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Udo Thiedeke
2.Auflage
Nomos
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Covermotiv: Udo Thiedeke „Für immer Dein“
Korrektorat: Alina Breidert
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Nomos eLibrary
1. Auflage 2020
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2020. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks
von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Für meine Tochter
Marlene Anna Thiedeke
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Vorwort
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Vorwort
Udo Thiedeke
Januar 2020
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Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis 171
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Einleitung: Lieben dürfen!
* Der besseren Lesbarkeit wegen, wird das generische Maskulinum verwendet. An-
dere Geschlechtsperspektiven werden ausdrücklich einbezogen.
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Einleitung: Lieben dürfen!
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Einleitung: Lieben dürfen!
über den Moment hinaus, für eine gewisse Dauer zu kombinieren. Liebe
und die Gefühle des Verliebtseins unterstützen die Suche nach attraktiven
Partnern. Sie treiben die Individuen zu Paaren, liefern ebenso eine wieder-
kehrende Selbstbestätigung eigener Attraktivität und sozialer Dominanz,
wie sie die Aufzucht von Nachwuchs als “Paargeschäft” erleichtern und die
Ausprägung sowie die Stabilisierung von Familienbindungen durch den
Lustgewinn des Liebens und Geliebtwerdens unterstützen (vgl. Fisher,
1994: S. 61f.).
Nun könnte man meinen, damit sei zur Liebe alles gesagt. Sie ist sozusa-
gen schon immer da. Sie gehört zu unserem Organismus, wie der Hunger
nach Nahrung und das drängende Bedürfnis hin und wieder nach Luft zu
schnappen. Diese Unbedingtheit der biologischen Liebesfähigkeit model-
liert wohl auch unsere Interessen als Menschen, sich auf das Karussell der
sexuellen Reproduktion zu setzen Partner zu suchen, Kinder zu zeugen
und aufzuziehen. Die evolutionäre Biologie treibt so gesehen die psychi-
sche Konstitution der Liebesverrückten hervor. Liebe, verstanden als biolo-
gische Gefühlsausstattung sexuell/intimer, sozialer Beziehungen, erscheint
als kulturübergreifende Universalie (vgl. etwa Jankowiak, Fischer, 1992:
S. 149ff.).
Auch wenn man diesen allzu biologistisch/deterministischen Erklärun-
gen der Liebe nicht folgen mag, wenn man sich lieber (!) hinter das indivi-
duelle “Interface” der Liebeslust begeben will, dorthin, wo Liebe ganz sub-
jektives Empfinden zu sein scheint, dann könnte man auch dabei bleiben,
zu sagen, Liebe ist eben ein individuelles Erleben, eine individuelle Praxis
des Körpererlebens, der Sinneswahrnehmungen, der individuellen Begrün-
dungen und Neigungen, die einzig den Liebessubjekten zusteht. Damit
würde diesen Liebessubjekten dann auch die Kompetenz zur einzig au-
thentischen Darstellung der Liebe zufallen.
Das bedingt zugleich das Faszinosum und die Schwierigkeit, fortan von
vielen individuellen Lieben sprechen zu müssen, die je nach dem, nur in
ihrer situativen Expression zu beobachten wären. Warum aber gibt es
dann Fassungen der Art und Weise, Liebe zu verstehen und vor allem den
anderen und vor den anderen zu zeigen, die über die vielen Details der
Praktiken individuell zu erleben hinausgehen? Wieso gehen wir heute,
wenn wir davon sprechen, jemand ist verliebt oder liebt, wie selbstver-
ständlich von einem ganz bestimmten Konzept der Liebesverhaltenswei-
sen und -begründungen, eben dem Konzept der romantischen Liebe aus,
auch wenn wir persönlich gar keine Kenntnis von all den Facetten und
Nuancen des symbolischen Zusammenhangs haben, den man mit “Ro-
mantik” etikettiert?
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Einleitung: Lieben dürfen!
dividuellem Denken, Meinen und Fühlen auf uns bezieht und uns als Lie-
bespartnerin oder -partner wählt. Es meint vielmehr die Art der sozialen
Verhaltensweise(n) und sozial akzeptierten individuellen Vorstellungen
und Empfindungen, die als Liebe verstanden werden und sich in einer
ganz eigenen Sozialität der Liebe konkretisieren. Die Liebe der Gesell-
schaft bezeichnet also jenen allgemein zugänglichen Komplex an kommu-
nizierbaren Erwartungen einer Wahl von Liebessubjekten und -objekten
unter Bedingungen der individuellen und unbedingten Hingezogenheit,
der heute für alle gelte soll. – Es ist diese Liebe, die heute alle kommunizie-
ren und von der alle meinen, zu verstehen, was sie meint.
Damit sind wir von der Physiologie der Liebesgefühle über ihre Bin-
dungskapazitäten und überindividuellen Sinnbedingungen bei der Sozio-
logie der Liebe angekommen. Tatsächlich hat sich Soziologie bis heute so
wie mit anderen Phänomenen der Sozialität auch mit der Liebe beschäf-
tigt. Sie hat sich zumeist aber in kleinen Anläufen und Ausschnitten mit
der Liebe auseinandergesetzt. Dabei wurden Teilaspekte wie Ungleichheit,
Familie, Macht oder Konsum in den Mittelpunkt ihrer Beobachtungen ge-
rückt, bei denen nicht immer einsichtig ist, ob sie zum spezifischen Ver-
ständnis der Liebe und besonders der Liebe der Gesellschaft beitragen,
oder ob diese “auch” auf Liebe, Liebesverlangen und das Lieben Auswir-
kungen haben oder gar selbst von der Liebe in ihrer sozialen Entfaltung
beeinflusst werden.
Mit der Liebe der Gesellschaft wird hier die sinnhafte soziale Bedeutung
der Liebe unterschieden und der Frage nachgegangen, wie sie als Orientie-
rung des liebenden Empfindens und Handelns für alle und alles, was zur
Gesellschaft gehört, in Erscheinung treten kann. Da es dabei um die Ver-
mittlung von Liebe über die Grenzen unserer individuellen Meinungen,
Erlebnisse und Handlungspraktiken hinaus geht, soll dem vielleicht unge-
wöhnlichen Vorschlag des Soziologen Niklas Luhmann gefolgt und Liebe
als ein Medium sozialer Kommunikation verstanden werden. Das wird uns
im Weiteren immer wieder beschäftigen.
Mit “Medium” ist dann allerdings nicht etwas gemeint, was wir ansons-
ten im Alltäglichen durchgängig als Teil “der Medien” verstehen. Liebe als
Medium ist kein Massenmedium und hat keine Sende- und Empfangsgerä-
te. Sie kennt keine Einschaltquoten und Verkaufszahlen und man kann sie
auch nicht abonnieren oder herunterladen, wenn man die neuen kyberne-
tischen Interaktionsmedien wie das Internet vor Augen hat. Überall in der
individual-, massen- und interaktionsmedialer Kommunikation kann es
um Liebe gehen, kann Liebe Thema oder Motiv sein, aber das erfasst die
Eigenart noch nicht, die Liebe als Medium ausmacht.
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Einleitung: Lieben dürfen!
fen und Enttäuschen zur Liebe treibt und immer wieder abstößt. Und viel-
leicht eröffnet uns das am Ende die Möglichkeit, die Frage zu verfolgen,
was das für die Zukunft der Liebe bedeuten könnte und das meint hier
wieder die Zukunft der Liebe der Gesellschaft, auf die wir uns beziehen,
wenn wir individuell lieben.
Wir werden dann vielleicht sehen können, dass wir, wenn wir lieben,
eine aus unserer Individualität, ihrer Emotionalität und unseren daraus re-
sultierenden Ansprüchen an uns selbst und an andere begründete Form
der Liebes-Intimität aufrufen, deren soziologische Bedingungen und Kon-
sequenzen über die Fragen persönlicher Neigungen, Zweierbeziehungen
und kultureller Bewertungen des Konzepts der romantischen Liebe hinaus
weisen.
Aber – und das weist über den Gegenstand hinaus auf die Bedingungen
der Möglichkeiten gesellschaftlicher Wirklichkeit – mit der Liebe der Ge-
sellschaft können wir nicht nur die Art zu lieben beobachten. Gerade
wenn es um die romantische Liebe und deren soziale Form, die Liebes-In-
timität geht, beobachten wir zugleich einen Modus der Verschränkung,
der wechselseitigen Durchdringung von Individuellem und Gesellschaftli-
chem. Genauer gesagt, beobachten wir mit der romantischen Liebe einen
Interpeterationsmodus von Individualität, der sich auf ganz eigentümliche
Weise nicht aus Gründen der Leistungserfüllung oder aus Rollenerwartun-
gen, sondern der Wertschätzung von Individualität begründet. Wir äußern
daher bereits hier zu Beginn die Vermutung, dass Veränderungen der In-
terpenetrationsmöglichkeiten von Individualität und Überindividualität
auch die Art und Weise beeinflussen, was wir und die anderen in Punkto
Liebe für normal halten.
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– Frech und froh –
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I. Die Freundschaft lieben
gewesen sei, bevor sich daraus eine Liebe entwickelt habe. Vielleicht kann
man sich sogar vermeintlich alle Optionen offenhalten und möglichst lan-
ge im Grenzbereich zwischen Liebe und Freundschaft verweilen, wenn
man davon spricht, jetzt “eine Freundschaft+” zu leben, bei der auch Se-
xualität eine Rolle spielen darf.
Die kommunikativ sichtbaren Unterschiede zwischen Liebe und
Freundschaft werden noch deutlicher, wenn es um die Unbedingtheit der
Verbindlichkeit zwischen dem “Personal” der Beziehungsformen geht. So
sprechen wir von “einer” Freundin, “einem” Freund, wenn wir uns auf die
beziehen, die uns freundschaftlich verbunden sein sollen, aber von “mei-
ner” Freundin oder “meinem” Freund, wenn es um Liebe zwischen den
Beziehungspartnern geht. Schließlich kann man ohne größere Irritationen
auszulösen davon sprechen oder davon hören, dass man “einige Freunde”
oder “einen Freundeskreis” habe. Wenn hingegen von “einigen Geliebten”
die Rede ist oder wenn jemand so verwegen wäre, von seinem “Liebes-
kreis” zu sprechen, dann werden die Beziehungsverhältnisse auffällig. Sie
werden dann fast von selbst zum Ausnahmethema und deuten problemati-
sche, zumindest aber pikante, nicht ganz leicht zu handhabende, nicht
selbstverständliche Liebesumstände an.
Obwohl man also sogar sagen kann, man liebe seine Freunde, um darin
die Freude über die Freunde und die besondere Verbundenheit mit ihnen
hervorzuheben (wozu man gerade den Verweis auf die Liebe bemüht!), ist
es doch etwas anderes, seine Freundin oder seinen Freund zu lieben. Es ist
deshalb etwas anderes, weil damit ein Wechsel des sozialen Systems der in-
dividuellen Vergemeinschaftung verbunden ist.
Gerade diese Perspektive auf die Sozialität, also das Miteinandersein, das
jeweils charakteristisch für Freundschaft einerseits und Liebe andererseits
ist, macht die Gemeinsamkeiten deutlich, aber eben auch die Unterschie-
de. Freundschaft, so stellen wir in der Alltagspraxis fest, geht im Vergleich
zur Liebe von anderen Bedingungen aus und führt zu anderen Konsequen-
zen. Freundschaft weckt andere Erwartungen als Liebe und führt zu einer
anderen Form der Sozialität.
Freundschaft und Liebe zielen zunächst beide auf Vergemeinschaftung
ab. Das meint eine enge soziale Bezogenheit, bei der es in erster Linie auf
die genaue Kenntnis von Personen und ihrer persönlichen Merkmale und
erst in zweiter Linie auf deren Rollen ankommt. Beide Beziehungsformen
unterlaufen auf eine fast anachronistische Weise den Imperativ der moder-
nen Gesellschaft, soziale und funktionale Rolle einerseits und Persönlich-
keit andererseits bei der Vergesellschaftung getrennt zu halten. Vielleicht
wirken beide deshalb gerade heute so faszinierend. So können sie geradezu
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I. Die Freundschaft lieben
Geht man dazu der Frage nach, wie es zur Ausdifferenzierung von
Freundschaft und Liebe kommen konnte, so ist das gesellschaftliche Um-
feld, genauer gesagt, sind die Sinnbedingungen zu beobachten, unter de-
nen die jeweilige Sozialität intimer Vergemeinschaftungen zum Ausdruck
gebracht werden kann. Zu diesen Sinnbedingungen, die die Normalität
der Erwartungen dessen definieren, was man meinen, sagen und tun darf,
ist etwa das bevorzugte Differenzierungsmuster sozialer, sachlicher, zeitli-
cher und räumlicher Unterscheidungen einer Gesellschaft zu zählen.
