Die Eingabe richtet sich an An-
handschriftlich überlieferten zweiten Apologie toninus Pius, Verissimus (d. h. Marcus Aurelius)
identisch sein kann. Vielleicht ist Eusebios bei der und Lucius (d. h. Lucius Verus) – die Fortsetzung
von ihm genannten zweiten Apologie ein Versehen «und an den heiligen Senat und das ganze Römi-
unterlaufen, oder sie ist spurlos verschollen. Aus sche Volk» ist Minns, Parvis 2009 [*284: 35] zu-
späterer Zeit sind selbständige, doch meist ge- folge als Glosse auszuscheiden –, so dass sich, alles
trübte Nachrichten über Schriften Justins erhalten zusammen genommen, das Datum 153 oder kurz
bei Photios Bibl. cod. 125, 94b–95a, in den Johan- danach ergibt (Munier 2006 [*283: 24–28], Minns,
nes von Damaskus zugeschriebenen ‹Sacra Paral- Parvis 2009 [*284: 34–41]; vgl. Marcovich 1994
lela› (Holl 1899 [*271: 32–55]) sowie vereinzelt bei [*277: 11], mit Harnack 1897 [*186: II 1,278]: «ein
anderen frühbyzantinischen Autoren und natür- paar Jahre nach 150»).
lich in den Handschriften; doch was dabei über die
genannten drei Werke hinaus zutage tritt, ist über-
wiegend unecht oder, im Fall weniger fragmenta- ‹Apologia minor›
rischer Reste, umstritten (vgl. die detaillierte Auf- Ἀπολογία ὑπὲρ Χριστιανῶν πρὸς τὴν
stellung bei Harnack 1893 [*186: I 1,99–114]). Ῥωμαίων Σύγκλητον (sekundärer Titel in
den Handschriften) – ‹Apologie für die
Christen an den Senat der Römer›
‹Apologia maior› (2. Apol.)
Ἀπολογία ὑπὲρ Χριστιανῶν πρὸς Ἀντωνίνον
τὸν εὐσεβῆ – ‹Apologie für die Christen an Diese Schrift ist keine Eingabe, denn sie enthält
Antoninus Pius› (‹Erste Apologie›; keine Petition. Man hat sie als selbständige Vertei-
1. Apol.) digungsschrift (Thorsteinsson 2012 [*376]), als
Teil der ‹Ersten Apologie› (Goodenough 1923
Seiner literarischen Form nach stellt das Werk [*318: 84–87], Munier 1994 [*351: 152–156] und
eine nach einem festen Grundmuster gestaltete, 2006 [*283: 22–24]) oder als eine lose Material-
wenn auch erheblich aufgeblähte Eingabe, einen sammlung erklären wollen, die Argumente für öf-
‘libellus’, an eine offizielle Behörde, das ‘scrinium fentliche Streitreden bereithalte und teilweise be-
a rescriptis’, dar (Munier 1994 [*351: 16f.], Minns, reits in der ‹Ersten Apologie› verarbeitet worden
Parvis 2009 [*284: 24f.]). Die entscheidenden lite- sei (Minns, Parvis 2009 [*284: 25–28]). Meist be-
rarischen Elemente sind die Adresse, die den Ad- stimmt man sie jedoch als öffentliche Rede oder
ressaten und den Bittsteller nennt (1. Apol. 1,1), als Denkschrift aus Anlass eines neuerlichen Falls
die Klage verbunden mit einer Darstellung des von Christenverfolgung, die als eine Appendix der
rechtlichen Problems (1. Apol. 2,1–4) und die Pe- ‹Ersten Apologie› angefügt ist (Harnack 1897
tition um administrative Intervention (1. Apol. [*186: II 1,274f.], Goodspeed 1914 [*165: 24],
3,1–5), oft, wie hier, am Schluss gefolgt von der Zi- Chadwick 1966 [*330: 10], Marcovich 1994 [*277:
tation eines juristischen Dokuments zur Feststel- 10f.]). Erwähnenswert ist, dass gerade das Kapitel,
lung der Rechtsgrundlage (1. Apol. 68,3–10: das das von diesem Vorfall unter dem Stadtpräfekten
Hadrian-Reskript an Minucius Fundanus). Ausge- Q. Lollius Urbicus berichtet, in den Handschriften

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 793
fehlt – eine große Lakune – und nur durch ein Ex- rien-Palästina durchgeführt. Dass es sich bei dem
zerpt bei Eusebios (Hist. eccl. 4,17,2–13) überlie- Dialog um eine protokollartige Mitschrift handelt,
fert ist. Zu datieren ist diese ‹Zweite Apologie› bei ist ausgeschlossen; umstritten ist aber, ob reine
der Annahme der Appendix-Theorie nur kurze Fiktion ohne historische Fundierung vorliegt
Zeit nach der ‹Ersten Apologie›. (Goodenough 1923 [*318: 90–93], Hyldahl 1966
[*331: 45ff.]) oder ob Erfahrungen und eventuell
sogar Notizen verarbeitet sind, die auf eine histo-
‹Dialogus cum Tryphone› rische Begebenheit, vielleicht auch auf mehrere
Πρὸς Τρύφωνα ᾽Ιουδαῖον διάλογος – ‹Dia­ Streitgespräche zurückgehen (Harnack 1897
log mit dem Juden Tryphon› (Dial.) [*186: II 1,281], Barnard 1966 [*329: 23f.], Lampe
21989 [*208: 220f.], Horner 2001 [*361]).

Der Text ist unvollständig überliefert. Es fehlt Oft beklagt worden ist der unübersichtliche Ge-
ein Proömium mit der Widmung an den am Schluss sprächsverlauf, der keine klar geordnete Disposi-
genannten Adressaten Marcus Pompeius (Dial. tion zu erkennen gibt, sondern immer wieder
141,5) und mit der Information, dass das Gespräch durch zahllose Abschweifungen, Überlappungen
in Ephesos stattfand (so Eus. Hist. eccl. 4,18,6). und Wiederholungen durchsetzt ist. Detaillierte
Außerdem klafft eine Lücke nach Dial. 74,3, wo Inhaltsangaben finden sich bei Marcovich 1997
die Unterbrechung bis zum nächsten Tag erwähnt [*279: 23–61] und Bobichon 2003 [*282: I 42–48].
worden sein muss (zu verschiedenen Rekonstruk- Indessen ist philosophisch besonders relevant die
tionen vgl. Bobichon 2003 [*282: I 49–72]). Rahmenhandlung, die eine stilistisch an den pla-
Das Werk gibt sich als eine über zwei Tage ge- tonischen Dialogen orientierte Unterredung –
führte Unterredung Justins mit dem Juden Try- man hat speziell an den Dialog ‹Protagoras› und
phon, in der alle großen Fragen, die zur Trennung auch an Reminiszenzen an Xen. Mem. 1,1,10 ge-
der Wege zwischen Christentum und Judentum dacht (Keseling 1926 [*319], Heid 2001 [*360:
führten – das neue Gesetz und der neue Bund, die 804]) – wiedergibt (Dial. 1–8). Hier kommt nicht
Christus-Botschaft, das wahre Israel –, unter mas- nur Justins Bildungsgang bis zu seiner Bekehrung,
sivem Aufgebot an Septuaginta- und Nicht-Sep­ sein ‘philosophisches Itinerar’, gewiss literarischer
tuaginta-Bibelzitaten thematisiert werden. Die Konvention entsprechend, doch nicht ohne histo-
Rahmenhandlung führt den Dialogpartner als rischen Anhalt, zur Sprache. Vor allem wird mit
«Hebräer aus der Beschneidung» ein (Dial. 1,3). diesem Vorspann alles, was folgt, unter das über-
Konsens besteht heute weitgehend darüber, dass greifende Vorzeichen gestellt, dass die christliche
Tryphon nicht mit dem berühmten Rabbi Tarfon Botschaft die «einzige verlässliche und nutzbrin-
identisch sein kann (vgl. Bobichon 2003 [*282: I gende Philosophie» sei (Dial. 8,1).
92f.]; Justin wollte eine solche Gleichsetzung auch
kaum nahe legen, entgegen Eus. Hist. eccl. 4,18,6).
Tryphon repräsentiert kein eindeutig zu klassifi- ‹Adversus omnes haereses›
zierendes Judentum, sondern vereinigt, wie Justin Σύνταγμα κατὰ πασῶν τῶν γεγενημένων
ihn darstellt, eher eine Mehrzahl von verschiede- αἱρέσεων – ‹Syntagma gegen alle [je]
nen, auch divergenten Strömungen des zeitgenös- ­entstandenen Häresien›
sischen Judentums in sich (Bobichon 2003 [*282: I
92–101]). Der Rahmenhandlung zufolge fand das Auf eine Schrift mit diesem Titel verweist Jus-
Gespräch um das Jahr 135 statt, da Tryphon er- tin selbst in 1. Apol. 26,8, sie hat sich nicht erhal-
klärt, dass er wegen des jetzigen Bar Kochba- ten. Andererseits zitiert Irenäus (Haer. 4,6,2)
Krieges nach Griechenland geflohen sei (Dial. 1,3; einen kurzen Satz, der, wie er sagt, Justins πρὸς
vgl. 9,3; 92,3; 110,6). Es ist aber keine Frage, dass Μαρκίωνα Σύνταγμα entnommen sei, und von
der Dialog erst nach der ‹Ersten Apologie›, d. h. daher bezieht Eusebios die Information für sein
erst um 155/160 verfasst ist; denn gegen Ende fin- Werkverzeichnis (Hist. eccl. 4,18,9; vgl. 4,11,9f.).
det sich ein Rückverweis auf diese (Dial. 120,6 mit Indessen ist sonst von einem gegen Markion ge-
1. Apol. 26,3), der zudem zu implizieren scheint, richteten Σύνταγμα nichts bekannt, und höchst-
dass derselbe Kaiser, an den sie adressiert war, wahrscheinlich wollte Irenäus gar nicht den präzi-
noch regiert. Nicht hinreichend gesichert ist die sen Titel nennen, sondern sich auf Ausführungen
Vermutung von Bagatti 1979 [*339: 326–329] und gegen Markion in dem ‹Syntagma gegen alle Hä-
Hamman 1995 [*354: 235–238], Justin habe die resien› beziehen. Wohl aus dem gleichen Werk ent-
Ausarbeitung während eines zeitweiligen, eigens stammt ein weiteres Zitat bei Iren. Haer. 5,26,2,
dazu vorgenommenen Studienaufenthaltes in Sy- und vielleicht auch eines bei Tatian Orat. 18 sowie

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794 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

eines bei Methodios (Phot. Bibl. cod. 234, 298a; 3) «und neben diesen eine andere ‹Über Gottes
vgl. Otto 31879 [*155: III 250–255]). Hamman Alleinherrschaft› (Περὶ θεοῦ μοναρχίας), die er
1995 [*354: 234f.] nimmt an, dass dieses früheste nicht nur aus unseren Schriften, sondern auch aus
Werk Justins in der Zeit seines ersten Romaufent- den heidnischen Büchern erweist».
halts nach 144, als Markion aus der römischen Ge- Weitere in der handschriftlichen Überlieferung
meinde ausgeschlossen worden war und eine ei- erwiesenermaßen Justin untergeschobene, von
gene Gegenkirche aufbaute, entstanden sei. Die Eusebios jedoch nicht erwähnte Werke werden
These von Prigent 1964 [*327: 332–336 passim], hier nicht aufgeführt, sie kommen andernorts zur
dass Justin sein ‹Syntagma› zum guten Teil und Sprache (§ 177.). Hier ist nur noch eine umstrittene
unorganisiert in Dial. und 1. Apol. ausgeschrieben Schrift, die nicht in Eusebios’ Werkverzeichnis
habe und dass der Plan des ‹Syntagma› durch Ver- aufgeführt ist und auf die auch Justin selbst nicht
gleich von Dial. und 1. Apol. mit den relevanten verwiesen hat, zu nennen:
Stellen bei Irenäus und Tertullian rekonstruiert
werden könne, ist von Skarsaune 1987 [*344: 3–6,
435–453] stark in Zweifel gezogen worden. ‹De resurrectione›
Περὶ ἀναστάσεως – ‹Über die Aufer­
Eusebios erwähnt in seinem Werkverzeichnis stehung› (CPG 1081)
(Hist. eccl. 4,18,3f.) außer zwei gänzlich verlore-
nen Schriften –  «Psalter» und «Schulschrift Unter diesem Titel bieten die ‹Sacra Parallela›
(σχολικόν) über die Seele» – drei Werke, die einen drei umfangreiche Stücke, die fast eine zusam-
gewissen Bezug zu erhaltenen ps.-justinischen menhängende Schrift bilden (fr. 107–109, mit
Schriften aufweisen, ohne mit diesen identisch zu einem kurzen vierten Zitat, fr. 110 Holl; Neuedi-
sein (siehe dazu unten § 82.): 1) «eine andere [sc. tion Heimgartner 2001 [*281]). Prigent 1964 [*327:
Rede] ‹An die Griechen›, in der die meisten der 36–67] hat sich bemüht, die Echtheit der Textfrag-
bei uns und den heidnischen Philosophen disku- mente zu erweisen, und nicht selten auch Zustim-
tierten Fragen ausführlich erörtert und insbeson- mung gefunden (Heid 2001 [*360: 802f.], vgl. Pou-
dere die Natur der Dämonen diskutiert wird»; 2) deron 1997 [*223]), doch bleibt die Forschung in
«eine weitere Schrift (σύνταγμα) gegen die Grie- der Mehrheit dabei, sie Justin abzusprechen (vgl.
chen», deren Titel Ἔλεγχος (‹Widerlegung›) eine Joly 1973 [*202: 128–130], Lona 1989 [*346],
polemische Auseinandersetzung vermuten lässt; Heimgartner 2001 [*281], Bobichon 2005 [*366]).

3. LEHRE

1. Die wahre Philosophie. – 2. Gott und sein Logos. – 3. Die universale Wirksamkeit des Logos. – 4. Dä-
monologie. – 5. Seelenlehre und Willensfreiheit. – 6. Ethik.

Justin hat in seinem religiös-philosophischen Wahrheitsstreben eine wirkliche


geistige Entwicklung durchgemacht, die ihn von der Philosophie zum christlichen
Glauben geführt hat. Seiner Schilderung zufolge hatte er sich in seinem philo­
sophischen Curriculum zuletzt einem Platoniker angeschlossen, bei dem er sich
auf dem richtigen Weg fühlte, große Fortschritte machte und hoffte, bald das Ziel
der platonischen Philosophie, die Schau Gottes, zu erlangen (Dial. 2,6; aus philo-
sophischem Vorverständnis ist auch 2. Apol. 12,1 erwachsen, vgl. Skarsaune 1976
[*336: 66]). Die entscheidende Wendung in seiner Biographie ist indessen durch
eine zufällige Begegnung mit einem alten Mann eingetreten, der ihn auf rationa-
lem Wege wie ein christlicher Sokrates durch maieutische Fragen zum Christen-
tum führte (Skarsaune 1976 [*336: 66–71]). Und wie zum Beweis dessen, dass
seine Bekehrung kein Bruch, keine Abkehr, sondern die Erfüllung seiner philo-

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 795

sophischen Bestrebungen war, beschreibt er den Moment, da die Botschaft des


Alten in seiner Seele zündete und ihn ein Verlangen nach den Propheten und den
Freunden Christi ergriff, als innere Erleuchtung in genuin platonischen Wendungen
(Dial. 8,1 mit Plat. Ep. 7, 341c7). Jetzt erkannte er in kritischer Sichtung der philo-
sophischen Implikationen, dass nicht die Seele von sich aus aufgrund einer ver-
meintlichen Verwandtschaft Gott schauen kann, sondern dass der ferne, transzen-
dente Seinsgrund, als welchen er in der Schule des Platonikers Gott begrifflich
erfasst hatte, sich selbst den Menschen zugekehrt hat, ihnen in Christus nahe ge-
kommen und nun bei ihnen zugegen ist (Wyrwa 1991 [*349: 54–57]). Deshalb ist für
ihn das Christentum die einzig verlässliche und nutzbringende Philosophie, weil er
realisierte, dass das, was er schon immer in seinem Bildungsstreben gesucht, aber
nicht erlangt hatte, in der von den Christen bezeugten Offenbarung Ereignis gewor-
den ist (vgl. zum Ganzen de Vogel 1978 [*338]). Auf dieser Grundlage ist er ganz
elementar zu einem Wegbereiter einer wissenschaftlichen Theologie geworden. Er
hatte einen großen Gedanken, dem er alles andere zuordnete: der göttliche Logos,
in dem die gesamte Weltwirklichkeit verfasst ist. Weit mehr als ein bloßer Apologet
zu sein, bringt er diesen Gedanken an allen Fronten der aktuellen Auseinanderset-
zungen gezielt ein. Angesichts der verleumderischen Beschuldigungen der paganen
Öffentlichkeit und der rechtlich haltlosen Praxis der staatlichen Christenverfolgung
sucht er, mit einer lehrhaften Darstellung der Glaubensinhalte einen Stimmungs-
umschwung zu erwirken und für den neuen Glauben zu werben. Mit seinen jüdi-
schen Gesprächspartnern setzt er sich über den möglichst erschöpfend geführten
christologischen Schriftbeweis in aller Breite auseinander. Den innerkirchlichen
Gefährdungen durch aufkommende Irrlehren tritt er entschieden entgegen, indem
er deren Schmähungen des Schöpfergottes und Verachtung der Schöpfung anpran-
gert. Aber was er zu sagen hat, sagt er nicht nur nach außen hin, er hat es sich zuvor
und vor allem selbst gesagt; denn er legt sich selbst Rechenschaft ab über den Glau-
ben vor dem Forum der Vernunft (von Campenhausen 1955 [*325: 15]). Ohne die
religiöse Paradoxie der christlichen Botschaft aufzulösen, ist für ihn das Christen-
tum beides, sowohl Offenbarungsreligion als auch Religion der Vernunft (Jaeger
1963 [*196: 20–26, 91–96], Bammel 1984 [*343: 52]). Das Entscheidende dabei ist,
dass er Gottes Hinwendung zur Welt, seine Herabkunft, seine Selbsterniedrigung
im ‘Logos Christus’ nicht nur in kerygmatischen Sätzen, nicht nur in evangeliums-
nahen Erzählungen, sondern in philosophischen Kategorien und Konzepten denkt,
die er von seiner philosophischen Vergangenheit mitbrachte. So bleiben das philo-
sophische Denken und der christlich-biblische Glaube nicht bloß unvermittelt ne-
beneinander stehen wie etwa bei Aristeides, sondern sie durchdringen einander
geistig und verschmelzen zu einer schöpferischen Neuorientierung.

1. Die wahre Philosophie

Gleich zu Beginn des ‹Dialog mit Tryphon› findet sich eine rein theologische
Beschreibung von Philosophie: Sache der Philosophie sei es, über Gottes Einheit
und Providenz Untersuchungen anzustellen und überhaupt zu erforschen, was das

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796 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Göttliche betrifft (Dial. 1,3). Wenig später nennt Justin die Philosophie «das
größte und ehrwürdigste Gut, das, herabgeschickt zum Menschengeschlecht, al-
lein uns zu Gott führt und mit ihm verbindet» (Dial. 2,1 mit Plat. Phil. 16c; Tim.
47b). Damit sind Wesen und Aufgabe der Philosophie bestimmt, doch ihr Ge-
schick sei, wie Justin erklärt, eine Geschichte des Verfalls gewesen. Obwohl sie
nur eine einzige Erkenntnis ist, sei sie vielköpfig geworden, zersplittert und ein-
ander widersprechend in der Vielheit der Schulen, weil ihre Adepten die Gefolg-
schaft hinter ihren Lehrern höher geachtet haben als die Wahrheit selbst (Dial.
2,2; eventuell steht Numenios im Hintergrund, so Droge 1989 [*210: 69–72]). Bei
keinem von ihnen sei sie deshalb zu finden. Aber es habe Männer gegeben, älter
als alle diese sogenannten Philosophen, die, vom Heiligen Geist erfüllt, als Ein-
zige die Wahrheit gesehen und sie den Menschen verkündet hätten, die biblischen
Propheten. Die Wahrheit, die sie verkündet haben, sei erhaben über logische Be-
weise, es sind die geschichtlichen Tatsachen selbst, die Erfüllungen ihrer Voraus-
sagen im Christus-Ereignis, die sie als glaubwürdige Zeugen bestätigen (Dial.
7,1f.). Vornehmster Gegenstand der Philosophie sei mithin die Christus-Botschaft,
begründet und entfaltet durch den christologischen Schriftbeweis mit seiner so of-
fenkundigen und ebenso wunderbaren Stimmigkeit.
Indessen will Justin damit nicht sagen, dass die griechische Welt gänzlich ohne
Berührung mit der Wahrheit gewesen sei, und auch nicht dass das Volk Israel sie
stets erkannt habe. Auf Seiten der Griechen rechnet er damit, dass es teils Entleh-
nungen aus der Heiligen Schrift gegeben hat (1. Apol. 44,8f.; 54,5; 59,1; 60,10) und
teils gewisse Ahnungen des Wahren durch Vernunftgebrauch aufgekommen sind
(Dial. 4,7; 2. Apol. 10,2–4; 13,5), wobei beides auf die Wirksamkeit des Logos zu-
rückgehe (die Traditionslinien im ersteren Fall führen zurück auf Philon und Aris-
tobulos und gehören in den größeren Komplex der Thematik der ‘Philosophie der
Barbaren’; Pilhofer 1990 [*213: 7f., 143–220], zusammenfassend Munier 1994 [*351:
62f.]). Diese Einsichten mögen nur Bruchstücke und nur dunkle, abgeschattete Ab-
bilder der vollen und hellen Wahrheit, bisweilen auch einfach Missverständnisse
(1. Apol. 60,1–7) gewesen sein, die zudem durch die Dämonen paralysiert worden
sind (1. Apol. 23,3; 54,1–10; 64,1–6; Pilhofer 1990 [*213: 244–248]). Aber es bleibt
für ihn dabei, dass hier wertvolle Ansätze vorhanden waren, was nirgends deut­
licher wird als an der Gestalt des Sokrates, der den Dämonentrug zu durchschauen
vermochte (Skarsaune 1996 [*355: 591–600]). Was hingegen die Geschichte des
Volkes Israel betrifft, so berichtet die Schrift von einer langen Reihe von Gerech-
ten, die mit dem Logos lebten und Menschen Christi waren (1. Apol. 46,3; 63,17;
Dial. 19,3f.; 45,3f.). Doch fanden die Propheten im Volk Israel keineswegs überall
offenes Gehör, da ihre Prophezeiungen in gesprochenen Worten und zeichenhaf-
ten Handlungen vor der Erscheinung Christi zweideutig, dunkel und unverständ-
lich waren (1. Apol. 32,2; 52,2; Dial. 76,6; 90,2). Sogar als Christus erschien, haben
die Juden ihn nicht erkannt, obwohl sie die Prophezeiungen besaßen (1. Apol. 36,3;
49,5), und noch heute verweigern sie der christlichen Botschaft den Glauben und
folgen lieber ihren eigenen Lehrern (Dial. 9,1; 38,2; 48,2).
Nicht unpassend wird Justins Sicht auf das Christentum häufig mit dem Schlag-
wort ‘die wahre Philosophie’ umschrieben (Goodenough 1923 [*318: 106f.] mit

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 797

Verweisen auf hellenistisch-jüdische Vorläufer; Andresen 1952–1953 [*324: 165],


Osborn 1973 [*334: 99, 109f.], Munier 1994 [*351: 59], Minns, Parvis 2009 [*284:
59]). Obwohl sich der Ausdruck nicht wörtlich bei ihm findet, gibt er doch gut
seine Intention wieder (vgl. Dial. 8,1; 1. Apol. 23,1; 2. Apol. 15,3; Act. Iust. Rec. A
2,3). ‘Die wahre Philosophie’ – das will besagen: der christliche Glaube – ist die
geoffenbarte, vollkommene Realisierung dessen, was zu Urzeiten als göttliche
Gabe den Menschen übergeben worden ist. Es ist die Wahrheit, die nun in vollem
Umfang und in voller Klarheit mit untrüglicher Gewissheit präsent ist, insofern
sie sich auf dem Wege des christologischen Weissagungsbeweises auf der Grund-
lage der Schrift und durch die Gnade des Verstehens selbst erschließt (Dial. 119,1).
Als solche ist sie rational einsichtig und nachvollziehbar, weshalb in ihr nahezu
alle kulturellen und geistigen Güter der griechischen Bildungswelt, namentlich
der philosophischen Tradition eingeschlossen sind, sofern sie nicht christlichen
Grundüberzeugungen zuwiderlaufen und vom Polytheismus und der paganen Ido-
lolatrie gereinigt sind. Die offenbarte Wahrheit bekräftigt deren Wert als Wirkun-
gen des Logos und hebt sie als weiter bestehende Teilmomente in ihr umfassen-
des, die Wirklichkeit erschließendes und das Heil des Menschen verbürgendes
Ganzes auf (Honnefelder 1992 [*216: 60–64]; es ist eine erhebliche Verkürzung,
wenn Skarsaune 1976 [*336: 63ff.] den ganzen Komplex auf die Entlarvung der
paganen Idololatrie beschränkt). Freilich ist damit auch ein alles vereinnahmen-
der geistiger «Totalanspruch» erhoben, der über kurz oder lang Gegenkräfte mo-
bilisieren musste (so Heid 2001 [*360: 843f.]).

2. Gott und sein Logos

Die Einzigkeit und Transzendenz Gottes ist für Justin ein Axiom, das für ihn
seit seiner platonischen Studienzeit feststeht. Entsprechend bezeichnet er auch als
christlicher Theologe den biblischen Gott – auf der Linie des hellenistischen Ju-
dentums – mit den meist negativen Gottesprädikaten der transzendenten Seins-
metaphysik, wie sie im Mittelplatonismus geläufig waren: Gott ist der ewig Sei-
ende (1. Apol. 13,4; Dial. 23,2; aber Ex. 3,14 wird erst von der nächsten Generation
in diesem Sinn herangezogen), der Ungewordene bzw. der Ungezeugte (besonders
häufig, vgl. Munier 2006 [*283: 162 Anm. 3]; 1. Apol. 14,1f.; 49,5; 2. Apol. 12,4;
Dial. 114,3), er ist unwandelbar (1. Apol. 13,4; 20,2; 2. Apol. 6,9; Dial. 127,2), un-
sagbar, namenlos (auch diese Prädikate besonders häufig, 1. Apol. 61,11; 63,1; 2.
Apol. 5,1f.; Dial. 127,2. 4, hier weitere wichtige Bestimmungen) – wenn man ihn
mit Namen bezeichnet, so sind es keine Namen, sondern lediglich Bezeichnungen,
die von seiner Wirksamkeit genommen sind (2. Apol. 5,1f.) –, er ist bedürfnislos
(1. Apol. 10,1; Dial. 23,2) und affektlos (1. Apol. 25,2). Im Rückblick auf seine pla-
tonische Studienzeit gibt Justin eine ganz platonische Bestimmung, die auch für
ihn als Christen gültig bleibt, nämlich Gott sei das immer sich gleich bleibend Sei-
ende, das für alles andere die Ursache des Seins ist, und er erläutert das sogleich
mit einem wahren Cento von Platonzitaten (Dial. 3,4f.; 4,1; vgl. Goodenough 1923
[*318: 123–138], Daniélou 1973 [*197: II 323–335], Osborn 1973 [*334: 17–27],

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798 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Heid 2001 [*360: 829f.]). Daneben wiederholt er natürlich den reichen Schatz bi-
blischer Aussagen, wie «barmherzig», «fürsorgend», «allmächtig» usw. (Dial.
84,4), nur dass ein anthropomorphes Verständnis ausgeschlossen bleiben muss
(Dial. 127,2). Aber eigenständig weitergeführt hat Justin diese Thematik nicht.
Umso intensiver beschäftigt ihn – einer Pioniertat vergleichbar (Munier 1994
[*351: 99]) – die Frage, wie die Hinwendung des transzendenten Gottes zur Welt,
sein Eingehen in die Welt, seine Selbsterniedrigung gedanklich zu erfassen ist. Er
sucht die Antwort auf dem schon vom hellenistischen Judentum (wie der ‹Sapientia›
und Philon) sowie vom ‹Johannesprolog› eingeschlagenen, philosophiegeschicht-
lich weit zurückgreifenden Weg der Logoslehre, die auch strukturelle Affinitäten
zu gewissen Lehrpositionen einzelner Mittelplatoniker hat, zu formulieren (in Be-
tracht kommt die Unterscheidung zwischen dem ersten und zweiten Gott bei Alki-
noos, Maximos und Numenios, vgl. Minns 2010 [*372: 264]; zum ‹Johannes-Evan-
gelium› vgl. Hill 2007 [*369: 88–94]; ob er die Schriften Philons gekannt hat, lässt
sich nicht erweisen, dazu Runia 1993 [*218: 97–105]). Demgemäß erklärt Justin,
dass Gott vor allen Geschöpfen durch seine Macht und seinen Willen aus sich eine
«vernünftige Kraft» (λογικὴ δύναμις), seinen Sohn, den Logos, gezeugt hat (Dial.
61,1; 100,4; 1. Apol. 32,10; 2 Apol. 5,3). Dieser ist nicht nur dem Namen, sondern
der Zahl nach etwas anderes als der ungezeugte Vater (Dial. 56,11: θεὸς ἕτερος;
62,2; 128,4; 129,4). Hervorgegangen ist er nicht durch Abtrennung, als würde das
Wesen des unwandelbaren Vaters zerteilt oder verringert (Dial. 128,4; 61,2), viel-
mehr bleibt er auch als eigene Entität dem inneren Antrieb und Willen nach mit
dem Vater identisch (Dial. 56,11; 62,2; 128,4). Justin vergleicht den Vorgang mit
dem Sprechen und mit Feuer, das an einem anderen Feuer entzündet wird, ohne
dass jenes verringert wird (Dial. 61,2; 128,4: abgelehnt wird der Vergleich mit Son-
nenstrahlen; vgl. Abramowski 1992 [*214: 196ff.], Bobichon 2003 [*282: II 969ff.]).
Der Logos ist sowohl der Erstgeborene (πρωτότοκος) Gottes als auch Gott (1.
Apol. 63,15; Dial. 56,11; 125,3; 126,2; 127,4), er ist der Diener und Vollstrecker des
väterlichen Willens (Dial. 61,1; 127,4). Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die
Logoslehre Justins einen subordinatianischen und pluralistischen Charakter auf-
weist, wenn er dem Logos die zweite Stelle nach dem Vater und unter dem Schöp-
fer, über dem kein anderer Gott ist, zuweist (1. Apol. 13,3f.; Dial. 56,4). Nicht we-
niger entscheidend ist freilich, dass der Logos nun, anders als im hellenistischen
Judentum und in philosophischen Parallelen, aber im Einklang mit dem ‹Johan-
nesprolog› die personalen Züge Jesu Christi trägt.

3. Die universale Wirksamkeit des Logos

Die Logoslehre ist der zentrale Gedanke, mit dem Justin die gesamte Weltwirk-
lichkeit als Wirkung des transzendenten Gottes im nahe kommenden Christus be-
gründet. Dabei lassen sich vier Gedankenschritte hervorheben:
1) In kosmologischer Hinsicht ist der Logos der Schöpfungsmittler, durch den
Gott die Welt aus gestaltloser Materie um der Menschen willen geschaffen hat und
weiterhin erhält (1. Apol. 10,2; 59,5; 64,5; 2. Apol. 5,3; Dial. 84,2; 114,3 [emend.

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 799

Lange]; der Plural von Gen. 1,26–28 als Zeugnis für die Schöpfungsmittlerschaft
des Logos in Dial. 62,1–4; die Schöpfungsmittlerschaft des Logos wird von Minns,
Parvis 2009 [*284: 62ff.] unnötig in Zweifel gezogen; zur offenen Frage der ‘crea-
tio ex nihilo’ vgl. May 1978 [*205: 122–135], Karamanolis 2013 [*237: 69–74]). In
diesem Kontext hat Justin erstmals in der christlichen Literatur nach dem Vorbild
der jüdisch-hellenistischen Denker den biblischen Schöpfungsbericht mit Platons
‹Timaios› in Parallele gesetzt, einschließlich der Annahme eines realen Beginns
der Welt im wörtlichen Verständnis des ‹Timaios› (1. Apol. 59,1–5. 60,1–5; Andre-
sen 1952–1953 [*324: 163ff.]). Die Ideenlehre ist nicht rezipiert (doch eventuell
2. Apol. 6,8; vgl. Andresen 1952–1953 [*324: 168f.]), aber den königlichen Geist,
der das All regiert (Plat. Phil. 30d in Dial. 4,2; 1. Apol. 12,7), und die Weltseele in
Gestalt des Chi hat er auf den Logos-Christus bezogen, der die Welt in ihrer ge-
regelten Ordnung und Harmonie erhält (Plat. Tim. 34b; 36b in 1. Apol. 60,1–5;
Andresen 1952–1953 [*324: 188–194]). Überall finden sich durch das Kreuzzei-
chen symbolische Hinweise auf die kosmische Macht und Herrschaft Christi (1.
Apol. 55,2–7). Auch die eschatologischen Endereignisse haben einen durch Chris-
tus qualifizierten kosmologischen Bezug. Die stoische Lehre der periodischen
Weltvernichtung und Welterneuerung lehnt Justin u. a. wegen des impliziten pan­
theistischen Gottesbildes ab (1. Apol. 20,2; 2. Apol. 6,3), aber in die Abfolge der
letzten Zeiten gehört ein als Strafgericht Christi verstandener Weltenbrand
(ἐκπύρωσις), der den ganzen Kosmos zerstören wird (Dial. 58,1; 2. Apol. 7,3),
während Gott von Christus an beginnend und durch ihn Himmel und Erde neu
erschaffen wird (Dial. 113,5).
2) In geistesgeschichtlicher Hinsicht ist der Logos das vernünftige Prinzip, das
im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte noetisch Erkenntnis der Wahr-
heit ermöglichte und moralisch die Normen des Sittengesetzes verbürgte. Hier
kommt Justins bekannteste, seine «ebenso merkwürdige wie einflussreiche The-
orie vom Logos spermatikos» (Waszink 1964 [*328: 381]) zum Zuge. Sie besagt,
dass die menschliche Vernunft natürlicherweise an dem Logos, der göttlichen Ver-
nunft, Anteil hat und insofern bis zu einem gewissen Grad zu wahrer Erkenntnis
fähig ist. Der ‘Logos spermatikos’, mit dem Logos-Christus identisch, ist als aktiv
‘aus-säende’ göttliche Potenz verstanden, die den Menschen die Vernunft als ihren
Samen eingepflanzt hat (1. Apol. 44,10; 46,2; 2. Apol. 7,1; 2. Apol. 13,5; Holte 1958
[*326: 148–159]). Dabei unterscheidet Justin sehr genau zwischen dem göttlichen
Logos einerseits, der nach Maßgabe der Möglichkeit die von ihm verursachte Teil-
habe an ihm gewährt, und der menschlichen Vernunft andererseits, die nur einen
Samen oder ein Abbild des Logos in sich trägt – also nicht selbst göttlich und auch
kein mit dem Logos identischer Teil ist – und deshalb auch nur zu partieller Er-
kenntnis fähig ist. Beides, die ontologische Differenz der Partizipation und die
quantitativ-qualitative Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit in einer nur dunk-
len, unklaren Teilerkenntnis, ist darin zum Ausdruck gebracht (2. Apol. 13,6). In-
sofern kann Justin in der vor- und außerchristlichen Welt eine, wenn auch be-
grenzte, natürliche Gotteserkenntnis sowie eine in Einzelfällen hochstehende
Ethik anerkennen (2. Apol. 8,1; 10,2f.; 13,3). Doch davon abgehoben und dieses
alles überbietend ist natürlich die volle Erkenntnis des ganzen Logos-Christus,

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800 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

die durch die Offenbarung in der Inkarnation des Logos eröffnet wird (2. Apol.
7,3; 10,1). Umgekehrt begründet die volle Präsenz der Wahrheit auch den Besitz-
anspruch auf alles, was immer von Philosophen und Gesetzgebern, von Dichtern
und Schriftstellern trefflich gefunden und gesagt worden ist: «Das alles ist unser»
(2. Apol. 10,2; 13,4), wie ebenso gilt: «Alle diejenigen, die mit dem Logos gelebt
haben [sc. Sokrates, Heraklit, Abraham, Elias und viele andere], sind Christen»
(1. Apol. 46,3). Was die philosophiegeschichtlichen Wurzeln dieser Theorie be-
trifft, so ist die Wortverbindung λόγοι σπερματικοί (im Plural) bekanntlich stoi-
schen Ursprungs, aber Justins Konzept geht der Sache nach andere Wege. Er
scheint es eigenständig entwickelt zu haben (Ulrich 2005 [*367: 3–11]), doch in
manchen Einzelheiten wirkt unverkennbar ein Einfluss des mittleren Platonismus
nach (Waszink 1964 [*328: 390]; vgl. auch Numenios fr. 13 des Places).
3) In heilsgeschichtlicher Hinsicht ist der Logos der Offenbarungsmittler, der
immer wieder im Verlauf der Geschichte des Gottesvolkes von den Erzvätern an
einzelnen Gerechten und Propheten erschienen ist und ihnen Gott nahe gebracht
hat. Man darf, so Justin, nicht annehmen, dass damals der transzendente Gott den
überhimmlischen Ort verlassen habe und an einem kleinen Winkel der Erde Men-
schen, die nicht einmal seine Herrlichkeit hätten ertragen können, erschienen sei
(Dial. 60,2; 127,1. 3. 5). Nein, Gott nimmt seine Allwissenheit mit unsagbarer
Macht wahr, ohne sich räumlich zu bewegen und von einem Raum umfasst zu wer-
den (Dial. 127,2). Vielmehr war es der Diener des väterlichen Willens, der Logos-
Christus, der in den Theophanien vor Noah, Abraham, Jakob, Mose und all den
anderen erschienen ist (Dial. 56,1–57,2; 58,3–60,4; 126,2–127,1; 1. Apol. 63,7–10;
Kominiak 1948 [*322], Bobichon 2003 [*282: II 1077f.]). Ebenso schreibt Justin
bei den Weissagungen auf Christus die die Propheten inspirierende Kraft dem
Logos-Christus zu (1. Apol. 12,9; 36,1–3; 2. Apol. 10,8), die er von dem propheti-
schen Geist nicht klar abgegrenzt hat (vgl. Dial. 25,1 mit Dial. 87,1). Auch das Mo-
segesetz, bei dem Justin zwischen dem allein dem Volk Israel als Zuchtordnung
auferlegten Ritualgesetz und dem ewigen, universal gültigen Sittengesetz unter-
scheidet (Dial. 23,1f.; 45,3f.; 92,5–93,3; Bobichon 2004 [*365]), verdankt sich dem
prophetischen Geist und letztlich dem Logos-Christus (Dial. 53,4; 93,3; vgl. 49,6f.).
Wenn auch vorerst nur ansatzweise, so hat Justin damit doch die Umrisse einer
heilsgeschichtlichen Gesamtschau abgesteckt, die im Logos-Christus zentriert ist
und die auf die irdische Erscheinung Christi zuläuft.
4) Den Höhepunkt und Zielpunkt aller göttlichen Erweise, in dem der vom
Vater beabsichtigte Heilsplan zur Erfüllung kommt, stellt für Justin das lang an-
gekündigte Ereignis der Menschwerdung des Logos in Jesus Christus, sein irdi-
sches Leben und Wirken, sein Sterben und seine Auferstehung dar. Er selbst ist
die alles erfüllende, abschließende und umfassende Offenbarung Gottes, die
Wahrheit, da in ihm Gott direkt gegenwärtig geworden ist (Dial. 64,7; 71,2; 1.
Apol. 53,2). Mit Blick auf die seit der Reformationszeit virulente Kontroverse zur
Frage einer Hellenisierung des Christentums lässt sich hier ablesen, dass damit
eine für die christliche Theologie entscheidende Wendung erfolgt ist, da der phi-
losophische Fragehorizont nach dem transzendenten Ursprung allen Seins aufge-
brochen und durch die Grunderfahrung der Selbsterniedrigung Gottes in dem

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 801

menschgewordenen und gekreuzigten Jesus Christus neuorientiert wird. Deshalb


erklärt Justin: «Unsere Lehren erweisen sich als erhabener über jede menschliche
Lehre, weil das rationale Prinzip (τὸ λογικόν) vollständig Christus geworden ist,
der unseretwegen erschienen ist: Leib, Vernunft und Seele» (2. Apol. 10,1). Seine
Fragestellung ist demzufolge darauf gerichtet, gedanklich nachzuvollziehen, wie
das göttliche Sein in die historische Gestalt Jesu Christi eingehen konnte, und er
findet eine Antwort, indem er, schematisch gesprochen, die Präexistenz- und In-
karnationslehre des ‹Johannesprologs› mit der lukanischen Geburtsgeschichte ver-
bindet. In seiner Auslegung der Verkündigung des Engels Gabriel an Maria bezieht
er die Ankündigung «Heiliger Geist wird über dich kommen, und die Kraft des
Höchsten wird dich überschatten» (Luk. 1,35) sehr prononciert auf den präexisten-
ten Logos, den Erstgeborenen Gottes. Dieser war es, der Maria überschattete und
nach dem Willen des Vaters, nicht durch geschlechtliche Vereinigung, sondern in
seiner geistlichen Kraft in den jungfräulichen Schoß einging, so dass sie schwanger
wurde und er aus der Jungfrau als Mensch geboren wurde (1. Apol. 33,1–9; 33,6: τὸ
πνεῦμα οὖν καὶ τὴν δύναμιν τὴν παρὰ τοῦ θεοῦ οὐδὲν ἄλλο νοήσαι θέμις ἢ τὸν
λόγον […], καὶ τοῦτο ἔλθον ἐπὶ τὴν παρθένον καὶ ἐπισκίασαν οὐ διὰ συνουσίας
ἀλλὰ διὰ δυνάμεως ἐγκύμονα κατέστησε, «Unter dem Geist also und der Kraft, die
von Gott kommt, darf man nichts anderes als den Logos verstehen […], und dieser
[sc. Geist = d. h. der Logos], der über die Jungfrau kam und sie überschattete, machte
sie schwanger nicht durch geschlechtliche Vereinigung, sondern durch Kraft»; Dial.
84,2). Diese erstmals bei Ignatios begegnende Zusammensicht der Präexistenz-
und Inkarnationsvorstellung mit der lukanischen Geburtsgeschichte wird für die
gesamte altkirchliche Christologie Gültigkeit behalten.

4. Dämonologie

Justins Dämonologie ist vor dem Hintergrund der allgemein antiken Annahme
von der Existenz und Wirksamkeit von Dämonen zu sehen, die insbesondere im
Mittelplatonismus diesbezüglich eine exponierte Lehre hervorgebracht hat. Dä-
monen nehmen in seinem Weltbild einen großen Platz ein; denn sie können als Er-
klärung dienen, warum in der von Gott um des Menschen willen geschaffenen,
guten Schöpfung mit ihrer rational strukturierten Ordnung und Harmonie so viel
Widriges, so viel Schlechtes und Böses auftritt (Osborn 1973 [*334: 55–65]).
Genau besehen, ist seine Vorstellung jedoch nicht griechisch – er kennt nur schäd-
lich wirkende, böse Dämonen, die guten Geister sind die Engel –, sondern im We-
sentlichen jüdisch. Was Ursprung und Wesensart der Dämonen betrifft, rekurriert
er auf den von Gen. 6,1–4 ausgehenden Mythos der apokalyptischen Henoch-Tra-
dition, wonach die ursprünglich von Gott zu Aufsehern über die irdischen Dinge
eingesetzten Engel die Anordnung Gottes übertraten, sich mit den Menschentöch-
tern sexuell vermischten und als Abkömmlinge dieser Verbindungen die Dämo-
nen zeugten (2. Apol. 4,1–3 mit 1. Henoch 6–11; vgl. Droge 1989 [*210: 56ff.], Skar-
saune 1996 [*355: 591–594], Dorival 1998 [*357: 444f.]). Ihr Oberhaupt heißt
Schlange, Satanas oder Teufel (1. Apol. 28,1; Dial. 103,5: Satanas sei Kompositum

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802 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

von hebräisch σατα = apostata und νας = serpens; Dial. 125,4). Daneben kennt er
auch die griechische, euhemeristische Auffassung von Dämonen als divinisierten
Menschen (1. Apol. 21,3; 29,4; 56,2). Als höchst wirksame Wesen werden sie mit
den paganen Göttern identifiziert (1. Apol. 5,2; 9,1; 25,3), die, wo immer sie kön-
nen, das Irrationale, Vernunftwidrige gegen die vernünftige, geistige Ordnung
aufbieten (1. Apol. 5,1; 10,6). Sie verbreiten Lüge und Täuschung (1. Apol. 10,6;
14,1), um sich die Menschen untertänig zu machen (1. Apol. 14,1) und Opfer und
kultische Verehrung für sich einzufordern (1. Apol. 12,5). Sie sind verantwortlich
für moralische Verfehlungen, für sexuelle Verirrungen und jede Art von Bösem
unter den Menschen (1. Apol. 21,4f.; 2. Apol. 4,4). Sie verdrehen die biblischen
Verheißungen und äffen die christlichen Kultfeiern nach, um von der Wahrheit
wegzuführen und die Heilszusagen unwirksam zu machen (1. Apol. 54,1–10;
62,1ff.; 64,1–6; 66,4). Sie führen die Irrlehrer auf den Plan (1. Apol. 26,2. 4f.; 56,1).
Und nicht zuletzt sind sie es, die als eigentliche Agenten hinter den Christenver-
folgungen stehen (1. Apol. 5,1; 10,6; 2. Apol. 1,2; 12,3f.), wie sie auch in der Ver-
gangenheit alle, die mit Vernunft gelebt und das Böse gemieden haben, mit ihrem
Hass verfolgt haben (2. Apol. 6,3; 7,2).
Doch ist ihre Macht durch Christus gebrochen. Schon mit seiner menschlichen
Geburt begann der Sieg über sie (Dial. 45,4; 78,9), er hat sie besonders durch sein
Leiden und seine Auferstehung entmachtet (Dial. 49,8; 131,5) und alle, die an ihn
glauben, aus ihrer Herrschaft befreit. Man könne mit eigenen Augen noch heute
überall in der Welt sehen, wie die Gläubigen im Namen Jesu Christi, des unter
Pontius Pilatus Gekreuzigten, die von Dämonen Besessenen heilen, indem sie die
Dämonen durch Exorzismen vertreiben (2. Apol. 5,5f.; Dial. 30,3; 76,6). Ihre end-
gültige Strafe wird die qualvolle Verdammnis in ewigem Feuer sein (1. Apol. 28,1;
2. Apol. 7,3).

5. Seelenlehre und Willensfreiheit

Gemäß einer weit verbreiteten antiken Allgemeinvorstellung, die von Justin ge-
teilt wird, besteht der Mensch aus Seele und Körper (vgl. 1. Apol. 8,4; Dial. 14,1f.).
Näherhin geht Justin als Christ von einer dreifachen Unterscheidung zwischen
einem materiellen Körper, einer intelligiblen Seele und dem lebenspendenden
Pneuma aus (ζωτικὸν πνεῦμα nach Gen. 2,7; Sap. 15,11 in Dial. 6,2; 40,1; Barnard
1966 [*329: 113], Osborn 1973 [*334: 145ff.]). Das impliziert eine Reihe von Ab-
grenzungen gegenüber der platonischen Seelenlehre. Er lehnt die Ewigkeit der
Seele, die Annahme der Seelenwanderung sowie die Wesensverwandtschaft der
Seele mit Gott ab (Dial. 4,2–5,1; mit der Präexistenz fällt auch die nur beiläufig
erwähnte Anamnesislehre). Positiv ergibt sich daraus: Das den Körper belebende
Prinzip ist die Seele, doch die Seele ist geworden und daher grundsätzlich ver-
gänglich; die Seele ist also nicht identisch mit dem Leben, sie hat das Leben nicht
aus sich wie eine Quelle, sondern hat Anteil am Leben, das Gott ist, weil Gott will,
dass sie lebe – vermöge des lebenspendenden Geistes. Wenn der lebenspendende
Geist die Seele verlässt, geht sie zugrunde, wie der Mensch stirbt, wenn die Seele

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 803

den Körper verlässt. Dass die Seelen aber den leiblichen Tod überdauern, ge-
schieht – in Analogie zur Kosmologie des platonischen ‹Timaios› (Tim. 41b) – auf-
grund des Willens Gottes, der sie vor ihrer Auflösung bewahrt: Die Seelen der
Frommen leben weiter zur Belohnung an einem besseren Ort, die Seelen der
Bösen zur Bestrafung (Dial. 5,1–6,2; van Winden 1971 [*274: 84–110], Karama-
nolis 2013 [*237: 186–189]). Und Justin besteht darauf, dass die Seelen auch los-
gelöst vom Körper nach dem Tod sinnliche Empfindungen haben (1. Apol. 18,2f.;
20,4: ἐν αἰσθήσει).
Zwei Faktoren müssen in diesem Zusammenhang noch genannt werden: Wäh-
rend normalerweise die Seele in einem übergreifenden Konsens als Sitz des Denk-
vermögens und der Erkenntnis angesehen wird, spricht Justin häufig von der Ver-
nunft (λόγος) so, als wäre sie eine eigenständige Größe neben der Seele. Das mag
ein missverständlicher Eindruck sein, der durch das stark gewichtete Konzept vom
‘Logos spermatikos’ hervorgerufen wird (vgl. Minns, Parvis 2009 [*284: 309 Anm.
2 zu 2. Apol. 10,2]). Es könnte aber auch sein, dass die Vernunft mit dem leben-
spendenden Pneuma zusammen zu sehen ist (vgl. Goodenough 1923 [*318: 211ff.],
Karamanolis 2013 [*237: 189f.]). Justin hat sich dazu nicht klar geäußert, die Gabe
des Heiligen Geistes ist auf jeden Fall keine anthropologische Konstituente. Wenn
er das berühmte platonische Wanderzitat Tim. 28c aufgreift – durch vernünftige
Untersuchung solle und könne der Mensch zur Erkenntnis des ihm unbekannten
Gottes gelangen, doch sei es gefährlich (nicht «unmöglich», wie bei Platon!), ihn
allen zu verkünden –, so verbleibt seine durch den Schulplatonismus vorgegebene
Interpretation wie auch sein von daher leicht modifizierter Wortlaut ganz inner-
halb des Rahmens der Aussagen vom ‘Logos spermatikos’ (2. Apol. 10,6, vgl. An­
dresen 1952–1953 [*324: 167f.], Minns 2010 [*372: 265f.]).
Die Seele gilt ferner allgemein als Sitz des Strebens und Wollens, und so unter-
lässt es Justin nicht, auf die Fragen des freien Willens einzugehen, zumal der
Nachdruck, den er auf den Beweis aus den prophetischen Weissagungen legt, das
Missverständnis hervorrufen konnte, die Erfüllung der Prophezeiungen sei mit
deterministischer Notwendigkeit erfolgt (1. Apol. 43,1; 44,11). Vehement lehnt er
die – wie er es versteht – stoische Lehre des Fatums ab (2. Apol. 6,4. 9), aber pa-
radoxerweise sind die Leitbegriffe, die er dagegen aufbietet, τὸ ἐφ’ ἡμῖν («was in
unserer Macht steht»), προαίρεσις ἐλευθέρα («freie Wahl») und αὐτεξούσιον («Au-
tonomes»), selbst stoischer Provenienz (Karamanolis 2013 [*237: 150–162]). Gott
hat, so Justin, das Menschengeschlecht von Anfang an als vernunftbegabt und frei,
als befähigt, das Wahre zu wählen und gut zu handeln, geschaffen, so dass nie-
mand vor Gott entschuldbar ist (1. Apol. 38,3; Dial. 88,5; 102,4; 141,1). Es ist eine
empirische Tatsache, dass ein und derselbe Mensch zu verschiedenen, oft gegen-
sätzlichen Handlungen fähig ist, je nachdem, wie er sich entscheidet (1. Apol.
43,5f.). Dasselbe setzten überall Gesetzgeber und Philosophen voraus (2. Apol.
6,6f.). Wenn es keine freien Entscheidungen gäbe, sondern alles nach Notwendig-
keit geschähe, dann wäre die Verantwortlichkeit des Menschen aufgehoben
(1. Apol. 43,2f.; vgl. Dial. 1,5), es gäbe keinen Unterschied zwischen Tugend und
Laster, zwischen gut und böse (1. Apol. 43,6), keinen Sinn für Lob oder Tadel, kei-
nen Grund für Belohnung oder Strafe (2. Apol. 6,5). Justins Lösung liegt darin: Die

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804 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Entscheidung ist frei, aber die Konsequenzen der frei gewählten Handlung, nämlich
Lohn oder Strafe, unterliegen dem unwandelbaren Schicksal (1. Apol. 43,7); Gott hat
das, was kommen wird, vorher verkündet, aber nicht gemäß Determination, sondern
gemäß seiner vorhersehenden Fürsorge (1. Apol. 44,11). Diese Argumente entstam-
men dem Arsenal der schulphilosophischen Polemik des Mittelplatonismus (Andre-
sen 1952–1953 [*324: 183–188]), darüber hinaus lässt sich eine gewisse Nähe zu Ge-
danken konstatieren, die Alexander von Aphrodisias in seiner Schrift ‹De fato›
entwickelt hat (Minns 2010 [*372: 268]). In zweiter Linie hat Justin seine Position
auch mit Bibelstellen und einem Platon-Zitat, das aus Mose entnommen sei, bekräf-
tigt (1. Apol. 44,1–8 mit Dt. 30,15. 19; Ies. 1,16–20 und Plat. Rep. 10, 617e).

6. Ethik

Justin hat die wahre Philosophie als Lebenspraxis verstanden, die zur Eudai-
monie führt, womit er den höchsten Wertbegriff der antiken Ethik ausschließlich
für den christlichen Glauben reserviert (Dial. 8,2; 142,3 coni. Otto, Goodspeed et
al.; 2. Apol. 11,6). Die ethische Lebensgestaltung hat für ihn große Bedeutung;
denn auf diesem Feld muss sich praktisch sichtbar der Wahrheitsanspruch des
Christentums bewähren. Wenn er den neuen Lebenswandel der Christen be-
schreibt, um verleumderische Vorwürfe zu entkräften oder die Gegner durch das
sittliche Beispiel zu überzeugen, dann kann Justin einfach die Lehren und Maxi-
men der Bergpredigt wiedergeben (1. Apol. 14,2–16,14; vgl. Bellinzoni 1967 [*332:
49–100]) oder Jesu zusammenfassende Weisung im Doppelgebot der Liebe als
reinsten Ausdruck des ewigen Sittengesetzes hervorheben (Dial. 93,2f.; vgl. Bel-
linzoni 1967 [*332: 37–43]). Wer diesem Maßstab nicht genügt, so versichert er aus-
drücklich, hat kein Recht, als Christ anerkannt zu werden, auch wenn er sich so
nennt (1. Apol. 16,8–14). Doch spendet er auch den Stoikern Lob, weil sie in der
ethischen Doktrin ordentliche Meinungen vertreten haben, während sie in der
Prinzipienlehre in die Irre gegangen sind (2. Apol. 6,8; 7,1; Andresen 1952–1953
[*324: 168]). So kann er eine Reihe von ethischen Zentralbegriffen der Stoa, deren
ursprüngliches Profil meist schon zuvor durch den schulübergreifenden Gebrauch
abgeschliffen war, aufgreifen und in die christliche Sprache einführen. Er spricht
vom Naturgesetz (2. Apol. 2,4: ὁ τῆς φύσεως νόμος; vgl. 2. Apol. 14,2); dieses sind
die moralischen Grundkategorien, die dem Menschen mitgegeben und in sein Ge-
wissen eingeschrieben sind (Dial. 93,1f.: φυσικαὶ ἔννοιαι; 2. Apol. 14,2). Nach
ihnen zu leben, bedeutet μετὰ λόγου ὀρθοῦ βιοῦν («mit richtiger Vernunft leben»:
2. Apol. 2,2), und wer mit der Vernunft lebt, lebt ohne Furcht und ohne Beunru-
higung (1. Apol. 46,4); wie denn die ein vernünftiges Handeln beeinträchtigenden
Leidenschaften auch für Justin verurteilenswert sind und Apathie als sittliche, im
ewigen Leben realisierte Auszeichnung gilt (1. Apol. 57,1; 58,3; 2. Apol. 1,2; Dial.
45,4; 46,7). Scheingüter verachten die Christen in ihrem Kampf um Tugend und
Glückseligkeit, was Justin mit der in der kynisch-stoischen Populärphilosophie
verbreiteten Fabel von Herakles am Scheideweg illustriert (2. Apol. 11,2–8). Al-
lerdings ist ihm das elitäre stoische Ideal des vollkommenen Weisen fremd. Die

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§ 81. Justin (Bibl. 1060–1064) 805

christliche Botschaft ergeht universal an alle Menschen. Selbstbewusst erklärt er:


«Nicht nur Philosophen und Gelehrte sind Christus gefolgt, sondern auch Hand-
werker und ganz gewöhnliche Leute» (2. Apol. 10,8), und in anderem Kontext er-
wähnt er eigens, dass im Hinblick auf die Tugend Frauen und Männer gleichge-
stellt sind (Dial. 23,5; vgl. 2. Apol. 2,1ff.). Bemerkenswert an seiner politischen
Einstellung ist, dass er die Loyalität der Christen gegenüber dem römischen Staat
kräftiger, als es im Neuen Testament geschieht, bejaht (1. Apol. 12,1f.; 17,1–3 mit
Lc. 20,22–25), und mehr noch dass er das berühmte platonische Paradoxon der
Philosophen-Herrscher so abwandelt, dass dahinter die Vision eines christlichen
Staates mit einem christlichen Herrscher aufscheint (1. Apol. 3,3 mit Plat. Rep. 5,
473c–d; Karamanolis 2013 [*237: 230f.]).

4. NACHWIRKUNG

Alle Apologeten des 2. Jahrhunderts haben von Justin gelernt, wenn auch nicht
alle seine offene Haltung gegenüber der griechischen Kultur teilten. Besonders
geschätzt wurde er aufgrund seines Kampfes gegen die Häresien und speziell
gegen Markion (vgl. die Stellennachweise bei von Otto 31877 [*155: II 595f.]).
Irenäus hat sein antihäretisches Werk namentlich zitiert (Haer. 4,6,2) und ohne
Quellenangabe auch 1. Apol. sowie Dial. stärker verwertet. Wahrscheinlich ist die
Rekapitulationslehre des Irenäus bereits im Kern bei Justin vorgebildet (Prigent
1964 [*327: 19–35], Skarsaune 1987 [*344: 234–242, 380–400). Ebenso ist Tertul-
lian, der den Ehrentitel «der Philosoph und Märtyrer» erstmals bezeugt (Adv. Val.
5,1), in seinen antihäretischen Schriften gegen die Valentinianer und gegen Mar-
kion sowie in ‹Adversus Iudaeos› von Justin abhängig (Prigent 1964 [*327: 88–92,
145–154, 205–115], Skarsaune 1987 [*344: 435–453]). Darüber hinaus wurde er auch
als Vertreter einer orthodoxen Christologie geschätzt (so «das kleine Labyrinth»
bei Eus. Hist. eccl. 5,32). Doch die größte Hochachtung ihm gegenüber bezeugt
Eusebios in der ‹Kirchengeschichte›. Er lässt ihn in biographischen, historischen
sowie häresiologischen Belangen zu Wort kommen, das von ihm aufgestellte
Schriftenverzeichnis versieht er mit der Empfehlung, diese reichen Nutzen gewäh-
renden Schriften mögen von den Gelehrigen studiert werden (Hist. eccl. 4,18,2),
und immer klingt die Wertschätzung seines philosophischen Engagements heraus
(Hist. eccl. 4,11,8; 4,16,2). Damit ist für die Folgezeit die Tonlage angeschlagen,
die überall, wo auch nur Justins Name fällt, nachklingt.
Im lateinischen Sprachbereich wurde die Erinnerung an ihn nur durch Rufinus’
Übersetzung der ‹Kirchengeschichte› des Eusebios und durch den aus Eusebios
geschöpften Eintrag in Hieronymus’ Schriftstellerkatalog ‹De viris illustribus› 23
(mit kurzer Notiz in Kap. 9) wach gehalten, während die Kenntnis seiner Werke
gänzlich schwand. Im griechischen Sprachbereich stößt man auf den merkwürdi-
gen Sachverhalt, dass die echten Schriften entweder ganz verloren gehen – das
‹Syntagma› wird durch die großen Ketzerbücher des 4. und 5. Jahrhunderts obso-
let – oder nur sehr spärlich rezipiert werden, aber eine größere Zahl von Spuria
seinem geachteten Namen untergeschoben wird. Die Nachrichten bei Epiphanios

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806 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

(Haer. 46,1,1–5) belegen sein hohes Ansehen durch das ihm beigelegte Attribut
eines Heiligen, sind aber historisch wertlos. Selbständige Kenntnis verraten nur
Photios (Bibl. cod. 125, 94b–95a) und die Johannes von Damaskus zugeschriebe-
nen ‹Sacra Parallela› (fr. 94–130 Holl, vgl. zum Ganzen von Engelhardt 1878 [*317:
2–9], näheres bei Harnack 1893 [*186: I 1,99–114). Es entspricht der geringen Be-
achtung, die in byzantinischer Zeit seinen Schriften entgegengebracht wurde, dass
die handschriftliche Überlieferung an einem seidenen Faden hing. Sie existiert
faktisch nur in einem einzigen Manuskript, dem berühmten Parisinus graecus 450
aus dem Jahr 1364; zwei weitere Manuskripte sind bloße Abschriften davon. Einer
Vermutung von Marcovich 1997 [*279: 1ff.] zufolge könnte die Handschrift in Mis-
tra für Manuel Kantakouzenos, einen Sohn des früheren Kaisers Johannes VI.
Kantakouzenos, angefertigt worden sein. Um 1542 gelangte sie von Venedig aus
durch den dortigen französischen Gesandten Guillaume Pellicier an den Hof in
Fontainebleau, wo sie in die königliche Sammlung aufgenommen wurde (zum
Ganzen Minns, Parvis 2009 [*284: 3–12]). Gestützt auf diese Handschrift veran-
staltete Robert Estienne 1551 die Editio princeps, und schon drei Jahre später er-
schien die erste lateinische Übersetzung, mit ausführlichen Anmerkungen verse-
hen, von Joachim Périon in Paris 1554. Direkt anschließend geriet Justin freilich
in die Schusslinien der konfessionellen Konfrontation. Die ‹Magdeburger Centu-
rien› (1559ff.) legen den Maßstab der reformatorischen Lehre an ihn an; sie sehen
in ihm in wesentlichen Punkten einen Repräsentanten des echten apostolischen
Glaubens, notieren aber auch eine Reihe von aus der Philosophie (und aus dem
Judentum) herkommenden Irrtümern, wie die Annahme der menschlichen Wil-
lensfreiheit und diejenige, dass alle, die mit Vernunft gelebt haben, für Christen
zu halten sind. Auf der Gegenseite wies Caesar Baronius in seinen ‹Annales ec-
clesiastici› (1588ff.) alle Beanstandungen zurück und suchte die katholische Au-
torität Justins zu verteidigen (von Engelhardt 1878 [*317: 9–18]). Besondere Auf-
merksamkeit fand das Kapitel über die Eucharistiefeier auf dem Trienter Konzil
1551/1552 und – noch vor dem Erstdruck – in England bei Thomas Cranmer und
Stephan Gardiner (Minns, Parvis 2009 [*284: 8f.]). Durch den Nachdruck in der
Sammlung der Patrologia von Jacques Paul Migne (PG 6, Paris 1857) hat die Mau-
riner-Edition von Prudentius Maran (Paris 1742), welche die Kapitelzählung ein-
führte und eine sehr ausführliche Einleitung zu dogmatischen Fragen vorschal-
tete, größte Verbreitung erlangt, bis die modernen kritischen Ausgaben, beginnend
mit von Otto 1842 [*155], einsetzten.

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§ 82. Ps.-Justin (Bibl. 1064–1067) 807

§ 82. Ps.-Justin

Dietmar Wyrwa

In der handschriftlichen Überlieferung der Werke Justins wird diesem eine


Reihe von Schriften zugeschrieben, deren Titel zwar in drei Fällen in dem Werk-
verzeichnis, das Eusebios in der ‹Kirchengeschichte› von ihm mitteilt (Hist. eccl.
4,18,2–6), belegt zu sein scheinen, die aber nach einhelliger Meinung der For-
schung aus inhaltlichen und stilistischen Gründen sowie aus chronologischen Er-
wägungen der literarischen Bezugnahmen nicht von ihm stammen können. Es ist
nicht ausgeschlossen, dass Eusebios’ Katalog erst den Anlass gegeben hat, Justin
diese Werke mit den entsprechenden Titeln unterzuschieben (Riedweg 2001 [*457:
850], Pouderon 2009 [*397: 44, 90, 105]). Zu behandeln sind an dieser Stelle nach
der mutmaßlichen chronologischen Reihenfolge nur diejenigen Schriften, die sich
der frühchristlichen Gattung der Apologetik im weiteren Sinn in ihrer sowohl apo-
logetisch-polemischen als auch protreptischen Abzweckung zuordnen lassen.
Der handschriftliche Befund stellt sich dergestalt dar, dass drei von einander
wesentlich unabhängige Sammelcorpora existieren (Harnack 1882 [*184: 24–89]).
Von deren Abschriften kann hier abgesehen werden. In dem berühmten Apolo-
geten-Codex Parisinus graecus 451, den Arethas, der Metropolit von Kaisareia in
Kappadokien, im Jahr 914 durch den Schreiber Baanes anfertigen ließ, befinden
sich zwei Schriften unter dem Namen Justins, von denen eine einen apologetischen
Charakter aufweist: ‹Cohortatio ad Graecos› (Λόγος παραινετικὸς πρὸς Ἕλληνας,
‹Mahnrede an die Griechen›; CPG 1083). Der ebenso berühmte Codex Parisinus
graecus 450 aus dem Jahre 1364, der zu einem regelrechten Corpus der Justin-
Schriften ausgestaltet worden ist, enthält neben den drei authentischen Werken
Justins zehn untergeschobene, von denen wegen ihres apologetischen Inhalts zwei
hier einschlägig sind: An zweiter Stelle des Ordo wiederum die ‹Cohortatio› und
an sechster Stelle ‹De monarchia› (Περὶ μοναρχίας, ‹Über die Einzigkeit Gottes›;
CPG 1084). Schließlich ist der 1870 verbrannte Codex Argentoratensis graecus 9
aus dem 13./14. Jahrhundert zu nennen, der an erster Stelle ‹De monarchia›, an
zweiter Stelle die ‹Cohortatio› enthielt und – die beiden folgenden hier einzig in
der griechischen Tradition überliefert – an vierter Stelle ‹Oratio ad Graecos›
(Πρὸς Ἕλληνας, ‹Rede an die Griechen›; CPG 1082) und an fünfter Stelle ‹Epi-
stula ad Diogentum› (Πρὸς Διόγνητον, ‹An Diognet›; CPG 1112). Von der ‹Oratio
ad Graecos› existiert zudem eine syrische Fassung, die eine in vorkonstantinischer
Zeit entstandene, teils kürzende, teils erweiternde Bearbeitung der ‹Oratio› dar-
stellt, die unter dem Titel ‹Hypomnemata› einem ansonsten unbekannten Amb-
rosios zugeschrieben wird (Harnack 1897 [*186: II 1,515–517], Riedweg 2001
[*457: 858–861], Pouderon 2009 [*397: 97–102]).

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808 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

‹Epistula ad Diognetum› (CPG 1112)

Die einem Diognet gewidmete protreptische Missionsschrift eines anonymen


Verfassers, oft als glänzendste literarische Hervorbringung, als Perle des christ­
lichen Altertums gewürdigt, bietet manche Rätsel. Die Schrift ist bis zu ihrem Be-
kanntwerden durch die Editio princeps von Henri Estienne 1592 in der gesamten
Antike und im Mittelalter niemals zitiert oder auch nur erwähnt worden. Die Be-
zeichnung als ‘epistula’ hat erst Stephanus dem handschriftlichen Titel Πρὸς
Διόγνητον hinzugefügt, sie entspricht nicht dem literarischen Charakter des Wer-
kes, dem die formalen Elemente eines Briefes weithin fehlen. Dass die Schrift seit
Gallandius 1765 [*87] und Hefele 1839 [*88] immer wieder auch der Sammlung
der sogenannten Apostolischen Väter zugeordnet wird (Galland sah im Verfasser
den Apollos von Act. 18,24), ist unter literarischen wie inhaltlichen Gesichtspunk-
ten nicht gerechtfertigt (Tanner 1984 [*440: 495], Grant 1988 [*209: 178], Lona
2001 [*407: 22f.]). Unbekannt sind sowohl der Adressat, zweifellos eine sozial
hochgestellte und gebildete Persönlichkeit aus dem Heidentum (siehe die Anrede
in 1,1: κράτιστε Διόγνητε), als auch der Verfasser, der sich nur durch seine Schrift
selbst vorstellt; ihn identifizieren zu wollen, dürfte beim gegenwärtigen Quellen-
stand erfolglos bleiben (Überblick über die Identifizierungsversuche in der For-
schungsgeschichte bei Lona 2001 [*407: 64–66]; zu ergänzen ist Hill 2006 [*460:
97–165] zugunsten von Polykarp von Smyrna). Ungewiss sind auch die Abfas-
sungszeit und der Abfassungsort, wozu sehr kontroverse Meinungen geäußert
worden sind; doch zeichnet sich gegenwärtig ein breiterer Konsens für ein Entste-
hungsdatum an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert ab (Baumeister 1988 [*441],
Lona 2001 [*407: 67–69], Riedweg 2001 [*457: 853], Pouderon 2005 [*229: 277f.],
Jefford 2013 [*398: 25–29]), während der Ort offen bleibt. Die Schrift, als Beant-
wortung einer Reihe von Anfragen des am Christentum nicht uninteressierten
Dio­gnet (1,1) gestaltet, will dem Adressaten die Erhabenheit der christlichen Re-
ligion aufzeigen und ihn für den neuen Glauben gewinnen (Kap. 10). Nach einer
recht pauschalen, aus der hellenistisch-jüdischen Apologetik gespeisten Polemik
gegen die Idololatrie der Griechen (Kap. 2,2–10, die Mythologie ist ausgespart)
und nach einer ebenso summarischen und verächtlichen, einzelne Aussagen des
Neuen Testaments verallgemeinernden Polemik gegen den religiösen Ritualismus
der Juden (Kap. 3–4) kommt der Verfasser zu seinem Hauptanliegen, dem Ge-
heimnis der christlichen Religion (Kap. 5–9). Er legt deren nicht-menschlichen
Ursprung dar, indem er in ethischer Hinsicht die «paradoxe Lebensweise» der
Christen (5,4) schildert und diese in dogmatischer Hinsicht mit der Offenbarung
Gottes in seinem Sohn begründet. Noch einmal stellt sich ein ungelöstes For-
schungsproblem am Schluss der Schrift, weil seit der Editio princeps zweifelhaft
ist, ob die beiden letzten Kapitel der Handschrift, die unstreitig ein anderes Pro-
fil aufweisen, als organische Fortsetzung nach einer handschriftlich ausgewiese-
nen Textlücke (es gibt noch eine andere nach 7,6) verstanden werden können oder
einen Fremdkörper darstellen (ausführliche Diskussion dazu bei Lona 2001 [*407:
43–48], der selbst die Einheitsthese favorisiert, und bei Jefford 2013 [*398: 43–51],
der von der Heterogenität zweier Teile ausgeht). Im Folgenden bleiben diese bei-

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§ 82. Ps.-Justin (Bibl. 1064–1067) 809

den Kapitel, bei denen der Eindruck eines sekundären Annexes aus einer Homilie
deutlich überwiegt, unberücksichtigt.
Das Besondere, das die Schrift an Diognet aus der apologetischen Literatur des
zweiten Jahrhunderts und noch der späteren Zeit heraushebt, ist die radikale
christozentrische Offenbarungstheologie. Die Christen sind ein neues Geschlecht,
eine neue Lebensform (1,1; 2,2), sie sind ebenso scharf vom Heidentum wie vom
Judentum abgegrenzt – der Ausdruck «drittes Geschlecht» (vgl. Arist. Apol. 2)
fällt zwar nicht, doch ist der Gedanke implizit gegeben (Eltester 1970 [*429: 282],
Lona 2001 [*407: 78]). Die christliche Religion ist nicht von Menschen erdacht, sie
ist nicht irdischen Ursprungs (4,5; 5,3; 7,1), sondern ein μυστήριον – mit diesem
Ausdruck wird ihr supranaturaler Charakter betont (4,6; 7,1f.; 8,10, vgl. I. Tim. 3,9.
16), sie beruht ausschließlich und gänzlich auf der Offenbarung Gottes in Chris-
tus. Gott, der Allmächtige, der Schöpfer des Alls, hat seinen eingeborenen Sohn,
den Logos und Schöpfungsmittler, durch den er die Welt erschaffen hat und noch
erhält, zu den Menschen gesandt und ihn in die Herzen der Menschen (d. h. der
Gläubigen) hineingelegt und in ihnen befestigt (7,2). Vor dem Kommen Gottes in
der Inkarnation seines Sohnes – daran lässt der Verfasser keinen Zweifel – hat
kein Mensch gewusst, was Gott ist, hat niemand Gott gesehen oder erkannt (8,1.
5, vgl. Ioh. 1,18; 5,37 u. ö.). Gott zu sehen, ist aber allein im Glauben möglich (8,6,
vgl. Ioh. 11,40). Das wird mit einem flüchtigen Seitenblick auf «die leeren und
nichtigen Reden» der Philosophen illustriert, die das Feuer, das Wasser oder ein
anderes der Elemente, also allesamt geschaffene Dinge für Gott gehalten haben
(8,2ff.). Im Sinne des Verfassers muss diese Feststellung auch auf die Juden bezo-
gen werden (zu 3,2 Norelli 1991 [*394: 31f.]: Der jüdische Monotheismus ent-
springt nicht göttlicher Offenbarung, sondern ist menschliche Annahme); denn er
beschreibt die Selbstmitteilung Gottes nach dem in eigenwilliger Zuspitzung ge-
brauchten sogenannten Revelationsschema (8,10f.; 9,2. 6; Lindemann 1979 [*434:
343], Wengst 1984 [*392: 298]; vgl. Rm. 16,25f.; Col. 1,26f.; Eph. 3,4–6), wonach
ganz grundsätzlich festgestellt wird, dass das jetzt offenbar werdende Geheimnis
nicht bloß die Verbreitung der apostolischen Botschaft unter den Heiden, sondern
die soteriologisch qualifizierte Gotteserkenntnis selbst ist, womit zugleich erklärt
wird, warum Gott sich erst so spät zu erkennen gegeben hat (1,1). Gott hielt, das
ist der Grundgedanke der Ausführungen des Autors, seinen von Anfang an mit
seinem Sohn beratenen und bereiteten, unsagbaren Heilsplan geheimnisvoll zu-
rück und ertrug langmütig die Sünden der Menschen, bis er zu dem von ihm vor-
herbestimmten Zeitpunkt, da das Maß der Ungerechtigkeit voll geworden war, als
Zeichen seiner überschwänglichen Menschenfreundlichkeit und Liebe seinen
­eigenen Sohn dahingab als Lösegeld für die Sünder, damit klar würde, dass nicht
aus menschlichem Vermögen den Menschen die Heilsgüter zuteilwerden können,
sondern allein durch Gottes Güte, Liebe und Macht (8,5–9,6). Das in Christus ge-
schehene Heilswerk Gottes bedeutet etwas absolut Neues, ohne Analogie, etwas
völlig Einzigartiges, was in dieser Radikalität bei den übrigen Apologeten nicht
begegnet (insofern ist Jefford 2013 [*398: 57]: «there is very little that is unique
with respect to apologetic literature», zu korrigieren). Eine natürliche Gottes­
erkenntnis als evangelische Vorbereitung auf die Offenbarung für die Griechen

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810 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

hat es dem Verfasser zufolge nicht gegeben (Molland 1934 [*421: 292, 306], Norelli
1991 [*394: 36f.], von Marrou 21965 [*391: 183f.] zu Unrecht abgeschwächt), ebenso
wenig schlägt eine heilsgeschichtliche Verankerung des Christusgeschehens im
Alten Testament durch Prophezeiungen, typologische Zeichen oder durch allego-
rische Verweise zu Buche (Brändle 1975 [*432: 60ff.], Pouderon 2005 [*229: 282]),
und auch der Altersbeweis für die Wahrheit des Christentums entfällt (Wengst
1984 [*392: 298]). Die theologiegeschichtliche Verortung dieser Position fällt nicht
ganz leicht. Auffällig sind die starken Rückbezüge auf Paulus und Johannes
(Brändle 1979 [*433], Lindemann 1979 [*434], Bird 2011 [*465]), aber der Verfas-
ser überzieht diese Linien, so dass man schon an eine Nähe zu Markion oder der
Gnosis gedacht hat (Pétrement 1966 [*428], Eltester 1970 [*429: 288f.], Nielsen
1970 [*430]) – doch zu Unrecht, denn der unbekannte Autor hat das Alte Testa-
ment nicht verworfen (Marrou 21965 [*391: 269ff.], Lona 2001 [*407: 49ff.], Jefford
2013 [*398: 88–91, 227f.]), auch für ihn sind der Schöpfer und der Erlöser ein und
derselbe Gott, und die Welt ist seine gute Schöpfung. Eine erwägenswerte Vermu-
tung hat Grant 1950 [*423: 191] in die Diskussion eingeworfen: «we may suggest
that several of the affinities of Theophilus with the writer Ad Diognetum […] can
be explained if we regard Ad Diognetum as a non-Jewish Christian reply to Theo-
philus […]. His whole apology has a more distinctively Christian atmosphere than
that of Theophilus» (der Hinweis ist aber, soweit zu erkennen, nicht aufgenommen
worden, auch von Perendy 2013 [*468] nicht).
Aus der Offenbarung Gottes in Christus, dem Schöpfer und Erlöser, der ja in
die Herzen der Gläubigen eingepflanzt ist, entspringt notwendigerweise die para-
doxe Lebensweise der Christen, welche die urchristliche Existenzdialektik des «in
der Welt, aber nicht von der Welt» auf voller Höhe wieder aufnimmt (Kap. 5–6;
vgl. Ioh. 17,11. 14. 16; I. Cor. 7,29–31). Weil Gott der Schöpfer ist, sind die Chris-
ten von vornherein solidarisch mit der Welt; weil Gott aber auch der allmächtige
Erlöser ist, stehen sie in eschatologischer Distanz zur Welt. Einerseits heißt es,
«was die Seele im Körper ist, das sind die Christen in der Welt» (6,1), andererseits
heißt es, dass sie nur als Beisaßen in ihren vergänglichen Behausungen wohnen,
weil sie die Unvergänglichkeit im Himmel erwarten (6,8). In diesen Ausführun-
gen verschmelzen paulinisch-johanneische Anklänge aufs Engste mit philosophi-
schen Reminiszenzen, grob gesprochen, mit stoischen, die den immanenten Cha-
rakter betonen, und mit platonischen, die den transzendenten Charakter dieser
paradoxen Lebensform beschreiben (kompakte Zusammenstellung bei Riedweg
2001 [*457: 855–857]). Außerdem entspricht dann der Mensch, wenn er sich, wie
es der Schlussappell sagt (10,1–6), zum Glauben bekehrt, Gottes Liebeserweisen
in Schöpfung und Erlösung. Damit realisiert er seine hohe schöpfungsgemäße Be-
stimmung als Mensch, um dessentwillen Gott die Welt geschaffen und dem er
alles auf der Erde unterworfen hat (Gen. 1,28–30; Ps. 8,7; vgl. Marrou 21965 [*391:
209f.]), dem allein er Vernunft und Geist gewährt hat (λόγος und νοῦς; für Lona
2001 [*407: 288] scheint darin «etwas von einer Selbstmitteilung Gottes» angedeu-
tet zu sein), der durch den aufrechten Gang mit dem Blick nach oben ausgezeich-
net (Plat. Tim. 90a–b; Pellegrino 1964 [*426]) und nach Gottes eigenem Bild ge-
formt ist (Gen. 1,26). Dann kommt Gottes Erlösungswerk in der Sendung des

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§ 82. Ps.-Justin (Bibl. 1064–1067) 811

Sohnes zur vollen Auswirkung, wenn der Mensch voller Freude Gott wiederliebt
und in der Betätigung der Nächstenliebe zum Nachahmer Gottes wird, so dass er
für den Empfänger seiner Wohltaten sogar zum Gott wird (10,6). Und die Kraft,
welche die Welt überwindet, richtet den Gläubigen auf das wahre himmlische
Leben in Ewigkeit aus (10,7–8).

‹De monarchia› (CPG 1084)

Die kleine Abhandlung – im Titel μοναρχία schwingt immer auch der altgrie-
chische Gedanke an die ‘Alleinherrschaft’ des kosmischen Weltenherrschers mit
– enthält eine durch Einleitung und Schluss gerahmte Anthologie von 30 Zitaten
aus der griechischen Tragödie und Komödie, aus orphischer und pythagoreischer
Dichtung und ein Zitat aus Platons ‹Timaios› (68d in 4,3, dazu Pouderon 2009
[*397: 393]). Mit ihnen soll erwiesen werden, dass die menschliche Natur ur-
sprünglich die Kenntnis der Wahrheit und die Verehrung des einen wahren Got-
tes empfangen hat. Da aber die Menschen durch den Neid des Teufels zum Göt-
zendienst verführt worden seien und dieser alteingesessene Irrtum der Menge wie
eine vertraute Wahrheit weitergegeben wird, will der Autor durch den Rekurs auf
das frühe Zeugnis der Dichter daran erinnern, dass man aus Vergesslichkeit ver-
absäumt habe, was selbstverständlich sein sollte. Er will aus dem gemeinsamen li-
terarischen Erbe, das zur Begründung des Götzendienstes durch die politisch Ein-
flussreichen herhalten musste, die Unvernunft der heidnischen Gebräuche
erweisen und, darauf gestützt, die Leser dazu veranlassen, zur Verehrung des
einen wahren Gottes zurückzukehren (1,1f.). Die mehr oder weniger kommentar-
los aufgebotenen Exzerpte bezeugen die Einzigkeit Gottes, des Schöpfers und
Herrn der Welt (Kap. 2) und des gerechten Richters (Kap. 3f.), sowie die Nichtig-
keit und Unwürdigkeit der paganen Götter (Kap. 5). In etwa einem Drittel der
Fälle handelt es sich um gefälschte bzw. bearbeitete Stücke, die, wie der Vergleich
mit Parallelen bei Clemens von Alexandrien nahelegt, auf eine alexandrinisch-jü-
dische Chrestomathie zurückgehen dürften. In der zweiten Hälfte finden sich mit
ein, zwei Ausnahmen echte Zitate aus Euripides und Menander, die pagane Par-
allelen etwa bei Plutarch haben und einer paganen Sammlung stoischen Ur-
sprungs entstammen (Zeegers-Vander Vorst 1972 [*201: 89–100, 189–205, 223–
229; Riedweg 2001 [*457: 851f.], Pouderon 2009 [*397: 361–380]). Komplizierter
ist die Quellenlage bei den als Testament betitelten orphischen Versen – sie han-
deln von Orpheus’ Umkehr zum monotheistischen Gott –, die eine jüdische
Schöpfung (in der ältesten bekannten Rezension) darstellen, doch in denen echte
Elemente eines orphischen ἱερὸς λόγος verarbeitet sind (2,4, so Riedweg 1993
[*445: 103f.], vgl. auch Radice 21995 [*447: 121–164], Holladay 1996 [*449], 1996
[*450] und 1998 [*454], Riedweg 2008 [*463]). Vermutlich hat der Autor die bei-
den Sammlungen bereits vereint in einer einzigen, nach Lage der Dinge jüdischen
Quelle vorgefunden (Pouderon 2009 [*397: 380]). Dass die letzten Beispiele aus
der homerischen Dichtung, die summarisch die paganen Göttermythen im Sinne
der philosophischen Homerkritik bekämpfen, formal nicht mehr dem Florilegien-

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812 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Stil entsprechen (6,1), dürfte ein Hinweis sein, dass hier der Autor selbst aus
Kenntnis eigener Lektüre spricht (Riedweg 2001 [*457: 853]). Die Frage, wann die
Abhandlung in ihrer vorliegenden Fassung zusammengestellt und redigiert wor-
den ist, ist nicht leicht zu beantworten, und die Spanne der Ansätze reicht vom
1. vorchristlichen Jahrhundert – in diesem Fall wäre der Autor ein hellenistischer
Jude (so Riedweg 1993 [*445: 6] und 2001 [*457: 850f.], Jourdan 2010 [*235: 120ff.]) –
bis zur zweiten Hälfte des 2. bzw. bis ins 3. Jahrhundert (siehe die Angaben bei
Pouderon 2009 [*397: 105–109]). Wenn man die Referenzstellen, an denen Mar-
covich 1990 [*393: 82] Anklänge an neutestamentliche Wendungen sieht – schwa-
che gewiss –, akzeptiert, dann wird man auf eine Entstehungszeit ab dem 2. Jahr-
hundert geführt. Da Theophilos auf das Testament des Orpheus in Anhängigkeit
von 2,4 Bezug nimmt (Autol. 3,2,2), ist auf jeden Fall ein mutmaßlicher Terminus
ante quem mit 180/188 gegeben. Pouderon 2009 [*397: 107, 320] nennt zudem noch
einige Berührungen mit Clemens von Alexandrien. Am Beginn des 4. Jahrhun-
derts setzt die Rezeption der Schrift in der pseudo-justinischen ‹Cohortatio› ein.

‹Oratio ad Graecos› (CPG 1082)

Die sehr kurze, rhetorisch gekonnte Apologie führt sich als Rechtfertigungs-
schreiben eines zum Christentum übergetretenen Griechen ein. Der ungenannte
Autor begründet seine Abkehr vom griechischen Religionswesen mit dem einzi-
gen Argument, dass dieses zutiefst dem sittlichen Empfinden widerstreite. Die
Göttermythen seien «Monumente der Raserei und der Zügellosigkeit», Frommes
und Gottgefälliges habe er dort nicht gefunden (1,1 Pouderon; die folgenden Stel-
lenangaben ebenfalls nach Pouderon), und zur Bekräftigung dessen lässt er das
unerträgliche Verhalten der Helden der homerischen Dichtung (1,2–4), die lächer­
lichen und anstößigen Göttergenealogien Hesiods sowie der Tragödie (2–3) und
schließlich die religiösen Festveranstaltungen, die ein Ausbund von sinnlicher Be-
törung und sexuellen Ausschweifungen sind (4), Revue passieren. Die kleine
Schrift endet mit einem flammenden Appell an die Leser, sich der Erziehung
durch den göttlichen Logos anzuschließen, die darauf hinzielt, «Sterbliche un-
sterblich, Vergängliche zu Göttern (vgl. Ps. 81,6) zu machen und von der Erde hin­
auf zu den Gegenden über dem Olymp [d. h. zum ewigen Leben in der Gemein-
schaft mit Gott] zu führen» (5,1f.). Der Autor versichert zuletzt aus eigener
Erfahrung (vgl. van Unnik 1983 [*439: 66]), dass er, seit er von der befreienden
Wirkung dieser göttlichen Erziehung ergriffen wurde, die Seelenruhe gefunden
habe, die ihn zu seinem Schöpfer zurückführt (5,3; stichpunktartige Inhaltsangabe
im Vergleich mit der syrischen Bearbeitung bei Marcovich 1990 [*393: 105]). In
gewisser Hinsicht weist die Schrift «in Stoff und Haltung die frapirendsten Ueber-
einstimmungen mit Tatian’s Oratio auf», ohne dass sie ihm zugeschrieben werden
könnte (Harnack 1882 [*184: 155]). Der Autor will sich nicht nur vom paganen
Religionswesen in allen seinen Formen distanzieren, sondern weit grundsätzlicher
und viel mehr geht es ihm, Tatian vergleichbar, darum, die Bildungsgrundlagen
der griechischen Religion und Kultur schlechthin als moralisch diskreditiert zu

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§ 82. Ps.-Justin (Bibl. 1064–1067) 813

verwerfen (Riedweg 2001 [*457: 859f.]). Philosophischer Kritik bedarf es dazu


nicht, höchstens kann man in seiner Rede von den πάθη und deren Differenzie-
rungen einen vagen stoischen Nachhall sehen (Marcovich 1990 [*393: 103], Pou-
deron 2009 [*397: 86]). Die Paideia jedenfalls, die der unbekannte Autor meint,
ist anderer Art, sie verdankt sich göttlicher Unterweisung und der Kraft des
Logos, sie bringt aber keine Dichter, keine Philosophen, keine gewaltigen Redner
hervor (5,2f.). Zu datieren ist die Schrift in die Zeit einerseits nach Clemens von
Alexandrien, dessen Einfluss namentlich im Schlusskapitel unübersehbar ist, und
andererseits vor der Konstantinischen Friedenszeit, vor der noch die ‹Hypomne-
mata› des Ambrosios, die Bearbeitung der ‹Oratio›, entstanden sind, d. h., sie ist,
grob gesagt, im Verlauf des 3. Jahrhunderts entstanden (Pouderon 2005 [*229: 303]
und 2009 [*397: 83ff.]; für die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts plädiert Marcovich
1990 [*393: 104]).

‹Cohortatio ad Graecos› (CPG 1083)

Die umfangreichste unter den hier behandelten Schriften nimmt sich wie ein
Stapelplatz aller gängigen Hauptthemen der apologetischen Literatur aus, wo nur
die Zurückweisung der Verleumdungen einer feindlichen Öffentlichkeit und jeg-
licher Hinweis auf eine bedrohliche staatliche Verfolgungssituation fehlen. Das
lässt an eine Entstehung der Schrift unter späteren, ruhigeren Verhältnissen den-
ken, und tatsächlich kann aufgrund literarischer Abhängigkeiten die Entstehungs-
zeit zwischen 221 und 440 eingegrenzt werden. Einerseits benutzt die ‹Cohorta-
tio› Julius Africanus’ im Jahre 221 abgeschlossene Chronographie (in 9,2; 12,2 =
fr. 34 Wallraff, so schon Schürer 1878 [*414]), andererseits hat Kyrill von Alexan-
drien in ‹Contra Iulianum›, was schon lange gesehen worden ist (von Otto 31879
[*155: III 316], Diels 1879 [*415: 17], Grant 1964 [*425: 270f.]), reichlich Gebrauch
von ihr gemacht (zum Ganzen Riedweg 1994 [*395: 30–53]). Da die Konfronta-
tion mit den paganen Adressaten auf rein intellektueller Ebene im Hinblick auf
den Widerstreit zwischen dem ‘mos maiorum’ und der Wahrheit stattfindet, wobei
sich im Einzelnen Anklänge an Porphyrios’ anti-christliche Streitschrift und Be-
rührungen mehr atmosphärischer Art mit Eusebios’ großem apologetischen Werk
erkennen lassen, deutet alles auf eine Entstehung in Konstantinischer Zeit hin.
Näherhin schlägt Riedweg 1994 [*395: 167–182] als Verfasser Markell von Ankyra
vor, Eusebios’ kirchenpolitischen Gegenspieler und streitbaren Nizäner der ers-
ten Stunde. Er stützt sich dabei auf Verwandtschaft des Vokabulars, auf eine mon­
archianische Färbung in der trinitätstheologischen Terminologie und auf eine
­tendenziell antiochenische Abwertung der Allegorie im Wechselverhältnis von
θεωρία und ἀλληγορία (Riedweg 1994 [*395: ebd.]). Damit hat Riedweg weithin
Zustimmung gefunden (mit gewissen Reserven Simonetti 2011 [*467]; die These
von Dräseke 1885 [*416] und Asmus 1895 [*417] und 1897 [*418] – ebenso anfangs
auch Harnack 1893 [*186: I 2,782] –, in dem Verfasser Apollinarios von Laodikeia
zu sehen, hat sich nicht durchsetzen können). Erwähnenswert ist, dass der Verfas-
ser ein bildungstouristisches Interesse erkennen lässt (13,4: Pharos, und 37,1:

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814 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Cumae, vgl. Riedweg 1994 [*395: 160f.], Pouderon 2006 [*461]). Der in der hand-
schriftlichen und indirekten Überlieferung bezeugte Titel – in Anknüpfung an das
Stichwort des Eingangssatzes (1,1) – wird von Riedweg 1994 [*395: 62–70] als nicht
ursprünglich verworfen und aufgrund von 1,2 ὁ περὶ τῆς ἀληθοῦς θεοσεβείας
λόγος durch ‹Ad Graecos de vera religione› ersetzt (für den traditionellen Titel
votiert Pouderon 2009 [*397: 46ff.]).
Die Schrift will die Griechen zum Bruch mit ihrer herkömmlichen religiösen
Tradition veranlassen (vgl. Riedweg 1994 [*395: 130–135]). Auf dem Wege einer
objektiven und präzisen Untersuchung, so kündigt es das Exordium an, sollen ihre
Bedenken, es wäre ein Vergehen an den Vorvätern, wenn sie jetzt den alten Irrtum
fahren lassen und das Nutzbringende (angesichts des eschatologischen Gerichts)
ergreifen, ausgeräumt werden (1,1; nach 35,2 haben die Vorfahren im Hades wahr-
scheinlich den Sinneswandel bereits vollzogen). Zu diesem Zweck behandelt der
Verfasser die Haltlosigkeit und Widersprüchlichkeit der vielfältigen Meinungen
der griechischen Religionslehrer, bei Dichtern und Philosophen, die sich auf ihre
Überklugheit verlassen (2–7), im Kontrast zur einzigen Quelle göttlicher Erkennt-
nis bei den eigenen Religionslehrern, den von Gott inspirierten, mit einer Stimme
sprechenden Propheten, Mose an erster Stelle. In Einzelfällen gäbe es dafür von
bestimmten griechischen Orakeln sogar Bestätigung (8–13). Nachdem bereits in
diesem Zusammenhang die chronologische Priorität der bi­blischen Überlieferung
vor der griechischen zur Sprache gekommen ist (9; 12,1f.), geht es im zweiten, deut-
lich längeren Teil der Schrift um den Nachweis, dass die griechischen Religionsleh-
rer von den Propheten abhängig sind. Sie alle, Orpheus, Homer, Solon, Pythago-
ras, Platon und manche andere, waren in Ägypten und haben dort die prophetischen
Schriften gelesen (14,2), aber sie haben das, was sie in ihnen kennengelernt haben,
nicht immer richtig verstanden oder aus Angst vor einem gewaltsamen Geschick
nur verschleiert weitergegeben (vgl. 20,1; 22,1 u. ö.). Insofern ist das Studium bei
ihnen nur unter Vorbehalten zu empfehlen, ein wirklich geeigneter Religionsleh-
rer findet sich bei ihnen nicht (14–34). Der Schluss der Rede steigert sich zu einem
dringenden Appell an die Griechen, zu den Prophezeiungen der heiligen Männer
zu greifen oder, wenn solches ihr Vermögen übersteigt, wenigstens den wenigen
Zeugen der Wahrheit unter den Griechen zu glauben, die als Wirkungsträger der
göttlichen Providenz die Aussagen der Propheten über den einen Gott bezeugt
haben, wie Orpheus in seiner Palinodie oder die Sibylle in ihren Orakeln, die sogar
die Ankunft unseres Retters Jesus Christus vorhersagte, oder auch Hermes Tris-
megistos, der in einem berühmten Diktum versicherte, dass Gotteserkenntnis nicht
anders als durch von Gott kommende, prophetische Offenbarung möglich ist (35–
38; Inhalts- bzw. Dispositionsangaben bei Marcovich 1990 [*393: 13–19], Riedweg
1994 [*395: 18–27], Pouderon 2009 [*397: 40ff.]).
Das ambivalente Verhältnis, das Pseudo-Justin gegenüber der griechischen Bil-
dungswelt insgesamt einnimmt, erstreckt sich nicht weniger auf denjenigen Philo-
sophen, den er am häufigsten nennt und den er «den ersten unter euren Philoso-
phen» (12,3) betitelt: Platon (laut Register fällt sein Name 55-mal, genauso häufig
wie der des Mose, Marcovich 1990 [*393: 139f.]). Eine sehr stattliche Anzahl von
an die 30 wörtlichen Zitaten begegnet im zweiten Teil der Rede – zumeist Wan-

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§ 82. Ps.-Justin (Bibl. 1064–1067) 815

derzitate, aber man darf dem Verfasser eine direkte Kenntnis einiger wichtiger
Dialoge wie des ‹Timaios› nicht absprechen (Riedweg 1994 [*395: 72f.]) –, doch
im ersten Teil herrscht die Doxographie vor. Hier kommen Lehrsätze Platons in
zweifacher Hinsicht zur Sprache: Zum einen wird Platon mit Aristoteles konfron-
tiert, um die Widersprüchlichkeit ihrer Lehren aufzudecken und zu zeigen, dass
ihnen kein Wahrheitsgehalt zueigen ist. Dabei folgt der Verfasser offenbar einer
mittelplatonischen Quelle, die in derselben Stoßrichtung wie Attikos oder Kalve-
nos Tauros die Gegensätze zwischen beiden unter Verwendung doxographischen
Materials schroff aufreißt, um allen Versuchen der Harmonisierung entgegenzu-
wirken (Riedweg 1994 [*395: 75ff.]; 5,1–6,2: Platon weise dem obersten Gott eine
feurige Substanz zu, Aristoteles die Quinta Essentia [noch einmal 36,3]; Platon
setze drei Prinzipien an, Aristoteles zwei; Platon zufolge sei die Seele dreiteilig
und jede Seele unsterblich, Aristoteles begrenze die Seele auf den vernunftbegab-
ten Teil und verstehe sie als Entelechie; vgl. Riedweg 1994 [*395: 235–260]). Zum
anderen macht Ps.-Justin auf Widersprüchlichkeiten bei Platon selbst in seinen ei-
genen Lehrmeinungen aufmerksam. Tatsächlich handelt es sich bei diesen angeb-
lichen Widersprüchen um differierende Deutungen des ‹Timaios› bei verschiede-
nen Platonikern, was wiederum auf doxographische Nachrichten zweiter Hand
zurückgehen dürfte (Riedweg 1994 [*395: 81–85]; 7,1: Bald gehe Platon von drei
Prinzipien aus, bald füge er diesen noch als viertes die Weltseele hinzu; früher
habe er die Materie als ungeworden bezeichnet, später als geworden; früher habe
er die Idee als selbständig Seiendes angesehen, später als Gedanken Gottes; frü-
her erklärte er, der Kosmos sei geworden und mithin vergänglich, später erklärte
er, einiges von dem Gewordenen sei unauflöslich und unvergänglich – hier steht
die seit der Alten Akademie geführte Debatte, ob der Welterschaffungsbericht
des ‹Timaios› als didaktische Erzählweise oder als wörtlich zu nehmender Lehr-
text verstanden werden soll, im Hintergrund; vgl. zum Ganzen Riedweg 1994
[*395: 260–273]). Wie einleitend schon die Vorsokratiker in dieser Weise nach dem
Abriss von Ps.-Plutarchs ‹Placita› durchgemustert worden sind (3,2–4,2, vgl. Diels
1879 [*415: 17]), so werden abschließend nach einer doxographischen Sammlung
skeptischer Provenienz noch einmal die Meinungen der griechischen Philosophen
allgemein zur Seelenlehre ihrer Haltlosigkeit überführt (7,2).
Wörtliche Platon-Zitate bietet Ps.-Justin hauptsächlich dort auf, wo er nachwei-
sen will, dass Platon auf seiner Ägyptenreise die Kenntnis des mosaischen Geset-
zes, das den einen und einzigen Gott verkündet, erworben habe (20,1; 22,1; 24,1;
28,1), und zugleich vor Augen führen will, wie Platon diese an sich von ihm gebil-
ligte Wahrheit aus Angst, ihm könne dasselbe Schicksal wie Sokrates widerfah-
ren, nicht klar bekannt, sondern nur auf schillernde und vieldeutige Weise in sei-
nen Dialogen zum Ausdruck gebracht habe (20,1; 22,1; zu einer ähnlichen Theorie
bei Numenios, fr. 23 und 24,57ff. des Places, vgl. Riedweg 1994 [*395: 87ff.]). Dass
Gott, der mit keinem Namen genannt werden kann, sich vor Mose als ἐγὼ εἰμὶ ὁ
ὤν («ich bin der Seiende»: Ex. 3,14) offenbarte, meint der Verfasser in Platons
grundlegender ontologischer Unterscheidung zwischen dem Immer-Seienden und
dem Werdenden wiederzuerkennen: τί τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον, καὶ τί τὸ
γινόμενον μὲν, ὂν δὲ οὐδέποτε («was das immer Seiende, das kein Werden kennt,

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816 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ist, und was das Werdende ist, das niemals seiend ist»), so am Beginn des Lehrvor-
trags über die Weltentstehung im ‹Timaios› (27d–28a in 22,2. 3, ferner 24,2; 25,3;
die Zusammenstellung der beiden Zitate auch bei Eus. Praep. ev. 11,9). Den
immer seienden Bereich der Ideen bezieht er auf den biblischen Gott, d. h. er deu-
tet theologisch, was ontologisch gemeint war, wobei er noch die Beobachtung des
wechselnden Artikels, einmal ὁ ὤν, einmal τὸ ὄν, eigens hinzufügt, und das Wer-
dende, aber niemals Seiende deutet er auf die heidnischen Götter (22,3; über die
Götter spreche Platon widersprüchlich in Tim. 41a–b, so 23,1–25,2, wo Ps.-Justin
Platon nach seinen immanenten Voraussetzungen einer ungewordenen Materie
ad absurdum führen möchte; die Vorstellung von Göttern hat nach Gen. 3,5 vom
«Vater der Lüge», Ioh. 8,44, ihren Anfang genommen, so 21,2f.). Außerdem inter-
pretiert er den Ausdruck ὁ ὤν («der Seiende») als Bezeichnung der Ewigkeit nicht
im Sinne der Zeitlosigkeit, sondern der alle drei Zeitstufen umschließenden Fülle
der Zeit, was auch Platon mit ὂν δὲ οὐδέποτε («seiend aber niemals») geheimnis-
voll habe andeuten wollen und mit dem Diktum «Gott umfasst, wie auch der alte
Spruch sagt, Anfang, Ende und Mitte aller Dinge» (Leg. 4, 715e–716a) klar gesagt
habe – «der alte Spruch» sei aber das mosaische Gesetz, was Platon aus Furcht
verschwiegen habe (25,3f., vgl. Riedweg 1994 [*395: 415–421]). Weitere Themen –
mehrmals unterbrochen durch Nachweise von Homers Abhängigkeit von Mose
(zu seiner Homer-Rezeption Zeegers-Vander Vorst 1972 [*201: 229–254, 259f.],
Riedweg 1994 [*395: 101–108]) – sind Gericht und Auferstehung (26,2f.), die ver-
fehlte Ideenlehre (29,1–30,3, hier Rückbezug auf den Schöpfungsbericht der ‹Ge-
nesis› und mit Philon im Hintergrund, vgl. Runia 1993 [*218: 187f.], Riedweg 1994
[*395: 448–462]), die Cherubim (31,1), der Heilige Geist als göttliche Gabe (32,1–
4) sowie die Entstehung der Zeit (33,1). Schließlich empfiehlt der Verfasser im
Einklang mit der Skepsis der Mittleren Akademie seinen Lesern als Vorbild So-
krates, der sein eigenes Nichtwissen eingestanden habe (Apol. 21d; 42a), um sie
zu veranlassen, sich den Propheten zuzukehren (36,1f.).
In den Grundzügen, daran besteht kein Zweifel, ist Ps.-Justins Platon-Verständ-
nis der mittelplatonischen Schulphilosophie verpflichtet; ihn des Näheren in die
Linie des philologischen Platonismus der Longinos-Schule, der auch der junge
Porphyrios angehörte, einzureihen, ist Riedweg 1994 [*395: 99f.] angesichts seines
erkennbar werdenden philologischen Interesses an konkreten Fragen der Textge-
staltung geneigt. Hier könnte auch das vom Mittelplatonismus abweichende So­
krates-Bild diskutiert worden sein.

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§ 83. Tatian (Bibl. 1067–1068) 817

§ 83. Tatian

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Tatian stammte aus «dem Land der Assyrer» (Orat. 42,1), d. h. aus dem nord-
mesopotamisch-syrischen Raum, wo er um 120/130 geboren sein wird (Petersen
2001 [*513: 655], Pouderon 2005 [*229: 176]). Er durchlief den herkömmlichen hö-
heren griechischen Bildungsweg, allem Anschein nach mit dem Schwerpunkt im
Rhetorik-Unterricht, nicht wie Justin im Philosophie-Studium (Orat. 42,1; 35,1;
26,5–8; vgl. Barnard 1978 [*204: 379], Lampe 21989 [*208: 246–249], Karadimas
2003 [*516: 40]; tabellarische Auflistung bei Pellegrino 1947 [*190: 101–109] und
Lampe 21989 [*208: 362–366], doch spricht man meist von einem philosophischen
Itinerar); er machte ausgedehnte Reisen (Orat. 35,1) und ließ sich in Mysterien-
kulte einweihen (Orat. 29,1). Zum christlichen Glauben fand er durch die eher zu-
fällige Lektüre «gewisser barbarischer [d. h. alttestamentlicher] Schriften», deren
höheres Alter und göttliche Wahrheit im Vergleich zu den griechischen Lehren
ihn durch die Schlichtheit ihrer Worte und die Unverstelltheit ihrer Verfasser
überzeugten (Orat. 29,2). Die Lehre von der Erschaffung des Alls, die Prophezei-
ungen des Zukünftigen, die hochstehenden ethischen Weisungen und die mono-
theistische Gotteslehre haben ihn, wie er sagt – und das scheint nun fast wie ein
Christentum ohne Christus –, gewonnen; seine Bekehrung hat er als Befreiungs-
erfahrung erlebt (Orat. 29,3). Nach Rom gekommen, schloss er sich dem Schüler-
kreis Justins an (Orat. 18,6; Iren. Haer. 1,28,1 = Eus. Hist. eccl. 4,29,1. 3, kritisch
dazu Trelenberg 2012 [*477: 195f.]) – das wird etwa um 155 gewesen sein (Peter-
sen 2001 [*513: 655]) – und wurde zusammen mit Justin in den Konflikt mit Cre-
scens verwickelt (Orat. 19,2, zum Text Nesselrath 2016 [*478: 150 Anm. 304]).
Doch blieb er im Unterschied zu Justin und seinem engeren Kreis vom Äußersten
verschont. Mindestens einen Schüler hatte er in Rom, Rhodon, einen anerkann-
ten Ketzerbestreiter (Eus. Hist. eccl. 5,13,1. 8). Er selbst allerdings neigte nach
Justins Martyrium mehr und mehr eigenwilligen Ansichten zu, die wahrschein-
lich erst offen zutage traten, als er zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt
(nach Harnack 1897 [*186: II 1,287f.] um das Jahr 172) Rom verließ und in seine
syrische Heimat zurückkehrte, um, wie Epiphanios berichtet (Haer. 46,1,6), in
Kleinasien und Syrien zu missionieren und in Mesopotamien (Seleukeia-Ktesi-
phon? so Wesseling 1996 [*510: 553], Markschies 2007 [*521: 91]) ein Lehrhaus
einzurichten. In der griechisch-römischen Kirche galt er bald als Häretiker. Er

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habe, von Stolz aufgeblasen, ähnliche Lehren wie Satorneilos, Markion und die
Valentinianer aufgestellt und sei zum Propagator der Enkratiten geworden, einer
asketischen Bewegung, die Fleisch- und Weingenuss sowie jegliche Form von Ge-
schlechtsverkehr, einschließlich der Ehe, verwarf; zudem habe er die Unerlösbar-
keit Adams gelehrt (Iren. Haer. 1,28,1; 3,23,8; Eus. Hist. eccl. 5,13, ausführlich dis-
kutiert von Trelenberg 2012 [*477: 204–219]). In den syrisch-orientalischen
Kirchen ist er offenbar nicht als Häretiker angesehen worden, weil dort der En-
kratismus weniger anstößig war. Wann und wo er gestorben ist, ist unbekannt, man
setzt sein Todesjahr zwischen 180 und 190, etwa um 185 an (Petersen 1994 [*509:
72] und 2001 [*513: 655]; vgl. Pouderon 2005 [*229: 177]).

2. WERKE

‹Oratio ad Graecos› 1989 [*210: 84, 99], Petersen 2001 [*513: 657]). Er-
Πρὸς Ἕλληνας – ‹[sc. Rede] wogen wird auch, ob die ‹Oratio› aus Anlass der
An die Griechen› (Orat.) Schulgründung im Orient entstanden ist (vgl. Nes-
selrath 2016 [*478: 16f.]). Eine entscheidende Rolle
Tatians einzige erhaltene Schrift, die schon im spielt dabei die Frage, ob die ‹Oratio› das Marty-
Altertum als «die schönste und nützlichste von rium Justins voraussetzt und ob sie Kenntnis der
allen seinen Werken» angesehen wurde (Eus. Hist. Schriften Justins durchblicken lässt. Beides wird
eccl. 4,29,7), ist weniger eine Apologie im strikten man nach dem gegenwärtigen Forschungsstand be-
Sinne (Puech 1912 [*187: 153f.], Parvis 2007 [*522: jahen können, die literarische Benutzung der Apo-
127]; dagegen positiv Trelenberg 2012 [*477: logien und des Dialoges ist unstrittig (gegen Har-
238ff.]) als eher eine polemische Streitschrift nack 1897 [*186: II 1,286], Marcovich 1995 [*476:
gegen die griechische Kultur und Philosophie, wel- 1f.], Trelenberg 2012 [*477: 195–203]). Für die Spät-
che die Überlegenheit des «Barbarentums» erwei- datierung sind vermeintliche historische Anhalts-
sen und die christliche Lehre empfehlen möchte punkte in der Einrichtung kaiserlich besoldeter
(Di Cristina 1991 [*486: 23f.], McGehee 1993 philosophischer Lehrstühle in Athen im Jahr 176
[*508]). Der Gedankengang der Schrift weist kei- (eventuell Orat. 19,1) und in den Christenverfol-
nen planmäßigen, klar strukturierten Aufbau auf, gungen des Jahres 177 (eventuell Orat. 6,4) ins Feld
der über eine vage zweiteilige Grobgliederung hin­ geführt worden (Grant 1988 [*209], Petersen 2001
ausginge (Kap. 2–20: Die christliche Lehre; Kap. [*513: 657]), was jedoch nicht eindeutig ist (Clarke
21–41: Vergleich mit der griechischen Kultur mit 1967 [*499], Barnard 1968 [*500: 1f.]).
dem krönenden Abschluss des Altersbeweises in
Kap. 31 und 36–41 – doch auch hier immer wieder
Ungeordnetheiten). Nähere Dispositionsangaben ‹Diatessaron›
bei Marcovich 1995 [*476: 5f.], Trelenberg 2012 Τὸ διὰ τεσσάρων εὐαγγέλιον – ‹Das vermit­
[*477: 25–29], Nesselrath 2016 [*478: 9–14]. telst der vier [sc. Evangelien angefertigte]
Abfassungszeit und -ort der Schrift konsensfähig Evangelium›
zu bestimmen, ist bisher nicht gelungen. Die
Spanne der Ansätze reicht von einer Frühdatierung Das Werk, eine Evangelienharmonie (der Titel
um 150 (Harnack 1897 [*186: II 1,287]: in Grie- nach Eus. Hist. eccl. 4,29,6; Epiph. Haer. 46,1,9),
chenland; Elze 1960 [*496: 42ff.]: in Rom) über den ist verschollen, kann aber aus Fragmenten und aus
Ansatz um 172 (Trelenberg 2012 [*477: 15]; Prost- Übersetzungen in orientalische und andere Spra-
meier in Nesselrath 2016 [*478: 193–201]: in Antio- chen einigermaßen rekonstruiert werden. «An-
chien) bis zu einer Spätdatierung um 177/78 (Geff- ders als die Evangelien selbst erfuhr diese Evan-
cken 1907 [*164: 105f.]: nach dem Bruch mit der gelienharmonie eine weitere Verbreitung als jede
Großkirche – und implizit – im Orient; Grant 1953 andere Schrift der altkirchlichen Literatur» (Pe-
[*493] und 1988 [*209: 112–115]: in Athen; Droge tersen 2001 [*513: 657]). Ob die Arbeit ursprüng-

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§ 83. Tatian (Bibl. 1067–1068) 819
lich auf Griechisch oder auf Syrisch abgefasst war, 1988 [*209: 131], Trelenberg 2012 [*477: 3]) und
lässt sich schwer eindeutig sagen – doch votiert Pe- eventuell auch auf Dämonen einging (Orat. 16,2);
tersen 1994 [*509: 428], der beste Kenner der Ma- oder es stammte noch aus seiner vorchristlichen
terie, für Letzteres –, ebenso ob sie noch in Rom Zeit (vgl. Harnack 1893 [*186: I 2,486], Elze 1960
oder im Osten entstanden ist (das 1933 in Dura Eu- [*496: 12]). Und in Orat. 40,3 kündigt er eine ge-
ropos aufgefundene griechische Fragment wird im plante Schrift an: Πρὸς τοὺς ἀποφηναμένους τὰ
Allgemeinen als Übersetzungsarbeit beurteilt, Pe- περὶ θεοῦ (‹An die, die über das, was Gott betrifft,
tersen 1994 [*509: 196–203, 453–456]). Auf jeden gehandelt haben›). Sein Schüler Rhodon berichtet
Fall genoss das ‹Diatessaron› in der Frühzeit der in einem Fragment bei Eus. Hist. eccl. 5,13,8, von
syrischen Kirche kanonische Geltung, bis es im einem schon im Titel Bedenken erweckenden
5. Jahrhundert beanstandet und im 6. Jahrhundert Buch, in dem er dunkle Stellen in der Heiligen
durch den ‘textus receptus’ der ‹Peschitta› voll- Schrift erörtert habe: Προβλημάτων βιβλίον
ständig verdrängt wurde (Bruns 32002 [*514: 193]). (‹Buch der Probleme›; vgl. Harnack 1897 [*186: II
1,288 Anm. 2]). Einer Nachricht des Clemens von
Von einigen weiteren Werken sind noch die Alexandrien zufolge (Strom. 3,81,1–82,2) vertrat
Titel bekannt, die daran erinnern können, dass Ta- er in Περὶ τοῦ κατὰ τὸν σωτῆρα καταρτισμοῦ
tians Arbeitsfeld breiter angelegt war. Auf ein äl- (‹Über die Vollkommenheit nach den Worten des
teres Werk verweist er selbst in Orat. 15,4: Περὶ Erlösers›) unverhüllt enkratitisch häretische An-
ζῴων (‹Über Lebewesen›), das vielleicht die Gott­ sichten (die Fragmente in den Editionen von
ebenbildlichkeit des Menschen behandelte (Grant Schwartz 1888 [*474] und Whittaker 1982 [*475]).

3. LEHRE

Tatian, der Schüler Justins, geht selbstverständlich von der Theologie seines
Lehrers aus, doch verfährt er dabei recht eigenwillig. In manchen Punkten entwi-
ckelt er die Position Justins weiter, in anderen bleibt er hinter ihr zurück, und ge-
genüber der griechisch-römischen Philosophie und Kultur nimmt er eine sehr an-
dere Gesamthaltung ein. Die offene Einstellung Justins ist ihm fremd, seine
Kritik will diffamieren (anders urteilt Nasrallah 2005 [*517: 300] mit Verweis auf
Gepflogenheiten der Zweiten Sophistik: «it is a piece of humor, a satire, a joke of
sorts»). Auf den Gebieten der Religion und Mythologie, der Literatur, des Thea-
terwesens und der bildenden Künste, selbst der Medizin, überall gibt er sich als
der allumfassend informierte Experte aus (Lampe 21989 [*208: 362–366]) – tat-
sächlich verdankte er sein Wissen sekundären und nicht immer den besten Quel-
len (Geffcken 1907 [*164: 109–113], Grant 1958 [*495: 124]) –, um desto wirk­samer
zum vernichtenden Schlag ausholen zu können. Nicht weniger spricht er der grie-
chischen Philosophie jeglichen Wert ab. An einer inhaltlichen Auseinanderset-
zung mit dem Lehrgehalt der einzelnen Schulen ist er nicht interessiert, es geht
ihm nahezu ausschließlich und ganz oberflächlich darum, die Philosophen als Per-
sonen zu verunglimpfen. Er sieht in ihnen nur eine «Ansammlung von aufgebla-
senen, eitlen, geschwätzigen, widersprüchlichen, obskuren, schwachsinnigen und
verlogenen Existenzen» (Trelenberg 2012 [*477: 54f.]), wovon höchstens Sokrates
ausgenommen ist (Orat. 2,1–3,7; 19,1–3; 25,1–27,9; zu Sokrates vgl. Orat. 3,3). Bloß
am Rande wiederholt er auch sachliche Einwände seines Lehrers, wie die Wider-
sprüchlichkeit der Schulen untereinander (Orat. 25,3f.; 26,1f. 5–8), die Unhaltbar-
keit des astrologischen Fatalismus (Orat. 7,3; 8,1f.; 9,1–11,3; 15,3), die inneren
Schwierigkeiten der stoischen Weltenbrandlehre (Orat. 3,3; 6,1; 25,4) und der See-

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lenwanderungslehre (Orat. 3,5), der Begrenzung der göttlichen Providenz auf den
sublunaren Bereich (Orat. 2,3) und manches andere (vgl. Pouderon 2005 [*229:
191–196], Karadimas 2003 [*516: 24–30]), ohne auch hier von persönlichen Invek-
tiven abzusehen. Auch versucht er sich an einer Definition der Zeit (Orat. 26,1;
dazu Elze 1960 [*496: 103ff.]). Dass er tatsächlich selbst vom Schulgut des Mittel-
platonismus, das ihm vielleicht erst durch Justin vermittelt worden ist (so die Ver-
mutung von Lampe 21989 [*208: 246]; vgl. Grant 1988 [*209: 130]), positiv Ge-
brauch macht – wenn auch nur oberflächlich –, scheint ihm gar nicht bewusst
geworden zu sein.
Dazu kommt, dass er eine Reihe von Themen ausblendet, die für seinen Lehrer
Justin zentrale Bedeutung hatten. Das Auffälligste, wie schon lange bemerkt
wurde, ist, dass in der ‹Oratio› die Namen ‘Jesus’ oder ‘Christus’ nicht genannt wer-
den und dass entsprechend auch die abgeleiteten Bezeichnungen wie ‘Christen’
oder ‘Christentum’ fehlen (Puech 1912 [*187: 170], Elze 1960 [*496: 19]). Das heißt
nun gewiss nicht, wie es manchmal interpretiert worden ist (Puech 1912 [*187: 170],
Elze 1960 [*496: 19]), dass Tatian gegenüber einem paganen Publikum aus apolo-
getisch-taktischen Gründen sein christliches Bekenntnis habe dissimulieren und
unnötige Anstöße vermeiden wollen. Dem würde nicht nur der aggressive Ton des
Werkes insgesamt widersprechen, sondern auch ganz entschieden die tatsächlichen
Erwähnungen des christologischen Kerygmas der Inkarnation in Orat. 21,1 («wir
verkünden, Gott sei in Menschengestalt erschienen») und der Passion in Orat. 13,6
(«[…] des Gottes, der gelitten hat»; Trelenberg 2012 [*477: 220ff.]). Doch ist ihm
das Christentum keine neue, erst jüngst durch Jesus Christus gestiftete Religion,
sondern es ist die älteste schlechthin, die Religion der Einheit und der Wahrheit,
«die barbarische Philosophie», wie die bezeichnende Wendung jetzt lautet (Orat.
35,2f.; 42,1; 31,1; vgl. Orat. 32,2. 7; 34,4; 40,2), und Mose ist ihr Archeget (Orat. 31,1;
vgl. zum Ganzen Norelli 1998 [*511], Lössl 2007 [*520]).
Damit ist nun allerdings eine erhebliche Umschichtung im systematischen Auf-
riss des Gesamtkonzepts verbunden. War bei Justin der Logos-Christus diejenige
Instanz, in dessen universaler Wirksamkeit die gesamte Weltwirklichkeit von der
Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung umfasst und verankert war, so
sind bei Tatian mindestens zwei Dimensionen herausgebrochen. In geistesge-
schichtlicher Hinsicht rechnet Tatian offenbar nicht mit einer durch den Logos
vermittelten, begrenzten natürlichen Gotteserkenntnis bei den Griechen (auch
nicht Orat. 4,3). Er meint, die Griechen hätten die Bücher Moses und der Prophe-
ten ausgeplündert und dabei verfälscht (Orat. 40,2), doch Justins Lehre vom Λόγος
σπερματικός hat er nicht rezipiert. Vorchristliche Heiden, die mit dem Logos leb-
ten und deshalb als Christen anzusehen seien, kennt er nicht (Orat. 13,4 zielt
genau in die Gegenrichtung, vgl. Joly 1973 [*202: 79f.]). Ebenso ist die heilsge-
schichtliche Dimension der Theophanien und Prophezeiungen in der Geschichte
der Patriarchen und des Volkes Israel ausgeblendet. In seinem Altersbeweis kom-
men aus der biblischen Geschichte bewusst nur ganz wenige Daten vor – Moses
Lebenszeit, der Auszug aus Ägypten, Salomo, Nebukadnezars Feldzüge und in-
direkt die babylonische Sprachverwirrung –, Daten, die lediglich chronologische,
keine religiös theologische Bedeutung haben (Orat. 30,4; 31,1; 36,1. 3; 37,2f.; 38,1;

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§ 83. Tatian (Bibl. 1067–1068) 821

39,2). Vor allem ist der für Justin so überaus wichtige Komplex des christologischen
Weissagungsbeweises nicht aufgenommen. Kein einziges der solennen Schriftzi-
tate begegnet bei ihm. Auch wenn man einräumt, dass er sich in der Auswahl sei-
nes Stoffs dem literarischen Genus der Streitschrift anpasst und eine nähere Dar-
stellung der christlichen Lehre einer anderen Schrift vorbehält (Orat. 30,4; 40,3),
kommt man doch nicht umhin zu konstatieren, dass er ein heilsgeschichtlich den-
kender Autor nicht gewesen ist. «Kosmologie und monotheistische Gotteslehre [sc.
bilden] für Tatian die Hauptstücke der christlichen Theologie» (Elze 1960 [*496:
23]); eine dritte Säule bildet die Sittenlehre, wie schon der Bekehrungsbericht an-
kündigt. Sie ist zwar in der ‹Oratio› nicht sehr prominent vertreten, wird aber in
seiner späteren Entwicklung zum Enkratismus immer wichtiger.
Es gibt nun allerdings auch einige Lehrstücke, in denen Tatian die Position Jus-
tins eigenständig weiterführt und dabei eine beachtliche philosophisch-theologi-
sche Reflexionskraft beweist. Gemeinsam ist beiden die Betonung der Transzen-
denz des monotheistischen Gottes, die er wie Justin mit den meist negativen
Gottesprädikaten der mittelplatonischen Schulphilosophie zum Ausdruck bringt
(besonders Orat. 4,3f.), und auch für ihn ist Gott das Sein selbst, αὐτὸ τὸ ὄν (Orat.
15,4; eine Auflistung der Gottesprädikate bei Hanig 1999 [*512: 62 Anm. 116],
Pouderon 2005 [*229: 186]).
Doch in der Logoslehre hat er, um das Anliegen des strengen Monotheismus
mit der Lehre der Schöpfungsmittlerschaft zum Ausgleich zu bringen, eine Mo-
difizierung vorgenommen, die auf ein Zwei-Stufen-Modell hinausläuft. Er geht
von jüdisch-christlichen Spekulationen zu Gen. 1,1, «bereschit» und dem folgen-
den Wortschöpfungsbericht aus (Daniélou 1973 [*197: II 349]): Gott war am An-
fang, und ‘der Anfang’ war die Kraft des Wortes (δύναμις λόγου: Gen. 1,1). Diese
δύναμις λόγου ist ein Gott eigenes, immanentes Vermögen, das aus Anlass der
Welterschaffung in die aktuale Gestalt des Logos übergeht, dabei aber seinen im-
manenten Status in Gott nicht einbüßt. Tatian führt aus: Vor der Erschaffung der
Welt war Gott allein, er trug aber das Wort (λόγος) vermöge seiner λογικὴ δύναμις
in strukturierter Einheit in sich und umfasste, weil er der Urgrund von allem ist,
damit zugleich potentiell die gesamte Schöpfung in sich (Orat. 5,1). Auf der zwei-
ten Stufe trat das Wort (λόγος) gemäß einem Willensakt der göttlichen Einfach-
heit in realer göttlicher Selbstentfaltung aus der Einfachheit Gottes heraus (Orat.
5,2ff.: προπηδᾶν, «hervorspringen»; χωρεῖν, «fortgehen»; προέρχεσθαι, «hervor-
kommen»; Orat. 5,4; 7,1: γεννᾶν, «zeugen») und wurde zum erstgeborenen Werk
des Vaters – d. h. zum «Logos» – im Sinne hypostatischer Existenz und damit zum
Ursprung der Welt (Orat. 5,2). Tatian insistiert darauf, dass dieser Hervorgang des
Logos keine Minderung aufseiten Gottes bedeutet (Orat. 5,3: κατὰ μερισμόν, οὐ
κατ’ ἀποκοπήν, «in einer Teilung, nicht in Abtrennung» – nach Grant 1988 [*209:
130] sind dies rhetorische Termini; vgl. Karadimas 2003 [*516: 34ff.], Lössl 2010
[*525: 137f. Anm. 39]), und nur in diesem Sinne gebraucht er die Vergleiche Jus-
tins vom Sprechen und von der Fackel (Orat. 5,4f.), wohingegen die Eigenständig-
keit des Logos unbetont bleibt (Hanig 1999 [*512: 49–57]).
Auch mit Blick auf die Erschaffung der Welt bringt Tatian zwei Stufen in An-
schlag, womit er die Unklarheiten Justins in der Bestimmung der Materie über-

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822 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

windet. Die Materie ist nicht, als wäre sie ein zweites Prinzip, anfangslos und
gleichrangig mit Gott, sondern sie ist geschaffen (Orat. 5,7). Gott, bzw. der Logos
hat sie sich zunächst gewissermaßen als Rohmaterial in gestaltlosem und unge-
formtem Zustand hervorgebracht, um sie in einem zweiten Schritt durch innere
Differenzierung in Wohlgeformtheit und Geordnetheit zu überführen. Himmel,
Sterne, die Erde und alles, was auf ihr wahrzunehmen ist, existieren nur durch
diese differenzierende Teilung der allem gemeinsam zugrunde liegenden Materie
(Orat. 5,6; 12,2). Der Sache nach ist damit bereits die Lehre der ‘creatio ex nihilo’
vorgebildet (Karamanolis 2013 [*237: 74ff.]).
Eine weitere bemerkenswerte Differenzierung in diesem Zusammenhang nimmt
Tatian mit dem Begriff πνεῦμα ὑλικόν vor. Dieses «der Materie zugehörige
Pneuma» ist zu unterscheiden von dem transzendenten Pneuma, das die Substanz
Gottes ist (Orat. 4,3f.); es ist von Gott geschaffen und entspricht dem das All imma-
nent durchwaltenden Pneuma der Stoiker. Im Vergleich des Mikro- und Makrokos-
mos zeigt Tatian, wie die individuelle Vielfalt und unterschiedliche Werthaftigkeit
der Einzelteile in der Erscheinungswelt dank dem Willen des Schöpfers durch je-
weilige Teilhabe an dem hylischen Pneuma bei gleicher materieller Grundbeschaf-
fenheit zusammengeschlossen sind zu einer planvollen harmonischen Einheit (Orat.
12,3. 8; Elze 1960 [*496: 68f., 86ff.], Trelenberg 2012 [*477: 41f.]). Eine Gestalt des
hylischen Pneuma ist auch die menschliche Seele (Orat. 12,1). Mit Blick auf das
Ganze versteht Tatian den geschaffenen Kosmos somit als beseeltes Lebewesen.
Auch in der Anthropologie finden sich bei Tatian sowohl konventionelle als auch
eigenständige Aussagen. Der Mensch besteht aus Körper und Seele, wobei die
Seele das Band des Körpers ist (Orat. 15,4). Doch die Seele, vielteilig und zusam-
mengesetzt (Orat. 15,1), ist von Natur aus nicht unsterblich (Orat. 13,1). Diese
schon von Justin geteilte Überzeugung (Elze 1960 [*496: 89f.] nennt philosophische
Parallelen, u. a. Straton von Lampsakos und Ainesidemos) entwickelt Tatian wei-
ter (vgl. Strutwolf, Lakmann in Nesselrath 2016 [*478: 225–245]). Zwar hatte Gott
im Urstand die ersten Menschen mit der Gottebenbildlichkeit, deren wesentliches
Merkmal die Unsterblichkeit gewesen ist, ausgezeichnet (Orat. 7,1; 12,1), doch in-
folge des frei gewählten Sündenfalls hat sich der göttliche Geist von ihnen entfernt
und ihnen damit die Gottebenbildlichkeit entzogen, so dass die menschliche Seele
in ihrer Abwärtsneigung zur Materie hin (Orat. 13,3; 20,2) unwissend und sterblich
geworden ist (Orat. 7,5; 13,4; 29,3). Der gefallene Mensch ist nun keine ὁμοίωσις
τοῦ θεοῦ («Ähnlichkeit mit Gott») mehr, sondern steht mit den Tieren auf einer
Stufe, von denen er sich nur durch die Sprache unterscheidet (Orat. 15,5). Bezogen
auf die schöpfungsgemäße Konstitution des Menschen weist deshalb Tatian die
philosophische Standardformel ζῷον λογικὸν νοῦ καὶ ἐπιστήμης δεκτικόν («ver-
nunftbegabtes Lebewesen, das zu Verstand und Wissen fähig ist») zurück (Orat.
15,3), weil sie die wirkliche Sonderstellung des Menschen gar nicht zum Ausdruck
bringe. Diese liege in der Gottebenbildlichkeit, die zwar durch den Sündenfall ver-
loren ist, doch bestehe die Möglichkeit, dass der Mensch dieses verlorene Gut wie-
dererlangt und seine Seele nicht stirbt (Orat. 13,1f.; Elze 1960 [*496: 90–100]). Er
muss bestrebt sein, dass der Geist Gottes sich mit seiner Seele, dem hylischen
Pneuma, wieder verbindet und in ihr wie in einem Tempel Wohnung nimmt (Orat.

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§ 83. Tatian (Bibl. 1067–1068) 823

15,1. 5; zur Thematik der Willensfreiheit siehe Hawthorne 1964 [*498: 171f.]). Wenn
die Seele der Weisheit gehorsam ist und so den Geist Gottes an sich zieht (Orat.
13,6), wenn sie die Wahrheit erkannt hat (Orat. 13,1f.), dann wird sie in der Aufer-
stehung die Unsterblichkeit als Überkleidung der Sterblichkeit erlangen (Orat.
20,6; vgl. Daniélou 1973 [*197: II 390–396], Hunt 2003 [*515: 136–139]). «Das Ge-
fieder der Seele», sagt Tatian (Orat. 20,2) mit einer gängigen, auf Platon Phdr. 246c
zurückgehenden Metapher, «ist der vollkommene Geist [d. h. der Geist Gottes]»,
der sie hinauf zur Wohnstätte Gottes führt (Orat. 13,3).
Eine deutliche Fortführung über Justin hinaus ist der groß angelegte Altersbe-
weis, den Tatian nicht nur im Einzelvergleich zwischen vermeintlichen literarischen
Abhängigkeiten, sondern auf breiter chronologischer Basis führt (Orat. 31, 36–41;
dass Tatian hier in jüdischer Tradition steht, betont Nesselrath 2014 [*478: 179 Anm.
562]). Er geht methodisch überlegt vor, indem er Mose und Homer zu den beiden
Eckpunkten der Argumentation macht und auf Zeugnisse aus der eigenen, barba-
rischen Tradition verzichten will, um die Griechen mit ihren eigenen Waffen zu
schlagen – nachträglich weitet er den Beweis noch auf alle Schriftsteller vor Homer
und die griechischen Weisen aus. So ergibt sich, dass «unsere Philosophie älter ist
als die Kultur der Griechen» (Orat. 31,1), wobei implizit das gängige Axiom vor-
ausgesetzt ist, dass höchstes Alter Ausweis der Wahrheit ist (vgl. zum Ganzen
Grant 1988 [*209: 125ff.], Droge 1989 [*210: 91–101], Pilhofer 1990 [*213: 253–
260]). Auf der Linie Justins liegt weithin auch Tatians Dämonologie, wenngleich
einige Teilaspekte moderater erscheinen (Daniélou 1973 [*197: II 430ff.], Hunt
2003 [*515: 133–136], Pouderon 2005 [*229: 194], Timotin in Nesselrath 2016 [*478:
274–286]). Umstritten ist schließlich die Frage, ob sich in seinem erhaltenen Schrift-
tum häretische Meinungen widerspiegeln (Grant 1954 [*494], Petersen 2005 [*518:
144–152]; anders Elze 1960 [*496: 106–120], Hawthorne 1964 [*498: 164ff.]), doch
gelangt eine differenzierende Abwägung zum Urteil, dass sein Werk «von vielfäl-
tigen gnostizistischen Tendenzen durchzogen [sc. ist], welche sich im Regelfall und
bei wohlwollender Beurteilung noch innerhalb des Rahmens großkirchlicher
Rechtgläubigkeit verorten lassen, diesen im Einzelfall jedoch eindeutig verlassen»
(Trelenberg 2012 [*477: 219]; vgl. Pouderon 2005 [*229: 196–201]).

4. NACHWIRKUNG

Das Bemerkenswerteste an Tatians Nachwirkung ist der gewaltige Unterschied


zwischen der Rezeption in den orientalischen Kirchen und jener in der westlichen,
griechisch-lateinischen Kirche. Im Westen wird er «Syrer» genannt, im Osten
«Grieche» (Petersen 2005 [*518: 152f.]). Im Westen, wo er seit Irenäus wegen en-
kratitischer Lehren als Häretiker galt, wurde dennoch sein apologetisches Werk
geschätzt, namentlich seine chronologischen Aufstellungen haben Clemens von
Alexandrien (Strom. 1,101,2), Origenes (Cels. 1,16) und Eusebios (Hist. eccl.
4,29,7) übernommen. Nicht auszuschließen ist, dass diesen Partien überhaupt die
Erhaltung des Textes der ‹Oratio› zu verdanken ist (Pilhofer 1990 [*213: 254]).
Entscheidend war, dass schließlich Arethas, der Metropolit des kappadokischen

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824 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Kaisareia, die Schrift in die berühmte, vom Schreiber Baanes 914 fertiggestellte
Apologetenhandschrift (Codex Parisinus graecus 451) aufnehmen ließ. Die die
‹Oratio› enthaltenden Quaternionen gingen später verloren, doch existieren vier
zuvor gefertigte Abschriften (Trelenberg 2012 [*477: 15–24]). Das ‹Diatessaron›
hat im griechisch-lateinischen Bereich eine eher untergeordnete Bedeutung. Wäh-
rend es von Eusebios (Hist. eccl. 4,29,6) – ohne direkte Kenntnis – lediglich ge-
nannt wird, berichtet Theodoret (Haer. 1,20), dass er in über 200 Gemeinden sei-
ner Diözese Exemplare aufgefunden habe, die er vernichten ließ. Eine lateinische
Version taucht erstmals in der Mitte des 5. Jahrhunderts ohne Verfassernamen
und ohne Titel auf, es folgen später Übersetzungen ins Altsächsische, Althoch-
deutsche, Mittelniederländische und Mittelitalienische (Stemma bei Petersen 1994
[*509: 490]).
Genau umgekehrt steht es in den orientalischen Kirchen. Hier, wo Tatians
Name zuerst durch eine anonyme syrische Übersetzung der ‹Kirchengeschichte›
des Eusebios des 4. Jahrhunderts bekannt wurde, aber seine Rechtgläubigkeit bis
zum 10. Jahrhundert nicht beanstandet wurde, basierte seine literarische Reputa-
tion ganz auf dem ‹Diatessaron›, während das apologetische Schrifttum unbeach-
tet blieb. Seit dem Ende des 2. Jahrhunderts avancierte das ‹Diatessaron› zum
Standardevangelium der syrischen Kirche; von hieraus verbreitete es sich in arme-
nischen, persischen, georgischen und arabischen Übersetzungen (Stemma bei Pe-
tersen 1994 [*509: 490]). Ephräm, der klassische Theologe der syrischen Kirche,
verfasste einen Kommentar dazu, der im Original fragmentarisch, in armenischer
Übersetzung vollständig erhalten ist (Petersen 1994 [*509: 114–117, 314–319]).
Dass das ‹Diatessaron› im 5./6. Jahrhundert aus dem kirchlichen Gebrauch ver-
drängt wurde, änderte nichts daran, dass der Name Tatians von wenigen Ausnah-
men abgesehen im orientalischen Sprachbereich in ehrendem Angedenken blieb
(Petersen 2001 [*513: 658f.]). Das neuzeitliche Interesse an Tatian beginnt mit der
Editio princeps, die von Conrad Gessner mit lateinischer Übersetzung bei Frosch­
auer in Zürich 1546 veranstaltet wurde, doch blieb das Urteil, dass er sich in Irr-
lehren verstrickt habe, nach wie vor für lange Zeit maßgeblich.

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§ 84. Athenagoras (Bibl. 1069–1071) 825

§ 84. Athenagoras

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Athenagoras wird im Altertum namentlich nur von Methodios von Olympos


erwähnt (Resur. 1,37,1–3 mit Bezug auf Leg. 24,2, im Folgenden nach der Zäh-
lung von Schoedel 1972 [*534] zitiert). Von Methodios sind Epiphanios (Haer.
64,28f.) und Photios (Bibl. cod. 234, 293b) abhängig, während der Kirchenhisto-
riker Eusebios von Caesarea ihn auffälligerweise nicht nennt. Die aus Philippos
Sidetes exzerpierten Nachrichten des Codex Baroccianus 142 (PG 39, 229 = Theo-
doros Anagn. Hist. eccl. p. 160 Hansen) sind konfus und historisch fragwürdig.
Diesen zufolge habe Athenagoras an der Spitze der platonischen Akademie – of-
fenbar in Athen – gestanden, habe jedoch beim Versuch, das Christentum zu wi-
derlegen, sich zum christlichen Glauben bekehrt, sei aber Philosoph geblieben und
habe seine Bittschrift für die Christen an Hadrian und Antoninus Pius (sic) ge-
richtet; er sei später der erste Leiter der alexandrinischen Katechetenschule ge-
worden, wo Clemens von Alexandrien sein Schüler und dessen Schüler wiederum
Pantainos (sic) waren. In der Regel wird dieser verworrene Bericht mit gutem
Grund ganz beiseitegelassen, es bleiben als zuverlässige Aussagen über seine Per-
son neben der Notiz des Methodios allein die Angaben am Anfang seines Werkes
übrig. Die möglicherweise (siehe Harnack 1897 [*186: II 1,317f. Anm. 4]) sekun-
däre Überschrift der Bittschrift bezeichnet ihn als Athener und als christlichen
Philosophen, und das Präskript nennt als Adressaten die Kaiser Marcus Aurelius
und Lucius Aurelius Commodus, was in die Zeit zwischen 176 und 180, wahr-
scheinlich auf das Jahr 177 führt (Marcovich 1990 [*535: 1ff.], Pouderon 1992
[*536: 23ff.]). Zur bedrohlichen Zeitstimmung, die durch gesteigerte antichristli-
che Repressalien und vermehrte Verurteilungen aufgrund des ‘nomen ipsum’ sei-
tens der staatlichen Behörden gekennzeichnet ist, passt der Inhalt der Schrift
genau (Marcovich 1990 [*535: 1ff.]). Darüber hinaus ist von Athenagoras nichts
Sicheres bekannt, doch sucht Pouderon 1989 [*585: 19–35] und 1993 [*589] (unter-
stützt von Heimgartner 2001 [*281: 230ff.]), dem Bericht des Codex Baroccianus
ein paar historisch verwertbare Teilinformationen, insbesondere einen alexandri-
nischen Aufenthalt des Athenagoras betreffend, abzugewinnen.

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826 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

2. WERKE

‹Legatio pro Christianis› ‹De resurrectione mortuorum›


Πρεσβεία περὶ Χριστιανῶν – ‹Bittschrift für Περὶ ἀναστάσεως νεκρῶν – ‹Über die Auf­
die Christen› (Leg.) erstehung der Toten› (Resur.)

Zum Titel πρεσβεία = ἐντεύξις = ‘Bittschrift’ vgl. Am Ende der Bittschrift erklärt Athenagoras,
Kienast 1973 [*568: 594], zu Datierung und Adres- er wolle den Περὶ ἀναστάσεως λόγος zurückstel-
saten siehe oben. Das Werk ist «essentially a rewri- len (Leg. 37,1), was wahrscheinlich als Ankündi-
ting of Justin’s (first) Apology in more intellectually gung einer eigenen Abhandlung zum Thema zu
respectable terms» (Parvis 2007 [*597: 123]; eine werten ist. Tatsächlich findet sich im Codex Pari-
Auflistung der Gemeinsamkeiten mit Iust. 1. Apol. sinus graecus 451 im direkten Anschluss an die
findet sich bei Pouderon 1989 [*585: 348ff.]). Es ist Bittschrift ein Traktat unter diesem Titel, doch ist
wie jene eine förmliche Eingabe, die entscheidende dessen Authentizität umstritten. Die einen sehen
literarische Elemente eines ‘libellus’ wie Adresse unüberwindliche Schwierigkeiten, die gegen die
(Leg. inscr.), Klage (Leg. 1–2) und Petition um kai- Echtheit sprechen, in der unklaren handschriftli-
serliche Intervention (Leg. 37) aufnimmt, jedoch chen Überlieferung der Überschrift, in einem an-
nicht auf der Ebene einer privaten Eingabe wie ein geblich abweichenden Sprachgebrauch der anthro-
‘libellus’ angesiedelt ist, sondern sich als eine solche pologischen Leitbegriffe und in vermeintlich einer
einer Gesandtschaft eines Gemeinwesens (κοινόν) späteren Zeit angehörigen Sachaussagen (Grant
bzw. einer öffentlichen Körperschaft präsentiert 1954 [*553], Schoedel 1972 [*534: XXV–XXXII],
(vgl. Kinzig 1989 [*211: 305], Parvis 2007 [*597: Gallicet 1976 [*572] und 1977 [*574], Lona 1989
123]). Das entspricht natürlich de facto nicht dem [*584] und 1990 [*586], Zeegers-Vander Vorst
rechtlichen Status der illegalen Christengemeinde, 1992 [*588] sowie Heimgartner 2001 [*281: 203–
der das Privileg, Gesandtschaften zu stellen, gar 230], der Ps.-Justins Fragment Resur. als das in
nicht zukam, doch genau darin liegt die Absicht der Leg. 37,1 angekündigte Werk erweisen möchte).
Eingabe, eine gesetzliche Gleichbehandlung der Andere weisen darauf hin, dass die gegen die
Christen mit den anderen Religionen des Reiches Echtheit vorgebrachten Argumente allesamt nicht
zu erzielen. Die generell vom Staat konzedierte re- zwingend sind, dass dabei der spezielle Adressa-
ligiöse Toleranz muss auch für die Christen gelten; tenkreis nicht hinreichend berücksichtigt ist und
strafrechtlich relevant dürfen nur kriminelle Verge- dass das Vokabular und der Stil große Ähnlichkei-
hen sein, aber nicht der bloße Name der Christen ten mit der Bittschrift aufweisen (Rauch 1968
(1,1–3; 2,1f. 4). Wo hingegen Verbrechen nachge- [*556], Barnard 1972 [*567: 28–32], Vermander
wiesen werden, sei die strikteste Ahndung zu for- 1978 [*575], Barnard 1984 [*577], Hällström 1988
dern (2,1). Deshalb weist Athenagoras in seiner klar [*581], Pouderon 1986 [*578], 1987 [*580], 1997
disponierten Bittschrift die drei im Volk kursieren- [*593: 71–144] und 2005 [*229: 210–214]), wieder
den hauptsächlichen Verleumdungen gegen die andere lassen die Entscheidung in der Schwebe
Christen, nämlich Atheismus, Inzest und Kanniba- (Marcovich 2000 [*537: 3], Pilhofer 32002 [*596:
lismus, zurück, um eine gesetzlich garantierte 77]). Wenn man an der Echtheit festhalten möchte,
Gleichstellung der Christen mit den anderen religi- was durchaus berechtigt ist (vgl. Rankin 2009
ösen Kulten zu erwirken. Die beiden letzteren Vor- [*598: 17–40]), dann liegt eine Abfassungszeit
würfe werden nur kurz abgetan (31,1–36,3), auf den nicht lange nach der Bittschrift nahe. Die strin-
ersten geht Athenagoras jedoch sehr ausführlich ein gent gegliederte Abhandlung enthält zwei Teile:
(3,1–30,6), indem er sowohl die philosophisch-theo- Zuerst begründet Athenagoras gegen jene, welche
logischen Fundamente der christlichen Lehre (4,1– die Wahrheit in Zweifel ziehen, die Möglichkeit
12,4) als auch die Gründe für die christliche Ableh- der Auferstehung (ὑπὲρ τῆς ἀληθείας) mit der All-
nung der paganen Kulte (13,1–30,6) behandelt macht und dem Willen Gottes (Resur. 1,1–11,2),
(detaillierte Inhaltsangaben bei Marcovich 1990 sodann entfaltet er für jene, welche die Wahrheit
[*535: 3–14] und Pouderon 1992 [*536: 65–68]); die gern annehmen, die Wirklichkeit der Auferste-
These von Malherbe 1969 [*557], dass sich der Auf- hung (περὶ τῆς ἀληθείας) mit vier Argumenten,
riss von Leg. 4–12 strukturell mit dem ‹Didaskali- und zwar zur αἰτία («Ursache») für die Entste-
kos› des Alkinoos berührt, vermag nicht voll zu hung des Menschen, zur κοινὴ φύσις («gemein-
überzeugen (vgl. Pouderon 2005 [*229: 209f.]). same Natur») aller Menschen, zur κρίσις («Gericht

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§ 84. Athenagoras (Bibl. 1069–1071) 827
[sc. Gottes über die Menschen]») und zum τέλος 1988 [*581], Zeegers-Vander Vorst 1995 [*591]),
(«Lebensziel»; Resur. 11,3–25,5 mit Dispositions- aber ebenso der Auseinandersetzung mit hetero-
angaben in 11,7; 13,3; 14,5; 15,2f.; 18,1f.; 24,1). doxen Christen (Pouderon 1995 [*590]). Zugleich
Athenagoras hat mit seinen Ausführungen einen will der Autor angesichts innerkirchlicher Diskus-
weiten Adressatenkreis im Auge. Das Werk dient sionen um die Auferstehungslehre (vgl. Resur.
der Auseinandersetzung mit paganen Gegnern 14,6) für Kirchenchristen eine rationale Begrün-
und philosophischen Kritikern wie etwa Kelsos dung der Auferstehungshoffnung unterbreiten
und Galen (Vermander 1978 [*575], Hällström (Pouderon 1989 [*585: 98–110]).

