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Neuroleadership

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Neuroleadership

Erkenntnisse der Hirnforschung für die Führung von Mitarbeitern

Prof. Dr. Christian E. Elger

2. Auflage

Haufe Gruppe
Freiburg · München

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print: ISBN: 978-3-648-03785-0 Bestell-Nr.: 00245-0002


EPUB: ISBN: 978-3-648-03786-7 Bestell-Nr.: 00245-0101
EPDF: ISBN: 978-3-648-03787-4 Bestell-Nr.: 00245-0151

Prof. Dr. Christian E. Elger


Neuroleadership
2. Auflage 2013
© 2013, Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg

Redaktionsanschrift: Fraunhoferstraße 5, 82152 Planegg/München


Telefon: (089) 895 170
Telefax: (089) 895 17290
www.haufe.de
online@haufe.de
Produktmanagement: Jutta Thyssen
Unter redaktioneller Mitarbeit von Friedhelm Schwarz
Lektorat: Hans-Jörg Knabel, 77731 Willstätt
DTP: Agentur: Satz & Zeichen, Karin Lochmann, 83071 Stephanskirchen
Satz: Reemers Publishing Services GmbH, 47799 Krefeld
Umschlag: RED GmbH, 82152 Krailing
Druck: fgb freiburger graphische betriebe; 79108 Freiburg

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tigkeit. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wieder-
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Inhaltsverzeichnis

Hirnforschung und Leadership 7

1 Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten 21


1.1 Was die Neurowissenschaften erforschen und was nicht 23
1.2 Der Nutzen der interdisziplinären Neurowissenschaften 31
1.3 Die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns 37
1.4 Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen und vorhersagen 43

2 Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis 51


2.1 Das Gehirn funktioniert nach einfachen Prinzipien 52
2.2 Begrenzte Kapazitäten akzeptieren 58
2.3 Sprache, Mimik, Handeln – die Motorik als Tor zur Außenwelt 62
2.4 Gesichter erkennen und deuten 68
2.5 Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben 72
2.6 Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 77

3 Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis 87


3.1 Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 88
3.2 Das emotionale System – komplex und vielfältig 98
3.3 Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 113
3.4 Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 130

4 Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar 141


4.1 Ohne Frauen nutzen Unternehmen nur die Hälfte ihrer Kompetenz 142
4.2 Frauen denken anders 149

5 Das Multigenerationenunternehmen als Zukunftsmodell 161


5.1 Wir werden älter, aber nicht dümmer 162

6 Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags 167


6.1 Die 7 Grundregeln der Neuroleadership 168
6.2 Bewerten und entscheiden 177
6.3 Verhandeln und kommunizieren 181
6.4 Beurteilen und belohnen 184
6.5 Fördern und motivieren 187
6.6 Verändern und aufbauen 192

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Inhaltsverzeichnis

Ausblick: Die Zukunft der Führung 197

Der Autor 201

Literaturempfehlungen 203

Stichwortverzeichnis 209

Personenregister 215

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Hirnforschung und Leadership

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren, weshalb die epileptologische Klinik der Universität Bonn und das
Life & Brain-Institut besonders dafür prädestiniert sind, gemeinsam mit den
Wirtschaftswissenschaften neuroökonomische Studien zu betreiben, und was
sich hinter dem Begriff Neuroleadership verbirgt.

Was hat ein Hirnforscher mit Leadership zu tun?

Viele Leser werden sich sicherlich irritiert die Frage stellen, warum ein Hirnforscher
und gar ein Epileptologe sich dem Thema Leadership zuwendet. Trennen nicht
Welten den Alltag in einer Universitätsklinik mit seinen breit gefächerten Aufgaben
in Forschung, Lehre und Heilung von dem in den Chefetagen der Unternehmen,
der Banken und Versicherungen oder auch der Ministerien und Behörden? Sitzt
ein Medizin-Professor nicht in einem Elfenbeinturm, fern aller Probleme, der reinen
Wissenschaft verpflichtet?

Nun, ich kann Ihnen gute Gründe dafür nennen, weshalb ich mich mit Leadership
befasse. Der Mensch ist immer das Maß aller Dinge. Selbst wenn es bei oberfläch-
licher Betrachtung manchmal den Anschein hat, als würden Wirtschaft und Poli-
tik nach ganz eigenen Gesetzen funktionieren, kommt man bei genauerem Hin-
schauen doch zu dem Ergebnis, dass es im höchsten Maße menschliche Regungen
sind, die hinter allen Entscheidungen stehen.

Kränkungen und Verletzungen spielen hier ebenso eine Rolle wie Eitelkeiten und
Animositäten. Der Wunsch nach Erfolg und Anerkennung ist genauso im mensch-
lichen Gehirn verankert wie das Gefühl der Enttäuschung oder der Irrtum hinsicht-
lich bestimmter Sachverhalte. Das Gehirn ist zwar das komplexeste Organ des Men-
schen, doch es funktioniert, wie wir noch sehen werden, auf der Grundlage von
einfachen Prinzipien.

Hinzu kommt, auch eine Universitätsklinik arbeitet nach wirtschaftlichen Grund-


sätzen und verfügt über eine Vielzahl von Mitarbeitern in den unterschiedlichsten
Funktionen und mit den unterschiedlichsten Qualifikationen. Wer eine solche Klinik

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Hirnforschung und Leadership

leitet, muss sich nicht nur gegenüber einer ganzen Reihe von Gremien verantwor-
ten und seine Ziele gegenüber den Mitarbeitern vertreten, sondern steht auch
mit vielen anderen Forschungseinrichtungen im harten Wettbewerb um die stets
knappen Gelder der Wissenschaftsförderung.

Verantwortung, Leistung und Erfolg sind also keine Fremdworte für meine Mitar-
beiter und mich. Doch spielen diese Erfahrungen aus der eigenen Praxis nur am
Rande eine Rolle und haben nur gelegentlich Beispielcharakter, wenn es um die
Erkenntnisse der Hirnforschung für die Führung von Mitarbeitern geht.

Die Epilepsie-Behandlung bietet außergewöhnliche


Möglichkeiten

Dass wir an der Universität Bonn in der Lage sind, eine direkte Verbindung von der
Hirnforschung zur Ökonomie herzustellen, hat ganz besondere Ursachen. Die Kli-
nik für Epileptologie ist ein weltweit führendes Forschungs- und Behandlungszen-
trum für Epilepsie, die allgemeine Hirnforschung ist dabei zwar sehr wichtig, doch
steht sie nicht im direkten Zentrum unserer Arbeit. Unsere volle Aufmerksamkeit
gilt dem Wohl jedes einzelnen Patienten.

Schon seit einigen Jahren macht die Epilepsieforschung rasante Fortschritte, und
das in zweifacher Hinsicht. Einerseits profitieren die Patienten von den immer wei-
ter verbesserten Therapien und andererseits kommen die Mediziner den großen
Geheimnissen des Gehirns sozusagen nebenbei auf die Spur, besonders was die
Arbeitsweise des Gedächtnisses, die Verarbeitung von Sprache und den Ursprung
von Gefühlen betrifft.

Gefühle sind ein höchst komplexes Thema, das in unserer scheinbar so rationalen
Welt gern in die private Sphäre abgedrängt wird. Doch ohne Gefühle sind wir kaum
in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Und was ist Leadership anderes, als eine
ständige Abfolge von großen und kleinen Entscheidungen?

Ein Teil der Menschen, die an Epilepsie leiden, kann mit Medikamenten nicht er-
folgreich behandelt werden. Bei ihnen versuchen wir deshalb, den Herd, von dem
die Anfälle ausgehen, herauszuoperieren. Um die richtige Stelle im Gehirn präzise
zu orten, werden den Patienten zum Teil Elektroden ins Gehirn eingeführt. Mit
einem von der Kopfhaut abgeleiteten EEG lässt sich die Quelle der elektrischen
Hirnaktivität nicht immer genau lokalisieren, weil es durch Schädelknochen und

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Was hat ein Hirnforscher mit Leadership zu tun?

Hirngewebe manchmal zu einer starken räumlichen Verzerrung und Dämpfung der


aufgezeichneten Signale kommt.

Viele Epilepsien finden in gedächtnis- und emotionsrelevanten Bereichen wie dem


Mandelkern oder dem Hippocampus statt. Hieraus ergibt sich die Platzierung der
Elektroden für diagnostische und therapeutische Zwecke. Die nur millimeterstar-
ken Stabelektroden reichen über die ganze Länge von der Amygdala (dem Mandel-
kern) bis hin zum hinteren Hippocampus und erfassen dort die Gehirnaktivitäten.
Der Hippocampus ist sehr wichtig für unser Gedächtnis, der Mandelkern für unsere
Emotionen. Oft sitzen die Elektroden auch im Schläfenlappen, wenn dort der An-
fallsherd vermutet wird.

INFO
Amygdala
Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist für die emotionale Einfärbung
von Informationen zuständig. Sie erhält Informationen aus sämtlichen Sinnes-
systemen, verarbeitet die externen Impulse, führt zur Freisetzung von Stress-
hormonen und beeinflusst das vegetative Nervensystem, dessen Aktionen als
Gefühle wieder auf das Gehirn zurückwirken.
Hippocampus
Der Hippocampus ist für das Gedächtnis und für das Lernen zuständig. Fällt
diese Struktur beidseitig aus, können keine neuen Informationen mehr aufge-
nommen werden. Das heißt, Lernen ist nicht mehr möglich, und das Kurzzeit-
gedächtnis fällt aus, während lange zurückliegende Ereignisse weiter erinnert
werden können.

Bei den Patienten muss man mehrere Tage die Potenzialschwankungen ableiten,
um unter Umständen einen epileptischen Anfall registrieren zu können. In der Zwi-
schenzeit können mit Einverständnis der Patienten Untersuchungen über Emoti-
onen und über das Gedächtnis durchgeführt werden. Durch die tiefen Elektroden
hat man bei den Epilepsie-Patienten einen hervorragenden Zugang zu Funktionen,
die im Tierversuch gar nicht oder nur sehr schwer zu untersuchen sind, wie zum
Beispiel das Erlernen und Erinnern von Wörtern oder auch das Erleben von Gefüh-
len wie Liebe, Glück oder Unglück.

Die implantierten Elektroden stellen eine einzigartige Untersuchungsmöglichkeit


dar, da sie eine nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich exakte Messung der Hirn-
aktivitäten ermöglichen. Dies kann selbst die funktionelle Kernspintomografie
nicht leisten, weil deren Aufzeichnungen den eigentlichen Prozessen um Sekun-
den hinterher hinken.

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Hirnforschung und Leadership

Es geht hier also darum, Elementarprozesse zu verstehen und zu analysieren, was


nur im Wachzustand des Patienten möglich ist. Da solche Untersuchungen sonst
aus ethischen Gründen nicht durchgeführt werden, bietet hier die diagnostische
Notwendigkeit für solche Eingriffe eine besondere und zusätzliche Chance, um
interdisziplinäre wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Das ist der Grund,
weshalb wir in einer einzigartigen Weise den Bogen von der Epileptologie zur Neu-
roökonomie schlagen können.

Gemeinsam mit Ökonomen das Gehirn erforschen

Direkt gegenüber der Klinik für Epileptologie steht auf dem Gelände des Univer-
sitätsklinikums Bonn das Gebäude der Life & Brain GmbH. Sie ist das erste deut-
sche „akademische Unternehmen“, das angesichts schwindender öffentlicher For-
schungsgelder mit Neuroforschung und Biotechnologie auch am Markt erfolgreich
sein will. Das Unternehmen ist sowohl Universitätsinstitut, privates Institut als auch
Biotech-Zentrum in einem.

Die so genannte NeuroCognition Plattform im Life & Brain Institut konzentriert


sich auf das Verständnis der funktionellen Grundlagen von kognitiven Prozessen
beim Menschen. Damit ist sie ein grundlegendes Werkzeug bei der Entwicklung
und Rationalisierung von ökonomischen Strategien, zu denen auch Neuroleader-
ship zählt.

INFO Kognition
Kognition kommt aus dem Lateinischen und heißt „kennen lernen „oder Er-
kennen. Dieser Begriff wird für alle Prozesse oder Strukturen verwendet, die
mit dem bewussten Wahrnehmen oder Erkennen zusammenhängen, wie Vor-
stellung, Beurteilung, Gedächtnis, Erinnerung, Lernen, Denken oder Problem-
lösen. Häufig steht Kognition auch als Gegensatz zur Emotion.
Die kognitive Neurowissenschaft vereint die psychologische und neurowissen-
schaftliche Herangehensweise. Ursprünglich war sie auf die klassischen Ge-
genstandsbereiche der kognitiven Psychologie wie Wahrnehmung, Gedächtnis
usw. beschränkt, inzwischen gehören aber auch andere allgemein- psycholo-
gische Themen wie Motivation, Emotion sowie Störungen elementarer psychi-
scher Leistungen zu den neurowissenschaftlichen Forschungsbereichen.

Die Forschungsgruppe NeuroImaging innerhalb der Plattform NeuroCognition


bringt die akademische und kommerzielle Forschung zusammen. Neben der me-
dizinischen Grundlagenforschung liegt ein zweiter Schwerpunkt der Tätigkeit auf

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Was hat ein Hirnforscher mit Leadership zu tun?

den noch jungen, doch rasant wachsenden Forschungsgebieten Neuroökonomie


und Neuromarketing. Dies ist die Aufgabe des Neuroeconomics Lab Bonn, das
wiederum eng mit dem BonnEconLab, dem Laboratorium für Experimentelle Wirt-
schaftsforschung der Universität Bonn, zusammenarbeitet.

Die Neuroökonomie beschäftigt sich einerseits mit Entscheidungsvorgängen des


Individuums und der Wirtschaft, andererseits versucht sie im Rahmen des Neuro-
marketings bzw. der Consumer Neuroscience einen tieferen Einblick in das Kon-
sumentenverhalten und in die Werbewirkung zu erhalten. In interdisziplinären
Forscherteams aus Neurologen, Psychologen, Physikern und Ökonomen werden
relevante Fragestellungen mit neurowissenschaftlichen Methoden und moderns-
ter technischer Ausstattung untersucht.

INFO Neuroökonomie
Als Neuroökonomie bezeichnet man die interdisziplinäre Verknüpfung der
Neurowissenschaften mit den Wirtschaftswissenschaften. Sie werden unter-
stützt durch andere Wissenschaftsdisziplinen wie der Psychologie. Es geht
darum, zu untersuchen, wie Menschen in unterschiedlichen Verhandlungssi-
tuationen und unter bestimmten, zum Beispiel zeitlichen, Perspektiven Ent-
scheidungen fällen, was sie als gerecht oder ungerecht empfinden, wie sie mit
Vor- und Nachteilen umgehen, welches Verhalten sie daraus ableiten, sowie
darum, ob und wie man Entscheidungen, zum Beispiel durch Werbung oder
andere Maßnahmen, beeinflussen kann.

Da die Forschungsgruppe NeuroImaging über zwei Magnetresonanztomografen


(MRT) verfügt, kann man, was bisher nur an wenigen Orten auf der Welt möglich
ist, sogar Experimente mit zwei Probanden gleichzeitig durchführen. Dabei wird
nicht nur eine hoch moderne Videobrille eingesetzt, sondern es lässt sich auch
Audiomaterial, wie Geräusche, Töne und gesprochene Worte im MRT präsentieren.

Zusammenfassung

Die einzigartigen Möglichkeiten aus der Epilepsie-Diagnostik in Verbindung mit der


technischen Ausstattung des Life & Brain Instituts und der interdisziplinären Zu-
sammenarbeit mit Wirtschaftswissenschaftlern führen zu neuen Erkenntnissen,
die so an keiner deutschen und auch nur an wenigen internationalen Forschungs-
einrichtungen möglich sind.

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Hirnforschung und Leadership

An wen sich dieses Buch richtet

Der Begriff „Führungskraft“ ist im Deutschen leider nicht eindeutig definiert. Häu-
fig wird er auch synonym mit den Begriffen Spitzenkraft, Leiter, Manager bezie-
hungsweise Topmanager oder auch Vorgesetzter beziehungsweise Chef verwen-
det. Deshalb weicht auch die einschlägige Fachliteratur gern auf die englischen
Begriffe „Management“ und „Leadership“ aus.

Allerdings bezeichnen diese etwas durchaus Unterschiedliches, wie der amerikani-


sche Sozialwissenschaftler Warren Bennis schon im Jahr 1985 deutlich machte. In
seinem Buch „Leaders“ sagte er: „Managen bedeutet bewirken, herbeiführen, die
Leitung oder Verantwortung übernehmen. Führen heißt beeinflussen, die Richtung
und den Kurs bestimmen, Handlungen und Meinungen steuern. Die Unterscheidung
ist wesentlich. Manager machen die Dinge richtig, Führende tun die richtigen Dinge.“

Gleichzeitig räumte er auch mit einigen Legenden und Vorurteilen auf. Generell
wird ja vermutet, Führungsqualitäten seien verhältnismäßig selten. Bennis nimmt
an, dass jeder Mensch über ein gewisses Potenzial zur Führung verfügt und dass
besonders große Organisationen mit ihren zahlreichen Hierarchiestufen auch eine
große Zahl von Führungskräften benötigen.

Speziell in Deutschland ist man immer noch der Ansicht, Menschen als Führungs-
kraft müssten über ein außergewöhnliches Persönlichkeitsprofil verfügen, das an-
geboren ist und nicht erlernt werden kann. Tatsächlich ist es aber so, dass, um als
Führungskraft erfolgreich zu sein, äußere Einflüsse weitaus wichtiger sind als die
Erbanlagen. Das Elternhaus, die Erziehung und das Umfeld spielen die entschei-
dende Rolle, das belegen speziell die empirischen Untersuchungen aus der sozial-
psychologischen Elite-Forschung.

Auch die Vorstellung, Führungskräfte seien von Natur aus charismatisch, hat sich
als falsch herausgestellt. Es ist eher so, dass es das richtige Verhalten ist, das be-
stimmten Personen den Respekt ihrer Mitarbeiter verschafft, oder dass es sich bei
der Charismatisierung eher um eine Legendenbildung und Projektion handelt.

Wann immer man es mit einer echten Führungskraft zu tun hat, wird man feststel-
len, dass diese sich nicht dadurch auszeichnet, dass sie selbst Macht ausübt, son-
dern dass sie andere ermächtigt und für Ziele mobilisiert. Lassen Sie uns deshalb
zunächst einmal alle Attribute, die wir im Zusammenhang mit dem Begriff „Füh-
rungskraft“ gelernt haben, beiseite schieben und zum Einstieg eine ganz schlichte
Definition wählen: Eine Führungskraft ist jeder, der nicht nur für sich selbst verant-
wortlich ist, sondern auch Verantwortung für andere Menschen trägt.

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An wen sich dieses Buch richtet

Was bereitet Führungskräften Probleme?

Fredmund Malik, Professor für Unternehmensführung aus St. Gallen, hat in seinem
im Jahr 2000 erstmals erschienenen Buch „Führen Leisten Leben“ erklärt, dass er
den Managern, die er berät oder schult, immer wieder die Frage stellt, welches
ihr wichtigstes oder schwierigstes Problem sei. In all den vielen Jahren haben nur
wenige geantwortet, es sei die Führung ihrer Mitarbeiter.

Fast ohne Ausnahme lauteten die Antworten „das ist mein Chef“, „es ist der Chef
meines Chefs“ oder „es sind meine Kollegen“. Untergebene zu führen, ist, so Ma-
lik, natürlich eine wichtige, aber nicht die schwierigste Aufgabe eines Managers.
Trotzdem sei die vorherrschen de Sicht immer noch eine andere.

Das gesamte immer wieder propagierte Management-Arsenal wie Kommunikation,


Kooperation, Überzeugungsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen usw. benötigen
Führungskräfte nicht in erster Linie dort, wofür es empfohlen und vermittelt wird,
nämlich für die Führung der Mitarbeiter, sondern zur Lösung von Problemen inner-
halb des organisatorischen Netzwerks, also für die seitwärts und nach oben ge-
richteten Beziehungen. Mitarbeiter können im Zweifelsfall per Anweisung geführt
werden, so Malik. Wenn das Führen von Mitarbeitern aber wirklich so einfach wäre,
könnte ich bereits an dieser Stelle das Buch beenden.

Tatsächlich liegt das eigentliche Problem wohl darin, dass zwischen den Motiven,
die einen Menschen bewegen, Führungskraft werden zu wollen, und den dann ge-
forderten Handlungsweisen erhebliche Diskrepanzen bestehen. Umfragen haben
gezeigt, dass die wichtigsten Motive von Führungskräften Ehrgeiz und Leistungs-
wille sowie persönliche Weiterentwicklung sind. Das sind Motive, die ausschließlich
auf sich selbst bezogen sind. Erst an dritter Stelle kommt der Wunsch, mit anderen
zusammen etwas zu bewegen. Doch schon als nächstes folgen Einfluss, Macht,
Ansehen, Prestige, Status und materielle Motive wie Geld und geldwerte Vorteile.

Wahrscheinlich sehen viele Mitarbeiter ihre Chefs genauso wie diese sich selbst.
Die egoistische Befriedigung eigener Bedürfnisse und das Erringen von Vorteilen
überwiegen gegenüber Zielen, die nur gemeinschaftlich zu erreichen sind. Kein
Wunder also, dass Verlustangst und das Vertuschen dieser Angst bei vielen Füh-
rungskräften ausgeprägte Gefühle sind.

Da viele, wahrscheinlich sogar die überwiegende Zahl der Führungskräfte sich in


einer Sandwich-Position befinden, das heißt in eine Hierarchie der Über- und Un-
terordnung eingebunden sind, reicht es nicht, nur sich selbst zu erkennen und das
eigene Verhalten richtig zu interpretieren, sondern auch das der anderen.

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Hirnforschung und Leadership

Insofern bin ich sicher, dass das Konzept der Neuroleadership nicht nur den Mit-
arbeitern hilft, bessere Leistungen zu erbringen, sondern auch den Führungskräf-
ten die Möglichkeit gibt, sich selbst realistischer wahrzunehmen. Doch zunächst
einmal sollten wir überprüfen, was sich hinter dem Begriff Neuroleadership heute
wirklich verbirgt.

Zusammenfassung

Führungsfunktionen sind auf allen hierarchischen Ebenen zu finden, nicht nur in


den Top-Positionen. Die gebräuchlichen Management-Instrumente können nur
dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie im Zusammenhang mit den eigenen Moti-
ven und dem daraus resultierenden Verhalten gesehen werden.

Ist Neuroleadership nur alter Wein in neuen


Schläuchen?

Am 23. Juli 2007 erschien in der BusinessWeek ein Artikel von Jena McGregor, der auf
zum Teil polemische Weise versuchte, Neuroleadership als neue Verkaufsmasche
von Management-Beratern zu entlarven.

Tatsächlich ist es so, dass der Begriff „Neuroleadership“ zumindest in den USA erst-
mals von dem Führungscoach David Rock im Jahr 2006 verwendet wurde. Busi-
nessWeek sieht nun die Gefahr, dass die neurowissenschaftlichen Begriffe lediglich
dazu dienen, die bekannten Inhalte von Managerseminaren mit neuen Worten zu
erklären.

Dabei bezieht man sich auf ein Zitat von Warren Bennis, der in den Neurowissen-
schaften echte Chancen sieht, Führungskräften neue Einsichten und Instrumente
an die Hand zu geben, aber gleichzeitig befürchtet, „dass bestimmte Leute nur
eine andere Sprache benutzen, um ihre bekannten Weisheiten interessanter ver-
packen zu können.“ Diesem Eindruck kann auch ich mich nicht verschließen.

Offensichtlich geht es in den USA nicht so sehr darum, tiefer greifende Erkennt-
nisse zu gewinnen und sie zu vermitteln, sondern darum, Marktanteile zu sichern
und neue Claims abzustecken. Wer sich mit seinen Behauptungen allerdings im
Recht oder Unrecht befindet, lässt sich zumindest derzeit nicht eindeutig klaren.

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Ist Neuroleadership nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Immerhin arbeitet David Rock mit Jeffrey M. Schwartz zusammen, einem Psychiater,
der an der Universität von Kalifornien forscht.

Beide vertreten die Auffassung, dass es möglich ist, auf der Basis neurowissen-
schaftlicher Erkenntnisse Führungskräften neue Sicht- und Denkweisen zu ver-
mitteln. Dabei haben sie durchaus so prominente Unternehmensberatungen wie
McKinsey oder Booz Allen Hamilton hinter sich.

Auch BusinessWeek gesteht zu, dass der Artikel „The Neuro-science of Leadership“
von Rock und Schwartz der im Internet am stärksten beachtete Beitrag aus der
Zeitschrift „Strategy + Business“ innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten war.
Kein anderer Artikel wurde so oft heruntergeladen. Dass sich auch etliche große
Unternehmen im Jahr 2007 nach einem Sommerseminar in Asolo, Italien, entschie-
den haben, die Ideen der Neuroleadership in die eigenen Trainingsprogramme für
Mitarbeiter aufzunehmen, wird von der BusinessWeek jedoch eher als Desorientie-
rung denn als Fortschritt dargestellt. Es gehe den Befürwortern von Neuroleader-
ship nur darum, Marktnischen zu besetzen, mehr nicht, heißt es.

Natürlich frage ich mich, welche Interessen hinter solchen Verbalattacken stecken
und ob es denn so schlecht ist, Neues zu erproben? Wer muss in den USA be-
fürchten, dass jetzt ein Zug ohne ihn abfährt? Zumindest McKinsey hält es für
zweckmäßig und sinnvoll, das Verhalten positiv zu verändern, indem man neue
Sichtweisen auf bestehende Verhältnisse anwendet. Und wenn David Rock und
Jeffrey M. Schwartz damit auch noch finanziellen Erfolg haben, so gönne ich ihnen
diesen von ganzem Herzen.

Hingegen halte ich es für höchst problematisch, den Fortschritt dadurch aufhalten
zu wollen, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und nicht wenigs-
tens versucht, sie auf ihre Anwendungsfähigkeit hin zu überprüfen.

INFO Neuroleadership
Neuroleadership ist die Verbindung von neurowissenschaftlichen Erkenntnis-
sen mit zum Teil bekannten Managementtheorien mit dem Ziel, gehirngerech-
ter zu führen und bessere Ergebnisse zu erzielen. Neuroleadership befindet
sich noch in der Entwicklung und ist noch keine in sich geschlossene Theo-
rie. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Neurowissenschaften in Zukunft eine
veränderte Sichtweise auf das menschliche Denken und Handeln begründen
werden, die alle Lebensbereiche beeinflussen wird.

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Hirnforschung und Leadership

Kontinuierliche Veränderung als Unternehmensaufgabe

Ich möchte mich keineswegs zum Sprachrohr von Rock und Schwartz machen, ja
ich stehe ihren Thesen teilweise sogar recht kritisch gegenüber. Dennoch glaube
ich, dass man sie nicht einfach unbeachtet beiseite schieben sollte. Sie haben
schon heute in der englischsprachigen Welt einen ganz erheblichen Einfluss ge-
wonnen, und dies wird in absehbarer Zeit auch in Deutschland der Fall sein. Des-
halb möchte ich nachfolgend einige der in „Strategy + Business“ veröffentlichten
Gedanken Revue passieren lassen:

Als Dreh- und Angelpunkt sehen Rock und Schwartz die Fähigkeit eines Unterneh-
mens zur Veränderung. Nur wenn sich das tagtägliche Denken und Verhalten der
Mitarbeiter immer wieder neuen Herausforderungen anpasst, wird sich der Erfolg
einstellen. Doch offensichtlich ist es für Organisationen ebenso wie für Individuen
sehr schwer, konkrete Verhaltensänderungen durchzuführen.

Änderungen bedeuten Schmerz. Wer einmal Autofahren gelernt hat, reagiert im


Straßenverkehr ganz automatisch, also „ohne zu denken“. Die Situation ändert
sich jedoch schlagartig, wenn man in Großbritannien auf der „falschen“ Straßen-
seite fahren muss. Auf einmal wird Autofahren wieder zu einer höchst komplizier-
ten Angelegenheit. Natürlich hat das etwas mit den im Gehirn angelegten Struktu-
ren zu tun. Eben solche Strukturen gibt es auch am Arbeitplatz.

Das Gehirn liebt die Routine

Die meisten Dinge werden ganz automatisch erledigt, ob man nun Verkaufsge-
spräche führt, in Meetings sitzt, Mitarbeiter anleitet oder mit Kollegen kommu-
niziert. Soll etwas anders gemacht werden als üblich, gibt das Gehirn sofort eine
Fehlermeldung ab. Es fühlt sich praktisch überfallen und kontert mit Angst oder
Ärger. Auf Fehlersignale ihres Gehirns reagieren die meisten Menschen sehr emo-
tional und impulsiv.

Jede Abweichung von der Routine kann Reaktionen auslösen, die weitaus starker
sind als die Gedanken, die zu einsichtigem und vernünftigen Handeln führen wür-
den. Deshalb werden Veränderungen von denen, die sie fordern oder anordnen,
also den Führungskräften, in ihrer Wirkung auf die Mitarbeiter in der Regel unter-
schätzt. Wer sich ändern soll, leistet unbewusst Widerstand, der so stark ist, dass
er durch rationale Prozesse nicht zu kontrollieren ist.

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Ist Neuroleadership nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Die Mischung aus Belohnung und Strafe verändert nur wenig

Natürlich hat man in der Vergangenheit mit den verschiedensten psychologischen


Methoden versucht, Change Management wirkungsvoller und effizienter zu ge-
stalten. In der Regel ohne Erfolg. In Anwendung behavioristischer Theorien ver-
suchte man es mit Zuckerbrot und Peitsche. Obgleich sich offensichtlich herausge-
stellt hat, dass weder Belohnungen noch Strafen dauerhaft Verhalten verändern,
gehören diese Modelle in vielen Unternehmen immer noch zu den bevorzugten
Führungsinstrumenten.

Das Gehirn lässt sich nicht gerne manipulieren

Das humanistische Modell geht davon aus, dass Menschen, die ihre Probleme selbst
lösen sollen und dürfen, damit erfolgreicher sind. Doch leider hat es sich nach Rock
und Schwartz in der Praxis gezeigt, dass das Gehirn keineswegs zwischen ehrlich
gemeinten Fragen und versteckten Überredungsversuchen unterscheidet.

Der Mensch fühlt sich im einen wie im anderen Fall manipuliert und reagiert ent-
sprechend abweisend. Gerade bei intelligenten, hoch spezialisierten Mitarbeitern
funktionieren Veränderungsversuche auf der Basis personenzentrierter Annähe-
rung nur in geringem Maße, selbst wenn mögliche Veränderungen im Eigeninter-
esse der Person liegen.

Funktionsbezogene Betriebsblindheit

Ein anderer Ansatz, um Veränderungen herbeizuführen, liegt darin, bestimmte


Themen oder Probleme zu fokussieren und damit gedanklich immer wieder neu
zu bearbeiten. Tatsächlich lassen sich so alte Denkgewohnheiten durch neue er-
setzen. Das Problem in einem Unternehmen besteht allerdings darin, dass die ver-
schiedenen Mitarbeiter in höchst unterschiedlichen Funktionen tätig sind und von
daher jeweils eine ganz spezielle Sichtweise auf bestimmte Aufgaben haben.

Ein Marketingmann sieht die Probleme anders als ein Finanzspezialist oder ein Ju-
rist, ein Designer anders als ein Personalverantwortlicher. Sie alle sind nicht in der
Lage, neue Herausforderungen mit den Augen anderer zu sehen, und auch das
verhindert in Organisationen den effektiven Wandel.

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Hirnforschung und Leadership

Jedes Gehirn schafft sich seine Wirklichkeit

Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass die Wahrnehmung der Realität vorran-
gig durch die individuellen Erwartungen geformt wird. Jeder Mensch hat mentale
Landkarten im Kopf, die ihm helfen, die Wirklichkeit in einer ihm eigenen ganz be-
stimmten Weise zu deuten und zu verstehen. Ein Gemisch aus Theorien, Wertvor-
stellungen, Vorlieben und Abneigungen, Erfahrungen und Erwartungen ergibt am
Ende das, was in unseren Köpfen dann als konkrete Wahrnehmung erscheint. Auf
dieser Basis entfalten zum Beispiel Placebos ihre Wirkung.

Dass jeder Mensch eine andere mentale Landkarte im Kopf hat, an der er sich orien-
tiert, bedeutet für ein Unternehmen, dass Mitarbeiter an identischen Arbeitsplät-
zen und mit identischen Aufgaben diese oft auf höchst unterschiedliche Weise be-
wältigen. Dauerhafte Veränderungen lassen sich hier nur dadurch bewerkstelligen,
dass der einzelne Mitarbeiter zu neuen Einsichten und Erkenntnissen kommt, die
seine mentale Landkarte zumindest in Teilen vollkommen umschreibt.

Starke Erfahrungen verändern das Denken

Solche Einsichten, die mit einem komplexen Umbau der „Verdrahtungen“ im Gehirn
einhergehen, entstehen meist im Zusammenhang mit starken Erfahrungen oder
beeindruckenden Ereignissen. Aufgabe der Führungskraft muss es nach Rock und
Schwartz also sein, für solche Erlebnisse zu sorgen und anschließend die daraus
resultierenden Einsichten der Mitarbeiter zu vertiefen. Wie das funktionieren kann,
habe ich mit den beiden Autoren Domning und Rasel in dem Buch „Neurokommu-
nikation“, in dem es um Live-Kommunikation geht, ausführlich dargestellt. Sehen
Sie dazu auch das Kapitel „Die 7 Grundregeln der Neuroleadership“.

Fokussierung und Wiederholung als Lösung

Aus dieser Überlegung ergibt sich die nächste Schlussfolgerung, dass nämlich eine
erhöhte Aufmerksamkeit für bestimmte Dinge und eine erhöhte Konzentration auf
bestimmte Dinge die Identität eines Menschen durchaus formen können. Einsich-
ten müssen nicht nur aus sich selbst heraus generiert werden, sondern sie müssen
auch über einen entsprechend langen Zeitraum repetiert und praktiziert werden.
Mitarbeitern fertige Lösungen für Probleme anzubieten, bringt wenig oder gar
nichts.

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Ist Neuroleadership nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Dabei beziehen sich Rock und Schwartz auch auf Untersuchungen über Trainings-
programme, die ergeben haben, dass solche Veranstaltungen die Produktivität ei-
nes Mitarbeiters zwar um 28 Prozent steigern können, dass aber in Verbindung mit
einer entsprechenden Nacharbeit eine Produktivitätssteigerung von 88 Prozent
möglich ist.

Es reicht also nicht, nur kurzfristig die Aufmerksamkeit auf bestimmte neue Ideen zu
lenken, um einen Wandel herbeizuführen, sondern man muss auch die Geduld mit-
bringen, diese Ideen immer wieder und über einen längeren Zeitraum zu vertiefen.

Das Lernen neu lernen

Es kommt in Unternehmen nicht einseitig darauf an, nach den Ursachen für Miss-
stände zu suchen und diese zu beseitigen, sondern den Mitarbeitern Zukunftsper-
spektiven aufzuzeigen, ohne ihnen spezielle

Veränderungsvorschläge oder gar Vorschriften zu machen. Jeder muss die Ideen,


wie der Wandel stattfinden soll, selbst entwickeln. Das hört sich ziemlich simpel
und konventionell an. Doch es geht darum, das Gehirn zu trainieren, selbst neue
Verbindungen aufzubauen und dadurch das Verhalten zu ändern.

Es reicht nicht, den Mitarbeitern nur Wissen zu vermitteln, sondern sie müssen
selbst das Lernen lernen. Nur wenn das Gehirn die Chance erhält, selbst neue Ver-
bindungen herzustellen, wird ein nachhaltiger Wandel machbar sein. Rock und
Schwartz sind ebenso wie ich überzeugt davon, dass das menschliche Gehirn ge-
nau dies möchte, nämlich sich entwickeln und verändern.

Neuroleadership ist mehr als Change Management

Wohin die Entwicklung zukünftig geht, zeigte sehr deutlich der Neuroleader-
ship Summit im September 2008 in Sydney. Es geht nicht darum, Führungskräften
einzelne Instrumente an die Hand zu geben, um bestimmte Aufgaben wie zum
Beispiel Change Management besser bewältigen zu können, sondern darum, ein
grundsätzlich anderes Verständnis hinsichtlich der Vielzahl alltäglicher Abläufe zu
entwickeln.

Deshalb werden sich die Ideen der Neuroleadership in Zukunft nicht nur auf Un-
ternehmen und Organisationen beschränken. Die Neuroleadership-Bewegung wird
ihre Erkenntnisse auch immer stärker in Schulen, Universitäten und überall dort-

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Hirnforschung und Leadership

hin tragen, wo Menschen besser miteinander umgehen wollen, um gemeinsam die


Qualität ihrer Ergebnisse zu steigern.

Um erfolgreich Mitarbeiter führen zu können, muss man zunächst einmal sich


selbst erkennen und die Mechanismen, die im eigenen Gehirn wirken, ebenso wie
in den Gehirnen anderer Menschen. Es ist wichtig, eine neue Sichtweise darauf zu
entwickeln, wie Entscheidungen gefällt und Probleme gelöst werden. Da die An-
forderungen sowohl an die Führungskräfte als auch an die Mitarbeiter beständig
steigen, kommt es auch darauf an, die Bedingungen zu kennen, unter denen das
Gehirn überhaupt in der Lage ist, effektive Arbeit zu leisten.

Erst wenn wir all dies wissen, werden wir auch in der Lage sein, auf der Basis dieser
neuen Erkenntnisse unser Verhalten zu modifizieren und anders miteinander um-
zugehen. Die heutigen „Wissensarbeiter“ müssen anders geführt werden als die
Mitarbeiter in der Vergangenheit, als es reichte, klar umrissene Vorgaben zu ma-
chen und deren Erfüllung zu kontrollieren. Und wir müssen natürlich auch wissen,
wie wir Veränderungen schnell und nachhaltig bewerkstelligen können.

Dies alles setzt jedoch eine gewisse Kenntnis neuronaler Abläufe und der Funkti-
onsweise bestimmter Bausteine im Gehirn voraus. Ich selbst habe auf Vorträgen
immer wieder die Erfahrung gemacht, dass zwar viele Begriffe der Neurowissen-
schaften allgemein bekannt sind, aber die grundsätzlichen Vorstellungen davon,
welche Funktionen und Zusammenhänge sich dahinter verbergen, häufig auf
längst überholten Erkenntnissen beruhen. Insofern bin ich überzeugt, dass es zu-
nächst einmal darauf ankommt, grundlegend über die Arbeitsweise des Gehirns
zu sprechen und dann darauf aufbauend über die Konsequenzen nachzudenken.

Neuroleadership ist keineswegs nur ein Begriff, der alten Wein in neue Schläuche
füllt, sondern eine zumindest in Teilen vollkommen neue Sicht auf den Menschen.
Der Mensch benutzt sein Gehirn nicht wie er seine Hände benutzt, sondern er
existiert nur durch sein Gehirn.

Zusammenfassung

Das Thema Neuroleadership wird in den USA durchaus kontrovers diskutiert. Viele
der bisher genutzten Ansätze zur Verhaltensänderung brachten nur unbefriedi-
gende Ergebnisse. Es kommt darauf an, die neuen Erkenntnisse hirngerecht um-
zusetzen.

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1 Was Führungskräfte über
Neurowissenschaften wissen sollten

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

In diesem Kapitel lernen Sie den aktuellen Stand der Neurowissenschaften ken-
nen. Die Hirnforschung hat schon viele Phänomene des Gehirns erforscht, steht
aber noch vor einer großen Zahl offener Fragen. Sie erfahren etwas über die
kulturelle, soziale, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Bedeutung der
Erkenntnisse der Hirnforschung. Schließlich lernen Sie noch die wichtigsten Ei-
genschaften und Funktionen des Gehirns aus heutiger Sicht kennen.

Auch wenn heute die Neurowissenschaften von den Medien verstärkt wahr-
genommen werden und neurowissenschaftliche Themen es gelegentlich sogar
schaffen, die Titelseiten von Wochenmagazinen zu erobern, geht die grund-
sätzliche Kenntnis über die Ergebnisse der Gehirnforschung in breiten Kreisen
noch nicht über ein „da war doch was“ hinaus.

Die Fülle der miteinander im Wettbewerb stehenden Informationen ist in den


vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur exponentiell gewachsen, sondern hat
speziell durch das Internet einen Grad an Unübersichtlichkeit und leider auch
an mangelndem Tiefgang erhalten, wie wir ihn zuvor nicht kannten. Die Ent-
scheidung, welche Informationen noch wichtig sind und welche nicht, werden
häufig genug nur noch an ihrer Außergewöhnlichkeit gemessen.

So kommt es, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht nur erklären kön-
nen, was passiert, sondern auch warum, in der allgemeinen Wahrnehmung hin-
tenan stehen müssen. Gerade bei dem Thema Neuroleadership geht es aber da-
rum, ein Gesamtverständnis für die Problematiken des Miteinander zu schaffen.

Wer glaubt, dass die Neurowissenschaften nur auf bestimmte Knöpfchen hin-
weisen müssten, auf die man als Führungskraft drücken kann, damit die Mitar-
beiter besser funktionieren, wird sicher von den für das allgemeine Verständnis
notwendigen grundsätzlichen Ausführungen enttäuscht sein. Das Gehirn muss
als soziales Organ verstanden und akzeptiert werden, um den aus seinen spe-
ziellen Funktionsweisen resultierenden Bedingungen entsprechen zu können.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Wäre dies alles bereits auf breiter Front bekannt und würde man den Erkennt-
nissen bereits folgen, dann würden schon heute in den Unternehmen paradie-
sische Zustande herrschen. Wir wissen aber alle, dass das nicht der Fall ist.

Für viele Menschen, auch für viele Führungskräfte, die in den Hierarchien ganz
oben stehen, ist der eigene Arbeitsplatz oft genug immer noch eine Art Vorhölle
und auch ein noch so hohes Gehalt nur eine Art Schmerzensgeld. Dies lässt
sich aber ändern, wenn man weiß, dass die Ursachen dafür nicht in organisa-
torischen Strukturen liegen, die naturgegeben sind, sondern ihre Wurzeln in
Gehirnprozessen haben und daher auch verändert werden können.

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Was die Neurowissenschaften erforschen und was nicht 1
1.1 Was die Neurowissenschaften erforschen und
was nicht

Die Neurowissenschaften sind heute so breit aufgestellt, dass es schwer fällt, ein-
deutige Richtungen und Fragestellungen, die von den verschiedenen Initiativen
und Forschungsgruppen bearbeitet werden, zu identifizieren und zu bewerten.
Weltweit arbeiten mehr als 50.000 Forscher auf diesem Gebiet und in den Medien
erscheinen jährlich rund 100.000 neue Artikel über deren Ergebnisse. Die Komplexi-
tät des Gehirns bildet sich also auch in der Forschung selbst wieder ab.

Trotz dieser Wissensfülle hat die Hirnforschung erst einen winzigen Bruchteil der
Geheimnisse entschlüsselt. Da sind zunächst einmal die verschiedenen Reize, die
das Nervensystem an das Gehirn weiterleitet. Auch heute ist noch längst nicht
vollständig geklärt, wie die Sinneswahrnehmungen Sehen, Hören, Riechen, Schme-
cken und Fühlen zu Sinneseindrücken umgewandelt und anschließend weiterver-
arbeitet werden. Speziell bei dem, was wir sehen, spielt das Auge zwar eine wich-
tige, aber keineswegs die entscheidende Rolle, wie uns Experimente mit optischen
Täuschungen immer wieder beweisen.

Dabei handelt es sich in der Regel um atypische Sehsituationen, bei denen das
Gehirn die vom Auge gelieferten Eindrücke mit gelernten Erfahrungen verbindet.
Bei der „Railway Lines Illusion“ laufen zwei Linien in der Senkrechte wie bei einem
großen A aufeinander zu, ohne sich zu treffen. Diese beiden Linien werden im obe-
ren Teil von einer waagerechten Linie durchkreuzt. Im unteren Teil der Abbildung
befindet sich ebenfalls eine waagerechte Linie, die die beiden Senkrechten nicht
berührt. Generell wird der Betrachter diese Linie für kürzer halten als die darüber-
liegende. Das liegt daran, dass das Gehirn dieses Bild perspektivisch interpretiert.
Was näher bei uns liegt, erscheint gewöhnlich größer als entfernte Bildteile. Findet
nun aber keine Berührung der „Schwelle“ mit den „Schienen“ statt, interpretieren
wir sie als „kürzer“, obgleich sie sich beim Nachmessen als gleich groß erweist.

Einer anderen Erkenntnisebene der Neurowissenschaften widmet sich das breite


Feld der Grundlagenforschung. Hier werden die großen, zentralen Fragen gestellt.
Was ist Bewusstsein? Wie lernen wir? Wie erinnern wir uns und wie treffen wir Ent-
scheidungen? Die Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen versucht nun auf
der nächsten Ebene die anwendungsorientierte Forschung mit konkreten Inhalten
zu verbinden.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Alle menschlichen Verhaltensweisen, Reaktionen und Leistungen basieren auf Ent-


scheidungen, die hauptsächlich unbewusst gefällt werden und als Bewertungs-
prozesse wiederum auf unbewussten Erinnerungen faktischer und emotionaler
Natur sowie genetischer Veranlagungen beruhen. Die Hirnforschung wendet sich
also bei ihren zentralen Fragestellungen vom scheinbar bewussten Denken ab und
dem Unbewussten zu.

Hierdurch entstehen ganz neue Verbindungen zwischen den Neurowissenschaf-


ten und der Psychoanalyse. Viele, die sich bisher etwas darauf zu Gute hielten,
diese „Seelenklempnerei“ abzulehnen, werden umdenken müssen. Und nicht nur
sie. Das neurowissenschaftliche Denken hält nicht nur Einzug in die Marketing-
abteilungen und in die Finanzmärkte, sondern auch schon in die Chefetagen der
Politik.

Die gesellschaftliche Akzeptanz wächst

In der breiten Öffentlichkeit ist das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim


Deutschen Bundestag (TAB) nur wenigen bekannt. Dennoch darf man seinen po-
litischen und damit auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss nicht un-
terschätzen. Das TAB ist eine selbstständige wissenschaftliche Einrichtung, die den
Deutschen Bundestag und seine Ausschüsse in Fragen des wissenschaftlich-tech-
nischen Wandels berät. Insofern darf man davon ausgehen, dass es in besonderem
Maße der Neutralität und Objektivität verpflichtet ist.

Das Büro wurde 1990 eingerichtet, um die Informationsgrundlagen für forschungs-


und technologiebezogene Entscheidungen im Deutschen Bundestag zu verbes-
sern. Ziel ist es, die Potenziale neuer wissenschaftlich-technischer Entwicklungen
zu analysieren und die damit verbundenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und ökologischen Chancen vorherzusagen.

Aber es geht auch darum, die rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen


Rahmenbedingungen für die Realisierung solcher Entwicklungen abzustecken und
natürlich auch die potenziellen Auswirkungen auszuloten. Daher ist es von nicht
zu unterschätzender Bedeutung, dass sich das TAB auch mit dem aktuellen Stand
der Hirnforschung befasst hat.

Im TAB-Arbeitsbericht Nr. 117 vom April 2007, der im Jahr 2008 als Buch unter dem
Titel „Einsichten und Eingriffe in das Gehirn“ erschienen ist, heißt es in der Zusam-
menfassung:

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Was die Neurowissenschaften erforschen und was nicht 1
„Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte hin-
sichtlich des Verständnisses von Aufbau und Funktion des Gehirns einerseits sowie von
Krankheiten und der Entwicklung verschiedener technischer und pharmazeutischer
Anwendungsmöglichkeiten andererseits gemacht. Innerhalb der Biowissenschaften
bilden die Neurowissenschaften mittlerweile eines der am meisten beachteten For-
schungsfelder.Ihre breite öffentliche Aufmerksamkeit ist auch darauf zurückzuführen,
dass ihr zentraler Gegenstand, das menschliche Gehirn als biologische Grundlage un-
serer kognitiven Fähigkeiten und emotionalen Erlebnisweisen, den Menschen sozusa-
gen im Kern konstituiert.

Die modernen Neurowissenschaften bedienen sich einer Vielzahl naturwissenschaft-


licher Arbeits- und Methodenbereiche und stellen damit keine einzelne Disziplin dar,
sondern bilden ein multidisziplinäres Forschungsfeld. Durch Beiträge und Erkennt-
nisfortschritte in verschiedenen Bereichen (klassische Neurologie, Genforschung,
Informationswissenschaften) sowie durch die Nutzung neuer Methoden (wie hoch
auflösende bildgebende Verfahren) sind die Datenbestände zur Funktion des Nerven-
systems und mit ihnen auch das Verständnis der biologischen Grundlagen kognitiver
Leistungen enorm gewachsen.“

KERNSAtZ
Die Neurowissenschaften stellen keine einzelne Disziplin dar, sondern bilden
ein multidisziplinäres Forschungsfeld, das alle Bereiche der Gesellschaft er-
fasst.

Manifest über die Hirnforschung im 21. Jahrhundert

Der nachfolgende Abschnitt basiert auf dem „Manifest über die Hirnforschung im
21. Jahrhundert“, das von zehn meiner Kollegen und mir im Oktober 2004 verfasst
wurde und das bis heute noch Gültigkeit hat.

„Üblicherweise werden die verschiedenen Zugangsweisen und Forschungsgegen-


stände der Neurowissenschaften grob drei Beschreibungsebenen zugeordnet: der
subzellulären und zellulären Ebene, einer mittleren Ebene neuronaler Netzwerkver-
bände sowie der Ebene funktioneller Systeme, die die verschiedenen mentalen Leis-
tungen des Hirns umfasst.Die Fortschritte der letzten Jahre betreffen insbesondere die
subzelluläre und zelluläre sowie die (übergeordnete) Ebene der funktionellen Systeme.

Es ist auf der Ebene der funktionellen Systeme (insbesondere durch bildgebende Ver-
fahren) gelungen, die Kartierung des Gehirns deutlich zu verfeinern, d. h. verschie-

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

dene mentale Leistungen bestimmten Hirnregionen zuzuordnen. Damit ist unzweifel-


haft, dass es Funktionsspezialisierungen im Gehirn gibt; andererseits ist im Zuge der
Forschung deutlich geworden, dass komplexe kognitive Funktionen in der Regel über
zahlreiche, verschiedene Hirnregionen verteilt sind, sodass lediglich von Spezialisierun-
gen, aber nicht von einer exklusiven Funktion die Rede sein kann.

Die bisherigen Grenzen für das Verständnis der biologischen Grundlagen mentaler
Leistungen und Vorgänge und damit die wesentlichen Herausforderungen für die
Forschung liegen auf der so genannten mittleren Ebene der Neuronenverbände. Hier
werden die durch die Sinnesorgane in das Gehirn geleiteten Reize in Informationen und
sinnhafte mentale Inhalte (Emotionen, Begriffe, Gedanken) übersetzt.Die Zusammen-
arbeit der neuronalen Netze bildet die Ebene, auf der sich letztlich Bewusstsein kons-
tituiert.

Trotz der Fortschritte bei der Charakterisierung verschiedener Neuronenverbände oder


auch einer verbesserten Beschreibung ihres Zusammenwirkens (zum Beispiel bei be-
stimmten Wahrnehmungsvorgängen) ist man von einem tatsächlichen Verständnis,
wie Neurone Bewusstsein realisieren, noch weit entfernt. Neben dem Verständnis der
Kooperation von Neuronen in neuronalen Netzwerken bilden die Hirnplastizität, das
heißt die Veränderung von Hirnstrukturen über die Zeit (wie sie etwa für Lernprozesse
charakteristisch ist), und die interindividuelle Varianz des Hirnaufbaus die zentralen
Fragen der gegenwärtigen Hirnforschung.“

KERNSAtZ
Komplexe kognitive Funktionen sind in der Regel über zahlreiche, verschie-
dene Hirnregionen verteilt, sodass lediglich von Spezialisierungen, aber nicht
von einer exklusiven Funktion die Rede sein kann.

Der Einsatz von Psychopharmaka nimmt zu

„Ein (stark) zunehmender Einsatz von Psychopharmaka im Alltagsleben ist in den USA
für größere Teile der Bevölkerung, gerade für die leistungsorientierten, belegt und wird
in Europa zunehmend beobachtet. Die individuellen und gesamtgesellschaftlichen
Folgen sind in vieler Hinsicht wohl nur schwer absehbar, erscheinen aber grundsätz-
lich weitreichend.Die Diskussion gesellschaftlicher Tendenzen und Implikationen neuer
medizinisch nutzbarer Ergebnisse der Neurowissenschaften konzentriert sich daher
auf den zunehmenden Einsatz von Psychopharmaka, insbesondere zur Leistungsstei-
gerung, zur Selbst- und zur Fremdmanipulation. Ganz grundsätzlich geht es dabei um
den Umgang mit Leistungsanforderungen unter den Bedingungen einer Wettbewerbs-

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Was die Neurowissenschaften erforschen und was nicht 1
gesellschaft und die resultierenden Auswirkungen auf gesellschaftliche Normen und
das vorherrschende Menschenbild.“

Dieser Auszug aus der TAB-Zusammenfassung sollte uns alle besonders nachdenk-
lich stimmen. Die Formulierung von der „Leistungssteigerung“ birgt eine ganz er-
hebliche Sprengkraft. Bedeutet sie doch nichts anderes, als dass das TAB damit
rechnet, dass in Zukunft auch in Deutschland wie in den USA „Hirndoping“ an der
Tagesordnung sein wird.

Rund zehn Prozent aller US-Collegestudenten nutzen zumindest gelegentlich


„Neuroenhancer“. 20 Prozent aller Wissenschaftler, die sich an einem Online-Forum
der Zeitschrift „Nature“ zum Thema Gehirndoping beteiligten, räumten ein, selbst
schon einmal ihre mentalen Leistungsmöglichkeiten durch Medikamente gestei-
gert zu haben.

Schon heute ist in Deutschland eine starke Zunahme der Verwendung von so
genannten Neuro-Pushern zu verzeichnen. Die Motive dafür sind sowohl intrin-
sischer als auch extrinsischer Natur. Menschen, die mit ihrer eigenen Leistung un-
zufrieden und vom Ehrgeiz getrieben sind, greifen ebenso zu Hirndoping-Mitteln
wie Menschen, die Angst haben, dem Leistungsdruck nicht standzuhalten, und
keine andere Alternative sehen. Eine dritte Gruppe nimmt diese Mittel ganz einfach
deshalb, weil es die anderen tun.

Wie in den USA benutzen auch in Deutschland immer mehr Studenten Modafinil,
ein Medikament zur Behandlung der Krankheit Narkolepsie, um mehrere Nächte
hintereinander durchzuarbeiten, oder Ritalin, um ihre Konzentrationsfähigkeit zu
steigern. Das Medikament wird sonst zur Behandlung von hyperaktiven Kindern
eingesetzt.

Antidepressiva wie Prozac oder Fluctin sollen Büroarbeitern helfen, auch in Stress-
situationen freundlich und gelassen zu bleiben. Speziell Manager versuchen mit
Kokain ihre Angst vor dem Versagen zu unterdrücken, wie die stark zunehmende
Zahl von kokainsüchtigen Führungskräften in Psychiatrischen Kliniken zeigt. Wel-
che Nebenwirkungen und Langzeitfolgen der Einsatz von Psychopharmaka hat, ist
noch längst nicht ausreichend erforscht.

KERNSAtZ
Die Leistungsanforderungen unter den Bedingungen einer Wettbewerbsge-
sellschaft führen zu vermehrter Einnahme von Psychopharmaka.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Es besteht noch eine große Erkenntnislücke

Im „Manifest über die Hirnforschung im 21. Jahrhundert“ haben wir neben den
Überlegungen, die auch in den TAB-Arbeitsbericht eingeflossen sind, auch noch
die verschiedenen Methoden dargestellt, die uns einen Einblick in die obere Orga-
nisationsebene des Gehirns verschaffen.

Durch die Kombination mehrerer dieser Technologien können wir das Zusammen-
spiel verschiedener Hirnareale darstellen. Die obere Organisationsebene ist für
folgende Funktionskomplexe zuständig: Sprache verstehen, Bilder erkennen, Ton-
wahrnehmung, Musikverarbeitung, Handlungsplanung, Gedächtnisprozesse sowie
das Erleben von Emotionen.

Auch hinsichtlich der unteren neuronalen Organisationsebene haben neue tech-


nische Methoden zu neuen Erkenntnissen geführt, die von großer Bedeutung für
das Verständnis der Arbeitsweise von Sinnesorganen und Nervensystemen sowie
für die gezielte Behandlung neurologischer und psychischer Erkrankungen sind.

Doch zwischen dem Wissen über die obere und untere Organisationsebene klafft
immer noch eine große Erkenntnislücke. Darüber, mit welchen Codes einzelne oder
wenige Nervenzellen untereinander kommunizieren, existieren allenfalls plausible
Vermutungen. Völlig unbekannt ist zudem, was abläuft, wenn hundert Millionen
oder gar einige Milliarden Nervenzellen miteinander „reden“.

Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet, wie es die Welt so abbildet, dass unmit-
telbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen, wie das
innere Tun als „seine“ Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant,
all dies versteht die Hirnforschung nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Es ist
noch nicht einmal klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte.

KERNSAtZ
Die kommenden Jahre werden einen Erkenntnisschub bringen, der die Wissens-
lücke hinsichtlich der mittleren Organisationsebene des Gehirns schließen wird.

Die Hirnforschung hat heute bereits einige ganz erstaunliche Erkenntnisse ge-
wonnen. Sie weiß im Wesentlichen, was das Gehirn gut leisten kann und wo es
an seine Grenzen stößt. Besonders eindruckvoll ist seine enorme Adaptions- und
Lernfähigkeit.

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Was die Neurowissenschaften erforschen und was nicht 1
Lange Zeit dachte man, die Hirnentwicklung sei irgendwann in der Jugend abge-
schlossen und die neuronalen Netzwerke seien dann endgültig angelegt. Mitt-
lerweile steht aber fest, dass sich auch im erwachsenen Gehirn noch neue Ver-
schaltungen bilden können. Die Hirnforschung weiß heute auch, dass sämtliche
innerpsychischen Prozesse mit neuronalen Vorgängen in bestimmten Hirnarealen
einhergehen.

Auch wenn die Hirnforschung die genauen Details noch nicht kennt, kann man
doch davon ausgehen, dass all diese Prozesse grundsätzlich durch physikochemi-
sche Vorgange beschreibbar sind. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie lang-
fristig erforscht, entschlüsselt und eben auch beeinflusst werden können. Dass
Geist und Bewusstsein, wie einzigartig sie von uns auch empfunden werden, sich
also in das Naturgeschehen einfügen und es nicht übersteigen, ist die vielleicht
wichtigste Erkenntnis der modernen Neurowissenschaften.

Dabei setzt die Hirnforschung auf die Entwicklung neuer Untersuchungsmetho-


den. Die großen Fragen, wie Bewusstsein und Ich-Erleben entstehen, wie ratio-
nales und emotionales Handeln miteinander verknüpft werden und was es mit
der Vorstellung des „freien Willens“ auf sich hat, werden aber erst in der Zukunft
beantwortet werden können. Neben der experimentellen Neurobiologie wird sich
die theoretische Neurobiologie als Forschungsdisziplin durchsetzen.

Große Chancen sehen wir bei den konkreten medizinischen Anwendungen, seien
es neue Psychopharmaka für die Therapie psychischer Störungen oder immer wei-
ter perfektionierte Neuroprothesen. Ebenso werden wir vermehrt in der Lage sein,
psychische Auffälligkeiten und Fehlentwicklungen, aber auch Verhaltensdisposi-
tionen zumindest in ihrer Tendenz vorauszusehen und „Gegenmaßnahmen“ zu
ergreifen.

Allerdings wird eine vollständige Beschreibung des individuellen Gehirns und damit
eine Vorhersage über das Verhalten einer bestimmten Person nur höchst einge-
schränkt gelingen. Auf lange Sicht werden wir eine „Theorie des Gehirns“ aufstel-
len können, die auf dem Verständnis der Arbeitsweise von großen Neuronenver-
bänden beruht, und dann werden die Ergebnisse der Hirnforschung in dem Maße,
in dem sie einer breiten Bevölkerung bewusst werden, auch zu einer Veränderung
unseres Menschenbildes führen.

Wir sehen, dass den aus der Hirnforschung erwachsenden Erkenntnissen große
kulturelle, soziale, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Bedeutung zu-
kommt. Die potenzielle Eingriffstiefe der Neurowissenschaften wird ganz offen-

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

sichtlich auch von den Fachleuten für Technikfolgen-Abschätzung als wesentlich


größer angesehen, als sie den bisherigen wissenschaftlichen Forschungen zuge-
traut wurde.

KERNSAtZ
Es geht nicht nur um einen Zugewinn an noch mehr Wissen, sondern ganz klar
um die Anwendungsorientierung. Die Politik hat Interesse daran, „im internati-
onalen Wettlauf um zentrale Erkenntnisse beim Verständnis des menschlichen
Gehirns anderen einen Schritt voraus zu sein“.

Neurowissenschaften und Psychologie

Die Psychologie wird heute in fast allen gesellschaftlichen Bereichen als Hilfswis-
senschaft genutzt, trotzdem ist sie nach wie vor wenig greifbar. Offensichtlich ist
sie nicht in der Lage, den von ihr versprochenen Nutzen in dem Maße zu stiften,
wie man es allgemein erwartet und erhofft. Deshalb geraten die Neurowissen-
schaften gewollt, oft aber auch ungewollt, immer stärker in den Blickpunkt des
öffentlichen Interesses.