Luhmann ging dabei davon aus, dass die moderne Gesellschaft vorran-
gig von einer funktionalen Differenzierung der Sinnbedingungen geprägt
ist. Individuen werden in dieser Gesellschaft nicht mehr, wie in segmentär
differenzierten Gesellschaften, über die Zugehörigkeit zu Familien, Clans
oder anderen sozialen Gruppe definiert. Sie lassen sich auch nicht mehr
vorrangig über die Rangunterschiede von Ständen oder Klassen bestim-
men, wie in einer stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft.
Stattdessen wird die gesellschaftliche Zu- und Einordnung von Individu-
en entlang von funktional definierten Rollenbeziehungen in vielfältigen
Kontexten möglich. Ein Individuum wird deshalb polykontextural durch
seine religiösen, familiären, partnerschaftlichen, politischen, wirtschaftli-
chen und anderen Beziehungen definiert. Und diese sollten ihm ohne An-
sehen seiner Persönlichkeit, der Familienzugehörigkeit oder seines Standes
offenstehen. Luhmann hält hierzu fest:
“Sie [die funktionale differenzierte Gesellschaft, Anm. UTh.] kann Per-
sonen nicht mehr den Teilsystemen zuordnen in dem Sinne, daß [sic!]
eine Person nur einem Teilsystem angehörte – die einen etwa eine rein
juristische Existenz führte, die andere nur erzogen würde. Der letzte
derart konzipierte Fall, den man um 1800 noch für möglich hielt, war
die Hausfrau und Mutter der bürgerlichen Familie. Auch das ist ein in-
zwischen abgeschlossenes Kapitel.” (1980: S. 30/31).
Und sollte derlei “Überspezialisierung” eines Individuums dennoch in der
modernen funktional differenzierten Gesellschaft zu Tage treten, so würde
das eben jene Normalität der polykontexturalen Zuordnung zu den unter-
schiedlichsten Funktionszusammenhängen stören. Man würde sich evtl.
über den “Nerd”, im Sinne eines zur Fachidotie neigenden Sonderlings,
lustig machen, die Frau bedauern, die “nur” Mutter und Hausfrau
und “sonst nichts” wäre oder fände die Einseitigkeit der Lebensweise sogar
verstörend und therapiebedürftig.
Für das Individuum selbst konkretisiert sich diese Vielfalt der Vergesell-
schaftung in den Fragen danach, “was es mir bringt”, etwa eine Familie zu
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I. Die Freundschaft lieben
Fürsten orientieren (O. c.: S. 681). Die Platzierung des Personals in Rang-
position ist zwar auch Gegenstand dynastischer Überlegungen. Zur Be-
gründung gesellschaftlicher Ordnungskapazität reichen verwandtschaftli-
che Beziehungen, gar Familienbande aber nicht mehr aus (O. c.: S. 679).
Hier bedarf es der Konzentration politischer Macht und einer höheren Le-
gitimation, zumeist mit Verweis auf eine göttliche Ordnung, die dann für
alle gilt, auch für die, die nicht miteinander verwandt sind.
Freundschaft scheint hier ihren zentralen Orientierungswert für die In-
klusion Nicht-Verwandter in persönliche verwandtschaftsähnliche Bezie-
hungen zu verlieren. Allenfalls stellt sich die Frage, welchen Rang man der
Freundschaft und den Freunden einräumt, was, da Freundschaft nicht
kämpft, auf einen Tugendkatalog als Maßstab hinauslaufen kann. Und da-
bei kann deutlich werden, dass die Tugenden der Freundschaft von den so-
zialen Rangpositionen abhängen können (siehe etwa Della Casa, 1564:
S. 27ff.).
Entsprechend der Umorientierung der Differenzierungsstruktur gesell-
schaftlicher Unterscheidungsmöglichkeiten, expandiert auch das Konzept
von Freundschaft und wird dabei zugleich diffuser und mit zusätzlichen
Erwartungen aufgeladen (vgl. Epp, 1999). Das deutet wiederum auf eine
Modifikation der sozialen Beziehungen hin, die mit “Freundschaften” be-
schrieben werden kann.
Für das Beispiel der stratifizierten Feudalgesellschaft des europäischen
Mittelalters ist festzustellen, dass Freundschaften dazu dienten, Netzwerke
der Verbundenheit, der wechselseitigen persönlichen, aber auch der politi-
schen Unterstützung aufzubauen und abzugrenzen (vgl. Garnier, 2000).
Um lebenswichtige Beziehungen zu konsolidieren, verknüpften diese
Netzwerke der Freundschaft relevante Personen und Gruppen miteinan-
der (Epp, 1999: S. 130ff.; von Eickels, 2007: S. 32), wobei die Freund-
schaftsbeziehungen durchaus affektuell grundiert und etwa von Liebe
durchdrungen sein konnten. Die Liebe selbst bleibt der Freundschaft aller-
dings nachgeordnet (vgl. Roth, 2014: Online). Das überrascht aufgrund
der ausgreifenden, an den Notwendigkeiten von Schutz, Rangbestätigung,
Tugend und Solidarität orientierten Bedingungen und Konsequenzen von
Freundschaften allerdings kaum.
Die gesellschaftliche Strukturorientierung an Stratifikation sowie eine
sinnhafte Dimensionierung von Freundschaft, die über verwandtschafts-
ähnliche Beziehungsmöglichkeiten im Freund-Feind-Schema deutlich hin-
ausreicht, fallen bereits für die Hochkulturen der Antike, namentlich für
die griechischen Stadtstaaten auf. So weist Luhmann darauf hin, dass die
Semantik der Freundschaft in dieser Epoche vom Verhältnis Nahestehen-
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I. Die Freundschaft lieben
de/Fernstehende auf die Frage nach der Herstellung von Solidarität und
Zusammengehörigkeit umgestellt wird. Mit weiteren Verweisen stellt er
fest:
“Als philía wird Freundschaft aus diesen archaisch-gentilizischen
Strukturen ausdifferenziert und zugleich generalisiert als eine allge-
meine, auf die Gesellschaft bezogene Idee der Zusammengehörigkeit.
(...) Der Gegenbegriff der Feindschaft tritt zurück (das heißt: es bildet
sich ein Code: Freund oder nicht), und das Problem der Kriterien für
die Wahl von Freunden tritt in den Vordergrund. Das Nahestehen ist
dann nicht mehr Bedingung der Freundschaft, sondern Folge der Wahl
eines Freundes.“ (Hervorhebungen im Original; 1997: S. 327).
Das der Semantik zu Grunde liegende Beziehungskonzept von Freund-
schaft ist auf nicht-verwandtschaftliche Solidarbeziehungen fokussiert und
muss in sich dann je nach Reichweite und Begründung dieser Beziehungs-
möglichkeiten nach Arten von Freundschaften differenziert werden. Diese
reichen etwa von der Lustfreundschaft, über die politischen Freundschaft
bis zur Tugendfreundschaft – will man der einflussreichen Einteilung von
Aristoteles folgen. Solche “Freundschaftsmodelle” können dann nach
Maßgabe ihrer Folgen bewertet, also z. B. in einer Ethik der Freundschaf-
ten geordnet werden.
Eine derartige Zielbezogenheit von Freundschaft wirft Fragen auf, die
zugleich auf die Möglichkeiten hindeuten, Individuen in persönlichen Be-
ziehungen gesellschaftlich zu inkludieren und diese von ihrem Ziel her als
gute Möglichkeit einer Inklusion jenseits von Familie und Stand zu bewer-
ten. Anders gesagt, es werden Interpenetrationsmöglichkeiten für das ab-
weichende Andere auf der Grundlage von Vorstellungen über Handlungs-
möglichkeiten in sozialen Beziehungen – wie derjenigen der Freundschaft
– sichtbar. Angesichts einer komplexeren gesellschaftlichen Differenzie-
rung, wie beispielsweise in der griechischen Polis, wird Freundschaft für
die Ausformung einer Sozialität interessant, die Nicht-Naheliegendes inte-
grieren muss und kann.
Schmidt hat im Zusammenhang mit dem späteren Übergang von der
stratifikatorischen zur funktionalen Differenzierung und dem kulturellen
Übergang von einer traditionalen zu einer modernen Semantik, die Über-
legung ins Spiel gebracht, dass mit Freundschaft und dann vermehrt mit
Liebe Konzepte persönlicher Beziehung entstanden sind, die auf das Prob-
lem der Exklusionsidentität (Luhmann) von Individuen reagieren. Sie ma-
chen also an sich ausgeschlossene, weil z. B. nicht mehr eindeutig durch
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I. Die Freundschaft lieben
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I. Die Freundschaft lieben
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– Gedicht als Heiratsantrag –
Anette Pfeiffer-Klärle
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II. Die Gesellschaft lieben
Der Titel des Kapitels “die Gesellschaft lieben” mag ebenso seltsam klin-
gen wie der Buchtitel “Die Liebe der Gesellschaft”. Man möchte fragen,
wem sie wohl gelten mag, die Liebe der Gesellschaft? Wem mag sich die
Gesellschaft so höchstpersönlich, intim und im Ausnahmezustand ihrer
Gefühle zuwenden, wo sie doch noch nicht einmal ein Individuum ist?
“Die Gesellschaft lieben” suggeriert dann die Gegenrichtung der Bezie-
hung. Sind wir dann etwa aufgefordert, der Gesellschaft die intimste per-
sönliche Zuwendung entgegen zu bringen? Wäre das nicht zu viel ver-
langt? Zumindest im Alltäglichen nehmen wir “die Gesellschaft” doch
eher für all das in Haftung, auf das wir individuell keinen Einfluss haben.
Die Gesellschaft, das sind immer die anderen und noch dazu undurchsich-
tige Konzerne, politische oder bürokratische Organisationen, der Markt,
die Öffentlichkeit – anonyme soziale Zusammenhänge eben. Ein Liebesob-
jekt, gar ein Liebessubjekt sieht anders aus!
Beides ist hier nicht gemeint, obwohl in beidem bereits der Keim dessen
steckt, worum es in Bezug auf die Liebe als nicht nur individuellem Erle-
ben, sondern als gesellschaftlichem Phänomen geht.
“Die Gesellschaft lieben” meint dann nicht mehr und nicht weniger, als
dass wir immer dann, wenn wir heute in Liebe fallen, wenn wir unsere
Liebe bekennen, wenn wir verliebt sind, geliebt oder nicht geliebt werden,
uns mit sozialen Erwartungen konfrontiert sehen, die sich auf Ausdrucks-
möglichkeiten dieses individuellen Erlebens richten.
Diese Erwartungen sind als soziale Erwartungen überindividuell. Sie
hängen eben nicht nur von uns allein und von unseren individuellen Vor-
lieben (!) ab, die Liebe zu praktizieren. Sie hängen auch von dem ab, was
andere für angemessen, zulässig oder grenzwertig und für unzulässig er-
achten, um Personen mit den Eigenarten ihrer verkörperten Persönlichkeit
individuell in eine Sozialität intimer Beziehungen einzubinden.
Wie eben im Kapitel zur Freundschaft deutlich wurde, lieben wir mit
der Liebe immer auch ein Konzept der Liebe. Wir lieben neben den Objek-
ten und Subjekten unseres Begehrens immer auch dieses Konzept von Lie-
be, das den Rahmen gesellschaftlicher Liebesmöglichkeiten bis hin zu dem
absteckt, was wir uns als Liebe von anderen wünschen können. “Die Liebe
der Gesellschaft” meint dann genau dieses Sinnkonzept des für die Liebe
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II. Die Gesellschaft lieben
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II. Die Gesellschaft lieben
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II. Die Gesellschaft lieben
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II. Die Gesellschaft lieben
man sie lieben und von ihnen geliebt werden will. Gleichfalls muss auf das
von anderen Gezeigte reagiert werden.
Damit werden individuelle Erwartungen vergleichbar und es werden
Ähnlichkeiten sichtbar, die “man” erwarten kann. So manifestiert sich ein
Rahmen öffentlicher Erwartungen des Intimen. Dieser Rahmen von ak-
zeptierten Erwartungen wird dann etwa massenmedial in den exemplari-
schen Personen und Szenarien der billigen und der teuren Liebesromane,
der Filme und Videos sowie der unendlich von Liebe, Leiden, Schmerz
und Wollust kündenden Pop-Songs verstärkt. Oder sie werden interakti-
onsmedial im Internet anhand all der großen und der kleinen Tinder-,
Twitter- oder Facebookdramen um Herz und Schmerz der Liebe perma-
nent verhandelt und bewertet, was man dann wieder massenmedial rück-
koppeln kann. – Ein Beispiel unter anderen zeigt uns “Mein Tinder Tage-
buch” in der “Brigitte” (2015: Online) oder gleich der ganze “Tinder-
Wahnsinn” (http://www.tinderwahnsinn.de).