3. LEHRE

Unter den frühchristlichen Apologeten ist Athenagoras der philosophisch Versier-


teste (vgl. Pouderon 2005 [*229: 208f.]). Er ist nicht nur im Bildungswissen seiner
Zeit und in der philosophischen Tradition gut bewandert, sondern vermag auch die
christliche Glaubensposition, gründlicher als es seine Vorgänger taten, mit eigenen
rationalen, philosophischen Argumentationen zu entfalten. Seine kulturgeschicht-
lichen und philosophischen Kenntnisse – Dichter und Philosophen stehen für ihn
gleichrangig nebeneinander (Leg. 5,1; 7,2; 24,1) – verdankt zwar auch er weitgehend
sekundären Quellen (Florilegien, Doxographien, Kompendien), woraus er gar kei-
nen Hehl macht (Leg. 6,2; 23,3), doch beweist er bei der Auswahl eigentlich immer
eine glückliche Hand (siehe Aëtios’ ‹Placita› bzw. ein verwandtes Werk in Leg. 6,1.
3f.; 16,1; 23,4f.; 25,2) und kann mit seinem Material sachgerecht umgehen. Er wen-
det auch auf den Wortlaut seiner Zitate einige Mühe und kann sogar bisweilen mit
ganz seltenen Nachrichten aufwarten (in Leg. 28,6 eine der frühesten Bezeugun-
gen des ‹Corpus Hermeticum›; vgl. zum Ganzen die Aufstellungen bei Keseling
1950 [*552: 883–888], Grant 1988 [*209: 103–105], Pouderon 1989 [*585: 324–344],
Marcovich 1990 [*535: 118f.]). In einzelnen Fällen darf man vielleicht sogar anneh-
men, dass er die Originalschriften zur Hand genommen hat (so Barnard 1972
[*567: 43f.], Grant 1988 [*209: 104f.], Pouderon 1989 [*585: 338–341] mit Blick auf
einige Dialoge Platons, eventuell ‹Timaios›, und mit Blick auf Herodot, Buch 2, den
‘Ägyptischen Logos’, in Leg. 28,1–6. 8–10, während Geffcken 1907 [*164: 174f., 192,
212, 223] jegliche Originallektüre in Abrede stellt).
All seine von echter Wertschätzung durchdrungene Bildung setzt er nun ein,
um die Christen vom Vorwurf des Atheismus freizusprechen und den paganen
Polytheismus aus antiken Zeugnissen selbst zu widerlegen; denn schon dort, be-
tont er, habe man Anstoß genommen an den Anthropomorphismen, an der Immo-
ralität und Monstrosität der Göttermythen, an der Nichtigkeit der Götterkulte,
und man habe erkannt (Leg. 24,1), dass die paganen Götter nach der epikurei-
schen Theorie nichts anderes als Phantasiebilder (εἴδωλα, φαντασίαι: Leg. 27,1f.),
nach der stoischen Theorie nichts anderes als allegorisierte Naturgewalten bzw.
Naturelemente (Leg. 22,1–7) oder nach der euhemeristischen Theorie nur verstor-
bene Menschen (Leg. 28,1–30,3) seien, hinter denen freilich die Wirksamkeit der
Dämonen steht (zum Ganzen Pouderon 1989 [*585: 305–315]). Gleichwohl ver-
mochten die griechischen Dichter und Philosophen sich nicht konsequent vom pa-
ganen Religionswesen frei zu machen. Zwar haben sie, da sie infolge einer ‘Sym-

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828 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

pathie/Affinität’ mit dem Hauch Gottes angeregt waren (Leg. 7,2: κατὰ συμπάθειαν
τῆς παρὰ τοῦ θεοῦ πνοῆς, vgl. Gen. 2,7; das scheint analog zu Justins Konzeption
von den σπέρματα τοῦ Λόγου, «Samen des Logos», zu sein, vgl. Daniélou 1973
[*197: II 44 Anm. 14], May 1978 [*205: 140 Anm. 104], Rankin 2009 [*598: 84]), so
weit als möglich die Einzigkeit Gottes angenommen (Leg. 5,1; 6,2; 7,1; 24,1). Aber
sie sind an diese Fragen nur vermutungsweise (στοχαστικῶς) herangetreten, sie
konnten die Wahrheit nur in Umrissen, nur annäherungsweise denken (περι­
νοῆσαι), wirklich gefunden haben sie das Sein nicht. Ihre Erkenntnis war nur eine
partielle und nur eine wahrscheinliche (zu πιθανός vgl. Leg. 24,6 Mss.), weil jeder
es für richtig hielt, nicht von Gott über Gott, sondern von sich selbst zu lernen (Leg.
7,2), und alle insofern dem irdischen Bereich verhaftet blieben (Malherbe 1970
[*561: 218–221], Pouderon 2005 [*229: 225]). Letzlich resultiere daher auch ihre
Uneinigkeit (Leg. 7,2). Selbst Platon, der für Athenagoras eine einzigartige Son-
derstellung einnimmt, der doch sogar von der Trinität eine Vorahnung hatte (Leg.
23,7 mit Plat. Ep. 2, 212d–e; vgl. Iust. 1. Apol. 60,7), sei von solchen Halbheiten
nicht ausgenommen gewesen. Er konnte die Götter des Volksglaubens unmöglich
anerkennen und wusste dennoch, dass er die ungebildeten Volksmassen nicht
würde umstimmen können, deshalb wich er dem Zwiespalt aus und erklärte, dass
eine Erklärung der untergeordneten Dämonen über seine Kräfte ginge (Leg. 23,5–
10 mit Plat. Tim. 40d–e und Plat. Phdr. 246e). Dass es in der paganen Vergangen-
heit vor Christus Christen gegeben habe, wie es Justin annahm, lässt Athenagoras
offensichtlich nicht gelten (Barnard 1972 [*567: 44], Grant 1988 [*209: 105]). An-
ders dagegen steht es für ihn mit der Erkenntnis der Christusgläubigen; diese ist
volle und sichere Wahrheitserkenntnis (Leg. 24,6), denn sie orientiert sich nicht an
Menschenmeinungen, sondern beruht auf göttlicher Offenbarung. Deren Zeugen
sind die Propheten, die vom göttlichen Pneuma inspiriert über Gott und das Gött-
liche gesprochen haben (Leg. 7,3). Athenagoras teilt die verbreitete antike Inspira-
tionsvorstellung, wonach der Geist Gottes bzw. der prophetische Geist den in Ek-
stase versetzten Propheten unter Ausschaltung ihrer eigenen Überlegungen den
Mund bewegt habe, wie ein Flötenspieler die Flöte bläst, und sie nur äußerten, was
sie durch seine Einwirkung empfangen haben (Leg. 7,3; 9,1). Keinesfalls meint er,
dass die Offenbarung unvernünftig wäre. Was die Propheten vermittelt haben, wird
von den Christen aufgenommen im Glauben und in rationaler Überlegung (Leg.
7,3: νοοῦμεν καὶ πεπιστεύκαμεν), d. h. der christliche Glaube ist auf rationale
Durchdringung angelegt, wie umgekehrt vernünftige Überlegungen der Bestäti-
gung durch die Offenbarung bedürfen (Leg. 9,1: die Propheten πιστοῦσιν ἡμῶν
τοὺς λογισμούς, «beglaubigen unsere Überlegungen»). Ihm geht es darum, den
Glauben auf der Grundlage der Offenbarung rational zu entfalten und gleichzeitig
damit das konsequent umzusetzen und weiterzuführen, was die besten Stimmen
des griechischen Kulturerbes im Ansatz schon sagen wollten (vgl. Leg. 19,2).
Den ersten Schritt in diese Richtung vollzieht Athenagoras, indem er den Got-
tesbegriff in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen philosophischen Prin-
zipiendiskussion (Leg. 7,1: αἱ ἀρχαὶ τῶν ὅλων, «die Prinzipien des Alls»; 18,4; 19,1;
vgl. Leg. 7,2: περὶ θεοῦ καὶ περὶ ὕλης καὶ περὶ εἴδων καὶ περὶ κόσμου, «über Gott,
über die Materie, über die Ideen, über den Kosmos») aus dem Gegensatz von Gott

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§ 84. Athenagoras (Bibl. 1069–1071) 829

und Materie bestimmt. Zwischen beiden bestehe ein gewaltiger Unterschied: Das
Göttliche ist ungeworden (ἀγένητον), immerwährend (ἀΐδιος) und allein mit dem
Verstand erfassbar, die Materie aber ist geworden (γενητή) und vergänglich
(φθαρτή; Leg. 4,1; 15,1; 19,1). Nach diesen Kriterien, die er bei Platon und mit Ein-
schränkungen auch bei Aristoteles bestätigt sieht (Leg. 6,2f. mit Plat. Tim. 28c,
41a–b; Leg. 19,2 mit Tim. 27d; Leg. 16,4 mit Polit. 269d), mustert er kritisch die
Prinzipienlehre des Pythagoreers Philolaos (Leg. 6,1), des Empedokles (Leg.
22,1–3) und des Orpheus (Leg. 18,3) sowie der Stoiker (Leg. 6,4; 19,3; 22,4f.)
durch, mit dem Ergebnis, dass die Materie nicht den Rang eines Prinzips haben
kann und es nur ein einziges Prinzip, den einen einzigen Gott und Schöpfer, geben
kann (Leg. 15,3; vgl. zum Ganzen Rankin 2010 [*601]). Diese Position wird Athe-
nagoras jedoch nicht konsequent durchhalten (weitere gängige philosophische
Gottesprädikate in Leg. 8,3; 10,1; 13,2; 16,3; 22,6f.; vgl. Pouderon 1989 [*585: 118–
123]; besonders bemerkenswert sind Leg. 10,3 νοῦς ἀΐδιος, «ewiger Geist», und
Leg. 24,2 und 26,2 τὸ ἀγαθόν, «das Gute», als wesenhafte Eigenschaft Gottes).
Der zweite Schritt, den Athenagoras unternimmt, um den Glauben auch rational
zu bekräftigen, besteht darin, dass er die Einzigkeit Gottes zu beweisen sucht,
indem er mit vorgegebenen Argumentationsmustern hypothetisch erwägt, ob eine
Mehrzahl von Göttern in einem und demselben Sein (ἐν ἑνὶ καὶ ταὐτῷ) bestehen
könnte oder nicht, bzw. wo ein anderer Gott oder andere Götter ihren Ort (τόπος)
haben könnten und welche Konsequenzen sich aus den jeweiligen Annahmen er-
geben würden, was jeweils zu einer ‘reductio ad absurdum’ führt (Leg. 8,1–5, un-
terschiedlich interpretiert von Malherbe 1970 [*563], Barnard 1972 [*567: 90],
Grant 1988 [*209: 107], Pouderon 1989 [*585: 125–130], Rankin 2009 [*598: 94ff.]).
Als letzten Schritt in dieser Gedankenfolge skizziert Athenagoras die Grundrisse
der Trinitätslehre in einer gegenüber Justin weiter entwickelten Begrifflichkeit
(Leg. 10,1–4). Indem er den Glauben an Gott-Vater, Gott-Sohn und den Heiligen
Geist artikuliert, betont er mit gleichem Gewicht sowohl die Einheit Gottes als
auch die Unterscheidung der trinitarischen Personen: Sie sind eins vermöge ihrer
Macht (δύναμις; dazu Barnard 1972 [*567: 97f.], Giunchi 1998 [*594]: ein von Jus-
tin abweichender, originärer Wortgebrauch), sie sind aber unterschieden durch
ihre Ordnung (τάξις; Leg. 10,5; 24,2). Zugleich berücksichtigt Athenagoras ihre
wechselseitigen Beziehungen (vgl. Leg. 12,3): Der Sohn ist Gottes Wort (λόγος),
Gottes Vernunft (νοῦς) und Gottes Weisheit (Leg. 10,3; 24,2), er ist das Erst-Er-
zeugte des Vaters (πρῶτον γέννημα), das der Vater als ewige Vernunft von Anfang
an in sich hat und das hervortritt, um als ideales Paradigma und schöpferische
Wirksamkeit in Beziehung zur Welt zu fungieren (Leg. 10,2. 3: ἰδέα καὶ ἐνέργεια;
dazu Schoedel 1972 [*534: 21 Anm. 2]: Verknüpfung eines platonischen und eines
aristotelischen Konzeptes; eventuell steht die mittelplatonische Theorie von den
Ideen als Gedanken Gottes im Hintergrund: Daniélou 1973 [*197: II 348]). Der
Logos ist demnach Schöpfungsmittler (vgl. Leg. 4,2). Der Heilige Geist ist eine
Emanation Gottes (ἀπόρροια), die ausfließt und zurückfließt wie ein Sonnenstrahl
(Leg. 10,4; 24,2) und die Einheit und Gemeinschaft der Trinität gewährt (Leg.
10,2: der Sohn ist im Vater und der Vater im Sohn ἑνότητι καὶ δυνάμει πνεύματος
[«durch Einheit und Kraft des Geistes»]; Leg. 12,3: κοινωνία; vgl. Malherbe 1969

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830 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

[*559]). Indessen bleiben, so schlüssig die trinitätstheologische Terminologie auch


scheinen mag, offene Punkte. Sie betreffen die kontrovers diskutierten Fragen, ob
Athenagoras die Logoslehre nach einem Zwei-Stufen-Modell – der Logos zu-
nächst als unpersönliche Eigenschaft Gottes und in einem zweiten Stadium als
selbständige Existenz – konzipiert hat, ob der Begriff τάξις («Ordnung, Stellung»:
Leg. 10,5) einen Subordinatianismus impliziert und ob es Athenagoras gelungen
ist, die Funktionen des Logos und des Heiligen Geistes klar von einander abzu-
heben (Barnard 1972 [*567: 98–103], Schoedel 1980 [*576: 364], Pouderon 2005
[*229: 215ff.]).
Angesichts seines strikten Prinzipienmonismus wäre es konsequent, wenn
Athenagoras die ‘creatio ex nihilo’ lehrte. Davon spricht er aber nicht, stattdessen
beschreibt er wie selbstverständlich die Erschaffung des Alls ganz in Überein-
stimmung mit der mittelplatonischen Position als bloße Gestaltung der vorgege-
benen, ungeordneten und qualitätslosen Materie (May 1978 [*205: 140f.]). Die all­
aufnehmende (vgl. Plat. Tim. 51a) Materie hat Gott, einem ‘Töpfer’ vergleichbar
(Leg. 15,2), durch den Schöpfungsmittler, seinen Logos-Sohn, in die differenzierte
Gliederung, Gestalt und Geordnetheit der Welt überführt (Leg. 10,3; 15,2f.; 19,4;
Resur. 3,2). Daneben finden sich Anklänge an den biblischen Schöpfungsbericht
(Leg. 13,2). Auch die Erhaltung und Lenkung der Welt beschreibt Athenagoras
in Anlehnung an die philosophische Terminologie seiner Zeit. Gott ist es, der das
All zusammenhält, es lenkt und mit seiner Weisheit und Kunst überschaut (Leg.
4,2; 5,2: ἡνιοχεῖται; 6,2; 8,5; 10,1: συγκρατεῖται; 13,3: συνέχοντα καὶ ἐποπτεύοντα
[…] ἐπιστήμῃ καὶ τέχνῃ), wobei die Vermittlung dieser Wirksamkeit bald dem Lo-
gos-Sohn, bald dem Heiligen Geist beigelegt wird (Pouderon 1989 [*585: 216–221,
224–227], Rankin 2009 [*598: 135f.]). Auf dieser Linie preist Athenagoras die
Schönheit und Kunstgestalt des Kosmos, die im Sinne des kosmologischen Got-
tesbeweises zur Verehrung des alleinigen Schöpfers führen müssen (Leg. 15,3–
16,3). Auch die mittelplatonische Lehre der dreifach gestuften Providenz findet
sich in ähnlicher Form bei Athenagoras wieder. Ausgeschlossen ist, dass alles dem
blinden Zufall unterworfen sei (Leg. 25,3). Athenagoras unterscheidet die allum-
fassende und allgemeine Fürsorge, die Gott für alles, was er geschaffen hat, aus-
übt (Leg. 24,3; 25,2; Resur. 18,2f.), die individuell-partikuläre Fürsorge, die Gott
den dazu erschaffenen Engeln anvertraut hat und die sich auf die in Anbetracht
ihrer Willensfreiheit Würdigen erstreckt (Leg. 24,3; 25,2), und die Fürsorge für
alles Weitere, die er nach dem Natur- bzw. Vernunftgesetz gemäß der allgemeinen
Konstitution der Dinge walten lässt (Leg. 25,2, zum Ganzen zutreffend Schwartz
1891 [*532: 127ff.]; Pouderon 1989 [*585: 142–148] spricht von «les deux Providen-
ces»; anders interpretiert Schoedel 1972 [*534: XVII Anm. 27]).
Barnard 1972 [*564] und 1978 [*204: 386] hat Athenagoras mit Blick auf die
Auferstehungsschrift «den Vater der christlichen Anthropologie» genannt. Er ist
der erste christliche Autor, der über die biblischen Daten hinaus systematisch von
der philosophischen Fragestellung nach Ursache und Ziel der Erschaffung des
Menschen ausgeht (Resur. 14,1) und sachlich zu einem prononcierten Verständnis
der Konstitution des Menschen gelangt. Dieses baut auf Grundgegebenheiten der
griechischen Anthropologie auf, ist aber in wichtigen Punkten modifiziert durch

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§ 84. Athenagoras (Bibl. 1069–1071) 831

christliche Faktoren, namentlich durch Implikationen der leiblichen Auferste-


hungshoffnung. In erster und allgemeiner Hinsicht, so Athenagoras zum ἀπὸ τῆς
αἰτίας λόγος («Argument von der Ursache»: Resur. 12,1), hat Gott den Menschen
um seiner eigenen Gottheit willen und zum Erweis seiner Güte und Weisheit ge-
schaffen. In näherer Hinsicht hat er ihn geschaffen, weil er dessen Leben will, und
zwar ein angesichts seiner spezifischen Gaben, die ihn von vernunftlosen Wesen
unterscheiden, immer währendes Leben (Resur. 12,5). Seiner Natur nach (κατὰ
φύσιν λόγος: Resur. 13,3) existiert er als Kompositum (σύστασις: Resur. 15,2; 21,2;
τὸ συναμφότερον, «das Beides-zusammen»: Resur. 18,4. 5; 25,2) von unsterblicher
Seele und vergänglichem Leib – nicht aus der Seele für sich, nicht aus dem Leib
für sich, sondern aus beiden zusammen als ein Lebewesen (ἕνωσις, «Vereinigung»:
Resur. 15,2. 3). Die Enstehung der Seele scheint Athenagoras sich als eine Ent-
wicklung – wie beim Wachstum des Körpers (Resur. 17,2f.) – vorzustellen, die im
Mutterleib beginnt, aber noch darüber hinaus andauert (vgl. Leg. 35,6; dazu Pou-
deron 1989 [*585: 165], Karamanolis 2013 [*237: 199]). Dieses Kompositum, das
körperliche wie geistige Affektionen erleidet, das geistige wie körperliche Hand-
lungen ausführt (Resur. 15,2. 5f.; 18,4f.), ist ausgestattet mit Vernunft und Urteils-
kraft (Resur. 12,6; 15,5f.; 18,4), wozu auch die Willensfreiheit gehört (Leg. 24,3;
Resur. 18,4). Während vom Leib die Begierden und Triebe ausgehen (Resur. 21,2.
4: πρωτοπαθεῖ τὸ σῶμα, «als erster wird der Körper affiziert»; die vier stoischen
Affekte als Einwirkungen des Leibes auf die Seele: 18,5), kommt es der Seele zu,
den Leib zu regieren (Leg. 36,2; Resur. 12,8; 15,7; 18,5; 21,3); beides geht in eins
zusammen (Resur. 21,5. 8). Von diesem so beschaffenen Doppelwesen heißt es, ἐν
ἑαυτοῖς ἀγαλματοφοροῦντες τὴν ποιητήν (Resur. 12,6), d. h. die Menschen tragen
ein Bild Gottes ihres Schöpfers in sich, womit offensichtlich die Gottebenbildlich-
keit nach Gen. 1,26 umschrieben ist (zur Wortwahl siehe Schwartz 1891 [*532:
92f.], Runia 1992 [*587]). Darüber hinausgehende Erläuterungen gibt Athena­
goras nicht (vgl. zum Ganzen Barnard 1972 [*564: 258ff.]). Das Ziel (τὸ τέλος), zu
dem der Mensch bestimmt ist, kann nur ein solches sein, das für den ganzen Men-
schen in seiner leiblich-seelischen Doppelnatur gilt (Resur. 25,1. 3). Als dieses be-
stimmt Athenagoras, ewig zu leben und sich unaufhörlich der Schau Gottes, des
Gebers und seiner Gebote (? oder zu lesen δεδομένων, «seiner Gaben», Pouderon
1992 [*536: 314 App.], statt des überlieferten δεδογμένων, «dessen, was beschlos-
sen ist») zu erfreuen (Resur. 25,4; 12,6). Dieses Ziel kann aber weder im irdischen
Leben erlangt werden, was evident ist (Resur. 25,2; 12,6), noch im postmortalen
Zustand, weil der als natürlicher Einschnitt angesehene Tod (Resur. 16,3; 17,1. 3:
φυσικὴ ἀκολουθία) die Trennung der beiden Bestandteile des Menschen bedeu-
tet (Resur. 16,4. 6; 19,4), was die Erlangung der Endbestimmung unmöglich macht
(Resur. 25,2). Zudem vergeht der Leib und löst sich in seine Elemente auf (Resur.
18,5), und die abgetrennte Seele, obschon unsterblich, verliert wie in einer Art
Tiefschlaf Sensibilität und Bewusstsein für sie umgebende Zustände und ihr eige-
nes Leben (Resur. 16,5 mit Anspielung auf Hom. Il. 16,682 [sachlich übereinstim-
mend Leg. 12,3]; dazu Pouderon 1989 [*585: 167]). Nur die Wiederverbindung der
beiden getrennten Teile in der leiblichen Auferstehung schafft die Möglichkeit,
dass die Bestimmung des Menschen erfüllt wird (Resur. 25,3f.).

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832 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Auferstehung heißt für Athenagoras, dass der individuelle Mensch in dem leib-
lich-seelischen Kompositum, das er persönlich in seinem irdischen Leben war, wie-
derhergestellt wird, indem sein verwester Leib in allen Elementen wieder versam-
melt, mit seiner Seele wieder verbunden und zu neuem, unvergänglichem Leben
erweckt wird (Leg. 36,3; Resur. 2,3; 8,4; 15,3; 25,3). Insofern ist der Tod eine tem-
poräre Unterbrechung des Lebenszusammenhangs (Resur. 16,4. 6) und die Aufer-
stehung die letzte, entscheidende Transformation im Leben eines Menschen
(μεταβολή: Resur. 12,8f.; 16,2). Während dabei die substantielle Kontinuität
(διαμονή) in einer der Natur des Menschen als Doppelwesen entsprechenden
Weise gewahrt bleibt (Resur. 16,3), begreift dieser Moment einen qualitativen Wan-
del in sich, dergestalt dass das Verwesliche mit Unverweslichkeit bekleidet wird (I.
Cor. 15,53 in Resur. 3,2; 18,5). Als weiterführende Explikation dieses Motivs der
Bekleidung mit Unverweslichkeit ist es zu verstehen (vgl. Schoedel 1972 [*534:
XXVII]), wenn Athenagoras erklärt, dass das Auferstehungsleben ein besseres als
das irdische sein wird (Leg. 12,3: κρείττονα […] βίον; 31,4: βίον ἀμείνονα; Resur.
12,9: πρὸς τὸ κρεῖττον), ein himmlisches Leben, in welchem die Gerechten bei Gott
und mit Gott sein werden und, in ihrer Seele fest und unbeirrt, nicht mehr Fleisch
bleiben, obwohl sie Fleisch noch haben, sondern himmlischer Geist sein werden
(Leg. 31,4, mit I. Cor. 15,44–49 im Hintergrund; Resur. 7,1: der Auferstehungsleib
wird keiner Nahrung mehr bedürfen), wie es der Bestimmung des Menschen ent-
spricht (Pouderon 1989 [*585: 180–187]). Anders steht es natürlich mit denen, die,
nachdem sie auferstanden sind, im Gericht der ewigen Strafpein im Feuer überant-
wortet werden (Leg. 31,4; 36,2; Resur. 18,5). Einwänden gegen die Möglichkeit der
Auferstehung tritt Athenagoras mit dem Hinweis auf Gottes Willen und Gottes
Allmacht entgegen (Resur. 2,1–11,2; vgl. Karamanolis 2013 [*237: 213]), wobei er
besondere Aufmerksamkeit dem polemisch vorgebrachten Problem der «chain-
consumption» (Resur. 4,1–4; vgl. Leg. 36,1) widmet. Hier greift er – erstmals in der
christlichen Theologie – in umfangreichem Maße auf medizinisches Wissen zu-
rück, das enge Parallelen bei Galen hat, um durch die Beschreibung der Verdau-
ungsvorgänge zu zeigen, dass für fremde Organismen menschliche Substanzen
nicht assimilierbar sind (Resur. 5,1–8,5; dazu Pouderon 1988 [*582]).
Im Zentrum von Athenagoras’ Ethik steht die Bergpredigt als höchste norma-
tive Instanz. Er vertritt kompromisslos hohe Forderungen an die Reinheit des Le-
bens, die sich in strikter Abkehr von weltlichen Vergnügungen (Leg. 35,4–6) und
strenger Sexualmoral (Leg. 32,2 mit Mt. 5,28; 34,3; 33,6: zweite Ehe ist verdeckter
Ehebruch) äußern. Größtes Gewicht hat für ihn das Gebot der Feindesliebe (Lc.
6,27f.; Mt. 5,44f. in Leg. 11,2; 12,3; zum Gedankengang vgl. Geffcken 1907 [*164:
183f.]; ferner Mt. 5,39f.; Lc. 6,29 in Leg. 1,4; 11,4; zum Ganzen Heil 2010 [*600]).
Die Erwartung einer jenseitigen Vergeltung (Leg. 12,1; 31,4; 36,1–3), verbunden
mit der Überzeugung von der göttlichen Allwissenheit (Leg. 31,4) und der Ent-
schlossenheit, das Leben an Gott wie an einer Richtschnur zu orientieren (Leg.
31,4: ὡς πρὸς στάθμην), gibt seinen ethischen Ausführungen bekennerhafte Ge-
wissheit. Demgegenüber begegnen philosophische Motive eher nur am Rande,
und es sind nicht die Zentralbegriffe der griechischen Ethik, die er zur Kennzeich-
nung der christlichen Lebensführung benutzt, sondern da spricht er von einem

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§ 84. Athenagoras (Bibl. 1069–1071) 833

«maßvollen, menschenfreundlichen und unscheinbaren Leben» (τὸν μέτριον καὶ


φιλάνθρωπον καὶ εὐκαταφρόνητον βίον: Leg. 12,1) oder von einem «sanftmütigen,
menschenfreundlichen und rechten Leben» (τοῦ πράου καὶ φιλανθρώπου καὶ
ἐπιεικοῦς βίου: Leg. 12,1). Die auch philosophisch gebräuchlichen Begriffe wie
φιλανθρωπία («Menschenfreundlichkeit») oder παρρησία («Freimütigkeit in der
Rede») versteht er im ersteren Fall als Umschreibung der christlichen Tugend par
excellence (Heil 2010 [*600: 239f.]) und im zweiten im Sinne nicht nur der freimü-
tigen Rede, sondern auch des offenen Erweises der Wohltaten der Christen durch
ihre Werke (Leg. 11,3f.; 12,3; vgl. Malherbe 1969 [*558]). Spuren philosophischer
Ethik sind ferner die vier Kardinaltugenden und die vier seelischen Affekte, die er
jeweils auf den ganzen Menschen bezieht (Resur. 18,5; 22,3–5), der νόμος φύσεως
bzw. ἔμφυτοι νόμοι im Sinne der allen Lebewesen eingepflanzten sittlichen Nor-
men (Leg. 3,1; Resur. 13,1; vgl. Pouderon 1989 [*585: 227ff.]). Doch von εὐδαίμων
(«glückselig») spricht er nur als nicht realisiertem Anspruch des Unterrichts der
Sophisten (Leg. 11,3), und wenn die Rede ist vom uralten Kampf des Bösen gegen
die Tugend (Leg. 3,2; 31,2), so steht im Hintergrund die jüdisch-christliche Dämo-
nenlehre, die sich bei ihm ebenso wie bei Justin findet (Leg. 24,2. 5f.; 25,1. 3). Den-
noch durchzieht die gesamten ethischen Ausführungen ein latenter Duktus in der
Wendung nach oben, der sich nicht weniger aus dem Platonismus als aus urchrist-
lichen Traditionen speist. Denn der Aufwärtsorientierung zu Gott hin entspricht
die Lossagung von der materiellen Sphäre, welcher der Mensch verhaftet bleibt,
wenn er sich auf materielle Dinge fixiert (Leg. 22,12), wenn er sich dem Herrscher
über die Materie, d. h. dem Teufel und seinen Dämonen, überlässt (Leg. 24,2: τὸ
περὶ τὴν ὕλην ἔχον πνεῦμα; 24,5: ὁ τῆς ὕλης […] ἄρχων; 27,1: ὑλικὸν πνεῦμα), wie
es im paganen Kultwesen manifest wird. Eine solche Seele vermag nicht das Irdi-
sche zu überschreiten (Leg. 22,12: ὑπερκύψαι […] οὐ δυνάμενοι, vgl. Plat. Phdr.
249c3), nicht auf das Himmlische und den Schöpfer aufzuschauen, sondern nur
noch abwärts zu blicken, und sie ist gleichsam nur noch Fleisch und Blut (I. Cor.
15,50), aber nicht mehr reiner Geist (Leg. 22,12; 27,1).

4. NACHWIRKUNG

Im Altertum ist Athenagoras nur von Methodios, Epiphanios und Photios im


Zusammenhang mit der Thematik vom Teufel und der Vorsehung erwähnt wor-
den. Ob es außerdem eine stillschweigende Benutzung gegeben hat, lässt sich nicht
strikt nachweisen. So setzt eine erkennbare Wirkungsgeschichte erst mit der von
Arethas, Metropolit von Kaisareia in Kappadokien, in Auftrag gegebenen Nie-
derschrift des Codex Parisinus graecus 451 durch den Schreiber Baanes im Jahr
914 ein. Von diesem Codex sind im 11. bis 14. Jahrhundert vier Abschriften ange-
fertigt worden, von denen zwei wiederum als Vorlage für weitere Abschriften
dienten (Marcovich 1990 [*535: 15–19]). Interessanterweise ist im lateinischspra-
chigen Bereich zuerst die Auferstehungssschrift mit einem Vorsprung gegenüber
der Bittschrift von mehr als einem halben Jahrhundert bekannt geworden. In ein
und demselben Jahr erschienen zwei lateinische Übersetzungen ohne griechischen

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834 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Text, die eine eine Teilübersetzung von Marsilio Ficino in Paris 1498, die andere
von Giorgio Valla in Venedig 1498. Die nächste Ausgabe von Petrus Nannius, die
gleichzeitig 1541 in Louvain und Paris erschien, enthielt wiederum nur die Aufer-
stehungsschrift, doch diese im griechischen Text mit einer neuen lateinischen
Übersetzung. Erst die Editio princeps von Henri Estienne, publiziert 1557 in
Genf, bot beide Schriften, ‹Legatio› und ‹De resurrectione›, vereint in einem
Band. Stephanus übernahm für ‹De resurrectione› die Ausgabe von Nannius, für
die ‹Legatio› den Text und die Übersetzung, die Conrad Gessner vorbereitet, aber
bis dahin noch nicht veröffentlicht hatte, jedoch hat Estienne in beiden Fällen den
griechischen Text anhand weiterer Handschriften korrigiert und am Schluss zahl-
reiche Anmerkungen sachlicher und textkritischer Art angefügt. Damit war der
wesentliche Teil der Arbeit am Text vor dem Aufkommen der modernen Textkri-
tik geleistet, und die zahlreichen Ausgaben des folgenden Jahrhunderts nehmen,
wenn es nicht reine Nachdrucke sind, den Text in Sammelreihen auf, wo nur punk-
tuell einzelnes verbessert oder vervollständigt wird, aber eine neue Textbasis unter
Rückgriff auf die handschriftliche Überlieferung nicht angestrebt wird (zum Gan-
zen vgl. Pouderon 1997 [*593: 295–357]). Das gilt trotz aller Verdienste auch für
die Edition des Mauriners Prudentius Maran (Paris 1742), die in die Patrologia
von Jacques Paul Migne (PG 6, Paris 1857) aufgenommen wurde. Die Grundlage
für eine kritische Textedition haben erst Harnack 1882 [*184: 24–36] und von
Gebhardt 1883 [*185: 154–196] geschaffen, indem sie nachweisen konnten, dass
der Codex Parisinus graecus 451 der Archetypus für alle anderen existierenden
Manuskripte darstellt, und die Beschaffenheit der Überlieferung in diesem Codex
näher erhellen konnten. Darauf baut die heutige kritische historisch-philologische
Beschäftigung mit Athenagoras auf.

§ 85. Theophilos von Antiochien

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Eusebios von Caesarea teilt in der ‹Kirchengeschichte› mit (Hist. eccl. 4,20 und
Chron. ad ann. 2185 = 169 n. Chr. = 205,20ff. Helm), dass Theophilos im Jahr 169
Bischof von Antiochien wurde, an sechster Stelle seit den Aposteln. Gestorben ist

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§ 85. Theophilos von Antiochien (Bibl. 1071–1072) 835

er nach 180 und vor ca. 188, da er einerseits in Autol. 3,28,6 den Tod Mark Aurels
(März 180) erwähnt und andererseits sein zweiter Nachfolger, Serapion, um 190/91
auf den Bischofsstuhl erhoben worden ist und Maximinos, sein direkter Nachfol-
ger, wahrscheinlich um 188 Bischof wurde (Hist. eccl. 4,24; das Todesdatum, das
Eusebios [Chron. ad ann. 2193 = 177 n. Chr. = 207,16f. Helm] implizit voraussetzt,
ist offensichtlich ein Irrtum, vgl. Pouderon 2005 [*229: 242]). Dass er einmal Tig-
ris und Euphrat als die «bei uns wohlbekannten Flüsse» und als «unserer Gegend
benachbart» bezeichnet (Autol. 2,24,4), muss nicht heißen, dass er von dort
stammte (so Wallace-Hadrill 1982 [*642: 43]), sondern entspricht einfach dem von
Antiochien aus eingenommenen Blickwinkel. Ob er in einem paganen oder jüdi-
schen (eventuell zum Judentum konvertierten) Elternhaus (Zeegers-Vander Vorst
1991 [*647: 530], Zeegers 1998 [*652: 166–172]) geboren wurde, ist nicht ganz ein-
deutig, doch ist ein paganer Hintergrund eher wahrscheinlich. Er scheint eine
durchschnittliche griechische Bildung erhalten zu haben (Grant 1950 [*626: 179]),
ein berufsmäßiger Intellektueller wie Justin war er offenbar nicht (Pouderon 2005
[*229: 242]; vgl. Autol. 2,25,5; 3,4,3). Auf jeden Fall hat er sich nach eigenem Be-
kunden als Erwachsener unter dem Eindruck der Erfüllung prophetischer Ver-
heißungen zum Christentum bekehrt (Autol. 1,14,1), und es könnte sehr gut ein
judenchristliches Milieu gewesen sein, in dem er seine entscheidende theologische
Prägung erhielt (Grant 1970 [*610: VII–VIII], Pouderon 2005 [*229: 264]). Vor
allem als einen Bekämpfer der Häresie würdigt ihn Eusebios, das apologetische
Werk der drei Bücher an Autolykos dagegen nennt er «elementare Schriften»
(στοιχειώδη συγγράμματα: Hist. eccl. 4,24), «was nicht als Kompliment gemeint
ist» (Pilhofer 32002 [*654]; anders Rogers 2000 [*653: 5]).

2. WERKE

Von den vier Schriften, die Eusebios in seinem Abfassungszeit nach dem Tod Mark Aurels, d. h.
Werkverzeichnis (Hist. eccl. 4,24) aufzählt, hat unter Commodus durch Autol. 3,28,6 gesichert,
sich nur eine erhalten: die ersten beiden sind entsprechend früher, viel-
leicht noch unter Mark Aurel entstanden (Grant
1988 [*209: 143f.]). Insgesamt ist das Werk eine lo-
‹Ad Autolycum› cker verbundene Zusammenstellung von drei
Πρὸς Αὐτόλυκον – ‹An Autolykos› (in drei Traktaten ungleicher Länge, die keine durchge-
Büchern; Autol.; CPG 1107) hende, gemeinsame Gedankenführung aufweisen,
sondern durch viele Wiederholungen und Redun-
Das Werk gibt sich als schriftliche Ausarbei- danzen bei thematisch eigenständigen Blöcken ge-
tung dessen aus, was Theophilos im mündlichen kennzeichnet sind. Vielleicht sind ursprünglich
Gespräch seinem heidnischen Freund Autolykos selbständig geplante Vorarbeiten herangezogen
gegen dessen Angriffe auf das Christentum ent- (doch geht Rogers 2000 [*653: 15–29] zu weit,
gegnet hat (Autol. 1,1,2; 2,1,1f.; ob es fiktiv ist, sei wenn er jedes Buch einer bestimmten Gattung,
dahingestellt). Mit der schriftlichen Form hofft ὁμιλία, σύγγραμμα, ὑπόμνημα, zuweisen möchte).
Theophilos, zugleich einen weiteren Leserkreis Buch 1 ist eine Sammlung von katechetischem
ansprechen zu können (Autol. 3,23,7). Die ersten Material (Grant 1970 [*610: X]). Buch 2 gibt einen
beiden Bücher sind innerhalb weniger Tage nie- detaillierteren Beweis für den christlichen Glau-
dergeschrieben (Autol. 2,1,1), während das dritte ben, indem zuerst der Angriff auf die griechische
– mit eigener Grußadresse versehen (Autol. 3,1,1) Religion, Philosophie und Dichtung durchgeführt
– erst später hinzugekommen ist. Für dieses ist die wird (Autol. 2,1–8) und danach ein zusammen-

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836 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

hängender exegetischer Traktat zur Auslegung der Schöpfung bediente und die der Ursprung des
Anfangskapitel der ‹Genesis› eingeschaltet wird Bösen in der Welt ist (May 1978 [*205: 142–150]).
(Autol. 2,9–33). Buch 3 greift noch einmal die Tor-
heit der griechischen Philosophie und Religion an
(Autol. 3,1–8), preist sodann das hohe Niveau der Κατὰ Μαρκίωνος
christlichen Ethik (Autol. 3,9–15) und breitet ‹Gegen Markion›
schließlich sehr ausführlich den Altersbeweis für
das höhere Alter der biblischen Offenbarung aus Irenäus hat das Werk gekannt, aber die weitrei-
(Autol. 3,16–30; das Material ist weitgehend aus chende These von Loofs 1930 [*624], dass es aus
der hellenistisch-jüdischen Literatur, vor allem Irenäus’ ‹Adversus Haereses› zurückgewonnen
aus Josephus entlehnt, vgl. Grant 1988 [*209: werden könnte, lässt sich nicht halten.
153]). Gegen die These von Vermander 1971 [*629]
(von Droge 1989 [*210: 119–123] akzeptiert), dass
Buch 3 eine Antwort auf Kelsos’ Angriff sei, spre- Κατηχητικὰ βιβλία
chen sich Hauck 1985–1986 [*643] und Grant 1988 ‹Katechetische Schriften›
[*209: 133–135] aus. Detaillierte Dispositionsan-
gaben bei Marcovich 1995 [*611: 4–14]. Diese Schriften könnten eventuell, wie Zeegers-
Vander Vorst 1991 [*647: 531] zu bedenken gibt,
Die übrigen, von Eusebios genannten Titel lauten: identisch sein mit den von Hieronymus in Vir. ill.
25 erwähnten «tractatus ad aedificationem eccle-
siae pertinentes», doch erhalten ist davon nichts.
Πρὸς τὴν αἵρεσιν Ἑρμογένους
‹Gegen die Irrlehre des Hermogenes› Theophilos erwähnt selbst mehrmals ein von
ihm früher verfasstes Werk (Autol. 2,28,8. 30,10.
Die Schrift ist von Tertullian (Adv. Herm.) und 31,3; 3,19,3) und spricht einmal von ἐν τῇ πρώτῃ
von Hippolyt (Ref. 8,17; 10,28) benutzt worden, βίβλῳ τῇ Περὶ ἱστοριῶν («im ersten Buch ‘Über
wozu noch eine Notiz bei Clemens von Alexan­ [sc. biblische?] Geschichte’»: Autol. 2,30,7). Davon
drien (Ecl. 56,2) kommt, so dass die Lehre des ist sonst nichts bekannt. Gegenüber weiteren
Hermogenes in den Grundzügen rekonstruiert unter Theophilos’ Namen laufenden exegetischen
werden kann. Er vertrat in platonischer Tradition Schriften hat schon Hieronymus (Vir. ill. 25; Ep.
die Ewigkeit der Materie, deren sich Gott für die 121) Bedenken angemeldet.

3. LEHRE

Dass Theophilos zum christlichen Glauben von der Philosophie herkommend


gefunden hätte, ist so gut wie ausgeschlossen (Zeegers 1998 [*652: 138]). Dafür
gibt es keinerlei Hinweise, und seine greifbaren philosophischen Kenntnisse spre-
chen dagegen. Zwar umgibt er sich gern mit dem Anschein großer Belesenheit,
und in der Tat ist der Reichtum an Zitaten, den er aufbietet, beträchtlich (siehe
die Indices in den Editionen von Grant 1970 [*610: 151–153] und Marcovich 1995
[*611: 146f.]), aber sein literarisches Wissen bezieht er zum größten Teil, und sein
philosophisches Wissen ausschließlich, aus sekundären Quellen. Im Unterschied
zu den Apologeten vor ihm, die nicht selten ebenso verfahren sind, fällt bei ihm
zudem besonders auf, dass er von alledem nur einen unbeholfenen, verständnis-
losen und grob fehlerhaften Gebrauch zu machen weiß (Grant 1950 [*626: 182–
184]). Das markanteste Beispiel ist Platon. «Platon hat er natürlich nicht gelesen,
wenn er ihn auch mehrfach ausdrücklich zitiert; denn gerade diese Zitate sind
falsch» (Geffcken 1907 [*164: 251], z. B. nennt er in Autol. 3,6,2 das erste Buch der
‹Politeia›, meint aber Rep. 5, 457c, ebenso nennt er in Autol. 3,16,3 ‹Politeia›, meint

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§ 85. Theophilos von Antiochien (Bibl. 1071–1072) 837

aber Leg. 3, 677c–d u. a.). Ihm geht es um den Nachweis, dass zumal im Hinblick
auf die größten Fragen – Gott, der Ursprung der Welt, die Providenz – die Lehren
der griechischen Philosophen nicht nur untereinander widersprüchlich sind, son-
dern auch jeder einzelne Philosoph selbst sich in Widersprüche verwickelt hat
(Autol. 2,4,1–6. 8,1f. 38,7f.; 3,2,4–3,2. 5,1. 6,1–7,9. 16,3–17,1. 18,1), eine Einschät-
zung, die Berührungen mit der akademischen Skepsis hat (Grant 1988 [*209:
151]). Diese ganze Bildung ist nutzlos und gottlos (Autol. 3,2,6. 30,1); Wahrheits-
erkenntnis findet er bei den paganen Schriftstellern nicht, nicht einmal etwas, was
auf sie vorbereitet oder zu ihr hinführt, keine dunklen Spuren oder partiellen An-
sätze (Autol. 2,33,3). Die einzige Ausnahme ist die Sibylle (Autol. 2,3,2. 9,2. 31,6.
36,1–16; vgl. Grant 1947 [*625: 241]; die in Autol. 2,37,1–3 aufgezählten zutreffen-
den Aussprüche bei griechischen Dichtern wertet Theophilos als Diebstahl). Des-
halb ist für ihn das Christentum keine Philosophie, nicht die wahre Philosophie,
nicht die barbarische Philosophie, sondern etwas ganz anderes, es ist θεοσέβεια,
«Gottesverehrung» (Autol. 2,1,1; vgl. 3,15,5), und die Christen sind die, die Gott
wahrhaft verehren, die θεοσεβεῖς (Autol. 2,30,8; 3,4,1; Grant 1950 [*626: 190]).
Trotzdem erfolgt, was gar nicht anders zu erwarten ist, die positive Entfaltung
seiner Theologie nicht völlig frei von Anleihen bei philosophischer Begrifflichkeit
und philosophischen Lehrinhalten, was indessen nicht originär ist, sondern stets
durch die apologetische Tradition seiner Vorgänger sowie das hellenistische Ju-
dentum vermittelt ist. Die bekannten negativen Gottesprädikate des Schulplato-
nismus nimmt er zur Beschreibung der Einzigkeit und Transzendenz Gottes auf,
doch so, dass die Begriffe, die jeweils die Unsagbarkeit und Unbegreiflichkeit aus-
drücken, nicht auf das Sein Gottes an sich, sondern bereits auf Eigenschaften oder
Handlungsweisen Gottes bezogen werden, die stärker biblisch empfunden sind
(Autol. 1,3,1), wie er umgekehrt gleich anschließend auch zeigt, dass metonyme
Epitheta der biblischen Sprache lediglich Wirkungen Gottes – den Zorn einge-
schlossen (dazu Grant 1947 [*625: 229f.] und 1988 [*209: 167f.]) – bezeichnen, nicht
sein Wesen (Autol. 1,3,2f, vgl. Grant 1959 [*627: 38]). Noch einmal werden die
über das hellenistische Judentum laufenden Vermittlungswege in der abschließen-
den Sequenz greifbar, wenn Theophilos festhält, dass der transzendente Gott –
ἄναρχος («anfangslos»), ἀγένητος («ungeworden»), ἀναλλοίωτος («unveränder-
lich»), ἀθάνατος («unsterblich»), der er ist – der Herr, der Vater, Demiurg und
Schöpfer, der Höchste und Allherrscher ist, der die Welt um der Menschen willen
aus dem Nichts erschaffen hat, damit aus seinen Werken seine Größe erkannt
werde (Autol. 1,4,1–5. 5,2. 6,1–3; 2,10,1; vgl. Daniélou 1973 [*197: II 323–334] zu
hellenistisch-jüdischen und christlich-apologetischen Parallelen; in Autol. 1,4,1
auch die Etymologisierung von θεός, «Gott», nach τίθεναι, d.h. in Ordnung «hin-
stellen», wie Hdt. 2,52, und nach θέειν, «dahineilen», wie Plat. Crat. 397d; vgl.
Grant 1988 [*209: 168]).
Ein anderer Punkt, wo philosophischer Einfluss zu konstatieren ist, betrifft die
Logoslehre. Der Apologet Tatian (Orat. 5,1–3) und möglicherweise auch Athena-
goras (Leg. 10,2f.) hatten schon vorgearbeitet und ein Zwei-Stufen-Modell konzi-
piert, wonach der Logos zunächst als ewige, unpersönliche Eigenschaft Gottes
und sodann anlässlich der Welterschaffung als aus Gott heraustretende, selbstän-

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838 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

dige Existenz zu denken ist. Theophilos übernimmt dieses Konzept und fügt nur
noch den Schlussstein hinzu, indem er für die beiden Stadien der Existenzweise
des Logos erstmals das stoische Begriffspaar λόγος ἐνδιάθετος – λόγος προφορικός
(«im Geist befindlicher, gedanklicher Logos» – «hervorgebrachter Logos»), das
bei Tatian schon durch das Bild vom Sprechen (Orat. 5,5) vorbereitet war, aufgreift
(Autol. 2,10,2 mit Ps. 44,2a; 2,22,3f.). Das immanente Wort ist Gottes Ratgeber,
Gottes eigener Gedanke und seine Weisheit; das hervorgetretene, gezeugte Wort,
das Gott natürlich nicht seines inneren Wortes beraubt, ist Gottes Diener, d. h. der
Logos ist der Schöpfungsmittler, durch den alles erschaffen ist (Ioh. 1,3), er heißt
der Anfang (Gen. 1,1), weil er zu allem den Grund legt und über alles herrscht,
und er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung (Col. 1,15; Autol. 2,10,2. 22,3–5;
vgl. Wallace-Hadrill 1982 [*642: 68f., 103], Rogers 2000 [*653: 94f., 100–103], Pou-
deron 2005 [*229: 253]; diese Theorie wird später von Irenäus in Haer. 2,13,3. 8
und 28,6 zurückgewiesen). Er ist derjenige, den der Vater, wenn es ihm beliebt, in
die Welt an irgendeinen räumlichen Ort schickt (Autol. 2,22,6); er ist auch derje-
nige, der ἐν προσώπῳ («in der Rolle») des Vaters Adam im Paradies nach dem Fall
begegnete (Autol. 2,22,1–3 mit Gen. 3,8–10; dies der einzige von Theophilos er-
wähnte Fall). Weniger eindeutig ist, in welchem Verhältnis der Logos, die Weisheit
und der Geist Gottes zueinander stehen. Gelegentlich hat man den Eindruck,
Theophilos habe sie eher als unpersönliche Kräfte verstanden denn als hyposta-
tische Größen (Autol. 1,3,2; dazu Rogers 2000 [*653: 79f., 105–112]). Dazu kommt,
dass er bisweilen die Weisheit mit dem Logos gleichzusetzen scheint (Autol. 1,7,3;
2,22,2) und ebenso den Geist mit der Weisheit (Autol. 2,9,1), während er anderswo
diese als verschiedene Entitäten behandelt (vgl. Grant 1959 [*627: 41]). Demzu-
folge lassen sich dann gewisse unterschiedliche Akzentuierungen in den Funktio­
nen wahrnehmen, was aber auch nicht konsequent befolgt wird: Der Logos scheint
eher schöpferisch nach außen gewandt zu sein, die Weisheit eher ordnend und von
innen her gestaltend, und der Geist scheint mehr belebend und erhaltend zu
­wirken (dazu Zeegers-Vander Vorst 1991 [*647: 535f.], Pouderon 2005 [*229: 251–
256]; bemerkenswert die stoische Färbung in Autol. 1,5,4: ἡ πᾶσα κτίσις περιέχεται
ὑπὸ πνεύματος θεοῦ, «die gesamte Schöpfung wird von Gottes Geist umfangen»,
und Autol. 2,13,3: διϊκνούμενον πανταχόσε, «überallhin gelangend»). Für ein über-
wiegend hypostatisches Verständnis spricht jedoch nicht zuletzt der Begriff τριάς
(«Dreiheit»), den Theophilos erstmals in Bezug auf Gott benutzt (Autol. 2,15,4).
Allerdings bezeichnet der Ausdruck, genau genommen, nicht den trinitarischen
Gott des späteren Dogmas, da er sich auf Gott, den Logos und die Weisheit bezieht,
und in der Fortsetzung der Stelle folgt noch als Viertes der Mensch, so dass hier
eher von einer Tetras zu sprechen wäre (Rogers 2000 [*653: 75ff.]).
Das Fundament, auf dem Theophilos’ christlicher Glaube aufruht, bilden na-
hezu ausschließlich der biblische Schöpfungsbericht, der Dekalog und gewisse
Weissagungen der Propheten, wofür er in aller Breite die exegetischen Belege mit-
samt dem sie bestätigenden Altersbeweis beibringt. Im Fall der Schöpfungslehre
bietet er sogar, in dieser Form erstmals in der frühchristlichen Literatur, eine aus-
führliche und zusammenhängende Auslegung der ersten Kapitel der ‹Genesis›
(Autol. 2,9–33 zu Gen. 1,1–14,8). Der Kommentar befolgt in der Regel ein wört­

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§ 85. Theophilos von Antiochien (Bibl. 1071–1072) 839

liches Verständnis. So entfaltet er entlang den ersten Versen von Gen. 1,1f. das alt­
orientalische Weltbild (Autol. 2,13,3–9; vgl. 1,6,4–7,1), das Theophilos, wie seine
Polemik gegen das griechische geozentrisch-sphärische Erklärungsmodell zeigt
(Autol. 2,32,4), für das allein wahre hält: die von den Chaoswassern umspülte
Erde, die einem klumpenartigen Sockel gleicht, und der wie ein Gewölbe die Erde
überspannende Himmel, über dem sich noch ein zweiter, unsichtbarer befindet
(Nautin 1973 [*203: 69–79] und 1973 [*632], Wyrwa 2006 [*231: 720ff.]). Außer-
dem begegnen auch einige typologische Elemente (Zeegers-Vander Vorst 1991
[*647: 532]). Aber das Auffälligste ist, dass es Punkt für Punkt Parallelen in jü-
disch rabbinischen Auslegungen (Grant 1947 [*625: 234–242], Daniélou 1964
[*197: I 110–115], Zeegers 1998 [*652: 139–159]), stellenweise auch bei Philon
(Wallace-Hadrill 1982 [*642: 43–45], zurückhaltender Runia 1993 [*218: 110–
116]) gibt, während spezifisch christliche Aussagen nur vereinzelt, gelegentlich
auch in antihäretischer Absicht etwa gegen Markion, anzutreffen sind (Grant 1950
[*626: 192] und 1988 [*209: 159f.]). Offenbar hat Theophilos hier jüdische (so Nau-
tin 1973 [*203: 74]) bzw. judenchristliche Vorlagen (so Daniélou 1964 [*197: I 113])
benutzt. Ab Gen. 4,12 wird die Auslegung sehr summarisch mit einem besonde-
ren Interesse an den Anfängen der Kulturgeschichte (Autol. 2,30,1–32,5; vgl.
Droge 1989 [*210: 110–118]).
Indessen stehen mit der Schöpfungslehre auch philosophische Fragestellungen
zur Diskussion. Dass die Welt einen Anfang hatte und geworden ist, ist für ihn so
selbstverständlich, dass er dazu keine großen Worte verlieren muss (Autol. 2,4,2.
8,2; 3,26,4). Doch strittig ist – nicht nur in der Konfrontation mit Platonikern, son-
dern auch mit Häretikern wie Hermogenes (May 1978 [*205: 160ff.]) – die Pro­
blematik in der Einschätzung der Materie. In diesem Zusammenhang erklärt
Theophilos wiederholt und eindeutig in geradezu formelhafter Wendung, dass Gott
die Welt aus dem Nichts (ἐξ οὐκ ὄντων) geschaffen hat (Autol. 1,4,5. 8,3; 2,4,7. 9.
10,1. 13,1). Offenbar denkt er nicht mehr wie Tatian (Orat. 5,6f.) an einen zweistu-
figen Vorgang, wonach zuerst die Materie geschaffen und sodann geordnet wurde,
sondern an einen einzigen Schöpfungsakt, wo beides in eins fällt; und wenn er in
Gen. 1,2 den Zustand der von Gott geschaffenen Materie vor ihrer Gestaltung zu
erkennen meint (Autol. 2,10,9f.), so ist das exegetisch bedingt und seinen Vorlagen
geschuldet; es entspricht nicht dem philosophischen Materie-Begriff (Nautin 1973
[*203: 74]; Karamanolis 2013 [*237: 76f.] ist hier irreführend). Gegen die Annahme,
dass Gott eine ihm vorgegebene, ewige und ungewordene Materie lediglich gestal-
tet hätte, formuliert er bereits alle auch späterhin wesentlichen Einwände. Er er-
klärt: Wenn, wie Platon und seine Anhänger, Hermogenes eingeschlossen, meinen,
dass die Materie ungeworden wäre, wäre Gott nicht mehr im vollen Sinn Schöpfer
und seine Monarchie wäre preisgegeben; wenn die Materie ungeworden wäre, wäre
sie unwandelbar und Gott gleich; Gott wäre nicht mehr der Allmächtige, wenn er
nach Art eines menschlichen Handwerkers bloß einen vorgegebenen Stoff bearbei-
tete (Autol. 2,4,10). Vielmehr ist gerade das ein Zeichen seiner Macht, dass er aus
dem Nichts schafft, was immer er will (Autol. 2,4,4–9). Im Entscheidenden ist es
also die Einzigkeit, Souveränität und Allmacht des biblischen Gottes, die Theo-
philos mit der Lehre der ‘creatio ex nihilo’ gewahrt sehen will.

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840 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Weiterhin beobachtet Theophilos, dass der Schöpfungsbericht bereits die


Grunddaten einer biblischen Anthropologie enthält. Die griechische Dichotomie
von Körper und Seele erwähnt er nur beiläufig, sie konstituiert nicht sein anthro-
pologisches Konzept; dieses orientiert sich vielmehr an Leitbegriffen wie Tod und
Leben, Gottebenbildlichkeit und Gotteserkenntnis, Willensfreiheit und Gehor-
sam (Zeegers-Vander Vorst 1991 [*647: 537], Rogers 2000 [*653: 43], z. B. Autol.
2,19,4; anders Pouderon 2005 [*229: 258]). Der Schöpfungsbericht weist dem Men-
schen eine einzigartige (ewige? vgl. Autol. 2,18,1 Mss.) Würde unter allen Ge-
schöpfen zu, indem er beschreibt, dass Gott den Menschen nicht bloß durch einen
Wortbefehl, sondern mit seinen eigenen Händen, dem Logos und der Sophia, zu
seinem Ebenbild geschaffen hat, indem er Erdenstaub nahm und in sein Ange-
sicht den Lebensodem einhauchte (Autol. 2,18,1f. 19,4 mit Gen. 1,26; 2,6f.). Gott
hat gewollt, dass der Mensch vollkommen werde und an der göttlichen Ewigkeit
partizipiere. Als Adam aus den Schöpferhänden Gottes hervorgegangen war, war
er allerdings noch ein Mittleres, weder gänzlich sterblich (sonst wäre Gott Urhe-
ber des Todes gewesen) noch völlig unsterblich (sonst hätte er ihn auf Anhieb zu
Gott gemacht); er war noch ein Kind, noch unfertig, aber zu beidem fähig und ver-
sehen mit dem Anstoß zum Fortschritt, so dass er in Bewährung seiner Freiheit
und Selbstbestimmung durch den Gehorsam gegenüber Gottes Gebot die Un-
sterblichkeit als Lohn empfangen sollte oder durch Ungehorsam die Ursache sei-
nes eigenen Todes würde (Autol. 2,24,6f. 25,2. 27,1–4; Rogers 2000 [*653: 34–44]).
Den Hauptgrund, warum Gott dem Menschen das Verbot gab, vom Baum der Er-
kenntnis zu essen, hat Theophilos, häretische Ansichten zurückweisend, in Got-
tes Rücksichtnahme auf den kindlichen Entwicklungsstand Adams gesehen. Der
Mensch war noch nicht herangewachsen genug, noch nicht reif genug, um die Er-
kenntnis auch nach Gebühr ergreifen zu können (Autol. 2,25,1–5). Durch die Ge-
botsübertretung der Stammeltern, die verderbliche Auswirkungen auf die gesamte
Kreatur hatte (Autol. 2,17,5f. 16,3. 18,3. 29,7; z. B. Abkehr vom gottgewollten Ve-
getarismus, vgl. Grant 1988 [*209: 160], Droge 1989 [*210: 108–110]), ist Gottes
Absicht zunächst einmal vereitelt worden, aber Gott hat das aus dem Paradies ver-
triebene und dem Tod verfallene Menschengeschlecht nicht verlassen. Er hat in
Langmut und Barmherzigkeit sein Werk von Neuem aufgenommen (Autol. 2,26,1:
zur heilsamen Bedeutung des Todes als Vernichtung der Sünde), indem er das Ge-
setz gegeben und die Propheten geschickt hat, so dass jeder, der willens ist, durch
Gehorsam gegenüber Gottes Willen sich das ewige Leben erwerben und zum
zweiten Mal (nach Gen. 2,8. 15) ins Paradies versetzt werden kann (Autol. 2,26,2f.
27,6f. 34,4f.; zur Thematik der leiblichen Auferstehung vgl. Autol. 1,7,4–8,1. 13,3–
14,5; 2,14,1. 15,2f.).
Die Mittel, mit denen Gott die Menschen zum Heil führen will, sind das Ge-
setz und die Verkündigung der Propheten bei den Hebräern. Das mosaische Ri-
tualgesetz hat für Theophilos keine Bedeutung, aber er zitiert explizit den Deka-
log in Verbindung mit den Forderungen des Bundesbuches zur gerechten
Rechtsprechung für Fremde (Autol. 3,9,1–5 mit Ex. 20,13–17. 23,6–8; vgl. Autol.
2,34,5 mit der goldenen Regel und Autol. 2,35,1f.; die Sabbat-Observanz übergeht
er vermutlich wegen Mc. 2,27f.; Grant 1950 [*626: 193]). Dem ersten Gebot, aber

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§ 85. Theophilos von Antiochien (Bibl. 1071–1072) 841

nicht nur diesem, entsprechen die Belehrungen der Propheten genauestens. Sie
sollten dem Volk Gottes das Gesetz in Erinnerung rufen und zur Umkehr führen
(Autol. 2,35,3–15; 3,11,1). So rekurriert Theophilos ausführlich auf Stellen aus den
Propheten zu den Stichwörtern Umkehr (Autol. 3,11,3–7), Gerechtigkeit (Autol.
3,12,1–7), Züchtigkeit (Autol. 3,13,1–5, hier auch mit «der evangelischen Stimme»
Mt. 5,28. 32) und Feindesliebe (Autol. 3,14,1–5, auch hier mit dem Evangelium Mt.
5,44. 46; 6,3 sowie mit Rm. 13,1. 7f und I. Tim. 2,1f.; zum Ganzen vgl. Grant 1947
[*625: 243f.]). Außerdem sind ihm die Weissagungen der Endereignisse wichtig
(Autol. 2,38,1–5). Stilisiert als «Ungebildete, Hirten und Laien» (Autol. 2,35,15),
gelten ihm die Propheten als vom Logos (Autol. 2,10,5f.) bzw. vom Heiligen Geist
(Autol. 2,30,8. 33,3) inspiriert. Diese durch das Gesetz und die Propheten vermit-
telten göttlichen Weisungen werden in der Lebenspraxis der Christen mustergül-
tig verwirklicht, weshalb die gegen sie umlaufenden Beschuldigungen einfach ab-
surd sind (Autol. 3,15,1–5).
Merkwürdigerweise fehlt in Theophilos’ Aufzählungen der göttlichen Heilser-
weise durchgehend die Erwähnung der Menschwerdung des Gottessohnes und
seiner Passion, wie auch der Name Jesus Christus nirgends fällt. Wenn er den
Christennamen erklären will, flicht er das bekannte Wortspiel mit dem Adjektiv
χρηστός, «rechtschaffen», «bieder», bzw. εὔχρηστος, «nützlich», ein (Autol. 1,1,2.
12,1, vgl. Tac. Ann. 15,44,2, und Iust. 1. Apol. 4,1. 5) und leitet die Bezeichnung
χριστιανός etymologisch vom Verb χρίω ab: Die Christen heißen so, weil sie mit
dem Öl Gottes «gesalbt» sind; er sagt aber nicht, dass sich ihre Benennung von
Jesus Christus herleitet (Autol. 1,12,3; vgl. Grant 1950 [*626: 190]). Dieses auffäl-
lige Schweigen hat neben zahlreichen anderen Beobachtungen Grant 1950 [*626:
188–196], 1970 [*610: XVII–XIX] und 1988 [*209: 171–173] zu der Vermutung ge-
führt, Theophilos habe Jesus in Anlehnung an judenchristliche Entwürfe in die
Reihe der biblischen Propheten gestellt und eine eher dynamistische Christologie
im Stil eines Theodotos von Byzanz vertreten. Seine Bedeutung habe weniger in
seinem Erlösungswerk als vielmehr darin gelegen, dass er als inspirierter Lehrer
das revidierte Gesetz verkündete und dieses vorbildlich erfüllte. Vieles spricht für
diese Sicht der Dinge (vgl. Bentivegna 1976 [*636], Rogers 2000 [*653: 156–167]),
doch sind auch kritische Vorbehalte eingewendet worden (Pouderon 2005 [*229:
256]; andere Deutung Zeegers 2002 [*655: 369]).
Wie Tatian gibt auch Theophilos seinem Werk mit dem Altersbeweis einen krö-
nenden Abschluss (Autol. 3,16–30). Schon im Verlauf der Schrift hat er wiederholt
seine Grundüberzeugung angesprochen, dass die biblische Tradition älter und
damit auch wahrer sei (Autol. 2,30,8: ἀρχαιότερα […] καὶ ἀληθέστερα; 3,16,1.
26,1; vgl. 2,31,15) und die griechischen Schriftsteller und Philosophen dort gestoh-
len hätten (Autol. 1,14,2; 2,12,8). Doch erst eine vollständige Chronologie der
Weltgeschichte genügt seinen gehobenen Ansprüchen. Dabei überbietet er noch
Tatian, indem er nicht wie jener von Mose und Homer als Eckdaten der Argumen-
tation ausgeht, sondern, erstmalig in der erhaltenen christlichen Literatur, eine
universale Berechnung nach präzisen Jahreszahlen von der Erschaffung Adams
bis zur Gegenwart nach dem Tod Mark Aurels, unter Einschluss der ägyptischen,
phönizischen, assyrischen und römischen Geschichte, durchführt. Er zählt, ge-

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842 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

stützt auf die prophetisch autorisierten Zeitangaben der Bibel und auf Nachrich-
ten des Josephus und anderer (Grant 1988 [*209: 152–154]), 5695 Jahre seit der
Erschaffung Adams. Die Priorität der biblischen Tradition ergibt sich demzufolge
daraus, dass infolge der Sintflut, von der auch die Griechen daherredeten – Noah
wurde von einigen Deukalion genannt (Autol. 2,30,10; 3,19,2f.; zur Stelle Bolgi-
ani 1975 [*633]) –, jedes geschichtliche Wissen verloren gegangen ist und nur
Mose, der Diener Gottes und vom Heiligen Geist inspirierte Prophet, von der Ur-
geschichte wahre Kunde geben konnte (Autol. 2,30,8; 3,18,5. 19,5–7. 23,5f.; vgl.
3,17,4f.), Mose aber etwa 900 oder sogar 1000 Jahre vor dem trojanischen Krieg
lebte (Autol. 3,21,5f. 29,3). Die Hauptzäsuren setzt er mit der Sintflut unter Noah,
mit der Geburt Isaaks, mit dem Tod Moses, dem Tod Davids, dem Ende der ba-
bylonischen Gefangenschaft und zuletzt mit dem Tod Mark Aurels an (so die Zu-
sammenfassung in Autol. 3,28,1–7). Auffällig an diesem Geschichtsbild ist, dass
selbst hier Jesus Christus nicht vorkommt und keine eschatologisch-chiliastischen
Züge hervortreten (Zeegers 1996 [*651], gegen Daniélou 1964 [*197: I 401]), dass
aber die direkte Verbindung mit dem alttestamentlichen Gottesvolk sehr stark ge-
macht wird: Die Hebräer, die sich als Hirten in Ägypten angesiedelt hatten, sind
«unsere Vorväter», von denen die Heiligen Schriften kommen (Autol. 3,20,6. 21,2),
Abraham ist «unser Patriarch» (Autol. 3,24,2. 28,2) und David «unser Vorfahre»
(Autol. 3,25,1. 28,4).

4. NACHWIRKUNG

Theophilos’ Schriften müssen in der vornizänischen Zeit sowohl im Osten als


auch im Westen eine gewisse, wenn auch keine bedeutende Verbreitung erlangt
haben. Sie sind nachweislich benutzt worden von Irenäus und Tertullian (Grant
1988 [*209: 185–188]), letzterer hat mit Sicherheit das Werk gegen Markion und
jenes gegen Hermogenes für seine Kampfschriften herangezogen. Die Schrift
gegen Hermogenes scheint auch Hippolyt bekannt gewesen zu sein. Anklänge an
Autol. finden sich darüber hinaus bei Novatian (Grant 1988 [*209: 189f.]) und bei
Methodios, Laktanz zitiert ihn sogar namentlich: «in libro de temporibus ad Au-
tolycum scripto» (Autol. 3,29,2 in Div. inst. 1,23). Aber es ist schwer zu sagen, ob
er in Alexandrien rezipiert worden ist. Eusebios würdigt ihn mit einem zusam-
menfassenden Eintrag in der ‹Kirchengeschichte› und Hieronymus, der noch über
selbständige Kenntnisse verfügte, in seinem Schriftstellerkatalog, doch danach
werden die Spuren ganz dünn. Möglicherweise, und sei es auch nur vermittelt, be-
zieht sich Basileios in seinen Homilien zum Hexaëmeron auf Theophilos’ Ausle-
gung des Schöpfungsberichtes (Grant 1988 [*209: 196], Zeegers 2002 [*655: 370]),
vielleicht ist untergründig auch bei vereinzelten Autoren der antiochenischen
Schule damit zu rechnen. Anklänge lassen sich bei Epiphanios wahrnehmen
(Grant 1988 [*209: 196f.]). Jedenfalls ist er dann nur noch in einigen wenigen Ka-
tenen (Marcovich 1995 [*611: XI]) und in der byzantinischen Chronographie eines
Johannes Malalas präsent, aber auch Letzteres ist nicht sicher (Harnack 1882
[*184: 286]), während weder Photios ihn erwähnt noch Arethas ihn kennt.

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§ 86. Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse (Bibl. 1072–1075) 843

«Gründe, welche das Schweigen der griechischen Tradition seit Eusebius erklä-
ren, anzugeben, wird man schwerlich wagen dürfen» (Harnack 1882 [*184: 286]).
Die einzige Handschrift, an der unsere Überlieferung hängt und von der in der
Humanistenzeit zwei heute noch vorhandene Abschriften, eine nur Buch 3 ent-
haltend, angefertigt wurden, ist der Venetus Marcianus 496 vom Ende des 11. Jahr-
hunderts. Dieser Codex gehörte Kardinal Bessarion, der ihn 1468 zusammen mit
seiner gesamten Bibliothek als Vermächtnis an die Stadt Venedig übergab. Die
Editio princeps, versehen mit einer lateinischen Übersetzung, veranstaltete Con-
rad Gessner 1546 bei Froschauer in Zürich, zusammen mit dem Erstdruck von
Tatian, wobei er eine heute offenbar verschollene humanistische Abschrift des
Marcianus benutzte. Der erste, der den Marcianus für die Textedition zugrunde
legte, war von Otto 1861 [*155: VIII].

§ 86. Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse

Dietmar Wyrwa

Hermeias, der Verfasser einer Spottschrift gegen die griechischen Philosophen


– ‹Gentilium philosophorum irrisio› (Διασυρμὸς τῶν ἔξω φιλοσόφων, ‹Verspot-
tung der nichtchristlichen Philosophen›: CPG 1113) – ist für uns ein Unbekann-
ter. Er selbst wie sein Werk sind im Altertum und im frühen Mittelalter niemals
erwähnt worden. Frühere Versuche, ihn mit einem in anderen Zusammenhängen
genannten Hermeias identifizieren zu wollen, entbehren einer tragfähigen Grund-
lage (Hanson 1993 [*680: 11f.]). Möglicherweise haben byzantinische Kopisten in
ihm den späten Neuplatoniker, den Vater des Ammonios Hermeiou, gesehen (so
Diels 1879 [*698: 259], doch gegen dessen weitergehende Annahmen Alfonsi 1947
[*702: 11, 24], Hanson 1993 [*680: 13]), natürlich zu Unrecht. Der in den Hand-
schriften einheitlich überlieferte Titel zeigt, dass der Verfasser eine Satire – also
keine Apologie und keine Protreptik im direkten Sinn – zu schreiben beabsich-
tigte, dass diese Satire gegen die paganen Philosophen (οἱ ἔξω) von einem christ-
lichen Standpunkt aus gerichtet ist und dass damit der christliche Glaube, was
auch die Verfasserangabe «von Hermeias, dem Philosophen» (Ἑρμείου φιλο­
σόφου) besagt, als die eigentliche und wahre Philosophie suggeriert werden soll
(Waszink 1988 [*721: 809], Hanson 1993 [*680: 42]). Allerdings kommt die christ-
liche Position des Autors nur hier im Titel und in Kap. 1 zum Ausdruck, wo er sein
Programm im Anschluss an Paulus I. Cor. 3,19 («Die Weisheit dieser Welt ist Tor-
heit vor Gott») und an die Henoch-Tradition vom Engelfall als Ursprung der
­paganen Philosophie (Bauckham 1985 [*719], Hanson 1993 [*680: 123–128])
­absteckt, ansonsten verzichtet er auf eine Darlegung christlicher Lehren (literar-
kritische Überlegungen bei Kindstrand 1980 [*716: 353] und Waszink 1988 [*721:

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844 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

809] sind unnötig, so zu Recht Pouderon 2005 [*229: 287f.]). Es liegt nahe, den an-
visierten Leserkreis in erster Linie unter einem christlichen bzw. mit dem christ-
lichen Glauben sympathisierenden, gebildeten Publikum zu suchen (Hanson 1993
[*680: 65], Fiedrowicz 2000 [*228: 60], Riedweg 42000 [*728], anders Alfonsi 1947
[*702: 52f.]), dem auf ironisch-spöttische Weise die Widersprüche zwischen den
philosophischen Positionen vor Augen geführt werden sollen zum Erweis, dass
deren Ergebnisse, wie es das Schlusskapitel resümiert (Kap. 19), « unsicher und
nutzlos» sind, mit anderen Worten dass bei den griechischen Philosophen die
Wahrheit nicht zu finden ist. Als literarischem Vorbild für seine Satire hat sich
Hermeias augenscheinlich an Lukian von Samosata orientiert (Alfonsi 1947 [*702:
89–98], Waszink 1988 [*721: 812], Hanson 1993 [*680: 16, 23, 66]), darüber hinaus
stößt man auf große Ähnlichkeiten mit Tatian in der abschätzigen und grundsätz-
lichen Ablehnung der Philosophie, aber Hermeias hält sich nicht wie Tatian bei
Anekdoten auf, sondern konzentriert sich auf Lehraussagen (vgl. Hanson 1993
[*680: 39f.]). So ist die Doxographie das bevorzugte Terrain seines bissigen Spotts.
Zuerst werden Meinungen zur Seelenlehre gegeneinander gestellt (2–4), dann
folgt die ausführlichere Durchmusterung der Prinzipienlehren, indem die ver-
schiedenen Philosophen namentlich aufgerufen werden (5–18). Aber die Reihen-
folge ist nicht unmittelbar einsichtig (Waszink 1988 [*721: 810], Alfonsi 1947 [*702:
56f., 70f.]). Das Hauptinteresse richtet sich auf die Vorsokratiker, die jüngsten Ver-
treter in der Aufzählung sind die Skeptiker Karneades und Kleitomachos, die nur
dazwischen hineingeschoben sind; Platon genießt kein besonderes Renommee –
er heißt «großsprecherisch» (μεγαλόφωνος: Kap. 11; dazu Riedweg 1994 [*395:
36f.]) –, auch Aristoteles nicht; der größte Raum ist Pythagoras vorbehalten
(Kindstrand 1980 [*716: 349]). Doch sehr ironisch kommt am Schluss die Sprache
zum zweiten Mal auf Epikur, der, persönlich auftretend, auf viele unendliche Uni-
versen weist, die noch auszumessen seien, nachdem soweit diese eine Welt durch-
messen ist (Kap. 18). Ausgespart ist in dieser Revue auffälligerweise Sokrates (Al-
fonsi 1947 [*702: 73–75]), auch fehlt der Kynismus (Kindstrand 1980 [*716: 351]),
was aber nicht heißt, dass dieser ihm sympathischer wäre (Hanson 1993 [*680:
46]). Und worauf Hermeias merkwürdigerweise gar nicht eingeht, ist die Ethik
(Kindstrand 1980 [*716: 351]). Was die Herkunft des doxographischen Materials
betrifft, so stellt sich vor allem die lange umstrittene Frage nach dem Verhältnis
des Hermeias zu Ps.-Justins ‹Cohortatio›, zwischen denen bemerkenswerte Ge-
meinsamkeiten existieren. Doch haben detaillierte Vergleiche erbracht, dass
weder der eine noch der andere direkt vom jeweils anderen abhängig ist, sondern
dass beide unabhängig voneinander auf verschiedene Handbücher aus derselben
doxographischen Tradition zurückgegriffen und die aufgefundenen Angaben
­eigenständig rhetorisch ausgestaltet haben. Aëtios scheint Hermeias näher ge­
standen zu haben; ob er Ps.-Plutarchs ‹Placita› gekannt hat, ist nicht gewiss (zum
Ganzen Hanson 1993 [*680: 25–37], Riedweg 1994 [*395: 34–38]). Sichere An-
haltspunkte für die Datierung fehlen. Wenn man heute allgemein die Wende vom
2. zum 3. Jahrhundert favorisiert, dann sind eher atmosphärische Eindrücke aus-
schlaggebend, die am besten in diese Zeit passen, wie die sprachlich-stilistische
Verwandtschaft mit Lukian und Maximos Tyrios, das zeitgemäße Interesse an

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§ 86. Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse (Bibl. 1072–1075) 845

skeptischen Haltungen wie Sextus Empiricus, das Fehlen des Neuplatonismus und
die besondere Wertschätzung der Vorsokratiker, dann auf christlicher Seite die
Vergleichbarkeit mit Tatian, die Verbreitung des Beinamens ‘Philosoph’, die Be-
rücksichtigung der Henoch-Tradition und manches andere (Alfonsi 1947 [*702:
18–40], Kindstrand 1980 [*716: 350], Waszink 1988 [*721: 811–815], Hanson 1993
[*680: 24, 47]).

Es müssen hier noch versprengte Nachrichten und Reste zusammengestellt


werden, die verschiedentlich von der literarischen Tätigkeit frühchristlicher Apo-
logeten überliefert sind. Angesichts des trümmerhaften Erhaltungszustandes ist
der philosophiegeschichtliche Ertrag aufs Ganze gesehen nicht sehr groß, aber die
verfügbaren Informationen zeigen immerhin, dass die Bereitschaft, den Wahr-
heitsanspruch des christlichen Glaubens auf rationalem Wege einsichtig zu ma-
chen und das Christentum gemäß eigenem Selbstverständnis als Philosophie dar-
zustellen, weiter verbreitet war, als man aufgrund der erhaltenen Schriften
vermuten könnte.
Unter dem Titel ‹Predigt des Petrus› (Kήρυγμα Πέτρου) teilt Clemens von Alex­
andrien ein knappes Dutzend Fragmente mit, die ihrem Inhalt nach am Übergang
von der urchristlichen Predigt zur apologetischen Literatur stehen (Dobschütz
1893 [*665: 66], Paulsen 1977 [*714: 30–37]). Die angesprochenen Themen betref-
fen Jesu Aussendung der Jünger zur weltweiten Mission und zur Verkündigung
der Buße, den Weissagungsbeweis für das Erlösungswerk Christi, die Würde­
stellung Christi als Nomos und Logos (so zu Recht Rordorf 1979 [*715], gegen
Nautin 1974 [*710]), die Christen als drittes Geschlecht, die Gott auf neue Weise
nicht nach Art der Griechen und nicht nach Art der Juden verehren, und den
christlichen Monotheismus, der mit philosophischen Kategorien der negativen
Gottesprädikate artikuliert wird (Mara 1967 [*673], Cambe 1997 [*689]). Chro-
nologisch liegt ein Ansatz in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts nahe. Während
Clemens das Werk augenscheinlich für eine echte Petrus-Predigt hielt, ist für Ori-
genes (Comm. in Ioh. 13,17) die apostolische Herkunft schon nicht mehr sicher,
und Eusebios verwirft die Predigt endgültig als apokryph (Hist. eccl. 3,3,2).
Von einem Apologeten namens Quadratus, der als der älteste christliche Apo-
loget gilt, teilt Eusebios (Hist. eccl. 4,3,2) ein kurzes Fragment aus einer Verteidi-
gungsschrift mit, die dieser Kaiser Hadrian überreicht habe (vgl. Chron. ad ann.
2141 = 125 n. Chr. = 199,7ff. Helm; CPG 1060). Darin versichert Quadratus, dass
einige der von Christus Geheilten und vom Tod Auferweckten noch bis in seine
Zeit gelebt hätten. Vom Gesamtcharakter der Petition kann man sich allerdings
kein Bild mehr machen (vgl. Grant 1988 [*209: 35f.], Kinzig 1989 [*211: 295–306]).
Ariston von Pella (Dekapolis) wird von Eusebios ein einziges Mal als Gewährs-
mann für seinen Bericht über den Barkochba-Krieg und über Hadrians Edikt, das
Juden das Betreten Jerusalems untersagte, genannt (Hist. eccl. 4,6,3). Dass er eine
als Dialog zwischen einem Judenchristen und einem Juden gestaltete Apologie,
betitelt ‹Disputatio Iasonis et Papisci› (Ἰάσονος καὶ Παπίσκου ἀντιλογία περὶ
Χριστοῦ, ‹Streitgespräch zwischen Iason und Papiskos über Christus›; CPG 1101)
verfasste, wird von mehreren anderen Seiten gestützt. Zuerst erwähnt das Werk

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846 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

der Christenfeind Kelsos (Orig. Cels. 5,52) noch ohne Namensnennung, der darin
nur eine sehr mediokre Leistung sah, gefolgt von Clemens von Alexandrien (fr. 11
Stählin), Origenes (Cels. 5,52), Hieronymus (Comm. in Gal. 3,13; Quaest. hebr. 3),
Ps.-Cyprian und Maximos dem Bekenner. Die Zeugnisse sind bequem zusammen-
gestellt bei Harnack 1893 [*186: I 1,92–95]; wörtlich erhalten hat sich davon nichts.
Eine Absicht des Werkes dürfte darin bestanden haben, nachzuweisen, dass die
Christen mit der jüdischen Revolte nichts zu tun hatten (Grant 1988 [*209: 32]) und
dass vielmehr das Alte Testament allegorisch auf Christus hin ausgelegt werden
muss und die alttestamentlichen Verheißungen in Christus erfüllt sind. Das Ge-
spräch endete mit dem Taufbegehren des Juden. Mit der Form des Streitgesprächs
ist Ariston zum Vorreiter für manche späteren apologetischen Dialoge, besonders
für die Adversus-Judaeos-Texte, geworden (Pouderon 2005 [*229: 119f.]).
Miltiades aus Kleinasien ist durch Erwähnungen bei Tertullian (Adv. Val. 5,1),
Eusebios (Hist. eccl. 5,17,1. 5; 5,28,4) und Hieronymus (Vir. ill. 39) bekannt. Letz-
terer setzt dessen Blütezeit unter Mark Aurel und Commodus an, richtiger wäre
wohl Antoninus Pius und Mark Aurel (Harnack 1897 [*186: II 1,362]). Neben
Streitschriften gegen die valentinianische Gnosis und den Montanismus verfasste
Miltiades apologetische Werke gegen die Griechen und gegen die Juden, jeweils
in zwei Büchern. «Außerdem verfasste er eine an die weltlichen Machthaber ge-
richtete Verteidigung zugunsten der Philosophie, zu der er sich bekannte» (Eus.
Hist. eccl. 5,17,5). Die Formulierung «weltliche Machthaber» (κοσμοκοὶ ἄρχοντες),
die offen lässt, ob die Kaiser oder Provinzstatthalter gemeint sind, knüpfte mög-
licherweise an I. Cor. 2,6–8 an und könnte eine wenig staatsfreundliche Haltung
ausgedrückt haben (Grant 1988 [*209: 90f.], Pouderon 2005 [*229: 269]), falls sie
überhaupt von Miltiades stammte; aber sicher ist das alles nicht. Wichtiger ist, dass
er als Philosoph präsentiert wird. Ob Eusebios das Werk noch vorgelegen hat, wird
unterschiedlich beurteilt (Harnack 1882 [*184: 281f.], Kinzig 1989 [*211: 297 Anm.
15]), auf jeden Fall hat er nichts daraus zitiert, und auch bei Späteren hat sich von
seiner Schriftstellerei nichts erhalten.
Der Apologet Klaudios Apollinarios war laut Eusebios (Hist. Eccl. 4,26,1;
Chron. ad ann. 2186 = 170 n. Chr. = 206,4f. Helm) zur Zeit des Kaisers Mark Aurel
Bischof von Hierapolis in Phrygien. Von seinen zahlreichen Schriften zählt Euse-
bios (Hist. eccl. 4,27) vier auf, die ihm direkt bekannt geworden sind: eine Vertei-
digungsschrift an Kaiser Mark Aurel, fünf Bücher an die Griechen, zwei Bücher
über die Wahrheit (handschriftlich unsicher ist die Fortsetzung: zwei Bücher an
die Juden) und zuletzt ein Werk gegen den Montanismus. Das ‹Chronicon pa-
schale› kennt darüber hinaus eine weitere Schrift ‹Über das Pascha› und teilt da-
raus zwei Fragmente mit (CPG 1103). Photios (Bibl. cod. 14, 4b) hat nach eigenem
Bekunden außer der Schrift an die Griechen und der über die Wahrheit noch eine
weitere gelesen, die Abhandlung Περὶ εὐσεβείας (‹Über die Frömmigkeit›), die
sonst niemand erwähnt, während er die anderen nicht auffinden konnte. Von
Apollinarios’ apologetischer Schriftstellerei ist nichts erhalten außer einer ganz
kurzen Notiz bei Eusebios (Hist. eccl. 5,5,4) zum hochberühmten Regenwunder
in der Schlacht Mark Aurels gegen die Quaden an der Donau im Jahre 172 oder
174. Ob die Notiz der Apologie an den Kaiser oder einer anderen Schrift entnom-

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§ 86. Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse (Bibl. 1072–1075) 847

men ist, lässt sich kaum sagen (Harnack 1897 [*186: II 1,360], Pouderon 2005
[*229: 271]). Apollinarios vereinnahmt diese Geschichte für die christliche Sache,
indem er das Wunder, das der römischen Armee Rettung und Sieg bescherte, als
Erhörung der Gebete der christlichen Soldaten darstellt, was auch der Kaiser ge-
würdigt habe. Apollinarios sieht darin eine willkommene Gelegenheit, die von
christenfeindlicher Seite bestrittene Loyalität der Christen gegenüber Kaiser und
Reich nachdrücklich unter Beweis zu stellen (vgl. Grant 1988 [*209: 83–85]).
Einer der produktivsten christlichen Schriftsteller der Zeit war Meliton von
Sardeis, den schon vor Eusebios mehrere kirchliche Autoritäten wegen seiner As-
kese, seiner Prophentengaben und seiner quartadezimanischen Osterpraxis rüh-
mend erwähnen (Harnack 1882 [*184: 240–244]) und den Eusebios in der ‹Histo-
ria ecclesiastica› als Bischof der lydischen Stadt Sardeis in der Zeit Mark Aurels
vorstellt (Hist. eccl. 4,13,8. 26,1; dass er Bischof gewesen sei, wird von Hall 1979
[*676: XII] und 1992 [*724: 424] sowie Wurst 2000 [*730: II 10] in Zweifel gezo-
gen). Einem Brief des Polykrates von Ephesos zufolge (Hist. eccl. 5,24,5) ist er im
Jahr 190 nicht mehr am Leben. 17 Titel weiß Eusebios von ihm in einem Schrif-
tenverzeichnis aufzuzählen, auf die Schriften ‹De Pascha libri duo› (CPG 1093/4)
und ‹Eclogae› (CPG 1093/3, darin eine Liste der in der LXX zusammengefassten
Schriften; hier erstmals auch die Bezeichnung «Altes Testament») geht er näher
ein, aber als sein wichtigstes Werk erachtet er offenbar die Apologie an Kaiser
Mark Aurel, die er gleich zweimal nennt und aus der er drei längere Auszüge mit-
teilt (Hist. eccl. 4,26.1f. 5–11). Ein viertes Bruchstück ist im ‹Chronicon paschale›
erhalten (CPG 1093/1–2). Laut Eusebios’ Eintrag in der ‹Chronographie› (Chron.
ad ann. 2186 = 170 n. Chr. = 206,1ff. Helm) hat Meliton die Petition dem Kaiser
im Jahre 170 übergeben. Meliton fordert darin die Aufhebung «neuer Erlasse»
(καινὰ δόγματα), die zu Pogromen gegen die Christen in Kleinasien geführt
haben. Und er untermauert seine Forderung mit einer geschichtstheologischen
Universalsicht, die darauf hinausläuft, dass das Christentum und das Römische
Imperium zwei gleichzeitig aufgetretene und providentiell aufeinander bezogene,
zum Segen beider wirkende geschichtliche Größen sind – er nennt das Christen-
tum bezeichnenderweise «unsere Philosophie» (Hist. eccl. 4,26,7) – , während ein-
zig die schon in der römischen Historiographie als schlechte Herrscher abgeur-
teilten Kaiser diese prästabilierte Harmonie durch Christenverfolgungen
durchkreuzt hätten (Hist. eccl. 4,26,9: Nero und Domitian als die Verfolger; zum
Ganzen Schneemelcher 1973 [*709]).
Philosophisch sind in Melitons umfangreichem Œuvre zwei weitere Titel be-
achtenswert (vgl. Markschies 2016 [*238: 249–261, 612–624]). Gleich zweimal zählt
Eusebios eine Schrift Περὶ ψυχῆς καὶ σώματος (‹Über Seele und Leib›; CPG
1093/13) auf; gemeint ist offenbar dasselbe Werk, obschon der Titel bei der erst-
maligen Nennung korrupt überliefert ist (vgl. Harnack 1882 [*184: 247 Anm. 346;
348], Wurst 2000 [*730: II 18]). Die Schrift ist zwar verloren, aber ihre Hauptge-
danken können in der Zusammensicht von überarbeiteten syrischen Fragmenten
und altorientalischen Versionen einer ps.-athanasianischen Homilie fast gleichen
Titels wiedergewonnen werden (Schneemelcher 1957 [*704], Wurst 2000 [*730: II
57–66, 78–92]). Meliton vertritt demnach die populärphilosophische, allgemein

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848 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

gängige dichotomische Anthropologie, wonach der Mensch die Verbindung von


Körper und Seele ist und der Tod die Trennung der Seele von dem zugrunde ge-
henden Körper, während die Seele in die Unterwelt verbannt wird (Wurst 2000
[*730: I 5f.; II 126]). Das Heilswerk Christi, das Meliton in der Fortsetzung be-
schreibt, besteht genau darin, «ut […] vivificaret hominem et colligeret membra
eius, quae mors disperserat, quum hominem divideret» («dass er […] den Men-
schen zum Leben erwecke und seine Glieder, welche der Tod versprengt hatte, als
er den Menschen zerteilte, [sc. wieder] sammle»: fr. 13 p. 238 Perler = p. 80 Hall).
Zu beachten ist, wie sich Meliton zur Beschreibung des in paradoxen Antithesen
explizierten Heilsereignisses Christi auch philosophischer Kategorien bedient:
«[…] propter hominem iudicatum esse iudicem, et invisibilem visum, [et incom-
prehensibilem prehensum esse,] et incommensurabilem mensuratum esse, et im-
passibilem passum esse, et immortalem mortuum esse, et coelestem sepultum
esse» («Wegen des Menschen ist der Richter gerichtet und der Unsichtbare sicht-
bar geworden, [ist der Unfassbare ergriffen] und der Unermessliche messbar wor-
den, und hat der Leidenslose gelitten und ist der Unsterbliche gestorben und der
Himmlische begraben worden»: fr. 13 p. 238 Perler = p. 80f. Hall). Der zweite hier
zu nennende Titel lautet in Eusebios’ Verzeichnis Περὶ ἐνσωμάτου θεοῦ (‹Über
Gott im Leib›), was sprachlich nicht ganz einfach ist, doch spricht Origenes von
einer Schrift Melitons Περὶ τοῦ ἐνσώματον εἶναι τὸν θεόν (‹Darüber, dass Gott
körperlich ist›: Orig. Comm. In Gen. D 11 Metzler = Collectio Coisliniana in Ge-
nesin fr. 73 Petit), und damit gibt Origenes, selbst wenn er nur über mittelbare
­Informationen verfügt haben sollte, zu verstehen, dass Meliton in diesem Werk
die Meinung vertrat, dass Gott irgendwie körperlich zu denken sei. Doch gestat-
tet die Quellenlage keinerlei Aufschluss darüber, welche Überlegungen und wel-
che Traditionszusammenhänge ihn veranlasst haben könnten, diese Position ein-
zunehmen (Markschies 2016 [*238: 260f.]).
Die größte Aufmerksamkeit hat in der Forschung die seit 1936 in einigen Pa-
pyri und verschiedenen Versionen entdeckte Pascha- bzw. Osterhomilie (CPG
1092) auf sich gezogen; ob sie identisch ist mit derjenigen Schrift, die Eusebios in
seinem Katalog unter diesem Titel aufführte, ist nicht sicher (zustimmend Perler
1980 [*717: 979]; in der Schwebe lässt die Frage Hall 1979 [*676: XIX–XXI] und
1992 [*724: 424]), doch an der Authentizität ist nicht zu zweifeln (gegen Cohick
2000 [*727: 11–21, 37]). Die Predigt ist ein Meisterstück bester asianischer Rheto-
rik der Zweiten Sophistik, die alle stilistischen Finessen an Anaphern, Homoio-
teleuta, Antithesen, Chiasmen, Paradoxa, Alliterationen usw. zum Einsatz bringt
(Wifstrand 1948 [*703]), die aber auch semitische Stilformen aufweist (Angerstor-
fer 2011 [*742: 644]). Theologiegeschichtlich ist die Homilie ein wertvolles Zeug-
nis für eine monarchianische Lehrweise bei einem heilsgeschichtlich christozen-
trischen Gesamtaufriss (Cantalamessa 1963 [*707: 4–11], Hübner 1999 [*726],
zurückhaltender Pouderon 2005 [*229: 236]; entgegen Hall 1975 [*712] ist Meliton
nach fr. 6 p. 226 Perler = p. 68ff. Hall der erste, der von zwei Naturen Christi ge-
sprochen hat), sie ist aber auch ein Dokument eines scharfen Antijudaismus (An-
gerstorfer 2011 [*742: 646–650, mit weiterer Literatur]). Philosophisch dagegen
führt sie nicht über die genannten Elemente hinaus.

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§ 86. Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse (Bibl. 1072–1075) 849

Abgesehen von den aufgezählten Nachrichten und Resten, die auf Werke na-
mentlich ausgewiesener Autoren zurückgehen, sind schließlich noch Passagen in
pseudonymen oder herrenlosen Schriften ganz anderer literarischer Gattungen zu
nennen, in denen ebenfalls apologetisch-philosophisches Material verarbeitet ist.
In einigen Märtyrerberichten wird die Situation des Verhörs vor dem staatli-
chen Beamten genutzt, um dem Angeklagten längere, mehr oder weniger philo-
sophisch grundierte Reden zur Verteidigung des christlichen Glaubens in den
Mund zu legen, etwa ‹Acta Justini et sociorum› (rec. C), ‹Acta Apollonii› (vgl.
schon Eus. Hist. eccl. 4,15,47), ‹Martyrium Pionii›, ‹Acta Phileae› (rec. graec.; Mu-
surillo 1972 [*674: LII–LIII], ferner Geffcken 1907 [*164: 246–249]).
In den Pseudo-Klementinen (CPG 1015), einem Clemens Romanus zugeschrie-
benen, fiktiv autobiographischen Bildungs- und Wiedererkennungsroman, dessen
hypothetische Grundschrift auf die Jahre 220–230(/250?) – entstanden in juden-
christlichen Kreisen Koile Syriens – zurückgeht (Jones 1982 [*718], Bremmer 2010
[*735], Wehnert 2010 [*691: 29–42]), begegnen an wichtigen Punkten philosophi-
sche bzw. philosophienahe Diskussionseinlagen, die das christliche Leben, wie
die Apologeten es tun, als alleinigen Weg eines vernunftgemäßen Lebens zur Ret-
tung im kommenden Gericht empfehlen (vgl. die Rekonstruktionen und Synop-
sen bei Strecker 21981 [*705: 92–96], Wehnert 2010 [*691: 29f.], Jones 2012 [*744:
29–40]). Auffälligerweise fehlt die höhere Christologie, Christus ist für den Ver-
fasser der wahre Prophet (Wehnert 2010 [*691: 37]). Die Haltung der griechischen
Philosophie gegenüber ist dagegen grundsätzlich feindlich, obwohl der Autor phi-
losophisch nicht unbewandert ist (Barnes 2008 [*732]), doch Philosophie und Of-
fenbarungsglaube sind für ihn reine Gegensätze; die Philosophie beruhe bloß auf
Vermutungen – daher ihre Zerspaltenheit – , sie gebe sich mit unernsten Spitzfin-
digkeiten ab und habe am äußerlichen Prunk und Schein ihr Genügen (Jedan 2010
[*739: 201–203]). Gleichwohl werden philosophisch relevante Themen behandelt.
Sie betreffen das Ungenügen des nach Wahrheit suchenden Protagonisten an den
paganen Philosophen (Hom. 1,3), die Monarchie und Philanthropie Gottes (Re-
cogn. 2,36–69; Hom. 3,3; 15,9,6; 16,1. 5–15. 19; 18,4–22; Kooten 2010 [*740]), die
Syzygienlehre, d. h. dass Gott alles in Gegensatzpaaren geschaffen hat (Hom.
2,15–18; Recogn. 3,51–62), das Böse und die Willensfreiheit (Recogn. 3,12–30;
Hom. 19,1–25; die Willensfreiheit als Voraussetzung von Verantwortlichkeit und
menschlicher Erkenntnis schlechthin: Recogn. 3,21–22), die Unsterblichkeit der
Seele als notwendiges Postulat der Lohn oder Strafe zuteilenden Gerechtigkeit
Gottes (Hom. 2,12–14; Recogn. 3,39–48), die Dämonenlehre (Recogn. 4,8–37;
Hom. 8,12–19; 9,8–18), eine Disputation über die γένεσις (= Nativität) im Hori-
zont der εἱμαρμένη (= Fatum; Recogn. 8,3–9,31; Hom. 14,3–6), die eigenwillige,
mit Hilfe neupythagoreischer Zahlentheorie entfaltete Vorstellung einer göttli-
chen Gestalt in siebenfacher Dimensionalität (Hom. 17,7–11; Recogn. 2,50,3. 60,5;
dazu Markschies 2016 [*238: 274ff., 636ff.]) und manches andere wie die Auf-
nahme orphischer Kosmogonien (Hom. 6,3–13; Recogn. 10,17–19,30; Bernabé
2008 [*733], Roig Lanzillotta 2010 [*741], Jourdan 2011 [*235: II 34–64, 273–336]).
Besonders die γένεσις-Erörterungen, auch «die philosophischen Disputatio-
nen» betitelt (Heintze 1914 [*699: 51], Strecker 21981 [*705: 78]), greifen nahezu

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850 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ausschließlich auf philosophische Argumentationen zurück. Sie sind als Ausein-


andersetzung zwischen einem Astrologen und drei philosophisch kompetenten
jungen Männern, die alle eine Philosophenschule durchlaufen haben, gestaltet
(Recogn. 8,7,4–8). Zur Diskussion steht die Meinung, dass die Welt nicht nach
göttlicher Providenz regiert werde, sondern dass die γένεσις alles bestimme, und
der Astrologe erklärt denn auch, dass der von ihm vertretene astrologische Fata-
lismus eine Erweiterung zu dem sei, was Epikur meint (Recogn. 8,7,8; dazu Jedan
2010 [*738]). Gegen diese Position wird im ersten, naturphilosophischen Ge-
sprächsdurchgang (Recogn. 8,9–34) argumentiert, dass die Welt geschaffen und
das Werk einer göttlichen Vernunft ist – in diesem Kontext wird auch ein doxo-
graphischer Abriss zur Prinzipienlehre (Recogn. 8,15; vgl. Diels 1879 [*698: 250])
mit einer scharfen Zurückweisung der Atomlehre Epikurs im Anschluss (Recogn.
8,17–19) eingeblendet – und dass in den Phänomenen der Welt die Wirksamkeit
der göttlichen Providenz wahrgenommen werden kann (zum philosophiege-
schichtlichen Hintergrund Cirillo 2007 [*731]). Im zweiten, kosmologisch-ökono-
mischen Gesprächsdurchgang (Recogn. 8,37–57) soll gezeigt werden, dass Ord-
nung wie Unordnung, Vernünftiges wie Unvernünftiges in der Welt letztlich nur
in Gott, dem Künstler, ihren Ursprung haben können, nicht aber in einer leblosen
Natur, worauf der Kontrahent sogleich die Frage nach der Ursache des Bösen auf-
wirft (Recogn. 8,56). Und im letzten, anthropologischen Gesprächsdurchgang
(Recogn. 9,1–31) wird ausgeführt, dass dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb
in der von Ungleichheiten bestimmten Welt erst durch die Willensfreiheit ein sitt-
licher Maßstab gesetzt ist und dass die verschiedenen Sitten der Völker – das
Thema der νόμιμα βαρβαρικά – nicht auf die sogenannten ‘Klimata’ der Astrolo-
gen zurückführbar sind, sondern auf willentlich erlassene Gesetze, welche die
menschlichen Begierden in Schranken halten, was mit Auszügen aus Bardaisans
Schrift ‹Liber legum regionum› illustriert wird (Recogn. 9,19–29; Jones 2012
[*744: 21f.]; zum ganzen Argumentationsgang vgl. Jedan 2010 [*739: 210–214], zu
den philosophischen Vorgaben Heintze 1914 [*699: 70, 100f.], doch ist dessen Sicht
der Quellenfrage, vgl. Jones 1982 [*718: 30f.], insgesamt revisionsbedürftig). Eine
Aufzählung von Namen renommierter Philosophen begegnet auch außerhalb der
Grundschrift in Apions Lobpreis des Ehebruchs, wo Apion, der ägyptische Ge-
genspieler, anhand großer Beispiele, etwa des Sokrates, das Ausleben sexueller
Begierden propagiert (Hom. 4,18f.).
Ohne hier auf die komplizierten Fragen nach dem literarischen Entstehungs-,
Redaktions- und Sammlungsprozess der ‹Oracula Sibyllina› (CPG 1352) näher
eingehen zu können (vgl. Schürer 1986 [*720: 618–654], Ubigli 2000 [*729]; zum
neuesten Diskussionsstand Waßmuth 2011 [*743: 3–40]), sei doch auf apologeti-
sches Material aufmerksam gemacht, das sich sowohl in den hellenistisch-jüdi-
schen Partien (Orac. Sib. 3,8–45. 218–247. 551–555. 573–597) als auch in den
christlichen (Orac. Sib. 8,361–455) findet, zumal die Apologeten die Sibylle häu-
fig zitiert haben (Bartelink 1993 [*725]) und diese Rezeption schon mit Aristei-
des einsetzt (Apol. 1,2 = Orac. Sib. 8,390; weitere Berührungen notieren Poude-
ron, Pierre 2003 [*682: 83f.], die sie alle nicht als Zitate, sondern als Rekurse auf
eine gemeinsame Quelle werten).

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§ 87. Sextos-Sentenzen (Bibl. 1075–1076) 851

Hingewiesen sei zuletzt noch auf Gebetsformulare hellenistisch-jüdischer Her-


kunft in Buch 7 und 8 der ‹Apostolischen Konstitutionen› (CPG 1730), die von
einem christlichen Redaktor nur geringfügig überarbeitet worden sind und in das
besagte Sammelwerk der Kirchenordnungen und Ordnungen für den Vollzug li-
turgischer Handlungen Eingang gefunden haben. Punktuell haben sie auch an-
dere Gebetstexte derselben um ca. 380 in Syrien (möglicherweise in Antiochien)
verfertigten Sammlung beeinflusst (Bousset 1915 [*700], Metzger 1990 [*723]).
Diese Benediktionen, die dem 2. nachchristlichen Jahrhundert entstammen dürf-
ten, preisen in Anlehnung an den biblischen Bericht der Schöpfungs- und Heils-
geschichte Gott, den Schöpfer und Erretter Israels, indem sie in einer in manchem
an Philon erinnernden Sprache stoische kosmologische Begriffe und Wendungen
stoischer Frömmigkeit benutzen und damit Anschluss an das wissenschaftliche
Weltbild der Zeit gewinnen (Const. apost. 7,33–38; 8,12; Bousset 1915 [*700: 455–
464], Metzger 1985 [*677: 20f.] und 1987 [*679: 66–92, 176–205]). Dass das für die
frühchristlichen Apologeten nicht ohne Belang sein konnte, liegt auf der Hand.

§ 87. Sextos-Sentenzen

Dietmar Wyrwa

Als Sextos-Sentenzen (CPG 1115) wird eine Spruchsammlung von ethischen


und asketischen Maximen bezeichnet, die eine christliche Bearbeitung von ver-
schiedenen paganen moralphilosophischen Gnomologien darstellen. In ihrer ältes-
ten greifbaren Gestalt enthält sie 451 Sprüche, einschließlich der begleitenden ‘Ap-
pendices’ beläuft sich die Zahl insgesamt auf 610 (Eisele 2015 [*759: 285–299],
wobei Papyrus Palau Rib. inv. 225v nicht berücksichtigt ist), womit aber nichts über
den ursprünglichen Umfang gesagt ist (Prochenko 2018 [*786]). Das Ganze ver-
folgt genau genommen nicht direkt eine apologetische oder protreptische Absicht,
aber atmosphärisch wirkt sich in der Übernahme hellenistischer Spruchweisheit
etwas aus, was man als apologetische Gestimmtheit im Dienst der christlichen
Wegführung zur moralischen und spirituellen Vollkommenheit nennen könnte (vgl.
Chadwick 1959 [*752: 160], Poirier 1983 [*755: 19], Pouderon 2005 [*229: 295f.]; vgl.
auch die Klassifizierung von Geerard in CPG 1115). Erkennbare Vorlagen, die der
Kompilator in sein Werk eingegliedert hat, sind belegt in den Kleitarch-Sentenzen,
in den auch bei Iohannes Stobaios wiederkehrenden sogenannten Pythagoreer-
Sentenzen und in etwas über 50 von Porphyrios in ‹Ad Marcellam› zitierten Maxi-
men, die aus derselben oder einer verwandten Quelle stammen, die auch der christ-
liche Redaktor benutzt hat (Chadwick 1959 [*752: 140–162], Sodano 1991 [*776],
Wilson 2012 [*758: 11–29], Eisele 2015 [*759: 37–41, 299–306]). Ihre christliche Ge-
stalt hat die vorliegende Sammlung an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert, eher

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852 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

wohl zu Beginn des 3. Jahrhunderts, wie Origenes bezeugt, gefunden, vielleicht in


Palästina, vielleicht in Alexandrien. Dass der Redaktor Sextos geheißen hat, ist
denkbar, möglich ist auch, dass der Name schon an einer Vorlage haftete (Harnack
1904 [*186: II 2,190–192]). Sehr unwahrscheinlich ist es, dass die Sammlung ein Ju-
gendwerk des römischen Bischofs Sixtus II. (257–258) darstellt (so Chadwick 1959
[*752: 130–134], mit Recht kritisch Wilson 2012 [*758: 10f.]). Auf einen analogen
Vorgang christlicher Bearbeitungen im Fall von Epiktets ‹Encheiridion› in späte-
rer Zeit macht Carlini 2004 [*780] aufmerksam.
Die Sammlung beginnt mit einer Reihe von Kettensprüchen, in denen bereits
der Leitgedanke aller Maximen beschlossen ist. Angesprochen ist der Gläubige –
nur er allein, er ist der Erwählte, der Mensch Gottes, der seiner einzigartigen Be-
stimmung bewusst werden und zur höchsten Stufe der Vollkommenheit geführt
werden soll (Sent. 1–8; vgl. Eisele 2015 [*759: 335f.]). Dass der Redaktor eher vom
Gläubigen spricht, wo in den Vorlagen vom Weisen die Rede war, ist das deut-
lichste Kennzeichen der christlichen Bearbeitung. Der Weg zur Vollkommenheit
führt über die sittliche Reinheit in einem Leben persönlicher Heiligkeit (vgl. Wil-
son 2012 [*758: 37]), die bei Gott die Vollmacht, Gottes Sohn zu sein, erwirkt
(Sent. 36; 46; 60). In diesem Stadium beginnt er, sich selbst zu erkennen und der
zu werden, der er ist (Sent. 82; 398; 445). Er hat in seinem Inneren Anteil am Reich
Gottes (Sent. 311); seine Seele hört und sieht auf Gott, sie ist immer mit ihm zu-
sammen (Sent. 415–418), und sein Geist ist ein Spiegel Gottes (Sent. 450). Aber
diese Seelengröße (μεγαλοψυχία) bedarf stetiger Einübung und Anstrengungen
(Sent. 120; 129). Jeglicher Verlockung und jeder Ablenkung, welche die Seele zum
Irdischen herabzieht, muss unerbittlich Widerstand geleistet werden (Sent. 391).
Große Bedeutung wird der Besitzlosigkeit beigemessen, die den Weisen dem be-
dürfnislosen Gott ähnlich macht (Sent. 18). Materielle Güter gebraucht der Weise
nur, soweit sie unumgänglich sind (Sent. 19; 78); er gibt der Welt, was der Welt ist,
aber Gott, was Gottes ist (Sent. 20 nach Mt. 22,21 parr.). Über den Verlust irdi-
scher Dinge wird er nicht beunruhigt; denn seiner Freiheit kann der Philosoph
nicht beraubt werden (Sent. 15; 17; 91b; 274b), darin verwirklicht er seine Autar-
kie (Sent. 98). Rigoros ist die in den Sentenzen vertretene Sexualmoral. Grund-
lage der Frömmigkeit ist Sextos zufolge die Enthaltsamkeit (Sent. 86a; vgl. 239;
253b; 294), und insofern werden sexuelle Begierden ohne Wenn und Aber verur-
teilt. Ehe und Kinderzeugung sind zwar nicht verboten, aber der Verfasser sieht
sich genötigt, davor zu warnen; denn beides ist ein schwerer Kampf, der große Tap-
ferkeit erfordert (Sent. 230b; 239). Deshalb hält er es für rechtens, eine Ehe auf-
zulösen, um als ‘Beisasse’ bei Gott zu leben (Sent. 230a, was eine zölibatäre Ra-
dikalisierung gegenüber I. Cor. 7,35 bedeutet; Pevarello 2013 [*781: 60–97], Eisele
2015 [*759: 349–363]; anders interpretiert von Wilson 2012 [*758: 241]). Wer zü-
gellos ist, schändet auf jeden Fall seine eigene Frau (Sent. 231). Ambivalent ist Sex-
tos’ Verhältnis zur asketischen Selbstverstümmelung. Einerseits scheint er zur frei-
willigen Selbstkastrierung, wenn es nötig ist, in wörtlicher Auffassung von Mt.
19,12 und Mt. 5,29f. bzw. Mt. 18,8 aufzufordern (Sent. 13; 273), und so wurde er
auch in gewissen Kreisen verstanden (vgl. Orig. Comm. in Mt. 15,3). Andererseits
spiritualisiert er die Frage, insofern er zum Kriterium nicht die äußeren Glieder,

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§ 87. Sextos-Sentenzen (Bibl. 1075–1076) 853

sondern die innere Einstellung macht (Sent. 12; vgl. Wilson 2012 [*758: 51–54]).
Auch Unmäßigkeit beim Essen bewirkt Unreinheit (Sent. 108; 111), und vegeta-
rische Lebensweise ist vernünftiger (Sent. 109). Aber Sextos räumt auch ein, dass
nicht, was zum Mund hineingeht, den Menschen befleckt, sondern was infolge
schlechter Sinnesart aus ihm herausgeht (Sent. 110 nach Mt. 15,11. 18f.). Andere
Maximen betreffen die Pflicht zur Betätigung der Nächstenliebe (Sent. 33; 47; 52;
106a; 328ff.; 340; 382) und die Empfehlung der Wortkargheit und des Schweigens
(Sent. 152–157; 161–164; 171; 366; 427); und noch manches andere kommt zu Spra-
che. Das höchste Gut indessen, die εὐδαιμονία, besteht in der Angleichung an
Gott und in der Realisierung der göttlichen Ebenbildlichkeit (Sent. 133; 148; 190;
381). Der Glaube bzw., gleichbedeutend, die Weisheit und die asketische Vollkom-
menheit der ἐγκράτεια («Selbstbeherrschung»: Sent. 167; 402; 86) führen die Seele
durch das Wort Gottes (Sent. 420) hinauf zur Kontemplation Gottes, so dass sie
vom Licht der göttlichen Gegenwart umstrahlt wird (Sent. 95b; 97; 143f.; 447). So
wird der Asket selbst zu einem Widerschein Gottes (Sent. 95b; 97; 394; 445–447),
wie es denn auch heißt, dass ein Gottes würdiger Mensch Gott unter den Men-
schen ist (Sent. 376; vgl. 7a und 82d).
Mit Blick auf den Gesamtcharakter der Sentenzen hat man von einem ‘milden
Asketismus’ gesprochen, der sich in Übereinstimmung befinde mit dem, was man
von einem paganen Weisen erwarten konnte (Edwards, Wild 1981 [*753: 1], Pou-
deron 2005 [*229: 295], Wilson 2012 [*758: 53]). In der Tat gibt es zahlreiche di-
rekte Parallelen oder sinnverwandte Sprüche, die sich schon in pythagoreischen,
stoisch-kynischen und platonischen Vorlagen greifen lassen (vgl. im Einzelnen die
Kommentare von Chadwick 1959 [*752], Wilson 2012 [*758], Eisele 2015 [*759:
10–36]); ebenso sind immer wieder biblische, vor allem neutestamentliche Ele-
mente zu verzeichnen, die in die Sammlung eingearbeitet sind (Delling 1961
[*767]). Im Zuge dieser wechselseitigen Umgestaltung und Neuformulierung
scheint aber der christliche Redaktor Sextos an wichtigen Punkten eine Tendenz
auf eine erheblich strengere und rigorosere asketische Position begünstigt zu
haben (so die Analysen von Pevarello 2013 [*781]).
Zum ersten Mal werden die Sentenzen von Origenes erwähnt, der ihre weite
Verbreitung unter Christen bezeugt (Orig. Cels. 8,30; Comm. in Mt. 15,3) und den
Verfasser «weise und gläubig» nennt (Hom. in Hes. 1,11; des Näheren vgl. Chad-
wick 1959 [*752: 107–116], Pevarello 2013 [*781: 10–16]). Er zitiert selbst Sent. 22
und Sent. 352 (bei Epiph. Haer. 67,7,3). Um 399 hat Rufinus von Aquileia die
Sammlung von 451 Stücken ins Lateinische übersetzt (Bouffartigue 1979 [*770:
86–95]) und in seiner Einleitung mitgeteilt, dass sie als das Werk des römischen
Bischofs Sixtus angesehen werde. Das wurde indessen von Hieronymus scharf zu-
rückgewiesen; er nennt gegen Pelagianer gerichtet, die sich gern auf einige Maxi-
men bezogen (z. B. Sent. 36, 46, 60 und 257 lat.; Kany 1992 [*778]), als Verfasser
einen ‘Sextus Pythagoricus’ (Comm. in Hes. 6; Ep. 133,3; Comm. in Ier. 4,41; dazu
Chadwick 1959 [*752: 117–137]), und entsprechend hat das ‹Decretum Gelasia-
num› (5,4,11) sie als apokryph und häretisch ausgeschieden. Trotzdem fand die
Übersetzung im lateinischen Mönchtum bis ins Mittelalter hinein starke Verbrei-
tung (Bogaert 1972 [*768], stärker als Evans 1983 [*773] annimmt; Solignac 1990

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854 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

[*775: 768]). Nicht weniger groß war die Wertschätzung in asketischen Kreisen des
Ostens, wie aus der Benutzung durch Euagrios Pontikos und Basileios hervorgeht
(Gribomont 1992 [*777], Durst 2015 [*783] und 2015 [*784]) und wie koptische,
armenische, syrische, georgische, äthiopische und arabische Übersetzungen be-
zeugen (Prochenko 2018 [*786]). Besonders bemerkenswert ist, dass im Fund der
Bibliothek von Nag Hammadi eine koptische Version, die noch vor dem 4. Jahr-
hundert entstanden ist und keinerlei gnostisierende Züge aufweist, in leicht ver-
stümmelter Form enthalten ist (Wisse 1975 [*769: 73–76, 83], Poirier 1983 [*755:
20–25], Wisse 1990 [*757]).

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§ 88. Überblick (Bibl. 1077–1079) 855

III. GNOSTIZISMUS UND VERWANDTES

§ 88. Überblick

Einar Thomassen

‘Gnostizismus’ ist ein neuzeitlicher Begriff, der verwendet wird, um eine spe-
zifische Weltanschauung zu charakterisieren, als deren typische Vertreter früh-
christliche ‘Häretiker’ betrachtet werden. Definierende Merkmale dieser Weltan-
schauung sind folgende: 1) Die Materie gilt als böse, Erlösung wird als Befreiung
von der materiellen Welt gesehen; 2) Unterscheidung zwischen einer transzenden-
ten Gottheit und einem untergeordneten Gott, welcher der Schöpfer des Kosmos
ist; 3) Annahme eines Bandes der Wesensgleichheit zwischen dem Geist (πνεῦμα)
als dem inneren Kern des menschlichen Seins und der transzendenten Gottheit;
4) Auffassung, dass Erlösung mittels Gnosis erlangt wird, die im Bewusstwerden
und in der Erkenntnis dieses Bandes besteht. Eine solche Gnosis wird ferner nicht
allein durch intellektuelle Selbstanstrengung erreicht, sondern wird in der Regel
von außen durch einen Erlöser vermittelt, der von der transzendenten Welt ent-
sandt wurde. Derart definiert, ist der Begriff ‘Gnostizismus’ eine Abstraktion, die
nicht einer bestimmten religiösen Bewegung oder philosophischen Schule in
einem positiv historischen Sinne entspricht. Die meisten ‘Gnostiker’ haben nicht
diesen Namen als hauptsächliche Selbstbezeichnung angenommen. Die gegenwär-
tige Forschung neigt zu einer kritischen Haltung gegenüber der undifferenzierten
und essentialistischen Verwendung der Begriffe ‘Gnosis’ und ‘gnostisch’, die in
der Vergangenheit oft vorherrschte (siehe z. B. Williams 1996 [*835], King 2003
[*837], Marjanen 2005 [*838]). In der Tat schließen die oben aufgelisteten Krite-
rien einander nicht mit logischer Notwendigkeit ein. Es ist zum Beispiel bestens
möglich, eine Position des theologischen Dualismus bzw. eines Ditheismus einzu-
nehmen (Kriterium 2), ohne dass man das Konzept einer göttlich-menschlichen
Wesensgleichheit vertritt (3) bzw. Wissen als den Weg zur Erlösung betont (4) –
wie das Beispiel von Markion in der Antike und einiger christlicher, dualistisch
geprägter Sekten im Mittelalter zeigt. Das Umgekehrte ist gleichermaßen mög-
lich, wofür die mystischen Traditionen der monotheistischen Religionen reichlich
Belege bieten. Die Kombination all dieser Kriterien, wie sie von gewissen religi-
ösen Gruppen und intellektuellen Persönlichkeiten in der Antike realisiert wurde,
ist aus dieser Perspektive betrachtet historisch kontingent und summiert sich nicht
zu einer ‘Essenz’, durch die ‘Gnostizismus’ als ein kohärentes Phänomen zu ver-
stehen und zu definieren wäre.
Eine große Anzahl ‘gnostischer’ Gruppen und Lehrer sind in den Werken der
christlichen Häresiologen belegt. Irenäus macht Simon Magos (vgl. Acta 8) zum
Urheber der gnostischen Häresie; auf ihn folgten Menander, Basileides, Satorninos,
Karpokrates, Kerinthos und verschiedene Gruppen von Gnostikern. Am wich-
tigsten waren für Irenäus die Anhänger von Valentinus, die das hauptsächliche

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856 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Ziel seiner Schrift ‹Adversus haereses› (‹Gegen die Häresien›) bildeten. In den spä-
teren häresiologischen Werken des Hippolyt (‹Refutatio omnium haeresium› – ‹Wi-
derlegung aller Häresien›) und des Epiphanios wächst die Zahl gnostischer Häre-
sien. Im 3. Jahrhundert tritt der Manichäismus als Hauptbewegung in Erscheinung,
welche christlich-gnostische Ideen mit iranischen Elementen verbindet.
Die dreizehn koptischen Codices der 1945 entdeckten Nag-Hammadi-Biblio-
thek enthalten einige Texte, die als ‘valentinianisch’ identifiziert werden können.
Eine andere Gruppe von Texten, die in dieser Manuskriptsammlung enthalten ist,
stellt die biblische Figur des Seth in den Vordergrund, was dazu geführt hat, dass
in der modernen Forschung der ‘Sethianismus’ als eine bedeutende Klassifizie-
rungskategorie verwendet wird. Ob diese Kategorie einer historisch fortlaufenden
und soziologisch kohärenten Bewegung entspricht, ist allerdings zweifelhaft. Von
den verbliebenen Texten von Nag-Hammadi stehen einige mit Traditionen aus
dem Umfeld des Apostels Thomas in Verbindung, andere mit dem Hermetismus,
doch kann eine ansehnliche Zahl von Texten keiner der von den antiken Häresio-
logen beschriebenen Gruppen oder Lehrer eindeutig zugewiesen werden.
Von den Nag-Hammadi-Codices abgesehen, finden sich gnostische Texte auch
in folgenden weiteren koptischen Handschriften: im Berolinensis 8502, im Bruce-
Codex (zusammen mit den Büchern des Jeû), im Askew-Codex (zusammen mit
der Pistis Sophia) sowie im kürzlich publizierten Codex Tchacos, der u. a. das be-
rühmte ‹Judas-Evangelium› enthält (Brankaer, Bethge 2007 [*811]). Sowohl die
patristischen Quellen als auch die in koptischer Sprache erhaltenen Originaltexte
zeigen eine große Vielfalt an Mythen, Lehren und Praktiken, die nur teilweise mit
Hilfe von Verallgemeinerung und Klassifizierung in eine Ordnung gebracht wer-
den können. Im Hinblick auf den ontologischen Dualismus von Geist und Mate-
rie, der von allen geteilt wird, kann eine Unterscheidung getroffen werden zwi-
schen einer radikal dualistischen Position, welche die Materie und das Böse als
ein unabhängiges Prinzip betrachtet, das von Anbeginn neben dem Prinzip des
Guten existierte, und einem gemäßigten Dualismus, der die Materie und das Böse
letztlich von einem einzigen ersten Prinzip mittels einer irgendwie gearteten The-
orie des Falls ableitet. Ein radikaler Dualismus wird am stärksten vom Manichä-
ismus vertreten, der die Welt als den Schauplatz eines fortwährenden Kampfes
zwischen den Kräften des Lichts und der Dunkelheit versteht. Ein monistischer
Dualismus charakterisiert den Valentinianismus und mehrere andere klassisch
gnostische Systeme, darunter das ‹Apokryphon des Johannes› und andere ‘sethi-
anische’ Texte. In diesen Systemen wird der Ursprung der Materie in der Regel
mit einem Mythos von der Leidenschaft der Sophia erklärt. Nichtsdestoweniger
sollte noch hinzugefügt werden, dass einige Systeme drei erste Prinzipien anset-
zen: Eine transzendente Gottheit, ein präexistentes Chaos oder materielles Prin-
zip und eine ursprüngliche Mittlerfigur (Justin der Gnostiker; die Sethianer von
Hippol. Ref. 5,19–22; die ‹Paraphrase des Sêem› [NHC VII,1]; möglicherweise
auch die Naassener, die Peraten, und Monoïmos der Araber aus der ‹Refutatio›).
Innerhalb der Gruppe der monistisch-dualistischen Ansätze, welche die Mehr-
heit der gnostischen Systeme bilden, muss eine weitere wichtige Unterscheidung
getroffen werden: Auf der einen Seite gibt es diejenigen Texte – wie die ‘sethiani-

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§ 88. Überblick (Bibl. 1077–1079) 857

schen’ –, welche die physische Welt als ein Gefängnis betrachten, das von einem bös-
artigen Schöpfer erschaffen wurde, um die spirituellen Elemente, die von der So-
phia abstammen, gefangen zu nehmen; auf der anderen Seite gibt es diejenigen
Systeme, die – wie die valentinianischen Quellen – die zeitlich befristete Einheit von
Geist, Seele und Körper im Menschen auf einen pädagogischen Zweck zurückfüh-
ren, der von der transzendenten Gottheit selbst providentiell gewollt und von einem
Demiurgen ausgeführt wird, der das ahnungslose Werkzeug dieses höheren Plans,
aber nicht von Natur aus böse ist. Die Valentinianer (ebenso wie die Basileidianer)
nahmen damit eine eher positivere Sicht auf den Kosmos und seinen Schöpfer ein
als die ‘sethianischen’ Gnostiker, und sie zeigen eine größere Affinität zum Plato-
nismus ebenso wie zur orthodoxen christlichen Theologie (spätere ‘sethianische’
Texte haben sich allerdings umfassend neuplatonische Elemente angeeignet).
Der Gnostizismus ist in erster Linie ein religiöses Phänomen. Die Befreiung des
spirituellen ‘inneren Menschen’, auf die er abzielt, bedarf der Intervention einer
personalen Erlöserfigur, die von der transzendenten Welt herabgeschickt wird. Der
Erlöser klärt die Menschen über ihre nicht-weltlichen Ursprünge auf und besiegt
die Dämonen, welche die Menschen durch ihre Körper und die niederen Seelen-
teile bedrängen. Die Erlösung hängt sowohl vom Glauben an den Erretter als auch
vom Erwerb der Erkenntnis ab, die er offenbart, und beinhaltet in der Regel auch
die Ausübung von Gnade vermittelnden Ritualen. Nichtsdestoweniger ist oft ein
starkes intellektuelles Element präsent, bei dem der Einfluss zeitgenössischer phi-
losophischer Ideen häufig eher zu erahnen ist, als offen zugestanden wird.
Wichtige Ausgangspunkte für das gnostische Lehrgebäude sind die Themen
der Weisheit und der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die beide auf eine jüdi-
sche Tradition zurückzuführen sind. Im Pronoia-Monolog am Ende der Langver-
sion des ‹Apokryphon des Johannes›, einem der traditionsgeschichtlich frühesten
erhaltenen Textzeugnisse für gnostisches Denken, wird das traditionelle jüdische
Motiv vom Abstieg der göttlichen Weisheit, die nach einem Wohnplatz unter den
Menschen sucht, zu einer heilsgeschichtlichen Erzählung eines dreifachen Ab-
stiegs der Pronoia weiterentwickelt, die den in der Dunkelheit und Gefangen-
schaft ihres Körpers lebenden Menschen Aufklärung über ihre wahre Natur und
die Erleuchtung bringt. Die spätere gnostische Mythologie besteht zu einem
großen Teil in Weiterentwicklungen dieses Themas, darunter Vorstellungen über
Fall und Gefangennahme der Weisheit selbst und ihre letztendliche Erlösung. In
einem ebenso frühen Zeugnis, dem ‘Ophiten’-Mythos von Iren. Haer. 1,30, nimmt
das Thema der menschlichen Gottebenbildlichkeit (Gen. 1,26) die Form einer
Theogonie an, in der die höchste Gottheit, der Vater von allem, mit dem ersten
Menschen identifiziert wird, der einen Menschensohn als seinen Gedanken er-
schafft, welcher wiederum einen dritten Menschen zeugt, nämlich Christus. Ein
ähnliches Schema erscheint in dem Nag-Hammadi-Traktat ‹Eugnostos›, wo aller-
dings der Abfolge dreier ‘Menschen’ zwei noch höhere göttliche Entitäten voran-
gehen: ein ungezeugter Propator an der Spitze, gefolgt von einem selbsterzeugten
Autopator. Ähnliche Konstruktionen, in denen die Hierarchie von Modell-Ab-
bild-Beziehungen – angeregt durch die Anthropogonie des Buches ‹Genesis› –
kombiniert wird mit Theorien der Ableitung aus ersten Prinzipien – diese inspi-

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858 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

riert von den griechischen Theogonien und neupythagoreisch-platonischer


Philosophie –, sind ein charakteristisches Merkmal vieler gnostischer Systeme.
Es ist offensichtlich, dass ein großer Teil des in den gnostischen Texten verar-
beiteten Materials von der Bibel und aus jüdischen Traditionen stammt. Die meis-
ten Forscher gehen deswegen von der Annahme aus, die gnostische Bewegung
hätte sich ursprünglich aus der jüdischen Religion heraus entwickelt, trotz der of-
fenkundigen Schwierigkeit, ein spezifisches Milieu festmachen zu können, in dem
eine solche Herausbildung hätte stattfinden können. Vom chronologischen Stand-
punkt her gibt es keinen positiven Beleg für die Existenz gnostischer Gruppen vor
dem Aufkommen des Christentums. Und unter den Spezialisten herrscht keine
Einigkeit darüber, in welchem Maße christliche Vorstellungen wie jene eines Er-
lösers als Voraussetzung für die Entwicklung gnostischer Ideen anzusehen sind.
Einerseits erscheint in gnostischen Quellen die christliche Erlöserfigur in ihren
Grundzügen integriert, so dass sich diese plausibel in einem (wie auch immer ge-
arteten, ‘häretischen’) christlichen Kontext festmachen lassen, andererseits finden
wichtige Themen wie der Mythos von Sophia und die Spekulationen hinsichtlich
eines Ersten Menschen ihre einfachste Erklärung, wenn eine Vorgeschichte im
Kontext jüdisch-theologischen Denkens angenommen wird. Überdies weisen auch
nicht-christliche und nicht-jüdische Bewegungen wie der Hermetismus oder die
Mandäer gewisse ‘gnostische’ Charakteristika auf; dies zeigt, dass eine eindimen-
sionale Vorstellung von der Genese eines Phänomens, das letztlich keine einheit-
lichen, zusammenhängenden Züge besitzt, mit großen inhärenten Schwierigkei-
ten verbunden ist.
Gnostische Vorstellungen scheinen sich insbesondere während des 2. Jahrhun-
derts n. Chr. von der Herrschaft Hadrians an ausgebreitet zu haben. Obwohl sie
durch das Wachstum und die Institutionalisierung der katholischen Kirche zuneh-
mend an den Rand gedrängt wurden, lebten Gruppierungen, die für solche (gnos-
tische) Vorstellungen eintraten, bis zum Ende des 4. Jahrhunderts fort, danach
verliert sich ihre Spur allmählich. Östlich der Grenzen des Römischen Reichs je-
doch blieb vor allem der Manichäismus für weitere tausend Jahre eine kraftvolle
Erscheinung.

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann.

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§ 89. Sethianismus (Bibl. 1080–1081) 859

§ 89. Sethianismus

Einar Thomassen

Die Nag-Hammadi-Bibliothek machte auf die Existenz einer wichtigen gnosti-


schen Richtung aufmerksam, die mit der biblischen Gestalt von Seth, dem Sohn
Adams (Gen. 4,25 und 5,3), verbunden wird. Heute werden etwa 16 verschiedene
Texte zum ‘sethianischen’ Corpus gezählt. Die Bedeutung Seths liegt darin, dass
er als der authentische Träger der Gottebenbildlichkeit seines Vaters Adam und
als Übermittler und Offenbarer rettender Gnosis betrachtet wird. Er wurde
außerdem auch als der Vorfahr des ‘Samens von Seth’ angesehen, d. h. der Gruppe
von Menschen, die diese Gnosis besitzen. Häufig wird Seth mit Christus gleich-
gesetzt, aber es gibt auch einige Seth-Texte, in denen das christliche Element nicht
vorherrschend oder gar abwesend ist, insbesondere die sogenannten ‘platonisie-
renden Texte’.
Der Sethianismus war kaum eine soziologisch kohärente Bewegung. In man-
cherlei Hinsicht wird er am besten als eine literarische Tradition (vergleichbar z. B.
mit dem Orphismus) charakterisiert, in welcher der Name von Seth gebraucht
wird, um eine Reihe von Lehren zu legitimieren, die zu Beginn der menschlichen
Geschichte, zumindest lange vor Mose, offenbart worden seien. Auf der anderen
Seite gab es sicher ‘sethianische’ Gruppen, in denen gemeinschaftliche Rituale
vollzogen wurden, darunter ein charakteristisches Initiationsritual, das als die
‘fünf Siegel’ bekannt ist.
Der bekannteste ‘sethianische’ Text ist das ‹Apokryphon des Johannes›, das
gleich in vier Abschriften bezeugt ist (NHC II,1; III,1; IV,1; BG 2). Es handelt sich
dabei um einen protologischen und heilsgeschichtlichen Traktat in der Form eines
kritischen Kommentars zur ‹Genesis›, äußerlich gestaltet als ein Offenbarungs-
gespräch, das Jesus mit seinem Jünger Johannes führt. Ein ebenfalls typischer ‘se-
thianischer’ Text ist ‹Das heilige Buch des Unsichtbaren Geistes› (auch bekannt
als ‹Das Evangelium der Ägypter›: NHC III,2; IV,2) mit einer Offenbarung des
Seth in uranfänglicher Zeit über den Ursprung der Welt, über dessen künftige Ab-
kunft als Jesus und über den heilbringenden Ritus der Taufe, der von Jesus gelehrt
werden wird. Von besonderem philosophiegeschichtlichen Interesse ist eine
Sammlung von verhältnismäßig späten ‘sethianischen’ Texten, die von Gelehrten
als «platonisierend» (Turner 2001 [*906]) beschrieben werden: ‹Zostrianos› (NHC
VIII,1), ‹Allogenes› (NHC XI,3), ‹Die drei Stelen des Seth› (NHC VII,5) und
‹Marsanes› (NHC X). Diese Texte zeigen eine spezielle Affinität zum Neuplato-
nismus.
Zu den charakteristischen Merkmalen ‘sethianischer’ Texte gehört eine Theo-
gonie, an deren Spitze eine Triade von Vater, Mutter und Kind steht, auch als Un-
sichtbarer Geist, Barbelo und der Selbst-Erzeugte (Autogenes) bezeichnet. Der
Unsichtbare Geist ist vollständig transzendent und wird in der Sprache der nega-
tiven Theologie beschrieben – besonders ausführlich auf den ersten Seiten des
‹Apokryphon des Johannes› und in ‹Allogenes› 62f. Durch Selbst-Kontemplation

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860 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

offenbart sich der Unsichtbare Geist selbst in Barbelo (für deren Name sich keine
Erklärung finden lässt), die sein erster Gedanke und Ebenbild ist. Obwohl sie die
Bezeichnung ‘Mutter’ trägt, wird sie auch als das erste menschliche Wesen, drei-
fach männlich, dreifache Kraft und androgyn beschrieben. Indem sie sich selbst
dem Vater in Kontemplation zuwendet, bewirkt Barbelo danach das Entstehen
des dritten Mitglieds der Triade, des selbst-erzeugten Kindes. Ferner sind Barbelo
und Autogenes beide mit einem Gefolge von ‘Äonen’ ausgestattet, von denen die
bedeutendste Gruppe die der ‘vier Lichter’ ist, die gemeinsam mit Autogenes ent-
stehen und den Wohnplatz für den prototypischen, himmlischen Adam, Seth und
den Samen von Seth bilden. Durch diesen Prozess der kontemplativen Selbst-Ob-
jektivierung faltet sich das einheitliche erste Prinzip in eine Mehrzahl von Wesen
auseinander, die aus ihm hervorgehen, aber auf ihren Ursprung ausgerichtet blei-
ben. Es handelt sich dabei sowohl um eine Ontogenese als auch um einen episte-
mologischen Prozess, der Wissen über die letzte Quelle des Alls ermöglicht: Bar-
belo ist nicht nur erzeugender Gedanke, sondern auch Vorsehung, welche die
errettende Gnosis in Übereinstimmung mit einem göttlichen Plan vermittelt.
Das Auseinanderfalten des göttlichen Seins endet jedoch mit einem Bruch,
nämlich mit der Handlung des Äons Sophia (sie ist die letzte von zwölf Äonen,
die Unterteilungen der vier Lichter sind). Ihr Fehler wird als ein Verlangen, un-
abhängig zu handeln, beschrieben, d. h. dass sie allein als einzelner Äon einen Akt
der Hervorbringung vollziehen will, den einzig das göttliche Sein als Gesamtheit
zu leisten in der Lage ist. Infolge dessen gebiert sie ein missgebildetes Monstrum.
Das ist Jaldabaoth, der anschließend die Welt als Ausdehnung seiner eigenen de-
fizienten Natur erschafft. Diese Welt ist ein düsteres Reich, das von zahlreichen
Kräften bewohnt und beherrscht wird, die alle ihrerseits vom Schöpfer Jaldaba-
oth beherrscht werden, der ebenso arrogant und tyrannisch wie bezüglich der
transzendenten Welt über ihm unwissend ist. Seine Schöpfung ist in gewisser
Weise ein Abbild der oberen Welt, in Übereinstimmung mit der Vorstellung pla-
tonischer Ideenwelt, allerdings ist es ein umgekehrtes Bild und eine Travestie des
idealen Modells: Der Bericht kann als eine Parodie der Kosmogonie des ‹Timai­os›
gelesen werden. Der Brennpunkt der Erzählung liegt allerdings nicht in der Kos-
mologie, sondern in der Anthropologie. Jaldabaoth hatte einen Teil der geistigen
Natur seiner Mutter zurückbehalten, und das Hauptmotiv der folgenden Ge-
schichte betrifft die Befreiung dieses Teils aus der Gewalt der kosmischen Archon-
ten und seine Rückführung in die geistige Welt. Zu diesem Zweck wird Jaldaba-
oth durch eine Erscheinung der Barbelo-Vorsehung dazu überlistet, den ersten
Menschen zu erschaffen und seinen Geist in ihn hineinzuhauchen. Die Archon-
ten jedoch versuchen, da sie Adams höhere Natur wahrnehmen, ihre Kontrolle
über die Menschheit mit Hilfe verschiedener Strategien wiederherzustellen, wie
etwa durch die Erschaffung der physischen Eva und die Einkleidung des ersten
menschlichen Paares mit Körpern aus Fleisch. Die Folge davon ist, dass die Men-
schen zu Opfern von Begierde und Verdorbenheit werden. Schließlich steigt die
Vorsehung ein letztes Mal in der Gestalt von Jesus hinab, um die Menschheit –
genauer, den Samen des Seth – über ihren göttlichen Ursprung aufzuklären, wo-
durch die Rückführung des Geistes in die Welt des Lichts ermöglicht wird.

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§ 89. Sethianismus (Bibl. 1080–1081) 861

Im Gegensatz zur heilsgeschichtlichen Darstellungsweise, wie sie in Texten wie


dem ‹Apokryphon des Johannes› zu finden ist, machen die vier ‘platonisierenden’
Traktate vom Aufbau des ‘sethianischen’ Systems Gebrauch, um sich die Erlösung
in Form eines geistigen Aufstiegs vorzustellen, der vom vollendeten Mystiker ge-
leistet werden kann. Zostrianos, Allogenes, (Emmacha) Seth und Marsanes sind
Visionäre, deren Erfahrungen in den Texten, die ihre Namen tragen, erzählt wer-
den. Ihre Aufstiege durchlaufen vier aufeinander folgende Stufen: Nachdem sie
die zwei kosmischen Stufen der Physis und Seele (‘Reue’) überwunden haben, stei-
gen die Visionäre zum intelligiblen Äon von Barbelo auf; jenseits davon liegt das
höchste Reich des Unsichtbaren Geistes, des nicht-wissbaren Einen. Dieses Vier-
Stufen-Schema weist eine strukturelle Affinität zum Neuplatonismus auf, und in
der Tat sind die Apokalypsen von Zostrianos und Allogenes unter den Schriften,
auf die sich laut Porphyrios (Vit. Plot. 16) diejenigen Gnostiker bezogen hätten,
die an Plotins Vorlesungen in Rom teilnahmen. Porphyrios sagt auch, dass Ame-
lios eine Widerlegung von Zostrianos in vierzig Bänden geschrieben habe. Plotins
eigene Kritik an den Gnostikern könnte außerdem besonders gegen Zostrianos
gerichtet sein (Turner 2001 [*906: 711–720]). Ob aber die Traktate ‹Allogenes› und
‹Zostrianos›, die in koptischen Übersetzungen in der Nag-Hammadi-Bibliothek
wiedergefunden worden sind, identisch mit den von Porphyrios erwähnten Texten
sind, ist ein ungelöstes Problem (dafür: Turner in zahlreichen Publikationen, Tar-
dieu 1996 [*901: 112–113], Corrigan 2000 [*905]; dagegen: Abramowski 1983
[*894], Majercik 1992 [*898] und 2005 [*908], Burns 2010 [*918], die alle für ein
post-plotinisches Datum argumentieren).
Aus dem nicht-wissbaren Einen ausfließend, ist die intelligible Welt des Äons
Barbelo in diesen Texten in drei Stufen unterteilt, welche die Namen Kalyptos,
Protophanes und Autogenes tragen. Auf der Stufe von Kalyptos, der ‘versteckten’
Stufe, existieren die intelligiblen Wesen als «unverbindbare echte Existenzen»
(Turner 2007 [*913: 66]) und sind bloß Gegenstände der Kontemplation; auf der
Stufe des Protophanes werden sie sichtbar gemacht und mit einem aktiv kontem-
plierenden Intellekt verbunden; auf der letzten Stufe vertritt Autogenes einen de-
miurgischen Intellekt, der die Ideen individualisiert und sie auf die sinnlich wahr-
nehmbare Welt anwendbar macht. Diese Unterscheidungen sind vergleichbar mit
Numenios’ Unterteilung des Intellekts in einen Teil, der sich seinem Ursprung zu-
wendet, und in einen anderen, der seine Aufmerksamkeit auf die niedere Welt
richtet. Eine besondere Rolle wird in diesen Texten ferner einer Entität zugewie-
sen, die «der dreifach Mächtige» (offensichtlich eine Übersetzung von τριδύναμος)
genannt wird. Diese Stufe vermittelt den Übergang vom nicht-wissbaren Einen
zum Äon Barbelo und umfasst die drei ‘Kräfte’ der Existenz, Leben und Intellekt
(oder Seligkeit), was impliziert, dass die intelligible Welt zunächst latent mit dem
Einen existiert, dann daraus als ein unbestimmtes ‘Leben’ hervorgeht und schließ-
lich als Intellekt ein bestimmtes intellektuelles Dasein erlangt, das seine Quelle
betrachtet. In ‹Allogenes› wird diese Struktur zu einer Enneade entwickelt, bei
der das nicht-wissbare Eine, das von drei Kräften durchströmte Eine und der Äon
von Barbelo jedes für sich die drei Stufen von «Existenz» (ὕπαρξις/οὐσιότης),
«Lebenskraft» (ζῳότης) und «Denkkraft» (νοότης) umfasst, jedoch gemäß einem

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862 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Prinzip der relativen Vorherrschaft, durch das die Existenz im nicht-wissbaren


Einen, die Lebenskraft im dreifach Mächtigen und die Denkkraft im Äon Bar-
belo vorherrscht.
Die Terminologie, die von diesen ‘sethianischen’ Traktaten zur Beschreibung
des Aufbaus der transzendenten Welt und der Phasen der Emanation verwendet
wird, weist bemerkenswerte Parallelen zur neuplatonischen Philosophie auf. Das
trifft insbesondere auf die ‘intelligible Triade’ von Existenz, Leben und Intellekt
zu, die ein allgemeines Merkmal des späteren Neuplatonismus ist, aber auch schon
Plotin und womöglich schon vor diesem bekannt war (P. Hadot 1960 [*888]; siehe
jedoch Edwards 1990 [*897] und Majercik 1992 [*898]). Deren früheste Bezeu-
gung ist wohl im anonymen Kommentar aus Turin zum ‹Parmenides› zu finden
(XIV,15–26), einem Text, der von P. Hadot 1961 [*889] und 1968 [*890] Porphy-
rios zugeschrieben wird, für den aber in jüngerer Zeit ein mittelplatonisches
Datum behauptet wurde (Bechtle 1999 [*902], Corrigan 2000 [*904]). Ferner
wurde eine literarische Beziehung zwischen bestimmten Passagen des ‹Zostria-
nos› (insbesondere 64–68) und Marius Victorinus entdeckt (Adv. Ar. 1,49f.: Tar-
dieu 1996 [*901], Barry et al. 2000 [*882]). Für diese Texte, die das Eine sowohl in
Form einer negativen als auch einer affirmativen Theologie beschreiben und auch
Kenntnis der intelligiblen Triade verraten, muss eine gemeinsame Quelle ange-
nommen werden. Die Identifizierung dieser Quelle wird aber durch die Verwen-
dung eines Vokabulars erschwert, das sich kaum mit dem Platonismus vereinba-
ren lässt, wie etwa die Bezeichnung des Einen als ‘Geist’ (πνεῦµα). Sollte man
einen ‘sethianischen’ Ursprung dieser Quelle selbst als unwahrscheinlich beurtei-
len (man würde damit diesen gnostischen Gruppen die Erfindung von etwas zu-
erkennen, das in der Folge ein zentrales Element der späteren neuplatonischen
Philosophie wurde), muss man annehmen, dass die Quelle eine christliche oder
gnostische Redaktion eines ursprünglich platonischen Texts war, in dem eine sol-
che Terminologie nicht verwendet wurde (P. Hadot 1996 [*900]). Es ist auf jeden
Fall klar, dass die Wechselbeziehungen zwischen dem späteren ‘sethianischen’
Gnostizismus und dem Neuplatonismus nun als enger eingeschätzt werden müs-
sen, als man es in der Vergangenheit anzunehmen bereit war.

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann.

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§ 90. Basileides und seine Anhänger (Bibl. 1082) 863

§ 90. Basileides und seine Anhänger

Einar Thomassen

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre.

1. LEBEN

Basileides wird von Clemens von Alexandrien (Strom. 7,106) und von Eusebios
(Chron. ad ann. 2148 = 132 n. Chr. = 201,2f. Helm; vgl. Hist. eccl. 4,7) in die Zeit
Hadrians datiert, und tatsächlich weiß Justin der Märtyrer in der Mitte des
2. Jahrhunderts von den «Basileidianern» zu berichten (Dial. 35,6). Irenäus macht
ihn in seiner künstlichen Genealogie gnostischer Häretiker, zusammen mit Sa­
torninos, zu einem Nachfolger Menanders, der seinerseits auf den Erz-Häretiker
Simon Magos folgte (Haer. 1,24). Von Basileides’ eigenen Schülern wird insbeson-
dere sein Sohn Isidoros erwähnt (z. B. Clem. Alex. Strom. 6,53; Hippol. Ref. 7,20).
Die Forschung ist sich einig darüber, dass Basileides in Alexandrien zu verorten
ist; sein Einfluss scheint nicht weit über diese Stadt hinaus gereicht zu haben.

2. WERKE

Basileides ist der Autor eines exegetischen Wer- ungewiss. Seinem Sohn Isidoros werden ein Kom-
kes (Ἐξηγητικά: Clem. Alex. Strom. 4,81,1) zum mentar zu dem (ansonsten unbekannten) Prophe-
Evangelium in 24 Büchern (Agrippa Castor bei ten Pachor (Clem. Alex. Strom. 6,53), eine Schrift
Eus. Hist. eccl. 4,7,7). Ob er weitere Werke ver- ‹Über die angewachsene Seele› (Περὶ προσφυοῦς
fasste, welche die Quellen der ungefähr 18 erhal- ψυχῆς: Clem. Alex. Strom. 2,113f.) und ein Werk
tenen Fragmente und Berichte sein könnten, die namens ‹Ethik› (Ἠθικά) zugeschrieben (Clem.
ihm oder seiner Schule zugeschrieben werden, ist Alex. Strom. 3,2f.).

3. LEHRE

Die authentische Lehre von Basileides zu ermitteln, wird durch die Tatsache
außerordentlich erschwert, dass es zwei nicht miteinander zu vereinbarende Be-
richte über sein ‘System’ gibt: Iren. Haer. 1,24,3–7 und Hippol. Ref. 7,20–27. Dar­
über hinaus sind die Fragmente aus den basileidianischen Schriften, die haupt-
sächlich bei Clemens von Alexandrien zu finden sind, mit keinem der beiden
Berichte direkt in Verbindung zu bringen. Die aktuellste umfassende Studie zu
dieser Frage (Löhr 1996 [*942]) kommt zum Ergebnis, dass die beiden Berichte
von Irenäus und Hippolyt als unglaubwürdig hinsichtlich der Lehre des Basileides

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864 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

zurückgewiesen werden sollten. Sie konzentriert sich stattdessen auf die Fragmente
bei Clemens als einzige verlässliche Quelle für Basileides’ Ansichten. Überdies
kann zwischen Basileides selbst und seinen Anhängern, insbesondere Isidoros, auf
der Basis der Zitate bei Clemens keine Unterscheidung getroffen werden.
Die Fragmente lassen keinen kosmologischen Mythos erkennen; ihr philo­
sophisches Interesse beschränkt sich auf bestimmte Vorstellungen im Bereich
von Psychologie, Epistemologie und dem Wesen des Glaubens. Die Basileidianer
sprachen über Glaube und Wissen als einem göttlichen Geschenk, das einigen
Menschen durch ‘hyperkosmische Auswahl’ zuteilwird und das sie wie eine Na-
turanlage besitzen – eine Sichtweise, die von Clemens, einem Verfechter des
menschlichen freien Willens, scharf kritisiert wurde (Clem. Alex. Strom. 2,10f.).
Dieser Determinismus scheint vom Stoizismus beeinflusst zu sein, und der Ge-
brauch von stoischen epistemologischen Begriffen ist beachtenswert (κατάληψις,
«Begreifen»: 2,10,1; συνκατάθεσις, «Zustimmung»: 2,27,2; Löhr 1996 [*942: 53,
59]). Basileides charakterisierte laut Clemens weiter den Glauben mehr als «Sein,
Natur und Substanz» (οὐσία, φύσις, ὑπόστασις) denn als ein Vermögen des Wil-
lens. Diese «Natur» ist außerdem dasjenige, was das Wissen von Gott ermöglicht
(Clem. Alex. Strom. 5,3,2; vgl. auch 2,27,2). Basileides scheint somit die Idee der
Wesensgleichheit zwischen Gott und der mit Glauben erfüllten Seele bejaht zu
haben, eine ontologische Gemeinsamkeit, die epistemologische Implikationen
mit sich führt: Erkenntnis setzt Wesensgleichheit zwischen Erkenner und Er-
kanntem voraus.
Ein eigentümliches Merkmal für die basileidianische Psychologie ist ferner die
Vorstellung, dass die Leidenschaften «Anhängsel» (προσαρτήματα) der Seele
seien, d. h. externe Kräfte, die gemeinsam mit Geistern, welche die Natur irratio-
naler Lebewesen oder sogar von Pflanzen besitzen, die Kontrolle über die ratio-
nale Seele zu gewinnen suchen (Clem. Alex. Strom. 2,112–114). Diese Idee ähnelt
der Unterscheidung, die Numenios (fr. 44 des Places) zwischen zwei Seelen, einer
rationalen und einer irrationalen, trifft (vgl. Dillon 1977 [*851: 376], Löhr 1996
[*942: 83–85]). Da die rationale Seele kämpfen muss, um sich des Ansturms der
irrationalen Kräfte zu erwehren, erscheint Clemens’ Behauptung zweifelhaft, wo-
nach die Basileidianer den freien Willen geleugnet hätten.
In einem dem 23. Buch von Basileides’ exegetischem Werk zugewiesenen Frag-
ment (Clem. Alex. Strom. 4,81–83) erklärt dieser die Leiden der Märtyrer als Got-
tes Strafe für Sünde. Da Gottes Vorsehung nicht in Zweifel gezogen werden kann,
muss jegliches menschliche Leiden als gerechterweise verdient und von der Gott-
heit mit einer Besserungsabsicht verhängt gelten. Alle menschlichen Wesen sind
tatsächlich mit der Neigung zur Sünde geboren. Dieses Argument wird mit Refe-
renz auf den locus classicus des Theodizee-Problems in ‹Hiob› (14,4 «Niemand ist
rein vom Schmutz») vorgebracht.
Die Lehre von der Reinkarnation der Seele ist für Basileides bezeugt, der Wie-
dergeburt als eine der Strafen betrachtet zu haben scheint, die von Gott zur Erzie-
hung und Verbesserung seiner menschlichen Kreaturen verhängt werden (Clem.
Alex. Exc. Thdot. 28; Orig. Comm. in Rm. 5,1; Comm. ser. 38 in Mt.; siehe auch die
Diskussion bei Nautin 1974 [*710] und Löhr 1996 [*942: 138–144, 216–218]).

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§ 90. Basileides und seine Anhänger (Bibl. 1082) 865

Dass Basileides (oder zumindest seine Anhänger) an einer gnostischen Spiel-


art der Kosmologie festgehalten hat, legt ein Fragment in Clem. Alex. Strom.
2,36,1 nahe: Es spricht von einem Archonten, der furchtsam wurde, als «der die-
nende Geist» die frohe Botschaft verkündete, wobei seine Furcht allerdings zum
Anfang der Weisheit wurde (Prov. 1,7). Der Bezugspunkt scheint hier Johannes
der Täufer zu sein, der typologisch mit dem Weltherrscher gleichgesetzt wird
(Orbe 1973 [*931], Löhr 1996 [*942: 64–66]). Der Archon muss eine Figur sein,
die vom höchsten Gott, von dem die Nachricht von Erlösung und Wissen nach
unten gesandt wird, verschieden ist. Ferner scheint der Archon dem höheren Gott
und der Menschheit gegenüber nicht feindselig zu sein, sondern ist empfänglich
für Anweisungen und arbeitet am Werk der Erlösung auf eine Weise mit, die dem
valentinianischen Demiurgen ähnelt, aber verschieden ist vom ‘sethianischen’
Jaldabaoth. Es kann somit angenommen werden, dass die Basileidianer eine Art
von kosmogonischem Mythos als Lehre vertraten, der die Trennung des höchsten
Gottes vom Weltschöpfer und -herrscher beinhaltete, doch die Details dieses My-
thos lassen sich aus den erhaltenen Fragmenten nicht herauslesen (das ebenfalls
Basileides zugewiesene Fragment in Hegemonios Arch. 67,4–12 ist so durchdrun-
gen von manichäischen Themen, dass es diesbezüglich von wenig Wert ist: Pear-
son 2005 [*946: 6–8]).
Der Mythos, der Basileides in Iren. Haer. 1,24,3–7 zugeschrieben wird, präsen-
tiert eine Reihe von Emanationen: Ein ungeschaffener und unaussprechlicher
Vater bringt einen Nous hervor, aus dem der Logos hervorgeht, der wiederum
Phronesis gebiert. Von letzterer entstammt das Paar Sophia und Dynamis. Diese
lassen «Kräfte, Fürstentümer und Engel» entstehen, welche die Himmel erschaf-
fen. Der Reihe nach entstehen 365 Himmel; die Kräfte, die im letzten Himmel
angesiedelt sind, erschaffen auch die Welt. Deren Herrscher ist der Gott der
Juden, der alle anderen Nationen seinem eigenen Volk unterwerfen möchte, wo-
durch er viele Konflikte heraufbeschwört. Schließlich sendet der Vater seinen
Sohn Nous in Gestalt von Jesus Christus, um die Menschheit von dieser Unter-
drückung zu befreien. Seine körperliche Gestalt ist indes nur scheinbar, und wäh-
rend seines Leidens verwandelt er sich in Simon von Kyrene (vgl. Mc. 15,21), der
an seiner Stelle gekreuzigt wurde. Während die Authentizität dieses Berichts wei-
terhin von bestimmten Gelehrten (Grant 1979 [*936], Pearson 2005 [*946]) ver-
teidigt wird, scheint er unvereinbar zu sein mit der positiveren Einschätzung des
Archon in Clem. Alex. Strom. 2,36 wie auch mit der Vorstellung, dass Verfolgun-
gen und Leiden letzten Endes auf die Providenz Gottes zurückzuführen sind
(Clem. Alex. Strom. 4,81–83; Löhr 1996 [*942: 272]). Der antagonistische Charak-
ter des Dualismus in Irenäus’ Bericht lässt sich schwerlich mit der eher harmoni-
sierenden Vision, die durch die Fragmente bezeugt wird, versöhnen.
Hippolyt, der den Bericht von Irenäus kannte, beschreibt ein ganz anderes Sys-
tem als dasjenige des Basileides und des Isidoros. Dieses System (Ref. 7,20–27)
ist nicht zuletzt wegen des extremen Transzendentalismus seiner Theologie be-
merkenswert: Das einzige, erste Prinzip kann nicht einmal als unaussprechlich
bezeichnet werden, noch kann ihm Existenz zugeschrieben werden: Gott «exis-
tiert» nicht. Konsequenterweise werden offensichtlich alle Vorstellungen einer

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866 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Emanation aus einer ersten Ursache vermieden. Stattdessen wird vom nicht-exis-
tenten Gott gesagt, dass er einen Samen hinterlassen habe, der potentiell das
ganze Universum in sich trage (πανσπερμία), und alles, was aus diesem Welt-Samen
hervorgegangen ist, sei bestrebt, in die Richtung des nicht-existenten Gottes auf-
zusteigen. Zuerst zeigten sich drei Arten von ‘Sohnschaften’, mit unterschied­
lichen Graden der Wesensgleichheit (ὁμοούσιος) mit der Gottheit: Die erste steigt
unmittelbar hinauf, die zweite tut dies mit Hilfe eines Flügels (= dem Heiligen
Geist; vgl. Plat. Phdr. 246). Nachdem er nicht mehr länger gebraucht wird, wird
der Geist zurückgelassen; er wird zum Firmament, der die Überwelt und den Kos-
mos trennt, und übt seinen Einfluss abwärts wie einen Wohlgeruch aus. Die dritte
Sohnschaft, die als die gröbste unten bleibt, noch immer unsichtbar, wird das Ob-
jekt der nachfolgenden Heilsgeschichte. Es folgt eine Kosmogonie: Zwei Archon-
ten gehen aus dem Welt-Samen hervor; sie erschaffen und beherrschen je die Og-
doade und die Hebdomade, wobei sie allerdings nichts von der Region über sich
wissen. Beide haben Söhne, die intelligenter als sie selbst sind. Als das Evange-
lium in die Welt eintrat – handelnd von weit her auf dieselbe Weise, wie indisches
Naphta aus weiter Entfernung Feuer anzünden kann (7,25,6f.) –, war der Sohn des
Archon der Ogdoade der erste, der dies wahrnahm. Er belehrt seinen Vater, der
seine eigene Unwissenheit realisiert, und ebenso den Sohn des Archon der Heb-
domade, der wiederum seinen eigenen Vater aufklärt. Schließlich erreichte das
Evangelium den Boden des Kosmos, wo Jesus, Marias Sohn, der erste war, der er-
leuchtet wurde. Er wurde zum Erlöser der dritten Sohnschaft und ermöglichte
deren Manifestation und Befreiung von der Unreinheit, mit der sie vermischt war.
Es ist schwierig, irgendwelche Verbindungen zwischen diesem System und den
Fragmenten des Basileides und seiner Schule zu erkennen, wobei angemerkt wer-
den könnte, dass die verhältnismäßig positive Sicht des kosmischen Archon, der
am Ende erlöst wird, bzw. der Archonten, die erlöst werden, ein gemeinsames
Merkmal ist. Es ist unwahrscheinlich, dass der Text, den Hippolyt benutzt hat, auf
Basileides und seine frühen Anhänger zurückgeht (Löhr 1996 [*942: 313–323]).
Das System erweckt dennoch einiges Interesse, weil es bewusst ein Modell von
Abwärtsbewegung und Rückkehr zu vermeiden scheint, wie es in der Regel in
gnostischen Systemen vorzufinden ist. Hier liegt im Gegensatz dazu kein Abstieg
vor, weder in der Form von aufeinander folgenden Emanationen noch in Gestalt
eines göttlichen Erlösers, der sich mit der materiellen Welt verwickeln muss, son-
dern es gibt nur Aufstiege aus dem nahezu Nichts des ursprünglichen Welt-Sa-
mens hinauf zu dem Nicht-Existenten, wovon die transzendente Gottheit vollkom-
men unberührt bleibt.

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann.

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§ 91. Valentinus und der Valentinianismus (Bibl. 1083–1084) 867

§ 91. Valentinus und der Valentinianismus

Einar Thomassen

1. Leben. – 2. Werke und Quellen. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Valentinus war um die Mitte des 2. Jahrhunderts für einige Jahrzehnte in Rom
tätig (Iren. Haer. 3,4,3). Der späte Bericht bei Epiphanios (Haer. 31,2,2–3), dass er
ein Ägypter gewesen und in Alexandrien ausgebildet worden sei, mag zutreffend
sein, wird aber nicht von anderen Quellen bestätigt. Über sein Leben fehlen sichere
Nachrichten (Markschies 1992 [*968: 293–336], Thomassen 2006 [*975: 417–422]).