Bis heute gibt es keine allumfassende psychologische Theorie, die das menschliche
Verhalten in seiner ganzen Vielfalt und Komplexität erklären kann. Dies wird viel-
leicht einmal den Neurowissenschaften vorbehalten bleiben. Innerhalb der Psycho-
logie besteht nicht einmal Einigkeit darüber, welche Perspektive eine solche Theo-
rie überhaupt einzunehmen hätte und wie der Mensch tatsächlich zu betrachten
sei. Man hat nach wie vor sechs unterschiedliche Erklärungsmodelle und Theorie-
ansätze, die biologische Perspektive, die psychodynamische, die behavioristische,
die kognitive, die humanistische und die evolutionäre Perspektive.

All diese Ansätze, die sich zum Teil gegenseitig ergänzen, aber auch ausschließen,
werden in den Neurowissenschaften auf eine einzige Frage konzentriert: „Wie
funktioniert das Gehirn?“

KERNSAtZ
Die Neurowissenschaften haben der klassischen Psychologie, zumindest in der
öffentlichen Wahrnehmung, mittlerweile den Rang abgelaufen.

Mit dem Vorsatz „Neuro“ wirkt auch inzwischen vieles einfach nur moderner, ohne
dass dies tatsächlich der Fall sein muss, sei es nun Neurotheologie oder Neurophi-

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Der Nutzen der interdisziplinären Neurowissenschaften 1
losophie. Die Hirnforschung stellt nicht nur die Erkenntnisse der Psychologie auf
den Prüfstand, bestätigt oder verwirft sie, sondern sie kommt auch zu komplett
neuen Ergebnissen, die der Psychologie verschlossen waren.

Zusammenfassung

Die Bedeutung der Neurowissenschaften hat in den vergangenen Jahren deutlich


zugenommen, und zwar nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern auch aus poli-
tischer und gesellschaftspolitischer Sicht.

1.2 Der Nutzen der interdisziplinären


Neurowissenschaften

Die Neuroökonomie ist jetzt angetreten, um den Homo oeconomicus, der auch
von vielen Psychologen akzeptiert worden ist, durch ein anderes Bild vom Men-
schen zu ersetzen, beispielsweise ihm ein alternatives Modell, den Homo recipro-
cans, zur Seite zu stellen.

Damit tauschen die Neurowissenschaften den berechenbaren und nur dem Vorteil-
sprinzip folgenden Menschen aus gegen ein komplexes Wesen, dessen grundsätz-
liche Verhaltensmuster von Wertvorstellungen, Kultur und Wissen sowie bewuss-
ten und unbewussten Erfahrungen, Erinnerungen und Erwartungen geprägt sind,
aber nicht von wirtschaftlichen Prinzipien. Sie sehen den einzelnen Menschen als
Teil eines sich selbst organisierenden Systems, das sich einer gezielten Steuerung
weitgehend entzieht.

KERNSAtZ
Die Neurowissenschaften beweisen, dass es den Homo oeconomicus nicht
gibt.

Ein Beispiel für irrationales Verhalten findet sich im Zusammenhang mit „Inflations-
Experimenten“. Wenn man bei einer Inflationsrate von 100 Prozent die Ausgangs-
summe verdoppelt, bleibt die Kaufkraft gleich. Trotzdem reagiert das Gehirn auf
die höhere Summe stärker, was wahrscheinlich daran liegt, dass das Gehirn mit
dem Nominalwert arbeitet und nicht mit dem Realwert.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Im gesellschaftlichen Bereich legt die Hirnforschung immer häufiger Diskrepanzen


zwischen Schein und Wirklichkeit offen. Viele Erkenntnisse, die durch Umfragen
und Statistiken gewonnen wurden, verlieren aus der neurowissenschaftlichen Per-
spektive schnell an Relevanz. So kommt es, dass die Hirnforschung nicht nur mit
einer gewissen Faszination, sondern auch mit einer gewissen Furcht betrachtet
wird, weil sie sowohl erwünschte als auch unerwünschte Erkenntnisse liefert.

Die neue Forschungsdisziplin der so genannten Social Cognitive Neuroscience


(SCN) versucht, menschliches Verhalten innerhalb der Gemeinschaft mit Hilfe neu-
robiologischer Experimente zu verstehen. Dabei werden höhere Hirnfunktionen
wie Lernen, Erinnern, Sprache und Bewusstsein untersucht.

Für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ist es von zentraler Bedeutung, sich
in die geistigen und psychischen Zustande anderer Menschen hineinzuversetzen
und ihre Wünsche, Absichten und Gedanken zu erkennen, um darauf reagieren zu
können.

Die Social Cognitive Neuroscience untersucht deshalb die zwischenmenschlichen


Interaktionen auf drei Ebenen. Auf der sozialen Ebene geht es um die verschiede-
nen verhaltensrelevanten Faktoren, auf der kognitiven Ebene um die informations-
verarbeitenden Prozesse, die in Verbindung zu bestimmten sozialen Phänomenen
stehen, und auf der neuronalen Ebene um die Mechanismen, die hinter den kogni-
tiven Prozessen ablaufen.

INFO Social Cognitive Neuroscience


Die Social Cognitive Neuroscience ist eine neue Forschungsdisziplin, die das
menschliche Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft untersucht.

Die Neurowissenschaften unterscheiden sich von der klassischen Ökonomie und


Psychologie durch zwei Dinge. Einerseits sind die Neurowissenschaften fast aus-
schließlich interdisziplinär aufgestellt, das heißt sie nutzen die Methoden und Er-
kenntnisse anderer Wissenschaften in einem bisher noch nie gekannten Ausmaß.
Und sie fragen im Gegensatz zur Psychologie nicht mehr nur vorwiegend: „Was
passiert im Kopf?“, sondern hauptsächlich: „Warum passiert es?“

Die wachsenden Erkenntnisse über Hirnprozesse beginnen die Erklärungsmuster


in psychologischen Kategorien abzulösen. Das bedeutet nicht, dass die Neurowis-
senschaften die Psychologie als Ganzes ersetzen werden, aber sie werden neue
Erkenntnisse schaffen, bestimmte Erkenntnisse bestätigen und andere verwerfen.

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Der Nutzen der interdisziplinären Neurowissenschaften 1
Die Neurowissenschaften decken die gesamte Bandbreite der Forschung ab, von
der Grundlagenforschung mit hoch spezialisierten Fragestellungen zur Funktions-
weise einzelner Bausteine in der Hirnzelle bis hin zu komplexen Fragestellungen.
In gewisser Weise befinden sich die Neurowissenschaften heute in einer vergleich-
baren Situation wie die Psychologie während des Übergangs vom 19. zum 20. Jahr-
hundert. Es herrscht Aufbruchstimmung und die Erwartungen sind groß.

Wäre ein bestimmter Mensch durch eine andere Erziehung, die eine andere Persön-
lichkeitsentwicklung gefördert hätte, ein anderer Mensch geworden oder nicht?
Diese Frage lässt sich heute noch nicht eindeutig beantworten. Die Wissenschaft
geht davon aus, dass in jedem Menschen viele verschiedene Persönlichkeitsmerk-
male angelegt sind und dass sie einerseits durch Eingriffe in das Gehirn, ande-
rerseits aber auch durch bestimmte Situationen zum Vorschein gebracht werden
können.

Persönlichkeit ist wahrscheinlich keineswegs eine dauerhafte und feste Konstruk-


tion, sondern nur eine Art Zustand, der sich entsprechend der inneren und äuße-
ren Gegebenheiten verändern kann. Somit ist der Mensch einerseits ein Spiegel sei-
ner Umwelt und andererseits ist das Leben ein permanentes Change Management.
Was das Gehirn jeweils antreibt, ist die Suche nach Belohnung, und deshalb hat
gerade die aktuelle Glücksforschung auch sehr viel mit den Neurowissenschaften
zu tun.

KERNSAtZ
Persönlichkeit ist nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern verändert sich
durch innere und äußere Einflüsse.

Wie geforscht wird – beim Denken zusehen

Ohne moderne technische Verfahren ist die neurowissenschaftliche Forschung


heute und in Zukunft überhaupt nicht mehr vorstellbar. Den meisten Menschen
sind die bunten Bilder vom Gehirn, die mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-
tomografie entstehen, aus den Medien durchaus vertraut.

Auch wenn der Laie nicht in der Lage ist, aus den Bildern allein irgendwelche In-
formationen abzulesen zu können, sondern dazu die Erklärungen der Fachleute
braucht, geben diese vom Computer erstellten Bilder doch ein Gefühl der wissen-
schaftlichen Exaktheit, das zum Beispiel von reinen Zahlentabellen nicht vermittelt
werden kann.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Dabei handelt es sich bei diesen Bildern weder um Röntgenaufnahmen und erst
recht nicht um Fotografien, sondern um die von einem Computer bildhaft umge-
setzten Schwankungen von Atomkernen in einem Magnetfeld. Die bisherigen Mag-
netresonanztomografen arbeiten mit Magnetfeldern von 1,5 Tesla, womit die Ver-
teilung von Wasserstoffatomen im Körper gemessen und visualisiert werden kann.

Ursprünglich wurden diese Geräte entwickelt, um die Struktur eines bestimmten


Organs, insbesondere des schwer zugänglichen Gehirnes, abzubilden. Das gelingt
mit der konventionellen Kernspintomografie auch hervorragend. Die Neurologie
und die Neurochirurgie haben mit dieser Methode enorme Fortschritte erreicht.

Bei der funktionellen Kernspintomografie werden Vorgänge im Gehirn im zeitlichen


Verlauf untersucht. Dabei macht man sich zunutze, dass eine Aktivität im Gehirn
immer mit einer Durchblutungsänderung und vermehrtem Sauerstoffverbrauch
einhergeht. Dies führt zu Veränderungen des Magnetfelds und kann kernspinto-
mografisch gemessen werden. Man ist daher mit der funktionellen Kernspintomo-
grafie quasi in der Lage, dem Patienten beim Denken zuzusehen.

Leider sind die Anwendung der Methode und die Auswertung der Daten nicht an-
nähernd so einfach, wie es sich zunächst anhört. Diese Technik bedingt, dass vor
allem bei komplizierteren Untersuchungsvorgängen viele Einzelvorgänge aufsum-
miert werden und die Daten von zirka 16 bis 24 Personen zu einem Gesamtergebnis
gemittelt werden müssen. Die rasche Entwicklung der funktionellen Kernspinto-
mografie lässt aber zukünftig wahrscheinlich deutlich bessere Untersuchungen zu,
auch Untersuchungen an Einzelpersonen werden möglich sein.

Die funktionelle Kernspintomografie gibt wieder, ob in einer bestimmten Hirnre-


gion eine vermehrte Aktivität auftritt. Die Interpretation eines solchen Befunds
bedarf vieler Erfahrungen in der Anwendung. Sie ermöglicht aber auch die For-
schungsrichtung der Neuroökonomie, die, wie der Nobelpreisträger für Ökonomie
Vernon Smith anlässlich seiner Stockholmer Rede im Jahr 2002 sagte, „einen grund-
legenden Wandel in der Art und Weise verspricht, wie wir denken, beobachten und
Entscheidungen fallen“.

Dieser optimistische Satz des Nobelpreisträgers weist heute sicher noch in weite
Ferne, aber bereits vorliegende Ergebnisse zeigen die Leistungsfähigkeit der funk-
tionellen kernspintomografischen Untersuchungen – und des neurowissenschaft-
lichen Zugangs überhaupt – für die Wirtschaftswissenschaften.

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Der Nutzen der interdisziplinären Neurowissenschaften 1
Gefühle und Absichten erkennen

Die Möglichkeit, per Computertomograf festzustellen zu können, inwieweit bei


bestimmten geistigen Prozessen Gefühle beteiligt sind, wie stark sie sind und wie
lange sie anhalten, eröffnet eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten, Menschen zu
beurteilen.

Wenn es zum Beispiel bei der Behandlung einer Depression darum geht, objektiv
entscheiden zu können, ob bestimmte therapeutische Maßnahmen angeschlagen
haben oder nicht, dann ist das mit Hilfe der Computertomografie möglich.

Bei einem Menschen, der depressiv ist, reagiert die Amygdala, das Gefühlszentrum,
anders als bei einem Gesunden. Menschen, die unter Depressionen leiden, verar-
beiten negative Begriffe oder Bilder, wie zum Beispiel von einer Hungerkatastrophe
oder von schweren Massenunfällen, anders als gesunde Menschen. Bei Gesunden
klingt die durch den Reiz erzeugte Reaktion schon nach zehn Sekunden wieder ab,
bei Depressiven dauert das fast 30 Sekunden.

Inzwischen kann man auch anhand spezifischer Hirnaktivitäten feststellen, ob ein


Mensch lügt oder nicht, und das weitaus besser, als es mit einem Lügendetek-
tor der Fall war. Lügendetektoren konnten nämlich mit einem gewissen Training
durchaus belogen werden.

Seit man aber festgestellt hat, dass beim Lügen nicht nur die Areale im Gehirn akti-
viert werden, die zur Formulierung einer wahren Aussage notwendig sind, sondern
auch noch zusätzliche Areale, die bei der Unterdrückung von Reaktionen eine Rolle
spielen, kommt man Lügnern leichter auf die Spur.

Es macht einem Gehirn offensichtlich mehr Arbeit, die Unwahrheit zu sagen als
die Wahrheit, weil man diese bewusst unterdrücken und durch andere Aussagen
ersetzen muss. Da jedoch jedes Gehirn anders funktioniert, gibt es gegenwärtig
noch keine Standardverfahren, um Lügner entlarven zu können.

Auch Absichten kann man erkennen. Im Februar 2007 berichtete John-Dylan Haynes
vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, dass
es ihm gemeinsam mit Kollegen, unter anderem auch aus London und Tokio, ge-
lungen sei, die Entstehung von Absichten im Gehirn zu erkennen und vorhersagen
zu können.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Im Rahmen dieses Versuchs wurde außerdem erkannt, dass zwar bei allen Ver-
suchspersonen die Aktivitäten in der gleichen Gehirnregion, dem mittleren Teil des
präfrontalen Cortex, stattfanden, dass aber die spezifischen Entscheidungsmus-
ter individuell unterschiedlich aussahen. Gehirne funktionieren offensichtlich zwar
nach denselben Prinzipien, aber jedes hat andere Strukturen und ist daher einzig-
artig.

Bei dem Versuch wurden die Teilnehmer gebeten, sich zu entscheiden, ob sie zwei
Zahlen addieren oder subtrahieren wollten. Mit Hilfe der Kernspintomografie und
komplizierter Dekodierungsmethoden ließen sich diese komplexen verborgenen
Absichten mit hoher Treffsicherheit identifizieren. Je komplexer ein bestimmter Ge-
danke ist, desto mehr Merkmale stehen für die Dekodierung zur Verfügung. Darin
liegt also nicht das Problem.

Allerdings ist es heute noch unmöglich, Gedanken zu identifizieren, die sehr ver-
schieden sind und bei denen es viele Lösungsvarianten gibt, etwa die Frage, woran
eine bestimmte Zahl eine Versuchsperson erinnert. Das könnte dann ebenso ein
Geburtstag sein wie der Anfang einer Telefonnummer.

INFO
Bildgebende Verfahren
Abbildungsverfahren, mit denen normale Funktionen oder Aktivitäten des
Körpers sowie krankhafte Veränderungen bildlich dargestellt werden. In den
Neurowissenschaften werden sie in erster Linie verwendet, um Struktur und
Funktion des lebenden Gehirns sichtbar zu machen. Bei den bildgebenden Ver-
fahren können Röntgenstrahlen, Wärmestrahlung, Ultraschall oder Magnetfel-
der eingesetzt werden.
Computertomografie (Ct)
Bei der Computertomografie werden mit Hilfe von Röntgenstrahlen von einem
Körper aufeinander folgende Schnittbilder erzeugt. Sie ermöglichen eine drei-
dimensionale Darstellung des Körpers.
Magnetresonanztomografie
Bei der Magnetresonanztomografie, auch Kernspinresonanztomografie oder
Kernspintomografie genannt, wird der zu untersuchende Körper in ein star-
kes, gepulstes Magnetfeld gebracht. Die Bilder werden nicht „fotografiert“,
sondern aus den schwachen elektromagnetischen Feldern, die die angeregten
Atomkerne aussenden, errechnet. Für den Untersuchten entsteht im Gegen-
satz zur CT keine Strahlenbelastung.

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Die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns 1
Zusammenfassung

Im gesellschaftlichen Bereich legt die Hirnforschung immer häufiger Diskrepanzen


zwischen Schein und Wirklichkeit offen. Sie zeigt unter anderem, dass der Mensch
keineswegs so handelt, wie man es vom Homo oeconomicus erwartet. Die Fort-
schritte der Technik, vor allem bei den bildgebenden Verfahren, ermöglichen es,
dass man dem Menschen beim Denken zusehen, seine Gefühle und Absichten er-
kennen kann und auch sieht, ob er lügt oder nicht.

1.3 Die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren etwas über den komplexen Aufbau des Gehirns, wie die 100 Milli-
arden Nervenzellen miteinander verbunden sind und wie diese Signale aussen-
den und aufnehmen. Sie werden sehen, dass das Gehirn eine hohe Plastizität
aufweist und Nervenzellen auch im Alter nachwachsen können. Diese Tatsache
ermöglicht es dem Menschen, sein Leben lang Neues hinzuzulernen.

Die grobe Anatomie des Gehirns ist heute zwar weitgehend bekannt und die Wis-
senschaft kennt zu etwa 60 Prozent den Feinaufbau des Gehirns. Doch die mo-
lekularen Vorgänge werden erst zu einem guten Drittel verstanden, und wie das
Gehirn tatsächlich funktioniert beziehungsweise was bei Krankheiten abläuft, ist
in den Details so schwierig zu verstehen, dass hier noch über viele Jahre hinaus
ein großer Forschungsbedarf besteht. Dafür ist das Gehirn einfach zu kompliziert.

KERNSAtZ
Die enorme Komplexität sowie seine ausgeprägte Plastizität kann man als die
wichtigsten Eigenschaften des Gehirns bezeichnen.

Von seiner Stoffwechselseite her ist das Nervensystem allerdings ein relativ sim-
ples Organ. Es wird ausschließlich von Glukose ernährt und wächst dramatisch.
Geboren wird man bereits mit einem Gehirn von 400 Gramm Gewicht, das relativ
rasch in den ersten zwei Lebensjahren auf etwa 1.000 Gramm ansteigt und dann
in einer nächsten Stufe vom zweiten bis etwa zum 18. Lebensjahr auf 1.500 Gramm
auswächst.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Diese 1.500 Gramm werden bei Männern etwas überschritten und bei Frauen etwas
unterschritten. Dafür ist die Nervenzelldichte bei Frauen etwas höher, somit ist die
Anzahl der Nervenzellen der Frauen denen der Männer vergleichbar.

Obwohl das Gehirn nur zwei Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht es
doch 20 Prozent der Energie. Und von den etwa drei Millionen Basenpaaren des
menschlichen Genoms, die auf 30.000 Genen untergebracht sind, benutzt das Ge-
hirn etwa 50 Prozent.

Nervenzellen bilden komplexe Netzwerke

Jede einzelne der 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn kann mit bis zu 15.000 Kon-
taktstellen, den Synapsen, mit anderen Nervenzellen verbunden sein. Damit be-
steht das Gehirn aus einem vernetzten System, das über 100 Billionen Kontaktstel-
len verfügt. Solche Zahlen sprengen die menschliche Vorstellungskraft, und doch
bestimmen sie in jeder Sekunde unseres Lebens unsere Wirklichkeit.

Die Signale, die zwischen den Nervenzellen hin- und hergehen, sind elektrische
Signale, vergleichbar einem Morsealphabet. Da aber eine Bewertung der unter-
schiedlichen Signale im Gehirn erfolgen muss, verfügt dieses über ein System, das
auf jeder Stufe die hemmenden und die erregenden Impulse gegeneinander ver-
rechnet. Erst wenn eine bestimmte Schwelle überschritten wird, wird das Signal
weitergeleitet. Es ist also eine Art Kaskadensystem.

Nehmen wir als Beispiel einen drückenden Schuh. Da Schmerzinformationen immer


Vorfahrt haben, können sie jedes noch so schöne andere Erlebnis, das gleichzeitig
stattfindet, aus dem Bewusstsein verdrängen.

Nervenzellen bilden in der Regel Netzwerke, die für ganz bestimmte Aufgaben zu-
ständig sind. Diese Netzwerke können sehr einfache, primitive Dinge tun, nämlich
Nervenimpulse über das Rückenmark zur Muskulatur senden und eine bestimmte
Bewegung bewirken.

Andere Netzwerke sind wiederum so komplex, dass sie ein ganzes Programm von
Aktivitäten über das Rückenmark zu den motorischen Zellen schicken können, so
dass eine sehr komplizierte Gestik oder Bewegung zustande kommt. Zum Beispiel
wenn ein Geiger mit unglaublicher Geschwindigkeit ein Musikstück spielt oder ein
Feinmechaniker mit unglaublicher Präzision kleinste Teile unter der Lupe zusam-
menfügt.

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Die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns 1
Im Prinzip besteht dieses Nervensystem aus einer sehr komplexen Struktur, die die
Verbindung der Nervenzellen untereinander und den Aufbau der Netzwerke steu-
ert sowie die Ausschüttung der Transmitter, das heißt der Überträgersubstanzen,
und deren Wirksamkeit dosiert. Es ist also kein starres Gebilde, was ein für alle Mal
vorhanden ist, sondern ein dynamisches, das einem erheblichen Wandel unterliegt.

Vergleicht man das Gehirn eines Menschenaffen, zum Beispiel eines Schimpansen,
mit dem Gehirn eines Menschen, fällt auf, dass beim Menschen vor allem das Stirn-
hirn, das heißt der vordere Abschnitt des Gehirnes, gewachsen ist. Entsprechend
unterschiedlich ist auch das Verhalten von beiden.

Bei der Bewegung und der Sinneswahrnehmung verfügt ein Affe über eine deut-
lich höhere Leistungsfähigkeit als ein Mensch, was man unschwer an seinem Klet-
tervermögen sehen kann. Aber das zielgerichtete Handeln, die Introspektionsfä-
higkeit und das Abwägen von Entscheidungen sind beim Menschen in einer ganz
anderen Dimension ausgeprägt, ebenso wie die Kommunikation untereinander.

Daraus kann man schließen, dass die wichtigsten Hirnleistungen des Menschen
wahrscheinlich im vorderen Abschnitt des Gehirnes stattfinden. Hier werden viele
Informationen gespeichert, hier werden Entscheidungen getroffen, hier erfolgen
Ich-Wahrnehmung und große Teile der Kommunikation, hier ist die Sprache lokali-
siert und hier findet durch eine Verbindung mit den Emotionszentren des Gehirns
wahrscheinlich auch die ganz wichtige emotionale Bearbeitung statt.

KERNSAtZ
Die wichtigsten Hirnleistungen des Menschen finden wahrscheinlich im vorde-
ren Abschnitt des Gehirns statt.

Es ist offensichtlich so, dass in den ersten Lebensjahren dort ein sehr kompliziertes
Netzwerk aufgebaut wird, in dem auch unser Sozialverhalten seinen Niederschlag
findet. Wenn zum Beispiel durch Verletzungen vor dem zweiten Lebensjahr dieser
Aufbau gestört wird, hat solch ein Mensch die deutliche Neigung, sich asozial im
wahrsten Sinne des Wortes zu verhalten. Er kann Regeln unter keinen Umständen
einhalten beziehungsweise realisiert gar nicht, dass ein Zusammenleben in einer
Gemeinschaft ganz bestimmter Regeln bedarf.

Tritt die Verletzung zwischen dem zweiten und dem fünften Lebensjahr auf, wer-
den zwar die Regeln erlernt und wahrgenommen, aber sie lassen sich nur sehr
schwer einhalten. Eindrucksvoll sind zum Beispiel die Auswirkungen von Operati-
onen in dieser Region, die bei Epilepsie-Patienten vorgenommen werden, um Epi-

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

lepsie-Herde aus dem Gehirn zu entfernen. Das vorher gestörte Verhalten dieser
Betroffenen normalisiert sich nach solchen Eingriffen dramatisch.

Untersuchungen an Schwerverbrechern in den USA haben gezeigt, dass der Stoff-


wechsel in diesen Regionen bei solchen Personen deutlich im Sinne einer Vermin-
derung gestört ist, sodass man davon ausgehen muss, dass Menschen, die schwere
Straftaten begangen haben, nur über eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit ihres
Stirnlappens verfügen.

KERNSAtZ
Der Stirnlappen ist offensichtlich eine ganz entscheidende Struktur für viele
Dinge und für uns Menschen besonders wichtig. Er arbeitet aber im Konzert
mit anderen Strukturen zusammen.

Wenn man den Schädel eines Menschen öffnet, scheint jedes Gehirn gleich zu sein,
es sei denn, es handelt sich um grobe Anomalien. Doch dieser Anschein trügt. Es
gibt zwar Regionen, in denen in jedem Gehirn vergleichbare Prozesse stattfinden,
aber der Feinaufbau kann höchst unterschiedlich sein. Das bedeutet, jedes Gehirn
ist anders vernetzt, und selbst wenn zwei Menschen exakt dasselbe denken, tun
sie es doch auf unterschiedliche Weise.

Aus der Zwillingsforschung weiß man, dass selbst zwei Menschen, die die größt-
mögliche Identität aufweisen, Erlebnisse unterschiedlich wahrnehmen, speichern,
erinnern und bewerten.

Man sollte diese aus dem komplexen Aufbau des Gehirns resultierende Unter-
schiedlichkeit allerdings nicht als einen Mangel betrachten, sondern als eine von
der Natur gegebene Chance. Ähnlichkeiten zwischen den Menschen aufgrund ih-
rer Gene und ihrer Sozialisation sind sicherlich für die Stabilität jeder Gesellschaft
von Vorteil, aber nur die Unterschiede räumen die Chance für eine Weiterentwick-
lung ein.

Plastizität – Nervenzellen wachsen nach

Jahrzehnte lang galt es in der Hirnforschung als eine unumstößliche Tatsache,


dass im Erwachsenengehirn die Nervenbahnen starr und unveränderlich sind. Man
meinte, Nervenzellen könnten zwar absterben, aber sich nicht regenerieren. Diese
Ansicht wurde auch dann noch von führenden Hirnforschern verteidigt, als sich
immer mehr Indizien für die gegenteilige Annahme sammelten.

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Die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns 1
Im Jahr 1998 erbrachte der schwedische Neurologe Peter Ericsson von der Sahl-
grenska-Universitätsklinik in Göteborg erstmals den Nachweis, dass sich auch im
Erwachsenenhirn neue Zellen bilden können. Heute stellt die Erforschung der adul-
ten Neurogenese nach Ansicht von Gerd Kempermann eines der großen Themen
der modernen Neurowissenschaften dar.

Kempermann ist wissenschaftlich tätiger Arzt und Privatdozent. Er leitet die Ar-
beitsgruppe „Neuronale Stammzellen“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare
Medizin (MDC) in Berlin-Buch sowie die Forschungsgruppe „Neurogene Permissi-
vität“ der Volkswagen-Stiftung an der Berliner Charité. Das Gehirn arbeitet nach
seiner Vorstellung nicht wie ein starrer Computer, sondern knüpft unablässig neue
Verbindungen und bleibt so lebenslang lernfähig.

KERNSAtZ
Das Gehirn bleibt lebenslang lernfähig.

Diese Plastizität beschränkt sich aber eben nicht nur auf die Kontakte zwischen
den Neuronen, sondern es genügen offenbar bereits wenige neu gebildete Zellen,
um die Netzwerk-Architektur des Gehirns zu verändern, vorausgesetzt, dass sie am
richtigen Ort entstehen, am Hippocampus. Dort werden vom Gehirn die eingehen-
den Sinneswahrnehmungen räumlich und zeitlich sortiert und mit Gefühlen ver-
knüpft. Eine verhältnismäßig geringe Zahl von Nervenzellen entscheidet darüber,
wie die weitere Verarbeitung im Gehirn vor sich geht.

Neue Neuronen werden aber nur dann in das Netzwerk des Gehirns integriert,
wenn sie gebraucht werden, das heißt, wenn neue Reize und Informationen zu
verarbeiten sind. Diese können auch aus körperlichen Betätigungen resultieren.
Wer also im Alter fit bleiben will, sollte nicht nur seinen Verstand, sondern auch
seinen Körper trainieren und sich immer neuen Herausforderungen stellen.

KERNSAtZ
Neue Reize und Informationen sind wichtig für die Fitness des Gehirns. Auch
körperliches Training gehört dazu.

Wie die Hirnforschung nachgewiesen hat, kann man zum Beispiel durch Übungen
wie Jonglieren auch im erwachsenen Gehirn eine Zunahme von Nervenzellen in be-
stimmten Regionen erreichen, die sich allerdings nach einer Trainingspause wieder
zurückbilden. Das Gehirn ist also, wie jedes andere Organ auch, offensichtlich form-

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

bar und veränderbar. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass sich zum Beispiel
durch das Erlernen einer Fremdsprache die Dichte der Hirnzellen merklich erhöht.

Die Neurogenese ist also ein wesentlicher Teil der Hirnplastizität, die sich auf drei
Stufen abspielt. Aufgrund neuer Reize können sich innerhalb von Sekunden be-
reits vorhandene Synapsen zwischen den Neuronen verstärken. Das ist notwendig,
um sich an etwas soeben Geschehenes sofort erinnern zu können. Weiter können
im Verlauf von Stunden neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen entste-
hen, indem neue Synapsen wachsen und so neue Verschaltungen herstellen. Auch
das dient wieder den Gedächtnisfunktionen.

Damit neue Zellen im Rahmen der Neurogenese im Gehirn nachwachsen, braucht


es einige Tage, das führt dann aber auch zu nachhaltigen Veränderungen – und
bildet somit eine Schlüsselfunktion für das Lernen.

Worauf es ankommt, ist, dass der Lernende ein Erfolgserlebnis hat, denn nur
dann springt sein Belohnungssystem an und die Bereitschaft zu weiterem Lernen
wächst. Vieles von dem, was wir lernen, wissen wir nicht, so wenden wir zwar kom-
plizierte grammatikalische Regeln an, ohne sie uns bei ihrer Benutzung bewusst
zu machen.

Die Bedeutung der Plastizität unseres Gehirns wird in unserer Gesellschaft, in der
Wirtschaft, aber auch von den einzelnen Menschen immer noch nicht richtig er-
kannt. In der Regel werden wir stets auf das reduziert, was wir bis zu einem be-
stimmten Zeitpunkt gelernt und erfahren haben, also auf das, was wir sind. Viel
wichtiger ist es aber, den Blick darauf zu richten, was jeder Einzelne in Zukunft
noch sein könnte, wenn er neue Erfahrungen macht und Neues lernt. Dieses Zu-
kunftspotenzial wird einfach unterschätzt, weil man sich mit dem Status quo zu-
frieden gibt.

Wir wissen anhand medizinischer Beispiele, dass Menschen nach Kopfverletzun-


gen, Schlaganfällen oder anderen Gehirnerkrankungen nicht nur Schaden davon
getragen haben, sondern auch vollkommen neue Talente und Fähigkeiten entwi-
ckelten. Manche konnten plötzlich hervorragend zeichnen und malen, andere be-
gannen zu musizieren.

Aber es gibt auch Fälle, in denen der feste Entschluss eines Menschen, sein Leben
zu verändern, auch zu Änderungen seines Denkens und seiner Denkleistungen
geführt hat. Natürlich stellen sich solche neuen Leistungen oder auch die Stei-
gerung vorhandener Fähigkeiten nicht von selbst ein. Es geht auch nicht darum,

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Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen und vorhersagen 1
zu versuchen, nicht vorhandene Fähigkeiten zu erzwingen, sondern vorhandene
Fähigkeiten auszubauen und jedem Menschen die Chance zu geben, neue Seiten
an sich selbst zu entdecken.

Zusammenfassung

Die Komplexität des Gehirns sorgt dafür, dass sich die Menschen unterscheiden. Die
Plastizität bietet jedem die Chance, sich ein Leben lang weiterzuentwickeln. Beide
Aspekte zusammen bilden die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der Menschheit.

1.4 Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen


und vorhersagen

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Neben der Bedeutung des Erkennens geht es hier hauptsächlich darum, die
Funktion der Vorhersage als eine der wichtigsten im Gehirn zu verdeutlichen.

Die grundsätzliche Aufgabe des Gehirns besteht darin, nicht nur das Überleben
des einzelnen Menschen zu sichern, sondern auch das der Gruppe, zu der er
gehört. Deshalb ist das Gehirn ein soziales Organ. Die Fähigkeit, Annahmen über
Gefühle, Bedürfnisse, Bewertungen, Erwartungen und Absichten bei anderen
Menschen vornehmen zu können, wird in den Kognitionswissenschaften mit
der Theory of Mind erklärt. Die wichtigsten Funktionen des Gehirns sind auch in
diesem Zusammenhang das Erkennen und das Vorhersagen.

Erkennen ist mehr als wahrnehmen

Erkennen bedeutet weitaus mehr als nur wahrnehmen, was auch schon verhältnis-
mäßig primitive Organismen können. Im Gehirn gibt es so genannte primäre Sinnes-
areale, deren Aktivierung mit Eindrücken wie Sehen, Hören, Schmecken, Riechen
oder Empfinden einhergeht. Diese primären Sinnesareale geben das Wahrgenom-
mene aber nur völlig neutral weiter.

Erst in den an diese angrenzenden Arealen, die als Assoziationszentren bezeichnet


werden, wird eine erste Verknüpfung oder erste Deutung dessen vorgenommen,

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

was gesehen, gerochen, gehört, geschmeckt oder ertastet wurde. Jedes Gehirn
verfügt über ein riesiges Arsenal von Informationen, die uns in ihrer Fülle zwar
niemals bewusst sind, mit denen die eingehenden Daten aber abgeglichen und
entsprechend gedeutet werden.

KERNSAtZ
In so genannten Assoziationszentren werden die in den primären Sinnes-
arealen wahrgenommenen Eindrücke einer ersten Deutung oder Verknüpfung
unterzogen.

Dabei ist es so, dass das Gehirn Vorhersagen macht, welche Informationen als
nächste eintreffen werden. Bestätigt sich diese Vorhersage, sind keine weiteren
Anpassungen der geplanten Reaktionen notwendig. Von all den Informationen,
die in jedem Moment unseres Lebens in unserem Gehirn eingehen, werden die
meisten als unwichtig sofort wieder verworfen, ohne dass sie auch nur die ge-
ringste Chance hätten, in das Bewusstsein weiter geleitet zu werden.

Stimmen die Vorhersagen und die Wahrnehmungen nicht überein, dann kommt es
eventuell zu automatischen Reaktionen, etwa wenn wir bei einem überraschen-
den, lauten Knall zusammenzucken. Hier noch das Bewusstsein in den Entschei-
dungsprozess einzubeziehen, ob man in Deckung gehen soll oder nicht, würde im
Zweifelsfall die Überlebenschancen deutlich verringern.

Im Normalfall wird allerdings bei einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Ereignis
das Bewusstsein zu Rate gezogen. Es kann aber auch der Fall eintreten, dass wir
etwas, was wir nicht erwarten, auch nicht wahrnehmen. Das ist besonders dann
der Fall, wenn wir uns auf eine ganz bestimmte Aufgabe hoch konzentrieren.

So gab es zum Beispiel das Experiment, bei dem die Beobachter einer Gruppe von
Menschen ganz bestimmte Bewegungen der Teilnehmer registrieren müssen. Da
es sich um eine schwierige Aufgabe handelte, waren sie hoch konzentriert. Dass
sich dann plötzlich ein Mensch in einem Gorilla-Kostüm unter die Gruppe mischte,
wurde von den meisten Beobachtern überhaupt nicht bemerkt, obgleich dies si-
cherlich ungewöhnlich war.

Einerseits waren die Kapazitäten der Gehirne durch die gestellte Aufgabe voll-
kommen ausgeschöpft, andererseits war das Auftreten des Gorillas so weit von
den Erwartungen entfernt, dass es im Gehirn nicht mehr als relevant verarbeitet
wurde. „Gesehen“ hatte ihn natürlich jeder, aber eben nicht wahrgenommen und
als „merk-würdig“ eingestuft.

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Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen und vorhersagen 1
KERNSAtZ
Das Gehirn macht ständig Vorhersagen, welche Informationen als nächste ein-
treffen werden, und plant entsprechende Reaktionen.

Ein anderes Element, das unsere Vorhersagen und damit auch unsere Erwartungen
in sehr hohem Maße beeinflusst, sind Vorabinformationen. Wenn wir wissen, was
wir zu erwarten haben, wird dies auch mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit so
eintreten, wie es der Vorhersage entspricht.

Natürlich kann sich das Gehirn bei seinen Vorhersagen auch irren und dies erken-
nen. Aber das nimmt es in gewisser Weise in Kauf, indem es nämlich gerade aus
solchen Irrtümern sehr schnell lernt und für nachfolgende Situationen daraus die
richtigen Vorhersagen ableitet.

Nichts ist dem Gehirn so verhasst wie der schiere Zufall. Denn dort versagt die
Fähigkeit zur Vorhersage. Deshalb sucht das Gehirn auch stets nach verborgenen
Regeln und nach möglichen Zusammenhängen zwischen Wirkung und Ursache.
Schon vor Jahren konnte in Experimenten nachgewiesen werden, dass in bestimm-
ten Aufgaben komplexe Regeln vom Unbewussten durchaus erkannt wurden,
während das Bewusstsein nicht in der Lage war, diese Regeln zu erklären.

KERNSAtZ
Das Gehirn sucht stets nach verborgenen Regeln. Dabei kann das Unbewusste
auch Regeln erkennen, die das Bewusstsein nicht sieht.

Erwartung und Aufmerksamkeit

In Experimenten wurde ein ganz bestimmtes Verhalten von Nervenzellen nachgewie-


sen. Wenn man eine Gruppe von Nervenzellen nimmt und einen sehr gleichförmigen,
immer wieder auftretenden Reiz bringt, wird nichts Sonderliches passieren. Die Ner-
venzellen werden immer ein bisschen erregt, aber ob die Dinge überschwellig wer-
den, in andere Nervensystem-Abschnitte hineingeleitet werden, ist häufig fraglich.

Mischt man aber einen häufigen, sehr gleichförmigen Reiz mit einem seltenen Reiz,
dann führt dieser seltene Reiz dazu, dass das Nervensystem deutlicher aktiviert
wird. Will man in einer solchen Ereigniskette eine besondere Information überbrin-
gen, dann muss man eine ungewöhnliche Reizform dazwischen bringen.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Wenn es zum Beispiel eine ganz bestimmte Reihenfolge von Tönen in einer sehr
einschläfernden Musik gibt, passiert nichts. Klingelt dann plötzlich das Telefon,
dann ruft dieses Telefon als sehr ungewöhnlicher Reiz eine massive Erregung des
Nervensystems hervor, es führt zu einer Wachreaktion, und alle nachfolgenden
Dinge werden zunächst einmal viel deutlicher wahrgenommen.

Klingelt aber das Telefon alle drei Minuten, dann wird der Telefonreiz nicht mehr als
etwas Besonderes, Neues wahrgenommen, sondern nur noch als etwas Lästiges.
Und dieser Reiz tritt auch in den Hintergrund, man fängt an, dieses Geräusch zu
ignorieren. Es tritt eine so genannte Habituation ein. Daraus folgt, die Mischung
aus häufigen Reizen mit seltenen Reizen, mit ungewöhnlichen Reizen, in nicht zu
häufiger Folge ist das Geheimnis dafür, den Aufmerksamkeitsgrad einer Person in
einer bestimmten Situation aufrecht zu erhalten.

KERNSAtZ
Eine Mischung aus häufigen Reizen und seltenen, ungewöhnlichen Reizen hält
die Aufmerksamkeit einer Person aufrecht.

So generieren Sie Aufmerksamkeit

Wichtige Ereignisse, die an eine Person vermittelt werden sollen, müssen in einer
richtigen zeitlichen Reihenfolge zu starken Reizen platziert werden. Die Ereignisse
können entweder unmittelbar vor einem starken, ungewöhnlichen Reiz platziert
werden, dann werden sie besonders gut erinnert. Oder sie müssen erst später
nach dem starken Reiz kommen, denn unmittelbar nach einem solchen Reiz ge-
raten die Informationen oder Ereignisse in Vergessenheit, weil das Nervensystem
zunächst einmal damit beschäftigt ist, den ungewöhnlichen Reiz zu verarbeiten.

Dieses Erregungssystem basiert auf einem Phänomen, das Neurowissenschaft-


ler als P 300 bezeichnen. P 300 ist eine Erregungswelle, die man mit Messungen
der Bioelektrizität nachweisen kann. Sie tritt 300 Millisekunden nach einem star-
ken Reiz auf. Werden zum Beispiel akustische Reize so gemischt, dass ein Ton zu
80 Prozent erklingt und der andere Ton nur zu 20 Prozent, findet jeweils auf den
seltenen Ton hin nach 300 Millisekunden eine deutliche Erregung statt, die mehrere
Hundert Millisekunden andauert.

Ist nun der Reiz ganz ungewöhnlich, wenn zum Beispiel zunächst häufig Gesichter
von Erwachsenen und selten von Kindern gezeigt werden, und plötzlich das Bild
eines Gorillas kommt, dann ist dieser Reiz ein so genannter Shock Novel Reiz.

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Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen und vorhersagen 1
Ein solcher Shock Novel Reiz erregt das Nervensystem massiv, besonders die für
Emotionen relevante Struktur des Mandelkerns (Amygdala) und die für Gedächt-
nisleistungen unverzichtbare Struktur des Hippocampus. Man kann es innerhalb
des Gehirns von Versuchstieren oder Menschen messen, dass dann das Gehirn erst
einmal 1,5 bis zwei Sekunden beschäftigt ist, die damit verbundene Erregung zu
verarbeiten.

Jede neue Information wird vom Gehirn zunächst einmal ferngehalten, während
diese wichtige Information verarbeitet wird. Eine neue Information wird daher we-
der gut ins Gedächtnis noch ins Bewusstsein gelangen, wenn sie innerhalb von
ein, zwei Sekunden nach einen Shock Novel Reiz platziert wird. Kommt allerdings
der nächste Reiz nach vier, fünf Sekunden, ist durch den Weckreiz, den der Shock
Novel Reiz hat, das Nervensystem besonders bereit und kann diesen Reiz gut auf-
nehmen (Mitnahmeeffekt).

KERNSAtZ
Ein Shock Novel Reiz blockiert zunächst die eingehenden neuen Informati-
onen, führt aber dann zu einer besonders guten Aufnahmebereitschaft des
Nervensystems.

Vorhersagen bestimmen die Sicht der Welt

Aber das Unbewusste sortiert ja nicht nur vor, was wir wahrnehmen sollen, son-
dern es entscheidet auch, was gespeichert werden muss und welche Erinnerungen
im Zusammenhang mit einer Wahrnehmung aktiviert werden sollen. Gleichzeitig
macht es uns auch im Rahmen komplizierter Regelmechanismen, die wir im nächs-
ten Kapitel betrachten werden, Entscheidungsvorschläge. Um uns entscheiden zu
können, benötigen wir dann allerdings wieder Vorhersagen, aus denen wir unsere
Handlungsweisen ableiten können.

Die Vorhersagen beziehen sich daher nicht nur auf alle Veränderungen in unserer
Umgebung, sondern auch auf aktuelle eigene Handlungen oder auf mittel- oder
langfristige Reaktionen, doch all das passiert zu 95 Prozent unbewusst.

Im Zusammenspiel von Erinnern und Vorhersagen gleicht das Gehirn ständig Neues
gegen Bekanntes ab. Würde dieser permanente Prozess unterbrochen werden,
entstünden keine neuen Erinnerungen mehr, die auch neue Vorhersagen zulassen
würden.

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Was Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten

Es ist für den Menschen wichtig, zu wissen, was war, um zu wissen, was ist und was
im nächsten Moment, in einer Stunde oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in
der Zukunft sein wird. Deshalb wurde das Gehirn mit seinen Funktionen Wahrneh-
men, Speichern, Erinnern und Entscheiden als Vorhersageinstrument in einer Weise
optimiert und perfektioniert, wie wir es bei keinem anderen Lebewesen finden.

Die Vorhersagen beziehen sich auf fast alles und jedes, nicht nur auf die großen
existenziellen Fragen. Trotzdem interessiert uns nicht alles. Deshalb ist es für das
Gehirn notwendig, zwischen wichtig und unwichtig zu entscheiden.

Zur Steuerung der Reizverarbeitung hat das Gehirn ein relativ simples System. Wir
wollen ja nicht jeden Moment wissen, ob uns der Schuh drückt, den wir gerade
anhaben, oder ob die Kleidung ein wenig kneift, weil wir zu dick geworden sind,
sondern wir wollen das wahrnehmen, was für uns auch wichtig ist. Das heißt, alle
unsere Sinnesorgane werden eigentlich permanent mit Informationen versorgt,
trotzdem wird die Wahrnehmungsebene im Gehirn das für uns Wichtige oder von
uns Gewünschte im Moment hervorheben.

Es gibt im Gehirn ein System, das Formatio reticularis genannt wird. Es ist etwa
vergleichbar mit einem Scheinwerfer in einem Zirkuszelt. Auch in einem Zirkus pas-
siert sehr viel, das Publikum ist unruhig, es sind vielleicht interessante oder schöne
Personen im Publikum und in der Manege passiert vielleicht auch etwas, aber das
wichtige Geschehen ist oben am Trapez, und dieses Geschehen wird mit einem
Scheinwerfer angestrahlt.

Ähnlich ist es im Gehirn. Wir geben ganz bestimmten Sinnesreizen Vorfahrt, in die
höheren Bereiche des Gehirns vorzudringen, wenn sie nicht den Vorhersagen ent-
sprechen oder eine besondere, meist emotional gefärbte Bedeutung haben bezie-
hungsweise an als wichtig markierte Erinnerungen anknüpfen, was meist dasselbe
ist.

Wie gut dieses System funktioniert, sieht man sofort, wenn zum Beispiel ein
Schmerzreiz appliziert wird. Es gibt bestimmte Sinnesreize, die immer Vorfahrt ha-
ben, und dazu gehört der Schmerzreiz. Er lenkt uns innerhalb von Sekunden von
jeder anderen Sache ab.

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Die wichtigsten Gehirnfunktionen: Erkennen und vorhersagen 1
Im Spannungsfeld zwischen Neuigkeit und Routine

Im Prinzip müsste man aus dem bisher Gesagten schließen, dass das Gehirn die
gewohnte Routine am meisten schätzt, weil dort die getroffenen Vorhersagen am
häufigsten eintreten und sich von daher das angenehme Gefühl von Sicherheit
und Geborgenheit einstellt. Das ist bis zu einem gewissen Maße auch richtig. Doch
leider geht damit auch das Gefühl der Langeweile einher.

Da wir ja nun wissen, dass das menschliche Gehirn auch darauf programmiert ist,
neue Erfahrungen zu sammeln, steht dies im Gegensatz zur Routine. Wahrschein-
lich ist es so, dass das Belohnungssystem, auf das wir später zu sprechen kommen
werden, irgendwann aufhört, richtige Vorhersagen und Erwartungen zu belohnen
und stattdessen beginnt, die Suche nach Neuem anzutreiben. Ein großer Teil der
Menschen sind so genannte News Seeker, die geradezu begierig sind, neue Dinge
kennen zu lernen und zu erproben.

Umsetzung in die Praxis

Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens in die Lage versetzt wer-
den, zu erkennen, was von ihnen erwartet wird, und die Möglichkeit erhalten,
präzise Vorhersagen über die Konsequenzen ihres Verhaltens zu machen. Weiter
ist es wichtig, am Arbeitsplatz eine auf den einzelnen Mitarbeiter abgestimmte
Mischung aus Bekanntem und Neuem zu bieten.

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2 Die Basics der Gehirnfunktionen für
Neuroleadership in der Praxis

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

In diesem Kapitel werden Sie mit einem neuen dynamischen Bild des Menschen
konfrontiert, das sich aus dem heutigen Stand der neurowissenschaftlichen Er-
kenntnisse ergibt. Sie werden erfahren, welche Wirkung Situationen auf das
Verhalten der Menschen haben und wie leicht es ist, andere zu beeinflussen.
Wir müssen lernen, die begrenzten Kapazitäten des Gehirns zu akzeptieren und
sie richtig zu nutzen. Weiter ist es wichtig, die verschiedenen Elemente der
Kommunikation zu kennen und ganzheitlich einzusetzen. Dazu gehört es auch,
die verschiedenen Aspekte unseres Verhaltens ins Bewusstsein zu heben. Eine
ganz besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Mobbing.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

2.1 Das Gehirn funktioniert nach einfachen


Prinzipien

Auch wenn ich im vorangegangenen Kapitel gerade beschrieben habe, was das
Gehirn alles kann und wie komplex es aufgebaut ist, so möchte ich jetzt die Be-
hauptung aufstellen, dass es nach einfachen Prinzipien funktioniert, um die gefor-
derten Leistungen zu erbringen. Beides schließt sich nicht aus.

Vergleichen wir das Gehirn ruhig mit einem modernen Automobil, das nicht nur über
ein elektronisches Motormanagement verfügt, sondern mit zahlreichen Assistenz-
systemen den Fahrer bei seinen Aktionen unterstützt. Dieser kann beschleunigen,
bremsen und lenken. Wie seine Aktionen technisch umgesetzt werden, welche Sen-
soren, elektronische Steuereinheiten und mechanische Komponenten dabei aktiv
sind, weiß er nicht. Ganz ähnlich ergeht es auch dem Benutzer eines Gehirns. Auch
für ihn zahlt hauptsächlich das Ergebnis und nicht, wie es zu Stande kommt.

Im Zusammenhang mit der modernen Hirnforschung werden immer wieder sehr


komplexe Fragen diskutiert. Die eine lautet „Wer bin ich?“, die zweite „Was ist Be-
wusstsein?“ und die dritte „Habe ich einen freien Willen?“ Über alle drei lasst sich
hervorragend zwischen Hirnforschern, Psychologen und Philosophen diskutieren,
ohne dass man am Schluss zu einem eindeutigen Ergebnis kommt.

Ich bin der Überzeugung, dass sich sowohl das Ich als auch das Bewusstsein und
letztendlich auch der freie Wille aus dem Zusammenspiel des Belohnungssystems,
des emotionalen Systems, des Gedächtnissystems und damit letztendlich auch aus
der Funktion des Entscheidungssystems heraus erklären lassen. Es gibt im Gehirn
keinen festen Ort, an dem das Ich gespeichert ist, an dem Bewusstsein entsteht,
und auch keinen, an dem die letzten Entscheidungen getroffen werden und sich
damit der freie Wille manifestiert.

Sie werden die beschriebenen vier Gehirnsysteme im nächsten Kapitel genauer


kennen lernen. Doch lassen Sie uns zunächst die „Basics“ der Gehirnfunktionen
genauer betrachten.

KERNSAtZ
Es gibt im Gehirn keinen festen Ort, an dem das Ich gespeichert ist.

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Das Gehirn funktioniert nach einfachen Prinzipien 2
Das Bewusstsein ist nur eine Momentaufnahme

Alles erfolgt im Zusammenspiel verschiedener Regelmechanismen an verschiede-


nen Orten im Gehirn. Das Bewusstsein ist nur eine Momentaufnahme von wenigen
Sekunden, es umfasst das, was ich gerade jetzt denke, sage, schreibe oder auch
erinnere. Es ist praktisch wie ein Scheinwerfer, den wir in dunkler Nacht auf un-
sere Umgebung richten. Was im Kegel des Scheinwerfers ist, erkennen wir klar und
deutlich. Wenn wir ihn weiterbewegen, sehen wir neue, andere Dinge, und doch
wissen wir, dass das, was wir vorher gesehen haben, immer noch vorhanden ist,
auch wenn wir es nicht mehr sehen.

Das Ich ist keine feste Größe

Ebenso verhält es sich mit dem Ich. Ich weiß, wer ich jetzt bin und kann mich auch
anderen Menschen gegenüber erklären. Dabei setzt sich das Ich aus einem Kalei-
doskop der unterschiedlichsten Elemente zusammen. Ich bin, was ich gerade fühle,
was ich mir wünsche. Aber zum Ich gehören auch mein Körper, mein Familienstand,
mein Beruf, meine politischen Ansichten und selbst meine Familie, meine Freunde,
mein Haus und mein Auto. Alles gehört irgendwie zu mir dazu.

Mein Ich reicht also über meine Person hinaus und manifestiert sich in vielen Attri-
buten, die mir alle so lange gar nicht bewusst sind, bis ich sie mir ins Bewusstsein
rufe oder sie mir von anderen ins Bewusstsein gerufen werden, zum Beispiel mit
der Frage, ob ich etwas mag oder etwas nicht mag.

In einem ganz engen Kernbereich mag mein Ich vielleicht unveränderbar sein, doch
es besteht wie eine Zwiebel aus vielen Schichten, auch wenn dieser Vergleich nicht
besonders attraktiv ist. Je nach der Situation, in der ich mich befinde, tritt ein be-
stimmter Aspekt des Ich in den Vordergrund.

Das Ich verändert sich ganz sicherlich auch aufgrund neuer Erfahrungen. Dabei ist
es nicht so, dass der Mensch diese Veränderungen in der Regel bewusst steuert,
ja nicht einmal steuern kann, sondern dass sie eher von anderen Personen an ihm
bemerkt werden. Zur Selbstwahrnehmung gehört immer eine gewisse Distanz. Ich
weiß deshalb auch, wer ich vor zehn Jahren oder vor dreißig Jahren war. Zumindest
weiß ich es aus heutiger Sicht vielleicht sogar besser als damals.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Die Bedeutung äußerer Einflüsse

Sie werden sich vielleicht fragen, weshalb ich diesen Exkurs mache. Mir geht es da-
rum, zu zeigen, dass es für jeden Menschen zwar ganz wichtig ist, von scheinbar
unverrückbaren Tatsachen hinsichtlich dessen, was er ist, was er denkt und was
er will, auszugehen, dass diese jedoch schon durch kleinste Einflüsse in den vier
wichtigsten Gehirnsystemen verändert werden können.

Der bekannte Neurologe, Psychiater und Autor Oliver Sacks sagte einmal: „Eine
winzige Hirnverletzung, ein kleiner Tumult in der cerebralen Chemie – und wir ge-
raten in eine andere Welt.“ Doch soweit muss es gar nicht kommen. Es reichen in
der Regel sehr kleine und ganz alltägliche Dinge, ein Lächeln, ein überraschender
Anruf oder eine unerwartete Aufmerksamkeit.

Plötzlich sehen wir uns in einem ganz anderen Licht, betrachten ein Problem von
einer ganz anderen Seite und treffen anschließend eine ganz andere Entschei-
dung, als wir es noch vor einigen Stunden, Minuten oder sogar Sekunden getan
hätten. Leider gibt es solche Abläufe nicht nur zum Guten, sondern auch zum
Schlechten. Ein böser Blick, ein Anruf zur falschen Zeit, ein vergessenes Danke.
Auch sie verändern unser Denken.

Diese Dynamik des Gehirns, die Fähigkeit, ganz schnell zu anderen Ansichten und
Einsichten zu kommen, dürfen wir im Rahmen der Neuroleadership nicht unberück-
sichtigt lassen. Wir sind in der Lage, wenn es sein muss, blitzschnell unsere Einstel-
lungen, Entscheidungen und Handlungsweisen tief greifend zu ändern, ohne dass
wir selbst einen Bruch in der Kontinuität spüren. Nur selten handelt es sich dabei
um generelle Unberechenbarkeit oder Sprunghaftigkeit.

Sozialpsychologen sprechen in diesem Zusammenhang gern von situativem Ver-


halten oder auch von der „Macht des Ortes“, denn auch unsere Umgebung beein-
flusst uns mehr, als uns bewusst ist.

Der amerikanische Wissenschaftler Philip Zimbardo hat mit seinem Stanford Prison
Experiment schon vor vielen Jahren nachgewiesen, dass aus einer beliebigen Aus-
wahl von Durchschnittsmenschen durch die Situation, in die sie gestellt worden
sind, einerseits sadistische Aufseher und andererseits hilflose Gefangene wurden.
Ähnliches hat sich im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und kürzlich auch in einem
psychiatrischen Krankenhaus in New York wiederholt.

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Das Gehirn funktioniert nach einfachen Prinzipien 2
KERNSAtZ
Die jeweilige Situation und der Ort, an dem wir uns befinden, bestimmen ganz
wesentlich unser Verhalten.

Die Menschen sind nicht so, wie sie zu sein glauben, und sie verhalten sich in ei-
ner anderen Situation auch nicht so, wie sie es in einer vorhergehenden von sich
angenommen haben. All dies wird durch das Zusammenspiel der verschiedenen
Gehirnsysteme bedingt.

Zusammenfassung

Das Gehirn funktioniert eigentlich nach einfachen Prinzipien. Das Ich verändert
sich situationsbedingt und aufgrund neuer Erfahrungen. Diesen Prozess kann der
Mensch nicht steuern und bemerkt ihn oft auch nicht selbst. Kleinste und alltäg-
liche Dinge können blitzschnell unsere Einstellungen, Entscheidungen und Hand-
lungsweisen tief greifend ändern.

Leadership-Praxis

Menschen lassen sich lenken, ohne es zu wollen

Zu den erstaunlichsten Ergebnissen der experimentellen Verhaltensökonomie ge-


hört die Tatsache, dass sich das Verhalten von Menschen sehr einfach lenken lässt.
Wie inzwischen eine große Zahl von unterschiedlichen Experimenten gezeigt hat,
bedarf es dazu keineswegs komplizierter Suggestionstechniken oder gar der Hyp-
nose, sondern es reichte in den Versuchen vollkommen aus, wenn sich die jeweili-
gen Probanden mit einfachen Wörtern oder Begriffen intensiv befassten.

Allerdings wurden die Versuchspersonen nicht darüber aufgeklärt, worum es in


dem Test wirklich ging, nämlich ihr Verhalten zu manipulieren. Sie glaubten, dass
sie an Gedächtnistests, an Tests der Sprachfähigkeit oder der Rechenfertigkeit teil-
nahmen oder auch einfach nur Fragen zu ihrer Person beantworten mussten. Der
eigentliche Test begann dann erst im zweiten Teil, wenn sie glaubten, es sei alles
schon vorüber.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Die Gehgeschwindigkeit lässt sich beeinflussen

In der Regel liefen die Versuche nach folgendem Schema ab: Die Probanden wur-
den beispielsweise gebeten, am Computer innerhalb einer bestimmten Zeit be-
liebige Worte zum Beispiel nach ihrer Länge neu zu sortieren oder sie zu Sätzen
zusammenzustellen. Es schien sich also um einen Test zum Sprachvermögen zu
handeln. Ein Teil der Probanden musste Begriffe sortieren, die sich auf Alter, Krank-
heit und Gebrechlichkeit bezogen. Ein anderer Teil der Testpersonen sortierte Be-
griffe, die sich mit Leistung, Sport und Erfolg befassten.

Nachdem der Test beendet war, bat man die Teilnehmer, das Gebäude entweder
über einen bestimmten Flur oder eine Treppe, die sie hinaufsteigen mussten, zu
verlassen. Nun begann der eigentliche Teil des Experiments. Man stoppte die Zeit,
die die verschiedenen Teilnehmer brauchten, um den vorgegebenen Weg zurück-
zulegen. Diejenigen, die sich mit Alter, Krankheit und Gebrechlichkeit befasst hat-
ten, waren signifikant langsamer als diejenigen, die mit den motivierenden Begrif-
fen gearbeitet hatten.

Diese Art von Test wurde nicht nur ein Mal, sondern in den verschiedensten Kon-
stellationen an unterschiedlichen Universitäten durchgeführt. Die Wahrscheinlich-
keit, dass die zufällig ausgewählten Testpersonen, die eine bestimmte Aufgabe zu
lösen hatten, langsamer oder schneller waren als die, die mit anderen Begriffen
gearbeitet hatten, kann man ausschließen. Als Ergebnis bleibt, dass uns bestimmte
Begriffe zumindest über eine gewisse Zeit nachhaltig beeinflussen, selbst wenn
wir sie überhaupt nicht auf uns selbst beziehen.

Viele Leser werden diese Ergebnisse wahrscheinlich für unglaubwürdig halten oder
sie zumindest für sich selbst als nicht relevant abweisen. Dabei gibt es sogar Büh-
nenkunststücke, bei denen die Körperkräfte der teilnehmenden Zuschauer wach-
sen oder schwinden können, je nachdem an welche Begriffe sie denken.

Auch Freundlichkeit, Geduld und Ehrlichkeit sind manipulierbar

Natürlich hat die Verhaltensökonomie nach Wortexperimenten nicht nur die Geh-
geschwindigkeit getestet. Heute gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die
zeigen, dass sich durch solche scheinbaren „Spielereien“ auch die Freundlichkeit,
Geduld und Ehrlichkeit der Probanden beeinflussen lassen. Selbst rassistische Vor-
urteile lassen sich unbewusst provozieren, und zwar auch bei Personen, die vor
dem Versuch ganz eindeutig und überzeugend behauptet hatten, keinerlei Vorur-
teile dieser Art zu pflegen.