Dieses Veröffentlichen und damit Verallgemeinern individueller Erwar-
tungen und Möglichkeiten zu lieben gilt nicht nur für die Anbahnung der
Liebe. Es gilt weiter auch für die Darstellung der exklusiven Form der Inti-
mität gegenüber anderen. Kornelia Hahn hat bspw. gezeigt, dass das Spiel
mit diesem Paradox der Liebe, das Innerliche und Intime als Exklusivität
den anderen zur Schau zu stellen, zum Grundmuster moderner Paarbezie-
hungen gehört. Ein vielleicht riskantes Spiel, dessen Risiko dort zum öf-
fentlichen Problem wird, wo es zum Schwur kommt:
“Seit der Romantik ist daher auch immer wieder die formelle Ehe-
schließung ein Diskussionsgegenstand: Zerstört die Ehe – die immer
eine explizite Veröffentlichung bedeutet – nicht die Grundlagen einer
Beziehung, die vorher als romantische Liebe verstanden werden woll-
te? Oder stellt die Eheschließung die krönende Präsentation der gegen-
seitigen Verbundenheit dar?“ (Hervorhebung im Original; 2000:
S. 253)
Diesen Rahmen der Liebe der Gesellschaft verdeutlicht das SGKM Liebe
in seinen symbolischen Zuspitzungen als Erwartungshorizont jeder Liebe-
spraktik. So hebt es etwa die Zumutung, unbekannte andere, zum Zen-
trum des eigenen Erlebens und Handelns zu machen, als höchst erstre-
benswert hervor. Das ist nur deshalb möglich, weil in der Zumutung zu-
gleich das Versprechen liegt, als individuell abweichende Person nicht nur
zum Zentrum des Begehrens, sondern sogar zum Maßstab des Verhaltens
anderer werden zu können. – Liebe setzt zur Akzeptanz des Unwahr-
scheinlichen das Interesse an Selbstverwirklichung gleichermaßen immer
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II. Die Gesellschaft lieben
vergesellschaftenden Individualität und wenn das als Grundlage für die Er-
füllung des Erlebens eben dieser Individualität dienen soll.
Bei der soziologischen Beobachtung der Liebe der Gesellschaft gerät also
nicht das schöne, ausschließliche, schmerzliche oder leidenschaftliche Ge-
fühl der Hingezogenheit zu anderen in den Blick. Es stehen auch nicht die
individuellen und partikularen Praktiken im Vordergrund der Betrach-
tung, mit der sich die Expression verkörperter Wünsche und Erfahrungen
im Einzelfall vollzieht.
Diese Soziologie der Liebe fragt mit Blick auf die Liebe der Gesellschaft
grundsätzlich nach der Eigendynamik, die die Vergesellschaftung durch
Liebe charakterisiert. Das bedeutet dann ebenso nach der Sozialisation von
Liebeserwartungen zu fragen, wie nach der gesellschaftlichen Evolution
dieser sozial akzeptierten Ausdrucksform der individuellen Wahl von Ge-
schlechtspartnern sowie der darauf aufbauenden Sozialität der Intimität.
Und damit verbunden stellen sich Fragen nach den kulturellen Reformu-
lierungen und Bewertungen individueller Gefühle und körperlicher Be-
dürfnisse.
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– Aus: "Die gestundete Zeit" –
(...)
Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.
(...)
Ingeborg Bachmann
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III. Das Medium lieben
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III. Das Medium lieben
(vgl. Jäckel, 2005: S. 10), wie der Buchdruck, die Presse, das Fernsehen
oder der Rundfunk (manchmal auch noch das Internet) gemeint.
Dieser Medien-Begriff ist allerdings unzureichend, wenn man die me-
diale Qualität der Liebe erfassen will. Zwar hat Liebe, besonders in der Er-
scheinungsform als romantischen Liebe, schon etwas mit massenmedialer
Kommunikation zu tun. So vermitteln Massenmedien etwa in Zeitschrif-
ten, im Film oder in Fernseh- und in Radiosendungen, in der Form von
Nachrichten, Berichten, Spielshows, Werbung, Serien usw. Beispiele von
Lieben, Liebenden, Liebesbeweisen, Liebesschmerz usw. (vgl. zum Fernse-
hen Iványi, Reichertz, 2002; zu Frauen- und Männerzeitschriften, Köck et
al. 2009: S. 23ff.). Und sie vermitteln Beispiele zu den Reaktionen, die da-
rauf erwartet werden. Allerdings sind das nur die inszenatorisch oder pla-
kativ zugespitzten Darstellungen von Normalitätserwartungen der Liebe.
Diese Medien bringen nicht die sozial geteilte Art und Weise in Form, Er-
wartungen der individuellen Partnerwahl und persönlichen Intimität
überhaupt als Erwartungen der Liebe verstehen zu können.
Damit die Zuschauerinnen und Zuschauer also verstehen, dass in der
Serie diejenigen, die Händchen haltend die Szenerie betreten, die Lieben-
den sind, bedarf es eines Mediums, das genau dieses Verständnis von Lie-
besmerkmalen und -erweisen wahrscheinlich macht. Liebe ist deshalb kein
Massenmedium, sondern ein Medium, das die unwahrscheinlichen Erwar-
tungen, die mit Liebe verbunden sind, durch seine bedeutungshafte Zu-
spitzung verallgemeinert. Liebe tritt so als ein symbolisch generalisiertes
Kommunikationsmedium kurz: SGKM in Erscheinung.
Wie aber kommt es zur Ausprägung eines SGKM und was charakteri-
siert dann seine Kommunikationsspezifik? Hierzu muss man zunächst dar-
stellen, was Luhmann unter Kommunikation versteht. Kommunikation
stellt laut Luhmann keine Übertragung von Informationen von einem Ort
zum anderen und auch keine Übertragung von Informationen von Alter
zu Ego oder umgekehrt dar, wie das etwa die Informationstheorie, aber
auch manche Medientheorien darstellen (1984: S. 193).
Luhmann zu Folge handelt es sich bei Kommunikation vielmehr um
einen Prozess der Anregung sinnhafter Beobachtungen. In dessen Verlauf
wird eine Informationsauswahl, durch die Auswahl einer geeigneten Ver-
mittlung, so dargestellt, dass sie aus der Unterscheidung der gewählte
Form der Vermittlung und der Informationswahl rekonstruiert werden
kann (O. c.: S. 194f.).
In Luhmanns Diktion gesagt, stellt sich Kommunikation als ein Prozess
von drei aufeinander bezogenen Sinnselektionen dar. Bei Kommunikation
wird Information (was wird kommuniziert) von der Mitteilung (wie wird
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III. Das Medium lieben
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III. Das Medium lieben
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III. Das Medium lieben
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III. Das Medium lieben
dessen erscheinen, was in diesem Fall für das eigene Erleben und Handeln
gewählt werden könnte, weil “man” es in diesem Fall wählt – also unter
Beachtung der Bedingungen und Symbole des Mediums durch alle, die in
diesem Medium kommunizieren.
“Man kann eine zugemutete Kommunikation annehmen, wenn man
weiß, daß [sic!] ihre Auswahl bestimmten Bedingungen gehorcht; und
zugleich kann derjenige, der eine Zumutung mitteilt, durch Beach-
tung dieser Bedingungen die Annahmewahrscheinlichkeit erhöhen
und sich selbst damit zur Kommunikation ermutigen. Damit wird je-
nes Doppelproblem der Täuschung und der Akzeptanz zugleich ge-
löst, oder doch normalisiert. Man erhöht die Sicherheit, daß [sic!] jene
Bedingungen beachtet werden, obwohl sie ihrerseits hochselektiv sind
und keineswegs jede gewünschte Konstellation abdecken, man signali-
siert diese Selbstfestlegung durch den Gebrauch der entsprechenden
Symbole, die den Gebrauch des Mediums bezeugen, und verdient sich
auf diese Weise die Aussicht auf Annahme der Kommunikation.“ (O.
c.: S. 321).
Treten SGKM solcherart als “Erfolgsmedien” für die Fortsetzung unwahr-
scheinlicher Kommunikationen auf, dann kann ihre Bestätigung von allen
(also: sozial) für jeden Einzelfall (also: individuell) als normal (also: sozial
akzeptiert) erwartet werden. Auf diese Weise bringen gesellschaftlich eta-
blierte SGKM Sinn – die Auswahl von Unterscheidungen – in Form. Diese
Konditionierung von Sinnverhältnissen durch die SGKM realisiert sich in
ihren je spezifischen Codierung dessen, was kommunikativ dargestellt und
verstanden werden kann (O. c.: S. 359f.). SGKM konditionieren mit ihren
semantischen Codes also die Art und Weise, wie die Wahl des Erlebens
und Handelns als gesellschaftlich akzeptiert kommuniziert werden kann.
So kann dann, wenn im SGKM Macht kommuniziert wird, verstanden
werden, dass das Handeln von Alter das Handeln von Ego in der Konstella-
tion von Befehl und Gehorsam festlegt. Beim SGKM Geld kann verstan-
den werden, dass das Handeln von Alter das Erleben von Ego hinsichtlich
der Motivation festlegt, Eigentum gegen Geldzahlungen herzugeben. Das
SGKM Wahrheit plausibilisiert für alle, dass dann, wenn Alter Beweise
vorlegt, Ego erleben kann, dass es Alter um bestätigte und nicht um be-
hauptete Gewissheit geht, also um ein Verstehen von Wissen nicht von
Glauben (vgl. O. c.: S. 336). – Auf Liebe kommen wir gleich zu sprechen.
Da es kein Medium ohne die von ihm gebildete Kommunikationsform,
verstanden als Form des Sinns, zu Meinen zu Wollen oder zu Tun, gibt,
koppeln auch die SGKM die herumgeisternden Sinnmöglichkeiten mit
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III. Das Medium lieben
ten durchaus ins Grübeln bringt, darf es doch im Konzept der Liebe als
Wahlmodus nur um das eigene und damit das nicht manipulierte Gefühl
gehen. – Aber vielleicht liegt ja in der Unsicherheit individueller Gefühle
gerade der Schlüssel zur Restabilisierung gesellschaftlicher Ordnung (so
mit Blick auf Geschlechtsrollen z. B. Illouz, 2013: Online)?
Das heißt aber nichts anderes, als dass es normal erscheint, dass wird
dann, wenn es um Liebe geht, die noch unbekannte oder absonderliche In-
dividualität anderer zum Zentrum unseres Wollens und Fühlens und da-
durch zum Maßstab unseres Handelns machen sollen. Genau das will die
Geliebte oder der Geliebte erleben. Wir (Ego) handeln aufgrund dessen,
was der oder die andere (Alter) erlebt.
Genauer sollte man allerdings sagen, wir handeln aufgrund dessen, was
wir erwarten, das der oder die andere erlebt. Auch bei der Liebe realisiert
sich “nur” eine symbolisch vermittelte (also mediale) Kommunikation.
Liebe entfaltet wie jedes SGKM dabei eine spezielle Konstellation von Er-
wartungen und Erwartungserwartungen.
Dass auch Liebe sich in kommunizierbaren Projektionen von Eintre-
tenswahrscheinlichkeiten des Verhaltens und Handelns ereignet, liegt da-
ran, dass auch Liebe die undurchsichtigen Persönlichkeiten, die in doppel-
ter Kontingenz aufeinandertreffen, nicht durchdringen kann. Die “black
boxes” werden nicht zu “white boxes”, nur weil sie meinen, sich zu lieben.
Das ist nicht der Fall, obwohl Liebe genau das nahelegt, indem sie voraus-
eilende Liebeshandlungen von Ego, in Erwartung des Liebeserlebens von Al-
ter erwartbar macht.
Die Erwartungskonstellation, die mit Liebe einhergeht, ist demnach er-
kennbar voraussetzungsreich, um nicht zu sagen: komplex. Die gegenseiti-
gen Erwartungen zielen (und das wird auch noch kommunizierbar) als
Grundlage einer sozialen Beziehung auf den Ereignishorizont des Psychi-
schen. Mehr noch, sie zielen auf den Erwartungshorizont der psychophysi-
schen Konstitution der Liebessubjekte, ohne ihn jemals erreichen oder gar
durchdringen zu können. – Man möchte hier schon sagen: kein Wunder,
dass Liebe zum Scheitern verurteilt ist!
Was dabei nach Luhmann hervorsticht, ist die ausgeprägte Asymmetrie,
die zwischen den Erwartungen von Ego, der oder die sich verliebt, und Al-
ter herrscht, wenn er oder sie geliebt werden soll.