2. WERKE UND QUELLEN

Von seinen Schriften sind sieben vermutlich Male in den ‹Excerpta ex Theodoto› des Clemens
echte Fragmente erhalten; sechs von ihnen sind von Alexandrien zitiert, auch wenn er mit Sicher-
Passagen aus Briefen und Homilien, die von Cle- heit nicht der Verfasser aller valentinianischen
mens von Alexandrien zitiert werden, das siebte Exzerpte in diesem Werk ist; diese wurden viel-
Fragment ist ein Hymnus, enthalten in Hippol. Ref. mehr aus verschiedenen Quellen zusammengetra-
6,37,7. Ob Valentinus eine systematische Abhand- gen. Markos der ‘Magier’ verfasste seine eigene,
lung geschrieben hat, ist ungewiss; die Zuschrei- auf Buchstaben- und Zahlenspekulationen beru-
bung des Systems, von dem in Iren. Haer. 1,11,1 hende Version des valentinianischen Systems
berichtet wird, an ihn ist mit Sicherheit falsch
­ (Iren. Haer. 1,14–15).
(Markschies 1992 [*968: 364–379], Thomassen Eine Reihe von Quellen sind anonym überlie-
2006 [*975: 23–27]). Dass das ‹Evangelium der fert. Dazu gehören die umfassenden systemati-
Wahrheit› aus der Nag-Hammadi-Bibliothek ein schen Traktate, die Irenäus (Haer. 1,1–7) und Hip-
Werk von Valentinus ist, kann nicht positiv er­ polyt (Ref. 6,29–36) verwenden, um «die Lehre
wiesen werden, bleibt aber eine Möglichkeit. Wie der Valentinianer» zu beschreiben, sowie der
viel von dem späteren valentinianischen System auf Großteil des in Exc. Thdot. enthaltenen Materials.
den Gründer selbst zurückgeht, ist ein umstrittenes Der Abschnitt 43,2–65 freilich ist dem bei Irenäus
Thema; für unterschiedliche Positionen siehe Mark- referierten System eng verwandt, weshalb diese
schies 1992 [*968] und Thomassen 2006 [*975]. beiden Darstellungen, ebenso wie das etwas wei-
Die Hauptmasse der Quellen zum Valentinia- ter davon entfernte System bei Hippolyt, auf eine
nismus stammt von Valentinus’ Schülern. Ptolemai- gemeinsame Quelle zurückgehen müssen. Da
os ist der Verfasser des ‹Brief an Flora› (Epiph. Irenäus (Haer. 1 praef.) sagt, dass er sich in erster
Haer. 33,3–7) und vermutlich auch die ursprüng- Linie mit den Anhängern von Ptolemaios ausein-
liche Quelle des valentinianischen Systems, von andersetze, ist es nicht unwahrscheinlich, dass
dem Iren. Haer. 1,1–7 berichtet. Herakleon hat Ptolemaios der Autor dieser Quelle ist. Ebenfalls
einen Kommentar zum ‹Johannes-Evangelium› anonym sind folgende Traktate in der Nag-
geschrieben, von dem 48 Fragmente in Origenes’ Hammadi-Bibliothek, die wegen ihres Vokabulars
Kommentar zu diesem Evangelium erhalten ge- und wegen Charakteristika in der Lehre grund-
blieben sind. Ein gewisser Theodotos wird einige sätzlich als valentinianisch anerkannt werden:

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868 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

‹Das Evangelium der Wahrheit› (‹Evangelium Ve- pretation der Erkenntnis› (NHC XI,1) und eine
ritatis›, NHC I,3/XII,2), der ‹Brief an Rheginus ‹Valentinianische Abhandlung› (NHC XI,2). Diese
über die Auferstehung› (NHC I,4), der ‹Dreige- Quellen haben maßgeblich zu einem besseren Ver-
teilte Traktat› (‹Tractatus Tripartitus›, NHC I,5), ständnis sowohl der Kohärenz als auch der internen
das ‹Philippus-Evangelium› (NHC II,3), die ‹Inter- Variationen im Valentinianismus beigetragen.

3. LEHRE

Im Folgenden wird eine Zusammenfassung des valentinianischen ‘Systems’ ge-


geben, die auf den gemeinsamen Elementen bei Iren. Haer. 1,1–7, Hippol. Ref.
6,29–36 und dem ‹Dreigeteilten Traktat› beruht: 1) Der unaussprechliche Vater
«bringt» eine spirituelle Welt von zahlreichen Äonen «hervor» (προβάλλει), das
Pleroma. 2) Der letzte der Äonen (Sophia, oder, in Tract. Trip., der Logos) wird
von unkontrollierter Leidenschaft überwältigt, in zwei Teile zerteilt, und der lei-
denschaftliche Teil wird vom Pleroma durch eine Grenze (ὅρος) getrennt. 3) Die
Leidenschaft wird Ursprung der Materie. 4) Der gefallene Äon bereut, wendet
sich dem Pleroma zu und betet um Hilfe, eine Empfindung, die zum Ursprung der
Seele wird. 5) Der Erlöser, der gemeinsam mit den ihn begleitenden Engeln die
Totalität des Pleromas darstellt, wird ausgesandt, um die Seele zu befreien. 6) So-
phia reagiert mit Freude auf den Anblick des Erlösers und wird von ihren Leiden-
schaften geheilt. Ihre Freude wird außerdem zum Ursprung des Geistes, indem
sie einen geistigen Samen gebiert, der die Bilder der Engel des Erlösers enthält.
Auf diese Weise sind Materie, Seele und Geist alle in aufeinander folgenden Ge-
fühlen der Sophia entstanden. Was daraufhin geschieht, hat die Vereinigung von
Sophia und ihrem geistigen Samen mit dem Pleroma zum vorrangigen Zweck.
Diese wird allerdings nur mittels eines Umwegs erreicht, der Erschaffung des Kos-
mos, etwas, das Teil einer göttlich geplanten ‘Ökonomie’ ist. 7) Die Substanzen
von Materie und Seele werden in Ordnung gebracht vom Erlöser und von der So-
phia, indem sie den Demiurgen, ein Seelenwesen, als Instrument für die Anferti-
gung und Aufrechterhaltung der geordneten Welt benutzen. 8) Zusätzlich formt
der Demiurg ein menschliches Wesen mit Körper und Seele, dem Sophia heimlich
einen geistigen Samen einpflanzt. 9) Der geistige Samen muss durch die Erfah-
rung des physischen Lebens im Kosmos ‘trainiert’ werden, bevor er bereit ist, in
das Pleroma integriert zu werden. 10) Schließlich wird der Erlöser zusammen mit
seinen Engeln herabgesandt und als Mensch geboren. Er belehrt die Menschen
über ihren geistigen Ursprung, wird getauft und kehrt ins Pleroma zurück, wobei
er seinen Körper am Kreuz zurücklässt. 11) Durch den Erwerb von Wissen und
die Taufe, die sie in Anlehnung an den Erlöser empfangen, werden geistige Men-
schen nach dem Tode ihrer Körper zum Pleroma aufsteigen. Diese Wiederver­
einigung mit den Äonen des Pleromas wird als eine «Ehe» mit den Engeln des
­Erlösers dargestellt und bereits in der Taufe präfiguriert, weshalb diese auch als
«Brautgemach» bezeichnet wird. 12) Wenn der gesamte geistige Samen zum
­Pleroma zurückgefunden hat (ἀποκατάστασις, «Wiederherstellung»), wird die
physische Welt enden (zum Motiv des erlösten Erlösers vgl. Thomassen 2006
[*975: 23–38]).

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§ 91. Valentinus und der Valentinianismus (Bibl. 1083–1084) 869

Dies sind die zentralen Elemente des valentinianischen Systems. Es handelt


sich dabei um ein System, das die erzählerische Form eines Mythos annimmt. Es
ist dennoch klar, dass der Mythos eine philosophische Theorie voraussetzt und
auf diese verweist. Die Struktur der transzendenten Welt, wo, in Grundzügen, der
Vater einen Sohn hervorbringt, der wiederum eine Vielzahl von Äonen erzeugt
oder sich in diese auseinanderfaltet, stimmt mit einem platonischen Modell über-
ein, in dem auf ein transzendentes erstes Eines ein zweites Eines folgt, das die
Welt der Ideen enthält. Was das Vokabular angeht, muss ferner angemerkt wer-
den, dass der Vater (auch Propator genannt) als erstes Prinzip auch als Βυθός (oder
Βάθος, «Tiefe») bezeichnet wird, wie in Orac. Chald. fr. 18 und später in den Hym-
nen von Synesios, bei Marius Victorinus und im späteren Neuplatonismus. Der
Vater kann ebenso als eine Monade (Hippol.; Val. Exp.) beschrieben werden.
Außerdem wird der Sohn, selbst ein ‘Vater’ der nachfolgenden Äonen, in der
Regel Νοῦς («Geist») genannt. Das Pleroma der Äonen ist nach Vorgabe einer ma-
thematischen Ableitung geschaffen: Der Vater wird zur Zweiheit im Sohn mittels
einer intellektuellen Selbst-Duplikation und breitet sich dann in eine Tetrade und
eine Ogdoade aus – oder schlicht in Vielheit wie im ‹Tractatus Tripartitus›. Neu-
pythagoreische Theorien, welche die Zahlen und nachfolgend die Totalität der Re-
alität von der Monade als einziger Ursache ableiten, bilden hier klar den Hinter-
grund (Krämer 1964 [*848: 238–245]).
Der Mythos von Leidenschaft und Fall der Sophia ist ähnlich neupythagore-
ischen Theorien über den Ursprung der Materie nachgebildet. Sophia personifi-
ziert das platonisch-pythagoreische Konzept der Dyade, was an der Terminologie
deutlich wird, mit der sie und ihre Leidenschaft beschrieben wird: Andersheit,
Kühnheit, Unabhängigkeit, Bewegung, Ausdehnung, Ausbreitung, Trennung oder
‘Abschneiden’ durch die Grenze, der ‘Rückzug’ des Rests des Pleromas. Infolge
der «Kühnheit» (τόλμη) ihres Verlangens nach Unabhängigkeit, «dehnt sich» So-
phia unendlich «aus» (ἐκτείνει), bis sie durch die «Grenze» (ὅρος) in zwei Teile
zerteilt wird. Ihr besserer Teil wird dem Pleroma zurückgegeben, während ihr lei-
denschaftlicher Teil abgetrennt und davon entfernt wird. Die leidenschaftliche So-
phia endet in einer Leere von Dunkelheit und Schatten, die nach der Art des ‘Auf-
nehmenden’ bei Platon, Tim. 51a7 beschrieben wird (Iren. Haer. 1,2,3; Hippol.
Ref. 6,30,8). Diese Erzählung besitzt eine offensichtliche Ähnlichkeit mit gewis-
sen späthellenistischen monistischen pythagoreischen Theorien, welche die Dyade
als vom ersten Prinzip der Monade sekundär abgeleitet erklären und nicht als ein
unabhängiges erstes Prinzip, das daneben existiert, wie im klassischen Mittelpla-
tonimus und dem älteren Pythagoreismus (D. L. 7,25; Eudoros in Simpl. In Phys.
181,10ff. Diels; Numenios fr. 52 des Places usw.; Dillon 1977 [*851: 120f., 126–129,
342–361]). Eine besonders enge Parallele bietet der Neupythagoreer Moderatos
von Gades in seinem Bericht über Quantität (ποσότης), die durch das ‘Abgeschnit-
ten-Sein’ vom Sein den Ursprung der Materie bewirkt (Simpl. In Phys. 230,34–
231,27 Diels; Thomassen 2006 [*975: 270–291]).
Auf der anderen Seite hat die Vorstellung, dass Materie letztlich der Leidenschaft
(πάθος, ἐνθύμησις) entstammt, keinen klaren Vorgänger in der philosophischen
Tradition. Sie weist darauf hin, dass für das valentinianische Denken die physika-

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870 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

lische Theorie eng mit der Psychologie verbunden ist und tatsächlich als ihr unter-
geordnet betrachtet werden kann. Sophia ist nicht nur das Prinzip der Materie;
mehr noch ist sie eine Repräsentation der Seele – der universellen Seele ebenso
wie der Prototyp der individuellen Seele. Ihr Mythos liefert eine Aitiologie von
Materie, Seele und Geist als Substanzen (οὐσίαι), die aber genauso, und dies ist
noch viel wichtiger, verschiedene Zustände der Seele darstellen: Leidenschaft,
Reue und Umkehr sowie Freude. Dadurch bekommt die Erzählung eine ebenso
soteriologische wie kosmologische Stoßrichtung. Sophias freudige Vision des Er-
lösers heilt sie von ihrer Leidenschaft und «bringt sie auf die richtige Spur», indem
sie aus ihr ein geistiges Wesen macht, das bereit ist für den Wiedereintritt ins Ple-
roma. In philosophischen Begriffen ausgedrückt, spielt der Erlöser, der auch
Logos genannt wird, hier die Rolle des Geistes, dem sich Sophia als Seele zuwen-
det (ἐπιστροφή) und durch dessen Einfluss sie ‘geformt’ und mit Rationalität ver-
sehen wird. Vor ihrer endgültigen Wiederherstellung nimmt Sophia eine eigene
Ebene oder Äon unterhalb des Pleroma ein, die Ogdoade oder «die Mitte» ge-
nannt wird. Dort wohnt sie zusammen mit dem geistigen Samen, den sie als Bil-
der des Erlösers in Erwiderung auf dessen Erscheinung abgesondert hat.
Als rationale Seele ist Sophia auch fähig, den niedrigeren Substanzen von Mate-
rie und Seele Gestalt zu geben, deren Existenz sie vorher verursacht hat. Mit ande-
ren Worten: Sie wird ein Demiurg, oder – noch präziser – demiurgische Funktionen
werden auf drei verschiedene Figuren verteilt: auf den Erlöser-Logos, auf Sophia
und auf das Wesen, das ausdrücklich «der Demiurg» genannt wird. Der Erlöser als
demiurgischer Geist trennt die Substanzen und macht sie für weitere Formung emp-
fänglich, Sophia lässt sie, als demiurgische Seele, die den Erlöser betrachtet, zu sicht-
baren Bildern der pleromatischen Formen werden, während der Demiurg die hand-
werkliche Arbeit der Schöpfung verrichtet, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass
er bloß ein Werkzeug ist, von dem Sophia Gebrauch macht (Thomassen 1993
[*970]). Anders als der ‘sethianische’ Weltschöpfer (der niemals als «Demiurg» be-
zeichnet wird) ist der valentinianische Demiurg weder ein unabhängiger Akteur der
Schöpfung noch handelt er mit böswilliger Absicht. Er ist vielmehr ein Gestalter der
Form, wie der platonische Demiurg. Außerdem wird der Demiurg letzten Endes ge-
rettet, zusammen mit dem Rest jener Seelen-Wesen (Menschen und Engel), die sich
gegenüber der Belehrung von oben empfänglich zeigen.
Der Kosmos, der von Sophia mittels des Demiurgen geschaffen wurde, ist eine
Kombination von Materie und Seele; die zerstörerischen Kräfte der Materie wur-
den dabei durch das Anbringen von Form und dadurch, dass sie mit den Kräften
der Seele verbunden wurde, unter Kontrolle gebracht. Der Kosmos ist ein Abbild
der Ogdoade, des geistigen Äons von Sophia, und somit auch indirekt des Plero-
mas. Der platonische Charakter dieser Kosmologie ist evident. Insbesondere der
‹Tractatus Tripartitus› entwirft die hierarchische Beziehung zwischen den ver-
schiedenen Ebenen, indem er das Vokabular von «Ebenbildern» für die Region
der Ogdoade, «Ähnlichkeiten» für die Seelen-Wesen und «Nachahmungen» für
die materiellen Formen benutzt. Letztlich ein Spiegelbild der geistigen Welt, ist
der physikalische Kosmos auch in der Lage, als ein Instrument der Belehrung für
den eingekörperten geistigen Samen zu dienen: «Die gesamte Einrichtung und

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§ 91. Valentinus und der Valentinianismus (Bibl. 1083–1084) 871

Anordnung der Bilder, Ähnlichkeiten und Nachahmungen ist für diejenigen er-
folgt, die Ernährung, Belehrung und Form benötigen, damit die Kleinheit allmäh-
lich wachse, wie durch die Belehrung, die das Bild eines Spiegels vermittelt»
(Tract. Trip. 104).
Platonisch scheint auch die Weise zu sein, in der diese Urbild-Abbild-Beziehun-
gen und die dreigeteilte Hierarchie von Geist, Seele und Materie mit einer Ontolo-
gie von Einheit und Teilung verknüpft sind. Während die geistige Welt durch Einheit
charakterisiert ist oder diese anstrebt, nimmt die Teilung (μερισμός) proportional zu,
je weiter man zu den niedrigeren Ebenen der Existenz hinabsteigt; sie hat ihren Ur-
sprung in Sophia als der Personifizierung der Seele und erreicht ihren maximalen
Effekt in der körperlichen Welt (Tract. Trip. 94f.; 115–117; Clem. Alex. Exc. Thdot.
2,36; Thomassen 2006 [*975: 461–464]). Die Apokatastasis impliziert nicht nur eine
Wiedervereinigung von Sophia und ihrem geistigen Samen mit dem Pleroma, son-
dern auch eine allgemeine Rückkehr von Verstreuung zur Einheit.
Ungeachtet der offensichtlichen platonischen Grundlagen des valentiniani-
schen Systems und des Gebrauchs von neupythagoreisch-platonischen Theorien
über die Dyade im Sophia-Mythos werden die philosophischen Quellen des Sys-
tems von den Valentinianern selbst nicht anerkannt. Stattdessen wird verächtlich
erklärt, die Philosophie, wie die griechischen Wissenschaften allgemein, gehörten
zur materiellen Ebene der Realität und seien inspiriert von Dämonen (vgl. Tract.
Trip. 109–110) – eine Sichtweise, welche valentinianische Theologen mit vielen
christlichen Autoren teilten.
Die Valentinianer betrachteten sich selbst explizit als Christen (siehe z. B. Iust.
Mart. Dial. 35,2. 6). Der Name ‘Valentinianer’ wurde von den Häresiologen er-
funden und diente nicht als Selbst-Bezeichnung. Tatsächlich fällt der Name Va-
lentinus in keiner einzigen der erhaltenen valentinianischen Quellen. In seinem
‹Brief an Flora› präsentiert Ptolemaios die Lehre, die er vertritt, als einen Mittel-
weg zwischen denen, die den höchsten Gott mit dem Weltschöpfer und dem Ver-
fasser des jüdischen Gesetzes identifizieren (d. h. den ‘katholischen’ Christen), und
denen, die keinen Unterschied zwischen dem Schöpfergott und dem Teufel ma-
chen (d. h. den Gnostikern ‘sethianischer’ Prägung und, vielleicht, Markion). Es
ist klar, dass diese vermittelnde Position mit Hilfe der von den Valentinianern
übernommenen platonischen dreigeteilten Ontologie erreicht wurde, die ihnen er-
laubte, dem Demiurgen die mittlere Position der Seele zuzuordnen. So betrachtet,
sind die Valentinianer gleichzeitig die ‘christlichste’ und die ‘platonischste’ der
verschiedenen gnostischen Richtungen.
Abgesehen von der Degradierung des Demiurgen auf eine ontologisch niedere
Stufe und dem (vorgeblichen) Doketismus in der Christologie haben die Valenti-
nianer mit nichts so sehr die scharfe Kritik der Kirchenväter (insbesondere des
Irenäus, Clemens und Origenes) auf sich gezogen wie mit der Lehre des ihnen zu-
geschriebenen soteriologischen Determinismus. In der Tat heißt es in Exc. Thdot.
56,3: «Das Geistige also ist von Natur aus gerettet» (τὸ μὲν οὖν πνευματικὸν φύσει
σῳζόμενοv); diese Aussage scheint auf dem Prinzip der Wesensgleichheit der geis-
tigen Komponente im Menschen mit der Gottheit zu beruhen. Es stellt sich aller-
dings die Frage, in welcher Beziehung dieses Prinzip zu der Vorstellung von drei

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872 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Klassen (γένη) menschlicher Wesen steht, die regelmäßig in den Quellen auftaucht
(Exc. Thdot. 54–57; Iren. Haer. 1,6–8; Heracleon fr. 19, 40, 44–47 Völker; Tract.
Trip. 106, 118–122, 130–136). Dort erfahren wir, dass die geistigen Menschen un-
mittelbar auf den Erlöser reagieren, während die ‘Psychiker’, die mit freiem Wil-
len ausgestattet sind, den Erlöser entweder akzeptieren oder zurückweisen, und
wenn sie ihn akzeptieren, dann nur nach einer Phase des Zögerns. Die dritte
Klasse, die ‘Hylischen’, ereilt notwendigerweise die Verdammnis. Überdies wird
von den Psychikern ausgesagt, dass sie eine niedrigere Stufe der Erlösung zu er-
warten hätten als die Geistigen und dass sie gemeinsam mit dem Demiurgen in
dem Augenblick zur Ogdoade befördert werden, wenn Sophia und ihr geistiger
Samen diese Region verlassen, um wieder in das Pleroma eingegliedert zu wer-
den. Jüngste Versuche, die valentinianische Lehre von den menschlichen Klassen
als eine häresiologische Verzerrung zu relativieren (z. B. Löhr 1992 [*967], Wil-
liams 1996 [*835: 189–212]), sind mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass einige
Texte explizit menschliche Seelen erwähnen, die vom Demiurgen erschaffen wur-
den, ohne den geistigen Samen zu besitzen (Tract. Trip. 105–106; Hippol. Ref.
6,34,4–6; Iren. Haer. 1,7,3; Exc. Thdot. 55), und dass eine Transformation von
einer psychischen Natur in eine geistige nicht vorgesehen zu sein scheint. Auf
jeden Fall ist klar, dass ‘Natur’ für die Valentinianer eine Beschäftigung mit Ethik
nicht überflüssig macht (siehe z. B. den ‹Brief an Flora›; allgemein Desjardins 1990
[*966]) und die Notwendigkeit ritueller Handlungen zum Zwecke des Heils nicht
aufhebt (die Taufe wird von den Valentinianern ἀπολύτρωσις, «Erlösung», ge-
nannt). Die Quellen vermitteln den Eindruck, dass die valentinianischen Theolo-
gen selbst mit sich um Klarheit in diesem Punkt gerungen hätten (vgl. die um-
ständlichen Diskussionen hinsichtlich der Erlösung der Psychiker in Tract. Trip.
119–122 und 129–136 sowie Herakleons offensichtliche Versuche, dieses Thema
neu zu bearbeiten; Thomassen 2010 [*980] und 2013 [*983]).
Nach Valentinus fiel die valentinianische Kirche in zwei Fraktionen auseinan-
der, die von den Häresiologen als die italische und die anatolische Schule bezeich-
net werden (Hippol. Ref. 6,35). Der Grund für die Trennung scheinen verschie-
dene Ansichten über den Einschluss ‘psychischer’ Menschen im Leib des Erlösers
gewesen zu sein. Die Bedeutung dieses Meinungsstreits mag darin gelegen haben,
dass diejenigen, welche sich für den Einschluss der Psychiker im ‘Leib’ ausspra-
chen (die ‘italische’ Position), der Meinung waren, dass die Mission des Erlösers
darin bestand, diese besondere Gruppe von Menschen zu erlösen, während die
Geistigen «von Natur aus gerettet waren» und in die Welt hinabgeschickt worden
waren, um bei der Erlösung der Psychiker zu helfen. Die ‘anatolische’ Ansicht mag
hingegen darin bestanden haben, dass die Geistigen die primären Empfänger der
Erlösung waren und dass der Erlöser sie während seines Abstiegs in die Welt in
seinen eigenen Leib ‘aufnahm’. Ferner musste der Erlöser selbst erlöst werden,
nachdem er in der materiellen Welt inkarniert worden war (eine Idee, die schwer-
lich eine doketische Christologie beinhaltet); dies wurde durch seine Taufe er-
reicht, die dann als Modell diente für die weitere Erlösung der Geistigen. Die ‘ita-
lische’ Position scheint durch die valentinianischen Quellen vertreten zu sein, die
Irenäus, Hippolyt und Clem. Alex. Exc. Thdot. 43,2–65 benutzten, während die

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§ 91. Valentinus und der Valentinianismus (Bibl. 1083–1084) 873

zweite offensichtlich in Exc. Thdot. 1–43,1 (zumindest teilweise), dem ‹Tractatus


Tripartitus› und dem Rest der valentinianischen Dokumente von Nag-Hammadi
vorausgesetzt ist (für eine ausführliche Studie zu diesem Thema siehe Thomassen
2006 [*975]).
Der Valentinianismus scheint in einem stärkeren Maße als andere gnostische
Bewegungen und Gruppen eine kohärente Erscheinung mit einer fortlaufenden
institutionellen Geschichte gewesen zu sein. Obwohl die Valentinianer historisch
am stärksten in der zweiten Hälfte des 2. und der ersten Hälfte des 3. Jahrhun-
derts in Erscheinung traten, als sie die kritische Aufmerksamkeit von Irenäus,
Tertullian, Hippolyt, Clemens und Origenes auf sich zogen, ist die weitere Exis-
tenz von valentinianischen Gemeinschaften zumindest bis ans Ende des 4. Jahr-
hunderts bezeugt (Ambr. Ep. 40; 41).

4. NACHWIRKUNG

Die Nachwirkung des valentinianischen Christentums besteht vor allem in der


Tatsache, dass so einflussreiche Theologen der Mehrheitskirche wie Irenäus, Cle-
mens und Origenes ihre eigenen Lehren in bedeutendem Umfang im Gegensatz
zu diesem, als dem prominentesten Vertreter der ‘Gnostischen Häresie’, entwi-
ckelten. Dies betrifft die Lehre von Gott, bei der die orthodoxe Theologie auf der
Einheit des Erlösergottes und des Schöpfergottes beharrte; die Christologie, in
welcher der (vorgebliche) Doketismus der Valentinianer streng zurückgewiesen
wurde; außerdem die Eschatologie und Soteriologie, wo die Lehre von der Wie-
derauferstehung des Körpers dazu diente, das gnostische Verständnis von Erlö-
sung als der Rückführung des Geistes zu seinen Ursprüngen zurückzuweisen.
Gegen die Vorstellung einer gemeinsamen Substanz, die den inneren Menschen
mit dem Göttlichen verbindet, betonten die orthodoxen Theologen die wesenhafte
Differenz zwischen Gott und seiner Schöpfung, und sie polemisierten gegen den
soteriologischen Determinismus, der ihres Erachtens die Folge der gnostischen
Vorstellung von Wesensgleichheit war. Gleichzeitig aber teilten sie mit den Valen-
tinianern wichtige heilsgeschichtliche Vorstellungen, die durch Begriffe wie Oiko­
nomia und Apokatastasis ausgedrückt wurden. Der intellektuelle Austausch der
valentinianischen und der nicht-gnostischen Theologen zu diesem Thema bedarf
der Neubewertung (allgemein zu diesem Thema siehe von Harnack 41909 [*960:
550–637], Brox 1966 [*963], Strutwolf 1993 [*969], Aland 2009 [*840]).

Aus dem Englischen übersetzt von Magdalena Hoffmann.

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874 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

§ 92. Bardesanes (Bardaisan) von Edessa

Einar Thomassen

1. Leben. – 2. Werke und Quellen. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Bardesanes (syrisch ‘Bardaisan’) von Edessa (154–222), vom syrischen Theolo-


gen und Dichter Ephräm als «der aramäische Philosoph» bezeichnet, war ein aris-
tokratischer Universalgelehrter, der mit dem Hof des christlichen Königs Abgar in
Edessa in Verbindung stand. Dort bekehrte er sich zum Christentum, schrieb (auf
Syrisch) eine Reihe theologischer, philosophischer, naturwissenschaftlicher wie
auch poetischer Werke und wurde zum Gründer einer besonderen christlichen
Gruppe, der ‘Daisaniten’, die bis in die islamische Epoche überlebten. Sie kamen
mit der Zeit in den Geruch einer häretischen Bewegung, die mit den Markioniten
und dem Manichäismus in Verbindung gebracht wurde. Dieser Umstand hat auch
auf das spätere Bild von Bardaisan selbst abgefärbt, der häufig als Häretiker be-
schrieben wird. Regelmäßig wird ihm auch eine Verbindung zum Valentianismus,
sei es vor oder nach seiner Hinwendung zur christlichen Kirche, nachgesagt (z. B.
Eus. Hist. eccl. 4,30). Die wenigen erhaltenen Daten zu seinem Leben sind zusam-
mengestellt bei Drijvers 1980 [*996: 206], Teixidor 1992 [*1000: 55f.].

2. WERKE UND QUELLEN

Die Rekonstruktion von Bardaisans eigenen nen Traktat ‹Über die Auferstehung›, der aber ver-
Ideen wird durch den Verlust eines Großteils seiner mutlich ebenfalls von Moses bar Kepha verfasst
Schriften erschwert. Ein unerlässlicher Ausgangs- worden ist. Diese Quellen bezeugen insbesondere
punkt ist das ‹Buch der Gesetze der Länder›, das Bardaisans kosmologische Theorien, auch wenn sie
von Philipp, einem seiner direkten Schüler, ge- uns kein völlig zusammenhängendes Bild vermit-
schrieben ist. Dieser Dialog, der in einem Platon teln können. Wertvolle Information liefert auch
ähnlichen Stil verfasst ist, befasst sich hauptsäch- Ephräm, sowohl in seinen ‹Hymnen gegen die Hä-
lich mit der Verteidigung der Idee des freien Wil- resien› als auch in seinen ‹Prosawiderlegungen›.
lens. Fragmente seiner anderen Werke finden sich Das Verhältnis zwischen Ephräms Informationen
besonders bei späteren syrischen Autoren, insbe- und den oben genannten kosmologischen Traditio-
sondere in der ‹Kirchengeschichte› des Bar­ nen ist eines der zentralen Probleme der Forschung
ḥadbešabbā ‘Arbaya, dem Scholienbuch des Theo- zu Bardaisan (Camplani 2003–2004 [*1003]; für
dor Bar Konai, dem ‹Hexaëmeron› des Moses Bar einen kompletten Überblick über die Quellen vgl.
Kepha und dem Johannes von Dara zugeschriebe- Drijvers 1966 [*990], Ramelli 2009 [*1008]).

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§ 92. Bardesanes (Bardaisan) von Edessa (Bibl. 1084–1085) 875

3. LEHRE

Das ‹Buch der Gesetze der Länder› setzt ein mit der Beantwortung der Frage,
warum Gott die Menschheit nicht so geschaffen hat, dass sie zur Sünde unfähig
wäre, wobei hervorgehoben wird, dass die Menschen mit freiem Willen ausge-
stattet worden sind und für ihre Handlungen gerichtet werden. Der zweite
Hauptteil erörtert Theorien über das Schicksal und den astralen Determinis-
mus, gegen die ‘Chaldäer’, d. h. die babylonische Astrologie. Bardaisan aner-
kennt die kausale Kraft des Schicksals und der Gestirne, ist jedoch der Auffas-
sung, 1) dass diese Kraft einerseits durch die physikalischen Naturgesetze und
andererseits durch den menschlichen Willen begrenzt wird und 2) dass der Ein-
fluss der Gestirne auf jeden Fall Gottes Willen unterworfen ist. Mit seinen Ar-
gumenten ist Bardaisan möglicherweise von Alexander von Aphrodisias abhän-
gig (Dihle 1989 [*999]; gegen eine solche Sicht Teixidor 1992 [*1000: 92] und
Hegedus 2003 [*1002: 342 Anm. 49]). Darauf wird das Thema der Unterschiede
zwischen den Gesetzen und Sitten, die unter den einzelnen Nationen vorherr-
schen, eingeführt, um nachzuweisen, dass sie menschliche Erfindungen und
nicht durch die Gestirne determiniert sind: «Die Gesetze der Menschen sind
stärker als das Schicksal» (40, p. 599 Nau). Dieser Überblick über die νόμιμα
βαρβαρικά, ein weitverbreiteter Topos in der Spätantike, war der berühmteste
Teil des Buchs und gab ihm auch seinen Titel (für eine neue deutsche Übertra-
gung dieses Werks siehe Krannich, Stein 2004 [*1004] mit Hinweisen zur Lite-
ratur; vgl. auch Ramelli 2009 [*1008: 54–90]).
Am Ende des Buchs steht eine kurze Anspielung auf «die Elemente», die «vor
der Erschaffung der Welt Leid verursachten und erlitten». Dies verweist auf die
kosmologischen Theorien des Bardaisan, über die spätere syrische Autoren be-
richten. Nach deren Zeugnis lehrte Bardaisan, dass, von Gott selbst abgesehen,
vier Elemente oder «Wesenheiten» (īṯyē) vor der Erschaffung der Welt existiert
hätten, nämlich Licht, Wind, Feuer und Wasser, in die vier Richtungen verteilt.
Allem Anschein nach sind diese Wesenheiten ewig und ungeschaffen, und sie set-
zen sich aus Atomen zusammen. Eine fünfte Wesenheit, die Finsternis, hatte
ebenfalls eine Art uranfänglicher Existenz. Die ursprüngliche Harmonie dieser
Elemente wurde jedoch gestört durch einen ‘Zwischenfall’, bei dem die Elemente
gegeneinander prallten und sich ineinander verfingen. Außerdem zogen sie auch
die Finsternis an sich, die ihrer Natur nach bösartig ist (obwohl es sich dabei mehr
um eine passive Größe als um eine aktive Kraft handelt), und vermischten sich
mit dieser. Um dieser Verwirrung ein Ende zu setzen, sandte Gott das ‘Wort des
Denkens’ herab, das die Elemente wieder schied und die Finsternis zurück in die
Tiefen drängte. Eine gewisse Vermengung blieb allerdings zurück, und aus dieser
wurde die sichtbare Welt erschaffen, mitsamt den Planetensphären und den Ge-
stirnen, die eine wichtige Rolle im Funktionieren des Kosmos spielen. Auch die
Lebewesen einschließlich der Menschheit wurden aus dieser Mischung geschaf-
fen. Die Geschichte der Welt, in der die Kraft des Wortes immer noch wirksam
ist, entspricht somit einem von Gott vollzogenen Prozess der Reinigung, bei dem
die verbliebene Finsternis schrittweise beseitigt wird.

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876 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Diese Kosmogonie, die auch den abschließenden Akt der Erlösung präfiguriert,
scheint eine Interpretation der ersten Verse des Buchs ‹Genesis› (und von Ioh. 1)
mit Ideen griechischer Physik zu kombinieren, wozu wahrscheinlich auch die Un-
ordnung der Elemente im platonischen ‹Timaios› (30a) gehört. Das erschaffende
Wort der biblischen Erzählung ist verschmolzen mit dem kosmogonisch-dihäre-
tischen Logos der Philosophie. Bemerkenswert ist auch der naturalistische, ja
sogar materialistische Charakter von Bardaisans Atomlehre: Alle Stufen des Seins
(wohl mit Ausnahme einzig von Gott selbst) sind körperliche Zusammensetzun-
gen von Atomen, die sich voneinander lediglich im Hinblick auf ihren Feinheits-
grad unterscheiden (Camplani 1998 [*1001: 533], Ramelli 2009 [*1008: 190]).
Diese Besonderheit hebt Bardaisans Lehre entschieden vom Dualismus zwischen
Geist und Materie der Gnostiker ab.
Trotzdem schreibt Ephräm Bardaisan eine Lehre zu, nach welcher der mensch-
liche Körper von kosmischen Archonten aus dem Bösen geschaffen worden sei,
nachdem sich diesen das Bild der Weisheit Gottes offenbart hätte (Ref. I,XCf. Mit-
chell). Die Verlässlichkeit der Zuschreibung eines wohlbekannten gnostischen my-
thologischen Topos an Bardaisan ist allerdings umstritten (Ehlers 1970 [*991: 348–
350], Camplani 1998 [*1001: 565–567], Ramelli 2009 [*1008: 164–168]). Doch dürfte
Ephräms Vorwurf, Bardaisan habe die leibliche Auferstehung geleugnet, wenigs-
tens teilweise zutreffen. Der soteriologische Reinigungsprozess scheint vorauszu-
setzen, dass die menschliche Seele angeglichen werden wird an den Geist, der die
Gottebenbildlichkeit repräsentiert, und dass sie vom Bösen, das mit dem physischen
Körper verbunden ist, gereinigt werden wird. Dieser Körper wird daher zugrunde
gehen. Doch bleibt als Möglichkeit, dass Bardaisan sich einen auferstandenen Kör-
per vorstellte, der aus feinerer Materie besteht (Camplani 1998 [*1001: 567–569],
Possekel 2004 [*1005] sowie Ramelli 2009 [*1008: 164, 217–230], die Ähnlichkeiten
zu Origenes und Gregor von Nyssa hervorhebt). Überdies ist klar, insbesondere aus
dem ‹Buch der Gesetze der Länder›, dass ethisches Verhalten, ausgeübt durch freien
Willen, im Verbund mit Erkenntnis, die nicht von Ethik getrennt werden kann, die
wesentlichen Faktoren sind, die zur Reinigung der Seele führen.
Ephräms ‹Hymnus gegen die Häresien› 55 spricht ferner von einem ‘Vater des
Lebens’, einer ‘Mutter des Lebens’ und einem ‘Sohn des Lebens’, außerdem vom
Heiligen Geist, der zwei Töchter besitzt. Welchen Stellenwert diese Größen in
Bardaisans Denken genau besitzen, muss offen bleiben (siehe dazu zuletzt Cam-
plani 2003–2004 [*1003], Ramelli 2009 [*1008: 200–215]).
Geistesgeschichtlich repräsentiert Bardaisan eine Synthese von lokalen tradi-
tionellen astrologischen Kenntnissen mit physikalischen und anthropologischen
Theorien, die aus der griechischen Philosophie stammen, sowie mit biblischer
Kosmologie und frühchristlicher Soteriologie. Seine Berührungspunkte mit dem
Gnostizismus wurden von späteren christlichen Theologen, aber auch in der mo-
dernen Forschung möglicherweise überbewertet (siehe insbesondere Ramelli 2009
[*1008]). Die typisch gnostischen Ideen von der Materie als Übel, von Wesens-
gleichheit des menschlichen Geistes mit dem Göttlichen sowie von der Wichtig-
keit von Erkenntnis für die Errettung sind gegenüber den klassisch gnostischen
Systemen nur in abgeschwächter Form vorhanden. Es gibt keinen boshaften oder

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§ 93. Mani und der Manichäismus (Bibl. 1085–1087) 877

unwissenden Schöpfer und Herrscher über den Kosmos, und die geschaffene Welt,
obschon unvollkommen, ist von der Vorsehung des göttlichen Geistes gelenkt.

4. NACHWIRKUNG

Vom Weiterleben der Gruppe bzw. Kirche der Daisaniten abgesehen, scheint
Bardaisan auch einen Einfluss auf Mani ausgeübt zu haben. Dessen ‹Buch der
Mysterien› trägt denselben Titel wie ein (heute verlorenes) Werk des Bardaisan,
und der ‹Fihrist› von Ibn an-Nadīm, der eine Inhaltsübersicht über die Werke des
Mani liefert, stellt fest, dass sich mehrere Kapitel polemisch gegen die Daisaniten
richten. Tatsächlich lassen sich die fünf Söhne des Ersten Menschen in Manis Sys-
tem als eine Folge von Elementen beschreiben, deren Namen denen bei Bardai-
san sehr nahe kommen. Der ‘Vater’ und die ‘Mutter des Lebens’ aus Ephräms 55.
Hymnus sind außerdem Bezeichnungen, die sich ebenfalls bei Mani finden. Die
Vorstellung schließlich, dass die Heilsgeschichte in einem Reinigungsprozess be-
steht, bei dem die Finsternis ausgesondert wird, scheint auch Manis soteriologi-
sche Vision beeinflusst zu haben (über Bardaisan als Vorläufer des Mani siehe
Drijvers 1974 [*992], Aland 1975 [*993], Widengren 1985 [*997]).

Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Schatzmann.

§ 93. Mani und der Manichäismus

Einar Thomassen

1. Leben. – 2. Werke und Quellen. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Mani (216–276/77) war der Gründer einer Weltreligion, die sich von seiner Hei-
mat Mesopotamien aus ins Römische Reich im Westen und gegen Osten tief nach
Asien hinein ausgebreitet hat und der eine über tausendjährige Lebensdauer be-
schieden war. Er ist die erste Persönlichkeit in der Religionsgeschichte, die ganz
bewusst daran ging, eine Universalreligion für die gesamte Menschheit zu stiften.
Aus dem Kölner Mani-Codex (CMC) ist bekannt, dass er in der jüdisch-christ­
lichen Täufersekte der Elkesaiten geboren und erzogen wurde. Mit dieser brach

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878 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

er, nachdem ihm die Offenbarung zuteilgeworden war, dass ihre Lehre und Prak-
tiken fehlerhaft seien. Der Offenbarer, der Mani zum ersten Mal im Alter von
zwölf Jahren erschien und dann wieder zwölf Jahre später, war eine Art behüten-
der Schutzgeist, der als Manis Partner, Zwillingsbruder oder als ‘Parakletos’ be-
schrieben wird. Er lehrte Mani, dass der menschliche Körper unrein sei, und ließ
ihn erkennen, wie die materielle Welt durch die Vermischung von Licht und Fins-
ternis zur Entstehung gelangt sei, als Resultat des uranfänglichen Angriffs der
Finsternis auf die Welt des Lichts.
Mani setzte eine breite Missionstätigkeit in Gang, indem er in alle Richtungen
der Welt hinaus Gemeinden gründete, eine kirchliche Hierarchie aufbaute, Re-
geln für das Verhalten und für gemeinschaftliche Rituale vorschrieb und persön-
lich die kanonischen Bücher seiner Religion verfasste. Nachdem er die Unterstüt-
zung (respektive die Duldung) seitens des sassanidischen Herrschers Šapur I.
(240–272) genossen hatte, verlor er die Gunst unter Bahram I. (272–276), der ihn
verhaften ließ. Nach einem Monat Gefängnisaufenthalt verstarb Mani. Seiner Pas-
sion und ‘Kreuzigung’ (die sich auf die Ketten in seinem Kerker bezieht) wurde
von da an im jährlich stattfindenden Bema-Fest gedacht, das im Manichäismus
eine dem christlichen Osterfest vergleichbare Stellung einnahm.

2. WERKE UND QUELLEN

Mani ist der Autor von neun Werken, von denen die zumeist nur schwer wiederherzustellen und zu
sieben den manichäischen Schriftenkanon bilde- identifizieren sind. Eine große Zahl manichäischer
ten. Dieser Kanon ist in einem syrischen Idiom ge- Texte, die von Manis Schülern und der späteren
schrieben und besteht aus ‹Das lebendige Evange- manichäischen Kirche stammen, wurde hingegen
lium›, ‹Der Schatz des Lebens›, ‹Die Erzählung› im Verlaufe des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt:
(Pragmateia), ‹Das Buch der Mysterien›, ‹Das die koptischen manichäischen Codices aus Medi-
Buch der Giganten› und aus Briefen sowie Psal- net Madi, die Manuskripte aus Turfan in verschie-
men und Gebeten. Zusätzlich schrieb Mani auf denen iranischen und Turksprachen, die chinesi-
Mittelpersisch den ‹Šābuhragān›, ein seinem kö- schen Texte aus Dunhuang sowie der griechische
niglichen Schutzherrn gewidmetes Werk, sowie CMC. Diese Quellen liefern Informationen von
einen eigenartigen Band von Gemälden, das unschätzbarem Wert über manichäische Lehren
‹Bild›, der mit visuellen Mitteln die von Mani ge- und Praktiken, und sie ergänzen und berichtigen
lehrte mythische Erzählung illustrierte (Mani er- die sekundären und zumeist polemisch gefärbten
freute sich in Asien eines lange anhaltenden Berichte über Manis Lehrinhalte in Werken wie
Ruhms als Maler). Von Manis literarischer Pro- Hegemonios’ ‹Acta Archelai›, Theodor bar Konis
duktion haben sich nur Fragmente erhalten – ‹Buch der Scholien›, Alexander von Lykopolis’
hauptsächlich einige wenige Zitate bei Augustinus Traktat gegen die Manichäer und dem ‹Fihrist›
und kleine Stücke mitteliranischer Manuskripte, des arabischen Autors Ibn an-Nadīm.

3. LEHRE

Manis Lehre ist in erster Linie charakterisiert durch einen radikalen Dualis-
mus. Der Bereich von Finsternis, Materie und Übel existiert seit aller Ewigkeit
neben demjenigen von Licht, Geist und Güte. Die beiden repräsentieren zwei ver-
schiedene ‘Naturen’, und das Verständnis ihrer irreduziblen Differenz und Unver-

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§ 93. Mani und der Manichäismus (Bibl. 1085–1087) 879

einbarkeit gehört zu den allerersten Voraussetzungen zur Errettung. Theorien, die


Finsternis und Übel von Gott selbst herzuleiten versuchen, wie etwa diejenigen
der früheren Gnostiker, werden von Mani als fundamental verfehlt angesehen. In
der gegenwärtigen Welt liegen die beiden Naturen allerdings vermischt, ja sogar
ineinander verschmolzen, vor; für die menschlichen Lebewesen wird dies an den
Ketten, welche die Seele an den Körper binden, und an all dem damit verbunde-
nen Schmutz spürbar. Um zu erklären, wie es zu dieser Verbindung kam, erzählte
Mani einen Mythos, der ihm von seinem Schutzgeist offenbart worden war: Als
der Herr der Finsternis «eines Tages» das Strahlen der Lichtwelt erblickte, begann
er, sie zu begehren und gemeinsam mit seinem Heer böser Dämonen zu attackie-
ren. Der Vater der Größe, der Herrscher über die Lichtwelt, musste darauf reagie-
ren und sandte seinen Sohn, den Ersten Menschen, dem Feind entgegen. Dieser
wurde im Kampf jedoch überwältigt, und seine fünf Söhne, die ihm in den Kampf
gefolgt waren und die auch als seine Gliedmaßen respektive als seine Rüstung be-
schrieben werden, wurden von den Mächten der Finsternis verschlungen. Der
Erste Mensch wird dank Vermittlern, die von seinem Vater ausgesandt werden,
befreit, seine Gliedmaßen bleiben jedoch in der Finsternis gefangen.
Die mythische Erzählung ist sehr detailreich und bezieht zahlreiche göttliche
Gestalten mit ein, die im Grunde verschiedene Erscheinungsformen der höchsten
Gottheit, des Vaters des Lichts selbst, sind. Diesen Gestalten kommen verschie-
dene Aufgaben in der Ausführung eines Rettungsplans zu, der auf die Befreiung
der Gliedmaßen des Ersten Menschen – der Lichtpartikel, die auch ‘Lebende
Seele’ genannt werden – aus dem Gefängnis der Finsternis zielt. Auch diese sind
selbstverständlich ein Teil der Gottheit selbst. Die Erschaffung der Welt geschieht
als Resultat einer vom Vater der Größe getroffenen Entscheidung und stellt einen
Teil des Heilsplans dar. Mit dieser Aufgabe betraut ist eine Gestalt, die den
Namen ‘Dritter Bote’ trägt und als Demiurg dient. Dieser überwältigt und tötet
zusammen mit seinen Helfern einige der finsteren Mächte und erbaut aus ihren
Körpern den physischen Kosmos. Dieser wird daraufhin in eine veritable Erlö-
sungsmaschinerie umgewandelt, in der die Gestirne Sonne und Mond als Schiffe
funktionieren, die dazu ausersehen sind, die gereinigten Seelen zurück in den Be-
reich des Lichts zu transportieren. Damit dies geschehen kann, wird Jesus der
Glanz zur Menschheit gesandt, um diese aufzuklären und um das Wirken des Ret-
tungsapparats zu beaufsichtigen. Eine wichtige Rolle spielt auch der Licht-Geist,
der durch prophetische Boten operiert, und zwar als Schutzgeist in der manichä-
ischen Kirche und auf der Ebene der Individuen.
Die Lichtpartikel finden sich in der Welt verteilt. Eine Episode des Mythos er-
zählt, mit welchen Mitteln der ‘Dritte Bote’ die Mächte der Finsternis zum Aus-
stoßen der Lichtpartikel brachte, die diese zuvor verschlungen hatten: indem er
sich ihnen in mannigfaltigen Erscheinungsformen als attraktive junge Männer und
Frauen zeigte. Durch sexuelles Verlangen erregt, ejakulierten darauf die männli-
chen Mächte, und die weiblichen Mächte trieben ab, was sie zuvor in sich getragen
hatten. Die auf diese Weise freigesetzten Elemente des Lichts waren zum größten
Teil infolge der Art und Weise, wie sie ausgestoßen worden waren, mit Unreinheit
befleckt. Einige von ihnen sind an die Pflanzenwelt gebunden, andere wiederum

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880 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

befinden sich in menschlichen Körpern. In der Tat stammen die Menschen von
den Abtreibungen der weiblichen Archonten ab: Diese wurden vom Dämon Sa-
klas und seiner Frau aufgegessen, dann kopulierten sie und brachten Adam und
Eva hervor. Der menschliche Körper besitzt demnach dämonische Ursprünge,
doch die Seele rührt von den in den Abtreibungen enthaltenen Licht­partikeln her,
und sie trägt auch Gottebenbildlichkeit in sich, welche die Archonten an dem Drit-
ten Boten wahrgenommen hatten.
Um die Trennung zwischen Licht und Finsternis zu vollziehen, werden Boten
berufen zur Instruktion der Menschen über ihre lichtvollen Ursprünge und dar-
über, wie sie zu diesen zurückkehren können. Mani ist der letzte in einer ganzen
Reihe solcher Propheten, zu denen auch Jesus, Zarathustra und Buddha gehören.
Die Botschaft beinhaltet ebenfalls einen Verhaltenskodex, der dazu bestimmt ist,
die Seele vom Körper und der Abhängigkeit von der physischen Welt zu befreien:
Enthaltung von Geschlechtsverkehr und allen Formen sinnlichen Vergnügens, von
Fleischverzehr und dem Trinken von Alkohol sowie von Besitztümern. Ferner
müssen die Anstrengungen darauf gerichtet werden, keinem Lebewesen Leid zu-
zufügen, einschließlich der Pflanzen und der Elemente, da sich die Lichtpartikel
auch in diesen ausgebreitet haben. Das Gebot von der ‘Ruhe der Hände’ machte
physisches Arbeiten tatsächlich unmöglich. So konnte nur eine Elite, ‘die Auser-
wählten’, darauf hoffen, die Gebote zu befolgen, und diese waren abhängig von
der zahlenmäßig größeren Gruppe der ‘Hörer’ (κατηχούμενοι; zur Bezeichnung
in den verschiedenen Sprachen siehe BeDuhn 2000 [*1046: 26–28]), die für die le-
bensnotwendige Nahrung und Kleidung der Auserwählten zu sorgen hatte. Für
diese letzteren galt ein weniger strikt gehaltener Regelkanon. Beiden Gruppen
vorgeschrieben waren allerdings regelmäßige Sünden-Bekenntnisse, und Gebete
um Vergebung kompensierten die praktische Unmöglichkeit, ein völlig reines
Leben in dieser Welt zu führen.
Die Auserwählten konnten darauf hoffen, dass ihre Seelen nach dem Verlassen
des Körpers zum Zeitpunkt des Todes von einem Gericht günstig beurteilt wür-
den, dass diese ihr präexistentes ‘Bild’, das sie erwartete, bekämen und über die
«Säule der Herrlichkeit» hinauf zum Mond gelangen würden. Einmal vollgefüllt
mit hinaufgestiegenem Licht, würde der Mond lossegeln und seine Fracht in die
Sonne entladen, die sie ihrerseits ins Paradies, den ‘Neuen Äon’ jenseits des Kos-
mos, bringen würde. Dort verbleiben die gesegneten Seelen bis zum Ende der Welt,
an dem sie schließlich mit der Lichtwelt wiedervereinigt würden. Von den ‘Hörern’
andererseits heißt es gewöhnlich, dass sie weiterer Inkarnationen bedürften, ehe
sie gereinigt werden könnten. Sünder, die keine Reue zeigen, gehen zur Hölle.
Der Lauf der Geschichte zielt auf ein Ende hin, an dem es einen finalen großen
Krieg zwischen dem Licht und der Finsternis sowie ein universales Gericht geben
wird. Das Licht wird dann zu seinem Ursprung zurückkehren, die Welt wird durch
Feuer verzehrt, und Finsternis und Sünder werden für alle Ewigkeit eingeschlos-
sen werden, komprimiert in einen «Klumpen» (βῶλος).
Es ist klar, dass Manis Ideen eine religiöse Vision darstellen, deren Wahrheits-
ansprüche sich auf Offenbarung stützen und deren hauptsächliche Diskursform
in mythologischer Imagination besteht. Versuche, nach denen Manis Mythos

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§ 93. Mani und der Manichäismus (Bibl. 1085–1087) 881

schlicht eine figurative Darstellung abstrakter philosophischer Ideen, in einer ge-


wissen Weise im Stile Platons (Schaeder 1927 [*1038]), sei, fanden keine allgemeine
Zustimmung. Der Mythos macht ohne Zweifel von philosophischem Vokabular
Gebrauch und macht sich elementare philosophische Strukturen und Themen zu
eigen: Die Finsternis entspricht einer personifizierten Hyle, und der Vater der
Größe hat fünf primäre Attribute, die noetische Eigenschaften besitzen, nämlich
«Geist» (νοῦς), «Denken» (ἔννοια), «Verstand» (φρόνησις), «Sinnen» (ἐν­θύμησις)
und «Überlegung» (λογισμός). Der Erste Mensch und seine Gliedmaßen stellen
eine Seele dar, die aus dem intelligiblen Bereich des Lichts hervorgeht und sich mit
der Materie verflicht. Um der Beherrschung durch das Materielle zu entkommen,
braucht die Seele die Leitung eines Geistes, der im besonderen durch den Licht-
Geist repräsentiert wird, einem Gesandten aus der Lichtwelt. Gleichzeitig ist es al-
lerdings auch klar, dass die mythische Erzählung im wörtlichen Sinne verstanden
sein will und selbst ein Gegenstand des Glaubens oder mehr noch des intellektu-
ellen Erfassens ist. Die Entitäten, die in der Erzählung erscheinen, sind keine phi-
losophischen Konzepte, sondern persönliche Wesen, mit denen die Gläubigen
durch kultische Verehrung und asketische Kämpfe in Beziehung treten.
Die Philosophen, die gegen den Manichäismus anschrieben, Alexander von Ly-
kopolis (ca. 290) und Simplikios (6. Jh. n. Chr.), gaben ihrer Erbitterung darüber
Ausdruck, dass ihre Gegner keine rationalen Argumente ins Feld führten, son-
dern die Wahrheit auf der Grundlage der Offenbarung zu kennen beanspruchten.
Ersterer kritisiert den manichäischen Dualismus aus der Perspektive des neupla-
tonischen Monismus, indem er argumentiert, dass die Materie von Gott geschaf-
fen und vollkommen passiv sei und als solche keine unabhängige Kausalität besit-
zen könne. Außerdem setze die manichäische Auffassung der Materie Grenzen
für das Göttliche, wobei sie letztlich Gott selbst körperlich mache, und sie stelle
auch in Abrede, dass Gottes Vorsehung alles durchdringe (van der Horst, Mans-
feld 1974 [*1042], Villey 1985 [*1021], Stroumsa 1992 [*1044]). In ziemlich ähnli-
cher Weise polemisiert Simplikios (In Epict. Enchir. 35) gegen die absurden Kon-
sequenzen, die sich aus der Bestimmung von Gut und Böse als zweier je
unabhängiger erster Prinzipien ergeben, und gegen die Abwertung der Kraft und
Einsicht Gottes, die der manichäische Mythos impliziert (I. Hadot 1969 [*1041],
P. Hadot 1996 [*900], Lieu, Sheldon 2011 [*1054]). Beide tadeln auch die Idee, dass
moralisch verwerfliche Handlungen durch äußere Einflüsse und nicht durch den
menschlichen freien Willen verursacht würden.
Theologische Debatten zwischen manichäischen und katholischen Theologen
waren im 4. Jahrhundert an der Tagesordnung. Namhafte Autoren anti-manichä-
ischer Ausrichtung sind im besonderen Titos von Bostra, der zwischen 363 und
377 vier Bücher ‹Gegen die Manichäer› schrieb (vgl. Pedersen 2004 [*1050],
Roman, Schmidt, Poirier 2015 [*1018]), und natürlich Augustinus, der selbst neun
Jahre lang manichäischer Hörer gewesen war, bevor er zur katholischen Kirche
zurückkehrte (Alfaric 1918 [*1037], BeDuhn 2010–2013 [*1051]). Augustinus
schrieb neun Bücher eigens gegen die Manichäer und polemisiert in zahlreichen
weiteren Werken gegen sie (vgl. zuletzt van Oort 2010 [*1052]). Ein zentrales Ele-
ment seiner Kritik ist die Ablehnung der Auffassung, das Übel habe die Eigen-

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882 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

schaft einer Substanz mit unabhängiger ontologischer Realität – Augustinus


gemäß sollte es vielmehr als ein «Mangel an Gutem» («privatio boni») angesehen
werden. Der Ursprung des Bösen wird stattdessen im Vermögen des freien
menschlichen Willens zu sündigen angesiedelt (der gängige Vorwurf, die Mani-
chäer hätten den freien Willen abgelehnt, ist allerdings eine Entstellung der Tat-
sachen: Magris 2001 [*1049: 154–156], Pedersen 2004 [*1050: 173–175]). Auf der
anderen Seite wurde Augustinus selbst von seinen pelagianischen Gegnern wegen
seiner Lehren von der Erbsünde und der angeborenen «Begierde des Fleisches»
(«concupiscentia carnis») des Manichäismus bezichtigt (Lamberigts 2001 [*1048]).

4. NACHWIRKUNG

Die manichäische Kirche verschwand sowohl im Westen als auch im byzantini-


schen Reich als Folge antihäretischer Gesetzgebung und heftiger Repression. Die
Etikette ‘Manichäismus’ wurde später regelmäßig für abweichende Gruppierun-
gen nahezu jeder Art verwendet, selbst wenn für ‘Häresien’, die sich zu einer ein-
deutig dualistischen Weltsicht bekannten (Paulikianer, Bogomilen, Katharer), die
historische Kontinuität mit dem antiken Manichäismus unwahrscheinlich ist (Ha-
milton, Hamilton 1998 [*1023], Lambert 1998 [*1045]). In der islamischen Welt
lebten Manichäer etwas länger fort, doch im 9. Jahrhundert unterlagen sie auch
dort der Verfolgung. Unter muslimischen Intellektuellen scheint der Manichäis-
mus von einer gewissen Attraktivität gewesen zu sein, denn viele von ihnen wur-
den als ‘zandaqa’ (arab.) bezeichnet und somit dieser Häresie bezichtigt (Vajda
1938 [*1040]). In Zentralasien und schließlich in China lebten manichäische Ge-
meinschaften bis ins 15. Jahrhundert fort. In der Geistesgeschichte wurde der Ma-
nichäismus sprichwörtlich für die uneingeschränkteste je entworfene dualistische
Weltsicht und für seine unverwechselbare Lösung zum Problem des ‘unde malum’.

Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Schatzmann.

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 883

IV. DIE SOGENANNTEN ALTKATHOLISCHEN


THEOLOGEN

§ 94. Irenäus von Lyon

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Dank beiläufiger Bemerkungen in Irenäus’ eigenem Werk und Nachrichten aus


Eusebios’ ‹Kirchengeschichte› sind wir nicht gut, aber doch einigermaßen über
die Biographie des Irenäus informiert. Demnach stammte er aus Kleinasien, ver-
mutlich aus Smyrna, wo er um 135/140 geboren sein dürfte. Er erhielt eine solide
pagane Bildung, die ihm das Allgemeinwissen der Zeit vermittelte (Benoît 1960
[*1089: 55–73], insgesamt skeptischer Brox 1998 [*1119: 830–833]). So verfügt er
über die allgemein gängigen Kenntnisse der griechischen Literatur und Dichtung
(vgl. die tabellarischen Aufstellungen bei Mutschler 2004 [*1129: 118–132]; zu
einem Homer-Cento in Haer. 1,9,4 vgl. Wilken 1967 [*1092]), er kennt sich in Rhe-
torik recht gut aus (Grant 1949 [*1080: 47ff.], Schoedel 1959 [*1087: 27–32]; zu
einem meist missverstandenen rhetorischen Topos in Haer. 1 praef. 2 vgl. Quac-
quarelli 1956 [*1082: 459]); manche fachwissenschaftlichen Fragen sind ihm leid-
lich vertraut (Grant 1949 [*1080], Wyrwa 1998 [*1120: 305ff.]), und er besitzt ein
gewisses philosophisches Grundwissen, anhand dessen er sich orientieren kann.
Zum christlichen Glauben ist er aber augenscheinlich nicht auf dem Weg über die
Philosophie gekommen, und einen philosophischen Drang, sich der Suche nach
Erkenntnis zu verschreiben, hat er nie verspürt. Wahrscheinlich wuchs er in einem
christlichen Elternhaus auf (Brox 1998 [*1119: 822]); denn zu den prägendsten
Eindrücken seiner Jugend zählt er selbst, dass er als heranwachsender Knabe den
hochbetagten Bischof Polykarp von Smyrna, der nach der wahrscheinlichsten Da-
tierung um 156 das Martyrium erlitten hat, noch häufiger gesehen und predigen
gehört hat (Haer. 3,3,4; Eus. Hist. eccl. 5,20,5f.). Andere Lokalgeschichten wie die
Begegnung des Herrenjüngers Johannes mit Kerinthos in Ephesos in einem Ba-
dehaus und die Begegnung Polykarps mit dem Ketzer Markion gibt er nach dem
Hörensagen wieder (Haer. 3,3,4, von Eusebios zweimal nacherzählt: Hist. eccl.
3,28,6 und 14,14,6). Offenbar haben ihm die dortigen Presbyter, von denen er
öfter, ohne sie namentlich zu nennen, spricht (van Unnik 1977 [*1098]), die Tra-
ditionen der kleinasiatischen Theologie nahegebracht, denen er zeitlebens verbun-

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884 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

den blieb. Aus unbekannten Gründen siedelte er zu einem späteren Zeitpunkt


nach Gallien über. Das wird vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich und han-
delsgewerblich motivierten Siedlungsbewegung zu sehen sein, die auch den christ-
lichen Glauben in das Rhonetal brachte (vgl. Frend 1964 [*1091], Grant 1997
[*1117: 4]), doch werden in Irenäus’ Fall vermutlich auch Gemeindebelange eine
Rolle gespielt haben. In Lyon wirkte er zunächst als Presbyter, bis er nach dem
Märtyrertod des örtlichen Bischofs Potheinos zu dessen Nachfolger gewählt
wurde (Eus. Hist. eccl. 5,5,8). Schon bald nach seiner Ankunft in der neuen Hei-
mat muss er ein hervorragendes Renommee in der gallischen Kirche genossen
haben. Um 177, noch während die verheerende Christenverfolgung in Gallien wü-
tete, wurde er mit einer Delegationsreise zum römischen Bischof Eleutheros be-
auftragt, um mit Hilfe von Empfehlungsschreiben der gallischen Märtyrer eine
versöhnliche Politik gegenüber den kleinasiatischen Montanisten zu erwirken –
dies ein deutliches Zeichen der Verbundenheit der Gemeinden in Gallien mit den
Kleinasiaten (Eus. Hist. eccl. 5,3,4–4,2). Aus dem Begleitschreiben, das den Über-
bringer ausführlich vorstellt, ist zu entnehmen, dass Irenäus der römischen Ge-
meinde zum damaligen Zeitpunkt persönlich noch unbekannt war (Eus. Hist.
eccl. 5,3,2, so zu Recht Brox 1998 [*1119: 822], anders Nautin 1961 [*1090: 93],
Orbe 1992 [*1114: 413]). In die anschließende Zeit seines Episkopats fällt seine
große literarische Aktivität, die sich ganz dem Dienst der Kirche verschreibt, um
Kampfmittel gegen die gnostischen Gefährdungen bereitzustellen, um die Irren-
den zur kirchlichen Einheit zurückzugewinnen und um die Gläubigen im aposto-
lischen Glauben zu festigen und zu stärken (Haer. 1 praef. 3; Haer. 5 praef.; Dem.
1). Doch nach wie vor engagierte er sich in ökumenischen Kontakten, wobei er die
brieflichen Beziehungen zur römischen Gemeinde besonders pflegte. Seine letzte
Vermittlungsinitiative, von der wir Nachricht haben, betraf den Streit um die
quartadezimanische Osterpraxis (Eus. Hist. eccl. 5,23,1–24,17). Als der römische
Bischof Victor sich anschickte, die kleinasiatischen Gemeinden aus der Kirchen-
gemeinschaft auszuschließen, weil sie ihre alte quartadezimanische Tradition
nicht preisgeben wollten, da unterstützte Irenäus, obwohl er sachlich die römische
Praxis für die richtige hielt, mit einem sehr entschiedenen ausführlichen Schrei-
ben die Sache der Kleinasiaten und erklärte, «die Verschiedenheit des Fastens be-
kräftigt die Einheit im Glauben» (Eus. Hist. eccl. 5,24,13). Eusebios sah darin sei-
nen Namen als wahrhafter εἰρηνοποιός («Friedensstifter») bestätigt (Eus. Hist.
eccl. 5,24,18). Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass er sich redlich bemühte, die
keltische Sprache zu erlernen, um auch unter den Barbarenvölkern das Evange-
lium zu verkünden (Haer. 1 praef. 3, vgl. Haer. 1,10,2; 3,4,2). Um 200 wird er ge-
storben sein; spätere Nachrichten, dass er unter Septimius Severus Märtyrer ge-
worden sei, sind legendär und entbehren einer historischen Grundlage.

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 885

2. WERKE

‹Detectio et eversio falso cognominatae ‹Demonstratio praedicationis


agnitionis› apostolicae›
Ἔλεγχος καὶ ἀνατροπὴ τῆς ψευδωνύμου Εἰς ἐπίδειξιν τοῦ ἀποστολικοῦ κηρύγματος
γνώσεως – ‹Entlarvung und Widerlegung (nach Eus. Hist.eccl. 5,26) – ‹Zum Erweis
der fälschlich sogenannten Gnosis› (kurz der apostolischen Verkündigung› (kurz
‹Adversus haereses› genannt; Haer.; CPG ‹Demonstratio› genannt; Dem.; CPG 1307)
1306)
Dieses Werk war bis zum Beginn des 20. Jahr-
Mit seinem Hauptwerk tritt Irenäus in die vor- hunderts nur durch die Titelangabe bei Eusebios
derste Front des kirchlichen Abwehrkampfes (Hist. eccl. 5,26) bekannt; erst 1904 wurde es in
gegen die Häresie, in erster Linie gegen die Valen- einer vollständigen armenischen Version aus dem
tinianer, in Seitenhieben auch gegen Markion, die 6. Jahrhundert wiederentdeckt. Die kurze Schrift
Enkratiten und andere. Buch 1 soll das verdeckte ist nach dem Hauptwerk entstanden, auf das sich
gnostische System entlarven, indem die mythi- ein Rückverweis gegen Ende bezieht (Dem. 99;
schen Lehren des Ptolemaios referiert und die Ge- dazu Steenberg 2008 [*1140: 218f.]; hier allein auch
nealogie des Gnostizismus aufgezeigt werden. In eine Warnung vor Häretikern), sie stellt also kei-
Buch 2 folgt die logische Widerlegung aufgrund nesfalls ein noch unausgereiftes Frühstadium von
innerer Widersprüche und Absurditäten. Mit Irenäus’ Theologie dar. Anders als das Hauptwerk
Buch 3 beginnt die positive Entfaltung der kirch- ist sie jedoch ganz unpolemisch gehalten. Sie bietet
lichen Wahrheit, die im ständigen Rückbezug auf in katechetischem Stil, aufgebaut nach den drei Ar-
das Neue Testament durchgeführt wird. Das Buch tikeln des Taufbekenntnisses (Dem. 3), eine ge-
entwickelt die Lehre von dem einen Gott und meindegemäße Zusammenfassung des christlichen
Schöpfer und dem einen Herrn Jesus Christus an- Glaubens, die sich im Wesentlichen als Nacherzäh-
hand des Zeugnisses der Apostel. Buch 4 behan- lung der biblischen Heilsgeschichte im Schema von
delt die Einheit der Heilsgeschichte anhand der Verheißung und Erfüllung präsentiert. Dass die
Worte und Parabeln des Herrn, und in Buch 5 wer- theologisch heilsgeschichtlichen Leitgedanken
den die Errettung des Menschen in seiner geschöpf- hier dieselben sind wie dort und nur die institutio-
lichen Leiblichkeit sowie Themen der Eschatolo- nell-hierarchischen Sicherungskoordinaten fehlen,
gie anhand der Paulusbriefe erörtert (detaillierte kann ein Licht auf eine tiefer liegende Fundierung
Dispositionsangaben bei Benoît 1960 [*1089: 158– seines theologischen Denkens werfen.
196], Fantino 1986 [*1110: 49–66]). Entstanden ist
das Werk, das ausgedehnte Recherchen zum gnos-
tischen Umfeld voraussetzt, in mehreren Anläufen Nur fragmentarisch bezeugte oder ganz
wahrscheinlich in der Zeit zwischen 181 und 189, verlorene Briefe und Schriften
wie die Nennung des amtierenden römischen Bi-
schofs Eleutheros in der von Irenäus angeführten Von weiteren Titeln, die Eusebios aufzählt, sind
römischen Bischofsliste (Haer. 3,3,3) ergibt. Es ist entweder nur kurze Auszüge bekannt oder die
vollständig nur in einer recht wörtlichen vulgär­ Schriftstücke sind gänzlich verloren. Philoso-
lateinischen Übersetzung des späten 4. Jahrhun- phisch belangvoll mag eine apologetische Schrift
derts enthalten, hinzu kommen Fragmente in gegen die Griechen mit dem Titel Περὶ ἐπιστήμης
­syrischer und armenischer Übersetzung sowie (‹Über die Wissenschaft›: Hist. eccl. 5,26) gewesen
griechische Bruchstücke in Kirchenväter-Zitaten sein; Eusebios nennt sie sehr kurz – Irenäus’
und in zwei Papyri vom Ende des 2. bzw. Anfang Schwergewicht lag nicht hier – und lobt sie als
des 3. Jahrhunderts (aus Oxyrhynchos) und dem überaus schlagend. Erhalten ist davon nichts.
frühen 4. Jahrhundert (wahrscheinlich aus Apol- Nach Rom gerichtet war ein Brief an einen gewis-
linopolis Magna). sen Blastos Περὶ σχίσματος (‹Über die Spaltung›:
Hist. eccl. 5,20,1), der verloren ist. In die Amtszeit
Victors von Rom, d. h. nach Abfassung des Haupt-
werkes, fällt ein Konvolut von drei Briefen, betref-
fend einen römischen Presbyter Florinus, den

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886 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Irenäus noch von seiner kleinasiatischen Heimat Irenäus im Namen der gallischen Gemeinden an
her kannte und der in Rom als Presbyter dem Va- Victor wegen dessen herrischem Gebaren im
lentinianismus zuneigte. An Florinus direkt hat er Streit um das Osterfasten richtete, finden sich bei
eine Ἐπιστολὴ περὶ μοναρχίας ἢ περὶ τοῦ μὴ εἶναι Eusebios zwei Auszüge (Hist. eccl. 5,24,11–17;
τὸν θεὸν ποιητὴν κακῶν (‹Brief über die Einzigkeit CPG 1310, vgl. CPG 1312). Außerdem erwähnt er
[sc. Gottes] oder dass Gott nicht Urheber von (Hist. eccl. 5,26,1) noch ein ‹Buch verschiedener
Bösem sei›: Hist. eccl. 5,20,1; CPG 1309) gerichtet, Reden›, wohl eine Predigtsammlung.
seinetwegen hat er ein Σπούδασμα περὶ ὀγδοάς Zu den in der Edition von Harvey 1857 [*1060:
(‹Studie über die Achtzahl›: Hist. eccl. 5,20,1; II 431–511] abgedruckten 32 syrischen bzw. arme-
CPG 1308) verfasst. Zuletzt fordert er Victor nischen und 47 griechischen Fragmenten vgl. Har-
schriftlich auf, gegen Florinus einzuschreiten nack 1897 [*1077: II 1,518–522] sowie CPG 1315–
(CPG 1311). Vom genannten Protestschreiben, das 1317.

3. LEHRE

1. Grundzüge von Irenäus’ Denken. – 2. Explizite philosophische Bezugnahmen. – 3. Integrierter Ge-


brauch philosophischer Elemente.

1. Grundzüge von Irenäus’ Denken

Irenäus’ kirchengeschichtliche Bedeutung ist darin zu sehen, dass er den Ab-


wehrkampf gegen die mythisch-spekulative religionsphilosophische Transformie-
rung der christlichen Botschaft im Gnostizismus auf der ganzen Breite mobili-
sierte. Er ist sich sicher, im gnostischen Mythos den Prüfstein gefunden zu haben,
an dem man die sich verstellenden Häretiker dingfest machen kann. So erwartet
er, dass nach Maßgabe dieses Kriteriums die Trennungslinie erfolgreicher als bis-
her gezogen werden kann (vgl. Koschorke 1978 [*1100: 243–250]). Und er formu-
liert als Gewähr, dass die Wahrheit wirklich und ausschließlich in der katholischen
Kirche anzutreffen ist, die das Leben der Kirche regulierenden formaltheologi-
schen Prinzipien in Gestalt der sogenannten drei katholischen Normen: der Amts-
sukzession, der Glaubensregel und des Schriftkanons. Diese wollen als Beschrei-
bung des faktischen Sachverhalts der Apostolizität der Kirche verstanden werden,
sie sind nicht als Postulat gemeint (Brox 1981 [*1106: 19–22]). Dass am Ende des
2. Jahrhunderts eine gewisse Konsolidierung eines gefestigten katholischen Iden-
titätsbewusstseins erreicht worden ist, dürfte nicht zum geringsten Irenäus’ Ein-
satz zu verdanken sein.
Zum anderen liegt Irenäus’ theologiegeschichtliche Bedeutung darin, dass er
die an originellen Entwürfen ungemein reiche theologische Arbeit des 2. Jahrhun-
derts, die sich als traditionelle, der kirchlichen Gemeindefrömmigkeit verpflich-
tete oder eher als wissenschaftliche, mit populärphilosophischem Material ope-
rierende Theologie darbot, auf der Grundlage einer heilsgeschichtlichen
Gesamtsicht zusammenfasste und zum Abschluss brachte. Er sieht sich in der

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 887

Nachfolge der von ihm hoch geachteten, ungenannten Presbyter (van Unnik 1977
[*1097]) und bezieht sich auf die wichtigsten der Apostolischen Väter sowie auf
Justin, Theophilos und wahrscheinlich auch Meliton (Norelli 2005 [*1136], Spac-
capelo 2005 [*1138]); Tatian, den Schüler Justins, verurteilt er aber (Haer. 1,28,1;
3,28,8). Neuerungen liegen ihm fern, und weiterführende theologische Forschung
hält er nur dann für legitim, wenn sie der Grenzen der menschlichen Erkenntnis-
fähigkeit eingedenk ist und sich an das hält, was Gott den Menschen zugänglich
gemacht hat (vgl. den Katalog legitimer Aufgabenstellungen eines Theologen in
Haer. 1,10,1–3; dazu Bengsch 1957 [*1083: 51–56]; zu Unrecht sieht van Unnik
1977 [*1098] darin Fragen der ungenannten Presbyter, Wyrwa 1997 [*1118: 449–
452, besonders 450 Anm. 22] und 2012 [*1150: 29ff.]). Dennoch gewinnt unter sei-
nen Händen das ihm überkommene Material die Gestalt einer umfassenden, von
eigenständiger Reflexionskraft zeugenden Glaubenslehre, die nicht in der antihä-
retischen Frontstellung nach einem simplen Schema von ‘challenge and response’
aufgeht, sondern in sich selbst in eigener Form steht.
Zwei zentrale Leitbegriffe sind es, die sein christozentrisches Denken im Gan-
zen strukturieren: οἰκονομία = ‘dispositio’ oder ‘dispensatio’ und ἀνακεφαλαίωσις
= ‘recapitulatio’ (beide nach Eph. 1,10). Der Begriff οἰκονομία bezeichnet Gottes
Heilsplan und dessen Verwirklichung durch Christus im Lauf der Heilsgeschichte,
insofern Christus vom Anfang der Schöpfung an gemäß göttlicher Pädagogik in
Anpassung an die Fassungskraft des Menschen und in allmählicher Gewöhnung
des Menschen durch die gesamte biblische Geschichte hindurch zu seinem Ge-
schöpf kommt (Haer. 3,16,6; 4,20,7; zum Ganzen Osborn 2001 [*1126: 77–89], vgl.
Wyrwa 1997 [*1118: 472–475]). Komplementär dazu steht der Begriff ἀνα­
κεφαλαίωσις, der soviel wie Wiederholung, Vollendung und Zusammenfassung
in einem bedeutet und der das innere Ziel der umfassenden Ökonomie Gottes be-
zeichnet (Haer. 3,16,6: «[Christus] […] veniens per universam dispositionem et
omnia in semetipsum recapitulans»; Haer. 3,18,1: «quando incarnatus et homo fac-
tus, longam hominum expositionem [= ἱστορίαν: SC 210, 332 Anm. 2] in seipso re-
capitulavit, in compendio nobis salutem praestans»). In ihrer Binnenstruktur hat
Irenäus die Rekapitulationslehre, für die er Anknüpfungspunkte bereits bei Jus-
tin fand (Haer. 4,6,2), in Anlehnung an die paulinische Adam-Christus-Antitypik
entworfen (Nielsen 1968 [*1093]). Er sieht Adam bzw. die adamitische Mensch-
heit unter einem doppelten Stand: Adam ist der gefallene Sünder, der von der
Übertretung an der Erneuerung und der Wiederherstellung bedarf; er ist aber
auch – wie bei Theophilos – noch ein Kind, ein unfertiges und unvollkommenes
Geschöpf, das des Wachstums und der Vollendung bedarf (Harrison 1992 [*1113],
Steenberg 2004 [*1130]). Demgemäß bedeutet die Rekapitulation in Christus die
Wiederherstellung und Erneuerung des Urstandes, und sie bedeutet die Vollen-
dung der geschöpflichen Bestimmung des Menschen, auf die hin Adam vorerst
nur angelegt war (Dem. 3,18,2). In einem dritten Sinn versteht Irenäus Rekapitu-
lation in Christus als kosmische Zusammenfassung von allem, insofern Christus,
der Mensch gewordene Sohn Gottes und Erstgeborene von den Toten, seine Herr-
schaft über alle Bereiche der geschaffenen Wirklichkeit, über die unsichtbare,
pneumatische Engelwelt, über die sichtbare, körperliche Welt auf Erden und über

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888 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

das Unterirdische manifestiert und dadurch alles unter sich als dem Haupt
(κεφαλή) zusammenfasst und vereint (Haer. 3,16,6; 4,20,2; 5,20,2; Dem. 30; 39;
zum Ganzen Sesboüé 2000 [*1124: 125–163], vgl. Wyrwa 1997 [*1118: 475–479]).
Indessen spricht Irenäus einmal von der Rekapitulation aller Dinge in der Zu-
kunft (Haer. 1,10,1), was darauf hinweist, dass die Wirklichkeit der Rekapitulation
in der Gegenwart noch nicht endgültig durchgesetzt ist und erst mit der Wieder-
kunft Christi die Endvollendung erreicht sein wird.
Die Gesamtanschauung seiner christozentrischen Theologie fasst Irenäus
selbst mit der sogenannten Rekapitulationsformel zusammen, indem er die theo-
logische Grundfrage des ‘Cur deus homo?’ ins Zentrum stellt: «Das Wort Got-
tes, Jesus Christus, unser Herr, ist wegen seiner grenzenlosen Liebe das gewor-
den, was wir sind, um uns zu dem zu machen, was er selbst ist» (Haer. 5 praef.;
Haer. 3,19,1 u. ö.).

2. Explizite philosophische Bezugnahmen

Die größte Dichte philosophischer Bezugnahmen innerhalb des gesamten Wer-


kes findet sich in einem Passus, den Diels auf ein in der Tradition des Aëtios ste-
hendes doxographisches Handbuch wie Ps.-Plutarch zurückgeführt hat (Haer.
2,14,1–7 mit Diels 1879 [*1076: 171]). Irenäus will an dieser Stelle nachweisen, dass
die ‘abstrusen’ Lehren der Valentinianer auf Entlehnungen aus der griechischen
Dichtung und Philosophie beruhen. Was die Valentinianer als eigene Erkenntnis
ausgeben, sei in Wahrheit nach Art eines Centos von dorther zusammengeflickt
und nur mit neuen Namen versehen. Zu diesem Zweck nennt Irenäus 15 Namen
berühmter griechischer Philosophen und Dichter sowie ihrer Schulen, fügt jeweils
eine knappe doxographische Information hinzu und stellt das vermeintlich ent-
sprechende gnostische Seitenstück daneben. Die griechische Philosophie wird bei
diesem Verfahren, wie es den Anschein hat, in Bausch und Bogen verurteilt; «ihre
Lehren stinken nach Unwissenheit und Gottlosigkeit» («dogmatibus ignorantiam
et irreligiositatem olentibus»: Haer. 2,14,2), und noch ihre größten Vertreter gehö-
ren zu denjenigen, die Gott nicht kennen (Haer. 2,14,2. 4. 7 mit Anspielung auf
Gal. 4,8; 1. Thess. 4,5 u. ö.; evtl. «ignorant» mit der Konnotation von «nicht aner-
kennen», denn die Heiden wissen von Gott aus der Schöpfung: Haer. 2,6,1. 9,1f).
Wenn die griechischen Geistesgrößen die Wahrheit erkannt hätten, wäre, wie
Irenäus erklärt, die Herabkunft des Erlösers in diese Welt überflüssig gewesen
(Haer. 2,14,7). Obwohl er damit sein pauschales Verdikt nochmals argumentativ
bekräftigt, so darf nicht übersehen werden, dass es ihm nicht darum geht, die ge-
nannten Philosophen in eigenständiger Polemik anzugreifen, sondern dass er
letztlich mit allen Ausführungen die Gnostiker treffen und ihren Anspruch, sie
allein verfügten über die wahre, die höhere Erkenntnis, ‘ad absurdum’ führen will.
Über die hier aufgezählten Namen von Philosophen geht Irenäus nirgendwo in
seinem Werk hinaus, und nur wenige der hier Genannten kehren an anderer Stelle
wieder. Doch ist auch in solchen Fällen die Stoßrichtung dieselbe, und sachlich
beschränken sich die Nachrichten wiederum meist auf doxographische Gemein-

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 889

plätze (Haer. 1,1,1: die erste pythagoreische Tetraktys; Haer. 3,24,2: der Gott Epi-
kurs, der keine Providenz ausübt; Haer. 2,32,2: die sittlichen Verfehlungen nach
der Lehre Epikurs und die Indifferenz der Kyniker). Religionsgeschichtlich inte-
ressant ist die Mitteilung, dass die Gnostiker Bildnisse Christi zusammen mit sol-
chen von paganen Philosophen wie Pythagoras, Platon, Aristoteles und anderer
aufstellen und in heidnischer Weise verehren (Haer. 1,25,6; vgl. Hist. Aug. 18 Alex.
Sev. 29,2, wo berichtet wird, Alexander Severus habe in seiner Hauskapelle Bild-
nisse unter anderen von Apollonios, Christus, Abraham und Orpheus besessen).
Ausführlicher geht Irenäus in seiner Widerlegung der gnostischen Seelenwan-
derungslehre auf Platon ein, den er – historisch nicht ganz korrekt, aber in öfter
anzutreffender Ungenauigkeit – als Urheber dieser Ansicht ausgibt (Haer. 2,33,2).
Auch hier steht der Gedanke, dass die gnostischen Irrlehren von der griechischen
Philosophie abhängig sind, im Hintergrund. Nachdem Irenäus die inneren Wider-
sprüche der Theorie aufgedeckt hat (Haer. 2,33,1; vgl. Iust. Dial. 4,1–2), rechnet
er Platon ironisch-spöttisch Punkt für Punkt die Aporien vor, in die er sich mit
seiner lediglich behaupteten, aber unbewiesenen Auskunft vom «Trank des Ver-
gessens» im Schlussmythos der ‹Politeia› (Rep. 10, 620e–621a) verstrickt habe:
Die Seele dürfte sich gar nicht an den Trank erinnern; erinnert sie sich trotzdem
an ihn, dann müsste sie sich auch an alles übrige vor ihrem Eintritt in das körper-
liche Leben erinnern, und wenn sie das nicht tut, ist die ganze Theorie hinfällig.
Aber auch die Behauptung, der Körper selbst sei das Mittel des Vergessens, ist
haltlos (Haer. 2,33,2–4; vgl. Schoedel 1959 [*1087: 24ff.], van Unnik 1976 [*1096:
204f.]). Unbeschadet der Tatsache, dass Irenäus Platons Lehre der Seelenwande-
rung entschieden und ohne Einschränkung zurückweist, kann man sich fragen,
ob in der sprachlichen Form der Anrede an Platon, die so merklich abweicht von
der Art, wie Irenäus die Gnostiker anspricht, ein Anflug einer gewissen Achtung
mitschwingt (Wyrwa 1998 [*1120: 314–317]).
Eindeutig positiver ist nicht nur der Ton, sondern auch die persönlich-sachliche
Einschätzung, wenn Irenäus Platon in der Polemik gegen Markion und dessen
Zwei-Götter-Lehre geradezu als philosophischen Kronzeugen für die christliche
Wahrheit aufruft (Haer. 3,25,5). Platon erweise sich als frömmer als Markion und
dessen Anhänger, bekannte er doch, dass ein und derselbe Gott gerecht und gut
zugleich ist. Und dazu zitiert Irenäus zwei Platonstellen, die einzigen direkten Zi-
tate aus philosophischen Schriften in seinem Werk: Leg. 4, 715e–716a als Beleg
für Platons Überzeugung, dass Gott die Macht über alles hat und selbst Gericht
hält, also gerecht ist, und Tim. 29e als Beleg, dass der Schöpfer und Bildner dieses
Alls gut ist. Abweichend von der pauschal gegen alle griechischen Philosophen er-
hobenen Anklage, sie würden Gott nicht kennen, spricht Irenäus hier immerhin
eine theologische Anerkennung Platons – freilich eine begrenzte und relative An-
erkennung, die allein im Vergleich mit Markion gelten will – aus. Dass Irenäus die
Kenntnis der genannten Stellen nicht aus eigener Platon-Lektüre geschöpft hat,
sondern sekundären Quellen verdankt, ergibt sich mit ziemlicher Gewissheit da-
raus, dass beide Stellen zu den berühmtesten Wanderzitaten gehören, die sogar in
genau dieser Kombination auch andernorts begegnen (Attikos fr. 3,2 des Places;
vgl. van Unnik 1976 [*1096: 205–209]).

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890 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Dem genannten, in der Tradition des Aëtios und Ps.-Plutarch stehenden doxo-
graphischen Handbuch hat Irenäus ferner, ohne dass er darauf aufmerksam
machte, eine listenartige Aufzählung von naturkundlichen Fragen entnommen,
die trotz vielfältiger Anstrengungen, eine Erklärung zu geben, keine eindeutige
Lösung gefunden haben (Haer. 2,28,2, dazu die doxographischen Verweise bei
Grant 1949 [*1080: 43–47] und Schoedel 1984 [*1107: 43ff.]). So nennt er unter an-
derem die Nilflut, die Wohnstätte der Zugvögel, Ebbe und Flut, die jenseits des
Ozeans gelegenen Zonen, verschiedene meteorologische Phänomene, die Gründe
für die Unterschiede von Wasser, Metallen, Steinen und anderem und gibt mit
einer Zwischenbemerkung zu verstehen, dass er mit derartigen Diskussionen ver-
traut ist. Auch diese Aufzählung steht im Dienst der antignostischen Polemik, um
im Schluss ‘a minore ad maius’ die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfä-
higkeiten aufzuzeigen. Wenn es schon im geschöpflichen Bereich, also bei dem,
was vor Füßen liegt (so sprichwörtlich mit einer entfernten Reminiszenz an Plat.
Tht. 174a; vgl. van Unnik 1979 [*1105: 36f.]), Dinge gibt, die sich unserer Erkennt-
nis entziehen und die wir Gott, dem Schöpfer, überlassen müssen, um wie viel
mehr ist es uns als Geschöpfen verwehrt, über die Offenbarung der Schrift und
die Glaubensregel hinaus in die Geheimnisse Gottes und der geistigen und himm-
lischen Welt eindringen zu wollen.

3. Integrierter Gebrauch philosophischer Elemente

Die Rolle der Philosophie in Irenäus’ Werk ist noch nicht hinreichend um-
schrieben, wenn man nur seine expliziten Rekurse auf die doxographische Tradi-
tion und seine seltenen Zitate registriert. Nicht weniger wichtig ist es, die unaus-
gewiesenen und kommentarlos integrierten Elemente zu berücksichtigen, mit
denen Irenäus der philosophischen Koine seiner Zeit verhaftet ist, wenn er etwa
philosophische Anklänge in Vokabular oder Analogieformen zu philosophischen
Lehrsätzen oder vergleichbare Argumentationsstrategien benutzt.
Gestützt auf Schrift und Tradition hält Irenäus im Gegensatz zu den Zwei-Göt-
ter-Lehren der Häretiker strikt am Glauben an den einen, einzigen Gott, den
Schöpfer und Erlöser, fest (zu Beziehungen zwischen Irenäus’ Argumentation
gegen die gnostische Position in Haer. 2,1,1–2,2 und mittelplatonischen Diskus­
sionen in Ps.-Arist. ‹De Melisso, Xenophane, Gorgia› vgl. Schoedel 1979 [*1104:
77–80], Osborn 2001 [*1126: 55f.]). Dieser alleinige Gott ist der Schöpfer, über
dem es keinen anderen Gott gibt. Er ist der «fabricator» (δημιουργός bzw.
ποιητής), «factor» (ποιητής), «pater» (πατήρ) und «conditor» (κτίστης; Haer. 2,9,1.
30,9; 3,25,1 passim). Um den unendlichen Abstand des Schöpfers gegenüber sei-
ner Schöpfung prononciert auszudrücken, wiederholt Irenäus eine große Zahl der
überwiegend im Mittelplatonismus beheimateten, meist negativen Gottesprädi-
kate, welche die Transzendenz bezeichnen und welche schon die Apologeten in
die christliche Theologie eingeführt haben: «ungeworden», «ohne Anfang und
Ende» (Haer. 2,25,3. 34,2; 3,8,3; 4,38,1), «immer sich gleich bleibend» und «ein-
fach» (Haer. 2,13,3. 8; 2,34,2; 4,12,2. 38,1), «unsichtbar» und «unsagbar» (Haer.

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 891

2,13,4. 25,4; 4,6,3. 6), «vollkommen» und «affektlos» (Haer. 2,13,3. 17,7), «alles
umfassend und selbst unumfassbar» (Haer. 1,15,5; 2,1,2. 30,9; 4,20,5), «bedürfnis-
los» (Haer. 2,2,4; 3,8,3; 4,14,1; vgl. weiter Wyrwa 1997 [*1118: 453f. Anm. 31], Os-
born 2001 [*1126: 28–32]). Auch die erstmals bei ihm in der christlichen Theolo-
gie belegte Deutung von Ex. 3,14 ἐγώ εἰμι ὁ ὤν («Ich bin der Seiende»), im Sinne
der Seinsmetaphysik des Platonismus (Dem. 2f.; vgl. Haer. 2,9,2; 3,6,2), entspringt
nicht spekulativem Interesse, sondern will die jenseitige Souveränität Gottes be-
tonen. Auf Xenophanes (21 B 24 DK) geht letztlich die metaphorische Aussage
zurück, Gott sei ganz Verstand, ganz Licht, ganz Auge, ganz Gehör (Haer. 1,12,2;
2,13,3. 8; 2,28,4f.; 4,11,2; vgl. Schoedel 1959 [*1087: 26]). Irenäus benutzt das Dik-
tum nicht nur in polemischer Wendung gegen die Gnostiker, sondern vermag es
trotz einer leichten Einschränkung (vgl. Haer. 2,13,8: so wird noch zu gering von
Gott gedacht) auch als positive Aussage zu schätzen, weil sie Gott in personalen
Zügen umschreibt und gleichzeitig anthropomorphe Vorstellungen grundsätzlich
übersteigt. Auch das platonische Motiv der neidlosen Güte Gottes, der Quelle
aller Güter ist, ist aufgenommen (Haer. 1,12,2; 2,13,3; 4,38,3; 5,24,4; vgl. oben
Haer. 3,25,5 mit Plat. Tim. 29e). Doch im Entscheidenden liegt für Irenäus der
Grund für die Existenz der Welt nicht in der überfließenden Güte, sondern in der
durch nichts bedingten, absolut freien und souveränen Willenssetzung Gottes
(Haer. 2,1,1. 30,9; 3,8,3; 4,20,1. 38,3).
Der Schöpfer ist für Irenäus der trinitarische Gott. In Gen. 1,1 hat Irenäus im
Einklang mit Ioh. 1,1–3 eine Aussage bezüglich des Logos als Schöpfungsmittler
gesehen (Dem. 43), und den Plural von Gen. 1,26 hat er als Anrede Gottes an den
Logos und an die nun ausdrücklich mit dem Heiligen Geist identifizierte Weisheit
verstanden, seine beiden Hände, die immer bei ihm waren (Haer. 4,7,4; 4,20,1. 3;
4,38,3; 5,1,3; Dem. 10; vgl. Mambrino 1957 [*1084], Steenberg 2008 [*1140: 61–
83]). Die Unterscheidung von λόγος ἐνδιάθετος und λόγος προφορικός («im Geist
befindlicher, gedanklicher Logos» – «hervorgebrachter Logos») lehnt Irenäus
(Haer. 2,13,8. 28,4–6) ab gemäß Ies. 53,8 «generationem eius quis enarrabit?» (Nä-
heres bei Lashier 2014 [*1153: 117–136]); der Subordinatianismus der Apologeten
ist spürbar abgeschwächt und der Logos stärker in die Einheit des innergöttlichen
Lebens eingerechnet (vgl. Haer. 3,6,2. 8,3; zugunsten der Lehre der ewigen Exis-
tenz des Logos und des Heiligen Geistes argumentiert Lashier 2014 [*1153: 136–
148, 168–176] mit Diskussion des Forschungsstandes). Auch weiterhin hat Irenäus
das göttliche Schöpfungshandeln durch bestimmte Appropriationen trinitarisch
strukturiert (Haer. 3,24,2; 4,20,2; Dem. 5). Er hat jedoch mit Entschiedenheit die
voll entwickelte Lehre der ‘creatio ex nihilo’ vertreten, die nicht nur gegen gnos-
tische Vorstellungen, sondern zudem gegen die mittelplatonische Drei-Prinzipien-
Lehre (Haer. 2,14,3f.) gerichtet ist. Er hat den Lehrsatz nicht nur statuierend hin-
gestellt wie in der katechetischen Tradition (Haer. 4,20,2 mit Herm. Mand. 1,1),
sondern mit der antiken Vorstellung einer zugrunde liegenden Materie, über Jus-
tin hinausgehend und Tatian und Theophilos im Rücken, dergestalt gedanklich
vermittelt, dass er erklärt, Gott habe in einem einzigen Schöpfungsakt aus dem
Nichts die empirische Welt zusammen mit der Materie geschaffen (Haer. 2,10,2–
4. 28,7). Nur so werde der Souveränität und Allmacht Gottes Rechnung getragen

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892 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

(Haer. 2,10,4. 24,4; Osborn 2001 [*1126: 69–73], Steenberg 2008 [*1140: 38–49]).
In pointierter Verkürzung kann Irenäus auch sagen, dass Gottes Wille die Subs-
tanz aller Dinge, d. h. die Materie für alles ist, bzw. dass er seinen Willen und seine
Macht als Substanz, d. h. als Materie für alles gebraucht hat (Haer. 2,10,2. 30,9;
vgl. May 1978 [*205: 172 Anm. 123; 174]). Irenäus’ Schöpfungsverständnis schließt
ferner ein, dass die Schöpfung nach einem festen Plan geschaffen ist, den Gott bei
sich in unsagbarer und unerdenklicher Weise im voraus festgelegt hat (Haer. 2,2,4.
3,2. 4,1). So heißt es einmal: «ipse a semetipso substantiam creaturarum (Lat.)/
creatorum (Arm.) et exemplum factorum et figuram in mundo ornamentorum
(Lat.)/ornatorum (Arm.) accipiens» (Haer. 4,20,1 mit textkritischem Apparat bei
Rousseau et al. 1965 [*1066: I 248]; Haer. 2,16,3). Möglicherweise liegt hier neben
der Aussage zur Materie eine Anknüpfung an die mittelplatonische Differenzie-
rung zwischen den transzendenten Ideen (‘exemplum’ = παράδειγμα = ἰδέα) und
den der Materie eingeprägten Formen der konkreten Einzeldinge (‘figura’ =
ἔνυλον εἶδος = evtl. auch σχῆμα) vor, auch wenn die Wortwahl schwankend und
die Rückübersetzung schwierig ist (so May 1978 [*205: 174]). Dass aber Irenäus
die mittelplatonische Lehre von den Ideen im Geist Gottes gekannt habe, ist eher
nicht anzunehmen (May 1978 [*205: 172], anders Meijering 2000 [*1123: 9], Kara-
manolis 2013 [*237: 81]); im Hintergrund dürfte eine aus biblisch-weisheitlichen
Traditionen stammende Konzeption des göttlichen Schöpfungsplans stehen, die
Irenäus trinitarisch verstanden hat. Und wie Just. 1 Apol. 60,1–5, hat auch er das
Chi der platonischen Weltseele auf Christus bezogen, was dem Kosmos im Gan-
zen eine weitere christologische Qualifizierung gibt (Haer. 5,18,3; Dem. 34; Ses-
boüé 2000 [*1124: 133f., 180ff.], MacKenzie 2002 [*1070: 161f.]).
Auf jeden Fall lehrt Irenäus biblischem Schöpfungsglauben gemäß, dass die
Welt einen zeitlichen Anfang hatte (Haer. 2,28,3), was in der wörtlichen ‹Timaios›-
Interpretation einiger Platoniker eine Analogie hat (vgl. Attikos fr. 4 des Places;
dazu Meijering 2000 [*1123: 3f.]). Was Gott tat, ehe er die Welt schuf – diese in
wechselnden geistesgeschichtlichen Zusammenhängen begegnende Fangfrage
(vgl. Cic. Nat. deor. 1,9,21; Lucr. 5,168–173) –, gehe uns nichts an (Haer. 2,34,2).
Ist die Welt als geschaffene grundsätzlich vergänglich (Haer. 2,3,2; 3,8,5; 4,41; vgl.
Arist. Cael. 1,10, 280a28–34), so besteht sie nur dauerhaft fort, insofern Gott ihr
nach seinem Willen dauerhaften Bestand gewährt (Haer. 2,34,2; 4,38,3; wie Iust.
Dial. 5,3; vgl. Plat. Tim. 41a–b; dazu Meijering 2000 [*1123: 3f.]). Der geschaffene
Kosmos weist eine rationale Ordnungsstruktur auf (Haer. 2,25,1. 26,3. 30,3),
wofür die aus Platons ‹Timaios› und der Stoa vertrauten Leitverben wie ‘ornare’,
‘disponere’ u. a. stehen (Haer. 1 praef. 1; 2,7,5. 25,1; 4,36,6f.); in ihm waltet eine
Harmonie in Gegensätzen (Haer. 2,2,4. 7,3. 25,2), und alles wird von der göttli-
chen πρόνοια regiert (Haer. 2,26,3; 3,25,1; 4,36,6). In der polemischen Auseinan-
dersetzung mit den Gnostikern ist Irenäus auch der kosmologische Gottesbeweis
willkommen (Haer. 2,6,1. 9,1. 27,2; 3,25,1. 5; 4,6,6). Und nicht zuletzt legt er I. Cor.
7,31, mit den Kategorien von Substanz und Qualität im Hintergrund, entgegen der
Intention des Apostels so aus, dass in den Endereignissen gerade nicht das Wesen
der Welt, sondern lediglich ihre alte, von der Sünde gezeichnete Gestalt vergehen
wird, während die Substanz dann zum neuen Himmel und zur neuen Erde umge-

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 893

staltet werden wird (Ies. 65,17), wo der erneuerte Mensch ewig fortleben wird
(Haer. 5,36,1; dieselben Kategorien auch anthropologisch in Haer. 5,10,2).
Die umfassendste und grundlegende anthropologische Aussage, die Irenäus
geradezu als Definition des Menschen versteht, besteht darin, dass der Mensch
ein «Auffanggefäß», ein «exceptorium» für Gottes Handeln ist (Haer. 4,11,2;
3,20,2: «receptaculum»); denn Geschaffen-Werden ist die Natur des Menschen
(Haer. 4,39,2: «facere enim proprium est benignitatis dei, fieri autem proprium est
hominis naturae», «Schaffen nämlich ist Gottes Güte eigen, Geschaffen-Werden
jedoch der menschlichen Natur»; Haer. 4,14,1: «deus […] plasmavit Adam […] ut
haberet in quem collocaret sua beneficia», «Gott schuf Adam […], um jemanden
zu haben, in dem er seine Wohltaten ansiedeln kann»; Aland 1979 [*1101: 13], Os-
born 2001 [*1126: 243]). Wenn Irenäus diesen Grundgedanken anhand der bibli-
schen Schöpfungsaussagen von Gen. 1,26f. und Gen. 2,7, die er als zusammenge-
hörigen Bericht von einem einzigen Schöpfungsvorgang versteht, entfaltet, dann
geschieht das indessen im Licht des dichotomischen Menschbildes der griechisch-
römischen Antike. In dem aus Erdenstaub geschaffene Gebilde (Gen. 2,7) sieht
er den menschlichen Leib bzw. das Fleisch in seiner materiellen Substantialität
(πλάσις = «plasmatio» bzw. πλάσμα = «plasma», σῶμα = «corpus», σάρξ = «caro»:
Haer. 1,9,3; 2,29,3; 3,22,2; 4,41,4; 5,6,1f.; manchmal steht ‘plasma’ auch für den
ganzen Menschen: Haer. 3,10,4. 16,6); den Lebenshauch, den Gott in das Ange-
sicht des Menschen hauchte (Gen 2,7: πνοὴ ζωῆς […] εἰς ψυχὴν ζῶσαν), identifi-
ziert er mit der Seele (Haer. 5,7,1. 12,2; de Andia 1986 [*1109: 62f., 74–81]). Die
Seele, die unkörperlich gedacht ist (Haer. 5,7,1; Steenberg 2008 [*1140: 130], gegen
Spanneut 1957 [*1085: 157]), obwohl sie ein individuelles Seelengepräge hat (Haer.
2,19,6: «figura corporis»; Haer. 2,34,1), ist das belebende Prinzip des Körpers
(Haer. 2,33,4, hier auch der Körper als Instrument der Seele, wie Arist. De an. 1,3,
407b25f.; 2,2, 412b11ff.). Sie ist der Sitz des Denkvermögens sowie der Willens-
freiheit, mithin auch die Instanz der ethischen Entscheidung und der sittlichen
Verantwortung (Haer. 2,29,3; 4,37,1; Dem. 11). So ist der Mensch auch für Irenäus
ein beseeltes und vernunftbegabtes Lebewesen (Haer. 2,30,3; 5,1,3. 3,2). Durch
den Tod wird die Verbindung von Körper und Seele (Haer. 2,13,3; 3,22,1; 4 praef.
4; 5,8,1) aufgelöst (Haer. 4,7,1; 5,12,3), und der Körper zerfällt in die Erde, woher
er genommen war (Haer. 5,7,1. 12,3). Der Seele dagegen spricht Irenäus in einem
bestimmten Sinn Unsterblichkeit zu (Haer. 5,4,1. 7,1. 13,3), und zwar ist sie wie für
Justin nur insofern unsterblich, als sie an dem ihr von Gott gegebenen Leben par-
tizipiert, nicht weil sie selbst das Leben wäre (Haer. 2,34,3f.; vgl. zum Ganzen de
Andia 1986 [*1109: 264–278], Behr 2000 [*1122: 86–98], Osborn 2001 [*1126:
219ff.]). Gottes Schöpfungshandeln beschränkt sich jedoch nicht auf jenen anfäng-
lichen Schöpfungsakt, sondern ist ein unablässig durch die Heilsgeschichte wei-
tergehender Prozess, so dass der Mensch, wenn er in Gott erfunden wird, bestän-
dig Wachstum und Vermehrung von Gott empfängt und Fortschritte zu Gott
macht (Haer. 4,11,1f.; de Andia 1986 [*1109: 127–145], Behr 2000 [*1122: 116–
127]). Der vollkommene Mensch ist dann derjenige, der den Heiligen Geist emp-
fangen hat und an diesem partizipiert. Er besteht aus Heiligem Geist, Seele und
Fleisch in enger Vermischung, wobei Irenäus, was ganz ungriechisch ist, den Nach-

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894 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

druck auf das Heil des Fleisches legt, weil der Heilige Geist das Fleisch zur Un-
verweslichkeit verwandelt (Haer. 4 praef. 4; 5,6,1; zur Stelle De Simone 2005
[*1134]; 5,12,2. 13,3; de Andia 1986 [*1109: 259–344]).
In diesen Kontext gehört auch die Thematik der Gottebenbildlichkeit nach Gen.
1,26 («ad imaginem et similitudinem nostram»), deren Interpretation jedoch durch
einen nicht immer ganz klaren Wortgebrauch erschwert wird (Koch 1925 [*1079],
Osborn 2001 [*1126: 211–214]). Auszugehen ist davon, dass die wahre εἰκών bzw.
‘imago’, um die es Irenäus in diesem Zusammenhang geht, der Sohn Gottes ist,
während der Mensch im Anfang nach dem Bild, «secundum imaginem dei» ge-
schaffen worden ist (Haer. 5,16,2; vgl. Wingren 1959 [*1088: 21 passim]), und zwar,
genauer gesagt, ist es das Fleisch, nicht die Seele, worin beim Menschen der abbild-
hafte ‘imago’-Charakter besteht (Haer. 5,6,1; Dem. 22; Fantino 1986 [*1110: 103–
106]). Da die ‘imago’ selbst unsichtbar war und erst in den letzten Zeiten im Leib
des Inkarnierten sichtbar geworden ist (Haer. 5,16,2; Dem. 32 und 60), heißt das,
dass das Urbild, nach dem der Mensch am Anfang geschaffen worden ist, der
Mensch gewordene Christus ist (Fantino 1986 [*1110: 104, 154], Behr 2000 [*1122:
90], Osborn 2001 [*1126: 214]; Orbe 1992 [*1114: 414]: «It matters little that the
image [d. h. das Abbild im ersten Menschen] is earlier in time than the Paradigm.
It ist certainly not so in God’s predestination»). Der Begriff ‘similitudo’ anderer-
seits begegnet in einer doppelten Bedeutung, je nach dem ob er Übersetzung für
ὁμοιότης oder ὁμοίωσις ist (Fantino 1986 [*1110: 110–118], Sesboüé 2000 [*1124:
85–90], Osborn 2001 [*1126: 214ff.]). Im ersten Fall meint er die Übereinstimmung
des Abbildes mit dem Urbild und erstreckt sich, über die leibliche Verfasstheit hi-
naus, auch auf die unverlierbaren anthropologischen Grundkonstituenten wie die
Vernunftausstattung und die Willensfreiheit, also die Vermögen, die ihren Sitz in
der Seele haben (Haer. 4,4,3, hier allerdings: der Gott abgewandte Mensch habe
die «vera ratio» verloren; vgl. insgesamt die langen Ausführungen zur Willensfrei-
heit in Haer. 4,37–39; dazu Bacq 1978 [*1099: 253–269]; komplementär Haer. 4,37,1:
βία θεῷ οὐ πρόσεστιν, «Gewalt kommt Gott nicht zu»; vgl. Ps.-Iust. Ad Diogn. 7,4;
Clem. Alex. Q. d. s. 10,2; Plat. Symp. 196b; Eur. Hel. 903). Im zweiten Fall bezeich-
net ‘similitudo’ den dynamischen Prozess, der, vom Heiligen Geist gewirkt, den
Menschen schrittweise an Gott angleicht und in der eschatologischen Verwandlung
zum endgültigen Ziel der Unvergänglichkeit führt. Mit der Selbstentschließung,
«lasset uns Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis» (Gen. 1,26), hatte
Gott den gesamten, langen Prozess der Angleichung und die Erreichung des Ziels
in der Vergöttlichung gemeint (Haer. 5,16,1). Zwar ist diese Entwicklung durch den
Sündenfall Adams gestört worden – durch Adams Gebotsübertretung ging die ‘si-
militudo’ verloren und die Gabe der Unsterblichkeit blieb verwehrt (Haer. 3,20,2;
5,6,1. 16,2). Doch ist Adam niemals den Händen Gottes, zu denen Gen. 1,26 ge-
sprochen war, entglitten (Haer. 5,1,3). «Als das Wort Gottes Fleisch wurde, hat es
beides bewirkt: Es hat die wahre ‘imago’ gezeigt, indem es wurde, was es selbst war,
und es hat die ‘similitudo’ sicher gemacht, indem es den Menschen dem unsichtba-
ren Vater durch das sichtbare Wort angeglichen hat» (Haer. 5,16,2).
Abschließend seien noch einige erwähnenswerte Details genannt. Mit der Klas-
sifikation der fünf Sinne (Haer. 2,24,2 nach Arist. De an. 2,7–11, 418a26–424a16)

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§ 94. Irenäus von Lyon (Bibl. 1087–1090) 895

setzt Irenäus eine sensualistische Erkenntnistheorie voraus (Haer. 2,33,3; 5,3,2).


Doch bietet er in der Polemik gegen gnostische Emanationsreihen eine psycholo-
gische Analyse des dianoetischen Denkvorgangs, bei der die technisch wirkenden
Begriffe nicht näher definiert werden, aber das Ganze mit jenem erkenntnisthe-
oretischen Ansatz nicht glatt harmonisiert (vgl. die Abfolge in Haer. 2,13,1f.: νοῦς
[= τὸ ἡγεμονικόν], ἔννοια, ἐνθύμησις, φρόνησις, βούλη, διαλογισμός [= λόγος
ἐνδιάθετος], λόγος προφορικός [Geist = das führende Zentralorgan, Denken, Er-
wägung, Einsicht, Beratung, Überlegung = innerer gedanklicher Logos, sprach-
lich hervorgebrachter Logos]; vgl. Wyrwa 1998 [*1120: 317–321], Karamanolis
2013 [*237: 192f.]). Es scheint, dass er Justins Lehre vom λόγος σπερματικός im
Sinne einer apriorischen Erkenntnis rezipiert hat (Haer. 2,33,1. 3). Die stoische
Traumtheorie ist ihm bekannt (Haer. 2,33,1. 3, vgl. Spanneut 1957 [*1085: 217f.,
229]). Von Interesse ist auch, dass bei Irenäus erstmals eine Deutung der Mit-
nahme der Beute beim Auszug der Hebräer aus Ägypten (Ex. 12,35f.) begegnet,
die später eine beträchtliche Resonanz finden sollte. Der Bericht wird typologisch
auf den Auszug der Kirche aus den Heidenvölkern gedeutet, da die Gläubigen
ihren weltlichen Besitz in ihre neue Existenz mitnehmen und solchen noch immer
erwerben, wie sie auch die irdischen Lebensbedingungen, zum Beispiel die ‘Pax
Romana’, weiterhin nutzen (Haer. 4,30,1–4). Das Beute-Nehmen wird später auch
auf die griechische Bildung bezogen.

4. NACHWIRKUNG

Mit seinem Hauptwerk hat Irenäus eine gewaltige Nachwirkung sowohl in dog-
matischer als auch in häresiologischer Hinsicht erzielt. Nahezu alle griechischen
Väter haben ihn zur Kenntnis genommen, und viele haben ihn ausgeschrieben
(Jaschke 1987 [*1111: 265f.]; vgl. im Einzelnen Harnack 1893 [*1077: I 1,266–288],
dell’Osso 2005 [*1133], und die Nachweise in den Editionen). Aber am Ende der
Antike verlieren sich seine Spuren. Im griechischsprachigen Bereich ist von Pho-
tios bekannt, dass er das Werk gelesen hat. In seiner ‹Bibliothek› (Bibl. cod. 120,
94a) referiert er kurz den Inhalt der einzelnen Bücher und erwähnt noch summa-
risch andere Abhandlungen und Briefe. Trotz aller Anerkennung, die im Epithe-
ton θεσπέσιος («göttlich redend») zum Ausdruck kommt, unterdrückt er gleich-
wohl nicht eine leichte Kritik, die sich vermutlich auf Irenäus’ Millenarismus
bezieht (vgl. Bibl. cod. 232, 290a. 291a). Danach erlischt die Kenntnis. Im orien-
talischen Bereich lebt sie indessen in den Übersetzungen weiter. Für den latei-
nischsprachigen Bereich, wo Irenäus durch Tertullian, Hieronymus, Augustin und
andere als Wahrheitszeuge der apostolischen Zeit geschätzt worden ist, aber gele-
gentlich auch Kritik am Millenarismus laut wurde (Brox 1998 [*1119: 849]; gegen
den Millenarismus Hier. Comm. in Is. 18 praef.), ist kennzeichnend, dass Gregor
der Große seine Schriften nicht mehr ausfindig machen konnte, als im Jahre 601
eine diesbezügliche Anfrage des Bischofs von Lyon an ihn gerichtet wurde (Greg.
Ep. 1,56). Überraschenderweise taucht dann 150 Jahre später direkt in Lyon die
lateinische Übersetzung von ‹Adversus haereses› wieder auf, wo sie durch den

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896 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Presbyter Florus, der offenbar einen Prolog dazu verfasste, bezeugt wird (PG 7,
431; Harvey 1857 [*1060: I CLXXVII–VIII], vgl. Perrone 2005 [*1137: 27f.]). Die
lateinische Übersetzung lebte in einer irischen und in einer Lyoner Handschriften-
familie weiter, während ansonsten das lateinische Mittelalter Irenäus nicht zur
Kenntnis genommen hat. Als Erasmus 1526 mitten in den reformatorischen Um-
brüchen mit der Editio princeps Irenäus’ Wiederentdeckung einleitete, hob er in
seinem Vorwort vor allem dessen Friedfertigkeit hervor und lobte den unspekula-
tiven Charakter seiner Theologie, auch wenn er die von der Philosophie beeinfluss-
ten Häretiker philosophisch widerlegt habe. Trotzdem geriet Irenäus sogleich in
das Kreuzfeuer der konfessionellen Streitigkeiten. Protestanten und Katholiken
haben sich jeweils für ihre bestimmten Positionen auf ihn berufen, aber auch in den
Auseinandersetzungen mit Antitrinitariern und in den innerprotestantischen Kon-
troversen um das Abendmahl wurde sein Ansehen bemüht (Meijering 1999 [*1121]).
Zwar hat die kritische historische Beschäftigung mit Irenäus solche dogmatische
Befangenheit hinter sich gelassen, doch divergiert auch in der gegenwärtigen For-
schung seine Beurteilung nach verschiedenen Seiten, wobei sich die Meinungen in
der Hauptsache an seiner Auseinandersetzung mit den inkriminierten Häretikern
scheiden. Kritische Stimmen wenden ein, dass seine voreingenommene und höchst
geschickte Polemik von vornherein die Gnostiker (Markion eingeschlossen) ins
Unrecht habe setzen wollen und ein wirkliches Verstehen ihrer theologischen An-
liegen gar nicht beabsichtigt habe (Aland 2011 [*1144]). Das kann sich bis zu dem
Vorwurf steigern, er habe mit seinem Häresie-Konstrukt die Christenheit mit vol-
lem Wissen gespalten (King 2003 [*1128: 23–38]). Seine Dogmatik wird dann als
antithetischer Gegenentwurf gelesen, der die von seinen Gegnern entwickelten
Grunddaten des Christentums als Erlösungsreligion beibehält, aber alles zur The-
orie der ‘salus carnis’ umpolt, ohne jedoch das Material intellektuell völlig zu
durchdringen (Orbe 1992 [*1114]; vgl. auch Markus 1954 [*1081], Norris 1979
[*1103] und 2009 [*1141]). Auch die Kritik, er habe die Entwicklung eines kirchli-
chen Milieus gefördert, das generell gegen theologische Forschung feindlich einge-
stellt gewesen sei, liegt dann nahe (Brox 1981 [*1106: 25]).

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 897

§ 95. Hippolyt von Rom

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts musste Hippolyt als der große Unbekannte
der Alten Kirche gelten. Zwar überlieferte Eusebios eine Liste von acht Titeln sei-
ner Werke und erwähnte, dass man sicher noch viele andere Schriften hier und
dort finden könne (Hist. eccl. 6,22), aber den Ort seines Bistums vermochte er
nicht anzugeben (Hist. eccl. 6,20,2). Hieronymus übernahm Eusebios’ Liste (ein
Titel fehlt, einer ist doppelt) und fügte ihr noch weitere elf Titel hinzu, doch auch
er konnte den Bischofssitz, wie er selbst sagt, nicht ausfindig machen (Hier. Vir.
ill. 61). Es gab Überlieferungen zur Verbannung eines römischen «Yppolitus pres-
biter» und dessen Martyrium, es gab lokale Anhaltspunkte für kultische Vereh-
rung am Castro Pretorio «in agro Verano» und in Porto (hier für einen mit der
Kirche versöhnten Schismatiker), die beide mit dem gleichen Namen verknüpft
waren (d’Alès 1906 [*1202: XIff.]). Zudem waren manche Werke Hippolyts dem
Titel nach, zum Teil auch unter fremdem Namen bekannt und wurden besonders
im Osten weiterhin gelesen. Aber über seine Person und seine Lebensumstände
hat erst die Entdeckung seines Hauptwerkes ‹Refutatio›, genauer der Bücher 4–10
der ‹Refutatio›, in einer Athos-Handschrift des 14. Jahrhunderts (Parisinus Suppl.
gr. 464) im Jahre 1842 mehr Klarheit gebracht. Denn dort spricht er so von sich,
dass man annehmen kann, er sei Bischof von Rom gewesen (Ref. 1 praef. 6;
9,12,21), und dort berichtet er hasserfüllt von seinem größten persönlichen Kampf
gegen den kirchlichen Rivalen Kallist (Ref. 9,6). Diese Nachrichten, die auch so-
zialgeschichtlich von großem Wert sind, können seine Biographie zu einem gewis-
sen Teil erhellen, doch bleibt nach wie vor vieles im Dunkeln. Insgesamt ist die
Überlieferungslage keineswegs eindeutig. Stark umstritten ist erneut die Zugehö-
rigkeit der unter seinem Namen laufenden bzw. ihm zugeschriebenen Schriften,
und selbst die Identität des Namensträgers ist wieder in Zweifel geraten. Ein all-
gemeiner Konsens scheint nicht in Sicht zu sein.
Man kann davon ausgehen, dass Hippolyt in Rom lebte, wo er unter Bischof
Zephyrin (ca. 198/99–217) und wahrscheinlich schon unter Bischof Victor Pres-
byter war (ca. 189 – ca. 198). Als Origenes um 215 die römische Gemeinde be-
suchte, hörte er ihn dort predigen (Eus. Hist. eccl. 6,14,10; Hier. Vir. ill. 61). Unter
Zephyrin ist er jedoch in unversöhnlichen Konflikt mit dessen Diakon Kallist ge-
raten, dem er eine modalistische Verfehlung der Christologie und Patripassianis-

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898 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

mus vorwarf, während er selbst die ‘gelehrte’ Logoslehre vertrat, die von seinem
Gegner als Ditheismus abgeurteilt wurde (Ref. 9,11,1–3). Nach herkömmlicher
Ansicht sonderte sich Hippolyt mit dem in seinem Sinn rechtgläubigen Teil der
Gemeinde vom ‘Irrlehrer’ Kallist ab, als nach Zephyrins Tod Kallist zu dessen
Nachfolger gewählt wurde (217) und eine tiefgreifende Liberalisierung der Buß-
disziplin einleitete. Der gängigen Meinung zufolge ist aus dem Selbstzeugnis in
der ‹Refutatio› zu schließen, dass sich Hippolyt zum Gegenbischof erheben ließ
(Lietzmann 1913 [*1203: 1873] weist zudem darauf hin, dass er in zahlreichen grie-
chischen Handschriften als ἐπίσκοπος Ῥώμης bezeichnet wird; Marcovich 1986
[*1173: 10f.] und 1986 [*1235: 381]; unter dem Namen eines römischen «Josippe»
auch Nautin 1947 [*1204: 98f.]). Im Gegensatz dazu sehen andere Forscher in sei-
nem Selbstzeugnis kein eindeutiges Anzeichen für eine reale Spaltung der römi-
schen Gemeinde (Richard 1968 [*1211: 535], Powell 1975 [*1218], Brent 1995
[*1261], Simonetti 2009 [*1289: 165–171]). Doch ist die Front scharf genug gezo-
gen, wenn Hippolyt die Gemeinde Kallists spöttisch eine «Schule» nennt
(διδασκαλεῖον, σχολή: Ref. 9,7,3; 12,20,21) und über ihren Anspruch, «katholische
Kirche» zu sein, höhnt (Ref. 9,12,25). Noch über den Tod seines Gegners (222) hi-
naus blieb er neben Kallists Nachfolgern Urban I. (223–230) und Pontian (230–
235) schismatischer Leiter einer eigenen Gemeinde. Gleichwohl waren diese Jahre
während der Herrschaft des Kaisers Alexander Severus (222–235) für ihn eine
Zeit fruchtbarer gelehrter Studien: Er stellte eine Liste zur Berechnung des Os-
terzyklus, beginnend mit dem ersten Jahr des Alexander Severus, auf; er verfasste
nach alexandrinischen Vorbildern eine Universalchronik, die bis 234 bzw. 235
reichte; auch sein Hauptwerk, das umfangreiches philosophisches Material verar-
beitet, die ‹Refutatio›, entstand in dieser Zeit. Zum Herrscherhaus hatte er offen-
bar gute Beziehungen, denn er widmete der Kaiserinmutter Julia Mamaea einen
Traktat über die Auferstehung. Doch endete diese Phase, als nach der Ermordung
Alexanders und seiner Mutter (235) Maximinus Thrax die Herrschaft antrat und
einen christenfeindlichen Kurs einschlug. Unter ihm wurde Hippolyt zusammen
mit dem römischen Bischof Pontian nach Sardinien «ad metallos» deportiert, wo-
rauf beide bald gestorben sind (‹Catalogus Liberianus› zum Jahr 235: «Pontianus
episcopus et Yppolitus presbyter exules sunt deportati in Sardinia insula nociva»).
Damit erlosch auch das Schisma, neuer römischer Bischof wurde Anterus (235–
236). Dessen Nachfolger Fabian (236–250) ließ die Gebeine beider nach Rom
überführen und am selben Tag, am 13. August, beisetzen, Pontian in der Papst­
gruft von S. Callisto und Hippolyt im Coemeterium an der Via Tiburtina (‹Depo-
sitio martyrum› zum 13. August: «Ypoliti in Tiburtina et Pontiani in Calisti»).
Ein außergewöhnliches archäologisches Denkmal ist die sogenannte Hippolyt-
Statue, die sich heute am Eingang der Vatikanischen Bibliothek befindet. 1551
wurde in Rom in der Nähe des Castro Pretorio ein marmorner Torso einer auf
einem Sessel thronenden Person aufgefunden, wobei an den Außenseiten des Ses-
sels in griechischen Lettern beidseitig der Osterfestzyklus mit dem Anfang im
Jahr 222 und auf dem rechten Randstück eine Liste von 13 (11 lesbaren) Werk­
titeln eingemeißelt waren (Reproduktion bei Harnack 1893 [*1201: I 2,606–610],
Guarducci 1978 [*1172] und Cerrato 2002 [*1273: 259]). Der Humanist Pirro Li-

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 899

gorio ließ daraufhin das Bruchstück zu einer Sitzstatue Hippolyts restaurieren,


weil er in dem Osterfestzyklus das Werk Hippolyts und in einigen Titeln diejeni-
gen, die Hieronymus Hippolyt zugeschrieben hatte, wiedererkannte. Außerdem
sprach für diese Identifizierung der Fundort, wie Ligorio angab, die Nähe zur Hip-
polyt-Katakombe. Tatsächlich ist bereits der antike Torso die Umarbeitung einer
im 2. Jahrhundert n. Chr. entstandenen Statue einer ursprünglich weiblichen Per-
son, möglicherweise, wie Guarducci 1977 [*1224] annimmt, der Epikureerin The-
mistia von Lampsakos. Indem zwischen 222 und ca. 235 die Inschriften hinzuge-
fügt wurden, wurde die Statue umgewidmet zu einer symbolischen Darstellung
der «Sancta Sophia» bzw. der Wissenschaften (Marcovich 1986 [*1173: 13] und
1986 [*1235: 381]) oder noch ansprechender zu einer symbolischen Darstellung
der ‘ex cathedra’ lehrenden «Ecclesia» (Castelli 2008 [*1284]), was sehr wahr-
scheinlich in Hippolyts Anhängerkreis geschah. Eine andere, radikale Ansicht,
die von Guarducci 1977 [*1224] erwogen wird, wäre, dass die Inschriften über-
haupt nichts mit einer Hippolyt-Gemeinde zu tun hatten, sondern in Verbindung
mit einer öffentlichen Aufstellung der Statue in der Bibliothek des Pantheons zu
sehen sind, wo die Statue als Darstellung der mathematischen Wissenschaften
eine Ehrenbezeugung für Kaiser Alexander Severus darbieten sollte.

2. WERKE

1. Exegetische Schriften. – 2. Antihäretisch-dogmatische Schriften. – 3. Chronographische Schriften. –


4. Verschiedenes.

Das Œuvre Hippolyts ist nur trümmerhaft auf darin, dass oft nicht absolut sicher ist, ob dasselbe
uns gekommen. Er war der letzte Griechisch Werk gemeint ist, wenn sachlich ähnliche, aber in
schreibende Autor der römischen Kirche, und der Formulierung abweichende Titel gebraucht
bald nach ihm vollzog die christliche Gemeinde in sind. Zudem begegnen in der weiteren Überliefe-
Rom die Sprachumstellung zum Lateinischen, was rung im Einzelfall fehlende oder anders lautende
zur Folge hatte, dass sein Schrifttum im Westen Zuschreibungen, wozu noch Divergenzen stilisti-
dem Vergessen anheim fiel und nur noch im Osten scher und inhaltlicher Art hinzukommen, so dass
selektiv ohne Kenntnis seiner Person tradiert nur wenige Schriften in ihrer Echtheit unbestrit-
wurde. Drei Werkverzeichnisse, die nicht vollstän- ten sind (Scholten 1991 [*1253: 497]).
dig sind, stehen zur Verfügung: dasjenige bei Eu- Am heftigsten umkämpft sind die Schriften ‹De
sebios (Hist. eccl. 6,22), ein etwas umfangreiche- universo› und ‹Contra Noëtum›, Erstere, weil in
res bei Hieronymus (Vir. ill. 61) sowie die Liste dem Codex, den Photios las, und in der gesamten
auf der sogenannten Hippolyt-Statue (Guarducci übrigen handschriftlichen Überlieferung der
1978 [*1172]). Es gibt einige wenige Querverbin- Fragmente ein Josepos bzw. Josippos als Autor
dungen, aber außer der Schrift ‹De Pascha› mit ­genannt wird, Letztere, weil unvereinbare Unter-
der Osterberechnung fehlt es an Beispielen, wo schiede in der sprachlichen Form, in der pole­
alle drei Listen ein und dasselbe Werk aufführen mischen Methode und im theologischen Gehalt
(Zusammenstellung bei Scholten 1991 [*1253: gegenüber den anerkannten Werken zu konsta­
493–495]). Außerdem verfügen wir noch über ver- tieren seien. Umstritten ist auch die ‹Refutatio›,
einzelte Nachrichten meist in Verbindung mit weil deren handschriftliche Überlieferung teils
Fragmenten bei Epiphanios, Theodoret, Photios pseudo­nym, teils akephal erfolgte und nicht ge-
und anderen. Das Problem besteht nun einmal wiss ist, ob sie in den Werkverzeichnissen genannt

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900 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

wird. Da aber offenbar ‹De universo› durch inter- verso›, eventuell auch ‹Traditio apostolica›). Dis-
nen Verweis an der ‹Refutatio› hängt und daran tanziert steht man hier der Hippolyt-Statue gegen-
ebenso das ‹Chronicon›, gelangte Nautin 1947 über, deren Inschriften in vielen Fällen nur bloße
[*1204] und 1992 [*1257] zur These, dass zwei Namen seien. Diese Sicht erfreut sich gegenwärtig
Gruppen von Werken zu unterscheiden seien, die nicht geringer Zustimmung (vgl. den Forschungs-
zwei verschiedenen Verfassern zugewiesen werden bericht von Saxer 1993 [*1259: 627ff.] und beson-
müssen: ‹Refutatio›, ‹De universo›, ‹Chronicon› ders den von Simonetti 2000 [*1175: 70–146];
und der Osterfestkanon gehörten einem schisma- ebenso zuletzt Bertrand 2000 [*1269: 795], Prinzi-
tischen römischen Bischof Josippos, die übrigen valli 2000 [*1272], Pierantoni 2006 [*1279] und
Schriften, einschließlich ‹Syntagma› und ‹Contra noch einmal Simonetti 2009 [*1289]). Die Sicht-
Noëtum›, einem in Palästina um 230–250 tätigen weise von Brent 1995 [*1260] und 2011 [*1293]),
Exegeten namens Hippolyt an. Zwar hat Nautin den gesamten Komplex der Hippolyt-Schriften
damit im Ganzen keine Zustimmung gefunden, vor einem historischen Hintergrund christlicher
aber er hat doch die Problematik der Überliefe- Hausgemeinden in Rom Angehörigen einer römi-
rung in ein helles Licht gerückt. Eine italienische schen Hippolyt-Schule zuzuweisen, hat sich aufs
Forschergruppe um Vincenzo Loi und Manlio Ganze nicht durchsetzen können. Bisweilen wird
­Simonetti (vgl. die Sammelbände Ricerche 1977 aber der römische Teilkomplex, mit dem die italie­
[*1220] und Nuove ricerche 1989 [*1240]) modifi- nische Forschergruppe rechnet, noch weiter auf-
zierte daraufhin seine Position dahingehend, dass geteilt und umgeschichtet bzw. zusätzlich anderen
in der Tat zwei im Einzelnen anders zusammen­ unbekannten Autoren zugeschrieben (Andrei
gestellte Blöcke des Komplexes der ‘Hippolyt’- 2006 [*1277], Ducœur 2011 [*1295], Castelli in
Schriften anzunehmen seien, die auf zwei ver- Magris 2012 [*1189: 45f.], Bracht 2014 [*1307: 18–
schiedene, aber gleichnamige Autoren zurückge- 33]). Außerdem fehlt es auch nicht an Forschern,
hen: auf einen exegetisch-pastoral ausgerichteten die entschieden an der Einheit des Verfassers fest-
östlichen Bischof Hippolyt (die exegetischen halten (Richard 1968 [*1211: 533], der aber ‹Con-
Schriften und ‹Contra Noëtum›) und auf einen tra Noëtum› als unecht ausscheidet; Marcovich
etwas späteren, am Bildungswissen der Zeit inter- 1986 [*1235: 382], Frickel 1988 [*1238], Scholten
essierten römischen Priester Hippolyt (besonders 1991 [*1253: 497f.]) nochmals mit gewichtigen Ar-
‹Refutatio›, ‹De Pascha›, ‹Chronicon›, ‹De uni- gumenten).

1. Exegetische Schriften

Von seinen exegetischen Schriften ist das meiste einzelnen Stellen des ‹Matthäus-Evangeliums› und
nur fragmentarisch und überwiegend in alten Ver- des ‹Johannes-Evangeliums› (CPG 1880–1889).
sionen überliefert. So ist eine Auslegung zum ‹Ho-
helied› (CPG 1871), die das früheste Werk Hippo-
lyts zu sein scheint (Richard 1968 [*1211: 536]), nur ‹De Christo et Antichristo›
in georgischer Version und in paraphrasierenden Ἀπόδειξις ἐκ τῶν ἁγίων γραφῶν περὶ
griechischen Bruchstücken sowie in Fragmenten Χριστοῦ καὶ περὶ τοῦ Ἀντιχρίστου – ‹Dar­
anderer Übersetzungen erhalten. Abhandlungen legung aus den Heiligen Schriften über
über den Segen Isaaks und Jakobs (CPG 1874) Christus und den Antichristen› (Antichr.;
sowie über den Segen Moses (CPG 1875) liegen CPG 1872)
teils in armenischer und georgischer Fassung, teils
im griechischen Original vor. Eine Homilie über Besonders fesselten apokalyptische Themen
David und Goliath (CPG 1876) ist auf Armenisch Hippolyts Aufmerksamkeit. Er schrieb um 200
und Georgisch überliefert. Nur Fragmente, sei es eine Abhandlung über den Antichrist, wo er an-
in griechischer Sprache, sei es in Übersetzungen, hand der einschlägigen Bibeltexte ein Bild des An-
existieren von seinen Auslegungen zum ‹Okta- tichrists sowie der apokalyptischen Vorzeichen
teuch›, zu den ‹Königsbüchern›, zu einzelnen ‹Psal- und der Ereignisse der Endzeit zeichnet. Das rö-
men›, den ‹Proverbien›, zum ‹Prediger›, zum mische Imperium sei indessen noch nicht das
­Anfang des ‹Jesajabuches›, zu ‹Ezechiel› sowie zu Reich des Antichrists.

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 901

‹Commentarii in Danielem› Beziehung zu den prophetisch geweissagten End­


Εἰς τὸν Δανιήλ – ‹[sc. Kommentar] ereignissen, um erregte Gemüter zu beruhigen
Zu Daniel› (Dan.; CPG 1873) und nachzuweisen, dass das Weltende noch nicht
unmittelbar bevorstehe (Harnack 1904 [*1201: II
Durch Rückverweis auf die Schrift über den 2,249ff.], Dunbar 1979 [*1231] und 1983 [*1232]).
Antichrist verbunden (Comm. in Dan. 4,7,1. 13,1) Beide Werke sind auf Griechisch und in anderen
ist der wenig später um 202/204 entstandene Versionen erhalten.
Kommentar zu ‹Daniel› in 4 Büchern, eine der
wertvollsten Schriften der christlichen Antike Apokalyptischen Inhalt haben auch die Ausle-
(Richard 1968 [*1211: 537], Marcovich 1986 gung zu Mt. 24 (CPG 1887) und Reste eines Kom-
[*1235: 384]). Hippolyt nimmt darin deutlich mentars zur Johannesapokalypse (CPG 1890–
Bezug auf die Erfahrungen von Christenverfol- 1891); vgl. Richard 1968 [*1211: 539f.], Prigent
gungen in jüngster Vergangenheit und setzt sie in 1972 [*1214], Prigent, Stehly 1973 [*1169]).

2. Antihäretisch-dogmatische Schriften

‹Adversus omnes haereses› lautet der Titel Πρὸς Ἕλληνας καὶ πρὸς Πλάτωνα,
(so nach Hier. Vir. ill. 61) ἢ καὶ Περὶ τοῦ παντός (‹Gegen die Griechen und
Σύνταγμα κατὰ αἱρέσεων λβʹ – ‹Syntagma Platon, oder auch Über das All›; Castelli 2011
gegen 32 Häresien› (CPG 1897) [*1294: 52–60]). Lediglich Fragmente sind erhal-
ten bei Photios, in den Johannes von Damaskus
Hippolyt selbst blickt auf die Schrift in Ref. 1 zugeschriebenen ‹Sacra Parallela›, bei Johannes
praef. 1 zurück, woraus sich als Abfassungszeit das Philoponos und beim byzantinischen Chronisten
erste Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts ergibt (Har- Georgios Hamartolos (spätes 9. Jh.) sowie beim
nack 1904 [*1201: II 2,223]). Das Werk ist außer Armenier Eznik von Kolb. Soweit sich erkennen
einem kurzen Fragment verschollen, doch teilt lässt, hatte die Schrift einen apologetischen Cha-
Photios (Bibl. cod. 121, 94a) den vollen Titel mit rakter, wobei die Griechen angeredet waren und
und bemerkt, dass das kleine Buch eine Synopse den im ersten Buch bekämpften griechischen An-
von 32 Häresien von den Dositheanern bis zu No­ schauungen im zweiten Buch die christliche Lehre
ëtos und den Noetianern sei, die Hippolyt aus gegenübergestellt war (Malley 1965 [*1168: 18–
Irenäus geschöpft habe. Das Werk ist von späteren 22], Castelli 2005 [*1275] und 2011 [*1294: 32–
Autoren wie Ps.-Tertullian, Philastrius und vor 44]). Photios erklärt, der Verfasser zeige, dass Pla-
allem Epiphanios benutzt worden, so dass man ton sich widerspreche, und bekämpfe einen gewis-
sich ein ungefähres Bild davon machen kann. Dass sen Alkinoos, der wahrscheinlich mit dem
‹Contra Noëtum› nicht, wie von Fabricius in seiner Mittelplatoniker Alkinoos, dem Autor des ‹Didas-
Edition (PG 10, 265f.) vorgegeben und es noch kalikos›, zu identifizieren ist. Dabei geht es um die
Harnack 1904 [*1201: II 2,220–224] (anders frü- Themen der Seele, der Materie und der Auferste-
her Harnack 1893 [*1201: I 2,623f.]) gemeint hat, hung. Alle Bruchstücke laufen unter dem Namen
der Schlussteil des Syntagma gewesen ist, gilt Ἰώσιππος bzw. Ἰώσηπος, den auch Photios in sei-
heute als sicher (Scholten 1991 [*1253: 498]). nem Exemplar von ‹De universo› gelesen hat. In-
dessen teilt Photios weiter mit, dass er in den
Scholien seines Exemplars auch andere Zuschrei-
‹De universo› bungen gefunden hat, eine solche an Gaios, die er
Περὶ τῆς τοῦ παντὸς οὐσίας – ‹Über das übrigens für richtiger hält, ohne ganz sicher zu
Wesen des Alls› (CPG 1898) sein; und auch Justin und Irenäus könnten in Be-
tracht kommen. Das zeigt, dass die Überlieferung
Die Schrift wird in Ref. 10,32,4 erwähnt. Pho- schon früh schwankend geworden war, aber die
tios (Bibl. cod. 48, 11b) kennt sie auch unter den Zuweisung von Nautin 1947 [*1204] an Josipp hat
Titeln Περὶ τοῦ παντός (‹Über das All›) und Περὶ keine Zustimmung gefunden. Die italienische
τῆς τοῦ παντὸς αἰτίας (‹Über die Ursache des Forschergruppe schreibt ‹De universo› dem römi-
Alls›) und teilt mit, dass sie in zwei Büchern abge- schen Hippolyt zu, der vom östlichen Exegeten
fasst ist. Gemäß der Inschrift der Hippolyt-Statue gleichen Namens zu unterscheiden sei. Die Abän-

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902 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

derung des Verfassernamens in Josippos bringt ginnend mit den Naassenern bis zur Gegenwart.
Castelli 2009 [*1287] damit in Verbindung, dass in Detaillierte Inhaltsangaben bietet Marcovich
‹De universo› Passagen aus Flavius Josephus 1986 [*1173: 18–31]. Die Grundthese des Verfas-
‹Contra Apionem› ausgeschrieben waren. sers besteht darin, dass die Häretiker ihre Lehr-
sätze nicht aus der biblischen Offenbarung, son-
dern aus den dargestellten paganen Quellen, und
‹Refutatio omnium haeresium› zwar im Wesentlichen aus der griechischen Philo-
Κατὰ πασῶν αἱρέσεων ἔλεγος – ‹Wider­ sophie hergeleitet haben. Buch 10 enthält eine
legung aller Häresien› (Ref.; CPG 1899) Epitome aller Philosophen, eine Zusammenfas-
sung aller Häresien mit einer Skizze der biblischen
Von dieser bei weitem wichtigsten Schrift Hip- Chronologie und schließlich einen apologetisch
polyts war vor der Neuentdeckung der Athos- orientierten Abriss des «wahren Logos», d. h. der
Handschrift (Parisinus suppl. gr. 464) nur das rechtgläubigen christlichen Lehre (zu den Über-
erste Buch bekannt, das in fünf Handschriften des schriften und Capitulationen der einzelnen Bü-
14. bis 16. Jahrhunderts unter dem Titel Φιλοσο­ cher vgl. Wendland 1916 [*1163: XIII–XVII]).
φούμενα (‹Gegenstände der Philosophie›; s. Ref. Der Grund, warum Hippolyt lange nach seinem
9,8,2) und unter dem Verfassernamen des Orige- knappen Syntagma noch einmal den antihäreti-
nes überliefert worden ist. Die Zusammengehörig- schen Kampf mit einem großangelegten Werk auf-
keit mit den neu entdeckten Büchern 4–10 dürfte genommen hat, scheint darin gelegen zu haben,
durch interne Verweise sowie durch Verweise auf dass er auf neues gnostisches Quellenmaterial ge-
frühere Schriften des Verfassers (Ref. 1 praef. 1 stoßen ist, über das er früher nicht verfügte und
auf Syntagma; Ref. 10,30,1. 5 auf Chronik; Ref. das auch Irenäus noch unbekannt war. Dieses ver-
10,32,4 auf ‹De universo›) gesichert sein. Offenbar setzte ihn in die Lage, von einem neuen Ausgangs-
ist das erste Buch irgendwann einmal vom Rest punkt aus, d.  h. nicht erst mit Simon Magos,
des Werkes abgelöst worden, vermutlich um als ei- ­sondern mit den angeblich älteren Naassenern
genständige Einführung in die Philosophie zu die- ­beginnend, unter Verwendung von bedeutenden
nen. In dieser Weise ist es im arabischen Raum Originaltexten «das Labyrinth der Häresien»
von Ps.-Ammonios benutzt worden (Rudolph (Ref. 10,5,1) zu entwirren (Marcovich 1986 [*1173:
1989 [*1247]). Dass Origenes unmöglich dessen 32–38, 45–51]; vgl. Mansfeld 1992 [*1254: 321f.]).
Autor sein kann, wurde schon im letzten Drittel Und er tut dies im großen Stil, indem er sehr aus-
des 17. Jahrhunderts erkannt. Jüngst ist versucht führlich die philosophischen Quellen, die ver-
worden, die Verfasserschaft neu zu bestimmen. meintlich den gnostischen Systemen zugrunde lie-
Ducœur 2011 [*1295] möchte eine doppelte Re- gen, dokumentiert. Nicht weniger leitet ihn aber
daktion annehmen, eine Grundschrift des römi- bei der neu aufgenommenen Arbeit die Absicht,
schen Hippolyt sowie eine tiefgehende Umarbei- auf der Ziellinie seines Werkes mit seinem Erz-
tung durch den orientalischen Hippolyt; Castelli, feind Kallist, den er als letzten Nachfolger der hä-
in Magris 2012 [*1189: 45f.], möchte die Möglich- retischen, auf Heraklit basierenden Verirrungen
keit offen halten, dass ein anderer Dritter, ein eines Noëtos diffamiert, persönlich abzurechnen
stadtrömischer Schismatiker, der Autor gewesen (zurückhaltender Löhr 2011 [*1296: 39 Anm. 34]).
sein könnte; Bracht 2014 [*1307: 28–33] plädiert Wenn die ‹Refutatio› infolge ihrer enzyklopä­
dafür, die ‹Refutatio› (wie auch die ‹Traditio apo- dischen Breite den Anschein stupender Gelehr-
stolica›) ganz aus dem Komplex der Hippolyt- samkeit vermittelt, so liegt das zweifellos in der
Schriften herauszunehmen und sie einem ansons- Intention Hippolyts, der sich seinem von ihm auch
ten unbekannten römischen Bischof zuzuweisen. intellektuell gering geschätzten Rivalen gegen-
Das Werk weist einen dreiteiligen Aufbau auf über als Vertreter der theologischen Wissenschaft
(siehe das Programm in Ref. 1 praef. 6–10 und die und der allgemeinen Bildung empfehlen möchte.
Dispositionsangabe in Ref. 10,6,1). Die Bücher Bei den φιλομαθεῖς («Lernbegierigen»), an die
1–4 stellen die paganen Lehrsysteme vor: Buch 1 sich das Werk richtet, soll das seine werbende
behandelt die griechische Philosophie; in den ver- Kraft entfalten (Norelli 1999 [*1268], Löhr 2011
lorenen Büchern 2 und 3 dürften die paganen Mys- [*1296: 40]). Aus Ref. 9,12,26 geht hervor, dass das
terien thematisiert worden sein, und in Buch 4 Werk nach dem Tod Kallists, also nach 222 ver-
geht es um Astrologie und Magie. Die Bücher 5–9 fasst worden ist (vgl. zum Ganzen noch Mores-
behandeln sodann die Lehren der Häretiker, be- chini 2012 [*1303]).

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 903

‹De resurrectione ad Mamaeam weise ist es diese Schrift, die auf der Hippolyt-
imperatricem› Statue mit der Inschrift περὶ θεοῦ καὶ σαρκὸς
‹Über die Auferstehung an Kaiserin ἀναστα­σέως und bei Hieronymus mit dem Titel
Mamaea› (CPG 1900) ‹De resurrectione› (Hier. Vir. ill. 61) gemeint ist.
Sie dürfte auf Veranlassung der am Christentum
Erhalten haben sich von der Abhandlung nur interessierten Kaiserin, die auch Kontakte zu
sechs kurze syrische und drei noch kürzere grie- Origenes aufnahm, entstanden sein. Hippolyt be-
chische Fragmente, denen der Titel mit der Wid- handelt darin Fragen des Auferstehungsglaubens
mung an die Kaiserin-Mutter – und damit auch der Christen unter Bezug auf einschlägige Pau-
die Datierung – zu entnehmen sind. Möglicher- lus-Stellen.

3. Chronographische Schriften

‹Demonstratio temporum Paschatis› Teil erhalten, aber es existieren drei unabhängig


(kurz auch ‹De Pascha› genannt) voneinander entstandene vollständige lateinische
Ἀπόδειξις χρόνων τοῦ Πάσχα καὶ τὰ ἐν τῷ Übersetzungen (eine davon sehr wörtlich), nebst
πίνακι – ‹Darstellung der Pascha-Chrono­ einer armenischen und einer georgischen Version,
logie nebst Tabellen› (CPG 1895) die eine Rekonstruktion gestatten. Fragmenta-
risch wie die Überlieferung ist, ist das Werk ano-
Eusebios (Hist. eccl. 6,22, danach Hier. Vir. ill. nym auf uns gekommen, den Titel jedoch hat die
61) führt dieselbe Schrift unter dem Titel Περὶ τοῦ griechische Handschrift bewahrt. Auf diese
Πάσχα an und erwähnt, dass sie eine Chronologie Schrift wird offensichtlich in Ref. 10,30,1. 5. 7 zu-
und einen 16-jährigen Osterkanon enthielt, der rückverwiesen, und sie dürfte auch auf der Hippo-
mit dem ersten Regierungsjahr des Kaisers Alex- lyt-Statue unter dem Titel Xρονικῶν [sc. βιβλία]
ander (222) beginnt. Die Ausführungen zur Chro- gemeint sein. Das spricht für Hippolyts Autor-
nologie im Ganzen sind verloren, aber die Tabelle schaft. Auf chronologische Gemeinsamkeiten mit
des 112-jährigen Osterfestzyklus (zur Berechnung Hippolyts ‹Daniel-Kommentar› und mit seinem
Richard 1966 [*1210], Scholten 1991 [*1253: Kommentar zum ‹Hohelied› weist Richard 1968
509ff.]) ist auf der Hippolyt-Statue erhalten, wo [*1211: 541] hin. Diese Beobachtungen erachtet in-
auch am Rand eine Tabelle mit den Hauptdaten dessen die italienische Forschergruppe als nicht
der Chronologie eingemeißelt ist. Dort ist der län- gewichtig genug, um nicht doch die ‹Chronik› dem
gere Titel bezeugt, die Notiz καὶ τὰ ἐν τῷ πίνακι Exegeten Hippolyt abzusprechen und sie dem rö-
bezieht sich auf diesen tabellarischen Teil (zum mischen Polyhistor Hippolyt zuzuweisen (Simo-
Ganzen vgl. Richard 1950/1951 [*1205]). Dass Eu- netti 1989 [*1249: 124f.], und zuletzt erneut Simo-
sebios und Hieronymus noch ein zweites Mal netti 2009 [*1289: 157f. Anm. 4]). Aus diesem
einen Titel Περὶ τοῦ Πάσχα aufzählen, wird man Kreis scherte jüngst Andrei 2006 [*1277] und 2007
wahrscheinlich so zu verstehen haben, dass es sich [*1280] aus. Sie trennt den Verfasser, auf den
um verschiedene Schriften handelte. ebenso wie die ‹Chronik› auch ‹De Pascha› zu-
rückgeht, vom römischen Autor der ‹Refutatio›
und sieht in ihm wegen der massiven exegetischen
‹Chronicon› Fundierung und wegen der Dominanz der Logos-
Συναγωγὴ χρόνων καὶ ἐτῶν ἀπὸ κτίσεως lehre den Exegeten des ‹Daniel-Kommentars›
κόσμου ἕως τῆς ἐνεστώσης ἡμέρας – ‹Zu­ (Andrei 2006 [*1277: 140–144]). Interessanter-
sammenstellung der Zeiten und Jahre seit weise sieht sie sich aber veranlasst, innerhalb des
der Erschaffung der Welt bis zum gegen­ Werkes eine Argumentationsebene dem römi-
wärtigen Tag› (kurz ‹Chronik›; Chron.; schen Autor vorzubehalten, die der Exeget Hippo-
CPG 1896) lyt integriert habe (Andrei 2007 [*1280]). Wie
dem auch sei: Dass sich die Abfassung der ‹Chro-
Das Werk ist eine Universalchronik der Weltge- nik› über einen längeren Zeitraum erstreckt hat,
schichte von der Erschaffung der Welt an über ist an sich schon anzunehmen (so erklärt sich der
einen Zeitraum von 5738 Jahren bis zur Gegen- Rückverweis in Ref.), das letzte Datum der Veröf-
wart. Im griechischen Original ist nur der erste fentlichung, das mehrmals genannt wird, ist auf

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904 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

jeden Fall 234/35 (Richard 1968 [*1211: 540f.], Entfernungsbestimmungen innerhalb des Mittel-
Prinzivalli 2000 [*1272: 256]). meeres, eine Art Handbuch für die Schifffahrt,
Im Wesentlichen ist das chronologische Gerüst das über Küstenverläufe, Häfen, Trinkwasserstel-
der biblischen Geschichte entnommen. Durch drei len und anderes informiert (Chron. 240–613).
verschiedene Berechnungen (Chron. 654–717) Damit sind im Sinne der Organisation der ‹Chro-
wird die gegenwärtige Jahreszahl auf 5738 ermit- nik› – so die Interpretation von Andrei 2007
telt, womit für den Verfasser implizit gegeben ist, [*1280] – die Wege aufgezeigt, auf denen der
dass das für das Jahr 6000 erwartete Weltende christliche Glaube kraft der Wirksamkeit des Lo-
noch weit entfernt ist. Eine Intention des Autors gos-Christus sich über die Welt hin ausbreiten
könnte auch hier die Dämpfung akuter apokalyp- kann und die verlorene Einheit der Menschheit in
tischer Endzeitstimmungen gewesen sein (Helm der versammelten Kirche wiedererlangt wird
1955 [*1164: XI], doch mit Recht kritisch Löhr (Chron. 687; 691f.; 717).
2009 [*1288: 542–551]). Der erste große Einschnitt Das in der ‹Chronik› verarbeitete Material ist
der Weltgeschichte seit Adam liegt bei Noah außerordentlich vielfältig (vgl. Scholten 1991
(Chron. 33ff.), darauf folgen der ‘Diamerismos’, [*1253: 508f.]). Die Chronographie des Julius Af-
d. h. die geographische Aufteilung der Erde nach ricanus war Hippolyt bekannt, aber wie Andrei
den drei Söhnen Noahs Sem, Japhet und Ham 2006 [*1277] zeigt, hat er sie revidiert, indem er
gemäß Gen. 10, und die ethnographische Aufzäh- der chronologischen Dimension die universale
lung nach 72 Sprachen gemäß Gen. 11 (Chron. 44– geographische hinzufügte. Auf kritische Bezug-
239). Ein weiteres wichtiges Bauelement der nahmen zu Kelsos macht ebenfalls Andrei 2007
‹Chronik› ist der anschließende ‘Stadiasmos’, d. h. [*1280: 242–250, 271] aufmerksam.