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Das Gehirn funktioniert nach einfachen Prinzipien 2
Andere Versuche haben gezeigt, dass nicht einmal Worte notwendig sind, um
Menschen zu beeinflussen, sondern minimale Veränderungen in der Mimik schon
ausreichen. TV-Nachrichtensprecher, die ein minimales Lächeln zeigten, wenn sie
den Namen eines Präsidentschaftskandidaten nannten, beeinflussten in den USA
damit schon die Einstellung des Zuschauers. Auch das ist durch Versuchsreihen
bestätigt.

Denkmuster verändern die eigene Leistungsfähigkeit

Aber auch allgegenwärtige Denkmuster haben einen viel größeren Einfluss auf
unsere Leistungen, als wir es annehmen. Wir brauchen nur an die bekannteste
Stereotypie, nämlich den Unterschied zwischen Männern und Frauen, zu denken.
Auch diese Muster beeinflussen uns, nicht nur bei der Beurteilung anderer Men-
schen, sondern auch bei der eigenen Leistungsfähigkeit.

So haben zum Beispiel Tests gezeigt, dass Frauen bestimmte Aufgaben schlechter
lösen, wenn sie zuvor Fragebögen ausfüllten, die sich auf vermeintliche weibliche
Schwächen bezogen. Wesentlich besser wurden dieselben Aufgaben gelöst, wenn
sich Frauen ebenfalls im Rahmen von Fragebögen mit spezifischen Stärken befass-
ten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass nicht nur unsere Urteile und Bewertun-
gen von unbewussten Informationen abhängig sind, sondern sogar auch unsere
eigene Leistungsfähigkeit. Welche Einflüsse auf uns wirken, wird uns in der Praxis
so gut wie nie bewusst. Doch das heißt nicht, dass wir uns manche Einflussfakto-
ren nicht bewusst machen können, wenn wir ihre Wirkung kennen.

Gerade Stereotypien scheinen die Menschen besonders stark zu beeinflussen. Bei


bestimmten Wetterlagen steigen die Fehlerhäufigkeit und die Zahl der Verkehrs-
unfälle. Liegt das aber tatsächlich am Wetter? Wissenschaftler sind sich über das
Thema Wetterfühligkeit noch sehr uneins.

Es gibt ebenso viele Statistiken, die beweisen, dass das Wetter den Menschen nicht
beeinflusst, weil er in den jeweiligen Klimazonen mit Ausnahme von Extremwet-
terlagen daran angepasst ist, wie solche, die das Gegenteil behaupten. Vielleicht
spielt aber das Wetter selbst gar nicht die Hauptrolle, sondern die inneren Erwar-
tungen, die wir damit verbinden.

Warum behaupten manche Menschen immer wieder, dass sie bestimmte einfache
Abläufe, wie zum Beispiel die Bedienung einzelner Computerprogramme, nicht ler-

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

nen könnten? Ist es der Widerwille gegen solche Arbeiten? Handelt es sich bei ei-
nem ansonsten intelligenten Menschen um eine partielle Unfähigkeit? Oder sind es
nur die innere Einstellung, unbewusste Angst oder Erinnerungen an unangenehme
Situationen, die zu solchen Aussagen führen?

Wahrscheinlich ist es aber gar nicht nötig, hier Ursachenforschung zu betreiben.


Stattdessen sollte man die jeweilige Person lieber schrittweise mit immer neuen,
positiven Verstärkungen und Erfolgserlebnissen an die neue Aufgabe heranführen.

Wenn wir uns bewusst sind, dass wir das Gehtempo eines Menschen durch stär-
kende oder schwächende Worte beeinflussen können, dann gilt diese Regel auch
für alle anderen Lebenssituationen. Worte sind die mächtigsten Instrumente, die
wir haben, um andere Menschen zu beeinflussen. Wir müssen in der richtigen Situ-
ation nur die richtigen Worte wählen.

2.2 Begrenzte Kapazitäten akzeptieren

Wir müssen akzeptieren, dass wir nur begrenzte Kapazitäten haben. Bewusst kön-
nen wir immer nur einen Gedanken zurzeit denken und nicht mehrere gleichzeitig.
Das Unbewusste hingegen ist in der Lage, verschiedene Probleme parallel zu bear-
beiten und uns plötzlich Lösungen vorzuschlagen, die dann als Ideen im Bewusst-
sein auftauchen. Bewusstes Denken ist wesentlich langsamer und energiezehren-
der als unbewusstes Denken, weshalb wir die meisten der alltäglichen Funktionen
auch an das Unbewusste delegieren.

KERNSAtZ
Nur das Unbewusste ist in der Lage, mehrere Probleme gleichzeitig zu bearbei-
ten und zu lösen, aber nicht das Bewusstsein.

Eigentlich sollte die moderne Kommunikationstechnologie uns das Leben einfacher


machen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Das Internet und seine Suchmaschi-
nen stellen uns eine solche Menge an Informationen zur Verfügung, dass es immer
schwieriger wird, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden.

Ebenso überschwemmen uns E-Mails mit Informationen, beteiligen uns an allen


möglichen Entscheidungsprozessen und fordern schnelle Reaktionen. Telefone
und Mailboxen sorgen für permanente Erreichbarkeit, allen voran die ständig

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Begrenzte Kapazitäten akzeptieren 2
eingeschalteten Handys, durch die uns jeder, der es möchte, in den unmöglichsten
Situationen erreichen kann.

Kommunikation wird groß geschrieben, alle müssen über alles informiert sein, nicht
nur in schriftlicher Form, sondern auch in Konferenzen, Arbeitsbesprechungen und
Präsentationen. Multitasking, alles gleichzeitig tun und auf alles gleichzeitig re-
agieren, gilt praktisch als Symbol für Effizienz.

Doch leider ist das Gehirn dafür nicht ausgelegt. Im Überlebenskampf kam es für
unsere Vorvorfahren eher darauf an, die Aufmerksamkeit auf wenige wichtige
Dinge zu richten und sich zu konzentrieren. Bis sich das Gehirn auf die Notwen-
digkeit einer geteilten Aufmerksamkeit umgestellt haben wird und die alten Pro-
gramme durch neue ersetzt, werden wohl noch einige zigtausend Jahre vergehen.

KERNSAtZ
Das Gehirn ist nicht auf Multitasking ausgelegt.

Natürlich können wir auch schon jetzt mehrere Dinge gleichzeitig tun, aber nur
wenn wir sie an das Unbewusste delegieren. Heutzutage sind normalerweise die
Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht, wenn man gleichzeitig Auto fährt und
den Anweisungen des Navigationsgerätes folgen will, ohne die anderen Verkehrs-
teilnehmer aus den Augen zu lassen. Klingelt dann auch noch das Handy und muss
man zu vertrackten Vertragsformulierungen Stellung nehmen, dürfte endgültig die
Leistungsgrenze erreicht sein.

Selbst wenn man eine Freisprecheinrichtung hat, wird man das Diktiergerät aus
der Hand legen müssen, auf dem man so ganz nebenbei einige Briefe und Akten-
notizen formuliert hat. Vielleicht hat man sogar eine Konferenzschaltung auf sein
Mobiltelefon gelegt bekommen, bei der man sich mit zwei Gesprächspartnern aus-
einandersetzen muss, während man gleichzeitig die Ampel beobachtet und darauf
zu achten hat, im kommenden Kreisel die zweite Ausfahrt zu nehmen.

Ein wichtiger Teil des Erfolgs besteht heute darin, Fehler zu vermeiden. Und das
bedeutet auch, die begrenzten Kapazitäten des Gehirns zu akzeptieren. Überfor-
derung ist eines der größten Probleme der Gegenwart. Dabei geht es aber nicht
nur darum, viele Dinge gleichzeitig zu tun, was das Gehirn ohnehin nicht macht,
sondern auch Entscheidungen in kürzester Zeit treffen zu müssen, was für das
Gehirn ebenfalls eine hohe Belastung darstellt. Besonders dann, wenn es Entschei-
dungen sind, die sowohl bei der einen wie auch bei der anderen Alternative zu
unbefriedigenden Ergebnissen führen.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Solch negativer Stress verringert die Qualität jeder Arbeit in ganz extremem Maße.
Wir sollten aber akzeptieren, dass wir inzwischen eine technische Umwelt entwi-
ckelt haben, die das Gehirn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringt, und
dass von daher eine Umorientierung und Rückbesinnung durchaus zweckmäßig
sein kann, auch wenn sie aufgrund der gegebenen Umstände nicht praktikabel
erscheint.

Zusammenfassung

Auch das Gehirn hat nur begrenzte Kapazitäten. Das müssen wir akzeptieren. Die
moderne Kommunikationstechnologie, die uns mit Informationen überschüttet,
hat dazu geführt, dass unser Gehirn an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit an-
gekommen ist.

Leadership-Praxis

Weniger ist mehr

Deutlich mehr als ein Drittel aller Arbeitnehmer leiden unter dem zunehmenden
Leistungsdruck am Arbeitsplatz. Sie können ihre Arbeit nicht in der Qualität aus-
führen, wie sie es sich vorstellen. Immer häufiger haben dringende Arbeiten Vor-
rang vor wichtigen. Und immer öfter belastet der Druck am Arbeitsplatz auch die
Lebensqualität in der Freizeit.

Rationalisieren bedeutet in vielen Unternehmen ganz offensichtlich immer noch,


nur Stellen abzubauen und die Arbeit zu verdichten, anstatt Überflüssiges bei-
seite zu räumen und zum Beispiel Bürokratie abzubauen. Eher das Gegenteil ist
der Fall. Gerade Sandwich-Manager sind gezwungen, immer häufiger Rechenschaft
über ihre Leistungen und die ihrer Teams abzugeben. Jahresberichte, Halbjahres-
berichte, Vierteljahresberichte, Monatsberichte, und das bitte schön alles in Top-
Präsentationsqualität und bitte schön ohne negative Fakten, die die höheren Vor-
standsetagen nur irritieren könnten.

Dass Rationalisieren in allererster Linie Weglassen bedeutet, und zwar Weglassen


von Arbeitsinhalten, die weniger wichtig sind, scheint vollkommen in Vergessen-
heit geraten zu sein. Es besteht auch die Tendenz, dass immer weniger Führungs-
kräfte für immer mehr Mitarbeiter verantwortlich sind. Das ideale Verhältnis von
einer Führungskraft zu acht Mitarbeitern wird immer häufiger um das Drei- bis
Vierfache überschritten.

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Begrenzte Kapazitäten akzeptieren 2
Falsches Delegieren bremst das Denken der Mitarbeiter

Hinzu kommt auch noch ein falsches Verständnis von dem, was Delegieren heißt.
Die Mitarbeiter werden nicht ermächtigt, eigene Lösungen zu finden, eigene Ent-
scheidungen zu treffen und dabei auch Fehler zu machen, sondern werden in
einen immer engeren Rahmen von Vorgaben gequetscht. Kein Wunder, dass das
Gehirn nicht mehr in der Lage ist, aktiv zu denken, sondern in immer mehr Fällen
nur noch auf standardisierte Verhaltensweisen zurückgreift und in Routinehand-
lungen verfällt.

Angst und Unsicherheit lösen Stress aus, mit der Folge, dass die Leistungsfähig-
keit des Gehirns weiter absinkt. Wer als Mitarbeiter auf Nummer sicher gehen will,
reicht die Entscheidungen einfach nach oben weiter. Dieses Verhalten wird uns
ja auch in den Medien von der Politik vorexerziert. Zumindest erwecken hier die
obersten Führungskräfte den Anschein, alle Probleme persönlich zu lösen.

Die Kanzlerin rettet entführte deutsche Urlauber, und wenn nicht sie, dann doch
zumindest der Außenminister. Die Kanzlerin rettet Unternehmen aus der Finanz-
krise. Sie hat scheinbar für alle möglichen Schicksalsschläge die perfekte Lösung
parat. Dass das weder auf sie noch auf andere Führungskräfte zutrifft, möchte
niemand zugeben.

Die interne Kommunikation bringt Kapazitätsprobleme

Als eines der größten Kapazitätsprobleme hat sich in vielen Unternehmen die in-
terne Kommunikation erwiesen. Alle sollen über Alles Bescheid wissen. Es ist ja
auch so einfach, per Intranet und E-Mail den Verteiler von Informationen bis ins
Unendliche zu erweitern. Die Entscheidung, nicht auf eine E-Mail zu reagieren oder
sie gar nicht zu lesen, ist weitaus schwieriger zu treffen, als sich darauf einzulassen
und die ohnehin engen Kapazitäten noch weiter auszureizen.

Einige Unternehmen haben begonnen, nachzurechnen, wie viel Arbeitszeit mit


der Beantwortung überflüssiger E-Mails vergeudet wird, und sind in der Regel zu
erschreckenden Ergebnissen gekommen. Um die Kapazität des Gehirns für pro-
duktive Arbeit zu nutzen, braucht der Mensch Ruhe und Konzentration. Die hat
er jedoch nicht, wenn er regelmäßig alle 15 Minuten in seiner Arbeit unterbrochen
wird, um eine eilige, aber meist überflüssige Anfrage zu beantworten.

Ein weiteres Problem der internen Kommunikation liegt darin, dass sie hauptsäch-
lich von oben nach unten läuft und nicht umgekehrt. Die Mitarbeiter sollen über
alles informiert werden, mit einer Ausnahme. Das, was ihnen Sorge und Angst be-

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

reiten könnte, halten die Führungskräfte von ihnen fern. Wenn ein Unternehmen
Probleme hat, erfahren die Mitarbeiter es meist eher aus den Medien als von ihrem
direkten Vorgesetzten.

Viel sinnvoller wäre es in den meisten Fällen, eine Top-down-Information durch


den genau umgekehrten Weg zu ersetzen. Warum sollten nicht Mitarbeiter auch
den Führungskräften an der Spitze anonym mitteilen können, was ihnen Sorge
bereitet und wo ihnen der Schuh drückt?

Die begrenzten Kapazitäten des einzelnen Gehirns werden also immer stärker zu
einem ökonomischen Problem, das man in erster Linie durch die viel geschmäh-
ten organisatorischen Maßnahmen lösen kann. Nur müssen diese Lösungen eben
durch die Menschen, die betroffen sind, selbst entwickelt werden.

2.3 Sprache, Mimik, Handeln – die Motorik als Tor


zur Außenwelt

Viele Führungskräfte glauben immer noch, dass allein das, was sie sagen, also der
Inhalt ihrer Worte, von Bedeutung ist. Sie vergessen dabei, dass jede Art von Kom-
munikation nicht nur einen Inhalts-, sondern auch einen Beziehungsaspekt hat.
Dieser Beziehungsaspekt ist in der Regel von viel größerer Bedeutung, weil er näm-
lich festlegt, wie der Inhalt zu deuten ist. Der Beziehungsaspekt wird sowohl über
die Sprache als auch über die Mimik, über Gesten und Körperhaltung kommuniziert.

KERNSAtZ
Jede Art von Kommunikation hat nicht nur einen Inhalts-, sondern auch einen
Beziehungsaspekt.

Dass die Sprache allein schon sehr ausdrucksstark ist, wissen wir alle durch das
Telefon. Wir sind darauf trainiert, die Stimmungen, Gefühle und Absichten unseres
Gesprächspartners allein schon am Tonfall, der Lautstärke, der Sprachgeschwin-
digkeit und vielen kleinen Nuancen in der Stimme zu erkennen, auch wenn wir ihn
nicht sehen. Oft genug können wir sogar seine Körperhaltung erahnen, ob er im
Stehen mit uns spricht oder zurückgelehnt in seinem Bürosessel sitzt und die Füße
auf den Tisch gelegt hat.

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Sprache, Mimik, Handeln – die Motorik als Tor zur Außenwelt 2
Interesse, Desinteresse, Engagement und der Wunsch, uns zu manipulieren, sind
nicht nur an den gesprochenen Inhalten oder den gewählten Formulierungen ab-
zulesen, sondern auch an der Sprache selbst. Weitaus besser gelingt das natürlich
noch, wenn man seinen Gesprächspartner sehen kann, und am besten, wenn man
ihm persönlich gegenübertritt. Videokonferenzen mögen einem vielleicht lange
Reisen ersparen, ersetzen können sie ein persönliches Gespräch jedoch nicht.

Die Motorik macht Denken sichtbar

Die meisten Informationen, die wir über andere Menschen erhalten, stammen aus
ihrer Motorik. Auch wenn wir selbst nicht in der Lage sind, sie bewusst zu ent-
schlüsseln, entsteht bei uns selbst unbewusst ein Eindruck, der alle anderen Infor-
mationen entsprechend einfärbt.

Manche Führungskräfte versuchen diesem Dilemma zu entgehen, indem sie mög-


lichst nur noch schriftlich mit ihren Mitarbeitern verkehren. Die Überzeugung, dass
es dann nur noch um Fakten und Inhalte gehe, ist ein Irrtum. Allein schon dass sie
nicht direkt kommunizieren, ist eine Botschaft, die in der Regel negativ ausgelegt
wird. Selbst wenn man weiß, dass der Chef auf Anreden und Grußfloskeln aus
Zeitgründen verzichtet, macht er auf der anderen Seite damit doch deutlich, dass
ihm sein Gesprächspartner diese Zeit nicht wert ist.

Schon sind wir aber wieder bei einem Beziehungsaspekt, nämlich der Wertschät-
zung und dem Respekt. Viele Führungspersönlichkeiten sehen sich in der heutigen
Zeit gezwungen, in ihrer Arbeit Prioritäten zu setzen. Was dann dahin mündet,
dass sie Telefonanrufe, E-Mails und selbst Briefe nicht mehr beantworten, weil sie
den entsprechenden Absender nicht kennen und schon die kleinste Mühe Zeitver-
schwendung wäre.

KERNSAtZ
Wer auf persönliche Kontakte zu seinen Mitarbeitern verzichtet, signalisiert
damit mangelnde Wertschätzung und fehlenden Respekt.

Auch diejenigen, die fordern, dass man ihnen keine Schriftsätze mehr zustellen
möge, die länger als eine halbe Seite sind, weil sie mehr nicht lesen können, stellen
sich selbst nur ein Armutszeugnis aus. Bestimmte Sachverhalte verlieren eben ein-
fach an Substanz, wenn man sie unzulässig kürzt. Bei einem Karl Valentin Sketch
wurde die Botschaft nur noch auf ein einziges Wort beziehungsweise auf einen
einzigen Laut zusammengeschnurrt „rgdz“.

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Also sollten wir nicht auf ein persönliches Gegenüber verzichten und auch nicht
versuchen, in unzulässiger Weise all das zu unterdrücken, was uns zu einem Men-
schen macht.

Die besondere Bedeutung des Gesichts

Nirgendwo sonst drücken die Menschen so differenziert Gefühle und Erwartungen


aus wie im Gesicht. Und nirgendwo sonst ist das Spektrum unbewusster sozialer
Signale so vielfältig. Der amerikanische Psychologe Paul Ekman hat sich sein ganzes
Leben lang mit der Erforschung der menschlichen Mimik befasst. Er entdeckte im
Gesicht 43 Aktionseinheiten, die jeweils aus der Bewegung einer oder mehrerer
Muskeln bestehen. Insgesamt gibt es 10.000 Gesichtsausdrücke, von denen aber
nur 3.000 einen emotionalen Sinn ergeben.

Für Ekman ist das Gesicht das Fenster des Geistes, und heute sind wir in der Lage,
seine Erkenntnisse mit Hilfe der bildgebenden Verfahren zu bestätigen. Es hat sich
gezeigt, dass Fotos von Gesichtern bei Testpersonen Reaktionen auslösen kön-
nen, selbst wenn die einzelnen Bilder wegen der Kürze der Zeit gar nicht bewusst
wahrgenommen werden.

Bei der Gesichtererkennung sind es verschiedene Regionen im Gehirn, die als ein-
zelne Komponenten eines Netzwerks zusammen wirken und in Sekunden-Bruch-
teilen von der Erkennung eines Gesichtsausdrucks zu einer eigenen emotionalen
Reaktion führen.

Die Mimik spielt selbst bei der neuroökonomischen Forschung eine Rolle. Faires
oder unfaires Verhalten wird am Gesicht erkannt und das Gehirn der Testpersonen
reagiert entsprechend mit Zustimmung oder Ablehnung.

Gefühle anderer Menschen selbst erleben

Warum sind Gefühle und Verhalten ansteckend? Hier kommen die so genannten
Spiegelneurone ins Spiel. Wir wissen, dass geistig gesunde Menschen in der Lage
sind, mit anderen mitzufühlen, und sie dieses Mitgefühl, selbst wenn sie es wollen,
nicht ohne weiteres abschalten können. Was dabei jedoch im Kopf passiert, wurde
erst Anfang der 1990er Jahre bei Affen entdeckt und wird erst seitdem weiter er-
forscht.

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Heute nimmt man an, dass auch die Menschen Neuronen besitzen, die die „Spie-
gelfunktion“ wahrnehmen, ohne sich allerdings erkennbar von anderen Neuronen
zu entscheiden. Sie ermöglichen es offensichtlich, dass man die Gefühle anderer
selbst erlebt und in diesem Sinne nachfühlen kann.

Eigentlich wollten die drei Neurophysiologen Giacomo Rizzolatti, Vittorio Gallese


und Leonardo Fogassi im italienischen Parma die Bewegungsplanung im Säuge-
tiergehirn untersuchen. Deshalb hatten sie im Gehirn eines Makaken, einer kleinen
Affenart, einige Elektroden in einem Bereich platziert, in dem Handlungen geplant
und angestoßen werden. Dann passierte während der Versuche etwas Merkwür-
diges.

Das Messgerät registrierte ein Signal, ohne dass der Affe sich bewegte. Es reichte
aus, dass das Tier beobachten konnte, wie einer der Forscher selbst nach einer
Rosine griff, um im Gehirn genau die Nervenzellen zu aktivieren, die für eben diese
Bewegungen verantwortlich sind.

Da die prämotorische Nervenzelle offensichtlich eine Doppelfunktion hatte, die


nicht nur die eigenen Funktionen steuerte, sondern auch das Beobachtete spie-
gelte, nannten die italienischen Forscher ihre Entdeckung „Spiegelneurone“. Als sie
dem Phänomen weiter nachgingen, stellte sich heraus, dass Spiegelneurone auch
schon dann aktiv wurden, wenn der Affe nur das Knacken einer Erdnussschale
hörte.

Dadurch, dass wir mit Hilfe dieser Neurone intern Handlungen simulieren und ihren
Ausgang vorweg nehmen, können wir auch die Absicht fremder Aktionen verste-
hen. Seither haben die Spiegelneurone als Erklärungsmodell ständig mehr Zulauf
bekommen, obgleich das Verhalten einzelner Zellen beim Menschen bis heute
kaum zu untersuchen ist. Experimente unter dem Einsatz bildgebender Verfahren
deuten jedoch darauf hin, dass die Spiegelungsphänomene in vielen Hirnregionen
vorkommen.

Wenn allerdings von einer neuen Klasse von Nervenzellen die Rede ist, dann muss
man dies als Irreführung bezeichnen, denn rein äußerlich unterscheiden sich Spie-
gelneurone in nichts von gewöhnlichen Neuronen. Es ist auch noch nicht klar, ob
Spiegelneurone eine bestimmte Bewegung repräsentieren oder nur deren Inten-
tion. Was jedoch sicher zu sein scheint ist, dass das Spiegeln in der Großhirnrinde
des Menschen ein verbreitetes Funktionsprinzip ist.

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Diese emotionalen Resonanzphänomene kann man, wenn überhaupt, nur be-


grenzt beeinflussen. Denn die Neuronen reagieren auf Signale, die sich einer be-
wussten Wahrnehmung entziehen. Dadurch sind sie sehr schnell, erfordern keine
Aufmerksamkeit und sind vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen auch in
gewisser Weise unbestechlich.

Gefühle lassen sich auch ohne Worte übertragen

In der Psychotherapie wird viel mit dem Phänomen der Übertragung gearbeitet.
Übertragung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jemand ein Gefühl über-
trägt, ohne es ausgesprochen zu haben. Wir alle kennen die Situation, wenn wir
einem anderen Menschen gegenüber stehen und plötzlich eine Aggression gegen
diesen verspüren. Die muss nicht aus uns selbst heraus kommen, weil wir diesen
Menschen kennen oder über ihn negative Informationen haben, sondern wir stel-
len fest, dass dieser Mensch offensichtlich eine Aggression gegen uns hat, die er
auf uns überträgt. Das heißt, wir reflektieren quasi ein Gefühl unseres Gegenübers.

Eine besondere Bedeutung hat die Gefühlsübertragung bei jeder persönlichen


Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Schauspieler sind
zum Beispiel in der Lage, die Gefühlsübertragungen, die sie auslösen, sehr genau
zu kalkulieren und zu kontrollieren, das ist schließlich ihr Beruf. Aber nicht jede
Führungskraft ist schauspielerisch begabt. Deshalb wird es für sie deutlich schwie-
riger, ihr Verhalten zu kontrollieren, auch wenn sie versucht, nach Möglichkeit jede
emotionale Regung zu unterdrücken.

Man darf nicht vergessen, dass das Prinzip „Man kann nicht nichtkommunizieren“
auch für alle Arten mimischer oder stimmlicher Mikrosignale gilt. Entweder sendet
man ständig sich widersprechende Signale aus oder zeigt eine versteinerte Miene,
die nicht zu den angestrebten Zielen passt.

Zusammenfassung

Die direkte Kommunikation zwischen Menschen verfügt über die höchste Qualität
und Informationsdichte. Dabei sind mehr Hirnregionen beteiligt als zum Beispiel
beim Lesen einer schriftlichen Nachricht. Fakten und Gefühle lassen sich nicht von-
einander trennen. Der Versuch, dies doch zu tun, führt oft zu Fehlinterpretationen
und Missverständnissen.

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Leadership-Praxis

Überschätzte Fakten – unterschätzte Subjektivität

Die meisten Führungskräfte halten sich für rational und logisch handelnde Men-
schen, die sich überwiegend – oder manche glauben sogar ausschließlich – an
Zahlen, Fakten und messbaren Parametern orientieren. Entsprechend schätzen sie
auch ihr eigenes Verhalten und ihre Kommunikationsweise ein. Allein schon die
Vermutung, dass sie selbst subjektiven Einflüssen unterliegen und andere Men-
schen ebenfalls subjektiv beeinflussen, bereitet ihnen Unbehagen und sie versu-
chen dies zu eliminieren.

Natürlich weiß jeder, dass Ehrlichkeit, Fairness und Respekte die beste Grundlage
für ein soziales Miteinander bilden. Aber jeder weiß auch, dass Ehrlichkeit und Fair-
ness sich zum Beispiel in Preisverhandlungen keineswegs immer auszahlen und
dass Respekt oft nicht der Person, sondern nur der Funktion und dem Status gel-
ten.

Verbale und nonverbale Kommunikation müssen übereinstimmen

Ein gewisses Maß an Unehrlichkeit, zum Beispiel in Form von Schmeicheleien, Über-
treibungen oder Versprechen kann sogar als soziales „Schmiermittel“ motivierend
wirken und in manchen Fällen sogar der eigenen Karriere förderlich sein. Das Pro-
blem besteht allerdings meist darin, dass zwischen dem, was man verbal kommu-
niziert, und dem, was parallel dazu nonverbal beim Gegenüber ankommt, häufig
eine Diskrepanz besteht, die dieser durchaus erkennt.

Am besten ist es also, wenn man von dem, was man sagt, selbst überzeugt ist und
so eine Einheit von verbaler und nonverbaler Botschaft herstellt. Das gelingt am
einfachsten, wenn man genau auf die Wahl seiner Worte achtet. Kleinere Über-
treibungen und Ausschmückungen wird der Gesprächspartner eher verzeihen als
platte Lügen.

Auch viele Hinhaltetaktiken und leere Versprechungen werden in der Regel leicht
durchschaut.

Die Gesprächspartner wissen zwar meist nicht, warum sie dem Gesagten nicht
glauben. Das liegt ganz einfach daran, dass wir in Worten und Begriffen denken
und die großen Gefühle wie Freude mit Lachen und Trauer mit Weinen entspre-
chend benennen können, aber keine Begriffe für Mikrosignale haben, wie ein ner-
vöses Zucken der Mundwinkel, einen ausweichenden Blick oder ein verkrampftes

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Lächeln. Dennoch wissen wir, wie wir es in dem Augenblick, in dem wir es wahrneh-
men, zu deuten haben.

Einem Verkäufer, der uns „den niedrigsten Preis“ nennt, der ihm möglich ist, und
uns dabei nicht in die Augen blickt, sondern seinen Blick nervös durch den Raum
irren lässt, signalisiert uns eigentlich nur, dass wir noch nicht am Ende der Verhand-
lungen angekommen sind und er auf ziemlich platte Weise lügt.

Hätte er seine Aussage nur anders formuliert und nicht gesagt, „Wenn ich weiter
runter gehe, liege ich unter dem Einkaufspreis“, sondern stattdessen die Formu-
lierung gewählt, „Ich mache Ihnen jetzt ein Angebot, zu dem Sie nicht nein sagen
werden“, dann hätte er dem Kunden wahrscheinlich schon in die Augen blicken
können. Denn dann hätte er die Einheit von nonverbaler und verbaler Botschaft
hergestellt.

Inhalts- und Beziehungsaspekt beachten

Oft besteht das Problem in Gesprächen auch darin, den Inhalts- und den Bezie-
hungsaspekt in Einklang zu bringen. Es kann durchaus sein, dass man eine Ge-
haltserhöhung verweigern muss, auch wenn man die Leistungen des Mitarbeiters
durchaus anerkennt. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, die Inhalts- und Bezie-
hungsebene voneinander zu trennen und das Thema der Leistungsanerkennung
auf einer Metaebene zu klären. Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie Ihre eige-
nen Aussagen von einer höheren Warte betrachten, sie analysieren und erklären.
Inhaltlich bleibt es bei einem „Nein“, doch auf der Beziehungsebene wird Einigkeit
hergestellt.

2.4 Gesichter erkennen und deuten

Das Erkennen und Deuten von Gesichtern ist als ein Rest des archaischen Den-
kens fest in unseren Gehirnen verankert. Die Forschung kennt zwar die Teile des
Gehirns, in denen Gesichter repräsentiert sind – es sind die „Fusiform Face Area“
und der Mandelkern. Was die Wissenschaft allerdings noch nicht herausgefunden
hat, ist, welche Informationen dort gespeichert und zur Beurteilung herangezo-
gen werden. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass es geschieht, und bei verschie-
denen Menschen auch auf durchaus ähnliche, oft sogar gleiche Weise. Die beiden
Forscher John Antonakis und Olaf Dalgas haben das in einem beeindruckenden
Experiment nachgewiesen.

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Gesichter erkennen und deuten 2
684 erwachsenen Schweizern wurden paarweise Bilder von Gesichtern der Kandi-
daten für die Parlamentswahl in Frankreich im Jahr 2002 vorgelegt. Zum Zeitpunkt
des Experiments lag die Parlamentswahl rund sechs Jahre zurück, und man konnte
sicher sein, dass die Schweizer unbekannte französische Abgeordnete, die sich
nicht durch besondere politische Aktivitäten hervorgetan hatten – man könnte
also auch sagen, Hinterbänkler – nicht in ihrem Gedächtnis gespeichert haben.
Jetzt wurden die Schweizer gefragt, welchen der beiden Kandidaten sie für kom-
petenter hielten und wer von den Kandidaten wohl gewählt worden war.

Das Ergebnis war erstaunlich. 71 Prozent der befragten Schweizer sagten allein auf
der Grundlage der Fotos das Wahlergebnis korrekt „vorher“. Es handelte sich bei
diesen Fotos übrigens nicht etwa um Wahlplakate, auf denen sich die Kandidaten
besonders vorteilhaft zu präsentieren versuchen, sondern einfach nur um Bilder
von Passbildqualität, wie sie in allen Ländern in Parlamentshandbüchern veröffent-
licht werden. Die Kandidaten auf den Schwarz-Weiß-Fotos sahen, ehrlich gesagt,
beide nicht sonderlich attraktiv aus.

Doch das Experiment war noch nicht zu Ende und wurde in seinem Ergebnis noch
interessanter. Anschließend wurden nämlich dieselben Bilder Kindern vorgelegt.
Im Rahmen eines Computerspiels sollten sie entscheiden, welche der beiden Per-
sonen der Kapitän ihres Schiffs werden sollte, mit dem sie sich auf eine Abenteu-
erreise begeben würden. Wahrscheinlich ahnen Sie schon, welches Ergebnis dabei
herauskam. 72 Prozent der Kinder entschieden sich für den gewählten Abgeordne-
ten als Kapitän für ihr Schiff.

Die Ergebnisse der Entscheidungen der Erwachsenen und die der Kinder zeig-
ten also nur einen minimalen Unterschied von einem Prozentpunkt und waren
somit praktisch identisch. Der Wahl liegt also ein „archaisches“ Kompetenzurteil
zugrunde, dessen Basis in den Gesichtsmerkmalen der beiden Kandidaten liegen
muss. Die Frage ist nur, welche Merkmale das wohl sind. Die Testpersonen selbst
wussten es definitiv nicht. Einer der beiden Kandidaten sah einfach kompetenter,
erfolgreicher und vertrauenswürdiger aus.

Natürlich sind bei einem solchen Test die befragten Menschen durchaus in der Lage,
ihre Entscheidung mit rationalen Argumenten zu unterstützen. Nur haben diese
Argumente leider keine Bedeutung, weil die nachträgliche Rechtfertigung der Ent-
scheidung weder einheitlich noch relevant ist. Die Begründungen, die man erhält
und die für einen der Kandidaten sprechen, könnten ebenso auf die andere Person
Anwendung finden, wenn nicht beide Gesichter nebeneinander präsentiert würden.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Schon seit Langem weiß man aufgrund der Alltagserfahrung, dass Menschen in
der Lage sind, auf der Basis von Gesichtsmerkmalen Kompetenzurteile über an-
dere abzugeben. Und natürlich haben sich Gesichts- und Schädeldeuter schon seit
Jahrhunderten bemüht, die Merkmale des menschlichen Kopfes zu kategorisieren.
Doch die Ergebnisse liegen aus wissenschaftlicher Sicht eher im Bereich des Zufalls
oder der Scharlatanerie. Auch wenn die Gesichtsdeuter von ihren Fähigkeiten ähn-
lich überzeugt sind wie die Astrologen von ihrer Fähigkeit, aus dem Stand sowie
dem Lauf der Sterne und Planeten das Schicksal einzelner Menschen herauslesen
zu können, fehlt es an stichhaltigen Beweisen.

Wir sind einfach noch nicht in der Lage, dieses archaische Wissen in den Tiefen
unseres Gehirns zu entschlüsseln. Während die Mimik sowohl aus solchen archa-
ischen und durch die Evolution weitergereichten Elementen besteht als auch aus
angelernten sozialen und kulturellen Komponenten, und bereits gut erforscht
wurde, ist das bei der Physiognomie noch nicht der Fall.

Da Gesichtsbeurteilungen ganz archaisch fixiert sind, haben sie eine große Bedeu-
tung für unser und in unserem Leben. Während wir die Mimik eines Menschen wis-
senschaftlich durchaus analysieren und deuten können, auch wenn es sich um nur
Sekundenbruchteile andauernde Mikroausdrücke handelt, wird die Wirkung von
Gesichtsbeurteilungen auf unsere Entscheidungen völlig unterschätzt. Gesichter
signalisieren wohl in erster Linie Vertrauenswürdigkeit. Doch das ist allenfalls eine
erste Vermutung und wissenschaftlich noch nicht bewiesen.

Die Konsequenz daraus würde bedeuten, dass jemand, der das „falsche“ Gesicht
hat, dieses durch Mimik, Körperhaltung, Stimme und Sprache kompensieren muss.
Die Gesichtsbeurteilung ist also nur eine Komponente innerhalb eines Gesamtbilds,
das wir uns von einem anderen Menschen machen. Es ist sicherlich ein wichtiger
Bestandteil des ersten Eindrucks, der allerdings durch weitere Eindrücke entweder
verstärkt oder korrigiert wird.

Schauen wir weit in die Geschichte der Menschheit zurück, war das Erkennen und
Beurteilen eines Gesichts von elementarer Bedeutung und entschied wahrschein-
lich oft über Leben und Tod. Die Menschen, die in der Gesichtsbeurteilung beson-
ders gut waren, hatten einfach bessere Überlebenschancen und konnten sich er-
folgreicher fortpflanzen. Nicht umsonst erkennen wir selbst in den Gesichtern von
Tieren menschliche Züge, die wir leider auch manchmal falsch interpretieren. Was
wir für ein Lachen halten, ist in Wahrheit eine Drohung. Aber diese Überlegungen
führen vom eigentlichen Thema weg.

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Gesichter erkennen und deuten 2
In unserer heutigen Mediengesellschaft präsentieren sich die Menschen, die et-
was von uns wollen, ganz anders als in der Steinzeit, wenn sie uns zufällig in der
Savanne begegneten. In den Medien können Menschen sich wirkungsvoll in Szene
setzen und dabei andere über ihre tatsächlichen Absichten täuschen. Manchmal
kann es gut und richtig sein, auf sein Gefühl zu hören, aber es kann auch ebenso
oft richtig sein, einen ersten Eindruck zu einem späteren Zeitpunkt zu korrigieren.
Wichtig ist aber, dass jeder, der um das Vertrauen anderer wirbt, sich der Aspekte
bewusst sein muss, die er oft genug unkontrolliert kommuniziert. Es ist durchaus
möglich, dass manche Führungskräfte von ihren Mitarbeitern abgelehnt werden,
ohne dass sie den Grund dafür herausfinden können. Vielleicht liegt es nur daran,
dass sie das „falsche“ Gesicht haben.

Zusammenfassung

Die Fähigkeit zum Erkennen und Deuten von Gesichtern ist fest in unserem Gehirn
verankert. Mit richtigen Urteilen von über 70 Prozent liegt man deutlich über einer
rein zufälligen Trefferquote. Was hauptsächlich erkannt wird, ist Führungskompe-
tenz. Differenzierte Charaktereigenschaften bleiben sowohl beim ersten Eindruck
als auch bei der differenzierten Analyse eines Gesichts verborgen.

Leadership-Praxis

Der erste Eindruck, den uns das Gesicht eines Menschen innerhalb von Zehntelse-
kunden vermittelt, bezieht sich hauptsächlich auf die Vertrauenswürdigkeit, die
Neigung zur Dominanz und die Intelligenz des anderen. Beim Gesichterlesen kön-
nen uns durchaus Fehler unterlaufen. Dennoch sollten wir auf eine spontane Erst-
beurteilung nicht verzichten, weil sie den tatsächlichen Eigenschaften zumindest
sehr nahe kommt.

Attraktive Gesichter führen fast automatisch zu einer ganzen Reihe von positiven
Urteilen, die sich später leider auch als falsch herausstellen können. Es ist zwar
tatsächlich so, dass attraktive Menschen extrovertierter sind als weniger attraktive
Menschen, aber Extroversion ersetzt in der Regel weder Können noch Zuverlässig-
keit. Ein symmetrisches Idealgesicht bedeutet auch nicht unbedingt eine höhere
Verträglichkeit im Umgang mit anderen Menschen. Um das zu erkennen, muss man
sich nur die Berichte über die Marotten und Macken von Film- und Fernsehstars in
Erinnerung rufen.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Wann also ist der erste Eindruck in der Leadership-Praxis von besonderer Bedeu-
tung? Er hilft nicht unbedingt bei der Suche nach positiven Kriterien, sondern
dient eher als Warnsignal, wenn er Hinweise auf Aggression oder Unehrlichkeit lie-
fert. Resultiert aus solchen Eindrücken ein vorsichtigeres Verhalten, ist das besser,
als anderen Menschen vertrauensselig auf den Leim zu gehen.

Man muss sich allerdings auch stets selbst beobachten, damit die ersten Eindrücke
nicht zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden, und das Verhalten des
anderen nur eine Reaktion auf unser Handeln ist. Die Präzision der Vorhersagen
nimmt übrigens stark ab, wenn man versucht, sie durch rationale Fakten zu unter-
mauern und Begründungen nachzuliefern, die ihre Richtigkeit bestätigen.

2.5 Verhalten vom Unbewussten ins


Bewusstsein heben

Leider ist kein Mensch in der Läge, sich seiner unbewussten Gedanken, Motive und
Wertvorstellungen im Voraus bewusst zu werden. Also kann er auch die damit ver-
bundenen Signale erst dann kontrollieren, wenn sie eingeleitet wurden.

Deshalb ist es durchaus sinnvoll, einen erfahrenen Analytiker und Berater hinzuzu-
ziehen und sich eventuell auch Meinungen und Vorschlage anzuhören, die einer
Führungskraft unangenehm sind und vielleicht nicht in ihr Selbstkonzept passen.
Je exponierter ihre Position ist, desto beratungsoffener sollte die Führungskraft
gerade in diesen Dingen sein.

Entwickelt man jedoch ein bestimmtes Körperbewusstsein und achtet man selbst
in verzwickten Situationen auf die eigenen Reaktionen, dann kann man sein eige-
nes Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben und zumindest zu einem
bestimmten Teil darauf reagieren.

Die meisten zunächst unbewussten Bewegungen lassen sich dann durch bewusste
Willensentscheidungen unter Kontrolle bringen, so dass sie besser den gewünsch-
ten Signalen entsprechen. Besonders gilt dies für Angstreaktionen und Nervosität.
Hier können auch ganz bestimmte mentale Übungen helfen, unerwünschte Sig-
nale zu unterdrücken. Oft gelingt es dann nur noch geschulten Betrachtern, die
tatsächlichen Gefühle zu entschlüsseln.

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Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben 2
Das bedeutet allerdings nicht, dass es in jeder Situation sinnvoll ist, seine Gefühle
zu unterdrücken, besonders dann nicht, wenn sie positiver Natur sind. Leider ist
es aber so, dass gerade das des Öfteren geschieht, während negativen Signalen
freier Lauf gelassen wird. Den meisten Führungskräften fällt es erstaunlicherweise
leichter, Kritik zu üben, als ein Lob auszusprechen.

Zusammenfassung

Jede Führungskraft sollte eine Vertrauensperson haben, die fähig ist, auf allge-
meine Lebensfragen ein qualifiziertes Feedback zu geben und konstruktiv Kritik zu
äußern. Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit sind als Erziehungsziele schon seit
einigen Jahrzehnten aus der Mode gekommen und müssen deshalb im Erwachse-
nenalter speziell trainiert werden.

Leadership-Praxis

Anerkennung spenden braucht Achtsamkeit

Theorie und Praxis klaffen bei Fragen der richtigen Führung oft weit auseinander.
Doch nirgends ist der Unterschied so groß wie beim Thema Anerkennung. 90 Pro-
zent aller Führungskräfte sind davon überzeugt, dass man die Leistungen der Mit-
arbeiter am besten dadurch steigert, dass man ihnen Lob und Anerkennung spen-
det. Warum sich dann andererseits rund 60 Prozent der Arbeitnehmer weder von
ihren Chefs geschätzt noch in ihren Leistungen gewürdigt fühlen, bleibt ein Rätsel.

Kein anderes Instrument fördert den Erfolg eines Unternehmens so nachhaltig wie
die richtigen Worte zur rechten Zeit. Doch sie bleiben einfach aus. Können die
Chefs nicht loben oder wollen sie es nicht, da sie vermuten, dass man ihnen ohne-
hin nicht glaubt, oder weil sie fürchten, dass der Mitarbeiter dann sofort Gehalts-
forderungen stellt? Oder ist es tatsächlich so, wie die Mitarbeiter vermuten, dass
sie ihren Vorgesetzten meist ziemlich gleichgültig sind?

Wenn die Erfahrung der Anerkennung fehlt

Tatsächlich ist es wohl so, dass den meisten Führungskräften ganz einfach die Er-
fahrung fehlt, selbst anerkannt zu werden. Wer selbst keine Anerkennung erfährt,
hat es schwer, sie an andere weiterzugeben. Die Spitzenkräfte der deutschen
Wirtschaft werden von der Öffentlichkeit stets kritisch beäugt und unabhängig

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davon, welche Entscheidung sie auch treffen und welche Ergebnisse sie auch vor-
weisen, stets werden ihnen negative Motive unterstellt. Kein Wunder, dass sie An-
erkennung nur schwer weitergeben können.

Die meisten Führungskräfte müssen sich selbst belohnen und können die Anerken-
nung ihrer Leistungen nur an ihrem Gehaltskonto ablesen. Für die Mitarbeiter zahlt
es aber nicht, wenn die oberste Führungsriege einmal im Jahr pauschal die im Un-
ternehmen erbrachten Leistungen würdigt. Was sie brauchen, ist die Anerkennung
durch den direkten Vorgesetzten.

Anerkennung muss maßgeschneidert sein

Dabei reicht es nicht, dass dieser nur ein paar Worthülsen absondert, wenn er sein
Team auf ein paar notwendig werdende Überstunden einstimmen möchte. Aner-
kennung muss ehrlich sein und von Herzen kommen. Dabei ist es wichtig, die An-
erkennung auf eine ganz konkrete Leistung hin maßgeschneidert zu formulieren.
Weiß der Vorgesetzte nicht, was sein Mitarbeiter tatsächlich geleistet hat, kann er
auch nicht loben.

Anerkennung muss sowohl die Inhalts- als auch die Beziehungsebene umfassen.
Wer lobt, hebt den Mitarbeiter in diesem Moment auf Augenhöhe. Das ist beson-
ders wichtig. Anerkennung sollte durchaus öffentlich erfolgen, denn das steigert
ihren Wert ganz erheblich. Wer dann allerdings die Leistungen des einen Mitarbei-
ters mit den Leistungen eines anderen vergleicht, weil er glaubt, diesen dadurch
motivieren zu können, macht nicht nur einen groben Schnitzer, sondern vergiftet
auch die Arbeitsatmosphäre seines Teams.

Die Führungskraft sollte auch immer ganz sicher sein, dass sie dem richtigen Mit-
arbeiter die Anerkennung ausspricht und nicht etwa demjenigen, der sich mit
fremden Federn schmückt. Auch eine Anerkennung, die von einer Führungskraft
ausgesprochen wird, die überhaupt nicht in der Lage ist, die Leistungen eines
bestimmten Mitarbeiters zu beurteilen, weil sie diesen vielleicht überhaupt nicht
kennt, wirkt aufgesetzt und bewirkt oft das Gegenteil.

Fehler bei der Formulierung vermeiden

Leider werden bei der Formulierung von Lob und Anerkennung häufig vollkommen
unabsichtlich böse Fehler gemacht. Entweder wird das Lob mit unerreichbaren zu-
künftigen Forderungen verbunden, es werden andere herabgesetzt oder aber die
Führungskraft stellt sich unabsichtlich selbst in den Mittelpunkt, weil die Mitarbei-
ter genau das getan haben, was sie von ihnen erwartete.

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Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein heben 2
Auch Formulierungen wie „also, es geht doch“ oder „Sie haben sich ja wenigstens
Mühe gegeben, aber“ wirken auf den Mitarbeiter ebenso vernichtend wie Formu-
lierungen, die da lauten „ich dachte gar nicht, dass Sie das können“ oder „das ist
ja besser als erwartet“.

Wer Anerkennung spenden will, sollte also sehr genau auf seine Worte achten und
sie sich am besten schon vorher überlegen, bevor er die Anerkennung ausspricht.
Dazu gehören eine gehörige Portion Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit. Damit
wären wir bei dem Teil, wie man sein eigenes Verhalten ins Bewusstsein heben
kann.

Achtsamkeit wird heute noch unterschätzt

Der Begriff Achtsamkeit wird in der deutschen Sprache hauptsächlich im Zusam-


menhang mit Spiritualität, speziell im Buddhismus, und in der Verhaltenstherapie
verwendet. Dabei geht es einerseits um eine verbesserte Selbsterfahrung, ande-
rerseits um die Beeinflussung von Krankheitssymptomen und den Erhalt der Ge-
sundheit, zum Beispiel durch Stressreduzierung. In Management-Theorien hat
Achtsamkeit so gut wie keine Bedeutung.

Das ist in den USA anders. Hier existiert bereits ein Arbeitsbereich, der sich Neuro-
science of Mindfulness nennt und in dem einerseits mit neurowissenschaftlichen
Methoden untersucht wird, was im Gehirn von meditierenden Menschen geschieht
und andererseits, wie weit die daraus gewonnenen Erkenntnisse auch auf Alltags-
situationen angewandt werden können.

„Sich etwas von der Seele reden“ wirkt positiv

Jeder von uns kennt wahrscheinlich die befreiende Wirkung, die es hat, wenn man
mit einem anderen Menschen über Ärger, Trauer oder andere Dinge, die einen be-
drücken, sprechen kann. „Sich etwas von der Seele reden“ hat befreiende und
erleichternde Wirkung. Doch warum ist das so? Dieser Frage ging der Neuropsy-
chologe Matthew D. Lieberman mit seinem Team an der Universität von Kalifornien
in Los Angeles nach.

Dazu beobachtete er die Hirnaktivitäten seiner Probanden im Magnetresonanzto-


mografen, während er ihnen die Bilder von ärgerlichen oder ängstlichen Gesichtern
zeigte. Das Ergebnis war, dass in beiden Fällen die Amygdala sofort in einen Alarm-
zustand versetzt wurde, was dazu dient, auf eine Gefahrensituation zu reagieren.
Selbst wenn die Bilder nur so kurz gezeigt wurden, dass sie kaum ins Bewusstsein
drangen, reagierte der Mandelkern wie erwartet.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Nun wurde der Versuch variiert, indem den Gesichtsbildern die Namen Harry und
Sally beigegeben wurden und die Teilnehmer dem Gesicht den Namen mit dem
passenden Geschlecht zuordnen sollten. Auch jetzt änderte sich in den Hirnaktivi-
täten nichts. Das war erst der Fall, als dem gezeigten Gesicht die jeweilige Emotion
„wütend“ oder „ängstlich“ zugeordnet werden sollte. Plötzlich schwächte sich die
Reaktion der Amygdala deutlich ab.

Gleichzeitig beobachteten die Forscher eine Aktivierung des rechten ventrolatera-


len präfrontalen Cortex. Diese Region hat offensichtlich die Funktion, emotionale
Erfahrungen in Worte zu fassen und dadurch andere Reaktionen zu unterbinden.
Ganz simpel bedeutet das, eine emotionale Reaktion wird schwächer oder ganz
unterbunden, wenn man sie ausdrücklich benennt. Lieberman kam zu dem Schluss,
dass man unerwünschte Gefühle gar nicht bewusst unterdrücken oder ihre Ursa-
chen hinterfragen muss, um sie abzuschwächen, es reicht, sie zu benennen.

Die Kontrolle seiner Emotionen kann man trainieren

Das zeigte sich auch in Versuchen, die der Psychoimmunologe David Creswell
anstellte. Personen, die achtsam mit ihren Emotionen umgingen, unterdrückten
Reaktionen der Amygdala durch die Aktivierung des ventrolateralen präfronta-
len Cortex. Insofern darf man durchaus annehmen, dass man die Kontrolle seiner
Emotionen trainieren kann, indem man sein eigenes Gefühlsleben beobachtet und
es in Worten beschreibt. Dazu muss man diese Gefühle nicht einmal aussprechen
oder aufschreiben, obgleich beides sicherlich hilfreich ist.

Inzwischen gibt es bereits erste Trainingsprogramme, um auf der Basis dieser Er-
kenntnis das eigene Verhalten vom Unbewussten ins Bewusstsein zu heben und
damit zu kontrollieren. Vertreter der Neuroleadership in den USA gehen davon aus,
dass man auf diese Weise nicht nur sich selbst besser kontrollieren kann, sondern
auch sein Einfühlungsvermögen schult, bessere Entscheidungen treffen kann und
Stress vermeidet. Vielen Menschen mag dies zu simpel klingen. Doch einen Selbst-
versuch ist es durchaus wert.

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Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 2
2.6 Wie wir Täter oder Opfer werden –
Problemfall Mobbing

Dieses Kapitel hat in gewisser Weise eine Scharnierfunktion. Es greift sowohl das
vorher Gesagte noch einmal auf, aber es enthält auch Hinweise auf die folgenden
Kapitel. In der Evolution hat sich das menschliche Gehirn so entwickelt, dass der
Mensch als soziales Wesen angelegt und zur Kooperation fähig ist.

Jedoch bezieht sich dieses Sozialverhalten nicht auf die Menschheit an sich, son-
dern immer nur auf die Gruppe, zu der sich der Mensch zugehörig fühlt und die ihn
ebenfalls als ein Teil der Ihren akzeptiert. Diesen Gruppenmechanismus finden wir
auch heute noch überall in der Gesellschaft und nicht nur bei den Stämmen der
Ureinwohner Neuguineas. Ob sich nun Völker oder Volksgruppen versuchen ge-
geneinander abzugrenzen, ob es die Anhänger verschiedener Fußballvereine sind
oder auch nur verschiedene Abteilungen eines Unternehmens, stets finden wir die
gleichen Mechanismen.

Jede Gruppe braucht etwas, was ihr Identität gibt, jede Gruppe hat eine eigene
Ordnung, die sich in geschriebenen und ungeschriebenen Regeln niederschlagt,
und in fast jeder Gruppe gibt es eine Hierarchie, die mehr oder weniger stark aus-
geprägt ist. Die Ordnung innerhalb der Gruppe wird über Belohnung und Bestra-
fung aufrechterhalten.

Der Schweizer Neuroökonom Ernst Fehr vermutet, dass die Menschen von Natur
aus auf Gleichheit ausgerichtet sind. Da sich aber bei absoluter Gleichheit die
Ordnung in einer Gruppe schwerer aufrechterhalten lässt als in einer hierarchi-
schen Gruppe, vermute ich, dass die Menschen eher dazu tendieren, sich über-
oder unterzuordnen, auch wenn wir die damit verbundenen Mechanismen im
Gehirn noch nicht genau kennen. Fehr geht davon aus, dass in der Geschichte
der Menschheit die private Bestrafung von abweichendem Verhalten eine große
Rolle gespielt hat, weil es keine entsprechenden Institutionen dafür gab und
nur so eine funktionierende Kooperation herbeigeführt werden konnte. Dieses
private Bestrafen können wir auch heute noch anhand von Hirnaktivitäten in
Experimenten nachweisen.

Ein generelles Problem im menschlichen Verhalten und speziell bei Kooperationen


stellt die Langfristigkeit dar. Obgleich wir alle wissen, dass langfristige Lösungen
generell wirksamer und damit besser sind, neigt der Mensch, wie wir ebenfalls aus
Experimenten wissen, doch dazu, kurzfristige Vorteile den langfristigen vorzuzie-
hen. Wir sind durchaus in der Lage, die langfristigen Folgen unseres aktuellen Ver-

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

haltens zu erkennen, nur werden sie meist nicht berücksichtigt. Wir handeln also
oft wider besseren Wissens.

Das trifft nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Gruppen zu. Gruppenent-
scheidungen mögen in vielen Fällen zwar kurzfristig das Belohnungssystem einzel-
ner oder auch mehrerer Personen stimulieren, langfristig kann aber durchaus die
Gefahr entstehen, dass die Gruppe durch kurzfristiges Denken letztlich zerstört
wird. Damit wären wir beim Thema Mobbing angelangt.

Beim Mobbing definieren einige Mitglieder einer Gruppe das, was die Identität die-
ser Gruppe ausmachen soll, wer dazugehört und wer nicht. Sie schaffen eine neue
Ordnung, die festlegt, wer die Täter- und wer die Opferrolle zu übernehmen hat.
Doch diese Ordnung funktioniert nur kurzfristig. Langfristig wird sie der Gruppe
schaden und diese zerstören. Das Hauptproblem bei jeder Form sozialen Verhal-
tens, sowohl bei positiven wie auch bei negativen Aktionen, besteht leider darin,
dass es meist nur kurzfristig ausgelegt ist, weil die Menschheit noch nicht in der
Lage ist, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit in ihr Verhalten zu integrieren. Insofern
befinden wir uns hier noch in einer Lern- und Entwicklungsphase.

Leadership-Praxis

Mobbing – eine konfliktbelastete Kommunikation

Unter Mobbing versteht man eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeits-


platz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der das
Opfer unterlegen ist und von einer oder mehreren anderen Personen systematisch
und während längerer Zeit direkt oder indirekt angegriffen wird mit dem Ziel oder
dem Effekt der Ausgrenzung, wobei die angegriffene Person dies als Diskriminie-
rung erlebt.

Umfragen zeigen, dass bereits jeder achte Beschäftigte in Deutschland bei seinem
aktuellen Arbeitgeber schon einmal das Ziel solcher Machenschaften geworden
ist. Die Folge waren meist doppelt so hohe Fehlzeiten im Unternehmen wie durch-
schnittlich üblich. Rund 40 Prozent der Mobbing-Aktivitäten wurden vom direkten
Vorgesetzten persönlich durchgeführt, 15 Prozent wurden gemeinsam von Vorge-
setzten und Kollegen des Opfers betrieben und 45 Prozent allein von den Kollegen.

Zahlen darüber, wie weit die Kollegen eines Mobbing-Opfers vom Vorgesetzten
angestiftet worden sind, ohne dass dieser sich selbst beteiligt, und in welchem

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Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 2
Ausmaß er es billigte oder duldete, sind nicht bekannt. Grundsätzlich sollte man
jedoch davon ausgehen, dass Führungskräfte Mobbing-Aktivitäten in ihrem Be-
reich erkennen können und diese auch unterbinden würden, wenn sie nicht ihre
Zustimmung fänden.

Denn Mobbing schadet nicht nur einem einzelnen Mitarbeiter und beeinträchtigt
die Leistungsfähigkeit eines Teams oder einer Abteilung ganz erheblich, sondern
kann auch zu einer schlechten Gewohnheit werden, die beibehalten wird und sich
neue Opfer sucht, wenn das erste das Unternehmen verlassen hat.

Die drei Arten des Mobbings

Grundsätzlich werden in der Praxis drei verschiedene Arten des Mobbings unter-
schieden. Es gibt das so genannte Spaßmobbing, das Überzeugungsmobbing und
das Zweckmobbing.

1. Spaßmobbing

Das Spaßmobbing findet oft dann statt, wenn die Auslastung der Mitarbeiter so
gering ist, dass sie sich nach einem anderen Zeitvertreib umsehen müssen. Statt
vom Burnout-Syndrom spricht man dann von Boreout, denn auch Monotonie, Un-
terforderung und Desinteresse können zu Stresssituationen führen.

Ist es in einem solchen Fall nicht möglich, während der Arbeitszeit im Internet zu
surfen oder ausführliche private Telefongespräche zu führen, fangen manche
Arbeitnehmer eben auch an, aus lauter Unzufriedenheit schwächere Kollegen zu
schikanieren. Man macht auf ihre Kosten immer derbere Späße und sorgt für Plei-
ten, Pech und Pannen, wie man es aus dem Fernsehen gelernt hat.

Anfangs macht die Zielperson noch mit einem gequälten Lächeln mit, doch irgend-
wann wird dann aus Spaß Ernst. Werden die Vorgesetzten und Mitarbeiter, die an
dieser Form des Mobbings beteiligt sind, zur Rede gestellt, heißt es in der Regel:
„Das war doch nur Spaß. Wir wollten nicht, wir dachten nicht usw.“ Dass es für
denjenigen, der auf diese Weise gemobbt wird, keinen Spaß darstellt, kommt den
meisten Beteiligten gar nicht in den Sinn.

Spaßmobbing ist ein Beispiel dafür, wie das Belohnungssystem den präfrontalen
Cortex überstimmen kann. Ähnlich wie bei dem Schild „Sonderangebot“ in einem
Supermarkt schaltet das Belohnungssystem vernünftige Überlegungen einfach
weg, um „Spaß zu haben“.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Das Unangenehme dabei ist allerdings, dass das „Spaß haben“ zu einem dauerhaf-
ten Wunsch wird. Ähnlich wie Fernsehzuschauer, die immer neue Folgen einer Serie
sehen müssen, obgleich sie genau wissen, dass dort immer wieder dieselben Gags
präsentiert werden, kann sich auch der Spaßmobber immer wieder aufs Neue dar-
über amüsieren, wenn zum Beispiel die Bildschirmanzeigen seines Opfers in dessen
Abwesenheit verändert worden sind.

Spaßmobbing wird eben genau dadurch zum Mobbing, dass es nicht einmalige
Scherze sind, sondern quälende Wiederholungen. Dadurch ändert sich auch die
gesamte Situation und das situative Verhalten gewinnt Oberhand. Schließlich ar-
gumentierten auch die Aufseher im Gefängnis Abu Ghraib damit, dass sie mit den
Gefangenen nur Spaß haben wollten.

2. Überzeugungsmobbing

Noch schlimmer ist es beim Überzeugungsmobbing. Hier sind die Vorgesetzten und
Kollegen oft der Meinung, dass der Gemobbte „es gar nicht anders verdient hat“.
Weshalb das so ist, kann viele Ursachen haben.

Vielleicht will er sich selbst nicht an anderen Mobbing-Aktionen beteiligen, viel-


leicht macht er auch bei manchen kleinen Gaunereien innerhalb des Unternehmens
nicht mit oder er hat nur die falsche Religion, die falsche politische Überzeugung
oder eine Körperbehinderung. Wer auch nur in kleinsten Details anders ist als die
anderen, kann leicht zum Opfer des Überzeugungsmobbings werden.

Auch beim Überzeugungsmobbing spielt das Belohnungssystem eine zentrale


Rolle, allerdings eine andere als beim Spaßmobbing. Das Überzeugungsmobbing
ist eine Art altruistisches Bestrafen (vgl. Kapitel „Das Belohnungssystem – unter-
schätzt und falsch verstanden“).