“Das Besondere (und wenn man so will das Tragische) der Liebe liegt
in dieser Asymmetrie, in der Notwendigkeit, auf Erleben mit Handeln
zu antworten und auf Schongebundensein mit Sichbinden.“ (O. c.:
S. 26)
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III. Das Medium lieben
schaft und der Liebe deutlich wurde, kann Liebe so zur Grundlage eines
sozialen Systems persönlicher Vergemeinschaftung werden, das “alles” um-
fasst, was individuell ist – bis hin zum körperlichen Begehren der Sexuali-
tät und ihrer Kultivierung im lustvollen Verlangen der Erotik.
Luhmann zu Folge wird in der modernen Gesellschaft auf diese Weise
keine Extensivierung der Personalisierung sozialer Beziehungen erreicht,
die man als “Mehr an personalen Beziehungsmöglichkeiten” verstehen
kann. Dafür scheinen eher kybernetische Interaktionsmedien wie das In-
ternet mit Formen wie den Social Media zu taugen. Was mit der Kommu-
nikation im SGKM Liebe erreicht wird, ist eine Intensivierung der sozialen
Geltung individueller Eigenschaften in Form eines Beziehungstyps
der “zwischenmenschlichen Interpenetration” (O. c.: S. 14).
Damit wird andererseits deutlich, warum das SGKM Liebe, abgesehen
von der durch mediale Kommunikation gesteigerten Komplexität dessen,
was es zu verstehen gilt, erst unter den Sinnbedingungen der funktional
differenzierten Gesellschaft zum kommunizierbaren Erwartungsmodus
der Wahl von Intimpartnern werden kann. Das scheint paradoxerweise da-
rin zu liegen, dass in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft
soziale Beziehungen in hohem Maße gar nicht mehr auf der persönlichen
Kenntnis von Interaktionspartnern beruhen müssen, weil man sich entwe-
der an deren Rollen halten kann oder sie über Funktionssystemen und
dann besonders über funktionssystemspezifische Organisationen vermit-
telt werden. Wobei die Vermittlung durch Organisationen bis hin zur ge-
sellschaftlichen Vermittlung und Kontrolle körperlicher Bedürfnisse rei-
chen kann (Luhmann, 1997: S. 382) und die individuellen Körper sich
dann zum Kreuzungspunkt gesellschaftlicher Entscheidungen etwa der
Unterwerfung und der Produktivität entwickeln (Foucault, 1976: S. 37).
“Wie in keiner Gesellschaft zuvor gibt es unwahrscheinliche, kontin-
gente, nicht als Natur interpretierbare Verläßlichkeiten [sic!], die nicht
durch Personenkenntnis gedeckt sein können.“ (Luhmann, 1982:
S. 14).
Und gerade dadurch, durch die Unpersönlichkeit von Interaktionskontak-
ten und -partnern, wird die Selbstverständlichkeit der sozialen Definition
der Person über soziale Gemeinschaften – seien deren Gemeinsamkeiten
familial, religiös, regional, schichtspezifisch oder sonst wie ausbuchstabiert
– schlicht überstrapaziert. Das macht die Herausforderung kenntlich, wie
denn die Personen, die immer alles zu gleich sein und mit allen und allem
Möglichen in Kontakt treten können, sozial noch zu verorten wären.
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III. Das Medium lieben
Da für jede Person anzunehmen ist, dass sie darin den anderen gleicht,
dass die Konstellation ihrer Fähigkeiten sozial zu partizipieren und
ihrer “sozialen Kreise” (Simmel), an denen sie partizipiert, in Bezug zu den
anderen ungleich ist, muss der Schlüssel zur Verortung darin liegen, wie
sich die jeweilige Person selbst positioniert und positionieren kann. Es
wird jetzt also wichtig, sozial nachvollziehen zu können, zu welchem
Weltbezug die jeweilige Person individuell in der Lage sein könnte und
wie sie ihn herzustellen vermag. Mit begriffsgeschichtlichem Tenor vorge-
tragen liest sich das bei Luhmann dann so:
“Für dem Begriff des Individuums heißt dies unter anderem: daß [sic!]
die alte Spezifikationsrichtung: Lebewesen > Mensch > Angehöriger
einer Schicht > Bewohner einer Stadt bzw. eines Landes > Angehöriger
eines Berufs > Angehöriger einer Familie > Individuum, ihren Sinn
verliert und gerade die Individualität, früher das Konkreteste, jetzt das
allgemeinste des Menschen wird. Demzufolge kann auch das, was frü-
her als hochkontingent gelten mußte [sic!], jetzt als notwendig begrif-
fen und durch Weltbezug charakterisiert werden. Andererseits hebt
diese Neufassung, diese Definition des Individuums durch einzigartige
Weltkonstitution, die bis etwa 1800 geltende Auffassung des Individu-
ums als Natur auf.“ (Hervorhebungen im Original, O. c.: Anmerk. 4,
S. 16/17).
Mehr noch, so möchte man hinzufügen, werden auch die quasi natürli-
chen Bedingungen, etwa sexuelle Differenzen und Orientierungen, dann
zur Konstruktion, wenn sie sozial als individuelle Positionierungen oder
zumindest doch als Arrangement der individuellen Selbstdarstellung des
Weltbezugs begreifbar werden – und für die Liebe der Gesellschaft zur Er-
wartungskonstruktion, die es zu erahnen und nach der es zu handeln gilt,
will man den oder die andere lieben.
Das SGKM Liebe stellt den Individuen der modernen Gesellschaft somit
einen Code zur Verfügung, in dem Liebe und Intimität so ausgedrückt
werden können, dass sie sich als kompatibel zu den komplexen Kommuni-
kationsbedingungen der Interpenetration von Individuen in die funktio-
nal differenzierte Gesellschaft erweisen.
Dieser Code fasst Liebe und Intimität als sozial akzeptierten Ausdruck
einer romantischen, auf Gefühlen basierenden, individuellen Wahl dessen,
was man begehrt. Der Liebescode des SGKM überbrückt dabei die Idiosyn-
krasien der Individuen, indem er sie gerade zum Wunsch des Begehrens
der Liebespaare steigert und sie so als ideales Ziel der Liebessehnsucht er-
scheinen lässt.
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III. Das Medium lieben
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– Last Christmas –
Wham!
[Übersetzung UTh.]
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IV. Die Unvernunft lieben
“Schlaflos sitze ich im Bett. Es ist zwei Uhr morgens. Ich google etwas,
das mir fremd ist, mich durcheinanderwirbelt: 'Er ruft nicht an, ob-
wohl...' Nee anders: 'Warum ist er plötzlich so kühl?' Herrje, klingt das
bescheuert, wie eine 13-Jährige, die sich bei Dr. Sommer ausheult. Ich
bin aber Ende 30. Binnen Sekunden schubsen mich diese Sätze in ver-
zweifelte Liebes-Chats, in denen alle Männer 'Schweine' sind. Ich lege
mein Handy weg. Bin doch kein Liebesopfer! Und er ist auch nicht
einer dieser Kerle. Er heißt Matti. Der Mann, in den ich mich kürzlich
verknallt habe und der mich nun maximal verwirrt.“ (Jassner, 2017:
S. 133).
Liebe verwirrt maximal, tut weh, macht blind, macht zum Opfer von Ge-
fühlsexplosionen und raubt den Verstand! Das klingt gefährlich und fühlt
sich vielleicht auch so an. Bei Risiken und Nebenwirkungen helfen Arzt
oder Apotheker allerdings kaum weiter. Vielleicht hilft doch noch Dr.
Sommer, jener “Briefkastenonkel” aus der Jugendzeitschrift Bravo, der Ge-
nerationen von “Liebesopfern” mit Rat zur Seite stand? Vielleicht hilft gar
die Zuflucht zur unabsehbaren Ratgeberliteratur in Sachen Liebe, in der
eine regelrechte Liebes-Sex-und-Partnerschafts-Therapieindustrie bemüht
zu sein scheint, ein letztes Bollwerk der Rationalität gegen die heran bran-
denden Verzweiflungstsunamis der Liebenden zu errichten.
Nur hat Liebe augenscheinlich wenig mit Verstand und Vernunft,
sprich mit Ratio, zu tun. Der Eindruck kollidiert allerdings mit Erwartun-
gen, wonach die moderne Gesellschaft sich durch Rationalität von der tra-
ditionalen Gesellschaft unterscheiden soll (vgl. etwa Weber, 1981: S. 20f.).
Sie hat wohl eher mit dem Gegenteil zu tun. Wir lieben mit der Liebe
der Gesellschaft die Unvernunft; wir kommunizieren den emotionalen
Ausnahmezustand, wenn wir im Liebescode unsere Verliebtheit anzeigen
und alle können es sehen, hören, vielleicht sogar (nach-)fühlen oder sind
gar selbst ganz und gar unvernünftig “verknallt”.
Für die Liebe der Gesellschaft, so wie wir sie uns heute in einer leiden-
schaftlichen, durch Gefühle begründeten und noch dazu romantischen Er-
scheinungsform vorstellen, scheint aber gerade das charakteristisch zu sein.
Es wird als normaler Ausdruck des Verliebtseins erwartet und zeigt so, ne-
ben dem Ausnahmecharakter des Liebens und Geliebtwerdens, auch das
Engagement der Liebenden an. Ein Engagement des Sentiments, das im
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IV. Die Unvernunft lieben
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IV. Die Unvernunft lieben
den Glanz der Nachvollziehbarkeit. Manchmal ist ihr die Allegorie der
Stärke, der rohen Kraft, beigegeben, die sie in Ketten führt wie einen
Hund, der bei Fuß zu laufen hat oder sie triumphiert gar über die Allego-
rie der Religion und des Glaubens.
Ganz anders kommt die Allegorie der Liebe daher. Sie ist zumeist als
nackte Venus dargestellt, mal verschämte, mal hintergründig lächelnde
Verführung zur Lust, die sich aber auch in sich gekehrt zeigen kann – ganz
des Erlebens ihrer Wirkung bewusst. Nicht selten wird sie von Symbolen
der Fülle und der Fruchtbarkeit wie einer Schar kleiner Kinder umlagert,
das alles in frühlingshafter Landschaft, hier schlägt alles aus, hier treibt es
und sprießt – Frühlingserwachen.
Oft ist ihr nicht nur der kleine Amor beigegeben, sondern auch noch
ein sichtlich in Leidenschaft erglühter Kriegsgott Mars. Der aber hat längst
sein Kriegshandwerk vergessen. Er findet sich in der Rolle des Werbenden
wieder, während Amor bereits nach seinem Schwert greift, ohne allerdings
selbst Pfeil und Bogen fallen zu lassen. Die Waffen der Liebe sind nicht die
Waffen des Krieges, hier herrscht nicht das Zepter, sondern die leiden-
schaftliche Berührung glühender Innerlichkeit.
Wie an diesen allegorischen Symbolisierungen der Vernunft und der
Liebe unschwer zu erkennen ist, handelt es sich um ungleiche Schwestern.
Vielleicht kämpfen sie sogar um die Vorherrschaft über das, was man an
Erleben und Handeln in persönlichen Begegnungen erwarten darf. – Wird
hier kalkuliert und nachvollzogen oder wird gefühlt und gehofft? Beides
scheint sich gegenseitig auszuschließen.
Tatsächlich fällt der Code der so unvernünftigen Hingezogenheit und
Ergebenheit an die, die man gar nicht kennt, nicht so einfach vom Him-
mel – jedenfalls nicht gesellschaftlich! Das SGKM der passionierten und
romantischen Liebe, mit seinem Liebescode und der Sozialität der Intimi-
tät von Geschlechtspartnern, hat sich in einem lagen Kampf von Vermu-
tungen, Meinungen, von Versuchen und Irrtümern als eigenständige Ori-
entierung für individuelles Erleben und Handeln herausgebildet.
Die Liebe musste, um ihren Code durchzusetzen, der sich nach Luh-
mann etwa im 18. Jahrhundert an der Unterscheidung von “plai-
sir”/“amour” für die Grenzziehung der Intimbeziehungen orientiert, erst
über die Vernunft siegen (zur Evolution des Codes O. c.: S. 50ff.). Dass sie
gesiegt hat erkennen wir heute daran, dass es uns als ganz selbstverständ-
lich erscheint, dass Liebe nicht vernünftig sein kann. Rationalität ist nur
schwer leidenschaftlich zu lieben und wo dies geschieht, ist die Katastro-
phe nah, wie uns historisch vielleicht der Fall Robespierres vor Augen
führt.
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IV. Die Unvernunft lieben
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IV. Die Unvernunft lieben
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IV. Die Unvernunft lieben
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IV. Die Unvernunft lieben
ihren Liebenden treffen, auf ein weit größeres soziales Netzwerk potenziel-
ler Liebespartner zurückgreifen können, sozial attraktiver erscheinen usw.
als ihr Mitarbeiter mit seiner schichtspezifisch reduzierten Kapitalausstat-
tung. Sie wird sich dennoch der Logik des von ihr erlebten Gefühls der
Hingezogenheit, des Verlangens und Begehrens als Grundlage ihres Erle-
bens von Liebe und ihres Liebeshandelns unterwerfen müssen.