4. Verschiedenes

‹Traditio apostolica› unter dem Titel Ὁμιλία Ἱππολύτου εἰς τὴν αἵρεσιν
‹Apostolische Überlieferung› (CPG 1737) Νοητοῦ τινός (‹Predigt des Hippolyt gegen die Irr-
lehre eines gewissen Noëtos›). Das Werk ist keine
Auf der Hippolyt-Statue findet sich die Angabe Homilie; es ist auch nicht der ursprüngliche Ab-
Περὶ χαρισμάτων, ἀποστολικὴ παράδοσις (‹Über schluss des ‹Syntagma›, wie man früher seit Fabri-
die Gnadengaben, Apostolische Überlieferung›). cius (PG 10) in Anknüpfung an Photios (Bibl. cod.
Ob damit eine einzige Schrift gemeint ist oder 121, 94a) geglaubt hat, sondern eine eigenständige
zwei verschiedene, lässt sich nicht sicher entschei- Schrift (Butterworth 1977 [*1171: 33, 94ff.], der je-
den. Dass Hippolyt über kirchenrechtliche Fragen doch für eine Homilie plädiert; Scholten 1991
geschrieben hat, wird eindeutig durch Hier. Ep. [*1253: 497f., 501f.]). Die ersten acht Kapitel wer-
71,6 bezeugt, aber ob bzw. inwieweit die aus latei- den ohne Quellenangabe bereits von Epiphanios
nischen, koptischen, arabischen und äthiopischen (Haer. 57) und längere Passagen aus dem zweiten
Übersetzungen rekonstruierte Fassung der ‹Tradi- Teil in stark abweichender Textgestalt unter Na-
tio apostolica› ein Dokument Hippolyts ist, wird mensnennung Hippolyts, aber bei falscher Titelan-
mit zunehmender Zurückhaltung beurteilt (Mark- gabe von Theodoret und Gelasius überliefert. Im
schies 1999 [*1267]). Stil einer popularisierten Diatribe führt der erste
Teil (Kap. 1–8) die Widerlegung der modalisti-
schen Irrlehre durch, die Anhänger des Noëtos in
‹Contra Noëtum› Rom verbreitet haben; dem folgt im zweiten Teil
‹Gegen Noëtos› (CPG 1902) (Kap. 9–18) eine Demonstration der Wahrheit
(Butterworth 1977 [*1171]). Indessen sind die dog-
Überlieferungsgeschichtlich stellt ‹Contra Noë­ mengeschichtlichen (weniger die stilistischen) Be-
tum› im Komplex der Hippolyt-Schriften einen denken gegen eine Datierung der Schrift zu Be-
Sonderfall dar. Während in den Werkverzeichnis- ginn des 3. Jahrhunderts so gravierend, dass sie
sen und in den früheren Bezeugungen ein solcher hier außer Betracht bleiben muss. Auch wenn eine
Titel nicht belegt ist, findet sich in einem mono- genuine Schrift Hippolyts für ‹Contra Noëtum›
physitischen Sammel-Codex des 12. Jahrhunderts zugrunde gelegen haben mag, ist das Ergebnis
(Vaticanus gr. 1431 mit zwei Abschriften) ein Text doch unübersehbar eine Neukomposition, die im

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 905
zweiten Teil apollinaristisches Gedankengepräge nichts bekannt. Aber die Thematik ist im Schluss-
verrät und im ersten Teil die Position Markells von abschnitt von Ref. 10,33,8f. angesprochen, wo sie
Ankyra im Visier hat (Richard 1968 [*1211: 533] gegen den gnostischen Dualismus gerichtet ist:
und 1974–1975 [*1216], Hübner 1989 [*1245: «Der Schöpfergott hat das Böse nicht gemacht,
220ff.], Frickel 1993 [*1258]). noch macht er es, sondern das Schöne und Gute
[sc. macht er], denn gut ist der, der schafft. […] Der
Mensch aber bringt, weil er frei ist, das Böse her-
Περὶ τἀγαθοῦ καὶ ποθὲν τὸ κακόν vor, das akzidentiell geschieht, aber nichts ist,
‹Über das Gute und woher das Böse wenn man es nicht tut».
stammt›

Von einer Schrift Hippolyts unter diesem nur


auf der Hippolyt-Statue genannten Titel ist sonst

3. LEHRE

1. Doxographie. – 2. Weltzeitalter-Lehre.

1. Doxographie

Umfassender als Irenäus, als dessen Sachwalter er sich sieht (Ref. 6,42,1. 55,2),
will Hippolyt wirklich alle von der in seinem Sinn katholischen Norm abweichen-
den Häresien bekämpfen. In breiter Front richtet er deshalb seine Polemik nicht
nur auf alle Varianten des mythisch-spekulativen Gnostizismus, auf Markion und
alle Anhänger der Markioniten, sondern spart in seiner Ketzerbestreitung auch
Judenchristen, Enkratiten und Montanisten nicht aus und zielt zuletzt noch auf
seinen persönlichen Gegner, Kallist und die Modalisten. Aber Hippolyt führt die-
sen Kampf nicht, indem er deren Lehrmeinungen sachlich widerlegt, sondern
indem er nachzuweisen sucht, dass sie, statt sich auf die Heilige Schrift und die
authentische Tradition zu stützen, ihre Theorien aus verschiedenen Quellen paga-
ner Völker übernommen haben, in erster Linie aus der griechischen Philosophie,
aber auch aus ägyptischen Mysterien, aus chaldäischer Astrologie und babyloni-
scher Magie (Ref. 1 praef. 8; 1,26,4). Ihm geht es ausschließlich darum, den Dieb-
stahl, den die Häretiker begangen haben und den sie geheim halten wollen, auf-
zudecken. Schon den Nachweis des betrügerischen und pervertierenden Plagiats
erachtet er zur Diskreditierung der Häretiker als hinreichend; einen christlichen
Hintergrund haben sie für ihn nicht (Ref. 5,6,2; zum Ganzen vgl. Koschorke 1975
[*1217: 25–32, 76f.], Pouderon 2011 [*1300]).
Um sein Programm ausführen zu können, stellt Hippolyt im ersten Buch der
‹Refutatio› allem, was folgt, eine in sich abgeschlossene doxographische Einfüh-
rung in die griechische Philosophie voran. Die Präsentation der verschiedenen

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906 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

philosophischen Lehren ist nach der traditionellen Dreiteilung der Philosophie


gegliedert. Unter der Rubrik Physik (§§ 1–16) werden die Naturphilosophen, Tha-
les, Pythagoras, Empedokles, Heraklit, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras,
Archelaos, Parmenides, Leukipp, Demokrit, Xenophanes, Ekphantos und Hip-
pon behandelt, unter der Rubrik Ethik (§§ 17ff.) Sokrates und Platon, der freilich
alle drei Teile der Philosophie verbunden habe, und unter der Rubrik Dialektik
(§§ 20f.) Aristoteles und die Stoiker (in Ref. 1 capitulatio 5; 1,20,7. 21,1 werden
Chrysipp und Zenon namentlich genannt). Angeschlossen werden daran Vertre-
ter, die nicht recht in das Schema passen: Epikur (§ 22), die Akademiker (§ 23),
Brahmanen (§ 24), Druiden (§ 25) und Hesiod (§ 26). Indessen benutzt Hippolyt
noch ein anderes, aus Diogenes Laertios bekanntes Gliederungsschema der Philo­
sophiegeschichte, das nach Sukzessionen (διαδοχαί) geordnet ist. Er nennt aus-
drücklich Pythagoras als den Begründer der italischen Linie (§ 2,1; § 3,3); sie
werde, was eine zumindest ungewöhnliche Zuordnung ist, von seinen Nachfolgern
Empedokles und Heraklit fortgeführt (§ 3f.). Die von Thales ausgehende ionische
Linie – Hippolyt bezeichnet diese einfach mit οἱ μετὰ Θαλῆν, und Thales nennt
er «den Milesier» (§ 5) – setzt sich mit Anaximander bis zu Archelaos fort (§ 10).
Eher verwirrt und zerstückelt mutet die mit Parmenides einsetzende Sequenz an,
sie entspricht aber bis hin zu Demokrit der sonst geläufigen eleatischen Linie
(§ 11ff.), wohingegen die letzten drei Naturphilosophen, Xenophanes, Ekphantos
und Hippon, von Hippolyt als gewissermaßen proto-skeptische und atomistische
Nachfolger des Demokrit gewertet werden (Mansfeld 1992 [*1254: 27–43], Muel-
ler 1992 [*1256: 4357–4371]). Was die Bestimmung der hier von Hippolyt benut-
zen Vorlagen betrifft, meinte Diels 1879 [*1200: 145], in diesem Buch zwei Quel-
lenstränge erkennen zu können, ein mageres biographisches Kompendium von
Sukzessionen und ein gehaltvolleres, letztlich auf Theophrast zurückgehendes
Kompendium der doxographischen Meinungen. Die neuere Forschung ist dage-
gen zur Überzeugung gelangt, dass Hippolyt nicht nur zwei, sondern mehrere und
weniger scharf profilierte Quellen benutzt hat, die letztlich mit Ps.-Plutarch bzw.
Aëtios verwandt gewesen sein mögen (Mansfeld 1992 [*1254: 6–19]). Auf einem
anderen Blatt steht, ob dieser Abriss mit den Verkürzungen, Auslassungen, Un-
genauigkeiten und auch Fehlinformationen, die er enthält, seinen Zweck, als Ein-
führung in die griechische Philosophie zu dienen, erfüllen konnte (kritisch in Hin-
blick auf den Abschnitt zu Platon Alt 1997 [*1265: 83–89]).
Erstaunlich ist nun im weiteren Verlauf des Werkes, dass dort, wo die Plagiats-
theorie entfaltet werden soll (in Ref. 5–9), so gut wie kein Gebrauch von der do-
xographischen Einführung in Buch 1 gemacht wird, sondern ein ganz anderes Bild
der griechischen Philosophiegeschichte vermittelt wird. Von den in der Einfüh-
rung genannten Namen kehren überhaupt nur acht wieder: Pythagoras, dessen
Zahlenlehre Ausgangspunkt für Simon Magos und Valentinus gewesen sei (Ref.
4,51,3. 9); Thales, der ganz kurz neben die Naassener gestellt wird (Ref. 5,9,13);
Heraklit und Empedokles, die Simon ebenfalls ausgeplündert habe (Ref. 6,9,3.
11,1); dann Pythagoras und Platon zusammen, denen Valentinus seine Lehre ent-
nommen habe (Ref. 6,21,1ff. 28,1. 29,1); Aristoteles, den Basileides plagiiert habe
(Ref. 7,14,1. 19,9. 24,1); Empedokles, auf den Markion zurückgehe (Ref. 7,29,2.

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 907

30,1. 31,1); noch einmal Pythagoras, von dem Monoïmos seine Lehre hergeleitet
habe (Ref. 8,15,3); weiter Sokrates, den Hermogenes beraubt habe (Ref. 8,17,2);
sowie schließlich Heraklit, von dem Noëtos abhängig sei (Ref. 9,8,1. 10,8; neu hin-
zugekommen sind in Ref. 5,4. 20,4 Musaios, Linos und Orpheus, welche die Vor-
lagen für die Sethianer waren; die Stoiker, die Ref. 9,27,3 neben Pythagoras – noch
einmal dieser Philosoph! – stehen, passen nicht in das Plagiatsschema, auch Tha-
les in Ref. 9,17,2 nicht, wo er in einer Reihe mit Pythagoras, Thales, Solon und Pla-
ton neben Elchasai steht). Alle genannten Philosophen (mit Ausnahme von Tha-
les, Sokrates und den Stoikern) werden nun in den Büchern 5 bis 9 erneut
vorgestellt in mehr oder weniger ausführlichen Passagen, die doxographische Re-
ferate, zum Teil auch biographische Notizen nebst wörtlichen Zitaten und Para-
phrasen enthalten (von Diels 1879 [*1200] nicht berücksichtigt), aber nach diesen
Ausführungen erscheinen sie nun alle in der Traditionslinie des Pythagoras.
Platon, der nach Ref. 1,18 über Sokrates in die ionische Sukzession gehörte, ist
nun nach Ref. 6,21–28 in die Nachfolge des Pythagoras, den er in allem nach-
ahmte, eingetreten. War dort die gängige mittelplatonische Drei-Prinzipien-Lehre
(Gott, Ideen, Materie) für ihn kennzeichnend (Ref. 1,19,1), so ist es jetzt die py-
thagoreische Lehre von den Prinzipien Monas und Dyas und den gezeugten Zah-
len bis zur Dekas, was an Numenios erinnert (Ref. 6,23,1ff.; vgl. Longo 2011
[*1297]). Die platonische Hauptlehre von den zwei Welten, dem κόσμος νοητός
(«intelligible Welt») und dem κόσμος αἰσθητός («sinnlich wahrnehmbare Welt»),
die im ersten Buch überhaupt nicht erwähnt wurde, gilt hier als identisch mit den
pythagoreischen Prinzipien Monas und Tetraktys plus Jota (Ref. 6,24,1). Weitere
Besonderheiten ließen sich nennen, wo Hippolyt, seinen Quellen folgend, pytha-
goreische Ansichten Platon zuschreibt (vgl. Mansfeld 1992 [*1254: 50, 165–207,
299], Alt 1997 [*1265: 91–101]). Von den anderen Philosophen gilt Ähnliches. Was
Aristoteles betrifft, so gehören beide Einträge, in Ref. 1,20 und Ref. 7,15–19,8,
sachlich zusammen. Aristoteles ist in Hippolyts Darstellung zwar kein in der
Wolle gefärbter Pythagoreer; ausdrücklich ist schon in Ref. 1,20,3 festgehalten,
dass er in der Seelenlehre von Platon, und das heißt von der pythagoreischen Po-
sition, nämlich der Seelenwanderungslehre, abweicht. Aber sonst tut Hippolyt
alles, um ihn mit der pythagoreischen Traditionslinie konform erscheinen zu las-
sen, stimme er doch in den meisten Punkten mit Platon überein (Ref. 1,20,3). Er
wird an erster Stelle als strenger Logiker gewürdigt. Wenn Hippolyt im Rahmen
der zehn aristotelischen Kategorien (Ref. 1,20,1) ausführlich Aristoteles’ Dihai-
rese der Substanz in systematisierender Interpretation nach mittelplatonischen
Vorgaben bespricht (Ref. 7,15–18), so ist erhellend, dass ihm zufolge die zehn Ka-
tegorien Pythagoreern zuzuschreiben sind (Ref. 6,24,2). Entsprechend lassen sich
für seine Darstellung der Lehre von den Gegensätzen auch pythagoreische Paral-
lelen aufzeigen (vgl. weiterführend Mansfeld 1992 [*1254: 57–152], der mit Recht
gegen Osborne 1987 [*1236: 35–67] betont, dass Hippolyt seine Informationen
nicht direkt aus eigener Aristoteles-Lektüre bezogen hat, sondern aus sekundären
Quellen – auch dort, wo er Werktitel nennt: ‹Physica›, ‹Metaphysica› mit der Got-
tesbestimmung νόησις νοησέως, «Denken des Denkens», dann ‹De anima› mit
der Definition der Seele als Entelechie, dazu Bos 2000 [*1270], und schließlich

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908 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

‹Ethica› und ‹Categoriae›, Ref. 7,19,4–8. 20,5; Mansfeld 1992 [*1254: 150]). Was
Empedokles betrifft, so war es schon vor Hippolyt gängige Tradition, dass er in
einem Schülerverhältnis zu Pythagoras stand, und Hippolyt hat es seinerseits
gleich im ersten Buch wiederholt und mit der ihnen beiden gemeinsamen Seelen-
wanderungslehre begründet (Ref. 1,3,3). In Ref. 7,29–31 steht dann Empedokles’
Welterklärung ganz im Vordergrund, wonach unter den im Ganzen sechs Elemen-
ten die beiden demiurgischen Kräfte, Liebe und Streit, die entscheidende Bedeu-
tung für die Entstehung des Kosmos haben, und zwar Liebe interpretiert als das
Eine und die Einheit, als Gott, Streit als die geschaffene Vielfalt. Es ist nun wie-
derum bezeichnend, dass Hippolyt die beiden für Empedokles konstitutiven kos-
mischen Kräfte, Liebe und Streit, im Abschnitt zu Pythagoras genau in dieser In-
terpretation als pythagoreisch reklamiert (Ref. 6,25,1–4; vgl. Mansfeld 1992
[*1254: 209ff.]; Hershbell 1973 [*1215: 110–113] denkt an peripatetische Beeinflus-
sung). Ein weiteres Indiz für diese Sicht ist Hippolyts Interpretation von Empe-
dokles’ Musenanruf (Ref. 7,31,3f.). Dass die von Empedokles angerufene Muse
eine dritte vermittelnde Potenz neben Liebe und Streit sei, eine Kraft, die verbin-
det und zur Harmonie bringt, was durch Streit zertrennt war, das findet auch in
neupythagoreischen Texten einen Niederschlag (vgl. Mansfeld 1992 [*1254: 221–
226], Longo 2011 [*1297]; Hershbell 1973 [*1215: 195ff.] denkt an einen stoischen
Hintergrund, vgl. dagegen Scholten 1991 [*1253: 517]). Was schließlich Heraklit
betrifft, so gehört auch er nach Hippolyts Verständnis in Pythagoras’ Schulnach-
folge; denn ausdrücklich ist vermerkt, dass er ungefähr so wie Empedokles lehrte
(Ref. 1,4,2), und implizit ist er als Vermittler pythagoreischer Lehren an die Stoi-
ker veranschlagt (Ref. 9,10,6 mit Ref. 1,21,3f.; vgl. Mansfeld 1992 [*1254: 238f.]).
Was Schüler und Lehrer verbindet, ist demnach die dualistische, pessimistische
Weltsicht, die bei Heraklit freilich zur Lehre der Einheit der Gegensätze abgemil-
dert ist (Ref. 9,8,1–10,5, dazu Mansfeld 1992 [*1254: 290]), und eine bestimmte
Jenseitserwartung, die zwar keine Seelenwanderungslehre kennt, aber auf der An-
nahme von zyklischen Weltperioden beruht, die in stoisch-christlicher Reinter-
pretation als Lehre von der Ekpyrosis bzw. der Auferstehung und des Jüngsten
Gerichts erscheint (Ref. 9,10,6ff.; zur literarischen Struktur des Abschnittes Ref.
9,8–10 vgl. Mouraviev 1992 [*1255]; zum Ganzen Mansfeld 1992 [*1254: 231–242]).
Insgesamt, und das gilt für alle Darstellungen Hippolyts zum Thema, darf nicht
unterschätzt werden, dass sich die Berichte der philosophiegeschichtlichen und
der häresiologischen Sachverhalte wechselseitig bedingen. Wenn Hippolyt sein
Konzept des Plagiats durchführen wollte, musste er beide Seiten, die Plagiatoren
wie ihre Opfer, aufeinander abstimmen. Er musste aus seinem Material auswäh-
len, es bestimmten Namen zuordnen und entsprechend platzieren. Dieses repro-
duziert er, soweit sich erkennen lässt, oftmals zuverlässig, aber ebenso fühlte er
sich frei, seine Vorlagen umzustellen, zu verkürzen oder zu erweitern und inter-
pretierend neu zu gestalten, je nach dem wie es seine antihäretischen Zwecke er-
forderten (Scholten 1991 [*1253: 512f.], Mansfeld 1992 [*1254: 325], Bertrand 2000
[*1269: 798], zum Wert seiner Vorlagen Scholten 1991 [*1253: 521f.]). Dass es dabei
auch zu Verzerrungen auf beiden Seiten kommen kann, sei nicht verschwiegen
(beispielsweise wird beim Paar Empedokles – Markion um der konstruierten Ent-

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 909

sprechung willen Markion eine historisch unzutreffende Variante der Zwei-Göt-


ter-Lehre und Empedokles ein ebenso unzutreffendes Verbot der Zeugung von
Nachkommen zugeschrieben: Ref. 7,29,1. 22).
Noch ein drittes Mal in der ‹Refutatio› kommt die Sprache auf die griechische
Philosophie, und zwar im letzten Buch in der Epitome aller Philosophen (Ref.
10,6f.), wo Hippolyt mit einer kurzen Zusammenfassung aller behandelten Leh-
ren zum «Beweis der Wahrheit», d. h. zum Erweis der rechtgläubigen christlichen
Lehre, überleiten möchte. Hier werden nun, anders als in der Einführung in die
Philosophie in Buch 1 und in den Gegenüberstellungen der Plagiatsanklagen in
Buch 5 bis 9, divergierende Positionen verschiedenster Philosophen zur Naturphi-
losophie einfach thesenhaft gegeneinander gestellt. Die meisten doxographischen
Sätze sind anonym; die Namen, die gegen Ende genannt werden, haben mit den
früheren Aufzählungen nichts zu tun (nur der letzte Satz zu Platon, Ref. 10,7,7, ist
eine paraphrasierende Wiederholung von Ref. 1,19,1f.). Diese Durchsicht verfolgt
allein das Ziel, nach skeptischer Art und Weise die Widersprüche der philosophi-
schen Meinungen zu den naturphilosophischen Prinzipien untereinander zu de-
monstrieren und zu zeigen, dass bei ihnen die Wahrheit nicht zu finden ist. Hip-
polyt hat diesen Abschnitt denn auch wörtlich aus einer skeptischen Quelle,
nämlich aus S. Emp. Adv. math. 10,310–318, übernommen (zu Janáček 1959
[*1206] vgl. Mansfeld 1992 [*1254: 318f.]).
Damit stellt sich die Frage, wie Hippolyt über Herkunft und Wahrheitsgehalt
der griechischen Philosophie gedacht hat. In einem Fragment aus ‹De universo›
spitzt er das Problem – ohne häresiologischen Kontext – auf die Beurteilung Pla-
tons zu, des Repräsentanten der griechischen Philosophie schlechthin, der unter
allen Griechen als der gottesfürchtigste und wahrste gilt, und es erweist sich nach
seiner Ansicht, dass Platon Gott und seine Schöpfung zu erkennen verfehlt habe.
Mit Blick auf Tim. 28c bemerkt er, dass er Platons Mutmaßung, es sei unmöglich
zu allen Menschen von Gott zu sprechen, weil er ewig sei und kein Werden kenne,
gutheiße. Er wirft Platon aber vor, dass er sich bei seinen Erklärungen dazu, wie
Solon berichte (vgl. Tim. 20d–22b, auch Ref. 6,22,1), auf das Hörensagen beim
ägyptischen Priester verlassen habe und nicht nach der Herkunft von dessen un-
vollkommenem Wissen – und das heißt: nicht nach der authentischen Wahrheit –
geforscht habe, vielmehr, was er gehört habe, hochmütig und selbstgefällig seinen
Schülern als seine eigene Erkenntnis weitergegeben habe (Castelli 2005 [*1275:
46–49]). Mit anderen Worten, Hippolyt attestiert Platon eine richtige Ausgangs-
position, die eigentlich mehr eine Ausgangsfrage hätte sein müssen. Aber Platon
sei eine Erklärung schuldig geblieben, wohingegen Hippolyt selbst, gestützt auf
die älteste, die biblisch-christliche Tradition, im zweiten Teil der Schrift dies zu
leisten beansprucht (Castelli 2011 [*1294: 32–43]). Bemerkenswert ist an dieser
Passage noch, dass auch Hippolyt den Grundsatz, das höhere Alter versichere die
Nähe zur Wahrheit, teilt, dass er aber die verbreitete apologetische Vorstellung,
die Griechen hätten ihre Erkenntnisse bei Mose bzw. aus den biblischen Schrif-
ten entwendet, hier nicht nur nicht aufnimmt, sondern geradezu ausschließt. Denn
das macht er ja Platon gerade zum Vorwurf, dass er nicht bei Mose in die Schule
gegangen ist (Norelli 2011 [*1299: 248–252]; ganz ähnlich bei Lact. Inst. 4,2,4).

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910 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

In der ‹Refutatio› liegt Hippolyts Beurteilung der griechischen Philosophie auf


derselben Linie. Auch hier sind für ihn die Philosophen im Ergebnis diejenigen, die
Gott nicht erkannt haben (Ref. 1,26,3). Sie haben versucht, eine natürliche Erkennt-
nis von Gott zu gewinnen, indem sie von der Physiologie des Alls auf die erste Ur-
sache zurückschließen wollten, aber dieser Weg hat sich für sie als nicht gangbar
erwiesen (Ref. 10,8). Ergriffen von der Größe der Schöpfung, haben sie die Schöp-
fung selbst für göttlich gehalten oder Teile der Schöpfung an die Stelle des Schöp-
fers gesetzt (Ref. 1,26,3; 4,43,1f.; 10,32,5). Deshalb konnten sie über das Wesen und
die Eigenschaften Gottes zu keiner Klarheit und zu keiner Übereinstimmung kom-
men (Ref. 4,43,1f.; 10,6f.), sondern sind grundsätzlich in Irrtümern befangen (Ref.
5,6,2; 10,32,5). Neben dieser Erklärung kennt Hippolyt auch die These, die bei phi-
losophisch Gebildeten der Zeit häufiger anzutreffen ist, dass die Philosophie ihren
Anfang bei den Barbaren genommen habe (vgl. Magris 2012 [*1189: 86 Anm. 58]).
Mehrmals sagt er von Pythagoras, dass er Schüler bei ägyptischen Priestern gewe-
sen sei und bei ihnen vor allem die Lehre von den Zahlen und Maßen gelernt habe,
ebenso seien Demokrit, Solon und Platon dort mit der ägyptischen Weisheit be-
kannt geworden (Ref. 1,2,18. 13,1; 6,21,3; 9,17,2). Aber auch nach dieser Version ist
den Griechen die Wahrheit fremd geblieben, und dass sie ihre Lehren von Mose
hergeleitet hätten, behauptet Hippolyt auch hier nicht. Nur einmal scheint dieses
Motiv in einer eingesprengten Notiz anzuklingen, wo in einem Referat zur Vorstel-
lung der Auferstehung bei den Essenern die stoische Lehre des künftigen Gerich-
tes und des Weltenbrandes in christlicher Reinterpretation auf biblische Wurzeln
zurückgeführt wird (Ref. 9,27,2f.; dazu Castelli 2011 [*1294: 62–66]). Doch grund-
sätzlich sieht er die Griechen nicht so nahe bei der biblischen Tradition. Trotz die-
ser klar geäußerten restriktiven Einstellung gegenüber der griechischen Philoso-
phie ist Hippolyt gleichwohl in der Lage, am Anfang seines Werkes zu versichern,
man dürfe die Lehren der Philosophen nicht missachten; auch wenn sie inkonsis-
tent seien, seien sie doch glaubwürdiger, seien sie älter und Gottes würdiger als die
der Häretiker (Ref. 1 praef. 1. 8f.). Und anerkennend nennt er Pythagoras und Pla-
ton weise (Ref. 9,17,2) und gesteht zu, dass Platon immerhin den Mythos einer un-
gewordenen Materie besser ausgearbeitet habe als Hermogenes (Ref. 8,17,2). Ins-
gesamt gewinnt man den Eindruck, dass Hippolyt im Vergleich mit seiner radikalen
Ablehnung der Häresien eine begrenzt positive Einschätzung der Philosophie ver-
tritt, die um einige Nuancen freundlicher ist als das, was Irenäus in Haer. 2,14,1–7
gesagt hatte (Löhr 2011 [*1296: 33–37]; weniger günstig Richard 1968 [*1211: 545]).
Das hängt offenbar damit zusammen, dass er die Absicht verfolgt, das Christentum
positiv in Beziehung mit den großen Diskursen der philosophischen Tradition zu
setzen. Norelli 2011 [*1299] hat darauf hingewiesen, dass der systematische Abriss
der christlichen Lehre am Ende des letzten Buches (Ref. 10,32–34), weit davon ent-
fernt, ein bloß abschließender Annex zu sein, den Verständnisschlüssel für das
Werk und darüber hinaus für das gesamte intellektuelle Projekt Hippolyts bereit-
hält. Diese kurze Darstellung ist mehrmals mit Wendungen wie ἀπόδειξις τοῦ περὶ
ἀληθείας λόγου («Darlegung der Rede über die Wahrheit») oder ὁ περὶ τὸ θεῖον
ἀληθὴς λόγος («die wahre Rede über das Göttliche») angekündigt (Ref. 9,17,4; 10,4.
5,1f. 6,1. 31,6. 34,1), was an Kelsos’ antichristliche Streitschrift erinnert (Magris

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 911

2012 [*1189: 333 Anm. 2]), und Hippolyt entfaltet sein Programm, das er mit der
Fragestellung, was das Göttliche und was seine wohlgeordnete Schöpfung ist (Ref.
10,31,6, wieder aufgenommen in Ref. 10,34,2), exponiert, indem er seine Skizze an
den philosophischen Leitbegriffen der αἰτίαι («Ursachen») bzw. der ἀρχαί («Prin-
zipien») orientiert (Ref. 10,32,2. 4f.; 10,33,2, dazu Norelli 2011 [*1299: 238–243]).
Was er inhaltlich dazu ausführt, entspricht im Großen und Ganzen der mit philo-
sophischem Material arbeitenden Theologie der Apologeten, wobei Irenäus’ Ge-
danke der Rekapitulation ebenfalls aufgenommen ist (vgl. die Zusammenfassung
bei Richard 1968 [*1211: 546–568] und Marcovich 1986 [*1235: 385f.]), und den krö-
nenden Abschluss bildet die Umdeutung des delphisch-sokratischen Spruchs «Er-
kenne dich selbst» im Sinne der Vergöttlichung des Menschen (Ref. 10,34,4f.). Das
Entscheidende für Hippolyts universale Sicht der Kulturgeschichte ist nun jedoch,
dass die Fundamentalfragen nach den Ursachen und Prinzipien der Wirklichkeit
im Ganzen, die in der griechischen Philosophie sehr treffend artikuliert werden,
nirgendwo korrekt beantwortet worden sind – weder bei den Philosophen selbst
noch bei den von ihnen abhängigen Häresien, weder in den polytheistischen Mys-
terienreligionen noch in Astrologie und Magie, weil überall dort sekundäre Ursa-
chen an Stelle der Erstursache gesetzt werden und damit die grundlegende Diffe-
renz von Schöpfer und Geschöpf missachtet werde. In diesem Horizont will
offenbar Hippolyt die christliche Offenbarung, die auf den Logos Gottes selbst zu-
rückgeht und deren Wahrheit der Rekurs auf den Altersbeweis noch einmal ver-
bürgen soll (Ref. 10,30f.), als die wahre Antwort auf die in der Philosophie gestell-
ten Fragen präsentieren (Norelli 2011 [*1298: 20] und 2011 [*1299: 247]).

2. Weltzeitalter-Lehre

In gewissem Sinn kann Hippolyt als der Begründer der christlichen Weltzeital-
ter-Lehre gelten, die dank der Vermittlung durch lateinische Übersetzungen und
Hieronymus’ Adaptionen bis ins Mittelalter und noch darüber hinaus gewirkt hat.
Vorgegeben waren Hippolyt jüdische Hexaëmeron-Spekulationen zur Siebener-
Struktur der Schöpfungsordnung, wie sie etwa bei Aristobulos Mitte des 2. Jahr-
hunderts v. Chr. greifbar werden, sowie das apokalyptische Schöpfungswochen-
Schema, das der ihm sicher bekannte ‹Barnabasbrief› unter den sogenannten
Apostolischen Vätern vertreten hat (Barn. 15,3–8), wonach gemäß Ps. 89,4 ein
Schöpfungstag für 1000 Jahre steht und die gesamte Weltdauer demnach 7000 Jahre
beträgt. Und natürlich bezieht sich Hippolyt auch direkt auf die apokalyptischen
Bibeltexte aus dem Danielbuch (in erster Linie Dan. 2,2–14: Nebukadnezars Traum-
vision von der Statue aus vier verschiedenen Stoffen; Dan. 7,2–14: Daniels Traum-
gesicht von den vier Tieren; Dan. 9,24–27: Deutung einer Weissagung Jeremias über
70 Jahrwochen durch den Erzengel Gabriel an Daniel) und schließlich auf die Jo-
hannesapokalypse (Apc. 20,1–6: die Vision über das tausendjährige Reich).
Erstmals spricht Hippolyt diesen Gedankenkomplex in seiner Schrift über den
Antichrist an, wo es ihm darum geht, die Gestalt des Antichristen und sein Wirken
aufgrund prophetischer Vorherverkündigungen als genaues Zerrbild Christi zu

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912 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

erweisen (Bracht 2014 [*1307: 357–368], Rizzi 2015 [*1308]). Schon dieser Deutung
sollte eine lange Nachwirkung beschieden sein, doch größte Bedeutung hat seine
Version der Abfolge der danielischen vier Weltreiche erlangt. In der Zusammen-
sicht von Dan. 2 und Dan. 7 verändert er die Abfolge der Reiche Babylon, Medien,
Persien, Hellas dahingehend, dass unter Auslassung von Medien bzw. Gleichset-
zung von Medien und Persien (Antichr. 24; 28) am Ende als viertes Reich das rö-
mische Imperium steht. Dieses – Rom, das neue Babylon (Antichr. 36–41, mit Apc.
17,1–18,19) – ist das letzte, danach kommen nur noch die Endkatastrophen und das
Heil für die Gläubigen (Antichr. 25; vgl. Ios. Ant. Jud. 10,10,4. 11,7; 4. Esr. 12,10–
30; Syr. Baruch 39,3–5; dazu Bracht 2014 [*1307: 336–342]). Chronologische Be-
rechnungen stellt Hippolyt hier noch nicht auf, nur die Dauer des Auftretens der
letzten Zeugen, Henoch und Elias, gibt er nach Apc. 11,3 mit einer halben Jahrwo-
che von 1260 Tagen an (Antichr. 43; 47). In seinem nur wenig später entstandenen
‹Daniel-Kommentar› greift er dann weiter aus. Hier wiederholt er die Theorie der
vier Weltreiche (In Dan. 4,2–5; Jahresangaben in 4,3,4f. 4,1. 24,7), mit Rom als dem
letzten Reich, das er in verächtlichen Zügen als Vorläufer des Reiches des Anti-
christs darstellt (Dunbar 1983 [*1232: 319–322], Bracht 2014 [*1307: 343f.]), aber er
erweitert jetzt den Rahmen auf die gesamte Weltendauer, indem er das Schöp-
fungswochen-Schema neu hinzufügt, wonach die Erstreckung von der Erschaffung
der Welt bis zum Weltende insgesamt 7000 Jahre beträgt und das letzte Jahrtau-
send (in kaum noch chiliastischer Form gedeutet) die 1000-jährige Herrschaft
Christi mit den Heiligen sein wird (In Dan. 4,23,4ff.). Der achte Tag wäre dann der
Tag Gottes, mit dem eine neue Welt anhebt. Um in dieses zeitliche Koordinaten-
system die Erscheinung Christi einzuordnen, benutzt Hippolyt einerseits typolo-
gische Deutungen der Maße der Bundeslade (In Dan. 4,24,1–3 mit Ex. 25,10f.) und
der ‹sechsten Stunde› des Verhörs Jesu (In Dan. 4,24,5 mit Ioh. 19,14), die auf das
Jahr 5500 für die Geburt Christi führen, und andererseits legt er Daniels Berech-
nungen der 70 Jahrwochen in Dan. 9,24ff. zugrunde, die von der Verkündigung Je-
remias bis zur Geburt Christi 69 Jahrwochen bzw. von der Rückkehr des Volkes
Israel aus dem Exil bis zur Geburt Christi 62 Jahrwochen = 434 Jahre ergeben (In
Dan. 4,30,3–35,3). Umgerechnet in Kaiserjahre fällt demnach die Geburt Christi
in das 42. Jahr der Herrschaft des Augustus (In Dan. 4,23,2f.; zu den textkritischen
Problemen vgl. Bracht 2014 [*1307: 320–328]). Für die eigene Gegenwart zur Zeit
der Abfassung des ‹Daniel-Kommentars› bedeutet das, dass von den 500 Jahren
zwischen dem ersten Erscheinen Christi und seiner Wiederkunft gerade einmal
202/204 Jahre vergangen sind, dass mithin die Endereignisse noch weit entfernt
sind und eine erregte Naherwartung jeglicher Begründung entbehrt. In diesem
Nachweis ist Hippolyts praktisches Anliegen zu sehen. Obwohl er beteuert, dass
es nicht legitim ist, das Ende berechnen zu wollen (In Dan. 4,16,1–6 mit Mt. 24,42
und Act. 1,6ff.), sieht er sich dennoch aus seelsorgerlicher Verpflichtung «gezwun-
gen zu sagen, was nicht erlaubt ist» (In Dan. 4,23,1). Er entwirft ein voll ausgestal-
tetes Szenario der im strengen Sinn als historisches Geschehen aufgefassten End­
ereignisse, weil er fehlgeleiteten Verirrungen, wie sie jüngst in Pontus und Syrien
geschehen seien (In Dan. 4,18f., zum montanistischen Hintergrund vgl. Bracht 2014
[*1307: 302–309]), ganz grundsätzlich entgegentreten will. Als Julius Africanus

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§ 95. Hippolyt von Rom (Bibl. 1090–1095) 913

etwas später die erste christliche Weltchronik schrieb, übernahm er von Hippolyt
das Grundgerüst des Schöpfungswochen-Schemas mit dem Jahresdatum für die
Geburt Christi im Jahr 5500 (Julius Africanus Chron. T92 p. 275 Wallraff; vgl. An-
drei 2006 [*1277]). Diese Arbeit jedoch genügte offenbar Hippolyts Ansprüchen
nicht, und er schrieb nun seinerseits eine eigene Chronik. Er hielt an dem Geburts-
datum Christi fest (doch vgl. Helm 1955 [*1164: XXVf. Anm. 3] sowie Richard 1950
[*1205: 239–257]), aber seine Berechnungen stützte er jetzt, mehr im Einklang mit
der Gattung einer Chronik, auf die biblische Chronographie, auf die Zählung der
Passafeiern und auf die Olympiadenzählung (Chronik 193–196 Helm). Program-
matisch teilt er im Vorwort mit, er wolle aus den Heiligen Schriften eine Zurüstung
zur Polymathie bieten, damit durch sorgfältige Ausarbeitung der Untersuchungen
zur Wahrheit die Unwissenheit, die zu Streit führt, ausgerottet werde (Chron. 19f.).
Damit stellt er sein Vorhaben unter das Leitkonzept des Bildungswissens (vgl. auch
φιλομαθῶς, «lernbegierig»: Chron. 20), unter dem der Gedanke der Einheit der
Weltgeschichte in der Verschränkung von chronologischer und geographischer Di-
mension erstmals seinen Ausdruck finden und auf dessen Hintergrund die Wahr-
heit ihre Frieden stiftende Kraft erweisen soll (Andrei 2007 [*1280]).

4. NACHWIRKUNG

Über die Problematik, die aus der Überlieferungslage hinsichtlich der Person
und des Werkes von Hippolyt erwächst, ist im Vorangehenden mehrmals gespro-
chen worden. Schon am Ende des 3. Jahrhunderts war die Kenntnis über ihn nicht
mehr ungetrübt, und was Eusebios und Hieronymus mitteilen, ist lückenhaft und
nicht in jeder Hinsicht eindeutig, so dass die Zuschreibung bestimmter Werke
schon früh schwankend werden konnte und seinem Namen auch unechte Werke
untergeschoben wurden (CPG 1910–1925; 4611; 4681; 1741f.), während anderer-
seits sehr vieles verloren ging. Eine historisch seit der Antike aufbereitete Skizze
der «Hippolyt-Frage» bietet Cerrato 2002 [*1273: 3–123]. Außerdem wurde seit
der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts das historische Wissen, soweit es noch ver-
fügbar war, durch eine stetig wachsende Legendenbildung hagiographischer und
liturgischer Art überlagert (Scholten 1991 [*1253: 534–549], Saxer 1993 [*1259:
632–635]). Angesichts dieser Situation kann von einer geschlossenen und voll um-
fänglichen Nachwirkung des authentischen Werkes und seiner Lehrgehalte nicht
die Rede sein, nur punktuell, dann aber nachhaltig, gingen weiterreichende Aus-
wirkungen aus. Einzelne Schriften, besonders exegetische Werke, haben eine be-
achtliche Rezeption erfahren (Scholten 1991 [*1253: 533f.]). Ebenso ist sein chro-
nologisches Material immer wieder verwendet und neu bearbeitet worden.
Grundlegende Impulse gingen von ihm auf die Fixierung gewisser dogmatischer
Topoi aus, wie etwa die Antichrist-Theorie, die Systematisierung der eschatologi-
schen Ereignisabfolge und die Weltzeitalter-Lehre, welche die Idee der «trans­latio
imperii» nach sich ziehen sollte (Rizzi 2015 [*1308]). Man wird in diesem Zusam-
menhang auch die kirchenrechtliche Thematik nennen müssen. Philosophie­
geschichtlich ist der erwähnte Sachverhalt bemerkenswert, dass das erste Buch

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914 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

der ‹Refutatio› in der handschriftlichen Tradition vom Rest des Werkes abgetrennt
wurde, um unter dem Titel ‹Philosophoumena› als doxographische Einführung in
die Philosophie zu dienen.

§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus

Marc-Aeilko Aris

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Wenn auch das in 31 Schriften erhaltene literarische Wirken des Tertullian mit
Sicherheit auf das Ende des 2. und den Beginn des 3. Jahrhunderts datiert werden
kann, sind seine Lebensdaten gleichwohl nur zu erschließen. Zuverlässig sind nur
die wenigen eindeutigen zeithistorischen Bezüge in seinen Schriften, aus denen
sich der Zeitraum zwischen 197 und 212 ergibt (Barnes 1971 [*1402: 32–38]). Von
diesen sicheren Daten ausgehend, wird in der Forschung mehrheitlich angenom-
men, dass er um 160 (abweichend Barnes 1971 [*1402: 58]: Datierung um 170) ver-
mutlich als Sohn eines Konsularbeamten in Karthago geboren wurde und dort
eine römisch geprägte Erziehung und rhetorische Ausbildung genoss. Etwa 195
wurde er Christ und begann im Dienst seiner christlichen Überzeugung seine um-
fassende literarische Tätigkeit, die ihrerseits aber von Mustern der klassischen an-
tiken Rhetorik geprägt war. Die darüber hinausgehenden biographischen Anga-
ben, die aus Hieronymus’ ‹De viris illustribus› 53,1–5 und Eusebios’ ‹Historia
ecclesiastica› 2,2,4 geschlossen wurden, dass nämlich Tertullians Vater Centurio
gewesen sei, er selbst zunächst ausgebildeter Jurist, dann Presbyter in der christ-
lichen Gemeinde und schließlich als Montanist schismatisch geworden sei, werden
in der neueren Forschung im Anschluss an Barnes nicht aufrechterhalten. Wie aus
seinen innerchristlichen Schriften hervorgeht, war er zwar gewiss eine intellektu-
elle Führungsfigur in der Gemeinde, hat aber wohl kein Amt bekleidet. Seine
Hinwendung zum Montanismus ab ca. 203 wird neuerdings in der Forschung
­weniger als die Abkehr von der Großkirche verstanden, sondern vielmehr als
­Ausdruck eines zunehmenden innerkirchlichen Rigorismus gedeutet, der in der
montanistischen Überzeugung seine geistige Heimat fand. Sein mehrheitlich an-
genommenes Todesdatum um 220 ergibt sich aus der Vermutung, dass einige
­seiner Werke nach der sicher in das Jahr 212 datierbaren Schrift ‹Ad Scapulam›
entstanden sind.

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§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus (Bibl. 1095–1102) 915

2. WERKE

Eine Chronologie der Werke Tertullians ist trotz – ‹Über die Seele›), sei es um Tendenzen in der
einzelner Hinweise auf zeitgeschichtliche Um- christlichen Gemeinde zu bekämpfen, die Tertul-
stände und die gelegentliche Bezugnahme auf frü- lian als häretisch beurteilt (‹De carne Christi› –
here oder spätere Schriften nicht mit Sicherheit re- ‹Über das Fleisch Christi›; ‹De resurrectione mor-
konstruierbar. Thematisch beziehungsweise adres- tuorum› – ‹Über die Auferstehung der Toten›).
satenbezogen lassen sich die 31 erhaltenen Werke Im Aufbau der meisten seiner Schriften folgt
in drei Gruppen einteilen: apologetische, diszipli- Tertullian, wie erst in jüngerer Zeit durch die De-
näre und antihäretische Schriften. Dabei wenden tailanalyse einzelner Texte erwiesen wurde, den
sich die apologetischen Schriften (‹Ad nationes› – Prinzipien der an der Gerichtsrede (genus iudi-
‹An die Heiden›; ‹Apologeticum› – ‹Apologeti- ciale) orientierten spätantiken Rhetorik (Dunn
kum›; ‹De testimonio animae› – ‹Über das Zeugnis 2004 [*1406: 25–29]). Die intrinsische Systematik
der Seele›; ‹Ad Scapulam› – ‹An Scapula›; ‹De pal- seiner Texte wird daher weniger von dem jeweili-
lio› – ‹Über den Philosophenmantel›) an ein nicht- gen Problem als vielmehr vom strukturellen Auf-
christliches Publikum mit dem Ziel, einerseits die bau einer Rede bestimmt, die dazu dient, das
Inkriminierung des christlichen Bekenntnisses ab- durch die Adressierung literarisch imaginierte Ge-
zuwehren und andererseits die Leistungsfähigkeit richt zu einem angemessenen Urteil zu bewegen
der christlichen Wirklichkeitsdeutung gegenüber (in Bezug auf ‹Adversus Iudaeos› vgl. Dunn 2008
philosophischen Lehren zu erweisen. Die diszipli- [*1481: 40–57]). Philosophisch relevant sind dabei
nären Schriften dagegen betreffen Fragen der Le- die Schriften, die entweder intentional direkt an
bensform und Lebensführung in der christlichen die pagane Umwelt gerichtet sind (‹Apologeticum›
Gemeinde, indem sie die Bereitschaft zum Marty- – ‹Verteidigung [sc. des Christentums]›; ‹De testi-
rium (‹Ad martyras› – ‹An die Märtyrer›; ‹De fuga monio animae› – ‹Über das Zeugnis der Seele›)
in persecutione› – ‹Über die Flucht in der Verfol- oder formal antike rhetorische Muster aufgreifen,
gung›; ‹Scorpiace› – ‹Arznei gegen den Skorpion­ um mit den Mitteln der geltenden philosophischen
stich›), das Verhältnis der Christen zum öffentlichen Argumentationspraxis die christliche Weltdeutung
Leben (‹De spectaculis› – ‹Über die Schauspiele›; zu etablieren (z. B. ‹Adversus Praxean› – ‹Gegen
‹De idololatria› – ‹Über die Götzenanbetung›; ‹De Praxeas›; ‹De pallio› – ‹Über den Philosophenman-
corona› – ‹Über den Kranz›), die kirchliche tel›), oder sachlich Themenstellungen wählen, die
Bußpraxis und -spiritualität (‹De paenitentia› – mit Fragestellungen der zeitgenössischen Philoso-
‹Über Buße›; ‹De pudicitia› – ‹Über Keuschheit›), phie konvergieren (‹De anima› – ‹Über die Seele›).
das Eheverständnis (‹Ad uxorem› – ‹An die Gat- Von einzelnen, dem Zusammenhang der konkre-
tin›; ‹De exhortatione castitatis› – ‹Über die Er- ten Argumentation geschuldeten Allusionen an an-
mahnung zur Züchtigkeit›; ‹De monogamia› – tike literarische Texte abgesehen, zeigen die
‹Über die Einehe›), die spirituelle und liturgische Schriften Tertullians in der Verbindung von philo-
Praxis (‹De baptismo› – ‹Über die Taufe›; ‹De ora- sophischer Argumentation, literarischer Kontextu-
tione› – ‹Über das Gebet›; ‹De patientia› – ‹Über alisierung, rhetorischer Strukturierung und Publi-
die Geduld›; ‹De ieiunio adversus psychicos› – kumsorientierung vor allem Bezüge zur Zweiten
‹Über Fasten, gegen die fleischlich Gesinnten [Psy- Sophistik, wie sie etwa durch seinen um ca. 40
chiker]›) und die Rolle der Frau in der Gemeinde Jahre älteren Landsmann Apuleius repräsentiert
(‹De virginibus velandis› – ‹Über die Verhüllung wird. Wie etwa an ‹De pallio› nachgewiesen wer-
von Jungfrauen›; ‹De cultu feminarum› – ‹Über den den kann, übernimmt Tertullian das auktoriale
Putz der Frauen›) behandeln. Die antihäretischen Identitätsmuster und den literarischen Gestus der
Schriften dagegen thematisieren in erster Linie rhetorischen Sophisten seiner Zeit (Barnes 1976
doktrinelle Fragen, sei es um die kirchliche Posi- [*1506: 13–19]). Er unterscheidet sich aber von die-
tion theoretisch zu klären (‹Adversus Iudaeos› – sen dadurch, dass er stärker der klassischen foren-
‹Gegen die Juden›; ‹De praescriptione haeretico- sischen Rhetorik und damit der Ernsthaftigkeit
rum› – ‹Über den prinzipiellen Einspruch gegen die des jeweiligen rhetorischen Anlasses verpflichtet
Häretiker›), sei es um die Auffassungen einzelner ist und den Unterhaltungswert rhetorischer Dekla-
Häretiker bzw. häretischer Gruppen zu widerlegen mationsübungen ablehnt (Dunn 2008 [*1481: 36–
(‹Adversus Hermogenem› – ‹Gegen Hermogenes›; 38]). Wenn Tertullian zu seiner Zeit geltende rheto-
‹Adversus Marcionem› – ‹Gegen Markion›; ‹Ad- rische Muster rezipiert und sich durch Zitate aus
versus Valentianos› – ‹Gegen die Valentinianer›; der antiken Literatur in einen von Bildungseliten
‹Adversus Praxean› – ‹Gegen Praxeas›; ‹De anima› bestimmten literarischen Diskurs einschreibt, ist

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916 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

das daher nicht als literarästhetische Profilierung Christen zu seiner Zeit überlebensnotwendigen
zu verstehen, sondern als Bestandteil einer für Überzeugungsstrategie.

3. LEHRE

Für die Entwicklung einer lateinischen Terminologie zur Darstellung philo­


sophisch-theologischer Sachverhalte kommt Tertullian als dem ersten christlichen
Theologen, der in lateinischer Sprache schreibt, eine entscheidende Bedeutung
zu. Die zahlreichen, vor allem durch die Übertragung griechischer Termini ange-
regten Neologismen (vgl. auch Demmel 1944 [*1420]) bestimmen in der Folge das
theologische Fachvokabular der patristischen Literatur. Insbesondere die gegen
den modalistischen Monarchianisten Praxeas gerichteten trinitätstheologischen
Klärungen bestimmen durch die Einführung des Persona-Begriffs zur Distink-
tion von Gott-Vater und Gott-Sohn sowie durch die Verwendung der Bezeichnung
‘trinitas’ die nachfolgende doktrinelle Entfaltung der christlichen Gotteslehre
(Sieben 2001 [*1385: 73]). In seiner philosophischen Terminologie dagegen zeigt
sich Tertullian eher von der Tradition der stoischen Philosophie bestimmt, die ihm
nachweislich durch die Werke Ciceros und Senecas vertraut ist. Das gilt insbeson-
dere auch für den Begriff ‘philosophia’ selbst. In Pall. 6,2 beschreibt er ‘philoso-
phia’ als den Inbegriff des in den Artes liberales enthaltenen Wissens. Termino-
logisch grenzt Tertullian die von ihm vertretene Lehre konsequent vom Begriff
‘philosophia’ ab und erweckt damit im rhetorischen Gestus den Eindruck, sich
dem philosophischen Diskurs seiner Zeit grundsätzlich zu verweigern. Ihm ist je-
doch bewusst, dass die christliche Weltdeutung in der Außenwahrnehmung seiner
Zeitgenossen weniger als ein «divinum negotium», sondern mehr als ein «philo-
sophiae genus» angesehen wird (Apol. 46,2). Mit dem Terminus ‘philosophia’ be-
zeichnet Tertullian in diesem Kontext zusammenfassend sowohl die Ansichten
der ‘philosophi’ als auch die Personen selbst (Georges 2011 [*1367: 644]). Trotz
scheinbarer Übereinstimmung in der Tugendlehre sieht er sie, wie er mit den im
Folgenden herangezogenen Exempla aus der antiken Philosophiegeschichte (Tha-
les, Pythagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles, Diogenes, Speusipp u. a.) deutlich
macht, von den Christen durch fünf Merkmale unterschieden: 1) Sie begründen
ihre an der Tugendlehre orientierte Lebenspraxis durch menschliche Lehre («doc-
trina») und Weisung («dominatio»), führen sie aber nicht – wie die Christen – auf
Gott selbst zurück (Apol. 45,2); 2) sie haben trotz ihrer Polytheismuskritik an der
Kultpraxis bzw. religiös bestimmten sprachlichen Konventionen Anteil (Apol.
46,5); 3) ihr Wahrheitsinteresse ist dem publikumsorientierten, philosophisch un-
verbindlichen rhetorischen Register verpflichtet, während die Christen «necessa-
rio» («notwendigerweise») und «integre» («aufrichtig») nach der Wahrheit fragen
(Apol. 46,7); 4) ihre Gotteslehre («scientia») ist von einem grundsätzlich skepti-
schen Erkenntnisvorbehalt gegenüber dem Göttlichen bestimmt, während die
Christen aufgrund der Offenbarkeit Gottes eine affirmierende Theologie vertre-
ten (Apol. 46,8–9); 5) in ihrer Lebensführung («disciplina») weichen sie von ihrer
theoretisch gesicherten Tugendlehre ab, ohne die Bezeichnung ‘philosophi’ ein-

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§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus (Bibl. 1095–1102) 917

zubüßen, während Christen der «regula disciplinae» offensichtlich folgen bzw. im


Fall des Verstoßes aus der Gemeinschaft der Christen ausgeschlossen werden
(Apol. 46,10–17). Über diese Philosophenkritik hinaus stellt Tertullian die philo-
sophische Methode infrage, wenn er die aristotelische Dialektik in ihrem Verfah-
ren kritisiert (Praescr. 7,6) und mit dem Hinweis auf die Vielfalt philosophischer
Lehrmeinungen bestreitet, dass sie zu sicheren Ergebnissen führe (Apol. 47,6–8;
Anim. 3,1–3). Auch wenn Tertullian mit diesen anti-philosophischen Einwänden
weitgehend den Mustern der apologetischen Literatur folgt, unterläuft er sie
gleichwohl, wenn er im Anschluss an die stoische Philosophie die «regula fidei»
(Praescr. 13) als Kriterium der Urteilsbildung einführt, wenn er in seinem Natur-
rechts- und Gewissensverständnis stoische Konzeptionen aufgreift (Spanneut
1969 [*1431: 3–21]) und wenn er das christliche Gottesverständnis mit Hilfe phi-
losophischer Begriffe präzisiert (Osborn 1997 [*1469: 238–241]). Aufgrund sowohl
der Kritik als auch der Wertschätzung der Philosophie kann Tertullian die christ-
liche Weltdeutung in drei Hinsichten als die «melior philosophia» (Pall. 6,2) be-
zeichnen: 1) Das durch sie vermittelte Wissen ist vollständig (Nat. 2,2,4: «plena
atque perfecta sapientia»); 2) sie beschränkt sich nicht auf die Erkenntnismöglich-
keiten der natürlichen Vernunft, sondern erkennt ihren Gegenstand mit Hilfe der
absoluten Vernunft Gottes (Anim. 1,6: «sapientia de scola caeli», «Weisheit aus
der Schule des Himmels»; ähnlich Scorp. 9,1; 12,1); 3) sie ist urteilssicher im Um-
gang mit Erkenntnissen, die sie als unzureichend und vorläufig qualifiziert (Pall.
4,10: «sapientia quae vanissimis superstitionibus renuit», «die Weisheit, die dem
höchst eitlen Aberglauben widersagt»; Fredouille 1972 [*1403: 351–354]).
Auf dem Hintergrund dieses changierenden Verhältnisses zur ‘philosophia’
muss die philosophiehistorische Bedeutung des Tertullian erhoben werden. Sie
besteht nach dem übereinstimmenden Urteil der Forschung in der ausdrücklichen
Kritik antiker philosophischer Lehrmeinungen einerseits und der latenten Rezep-
tion antiker Philosopheme zur Entwicklung einer theologischen Systematik an-
dererseits. Auf dieser Grundlage entwickelt Tertullian eigenständige philoso-
phisch substantiierte Positionen in der Epistemologie, in der Gotteslehre, in der
Kosmogonie und in der Seelenlehre.
Tertullian präzisiert seine Auffassung in der Gotteslehre sowie in der Kosmo-
gonie überwiegend in der Auseinandersetzung mit den ‘ditheistischen’ Häresien
des Hermogenes und des Markion. Die von Tertullian referierte Behauptung des
Hermogenes, Gott habe weder aus sich selbst noch aus dem Nichts geschaffen,
sondern aus der gleichursprünglichen und gleichewigen Materie, der gegenüber
sich sein Gott- und Herrsein realisiere (Adv. Herm. 2,2), widerlegt Tertullian mit
zwei Argumenten: Eine durch diese Eigenschaften bestimmte Materie müsse als
‘Gott’ bezeichnet werden, so dass die Konsistenz des Gottesbegriffs, der die Ein-
zigkeit als Merkmal einschließe, gefährdet sei (Adv. Herm. 4,3), und ein Gott, der
diese Materie zur Schöpfung verwendet, müsse als auf diese notwendig angewie-
sen und damit als ihr gegenüber unfrei gedacht werden (Adv. Herm. 8,2). Demge-
genüber entwickelt Tertullian in seiner von Theophilos beeinflussten Auslegung
des Anfangs der ‹Genesis› auf der Grundlage einer der biblischen Weisheitslite-
ratur entlehnten Sophia-Christologie das Modell einer Kosmogonie aus dem

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918 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Nichts (Adv. Herm. 18,4), indem er eine dem platonischen ‹Timaios› entnommene
demiurgisch konzipierte Welterschaffung mit Hilfe einer Literalexegese vom
Wortlaut des biblischen Schöpfungsberichtes abgrenzt. Dabei differenziert er an-
hand des Bibeltextes zwischen anfanghaft-erstverursachten Hervorbringungen
und Entstehungsprozessen, die sich aus der Anlage des Erstverursachten ergeben
(Adv. Herm. 22,4). Die Frage, wie innerhalb dieses Modells einer Schöpfung aus
dem Nichts das Übel erklärt werden könne, beantwortet Tertullian mit dem Ver-
weis auf die ‘hominis condicio’ (Adv. Marc. 2,5,5), da Gott selbst als gut, voraus-
wissend und mit Blick auf die Verhinderung des Bösen wirkmächtig angenommen
werden müsse (Adv. Marc. 2,5,2: «bonus et praescius et potens»). Insofern aber im
Menschen genau der Umstand, dass er frei und zur freien Willensentscheidung
fähig ist, das ‘tertium comparationis’ seiner Gottebenbildlichkeit sei (Adv. Marc.
2,5,6), gibt es um der Offenbarkeit Gottes willen keine Alternative zur so be-
stimmten Verfassung des Menschen. Die Erkennbarkeit Gottes und die Erkennt-
nisfähigkeit des Menschen und die ‘condicio humana’ als Quelle der Gotteser-
kenntnis bestimmen sich daher wechselseitig (Adv. Marc. 2,6,3), selbst dann, wenn
die menschliche Freiheit den Ursprung des Übels darstellt. Die in der antiken Re-
ligiosität geläufige Vorstellung eines unbekannten Gottes weist Tertullian mit der
Begründung ab, dass die einem konsistenten Gottesbegriff inhärenten Merkmale
der Größe und Güte deren Erkennbarkeit einschlössen (Adv. Marc. 1,9,4). Damit
unterscheidet Tertullian zwei ursprüngliche Quellen der Gotteserkenntnis: die
Wirklichkeit des Geschaffenen, die auf den Schöpfer verweist (Adv. Marc. 1,10,1:
«a primordio rerum conditor earum cum ipsis pariter compertus est»), und die
Gotteserfahrung aufgrund der Verfassung des Menschen (Adv. Marc. 1,10,3: «ani-
mae enim a primordio conscientia dei dos est», «Denn die Erkenntnis Gottes, die
der Seele von Anfang an innewohnt, ist ein Geschenk Gottes»).
Die Unterscheidung zwischen der natürlichen Vernunft und der durch die Of-
fenbarung belehrten Vernunft zwingt Tertullian dazu, die Erkenntnismöglichkei-
ten der natürlichen Vernunft für den Fall präziser zu bestimmen, dass Gott der
Gegenstand der Erkenntnis sein soll. Im Anschluss an die pagane philosophische
Tradition unterscheidet Tertullian in Apol. 17,4 dazu zwei Erkenntnisquellen, «ex
operibus» («aus den Werken») und «ex testimonio animae» («aus dem Zeugnis der
Seele»; ähnlich Adv. Marc. 1,10,4: «totum hoc quod sumus et in quo sumus», «dies
alles, was wir sind und in dem wir sind»), die beide der biblischen Offenbarung als
Erkenntnisquelle zeitlich vorausliegen (Adv. Marc. 1,10).
Mit der Gotteserkenntnis «ex operibus» rekurriert Tertullian im Anschluss an
Resur. 1,20 und die apologetische Literatur (Spanneut 1957 [*1424: 280f.]) auf den
kosmologischen bzw. teleologischen Gottesbeweis, dessen Ausgangspunkt er über
dessen antike Formulierungen hinaus differenziert, indem er zwar mit Cicero (vgl.
z. B. Nat. 3,87–90) und Seneca (vgl. z. B. Nat. praef. 14–16) die sinnlich erfahrbare
Wirklichkeit als rational strukturierte und in dieser Strukturierung beständig er-
haltene Ordnung bestimmt, zusätzlich aber betont, dass sie auf die menschlichen
Affekte Wirkung ausübt («oblectamur»/«exterremur», «wir erfreuen uns»/«wir
erschrecken»: Apol. 17,4). Aus dem Sinneseindruck der geordneten und gesetz-
und zweckmäßig strukturierten Natur («spectaculum») erschließt Tertullian,

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§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus (Bibl. 1095–1102) 919

indem er die philosophischen Überlegungen theologisch differenziert, drei Be-


stimmungen des Göttlichen: 1) Gott hat als Schöpfer diese Ordnung der Natur be-
wirkt (Spect. 2: «Nemo negat, quia nemo ignorat, quod ultra natura suggerit, deum
esse universitatis conditorem eamque universitatem tam bonam quam homini
mancipatam», «Niemand leugnet – denn jeder weiss, was überdies die Natur na-
helegt –, dass Gott der Schöpfer des Weltalls ist und dass dieses sowohl gut als
auch dem Menschen zur Nutzung überlassen ist»). Dabei kann er sich keiner ihm
vorgegebenen Materie bedient haben, da diese ihn in seinem Handeln einge-
schränkt hätte, sondern die Hervorbringung der Schöpfung muss als «ex nihilo»
bewirkt gedacht werden (Adv. Hermog. 14,2: «Magis autem eum decuit ex volun-
tate fecisse quam ex necessitate, id est ex nihilo potius quam ex materia», «Es
ziemte sich indessen eher für ihn aufgrund seines Willens als aus Notwendigkeit
geschaffen zu haben, d. h. aus dem Nichts eher als aus Materie»; ähnlich Apol.
17,1; Resur. 11,6; Adv. Marc. 2,5,3; Rambaux 2005 [*1478: 23–26]). Da ein Ande-
res außer Gott damit ausgeschlossen ist, ergibt sich für Tertullian aus der ‘creatio
ex nihilo’ zugleich die Einzigkeit Gottes (Adv. Hermog. 4,3), die ihm zukommt,
insofern er als das «summum magnum» verstanden wird (Adv. Marc. 1,3,5), und
seine Ewigkeit (Adv. Hermog. 4,3; 11,2). 2) Gott erhält die von ihm geschaffene
Ordnung der Schöpfung zum Wohl des Menschen (Apol. 11,6; 17,4: «quibus con-
tinemur, quibus sustinemur», «durch die wir bewahrt, durch die wir erhalten wer-
den») und hat sie als Erkenntnisquelle auf den Menschen hingeordnet, so dass aus
Gottes Vorherwissen um seine künftige Erkennbarkeit im Medium der Schöpfung
und ihrer Gutheit zugleich seine Gutheit erkannt werden kann (Adv. Marc. 2,3,3:
«deus praesciebat, quid boni appariturum esset, et ideo in summam commisit bo-
nitatem, apparituri boni negotiatricem», «Gott wusste vorher, wie viel Gutes er-
scheinen sollte, und deshalb vertraute er es seiner sehr großen Güte an, das künf-
tige Erscheinen des Guten zu bewirken»). 3) Gott hat die natürliche Ordnung so
eingerichtet, dass in ihr Prozesse erkennbar werden, die als ständige Abfolge von
Vergehen und Wiedererstehen zu beschreiben (Apol. 48,8: «omnia pereundo ser-
vantur, omnia de interitu reformatur», «Alles wird bewahrt, indem es vergeht,
alles wird aus dem Untergang erneuert»; Resur. 12,1–6) und damit als Bild für die
Auferstehung zu verstehen sind (Resur. 12,7: «totus igitur hic ordo revolubilis
rerum testatio est resurrectionis mortuorum», «Folglich ist diese ganze kreisläu-
fige Ordnung der Dinge ein Beweis für die Wiederauferstehung der Toten»). In
der Annahme einer Auferstehung von den Toten sieht Tertullian zugleich die Be-
stimmung Gottes als eines Richters impliziert, insofern die «causa restitutionis»
(«Ursache für die Wiederherstellung»: Resur. 14,3) darin besteht, ihn nicht nur als
den Inbegriff des Guten, sondern auch als den Inbegriff des Gerechten zu erwei-
sen (Resur. 14,4). Diese Bestimmung Gottes als ‘Richter’ wird zudem durch das
«testimonium animae» nahegelegt, das sich in konventionellen Wendungen wie
«deus videt» («Gott sieht es»), «deo commendo» («Gott empfehle ich es») und
«deus mihi reddet» («Gott wird es mir vergelten») alltagssprachlich manifestiert
(Apol. 17,6; Test. anim. 2,6–7; Georges 2011 [*1367: 289f.]).
Die Gotteserkenntnis «ex testimonio animae» verbindet das antike consensus-
omnium-Argument (vgl. Cic. Tusc. 1,15,35; Nat. 1,1,2; Leg. 1,8,24) mit der stoi-

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920 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

schen Vorstellung von ‘notiones communes’ und geht in der von Tertullian vertre-
tenen Form auf die Konzeption der ‘theologia tripertita’ des Varro zurück (Nat.
2,1,9–10). Tertullian unterscheidet dabei den allgemeinen Sprachgebrauch von re-
ligiösen Konventionen, versteht aber beide als sprachliche Ausdrucksformen einer
ursprünglichen, kulturell noch nicht überformten Gotteserkenntnis (Test anim.
5,4–5), die der Offenbarungsreligion vorausgeht (Adv. Marc. 1,10,3: «Ante anima
quam prophetia. Animae enim a primordio conscientia dei dos est», «Die mensch-
liche Seele war früher als die Prophetie. Denn die Erkenntnis Gottes, die der Seele
von Anfang an innewohnt, ist ein Geschenk Gottes»; vgl. Resur. 3,1–2). Aufgrund
dieser Erkenntnispotenz, welche die Vernunft aus dem Zeugnis der ‘anima’ ge-
winnt, bezeichnet Tertullian die Seele als eine «anima naturaliter christiana»
(«eine natürlich christliche Seele»: Apol. 17,6). Die Bedeutung dieses Begriffs ist
nicht zuletzt aufgrund widersprüchlicher Aussagen im Œuvre Tertullians (Test.
anim. 1,7: «fieri enim non nasci solet Christiana [sc. anima]», «denn die christliche
Seele entsteht mit der Zeit, sie wird nicht geboren») in der Forschung umstritten
(Schneider 1991 [*1458], Georges 2011 [*1367: 290–292]). Im Vergleich mit sachlich
entsprechenden Bemerkungen in anderen Werken Tertullians (Scap. 2,1–2: «Nos
unum Deum colimus, quem omnes naturaliter nostis […]. Tamen humani iuris et
naturalis potestatis est unicuique quod putaverit colere», «Wir verehren einen ein-
zigen Gott, den ihr alle von Natur aus kennt […]. Dennoch gehört es für jeden zum
menschlichen Recht und zur natürlichen Freiheit, das zu verehren, was er für gut
hält»; Coron. 6,2: «Ipsum deum secundum naturam prius novimus, scilicet deum
appellantes deorum et bonum praesumentes et iudicem invocantes», «Gott lernen
wir zuerst durch die Natur kennen, wobei wir ihn Gott der Götter nennen, für gut
halten und als Richter anrufen») sowie aufgrund seiner Auffassung von der
menschlichen Seele ist die «anima naturaliter christiana» als das zwar durch die
Sünde deformierte, aber noch wirksame Gute anzusehen, das Gott, insofern er als
gut gedacht wird, der menschlichen Seele verliehen hat. Dieses Gute ist nach Anim.
41,1 «ursprünglich» («principale»), «göttlich» («divinum»), «wirklich» («germa-
num») und «im eigentlichen Sinne natürlich» («proprie naturale») und wird durch
den christlichen Glauben bzw. die Taufe in seiner Ursprünglichkeit und Naturali-
tät wiederhergestellt und ausdrücklich gemacht. Bezogen auf diese ursprüngliche
Ausstattung kann die Seele «naturaliter christiana» genannt werden und die
Grundlage dafür bieten, allgemein ein «ius humanum» auf Religion bzw. individu-
ell eine «naturalis potestas» zur Religionsausübung abzuleiten (Scap. 2,1–2).
Die dieser Auffassung inhärente Konzeption der menschlichen Seele entwickelt
Tertullian in der methodenkritischen Absetzung von der antiken philosophischen
Tradition (vgl. Anim. 1,1–3,3) und in Auseinandersetzung mit den häretischen
bzw. gnostischen Strömungen seiner Zeit. Zugleich bezieht er sich in seinen ein-
schlägigen Schriften auf sein verloren gegangenes, gegen Hermogenes gerichtetes
Werk ‹De censu animae› (‹Über die ursprüngliche Natur der Seele›). Darin hatte
Tertullian die Seele als aus dem Geist Gottes geschaffenen Hauch (Anim. 11,3:
«flatus factus ex spiritu dei») bestimmt (Waszink 1947 [*1330: 7*–14*]). Termino-
logisch grenzt er die Seele damit vom «spiritus dei» ab, als dessen Abbild sie ver-
standen werden muss (Adv. Marc. 2,9,3: «imago ergo spiritus flatus»), und unter-

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§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus (Bibl. 1095–1102) 921

scheidet sie gleichzeitig von der «materia», analog zu der Hermogenes sie versteht,
wenn er behauptet, die Seele sei dem Körper wie etwas Stoffliches hinzugefügt
worden (Anim. 1,1: «ex materiae suggestu», «aus materieller Substanz»; Waszink
1947 [*1330: 83]). Zugleich weist Tertullian mit dieser Definition die platonische
Auffassung zurück, die Seele sei ungeschaffen (Anim. 4,1; vgl. Plat. Phdr. 246a),
und lehnt die Annahme einer Präexistenz der Seele bzw. einer Seelenwanderung
ab (Anim. 28–35). Vielmehr bestimmt er auf dem Hintergrund seiner Auffassung
vom Ursprung der menschlichen Seele die Entstehung der individuellen Seele
analog zum Schöpfungsakt. Wie dieser im biblischen Bild als die Zusammenset-
zung von Lehm und dem Anhauch Gottes erscheine, so werden auch beim Zeu-
gungsakt im männlichen Samen zwei Substanzen, eine für die Seele und eine für
den Leib, übertragen, aus denen gleichursprünglich das menschliche Leben vom
Zeitpunkt der Empfängnis an bestehe. Daher beginne die Einheit von Seele und
Leib für das menschliche Individuum mit der Empfängnis, ohne dass ein zeitli-
ches Nacheinander einen Moment der Beseelung im embryonalen Zustand iso-
lierbar mache (Anim. 27,1–7). Tertullian folgt in ‹De anima› mit dem traduzianis-
tischen Modell dem medizinischen Lehrbuch des Soranos von Ephesos, dessen
Theorie es Tertullian ermöglicht, nicht nur jede Form der Metempsychose auszu-
schließen, sondern darüber hinaus die Einheit von Seele und Leib mit einem or-
ganologischen Modell zu begründen (Waszink 1947 [*1330: 342–348]). Die unter-
stellte Einheit von Seele und Leib im Moment der Empfängnis bestimmt ebenso
den weiteren Verlauf des Lebens, indem sich Seele und Leib in einem gleichzeitig
vollzogenen Wachstumsprozess entfalten, und endet mit dem Tod (Resur. 45,4–5).
Sachlich hält Tertullian dabei an der Vorstellung der Seele als einer geistigen We-
senheit fest (Alexandre 2001 [*1471: 235]), auch wenn ihm dadurch, dass er der
Seele eine «corpulentia» (Anim. 5,1) bzw. «corporalitas» (Anim. 7,1) zuschreibt,
schon aufgrund seiner Terminologie eine materialistische Seelenauffassung un-
terstellt wurde. Tertullian selbst räumt ein, dass die Bezeichnung «corpus» für die
Seele nur in einer bestimmten Hinsicht verwendet werden kann (Anim. 9,1: «cor-
pus propriae qualitatis et sui generis», «ein Körper spezifischer Qualität und von
eigener Art»), hält aber daran fest, ihr über die Vorstellung eines in den Lebens-
jahren vollzogenen Wachstums hinaus auch körperliche Eigenschaften zuzuschrei-
ben (Anim. 9,3–8), ohne diese Redeweise als anlog bzw. metaphorisch zu quali-
fizieren. Dass Tertullian die Bezeichnung «corporalitas» terminologisch konsistent
zur Bezeichnung von epistemisch unterscheidbarer, ontologischer Substantialität
verwendet, kann daraus deutlich werden, dass er auch die präexistent gedachte
Seele Christi (Carn. 11) und Gott, insofern er «spiritus» ist, als «corpus» bezeich-
nen kann (Adv. Prax. 7,8). Der Begriff «corpus» bezeichnet damit die Eigenschaft
von etwas, das als Subsistierendes Seiendes unterscheidbar macht (Carn. 11,4: «Si
habet aliquid, per quod est, hoc erit corpus eius. Omne, quod est, corpus est sui
generis», «Wenn sie [sc. die Seele] etwas hat, wodurch sie existiert, ist es eben ihre
Körperlichkeit. Alles was existiert, ist ein Körper in seiner eigenen Art»). Insofern
bezeichnet «corporalitas» in diesem Sinne den Selbstand der Seele, der nach
Tertullian aufgrund ihrer Einheit als erwiesen gelten kann. Diese Einheit der unter-
schiedlichen Erkenntnisvermögen der Seele («animus», «mens», «sensus») sichert

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922 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Tertullian, indem er sie als deren Funktionen («officium»), nicht aber als ontolo-
gisch wirksame Differenzierungen in verschiedene Substanzen versteht (Anim.
12,6), so dass eine hierarchische Ordnung der Seelenteile für ihn ebensowenig
denkbar ist (Anim. 15–16) wie eine zeitliche Folge nacheinander entstehender
Seelenfunktionen (Anim. 19–21) – «anima totum» («das Gesamte ist Seele»:
Anim. 17,5). Dass Tertullian darüber hinaus die mit dem Terminus «corpus» be-
zeichnete Substantialität der Seele in Gestalt von Zuschreibungen körperlicher
Eigenschaften konkretisiert, wird von ihm im ausdrücklichen Anschluss an Sora-
nos damit begründet, dass nur so die Wechselwirkungen zwischen köperlich bzw.
sinnenhaft vermittelten Eindrücken und körperlichen Zuständen auf der einen
Seite und der Seele auf der anderen Seite erklärt werden könnten (Anim. 6,6).
Den diesen Überlegungen zugrunde liegenden Begriff von «corporalitas» benutzt
Tertullian auch dann, wenn er die Bezeichnung «corpus» auf den Geist Gottes an-
wendet, insofern dieser in der Lage sei, mit seinem Geist Körperhaftes zu bewir-
ken (Adv. Prax. 7,7), und bezeichnet damit die Einheit der stofflichen Wirklich-
keit mit deren Ursachen bzw. Formprinzipien. Die starke Betonung der
«corporalitas» im Denken des Tertullian wird besser verständlich, wenn sie auf
dem Hintergrund seiner Abgrenzung von der griechischen Philosophie erklärt
wird, deren Abstraktions- und Schlussverfahren er in Anim. 2,2 als einen Verlust
der Konkretion begreift (vgl. Waszink 1947 [*1330: 101]; doch vgl. auch Mark-
schies 2016 [*238: 106ff.]). Insofern kann der Versuch des Tertullian, das antik-
philosophische Seelenverständnis unter den Bedingungen einer christlichen Wirk-
lichkeitssicht zu reformulieren, als ein bewusster Anschluss an Aristoteles
gewichtet werden, den er im Titel seines Hauptwerkes zur Seelenlehre auch zum
Ausdruck bringt (Alexandre 2001 [*1471: 228]).

4. NACHWIRKUNG

Die philosophische Nachwirkung Tertullians ist gering. Bis zum Ende des
4. Jahrhunderts wird er zwar in der patristisch-theologischen Literatur breit rezi-
piert, aber schon Augustinus kritisiert in Gn. litt. 10,25,41 die Inkonsistenz seines
Begriffs von «corporalitas». Hieronymus weist in ‹De viris illustribus› 53 zwar auf
die Verbreitung der Werke Tertullians hin, erwähnt aber mit dem Verweis auf
seine Hinwendung zum Montanismus nur die anti-kirchlichen Schriften mit der
Angabe des Titels. Im ‹Decretum Gelasianum› wird Tertullian unter die «Apo­
crypha» gerechnet, deren Lektüre zu meiden ist. Die handschriftliche Überliefe-
rung seiner Werke variiert zwar von Schrift zu Schrift, ist im Ganzen aber schma-
ler als bei anderen Autoren der Patristik, so dass seine Benutzung im lateinischen
Mittelalter nur vereinzelt nachweisbar ist. Seine Latinität dagegen prägt, vermit-
telt über die patristische Literatur, die Begrifflichkeit der theologischen Spekula-
tion. Erst bei Erasmus und Beatus Rhenanus findet Tertullian wieder größere Be-
achtung und gilt ihnen mit seiner anti-philosophischen Polemik und seinem
Entwurf einer christlichen Hermeneutik als ein Gewährsmann gegen die spätscho-
lastische, aristotelisch geprägte Theologie (D’Amico 1980 [*1520]). Um 1776 be-

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§ 96. Q. Septimius Florens Tertullianus (Bibl. 1095–1102) 923

zieht sich Lessing auf Tertullians theologische Erkenntnislehre und seinen Begriff
der «regula fidei», wenn er in der Auseinandersetzung mit Johann Melchior Goeze
und Christian Wilhelm Franz Walch die Auffassung ablehnt, die frühen Christen
hätten sich zur Formulierung ihres Glaubens vor allem auf den Bibeltext bezogen,
ohne diesen durch theologische Spekulation zu reformulieren, so dass er in Tertul-
lian den Beginn einer begrifflich verfahrenden systematischen Theologie erkennt.

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924 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

V. DAS ALEXANDRINISCHE CHRISTENTUM UND


SEIN WEITERES EINFLUSSGEBIET

§ 97. Überblick

Dietmar Wyrwa

Unter alexandrinischem Christentum (die Bezeichnung eingebürgert von Oul-


ton, Chadwick 1954 [*1538]) versteht man die besondere Ausprägung, die das in
Alexandrien vertretene Christentum an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert
angenommen hat. Diese Gestalt, zu unterscheiden von der hochkirchlichen alex-
andrinischen Theologie des 4. und 5. Jahrhunderts, muss vor dem Hintergrund
des spezifischen kulturellen Milieus der Bildungs- und Wissenschaftsmetropole
Alexandriens mit ihren globalen Wirtschafts- und Handelskontakten gesehen
werden. In der gegenwärtigen Forschung setzt sich mehr und mehr die Auffassung
durch, dass das Christentum schon früh in Alexandrien in judenchristlicher Aus-
prägung präsent war, dass es aber infolge des jüdischen Aufstandes der Jahre 115
bis 117 weitgehend dezimiert wurde. Während das Diasporajudentum Ägyptens
dabei so gut wie ganz ausgelöscht worden ist, konnte sich das Christentum auf hei-
denchristlicher Basis neu sammeln (Pearson 1986 [*1540: 149ff.], Modrzejewski
1995 [*1542: 207–231], Martin 2003 [*1546], Mimouni 2003 [*1547]). Die reiche
literarische Hinterlassenschaft des hellenistischen Judentums ist in diesem Ver-
lauf von den alexandrinischen Christen übernommen und weitertradiert worden,
und manche kirchlichen institutionellen Besonderheiten dürften auf ursprünglich
jüdische Gegebenheiten zurückweisen. Insgesamt muss die Entwicklung des
Christentums in dieser frühen Phase in vielfältiger Weise zu fruchtbarer geistiger
Vitalität und zu großer Aufgeschlossenheit gegenüber den literarischen und philo-
sophischen Bildungsangeboten vor Ort geführt haben, was auch auf Fremde attrak-
tiv wirkte. Man hat davon gesprochen, dass in Alexandrien «das Christentum von
Anfang an eine Religion der Gebildeten war, vielleicht sogar nur für Gebildete,
und erst im Zuge seiner Geschichte zu einer Religion auch für einfachere Leute
wurde» (Fürst 2007 [*1549: 11]). Innere Vielfalt blieb noch lange während der
Frühzeit das charakteristische Kennzeichen. Gnostische Gruppierungen – sie
mögen bisweilen eher den Charakter philosophischer Schulzirkel gehabt haben –
dürften in nennenswerter Zahl vertreten gewesen sein (Oulton, Chadwick 1954
[*1538: 21–33], Le Boulluec 2003 [*1545: 590ff.]; einschränkend Löhr 2013 [*1552]),
ohne dass die Trennungslinien zwischen Heterodoxie und Orthodoxie schon in
jedem Fall klar gezogen gewesen wären. Bei gnostischen Vertretern machte sich,
wie es scheint, zuerst ein verstärktes Interesse an exegetisch-philologischer Kom-
petenz (in Alexandrien seit jeher beheimatet) und an philosophischer Spekulation
bemerkbar, das bald weitere Kreise im kirchlichen Umfeld ziehen sollte. Auch auf
Nachrichten aus den Bereichen der Kultur- und Religionsgeschichte richtete sich
der umfassender gewordene, wenn auch stets kritisch prüfende Gesichtskreis

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§ 97. Überblick (Bibl. 1102) 925

(Stroumsa 1996 [*1543: 352–361], Le Boulluec 2003 [*1545: 589–598]). Den in sei-
ner Art unübertroffenen Höhepunkt aller dieser Strömungen stellen die beiden
klassischen Vertreter des alexandrinischen Christentums, Clemens und Origenes,
dar, obschon beide – aufschlussreich genug – zuletzt ihr Wirkungsfeld außerhalb
Alexandriens fanden.
Beide, Clemens und Origenes, sind als Lehrer an der sogenannten alexandri-
nischen Katechetenschule tätig gewesen (zu den Forschungskontroversen vgl. Le
Boulluec 2003 [*1545: 576–588, 601–608], Wyrwa 2005 [*1548: 280–305]), und
beide nahmen in ihrer Arbeit das gesamte Spektrum der bisherigen theologischen
Profilbildungen auf. Sie wollen der Gemeindetheologie gerecht werden und gleich-
zeitig die Ansätze der Apologeten weiterführen sowie spezifisch alexandrinische
Traditionen integrieren; sie stehen wie die sogenannten altkatholischen Väter in
der Abwehrfront gegen die Häresien und wollen doch bestimmte, in ihrer Emp-
findung berechtigte Anliegen der gnostischen Strömungen gelten lassen. Die Auf-
gabenstellung, an der sie arbeiten, ist dadurch noch komplexer geworden, dass ei-
nerseits intern von Seiten der Gemeindefrömmigkeit, von den «simpliciores»
(ἁπλούστεροι, «Einfacheren»), die absolute Genügsamkeit des schlichten Glau-
bens energisch eingefordert wird und andererseits von außen aktuell etwa durch
Galen, Mark Aurel und Kelsos, aber auch durch den Satiriker Lukian gravierende
philosophische Kritik am christlichen Glauben vorgebracht wird, die über die frü-
here diffuse Christenfeindschaft der paganen Öffentlichkeit hinausgeht. Was sie
als Lösung anstreben, liegt auf der Linie, dass sie den kirchlichen Glauben als sol-
chen epistemologisch rechtfertigen und seine soteriologische Vollgültigkeit be-
kräftigen, dass sie aber das Recht der theologisch-philosophischen Reflexion in
Anspruch nehmen und aus der rationalen Struktur des Glaubens selbst legitimie-
ren. Im Ergebnis führt das auf das als Denkform aus der Philosophie übernom-
mene Konzept eines stufenweise voranschreitenden Erkenntniswegs hin zur Über-
gipfelung des Glaubens durch eine kirchliche Gnosis. Substantiell ist diese nichts
anderes als der Gemeindeglaube, auf dem sie aufruht, aber sie ist die wissenschaft-
lich reflektierte und rational ergriffene Form, gewissermaßen die höhere, an die
platonische ἐπιστήμη («Wissen[schaft]») angeglichene Stufe des Glaubens und
damit seine Vollendung. Das konkrete Arbeitsprogramm, das damit in den Blick
genommen ist, besteht in der engen Verbindung von gelehrter Bibelexegese und
philosophischer Spekulation, wobei der Anschluss an das Bildungsgut der antiken
Kultur impliziert ist. Es gibt nun allerdings ein Moment, das die Alexandriner bei
dieser Konzeption neu in den geistigen Welthorizont des Christentums einbrin-
gen, das bei den früheren christlichen Theologen so noch nicht begegnete: die pla-
tonisch begriffene intelligible Sphäre, die gewissermaßen das Markenzeichen des
alexandrinischen Christentums wird. Die spirituelle Leidenschaft beider, des Cle-
mens wie des Origenes, gehört, verbunden mit der allegorischen Schriftauslegung,
dem kontemplativ-transzendierenden Aufstieg zu Gott, und es ist kein Wunder,
dass bei ihnen die massive Rezeption Philons beginnt (Runia 1993 [*1541: 132,
182f.]). In der geistigen Durchdringung der Glaubenswahrheit, so wiederholen sie
es in immer neuen, durch die platonische Tradition vorbereiteten Variationen,
wendet sich die vom Logos-Christus erleuchtete Vernunft von der materiellen

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926 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Körperwelt ab und erhebt sich schrittweise in die intelligible Sphäre, um im Akt


des Transzendierens zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Natürlich gibt es bei die-
sen gemeinsamen Bestrebungen auch individuelle Akzentsetzungen: Clemens
steht der griechischen Philosophie so aufgeschlossen gegenüber wie sonst keiner,
Origenes verhält sich da eher spröder, obwohl auch er in seinem Denken zutiefst
von ihr geprägt ist. Zwischen beiden besteht ein deutlicher Unterschied in der sys-
tematischen Gesamtorientierung der als göttlicher Erziehung des Menschen­
geschlechts verstandenen Heilsgeschichte. Während Clemens an der eschatologi-
schen Vollendung der anfangs noch unabgeschlossenen Schöpfung orientiert ist
und dementsprechend eine linear aufsteigende, teleologische Bewegung zur Er-
reichung des im kontemplativen Aufschwung schon antizipierten letzten Zieles
verfolgt, setzt Origenes bei der Erschaffung der präexistenten, intelligiblen Subs-
tanz der Geistwesen ein, deren Abfall zur materiellen Schöpfung führt, und zeich-
net die heilsgeschichtliche Bewegung im Sinne eines zyklischen Verständnisses in
rückläufigem Sinn, so dass Anfang und Ende, Ursprung und Ziel sich entsprechen
und das Eschaton in der Rückkehr zum heilen Ursprung des Anfangs besteht. In-
dessen darf nicht übersehen werden, dass beide ihre Sicht nicht als feste dogmati-
sche Lehrposition vertreten, sondern sie als philosophisch-theologische Lehrer,
die in selbstverständlichem Austausch mit dem paganen Umfeld waren, in frei ex-
perimentierender Form entwickeln. Das erklären und begründen beide ausdrück-
lich. Bei Clemens ist dies schon durch die literarische Form der Buntschriftstelle-
rei deutlich, und bei Origenes, dessen Systementwurf als dem Neuplatonismus
gleichwertig erscheinen konnte (von Harnack 41909 [*1536: 659, 824], Lietzmann
1936 [*1537: 176]), ist die Methode des Fragens, des hypothetischen Abwägens und
des oft offen gelassenen Ergebnisses das Korrelat der von den Aposteln legitimier-
ten Freiheit der wissenschaftlichen Forschung (so Orig. Princ. praef. 3 u. ö.). Den-
noch waren beide innerkirchlich nicht unumstritten, insbesondere gegen Orige-
nes versammelten die «simpliciores» starke Widerstände (Hällström 1984 [*1539]).
Als Origenes sich gezwungen sah, Alexandrien zu verlassen, und nach Caesa-
rea Maritima übersiedelte, wurde der Unterrichtsbetrieb in Alexandrien an der
dortigen sogenannten Katechetenschule weiterhin von philosophisch gebildeten
Lehrern, anfangs noch von früheren Mitarbeitern und Schülern fortgeführt. Ihr
Verhältnis zum einstigen Schulhaupt war nicht immer unproblematisch, doch gab
es auch Lehrer, die seinem geistigen Vermächtnis, wenn auch nicht auf der einsti-
gen Höhe des Niveaus, besonders nahestanden. Wie es scheint, wuchs jedoch der
Druck von Seiten der «simpliciores» auf die von Origenes vermittelte allegorische
Schriftauslegung und die philosophische Spekulation zunehmend an, so dass in
der Regel die Bischöfe Alexandriens im 3. Jahrhundert auf Distanz zu ihm gingen
und sich hinter die «simpliciores» stellten (Bienert 2003 [*1544]). Aber trotz die-
ser Belastungen ist seine Wirkung auch in Alexandrien nicht völlig erloschen. In
Caesarea nahm Origenes seine Lehrunterweisungen im Rahmen einer schuli-
schen Neugründung, die man als ‘Privatuniversität’ mit angegliederter exzeptio-
neller Bibliothek bezeichnen kann (Markschies 2007 [*1550: 102ff.]), wieder auf
und entfaltete sehr erfolgreich und unangefochen eine weitreichende Ausstrah-
lung, so dass er zum einflussreichsten Theologen der griechischen Kirche wurde.

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 927

Wenn am Übergang vom 3. zum 4. Jahrhundert ein Methodios, der selbst in meh-
rerer Hinsicht derselben alexandrinischen Tradition verbunden ist, schwere An-
griffe gegen eine spirituelle Verflüchtigung der Auferstehungsvorstellung und
gegen die Lehre von der ewigen Schöpfung und der Präexistenz der Seelen erhebt,
dann ist nicht ganz eindeutig, ob er Origenes direkt oder nicht eher origenistische
Epigonen im Visier hat. Doch trotz der Verteidigung, die sogleich aus Caesarea
erfolgte, war damit ein Tor aufgestoßen, das genau wegen dieser kritischen Punkte
zu den großen origenistischen Streitigkeiten am Ende des 4. Jahrhunderts und spä-
ter führen sollte.
Der christlich lateinische Sprachbereich dieser Zeit ist von den geistigen Ten-
denzen des alexandrinischen Christentums noch nicht berührt. Man folgt hier den
Spuren Tertullians und benutzt im Wesentlichen römische philosophische Auto-
ren, um apologetisch oder protreptisch die auf göttliche Offenbarung gegründete
christliche Lehre als die allein wahre Gotteserkenntnis zu erweisen und auf dem
Wege der Widerlegung der Lehren der Philosophen grundlegende Vorbehalte ge-
genüber dem philosophischen Anspruch auf Wahrheitserkenntnis zu formulieren.

§ 98. Clemens von Alexandrien

Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Biographisch ist von Titus Flavius Clemens, wie der volle Name lautet, nur
wenig bekannt. Abgesehen von wenigen Selbstzeugnissen finden sich unsere wich-
tigsten Informationen bei Eusebios von Caesarea (vor allem in dessen Hist. eccl.
5 und 6). Man nimmt an, dass er um 140/150 in einem paganen Elternhaus mög-
licherweise in Athen geboren wurde (vgl. Epiph. Haer. 32,6) und sich dort den
Grundstock seiner erstaunlich umfangreichen Bildung angeeignet hat. Dass er vor
seiner christlichen Konversion in Mysterienkulte eingeweiht gewesen war, ist nicht
anzunehmen (Riedweg 1987 [*1704: 117–121]). Zum Christentum bekehrt, unter-
nahm er auf der Suche nach geistigen Lehrern ausgedehnte Reisen im Mittelmeer-
raum, die ihn nach eigenem Bekunden von Griechenland nach Großgriechenland
und in den Orient, d. h. nach Syrien, sowie nach Palästina führten, bis er in Alex-
andrien auf den entscheidenden Lehrer stieß, der seinem vertieften Erkenntnis-

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928 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

drang Genüge leistete und um dessentwillen er sich daselbst dauerhaft niederließ


(Strom. 1,11,2). Das dürfte um 180 oder kurz danach gewesen sein. Als einzigen
seiner Lehrer soll er ihn, wie Eusebios und Photios glaubhaft berichten, in einer
nur fragmentarisch erhaltenen Schrift namentlich genannt haben: Pantainos, der
von der stoischen Philosophie zum christlichen Glauben gefunden hatte und in
Alexandrien als Leiter einer «Schule der geistigen Unterweisung» der wissen-
schaftlich-philosophischen Durchdringung der Glaubenswahrheit vorarbeitete.
Fortan ist Clemens’ Wirksamkeit aufs Engste mit der dortigen sogenannten Kate-
chetenschule verbunden, wo er bald Pantainos’ Mitarbeiter und später dessen
Nachfolger wurde. Indessen ist das Bild, das Eusebios vom institutionellen und or-
ganisatorischen Zuschnitt der Schule zeichnet, in der Forschung verworfen wor-
den: Es könne sich lediglich um einen freien, offenen Schulbetrieb in privater Ini-
tiative ohne institutionelle kirchliche Bindung mit dem Ziel eines eher allgemeinen
christlichen Bildungsprogramms gehandelt haben. Diese kritische These von Bardy
1937 [*1631] und 1942 [*1632] ist fast einhellig akzeptiert worden; erst jüngst wur-
den größere Modifikationen geltend gemacht (Scholten 1995 [*1726], van den Hoek
1997 [*1734], Wyrwa 2005 [*1762]), die darauf hinauslaufen, dass sich Clemens’
Lehrtätigkeit nicht abseits der kirchlichen Institutionen Alexandriens vollzogen
haben kann. «Diese zielte auf die Konversion der ‘Griechen’, richtete sich an Tauf-
kandidaten und Getaufte, diente der Herausbildung spiritueller Lehrer oder kom-
petenter Katecheten, wobei die Unterweisung solcher Leiter die vorrangige Mis-
sion war» (Le Boulluec 2003 [*1755: 583]). Um die Jahre 200/203 bzw. 206/211, als
die alexandrinische Kirche von lokalen Christenverfolgungen heimgesucht wurde,
hat Clemens die ihm zur Wahlheimat gewordene Stadt verlassen, sei es dass er mit
dem Klerus vor der drohenden Verfolgung ausweichen wollte (so die traditionelle
Ansicht; doch ist er danach nicht wie die anderen wieder zurückgekehrt), sei es dass
es bereits zuvor zu gravierenden Spannungen mit Bischof Demetrios gekommen
war (Nautin 1961 [*1644: 118, 140]). Später begegnen wir ihm in Palästina in der
Umgebung des Bischofs Alexander von Jerusalem, eines früheren Schülers von
ihm, wo er den Rang eines Priesters, den er möglicherweise schon zuvor in Alex-
andrien erlangt hatte, nachweislich bekleidete. Um 215 befindet er sich auf einer
kirchlichen Delegationsreise, die er im Auftrag des Jerusalemer Bischofs nach An-
tiochien unternahm (Eus. Hist. eccl. 6,11,5–6; Nautin 1961 [*1644: 114–118]). Um
220 wird er verstorben sein. Ein Brieffragment des besagten Bischofs Alexander
an Origenes (231) hält das Angedenken an ihn und an Pantainos in preisender Er-
innerung (Eus. Hist. eccl. 6,14,9; Nautin 1961 [*1644: 141]).

2. WERKE

Von den bei Eusebios in einem unvollständi- deren Entstehungszeit sich auch nicht mehr exakt
gen Werkverzeichnis aufgelisteten Schriften des ermitteln lässt, so dürfte doch über die relative
Clemens (Eus. Hist. eccl. 6,13) ist nur ein Teil chronologische Abfolge im Sinn der von den Edi-
überliefert, doch scheinen die wichtigsten und tionen gebotenen traditionellen Anordnung
verbreitetsten Werke – sieht man von einem gra- heute Einigkeit herrschen (Méhat 1966 [*1653:
vierenden Verlust ab – erhalten zu sein. Wenn 50–54]).

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 929

‹Protrepticus› che anderer Philosophen (Antisthenes, Xeno-


Προτρεπτικὸς πρὸς Ἕλληνας – ‹Protrepti­ phon, Kleanthes, Pythagoreer) aufzubieten, die
kos [Werbeschrift] an die Griechen› (Prot.) dem protreptischen Ziel, den Leser zur Wahrheit
zu führen, dienlich sein können (71–72). Ferner
Eine Notiz bei Eus. Hist. eccl. 5,28,4–6 weist mustert er verschiedene Dichterworte durch (73–
auf eine Abfassungszeit vor dem römischen Bischof 76), um dann mit Weissagungen der Heiligen
Victor, d. h. vor 189, wenn mit ihr tatsächlich der Schrift die Grundlage für den Weg zum Heil zu
‹Protreptikos› gemeint ist (Zahn 1884 [*1618: 166– legen (77–81). Im Rahmen einer solchen protrep-
167]). Der ‹Protreptikos›, abgefasst in großartigem tisch-missionarischen Strategie gilt die Philo­
rhetorischen Schwung, der sich besonders im Pro- sophie, soweit sie Spuren und Elemente der Wahr-
ömium (1–10) und im Schlussappell (118–123) zu heit enthält, als Vorbereitung, als partikulare
fulminanter Höhe steigert (Steneker 1967 [*1658]), Vorstufe zur göttlichen Offenbarung, die ihrer-
ist eine in der Tradition der Protreptik stehende, seits kraft ihres universalen und absoluten Wahr-
zur Mission unter den Griechen bestimmte Wer- heitsgehaltes das philosophische Erbe sowohl re-
beschrift, welche die Adressaten von der Torheit lativiert als auch zur Ganzheit und Vollendung
und Haltlosigkeit der paganen Religionen über- führt. In diesem Sinn erklärt Clemens, angesichts
zeugen will und sie für die «wahre Philosophie», der Menschwerdung des Logos-Christus «haben
d.  h. für das Christentum, zu gewinnen sucht. wir es nicht mehr nötig, auf menschliche Lehre
Gleich von den ersten Seiten an erweist sich Cle- auszugehen und uns vielgeschäftig um Athen, das
mens als ein Mann der Bildung, der mit der grie- übrige Griechenland und dazu um Ionien zu küm-
chischen Kultur von Grund auf vertraut ist und mern»; da der Herr der ganzen Schöpfung unser
seine gelehrten Kenntnisse gern beiläufig ein- Lehrer ist und «jetzt alles in seine Schule nimmt,
fließen lässt. Auch philosophische Anspielungen ist durch ihn bereits die ganze Welt zu Athen und
oder Reminiszenzen durchziehen fast das ganze Griechenland geworden» (112,1; vgl. 112,2; 113,1).
Werk. Doch in geballter Konzentration findet die
Auseinandersetzung mit der Philosophie in einem
Übergangsstück statt, das zwischen einen apotrep- ‹Paedagogus›
tischen Teil, wo die Mysterienkulte und das pa- Παιδαγωγός – ‹Der Erzieher› (in drei
gane Religionswesen in allen Ausformungen kom- Büchern; Paed.)
promisslos kritisiert werden (11–63), und dem
eigentlich protreptischen Teil (82–123) eingeschal- Der ‹Paedagogus› baut auf dem ‹Protreptikos›
tet ist (zur Disposition vgl. Riedweg 1987 [*1704: auf und bildet die unmittelbare Fortsetzung. Nun
117 Anm. 5]). Hier bespricht Clemens zunächst spricht der pädagogische Logos bzw. der Christus-
anhand von doxographischen Vorlagen (Diels Logos als Erzieher diejenigen an, die dem Mis­
1879 [*1617: 129–130]) die Ansichten der Vorso­ sionsruf gefolgt sind und sich dem christlichen
kratiker und weiterer Hauptrepräsentanten (Stoa, Glauben zugewandt haben, seien es Neubekehrte,
Peripatos, Epikur), denen er durchweg vorwirft, seien es Taufbewerber, seien es getaufte Gemein-
die Erkenntnis des wahren Gottes, des Schöpfers deglieder, um sie über ethische Fragen der prak-
der Welt, verfehlt zu haben (64–67; vgl. 26,4). Eine tisch-christlichen Lebensführung zu unterweisen.
Sonderstellung räumt er Platon ein, den er zum Zuvor sind jedoch in Buch 1 einige prinzipielle
Gehilfen bei der Suche nach Gott aufruft und mit Grundfragen zu klären. Sie betreffen die theoreti-
dem er in einen gewissermaßen sokratischen, lite- sche Bestimmung und Verortung der sittlichen
rarisch mittels Zitaten inszenierten Dialog ein- Unterweisung im christlichen Bildungsgang, muss
tritt. Seinen Aussagen kann er zustimmen, kom- doch die Seele erst durch praktische Frömmigkeit
men sie doch der Wahrheit nahe. Dank einer von den Affekten gereinigt und im tugendhaften
natürlichen, allen Menschen eingestifteten Anlage Leben gefestigt werden, ehe sie zur Aufnahme der
des Gottesbewusstseins vermochte Platon dunkel höheren Erkenntnis befähigt ist (1,1–11). Sie be-
auf Gott hinzuweisen. Freilich meint Clemens, treffen ferner Bedeutung und Tragweite des bibli-
auch aufdecken zu können, dass er sein Wissen schen Begriffs der Gotteskindschaft (1,12–52) und
barbarischen Lehrmeistern verdankt, speziell den die Verankerung der christlichen Pädagogik im
Hebräern seine «Meinung» – der Begriff δόξα ist umfassenden Rahmenwerk der göttlichen Heils-
mit Bedacht gewählt – über Gott (68–70). Aner- ökonomie, wobei nachdrücklich herausgestrichen
kennende Wertschätzung und Restriktion liegen wird, dass Gottes Güte und Gottes Gerechtigkeit
so direkt beieinander. Neben diesem einen Platon miteinander korrespondieren und selbst Drohung,
(εἷς οὗτος Πλάτων) weiß Clemens, auch Aussprü- Tadel und Strafen nur Erziehungsmittel Gottes

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930 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

sind (1,53–97). Kontroversen mit der heterodoxen ten Gebrauch; denn hier sind die philosophischen
Gnosis spielen in die beiden letzteren Themen- Anleihen ein integraler Teil der ethischen Posi­
komplexe hinein. Am Schluss von Buch 1 steht eine tionsfindung, die in sich selbst ihr volles Gewicht
Überleitung zu den praktischen Einzelvorschrif- tragen. So baut Clemens eingangs wie selbstver-
ten, wo der Inbegriff des Erziehungswerkes als An- ständlich und ohne Vorbehalte den ganzen Appa-
passung an den Pädagogen Christus bzw. als Imi- rat der technischen Begrifflichkeit aus der ethischen
tatio Christi umschrieben wird und schließlich eine Theoriediskussion in seine eigene Argumentation
Reihe von Definitionen ethischer Grundbegriffe bezüglich der Unterteilung der Wirksamkeit des
zusammengestellt sind (1,76–81. 98–103). Erst in Logos ein (Méhat 1966 [*1653: 72–95], Mühlen-
Buch 2 und 3 werden die konkreten Weisungen, berg 2006 [*1768: 43–54]) und lässt später ebenso
wie das Leben eines Christen zu sein hat, erteilt. In selbstverständlich regelrechte Serien ethischer
lockerem, unpedantischem Stil wird nun eine Fülle Begriffsdefinitionen meist stoischer Herkunft fol-
von Anleitungen unterbreitet, die sich auf alle Be- gen (Spanneut 1957 [*1640: 234f., 250, 312–314]).
reiche des täglichen Lebens erstrecken, auf das Ver- In der materialen Entfaltung der sittlichen Unter-
halten bei Essen und Trinken sowie bei Gesellig- weisungen in Buch 2 und 3 ist es nicht anders; auch
keiten, auf Körperpflege, Kleidung und Schmuck, da stehen die Lehren der Philosophen für sich in
auf Ehe und Geschlechtsleben u. v. a. Das alles ist Harmonie neben der Schrift. Unter den zahlrei-
nicht nach einem strikten Plan gegliedert, doch chen namentlich aufgeführten Philosophen (Py-
scheint es unbeschadet mancher Unterbrechungen thagoras, Heraklit, Demokrit, Prodikos, Aristipp,
und Einschübe grob nach dem Schema des Tages- Aristoteles u. a.) ist es wiederum Platon, dem – wie
ablaufes, beginnend mit der Hauptmahlzeit am könnte es anders sein – höchste Lobesworte zu-
Abend, dann der Nachtruhe, über die Morgentoi- teilwerden. Sein Name fällt zwölfmal, und um ein
lette und die Tagesbeschäftigungen bis zum Be- vielfaches häufiger werden seine Schriften – an die
such der Thermen und sportlicher Übungen am 100 Anspielungen oder Zitate lassen sich ausma-
späteren Nachmittag, zusammengehalten zu sein chen – herangezogen. Dass er Schüler der hebräi-
(so Marrou 1960 [*1563: 43–46]; ein anderer weni- schen Philosophie, eines Mose, David, Jeremia
ger überzeugender Dispositionsversuch bei Knau- u. a., gewesen sei, erhöht in Clemens’ Augen nur
ber 1972 [*1667: 328–332]). Den Abschluss bildet sein philosophisches Renommee. Merkwürdiger-
ein großartiger Hymnus auf den Heiland Christus weise werden die Stoiker, denen Clemens faktisch
(im Anschluss an 3,101,3). in der Ethik viel stärker als der platonischen Tra-
Es kann keine Frage sein, und das Werk selbst dition verpflichtet ist, an den Rand gedrängt; nur
liefert mit seiner Themenauswahl, seinem gelehr- zweimal überhaupt sind sie ausdrücklich genannt
ten Stil, seiner gepflegten Sprache die untrügli- (1,102,2; 2,90,2), darüber hinaus einmal noch
chen Anzeichen dafür, dass das Christentum zu Zenon von Kition (3,74,3). Doch vielleicht das Er-
diesem Zeitpunkt bereits in die höheren und staunlichste tritt bei einem der prominentesten
wohlhabenden Gesellschaftsschichten Eingang Vertreter der sogenannten kynisch-stoischen Dia-
gefunden hat, wo man literarische Bildung zu gou- tribe, bei Musonius Rufus, zutage. Clemens hat
tieren wusste und philosophisch einigermaßen be- seine postum publizierten Lehrvorträge zu The-
wandert war. Die Wertschätzung dieser Kultur men wie Luxuskritik, Speisediätetik, Sexualmoral,
teilt Clemens ersichtlich mit den von ihm ange- weitgehender Gleichstellung der Geschlechter
sprochenen neugewonnenen Christen, wohinge- usw. intensiv ausgewertet, ja stellenweise nach-
gen die maßgebliche Autorität natürlich die grie- weislich wörtlich abgeschrieben, ohne seinen
chische Bibel des Alten und Neuen Testamentes Namen je zu erwähnen (Wendland 1895 [*1620:
ist. Die Zahl der biblischen Zitate im ‹Paedago- 68–73], Spanneut 1957 [*1640: 107–112, vgl. ebd.
gus› überragt denn auch die der nichtchristlichen 265f. zu Epiktet], Pujiula 2006 [*1769: 42–49, fer-
bei weitem. Trotzdem sind die philosophischen ner die Verweise im Register bei Pujula ebd. 416;
Referenzen nicht bloß schmückendes Beiwerk, zu Berührungen mit diätetischer Literatur ebd.
aber sie haben auch nicht einfach vorbereitenden, 172f.]). Was auf der einen Seite wie ein schamloses
transitorischen Verweischarakter. Kritik wird nie Plagiat wirkt, kann auf der anderen Seite die kom-
geübt und nur einmal zurückgestellt (1,93,2). Im plette Integration philosophischen Gutes in Cle-
Vergleich zum ‹Protreptikos› stößt man hier, auf mens’ eigene Positionsbestimmung bezeugen.
dem Feld der Moral, auf einen anders akzentuier-

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 931
‹Stromata› [*1781]). Doch bleiben offene Fragen (Méhat 1981
Στρωματεῖς bzw. mit vollem Titel Τῶν κατὰ [*1685: 102]), so dass die ‹Stromata› auch als selb-
τὴν ἀληθῆ φιλοσοφίαν γνωστικῶν ständiges Werk gelesen werden können.
ὑπομνημάτων στρωματεῖς – ‹Teppiche› bzw. Was die Form betrifft, sind die ‹Stromata› in der
‹Teppiche gnostischer Darlegungen gemäß Tat durch eine gewollte Unordnung und eine bunte
der wahren Philosophie› (in sieben Mischung vielfältigster Nachrichten charakteri-
Büchern; Strom.; zu Strom. 8 siehe unten) siert, wo inmitten aller ausufernden und planlosen
Gelehrsamkeit die höhere Erkenntnis der Wahr-
Das Werk, dessen Anfang nicht erhalten ist, ist heit, die rechtgläubige Gnosis, in Spuren einge-
unvollendet geblieben, oder seine ursprünglich streut ist. Dadurch soll sie gewissermaßen gleich-
ausgeführte Fortsetzung und der Abschluss sind zeitig angedeutet und zurückgehalten, mitgeteilt
verloren gegangen, doch galt es schon im Altertum und verhüllt, ausgesprochen und verschwiegen
als Clemens’ Hauptwerk, das ihm den Beinamen werden – mit der Folge, dass die geeigneten Leser
ὁ Στρωματεύς eintrug. Die Abfassungszeit lässt zur eigenen, von Gottes Beistand getragenen For-
sich ungefähr um die Jahre 200 zur Zeit der Herr- schung und zur inneren, existentiellen Aneignung
schaft von Septimius Severus ansetzen, da Cle- der Wahrheit angespornt werden, während ein un-
mens’ chronologische Berechnungen in Buch 1 vorbereiteter und ungeeigneter Leser sich mit dem
mehr als einmal mit dem Tod des Commodus vordergründig Gebotenen begnügen und nichts
enden und er sich bereits auf anderweitige chrono- weiter vermissen wird. So verstanden, lässt sich im
logische Arbeiten seither beziehen kann. Aufbau des Ganzen doch eine gedankliche Aus-
Ein zentrales, nicht zur Ruhe kommen wollen- richtung als Organisationsprinzip entdecken, das
des Problem betrifft die Zuordnung der drei ge- alles im Sinne der Hinführung zur wahren Gnosis
nannten Werke zueinander. Da Clemens am An- durchwirkt. Die behandelten Hauptthemen sind,
fang des ‹Paedagogus› (1,3,3) drei Erziehungs- grob gesprochen, Folgende: Buch 1: die Eigenart
weisen des Logos, die ermahnende, die erziehende der «Teppiche» (1,1–21), Bedeutung und Ursprung
und die belehrende, voneinander abhebt, ging die der Philosophie (1,22–100), die jüdische Chronolo-
herkömmliche Ansicht davon aus, obwohl antike gie und das mosaische Gesetz (1,101–182); Buch 2,
Bestätigungen dafür nicht existieren, dass Cle- nach einem Proömium (2,1–8): der Glaube (2,8–
mens’ Schriften in diesem Sinne aufeinander auf- 31), die Tugenden (2,32–126), das höchste Ziel
bauen und als Trilogie konzipiert wären, bis de (2,127–136), die Ehe (2,137–147, bereits überlei-
Faye 1898 [*1621] bestritt, dass die ‹Stromata› der tend); Buch 3: Fragen der Sexualität (3,1–12) in
beabsichtigte Didaskalos sein könnten, und mit Auseinandersetzung mit asketisch-weltverneinen-
seiner Sicht nachhaltige Diskussionen auslöste. den (3,13–25) und libertinistischen Irrlehren
Soviel ist von ihm zweifellos richtig gesehen wor- (3,25–44) sowie mit Enkratiten (3,45–110); Buch 4,
den, dass die ‹Stromata› der Form nach etwas nach einem Proömium (4,1–12): der Märtyrer
ganz anderes als eine systematische Darstellung (4,13–88) und der Vollkommene (4,89–172); Buch
der Glaubenslehre sind, aber strittig ist allemal, ob 5: Glaube und theologische Forschung (5,1–18), das
Clemens eine solche streng aufgebaute, systema- symbolische Genus im Rahmen der Hermeneutik
tisch durchgegliederte Dogmatik je hat schreiben der höheren Erkenntnis (5,19–88), der Diebstahl
wollen. Um diese Engführung zu überwinden, der Hellenen (5,89–141); Buch 6, nach einem Pro-
sind in neuerer Zeit spürbare Anstrengungen un- ömium (6,1–3): Fortsetzung zum Diebstahl der
ternommen worden, die den Nachweis erbringen Hellenen (6,4–38), die Philosophie und das univer-
sollen, dass die Lehre des Didaskalos in die ‹Stro- sale Heil (6,39–59), das Porträt des Gnostikers
mata› eingegangen ist. Gerade in der eigenwilli- (6,60–168; nun ändert sich der Stil etwas, die Ge-
gen literarischen Form der Buntschriftstellerei, dankenführung ist nicht mehr so bunt zusammen-
der die ‹Stromata› schon durch ihren Titel zu­ gewürfelt, sondern verläuft gradliniger); Buch 7,
gewiesen werden, habe Clemens die Möglichkeit nach einem Proömium (7,1–4): Fortsetzung des
erblickt, trotz der von ihm anerkannten grund- Porträts des Gnostikers (7,5–88), Kampf gegen die
sätzlichen Insuffizienz der Schriftlichkeit die ihm Häresien (7,89–110), Nachwort und Ankündigung
mündlich überkommene und prinzipiell dem der Weiterführung der ‹Stromata› (7,110–111; eine
mündlichen Lehrgespräch vorbehaltene höhere Analyse der Bauelemente der Strom. bei Méhat
Erkenntnis der Schriftauslegung in verdeckter 1966 [*1653: 179–276, und eine detaillierte Inhalts-
Weise schriftlich niederzulegen (Le Boulluec 1998 angabe ebd. 276–279]).
[*1735], Kovacs 2001 [*1746], mit Forschungs­ Auf dem langen und nicht selten beschwerlichen
bericht Osborn 2005 [*1760: 5–18], Itter 2009 Weg, den die ‹Stromata› den Leser zur inneren,

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932 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

geistigen Durchdringung der Wahrheit in der ripides und Menander – aus eigener, direkter Lek-
Gnosis führen wollen, fällt nahezu auf jeder Seite türe vertraut war (Chadwick 1966 [*1651: 37]).
mindestens auch ein Seitenblick auf die Philoso- Hinzu kommt ein neues, gewichtiges Element, die
phie, der sich oft zu kompakten Einlassungen aus- Schriften Philons. Clemens ist der erste christliche
weitet. Nicht weniger als ca. 100 Namen von Phi- Autor, bei dem man über bloße Mutmaßungen hi-
losophen und Philosophinnen (!) begegnen, und naus mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass er
deutlich höher liegt die Zahl, wenn man alle dies- Philon gelesen hat. Viermal nennt er ihn beim
bezüglichen Nachrichten, alle Zitate und freien Namen (Strom. 1,31,1. 72,4. 151,2; 2,100,3) – merk-
Wiedergaben einzeln mitrechnen wollte. Aber würdigerweise tituliert er ihn, ohne seine jüdische
nicht nur vom Umfang her, auch aufgrund des Ge- Glaubenszugehörigkeit damit verschleiern zu wol-
brauchs, der von diesem Fundus gemacht wird, len, zweimal als Pythagoreer (Runia 1995 [*1725])
bieten die ‹Stromata› ein umfassendes Bild von –, und an zahlreichen Stellen hat er ihn stillschwei-
Clemens’ Einschätzung der Philosophie, wo alle gend benutzt, teils ausgiebig in zusammenhängen-
denkbaren Nuancierungen und argumentativen den Sequenzen, wofür über 80 Fälle registriert
Stoßrichtungen voll ausgebildet sind. Doch weist werden können, teils in isolierten, meist freieren
dieses Bild in mancher Hinsicht auch Berührun- Anspielungen (van den Hoek 1988 [*1709, mit sta-
gen mit dem kulturellen Hintergrund der Zeit auf. tistischer Erschließung ebd. 223f.]). Dass er die-
Wie bei den philosophisch aufgeschlossenen Zeit- sem Erbe in Fragen der Bibelexegese, zumal der
genossen stößt man auf das gleiche Interesse an allegorischen Schriftauslegung, daneben aber
Schulgenealogien und doxographischen Informa- auch in zentralen philosophisch-theologischen
tionen (vgl. Diels 1879 [*1617: 244f.]); man erkennt Themen verpflichtet ist, steht außer Frage, doch
die gleiche Vorliebe für ausgesuchte, seltene ist die theologische Tragweite dessen umstritten
Worte der Vorsokratiker (vgl. Valentin 1958 (van den Hoek 1988 [*1709], Runia 1993 [*1719:
[*1642], Mansfeld 1984 [*1690], Dinan 2002 132–156], Osborn 2005 [*1760: 81–105]).
[*1751]; ferner die Register bei DK); man spürt
den gleichen eklektischen Zug zur «grande alli- Allein im Laurentianus V 3, dem ältesten Text-
ance» unter den philosophischen Richtungen (Jae- zeugen der ‹Stromata›, sind drei Anhänge an
ger 1963 [*1646: 31]), der den Skeptizismus und Strom. 1–7 angeschlossen, die zwar Clemens mit
den Garten Epikurs grundsätzlich ausschließt – Recht zugeschrieben werden, aber aus überliefe-
den einen wegen seiner philosophischen Nichtig- rungsgeschichtlichen, kompositionstechnischen
keit, den anderen wegen der Vergötzung der Lust und stilistischen Gründen in der vorliegenden
und der Leugnung der göttlichen Providenz –, der Form nicht zu den von ihm publizierten Werken
aber auch Abstriche beim Peripatos und der Stoa gerechnet werden können und deshalb der For-
macht – dort wegen des Ausschlusses der Provi- schung intrikate Probleme bereiten. Ihrem litera-
denz aus dem sublunaren Bereich, hier wegen des rischen Charakter nach stellen sie sauber ausge-
materialistischen Pantheismus (Chadwick 1967 führte, doch splitterhafte und unabgeschlossene
[*1657: 170f.], Lilla 1971 [*1664: 41–59]); man be- Notizen dar. Es handelt sich dabei um folgende
obachtet eine gleiche Vernachlässigung der jüngs- drei Stücke, die jeweils nur einen Bruchteil des
ten Autoren der Gegenwart – dass Numenios ge- durchschnittlichen Umfangs eines Einzelbuches
nannt wird (Strom. 1,150,4), ist eine begründete der ‹Stromata› einnehmen:
Ausnahme – zugunsten einer erklärten Reverenz
gegenüber der grauen Vorzeit, speziell gegenüber
dem höheren Alter der barbarischen Weisheit ‹Stromata 8›
(Waszink 1963 [*1647], Dörrie 1973 [*1670], Bal- Στρωματέων ὄγδοος – ‹Buch 8 der
tes 1999 [*1738]); und natürlich gilt hier wie da Teppiche›
Platon als der Philosoph schlechthin, der mit über
140 namentlich ausgewiesenen Bezugnahmen in Das Buch enthält philosophische Argumente
den ‹Stromata› präsent ist (zur Platon-Rezeption zur Lehre vom Beweis (1–15), Angriffe gegen die
Wyrwa 1983 [*1689], Rizzerio 1997 [*1732]). Dass pyrrhoneische Skepsis (15–24) und Erörterungen
Clemens das alles aus erster Hand kennt, ist nicht zur philosophischen Lehre von den αἰτίαι (25–33;
anzunehmen. Wie seine Zeitgenossen schöpft Roberts 1989 [*1713], Rizzerio 1997 [*1731], Ser-
auch er sein Wissen weitgehend aus sekundären vino 2001 [*1748], Bergjan 2008 [*1776], Havrda
Quellen, aus Handbüchern und Anthologien usw., 2011 [*1790] und 2016 [*1813]). Spuren einer ab-
aber es ist unstreitig, dass er mit Platon – wie übri- weichenden, kürzeren Rezension sind an einer
gens auch mit Homer und eventuell noch mit Eu- eingeschobenen Überschrift zu erkennen, die sich

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 933
auf das Folgende bezieht (16 und eine entspre- zeugend Zahn 1884 [*1618: 104–130]) oder aus
chende Subscriptio nach 33). Ob Eusebios die uns dieser sowie aus den ῾Υποτυπώσεις exzerpiert hat
vorliegende Fassung von Buch 8 im Auge hatte, als (Nautin 1976 [*1680]; zustimmend im Blick auf
er notierte, dass von Clemens noch alle acht Bü- Strom. 8 Rizzerio 1997 [*1731], Le Boulluec 2003
cher der ‹Teppiche› erhalten sind (Hist. eccl. 6 [*1755: 583 Anm. 59]).
13,1), erscheint möglich, lässt sich aber nicht mit
Sicherheit erweisen.
‹Quis dives salvetur›
Τίς ὁ σῳζόμενος πλούσιος – ‹Welcher
‹Excerpta ex Theodoto› Reiche wird gerettet?› (Q. d. s.)
᾿Εκ τῶν Θεοδότου καὶ τῆς ἀνατολικῆς
καλουμένης διδασκαλίας κατὰ τοὺς Der vollständig erhaltene homiletische Traktat
Οὐαλεντίνου χρόνους ἐπιτομαί – ‹Auszüge ist thematisch eng mit dem ‹Paedagogus› ver-
aus Werken des Theodotos und der so­ wandt; denn auch hier geht es um Fragen der seel-
genannten östlichen Lehre zu Zeiten des sorgerlichen Betreuung wohlhabender Christen.
Valentinus› (Exc. Thdot.) Eine zum Teil allegorische Auslegung der Perikope
vom reichen Jüngling (Mc. 10,17–31) legt im Ver-
Der Titel ist irreführend, da das Konvolut nicht bund mit konkreten Ermahnungen dar, dass der
nur Auszüge und Referate aus valentinianischen rechte christliche Umgang mit dem Reichtum sein
Quellen, sondern häufig diese im Kontext kriti- Maß und Ziel vom Liebesgebot und der Bußforde-
scher Zurückweisungen und Kommentierungen rung empfängt. Dazu empfiehlt Clemens dem Rei-
enthält. Zudem fehlt in der Handschrift eine chen, sich einem Seelenführer aus der Gemeinde
Subscriptio, während an deren Stelle die Über- zu unterstellen (1–3: Vorwort; 4–26: exegetischer
schrift des folgenden Stückes gerückt zu sein Teil; 27–42: Ermahnungen; Ritter 1975 [*1678]).
scheint. Deshalb erhebt Markschies 1997 [*1730:
433f.] weitergehende Bedenken.

Fragmente
‹Eclogae propheticae›
᾿Εκ τῶν προφητικῶν ἐκλογαί – ‹Ausge­
῾Υποτυπώσεις – ‹Abrisse›
wählte Stücke aus den Prophetenschriften›
(Ecl.) Der bedauerlichste Verlust in Clemens’ Hinter-
lassenschaft ist, dass sich von den ‹Hypotyposen›
Unter diesem ebenfalls nicht ganz zutreffenden nur einige Fragmente erhalten haben, während im
Titel sind kurze Proben von exegetischen Behand- Altertum dieses Werk, das in acht Büchern wahr-
lungen ausgewählter Bibelstellen ohne feste Ver- haft gnostische Bibelauslegungen enthielt, neben
bindung zusammengestellt, wobei offenbar die den ‹Stromata› als Clemens’ Hauptwerk angese-
ersten Verse der ‹Genesis›, bestimmte Verse aus hen wurde. Die Vermutung, dieses sei noch vor
‹Daniel› und ‹Hosea› sowie Ps. 18 besonderes Ge- seinen überlieferten Werken entstanden (Riedin-
wicht tragen. ger 1960 [*1643: 156]), hat sich nicht durchgesetzt.
Welche Bestimmung diese drei Anhänge ur- Photios, der es noch im 9. Jahrhundert gelesen hat
sprünglich hatten, ist nach wie vor nicht eindeutig (Bibl. cod. 109, 89a, in der Edition von Stählin,
geklärt. In der Regel nimmt man an, es handle Treu 31972 [*1559: I XIV–XV]), beanstandete
sich um persönliche Vorarbeiten, die Clemens darin eine größere Anzahl gravierender dogma­
selbst für die geplante Fortführung der ‹Stromata› tischer Irrtümer: Die Lehre von einer zeitlosen
angefertigt habe (Heine 2004 [*1756: 118, 120]). Materie (ὕλην ἄχρονον) und den Ideen, die Ge-
Aber auch andere Hypothesen lassen sich plausi- schöpflichkeit des Sohnes Gottes, die Seelenwan-
bel begründen. Man kann in ihnen Material- derungslehre, eine zyklische Weltenlehre mit
sammlungen, die Clemens schon bei der Ausarbei- einer Vielzahl von Welten vor Adam, eine unwür-
tung der Strom. 1–7 benutzt hat, sehen (so dige Erklärungsweise der Entstehung Evas, Be-
besonders im Hinblick auf die ‹Excerpta ex Theo- gattung der Engel mit Menschentöchtern, doketi-
doto› Kovacs 2006 [*1766]) oder umgekehrt se- sche Inkarnation des Wortes Gottes, die Existenz
kundäre Auszüge, die ein späterer Schreiber aus zweier Logoi des Vaters, von denen nur der niedere
der heute verlorenen, aber von Clemens vollende- den Menschen erschien, und viele andere Blasphe-
ten Fortsetzung der ‹Stromata› (so weniger über- mien. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Photios’

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934 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Angaben auf voreingenommenen Missverständ- egese bestimmter biblischer Bücher handelte,


nissen beruhen (Ashwin-Siejkowski 2010 [*1783]) sondern dass nur ausgewählte Einzelverse ganz
oder ihm eine korrupte, wenn nicht gar pseudepi- überwiegend aus dem NT in Form von Scholien
graphisch entstellte Textfassung vorlag (Mark- ausgelegt wurden.
schies 1993 [*1718]). In den erhaltenen Werken
auf jeden Fall findet sich nichts dergleichen. Auf Die Fragmente weiterer Schriften sind so mar-
Griechisch sind etwa 30 kürzere Stücke erhalten, ginal, dass sich hier eine Aufzählung erübrigt. Ob
und ein größerer Teil mit Erklärungen zu einzel- ein jüngst im Kloster Mar Saba entdecktes Brief-
nen Versen aus den Katholischen Briefen liegt in fragment mit einigen Zeilen aus einem geheimen
lateinischer, auf Cassiodor zurückgehender, glät- ‹Markus-Evangelium› wirklich echt ist, wird sich
tender Übersetzung unter dem Titel «Adumbra- kaum mit Gewissheit entscheiden lassen (der Text
tiones Clementis Alexandrini in epistolas canoni- in Stählin, Treu 21980 [*1559: IV,1 XVIIf.], dazu
cas» vor (neue Fragmente bei Riedinger 1960 Smith 1973 [*1673], Criddle 1995 [*1722], Le Boul-
[*1643] und Di Benedetto 1983 [*1686], sowie luec 1996 [*1727]; eine knappe Übersicht über den
Plátová 2010 [*1789] und 2013 [*1807]). Die Reste Diskussionsstand bei Markschies 2007 [*1773:
zeigen, dass es sich nicht um eine fortlaufende Ex- 273–276], Martin 2007 [*1774]).

3. LEHRE

1. Herkunft und Bedeutung der Philosophie. – 2. Die epistemologische Bestimmung des Glaubens und
die wahre Gnosis. – 3. Anthropologie und Ethik. – 4. Kosmologie bzw. Schöpfungslehre. – 5. Gott und der
Logos-Christus. – 6. Der kontemplative Aufschwung und die Eschatologie.

Zwei Vorbemerkungen sind an dieser Stelle nötig. Wenn im Folgenden versucht


wird, aus Clemens’ Schriften einen doxographischen Lehrgehalt zu erheben, so ist
das nicht unproblematisch. Seine oftmals in der Schwebe bleibende, experimen-
tierende Darstellungsweise, die immer darauf abzielt, den Leser ins Gespräch ein-
zubeziehen, widerstrebt im Grunde jeder Systematisierung. Neben diesem grund-
sätzlichen Vorbehalt ist durchgängig zu berücksichtigen, dass hier bewusst ein
philosophiegeschichtlicher Zugang gewählt wird. Eine Skizze von Clemens’ Den-
ken müsste anders aussehen, wenn seine Theologie im Ganzen etwa einschließ-
lich des weiten Feldes der Bibelauslegung, einschließlich auch seiner Auseinan-
dersetzung mit heterodoxen Strömungen darzustellen wäre. Doch ist die
philosophische Tradition bei ihm derart präsent, dass die Konzentration auf sie
keine Verfälschung seines theologischen Denkens bedeutet.

1. Herkunft und Bedeutung der Philosophie

Kein christlicher Schriftsteller des Altertums hat in so hohen Tönen von der
griechischen Philosophie gesprochen wie Clemens. Seine Hauptthese besteht
darin, dass die Philosophie ein Werk der göttlichen Providenz ist, dass sie im Rah-
men der Heilsökonomie Gottes die Aufgabe hat, die Griechen auf die in Christus
offenbar werdende Wahrheit vorzubereiten. Insofern stellt sie, wenn auch nicht
auf der gleichen Stufe, ein Gegenstück zum mosaischen Gesetz dar, das den Juden

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 935

als Erzieher auf Christus hin gegeben war (Strom. 7,11,1f.; 6,44,1. 159,8f.; 1,28,2f.).
Wie das Gesetz der Bund Gottes mit Israel war, so war die Philosophie gleichsam
eine spezielle διαθήκη für die Griechen (Strom. 6,67,1. 42,1f.). Um diesen Grund-
gedanken näher zu entfalten, bietet Clemens mehrere, manchmal miteinander ver-
bundene, aber nicht immer harmonierende Theorien an, die er in der Regel aus der
jüdisch-christlichen Apologetik übernommen hat und gelegentlich bloß noch be-
sonders akzentuiert. So kann er erklären, dass griechische Philosophen bisweilen
auf wahre Sachverhalte gestoßen sind – durch glücklichen Zufall, freilich dank
göttlicher Providenz, oder durch die angeborene, natürliche Vernunftbegabung (im
Sinne einer ‘revelatio generalis’) oder durch eine gewisse Art prophetischer Inspi-
ration (diese Möglichkeit, bei der Clemens in erster Linie an die frühesten Arche-
geten der Weisheit denkt, scheint er als Erster erwogen zu haben) oder durch eine
indirekte Abspiegelung der Wahrheit in der Seele, d. h. durch einen Rekurs der
Seele auf sich selbst als Ebenbild Gottes (Strom. 1,80,5. 94,1–3; vgl. Molland 1936
[*1630]). Aber den breitesten Raum nimmt die im Kern ebenfalls traditionelle,
durch Ioh. 10,8 abgestützte Theorie vom Diebstahl der Hellenen ein, die besagt,
dass die griechischen Philosophen die besten ihrer Lehren aus dem Alten Testa-
ment entwendet haben (Ridings 1995 [*1724]), was mit ausführlichen chronologi-
schen Nachweisen zum höheren Alter Moses und der jüdischen Weisheit untermau-
ert und in einen umfassenden Entwurf der Kultur- und Geistes­geschichte – zumal
in der gemilderten Variante, die nicht von Diebstahl, sondern von einem Schüler-
verhältnis spricht – integriert wird (Daniélou 1973 [*1669: 48–68], Droge 1989
[*1710: 138–149]). Außerdem bringt Clemens untergeordnete Engelmächte als Ver-
mittler der Philosophie ins Spiel (Strom. 1,80,5; 6,161,2. 6), seien es die Völker­engel,
die der Gottessohn selbst damit beauftragt hat (Strom. 5,10,2; 7,6,4), seien es die
nach Gen. 6,2 gefallenen Engelmächte, deren unstatthafte Wissensübergabe Gott
auf jeden Fall wegen der damit verbundenen Nützlichkeit nicht verhindert hat
(Strom. 1,81,4; 5,10,1–3; vgl. Lilla 1971 [*1664: 29], Bauckham 1985 [*1692]). Alle
diese Erklärungsweisen implizieren, dass die zu den Griechen gelangte Wahrheits-
erkenntnis von eingeschränkter Natur gewesen ist. Was die Philosophen erkannt
haben – nur dunkel und mehr ahnend –, sind mehr oder weniger rudimentäre Teil-
momente der Wahrheit, die zudem nicht selten durch eigenes Missverständnis oder
durch Dämoneneinwirkungen entstellt worden sind. Auch was sie gestohlen haben,
werden sie erst wirklich begreifen, wenn sie sich zum christlichen Glauben bekeh-
ren (Strom. 1,100,4f.). Aber immerhin, schaut man auf das beste Erbe, das die Grie-
chen hinterlassen haben, dann sticht in Clemens’ Augen ganz klar die providenti-
elle Bedeutung der Philosophie hervor, die in der Vergangenheit gut und nützlich
war und allemal noch einen nicht zu missachtenden Wert hat, weil sie in gewissem
Betracht eine unentbehrliche Hilfe für die Hinführung zur vollen Wahrheit ist. Aus
diesem Grund lässt Clemens eine in christlichen Kreisen ebenfalls umlaufende An-
sicht über die Herkunft der Philosophie auf keinen Fall gelten, nämlich dass sie ein
Werk des Teufels sei (Strom. 1,44,5. 80,5. 84,6f.; 6,66,1–5. 159,1f.), wie er denn auch
im Unterschied zu den meisten altkirchlichen Autoren niemals den Einfluss der
Philosophie für die Entstehung der Häresien, von einer Ausnahme vielleicht abge-
sehen (Strom. 3,3,3), verantwortlich macht (Le Boulluec 2003 [*1755: 593]).

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936 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Das derart reich nuancierte Erklärungsspektrum ermöglicht es Clemens, einen


ebenso differenzierten Gebrauch von dem von ihm beigebrachten philosophischen
Material im konkreten Fall zu machen. Nahezu jede wichtigere Gedankenforma-
tion weiß er philosophisch zu unterlegen. Polemisch bekämpft er alle philosophi-
schen Positionen, sofern sie in gottlosen Meinungen befangen sind. Doch kann eine
eklektisch gereinigte Auswahl philosophischer Lehren protreptisch der Mission
unter philosophisch Interessierten wie auch apologetisch der Verteidigung des
Glaubens gegenüber Angriffen von außen dienen. Dieselben Argumente können
aber auch nach innen zur Rechtfertigung der Philosophie, speziell des Gebrauches,
den Clemens selbst von ihr macht, gegenüber innerkirchlichen Kritikern eingesetzt
werden. In diesem Kontext kann der Beitrag von Nutzen sein, den sie zur Bekräf-
tigung der Glaubensgewissheit angesichts sophistischer Einreden zu leisten vermö-
gen. Eine wichtige Rolle spielt philosophisches Gut in der innerkirchlichen ethi-
schen Unterweisung, und sogar in der pastoralen Seelsorge kann es einen Platz
finden. Darüber hinaus stellt das Arsenal der Philosophie auch hilfreiche Waffen
für den Kampf gegen die Häresie bereit (May 1983 [*1687], Wyrwa 1983 [*1689:
190–224], Le Boulluec 1985 [*1693: II 270–304]). Aber mit alledem ist noch nicht
das Entscheidende, dasjenige, dem Clemens’ ureigenstes Anliegen gilt, gesagt. So
gewiss die offenbarte Wahrheit in Christus vollkommen und letztgültig ist, so ge-
wiss sie keiner Ergänzung bedarf noch fähig ist, so ist dennoch die Philosophie das
Mittel, um das Innerste und Höchste der christlichen Offenbarung geistlich zu er-
schließen. Basierend auf der Schrift und im Einklang mit der Glaubensregel wirkt
sie auf verschiedenen Wegen wie etwa der «wahren Dialektik» (Strom. 1,177,1–
179,4) oder der «wahrhaft gnostischen Physiologie» (Strom. 4,3,1f.) mit, um den
Aufstieg zur Erkenntnis der Transzendenz Gottes in der wahren Gnosis zu vollzie-
hen (zum Ganzen vgl. Camelot 1931 [*1628], Osborn 2005 [*1760: 197–212]).

2. Die epistemologische Bestimmung des Glaubens und die wahre Gnosis

Es kommt einer Pionierleistung gleich, dass Clemens als erster christlicher


Theologe die Frage nach der epistemologischen Bestimmung des Glaubens auf-
wirft und sie mit philosophischen Konzepten zu beantworten sucht, auch wenn
sein begriffliches Instrumentarium und seine Lösungen noch nicht völlig kohä-
rent sein mögen. Drei Fronten sieht er sich gegenüber, an denen sein Einsatz ge-
fordert ist. Auf der einen Seite stehen heidnische Kritiker, die den christlichen
Glauben als intellektuell haltlos, als unvernünftig anprangern. Auf der anderen
Seite stehen schlichte, aber engherzige Gläubige, die sicherlich nicht ausschließ-
lich der ungebildeten Unterschicht, den Armen in der Gemeinde, angehören. Sie
insistieren auf der strikten Annahme der autoritativen Glaubensbotschaft und
lehnen philosophisch-theologische Reflexionen ab. Und auf der dritten Seite ste-
hen die häretischen Gnostiker, die den Glauben als für die Kirchenchristen pas-
sende, aber unzureichende Stufe diffamieren, während erst ihre Gnosis, ein reli-
giöses, nicht-rationales Wissen von göttlichen Geheimnissen, das den Erwählten
ihrer eigenen Reihen zuteilwird, die Erlösung gewährt (Chadwick 1966 [*1651:

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 937

51–54], Lössl 2002 [*1752]). Bei diesen Auseinandersetzungen führt Clemens eine
Fülle recht heterogener Argumente ins Feld, aber eine zentrale Bedeutung kommt
dabei Elementen der aristotelischen Lehre vom Beweis zu, die, mit stoischen Ein-
schlägen versetzt, durch die Schultradition bereits vermittelt sind (Lilla 1971
[*1664: 118–142], Solmsen 1973 [*1674], Clark 1977 [*1682: 16–26]). Der Begriff
πίστις («Glaube») bezeichnet demnach zum einen ein unmittelbares Überzeugt-
sein von etwas Vertrauenswürdigem, was auch mit συγκατάθεσις («Zustimmung»),
προαίρεσις («Wahl») oder πρόληψις («Vorwegnahme»; in Strom. 2,16,3 sogar mit
direktem Bezug auf Epikur) umschrieben werden kann, insbesondere aber das
unmittelbare Überzeugtsein von ersten unbeweisbaren Axiomen eines Beweises.
Πίστις bezeichnet zum anderen die aus dem Beweisverfahren, speziell aus einem
wissenschaftlichen Beweis resultierende gefestigte, unerschütterliche Gewissheit,
dass das Bewiesene unbezweifelbar wahr ist. Insofern stehe sie höher als das Wis-
sen und sei dessen Kriterium (Strom. 2,15,5; dazu Clark 1977 [*1682: 22f.]). Cle-
mens bezieht diesen doppelten πίστις-Begriff auf den christlichen Glauben im
Sinne einer freigewählten Zustimmung zur Autorität und Liebe Gottes. Dieser
Glaube ist nicht unvernünftig, weil es der menschlichen Vernunft grundsätzlich
gar nicht anders möglich ist, Gott, das erste, unableitbare Prinzip, zu erfassen, als
im Modus des auf die Offenbarung antwortenden Glaubens. Und er vermag im
Sinne eines Kriteriums letztlich das Urteil über Wahrheit oder Unwahrheit jeder
anderen Erkenntnis zu fällen. Dieser Glaube ist ferner auf seine eigene reflexive
Entfaltung angelegt, weil er selbst auf ein volleres und tieferes Verständnis des-
sen, was implizit in ihm enthalten ist, drängt, um sich mit den Mitteln der philo-
sophisch-theologischen Forschung seines Gehaltes analog zur Struktur eines Be-
weisverfahrens in unerschütterlicher Gewissheit zu versichern. Überdies ließe sich
die Nutzlosigkeit der Philosophie nur auf dem Wege des Philosophierens erwei-
sen, wie der berühmte Aphorismus aus Aristoteles’ ‹Protreptikos› besagt (Strom.
1,19,1; 6,162,5). Dieser Glaube ist schließlich wie bei einem Beweisverfahren so-
wohl der Ausgangspunkt als auch seiner Substanz nach das Resultat aller philo-
sophisch-theologischen Bemühungen. Jenes ist gewissermaßen die Embryonal-
form, dieses die vollendete Entwicklungsstufe, die in der Regel γνῶσις genannt
wird, aber nicht selten auch πίστις heißen kann. Beide sind aufeinander bezogen
(Strom. 2,16,2; 5,1,3; 7,57,3). Schon der Glaube genügt zum Heil, und niemals stößt
die Gnosis – im Gegensatz zur häretischen Form – den Glauben von sich ab (vgl.
die breitere Entfaltung bei Daniélou 1973 [*1669: 303–322], Rizzerio 1997 [*1731],
Osborn 2005 [*1760: 182–196], Bergjan 2008 [*1776]).
So klar die formalen Beziehungen zwischen Pistis und Gnosis zu erfassen sind
und so deutlich dabei die kirchliche Umprägung des von ihm okkupierten Mode-
wortes «Gnosis» hervortritt, so schwierig und entsprechend umstritten ist eine in-
haltliche Füllung bzw. traditionsgeschichtliche Herleitung dessen, was Clemens
unter Gnosis versteht. Bezeichnenderweise hat er sich zu dieser Zentralfrage bloß
andeutend und verhalten geäußert, während er im Übrigen doch recht wortreich
das Porträt des Gnostikers – allerdings auch dieses nur aus ethischer Perspektive
und in apologetischer Abzweckung – beschreibt. So nimmt es nicht wunder, dass
zahlreiche, sehr divergierende Interpretationen in dieser Sache vertreten worden

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938 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

sind und eine allgemein akzeptierte Definition nicht in Sicht ist (vgl. Méhat 1966
[*1653: 421–423]). Lediglich soviel scheint gewiss zu sein, dass es sich dabei im Kern
um eine esoterische, ursprünglich rein mündliche Tradition von zumindest in eini-
gen Punkten sehr strengen Lehren gehandelt haben dürfte, die vorrangig an be-
stimmte Bibelauslegungen geknüpft waren (Strom. 1,11,3. 56,2; 6,61,3. 68,2. 131,3–
5; fr. 13; Daniélou 1973 [*1669: 453–458], Méhat 1981 [*1685: 105], Baker 1999
[*1737]). Ansonsten besteht allenfalls die Möglichkeit, aus Clemens’ verschiedent-
lichen Andeutungen einen Themenkatalog zu erstellen, mit dem diejenigen Berei-
che abgesteckt werden, auf die sich die mittels philosophisch-theologischer For-
schung aus der Schriftexegese gewonnenen volleren Erkenntnisse beziehen (vgl.
Strom. 2,5,1–3; 6,61,1–3. 78,5; 7,17,1–3). Eine solche Aufstellung müsste dann die
Kenntnis der göttlichen und der menschlichen Dinge insgesamt, wie Clemens gerne
mit einer weitverbreiteten stoischen Formel sagt, umschließen, das heißt, der gött-
lichen: Gott und der Logos-Christus, die Geistwesen und Engel, die Erschaffung
der Welt, und der menschlichen Dinge: die sichtbare Welt, der göttliche Heilsplan,
die Natur des Menschen und seine Selbsterkenntnis, das Verhältnis des Menschen
zu Gott, das Ziel des Menschen und die Ethik (Méhat 1966 [*1653: 423–427]; vgl.
Itter 2009 [*1781: 141–173]). Nach einem solchen Konzept realisiert sich Clemens
zufolge die Gnosis – auch das im Gegensatz zur häretischen Form – nur auf dem
langen und mühsamen, aber von Gottes Beistand getragenen Bildungsweg einer
christlichen Paideia (vgl. Kovacs 2001 [*1746]), die im kontemplativen Aufschwung
des wahren Gnostikers über die sichtbare und intelligible Welt hinaus in der Schau
Gottes gipfelt. Und nach allem wird die gnostische Erkenntnis so beschaffen sein,
dass sie die beiden Grundkoordinaten von Clemens’ Theologie zutage treten lässt,
nämlich die Selbstmitteilung des transzendenten Gottes im Logos-Christus und
die Vollendung der Schöpfung im Eschaton, auf die der kontemplative Aufschwung
bereits ein antizipierender Vorgriff ist.

3. Anthropologie und Ethik

Im Zentrum von Clemens’ ethischen Überlegungen steht der Logos-Christus


als Erzieher, Lehrer und Erlöser der Menschen. Der Logos-Christus ist aber auch
derjenige, durch den Gott die Welt geschaffen hat, und so ruht Clemens’ Ethik zu-
gleich auf einem schöpfungstheologischen Fundament auf, das unter freudiger
und dankbarer Bejahung der göttlichen Schöpfungsordnung besagt, dass die ge-
schaffene Welt, Gottes gute Schöpfung, um des Menschen willen da ist (Spanneut
1957 [*1640: 384]) und der Mensch, Gottes erhabenstes Geschöpf, mit der Bestim-
mung zur Vollkommenheit in engster Gemeinschaft mit Gott geschaffen ist. Die-
ses Ziel war im Urstand, da Adam noch ein Kind war (Prot. 111,1; Harrison 1992
[*1717]), noch nicht verwirklicht, mitgegeben war den ersten Menschen die Befä-
higung, die Anlage zur Vollkommenheit, während ihre Verwirklichung im Lauf
der menschlichen Entwicklung durch das Zusammenwirken der göttlichen Gnade
mit der freien Entscheidung des Menschen erlangt werden sollte (Strom. 6,96,1–3;
4,150,3f.; vgl. Behr 2000 [*1743: 135f.]).

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 939

Geht man von seiner natürlichen Konstitution aus, besteht der Mensch aus Kör-
per und Seele (zur Gabe des Heiligen Geistes vgl. Daniélou 1973 [*1669: 411–
414]), wobei die unsichtbare, feinstoffliche und unsterbliche Seele (Strom. 5,91,1;
6,52,1; Exc. Thdot. 14,2f.; doch fr. 24 [adumbr.] zu I. Ptr. 1,9: nicht unsterblich von
Natur aus, sondern «gratia dei», «durch Gottes Gnade») vermöge des nach Gen.
2,7 eingehauchten fleischlichen Pneuma (Strom. 6,134,2. 135,3. 136,1) als vitales
Lebensprinzip gilt (Strom. 6,135,2–4; vgl. Strom. 2,110,4). Bald rechnet Clemens
gemäß platonischer Tradition mit einer Dreiteilung der Seele (Paed. 3,1,2; Strom.
5,80,9; 3,68,5), bald unterscheidet er in mehr doxographischer Manier zwischen
einem ἄλογον μέρος und dem λογιστικόν bzw. ἡγεμονικόν (Strom. 6,135,2; vgl.
5,53,1 und Lilla 1971 [*1664: 81f. Anm. 2]; in Strom. 2,50,3f. und 6,134,2f. zehn
Teile des Menschen; Näheres bei Spanneut 1957 [*1640: 166–175, 191–203]; zum
Ganzen vgl. Rizzerio 1987–1988 [*1706], Dainese 2012 [*1795]). Die Entstehung
des niederen Seelenteils erklärt er generatianisch, die des höheren lässt er offen,
aber Präexistenz und Reinkarnation werden abgelehnt (Karpp 1950 [*1636: 96–
99], Strutwolf 2013 [*1809: 97–101]; gegen die irrige Interpretation von Itter 2009
[*1781: 177–183]). Was die Verbindung von Körper und Seele betrifft, ist ohne
Zweifel die Seele das Höhere und Bessere, der Körper das Niedere und Geringere
(Strom. 1,171,1; 4,164,3); das eine ist, wenn es recht ist, auf Gott ausgerichtet, das
andere auf die Erde (Strom. 4,9,4), wie denn die εἰκών-Haftigkeit des Menschen
nach Gen. 1,26 ausdrücklich in der Vernunftseele als Abbild des Gottessohnes
verortet wird (Prot. 98,4; Strom. 2,102,6; 5,94,5; 6,136,3; Hamman 1987 [*1699:
113–126]; dort auch zur häufig begegnenden, aber nicht immer durchgeführten
Unterscheidung von «imago» als allgemeiner Vernunftbegabung aller Menschen
und «similitudo» als göttlicher Auszeichnung des zur Vollkommenheit strebenden
Christen; siehe auch Behr 2000 [*1743: 139–142]). Aber unbeschadet einer gewis-
sen Variationsbreite in der Beurteilung des Körpers (im Anschluss an Platon z. B.
als Fessel: Strom. 7,40,1; als Grab: Strom. 3,16,3) lehnt Clemens ein dualistisches
Verständnis ab und insistiert darauf, dass zwischen beiden kein konträrer Gegen-
satz herrscht: Die Seele ist nicht von Natur aus gut und der Körper nicht von Natur
aus schlecht; es gibt auch Mittleres und darunter solches, das vorzuziehen, und
solches, das zurückzustellen ist (Strom. 4,164,3–5 mit Chrysipp, SVF III, fr. 122).
Da aber der Körper ein Werkzeug der Seele ist (Strom. 6,163,2 z. B. als Seelen-
fahrzeug), mit dem ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang erfordert ist
(Strom. 4,22,1), verficht Clemens grundsätzlich und besonders vehement gegen
Gruppierungen der heterodoxen Weltverachtung und Leibfeindlichkeit die Würde
des von Gott geschaffenen und durch die Menschwerdung Christi geehrten
menschlichen Körpers (Paed. 3,20,5; vgl. Le Boulluec 1985 [*1693: II 332–360],
Behr 2000 [*1743: 142 Anm. 34]; anders Pujiula 2006 [*1769: 142–152], der einen
Bezug auf Gen. 1,26 annimmt), was sich besonders in seiner Ehe- und Sexualethik
niederschlägt (Broudéhoux 1970 [*1661], Brown 1988 [*1707: 131–138]).
Die vorzüglichsten Seelenvermögen, die das Leben im Körper regulieren, sind
Erkenntnis und Streben (Strom. 6,68,3: γνῶσίς τε καὶ ὁρμή; vgl. 6,96,2), wobei dem
Wollen (βούλεσθαι) die erste Kraft und Regung des Hegemonikon zugewiesen
wird (Strom. 2,77,5; Dihle 1966 [*1652: 752] sieht hierin «die ‘Entdeckung’ einer

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940 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

vom Verstand unabhängigen, ja sogar ihm vorausgehenden, aber darum mit dem
sinnlich-animalischen Trachten oder Begehren gerade nicht identischen psychi-
schen Kraft des Willens […]»; in diesem Sinne auch Strom. 6,6,2). Das weist auf
die für Clemens fundamentale Bedeutung der Willensfreiheit inklusive der Hand-
lungsfreiheit, die zur schöpfungsgemäßen Ausstattung des Menschen gehört und
durch die Sünde – Clemens kennt keine Erbsündenlehre – nicht grundsätzlich aus-
gelöscht ist (Strom. 2,8,4; 5,3,2. 86,1; 6,96,2; 7,42,4f.; Floyd 1971 [*1663: 28–35], Ni-
kolaou 1977 [*1683], Kravites 1999 [*1740]). Sünde ist anthropologisch betrachtet
eine Störung des inneren Gleichgewichts, der inneren Harmonie des Menschen –
theologisch betrachtet ist sie die Abwendung von Gott in Selbstliebe (Strom.
6,56,2) –, die nicht am Körper, sondern an der Seele haftet (Strom. 3,59,2) und
deren Ursachen nicht schon in der Beschaffenheit des menschlichen Willens als
solchen, sondern in Unwissenheit und Schwäche liegen, d. h. im Unterliegen der
Willenskraft (Strom. 7,101,6; 2,62,3. 77,2).
Das Kriterium ethischen Handelns ist Clemens zufolge der Logos, was zu-
nächst ganz stoisch klingt; und dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn mit dem
Logosbegriff jener des im Kosmos waltenden Naturgesetzes und jener der Natur
selbst verbunden wird (Lilla 1971 [*1664: 92–94] weist auf die Vermittlerrolle Phi-
lons). Aber Clemens versteht unter diesem Logos fast stets zugleich den personal
qualifizierten Logos-Christus, welcher der Urheber jeglicher Gestalt des göttli-
chen Gesetzes ist, so dass das ethische Handeln sich zugleich als Gehorsam ge-
genüber dem Willen Gottes, wie er sich etwa im natürlichen Sittengesetz, im De-
kalog (Strom. 6,133–148) und in den Weisungen Christi (Strom. 2,25–41)
niedergeschlagen hat, erweist. Ethisches Handeln, das diesem Kriterium genügt,
realisiert sich in tugendgemäßem Handeln, und entsprechend groß ist der Raum,
den die Tugendlehre bei Clemens einnimmt. Wie die Stoa ist er grundsätzlich
überzeugt, dass die Tugend letztlich nur eine ist (Strom. 1,97,3) bzw. dass, wenn
man von mehreren spricht, diese aufgrund der ἀντακολουθία («gegenseitige Be-
gleitung») alle gleichzeitig beieinander sind (Strom. 2,41,1. 45,1. 80,2: wer eine hat,
hat alle). Trotzdem kann er wiederholt ein hierarchisches Ursprungsverhältnis an-
nehmen, etwa dass die Gerechtigkeit die höchste aller Tugenden sei (Strom. 7,17,3)
oder die πίστις die Mutter aller Tugenden (Strom. 2,23,5; wieder andere Zuord-
nungen in Strom. 2,53,3. 126,1; 6,125,4f.). Bemerkenswert ist ferner, wie Clemens
in seinen Aufzählungen der Einzeltugenden die griechischen mit den christlichen
Tugenden verzahnt sein lässt. Die prominentesten Beispiele sind natürlich die
klassischen vier Kardinaltugenden und die drei theologischen Tugenden, aber Cle-
mens hat noch eine ganze Anzahl anderer ethischer Leitbegriffe aus der griechi-
schen wie der jüdisch-christlichen Tradition in seine Listen aufgenommen (aus-
führliche Erörterungen bei Osborn 1976 [*1681: 50–83]; zur doppelten,
praktischen wie theoretischen Bedeutung der φρόνησις, «Klugheit», Becker 2000
[*1742], Rizzerio 2006 [*1770: 238–241]). Das geschieht ohne merkliche Systema-
tik, oftmals sind sie ganz oberflächlich einfach nebeneinander gestellt. Bei derar-
tigen Verschränkungen mag Clemens angenommen haben, dass von Fall zu Fall
zwischen den griechischen und den christlichen Werten sachliche Ähnlichkeiten
oder Analogien, vielleicht sogar direkte Äquivalenzen oder auch Weiterführun-

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 941

gen vorliegen; aber das wird mehr suggeriert als analytisch entfaltet (Méhat 1966
[*1653: 361–366]).
Das Gegenstück zur Tugendlehre ist die stoische Lehre von den vier πάθη («Af-
fekten»), die Clemens ebenfalls breit rezipiert hat (stoische Definition in Strom.
2,59,6 = Chrysipp, SVF III, fr. 377f.: im Übermaß, d. h. unvernünftig reagieren;
im Anschluss daran peripatetische Unterscheidungen der Verfehlungen: 2,60,1–7.
62,1–4. 64,3–5; vgl. Méhat 1966 [*1653: 237], Clark 1977 [*1682: 58–62]). Die Zahl
der Affekte hat er allerdings wiederum vermehrt, während er Seelenregungen wie
Reue, Mitleid, Furcht und speziell Gottesfurcht aus religiösen Gründen nicht wie
die Stoa zu den negativ besetzten Leidenschaften rechnen konnte. Er grenzt jene
entschieden von ihnen ab, verfährt aber dabei in gewissem Sinn analog zur stoi-
schen Unterscheidung der Affekte von den vernunftgemäßen εὐπάθειαι («guten
Emotionen»; der Terminus εὐπάθεια in diesem Sinn fehlt zwar, doch vgl. Strom.
2,32,3f.: Furcht als εὐλάβεια, «Scheu»; 2,40,1–3: Gottesfurcht ist ἀπαθής, «frei
von Affekten»; 2,53,4; 4,38,1; vgl. Pohlenz 1943 [*1633: 126f.], Dihle 1966 [*1652:
749]; ferner siehe unten). Clemens wertet die Affekte nicht als Ergebnis dämoni-
scher Einwirkungen, wie es unter Christen vielfach aufgrund apokalyptischer Tra-
dition gängig war; höchstens mittelbar könnten Vorgaukelungen der Dämonen in
Betracht kommen (Strom. 2,110,1f. 111,3. 117,1). Er wertet sie aber auch nicht ein-
fach als Fehlurteile der Vernunft, wie es Chrysipp getan hatte (Pohlenz 1943
[*1633: 126], Lilla 1971 [*1664: 86f.]), sondern präziser als Unterliegen der Wil-
lenskraft (Strom. 7,110,6) unter die an der Sinnenwelt und dem eigenen Körper
entfachten Bestrebungen des niederen Seelenteiles (Dihle 1966 [*1652: 748], Lilla
1971 [*1664: 84–92]). Sie bewirken, dass der Mensch seine innere Harmonie ver-
liert und zum Knecht der Außendinge wird.
Clemens’ Sittenlehre im engeren Sinn stellt sich als eine Zwei-Stufen-Ethik dar,
die zwischen der Lebensführung des schlichten Gläubigen auf der niederen Stufe
und der des vollkommenen Gnostikers auf der höheren Stufe unterscheidet (Lilla
1971 [*1664: 60, 92–117], Mühlenberg 2006 [*1768: 40–63], Rizzerio 2006 [*1770]).
Der Christ bedarf, nachdem er der schädlichen heidnischen Gewohnheit abgesagt
hat (Alfonsi 1964 [*1648], Bianco 1987 [*1697]) und durch die Taufe in eine neue
Lebenswirklichkeit versetzt ist, noch der konkreten Einzelanweisungen für das
sittliche Leben, damit seine Bestrebungen nicht mehr von den sündhaften Affek-
ten beherrscht werden. Motiviert aus Furcht vor Strafen und Hoffnung auf ewigen
Lohn wird er diese Gebote gehorsam befolgen, während der Logos-Christus die
Affekte heilt. Gewiss reicht solches Handeln zur Seligkeit aus – wenn freilich nur
in einer geringeren Wohnung (Strom. 4,36,3–37,1; 7,10,1f. nach Ioh. 14,2) –, doch
ist Vollkommenheit damit noch nicht erreicht. Erst der Gnostiker, der die mora-
lischen Vorschriften geistig durchdrungen und völlig verinnerlicht hat, handelt
aufgrund seines Wissens und seiner Erkenntnis und lässt, weil er von allen affekt-
geleiteten Vorstellungen frei geworden ist und das Gute um seiner selbst willen er-
wählt, sich allein von der Liebe zu Gott als einzigem Impuls leiten. In philosophi-
scher Hinsicht überwiegen in Clemens’ Argumentation auf der niederen Stufe die
peripatetischen, auf der höheren Stufe die stoischen Elemente, was zuletzt in einer
platonischen Zielformel gipfelt. Die niedere Stufe ist gekennzeichnet durch die

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942 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

μετριοπάθεια, d. h. durch Zähmung der Affekte, nicht schon durch ihre vollstän-
dige Ausrottung (Strom. 2,39,4). Erreicht wird dieser Zustand kraft der Steuerun-
gen der ἐγκράτεια («Selbstbeherrschung») oder σωφροσύνη («Besonnenheit»;
Strom. 1,159,3; 2,81,1f.; 3,4,1f.; 4,151,1), die sich am Mittelmaß, dem Mittleren oder
am Maß schlechthin orientieren (Strom. 2,16,4. 46,1; 3,51,2f.; dazu Clark 1977
[*1682: 28–34], Rizzerio 2006 [*1770: 237]). Was so aufgrund von Vorschriften im
Gehorsam gegenüber den Geboten getan wird, ist – in stoischer Terminologie – das
Pflichtgemäße (τὸ καθῆκον: Paed. 1,102,2). Die stoische Formel «secundum natu-
ram vivere» fügt sich in christologischer Interpretation dazu passend ein (so Lilla
1971 [*1664: 106], Bradley 1974 [*1675: 54f.], Clark 1977 [*1682: 42–44]; anders
Chadwick 1967 [*1657: 173], Rizzerio 2006 [*1770: 234]). Auf dieser Ebene kann
Clemens die aristotelische Güterlehre, der zufolge glückliches Leben neben seeli-
schen Gütern auch Güter des Körpers und äußere Güter voraussetzt, akzeptieren
(Strom. 2,128,3–5; 4,166,1), wenngleich nicht ganz ohne relativierende Vorbehalte
(Paed. 2,102,3–5; Clark 1977 [*1682: 34–39], Rizzerio 2006 [*1770: 235]). Und es
kann nicht verwundern, dass Clemens mit Blick auf den Weg des Christen zur Voll-
kommenheit auch in ethischer Hinsicht mit einem langen, im Grunde lebenslan-
gen Prozess des Fortschreitens und der Vervollkommnung rechnet, wobei im Ge-
gensatz zum Rigorismus der Alten Stoa bereits in dessen Verlauf Zwischenstufen
der Tugend angenommen und sittliche Betätigungen als gültige, wenn auch niedere
Tugendhandlungen gewertet werden (Strom. 2,128,4 als aristotelisch ausgewiesen;
4,138,4; 4,96,3; Paed. 1,52,2; Clark 1977 [*1682: 39–42]). Dass dagegen das Porträt
des Gnostikers ganz nach dem Modell des stoischen Weisen konzipiert ist, ist schon
immer aufgefallen. Seine vorzüglichste Auszeichnung liegt darin, dass er die
μετριοπάθεια («Mäßigung der Leidenschaften») hinter sich gelassen hat und zur
ἀπάθεια («Leidenschaftslosigkeit») gelangt ist (Strom. 6,74,1. 105,1; Spanneut 2002
[*1753: 247–260]). Er hat sämtliche Affekte in sich derart ausgelöscht, dass er nicht
einmal mehr die ἐγκράτεια benötigt (Strom. 4,38,1; 6,76,2). Selbst die sogenannten
guten Affekte, d. h. die stoischen εὐπάθειαι, sind ihm fremd (Strom. 6,71,4f. 74,2,
vgl. Černušková 2013 [*1804]); ἐγκρατής heißt er vielmehr in jener anderen Wort-
bedeutung, dass er die Tugend ganz in seiner Gewalt hat, d. h. dass sie ihm zum fes-
ten, unverlierbaren Habitus geworden ist (Strom. 7,70,1. 4f.; 7,46,9; 4,40,1). Lebt der
Gnostiker ausschließlich nach Maßgabe der Logoserkenntnis, so ist jede seiner
Handlungen ein κατόρθωμα («richtig Vollbrachtes»: Strom. 6,111,3. 150,3; Paed.
1,101 titulus; 1,102,2f.), wie denn auch die «paradoxa Stoicorum» auf ihn zu bezie-
hen sind (Strom. 1,168,4; 2,18,2–22,8. 99,3–100,2; Wyrwa 1983 [*1689: 162–173]).
Für diese Stufe reklamiert Clemens nun auch die stoische, von ihm letztlich auf die
barbarische Philosophie zurückgeführte Lehre, dass die Tugend autark sei und al-
lein zum Glück hinreiche (Strom. 5,96,5. 97,6; 2,133,7), wobei die Gnadeneinwir-
kungen des Heiligen Geistes selbstverständlich vorausgesetzt sind (Ecl. 45; Strom.
3,44,4; 4,124,2), und dass körperliche Vorzüge oder äußere Güter nur indifferente
Dinge seien (Strom. 2,138,5; 4,19,1. 69,1; Donahue 1963 [*1645], Lilla 1971 [*1664:
68–72]), die das innere Wesen des Gnostikers nicht tangieren (Strom. 7,85,3;
4,52,2f.), auch wenn sie zu einem gewissen Grad für das physische Leben notwen-
dig und wünschenswert sein mögen (Strom. 4,69,1. 39,3. 164,4; 2,118,7–119,1).