Eigentlich hat altruistisches Bestrafen eine positive soziale Funktion. Es wird derje-
nige bestraft, der sich nicht an die sozialen Regeln hält, wofür der Strafende, wenn
schon keine direkten Vorteile, wenigstens ein positives Gefühl von seinem Beloh-
nungssystem erhält. Das Problem besteht nun darin, welchen sozialen Regeln in
einer Gemeinschaft Geltung verschafft werden sollen.

Längst nicht alle Regeln sind per se richtig und gut. Lautet eine der Regeln zum
Beispiel „Keine Toleranz gegenüber Andersdenkenden“, dann kann sich jeder sehr
leicht ausrechnen, wer innerhalb eines Teams oder einer Abteilung die Mobbing-
Opfer sein werden. Überzeugungsmobbing findet man überall dort, wo die so-

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Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 2
zialen und moralischen Werte einer auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
gerichteten Gesellschaft durch die Prinzipien einer autoritären und intoleranten
Ideologie überlagert werden.

3. Zweckmobbing

Auch wenn die beiden bisher vorgestellten Formen des Mobbings die Belastbar-
keitsgrenzen der Opfer soweit überschreiten können, dass es auch nicht mehr
hilft, sich ein „dickes Fell“ zuzulegen, am schlimmsten ist die Variante des so ge-
nannten Zweckmobbings, das heute immer häufiger stattfindet. Hierbei geht es
darum, einen Mitarbeiter durch schäbiges und demütigendes Verhalten zur Kün-
digung oder in größeren Unternehmen zur Bitte um Versetzung zu veranlassen.

Unter Kollegen geht es beim Zweckmobbing häufig nur um Kleinigkeiten. Es wird


am Stuhl gesägt, um den Arbeitsplatz am Fenster zu erhalten oder um aus dem
Großraumbüro in ein Einzelbüro umziehen zu können. Vielleicht möchte man auch
nur den etwas größeren Dienstwagen fahren dürfen.

Zweckmobbing vonseiten des Chefs findet man meist in kleinen und mittleren Un-
ternehmen, wenn es darum geht, so kostengünstig wie möglich Personal abzu-
bauen, überproportional gut bezahlte Mitarbeiter loszuwerden oder aber auch
erfolgreiche Mitarbeiter, die den Chefin den Schatten zu stellen drohen.

Meist wird sich der Chef nicht selbst die Finger schmutzig machen wollen, denn et-
was Dreck bleibt nach solchen Aktionen meistens hängen. Deshalb wird er andere
dazu animieren. Aus dem berühmten Milgram-Experiment, das Anfang der 1960er
Jahre durchgeführt wurde und das man vor kurzem auf seine Richtigkeit hin noch-
mals überprüfte, wissen wir, wie einfach es für einen Vorgesetzten ist, aus harm-
losen, friedlichen und freundlichen Menschen sadistische Quälgeister zu machen.

Ein wenig Autorität, ein Appell an ihre Beständigkeit und die Gewissheit, dass das,
was sie tun, von der Obrigkeit erwünscht ist, reichen vollkommen aus. Oft reicht
schon ein kleiner Anstoß, wie zum Beispiel „Frau Meier drückt den Schnitt der gan-
zen Abteilung. Kann man nichts machen, um sie loszuwerden?“ Aber oft gibt es
auch gerade bei Sandwichmanagern die klare Aufforderung „Wenn Sie es hier als
Führungskraft weiterbringen wollen, dann zeigen Sie jetzt mal, was Sie draufha-
ben. Je eher wir Frau Meier loswerden, desto besser.“

Wahrscheinlich tun diejenigen, die in das Zweckmobbing involviert werden, das


was sie tun, nicht einmal gern, aber sie werden sich auf jeden Fall bemühen, es

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

„gut“ zu machen. Wenn es darum geht, andere Menschen zu quälen, werden auch
fantasielose Normalmenschen plötzlich sehr ideenreich, zum Beispiel dass sie an-
dere MeKnschen zu kleinen Unkorrektheiten animieren, die ihnen später zur Last
gelegt werden können.

Zweckmobbing hat seine Wurzeln sowohl im situativen Verhalten der mobbenden


Kollegen als auch in soziopathischen Zügen des jeweiligen Vorgesetzten. Er kennt
zwar die geltenden moralischen Normen, ignoriert sie aber weitgehend. Der prä-
frontale Cortex bleibt inaktiv, auch wenn Mitleid und Mitgefühl angezeigt wären.

Natürlich sucht die Wissenschaft nach Therapiemöglichkeiten, um zum Beispiel


soziopathische Gewaltverbrecher oder Sexualmörder behandeln zu können, doch
die Fortschritte sind leider noch nicht groß. Wahrscheinlich würden dann auch So-
ziopathen in anderen Teilen der Gesellschaft von den Erkenntnissen profitieren
können, obgleich sie selbst ja keinen Leidensdruck verspüren.

So segensreich das Belohnungssystem auch für viele der menschlichen Aktivitäten


ist, im Bereich des Mobbings zeigt sich leider auch die dunkle Seite der Macht.

Die fünf Angriffsfelder für Mobbing

Grundsätzlich kommen fünf Angriffsfelder für Mobbing-Aktionen infrage:

1. Minderung der sozialen Akzeptanz,


2. Abbau der sozialen Beziehungen,
3. Minderung der Arbeits- und Lebensqualität,
4. Beschneidung der Kommunikationsmöglichkeiten und
5. Beeinträchtigung der Gesundheit des Opfers.

1. Minderung der sozialen Akzeptanz

Der erste Schritt, um die soziale Akzeptanz eines Mitarbeiters zu mindern, besteht
meist darin, ihn vor anderen Menschen lächerlich zu machen. Publikum und Öf-
fentlichkeit spielen beim Mobbing eine ganz entscheidende Rolle. Ein Vier-Augen-
Gespräch, auch wenn es dabei um harte Kritik geht, ist deshalb kaum dem Mobbing
zuzurechnen.

Häufig werden beim Mobbing Geschmacksfragen öffentlich thematisiert, wie zum


Beispiel hinsichtlich der Kleidung eines Mitarbeiters. „Wollen Sie etwa mit dieser
Krawatte zum Kunden gehen?“ Lautet die Antwort jetzt „Wieso, die ist doch ganz
neu, die habe ich von meiner Frau geschenkt bekommen“, dann hat der Mitarbeiter

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Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 2
schon verloren. Denn jetzt folgen meist weitere „humorvolle“ Bemerkungen über
den Geschmack und die Qualität der Ehefrau des Mitarbeiters, aus der sich eine
beliebig lange Reihe von Anzüglichkeiten ausspinnen lässt.

Ansatzpunkte können natürlich auch andere Äußerlichkeiten des Mitarbeiters bie-


ten. Besonders die Körpergröße ist manchen kleinwüchsigen Chefs stets ein Dorn
im Auge. „Ich wollte Sie eigentlich nach Leistung und nicht nach Körpergröße be-
zahlen.“ „Wenn jemand so groß ist, muss er ja schon einen Teil des Gehirns mit auf-
gefressen haben.“ Wer sich zu solchen Bemerkungen hinreißen lässt, und das noch
vor Zeugen, hat allerdings oft schon die Grenze zur Beleidigung überschritten.

Besonders beliebt ist es auch, jemanden nachzuahmen, um ihn lächerlich zu ma-


chen. Allerdings bedarf es dazu schon eines gewissen schauspielerischen Talents,
denn sonst bewirkt das Herumgehampel genau das Gegenteil. Üble Nachrede und
das Ausstreuen von Gerüchten sind meist ebenfalls feste Bestandteile des Mob-
bings. „Ist der Mann krank oder was macht er sonst so lange auf dem Klo?“ Themen
zur Gesundheit oder auch über sexuelle Neigungen werden in der Regel immer
weiter ausgebaut, nachdem sie einmal in die Welt gesetzt worden sind.

Natürlich kann man die soziale Akzeptanz anderer Menschen auch dadurch min-
dern, dass man sie zwingt, Arbeiten auszuführen, die unter ihrem Niveau liegen
oder nicht zu ihrem normalen Aufgabenbereich gehören. Das beginnt oft schon
damit, dass ein Mitarbeiter während einer Konferenz gebeten wird, irgendwelche
unwichtigen Unterlagen zu beschaffen, die nur schwer oder mit größerem Zeitauf-
wand zu erhalten sind. Seine Abwesenheit wird dann dazu führen, dass er nicht
mehr auf dem aktuellen Gesprächsstand ist, was natürlich gegen ihn verwendet
wird.

Gerade solche Formen der Demontage sind im Zweifelsfall nur schwer vor dem
Arbeitsgericht zu beweisen. Das trifft auch auf Fälle zu, wo die Anweisungen einer
mittleren Führungskraft durch deren Vorgesetzten konterkariert werden. Meist
werden sie nicht einmal auf der untersten Mitarbeiterebene angewendet, sondern
eher bei qualifizierten Leistungsträgern, denen man mit schlichten Anweisungen
und Drohungen nicht beikommen kann.

2. Abbau der sozialen Beziehungen

Der Abbau der sozialen Beziehungen beginnt meist damit, dass der Betroffene
keine Gelegenheit mehr erhalt, mit seinem Vorgesetzten persönlich zu sprechen.
Auch auf schriftliche Kommunikationsversuche reagiert der Chef nicht. Man lässt
den Betroffenen einfach in der Luft hängen.

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Die Basics der Gehirnfunktionen für Neuroleadership in der Praxis

Gleichzeitig stellt der Vorgesetzte sich gegenüber den Kollegen des Mobbing-Op-
fers geradezu als ein Kommunikationswunder dar. Sie erhalten alle notwendigen
Informationen, allerdings mit dem Verbot, diese an den zu mobbenden Kollegen
weiterzugeben. Helfen diese Maßnahmen noch nicht, erfolgt oft der Umzug des
Mobbing-Opfers auf eine andere Etage, weit weg von seinen Kollegen oder seinem
Team. Natürlich nur aus „betrieblichen“ Gründen. Dass es sich dabei um Mobbing
handelt, ist schwer zu beweisen.

3. Minderung der Arbeits- und Lebensqualität

Um die Arbeits- und Lebensqualität eines Mitarbeiters zu mindern, gibt es zwei


Grundprinzipien. Man kann die Arbeitsmenge und -qualität progressiv oder de-
gressiv gestalten. Während eine progressive Arbeitsgestaltung, das heißt immer
mehr und immer schwierigere Arbeit in immer kürzerer Zeit liefern zu müssen,
durchaus als Überlastung vor dem Arbeitsgericht nachgewiesen werden kann, ist
der umgekehrte Weg im Rahmen des Zweckmobbings wesentlich einfacher.

Nicht nur dass der Arbeitnehmer mit immer weniger, immer einfacheren und sinn-
loseren Aufgaben beschäftigt wird, oft wird ihm sogar die Möglichkeit genommen,
sich selbst Arbeit zu beschaffen. Telefonverkäufer werden in Räume gesetzt, in
denen der Apparat „leider“ noch keine Amtsfreischaltung hat und er sich von der
Zentrale stets weitervermitteln lassen muss. Bei der Minderung der Arbeits- und
Lebensqualität läuft es häufig darauf hinaus, einerseits die Anforderungen zu er-
höhen und es andererseits dem Mitarbeiter unmöglich zu machen, die Anforde-
rungen zu erfüllen.

4. Beschneidung der Kommunikationsmöglichkeiten

Gerade die Beschneidung der Kommunikationsmöglichkeiten ist in der heutigen


Zeit ein wesentliches Mobbing-Instrument. Werden die Zugriffsmöglichkeiten zu
E-Mail-Konten oder zum Intranet durch zentrale Schaltungen beschränkt, kann
sich dies ganz gravierend auf die Arbeitsleistung auswirken.

5. Beeinträchtigung der Gesundheit des Opfers

Gesundbeeinträchtigende Mobbing-Maßnahmen sind natürlich besonders im ge-


werblichen Bereich möglich. Mitarbeiter müssen dann entweder in überhitzten
oder unterkühlten Räumen arbeiten, ihnen stehen nur altes Mobiliar oder schlech-
tes Werkzeug beziehungsweise nur bedingt funktionierende elektrische Geräte
zur Verfügung.

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Wie wir Täter oder Opfer werden – Problemfall Mobbing 2
In der öffentlichen Diskussion hat es immer wieder den Anschein, als wenn sich
Mobbing hauptsächlich durch objektivierbare Fakten belegen lässt. Auch werden
Mobbing-Opfer immer wieder aufgefordert, Beweise zu sammeln, die zum Beispiel
in einem Prozess vor dem Arbeitsgericht verwertbar sind. Genau hier liegt das Pro-
blem.

Mobbing passiert überwiegend auf der Beziehungsebene und nicht auf der In-
haltsebene und besteht zum großen Teil aus nonverbalen und nicht aus verbalen
Botschaften. Dies zu belegen und zu beweisen, ist äußerst schwierig, können die
Opfer dann doch nur über Gefühle wie Missachtung, Respektlosigkeit und Ausge-
schlossenheit berichten. Die damit verbundene Hilflosigkeit, die Mobbing-Attacken
tatsächlich greifbar zu machen, verstärkt nur noch den seelischen Schmerz.

Und diesen kann man zum Glück vor deutschen Gerichten durchaus geltend ma-
chen. Wenn ein Arbeitgeber nicht auf die Beschwerden seines Arbeitnehmers re-
agiert und dessen Mobbing untätig hinnimmt, hat der Arbeitnehmer einen An-
spruch auf Schmerzensgeld, weil der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt
hat.

Ich sage das alles in dieser Ausführlichkeit, weil viele Führungskräfte durch ihre
starke Faktenorientierung häufig völlig blind für subjektive Abläufe in ihrer Um-
gebung sind. Wer nun allerdings als Führungskraft tatsächlich selbst an Mobbing-
Aktionen beteiligt ist, sollte möglichst bald einen Therapeuten aufsuchen. Dieser
Ratschlag verfängt wahrscheinlich nicht bei selbstständigen Unternehmern, doch
oft genug ist es so, dass sich dann abweichendes Verhalten auch im familiären
Kreis zeigt und der notwendige Anstoß aus dieser Richtung kommen kann.

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3 Die vier wichtigsten Gehirnsysteme
für die Führungspraxis

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie lernen die vier für Neuroleadership wichtigsten Gehirnsysteme kennen, das
sind das Belohnungssystem, das emotionale System, das Gedächtnissystem und
das Entscheidungssystem.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

3.1 Das Belohnungssystem – unterschätzt und


falsch verstanden

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren, wie das Belohnungssystem funktioniert, wie es sich von anderen
Hirnregionen unterscheidet und welchen Zweck das Belohnungssystem erfüllt.
Sie lernen, worauf das Belohnungssystem positiv oder negativ reagiert. Und
ich werde beschreiben, weshalb das Belohnungssystem in neuroökonomischen
Experimenten eine so große Rolle spielt.

Wohlbefinden ohne Grenzen

Dass es in den Gehirnen von Säugetieren und damit auch im Gehirn der Menschen
so genannte „Lustzentren“ gibt, ist seit langem bekannt. Man hielt sie zunächst
für primitive Mechanismen und erst der Einsatz bildgebender Verfahren förderte
ihre tatsächliche Bedeutung zutage.

Die Wissenschaftler James Olds und Peter Milner haben in den Fünfzigerjahren des
20. Jahrhunderts Tieren Elektroden ins Gehirn eingepflanzt, um durch elektrische
Reize Emotionen auszulösen. Ohne dass sie es beabsichtigten, führten sie offen-
sichtlich eine Elektrode in den Bereich des Gehirns ein, den wir heute Belohnungs-
system nennen. Sie stellten fest, dass diese Struktur durch elektrische Aktivität ein
Wohlbefinden erzeugte, das beim Versuchstier dazu führte, dass es nicht mehr
aufhören konnte, sich selbst elektrisch zu reizen.

Dieses Wohlbefinden ist offensichtlich so stark, dass wir davon ausgehen können,
dass es ein völlig anderes positives Gefühl ist als zum Beispiel eine starke sexuelle
Erregung, die Befriedigung des Hungergefühls oder ähnlicher Elementarbedürf-
nisse. Bei allen Versuchstieren, die diese Stimulationselektroden bisher im Gehirn
hatten, führte eine permanente Aktivierung dazu, dass jegliches Interesse an ihrer
Umgebung verloren ging.

Die Männchen ließen die Weibchen unbeachtet, sie ließen Futter und Wasser ste-
hen, alles was sie eigentlich dringend brauchten, um zu überleben. Wenn man
nicht die Reizung abgestellt hätte, wären sie verhungert. Die elektrische Stimula-
tion scheint also alles zu überbieten, was es sonst an Überlebensreizen in uns gibt.

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Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 3
Leistung entsteht im Belohnungssystem

Was das Belohnungssystem von anderen Hirnregionen unterscheidet, ist, dass


auch bei einer kontinuierlichen Stimulation keine Habituation, also Gewöhnung,
eintritt. Es ist wahrscheinlich zweckmäßig, an dieser Stelle deutlich zu machen,
dass zwischen dem Belohnungssystem im Gehirn und dem, was man umgangs-
sprachlich als Belohnungssystem bezeichnet, ein ganz erheblicher Unterschied
besteht.

Stehen Belohnungssysteme in Verbindung mit dem Erreichen bestimmter Umsatz-


ziele oder mit einer bestimmten Anzahl von Vertragsabschlüssen innerhalb eines
bestimmten Zeitraums, dann können diese Belohnungen durchaus zu einer Ge-
wöhnung führen. Wenn Leistung nur noch erbracht wird, wenn entsprechende
Incentives als Gegenleistung ausgelobt werden, entsteht sehr schnell eine Spirale,
die nach dem Prinzip „mehr von demselben“ funktioniert.

Natürlich mobilisieren Geschenke, Prämien und Vergünstigungen auch das Beloh-


nungssystem im Gehirn, am besten allerdings dann, wenn sie nicht angekündigt
und nicht erwartet werden. In allen anderen Fällen treten die Vorhersage und das
Eintreffen vorhergesagter Ereignisse praktisch als Gegenspieler des Belohnungs-
systems auf.

Wenn das Belohnungssystem aktiv ist, fühlt sich der Mensch gut und zufrieden,
ein Zustand, den wir uns alle eigentlich dauerhaft wünschen. Leider ist er im Alltag
nicht ohne besonderes Zutun herbeizuführen. Genau darin liegt der Zweck des
Belohnungssystems. Würden wir ständig auf einer Wolke des Wohlgefühls schwe-
ben, gäbe es keinerlei Anreiz für irgendwelche Aktivitäten. Wir würden wie die Ver-
suchstiere jegliche Interessen an uns selbst und an unserer Umgebung verlieren.

Wir wissen, dass Patienten, die aufgrund genetischer Defekte in dieser Beloh-
nungsregion schwer aktivierbar sind, eine höhere Neigung haben, Rauschgifte
oder Alkohol zu sich zu nehmen, um diese verminderte Aktivierung im Alltag zu
kompensieren.

Mancher Leser wird sich jetzt trotzdem fragen, ob es nicht auch für Menschen
ganz angenehm wäre, solche positiven Gefühle in unbegrenzter Fülle zu erleben.
Die Antwort ist eindeutig: Experimente dieser Art sind bei gesunden Menschen
ethisch nicht zu vertreten. Weder der operative Eingriff mit allen damit verbunde-
nen Risiken noch die nicht vorherzusehenden Folgen lassen solche Versuche zu.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Eine Ausnahme gibt es allerdings bei Menschen, die an schwersten Depressionen


leiden und denen mit gängigen Therapien nicht geholfen werden konnte. Bisher
wurde die Methode der Tiefenhirnstimulation mit implantierten Elektroden vor al-
lem bei der Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt.

Erste Versuche haben gezeigt, dass eine Stimulierung des Belohnungssystems


Patienten mit Depressionen eine Rückkehr in die Normalität ermöglicht. Dabei
verspürten diese Patienten nicht einmal eine direkte Aufhellung ihrer Stimmung.
Schaltete man allerdings den Pulsgeber wieder aus, kehrten die Depressionen mit
voller Macht zurück.

Inaktivität und Genussunfähigkeit sind zwei wichtige Kennzeichen einer Depres-


sion, deshalb lässt sich aus diesen Versuchen, bei denen der Nucleus accumbens
stimuliert wurde, ableiten, dass das Belohnungssystem uns nicht nur anspornt,
etwas zu tun, sondern uns auch in die Lage versetzt, Erfolge zu genießen.

Wie der Begriff Belohnungssystem schon sagt, handelt es sich dabei um eine recht
komplexe Struktur, die verschiedene Hirnareale umfasst. Die wichtigsten sind der
„Nucleus accumbens“, er ist ein Teil des für die Emotionen zuständigen limbischen
Systems, das ventrale tegmentale Areal des Mittelhirns und die präfrontale Region
der Großhirnrinde. Neuere Forschungsergebnisse führen allerdings zu der An-
nahme, dass noch weitere Hirnregionen dem Belohnungssystem zuzurechnen sein
könnten.

INFO Limbisches System


Der Begriff limbisches System wird häufig so benutzt, als handle es sich um
eine genau definierte anatomische Struktur. Tatsächlich bezeichnet es eher
ein theoretisches Konzept, das sich auf das Zusammenwirken verschiede-
ner Hirnteile bezieht. Entwickelt wurde der Begriff von Paul MacLean im Jahr
1952. Obgleich es keine allgemein anerkannten Definitionskriterien gibt, we-
der funktional noch anatomisch, hat sich der Begriff limbisches System für
eine Einheit etabliert, die für die Bildung von Emotionen und Gedächtnis eine
besondere Rolle spielt. Im Wesentlichen werden dazu gezählt: Hippocampus,
Fornix, Amygdala, Corpus mamilare, Gyrus cinguli und Teile das Thalamus.

Ohnehin steht das Belohnungssystem als Zentralinstanz immer wieder im Schnitt-


punkt verschiedenster Be- und Verarbeitungsprozesse. Es verstärkt, moduliert,
modifiziert oder hemmt unbewusst Gedankenprozesse und Verhaltensweisen, die
wir üblicherweise durch rationale Argumente begründen. Tatsächlich sind diese

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Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 3
aber nur eine nachträgliche „Erfindung“, weil uns das Wirken des Belohnungssys-
tems eben nicht bewusst ist und wir sowohl für uns als auch für unsere Mitmen-
schen eine „vernünftige“ Erklärung brauchen.

Das Belohnungssystem mag nette Menschen

Im Rahmen verschiedener Experimente unter Einsatz bildgebender Verfahren zeigte


sich immer wieder, welche entscheidende Rolle das Belohnungssystem spielt. Das
beginnt bereits bei der Wahrnehmung von Gesichtern. Auf ein sympathisches Ge-
sicht reagiert das Belohnungssystem ebenso positiv wie auf ein vertrautes Gesicht
oder auf das Gesicht eines Prominenten.

Im Rahmen eines neuroökonomischen Experiments konnte nachgewiesen werden,


dass die Werbung für einen Wein innerhalb eines Supermarktes erfolgreicher ist,
wenn sie statt eines Symbols oder einer Landschaft ein menschliches Gesicht zeigt.
Noch weiter ließ sich der Abverkauf steigern, wenn es sich um das Gesicht eines
Prominenten handelte, auch wenn die Kunden ihn nicht ausdrücklich mit Wein in
Verbindung brachten.

Daraus lässt sich schließen, dass auch bei anderen Formen der Kommunikation die
Wahrnehmung von Gesichtern eine wesentliche Rolle spielt. Dies ist aber weder bei
schriftlichen Anweisungen und erst recht nicht bei E-Mails der Fall.

Dass schon die Abbildung eines Gesichts ausreicht, mehr Sympathie zu wecken
und Aufmerksamkeit zu erzeugen, was letztlich auf einer Aktivierung des Beloh-
nungssystems beruht, zeigen zum Beispiel Werbebriefe oder auch professionell
gemachte Newsletter, die das Porträt des Absenders oder des Chefredakteurs dar-
stellen. Man kann Unternehmen, die per Intranet ihre Mitarbeiter informieren, auch
nur raten, so oft wie möglich freundliche Gesichter zu zeigen.

Da es nicht die Physiognomie an sich ist, die ein Gesicht sympathisch oder unsym-
pathisch macht, sondern dies weitgehend durch die Mimik beeinflusst wird und
diese wiederum der Spiegel der inneren Verfassung einer Person ist, kann man
daraus sehr gut ableiten, welche Bedeutung die Haltung einer Führungskraft ge-
genüber ihren Mitarbeitern hat.

Auch wenn diese Erkenntnis banal erscheint, wurde durch die vorliegenden Aus-
führungen doch der Nachweis erbracht, dass allein schon der Versuch eines Vor-
gesetzten, emotionsfrei zu kommunizieren, für das Belohnungssystem des Mitar-
beiters kontraproduktiv ist.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

KERNSAtZ
Das Belohnungssystem ist das zentrale System, das wir aktivieren müssen, um
motiviert zu sein und um uns wohl zu fühlen.

Die Aktivierungsmöglichkeiten des Belohnungssystems, die bisher untersucht wor-


den sind, weisen bereits auf eine große Vielfalt hin. Das Thema ist jedoch noch
lange nicht abgeschlossen. Wir wissen aus den Untersuchungen, dass die Aktivie-
rung des Belohnungssystems bei allen möglichen Aufgaben durch nichts anderes
zu überbieten ist und eine Veränderung der Verhaltensstruktur bewirkt.

Das Belohnungssystem stärkt die Erinnerung

So lassen sich Worte viel besser erinnern, wenn bei Wortaufgaben, die viele Wo-
chen vorher gestellt wurden, eine Aktivierung des Belohnungssystems nachgewie-
sen wurde. Natürlich geht es hier nicht um das Wärter Lernen an sich, sondern
darum, bestimmte Aufgaben so zu gestalten, dass sie bearbeitet werden können,
während die Versuchsperson im Kernspintomografen liegt. Die Ergebnisse geben
jedoch Anlass, sie zu generalisieren.

Lernen wird heute noch viel zu wenig mit schnellen und eindeutigen Belohnungen
verbunden. Das gilt besonders für den Bereich der Erwachsenenbildung und der
dazu gehörigen beruflichen Weiterbildung. Hier werden neue Modelle entwickelt
werden müssen, die neben dem Lehrstoff auch eine gezielte Stimulation des Be-
lohnungssystems beinhalten.

Gelerntes muss genutzt werden

Tierversuche haben gezeigt, dass auch bei der Anwendung von etwas Gelerntem
das Belohnungssystem aktiviert wird. Gerade die Anwendung von Gelerntem fin-
det in der Praxis häufig nicht statt oder wird sogar durch kontraproduktives Ver-
halten mancher Führungskräfte behindert. Einerseits schickt man die Mitarbeiter
zwar zur Fortbildung, verweigert ihnen dann aber die Umsetzung des Gelernten,
weil dadurch bestehende Strukturen oder Abläufe verändert werden müssten.
Dass dies weder dem einzelnen Mitarbeiter noch dem Unternehmen nützt, ist si-
cherlich sofort jedem einsichtig.

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Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 3
Ein einfaches Spiel mit weit reichenden Konsequenzen

Eine andere Situation, in der das Belohnungssystem messbar eine Rolle spielt, sind
Verhandlungen.

Eine typische ökonomische Verhandlungssituation besteht darin, dass zwei Partner


miteinander verhandeln, wobei beide Seiten einen Gewinn erzielen wollen. Im so
genannten Ultimatumspiel erhält der Spielpartner A vom Spielleiter eine bestimmte
Summe Geld. A muss nun dem Mitspieler B einen Teil dieser Summe anbieten. Wenn
B akzeptiert, kann A die Summe – abzüglich des Betrags für B – behalten, lehnt
B das Angebot ab, geht das gesamte Geld zurück an den Spielleiter und keiner
gewinnt.

Logisch betrachtet, müsste B jedes Mal zustimmen, denn selbst ein Cent wäre ja
mehr als 0 Cent. Warum sollte B überhaupt jemals ein Angebot ablehnen? Tat-
sächlich lehnen jedoch Menschen in der Rolle von B ab, wenn sie das Angebot als
unfair empfinden. Angebote, die zum Beispiel unter 40 Prozent der Gesamtsumme
liegen, werden in der Regel abgelehnt.

Misst man in einer solchen Situation, wenn also B den Vorschlag von A merkwür-
digerweise ablehnt, die Vorgange im Gehirn von B, so stellt man fest, dass in ei-
ner bestimmten Struktur des Gehirnes eine Aktivierung auftritt, eben dem Beloh-
nungssystem.

Das Gehirn belohnt altruistisches Bestrafen

Wir wissen deshalb, dass dieses Belohnungssystem dazu führt, dass wir uns „al-
truistisch“ verhalten. Altruismus heißt, sozialen Regeln zu folgen, auch wenn sie
keinen materiellen Gewinn versprechen oder sogar mit Nachteilen verbunden sind.
Dies schließt auch eine Bestrafung anderer Menschen für nicht adäquates Verhal-
ten oder wegen Verstoßes gegen bestimmte soziale Regeln ein.

Altruistisches Bestrafen wird also vom Gehirn belohnt. Möglicherweise erzielt B


also auf dieser psychophysiologischen Ebene einen „Gewinn“, der den erlittenen
materiellen Verlust hinreichend ausgleicht. Interessanterweise führt diese so ge-
nannte „altruistische Bestrafung“ von A durch B mittelfristig häufig zu einer För-
derung des fairen kooperativen Verhaltens.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Besonders wirksam ist diese Form der Bestrafung, wenn sie innerhalb einer Gruppe
durch die dazugehörigen Gruppenmitglieder erfolgt. Man spricht in diesem Zusam-
menhang von Parochial Altruism. Erfolgt die Bestrafung von Personen außerhalb
der Gruppe, wird ihr weniger Bedeutung beigemessen und führt deshalb auch
seltener zu einer Verhaltensänderung. In der Praxis bedeutet dies, dass die Füh-
rungskräfte und Mitarbeiter eines Unternehmens stärker korrigierend aufeinander
einwirken können als zum Beispiel Kunden oder staatliche Organe. Wenn führende
Bankmitarbeiter während der Finanzkrise durch Politiker attackiert wurden, war
das für sie weniger schmerzhaft, als wenn es andere Banker getan hätten. Doch
leider funktionieren solche Mechanismen in komplexen Gesellschaften immer we-
niger gut.

Das altruistische Bestrafen ist biologisch eigentlich eine reine Selbstbefriedigung.


Das heißt, man kann sich nicht anders, auch nicht durch eine andersgeartete Be-
lohnung, ein besseres Gefühl verschaffen, als durch die Bestrafung eines anderen
Menschen. Vorausgesetzt, es wird von einem selbst als altruistisch und gerecht
empfunden.

Untersuchungen zeigen, dass bei einer Verhandlung zwischen zwei wirtschaftli-


chen Partnern eine Aktivierung des Belohnungszentrums auftritt, wenn eine posi-
tive Information über den anderen Partner vorliegt. Das bedeutet im Prinzip nichts
anderes, als dass der Ruf, der einem selbst vorauseilt, ganz wesentlich die eigene
Verhandlungsposition und die Strategie der Verhandlungspartner bestimmt.

Es ist also durchaus anzuraten, eine aktive Imagepflege zu betreiben. Wer als fairer
Handlungspartner gilt, wird mehr Entgegenkommen erwarten dürfen als jemand,
dem der Ruf vorauseilt, ein sturer Neinsager zu sein.

Das Thema Vorinformationen hatten wir ja bereits im Zusammenhang mit dem Vor-
hersagen behandelt. Hier sieht man wieder, wie eng die verschiedenen Hirnfunkti-
onen miteinander verknüpft sind.

Das Gehirn belohnt Fairness und Vertrauen

Übrigens wird das Belohnungssystem auch dann aktiviert, wenn zwei Menschen
für die gleiche Arbeit – unfairerweise – unterschiedliche Löhne bekommen. Wer
den höheren Lohn bezieht, freut sich über den unerwarteten Gewinn und zeigt
eine stärkere Aktivierung seines Belohnungszentrums.

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Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 3
Das gilt allerdings nur, wenn derjenige statusorientiert ist. Hält er allerdings die
Gleichheit für wichtiger, wird sein Belohnungssystem nur dann aktiv, wenn er Ge-
rechtigkeit empfindet, weil gleicher Lohn für die gleiche Leistung gezahlt wird.

Grundsätzlich gilt aber, der Mensch vergleicht sich mit anderen und bezieht sein
individuelles Nutzenempfinden mit ein, selbst wenn es ihm gar nicht bewusst wird.
Insofern spielt in einem Unternehmen für die Mitarbeiter nicht nur die Höhe des
eigenen Gehalts eine Rolle, sondern auch die insgesamt bestehende Lohnstruktur.
Oft zeigt sich dann, dass nicht mehr Geld, Prämien und Sonderzahlungen mehr
Leistungen bringen, sondern etwas ganz anderes, was ebenfalls vom Belohnungs-
system registriert wird: Der Verzicht auf Kontrolle und Sanktionen.

Das Belohnungssystem honoriert nämlich Fairness und Vertrauen. Auch das wurde
bereits durch ein konkretes Experiment belegt. Dies war folgendermaßen angelegt:
Jeder Mitarbeiter verfügte über 120 Punkte, die er für sich selbst oder aber auch
für seinen Arbeitgeber einsetzen konnte. Der Arbeitgeber in diesem Experiment
konnte seinen Mitarbeiter entweder frei über die Vergabe der Punkte entscheiden
lassen oder aber für sich selbst einen Mindesteinsatz von zehn Punkten festlegen.

Würde der Arbeitnehmer nach den strengen Regeln des Homo oeconomicus han-
deln, bekäme der Arbeitgeber stets nichts und der Arbeitnehmer alles. Insofern
wäre es für den Arbeitgeber durchaus sinnvoll, für sich selbst eine Mindestpunkt-
zahl festzulegen, also seinen Arbeitnehmer zu kontrollieren.

Im Experiment zeigt sich dann allerdings, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber
mehr Punkte einräumten, wenn dieser ihnen freie Hand ließ, als unter der Bedin-
gung, dass eine Mindestpunktzahl nicht unterschritten werden dürfte. Misstrauen
und Kontrolle haben also durchaus eine negative Wirkung.

Das Belohnungssystem reagiert auch auf Misstrauen, Missgunst


und Neid

Diese Forschungsergebnisse haben sicherlich nicht nur Auswirkungen auf das


Thema Lohngerechtigkeit, sondern auch auf generelle Führungsprinzipien. Insge-
samt zeigt sich bei den neuroökonomischen Experimenten immer deutlicher, dass
Gefühle wie Missgunst, Neid und Fairness ebenso auf das Belohnungssystem und
damit auf die Motivation wirken wie die Erwartung von Gerechtigkeit und Rezi-
prozität.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Manchmal scheint es tatsächlich gar keine Rolle zu spielen, wie hoch der Lohn an
sich ist, solange er nicht für die gleiche Leistung geringer ist als der, den ein ande-
rer erhält. Wer jetzt auf die Idee kommt, Lohnsysteme möglichst intransparent zu
gestalten, sollte sich bewusst sein, dass das wohl ebenfalls als unfair betrachtet
und damit abgestraft werden wird.

KERNSAtZ
Die ungeheure Bedeutung des Belohnungssystems konnte in vielen Tierex-
perimenten und auch in neuesten Untersuchungen beim Menschen bestätigt
werden. Seine Aktivierung kann besonders gut mittels der funktionellen Kern-
spintomografie erkannt werden.

Leadership-Praxis

Wonach der Mensch strebt

Viele Führungskräfte sind der Überzeugung, dass ihre Mitarbeiter andere Dinge
anstreben, als sie es selbst tun. Das ist jedoch ein Irrtum. Denn das würde bedeu-
ten, dass es entweder zwei Arten von Menschen geben müsste, solche, die führen,
und solche, die geführt werden, oder dass es eine weitere Entwicklungsstufe gibt,
nämlich die vom Menschen zur Führungskraft.

Natürlich kommt es immer wieder vor, dass Menschen der Erfolg zu Kopf steigt
und sie sich für einzigartig und auserwählt halten, ausgestattet mit besonderen
Rechten und über den für gewöhnliche Menschen geltenden Normen stehend.
Solange sich diese innere Haltung darauf beschränkt, in besonderer Weise beach-
tet zu werden und in einem Restaurant den besten Platz zu erhalten, ist das nicht
weiter problematisch. Schwieriger wird es, wenn derjenige glaubt, Geschwindig-
keitsbegrenzungen würden nur für andere gelten, und er mit dem Gesetz in Kol-
lision gerät.

Im ungünstigsten Falle finden sich solche Personen irgendwann in psychiatrischen


Einrichtungen oder Gefängnissen wieder. Da sich die Gesellschaft aber sogar he-
rausragende und zum Teil exzentrische Persönlichkeiten wünscht, schließlich ha-
ben sie auch einen gewissen Unterhaltungswert, ist der Umgang mit ihnen inner-
halb eines gewissen Toleranzrahmens durchaus möglich.

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Das Belohnungssystem – unterschätzt und falsch verstanden 3
Die vier Grundbedürfnisse

Welche Grundbedürfnisse, die über die körperlichen Existenzbedürfnisse hinaus-


gehen, jeden Menschen auszeichnen, ließ sich bisher schon sehr gut über die di-
versen Experimente mit dem Belohnungssystem nachweisen.

▪ Das wichtigste Grundbedürfnis besteht sicherlich darin, soziale Beziehungen


herzustellen, zu pflegen und zu gestalten.
▪ Das zweite Grundbedürfnis ist sicherlich das, die Welt zu verstehen, also zu
lernen.
▪ Das dritte Grundbedürfnis richtet sich darauf, Bestehendes zu erhalten und
Verluste zu vermeiden.
▪ Das vierte wichtige Grundbedürfnis ist, sich zu entwickeln und zu wachsen.

Diese vier Grundbedürfnisse sollte man nicht wie die Maslowsche Bedürfnishierar-
chie betrachten, sondern sie bedingen sich gegenseitig und sind eng miteinander
verbunden. Wollte man sie darstellen, wären sie wahrscheinlich die vier Ecken eines
Quadrats, in dessen Mittelpunkt der einzelne Mensch steht.

Auch die empirische Organisationsforschung hat diese vier Elemente in Unterneh-


men identifiziert. Der Wunsch nach sozialen Beziehungen wird danach durch eine
positive Unternehmenskultur verwirklicht. Führungskräfte und Mitarbeiter, aber
auch die Mitarbeiter untereinander begegnen sich vertrauensvoll und erkennen
die Leistungen der anderen an. Gleichzeitig ermöglicht eine solche Unternehmens-
kultur aber auch, dass der Einzelne sich im Rahmen seiner Möglichkeiten entwi-
ckeln oder zumindest das Erreichte erhalten kann.

Der Wunsch, die Welt zu verstehen und zu lernen, wird durch Transparenz und
eindeutige Definition von Funktionen und Arbeitsplatzinhalten befriedigt.

Schwieriger ist es schon, jedem Mitglied einer Unternehmensgemeinschaft die Si-


cherheit zu geben, das Erreichte auch dauerhaft erhalten zu können. Wenn Ar-
beitsplätze nicht sicher sind, bedarf es eines besonders hohen Maßes an Fairness
und Transparenz, um dem Betroffenen deutlich zu machen, dass im Zweifelsfall ein
besonderes Maß an Entwicklungs- und Wachstumsfähigkeit erforderlich ist, um die
eigene Selbsterfüllung gewährleisten zu können.

Zum Thema Wachstum und Entwicklung gehören nicht nur das Bedürfnis nach
Selbstverwirklichung und der Wunsch, produktiv sein zu können, sondern auch

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

noch die Elemente Status sowie finanzielle Be- und Entlohnung. In den meisten
hoch entwickelten Gesellschaften ist der Besitz von Gütern ein sichtbares Zeichen
für Wachstum und Entwicklung.

Das alles mag sich noch abstrakt anhören, doch es lässt sich in folgenden den vier
Begriffen zusammenfassen:

▪ funktionierende Unternehmenskultur,
▪ optimale Gestaltung der Arbeitsinhalte,
▪ ein gerechtes Vergütungssystem und
▪ langfristige Arbeitsplatzsicherheit.

Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass in einem Unternehmen alle vier Ele-
mente wirksam sind und nicht nur eines, zwei oder drei.

3.2 Das emotionale System – komplex und vielfältig

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Es geht um die verschiedenen Emotionen, um deren neurowissenschaftliche


Erforschung und Erklärung sowie um deren Bedeutung und Funktionen. Sie ler-
nen den Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen kennen und erfahren
etwas über das Zusammenspiel zwischen Emotion und Kognition.

Jeder gesunde Mensch kennt Emotionen und hat sie wahrscheinlich auch schon
alle in unterschiedlich starker Ausprägung selbst erlebt. Schwierig wird es aller-
dings, wenn man sie benennen, beschreiben und kategorisieren möchte.

Die vier Basisemotionen

Tatsächlich sind sich die verschiedenen Wissenschaftler keineswegs darüber einig,


was als Emotion bezeichnet werden soll und was nicht. Manche konzentrieren sich
hauptsächlich auf die in Tierhirnen experimentell nachgewiesenen vier elementa-
ren emotionalen Reaktionsmuster, das sind Erwartung, Wut, Furcht und Panik.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
Vergleichbare Muster sind natürlich auch bei Menschen zu finden. Unter „Erwar-
tung“ verbindet sich dabei das, was wir schon als Belohnungssystem beschrieben
haben, mit der Neigung des Gehirns, Vorhersagen zu treffen. Da der Mensch vom
Grundsatz her dazu neigt, stimmungsabhängig positive Erwartungen hinsichtlich
zukünftiger Ereignisse zu haben, auch wenn rationale Abwägung zu anderen Er-
wartungen führen würden, könnte man dieses Muster statt Erwartung auch Vor-
freude nennen.

Eine solche Vorfreude stellt sich unter anderem auch bei Glücksspielen ein, die
im Gehirn eine ganze Reihe höchst komplexer Aktivitäten auslösen. Kein Spieler
würde als „Homo oeconomicus“ auch nur den kleinsten Betrag setzen, weil ratio-
nal gesehen die Verlustchance immer größer ist als die Gewinnchance. Trotzdem
liebt ein großer Teil der Bevölkerung Glücksspiele. Optimismus ist also eine auch in
Experimenten nachgewiesene starke positive Emotion, bei der das Belohnungssys-
tem eine große Rolle spielt.

Wut führt zu aggressiven Verhaltensweisen

Leider sind die drei anderen Basisemotionen negativer Natur. Wut beziehungs-
weise auch Ärger wird durch Frustrationen aktiviert, also durch die Unmöglichkeit,
ein zielgerichtetes Verhalten ausführen zu können. Wut führt immer zu aggressi-
ven Verhaltensweisen. Es gibt durchaus Denkansätze, die davon ausgehen, dass
Aggressionen hauptsächlich soziale Funktionen haben. Entweder sollen sie der
Verteidigung bestehender Beziehungen dienen oder aber sie entstehen, weil be-
stimmte soziale Beziehungen entweder nicht gelingen oder ganz fehlen.

Dies würde wieder die These stützen, dass das Gehirn ein soziales Organ ist. Jeder
kann für sich selbst darüber nachdenken, in welchen Fällen er wütend geworden
ist. In den meisten Fällen bezieht sich Wut auf andere Menschen und interperso-
nelle Abläufe und nur selten auf Dinge.

Wenn man auf ein Gerät wütend ist und seinem Computer einen Fußtritt verpasst,
dann geschieht dies häufig auch aus dem Grund, weil man Dingen Absichten und
Verhaltensweisen zurechnet, die eigentlich nur bei Personen zu finden sind. Aber
es gehört wohl zu den ältesten menschlichen Eigenschaften, nicht nur auf die
Natur, sondern auch auf andere Dinge Persönlichkeitsmerkmale und individuelle
Verhaltensweisen zu projizieren.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Furcht ist die am besten erforschte Emotion

Furcht gehört wohl zu den bisher am besten erforschten Emotionen. Furcht und
Angst dienen ganz eindeutig dazu, Fluchtreaktionen auszulösen, die Reaktionsge-
schwindigkeit zu verbessern und die Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Im Zusammenhang mit der Angst müssen wir uns noch einmal mit dem Phänomen
der Bahnung und Verfügbarkeit befassen. Bahnung und Verfügbarkeit bedeuten,
dass die Neuronen schon eine gewisse Anspannung im Sinne von Aufmerksamkeit
haben, um dann besonders leistungsfähig zu sein. Das ist für alle gesunden und
nützlichen Angstreaktionen zweckmäßig. Wenn die Neuronen aber überaktiviert
werden, was durchaus möglich ist, dann wird die betreffende Hirnregion für an-
dere Aktivitäten blockiert. Bestimmte Nervenzellenverbünde sind dann in ihrer Ka-
pazität ausgelastet und stehen für weitere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung.

Am häufigsten tritt dieser Zustand bei Menschen auf, die sich einer Prüfung un-
terziehen müssen. Wenn zum Beispiel ein Student furchtbar aufgeregt ist, weil er
die Prüfung unbedingt bestehen möchte oder weil er glaubt, nicht ausreichend
vorbereitet zu sein, oder es vielleicht auch sogar tatsächlich so ist, versagt er voll-
kommen. Ihm fallen weder die richtigen Antworten ein und manchmal versagt so-
gar die Sprache.

Angst vermindert die Leistungsfähigkeit des Gehirns

Je höher der Angstpegel ist und je weiter die Angst durch das Erkennen eigener
Fehler ansteigt, desto weniger leistungsfähig wird das Gehirn. Das liegt daran, dass
es sich nicht mehr mit Sachfragen beschäftigen kann, sondern nur noch mit der
Verarbeitung der Situation befasst ist. Dabei kommt es überhaupt nicht mehr dar-
auf an, ob diese Angst berechtigt ist oder nicht.

Ein gutes Beispiel für ein pathologisches und verhältnismäßig weit verbreitetes
Angstphänomen ist die Flugangst. Sie ist unter faktischen Gesichtspunkten völlig
unberechtigt, denn das Flugzeug ist, bezogen auf die zurückgelegten Kilometer,
eines der sichersten Verkehrsmittel. Bei Menschen mit schwerer Flugangst gibt es
in dem Moment, in dem sich das Gehirn nur noch mit der Verarbeitung der Situa-
tion befasst, kaum noch einen rationalen Zugang.

Zu meinen Patienten zählten zum Beispiel sogar Verkehrspiloten, die angaben,


Schwindelattacken oder epileptische Anfälle zu haben. Tatsächlich waren sie nur
vom plötzlichen Auftreten von Flugangst gepackt worden. Da sie dies jedoch we-

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
der sich noch ihren Vorgesetzten eingestehen konnten, haben sie ihre Angst un-
bewusst auf ein körperliches Beschwerdebild umgelenkt, dessen Geheimnis erst im
Rahmen der Diagnostik gelüftet wurde.

Woher solche Ängste plötzlich kommen, ist schwer zu beantworten. Man kann
vermuten, dass es sich um Vulnerabilitäten, also Verletzlichkeiten im genetischen
System handelt, die dazu führen, dass die Reize im Gehirn immer starker hochge-
fahren werden müssen, bis es dann zu einer Blockade kommt.

Die Ursache können Polymorphismen sein, winzige Veränderungen im Genmaterial,


die nicht zu Krankheiten führen, aber zu Unterschieden in der Informationsüber-
tragung im Gehirn. Da sich in diesem Zusammenhang durchaus Kompensations-
mechanismen aufbauen können, werden diese gar nicht oder nur selten erkannt.

Die häufigsten Sequenzvariationen sind die Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP,


Single Nucleotide Polymorphisms). Wir kennen sie zum Beispiel im Zusammenhang
mit Dopamin-Rezeptoren, die auf Belohnungsreize nicht so stark anspringen, wie
bei Menschen, bei denen dieser Polymorphismus nicht vorliegt. Da für den Auf-
bau und die Funktion des Gehirns etwa 50 Prozent der genetischen Informationen
verwandt werden, ist zu vermuten, dass hier auch der Schlüssel zur Vielfalt der
menschlichen Gehirne liegt.

Der Angstkonditionierung liegt ein rascher Lernprozess zugrunde, der rational


kaum zu steuern und zu beherrschen ist. Dabei wird der Mandelkern unkontrolliert
und bei Vorliegen eines bestimmten Polymorphismus übermäßig stark „hochgefah-
ren“. Solche Konditionierungen waren im Laufe der Evolution sicher sinnvoll und
gut, doch sind sie heute häufig überflüssig.

So erkennen Jäger im Urwald unbewusst Gefahren, wie zum Beispiel Schlangen in


den Bäumen, die von Menschen aus der Zivilisation nicht mehr wahrgenommen
werden. Im Zusammenhang mit der Flugangst kann man vermuten, dass die un-
bewusste Wahrnehmung eines im Flugzeug herrschenden Unterdrucks die einmal
programmierten Angstgefühle immer wieder wachruft.

Vergleichbare Angstsituationen wie bei den Piloten gibt es auch bei Führungskräf-
ten, die stets auf einem sehr hohen Anspannungs- und Leistungsniveau arbeiten
müssen, zum Beispiel im Hinblick auf Entscheidungen. Plötzlich schieben sie Ent-
scheidungen hinaus, weil sie merken, dass sie diese nicht mehr rational bearbeiten
können. Manchmal reicht schon Termindruck, um die Leistungsfähigkeit eines Ge-
hirns zum Erliegen zu bringen.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Dabei muss es keineswegs so sein, dass die Leistung nicht innerhalb der zur Verfü-
gung stehenden Zeit erbracht werden könnte. Allein die Angst vor dem Versagen
führt dann zu einem tatsächlichen Versagen. Doch dies lässt sich von dem Betrof-
fenen in dem Moment nicht mehr steuern.

Natürlich kann man sich durch entsprechende Trainings und Übungen langfristig
darauf vorbereiten, seine Emotionen zumindest zum Teil besser kontrollieren zu
können. Aber meist beginnt man damit erst, nachdem man einmal abgestürzt ist.
Zu solchen Überbahnungen, die dann nicht mehr durchdrungen werden können,
die die Konzentration nur noch auf einen bestimmten Punkt lenken, kommt es
auch bei Panikattacken.

Panik entsteht durch Hilflosigkeit

Bei der Panik handelt es sich wiederum um eine soziale Emotion. Panik entsteht als
Reaktion auf den Eindruck, hilflos und verlassen zu sein. Zur Panik werden deshalb
auch Verlust- und Kummergefühle gerechnet. Häufig entsteht hier ein Teufelskreis,
wenn Panik Hilflosigkeit erzeugt und diese wieder zur Panik führt. Ohne fremde
Hilfe können sich daher viele Menschen aus bedrohlichen Situationen, wie zum
Beispiel bei Hausbränden oder anderen Katastrophen, nicht mehr aus eigener Hilfe
befreien, obgleich sie körperlich noch dazu in der Lage wären.

Das Nervensystem ist zwar ein riesiger Parallelprozessor, aber nur einer, der in ge-
stuften Ebenen arbeitet. Die höchste Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsebene
ist sehr schmal, so dass dort nur wenige Prozesse gleichzeitig laufen können,
manchmal nur noch ein einziger.

Alle Gefühle laufen über den Mandelkern und führen zu vegetativen Reaktionen,
die als Weckreiz durchaus sinnvoll sind, aber eben auch Blockaden hervorrufen
können.

Emotionen sind nicht dualistisch angelegt

Wie wir sehen, passen die emotionalen Reaktionsmuster nicht in das für den Men-
schen so typische dualistische Denksystem, das die Welt in Gut und Böse, Groß
und Klein oder wichtig und unwichtig einteilt. Auch wenn manche Emotionen, wie
zum Beispiel Freude und Trauer, wie zwei Seiten ein und derselben Medaille wirken,
haben sie im Gehirn dennoch ganz unterschiedliche Ursprünge.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
Manche Forscher wie Paul Ekman orientieren sich an universellen mimischen Aus-
drücken und kommen dann zu dem Ergebnis, dass wir sechs elementare Emotionen
haben: Überraschung, Glück, Zorn, Furcht, Ekel und Traurigkeit. Legt man jedoch
Handlungstendenzen und emotionale Ausdrucksformen zugrunde, an denen auch
andere körperliche Systeme beteiligt sind, wird die Liste noch länger. Allerdings
ohne uns bei der Erklärung von Emotionen tatsächlich weiterzuhelfen.

KERNSAtZ
Emotionen sind biologische Funktionen des Nervensystems.

Aus der Sicht der Neurowissenschaften lassen sich Emotionen am besten erklä-
ren, wenn man sie nicht wie in der Psychologie als psychische Zustände auffasst,
sondern als biologische Funktionen des Nervensystems, also als eine Hirnfunktion.
Inzwischen ist man sich auch weitgehend darüber einig, dass es im Gehirn kein ein-
heitliches Emotionszentrum gibt, dem alle Emotionen entspringen, sondern dass
die verschiedenen Emotionen durchaus unterschiedlichen Hirnregionen zugeord-
net werden können.

KERNSAtZ
Es gibt im Gehirn kein einheitliches Emotionszentrum, sondern die verschiede-
nen Emotionen können unterschiedlichen Hirnregionen zugeordnet werden.

Im Laufe der Evolution hat sich das Gehirn immer weiter fortentwickelt. Emoti-
onen sind zum Teil sehr alte Funktionen, die das Überleben sichern sollten. Wut
und Furcht dienten sicherlich schon sehr früh dazu, entweder zu flüchten oder
anzugreifen. Traurigkeit dürfte hingegen eine Emotion sein, die erst im Laufe der
späteren evolutionären Entwicklung entstand, als es nämlich darauf ankam, aus
dem Menschen ein soziales Wesen zu machen, das mit seinesgleichen auch über
innere Zustände kommunizieren konnte.

Der Unterschied zwischen Emotion und Gefühl

Mit Emotionen gehen in der Regel auch subjektive Gefühle einher, die wir bewusst
registrieren. Die Begriffe „Emotion“ und „Gefühl“ werden in der deutschen Spra-
che häufig synonym verwendet, und es ist schwierig, sie inhaltlich voneinander zu
trennen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch in deutschen Publikationen oder
Übersetzungen aus dem Amerikanischen englische Begriffe verwendet werden, die
etwas anderes bedeuten als ähnliche deutsche.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Tatsächlich ist der Begriff Emotion vom lateinischischen „emotio“ für heftige Bewe-
gung und von „emovere“, aufwühlen, heraustreiben abgeleitet. Der Begriff Emo-
tion wurde also ursprünglich für etwas verwendet, was nach außen gekehrt ist.

Mit Gefühl bezeichnen wir im Deutschen sowohl Gemütsbewegungen (englisch


emotions), Leidenschaften (englisch passions) als auch Sinnesempfindungen
(englisch sensations). Im Englischen kennt man darüber hinaus noch den Begriff
feeling für das Empfinden von Eindrücken und den Begriff sentiment für emotive
Zustände.

KERNSAtZ
Hier wollen wir den Begriff Gefühl für eine subjektive Erlebnisweise verwen-
den, die sich sowohl physiologisch als auch verhaltensmäßig zeigen kann und
von Emotionen ausgelöst wird oder in Emotionen münden kann.

Es gibt einfache und komplexe Gefühle. Einfache Gefühle werden sowohl von
Sinnesempfindungen wie unangenehmen Gerüchen als auch von Körperempfin-
dungen, wie zum Beispiel Kreuzschmerzen, wenn man zu lange auf einem unbe-
quemen Stuhl sitzen muss, ausgelöst. Es gibt auch Tätigkeitsempfindungen, zum
Beispiel wenn man konzentriert arbeitet, die sich aber kaum sprachlich wiederge-
ben lassen, und sehr konkrete Bedürfnisse, die sich ebenfalls in Gefühlen äußern,
wie zum Beispiel Hunger.

Zu den komplexen Gefühlen gehören alle Formen der Vorstellung oder Einstellung.
Das kann eine freudige Erwartung sein oder auch die Angst vor Misserfolg. Es sind
die Gefühle der Selbsteinschätzung, wie zum Beispiel Peinlichkeit oder Schuldge-
fühle, aber es können auch die emotionalen Komponenten sozialer Einstellungen,
wie zum Beispiel Sympathie und generelle Werturteile, sein.

Unbewusst zwischen positiv und negativ unterscheiden

Emotion und Kognition arbeiten getrennt, stehen aber miteinander in Beziehung


und in einer Wechselwirkung. Dabei kann die Bewertung schon einsetzen, bevor
die Wahrnehmungssysteme den Reiz vollständig verarbeitet haben. Und mitunter
weiß das Gehirn sogar schon, ob etwas gut oder schlecht ist, bevor es genau weiß,
worum es sich handelt.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
KERNSAtZ
Emotion und Kognition arbeiten getrennt, stehen aber miteinander in Bezie-
hung und in einer Wechselwirkung.

Dies wurde auch von den beiden Neurowissenschaftlern Michael Gazzaniga und
Joseph LeDoux bei Experimenten mit so genannten Split Brain Patienten nachge-
wiesen. In besonders schweren Fällen von Epilepsie werden bei der Split Brain Ope-
ration die Nervenbahnen zwischen der rechten und der linken Hälfte des Gehirns
durchtrennt, um die Symptome zu lindern. Danach können die beiden Hirnhälften
nicht mehr miteinander kommunizieren.

Was jedoch das Erstaunliche war, die beiden Hirnhälften waren zwar nicht mehr in
der Lage, untereinander Gedanken über einen bestimmten Reiz auszutauschen,
aber sie konnten durchaus die emotionale Bedeutung eines Reizes kommunizie-
ren. Jede Art von Wahrnehmung wird also unbewusst emotional eingefärbt. Hier-
bei spielen natürlich auch die Erinnerungen wieder eine große Rolle.

Bei der emotionalen Bewertung eines aktuellen Ereignisses kommt es gar nicht
darauf an, dass uns die Ereignisse aus der Vergangenheit, die bestimmte emotio-
nale Spuren hinterlassen haben, bewusst werden. Wir haben in bestimmten Situ-
ationen oder bei bestimmten Personen einfach nur ein gutes oder ein schlechtes
Gefühl. Was uns konkret wütend oder uns Angst macht, hat häufig überhaupt
nichts mit dem zu tun, was wir aktuell erleben. Deshalb sind unsere Reaktionen für
andere Menschen in solchen Situationen auch nicht verständlich.

Wie verschiedene Experimente zeigen, und damit befinden wir uns bereits im Be-
reich der Neuroökonomie, werden viele Entscheidungen von gesunden Versuchs-
personen in der richtigen Weise getroffen, ohne dass ihnen bewusst ist, wie diese
Entscheidung zustande kam. Offensichtlich steuern hier Emotionen die Intuition.
Versuchspersonen mit Frontallappensyndrom scheitern regelmäßig in solchen Ex-
perimenten.

Emotionen stoßen uns zu

Emotionen sind in der Wissenschaft überwiegend etwas, das uns zustößt, das also
von äußeren und inneren Reizen bedingt wird, und worauf wir keine direkte wil-
lentliche Einflussnahme haben. Wir erkennen unsere Emotionen eigentlich immer
erst dann, wenn sie uns als Gefühle bewusst werden.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Die Entwicklung von bestimmten Emotionen findet nicht als bewusste Empfindung
statt, sondern als eine verhaltensmäßige und physiologische Spezialisierung, die
vom Gehirn ganz oder zumindest überwiegend unbewusst erzeugt wird. Auch
wenn wir davon ausgehen, dass es im Gehirn Module gibt, die emotionale Emp-
findungen erzeugen, bedeutet dies doch nicht, dass allein dort Emotionen ent-
stehen.

Im Gehirn gibt es viele Areale, die nur dazu da sind, etwas Erlebtes für uns größer
oder bedeutender zu machen. Die pure Wahrnehmung eines Geräusches oder von
Tönen ist nicht das Entscheidende, sondern das euphorische Gefühl, das wir zum
Beispiel mit einem ganz bestimmten Musikstück verbinden.

Die Rolle des Mandelkerns

Das bekannteste Organ zur Emotionsverarbeitung im Gehirn ist wohl der Mandel-
kern, der paarweise links und rechts vorhanden ist. Der Mandelkern verarbeitet die
eintreffenden Informationen und macht aus ihnen den ersten Schritt zum Erlebnis.

Der Mandelkern ist mit vielen Strukturen des Gehirns verbunden, und diese Verbin-
dungen in andere Regionen hinein führen dazu, dass nicht nur Überträgersubstan-
zen vermehrt ausgeschüttet werden, sondern dass das ganze hormonelle System
in Takt kommt, die so genannte hypothalamische-hypophysäre Achse.

Es kommt zur Ausschüttung von Stresshormonen oder von Hormonen, die unser
Wohlbefinden steigern, wie zum Beispiel das Prolactin oder Oxytocin, das hilft, Ver-
trauen aufzubauen. Die ganze Mischung dieser Erregung führt letztendlich dazu,
dass die Betrachtung eines ganz einfachen Gegenstandes oder Bildes in einer be-
stimmten Situation oder vielleicht auch aufgrund von Details dieses Gegenstandes
plötzlich zum Erlebnis wird.