Sie wird sich dieser Logik der Liebe aussetzen müssen, weil es nicht
mehr als normaler Ausdruck des Verliebtseins gilt, die Wahl des Liebes-
partners, der Liebespartnerin aus ihren Kapitalinteressen oder denen ihrer
sozialen Kreise zu begründen, ohne auf eine alte, traditionelle, sprich un-
moderne und deshalb skandalöse Logik der Partnerwahl zurückzufallen.
Die Liebe entwickelt eine sehr spezielle Kontingenz-Logik. Sie erlaubt
es, Abweichung als Norm auszugeben. So kann die Einheit der Differenz,
wie Luhmann sagen würde, die universale Geltung des funktionalen Inklu-
sionsprinzips der Gesellschaft für potentiell alle partikularen Einzelfälle in
plausible und sozial akzeptierte Begründungen für eine individuelle Erleb-
nis- und Handlungspraxis des Liebens und Geliebtwerdens übersetzt wer-
den.
Mit diesen “modernen” Lösungen für kontingente Ordnungen der So-
zialität steht die Liebe nicht allein da – und gerade darin zeigt sich die um-
fassende gesellschaftliche Entwicklungsperspektive. Kontingenz-Logiken,
die paradox argumentieren, wenn sie komplexe Sinnverhältnisse in Orien-
tierungs- und Handlungsmöglichkeiten übersetzen, finden sich auch bei
anderen SGKM. So erzwingt Macht die Durchsetzung von Handlungen,
weil Gewalt vermieden werden soll (Luhmann, 1975: S. 23f.), Geld zahlt
für Besitz, weil man es weggeben kann (Luhmann, 1997: 349f.) und Wahr-
heit gewinnt ihre Geltung aus der Relativierung ihrer Beweise in der Kritik
(O. c.: S. 369, 273f.).
Die Liebe mit ihrer Logik der in sich widersprüchlichen Gefühle und
Handlungen ist demzufolge als legitimes Kind ihrer Zeit, die Regentin un-
serer höchst persönlichen gesellschaftlichen Angelegenheiten. Sie ist des-
halb auch ein legitimes Kind ihrer gesellschaftlichen Strukturbedingungen
und als Liebe der Gesellschaft durch und durch modern. Sich dem Be-
schuss mit Amors Pfeilen auszusetzen, heißt jetzt das Unwägbare, Zufälli-
ge, Deviante, das Entgrenzte als Grund für die Wahl des höchst Eigenen
angeben zu dürfen. Es bedeutet aber auch, sich dem Regiment der Lie-
beslogik unterwerfen zu müssen und fortan im Reich der Paradoxien sein
persönliches Glück zu finden.
Die Liebe hat also, was die eigenlogische Begründung von Intimbezie-
hungen anbelangt, gegen die Vernunft mit ihrem an einer allzu offensicht-
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IV. Die Unvernunft lieben
man als Liebender, als Liebende fühlt und handelt, nicht wenn man re-
flektiert, was Liebe ist und wie man dabei fühlt und handelt. Glaubwürdig
lieben kann man schwerlich, wenn man erkennt, dass die Liebe in sich Wi-
dersprüchliches von einem verlangt, das kaum zu erfüllen ist, weil die Pa-
radoxie uns von jeder Position des Meinens sofort auf die ebenso gültige
Gegenposition verweist. – Kann man das Leiden lieben, wo man doch lei-
det, wenn man liebt?
Hier muss man offenkundig nicht nach dem Gegenteil und seinen Fol-
gen fragen, sondern sich der Unmöglichkeit hingeben. Es gilt das Paradox
aufzulösen, ohne aus dem Zustand des Verliebtseins oder Geliebtwerdens
herauszufallen. Mit der ganz eigenen, eigentlich unaussprechlichen Ver-
nunft der Liebeskommunikation entsteht mithin eine Normalität der Pa-
radoxie und gerade keine Normalität der Widersprüche.
Es geht daher beim Lieben der Unvernunft, wohl weniger darum, dass
man Widersprüche und “Spannungsverhältnisse” aushält, wie z. B. Günter
Burkart meint:
“Auch andere Spannungsverhältnisse und Widersprüche werden der
Liebe zugeschrieben, etwa Zufall vs. Ordnung, Rationalität vs. Irratio-
nalität, Freiheit vs. Zwang oder Egoismus vs. Altruismus.“ (2018: S. 8).
Gerade das scheint uns die Liebe in ihrer eigenartigen Vernunft gar nicht
abzuverlangen. Mit der Normalität der Liebesverwirrung, mit dem Schick-
salhaften im Verlieben und Geliebtwerden, mit der Unerklärlichkeit von
Gefühlen, werden eben jene kontingenten Ordnungen der Sozialisation
des höchst Individuellen möglich, in denen es um die Ordnung des Zu-
falls, die Rationalität der Emotionen, die Freiheit zum Binden oder den
Egoismus der Hingabe gehen kann, ohne dass hier Widersprüche zu erklä-
ren wären.
Wir können die Unvernunft lieben, wenn wir lieben und sie entlastet
uns davon, die Vereinbarkeit von Widersprüchen beweisen zu müssen. –
Und wenn man das von uns verlangen sollte, dann geht es nicht mehr um
das Lieben und Geliebtwerden.
Das schafft vorher nicht dagewesene Möglichkeiten, individuelle Gefüh-
le, Neigungen und Obsessionen als sozialen Normalfall auszugeben, wenn
man den Partner oder die Partnerin als Objekt des eigenen Begehrens und
als Subjekt des eigenen Handelns wählt. Und es verführt dazu, das Ideal
der romantischen Liebe zum Maßstab für das Ausdrücken und die Reali-
sierung höchst persönlicher Erfahrungen und Erwartungen zu machen.
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– I'll Be Waiting –
Lenny Kravitz
[Übersetzung UTh.]
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V. Das Ideal lieben
allem dann, wenn die Liebe dauert – nicht zuletzt deshalb, weil sie Erwar-
tungen einer ewigen Dauer des Überraschenden, Außergewöhnlichen, ja
des Außersichseins weckt.
Sowohl in der Forschung zum sozialen Phänomen Liebe als auch in den
alltäglichen Erfahrung mit der Liebe werden, auch dann, wenn sie erwi-
dert wird und sich zum Lieben auch das Geliebtwerden hinzugesellt, dro-
hende Enttäuschungen oder doch zumindest die anspruchsvollen Voraus-
setzungen sichtbar, die die Liebe den Liebenden abverlangt. In der alltägli-
chen Wirklichkeit der Liebes-Intimität wird nach dem Happy End eben
nicht “abjeblend” – wie es Tucholsky in dem Gedicht “Danach” 1930 for-
mulierte. In dem an die Verliebtheit evtl. anschließenden “Beziehungs-
film” müssen wir schon weiter mitspielen.
Besonders dann, wenn die Liebe zum sozialen System der Liebes-Intimi-
tät wird, scheint sich der “Honigmond” der Liebeserwartungen von Auße-
ralltäglichkeit und Unbedingtheit zu verschleiern. Nur allzu oft deuten die
jetzt auftretenden Erwartungsmuster auf eine wilde Fahrt zwischen der
Skylla des Liebesideals und der Charybdis der realisierten Sozialität der In-
timität hin:
“Man will geliebt und verstanden werden, man will offen miteinander
umgehen, über alles aufrichtig reden und sich dennoch nicht verletz-
ten; man will auch im Sexuellen eine gewisse Freiheit, wünscht sich
aber dennoch nichts sehnlicher als dass der Partner treu sein möge;
man möchte intensiven Anteil am Gefühlsleben des Partners haben
und dennoch sein eigenes Leben führen. Je höher diese Ansprüche
sind, desto schwieriger sind sie zu erfüllen, desto schneller stellt sich
die Enttäuschung über den Partner ein.“ (Burkart, 2018: S. 190)
Wie wir gesehen haben fordert der Liebescode, in dem wir unsere Liebe
ausdrücken müssen, von uns sowohl ein ausgeprägtes Einfühlungsvermö-
gen in das Erleben eines fremden Alter als auch die Anpassung unseres
Verhaltens und Handelns an dieses fremde Erleben. Hier wird das Ablesen
der Wünsche “von den Augen”, d. h. ohne tiefere Fragen und Diskussio-
nen, ebenso als typisches Merkmal eines angemessenen Umgangs zwischen
den Liebenden erwartet, wie die Exklusivität einer gemeinsamen Welt,
die “niemand sonst versteht” und in der fragloser Konsens im Fühlen und
Tun als Grundlage erwartet wird. Das alles sollte dann mit leidenschaftli-
chem Engagement (das so heftig ist, dass es schmerzt) und tiefstem Ver-
ständnis für die geschätzte Einzigartigkeit des Anderen zum Ausdruck ge-
bracht werden.
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V. Das Ideal lieben
bestimmen, wenn z. B. über den Tausch von Leistungen und darüber ge-
sprochen werden muss, wer den Müll runterbringt und wie Geschlechter-
gerechtigkeit herzustellen sei usw.
Im Idealzustand der romantischen Liebe sind die Liebenden davon ent-
hoben. Ihre höchst individuelle Ausdrucksweise zu lieben, darf disparitä-
tisch – ja ungerecht – sein (vgl. Burkart, 1998: S. 36), denn sie kann als
Ausdruck liebenswerter Eigenart und der Besonderheit “unserer Liebe” er-
wartet werden, die ohnehin “nur wir verstehen”. Die um sich selbst krei-
senden Liebenden werden so in die Lage versetzt, Asymmetrien gar nicht
mehr wahrzunehmen oder sogar als Identitätsbestätigung zu handhaben
(vgl. Thagaard, 1997). An die Stelle der Kalkulation von Reziprozitäten tre-
ten jetzt zufällige Gaben (Koppetsch, 1998: S. 115), die als fällige Geschen-
ke interpretiert werden können. Man sieht sich und die exklusive Welt der
Liebesbeziehung durch die romantische Brille und wird durch Romantik,
sprich durch fraglose Akzeptanz, jenseits aller Vernunftgründe, belohnt
und so von rationalistischen Ansprüchen erlöst (Corsten, 1993: S. 66).
Es fällt leicht, diese Idealisierung romantischer Liebeswahrnehmung als
unrealistisch, gar als weltfremd zu kritisieren. Besonders irritierend wirkt
die selbstgenügsame Selbstbezüglichkeit der Liebenden, wenn sie als Ideal-
zustand zur Grundlage dauernder Intimbeziehungen, gar noch einer Ehe
werden soll und nicht nur die individuelle Partnerwahl motiviert.
“Gerade daß [sic!] für die Liebe nur die Liebe zählt, heißt zwar, daß
[sic!] sie eine Welt für sich konstituiert – aber eben auch: für sich eine
Welt. Es geht dabei um mehr als um wechselseitige Anpassung, um
mehr als um wechselseitige Beglückung, die ja an der Erschöpfung der
Bedürfnisse und an Gewöhnung rasch vergehen müßte [sic!]; es geht
um die Konstitution einer Sonderwelt, in der die Liebe sich immer
wieder neu informiert, indem sie das, was etwas für den anderen be-
deutet, ihrer Reproduktion zu Grunde legt.“ (Luhmann, 1982:
S. 177f.)
Als Folge der Unwahrscheinlichkeitssteigerung in der Kommunikation des
SGKM Liebe erscheint sie jedoch unausweichlich und gerade nicht als un-
realistische Übertreibung (jedenfalls nicht vorher oder in der Phase der
Verliebtheit), sondern als Ausdruck der ungewöhnlich inspirierenden
Möglichkeiten zu lieben und geliebt zu werden, ja vielleicht sogar weiter
zu lieben und geliebt zu werden.
Wir hatten darauf bereits unter dem Stichwort des “Versprechens” der
Liebe Bezug genommen. Die Liebe verspricht dem Individuum vollständig
als das, was es als Individuum sein sollte, nämlich eine unteilbare Einheit,
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V. Das Ideal lieben
Einbezug des Individuums, wie es eben ist, zu erwarten, wenn nicht durch
die romantische Liebe?
Die romantische Liebe radikalisiert im Rahmen ihrer harmlos und häu-
fig trivial erscheinenden Liebeskonstellationen der kleinen Ausnahmewel-
ten intimer Liebesbeziehungen die Möglichkeiten, individuelle Gefühle,
Körper, Meinungen und Wünsche in die Gesellschaft einzubeziehen. Sie
radikalisiert die Interpenetration, die hier nicht über die Rolle, Profession
oder den Fallcharakter der Individuen verläuft. Sie radikalisiert Interpene-
tration mit allen Konsequenzen, die ein gesellschaftliches Kopieren und
Vergrößern des Einzelfalls, und sei es als exemplarisches Liebespaar im
Film, im Roman oder als Vernetzung individueller Liebesinteraktionen in
den Beziehungsnetzen der Likes und Dislikes im Internet, für die sozial ge-
teilten Vorstellungen darüber haben kann, was als Individualität “geht”.