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 943

Doch ungeachtet der massiven Häufungen stoischer Motive ist Clemens’ Ethik
nicht, wie man meinen könnte (so Pohlenz 1943 [*1633: 138f.]), daraufhin entwor-
fen, dem Vollkommenen einen Bereich der Innerlichkeit zu reservieren, wo er sich
seiner sittlichen Gesinnung und der in seiner Macht stehenden Unabhängigkeit
vergewissern könnte. Wenn als Schlussstein aller ethischen Diskurse über das tu-
gendhafte Leben die zentrale Zielformel des kaiserzeitlichen Platonismus, die
ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν («Angleichung an Gott soweit wie möglich»), inte-
griert wird (Strom. 2,100,3f. 132,1–133,3; 5,94,6–96,3 mit Plat. Tht. 176a–b; Leg. 6,
715e–716d; Tim. 90d; ansonsten zahllose Anspielungen und Reminiszenzen), dann
eröffnet sich nicht nur der Rückbezug zur biblischen Schöpfungsbestimmung, wo-
nach der Mensch «secundum imaginem et similitudinem dei» (Gen. 1,26) geschaf-
fen ist (Strom. 2,131,6). Dann gewinnt dank Leg. 6, 716a die christliche Demut als
gehorsame Nachfolge und Unterordnung unter den Willen Gottes eine eigene,
noch den Vollkommenen auszeichnende Dignität (Strom. 2,132,1). Dann wird
zumal wegen der Einschränkung κατὰ τὸ δυνατόν («soweit wie möglich») auch der
bleibende Abstand des Schöpfers seinem Geschöpf gegenüber gewahrt (Strom.
2,80,5; vgl. Strom. 2,74,1), was zur schroffen Zurückweisung der stoischen These,
dass Gott und Mensch die gleiche Tugend haben, führt (Strom. 2,135,3; 6,114,4f.;
7,88,5). Und dann erhält nicht zuletzt das irdische Tugendstreben insgesamt eine
eschatologische Orientierung, insofern die volle Realisierung der gegenwärtig
schon angelegten Angleichung an Gott als ein eschatologisches Geschehen, ver-
mittelt durch den Sohn Gottes, gedeutet wird (Strom. 2,134,1f.; vgl. insgesamt
Méhat 1966 [*1653: 373–379], Lilla 1971 [*1664: 106–117], Osborn 1976 [*1681: 59–
68], Wyrwa 1983 [*1689: 173–189]). Nicht weniger wichtig für den hier zu beobach-
tenden Vorgang der Transformierung der philosophischen Ethik ist die Art und
Weise, wie Clemens die Liebe, die alles Wissen an Heiligkeit und Macht überragt
(Strom. 7,68,1) und die ja das entscheidende Motiv für das höhere Tugendleben des
Vollkommenen darstellt, in direkte Beziehung zum Ideal der ἀπάθεια («Leiden-
schaftslosigkeit») und ὁμοίωσις θεῷ («Angleichung an Gott») setzt. Die wesenhafte
Affektlosigkeit Gottes ist für ihn selbstverständlich (Strom. 2,81,1; 4,151,1f.; 7,13,3);
sie schließt aber die Liebe nicht aus, sondern gerade ein, denn Gott ist Liebe und
von ihm kommt die Liebe (Prot. 117,2; Q. d. s. 27,5 und 37,1–5; Strom. 4,113,4; vgl.
Osborn 1976 [*1681: 73f.]). Deshalb gehört für den wahren Gnostiker zur Anglei-
chung an Gott und zur Affektlosigkeit die Liebe unabdingbar hinzu, ja sie macht
jene erst möglich (Strom. 7,84,1f.; Behr 2000 [*1743: 199–207]). Seine Liebe zu Gott
ist jedoch nicht mehr das Begehren eines Liebenden, sondern die Einsetzung «in
die Einheit des Glaubens» (Eph. 4,13), so dass der Gnostiker schon mit dem Ge-
liebten in familiären Banden der Gotteskindschaft verbunden ist und – im Vorgriff,
soweit möglich – schon hat, was er erstrebt (Strom. 6,72,1. 73,3–6). Und wie als
Frucht erwächst daraus die Nächstenliebe, die sich durchweg als Angleichung, als
Nachahmung Gottes erweist, zumal in der schärferen Zuspitzung auf die Feindes-
liebe, indem diese die Affektlosigkeit in der unbegrenzten Vergebungsbereitschaft,
im Verzicht auf Vergeltung und im Gebet für die Feinde bewährt (Strom. 7,84,1–
86,5. 88,4; vgl. Sorabji 2000 [*1745: 386–391], Spanneut 2002 [*1753: 257–260], Müh-
lenberg 2006 [*1768: 61f.]). Damit ist eine beachtenswerte Öffnung des vom Ansatz

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944 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

her individualistisch orientierten (Dihle 1966 [*1652: 750]), freilich nicht eudaimo-
nistisch begründeten (Méhat, 1966 [*1653: 369]; anders Pohlenz 1943 [*1633: 170f.])
sittlichen Ideals Clemens’ gegeben.

4. Kosmologie bzw. Schöpfungslehre

In Clemens’ erhaltenen Werken ist die Kosmologie bzw. die Lehre von der
Schöpfung deutlich weniger entfaltet als die Ethik, vielleicht aus Gründen der
Esoterik, aber die entscheidenden Grundzüge lassen sich dennoch hinreichend
erkennen. Gott ist der allmächtige Schöpfer, der die Welt durch den Logos-Chris-
tus als Schöpfungsmittler geschaffen hat (Prot. 7,3; Strom. 5,89,3. 103,1; 6,136,3).
Dass er sie schuf, war für ihn in keiner Weise notwendig, sondern war die Tat sei-
nes absolut freien und souveränen Willens (Prot. 63,3; Paed. 1,27,2. 88,2; fr. 48
Stählin; impliziert ist Gottes Güte als Motiv seines Schöpfertums Paed. 1,88,2).
Die geschaffene Welt ist mithin nicht ewig, sondern hatte einen Anfang, allerdings
nicht in der Zeit, da die Zeit zusammen mit der Welt erschaffen worden ist (Strom.
6,142,2. 4 [vgl. Plat. Tim. 38b6]; 6,145,4. 147,2). Schwierig zu entscheiden ist, ob
Clemens die Lehre der ‘creatio ex nihilo’ im vollen Sinn vertreten hat. Einige
Male spricht er von der Schöpfung ἐξ μὴ ὄντος («aus nicht Seiendem»: Strom.
5,92,3. 126,2). Aber diese Aussage, die im Rahmen doxographischer Diskussio-
nen zur Thematik des Diebstahls der Hellenen fällt, ist nicht eindeutig. Sie spricht
nicht von einem absoluten Nichts, und im schulplatonischen Sprachgebrauch der
Zeit wird als μὴ ὄν gerade die qualitätslose und gestaltlose Materie bezeichnet
(Strom. 5,89,6; Lilla 1971 [*1664: 195f.]). Ein andermal stellt er ἐξ μὴ ὄντος («aus
nicht Seiendem») und ἐξ ὕλης («aus Materie») alternativ gegenüber, ohne eine
Entscheidung zu treffen (Strom. 2,74,1). Soviel scheint jedoch sicher zu sein, dass
er die Existenz der Materie als eines zweiten, gleichewigen Prinzips neben Gott
abgelehnt hat (Strom. 5,89,5–7), weil einzig und allein Gott ungeworden ist (Strom.
6,58,1), weil er der Schöpfer des Anfangs ist (Strom. 4,162,5) und es nichts gibt,
für dessen Existenz Gott nicht die Ursache bereitet hätte (Paed. 1,62,3.; Strom.
5,81,4). Weiter geht Clemens nicht (ausgewogen urteilt Le Boulluec 1981 [*1565:
II 293–295]; dagegen sieht Lilla 1971 [*1664: 193f.] Photios’ Anklage, Clemens
habe eine zeitlose Materie vor dem Ursprung der Welt gelehrt, bestätigt, während
Ashwin-Siejkowski 2010 [*1783: 34–37] Photios’ Aussage durch die Übersetzung
von ἄχρονον mit «eternal» simplifiziert).
Wie die Welt durch die Schöpfungsmittlerschaft des Logos-Christus entstan-
den ist, so wird sie durch dessen Weltregierung auch in ihrem Bestand weiter er-
halten. Als die Kraft des Vaters (Strom. 7,7,7. 9,1) ist er der ἡγεμών («Anführer»)
des Alls (Paed. 1,65,3; Strom. 7,8,4), der – dadurch seine Transzendenz wahrend
– geschaffene Instanzen als Zweit- und Drittursachen usw. in seinen Dienst nimmt
und sie mit dem für die Weltverwaltung Nötigen beauftragt. So steigt im Rahmen
der kosmischen Providenz die göttliche Wirksamkeit vom Sohn, der den ersten
Bewegungsimpuls gibt (Strom. 7,8,5), durch die von ihm unmittelbar bewegten
Wesen in der Seinshierarchie Stufe um Stufe hinab – von sieben Archonten bzw.

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 945

Protoktisten bzw. Thronen durch Erzengel bzw. Gewalten hinab zu Engeln (Exc.
Thdot. 10,3–6; 12,1; Ecl. 57,1; vgl. Le Boulluec 1981 [*1565: II 143f.], Bucur 2006
[*1764]) – bis zu den kleinsten Teilen des Kosmos (Strom. 7,9,1–4; 6,148,6; Rizze-
rio 1996 [*1728: 261–266], Bergjan 2012 [*1794]). Wachstum und Wandel in der
Natur sind etwa nicht eigentlich den Gestirnen und den Elementen zuzuschrei-
ben, sondern werden von Gott gewährt, während Gestirne und Elemente nur
seine administrativen Kräfte (Strom. 6,148,2: δυνάμεις διοικητικαί) sind, die, ge-
leitet von den ihnen vorgeordneten Engelmächten (vgl. Strom. 5,37,2; Exc. Thdot.
55,1), gehorsam den Befehl des Wortes Gottes ausführen (Strom. 6,147,4–148,2;
Spanneut 1957 [*1640: 326–331], Bergjan 2012 [*1794: 78–90]). Auch Mann und
Frau sind, wenn sie Nachkommen hervorbringen, in diesem Sinn «cooperatores
dei» (Paed. 2,83,2. 93,1; Strom. 6,147,4). Mehr an die stoische τόνος-Lehre erin-
nert die Aussage, dass der Logos-Christus, das himmlische Lied, die vier unter
sich gegensätzlichen Elemente (vgl. Strom. 3,55,1; 4,40,3) zur harmonischen Ord-
nung des Kosmos verbindet, indem er, die feste Grundlage und Harmonie des
Alls, sich von der Mitte bis zu den Enden und von den äußersten Grenzen bis zur
Mitte «erstreckt» (Prot. 5,1f.; vgl. Spanneut 1957 [*1640: 343f. mit Verweis auf Phi-
lon und 376f.]; Daniélou 1973 [*1669: 364f.] sieht im Hintergrund die platonische
Weltseele; zur τόνος-Lehre vgl. doxographisch noch Strom. 5,48,2f.: der Äther als
dessen Träger; Strom. 5,89,3–4). Aber dass damit der Logos nun selbst immanent
im Weltall verortet wäre (so Lilla 1971 [*1664: 208f.]), ist nicht anzunehmen, viel-
mehr präzisiert Clemens die Allgegenwart der Schöpfermacht des Logos verschie-
dentlich durch den Hinweis auf die Vermittlung durch den Heiligen Geist oder in
anderen Fällen durch Engelmächte oder auf eine solche gemäß seiner Wirkkraft
(Prot. 5,3; vgl. Exc. Thdot. 17,3f.; Strom. 2,5,4; 7,5,4–6. 17,2).
Indessen eröffnet Clemens der Schöpfungslehre erstmals in der christlich-
kirchlichen Tradition einen neuen Horizont, indem er über die sichtbare Welt hi-
naus – hier die stoische ‘scala naturae’ von ἕξις – φύσις – ψυχή – λόγος («Zusam-
menhalt – Natur – Seele – Logos»: Strom. 2,100,4–111,2) – die Perspektive auf die
intelligible Sphäre richtet. Dass er demzufolge zwei Welten lehrt, den auf die
Monas (d. h. den Gottessohn) zurückzuführenden κόσμος νοητός («intelligible
Welt») als Archetyp und Paradigma und den auf die Hexas zurückzuführenden
κόσμος αἰσθητός («sinnlich wahrnehmbare Welt») als dessen Abbild (Strom.
5,93,4), ist das Erbe Philons (van den Hoek 1988 [*1709: 196], Kovacs 1997 [*1729],
van den Hoek 2009 [*1782]), wie er sich denn auch dessen Auslegung der ersten
Verse der ‹Genesis› weitgehend zu eigen macht. Erst von Gen. 1,6 an, der Erschaf-
fung der Himmelsfeste, handle der Schöpfungsbericht von der empirischen Welt,
zuvor würden in Gen. 1,1. 3 die intelligiblen Vorbilder genannt, und Clemens
glaubt, dass Platon von daher die Ideenlehre bezogen habe (Strom. 5,93,5–94,1;
Méhat 1966 [*1653: 444] bezieht auch Strom. 6,145,4–6 auf die intelligible Schöp-
fung; eine andere, aber verwandte Auslegung in Ecl. 1,1: der Himmel von Gen.
1,1 bezeichne die Engelwelt) und dass aus Gen. 1,2 die philosophische Annahme
von der Existenz der Materie entwickelt sei (Strom. 5,90,1). Auf der Linie Philons
versteht er ferner die Zählung von sechs Schöpfungstagen nicht wörtlich, sondern
als Ausdruck der Rangordnung unter den simultan erschaffenen Wesen (Strom.

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946 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

6,142,2f.), während die Ruhe Gottes am siebten Tag darauf weise, dass Gott die
unverletzliche Respektierung der Schöpfungsordnung für alle Zeiten festgesetzt
habe (Strom. 6,142,1–3, mit Aristobulos im Hintergrund; vgl. van den Hoek 1988
[*1709: 203]). Im Unterschied zu Philon bezieht Clemens jedoch das ἐν ἀρχῇ («Im
Anfang») von Gen. 1,1 auf den Logos-Christus, durch den alles erschaffen ist
(Strom. 6,58,1; 7,2,2; Ecl. 3,1; 4,1f.; vgl. Nautin 1973 [*1672: 86f.]). Tatsächlich hat
aber im Aufriss von Clemens’ Denken die Ideenlehre aufs Ganze gesehen kaum
eine systematisch tragende Bedeutung. Die allegorischen Auslegungen zum Jeru-
salemer Tempel, zum Tempelkult und zur Kleidung des Hohenpriesters, die Cle-
mens für seine ins Christliche gewendeten Ausführungen zum Teil fast blockartig
von Philon übernommen hat (Strom. 5,32–40; van den Hoek 1988 [*1709: 116–
147]), wiederholen zwar dessen Unterscheidung zwischen dem sinnlich wahr-
nehmbaren und dem intelligiblen Kosmos (Strom. 5,33,2). Doch während die Phä-
nomene des κόσμος αἰσθητός, auf die der Bibeltext dunkle Hinweise gebe, präzise
benannt sind (etwa die unbewegte Himmelssphäre, die Gestirne und die sieben
Planeten, der Tierkreis und die ihm gemäß verlaufende Zeit mit den vier Jahres-
zeiten, die Gestirne als Instrumente der Zeitmessung [vgl. auch Prot. 63,1; 102,1],
die Zentralstellung der Erde im Kosmos, die vier Elemente, die vier Winde usw.),
bleiben die inhaltlichen Angaben zum κόσμος νοητός eher vage: Es sei die Sphäre,
die den Vielen verborgen und verschlossen ist (Strom. 5,35,5), in die nur eintreten
wird, wer Herr über die Affekte geworden ist (Strom. 5,34,7) und wer das Intelli-
gible vom sinnlich Wahrnehmbaren zu unterscheiden weiß (Strom. 5,39,4); dieser
Ort, der nach einer geheimnisvollen Etymologie wohl den Ideenhimmel umfasst,
sei auch identisch mit der Achtheit (Ogdoas), dem Raum der Ruhe der vollkom-
menen Seelen, die mit den Engeln den himmlischen Lobpreis anstimmen (Strom.
5,36,3; vgl. Le Boulluec 1981 [*1565: II 148–150]). Dem entspricht, dass der Be-
griff τὰ νοητά («die Intelligibilia») nicht nur die idealen Urbilder bezeichnet
(Strom. 5,94,2; 6,79,1; vgl. Strom. 2,24,1; 4,155,4; die stoische Klassifikation der
νοητά in Strom. 2,33,1), sondern in oszillierender und schwer greifbarer Weise
auch die Engelwelt und die engste Nähe zu Gott assoziieren kann (Strom. 2,5,2f.;
5,78,2; 7,2,2. 17,2. 40,1. 45,1; Exc. Thdot. 10,1; 12,2; vgl. Méhat 1966 [*1653: 448f.];
Strom. 5,29,6: Christus das intelligible Licht, andererseits noch gesteigert Exc.
Thdot. 12,3: der Sohn das unzugängliche Licht). Die vorrangigste Funktion er-
wächst diesem intelligiblen Bereich auf jeden Fall nicht in kosmologischer Hin-
sicht. Sie liegt in dessen Einbeziehung in das Konzept des gnostischen Aufstiegs,
indem er eine richtungsweisende Zwischenetappe markiert, wenn die Seele des
Vollkommenen im Streben zu Gott sich von den Sinnendingen löst und Stufe für
Stufe in die Höhe aufschwingt. Insofern ist genau genommen der κόσμος νοητός
noch gar nicht die höchste Realität. Ihn überragen die pneumatischen Dinge, da-
runter auch die eschatologischen Geheimnisse (Strom. 6,68,1; Exc. Thdot. 27,2f.)
sowie das Heilige und Allerheiligste (Strom. 6,86,1), wie denn auch der Herr jen-
seits der intelligiblen Welt angesiedelt ist (Strom. 5,38,6).

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 947

5. Gott und der Logos-Christus

Das letzte und höchste Ziel aller geistigen Bestrebungen des Clemens ist die
Erkenntnis Gottes, ja, er würde sie selbst der ewigen Seligkeit vorziehen, wenn da
ein Unterschied bestünde (Strom. 4,136,5). Zugleich ist er tief vom Wissen um
Gottes Transzendenz durchdrungen, von der religiösen Erfahrung, dass Gott der
völlig andere ist, den menschliche Vernunft weder begreifen noch in Sprache fas-
sen kann (Strom. 5,65,2). Und doch hat ihn dieses Bewusstsein nicht in Schweigen
verstummen lassen (doch vgl. Strom. 5,67,2f.; 7,2,3; Mortley 1973 [*1671]). Um sei-
nen Glauben artikulieren zu können, hat er neben anderem auch Kategorien des
zeitgenössischen Platonismus aufgenommen, die ihrerseits analog die Jenseitig-
keit des höchsten Prinzips zum Ausdruck brachten. Hier liegt das Zentrum der
Verschmelzung des biblischen Glaubens mit dem griechischen Geist. Hervorste-
chendes Merkmal dafür ist der extensive Gebrauch, den Clemens von den negati-
ven, durch α-privativum gebildeten Gottesprädikaten macht. Zwar sind ihm sol-
che schon aus dem hellenistischen Judentum, aus Philons Schriften, aus der
christlichen Missionspredigt (etwa Strom. 6,39,1–3), den Apologeten und auch aus
dem heterodoxen Gnostizismus geläufig, aber er bezeugt bei allen Überlappun-
gen auch spezifisch mittelplatonische Termini wie ἄρρητος («unsagbar»), ἀόρατος
(«unsichtbar»), ἀγέν(ν)ητος («ungeworden/ungezeugt») u. a. (vgl. Daniélou 1973
[*1669: 321–340]; zu ἄπειρον in Strom. 5,81,6 vgl. Choufrine 2002 [*1750: 160–175];
Hägg 2006 [*1765: 159] bietet eine exemplarische Auflistung). Nicht weniger kenn-
zeichnend ist, dass er von den drei im Mittelplatonismus beschrittenen Wegen der
Gotteserkenntnis die beiden wichtigsten wiederholt: die ‘via negationis’, die nach
und nach alle positiven Bestimmungen abstrahiert (Strom. 5,71,2f. 81,5f.; Whittaker
1983 [*1688], Mortley 1986 [*1694: 41–44]), und die ‘via eminentiae’, die Stufe für
Stufe alle positiven Bestimmungen überbietet (Strom. 5,65,2. 71,5. 73,1f. 74,2; Da-
niélou 1973 [*1669: 340–343]; einen Anklang an die ‘via analogiae’ kann man in
Strom. 5,82,1f. sehen). Kann man nur erkennen, was Gott nicht ist, nicht aber, was
er ist (Strom. 5,71,3), so erfolgen alle Aussagen, mit denen Clemens das Mysterium
Gottes umschreibt, in symbolisch-indirekter Rede und haben paradoxen Charak-
ter (Le Boulluec 1991 [*1715: 240–250]; vgl. auch Robertson 2008 [*1777: 32–44]).
Gott, die erste Ursache des Alls (Strom. 1,182,2; 5,81,4; 6,78,5) und das erste und
älteste Prinzip (Strom. 5,81,4), ist das Eine (τὸ ἕν: Strom. 5,81,6); er ist eins (ἕν),
aber zugleich jenseits des ἕν und erhaben über die Monas selbst (Paed. 1,71,1).
Gott ist das höchste Sein (Prot. 117,1; Strom. 4,162,5), er ist das allein wahrhafte
Seiende (Paed. 1,71,2; vgl. Strom. 7,54,4), das Sein an sich (Strom. 7,28,7–29,1) oder
personal qualifiziert in Anlehnung an Ex. 3,14 der Seiende (Paed. 1,71,2; Strom.
1,166,4; 5,34,5; 6,137,3), und doch ist er τὸ ἐπέκεινα αἴτιον («das noch darüber hin­
aus Ursächliche»), was im Hinblick auf die ἀρχὴ τῶν ὄντων («Anfang/Prinzip des
Seienden») und die πάντων κρατιστίη οὐσία («bestes Sein von allem») des Got-
tessohnes besagen will, dass er jenseits des Seins ist (Strom. 7,2,2f.; vgl. Strom.
1,177,1; Whittaker 1969 [*1660: 93f.]). Er ist νοῦς («Geist»: Strom. 4,155,2. 162,5;
7,40,1) und trotzdem jenseits des Geistigen (Strom. 5,38,6; zum Ganzen Hägg 2006
[*1765: 164–179]).

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948 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Seinem Wesen nach bleibt Gott – natürlich nicht wie eine metaphysische Leer-
stelle, wie «a deification of zero» (Hort, Mayor 1902 [*1591: XXXIX]) – unerkenn-
bar und fern, aber der jenseitige Gott wendet sich in seinem Sohn, im Logos-
Christus, nach außen der Schöpfung zu und offenbart sich gnadenhaft in ihm, so
dass er seiner Wirksamkeit nach nahe ist und erkannt werden kann (Strom. 2,5,4;
5,71,5). Dem entsprechen die Bezeichnungen, die Clemens dem Logos-Christus
beilegt. Er ist die Weisheit, die vor Grundlegung der Welt Gottes Ratgeber war
(Strom. 6,58,1; 7,7,4), der Wille des Vaters (Prot. 120,4; Paed. 3,98,1; Strom. 5,6,3)
und der väterliche Diener (Paed. 1,4,1; 3,2,1) oder das Werkzeug des Vaters (Prot.
6,1). Er ist die δύναμις («Kraft», nach I. Cor. 1,21) und die ἐνέργεια («Tätigkeit»)
des Vaters (Prot. 120,4; Strom. 6,47,3; 7,7,4. 7. 9,1; Exc. Thdot. 8,3; vgl. Runia 2004
[*1758]). Er ist die εἰκών («Bild») des unsichtbaren Gottes (nach Col. 1,15; Strom.
5,38,7. 94,5; Exc. Thdot. 19,4), der χαρακτήρ («Ausprägung») der väterlichen Herr-
lichkeit (nach Hebr. 1,3; Strom. 7,16,6. 58,4) und das Angesicht Gottes, das den
Vater offenbart (πρόσωπον: Paed. 1,57,2; Strom. 5,34,1; 7,58,3; Exc. Thdot. 10,6;
12,1; 23,5). Er ist ganz Intellekt, ganz Licht vom Vater her, ganz Auge, der alles
sieht, hört, weiß und die Mächte erforscht (Strom. 7,5,5 nach Xenophanes 21 B 24
DK; in Strom. 7,37,6 auf Gott bezogen). Alle diese Bezeichnungen weisen auf je-
weils besondere Funktionen hin – und die Aufzählung könnte leicht vermehrt
werden (vgl. Prot. 112,1. 120,4; Strom. 7,5,4–6) –, die in der einen und selben Re-
alität des Sohnes zusammenkommen. In gewisser Hinsicht umfasst er damit eine
Vielfalt in sich. Er ist nicht mehr eines als eines (ἕν ὡς ἕν), aber auch nicht vieles
im Sinn von Teilen, sondern eine komplexe Einheit im Sinne des Einen als Tota-
lität (ὡς πάντα ἕν) – wie ein Kreis, in dem alle Kräfte in eins zusammengefasst
und vereint sind –, und er wird deshalb auch Alpha und Omega genannt (Strom.
4,156,1–157,1; dazu Lilla 1971 [*1664: 204–207], Osborn 2005 [*1760: 142–144]).
Zwischen dem absolut Einen bzw. Übereinen des Vaters und der Vielfalt der ge-
schaffenen Welt steht in vermittelnder Instanz das All-Eine, die Monas, d. h. der
Sohn (Prot. 88,2; Strom. 5,71,2; Mortley 1986 [*1694: 43]; ferner Paed. 1,71,1; Lilla
1971 [*1664: 216]), was im Hinblick auf den ontologischen Status des Sohnes eine
gewisse Spannung impliziert. Einerseits scheint er dem Vater untergeordnet, an-
dererseits mit ihm in substantieller Einheit gedacht zu sein, was beides in Cle-
mens’ Verständnis der Gedanke der Offenbarungsvermittlung erfordert (Van den
Hoek 2009 [*1782: 52f.] macht darauf aufmerksam, dass Clemens in bestimmten
Fällen Attribute, die für Gott gebraucht werden, ebenso auf den Sohn beziehen
kann). Tatsächlich haben seine Versuche, eine Logoslehre auszuformulieren, noch
weithin einen unsicher tastenden und experimentierenden Charakter, wo verschie-
dene disparate Traditionselemente aufgenommen und lose nebeneinander gestellt
sind, aber eine alles zusammenschließende Begrifflichkeit nicht zur Hand ist. An-
ders urteilt Lilla 1971 [*1664: 199–212], der eine geschlossene Konzeption der Lo-
goslehre bei dreifacher Stufung des Logos annimmt (ähnlich Jourdan 2010
[*1785]): Der Logos als Gottes immanenter Intellekt, der Logos als selbständige,
den Ideenkosmos in sich begreifende Hypostase und der Logos als die im Kosmos
immanent repräsentierte Weltvernunft bzw. Weltseele. Auf der Linie der gestuf-
ten Logoslehre, wie sie einige Apologeten anhand der Unterscheidung von λόγος

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 949

ἐνδιάθετος («im Geist befindlicher, gedanklicher Logos») und λόγος προφορικός


(«hervorgebrachter Logos») vertreten haben, liegt es in der Tat, wenn Clemens er-
klärt, «nachdem der Logos [sc. aus dem Intellekt Gottes] hervorgetreten war,
wurde er Urheber der Schöpfung» (Strom. 5,16,5). Clemens verbindet damit das
berühmte mittelplatonische Theorem von den Ideen als den im Geist Gottes exis-
tierenden Gedanken Gottes, das bei Philon schon in dahingehender Erweiterung
begegnet, dass Gott die von ihm gedachten Ideen aus sich herausstrahlen lässt, so
dass sie im Logos als eigener Hypostase subsistieren (Strom. 4,155,1; 5,16,5. 73,3;
Lilla 1971 [*1664: 201–203], Clark 1977 [*1682: 79–83], van den Hoek 1988 [*1709:
174f., 190f.], Osborn 2005 [*1760: 129f.]). Aber im Grunde behagt Clemens die Vor-
stellung von λόγος προφορικός, die ohnehin nur ein einziges Mal unbeanstandet
bei ihm begegnet, wegen ihrer heterodoxen Anklänge nicht (Chadwick 1967 [*1657:
177], Hägg 2006 [*1765: 242]); sie darf nicht zum Interpretationsschlüssel für alle
anderen Aussagen gemacht werden (die dubiose Notiz bei Photios zu den zwei
Logoi, fr. 23 Stählin, ist hier – trotz Jourdan 2010 [*1785] – ganz außer Acht zu las-
sen und ebenso das verdächtige «secundum aequalitatem substantiae», «gemäß der
Gleichheit der Substanz», der Adumbrationes, fr. 24 Stählin zu I. Ioh. 1,1).
Offensichtlich sucht Clemens auf verschiedenen Wegen nach Vorstellungs- und
Sprachmöglichkeiten, um die Präexistenz des Logos-Christus in seiner Relation
zu Gott-Vater zu erfassen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist eine Distinktion in
Gott selbst zu wechselseitiger Verschränkung von Vater und Sohn. Der Vater ist
nicht ohne den Sohn; denn indem er Vater ist, ist er Vater des Sohnes (Strom. 5,1,3
– ein Argument, das bei Origenes das Theorem der ewigen Zeugung des Sohnes
begründen wird; vgl. Le Boulluec 1981 [*1565: II 13f.]). Der Sohn ist dem Vater,
dessen Sohn er ist, gleich (Prot. 110,1; Paed. 1,4,1), weil er im Vater und der Vater
in ihm ist (Prot. 110,1; Paed. 1,24,3. 53,1). So ist der Logos Gott in Gott (Exc.
Thdot. 8,1), und beide sind eins (Paed. 1,62,4; 3,101,1). Ein anderer Gedankengang
stützt sich auf das Gottesprädikat ἄναρχος («anfangslos»: vgl. Prot. 65,4; Strom.
4,162,5; 6,101,6). Der Sohn ist wie Gott das zeitlose, anfangslose Prinzip von allem
(Strom. 7,2,2. 7,2; 5,141,2; dazu Le Boulluec 1981 [*1565: II 375]), insofern der
Vater, der das Prinzip des Alls hervorbringt (Strom. 4,162,5; 6,58,1), die erste Ur-
sache und noch jenseits des Sohnes ist (Strom. 6,78,5; 7,2,3), und der Sohn die von
ihm erzeugte Ursache ist (Strom. 6,78,5). In diesem Sinn ist der Sohn aus dem un-
sichtbaren Vater vor den Ewigkeiten zur εἰκών ‘abgebildet’ (Strom. 5,38,7). Oder
der Menschgewordene heißt der ewige Sohn in einer die ‘communicatio idioma-
tum’ vorbildenden Redeweise (Prot. 121,1). Besondere Wertschätzung scheint Cle-
mens ferner dem Begriff ὁ ἐν ταυτότητι λόγος entgegenzubringen, den er erstmals
in das präexistenztheologische Vokabular eingebracht hat. Obwohl der Ausdruck
an sich nicht eindeutig ist, will er mit ihm die beständige und unteilbare Einheit
des Logos mit dem Vater, dem einen Gott, zum Ausdruck bringen (Exc. Thdot.
8,1: θεὸς ἐν θεῷ […] ἀδιάστατος, ἀμέριστος, εἷς θεός, «Gott in Gott […] unge-
trennt, ungeteilt, ein einziger Gott»; Exc. Thdot. 19,1f. 4). In dieser Einheit von
Gott in Gott unterscheidet sich der Sohn von Anfang an (d. h. von Ewigkeit an; so
Hägg 2006 [*1765: 202]; diese Interpretation ist wegen des exegetischen Bezugs
der Stelle auf Ioh. 1,1 die einzig mögliche) – nicht dem Wesen nach, sondern durch

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950 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

περιγραφή, durch «Umgrenzung», was im Sinne von Individuation gemeint ist,


aber eine Degradation gegenüber dem wesenhaft unumgrenzten Gott impliziert
(Exc. Thdot. 19,1f. 4; Daniélou 1973 [*1669: 372–375]; mit gewissen Korrekturen
Osborn 2005 [*1760: 126–129], Hägg 2006 [*1765: 197–206]). Wiederum ein ande-
rer Versuch, das Verhältnis des Sohnes zum Vater zu benennen, geht in kühner
Metaphorik vom Geheimnis der göttlichen Liebe als der Quelle der Selbstmittei-
lung Gottes aus. «Blick auf die Geheimnisse der Liebe, und dann wirst du den
Schoß des Vaters schauen, den der eingeborene Gott allein verkündigt (Ioh. 1,18).
Gott selbst ist die Liebe, und als Liebe ließ er sich von uns schauen (I. Ioh. 4,8. 16).
Das Unaussprechliche von ihm ist Vater, das mit uns Mitempfindende wurde Mut-
ter. Aus Liebe wurde der Vater weiblich, und das große Zeichen dafür ist der, den
er aus sich erzeugte. Und die aus Liebe geborene Frucht ist Liebe. Deshalb kam
er auch herab, deshalb wurde er Mensch» (Q. d. s. 37,1f.; vgl. Paed. 1,71,3; Méhat
1966 [*1653: 487f.], Le Boulluec 1996 [*1727: 40f.]; in eine andere Richtung geht
Strom. 5,126,2). Im Grunde durchzieht alle Aussagen immer wieder die gleiche
spannungsvolle Polarität: Gott ist seinem Wesen nach unergründlich, doch aus
Liebe hat er seinen Sohn hervorgebracht und sich in ihm durch selbstbestimmte
Umgrenzung erschlossen. Aufgrund dieser Selbstmitteilung Gottes ist der Sohn
substantiell eins mit dem Vater und zugleich durch sein Gezeugt-Sein und seine
personale Umgrenzung, die der Vater nicht hat, von ihm unterschieden und ihm
nachgeordnet. Dadurch wird er gegenüber der Welt zum Mittler, der Gottes Han-
deln an ihr vermöge seiner Wirksamkeit als väterlicher δύναμις («Kraft») vollzieht
und den Vater allein offenbart. Den innergöttlichen Vorgang der Selbstmitteilung
Gottes möchte Clemens jedoch nicht an den Akt der Welterschaffung knüpfen.
Mögen seine diesbezüglichen Aussagen auch in dieser Hinsicht der letzten Klar-
heit entbehren, weisen sie doch in eine Richtung, die auf die Lehre der ewigen
Zeugung des Sohnes zuläuft (Edwards 2000 [*1744], Hägg 2006 [*1765: 185–197]
gegen die Annahme einer zwei- oder dreifachen Stufung in der Logoslehre).
Auf mannigfache und vielgestaltige Weisen hat der Logos-Christus immer wie-
der in der Heilsgeschichte seit Erschaffung der Welt als Erzieher und Lehrer der
Menschheit gewirkt, um seine Geschöpfe in Anpassung an ihr jeweiliges Vermö-
gen zu Gott zu führen (Paed. 1,55,2–61,3; Strom. 2,72,4; 6,28,3. 58,2. 106,3f.; 7,6,6;
Tsirpanlis 1977 [*1684], Méhat 1981 [*1685: 108]). Vorbereitet und verankert in
dieser Kontinuität der einen Ökonomie Gottes, stellt die Menschwerdung Gottes
in Jesus Christus und seine Passion den Höhepunkt aller geschichtlichen Mani-
festationen dar. Der ewige Logos ist vom Himmel herabgekommen (Paed. 2,75,2;
Strom. 5,7,8. 105,4; Q. d. s. 6,2) und hat Fleisch angenommen (Prot. 111,2; Strom.
4,8,7; 6,127,1; 7,6,5. 8,1). Er wurde Gott in Menschengestalt (Paed. 1,4,1). Christus
allein ist beides, Gott und Mensch (Prot. 7,1); ein offenbares Geheimnis, Gott im
Menschen und der Mensch ist Gott (Paed. 3,2,1, man beachte die Asymmetrie!).
Es kann freilich nicht überraschen, dass Clemens’ Ausformulierung der christo-
logischen Fragen, auch wenn er einige klar exponiert hat (Strom. 5,1,2: ὅτι […] πῶς
[…] διὰ τί […] περὶ τοῦ πάθους, «dass […] auf welche Weise […], weswegen […],
über das Leiden»), noch kaum entwickelt ist. Er will die Gottheit und die Mensch-
heit ungeschmälert in der Personeinheit Christi sehen, und zwar im Sinne einer

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 951

Christologie von oben, so dass das personbildende Zentrum der Logos ist. Das
hat zur Folge, dass er ihm menschliche Bedürfnisse und Leidenschaften abspricht
(Strom. 6,71,2; Nahrung nahm er nur zur Widerlegung doketischer Ansichten zu
sich, vgl. Strom. 3,59,3; 7,72,1: ohne Begierden; Paed. 1,4,1; Strom. 6,71,2: ohne
Seelenaffekte; 7,7,2. 5; bedenklich auch Paed. 1,23,1; Strom. 2,21,1) und doch sein
wahres menschliches Leiden behauptet (Paed. 1,85,2. 97,3; 2,36,2; Q. d. s. 37,3f.;
Paed. 2,62,2: er erfuhr die Schwachheit des Fleisches αὐτοπαθῶς aus Mitleid zu
uns). Den Doketismus verwirft er als häretisch (Strom. 7,108,2; 6,71,2; Le Boul-
luec 1985 [*1693: II 328, 349, 432]), aber es bleiben ungelöste Probleme. Das ist
hier nicht weiter zu verfolgen. Indessen nicht unerwähnt dürfen die umwälzenden
Rückwirkungen des Inkarnationsgedankens auf die axiomatischen Grundkoor-
dinaten des griechischen Denkens bleiben. Während es für philosophisches Ver-
ständnis allenfalls erschwinglich gewesen wäre, in der Person Jesu von Nazareth
einen sittlich herausragenden Menschen zu sehen, behauptet Clemens ja nichts
Geringeres, als dass in ihm, in dieser äußerlich niedrigen und unansehnlichen Ge-
stalt (Prot. 110,1; Paed. 3,3,3; Strom. 3,103,3; 6,151,3; Exc. Thdot. 4,2) der uran-
fängliche Logos und eingeborene Sohn des jenseitigen Gottes Mensch geworden
ist und den schmachvollsten Tod erlitten hat. Mit vollem Recht kann man hier von
einer schöpferischen Synthese sprechen. Clemens hat die religiös erfahrene Trans­
zendenz Gottes in griechisch philosophischen Kategorien ausgedrückt, aber er
hat, ohne die griechischen Denkmittel preiszugeben, den philosophischen Got-
tesbegriff durch das christliche Kerygma aufgesprengt, um die Selbsterniedrigung
Gottes in Jesus Christus denken zu können.

6. Der kontemplative Aufschwung und die Eschatologie

Es darf nicht aus dem Blick verloren gehen, dass der Gnostiker, wie Clemens
ihn zeichnet, nicht nur jemand ist, der die höheren Kenntnisse der wahren Lehre
erworben hat, sie innerlich geistig durchdrungen hat und sie in seinem Leben
praktisch durch das Befolgen der Gebote bewährt, sondern er ist nicht weniger
dadurch gekennzeichnet, dass er als Lehrer wirkt und auch andere zur wahren
Gnosis und zur gnostischen Lebensweise hinführt (Strom. 2,46,1; 7,3,4. 52,1). Den-
noch, das Höchste, was Clemens vom geistigen Leben eines Christen zu sagen
weiß, ist der kontemplative Aufschwung, in dessen Verlauf sich die Seele des Voll-
kommenen in Abkehr von der Sinnenwelt über mehrere Stufen hinauf zur Schau
Gottes von Angesicht zu Angesicht erhebt. Damit hat Clemens ein neues, bei frü-
heren christlichen Autoren noch nicht begegnendes Element aus der paganen und
hellenistisch-jüdischen Religionsphilosophie in die christliche Theologie einge-
bracht. Der Gedanke des gnostischen Aufstiegs basiert für ihn wesentlich auf dem
kirchlichen Gemeindeglauben, er ist der konkrete Vollzug der geistigen Übergip-
felung des Glaubens in der Gnosis und ist untrennbar mit dem dynamisch drän-
genden Elan der Liebe (Strom. 2,45,1; 4,145,2; 7,10,3. 55,6f. 57,3f.) verknüpft. Wenn
die Erhebung auch unter der Leitung und dem Beistand Christi steht und von der
Kraft des Heiligen Geistes gewirkt wird (Prot. 10,2f.; Strom. 6,166,3; 7,95,3), so

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952 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

handelt es sich dabei doch zunächst um eine rationale Betätigung, der sittliche
Vorbereitungen wie die beständige Reinigung von den Affekten und intellektu-
elle Einübungen etwa durch enzyklopädische Studien vorangehen müssen (Strom.
6,91,2. 96,4; Camelot 1931 [*1627]). Clemens hat dieses Konzept sehr reich ausge-
staltet, entsprechend vielfältig sind die Traditionen, die er verwertet hat, aber weit-
hin dominiert das Modell des Platonismus, wobei die Mysterienterminologie und
das Vorbild Philons noch eigens zu nennen wären. Besonders deutlich wird der
platonische Einschlag, wenn er von der «wahren Dialektik» spricht, die im dialek-
tischen Verfahren der Zerlegung bzw. Prüfung und der Zusammensicht bis zur
Erkenntnis des Gottessohnes vordringt und sich noch darüber hinaus bis zum
Gott des Alls, den der Sohn offenbart, voranwagt, um dann diese Erfahrung in
der Rückwendung ins irdische Leben im praktischen Verhalten und an der Schrift-
auslegung zu bewähren (Strom. 1,176,3–179,4; Pépin 1972 [*1668], Wyrwa 1983
[*1689: 124–131]; vgl. Strom. 5,74,1f. mit Plat. Rep. 7, 532a–b). Oder im Sinne der
platonischen Schulphilosophie wendet Clemens die «analytische Methode» an,
die auf dem Wege der Abstraktion alle empirischen Eigenschaften von den Din-
gen ‘more geometrico’ abzieht und zum ersten Denken vordringt, indem sie
Schritt für Schritt zur intelligiblen Monas gelangt, d. h. sich auf die Größe Christi
wirft, um von dort in den Abgrund vorzudringen und sich dem unsagbaren und
unerkennbaren Allmächtigen, dem Einen, zu nähern, der sich selbst im Sohn of-
fenbart (Strom. 5,71,1–72,1; Rizzerio 1998 [*1736], Itter 2009 [*1781: 49f.]; vgl.
Strom. 6,90,4; 5,81,5–82,4). Einmal spricht Clemens von der «wahrhaft gnosti-
schen Physiologie», welche die irdischen Naturphänomene in ihrer hierarchischen
Struktur als Zeichen auf die transzendente Wirklichkeit zu lesen und umgekehrt
in ihnen Spuren der geistigen Welt wahrzunehmen vermag, die auf ihren intelligi-
blen Ursprung und ihre intelligible Einheit im ersten Prinzip zurückweisen und
den Menschen in die Nähe des Logos führen (Strom. 4,3,1–3; Rizzerio 1996 [*1728:
216–329]; vgl. Strom. 5,8,5–7; 6,111,1). Oder Clemens beschreibt den Weg des
«mystischen Fortschritts», der von der Katharsis über die Illumination (vgl. Strom.
6,138,2) zur Epoptie führt und die Seele zuletzt in den höchsten Ort der Ruhe und
in die Gemeinschaft mit dem Herrn direkt unter ihm versetzt (Strom. 7,56,1–57,5;
vgl. Riedweg 1987 [*1704: 142f.]). Der Gedanke der gnostischen Erhebung kann
auch allegorisch am Eintritt des Hohenpriesters in das Allerheiligste des Tempels
(Exc. Thdot. 27,1–6; Strom. 5,39,4–40,1) oder an der Symbolik der Sieben- und
Achtzahl (Strom. 4,159,2; 5,106,3f. in Auslegung von Plat. Rep. 10, 616b; 6,108,1.
138,1–6 mit Aristobulos fr. 5 im Hintergrund; 7,57,5) festgemacht werden. Beson-
dere apokalyptische Traditionen stehen im Hintergrund, wenn Clemens den Auf-
stieg als Himmelsreise der Seele beschreibt, die an den Wächterengeln vorbei
(Strom. 4,116,2. 117,2; dazu Méhat 1966 [*1653: 461–464]) durch die Engelhierar-
chien hinaufführt (Strom. 6,105,1f.; 7,13,1. 82,5; Daniélou 1973 [*1669: 447–453],
Recinová 2012 [*1803: 108f.]). Weitere Variationen ließen sich nennen (Strom.
2,51,1; 7,83,3f.; singulär in Clemens’ Werk, aber gut platonisch ist Strom. 1,94,4–7:
Weg über die Selbsterkenntnis). Nach beiläufigen Bemerkungen zu urteilen
(Strom. 7,40,1. 46,4; 6,102,1f.), scheint Clemens den Aufstieg in enger, wenn nicht
gar direkter Verbindung mit dem Gebet des Gnostikers, das er als Gespräch mit

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 953

Gott bezeichnet (Strom. 7,39,6. 42,1. 49,7. 73,1; ebenso Max. Tyr. Diss. 5,8, mögli-
cherweise nach Aristoteles; Méhat 1995 [*1723], Perrone 2012 [*1801]), gesehen
zu haben (zum beständigen Gebet: Strom. 7,35,1–3. 49,7. 73,1; zum inneren Gebet:
Strom. 7,39,6. 43,5). Doch grundsätzlich, und das sagt Clemens mehrmals (Strom.
2,5,3f. mit Phil. Post. 18 und Somn. 1,66f. im Hintergrund; 5,7,7. 71,3. 79,1; 6,166,2),
ist dem Menschen als geschaffenem Wesen die Wesenserkenntnis Gottes, des
Schöpfers, verwehrt: Was er in der Kontemplation erfährt, ist die direkte und ver-
traute Begegnung mit Gott, wie er sich in Christus geoffenbart hat (Strom. 2,77,4;
5,7,8. 16,5. 34,1. 66,2f.). Er tritt ein in die engste Gemeinschaft und Nähe mit
Christus (Strom. 6,121,3: ἐγγὺς τοῦ θεοῦ βασιλέως, «nahe bei Gott dem König»;
7,88,3: προσεχὴς γενομένος τῷ κυρίῳ, «in engste Berührung mit dem Herrn ge-
kommen»; 7,35,7; 40,2: σύνεγγυς τοῦ θεοῦ, «nahe bei Gott»; 40,3: δι’ εὐχῆς
συνεῖναι θεῷ, «durch das Gebet mit Gott zusammensein»; 44,5: προσεχὴς […]
γενομένος […] ἤνωται τῷ πνεύματι, «in engste Berührung […] gelangt […] ist er
vereint mit dem Geist»), dem großen Hohenpriester im Vorhof des Vaters (Strom.
7,45,3). Engelgleich und lichterfüllt geworden (Strom. 6,105,1; 7,57,5), ist er mit
Christus zusammen (Strom. 4,155,4: σὺν Χριστῷ ἔσται; 7,79,4) und in Liebe mit
ihm, dem Geliebten, verbunden (Strom. 6,72,1. 76,1. 4: ἔχει δι’ ὧν ἔγνω ὃν
ἠγάπησεν, «er hat das, wodurch er den erkannte, den er liebte»; 6,102,1). Er wird
μοναδικός (wie der Logos die Monas ist), indem er untrennbar in Christus geeint
wird (Strom. 4,152,1. 157,2; Prot. 88,2). Insofern hat er mit unerschütterlicher Ge-
wissheit auch alle Belehrungen und Unterweisungen, die Christus eröffnet hat
und welche die Apostel weitergegeben haben, geistig ergriffen (6,61,1. 3; 6,68,2f.
70,2f.; 7,44,6. 78,4. 83,5).
Indessen ist der kontemplative Aufschwung eine durch die Liebe vorwegge-
nommene Antizipation dessen, was den Gnostiker nach dem leiblichen Tod in der
eschatologischen Vollendung erwartet (Strom. 6,73,4–6. 75,2. 102,1; 7,47,7. 57,5).
Mag auch in Clemens’ oszillierender sprachlicher Ausdruckweise die Grenze nicht
immer scharf gezogen sein, so ist für ihn fraglos jetzt schon Vorgriff, was dereinst
erst volle Realität sein wird (Paed. 2,29,2f.). Dann, wenn der Christ nach dem Tod
durch Feuer geläutert und gereinigt sein wird (Strom. 5,9,4; 7,34,4. 78,3; Anrich
1902 [*1622], Schmöle 1974 [*1677: 59–87]), werden ihm in der Auferstehung fei-
nere Körpergestalten zuteil (fr. 24 [adumbr.] zu I. Ptr. 1,3; Auferstehung zum ewi-
gen Leben: Q. d. s. 42,16. 19; Paed. 1,28,3. 5; Bekleidung mit Unvergänglichkeit:
Paed. 1,84,3; 3,2,3), und er empfängt die ihm gebührende Belohnung und einen je
nach seiner Würdigkeit gestaffelten Wohnplatz (Strom. 4,15,4–6. 114,1 nach Mc.
10,29f.; Mt. 19,29; vgl. Mt. 13,8. 23; Strom. 4,36,3–37,1; 6,114,1–3; 7,9,4. 57,5. 88,3
nach Ioh. 14,2; vgl. Strom. 6,47,1; 7,13,1: ἀμείνονες τόποι, «bessere Orte», nach
Plat. Leg. 10, 903d. 904d–e). Doch auch im Jenseits ist noch geistliches Wachstum
und Fortschreiten möglich. Es ist für Clemens der deutlichste Erweis der vom
Sohn Gottes ausgehenden Providenz, dass sich diese auf die σωτηρία («Heil») des
Ganzen erstreckt und jeden einzelnen nach Möglichkeit zum immer Besseren hin-
führt, bis am Ende, im Eschaton, das letzte Ziel ohne Ende (τὸ τέλος ἀτελεύτητον:
Strom. 2,134,1; 7,56,3) erreicht sein wird (Strom. 7,12,2f. 6,1; bei den Ausführun-
gen zur πρόνοια, «Vorsehung», in 7,6,1–15,4 steht vor allem Plat. Leg. 10, 903b–

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954 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

905a im Hintergrund; vgl. Solmsen 1969 [*1659]). Denn erst dann – und nicht
schon im Urstand, als der Mensch vorerst nur mit der Anlage zur Vollkommen-
heit geschaffen war (Strom. 4,150,3f.; 6,96,1f.) – wird die Schöpfung im Ganzen
zur Vollendung gelangt sein. Die heilsamen Veränderungen zum Besseren – Cle-
mens spricht von «Umschwüngen» (περιτροπαί), um die astral-kosmische und
überhimmlische Dimension dieses Geschehens anzudeuten – basieren auf der
freien Wahl jedes einzelnen (Strom. 7,12,4) und sind durch καὶ χρόνοις καὶ τόποις
καὶ τιμαῖς καὶ γνώσεσι καὶ κληρονομίαις καὶ λειτουργίαις («sowohl durch Zei-
ten, Orte, Ehren, Erkenntnisse, Erbschaften und Gottesdienste») unterschieden
(Strom. 7,10,2). Was Clemens damit meint, geht aus seiner sehr komplexen, mit
apokalyptischem Material arbeitenden Auslegung von Ps. 18,6 «er hat in der
Sonne ein Zelt aufgestellt» hervor (Ecl. 56,1–57,5; dazu Cambe 2009 [*1780: 83–
146]): Die Sonne bedeute, verkürzt gesagt, den Ort, an dem sich die herrschenden
Engel aufhalten und zu dem bei der Wiederkunft des Herrn die Gerechten, son-
nenhaft und engelgleich geworden (vgl. Strom. 7,84,2), hinzustoßen. Aber sie ist
nur ein temporärer Zwischenaufenthalt auf dem Weg des jenseitigen Aufstiegs.
Nach einer gewissen Zeit werden die Gerechten in den nächst höheren Rang der
Erzengel aufsteigen, wohin ihnen die herrschenden Engel schon vorausgegangen
sind, und ihren ursprünglichen Ort in der Sonne werden von unten nachrückende
Gerechte einnehmen. Die Erzengel ihrerseits werden dann schon in den höchsten
Rang der Protoktisten (vgl. Exc. Thdot. 10,3–12,1) vorgerückt sein, und so fort.
Den hierarchisch gestuften Klassen obliegen verschiedene Dienstleistungen, unter
denen neben den kosmischen (Strom. 7,9,1–4. 17,2: λειτουργίαι), den heils­
geschichtlichen (fr. 24 [adumbr.] zu I. Ioh. 2,1: «operationes»; Strom. 5,35,1:
διακονίαι) und liturgischen (Strom. 6,107,2f.) die Dienstleistungen der Belehrung
besonders hervortreten, insofern jeweils die höhere Klasse die niedere für
1000 Jahre unterrichtet, bis diese zur Vollkommenheit vollendet ist und ihrerseits
wieder die niedere unterrichtet, aber von der nächst höheren erneut Belehrung
erfährt. Schließlich werden alle, die ehedem gerechten Menschen, die Engel und
die Erzengel, in die «protoktistische Natur» übergehen (vgl. Exc. Thdot. 27,3–6).
Was Clemens also im Blick hat, ist eine ontologische, die Individualität aber wah-
rende Transformation des Gnostikers, die an seinen geistlichen Erkenntnisfort-
schritt gebunden ist, wenn dieser im Eschaton zur definitiven Schau Gottes auf-
steigt (so Cambe 2009 [*1780: 100]; unrichtig Bucur 2009 [*1779: 48]: «descriptions
of an interior phenomenon»). Dass Clemens aber die Allversöhnung gelehrt habe,
lässt sich, so sehr diese in der Konsequenz gewisser Formulierungen liegen könnte
(Ramelli 2012 [*1802]), nicht nachweisen (gegen Itter 2009 [*1781: 175–200]). Tat-
sächlich spricht er vom großen Weltgericht (Strom. 3,63,4; 7,12,5. 102,3–4; Ecl. 40),
von Bestrafung im ewigen Feuer (Q. d. s. 33,3) und davon, dass die unverbesserli-
chen Übeltäter in die Tiefe hinabstürzen bzw. getötet werden (Strom. 1,171,4; 7,9,4.
102,3; Q. d. s. 42,18). Den Terminus ἀποκατάστασις wie auch das entsprechende
Verb gebraucht er in der Bedeutung von «Erfüllung», «Einsetzung», «Herstellung
eines richtigen Zustands», nicht aber im Sinne von «Wiederherstellung» (Méhat
1956 [*1638]; Le Boulluec 1997 [*1566: 185] übersetzt in Strom. 7,56,5: «l’établis­
sement définitif»).

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§ 98. Clemens von Alexandrien (Bibl. 1103–1111) 955

Alles, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben, wird dann am Ende dem voll-
kommenen Gnostiker wirklich im überreichen Maße zuteilwerden. Er ist zum
Freund Gottes (vgl. Iac. 2,3; Ioh. 15,15) geworden, in die auserwählte Sohnschaft
(vgl. Rm. 8,23; Eph. 1,5) eingereiht und zum vollkommenen Mannesalter (vgl.
Eph. 4,13) herangewachsen (Strom. 1,173,6; 2,75,2; 6,76,3. 114,6; 7,62,7. 68,1. 3;
7,88,3). Er hat das vollkommene Erbteil des Herrn angetreten (Strom. 6,75,2.
114,4. 164,4; 7,10,1. 55,7) und ist an den überragenden Ort der Ruhe gelangt
(Strom. 6,108,1; 7,57,1. 68,4). Er hat die Angleichung an Gott in sich gänzlich rea-
lisiert (Prot. 122,4; Strom. 2,134,1f.; 7,84,2) und lässt die Gottebenbildlichkeit un-
getrübt in sich aufstrahlen (Strom. 4,137,1; 6,114,4–6; vgl. 7,86,2; Strom. 7,16,6.
29,5f.: als εἰκών an dritter Stelle). Indem er derart ausgezeichnet ist, führt er, auf
Thronen direkt unter dem Heiland, ein Leben in Gemeinschaft mit Göttern (d. h.
mit den Engeln und Mitgnostikern) und heißt selbst Gott (nach Ps. 81,6 Prot.
123,1; Strom. 2,125,5; 4,149,8; 6,114,6; 7,56,3. 6). Er empfängt, was kein Auge ge-
sehen und kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist (Strom.
4,114,1; 5,40,1 mit I. Cor. 2,9). Nicht in Spiegeln oder durch Spiegel schaut er, son-
dern er feiert das Festmahl einer deutlichen und reinen Schau, von Angesicht zu
Angesicht (Strom. 7,13,1 mit I. Cor. 13,12; ebenso Paed. 1,36,5f.; Strom. 1,94,6;
5,40,1; 6,102,2; 7,57,1. 68,4; Exc. Thdot. 15,1; 27,4). Es scheint freilich nicht sicher,
ob Clemens bei der eschatologischen Schau im Jenseits mit einer vollen Wesenser-
kenntnis Gottes gerechnet hat. Auffälligerweise verwendet er auch in diesen Zu-
sammenhängen gelegentlich die relativierende bzw. limitierende Klausel «nach
Möglichkeit», «auf höchst mögliche Weise» o. ä. (Strom. 7,12,3. 13,1. 16,6). Der
geistige Fortschritt besteht ja darin, dass das Ausstrecken der Seele (ἐπεκτεινομένη:
Strom. 7,10,1; Paed. 1,52,2 nach Phil. 3,13) auf ein Ziel gerichtet ist, das kein Ende
kennt (Strom. 2,134,1; 7,56,3), weil Gott selbst unendlich ist (Strom. 5,81,4. 6); es
ist ein stetiges Wachstum, wo die Vollendeten die nie voll werdende Freude einer
nicht satt werdenden Schau genießen (Strom. 5,40,1: ἀκόρεστος θεωρία; 6,75,1: τὴν
ἀπλήρωτον τῆς θεωρίας εὐφροσύνην αἰδίως καὶ ἀκορέστως ἑστιώμενον; 6,108,1;
7,13,1). Das scheint zu implizieren, dass das Wesen Gottes letztlich der direkten
und vollen Erkenntnis des Gnostikers entzogen bleibt (Itter 2009 [*1781: 204f.],
Hägg 2012 [*1797: 141]), wie umgekehrt, dass ein Abfall aus dem Stand der Voll-
kommenheit unmöglich ist (Strom. 6,75,1). Aufschlussreich ist zudem, wie Cle-
mens die Schau Gottes durch die von Anfang an vollkommen erschaffenen Pro-
toktisten, die keinen Fortschritt kennen, interpretiert. Dass die Protoktisten das
Angesicht des Vaters sehen (nach Mt. 18,10; 5,8), bedeute, dass sie das Angesicht
des Sohnes sehen; denn er ist das Angesicht des Vaters, durch den der Vater er-
kannt wird (Exc. Thdot. 10,4f.; Daniélou 1973 [*1669: 372], Mortley 1976 [*1679:
118]). An eine mystische Vereinigung kreatürlicher Wesen mit Gott scheint Cle-
mens nicht gedacht zu haben (vgl. Exc. Thdot. 17,3–4), was er aber mit Nachdruck
vertreten hat, ist die Vereinigung mit Christus in der Liebe.

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956 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

4. NACHWIRKUNG

Clemens’ Nachwirkung stand unter einem unglücklichen Vorzeichen, war er


doch der Vorläufer eines Größeren. Lange Zeit wurde er wegen seiner staunens-
werten Belesenheit hoch geachtet (vgl. die Zeugnisse bei Stählin, Treu 31972
[*1559: I IX–XVI]), aber auf dem engeren Gebiet der materialen Dogmatik wirkte
er – anders als Origenes – nicht, was sicher auch mit seinem eigenwilligen litera-
rischen Stil zusammenhängt. Man schätzte ihn als Apologeten, und das von ihm
gesammelte diesbezügliche Material ging in die apologetische Tradition eines Eu-
sebios, eines Kyrill, eines Theodoret und anderer ein, die es neu aufbereiteten
oder einfach übernahmen. Ob er den Boden für die Entwicklung des Mönchtums
bereitet hat, erscheint trotz Anklängen bei Euagrios Pontikos (Guillaumont 1987
[*1698]) fraglich (Brown 1988 [*1707: 137–139]; vgl. Dihle 1988 [*1708: 52]; positiv
dagegen, besonders mit Blick auf den Hesychasmus Marrou 1960 [*1563: 61],
Chadwick 1966 [*1651: 63f.]). Doch die Schatten der origenistischen Streitigkeiten
fielen auch auf ihn, der aufgrund von Eusebios’ Nachrichten als Lehrer des ‘großen
Häretikers’ galt. In dieser Hinsicht wurde Hieronymus’ Positionswechsel, der sein
früheres Lob zurückstellte und stattdessen Misstrauen äußerte (Hier. Adv. Rufin.
2,17), folgenreich. Das sogenannte ‹Decretum Gelasianum› stützte sich neben an-
deren auf Hieronymus, als es Clemens’ Werke verwarf, und Cassiodor mahnte mit
Rücksicht auf allgemeine antiorigenistische Gereiztheiten zur Vorsicht. Im grie-
chischen Sprachbereich lässt sich ebenfalls der schrittweise Stimmungsum-
schwung beobachten, bis um 850 die sehr einflussreiche Mönchschronik des Ge-
orgios Monachos notiert, Clemens sei Origenist gewesen, und etwa gleichzeitig
der spätere Patriarch Photios die, wie er meint, belastenden Anklagen in seiner
‹Bibliothek› zusammenstellt. Und nochmals ein Jahrhundert später weiß das ‹Sy-
naxarion› der koptischen Kirche – historisch unhaltbar – mitzuteilen, dass die Hä-
retiker Clemens, Origenes und Areios von Bischof Demetrios exkommuniziert
worden seien. Trotzdem hat er noch zu dieser späten Zeit erklärte Verehrer gefun-
den, so dass manche Exzerpte aus seinen Schriften in die byzantinischen Florile-
gien und Katenen eingegangen sind (Stählin, Treu 31972 [*1559: I XLVII–LXV]).
Arethas, der Metropolit des kappadokischen Kaisareia, ließ eine Abschrift vom
‹Protreptikos› und vom ‹Paedagogus› anfertigen, die auf das Jahr 914 datiert ist
und die er selbst korrigiert hat. Dieses heute noch vorhandene Exemplar ist die
berühmte Apologetenhandschrift, Parisinus graecus 451, der Archetyp aller wei-
teren Abschriften dieser beiden Werke (Stählin, Treu 31972 [*1559: I XVI–
XXIII]). Und möglicherweise geht auch die älteste erhaltene Handschrift der
‹Stromata›, der Laurentianus V 3 aus dem 11. Jahrhundert, auf eine Arethashand-
schrift zurück (Stählin, Treu 31972 [*1559: I XL Anm. 1]). Doch erlitt Clemens’
Ansehen erneute Einbußen, als Papst Clemens VIII. und nochmals Gregor XIII.
seinen Namen aus dem revidierten ‹Martyrologium Romanum› (1584) tilgten, wo
bis dahin seit dem 9. Jahrhundert der 4. Dezember als sein Märtyrertag verzeich-
net war. Die maßgebliche Initiative dazu scheint von Kardinal Baronius ausgegan-
gen zu sein, den vor allem das sogenannte ‹Decretum Gelasianum› und auch Cas-
siodors und Photios’ Vorbehalte bestimmt hatten. Aber zu diesem Zeitpunkt war

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 957

bereits die Editio princeps durch den gefeierten Florentiner Humanisten Petrus
Victorius 1550 veröffentlicht, und im Jahr darauf war separat die lateinische Über-
setzung von Gentian Hervet ebenfalls in Florenz erschienen. Dass dieser Druck
auf protestantischer Seite sogleich zur kontrovers-theologischen Polemik von Fla-
cius Illyricus (1556) und den ‹Magdeburger Centurien› (1559) ausgebeutet wurde,
war nur ein kurzes Intermezzo; denn im Grunde musste Clemens der altprotes-
tantischen Orthodoxie wegen seiner Hochschätzung der griechischen Philosophie,
seines unklaren Schriftgebrauchs und seiner dogmatisch offenen Darstellungs-
weise nicht weniger fremd bleiben. Substantieller war der Anteil, den Clemens im
17. Jahrhundert in Frankreich bei den Auseinandersetzungen mit dem Quietismus
und in England im Umkreis der Cambridge Platonists zukam. Auf römischer Seite
verteidigte schließlich noch einmal und definitiv Benedikt XIV. im Jahr 1748 die
Entscheidung seiner Vorgänger. Es waren in erster Linie Philologen wie Friedrich
Sylburg 1592, Daniel Heinsius 1616 und John Potter 1715, die sich um das Ver-
ständnis des Clemens-Textes verdient gemacht haben (vgl. zum Ganzen Bigg 1886
[*1619: 269–272], Knauber 1970 [*1662], Méhat 1981 [*1685: 110f.], Le Boulluec
1987 [*1701]).

§ 99. Origenes

Marco Zambon
unter Mitwirkung von Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Origenes (ca. 185–254; nach Eus. Hist. eccl. 6,14,10, Hier. Vir. ill. 54 und Epiph.
Haer. 64,1 hieß er auch Adamantios) ist die überragende Gestalt der vornizäni-
schen christlichen Theologie, der Schöpfer eines tief in der geistigen Auslegung
der Bibel und im kirchlichen Glauben verwurzelten Denkansatzes, der sich mit
der heidnischen, jüdischen und gnostischen Tradition produktiv auseinanderge-
setzt hat (Fürst 2011 [*2261: 83–100]). Über sein Leben und Werk gibt er manch-
mal selbst in seinen Schriften Auskünfte (Perrone 2013 [*1996] und 2013 [*2277]).
Ausführlicher unterrichtet uns Eusebios von Caesarea im sechsten Buch seiner
‹Kirchengeschichte›. Sein Bericht stützt sich auf einige Briefe von Origenes, auf
andere zeitgenössische Urkunden und auf die von Pamphilos mit Eusebios’ Hilfe

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958 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

zwischen 307 und 310 verfasste ‹Apologie für Origenes› (Eus. Hist. eccl. 6,23,4.
33,4. 36,4). Das apologetische Ziel dieser ‘Biographie’, der Gebrauch von nicht
immer zuverlässiger mündlicher Überlieferung (ebd. 6,2,1) sowie Eusebios’ Ver-
such, seine spärlichen Zeitangaben mit der chronologischen Reihenfolge der rö-
mischen Kaiser und der Bischöfe von Rom und Alexandrien zu harmonisieren,
machen eine kritische Prüfung seiner Auskünfte erforderlich (Nautin 1977 [*1993:
98], Verheyden 2011 [*1995]). Weitere Nachrichten verdanken wir der ‹Dankrede
an Origenes› eines Schülers namens Theodoros (nach Eus. Hist. eccl. 6,30 war er
Gregor der Wundertäter), der seine Schule in Caesarea besucht hatte, ferner Epi-
phanios von Salamis, Hieronymus, der ‹Bibliothek› des Patriarchen Photios (Bibl.
cod. 8, 3b–4a; 117–118, 91b–93a) und weiteren antiken Schriftstellern.
So ist Origenes, trotz manchmal erheblicher Meinungsverschiedenheiten in der
Forschung, einer der antiken christlichen Schriftsteller, dessen Leben vergleichs-
weise gut bekannt ist. Neben den klassischen Werken von Huet 1668 [*2016], Re-
depenning 1841–1846 [*2017] und de Faye 1923–1928 [*2018] bietet heute Nautin
1977 [*1993] die genaueste, wenn auch nicht unumstrittene Rekonstruktion von
Origenes’ Biographie.
Über die erste Phase von Origenes’ Leben bis zu seinem endgültigen Verlassen
von Alexandrien im Jahr 232 n. Chr. berichtet Eusebios, auf der Grundlage eines
autobiographischen Briefes des Origenes an den Bischof Alexander von Jerusalem
(Nautin 1961 [*2071: 126–134] und 1977 [*1993: 21–24], Perrone 2013 [*1996: 7–8]).
Origenes wurde zwischen 183 und 187 n. Chr. als Sohn einer wohlhabenden
christlichen Familie in Alexandrien geboren. Er kam in den Genuss einer sehr
guten Ausbildung sowohl in den herkömmlichen allgemeinen Fächern des anti-
ken Bildungskanons (ἐγκύκλιος παιδεία) als auch in der Heiligen Schrift (Fürst
2007 [*2229]). Als er siebzehn Jahre alt war (d. h. zwischen 199 und 203, wahr-
scheinlich im Jahr 202), erlitt sein Vater das Martyrium (Eus. Hist. eccl. 6,2,12).
Dank seiner literarischen Bildung konnte Origenes als ‘Sekundarlehrer’
(γραμματικός) für den Unterhalt von Mutter und Geschwistern sorgen (Neuschä-
fer 1987 [*2140: 32–38]).
Eusebios (Hist. eccl. 6,3,3) setzt um 203, als Origenes achtzehn Jahre alt war,
den Beginn seiner Lehrtätigkeit an der ‘katechetischen Schule’ Alexandriens an.
Dieses Datum scheint sehr früh zu sein; Nautin 1977 [*1993: 39, 365, 417] hat das
Jahr 211 vorgeschlagen: Nachdem Origenes während der Verfolgung unter Statt-
halter Aquila (206–211) mutig Unterweisung im christlichen Glauben erteilt hatte
(Bischof und Klerus hatten die Stadt verlassen), hätte Bischof Demetrios nach sei-
ner Rückkehr seinen Unterricht nachträglich gut geheißen und ihn mit dem Un-
terricht an der katechetischen Schule betraut (vgl. Wyrwa 2005 [*2223: 283f.]).
Nach kurzer Zeit gab Origenes den literarischen Unterricht als γραμματικός auf
und widmete sich völlig der christlichen Unterweisung (Eus. Hist. eccl. 6,3,8–9).
Origenes’ Schultätigkeit weist Züge auf, die auch für die zeitgenössischen phi-
losophischen Schulen typisch waren, obwohl hier nicht Platon, sondern die Hei-
lige Schrift Gegenstand der exegetischen Bemühungen von Lehrer und Schülern
war (Scholten 1995 [*2175: 19–22, 37]): Der Lehrer, selbst Schüler eines Philoso-
phen (Hist. eccl. 6,19,12–13), führte ein asketisches und wirtschaftlich unabhängi-

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 959

ges Leben (ebd. 6,3,8–13); die Hörer kamen aus unterschiedlichen Kreisen (Chris-
ten, Heiden, Juden, Häretiker: ebd. 6,3,13. 19,1–3. 19,12), wobei wenigstens einige
unter ihnen eine enge persönliche Beziehung mit dem Lehrer hatten (ebd. 6,3–5).
Auf diese Weise setzte Origenes eine Schultradition fort, die den Christen in
Alexandrien und anderswo schon vertraut war (Löhr 2010 [*2256: 170–171]): Eu-
sebios (Hist. eccl. 5,10,1–4; 6,6,1) stellt ihn sogar als Nachfolger von Pantainos und
Clemens (dessen Schüler er gewesen sein soll) als Leiter einer seit langer Zeit exis-
tierenden offiziellen kirchlichen Schule (διδασκαλεῖον) dar. Eusebios’ Nachricht
ist fragwürdig (Le Boulluec 1999 [*2189]): Origenes kannte sicher Clemens’
Schriften und vielleicht auch ihn persönlich (Alexander von Jerusalem schrieb, er
habe Origenes durch Clemens kennengelernt: Eus. Hist. eccl. 6,14,8–9); direkter
Schüler des Clemens ist er aber sicher nicht gewesen.
Außerdem scheint die von Eusebios erwähnte Sukzession der Lehrer an der
katechetischen Schule konstruiert zu sein, da die Schule erst nach Origenes die
Züge einer ständigen Einrichtung aufweist (van den Broek 1995 [*2176: 41]). Pan-
tainos und Clemens, wie andere zu ihrer Zeit und später, waren keine von kirch-
lichen Behörden beauftragten Philosophielehrer. Auch die für Origenes bezeugte
Beauftragung durch Bischof Demetrios (Eus. Hist. eccl. 6,3,8. 14,11) muss in dem
Sinn verstanden werden, dass der Bischof eine von Origenes selbständig unter-
nommene Schultätigkeit anerkannte. Das tat er wahrscheinlich mit der Absicht,
deutlicher die Grenzen zwischen wahrem Glauben und Irrlehre zu setzen und die
bischöfliche Macht zu festigen (Prinzivalli 2002 [*2333: 34–35], Fürst 2007 [*2229:
270–272]; anders van den Hoek 1997 [*2181: 76, 85–87]).
Methode und konkrete Inhalte des von Origenes erteilten Unterrichtes bleiben
ungewiss. Im Lauf seines Lebens hat er sich in verschiedener Weise damit befasst,
wie man Neophyten und Sympathisierende ins Christentum einführt, hat sich aber
auch mit der Frage der höheren Bildung eines kleineren Schülerkreises beschäf-
tigt. Um sich besser mit den gebildeten häretischen oder heidnischen Hörern sei-
ner Schule auseinandersetzen zu können, besuchte er – vor der Abfassung der
‹Stromata› (222–229) – einen Philosophielehrer (Eus. Hist. eccl. 6,19,11–14).
Nach Porphyrios (apud Eus. Hist. eccl. 6,19,5–8 = Porph. Adv. Christ. fr. 39
Harnack = 6F. Becker) hieß dieser Lehrer Ammonios. Er wird üblicherweise mit
dem Platoniker Ammonios Sakkas, dem Lehrer Plotins, identifiziert. Porphyrios
spricht in der im Jahr 301 geschriebenen ‹Vita Plotini› noch einmal von einem Phi-
losophen namens Origenes, der in Alexandrien mit Plotin und Longinos die
Schule des Ammonios besucht und zwei philosophische Schriften verfasst hat
(Porph. Vit. Plot. 3. 14. 20).
Diese Zeugnisse und ihre Interpretation sind Gegenstand einer langen For-
schungsdiskussion (Zambon 2011 [*2009]). Man könnte vermuten, dass es sich in
beiden Fällen um den christlichen Origenes handelt (Kettler 1979 [*2005], Bea­
trice 1992 [*2006], Böhm 2002 [*2007]), aber die überlieferte Lebenszeit, die Ab-
fassungszeiten, die Anzahl und der Inhalt der Werke des in der ‹Vita Plotini› er-
wähnten Origenes sind nicht ganz einfach mit jenen des christlichen Origenes
vereinbar. Die Mehrheit der Forscher geht heute von zwei gleichnamigen Schrift-
stellern aus, einem in der ‹Vita Plotini› und im ‹Timaios-Kommentar› des Proklos

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960 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

erwähnten heidnischen Philosophen und dem christlichen Theologen, dem Por-


phyrios in der Abhandlung ‹Gegen die Christen› die Züge des Philosophen zu-
schrieb. Diese Hypothese wurde zum ersten Mal von Heinrich von Valois im
17. Jahrhundert formuliert (grundlegend Weber 1962 [*2003], der die Fragmente
des Platonikers gesammelt hat; vgl. auch Edwards 2002 [*2204: 54f.]). Dass sich
dennoch die Identität des einen Origenes, des christlichen Theologen und zugleich
Philosophen, vertreten lässt und die Gegeneinwände nicht unüberwindbar sind,
hat zuletzt Riedweg 2018 [*2010] zu zeigen versucht.
Nach Eusebios (Hist. eccl. 6,8,1–3) hätte sich Origenes, in jugendlichem Leicht-
sinn aufgrund der allzu wörtlichen Auslegung einer Bibelstelle (Mt. 19,12) und
um Verleumdungen wegen des auch Frauen erteilten Unterrichtes vorzubeugen,
entmannen lassen. Diese Nachricht hat seit dem 19. Jahrhundert in der Forschung
zu langen Kontroversen geführt und wird heute meist in Zweifel gezogen. Euse-
bios schreibt nämlich, Demetrios habe sich später seiner Priesterweihe aus Miss-
gunst unter dem Vorwand, dass er Eunuch war, entgegengestellt (Hist. eccl. 6,8,4–
5; Hier. Ep. 33,5). Das scheint ein apologetisches Argument des Historikers zu
sein, um einen tiefen theologischen Widerstreit zwischen Bischof und Lehrer zu
verschleiern (Markschies 2007 [*2231]; vgl. auch Orig. Comm. in Mt. 15,1–5).
Zwischen 211 und 217, zur Zeit des Papstes Zephyrin, unternahm Origenes eine
Reise nach Rom (Eus. Hist. eccl. 6,14,10), wo er möglicherweise Predigten Hippo-
lyts hörte (Hier. Vir. ill. 61). Nach seiner Rückkehr bekehrte er Ambrosios, einen
reichen Alexandriner, vom Valentinianismus zur Orthodoxie (Eus. Hist. eccl. 6,18,1;
Orig. Comm. in Ioh. 5, fr. 8 Blanc). Von da an ermunterte ihn Ambrosios zu inten-
siver schriftstellerischer Tätigkeit und stellte ihm reichlich Mittel zur Verfügung, um
seine Werke bearbeiten und herausgeben zu können (Orig. Comm. in Ioh. 5, fr. 1
Blanc; Eus. Hist. eccl. 6,23,1–2; Hier. Vir. ill. 56; 61). So war er u. a. Auftraggeber der
‹Commentarii in Iohannem›, von ‹De oratione›, ‹Exhortatio ad martyrium› und
‹Contra Celsum›. Die zunehmende Beanspruchung durch das Lehramt, das Bibel-
studium und seine sonstigen literarischen Tätigkeiten bewogen Origenes, seinen
Schüler Heraklas mit dem Elementarunterricht zu betrauen, während er sich selbst
den Unterricht für die Fortgeschrittenen vorbehielt (Hist. eccl. 6,15). Solche Teilung
entspricht eher einem philosophischen Unterricht als der für die Katechese sinnvol-
leren Unterscheidung zwischen Katechumenen und Getauften.
Als er bereits zu Ansehen gekommen war, unternahm Origenes eine Anzahl
weiterer Reisen. Nach Arabien wurde er von dem dortigen römischen Statthalter
gerufen (wahrscheinlich fuhr er damals zum ersten Mal durch Palästina: Kretsch-
mar 1953 [*2065: 264]). Eusebios (Hist. eccl. 6,19,15) setzt diese Reise zur Zeit von
Caracalla (211–217) an, während Nautin 1977 [*1993: 365–366] ein späteres Datum
vermutet, am Anfang der Herrschaft von Alexander Severus (222–235), nach der
Veröffentlichung der ‹Stromata› und der Abhandlung ‹Über die Auferstehung›.
Bald darauf reiste er wieder nach Palästina (Eus. Hist. eccl. 6,19,16–19), wo er
die Gastfreundschaft der Bischöfe Alexander von Jerusalem und Theoktistos von
Caesarea genoss, die im weiteren Verlauf seines Lebens eine wichtige Rolle spie-
len sollten (über Origenes’ enge Beziehung mit Palästina und mit dem Bischof
Alexander auch in der Zeit vor der Übersiedlung nach Caesarea: Perrone 2013

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 961

[*2277]). Noch später (231/32) lud ihn die Kaiserin-Mutter Julia Mamaea nach
Antiochien ein (Eus. Hist. eccl. 6,21,3–4); dann führte ihn eine Reise nach Athen
(ebd. 6,23,4).
Während eines Zwischenaufenthaltes auf der Reise nach Griechenland wurde
Origenes von Bischof Theoktistos in Caesarea zum Priester geweiht (Hist. eccl.
6,23,4), was eine Wende in seinem Leben bedeutete. Nach Eusebios’ Bericht be-
rief Demetrios, gereizt durch die Verletzung seiner bischöflichen Rechte, wahr-
scheinlich aber auch weil er Origenes’ theologische Meinungen nicht teilte und
schon seit längerer Zeit mit ihm in Widerstreit lag, in Alexandrien eine Synode
ein, die ein Lehrverbot gegen Origenes aussprach. Kurz darauf erklärte er seine
Priesterweihe für ungültig; ein ähnliches Urteil erwirkte Demetrios auch beim rö-
mischen Bischof Pontian (Phot. Bibl. cod. 118, 92b–93a; Eus. Hist. eccl. 6,8,4–5;
Hier. Vir. ill. 54; Ep. 33,5; Adv. Rufin. 2,18–19). Diese Ereignisse, die zwischen der
Wahl des Pontian (232) und dem Tod von Demetrios (um 233) zu datieren sind,
zwangen Origenes, Alexandrien endgültig zu verlassen (Perrone 2013 [*2277: 150–
151], Rinaldi 2013 [*2278: 57–60]).
In den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Alexandrien hatte er die Abhand-
lung ‹De principiis› und die ersten fünf Bücher des ‹Johannes-Kommentars› ge-
schrieben. Nachdem er nach Caesarea übergesiedelt war, nahm er dort seine exe-
getische und schriftstellerische Tätigkeit wieder auf (Comm. in Ioh. 6,2,8–10; Le
Boulluec 2008 [*2239: 239–251], Rizzi 2013 [*2279]). In Caesarea stellte er einige
Abhandlungen und mehrere Kommentare zum Alten und Neuen Testament fertig.
Die Abhandlungen ‹De oratione› und ‹Exhortatio ad martyrium› sind beispiels-
weise in die ersten Jahre seines dortigen Aufenthaltes (um 235–238) zu datieren.
Als Priester übernahm Origenes in Caesarea mit großem Einsatz auch die Auf-
gabe des Predigers, die er schon als Laie wenigstens von Zeit zu Zeit ausgeübt
hatte (Eus. Hist. eccl. 6,19,16; Markschies 1997 [*2179: 41–44]): Pamphilos (Apol.
praef.) schreibt, dass er «fast jeden Tag» predigte; nach Sokrates (Hist. eccl.
5,22,45–46) hielt er sich an den alten alexandrinischen Brauch, am Mittwoch und
Freitag zu predigen. Nach Eusebios (Hist. eccl. 6,36,1) erlaubte er erst nach sei-
nem sechzigsten Geburtstag das Mitschreiben und Veröffentlichen seiner Predig-
ten (anders Scherer 1960 [*1915: 13–15]).
Ein wichtiger Teil von Origenes’ Tätigkeit in Caesarea war die Einrichtung
einer christlichen Schule, die gewissermaßen eine «Privatuniversität» (Markschies
2007 [*2230: 102ff.]) in Verbindung mit einer Bibliothek darstellte (Eus. Hist. eccl.
6,30; Carriker 2003 [*2207: 2–12]). Das dort befolgte Unterrichtsprogramm kann
aus der ‹Dankrede an Origenes› eines Schülers rekonstruiert werden. Es umfasste
die enzyklopädischen Studien (Dialektik, Mathematik, Geometrie, Astronomie),
die Ethik und als Höhepunkt die Theologie. Der besagte Schüler Theodoros ist
nach Eusebios (Hist. eccl. 6,30) identisch mit Gregor dem Wundertäter. Er war
zusammen mit seinem Bruder Athenodoros von ca. 238 bis 245 Origenes von
einem hohen Beamten zur Ausbildung anvertraut worden.
Zu dieser Zeit nahm Origenes auch an zwei Lokalsynoden in Arabien teil, bei
denen es um die Beurteilung der Lehren der Bischöfe Beryllos von Bostra (Hist.
eccl. 6,20,2. 33. 37; Hier. Vir. ill. 60; Nautin 1961 [*2071: 209–219]) und Herakleides

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962 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ging. Die Akten der zweiten Synode sind im ‹Dialogus cum Heraclide› erhalten
(Kretschmar 1953 [*2065: 265–278], Scherer 1960 [*1915: 15–24]). Um die Mitte
der vierziger Jahre ist eine zweite Reise nach Athen anzusetzen und etwas später
ein Aufenthalt in Nikomedien. Gegen Ende der vierziger Jahre verfasste Orige-
nes die Abhandlung ‹Contra Celsum›; die Begegnung mit Porphyrios geht wahr-
scheinlich auch in diese Zeit zurück (Hist. eccl. 6,19,3–8).
Im Jahr 250 löste der römische Kaiser Decius die erste allgemeine Christenver-
folgung aus. Eusebios (Hist. eccl. 6,39,5) berichtet über Origenes’ Einkerkerung
und die grausamen Qualen, die er erlitt. Das Ende der Verfolgung im Jahr 251 er-
lebte er noch, an den Folgen der Misshandlungen ist er jedoch bald darauf, etwa
253/54, gestorben. Zum genauen Todesdatum und dem Ort seines Ablebens exis-
tieren unterschiedliche Überlieferungen. Der ‹Apologie› des Pamphilos und Eu-
sebios zufolge wäre er noch unter Decius als Märtyrer in Caesarea gestorben
(Phot. Bibl. cod. 118, 92b); in seiner späteren ‹Historia ecclesiastica› (Eus. Hist.
eccl. 7,1; vgl. auch Hier. Vir. ill. 65) spricht Eusebios davon, dass er unter Gallus
im vollendeten 69. Lebensjahr in Tyros gestorben wäre, was nicht mit seinen An-
gaben zum Geburtsjahr (Eus. Hist. eccl. 6,2,2) vereinbar ist.

2. WERKE

1. Exegetische und theologische Werke. – 2. Abhandlungen. – 3. Weitere Werke.

Origenes’ außerordentlich umfangreiches lite- mehrere eine ziemlich lange Abfassungsge-


rarisches Werk ist zum Großteil verloren (vgl. schichte hatten.
Fürst 2007 [*2229]); die nach der konstantinischen Die griechischen Originaltexte sind zum größ-
Wende gewandelten kirchlichen Umstände und ten Teil verloren. Viele Werke sind nur in lateini-
vor allem die von Justinian (543) und zur Zeit des scher Übersetzung erhalten; andere haben keine
5. ökumenischen Konzils (553) verhängte Verur- direkte Überlieferung und sind heute nur durch
teilung seiner Lehren haben den Verlust vieler indirekte Zeugnisse (Zitate, Auszüge in den Kate-
Schriften verursacht. Epiphanios (Haer. 64,63,8) nen, Anspielungen) bekannt. Der Umgang mit den
schrieb ihm 6000 Bücher zu; Hieronymus be- lateinischen Übersetzungen und mit den indirek-
schränkt sie auf weniger als ein Drittel (Adv. ten Zeugnissen verlangt große Vorsicht, weil diese
Rufin. 2,22), aber auch diese Angabe ist sicher Überlieferungslinien des origeneischen Werkes
übertrieben. Eine Liste der ihm bekannten Werke oft von den Vorurteilen und Interessen der jewei-
hatte Eusebios dem dritten Buch der ‹Biographie ligen Verfasser beeinflusst sind und mit Eingriffen
von Pamphilos› beigefügt (vgl. Hist. eccl. 6,32,3; in den Text zu rechnen ist (vgl. Neuschäfer 1987
Hier. Vir. ill. 81; Adv. Rufin. 2,22); sie ist verloren, [*2140: 44–51]).
wurde aber von Hieronymus benutzt (Ep. 33; vgl. In Origenes’ Werk können die philosophischen
Nautin 1977 [*1993: 228–229]). Nautin 1977 Beiträge nicht von den Schriften mit rein exege-
[*1993: 241–260] hat 77 Werke gezählt: philoso- tisch-theologischem Interesse getrennt werden.
phisch-theologische Abhandlungen, geistliche Er- Die philosophischen Fragen werden von ihm in
mahnungen, Bibelauslegungen, apologetische Verbindung mit der Deutung der Bibel behandelt.
sowie polemische Stellungnahmen. Hinzuzufügen Einige Schriften sind aber aufgrund ihrer Form
sind die philologische Arbeit der ‹Hexapla› und und ihres Inhalts für die Philosophiegeschichte
die Briefe. Die chronologische Reihenfolge dieser von größerer Bedeutung. Zu diesen Werken wer-
Schriften lässt sich nicht genau bestimmen, zumal den unten kurze Erläuterungen gegeben.

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 963

1. Exegetische und theologische Werke

Kommentare nur Fragmente. Erhalten ist die von Rufinus ver-


fasste lateinische Übersetzung in 10 Büchern; Ru-
Unter den zahlreichen exegetischen Arbeiten, finus schreibt im Prolog, er habe nicht alle Bücher
die Origenes fast allen Büchern der Bibel gewid- finden können und habe manchmal den Text zu-
met hat, sind folgende besonders wichtig: sammengefaßt; daher muß man mit Kürzungen
‹Kommentar zum Hohelied› (in zehn Büchern): und Auslassungen in der lateinischen Fassung
Erhalten ist eine verkürzte lateinische Überset- rechnen.
zung von Rufinus in vier Büchern.
‹Kommentar zu Matthäus›: Von den ursprüng-
lich 25 Büchern sind auf Griechisch acht erhalten Homilien
(10–17; über Mt. 13,36–22,33); eine lateinische
Übersetzung deckt den Text von Buch 12,9 bis un- Die 279 Homilien sind nur ein Teil von den
gefähr zum Ende ab (Mt. 16,13–27,63). Ab Buch Hunderten der von Origenes gehaltenen Predig-
18 (Mt. 22,33) bleibt sie der einzige Zeuge des ten; von ihnen sind nur 21 – außer mehreren Frag-
Werkes; von da an ist sie in 145 Abschnitte geglie- menten – auf Griechisch erhalten (20 ‹Homilien
dert und mit dem Titel ‹Commentariorum series› über Jeremia›; eine ‹Über die Hexe von Endor›).
bezeichnet (Vogt 1999 [*2193: 86–89, 121–134]). Im Frühjahr 2012 wurde in einer griechischen
‹Kommentar zum Johannes-Evangelium›: Von Handschrift der Staatsbibliothek zu München
den ursprünglich 32 Bücher sind neun auf Grie- (Cod. gr. 314) eine Sammlung von 29 Homilien
chisch erhalten (1, 2, 6, 10, 13, 19, 20, 28, 32). Die über die ‹Psalmen› entdeckt, deren Zuschreibung
Erläuterung des Textes reicht bis Ioh. 13,33; Ori- an Origenes man für sicher halten darf. Sie erwei-
genes scheint nicht weiter gelangt zu sein (Vogt tert wesentlich unsere Kenntnis des homileti-
1999 [*2193: 187–205]). schen Werkes und der Psalmenexegese von Orige-
‹Kommentar zum Römerbrief› (ursprünglich in nes (Molin Pradel 2012 [*1975], Perrone 2013
15 Büchern): Vom griechischen Text existieren [*1976]).

2. Abhandlungen

‹Stromata› losophen verglich und alle Lehren unserer Reli-


Στρώματα – ‹Teppiche› gion aus Platon und Aristoteles, aus Numenios
und Cornutus bekräftigte» (vgl. auch Ep. 84,3).
Von den zehn Büchern dieses in Alexandrien Großen Raum scheint die Auslegung von bibli-
verfassten Werkes (Eus. Hist. eccl. 6,24,3) sind nur schen Texten eingenommen zu haben, wobei Ori-
Fragmente erhalten (Nautin 1977 [*1993: 293– genes eine Vielfalt von Themen behandelte: die
302]). Die Überschrift ‹Stromata› weist auf den Auferstehung, ethische Fragen (z. B. ob Freiheit
gemischten Inhalt der Schrift (der wahrscheinlich von Affekten, ἀπάθεια, möglich sei; ob man unter
aus der Schulpraxis des Origenes entstammte) und bestimmten Umständen lügen dürfe) und viel-
bezieht sich deutlich auf das gleichnamige Werk leicht auch kosmologische Fragen.
des Clemens von Alexandrien. Obwohl Origenes
ihn in seinen erhaltenen Werken nicht namentlich
erwähnt, zeigt diese frühe Schrift, dass er sich sein ‹De resurrectione›
Erbe bewusst angeeignet hat. Nach Hieronymus Περὶ ἀναστάσεως – ‹Über die Auf­
(Ep. 70,4) erörterte Origenes verschiedene Fragen erstehung›
der christlichen Lehre mittels eines Vergleichs von
griechischen philosophischen Schriften mit Bibel- Origenes schrieb, noch während er in Alexand-
stellen: «Nach dem Vorbild des Clemens von Alex­ rien lehrte, und vor der Abfassung von ‹De princi-
andrien schrieb Origenes zehn ‹Stromata›, in piis› (Princ. 2,10,1; Eus. Hist. eccl. 6,24,2), zwei
denen er die Meinungen der Christen und der Phi- Bücher über die Auferstehung, die Hieronymus

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964 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

zufolge Ambrosios gewidmet waren (Ep. 33,4; vgl. mit dem gnostischen ‹Tractatus Tripartitus› her-
Ruf. Apol. adv. Hier. 2,23). Nach dem Zeugnis von vorgehoben. Trotz der systematischen Gliederung
Theophilos von Alexandrien (apud Hier. Ep. 92,4) enthält die Schrift kein geschlossenes System.
waren sie nach «dem Diskussionsverfahren der Nach Hieronymus (Ep. 84,10) soll Origenes keine
Dialektiker in Fragen und Antworten» verfasst. Veröffentlichung des Werkes, sondern die Verbrei-
Diese Schriften sind, bis auf einige Fragmente, tung nur in einem beschränkten Kreis von erfah-
verloren. renen Lesern beabsichtigt haben, die imstande
waren, es richtig zu verstehen.
Die im Titel erwähnten «Prinzipien» (ἀρχαί)
‹De principiis› können sowohl in ontologischem als auch in gno-
Περὶ ἀρχῶν – ‹Über die Grundlagen› seologischem Sinn gedeutet werden, nämlich als
(Princ.) Anfangsdinge oder als Grundlehren, durch wel-
che die Wirklichkeit zu verstehen ist. Origenes be-
Die Schrift ‹De principiis› ist von einem theo- spricht die Hauptgegenstände des christlichen
retischen Standpunkt aus die bedeutendste. Sie Glaubens (Gott Vater, Sohn und den Heiligen
hat auch die leidenschaftlichsten Auseinanderset- Geist, die geistigen Geschöpfe – Engel, Dämonen
zungen hervorgerufen. Diese Abhandlung wurde und Menschen – sowie Wesen und Schicksal der
gegen 229/30 verfasst, sicher noch vor 232, als Ori- sinnlich wahrnehmbaren Welt) und ist bemüht, ein
genes Alexandrien endgültig verließ (Eus. Hist. möglichst klares Verständnis der Heiligen Schrift
eccl. 6,24,3; Nautin 1977 [*1993: 423–425]). Nur und der kirchlichen Glaubenslehren (‘regula
ein Teil des griechischen Textes ist erhalten und fidei’) zu erreichen, um die falschen Behauptun-
zwar in der ‹Philokalia›, einer Anthologie aus ori- gen vor allem von Gnostikern und heidnischen
geneischen Schriften (3,1: ‹Abhandlung über die Philosophen zu widerlegen.
Willensfreiheit›; 4,1–3: ‹Abhandlung über die bib-
lische Hermeneutik›), und bei anderen Zeugen
(Markell von Ankyra, Justinian und anderen). ‹De oratione›
Überliefert ist dagegen die vollständige lateini- Περὶ εὐχῆς – ‹Über das Gebet› (Or.)
sche Übersetzung, die Rufinus von Aquileia im
Jahr 398 anfertigte. Sie ist im Wesentlichen eine Die auf Griechisch erhaltene Abhandlung ‹De
zuverlässige Wiedergabe, wenn auch Rufinus nicht oratione› fehlt in den alten Verzeichnissen der
als neutraler Übersetzer vorgegangen ist und teil- Schriften von Origenes (vgl. Pamph. Apol. 8). Sie
weise Stellen verändert oder ausgelassen hat, die wurde bald nach Origenes’ Übersiedlung nach
er für unecht hielt (Princ. 1 praef. Ruf. 3). Hiero- Caesarea (234/35 nach Nautin 1977 [*1993: 385])
nymus verfasste, um die Ketzerei des Origenes zu auf Anfrage von Ambrosios und einer Frau na-
beweisen (Adv. Rufin. 1,1. 6. 11), eine eigene latei- mens Tatiana (2,1; 5,1; 34) geschrieben. Sie ist in
nische Übersetzung, von der nur Auszüge in sei- zwei Hauptteile gegliedert: Nach einer Einleitung
nem Brief 124 erhalten sind (Vogt 1999 [*2193: (1–2) bespricht der erste, stärker philosophisch
269–276]). orientierte Teil (3–17) den Begriff des Gebets,
Einigkeit besteht heute darin, dass dieses Werk mögliche Einwände gegen das Beten, die Frage
in enger Verbindung mit der Lehrtätigkeit des nach dem Verhältnis von Gebet, Willensfreiheit
Origenes zu sehen ist. Harl 1975 [*2104] und Do- und Gottes Vorsehung, sowie den Nutzen, die
rival 1975 [*2103] und 1987 [*2134] haben gezeigt, Notwendigkeit und den Inhalt des Gebets. Der
dass ‹De principiis› die Form eines Physik-Hand- zweite Teil (18–30) enthält eine ausführliche Aus-
buches im antiken Sinne aufweist, das in abstei- legung des ‘Vater Unser’, die vielleicht Frucht von
gender Ordnung Gott, Vernunftwesen und Kos- Origenes’ Predigttätigkeit für die Neophyten in
mos behandelt. Die Schrift ist in drei Hauptteile Caesarea ist. Anweisungen zur Gebetspraxis be-
gegliedert: Der erste Teil (1,1–2,3) enthält die sys- enden die Schrift (31–34). So mischen sich in die-
tematische Darstellung einer christlichen Physik; ser Abhandlung die Züge einer philosophischen
der zweite Teil (2,4–4,3) nimmt in Form von neun ‘quaestio’ über Sinn und Nutzen des Gebetes (vgl.
großen Abhandlungen (‘quaestiones’) die Themen Max. Tyr. 5) mit jenen einer katechetischen Schrift
des ersten Teils wieder auf und vertieft sie; der (vgl. Clem. Alex. Strom. 7; Tert. De orat.). Der
dritte Teil (4,4) ist eine kurze Zusammenfassung, erste Teil widerlegt die Meinung derer, die be-
die noch einige Fragen in derselben Abfolge erör- haupten, es sei unnötig zu beten, da Gott schon im
tet. Dubois 1998 [*2184] hat die Ähnlichkeiten in Voraus wisse, was wir brauchen und was gesche-
der Vorrede und im Aufbau von ‹De principiis› hen werde, und da seine Ratschlüsse unwandelbar

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 965
seien. Auch im zweiten Teil geht Origenes auf phi- ‹Dialogus cum Heraclide›
losophisch wichtige Themen ein: mit dem stoi- Διάλεκτος πρὸς Ἡρακλείδαν καὶ τοὺς σὺν
schen Begriff der ‘individuellen Eigenschaft’ (ἰδία αὐτῷ ἐπισκόπους περὶ πατρὸς καὶ υἱοῦ καὶ
ποιότης) versucht er zu bestimmen, worin die In- ψυχῆς – ‹Gespräch mit Herakleides und
dividualität des Einzelnen liegt (24,2). Im Kapitel seinen Bischöfen über Vater, Sohn und
27,7–8 schildert er eine Reihe von möglichen Er- Seele› (Dial.)
klärungen des Wortes ‘Substanz’ (οὐσία), um zur
richtigen Bestimmung der Bedeutung des Aus- Der ‹Dialogus cum Heraclide› wurde ebenfalls
drucks ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ ἐπιούσιος («unser tägliches/ im Jahr 1941 in Tura bei Kairo entdeckt. Er gehört
geistiges Brot») im ‘Vater Unser’ zu gelangen. zu einer typisch christlichen Gattung: Es handelt
sich um die von einem Schnellschreiber aufgezeich-
nete Mitschrift der Verhandlungen einer Lokalsyn-
‹Exhortatio ad martyrium› ode, die in Arabien zwischen 244 und 249 stattge-
Εἰς μαρτύριον προτρεπτικός – ‹Ermahnung funden hat. Die Synode wurde einberufen, um die
zum Martyrium› (Mart.) Lehre des Bischofes Herakleides über die Bezie-
hung zwischen Gottvater und Sohn zu besprechen
Origenes hat die schnell niedergeschriebene und auch andere Themen wie die unsterbliche
Ermahnung zu Beginn der Christenverfolgung Natur der Seele und die Auferstehung zu erörtern.
unter Maximinus Thrax im Jahre 235 an den Pres- Herakleides war Vertreter einer fast monarchiani-
byter von Caesarea Protoktetos und den Diakon schen Theologie und fand Origenes’ Logos-Lehre
Ambrosios, die beide inhaftiert worden waren, ge- unannehmbar (vgl. Comm. in Ioh. 2,2,16). Origenes
richtet. Die Schrift ist eine eindringliche Auffor- spricht mit Herakleides und den anderen Teilneh-
derung, in der Verfolgungssituation standhaft im mern nicht in der Haltung eines Richters, sondern
Glauben zu bleiben und zum Martyrium bereit zu mit der dialektischen Strenge eines Lehrers und be-
sein (besonders bemerkenswert Exhort. 45f.: Man müht sich, jede Frage auf der Grundlage der Schrift
darf nicht meinen, Gott unter fremden Namen an- und der Glaubensüberlieferung der Kirche zu lösen.
rufen zu können). Sie zeugt von Origenes’ kom-
promissloser Haltung in der Frage der Bekennt-
nispflicht, die sich von einer milderen Auffassung, ‹Contra Celsum›
die auch in christlichen Kreisen vertreten wurde, Πρὸς τὸν ἐπιγεγραμμένον Κέλσου ἀληθῆ
deutlich abhebt. λόγον – ‹Gegen Kelsos’ Schrift mit dem
Titel ‘Wahre Lehre’› (Cels.)
‹De Pascha› Die Schrift ‹Contra Celsum› wurde in Caesarea
Περὶ Πάσχα – ‹Über das Pascha› nach dem Jahr 246 verfasst (Eus. Hist. eccl. 6,36,1;
Nautin 1977 [*1993: 439]). Sie ist vollständig auf
Im Jahre 1941 wurde in einer Höhle beim Arse- Griechisch erhalten. Origenes widerlegt in acht
nioskloster bei Tura, zehn Kilometer südlich von Büchern die ‹Wahre Lehre› (ἀληθὴς λόγος) des
Kairo, eine umfangreiche Bibliothek aus dem 5./6. Platonikers Kelsos (veröffentlicht um 160–180),
Jahrhundert entdeckt, die Papyrushandschriften über dessen Schulzugehörigkeit er sich nicht ganz
mit einigen Werken von Origenes und in überwie- im Klaren war; mit einigem Zögern bezeichnet er
gender Zahl mit solchen von Didymos dem Blin- ihn als Epikureer (Cels. 1,8), doch schließlich
den enthielt. Zu diesen Funden gehört auch ein sieht er ihn in der Nachfolge Platons (Cels. 4,83;
Werk des Origenes mit dem Titel ‹Über das Pa- 6,47). Durch die origeneische Apologie sind zahl-
scha› in zwei, mehr für sich stehenden Büchern. Es reiche Auszüge aus der Schrift des Kelsos überlie-
handelt sich dabei offensichtlich um Lehrvorträge fert. Obwohl Apologetik in der jüdischen und
(also nicht um Predigten, die Hieronymus Ep. christlichen Tradition schon verbreitet war, orien-
33,4,6 nennt), die Origenes’ Pascha-Verständnis tiert sich diese Schrift nicht daran, sondern am
im Anschluss an Ex. 12,1–11 und I. Cor. 5,7f. ent- Vorbild philosophischer polemischer Abhandlun-
falten. Entstanden sind sie nach dem 10. Buch des gen, wo nach einem Vorwort die Widerlegung
‹Johannes-Kommentar› und vor dem ‹Matthäus- eines Referenztextes durch Zitation eines Textab-
Kommentars›, d. h. zwischen 245 und 249 (vgl. schnittes mit anschließender Gegenargumenta-
zum Ganzen Buchinger 2005 [*2219: 140–158]). tion durchgeführt wird, wie in Plutarchs ‹Adver-
sus Colotem› oder bei Galens ‹Adversus Lycum›
und ‹Adversus ea, quae Iuliano in Hippocratis

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966 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

aphorismos enuntiata sunt› (‹Gegen die von Julian dem Verhältnis zum Judentum und zu den heidni-
gegenüber Hippokrates’ ‘Aphorismen’ vorge- schen Mythen und Religionen; zur Frage nach
brachten Einwände›; Dorival 1998 [*2183]). ‹Con- dem geschichtlichen Ursprung des Christentums,
tra Celsum› ist eine ausführliche Auseinanderset- nach der Wahrheit der Heiligen Schrift und nach
zung mit der hellenischen Kultur (vgl. Eus. Adv. der Weise, in der man sie deuten soll; zu Fragen,
Hier. 1) und eine reiche Quelle für Origenes’ Mei- die aus der Lebensweise und aus der Lehre der
nung zu einer Vielzahl von Fragen: zur Frage nach Christen entspringen usw.

Weitere Werke

‹Hexapla› schen Zeichen versehen, den Asteriskoi und Obe-


Ἑξαπλᾶ – ‹Sechsspaltiges› loi, um Zusätze und Lücken im Vergleich mit dem
hebräischen Text anzuzeigen (Hier. Ep. 106,7;
Es handelt sich hierbei um eine Ausgabe des 112,19; vgl. Grafton, Williams 2006 [*2226: 86–
Alten Testaments in sechs Spalten, die den hebrä- 117]). Es hat wohl kaum mehr als ein Exemplar
ischen Text und verschiedene griechische Überset- existiert, nur von einzelnen Teilen sind Abschrif-
zungen auflistete (Eus. Hist. eccl. 6,16; Epiph. ten angefertigt worden (Lietzmann 1936 [*2022:
Mens. 7. 19; Hier. In Tit. 3,9; eine verkürzte Aus- 314], Fürst 2014 [*2037: 503]). Die Ausgabe lässt
gabe, die ‹Tetrapla›, enthielt nur die griechischen sich teilweise rekonstruieren (Salvesen 1998
Übersetzungen). In buchtechnischer Hinsicht ab- [*2188]).
solut innovativ war die Darstellung in mehreren,
nebeneinander gesetzten Kolumnen, die den Ver-
gleich auf einen Blick gestattete. Geboten wurden Briefe
der hebräische Text und eine vokalisierte Um-
schrift in griechischen Buchstaben, weiter die Eusebios sammelte in neun Büchern über 100
Übersetzungen von Aquila, Symmachos, der LXX Briefe des Origenes, die ihm noch zur Verfügung
und des Theodotion. Für einzelne Bücher, insbe- standen (Hist. eccl. 6,36,3–4; Nautin 1961 [*2071:
sondere für die ‹Psalmen›, wurden noch weitere 233–265]). Von dieser Sammlung sind vollständig
Übersetzungen hinzugefügt. Außerdem war die nur noch zwei Briefe erhalten: einer an Gregorios
LXX mit den sogenannten aristarcheischen kriti- (Philoc. 13) und einer an Julius Africanus.

3. LEHRE

1. Origenes’ Verhältnis zur griechischen Philosophie. – 2. Origenes und die Häretiker. – 3. Origenes als
Bibelexeget. – 4. Origenes’ dogmatischer Systementwurf: 4.1. Der trinitarische Gott; 4.2. Die intelligible
Schöpfung und ihr Abfall von Gott; 4.3. Kosmologie und Anthropologie; 4.4. Die eschatologische Voll­
endung.

1. Origenes’ Verhältnis zur griechischen Philosophie

Eusebios (Hist. eccl. 6,18,2–3) beschreibt Origenes als einen von Anhängern
und Gegnern gleichermaßen respektierten Lehrer der Philosophie. Auch Porphy-
rios spricht von seiner herausragenden philosophischen Bildung. Im erwähnten
Fragment aus ‹Adversus Christianos› (Eus. Hist. eccl. 6,19,8) zählt er eine Reihe

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 967

von Schriftstellern auf, die eine Art von idealer philosophischer Bibliothek des
Origenes bildeten, nämlich Platon, Numenios, Kronios, Apollophanes, Longinos,
Moderatos, Nikomachos sowie die Stoiker Chairemon und Cornutus, von denen
er «die allegorische Auslegung der heidnischen Mysterien erlernte», um «diese
Methode auf die jüdischen Schriften» anzuwenden. Diese Liste wirft kritische
Fragen auf, weil einige der hier genannten Philosophen nie in Origenes’ erhalte-
nen Schriften zitiert werden und weil aus chronologischen Gründen zu bezweifeln
ist, dass er die Werke von Longinos kannte. Namentliche Hinweise auf heidnische
Philosophen sind freilich in Origenes’ erhaltenen Schriften mit Ausnahme von
‹Contra Celsum› sehr selten.
Doch unbeschadet der Frage, ob Porphyrios einer irrtümlichen Identifizierung
der beiden Namensträger erlegen war, wird die von ihm dem Christen zugeschrie-
bene Vertrautheit mit den heidnischen Philosophen bestätigt, sowohl von Hiero-
nymus – bei der Beschreibung des Verfahrens, das Origenes in den ‹Stromata› an-
wendet (Ep. 70,4) – als auch auf direkte Weise von Origenes selbst, in einem Brief,
in dem er sich gegen die Kritik, er habe sich zu viel mit heidnischer Wissenschaft
und Philosophie beschäftigt, verteidigt (Eus. Hist. eccl. 6,19,11–14; Nautin 1961
[*2071: 126–129]). Die antiken Zeugnisse über seine gründlichen Kenntnisse der
Philosophie können durch die Analyse seiner Werke bestätigt werden (Dorival
1992 [*2157] und 2005 [*2033: 830–842]).
Man kann Origenes als Vertreter einer grundsätzlich vom Platonismus gepräg-
ten christlichen Philosophie bezeichnen, die im Bereich der Ethik und der Logik
von der stoischen und peripatetischen Tradition beeinflusst war (Koch 1932
[*2021], Berchman 1984 [*2027: 113–164] und O’Leary 2011 [*2267] deuten ihn
im Rahmen der mittelplatonischen Tradition; für eine neuplatonische Orientie-
rung von Origenes’ Denken: Hengstermann 2011 [*2265: 86–87], Fürst 2014
[*2037: 561ff.]). Das hervorstechendste Kennzeichen seiner platonischen Gesamt­
orientierung ist in der Tat darin zu sehen, dass er grundsätzlich annimmt, die
Weltwirklichkeit bestehe aus zwei Ebenen, einer niederen Ebene der sinnlich
wahrnehmbaren Welt und einer höheren von intelligibler Ordnung, von der die nie-
dere abhängig ist und von der sie, indem sie an ihr Anteil erhält, geordnet und ge-
eint wird (Princ. 1,1,7; Comm. in Ioh. 1,26,167). Mit dieser Unterscheidung ist an-
thropologisch auch die Überlegenheit der Seele gegenüber dem Körper verbunden
(Princ. 3,4,1; 4,2,7; Cels. 7,38; Pépin 1971 [*2091: 178–203]). Berührungen zum Pla-
tonismus ergeben sich auch daraus, dass er mehrere platonische Dialoge zitiert
(Auflistung bei Dorival 2005 [*2033: 830f.]). Aber dass Platon trotz hochstehender
Erkenntnisse nicht mit dem Polytheismus gebrochen hat, macht er ihm zum schwe-
ren Vorwurf (Cels. 6,4). Origenes kennt namhafte Vertreter des kaiserzeitlichen
Platonismus wie Plutarch und Numenios (Rist 1964 [*2074: 195–212], Somos 2000
[*2199]). Er war mit den verschiedenen Ansichten vertraut, die im zeitgenössischen
Platonismus über die Frage nach dem Verhältnis von Gott und intelligibler Welt
(Whittaker 1969 [*2085]) oder über die Frage, ob Gottes Macht unbegrenzt oder
begrenzt sei (Pépin 1996 [*2177] und 1997 [*2180]), vertreten wurden.
Oft liest man bei Origenes Fachtermini oder Begriffsbestimmungen, die aus
der peripatetischen Tradition stammen (Ziel, τέλος; Prinzip, ἀρχή; Disposition,

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968 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ἕξις; Homonyme, ὁμώνυμα usw.); auch seine Forschungsmethode, die in der Auf-
zählung und Erörterung von Fragen besteht, erinnert an Aristoteles’ Verfahrens-
weise (Bardy 1932 [*2060], Perrone 1995 [*2174]). Daraus darf man aber nicht
schließen, er habe die aristotelischen Schriften gelesen, da er wahrscheinlich wie
viele andere Platoniker seiner Zeit Aristoteles’ Denken nur durch Handbücher
und Lexika gekannt hat (Cadiou 1932 [*2061], Fürst 2014 [*2037: 497, 506]). Doch
äußert er sich auch kritisch zu Aristoteles und seiner Schule (Cels. 2,27; Bardy
1932 [*2060], Crouzel 1962 [*2072: 29–34], Fürst 2014 [*2037: 508f.]). Die aristo-
telische Philosophie, vor allem die Ethik, war für ihn im Vergleich mit Platons
Denken eine menschliche Philosophie (Cels. 1,10): Sie lege einen zu großen Wert
auf die körperlichen und äußeren Güter (Comm. in Ps. 4 apud Philoc. 26,1–3). Ori-
genes bestritt die Existenz eines fünften Elements – weil es der biblischen Lehre
der Vergänglichkeit des Himmels widerspreche (Ps. 101,26–28; Cels. 4,56) – und
die (ps.-)aristotelische Lehre, welche die Wirksamkeit der göttlichen Vorsehung
aus der sublunaren Welt ausschloss (Cels. 3,75; Sel. in Ps. PG 12, 1316).
Man findet auch zahlreiche Hinweise auf die Stoiker, obwohl sie normalerweise
nicht namentlich erwähnt werden. Der stoischen Philosophie schuldet Origenes
wichtige Bausteine seines Denkens, so beispielsweise in der Logik und in der
Ethik, in der Lehre der Willensfreiheit, der göttlichen Vorsehung und in der
Sprachtheorie. Interessant ist die Beobachtung von Dorival 2005 [*2033: 826],
«que, chaque fois que Celse présente une argumentation de type platonicien,
Origène rétorque par une argumentation empruntée aux stoïciens» (so auch Chad-
wick 1967 [*2025: 188]). Aber er greift die Stoiker wegen ihres Materialismus,
ihres Pantheismus und ihres deterministischen Verständnisses von Weltzyklen an
(Cels. 4,14. 67f.; 6,71).
Eine durchweg ablehnende Haltung nimmt er dagegen dem Epikureismus und
anderen Lehren gegenüber ein, die Gottes Vorsehung leugnen. Scharfsinnig macht
er auf Spannungen zwischen der Atomlehre und der Götterlehre Epikurs auf-
merksam (Cels. 4,14; Markschies 2000 [*2198]).
Origenes wurde in der christlichen Tradition oft als jemand beurteilt, der «von
der hellenischen Bildung verblendet» worden sei (Epiph. Haer. 64,72,9; vgl. de
Lubac 1950 [*2063: 44]), während Porphyrios ihn als Verräter der Philosophie an-
klagte. Tatsächlich hat er die philosophische Wissbegier (φιλομάθεια) und Arbeit-
samkeit (φιλοπονία) bei Schülern und Gelehrten geschätzt (Comm. in I. Cor. fr.
12 Pieri; Comm. in Ps. 4 apud Philoc. 26,1). Er verstand sich aber nicht als einen
einer bestimmten Schule zugehörigen Philosophen, sondern als Ausleger der Hei-
ligen Schrift auf dem Boden des Glaubens der Kirche. Daher schreibt Crouzel
1962 [*2072: 11]: «Origenes ist weder von seinem Ziel noch von seiner Methode
her Philosoph.» In der biblischen Offenbarung sah er den eigentlichen Inhalt einer
wahren Philosophie (obwohl er dieses Wort in Beziehung auf das Christentum nur
sehr spärlich benutzt hat: Hom. in Gen. 11,2; Hom. in Cant. prol. 3,8; «göttliche
Philosophie»: Hom. in Cant. prol. 3,14. 17. 20).
Denn die Griechen haben die Philosophie von Mose und Salomon gelernt, und
ihre Lehren sind nur insofern wahr, als sie mit der biblischen Offenbarung über-
einstimmen (eine knappe Gegenüberstellung von Übereinstimmungen und Dif-

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 969

ferenzen findet sich in Hom. in Gen. 14,3). Dem Versuch, «unseren Glauben mit
Vernunftbeweisen zu befestigen» (Princ. 4,1,1; vgl. 1,5,4; 2,5,3; 3,6,6; Cels. 4,9),
bietet die heidnische Philosophie ein nützliches, wenn auch gefährliches Mittel im
Dienst der christlichen Wahrheit. Auch Mose habe sich von seinem heidnischen
Schwiegervater Jethro beraten lassen (Hom. in Ex. 11,6; vgl. Ex. 18,13–27). Die
weltliche Kultur soll Origenes zufolge einem besseren Verständnis der Schrift die-
nen – wie das erbeutete Gold der Ägypter den Juden zur Herstellung der gottes-
dienstlichen Gegenstände diente (Ep. ad Greg. 1–3; vgl. Ex. 12,35–36; Pereira 2011
[*1986: 234–240]).
Gerade das Werk, in dem sich Origenes ausdrücklich mit der Philosophie aus-
einandersetzt, ‹Contra Celsum›, enthält aus polemischen Gründen die strengste
Beurteilung der griechischen Philosophie. Den Einwänden des Kelsos hinsicht-
lich des geringen sprachlichen und literarischen Wertes der Bibel (was im kultu-
rellen Rahmen der Zweiten Sophistik als schwerer Vorwurf galt) begegnete Ori-
genes mit der Beobachtung, dass die heidnische Kultur trotz allem stilistischen
und wissenschaftlichen Glanz nur wenigen, wenn überhaupt jemandem nütze
(Cels. 6,1–3; Comm. in Rm. 9,2). Sie ist «Weisheit dieser Welt» (I. Cor. 1,20; 3,19);
sie besitzt eine gewisse Macht, aber Origenes warnt vor ihr mit den Worten des
‹Kolosserbriefes›: «Seht zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und
leeren Trug» (Cels. prol. 5; Col. 2,8).
Trotzdem anerkennt Origenes die Fähigkeit der Philosophie, Begriffe zu klä-
ren sowie als Einführung in eine tugendhafte Lebensweise und in die Kenntnis
der Wahrheit zu dienen (Hom. in Gen. 6,2; 14,3). Wer in der menschlichen Weis-
heit nicht geübt ist, kann auch die göttliche nicht erreichen. Einige der Fragen, die
Origenes erörterte, bekommen ihren vollen Sinn erst vor dem Hintergrund der
zeitgenössischen philosophischen Debatten. Die Frage beispielsweise, ob die ver-
nünftige Seele so tief herabsinken kann, dass sie sich in einem Tier verkörpert,
geht aus einer Deutung einschlägiger Stellen aus Platons ‹Phaidon› (81e–82a) und
‹Timaios› (42c) hervor. Origenes lehnt diese Hypothese ab (Cels. 8,30), sie könne
aber erklären, warum auch die Bibel einen Zusammenhang zwischen bestimmten
Tieren (dem Drachen, dem Leviathan) und dem Teufel herstellt. Fragen wie jene,
ob die Materie ein ungeschaffenes Prinzip sei oder ob sie von Gott geschaffen
wurde (Princ. 1,3,3; 2,1,4), oder jene, ob das Weltall ewig sei oder nicht, stellte man
sowohl in den Philosophenschulen bei der Erörterung der platonischen Prinzipi-
enlehre als auch bei jüdisch-christlichen Bibelauslegern, wenn sie die Erzählung
von der Welterschaffung in schöpferischer Auseinandersetzung mit Platons ‹Ti-
maios› deuteten (Gen. 1–2; Köckert 2009 [*2249: 224–228]).
Nach allem ist nicht verwunderlich, dass das von Origenes verfolgte Bildungs-
ideal demjenigen der zeitgenössischen Philosophenschulen sehr ähnlich ist. Es wird
am deutlichsten im ‹Hohelied-Kommentar› beschrieben (Comm. in Cant. prol.
76,4–15). Hier versteht Origenes die Folge der drei Salomon zugeschriebenen Bü-
cher – ‹Sprüche›, ‹Prediger› und ‹Hohelied› – als einen aufsteigenden Weg zur geis-
tigen Vervollkommnung entsprechend der Abfolge der drei kanonischen philoso-
phischen Disziplinen Ethik, Physik und Theologie (über diese Stufung: Rizzi 2013
[*2279]). So macht er Salomon gewissermaßen zum Urheber des in den kaiserzeit-

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970 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

lichen Philosophenschulen üblichen Bildungsplans. Das in Caesarea praktizierte


Curriculum entspricht, soweit es rekonstruiert werden kann, diesem Konzept (Löhr
2010 [*2256: 163–167]). Hier folgten auf Logik und Dialektik Physik, Geometrie und
Astronomie (Greg. Thaum. Pan. Or. 109–114), dann die Ethik (ebd. 115–123). Der
Höhepunkt des Lehrgangs war die Theologie, die Origenes anhand von philosophi-
schen Werken und dem Studium der Bibel lehrte (ebd. 150–183). Letzteres ist die
bedeutendste Neuerung gegenüber der philosophischen Schulpraxis.
Für den Erwerb von Wissen über Gott waren die Philosophen mithin keine
selbständige Quelle mehr; eine vollständige Kenntnis der Theologie konnte nur
durch die biblische Offenbarung erlangt werden. So wurde die Philosophie auf
ein Hilfsmittel reduziert, das im Dienst einer Wahrheit stand, deren Ursprung
außerhalb der hellenischen Tradition lag. Origenes sagt es ausdrücklich, die Phi-
losophie ist mit Blick auf das Christentum συνέριθος (Orig. Ep. ad Greg. 1), sie ist
Gehilfin. Ein Lehrer war daher für ihn der Gestalt eines Propheten oder eines
Apostels näher als der eines hellenischen Philosophen (Hom. in Ps. 36 3,3; Hom.
in Num. 11,3; Comm. in Ioh. 32,10,122; Trigg 1981 [*2118], Monaci Castagno 1987
[*2139: 71–74]). Im Endergebnis wird man aber trotzdem sagen müssen, dass Ori-
genes «eine weitgehende Kongruenz zwischen der Bibel und der antiken, konkret
der platonischen Philosophie [angenommen hat]. Origenes ist vere Platonicus und
vere Christianus», und insofern hat er «das Christentum entschlossen im antiken
Denken verortet» (Fürst 2012 [*2036: 50]).

2. Origenes und die Häretiker

Als Lehrer, der sich zur kirchlichen Glaubenstradition bekannte, sollte sich
Origenes nicht nur mit heidnischen Philosophen, sondern auch mit Vertretern von
abweichenden Lehren im Rahmen der jüdisch-christlichen Tradition auseinander-
setzen. Die Quellen erwähnen mehrere Gespräche und Disputationen, die Orige-
nes gehabt hat, deren Berichte aber heute – mit der Ausnahme des ‹Dialogus cum
Heraclide› – verloren sind (Orig. Ep. ad Afr. 2; Cels. 1,45. 55–56; Pamph. Apol.
praef.; Eus. Hist. eccl. 6,33,3. 37; Epiph. Haer. 64,5; Rufin. Adult. 2,7; Hier. Adv.
Rufin. 2,18–19; Voss 1970 [*2089: 80–85]).
Ein großer Teil seiner Schriften bemüht sich, Irrlehren richtig zu stellen. Ori-
genes war bewusst, dass notwendig Meinungsverschiedenheiten entstehen, wenn
man tiefer in die begriffliche Untersuchung wichtiger Gegenstände einzudringen
sich bemüht (Cels. 3,11–13). Die daraus entspringenden Differenzen haben auch
eine positive Wirkung: Sie sind geistige Kämpfe, die den Menschen belehren und
ihn fähig machen, die Wahrheit zu erkennen (Comm. ser. 35 in Mt.; Fürst 2014
[*2037: 530]). Wie in der Kenntnis der Wahrheit gibt es auch im Irrtum eine Stu-
fung: Man kann sich vom rechten Weg teilweise entfernen oder man kann sich völ-
lig verirren; einige vertreten falsche Lehren über bestimmte Einzelpunkte, ohne
die Glaubensüberlieferung im Ganzen zu verlassen, andere verderben völlig die
Wahrheit, und diese sind im eigentlichen Sinn die Häretiker (Comm. ser. 33 in Mt.;
Comm. in Tt. apud Pamph. Apol. 35; 163).

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 971

Origenes deutet die Häresie oft als eine Verunreinigung der christlichen Wahr-
heit und zugleich der Seele der Gläubigen durch fremde Lehren, besonders durch
die griechische Philosophie, oder als eine dämonische Wirkung, welche die Ein-
heit der Kirche durch die vom Teufel verursachten Spaltungen gefährdet (Ep. ad
Greg. 3; Hom. in Jos. 7,7; Hom. in Ez. 7,7; Comm. in Mt. 12,12; 14,1; 15,4; Comm.
ser. 38; 42 in Mt.; Cels. 2,27).
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, von der Glaubensregel abzuweichen (vgl. die
Liste in Comm. in Tt. apud Pamph. Apol. 33; Le Boulluec 1985 [*2128: II 524–
545]), die Häretiker schlechthin sind aber in Origenes’ Schriften die Gnostiker (Le
Boulluec 1975 [*2105]), mit denen zusammen er oft auch Markion nennt. Man
kann nicht genau sagen, wieweit er ihre Schriften und Lehren kannte (vgl. Strut-
wolf 1993 [*2167: 214–215] und Le Boulluec 1975 [*2105: 54–56]), auf jeden Fall
hatte er mit Häretikern persönliche Kontakte (Eus. Hist. eccl. 6,2,13–14. 18,1.
19,12) und hat sicher wenigstens einige Schriften gelesen (Pamph. Apol. 113), zum
Beispiel den ‹Johannes-Kommentar› von Herakleon, den er in Comm. in Ioh. wi-
derlegt (Daniélou 1948 [*2023: 190–198], Simonetti 1966 [*2080]). Origenes wusste,
wie stark die gnostischen Lehren verbreitet waren, und kannte ihre Überzeugungs-
kraft (Hom. in Ez. 2,5). In seinen Schriften findet man aber vorwiegend nur sehr
allgemeine Beschreibungen ihres Inhaltes; wahrscheinlich tat er das absichtlich,
um den Abstand zwischen kirchlicher Glaubenstradition und Irrlehren zu betonen.
So sind zum Beispiel die drei Namen von Markion, Valentinus und Basileides
oft eine klischeehafte Formel, um die Gesamtheit aller Irrlehren zu bezeichnen
(Princ. 2,9,5; Hom. in Ex. 3,2; Hom. in Lev. 8,9; Comm. in Mt. 12,12; Comm. ser.
47 in Mt.; Le Boulluec 1985 [*2128: II 508]). Ihre Zusammenstellung ist trotzdem
nicht ganz willkürlich, weil sowohl Markion als auch Valentinus den Gott Israels
von dem von Jesus verkündeten guten Gott getrennt hatten (Princ. 2,4–5; Hom.
in Iud. 1,1; Hom. in Ier. 10,5; Dial. 3). Neben der Lehre von Gottes Einzigkeit
spielte auch das Thema der Willensfreiheit der geistigen Wesen eine wichtige Rolle
in Origenes’ Polemik gegen Gnostiker und – manchmal – gegen Markion (Princ.
1 praef. 5; 2,9,6; 3,1; Comm. in Mt. 10,11; Trumbower 1989 [*2148]), obwohl ihm
bewusst war, dass beide unterschiedliche Lehren darüber vertraten (Princ. 3,1,8–
9; Norelli 1992 [*2161]).
Umstritten ist der tatsächliche Einfluss, den gnostische Lehren auf Origenes’
Denken ausgeübt haben (Quispel 1974 [*2099], Strutwolf 1993 [*2167: 14–18]).
Origenes teilt mit den gnostischen Lehrern die systematische Orientierung seines
Denkens, wobei der Begriff der Erkenntnis (γνῶσις) eine wesentliche Rolle spielt,
insofern er der falschen Erkenntnis der Häretiker eine kirchliche Gnosis gegen-
überstellt (Strutwolf 1993 [*969: 13]).

3. Origenes als Bibelexeget

Der größte Teil von Origenes’ Werken besteht aus exegetischen Schriften.
Damit stellte er sich in eine Tradition, die sich an drei Hauptströmungen anlehnte:
die kirchliche Bibelauslegung, die jüdische, vor allem die philonische Exegese

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972 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

und, trotz seiner entschiedenen Verwerfung ihrer Lehren, die gnostische Annä-
herungsweise an die biblische Offenbarung.
Obwohl ihm bewußt war, dass die hebräische Bibel die deutero-kanonischen
Bücher nicht enthält (im Kommentar zum ersten Psalm hat er die 22 Bücher des
hebräischen Kanons aufgelistet: Eus. Hist. eccl. 6,25,1–2), hielt er den griechischen
Kanon für verbindlich (Ep. ad Afr. 4–5), weil er von allen Kirchen anerkannt war
(vgl. Comm. in Ioh. 1,2,14; Eus. Hist. eccl. 6,25,4).
Origenes war der erste christliche Schriftsteller, der ganze Bücher des Alten
und Neuen Testaments systematisch auslegte. In der Form von Deutungen einzel-
ner Stellen (σχόλια, excerpta), von Predigten (ὁμιλίαι) und von ausführlichen
Kommentaren (τόμοι, volumina) legte Origenes fast die ganze Bibel aus (Hier.
praef. in Orig. Hom. 14 in Ez.; Epiph. Haer. 64,3; Neuschäfer 1987 [*2140: 39–42]).
In dieser Auslegungstätigkeit verwirklichen sich seiner Meinung nach die wahre
Verehrung Gottes und das Priesteramt der Christen (Comm. in Ioh. 1,2,10).
Eusebios schreibt, dass Origenes – um die Schrift zu studieren – die hebräische
Sprache lernte (Hist. eccl. 6,16,1; vgl. Hier. Vir. ill. 54; Ep. 39,1), und tatsächlich
findet man in seinen Schriften Hinweise auf jüdische Lehrer (Princ. 1,3,4; 4,3,14;
vgl. Hier. Adv. Rufin. 1,13). Man muss aber annehmen, dass seine Kenntnis der
hebräischen Sprache auf ein elementares Maß begrenzt war (Nautin 1977 [*1993:
178]; noch stärker einschränkend De Lange 1976 [*2106: 21ff., 152f.]).
Von der grundlegenden Bedeutung, die er der Bibel zuschrieb, zeugt auch seine
philologische Arbeit, die in der Herstellung der ‹Hexapla› gipfelte. Ohne die Ver-
bindlichkeit der LXX für die Christen zu bezweifeln (vgl. Comm. in Rm. 10,8;
Comm. in Cant. 1,3,14; Epist. ad Afr. 9; Heine 2011 [*2263]), zeigte Origenes mit
dieser in Alexandrien begonnenen und erst in den letzten Jahren seines Lebens
in Caesarea abgeschlossenen Arbeit, wie wichtig für ihn auch die ‘Hebraica veri-
tas’ war (Bammel 1988 [*2143], Martin 2004 [*2215]). Dazu war er von wissen-
schaftlichen und apologetischen Bemühungen bewegt: Er wollte einen zuverläs­
sigen griechischen Text zur Verfügung stellen und den Christen die
Auseinandersetzung mit den Juden ermöglichen (Orig. Comm. in Mt. 15,14; Ep.
ad Afr. 5; Brock 1970 [*2086], Nautin 1977 [*1993: 344–353], Grafton, Williams
2006 [*2226: 117–132], Martens 2012 [*2273: 42–49]).
Als Bibelausleger bediente sich Origenes der in den paganen Schulen prakti-
zierten philologischen und rhetorischen Methoden, mit denen er durch seinen
Beruf als Sekundarlehrer (γραμματικός) vertraut war (vgl. Hom. in Gen. 13,3;
Hom. in Ez. 7,2; Neuschäfer 1987 [*2140], Villani 2008 [*2241] und 2011 [*2271],
Cacciari 2011 [*2260]). Die Untersuchungen zur literarischen Form seiner Ab-
handlungen und Kommentare – vor allem ihrer Prologe (I. Hadot 1987 [*2135],
Heine 1995 [*2173], Bendinelli 1997 [*2178], Skeb 2007 [*2234: 137–277]) – haben
die Verwandtschaft dieser Werke mit den Gattungen und Methoden der zeitge-
nössischen wissenschaftlichen Literatur aufgezeigt (Neuschäfer 1987 [*2140: 57–
84], Perrone 1995 [*2174], Morlet 2011 [*2266]).
Ein nur teilweise anderes Ziel verfolgten die Predigten (Monaci Castagno 1987
[*2139]). Trotz der Anpassung an verschiedene Adressatenkreise benutzte Orige-
nes auch in den Predigten die philologischen Methoden der Schuldiskussion: Text­

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 973

analyse, Erörterung von verschiedenen möglichen Deutungen, Entwicklung des


Gedankens durch Fragestellungen und Lösungsversuche (Simonetti 2004 [*2217:
79–80]). Er wollte auch für die schlichten Gläubigen das Wort mit Sorgfalt und
Ruhe «kauen» (Dial. 2,34–3,3; vgl. Barn. 10,11f., Clem. Alex. Strom. 5,51,4 mit
Lev. 11,3), auch wenn man vermutet hat, seine Predigten hätten wegen ihrer
Schwierigkeit seine Zuhörer überfordert (Markschies 1997 [*2179]).
Origenes war der erste christliche Schriftsteller, der die biblische Hermeneutik
in einer eigenen umfangreichen Abhandlung behandelt hat (Princ. 4,1–3; Karpp
1984 [*2124], Perrone 1990 [*2151] und 1992 [*2163]). Bei der Auslegung der Bibel
orientiert er sich an drei Grundsätzen: 1) Die Schrift ist von Gott inspiriert, daher
ist die von ihr mitgeteilte Wahrheit höher als jede menschliche Vernunft (Princ.
4,1,6–7); 2) die Bücher des Alten und Neuen Testaments bilden eine einheitliche
Offenbarung und sind ein einziges Buch (Comm. in Ioh. 5, fr. 6–7 Blanc); 3) der
Inhalt der Offenbarung ist nur einer, nämlich der göttliche Logos, der schon durch
Mose und die Propheten gesprochen hat und der in Christus Mensch geworden ist
(Princ. 1 praef. 1; Ep. ad Greg. 2; Martens 2012 [*2273: 204f., 216–221]). Aus die-
sen Grundsätzen geht die entscheidende Aufgabe des Schriftauslegers hervor, in
der scheinbaren Vielfalt der einzelnen Inhalte die Einheit und Einigkeit des gött-
lichen Wortes zu erkennen. Mit anderen Worten, er soll hinter den Buchstaben,
die in ihrer Mannigfaltigkeit sowohl Träger als auch Schleier des höheren Sinns
sind, die einheitliche geistige Bedeutung der Schrift aufzeigen (Princ. 4,2,9; 4,3,5;
Stefaniw 2010 [*2257: 149–219]).
Die Juden weigerten sich, im Neuen Testament die Offenbarung zu sehen, in
der die Verheißungen der Propheten erfüllt sind; Markioniten und Gnostiker be-
haupteten, das Evangelium sei mit dem Alten Testament unvereinbar. Das Versa-
gen auf beiden Seiten liegt laut Origenes darin, dass sie die Einheit der biblischen
Botschaft nicht wahrzunehmen vermochten. Über diese Fähigkeit verfügen frei-
lich nur jene, die den Geist Gottes empfangen haben und die Schrift im Geist der
Verfasser der Bibel lesen (Princ. 2,7,3; vgl. Comm. in I. Cor. fr. 11 Pieri). Die Hei-
lige Schrift ist nämlich keineswegs deutlich und von sich aus verständlich, sondern
voll von Geheimnissen, Rätseln und dunklen Stellen, welche die Geduld und den
Eifer des Lesers auf die Probe stellen (Princ. 4,2,7; Cels. 3,45; 5,29) und nur mit
Gottes Hilfe und durch anhaltendes Gebet zu verstehen sind (Hom. in Lev. 12,4;
Comm. in Rm. 1,21; Dial. 11,5–6. 14–16).
Obwohl die Texte der Bibel nicht immer in ihrem Wortlaut unmittelbar einsich-
tig sind (Princ. 4,3,5; Hom. in Gen. 2,6; Comm. in Ioh. 10,5,20), ist kein Wort der
Schrift unnütz, wenn man es nur richtig versteht. Wie ein Mensch hat sie Fleisch,
Seele und Geist. Das Fleisch der Heiligen Schrift ist ihr buchstäblicher Sinn, der
vor allem jenen nützt, welche die ersten Schritte im Glauben machen. Die Seele
ist der tiefere Sinn, den die Fortgeschrittenen erfassen können, während der Geist
der volle und eigentliche Sinn der Bibel ist, den nur die Vollkommenen erreichen
(Princ. 4,2,4). In seiner konkreten Bibelauslegung hat Origenes diese drei Stufen
zwar nur selten klar unterschieden, sich aber immer vom Grundsatz leiten lassen,
dass der Sinn der Schrift sich dem Leser schrittweise im Verhältnis zu seiner geist-
lichen Reife eröffnet.

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974 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Das Deutungsverfahren verlangt auch nach einer technischen und literarischen


Schulung, d. h. nach Vertrautheit mit der griechischen Bildung (aber nicht nur mit
dieser; an mehreren Stellen seiner Kommentare und Homilien erwähnt Origenes
auch jüdische Deutungen schwieriger Texte). Man muß sicher sein, dass der Text
ohne Fehler ist und dass man seinen Wortlaut richtig begreift (Neuschäfer 1987
[*2140: 35–36]). Oft, aber nicht immer, ist der buchstäbliche Sinn an sich erbau-
end, vor allem wenn er tugendhafte Handlungen beschreibt, die als Beispiel für
die Hörer dienen können. Anschließend soll man zum geistigen Sinn emporstei-
gen, der generell dem christologischen Inhalt des Textes entspricht.
Das wichtigste – wenn auch nicht einzige – Mittel, um diese Stufe zu erreichen,
ist die allegorische Auslegung, wodurch einem Ausdruck neben dem wörtlichen
Sinn auch ein weiterer, tieferer Sinn gegeben wird (Cels. 1,17–18; 4,38. 44–45).
Dieses Verfahren war in der philosophischen Mythendeutung (vgl. Cels. 4,48. 51
mit Hinweisen auf Chrysipp und Numenios) und in der jüdischen und christlichen
Bibelauslegung wohlbekannt (Origenes nennt Philon in Comm. in Mt. 15,3 und
Cels. 4,51; 6,21; vgl. auch 5,55 und 7,20). Es lässt mehrere Deutungen eines Textes
zu, was verwirrend wirken kann, aber an sich kein negativer Umstand ist. Den-
noch rief die allegorische Auslegungspraxis bei Heiden wie Porphyrios Kritik
(Hist. eccl. 6,19,4–5. 8) und bei Christen Misstrauen hervor, weil eine zu willkür-
liche Auslegung und die Eliminierung des historischen Sinnes zu befürchten stand
(Hom. in Gen. 13,3; Pamph. Apol. 87; Hier. Comm. in Mal. prol.; Neuschäfer 1987
[*2140: 13–15]).
Origenes war sich dieser Gefahr bewusst, weshalb er betonte, der Schriftausle-
ger solle sich an die kirchliche Glaubensregel halten, und weshalb er die Überprü-
fung der Bedeutung einer Stelle durch den Vergleich mit anderen Stellen für not-
wendig hielt (eine christliche Anwendung des Grundsatzes: ‘Homer durch Homer
auslegen’; Neuschäfer 1987 [*2140: 276–285]; doch vgl. Fürst 2014 [*2037: 518]). Er
verlangte vom Exegeten große Vorsicht bei der Äußerung seiner Deutungen. Der
Lehrer in der Kirche soll den einfacheren Leuten (ἁπλούστεροι) nur das sagen,
was sie vertragen können und was ihnen guttun kann (Dial. 15,7–23; Monaci Cas-
tagno 1987 [*2139: 102f.], Markschies 1997 [*2179: 51–57]).
Die Begriffe ‘Erziehung’ (παίδευσις) und ‘Fortschritt’ (προκοπή, profectus)
haben in Origenes’ biblischer Hermeneutik wie in seinem ganzen Denken eine
große Bedeutung. Der Inhalt der Heiligen Schrift offenbart sich stets im Verhält-
nis zur Fähigkeit der Hörer, ihn zu erfassen (Comm. in Mt. 12,36). Die schlichte
Ausdrucksweise der Bibel macht ihre Botschaft auch den Ungebildeten zugäng-
lich und die Drohungen, die sie ausspricht, bewegen sie zur Umkehr, ohne dass
die Fortgeschrittenen daran gehindert werden, einen tieferen Sinn in ihren Rät-
seln zu entdecken (Cels. 1,18; 4,72).
Die volle Wahrheit der Schrift wird geistig erfasst, aber das kann nicht ein de-
finitiv erzieltes Ergebnis sein, als handle es sich bloß darum, einen bestimmten
geistigen Gegenstand zu begreifen. Die Schrift besitzt keinen bestimmten Wahr-
heitsgehalt, den man zu einem bestimmten Zeitpunkt erschöpfend kennen könnte.
Im Gegenteil, durch den Logos enthält sie die nie hinreichend zu erfassende Of-
fenbarung vom Geheimnis Gottes.

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 975

4. Origenes’ dogmatischer Systementwurf

Die Grundsätze seiner Bibelhermeneutik wendet Origenes selbstverständlich


auch für die Entfaltung der systematisch orientierten Glaubenslehre in seinem
dogmatischen Hauptwerk ‹De principiis› an. Dabei legt er ausdrücklich die kirch-
liche «Glaubensregel», in der nach gängiger Auffassung der sogenannten altka-
tholischen Theologen die Verkündigung der Apostel zusammengefasst ist, als Fun-
dament aller theologischen Aussagen zugrunde (Princ. 1 praef. 2–10). Die
«Glaubensregel» beschreibt demnach die elementare Anfangsstufe des schlichten
christlichen Glaubens, sie ist klar und eindeutig, sie enthält alles, was zu glauben
heilsnotwendig ist, und sie ist absolut normativ, zumal gegenüber dem abweichen-
den Bibelverständnis der häretischen Gnosis. Aber in mancher Hinsicht ist sie,
wie Origenes erklärt, noch unvollständig. Vielfach haben die Apostel nur mitge-
teilt, dass es bestimmte Dinge gibt, ohne deren eigentliche Beschaffenheit und
deren Herkunft näher zu erläutern. Andere Punkte haben sie zwar deutlicher an-
gesprochen, aber die wissenschaftliche Begründung ihrer autoritativen Lehren
offen gelassen (Princ. 1 praef. 3). Auf diese Weise wollten sie den zur Forschung
Befähigten Anlass geben, über die Anfangsverkündigung hinaus zur vollkomme-
nen Form der Weisheit und der höheren Erkenntnis fortzuschreiten (Princ. 1
praef. 3; Cels. 1,9; Comm. in Ioh. 10,37,241; Comm. in I. Cor. fr. 9 Pieri; Simonetti
2004 [*2217: 165–168]). Der Glaube, der sich einer Gotteskraft verdankt, aber
nicht unvernünftig ist, soll mit Vernunftüberlegungen erhärtet und wissenschaft-
lich begründet werden (Princ. 4,1,1. 7), und in Fragen, wo die apostolische Auto-
rität keine feststehende Lehre vorgeschrieben hat, ist der Freiheit selbständiger
Forschung und offener Diskussion Raum gelassen, um anhand von biblischen Vor-
gaben und durch rationale Schlussfolgerungen ein zusammenhängendes und or-
ganisches Lehrganzes zu entwerfen (Princ. 1 praef. 10; vgl. Chadwick 1966 [*2076:
79ff.]). Aus diesen Zusammenhängen erklärt sich der experimentierende Charak-
ter von Origenes’ Systementwurf. Sein Denken – und das gilt nicht nur für das
dogmatische Frühwerk – entwickelt sich oft in Form von Hypothesen und argu-
mentativen Versuchen (zum Ganzen Fürst 2014 [*2037: 527–531]). Er versichert,
dass er etwas nur ζητητικῶς («wissenschaftlich erforschend») oder γυμναστικῶς
(«als geistige Übung»), also lediglich versuchsweise diskutiere (Kettler 1966
[*2079: 13 Anm. 65; 20); er beschließt Sacherörterungen mit Wendungen wie «ob
es sich vielleicht so oder anders verhält»; er betont, nur Problemanzeigen geben
zu wollen (Princ. 1,8,4; Kettler 1966 [*2079: 16–21]). «Man nehme dies nicht als
Lehren, die von uns vertreten würden, sondern als Darlegung in der Art einer Er-
örterung und Untersuchung» (Princ. 2,8,4). Bisweilen gibt er auf aufgeworfene
Fragen keine eindeutige Antwort oder lässt längere Ausführungen in eine offene
Alternative auslaufen (Princ. 1,6,4; 2,8,5). So wenig man deshalb Origenes das
Profil eines systematischen Denkers absprechen darf (dahin tendierend Crouzel
1985 [*2028: 75, 216–223], mit weiterem Belegmaterial), so wenig ist in diesem ex-
perimentierenden Zuschnitt ein bloß taktisches Verschleierungsmanöver zu sehen,
das dazu diente, gewagte, ans Häretische streifende Thesen abzufedern (so Kett-
ler 1966 [*2079: 12f., 47–54]). Origenes ist es ernst damit. Trotz aller geistigen Lei-

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976 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

denschaft, mit der er sich der wissenschaftlich-spekulativen Erforschung der


Wahrheit hingibt, ist solche Zurückhaltung, auch wenn die innere Logik des Ge-
dankengangs eine Richtung vorgeben mag, Ausdruck intellektueller Demut, die
weiß, dass menschliches Wissen hienieden unvollkommen und fragmentarisch
bleibt (Princ. 4,3,14 mit Rm. 11,33; Comm. In Ioh. 1,16,93; 6,36,183; Cels. 6,20).
Dass insgesamt diese Konzeption einer Überhöhung des Glaubens durch wissen-
schaftlich-spekulative Erkenntnis auf platonische Denkformen zurückweist und
dabei auch das Bewusstsein des Abstandes zur unergründlichen Wahrheit eine
Reminiszenz an Platon aufbewahrt, ist nicht zu verkennen (Kettler 1966 [*2079:
2f. mit Anm. 6]), doch versteht Origenes auch diese höhere Weisheit, die sich in
Schriftbezug und rationaler Operation realisiert (vgl. Princ. 1,7,4; 2,8,1; 4,1,1), als
göttlich aufleuchtende Eingebung (Princ. 4,1,7).