Die Bedeutung von gelernten Informationen

Das primäre Emotionssystem basiert auf angeborenen Grundgefühlen wie Furcht,


Freude, Trauer, Ekel oder Ärger. Das sekundäre oder auch kognitiv effektive Emoti-
onssystem beruht hingegen auf einer Verknüpfung von Grundgefühlen mit spezi-
fischen, gelernten Informationen, die sowohl im Zusammenhang mit der eigenen
Autobiografie, die im episodischen Gedächtnis gespeichert ist, als auch mit einem
soziokulturellen Hintergrund stehen.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
Einfacher gesagt, heißt das, dass man sich in der einen Kultur über etwas ärgern
kann, was in einer anderen keinerlei Reaktionen auslöst. Wenn man zum Beispiel
in der arabischen Welt mit der unreinen Hand in den Essenstopf langt, wird das
ein Europäer vielleicht nicht einmal bewusst registrieren, während es bei den ara-
bischen Gastgebern Ekel und Ärger bis hin zu Zorn und Verachtung hervorrufen
kann.

Die zentrale Bedeutung der Emotionen wird heute in der Organisation und Motiva-
tion des Verhaltens gesehen. Die ständige Abfolge von Handlungen bedarf einfach
eines Auswahlsystems, das die Entscheidung zu bestimmten, gegen bestimmte
und zwischen verschiedenen Handlungszielen steuert.

KERNSAtZ
Die zentrale Bedeutung der Emotionen liegt in der Organisation und Motiva-
tion des Verhaltens.

Im Zweifelsfall muss man auch sehr schnell von einem Verhalten zu einem anderen
umschalten, wenn die Situation sich ändert, und das ist in einem rein kognitiven
Prozess allein nicht in der manchmal notwendigen Geschwindigkeit möglich.

Emotionen dienen der Kommunikation und der Orientierung

Der amerikanische Hirnforscher Joseph LeDoux hat einmal gesagt: „Emotionen sind
mächtige Motivatoren künftigen Handelns. Sie bestimmen ebenso den Kurs des
Handelns von einem Moment zum nächsten, wie sie die Segel für langfristige Ziele
setzen“. Emotionen dienen auch der Kommunikation zwischen den Individuen,
denn sie können anderen zeigen, in welchem Zustand man sich selbst befindet, es
sei denn, man versucht den emotionalen Ausdruck willentlich zu unterdrücken, um
Plane oder Wissen nicht zu verraten, was aber keineswegs immer gelingt.

In diesem Zusammenhang soll auch der Begriff der emotionalen Intelligenz nicht
unerwähnt bleiben. Entwickelt hat ihn der Psychologe und Publizist Daniel Gole-
man. Emotionale Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu re-
flektieren und nicht von ihnen überwältigt zu werden, sondern sie situationsab-
hängig zu beherrschen, zu integrieren und zu instrumentalisieren. Außerdem, und
das ist das Besondere, was die meisten Menschen mit diesem Begriff verbinden,
gehört zur emotionalen Intelligenz die Fähigkeit, sich in andere Menschen einfüh-
len zu können.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Wie weit die emotionale Intelligenz genetisch bedingt ist oder erworben werden
kann, ist höchst umstritten. Untersuchungen an Menschen mit Hirnschädigungen
des Frontallappens haben allerdings schon erwiesen, dass diese nur noch rein ver-
nunftmäßig agieren und damit deutlich schlechter im Alltag zurechtkommen als
Menschen, die auf ihre Emotionen zurückgreifen können.

Wir können uns über Gefühle auch täuschen

Wie kompliziert der Zusammenhang von Emotionen und Gefühlen ist, zeigen zum
Beispiel Experimente, bei denen Männer Bilder von Frauen betrachten dürfen. Da-
bei wird den Männern der Puls gemessen. Teilt man ihnen mit, dass sie bei einem
bestimmten Bild einen höheren Pulsschlag haben, obgleich dies tatsächlich nicht
der Fall ist, finden die Männer die Frauen auf diesen Bildern attraktiver.

Es ist also nicht die physiologische Erregung selbst, sondern ihre kognitive Reprä-
sentation und Interpretation, die für die Entstehung bestimmter Gefühle entschei-
dend sind. Es wurde aber auch nachgewiesen, dass unbewusste Wahrnehmungen
Emotionen verursachen und beeinflussen können, ohne dass dabei explizite Be-
wertungen des Probanden eine Rolle spielen. Es sind also nicht unbedingt kogni-
tive Bewertungen notwendig, um Gefühle entstehen zu lassen.

Emotionen werden insofern primär als handlungsanregende Motivationen, als


Markierungen kognitiver Prozesse und als Anstifter bestimmter Denkvorgänge an-
gesehen. Im Klartext heißt das, die Emotionen stehen als unbewusste Bewertun-
gen zwischen Reizen und Reaktionen. Erstaunlich ist auch, dass viele Menschen
ihre eigenen Emotionen nicht genau beschreiben können, während sie in der Lage
sind, den Zustand anderer Menschen zu erkennen.

Unfaires Verhalten erzeugt Ekel

Jetzt möchte ich noch einmal auf das bereits mehrfach vorgestellte Ultimatumspiel
zurückkommen. Sie wissen schon, es geht darum, eine bestimmte Geldsumme fair
oder unfair unter zwei Spielern aufzuteilen. Wenn Spieler B ein unfaires Angebot
von Spieler A ablehnt, dies aber keine Konsequenzen für A hat, bleibt das Beloh-
nungssystem von B inaktiv. Dafür zeigen sich aber Aktivitäten in der so genannten
Insula, einer Gehirnregion, in der Empfindungen wie Ekel oder Empörung zu regis-
trieren sind.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
Offensichtlich sind diese Emotionen das Gegenstück zum Gefühl der Fairness, das
wir an sich schon als Belohnung sehen. Aber es gibt ja nicht nur die Fälle, dass ein
faires Angebot gemacht und angenommen wird oder ein unfaires gemacht und
abgelehnt wird, sondern es gibt ja auch noch die Reaktion des Homo oecono-
micus, der bereit ist, ein unfaires Angebot zu akzeptieren, weil wenig besser als
gar nichts ist.

Im Gehirn der Versuchsteilnehmer, die diese unfairen Transaktionen akzeptierten,


regte sich nichts im Belohnungssystem, aber auch die Insula war nur schwach ak-
tiv. Stattdessen zeigten sich Reaktionen im präfrontalen Cortex, der für die Steu-
erung von Emotionen verantwortlich ist. Es musste offensichtlich nicht nur das
Gerechtigkeitsgefühl unterdrückt werden, sondern auch die Abneigung gegen
den Spielpartner. Dazu bedurfte es im Gehirn allerdings eines gewissen Kraftaktes.

Wer an seinem Arbeitsplatz häufig in die Situation gebracht wird, das Gerechtig-
keitsgefühl zu unterdrücken, nicht altruistisch bestrafen zu können und auch kei-
nen Ekel empfinden zu dürfen, wird langfristig wahrscheinlich Stressreaktionen
entwickeln, wie es meist in Situationen der Hilflosigkeit üblich ist.

Er wird zu plötzlichen aggressiven Reaktionen neigen, die sich nicht unbedingt


gegen Menschen richten müssen, aber im Zweifelsfall einen viel größeren Schaden
verursachen, als es bei Einhaltung einer Win-win-Situation der Fall gewesen wäre.

Zusammenfassung

Es gibt keine einheitliche Definition von Emotionen. Aus der Sicht der Neurowis-
senschaften lassen sie sich am besten erklären, wenn man sie nicht wie in der
Psychologie als psychische Zustände auffasst, sondern als biologische Funktionen
des Nervensystems, also als eine Hirnfunktion. Gefühle sind eine subjektive Erleb-
nisweise, die sich sowohl physiologisch als auch verhaltensmäßig zeigen kann und
von Emotionen ausgelöst wird oder in Emotionen münden kann.

Die zentrale Bedeutung der Emotionen liegt in der Organisation und Motivation
des Verhaltens. Sie dienen aber auch der Kommunikation zwischen den Individuen,
denn sie können anderen Menschen zeigen, in welchem Zustand man sich selbst
befindet.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Leadership-Praxis

Mit eigenen und fremden Emotionen richtig umgehen

Viele Menschen haben Probleme, mit den eigenen und fremden Emotionen richtig
umzugehen, weil sie sich nicht im Klaren darüber sind, woher diese Emotionen
kommen und was sie bedeuten. Emotionen und Gefühle sind ja sowohl der Spiegel
eigener innerer Vorgänge als auch dessen, was man in anderen erkennt bezie-
hungsweise zu erkennen glaubt.

Je geringer die Erfahrung im Umgang mit anderen höchst unterschiedlichen Men-


schen ist und je weniger Achtsamkeit man sich selbst gegenüber zeigt, desto grö-
ßer wird die Fehlerquote des eigenen Verhaltens sein.

Dabei muss man nicht einmal an so extreme Situationen denken wie die Begeg-
nung eines Anthropologen mit unbekannten Völkern. Es reicht manchmal schon, in
einem unbekannten Stadtviertel die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, um
festzustellen, wie sich die eigenen Wahrnehmungen und Reaktionen, aber auch
die der anderen Menschen unterscheiden und verändern.

Das Belohnungssystem entscheidet, was ein Erfolg ist

Emotionen steuern, wie bereits ausführlich ausgeführt, unser Verhalten und sollen
zu einem bestimmten Erfolg führen. Was als Erfolg bewertet wird, entscheidet das
Belohnungssystem eines jeden einzelnen Menschen, und diese Entscheidung kann
höchst unterschiedlich ausfallen.

Die Vernichtung eines Gegners kann ebenso als Erfolg bewertet werden wie eine
gelungene Flucht. Ein und dieselbe Situation muss aber nicht notwendigerweise
durch Zerstörung oder Flucht beendet werden, sie kann auch in einer Win-win-
Situation enden, aber eben auch mit einem Verlust. Dieser Verlust kann im ungüns-
tigsten Falle die körperliche Unversehrtheit betreffen oder im günstigsten Falle nur
die Einsicht beinhalten, falsch gehandelt oder gedacht zu haben und eine Korrek-
tur vornehmen zu müssen.

Natürlich ist es ein höchst individueller und komplexer Mechanismus, an dem alle
Gehirnsysteme beteiligt sind, der bestimmt, welche Emotionen zu welchen Hand-
lungen führen und ob diese erfolgreich sind oder nicht. Schauen wir uns in diesem
Zusammenhang noch einmal die Basisemotionen an.

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Das emotionale System – komplex und vielfältig 3
Positive Erwartungen der Mitarbeiter fördern

Da sind zunächst einmal die Erwartungen. Oft genug hoffen wir, dass ein bestimm-
tes Ereignis eintritt, obgleich unsere Vorhersagen eigentlich ein anderes Ergebnis
wahrscheinlich erscheinen lassen. Gabe es diese Erwartungen nicht, würde zum
Beispiel kein Mensch Lotto spielen. Erwartungen sind eigentlich immer etwas Gu-
tes, jedenfalls solange, wie sie nicht zu einem komplett unrealistischen oder ge-
fährlichen Verhalten führen.

Daher ist es gut, wenn Führungskräfte die positiven Erwartungen ihrer Mitarbeiter
fördern. Das haben auch verschiedene Experimente gezeigt. Gibt es weder einen
Anreiz noch eine Belohnung, bleibt auch das Belohnungssystem inaktiv. Das Glei-
che ist im Prinzip der Fall, wenn es einen Anreiz gibt, aus dem mit hundertprozen-
tiger Sicherheit eine Belohnung erfolgt. In dem Moment, in dem der Reiz gesetzt
wird, schnellt das Belohnungssystem zwar hoch, zeigt dann aber keinerlei Reak-
tion mehr, auch nicht wenn es die Belohnung gibt.

Gerade bei der Motivation von Vertriebsmitarbeitern wird oft genug der Fehler
gemacht, dass die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Prämie oder einen Bonus
zu erhalten, entweder zu groß ist oder zu gering. In beiden Fällen wird das Be-
lohnungssystem entweder gar nicht oder nur in geringem Maße aktiv. Den besten
Anreiz und die größte Aktivität des Belohnungssystems über eine längere Dauer
erzielt man dann, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Belohnung tatsächlich zu be-
kommen, bei etwa 50 Prozent liegt. Das hat sich auch in Experimenten erwiesen.

Erwartungen zu schüren, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eintreffen, lohnt


sich also nicht. Noch schlimmer ist es aber, Erwartungen zu fördern, die anschlie-
ßend ins Leere laufen. Gesprächstermine über Beförderungen oder Gehaltserhö-
hungen, die nie stattfinden, sondern immer wieder aufgeschoben werden, wirken
nicht motivierend, sondern schlagen ins genaue Gegenteil um. Das wissen erfah-
rene Führungskräfte ohnehin, nur wird oft genug der gegenteilige Effekt von Mo-
tivation, nämlich die altruistische Bestrafung durch den Mitarbeiter, unterschätzt.
Eine angekündigte Belohnung, die man nicht erhält, kann gravierende negative
Folgen haben.

Belohnungen ohne Ankündigung wirken am besten

Einen wirklich großartigen Effekt haben allerdings Belohnungen, die ohne Ankün-
digung erfolgen. Sie lassen das Belohnungssystem nach oben schnellen und wir-
ken darüber hinaus auch noch erstaunlich lange nach. Feldexperimente haben ge-

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

zeigt, dass durch überraschende Geschenke die Produktivität der Mitarbeiter um


mehr als zehn Prozent gesteigert werden kann.

Die beste Wirkung haben solche Geschenke bei den Mitarbeitern, die schon lange
für ein Unternehmen arbeiten und bei denen die Identifikation mit dem Unter-
nehmen ohnehin schon hoch ist. Dabei kommt es nicht einmal auf den Wert
des Geschenks oder auf die Höhe der Bonuszahlung an. Große Summen haben
nicht unbedingt große Wirkung, aber sie müssen so bemessen sein, dass sie einer
Wertschätzung des Mitarbeiters entsprechen und nicht als Almosen empfunden
werden.

Wichtig ist, dass Geschenke oder Zahlungen nicht nur unerwartet erfolgen, son-
dern auch von symbolischer Bedeutung sind. Außerdem müssen solche Zahlungen
und Geschenke mit einem konkreten Ereignis verknüpft sein. Ein Abendessen mit
dem Team nach Abschluss eines erfolgreichen Projekts wird länger in Erinnerung
bleiben als ein Abendessen, das eine Führungskraft nur deshalb anberaumt, weil
sie gerade einmal Zeit hat oder ein anderer Termin ausgefallen ist.

Furcht und Panik hemmen die Handlungsfähigkeit

Was man bei den Mitarbeitern auf jeden Fall vermeiden sollte, ist Furcht oder Panik
zu verbreiten. Angst ist zwar eines der stärksten Gefühle, doch lässt sie sich kaum
in ein positives Verhalten ummünzen. Auch Führungskräfte leiden unter Ängsten,
die sich dann meist in Handlungs- und Entscheidungshemmungen äußern.

Wutattacken wirken kontraproduktiv

Was bei Mitarbeitern besonders gefürchtet ist, sind wütende Vorgesetzte, vor
allem wenn deren Wutattacken vollkommen unvorhersehbar sind. Jähzorn und
Tobsuchtsanfälle beruhen wahrscheinlich auf Überbahnungen im Gehirn, was im
Volksmund mit dem Spruch „kleine Töpfe kochen leicht über“ sehr bildhaft darge-
stellt wird. Tatsächlich sollten Vorgesetzte, die zu solchen Reaktionen neigen, sich
sehr achtsam selbst beobachten, warum und wann es zu diesen Ausfällen kommt.

Leider fällt es ihnen besonders schwer, allein zu Erkenntnissen zu kommen. Meist


entschuldigen sie sich damit, ein durchaus friedlicher Mensch zu sein, der nur gele-
gentlich ausrastet. Aber genau dieses Ausrasten ist es, das die Arbeitsatmosphäre
nachhaltig verdirbt.

Ob ein Konzernchef nun mit einem Kristallaschenbecher nach seinem Assistenten


wirft oder ein kleiner Mittelständler seiner Sekretärin die Akten vom Tisch fegt,

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
auch spätere Entschuldigungen und Wiedergutmachungen ändern dann nichts
mehr daran, dass die Erwartungshaltungen für die Zukunft nachhaltig gestört sind
und dies zu unerwünschten Konsequenzen führen wird.

3.3 Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren, wie Erinnerungen entstehen und woran man sich besonders gut
erinnert. Sie sehen, dass Erinnerungen sich im Lauf der Zeit verändern können
und dass sie die Basis für unsere Erwartungen bilden. Darüber hinaus geht es
um die verschiedenen Arten des Gedächtnisses und darum, wie Lernen funktio-
niert. Schließlich werde ich Ihnen verdeutlichen, wie wichtig Erfahrungen sind.

„Wir sind Erinnerung“, so lautet der Titel des bekannten Buches des Psycholo-
gen und Gedächtnisforschers Daniel L. Schacter. Damit trifft er den Nagel genau
auf den Kopf. Jeder erwachsene Mensch wird sein Leben als eine Aneinander-
reihung großer und kleiner Erlebnisse beschreiben können. Weshalb sie für ihn
von Bedeutung sind, wurde vom Belohnungssystem und den mit dem jeweili-
gen Ereignis verknüpften positiven aber auch negativen Emotionen bestimmt.

Fakten allein spielen für das biografische Gedächtnis nie eine Rolle. Es ist immer
dann relativ stabil und funktioniert besonders gut, wenn es mit vielen starken
Emotionen verknüpft ist.

Es gibt Untersuchungen, die eindeutig zeigen, dass bei gleichzeitiger Aktivie-


rung des Belohnungssystems Inhalte, auch verbal vermittelte, besser erinnert
werden, als wenn das Belohnungssystem nicht aktiviert wird. Es kommt dabei
zu einer privilegierten Abspeicherung, die einen leichteren Zugriff ermöglicht.

Die Jugend wird am stärksten erinnert

Allerdings wird die Zahl der erinnerten Erlebnisse aus der Jugend wahrscheinlich
besonders groß sein. Deshalb spricht man in der Lebenslaufforschung auch von
einem Erinnerungshöcker, der etwa ab dem 25. Lebensjahr immer weiter abflacht.
Das heißt natürlich nicht, dass es im späteren Leben keine Erlebnisse mehr gibt, die
spontan erinnert werden können.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Doch sind diejenigen aus der Jugend meist bis ins hohe Alter hinein deutlich prä-
senter als spätere Erlebnisse, weil vieles noch neu war und deshalb die Belohnun-
gen besonders intensiv empfunden wurden und die Emotionen außergewöhnlich
stark waren. Schließlich sammelte man Erfahrungen, die ein ganzes Leben lang die
Richtung bestimmen sollten.

Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung für die gute Erinnerung von Ereig-
nissen aus der Jugend, die ich gern verwende. Dabei vergleiche ich das Gedächtnis
mit einem Aktenschrank, in dem zunächst noch viel Platz ist und alle Erinnerungen
sehr gut geordnet abgelegt und wiedergefunden werden können. Dann füllt sich
dieser Aktenschrank.

Neue Informationen können nicht mehr dort untergebracht werden, wo sie ei-
gentlich hingehören, also kommen sie dorthin, wo gerade noch Platz ist. Nach und
nach wird immer mehr in den Schrank gestopft und die ursprüngliche Ordnung
geht für die Dinge, die später kommen, verloren. Entweder erinnert man sich, wo
man sie hingelegt hat, oder man beginnt sie zu suchen. Genauso ist es mit dem
Gedächtnis.

Das Gedächtnis macht uns vorsichtiger

Grundsätzlich sind angst- oder stressbesetzte Ereignisse besser in der Erinnerung


verhaftet als positive, freudige Ereignisse. Das ist sicher evolutionsbedingt und
hängt mit hirnorganischen Prozessen zusammen, die in Situationen von Angst und
Stress die Steuerung des Verhaltens übernehmen. Das bedeutet nicht, dass man
sich im Laufe seines Lebens nur an negative Ereignisse erinnert, auch die kann man
vergessen oder zurückdrängen, nur hinterlassen positive Ereignisse in der Regel
flachere Spuren.

Erinnerungen sind individuell und höchst unterschiedlich

Jeder, der selbst einmal in seinen Erinnerungen schwelgt, wird feststellen, dass es
häufig nicht die großen, komplexen Ereignisse sind, die sich in seine Erinnerung
eingegraben haben, sondern oft hauptsächlich Details oder Situationen, die für
andere vollkommen nebensächlich waren.

Wenn einem Schulfreund in der Turnstunde am Reck die Hose geplatzt ist und
man seinen nackten Hintern sehen konnte, erinnert man sich auch noch 40 Jahre
später daran, während Tausende anderer Turnstunden in der Dunkelheit des Ver-

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
gessens versunken sind. Die großen Momente in der Erinnerung unterliegen also
einer höchst individuellen Wahrnehmung und Bewertung.

Erwartungen basieren auf Erinnerungen

Heute weiß man, dass Erinnerungen und Erwartungen in denselben Hirnregionen


erzeugt werden. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung. Die Zukunft baut also
immer, wenn auch unbewusst, in irgendeiner Form auf der Vergangenheit auf, und
man kann etwas nur in dem Rahmen erwarten, der durch die Erinnerungen vorge-
geben wird. Alles andere ist neu und überraschend und löst im Gehirn vollkommen
andere Regelkreisläufe aus. Wenn es also darauf ankommt, etwas Neues bei einem
Menschen gut zu verankern, ist es wichtig, das Neue mit etwas Bekannten zu
verbinden.

Das Neue ist zwar reizvoll, aber das Bekannte gibt Sicherheit, Geborgenheit und
Kompetenz. Deshalb neigen die Menschen auch generell zum Schubladendenken,
indem sie das Neue dem Bekannten zuordnen. Dabei muss es sich allerdings um
eine ausgewogene Mischung handeln. Ist etwas komplett unvorhersehbar, bedeu-
tet das für den Rezipienten Chaos. Gibt es keine Überraschung, ist es langweilig.

Unerwartetes und Unbekanntes erwecken Aufmerksamkeit

Natürlich weiß die Neurowissenschaft längst, dass das Neue das Gehirn stimuliert.
Deshalb gibt es auch die Empfehlung an Aus- und Weiterbilder, eine Lerneinheit
nicht etwa mit der Wiederholung des schon bekannten Stoffes zu beginnen, son-
dern neue Inhalte vorzuziehen. Neue Reize können nämlich das Einprägen bekann-
ter Informationen erleichtern.

Dies gilt natürlich auch für Präsentationen, Vortrage und Reden. Viele Referenten
glauben ihre Zuhörer erst einmal mit bereits bekannten Tatsachen „abholen“ zu
müssen. Das schläfert aber nur ein. Richtig ist es, mit Neuem und Unerwarteten
zu beginnen und dann eine Brücke zu den bekannten Kernbotschaften zu bauen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an die Ausführungen zum P 300 Phänomen
und zum Shock Novel Reiz erinnern. Ein Konzert, in dem plötzlich ein Hund bellt,
wird stärker in Erinnerung bleiben, als eines, in dem man sich ungestört dem Hör-
genuss hingeben konnte.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Erinnerungen verändern sich

Die meisten Menschen gehen davon aus, dass sie Erinnerungen in einer Weise „be-
sitzen“, wie sie auch Gegenstände besitzen. Sie vermuten, dass ihre Erinnerungen
genau so unveränderlich sind wie die Dinge in der realen Welt.

Wenn man seine Armbanduhr am Abend auf den Nachttisch legt, wird sie am nächs-
ten Morgen noch dieselbe sein wie am Abend zuvor. Bei einer Erinnerung muss das
aber keineswegs der Fall sein. Nach dem Schlaf stellen sich viele Dinge anders dar
als zuvor. Wir wissen heute, dass sich Erinnerungen nicht nur verändern können,
sondern sich im Laufe der Zeit auch tatsächlich verändern. Sie werden bearbeitet,
neu bewertet, sie gewinnen an Bedeutung oder verlieren diese allmählich.

KERNSAtZ
Erinnerungen werden ständig bearbeitet und neu bewertet.

„Meine Erinnerungen kann mir keiner nehmen“, zumindest nicht solange das Ge-
hirn gesund ist und richtig funktioniert. Das bedeutet aber nicht, dass diese Erin-
nerungen wahr sind, denn Erinnerung und Geschichte sind nicht dasselbe.

Es ist nicht so, dass unser Leben Tag für Tag die Erinnerungen aufbaut, vergleich-
bar einem Maurer, der einen Stein auf den anderen legt, und dadurch irgendwann
unser Leben wie ein fertiges Gebäude vor uns steht, mit Grundmauern, Wänden,
die Halt geben, Fenstern und einem schützenden Dach. An einem solchen Lebens-
gebäude von sicherem Bestand würden im Laufe der Zeit zwar immer wieder Ver-
änderungen vorgenommen werden, neue Ausblicke nach draußen oder hier und
da ein neuer Anbau oder eine leichte Renovierung, aber mehr nicht.

Doch stimmt dieses Bild vom Gedächtnis nicht. Unser Gedächtnis arbeitet eher
wie ein Maler vor einer großen Leinwand. An einigen Stellen gibt es leere Flächen,
andere Flächen werden täglich neu übermalt, viele Figuren erhalten neue Gesichter
und andere verschwinden ganz. So er schafft das Gedächtnis kontinuierlich das
Bild unseres Lebens neu.

Man sollte das Gedächtnis auch nicht als eine Brille sehen, die den Blick auf das
Wesentliche schärft, oder als „rosa Brille“, die die eigene Vergangenheit immer viel
schöner aussehen lässt, als sie tatsächlich war. Das Gedächtnis ist viel eher mit ei-
nem Kaleidoskop zu vergleichen, das einem ein aus vielen Einzelteilen zusammen-
gesetztes, buntes Bild liefert, das sich schon beim geringsten Anstoß verändert.

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
Die Unmöglichkeit, neue Erinnerungen zu schaffen

In der Geschichte der Epilepsie-Therapie gibt es ein Beispiel, das die Entstehung
von Erinnerungen auf dramatische Weise verdeutlicht. Im Jahr 1953 wurde der da-
mals 27-jährige Epilepsie-Patient H. M. am Montreal Neurological Institute in Ka-
nada operiert. Dabei wurden ihm die medialen Schläfenlappen einschließlich beider
Hippocampus-Formationen entfernt, um so seine schweren epileptischen Anfälle
zu lindern.

Seither kann der Patient sich nichts Neues mehr im deklarativen Gedächtnis mer-
ken. Dabei sind seine Intelligenz und sein Kurzzeitgedächtnis nicht eingeschränkt.
Aber schon fünf Minuten später hat er alles vergessen, was eben noch war. An
Ereignisse und Tatsachen, die er vor seiner Operation im Gedächtnis gespeichert
hat, kann er sich noch gut erinnern.

Insofern ist sein Gedächtnis im Jahr 1953 „eingefroren“ worden. Er hat in diesem
Zusammenhang auch keine Erinnerungsstörungen. Selbst sein implizites Gedächt-
nis ist intakt. H. M. hat bestimmte motorische Fähigkeiten neu gelernt, wie zum
Beispiel spiegelverkehrt zu schreiben, was in Tests immer wieder überprüft wurde,
nur kann er sich an die Tests selbst nicht erinnern.

Natürlich gibt es noch andere Krankheiten, die das Gedächtnis oder Teile davon
trüben. Doch hier geht es um die Plastizität des Gehirns beim gesunden Menschen,
die entweder zu unserem Vorteil genutzt werden kann oder zu einer Behinderung
im Alltag führt.

Was war wirklich? – Wie die Erinnerung funktioniert

In der Wissenschaft gab es lange Zeit zwei grundsätzliche Positionen, die die Art
und Weise, wie das Gedächtnis funktioniert, vollkommen gegensätzlich beschrie-
ben. Die eine war der Atomismus und die andere der Globalismus.

Der Atomismus ist durch den Begriff der „Großmutterzelle“ bekannt geworden.
Danach werden bestimmte Merkmale oder Merkmalskombinationen von einzelnen
Neuronen oder Neuronengruppen gespeichert. Würden diese Hirnzellen zerstört,
wäre auch die Erinnerung unweigerlich ausgelöscht. Das ist in der Praxis jedoch
nicht so.

Deshalb gingen die Vertreter des Globalismus davon aus, dass das ganze Großhirn
einem Hologramm ähnelt, in dem überall Teile eines Bildes gespeichert sind, aus

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

denen sich jeweils wieder das ganze Bild rekonstruieren lässt. Selbst wenn große
Teile des Gehirns ausfallen würden, wäre der Gedächtnisinhalt nur unwesentlich
vermindert.

Heute weiß man, dass beide Theorien als grundsätzliches Konzept nicht taugen.
Denn beide haben Recht und Unrecht zugleich. Es gibt große Schädigungen,
nach denen das Gehirn der Betroffenen oft völlig normal weiter funktioniert, und
manchmal haben schon sehr kleine Schädigungen den Ausfall bestimmter Funkti-
onen, zum Beispiel des Erkennens von Gesichtern oder Farben, zur Folge. Manche
Hirnfunktionen sind auf bestimmte Regionen beschränkt, andere nicht.

Das Gedächtnis dient der Zukunft

Grundsätzlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass das Gedächtnis nicht nur
dazu dient, in Erinnerungen schwelgen zu können, sondern seine Hauptaufgabe
besteht darin, Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, von denen wir annehmen,
dass wir sie in Zukunft nutzen können oder dass sie uns in Zukunft helfen, etwas
zu verstehen, zu bewerten und zu entscheiden.

Das Gedächtnis ist also nicht auf die Vergangenheit gerichtet, sondern schaut von
der Gegenwart beständig in die Zukunft. Wir speichern nichts, was uns heute nicht
interessiert und von dem wir nicht annehmen, dass es für uns in Zukunft einen
Wert besitzen könnte. Alle aktuell eingehenden Informationen interagieren mit
den Erinnerungen, weil sie im Gehirn an denselben Orten, wo ähnliche Sachver-
halte gespeichert worden sind, auch wahrgenommen und ebenfalls gespeichert
werden.

KERNSAtZ
Die Hauptaufgabe des Gedächtnisses besteht darin, Fähigkeiten zur Verfügung
zu stellen, von denen wir annehmen, dass wir sie in Zukunft nutzen können.

Wenn wir uns an etwas Positives erinnern, sind wir uns bewusst, dass wir uns er-
innern, und wir können die Erinnerung selbst auch wiederum räumlich und zeitlich
einordnen. Das alles dient der Orientierung und der Gegenwartsbewältigung. Da-
bei legt das Gedächtnis durchaus ein gewisses „Wichtigkeitsdenken“ an den Tag.
Es behält bestimmte Erinnerungen nur so lange, wie sie ihm wertvoll und brauch-
bar erscheinen. Das andere wird vergessen, was jedoch nicht bedeutet, dass es
gelöscht wird, sondern es wird beim Aufbau neuer Verbindungen einfach nur nicht
mehr angefahren.

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
KERNSAtZ
Das Gedächtnis entscheidet, was subjektiv wichtig und unwichtig ist.

Veränderungen sind die Regel, nicht die Ausnahme

Das Gehirn verändert sich ständig. Man kann es sich wie eine große Straßenkarte
vorstellen. Wenn eine Umgehungsstraße gebaut wird oder eine neue Autobahn,
dann wird die alte Ortsdurchfahrt nicht mehr genutzt, sondern man kommt auf
dem neuen Weg von A nach C schneller voran, als noch über B zu fahren. Es braucht
nicht mehr als eine halbe bis eine Stunde, bis neue Synapsen, also Verbindungen
zwischen Neuronen, nachgewiesen werden können. Auch das Lesen dieses Buches
verändert Ihr Gehirn.

Manchmal können wir uns daran erinnern, dass wir früher andere Ansichten und
Wertvorstellungen hatten, doch oft ist es auch so, dass wir uns an Situationen, die
zum Beispiel vor einer Lernphase lagen, nicht mehr erinnern und nicht mehr die
Gefühle aus dieser Zeit wachrufen können. Die meisten Menschen erinnern sich
noch gut daran, wie sie das Lesen lernten und welches die ersten Worte waren,
aber wie es war, nicht lesen zu können, ist im Gehirn gelöscht und wird erst wieder
erweckt, wenn sie in Tokio oder Beijing weder die Straßenschilder noch die Wer-
bung entziffern können.

Je größer und emotional bewegender ein Ereignis war, desto prägnanter wird es
gespeichert und desto leichter wird es vom Bewusstsein und vom Unbewussten in
einer späteren Situation abgerufen. Emotionen steuern also das selektive Gedächt-
nis. Das gilt nicht nur für die Ereignisse der Kindheit und Jugend, die oft einmaligen
singulären Charakter haben, sondern auch für Ereignisse des Erwachsenenlebens.
Es ist nur so, dass mit zunehmender Erfahrung die Vergleiche und Verknüpfungen
mit früheren Ereignissen eine immer größere Rolle spielen.

Neue Erinnerungen ersetzen alte

Grundsätzlich ersetzt das Gehirn selbst alte Erinnerungen ständig durch neue.
Denn in dem Moment, in dem sie ins Bewusstsein gerufen werden, werden sie
bearbeitet und mit neuen Verbindungslinien versehen, und eventuell werden die
Erinnerungen dann an anderer Stelle abgelegt. Dabei handelt es sich dann aller-
dings nicht um das, was in der Wissenschaft als „false memory“ (Pseudoerinne-
rung) bezeichnet wird.

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Die Gedächtnisbildung ist immer stark mit Emotionen verknüpft. Eine Veränderung
von Gedächtnisinhalten kann daher durch den Einsatz von Emotionen erreicht
werden. So wird das Voraugenführen eines ungerechten Lebensumstandes in der
Folge dazu führen, dass die Lebenssituation nicht mehr als positiv erkannt wird,
obgleich vorher Zufriedenheit bestand.

Tatsächlich kann man aber auch bei Menschen von außen Erinnerungen wachrufen
und diese Gedächtnisinhalte mit neuen Informationen versehen, die dann von der
betreffenden Person als eigenes Erlebnis oder eigene Bewertung gespeichert wer-
den. Menschen erinnern sich zum Beispiel an Kriegserlebnisse, an denen sie nicht
oder zumindest nicht so beteiligt waren, wie es ihnen ihre Erinnerung vorgaukelt,
weil es sich nämlich tatsächlich um Szenen aus Dokumentarfilmen handelt, die sie
in ihre eigene Erinnerung eingebaut haben.

Ein ganz reales Problem bei dieser Art der Erinnerungsfälschung besteht im Zusam-
menhang mit dem Kindesmissbrauch. Es gab durchaus Fälle, in denen sich erwach-
sene Frauen an Ereignisse in ihrer Kindheit erinnerten, die so nie stattgefunden ha-
ben konnten, die sich aber in ihrem Gedächtnis finden, weil die Frauen im Rahmen
psychotherapeutischer Behandlungen ihre Erinnerungen umgestaltet haben, um
eine plausible Erklärung für ihr gegenwärtiges Befinden zu erhalten.

Das heißt keineswegs, dass jede Kindheitserinnerung falsch sein muss, aber es wurde
im Rahmen von Experimenten nachgewiesen, dass man Menschen durchaus falsche
Erinnerungen einreden kann und dadurch ihr gegenwärtiges Verhalten verändert.

So wie Vorinformationen die Deutung und den Verlauf einer nachfolgenden Situa-
tion bestimmen, so können auch neue Erfahrungen zur Umdeutung der Erinnerun-
gen führen. Je stärker eine aktuelle Erfahrung ist, desto besser kann sie Erinnerun-
gen überschreiben. Am besten wird das erinnert, was man selbst oder gemeinsam
mit anderen gemacht hat. Wenn man zum Beispiel als Team eine Verbesserung
erarbeitet hat, wird man sich regelmäßig daran erinnern und kann weitere positive
Informationen im Rahmen der Rückschau hinzufügen.

Lernen, um bewusst Inhalte zu speichern

Lernen bedeutet für uns in erster Linie, bestimmte Inhalte so lange zu wieder-
holen, bis sie vom Kurzzeitgedächtnis an das Langzeitgedächtnis weitergereicht
werden. Nur ist das Lernen im tristen Klassenzimmer ebenso mühselig wie in edlen
Sitzungssälen.

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
Das Lernen durch Wiederholung ist allerdings eine Methode, die nur bei jungen
Menschen bis zum 25., eventuell bis zum 30. Lebensjahr gute Erfolge zeigt. Wie wir
schon an anderer Stelle dargestellt haben, lernen ältere Menschen, also ab dem
30. Lebensjahr, anders. Sie lernen im Kontext, also über so genannte Eselsbrücken,
oder strategisch und nutzen dazu auch andere Regionen im Gehirn als die, die
beim Wiederholungs-Lernen aktiviert werden.

Unabhängig davon, ob es sich um Veränderungsprozesse innerhalb eines Unter-


nehmens handelt oder um die Vorstellung eines neuen Produktes, hier kann die
Methode des so genannten Storytelling sinnvoll sein. Das bedeutet nichts anderes,
als Inhalte mit Erlebnissen und Emotionen zu verknüpfen. Das Verschicken einer
Arbeitsmappe oder eines Prospekts ist vielleicht preisgünstiger, aber längst nicht
so wirkungsvoll.

Lernen ist das Speichern von individuell und selektiv erworbenen Informationen
aus der Umwelt im Gedächtnis in abrufbarer Form. Lernen spielt sich also immer
im Kopf eines jeden Einzelnen ab, selbst wenn der Lernakt als solches im Kollektiv
stattfindet. Wir kennen so etwas noch aus der Schule, wenn gemeinsam laut ein
Text gelesen wird und natürlich erst recht, wenn man gemeinsam ein Lied singt.

Die verschiedenen Arten des Gedächtnisses

Ziel allen Lernens ist es, bestimmte Informationen im Gedächtnis abzuspeichern.


Dabei sollte man sich bewusst sein, dass das Gedächtnis einerseits in ein Kurzzeit-
gedächtnis und ein Langzeitgedächtnis aufgegliedert ist und dieses wiederum in
ein deklaratives semantisches und prozedurales Gedächtnis.

Das Kurzzeitgedächtnis ist das Arbeitsgedächtnis, während das Langzeitgedächt-


nis die Person mit all ihren Eigenschaften formt. Eine Telefonnummer, die gerade
besetzt ist, wird bis zum erneuten Anruf nur wenige Minuten im Arbeitsgedächtnis
gespeichert. War das Gespräch dann allerdings von grundsätzlicher Bedeutung,
landet wahrscheinlich auch die Telefonnummer im Langzeitgedächtnis.

Im deklarativen Gedächtnis werden gewusste und bewusste Inhalte, also das Wis-
sen, gespeichert. Ebenso findet sich hier das episodische oder biografische Ge-
dächtnis, das Ereignisse, Fakten und Erlebnisse der eigenen Biografie umfasst,
sowie das semantische Gedächtnis, das lebensweltliche Hintergrundwissen. Die
Informationen werden hier zunächst kontextabhängig abgespeichert, was beson-

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

ders gut funktioniert, wenn Emotionen beteiligt sind und wenn das Belohnungs-
system aktiviert ist. Später lösen sich dann die Fakten los und werden selbststän-
dig und ohne Kontext als Wissen genutzt.

Das prozedurale Gedächtnis speichert ablaufspezifische Fertigkeiten, wie zum Bei-


spiel Gitarre spielen oder Fahrradfahren und die motorischen, mechanischen Tätig-
keiten am Arbeitsplatz. Aber auch die Reaktion auf einen Klingelton des Telefons
ist dort abgelegt. Bei motorischen Prozessen greifen höherrangige Hirnfunktionen
nicht mehr ein. Allerdings benötigt diese Automatisierung Zeit. Der Mensch muss
üben, um zum Beispiel auf der Klarinette bestimmte Tonfolgen in einer Geschwin-
digkeit zu spielen, die durch bewusstes Denken nicht möglich ist, sondern nur
aufgrund einer fest gespeicherten Matrix.

Die im prozeduralen Gedächtnis gespeicherten motorischen Abläufe sind extrem


stabil im Gehirn verankert und nur sehr schwer zu verändern. Wenn zum Beispiel
eine Sekretärin eine neue Tastatur für ihren Computer erhält, auf der bestimmte
Funktionstasten anders angeordnet sind als auf ihrer bisherigen Tastatur, braucht
sie sehr lange, um sich daran zu gewöhnen.

INFO
Deklaratives Gedächtnis
Das deklarative Gedächtnis, auch Wissensgedächtnis oder explizites Gedächt-
nis genannt, speichert Inhalte, die bewusst wiedergegeben werden, also das
Wissen, aber auch implizite Inhalte. Es wird unterteilt in das semantische und
das episodische oder biografische Gedächtnis. Im semantischen Gedächtnis
ist das lebensweltliche Hintergrundwissen oder Weltwissen gespeichert, also
von der Person unabhängige Fakten, im biografischen Gedächtnis persönliche
Erlebnisse, Ereignisse und Fakten.
Prozedurales Gedächtnis
Das prozedurale Gedächtnis, auch Verhaltensgedächtnis oder implizites Ge-
dächtnis genannt, speichert ablaufspezifische Fertigkeiten und Verhaltenswei-
sen, die ohne Einsschaltung des Bewusstseins funktionieren. Dazu gehören
die motorischen, mechanischen Tätigkeiten am Arbeitsplatz, die erlernt und
eingeübt worden sind, sowie das Spielen von Instrumenten und zum Beispiel
das Fahrradfahren. Beim Erlernen kommt es zu strukturellen Veränderungen
des Gehirns. Aber auch die Reaktion auf einen Klingelton vom Telefon ist dort
abgelegt.

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
Lernen zeigt sich in einem mehr oder weniger lang anhaltenden veränderten Ver-
halten, das allerdings sowohl bei Kindern und erst recht bei Erwachsenen abhängig
von früheren Erfahrungen ist. Lernen basiert auf einer spezifischen Verstärkung
bestimmter Nervenzellen im zentralen Nervensystem, und zwar einer erleichterten
Signalübertragung an den Synapsen durch biochemische und strukturelle Modifi-
kationen.

Es gibt heute ja geradezu eine Flut von populären Publikationen über das Gehirn,
die alle versuchen zu erklären, wie es funktioniert. Da werden dann die Neuronen
beschrieben, deren Fortsätze, die Dendriten und die Axone. Aber wenn man sich
dieses Neuronengeflecht einmal unter dem Mikroskop anschaut und beobachten
kann, wie sie sich innerhalb von wenigen Stunden umsetzen, verschwinden oder
an anderer Stelle wieder aufbauen, dann wundert man sich, wie ein solches System
imstande ist, eine Langzeitspeicherung von konstanten Inhalten vorzunehmen.

Tatsächlich weiß bis heute noch niemand, wie diese Fülle von Informationen, über
die wir ja tatsächlich verfügen, langfristig gespeichert wird. Ich vermute, dass dort
ein System dahinter steckt, das wir einfach noch nicht verstanden haben.

Lernen ist sowohl ein Prozess, nämlich der Informationsaufnahme, -verarbeitung


und -speicherung, als auch ein Produkt, nämlich die Disposition, künftiges Verhal-
ten an den gemachten Erfahrungen zu orientieren, es zu modifizieren oder auch
zu unterlassen. Lernen ermöglicht eine flexiblere Reaktion auf Umweltreize und
Umweltveränderungen.

Die meisten Menschen verstehen unter Lernen zunächst einmal nur das Einspei-
chern von Wissen, wie es zum Beispiel beim Vokabellernen geschieht, und sie über-
sehen dabei, dass es durchaus sehr unterschiedliche Formen des Lernens gibt.

Auch Gewöhnung ist eine Form des Lernens

Da ist zunächst einmal die Habituation, die man auch als Gewöhnung oder nega-
tives Lernen bezeichnen kann. Hierbei lässt die durch einen Reiz ausgelöste Reak-
tion langsam nach. Wenn also die Führung eines Unternehmens beim jährlichen
Meeting der Vertriebskräfte stets dieselben Phrasen drischt, dieselben Forderun-
gen stellt und vielleicht sogar immer dieselben Drohungen ausstößt, dann gewöh-
nen sich die Mitarbeiter sicherlich schnell daran, weil sie wissen, dass damit weder
Hoffnungen noch Befürchtungen zu verknüpfen sind.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Sensibilisierung versetzt uns in Alarmbereitschaft

Eine ganz andere Form des Lernens ist die Sensibilisierung, also die Verstärkung der
Reaktion auf wiederkehrende, vielleicht bedrohliche, aber auch auf viele andere
neutrale Reize. Dadurch kann die Alarmbereitschaft gegenüber Gefahrenquellen,
vielleicht einem neuen Wettbewerber oder einem Wettbewerber mit einem überle-
genen Produkt, erhöht werden. Diese Sensibilisierung ist ein weitaus komplexerer
Prozess als die Habituation und sie kann dazu führen, dass eingefahrenes Verhal-
ten verändert wird.

Die klassische Konditionierung, also das Reizreaktions Lernen, bei dem zwei Reize
miteinander verknüpft werden, findet man oft im Rahmen so genannter Motiva-
tions-Veranstaltungen. Wer sich in einer bestimmten Weise verhält, bekommt eine
Belohnung.

Wissen, wie man es macht

Instrumentelles Lernen ist häufig ein wesentlicher Bestandteil von Schulungsver-


anstaltungen. Hier wird durch positive und negative Verstärkung der Aufbau eines
bestimmten Verhaltens gefördert, das dann routinemäßig und zielgerichtet einge-
setzt werden soll. Dabei ist es gleichgültig, ob es um den Vertrieb neuer Finanzpro-
dukte geht oder um die Wartung eines neuen Automodells.

Auch das Nachahmungslernen wird bei Schulungsveranstaltungen eingesetzt, wo-


bei sich die einzelnen Teilnehmer an dem Verhalten der anderen orientieren. Wenn
die Mehrheit begeistert ist, wird die Minderheit ihre Bedenken leichter zurück-
stellen.

Das so genannte kognitive Lernen, also das Lernen unter Einbeziehung von Denk-
prozessen, um Einsicht in Funktionszusammenhänge, Mechanismen, Gesetzmäßig-
keiten und Konsequenzen zu erhalten, ist hauptsächlich ein sprachliches Lernen,
wie wir es aus der Schule kennen. Hier steht das Einspeichern von Wissen durch
zunehmende Übung im Vordergrund.

Erfahrungen – Die unbewusste Art des Lernens

Erfahrungen werden in unserer Gesellschaft zurzeit ja verhältnismäßig gering ge-


schätzt und so behandelt, als würde es sich dabei nur um veraltetes Faktenwissen
aus einer Zeit handeln, in der es noch kein Internet, keine Laptops und keine Han-

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Das Gedächtnissystem bestimmt, wer wir sind 3
dys gab. Diese Betrachtungsweise ist jedoch vollkommen falsch. Bei Erfahrungen
handelt es sich um die wertvollste Art des Wissens, denn sie nutzen nicht nur eine
Form des Gedächtnisses, wie es beim Faktenwissen der Fall ist, sondern Erfahrung
kombiniert die verschiedenen Gedächtnissysteme miteinander.

Es ist unter Personalverantwortlichen in Betrieben weit verbreitet, keine älteren


Arbeitnehmer mehr einzustellen. Neben den höheren Kosten spielt dabei die Vor-
stellung eine Rolle, dass diese Altersgruppe nicht mehr in der Lage sei, neues Wis-
sen, mit dem sie täglich konfrontiert wird, noch ausreichend aufzunehmen. Dies
ist ein Irrtum. Das alternde Gehirn ist leistungsfähiger, als man denkt. Die vorhan-
denen Fähigkeiten müssen nur besser genutzt werden.

Das Gedächtnis älterer Menschen ist nicht schlechter als das jüngerer Menschen,
es muss nur anders „gefüttert“ werden. Untersuchungen mittels funktioneller
Kernspintomografie zur Lokalisation von Gedächtnisaufgaben im Gehirn haben
gezeigt, dass junge Menschen unter 25 Jahren über Wiederholungen lernen (zum
Beispiel beim Vokabellernen) und den Schläfenlappen des Gehirns benutzen.

Ältere Menschen tun sich zwar viel schwerer, Vokabeln auswendig zu lernen als
jüngere. Trotzdem sind sie noch in der Lage, eine Sprache zu erlernen, wenn sie
kontextabhängig lernen, zum Beispiel in einem Sprachlabor.

Ältere Menschen über 50 Jahre lernen mehr über Strategien (zum Beispiel Esels-
brücken) und aktivieren beim Lernen das mittlere Stirnhirn, also den Teil, der stra-
tegische Denkleistungen erbringt. Diese Technik machen sich übrigens auch Ge-
dächtniskünstler zueigen, die damit enorme Gedächtnisleistungen erzielen. Nicht
das Gedächtnis älterer Menschen ist schlecht, sondern die Lernmethoden taugen
nichts, die man ihnen aufzwingt.

Erfahrung bringt Vorteile

Generell sollte die Summe der Erfahrungen nicht unterschätzt werden, die das Ge-
hirn über Jahre hinweg als Information gespeichert hat. Eine Untersuchung in Pa-
pua Neuguinea hat gezeigt, dass ältere Jäger trotz ihrer körperlich eingeschränk-
ten Leistungsfähigkeit (geringere Seh- und Hörfähigkeit sowie Ausdauerleistung)
bei der Einzeljagd etwa vier Mal so viel Jagdbeute nach Hause bringen wie die
jüngeren, körperlich fitten Jäger. Das ließ sich eindeutig in Kilogramm nachwiegen.

Erfahrung kompensiert also nicht nur eindeutig körperliche Überlegenheit, son-


dern bringt ganz konkrete Vorteile. Viele mögen vielleicht eingestehen, dass dies

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zwar auf Gesellschaften von Jägern und Sammlern zutreffen mag, in unserer mo-
dernen Gesellschaft jedoch keinerlei Gültigkeit mehr hat. Dem stehen allerdings
Untersuchungen entgegen, die bei Piloten vorgenommen worden sind.

Das Fliegen großer Passagiermaschinen ist ja nicht nur ein höchst verantwortungs-
voller Beruf, sondern er erfordert auch die richtige Erfüllung komplexer Aufgaben,
oft in Sekundenbruchteilen, wie uns die stürmische Landung einer Maschine auf
dem Hamburger Flughafen im Frühjahr 2008 so eindrucksvoll vor Augen geführt
hat.

Piloten werden in Flugsimulatoren nicht nur trainiert, mit den schwierigsten Situa-
tionen umgehen zu können, sondern mit diesen Geräten wird auch ihre Leistungs-
fähigkeit in regelmäßigen Abständen immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Wer
zu viele Fehler macht oder zu oft falsch reagiert, darf dann nicht mehr fliegen. In
solchen Simulationen werden künstliche Schwierigkeiten eingebaut, mit denen die
meisten Piloten niemals in ihrem Leben konfrontiert werden, die sie aber dennoch
perfekt beherrschen müssen.

Die dabei vorgenommenen Messungen werden dann nach standardisierten Ver-


fahren im Detail ausgewertet. Und die Ergebnisse solcher Studien zeigen, dass so-
wohl das Alter des Piloten als auch seine Erfahrung die entscheidenden Parameter
für seine Leistungsfähigkeit sind.

Das heißt, ein älterer Pilot ist selbst dann noch ein guter Pilot, wenn er über weni-
ger Flugstunden verfügt als der Durchschnitt.

Aber ein jüngerer Pilot ist einem älteren bei gleicher Flugstundenzahl in der Leis-
tung meist unterlegen. Wenn es also darum geht, komplexe Aufgaben zu erfüllen,
spielen Alter und Erfahrung die größte Rolle. Ein besseres Beispiel für die Veran-
schaulichung des Wertes der Erfahrungen kann man wohl kaum anführen.

Zusammenfassung

Erinnerungen sind individuell und höchst unterschiedlich. Sie bilden die Basis für
unsere Erwartungen. Das Gedächtnis ist nicht auf die Vergangenheit gerichtet,
sondern schaut von der Gegenwart beständig in die Zukunft. Wir speichern nichts,
was uns heute nicht interessiert und von dem wir nicht annehmen, dass es für uns
in Zukunft einen Wert besitzen könnte. Dabei ersetzen neue Erinnerungen alte.

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Lernen ist das Speichern von individuell und selektiv erworbenen Informationen
aus der Umwelt im Gedächtnis in abrufbarer Form. Lernen spielt sich also immer
im Kopf eines jeden Einzelnen ab. Wenn es darum geht, komplexe Aufgaben zu
erfüllen, spielen Alter und Erfahrung die größte Rolle.

Leadership-Praxis

Entwicklungsmöglichkeiten und -potenziale von Mitarbeitern erkennen

Wir alle neigen dazu, bei anderen Menschen besonders hervorstechende Eigen-
schaften wahrzunehmen und unser Gegenüber danach in bestimmte Schubladen
zu sortieren. Doch wie richtig liegen wir mit einer solchen pauschalen Klassifizie-
rung? Das ist auch die immer wiederkehrende Frage, die sich Verantwortliche bei
Einstellungsgesprächen stellen.

Tatsächlich ist es so, dass das Schubladendenken zwar unser kurzfristiges Verhal-
ten prägt, dass es aber keine langfristigen Vorhersagen zulässt. Situatives Verhal-
ten wird andere Eigenschaften zutage fördern, als es bei einem Einstellungsge-
spräch der Fall war.

Man darf auch nicht die Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit eines jeden Men-
schen unterschätzen. Einstellungsgespräche geben Momentaufnahmen wieder
und ermöglichen bis zu einem gewissen Maße den Vergleich verschiedener Bewer-
ber untereinander. Um das Entwicklungspotenzial von Mitarbeitern erkennen zu
können, braucht es jedoch deutlich mehr Zeit.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass ein gewöhnlich Begabter


rund 10.000 Stunden benötigt, um eine spezielle Fertigkeit professionell ausführen
zu können. Nun bringen die meisten Mitarbeiter ja schon ein gewisses Vorwissen
mit, weil sie entweder eine Lehre oder ein Studium absolviert haben. Sie werden in
der Regel keine 10.000 Stunden mehr brauchen, um sich einzuarbeiten.

Da sich aber auch die Arbeitsbedingungen ständig ändern, kommt es bei den meis-
ten Positionen weniger darauf an, was der Einzelne bis dahin an fachlichen Fer-
tigkeiten gelernt hat, sondern eher darauf, wie weit er zu effektivem Neulernen
befähigt ist. Leider sind die meisten Ausbildungen in Deutschland immer noch auf
die Vermittlung von Wissen und nicht auf das Training von Denk- und Lernfähigkeit
ausgelegt.

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Die Frage nach der Persönlichkeit eines Menschen

Die fachliche Eignung eines Bewerbers lässt sich für die meisten Positionen in einem
Unternehmen anhand von Examensnoten und Zeugnissen sowie einem lückenlo-
sen Lebenslauf recht genau einschätzen. Aber wie ist es um die Persönlichkeit be-
stellt? Hier gibt es bei den Personalverantwortlichen nach wie vor ganz erhebliche
Unsicherheiten, die man entweder durch ausführliche Gespräche, psychologische
Tests oder Beobachtung der ausgewählten Kandidaten in schwierigen Situationen
innerhalb von Assessment Centern auszuräumen versucht.

Bevor man sich allerdings daran macht, die Persönlichkeit eines Menschen zu be-
werten, sollte man sich zunächst noch einmal die grundsätzliche Frage stellen,
was Persönlichkeit überhaupt ist. Schon seit dem Altertum versucht man den
Menschen nach seinem Temperament, nach seinen Lebensmotiven und besonders
nach seinem Verhalten in bestimmte Schablonen zu pressen und ihm einen be-
stimmten Typus zuzuordnen.

Dabei gehen die Wissenschaftler meist empirisch vor. Heute neigt man meist dazu,
aus verschiedenen Eigenschaften ein Feld zu bilden, in dem sich die Persönlichkeit
eines einzelnen Menschen durch die unterschiedliche Ausprägung der verschiede-
nen Eigenschaften beschreiben lässt.

Das bekannteste dürfte das Big-Five-Persönlichkeitsmodell sein. Hier wird die Per-
sönlichkeit eines Menschen im Spannungsfeld zwischen

▪ emotionaler Labilität/Neurotizismus,
▪ Extraversion,
▪ Kreativität/Offenheit für Erfahrung,
▪ Anpassung/Verträglichkeit und
▪ Festigung/Gewissenhaftigkeit

definiert.

Das Gallup-Institut hat wiederum empirisch 34 Talente oder Starken definiert, die
in den einzelnen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind und in den ver-
schiedenen Berufen und Aufgabenfeldern zum Einsatz gebracht werden können.

Das alles mag, wie jede Klassifizierung, in der Praxis durchaus hilfreich sein, erleich-
tert es doch die Entscheidungsfindung. Ob dadurch allerdings stets die richtige
Entscheidung und erst recht eine über einen längeren Zeitraum hinweg richtige
Entscheidung getroffen wird, erscheint jedoch fraglich.

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Die Verbindung der Neuronen bestimmt die Persönlichkeit

Aus neurowissenschaftlicher Sicht spiegelt die Persönlichkeit das Muster wieder,


was sich aus der Verbindung der Neuronen im Gehirn eines jeden einzelnen Men-
schen ergibt. Es ist also die neuronale Architektur, die das Selbst eines Menschen
bestimmt.

Die Vorstellung, dass die Persönlichkeit eine angeborene Eigenschaft ist, wurde
schon vor geraumer Zeit aufgegeben. Natürlich spielen die genetischen Eigen-
schaften eine Rolle. Sie beeinflussen den Charakter eines Menschen aber nur zu
30 bis 60 Prozent, wie verschiedene Studien an einigen Zwillingen nachgewiesen
haben. Der Rest wird sozial erworben.

Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zum dritten Lebensjahr die we-
sentlichen Persönlichkeitsmerkmale festgelegt sind, andere glauben belegen zu
können, dass sich die Persönlichkeit erst bis zum 50. Lebensjahr vollständig aus-
formt. Wahrscheinlich ist es so, dass wir uns aufgrund der neuronalen Plastizität
bis zum Lebensende verändern.

Einstellungstests zeigen nur eine Momentaufnahme der Persönlichkeit

Wenn wir uns bis zum Lebensende verändern, würde das bedeuten, dass man in
einem wie auch immer gearteten Einstellungstest nur eine Momentaufnahme von
der Persönlichkeit in einer bestimmen Situation macht. Diese Situation wird sowohl
vom Bewerber als auch vom Einstellenden ganz erheblich beeinflusst und bewer-
tet, oft sogar manipuliert.

Ein Bewerber, der eine bestimmte Position einnehmen möchte, wird sich bemühen,
die dafür aus seiner Sicht erforderlichen Eigenschaften darzustellen. Im Rahmen
von Tests braucht er nur die richtigen Antworten zu lernen, und selbst in Gesprä-
chen wird ihm seine Intelligenz die Möglichkeit geben, die richtigen Antworten
selbst auf vermeintliche Fangfragen geben zu können.

Auch unbewusste Wahrnehmungen spielen eine Rolle

Für jeden Bewerber gilt, dass der Wunsch die tatsächliche Wahrnehmung dessen,
was ihn im Unternehmen erwartet, verfälscht. Das Gleiche gilt aber auch für die
Einstellenden. Sympathien aufgrund von Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten
sind nur die vordergründigsten Elemente, die auch hier die Bewertung verfälschen.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Ausführliche Studien haben tatsächlich gezeigt, dass Ähnlichkeiten im Namen, und


seien es nur die Anfangsbuchstaben oder ein ähnlicher Klang, einen Menschen deut-
lich sympathischer machen als Namen, die keinerlei Bezug zueinander haben. Im
Klartext heißt das, Herr Schulz wird Herrn Schmitz lieber einstellen als Herrn Krüger.

Aber natürlich gibt es noch eine ganze Reihe unbewusster Wahrnehmungen, die
über Sympathie oder Ablehnung entscheiden. Ein in einem aufwendigen Assess-
ment Center als hervorragend geeignet ausgewählter Kandidat wurde von seinem
zukünftigen Chef im letzten Moment abgelehnt. Die Begründung lautete „Er hatte
beim Händedruck so kalte Finger“. Wenn solche Kriterien die endgültige Entschei-
dung beeinflussen, könnte man zumindest in diesem Unternehmen die Assess-
ment Center durch Händeschütteln ersetzen.

Es wird immer wieder deutlich, dass die scheinbar objektiven Ergebnisse in vielen
Fällen entsprechend umgedeutet werden, um doch noch den gewünschten und
unbewusst ausgewählten Kandidaten zu bekommen.

Tatsächlich ist es so, dass Wünsche, Erwartungen und Erinnerungen gerade bei
Einstellungen eine herausragende Rolle spielen. Wie sich der Kandidat dann in Zu-
kunft entwickeln wird, hängt von all den verschiedenen Faktoren ab, die bisher in
diesem Buch beschrieben worden sind. Dass dabei Vergleiche mit früheren Situati-
onen und Erinnerungen an andere Personen von hervorragender Bedeutung sind,
lässt sich nicht von der Hand weisen. Allerdings lässt sich die Macht der Erinnerung
auch nicht vorhersagen.

3.4 Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit


umfassenden Vollmachten

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren, welche vielfältigen Aufgaben das Entscheidungssystem hat und


wie seine Zusammenarbeit mit den anderen drei Gehirnsystemen funktioniert.

Der präfrontale Cortex ist das oberste Kontrollzentrum

Der präfrontale Cortex bildet den Kern des Entscheidungssystems. Er ist Teil des
Frontallappens der Großhirnrinde, der bei uns Menschen etwa die Hälfte des Hirns

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Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 3
in Anspruch nimmt. Beim präfrontalen Cortex laufen alle wichtigen Informationen
zusammen. Er empfängt nicht nur die verarbeiteten sensorischen Signale, sondern
wird auch über den individuellen emotionalen Zustand informiert und integriert
dies alles mit den Gedächtnisinhalten, natürlich unter Berücksichtigung der Infor-
mationen aus dem Belohnungssystem.