Mag man “Interpenetration” hierbei auch nicht als “vollständige Durch-
dringung” individueller und gesellschaftlicher Orientierungs- und Hand-
lungsperspektiven verstehen, sondern “nur” von deren “Verschränkung”
ausgehen, so hat die zunehmende Konturierung von Individualität doch
Konsequenzen sowohl in Hinblick auf die Irritation der gesellschaftlichen
als auch der individuellen Fassung von Individualität. Es überrascht des-
halb nicht, dass die Soziologie diese Irritation mit Sinn für Dramatik
zur “Individualisierungsthese” steigert (siehe Beck, 1983) oder dass das
Verständnis von moderner Individualität als erwünschte und “gepflegte”
Einzigartigkeit selbst als romantisch erscheint (Eberlein, 2000).
Auf eine sehr unmittelbare Weise dringt mit der Liebe als gesellschaft-
lich etabliertem SGKM die individuelle Liebeskommunikation, als Soziali-
tät der Intimität codiert und im Ideal der romantischen Liebe plausibili-
siert, Individuelles ebenso in die Gesellschaft ein und wird zur sinnhaften
Unterscheidungskategorie, wie Gesellschaftliches in die Individualität ein-
dringt.
Die in Liebesbeziehungen als selbstverständlich erwarteten individuel-
len Ausnahmen können zur regelhaften Grundlage sozial kontingenter Ord-
nung werden. Aber nicht nur das. Individuell gezeigte Praktiken der Liebe,
aber vor allem individuelle Erwartungen, werden als emotionale und trieb-
hafte Wünsche und Ansprüche der Liebenden zu einem gesellschaftlichen
Tatbestand, der die kollektiven Diskurse und Narrative, etwa der Subjekti-
vität, irritiert. Was gehört wohin, wodurch ist das Subjekt als Individuum
definiert, was hebt sich in Intim-Beziehung auf, was wird zur definitori-
schen Kraft, sind nur einige Fragen, die sich jetzt in den Kontexten der ge-
sellschaftlichen Definition des Individuellen außerhalb und innerhalb der
Gesellschaft stellen – und besonders dort, wo das vorher Ausgeblendete,
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V. Das Ideal lieben
wie etwa die Subjektivität von (liebenden und geliebten) Frauen gesell-
schaftlich sichtbar wird (vgl. Rosenhaft, 1993: S. 19ff.).
Individuell hat man allerdings für die geäußerten und entäußerten Vor-
lieben, Eigenarten, Obsessionen und Praktiken dann, wenn man liebt und
gar in eine Intim-Beziehung eintritt, den Preis der Vergesellschaftung zu
zahlen. So kann das Liebesgegenüber Ansprüche des “Wir” formulieren,
die durch die Normalität des Unwahrscheinlichen der romantische Liebe
gedeckt sind. Der oder die andere kann Einfühlung, gar grundlegenden
Konsens fordern und sogar unausgesprochen voraussetzen, wenn geliebt
werden soll.
Wie selbstverständlich etwa der Anspruch auf fraglosen Konsens für die
Liebenden gilt, zeigen die Untersuchungen zum Konsens in jungen Ehen,
wobei Konsens als Generalisierung von Erwartungsübereinstimmung zu-
gleich selbst als Idealtypus erscheint.
Nach Alois Hahn weisen Intimbeziehungen aufgrund ihrer unsicheren
und institutionell kaum abzusichernden Erwartungssituation einen hohen
Vertrauensbedarf auf (1983: S. 214). Dieser kann aber nicht als Systemver-
trauen realisiert werden – anscheinend auch nicht als Vertrauen in die In-
stitution Ehe mit ihren rechtlich garantierten Rahmenbedingungen gegen-
seitiger Solidaritätspflichten (siehe z. B. Tyrell, 1988). Aufgrund der emo-
tionalen Grundlage von Ehen, die auf romantischen Kriterien der Partner-
wahl basieren, ist hier persönliches Vertrauen erforderlich, das sich am
idealen Erwartungshorizont fragloser Übereinstimmung der Liebespartner
orientiert, besonders in Bezug auf intime oder persönliche Meinungen
und Haltungen etwa zur Sexualität und Kindererziehung (Hahn, 1983:
S. 216).
Dass diese idealisierte Vertrauenserwartung kaum etwas mit den realen
Übereinstimmungen der Meinungen und Haltungen bei den liebenden
Ehepartnern zu tun hat, fällt allerdings nicht auf – oder besser gesagt: es
sollte nicht auffallen, wenn Konsens als Ausdruck einer normalen Liebes-
beziehung verstanden wird. Gerade weil hier Individuen mit höchst eige-
nen biographischen Erfahrungen, Wünschen, Fähigkeiten und Bedürfnis-
sen aufeinander treffen, ist die tatsächliche Übereinstimmung in den inti-
men Bereichen bei den Paaren am Anfang ihrer Beziehungen tatsächlich
nur bei 50 % der Paare gegeben, 25 % weisen sogar deutlich konträre Mei-
nungen auf (a.a.O.: S. 220). Im Laufe der Beziehungen wächst der Kon-
sens, aber anscheinend nicht durch Liebe, sondern durch Praxis und Ge-
wöhnung – oder sollte man sagen, durch zunehmende Ähnlichkeit der
Partner?
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V. Das Ideal lieben
punkten von Angebot und Nachfrage als “Markt” beschreiben. Die Tatsa-
che, dass man nicht alle gleichzeitig lieben oder von allen gleichzeitig ge-
liebt werden kann, also eine Auswahl von Liebeschancen stattfinden muss,
deckt sich als Begründung der Hingezogenheit jedoch nur schwer mit den
Erwartungen der Innerlichkeit, wie sie die Liebeskommunikation vermit-
telt.
Wer seiner Geliebten oder seinem Geliebten verrät, dass man sie oder
ihn deshalb liebe, weil das zum eigenen Vorteil gereicht und sich für die
Kalkulation eigener Optionen “rechnet”, der wird sich fragen lassen müs-
sen, wofür dann noch die Liebe bei der Partnerwahl gebraucht wird. Man
könnte sich doch so viel besser auf die Taxierungen der sozialen Status-
wahl verlassen, wie sie standesbewusste Eltern beherrschen, die nach “der
guten Partie” für ihre Kinder suchen. Oder man könnte von der Kapitali-
sierung aller Lebensverhältnisse ausgehen und den Liebespartner oder die
-partnerin für Ihre Zuwendung und Liebeserweise bezahlen, um deren
Leistungsbereitschaft und die Qualität ihrer Leistungen zu garantieren.
Ähnlich verhält es sich mit der Machtperspektive. Liebesbeziehungen
mögen von der Ressourcenausstattung der Liebenden, ihren individuellen
Fähigkeiten, Gefühle zu entwickeln und auszudrücken oder sich in diese
einzufühlen und von der Lust am Dominieren her sehr asymmetrisch sein.
Wenn die Asymmetrie dazu führt, dass das Dominieren nicht als Lust er-
lebt, sondern offensichtlich als Vermeidungsalternative angedroht wird,
um das Handeln des einen durch das Handeln des anderen festzulegen,
dann spielen Gefühle der Hingezogenheit und Einfühlung in das Erleben
des anderen als Orientierung des eigenen Handelns keine Rolle mehr. –
Man muss dann auch die Idiosynkrasien der anderen nicht mehr schätzen,
allenfalls fürchten.
Schließlich gibt die scheinbare Entrücktheit individueller Intimbezie-
hungen der romantischen Liebe Anlass zur Kritik, dass sich die Idealisie-
rung von Beziehungen, die auf der irrationalen Faszination an individuel-
len Ausnahmen beruhen, überlebt hat. Stattdessen scheint eine Ära der
realistischen, partnerschaftlichen Liebe anzubrechen (vgl. Giddens, 1993).
Die Liebenden begegnen sich hier als Vertragspartner, die permanent be-
müht sind, Gleichberechtigungs-, Sorge- und Versorgungsforderungen aus-
zuhandeln und so auszugleichen. Die Liebe nimmt den Charakter einer
endlosen Tarifverhandlung an, Kündigung (vgl. Schneider, 2009: S. 678)
und Streiks mit eingeschlossen.
Vielleicht kann man dies als Versuch werten, die Liebe an die Rationali-
tätserwartungen der modernen Gesellschaft anzuschließen (ähnlich Leu-
pold, 1983: S. 322) und dabei zu einer “Verwissenschaftlichung” der Liebe
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V. Das Ideal lieben
zu kommen (Illouz, 2011: S. 293ff.). Statt der Unvernunft ist fortan die
Vernunft zu lieben, wenn etwa die rationalisierte Partnerschafts-Liebe als
realistisches, gar aufklärerisches Projekt ausgegeben wird, wie es etwa Jane
Austin mit der Figur des rationalen Liebhabers in ihren Romanen vor-
macht (Evans, 1998: S. 266). Eine solche vernünftige Liebe soll davor
schützen, in die Ungleichheitsfallen romantischer Liebesverwirrung zu
tappen. Die partnerschaftliche Liebe ist demzufolge kein Spaß, sondern
nimmt den Charakter ernsthafter Arbeit, ja harter Verhandlungen an (Bur-
kart, 2000: S. 186ff.).
Diese Perspektive der Liebenden als soziale Vertragsparteien tritt jedoch
zum einen sehr milieugebunden in Erscheinung (vgl. Koppetsch, Burkart,
1999) und wird zum anderen mehr behauptet, als in der Praxis der Liebes-
beziehungen eingelöst – was von den Paaren auch illusionslos registriert
wird (vgl. Cornelißen, Barthmann, 2013). Die Transformation von Liebes-
in rationalisierte Aushandlungsbeziehungen wird anscheinend deshalb er-
schwert, weil die individuellen Positionen der Vertragsparteien nicht zur
Unparteilichkeit der vollständigen Annahme des geliebten anderen passen.
Zudem enttäuscht die Artikulation von konfligierenden Positionen die Er-
wartung bereits im Ansatz, das Erleben des jeweils anderen in der Liebe zu
fühlen und nicht erst explizit zu diskutieren.
Infolge seiner übersteigerten Erwartungen von ewiger Übereinstim-
mung und emotionaler Hingezogenheit bei der Vergemeinschaftung indi-
vidueller Gefühle und Begierden zieht ein Ideal wie die romantische Liebe
zweifellos Kritik auf sich, die sich dann auch als Ideologiekritik der Liebe
formulieren lässt (vgl. Evans, 1998: S. 273f.). Ob es dabei aber realistisch
ist, die idealen Erwartungen der romantischen Liebe gegen Idealvorstel-
lungen von Liebespartnern auszutauschen, die ihre Gemeinsamkeiten in
einem Gerechtigkeitsdiskurs finden und sich in ihren Aushandlungen vom
Individuum an sich zum Subjekt für sich entwickeln, bleibt dahingestellt.
So hebt etwa Burkart mit Blick auf die Besonderheiten der sozialen Inklu-
sion von Emotionen und Leiblichkeit in der Praxis von Liebes-Beziehun-
gen hervor:
“Wenn wir die Liebe als Praxis verstehen, d. h. als Beziehungsform, die
leiblich-emotional verankert ist und daher leibliche Kommunikation
stärker betont als diskursive Verständigungsformen, dann verstehen
wir vielleicht besser, warum die Liebe eher resistent ist gegenüber
Überformungen durch Diskursrationalität und Gleichheitsrhetorik.
Als Praxis in diesem Sinne kann die Liebe eine starke Bindungskraft
erzeugen, weil sie im geschützten Raum der Intimität Leidenschaft
und Hingabe zulässt und öffentlich debattierte Ansprüche an Partner-
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V. Das Ideal lieben
des Begehrens. Damit werden die Paradoxien der Liebe in allen Sinndi-
mensionen zur Grundlage romantischer Beziehungen. Sie sind zugleich
Ausdruck für die Eindringtiefe des SGKM Liebe in die Normalität der ro-
mantischen Beziehungskommunikation, die auf diese Weise gar nicht
mehr als Ideal oder Illusion erscheint, sondern als Selbstverständlichkeit.
“Wenn schließlich die Autonomie von Intimbeziehungen durchge-
setzt und zur Reflexion gebracht ist, genügt für die Begründung die
(unerklärliche) Tatsache, daß [sic!] man liebt. Als selbstreferentieller
Kommunikationszusammenhang rechtfertigt die Liebe sich selbst.“
(Hervorhebung im Original, O. c.: S. 51/52)
Bei einer Liebesbeziehung können wir daher in der sozialen Sinndimensi-
on als normal erwarten, uns selbst im anderen zu finden. Wir gehen in der
Sachdimension vom Konsens der Verschiedenheit aus und wir erwarten die
Dauer des Vergänglichen als normales Versprechen in der Zeitdimension der
Liebeskommunikation.