4.1. Der trinitarische Gott

Die origeneische Gotteslehre steht in enger Beziehung zur mittelplatonischen


Auffassung des Göttlichen und lässt sich besonders gut mit der Prinzipienlehre
des Numenios vergleichen (Somos 2000 [*2199]). Die zwei philosophischen
Grundgedanken seiner Theologie bestehen darin, dass Gott absolut unkörperlich
ist und dass er eins ist. Zwar räumt Origenes am Anfang von ‹De principiis›
(Princ. 1 praef. 8f.; 1,1–4; vgl. auch Comm. in Ioh. 13,21–25. 123–153; Cels. 6,70ff.)
ein, dass in den Heiligen Schriften und in der christlichen Glaubenstradition nicht
ausdrücklich gesagt wird, dass Gott unkörperlich sei, er widerlegt dann aber die
Ansicht, dass Gott einen Leib habe. Diese zu seiner Zeit verbreitete Auffassung
(Paulsen 1990 [*2150]) ist, wie er meint, aus einem naiven Verständnis des bibli-
schen Anthropomorphismus entsprungen oder ist Folge eines stoisierenden Ver-
ständnisses der biblischen Aussagen, nach denen Gott Feuer (Dt. 4,24) und Geist
(πνεῦμα: Ioh. 4,24) ist (Princ. 1,1,1; Markschies 2016 [*238: 86–96, 98–106]).
Um Gottes Transzendenz zu umschreiben, verwendet Origenes die üblichen
Prädikate der Platoniker: Gott ist das Gute an sich (Princ. 1,2,13; Comm. in Mt.
15,10–11), er ist «Einheit (μονάς) und sozusagen Einsheit (ἑνάς)» (Princ. 1,1,6;
Comm. in Ioh. 32,16,187), eine einfache und geistige Natur, ganz Vernunft (mens,
νοῦς), die ohne Zeit und Ort zu denken ist (Orat. 23,1. 3; Cels. 4,5; 7,38). Man
kann ihn nicht erkennen, weil alles, was man erkennen kann, geringer ist als Gott
(Comm. in Ioh. 2,28,172; Cels. 6,17. 62): Er ist unbegreiflich und unermesslich, un-
geschaffen, ungeworden, unaussprechbar, unsichtbar (vgl. die Belegstellen bei
Chadwick 1967 [*2025: 189 Anm. 2]), aber unbegrenzt ist seine Macht nicht, weil
er sich sonst selbst nicht erkennen könnte (Princ. 2,9,1; 4,4,8; Cels. 3,70). «Seine
Natur zu schauen, reicht die Schärfe der menschlichen Vernunft nicht aus» (Princ.
1,1,5; Cels. 7,42). Von ihm kennen wir weder Anfang noch Ende, nur seine Offen-
barung in der Ökonomie der Geschichte (Hom. in Is. 1,2; 4,1); er offenbart sich
durch sein Wirken (Princ. 1,1,6 mit Bezug auf Rm. 1,20) und besonders durch sei-
nen Sohn (Comm. in Ioh. 19,6,35–39; Cels. 7,42–44).
Die kaiserzeitlichen Platoniker gaben keine einhellige Antwort auf die Frage, ob
man das erste Prinzip als Intellekt und Sein bezeichnen dürfe oder nicht. Auch bei

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 977

Origenes kann man ein gewisses Schwanken feststellen. In ‹De principiis› behaup-
tet er, Gott sei «ganz Vernunft» (Princ. 1,1,6), und bekräftigt mit Ex. 3,14, dass er
der wahrhaft Seiende sei (Princ. 1,3,6; Hom. in Sam. 1,11). In ‹Contra Celsum› 6,64
drückt er sich vorsichtiger aus: Hier erklärt er, man müsse ergründen, ob Gott «jen-
seits des Seins an Würde und Macht» (Plat. Rep. 6, 509b) sei oder ob Gott selbst das
Sein sei. Ebenso räumt er ein, dass man ihn sowohl Intellekt nennen als auch von
ihm sagen darf, er sei jenseits von Intellekt und Sein (Cels. 7,38). Mit diesen Aussa-
gen betont Origenes, dass Gott als Prinzip erhabener ist als alles, was er hervor-
bringt: Gott ist nicht eine aus Teilen bestehende Gesamtheit (Cels. 1,23), er ist aber
auch nicht ohne Sein und Intelligibilität, im Gegenteil, er stellt die höchste Form des
Seins und der Intelligibilität dar (Böhm 2002 [*2007: 8–10] und 2003 [*2206]).
Wenn Origenes über Gott spricht, meint er den Vater im Sinn der biblisch-
christlichen Tradition, dem alleine die Bezeichnung «der Gott» (ὁ θεός), «Gott an
sich» (αὐτόθεος) zukommt (Comm. in Ioh. 2,2,17; 2,3,19–21) und dem eigentlich
die Anbetung gebührt (Orat. 15,2. 4; 16,1; Dial. 4,24–26). Aber durch Teilhabe an
seiner Gottheit bilden der Sohn und der Heilige Geist mit ihm die anbetungswür-
dige (Comm. in Ioh. 6,33,166), ewige (ebd. 10,39,270) und ursprunghafte Drei­
einigkeit (Comm. in Mt. 15,31: ἀρχικὴ τριάς; Princ. 1,4,3).
Origenes hat Vater, Sohn und Heiligen Geist klar unterschieden und deren selb-
ständiges Sein gelehrt. Dabei hat er den Begriff «Hypostase» (ὑπόστασις, lat. sub-
stantia, subsistentia) benutzt (Princ. 1,2,2; Comm. in Ioh. 2,10,75–76: «drei Hypo-
stasen»; Cels. 8,12), den er faktisch gleichbedeutend mit «Substanz» (οὐσία) und
«Subjekt» (ὑποκείμενον) versteht, um damit die je eigene reale Existenz der trini-
tarischen Personen zu bezeichnen (Comm. in Ioh. 6,38,188; Orat. 15,1; Cels. 8,12;
vgl. Hammerstaedt 1991 [*2153]). Das geschieht in ausdrücklicher Opposition
gegen eine monarchianische Sicht, wonach der Sohn Gottes nur gedanklich und
dem Namen nach ein anderer als der Vater sei (Comm. in Ioh. 10,37,246; Comm.
in Mt. 17,14).
Was die wechselseitigen Beziehungen zwischen den trinitarischen Hypostasen
betrifft, so behauptet Origenes die Ursprünglichkeit und den Vorrang des Vaters,
der allein ungeworden und allein Prinzip ist (Comm. in Ioh. 1,17,102). Indessen
besteht Origenes’ wichtigster Beitrag zur Ausformulierung der Trinitätstheologie
in der Lehre von der ewigen Zeugung des Sohnes, womit er eindeutig über die Po-
sition der Apologeten hinausgeht (Prinzivalli 2010 [*2035: 293]). Er erklärt, mit
dem philosophischen Axiom der Unwandelbarkeit Gottes im Hintergrund, dass
es gleichermaßen gottlos sei, anzunehmen, Gott sei jemals unfähig oder jemals
nicht willens gewesen, einen Sohn zu zeugen, und sei erst später dazu übergegan-
gen, ihn zu zeugen (Princ. 1,2,2); die Zeugung müsse notwendigerweise ewig sein.
«Numquam est quando filius non fuit» («Niemals gab es eine Zeit, in welcher der
Sohn nicht war»: Ex lib. in Hebr. [PG 17, 561]; Princ. 4,4,1). Gestützt auf den Weis-
heitstext Prov. 8,22–25 «Gott schuf mich am Anfang seiner Wege […] vor allen
Hügeln zeugte er mich» (Princ. 1,2,1; Hom. in Ier. 9,4) sowie auf die weiteren weis-
heitlichen Hoheitsprädikate (Col. 1,15 «das Bild [εἰκών] des unsichtbaren Gottes»,
Hebr. 1,3 «der Glanz [ἀπαύγασμα] seiner Herrlichkeit und das Prägebild seines
Wesens [χαρακτήρ τῆς ὑποστάσεως]» sowie Sap. 7,25 «Ausfluss [ἀπόρροια] der

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978 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Herrlichkeit des Allmächtigen»: Princ. 1,2,5), lehrt Origenes mithin, dass Gott in
Ewigkeit seinen Sohn gezeugt habe, und er begründet die ewige Mitexistenz des
Sohnes aus der reziproken Relationsstruktur von Vater und Sohn (Princ. 1,2,4. 9;
vgl. den analogen Gedankengang bei Plot. Enn. V 1 [10] 6). Ewige Zeugung be-
sagt in erster Linie, der Sohn «erhält vom Vater alles, was er ist» (Princ. 1,2,2);
Origenes schließt aber aus, dass der Sohn «aus der Substanz (οὐσία) des Vaters
erzeugt worden sei» (Comm. in Ioh. 20,18,157f.), um eine materialistische Vorstel-
lung der Zeugung als Spaltung der göttlichen Substanz im Sinn der valentiniani-
schen Ausstrahlung (προβολή) zu vermeiden (Princ. 1,2,6; 4,4,1; vgl. Hier. Adv.
Rufin. 2,19; Strutwolf 1993 [*2167: 218–221], Hanson 1987 [*2136]). Deshalb ist in
den im originalen Wortlaut erhaltenen Schriften der Terminus ὁμοούσιος («we-
senseins») in Bezug auf den Gottessohn nicht belegt, und die Wiedergaben in den
lateinischen Übersetzungen sind verdächtig (Stead 1994 [*2169: 389]). Aber Ori-
genes präzisiert die Vorstellung der ewige Zeugung dahingehend, dass damit die
ewige, der Gottheit immanente, geistige Hervorbringung des Sohnes aus dem
Denken des Vaters gemeint ist, «gleichsam wie sein Wille, der aus dem Geist her-
vorgeht» (Princ. 1,2,6; vgl. Daniélou 1973 [*2094: 379f.]). Er spricht auch von der
Einheit und Übereinstimmung (συμφωνία) im Willen und in der Liebe, die den
Sohn an den Vater bindet (Comm. in Ioh. 13,36,228; Cels. 8,12). Damit ist die völ-
lige Gleichheit des Sohnes mit dem Vater und die Willenseinheit beider zum Aus-
druck gebracht, so dass wer den Sohn sieht, in ihm den Vater sieht und in ihm der
Macht Gottes begegnet (Comm. in Ioh. 13,228f.). Sie sind beide eins in einer ein-
zigen Gottheit (Dial. 3,20–23: εἷς θεός).
Doch es gibt auch Aussagen, die klar die Unterordnung des Sohnes (und des
Heiligen Geistes) unter den Vater beinhalten. Sie besagen einerseits, dass allein
der Vater der eigentliche Urgrund von allem und der Sohn von ihm abkünftig ist.
Der Vater ist das Gute an sich, während der Sohn gut ist, weil er das Bild der vä-
terlichen Güte ist und an ihr teilhat (Princ. 1,2,13; Hier. Ep. 124,2; Comm. in Ioh.
2,2,17). Insofern kommen dem Sohn die göttlichen Eigenschaften nur durch Par-
tizipation am väterlichen Urgrund zu. Damit hängt die Frage zusammen, inwie-
weit der Sohn den Vater voll erkennt. In ‹De principiis› scheint Origenes die An-
sicht vertreten zu haben, dass der Zugang zu Gott selbst für den Sohn beschränkt
ist (Hier. Ep. 124,2, vgl. Princ. 1,2,6. 8; Hier. Ep. 124,13, vgl. Princ. 4,4,8). Im ‹Jo-
hannes-Kommentar› schreibt er zwar, der Sohn erkenne den Vater ohne vermit-
telndes Medium, und als die allumfassende Wahrheit, die er ist, erfasse er die volle
geistige Realität, die Wirklichkeit Gottes, und offenbare sie den Geschöpfen
(Comm. in Ioh. 1,27,186f.; 1,38,277f.; 2,28,172). Andererseits sagt er aber auch,
dass der Vater als Vater der Wahrheit mehr und größer ist als die Wahrheit und sie
überragt (Comm. in Ioh. 2,23,151), was offensichtlich nicht in dem Sinne gemeint
ist, dass er zusätzlich etwas weiß, was dem Sohn unbekannt wäre, sondern so, dass
er sich in der Einfachheit und Einheit seiner Natur selbst auf einzigartige, ur-
sprüngliche Weise erkennt, was dem Sohn nur auf dem Wege der Anteilhabe mög-
lich ist (Comm. in Ioh. 32,28–29,344–367; Hengstermann 2011 [*2265: 83]; Wil-
liams 1987 [*2142] mit Verweis auf Attikos fr. 34 des Places). Der inferioristische
Status des Sohnes ist ferner auch dadurch bedingt, dass der Sohn nicht mehr die

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 979

absolute Einfachheit und Einheit Gottes ist, sondern bereits den Übergang zur
Vielfalt der geschaffenen Dinge eröffnet. Der Sohn, geboren als Weisheit des Va-
ters, ist das Urbild der Ideen der Dinge (Cels. 6,64; Hengstermann 2011 [*2265:
79–84]); er ist bereits vielfältig, weil er die intelligiblen Vorbilder der ganzen Welt
in sich enthält, was offensichtlich eine Adaption der mittelplatonischen Lehre von
den Ideen im Geist Gottes darstellt (Princ. 1,2,2–3; Comm. in Ioh. 1,19,113. 20,119;
Daniélou 1973 [*2094: 385]). Besondere Aufmerksamkeit schenkt Origenes in die-
sem Zusammenhang den Aspekten bzw. Benennungen (ἐπίνοιαι), welche die
Bibel in reichem Maße für den Erlöser bezeugt (Princ. 1,2; 2,7,3; Comm. in Ioh.
1,19,111–115; 2,18,126; Cels. 2,64). Einige beziehen sich auf das ewige Wesen des
Gottessohnes und bezeichnen seine Vermittlung zwischen dem Vater und der
Schöpfung, wie Weisheit, Logos, Macht, Wahrheit, Leben, Licht der Welt; andere
beziehen sich auf das heilsgeschichtliche Wirken des Inkarnierten, wie Sühnop-
fer, Hirt, Arzt, Priester, Erstgeborener von den Toten usw. (Bertrand 1951 [*2064:
15–46] zählt 34 Namen auf). Origenes’ Analyse arbeitet für jede Bezeichnung die
Entsprechungen in hierarchischer Ordnung zum geistigen Fortschritt der Gläubi-
gen heraus, so dass sich die Explikation der ἐπίνοιαι wie ein Kompendium von
Origenes’ Spiritualität ausnimmt (Strutwolf 1993 [*2167: 221–223] zufolge ist diese
Lehre die origeneische Umdeutung der valentinianischen Lehre der Äonen).
Doch wichtig im gegenwärtigen Zusammenhang ist, dass dadurch der Sohn Got-
tes im Unterschied zur absoluten Einfachheit des Vaters als eine Vielheit erwie-
sen wird (Comm. in Ioh. 1,20,119). Insofern kann er, wie bei Philon und manchen
Apologeten, auch als «zweiter Gott» bezeichnet werden (Cels. 5,39; Dial. 2,3–6).
Was schließlich den Heiligen Geist betrifft, so erklärt Origenes im Anschluss
an die Glaubensregel, dass die Apostel ihn an Ehre und Würde dem Vater und
dem Sohn gleichgestellt und ihm die Inspiration der Propheten und Apostel im
Alten und Neuen Testament zugeschrieben haben, dass sie aber nicht entschieden
haben, ob er gezeugt oder ungezeugt bzw. geschaffen oder unerschaffen sei – eine
textkritische Entscheidung lässt sich hier kaum treffen, weil bekanntlich die ter-
minologische Unterscheidung von γεννητός/ἀγέννητος, «gezeugt/ungezeugt», und
γενητός/ἀγένητος, «geworden/ungeworden», bei Origenes noch nicht scharf voll-
zogen ist wie auch die handschriftliche Überlieferung schwankend ist (vgl. Gör-
gemanns, Karpp 21992 [*1895: 89 Anm. 9]) – und ob er gleichfalls für Gottes Sohn
zu halten sei oder nicht (Princ. 1 praef. 4). Tatsächlich behandelt Origenes ihn in
Analogie zum Sohn Gottes. Er ist die dritte Hypostase der göttlichen Trinität
(Comm. in Ioh. 2,10,75), eine eigene οὐσία (Comm. in Ioh. fr. 37, p. 513 Preuschen)
und dem Sohn nachgeordnet, weil er durch die Teilhabe am Sohn seinen Bestand
und seine Art empfängt (Comm. in Ioh. 2,10,75f.), obschon es gelegentlich so
scheinen kann, als wären beide gleichrangig (Princ. 1,3,4; 4,3,14; Comm. in Rm.
3,8). Die Abstufung des Geistes geht jedoch auch aus der begrenzten Wirksam-
keit hervor, die Origenes ihm zuschreibt. Grundsätzlich übt die Trinität ihre Tä-
tigkeiten nach außen stets gemeinsam aus, doch nimmt Origenes gewisse Appro-
priationen vor, wonach Vater, Sohn und Heiliger Geist auf je besondere Weise und
in unterschiedlichem Umfang wirken: «Gott Vater verleiht allen Geschöpfen das
Sein; die Teilhabe an Christus aber, insofern er der Logos ist, macht sie vernünf-

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980 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

tig. […] Dann tritt folgerichtig noch die Gnade des Heiligen Geistes hinzu, um die,
die nicht wesenhaft heilig sind, durch Teilhabe an ihm heilig zu machen» (Princ.
1,3,8; zu den ἐπίνοιαι des Geistes Princ. 2,7,3f.). Diese Betrachtungsweise, dass
der Wirkungskreis des Geistes der engste ist, ist für Origenes die entscheidende,
so dass es ihm am wahrscheinlichsten dünkt, dass der Geist das erste Geschöpf
vom Vater durch den Sohn ist (Comm. in Ioh. 2,10,73–76) und gewissermaßen
schon an der Grenze zwischen Gottheit und Schöpfung steht (Cocchini 2003
[*2208], Argárate 2009 [*2243]).

4.2. Die intelligible Schöpfung und ihr Abfall von Gott

Die zentrale Fragestellung von Origenes’ Systementwurf richtet sich darauf, in


welchem Verhältnis die in die Vielheit und Verschiedenartigkeit entfaltete sicht-
bare Welt zu Gott, ihrem Ursprung und ihrem Ziel, steht (vgl. Princ. 1,6,2; 2,1,1;
3,6,3. 8). Damit nimmt Origenes unverkennbar das philosophische Problem von
Einheit und Vielheit auf, setzt es in Verbindung zu apokalyptischen Traditionen
wie der Analogie von Erstem und Letztem und dem Gedanken, Gott sei Anfang
und Ende, und antwortet nicht zuletzt vor diesem Hintergrund auf Herausforde-
rungen, die von der negativen bzw. pessimistischen Weltsicht des Gnostizismus
ausgingen. Was die Gnostiker in ihrer Beunruhigung angesichts der geistigen Ent-
fremdung im körperlichen Dasein und des Bösen in der Welt in Dualismen ausein­
ander rissen, sucht Origenes in einer einzigen Gesamtschau des Weltgeschehens
zu verbinden, indem er die absolute Güte und Gerechtigkeit des einen Gottes, des
Schöpfers und Erlösers, mit der Freiheit und Selbstbestimmung der Geschöpfe
vereinbarte. Die entscheidende Annahme, die eine solche Sicht ermöglicht und
die zugleich zu Origenes’ eigentümlichsten und bald auch umstrittensten Lehren
gehört (vgl. Pamph. Apol. 159–172; Just. Ep. ad Men. 1 und 2 und Anath. syn.
Const. 1. 2. 4 bei Görgemanns, Karpp 21992 [*1895: 822–827]; Harl 1987 [*2137:
238–240]), ist diejenige einer ewigen, geistigen Schöpfung (Princ. 1,5,2; 2,9,1: «ra-
tionabiles creaturae vel mentes»; Princ. 2,9,6: «rationabiles naturae»; Comm. in
Ioh. 32,29,353: λογικὴ κτίσις; Hom. in Gen. 1,2: «spiritalis substantia»).
Origenes meint damit die präexistent geschaffene intelligible Substanz der Ge-
samtheit der in ihrer Zahl von Gott festgelegten und noch ununterschiedenen En-
gelwesen, Gestirnwesen und Menschen-Intellekte in einem (zur festen Zahl Princ.
2,9,1 mit Sap. 11,20). Diese νόες, Vernunftwesen, wie Origenes sie auch nennt
(Koch 1932 [*2021: 24f., 36]), sind von Gott durch den Logos als den Schöpfungs-
mittler geschaffen und zur gnadenhaften Teilhabe an allem, was Gott seinshaft
ist, berufen. Vermittelt und geeint durch die Teilhabe am Gottessohn, dem Urbild
aller geistigen Wesen, finden sie ihre Seligkeit und Erfüllung in der Anschauung
Gottes (Princ. 2,11,3; 4,4,9). In der Forschung ist umstritten, ob diese primäre
Schöpfung Origenes zufolge ursprünglich völlig unkörperlich war, was das Wahr-
scheinlichere zu sein scheint (Comm. in Ioh. 1,17,97; vgl. Hier. Ep. 124,9–10; Sfa-
meni Gasparro 1992 [*2165], Strutwolf 1993 [*2167: 238–241]), oder ob sie von An-
fang an mit irgendeiner dem platonischen πνευματικὸν ὄχημα («geistigen
Gefährt») ähnlichen Form von Körperlichkeit, vielleicht mit Strahlenleibern, aus-

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 981

gestattet war (Comm. in Mt. 16,19; Crouzel 1977 [*2108], Schibli 1992 [*2164],
Pietras 2009 [*2253]). Ebenso wird kontrovers diskutiert, ob Origenes angenom-
men habe, dass die Vernunftwesen ewig erschaffen worden sind (Kettler 1969
[*2084]) oder ob sie einen zeitlichen Anfang hatten (Crouzel 1985 [*2028: 247–
248, 268]). Da Origenes die Annahme der präexistenten intelligiblen Schöpfung
damit begründet, dass aus Gottes ewiger Allmacht, aus seiner ewigen Schöpfer-
tätigkeit und aus seiner ewigen Vorsehung notwendig die ewige Existenz dessen,
worauf sich seine Allmacht, Schöpfertätigkeit und Vorsehung richten, folgen
müsse (Princ. 1,2,10. 4,3; 3,5,3), und sich diese Argumentation nicht bloß auf die
Ideenwelt in der göttlichen Weisheit beziehen kann (anders Crouzel 1985 [*2028:
268] und 1992 [*2156: 409f.]), muss man annehmen, dass die präexistenten Ver-
nunftwesen zwar einen Anfang, als sie wurden, hatten – denn ungeworden ist al-
lein Gott-Vater (Comm. in Ioh. 2,10,75) –, dass sie insofern auch nicht einfach
gleich­ewig mit Gott sein können (Princ. 1,4,5), dass sie aber der kosmischen Zeit-
lichkeit enthoben sind und in einer vermittelten Weise an Gottes Ewigkeit parti-
zipieren (Kettler 1969 [*2084: 292–297], Strutwolf 1993 [*2167: 235–237]). Inso-
fern sind sie ewig, immateriell und, wie es der Gerechtigkeit Gottes entspricht,
vollkommen gleich geschaffen, aber sie sind mit freiem Willen ausgestattet und
daher, was das eigentliche Kennzeichen ihrer Geschöpflichkeit ist, wandelbar
(Princ. 1,5,5. 6,2. 8,3; 2,9,2). Die Ursache der Verschiedenheit und Mannigfaltig-
keit, die in der empirischen Welt unter den einzelnen Geschöpfen anzutreffen
sind, rührt also nicht von einer ungleichen Erschaffung durch Gott, sondern von
der eigenen, freien Willensbewegung der Geschöpfe her (Princ. 1,8,2).
Origenes wollte die Lehre von der ewigen geistigen Schöpfung nicht nur spe-
kulativ begründen, sondern auch exegetisch durch die Schriftautorität absichern.
Dass der biblische Schöpfungsbericht auf eine doppelte Schöpfung hin gelesen
wurde, auf den κόσμος νοητός («intelligible Welt») und den κόσμος αἰσθητός
(«sinnlich wahrnehmbare Welt») hin, hatte in Alexandrien schon durch Philon
und Clemens Tradition (Phil. Opif. 15–16; Somn. 1,135–140; Heine 2010 [*2034:
142]; Clem. Alex. Strom. 5,93,4–94,1), und Origenes hat sich dem generell ange-
schlossen (vgl. die Verweise auf den ‹Genesis-Kommentar› in Princ. 2,3,6; Cels.
6,49f. 60. 64). Allerdings macht der fast völlige Verlust seines ‹Genesis-Kommen-
tars› eine Rekonstruktion seines Textverständnisses im Detail sehr schwierig, was
eine Reihe von Forschungskontroversen hervorgerufen hat. Es scheint jedoch zu-
mindest erkennbar zu sein, dass Origenes das ἐν ἀρχῇ («im Anfang») in Gen. 1,1f.
auf den ewigen Logos, den Inbegriff aller platonischen Ideen, bezogen hat, dass
er die Präposition ἐν («in») in der Bedeutung von καθ’ ὅ («dem gemäß») als Be-
zeichnung für die Relation gemäß dem idealen Paradigma und Modell, nach dem
Gott schuf, verstanden hat (Comm. In Ioh. 1,17ff. 95–105) und dass er den Aus-
druck οὐρανός («Himmel») in der Verbindung «Himmel und Erde» neben ande-
ren möglichen Deutungen mit der intelligiblen Schöpfung identifiziert hat (Hom.
in Num. 26,5; den Ausdruck «Erde» hat er ebd. auf das Paradies gedeutet; vgl.
zum Ganzen Nautin 1973 [*2096: 88–93], Köckert 2009 [*2249: 240–247, 256–271];
die Forschungsdiskussion betrifft vor allem das Verhältnis der beiden Schöpfungs-
berichte von Gen. 1 und Gen. 2 in Origenes’ Sicht, etwa Simonetti 1962 [*2073],

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982 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Crouzel 1985 [*2028: 126–127], Harl 1987 [*2137: 245], Jacobsen 2008 [*2237: 214]
versus Crouzel 1956 [*2066: 148–153], Sfameni Gasparro 1980 [*2117: 63–64],
Martens 2012 [*2272], sowie Origenes’ Bestimmung des Verhältnisses des vorzeit-
lichen Falls der intelligiblen Wesen zum Sündenfall der Stammeltern im Paradies,
etwa Bennett 2005 [*2218: 82], Jacobsen 2008 [*2237: 229–231] versus Bammel
1989 [*2147: 68–69]; vgl. auch Hauke 1993 [*2166: 354–360]). Außerdem nennt
Origenes einige Bibelstellen für den gefallenen Status der Dämonen und des Teu-
fels (vgl. Ies. 14,12–22; Ez. 28,1–19; Lc. 10,18; Princ. 1,5,4f. 8,3; Comm. in Rm. 5,10;
Comm. in Mt 15,34–36; Cels. 6,43).
Zur traditionsgeschichtlichen Verortung der Lehre von den präexistenten Ver-
nunftwesen ist noch nachzutragen, dass das ganze Konzept unverkennbar ein pla-
tonisches Gepräge aufweist, das allerdings weniger an der Ideenlehre – die νόες
sind keine intelligiblen Formen, sondern Lebewesen – als vielmehr an der platoni-
schen Annahme von der Präexistenz der Seelen haftet, dass aber zugleich ebenso
unabdingbar die frühjüdisch-christliche Engel- und Dämonenvorstellung voraus-
gesetzt ist, wie auch die allgemein antike Überzeugung von der Beseeltheit der Ge-
stirne mit hineinspielt. Bemerkenswert ist dabei, dass Origenes’ Annahme der Prä-
existenz der Vernunftwesen kein Korrelat der Epistemologie ist, wie es bei Platon
im Rahmen der Anamnesis-Lehre der Fall ist, sondern der Entfaltung des ontolo-
gischen Abstiegs von der Einheit und Einfachheit Gottes zur Vielfalt und Verschie-
denheit der Welt in ihrer als bedrängend empfundenen gegenwärtigen Konstitution
dient. An dieser systematischen Schaltstelle vermag Origenes’ Theorie ebenso die
absolute Güte und Gerechtigkeit des Schöpfergottes (Princ. 2,5,1ff. 9,5) wie die
kreatürliche Gleichheit aller Vernunftwesen zur Geltung zu bringen, aber zugleich
den Geschöpfen die Entscheidungsfreiheit zuzugestehen und die dadurch offen-
stehende Möglichkeit der Verfehlung der ursprünglichen Schöpfungsbestimmung
und der Entfremdung von ihrer gottgewollten Ordnung einzuräumen. Tatsächlich
sieht er die irdische Realität der menschlichen Existenz in ihrer Widrigkeit und
Zwiespältigkeit als Folge eines auf höherer ontologischer Ebene angesiedelten Ab-
falls. Aber im Gegensatz zum Gnostizismus setzt er den Bruch nicht innerhalb des
göttlichen Pleromas an, was zur bekannten Entgegensetzung des Schöpfergottes
und des höchsten Gottes führen würde, sondern schreibt ihn der freien Entschei-
dung der Vernunftwesen zu, womit er im Gegensatz zur gnostischen Lehre von den
verschiedenen Menschenklassen indirekt die Verantwortlichkeit jedes einzelnen
Individuums stark macht (vgl. Prinzivalli 2010 [*2035: 293f.]).
Hatten die präexistenten Vernunftwesen die freie Wahl (προαίρεσις), entweder
in Gotteserkenntnis und Liebe fortzuschreiten oder sich davon abzuwenden, so
haben sie sich in einem vorzeitlichen Geschehen aus Überdruss, aus Nachlässig-
keit und Trägheit, in Erkalten der Liebe von Gott abgekehrt und sind zu Seelen
geworden (Princ. 1,3,8; 2,9,2. 5; 4,4,9; Harl 1966 [*2077]). Origenes beruft sich in
diesem Sinn auf eine Etymologie, die das griechische Wort für «Seele» (ψυχή) mit
dem Begriff des «Kalten» (ψυχρός) verbindet (Princ. 2,8,3; vgl. Plat. Crat. 399d;
Arist. De an. 405b28–29; Chrysipp, SVF II, fr. 804–808; Phil. Somn. 1,31). Außer-
dem hat Gott um der gefallenen Intellekte willen die materielle Welt geschaffen
(um der Menschen willen: Cels. 4,99), wofür Origenes zufolge die Heiligen Schrif-

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 983

ten das neue und eigene Wort καταβολή («Grundlegung»; vgl. Ioh. 17,24; Eph. 1,4)
benutzen, um «die Versetzung all dieser Wesen von oben nach unten» zu bezeich-
nen (Princ. 3,5,4; Comm. in Ioh. 19,22,149–150; vgl. Plot. Enn. IV 7 [2] 74). Je nach
Schwere des Falls wurden ihnen verschiedene Körper zugeteilt, den Menschen
speziell fleischliche Leiber, so dass die gegenwärtige Mannigfaltigkeit in der geis-
tigen und körperlichen Verfassung der Geschöpfe durch die Verschiedenartigkeit
ihrer Abwendungen oben verursacht ist (Princ. 1,5,1. 6,3. 7,4; 3,1,10. 24; Comm. in
Mt. 10,12; 15,11). Indessen sind nicht alle irdischen Wesen durch eigene Schuld in
die Welt gekommen, manche sind zum Dienst am Weltganzen herabgesendet wor-
den (Princ. 3,5,4. 8,4; Comm. in Ioh. 2,30,180–187). Zumal die präexistente Seele
Christi hat von Anfang an in glühender Liebe ohne Unterlass dem Sohn Gottes
untrennbar angehangen, hat ihn in sich aufgenommen und ist in seinem Licht und
Glanz aufgegangen (Princ. 2,6,3. 5f.; Cels. 7,17).

4.3. Kosmologie und Anthropologie

Die empirische, materielle Welt ist von Gott, dem einzigen und wahren Gott,
durch den Logos bzw. die Weisheit, seinen Schöpfungsmittler, nach dem Muster
der im Logos enthaltenen Vorbilder mit einem zeitlichen Anfang (Princ. 3,5,1f.)
aus dem absoluten Nichts (Princ. 2,1,4; Comm. in Gen. fr. D 3,1f. Metzler) geschaf-
fen worden. Die Erschaffung der materiellen Welt ist im origeneischen System die
direkte Reaktion Gottes, die auf den Abfall in der geistigen Sphäre, wo anstelle
der ursprünglichen Einheit und Eintracht eine chaotische Vielheit eingetreten war,
erfolgte. Um die völlige Auflösung der chaotisch gewordenen Vielheit zu verhin-
dern, habe Gott vermöge seiner Providenz die gefallenen Wesen mittels gestufter
Einkörperungen in die geordnete Vielfalt und Harmonie einer einzigen Welt zu-
sammengefügt (Princ. 2,1,1f.; Koch 1932 [*2021: 42f.]). Gestützt auf Phil. 2,10
nimmt Origenes an, dass das gesamte Weltall drei durch fortschreitende Verdi-
ckung nach unten charakterisierte Räume körperlicher Existenzen umfasst. Im
Bereich der ‘caelestia’ existieren die Engel und die Himmelskörper, im Bereich der
‘terrestria’ das Menschengeschlecht und die vernunftlosen, beseelten und unbe-
seelten Geschöpfe und im Bereich der ‘inferna’ die Dämonen und der Satan (Princ.
1,6,2f.). So eingebunden, hat die materielle Schöpfung einen positiven Wert. Sie ist
für die gefallenen Wesen ein Ort der Züchtigung und der Strafe, wo sie ihre ver-
dienten Peinigungen erlangen (Princ., 2,10,6; Hom. in Ier. 7,3; 8,1; Cels. 7,50), was
Origenes’ platonischer Einstellung zufolge immer gut und heilsam ist; sie ist aber
zugleich im göttlichen Heilsplan auch ein Ort der Läuterung und Erziehung, wo
die Gefallenen Fortschritte zur Besserung machen können (Princ. 2,3,2; 3,5,4; Cels.
5,32). So gewiss die Leiblichkeit geistige Beschwernisse, Peinigungen und körper-
liche Leiden mit sich bringt, so ist sie in Origenes’ Sicht doch keineswegs böse oder
schlecht. Das Böse – er bestimmt es als ἀνυπόστατον («ohne [eigene] Existenz»:
Comm. in Ioh. 2,13,93; Koch 1932 [*2021: 99–112]) und als Ermangelung an Gutem
(Princ. 2,9,2) – hat seinen Sitz im verkehrten, von Gott abgewandten Willen (Cels.
4,65f.; 6,53–56), nicht in der Materie, eine Annahme, die Origenes energisch ab-
weist (Cels. 3,42; 4,66). Die Materialität ist mit Vielheit und Mannigfaltigkeit ver-

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984 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

bunden, aber überall in der sichtbaren Welt kann ein Abglanz des Ewigen, ein Zei-
chen auf ein jenseitiges Gut aufstrahlen, was als pädagogisch abgestimmte Stufe
auf der Rückkehr zum geistigen Ursprung dienen kann (Comm. in Cant. 3,13,15ff.).
Dementsprechend zeichnet Origenes Aufbau und Verfasstheit der sichtbaren
Welt – im Unterschied zur negativen Sicht der häretischen Gnostiker – in den welt-
bejahenden Konturen der stoischen Philosophie. Die von Gott geschaffene Materie
(Princ. 2,1,5; Comm. in Ioh. 13,42,280; Alexandre 1975 [*2100: 65–67]) liegt allem
als eigenschaftsloses Substrat (ὑποκείμενον) zugrunde (Cels. 3,41; 4,56). Durch die
von Anfang an eingegangene Verbindung der Materie mit den verschiedenen Ei-
genschaften – dem Warmen und Kalten, dem Trockenen und Feuchten – werden die
vier Elemente geschaffen (Princ. 2,1,4; 4,4,6f.; Or. 27,8), und diese bilden ihrerseits
in ihrer wechselseitigen Vermischung und durch Übergang untereinander dank der
Einprägungen durch die intelligiblen Muster der Ideen die Vielheit der Körperwe-
sen (Princ. 2,1,4; 4,4,6; Comm. in Ioh. 1,19,114f.; Cels. 4,57). Die ‘scala naturae’ ist
rezipiert (Princ. 3,1,2f.; vgl. Benjamins 1994 [*2168: 60–71]). Sehr umfangreich, aber
in charakteristischer Umakzentuierung gegenüber der Stoa ist der Gedanke der
göttlichen Providenz ausgeführt, der einem kosmologischen Determinismus aus
dem Wege geht (vgl. Benjamins 1994 [*2168: 138–165]). Wieder ähnlich wie die Stoa
neigt Origenes dazu, die physischen Übel in der Welt zu bagatellisieren (Cels. 6,55f.;
vgl. Chadwick 1966 [*2076: 89]). Die Astrologie bekämpft er (Comm. in Gen. fr. D
7,1 Metzler), die Gestirne sind Zeichen der göttlichen Weltregierung (Princ. 4,1,7;
Comm. in Gen. D 7,15f. Metzler; Cels. 8,52; vgl. Plot. Enn. III 1 [3] 5f.); den Men-
schen muss es genügen, Gottes Willen aus dem Buch des Gesetzes zu kennen (Mo-
naci Castagno 1987 [*2139: 130–149], Arfé 2009 [*2242]). So ist das Weltall ein «un-
ermessliches Lebewesen», das von Gottes Kraft und Logos getragen und
zusammengehalten und wie von einer Seele beseelt wird (Princ. 2,1,3. 9,6. 11,6). Es
ist ein einziges Haus (Princ. 2,9,6) und ein Tempel Gottes (Cels. 7,44; zu weiteren
Details siehe de Faye 1928 [*2018: III 79–110, 124ff.], zum Motiv des kosmischen
Christus Lyons 1982 [*2119: 118–145]). Schließlich unterbreitet Origenes noch in ge-
wohntem philosophischen Forschungshabitus einen Überblick, in wievielfacher
Hinsicht das Wort κόσμος gebraucht wird. Er nennt sieben Bestimmungen, die er
teils mit Beispielen aus dem biblisch-christlichen Wortschatz illustriert, teils auch
nur distanzierend registriert (Princ. 2,3,6; vgl. Klostermann 1938 [*2062: 59]). Aufs
Ganze gesehen gewinnt man freilich trotz gelegentlicher gegenteiliger Bekräftigun-
gen (Princ. 1,1,6: mittelbare Gotteserkenntnis aus der Schönheit und Pracht seiner
Werke) den Eindruck, dass bei Origenes der Drang der Entweltlichung so dominie-
rend ausgeprägt ist, dass darüber der Sinn für die Schönheit und Ordnung der vor-
findlichen Welt, anders als etwa bei Clemens, stark zurückgedrängt ist.

In der Anthropologie vertritt Origenes im Grundsatz ein dreiteiliges Menschen-


bild, wonach der Mensch gemäß I. Thess. 5,23 aus Leib bzw. Fleisch (σῶμα, σάρξ),
Seele (ψυχή) und Geist (πνεῦμα, νοῦς) besteht (Princ. 3,4,1; 4,2,4; Dial. 6,20–29;
Comm. in Rm. 1,18 [21]; Crouzel 1985 [*2028: 123–130]), doch kennt er auch andere
Konzepte. Verkürzt spricht er bisweilen nur von Leib und Seele (Princ. 1,1,6; Comm.
in Mt. 13,9; Cels. 6,63). Ebenfalls aufgenommen ist die auf Platon zurückgehende

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 985

paulinische Gegenüberstellung vom inneren und äußeren Menschen (II. Cor. 4,16,
Rm. 7,22; Comm. in Rm. 5,8; Dial. 11,19f.; Comm. in Ioh. 32,10,111). Auch disku-
tiert er eine Theorie von zwei Seelen, wobei er die Entscheidung letztlich offen lässt
(Princ. 3,4,2–5). Insgesamt muss man bei diesem dogmatischen Komplex mit inne-
ren Spannungen und gewissen Unausgeglichenheiten rechnen (anders Crouzel 1985
[*2028: 124]: «une synthèse cohérente qui se re­trouve pratiquement inchangée»).
Was die gängigste Position bei Origenes betrifft, ist die höchste Instanz der
Geist. Beide griechischen Begriffe πνεῦμα und νοῦς gehen in Origenes’ Sprach-
gebrauch ineinander über und können auch synonym verwendet werden, wovon
noch die lateinischen Übersetzungen zeugen (Strutwolf 1993 [*2167: 242–248]).
Dieses Pneuma ist nicht mit dem Heiligen Geist zu verwechseln (Dial. 6,26–31),
es ist ein geschaffener Geist, der mit der Vernunft des Menschen identisch ist. Die-
ser anthropologische Geist ist ein Rest des präexistenten Vernunftwesens, wes-
halb er immateriell ist (Princ. 1,1,6). Auch im Zustand der Einkörperung besitzt
der Mensch einen ‘oberen Teil’ der Vernunft; denn dieser ist nicht in jedem indi-
viduellen Fall vollständig hinabgestiegen, sondern einige Wesen vermochten –
manche mehr, andere weniger, je nach Schwere der Verfehlung – einen Rest der
früheren Kraft oben zu bewahren (Princ. 2,8,4; vgl. Plot. Enn. IV 8 [6] 8). In die-
sem Vernunft-Geist ist die Gottebenbildlichkeit angesiedelt, worauf sich im bib-
lischen Schöpfungsbericht Gen. 1,26 beziehe; es ist die Auszeichnung, die es dem
Menschen erlaubt, Gott zu erkennen, wie sie überhaupt jede höhere geistliche Er-
kenntnis ermöglicht und das moralische Gewissen einschließt. Für das Böse ist
der Geist unempfindlich (Comm. in Ioh. 32,18,218).
Die Seele andererseits ist im origeneischen Systementwurf die durch den Ab-
fall verwandelte, abgekühlte Substanz der ehemaligen Vernunftwesen. Sie gilt in
erster Linie entsprechend platonischer Vorgabe als die Ursache der Selbstbewe-
gung, welche die Lebewesen generell von sich selbst haben (Princ. 1,7,3; 3,1,2; vgl.
Plat. Phdr. 245c–e; Cels. 6,48). Origenes bestimmt sie weiter mit stoischen Begrif-
fen als «eine Substanz mit Vorstellungsvermögen (φαντασία) und Strebevermö-
gen (ὁρμή)» (Princ. 2,8,1–2; 3,1,2). Für gänzlich immateriell scheint er sie nicht ge-
halten zu haben; sie steht als ein Mittleres zwischen Geist und Körper (Princ.
2,8,4; 2,6,3; vgl. Kettler 1966 [*2079: 31 Anm. 116]), und ihr eignet, weil sie selbst
mit einer gewissen materiellen Beimischung versehen ist, eine natürliche Ausrich-
tung auf die Körperwelt (Princ. 2,10,7; 2,8,2; Cels. 7,32; vgl. Strutwolf 1993 [*2167:
252f.]). Als eine gefallene Substanz ist sie selbstverständlich unvollkommen und
zur höheren Erkenntnis unfähig. Aber sie ist dem Guten wie dem Bösen gleicher-
maßen zugänglich (Comm. in Ioh. 32,18,218), womit ihre wichtigste Bedeutung
gegeben ist, nämlich dass sie der Sitz des Entscheidungsvermögens und der Wahl-
freiheit ist. Die Seele kann sich der Führung des Pneuma anschließen, worauf sie
sich ihm angleicht und ganz pneumatisch wird; sie kann sich aber auch dem
Pneuma verschließen und sich dem Fleisch überlassen, so dass sie selbst fleisch-
lich wird (Comm. in Rm. 1,18 [21]; Crouzel 1985 [*2028: 125]). Interessanterweise
kennt Origenes auch die platonische Dreiteilung der Seele in das λογιστικόν («ver-
nünftiger Seelenteil»), das θυμοειδές («muthafter Seelenteil») und das ἐπιθυμη­
τικόν («begehrender Seelenteil»). Während er in ‹De principiis› diese Theorie

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986 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

nicht gelten lassen will, weil die Bibel dafür keinen Beleg biete (Princ. 3,4,1), hat
er sie später positiv aufgenommen (Hom. in Ez. 1,6). Auch den stoischen Termi-
nus für den herrschenden Seelenteil, τὸ ἡγεμονικόν, benutzt er (Princ. 3,1,4; Or.
25,1). Schwierig ist es jedoch, die Rolle des λογιστικόν zu bestimmen. Origenes
scheint diesen Seelenteil als vom höheren Vernunft-Pneuma unterschieden ge-
dacht zu haben. In diesem Fall wäre die Leistung des λογιστικόν darin zu sehen,
auf einer niederen Stufe unterhalb der spirituellen Erkenntnis sinnliche Eindrü-
cke zu sammeln und zu beurteilen, rationale Argumente zu bilden oder enzyklo-
pädische Studien zu betreiben sowie die von Natur aus angeborenen sittlichen
Normen zu erkennen und Willensentscheidungen zu treffen (Princ. 3,1,3; Cels.
1,4f.). Die beiden genannten niederen Seelenteile, das θυμοειδές und das
ἐπιθυμητικόν, zwischen denen Origenes keinen erkennbaren Unterschied macht,
markieren in besonderer Weise den depravierten Status der gefallenen Wesen. Sie
sind die Instanz, die Paulus mit φρόνημα τῆς σαρκός («das Sinnen des Fleisches»)
bezeichnet (Rm. 8,7 in Comm. in Ioh. 20,22,176; vgl. Comm. in Rm. 6,1. 12; Crou-
zel 1985 [*2028: 126]), wo Begierden und Leidenschaften wirken, wo die Sünde
regiert und Feindschaft gegen Gott herrscht und wo die Angriffe der Dämonen
ansetzen (Princ. 1,6,3; 2,2,2; 3,5,4; Hom. in Ios. 15,3; Comm. in Ioh. 10,32,204;
20,36,332; Cels. 5,5; 7,5). Diese Neigungen gehen der freiwilligen Wahl voraus und
sind auch in denjenigen anwesend, die – wie die kleinen Kinder (dazu Princ. 1,3,6;
Comm. in Mt. 13,16; Comm. in Rm. 3,6) – noch unfähig sind, eine Wahl zu tref-
fen; trotzdem liegen sie nicht außerhalb der Verantwortlichkeit des Menschen, weil
es seine Aufgabe ist, die Kontrolle über seine Zustimmung auch im verderbten
Stand einzuüben und voll zu entwickeln (Orat. 6,2; Cels. 3,69; Comm. in Rm. 1,18
[21]; 5,1: laut Paulus wird die Sünde nicht angerechnet, wo noch keine Willensent-
scheidung vorliegt; Hauke 1993 [*2166: 387–393, 427–431], Bennett 2005 [*2218:
82–85]). So ist das irdische Dasein vergleichbar mit einem Kampfplatz, wo Dä-
monen und die Beistand leistenden Engel um den Menschen ringen, ohne dass
seine Verantwortlichkeit ausgeschaltet würde (Comm. in Rm. 1,18 [21]).
Was schließlich die körperliche Konstitution des Menschen betrifft, so kann
Origenes die Begriffe σῶμα («Körper») und σάρξ («Fleisch») gleichbedeutend ge-
brauchen, aber in der Regel überwiegt bei σάρξ entsprechend dem paulinischen
Sprachgebrauch die negative Konnotation (Crouzel 1985 [*2028: 126]). Es ist keine
Frage, dass der Leib als solcher von Gott geschaffen und mithin gut ist (Comm. in
Ioh. 13,42,280). Die Aussaat der präexistenten Seele wie auch des pneumatischen
Samens in die neugeborenen Menschen geschieht durch die Engel (Comm. in Ioh.
13,50,326f., ausgeschlossen ist das kreatianische und das traduzianische Modell;
vgl. die Fragestellung in Princ. 1 praef. 5; Chadwick 1967 [*2025: 190f.]). Der Leib
erfüllt natürliche Funktionen, er ist das Werkzeug der Seele und kann sogar ein
Hilfsmittel für den geistlichen Fortschritt sein, weil die Würde der Gottebenbild-
lichkeit auf ihn abstrahlen und ihn zum Tempel des Heiligen Geistes machen kann
(vgl. Cels. 7,4). Aber das ändert grundsätzlich nichts daran, dass die leibliche Exis-
tenzweise Folge des vorzeitlichen Sündenfalls ist und alles unter das Vorzeichen
des Verfallenseins und der Nichtigkeit gestellt ist (Comm. in Ioh. 19,22,149f.). Der
Leib ist die «Nichtigkeit», der die Geschöpfe gemäß dem Apostel wegen der Sünde

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 987

unterworfen sind (Rm. 8,20–21; Princ. 1,7,5; Hier. Ep. 124,4); er trägt die Merk-
male der Verderbtheit an sich, wozu auch die Sexualität gehört (Hom. in Ier. 11,5;
Hom. in Lev. 8,3; 12,4; Sfameni Gasparro 1984 [*2126: 193–252]). Fast ausschließ-
lich gehen die Begierden und Leidenschaften oder anders gesagt, die Versuchun-
gen zum Bösen, vom Körper aus. Als Verdunkelung, Abstumpfung und Verunrei-
nigung des Geistigen übt der Leib eine negative Wirkung auf die Seele aus. Er ist
zudem dem Tod verfallen, weil in ihm die Sünde wohnt, die den Tod verursacht
(Comm. in Rm. 6,9). Anders als in der philosophischen Tradition bedeutet der Tod
für Origenes wie für die christliche Tradition insgesamt keine Befreiung. Zwar ge-
braucht auch er die gängige griechische Definition des Todes als Trennung der
Seele vom Leib (Comm. in Ioh. 13,23,140; Comm. in Mt. 13,9), aber seiner eige-
nen anthropologischen Sicht entspricht es eher, wenn er von der Trennung des
Geistes von der Leib-Seele-Verbindung spricht, die in die Unterwelt hinabsteigt
und dort bestraft wird (Comm. in Rm. 2,9 [7]). Origenes versteht diese Trennung
als Zerreißung des Zusammengehörigen, was schon an sich eine qualvolle Strafe
ist (Strutwolf 1993 [*2167: 264f. mit Anm. 337]).
Einen wichtigen biblischen Beleg für sein Verständnis der leiblichen Konstitu-
tion des Menschen sieht Origenes abgesehen von den paulinischen Aussagen auch
in Gen. 3,21. In seiner Frühzeit hat er offenbar mehreren anderen Deutungen ge-
genüber ein Verständnis bevorzugt, wonach die Fellkleider, die Gott den Stamm-
eltern nach dem Sündenfall gab, auf den menschlichen Leib, in den Adam als Re-
präsentant der gesamten Menschheit nach dem Urfall inkorporiert wurde, zu
beziehen seien (Comm. in Gen. fr. D 22 Metzler; Cels. 4,40; Beatrice 1985 [*2127],
Bammel 1989 [*2147], Hauke 1993 [*2166: 376–380], Jacobsen 2008 [*2237: 223–
228]). Eine spätere Deutung bezieht den Vers auf die Sterblichkeit und Zerbrech-
lichkeit des Menschen, die er wegen des Falls angenommen hat (Hom. in Lev.
6,2,7; vgl. Martens 2014 [*2281: 73–79]). Deshalb beschreibt Origenes den Leib
auch als Gewand, Grab oder Kerker (Princ. 1,1,5; 2,10,8; Hom. in Lc. 15,1; Cels.
8,54; vgl. Plat. Crat. 400b–c und Phd. 62b).

Eine schwierige und umstrittene Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden
soll, betrifft Origenes’ Deutung von Gen. 2,7, der Erschaffung aus Erdenstaub, im
Verhältnis zu Gen. 3,21, der Bekleidung mit Fellkleidern. Handelt es sich nach sei-
nem Verständnis um zwei verschiedene Körperlichkeiten, in die Gott den gefal-
lenen Menschen gekleidet hat, oder beschreiben beide Stellen denselben in sich
differenzierten Schöpfungsakt? (vgl. Martens 2014 [*2281: 67f. mit Anm. 25]).
Mehrfache Deutungen gibt Origenes auch dem von Gott eingehauchten Lebens­
odem (Gen. 2,7). Er kann für den natürlichen Lebenshauch (Comm. in Ioh.
13,23,140) oder für die Seele stehen (Princ. 2,8,1); er kann aber auch die Einset-
zung des νοῦς in den materiellen Leib oder die Teilhabe am Heiligen Geist (Princ.
1,3,6; Cels. 4,37) bezeichnen.
Mit besonderem Nachdruck geht Origenes der Thematik der Willensfreiheit
nach, die in der Auseinandersetzung mit der gnostischen Naturenlehre und dem
stoischen Determinismus «höchste Wichtigkeit» (Princ. 3,1,1) gewinnt; denn von
ihr hängt für ihn die sittliche Weltordnung und letztlich der biblische Schöpfer-

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988 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

glaube ab (vgl. Fürst 2016 [*2283: 3–13]; zu den Umrissen einer «Metaphysik der
Freiheit» Schockenhoff 1990 [*2152], Fürst 2014 [*2037: 533–550]). Dabei unter-
scheidet Origenes terminologisch zwischen der verwirkten Freiheit der ursprüng-
lichen Geistwesen (ἐλευθερία bzw. «libertas»), die erst im Eschaton wiedererlangt
werden kann, und der verbliebenen Fähigkeit, mit eigenem Willen und eigener
Entscheidung sich selbst zu bestimmen (τὸ αὐτεξούσιον, τὸ ἐφ’ ἡμῖν bzw. «libe-
rum arbitrium», «in nostra potestate»), welches Letztere auch, wie er konstatiert,
in der kirchlichen Verkündigung festgelegt sei (Princ. 1 praef. 5).
Einerseits muss also Origenes zeigen, «dass wir [d. h. die Menschen als ver-
nunftbegabte Wesen] nicht der Notwendigkeit unterworfen sind, so dass wir un-
ausweichlich auch gegen unseren Willen Böses oder Gutes zu tun gezwungen
wären» (Princ. 1 praef. 5). Ausgehend von einer im Wesentlichen stoisch inspirier-
ten Analyse der verschiedenen Bewegungsformen führt er die Leugnung der Wil-
lensfreiheit ad absurdum und kommt zum Resultat, dass das Eintreffen eines be-
stimmten Ereignisses nicht in unserer Macht liegt, dass aber die Entscheidung,
das Ereignis so oder anders zu verarbeiten, allein Sache der Vernunft in uns ist
(Princ. 3,1,1–5; Or. 6,1f.; van der Eijk 1988 [*2146]). Oder er argumentiert, dass
unsere Entscheidungen zwar eingebettet sind in eine Kette von Ereignissen, die
nicht gänzlich in unserer Hand liegen und teilweise unsere Entscheidungen be-
dingen – Origenes hat ein deutliches Gespür für physiologische und soziale Be-
dingtheiten –, dass unsere Entscheidungen aber dadurch nicht völlig determiniert
sind, weil es immer Alternativen gibt, den vorangegangenen Ereignissen auch an-
ders zu begegnen (Comm. in Gen. fr. D 7,8 Metzler; Princ. 3,1,5; Benjamins 1994
[*2168: 71–87, gegen astrologischen Fatalismus ebd.]). Andererseits muss Orige-
nes zeigen, dass Gottes providentielle Lenkung des Weltgeschehens die Entschei-
dungsfreiheit des Menschen nicht aufhebt. Besonders virulent wird dieses Prob-
lem im Hinblick auf das Gebet, da dieses sinnlos wird, wenn Gott alles im Voraus
kennt und bestimmt, und es unfromm ist, wenn man meine, Gott in seinem ewi-
gen Ratschluss durch Bitten erweichen zu können (Or. 5,6; Benjamins 1994 [*2168:
99–121], Perrone 2011 [*2268: 108–116]). Origenes’ Antwort besteht darin, dass
er eine Unterscheidung von Gottes Vorherwissen und Gottes Prädestination vor-
nimmt. Gott legt nicht das Verhalten eines Menschen fest, sondern weiß im Vor-
aus, dass gewisse zukünftige Ereignisse auf bestimmte Weise als Folge einer freien
Handlung stattfinden werden, und von diesem Vorherwissen aus richtete er sei-
nen Heilsplan so ein, dass er den zukünftigen Willensentscheidungen entspricht.
Die Entscheidungsfreiheit ist also nicht nur nicht aufgehoben, sondern sie ist ein
ursächlicher, wenn auch noch zukünftiger Faktor für den göttlichen Heilsplan, der
alles zum Heil des Ganzen einbindet (Comm. in Gen. fr. D 7,8f Metzler; Or. 6,3ff.;
Comm. in Rm. ap. Philoc. 25,2–3; Orat. 6,3; vgl. auch Cels. 2,20). Am nächsten
scheint Origenes mit dieser Konzeption Alexander von Aphrodisias zu stehen
(Alex. Aphr. Fat. 30–31; vgl. Benjamins 1994 [*2168: 92f., 96f.]; zu den philosophi-
schen Quellen insgesamt vgl. Jackson 1966 [*2078: 16–21]). Indessen weiß er trotz
seinem vehementen Plädoyer für die Freiheit natürlich auch, dass der Mensch
­allein ohne Hilfe der göttlichen Gnade nicht imstande ist, das Gute zu verwirk­
lichen (Princ. 3,1,24; Hauke 1993 [*2166: 344–348], Fürst 2014 [*2037: 545–548]).

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 989

4.4. Die eschatologische Vollendung

Das Heil des Menschen, ja, das Heil der gesamten vernunftbegabten Schöp-
fung (Princ. 1,6,3; Comm. in Ioh. 1,35,255) besteht in der Rückkehr zu Gott,
ihrem Ursprung, wo alles seine endgültige Vollkommenheit findet. Der Grund-
gedanke der origeneischen Heilsauffassung besteht darin, dass der entscheidende
Impetus, der diesen Umschwung des Weltendramas heraufführt, durch die Er-
scheinung des Logos-Christus in der Menschenwelt eingetreten ist, insofern alles
in die freiwillige Umkehr zu Gott hineingerissen und Gott zu eigen gemacht wird
(vgl. Cels. 7,17). Die Freiheit der geistigen Geschöpfe, namentlich der gefallenen
Menschheit, sieht Origenes dabei durch den Gedanken der schrittweisen Akkom-
modation Gottes an die menschliche Fassungskraft und der inneren Verwand-
lung der Seele durch die Anwesenheit des Logos in ihr gewahrt. So wie der Logos
«allen alles geworden ist, um alle zu gewinnen» (Princ. 4,4,4 mit I. Cor. 9,22), so
tritt der Logos täglich in die Seelen der Gläubigen ein, um sie mehr und mehr
von innen her mit seiner Gegenwart zu erfüllen (Comm. ser. 50 und 56 in Mt.;
Hom. in Gen. 13,4; vgl. Chadwick 1966 [*2076: 77f.], Fürst, Hengstermann 2009
[*1866: 106–109]). Durch äußeres Entgegenkommen und innere Verwandlung ar-
beitet der Logos auf die freie Zustimmung der Menschen hin. Als Einübung der
Vollkommenheit kann auch, wie Origenes nicht müde wird zu betonen, der kon-
templative Aufschwung verstanden werden, wenn die Seele die Körperwelt unter
sich lässt, sich von allen sinnlichen Regungen ablöst und zum Geistigen erhebt
(Comm. in Ioh. 19,6,35–39; Cels. 6,68), um vom Logos berührt, in einer Erfah-
rung, in der Erkenntnis und Liebe geeint sind, sich zur reinen Schau Gottes in
göttlicher Trunkenheit (Comm. in Ioh. 1,30,206, eine Reminiszenz an Philon;
Fürst 2014 [*2037: 491]) auszustrecken (Hom. in Num. 27; Princ. 1,3,8; Or. 25,2;
vgl. Daniélou 1948 [*2023: 287–301]). Auf diese Weise wird der Mensch durch
Partizipation am göttlichen Leben mehr und mehr vergöttlicht. In solcher Pers-
pektive sieht Origenes auch die platonische Zielformel der «Angleichung
(ὁμοίωσις) an Gott soweit wie möglich» (Plat. Tht. 176b; Tim. 90d) in Verbindung
mit der biblischen Aussage über die Erschaffung des Menschen, wo es heißt:
«Gott sprach: lasset uns Menschen machen nach unserem Bild (κατ’ εἰκόνα) und
uns ähnlich (καθ’ ὁμοίωσιν)» (Gen. 1,26; Princ. 3,6,1). Geschaffen ist der Mensch
«nach unserem Bild» (κατ’ εἰκόνα), was Origenes zufolge bedeutet, er ist geschaf-
fen gemäß dem Logos, der das eigentliche Bild Gottes ist (vgl. Col. 1,15: «Bild des
unsichtbaren Gottes»), und zwar bei der ersten Schöpfung der intelligiblen Wesen
(Princ. 1,2,6; Comm. in Ioh. 1,17,105; 2,3,20; Cels. 6,63; Jacobsen 2008 [*2237:
217]). Dass aber im biblischen Bericht bei der folgenden Ausführung der Erschaf-
fung des Menschen (Gen. 1,27) «die Ähnlichkeit» (καθ’ ὁμοίωσιν) nicht genannt
wird, zeigt für ihn, dass die Vollendung der Ähnlichkeit für das eschatologische
Ende aufbewahrt ist (Princ. 3,6,1; Crouzel 1956 [*2066: 147–179, 217–245]). Zwi-
schen der ersten Schöpfung und der eschatologischen Vollendung gibt es einen
für den menschlichen Fortschritt offenen Raum. Der Mensch hat eine Würde,
die es ihm ermöglicht, sich bis zur vollkommenen Ähnlichkeit mit Gott zu ent-
wickeln (Princ. 1,5,2; vgl. Cels. 3,28).

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990 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

So wie die irdische Welt einen Anfang gehabt hat, so wird sie auch ein Ende
haben und in ihrer materiellen Substanz vergehen (Princ. 1 praef. 7; 3,5,1f.). Ori-
genes erwähnt in diesem Zusammenhang die stoische Lehre vom Weltenbrand
(Cels. 5,15; 8,72), aber er weist energisch die Vorstellung von kosmischen Zyklen
zurück, die besagt, dass notwendigerweise dieselben Ereignisse im selben Ablauf
der Dinge stets wiederkehren werden (Cels. 4,57f.; 5,15. 20). Er rechnet jedoch für
die Menschenseelen mit einem postmortalen Reinigungsprozeß, indem sie gleich
nach ihrem physischen Tod an den ihnen gebührenden Ort im Hades bzw. der Ge-
henna temporär verwiesen und dem Läuterungsfeuer des Gewissens unterworfen
werden (Princ. 2,10,4; 4,3,10; vgl. Strutwolf 1993 [*2167: 323–327]). In diesem Zu-
sammenhang steht auch Origenes’ Erwartung der leiblichen Auferstehung und
des Gerichts. Aber Gottes Erziehung, die nun nicht mehr in moralischer, sondern
vorwiegend in intellektueller Hinsicht erfolgt, reicht noch weiter über sehr lange
Zeiträume und über mehrere Stufen, über das Paradies, das Reich der Himmel
und den überhimmlischen Ort hinaus (Princ. 2,11,6; 3,6,8; vgl. Strutwolf 1993
[*2167: 327–334]), bis schließlich die Endvollendung in der universalen Apokata-
stasis erreicht sein wird, da Christus die ihm Unterworfenen selbst dem Vater un-
terwirft, so dass Gott alles in allem sein wird (Princ. 1,6,3; 2,3,5; 3,5,6; 3,6,9 mit I.
Cor. 15,27f., die Stelle wird in ‹De principiis› neunmal zitiert; vgl. weiter Or. 25,2;
Comm. in Rm. 5,10; 6,5; Comm. in Ioh. 1,16,91; 20,7,47–48).
Getreu der kirchlichen Glaubensüberlieferung vertrat Origenes mit Entschie-
denheit die Auferstehung der Toten (Princ. 1 praef. 5), aber er meinte, man dürfte
die Aussagen darüber in der Schrift und der Verkündigung nicht falsch verstehen,
da es zwischen dem irdischen und dem auferstandenen Menschen sowohl Identi-
tät als auch Unterschiede gebe (Crouzel 1980 [*2114: 184]). Er kritisiert die unan-
gemessenen Meinungen der Einfältigen, welche die Auferstehung für das einfa-
che Wiederaufleben des fleischlichen Körpers halten (in diesem Fall würde ein
Körper auferstehen, der wieder zum Tod bestimmt ist), ebenso wie die mancher
Irrlehrer, welche die Auferstehung auf die Seele oder auf einen gespensterhaften
Körper beziehen (Princ. 2,10,1–3; Cels. 5,19; Crouzel 1980 [*2114: 176–184]). Zur
Entfaltung seines eigenen Verständnisses, vor allem in der Erläuterung von Ps. 1,5
(Nautin 1977 [*1993: 268–273, 296–300], Dorival 1987 [*2133], Prinzivalli 2002
[*2333: 90–104], sehr kurz auch in Princ. 2,10,3, sowie Cels. 5,15–24), benutzt er
die stoische Unterscheidung zwischen Zugrundeliegendem (ὑποκείμενον) und in-
dividueller Eigenschaft (ἴδιον ποιόν); er unterscheidet das materielle Zugrunde-
liegende des Körpers, das nie dasselbe bleibt, von der körperlichen Form (εἶδος
σωματικόν). Was auferstehen wird, kann nicht das materielle Zugrundeliegende
sein; denn nach dem Tod zerstreuen sich die Elemente, aus denen der Körper zu-
sammengesetzt ist, und kehren zum ursprünglichen Stoff zurück (Erde zu Erde,
Wasser zu Wasser usw.), um andere Leiber zu formen. Was einem Körper immer
er selbst zu bleiben erlaubt (z. B. mit denselben Narben), obwohl die Elemente, aus
denen er besteht, sich durch Alter, Krankheiten und andere Umstände immer
wandeln, ist eben die körperliche Form. Diese ist weder mit der äußeren Gestalt
des Leibes identisch (ein Kind hat nicht dieselbe Gestalt des Erwachsenen, ob-
wohl sie dieselbe Person bleiben) noch mit der unsterblichen Seele (Dial. 25,22–

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 991

26,8), weil die körperliche Form sterblich ist. Die Auferstehung betrifft die Form
des Einzelkörpers, welche die individuelle Verfassung eines jeden Menschen be-
gründet; sie wird aber nicht in einem bestimmten irdischen Zustand, sondern in
einem neuen Zustand der Herrlichkeit und Unverweslichkeit auferstehen (I. Cor.
15,43–44). Aufgrund von I. Cor. 15,36 spricht Origenes – indem er wieder stoische
Begriffe benutzt – auch von einem Samen, der in sich so etwas wie eine Vorlage
oder einen Code für das Gefüge des Individuums enthält, welche die genaue Zu-
sammensetzung von Elementen ordnet, die zur Zeugung eines bestimmten Indi-
viduums notwendig sind (λόγος σπερματικός; vgl. Cels. 5,18. 23; Princ. 2,10,3
sowie Pamph. Apol. 130 und 134, wo von einer «ratio substantiae corporalis»,
«ratio quae in humano corpore est» die Rede ist; Crouzel 1980 [*2114: 246–257],
Strutwolf 1993 [*2167: 312–318]). Die beiden Begriffe «körperliche Form» und
«samenhaftes Prinzip» bezeichnen dieselbe Wirklichkeit.
Ist somit die persönliche, individuelle Leiblichkeit des Auferstehungsleibes bei
gewandelter materieller Konstitution in einer feinsten ätherischen oder lichthaf-
ten Substanz (Princ. 2,3,7; Comm. in Mt. 17,30) gesichert, stellt sich die schwierige
und stark umstrittene Frage, ob nach Origenes’ Meinung dieser Leib ewigen Be-
stand haben wird oder nur ein Durchgangsstadium sein wird, bis er zuletzt in der
Apokatastasis abgelegt wird und vollkommene Körperlosigkeit das Kennzeichen
der Endvollendung der Geschöpfe sein wird (Princ. 1,6,4; 2,3,7; 3,6,9; 4,4,8). Tat-
sächlich lässt Origenes seine Erörterungen dazu unentschieden, er stellt es dem
Leser anheim zu prüfen, was das Wahrscheinlichere ist (Princ. 2,3,7; 3,6,9). Aber
Origenes’ Ausführungen werden zusätzlich durch die an diesem Punkt offensicht-
lich tendenziöse Übersetzung des Rufinus weiter verunklärt (Görgemanns, Karpp
21992 [*1895: 667 Anm. 24; 813 Anm. 66). Da im origeneischen Denken das Ende

dem Anfang gleicht (Princ. 1,6,2), kehren in der Interpretation des eschatologi-
schen Heilszieles die Forschungsdivergenzen hinsichtlich der Beschaffenheit der
primären intelligiblen Schöpfung wieder (für eine Interpretation im Sinne der Be-
wahrung einer feinsten Körperlichkeit votieren Simonetti 1962 [*2073], Crouzel
1977 [*2108], 1978 [*2111: 181–187], 1980 [*2114: 261–265] und 1987 [*2132], Ed-
wards 1992 [*2158] und 1995 [*2171]; eine Interpretation im Sinne einer endgülti-
gen Körperlosigkeit verteten de Faye 1928 [*2018: III 73–78], Kettler 1969 [*2084:
285] und 1980 [*2116], Strutwolf 1993 [*2167: 310], Uthemann 1999 [*2192: 417–
418]; vgl. Rius-Camps 1973 [*2097] und 1976 [*2107]). Doch könnten gewisse An-
deutungen dafür sprechen, dass Origenes eher letzterer Möglichkeit zuneigte
(Hier. Ep. 124,5; Comm. in Mt. 16,5).
Eine weitere in der Forschung umstrittene Frage betrifft die Möglichkeit der
letztendlichen Errettung des Teufels. Schon zu Lebzeiten ist Origenes vorgewor-
fen worden, er lehre, dass auch der Teufel am Ende aller Zeiten gerettet werde
(Nautin 1977 [*1993: 161–172]), aber er hat sich dazu nicht völlig eindeutig ge-
äußert (vgl. Comm. in Ioh 28,8,64f.). Sicher ist ihm, dass Sünder grundsätzlich
vom Himmelreich ausgeschlossen sind und dass jede Sünde bestraft wird, dass
aber Strafen pädagogische bzw. therapeutische Bedeutung haben (Hom. in Ez.
1,3; Comm. in Mt. 17,24; Comm. ser. 69 in Mt.; Cels. 6,25) und Gottes Strenge
Grenzen hat. Das lässt die Möglichkeit offen, dass auch der Teufel und die unrei-

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992 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

nen Geister nach langen beschwerlichen Wegen der Züchtigungen sich bekehren
werden und dass die Strafen der Hölle nicht ewig sein werden (vgl. Hom. in Jos.
8,4; Prinzivalli 2002 [*2333: 68–69], Guly 2011 [*2262]). Auch vom Tod, dem letz-
ten Feind, sagt ja Origenes, dass er am Ende in seiner Bosheit vernichtet und in
der ursprünglichen Güte wiederhergestellt werden wird (Princ. 3,6,5; Monaci Cas-
tagno 1987 [*2139: 243–244], anders Crouzel 1987 [*2132: 287], Bostock 2011
[*2259: 116–117]). So ist es nicht abwegig, in Origenes einen prominenten Vertre-
ter der Idee der Allversöhnung zu sehen (Guly 2011 [*2262]).
Dass indessen nach der Apokatastasis mit einem erneuten Abfall der erlösten,
wieder durch Freiheit ausgezeichneten Geistwesen zu rechnen sei, ist eine miss-
günstige Unterstellung, der Origenes schon selbst widersprochen hat (Comm. in
Ioh. 10,42,292ff.). Die Erlösten werden in der endgültigen Seligkeit verharren,
ohne erneut Überdruss und Nachlässigkeit zu erleben. Sie werden zwar keine Ver-
wandlung ihrer Natur erfahren, aber die Liebe wird so stark sein wie das Sein
selbst (Princ. 2,6,5; Comm. in Rm. 5,10), so dass eine Abkehr von Gott nicht mehr
möglich ist (Princ. 1,3,8; 3,6,1. 6; Hom. in 1 Reg. 1,4; Comm. in Ioh. 20,14,110;
39,367. 375; Comm. in Rm. 1,1; 5,5; 6,15; fr. 1 Staab; Crouzel 1987 [*2132: 285–
286], Roukema 1999 [*2191], Fürst 2000 [*2195: 330]).

4. NACHWIRKUNG

Origenes’ Denken hat vermittelt durch die großen Theologen und Exegeten des
4. Jahrhunderts – die Kappadokier, Didymos den Blinden, Euagrios Pontikos,
Athanasios, Ambrosius, Hieronymus – die christliche Theologie der folgenden
Jahrhunderte tief beeinflusst. Gleichzeitig wurde er als Häretiker verurteilt und
sein Werk vernichtet. Trotz der Anfechtungen, die seine exegetische Methode her-
vorrief, fanden im Allgemeinen seine Bibeldeutungen und seine geistlichen Werke
eine breite Aufnahme, während seine kühnen theologischen Spekulationen hef-
tigen Widerstand erregt haben.
Die Streitigkeiten begannen schon zu Origenes’ Lebzeiten. Obwohl Eusebios
nichts darüber berichtet, darf man annehmen, dass Origenes’ Konflikt mit Demet-
rios auch theologische Gründe hatte. Zudem wurde sein Vermächtnis in Alexand-
rien von einigen seiner Nachfolger an der katechetischen Schule, wenn auch nicht auf
der vollen Höhe des Niveaus, bewahrt, von Dionysios (gest. 264/65), dem späteren
Bischof von Alexandrien (Bienert 1978 [*2299]), von Theognostos und Pierios (beide
gest. nach 309), später besonders von Didymos dem Blinden (gest. 398). In Caesarea
wirkten an der Wende zum 4. Jahrhundert zwei große Verteidiger von Origenes, der
Priester Pamphilos (gest. 310) und der Bischof Eusebios (ca. 260–339/40; Prinzivalli
2002 [*2333], Monaci Castagno 2004 [*1994]). Während seiner Gefangenschaft in der
Christenverfolgung unter Maximinus Daia schrieb Pamphilos, Schüler des Pierios,
unter Mithilfe von Eusebios eine Apologie für Origenes, in der er in fünf Büchern
(ein sechstes wurde nach Pamphilos’ Tod von Eusebios hinzugefügt) gegen Ein-
wände, die gegen Origines’ Lehre erhoben wurden, Auszüge aus Origenes’ Werken
zusammenstellte, die seine Rechtgläubigkeit bezeugen sollten (Junod 2004 [*2338]).

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 993

Auch in asketischen Kreisen Ägyptens fanden Origenes’ Lehren am Anfang


des 4. Jahrhunderts Aufnahme, wie der Fall von Hierakas bezeugt, der – nach Epi-
phanios (Haer. 67) – eine gesteigerte Form vom origeneischen Allegorismus und
Spiritualismus vertreten hat.
Zwischen Ende des 3. und Anfang des 4. Jahrhunderts nahm Methodios von
Olympos (gest. ca. 311) kritisch zu Origenes’ Protologie und Eschatologie Stellung.
Eustathios von Antiochien (280/288 – nach 337) schrieb gegen die origeneische
Auslegungsmethode der Bibel (Young 1989 [*2316: 193ff.], Trigg 1995 [*2320]). Die
Kritik an der allegorischen Exegese wurde später von den Vertretern der antioche-
nischen Schule, Diodor von Tarsos (gest. vor 394) und Theodor von Mopsuestia
(ca. 350–428), weiterentwickelt (Neuschäfer 1987 [*2140: 13–14]).
Vielleicht durch den Einfluß von Gregor dem Wundertäter und Firmilian von
Kaisareia (Eus. Hist. eccl. 6,27), verbreitete sich die Kenntnis von Origenes’ Theo-
logie auch in Kappadokien, wo man im Lauf des 4. Jahrhunderts bei Basileios, Gre-
gor von Nazianz und Gregor von Nyssa eine schöpferische Aneignung von origen-
eischen Themen und Methoden festellen kann (Uthemann 1999 [*2192: 429–449],
Simonetti 2002 [*2334]). Die von Pamphilos angewandte Methode, direkt mit Tex-
ten von Origenes auf gegnerische Einwände zu reagieren, haben auch die Kappa-
dokier Basileios und Gregor von Nazianz, die mutmaßlichen Urheber der berühm-
ten origeneischen Anthologie, der ‹Philokalia›, befolgt (Junod 1972 [*1965]).
Die Themen, auf die sich im Lauf des 4. Jahrhunderts die Auseinandersetzun-
gen um Origenes konzentrierten, sind seine Auslegungsmethode der Bibel, die
Lehre von der Präexistenz und die Eschatologie (Bekehrung des Teufels und Auf-
erstehung). Die Lehre der Allversöhnung erweckte besonders in asketischen Krei-
sen heftigen Widerstand (Hier. Ep. 84,7; Adv. Rufin. 2,12; Clark 1987 [*2311]).
Später kamen auch Streitigkeiten über seine Trinitätslehre und Christologie hinzu.
Obwohl noch Athanasios und Didymos der Blinde seine Lehre im Sinn der ni-
zänischen Orthodoxie deuteten, verschärften sich die Meinungsverschiedenhei-
ten nach der arianischen Krise (Hanson 1987 [*2312]) und nahmen am Ende des
4. Jahrhunderts während des sogenannten ‘ersten origenistischen Streites’ in as-
ketischen und monastischen Kreisen an Heftigkeit zu (Clark 1992 [*2318]). Maß-
geblichen Anteil an der Entstehung des Streites hatte Epiphanios von Salamis
(310/320–403), der in seinem Häresienkatalog, dem ‹Panarion› (374–377), in
einem umfangreichen Kapitel (Haer. 64,1–72) Origenes der Häresie bezichtigte
(Dechow 1988 [*2314], Bienert 1997 [*2321], Lyman 1997 [*2322]). Schließlich ließ
Theophilos, der Patriarch von Alexandrien (385–412), zwischen 400 und 404 Ori-
genes wiederholt verurteilen.
Obwohl sich der Streit hauptsächlich in Ägypten und Palästina abspielte, fand
er dank der direkten Beteiligung von lateinischen Schriftstellern – Hieronymus,
Rufinus, später auch Pelagius – ebenfalls in der lateinischen Theologie Widerhall
(Prinzivalli 2006 [*2343]). Einige abendländische Theologen hatten schon wäh-
rend der trinitarischen Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts das Werk von Origenes
kennen gelernt (vgl. Hilarius von Poitiers, Ambrosius; über eine frühere Rezeption
bei Victorinus von Pettau siehe Esterson 2011 [*2348]), aber erst durch die Über-
setzungen von Rufinus und Hieronymus wurden die Kenntnis und die Tradierung

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994 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

eines großen Teils des origeneischen Werkes im lateinischen Sprachraum gesichert.


So konnte beispielsweise Augustin, der manchmal Origenes in seinen Schriften
nennt (vgl. Civ. 11,23; 21,17. 23), über ihn schreiben, dass «fast alle ihn kennen»
(Haer. 42; La Bonnardière 1974 [*2297], Grossi 2006 [*2342], Fürst 2011 [*2349]).
In den letzten Jahren des Jahrhunderts kam es jedoch zu heftigen Streitigkei-
ten zwischen Hieronymus und Rufinus, dem Ankläger und dem Verteidiger von
Origenes’ Rechtgläubigkeit. Hieronymus (ca. 345–410) hat einerseits Origenes in
seinen exegetischen Werken nachgeahmt, andererseits hat er die Übersetzungen
von Rufinus, seinem früheren Freund, scharf attakiert, weil sie Origenes’ Irrleh-
ren vertuschten, und mit eigenen Übersetzungen wollte er den Beweis dafür lie-
fern. Der Streit zog sich noch länger hin, ohne Origenes’ Namen schon zu kom-
promittieren. Immerhin hat Hieronymus mit seinen Übersetzungen und
polemischen brieflichen Informationen (vgl. Hier. Ep. 85,4) einen wichtigen Bei-
trag zur Kenntnis von Origenes und zu seinem Einfluss in der abendländischen
Theologie geleistet (McGinn 2001 [*2331], Prinzivalli 2006 [*2343]). Doch ande-
rerseits hat er eine dauerhafte Scheidung innerhalb des origeneischen Werkes ein-
geleitet. Dass Hieronymus sich mit seinen Thesen auf die längere Sicht durchset-
zen konnte, bedeutete, dass man die Exegese – die man im wesentlichen für
annehmbar hielt und die einen tiefen Einfluß bis zum Mittelalter ausgeübt hat (de
Lubac 1959 [*2292: I 1,198–304]) – klar trennte von Origenes’ Theologie, die man
allgemein als ketzerisch verurteilte. Sie wurde am Ende des 5. bzw. Anfang des
6.Jahrhunderts vom sogenannten ‹Decretum Gelasianum› bekräftigt, das nur die-
jenige Schriften von Origenes für annehmbar erklärt, die Hieronymus nicht ver-
stoßen hatte (Decr. Gelas. 4,5).
Ein bedeutendes und strittiges Kapitel in der Geschichte von Origenes’ Nachwir-
kung stellt das theologische und asketische Werk des Euagrios Pontikos (ca. 345–
399) dar, dessen Schriften ab dem 5. Jahrhundert ins Syrische übersetzt wurden und
auf die östlichen monastischen Kreise einen tiefgreifenden Einfluss ausübten
(Guillaumont 1962 [*2293], Bunge 1986 [*2309], Uthemann 1999 [*2192: 420–429]).
Auch der sogenannte ‘zweite origenistische Streit’ am Anfang des 6. Jahrhun-
derts begann im monastischen Milieu und endete mit der Verurteilung nicht nur
von Origenes, sondern auch von Euagrios und Didymos dem Blinden. Um 512
fand im Gebiet von Jerusalem ein heftiger Kampf zwischen ‘orthodoxen’ und ori-
genistischen Mönchen statt. Der kaiserliche Hof wurde in diesen Kampf einbezo-
gen, und im Jahr 543 veröffentlichte Kaiser Justinian einen Erlass (‹Epistula ad
Menam›), der in neun (oder zehn) Anathematismen einige Lehren aus ‹De prin-
cipiis› verurteilte (vgl. Görgemanns, Karpp 21992 [*1895: 822–825]). Diese Ver-
urteilung wurde auch vom Papst Vigilius (537–555) bestätigt. Im Jahr 553 ließ Jus-
tinian noch einmal kurz vor der Eröffnung des fünften ökumenischen Konzils 15
Sätze verurteilen (vgl. Görgemanns, Karpp 21992 [*1895: 824–831]), die, ohne Ori-
genes direkt zu erwähnen, Lehren enthielten, die ihm zugeschrieben wurden (Die-
kamp 1899 [*2289], Vogt 1999 [*2193: 241–263]).
Das eigentliche Merkmal dieser Zeit war die dogmatische Verhärtung. Man
schrieb Origenes ohne Weiteres als feststehende Lehren zu, was er als Hypothe-
sen oder als Forschungsversuche vorgelegt hatte; außerdem wurden seine Werke

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§ 99. Origenes (Bibl. 1111–1128) 995

im Licht von Fragestellungen interpretiert, die sich erst nach Nikaia gestellt hat-
ten, und oft wurden ihm Meinungen unterstellt, die spätere Weiterentwicklungen
seiner Gedanken waren.
Die Verurteilungen von 543 und 553 bestimmten das theologische Schicksal des
Origenes, der von da an als ‘Ausbund der Blasphemie’ (Phot. Bibl. cod. 8, 3b) be-
trachtet wurde. So erklärt sich auch der Verlust des griechischen Textes vieler sei-
ner Schriften. Trotzdem blieb sein theologischer Einfluss stark, obwohl er fast nur
auf indirekte Weise erfolgen konnte. Eine bessere Anerkennung fanden hingegen
seine exegetischen und apologetischen Werke, die vor allem durch Katenen und
durch Auszüge aus ‹Contra Celsum› verbreitet wurden.
Die lateinischen Übersetzungen von Hieronymus und Rufinus sicherten die
Kenntnis der theologischen und exegetischen Schriften von Origenes auch im mit-
telalterlichen Abendland, vor allem im Rahmen der monastischen Theologie der
karolingischen Renaissance (Pascasius Radbertus und Rabanus Maurus; Lies
1979 [*2300]) und unter den Viktorinern und Zisterziensern im 12. Jahrhundert.
Einen tiefen Einfluss übte beispielsweise Origenes’ Lehre auf die Protologie und
Eschatologie aus, die Johannes Scottus Eriugena (ca. 810–877) in seinem ‹Peri-
physeon› darlegte. Außerdem wurde die origeneische Auslegung des ‹Hoheliedes›
von den Viktorinern, Wilhelm von St. Thierry (ca. 1080/1085–1148) und von Bern-
hard von Clairvaux (1090–1153) reichlich benutzt (Leclercq 1951 [*2291], Evans
1985 [*2305], Scheck 2004 [*2339]). Der scholastischen Theologie hingegen blie-
ben der Geist und die Methode des Origenes grundsätzlich fremd (vgl. aber Ben-
dinelli 2006 [*2341] und 2009 [*2345]). Erst mit der platonischen Renaissance des
15. Jahrhunderts fand Origenes bei Schriftstellern wie Bessarion (ca. 1403–1472),
Marsilio Ficino (1433–1499), Pico della Mirandola (1463–1494) erneute Beachtung
(Schär 1979 [*2301]). Pico erklärte sogar ausdrücklich, dass Origenes rechtgläu-
big war und wahrscheinlich von Gott errettet worden ist (Crouzel 1965 [*2295]
und 1977 [*2298], Fürst 2012 [*2352: 11–16]).
Während des 16. Jahrhunderts wurden Origenes’ Werke, vor allem seine exe-
getischen Schriften, zunehmend gedruckt und veröffentlicht (Fürst 2012 [*2352:
24–26], ferner Redepenning 1846 [*2017: II 472–476]). Die erste mehr oder weni-
ger vollständige Ausgabe von Origenes’ Werken der Neuzeit wurde von Jacques
Merlin in Paris veröffentlicht (1512). Diese Ausgabe benutzten Erasmus von Rot-
terdam (1469–1536), Konrad Peutinger und Huldrych Zwingli (1484–1531). Eras-
mus war der erste neuzeitliche Schriftsteller, der nicht vorwiegend die exege­
tischen Werke, sondern auch den von Origenes in der spekulativen Theologie
geleisteten Beitrag uneingeschränkt bewunderte und sich aneignete, wie seine Ab-
handlung ‹De libero arbitrio› (1524) klar bezeugt. Im Jahr 1537 wurde die von ihm
besorgte Ausgabe von Origenes’ Werken (im Wesentlichen ein durchgesehener
Neudruck der Ausgabe von Merlin) postum veröffentlicht.
Wie schon in der alten Kirche hat Origenes’ Werk auch in der Zeit der Reforma-
tion und in den nachfolgenden Jahrhunderten die Auslegung der Bibel (man denke
an die Bedeutung der Exegese des Römerbriefs) und die Theologie beeinflusst, ist
aber auch Gegenstand von Streitigkeiten gewesen, die oft ihren Grund weniger in
den Ideen des Alexandriners als in den aktuellen zeitgenössischen Fragestellungen

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996 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

hatten (Lies 1985 [*2306], Neuschäfer 1987 [*2140: 16–17]). Man sieht dies zum Bei-
spiel an der Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther über die Willens-
freiheit (Godin 1982 [*2302], Pani 2009 [*2346], Hengstermann 2012 [*2354], Wal-
ter 2012 [*2357]) und später daran, wie Origenes’ Gedanken über die Willensfreiheit
in der konfessionellen Polemik zwischen Katholiken und Protestanten und im Streit
um den Jansenismus benutzt wurden (Lettieri 2000 [*2327: 79–89]).
Vor allem ab dem 17. Jahrhundert kann man bei katholischen Theologen Versu-
che finden, die Theologie von Origenes zu rehabilitieren (vgl. die Werke von den
Jesuiten E. Binet ‹Du salut d’Origène› [1629] und P. Halloix ‹Origenes defensus›
[1648]; vgl. Falla 1983 [*2304]). Damals begann auch eine intensive kritische Ar-
beit an der griechischen Ausgabe der Schriften, Fragmente und Zeugnisse von Ori-
genes und ein Bemühen um die wissenschaftliche Wiederherstellung seines Den-
kens. Allmählich setzte sich eine historisch-kritische Haltung durch, die sich von
dogmatischen Vorurteilen nicht beeinflussen ließ (Neuschäfer 1987 [*2140: 17–25]).
Die bedeutendsten Ergebnisse dieses im modernen Sinn wissenschaftlichen An-
satzes sind die ‹Origeniana› von Pierre-Daniel Huet (1630–1721; siehe Huet 1668
[*2016], Rapetti 1999 [*2326]) und die Ausgaben der französischen Maurinern:
Bernard de Montfaucon (1655–1741) besorgte eine Sammlung der Fragmente der
‹Hexapla›, während die anderen Werke des Origenes von Charles de La Rue (1685–
1740) und nach seinem Tod von seinem Neffen Charles Vincent de La Rue (1707–
1762) veröffentlicht wurden. Man schätzte nun Origenes vor allem unter histori-
schen Gesichtspunkten als einen der bedeutendsten Zeugen der Lehrentwicklung
der alten Kirche. Einen Höhepunkt dieser Sicht kann man im Werk von Adolf von
Harnack (1851–1930) erkennen, der in Origenes’ Denken das klarste, aber auch
fragwürdigste Beispiel der Hellenisierung des frühen Christentums sah.
Es gab auch Denker, die außerhalb der kirchlichen Grenzen und in nicht theo-
logischen Zusammenhängen eine gewisse Nähe, wenn nicht eine direkte Abhän-
gigkeit von origeneischen Gedanken aufwiesen. Im Allgemeinen richtete sich das
Interesse auf den systematischen Theologen und Platoniker. Origenische Themen
findet man in den Werken von Giordano Bruno (1548–1600) und Tommaso Cam-
panella (1568–1639). Die sogenannten ‘Platoniker von Cambridge’ (z. B. J. Smith
und R. Cudworth) schätzten die vernunftgemäße Synthese von Christentum und
platonischer Philosophie (Hedley 2012 [*2353]). Origenes’ Ideen über die Verfas-
sung der Welt, die Anthropologie, die Willensfreiheit sowie seine pädagogische
Erklärung des kosmischen und geschichtlichen Ablaufes findet man in unter-
schiedlicher Ausprägung bei Autoren wie Gottfried Wilhelm Leibniz, Gottfried
Ephraim Lessing, Friedrich Schleiermacher oder John Henry Newman wieder
(Lettieri 2003 [*2337]). Auch der russische Religionsphilosoph Vladimir Sergeje-
vitsch Solovjov ist in seinem Weltverständnis stark von Origenes geprägt.
Eine umfassende Bewertung des origeneischen Einflusses auf die neueste
Theologie ist ein Desiderat (Müller 1964 [*2294], Neuschäfer 1987 [*2140: 26–30]).
Vor allem in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhren sein Werk
und seine Nachwirkung dank des Nachlassens dogmatischer Vorurteile eine um-
fangreiche kritische Aufarbeitung unter geschichtlichen und philologischen Ge-
sichtspunkten (J. Daniélou, H. de Lubac, H. Crouzel; Fédou 2003 [*2336]). Sie er-

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§ 100. Gregor Thaumaturgos (Bibl. 1129–1132) 997

zielte eine ausgewogenere Bewertung des origeneischen Denkens und des


kirchlichen Hintergrundes seiner Theologie. Aber auch auf systematischer Ebene
kann man bei einigen Theologen des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Ernst
­Troeltsch (1865–1923), Paul Tillich (1886–1965), Karl Barth (1886–1968) und
Hans Urs von Balthasar (1905–1988), eine fruchtbare Aneignung von typisch
­origeneischen Themen feststellen (van Laak 1990 [*2317], Franco 2005 [*2340];
für die Ausstrahlung von origeneischen Themen auch außerhalb der Grenzen der
akademischen Theologie siehe Rizzi 2012 [*2356]).

§ 100. Gregor Thaumaturgos

Marco Zambon

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Gregor der Wundertäter (geb. um 210/213) war Bischof von Neokaisareia, der
Metropole des Pontus, wo er eine intensive Missionstätigkeit ausübte. Die älteste
Biographie des Thaumaturgos verdanken wir Gregor von Nyssa (CPG 3184; van
Dam 1982 [*2436]). Basileios von Kaisareia (Ep. 204,6) erwähnt, dass er von seiner
Großmutter Makrina, die aus Neokaisareia stammte, die Lehren des Thaumatur-
gos gehört habe, und nennt (Ep. 210,5) eine verloren gegangene ‹Disputation mit
Gelian› (oder Älian). Außer der Biographie des Gregor von Nyssa und einer Notiz
des Hieronymus (Vir. ill. 65) wurden dem Wundertäter mehrere alte Biographien
gewidmet, die aber einen geringen oder gar keinen geschichtlichen Wert haben.
Das Bild, das man sich von Gregors Leben und Lehre machen kann, hängt
stark vom Wert ab, den man einer Nachricht des Eusebios von Caesarea (Hist.
eccl. 6,30; 7,14) zubilligt, die für die gesamte nachfolgende Tradition maßgeblich
geworden ist. Nach Eusebios waren der Wundertäter und der Verfasser einer Ori-
genes gewidmeten ‹Dankrede› sowie der Gregor, an den Origenes einen in der
‹Philokalie› (Kap. 13) überlieferten Ermahnungsbrief richtete, und der Bischof
Theodoros, der an einer antiochenischen Synode gegen Paul von Samosata teil-
nahm (Eus. Hist. eccl. 7,28,1; 7,30,2), ein und dieselbe Person.
Nautin 1977 [*2473: 81–86, 155–161] hat diese Identifizierungen in Frage ge-
stellt: Der Schüler von Origenes, der die ‹Dankrede› verfasste, nenne nämlich sei-
nen Namen nicht und Eusebios kenne ihn unter dem Namen Theodoros (Hist.

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998 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

eccl. 6,30). Zwar sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass er auch den Namen
Gregor trug (vielleicht als Taufnamen?), aber Gregor von Nyssa weiß im ‹Leben
des Thaumaturgos› nichts von einem Doppelnamen, er erwähnt nicht einmal die
‹Dankrede›. Auch der andere Origenes-Schüler namens Gregor, der Empfänger
jenes Ermahnungsbriefes, sei schwer mit dem Theodoros der ‹Dankrede› zu iden-
tifizieren, und jedenfalls sage die ‹Philokalie› nicht, daß Origenes’ Adressat der
Verfasser der ‹Dankrede› war. Eusebios hätte den Wundertäter, den er persönlich
noch kennengelernt hatte (Hist. eccl. 6,30), mit dem Gregor des origeneischen
Briefes aufgrund ihrer Namensgleichheit identifiziert und diese mit dem Theodo-
ros, dem Verfasser der ‹Dankrede›, aufgrund interner Indizien ihrer schriftlichen
Zeugnisse gleichgesetzt. Und in diesem Theodoros habe er den später «unter den
Bischöfen wohlbekannten Gregor» (Hist. eccl. 6,30) erkannt.
Die von Nautin geäußerten Vorbehalte haben mehrere Reaktionen hervorge-
rufen. Teils sind sie unter gewissen Einschränkungen generell akzeptiert worden
(Simonetti 1988 [*2484], der es aber für möglich hält, dass Eusebios aus anderen
Quellen wusste, dass der Wundertäter tatsächlich Schüler von Origenes war), teils
wurde die traditionelle Identifizierung entschieden verteidigt (Crouzel 1979
[*2477], Celia 2016 [*2441]). Auch die neuesten Herausgeber der ‹Dankrede›
(Guyot, Klein 1996 [*2389: 45–63], Slusser 1998 [*2367: 16–21]) haben der Argu-
mentation von Crouzel zugunsten der Identität der strittigen Persönlichkeit zuge-
stimmt, während Rizzi 2002 [*2390: 82] die Entscheidung in der Schwebe lässt,
obwohl er gegenüber der traditionellen Zuweisung der Autorschaft sehr starke
Zweifel hegt.
Um 243 wurde Gregor der Wundertäter Bischof seiner Heimatstadt; dass er
während der Verfolgung unter Decius (250/51) mit einem Teil der christlichen Ge-
meinde von Neokaisareia ins Gebirge floh, berichtet Gregor von Nyssa (Vit. Greg.
Thaum. p. 47,20ff. Heil). Nachdem wenige Zeit später (253/54) in Pontus und Bi-
thynien die Goten und Boranen eingefallen waren und die Standfestigkeit man-
cher Christen ins Wanken gebracht hatten, verfasste er nach deren Abzug einen
kanonischen Brief zur seelsorgerlichen Betreuung und zur Stärkung der Kirchen-
disziplin. Kurz vor seinem Tod hat er laut Eusebios (Hist. eccl. 7,28,1) zusammen
mit seinem Bruder an einer Synode teilgenommen, die über den antiorigenisti-
schen Monarchianer Paul von Samosata das Urteil sprach. Unter Kaiser Aurelian
(270/275) ist er der ‹Suda› (I,543,5f. Adler) zufolge gestorben.

2. WERKE

1. Gregor eindeutig zugeschriebene Werke. – 2. Zweifelhafte Werke.

Die Sammlung der dem Wundertäter zuge- Armenisch, Georgisch, Altslavisch, Arabisch und
schriebenen Schriften umfasst ungefähr dreißig Äthiopisch. Die meisten dieser Schriften sind von
Werke: eine Rede, Abhandlungen, Predigten, Ka- der Forschung seit langer Zeit als ‘spuria’ erkannt.
tenenfragmente auf Griechisch, Syrisch, Koptisch, Nach den Einwänden, die Abramowski 1976

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§ 100. Gregor Thaumaturgos (Bibl. 1129–1132) 999
[*2472] und Nautin 1977 [*2473] gegen die her- ist fast das gesamte Werk, das unter dem Namen
kömmliche Zuschreibung auch der ‹Dankrede› des Wundertäters überliefert ist, infrage gestellt
und des ‹Glaubensbekenntnisses› erhoben haben, (jetzt grundlegend Celia im Druck [*2447]).

1. Gregor eindeutig zugeschriebene Werke

‹Epistula canonica› ‹Metaphrasis in ‘Ecclesiasten’›


Ἐπιστολὴ κανονική – ‹Kanonischer Brief› Μετάφρασις εἰς τὸν Ἐκκλησιαστὴν τοῦ
(Ep. can.; CPG 1765) Σολομῶντος – ‹Metaphrase zu Salomons
‘Predigerbuch’› (Eccl.; CPG 1766)
Der sogenannte ‹Kanonische Brief› besteht
heute aus elf Kanones (der elfte wurde indes spä- Die ‹Metaphrase zum ‘Predigerbuch’› (in meh-
ter hinzugefügt) und versucht, die Schwierigkeiten reren Handschriften unter dem Namen Gregors
zu lösen, die nach den Raubzügen der Goten und von Nazianz überliefert: PG 36, 669) ist das in den
Boranen in Pontus und Bithynien entstanden alten Quellen am besten bezeugte Werk des Wun-
waren. Gregor gibt einem unbekannten Mitbi- dertäters (Slusser 1998 [*2367: 22]). Es gibt in
schof Ratschläge und Hinweise zur Behandlung klassischer griechischer Sprache den Inhalt des bi-
von kirchendisziplinarischen Fragen: Wie man blischen Buches wieder, um diesem Text eine
sich verhalten soll gegenüber Frauen, die von den schönere und verständlichere sprachliche Form zu
Feinden vergewaltigt worden sind, gegenüber den- geben. Der Zweck dieser Umschreibung ist ver-
jenigen, die irgendwie die Raubzüge der Barbaren schieden gedeutet worden. Vinel 1987 [*2483]
ausnutzen, um sich zu bereichern, oder die sich sieht in dieser Schrift eine erste elementare Ein-
den Ausplünderungen angeschlossen haben. Er leitung in die Exegese des ‹Predigerbuches›. Nach
verlangt, dass man die kirchliche Sittenlehre ein- Jarick 1990 [*2373: 311, 315–316] war es ihr Ziel,
hält, erweist sich aber zugleich als besonnener und den biblischen Text dem Geschmack einer gebil-
milder Mensch gegenüber ehrlich Bereuenden. deten Elite anzupassen, die sich nach dem Vorbild
der attischen Kunstprosa richtete, wie es im kultu-
rellen Rahmen der Zweiten Sophistik üblich war.
Slusser 1998 [*2367: 23] meint, sie sei eher ein
Protreptikos zum philosophischen Leben.

2. Zweifelhafte Werke

Zwei weitere Schriften sind, wie oben gezeigt, in genes’ Lehrprogramm (93–183). Die ‹Dankrede›
jüngster Zeit in Frage gestellt worden, obwohl eine endet mit einem Abschied (184–207), in dem der
starke Tradition sie dem Wundertäter zuspricht: Verfasser sein Bedauern darüber ausspricht, die
Schule verlassen zu müssen, die dank der Freund-
schaft des Origenes, der Reinheit seiner Lebens-
‹In Origenem oratio panegyrica› weise und der Betrachtung göttlicher Mysterien
Εἰς Ὠριγένη προσφωνητικός – ‹[Dank-] für ihn zu einem Bild des Paradieses geworden ist.
Rede auf Origenes› (Pan. Or.; CPG 1753) Die herkömmliche Meinung, die vor allem von
Eusebios’ ‹Kirchengeschichte› (6,18,2–3) abhängt,
Die um das Jahr 238 vorgetragene ‹[Dank-] erkennt in dieser Schrift ein Zeugnis für Origenes’
Rede auf Origenes› hat unter den umstrittenen Schultätigkeit in Caesarea und für die harmoni-
Werken am meisten Aufmerksamkeit auf sich ge- sche Synthese, die er zwischen hellenischer Philo-
zogen. Nach einem Vorwort (1–39), in dem er sich sophie und christlicher Theologie gegeben sah
unfähig erklärt, seinem Lehrer das gebührende (nähere Dispositionsangaben bei Guyot, Klein
Lob auszusprechen, beschreibt der Verfasser seine 1996 [*2389: 16f.]).
erste Begegnung mit Origenes und die Liebe zur Nautin 1977 [*2473: 183–197] stellte nicht nur
Philosophie, die dieser in ihm erweckte (40–92). die Zuschreibung der ‹Dankrede› an den Wunder-
Der umfangreichste Teil der Schrift schildert Ori- täter in Frage, sondern auch die Überzeugung,

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1000 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

dass der in ihr beschriebene Bildungsgang an Ori- Noch stärker bezweifelt wird die Echtheit fol-
genes’ Schule üblich gewesen war: Origenes sei gender Werke:
Katechet gewesen und habe hauptsächlich Schrift-
auslegung und Glaubenslehre betrieben. Man
dürfe annehmen, dass die ‹Dankrede› in einer ‹Ad Theopompum de passibili et
sehr idealisierten Weise den Bildungsplan wieder- impassibili in deo›
gebe, den Origenes als Privatlehrer in dem beson- ‹An Theopompos, über Gottes Leidens­
deren Fall befolgte, als Theodoros und sein Bru- fähigkeit und Leidensunfähigkeit›
der ihm zur Erziehung anvertraut worden waren. (CPG 1767)
Daraus zu folgern, dass auch seine Schule in Cae-
sarea einen stark wissenschaftlich-philosophi- Die nur in syrischer Übersetzung erhaltene Ab-
schen Lehrplan gehabt habe, sei aber falsch, da handlung an Theopompos gibt in der Form eines
sich normalerweise Schüler an ihn gewandt hät- platonischen Dialogs ein Gespräch zwischen Gre-
ten, die im Christentum unterrichtet werden woll- gor und dem Adressaten wieder. Merkwürdig ist
ten (vgl. auch Rizzi 2002 [*2390: 81]). die Tatsache, dass die Schrift fast völlig auf Hin-
Crouzel 1980 [*2478: 754f.] behauptet dagegen, weise auf die Bibel oder auf die kirchliche Über-
die ‹Dankrede› sei ein glaubwürdiges Zeugnis für lieferung verzichtet. Absicht des Dialogs ist es, die
Origenes’ normale Schultätigkeit, weil die Schule christliche Lehre vom Leiden und Tod des göttli-
in Caesarea keine katechetische Einrichtung ge- chen Logos gegenüber dem philosophischen
wesen sei, sondern sich wegen ihres missionari- Axiom der Leidensunfähigkeit Gottes zu rechtfer-
schen Ziels an den Inhalten und Methoden der tigen. Nach Crouzel 1963 [*2468] ist diese Schrift
zeitgenössischen heidnischen Philosophieschulen echt, während Abramowski 1978 [*2475] ihre
orientiert habe (so schon Knauber 1968 [*2470]). Echtheit aufgrund ihrer monarchianisch-modalis-
tischen Züge und der Abwesenheit einer aus-
drücklichen Logos-Theologie bestritten hat.
‹Confessio fidei›
‹Glaubensbekenntnis› (Symb.; CPG 1764)
‹Sermo ad Philagrium de consubstantiali›
Das in Gregor von Nyssas Biographie des Thau- ‹Brief an Philagrios über die Wesens­
maturgos zitierte ‹Glaubensbekenntnis› (Vit. einheit› (CPG 1774)
Greg. Thaum. p. 17,24–19,6 Heil; dazu und zur Ne-
benüberlieferung vgl. Kinzig 2017 [*2415: I 243– Unter dem Namen des Thaumaturgos ist eine
245]) ist in vier Teile gegliedert, die dem Vater, weitere Schrift erhalten, die in der syrischen Über-
dem Sohn, dem Geist und der Dreifaltigkeit ge- setzung den Titel ‹An Philagrios über die Wesens-
widmet sind. Es soll dem Wundertäter gemäß Gre- einheit› trägt, während sie in der griechischen Tra-
gor von der Gottesmutter und dem heiligen Johan- dition entweder Gregor von Nazianz (Ep. 243, PG
nes mitgeteilt worden sein. Gregor von Nazianz 37, 383–386) oder Gregor von Nyssa (Ep. 26, PG
zitiert zweimal dieses Bekenntnis (Orat. 31,28 und 46, 1101–1108) zugeschrieben wird und den Titel
40,42) und hält es für eine aus jüngerer Zeit stam- ‹An den Mönch Euagrios über die Göttlichkeit›
mende Formel. Der Text vermeidet außerdem jede (Πρὸς Εὐάγριον μοναχὸν περὶ θεότητος) trägt (nach
Aussage, die eine Unterordnung des Sohnes und Dräseke 1882 [*2455] gehört sie dem Nazianze-
des Geistes ausdrücken könnte, und entwickelt ner). Simonetti 1953 [*2463] hat, mit Ryssel 1880
eine Lehre über den Heiligen Geist und die Trini- [*2434], die Echtheit dieses Werkes behauptet und
tät, die eher der Theologie des 4. als derjenigen seinen monarchianischen Denkansatz der Tatsache
des 3. Jahrhunderts angemessen scheint. Obwohl zugeschrieben, dass sich diese Schrift an heidni-
Caspari 1879 [*2412] die Schrift für echt hielt sche Leser richtet und deshalb vor allem bemüht
(auch Crouzel 1979 [*2477] und 1980 [*2478]), darf sei, Gottes Einzigkeit zu verteidigen. Mit dersel-
man daher vermuten, dass, wenn nicht der ganze ben Überlegung begegnete auch Basileios von Kai-
Text (Abramowski 1976 [*2472], die das Bekennt- sareia (Ep. 210,5) Einwänden gegen den Inhalt der
nis für eine Fälschung des Gregor von Nyssa hält; verlorenen ‹Disputation mit Gelian›. Später hat Si-
auch Slusser 1998 [*2367]), zumindest die Ab- monetti 1962 [*2466] die Schrift ‹An Philagrios›
schnitte zum Geist und zur Dreifaltigkeit erst in einem unbekannten Autor des 3. Jahrhunderts zu-
der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts verfasst geschrieben, während Refoulé 1961 [*2465] den
worden sind (Simonetti 1988 [*2484]). Text eher einem späten Nachfolger des Markell von

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§ 100. Gregor Thaumaturgos (Bibl. 1129–1132) 1001
Ankyra zuwies. Zuletzt ist Simonetti 1988 [*2484] dert datiert und sie einem Schriftsteller zuge-
wieder zur Echtheit der Schrift zurückgekehrt. schrieben, der vielleicht eine frühere Schrift des
Wundertäters benutzte und sie mit dem Inhalt der
Abhandlung von Nemesios ‹Über die Natur des
‹Disputatio de anima ad Tatianum› Menschen› vermengte. Whealey 1996 [*2489] hat
Πρὸς Τατιανὸν περὶ ψυχῆς – ‹An Tatian eher die Züge der Abhandlung betont, die eine
über die Seele› (Anim.; CPG 1773) Verwandtschaft mit den Gedanken Justins und
seines Kreises vermuten lassen. Obschon sehr ver-
Sehr unterschiedliche Meinungen sind über die schieden, sind die beiden Thesen nicht unbedingt
kurze Abhandlung ‹An Tatian über die Seele› aus- unvereinbar, sie schließen aber in jedem Fall aus,
gesprochen worden (syrische Fragmente, mit der dass diese Schrift in der Form, die sie heute be-
Überschrift ‹Ad Gaianum›, bei de Lagarde 1858 sitzt, von Gregor stammen kann.
[*2364: 31] und Pitra 1883 [*2365: 133, 386]; über
die syrische und arabische Übersetzung vgl. Brock Hieronymus (Vir. ill. 65) erwähnt auch Briefe
1981 [*2479]). Der Text ist auch unter dem Namen von Gregor, die heute verloren sind. Zahlreiche
des Maximos des Bekenners überliefert (CPG Schriften, die unter Gregors Name überliefert wor-
7717). Während Dräseke 1901 [*2460] für die den sind (vor allem die ‹Zwölf Kapitel über den
Echtheit der Schrift Stellung nahm, hat sie Lebre- Glauben›, die sogenannte ‹Fides secundum partes›
ton 1906 [*2461] zwischen das 5. und 7. Jahrhun- und mehrere Homilien) sind zweifellos unecht.

3. LEHRE

Das herkömmliche Bild von Gregors Denken beruht auf der Annahme, dass er
Schüler des Origenes, Verfasser der ‹Dankrede› und des ‹Glaubensbekenntnisses›
sowie Adressat von Origenes’ ‹Brief an Gregorios› gewesen sei. Die oben erwähn-
ten Zweifel von Nautin und anderen Forschern an der Echtheit der ‹Dankrede›
und anderen Schriften machen es heute schwieriger, einen allgemein anerkannten
philosophischen Umriss dieses Autors zu zeichnen. Das Beiwort ‹Wundertäter›
weist zudem darauf hin, dass man ihn weniger als wissenschaftlichen Theologen
denn als charismatische Persönlichkeit und als praktischen Seelsorger würdigte
(Socr. Hist. eccl. 4,27).
Am meisten überzeugt der Versuch von Simonetti 1988 [*2484], die Gestalt des
Wundertäters mit Rücksicht auf die Thesen von Abramowski 1976 [*2472] und
Nautin 1977 [*2473] neu zu begreifen. Die Annahme, Gregor sei ein origenisti-
scher Theologe gewesen, wird dabei als nicht genügend begründet aufgegeben,
und es wird darauf verzichtet, die ‹Dankrede› oder das ‹Glaubensbekenntnis› zum
Prüfstein für die Echtheit des unter Gregors Namen überlieferten Corpus, soweit
es nicht offensichtlich unecht ist, zu machen.
Das wichtigste und umfangreichste Werk, das unter dem Namen Gregors über-
liefert ist, ist in der Tat die ‹Dankrede›. Falls sie wirklich dem Wundertäter gehört,
was möglich, aber nicht zwingend zu beweisen ist, dann handelt es sich um ein Ju-
gendwerk Gregors, das der etwa 25- oder 28-Jährige am Ende seiner Studienzeit
in Caesarea zu Ehren seines verehrten Lehrers vorgetragen hat. Das Schwerge-
wicht der ‹Dankrede› liegt auf der Darstellung des Bildungsprogramms, das Gre-
gor dort unter der Führung des Origenes durchlaufen hat. Zur Läuterung der
Seele wurde zuerst die Dialektik (97: «ganz in der Art des Sokrates») behandelt
(93–108), dann folgten die Naturwissenschaften (109–114), die Ethik, zentriert auf

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1002 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

die vier Kardinaltugenden (115–149), und zuletzt die Theologie (150–173). Diese
beinhaltete das umfassende Studium aller alten Philosophen und Dichter (124:
ein Seitenhieb gegen die neueren Philosophen) – mit Ausnahme der Atheisten –,
um durch eine unvoreingenommene Prüfung aller philosophischen Positionen frei
von Schulzwängen zu bleiben (158–169; die Uneinigkeit der vielen philosophi-
schen Richtungen liegt an der Voreingenommenheit ihrer jeweiligen Adepten) und
nur das zu billigen, was nach dem bei Gott und seinen Propheten liegenden
Maßstab brauchbar ist und einen Wahrheitsgehalt besitzt (172). Dabei wird Gott
in philosophischer Begrifflichkeit wie τὸ θεῖον («das Göttliche»: 10; 13; 82; 150
u. ö.), ὁ πάντων αἴτιος («der Verursacher von allem»: 32; 38; 183), ὁ πρῶτος νοῦς
(«der erste Geist»: 39) u. ä. beschrieben. Schließlich gipfelte der Studiengang in
der Einführung in die Heilige Schrift und die Auslegung ihrer Rätsel (174–183).
Unbeschadet der Frage, ob die geschilderte Abfolge das reguläre Lehrpro-
gramm der Schule in Caesarea oder bloß ein besonderer individueller Unterricht
war, bezeugt die ‹Dankrede› in jedem Fall Origenes’ Auffassung von den Aufga-
ben eines christlichen Lehrers und seine Bemühung, die christliche Lehre mit
den Bildungsformen der antiken Philosophenschulen, einschließlich der ‘enzyk-
lopädischen Bildung’ (ἐγκύκλιος παιδεία), zu verbinden. Gleichwohl ist nicht zu
verkennen, dass christliches Gedankengut nur schwach und rudimentär anzutref-
fen ist. Auch das persönliche Bild, das Gregor voller Bewunderung von seinem
Lehrer vermittelt, weist eher ein allgemein philosophisches als spezifisch christ-
liches Gepräge auf. Er wird als idealer Lehrer dargestellt, der ein tugendhaftes
Leben mit intimer Kenntnis der Wissenschaften und der Heiligen Schrift ver-
einte. Er vermochte seine Schüler mit Wort und Beispiel zur spirituellen Vervoll-
kommnung zu führen (133–135), da er überzeugt war, dass nur das philosophi-
sche Leben wahrhafte Frömmigkeit Gott gegenüber ermöglichte. Er realisierte
seine Lehrtätigkeit auf der Grundlage der sokratischen Aufforderung zur Selbst-
erkenntnis und zur Sorge um die eigene Seele (138; 140f.). Durch seine Lehre
wollte er das platonische Ideal der Angleichung an Gott (Plat. Tht. 176b) mit der
christlichen Zielsetzung in Einklang bringen, die das wahre philosophische
Leben in der Einigung mit dem göttlichen Logos sieht (13: ἐξομοιοῦσθαι τῷ θεῷ;
hier auch die platonische These der Verwandtschaft der menschlichen Seele mit
Gott, die nach 50–53 darin besteht, dass der göttliche λόγος in der Vernunftaus-
stattung des Menschen präsent ist; 142: die Seele schaut wie im Spiegel in sich
selbst den göttlichen νοῦς als Weg zur «Vergöttlichung», ἀποθέωσις, hier auch die
stoische Lehre, dass die Tugend bei Gott und Mensch dieselbe sei; 149). Und im
Hinblick auf die Schriftauslegung weiß Gregor Origenes als Deuter der Worte
Gottes an die Menschen (181: ἑρμηνεὺς τῶν τοῦ θεοῦ λόγων πρὸς ἀνθρώπων) zu
würdigen, dem – nach dem Prinzip der Erkenntnis des Gleichen durch Gleiches
– der Heilige Geist, der die Prophezeiungen gewirkt hat, durch die κοινωνία mit
ihm auch das Verständnis für seine Worte verliehen hat (179–181). Die Feststel-
lung, dass in der Rede «so gut wie nichts von der eigentlichen Theologie» des Ori-
genes zu entdecken sei, «nichts, was der spezifisch origenianischen Schriftaus­
legung auch nur einigermaßen entspräche», lässt sich deshalb kaum umgehen (so
Knauber 1968 [*2470: 190], ebenso Slusser 1998 [*2367: 8–10], der die Neigung

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§ 100. Gregor Thaumaturgos (Bibl. 1129–1132) 1003

von Crouzel 1969 [*2388: 46–78], in ihr eine vollständige und nach dem Muster
des Origenes entwickelte Theologie zu finden, kritisiert). Das alles lässt eigent-
lich nur den Schluss zu, wie es Gregor ja auch selbst zu verstehen gibt (191; vgl.
13), dass seine Unterweisung noch nicht sehr weit über das Anfängerstadium hi-
nausgekommen war und ein tieferes und umfassenderes Eindringen in die Glau-
benswahrheiten entsprechend Origenes’ didaktischer Rücksichtnahme auf die
Fassungskraft seiner Schüler noch ausstand.
Allerdings scheint Gregor in den einschlägigen Passagen, in denen er vom
Logos spricht, den Ausführungen eine eigene, individuelle Note zu geben, die
fortan in seinen späteren Schriften ein zunehmendes Gewicht gewinnen sollte.
Während Epitheta wie die biblisch inspirierten Beiworte σοφία, ἀλήθεια, δύναμις
(«Weisheit, Wahrheit, Kraft»: 36), σωτήρ und πρωτογενής («Retter» und «Erstge-
borener»: 35; 200, in 38 μονογενής, «Einziggeborener») oder die mehr philoso-
phisch inspirierten δημιουργὸς καὶ κυβερνήτης («Demiurg und Lenker»: 35; 43),
κηδεμὼν καὶ ἰατρός («Fürsorger und Arzt»: 200), παιδαγωγός («Pädagoge»: 57)
teils zum apologetischen Grundbestand gehören, teils in der alexandrinischen Tra-
dition beheimatet sind, legt er darüber hinaus einen besonderen Nachdruck auf
die Einheit des Logos mit dem Vater. Er will die hypostatische Eigenständigkeit
des Logos wahren; der Logos ist nicht bloß eine unpersönlich Kraft des Vaters,
sondern «er ist höchst vollkommen und lebendig, er ist das beseelte Wort aus dem
ersten Intellekt» (39; in 142 ist der θεῖος νοῦς, «der göttliche Geist», der Logos).
Doch daneben bekräftigt er, dass «er überdies in ihm [sc. dem Vater] ist und mit
ihm ganz und gar vereinigt ist» (36), dass «der Vater des Alls selbst ihn mit sich
eins gemacht hat, er sich selbst mit ihm geradezu umhüllt hat» und dass der Logos
dieselbe Macht wie der Vater hat (37; vgl. Simonetti 1988 [*2484: 18, 37f.], der auf
ähnliche Ausführungen in den ersten beiden Artikeln des ‹Glaubensbekenntnis-
ses› – dazu Kinzig 2017 [*2415: I 243] – aufmerksam macht). Offenbar war der Mo-
notheismus ein Anliegen, dem Gregor schon von früh an Beachtung schenkte.
Eine Gruppe weiterer, Gregor zugeschriebener, aber umstrittener Schriften
weist ein auffälliges gemeinsames Merkmal auf dieser Linie auf, indem sie deut-
lich Spuren von monarchianisch-modalistischen Denkansätzen, wie sie aus der
Mitte des 3. Jahrhunderts bekannt sind, zeigen (zum Folgenden vgl. Simonetti
1988 [*2484: 28–34]).
Der kurze ‹Brief an Philagrios› behandelt die Anfrage eines Philagrios, ob die
göttliche Natur (οὐσία/φύσις) einfach oder zusammengesetzt sei. Wenn sie, so
Philagrios, einfach ist, sind drei verschiedene Namen, um sie zu bezeichnen, sinn-
los; wenn aber die Namen unterschiedliche Wirklichkeiten bezeichnen, dann ist
Gott zusammengesetzt und daher auch teilbar und leidensfähig. Der Verfasser
stützt seine Antwort auf eine rein vernunftgemäße Beweisführung, die weder die
Bibel noch die kirchliche Überlieferung ausdrücklich berücksichtigt: Gott ist ein-
fach, unkörperlich und unteilbar; daher kann man ihm keinen eigentlichen Namen
geben. Die Prädikate «Vater», «Sohn», «Geist» bezeichnen Gottes heilbringende
Hinwendung zu den Geschöpfen, für die er sich sozusagen vermehrt, obwohl er
in sich immer eins bleibt. Diese Argumentation macht einen stark monarchia-
nisch-modalistischen Eindruck, wozu auch die gegebenen Beispiele passen.

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1004 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Die Abhandlung ‹An Theopompos› erörtert die These des paganen Unterred-
ners, dass Gott, wenn er seiner Natur nach leidensunfähig ist, sich auch nicht frei-
willig dem Leiden unterziehen könne. Darauf erwidert der Verfasser, dass Gott
einfach und frei ist: Es gibt in ihm keinen Unterschied zwischen Wille und Natur.
Wenn sich Gott freiwillig dem Leiden unterwirft, so tut er es nicht als ein Leiden-
der, sondern als Herrscher: Er bleibt von den Leidenschaften frei, indem er auch
die Geschöpfe davon befreit. Auch in diesem Dialog werden nur vernunftgemäße
Argumente vorgetragen, bloß am Ende heißt es, dass Christus zu den Menschen
gekommen sei, um sie zu retten. Hier erklärt sich, dass die Leidensfähigkeit
­Gottes, die der Verfasser verteidigt hat, diejenige Christi ist, ohne dass der Unter-
schied zwischen Vater und Sohn in der Beweisführung der ganzen Schrift irgend-
eine Rolle spielte (Hallmann 1989–1990 [*2488]).
Wie aus den Mitteilungen des Basileios zur verlorenen Schrift ‹An Gelian› her-
vorgeht (Ep. 210,5), hatte Gregor einmal die missverständliche Formulierung ge-
wählt, dass «Vater und Sohn begrifflich (ἐπινοίᾳ) zwei sind, aber in ihrer Wirk-
lichkeit (ὑποστάσει) eins». Basileios stellt die Authentizität der Wendung nicht in
Frage, aber er interpretiert sie in dem Sinne, dass sie nur scheinbar sabellianischen
Thesen zuneige, während sie tatsächlich dem Zweck diene, einen Heiden zum
Christentum zu bekehren. Diese Ausdrücke seien von Gregor mehr im Stil der
Auseinandersetzung (ἀγωνιστικῶς) als im dogmatischen Sinn (δογματικῶς) be-
nutzt worden und sollten dazu dienen, die Einheit und Einzigkeit Gottes eindeu-
tig und klar darzustellen.
Die zeitliche und gedankliche Einheitlichkeit dieser drei Schriften legt es nahe,
sie einem einzigen Verfasser zuzuschreiben, und es gibt keinen ausreichenden
Grund, sie dem Wundertäter abzusprechen, zumal Basileios die Echtheit im Fall
von ‹An Gelian› ausdrücklich bestätigt. Das monarchianische Gepräge wäre dem-
nach dem apologetischen Ziel zuzuweisen, heidnische Leser vom christlichen Mo-
notheismus zu überzeugen; das würde auch die Tatsache erklären, dass in ihnen
keine Schriftbeweise vorkommen und die Sprache auf theologische Genauigkeit
verzichtet (Simonetti 1988 [*2484: 40f.]).
Ähnliches Gedankengut wie in bestimmten Partien der ‹Dankrede› (73–92) fin-
det sich auch in der ‹Metaphrase zum ‘Predigerbuch’›, die nicht nur dem Geschmack
eines gebildeten Lesers entgegenkommen, sondern auch ein Protreptikos zum phi-
losophischen Leben sein will (Slusser 1998 [*2367: 10–12, 22–25]). Zwei Merkmale
treten besonders hervor: die Offenheit für die griechische Kultur und für ihre lite-
rarischen Formen sowie die Vertrautheit mit bestimmten Themen des origeneischen
Denkens (Noakes 1984 [*2480]; man kann diese Art, das ‹Predigerbuch› zu lesen,
mit Origenes’ Prolog des Kommentars zum ‹Hohelied› [Kap. 3] vergleichen).

4. NACHWIRKUNG

Der Verfasser der ‹Dankrede› hat diese nicht publiziert, aber seinem Lehrer
natürlich eine Abschrift überreicht. Origenes reihte sie in seine Bibliothek in Cae-
sarea ein, wo sie später nach Auskunft des Kirchenhistorikers Sokrates (Hist. eccl.

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§ 100. Gregor Thaumaturgos (Bibl. 1129–1132) 1005

4,27) Pamphilos vorfand, der sie zusammen mit Origenes’ Werk ‹Contra Celsum›
seiner Apologie für Origenes als Anhang beifügte, um durch das Zeugnis des an-
gesehenen, rechtgläubigen Gregor seine eigene Verteidigung für Origenes zu ver-
stärken. Während aber Pamphilos’ Apologie fast vollständig verloren gegangen
ist, blieb die ‹Dankrede›, die nur in Verbindung mit der Schrift gegen Kelsos hand-
schriftlich tradiert wird, erhalten (Koetschau 1894 [*2387: XXXf.], Crouzel 1969
[*2388: 34]). Das übrige Schrifttum Gregors, zumeist Gelegenheitsarbeiten, ist
sehr verstreut und in mehr zufälliger Art überliefert, so dass auch Unechtes ihm
untergeschoben werden konnte, weil offenbar weder zu Lebzeiten Gregors noch
nach seinem Tod eine Gesamtausgabe veranstaltet wurde (Koetschau 1894 [*2387:
XXIf.]). Von den Nachrichten des Eusebios, sowohl von denen in der ‹Kirchenge-
schichte› als auch von denen in den verlorenen Werken, ist Hieronymus abhängig
(Vir. ill. 65; Guyot, Klein 1996 [*2389: 72f.]; die ‹Suda› übernimmt im 10. Jahrhun-
dert unter dem Stichwort Gregors eine griechische Übersetzung von Hieronymus’
Eintrag), während die speziellen Informationen, die den Kappadokiern Basileios
und Gregor von Nyssa zur Verfügung standen, auf familiäre bzw. pontische Lo-
kaltraditionen zurückgehen. Auch die legendarischen Biographien, zu denen
schon die panegyrische Biographie des Nysseners zum guten Teil gerechnet wer-
den muss – übrigens erweist sich Gregor in wichtigen Dingen als historisch unin-
formiert –, verarbeiten mündlich umlaufende Lokaltraditionen (Koetschau 1894
[*2387: V–VIII]). Die gesteigerten Wundergeschichten, die Rufinus in einer Ein-
lage nach Eus. Hist. eccl. 7,28,2 einschaltet, mögen ebenfalls daher stammen,
wenngleich die griechischen Quellen mit einer Ausnahme keine direkten Paral-
lelen zu kennen scheinen. Dass das Bild seiner Persönlichkeit derart vom Legen-
denhaften umrankt war, führte dazu, dass schon im 6. Jahrhundert, erstmals nach-
weisbar im sekundären Titel der Vita des Nysseners, der Beiname «Thaumaturgos»
(«Wunderwirker») gängig wurde (Guyot, Klein 1996 [*2389: 7]). Doch schätzte
man ihn auch in späterer Zeit zugleich als hochverdienten Lehrer, dessen Name
in dogmatischen Belangen autoritatives Gewicht hatte (z. B. auf dem Concilium
Quinisextum, Kanon 2, von 691/92; weitere Nachweise bei Harnack 1893 [*2457:
I 1,434ff.]). Die Editio princeps, die zugleich eine Gesamtausgabe aller erreichba-
ren Schriften des Wundertäters unter Einschluss der Vita des Nysseners war, gab
der belgische Patristiker und Bibliothekar der päpstlichen Handschriften-Samm-
lung Gerhard Vossius 1604 in Mainz heraus. Erwähnenswert ist auch die im Jahr
darauf erschienene Einzelausgabe der ‹Dankrede› des Augsburger Humanisten
David Hoeschel, als Anhang zur Editio princeps der acht Bücher gegen Kelsos,
die wichtige Anmerkungen von Isaac Casaubonus enthielt. Die größte Verbrei-
tung fand die Edition des in Italien lebenden, französischen Oratorianer André
Gallandi (Paris 1765 bzw. Venedig 1788), die Jacques Paul Migne in seine Patro-
logia Graeca 1857 übernommen hat.

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1006 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

§ 101. Dionysios von Alexandrien

Marco Zambon

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre.

1. LEBEN

Über Leben und Werke von Dionysios (dem «Großen»: Eus. Hist. eccl. 7 praef.;
Bas. Ep. 188,1) informieren Eusebios (Hist. eccl. 6 und 7; von ihm ist Hier. Vir. ill.
69 abhängig) und andere Kirchenväter (Athanasios, Basileios, Johannes von Da-
maskus), die seine Schriften benutzten (vgl. Feltoe 1904 [*2509: XII–XXII], Bie-
nert 1972 [*2512: 3–12] und 1978 [*2536: 71–75], Jakab 2001 [*2529]). Obwohl
seine theologische Lehre während des arianischen Streites als verdächtig empfun-
den wurde (daher ist sein Werk fast völlig verloren), war Dionysios mit Cyprian
von Karthago der hervorragendste Kirchenleiter seiner Zeit und hat die Entwick-
lung des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Lehre in Alexandrien und Ägyp-
ten nachhaltig beeinflusst (Andresen 1979 [*2555], Legutko 2003 [*2575]).
Da er im Jahr 264/65 zu alt war, um an einer Synode in Antiochien teilzuneh-
men (Eus. Hist. eccl. 7,27,2), wird sein Geburtsjahr in der Regel in die letzten
Jahre des 2. Jahrhunderts angesetzt. Er stammte aus einer wohlhabenden heidni-
schen Familie (ebd. 7,11,18), bekehrte sich zum Christentum (ebd. 7,7,3) und
wurde Schüler von Origenes (ebd. 6,29,4). Es ist möglich, dass er verheiratet war,
da er im Brief an Germanos von seinen «Kindern» (παῖδες) spricht (ebd. 6,40,3;
vgl. Feltoe 1904 [*2509: 25], Bienert 1972 [*2512: 5], über diesen Brief vgl. Pietras
1990 [*2516]).
Im Jahr 233, nachdem Origenes’ Nachfolger, Heraklas, dem Patriarchen De-
metrios auf dem Bischofsstuhl von Alexandrien gefolgt war, übernahm Dionysios
die Leitung der alexandrinischen Schule und im Jahr 247/48 folgte er Heraklas
auch im Bischofsamt nach (Eus. Hist. eccl. 6,29,4; 6,35). Es ist möglich, dass Dio-
nysios auch als Bischof die Schule weiter geleitet hat, denn Eusebios nennt nach
ihm keinen direkten Nachfolger.
Während der Verfolgung unter Decius (249–251) verließ Dionysios Alexand-
rien, weshalb er sich später rechtfertigen musste (Dionysios selbst berichtet über
diese Zeit in den Briefen an Germanos: Eus. Hist. eccl. 6,40; an Fabius von An-
tiochien: ebd. 6,41–42; und an Dometios und Didymos: ebd. 7,11,20–25). Diony-
sios wurde während der Verfolgung unter Valerianus (257–260) aus der Stadt ver-
bannt (das Protokoll seines Verhörs vor dem Präfekt Ägyptens Aemilianus ist im
Brief an Germanos mitgeteilt: ebd. 7,11,6–10). Nachrichten über die sehr schwie-
rige Zeit nach der Verfolgung finden sich in den Briefen an Hierax (ebd. 7,21,1–

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§ 101. Dionysios von Alexandrien (Bibl. 1132–1134) 1007

10) und an die Brüder in Alexandrien (ebd. 7,22,1–11). Nur wenige Jahre nach sei-
ner Rückkehr verstarb er, im zwölften Jahr des Kaisers Gallienus (d. h. im Jahr
264/65: ebd. 7,28,3).

2. WERKE

Sein Werk ist fast nur in Bruchstücken erhalten [*2578]), und der ‹Brief an Basileides› zur Frage
(die älteste Liste bietet Hier. Vir. ill. 69; Feltoe 1904 des Osterfastens (CPG 1569; Feltoe 1904 [*2509:
[*2509: XXIX–XXXIV], Bienert 1978 [*2536: 51– 91–105], Bienert 1972 [*2512: 54–58]).
70]); die meisten Exzerpte finden sich bei Eusebios,
einige weitere bei Athanasios und dem Kappado- Nach Eusebios (Hist. eccl. 7,26,3) berichtete
kier Basileios, ferner Vereinzeltes in exegetischen Dionysios in einem Brief an Basileides, er habe
Katenen und kanonischen Sammlungen sowie in einen – heute im Ganzen verlorenen – Kommentar
syrischen, armenischen und lateinischen Überset- zum Anfang des ‹Predigerbuches› verfasst (so
zungen. Von mehreren Schriften ist nur der Titel auch Hier. Vir. ill. 69; CPG 1584). Doch sind Frag-
bekannt. Der größte Teil der erhaltenen Fragmente mente durch Prokop von Gaza aus den ersten drei
stammt aus Briefen, die er mehr oder weniger aus Kapiteln des ‹Predigerbuches› überliefert (Feltoe
seelsorglichen Anlässen verfasst hat und die wahr- 1904 [*2509: 208–226], Bienert 1972 [2512: 87–94];
scheinlich in Sammlungen zusammengestellt waren über die Mängel dieser Ausgaben Leanza 1978
(Bienert 1972 [*2512: 12–14]). Man kann unter [*2554: 409–420] und 1987 [*2559: 241–243]), und
ihnen verschiedene Gruppen unterscheiden: neu entdeckt worden sind Bruchstücke in der ‹Ca-
1 Briefe, welche die Frage der Versöhnung der tena Hauniensis› (über die Echtheit dieser Texte
während der decischen Verfolgung Abgefalle- Leanza 1978 [*2554: 420–426]), die zeigen, dass
nen (lapsi) behandeln. Dionysios nicht nur den Anfang, sondern das
2 Briefe über die Taufe der Häretiker. ganze Buch ausgelegt hatte (Leanza 1987 [*2559:
3 Briefe über die trinitarische Lehre (der soge- 240, 244–246], Labate 1992 [*2517: XXV–
nannte «Streit der beiden Dionyse»). Die wich- XXXII]). Hinzu kommen einige wenige Stücke
tigste Quelle für die Kenntnis dieses Streites aus einem Athos-Florileg (Bienert 1973 [*2513]
und von Dionysios’ christologischer Lehre ist und 1974 [*2553]). Feltoe 1904 [*2509: XV] vermu-
Athanasios Schrift ‹De sententia Dionysii› tet, dass dieses Werk aus der Zeit von Dionysios’
(Müller 1925 [*2547], Opitz 1937 [*2549]). Die Tätigkeit an der katechetischen Schule stammt.
Kontroverse fiel in die Jahre von 258 bis 260 Ihm zugeschriebene exegetische Bruchstücke
(Bienert 1972 [*2512: 10]). Ob das überlieferte zu anderen biblischen Büchern sind unecht oder
Belegmaterial aus dieser Auseinandersetzung umstritten (Leanza 1987 [*2559: 239–240]).
echt ist (CPG 1759), ist neuerdings bestritten Längere Exzerpte aus Dionysios’ Abhandlun-
worden (Abramowski 1982 [*2556] und Heil gen findet man in:
1997 [*2565] und 1999 [*2568], unterstützt von 1 Eus. Hist. eccl. 7,24–25: Exzerpt aus der
Leemans 2002 [*2573: 331], haben die Echtheit Schrift ‹Über die Verheißungen› (Περὶ
mit gewichtigen Argumenten in Abrede ge- ἐπαγγελιῶν; CPG 1575). Die Schrift behan-
stellt, Simonetti 1989 [*2560], Pietras 1991 delte – wahrscheinlich in brieflicher Form
[*2561], Simonetti 2001 [*2571] und Prinzivalli (ebd. 7,24,6) – die chiliastischen Anschauun-
2002 [*2538: 45] haben sie verteidigt, aber es gen, die der bereits verstorbene Bischof Nepos
bleiben offene Probleme). von Arsinoe gegen die origeneisch-spiritualis-
4 Festbriefe zur Bekanntgabe des Ostertermins, tische Umdeutung des Bibeltextes ins Feld ge-
die bei ihm zum ersten Mal bezeugt sind (vgl. führt hatte. Im ersten Teil legte Dionysios
Bienert 1978 [*2536: 138–177], Tissot 1997 seine eigene Anschauung zur Erfüllung der es-
[*2566]). chatologischen Verheißungen dar, im zweiten
handelte er von der ‹Johannes-Apokalypse›
Die einzigen vollständig erhaltenen Briefe sind (ebd. 7,24,3); deren Verfasser könne nicht mit
der ‹Brief an Novatian›, der eine Aufforderung an dem Apostel identisch sein, sie sei aber deshalb
Novatian enthält, das Schisma zu beenden (CPG nicht zu verwerfen (ebd. 7,25,1–3). Das Schrei-
1552; Eus. Hist. eccl. 6,45; vgl. Blumell 2010 ben, das aus Dionysios’ Bischofszeit stammt,

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1008 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

will nicht nur eine theologische Frage klären, Lehre der eigentliche Inhalt dieser Abhand-
sondern verfolgt auch das kirchenpolitische lung war oder lediglich das Thema der von ihm
Anliegen, die Anhängerschaft des Nepos in exzerpierten Seiten (Feltoe 1904 [*2509: 127]).
der Kircheneinheit zu halten (Bienert 1978 Der Titel ‹Über die Natur› konnte einen sehr
[*2536: 193–200]). breiten thematischen Raum abdecken; er ist je-
2 Eus. Praep. ev. 14,23–27: Fragmente aus der denfalls auch für eine Schrift von Epikur be-
Abhandlung ‹Über die Natur› (Περὶ φύσεως; zeugt und könnte von daher angeregt worden
CPG 1576). Der Traktat war in Briefform ge- sein (D. L. 10,27; Bienert 1978 [*2536: 111]).
kleidet (Eus. Hist. eccl. 7,26,2) und war einem 3 Eus. Praep. ev. 7,19,1–8: Auszug aus dem ersten
Timotheos – vielleicht einem Sohn von Diony- Buch einer Schrift gegen Sabellios, die viel-
sios (Bienert 1972 [*2512: 5]) – gewidmet. leicht mit den vier an Dionysius von Rom ge-
Schon vom Titel her gibt sich die Schrift als richteten Büchern der ‹Widerlegung und
eine philosophische Abhandlung zu erkennen, Apologie› (Titel nach Athan. Sent. Dion. 13) zu
sie geht vielleicht in die Zeit von Dionysios’ Tä- identifizieren ist (CPG 1579; Feltoe 1904
tigkeit an der katechetischen Schule zurück [*2509: 182–185]; Zweifel daran äußert Prinzi-
(Bienert 1978 [*2536: 109–115]). Den Worten, valli 2002 [*2538: 47]). Während das Werk im
mit denen Eusebios die Auszüge aus dieser Ganzen Dionysios’ abschließende Stellung-
Schrift einleitet (Praep. ev. 14,22,17; vgl. auch nahme zur sabellianischen Streitfrage enthielt,
14,27,13), kann man nicht mit Sicherheit ent- geht es in dem Exzerpt um die Widerlegung der
nehmen, ob die Widerlegung der atomistischen These, dass die Materie ungeworden sei.

3. LEHRE

Eusebios nennt Dionysios «Vorsteher (ἐπίσκοπος ἀνήρ) der christlichen Philo-


sophie» (Praep. ev. 14,22,17) und bezeichnet ihn als Nachfolger von Origenes und
Heraklas an der katechetischen Schule in Alexandrien (Eus. Hist. eccl. 6,29,4;
Prinzivalli 2002 [*2538: 35–40]). Aus den wenigen erhaltenen Seiten, die direkt
philosophische Fragen behandeln, geht soviel hervor, dass er zweifellos über eine
gute literarische und philosophische Bildung verfügte und ein rhetorisch geschul-
ter Schriftsteller war (Feltoe 1904 [*2509: XXIV–XXV], Colson 1923–1924
[*2545]). Neben zahlreichen Zitaten aus der Bibel und aus den christlichen Schrift-
stellern findet man in den Fragmenten mehrere Zitate von und Anspielungen auf
Homer und Hesiod, Herodot und Thukydides sowie Demokrit, Platon, Aristote-
les und Epikur, wobei er das Überlegenheitsgefühl des Christen der griechischen
Philosophie gegenüber selten verbirgt (Bienert 1972 [*2512: 16f.]). Die Fähigkeit
zu syllogistischen Argumentationen bescheinigt ihm Athanasios (Athan. Sent.
Dion. 14,5), und aus seinen Briefen gewinnt man den Eindruck, dass er die Aus-
einandersetzung mit seinen Gesprächspartnern in sachlichem Ton und ohne Be-
vormundung, methodisch kontrolliert unter allseitiger Abwägung dessen, was für
und was gegen eine These spricht, zu führen pflegte (vgl. beispielshalber Eus. Hist.
eccl. 6,42,5–6 an Fabius von Antiochien; ebd. 6,45 an Novatian; ebd. 7,9,1 an Six-
tus von Rom; Feltoe 1904 [*2509: 105], Bienert 1972 [*2512: 57] mit Eus. Hist. eccl.
7,26,2 [an Basileides]; Eus. Hist. eccl. 7,24,4. 6–8 ‹Über die Verheißungen› bzgl.
Nepos; ebd. 7,7,1–3 an Philemon). Doch inwieweit er als Theologe und Bischof der
Philosophie ein positives Interesse entgegenbrachte, ob er eigenständig philoso-
phischen Fragen nachging und eine enge Verknüpfung von theologischer und phi-
losophischer Arbeit anstrebte oder befolgte, ist weniger eindeutig zu sagen.

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§ 101. Dionysios von Alexandrien (Bibl. 1132–1134) 1009

Was philosophisch von ihm bekannt ist – im Grunde recht wenig –, ist eine kri-
tische Besprechung der atomistischen Physik Epikurs und Demokrits (aus Περὶ
φύσεως: Eus. Praep. ev. 14,23–27) und eine ebenso kritische Besprechung der
These, Gott habe eine ungewordene Materie geformt und geordnet (aus der
Schrift gegen Sabellios: Eus. Praep. ev. 7,19,1–8; vgl. Strutwolf 2008 [*2577]).
Was die atomistische Lehre betrifft, so handelt es sich hier um das erste Zeug-
nis einer Widerlegung aus dezidiert christlicher Sicht. Dionysios unterscheidet drei
mögliche Konzeptionen zum Aufbau des Kosmos (Eus. Praep. ev. 14,23,1): Ent-
weder ist er ein einheitliches und zusammenhängendes Gefüge, «wie es uns und
den weisesten der Griechen, Platon, Pythagoras, den Stoikern und Heraklit,
scheint», oder er besteht aus zwei Prinzipien – dabei ist vielleicht an die dualisti-
sche Lehre von einigen Platonikern oder von Gnostikern gedacht – oder, und das
ist die dritte, die atomistische Position, die dann intensiv und unter deutlich stoi-
schem Einfluss besprochen wird, er besteht aus einer unendlichen Menge von un-
gewordenen einzelnen Teilchen. «Atome» heißen demnach winzige und unver-
derbliche Körper verschiedener Form, die sich in zahlloser Menge im leeren
Raum bewegen und durch bloßen Zufall zusammenstoßen und sich vereinigen, so
dass sich daraus unzählige Welten ergeben (Eus. Praep. ev. 14,23,2). Dionysios for-
muliert gegen diese These Einwände, die sich vor allem auf die implizierte Leug-
nung der göttlichen Vorsehung beziehen, wobei er vom traditionellen Grundsatz
ausgeht, dass, was besser ist, nicht vom Schlechteren verursacht werden kann, dass
also Ordnung nicht aus Unordnung und Zufall entstehen kann. Man muss, da die
Welt und ihre Teile geordnet sind, eine höhere ordnende Kraft für sie annehmen,
so wie ein Kleid, ein Haus oder ein Schiff nicht ohne die Tätigkeit eines Handwer-
kers entstehen können (Eus. Praep. ev. 14,24,3–25,2).
Ein weiterer Beweis nimmt Bezug auf die sehr unterschiedliche Beschaffenheit
der Dinge. Wenn die Atome alle von derselben Substanz sind und sich nur durch
Form und Größe unterscheiden, lässt sich nicht erklären, dass ihre Zusammenset-
zung Dinge entstehen lässt, die so verschiedene und sogar entgegengesetzte Eigen-
schaften haben (sichtbare/unsichtbare; zeitliche/ewige bzw. langzeitige, μακραίωνα:
327,7; usw.). Wenn die unterschiedliche Verbindung der Atome die Ursache sein
soll, stellt sich die Frage, wer diese Vorgänge leitet, so dass zum Beispiel bestimmte
Atome sich miteinander vereinigen, um die Sonne, und andere, um den Mond ent-
stehen zu lassen, und dass die geordneten Bewegungen der Himmelskörper und
der Rhythmus der Jahreszeiten entstehen (Eus. Praep. ev. 14,25,3–16).
Das dritte Argument bezieht sich ausführlich auf den vielgestaltigen, zweckbe-
stimmten, lebendigen Organismus des Menschen und seine Ausstattung mit Seele,
Geist und Vernunft, was unmöglich der vernunftlosen Masse der Atome zuge-
schrieben werden kann (Eus. Praep. ev. 14,26,1–14).
Eine letzte Zuspitzung gibt Dionysios seinen Einwänden, indem er den ver-
meintlich wahren Gehalt der Theologie Demokrits und Epikurs aufdeckt. Die
Lehre von den untätigen Göttern und der Herrschaft des Zufalls in der Welt ist
der Sache nach in seinen Augen glatter Atheismus. Wenn schon bei Menschen tä-
tiges Handeln eine Erfüllung ihres Daseins ist und sie dieses gern auf sich neh-
men, um wie viel mehr müsste dies für die Götter gelten. Tätig zu sein ist für Gott

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1010 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

keineswegs mühevoll. Dionysios setzt dabei voraus, dass nur eine vernünftige und
zweckbestimmte Handlung auch eine gute Handlung sein kann und dass ein gött-
liches Wesen notwendig gut ist und gut handelt. Demokrit begibt sich zudem, wie
er es sieht, in einen inneren Widerspruch, weil er ausdrücklich erklärt, dass «die
Menschen die Vorstellung des Zufalls als Vorwand für ihre eigene Dummheit er-
funden haben, denn von Natur aus widerstreitet die Einsicht dem Zufall» (γνώμη
τύχῃ μάχεται: Demokr. 68 B 119 DK), aber in seiner Kosmologie sehr wohl von
dieser Erklärung Gebrauch macht. Und Epikurs Vorstellung vom glückseligen
Leben der Götter im leeren Raum behandelt er mit unverhüllter Ironie, um sie als
haltlos zu erweisen und Epikur selbst, wenn er bei den Göttern schwört, als ver-
kappten Atheisten bloßzustellen. Dionysios benutzt die in der antiken Polemik
übliche Waffe der Verleumdung des Gegners; hätte Epikur mit verständigen
Augen auf Himmel und Erde geblickt (wie Ps. 18,2; 32,2; 23,1; Sir. 16,29f.), dann
hätte er und vor ihm Demokrit erkennen sollen, dass alles, was entstanden ist, von
Gott kommt und gut ist (vgl. Gen. 1,31 und Sir. 39,18; Eus. Praep. ev. 14,27,1–13).
Der andere große philosophische Themenkomplex, der von Dionysios bespro-
chen wird, betrifft die dualistische Lehre von zwei Prinzipien, Gott und der Ma-
terie. Eusebios führt dieses Exzerpt aus einer Schrift gegen Sabellios ein, um zu
beweisen, dass die biblische Lehre, nach der Gott auch die Materie schuf, viel
überlegener ist als die von vielen Griechen und Barbaren vertretene Meinung,
dass Gott auf eine ungewordene Materie eingewirkt habe. In seiner Einleitung zu
diesem Fragment unterscheidet Eusebios diejenigen, welche die Materie als Ur-
sache des Übels annehmen, und diejenigen, nach denen die Materie ursprünglich
keine Eigenschaften besitzt und von Gott die verschiedenen Gestalten und Eigen-
schaften erhält (Eus. Praep. ev. 7,18,12–13). Wer die angesprochenen Thesen ver-
treten hat, wird nicht gesagt, es könnte die Prinzipienlehre bei Platonikern oder
bei gnostischen Lehrern, eventuell auch Hermogenes im Blick sein; auf die sabel-
lianische Lehre oder auf die des Dionysius von Rom bezieht sich das Fragment,
das aus diesem Kontext stammt, sicher nicht.
Dionysios bekämpft nun die Lehre, nach der eine ungewordene Materie das
Substrat für Gottes Gestaltung der Welt bilde, weil sie nicht fromm ist (Eus.
Praep. ev. 7,19,1). Zum einen argumentiert er streng logisch: Wenn Gott von sich
aus ungeworden ist und die Ungewordenheit sein Wesen ausmacht, dann kann die
Materie nicht ebenfalls ungeworden sein; denn Gott und Materie sind nicht iden-
tisch. Wenn aber Gott und Materie das sind, was als Gott und Materie existiert,
und zu beiden die Ungewordenheit hinzukommt, dann ist sie, die Ungeworden-
heit, etwas von beiden Unterschiedenes und ontologisch früher und älter, und es
blieben die entgegengesetzten Eigenschaften unerklärlich, «warum Gott leidens-
unfähig, unwandelbar, unbeweglich und wirkend, andererseits die Materie im Ge-
gensatz dazu leidensfähig, wandelbar, unbeständig und veränderlich ist» (Eus.
Praep. ev. 7,19,2–5). Eine zweite Überlegung ergibt sich aus christlich theologi-
schen Voraussetzungen und geht dahin, dass Gott sich nicht wie ein menschlicher
Handwerker den Eigenschaften einer unabhängig von ihm existierenden Materie
– die er vor sich hat – anpassen muss, um sie zu gestalten, was absurd wäre (Eus.
Praep. ev. 7,19,6). Fromm und wahr dagegen ist die Lehre, dass Gott die Materie,

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§ 101. Dionysios von Alexandrien (Bibl. 1132–1134) 1011

wie er sie wollte, nach seiner Weisheit geschaffen (der überlieferte Text ἐποίωσε
in 7,19,7 ist schwierig; Bienert 1972 [*2512: 77] liest hier ἐποίησε) und ihr dabei
nach seiner Schöpferkraft Gestalt und Form eingeprägt hat, und sie bekräftigt
zudem, dass das Wesen aller Dinge, Gott, ungeworden ist und in sich bestimmte
Eigenschaften trägt (Eus. Praep. ev. 7,19,7). Und wiederum setzt Dionysios diese
fromme Sicht in scharfer Polemik gegen die völlig atheistischen Polytheisten ab
(Eus. Praep. ev. 7,19,8).
Mit Blick auf diese philosophischen Ausführungen insgesamt wird man kaum
sagen können, dass Dionysios ein genuines philosophisches Interesse gehabt hat.
Gewiss, er hat die angegriffenen Lehren zuverlässig wiederzugeben versucht, ge-
wiss weiß er auch philosophische Argumentationsformen zu benutzen und dabei
herkömmliche Gesichtspunkte einzusetzen. Aber wie für ihn das entscheidende
Kriterium die Frömmigkeit, natürlich im christlichen Sinn, ist, so will er den
Überlegenheitsanspruch der christlichen Lehre auch auf diesem Wege in Fragen
der göttlichen Providenz und Schöpfermacht durchsetzen. Letztlich geht es ihm
um die praktisch-religiösen Konsequenzen (vgl. Roch 1882 [*2544: 21], Bienert
1978 [*2536: 114 Anm. 46]: «Dionysios stand in diesen Dingen den simpliciores
offensichtlich näher»).
Die größte Aufmerksamkeit hat Dionysios jedoch durch seine Auseinanderset-
zung mit dem gleichnamigen Bischof von Rom (259–268) zur Logos-Christologie,
durch den sogenannten «Streit der beiden Dionyse», gefunden, der sich wie ein
Wetterleuchten des arianischen Streites im 4. Jahrhundert ausnimmt (Boularand
1966 [*2551]).
Anlass der Kontroverse war Dionysios’ Stellungnahme gegen die modalisti-
sche Lehre, die in Libyen einige Gegner der origeneischen Logos-Christologie,
von Eusebios einfach «Sabellianer» genannt, vertraten. Gegen sie betonte Diony-
sios die hypostatische Selbständigkeit des Gottessohnes und strich dessen Unter-
ordnung unter den Vater auf der Linie des origeneischen Subordinatianismus
kräftig hervor (Bienert 1978 [*2536: 200–221]). Als er daraufhin beim römischen
Bischof verklagt wurde und dieser beide Seiten kritisierte, ohne freilich Dionysios
direkt zu nennen, verteidigte er sich gegen die erhobenen Beschuldigungen im
Werk ‹Widerlegung und Verteidigung› (ἔλεγχος καὶ ἀπολογία).
Bei der Auswertung der daraus überlieferten Fragmente ist allerdings Vorsicht
am Platz; denn es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass zumindest einige zur Auf-
bietung von Traditionszeugen gefälscht oder interpoliert, vielleicht auch mehrfach
bearbeitet worden sind. Will man trotzdem nicht auf deren Zeugnis verzichten,
ergibt sich soviel, dass Dionysios vorgeworfen wurde, er habe den Sohn für ein
Geschöpf (ποίημα) gehalten (Athan. Sent. Dion. 4), seine Ewigkeit verneint (ebd.
14), ihn vom Vater getrennt (ebd. 16) und ihn nicht für mit dem Vater wesensgleich
(ὁμοούσιος) gehalten (ebd. 18). Darauf habe Dionysios geantwortet, dass die
wechselseitige Beziehung zwischen Vater und Sohn schon in den Begriffen einge-
schlossen ist, so dass es unmöglich sei, den einen ohne den anderen zu denken
(Athan. Sent. Dion. 16,3–17,2). Die Behauptung der Abhängigkeit des Seins des
Sohnes vom Sein des Vaters und die Unterscheidung der Hypostasen (ebd. 23,1–
4; 25,1–2) stehe nicht im Widerspruch mit der Ewigkeit des Sohnes: Denn es gab

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1012 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

keinen Moment, in dem der Vater ohne den Sohn gewesen wäre, so wie das Licht
ohne seine Ausstrahlung nicht einmal denkbar ist (ebd. 15,1–2. 5). Wenn er den
Vater «Schöpfer» des Sohnes genannt habe, bedeute das nicht, dass er den Sohn
für ein Geschöpf halte; denn der Begriff «Schöpfer» kann in der Bibel und in der
alltäglichen Sprache in mehrfachem Sinn gebraucht werden (ebd. 20,3; 21,3). Auf-
fällig und verdächtig ist, dass der Terminus «wesenseins» bzw. «wesensgleich»
(ὁμοούσιος) schon zu diesem Zeitpunkt kontrovers gewesen sein soll (zur Be-
griffsgeschichte von ὁμοούσιος vgl. Stead 1994 [*2564: besonders 392ff.]). Diony-
sios gibt dem Fragment zufolge zu, dass er den Begriff nicht verwendet habe, weil
er dieses Wort in der Schrift nicht finde, und augenscheinlich will er auch jetzt die-
sen Ausdruck vermeiden. Er habe aber andere Begriffe benutzt, die denselben
Sinn haben (ὁμογενής, «von der gleichen Art», ὁμοφυής, «von der gleichen Natur»:
ebd. 18,2–3). Dionysios beschreibt seine Lehre als eine «Erweiterung» der Ein-
heit in die Dreiheit (πλατύνομεν) und eine «Zusammenfassung» der Dreiheit in
die Einheit (συγκεφαλαιούμεθα), ohne die erstere zu zerteilen und die andere zu
vermindern (ebd. 17,2). Damit war der Streit fürs Erste beigelegt (Müller 1925
[*2547: 282–285] macht auf Berührungen mit Tertullian aufmerksam, Pietras 1991
[*2561] auf solche mit Philon, während die Drei-Hypostasen-Lehre natürlich ori-
geneisches Erbe ist).
Hieronymus (Ep. 70,4) rechnet Dionysios in einer langen Liste von christlichen
Schriftstellern unter jene, die für ihre profane Bildung und ihre Erkenntnis in den
Heiligen Schriften berühmt waren. Dionysios’ Briefe sind tatsächlich sehr reich
an biblischen Zitaten und Anspielungen, um die Ereignisse seiner Zeit zu erläu-
tern und zu deuten (z. B. Eus. Hist. eccl. 6,41,10; 7,7,5; 7,10,2. 5. 7–8). Doch den
besten, wenngleich immer noch begrenzten Einblick in seine exegetischen Grund-
sätze gewähren die Fragmente und sonstigen Nachrichten von seiner Auslegung
des ‹Predigerbuches›. Sie weisen eine gewisse Ambivalenz im Hinblick auf Orige-
nes aus. Einerseits setzen sie treu das origeneische Erbe fort; denn auf weite Stre-
cken deutet Dionysios den Text allegorisch (Feltoe 1904 [*2509: XXVII–XXVIII,
209], Leanza 1978 [*2559: 421–425]). Wenn beispielsweise der Prediger schreibt,
dass «der Weise seine Augen im Kopf hat» (Eccl. 2,14), bezieht Dionysios diese
scheinbar selbstverständliche Aussage auf die Augen des Verstandes, die der
Weise immer auf Christus, das Haupt der Kirche, richtet (Feltoe 1904 [*2509: 219–
220], Bienert 1972 [*2512: 91–92]). Dieselbe Deutung findet man auch bei Orige-
nes (Dial. 20,14–23 Scherer). Andererseits gibt es Passagen, in denen er sich in
spürbare Distanz zur allegorischen Auslegungsweise und zugleich zu tragenden
Elementen des Systementwurfs des Origenes begibt. Zu Eccl. 12,7 «Und der Staub
kehrt zur Erde zurück» erklärt er, dass sich dieser Vers auf den menschlichen Kör-
per beziehe und dass Körper und Geist im Sinne des Kreatianismus zusammen
erschaffen worden seien. Er weist dabei ausdrücklich die Präexistenzvorstellung
zurück, womit das ganze origeneische Konzept der geistigen Schöpfung hinfällig
wird (Cod. Vatop. 236; Bienert 2003 [*2574: 836f.]). Prokop von Gaza berichtet
zuverlässig, dass er die allegorische Deutung der Fellkleider in Gen. 3,21 auf den
sinnlichen Leib und die Spiritualisierung anderer Dinge des Paradieses verwor-
fen hat (Prok. G. In Gen. 3,21, p. 151,52 Metzler; Bienert 1972 [*2512: 121 Anm.