Der präfrontale Cortex ist also das oberste Kontrollzentrum für Entscheidungen
und für eine der Situation angemessene Handlungssteuerung. Außerdem reguliert
er emotionale Prozesse. Hier werden Strategien entwickelt und hier findet auch
die Langzeitplanung statt.

Dass der präfrontale Cortex außerdem noch dafür zuständig ist, dass wir soziale
Normen beachten, wissen wir durch das Verhalten von Menschen, bei denen er zum
Beispiel durch einen Unfall zerstört wurde. Schäden in diesem Bereich führen zu
Persönlichkeitsveränderungen, ohne dass wesentliche Intelligenzdefizite auftreten.

Manchmal werden Missbildungen im vorderen Teil des Gehirns lange Zeit nicht er-
kannt, wie ich es bei einem meiner Patienten erlebt habe. R. M. war schon als Kind
verhaltensauffällig. Das blieb auch so, als er erwachsen wurde. Die Einhaltung so-
zialer Normen hatte für ihn keine Bedeutung, daran änderten auch immer wieder
verhängte Strafen nichts. Als berüchtigter Schläger, Einbrecher und Dieb wurde er
schließlich zu vier Jahren Haft verurteilt.

Ich wurde auf R. M. aufmerksam, als mich seine Rechtsanwältin anrief, um für ihn
Haftverschonung zu beantragen, weil er immer wieder epileptische Anfälle hatte.
Bei genauer Untersuchung entdeckten wir eine Missbildung im präfrontalen Cor-
tex, kaum größer als ein Fingerhut. Diese wurde chirurgisch entfernt.

Danach war R. M. ein anderer Mensch. Nicht nur dass er keine epileptischen Anfälle
mehr hatte, sein Verhalten war plötzlich von Moral, Mitgefühl und einem tiefen
Verantwortungsbewusstsein geprägt. Er absolvierte in kürzester Zeit eine weiter-
führende Ausbildung und leitet heute ein mittelständisches Unternehmen. Von
seinem früheren Leben möchte er nichts mehr wissen. Er ist tatsächlich ein anderer
Mensch geworden.

Keine Entscheidung ohne Emotionen, Gedächtnis und Belohnung

Das Entscheidungssystem hat zwar in gewissem Sinne die Endkontrolle darüber,


wie wir uns verhalten, wie wir handeln, was wir sagen und was wir beabsichtigen.
Doch ohne die drei anderen Systeme wäre es praktisch hilflos. Es wüsste nicht, was

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

es wollen sollte, es wüsste nicht, warum es etwas wollen sollte, und es wüsste
auch nicht, wie es seine Ziele erreichen kann. Deshalb ist das Zusammenspiel aller
vier Systeme von so großer Bedeutung.

KERNSAtZ
Das Belohnungssystem, das emotionale System und das Gedächtnissystem
manipulieren das Entscheidungssystem.

Begründungen werden nachgereicht

Häufig genug besteht die Funktion des Entscheidungssystems hauptsächlich darin,


dafür zu sorgen, dass die bestehenden Wünsche auch umgesetzt werden können.
Bei der Kommunikation mit anderen Menschen ist es zum Beispiel seine Aufgabe,
das, was der eine Mensch möchte, dem anderen mit Argumenten schmackhaft zu
machen und die richtigen Begründungen für diese Wünsche zu finden. Es gibt also
nicht zuerst die guten Gründe für unser Wollen, sondern diese werden erst später
dazu addiert, um unsere Intentionen zu untermauern.

Aber das Entscheidungssystem wirkt nicht nur nach außen, sondern ebenso auch
nach innen. Taucht zum Bespiel im Belohnungssystem der Wunsch auf, ein be-
stimmtes Produkt kaufen zu wollen, dann wird diesem Wunsch in der Regel nicht
sofort nachgegeben, sondern man wirft erst einmal einen Blick auf den Preis.

Die Preisinformationen werden im Gehirn im Schmerzareal, der Insula, verarbeitet.


Nun wird die Belohnung vom Entscheidungssystem gegen den Schmerz aufge-
rechnet. Ist der Schmerz erträglich, kauft der Mensch. Ist der Preis und damit der
Schmerz zu hoch oder gibt es vielleicht noch andere vernünftige Gründe, sein Geld
für dieses Produkt nicht auszugeben, dann wird auf den Kauf verzichtet.

Damit diese Entscheidung für das Belohnungssystem erträglich wird, legt sich der
Mensch auch hier entsprechende Begründungen zurecht, die nicht unbedingt ir-
gendwelchen Tatsachen entsprechen müssen, die das Belohnungssystem aber als
kluge Entscheidung honoriert.

KERNSAtZ
Das Entscheidungssystem wägt den Preis einer Ware gegenüber dem Kauf-
wunsch ab und entscheidet dann über den Kauf.

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Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 3
Schnelle Belohnung oder langfristig größeren Vorteil?

Wenn man auf eine kurzfristige Belohnung zugunsten einer langfristigen verzich-
tet, was das Belohnungssystem gar nicht gern tut, dann war das Entscheidungs-
system im Spiel.

Es gibt zahlreiche neuroökonomische Experimente, in denen die Teilnehmer vor die


Wahl gestellt werden, entweder eine kleine Belohnung sofort oder eine große Be-
lohnung später zu erhalten. Obgleich sich die Teilnehmer in Diskussionen immer für
die langfristige Variante entscheiden, wählen sie im Experiment selbst mehrheitlich
die kurzfristige. Hier ist das Belohnungssystem eindeutig stärker als die Vernunft.
In der Praxis bedeutet das, Arbeitnehmer wählen lieber eine Gehaltserhöhung zum
Monatsende als mehr Rente beim Abschied aus dem Berufsleben.

Entscheidungen werden immer in einem Bezugsrahmen getroffen

Im Neuromarketing benutzt man den Begriff Framing, um ein Produkt in einem


neuen Bezugsrahmen darzustellen. Ein Kaffee bei Starbucks steht dann nicht mehr
in Konkurrenz zu einem Kaffee bei Tchibo, weil der Bezugsrahmen nicht das bele-
bende Getränk ist, sondern der Starbucks Kaffee für Urlaub und Erholung steht.
Beides darf durchaus etwas mehr kosten.

Auch andere Entscheidungen werden durch den jeweiligen Rahmen bestimmt,


dabei wurden speziell Kaufentscheidungen besonders gut untersucht. Beim Kauf
einer Espressomaschine steht der Kunde oft vor der Wahl, eine ganz teure mit vie-
len überflüssigen Funktionen, eine hochpreisige mit fast denselben Eigenschaften
oder eine von mehreren billigen Maschinen mit wenig Funktionen zu kaufen. In der
Regel entscheidet er sich für die hochpreisige.

Die ganz teure Maschine steht eigentlich nur im Laden, um einen Kontrast herzu-
stellen, gekauft wird sie fast nie. Gäbe es sie aber nicht, würde der Kunde sich den
billigen Maschinen zuwenden und dort nach Begründungen für eine Entscheidung
suchen. Einerseits muss ein Kontrast zwischen den Wahlmöglichkeiten vorhanden
sein, andererseits darf er aber auch nicht zu groß sein, um das Belohnungssystem
nicht durch eine nur preisorientierte Entscheidung zu enttäuschen.

KERNSAtZ
Für Entscheidungen ist ein Kontrast zwischen den Wahlmöglichkeiten wichtig.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Der Kontrast spielt auch bei der Entscheidung eine Rolle, ob man einem Mitarbei-
ter eine Belohnung oder nicht beziehungsweise eine Belohnung oder Bestrafung
anbietet. In beiden Fällen spielt das Belohnungssystem des Mitarbeiters nicht mit.
Besser ist es, eine große Belohnung und eine kleine Belohnung als Alternativen
einzusetzen, beziehungsweise lieber eine kleine Strafe gegenüber einer großen zu
verhängen. Also zum Beispiel eine einmalige Prämie gegenüber einer dauerhaften
Gehaltserhöhung oder die Forderung nach abendlichen Überstunden gegenüber
der Forderung von Wochenendarbeit.

Neue Strategien brauchen neue Entscheidungen

Um strategisch denken zu können, Konzepte und Visionen zu entwickeln, brau-


chen wir das Entscheidungssystem, das nämlich in der Lage ist, aus den Inhalten
des Gedächtnisses Neues zu entwickeln.

KERNSAtZ
Das Entscheidungssystem braucht man, um strategisch denken zu können.

Es gibt ganz einfach eine ganze Reihe von Entscheidungen, die wir nicht nur auf-
grund von Erfahrungen und Gefühlen lösen können. Das Belohnungssystem ist
dann allerdings insofern eine Hilfe, weil es uns anspornt, nach neuen Wegen zu
suchen, und uns für eine erfolgreiche Lösung eine innere Belohnung in Aussicht
stellt. Das Entscheidungssystem lenkt auch unsere Aufmerksamkeit und sorgt da-
für, dass wir uns konzentrieren können und nicht abgelenkt werden.

Insgesamt sehen wir also, dass das Entscheidungssystem viele der Ressourcen zur
Verfügung stellt, über die eine Führungskraft verfügen muss. Das heißt nicht, dass
das Entscheidungssystem immer alles richtig macht. Im Zusammenspiel mit dem
Belohnungssystem kann es nämlich durchaus dazu kommen, dass bestimmte Ent-
scheidungen vorschnell getroffen werden und dadurch große Fehler entstehen.

Das liegt unter anderem daran, dass das Gehirn eben nicht in der Lage ist, viele
Eindrücke und Informationen gleichzeitig zu verarbeiten und allen das ihnen ge-
bührende Maß an Aufmerksamkeit zuzuwenden.

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Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 3
Auch die Erfahrung spielt eine Rolle

Deshalb kommt im Zusammenhang mit dem Entscheidungssystem wieder die Frage


des Alters ins Spiel. Dadurch, dass ein älterer Mensch mehr Dinge in seinem Leben
erlebt hat, wird sein Gehirn nicht so schnell von Angst- und Panikgefühlen über-
schwemmt. Wenn man eine bestimmte Situation fünfzig Mal erlebt und bewältigt
hat, wird man mit einer ähnlichen auch das 51. Mal umgehen können.

Wenn dieselbe Erfahrung aber nur fünf Mal gemacht wurde, besteht die Gefahr,
dass Stress entsteht und das Gehirn blockiert. Natürlich wird das der Jüngere nicht
zugeben wollen, und die Funktion des Entscheidungssystems besteht dann darin,
gute Gründe zu finden, weshalb die Entscheidung richtig und nur die Situation
falsch war.

Zusammenfassung

Der präfrontale Cortex ist das oberste Kontrollzentrum für Entscheidungen und
für eine der Situation angemessene Handlungssteuerung, er reguliert emotionale
Prozesse und ist dafür zuständig, dass wir soziale Normen beachten. Hier werden
Strategien entwickelt und hier findet auch die Langzeitplanung statt.

Doch ohne die drei anderen Systeme wäre das Entscheidungssystem praktisch hilf-
los und wüsste nicht, was es wollen sollte, warum es etwas wollen sollte und wie
es seine Ziele erreichen kann. Entscheidungen werden immer in einem Bezugs-
rahmen getroffen. Und die Menschen neigen dazu, lieber eine kleine Belohnung
sofort zu nehmen als eine große Belohnung später.

Leadership-Praxis

Der Ehrliche ist der Dumme

Sowohl in der experimentellen Verhaltensökonomie als auch in der Neuroökonomie


hat das Thema Ehrlichkeit in der jüngeren Vergangenheit beständig an Bedeutung
gewonnen. Wir wissen heute auf der Grundlage von zahlreichen unterschiedlichen
Tests, dass die meisten Menschen bedingt ehrlich sind, und wir können bereits
sehr gut vorhersagen, in welchem Umfang bei einem bestimmten Experiment ge-
logen oder betrogen wird.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Wir sind allerdings noch nicht definitiv in der Lage, zu begründen, weshalb un-
ehrliches Verhalten sich immer nur innerhalb eines bestimmten Rahmens abspielt.
Ganz offensichtlich spielt weder das Risiko ertappt zu werden eine ausschlagge-
bende Rolle noch die Größe des Vorteils, der durch Unehrlichkeit erzielt wird. Wir
vermuten, dass am ehesten die Person oder die Institution von Bedeutung ist, der
der Schaden zugefügt wird, und in wieweit sie in der Lage ist, den Schaden zu
verkraften.

Anonymität fordert die Unehrlichkeit

Im Klartext bedeutet das, die Anonymität in unserer Gesellschaft und die ständig
wachsende Größe der Unternehmen setzen das Prinzip Ehrlichkeit mehr und mehr
außer Kraft. Denn im Grundsatz ist es nach wie vor so, dass die Mehrheit der Men-
schen Ehrlichkeit für einen wichtigen gesellschaftlichen Wert hält und auch der
Überzeugung ist, dass die Einhaltung von Regeln sich auszahlt.

In Experimenten wurde festgestellt, dass die Versuchsteilnehmer eher bereit wa-


ren, in E-Mails unwahre Angaben zu machen als in handschriftlichen Mitteilungen.
Weiter stellte sich heraus, dass die Bereitschaft zur Ehrlichkeit umso stärker ab-
nahm, je weniger man die Person kannte, die man belog.

Dass es den Menschen schwerer fällt, einem direkten Gesprächspartner die Un-
wahrheit zu sagen, wobei sich der Lügner möglicherweise schon durch seine Mimik
verrät, ist bekannt. Dass es jedoch auch Unterschiede bei der schriftlichen Kommu-
nikation gibt, war eine Überraschung. Erklären lässt sich dies mit Forschungsergeb-
nissen des japanischen Neurologen Ryuta Kawashima, dem Erfinder des Gehirn-
joggings. Er stellte fest, dass beim Schreiben mit der Hand der präfrontale Cortex
stärker durchblutet, also auch stärker aktiviert wird, als wenn der gleiche Text in
einen Computer getippt wird.

Da im präfrontalen Cortex aber nicht nur sensorische Signale verarbeitet werden,


sondern die soziale Verhaltenskontrolle erfolgt, kann man annehmen, dass durch
das Schreiben mit der Hand auch die moralischen Instanzen stärker aktiviert wer-
den als bei der Arbeit am Computer.

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Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 3
Handlungsanleitungen für den Unternehmensalltag

Aus diesen Ergebnissen lassen sich gleich mehrere Handlungsanleitungen für den
Unternehmensalltag ableiten:

▪ Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist stets der schriftlichen Kom-
munikation vorzuziehen.
▪ Handgeschriebene Stellungnahmen sind den am Computer geschriebenen vor-
zuziehen.
▪ Es gilt, die Anonymität zwischen Mitarbeitern und Abteilungen, die einander
zuarbeiten oder gemeinsam Projekte bewältigen, zu senken.

Moralische Regeln und Begriffe fordern die Ehrlichkeit

Bei verschiedenen Experimenten zeigte sich auch, wie wichtig es ist, sich morali-
sche Regeln oder auch nur einzelne damit verbundene Begriffe zu vergegenwärti-
gen, um anschließend ehrlicher zu handeln. Durch das Lesen bestimmter Texte und
Worte kann man nicht nur die Gehgeschwindigkeit und die Rechenfertigkeit von
Testpersonen beeinflussen, sondern auch ihre Ehrlichkeit.

Es wirkt auf Europäer immer etwas befremdlich, wenn sie im asiatischen Raum erle-
ben, dass ganze Unternehmensbelegschaften zum Arbeitsbeginn auf einem Platz
antreten und gemeinsam die Firmenhymne singen. Unter den Aspekten der Neuro-
leadership ist das durchaus zweckmäßig, weil dadurch im Gehirn die erwünschten
Verhaltensweisen für den Tag vorgebahnt werden.

Ähnlich mag es auch in konfessionellen Schulen in Deutschland mit dem gemeinsa-


men Morgengebet gewesen sein. Wer vor dem Unterricht an Regeln und Pflichten
erinnert wird, verstößt anschließend seltener dagegen.

Eine andere Möglichkeit, das Verhalten der Mitarbeiter auch unbewusst zu lenken,
besteht in vielen asiatischen Betrieben darin, Tafeln aufzuhängen, auf denen die
Unternehmensgrundsätze festgehalten sind, oder sogar Banner mit Parolen in den
Betriebshallen aufzuspannen. Manchen Menschen mag dies an Bilder aus dem frü-
heren Ostblock erinnern, doch geht es hier nicht um hohle Leitsätze, sondern um
Formen der Selbstverpflichtung, die auch Teil der Kaizen-Methode sind.

Vieles von dem, was japanische Unternehmensberater schon vor zehn oder zwan-
zig Jahren versucht haben, in deutschen Unternehmen einzuführen, erweist sich
heute aus neurowissenschaftlicher Sicht als richtig.

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Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für die Führungspraxis

Zwei Normensysteme, deren Wirkungen sich gegenseitig ausschließen

Im Zuge diverser verhaltensökonomischer Experimente stellte sich heraus, dass zu-


mindest in den Köpfen der Menschen aus hoch industrialisierten Ländern nicht ein
Normensystem verankert ist, sondern zwei, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig
ausschließen. Das eine ist das System der sozialen Normen, zu denen Hilfsbereit-
schaft, Fairness und Rücksicht gehört, das andere ist das System der Marktnormen,
in dem es um Lohn und Leistung, Vor- und Nachteile, um Preise und den Willen,
etwas zu haben, geht.

In beiden Fällen sind es komplizierte Regelkreise im Gehirn, die hier zur Wirkung
kommen, wobei es offensichtlich so ist, dass die Marktnormen auf einer anderen
Ebene wirksam sind, die einen Wechsel zwischen den verschiedenen Normensyste-
men erschwert und manchmal sogar unmöglich macht.

Immer wenn wir anderen Menschen einen Gefallen tun, ihnen entgegen kommen
oder ihnen helfen, folgen wir sozialen Normen. Nach dem Prinzip Gegenseitigkeit
erwarten wir dann für eine Leistung keineswegs sofort eine Gegenleistung, aber
wir rechnen damit, dass uns für den Fall, dass wir Hilfe benötigen, ebenfalls gehol-
fen wird.

Gefälligkeiten jeder Art gehören dazu, und solange sich keiner der Beteiligten aus-
genutzt fühlt, funktioniert das System hervorragend. Dabei kann es durchaus um
Leistungen gehen, die sonst berechnet werden würden, wie medizinischer oder
auch juristischer Rat, aber auch um ganz konkrete Arbeitsleistungen, wie sie zum
Beispiel im Rahmen der Nachbarschaftshilfe erbracht werden.

Natürlich kann sich derjenige, der solche Leistungen empfangen hat, mit einem
Geschenk bedanken, wobei es dann allerdings einen sehr feinfühlig auszuloten-
den Bezugsrahmen gibt. Einen Fehler, den man auf keinen Fall machen darf, ist das
Preisschild auf dem Geschenk zu lassen. Dann handelt es sich nämlich nicht mehr
um den Beweis von Dankbarkeit im Rahmen der Sozialnormen, sondern um eine
Bezahlung, für die plötzlich die Marktnormen gelten.

In dem Bereich der sozialen Beziehungen tut man vieles gratis und unaufgefor-
dert, was man unter Marktgesichtspunkten nicht tun würde. Im Markt hat jede
Ware und Leistung ihren Preis, den man entweder als festgelegt akzeptiert oder
aushandelt, und die Beteiligten haben die Verpflichtung, die Ware zu liefern oder
die Leistung zu erbringen, während der Empfänger die vereinbarte Summe zu zah-
len hat.

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Das Entscheidungssystem – die Endkontrolle mit umfassenden Vollmachten 3
Es gibt nun genügend Beispiele dafür, dass im Alltag durchaus versucht wird, die
beiden Normen miteinander zu vermischen, um für sich selbst größere Vorteile zu
erzielen. Gerade Unternehmen bereitet eine solche Durchmischung früher oder
später meist große Probleme.

Überstunden aus sozialer oder Marktsicht

Bittet ein Vorgesetzter seine Mitarbeiter darum, spontan einige Überstunden zu


leisten, weil er ein bestimmtes Projekt zu einem bestimmten Termin abschließen
muss, werden sich diese aus sozialen Gesichtspunkten sicherlich dazu bereitfin-
den. Wird diese Bitte dann aber mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder geäu-
ßert, werden sich die Mitarbeiter ausgebeutet fühlen und das Thema von der so-
zialen auf die Marktebene verschieben, das heißt, sie werden die Bezahlung der
Überstunden fordern.

Hätte der Vorgesetzte schon beim ersten Mal zusätzlichen Lohn für die Überstun-
den angeboten, wäre die Verschiebung in den Bereich der Marktnormen kaum
mehr rückgängig zu machen gewesen. Das Thema Mehrarbeit wäre in Zukunft
keine Frage mehr der sozialen Unterstützung, sondern würde nur noch unter dem
Aspekt Leistung gegen Lohn abgerechnet werden.

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4 Frauen sind als Führungskräfte
unverzichtbar

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Sie erfahren, dass Frauen in Führungspositionen eine andere Rolle spielen, je


nachdem, ob sie in großen oder in mittelständischen Unternehmen arbeiten.
Dann geht es darum, wie es um die Gleichstellung der Geschlechter in Deutsch-
land bestellt ist. Weiter lesen Sie, wie die Unterschiede zwischen Mann und
Frau von der traditionellen Forschung gesehen werden und welche Bedeutung
Empathie und Systemdenken haben. Es wird auch erklärt, welche Rolle das Tes-
tosteron hat. Am Ende erfahren Sie, weshalb Empathie eine Führungsqualifika-
tion ist.

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

4.1 Ohne Frauen nutzen Unternehmen nur die


Hälfte ihrer Kompetenz

Unterschiedliche Studienergebnisse bei großen und kleinen


Unternehmen

Unternehmen, in deren Vorständen auch Frauen vertreten sind, wirtschaften ef-


fektiver und erfolgreicher als Unternehmen, in denen ausschließlich Männer die
Entscheidungen treffen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wirtschaftsprü-
fungsunternehmens Ernst & Young über die 300 größten börsennotierten Unter-
nehmen Europas, die Ende 2011 entstanden ist. Damit bestätigt Ernst & Young eine
vier Jahre ältere Studie britischer Expertinnen. Auch sie hatten herausgefunden,
dass Firmen mit Frauen in den Vorständen zu den besseren Universalarbeitgebern
und effektiveren Vermarktern von Produkten und Dienstleistungen gehören.

Ernst & Young konnte nachweisen, dass sich die Kennzahlen von DAX-Unter-
nehmen deutlich besser entwickeln, wenn über einen Zeitraum von fünf Jahren
mindestens eine Frau im Vorstand zu finden war. Es ist nun aber keineswegs so,
dass man den Erfolg der Unternehmen allein diesen Vorstandsfrauen zuschreibt.
Vielmehr geht man davon aus, dass Frauen an der Spitze von Unternehmen nur
ein Indiz dafür sind, dass diese Firmen begonnen haben, Barrieren in der Unter-
nehmenskultur zu identifizieren und zu beseitigen, und somit den Managerinnen
aus den eigenen Reihen Chancen einräumen, die Frauen in anderen Unternehmen
noch nicht erhalten.

Frauen im Vorstand stehen also für den Wandel eines Unternehmens hin zu ei-
nem modernen, aufgeschlossenen, flexiblen, zukunftsorientierten, nachhaltig und
verantwortungsbewusst handelnden Unternehmen. Das wirkt sich generell positiv
auf das Geschäft aus. Die Mischung aus Männern und Frauen macht Unternehmen
offensichtlich leistungsfähiger und auch attraktiver für motivierte und aufstiegs-
orientierte Mitarbeiterinnen.

In den USA vermutet man sogar, dass die richtige Mischung in einem Vorstand
wichtiger ist als die Intelligenz der einzelnen Vorstandsmitglieder, und sich das
soziale Gespür der Frauen positiv auf Gruppenprozesse auswirkt. In Deutschland
haben sich diese Erkenntnisse allerdings noch nicht durchgesetzt. Anfang 2012 wa-
ren nur 28 von 943 Vorstandsposten in den Top-200-Unternehmen mit weiblichen
Fachkräften besetzt.

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Ohne Frauen nutzen Unternehmen nur die Hälfte ihrer Kompetenz 4
KERNSAtZ
Die richtige Mischung aus Männern und Frauen ist für Gruppen und die Pro-
zesse, die in ihnen stattfinden, wichtiger, als die Intelligenz der Gruppenmit-
glieder.

Im Mittelstand definieren Frauen Erfolg anders als Männer

Ein ganz anderes Bild als in den DAX-Unternehmen zeigt sich bei kleinen und mitt-
leren Firmen in der Studie „Chefinnen im Mittelstand“ der KfW-Bankengruppe vom
Juni 2011. Von den 3,7 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland
wurden im Jahr 2009 20 Prozent von Unternehmerinnen geführt. Analysen auf der
Basis des KfW-Mittelstandspanels kamen zu dem Ergebnis, dass frauengeführte
Unternehmen im Mittelstand niedrigere Umsatzwachstumsraten und eine gerin-
gere Wahrscheinlichkeit zur Durchführung von Investitionen aufwiesen als män-
nergeführte Unternehmen. Diese Unterschiede ließen sich nicht durch strukturelle
Unternehmensmerkmale erklären.

Eher wurde ein geschlechtsspezifisches Investitionsverhalten vermutet. Bei kleinen


Unternehmen reagierten weibliche Inhaber zwar schneller und stärker auf nega-
tive Konjunkturanzeichen, sie nutzten aber in Boomzeiten die Wachstumsdynamik
nur zögerlich und verpassten dadurch mögliche Wachstumschancen. Wachstums-
orientierte Investitionsziele haben für Männer offensichtlich einen höheren Stel-
lenwert. Frauen hingegen streben als Unternehmerinnen häufiger ein Gleichge-
wicht zwischen ihrem beruflichen und ihrem privaten Lebensbereich an und sind
weniger statusorientiert.

Es ist ganz offensichtlich notwendig, diese Studie über die unternehmerische Tä-
tigkeit von Frauen im Mittelstand detailliert zu betrachten, um die unterschiedli-
chen Bewertungen verstehen zu können, die sich hinsichtlich der weiblichen Wirt-
schaftsaktivitäten im Mittelstand und in Großunternehmen ergeben.

Frauen tendieren im Mittelstand zu kleineren Dienstleistungs-


unternehmen

Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2009 unter den 4,2 Millionen Selbst-
ständigen in Deutschland etwa 1,3 Millionen Frauen. Der Frauenanteil bei den
Selbstständigen ist von 1970 bis 2009 um ca. 52 Prozent gestiegen, während der
Anteil der erwerbstätigen Frauen im selben Zeitraum nur um etwa 26 Prozent ge-

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

wachsen ist. Ganz offensichtlich ist die Selbstständigkeit für viele Frauen attrak-
tiver als ein abhängiges Arbeitsverhältnis. Besonders stark ist der Frauenanteil mit
fast 50 Prozent im Gastgewerbe und mit 31 Prozent bei den sonstigen Dienstleis-
tungen, zu denen die Branchen „Erziehung und Unterricht“, „Gesundheits-, Veteri-
när- und Sozialwesen“ sowie „Kultur, Sport und Unterhaltung“ zählen.

Was den Autoren der KfW-Studie auffiel, war, dass Frauen seltener Kreditbedarf
anmelden und deshalb auch seltener als Männer Kreditverhandlungen führen.
Diese geringere Bereitschaft, externe Finanzierungsquellen in Anspruch zu neh-
men, wurde mit der These begründet, dass Frauen im Durchschnitt eine höhere
Risikoaversion aufweisen als Männer. Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergeb-
nis, dass Frauen als Unternehmerinnen andere Wachstumsabsichten verfolgen als
Männer.

KERNSAtZ
Frauen haben eine höhere Risikoaversion.

Bereits bei der Unternehmensgründung handeln Männer und Frauen aus unter-
schiedlichen Motiven. Der wichtigste Grund, sich selbstständig zu machen, ist al-
lerdings für beide Geschlechter gleich, nämlich eigene Ideen zu verwirklichen und
sein eigener Chef zu sein. Allerdings scheint es für Frauen weniger wichtig zu sein,
durch die Selbstständigkeit auch ein höheres Einkommen zu erzielen, während die
zeitliche Flexibilität einen durchaus wichtigen Aspekt für sie darstellt.

Frauen definieren ihren unternehmerischen Erfolg im Gegensatz zu Männern sel-


tener über Wachstum und Profit. Arbeitszufriedenheit, Selbstverwirklichung und
Autonomie sind für sie eher von Bedeutung. Insofern werden auch kleinere Unter-
nehmen mit geringerem Gewinn und Wachstum von Frauen durchaus als ein per-
sönlicher Erfolg gewertet. Ein Unternehmen hat als Lebensmittelpunkt für Frauen
eine geringere Bedeutung als für Männer. Die Lebenszufriedenheit von Frauen
hängt offensichtlich nicht so sehr vom beruflichen Status ab wie bei Männern.

KERNSAtZ
Frauen definieren ihren Erfolg über Arbeitszufriedenheit, Selbstverwirklichung
und Autonomie.

Generell scheinen berufstätige Frauen – also nicht nur Selbstständige und Unter-
nehmerinnen – mit ihrem Arbeitsplatz und ihrer Karrierestufe zufriedener zu sein
als Männer. Nur jede vierte berufstätige Frau möchte ihre Karriere vorantreiben,

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Ohne Frauen nutzen Unternehmen nur die Hälfte ihrer Kompetenz 4
während fast jeder zweite Mann an einem beruflichen Aufstieg interessiert ist.
Dabei sind Frauen selbstkritischer und stellen an sich selbst höhere Anforderungen
als Männer.

Während 28 Prozent der Frauen der Meinung waren, dass ihnen für den nächs-
ten Karriereschritt noch Fertigkeiten und Wissen fehlen, fand man bei nur sieben
Prozent der Männer dieselbe Selbsteinschätzung. Ob diese Selbstbeurteilung der
Realität entspricht oder nur eine Folge der unterschiedlichen Selbstwahrnehmung
ist, wurde nicht geklärt. Als Resümee stellte die KfW-Studie fest, dass es eindeutig
ein geschlechtsspezifisches ökonomisches Verhalten gibt, worauf dieses Verhalten
beruht, blieb allerdings offen.

Deutschland – Land der Ungleichheit

Mitte Dezember 2012 wurde eine OECD-Studie zur Geschlechtergleichheit veröf-


fentlicht, in der Deutschland in den meisten Punkten schlecht abschnitt. Beim
Lohngefälle zwischen Männern und Frauen liegt Deutschland unter allen 34 OECD-
Ländern auf dem drittschlechtesten Platz. Die Gehaltslücke für mittlere Einkom-
men liegt in Deutschland bei 22 Prozent, im OECD-Durchschnitt beträgt das Lohn-
gefälle aber nur 16 Prozent. Männer würden sich einen solch gravierenden Verstoß
gegen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht gefallen lassen, wie Ex-
perimente von Prof. Armin Falk von der Universität Bonn gezeigt haben. Männer
würden, sobald sie wissen, dass sie weniger verdienen als ein Kollege auf einem
vergleichbaren Arbeitsplatz, versuchen, den Arbeitgeber altruistisch zu bestrafen.

Nach Angaben der OECD besitzen 27 Prozent der deutschen Frauen zwischen 25
und 34 Jahren einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss oder einen Meis-
terbrief. Da nur 25 Prozent der Männer einen ähnlichen Abschluss vorweisen kön-
nen, sind Frauen in Deutschland im Schnitt besser ausgebildet als Männer. Doch
das rechnet sich für sie nicht. Die Ursache für diesen Lohnunterschied wird auf
die in Deutschland übliche Teilzeitarbeit von Frauen zurückgeführt. Während in
Frankreich nur 26 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten, sind es in Deutschland
62 Prozent der 25- bis 54-Jährigen.

Wenn es um die Zahl von Frauen in Spitzenpositionen geht, liegt Deutschland so-
gar noch hinter Japan auf dem letzten Platz. Damit ist eindeutig belegt, dass es in
deutschen Unternehmen eine „gläserne Decke“ gibt, die verhindert, dass Frauen
aus dem mittleren Management weiter aufsteigen können, obgleich die Unterneh-
men davon eigentlich nur profitieren würden.

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

Wettbewerbsintensive Arbeitsplätze schrecken Frauen ab

Der Verhaltensökonom John List von der Universität Chicago wollte herausfinden,
warum Frauen weniger Geld verdienen als Männer. Deshalb schaltete er im Jahr
2010 zwei Inserate für Sachbearbeiterstellen. Die Tätigkeiten waren sehr ähnlich,
nur bei der Bezahlung gab es einen wesentlichen Unterschied. Für die eine Stelle
wurde ein fester Stundenlohn angeboten, für die andere ein deutlich niedrigerer
Grundlohn mit der Möglichkeit, deutlich mehr zu verdienen, wenn man besser als
die übrigen Kollegen in der Abteilung arbeitet.

Auf die Stelle mit dem Festgehalt bewarben sich ungefähr gleich viele Männer wie
Frauen. Der variabel vergütete Arbeitsplatz erwies sich als deutlich weniger attrak-
tiv. Besonders Frauen erschien die Aussicht, in einen Wettbewerb mit den Kollegen
treten zu müssen, nicht sonderlich attraktiv. John List kam zu dem Ergebnis, dass
„wettbewerbsintensive Arbeitsplätze Frauen von der Bewerbung abschrecken
können“. Daraus folgerte er auch, dass Frauen seltener in Spitzenpositionen ge-
langen, weil der Weg dorthin wettbewerbsintensiver ist.

Insgesamt lässt sich trotzdem die These aufrechterhalten, dass gemischte Füh-
rungsteams aufgrund ihrer größeren Vielfalt im Verhalten tatsächlich erfolgreicher
sind. Interessant wäre es allerdings, herauszufinden, inwieweit hierbei biologische
Unterschiede eine Rolle spielen und inwieweit Erziehung und Kultur ihre Wirkung
entfalten.

Die traditionelle Forschung sieht Unterschiede hauptsächlich bei der


Sprache und beim räumlichen Vorstellungsvermögen

„In Anbetracht der großen morphologischen und häufig bemerkenswerten Ver-


haltensunterschiede zwischen Männern und Frauen wäre es erstaunlich, wenn es
beim Gehirn keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gäbe“. Diese These for-
mulierte die kanadische Psychologin Doreen Kimura im Jahr 1987. Die traditionelle
Forschung hinsichtlich der Unterschiede zwischen Mann und Frau, die auch von
Kimura vertreten wird, hat hauptsächlich zwei Dimensionen definiert, in denen
sich Männer und Frauen deutlich unterscheiden. Frauen haben im Bereich der
Sprache eine Überlegenheit, Männer im Bereich des räumlichen Vorstellungsver-
mögens.

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Ohne Frauen nutzen Unternehmen nur die Hälfte ihrer Kompetenz 4
Die kommunikative Kompetenz von Frauen ist deshalb höher, weil Frauen beim
Gebrauch von Sprache einen größeren Teil ihres Gehirns nutzen als Männer und
weil – wegen der stärkeren Plastizität des weiblichen Gehirns – beide Hirnhälf-
ten stärker interagieren. Sprache hat im weiblichen Gehirn eindeutig Vorfahrt vor
anderen Aufgaben, was dazu führen kann, dass die räumliche Orientierung in der
rechten Hirnhälfte beeinträchtigt wird. Es gibt Wissenschaftler, die basierend auf
evolutionsbiologischen Überlegungen davon ausgehen, dass Frauen sich in der
Frühzeit der menschlichen Entwicklung nur einen Tagesmarsch vom Basislager ent-
fernten, während Männer bei der Jagd bis zu sechs Tage weit gingen. Das räumli-
che Vorstellungsvermögen von Frauen wurde also weniger gefordert und entspre-
chend evolutionär geprägt.

Die Unterschiede beim räumlichen Denken werden als Ursache dafür angesehen,
dass Frauen sowohl in den Naturwissenschaften und im Ingenieurwesen als auch in
den technischen Berufen unterrepräsentiert sind. Erhebungen an Eliteuniversitäten
haben nachgewiesen, dass Frauen im Durchschnitt nur 8,3 Prozent der Mathema-
tikprofessoren stellen – nur 12,1 Prozent der Chemieprofessoren, 6,6 Prozent der
Physikprofessoren und 6,7 Prozent der Professoren in den Ingenieurwissenschaften.

Da man diese Verteilung auch in Ländern fand, die ausdrücklich eine Gleichberech-
tigung der Geschlechter fordern und fördern (wie zum Beispiel in Schweden oder
Norwegen), war man durchaus geneigt, anzunehmen, dass diese Unterschiede
zwischen Mann und Frau evolutionär verankert sind. Es war auch schwer, den Be-
weis für eine kulturbedingte Ursache zu finden.

Der Verhaltensökonom Moshe Hoffman und andere untersuchten deshalb zwei


Stämme im Nordosten Indiens, die Khasi und die Karbi. Beide Stämme hatten den-
selben genetischen Hintergrund, beide lebten in den Bergen rund um die Stadt
Shillong und beide hatten eine bäuerliche Kultur mit dem Schwerpunkt Reisanbau.
Der einzige große Unterschied zwischen den Khasi und den Karbi bestand darin,
dass die Karbi eine patrilineare Kultur hatten. Bei ihnen durften Frauen kein Land
besitzen, und es war stets der älteste Sohn, der den Bauernhof der Familie über-
nahm. Bei den Khasi hingegen gab es eine matrilineare Kultur. Hier war es stets
die jüngste Tochter, die den Hof erbte, Männer durften kein Land besitzen und
das von den Männern verdiente Geld musste entweder an die Ehefrau oder an die
Schwestern des Mannes abgegeben werden. Hoffman untersuchte die Fähigkeit,
wie schnell Männer und Frauen dreidimensionale Puzzles in den beiden verschie-
denen Kulturen zusammensetzen konnten.

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Erziehungseffekte zu ungefähr einem Drit-
tel die Fähigkeit zu räumlichem Denken beeinflussen, wenn Frauen in einer män-
nerorientierten Welt aufwachsen. Frauen in einer matrilinearen Gesellschaft sind
Männern beim räumlichen Denken ebenbürtig. Es war also falsch, den Frauen die
grundsätzliche Fähigkeit zum räumlichen Denken seit langer Zeit abzusprechen.
Man kann sie einfach im Rahmen der Erziehung hervorbringen, wenn man das
denn will. Das heißt jedoch nicht, dass es keine anderen Unterschiede im Denken
von Männern und Frauen gibt, die evolutionär oder biologisch begründet sind.

KERNSAtZ
Die Fähigkeit zum räumlichen Denken ist nicht evolutionär oder biologisch be-
gründet, sondern durch die Erziehung.

Die evolutionäre Position von Frauen und Männern ist grundsätzlich verschieden.
Männer kamen nur dann zur Fortpflanzung, wenn sie in der Hierarchie sehr weit
oben positioniert waren. Der Aufstieg eines Mannes hatte deshalb eine wichtige
„biologische“ Belohnung zur Folge, die sicher auch als Belohnung wahrgenommen
wurde. Bei Frauen in der „klassischen“ Gesellschaft war es grundsätzlich anders.
Frauen pflanzen sich in jedem Fall fort. Eine hohe Position war vielleicht gar nicht
so vorteilhaft für die Aufzucht des Produktes der Fortpflanzung – der Kinder. Die
Frauen in höheren Positionen profitierten vielleicht von besserer Nahrung, änder-
ten sich aber die Verhältnisse der „Männerführung“ waren ihre Kinder besonders
gefährdet. Der evolutionäre Vorteil von Frauen und Männern ist deshalb grund-
sätzlich verschieden. „Sicherheit“ steht auf der einen Seite, „Position“ auf der an-
deren. Dies bedeutet insbesondere bei der Förderung von Frauen, die in Führungs-
positionen wachsen sollen, eine grundsätzlich unterschiedliche Vorgehensweise.
Ein kompetitives „Kopf an Kopf“ ist kontraproduktiv.

Zusammenfassung

Unternehmen, in deren Führung sowohl Männer als auch Frauen vertreten sind,
verfügen über eine Firmenkultur, die sie als Arbeitgeber beliebter macht, die eine
effizientere Vermarktung der Produkte und Dienstleistungen gewährleistet und
die sich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Für Frauen definiert sich
Erfolg nicht nur über Wachstum und Profit, sondern auch über Arbeitszufrieden-
heit, Selbstverwirklichung und Autonomie der Mitarbeiter. Da Frauen eine größere
Risikoaversion haben, wäre die Finanzkrise wahrscheinlich anders verlaufen, wenn
mehr Frauen in den Vorständen der Banken vertreten gewesen wären.

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Frauen denken anders 4
Leadership-Praxis

Wenn Unternehmen glauben, dass sie allein dadurch erfolgreicher werden, dass
sie Frauen in Führungspositionen berufen, die lediglich versuchen, männliches Ver-
halten nachzuahmen, um als die „besseren Männer“ mehr Härte bei der Durchset-
zung ihrer Positionen zu zeigen, unflexibler zu verhandeln und statusorientierte
Machtkämpfe auszufechten, sind sie im Irrtum. Wichtiger ist es, die Fähigkeiten
von Frauen zu nutzen, um die Unternehmenskultur zu verändern und Barrieren
abzubauen und so zu einem flexibleren, zukunftsorientierten, nachhaltiger und
verantwortungsbewusster handelnden Unternehmen zu werden. Nur so lassen
sich auf Dauer motivierte und aufstiegsorientierte Nachwuchskräfte gewinnen,
die aufgrund einer besseren Job-Life-Balance weniger burn-out-gefährdet sind
und dem Unternehmen langfristig mit ihrer Leistung zur Verfügung stehen. Das
gilt sowohl für große als auch für mittelständische Unternehmen.

Frauen in Führungspositionen haben in der Regel eine bessere Ausbildung und sind
leistungsbereiter als Männer, ohne sich auf einen destruktiven Wettbewerb mit den
Kollegen einzulassen, was bei Männern eher der Fall ist. Wenn Frauen einen techni-
schen Beruf ergriffen haben, sind sie auch darin meistens besser als ihre männlichen
Kollegen, ohne das bei jeder Gelegenheit zu betonen. Gerade das mehr an Sicherheit
im Wandel orientierte Denken von Frauen dürfte in einer sich schnell verändernden
Gesellschaft besser für Unternehmen sein als das auf den Erhalt von einmal erreich-
ten Status-Quo-Positionen fixierte Denken ihrer männlichen Kollegen.

4.2 Frauen denken anders

Empathie statt Systemdenken

„Frauen denken anders“ ist der deutsche Titel eines Buches des Cambridge-Psy-
chologieprofessors Simon Baron-Cohen, der durch seine Theorie zur Entstehung
von Autismus weltweit bekannt geworden ist. Autisten haben danach ein extrem
ausgeprägtes männliches Gehirn, was durch einen hohen Testosteronspiegel im
Mutterleib verursacht wurde.

Baron-Cohens Theorie über die grundlegenden Unterschiede im Denken und Be-


wusstsein von Männern und Frauen besagt, dass das weibliche Gehirn überwie-

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

gend auf Empathie ausgerichtet ist, während sich das männliche Gehirn haupt-
sächlich mit dem Begreifen und dem Aufbau von Systemen befasst.

Natürlich wissen wir, dass die überwiegende Zahl der Menschen sowohl über die
Fähigkeit zur Empathie als auch über die Fähigkeit zum Systematisieren verfügt.
Baron-Cohen behauptete auch nicht, dass das Geschlecht einer Person irgendet-
was über den Gehirntyp des jeweiligen Individuums aussagt. Es ist lediglich so, dass
Personen, bei denen die Empathie stärker ausgeprägt ist, häufig eher Frauen sind,
und dass diejenigen, die besser systematisieren können, eher Männer sind. Dabei
handelt es sich aber nur um prinzipielle Überlegungen, die keine Aussagen über
den Einzelfall erlauben.

Allerdings gibt es auch den ausgewogenen Gehirntyp, bei dem das Systematisie-
rungs- und das Einfühlungsvermögen gleich stark oder auch gleich schwach aus-
geprägt sind. Die bildgebenden Verfahren zur Untersuchung des Gehirns haben
gezeigt, dass es Einzelfälle gibt, bei denen sich die ganz offensichtlich vorhandene
Funktionsfähigkeit des Gehirns und einzelner Gehirnregionen nicht visualisieren
lässt. Ganz eindeutig warnt Baron-Cohen davor, Männer und Frauen zu stereoty-
pieren und in Klischees zu pressen. Männer und Frauen sind zwar unterschiedlich,
aber nicht so sehr, dass eine Verständigung unmöglich wäre. Wir sollten uns des-
halb einmal die verschiedenen Aspekte von Empathie und Systematisierungsver-
mögen vor Augen führen.

Was ist Empathie?

Unter Empathie versteht Baron-Cohen die Fähigkeit, Gefühle und Gedanken an-
derer Menschen zu erkennen und darauf mit angemessenen eigenen Gefühlen zu
reagieren. Das heißt also, dass es nicht nur darum geht, die Gedanken und Gefühle
anderer richtig einzuschätzen, sondern auch darum, in sich selbst eine emotionale
Reaktion zu verspüren, die durch die Emotionen anderer ausgelöst wird. Ziel der
Empathie ist immer, andere Menschen zu verstehen, ihr Verhalten vorherzusagen
und letztlich auch eine emotionale Verbindung aufzubauen.

Die Empathie zeichnet sich im Wesentlichen durch zwei Elemente aus. Das erste
ist die kognitive Komponente. Dazu gehört, dass man seine eigene Perspektive,
die der anderen Person bestimmte Einstellungen zuschreibt, zumindest vorüber-
gehend zurückstellt und stattdessen versucht, sich in die Sichtweise der anderen
Personen hineinzuversetzen. Diese kognitive Komponente ermöglicht es dann,
Vorhersagen über das Verhalten der anderen Personen zu treffen. Im Rahmen der

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Frauen denken anders 4
„Theory of Mind“ wird diese Fähigkeit inzwischen genauer untersucht und auch
schon bei kleinsten Kindern beobachtet.

Der zweite Aspekt der Empathie ist die affektive Komponente, also die angemes-
sene emotionale Reaktion auf den Gemütszustand einer anderen Person. Treffen
beide Komponenten zusammen, entsteht das, was wir Mitgefühl nennen.

KERNSAtZ
Empathie besteht aus einer kognitiven Komponente, die das Verhalten ande-
rer versteht und voraussagt, und einer emotional affektiven Komponente, die
mitfühlt und nachempfinden kann.

Nach dem Toronto Empathy Questionary von N. Spreng und anderen gilt Empathy als
eine durchaus messbare Schlüsselkompetenz. Sie wird in insgesamt fünf Skalen ge-
messen. In der Skala 1 geht es darum, Gefühle zu verstehen und die Bedeutung der
oft nonverbalen Botschaften zu entschlüsseln. In der Skala 2 geht es darum, die glei-
chen Emotionen wie andere Menschen zu empfinden. Skala 3 umfasst das Verhalten,
das Sensitivität ausdrückt. In Skala 4 geht es um physiologische Reaktionen, wie zum
Beispiel Verspannungen, Herzschlag oder Schweißausbruch. Skala 5 betrachtet em-
pathische Impulse, die in konkreten Handlungen ihren Ausdruck finden.

Wenn in einer Spielsituation des Diktatorspiels der gebende Spieler für seine un-
fairen Handlungen und Entscheidungen mit einem leichten Stromstoß vonseiten
des männlichen oder weiblichen nehmenden Spielers bestraft wird, zeigen Frauen
auch bei unfairen Mitspielern Empathie für die bestrafte Person. Sie fühlen den
Schmerz des (leichten) Stromstoßes mit. Für Frauen steht der Mensch an sich im
Mittelpunkt und nicht so sehr sein faires oder unfaires Handeln. Bei Männern ist
das anders. Sie empfinden Mitgefühl nur für faire, aber nicht für unfaire Mitspieler.
Auch die Lust auf Rache ist bei Männern in einem solchen Spiel höher ausgeprägt
als bei Frauen, die mit dem zufrieden sind, was sie bekommen. Bei Männern stei-
gen, bedingt durch das Testosteron, auch die positiven Gefühle, wenn sie ein stär-
keres Verlangen nach Rache gegenüber unfairen Spielern empfinden.

Empathie ist Teil eines höchst komplexen Systems im Gehirn, dem Event-Feature-
Emotion Complex. Das Zusammenwirken der verschiedenen Teile dieses Systems
ist in der funktionellen Magnetresonanztomografie deutlich erkennbar. In diesem
System werden moralische Werte, Urteile und Verhaltensweisen herausgebildet.
Wahrscheinlich sind sie bei Frauen aufgrund des stärkeren Empathievermögens
stärker ausgebildet und werden weniger oft verletzt, um eigene Vorteile zu er-
zielen. Im Hinblick auf die Ursachen der Finanzkrise der vergangenen Jahre sind

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

inzwischen schon viele Wissenschaftler zu der Auffassung gelangt, dass diese Krise
entweder weniger gravierend verlaufen wäre oder gar nicht erst hätte entstehen
können, wenn mehr Frauen in den Vorständen der großen amerikanischen Banken
vertreten gewesen wären.

Was ist Systematisierungsvermögen?

Beim Systematisierungsvermögen geht es darum, auf der Basis eines methodisch-


analytischen Vorgehens zu verstehen, wie etwas funktioniert und gesteuert wird.
Als System lässt sich im Prinzip alles definieren, was nach einer bestimmten Eingabe
zu einem bestimmten Ergebnis führt. Alles, was nach Wenn-dann-Regeln abläuft,
bei dem es einen Input und einen Output gibt, ist ein System, sei es nun ein Or-
ganismus, eine Verwaltung oder eine Maschine. Eines der simpelsten Systeme ist
wahrscheinlich ein Lichtschalter, bei dem es nur ein An oder ein Aus gibt. Ein we-
sentlich komplizierteres System ist sicherlich ein Computer oder ein Smartphone,
dessen Innenleben wir überhaupt nicht mehr verstehen, sondern dem wir nur
noch Befehle geben, die hoffentlich zum erwünschten Erfolg führen.

Die Macht der Hormone

Testosteron macht aggressiv. Diese populäre und weitverbreitete Ansicht beruht


auf Experimenten mit Tieren, die sich nach einer Testosterongabe tatsächlich ag-
gressiver verhielten. Dass dieses Ergebnis allerdings ohne Weiteres auch auf den
Menschen zu übertragen ist, bezweifelten viele Wissenschaftler und stellten ei-
gene Untersuchungen mit Männern und Frauen an. Testosteron hat ihrer Ansicht
nach beim Menschen nicht so sehr mit Aggressionsaufbau zu tun, sondern beein-
flusst eher das statusbezogene Verhalten und die sozialen Interaktionen. Diese
These hat sich dann auch als richtig erwiesen. Die Unterschiede zwischen Männern
und Frauen lassen sich im Zusammenhang mit der Wirkung des Testosterons am
deutlichsten erkennen.

Wir haben in unserem Institut das folgende Würfelexperiment durchgeführt: Es


traten jeweils eine Gruppe Männer und eine Gruppe Frauen gegeneinander an.
Den Teilnehmern und Teilnehmerinnen wurde gesagt, dass es bei dem Experiment
darum gehe, herauszufinden, ob beim Würfeln wirklich nur das Glück eine Rolle
spielt oder ob es zwischen Männern und Frauen auch Unterschiede hinsichtlich der
Geschicklichkeit beim Werfen der Würfel gibt.

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Frauen denken anders 4
Da bei diesem Experiment nur die Gesamtstatistik jeder Gruppe eine Rolle spielte,
sollte jeder einzelne Teilnehmer und jede einzelne Teilnehmerin eine bestimmte
Zahl von Würfen machen und die jeweils erzielte Augenzahl selbst notieren. Die
Ergebnisse der einzelnen Würfe waren für andere Personen nicht sichtbar und
wurden auch nicht kontrolliert. Allein die Summe aller Würfe jeder Gruppe war am
Ende für das Ergebnis des Experiments ausschlaggebend. Was glauben Sie, welche
Gruppe am Ende stets die höhere Augenzahl vorweisen konnte? Die Männer oder
die Frauen?

Es waren stets die Männer, die eine höhere Augenzahl meldeten. Waren sie tat-
sächlich in allen Würfelrunden besser als die Frauen? Rein statistisch hätten sich
die Zahlen von Männern und Frauen nach einer bestimmten Anzahl von Würfel-
runden insgesamt angleichen müssen. Das war aber nicht der Fall, und so mussten
wir zu dem Schluss kommen, dass die Männer beim Notieren ihrer Ergebnisse ge-
schummelt haben. Doch warum sollten sie das tun?

Tatsächlich ging es in diesem Experiment nicht um die Geschicklichkeit beim Wür-


feln, sondern um das Abwägen zwischen Ehrlichkeit und einem möglichen Sta-
tusverlust. Die testosterongesteuerten Männer waren eher bereit, die Ehrlichkeit
zu opfern, als einen Statusverlust hinzunehmen. Für die Frauen spielte der Status
keine Rolle, also notierten sie ehrlich die Ergebnisse ihrer Würfe. Man kann daraus
den Schluss ziehen, dass Frauen ein anderes Wertesystem haben als Männer und
dass sie ihrem Handeln eine andere Bedeutung beimessen.

In einem anderen Experiment ließen der Sozialökonom Paul J. Zak und andere
25 Männer in dem Ihnen bereits bekannten Ultimatumspiel gegeneinander antre-
ten. Den Ablauf kennen Sie bereits. Der Spielleiter stellt für jede Runde eine Summe
Geldes zur Verfügung. Spieler A entscheidet, wie er diese Summe zwischen sich
und Spieler B aufteilt, während Spieler B entscheidet, ob er die ihm zugedachte
Summe annimmt oder ablehnt. Nimmt er die Summe an, darf Spieler A die sich
selbst zugedachte Summe behalten und muss den angebotenen Teil an den an-
deren Spieler abgeben. Lehnt Spieler B die ihm zugedachte Summe ab, bekommen
beide nichts.

Nachdem in diesem Experiment einige Runden gespielt worden waren und man
so die grundsätzliche Verhaltensweise der einzelnen Spieler kennengelernt hatte,
wurde Spieler A eine Dosis Testosteron appliziert. Einer Kontrollgruppe in der Rolle
des Spielers A wurde nur ein Placebo verabreicht. In den nachfolgenden Spielrun-
den zeigte sich, dass die Testosteron-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe um
27 Prozent weniger freigiebig war.

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

Das Gleiche machte man dann auch mit den Spielern der Gruppe B, die darüber
zu entscheiden hatten, ob sie den zugewiesenen Geldbetrag akzeptierten oder
nicht. Auch hier gab es wieder Spieler, die Testosteron erhielten, und andere, die
nur ein Placebo bekommen haben. Die Männer mit dem erhöhten Testosteron-
spiegel, der sich stets in einem Bereich bewegte, der auch natürlich vorkommt,
entschieden sich signifikant häufiger, ein zu niedriges Angebot durch Ablehnung
zu bestrafen als die Männer der Placebo-Gruppe. Die Forschergruppe kam zu dem
Schluss, dass ein erhöhter Testosteronspiegel Männer in verstärktem Maß zu anti-
sozialem Verhalten verleitet.

Die Ergebnisse legten nahe, dass Männer mit einem natürlich höheren Testoste-
ronspiegel eher eigennützig handeln oder eher andere für die Verletzung sozialer
Normen bestrafen. Eine höhere Aggressivität konnte nicht festgestellt werden.
Andere Studien zeigten, dass Männer mit einem höheren Testosteronspiegel auch
eher bereit sind, länger auf eine Belohnung zu warten, die ihnen für die Zukunft in
Aussicht gestellt worden ist.

Dass der Testosteronspiegel auch durch die Situation, in der sich ein Mann befindet,
beeinflusst werden kann, lässt sich daraus schließen, dass Männer in den verschie-
densten Situationen entweder zu egoistischem Verhalten oder zu altruistischem
Bestrafen neigen, sei es nun bei rücksichtslosem Autofahren, im Sport oder im Krieg.
Unter dem Strich kann man sagen, dass das Testosteron vielleicht besser ist als sein
Ruf. In manchen Situationen fördert es Fairness, Kameradschaft und die Einhaltung
eines Ehrenkodexes, aber auch immer ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit.

KERNSAtZ
Nicht die Höhe des Testosteronspiegels allein entscheidet über das Verhalten
eines Mannes, sondern auch die Situation, in der er sich befindet.

Bei Frauen hat Testosteron eine ganz andere Wirkung, wie die Experimente von
C. Eisenegger und anderen ebenfalls aus dem Jahr 2009 ergaben. Frauen, die eine
einzelne Dosis Testosteron erhielten, ohne dass sie über die Art der Substanz in-
formiert worden waren, handelten fairer als Frauen ohne Testosteron, verringer-
ten in Verhandlungen Konfliktsituationen und verbesserten die Effizienz der so-
zialen Interaktion. Überraschend war allerdings, dass sich Frauen, die annahmen,
dass sie Testosteron erhalten hätten, unfairer verhielten, und zwar unabhängig
davon, ob ihnen der Wirkstoff tatsächlich oder ob ihnen nur ein Placebo verab-
reicht wurde. Es gibt also offensichtlich eine stärkere Beziehung zwischen dem
gezeigten Verhalten und den Erwartungen an das eigene Verhalten als zwischen
dem verabreichten Wirkstoff und dem tatsächlichen Verhalten.

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Frauen denken anders 4
KERNSAtZ
Bei Frauen ist die Wirkung der Empathie im Sinne von Selbstwahrnehmung
stärker als die verabreichte Testosteronmenge.

Im Zusammenhang mit der Wirkung von Hormonen bei der Verhaltenssteuerung des
Menschen darf das Oxytocin nicht unberücksichtigt bleiben. Der Neuroökonom Paul
J. Zak war der erste, der 2004 die vertrauensbildende Wirkung von Oxytocin zwischen
Personen, die sich nicht kennen, beschrieb. Dieses Neuropeptid fördert Empathie, Alt-
ruismus und moralisches Verhalten. Es wirkt beruhigend und deeskalierend. Allerdings
gibt es auch eine Kehrseite der Medaille. Oxytocin kann nämlich auch Schadenfreude
und Neid fördern sowie die defensive Aggression gegen Personen, die einer bestimm-
ten Gruppe nicht angehören. Oxytocin ist also nicht nur ein „Kuschelhormon“, das die
Beziehung zwischen Müttern und Kindern oder zwischen Sexualpartnern lenkt, es ist
von genereller Bedeutung für den Umgang der Menschen miteinander.

Zusammenfassung

In unseren modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen ist Empathie als eigen-


ständige und gut ausgeprägte Kompetenz unverzichtbar. Isolierte und an einzelnen
Punkten konzentrierte Machtstrukturen verlieren in hoch vernetzten Systemen immer
stärker an Bedeutung, während reziproke, dialogorientierte und gemeinschaftsstif-
tende Beziehungen, wie sie bevorzugt von Frauen gestaltet werden, immer mehr in
den Vordergrund treten.

Leadership-Praxis

Kann man mit Empathie führen?

Der Psychologe Simon Baron-Cohen hat sich zwar sehr umfassend mit der Erfor-
schung der Empathie als der wichtigsten Eigenschaft des weiblichen Gehirns be-
fasst, doch leider vermittelt er immer wieder den Eindruck, Empathie sei nur im
Rahmen eines weiblichen Aufgabenbereichs, wie dem Zusammenhalt der Familie
und der Erziehung der Kinder, von hohem Nutzen, während sie sich in der Arbeits-
welt gegenüber dem Systematisierungsvermögen des Mannes bei der Bewältigung
der dort anstehenden Aufgaben eher hinderlich auswirke.

Betrachtet man Empathie und Systematisierungsvermögen unter evolutionspsy-


chologischen Gesichtspunkten, mag diese Einschätzung bezogen auf die Frühzeit
der Menschen sicherlich richtig gewesen sein. Doch wir haben uns und damit hat

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Frauen sind als Führungskräfte unverzichtbar

sich auch die menschliche Gesellschaft ständig weiterentwickelt und den Lebens-
raum der Savanne längst hinter sich gelassen.

Das menschliche Gehirn ist in seinen Entwicklungsmöglichkeiten noch längst nicht


abgeschlossen. Jede Herausforderung ist von Vorteil und jedes Verharren in alten
Strukturen von Nachteil. Deshalb sollte man durchaus darüber nachdenken, ob die
weibliche Empathie unter veränderten Umweltbedingungen – und dazu gehören
auch die Gesellschaft und das Wirtschaftssystem – nicht durchaus Vorteile bietet,
die wir auf den ersten Blick gar nicht erkennen oder die unbemerkt längst in unser
Kommunikations- und Wirtschaftsverhalten eingeflossen sind.

Baron-Cohen hat festgestellt, dass Frauen sensibler auf Gesichtsausdrücke reagie-


ren als Männer, nonverbale Botschaften besser entschlüsseln und subtile Nuancen
in der Stimme und in der Mimik nutzen können, um eine andere Person einzu-
schätzen. Daraus könnte man ableiten, dass Frauen in einem gemischten Verhand-
lungsteam einen wesentlichen Beitrag zum Verhandlungserfolg leisten könnten,
besonders dann, wenn sie nicht selbst als harte Verhandler (Negotiator) auftreten.
Ihre Rolle liegt mehr im Bereich des Commanders, der den Verhandlungsverlauf be-
obachtet und den Negotiator coacht, oder im Bereich des Decisionmakers, dem die
letzte Entscheidung und die Beurteilung des Verhandlungsverlaufs obliegt.