Mit großer Selbstverständlichkeit suchen wir die Bestätigung dieser
überhöhten und im Grunde unrealistischen Erwartungen als Anzeichen
einer “gelungenen” Liebe. Und genau das macht uns in unserem Erleben
und Tun zum Teil des selbstverständlichen Ideals, das wir mit der Liebe
der Gesellschaft lieben.
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– Jupiterteilchen –
Jetzt ist sie wieder zurück in der Atmosphäre, Teilchen vom Jupiter in ihren
Haaren, hey
Sie benimmt sich wie der Sommer und kommt daher wie der Regen
Erinnert mich daran, dass es eine Zeit gibt, sich zu ändern, hey
Seit ihrer Rückkehr vom Mond lauscht sie wie der Frühling und redet wie der
Juni, hey, hey
(...)
Train
[Übersetzung Udo Thiedeke]
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VI. Das Kapital lieben
Heute scheint es nahe zu liegen, die soziale Welt vorrangig als kapitalisti-
schen Zusammenhang zu deuten und also anzunehmen, dass Kapitalien
alle sinnhaften Unterscheidungen bestimmen bzw. diese sich als Tauschak-
te von Kapitalien beschreiben ließen.
Die Soziologie ist davon nicht ausgenommen. Man hat allerdings den
Eindruck, dass sich die Soziologie dann, wenn sie so argumentiert, die
Sichtweise der Wirtschaft zu eigen macht. Danach konstituiert sich Gesell-
schaft als Markt, in dem soziale Beziehungen wirtschaftliche, nach Knapp-
heiten kalkulierte, Tauschbeziehungen darstellen. Alles kann so als Kapi-
talressource auf einem Kapitalmarkt behandelt werden: Die Familienzuge-
hörigkeit, die Machtpolitik, der religiöse Glaube, der Kunstgeschmack, die
Arbeits- und Produktionsbeziehungen sowieso, die Identität sozialer Grup-
pen und Milieus, der Krieg und der Frieden, warum also nicht auch die
Liebe – ja, sogar die romantische Liebe?!
Unter dieser Beobachtungsperspektive scheint es ganz selbstverständlich
zu sein, dass man mit der Liebe der Gesellschaft immer auch das Kapital
liebt, wie auch Burkart mit leicht resigniertem Unterton feststellt:
“Aber vielleicht muss die Liebe, wenn sie ihre Bedeutung als Basis von
Paarbeziehungen nicht verlieren will, unter kapitalistischen Bedingun-
gen einen gewissen Grad an Ökonomisierung in Kauf nehmen.“ (2018:
S. 301).
Nicht nur das! Die romantische Liebe fällt angeblich dem wilden, deregu-
lierten Kapitalismus anheim, der als neoliberale Entgrenzung von Waren-
und Dienstleistungsmärkten daherkommt. Liebe und die Sexualität als
Motor des Begehrens geraten durch den neoliberalen Kapitalismus an-
scheinend in den Sog einer völlig entgrenzten Kapitalisierung, die schließ-
lich sogar zur “neosexuellen” Sexualität führt (vgl. Sigusch, 1998). Intime
Kontakte, das Begehren, die liebende Hingabe, alles soll jetzt warenförmig
und auf einem Partnerschaftsmarkt getauscht werden, auf dem alle um die
Gunst aller konkurrieren (vgl. Illouz, 2003: S. 27ff.). Es bleibt den Lieben-
den also gar nichts anderes übrig, wenn sie individuell lieben wollen, als in
die Kommerzialisierung der Liebe einzuwilligen, denn: “(...) die kommer-
zialisierte Sprache der individuellen Selbstverwirklichung [ist] im Augen-
blick die einzige, die wir gut genug verstehen, um unsere Beziehungen
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VI. Das Kapital lieben
Bei näherer Betrachtung ist Liebe in Hinblick auf ihre soziale Formbil-
dung, die in der Exklusivität der Liebesbeziehung viel ausschließt, wenn
sie einschließt, kaum weniger asymmetrisch gebaut. Amors Geister schei-
den sich an der so schmerzlichen Grenze zwischen lieben und nicht lie-
ben. Allerdings ist das Potential, Ausschließlichkeit als Grenze von Soziali-
tät zu markieren, im Vergleich zu Geld oder Macht bei der Liebe weit stär-
ker verdeckt.
Anstatt an strukturellen, sprich gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,
wie sie etwa die Geldwirtschaft oder die politische Herrschaft kennzeich-
nen und anstatt an einer Zuspitzung ihrer Unwahrscheinlichkeiten auf
Quantifizierbares, wie Summen beim Geld oder Ressourcen bei der
Macht, orientiert sich die Form der Liebes-Intimität an individuellen Dis-
positionen und Gefühlen. Für die Liebe ist eben kein Zentralbankrat und
keine Wahlkommission zuständig, wohl aber individuell empfundene Nei-
gungen, Stimmungen und vor allem Leidenschaften.
Genau hier, auf der Ebene der Begegnungen von Alter und Ego, postu-
liert die romantische Liebe die Geltung der Gleichheit, Erlebende und
Handelnde zu sein. Die Positionen wechseln, wenn geliebt und widerge-
liebt wird. Die Lust am Liebesleiden betrifft jedoch beide Liebenden, ja sie
wird von beiden gesucht. Beide sind lustvolle Opfer amouröser Zufälle –
und können es nicht lassen, sich deren Unausweichlichkeit zu versichern.
Von beiden wird die Hingabe an das Erleben des anderen im Ausdruck des
Liebeshandelns erwartet. Was die Liebe symbolisch auf die Spitze treibt,
das ist die Symmetrie der Asymmetrien individueller Unwahrscheinlich-
keiten des Erlebens und Handelns.
Liebe scheint einzig von der Empfindungsfähigkeit der Liebenswilligen
und vom Zufall des richtigen Moments, also von individuell kontingenten
Faktoren abzuhängen. Anders kann die Richtige oder der Richtige nicht
gefunden werden. Diese Faktoren können aber, um die Unwahrscheinlich-
keitssteigerungen des Mediums zu plausibilisieren, nur individuell und
nicht aus sozialen Strukturen oder dem Besitz von Ressourcen abgeleitet
werden (O. c.: S. 28f.). Das muss man gerade soziologisch im Blick behal-
ten, wenn man Liebe als Code einer Kommunikation begreift, die indivi-
duelles Erleben und Handeln als Intimität vermittelt, die sich selbst aus
der persönlichen Individualität der Beteiligten aktualisiert.
Die Liebe und die Liebenden sind damit allerdings nicht als sozial oder
gesellschaftlich “entkoppelt” zu denken. Dass man sich die Liebe individu-
ell vermittelt bedeutet nicht, dass die soziale Umwelt der Liebenden, die
Freunde und Freundinnen, die Familienangehörigen und die gesellschaft-
liche Kommunikation der Liebesnormen, die in den Normalitätserwartun-
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VI. Das Kapital lieben
2003: S. 61ff.). Als Mechanismus dazu wird das Entstehen von Massen-
märkten benannt (O. c.: S. 28f.), wie sie mit dem modernen Kapitalismus
im 19. und 20. Jhr. zunächst in Europa und den USA entstehen. Hier wer-
den die Accessoires und Dienstleistungen, die man zum Lieben benötigt,
als Freizeitgüter für ein Massenpublikum angeboten.
Die Absatzwerbung hilft dann dabei nicht mehr nur die, die keinen Ge-
schmack haben, mit Geschmack (Luhmann, 1996: S. 89), sondern auch
die, die ihre Gefühle noch nicht auszudrücken wissen, mit Romantik zu
versorgen. Die Produkte der Kulturindustrie, die das besorgen, werden
nach Illouz auf diese Weise selbst romantisiert. – Sie werden mit einer “ro-
mantischen Aura” aufgeladen, die einen Verblendungszusammenhang ent-
stehen lässt, in dem die ökonomischen Warenangebote und Werbeverspre-
chen im romantischen Schein verschwinden (2003: S. 43f.).
Was aber ist mit “Überschneidung” gemeint? Nur weil die Werbung für
den Absatz der Produkte und Dienstleistungen mit Attraktivität argumen-
tiert und romantische Chiffren für das emotionale Etikettieren von Kon-
sumgütern und Dienstleistungen nutzt, nur weil sie behauptet, man könne
Liebesglück kaufen, und nur weil entsprechende Konsumgüter als Lie-
beserweise an den Stichtagen romantisierten Konsums wie dem Valentins-
tag gekauft werden, heißt das noch lange nicht, dass die Ware die Liebe ist.
Fraglich bleibt, ob der ökonomische Konsum die Funktion übernehmen
kann, das Erleben der Geliebten oder des Geliebten zu fühlen und han-
delnd auszudrücken, auch wenn er ein messbares Signal für die Motivati-
on sein mag, sich genau damit zu beschäftigen.
Zwar wirken z. B. die Werbeversprechen des Kapitalismus (oder sollte
man besser von “Konsumismus” sprechen?) “Kaufe Produkte oder Dienst-
leistungen, um dein Glück zu erleben” zunächst eindrucksvoll. Sie erschei-
nen wie die Glücksversprechen der romantischen Liebe. Noch dazu sind
sie auch auf Individuen abgebildet und werden von der Werbung in ihren
Darstellungen quasi “vorab” plakativ simuliert.
Allerdings bleibt fraglich, ob die Kommunikation im SGKM Liebe und
seinem Code der romantischen Liebe weiterhin funktionieren würde,
wenn deutlich wäre, dass man das Glück kaufen muss. Wenn das romanti-
sche Glücksversprechen damit gleichzusetzen wäre, dann wären etwa die
Versprechungen der Prostitution mit sexuellen Dienstleistungen “Liebe zu
kaufen” (vgl. Benkel, 2018: S. 249ff.) für bare Münze zu nehmen. Die
Dienstleistung wäre mit dem Glückserleben gleichzusetzen, sozial akzep-
tiert und gewünscht zu sein. Stattdessen wird bei der Bewirtschaftung der
Sexualität der Liebe gegen Geld vorrangig eine Dienstleistung für alle ge-
liefert, die zahlen können, egal ob sie fühlen oder nicht.
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VI. Das Kapital lieben
Wie würde man es wohl bewerten, wenn die Geliebte oder der Geliebte
betont: “Ich liebe Dich, weil ich mit diesem teuren Geschenk endlich mei-
ne Liebe zu Dir ausdrücken kann!“. Dabei dürfen Accessoires, mit denen
die Liebe erwiesen werden soll, durchaus gekauft sein und sie dürfen etwas
kosten, um mit dem Liebesgeschenk zu zeigen: Du bist mir etwas wert.
Was aber nützen die teuersten, am raffiniertesten mit romantischer Sym-
bolik aufgeladenen Präsente, wenn keine Bereitschaft (mehr) besteht, das
Erleben des anderen zum Maßstab des auf ihn bezogenen Handelns wer-
den zu lassen und das in den eigenen Affekten auszudrücken?
Wäre es so einfach, dass der Konsum romantisierter Güter und Dienst-
leistungen die Liebe substituiert und dass wir uns mit ihrem Konsum Lie-
be gleichsam erkaufen, dann würde die emotionale Selektivität der indivi-
duellen Partnerwahl in sich zusammenbrechen. Dann könnten wir jede
und jeden lieben, den wir uns kaufen können und warum sollte man dann
nicht gleich die Waren und Dienstleistungen selbst lieben?
Das mag vielleicht Objektophile, Unternehmerinnen und Unternehmer
und Anhängerinnen und Anhänger der “kritischen” Theorie begeistern.
Nur wie ist es dann mit dem Erleben der Waren und Dienstleistungen be-
stellt, die in einer romantischen Liebesbeziehung fraglos vom Liebenden
erfühlt und erhandelt werden müssten?
Die Absurdität macht die Selektivität des SGKM Liebe deutlich – oder
anders gesagt: Wer im Konsum die volle Bestätigung seiner Individualität
findet, der oder die braucht sich nicht mehr auf das süße Leiden der Liebe
einzulassen. Er oder sie lässt sich auf etwas ganz anderes ein, denn die
Kommunikation im Medium Geld macht deutlich, dass es bei allen und
allem um Preise und Bezahlen geht.