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§ 102. Pamphilos (Bibl. 1135–1136) 1013

251]). In einem erhaltenen Fragment bekämpft er tatsächlich die Deutung des Pa-
radieses als eines «überhimmlischen Ortes» und betont den heilgeschichtlichen
Realismus der biblischen Erzählung (Cod. Vatop. 236; Bienert 2003 [*2574: 836]).
Dass er die Auseinandersetzung mit dem ägyptischen Chiliasmus, die er schon
zuvor energisch aufgenommen hatte, im Werk ‹Über die Verheißungen› schriftlich
fixiert hat, heißt nicht, dass er ein allegorisches Verständnis favorisiert habe. Ge-
rade im Interesse der Simpliciores – vor dem verstorbenen Wortführer bezeugt er
sogar tiefe Ehrfurcht – will er, dass die eschatologischen Verheißungen der Epipha-
nie Christi in Herrlichkeit (Tit. 2,13), der Auferstehung von den Toten und der Ver-
sammlung und Gleichwerdung mit Christus (II. Thess. 2,1; I. Ioh. 3,2) ernst genom-
men werden und nicht ins Irdische und Vergängliche herabgezogen werden (Eus.
Hist. eccl. 7,24,5). Es liegt nahe, daraus auch zu entnehmen, dass er Origenes’ Ver-
geistigung der Auferstehungshoffnung nicht geteilt hat. Und nicht zuletzt scheint
er gegen Origenes den ‹Hebräerbrief› für echt gehalten zu haben (Hist. eccl. 6,41,6).
So scheint sich in den exegetischen und theologischen Entscheidungen des Dio­
nysios ein zwiespältiges Bild seines Verhältnisses zu Origenes abzuzeichnen
(Feltoe 1904 [*2509: XXV–XXIX]). Auch die persönlichen Beziehungen schei-
nen Schwankungen unterworfen gewesen zu sein (Bienert 1978 [*2536: 106–108,
125–131], Prinzivalli 2002 [*2538: 43–44]). Der einstige Origenes-Schüler hat sich
sicherlich viel von seinem Lehrer angeeignet, aber er folgte ihm doch nicht in
allem. Die höhere Spekulation und die allegorische Methode, sofern sie in deren
Diensten stand, lehnte er ab. In dieser Hinsicht stellte er sich zumal als Bischof
auf die Seite der Simpliciores, was der Sache nach auch heißen musste, dass die
enge Verknüpfung von theologischer und philosophischer Arbeit, die in der alex-
andrinischen Schule schon Tradition hatte, abbrach.

§ 102. Pamphilos

Marco Zambon

Die ältesten Nachrichten über Pamphilos überliefert Eusebios von Caesarea in


der ‹Kirchengeschichte› (Hist. eccl. 7,32,25–26; 8,13,6) und in der Abhandlung
‹Über die Märtyrer in Palästina› (Mart. Pal. 7,4–6; 11,1–3. 14–15. 20. 23); weiteres
kann man den Schriften des Hieronymus (Vir. ill. 75; 81) und Photios (Bibl. cod.
118–119, 92a–93b) entnehmen.
Geboren um die Mitte des 3. Jahrhunderts, entstammte Pamphilos einer vor-
nehmen Familie in Berytos, wo er seine erste pagane Bildung empfing (Mart. Pal.
11,1–2 rec. prolix.) und möglicherweise auch juristische Studien betrieb (Röwe-
kamp 2005 [*2585: 44]). In Alexandrien wurde er Schüler des Pierios, eines glü-
henden Verehrers und Nachfolgers des Origenes in der dortigen katechetischen

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1014 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Schule (zu Pierios, dem «Origenes iunior», Hier. Vir. ill. 76; Eus. Hist. eccl.
7,32,26–27. 30; Phot. Bibl. cod. 118–119, 92a–93b). Wahrscheinlich war es ihm zu
verdanken (doch vgl. Prinzivalli 2002 [*2599: 58f.]), dass Pamphilos von solcher
Begeisterung für Origenes ergriffen wurde, dass er nach Caesarea übersiedelte,
wo Origenes nach der Vertreibung aus Alexandrien seinen zweiten großen Wir-
kungskreis entfaltet hatte, und sich fortan ganz der Pflege und Förderung des
Erbes des Origenes widmete (Eus. Hist. eccl. 7,32,24–25). Von Agapios, dem am-
tierenden Bischof von Caesarea, zum Presbyter geweiht (Eus. Hist. eccl. 7,32,25),
erweckte er die von Origenes begründete Schule zu neuem Leben und reorgani-
sierte die darniederliegende Bibliothek, so dass er als ihr eigentlicher Stifter an-
gesehen werden kann (Le Boulluec 2008 [*2623: 253]). Recht bald dürfte Euse-
bios in seinen Schülerkreis getreten sein; er wurde sein engster Mitarbeiter und
legte sich aus Verehrung zu seinem Lehrer, der vielleicht auch sein Pflegevater
war, den Beinamen «Eusebios des Pamphilos» zu (Hier. Vir. ill. 81; Phot. Bibl. cod.
13, 4b). Im November 307 wurde Pamphilos während der Christenverfolgung
unter dem Statthalter Urbanus zusammen mit elf Glaubensgenossen verhaftet,
doch hatte Eusebios noch freien Zugang zu ihm. Am 16. Februar 310 erlitt er das
Martyrium, indem er auf Befehl des Statthalters Firminianus enthauptet wurde
(Eus. Hist. eccl. 7,32,25; 8,13,6; Mart. Pal. 7,4–6; 11,2–3).
Eusebios verfasste eine heute verlorene Biographie des Pamphilos in drei Bü-
chern (vgl. Eus. Hist. eccl. 7,32,25; auch 6,32,3; 8,13,6; ferner Mart. Pal. 11,3; Hier.
Vir. ill. 81; Ep. 34,1; Adv. Rufin. 1,9). Auch sein Lehrer Pierios soll – ein seltener
Fall – eine Lobrede auf ihn verfasst haben (Philippos von Side: de Boor 1888
[*2605: 171]), die aber schon unseren antiken Zeugen nicht mehr verfügbar war.
Literarisch tätig geworden ist Pamphilos abgesehen von einer Ausnahme nicht.
Seine nicht zu unterschätzende Bedeutung liegt in seiner Schultätigkeit und mehr
noch in seinen bibliothekarischen und textkritischen Aktivitäten. Er setzte alles
daran, die Bibliothek von Caesarea mit einer möglichst vollständigen Sammlung
von Origenes’ Schriften auszustatten; er fertigte einen Katalog der Werke des Ori-
genes an (Eus. Hist. eccl. 6,32,3), viele Schriften des Origenes hat er eigenhändig
kopiert (Hier. Vir. ill. 75; Phot. Bibl. cod. 118, 92b). Aber er besorgte auch Abschrif-
ten von anderen christlichen und wahrscheinlich auch paganen Autoren (Eus. Hist.
eccl. 6,32,3; Hier. Epist. 34,1; Vir. ill. 75), so dass die Büchersammlung von Caesa-
rea zu einer der wichtigsten christlichen Bibliotheken des Römischen Reiches
wurde (Cavallo 1988 [*2610], Carriker 2003 [*2620]). Weiter kümmerte er sich in-
tensiv um die Verbesserung des griechischen Bibeltextes der von Origenes gefer-
tigten ‹Hexapla› (Hier. Adv. Rufin. 2,27), wovon mehrere Handschriften aus spä-
teren Zeiten noch Spuren zeigen (Nautin 1977 [*2606: 322–325, 354–357], Cavallo
1988 [*2610: 70–72], Carriker 2003 [*2620: 14–17], Morlet 2011 [*2624]). Diese Bi-
belrezension fand dank Pamphilos’ Bemühungen weite Verbreitung in Palästina
und anderswo, wo sie als einzige in Gebrauch war (Hier. Adv. Rufin. praef. 2,27).
Das einzige literarische Werk, das Pamphilos verfasste, war die zwischen 307
und 310 unter Beihilfe des Eusebios in der Gefangenschaft entstandene ‹Apolo-
gie für Origenes› in fünf Büchern (Eus. Hist. eccl. 6,33,4; Socr. Hist. eccl. 3,7,7–
10), denen Eusebios selbst nach dem Tod des Pamphilos noch ein sechstes hinzu-

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§ 102. Pamphilos (Bibl. 1135–1136) 1015

fügte (Phot. Bibl. cod. 118, 92b). Welchen genauen Anteil bei den ersten Büchern
Eusebios im Einzelnen hatte, dürfte sich kaum mehr mit Sicherheit ermitteln las-
sen, weil die Nachrichten darüber stark divergieren (Eus. Hist. eccl. 6,33,4; Rufin.
Apol. Orig. praef. 1; offensichtlich tendenziös ist Hier. Adv. Rufin. 1,9–10; 2,23;
3,12, vgl. Junod 1992 [*2613], Amacker, Junod 2002 [*2584: II 21–24], Röwekamp
2005 [*2585: 51–53]).
Erhalten hat sich auf jeden Fall nur die lateinische Übersetzung des ersten Bu-
ches, die Rufinus im Jahr 397/98 angefertigt hat, wobei unklar bleibt, ob Rufinus
absichtlich nur dieses eine Buch als eine Art Einführung in Origenes’ Denken
(vgl. Rufin. Apol. Orig. 1,11) übersetzte oder ob er die übrigen Bücher nicht
kannte. Auf das Vorwort des Übersetzers folgt ein Widmungsbrief, gerichtet an
zu Zwangsarbeit in den Minen verurteilte Konfessoren, die gegen Origenes vor-
eingenommen waren (Apol. Orig. 1–21; Junod 1987 [*2608: 128]). Ihnen will Pam-
philos die sachgemäße Methode, wie man Origenes’ Schriften lesen muss, darle-
gen: Origenes’ Ziel sei es nicht gewesen, die von ihm aufgeworfenen Fragen
dogmatisch definitiv zu lösen, sondern er habe experimentell nach dem Sinn der
Heiligen Schrift geforscht und seine Überlegungen den Lesern zur Diskussion
stellen wollen, ohne die kirchliche Glaubenstradition zu verlassen (Apol. Orig. 3).
Und zum Beweis dessen folgen nach Art einer Anthologie längere Origenes-Ex-
zerpte, bewusst fast nur aus ‹De principiis› ausgewählt (Apol. Orig. 20; 36: hier
habe Origenes «secreto» und nicht für die Öffentlichkeit geschrieben), die seine
Rechtgläubigkeit bestätigen sollen. Gegenstände sind die Zusammenfassung der
Glaubensregel (Apol. Orig. 22–37), die Trinitätslehre (Apol. Orig. 38–82) und
Christologie (Apol. Orig. 83–86), dann nach einer Aufzählung von neun speziell
erhobenen Vorwürfen (Apol. Orig. 87; dazu Nautin 1977 [*2606: 134–144], Junod
1987 [*2608: 129–131], Williams 1993 [*2615], Amacker, Junod 2002 [*2584: II 81–
98]) erneut die Christologie (Apol. Orig. 88–121), die Bibelhermeneutik (Apol.
Orig. 122–126) sowie schließlich Fragen der Eschatologie (Apol. Orig. 127–188).
Über den Inhalt der weiteren Bücher lässt sich wenig Genaues sagen. Die Bücher
2 bis 5 stellten wohl Origenes’ Leben und Werk dar (Eus. Hist. eccl. 6,23,4 zu Buch
2), Buch 6 enthielt Briefe des Origenes (Eus. Hist. eccl. 6,36,3f.). Es ist klar, dass
Rufinus’ Übersetzung des ersten Buches ihrerseits erneut apologetischen Zwe-
cken diente und daher mit kritischer Vorsicht benutzt werden muss (vgl. die un-
terschiedliche Bewertung von Williams 1993 [*2615], Prinzivalli 2002 [*2599: 10f.],
Amacker, Junod 2002 [*2584: II 9–24, 45–52]). Doch ist bemerkenswert, dass
Pamphilos’ Apologie, zumindest in der überlieferten Form, nicht direkt auf den
später üblichen Vorwurf reagiert, Origenes sei zu stark von der griechischen Phi-
losophie abhängig gewesen, wenngleich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe alle-
samt von einer theologischen Einstellung herrühren, die gegenüber einer mit phi-
losophischen Begriffen und Methoden arbeitenden Theologie sehr misstrauisch
ist (Röwekamp 2005 [*2585: 197–201]).

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1016 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

§ 103. Methodios

Marco Zambon
unter Mitwirkung von Dietmar Wyrwa

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Über das Leben des Methodios ist kaum etwas Sicheres bekannt (Patterson
1997 [*2653: 14–21], Mejzner, Zorzi 2010 [*2639: 20–27]). Eusebios schweigt über
ihn in der ‹Kirchengeschichte›. Eine Bemerkung von Eusebios aus dem sechsten
Buch der ‹Apologie für Origenes›, wo er sich darüber empört, dass Methodios
gegen Origenes geschrieben hat, ist die älteste Erwähnung (Rufin. Apol. Orig. 6
nach Hier. Adv. Rufin. 1,11); der Formulierung dürfte zu entnehmen sein, dass
Methodios zur Zeit der Abfassung des Buches (310 oder kurz danach) noch lebte.
Hieronymus’ Eintrag in ‹De viris illustribus› 83 ist unzuverlässig. Hier wird greif-
bar, wie verwirrt die zu Hieronymus gelangten Überlieferungen über Methodios
bereits gewesen sind, aber das von ihm mitgeteilte Schriftenverzeichnis ist wert-
voll, und besondere Beachtung verdient die Information, dass Methodios eine
heute verschollene Schrift ‹Adversus Porphyrium›, die erste Gegenschrift, der
weitere von Eusebios und Apollinarios folgen sollten, verfasst hat (siehe auch
Hier. Ep. 49,13; 70,3; Comm. in Dan. prol.). Die antiken Nachrichten bringen ihn
mit Städten und Landschaften in Lykien in Verbindung. Ihm werden sechs ver-
schiedene Bischofssitze zugeschrieben, aber es gibt keine sichere Bestätigung,
dass er tatsächlich Bischof von Olympos oder von einer der anderen Städte war
(Bracht 1999 [*2654: 346–374] und 2001 [*2698] hält die Überlieferung, nach der
Methodios Bischof von Olympos war, für glaubwürdig; Diekamp 1928 [*2665] zog
Philippi vor). Wahrscheinlich war er eher ein freier christlicher Wanderlehrer mit
starken Interessen für das kirchliche und asketische Leben (Quensell 1952 [*2667],
van de Paverd 1978 [*2680: 462], Williams 1992 [*2694: 680], Patterson 1997
[*2653: 18–21]; gegen diese Annahme Bracht 1999 [*2654: 358]). Indizien in sei-
nen Werken lassen vermuten, dass er mit einem Kreis von Männern und Frauen
in Kontakt stand, mit denen er ein christlich asketisches Leben führte und theo-
logische, exegetische und ethische Fragen zu besprechen pflegte (Aut. 1,7; Symp.
11,293; Cib. 1,1). So teilte er mit zeitgenössischen Platonikern dieselbe Meinung
über Ziel und Lebensform einer philosophischen Gemeinschaft (DePalma Di-
geser 2010 [*2709]). Die Tradition, dass er als Märtyrer gestorben sei, war schon
zu Hieronymus’ Zeiten schwankend (Vir. ill. 83: der Ort Chalkis in Griechenland
ist sicher unrichtig). Hieronymus entscheidet zugunsten der Datierung in die letzte

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1017

Christenverfolgung unter Maximinus Daia, d. h. in die Jahre 311/312 (nach Musu-
rillo 1963 [*2637: 10] wäre auch ein späteres Datum denkbar), aber absolut sicher
scheint die Nachricht von seinem Martyrium nicht zu sein (Williams 1992 [*2694:
680], Patterson 1997 [*2653: 18–21, 81 Anm. 1]; Resur. 1,56,9 könnte ein Hinweis
auf die Zeit der Verfolgung sein, doch urteilte Harnack 1904 [*2663: II 2,148], dass
sich solche Hinweise in den erhaltenen Werken nicht finden).

2. WERKE

Das Œuvre von Methodios war umfangreich einem durchgehend festen Plan geordnet. Sie bil-
(Bracht 1999 [*2654: 378–391], Mejzner, Zorzi den nicht oder nur zum Teil die Stufen einer theo-
2010 [*2639: 20–27]): Hieronymus zählt in einem logischen oder asketischen Entwicklung ab, son-
allerdings unvollständigen Werkverzeichnis sie- dern haben eher den Charakter einer lockeren
ben Titel auf (Vir. ill. 83). Von diesen Schriften ist Reihe von katechetischen Homilien (Musurillo
auf Griechisch allein das ‹Gastmahl› vollständig 1963 [*2637: 24], Voss 1970 [*2673: 105]). In den
erhalten; von den anderen existieren bloß noch ersten drei Reden geht es um Jungfräulichkeit
mehr oder weniger umfangreiche Bruchstücke, sowie um Ehe und Kinderzeugung in der heilsge-
die teils direkt, teils indirekt überliefert sind. Eine schichtlichen Abfolge des göttlichen Erziehungs-
Sammlung von Werken wurde in der Mitte des 10. planes. Christus ist der ἀρχιπάρθενος, der den
Jahrhunderts ins Altslawische wortgetreu über- Menschen die Jungfräulichkeit gebracht hat.
setzt und ist erhalten (Bracht 1999 [*2654: 6–12]). Diese führt zur Unsterblichkeit und zur Vollen-
dung der Gottebenbildlichkeit, was die vierte
Rede näher ausführt. In den folgenden Reden
‹Symposium decem virginum› werden nach den verschiedensten Richtungen die
Συμπόσιον ἢ περὶ ἁγνείας – ‹Gastmahl exegetischen Grundlagen ausgewertet, und in den
oder über die Keuschheit› (Symp.; beiden letzten, Symp. 9 und 10, wird die heilsge-
CPG 1810) schichtliche Thematik wieder aufgenommen und
abgeschlossen. Das Werk gehört zu den Frühwer-
Das Gastmahl ist eine ausdrückliche Umgestal- ken des Methodios, er selbst spricht später (Cib.
tung des gleichnamigen Dialogs Platons unter 1,1) von Angriffen, denen er wegen dieser Schrift
christlichen Gesichtspunkten: Nicht der platoni- ausgesetzt war (Voss 1970 [*2673: 95], Patterson
sche Eros, sondern die Reinheit (ἁγνεία), d. h. die 1997 [*2653: 27f.]). Eine detaillierte Inhaltsan-
Keuschheit ist die Voraussetzung, um zur geistli- gabe bietet Bracht 1999 [*2654: 386–390].
chen Vollkommenheit zu gelangen (vgl. die Adap-
tion von Plat. Symp. 180b in Symp. 4,101). Wie das
platonische Vorbild ist die Schrift der literarischen ‹De autexusio›
Form nach ein erzählter Dialog. Zehn Jungfrauen, Περὶ τοῦ αὐτεξουσίου – ‹Über den freien
die in den Garten der Arete, den λειμὼν τῆς Willen› (Aut.; CPG 1811)
ἀφθαρσίας («Hain der Unvergänglichkeit»), gela-
den sind, halten nach dem Gastmahl Reden über Große Teile des Dialoges sind griechisch erhal-
die Keuschheit (zur symbolischen Szenerie des ten bei Eusebios unter dem Titel ‹Über die Mate-
steilen und anstrengenden Anmarsches und des rie›, wobei er sie einem gewissen Maximos aus
Keuschheitsbaumes im Garten vgl. Voss 1970 dem 2. Jahrhundert zuschreibt (Eus. Praep. ev.
[*2673: 113], sowie Symp. praef. 8 mit Gen. 2,10 7,22; zu Maximos Eus. Hist. eccl. 5,27). Von dort
und Plat. Phdr. 230b; Symp. 9,250); am Ende er- sind sie in die ‹Philokalie› der Kappadokier (Kap.
greift Arete, die Tochter der Philosophie, das 24) als Auszüge aus Origenes übernommen wor-
Wort, um die zehn Jungfrauen zu loben, und den. Photios (Bibl. cod. 236, 304b–308a) bietet
schließlich vereinigen sich alle zu einem Hymnus umfangreiche Exzerpte, die ‹Sacra Parallela›
auf den himmlischen Bräutigam (Pellegrino 1958 mehrere Bruchstücke. Auch im Dialog eines sonst
[*2635], Patterson 1997 [*2653: 240–244], Ramelli unbekannten Adamantios ‹Über den rechten
2008 [*2705]). Die zehn Reden sind nicht nach Glauben› vom Anfang des 4. Jahrhunderts ist das

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1018 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Werk benutzt, aber es existiert eine vollständige ‹De resurrectione›


und getreue altslawische Übersetzung aus dem 10. Ἀγλαόφων ἢ περὶ ἀναστάσεως –
Jahrhundert, die es gestattet, den ursprüngliche ‹Aglaophon oder über die Auferstehung›
Text fast vollständig wiederzugewinnen. In dieser (Resur.; CPG 1812)
Version trägt die Schrift den Titel ‹Über Gott, die
Materie und den freien Willen›, der dem Inhalt am Das Werk, ebenfalls ein Dialog, ist eine späte
besten gerecht wird. Schrift, die – wie Methodios selbst sagt (Cib. 1,1–3)
Während an der Autorschaft des Methodios – später als das ‹Symposium decem virginum› ab-
nicht zu zweifeln ist (Voss 1970 [*2673: 93]), stel- gefasst und unvollendet ist; es ist auch Methodios’
len die differierenden Zuschreibungen und die un- umfangreichste (Mejzner, Zorzi 2010 [*2639: 33]
terschiedlichen Titel ein besonderes Problem dar nimmt wie Dechow 1992 [*2692] für die Abfassung
(Franchi 2009 [*2707]). Möglicherweise hat Euse- das Jahr 310 an). Möglicherweise ist ‹De resurrec-
bios den Namen eines Gesprächspartners im Dia- tione› identisch mit der in Sang. 10,4 angekündig-
log für den Namen des Verfassers gehalten. Die ten Schrift ‹De carne› (Patterson 1997 [*2653:
Schrift könnte einen Titel wie ‹Maximos oder über 26f.]). Vorhanden sind griechische Fragmente bei
die Willensfreiheit› getragen haben, der durch die Epiphanios (Haer. 64) und anderswo, die sich aber
fälschliche Identifizierung mit einem Autor Maxi- nur durch die altslawische, gegen Ende zusammen-
mos verloren gegangen wäre (Zahn 1888 [*2662: raffende Übersetzung zuordnen lassen. Es bleibt
226–227], Robinson 1893 [*2631: XL–XLI, XLVI– unsicher, ob das fast völlige Verschwinden der dia-
XLVIII], Patterson 1997 [*2653: 13, 38–39]; laut logischen Form im dritten Buch auf den Verfasser
Barnes 1979 [*2681] war Methodios von einem oder die zusammenfassende Art der Übersetzung
früheren Schriftsteller namens Maximos tatsäch- zurückgeht (Voss 1970 [*2673: 116–118]).
lich abhängig; siehe auch Franchi 2009 [*2707: 28– Die Inszenierung des Dialoges ist vom platoni-
31]). Möglich wäre aber auch, dass das Werk gar schen ‹Protagoras› inspiriert (Resur. 1,1,1–8 mit
nicht in einer endgültigen redaktionellen Bearbei- Plat. Prot. 314e–315c; Patterson 1989 [*2691:
tung publiziert worden ist, sondern Materialien 222]). Vier Gesprächspartner diskutieren über die
für Methodios’ Schulbetrieb enthielt. Das könnte Natur des Leibes und die leibliche Auferstehung;
auch die relative Unverbundenheit der verschiede- sie wollen «die häretischen Philosopheme zur Zer-
nen Teile des Dialoges erklären (Vaillant 1930 störung der Lüge erforschen» (Resur. 1,1,3. 3,8).
[*2634: 637–639, 648–653], Voss 1970 [*2673: 94– Zuerst werden exegetische und philosophische Ar-
96], Prinzivalli 2002 [*2699: 119], Franchi 2009 gumente gegen die Möglichkeit der leiblichen Auf-
[*2707: 20]). erstehung vorgebracht zugunsten einer Auferste-
Das Werk besteht aus zwei Hauptteilen, die von hung der Form, nicht der Substanz nach als eines
einer Einleitung (Kap. 1) und einem Epilog (Kap. geistigen Leibes (Resur. 1,1–18). Dafür wird auch
22; in der Ausgabe von Bonwetsch 1917 [*2632] ein Auszug aus Origenes’ Kommentar zu Ps. 1,5
fehlt jedoch ein Kapitel 21) gerahmt sind. Nach der aufgeboten (Resur. 1,19–26). Die Entgegnungs-
Exponierung der Thematik über die Ursache des rede entfaltet unter Berufung auf Gottes schöpfe-
Bösen (Kap. 2–4) wird unter der Zwischenüber- rische Allmacht die orthodoxe Lehre von der leib-
schrift ‹Über Gott und die Materie› die These, lichen Auferstehung und geht zugleich auf fast alle
dass eine ewige Materie als Ursache für das Böse Themen der Anthropologie ein (Resur. 1,27–2,8),
anzusehen sei, philosophisch widerlegt (Kap. wobei auch medizinische Fragen angesprochen
5–16,1). Im zweiten Hauptteil – in der altslawi- werden (Resur. 2,9–30). Schließlich wendet sich
schen Version unter der Zwischenüberschrift ein orthodoxer Teilnehmer, in diesem Fall Metho-
‹Über die Willensfreiheit› – wird die theologische dios selbst, gegen den persönlich auftretenden
Antwort, dass Ursache des Bösen der freie Wille Origenes, um dessen spiritualisierendes Verständ-
des Menschen ist, entfaltet (Kap. 16,2–20,8, ge- nis zu widerlegen (Resur. 3,1–22). Der Dialog
folgt von einer Zusammenfassung in Kap. 22,1–9; endet mit Gebet und Doxologie (Resur. 3,23).
Farges 1929 [*2633] setzt die Zäsur mit Kap. 13 an, Es ist nicht klar, ob bzw. inwieweit die Schrift
wo die Thematik über die Natur des Bösen ein- von Anfang an als eine antiorigenistische Abhand-
setzt). Die Schrift ist ein sehr frühes Werk, wenn lung entworfen wurde. Der Auszug aus Origenes’
nicht sogar das früheste (Voss 1970 [*2673: 95], Psalmenauslegung zu Ps. 1,5 wirkt wie ein Fremd-
Patterson 1997 [*2653: 31f.]). Eine detaillierte In- körper im Gedankengang (Voss 1970 [*2673:
haltsangabe findet sich bei Bracht 1999 [*2654: 124f.], Patterson 1997 [*2653: 143–145, 172 Anm.
378–380]. 37]), und es liegt nahe, dass Methodios die zu An-
fang genannten Argumente gegen die leibliche

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1019
Auferstehung zunächst gar nicht Origenes habe beinhaltet in der Mehrheit der Fragmente eine
zuschreiben wollen und sie auch nicht als Orige- feindliche, aggressive Auseinandersetzung mit –
nes’ Meinung habe widerlegen wollen – sein Name Photios zufolge – Origenes, andernfalls mit Orige-
fällt ja überhaupt erst in Buch 3. Methodios wäre nisten über die Schöpfungslehre. Eine Inhaltsan-
aber zunehmend darauf aufmerksam geworden, gabe bietet Bracht 1999 [*2654: 380f.].
dass die bekämpften Positionen aus Voraussetzun-
gen des origeneischen Denkens erwachsen sind, Die Form von Traktaten haben die folgenden
und er hätte dies schließlich zum Vehikel seiner Werke:
Auseinandersetzung im letzten Buch gemacht
(Patterson 1989 [*2691: 222f.] und 1997 [*2653:
143–155, 170f., 184), Mejzner, Zorzi 2010 [*2639: ‹De vita›
33f.]). Andernfalls könnte man die Gestaltung der ‹Über das Leben und die vernünftigen
Schrift als rhetorisches Mittel deuten, um die he- Handlungen› (CPG 1813)
terodoxen Implikationen einer bestimmten, von
einigen Zeitgenossen vertretenen Deutung der Die Schrift ist nur in altslawischer Sprache erhal-
origeneischen Lehre darzustellen, ohne den ten. Sie behandelt die Wechselhaftigkeit des Lebens
großen – und von Methodios verehrten (Resur. und die vernünftigen Einstellungen dazu. Unter
1,19,1; 3,3,2–3; 3,22) – kirchlichen Lehrer direkt allen seinen Werken lässt dieses den stoischen Ein-
der Häresie anzuklagen (Prinzivalli 2002 [*2699: fluss am stärksten erkennen. Eine Inhaltsangabe
89, 108–111]). Eine Inhaltsangabe bietet Bracht findet sich bei Bracht 1999 [*2654: 385f.].
1999 [*2654: 182–185].

‹De cibis›
‹De lepra› ‹Über die Unterscheidung der Speise. Und
‹An Sistelius, über den Aussatz› über die junge Kuh, welche im ‘Leviticus’
(Lepr.; CPG 1815) erwähnt wird, mit deren Asche die Sünder
besprengt wurden› (Cib.; CPG 1814)
Von dem Dialog existieren griechische Frag-
mente und eine leicht gekürzte altslawische Über- Der kleine Brieftraktat ist ebenfalls nur in
setzung. Inhalt ist eine allegorische Auslegung altslawischer Übersetzung erhalten. Er behandelt
von Lev. 13, wonach die Arten des Aussatzes auf zuerst die Bedeutung von Leiden, Anfechtung und
die Seelenkrankheiten im Sinne der stoischen Tugend für die Vervollkommnung des Menschen
­Affekte bezogen werden (Kap. 5–12) und an- (Cib. 1–5); sodann werden die Reinheitsgebote aus
schließend der Aussatz an Kleidern ekklesiolo- Num. 19 typologisch ausgelegt. Die junge Kuh von
gisch auf die Kirche bezogen wird (Kap. 13–18). Num. 19 wird als Zeichen auf Christus, das voll-
Eine Inhaltsangabe findet sich bei Bracht 1999 kommene Lamm, durch dessen Tod die Menschen
[*2654: 381f.]. gereinigt werden, gedeutet (Kap. 6–15). Eine In-
haltsangabe bietet Bracht 1999 [*2654: 380].

‹De creatis›
Ξένων ἢ περὶ τῶν γενητῶν – ‹Xenon oder ‹De sanguisuga›
über die Geschöpfe› (Creat.; CPG 1817) ‹Über den Igel, welcher in den ‘Sprichwör­
tern’ ist, und über ‘die Himmel verkünden
Von diesem Dialog, der eine der spätesten die Herrlichkeit Gottes’› (Sang.;
Schriften des Methodios ist (Patterson 1992 CPG 1816)
[*2693]), sind nur einige Auszüge bei Photios Bibl.
cod. 235, 301b–304b unter der Überschrift Περὶ Der exegetische Traktat legt auf eine Anfrage
τῶν γενητῶν überliefert. Diese Schrift ist sicher hin Prov. 30,15 und Ps. 19,2. 5 aus. Prov. 30,15 wird
dieselbe, die Sokrates (Hist. eccl. 6,13) unter dem allegorisch nach stoischer Vorstellung auf die
Titel ‹Xenon› erwähnt, vielleicht ist sie auch iden- Sünde, die durch die Sinneswahrnehmungen in das
tisch mit der von Hier. Vir. ill. 38 genannten exe- Innere des Menschen eindringt und dort großen
getischen Schrift über die ‹Genesis› (Buchheit Schaden anrichtet, gedeutet, Ps. 19,2. 5 wird typo-
1958 [*2669: 129–133]). Das Werk, dessen Aufbau logisch auf Christus bezogen. Eine Inhaltsangabe
und Gedankengang nicht mit letzter Sicherheit be- findet sich bei Bracht 1999 [*2654: 385].
stimmt werden kann (Voss 1970 [*2673: 130ff.]),

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1020 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Einige sehr kurze exegetische Fragmente sind Porphyrios zugeschrieben werden kann (Becker
noch griechisch überliefert, die hier außer Acht 2016 [*2282: 437–442]), und schließen deshalb die
gelassen werden können. Möglichkeit der Echtheit nicht völlig aus. Becker
Als verloren muss die von Hieronymus ge- führt die Auszüge unter den Dubia (Porph. Adv.
nannte Schrift ‹Adversus Porphyrium› gelten, die Christ. fr. 82D.–84D. Becker). Ebenfalls verloren
vielleicht in die Frühphase von Methodios’ schrift- ist ‹De Pythonissa›, ein Werk, das Hier. Vir. ill. 83
stellerischer Tätigkeit gehörte (Mejzner, Zorzi zufolge gegen Origenes gerichtet gewesen sein
2010 [*2639: 27]). Die in den Editionen abge- soll.
druckten Fragmente (CPG 1818) sind umstritten. Hingegen sind ihm einige Schriften unterge-
Einige Forscher halten sie für sicher unecht schoben worden, von denen die dem 7. Jahrhun-
(Buchheit 1958 [*2669: 120–129], Patterson 1997 dert angehörigen, ursprünglich syrisch verfassten
[*2653: 223]), andere wenden ein, dass die darin ‹Revelationes› im Mittelalter die weiteste Verbrei-
zurückgewiesene Kritik am Christentum sachlich tung gefunden haben (Bracht 1999 [*2654: 391]).

3. LEHRE

1. Methodios’ philosophisch-theologisches Profil. – 2. Der Ursprung des Bösen und die Konstitution der
Schöpfung. – 3. Gottes Heilsökonomie in der Geschichte. – 4. Die Anthropologie und die Lehre der Auf-
erstehung. – 5. Späte Polemik gegen die Annahme einer ewigen Schöpfung.

1. Methodios’ philosophisch-theologisches Profil

Zweifellos verfügte Methodios über eine gründliche pagane Bildung. Berühmte


Homerverse, die zum Teil schon bei früheren christlichen Autoren begegneten, sind
bei ihm, frei von paganen Konnotationen, einfach in das Gewebe der christlichen
Bildsprache eingegangen oder verleihen in christianisiertem Gebrauch bestimm-
ten theologischen Grundgedanken oder szenischen Gestaltungen einer Dia­
logpartie ein besonderes Gewicht (Buchheit 1956 [*2668]). Weitere literarische Re-
miniszenzen an die griechische Dichtung erfolgen ganz im rhetorischen Stil der
Zweiten Sophistik (Vaillant 1930 [*2634: 654f.]). Seine respektablen philosophi-
schen Kenntnisse machen es ihm möglich, die Philosophie als gemeinsame Kom-
munikationsbasis in seinen Auseinandersetzungen mit den verschiedensten Geis-
tesströmungen der Zeit zu nutzen, um die christlichen Positionen zu profilieren.
Stoische Gedanken sind für ihn so selbstverständlich, dass sie für seine Anthropo-
logie konstitutiv geworden sind, ohne dass ihm das vielleicht im vollen Ausmaß be-
wusst war (Bracht 2012 [*2712: 774, 777f.]). Auch seine kosmologischen Anschau-
ungen sind von Teilmomenten der stoischen Lehre durchsetzt (Bracht 1999 [*2654:
37–40]); und ebenso kennt und befolgt er aristotelische Grundregeln der logischen
Argumentation (Vaillant 1930 [*2634: 643, 645, 654], Patterson 1997 [*2653: 51f.]).
Nicht unbedeutend scheint auch sein Interesse für die Medizin seiner Zeit gewe-
sen zu sein (Farges 1929 [*2652: 250–251], Patterson 1997 [*2653: 149, 154]).
Doch kein Philosoph ist in seinem Werk derart stark präsent wie Platon (Bon-
wetsch 1917 [*2632: 535–537], Margheritis 1937 [*2666], Zorzi 2003 [*2701] und

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1021

2007 [*2704: 337–371]). Allgegenwärtig ist eine platonische Sprachfärbung von all-
gemeinen Wortwendungen und gesuchten Anspielungen (z. B. Symp. 5,128: μίμημα,
παράδειγμα, βλέπειν πρός, ἰδέα; Musurillo 1963 [*2637: 14], Voss 1970 [*2673: 110–
111], Dechow 1992 [*2692: 515]). Platonische Theoreme stehen bei fast allen Sach­
erörterungen mit zur Diskussion. Sie sind in der Regel mittelplatonischer Prove­
nienz; ob auch neuplatonische Beeinflussung greifbar ist, ist weniger sicher (in
Bezug auf die Soteriologie Bracht 1999 [*2654: 206–217]), doch dass ‹De resurrec-
tione› spezifische Berührungen mit Porphyrios aufweise, wie Benjamins 1999
[*2697], Bienert 2003 [*2700: 841], DePalma Digeser 2010 [*2709] aufgrund von
Motiven wie ‘der Leib als Gefängnis der Seele’ u. a. annehmen, dafür sind die In-
dizien zu schwach (Prinzivalli 2002 [*2699: 84f.]). Und nicht zuletzt verstand es Me-
thodios vorzüglich, die literarische Form der Dialoge Platons nachzuahmen
(Bracht 1999 [*2654: 233–236]). Fast alle seine Werke sind als Dialoge verfasst, was
namentlich im Fall von ‹Symposium decem virginum› verschieden gedeutet wer-
den kann. Es kann als Gestaltungsmittel einer ‘polyphonen’ Theologie verstanden
werden, dass aus dem vielstimmigen Zusammentreffen aller Dialogbeiträge der
Grundakkord der wahren Lehre zum Klingen kommt (Prinzivalli 1998 [*2696:
49]). Es kann aber auch als apologetisches Vorgehen verstanden werden, um zu zei-
gen, dass nicht im zeitgenössischen Platonismus, sondern im Christentum das pla-
tonische Streben nach dem wahren Schönen sich verwirklicht (Musurillo 1963
[*2637: 14]). Tatsächlich nimmt die kritische Zurückweisung von Positionen der
zeitgenössischen Philosophie einen beträchtlichen Anteil in seinem Werk ein, was
mit der hoch stilisierten Gegenüberstellung vom verlockenden, aber trügerischen
Gesang der griechischen Sirenen, dessen Frucht der Tod ist, und dem heilbringen-
den Chor der Propheten und der Apostel, der das wahre Leben schenkt, eindrück-
lich veranschaulicht wird (Aut. 1,1–6 mit Od. 12,158ff.; Symp. 8,172; Resur. 1,28,1;
vgl. Clem. Alex. Prot. 18,1. 4). Entsprechend setzt er die platonische Polemik gegen
die Sophisten ein, um pagane Philosophen und Häretiker zu treffen (Symp. 7,161;
8,172; Resur. 1,27,2–3; 1,28). Indessen darf man die Gesprächspartner in den Dia-
logen nicht ohne Weiteres mit konkreten historischen Gestalten und ihren Lehr-
weisen identifizieren; sie haben immer einen gewissen künstlichen Charakter und
sind so gestaltet, dass aus ihnen markante Gegenpositionen entstehen, unter denen
sich die wahre Lehre im Laufe der Auseinandersetzung klar durchsetzen kann
(Voss 1970 [*2673: 91–134], Patterson 1997 [*2653: 11–13]).
Was seine Kenntnis der christlichen theologischen Tradition betrifft, ist er mit
den älteren Apologeten, Justin, Athenagoras, Theophilos, die er namentlich nennt,
gut vertraut, ebenso mit Tatian und, auf welchem Wege auch immer, mit Tertul-
lian. Auch die zu seiner Zeit berüchtigten Häretiker führt er an. Ganz wesentlich
aber ist die heilsgeschichtliche Orientierung seines Denkens durch Irenäus und
Clemens geprägt (Bonwetsch 1903 [*2651: 160–171], Patterson 1989 [*2691: 225–
228], Prinzivalli 1998 [*2696: 49]).
Ein besonderes Kapitel ist sein Verhältnis zu Origenes. Dass Hieronymus seine
Gegnerschaft gegen Origenes durchweg und betont herausgestrichen hat und dass
er selbst in bestimmter Hinsicht wirklich gegen Origenes Stellung bezogen hat,
darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er Origenes sehr viel mehr verdankt, als

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1022 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

es oberflächlich scheinen könnte, und dass er auf vielfältige Weise derselben alex-
andrinischen Geisteswelt angehört wie jener (Williams 1992 [*2694: 681], Patter-
son 1997 [*2653: 128, 230] gegen Zuweisung zu einer sogenannten Kleinasiatischen
Schule). In erster Linie bezeugt sein Umgang mit der Bibel den Einfluss des Ori-
genes. Wie jener ist er überzeugt, dass geistlicher Fortschritt nur durch unablässi-
ges Bibelstudium möglich ist (Symp. 1,12–15) und dass nach Hebr. 10,1 die Unter-
scheidung von Schatten (im Sinne von Gesetz), Bild (im Sinne von Evangelium)
und wahrer Wirklichkeit (im Sinne von Vollendung) das Bibelverständnis leiten
muss (Symp. 5,127–129; 9,240f.; Cib. 7,7; Patterson 1997 [*2653: 127f.]; zur heilsge-
schichtlichen Umakzentuierung Prinzivalli 2002 [*2699: 151–163]). Demgemäß tritt
zum buchstäblichen Verständnis, das sein volles Recht hat und bisweilen auch nur
allein möglich ist (Symp. 3,71–74; Prinzivalli 1985 [*2687: 45ff.]), die geistliche, d. h.
die allegorische Auslegung, die den höheren Rang genießt, weil sie direkt auf die
Wahrheit weist; dabei sind auch mehrere geistliche Deutungen derselben Stelle
gleichzeitig möglich (Bonwetsch 1903 [*2651: 148–154], Prinzivalli 1985 [*2687],
Bracht 1999 [*2654: 149–152]). Die Rechtmäßigkeit der allegorischen Exegese hat
Methodios nie geleugnet. Doch auch in wichtigen dogmatischen Fragen hat er sich
Origenes angeschlossen. Wie dieser ist auch er ein strenger Vertreter der Freiheit
des menschlichen Willens; und von ihm ist er in der Lehre der Zeugung des Wor-
tes «vor den Äonen» und in der Unterordnung des Sohnes unter den Vater deutlich
beeinflusst, um nur diese Punkte zu nennen (Symp. 3,60; 7,149; 8,193; Bonwetsch
1903 [*2651: 168–169], Patterson 1966 [*2670]). Manchmal kann sogar der Ein-
druck entstehen, er habe mit dem origeneischen Text vor Augen gearbeitet (Marin
1981 [*2682: 475]). Aber sein Verhältnis zu Origenes ist ambivalent (Bienert 2003
[*2700: 840f.]). In der frühen Phase seiner schriftstellerischen Tätigkeit begegnet
man einer entschiedenen Polemik gegen den kosmologischen Dualismus (Aut. 5,1–
16,1) und gegen den Fatalismus (Symp. 8,210–217. 230), Einwände, die wahrschein-
lich gegen griechische Philosophen, vielleicht auch gegen vereinzelte platonisie-
rende Christen und höchstens indirekt gegen gnostische Lehren gerichtet sind, die
aber nicht Origenes betreffen (Farges 1929 [*2652: 15], Vaillant 1930 [*2634: 639f.,
aber 649f.], Patterson 1997 [*2653: 60–63]). Erst mit der Zeit scheinen sich kriti-
sche Vorbehalte gegen eine zu starke Ineinssetzung der christlichen Lehre mit der
griechischen Philosophie verdichtet zu haben, wobei auch Missverständnisse eine
Rolle gespielt haben mögen, bis er in einem späten Werk, nachdem er Origenes
noch einen «Mann der Kirche» genannt hat (Resur. 1,19,1; vgl. 3,3,2f.; 3,22), die
Konfrontation mit ihm persönlich sucht, um dessen Auffassung von der ewigen
Schöpfung, der Präexistenz der geistigen Wesen und von der Einkörperung der
Seelen nach ihrem Fall sowie dessen spiritualisierende Sicht der Auferstehung des
Leibes zu bekämpfen. Auf dieser Linie läge es, wenn, wie erwogen worden ist, der
Name Kentaur, mit dem in einem der spätesten Werke ein Origenist benannt wird
(Creat. 2,1; 6,1; kaum Origenes selbst), polemisch in seiner mythologischen Bedeu-
tung als eines ungeheuerlichen Zwischenwesens gemeint sein sollte (Patterson 1992
[*2693: 497]; dagegen Bracht 1999 [*2654: 61f.]). Dass Methodios schließlich in
demselben Werk einen Widerruf geleistet habe, wie Sokrates (Hist. eccl. 6,13) be-
richtet, lässt sich aufgrund der spärlichen Überlieferung nicht verifizieren.

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1023

2. Der Ursprung des Bösen und die Konstitution der Schöpfung

Die bedrohliche und doch unabwendbare Jahrhundertfrage der Zeit, woher das
Böse in der Welt resultiere, ist das Thema, dem sich Methodios bereits in seinem
Erstlingswerk ‹De autexusio› gestellt hat und das er bis zu seinen letzten Schrif-
ten nicht mehr aus dem Blick verlieren sollte. Die Diskussionslage, wie dieses Pro-
blem in den zeitgenössischen philosophischen Debatten erörtert wird, machte es
freilich erforderlich, die Frage in den größeren Horizont der Kosmologie zu stel-
len und zu ihrer Beantwortung auf den Ursprung und die Konstitution der Welt
zu rekurrieren. Dass Methodios im Endergebnis einen solchen kosmologischen
Lösungsansatz schließlich verwerfen wird, steht ganz im Einklang mit seiner
schöpfungstheologischen Bejahung der von Gott gut erschaffenen Welt.
Die Schrift (Aut.) ist nicht, wie es Hieronymus (Vir. ill. 83) wollte, gegen Ori-
genes gerichtet – auch die antiken Autoren, die Teile der Schrift ausgeschrieben
haben, haben es nicht so empfunden (vgl. Eusebios, die Kappadokier, Photios u. a.;
Adamantios lässt sie gegen Valentinianer gerichtet sein, so auch Farges 1929
[*2652: 2], Voss 1970 [*2673: 96]) –, sondern sie ist eine Auseinandersetzung mit
mittelplatonischen Positionen (vgl. z. B. Plutarch und Attikos oder Numenios), die
möglicherweise auch in christlichen Kreisen diskutiert und übernommen wurden.
Vieles scheint auf die nur indirekt greifbare Lehre des Hermogenes zu weisen
(Patterson 1997 [*2653: 62]).
Das Gespräch entwickelt sich in freundlicher Atmosphäre zwischen drei Per-
sonen: einem orthodoxen und einem heterodoxen Gesprächspartner sowie dessen
Gefährten, der zu einem späteren Moment (Aut. 4,4) in das Gespräch eingreift.
Beobachtungen und Erfahrungen des menschlichen Verhaltens von Missgunst,
Habgier und Skrupellosigkeit haben ihn, so berichtet der heterodoxe Protagonist,
veranlasst, die Frage nach dem Bösen zu erforschen (Aut. 3,1–5), während er noch
am Vortag angesichts der Schönheit und Ordnung des Kosmos bereit war, den
Weltschöpfer zu preisen und Überlegungen über die wunderbare Verfasstheit der
Welt anzustellen (Aut. 2,1–9). Er sei überzeugt, dass Gott, da er gut ist, das Böse
nicht verursacht haben kann – weder kann es aus ihm kommen, noch kann er es
aus dem Nichtseienden gemacht haben (Aut. 3,7–8).
So bleibe nur die Antwort übrig, dass zusammen mit Gott eine ungeordnet
dahin treibende, qualitäts- und formlose Materie (Plat. Tim. 30a; Epin. 978a–b)
existierte, aus der Gott das Seiende schuf, indem er in weiser Kunstfertigkeit ihre
guten Teile von den schlechten trennte und aus ersteren den Kosmos ordnete. Aus
dem Bodensatz der Materie, der sich zur Schöpfung nicht eignete und den Gott
unbearbeitet gelassen hat, entstammt das Böse und fließt den Menschen zu (Aut.
3,9; vgl. Hermogenes nach Hippol. Ref. 8,17).
Die zweite Position, die vom heterodoxen Gefährten vertreten wird, stimmt mit
der ersten weitgehend überein, nur im Hinblick auf die Bestimmung der Materie
liegt eine Modifikation vor. Die Annahme, dass die Materie von sich aus eigen-
schaftslos ist, sei falsch; eine qualitätslose Materie kann es nicht geben, das wäre
ein Widerspruch in sich. Die Materie hatte vielmehr immer und ewig schon Qua-
litäten, aus denen auch das Böse seinen Ausfluss nimmt (Aut. 9,2f.; problematisch

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1024 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ist die Identifizierung dieser Position mit dem Gegner von Creat. bei Bracht 1999
[*2654: 59–68]).
Der orthodoxe Gesprächspartner widerlegt nun die erste Position, indem er mit
rein philosophischen, wenngleich konventionellen Argumenten zu zeigen sucht,
dass die Grundannahme einer neben Gott existierenden, ungeschaffenen Mate-
rie als eines zweiten Prinzips in unlösbare Aporien führt. Zwei Ungewordene
(ἀγένητα δύα: Aut. 5,1) können nicht zugleich existieren: Entweder sie sind verei-
nigt, dann bilden sie Teile des einen einzigen Prinzips; oder sie sind voneinander
getrennt, dann muss man den Abstand zwischen beiden hinzunehmen und die un-
gewordenen Prinzipien wären drei (ein ähnlicher Gedankengang bei Iren. Haer.
2,1,2); oder das eine ist in dem anderen enthalten (die Materie irgendwie in Gott
oder Gott in der Materie; der Sache nach stoisch; vgl. Tert. Adv. Herm. 44), dann
wäre Gott von der Materie begrenzt und in die Unordnung der Materie hineinge-
zogen oder er wäre räumlich trennbar und würde die Ursache der Unordnung und
des Bösen in sich enthalten (Aut. 5,1–6,4; Pépin 1975 [*2675]). Wenn aber die ur-
sprüngliche Materie qualitäts- und formlos gewesen sein soll, dann muss man an-
nehmen, dass Gott die Eigenschaften erst aus etwas geschaffen habe, was noch
nicht existierte, womit erwiesen ist, dass er auch Substanzen aus dem Nichts zu
schaffen vermag (Aut. 7,1–9). Überdies bliebe, wenn Gott der Urheber der Qua-
litäten ist und das Böse eine Qualität ist, die unhaltbare Konsequenz bestehen,
dass Gott als Schöpfer für das Böse verantwortlich ist (Aut. 8,1–2; vgl. Tert. Adv.
Herm. 14). In diesem Zusammenhang wird auch geklärt, dass das Böse keine Sub-
stanz, sondern die Eigenschaft einer Handlung ist (Aut. 8,4–15; Patterson 1997
[*2653: 40–48]).
Ist soweit für Methodios die Hypothese eines qualitätslosen, zweiten ungewor-
denen Prinzips widerlegt, so steht noch die These vom Bösen als ewiger Qualität
der ungewordenen Materie zur Erörterung an. Im Laufe der Unterredung muss
der heterodoxe Gefährte zugestehen, dass nach seiner Auffassung Gott die
Schlechtigkeit der Materie entweder nicht beseitigen wollte oder nicht beseitigen
konnte (Aut. 10,1–11,8; vgl. Tert. Adv. Herm. 10; 15). Es folgen lange Erörterun-
gen zur Definition des Begriffs der Materie – ob sie eine Zusammensetzung von
Elementen ist, ob das Böse eine für sich bestehende Gattung unabhängig von
ihren Teilen ist –, die wiederum zum Ergebnis führen, dass es die schlechte Ma-
terie als zweites ungewordenes Prinzip nicht gibt. So ist die orthodoxe These be-
wiesen, dass Gott alleine der Ursprung aller Wirklichkeit ist (Aut. 12,1–13,5; vgl.
Patterson 1997 [*2653: 48–52]).
Da nun die Lehre von der Materie als ungewordenem Prinzip in beiden Vari-
anten widerlegt ist, ist der Weg frei für die orthodoxe Antwort auf die Frage nach
dem Ursprung des Bösen, die nicht von einem kosmologischen, sondern von
einem anthropologischen Ansatz ausgeht. Hatte sich schon ergeben, dass das Böse
keine Substanz, sondern die Eigenschaft einer Handlung ist, so nimmt der ortho-
doxe Gesprächsführer nun davon seinen Ausgangspunkt, indem er erklärt, dass
nichts an sich böse ist, sondern nur die Art, wie man von etwas Gebrauch macht
(Aut. 15,1; Symp. 2,5). Daher können nur menschliche Handlungen böse sein, und
der Mensch ist die einzige Ursache des Bösen (Farges 1929 [*2652: 97–101]). Auf

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1025

die Frage, woher dem Menschen der Trieb zum schlechten Handeln komme (Aut.
16,1), antwortet der Orthodoxe aufgrund der Schrift und der Glaubenstradition,
dass der Mensch, einzig unter allen geschaffenen Wesen, mit dem freien Willen
(αὐτεξούσιος) geschaffen ist und daher auch allein frei (ἐλεύθερος) dem göttli-
chen Gebot gehorchen kann, so dass er mit seiner freiwilligen Entscheidung für
das Gute noch höhere Güter verdienen kann (Aut. 16,2. 5). Das heißt nicht, dass
der Mensch zwischen Gutem und Bösem wählt; er wählt, ob er Gott gehorchen
will und das Gute tun oder ob er ihm ungehorsam sein will und das Gute nicht
tun will. Daher lautet Methodios’ Definition: «Dies, nur dies allein ist das Böse,
der Ungehorsam, der einmal einen Anfang genommen hat» (Aut. 17,2).
Der Mensch hatte den Ungehorsam nicht vom Anfang in sich, er hat ihn – wie
die Schrift lehrt – vom Teufel erlernt, der aus Neid den Mensch verderben wollte,
weil er aus seinem eigenen Willen böse geworden ist (Aut. 17,4–5; 19,4). Obwohl
Gott wusste, dass der Teufel sich vom Guten abkehren würde, hat er ihn dennoch
erschaffen, damit den Menschen die Güte Gottes aus dem Vergleich mit dem
Bösen besser kund werde (Aut. 19,6–10). Alle Nachkommen Adams, jeder ein-
zelne Mensch hat von Adam die Entscheidungsfreiheit, das Gute oder das Böse
zu wählen, geerbt (Aut. 16,1). Eine Erbsündenlehre vertritt Methodios nicht
(Bracht 1999 [*2654: 80, 97–105]), aber in jedem Menschen vollzieht sich durch
den Missbrauch seiner Entscheidungsfreiheit, der freilich einen Habitualisierungs-
effekt in Gang setzt, der Sündenfall Adams neu.
Das Schlussergebnis, einerseits mit einem platonischen Vorbehalt (Plat. Tim.
28c), andererseits mit einer göttlich bestärkten Zuversicht vorgetragen, lautet denn
auch, dass Gott um der Menschen willen die Welt aus noch nicht Existierendem
geschaffen hat, weil das Wissen seiner Kunstfertigkeit (τῆς τέχνης ἐπιστήμη) nicht
untätig und seine wesenhafte Güte (τὸ τῇ φύσει ἀγαθὸν ὑπάρχειν αὐτῷ) nicht
nutzlos sein sollten (Aut. 22,3. 6f., vgl. Plat. Tim. 29e–30a). Er verlieh seinen Ge-
schöpfen nicht nur das Sein, sondern den Menschen durch natürliche Offenbarung
auch die Erkenntnis seiner, damit sie ihn verherrlichten (Aut. 22,7f.). Indessen ist
Gott auch vor der Erschaffung der Welt nicht untätig gewesen; denn er betätigte
seine Güte, noch ehe er Schöpfer der Welt war, indem er sich in Gedanken in sich
selbst die Schönheit seines Kunstwerkes vorstellte (Aut. 22,9, was an Phil. Opif.
19 und Orig. Princ. 1,4,4, erinnert; vgl. Patterson 1997 [*2653: 57–60]). Es gibt
nichts, was neben Gott aus sich bestehen könnte, nichts, was die Größe seiner
Macht beeinträchtigen könnte (Aut. 22,10f.). Konventionell ist, wie Methodios mit
stoischem Hintergrund über Aufbau und Gestalt des Kosmos im Einzelnen denkt
(Resur. 2,10; Bracht 1999 [*2654: 37–40, 311–315] und 2012 [*2712: 776f.]).

3. Gottes Heilsökonomie in der Geschichte

Das Thema der Vollkommenheit hat in Methodios’ Gedankenwelt eine zent-


rale Bedeutung, am intensivsten wird es im ‹Gastmahl› behandelt, wo es einge-
bunden ist in die weiträumigen Perspektiven der von Gott geleiteten Heilsge-
schichte. Der Mensch steht für Methodios auf der Grenze zwischen zwei

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1026 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

gegensätzlichen Sphären (Symp. 3,67: ὢν μεταξύ). Auf der einen Seite steht das an
sich Schöne, d. h. die Weisheit Gottes, das Leben, die Unvergänglichkeit – hier
herrscht ἰσότης («Gleichheit»), ἁρμονία («Harmonie»), δικαιοσύνη («Gerechtig-
keit») und φρόνησις («Verstand»); auf der anderen Seite steht die Sünde, der Tod,
die Vergänglichkeit – hier herrscht ἀνισότης («Ungleichheit»), ἀναρμοστία («Dis-
harmonie»), ἀδικία («Ungerechtigkeit») und ἀφροσύνη («Unverstand»). Und je nach
dem, wohin der Mensch sich wendet, an dem erhält er Anteil und wird dahin ver-
wandelt (Symp. 3,66f.). Als Adam, biblisch gesprochen (Ier. 18,3f.), wie aus Ton auf
der Töpferscheibe geschaffen wurde, war er noch formbar; da war er fähig, unsterb-
lich und unverweslich zu werden, aber er war noch nicht so weit fertig geschaffen,
dass der Ton schon erhärtet war (Symp. 3,61). Er war noch nicht vollkommen; er
war nach dem Ebenbild (κατ’ εἰκόνα) Gottes geschaffen – das Ebenbild selbst ist
der Sohn Gottes (Symp. 6,143; Resur. 1,35,2) –, aber er sollte noch in die Ähnlich-
keit (καθ’ ὁμοίωσιν) hineinwachsen (Symp. 1,23 mit Gen. 1,26). Ursprünglich zwi-
schen beiden Sphären angesiedelt, hat sich Adam jedoch der Sünde zugewandt und
verfiel der Sterblichkeit und Vergänglichkeit, wobei der Tod den heilsamen Sinn
hat, der Sünde ein Ende zu bereiten (Symp. 9,242; Resur. 1,42,3. 45,6).
Dass die verschüttete Möglichkeit des Urstandes wieder neu eröffnet wird,
kann nur von Gott her geschehen, und so ist es das Ziel der göttlichen Pädagogik,
die Menschheit auf dem langen Weg der Heilsgeschichte schrittweise zur Vollkom-
menheit zu führen, d. h. den Status, nach dem Ebenbild und der Ähnlichkeit Got-
tes geschaffen zu sein, voll zu realisieren, indem zum «Ebenbild» auch die «Ähn-
lichkeit» hinzutritt (Symp. 1,23; Voss 1970 [*2673: 114–115], Prinzivalli 1998
[*2696: 49–50], Zorzi 2003 [*2701]). Diese Gedanken liegen ganz auf der Linie
eines Irenäus und eines Clemens (Voss 1970 [*2673: 104], Patterson 1997 [*2653:
71–72]); auch für Methodios ist diesem Text zufolge das Heilsgeschehen nicht die
Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes, sondern die Vorwegnahme
der eschatologischen Vollendung, der sich die Menschheit durch die Zeit stufen-
weise annähert (anders Bracht 1999 [*2654: 147ff.], doch ist Methodios’ Auffas-
sung nicht einheitlich). Methodios gibt indessen seinem Verständnis der göttlichen
Heilsökonomie einen eigenen Akzent, wenn er als Mittel, zur geistlichen Vollkom-
menheit zu gelangen, die Reinheit bzw. Keuschheit (ἁγνεία) ansetzt, die nicht vor-
rangig in sexuellen Konnotationen, sondern als Synthese aller christlichen Tugen-
den zu verstehen ist (Zorzi 2009 [*2708]: andere im Dialog benutzte Begriffe wie
«Jungfräulichkeit», «Enthaltsamkeit», «Mäßigkeit» sind im Begriff der Keusch-
heit enthalten, doch drückt dieser eindeutiger sowohl die negative Seite der Be-
freiung von allen Leidenschaften als auch das positive Streben nach vollkomme-
ner Tugend aus). Dasselbe gilt für deren Sonderform, die Jungfräulichkeit:
«παρθενεία ist das durch die Einwohnung Christi von Gott gewirkte Streben
(Sang. 1,6), das den Menschen mit Flügeln der Besonnenheit emporträgt zur
Schau des göttlichen Schönen und zur Unvergänglichkeit (Symp. 8,171, unter An-
spielung auf Plat. Phdr. 247b–c), wo er die Tugenden wie Früchte der Paradieses-
bäume genießt und in sich aufnimmt (Symp. 8,175)» (Bracht 2012 [*2712: 779]).
In seiner pädagogischen Ökonomie kommt Gott der Menschheit immer wieder
entgegen, indem er alles auf die Reinheit und Jungfräulichkeit des Menschen in

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1027

seiner leib-seelischen Gesamtkonstitution hin ordnet. Zuerst musste sich freilich


das Menschengeschlecht vermehren und die Erde gemäß dem Auftrag von Gen.
1,28 anfüllen. Stufenweise sollten die Menschen aber von der Begierde (ἐπιθυμία)
befreit werden, weg vom Inzest, weg von der Polygamie, weg von Ehebruch und
Unzucht hin zu Enthaltsamkeit (σωφροσύνη) und Jungfräulichkeit. Diese letzte
Stufe im Erziehungsplan Gottes, die das Gesetz nicht erreichen konnte (Symp.
10,258f.), hat Christus eröffnet, der ἀρχιπάρθενος (Symp. 1,23. 25; 10,266. 272), der
das jungfräuliche Leben in seiner Person als Ermöglichungsgrund und als Vorbild
verwirklicht (Symp. 1,16–23). Doch, so erklärt die zweite Rednerin, hat Christus
das eheliche Leben und die Zeugung von Nachkommen nicht einfach abgeschafft.
Gegenwärtig ist die schöpferische Tätigkeit Gottes, die sich auf den Menschen in
der Einheit von Körper und Seele bezieht, noch nicht beendet, und das Gebot von
Gen. 1,28 behält weiterhin seine buchstäbliche Bedeutung (Symp. 2,29–31). Selbst
Kinder aus illegitimen Verbindungen werden durch Gottes Schöpferkraft gebildet;
denn nicht das Gesäte ist zu beschuldigen, sondern der zuchtlose Mensch (Symp.
2,34–40). Nichts ist an sich für böse zu halten, es hängt alles am Gebrauch, den
man von etwas macht (Symp. 2,42; vgl. Patterson 1997 [*2653: 74f.]). Zuzugestehen
sei, dass die Jungfräulichkeit den höheren Wert hat (Symp. 2,48), doch will Chris-
tus jedem das ihm Gehörige und Nützliche zuweisen, den einen das noch nicht
Jungfräuliche, den anderen die engelgleiche Umwandlung der Leiber (Symp. 2,49).
Damit hat Methodios zugleich gegen die Leibfeindlichkeit heterodoxer Kreise (wie
etwa von Enkratiten, Markioniten oder Gnostikern; vgl. Patterson 1997 [*2653:
120], Prinzivalli 1998 [*2696]) Stellung bezogen und eine positive, schöpfungstheo-
logische Wertschätzung der Körperlichkeit verfochten. Eine Vermittlung der bei-
den vorgetragenen gegensätzlichen Positionen geschieht in der dritten Rede: Wenn
die Schrift sagt, dass der Mann und sein Weib «ein Fleisch werden» (Gen. 2,24),
soll man das in Bezug auf die Ehe wörtlich verstehen; man muss aber auch den geis-
tigen Sinn aufnehmen, den Paulus meint, wenn er diesen Text auf Christus und die
Kirche bezieht (Eph. 5,31f.; Symp. 3,1–2).
Die hier deutlich werdende geschichtstheologische Konzeption der göttlichen
Pädagogik vertritt Methodios in seinem ganzen Werk (Prinzivalli 1998 [*2696:
49–50]). Grundlegend ist für seine Theologie eine dreistufige geschichtliche Sicht,
wobei sich drei Dimensionen des biblischen Schriftsinns, drei Epochen der Ge-
schichte Israels und drei Entwicklungsstufen der Menschheit entsprechen. Die
drei Dimensionen des Schriftsinns sind gemäß Hebr. 10,1 die von Schatten, Bild
und wahrer Wirklichkeit (Symp. 5,127–129; 9,240f.; Cib. 7,7); die drei Momente
der Geschichte Israels sind die Knechtschaft in Ägypten, der Weg durch die Wüste
und der Eingang in das gelobte Land (Symp. 9,254); und die drei Epochen der Ge-
schichte der Menschen sind das irdische Leben in der von der Sünde verursachten
Sterblichkeit, die Auferstehung in der Einheit von Leib und Seele in einem chili-
astischen Zwischenreich (der Gedanke nur hier, dazu Mazzucco 1986 [*2690], Pat-
terson 1993 [*2695]) und die endgültige, eschatologische Vollendung in Unsterb-
lichkeit und Unverweslichkeit.
Am deutlichsten wird dieser Komplex in der allegorischen Auslegung der Feier
des Laubhüttenfestes (Lev. 23,39–43) in der neunten Rede entwickelt (Patterson

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1028 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

1997 [*2653: 105–113]). Die Juden werden getadelt, weil sie nur den wörtlichen
Sinn des Textes annehmen und ihn irrtümlich auf die Vergangenheit beziehen
(Symp. 9,235. 239), während er, wie das ganze Gesetz, Schatten des zukünftigen
Bildes, des Evangeliums, ist, das seinerseits Bild der Wahrheit ist, die sich in der
eschatologischen Vollendung verwirklichen wird (Symp. 9,240). Die acht Tage des
jüdischen Festes, in Analogie zu den Schöpfungstagen gesetzt, sind ein Schatten
von acht kosmischen Zeitaltern. Der siebente Tag ist der Tag der Auferstehung,
der «Wiederherstellung und Verfestigung unseres in die Erde gefallenen Zeltes»
(Symp. 9,236), wenn der Leib in seiner physiologischen Beschaffenheit unsterb-
lich in der neuen und unvergänglichen Schöpfung wiederum ersteht: Es ist auch
der Tag des Gerichts, wo die Gerechten nach ihren Werken befragt werden (Symp.
9,243. 254); und es ist der Tag der Ruhe und der Festfreude mit Christus (Symp.
9,236–238). Doch auf den siebenten Tag folgt noch der achte. Dann, nach dem
wahren Sabbat, werden die Geheiligten, Jesus folgend, der die Himmel durch-
schritten hat (Hebr. 4,14), weiterziehen in das gelobte Land, den Tempel, die Stadt
Gottes, zu noch herrlicherer Freude; das Leibeszelt wird verwandelt werden zu
engelhafter Größe und Schönheit, d. h. zu definitiver Unvergänglichkeit und Voll-
kommenheit, und sie gelangen endlich zu größeren und besseren Orten, in das
Haus Gottes über den Himmeln, das in Jubelklang und Dankesschall feiert
(Symp. 9,253–255; Bracht 1999 [*2654: 321–330]).

4. Die Anthropologie und die Lehre der Auferstehung

Die Thematik der Auferstehung hat Methodios in der späten und sehr umfang-
reichen Schrift ‹Aglaophon oder über die Auferstehung› (Resur.) noch einmal
aufgenommen und in einer eingehenden, im Stil sachlichen, aber entschiedenen
Auseinandersetzung mit platonisierenden Christen, welche die leibliche Auferste-
hung leugnen, weitergeführt. Möglicherweise stand auch Porphyrios’ Kritik an der
christlichen Auferstehungsvorstellung im Hintergrund (Becker 2016 [*2282: 284]).
Er hat dabei zugleich entscheidende Grundkoordinaten der Anthropologie klar
markiert.
Die Position des ersten Unterredners, der gegen die Auferstehung des Leibes
Stellung bezieht, besteht darin, dass der am Anfang von Gott geschaffene Mensch
unkörperlich war (Resur. 1,4,2); der Leib sei das Fellkleid, das Gott den Stamm-
eltern nach ihrem Fall gab (Gen. 3,21), um sie für ihren Ungehorsam zu bestrafen
(Resur. 1,5,6). Für die Seele sei er deshalb ein Gefängnis, eine Fessel (Plat. Phaed.
67d; Phdr. 250c) und ein Grab (Plat. Crat. 400b–c; Gorg. 493a). Während die Seele
alleine die Sünde nicht kannte (Resur. 1,5,1), sei sie nach der Einkörperung wegen
des Leibes von Leidenschaften, Bedürfnissen und Irrtümern angefüllt (Resur.
1,4,6–9. 5,3). Von den Bibelstellen, die diese These bestätigen sollen, sind die wich-
tigsten Lam. 3,34, Rm. 7,9 und Mt. 22,30 (diese werden auch von Origenes be-
nutzt, aber nicht in dem hier gemeinten Sinn: Orbe 1969 [*2671], Patterson 1997
[*2653: 152]). Eine Auferstehung des Leibes wäre daher völlig unangemessen. Sie
würde die Seele nach ihrer Befreiung noch einmal in dieselben Leidenschaften

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1029

und Übel werfen, die sie vorher erlitten hat (Resur. 1,6,2–7,2). Und es ist völlig un-
vorstellbar, dass unser Leib auferstehen sollte, während Himmel und Erde und
die ganze Schöpfung vergehen (Resur. 1,8 mit Ps. 101,27; Ies. 51,6; Mt. 24,35;
I. Cor. 7,13). Die leibliche Auferstehung ist aber auch unmöglich. Jeder Körper
befindet sich in ständigem Fluss, und auch die Elemente, aus denen er zusammen-
gesetzt ist, gehen gegenseitig das eine in das andere über (Resur. 1,9). Angesichts
dessen ist unser Leib nie mit sich selbst identisch, obwohl die äußere Form die-
selbe bleiben mag (Resur. 1,10), und es lässt sich gar nicht angeben, welcher Leib
auferstehen sollte, wie es auch ungerecht wäre, wenn ein bestimmter Leib gesün-
digt hätte und ein anderer bestraft würde (Resur. 1,11). Am Ende der Rede steht
nach einer ganzen Serie von Pauluszitaten die Behauptung, dass «Fleisch und Blut
das Reich Gottes nicht ererben werden» (I. Cor. 15,50); nur unser Geist wird sich
mit dem, was ihm verwandt ist, vereinigen (Resur. 1,12).
Der zweite Unterredner entwickelt das zuletzt vorgebrachte Argument weiter.
Wenn sich der aus den vier Elementen zusammengesetzte Leib im Tod wieder in
seine Bestandteile auflöst und jedes Element in die Masse, aus der es kam, zu-
rückkehrt und mit ihr eine völlig homogene Substanz bildet, dann ist es unmög-
lich, dass derselbe Leib mit denselben Elementen wiederhergestellt werden könnte
(Resur. 1,14–15). Man kann höchstens sagen, dass ein ähnlicher Leib auferstehen
wird, was aber zu der widersinnigen Konsequenz führt, dass ein Leib handelt und
ein anderer – obwohl ähnlicher – Leib Lohn oder Strafe dafür empfangen wird
(Resur. 1,16 –17). Das Fazit ist wiederum, dass, wie schon Paulus in I. Cor. 15,44
sagte, die Auferstehung in einem geistigen Leib geschehen wird, der dieselbe
äußere Form, aber nicht dieselbe Substanz des fleischlichen Leibes haben wird,
und, um diese Behauptung zu bekräftigen, führt der Dialogpartner einen langen
Auszug aus Origenes’ Auslegung von Ps. 1,5 an (Resur. 1,20–24).
Wie sich die Thesen der beiden heterodoxen Sprecher zu Origenes’ Auferste-
hungslehre verhalten, ist unterschiedlich gedeutet worden (Crouzel 1972 [*2674:
707–710], Vitores 1981 [*2683: 17–20], Prinzivalli 2002 [*2699: 105–116]), doch
lässt sich mit Sicherheit sagen, dass Origenes’ Standpunkt nicht mit dem hier ent-
wickelten identisch ist. Nicht nur werden die aufgebotenen Bibelstellen in jeweils
anderer Bedeutung benutzt, der Unterschied lässt sich auch sehr genau am Begriff
der «körperlichen Form» (εἶδος σωματικόν: Resur. 1,24,4) fassen. Während er von
Origenes im Sinne des eigentlichen Individuationsprinzip des Einzelwesens ge-
braucht wird, steht er hier für die äußere Gestalt (σχῆμα, μορφή) des Leibes
(Resur. 1,25,4–5. 7). Die spätere Widerlegung (Resur. 3,1–4) richtet sich gegen
diese Umdeutung, die wahrscheinlich in zeitgenössischen origenistischen Kreisen
vertreten wurde (Patterson 1989 [*2691: 223–224], Prinzivalli 2002 [*2699: 112–
114], Mejzner 2011 [*2711]).
Gegen diese platonisierenden, leibfeindlichen Thesen ergreifen zwei orthodoxe
Gesprächspartner und schließlich Methodios selbst das Wort, um die gegnerischen
Positionen zu widerlegen und ihnen die rechtgläubige Lehre, dass die zukünftige
Auferstehung die ganze psychisch-leibliche Einheit des Menschen betrifft, entge-
genzusetzen (Patterson 1997 [*2653: 156–161]). Der erste Gegenredner bezieht
sich auf die exegetischen Grundlagen der Kontroverse, der zweite auf das Argu-

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1030 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

ment des beständigen Wechsels der leiblichen Substanz. Doch an erster Stelle geht
es darum, den Widerspruch, in den sich der erste Redner verstrickt hat, aufzude-
cken, wenn er einerseits behauptet, dass die Einkörperung die Strafe für voran-
gegangene Sünden sei, und andererseits annimmt, dass der Körper selbst die Ur-
sache des Bösen sei (Resur. 1,29–32). Damit ist implizit bereits die Vorstellung
einer präexistenten Seele hinfällig geworden. In Wahrheit, und damit geht der Ge-
genredner zum exegetische Teil über, verhält es sich so, dass gemäß dem biblischen
Schöpfungsbericht der Mensch, wie er von Gott geschaffen ist, weder eine Seele
ohne Leib noch ein Leib ohne Seele ist, sondern ein ‘compositum’ aus Seele und
Leib zu einer Gestalt (τὸ ἐκ συστάσεως ψυχῆς καὶ σώματος εἰς μίαν τοῦ καλοῦ
μορφὴν συντεθέν: Resur. 1,34,4, vgl. Athenag. Resur. 15,2; 21,2). Der biblische
Schöpfungsbericht zeige weiter, dass der Mensch dadurch ausgezeichnet ist, dass
er als einziges Wesen direkt von Gottes Händen geschaffen ist und Gott persön-
lich ihm den Lebensodem eingeblasen hat, während alle anderen Arten von Le-
bewesen die Elemente hervorbringen sollten (Resur. 2,34,3. 5). Man darf also die
beiden Perikopen Gen. 1,26f. und Gen. 2,7 nicht getrennt lesen, und es geht nicht
an, die eine Stelle auf die Seele und die andere auf den Leib zu beziehen; dazu
kommt nun noch als Kardinalbeleg Sap. 2,23 (Resur. 2,36,2. 50,4; 2,24,4). Damit
hängt zusammen, dass Methodios die Vorstellung einer unkörperlichen Seele ab-
lehnt. Nur Gott ist unkörperlich, die Seele ihrerseits ist ein «geistiger Leib»
(νοερὸς σῶμα) mit einer bestimmten Gestalt (Resur. 3,18,4; hier auch die Zurück-
weisung der neuplatonisch-origeneischen Theorie vom ὄχημα τῆς ψυχῆς, dem See-
lenwagen; vgl. Mejzner 2011 [*2711: 910–915]). In dieser einzigartigen Weise der
Erschaffung liegt die Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet, nämlich dass
er – und hier ist nun eine Modifikation gegenüber Symp. 1,23 und 6,133f. zu kon-
statieren – in seiner leib-seelischen Einheit als genaue Nachahmung nach dem
Ebenbild und der Ähnlichkeit, d. h. nach beidem ineins, gebildet ist (Gen. 1,26 in
Resur. 2,34,5. 35,4). Diese besteht in der Unsterblichkeit: Da Gott unsterblich ist
– so erklärt der orthodoxe Unterredner –, muss notwendigerweise auch das von
ihm selbst ins Werk Gesetzte unsterblich sein, weil es ja ein Werk der Unsterblich-
keit ist (Resur. 1,34,2f.; das Argument erinnert an Plat. Tim. 41c). Sterblich gewor-
den ist der Mensch erst durch seinen Ungehorsam, und die Fellkleider, die Gott
den Stammeltern nach dem Fall gab (Gen. 3,21), waren nicht der fleischliche Leib,
sondern die Sterblichkeit (Resur. 1,33,3). Der Tod ist die Sündenstrafe, die den
Verlust der ursprünglichen Ebenbildlichkeit des Menschen bedeutet, er hat aber
auch die heilsame Wirkung, dass das Böse nicht für immer über den Menschen
herrscht (Resur. 1,40; wie schon Symp. 9,242–243; Bracht 1999 [*2654: 121–137])
und der Mensch durch die Auferstehung in seiner ursprünglichen Unverderblich-
keit wiederhergestellt werden kann (Resur. 1,50. 54,4. 60,1). Der auferstandene
Mensch wird mit dem geschichtlichen völlig identisch sein, nur dass er dann, gänz-
lich befreit von der Last der Leidenschaften und der Sünde, «an der Herrlichkeit
Gottes teilhaben wird» (Resur. 3,16,1; Bracht 1999 [*2654: 304–306]).
In diesem Zusammenhang hat Methodios die Thematik des Bösen aus seiner
Frühschrift (Aut.) wieder aufgegriffen, die er jetzt angesichts der Tatsache, dass
die Sünde im irdischen Leben eines Christen nicht völlig ausgerottet wird, und im

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1031

Licht der Aussagen des Apostels Paulus in Rm. 7 vom Zwiespalt des Menschen
unter dem Gesetz anthropologisch durch eine ausgearbeitete, auf stoisches Mate-
rial rekurrierende Handlungstheorie vertieft (Resur. 1,42–2,8; Bracht 1999 [*2654:
83–94] und 2012 [*2712: 777f.]).
Es steht noch der zweite gegnerische Haupteinwand zur Widerlegung an, dass
der beständige Wechsel der leiblichen Substanz die Auferstehung eines Menschen
in seiner identischen Leiblichkeit unmöglich mache, eine Aufgabe, die der zweite
orthodoxe Gegenredner übernimmt, wobei er sich mehr auf philosophische und
naturwissenschaftlich-medizinische Beobachtungen stützt (Patterson 1997 [*2653:
162–170]). Er argumentiert, dass die Auffassung, wonach der Leib ein ständiger
Fluss von immer abfließenden und neu hinzufließenden Stoffen sei, falsch ist. Das
All besteht aus den vier Elementen, und ebenso der Mensch als Mikrokosmos, wie
Hes. 1,10 zu entnehmen sei, nicht aus zufälligen Zusammensetzungen von Atomen,
Massen, Amerien oder Homoiomerien, wie Demokrit und Epikur wollten (Resur.
2,10,1–7). Man müsse aber zwischen den Elementen, die den Leib bilden und
immer dieselben bleiben, und Flüssigkeiten, die aus der Ernährung gezogen wer-
den und immer neu sind, unterscheiden. Daher kommt es, dass eine Krankheit, die
von einer Gleichgewichtsstörung der körperlichen Flüssigkeiten verursacht wird,
heilbar ist, während ein Schaden oder eine Verminderung der eigentlichen Grund­
elemente des Leibes (z. B. durch eine Amputation) nicht heilbar ist (Resur. 2,2,12–
13). Auch das berüchtigte Problem der «chain consumption» wird kurz behandelt.
Die Elemente eines Leibes können für einen anderen Leib Nahrung werden, indem
sie sich in Flüssigkeiten umwandeln, die dem Leben des anderen Leibes dienen,
aber sie können nicht wesentlicher Bestandteil eines anderen Leibes werden
(Resur. 1,20,4: im Origenes-Exzerpt 2,26,5; vgl. Athenag. Resur. 4,1–4; Patterson
1997 [*2653: 158 Anm. 23]). Das durchschlagende Argument freilich, dem gegen-
über alle naturphilosophischen Theorien gleichermaßen unerheblich sind (Resur.
2,30,1–9), ist der Rückbezug auf den Willen und die Allmacht Gottes. Wie Gott
alles aus dem Nichts geschaffen hat, so will und vermag er auch, die gestorbenen
Leiber zur Unsterblichkeit aufzuerwecken (Resur. 2,19,2. 20,9. 29,2).
Das letzte Buch schließlich führt, ohne die szenische Fiktion des Dialogs bei-
zubehalten, zur direkten Konfrontation mit Origenes unter Bezug auf das früher
aufgenommene Exzerpt aus Origenes’ Auslegung zu Ps. 1,5. Methodios’ Kritik
betrifft die Begriffe der «körperlichen Form» (εἶδος σωματικόν) und des «geistigen
Leibes» (σῶμα πνευματικόν: I. Cor. 15,44), und er fasst die beanstandete orige­
neische Lehre dahingehend zusammen, dass «nicht dasselbe Fleisch wiederher-
gestellt wird, […] sondern auferstehen wird die so oder so beschaffene Gestalt
(μορφή) eines jeden, gemäß der jetzt das Fleisch kennzeichnenden Form (εἶδος),
indem diese [sc. die μορφή] auf einen anderen geistlichen Leib aufgeprägt wird,
damit ein jeder als derselbe erscheint nach der Gestalt (κατὰ τὴν μορφήν)» (Resur.
3,3,4). Erläutert wird das damit, dass der materielle Leib stets fließend sei und nie-
mals bei sich bleibe, sondern ein steter Wechsel der materiellen Grundlage um die
die Gestalt prägende Form, die das äußere Aussehen (σχῆμα) bedingt, stattfinde.
Dagegen stellt Methodios mit großem argumentativen Aufwand seine Gegen­
position, dass der Leib wesentlich zum Menschen gehört und die Form, von der

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1032 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Origenes spricht, gar nicht von der Substanz getrennt werden kann. Es treffe nicht
zu, dass das Fleisch stets fließend ist, aber die Form identisch bleibt, was man an
der äußeren Erscheinung eines Menschen in der Abfolge der Lebensalter sehen
kann (Resur. 3,3,7f.). Die Form des Fleisches geht notwendigerweise beim leib­
lichen Tod mit dem Fleisch zugrunde, wie das äußere Ansehen einer Statue zu-
grunde geht, wenn die Statue eingeschmolzen wird (Resur. 3,6,1). In detaillierter
Prüfung, in wie vieler Hinsicht man sagen kann, dass etwas von etwas getrennt
wird, widerlegt Methodios die Annahme, dass die Form im Tod vom Fleisch abge-
trennt werden könnte (Resur. 3,6,2–5); Qualitäten sind überhaupt nicht καθ’
ὑπόστασιν von dem zugrunde liegenden Substrat trennbar. So ist es haltlos zu
sagen, die Form auferstehe ohne Beeinträchtigung, aber der Leib, in den die Form
eingeprägt war, gehe zugrunde (Resur. 3,6,6). Und wenn man sagt, dass die Form
in einen pneumatischen Leib versetzt werde, dann ist die Form nicht mehr jene, die
ursprünglich dem Fleisch zugehörte, sondern nur eine ähnliche (Resur. 3,6,7–11).
Es folgt noch eine große Zahl biblischer Gegenbeweise – wichtig darunter ist
die Richtigstellung, wie der Ausdruck «geistiger Leib» (I. Cor. 15,44) zu verstehen
ist: Der geistige Leib besteht nicht aus einem feineren Stoff als der natürliche Leib,
sondern heißt so, weil er vom Heiligen Geist erfüllt und geheiligt wird (Resur.
3,16,9). Aber entscheidend ist für Methodios’ Auseinandersetzung mit Origenes
die skizzierte begriffliche Argumentation. Sie zeigt, dass er den Terminus εἶδος
σωματικόν («körperliche Gestalt») in Abweichung von Origenes gleichbedeutend
mit σχῆμα («Gestalt») und μορφή («Form») im Sinne der äußeren Gestalt ge-
braucht. Origenes verstand das σωματικὸν εἶδος im platonischen Sinn als Indivi-
duationsprinzip – sei es im materiellen, sei es im körperlosen Zustand –, das einer
ständig fließenden Unterlage eingeprägt ist und das den geistigen Auferstehungs-
leib, angesichts dessen qualitativer Verwandlung, in allen individuellen Zügen des
Menschen bestimmen wird. Methodios versteht es, wie es wahrscheinlich in ori-
genistischen Kreisen schon vorgebildet war, stark simplifizierend, als Qualität
eines Stoffes (Patterson 1989 [*2691: 223–224], Prinzivalli 2002 [*2699: 97–100,
112f.], Mejzner 2011 [*2711]).

5. Späte Polemik gegen die Annahme einer ewigen Schöpfung

In einem der spätesten Dialoge, von dem nur wenige Bruchstücke bei Photios
überliefert sind, nämlich in Ξένων ἢ περὶ τῶν γενητῶν (‹De creatis›), setzt sich Me-
thodios in polemisch aggressivem Stil mit Origenes, wie Photios angibt, oder an-
dernfalls mit origenistischen Gegnern hauptsächlich über die Schöpfungslehre
auseinander, wobei die Mitewigkeit des Alls mit Gott strittig ist. Tatsächlich ent-
sprechen die Thesen, gegen die er ankämpft, keineswegs dem, was Origenes ver-
treten hat, und ob sie wirklich von origenistischen Epigonen vertreten wurden,
bleibt ungewiss. In Methodios’ Augen sind es aber Implikationen, die sich notwen-
dig aus Origenes’ Lehre ergeben, und die Konfrontation soll nicht zuletzt auch
dazu dienen, die eigene Position zu profilieren (Patterson 1992 [*2693] und 1997
[*2653: 212ff.]). Über das Wesen Gottes hat sich Methodios sehr selten geäußert,

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§ 103. Methodios (Bibl. 1136–1139) 1033

aber wichtige Gottesprädikate sind für ihn «vollkommen» (τέλειος) und «bedürf-
nislos» (ἀπροσδέης), in dem Sinne, dass Gott immer in der Fülle seiner selbst (τὸ
ἑαυτοῦ πλήρωμα) bleibt (Creat. 3,1f.), und auf diesem Wege kann er zeigen, dass
der vollkommene und bedürfnislose Gott, um allmächtig zu sein, keinen äußeren
Gegenstand braucht, über den er seine schöpferische Tätigkeit ausüben müsste
(Creat. 3,1–3; Bracht 2009 [*2706] sowie 1999 [*2654: 17–19]). Dabei greift er sein
Gegenüber besonders wegen der Annahme an, dass ein Wesen entweder ohne An-
fang und daher ewig sei oder einen zeitlichen Anfang haben müsse (wenn auch in
einer von der teilbaren kosmischen Zeit unterschiedlichen Zeitlichkeit: Patterson
1966 [*2670: 247]). Daraus folgt seiner Ansicht nach notwendig, dass sein Gegner,
da er die Unzeitlichkeit der Schöpfung lehrte, sie für ewig hielt (Creat. 7). Metho-
dios scheint die origeneische Unterscheidung zwischen ontologischer Abhängig-
keit und zeitlichem Späterkommen nicht wahrgenommen oder als irrelevant be-
trachtet zu haben. So deutet er Origenes, als hätte er eine dualistische Lehre
vertreten – Gott könnte nicht einziges, absolutes Prinzip aller Wirklichkeiten sein,
weil die Schöpfung mit ihm gleichewig wäre –, was für ihn haltlose Blasphemie
ist. In diesem Zusammenhang kommt Methodios auch auf die Schöpfungsmitt-
lerschaft der Weisheit (Prov. 8,2) bzw. des Logos (Ioh. 1,3) zu sprechen. Während
der Vater, der durch seinen bloßen Willen aus dem Nichts schafft, «der anfangs-
lose Anfang», die ἄναρχος ἀρχή ist, ist der Sohn, der die Schöpfung ordnet und
schmückt, der Anfang, der aus dem Vater hervorgesprossen ist (Creat. 9,11,3). Das
Verhältnis ist inferioristisch gedacht, aber auf die Seite der Geschöpfe hat Metho-
dios den Sohn auf keinen Fall stellen wollen (Sang. 7,3f.; Bracht 1999 [*2654: 30–
37]), schreibt er ihm doch die gleiche Macht wie dem Vater (Creat. 9: der Sohn als
die allmächtige und kraftvolle Hand des Vaters) und das ewige Sein beim Vater
zu (Symp. 3,60; 7,149: πρὸ αἰώνων; Symp. 8,19f.: ἀορίστως […] καὶ ἀχρόνως). Die
Zielscheibe, die getroffen werden soll, ist wiederum die These von der Mitewig-
keit der Schöpfung (Cvetkovic 2011 [*2710]). Hier liegt wahrscheinlich der Grund,
weshalb wenige Jahre später Methodios’ Kritik an Origenes von den Arianern auf
die Zeugung des Sohnes bezogen wurde (Patterson 1997 [*2653: 214–220] sowie
1966 [*2670] und 1982 [*2684]).

4. NACHWIRKUNG

Methodios’ Nachwirkungen gehen in verschiedene, nicht selten gegensätzliche


Richtungen. Zahlreiche altkirchliche Schriftsteller haben ihn im anerkennenden,
positiven Sinn als Gewährsmann für die Lehre der ‘creatio ex nihilo’, der Willens-
freiheit und der Auferstehung rezipiert (siehe die Testimonia bei Bonwetsch 1917
[*2632: IX–XVII]), bisweilen auch unter anderem Namen, was zeigt, dass Urhe-
berschaft und Zielsetzung einiger seiner Werke am Ende des 4. Jahrhunderts un-
klar waren (Patterson 1997 [*2653: 23]). Dank seiner asketischen Spiritualität ist
er besonders von Gregor von Nyssa und im östlichen Mönchtum geschätzt wor-
den. Bekannt geworden ist er aber vor allem als ein namhafter Vertreter der Aus-
einandersetzungen, die in den Jahrzehnten nach Origenes’ Tod um bestimmte

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1034 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Themen seiner Theologie, die Protologie und die Eschatologie, aufkamen. Die
antiorigenistische Kampfschrift ‹De engastrimytho› des Eustathios von Antio-
chien hat wohl auf die verlorene Schrift ‹De Pythonissa› des Methodios zurück-
gegriffen (Patterson 1997 [*2653: 5f. Anm. 10], Bienert 2003 [*2700: 841]). Und es
ist dem Einfluss des Hieronymus zuzuschreiben, dass er als Vorreiter der ersten
Stunde im Kampf gegen den Origenismus galt. Zumindest indirekt hat Metho-
dios’ Bild noch zu den Frontbildungen der origenistischen Streitigkeiten und den
Verurteilungen des 4. und 6. Jahrhunderts beigetragen (Riggi 1985 [*2688],
Dechow 1992 [*2692: 509], Patterson 1997 [*2653: 4–7]). Zudem scheint es, dass
er in gewisser Hinsicht den Hintergrund für den Arianismus vorbereitet hat. Zwar
ist ein direkter Einfluss schwer nachweisbar (nach Patterson 1997 [*2653: 218]; je-
doch kannte Areios die Schriften von Methodios), doch lassen sich gewisse Spit-
zensätze des Areios als logische Folgerungen verstehen, die sich aus Prämissen bei
Methodios ergeben konnten, wenn man sie aus ihrem kosmologischen Kontext
löste (Williams 1992 [*2694: 683], Patterson 1997 [*2653: 214–220] sowie 1966
[*2670] und 1982 [*2684]). Diesbezügliche Verdächtigungen mögen die Überlie-
ferung einiger Werke beeinträchtigt haben. Dass in der Mitte des 9. Jahrhunderts
eine Sammlung von Methodios-Schriften existiert haben muss, lässt sich aus den
Bruchstücken bei Photios erschließen (Bonwetsch 1917 [*2632: XV, XXV]), aber
danach ist es nicht mehr zu einer einheitlichen griechischen Gesamtüberlieferung
gekommen. Nur im altslawischen Sprachbereich existiert ein Corpus Methodia-
num, das zwar den vollständigsten Bestand enthält, aber auch nicht alle heute be-
kannten Werke umfasst. Die sehr getreue Übersetzung aus dem 10. Jahrhundert
geht wahrscheinlich auf den Wunsch zurück, ein Abwehrmittel gegen die dualis-
tische Lehre der Bogomilen zur Hand zu haben (Dujcev 1977 [*2678], Patterson
1997 [*2653: 24f.]). Die neuzeitliche Beschäftigung mit Methodios setzt mit der
Einzeledition des griechischen Textes von ‹De autexusio› durch Johannes Meur-
sius (Leiden 1619) ein, gefolgt von einer ersten Gesamtausgabe (noch ohne das
‹Symposium decem virginum›) von Francois Combefis (Paris 1644) und der ers-
ten Edition des ‹Symposium decem virginum› durch Leo Allatius (Rom 1656).
Ein Jahr später, 1657, veröffentlichte Petrus Possinus in Paris eine Gesamtausgabe
unter Einschluss von Symp. Die erneuerte Gesamtausgabe von Francois Combe-
fis (Paris 1672) hat Eingang in die Patrologia Graeca von Jacques Paul Migne (PG
18, Paris 1857) gefunden. Doch erst die Entdeckung der altslawischen Version, pu-
bliziert von Jean-Baptiste Pitra, Paris und Venedig 1883, erlaubte es, aus den ver-
schiedensten Fragmenten das Gesamtwerk in seiner literarischen Struktur und
seiner argumentativen Eigenart zu rekonstruieren. Die heute maßgebliche Aus-
gabe stammt von Bonwetsch 1917 [*2632].

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§ 104. Minucius Felix (Bibl. 1139–1141) 1035

VI. DIE LATEINISCHEN APOLOGETEN

§ 104. Minucius Felix

Marc-Aeilko Aris und Stefan Müller

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Über die Biographie des Marcus Minucius Felix ist nur bekannt, was sich sei-
nem Werk entnehmen lässt. Zeitgenössische externe Testimonien fehlen gänzlich,
von den Hinweisen bei Laktanz (Inst. 1,11,55; 5,1,21–22) abgesehen. Nach Oct. 1,4
ist er als Heide aufgewachsen und später zum Christentum konvertiert. Aus Af-
rika stammend war er in Rom als Anwalt tätig (Oct. 2,1. 3; vgl. Lact. Inst. 5,1,22
und von diesem abhängig Hier. Vir. ill. 58). Seine Lebenszeit ergibt sich nur nähe-
rungsweise aus der Erwähnung des nach 176 gestorbenen Marcus Cornelius
Fronto (Oct. 9,6; vgl. Beaujeau 1964 [*2720: 88f.]), aus der nach 197 zu datieren-
den breiten Rezeption des ‹Apologeticum› Tertullians (Beaujeau 1964 [*2720:
LIV–LXVII], Becker 1967 [*2733: 74–94]) sowie aus der frühestens nach 304 er-
folgten Erwähnung bei Laktanz und der wahrscheinlich gemachten Rezeption bei
Cyprian (vgl. Beaujeau 1964 [*2720: LXVII–LXXIV], Becker 1967 [*2733: 95f.]).
Daraus lässt sich für die Werkentstehung das Jahr 246 als Terminus ante quem
sowie als Lebenszeitraum die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts erschließen.

2. WERK

Das einzige erhaltene Werk des Minucius Felix, 5–13) und die des Christen Octavius (Oct. 16–38).
der nach dem Vorbild Ciceros (vgl. zuletzt Fre- Ausgangspunkt der Rahmenhandlung ist die Er-
douille 2004 [*2769: 48], Powell 2007 [*2790], innerung an den jüngst verstorbenen Octavius, der
Schubert 2012 [*2742: 825]) gestaltete Dialog ‹Oc- anlässlich eines Besuchs in Rom gemeinsam mit
tavius›, ist als das achte Buch von Arnobius’ ‹Ad- dem Ich-Erzähler (d.h. Marcus Minucius Felix)
versus nationes› in zwei Handschriften überliefert, einen Ausflug nach Ostia unternimmt, wo sie Zeu-
von denen die jüngere (Brüssel, Bibliothèque Ro- gen einer religiösen Geste des Caecilius werden,
yale, cod. lat. 10847, 11. Jh.) eine Abschrift des im mit der dieser das Standbild des Serapis ehrt. Oc-
9. Jahrhundert entstandenen Codex Parisinus tavius nimmt diese religiöse Geste zum Anlass,
(Paris, Bibliothèque Nationale de France, cod. lat. Minucius mangelndes Engagement im Sinne einer
1661) darstellt. Das Werk ist klar in eine Rahmen- in der römischen Oberschicht verbreiteten skepti-
handlung (Oct. 1–4; 14–15; 39–40) und zwei schen Position vorzuwerfen, da er es bislang ver-
Reden gegliedert, die des Heiden Caecilius (Oct. säumt habe, seinen Freund Caecilius aus den kul-

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1036 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

tischen Konventionen der römischen Religion und nitatur», «insofern […] euer Wortstreit nach der
damit aus der «Blindheit volkstümlicher Bräuche» Wahrheit strebt»). Die Themen des Dialogs wer-
und seinem Irrtum zu befreien (Oct. 3,1; vgl. Schu- den durch die kürzere Rede des Caecilius vorge-
bert 2012 [*2742: 817]). Pikiert über diese Bemer- geben, der seine Kritik am Christentum in drei
kung des Octavius besteht Caecilius darauf, die Argumentationsschritten entwickelt, an denen
unterschiedlichen Auffassungen nach der Art sich wiederum die apologetische Entgegnung des
eines durch einen Schiedsrichter präsidierten Ge- Octavius orientiert. Das abschließende Urteil des
richtsverfahrens auszutragen. Mit der Einführung Schiedsrichters unterbleibt, da Caecilius sich
der Rolle eines Schiedsrichters, die zudem von sei- zuvor als Christ bekennt. Durch die Aussparung
nem literarischen Ich erst übernommen, dann des Urteilsspruches lässt Minucius Felix den Dia-
aber gar nicht ausgeübt wird, schafft Minucius log trotz der Zustimmung des Caecilius offen
Felix das narrative Dispositiv, das erzählerisch die enden und markiert diesen Umstand im Text,
Voraussetzung für die beiden Reden darstellt. Zu- indem auf die Fortsetzung des Gesprächs am
gleich instituiert er mit der Rolle des Skeptikers nächsten Tag verwiesen wird, die für die vollstän-
Caecilius Cicero als die Matrix, auf der sein Text dige Unterweisung des Caecilius notwendig ist
als Ganzer rezipiert werden soll (Gärtner 1995 (Oct. 40,2: «perfectae institutioni necessaria»).
[*2760: 142–145]). Die nach den Regeln der Rhe- Mit der literarischen Inszenierung seines Endes
torik geführte, dem Schema der Gerichtsrede fol- wird der Dialog als Protreptik offensichtlich, die
gende Auseinandersetzung (Schubert 2012 [*2742: am Muster der Dialoge Ciceros modelliert ist und
810]), die den Gegenstand des Dialogs bildet, steht zugleich die für Cicero charakteristische Position
unter dem Anspruch, als ein Gespräch unter der wechselseitigen Verwiesenheit von ‘eloquen-
Freunden die Wahrheit in logischen Schritten ar- tia’ und ‘philosophia’ zugunsten der ‘philosophia’
gumentativ aufzubauen (Oct. 4,4: «conserere sapi- überwindet, diese aber mit der christlichen Auf-
entiam», «um die Weisheit streiten») und zu erken- fassung und Lebenspraxis als der wahren Philoso-
nen (Oct. 14,2: «cum […] veritati disceptatio vestra phie konvergieren lässt.

3. LEHRE

Der ‹Octavius› des Minucius Felix ist kein genuin philosophischer Text, und der
Autor selbst inszeniert sich in seinem Text nicht als Philosophen. Gleichwohl
schreibt sich der Text, vor allem durch die Anlehnung an die Dialoge Ciceros
(Form des Dialogs, Freundschaftsmotiv, akademische Skepsis, kultischer Tradi­
tionalismus), in den philosophischen Diskurs ein, der für das gehobene Bürger-
tum der spätantiken Gesellschaft vorausgesetzt werden muss (Schubert 2012
[*2742: 819f.]). Diese intertextuelle Profilierung des Dialogs legt es nahe, ihn nicht
nur als Apologie, sondern zugleich als Protreptik und als eine an das gebildete Pu-
blikum der römischen Gesellschaft gerichtete Schrift zu verstehen (Schubert 2012
[*2742: 808–811]; neuerdings betont Pietzner 2013 [*2779: 266–271] dagegen die
innerchristliche Adressierung des Textes). Die über die formale Anlage des Tex-
tes hinausgehende Rezeption philosophisch-literarischer Quellen berücksichtigt
überwiegend den römischen Kanon einer literarischen Philosophie (Schubert 2012
[*2742: 819]). Die in diesem Schema gebräuchlichen Argumente und Positionen
werden im Text von der Figur des Caecilius vorgestellt und von dessen Dialogpart-
ner Octavius aufgegriffen und im Sinn einer ‘aemulatio’ überboten, ohne dass
dabei philosophisch stringente Argumentationen entwickelt würden. Mit diesen
Vorbehalten können drei philosophisch relevante Problemstellungen innerhalb
des Textes identifiziert werden: Erkenntniskritik, Mythen- und Kultkritik, Kon-
sistenz von Denk- und Lebensform.

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§ 104. Minucius Felix (Bibl. 1139–1141) 1037

Im Sinne einer epistemologischen Analyse der Leistungsfähigkeit menschlicher


Erkenntnis betont Caecilius im Anschluss an die Position der akademischen Skep-
sis, dass es eine Anmaßung sei, für die menschliche Erkenntnis in Bezug auf den
Inbegriff der Welt sowie ihre Erhabenheit ein sicheres Urteil zu beanspruchen
(«certum aliquid de summa rerum ac maiestate decernere»: Oct. 5,4). Dieser Vor-
behalt gelte für jeden Modus menschlichen Erkennens gleichermaßen, nämlich
für das «Wissen», das «Erforschen» und das «Vermuten» («scire», «scrutari», «sus-
picari»: Oct. 5,5). Aufgrund dieses Vorbehalts sind keine Aussagen über Gott als
«Urheber» bzw. als «Baumeister» («auctor», «machinator»: Oct. 5,7) der Welt bzw.
als deren «Demiurg» bzw. «Richter» («artifex», «iudex»: Oct. 5,8) möglich. Es sei
vielmehr aufgrund zahlreicher Beispiele «wahrscheinlicher» («magis credendum»:
Oct. 5,13), dass der Mensch und jedes andere Lebewesen «als willkürliche Verbin-
dungen der Elemente» («elementorum ut voluntaria concretio»: Oct. 5,8) «in allen
Zuständen ihres Lebens ohne jede Gesetzmäßigkeit dem Zufall unterworfen
sind» («variis et lubricis casibus soluta legibus fortuna dominatur»: Oct. 5,13). Die
Erwiderung des Octavius versucht, den skeptischen Vorbehalt des Caecilius durch
die Skizzierung einer christlichen Metaphysik menschlichen Wissens zu entkräf-
ten. Octavius reklamiert die für die folgende Argumentation grundlegende Er-
kenntnisfähigkeit des Menschen mit dem Argument, dass dem Menschen als
«Geistwesen» («cum formatione mentis»: Oct. 16,5) natürlicherweise Vernunft
und Sinne als Erkenntniskräfte zur Verfügung stehen, und zwar im epistemologi-
schen und anthropologischen Sinn («rationis et sensus capaces et habiles»: Oct.
16,5). Aufgrund dieser allen Menschen unterschiedslos eignenden Befähigung
muss in der «philosophischen Auseinandersetzung» («disputatio»: Oct. 16,6) vom
einzelnen Menschen, der ein bestimmtes Argument formuliert, und von der
sprachlich-rhetorischen Vermittlung des Argumentes abgesehen werden und statt-
dessen der Wahrheitsgehalt des Argumentes überprüft werden (Oct. 16,6). Mit
Hilfe eines teleologischen Gottesbeweises widerlegt Octavius die Behauptung,
dass der Mensch und alle anderen Lebewesen zufällige Zusammensetzungen von
Elementen seien. Vielmehr wiesen die Gesetzmäßigkeit der natürlichen Abläufe
sowie die Anordnung und Einrichtung der unterscheidbaren Bestandteile der
Natur und die Gestalt und Befähigung des Menschen auf eine «vollkommene Ver-
nunft» («maxima ratio»: Oct. 17,7) als ihre Ursache hin, die sich in ihrem Wirken
zugleich als «Vorsehung» («providentia»: Oct. 17,8) erweise. Diese könne auf-
grund ihrer vollkommenen Macht nur als eine und als ewige gedacht werden (Oct.
18,7), sei an sich selbst nicht erkennbar und sprachlich nicht angemessen aussag-
bar (Oct. 18,8–10), werde aber als solche vor allem dann durch den ‘consensus om-
nium’ bestätigt, wenn sie als Gottheit kultisch angerufen werde, unabhängig
davon, wie sie benannt werde (Oct. 18,11). Der skeptische Vorbehalt wird damit
auf die Bedingungen der Ineffabilität des Göttlichen eingeschränkt. Zur Bestäti-
gung lässt Octavius eine mit Homer und Vergil beginnende und dann aus 21 Phi-
losophen bestehende Zeugenreihe folgen, die aus Ciceros ‹De natura deorum›
entnommen, aber für den vorliegenden Zusammenhang umgestaltet ist (Oct. 19,1–
20,1; vgl. Cic. Nat. 1,25–42) und als deren Ergebnis Octavius festhält, dass die Be-
zeichnungen «philosophus» und «Christianus» miteinander konvergieren (Oct.

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1038 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

20,1; vgl. Freund 2000 [*2763: 427f.]), mithin die christliche Metaphysik sich als
die leistungsfähigere Philosophie erweise.
Religions- bzw. kultkritisch vertritt Caecilius – angesichts dessen, dass «entwe-
der der Zufall gewiss oder das Naturgesetz unerkennbar» («aut fortuna certa aut
natura incerta»: Oct. 6,1) sei – die schon bei Cicero formulierte und wiederum
durch zahlreiche Exempla gestützte römische Position, dass das «Festhalten an der
religiösen Lehre und Praxis der Vorfahren» («maiorum excipere disciplinam»: Oct.
6,1) jeder Kultabstinenz vorzuziehen sei. Mit dem wiederum schon bei Cicero for-
mulierten consensus-omnium-Argument, dass die Existenz unsterblicher Götter
gewiss sei, wenn auch «ihr Wesen und ihr Ursprung» («vel ratio vel origo»: Oct. 8,1)
unerkennbar blieben, weist Caecilius jeden Versuch zurück, «die überkommene
und als nützlich und heilbringend erwiesene Bindung an die Götter aufzulösen
oder zu schwächen» («hanc religionem tam vetustam, tam utilem, tam salubrem dis-
solvere aut infirmare»: Oct. 8,1). Als einen solchen Versuch wertet er die Verwei-
gerung der Christen, sich am Staatskult zu beteiligen. In seiner Entgegnung über-
prüft Octavius die überkommene Mythologie und Kultpraxis der römischen
Religion am Ergebnis seiner vorangegangenen philosophischen Argumentation mit
dem Ziel, die Zustimmung zu dieser religiösen Tradition dann in Frage zu stellen,
wenn sich deren Lehre oder Praxis gemessen am philosophischen Gottesbegriff als
irrtümlich erweisen lassen. In seiner mythenkritisch und religionsgeschichtlich ver-
fahrenden Darstellung identifiziert er zunächst die Götter selbst als ehemalige
Menschen und die Mythen als Märchen (Oct. 20,2–24,13), falsifiziert sodann die
Annahme, die Bedeutung Roms ließe sich auf Begünstigung durch die Götter zu-
rückführen, indem er historisch argumentierend die politischen und militärischen
Erfolge als Ergebnisse des von Römern begangenen Unrechts erweist (Oct. 25,1–
9), um schließlich die Kultpraxis der Römer als dämonengewirkt darzustellen (Oct.
25,10–27,8). Das von Octavius eingeführte Kriterium des philo­sophischen Gottes-
begriffs leistet damit zweierlei: Es entkräftet die Legitimität der römischen Kult-
praxis und erweist die Leistungsfähigkeit der christlichen Philosophie.
In einer logisch verfahrenden doktrinellen Konsistenzanalyse versucht Caeci-
lius, den Christen sowohl in sich widersprüchliche theologische Auffassungen (in
der Gotteslehre, der Theodizee, der Theorie einer göttlichen Providenz und der
Eschatologie) als auch eine sittenwidrige Kultpraxis und die Verehrung eines an-
gesichts der sozialen und politischen Lage der Christen wirkungslosen Gottes
nachzuweisen, den keiner kennt, dessen Existenz also durch das schon bemühte
consensus-omnium-Argument entkräftet wird (Oct. 10,3). Durch die logischen
Schwächen der christlichen Lehre sowie die mangelnde Leistungsfähigkeit ihrer
Ethik, die sich in der Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens erweise, sieht sich Caecilius
darin bestätigt, dass in metaphysischen Fragen die philosophisch angemessene
Haltung der Zweifel sei («in summis quaestionibus tuta dubitatio»: Oct. 13,3), nicht
zuletzt auch um so einer Destruktion der «religio» (Oct. 13,5) zu entgehen. Octa-
vius entkräftet die gegen die Christen erhobenen Vorwürfe, logisch widersprüch-
liche bzw. absurde Lehren zu vertreten und sich in ihrer Kultpraxis sittenwidrig zu
verhalten (Oct. 28,1–38,4), mittels der an Texten Ciceros (Powell 2007 [*2790: 183–
185]) geführten Auseinandersetzung mit der stoischen Auffassung vom Welten-

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§ 104. Minucius Felix (Bibl. 1139–1141) 1039

brand im Verhältnis zur christlichen Eschatologie (Oct. 34,1–5) sowie des Ver-
gleichs zwischen den philosophischen Überlegungen zur Unsterblichkeit der Seele
und dem theologischen Konzept der leiblichen Auferstehung (Oct. 34,6–8). In bei-
den Fällen wendet Octavius die zuvor vertretene Position an, dass philosophische
und christliche Theorie miteinander konvergieren, auch wenn er in der sachlichen
Diskussion der Auffassungen lediglich Teilübereinstimmungen kon­statiert («con-
sonare»: Oct. 34,8). Erkennt er in der stoischen, epikureischen und platonischen
Auffassung vom Weltuntergang wenigstens den «Schatten einer verkürzten Wahr-
heit» («umbra interpolatae veritatis»: Oct. 34,5), bewertet er die Vorstellung einer
Unsterblichkeit der Seele als eine Reduktion des christlichen Auferstehungsglau-
bens und die Theorie der Seelenwanderung als unphilosophischen Gedanken (Oct.
34,6f.). Positiv entwickelt Octavius zwei philosophische Argumente für die leibli-
che Auferstehung, indem er erstens das beobachtbare Phänomen, dass der mensch-
liche Körper nach dem Tod zerfällt, als einen Wirklichkeitseindruck aus der Pers-
pektive der menschlichen Wahrnehmung bestimmt, der nicht mit der zeitfrei und
dauernd zu denkenden Wirklichkeit übereinstimmt, die für Gott gilt (Oct. 34,10),
und indem er zweitens die natürlichen Abläufe der Gestirnsbewegungen und der
Vegetation als Analogien dessen versteht, was mit dem Terminus ‘Auferstehung’
bezeichnet wird (Oct. 34,11f.; vgl. Ahlborn 1990 [*2759: 132–137]). In der Konse-
quenz der behaupteten Fortdauer der menschlichen Existenz, die für den Men-
schen nicht wahrnehmbar ist, aber für Gott in der «Bewahrung der Elemente»
(«elementorum custodia»: Oct. 34,10) wirklich ist, ergibt sich für Octavius die Um-
wertung der von Caecilius als Argument gegen die Wirksamkeit Gottes angeführ-
ten politischen und sozialen Diskriminierung der Christen. In ihrer Lebenspraxis
erweise sich damit die Leistungsfähigkeit ihrer zumindest zum Teil philosophisch
begründeten Überzeugung. Damit ist es die Lebenspraxis der Christen, durch wel-
che die von Caecilius bezogene skeptische Position widerlegt und damit implizit
die Lebensform als philosophisches Evidenzargument etabliert wird («non eloqui-
mur magna sed vivimus», «nicht reden wir Großes, sondern leben es»: Oct. 38,6).
In jedem der drei genannten Themenkreise (Erkenntniskritik, Mythen- und
Kultkritik, Konsistenz von Denk- und Lebensform) erweist sich die antiskeptische
Argumentation des Octavius und die daraus gewonnene Möglichkeit einer ratio-
nal verfahrenden Theologie als grundlegend: Sein philosophisch avancierter Got-
tesbegriff öffnet den Bereich des Göttlichen dem Zugriff des durch seine Ver-
nunftbegabung an einer überindividuellen Erkenntnisform teilhabenden
menschlichen Geist. Er wird somit zu einer leistungsfähigen und an der konkre-
ten Lebensweise der Christen beobachtbaren Alternative zur als philosophisch
indifferent präsentierten Kulttradition Roms.

4. NACHWIRKUNG

Schon die Tatsache, dass der ‹Octavius› nur als das achte Buch von Arnobius’
Schrift ‹Adversus nationes› in einer Handschrift des 9. Jahrhunderts überliefert
ist (Paris, Bibliothèque Nationale de France, cod. lat. 1661), von der wiederum le-

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1040 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

diglich eine Abschrift aus dem 11. Jahrhundert existiert (Brüssel, Bibliothèque Ro-
yale, cod. lat. 10847), erklärt die ausbleibende Rezeption des Textes im Mittelalter
bis zu dessen Wiederentdeckung im Jahre 1543 durch den Konservator der Vatika-
nischen Bibliothek, Faustus Sabaeus (Waltzing 1926 [*2719: V]). Eine nachweis-
bare Wirkung entfaltete der Text lediglich unmittelbar nach seiner Entstehung: So
finden sich zum Teil wörtliche Anklänge in Cyprians Schrift ‹Ad Demetrium› (Pel-
legrino 1947 [*2797: 122–128]), der den ‹Octavius› wohl sogar als Vorlage für ‹Ad
Donatum› verwendet hat (Pellegrino 1947 [*2797: 111–115]). Bedeutender ist je-
doch der stilistisch wie inhaltlich prägende Einfluss des ‹Octavius› auf Laktanz,
der sich ihm insbesondere in den ‹Divinae institutiones›, aber auch in ‹De opificio
dei› und ‹De ira dei› verpflichtet zeigt (Pellegrino 1947 [*2797: 151–201]). Das ps.-
cyprianische Werk ‹Quod idola dei non sint›, das aus der ersten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts stammt (Sallmann 1997 [*2801: 583]), kompiliert neben den ‹Divinae in-
stitutiones› des Laktanz und dem ‹Apologeticum› Tertullians auch aus dem
‹Octavius›, was für eine bis zu diesem Zeitpunkt immer noch lebendige Lektüre­
tradition spricht, aber auch eine frühe Einreihung des Minucius Felix in die Reihe
der apologetischen Schriftsteller belegt. Wenn Hieronymus den ‹Octavius› wegen
seines guten lateinischen Stils lobt (Hier. In Is. 8 praef. 1,11–15, p. 315 Adriaen; vgl.
Heck 1997 [*2741: 512]), weist er damit auf die neuzeitliche Rezeption des Textes
voraus, der seit dessen Wiederentdeckung in über sechzig Editionen erschlossen
wurde. Dabei ist freilich das philologische Interesse am noch ganz von antiker Li-
terarizität geprägten Text des ‹Octavius› bestimmender als die philosophische Aus-
einandersetzung mit der Position des Minucius Felix (Kytzler 1965 [*2721: 12]).

§ 105. Arnobius von Sicca

Marc-Aeilko Aris

1. Leben. – 2. Werk. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Zuverlässige Nachrichten über das Leben des Arnobius fehlen fast völlig. Ab-
gesehen von dem in seinem Werk enthaltenen Hinweis auf die Diokletianische
Verfolgung im Anschluss an das (erste) Edikt des Jahres 303, das die Zerstörung
der Kirchen und die Verbrennung der Heiligen Schriften anordnete (Nat. 4,36),
bietet nur Hieronymus spärliche biographische Angaben. Danach habe Arnobius

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§ 105. Arnobius von Sicca (Bibl. 1141–1144) 1041

zur Regierungszeit Kaiser Diokletians als Rhetor im nordafrikanischen Sicca


(heute El-Kef in Tunesien) gewirkt (Hier. Vir. ill. 79) und dabei Laktanz zum
Schüler gehabt (ebd. 80; Hier. Ep. 70,5,2). Aufgrund von Traumgesichten habe er
sich zum Christentum bekehrt und, um die Zweifel des Bischofs von Sicca an der
Integrität seiner Bekehrung zu zerstreuen, mit seiner apologetischen Schrift die
Ernsthaftigkeit seiner Konversion beweisen wollen (Hier. Chron. ad ann. 2343 =
327 n. Chr. = 231,14ff. Helm). Im Werk des Arnobius selbst fehlen Nachrichten
über die Umstände seiner Konversion. Sie ergibt sich lediglich aus dem Hinweis
auf seine früher geübte idololatrische Praxis (Nat. 1,39). Werkinterne zeitge-
schichtliche Indizien und Datierungen erlauben es aber, den Zeitraum der litera-
rischen Wirksamkeit des Arnobius einzugrenzen. In Nat. 2,71 beziffert Arnobius
das Alter der Stadt Rom auf 1050 Jahre, freilich ohne die Jahreszählung anzuge-
ben, auf die er sich dabei bezieht. Unter der Voraussetzung der an anderer Stelle
(Nat. 4,8) benutzten varronischen Zählung ergibt sich daraus das Jahr 298. In Nat.
1,13 weist er darauf hin, dass es Christen erst seit 300 Jahren gäbe (vgl. Nat. 2,71
und Wlosok 1989 [*2849: 367] sowie Edwards 2004 [*2888: 270f.]). In Nat. 1,26
und 2,5. 77 sowie 4,17 ist sachlich die obrigkeitlich angeordnete Verfolgung vor-
ausgesetzt, wogegen deren Aufhebung im Jahre 311 nicht erwähnt wird. Aus die-
sen Hinweisen mit unterschiedlichem Gewissheitsgrad ergibt sich, dass Arnobius
wohl um 250 geboren wurde und in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in der
Stadt Sicca als Rhetor tätig war. Kurz vor oder nach der Jahrhundertwende muss
er sich der christlichen Gemeinde in Sicca angeschlossen und damit begonnen
haben, seine Apologie (möglicherweise in mehreren Phasen) zu verfassen (vgl. Lu-
carini 2005 [*2890: 123–143] und Fragu 2010 [*2819: XX–XXIII]).

2. WERK

Das Werk des Arnobius ist lediglich in einer in Form einer Retorsion gegen die Ankläger wen-
Handschrift des 9. Jahrhunderts (Paris, Biblio- det (vgl. Föllinger 1999 [*2880: 13–18]), um in
thèque Nationale de France, cod. lat. 1661) und einem zweiten Teil die religiöse Verehrung des am
einer von dieser vermutlich in Fulda gefertigten Kreuz gestorbenen Menschen Jesus (Nat. 1,36) zu
Abschrift des 11. Jahrhunderts (Brüssel, Biblio- verteidigen, da dieser der erhabene Gott gewesen
thèque Royale, cod. lat. 10847) erhalten (vgl. zu- sei («deus sublimis fuit»: Nat. 1,53). Das zweite
letzt Fragu 2010 [*2819: XLII–XLVI] sowie Duval Buch, das Arnobius selbst als «Abschweifung»
1986 [*2839: 78–91]). Es umfasst sieben Bücher. («deverticulo facto»: Nat. 2,1) wertet, setzt sich mit
Bei dem in beiden Handschriften folgenden ach- zeitgenössischen philosophischen Erlösungslehren
ten Buch handelt es sich um den ‹Octavius› des auseinander, während die fünf übrigen Bücher
Minucius Felix. Laut einer subscriptio am Ende einer ausführlichen Religions-, Mythen- und Kult-
des 2. Buches trägt das Werk den Titel ‹Adversus kritik gewidmet sind. Mit der Kritik der römi-
nationes› (‹Gegen die Heiden›); Hieronymus er- schen Religionspraxis verfolgt Arnobius nicht nur
wähnt es unter dem Titel ‹Adversus gentes› (Hier. das Ziel, die Stellung der Christen in der römi-
Ep. 70,5,2). schen Gesellschaft am Anfang des 4. Jahrhunderts
Das erste der insgesamt sieben Bücher ist gat- zu stärken, sondern betreibt vor allem durch die
tungstypologisch am deutlichsten als Apologie zu Diskussion des «pietas»-Begriffs die Destruktion
erkennen, indem es, am ‘genus iudiciale’ orien- des religiösen Systems, das die staatliche Herr-
tiert, in zwei Durchgängen die Angriffe gegen die schaft fortgesetzt legitimiert und so die Verfolgung
Christen (Verursachung des Unglücks als Götter- der Christen begründet (Nat. 4,1; 7,51). Die für
zorn, «impietas», «Gottlosigkeit») widerlegt und diese Absicht erforderliche detailgenaue Analyse

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1042 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

der paganen Mythen und Kulte macht das Werk des lediglich vermittelt oder als Topoi zur Verfügung
Arnobius zu einer reichhaltigen antiquarischen stehen (Übersicht bei Gierlich 1985 [*2833: XIX–
Quelle für die römische Religiosität, während die XXXI], Le Bonniec 22002 [*2817: 41–54]). Diese
von ihm dargestellten christlichen Positionen, sei es Einschränkung trifft auch auf einige der 20 Erwäh-
aufgrund der nur anfänglich erfolgten Schulung des nungen Platons zu (Diskussion der Stellen bei Lau-
Arnobius, sei es aufgrund der sich erst entwickeln- renti 1981 [*2871: 5–52] und bei Le Bonniec 22002
den doktrinellen Konsolidierung (vgl. zuletzt Fragu [*2817: 41–44]), während die nachweisbare Rezep-
2010 [*2819: XXXII–XXXVIII]) nicht den Diffe- tion von Ciceros ‹De natura deorum› (Opelt 1966
renzierungsgrad erreichen, der in vergleichbaren [*2902: 148f.]) und Lukrez’ ‹De rerum natura›
griechischsprachigen theologischen Werken an der (Madden 1981 [*2903], Gierlich 1985 [*2833: XXV–
Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert vorhanden ist. XXVIII]) wohl auf eigene Lektüre durch Arnobius
Diese Charakterisierung von ‹Adversus nationes› beruht. Die Anleihen aus der antiken Philosophie
wird durch die Auswahl literarischer Quellen be- werden jedoch weniger doktrinell-systematisch mit
stätigt, die Arnobius verarbeitet. Am Anfang des theologischen Lehrinhalten eines sich konsolidie-
dritten Buches weist Arnobius zwar auf die ihm renden christlichen Dogmas verknüpft, sondern
zeitlich vorausgehende christliche apologetische Li- gehen lediglich eine rhetorisch veranlasste Verbin-
teratur hin (Nat. 3,1), hat aber von deren Benut- dung mit Figuren und Motiven aus der biblisch-
zung kaum profitiert. Von den apologetischen christlichen Tradition ein. Das wird besonders
Schriften ist lediglich der ‹Protreptikos› des Cle- greifbar in der Vorstellung Jesu als eines naturphi-
mens von Alexandrien nachweisbar, dem er aber losophischen Lehrers (Nat. 1,38), wobei sich Arno-
weder in theologischen Positionen (vgl. Burger bius an das Epikur-Lob des Lukrez (Lucr. 5,1–54)
1970 [*2866: 16–18]) noch in der Kritik der paganen anlehnt und Jesus dafür rühmt, dass er in der Kos-
Mythen und Kultpraxis uneingeschränkt folgt mogonie, der Anthropologie und der Eschatologie
(dazu Mora 1994 [*2905: 103–108], der freilich die sicheres Wissen vermittelt habe. Ob sich diese Re-
Differenzen zwischen Clemens und Arnobius über- zeption deshalb an die Formulierungen des Lukrez
zeichnet, vgl. Herrero de Jáuregui 2010 [*2896: anlehnt, um gegen die epikureische Sicht eine gnos-
153–155]). Während biblische Texte allenfalls sehr tisch-hermetische Interpretation zu etablieren
vereinzelt und dann nur als Allusionen nachweisbar (Schmid 1960 [*2862: 271–281]), oder ob die An-
sind (vgl. Burger 1970 [*2866: 9–15], Gierlich 1985 gleichung an Epikur gerade deshalb gesucht wird,
[*2833: XV–XVII], Le Bonniec 22002 [*2817: 69f.]), um Christus als den Erfüller Epikurs und des ent-
ist die Zahl der ausdrücklich zitierten beziehungs- sprechenden Weltverständnisses zu deuten (Blu-
weise erwähnten antik-paganen Autoren beträcht- menberg 1989 [*2874: 341]), ist strittig (Gierlich
lich, selbst wenn einige von deren Texten Arnobius 1985 [*2833: 96–102]).

3. LEHRE

Philosophisch relevante Positionen hat Arnobius vor allem im zweiten Buch


seines Werkes entwickelt, das der Auseinandersetzung mit den überwiegend le-
bensphilosophisch orientierten Philosophenschulen seiner Zeit gewidmet ist.
Diese sind schon deshalb seine bevorzugten Adressaten, weil er terminologisch
(nämlich im Terminus «fides», «Glaube») und erkenntnistheoretisch keinen Un-
terschied sieht zwischen dem Glaubensakt der Christen und dem Vertrauensges-
tus, einem philosophischen Lehrer zu folgen oder einen Autoritätsbeweis zu ak-
zeptieren (Nat. 2,10f.) oder auch eine Handlung mit der Erwartung ihres Erfolges
bzw. guten Ausganges zu beginnen (Nat. 2,8). Vielmehr betont er den für beide
Seiten geltenden skeptischen Erkenntnisvorbehalt, der jede Wahrheitsaussage un-
sicher macht (Nat. 2,7. 47. 51. 57) und damit die dem Glaubensakt vergleichbare
optionale Setzung des jeweiligen Erkenntnissubjektes erfordert. Ob die von Arno-
bius kritisierten «philosophi», die innerhalb des Textes als Adressaten der Rede
fungieren, historisch konkretisiert werden können, ist in der Forschung strittig.

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§ 105. Arnobius von Sicca (Bibl. 1141–1144) 1043

Aufgrund entsprechender Hinweise im Text («Plato vester»: Nat. 2,13. 14; vgl. 2,11)
kann zwar als zuverlässig gelten, dass man es bei den kritisierten Positionen mit
Spielarten des Platonismus zu tun hat (Courcelle 1963 [*2863: 154–157]), unklar
bleibt aber, ob es sich dabei um eine einzelne Gruppe oder um doxographisch un-
terscheidbare Auffassungen handelt (vgl. Gierlich 1985 [*2833: 198–200]). Insbe-
sondere die in Nat. 2,15 erwähnten «viri novi» haben zu unterschiedlichen Iden-
tifikationen Anlass gegeben (Porphyrios, Gnostiker, Hermetiker, Neupythagoreer;
Übersicht bei Gierlich 1985 [*2833: 220f.]; vgl. Le Bonniec 22002 [*2817: 44–46],
Edwards 2007 [*2894: 120–123]; zu ergänzen ist die Auffassung von Fortin 1973
[*2868: 205–220], der die Neuplatoniker Plotin und Porphyrios als Gegner des
Arnobius identifiziert). Sie repräsentieren in diesem Terminus aber vor allem die
schwer bestimmbaren, synkretistischen philosophischen Gruppen, die erst da-
durch, dass sie von Arnobius als Gegner identifiziert und konstituiert werden, ihre
Kohärenz finden (Festugière 1967 [*2865: 263, 302f.]). In der Auseinandersetzung
mit ihnen entwickelt Arnobius seine im Kern anti-platonische Auffassung von der
Seele und ihrer Unsterblichkeit. Der von ihm für platonisch gehaltenen Auffas-
sung, die Seele des Menschen sei göttlichen Ursprungs und dadurch so vollstän-
dig bestimmt, dass sie vermittels der ἀνάμνησις («Erinnerungsvermögen») aus ei-
gener Kraft zu ihrem Ursprung zurückkehren könne, setzt er seine für christlich
gehaltene Ansicht entgegen, die Seele sei zur Erlangung der Unsterblichkeit auf
eine von außen hinzukommende Einwirkung des ersten Urhebers angewiesen
(Nat. 2,32) und insofern von wenigstens zum Teil unbestimmter Beschaffenheit
(«mediae qualitatis»: Nat. 2,14. 35. 53) im Sinne einer neutralen Ambiguität. Diese
Auffassung versucht er durch die Imagination eines Experimentes zu beweisen,
das sich am platonischen Höhlengleichnis orientiert und die ἀνάμνησις-Lehre ad
absurdum führen soll (Nat. 2,20–24; dazu ausführlich Blumenberg 1989 [*2874:
311–353]; ein ganz ähnliches Experiment findet sich bereits bei Hdt. 2,2; vgl. dazu
McCracken 1949 [*2826: I 317f.]): Das imaginierte Experiment besteht darin, dass
ein Kind unmittelbar nach seiner Geburt in einem verschlossenen, aber gut be-
wohnbaren Raum isoliert wird und dadurch in einem vorkulturellen Zustand fi-
xiert wird, wobei lediglich die körperlichen Grundfunktionen durch die entspre-
chende Versorgung unterstützt werden, aber jeder verhaltens- und sprachbildende
Kontakt mit der Umwelt langfristig unterbunden wird. Für den Zeitpunkt der
Entlassung aus der Höhle nach mehreren Jahrzehnten prognostiziert Arnobius,
dass der Proband ohne die erforderlichen Lern- und Integrationsprozesse orien-
tierungs- und kommunikationsunfähig sein werde, da er auf ein vorgeburtliches
Orientierungswissen nicht zurückgreifen könne – ein Zustand, der mit der plato-
nischen ἀνάμνησις-Lehre unvereinbar wäre, da hier ein Rückgriff auf vorgeburt-
liches Orientierungswissen trotz der Höhlenisolation möglich sein müsste. Das
durch dieses Experiment deutlich werdende Wissensdefizit, das nur durch die me-
thodisch verfahrende Wissensaneignung behoben werden kann (Nat. 2,25), wider-
legt nach Arnobius die platonische ἀνάμνησις-Lehre ebenso wie der Umstand,
dass die Seele durch die Verbindung mit dem Körper ihres ursprünglichen Wissens
verlustig gehe, d. h. durch äußere Einwirkung veränderlich ist («Quicquid enim
causa ingruente nonnulla ita mutatur et vertitur ut integritatem suam retinere non

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1044 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

possit, id necesse est iudicari natura esse passivum», «Denn was auch immer sich
durch das Eintreten irgendeiner Ursache so verändert und wandelt, dass es seine
Unversehrtheit nicht bewahren kann, muss notwendigerweise von Natur aus als
passiv beurteilt werden»: Nat. 2,26). Da aber Einheit, Einfachheit, Unveränderlich-
keit und Unsterblichkeit der Seele einander wechselseitig bedingen (Nat. 2,27), ist
die Behauptung, die Seele sei per se unsterblich, nach Arnobius nicht haltbar. Über
diese mit einem Verweis auf die in Platons ‹Menon› (81c–85b; Nat. 2,24) vorge-
brachte Kritik an der ἀνάμνησις-Lehre hinaus wendet sich Arnobius mit seinem
Höhlengleichnis zugleich gegen eine optimistische Anthropologie, die den Men-
schen aufgrund der Göttlichkeit und Unsterblichkeit seiner Seele selbst als gött­
lichen Ursprungs versteht. Arnobius bestimmt den Menschen vielmehr aufgrund
seiner Kontingenz als bedeutungs- und wirkungslos für die Ordnung oder Vervoll-
kommnung des Kosmos (Nat. 2,37f.), als sittlich defizient (Nat. 2,43) und als nur
eingeschränkt erkenntnis- und wahrheitsfähig (Nat. 2,60). Diese Einschränkungen
lassen ihn, abweichend von den platonischen oder platonisierenden Konzepten, die
er bekämpft, eine niedere Stellung des Menschen in einer hierarchischen Seinsord-
nung annehmen («desinite hominem proletarius cum sit classicis et capite cum cen-
seatur adscribere ordinibus primis, cum sit inops», «Hört auf, den Menschen, ob-
wohl er nur niedrig ist [proletarius = zweitniedrigste Steuerklasse], der höchsten
Klasse und obwohl er nur pro Kopf gezählt wird [Klasse niedriger als Proletarier],
den ersten Rängen zuzurechnen, denn er ist hilflos»: Nat. 2,29; vgl. Burger 1970
[*2866: 86–94]). Mit dieser skeptischen beziehungsweise pessimistischen Anthro-
pologie macht Arnobius die ambivalente Bedeutung des lateinischen Begriffs «me-
dietas» («Mittelstellung») theoretisch wirksam und versteht die menschliche Seele
nicht nur hinsichtlich ihrer Unsterblichkeit als unzureichend bestimmt, sondern
zugleich in Bezug auf ihre Sittlichkeit als mittelmäßig (Blumenberg 1989 [*2874:
347]). Die Philosophie ist jedoch – nach der Auffassung des Arnobius – weder in
ihrer sittlich-kathartischen Funktion als Ethik noch in ihrer wissenschaftlichen
Funktion als Instrument der Wahrheitssicherung leistungsfähig genug, um in die-
ser Aporie die nötige Gewissheit zu vermitteln (Nat. 2,30f.).

4. NACHWIRKUNG

In der Antike hat Arnobius’ Schrift ‹Adversus nationes› gemäß Hieronymus


(Vir. ill. 79) eine breite Rezeption erfahren, was wohl auch daran liegt, dass das
antike Publikum in dem Werk seine ästhetischen Interessen verwirklicht sah und
angesichts des Sieges des Christentums auch bereit war, über dessen fehlende lehr-
buchartige Systematik und Orthodoxie hinwegzusehen (Jakobi 32002 [*2886: 62]).
Die mittelalterliche Rezeption des Arnobius wird hingegen durch die negative Be-
wertung seines Werkes im ‹Decretum Gelasianum› weitgehend verhindert. Die
beiden erhaltenen Handschriften (Cod. Paris. 1661, 9. Jh., und dessen unmittel-
bare Abschrift, Cod. Brux. 10847, 11. Jh.) weisen auf Norditalien und das Kloster
Fulda als Entstehungsräume (vgl. zuletzt Fragu 2010 [*2819: XLII–XLV]). Im An-
schluss an die Editio princeps (1543) stößt das Werk zunächst überwiegend auf

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antiquarisches Interesse (Krafft 1966 [*2914: 5–27]) und wird erst im 17. Jahrhun-
dert philosophisch wirksam. Für Mersenne und La Mettrie wird das Höhlen-
gleichnis zum Ausgangspunkt einer zunächst sensualistischen und dann zuneh-
mend materialistisch-mechanistischen Position in der Erkenntnislehre und
An­thropologie (Krafft 1966 [*2914: 161–172] und Blumenberg 1989 [*2874: 379–
395]). Ebenfalls von einer sensualistischen Position ausgehend und gegen Descar-
tes’ Konzeption der «ideae innatae» gerichtet macht Pierre Daniel Huet das Werk
des Arnobius für die Formulierung eines christlichen Skeptizismus und Fideismus
wirksam (Krafft 1966 [*2914: 172–185]) und bestimmt damit die diesem freilich
nicht gerecht werdende Arnobius-Rezeption bis zu den Entwürfen einer christli-
chen Philosophie im 20. Jahrhundert (Krafft 1966 [*2914: 5], Wlosok 1989 [*2849:
374f.]). Innerhalb des französischen Enzyklopädismus wird die Auffassung des
Arnobius, dass die menschliche Seele von zum Teil unbestimmter Beschaffenheit
sei, zum Ausgangspunkt eines universalpädagogischen Konzepts «für ein neu ein-
setzendes demiurgisches Erziehungsideal» (Blumenberg 1989 [*2874: 358]) und
formiert darüber hinaus in Verbindung mit der Theodizeeproblematik von Pierre
Bayle eine pessimistische Wahrnehmung der Schöpfung (Krafft 1966 [*2914: 206–
220]). Ob, wie Bayle in seinem Artikel zu Pascal vermutet, die in Nat. 2,4 vorge-
tragene «unmittelbar einleuchtende Überlegung» («pura ratio»), bei ungewisser
Zukunftserwartung sei das zu wählen, was größere Hoffnung vermittle («ex duo-
bus incertis et in ambigua exspectatione pendentibus id potius credere quod ali-
quas spes ferat»), als Vorlage zur Formulierung der Wette Pascals gedient hat, wird
in der neueren Forschung unterschiedlich beurteilt (Leigh 1920–1921 [*2913:
324f.]; Zusammenfassung der Diskussion bei Krafft 1966 [*2914: 252–259]).

§ 106. L. Caelius Firmianus Lactantius

Marc-Aeilko Aris

1. Leben. – 2. Werke. – 3. Lehre. – 4. Nachwirkung.

1. LEBEN

Aus der römischen Provinz Africa stammend, wurde Laktanz, insofern eine
Nachricht des Hieronymus zutrifft, vom Rhetoriker Arnobius von Sicca unterrich-
tet (vgl. Hier. Vir. ill. 80) und muss schon in dieser Zeit mit neuplatonisch-gnosti-
schem Gedankengut in Verbindung gekommen sein. Seine schriftstellerische Tä-

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tigkeit begann er Hieronymus zufolge noch in Afrika. Er wirkte dort vor allem als
Rhetoriklehrer, ohne jedoch eine Anwaltstätigkeit ausgeübt zu haben (vgl. Inst.
3,13,12). Zwischen 290 und 300 übernahm Laktanz auf Betreiben des Diokletian
sein Amt als Rhetoriklehrer in der neuen Residenzstadt Nikomedien in Bithynien
und kam vermutlich schon dort in Kontakt mit dem jungen Konstantin, der sich
zu dieser Zeit am kaiserlichen Hof aufhielt. In Nikomedien wurde Laktanz Zeuge
der reichsweiten Christenverfolgung durch Diokletian (vgl. Inst. 5,2,2). Laktanz
selbst bringt diese Erfahrung in Zusammenhang mit der Entscheidung, seine öf-
fentliche Tätigkeit als Rhetoriklehrer am Hof aufzugeben, wobei aber letztlich un-
klar bleibt, ob er freiwillig oder unter dem Druck der Obrigkeit aus dem Amt
schied (Inst. 1,1,8. 10). Laktanz bewertet diesen Rücktritt als Neuausrichtung sei-
ner Lehrtätigkeit zugunsten einer christlich geprägten Schülerschar (Opif. 1,1,2),
ohne selbst deswegen auch zum Christen zu werden. Der Zeitpunkt seiner Kon-
version zum Christentum ist vielmehr völlig ungewiss, wobei die neuere For-
schung mehrheitlich einen relativ späten Übertritt nach einer längeren Phase der
Annäherung annimmt (vgl. Fàbrega 2008 [*3018: 796], Freund 2009 [*2934: 4]).
Wo Laktanz die folgenden fast zehn Jahre verbrachte, ist umstritten (vgl. Nichol-
son 1989 [*3084]). Mit großer Wahrscheinlichkeit verblieb er in oder bei Nikome-
dien, bis er 311 zum Zeugen der Verlesung des Toleranzediktes des Galerius
(Mort. pers. 34,1–35,1) und der Entlassung der Häftlinge unter Licinius wurde
(Mort. pers. 35,2). Nach Mort. pers. 48,1 war Laktanz an den Iden des Juni 313
noch in Nikomedien, so dass seine Übersiedlung nach Trier, wohin er «hochbe-
tagt» («extrema senectute»; vgl. Hier. Vir. ill. 80) zur Erziehung von Konstantins
Sohn Crispus berufen worden war, etwa 314/15 erfolgt sein muss. Während dieser
neuen Lehrtätigkeit in Trier entstand auch die apologetische Schrift ‹De ira dei›
sowie die ‹Epitome divinarum institutionum›, eine Kurzfassung seines Haupt-
werks. Laktanz starb wohl im Jahre 325 während der Arbeiten an einer Neuedi-
tion der ‹Divinae institutiones›.

2. WERKE

Von den im Werkkatalog des Hieronymus auf- wissenschaftliche und philosophische Anthropo-
gezählten zwölf Werken des Laktanz sind nur logie, um aus dieser die geistige Potenz des Men-
sechs erhalten, die alle aus der Zeit nach der Auf- schen als einen Anlass zur Gottesverehrung zu er-
gabe seiner Rhetorentätigkeit stammen und über- weisen. Aufgrund eines Hinweises an den
wiegend apologetische Absichten verfolgen. In Widmungsträger Demetrianus (Opif. 20,1) kann
Überbietung der ihm bekannten Vorläufer orien- das Werk in die Zeit unmittelbar nach Beginn der
tiert sich Laktanz programmatisch und konse- diokletianischen Verfolgung und damit nach Lak-
quent am Stilideal Ciceros und am rhetorischen tanz’ Rücktritt vom Rhetorenamt datiert werden.
Gestus der klassisch-lateinischen Literatur, um In dieser Zeit beginnt er auch sein Hauptwerk ‹Di-
auf diese Weise seinen Schriften die erwünschte vinae institutiones› (‹Göttliche Unterweisungen›),
Wirkung bei paganen Lesern zu garantieren. das wohl bis spätestens 313 erarbeitet und bis un-
Das früheste erhaltene Werk des Laktanz, ‹De mittelbar vor dem Tod des Laktanz (wohl um 325)
opificio dei› (‹Über das Schöpfungswerk Gottes›), nochmals, aber nicht mehr abschließend überar-
knüpft an die teleologischen Providenz- bzw. Got- beitet wird. Die in sieben Büchern entworfene
tesbeweise Ciceros an und bietet in protreptischer Apologie enthält zunächst eine Zurückweisung
Absicht eine konventionelle medizinisch-natur- des Polytheismus (Buch 1) und seiner (durch Dä-

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monen veranlassten) Entstehung (Buch 2) sowie ranzedikt (314) und vor der Revision der ‹Institu-
eine Widerlegung der philosophischen Weisheits- tiones› fällt die zwar philosophisch irrelevante,
lehren (Buch 3), um in Buch 4 die christliche Lehre aber als literarische Historiographie bedeutende
und schlussfolgernd deren Konformität mit römi- Schrift ‹De mortibus persecutorum› (‹Über die To-
schen Werten (Buch 5: «pietas» und «iustitia»), desarten der Verfolger›). In ihr versucht Laktanz
deren Leistungsfähigkeit als Ethik (Buch 6) und die Gottesverehrung der Christen dadurch als den
deren Eschatologie als Inbegriff der «vita beata» angemesseneren Kult zu erweisen, dass er das je-
darzustellen (Buch 7). Das umfangreiche Werk hat weilige Lebensende der Herrscher, welche die
Laktanz selbst nach dem Ende der diokletianischen Christen verfolgen, als ein Gottesurteil darstellt
Verfolgung (also nach 314 und vermutlich abermals und deutet. Von den (wie aus einem Hinweis bei Hi-
320) epitomisiert und dabei einige Argumente prä- eronymus vermutet werden kann) zahlreichen dich-
zisiert. Noch aus der Zeit der Verfolgung (vermut- terischen Werken des Laktanz ist lediglich das in
lich 311) stammt die kleine, die ‹Institutiones› ver- elegischen Distichen verfasste Gedicht ‹De ave
vollkommnende Schrift ‹De ira dei› (‹Über den phoenice› (‹Über den Vogel Phoenix›) erhalten. Ein
Zorn Gottes›), in der Laktanz nachzuweisen ver- weiteres hexametrisches Gedicht, das die Reise von
sucht, dass die logische Konsistenz des Gottesbe- Afrika nach Nikomedien zum Gegenstand hatte,
griffs nicht beeinträchtigt wird, wenn Gott in Ana- sowie ein noch in Afrika verfasstes ‹Symposium›,
logie zum römischen «pater familias» (Wlosok mehrere Briefsammlungen und zwei weitere bei
1960 [*3042: 232–246]) als zornig bzw. leiden- Hieronymus angegebene Werke (‹Grammaticus›,
schaftlich gedacht wird. In die Zeit nach dem Tole- ‹Ad Asclepiadem›) sind nicht erhalten.

3. LEHRE

Die apologetische Intention, von der die Schriften des Laktanz geleitet sind,
bestimmt nicht nur seine Haltung zur Tradition der antiken Philosophie, sondern
auch seine Wahrnehmung der institutionellen und literarischen Formen des phi-
losophischen Diskurses. Diesen Formen will sich Laktanz gezielt anpassen, um
seine christliche Protreptik bzw. Apologetik möglichst adressatenorientiert zu
präsentieren. Darum übernimmt er die für die Tradition der römischen Philo­
sophie geltenden literarischen Muster und rhetorischen Formen, innerhalb derer
er seine Darlegung entfaltet, ist aber weder in formaler noch in theoretischer Hin-
sicht philosophisch innovativ. Seinen Quellen (vor allem Cicero ‹De natura deo-
rum›, ‹De re publica›, ‹De officiis›, ‹De legibus› sowie Lukrez ‹De rerum natura›
z. B. Inst. 7,12,1–32 zur Vergänglichkeit der Seele) entnimmt er die spezifischen
Frage- und Problemstellungen der römischen Philosophie sowie die philosophi-
sche Terminologie und Argumentation, verfährt aber in der Auseinandersetzung
mit den jeweiligen Positionen nur insofern argumentativ, als er destruierend die
jeweiligen Auffassungen ad absurdum führt. In seiner Kritik geht Laktanz eklek-
tisch vor und ordnet die philosophische Argumentation seiner apologetischen
Rhetorik unter. Dabei lassen sich im dritten Buch der ‹Institutiones divinae› («De
falsa sapientia», «Über die falsche Weisheit») von zahlreichen Einzelbeispielen
abgesehen drei Schwerpunkte seiner Philosophen- bzw. Schulkritik unterschei-
den, die aber vor allem den Zweck haben, beispielhaft Absurditäten in der Lehre
der heidnischen Philosophie bloßzulegen (Inst. 3,24,11), und deshalb nicht als sys-
tematisch geführte Auseinandersetzung mit der heidnischen Philosophie bewer-
tet werden können. Laktanz’ polemische Kritik an der epikureischen Philosophie
stützt sich vor allem auf die einschlägigen Texte aus Lukrez («illius [sc. Epicuri]

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enim sunt omnia quae delirat Lucretius», «von ihm [sc. Epikur] nämlich stammt
alles, was Lukrez wahnwitzig dahinredet»: Opif. 6,1) und Cicero. Seine allgemei-
nen Einwände (Inst. 3,17,1–7) wiederholen zunächst die konventionelle anti-epiku-
reische Polemik (Althoff 1999 [*3095: 44–46]), um dann im Einzelnen die Leug-
nung der Vorsehung einschließlich der Atomtheorie und die Leugnung der
Unsterblichkeit der Seele in wechselnden Polemiken zu behandeln. Dabei verfährt
Laktanz in seiner Kritik durchgehend standpunktbezogen, indem er mit rhetori-
schen Fragen die Absurdität der epikureischen Position aufzudecken versucht, ent-
wickelt aber keine stringente Gegenargumentation. An der Frage der Unsterblich-
keit der Seele setzt auch Laktanz’ Kritik des Pythagoreismus und der Stoa an.
Zwar konzediert er, dass diese zufällig («non scientia sed casu inciderunt in verita-
tem»: Inst. 3,18,1) die richtige Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele teilten,
er kritisiert aber die Metempsychose und den Traduzianismus als Modelle, mit
deren Hilfe eine Einheit von Seele und Leib als sukzessive Einung gedacht werden
könne (Inst. 3,18,2; Fàbrega 2008 [*3018: 815]). Vielmehr sei diese dem Beginn des
individuellen Menschenlebens gleichursprüngliche Einung von Seele und Leib ge-
nauso durch göttliche Verursachung bedingt wie deren Auflösung, so dass mit der
Anerkenntnis dieses Ursprungs zugleich die Selbsttötung als ein bewusst gesetzter
Akt der Trennung dieser Einheit von Seele und Leib auszuschließen und zu verur-
teilen sei (Inst. 3,18,7). In seiner Kritik der platonischen Philosophie bezieht sich
Laktanz vor allem auf die Staatsphilosophie und kritisiert Platons Ablehnung des
Privateigentums, da dieser Gerechtigkeit innerhalb eines Staatswesens aufgrund
der Gleichheit aller Bürger garantieren wolle, dabei aber verkenne, dass Gerech-
tigkeit keine politische, sondern eine sittliche Qualität darstelle, mithin nur durch
die Besserung des Einzelnen bewirkt werden könne (Inst. 3,22,2–3).
In seinen Auseinandersetzungen mit der paganen Philosophie ist Laktanz trotz
seiner Rezeption des literarischen Gestus des Philosophierens durchgehend von
einem Vorbehalt gegenüber der Philosophie bestimmt, den er für konvergierend
mit der skeptischen Haltung des Sokrates sowie der nachplatonischen Akademie
hält (Inst. 3,3; Epit. 26,5): Den in der Bezeichnung «philosophia» ausgedrückten
Anspruch, Suche nach Weisheit zu sein, erkennt er zwar aus etymologischen
Gründen an, deren Leistungsfähigkeit aber sieht er aufgrund eben dieser Bezeich-
nung darauf eingeschränkt, lediglich intentional bestimmt zu sein, also Meinun-
gen statt sicherem Wissen hervorzubringen («superest ut opinatio in philosophia
sola sit; nam unde abest scientia, id totum possidet opinatio», «Es ergibt sich also,
dass die Philosophie nur Meinung hervorbringt; denn wo Erkenntnis fehlt, da be-
herrscht Meinung das Feld»: Inst. 3,3,8). Näherhin begründet Laktanz seine Re-
serve gegenüber der Philosophie dadurch, dass sie, wie am «dissensus philosopho-
rum» deutlich wird, keine eindeutigen und intersubjektiv gesicherten Ergebnisse
von allgemeiner Geltung hervorbringen kann («in multas sectas philosophia diuisa
est et omnes uaria sentiunt», «In zahlreiche Schulen ist die Philosophie gespalten
und alle haben unterschiedliche Lehrmeinungen»: Inst. 3,4,3; Gigon 1979 [*3068:
202]) und darüber hinaus der Mensch aufgrund der «condicio humana» (Inst.
3,4,14) auch prinzipiell kein sicheres Wissen erlangen kann (vgl. Inst. 3,3,2–3; Epit.
26,5; Gigon 1979 [*3068: 199f.]). Diese Position unterscheidet er aber von der als

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destruktiv bewerteten Praxis der akademischen Skepsis, jede Behauptung durch


ein Gegenargument zu widerlegen, insofern er selbst allen philosophischen Posi-
tionen einen rudimentären Wahrheitsgehalt anerkennt («docemus nullam sectam
tam deviam neque philosophorum quemquam tam inanem, qui non viderit aliquid
ex vero», «wir vertreten die Lehre, dass keine Schule derart vom Weg abgekom-
men und keiner der Philosophen so gehaltlos ist, dass er nicht etwas vom Wahren
geschaut hat»: Inst. 7,7,2). Demgegenüber versucht er, die christliche Gotteser-
kenntnis und -verehrung darin als die wahre Philosophie und den Inbegriff der
Weisheit zu erweisen (vgl. Inst. 3,30,3: «omnis sapientia hominis in hoc uno est, ut
deum cognoscat et colat», «die gesamte Weisheit des Menschen besteht allein
darin, dass er Gott erkennt und verehrt»), dass sie die göttliche Weisheit durch Of-
fenbarung und Überlieferung empfangen hat und deshalb über die «veritas» und
«sapientia» verfügt, die vermittels der «philosophia» nicht gefunden werden
konnte (Epit. 35,5), selbst wenn jede Philosophenschule einen Aspekt der Wahr-
heit («ex vero»: Inst. 7,7,2) erkannt haben mag.
Von dieser Position aus führt Laktanz die überwiegend literarisch-rhetorisch
bestimmte Auseinandersetzung mit den ihrerseits wieder literarisierten philo­
sophischen Schulmeinungen und entwickelt dabei programmatisch nur in der
Ethik philosophisch eigenständige Auffassungen (vgl. Inst. 3,13,6: «quodsi neque
physica illa ratio necessaria est neque haec logica, quia beatum facere non poss-
unt, restat ut in sola ethica totius philosophiae vis contineatur», «wenn also weder
jene naturphilosophische Lehre noch diese logische notwendig ist, da sie nicht
glückselig machen können, bleibt, dass einzig in der Ethik die gesamte Kraft der
Philosophie enthalten ist»; Winger 1999 [*3096: I 72f.]). Diese lassen sich in der
Bestimmung des «summum bonum» sowie in der Definition der Gerechtigkeit als
des Inbegriffs der Tugend konkretisieren.
Das «summum bonum» muss als unveränderlich und stets mit sich identisch ge-
dacht werden («simile sit et idem semper»: Inst. 3,12,9) und ist so zu bestimmen,
dass es den Menschen vor den anderen Lebewesen auszeichnet und von diesen
unterscheidet (Inst. 3,8,3). Es muss daher auf das geistige Vermögen des Menschen
bezogen werden und so beschaffen sein, dass es nicht ohne «scientia» und «virtus»
erworben werden kann (Inst. 3,9,1), insofern Erkennen und sittlich gutes Handeln
als die Grundvollzüge verstanden werden, die den Menschen vor anderen Lebewe-
sen auszeichnen («qui scientiam summum bonum fecit, aliquid homini proprium
dedit», «Wer das Wissen zum höchsten Gut macht, gibt dem Menschen etwas, was
ihm eigentümlich ist»: Inst. 3,8,24) und zugleich befähigen, das «summum bonum»
anzustreben («scientia id praestat, ut quomodo et quo perveniendum sit noverimus,
virtus, ut perveniamus», «Das Wissen verschafft uns die Erkenntnis, wie wir wohin
gelangen sollen, die Tugend das Vermögen, [sc. dorthin] zu gelangen»: Inst. 3,12,29).
Die Kriterien dieses Formalbegriffs des «summum bonum» sieht Laktanz aus-
schließlich im Gut der Unsterblichkeit erfüllt («summum igitur bonum sola immor-
talitas invenitur, quia nec aliud animal nec corpus attingit nec potest cuiquam sine
scientia et virtute, id est sine dei cognitione ac iustitia provenire», «das höchste Gut
wird also allein in der Unsterblichkeit gefunden, weil weder ein anderes Lebewe-
sen noch ein anderer Körper an sie rührt noch sie ohne Wissen und Tugend, d. h.