Gemeinsam mit Sally Wheelwright hat Baron-Cohen einen Empathietest entwi-


ckelt, bei dem den Testpersonen Fotos von emotionalen Augenpartieausdrücken
vorgelegt werden. Die Probanden sollen entscheiden, was die abgebildete Person
denkt oder fühlt. Bei diesem anspruchsvollen Test, der sich allein auf die Augen-
partie konzentriert, schneiden Frauen stets besser ab als Männer. Es ist also nicht
verwunderlich, dass Frauen gerade in Personal- oder Rechtsabteilungen von Unter-
nehmen sehr erfolgreich sind.

KERNSAtZ
Wenn es um die Einschätzung von Gefühlen geht, sind Frauen im Vorteil.

Vorteilhafte Beziehungsformen

Frauen legen in der Regel viel Wert auf die Entwicklung von altruistischen und rezi-
proken Beziehungen. Um diese Beziehungen zweckmäßig zu gestalten, ist Empa-
thie erforderlich. Männer gestalten Beziehungen eher unter Macht- oder Wettbe-
werbsgesichtspunkten. Sie legen Wert darauf, ihren sozialen Status zu bestätigen
und zu erhalten, während Frauen ihr Augenmerk mehr auf Unterstützung in einer

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Frauen denken anders 4
gleichberechtigten Beziehung und auf eine gerechte Verteilung legen. Männer
schätzen in Beziehungen eher gemeinsame Aktivitäten, wobei sie gern der Anfüh-
rer sind, während Frauen das Wohl der Gesamtheit im Auge haben.

KERNSAtZ
Frauen wollen eher die Gesamtheit nach vorne bringen, Männer eher sich
selbst.

Generell geht man davon aus, dass aggressives Verhalten das Gegenteil von Em-
pathie ist und dass Aggressivität das Einfühlungsvermögen verringert beziehungs-
weise das Einfühlungsvermögen die Äußerung von aggressivem Verhalten verhin-
dert. Das ist in dieser Absolutheit aber nicht richtig. Wenn zum Beispiel jemand
für Menschen, die eine Krankheit selbst verursacht haben oder sich nicht helfen
lassen wollen, keine Sympathie empfindet, dann ist das eher eine Art umgepoltes
Verhalten, das aber durchaus Sensitivität ausdrückt. Wenn also beispielsweise eine
Person über Kopfschmerzen klagt, sich aber weigert, eine Kopfschmerztablette zu
nehmen, um den Schmerz zu lindern, hört das Mitgefühl schnell auf. Man fühlt sich
in den anderen ein, zeigt aber kein Verständnis für dessen Verhalten und die ihm
zugrunde liegenden gedanklichen Prozesse.

Natürlich sind nicht nur Männer aggressiv, sondern auch Frauen. Allerdings gibt
es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Art, diese Aggressivität auszudrü-
cken. Männer neigen eher zu direkten, also offen geäußerten Aggressionen, im
ungünstigsten Fall zu körperlicher Gewalt oder auch nur dazu, einem Mitarbeiter
fristlos zu kündigen. Frauen hingegen neigen eher zu indirekter, auch relational
genannter, Aggression. Hier steht der Ausschluss aus einer Gruppe, das berüch-
tigte Schneiden von Mitarbeitern, um sie selbst zur Kündigung zu bewegen, im
Vordergrund.

Diese Form der Aggression wird von Männern in der Regel weniger geschätzt als ein
offenes aggressives Verhalten, auf das man in derselben Weise antworten kann.
Tatsächlich ist es so, dass subtile Aggressionen ebenso als Schmerzen empfunden
und im Schmerzzentrum verarbeitet werden wie körperliche Schläge, sie erfordern
allerdings mehr Empathie in dem Sinne, dass man verstehen muss, was man mit
ihnen in den Köpfen der anderen auslöst.

KERNSAtZ
Auch Frauen können aggressiv handeln, aber eben anders als Männer.

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Wenn es darum geht, Dominanzhierarchien aufzubauen, spielen beide Elemente


eine Rolle: die Empathie und die Systematisierungsfähigkeit. Dominanzhierarchien
finden wir nicht nur in der Wirtschaft und in der Politik, sondern überall in unserer
Gesellschaft. Es kommt darauf an, seinen Platz zu finden und zu erkennen, wer
über einem und wer unter einem steht. Für Männer ist die soziale Stellung wichti-
ger als für Frauen, und Baron-Cohen nimmt an, dass Männer bei zu viel Empathie im
sozialen System nicht ihren Platz behaupten und auch nicht im System aufsteigen,
sondern nur absteigen können.

Natürlich achten auch Frauen auf eine Rangordnung, nur wird sie in der Regel
subtiler kommuniziert und stellt sich insgesamt differenzierter dar, zum Beispiel
dadurch, dass die Führung von einer Frau eher situationsbezogen beansprucht
wird und nicht nur durch mehr Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen. Kommu-
nikation findet bei Frauen eher in Dialogform und weniger durch Befehle nach
dem „Basta“-Prinzip statt. Männer verwenden Sprache häufiger als Mittel, um ihre
soziale Dominanz zu sichern, während die Kommunikation von Frauen eher ge-
meinschaftsstiftend ist.

Baron-Cohen geht davon aus, dass die Evolution eher den eindeutig männlichen
Gehirntyp mit guter Systematisierungsfähigkeit oder den eindeutig weiblichen Ge-
hirntyp mit hohem Empathievermögen bevorzugt hat. Wer beides gleich schlecht
kann, gehört eher zu den evolutionären Verlierern. Doch auch der ausgewogene
Gehirntyp, der beides gleich gut kann, ist nach seiner Auffassung weniger erfolg-
reich als der rein männliche Gehirntyp.

Als Beispiel führt Baron-Cohen an, dass ein General, der seine Verwundeten zu-
rücklässt, um seine gesunden Soldaten zu retten, im Krieg erfolgreicher ist als ein
General, der mit den Verwundeten zu viel Mitgefühl hat. Er räumt zwar ein, dass ein
Mensch mit ausgewogenem Gehirntyp der angenehmere Chef sein mag, weist aber
darauf hin, dass er durchaus die Existenz eines Unternehmens gefährden könne,
weil es ihm im Zweifelsfall an Rücksichtslosigkeit fehle, Betriebsteile zu schließen
und Mitarbeiter zu entlassen.

Tatsächlich haben Untersuchungen ergeben, dass der talentierte, ausgewogene


Gehirntyp relativ selten anzutreffen ist. Aber was bedeutet das für ein Unterneh-
men? Der frühere Nestlé-Chef Helmut Maucher sagte, er könne sich kein Team als
Spitze eines Unternehmens vorstellen, sondern nur ein Team mit Spitze. Und ge-
nau das ist es. In der modernen Wirtschaft haben sich die Anforderungen an eine
gute Führung deutlich verändert. Marketing und Einfühlung in den Verbraucher
haben in einer Wirtschaft, die nicht nur Produkte zum Höchstpreis verteilt, eindeu-
tig als Erfolgsfaktoren gewonnen. Situatives Verhalten ist wichtiger geworden als

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Frauen denken anders 4
brachiales Durchsetzen der eigenen Vorteile ohne Rücksicht auf andere. Die Evo-
lution unserer Gesellschaft hat Frauen als Führungskräfte unverzichtbar gemacht.

Was für Frauen braucht die Wirtschaft?

In der Vergangenheit ging es bei der Besetzung von Führungspositionen mit


Frauen darum, eine Frau auszuwählen, die möglichst männlich, also systemorien-
tiert, denkt und „ihren Mann steht“. Empathie spielte als Entscheidungskriterium
keine Rolle.

Heute geht es darum, hoch talentierte Frauen zu finden, die durchaus systemati-
sieren können und darüber hinaus die kognitive Komponente der Empathie geziel-
ter und besser nutzen als ihre männlichen Kollegen. Die affektive Komponente der
Empathie wird hingegen eher bestimmten Berufen, zum Beispiel denen im Pflege-
bereich, vorbehalten bleiben.

Tatsächlich dürfte es schwieriger sein, Männer mit einem hohen kognitiven Em-
pathie-Quotienten zu finden als eine gleich qualifizierte Frau. Wichtig ist aber vor
allem, zu erkennen, dass man im Wirtschaftsleben kein männliches Gehirn auf High
Heels benötigt, sondern ein empathisches Gehirn mit Sachverstand und intelligen-
tem Durchsetzungsvermögen.

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5 Das Multigenerationenunternehmen
als Zukunftsmodell

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Eines der großen Themen der Neurowissenschaften wird in Zukunft das Alter
und seine Auswirkungen auf das Gehirn sein. Das gilt auch für die Neurolea-
dership. Ältere Mitarbeiter dürfen nicht hinsichtlich ihrer Kompetenzen unter-
schätzt und ob ihres Alters diskriminiert werden. Gerade ältere Mitarbeiter ver-
fügen in der Regel über eine größere soziale Kompetenz, die das Betriebsklima
und damit die Motivation zum Positiven verändern kann. Dieser Effekt ist nicht
zu unterschätzen.

Wir werden in Zukunft immer mehr ältere Mitarbeiter brauchen, ebenso wie
der älter werdende Mensch in Zukunft länger und mehr sinnvolle Aufgaben
braucht, um die längere Lebenszeit erfolgreich bewältigen zu können. Es ist
nicht die Frage, ob ein älterer Mitarbeiter noch lernen und sich auf neue Bedin-
gungen einstellen kann, es ist nur die Frage, wie das auf die richtige Weise zu
geschehen hat. Wir kennen zwar schon die Richtung, in die die Antworten ge-
hen müssen, haben sie aber noch nicht so parat, wie es wünschenswert wäre.

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Das Multigenerationenunternehmen als Zukunftsmodell

5.1 Wir werden älter, aber nicht dümmer

Seit mehr als 170 Jahren steigt die Lebenserwartung der Menschen in den hoch
industrialisierten Ländern konstant um drei Monate pro Jahr. 2040 wird die durch-
schnittliche Lebenserwartung von Frauen wahrscheinlich bei 92 Jahren liegen. Was
bedeutet das für die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit? Wird die Mehrheit der
älteren Bevölkerung einen längeren Lebensabschnitt in einem geistigen Dämmer-
zustand und in Gebrechlichkeit, beides verbunden mit höherer Pflegebedürftig-
keit, verbringen oder werden wir über mehr Jahre aktiven und selbst gestalteten
Lebens verfügen?

Wahrscheinlich ist – auch durch den medizinischen Fortschritt – zukünftig Letz-


teres der Fall. Die bei vielen Menschen mit Angst besetzte Phase des gravierenden
geistigen und körperlichen Abbaus, verbunden mit wachsender Hilflosigkeit, wird
sich wahrscheinlich nur noch auf eine kurze Zeit vor dem Lebensende beschränken.

Viele, aber längst nicht alle Menschen bemerken bei sich ab dem 60. Lebensjahr eine
schwindende körperliche Leistungsfähigkeit und eine schnellere geistige Ermüdung.
Natürlich führen bestimmte Berufe zu einem höheren körperlichen Verschleiß, wie
zum Beispiel bei Dachdeckern, Pflasterern oder Kesselschmieden. Dass die Alters-
grenze für berufliche Tätigkeiten nicht pauschal geregelt werden kann, dürfte je-
dem einsichtig sein. Aber das bedeutet auch, dass Arbeitnehmer, die sich noch leis-
tungsfähig fühlen, länger im Beruf bleiben sollten. Schließlich verfügen sie über das,
was für jeden Menschen einen ganz individuellen Wert darstellt, nämlich Erfahrung.

Zwar sinkt die Lernleistung bei hirngesunden Menschen, wie schon gesagt, nach
dem 30. Lebensjahr allmählich wieder ab. Ein 60-Jähriger lernt ungefähr genauso
gut wie ein Zehn- bis 15-Jähriger, aber das bezieht sich nur auf das Lernen durch
Repetition. Junge Menschen lernen durch Wiederholung, ältere Menschen lernen
strategisch. Alle sogenannten Gedächtniskünstler arbeiten mit Assoziationen, und
genauso machen es ältere Menschen auch.

Im Alter ändert sich die Art und Weise, wie wir Erinnerungen schaffen und abrufen.
Die Leistung ändert sich nur wenig. Im Klartext heißt das: Solange das Gehirn ge-
sund ist, funktioniert auch das Gedächtnis. Und gerade die Leistung durch Erfah-
rung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Untersuchungen bei Jägern
in Papua-Neuguinea haben gezeigt, dass jüngere Jäger im Alter von 16 bis 29 Jahren
deutlich geringere Mengen Fleisch erbeuten als Jäger im Alter von 29 bis 35 Jahren.
Ältere Jäger von 35 Jahren an aufwärts waren zwar bei der Gruppenjagd weniger
erfolgreich als die bis 35-Jährigen, bei der Jagd mit Pfeil und Bogen erbeuteten sie
aber rund doppelt so viel Fleisch wie ihre jüngeren Jagdgenossen.

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Wir werden älter, aber nicht dümmer 5
Eigentlich sollte man meinen, dass bei den Papuas Kraft und Ausdauer die ent-
scheidenden Faktoren für den Jagderfolg wären, tatsächlich ist es aber die Erfah-
rung. Dieses Ergebnis lässt sich, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, auch auf
unsere Kultur übertragen. Ältere Piloten mit größerer Erfahrung fliegen sicherer als
jüngere Piloten, selbst wenn die jüngeren Piloten mehr Flugstunden nachweisen
können.

KERNSAtZ
Leistung ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Erfahrung und des
Könnens.

Warum erfolgreiche Frauen nicht mehr befördert werden

In einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
wurde im Jahr 2011 untersucht, welches Potenzial die „Senior Female Manpower“
hat. Dabei kam man zu einem ernüchternden Ergebnis. Das öffentliche Interesse
an Frauen ab ca. dem 50. Lebensjahr konzentriert sich zumeist auf Fragen nach
sozialer Ungleichheit, Armut und Krankheit im Alter. Die Lage berufstätiger Frauen
um die 50 kommt in diesem Interessenspektrum gar nicht vor.

In Deutschland ist es für eine ältere Frau keineswegs normal, eine reguläre, dau-
erhafte Arbeitsstelle zu haben. Dabei haben sich die Lebenszusammenhänge von
Frauen sichtbar verändert. Frauen, die zwischen 1955 und 1965 geboren wurden,
gehören der sogenannten Babyboomer-Generation an. Sie haben die Chancen,
die ihnen durch die Bildungsexpansion in den 1960er- und 1970er-Jahren geboten
wurden, systematisch genutzt. Trotzdem bricht die Karriere der meisten Frauen
abrupt ab, wenn sie das 50. Lebensjahr überschritten haben. Sie stoßen an eine
gläserne Decke, die einen subtilen, nicht oder kaum wahrnehmbaren Mechanismus
darstellt, der dafür sorgt, dass Frauen nicht vom mittleren ins obere Management
aufsteigen können.

Tatsächlich kann in den meisten Fällen kein konkreter Grund benannt werden, wa-
rum den Frauen der nächste Schritt auf der Karriereleiter misslingt oder verwehrt
bleibt. Männliche Kollegen hingegen werden weiter befördert, allerdings ohne im-
mer bessere Leistungen oder mehr Engagement zu zeigen. Die Folge ist, dass viele
Frauen im mittleren und gehobenen Management ihre weiteren Karrierepläne auf-
geben, indem sie sich selbstständig machen, ehrenamtlich tätig werden oder mit
sportlichem und kreativem Engagement privatisieren.

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Das Multigenerationenunternehmen als Zukunftsmodell

Das Wissen von Frauen wird bei der relevanten Wissensübertragung in den Un-
ternehmen zu wenig oder gar nicht aufgenommen und gilt deshalb auch nicht
als aufstiegsrelevant. Das implizite Wissen von Frauen wird zu wenig anerkannt
und zu selten kommuniziert. Untersucht man die tatsächliche Produktivität von
Männern und Frauen in der Arbeitszeit, stellt sich heraus, dass in den Unterneh-
men eine Art „Anwesenheitsmythos“ herrscht, der viele Männer dazu veranlasst,
auch nach Feierabend noch am Schreibtisch zu verharren. Oft nutzen sie diese Zeit
jedoch nur, um persönliche Dinge zu erledigen oder im Internet zu surfen. Frauen
teilen ihre Zeit im Vergleich zu Männern offensichtlich effizienter ein.

Einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen so konsequent aus Führungspositionen


ferngehalten werden, liegt darin, dass die Erwartung an die Produktivität von Ma-
nagerinnen maßgeblich von Vorstellungen über die „typische“ Frau geprägt ist. Da-
bei ist die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ganz erheblich. Frauen
leisten tatsächlich mehr als Männer in vergleichbaren Positionen. Sie werden aber
immer nur als Vertreterinnen ihres Geschlechts gesehen und nicht aufgrund ih-
rer persönlichen Stärken und Schwächen beurteilt. Zu diesen Stereotypen gehört
auch die Auffassung, dass Frauen häufiger als Männer familienbedingt ausfallen
oder ihre Arbeitsstelle verlassen, was sich statistisch jedoch nicht beweisen lässt.
Insgesamt wird also stärker darauf geachtet, was man glaubt wahrzunehmen, als
darauf, was der tatsächlichen Leistung entspricht.

KERNSAtZ
Niemand möchte darauf reduziert werden, dass sein Denken nur aus einer An-
sammlung von Vorurteilen besteht. Um eine von Vorurteilen behaftete Denk-
weise zu ändern, bedarf es der Achtsamkeit und des Verzichts auf Generali-
sierungen.

Die Macht des Primings

Mit Priming beschreibt man einen vorgeschalteten, unbewusst wahrgenomme-


nen Reiz, der zu einer impliziten Gedächtnisbildung führt und eine nachfolgende
Handlung entscheidend bestimmen kann. Priming ist ein völlig unterschätzter Ef-
fekt der zwischenmenschlichen Interaktion. Es gibt genügend Experimente im Rah-
men der Neuroökonomie, die den Priming-Effekt nachgewiesen haben. Studenten,
die Begriffe sortieren mussten, die sich mit Alter, Tod und Trauer befassten, gingen
anschließend deutlich langsamer über den Flur als Studenten, die Begriffe zu den
Themen Urlaub, Sommer und Lebensfreude sortiert hatten.

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Wir werden älter, aber nicht dümmer 5
Das Priming beeinflusst unser Leben permanent, und es hat nicht nur Auswirkun-
gen auf motorische Abläufe, sondern auch auf die Interpretation von Wahrneh-
mungen und auf Entscheidungen, die wir fällen. Priming wird in den meisten Fällen
nicht als solches erkannt.

Was hat das nun mit älteren Arbeitnehmern und speziell mit älteren weiblichen
Führungskräften zu tun? Auch hier wirkt sich das Priming ganz entscheidend aus.
Machen ältere Arbeitnehmer immer wieder die Erfahrung, dass ihre Leistung nicht
am Ergebnis gemessen wird, sondern an ihren Lebensjahren, werden sie sich mit
großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich immer mehr verschlechtern. Ganz einfach
deshalb, weil sie unbewusst auf die geringere Wertschätzung reagieren. Würde
man das Erfahrungswissen in den Vordergrund rücken, wäre das Arbeitsergebnis
wahrscheinlich ein ganz anderes und ein viel besseres.

Die Methoden des Primings könnte man auch dazu nutzen, um Arbeitnehmer auf
den Schritt in eine nächste Alters- und damit auch Lebensabschnittsstufe vorzu-
bereiten. Es gibt zurzeit nur selten die Möglichkeit, sich gleitend zu verändern. In
der Regel findet der Schritt in den Ruhestand immer noch ziemlich abrupt, von
einem Tag zum anderen statt. Gestern räumte man noch seinen Schreibtisch auf,
heute sitzt man ohne Aufgaben zu Hause. Besser wäre es, Modelle zu entwickeln,
die dem Alter, den Wünschen und den Fähigkeiten des Einzelnen angepasst, so-
wohl berufliche Leistung als auch private Selbstverwirklichung ermöglichen.

Zusammenfassung

Viele weitverbreitete Vorstellungen über die Leistungsfähigkeit und das Denk-


vermögen im Alter beruhen einerseits auf gesellschaftlichen Konventionen, die
längst überholt und noch nicht im allgemeinen Bewusstsein korrigiert sind, ande-
rerseits aber auch auf dem Wunsch junger Menschen und besonders junger Män-
ner, Akzeptanz zu finden und sich zu profilieren, indem sie die echten und oft
nur vermeintlichen Unterschiede zu älteren Konkurrenten plakativ herausstellen.
Menschen können bis ins hohe Alter sehr gut analytisch denken – siehe Helmut
Schmidt oder Marcel Reich-Ranicki. Sie können auch als kreative Künstler im hohen
Alter noch immer besser werden, wie Pablo Picasso.

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Das Multigenerationenunternehmen als Zukunftsmodell

Leadership-Praxis

Die Unternehmenswirklichkeit wird in den kommenden Jahren nicht nur durch eine
immer größere Zahl älterer Mitarbeiter und durch mehr weibliche Führungskräfte,
sondern auch durch eine immer stärkere Vernetzung mit externen Dienstleistern
gekennzeichnet sein. Unternehmen entwickeln sich von zentralen Produktionss-
tandorten immer stärker zu Koordinations , Steuerungs- und Lenkungseinheiten
für dezentral agierende Zulieferer. Dabei werden auch die sogenannten Solo-Un-
ternehmer eine immer größere Bedeutung spielen.

Von 2000 bis 2011 stieg die Zahl der Solo-Unternehmer um rund 40 Prozent auf
2,6 Millionen. Und von den 800.000 im Jahr 2011 erwerbstätigen Senioren arbeiteten
40 Prozent auf eigene Rechnung. Tendenz ebenfalls steigend.

Die Vorstellung von einem dreißig oder mehr Jahre andauernden dritten Lebens-
abschnitt, den man untätig, aber finanziell üppig versorgt und sorgenfrei ver-
bringt, weil man zuvor ebenfalls dreißig Jahre gearbeitet hat, dürfte für die meis-
ten Arbeitnehmer ein Auslaufmodell und nur noch wenigen vergönnt sein. Aber
entspricht diese Transferleistungsmentalität überhaupt noch unserer heutigen
Selbstwahrnehmung? Sind wir nicht dabei, das Arbeiten bis zum Burn-out und zur
totalen Erschöpfung durch neue, sinnvollere Modelle zu ersetzen? Man darf das
Tempo und die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Wandels nicht unterschätzen.
Vor 25 Jahren begann mit brikettgroßen Mobiltelefonen und einer jämmerlichen
Übertragungsqualität von Sprache eine kommunikative Revolution, die wir heute
längst als Selbstverständlichkeit empfinden. Zukunft wird von jedem Einzelnen
durch Veränderungen in der Gegenwart gestaltet. Das gilt auch und gerade für
das Multigenerationenunternehmen.

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6 Neuroleadership in typischen
Situationen des Führungsalltags

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

Nachdem wir die vier für Neuroleadership wichtigsten Gehirnsysteme betrach-


tet haben, geht es nun darum, wie sich die neurowissenschaftlichen Erkennt-
nisse in typischen Situationen des Führungsalltags umsetzen lassen.

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

6.1 Die 7 Grundregeln der Neuroleadership

In den 7 Grundregeln der Neuroleadership sind die Erkenntnisse der Kapitel „Was
Führungskräfte über Neurowissenschaften wissen sollten“, „Die Basics der Gehirn-
forschung für die Führungspraxis“ und „Die vier wichtigsten Gehirnsysteme für
Neuroleadership“ plakativ zusammengefasst, um sie in der Praxis möglichst leicht
handhabbar zu machen. Natürlich sind auch noch andere Details für die Praxis rele-
vant, doch die wichtigsten sind unter diesen 7 Grundregeln subsummiert.

Grundsätzlich sollte der Leser stets bedenken, dass Führen immer bedeutet, sozi-
ale Interaktionen in all ihren Facetten zielgerichtet zu gestalten. Dabei handelt es
sich praktisch um eine unendliche Kette von Aktionen und Reaktionen. Die Mitar-
beiter nehmen ihre Führungskraft wahr und reagieren darauf, ebenso wie es auch
umgekehrt geschieht. Jede Führungskraft sollte berücksichtigen, dass Kommunika-
tion keinen Anfang hat und kein Ende. Denn man kann nicht nichtkommunizieren.

Wir betrachten diese Regeln zunächst noch einmal isoliert, um sie besser interpre-
tieren zu können. Tatsächlich greifen sie aber in der Praxis ineinander und entfal-
ten ihre positive oder negative Wirkung stets gemeinsam.

Übersicht:

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle.


2. Das Ultimatumspiel gilt überall.
3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten.
4. Jedes Gehirn ist anders.
5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen.
6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten.
7. Situationen können eine nicht vorhersagbare Eigendynamik entwickeln.

Regel Nr. 1: Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Ohne die Aktivierung des Belohnungssystems läuft nichts. Entscheidungen und die
Einspeicherung von neuen Gedächtnisinhalten sind ebenso vom Belohnungssystem
abhängig wie die Motivation und die Zukunftsorientierung. Es führt dazu, dass wir
uns besser erinnern und damit auch besser lernen können. Das Belohnungssystem
verstärkt, moduliert, modifiziert oder hemmt unbewusst Gedankenprozesse und
Verhaltensweisen, die wir üblicherweise im Nachhinein mit rationalen Argumenten
begründen.

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Die 7 Grundregeln der Neuroleadership 6
Das Belohnungssystem erzeugt ein extrem starkes Wohlbefinden, das mit keinem
anderen Gefühl vergleichbar ist. Und bei einer kontinuierlichen Stimulation tritt
auch keine Gewöhnung ein. Wir müssen das Belohnungssystem aktivieren, um
motiviert zu sein und um uns wohl zu fühlen. Dies kann auf vielfältige Weise ge-
schehen. Schon allein ein sympathisches Gesicht unseres Gegenübers kann das
Belohnungssystem aktivieren.

Doch das allein reicht sicherlich nicht. Rund 60 Prozent der Mitarbeiter von Unter-
nehmen legen Wert auf ein gutes Arbeitsklima, und das bedeutet in erster Linie ein
harmonisches Miteinander zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten sowie eben-
falls zwischen den Mitarbeitern selbst und den verschiedenen Abteilungen eines
Unternehmens.

Viele Vorgesetzte glauben wohl immer noch, dass Wettbewerb und Konkurrenz zwi-
schen einzelnen Arbeitnehmern, verschiedenen Arbeitsgruppen und Abteilungen die
Leistung fördert. Das ist jedoch ein Irrtum. Vielleicht wird das Belohnungssystem ein-
zelner Führungskräfte tatsächlich durch die Konkurrenz zu anderen stimuliert. Bei Mit-
arbeitern dürfte das eher die Ausnahme sein. Hier hat Kooperation höchste Priorität
und schlägt sich auch im Sinn einer Win-win-Situation in der Arbeitsleistung nieder.

Wer als Führungskraft annimmt, die Leistung dadurch steigern zu können, dass er
verschiedene Abteilungen und deren Leiter gegeneinander antreten lässt, nach
dem Motto „mal schauen, wer es von euch am besten schafft, Papas Liebling zu
werden“, steuert sein Unternehmen auf direktem Wege ins Mobbing und verliert
an Leistungsfähigkeit, weil immer mehr Zeit ins Stühlesägen investiert wird statt in
die Bewältigung der tatsächlich anstehenden Aufgaben.

Gerade die Qualität der zu bewältigenden Aufgaben und die dafür zur Verfügung
stehenden Instrumente spielen für rund 40 Prozent der Arbeitnehmer eine ebenso
große Rolle wie das für die Arbeitsleistung gezahlte Gehalt. Beides gemeinsam ist
sogar noch wichtiger als die Sicherheit des Arbeitsplatzes, von der viele Führungs-
kräfte vermuten, dass sie bei den Mitarbeitern höchste Priorität habe.

Selbst solche scheinbar wichtigen Themen wie die Persönlichkeit des Vorgesetz-
ten, die Sozialleistungen und die Altersversorgung oder auch die Unternehmens-
kultur und die Karrierechancen beeinflussen mit jeweils rund zehn Prozent das
Wohlbefinden der Mitarbeiter deutlich geringer als das Arbeitsklima.

Nun besteht das Arbeitsklima nicht nur allein aus den Umgangsformen, auch wenn
diese der wohl wichtigste Teil sind. Auch das Ambiente am Arbeitsplatz und die Ar-
beitsplatzgestaltung selbst sind von hervorragender Bedeutung. Niemand wird in

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

einem fensterlosen Raum bei schlechtem Licht und zu wenig Ablagefläche kreativ
arbeiten oder aber erfolgreich am Telefon Verkaufsgespräche mit Kunden führen
können.

Ob man es glauben mag oder nicht, es gibt immer noch Unternehmen, die so ge-
nannte „Lieferantenzimmer“ haben. Das sind Besprechungsräume, in denen, wie
der Name schon sagt, die Gespräche mit Lieferanten geführt werden. Diese Räume
zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders armselig und unfreundlich möbliert
sind, um von vornherein zu signalisieren, „hier ist kein Geld zu holen“.

In diesen Zimmern gibt es nichts, was Atmosphäre verbreitet, keine Bilder an den
Wänden, keine Blumen auf dem Tisch und natürlich erst recht keine Erfrischungs-
getränke. Sie sind bewusst so kahl und unfreundlich gehalten, damit der Lieferant
nur den einen Wunsch hat, möglichst schnell das Unternehmen wieder zu verlas-
sen. Aber so wie man mit Lieferanten umgeht, gehen viele Unternehmer in mittel-
ständischen und Kleinbetrieben auch mit ihren Mitarbeitern um. Das Schlechteste
und Billigste ist gerade gut genug. Kein Wunder, wenn das Belohnungssystem
dann nicht anspringen will.

Regel Nr. 2: Das Ultimatumspiel gilt überall

Das Gehirn ist ein soziales Organ. Der Wunsch nach Fairness und nach Win-win-
Konstellationen ist existenziell. Kooperation geht vor Konkurrenz.

Wenn sich der eine Spieler von dem anderen unfair behandelt fühlt, verzichtet er
auf den ihm zugedachten Anteil, so dass der andere auch nichts erhält. Dieses Ver-
halten nennt man altruistisches Bestrafen, was wiederum das Belohnungssystem
des Verzichtenden aktiviert.

Das Ultimatumspiel kann man als Basis jeder Verhandlung ansehen. Wenn man in
einer Verhandlung dem Partner immer wieder ein positives Feedback gibt und da-
mit sein Belohnungssystem aktiviert, dann fallt es ihm leichter, einen Vorschlag zu
akzeptieren und er wird nicht in unangemessener Form zum Mittel des Abstrafens
greifen.

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Die 7 Grundregeln der Neuroleadership 6
Regel Nr. 3: Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das
Verhalten

Das Gehirn trifft ständig Vorhersagen und sucht nach ihrer Bestätigung. Vorin-
formationen beeinflussen die Vorhersagen im positiven, aber auch im negativen
Sinne.

Eine positive Vorinformation über eine Führungskraft aktiviert bereits das Beloh-
nungssystem der Mitarbeiter und erleichtert die folgenden Verhandlungen. Wenn
ihr der Ruf vorangeht, dass sie sich gegenüber den Mitarbeitern fürsorglich und
fair verhält und immer nach sozialverträglichen Lösungen sucht, wird es dieser Füh-
rungskraft leichter gelingen, zum Beispiel eine notwendige Personalreduzierung
umzusetzen, als wenn sie von vornherein den Ruf eines harten Sanierers hat.

Grundsätzlich ist es so, dass positive Vorinformationen zu Personen oder Tatbe-


ständen leider nicht so leicht von allein entstehen und so schnell verbreitet wer-
den wie negative. Wie bei den Medien werden auch in Unternehmen negative
Meldungen schneller kolportiert und leider auch länger erinnert. Es liegt daher an
den Führungskräften, entsprechende Imagepflege zu betreiben. Nicht nur für sich
selbst, sondern auch für Maßnahmen und Entscheidungen, die sie um- und durch-
zusetzen gedenken.

Vorinformationen beziehen sich in der Regel weniger auf konkrete Fakten und
Tatsachen, sondern haben eher den Charakter von Meinungen, Bewertungen und
Einschätzungen. Jedes Gerücht, das in einem Unternehmen im Umlauf ist, ist auch
eine Vorinformation, die Erwartungen und das Verhalten massiv beeinflussen kann.

Steht eine Führungskraft erst einmal im Ruf, nicht die Wahrheit zu sagen, unbere-
chenbar zu sein und nicht zu wissen, was sie will, wird sie dieses Manko nur schwer
wieder loswerden, weil es als Vorinformation nicht nur im Unternehmen selbst,
sondern auch bei den Geschäftspartnern immer wieder auftauchen wird.

Der heutige Vorstandsvorsitzende der Linde AG und frühere BMW-Manager Wolf-


gang Reitzle hatte jahrelang mit dem Image zu kämpfen, arrogant zu sein. Die
meisten Menschen, die dieses Vorurteil verbreiteten, kannten ihn nicht einmal per-
sönlich, sondern leiteten ihre Meinung oft nur von Fotos ab, auf denen er mit
seinem Oberlippenbart wie Errol Flynn aussah. Wer ihn dann kennen lernte, war
meist überrascht, weil er unabhängig vom Status seines Gesprächspartners meist
ausgesucht höflich, freundlich und zuvorkommend war. Inzwischen hat es sich
nicht nur unter seinen Mitarbeitern herumgesprochen, dass er gut zuhört und in
Gesprächen stets präsent ist.

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Heute ist es in vielen Topetagen schon üblich, dass die Führungskräfte keineswegs
mehr allein auf die eigene Wirkung vertrauen, sondern Imageberater beschäfti-
gen, die sie bis ins kleinste Detail beraten. Geholfen hat das allerdings nicht immer.
Der frühere Infineon-Chef Ulrich Schumacher setzte seine Dominanz und seinen
Vorwärtsdrang gern dadurch in Szene, dass er in heißen Sportwagen vorfuhr. Bei
dem früheren Siemens-Chef Klaus Kleinfeld glaubten seine Berater sogar, dass die
Rolex-Uhr, die er trug, sein Image negativ beeinflussen könnte, sie sollen diese
deshalb auf offiziellen Fotos wegretuschiert haben.

Geholfen haben aber weder die schneidigen Autos noch die nicht sichtbare Uhr. Doch
sie sind beide Zeichen dafür, was schon als Vorinformation positiv oder negativ be-
wertet werden kann. Jede noch so kleine Äußerlichkeit kann in den Rang einer Vorin-
formation erhoben werden. Die Nickelbrille des Außenministers Frank Steinmeier ließ
ihn in Fernsehinterviews stets engstirnig erscheinen, unabhängig davon, was er sagte.
Inzwischen trägt er eine Brille, die für Offenheit und Weitläufigkeit steht.

Regel Nr. 4: Jedes Gehirn ist anders

Komplexität und Plastizität machen jedes Gehirn einmalig. Das Gehirn besteht aus
einem vernetzten System, das über 100 Billionen Kontaktstellen verfügt. Es gibt
zwar Regionen, in denen in jedem Gehirn vergleichbare Prozesse stattfinden, doch
der Feinaufbau kann höchst unterschiedlich sein. Das heißt, jedes Gehirn ist anders
vernetzt, und selbst wenn zwei Menschen exakt dasselbe denken, tun sie es doch
auf unterschiedliche Weise. Selbst Zwillinge weisen Unterschiede auf in der Wahr-
nehmung, der Speicherung, der Erinnerung und der Bewertung von Erlebnissen.

Nervenzellen können nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Alter noch nach-
wachsen. Das Gehirn knüpft ständig neue Verbindungen und bleibt auf diese
Weise lebenslang lernfähig. Das gibt auch dem Menschen die Möglichkeit, sich ein
Leben lang weiterzuentwickeln.

Jedes Gehirn wird versuchen, seine speziellen Ressourcen, Fähigkeiten und Er-
kenntnisse einzusetzen. Es neigt dazu, Probleme aus seinem speziellen Blickwin-
kel zu sehen und Lösungen umzusetzen, die seinen speziellen Fähigkeiten ent-
sprechen. Deshalb fällt es Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen auch so
schwer, gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln.

Da die Anforderungen an Unternehmen in unserer Zeit aber immer komplexer wer-


den, müssen Mitarbeiter und Vorgesetzte lernen, nicht nur die Sprache anderer
Experten zu verstehen, sondern auch deren Denkweise. Dies bedarf allerdings wie

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Die 7 Grundregeln der Neuroleadership 6
jede Verhaltensänderung einer gewissen Übung und eines gewissen Zeitaufwan-
des. Es reicht heute nicht mehr, nur Spezialist für ein Fachgebiet zu sein, sondern
es bedarf auch einer gewissen Offenheit und des Verständnisses für andere Spe-
zialisten.

Ein breites Allgemeinwissen ist sicherlich gut, reicht jedoch allein nicht mehr aus.
Was im Rahmen der Neuroleadership gefordert wird, ist also eine Art von Human-
wissen, das man früher vielleicht mit Weisheit bezeichnete und das sich auf jeden
Fall nicht in Seminaren und Vorträgen erwerben lässt, sondern als Erfahrung aus
der Praxis oder zumindest aus praktischen Übungen heraus erwächst.

Regel Nr. 5: Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Jede eingehende und weiter geleitete Information wird vom Gehirn bewertet und
mit Emotionen versehen.

Anders ausgedrückt, die Emotionen stehen als unbewusste Bewertungen zwi-


schen Reizen und Reaktionen. Emotion und Kognition arbeiten zwar getrennt,
stehen aber miteinander in Beziehung und in einer Wechselwirkung. Die zentrale
Bedeutung von Emotionen wird heute in der Organisation und Motivation des Ver-
haltens gesehen. Die ständige Abfolge von eingehenden Informationen und das
daraus resultierende Verhalten bedürfen einfach eines Bewertungssystems, das
ihnen Qualitäten und Absichten zuordnet.

Diese werden von uns in der Regel wie Tatsachen behandelt und verhandelt, ob-
gleich sie es gar nicht sind. Das wird immer wieder besonders gut in Talkshows
deutlich, die sich den großen gesellschaftlichen Fragen zuwenden, zum Beispiel ob
der Kapitalismus gut oder schlecht ist. Den Teilnehmern wird oft gar nicht bewusst,
dass sie nicht über Fakten sprechen, sondern über Wertesysteme, die sie selbst,
ihre Parteien oder ihre Organisationen vertreten.

Ähnliche Diskussionen finden auch in der Wirtschaft statt, wenn Unternehmen


und Gewerkschaften über den Sinn oder Unsinn von Personaleinsparungen spre-
chen. Auch hier geht es nicht nur um die Beurteilung ökonomischer Prozesse, son-
dern auch oder gerade um die Wertmaßstäbe, an denen sie zu messen sind.

Es gibt aber nicht nur keine Fakten ohne Emotionen, sondern Emotionen selbst
schaffen auch Fakten. Wir wissen das nur zu gut aus eigener Erfahrung, wenn
die Zahnschmerzen im Wartezimmer des Zahnarztes regelmäßig nachlassen. Das

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Schmerzempfinden wird dann im Kopf gegen das Angstgefühl verrechnet und ist
längst nicht mehr so stark wie vorher, als man sich allein auf die Schmerzen kon-
zentrierte.

Auch der Begriff des Placebo-Effekts ist uns allen geläufig. Eine Tablette ohne Wirk-
stoffe kann, wie in vielen Experimenten bewiesen, die gleiche oder sogar eine noch
bessere Wirkung entfalten als eine Tablette mit Wirkstoffen. Wir wissen auch, dass
teurere Medikamente häufig besser wirken als billige, vorausgesetzt der Patient
kennt den Preis des Mittels, das bei ihm angewendet wird.

Hierbei spielt natürlich auch die Arzt-Patienten-Beziehung eine große Rolle. Ein
Arzt, dem seine Patienten vertrauen, hat eine viel größere Erfolgsrate als ein Arzt,
dem die Patienten kritisch gegenüber stehen. Dieses Phänomen lässt sich natür-
lich auch auf das Verhältnis von Führungskräften und Mitarbeitern übertragen.
Insofern kann man daraus die Schlussfolgerung ableiten, dass Emotionen konkrete
Fakten schaffen können.

Regel Nr. 6: Erfahrungen bestimmen das Verhalten

Unbewusstes Wissen ist schneller verfügbar als bewusste Überlegungen und stellt
deshalb die Weichen, bevor wir es merken.

Erfahrungen kompensieren eindeutig körperliche Überlegenheit. Das haben Unter-


suchungen gezeigt. Erfahrene Jäger bringen mehr Beute nach Hause als die jünge-
ren und körperlich fitteren. Aber auch erfahrene, ältere Piloten sind leistungsfähi-
ger als die jüngeren, selbst wenn diese über die gleiche Flugstundenzahl verfügen.

Auch im Zusammenhang mit dem Entscheidungssystem spielt die Erfahrung eine


herausragende Rolle. Wer eine ähnliche Situation bereits 50 Mal erlebt und bewäl-
tigt hat, wird auch beim 51. Mal kaum Probleme haben. Anders ist es bei jemandem,
der die Erfahrung nur fünf Mal gemacht hat, da kann beim sechsten Mal Stress
entstehen und das Gehirn blockieren.

Erfahrung und routiniertes Verhalten gehören also eng zusammen. Allerdings


steht Routine als Innovationskiller generell in einem schlechten Ruf. Doch man darf
den Wert der Erfahrungen und der eingeübten Handlungen nicht unterschätzen.
Ein erfahrener Zimmermann trifft mit seinem Hammer stets genau den Nagel, was
einem gelegentlichen Hobbyhandwerker keineswegs in der gleichen Weise gelingt
und zu durchaus schmerzhaften Erlebnissen führen kann.

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Die 7 Grundregeln der Neuroleadership 6
Erfahrung muss keineswegs Gleichförmigkeit bedeuten, sondern kann auch die
flexible Anpassung an unterschiedliche Bedingungen beinhalten. Erfahrungen sind
auch eng mit Emotionen verknüpft. Gerade in unbekannten Situationen kann dies
hilfreich sein. Menschen mit wenig Erfahrung zeigen in der Regel stärkere Emoti-
onen und Menschen mit viel Erfahrung haben ihre emotionalen Reaktionen in der
Regel besser unter Kontrolle.

Wie die Experimente in Flugsimulatoren gezeigt haben, tun erfahrene Piloten au-
tomatisch eher das Richtige, weil sie über bestimmte Abläufe nicht mehr nachden-
ken müssen, sondern diese fest gespeichert haben. Natürlich sind gerade jüngeren
Führungskräften solche Überlegungen suspekt, aber auch sie werden zu einem
späteren Zeitpunkt einsehen, dass diese richtig sind.

Regel Nr. 7: Situationen können eine nicht vorhersagbare


Eigendynamik entwickeln

Situatives Verhalten hat im Gehirn Vorrang vor geplantem Verhalten, weil es auf
emotionalen Bewertungen und der Reaktion des Belohnungssystems beruht.

Der Mensch kann sich höchst unterschiedlich verhalten, je nachdem, in welcher


Situation er sich befindet. Wer sonst stets darauf bedacht ist, möglichst rational
zu entscheiden und zu handeln, kann in einer bestimmten Situation plötzlich völlig
emotional handeln oder umgekehrt.

Unterschwellige Aggressionen, die sehr rasch eine nichtkonstruktive Eigendynamik


entwickeln, können Verhandlungspartner auch spüren. Dieses Phänomen nennt
man „Übertragung“. Eine Führungskraft sollte dafür Sensibilität entwickeln.

Experimente und tatsächliche Ereignisse haben auch gezeigt, dass ein ansonsten
friedlicher und freundlicher Mensch plötzlich bereit ist, andere zu quälen und zu
foltern.

Wenn wir also bereit sind, uns auf die Tatsache einzulassen, dass Situationen stär-
ker sind als die Menschen, die sich in ihnen befinden, können wir eigentlich nur zu
dem Schluss kommen, dass es wichtig ist, bevorstehende Situationen so gut wie
möglich zu planen und ihre Entwicklung nicht dem Zufall zu überlassen.

Diese Erkenntnis sollte nicht nur von Zauberkünstlern, Event-Managern und pro-
fessionellen Verhandlungsführern berücksichtigt werden. Durch die Gestaltung
von Situationen können wir Menschen ganz gezielt in eine bestimmte Richtung

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lenken und sie in ihrem zukünftigen Denken und Handeln beeinflussen. Diese Er-
kenntnis wird allerdings heute noch viel zu wenig genutzt, obgleich sie schon seit
langem bekannt und keineswegs eine Entdeckung der Neuroleadership ist. Aber
vielleicht wird sie in Zukunft starker berücksichtigt, weil sie heute immer deutlicher
wissenschaftlich untermauert werden kann.

An dieser Stelle möchte ich nochmals auf das Buch „Neurokommunikation“ ver-
weisen, das ich gemeinsam mit Dr. Marc Domning und André Rasel geschrieben
habe. Darin machen wir deutlich, wie wichtig Erleben ist und wie man es auf neuro-
wissenschaftlicher Basis perfekt inszenieren kann. Unter anderem haben wir darin
folgendes ausgeführt:

„Eine besondere Stärke von Ereignissen besteht darin, dass sie im Gedächtnis nicht nur
unter inhaltlichen Aspekten, also als Faktenwissen, abgespeichert werden, sondern
auch Eingang in das biografische Gedächtnis finden. Tatsächlich werden klassische
Werbung und Live-Kommunikation von erwachsenen Menschen unterschiedlich erin-
nert. Bestimmte Werbeslogans, wie zum Beispiel ‚alle reden vom Wetter, wir nicht‘ der
Deutschen Bahn oder ‚er läuft und läuft und läuft und läuft‘ für den VW-Käfer erinnern
sicherlich noch viele, ebenso wie das HB-Männchen oder den Marlboro-Cowboy. Aber
wann sie diese Werbung gesehen haben und wie sie im Zusammenhang mit ihrer eige-
nen Biografie steht, wissen die meisten Menschen nicht mehr. Anders ist es bei Events,
die durch ihre Qualität aus dem Alltag herausragten. Man erinnert vielleicht nicht prä-
zise das Jahr, in dem ein solches Event stattfand, aber wahrscheinlich die Jahreszeit
und auch noch einige andere Aspekte, die eher marginal erschienen sind. Man kann
sich das Ereignis oder bestimmte Details als Eckpfeiler durchaus lebhaft in die Erinne-
rung rufen.Events lassen sich auch noch nach Jahrzehnten wieder ins Bewusstsein he-
ben. Je mehr Gedächtnisinhalte an einer Erinnerung beteiligt sind, desto besser wird
sie wieder abgerufen. Genau darin liegt die Stärke von Events, weil sie eben Fakten,
Emotionen und biografische Elemente verbinden. Aber Events können noch mehr. Da
das Gehirn eine hohe Plastizität besitzt und ständig neue Verbindungen zwischen den
Neuronen aufbaut und andere stilllegt, können wir folgern, dass durch ein besonders
intensives Erleben ein neues Verhalten begründet wird.“

„Hinsichtlich der Codierung von Botschaften wird häufig übersehen, dass ein Event an
sich auch schon eine Botschaft von außergewöhnlicher Kraft ist. Würde bei den Men-
schen nicht die Grunderfahrung und die Grundüberzeugung bestehen, dass Rituale
und Zeremonien den Menschen beeinflussen und verändern, würden sie wahrschein-
lich darauf verzichten. Doch es gibt keine Kultur, in der bestimmte Ereignisse nicht her-
ausgehoben und auf spezielle Weise gewürdigt werden.“

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Bewerten und entscheiden 6
6.2 Bewerten und entscheiden

Die Neuroökonomie stellt einen wichtigen Schritt dar, wenn es darum geht, von
der Forschung zur Praxis zu gelangen, weil sie vom Deskriptiven direkt auf die Ver-
ständnisebene führt. Viele Ökonomen und ökonomisch denkende Menschen kön-
nen sich kaum vorstellen, dass sich andere nicht zweckrational verhalten, wie es
das Ultimatumspiel immer wieder beweist.

Wahrscheinlich sitzen im Backoffice einer Bank hauptsächlich Mitarbeiter, die sehr


genau rechnen und Gewinn oder Verlust kalkulieren können. Wenn sie neue Fi-
nanzprodukte entwickeln, werden sie den Nutzen der Bank bis auf ein paar Stellen
hinter dem Komma beachten. Viele von ihnen können sich wahrscheinlich gar nicht
vorstellen, dass Kunden unökonomisch denken und eventuell ein unökonomisches
Verhalten an den Tag legen, dass aus medizinischer Sicht fast Suchtcharakter hat.

Doch genau darauf spekulieren die Marketingfachleute. Sie erwarten, dass der
Kunde sich durch Marken und Werbeslogans beeinflussen lässt, dass diese sein
Belohnungssystem dergestalt aktivieren, dass er zum Beispiel bereit ist, einen Bau-
sparvertrag abzuschließen, dessen spezielle Konditionen zumindest für ihn unvor-
teilhaft sind.

Wann das Belohnungssystem anspringt, ist individuell unterschiedlich

Geld ausgeben und Geld sparen sind zwei Seiten derselben Medaille, beide Neigun-
gen kann man in ein und derselben Person finden. Einerseits wird bis auf den Cent
genau abgerechnet, andererseits werden Trinkgelder in nahezu astronomischer
Höhe gegeben. Allgemein nimmt man dann an, dass dieses Verhalten an den Tag
gelegt wird, um andere Menschen zu beeindrucken. Tatsächlich geht es aber nur
um die jeweilige Person selbst, denn jedes Mal wird deren eigenes Belohnungssys-
tem aktiviert.

Der Unterschied zwischen den Menschen besteht nur in der unterschiedlichen Do-
sis, die das Belohnungssystem braucht, um hochzufahren, und in der Häufigkeit,
in der das geschehen muss. Belohnungssüchtige verhalten sich im Prinzip nicht
anders wie jeder andere Süchtige auch. Sie sind immer auf der Suche nach dem
nächsten Kick, bis an die Grenzen der sozialen Akzeptanz.

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Die jeweilige Situation bestimmt das Verhalten

Geiz ist also, ebenso wie Verschwendungssucht, kein rationales ökonomisches Ver-
halten. Es gibt Kauflust, aber eben auch Sparlust. Viele Menschen sparen deshalb
weit über das hinaus, was sie brauchen, und zu Konditionen, die sie nicht brau-
chen.

Das Erstaunliche ist, dass sich sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter
in stark geldorientierten Berufen einerseits tatsächlich wie ein Homo oeconomicus
verhalten und in einem Ultimatumspiel mitnehmen, was sie nur kriegen können,
in einem anderen Spiel mit etwas anderen Regeln, wenn es zum Beispiel um die
Spendenbereitschaft geht, aber ebenso unökonomisch sind wie andere Menschen
auch.

Dieselben Menschen zeigen also in unterschiedlichen Situationen ein durchaus un-


terschiedliches Verhalten. Wer in der einen Situation ein eiskalter Rechner ist, ist in
einer anderen ein mitfühlender Gemütsmensch.

Es kommt also in erster Linie auf die Situationen und auf die entsprechenden Reize
an, um über das Belohnungssystem die Ratio eines Menschen zumindest strecken-
weise außer Kraft zu setzen. Wenn der Mensch in eine neue Situation kommt, ver-
schiebt sich seine Perspektive und dadurch werden auch andere Verschaltungen
im Gehirn genutzt.

Die Arbeitsleistung und die emotionale Seite müssen getrennt werden

In vielen Unternehmen erhalten die schlechtesten Mitarbeiter mehr Aufmerksam-


keit als die besten. Das liegt meist daran, dass eine sympathische Handlung, eine
sympathische Person oder eine sympathische Vorinformation das Belohnungssys-
tem der Führungskraft aktiviert und dadurch die Auseinandersetzung mit dem Mit-
arbeiter in ein positives Fahrwasser führen kann, auch wenn dies aufgrund dessen
mangelhafter Leistung gar nicht erwünscht ist.

Es bringt im Grunde genommen wenig, Menschen, die auf dem falschen Arbeits-
platz sitzen, durch immer neue Schulungs- und Unterstützungsmaßnahmen an
diesen Arbeitsplatz anzupassen. Schwachen lassen sich nur schwer beseitigen,
wenn sie grundsätzlicher Natur sind.

Da ist es besser, nach den Stärken zu suchen und den Mitarbeiter dementspre-
chend woanders einzusetzen. Es existiert in unseren Vorstellungen ja immer wie-

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Bewerten und entscheiden 6
der die Idee, dass es ungeschliffene Diamanten gibt, die man nur lange genug po-
lieren muss, um sie zum Strahlen zu bringen. Aber diese Idee stellt sich zumindest
hinsichtlich bestimmter Arbeitsanforderungen oft als ein Irrglaube heraus.

Es ist wichtig, zwischen der sympathischen Persönlichkeit eines Menschen, also


seiner emotionalen Seite, und seiner Arbeitsleistung, also dem, was er auf der Ba-
sis seiner verschiedenen Gedächtnissysteme, seines Entscheidungssystems und
natürlich seines Belohnungssystems hervorbringt, zu unterscheiden. Fehlende
Kenntnisse kann man tatsächlich ersetzen, wenn eine entsprechende Lernfähig-
keit, die richtigen Lernmethoden und die Motivation zum Lernen vorhanden sind.
Fehlende soziale Normen, falsche motivationale Orientierung oder negative emoti-
onale Tendenzen lassen sich hingegen kaum korrigieren.

Ohne Einfühlungsvermögen geht es nicht

Um dies richtig zu bewerten und dann entscheiden zu können, ist es notwendig,


sich in den anderen Menschen hinein zu versetzen und sich zu fragen, unter wel-
chen Bedingungen würde ich selbst so handeln, wie dieser es tut. Dazu bedarf es
natürlich eines gewissen Einfühlungsvermögens, das aber durchaus zu erwerben
und weiter zu trainieren ist.

Wichtig ist dabei allerdings, dass man sich nicht selbst zum Maßstab aller Dinge
macht, sondern sich tatsächlich auf den anderen Menschen einlässt. Das bedeutet
nicht, dass man jeder eigenen Regung von Mitleid misstrauen sollte, sondern sich
stets die Frage stellen sollte, ob dieses Mitleid berechtigt ist oder ob der andere
nicht nur eingefahrenen Verhaltensweisen folgt, die er für sich selbst, wenn viel-
leicht auch unter gewissen Schmerzen, verändern kann.

Wenn wir etwas bewerten oder etwas entscheiden, sind unser Belohnungssys-
tem und die Umstände der aktuellen Situation von herausragender Bedeutung. Wir
müssen uns deshalb selbst prüfen, weshalb wir bei bestimmten Entscheidungen
ein so gutes Gefühl haben. Am günstigsten ist es, in Zweifelsfällen eine zweite
Meinung einzuholen, und zwar von jemandem, der nicht direkt involviert ist. In
den meisten Fällen darf man dann sicher sein, dass das Belohnungssystem dieser
Person auf ganz andere Impulse reagiert als das eigene.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich vorzustellen, man wäre im Ultimatum-
spiel, und sich sowohl in die Rolle des Gebers als auch des Nehmers hineinzuverset-
zen. Wie viel würde man bieten und welche Summe würde man selbst akzeptieren?

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Die sieben Grundregeln der Neuroleadership beim Bewerten und


Entscheiden

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Jeder Entscheidung eines Menschen geht eine Bewertung durch sein Belohnungs-
system voraus. Dabei geht es darum, die bestmöglichen Gefühle zu erreichen. Das
kann zum Beispiel durch altruistisches Handeln bis hin zum altruistischen Bestrafen
erfolgen.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall

Jede Entscheidung sollte auf eine Win-win-Situation hinauslaufen. Das bedeutet


nicht, dass alles 50:50 geteilt werden muss, sondern dass keiner der Beteiligten das
Gefühl haben soll, ein Verlierer zu sein. Gewinne können sowohl materieller wie
auch immaterieller Natur sein. Gewinnen kann man auch dadurch, dass man fair
behandelt worden ist.

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten

Einerseits gehen die Vorinformationen, die Sie erhalten, in Ihre Bewertungen ein,
andererseits gehen die Vorinformationen, die Sie einem anderen Menschen geben,
in dessen Bewertungen ein. Am günstigsten ist es, wenn Vorinformationen über
Sie diejenigen, die Sie bewerten müssen, schon deutlich vor dem Bewertungspro-
zess erreichen.

4. Jedes Gehirn ist anders

Gehen Sie nicht davon aus, dass Personen, die einen ähnlichen sozialen Status,
eine ähnliche Ausbildung und eine ähnliche Funktion haben wie Sie, ein Problem
in gleicher Weise bewerten und entscheiden. Jedes Gehirn hat ein anderes Werte-
system, weil selbst identische Ereignisse aus der Vergangenheit im Gehirn unter-
schiedlich gespeichert und mit anderen Erinnerungen verknüpft worden sind.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Viele Menschen glauben, dass sie Faktenentscheidungen vollkommen emotionslos


treffen können. Aber schon die Entscheidung, keine Emotion zu haben, hat zumin-
dest Emotionscharakter. Fakten ohne Emotionen gibt es nicht, weil das Gehirn alle
eingehenden Informationen interpretiert und ganz automatisch mit emotionalen
Markern versieht. Dass bestimmte Nachrichten von einem Menschen als gut und

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Verhandeln und kommunizieren 6
von dem anderen als schlecht interpretiert werden, ist eine altbekannte Tatsache
und hängt ganz einfach mit der individuellen Interessenslage zusammen, auf die
dann wiederum das jeweilige Belohnungssystem reagiert.

6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten

Jede Bewertung beruht auf Erinnerungen und Erfahrungen. Erfahrungen sind mehr
als gelerntes Faktenwissen. Sie bestimmen die Erwartungen, und diese steuern das
Verhalten. Das gilt auch beim Bewerten und Entscheiden.

7. Situationen können eine nicht vorhersagbare Eigendynamik entwickeln

Situationen sind deutlich weniger berechenbar, als es die Beteiligten annehmen.


Bewertungen und Entscheidungen werden Reaktionen auslösen, die wiederum zu
Gegenreaktionen führen. Wie bei einer Lawine ist das Endergebnis nicht vorher-
sagbar, es sei denn, die Entwicklung wird immer wieder gestoppt, zum Beispiel
dadurch, dass man Bewertungen und Entscheidungen schrittweise entwickelt und
die Regel Nummer 2, das Ultimatumspiel gilt überall, nicht außer Acht lässt.

6.3 Verhandeln und kommunizieren

Verhandeln und kommunizieren ist sicherlich eine der Hauptfunktionen einer


Führungskraft. Deshalb zogen sich diese Themen wie ein roter Faden durch das
gesamte Buch. Die wichtigsten Aspekte werden nachfolgend noch einmal zusam-
mengefasst. Der Leser wird sich allerdings immer wieder die Frage stellen, ob sich
die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich in praktische Handlungsan-
leitungen umsetzen lassen, wenn die meisten Prozesse unbewusst ablaufen.

Hier stehen wir also vor der zentralen Frage, ob man sich Unbewusstes bewusst
machen kann. Ich weiß, dass es Kollegen gibt, die dies grundsätzlich verneinen und
nur einem Berater, Coach oder Therapeuten die Fähigkeit zubilligen, mentale Pro-
zesse eines anderen Menschen richtig zu deuten. Im Gegensatz dazu setze ich auf
die Introspektionsfähigkeit besonders von Führungskräften und Geistesarbeitern.

Unser präfrontaler Cortex verfügt aus meiner Sicht durchaus über die Fähigkeit zur
Selbstbeobachtung. Wenn ich etwas beobachten kann, kann ich es auch inter-
pretieren und mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn auch in Grenzen, korrigieren.
Führungskräfte sind Experten für Strategien, sie verfügen in diesem Bereich über

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ein trainiertes Gehirn, und deshalb sind sie in der Regel auch in der Lage, Selbstana-
lysen vorzunehmen und Selbstkritik zu üben.

Häufig lassen sie dies allerdings nicht nach außen erkennen, weil sie Statusverluste
fürchten. Der Mangel an Kommunikation und Feedback selbst mit engsten Mitar-
beitern wirkt sich daher für sie negativ, manchmal sogar katastrophal aus.

Eine der erstaunlichsten Erfahrungen besteht immer wieder darin, dass viele Füh-
rungskräfte, nachdem sie ein bestimmtes Amt nicht mehr innehaben, zu gänzlich
anderen Bewertungen und Interpretationen ihrer eigenen Vergangenheit gelan-
gen. Besser wäre es natürlich, solche Erfahrungen frühzeitiger zu machen.

Die sieben Grundregeln der Neuroleadership beim Verhandeln und


Kommunizieren

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Auch wenn Ihre Verhandlungspartner den Eindruck machen, dass sie Ihnen nicht
aufmerksam zuhören, deren Belohnungssystem schläft nicht. Es wird alle einge-
henden Informationen nach eigenen Vorteilen abklopfen, und genau daran wird
sich Ihr Verhandlungspartner später erinnern. Jede Verhandlungspartei wird vor-
rangig die eigenen Vorteile mit höherer Bedeutung versehen. Belohnen Sie sich
selbst für altruistisches Verhalten, indem Sie auch die Vorteile der anderen in den
Blickpunkt heben.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall

Gerade beim Verhandeln und Kommunizieren geht Kooperation grundsätzlich


vor Konkurrenz. Eine gemeinsame Lösung, die auch gemeinsam getragen werden
kann, ist stets die beste. Das bedeutet nicht, dass alle die gleichen materiellen
Vorteile haben werden, aber dass alle das gleiche Maß an Respekt und Fairness
erfahren konnten.

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten

Viele Verhandlungen werden durch die vorhandenen Vorinformationen bereits


entschieden, bevor sie überhaupt begonnen haben. Diese Vorphase von Verhand-
lungen wird in der Regel noch zu stark unterschätzt. Vorinformationen beeinflus-
sen die eigene Wahrnehmung nachhaltig. Das gilt für alle Verhandlungspartner.