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ohne Gotteserkenntnis und Gerechtigkeit jemandem zuteilwerden kann»: Inst.


3,12,18; vgl. Inst. 7,8,1). Dabei sind im Begriff der Unsterblichkeit alle Akte mitum-
fasst, die auf deren Erwerb zielen («summum bonum igitur quod beatos facit non
potest esse nisi in ea religione atque doctrina, cui spes immortalitatis coniuncta est»,
«Das höchste Gut also, welches glückselig macht, kann allein in jener religiösen
Lehre liegen, mit der die Hoffnung auf Unsterblichkeit verbunden ist»: Inst.
3,12,36), so dass Laktanz auch diese als «summum bonum» bezeichnen kann («sum-
mum igitur hominis bonum in sola religione est», «Das höchste Gut liegt also allein
in der Religion»: Inst. 3,10,1). Das so bestimmte «summum bonum» versteht Lak-
tanz als Lohn («prae­mium»: Inst. 7,5,9) der «virtus», die vor allem darin besteht,
Mühe zu ertragen und Laster zu vermeiden (Heim 1996 [*3090: 365f.]). Ausführlich
grenzt Laktanz sein Verständnis von «immortalitas» von dem Verständnis ab, das
die pagane Philosophie nach seiner Auffassung nur unzureichend entwickelt hat.
Insbesondere der platonische Beweis für die Unsterblichkeit der Seele, den Laktanz
aufgrund der einschlägigen Stellen bei Cicero referiert (Freund 2009 [*2934: 327–
330]), ist deshalb unzureichend, weil Platon die Unsterblichkeit nicht als «summum
bonum» versteht, d. h. nicht als Ziel des menschlichen Lebens, und nicht aus dem
Zusammenhang der Schöpfungsordnung bestimmt («quoniam nec rationem totius
mysterii magni consummaverat in unumque collegeret nec summum bonum com-
prehenderat», «weil er weder die Lehre des gesamten großen Mysteriums zur Voll-
endung gebracht und gesammelt noch das höchste Gut verstanden habe»: Inst.
7,8,2). Demgegenüber nennt Laktanz drei Gründe für die Unsterblichkeit der Seele:
1) Sie ist wie Gott unkörperlich und unsichtbar, so dass aufgrund der Entsprechung
zwischen Gott und Mensch («quaedam in homine ac deo similitudo»: Inst. 7,9,9)
trotz der Unsichtbarkeit die Existenzaussage auf Gott und die Seele gleichermaßen
zutreffen muss; 2) sie ist, wie Laktanz mit Cic. Leg. 1,24 betont, zur Gotteserkennt-
nis und «religio» fähig und bezieht sich damit auf einen Erkenntnisgegenstand, der
ewig und zugleich Ursprung und Ziel der Seele ist («ipsa cogente natura sentiens [sc.
anima] vel unde orta sit vel quo reversura», «wobei [sc. die Seele] unter dem Impuls
der Natur selbst erkennt, woher sie kommt und wohin sie zurückkehren wird»: Inst.
7,9,12); 3) sie ist zur «virtus» fähig, die sowohl natürliche Neigungen (Luststreben,
Schmerzvermeidung) als auch faktisches Fehlverhalten in der Lebenszeit eines
Menschen («vitia omnia temporalia sunt, ad praesens enim commoventur», «Alle
Laster treten in der Zeit auf, sie werden zu einem bestimmten Moment in der Ge-
genwart erregt»: Inst. 7,10,2) reguliert, ohne selbst im jeweiligen Diesseits einen Vor-
teil davon zu haben, so dass die Erwartung eines gerechten Lohnes für die «virtus»
die Fortdauer der Seele postulieren muss (Freund 2009 [*2934: 337]: «Die Unsterb-
lichkeit der Seele erscheint gewissermaßen als Postulat der praktischen Vernunft
zur Sicherung der ethischen Grundlagen.»). In diesem Zusammenhang wird der Be-
griff der «vita beata» («glückseliges Leben»), die den Gegenstand des siebten Bu-
ches der ‹Institutiones› bildet, mit einem überwiegend eschatologischen Verständ-
nis gegenüber der antiken Terminologie neu gedeutet.
Der Gerechtigkeit widmet Laktanz das gesamte fünfte Buch seiner ‹Institutio-
nes›. Sie stellt für ihn den Inbegriff der «virtus» dar («iustitia […] omnes simul vir-
tutes amplectatur», «Die Gerechtigkeit […] umschließt zugleich alle Tugenden»:

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§ 106. L. Caelius Firmianus Lactantius (Bibl. 1144–1149) 1051

Inst. 5,14,9), der aber nur im Zusammenhang einer theologischen Begründung


hinreichend erschlossen werden kann. Diese theologische Begründung fehlt dem
paganen Gerechtigkeitsbegriff, insofern in der heidnischen Philosophie weder die
Herkunft noch die Wirkung der Gerechtigkeit erkannt worden seien («ideo non
est verum illud bonum a philosophis repertum, quia ignorabant vel unde oreretur
vel quid efficeret», «Daher wurde nicht jenes wahre Gut von den Philosophen ge-
funden, weil sie nicht wussten, woraus es entsteht noch was es bewirkt»: Inst.
5,14,1). Mit der Bestimmung der Herkunft der Gerechtigkeit, nämlich aus Gott,
und der Abgrenzung ihrer Aufgabe, nämlich den Einzelnen zunächst mit Gott
und dann dem Menschen zu verbinden (vgl. Inst. 6,10,2: «primum iustitiae of-
ficium est coniungi cum deo, secundum, cum homine»), werden zugleich die bei-
den wesentlichen Komplementärtugenden der «iustitia» deutlich gemacht: «pie­
tas» und «aequitas» («pietas uero et aequitas quasi venae sunt eius, his enim
duobus fontibus constat tota iustitia», «Frömmigkeit aber und Gleichmaß sind ge-
wissermaßen ihre Adern, denn aus diesen beiden Quellen besteht die gesamte Ge-
rechtigkeit»: Inst. 5,14,11). Unter «pietas» versteht Laktanz eine Gotteserkennt-
nis, welche die kultische Verehrung des erkannten Gottes einschließt (Inst.
5,14,12), so dass er sie als diejenige Haltung bestimmen kann, die den Ursprung
der «iustitia» in Gott anerkennt und in ihrem Verhalten, dem «cultus», ratifiziert.
Unter «aequitas» versteht Laktanz die Gleichheit aller Menschen als Grundvor-
aussetzung jeder sozialen Ordnung. Sie ist in der Gleichursprünglichkeit und
Gleichbehandlung aller Menschen durch Gott begründet (Inst. 5,14,16), so dass
daraus der Anspruch einer ständefreien bzw. klassenlosen Gesellschaft von Glei-
chen abgeleitet werden muss (Inst. 5,14,20). In dieser Gesellschaft von Gleichen
ist das, was ein Mensch dem anderen schuldet, durch die wechselseitige Anerken-
nung der vom Ursprung des Menschen her gedachten Gleichheit begründet und
besteht Laktanz zufolge in der «humanitas» («summum igitur inter se hominum
vinculum est humanitas», «Das höchste Band zwischen den Menschen ist also die
Menschlichkeit»: Inst. 6,10,4). «Humanitas» versteht Laktanz daher nicht in ers-
ter Linie als Gattungsbezeichnung für alle menschlichen Lebewesen, sondern als
die wechselseitige Akzeptanz des Gleichheitsanspruchs, den Menschen ihren Art-
genossen gegenüber erheben können. Daher verwendet Laktanz diesen Terminus
äquivalent mit den Begriffen «fraternitas» («Brüderlichkeit»: Inst. 6,6,12) und
«misericordia» («Barmherzigkeit»: Inst. 6,10,2. 14,2; vgl. Buchheit 1979 [*3066:
371 Anm. 46]) und kann auf dieser Grundlage in Inst. 6,12,1–41 eine auf der
Barmherzigkeit gegründete Pflichtenlehre formulieren, welche die Pflichtenlehre
ersetzt, die Cicero in ‹De officiis› entworfen hatte und ihm den Ruf eingebracht
hat, der Begründer einer christlichen Ethik zu sein (Winger 1999 [*3096: I 12]).

4. NACHWIRKUNG

Obwohl einige Codices des 9. und 11. Jahrhunderts erhalten sind, welche die
Werke des Laktanz überliefern (vgl. Wlosok, Heck 2005 [*2933: IX]), ist eine Re-
zeption seines Œuvres in der lateinischen Literatur des Mittelalters nicht greifbar.

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1052 VIII. Philosophie im frühen Christentum der vornizänischen Zeit

Zuverlässig nachgewiesen ist die Kenntnis seiner Werke durch Hieronymus und
Augustinus (vgl. Garnsey 2002 [*3105]) sowie einige weitere spätantike Autoren
(Nachweise bei Brandt 1897 [*2923: 269–278]). Erst humanistische Leser (z. B. Pe-
trarca, Pico della Mirandola, Erasmus) wissen Laktanz wiederum zu schätzen, al-
lerdings weniger seiner Philosophie oder Theologie wegen als vor allem wegen des
hohen Niveaus seiner Latinität und seiner engen Anknüpfung an die antike, rhe-
torisch bestimmte Bildungstradition (Wlosok 1989 [*3013: 403f.]).

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1053

BIBLIOGRAPHIE ZUM ACHTEN KAPITEL

Überblick [*1–*20]. – I. Anfänge: Die Schriften des Neuen Testaments [*26–*80]; Die sogenannten Apo-
stolischen Väter [*86–*149]. – II. Die Apologeten des 2. Jahrhunderts: Allgemeine Literatur [*155–*238];
Aristeides [*244–*265]; Justin [*271–*382]; Ps.-Justin [*388–*468]; Tatian [*474–*526]; Athenagoras
[*532–*604]; Theophilos von Antiochien [*609–*659]; Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse
[*665–*744]; Sextos-Sentenzen [*750–*786]. – III. Gnostizismus und Verwandtes: Überblick [*792–*873];
Sethianismus [*875–*924]; Basileides und seine Anhänger [*925–*950]; Valentinus und der Valentinianis-
mus [*952–*984]; Bardesanes (Bardaisan) von Edessa [*985–*1012]; Mani und der Manichäismus [*1013–
*1059]. – IV. Die sogenannten altkatholischen Theologen: Irenäus von Lyon [*1060–*1154]; Hippolyt von
Rom [*1158–*1309]; Q. Septimius Florens Tertullianus [*1315–*1530]. – V. Das alexandrinische Christen-
tum und sein weiteres Einflussgebiet: Überblick [*1536–*1553]; Clemens von Alexandrien [*1559–*1814];
Origenes [*1819–*2357]; Gregor Thaumaturgos [*2363–*2502]; Dionysios von Alexandrien [*2508–*2578];
Pamphilos [*2584–*2624]; Methodios [*2630–*2713]. – VI. Die lateinischen Apologeten: Minucius Felix
[*2718–*2801]; Arnobius von Sicca [*2807–*2916]; L. Caelius Firmianus Lactantius [*2921–*3130].

Überblick

1 A. von Harnack: Lehrbuch der Dogmenge-   8 A. Le Boulluec: La notion d’hérésie dans la litté-
schichte. I: Die Entstehung des kirchlichen rature grecque. IIe–IIIe siècles, I–II (Paris 1985).
Dogmas (Tübingen 1881, 41909).   9 P. Pilhofer: Presbyteron kreitton. Der Alters-
2 H. Chadwick: Philo and the Beginnings of beweis der jüdischen und christlichen Apologe-
Christian Thought, in: The Cambridge History ten und seine Vorgeschichte (Tübingen 1990)
of Later Greek and Early Medieval Philoso- [WUNT, 2. Reihe 39].
phy, edited by A. H. Armstrong (Cambridge 10 B. Aland: Marcion (ca. 85–160)/Marcioniten,
1967; ND 1970) 133–192. in: TRE 22 (1992) 89–101. – Wieder in: Aland
3 U. Wickert: Christus kommt zur Welt. Zur 2009 [*840: 318–340].
Wechselbeziehung von Christologie, Kosmo­ 11 D. Wyrwa: Hellenisierung des Christentums,
logie und Eschatologie in der Alten Kirche, in: in: Religion in Geschichte und Gegenwart 3
Kerygma und Logos. FS Carl Andresen, her- (Tübingen 42000) 1608f.
ausgegeben von A. M. Ritter (Göttingen 1979) 12 Ch. Markschies: Die Gnosis (München 2001,
461–481. 32010) [Beck Wissen 2173].

4 M. Hengel: Die Hellenisierung des antiken Ju- 13 J. J. Collins: The Literature of the Second
dentums als Praeparatio Evangelica, in: Das Temple Period, in: The Oxford Handbook of
Christentum in der antiken Welt (Stuttgart Jewish Studies, edited by M. Goodman et al.
1981) [Humanistische Bildung 4] 1–30. – Wie- (Oxford 2002) 53–78.
der in: Ders.: Kleine Schriften 1: Judaica et 14 A. M. Ritter: Christentum und Philosophie als
Hellenistica (Tübingen 1996) [WUNT 90] 295– Thema der frühkaiserzeitlichen Kirchenväter-
313. literatur, in: Religiöse Philosophie und philo-
5 E. F. Osborn: The Beginning of Christian Phi- sophische Religion der frühen Kaiserzeit.
losophy (Cambridge 1981). Literaturgeschichtliche Perspektiven, heraus-
6 C. R. Holladay: Fragments from Hellenistic Jew- gegeben von R. Hirsch-Luipold, H. Görge-
ish Authors, I–IV (Atlanta 1983–1996) [Soci- manns, M. von Albrecht (Tübingen 2009)
ety of Biblical Literature, Texts and Transla- [Ratio Religionis Studien 1; STAC 51] 199–233.
tions Series 20, 30, 39, 40]. 15 W. Löhr: Markion, in: RAC 24 (2010) 147–173.
7 Jewish Writings of the Second Temple Period. 16 Ch. Markschies: Hellenisierung des Christen-
Apocrypha, Pseudepigrapha, Qumran Sectarian tums. Sinn und Unsinn einer historischen Deu-
Writings, Philo, Josephus, edited by M. E. Stone tungskategorie (Leipzig 2012) [Forum Theo-
(Assen, Amsterdam 1984) [Compendia Rerum logische Literaturzeitung 25].
Iudaicarum ad Novum Testamentum 2,2].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1053 25.09.18 09:29


1054 Bibliographie zum achten Kapitel

17 S. Vollenweider: «Mitten auf dem Areopag». 20 M. Perkams: Einheit und Vielfalt der Philo­
Überlegungen zu den Schnittstellen zwischen sophie von der Kaiserzeit zur ausgehenden An-
antiker Philosophie und Neuem Testament, in: tike, in: PHILOSOPHIA in der Konkurrenz
Early Christianity 3 (2012) 296–320. von Schulen, Wissenschaften und Religionen.
18 G. Karamanolis: The Philosophy of Early Zur Pluralisierung des Philosophiebegriffs in
Christianity (Durham 2013). Kaiserzeit und Spätantike, herausgegeben von
19 J. M. Lieu: Marcion and the Making of a Here- Ch. Riedweg (Berlin, Boston 2017) [PhdA 34]
tic. God and Scripture in the Second Century 3–31.
(Cambridge 2015).

I. ANFÄNGE

Die Schriften des Neuen Testaments

Primärliteratur der von E. Hennecke begründeten und von W.


Schneemelcher fortgeführten Sammlung der
26 Novum Testamentum Graece, begründet von neutestamentlichen Apokryphen. I,1: Evange-
E. Nestle und E. Nestle, herausgegeben von B. lien und Verwandtes, herausgegeben von Ch.
Aland, K. Aland, J. Karavidopoulos, C. M. Markschies, J. Schröter, in Verbindung mit A.
Martini, B. M. Metzger (Stuttgart 282012). – Heiser (Tübingen 2012) 25–74.
Herausgegeben vom Institut für Neutestament-
liche Textforschung Münster/Westfalen unter
Biographie
der Leitung von H. Strutwolf.
45 G. Theißen, A. Merz: Der historische Jesus: ein
Lehrbuch (Göttingen 32001).
Sekundärliteratur 46 T. Vegge: Paulus und das antike Schulwesen:
Schule und Bildung des Paulus (Berlin, New
York 2006) [BZNW 134].
47 Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, her-
Bibliographien
ausgegeben von O. Wischmeyer (Tübingen
31 American Theological Library Association: 2012).
Index to book reviews in religion, Religion 48 Paulus Handbuch, herausgegeben von F. W.
­d atabase (https://www.atla.com/products/ Horn (Tübingen 2013).
prodinfo/Pages/ATLA-RDB.aspx [Stand: Juli 49 Jesus Handbuch, herausgegeben von J. Schrö-
2018]). ter (Tübingen 2017).
32 Bibliographie biblique informatisée de Lausanne
(https://www.unil.ch/irsb/home/menuguid/bibil.
Einführungen und Gesamtdarstellungen
html [Stand: Juli 2018]).
53 R. Bultmann: Theologie des Neuen Testaments
(Tübingen 1948, 91984). – Klassisch geworde-
Textüberlieferung und Textgeschichte
ner Gesamtentwurf, von der Philosophie Mar-
38 K. Aland, B. Aland: Der Text des Neuen Testa- tin Heideggers erheblich beeinflusst.
ments: Einführung in die wissenschaftlichen 54 L. W. Hurtado: Lord Jesus Christ. Devotion to
Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der mo- Jesus in Earliest Christianity (Cambridge
dernen Textkritik (Stuttgart 21989). 2003).
39 Ch. Markschies: Zur Geschichte eines christli- 55 K. Berger: Formen und Gattungen im Neuen
chen ‘Kanons’ der Bücher des Alten und Testament (Tübingen 2005).
Neuen Testaments, in: Antike christliche Apo-
kryphen in deutscher Übersetzung. 7. Auflage

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1054 25.09.18 09:29


Die sogenannten Apostolischen Väter 1055
56 Einleitung in das Neue Testament, herausgege- 70 G. H. van Kooten: Paul’s Anthropology in
ben von M. Ebner, S. Schreiber (Stuttgart 22013) Context (Tübingen 2008) [WUNT 232].
[Kohlhammer Studienbücher Theologie 6]. 71 J. Müller: Willensschwäche und innerer
57 U. Schnelle: Einleitung in das Neue Testament Mensch in Röm 7 und bei Origenes. Zur christ-
(Göttingen 92017). lichen Tradition des Handelns wider besseres
Wissen, in: ZNW 100 (2009) 223–246.
72 J. Dochhorn: Zu den religionsgeschichtlichen
Einzelne Werkgruppen, Schriften, Probleme,
Voraussetzungen trinitarischer Gottesvorstel-
Begriffe
lungen im frühen Christentum und in der Reli-
62 Th. K. Heckel: Der Innere Mensch. Die pauli- gion Israels, in: Trinitität, herausgegeben von
nische Verarbeitung eines platonischen Motivs V. H. Drecoll (Tübingen 2011) 11–79.
(Tübingen 1993) [WUNT, 2. Reihe 53]. 73 S. Vollenweider: «Mitten auf dem Areopag».
63 H. Löhr: Anthropologie und Eschatologie im Überlegungen zu den Schnittstellen zwischen
Hebräerbrief, in: Eschatologie und Schöpfung. antiker Philosophie und Neuem Testament, in:
FS Erich Gräßer, herausgegeben von M. Early Christianity 3 (2012) 296–320.
Evang, H. Merklein, M. Wolter (Berlin 1997) 74 H. Löhr: Good as a Moral Category in the
[BZNW 89] 169–199. Early Jesus Tradition, in: Early Christian
64 G. E. Sterling: Hellenistic Philosophy and the Ethics in Interaction with Jewish and Greco-
New Testament, in: Handbook to the Exegesis Roman Contexts, edited by J. W. van Henten,
of the New Testament, edited by S. E. Porter J. Verheyden (Leiden 2013) [Studies in Theo-
(Leiden 1997) [New Testament Tools and Stu- logy and Religion 17] 205–222.
dies 25] 313–358. 75 H. Löhr: Paulus I, in: RAC 26 (2014) 1166–
65 T. Engberg-Pedersen: Paul and the Stoics 1194.
(Edinburgh 2000). 76 H. Löhr: Paulus II, in: RAC 26 (2014) 1194–
66 S. Vollenweider: Der Geist Gottes als Selbst 1215.
der Glaubenden, in: Ders.: Horizonte neutes- 77 H. Löhr: Paulus und das Gute. Ein Annähe-
tamentlicher Christologie (Tübingen 2002) rungsversuch, in: Ethos und Theologie im
[WUNT 144] 163–192. Neuen Testament. FS Michael Wolter, heraus-
67 Ph. Bosman: Conscience in Philo and Paul. A gegeben von J. Flebbe, M. Konradt (Neukir-
Conceptual History of the Synoida Word chen-Vluyn 2016) 289–309.
Group (Tübingen 2003) [WUNT, 2. Reihe 166].
68 W. Eisele: Ein unerschütterliches Reich. Die
Wirkungsgeschichte
mittelplatonische Umformung des Parusie­
gedankens im Hebräerbrief (Berlin 2003) 80 Encyclopedia of the Bible and its Reception
[BZNW 116]. (Berlin, New York 2009ff.).
69 M. Mayordomo: Argumentiert Paulus logisch?
Eine Analyse vor dem Hintergrund antiker
Logik (Tübingen 2005) [WUNT 188].

Die sogenannten Apostolischen Väter

Ausgaben, Übersetzungen 88 Patrum Apostolicorum Opera […], edidit C. J.


Hefele (Tubingae 1839).
86 J.-B. Cotelier: SS. Patrum qui temporibus 89 The Apostolic Fathers: A Revised Text with
apostolicis floruerunt, Barnabæ, Clementis, Introductions, Notes, Dissertations and
Hermæ, Ignatii, Polycarpi opera edita et non Translations by J. B. Lightfoot, I–V (London
21889–1890; ND Hildesheim, New York 21973).
edita, vera et supposita, græce et latine, cum
notis (Paris 1672). – Erste Druckausgabe der – 3. Auflage von M. W. Holmes (Grand Rapids
Apostolischen Väter. MI 2007).
87 Bibliotheca Veterum Patrum Antiquorumque 90 Die Apostolischen Väter. Neubearbeitung der
Scriptorum Ecclesiasticorum, cura et studio Funkschen Ausgabe von K. Bihlmeyer, 2. Auf­
A. Gallandii, I–XIV (Venetiis 1765–1781). lage mit einem Nachwort von W. Schnee-
melcher (Tübingen 21956) [Sammlung ausge­

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1055 25.09.18 09:29


1056 Bibliographie zum achten Kapitel

wählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Kommentare


Quellenschriften 2,1].
119 Die Didache, erklärt von K. Niederwimmer
91 Schriften des Urchristentums. I: Die apostoli-
(Göttingen 1989, 21993) [KAV 1].
schen Väter, eingeleitet, herausgegeben, übertra-
120 Der Hirt des Hermas, übersetzt und erklärt
gen und erläutert von J. A. Fischer (Darmstadt
von N. Brox (Göttingen 1991) [KAV 7].
1964–2011). – Verschiedene Auflagen.
121 Die Polykarpbriefe, übersetzt und erklärt von
92 Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche
J. B. Bauer (Göttingen 1995) [KAV 5].
Parallelausgabe. Auf der Grundlage der Aus-
122 Das Martyrium des Polykarp, übersetzt und
gabe von F. X. Funk, K. Bihlmeyer und M. Whit-
erklärt von G. Buschmann (Göttingen 1998)
taker, mit Übersetzungen von M. Dibelius und
[KAV 6].
D.-A. Koch, neu übersetzt und herausgegeben
123 Der erste Clemensbrief, übersetzt und erklärt
von A. Lindemann, H. Paulsen (Tübingen 1992).
von H. E. Lona (Göttingen 1998) [KAV 2].
93 B. D. Ehrman: The Apostolic Fathers, I–II
124 Der Barnabasbrief, übersetzt und erklärt von
(Cambridge MA, London 2003) [LCL 24–25].
F. R. Prostmeier (Göttingen 1999) [KAV 8].
125 An Diognet, übersetzt und erklärt von H. E.
Lona (Freiburg i. Br. 2001) [KfA 8].
Index
126 Der zweite Clemensbrief, übersetzt und erklärt
von W. Pratscher (Göttingen 2007) [KAV 3].
99 Clavis patrum apostolicorum: Catalogum
127 Clement: Introduction, Text, and Commen-
vocum in libris patrum qui dicuntur apostolici
tary, edited by C. Tuckett (Oxford 2012) [Ox-
non raro occurrentium adiuvante U. Früchtel
ford Apostolic Fathers].
congessit contulit conscripsit H. Kraft (Mün-
128 The Epistle to Diognetus (with the Fragment
chen 1963; ND Darmstadt 1998). – Es fehlt der
of Quadratus). Introduction, Text, and Com-
Wortschatz des Martyriums Polycarps.
mentary, edited by C. N. Jefford (Oxford
2013) [Oxford Apostolic Fathers].
Sekundärliteratur
Einführungen und Gesamtdarstellungen
134 C. N. Jefford: Reading the Apostolic Fathers.
Bibliographien An Introduction (Peabody MA 1996).
135 Trajectories through the New Testament and
105 American Theological Library Association:
the Apostolic Fathers, edited by A. F. Greg­
Index to book reviews in religion, Religion
ory, Ch. Tuckett (Oxford 2005) [The New
­database (https://www.atla.com/products/
­Testament and the Apostolic Fathers 2].
prodinfo/Pages/ATLA-RDB.aspx [Stand: Juli
136 The Writings of the Apostolic Fathers, edited
2018]).
by P. Foster (London, New York 2007).
106 Bibliographie biblique informatisée de
137 Die Apostolischen Väter. Eine Einleitung,
­L ausanne (https://www.unil.ch/irsb/home/
her­ausgegeben von W. Pratscher (Göttingen
menuguid/bibil.html [Stand: Juli 2018]).
2009). – Englische Ausgabe: The Apostolic
Fathers. An Introduction (Waco TX 2010).
Textüberlieferung und Textgeschichte
112 The Apostolic Fathers: A Revised Text with Einzelne Werkgruppen, Schriften, Probleme,
Introductions, Notes, Dissertations and Begriffe
Translations by J. B. Lightfoot, I–V (London
21889–1890; ND Hildesheim, New York
143 A. von Harnack: Einführung in die alte Kir-
21973). – 3. Auflage von M. W. Holmes (Grand
chengeschichte. Das Schreiben der römischen
Kirche an die korinthische aus der Zeit Do-
Rapids MI 2007).
mitians (1. Clemensbrief), übersetzt und den
113 O. Bardenhewer: Geschichte der altkirchli-
Studierenden erklärt von A. von Harnack
chen Literatur. I: Vom Ausgang des apostoli-
(Leipzig 1929).
schen Zeitalters bis zum Ende des zweiten
144 M. Spanneut: Le stoïcisme des Pères de
Jahrhunderts (Freiburg i. Br. 21913; ND
l’Église. De Clément de Rome à Clément
Darmstadt 22007).
d’Alexandrie (Paris 1957) [Patristica Sorbo-
nensia 1].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1056 25.09.18 09:29


Allgemeine Literatur 1057
145 O. M. Bakke: «Concord and Peace». A Rhe­ 147 C. N. Jefford: The Apostolic Fathers and the
torical Analysis of the First Letter of Clement New Testament (Peabody MA 2006).
with an Emphasis on the Language of Unity 148 D. Wyrwa: Kosmos, in: RAC 21 (2006) 614–761.
and Sedition (Tübingen 2001) [WUNT, 2. 149 M. Foucault: Du gouvernement des vivants.
Reihe 141]. Cours au Collège de France (1979–1980), édi-
146 A. Brent: Ignatius of Antioch and the Second tion établie sous la direction de F. Ewald et A.
Sophistic (Tübingen 2006) [STAC 36]. Fontana par M. Senellart (Paris 2012).

II. DIE APOLOGETEN DES 2. JAHRHUNDERTS

Allgemeine Literatur

Primärliteratur 158 Vol. XVII: The Clementine Homilies. The


Apostolical Constituations, translated by Th.
Smith, P. Peterson, J. Donaldson (Edinburgh
1870).
Quellen
164 J. Geffcken: Zwei Griechische Apologeten
155 Corpus apologetarum Christianorum saeculi (Leipzig, Berlin 1907; ND Hildesheim, New
secundi, edidit I. C. Th. Eques de Otto, I–IX York 1970) [Sammlung wissenschaftlicher
(Ienae 1842–1872, 31876–1881): Kommentare zu Griechischen und Römi-
Vol. I et II: Iustinus Philosophus et Martyr, schen Schriftstellern].
Tom. I, Pars I et II: Opera Iustini indubitata 165 Die ältesten Apologeten. Texte mit kurzen
(31876f.). Einleitungen, herausgegeben von E. J.
Vol. III: Iustinus Philosophus et Martyr, Tom. Goodspeed (Göttingen 1914).
II: Opera Iustini addubitata (31879). 166 Padres Apologistas griegos (s. II). Introduc-
Vol. IV: Iustinus Philosophus et Martyr, Tom. ción, texto griego, versión española y notas de
III, Pars I: Opera Iustini subditicia (31880). D. Ruiz Bueno (Madrid 1954) [Biblioteca de
Vol. V: Iustinus Philosophus et Martyr, Tom. Autores cristianos 116].
III, Pars II: Opera Iustini subditicia (31881).
Vol. VI: Tatianus Assyrius (1851).
Index
Vol. VII: Athenagoras Atheniensis (1857).
Vol. VIII: Theophilus Antiochenus (1861). 172 Index Apologeticus sive clavis Iustini Marty-
Vol. IX: Hermiae philosophi irrisio gentilium ris Operum aliorumque Apologetarum pris-
philosophorum. Apologetarum Quadrati, tinorum, composit E. J. Goodspeed (Leipzig
Aristidis, Aristonis, Miltiadis, Melitonis, 1912). – Nicht eingeschlossen ist der Wort-
Apollinaris reliquiae (1872). schatz von Theophilos’ ‹Ad Autolycum›.

Ante-Nicene Christian Library: Translations


of the Writings of the Fathers down to A.D. Sekundärliteratur
325, edited by A. Roberts, J. Donaldson (ND
Buffalo 1885–1896, Grand Rapids MA 1977–
1979):
Bibliographie
156 Vol. II: The Writings of Justin Martyr and
Athenagoras, translated by M. Dods, G. 178 A. Wartelle: Bibliographie historique et cri-
Reith, B. P. Pratten (Edinburgh 1867). tique de Saint Justin Philosophe et Martyr et
157 Vol. III: The Writings of Tatian, Theophilus, des Apologistes grecs du IIe siècle, 1494–1994.
and the Clementine Recognitions, translated Avec un supplément (1995–1998) (Paris 2001).
by B. P. Pratten, M. Dods, Th. Smith (Edin-
burgh 1867).

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1057 25.09.18 09:29


1058 Bibliographie zum achten Kapitel

Literatur II: Message évangélique et culture hellénis-


tique aux IIe et IIIe siècles (Paris 1958–1961)
184 A. Harnack: Die Überlieferung der griechi-
[Bibliothèque de Théologie].
schen Apologeten des zweiten Jahrhunderts
198 J. H. Waszink: Bemerkungen zum Einfluss
in der Alten Kirche und im Mittelalter (Leip-
des Platonismus im frühen Christentum, in:
zig 1882) [TU 1,1–2].
VChr 19 (1965) 129–162.
185 O. von Gebhardt: Zur handschriftlichen
199 O. Gigon: Die antike Kultur und das Chris-
Überlieferung der griechischen Apologeten
tentum (Gütersloh 1966).
des zweiten Jahrhunderts. I: Der Arethas­
200 G. Glockmann: Homer in der frühchristli-
codex, Paris. Gr. 451 (Leipzig 1883) [TU 1,3].
chen Literatur bis Justinus (Berlin 1968) [TU
186 A. Harnack: Geschichte der Altchristlichen
105].
Literatur bis Eusebius. Teil I,1 und 2: Die
201 N. Zeegers-Vander Vorst: Les citations des
Überlieferung und der Bestand (Leipzig
poètes grecs chez les apologistes chrétiens du
1893, 21958); Teil II,1: Die Chronologie der
IIe siècle (Louvain 1972).
Literatur bis Irenäus nebst einleitenden Un-
202 R. Joly: Christianisme et philosophie. Études
tersuchungen (Leipzig 1897, 21958); Teil II,2:
sur Justin et les Apologistes grecs du deu­
Die Chronologie der Literatur von Irenäus
xième siècle (Bruxelles 1973).
bis Eusebius (Leipzig 1904, 21958).
203 P. Nautin: Genèse 1,1–2, de Justin à Origène,
187 A. Puech: Les Apologistes grecs du IIe siècle
in: IN PRINCIPIO. Interprétations des pre-
de notre ère (Paris 1912).
miers versets de la Genèse, éditées par le
188 I. Giordani: La prima polemica cristiana. Gli
Centre d’Études des Religions du Livre. La-
apologisti greci del secondo secolo (Torino
boratoire associé au C.N.R.S. (Paris 1973)
1930, Brescia 21943).
61–94.
189 A. Casamassa: Gli Apologisti greci (Roma
204 L. W. Barnard: Apologetik I. Alte Kirche, in:
1944).
TRE 3 (1978) 371–411.
190 M. Pellegrino: Gli apologeti greci del II se-
205 G. May: Schöpfung aus dem Nichts. Die Ent-
colo. Saggio sui rapporti fra il cristianesimo
stehung der Lehre von der creatio ex nihilo
primitive e la cultura classica (Roma 1947).
(Berlin, New York 1978) [AKG 48].
191 M. Pellegrino: Studi su l’antica apologetica
206 W. Palmer: Atheism, Apologetic, and Nega-
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1060 Bibliographie zum achten Kapitel

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Justin

Kritische Ausgaben 272 Justin: Dialogue avec Tryphon. Texte grec,


traduction française, introduction, notes et
271 Fragmente vornicänischer Kirchenväter aus index par G. Archambault, I–II (Paris 1909).
den Sacra Parallela, herausgegeben von K. 273 The Apologies of Justin Martyr, edited by
Holl (Leipzig 1899) [TU 20,2]. – 32–55: Nr. A. W. F. Blunt (Cambridge 1911).
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Justin 1061
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edit­ed by M. Marcovich (Berlin, New York with E. R. Fairweather, E. R. Hardy, M. H.
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corso cristiano del II secolo, a cura di A. 297 La philosophie passe au Christ. L’œuvre de
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281 Pseudo-Justin: Über die Auferstehung. Text 298 The Ante-Nicene Fathers. Translations of the
und Studie von M. Heimgartner (Berlin, New Writings of the Fathers down to AD. 325,
York 2001) [PTS 54]. edit­ed by A. Roberts, J. Donaldson, revised
282 Justin Martyr: Dialogue avec Tryphon. Édi- and chronologically arranged with brief pre-
tion critique par Ph. Bobichon, I–II (Fribourg faces and occasional notes by A. Cleveland
2003) [Paradosis 47,1–2]. Cox. I: The Apostolic Fathers with Justin
283 Justin: Apologie pour les Chrétiens. Introduc- Martyr and Irenaeus, translated by M. Dods,
tion, texte critique, traduction et notes par G. Reith, A. Roberts. American Reprint of
Ch. Munier (Paris 2006) [SC 507]. the Edinburgh Edition, Buffalo, New York
284 Justin, Philosopher and Martyr: Apologies. 1885 (Grand Rapids MA 1979).
Edited with an Introduction, Translation, and 299 Giustino: Apologia. Introduzione, tradu­
Commentary on the Text by D. Minns, P. Par- zione, note e apparati di G. Girgenti (Roma
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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1061 25.09.18 09:29


1062 Bibliographie zum achten Kapitel

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tin Martyr, elucidated from his Portrait of [*368: 88–94, 191–193].
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358 A. Rudolph: «Denn wir sind jenes Volk …». 2. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zur anti-
Die neue Gottesverehrung in Justins Dialog ken Philosophie – Justin und Tertullian als
mit dem Juden Tryphon in historisch-theolo- Exponenten unterschiedlicher Grundorien-
gischer Sicht (Bonn 1999) [Hereditas 15]. tierungen?, in: Early Christianity 3 (2012)
359 S. J. G. Sanchez: Justin Apologiste chrétien. 321–348.
Travaux sur le Dialogue avec Tryphon de Jus- 374 T. Georges: Justin’s School in Rome – Reflec-
tin Martyr (Paris 2000) [Cahiers de la Revue tions on Early Christian ‘Schools’, in: ZAC 16
Biblique 50]. (2012) 75–87.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1063 25.09.18 09:29


1064 Bibliographie zum achten Kapitel

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Identités religieuses et culture grecque dans 380 R. M. Thorsteinsson: Justin’s Debate with
l’Antiquité tardive. Textes édités par A. Per- ­Crescens the Stoic, in: ZAC 17 (2013) 451–478.
rot (Paris 2012) [Études de littérature an­ 381 T. Georges: «… herrlichste Früchte echtester
cienne 20] 61–122. Philosophie …» – Schulen bei Justin und Ori-
376 R. M. Thorsteinsson: The Literary Genre and genes im frühen Christentum sowie bei den
Purpose of Justin’s Second Apology: A Criti- zeitgenössischen Philosophen, in: Millennium
cal Review with Insights from Ancient Epis- 11 (2014) 23–39.
tolography, in: HThR 105 (2012) 91–114. 382 T. Georges: The Role of Philosophy and Educa-
377 J. Ulrich: What do we know about Justin’s tion in Apologists’ Conversion to Christianity.
‘School’ in Rome?, in: ZAC 16 (2012) 62–74. The Case of Justin and Tatian, in: Conversion
378 T. L. Donaldson: ‘We Gentiles’: Ethnicity and and Initiation in Antiquity. Shift­ing Identities –
Identity in Justin Martyr, in: Early Christia- Creating Change, edited by B. Bøgh (Frankfurt
nity 4 (2013) 216–241. a. M. 2014) [ECCA 16] 271–285.
379 A. Klostergaard Petersen: Justin Martyr in
Search of the Self, in: Religious Dimensions

Ps.-Justin

Kritische Ausgaben 396 Pseudojustino: Discurso contra los griegos,


Sobra la monarquía, Exhortación a los grie-
388 J. Geffcken: Der Brief an Diognetos, heraus- gos. Introduction, traduction y notas de A. S.
gegeben von J. Geffcken (Heidelberg 1928) Rodríguez (Leon 2008) [Ediciones griegas y
[Kommentierte griechische und lateinische latinas 8].
Texte 4]. 397 Pseudo-Justin: Ouvrages apologetiques. Ex-
389 The Epistle to Diognetus. The Greek Text hortation aux Grecs (Marcel d’Ancyre?), Dis-
with Introduction, Translation and Notes by cours aux Grecs, Sur la Monarchie.
Meecham (Manchester 1949). Introduction, texte grec, traduction et notes
390 The Epistle to Diognetus, edited with Intro- par B. Pouderon avec la collaboration de C.
duction and Glossary by J. J. Thierry (Leiden Bost-Pouderon, M.-J. Pierre et P. Pilard
1964) [Textus minores 33]. (Paris 2009) [SC 528].
391 À Diognète. Introduction, édition critique, 398 The Epistle to Diognetus (with the Fragment
traduction et commentaire par H. I. Marrou of Quadratus). Introduction, Text, and Com-
(Paris 21965) [SC 33bis]. mentary, edited by C. N. Jefford (Oxford
392 Schriften des Urchristentums. II: Didache 2013) [Oxford Apostolic Fathers].
(Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Kle-
mensbrief, Schrift an Diognet, eingeleitet,
­herausgegeben, übersetzt und erläutert von Übersetzungen
K. Wengst (Darmstadt 1984).
393 Pseudo-Iustinus: Cohortatio ad Graecos, De 404 Pseudo-Justinus: Mahnrede an die Hellenen,
Monarchia, Oratio ad Graecos, edited by M. aus dem Griechischen übersetzt und mit einer
Marcovich (Berlin 1990) [PTS 32]. Einleitung versehen von Ph. Haeuser, in:
394 A Diogneto. Introduzione, traduzione e note Haeu­ser 1917 [*292: 235–292].
di E. Norelli (Milano 1991) [Letture cristiane 405 H. U. Meyboom: Justijn de Maartelaar (Lei-
del primo millenio 11]. den 1922) [Oud-Christelijke geschriften in
395 Ps.-Justin (Markell von Ankyra?) ‹Ad Grae- Nederlandsche Vertaling 32].
cos De vera religione› (bisher ‹Cohortatio ad 406 The Writings of Saint Justin Martyr: The First
Graecos›). Einleitung und Kommentar von Apology, the Second Apology, Dialogue with
Ch. Riedweg, I–II (Basel 1994) [SBA 25,1–2]. Trypho, Exhortation to the Greeks, Dis-
course to the Greeks, the Monarchy, or the
Rule of God, translated by Th. B. Falls
( Washington 1948) [The Fathers of the
­
Church. A New Translation 6].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1064 25.09.18 09:29


Ps.-Justin 1065
407 An Diognet, übersetzt und erklärt von H. E. ber, A. Hermann (Münster 1964) [JbAC Er-
Lona (Freiburg i. Br. 2001) [KfA 8]. gänzungsband 1] 273–281.
408 Apologie à Diognète, Exhortation aux Grecs. 427 R. M. Grant: Early Christianity and Greek
Traduction par M. Bourlet, introduction et Comic Poetry, in: CPh 60 (1965) 157–163. –
notes par R. Minnerath (Paris 2002). Wieder in: Grant 1983 [*437: Kap. VIII].
428 S. Pétrement: Valentin est-il l’auteur de
l’Épître à Diognète?, in: RHPhR 46 (1966)
Sekundärliteratur 34–62.
429 W. Eltester: Das Mysterium des Christen-
414 E. Schürer: Julius Africanus als Quelle der tums. Anmerkungen zum Diognetbrief, in:
pseudojustinischen Cohortatio ad Graecos, ZNW 61 (1970) 278–293.
in: ZKG 2 (1878) 319–331. 430 C. M. Nielsen: The Epistle to Diognetus: Its
415 Doxographi Graeci, collegit recensuit prole- Date and Relationship to Marcion, in: Angli-
gomenis indicibusque instruxit H. Diels (Be- can Theological Review 52 (1970) 77–91.
rolini 1879). 431 N. Zeegers-Vander Vorst: Les versions juives
416 J. Dräseke: Der Verfasser des fälschlich Justi- et grecques du fragment 245–247 d’Orphée,
nus beigelegten Λόγος παραινετικὸς πρὸς in: AC 39 (1970) 475–506.
Ἑλλήνας, in: ZKG 7 (1885) 257–302. 432 R. Brändle: Die Ethik der Schrift an Diognet.
417 J. R. Asmus: Ist die pseudojustinische Cohor- Eine Wiederaufnahme paulinischer und jo-
tatio ad Graecos eine Streitschrift gegen Ju- hanneischer Theologie am Ausgang des zwei-
lian?, in: Zeitschrift für wissenschaftliche ten Jahrhunderts (Zürich 1975) [Abhand-
Theologie 38 (1895) 115–155. lungen zur Theologie des Alten und Neuen
418 J. R. Asmus: Ein Bindeglied zwischen der Testaments 64].
pseudojustinischen Cohortatio ad Graecos 433 R. Brändle: ‘Paulinismus’ und ‘Gnosis’ in der
und Julians Polemik gegen die Galiläer (Dion Schrift an Diognet, in: ZKG 90 (1979) 41–62.
Chrysost. Or. XII), in: Zeitschrift für wissen- 434 A. Lindemann: Paulinische Theologie im
schaftliche Theologie 40 (1897) 268–284. Brief an Diognet, in: Kerygma und Logos. FS
419 J. Dräseke: Zu Apollinarios’ von Laodicea Carl Andresen, herausgegeben von A. M. Rit-
‹Ermunterungsschrift an die Hellenen›, in: ter (Göttingen 1979) 337–350.
Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 435 U. Wickert: Christus kommt zur Welt. Zur
43 (1900) 227–236; 46 (1903) 407–433. Wechselbeziehung von Christologie, Kosmo­
420 E. R. Goodenough: The Pseudo-Justinian logie und Eschatologie in der Alten Kirche,
‹Oratio ad Graecos›, in: HThR 18 (1925) 187– in: Kerygma und Logos. FS Carl Andresen,
200. herausgegeben von A. M. Ritter (Göttingen
421 E. Molland: Die literatur- und dogmenge- 1979) 461–481.
schichtliche Stellung des Diognetbriefes, in: 436 M. Simonetti: In margine alla polemica anti-
ZNW 33 (1934) 289–312. – Wieder in: Ders.: platonica della Cohortatio ps. giustinea, in:
Opuscula Patristica (Oslo 1970) 79–101. Scritti in memoria di Angelo Brelich, a cura
422 L. Alfonsi: Traces du jeune Aristote dans la di V. Lanternari, M. Massenzio, D. Sabba-
‹Cohortatio ad Gentiles› faussement attri- tucci (Bari 1982) 577–589.
buée à Justin, in: VChr 2 (1948) 65–88. 437 R. M. Grant: Christian Beginnings: Apoca-
423 R. M. Grant: The Problem of Theophilus, in: lypse to History (London 1983).
HThR 43 (1950) 179–196. – Wieder in: Grant 438 R. M. Grant: Homer, Hesiod, and Heracles in
1983 [*437: Kap. XXI]. Pseudo-Justin, in: VChr 37 (1983) 105–109.
424 R. M. Grant: Studies in the Apologists: I. 439 W. C. van Unnik: The Character of Early
Tatian’s Theological Method, II. The Cohor- Christian Apologetics in the Pseudo-Justi-
tatio of Pseudo-Justin, in: HThR 51 (1958) nian Oratio ad Graecos, in: van Unnik 1983
123–134. [*258: III 59–70]. – Unter dem Titel ‹Het Ka-
425 R. M. Grant: Greek Literature in the Treatise rakter van de oudchristelijke Apologetiek in
‹De Trinitate› and Cyril ‹Contra Julianum›, de pseudo-justiniaanse Oratio ad Graecos›
in: JThS 15 (1964) 264–279. ursprünglich erschienen in: Nederlands Theo-
426 M. Pellegrino: Il ‘topos’ dello ‘status rectus’ logisch Tijdschrift 7 (1952/53) 129–141.
nel contesto filosofico e biblico (a proposito
di Ad Diognetum 10,1–2), in: Mullus. FS
Theodor Klauser, herausgegeben von A. Stui­

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1065 25.09.18 09:29


1066 Bibliographie zum achten Kapitel

440 R. G. Tanner: The Epistle to Diognetus and 453 R. Noormann: Himmelsbürger auf Erden. An-
Contemporary Greek Thought, in: StPatr 15 merkungen zum Weltverhältnis und zum Pau-
(1984) [TU 128] 495–508. linismus des Auctor ad Diognetum, in: Die
441 Th. Baumeister: Zur Datierung der Schrift an Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche.
Diognet, in: VChr 42 (1988) 105–111. FS Ulrich Wickert, herausgegeben von D.
442 F. Blanchetière: Au cœur de la cité: Le chré- Wyrwa, B. Aland, Chr. Schäublin (Berlin, New
tien philosophe selon l’‹à Diognète› 5–6, in: York 1997) [BZNW 85] 199–229.
Recherches de science religieuse 63 (1989) 454 R. C. Holladay: Pseudo-Orpheus: Tracking a
183–194. Tradition, in: The Early Church in its Con-
443 M. Rizzi: La questione dell’unità dell’‹Ad text. Essays in honor of E. Ferguson, edited
Dio­g netum› (Milano 1989) [Studia Patristica by A. J. Malherbe, F. W. Norris, J. W. Thomp-
Mediolanensia 16]. son (Leiden, Boston 1998) 192–220.
444 U. Amadio: Pseudo-Giustino, Peri Monar- 455 C. Dell’Ossio: La ‹Cohortatio ad Graecos› at-
chia: il fascino della poesia, in: Revue Béné- tribuita a Giustino, in: Rivista di scienze reli-
dictine 39 (1992) 291–295. giose 13 (1999) 219–234.
445 Ch. Riedweg: Jüdisch-hellenistische Imita- 456 K. Schneider: Die Stellung der Juden und
tion eines orphischen Hieros Logos. Beob- Christen in der Welt nach dem Diognetbrief,
achtungen zu OF 245 und 247 (sog. Testament in: JbAC 42 (1999) 20–41.
des Orpheus) (Tübingen 1993) [Classica Mo- 457 Ch. Riedweg: Iustinus Martyr II (Pseudo-justi-
nacensia 7]. nische Schriften), in: RAC 19 (2001) 848–873.
446 Ch. Riedweg: A Christian Middle-Platonic 458 B. Pouderon: Mυθωδῶς, μυστικῶς: l’hermé­
Document – Ps.-Justin’s Ad Graecos de vera neutique de la Cohortatio ad Graecos resti-
religione hitherto known as Cohortatio ad tuée à Marcel d’Ancyre, in: REAug 49 (2003)
Graecos, in: StPatr 26 (1993) 177–183. 267–283.
447 R. Radice: La filosofia di Aristobulo e i suoi 459 B. Pouderon: Marcel d’Ancyre et la Cohorta-
nessi con il ‹De mundo› attribuito a Aristo- tio ad Graecos attribuée à Justin, in: Chartae
tele: con due appendici contenenti i fram- caritatis. Études de patristique et d’antiquité
menti di Aristobulo, traduzione a fronte e tardive en hommage à Yves-Marie Duval,
presentatione delle varianti (Milano 1994, éditées par B. Gain, P. Jay, G. Nauroy (Paris
2
1995). 2004) 235–262.
448 E. Norelli: I cristiani ‘anima del mondo’. L’A 460 Ch. E. Hill: From the Lost Teaching of Poly-
Diogneto nello studio dei rapporti tra cristia- carp. Identifying Irenaeus’ Apostolic Presby-
nesimo e imperio, in: Cristianesimo e istitu­ ter and the Author of ‹Ad Diognetum›
zioni politiche. Da Augusto a Costantino, a (Tübingen 2006) [WUNT 186].
cura di E. Dal Covolo, R. Uglione (Roma 461 B. Pouderon: Deux lieux de pèlerinage judéo-
1995) [Biblioteca di scienze religiose 117] 53– hellénistiques sous Constantin: Pharos et
73. Cumes, in: Pèlerinages et lieux saints dans
449 R. C. Holladay: Fragments from Hellenistic l’Antiquité et le Moyen-Âge. Mélanges Pierre
Jewish Authors. IV: Orphica (Atlanta GA Maraval, édités par B. Caseau, J.-C. Cheynet,
1996). V. Deroche (Paris 2006) 395–415.
450 R. C. Holladay: The Textual Tradition of 462 B. Pouderon: Allégorie d’expression et allégo-
Pseudo-Orpheus: Walter or Riedweg?, in: Ge- rie d’interpretation chez Héraclite et Marcel
schichte – Tradition – Reflexion. FS Martin d’Ancyre, in: Culture classique et christia-
Hengel, herausgegeben von H. Cancik, H. nisme. Mélanges Jean Bouffartigue. Textes
Lichtenberger, P. Schäfer (Tübingen 1996) I réunis par A. Auger, É. Wolff (Paris 2008)
159–180. 115–137.
451 M. Rizzi: La cittadinanza paradossale dei 463 Ch. Riedweg: Literatura órfica en ámbito
cristiani (Ad Diognetum 5–6). Le trasforma- judio, in: Orfeo y la tradición órfica. Un reen-
zioni cristiane di un τόπος retorico, in: Annali cuentro, coordinado por A. Bernabé, F. Casa-
di scienze religiose 1 (1996) 221–260. desús (Madrid 2008) [Akal Universitaria.
452 A. Whealy: To Tatian on the soul, in: Re­ Seri Religiones y mitos 280] 379–392.
cherches de théologie ancienne et médiévale
63 (1996) 136–145.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1066 25.09.18 09:29


Tatian 1067
464 L. Arcari: Memorie monoteistiche ‘pagane’ 466 B. Crowe: Oh Sweet Exchange! The Soterio-
nella ‹Cohortatio ad Graecos› ps. giustinea: logical Significance of the Incarnation in the
l’unicità divina come strumento di auto-defi- Epistle to Diognetus, in: ZNW 102 (2011) 96–
nitione e/o di attaco, in: Temi e forme della 109.
polemica in età cristiana (III–V secolo), a 467 M. Simonetti: In margine allo Pseudogius-
cura di M. Marin, M. Veronese (Bari 2011) tino, in: Augustinianum 51 (2011) 5–19.
283–315. 468 L. Perendy: The Threads of Tradition: The
465 M. F. Bird: The Reception of Paul in the ­Parallelisms between ‹Ad Diognetum› and
Epistle to Diognetus, in: Paul in the Second ‹Ad Autolycum›, in: StPatr 65 (2013) 197–207.
Century, edited by M. F. Bird, J. R. Dodson
(London, New York 2011) [Library of New
Testament Studies] 70–90.

Tatian

Kritische Ausgaben sique. Textes présentés et annotés par B. Pou-


deron, traduction par M. Bourlet et al. (Paris
474 Tatiani Oratio ad Graecos, recensuit E. 1998) 59–102.
Schwartz (Leipzig 1888) [TU 4,1]. 485 Tatians Rede an die Bekenner des Griechen-
475 Tatian: Oratio ad Graecos and Fragments, tums, eingeleitet und übersetzt von R. C. Ku-
edited by M. Whittaker (Oxford 1982) kula, in: Frühchristliche Apologeten und
[OECT]. – Mit der Kapitel- und Paragraphen- Märtyrerakten aus dem Griechischen und
zählung von Goodspeed 1914 [*165] in der Lateinischen übersetzt, I (München 1913)
Übersetzung. [BKV 12] 175–257.
476 Tatiani Oratio ad Graecos, edited by M. Mar- 486 Taziano il Siro: Discorso ai Greci. Apologe-
covich (Berlin 1995) [Patristische Texte und tica cristiana e dogmi della cultura pagana, a
Untersuchungen 43]. – Mit neuer Paragra- cura di S. Di Cristina (Roma 1991) [Collana
phenzählung, fortan Standard. Cultura cristiana antica, Testi].
477 Tatianos: Oratio ad Graecos, herausgegeben
und neu übersetzt von J. Trelenberg (Tübin-
gen 2012) [Beiträge zur historischen Theo­ Sekundärliteratur
logie].
478 Gegen falsche Götter und falsche Bildung. 492 A. Kalkmann: Tatians Nachrichten über
Tatian, Rede an die Griechen, eingeleitet, Kunstwerke, in: RhM 42 (1887) 489–524.
übersetzt und mit interpretierenden Essays 493 R. M. Grant: The Date of Tatian’s Oratio, in:
versehen von P. Gemeinhardt, M.-L. Lak- HThR 46 (1953) 99–101.
mann, H.-G. Nesselrath, F. R. Prostmeier, A. 494 R. M. Grant: The Heresy of Tatian, in: JThS 5
M. Ritter, H. Strutwolf und A. Timotin, her- (1954) 62–68.
ausgegeben von H.-G. Nesselrath (Tübingen 495 R. M. Grant: Studies in the Apologists: I.
2016) [SAPERE 28]. Tatian’s Theological Method, II. The Cohor-
tatio of Pseudo-Justin, in: HThR 51 (1958)
123–134.
Übersetzungen 496 M. Elze: Tatian und seine Theologie (Göttin-
gen 1960) [FKDG 9].
484 Recherches sur le Discours aux Grecs de Ta- 497 R. M. Grant: Tatian (Or. 30) and the Gnostics,
tien, suivies d’une traduction française du in: JThS 15 (1964) 65–69.
Discours avec notes par A. Puech (Paris 498 G. F. Hawthorne: Tatian and his Discourse to
1903) [Université de Paris. Bibliothèque de la the Greeks, in: HThR 57 (1964) 161–188.
Faculté des Lettres 17]. – Übersetzung wieder 499 G. W. Clarke: The Date of the Oration of Ta-
abgedruckt in: Foi chrétienne et culture clas- tian, in: HThR 60 (1967) 123–125.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1067 25.09.18 09:29


1068 Bibliographie zum achten Kapitel

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(1968) 1–10. ‘Heretics’, edited by A. Marjanen, P. Luoma-
501 A. E. Osborne: Tatian’s Discourse to the nen (Leiden, Boston 2005) [VChr Suppl. 76]
Greeks. A Literary Analysis and Essay in In- 125–158.
terpretation (Cincinnati 1969). 519 St. Freund: «Und wunderbar sind auch eure
502 F. Bolgiani: Taziano, «Oratio ad Graecos», Dichter, die da lügen …» (Tat., orat. 22,7).
cap. 30,1, in: Kyriakon. FS Johannes Quasten, Beobachtungen zu Gestalt, Auswahl und
edited by P. Granfield, J. A. Jungmann Funktion von Dichterzitaten in der griechi-
(Münster 1970) 226–235. schen Apologetik am Beispiel Tatians, in: Ad
503 M. Whittaker: Tatian’s Educational Back- veram religionem reformare. Frühchristliche
ground, in: StPatr 13 (1975) [TU 116] 57–59. Apologetik zwischen Anspruch und Wirklich-
504 S. Di Cristina: L’idea di Δύναμις nel De keit, herausgegeben von Ch. Schubert, A. von
Mundo e nell’Oratio ad Graecos di Taziano, Stockhausen (Erlangen 2006) [Erlanger For-
in: Augustinianum 17 (1977) 485–504. schungen, Reihe A, Band 109] 97–121.
505 L. W. Barnard: The Heresy of Tatian, in: Ana- 520 J. Lössl: Bildung? Welche Bildung? Zur Be-
lecta Vlatadon 26 (1978) 181–193. deutung der Ausdrücke «Griechen» und
506 P. Yousif: Il patrimonio culturale Greco se- «Barbaren» in Tatians ‹Rede an die Grie-
condo Taziano, in: L’eredità classica nelle chen›, in: Frühchristentum und Kultur, her-
lingue orientali, a cura di M. Pavan, U. Coz- ausgegeben von F. R. Prostmeier (Freiburg
zoli (Roma 1986) [Acta encyclopaedica 5] i.  Br. 2007) [KfA Ergänzungsband 2] 127–
73–95. 153.
507 W. L. Petersen: Tatian’s Dependence upon 521 Ch. Markschies: Kaiserzeitliche christliche
Justin, in: New Testament Studies 36 (1990) Theologie und ihre Institutionen. Prolego-
512–534. mena zu einer Geschichte der antiken christ-
508 M. McGehee: Why Tatian never ‘apologized’ lichen Theologie (Tübingen 2007).
to the Greeks?, in: JECS 1 (1993) 143–158. 522 S. Parvis: Justin and the Apologetic Tradition,
509 W. L. Petersen: Tatian’s Diatessaron. Its Crea- in: Justin Martyr and His Worlds, edited by S.
tion, Dissemination, Significance and History Parvis, P. Forster (Minneapolis 2007) 115–
in Scholarship (Leiden 1994) [VChr Suppl. 25]. 127.
510 K.-G. Wesseling: Tatian der Syrer, in: Biogra- 523 J. E. Fojtik: Tatian the Barbarian: Language,
phisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 11 Education and Identity in the Oratio ad
(1996) 552–571. Graecos, in: Continuity and Discontinuity in
511 E. Norelli: La critique au pluralisme grec Early Christian Apologetics, edited by J. Ul-
dans le Discours aux Grecs de Tatian, in: Pou- rich, A.-C. Jacobsen, M. Kahlos (Frankfurt
deron, Doré 1998 [*224: 81–120]. a. M. 2009) [ECCA 5] 23–34.
512 R. Hanig: Tatian und Justin. Ein Vergleich, in: 524 Logos der Vernunft – Logos des Glaubens,
VChr 53 (1999) 31–73. herausgegeben von F. R. Prostmeier, H. E.
513 W. L. Petersen: Tatian, in: TRE 32 (2001) Lona (Berlin, New York 2010) [Millennium-
655–659. Studien 31].
514 P. Bruns: Diatessaron, in: LacL (32002) 193– 525 J. Lössl: Zwischen Christologie und Rhetorik.
194. Zum Ausdruck «Kraft des Wortes» (λόγου
515 E. J. Hunt: Christianity in the Second Cen- δύναμις) in Tatians ‹Rede an die Griechen›,
tury. The Case of Tatian (London 2003). in: Prostmeier, Luna 2010 [*524: 129–148].
516 D. Karadimas: Tatian’s Oratio ad Graecos: 526 J. Lössl: Sprachlich-ästhetische Darstellung
Rhetoric and Philosophy/Theology (Stock- und ‘Anwendung’ von Gewalt in Texten früh-
holm 2003). christlicher Apologeten – das Beispiel der
517 L. Nasrallah: Mapping the World: Justin, Ta- Rede Tatians an die Griechen, in: Zeitschrift
tian, Lucian, and the Second Sophistic, in: für Religionswissenschaft 20 (2012) 196–222.
HThR 98 (2005) 283–314.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1068 25.09.18 09:29


Athenagoras 1069

Athenagoras

Kritische Ausgaben 553 R. M. Grant: Athenagoras or Pseudo-Athena-


goras, in: HThR 47 (1954) 121–129.
532 Athenagorae Libellus pro Christianis. Oratio 554 N. Scivoletto: Cultura e scoliastica in Atena-
De resurrectione cadaverum, recensuit E. gora (A proposito del testo di ‹Leg.› 1,1), in:
Schwartz (Leipzig 1891) [TU 4,2]. Giornale italiano di filologia 113 (1960) 231–
533 Atenagora: La supplica per i Cristiani. Della 248.
risurrezione dei morti. Testo critico e com- 555 L. W. Barnard: Athenagoras, Galen, Marcus
mento di P. Ubaldi, M. Pellegrino (Torino Aurelius, and Celsus, in: Church Quarterly
1920, 31947). – Mit differierender Paragra- Review 168 (1967) 168–181. – Wieder in: Bar-
phenzählung. nard 1972 [*567: 53–68].
534 Athenagoras: Legatio and De Resurrectione, 556 J. L. Rauch: Greek Logic and Philosophy and
edited and translated by W. R. Schoedel (Ox- the Problem of Authorship in Athenagoras
ford 1972) [OECT]. – Mit der Paragraphen- (Chicago 1968).
zählung von Ubaldi. 557 A. J. Malherbe: The Structure of Athenago-
535 Athenagoras: Legatio pro Christianis, edited ras, ‹Supplicatio pro Christianis›, in: VChr 23
by M. Marcovich (Berlin 1990) [PTS 31]. – (1969) 1–20. – Wieder in: Malherbe 2014
Mit neuer Paragraphenzählung. [*603: II 807–827].
536 Athénagore: Supplique au sujet des Chrétiens 558 A. J. Malherbe: Athenagoras on Christian
et Sur la Résurrection des Morts. Introduc- Ethics, in: Journal of Ecclesiastical History
tion, texte et traduction par B. Pouderon 20 (1969) 1–5. – Wieder in: Malherbe 2014
(Paris 1992) [SC 379]. – Mit der Paragraphen- [*603: II 829–835].
zählung von Ubaldi. 559 A. J. Malherbe: The Holy Spirit in Athenago-
537 Athenagorae qui fertur De resurrectione ras, in: JThS 20 (1969) 538–542. – Wieder in:
mortuorum, edited by M. Marcovich (Leiden Malherbe 2014 [*603: II 837–841].
2000) [VChr Suppl. 53]. 560 L. W. Barnard: God, the Logos, the Spirit and
the Trinity in the Theology of Athenagoras,
in: Studia Theologica 24 (1970) 70–92. – Wie-
Übersetzungen der in: Barnard 1972 [*567: 81–111].
561 A. J. Malherbe: The Apologetic Theology of
543 A. Eberhard: Des Athenagoras von Athen the ‹Preaching of Peter›, in: Restoration
Bittschrift für die Christen und Schrift über Quarterly 13 (1970) 205–223. – Wieder in:
die Auferstehung, in: Frühchristliche Apolo- Malherbe 2014 [*603: II 867–882].
geten und Märtyrerakten aus dem Griechi- 562 A. J. Malherbe: Athenagoras on the Poets and
schen und Lateinischen übersetzt (München Philosophers, in: Kyriakon. FS Johannes
1913) [BKV 12] I 259–375. Quasten, edited by P. Granfield, J. A. Jung-
544 Athénagore: Supplique au sujet des Chré­ mann (Münster 1970) 214–225. – Wieder in:
tiens. Introduction et traduction de G. Bardy Malherbe 2014 [*603: II 849–865].
(Paris 1943) [SC 3]. 563 A. J. Malherbe: Athenagoras on the Location
545 Athenagoras: Embassy for the Christians. of God, in: Theologische Zeitschrift 26 (1970)
The Resurrection of the Dead, translated and 46–52. – Wieder in: Malherbe 2014 [*603: II
annotated by J. H. Crehan (London 1956) 843–848].
[AChW 23]. 564 L. W. Barnard: The Father of Christian An­
thropology, in: ZNW 63 (1972) 254–270.
565 L. W. Barnard: The Philosophical and Bibli-
Sekundärliteratur cal Background of Athenagoras, in: Epekta-
sis. Mélanges patristiques offerts au Cardinal
551 R. M. Grant: The Resurrection of the Body, Jean Daniélou, publiés par J. Fontaine, Ch.
in: Journal of Religion 28 (1948) 120–130, Kannengiesser (Paris 1972) 3–16. – Wieder in:
188–208. Barnard 1972 [*567: 37–51, 69–79].
552 P. Keseling: Athenagoras, in: RAC 1 (1950) 566 L. W. Barnard: Notes on Athenagoras, in: La-
881–888. tomus 31 (1972) 413–432.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1069 25.09.18 09:29


1070 Bibliographie zum achten Kapitel

567 L. W. Barnard: Athenagoras. A Study in Sec­ 583 B. F. Harris: The Defence of Christianity in
ond Century Christian Apologetic (Paris Athenagoras’ Embassy, in: Journal of Reli-
1972) [ThH 18]. – Sammlung von zum Teil gious History 15 (1989) 413–424.
auch anderweitig erschienenen Aufsätzen. 584 H. E. Lona: Ps. Justins De resurrectione und
568 D. Kienast: Presbeia, in: RE Suppl. XIII die altchristliche Auferstehungsapologetik,
(1973) 499–628. in: Salesianum 51 (1989) 691–768.
569 W. R. Schoedel: Christian ‘Atheism’ and the 585 B. Pouderon: Athénagore d’Athènes. Philo­
Peace of the Roman Empire, in: Church His- sophe chrétien (Paris 1989) [ThH 82].
tory 42 (1973) 309–319. 586 H. E. Lona: Die dem Apologeten Athenago-
570 T. D. Barnes: The Embassy of Athenagoras, ras zugeschriebene Schrift ‹De resurrectione
in: JThS 26 (1975) 111–114. mortuorum› und die altchristliche Auferste-
571 L. W. Barnard: Athenagoras, De Resurrec- hungsapologetik, in: Salesianum 52 (1990)
tione. The Background and Theology of a 525–578.
­Second Century Treatise on the Resurrec- 587 D. T. Runia: Verba Philonica, ἀγαλµατοφο­
tion, in: Studia Theologica 30 (1976) 1–42. ρεῖν, and the Authenticity of the ‹De resurrec-
572 E. Gallicet: Atenagora o Pseudo-Atenagora?, tione› attributed to Athenagoras, in: VChr 46
in: RFIC 104 (1976) 420–435. (1992) 313–327.
573 J. C. M. van Winden: The Origin of False­ 588 N. Zeegers-Vander Vorst: La paternité Athé-
hood. Some Comments on the Introductory nagorienne du ‹De resurrectione›, in: RHE
Passage of the Treatise ‹On the resurrection 87 (1992) 333–374.
of the dead› attributed to Athenagoras, in: 589 B. Pouderon: Athénagore chef d’école. À pro-
VChr 30 (1976) 303–306. pos du témoignage de Philippe de Sidè, in:
574 E. Gallicet: Ancora sullo Pseudo-Atenagora, StPatr 26 (1993) 167–176.
in: RFIC 105 (1977) 21–42. 590 B. Pouderon: Le «De resurrectione»
575 J.-M. Vermander: Celse et l’attribution à d’Athénagore face à la gnose valentinienne, in:
Athénagore d’un ouvrage sur la résurrection RecAug 28 (1995) 145–183. – Wieder in: Pou-
des morts, in: Mélanges de science religieuse deron 1997 [*593: 145–195].
35 (1978) 125–134. 591 N. Zeegers-Vander Vorst: Adversaires et des-
576 W. Schoedel: A Neglected Motive for Second- tinataires du ‹De resurrectione› attribué à
Century Trinitarianism, in: JThS 31 (1980) Athénagore d’Athènes, in: Salesianum 57
356–367. (1995) 75–122, 199–250, 415–442, 611–656.
577 L. W. Barnard: The Authenticity of Athena- 592 P. L. Buck: Athenagoras’s Embassy: A Liter-
goras’ De Resurrectione, in: StPatr 15 (1984) ary Fiction, in: HThR 89 (1996) 209–226.
[TU 128] 39–49. 593 B. Pouderon: D’Athènes à Alexandrie. Études
578 B. Pouderon: L’authenticité du Traité sur la sur Athénagore et les origines de la philoso-
Résurrection attribué à l’apologiste Athéna- phie chrétienne (Québec et al. 1997) [Biblio-
goras, in: VChr 40 (1986) 226–244. thèque copte de Nag Hammadi, Études 4].
579 C. Burini: Un ‘Progetto culturale’ nella ‹Sup- – Sammlung von zumeist bereits andernorts
plica› di Atenagora, in: Crescità dell’uomo erschienenen Aufsätzen.
nella catechesi dei Padri (età prenicena). Con- 594 M. Giunchi: Dunamis et taxis dans la Con-
vegno di studio e aggiornamento, Facoltà di ception trinitaire d’Athénagore (Leg. X, 29;
Lettere cristiane e classiche (Pontificium In- XII, 21; XXIV, 9), in: Pouderon, Doré 1998
stitutum Altioris Latinitatis), Roma, 14–16 [*224: 121–134].
marzo 1986, a cura di S. Felici (Roma 1987) 595 M. Peglau: Die ‘Presbeia’ des Athenagoras im
[Biblioteca di scienze religiose 78] 41–49. Spannungsfeld zwischen ἀρχαῖα φιλοσοφία
580 B. Pouderon: Public et adversaires du Traité und καινὴ διδαχή. Eine Untersuchung zum
sur la résurrection d’Athenagore d’Athènes, apologetischen Spektrum im späten zweiten
in: VetChr 24 (1987) 315–336. Jahrhundert (Dresden 1999).
581 G. af Hällström: Carnis Resurrectio. The In- 596 P. Pilhofer: Athenagoras, in: LacL (32002) 76–
terpretation of a Credal Formula (Helsinki 77.
1988) [Commentationes Humanarum Litter- 597 S. Parvis: Justin and the Apologetic Tradition,
arum 86]. in: Justin Martyr and His Worlds, edited by S.
582 B. Pouderon: La chaine alimentaire chez Parvis, P. Forster (Minneapolis 2007) 115–
Athénagore. Confrontation de sa théorie di- 127.
gestive avec la science médicale de son temps, 598 D. Rankin: Athenagoras. Philosopher and
in: Orpheus 9 (1988) 219–237. – Wieder in: Theologian (Farnham 2009).
Pouderon 1997 [*593: 229–251].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1070 25.09.18 09:29


Theophilos von Antiochien 1071
599 D. J. Bingham: Scripture as Apology in Athe- in der christlichen Apologetik des 2. Jahrhun-
nagoras of Athens, in: StPatr 45 (2010) 425– derts, in: Millennium 11 (2014) 1–22.
431. 603 A. J. Malherbe: Light from the Gentiles. Hel-
600 U. Heil: Menschenliebe im Superlativ: Zur lenistic Philosophy and Early Christianity.
Rezeption der christlichen Lehre von der Collected essays, 1959–2012, edited by C. R.
Feindesliebe bei Athenagoras, in: Prostmeier, Holladay et al., I–II (Leiden 2014) [NT Suppl.
Luna 2010 [*524: 229–252]. 150].
601 D. Rankin: Athenagoras, Philosopher and 604 N. Kiel: Ps.-Athenagoras De Resurrectione.
First Principles, in: StPatr 45 (2010) 419–424. Datierung und Kontextualisierung der dem
602 U. Heil: «… damit wir nicht mehr von den Apologeten Athenagoras zugeschriebenen
Verleumdern abgeschlachtet werden» (Athe- Auferstehungsschrift (Leiden, Boston 2016)
nagoras, leg. 1,3). Rhetorik der Drohkulissen [VChr Suppl. 133].

Theophilos von Antiochien

Kritische Ausgaben 627 R. M. Grant: Scripture, Rhetoric and Theo-


logy in Theophilus, in: VChr 13 (1959) 33–45.
609 Théophile d’Antioche: Trois livres à Autoly- 628 N. Zeegers-Vander Vorst: Les citations poé-
cus. Texte grec établi par G. Bardy, traduction tiques chez Théophile d’Antioche, in: StPatr
de J. Sender (Paris 1948) [SC 20]. 10 (1970) [TU 107] 168–174.
610 Theophilus of Antioch: Ad Autolycum. Text 629 J.-M. Vermander: Théophile d’Antioche
and Translation by R. M. Grant (Oxford ­contre Celse: A Autolycos III, in: REAug 17
1970) [OECT]. (1971) 203–225.
611 Theophili Antiocheni ad Autolycum, edited 630 R. M. Grant: Jewish Christianity at Antioch
by M. Marcovich (Berlin 1995) [PTS 44]. in the Second Century, in: Recherches de
612 Teófilo de Antioquía: A Autólico. Introduc- ­science religieuse 60 (1972) 97–108. – Wieder
ción, texto griego, traducción y notas de J. P. in: Grant 1983 [*437: Kap. XVIII].
Martín (Madrid 2004) [Fuentes Patrísticas 16]. 631 M. Simonetti: La sacra scrittura in Teofilo
d’Antiochia, in: Epektasis. Mélanges patris-
tiques offerts au Cardinal Jean Daniélou, pu-
Übersetzungen bliés par J. Fontaine, Ch. Kannengiesser
(Paris 1972) 197–207.
618 Drei Bücher des heiligen Theophilus, Bi- 632 P. Nautin: Ciel, Pneuma et Lumière chez
schofs von Antiochien, an Autolycus. Zweite, Théo­phile d’Antioche (Notes critiques sur Ad
verbesserte Ausgabe der Übersetzung von J. Autol. 2,13), in: VChr 27 (1973) 165–171.
Leitl, besorgt von Dr. A. Fhrn. Di Pauli, in: 633 F. Bolgiani: L’ascesi di Noe: a proposito di
Frühchristliche Apologeten und Märtyrerak- Teo­f ilo ad Autolyco, III 19, in: Forma Futuri.
ten aus dem Griechischen und Lateinischen Studi in onore del Cardinale Michele Pel-
übersetzt (München 1913) [BKV 14] II 7–110. legrino (Torino 1975) 295–333.
634 N. Zeegers-Vander Vorst: Notes sur quelques
aspects judaisants du Logos chez Théophile
Sekundärliteratur d’Antioche, in: Actes de la XIIe conférence
internationale d’études classiques Eirene,
624 F. Loofs: Theophilus von Antiochien Adver- Clúj-Napoca 2–7 octobre 1972 (Bukarest,
sus Marcionem und die anderen theologi- Amsterdam 1975) 69–87.
schen Quellen bei Irenaeus (Leipzig 1930) 635 N. Zeegers-Vander Vorst: Les citations du
[TU 46,2]. Nouveau Testament dans les livres à Autoly-
625 R. M. Grant: Theophilus of Antioch to Auto- cus de Théophile d’Antioche, in: StPatr 12
lycus, in: HThR 40 (1947) 227–256. (1975) [TU 115] 371–381.
626 R. M. Grant: The Problem of Theophilus, in: 636 J. Bentivegna: A Christianity without Christ
HThR 43 (1950) 179–196. – Wieder in: Grant by Theophilus of Antioch, in: StPatr 13 (1976)
1983 [*437: Kap. XXI]. [TU 116] 107–130.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1071 25.09.18 09:29


1072 Bibliographie zum achten Kapitel

637 N. Zeegers-Vander Vorst: La création de 648 C. Harrison: The Childhood of Man in Early
l’homme (Gen 1,26) chez Théophile Christian Writers (Theophilus, Irenaeus, Cle-
d’Antioche, in: VChr 30 (1976) 258–267. ment), in: Augustinianum 32 (1992) 61–76.
638 F. Bergamelli: Il linguaggio simbolico delle 649 J. P. Martín: La saggezza creatrice secondo
immagini nella catechesi missionaria di Theo- Teofilo d’Antiochia ed i suoi silenzi cristolo-
filo di Antiochia, in: Salesianum 41 (1979) gici, in: Augustinianum 32 (1992) 223–235.
273–297. 650 W. R. Schoedel: Theophilus of Antioch: Jew­
639 N. Zeegers-Vander Vorst: La notion de foi ish Christian?, in: Illinois Classical Studies 18
chez Théophile d’Antioche, in: La liturgie, ex- (1993) 279–297.
pression de la foi. Conférences Saint-Serge, 651 N. Zeegers: Théophile d’Antioche est-il mil-
XXVe semaine d’Études liturgiques, Paris lénariste?, in: RHE 91 (1996) 743–784.
27–30 juin 1978 (Rome 1979) 339–365. 652 N. Zeegers: Les trois cultures de Théophile
640 F. Bolgiani: Sullo scritto perduto di Teofilo d’Antioche, in: Pouderon, Doré 1998 [*224:
d’Antiochia Contro Ermogene, in: Paradoxos 135–176].
Politeia. Studi patristici in onore di Giuseppe 653 R. Rogers: Theophilus of Antioch. The Life
Lazzati, a cura di R. Cantalamessa, L. F. Piz- and Thought of a Second-Century Bishop
zolato (Milano 1980) 77–118. (Lanham MD 2000).
641 N. Zeegers-Vander Vorst: Satan, Eve et le ser- 654 P. Pilhofer: Theophilus von Antiochien, in:
pent chez Théophile d’Antioche, in: VChr 35 LacL (32002) 690.
(1981) 364–366. 655 N. Zeegers: Thephilus von Antiochien, in:
642 D. S. Wallace-Hadrill: Christian Antioch. A TRE 33 (2002) 368–371.
study of early Christian thought in the East 656 F. R. Prostmeier: «Zeige mir deinen Gott».
(Cambridge 1982). Einführung in das Christentum für Eliten, in:
643 R. J. Hauck: Omnes contra Celsum?, in: The Frühchristentum und Kultur, herausgegeben
Second Century 5 (1985–1986) 211–225. von F. R. Prostmeier (Freiburg i. Br. 2007)
644 C. Curry: The Theogony of Theophilus, in: [KfA Ergänzungsband 2] 155–182.
VChr 42 (1988) 318–326. 657 L. Perendy: The Outlines of Systematic Theo-
645 D. Good: Rhetoric and Wisdom in Theophi- logy in the Ad Autolycum of Theophilus of
lus of Antioch, in: Anglican Theological Re- Antioch, in: StPatr 45 (2010) 413–418.
view 73 (1991) 323–330. 658 F. R. Prostmeier: Der Logos im Paradies.
646 K. E. McVey: The Use of Stoic Cosmogony in Theophilos von Antiochia und der Diskurs
Theophilus of Antioch’s Hexaemeron, in: Bib- über eine zutreffende theologische Sprache,
lical Hermeneutics in Historical Perspective. in: Prostmeier, Luna 2010 [*524: 207–228].
FS Karlfried Froehlich, edited by M. S. Bur- 659 J. W. Reeve: The Theological Anthropology
rows, P. Rorem (Grand Rapids MI 1991) 32–58. of Theophilus of Antioch: Immortality and
647 N. Zeegers-Vander Vorst: Théophile d’Anti­ Resurrection in the Context of Judgement
oche, in: Dictionnaire de Spiritualité 15 (Diss. Notre Dame IA 2010).
(1991) 530–542.

Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse

Kritische Ausgaben herausgegeben von E. Klostermann (Berlin


3
1933) [Kleine Texte für Vorlesungen und
665 Das Kerygma Petri kritisch untersucht von E. Übungen 3].
von Dobschütz (Leipzig 1893) [TU 11,1]. 669 Sibyllinische Weissagungen. Urtext und
666 Die Oracula Sibyllina, bearbeitet von J. Geff- Übersetzung, herausgegeben von A. Kurfess
cken (Leipzig 1902; ND Berlin 1967) [GCS 8]. (München 1951).
667 Didascalia et Constitutiones Apostolorum, 670 Die Pseudoklementinen. I: Homilien, herausge-
edidit F. X. Funk, I (Paderborn 1905). geben von B. Rehm, zum Druck besorgt durch
668 Apocrypha. I: Reste des Petrusevangeliums, J. Irmscher (Berlin 1953) [GCS 42]. – 3. verbes-
der Petrusapokalypse und des Kerygma Petri, serte Auflage von G. Strecker (Berlin 1992).

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1072 25.09.18 09:29


Hermeias und weitere apologetische Zeugnisse 1073
671 Die Pseudoklementinen. II: Rekognitionen, aus dem Griechischen und Lateinischen über-
in Rufins Übersetzung, herausgegeben von B. setzt (München 1913) [BKV 14] II 111–122.
Rehm, zum Druck besorgt durch F. Paschke 684 Ermias il filosofo: Lo scerno dei filosofi gen-
(Berlin 1965) [GCS 51]. – 2. verbesserte Auf- tili. Con introduzione e commento di G. A.
lage von G. Strecker (Berlin 1994). Rizzo (Sienna 1929).
672 Méliton de Sardes: Sur la Pâque et Fragments. 685 Meliton von Sardes: Vom Passa. Die älteste
Introduction, texte critique, traduction et christliche Osterpredigt, übersetzt, eingelei-
notes par O. Perler (Paris 1966) [SC 123]. tet und kommentiert von J. Blank (Freiburg i.
673 M. G. Mara: Il Kerygma Petrou, in: Studi in Br. 1963) [Sophia 3].
onore di Alberto Pincherle (Roma 1967) 686 Gli Oracoli Sibillini Cristiana, in: Gli apocrifi
[SMSR 38] 314–342. del Nuovo Testamento, versione e commento
674 The Acts of the Christian Martyrs. Introduc- a cura di M. Erbetta, III: Lettere e apocalissi
tion, Texts and Translations by H. Musurillo (Torino 1969) 485–540.
(Oxford 1972) [OECT]. 687 J. J. Collins: Sibylline Oracles. A New Trans-
675 Melitón de Sardes: Homilía sobre la Pascua, lation and Introduction, in: The Old Testa-
editado de J. Ibáñez Ibáñez, F. Mendoza Ruiz ment Pseudepigrapha. I: Apocalyptical
(Pamplona 1975) [Biblioteca de Teología 11]. Literature and Testaments, edited by J. H.
676 Melito of Sardis: On Pascha and Fragments. Charlesworth (Garden City, New York 1983)
Texts and Translations edited by St. G. Hall 485–540.
(Oxford 1979) [OECT]. – Dazu St. G. Hall: 688 V. Nikiprowetzky: Oracles Sibyllins, in: La
Melito ‹Peri Pascha›: Corrections and Revi­ Bible. Écrits intertestamentaires, édition pu-
sions, in: JThS 64 (2013) 105–110. bliée sous la direction d’A. Dupont, M. Som-
677 Les Constitutions Apostoliques, I. Introduc- mer, M. Philonenko (Paris 1987) 1035–1140.
tion, texte critique, traduction et notes par M. 689 M. Cambe: Prédication de Pierre, in: Écrits
Metzger (Paris 1985) [SC 320]. apocryphes chrétiens, I, édition publiée sous
678 G. Strecker, Die Pseudoklementinen. III: la direction de F. Bovon et P. Geoltrain (Paris
Konkordanz zu den Pseudoklementinen. Ers- 1997) 3–22.
ter Teil: Lateinisches Wortregister; Zweiter 690 H. Merkel: Sibyllinen, in: Jüdische Schriften
Teil: Griechisches Wortregister, Syrisches aus hellenistisch-römischer Zeit, herausge­
Wortregister. Index nominum (Berlin 1986– geben von W. G. Kümmel. V: Apokalypsen
1989) [GCS]. (1998) 1036–1140.
679 Les Constitutions Apostoliques, III. Intro- 691 J. Wehnert: Pseudoklementinische Homilien.
duction, texte critique, traduction et notes par Einführung und Übersetzung (Göttingen
M. Metzger (Paris 1987) [SC 336]. 2010) [Kommentare zur apokryphen Litera-
680 Hermias: Satire des philosophes paiens. In­ tur 1,1].
troduction, texte critique, notes, appendices 692 Märtyrerliteratur, herausgegeben, eingeleitet,
et index par R. P. C. Hanson, traduction fran- übersetzt und kommentiert von H. R. Seeli-
çaise par. D. Joussot (Paris 1993) [SC 388]. ger, W. Wischmeyer (Berlin 2015) [TU 172].
681 Sibyllinische Weissagungen. Griechisch-
deutsch, auf der Grundlage der Ausgabe von
A. Kurfeß herausgegeben und neu übersetzt Sekundärliteratur
von J. D. Gauger (Düsseldorf, Zürich 1998).
682 Aristide: Apologie. Introduction, textes cri- 698 Doxographi Graeci, collegit recensuit prole-
tiques, traduction et commentaire par B. Pou- gomenis indicibusque instruxit H. Diels (Be-
deron, M.-J. Pierre avec la collaboration de B. rolini 1879).
Outtier, M. Guiorgadzé (Paris 2003) [SC 470]. 699 W. Heintze: Der Klemensroman und seine
griechischen Quellen (Leipzig 1914) [TU
40,2].
Übersetzungen 700 W. Bousset: Eine jüdische Gebetssammlung
im siebenten Buch der apostolischen Konsti-
683 Hermias’ des Philosophen Verspottung der tutionen, NAWG Nr. 3 (1915) 435–489.
nichtchristlichen Philosophen, übersetzt von 701 F. W. M. Hitchcock: A Skit on Greek Philoso-
J. Leitl, 2. Auflage durchgesehen und einge- phy, by one Hermias probable of the Reign of
leitet von Dr. A. Frhr. Di Pauli, in: Früh- Julian A.D. 362–363, in: Theology 32 (1936)
christliche Apologeten und Märtyrerakten 98–106.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1073 25.09.18 09:29


1074 Bibliographie zum achten Kapitel

702 L. Alfonsi: Ermia Filosofo (Brescia 1947). in: Ders.: Pseudoclementina Elchasaiticaque
703 A. Wifstrand: The Homily of Melito on the inter Judaeochristiana. Collected Studies
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704 W. Schneemelcher: Der Sermo «De anima et 719 R. Bauckham: The Fall of the Angels as the
corpore»: Ein Werk Alexanders von Alexan- Source of Philosophy in Hermias and Clem­
drien?, in: FS Günther Dehn, herausgegeben ent of Alexandria, in: VChr 39 (1985) 313–
von W. Schneemelcher (Neukirchen 1957) 330.
119–143. 720 E. Schürer: The History of the Jewish People
705 G. Strecker: Das Judenchristentum in den in the Age of Jesus Christ (175 B.C. – A.D.
Pseudoklementinen (Berlin 1958, 21981) [TU 135). A New English Version revised and
70]. edit­ed by G. Vermes, F. Millar, M. Goodman,
706 E. Grabba: L’Apologia di Melitone di Sardi, III,1 (Edinburgh 1986).
in: Critica storica 1 (1962) 469–482. 721 J. H. Waszink: Hermias, in: RAC 14 (1988)
707 R. Cantalamessa: Méliton de Sardes. Une 808–815.
christologie antignostique du IIe siècle, in: 722 J. C. Thom: The Journey up and down. Pythag-
RSR 37 (1963) 1–26. oras in two Greek Apologists, in: Church His-
708 A. J. Malherbe: The Apologetic Theology of tory 58 (1989) 299–308.
the ‹Preaching of Peter›, in: Restoration 723 M. Metzger: Konstitutionen (Pseudo-)Apos-
Quarterly 13 (1970) 205–223. – Wieder in: tolische, in: TRE 19 (1990) 540–544.
Malherbe 2014 [*603: II 867–882]. 724 St. G. Hall: Melito von Sardes, in: TRE 22
709 W. Schneemelcher: Heilsgeschichte und Im- (1992) 424–428.
perium, in: Kleronomia 5 (1973) 257–275. – 725 G. J. M. Bartelink: Die ‹Oracula Sibyllina› in
Unter dem Titel ‹Histoire du salut et Empire den frühchristlichen Schriften von Justin bis
romain. Méliton de Sardes et l’État› auch er- Origenes, in: Early Christian Poetry. A Col­
schienen in: BLE 75 (1974) 81–98. lection of Essays, edited by J. den Boeft (Lei-
710 P. Nautin: Les citations de la Prédication de den 1993) [VChr Suppl. 22] 22–33.
Pierre dans Clément d’Alexandrie, Strom. 726 R. M. Hübner: Melito von Sardes und Noet
VI.V. 39–41, in: JThS 25 (1974) 98–105. von Smyrna, in: Ders.: Der paradox Eine. An-
711 R. Weijenburg: Méliton de Sardes lecteur de tignostischer Monarchianismus im zweiten
la Première Apologie et du Dialogue de saint Jahrhundert, mit einem Beitrag von M. Vin-
Justin, in: Antonianum 49 (1974) 362–366. zent (Leiden et al. 1999) [VChr Suppl. 50]
712 St. G. Hall: The Christology of Melito: A Mis- 1–37.
representation exposed, in: StPatr 13 (1975) 727 L. H. Cohick: The Peri Pascha Attributed
[TU 116] 154–168. to Melito of Sardis. Setting, Purpose and
713 R. M. Grant: Quadratus the First Christian Sources (Providence RI 2000).
Apologist, in: A Tribute to A. Vööbus. Studies 728 Ch. Riedweg: Hermias, in: Religion in Ge-
in Early Christian Literature and its Environ- schichte und Gegenwart 3 (Tübingen 42000)
ment, Primarly in the Christian East, edited 1673.
by R. H. Fischer (Chicago 1977) 177–185. – 729 L. R. Ubigli: Sibyllinen, in: TRE 31 (2000)
Wieder in: Grant 1983 [*437: Kap. XIII]. 240–244.
714 H. Paulsen: Das Kerygma Petri und die ur- 730 G. Wurst: Die Homilie De anima et corpore,
christliche Apologetik, in: ZKG 88 (1977) 1–37. ein Werk des Meliton von Sardes? Einleitung,
715 W. Rordorf: Christus als Logos und Nomos. synoptische Edition, Übersetzung und Kom-
Das Kerygma Petrou in seinem Verhältnis zu mentar, I–II (Diss. Fribourg 2000).
Justin, in: Kerygma und Logos. FS Carl An­ 731 L. Cirillo: Création, providence et thème de
dresen, herausgegeben von A. M. Ritter (Göt- naissance. Le débat dans les Reconnaissances
tingen 1979) 424–434. Pseudo-Clémentines, VIII, 5–34 et ses sources,
716 J. F. Kindstrand: The Date and Character of in: Poussières de christianisme et de judaïsme
Hermias’ Irrisio, in: VChr 34 (1980) 341–357. antiques. Études réunies en l’honneur de
717 O. Perler: Méliton (saint), évêque de Sardes, Jean-Daniel Kaestli et Éric Junod, éditées
in: Dictionnaire de Spiritualité 10 (1980) 979– par A. Frey, R. Gounelle (Lausanne 2007)
990. [Publications de l’Institut romand des sciences
718 F. St. Jones: The Pseudo-Clementines: A His- bibliques 5] 161–179.
tory of Research, Part I and II, in: The Sec­
ond Century 2 (1982) 1–33, 63–96. – Wieder

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1074 25.09.18 09:29


Sextos-Sentenzen 1075
732 J. Barnes: [Clément] et la Philosophie, in: 739 C. Jedan: Philosophy superseded? The Doc-
Nouvelles intrigues pseudo-clémentines. Plots trine of Free Will in the Pseudo-Clementine
in the Pseudo-Clementine Romance. Actes du Recognitions, in: Bremmer 2010 [*734: 200–
deuxième Colloque international sur la litté- 216].
rature apocryphe chrétienne, Lausanne- 740 G. H. Kooten: Pagan, Jewish and Christian
Genève, 30 août – 2 septembre 2006, édités Philanthropology in Antiquity. A Pseudo-
par F. Amsler, A. Frey, Ch. Touati, R. Girardet Clementine Keyword in Context, in: Brem-
(Lausanne 2008) [Publications de l’Institut ro- mer 2010 [*734: 36–58].
mand des sciences bibliques 6] 283–302. 741 L. Roig Lanzillotta: Orphic Cosmogonies in
733 A. Bernabé: La teogonía órfica citada en las the Pseudo-Clementines? Textual Relation-
Pseudoclementinas, in: Adamantius 14 (2008) ship, Character and Sources of Homilies 6.3–
79–99. 13 and Recognitions 10.17–19.30, in: Bremmer
734 The Pseudo-Clementines, edited by J. N. 2010 [*734: 115–141].
Bremmer (Leuven 2010) [Studies on Early 742 A. Angerstorfer: Melito von Sardes, in: RAC
Christian Apocrypha 10]. 24 (2011) 639–652.
735 J. N. Bremmer: Pseudo-Clementines: Texts, 743 O. Waßmuth: Sibyllinische Orakel 1–2: Stu-
Dates, Places, Authors and Magic, in: Brem- dien und Kommentar (Leiden et al. 2011)
mer 2010 [*734: 1–23]. [Ancient Judaism and Early Christianity 76].
736 J. N. Bremmer: Apion and Anoubion in the 744 F. St. Jones: Introduction to the Pseudo-Clem­
Homilies, in: Bremmer 2010 [734: 72–91]. entines, in: Ders.: Pseudoclementina Elcha­
737 J. N. Bremmer: Bibliography Pseudo-Clem­ saiticaque inter Judaeochristiana. Col­lected
entines, in: Bremmer 2010 [*734: 307–325]. Studies (Leuven 2012) [OLA 203] 7–49.
738 C. Jedan: Faustus: Epicurean and Stoic? On
the Philosophical Sources of the Pseudo-­
Clementines, in: Bremmer 2010 [*734: 142–
156].

Sextos-Sentenzen

Kritische Ausgaben 755 Les Sentences de Sextus (NH XII,1). Frag-


ments (NH XII,3), par P.-H. Poirier. Frag-
750 Gnomica. I: Sexti Pythagorici Clitarchi Eva- ments de la République de Platon (NH VI,5),
grii Pontici sententiae, ab A. Elter editae par L. Painchaud (Québec 1983) [Biblio-
(Lipsiae 1892). thèque Copte de Nag Hammadi, Section
751 Le Sentenze di Sesto, con introduzione, testo «Textes» 11] 1–94.
e versione, a cura di F. de Paola (Città di Cas- 756 A. Carlini: Il più antico testimone greco di
tello 1937). Sesto Pitagorico: P. Palau Rib. Inv. 225v, in:
752 The Sentences of Sextus. A Contribution to RFIC 113 (1985) 5–26.
the History of Early Christian Ethics, by H. 757 F. Wisse: NHC, XII,I: The Sentences of Sex-
Chadwick (Cambridge 1959). tus, in: Nag Hammadi Codices XI, XII and
753 The Sentences of Sextus, edited and XIII, edited by C. W. Hedrick (Leiden 1990)
translat­ed by R. A. Edwards, R. A. Wild [NHS 28] 295–327.
(Chico CA 1981) [Texts and Translations 22; 758 The Sentences of Sextus, by W. T. Wilson (At-
Early Christian Literature Series 5]. – Vgl. lanta 2012) [Wisdom Literature from the An-
dazu die Rezension von J. C. M. van Winden, cient World 1].
in: VChr 36 (1982) 403–404. 759 Die Sextussprüche und ihre Verwandten, ein-
754 A. Carlini: Ventun sentenze di Sesto in un pa- geleitet, übersetzt und mit interpretierenden
piro inedito di Barcellona: P. Palau Rib. inv. Essays versehen von W. Eisele, Y. Arzhanov,
225v, in: SCO 33 (1983) 113–116. M. Durst und Th. Pitour, herausgegeben von
W. Eisele (Tübingen 2015) [SAPERE 26].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1075 25.09.18 09:29


1076 Bibliographie zum achten Kapitel

Sekundärliteratur 776 A. R. Sodano: Porfirio ‘Gnomologo’: contri-


buto alla tradizione e alla critica testuale
765 F. de Paola: Osservazioni alle sentenze di delle sillogi gnomiche, in: Sileno 17 (1991)
Sesto (Città di Castello 1938). 5–41.
766 H. Chadwick: The Sentences of Sextus and of 777 J. Gribomont: Sextus, Sentences of, in: Ency-
the Pythagoreans, in: JThS 11 (1960) 349. clopedia of the Early Church II (Cambridge
767 G. Delling: Zur Hellenisierung des Christen- 1992) 775.
tums in den ‹Sprüchen des Sextus›, in: Stu- 778 R. Kany: Die gottgeschenkte Freiheit. Eine
dien zum Neuen Testament und zur Patristik. antike Sentenz bei Porphyrius, Sextus und
FS Erich Klostermann (Berlin 1961) [TU 77] Pelagius, in: Lebendige Überlieferung. Pro-
208–241. zesse der Annäherung und Auslegung. FS
768 P.-M. Bogaert: La préface de Rufin aux Sen- Hermann-Josef Vogt, herausgegeben von N.
tences de Sextus et à une œuvre inconnue. In- el-Khoury, H. Crouzel, R. Reinhardt (Beirut,
terprétation, tradition de texte et manuscrit Ostfildern 1992) 153–170.
remembré de Fleury, in: Revue Bénédictine 779 R. Kany: Sextus (Sententiae Sexti), in: LacL
82 (1972) 26–46. (32002) 538–539.
769 F. Wisse: Die Sextus-Sprüche und das Pro­ 780 A. Carlini: Rifacimenti cristiani di opere pa-
blem der gnostischen Ethik, in: Zum Helle- gane: il ‹Manuale› di Epitteto e le ‹Sentenze
nismus in den Schriften von Nag Hammadi, di Sesto›, in: Aspetti di letteratura gnomica
mit Beiträgen von A. Böhlig und F. Wisse nel mondo antico, a cura di M. S. Funghi (Fi-
(Wiesbaden 1975) [Göttinger Orientfor- renze 2004) [Accademia toscana di scienze e
schungen 6,2] 55–86. lettere «La Colombaria», Serie Studi 225]
770 J. Bouffartigue: Études de littérature an­ II 97–110.
cienne. Du grec au latin: la traduction latine 781 D. Pevarello: The Sentences of Sextus and the
des Sentences de Sextus, in: Homère, Horace, Origins of Christian Asceticism (Tübingen
Le Mythe d’Œdipe, Les ‹Sentences de Sex- 2013) [STAC 78].
tus›, édité par S. Saïd, F. Desbordes, J. Bouf- 782 Y. Arzhanov: Sextus im Orient. Die syrische
fartigue, A. Moreau (Paris 1979) 81–95. Überlieferung der Sextussprüche, in: Eisele
771 R. van den Broek: Niet-gnostisch christen- 2015 [*759: 377–398].
dom in Alexandrie, in: Nederlandse theolo- 783 M. Durst: Zur Gattung der sententiae bei
gisch tijdschrift 33 (1979) 287–299. Sextus, Evagrius und im frühen Mönchtum,
772 L. Alfonsi: Dio in Marco Aurelio e nelle in: Eisele 2015 [*759: 42–52].
«Sentenze» di Sesto, in: Dio nella Bibbia e 784 M. Durst: Nachwirkungen der Sextussprüche
nelle culture ad essa contemporanee e con- im Mönchtum: Evagrius Ponticus, in: Eisele
nesse, [a cura di] Associazione Biblica Ita­ 2015 [*759: 399–449].
liana (Torino 1980) 339–366. 785 J. Bouffartigue: Sextus, in: DPhA VI (2016)
773 G. R. Evans: The Sentences of Sextus in the 261–262.
Middle Ages, in: JThS 34 (1983) 554–555. 786 K. Prochenko: Sextus (Compléments), in:
774 A. Carlini: Il piu antico testimone greco di DPhA VII (2018) 895–904.
Sesto Pitagorico, in: RFIC 113 (1985) 5–26.
775 A. Solignac: Sextus, in: Dictionnaire de Spiri-
tualité 14 (1990) 765–768.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1076 25.09.18 09:29


Überblick 1077

III. GNOSTIZISMUS UND VERWANDTES

Überblick

Primärliteratur 804 The Facsimile Edition of the Nag Hammadi


Codices, published under the auspices of the
Department of Antiquities of the Arab Repu-
blic of Egypt in conjunction with the United
Kirchenväter
Nations Educational, Scientific and Cultural
792 Epiphanius: Ancoratus und Panarion, heraus- Organization, I–XII (Leiden 1972–1984).
gegeben von K. Holl (Leipzig 1915–1933); 2. 805 The Coptic Gnostic Library, edited with Eng-
Auflage von Band 2 und 3 herausgegeben von lish Translation, Introduction and Notes. Ge-
J. Dümmer (Berlin 1980– 1985); Band 4: Re- neral Editor J. M. Robinson, I–XVI (Leiden
gister (Berlin 2006); 2. erweiterte Auflage 1975–1996) [NHS 4, 11, 15, 16, 20, 21, 22, 23,
von Band 1 herausgegeben von M. Bergerman 26, 27, 28, 30, 31, 33]. – Gesamtausgabe in
und C.-F. Collatz mit einem Geleitwort von fünf Bänden: The Coptic Gnostic Library. A
Ch. Markschies (Berlin 2013) [GCS NF 10, Complete Edition of the Nag Hammadi Co-
31, 37, NF 13]. dices (Leiden 2000).
793 Hippolytus: Werke. III: Refutatio omnium 806 Bibliothèque copte de Nag Hammadi, Section
haeresium, herausgegeben von […] P. Wend- «Textes» (Québec, Louvain 1977–). – Kriti-
land (Leipzig 1916) [GCS 26]. sche Ausgaben der einzelnen Texte mit aus-
794 Irénée de Lyon: Contre les hérésies. Livre I. führlichem Kommentar, bisher 38 Bände
Édition critique par A. Rousseau, L. Doutre- erschienen.
leau, I–II (Paris 1979) [SC 263–264]. 807 Pistis Sophia. Edited by C. Schmidt, Transla-
795 Hippolytus: Refutatio omnium haeresium, edit- tion and Notes by V. MacDermot (Leiden
ed by M. Marcovich (Berlin 1986) [PTS 25]. 1978) [NHS 9].
808 The Books of Jeu and the Untitled Text in the
Bruce Codex, edited by C. Schmidt, Transla-
Sammlungen griechischer und lateinischer
tion and Notes by V. MacDermot (Leiden
Quellen
1978) [NHS 13].
796 Sammlungen griechischer und lateinischer 809 Bibliothèque copte de Nag Hammadi, Section
Quellen zur Geschichte der christlichen Gnosis, «Concordances» (Québec, Louvain 1992–). –
herausgegeben von W. Völker (Tübingen 1932) Konkordanzen der einzelnen Kodizes mit
[Sammlung ausgewählter kirchen- und dog- Wiedergabe der zugrunde liegenden Texte,
mengeschichtlicher Quellenschriften NF 5]. bisher 7 Bände erschienen.
797 Testi gnostici in lingua greca e latina, a cura 810 The Gospel of Judas. Together with the Letter
di M. Simonetti (Roma 1993) [Scrittori greci of Peter to Philip, the Book of James, and a
e latini]. Book of Allogenes from Codex Tchacos. Crit­
ical Edition, edited by R. Kasser, F. Gaudard,
M. Meyer, G. Wurst (Washington DC 2007).
Koptisch-gnostische Texte
811 Codex Tchacos. Texte und Analysen, heraus-
gegeben von J. Brankaer, H.-G. Bethge (Ber-
Ausgaben lin, New York 2007) [TU 161].
803 Die gnostischen Schriften des koptischen Pa- 812 U.-K. Plisch: Das Thomas-Evangelium. Ori-
pyrus Berolinensis 8502, herausgegeben, ginaltext mit Kommentar (Stuttgart 2007).
übersetzt und bearbeitet von W. C. Till, 2.
Auflage H.-M. Schenke (Berlin 1972) [TU Siehe auch unten Sethianismus und Valentinus
60]. und der Valentinianismus.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1077 25.09.18 09:29


1078 Bibliographie zum achten Kapitel

Übersetzungen 838 Was there a Gnostic Religion?, edited by A.


816 The Nag Hammadi Library. General editor J. Marjanen (Göttingen 2005) [Publications of
M. Robinson (Leiden 1977, 31988). the Finnish Exegetical Society 87].
817 The Gnostic Scriptures. A New Translation 839 B. A. Pearson: Ancient Gnosticism. Tradi-
with Annotations and Introductions by B. tions and Literature (Minneapolis 2007).
Layton (New Haven 1995). – Eine revidierte 840 B. Aland: Was ist Gnosis? Studien zum frü-
Ausgabe ist in Vorbereitung. hen Christentum, zu Marcion und zur kaiser-
818 Nag Hammadi Deutsch, eingeleitet und über- zeitlichen Philosophie (Tübingen 2009)
setzt von Mitgliedern des Berliner Arbeits- [WUNT 239].
kreises für Koptisch-Gnostische Schriften, 841 D. Brakke: The Gnostics: Myth, Ritual and
herausgegeben von H.-M. Schenke, H.-G. Diversity in Early Christianity (Cambridge
Bethge, U. Kaiser, I–II (Berlin 2001–2003) MA 2011).
[GCS NF 8, 12; Koptisch-Gnostische Schrif- 842 J. Lahe: Gnosis und Judentum. Alttestament-
ten 2, 3]. – Studienausgabe: 3. Auflage (Berlin liche und jüdische Motive in der gnostischen
2013). Literatur und das Ursprungsproblem der
819 Écrits gnostiques. La bibliothèque de Nag Gnosis (Leiden, Boston 2012) [NHMS 75].
Hammadi. Édition publiée sous la direction 843 Mystery and Secrecy in the Nag Hammadi
de J.-P. Mahé et de P.-H. Poirier (Paris 2007). Collection and Other Ancient Literature:
820 The Nag Hammadi Scriptures, edited by M. Ideas and Practices. FS Einar Thomassen,
Meyer. (New York 2007). edited by C. H. Bull, L. I. Lied, J. D. Turner
821 M. Roberge: The Paraphrase of Shem (NH (Leiden, Boston 2012) [NHMS 76].
VII,1). Introduction, Translation and Com- 844 Practicing Gnosis. Ritual, Magic, Theurgy
mentary (Leiden 2010) [NHMS 72]. and Liturgy in Nag Hammadi, Manichaean
822 A. Piñero, J. Montserrat Torrents, F. García and Other Ancient Literature. FS Birger A.
Bazán: Textos gnósticos. Biblioteca de Nag Pearson, edited by A. D. DeConick, G. Shaw,
Hammadi, I–II (Madrid 42011). J. D. Turner (Leiden, Boston 2013) [NHMS
85].
845 Beyond the Gnostic Gospels. Studies Build­
Sekundärliteratur ing on the Work of Elaine Pagels, edited by E.
Iricinschi, L. Jenott, N. Denzey Lewis, P.
Townsend (Tübingen 2013) [STAC 82].
846 R. van den Broek: Gnostic Religion in Antiq­
Bibliographien uity (Cambridge 2013).
825 D. M. Scholer: Nag Hammadi Bibliography
1948–1969 (Leiden 1971) [NHS 1]. Gnosis und Philosophie
826 D. M. Scholer: Nag Hammadi Bibliography
1970–1994 (Leiden 1997) [NHMS 32]. 847 H.-Ch. Puech: Plotin et les gnostiques, in: Les
827 D. M. Scholer: Nag Hammadi Bibliography Sources de Plotin. Dix exposés et discussions,
1995–2006 (Leiden 2009) [NHMS 65]. par E. R. Dodds et al. (Vandœuvres/Genève
1960) [Entretiens 5] 161–190.
848 H. J. Krämer: Der Ursprung der Geistmeta-
Neuere allgemeine Beiträge physik. Untersuchungen zur Geschichte des
833 K. Rudolph: Die Gnosis. Wesen und Ge- Platonismus zwischen Platon und Plotin
schichte einer spätantiken Religion (Göttin- (Amsterdam 1964, 21967).
gen 1977, 42005). 849 H. Langerbeck: Aufsätze zur Gnosis, aus dem
834 C. Colpe: Gnosis II (Gnostizismus), in: RAC Nachlass herausgegeben von H. Dörries
11 (1981) 537–659. (Göttingen 1967) [AAWG, 3. Folge, Nr. 69].
835 M. A. Williams: Rethinking ‘Gnosticism’ 850 Ch. Elsas: Neuplatonische und gnostische
(Princeton 1996). Weltablehnung in der Schule Plotins (Berlin
836 Ch. Markschies: Die Gnosis (München 2001, 1975) [RVV 34].
3
2010) [Beck Wissen 2173]. 851 J. M. Dillon: The Middle Platonists. A Study
837 K. L. King: What is Gnosticism? (Cambridge of Platonism 80 B. C. to A. D. 220 (London
MA 2003). 1977; revised edition with a new afterword:
Ithaca NY 1996).

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1078 25.09.18 09:29


Überblick 1079
852 Gnosis. FS Hans Jonas, in Verbindung mit U. Majercik (Atlanta 2000) [Society of Biblical
Bianchi, M. Krause, J. M. Robinson und G. Literature, Symposium Series 12].
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1080 Bibliographie zum achten Kapitel

Sethianismus

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Sethianismus 1081
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1082 Bibliographie zum achten Kapitel

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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1082 25.09.18 09:29


Valentinus und der Valentinianismus 1083

Valentinus und der Valentinianismus

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961 F.-M.-M. Sagnard: La gnose valentinienne et fänge einer Theorie des Sakraments im kop-
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scher Mythos bei Irenäus von Lyon. Zur Cha-

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1083 25.09.18 09:29


1084 Bibliographie zum achten Kapitel

978 P. L. Tite: Valentinian Ethnics and Paraenetic 982 G. Chiapparini: Valentino gnostico e plato-
Discourse: Determining the Social Function nico. Il valentinianesimo della ‘Grande Noti-
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tianity (Leiden, Boston 2009) [NHMS 67]. filosofia medioplatonica (Milano 2012).
979 I. Dunderberg: Stoic Traditions in the School 983 E. Thomassen: Saved by Nature? The Ques-
of Valentinus, in: Stoicism in Early Christiani- tion of Human Races and Soteriological De-
ty, edited by T. Rasimus, T. Engberg-Peder- terminism in Valentinianism, in: Zugänge zur
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Bardesanes (Bardaisan) von Edessa

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P. Borgen (Trondheim 1985) 153–181.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1084 25.09.18 09:29


Mani und der Manichäismus 1085
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théologique et philosophique 59 (2003) 333– 1010 U. Possekel: Bardaisan and Origen on Fate
344. and the Power of the Stars, in: JECS 20
1003 A. Camplani: Bardesane et les bardesanites, (2012) 515–541.
in: AEPHE 112 (2003–2004) 29–50. 1011 I. Tanaseanu-Döbler: Bemerkungen zu Por-
1004 T. Krannich, P. Stein: ‹Das Buch der Gesetze phyrios und Bardaiṣan, in: ZAC 19 (2015)
der Länder› des Bardesanes von Edessa, in: 26–68.
ZAC 8 (2004) 203–229. 1012 P. Robertson: Greco-Roman Ethical-Philo-
1005 U. Possekel: Bardaisan of Edessa on the Re- sophical Influences in Bardaisan’s ‹Book of
surrection: Early Syriac Eschatology in its the Laws of Countries›, in: VChr 71 (2017)
Religious-Historical Context, in: OC 88 511–540.
(2004) 1–28.

Mani und der Manichäismus

Textausgaben Poirier et É. Crégheur. Excerpta e Sa­cris


­ arallelis Iohanni Damasceno attributis edi-
p
1013 Der Kölner Mani-Kodex. Über das Werden dit J. Declerck (Turnhout 2013) [CCSG 82].
seines Leibes. Kritische Edition aufgrund 1018 Titus de Bostra: Contre les Manichéens. In-
der von A. Heinrichs und L. Koenen besorg- troduction, traduction, notes et index par A.
ten Erstedition herausgegeben und über- Roman, Th. S. Schmidt, P.-H. Poirier (Turn-
setzt von L. Koenen, C. Römer (Opladen hout 2015) [Corpus Christianorum in Trans-
1988) [Papyrologica Coloniensia 14]. lation 21].
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chief Alois van Tongerloo (Turnhout 1996–).
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unter http://www.brepols.net/Pages/Browse
BySeries.aspx?TreeSeries=CFM (Stand: 1019 A. Adam: Texte zum Manichäismus (Berlin
Juli 2018). 1954, 21969).
1015 Simplicius: Commentaire sur le Manuel 1020 Der Manichäismus, unter Mitwirkung von J.
d’Épictète. Introduction et édition critique P. Asmussen eingeleitet, übersetzt und erläu-
du texte grec par I. Hadot (Leiden 1996). tert von A. Böhlig (Zürich, München 1980)
1016 M. Stein: Manichaica Latina, I–IV (Pader- [Die Gnosis 3].
born 1998–2016) [Papyrologica Coloniensia 1021 Alexandre de Lycopolis: Contre la doctrine
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Graece et Syriace. Textum Graecum librorum
I–III,30A edidit A. Roman adiuvante Th. S.
Schmidt. Textum syriacum ediderunt P.-H.

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1085 25.09.18 09:29


1086 Bibliographie zum achten Kapitel

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Translated and Annotated by J. Hamilton van der Horst, J. Mansfeld (Leiden 1974).
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Manichäismus, herausgegeben von G. Wi- 1055 J. C. Reeves: Prolegomena to a History of Is-
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mus im Epiktetkommentar des Simplikios, by J. A. van den Berg, A. Kotzé, T. Nicklas, M.
in: AGPh 51 (1969) 31–57. Scopello (Leiden, Boston 2011) [NHMS 74].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1086 25.09.18 09:29


Irenäus von Lyon 1087
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edited by J. van Oort (Leiden, Boston 2013) d’Égypte et la Route de la Soie. Hommage à
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1058 Z. Gulácsi: Mani’s Pictures: The Didactic Van Den Kerchove, L. G. Soares Santoprete
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Tang-Ming China (Leiden, Boston 2015)
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IV. DIE SOGENANNTEN ALTKATHOLISCHEN THEOLOGEN

Irenäus von Lyon

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1982) [SC 100,1–2, 152–153, 210–211, 263–
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quinque adversus Haereses edidit W. W. 1067 St. Irenaeus of Lyons: Against the Heresies,
Harvey, I–II (Cambridge 1857; ND Farnbo- translated and annotated by D. J. Unger, I–
rough 1965). – Abweichende Kapitelzäh- III. Book 1, with further revisions by J. J.
lung. Dillon; Book 2, with further revisions by J.
1061 The Writings of Irenaeus, translated by A. J. Dillon, introduced by M. Slusser; Book 3,
Roberts, W. H. Rambout, I–II (Edinburgh with further revisions by M. C. Steenberg
1868–1869) [Ante-Nicene Christian Library, (New York 1992) [AChW 55, 64–65].
vol. 5, 9,1]. 1068 Irenäus von Lyon: Epideixis. Adversus hae-
1062 Des heiligen Irenäus ausgewählte Schriften. reses – Darlegung der Apostolischen Ver-
I: Fünf Bücher gegen die Häresien Buch I– kündigung. Gegen die Häresien, übersetzt
III, übersetzt von E. Klebba; II: Fünf Bü- und eingeleitet von N. Brox, I–V (Freiburg i.
cher gegen die Häresien Buch IV–V, Br., Basel 1993–2001) [FC 8,1–5].
übersetzt von E. Klebba. Des Heiligen 1069 Irénée de Lyon: Démonstration de la Prédica-
Irenäus Schrift zum Erweis der apostoli- tion Apostolique. Introduction, traduction et
schen Verkündigung, aus dem Armenischen notes par A. Rousseau (Paris 1995) [SC 406].
übersetzt von S. Weber (München 1912) 1070 Irenaeus’s Demonstration of the Apostolic
[BKV 3–4]. Preaching. A theological Commentary and
1063 St. Irenaeus: Proof of the Apostolic Preach­ Translation, by I. M. MacKenzie, with the
ing, translated and annotated by J. P. Smith Translation of the Text of the Demonstration
(London 1952) [AChW 16]. by J. Armitage Robinson (Aldershot, Bur-
1064 B. Reynders: Vocabulaire de la ‹Demonstra- lington VT 2002).
tion› et des fragments de Saint Irénée (Che-
vetogne 1958).
1065 B. Reynders: Lexique comparé du texte grec Sekundärliteratur
et des versions latine, arménienne et syriaque
de l’‹Adversus Haereses› de Saint Irénée. I: 1076 Doxographi Graeci, collegit recensuit prole-
Introduction, index des mots grecs, armé­ gomenis indicibusque instruxit H. Diels (Be-
niens et syriaques; II: Index des mots latins rolini 1879).
(Louvain 1963) [CSCO 141; Subsidia 5–6]. 1077 A. Harnack: Geschichte der Altchristlichen
1066 Irénée de Lyon: Contre des Hérésies. Livres Literatur bis Eusebius. Teil I,1 und 2: Die
1–5. Édition critique. Introduction, notes Überlieferung und der Bestand (Leipzig
justificatives, tables, texte et tradition par A. 1893, 21958); Teil II,1: Die Chronologie der

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1087 25.09.18 09:29


1088 Bibliographie zum achten Kapitel

Literatur bis Irenäus nebst einleitenden Un- Klauser, herausgegeben von A. Stuiber, A.
tersuchungen (Leipzig 1897, 21958); Teil II,2: Hermann (Münster 1964) [JbAC Ergän-
Die Chronologie der Literatur von Irenäus zungsband 1] 125–129.
bis Eusebius (Leipzig 1904, 21958). 1092 R. Wilken: The Homeric Cento in Irenaeus’
1078 A. Harnack: Der Presbyter-Prediger des ‹Adversus Haereses› I,9,4, in: VChr 21
Irenäus (IV, 27,1–32,1). Bruchstücke und (1967) 25–33.
Nachklänge der ältesten exegetisch-polemi- 1093 J. T. Nielsen: Adam and Christ in the Theo-
schen Homilien, in: Philotesia, Paul Kleinert logy of Irenaeus of Lyons (Assen 1968).
zum LXX. Geburtstag dargebracht von A. 1094 H. von Campenhausen: Die Enstehung der
Harnack (Berlin 1907) 1–37. Heilsgeschichte. Der Aufbau des christli-
1079 H. Koch: Zur Lehre vom Urstand und von chen Geschichtsbildes in der Theologie des
der Erlösung bei Irenäus, in: Theologische ersten und zweiten Jahrhunderts, in: Saecu-
Studien und Kritiken 96–97 (1925) 183–214. lum 21 (1970) 189–212.
1080 R. M. Grant: Irenaeus and Hellenistic cul- 1095 E. P. Meijering: Irenaeus’ Relation to Philo-
ture, in: HThR 42 (1949) 41–51. – Wieder in: sophy in the Light of his Concept of Free
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1081 R. A. Markus: Pleroma and Fulfillment: The Wieder in: Ders.: God Being History. Stu-
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position to Gnosticism, in: VChr 8 (1954) Oxford 1975) 19 –30.
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1082 A. Quacquarelli: I luoghi comuni contro la VChr 30 (1976) 201–213. – Wieder in: van
retorica in Clemente Alessandrino, in: Ras- Unnik 2014 [*1152: 351–362].
segna di scienze filosofiche 9 (1956) 456– 1097 W. C. van Unnik: An Interesting Document
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sen. Eine Untersuchung zur Struktur und (1977) 196–228. – Wieder in: van Unnik 2014
Entfaltung des Theologischen Denkens im [*1152: 306–335].
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dans l’œuvre de saint Irénée, in: Nouvelle 1977) 248–260. – Wieder in: van Unnik 2014
revue théologique 79 (1957) 355–370. [*1152: 336–350].
1085 M. Spanneut: Le stoïcisme des Pères de 1099 Ph. Bacq: De l’ancienne à la nouvelle Al­
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d’Alexandrie (Paris 1957) [Patristica Sorbo- l’‹Adversus Haereses› (Paris, Namur 1978)
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1087 W. R. Schoedel: Philosophy and Rhetoric in gegen das kirchliche Christentum, unter be-
the ‹Adversus Haereses› of Irenaeus, in: sonderer Berücksichtigung der Nag-
VChr 13 (1959) 22–32. Hammadi-Traktate ‹Apokalypse des Petrus›
1088 G. Wingren: Man and the Incarnation. A (NHC VII,3) und ‹Testimonium Veritatis›
Study in the Biblical Theology of Irenaeus (NHC IX,3) (Leiden 1978) [NHS 12].
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1089 A. Benoît: Saint Irénée. Introduction à pologie des Irenäus, in: Kerygma und Logos.
l’étude de sa théologie (Paris 1960). FS Carl Andresen, herausgegeben von A. M.
1090 P. Nautin: Lettres et Écrivains Chrétiens des Ritter (Göttingen 1979) 9–28.
IIe et IIIe siècles (Paris 1961) [Collectanea 1102 Early Christian Literature and the Classical
Patristica 2]. Intellectual Tradition. FS Robert M. Grant,
1091 W. H. C. Frend: A Note on the Influence of edited by W. R. Schoedel, R. L. Wilken
Greek Immigrants on the Spread of Chris­ (Paris 1979) [ThH 53].
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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1088 25.09.18 09:29


Irenäus von Lyon 1089
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Gnosticism, in: Schoedel, Wilken 1979 1120 D. Wyrwa: Seelenverständnis bei Irenäus
[*1102: 87–100]. von Lyon, in: ψυχή – Seele – anima. FS
1104 W. R. Schoedel: Enclosing, not Enclosed: Karin Alt, herausgegeben von J. Holzhausen
The Early Christian Doctrine of God, in: (Stuttgart, Leipzig 1998) [BzA 109] 301–334.
Schoedel, Wilken 1979 [*1102: 72–86]. 1121 E. P. Meijering: Bemerkungen zum Nach­
1105 W. C. van Unnik: Theological Speculation leben des Irenäus im Streit der Konfessio-
and its Limits, in: Schoedel, Wilken 1979 nen, in: VChr 53 (1999) 74–99.
[*1102: 33–43]. 1122 J. Behr: Asceticism and Anthropology in
1106 N. Brox: Irenäus (gest. um 200), in: Klassi- Irenaeus and Clement (Oxford 2000)
ker der Theologie. I: Von Irenäus bis Martin [OECS].
Luther, herausgegeben von H. Fries, G. 1123 E. P. Meijering: Irenäus zum zeitlichen An-
Kretschmar (München 1981) 11–25. fang der Welt, in: VChr 54 (2000) 1–11.
1107 W. R. Schoedel: Theological Method in Ire- 1124 B. Sesboüé: Tout récapituler dans le Christ:
naeus (Adversus Haereses 2.25–28), in: Christologie et sotériologie d’Irénée (Paris
JThS 35 (1984) 31–49. 2000).
1108 A. Orbe: Teología de San Ireneo. Commen- 1125 D. Wanke: Das Kreuz Christi bei Irenäus
tario al Libro V dal ‹Adversus haereses›, I– von Lyon (Berlin, New York 2000) [BZNW
IV (Madrid 1985–1996) [Biblioteca de 99].
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1090 Bibliographie zum achten Kapitel

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Hippolyt von Rom

Quellen et denuo recognoscente J.-P. Migne (Lute-


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1158 S. Hippolytus Portuensis Episcopus Martyr 1160 S. Hippolyti Episcopi Portuensis et Martyris
et Ecclesiae Doctor. Prolegomena, Praefa- Quae supersunt opera et fragmenta, primum
tiones editionis Fabricianae (Hamburgi a J. A. Fabricio et A. Gallandio collate, nunc
1716–1718). – Wieder in: Γρηγορίου τοῦ demum recensita aucta et illustrate, in:
Θαυματουργοῦ τὰ εὑρισκόμενα πάντα, accu- Γρηγορίου τοῦ Θαυματουργοῦ τὰ εὑρισκό­
rante et denuo recognoscente J.-P. Migne μενα πάντα, accurante et denuo recognos-
(Lutetiae Parisiorum 1857) [PG 10] 261–270. cente J.-P. Migne (Lutetiae Parisiorum 1857)
1159 Origenis Philosophumena sive omnium hae­ [PG 10] 583–962.
resium refutatio e codice Parisino primus 1161 Hippolytus: Werke. I,1: Hippolyt’s Kommen-
edidit E. Miller (Oxonii 1851). – Wieder in: tar zum Buche Daniel und die Fragmente
Ὠριγένους τὰ εὑρισκόμενα πάντα, accurante des Kommentars zum Hohenliede, heraus-

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1090 25.09.18 09:29


Hippolyt von Rom 1091
gegeben von N. Bonwetsch (Leipzig 1897) – Gegen Noët, übersetzt und eingeleitet von
[GCS 1]. – 2. vollständig veränderte Auflage H.-J. Sieben (Freiburg i. Br. 2001) [FC 34]
von M. Richard (Berlin 2000) [GCS NF 7]. 72–78, 258–313.
1162 Hippolytus: Werke. I,2: Hippolyt’s kleinere 1177 Iulius Africanus: Chronographiae. The Ex-
exegetische und homiletische Schriften, he- tant Fragments, edited by M. Wallraff with
rausgegeben von H. Achelis (Leipzig 1897) U. Roberto and, for the Oriental Sources, K.
[GCS 1]. – Enthält neben den exegetischen Pinggéra, translated by W. Adler (Berlin,
Stücken auch Antichr., Resur. und anderes. New York 2007) [GCS NF 15].
1163 Hippolytus: Werke. III: Refutatio omnium
haeresium, herausgegeben von P. Wendland
(Leipzig 1916) [GCS 26]. Übersetzungen
1164 Hippolytus: Werke. IV: Die Chronik, herge-
stellt von A. Bauer (Leipzig 1929) [GCS 36]. 1184 The Writings of Hippolytus, Bischop of Por-
– 2. Auflage durchgesehen, herausgegeben tus. II: Fragments of Writings of the third
und in zweiter Auflage überarbeitet von R. Century, translated by S. D. F. Salmond
Helm (Berlin 1955) [GCS 46]. (Edinburgh 1869) [Ante-Nicene Christian
1165 Hippolyte: Commentaire sur Daniel. Intro- Library, vol. 9,2].
duction de G. Bardy, texte établi et traduit 1185 The Refutation of all Heresies by Hippoly-
par M. Lefèvre (Paris 1947) [SC 14]. tus, translated by J. H. Macmahon, with
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1949) [Études et textes pour l’histoire du Salmond (Edinburgh 1886) [Ante-Nicene
dogme de la Trinité 2]. Christian Library, vol. 6].
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liton dans les florilèges dogmatiques et chez ­heresies formerly attributed to Origen, but
les historiens modernes (Paris 1953) [Patris- now to Hippolytus […], translated by F.
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Zeitschrift 29 (1973) 313–333. traduction française avec une introduction
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1175 Ippolito: Contro Noeto. Testo critico, intro- Sekundärliteratur
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M. Simonetti (Bologna 2000) [Biblioteca Pa- 1200 Doxographi Graeci, collegit recensuit prole-
tristica 35]. gomenis indicibusque instruxit H. Diels (Be-
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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1091 25.09.18 09:29


1092 Bibliographie zum achten Kapitel

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bis Eusebius (Leipzig 1904, 21958). denzkritische Untersuchung seiner ‹Refuta-
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christlichen Geschichtspolemik, in: VChr 20 Ippolito di Roma, in: Ricerche su Ippolito
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douze ans, in: REB 24 (1966) 257–277. – Roma, in: Ricerche su Ippolito 1977 [*1220:
Wieder in: Ders.: Opera minora, édité par E. 67–88].
Dekkers, M. Geerard et al. (Turnhout, Leu- 1227 V. Loi: L’omelia ‹In sanctum Pascha› di Ip-
ven 1976) I Nr. 20. polito di Roma, in: Augustinianum 17 (1977)
1211 M. Richard: Hippolyte de Rome (saint), in: 461–484.
Dictionnaire de Spiritualité 7 (1968) 531– 1228 P. Meloni: Ippolito e il Cantico dei cantici,
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par E. Dekkers, M. Geerard et al. (Turn- 120].
hout, Leuven 1976) I Nr. 10. 1229 M. Simonetti: Due note su Ippolito: Ippolito
1212 P. Nautin: L’homélie d’Hippolyte sur le interprete di Genesi 49, Ippolito e Tertullia-
psautier et les œuvres de Josipe, in: Revue no, in: Ricerche su Ippolito 1977 [*1220:
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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1092 25.09.18 09:29


Hippolyt von Rom 1093
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1245 R. M. Hübner: Melito von Sardes und Noet 1261 A. Brent: Was Hippolytus a Schismatic?, in:
von Smyrna, in: Oecumenica et Patristica. VChr 49 (1995) 215–244.
FS Wilhelm Schneemelcher, herausgegeben 1262 J.-B. Bouhout: L’auteur romain des Philoso-
von D. Papandreou, W. A. Bienert, K. Schä- phumena et l’écrivain Hippolyte, in: Eccle-
ferdiek (Stuttgart 1989) 219–240. sia Orans 13 (1996) 137–164.
1246 I. Mueller: Hippolytus Retractatus, in: 1263 M. Simonetti: Una nuova proposta su Ippo-
OSAPh 7 (1989) 233–251 – Kritische Ausei- lito, in: Augustinianum 36 (1996) 13–46. –
nandersetzung mit Osborne 1987 [*1236]. Kritische Auseinandersetzung mit A. Brent.
1247 U. Rudolph: Die Doxographie des Pseudo- 1264 A. Whealey: Hippolytus’ Lost De universo
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schen Überlieferung im Islam (Stuttgart ses, in: VChr 50 (1996) 244–256.
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1248 V. Saxer: La questione di Ippolito romano: a 1266 J. Mansfeld, D. T. Runia: Aetiana: The Me-
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08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1093 25.09.18 09:29


1094 Bibliographie zum achten Kapitel

1267 Ch. Markschies: Wer schrieb die sogenannte 1280 O. Andrei: Spazio geografico, etnografia ed
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und Hypothesen zu einer kaum lösbaren in: ZAC 11 (2007) 221–278.
Frage aus der altkirchlichen Literaturge- 1281 J. A. Kelhoffer: ‘Hippolytus’ and Magic. An
schichte, in: W. Kinzig, Ch. Markschies, M. Examination of Elenchos IV 28–42 and Re-
Vinzent: Tauffragen und Bekenntnis. Stu- lated Passages in Light of the Papyri
dien zur sogenannten ‹Traditio Apostolica›, Graecae Magicae, in: ZAC 11 (2007) 517–
zu den ‹Interrogationes de fide› und zum 548.
‹Römischen Glaubensbekenntnis› (Berlin 1282 E. Norelli: Un testimonium sur l’Antichrist
1999) [AKG 74] 1–74. (Hippolyte, L’antichrist 15 et 54), in: Pous-
1268 E. Norelli: Alcuni termini della ‹Confuta­ sières de christianisme et de judaïsme an-
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cristianesimo greco. Atti del convegno te- par A. Frey, R. Gounelle (Lausanne 2007)
nuto a Trento l’11–12 dicembre 1997, a cura 245–270.
di C. Moreschini, G. Menestrina (Brescia 1283 P. Volpe Cacciatore: Il fr. plutarcheo 24
1999) 95–123. Sand., in: Ploutarchos 5 (2007–2008) 99–105.
1269 D. A. Bertrand: Hippolyte de Rome, in: 1284 E. Castelli: La chiesa, la cattedra, il rotolo:
DPhA III (2000) 791–799. l’identità della statua d’Ippolito alla luce del
1270 A. P. Bos: Basilides as an Aristotelianizing ‘Pastore di Erma’, in: Augustinianum 48
Gnostic, in: VChr 54 (2000) 44–60. (2008) 305–322.
1271 J. Frickel: Hippolyt von Rom, in: Die Reli- 1285 W. B. Shelton: Martyrdom from Exegesis in
gion in Geschichte und Gegenwart 3 (42000) Hippolytus: An Early Church Presbyter’s
1783–1784. Commentary on Daniel (Eugene 2008) [Stu-
1272 E. Prinzivalli: Ippolito, antipapa, santo, in: dies in Christian History and Thought].
Enciclopedia dei Papi 1 (Roma 2000) 246– 1286 M. L. West: A Vagina in Search of an Au-
257. thor, in: CQ 58 (2008) 370–375.
1273 J. A. Cerrato: Hippolytus between East and 1287 E. Castelli: The Author of the ‹Refutatio
West. The Commentaries and the Prove- omnium haeresium› and the Attribution of
nance of the Corpus (Oxford 2002) [Oxford the ‹De Universo› to Flavius Josephus, in:
Theological Monographs]. VetChr 46 (2009) 17–30.
1274 B. R. Suchla: Hippolyt, in: LacL (32002) 1288 W. Löhr: Heilsgeschichte und Universalge-
336–339. schichte im antiken Christentum, in: Heil
1275 E. Castelli: Il prologo del Peri pantos, in: und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit
VetChr 42 (2005) 37–57. des Heils und das Problem der Heilsge-
1276 B. Pouderon: La notice d’Hippolyte sur schichte in der biblischen Tradition und in
Simon: Cosmologie, anthropologie et em­ der theologischen Deutung, herausgegeben
bryologie, in: Les Pères de l’Église face à la von J. Frey, St. Krauter, H. Lichtenberger
science médicale de leur temps, sous la di- (Tübingen 2009) [WUNT 248] 535–558.
rection de V. Boudon-Millot, B. Pouderon 1289 M. Simonetti: Per un profilo dell’autore
(Paris 2005) [ThH 117] 49–71. dell’Elenchos, in: VetChr 46 (2009) 157–173.
1277 O. Andrei: Dalle Chronographiai di Giulio 1290 Des évêques, des écoles et des hérétiques.
Africano alla Synagoge di ‘Ippolito’. Un di- Actes du Colloque international sur la «Ré-
battito sulla scrittura cristiana del tempo, in: futation de toutes les hérésies», Genève,
Julius Africanus und die christliche Welt- 13–14 juin 2008, édités par G. Aragione, E.
chronistik, herausgegeben von M. Wallraff Norelli (Lausanne 2011).
(Berlin, Boston 2006) [TU 157] 113–145. 1291 G. Aragione: Guerre-éclair contre les héré-
1278 E. Castelli: La trasformazione del rapporto tiques, guerre de position contre les philo­
tra cristianesimo e impero nei primi decenni sophes: l’Elenchos et ses protagonistes, in:
del III secolo a Roma: nuove prospettive Aragione, Norelli 2011 [*1290: 73–101].
sull’autore del Peri pantos, in: Annali di sto- 1292 A. P. Bos: Basilides of Alexandria disquali-
ria dell’esegesi 23 (2006) 143–163. fied as not a Christian but an Aristotelian by
1279 C. Pierantoni: El enigma de los dos Hippóli- the author of the Elenchos, in: Aragione,
tos, in: Teología y vida 47 (2006) 55–75. Norelli 2011 [*1290: 103–118].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1094 25.09.18 09:29


Q. Septimius Florens Tertullianus 1095
1293 A. Brent: The Elenchos and the Identifica- 1303 C. Moreschini: Motivi ed intenti dell’Elen-
tion of Christian communities in Second – chos di ‘Ippolito’, in: Temi e forme della
Early Third Century Rome, in: Aragione, ­polemica in età cristiana (III–V secolo), a
Norelli 2011 [*1290: 275–314]. cura di M. Marin, M. Veronese (Bari 2012)
1294 E. Castelli: Un falso letterario sotto il nome [Auctores nostri. Studi e testi di letteratura
di Flavio Giuseppe. Ricerche sulla tradi­ cristiana antica 9] 215–232.
zione del Περὶ τοῦ παντός e sulla produzione 1304 O. Vox: Das Plagiat als polemisches Motiv
letteraria cristiana a Roma nei primi de- und die ‹Refutatio omnium haeresium›, in:
cenni del III secolo (Münster 2011) [JbAC Lessico, argomentazioni e strutture retori-
Ergänzungsband, kleine Reihe 7]. che nella polemica di età cristiana (III–V
1295 G. Ducœur: Les hérésiarques chrétiens à sec.), a cura di A. Capone (Turnhout 2012)
l’École des sages d’Orient?, in: Aragione, [Recherches sur les rhétoriques religieuses
Norelli 2011 [*1290: 167–188]. 16] 175–188.
1296 W. Löhr: The Continuing Construction of 1305 E. Norelli: Da dove emerge l’Anticristo?
Heresy: Hippolyt’s Refutatio in Context, in: Riesame dell’ἀντίχριστος nelle Lettere di
Aragione, Norelli 2011 [*1290: 25–42]. Giovanni, in: L’ultimo nemico di Dio. Il
1297 A. Longo: Empedocle e l’allegoria nella ruolo dell’Anticristo nel cristianesimo an-
Confutazione di tutte le eresie attribuita a tico e tardoantico, a cura di A. D’Anna, E.
Ippolito di Roma, in: Aragione, Norelli 2011 Valeriani (Bologna 2013) 15–46.
[*1290: 119–133]. 1306 J. Secord: Medicine and Sophistry in Hippo-
1298 E. Norelli: Des évêques, des écoles et des hé- lytus’ Refutatio, in: StPatr 65 (2013) 217–224.
rétiques: un colloque international, in: Ara- 1307 K. Bracht: Hippolyts Schrift In Danielem.
gione, Norelli 2011 [*1290: 3–23]. Kommunikative Strategien eines frühchrist-
1299 E. Norelli: Construire l’opposition entre or- lichen Kommentars (Tübingen 2014) [STAC
thodoxie et hérésie à Rome au IIIe siècle, in: 85].
Aragione, Norelli 2011 [*1290: 233–255]. 1308 M. Rizzi: Anticristo. L’inizio della fine del
1300 B. Pouderon: Hippolyte, un regard sur mondo (Bologne 2015).
l’hérésie entre tradition et invention, in: Ara- 1309 Y. Smith: The Mystery of Anointing. Hippo-
gione, Norelli 2011 [*1290: 43–71]. lytus’ Commentary on the Song of Songs in
1301 C. Scholten: Autor, Anliegen und Publikum Social and Critical Contexts. Texts, Transla-
der Refutatio, in: Aragione, Norelli 2011 tions and Comprehensive Study (Piscataway
[*1290: 135–166]. NJ 2015) [Gorgias Studies in Early Christian-
1302 G. Sfameni Gasparro: I rischi dell’Hellenis- ity and Patristics 62].
mòs: astrologia ed eresia nella Refutatio om-
nium haeresium, in: Aragione, Norelli 2011
[*1290: 189–217].

Q. Septimius Florens Tertullianus

Gesamtausgaben 1318 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera


ex recensione Aem. Kroymann, Tertulliani
1315 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera editionis partis II volumen posterius (Wien,
ex recensione A. Reifferscheid et G. Wis- Leipzig 1942) [CSEL 70].
sowa, Pars I (Prag, Wien, Leipzig 1890) 1319 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera.
[CSEL 20]. Pars I: Opera Catholica, Adversus Marcio-
1316 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera nem (Turnholti 1954) [CCSL 1].
ex recensione Aem. Kroymann, Pars III 1320 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera.
(Wien, Leipzig 1906) [CSEL 47]. Pars II: Opera Montanistica (Turnholti
1317 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Apologe- 1954) [CCSL 2].
ticum secundum utramque libri recensionem
edidit H. Hoppe, Tertulliani editionis partis
II volumen prius (Wien, Leipzig 1939) [CSEL
69].

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1096 Bibliographie zum achten Kapitel

1321 Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera. 1338 Quinti Septimii Florentis Tertulliani De
Pars IV: Ad martyras, Ad Scapulam, De fuga baptismo edidit et commentario critico in­
in persecutione, De monogamia, De virgini- struxit B. Luiselli (Turin 1960) [Corpus
bus velandis, De pallio. Opera Aem. Kroy- Scriptorum Latinorum Paravianum].
mann usus edidit V. Bulhart, De paenitentia 1339 Q. S. F. Tertulliani Ad martyras. Prolego-
edidit Ph. Borleffs (Wien 1957) [CSEL 76]. meni, testo critico, traduzione e commento
di A. Quacquarelli (Roma 1963).
1340 Q. S. F. Tertulliani Adversus Iudaeos, mit Ein-
Einzelausgaben und Kommentare leitung und kritischem Kommentar heraus­
gegeben von H. Tränkle (Wiesbaden 1964).
1327 Tertullien: Apologétique. Texte établi et tra- 1341 Q. Septimi Florentis Tertulliani De corona –
duit par J.-P. Waltzing avec la collaboration Tertullien, Sur la couronne. Édition, intro-
de A. Severyns (Paris 1929) [CUF]. duction et commentaire de J. Fontaine
1328 Tertullien: Apologétique. Commentaire ana- (Paris 1966) [Érasme].
lytique, grammatical et historique par J.-P. 1342 Tertullien: La Toilette des Femmes (De
Waltzing (Paris 1931). cultu feminarum). Introduction, texte cri-
1329 Q. S. Fl. Tertullianus: De pallio. Kritische tique, traduction et commentaire de M.
Uitgave met Vertaling en Commentaar door Turcan (Paris 1971) [SC 173].
A. Gerlo, Doctor in de Wijsbegeerte en Let- 1343 Tertulliani Adversus Marcionem edidit C.
teren met een Voorrede van P. van de Woes- Moreschini (Milano, Varese 1971) [Testi e
tijne, Professor ord. aan de Universiteit te documenti per lo studio dell’antichità 35].
Gent. I: Inleiding, Tekst en Vertaling; II: 1344 Tertullian: Adversus Marcionem, edited and
Commentaar (Wetteren 1940). translated by E. Evans. I: Books 1 to 3; II:
1330 Quinti Septimi Florentis Tertulliani De Books 4 and 5 (Oxford 1972) [OECT].
anima, by J. H. Waszink (Amsterdam 1947; 1345 Tertullien: La chair du Christ, I. Introduc-
ND Leiden, Boston 2010) [VChr Suppl. 100]. tion, texte critique, traduction et commen-
1331 Tertullian: Apologeticum – Verteidigung des taire de J.-P. Mahé (Paris 1975) [SC 216].
Christentums. Lateinisch und Deutsch, her- 1346 Tertullien: À son épouse. Introduction, texte
ausgegeben, übersetzt und erläutert von C. critique, traduction et notes de Ch. Munier
Becker (München 1952, 41992). (Paris 1980) [SC 273].
1332 Tertullien: Traité du Baptême. Texte, intro- 1347 Tertullien: Contre les Valentiniens. I: Intro-
duction et notes de R. F. Refoulé, traduction duction, texte critique et traduction par J.-C.
en colloboration avec M. Drouzy (Paris Fredouille; II: Commentaire et index par
1952) [SC 35]. J.-C. Fredouille (Paris 1980) [SC 280–281].
1333 Q. Septimii Florentis Tertulliani De carne 1348 Tertullien: De la Patience. Introduction,
Christi liber – Tertullian’s Treatise on the In- texte critique, traduction et commentaire
carnation. The Text Edited with an Intro- par J.-C. Fredouille (Paris 1984) [SC 310].
duction, Translation and Commentary by E. 1349 Tertullien: La Pénitence. Introduction, texte
Evans (London 1956). critique, traduction et commentaire de Ch.
1334 Quinti Septimii Florentis Tertulliani Adver- Munier (Paris 1984) [SC 316].
sus Hermogenem liber, quem ad fidem codi- 1350 Tertulliano: La testimonianza dell’anima, a
cum recensuit prolegomenisque instruxit J. cura di C. Tibiletti (Firenze 1984) [Biblio-
H. Waszink (Utrecht, Antwerpen 1956) teca Patristica 1].
[Stromata Patristica et Mediaevalia 5]. 1351 Tertullien: Exhortation à la Chasteté. Intro-
1335 Tertullien: Traité de la Prescription contre duction, texte critique et commentaire par
les Hérétiques. Introduction, texte critique, C. Moreschini, traduction par J.-C. Fre-
et notes de R. F. Refoulé, traduction de P. de douille (Paris 1985) [SC 319].
Labriolle (Paris 1957) [SC 46]. 1352 Q. Septimi Florentis Tertulliani Adversus
1336 Q. S. Fl. Tertulliani De testimonio animae. Praxean. Editionem criticam cum prolego-
Introduzione, testo e commento di C. Tibi- menis, italica interpretatione, notis et indici-
letti (Turin 1959). bus curavit I. Scarpat (Torino 1985) [Corona
1337 Q. Septimi Florentis Tertulliani de resurrec- Patrum 12].
tione carnis liber – Tertullian’s Treatise on 1353 Le premier livre Ad Nationes de Tertullien.
the Resurrection. The Text Edited with an Introduction, texte, traduction et commen-
Introduction, Translation and Commentary taire de A. Schneider (Rome 1986) [Biblio-
by E. Evans (London 1960). theca Helvetica Romana 9].

08_7 Fruehes Christentum Biblio.indd 1096 25.09.18 09:29


Q. Septimius Florens Tertullianus 1097
1354 Tertulliano: L’eleganza delle donne – De Übersetzungen
cultu feminarum, a cura di S. Isetta (Firenze
1986) [Biblioteca Patristica 6]. 1373 Tertullians sämtliche Schriften. Aus dem
1355 Tertullien: Les Spectacles (De spectaculis). Lateinischen übersetzt von K. A. H. Kellner.
Introduction, texte critique, traduction et I: Die apologetischen und praktischen
commentaire de M. Turcan (Paris 1986) [SC Schriften; II: Die dogmatischen und polemi-
332]. schen Schriften (Köln 1882).
1356 Tertullianus: De idololatria. Critical Text, 1374 Tertullians private und katechetische Schrif-
Translation and Commentary by J. H. Was- ten, neu übersetzt mit Lebensabriss und
zink and J. C. M. van Winden, partly based Einleitungen versehen von K. A. H. Kellner
on a manuscript left behind by P. G. van der (Kempten, München 1912) [BKV 7].
Nat (Leiden 1987) [VChr Suppl. 1]. 1375 Tertullians apologetische, dogmatische und
1357 Tertullien: Le Mariage unique (De mono- montanistische Schriften, übersetzt und mit
gamia). Introduction, texte critique, traduc- Einleitungen versehen von K. A. H. Kellner,
tion et commentaire de P. Mattei (Paris durchgesehen und herausgegeben von G.
1988) [SC 343]. Esser (Kempten, München 1915) [BKV 24].
1358 Tertulliano: Scorpiace, a cura di G. Azzali 1376 Q. Septimi Florentis Tertulliani Apologeti-
Bernardelli (Firenze 1990) [Biblioteca Pa­ cus. The Text of Oehler annotated, with an
tristica 14]. Introduction, by J. E. B. Mayor, with a
1359 Tertullien: Contre Marcion, I–III (Livre I– Translation by A. Souter (Cambridge 1917).
III). Introduction, texte critique, traduction 1377 Tertullians zweites Buch ‹Ad nationes› und
et notes par R. Braun (Paris 1990–1994) [SC ‹De testimonio animae›. Übertragung und
365, 368, 399]. Kommentar von M. Haidenthaller (Pader-
1360 Tertulliano: De corona. Introduzione, testo, born 1942) [Studien zur Geschichte und Kul-
traduzione e note a cura di F. Ruggiero (Mi- tur des Altertums 23].
lano 1992). 1378 Tertullian: Treatises on Marriage and Remar-
1361 Q. S. F. Tertulliani De monogamia. Editio- riage, to his Wife, an Exhortation to Chastity,
nem criticam cum prolegomenis, italica in- Monogamy, translated and annotat­ed by W.
terpretatione, notis et indicibus curavit R. P. le Saint (Westminster MD 1951).
Uglione (Torino 1993) [Corona Patrum 15]. 1379 Tertullian: The Treatise against Hermogenes,
1362 Tertullien: La Pudicité (De pudicitia). I: In- translated and annotated by J. H. Waszink
troduction par C. Micaelli, texte critique et (London 1956) [AChW 24].
traduction par Ch. Munier; II: Commentaire 1380 Ch. Stücklin: Tertullian, De virginibus velan-
et index par C. Micaelli (Paris 1993) [SC dis. Übersetzung, Einleitung, Kommentar.
394–395]. Ein Beitrag zur altkirchlichen Frauenfrage
1363 Tertullien: Le voile des vierges (De virgini- (Bern, Frankfurt a. M. 1974) [Europäische
bus velandis). Introduction et commentaire Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie 26].
par E. Schulz-Flügel, adaptés par P. Mattei, 1381 Quinti Septimi Florentis Tertulliani De vir-
texte critique par E. Schulz-Flügel, traduc- ginibus velandis. Einleitung, Text, deutsche
tion par P. Mattei (Paris 1997) [SC 424]. Übersetzung, theologischer und philologi-
1364 Tertullian: De pallio. A Commentary by V. scher Kommentar von E. Schulz-Flügel
Hunink (Amsterdam 2005). (Diss. Göttingen 1977).
1365 Tertullien: Le Manteau (De pallio). Intro- 1382 Tertullian: Über die Seele. Über die Seele
duction, texte critique, traduction, commen- (De anima), das Zeugnis der Seele (De tes-
taire et index par M. Turcan (Paris 2007) timonio animae), vom Ursprung der Seele
[SC 513]. (De censu animae), eingeleitet, übersetzt
1366 Tertuliano: La Penitencia, La Pudicicia, und erläutert von J. H. Waszink (Zürich,
­reparado por S. Vicastillo (Madrid 2011) München 1980) [Die Bibliothek der alten
[Fuentes Patrísticas 26]. Welt, Werke des Q. Septimius Florens
1367 Tertullian: Apologeticum, übersetzt und er- Tertullianus, Band 1].
klärt von T. Georges (Freiburg i. Br. 2011) 1383 Tertulliano: Gli ornamenti delle donne (De
[KfA 11]. cultu feminarum) a cura di M. Tasinato
(Parma 1987) [Biblioteca Medievale 2].
1384 Quintus Septimius Tertullianus: De specta-
culis – Über die Spiele. Lateinisch/deutsch,

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1098 Bibliographie zum achten Kapitel

übersetzt und herausgegeben von K.-W. 1409 P. Henne: Tertullien l’Africain (Paris 2011).
Weeber (Stuttgart 1988). 1410 J. Alexandre: Tertullien théologien (Paris
1385 Tertullian: Adversus Praxean – Gegen Pra- 2012).
xeas. Im Anhang: Hippolyt: Contra Noëtum

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