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Verhandeln und kommunizieren 6
4. Jedes Gehirn ist anders

Weil jedes Gehirn anders ist, werden verschiedene Menschen in identischen Situa-
tionen unterschiedliche unbewusste Signale durch Mimik und Körperhaltung aus-
senden. Wir reagieren auf diese Signale, auch wenn sie uns selbst nicht bewusst
werden. Wir sind jedoch in der Lage, die Signale der anderen in unser Bewusstsein
zu heben und auch unsere eigenen Signale zumindest zum Teil bewusst zu kon-
trollieren.

Manche Verhandlungspartner versuchen die eigenen Signale zu unterdrücken,


doch man kann nicht nichtkommunizieren. Unterdrückte Signale sind auch Signale.
Andere Verhandlungspartner versuchen durch unfaire Kommunikation bei uns Re-
aktionen hervorzurufen, die nicht beabsichtigt sind, zum Beispiel dass wir auf un-
faire Angebote mit altruistischem Bestrafen reagieren. Wenn wir merken, dass wir
altruistisch bestrafen wollen, sollten wir zumindest versuchen, dies auf einem Weg
zu machen, der das unfaire Verhalten als solches kennzeichnet.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Diese Regel gilt beim Verhandeln und Kommunizieren in besonderem Maße. Häufig
dominiert der Beziehungsaspekt einer Kommunikation deutlich über den Inhalts-
aspekt. Dieses Problem kann man lösen, indem man sich auf eine Metaebene be-
gibt und über die Art der Kommunikation eine neue Vereinbarung trifft.

6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten

Wir werden nur selten auf Verhandlungspartner treffen, die nicht zumindest parti-
ell eine Ähnlichkeit mit einem Menschen haben, mit dem uns gute oder schlechte
Erfahrungen aus der Vergangenheit verbinden. Diese Erfahrungen werden ganz
unbewusst auch auf den neuen Verhandlungs- oder Kommunikationspartner
übertragen. Ähnlichkeiten im Aussehen und Verhalten können tatsächlich auch zu
ähnlichen Reaktionen führen, sie müssen es aber nicht.

Allerdings werden sie unsere eigenen Erwartungen bestimmen. Wenn man sich
dessen bewusst ist, wird es für das Gehirn weniger Überraschungen geben, und es
wird mehr Raum für die Verarbeitung neuer Informationen zur Verfügung stehen.

7. Situationen können eine nicht vorhersehbare Eigendynamik entwickeln

Je mehr Personen an einer Verhandlung beteiligt sind, desto größer ist die Gefahr der
Eigendynamik. Dieser kann man nicht nur durch eine strenge Reglementierung der

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Verhandlungssituation entgegenwirken, sondern auch dadurch, dass vorab nicht


nur Informationen ausgetauscht werden, sondern auch Vereinbarungen getroffen
wurden, an die man sich nach dem Tit-for-tat-Prinzip aus Fairnessgründen hält.

6.4 Beurteilen und belohnen

Damit ein Mensch eine Sache für sich selbst als positiv betrachtet, muss sein Be-
lohnungssystem aktiviert werden. Bei der Alternative kleine oder große Belohnung
erfolgt eine sehr gute Aktivierung, ebenso bei einer Sanktion, wenn statt der er-
warteten großen Strafe nur eine kleine eintritt. Dagegen ist die Alternative Beloh-
nung oder gar nichts für das Gehirn weniger attraktiv, ebenso wie die Alternative
Bestrafung oder nichts.

Daraus lässt sich schließen, dass selbst wenn ein Mitarbeiter seine Arbeit nicht
so gut gemacht hat, ein kleines Lob ausgesprochen werden sollte, und wenn die
Arbeit gut gemacht ist, ein großes Lob. In beiden Fällen aktiviert man das Beloh-
nungssystem des Mitarbeiters und außerdem wird damit erreicht, dass er sich an
den Inhalt, weshalb er belohnt wurde, besser erinnert.

Ich denke, jede Führungskraft sollte sich ein ganzes Repertoire von Maßnahmen
zulegen, die große und weniger große Belohnungen darstellen können. Das er-
fordert ein gewisses Fingerspitzengefühlt und der Fantasie sind keine Grenzen
gesetzt. Es kann zum Beispiel eine Rose oder ein Blumenstrauß auf dem Tisch der
Sekretärin sein, ein wertvolles Schreibgerät, ein Buch, das die Interessen des Mit-
arbeiters anspricht, eine Einladung des ganzen Teams zu einem Abendessen oder
zu einer Musical-Aufführung oder natürlich auch eine größere oder kleinere Geld-
prämie.

Aber auch allein ein lobendes Wort vor den Kollegen kann das Belohnungssystem
eines Mitarbeiters aktivieren. Übrigens, auch eine Bestrafung, die geringer ausfällt,
als es der Mitarbeiter erwartet hatte, ist eine Form der Belohnung.

Das Belohnungssystem wird experimentell am besten motiviert durch Gewinn-


spiele. Lassen Sie mich das an einem praktischen Beispiel erläutern. Nehmen wir an,
in einem Unternehmen soll eine Umstrukturierung durchgeführt werden, für die
ein Zeitraum von drei Monaten angesetzt ist. Zunächst ist es wichtig, dass der Vor-
gesetzte die Ziele des Prozesses gemeinsam mit den Mitarbeitern erarbeitet, das
heißt, dass alle Betroffenen diese Ziele akzeptieren und als realistisch einsehen.

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Beurteilen und belohnen 6
Dann könnte die Führungskraft zum Beispiel ankündigen, dass wenn diese Ziele
zwei Wochen früher erreicht werden, jeder Mitarbeiter eine Prämie von 200 Euro
erhält. Wenn dies aber schon vier Wochen früher geschieht, wird diese Prämie ver-
doppelt. Damit wird dieser Umstrukturierungsprozess in ein Spiel überführt. Und in
diesem Spiel kann jeder Beteiligte gewinnen. Das aktiviert das Belohnungssystem
der Mitarbeiter und motiviert sie ungeheuerlich.

Menschen reagieren auf Anreize sehr schnell und passen sich ihnen an. Man spricht
in diesem Zusammenhang vom „Incentive Super Response“. In der Praxis kann dies
bedeuten, dass Mitarbeitern eine Prämie versprochen wird, wenn sie Fehler in der
Produktion entdecken. Um Fehler möglichst oft entdecken zu können und somit
auch oft eine Prämie zu erhalten, sorgen die Mitarbeiter irgendwann selbst für
entsprechend mehr Fehler. Der Anreiz pervertiert also den Zweck des Incentives
und entfaltet eine kontraproduktive Wirkung.

Die sieben Grundregeln der Neuroleadership beim Beurteilen und


Belohnen

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Immer wenn wir eine andere Person beurteilen, sollten wir sehr genau auf die Re-
aktion unseres Belohnungssystems achten. Haben wir ein gutes Gefühl, wenn wir
den anderen belohnen, oder haben wir ein gutes Gefühl, wenn wir ihn grundlos
schlecht beurteilen, ihn also aus unserer Sicht altruistisch bestrafen?

Jede Form von Belohnung hat bei demjenigen, der sie erhält, eine größere Wirkung,
wenn sie überraschend kommt und nicht erwartet wird. Das gilt sowohl für verba-
les Lob wie für eine Aufmerksamkeit oder auch für eine einmalige Prämienzahlung.
Wichtig ist, die Einmaligkeit hervorzuheben, so dass keine generelle Belohnungs-
erwartung entsteht, die im ungünstigsten Falle nur enttäuscht werden kann. Wird
eine Belohnung häufig ausgesprochen, tritt eine Habituation ein, die die Wirksam-
keit der Belohnung abschwächt.

Wenn man ein unerwünschtes Verhalten korrigieren möchte, kann man dies da-
durch tun, dass man nur eine kleine Belohnung im Kontrast zu einer sonst mögli-
chen großen Belohnung gibt. Sieht man die Notwendigkeit für Sanktionen, so ist
es auch hier besser, diese kleiner zu halten, sie aber mit einer möglichen größeren
Sanktion zu vergleichen. Belohnung versus nichts oder gar Belohnung versus Be-
strafung sind stets die schlechteren Alternativen.

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Ein vertraglich vereinbartes Gehalt wird vielleicht beim Abschluss eines Arbeitsver-
trages noch als Belohnung angesehen, nicht aber nachdem das Arbeitsverhältnis
aufgenommen wurde und Bestand hat.

Ebenso werden leistungsbezogene Teile der Vergütung nicht als Belohnung, son-
dern als Rechtsanspruch betrachtet werden.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall

Auch das Beurteilen und Belohnen sollte als kooperatives Verhalten betrachtet
werden, in dem Fairness das oberste Gebot ist.

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten

Auch wir selbst werden durch Vorinformationen beeinflusst, und wir müssen da-
von ausgehen, dass derjenige, den wir beurteilen und belohnen wollen oder sol-
len, uns solche Vorinformationen über sich selbst ebenfalls zugespielt hat. Das
bedeutet nicht, dass diese Vorinformationen falsch oder gefälscht sein müssen.
Sie sollten bei einer Beurteilung jedoch denselben Rang haben wie Informationen,
die wir uns selbst und vielleicht auch auf andere Weise beschafft haben.

4. Jedes Gehirn ist anders

Es kommt immer nur darauf an, welche Ergebnisse erzielt wurden, und nicht, wie
sie erzielt wurden, solange legitime und keine unverhältnismäßigen Mittel ein-
gesetzt wurden. Viele Führungskräfte, gerade im unteren und mittleren Bereich,
legen immer noch viel Wert darauf, dass ihre Mitarbeiter eine Aufgabe exakt so
erledigen, wie sie es selbst gemacht hätten. Dabei wird aber die Komplexität und
Plastizität des Gehirns des Mitarbeiters außer Acht gelassen.

Lassen Sie jeden Mitarbeiter seinen Weg gehen, solange er zum Erfolg führt. Ist er
damit nicht erfolgreich, helfen Sie ihm, einen eigenen Weg zu finden, aber zwin-
gen Sie ihn nicht zu einer Kopie Ihrer selbst zu werden. Kopien sind nie so gut wie
das Original.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Diese Regel gilt besonders beim Beurteilen und Belohnen. Versuchen Sie sich Ihrer
eigenen Emotionalität bewusst zu werden. Und begehen Sie nicht den Fehler, aus
Emotionen Fakten machen zu wollen.

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6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten

Diese Regel spielt beim Beurteilen und Belohnen eine hervorragende Rolle. Wir ha-
ben niemals nur das Bild der Person vor uns, um die es im Einzelfall geht, sondern
wir addieren auch stets Teile von Bildern anderer Personen aus unserer Erinnerung
hinzu. Das wird sich kaum verhindern lassen, aber wir sollten uns dessen zumin-
dest bewusst werden. Denn unser Urteil wird dadurch mehr oder weniger stark
beeinflusst.

7. Situationen können eine nicht vorhersehbare Eigendynamik entwickeln

Diese Regel gilt im Zusammenhang von Beurteilen und Belohnen immer dann,
wenn die Reaktion des Belohnungssystems des Beurteilten oder Belohnten nicht
richtig eingeschätzt worden ist, oder wenn keine wie auch immer geartete Win-
win-Konstellation hergestellt wurde. Auch Situationen werden durch unsere eige-
nen Vorhersagen bestimmt, und diese werden umso besser, je mehr Informationen
wir über den anderen haben.

6.5 Fördern und motivieren

Wenn wir uns mit dem Thema Fördern und Motivieren befassen, müssen wir unser
Augenmerk zunächst einmal auf die Ungleichheit der Menschen richten. Welchen
Anteil daran das genetische Potenzial des einzelnen Menschen hat und welchen
Anteil seine Erlebnisse, insbesondere in der frühen Kindheit, ist noch immer Gegen-
stand der Diskussion in der Hirnforschung.

Die Weichen, die in der frühen Kindheit gestellt werden, bestimmen den Menschen
in seinen Grundzügen und lassen sich trotz der hohen Plastizität des Gehirns nicht
mehr ändern. Wir wissen heute zum Beispiel, dass ein Kleinkind sozusagen „spie-
lend“ nicht nur seine Muttersprache lernen kann, sondern auch noch eine oder so-
gar mehrere Fremdsprachen. Das Sprachenlernen erfolgt bei Kleinkindern in ganz
anderen Regionen des Gehirns als bei einem Erwachsenen.

Die Erforschung dessen, was und wie ein Kind lernt, um als soziales Wesen zu funk-
tionieren, befindet sich derzeit wieder in einer vollkommen neuen Phase, die uns in
Zukunft sicher noch etliche wertvolle Erkenntnisse wird liefern können. Doch das
hilft uns bei der Lösung heutiger Probleme leider noch nicht weiter.

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Deshalb müssen wir uns damit behelfen, nach Leistungsträgern Ausschau zu hal-
ten, die schon in der Aufstiegsphase Erfahrungen gesammelt haben, die über das
übliche Maß hinausgehen. Dies kann zum Beispiel durch das Engagement für die
Allgemeinheit geschehen sein. Natürlich kann nicht jeder Schüler Klassensprecher
gewesen sein. Aber schließlich gibt es auch noch andere Möglichkeiten, sich Her-
ausforderungen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen.

Nehmen wir einmal an, ein Mitarbeiter, nennen wir ihn Alfons Ohnename, verfügt
über ein Leistungsprofil, bei dem drei Fähigkeiten unterschiedlich stark ausgeprägt
sind. Fähigkeit A ist zu 90 Prozent vorhanden, Fähigkeit B zu 60 Prozent und Fä-
higkeit C nur zu 30 Prozent. In vielen Unternehmen entscheidet man sich, diesem
Mitarbeiter und dem Unternehmen dadurch zu helfen, dass man seine Fähigkeit
C oder die Fähigkeiten C und B trainiert. Dabei wird Alfons Ohnename aber nur
Frustration und „Schmerz“ empfinden, ohne dass sich seine Leistung deutlich ver-
bessert.

Wenn man ihm aber die Möglichkeit gibt, die ohnehin schon gute Fähigkeit A von
90 Prozent auf 100 Prozent zu steigern, wird er durch die Anwendung von bereits
vorhandenem Wissen und Können ein Glücksgefühl erleben, das durch die Aus-
schüttung von Dopamin verursacht wird. Dieses Glücksgefühl sorgt dann dafür,
dass auch die anderen Fähigkeiten von allein, ohne Training, verbessert werden.

Es gibt sachorientierte und machtorientierte Mitarbeiter

Dabei gibt es zwei grundsätzliche Positionen, die sich nicht ausschließen, sich so-
gar häufig überlappen, von denen aber eine spätestens in den ersten Jahren der
beruflichen Tätigkeit die Oberhand gewinnen wird. Was ich meine, sind die Sach-
orientierung und die Machtorientierung.

Beides hängt natürlich davon ab, aufweiche Reize das Belohnungssystem des je-
weiligen Menschen besonders anspringt. Der eine möchte vielleicht gerne tech-
nische Aufgaben lösen. Ihm geht es häufig um Details und die Beseitigung von
Fehlern oder um die Entwicklung neuer Verfahren und Produkte. Er ist erst dann
zufrieden, wenn er eine Aufgabe so gelöst hat, wie er es sich vorgestellt hat.

Dem machtorientierten Typ geht es mehr darum, bestimmte Positionen zu errei-


chen, die es ihm ermöglichen, Einfluss zu nehmen, Ziele zu erreichen, Strategien
zum Erfolg zu führen und Wertevorstellungen durchzusetzen.

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Fördern und motivieren 6
Beide Typen werden in jedem Unternehmen gebraucht, und keiner von beiden ist
mehr wert als der andere, wenn er seine Sache wirklich gut macht. Und, wie schon
gesagt, die meisten sind eine Mischung aus beiden Typen mit einer Gewichtung zur
einen oder zur anderen Seite.

Es ist für jede Führungskraft wichtig, zu erkennen, ob der jeweilige Mitarbeiter aus
einer Sach- oder Machtorientierung heraus handelt. Wer sachorientiert ist, möchte
sich zwar auch beruflich entwickeln, aber gleichzeitig nicht auf die Aufgaben ver-
zichten, die ihn interessieren.

In vielen Unternehmen ist es allerdings immer noch so, dass eine Karriere, also Aner-
kennung und Geld, damit verbunden ist, dass man seine bisherigen Aufgaben aufgibt
und Führungsfunktionen übernimmt. Natürlich ordnen sich viele Mitarbeiter diesem
System noch unter, obgleich es für ihr Belohnungssystem überhaupt nicht adäquat ist.

Andererseits kann man machtorientierten Mitarbeitern keineswegs einen automa-


tischen Weg bis in die Spitzenpositionen gewähren. Sie müssen das Unternehmen
wechseln, um Karriere zu machen, um sich die inneren Belohnungen zu verschaffen.
Will man eine solche Person halten, ohne eine adäquate Stelle bieten zu können, wird
man nach Belohnungen Ausschau halten müssen, die nicht rein finanzieller Natur sind,
sondern vielleicht eher die sozialen Bedürfnisse des Betreffenden befriedigen.

Mitglieder eines teams brauchen ähnlich funktionierende


Belohnungssysteme

Es heißt, bei Toyota hätte jeder Arbeiter innerhalb eines Teams das Recht, das
Fließband zu stoppen, wenn er einen Fehler bemerkt. Eine solche Regelung ist
nur möglich, wenn tatsächlich alle Beteiligten sowohl gleichgerichtete Interessen
haben als auch einander mit dem gebührenden Respekt begegnen. Das mag in der
japanischen Gesellschaft leichter sein als in unserer.

Insgesamt bedeutet das, dass nicht nur das Belohnungssystem der Mitarbeiter auf
die gleichen Themen ausgerichtet sein muss, sondern dass auch jeder sich so ver-
hält, dass seine Aktionen eine Win-win-Situation darstellen und auch als eine Form
der Kooperation und nicht der Destruktivität wahrgenommen werden.

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Die sieben Grundregeln der Neuroleadership beim Fördern und


Motivieren

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Fördern und Motivieren bedeutet, das Belohnungssystem des Mitarbeiters zu sti-


mulieren. Hierbei kommt es stets darauf an, ihn in seiner Individualität zu erkennen
und nicht in eine Schablone zu pressen. Jedes Belohnungssystem reagiert beson-
ders gut auf Reize, die das „Ich“ stärken.

Die Bedeutung einer Belohnung hängt ganz eindeutig davon ab, ob sie Ereignis-
charakter hat oder nicht. Eine stillschweigende Überweisung einer Prämie auf das
Gehaltskonto hat für den Betroffenen weitaus weniger Bedeutung, als das Über-
reichen eines Schecks oder eines Geschenks im Rahmen einer Veranstaltung, zum
Beispiel vor der versammelten Vertriebsmannschaft.

Wenn man fördern und motivieren will, sollte man dies öffentlich machen und in
einer Form, die für die Betreffenden zum Erlebnis wird. Durch Ereignisse lassen sich
Ziele und Verhaltensänderungen mit Emotionen verknüpfen und dadurch weitaus
besser erinnern als schlichte Anweisungen. Über eine langfristige Nacharbeit wer-
den nicht nur die positiven Erinnerungen immer wieder wachgerufen, sondern es
werden auch die vorhandenen Bahnen im Gehirn verstärkt.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall

Das Erleben von Fairness wird von jedem Gehirn positiv erinnert. Jeder, den wir
fördern wollen, soll dies als Win-win-Situation erleben, in die er sich durch eigenes
verbessertes Verhalten einbringen kann.

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten

Diese Regel gilt auch für das Fördern und Motivieren. Oft werden Fördermaßnah-
men von den Betroffenen als eine Korrektur falschen Verhaltens erlebt, und sie
bauen unter dem Gesichtspunkt des altruistischen Bestrafens Widerstände auf.

Gehen einer Fördermaßnahme jedoch die Vorinformationen voraus, dass es sich


hier um eine besondere Form der Wertschätzung handelt, das trifft übrigens auch
auf Motivationsveranstaltungen zu, so werden die Inhalte ganz anders rezipiert.
Gefördert wird nur der, der förderungswürdig ist, motiviert wird nur der, der mo-
tivierbar ist. Solche Vorinformationen haben auf jeden Fall einen positiven und
verstärkenden Charakter.

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Fördern und motivieren 6
4. Jedes Gehirn ist anders

Auch bei Förder- und Motivationsmaßnahmen muss man auf jeden Fall die indivi-
duellen Eigenschaften eines jeden Mitarbeiters berücksichtigen. Deshalb ist das
Fördern und Motivieren immer die Aufgabe des direkten Vorgesetzten, dem beim
Einsatz seiner Mittel möglichst viel Freiraum gegeben werden sollte.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Diese Regel dürfte im Zusammenhang mit Fördern und Motivieren eine Selbstver-
ständlichkeit sein. Motivation ist in erster Linie Emotion. Motivationsmaßnahmen
müssen stets auf festen Regeln beruhen und zugesagte Leistungen einhalten, weil
sonst das Gebot der Fairness, Regel Nummer 2, verletzt werden würde.

Viele Führungskräfte neigen dennoch dazu, diffuse Versprechen zu machen, die


sie aber letztendlich gar nicht einhalten wollen und deren Einlösung sie immer wie-
der hinausschieben. Das ist eindeutig kontraproduktiv, auch wenn die Führungs-
kraft oft glaubt, für sich selbst einen Vorteil erzielt zu haben. Besonders häufig
findet dieses Verhalten im Zusammenhang mit zugesagten Förderungen und den
damit verbundenen Gehaltsverbesserungen statt.

6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten

Jede Führungskraft sollte sich darüber bewusst sein, dass ihre Mitarbeiter ihr ak-
tuelles Verhalten stets vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit gemachten
Erfahrungen bewerten. Eine Führungskraft, die in der Vergangenheit Fehler ge-
macht hat, sollte diese zugeben, sonst werden sie auf das zukünftige Verhalten
projiziert. Wer in der Vergangenheit demotivierte, darf nicht hoffen, dass von ihm
in Zukunft ein anderes Verhalten erwartet wird. Nicht gehaltene Versprechen und
Zusagen werden besser erinnert als positive Erfahrungen.

7. Situationen können eine nicht vorhersehbare Eigendynamik entwickeln

Diese Regel hat für das Fördern und Motivieren nur eine geringe Relevanz. Es kann
zwar durchaus passieren, dass Motivationsmaßnahmen nicht die gewünschte Wir-
kung entfalten oder sogar in das Gegenteil umschlagen, doch das ist verhältnis-
mäßig selten der Fall. Werden allerdings bestimmte Mitarbeiter einseitig gefördert
und bevorzugt, kann dies Probleme aufwerfen. Ähnlich wie bei der Gehaltsstruktur
spielt auch hier der Vergleich, den die Mitarbeiter untereinander anstellen, eine
Rolle. Wer sich vernachlässigt fühlt, kann durchaus zum Instrument des altruisti-
schen Bestrafens greifen.

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6.6 Verändern und aufbauen

Change Management ist vor allem die Aufgabe der mittleren Führungskräfte, denn
nicht der Plan ist hierbei das Wichtigste, sondern die Umsetzung. Um das Unter-
nehmen voranzubringen, müssen sie das Denken und Verhalten ihre Mitarbeiter
verändern und sie so zu besseren Leistungen führen.

Ob man die gewünschten Veränderungen durchsetzen kann, hängt zunächst ein-


mal davon ab, ob der Mitarbeiter überhaupt bereit ist, sich zu verändern, aber auch
von seiner Intelligenz und damit von seinen Möglichkeiten, sich zu verändern. Es
geht schließlich nicht nur darum, etwas anders zu machen, sondern es soll auch
effizienter sein.

Für den Mitarbeiter handelt es sich immer um eine schwierige Situation, keiner
gibt gerne Verhaltensweisen auf, die er sicher beherrscht, die im prozeduralen Ge-
dächtnis gut verankert sind und die einen kontinuierlichen Strom innerer Beloh-
nung produzieren.

KERNSAtZ
Veränderung bedeutet Schmerz!

Veränderungen bereiten Angst

Aber Veränderung bedeutet nicht nur Schmerz, weil das Gehirn neue Verbindun-
gen schaffen und alte kappen muss, es entsteht auch Angst.

Die Angst vor Veränderungen resultiert oft aus fehlender Introspektionsfähigkeit.


Was kann ich und was weiß ich wirklich, bin ich den veränderten Aufgaben ge-
wachsen oder nicht? Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, was auf
sie zukommt, was sie neu lernen müssen und wie sie neu lernen können. Sie sind
völlig verunsichert, weil sie vorher etwas getan haben, was sie gut konnten, und
dann plötzlich eine neue Aufgabe erhalten.

Das heißt, in der Phase des Übergangs brauchen die Mitarbeiter massive Unterstüt-
zung durch ihren Vorgesetzten oder durch andere, die sie und vielleicht auch ihren
Chef coachen.

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Verändern und aufbauen 6
Verschiedene Change-Manager vertreten die Ansicht wie Schwartz und Rock, man
müsste die Mitarbeiter nur dazu bringen, selbst etwas Neues zu wollen. Das glaube
ich nicht. Es weiß heute niemand, ob das Gehirn besser arbeitet, wenn man eine
Sache will.

Selbst wenn das Entscheidungssystem rational die Argumente für eine Verände-
rung nach vollziehen kann, bedeutet das nicht, dass das Belohnungssystem dies
auch tut. Ich denke, die Frage des Willens ist eine Frage der Motivation, und die
Motivation hängt davon ab, ob der Mensch sich dabei wohl und belohnt fühlt.

Man muss das Ganze von den Hierarchieebenen des Gehirns her betrachten. Je ba-
saler Dinge sind, desto schwieriger sind die Veränderungen und desto mehr Ener-
gie muss die Führungskraft investieren. Und wenn sie etwas falsch macht, besteht
die Gefahr, dass sie von ihren Mitarbeitern altruistisch abgestraft wird, das heißt
sie verweigern sich oder gehen in die innere Kündigung.

Die Mitarbeiter müssen eine Win-win-Situation sehen

Wichtig ist, dass der Mitarbeiter jederzeit erkennen können muss, dass er in einer
Win-win-Situation steht. Wenn er diese allerdings nur darin sieht, in Ruhe gelassen
zu werden, muss etwas noch Positiveres aufgebaut werden, um ihn zu Verände-
rungen zu motivieren. Dies könnte zum Beispiel ein besonderes Erlebnis sein.

Ein starker Erlebniswert ist ein Schlüssel für die Aktivierung des Belohnungssys-
tems. Nicht ohne Grund werden heute immer häufiger Veränderungen in Unter-
nehmen durch Maßnahmen der Live-Kommunikation begleitet.

Sehen wir uns das Thema einmal unter dem Aspekt des Ultimatumspiels an, das
wir bereits mehrfach zu Hilfe genommen haben. Bei dem Mitarbeiter liegt die Er-
wartungshaltung hinsichtlich seines Gewinnanteils sicher nicht bei 50:50, sondern
darunter. Wenn sich diese ohnehin schon niedrigere Erwartung aber auch nicht
erfüllt, wenn zum Beispiel bei einem geplanten Personalabbau in seiner Abteilung
die menschliche Seite nicht genügend berücksichtigt wird, dann wird er seine Vor-
gesetzten altruistisch abstrafen. Altruistisches Abstrafen hat für ihn dann genauso
einen Wert wie Geld.

Das altruistische Bestrafen vonseiten der Mitarbeiter kann sich darin äußern, dass
sie ihre Leistung nicht mehr freiwillig steigern und sich keine zusätzlichen Gedan-
ken über ihre Arbeit machen, dass sie ihre innere Kündigung aussprechen und ver-
suchen, sich unsichtbar zu machen.

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

Andere Mitarbeiter schieben sich hingegen aus demselben Grund in den Vorder-
grund und produzieren ständig neue Informationen, Fragen oder Anregungen, die
eigentlich für die betrieblichen Abläufe nur störend und nicht hilfreich sind, was
auch gar nicht in der Absicht der Mitarbeiter liegt.

In jedem Fall hat der Vorgesetzte dann auf irgendeine Weise verloren. Seine Auf-
gabe ist es deshalb, den Mitarbeitern verständlich zu machen, dass es für ihn eine
ganz schwierige Aufgabe ist, den Personalabbau umzusetzen.

Von Spendensammlern lernen

Wenn der Chef eine unangenehme Maßnahme umsetzen will oder muss, sei es
einen neuen Organisationsablauf, die Übernahme zusätzlicher Aufgaben, eine
Umorganisation der Abteilung oder eine Personalreduktion, kommt es zunächst
darauf an, dass die Mitarbeiter mitfühlend sind ob seiner schweren Aufgabe. Das
funktioniert genau wie bei Spendensammelorganisationen.

Sie zeigen ein Bild von einem Menschen, der in großer Not ist. Bei den Betrachtern
kommt es zuerst zur emotionalen Beteiligung, dann zum Mitfühlen, und in der
nächsten Stufe will man helfen. Dann hat man ein gutes Gefühl, wenn man dort
geholfen hat. Und je schlimmer die Bilder sind, desto mehr Geld kommt rein. Dieses
System nennt man Event Feature Emotion Complex.

In Unternehmen funktioniert das ähnlich. Wenn den Mitarbeitern vermittelt wurde,


dass der Chef es eigentlich unglaublich schwer hat, eine Sache umzusetzen, löst
dies ein Mitgefühl aus und jeder Mitarbeiter ist bereit, zu helfen. Dies kann aber
der Chef oft nicht selbst vermitteln, weil gegen ihn aus der Vergangenheit Vorbe-
halte bestehen, deshalb muss es eine andere Person tun, die den Veränderungs-
prozess begleitet ohne selbst die Entscheidungen zu treffen.

Das zweite ist, dass es klar sein muss, dass der Chef sich massiv bemüht, eine für
alle vertragliche Lösung zu finden, und dass diese die Leistungsfähigkeit der ein-
zelnen Mitarbeiter berücksichtigt und er sich immer um eine adäquate Umsetzung
bemüht. Damit hat man bereits eine gute Vorbereitung des Belohnungssystems,
so dass die Mitarbeiter die absolute Notwendigkeit der Maßnahmen nicht infrage
stellen werden.

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Die sieben Grundregeln der Neuroleadership beim Verändern und
Aufbauen

1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle

Veränderungen sind nur möglich, wenn die Belohnungssysteme der Betroffenen


darin einen Vorteil für sich sehen. Veränderungen, die tatsächliche oder auch nur
vermeintliche Nachteile bringen, werden sich nur unter großen Einbußen umset-
zen lassen. Die besten Veränderungen sind die, die von den Mitarbeitern selbst
vorgeschlagen oder zumindest entwickelt worden sind.

2. Das Ultimatumspiel gilt überall

Es gibt immer wieder Versuche von einzelnen Führungskräften oder auch von Un-
ternehmen, die Regeln des Ultimatumspiels zu ihren eigenen Gunsten zu verändern.
Besonders beliebt ist es, zwischen verschiedenen Mitarbeitern, Arbeitsgruppen oder
Abteilungen eine Konkurrenzsituation herzustellen, weil man annimmt, dass sich da-
durch die Leistung steigern lässt. Das mag kurzfristig funktionieren, bringt langfristig
aber keinen Erfolg, denn Kooperation geht nun einmal vor Konkurrenz.

Jede Veränderung, die in eine Gewinn- und Verlustsituation für die verschiedenen
Beteiligten mündet, verfehlt ihr Ziel. Schon die Vorstellung von Verlusten erzeugt
Angst und schlechte Gefühle, die die Motivation sinken lassen. Das Gehirn der Mit-
arbeiter beschäftigt sich nicht mehr mit der Lösung konkreter Aufgaben, sondern
befasst sich dann nur noch mit der Bewältigung vorhandener Ängste und der Su-
che nach Lösungen, um der unangenehmen Situation begegnen zu können.

3. Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten

Blue Skying, also das Ausmalen einer besseren Zukunft, findet in vielen Unterneh-
men häufig zeitgleich mit der Ankündigung von Veränderungen statt, die für die
Mitarbeiter negative Auswirkungen haben. Das mag in einigen Fällen den Aktien-
kurs steigen lassen, Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter werden da-
durch aber auf keinen Fall verbessert.

Günstiger ist es, die Erwartungen in eine bessere Zukunft zunächst von konkre-
ten Maßnahmen abzukoppeln und diese dann gemeinsam mit den Mitarbeitern zu
entwickeln. Vorinformationen über einen Stellenabbau, von dem niemand weiß,
wo er genau stattfinden wird, lähmen ein Unternehmen oft zur Gänze. In einem
solchen Fall sind keine Informationen besser als unbestimmte.

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Neuroleadership in typischen Situationen des Führungsalltags

4. Jedes Gehirn ist anders

Die Begriffe Aufbauen und Verändern werden von jedem Mitarbeiter anders ver-
standen. Veränderungen werden dabei stets negativer bewertet als Aufbaumaß-
nahmen. Es ist zum Beispiel besser, darüber zu sprechen, eine neue zentrale Ein-
heit aufzubauen, als darüber, drei bestehende Abteilungen zusammenzulegen
oder gar zwei bestehende Abteilungen zugunsten einer anderen abzubauen.

5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen

Wenn man im Zusammenhang mit Veränderungen Fakten vorstellt, sollte man diese
von vornherein emotional verpacken. Denn dass Emotionen ausgelöst werden,
lässt sich nicht verhindern. Welche Emotionen ausgelöst werden, kann man, wenn
vielleicht auch nur in begrenztem Maße, steuern.

6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten

In jedem Unternehmen wird es Mitarbeiter geben, die sich an fehlgeschlagene Ver-


änderungsprozesse erinnern können und aus diesen Schlussfolgerungen für die
Zukunft ziehen. Bevor man also neue Veränderungen in Angriff nimmt, kommt es
darauf an, die bisher gemachten Erfahrungen zu erklären und vielleicht sogar um-
zudeuten.

7. Situationen können eine nicht vorhersehbare Eigendynamik entwickeln

Diese Regel trifft besonders auf Veränderungen zu, die die Mitarbeiter belasten. Es
kann, wie viele Beispiele gezeigt haben, durchaus geschehen, dass die Mitarbeiter
den Bezugsrahmen des Unternehmens verlassen und ihre Forderung nach Fairness
und Einhaltung einer Win-win-Situation in die Öffentlichkeit tragen. Die dann fol-
gende Entwicklung ist nicht mehr zu kontrollieren.

Das Gleiche gilt auch für vorschnelle und definitiv falsche Entscheidungen auf der
Führungsebene. Solche Fehlreaktionen können sowohl auf mangelnder Erfahrung
beruhen als auch auf der Überzeugung, dass das Ultimatumspiel innerhalb eines
bestimmten Unternehmens nicht gilt. Doch wie verschiedene Beispiele zeigen,
stellt sich dies regelmäßig als Irrtum heraus.

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Ausblick: Die Zukunft der Führung

Obgleich wir heute schon sehr viel über das Gehirn wissen, müssen wir uns doch
eingestehen, dass die Neuroleadership noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung
steht und in den kommenden Jahren durch neue Erkenntnisse noch rasant an
Bedeutung gewinnen wird. Die Hirnforschung wird die Wirtschaft und die Gesell-
schaft verändern, soviel ist gewiss. Es liegt nun an uns, die Weichen so zu stellen,
dass möglichst viele Menschen, am besten alle, davon profitieren.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei der, dass die Erkenntnisse der Neurowissen-
schaften nicht nur in den USA und in Europa genutzt und in der Neuroleadership
umgesetzt werden, sondern dass das weltweit geschieht. Ob das zu mehr Koope-
ration oder zu mehr Konkurrenz führt, ist derzeit noch nicht zu erkennen. Es ist
durchaus möglich, dass in anderen Ländern, wie zum Beispiel China oder Indien,
neurowissenschaftliche Erkenntnisse der Zukunft viel radikaler und mit ganz kon-
kreten Auswirkungen auf die Gesellschaft umgesetzt werden.

Dass die kognitiven Fähigkeiten der Menschen keineswegs an ihren Grenzen an-
gekommen und durchaus noch zu steigern sind, gilt als sicher. Wenn sich das Ge-
hirn eines Musikers durch lebenslanges Üben nachweislich verändert und selbst
bei Londoner Taxifahrern Veränderungen erkennbar sind, die ihnen eine bessere
Orientierung in dieser gigantischen Stadt ermöglichen, dann wissen wir auch, in
welche Richtung die Neuroleadership gehen kann.

Vielleicht wird man durch neue Wege der Ausbildung, aber auch durch andere
Maßnahmen, ganz bestimmte Experten für spezielle Aufgaben heranzüchten kön-
nen. Ob man das möchte und ob diese Menschen dann glücklicher sind, steht auf
einem anderen Blatt. Die Erwartungen an die Hirnforschung, in Zukunft Mitarbeiter
nach Maß zu erhalten, sind auf jeden Fall keine reinen Fantasiegebilde mehr.

Aber natürlich handelt es sich bei einer Verbesserung des Leistungspotenzials


nicht nur um einen Wunsch aus der Führungsebene. Auch viele Mitarbeiter sehen
ihre Chancen innerhalb eines sich verschärfenden Wettbewerbs hauptsächlich da-
rin, sich, mit welchen Methoden auch immer, zu verbessern. Fehlerfreier, schneller
und ausdauernder rund um die Uhr arbeiten zu können, ist für viele heute schon
ein Wunsch und an manchen Hochleistungsarbeitsplätzen fast schon Wirklichkeit.

Doch was passiert mit der Gesellschaft, wenn wir dies als Maßstab für alle neh-
men? Ist sie denn noch menschengerecht? Wahrscheinlich wird in wenigen Jahr-

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Ausblick: Die Zukunft der Führung

zehnten das, was der Mensch sein kann und sein soll, neu definiert werden. Und
ich kann nur hoffen, dass dies auf die richtige Weise geschieht.

Dass man schon heute beginnt, Kleinkinder durch eine mehrsprachige Erziehung
auf eine neue Welt vorzubereiten, um ihnen bessere Startpositionen zu sichern,
dürfte sicherlich noch nicht gegen die Regeln einer kindgerechten Zuwendung
verstoßen. Das menschliche Gehirn ist ja auf Lernen programmiert. Wenn Kinder
in einer frühen Phase die Chance haben, mehr und besser zu lernen, spricht aus
meiner Sicht nichts dagegen.

Aber was wird aus den Menschen, die diese Chance nicht erhalten? Und noch
wichtiger ist die Frage: Was passiert mit Kindern, deren Eltern planen, aus ihrem
Nachwuchs Topmanager zu machen? Noch sind wir uns nicht sicher, wie man so
etwas lernen kann. Denn die geborenen Anführer gibt es nicht, wie Forschungen
in primitiven Gesellschaften ergeben haben. Ganz sicher gehört aber das Erwerben
bestimmter sozialer Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie von ganz bestimm-
ten Wertemustern dazu.

Wahrscheinlich unterscheidet sich das Gehirn eines Topmanagers durchaus ganz


erheblich von dem einer durchschnittlichen Führungskraft oder eines einfachen
Mitarbeiters. An den toten Gehirnen von Genies konnte in der Vergangenheit zwar
nie etwas Besonderes entdeckt werden, aber am lebenden Gehirn wäre es durch-
aus möglich, Unterschiede zu entdecken und besondere Erregungsmuster zu er-
kennen. Noch reichen dafür allerdings die technischen Möglichkeiten nicht aus,
aber auch das wird sich ändern.

Ob sich in Zukunft dann jeder ins Gehirn schauen lassen kann oder schauen lassen
muss, ist eine heute ebenfalls noch nicht gelöste Frage. Vielleicht wäre die Gefahr
unliebsamer Erkenntnisse für manchen Menschen zu groß. Allerdings geben die
schon erwähnten Hirnveränderungen in bestimmten Berufen und die generelle
Forschung zur Neuroplastizität doch Anlass dazu, zumindest in der Theorie die
These vom spezifischen Managergehirn weiterzuverfolgen.

In den USA wurde im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten an den Spitzen


einiger Unternehmen immer wieder und auch öffentlich darüber diskutiert, wo die
Grenzen zwischen einem selbstbewussten und charismatischen Unternehmens-
führer und einem skrupel- und gewissenlosen liegen. Solche Überlegungen habe
ich in diesem Buch ausgespart, weil ich davon ausgehe, dass die deutsche Gesell-
schaft einen anderen Typus von Führungspersönlichkeiten hervorbringt, als es die
amerikanische Gesellschaft zumindest in der Vergangenheit getan hat.

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Ausblick: Die Zukunft der Führung

Ein Soziopath, auch dissoziale Persönlichkeit genannt, kennt weder Mitgefühl


noch Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen und scheint auch kein Ge-
wissen zu haben. Das ermöglicht ihm, sämtliche sozialen Regeln zu missachten
und seine Aggressionen hemmungslos auszuleben. Es gibt wissenschaftliche Un-
tersuchungen, die das aggressive und gewalttätige Verhalten von Mördern und
Schwerverbrechen zum Teil so deuten, dass in einem Leben, in dem es keine Ge-
fühle, keine Liebe und keine Angst gibt, ein hohes Maß an Langeweile besteht und
die extremen Taten dieser Menschen nur ein Weg sind, die Langeweile zumindest
für einen Augenblick zu unterbrechen.

Ob Emotionslosigkeit in einer solchen Ausprägung nicht nur ins Gefängnis, son-


dern vielleicht auch in die Topetagen von Unternehmen führen kann, erscheint mir
zweifelhaft, ganz einfach auch deshalb, weil ich immer noch darauf baue, dass die
Rekrutierung und Auswahl durch gesunde Menschen erfolgt, die durchaus in der
Lage sind, Fehlentwicklungen zu erkennen. Jedes Unternehmen möchte nicht nur
Manager haben, die sich durchsetzen können, sondern hauptsächlich solche, die
fachlich kompetent sind, leistungsfähig, loyal, und die in der Lage sind, ihre Mit-
arbeiter auch richtig zu führen. All das werden Soziopathen nicht bieten können.

Heute kommt es für die Führungskräfte darauf an, Vertrauen zu gewinnen, sich
für ihre Mitarbeiter einzusetzen und dabei dennoch zielorientiert und konsequent
zu handeln. Eine Führungskraft, die nicht in der Lage ist, zu delegieren, und zwar
nicht nur Arbeit, sondern auch Verantwortung, wird heute keine Chancen mehr
haben.

Immer mehr scheint auch die Erwartung in den Vordergrund zu treten, dass Füh-
rungskräfte eine hohe gesellschaftliche Verantwortung haben und die Lebensbe-
dingungen aller verbessern sollen. Dazu gehört dann auch, dass sie ihren Mitarbei-
tern die Chance geben, Leistungen zu erbringen, auf die sie stolz sein können, und
sich weiterzuentwickeln. Wenn die sieben Grundregeln der Neuroleadership hierzu
einen Beitrag leisten, bin ich schon sehr zufrieden.

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Der Autor

Professor Dr. Christian E. Elger, Jahrgang 1949, ist Direktor der Klinik für Epilepto-
logie und Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH im Universi-
tätsklinikum Bonn. Er studierte Biologie, Chemie und Humanmedizin an den Univer-
sitäten Tübingen und Münster, promovierte 1978 und habilitierte sich 1982 für das
Fach Physiologie an der Universität Münster. Von 1982–1985 absolvierte er seine
Ausbildung als Arzt für Neurologie an den Kliniken für Neurologie und Psychiatrie
der Universität Münster. 1987 wurde er zum Universitätsprofessor für Epileptologie
an der Universität Bonn ernannt, seit Dezember 1990 ist er Direktor der Universi-
tätsklinik für Epileptologie in Bonn.

Im Zeitraum von 1990–2001 war Prof. Elger unter anderem Mitglied des Sachver-
ständigenbeirats beim Bundesgesundheitsminister und Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung. Er erhielt
zahlreiche internationale Wissenschaftspreise und Auszeichnungen. Prof. Elger ist
Initiator und Sprecher der Stiftungsinitiative „Dekade des menschlichen Gehirns“.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der Epileptologie und der
Epilepsieforschung die kognitiven Neurowissenschaften. „Viele wichtige Fragen
rund um das menschliche Gehirn lassen sich im Umfeld der prächirurgischen Epi-
lepsiediagnostik optimal bearbeiten“, so Elger. Dadurch erweiterte sich seine For-
schungsarbeit auf die Bereiche Neuroökonomie und Neuromarketing, wo er heute
zu den gefragtesten Experten zählt.

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Literaturempfehlungen

Asendorpf, Jens B.: Psychologie der Persönlichkeit. Grundlagen, Berlin 2004

Barabási, Albert-László: Linked. How Everything Is Connected to Everything Else


and What It Means for Business, Science, and Everyday Life, London 2003

Bauer, Joachim: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile un-
sere Gene steuern, München 2005

Becker, A. u. a. (Hrsg.): Gene, Meme und Gehirne. Geist und Gesellschaft als Natur.
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Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklich-


keit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/Main 1971

Blackmore, Susan: Die Macht der Meme, oder Die Evolution von Kultur und Geist,
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Brockman, John (Hrsg.): Die nächsten fünfzig Jahre. Wie die Wissenschaft unser
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Calvin, William H.: Die Sprache des Gehirns. Wie in unserem Bewußtsein Gedanken
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Ders.: Wie der Schamane den Mond stahl. Auf der Suche nach dem Wissen der
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Campbell, Joseph: Die Kraft der Mythen. Bilder der Seele im Leben des Menschen,
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Cialdini, Robert B.: Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch für alle, die
ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen, Bern 2002

Crick, Francis: Was die Seele wirklich ist. Die naturwissenschaftliche Erforschung
des Bewusstseins, Reinbek 1997

Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins,
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Literaturempfehlungen

Ders.: Descartes’ Irrtum, München 1997

Ders.: Der Spinoza-Effekt, München 2003

Degen, Rolf: Lexikon der Psycho-Irrtümer. Warum der Mensch sich nicht therapie-
ren, erziehen und beeinflussen lässt, München 2002

Dörner, Dietrich: Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen


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Ders.: Bauplan für eine Seele, Reinbek 1999

Edelman, Gerald M./Tononi, Giulio: Gehirn und Geist. Wie aus Materie Bewusstsein
entsteht, München 2002

Ekman, Paul: Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren,
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Frankl, Viktor E.: Der Mensch auf der Suche nach Sinn. Zur Rehumanisierung der
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Ders.: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie, München 1991

Ders.: Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen, Weinheim 2002

Ders.: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Zehn


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Frenzel, Karolina/Müller, Michael/Sottong, Hermann: Storytelling

Das Harun-al-Raschid-Prinzip. Die Kraft des Erzählens fürs Unternehmen nutzen,


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Friedman, David: Der ökonomische Code. Wie wirtschaftliches Denken unser Han-
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Fuchs, Helmut/Huber, Andreas: Die 16 Lebensmotive. Was uns wirklich antreibt,


München 2002

Gardner, Howard: Changing Minds. The Art and Science of Changing Our Own and
Other People’s Minds, Boston/Massachusetts 2004

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Literaturempfehlungen

Giddens, Anthony: Soziologie, Graz 1999

Gigerenzer, Gerd: Adaptive Thinking. Rationality in the Real World, New York 2002

Gigerenzer, Gerd/Selten, Reinhard: Bounded Rationality. The Adaptive Toolbox,


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Gigerenzer, Gerd u. a.: Simple Heuristics That Make Us Smart, New York 2001

Gilovich, Thomas u. a.: Heuristics and Biases. The Psychology of Intuitive Judge-
ment, New York 2002

Gladwell, Malcolm: Der Tipping Point. Wie kleine Dinge Großes bewirken können,
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Ders.: Blink! Die Macht des Moments, Frankfurt 2005

Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz, München 1997

Goldberg, Elkhonon: Die Regie im Gehirn. Wo wir Plane schmieden und Entschei-
dungen treffen, Kirchzarten 2002

Häusel, Hans-Georg: Brain Script. Warum Kunden kaufen, Planegg/München 2004

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Hoffman, Donald D.: Visuelle Intelligenz. Wie die Welt im Kopf entsteht, München
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Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Men-
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Joas, Hans (Hrsg.): Lehrbuch der Soziologie, Frankfurt/Main 2001

Jung, C. G.: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, München
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Ders.: Erinnerungen, Träume, Gedanken, Düsseldorf 2003

Jung, C. G. u. a.: Der Mensch und seine Symbole, Olten 1979

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Literaturempfehlungen

Kagan, Jerome: Die drei Grundirrtümer der Psychologie, Weinheim 2002

Ders.: Surprise, Uncertainty and Mental Structures, Cambridge/Massachusets 2002

Kahneman, Daniel/Tversky, Amos: Choices, Values and Frames, New York 2002

Klare, Jean/van Swaaij, Louise: Atlas der Erlebniswelten, Frankfurt/Main 2000

Klein, Gary: Natürliche Entscheidungsprozesse. Über die „Quellen der Macht“, die
unsere Entscheidungen lenken, Paderborn 2003

Klein, Stefan: Die Glücks-Formel oder Wie die guten Gefühle entstehen, Reinbek
2002

Koch, Richard: Das 80/20 Prinzip. Mehr Erfolg mit weniger Aufwand, Frankfurt/Main
1998

Kotre, John: Lebenslauf und Lebenskunst. Über den Umgang mit der eigenen Bio-
graphie, München 2001

Ledoux, Joseph: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen, München 2003

Levine, Robert: Die große Verführung. Psychologie der Manipulation, München


2004

Maxeiner, Dirk/Miersch, Michael: Das Mephisto-Prinzip. Warum es besser ist, nicht


gut zu sein, Frankfurt 2001

Meier-Koll, Alfred: Wie groß ist Platons Höhle? Über die Innenwelten unseres Be-
wusstseins, Reinbek 2002

Mérö, László: Die Logik der Unvernunft. Spieltheorie und die Psychologie des Han-
delns, Reinbek 2003

Ders.: Die Grenzen der Vernunft. Kognition, Intuition und komplexes Denken, Rein-
bek 2002

Milgram, Stanley: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamkeitsbereitschaft gegen-


über Autorität, Reinbek 2001

Molcho, Sammy: Körpersprache der Promis, München 2003

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Literaturempfehlungen

Nörretranders, Tor: Spüre die Welt. Die Wissenschaft des Bewußtseins, Reinbek
2000

Ornstein, Robert: Die Evolution des Bewußtseins. Ursprünge und Perspektiven,


Freiburg 1996

Pinker, Steven: Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der menschli-
chen Natur, Berlin 2003

Popper, Karl R./Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn, München 2002

Ramachandran, Vilaynur S./Blakeslee, Sandra: Die blinde Frau, die sehen kann. Rät-
selhafte Phänomene unseres Bewusstseins, Reinbek 2002

Ridley, Matt: Nature via nurture. Genes, experience and what makes us human,
London 2004

Rose, Steven: Gehirn, Gedächtnis und Bewußtsein. Eine Reise zum Mittelpunkt des
Menschseins, Bergisch Gladbach 2000

Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre
philosophischen Konsequenzen, Frankfurt 1997

Ders.: Fühlen, Denken, Handeln, Frankfurt/Main 2001

Sacks, Oliver: Eine Anthropologin auf dem Mars. Sieben paradoxe Geschichten,
Reinbek 2003

Schacter, Daniel: Wir sind Erinnerung. Gedächtnis und Persönlichkeit, Reinbek 2001

Scheier, Dr. Christian/Held, Dirk: Was Marken erfolgreich macht. Neuropsychologie


in der Markenführung, Planegg/München 2008

Schmidbauer, Wolfgang; Lexikon Psychologie, Reinbek 2001

Schnabel, Ulrich/Sentker, Andreas: Wie kommt die Welt in den Kopf? Reise durch
die Werkstätten der Bewußtseinsforscher, Reinbek 1997

Schulte, Günter: Neuromythen. Das Gehirn als Mind Machine und Versteck des
Geistes, Frankfurt/Main 2001

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Literaturempfehlungen

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frank-


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Singer, Wolf: Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung, Frankfurt/Main


2002

Ders.: Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung, Frankfurt/Main


2003

Strogatz, Steven: Synchron. Vom rätselhaften Rhythmus der Natur, Berlin 2004

Stumm, Gerhard/Pritz, Alfred (Hrsg.): Wörterbuch der Psychotherapie, Frankfurt/


Main 2000

Urban, Martin: Wie die Welt im Kopf entsteht. Von der Kunst, sich eine Illusion zu
machen, Frankfurt/Main 2002

Watts, Duncan J.: Six Degrees: The Science of a Connected Age, New York 2003

Watzlawick, Paul (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu
wissen glauben? München 1981

Watzlawick, Paul u. a.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Parado-


xien, Bern 1971

Watzlawick, Paul/Nardone Giorgio (Hrsg.): Kurzzeittherapie und Wirklichkeit. Eine


Einführung, München 2003

Wegner, Daniel M.: The Illusion of Conscious Will, Cambridge/Massachusetts 2002

Zaltman, Gerald: How Costumers Think. Essential Insights into the Mind of the Mar-
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Zimbardo, Philip G./Gerrig, Richard J.: Psychologie, Berlin 1999

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Stichwortverzeichnis

A C
Abneigung 18 Chance 29
Absicht 32, 35-37 Change Management 19
Achtsamkeit 73, 75 Commander 156
Aggressivität 157 Computer 33, 41
Altruistisches Bestrafen 93, 193 Computertomografie 35, 36
Amygdala 9, 35, 47, 76, 90 Consumer Neuroscience 11
Anerkennung 73 Corpus mamilare 90
Angst 16, 100, 192 Cortex 36
Anonymität 136
Anpassung 128 D
Antisoziales Verhalten 154 Decisionmaker 156
Arbeitsqualität 84 Deklaratives Gedächtnis 121, 122
Archaisches Denken 68 Delegieren 61
Ärger 16 Denken 18, 63
Assoziationszentrum 44 Denkmuster 57
Aufmerksamkeit 45, 46, 115 Depression 35
Diktatorspiel 151
B Dominanzhierarchie 158
Basisemotion 98 Dopamin-Rezeptor 101
Belohnen 184 Durchschnittliche Lebenserwartung 162
Belohnung 17 Durchsetzungsvermögen 13
Belohnungssystem 42, 88-91, 93-99, 132,
168-171, 177-182, 184, 185, 187-190, 195 E
Betriebsblindheit 17 Eigendynamik 181, 183, 187, 191, 196
Beurteilen 184 Einflüsse 54
Bewegung 38 Einfühlungsvermögen 179
Bewerten 177 Einstellungstest 129
Bewusstsein 23, 29, 32, 72 Ekel 103
Beziehung 82 Elektrischer Reiz 88
Beziehungsaspekt 68 Elementarbedürfnis 88
Bildgebendes Verfahren 36 Emotion 76, 88, 98-111, 119, 131,
Booz Allen Hamilton 15 168, 173, 180, 183, 190, 191
Büro für Technikfolgen-Abschätzung Emotionale Labilität 128
beim Deutschen Bundestag 24 Emotionales System 98, 132

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Stichwortverzeichnis

Emotionszentrum 103 Gefühl 35, 64-67, 103-109


Empathie 149-151, 155-159 Gehirnanatomie 37
Empathietest 156 Gehirneigenschaften 37
Entscheiden 177 Gehirnfunktion 43
Entscheidung 130-134, 180 Gehirnkapazität 58
Entscheidungsmuster 36 Geschlechtergleichheit 145
Entscheidungssystem 130-135 Geschlechtsspezifisches Investitionsver-
Epilepsie 8 halten 143
Epilepsie-Behandlung 8 Gesellschaft 32
Epilepsie-Herde 39 Gesicht 64
Epilepsie-Patient 39 Gesichtsbeurteilung 70
Epileptologie 8, 10 Gewissenhaftigkeit 128
Erfahrung 18, 31, 124-127, 135, 168, 174, Glück 103
181-183, 187, 191, 196 Großhirnrinde 90
Erinnerung 24, 31, 92, 113-120 Grundbedürfnis 97
Erkennen 43 Grundlagenforschung 23, 33
Erregungssystem 46 Gyrus cinguli 90
Erwartung 18, 31, 33, 44, 64, 98, 111,
115, 168, 171, 180-182, 186, 190 H
Extraversion 128 Handeln 62
Handlungsfähigkeit 112
F Hippocampus 9, 47, 90
Fähigkeit 25 Hirnaktivität 35
Fairness 94 Hirnareal 28
Flugangst 100 Hirnentwicklung 29
Fokussierung 18 Hirnforschung 24, 25, 28, 29, 31, 32, 37, 40, 41
Fördern 187 Hirnleistung 39
Formatio reticularis 48 Homo oeconomicus 31
Fornix 90
Frontallappen 108 I
Führungskraft 12-15, 21 Ich 52
Führungsqualität 12 Information 33, 41
Furcht 100, 112 Inhaltsaspekt 183
Fusiform Face Area 68 Insula 132
Interdisziplinäre Neurowissenschaft 31
G
Gedächtnis 113-122, 131 K
Gedächtnisbildung 120 Kernspintomografie 34
Gedächtnissystem 113 Kognition 10, 104
Gedanke 32 Kognitives Lernen 124

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Stichwortverzeichnis

Kommunikation 13, 39, 61, 67, 82, 83, 158 N


Kommunikative Kompetenz 147 Negotiator 156
Kommunizieren 181 Neid 95
Konsumentenverhalten 11 Nervenimpuls 38
Kontrollzentrum 130 Nervenzelle 28, 37-41
Kooperation 13 Netzwerk 29, 38
Krankheit 37 Neuigkeit 49
Kreativität 128 Neurobiologie 29
Kurzzeitgedächtnis 121 Neurogenese 41, 42
Neuroleadership 14, 197
L Neuromarketing 11
Langeweile 49 Neuroökonomie 11, 31
Langzeitgedächtnis 121 Neuroprothese 29
Lebensqualität 84 Neuro-Pusher 27
Leistung 89 Neuroscience of Mindfulness 75
Leistungsfähigkeit 57, 59, 162 Neurotizismus 128
Lernen 32, 42, 120-125 Neurowissenschaften 21, 23, 29-31
Lernleistung 162 News Seeker 49
Limbisches System 90 Nucleus accumbens 90
Lohnunterschied 145
Lügen 35 O
Lügendetektor 35 Offenheit 128
Lustzentrum 88 Ökonomie 32
Oxytocin 155
M
Magnetresonanztomografie 11, 36 P
Management-Instrument 14 Panik 112
Mandelkern 47, 68, 106 Parochial Altruism 94
Manifest über die Hirnforschung 25 Persönlichkeit 33, 128, 129
McKinsey 15 Persönlichkeitsmerkmal 33
Medizin 41 Placebo 18
Menschenaffe 39 Politik 30
Mimik 62, 64 Polymorphismus 101
Missgunst 95 Potenzialschwankung 9
Misstrauen 95 Präfrontaler Cortex 76, 109, 131
Mobbing 77-85 Priming 164, 165
Motivation 107 Prozedurales Gedächtnis 121, 122
Motivieren 187 Psychologie 30-33
Motorik 62 Psychopharmaka 26, 29
Multitasking 59

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Stichwortverzeichnis

R t
Railway Lines Illusion 23 TAB-Arbeitsbericht 24
Rationalisieren 60 Team 189
Räumliches Vorstellungsvermögen 146-148 Testosteron 152-155
Reiz 23, 41 Thalamus 90
Reizverarbeitung 48 Theory of Mind 151
Respekt 63 Tiefenhirnstimulation 90
Routine 16, 49 Transmitter 39
Rückenmark 38 Transparenz 97
Traurigkeit 103
S
Schmerz 192 U
Schmerzareal 132 Überraschung 103
Schwerverbrecher 40 Überzeugungsfähigkeit 13
Semantisches Gedächtnis 121 Überzeugungsmobbing 80
Sensibilisierung 124 Ultimatumspiel
Shock Novel Reiz 46, 115 93, 108, 153, 168, 170, 180, 182, 186,
Sinnesareal 43 190, 193, 195
Sinneswahrnehmung 39 Unehrlichkeit 136
Social Cognitive Neuroscience 32
Soziale Akzeptanz 82 V
Sozialverhalten 39 Veränderung 192
Spaßmobbing 79 Verhalten 29-32, 64, 72
Spiegelneuron 64 Verhaltensänderung 16
Split Brain Operation 105 Verhandeln 181
Sprache 62 Verträglichkeit 128
Statusverlust 153 Vertrauen 94
Stirnlappen 40 Volkswagen-Stiftung 41
Strafe 17 Vorhersage 29
Straftat 40 Vorhersagen 43-49
Stress 60 Vorinformation 168, 171, 180, 182, 186, 190, 195
Stressreaktion 109 Vorliebe 18
Systematisierungsfähigkeit 158 Vulnerabilität 101
Systematisierungsvermögen 150, 152

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Stichwortverzeichnis

W Wohlbefinden 88
Wahrnehmen 43 Wut 98
Werbewirkung 11 Wutattacke 112
Wertschätzung 63
Wertvorstellung 18 Z
Wiederholung 18 Zorn 103
Win-win-Situation 109, 180, 189 Zukunft 29, 33
Wissen 28, 30, 31 Zweckmobbing 81
Wissensübertragung 164

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Personenregister

Baron-Cohen, Simon 149 | 150 | 155-158

Bennis, Warren 12 | 14

Creswell, David 76

Domning, Marc 18 | 176

Ekman, Paul 64 | 103

Ericsson, Peter 41

Goleman, Daniel 107

Hoffman, Moshe 147

Kimura, Doreen 146

List, John 146

Maucher, Helmut 158

McGregor, Jena 14

Milner, Peter 88

Olds, James 88

Rock, David 14-19 | 193

Sacks, Oliver 54

Schwartz, Jeffrey M. 15-19 | 193

Zak, Paul J. 153 | 155

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