“Das Medium läßt [sic!] sich daraufhin nach Maßgabe der Preise, die
bei Transaktionen zu zahlen sind, zu jeweils bestimmten Formen kop-
peln. Dabei ist zu beachten, daß [sic!] Transaktionen auf beiden Seiten
monetär kalkuliert werden auch wenn es um Tausch von Gütern ge-
gen Geld geht.“ (Hervorhebung im Original, Luhmann, 1997: S. 350)
So liebt man bei aller individuellen Emotionalisierung auch im Kapitalis-
mus nicht das Geld, weil es einen nicht widerliebt, und “alle Menschen”
müssen in der funktional differenzierten Gesellschaft nicht nur freien Zu-
gang zu Markt und Konsum, also zur Wirtschaft, haben, sondern zu allen
Funktionssystemen. Insofern würde, wenn die These von der überlagern-
den Romantisierung zutrifft, nicht nur der Kapitalismus durch den freien
Zugang der Individuen (mit ihren Gefühlen), sondern dadurch ebenso die
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VI. Das Kapital lieben
Politik, das Recht, die Kunst, die Wissenschaft, die Religion usw. emotio-
nalisiert werden.
Wenn Liebe einen sozialen Inklusionsmodus individuell abweichender
Gefühle, Neigungen und Idiosynkrasien neben anderen Möglichkeiten des
gesellschaftlichen Einbezugs, etwa eine an Kapitalien orientierte Bewer-
tung individuellen Vermögens, verfügbar macht, dann greift die soziologi-
sche Erklärung der Liebe der Gesellschaft als kapitalisierte Liebe zu kurz.
Das ist auch dann der Fall, wenn kapitalistische Rahmenbedingungen das
Kennenlernen potenzieller Liebespartner oder die Realisierungsbedingun-
gen von Liebes-Beziehungen beeinflussen. Insofern erscheint der Befund,
Liebe sei ein Produkt von Klassenstrukturen, die Ungleichheit produzie-
ren, überpointiert.
Der Befund formuliert das Problem allerdings mehr als “griffig”. So soll
etwa nach Bourdieu die Partnerwahl vom klassenspezifischen Habitus der
Liebenden abhängen, also von der Verhaltensverinnerlichung ökonomi-
scher, sozialer, kultureller und symbolischer Kapitalausstattungen. Mit der
ökonomisch konsumierbaren Romantik würden dann auch Ungleichhei-
ten konsumiert oder im Konsum bestätigt (vgl. Illouz, 2003: S. 38ff.).
Wie kann aber die Bestätigung von Ungleichheiten zum Code der Lie-
beskommunikation passen, der die Überwindung stratifizierender Un-
gleichheitsfaktoren behauptet? Vielleicht dadurch, so lautet die Antwort
der Ungleichheitskritik, dass man die Liebe gleichzeitig als Versprechen
des sozialen Aufstiegs versteht:
“Diese Alchemie der [romantischen, Anm. UTh.] Liebe ist jedoch in
erster Linie sozial, denn sie ist Ausdruck der Hoffnung, dass sich un-
günstige Umstände in edle verwandeln lassen und dass Liebe Men-
schen vereinen kann, die sonst durch Barrieren der Klasse, der Natio-
nalität und der Herkunft getrennt sind.“ (Illouz, 2003: S. 229).
Fast scheint es, als sei hier wieder von der “guten Partie” die Rede, mit der
sich bei einer geschickt arrangierten Ehe eine bessere Kapitalausstattung
und damit sozialer Aufstieg erreichen lässt. – Das wäre dann aber gerade
jene Form der Partnerwahl, die Liebe durch eine Entkopplung ihrer eige-
nen Plausibilität vom geplanten Arrangement zu überwinden verspricht
(Luhmann, 1982: S. 166). Ist Liebe also vorrangig als Mittel des sozialen
Aufstiegs oder gar der Völker- und Menschenverständigung über soziale
Barrieren hinweg zu verstehen? Wird deshalb geliebt?
Wird die romantische Liebe so verstanden, dann erscheint sie als morali-
sches Versprechen, die Ungerechtigkeiten ungleich verteilter Handlungschan-
cen zu beseitigen. Die “romantische Kompetenz”, also die Fähigkeit, die
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VI. Das Kapital lieben
Liebe der Gesellschaft zu lieben, lässt sich so als Kompetenz deuteten, „(...)
die sich durch Zugang zu sprachlichen, kulturellen, ökonomischen und
zeitlichen Ressourcen auszeichnet.“ (Hervorhebungen, UTh.; Illouz, 2003:
S. 231).
Angesichts der weiter bestehenden individuellen Ungleichheiten impli-
ziert das aber, dass man kritisch “erkennen” kann, dass Liebe als “Mytholo-
gie der Klassenlosigkeit” (Illouz) nicht vom “Elend der Welt” (Bourdieu)
erlöst, weil sie diesen Gerechtigkeitsanspruch der Überwindung von Klas-
senschranken nicht einlösen kann. Wie sollte sie auch? Die romantische
Liebe verspricht doch nicht Gerechtigkeit und noch weniger Erlösung,
sondern nur Begehrtsein und ewige Leidenschaft.
Tatsächlich wirkt romantische Liebe viel grundsätzlicher, nämlich als
Interpenetrationsmechanismus jeder individuellen Abweichung, weil sie
verspricht, dass Abweichungen nicht verbessert, sondern geliebt werden –
gerade gegen die moralischen und Verstandeskontrollen der anderen (vgl.
Luhmann, 1982: S. 138).
Mit der Liebe ist die Möglichkeit zur Inklusion in eine Sozialität affektu-
ellen Begehrens und affektueller Hingabe gegeben, egal, ob dabei eine in-
dividuell abweichende Ausstattung mit Kapitalien, Habitusformen, sexuel-
len Orientierungen, biographischen Prägungen oder von ethnisch, kultu-
rell sowie medial abweichende Erfahrungen, Konsumgewohnheiten, ästhe-
tische Interessen, Bildungsniveaus, religiöse Orientierungen und so weiter
vorliegt.
Es stellt sich also zum Ende die Frage, was die soziologische Beobach-
tung einer Kapitalisierung der Liebe eigentlich im Blick hat? Setzt sie tat-
sächlich an der Unwahrscheinlichkeitssteigerung des SGKM Liebe an?
Wird die Ökonomisierung der romantischen Liebe etwa darin realisiert,
dass Liebesfähigkeit als günstiger Einkauf von Aufmerksamkeit verstanden
wird oder betrifft die Notwendigkeit zur Kalkulation nicht eher die He-
rausforderung, angesichts endlicher Ressourcen von Zeit, Geld und Aner-
kennung, den Beziehungsalltag miteinander zu ordnen?
So fällt auf, dass sich die Kritik der kapitalisierten Liebe häufig auf Paar-
beziehungen und Ehen konzentriert. Bei genauerem Hinsehen überrascht
das auch nicht. Paarbeziehungen, besonders Ehen, waren immer auch öko-
nomisiert – besonders dort, wo es um sozioökonomische Absicherung
ging oder gehen musste (siehe ein aktuelles Beispiel aus dem ländlichen
Pakistan, Zaman, Wohlrab-Sar, 2010: S. 155ff.).
“Utilitaristische Erwägungen – was bringt es mir, was nützt es mir? –
werden auch für die Privatsphäre [unter Bedingungen des modernen
Kapitalismus; Anm. UTh.] plausibler. Der Angriffspunkt der Ökono-
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VI. Das Kapital lieben
misierung ist dabei jedoch nicht in erster Linie die Liebe, sondern das
Partnerschaftsmodell, die am Vertragsdenken und der Vertragsgerech-
tigkeit orientierte Beziehung.“ (Burkhart, 2018: S. 313).
Diese Art der Ökonomisierung beginnt sogar noch vor den Verträgen. Sie
beginnt mit der Abwägung der wirtschaftlichen Potenz potenzieller Part-
ner – häufig noch unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive, die sich
auf die Versorgungspotenz der Männer und die Reproduktionspotenz der
Frauen bezieht (vgl. etwa Krüger, Born, 2000: S. 203ff.). Sie setzt sich in
der Kalkulation sozialer Aufstiegsmöglichkeiten und den Überlegungen
zur Sicherung dynastischer Linien fort und findet ihren alltäglich Aus-
druck in der Frage, wer der beiden Partner das höhere Einkommen hat
und welcher Lebensstandard mit einem bestimmten Partner zu realisieren
ist.
All diese Abschätzungen bezogen und beziehen sich aber auf Fragen der
Produktion und Reproduktion gemeinsamer Lebensverhältnisse, von
Nachwuchs oder von verwandtschaftlichen Netzwerken, die soziales Kapi-
tal vermehren (vgl. Lenz, 2009: S. 284f.). Das Taxieren von Attraktivitäts-
merkmalen und die Entwicklung einer Infrastruktur der Partnerschaft
taugt hingegen selbst nur schlecht als Argument für die romantische Lie-
be, verstanden als Modus der Wahl von Geschlechtspartnern.
Auch genügt es nicht als Beleg für die Kapitalisierung der Liebe festzu-
stellen, dass sich die Liebenden als Partner auf einem Partnerschaftsmarkt
begegnen – also sich in jener Öffentlichkeit bewegen, in der sich die Wirt-
schaft in der Gesellschaft selbst beobachtet (Luhmann, 1988: S. 107).
Wäre das der Fall, dann ginge es unter Bedingungen des modernen Ka-
pitalismus somit um eine in Geld quantifizierte Berechnung der individu-
ell einzusetzenden Mittel (Kosten) sowie der nach Abzug der Kosten ein-
zunehmenden Erträge (Gewinne). Im wahrsten Sinne ginge es um nichts
mehr und nichts weniger! Insofern muss man sogar konstatieren, dass sich
Intimbeziehungen und ihre Kommunikation vor der “Erfindung” der ro-
mantischen Liebe als viel ausgeprägter ökonomisiert und wohl auch ver-
machtet dargestellt haben als danach.
Dem widerspricht nicht, dass Paare, auch Liebespaare, dann, wenn sie
kaufen, Teil der Wirtschaft sind. Ja sie können all das kaufen, was sich in
ökonomischer Knappheit ausdrücken, also bewirtschaften und kapitalisie-
ren, lässt. So ist etwa das Finden attraktiver Partnerinnen und Partner öko-
nomisch knapp oder die Aufmerksamkeit für die eigene Attraktivitätsdar-
stellung. Knapp sind die Dauer und Verlässlichkeit von Intimbeziehungen,
die Originalität und Kreativität mit Liebeserweisen so umzugehen, dass sie
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VI. Das Kapital lieben
dem Erleben der Geliebten oder des Geliebten entsprechen (kurz: die Lie-
besfertigkeit).
Hier lohnt es sich, Kapital zu haben und Kapitaleinsatz zu kalkulieren,
um mit mehr oder weniger geschicktem Ressourcenumgang, Bedingungen
für Aufmerksamkeit, Selektivität, Dauer und Originalität herzustellen.
Und hier lassen sich entlang der jeweiligen Milieuerfahrungen mit der un-
gleichen Ausstattung an Kapitalien und der ungleichen Fertigkeit im Um-
gang mit diesen Kapitalien Differenzen, z. B. bei der Bewertung von ro-
mantischen Accessoires oder Praktiken, zumindest qualitativ unterschei-
den (vgl. Illouz, 2003: S. 234ff.).
Die Liebespaare verlassen aber die Liebes-Intimität, wenn sie versuchen,
Zuneigungsmöglichkeiten nach Aufwand und Ertrag zu kalkulieren oder
gar gegen Geld zu kaufen. In diesem Fall wird aus der Liebeskommunika-
tion eine Kommunikation im Medium Geld.
Soll sich die Liebesbeziehung gar in ökonomischen Ressourcen spie-
geln, etwa in der Frage, was für die Dauer der Liebe bedeuten könnte, dass
man mehr oder weniger Kapital hat, so müssen auch diese ökonomischen
Sachverhalte in die Gefühle des Begehrens, der Hingezogenheit und des
Angenommenseins übersetzt werden.
Das kann durchaus eine Herausforderung sein. So kann der Anspruch
von Familien, zur ökonomischen Absicherung von Zweierbeziehungen
der jeweiligen Familienmitglieder mit den Sehnsüchten der Liebenden,
füreinander die Welt zu sein, heftig kollidiert. Beispielhaft illustrieren Äu-
ßerungen in Liebesbriefen gerade diesen Konflikt (vgl. Asen, 2017:
S. 340ff.). Aber die Liebenden können dann auch zu dem Urteil kommen,
dass Geld nicht so wichtig sei, wenn es ums Fühlen geht, auch wenn das
objektiv betrachtet nicht der Fall ist und die Trennungsrate von Paarbezie-
hungen mit ökonomisch unsicheren Rahmenbedingungen eine andere
Sprache sprechen mag (vgl. Peuckert, 2012: S. 317ff.).
Nur ist Liebe eben kein Ratenkredit und auch keine empirische Sozial-
forschung. Liebe tendiert in ihrer Konzentration der exklusiven Liebes-In-
timität auf die individuellen Gefühle der Liebenden zur Fiktionalisierung
im Sinne einer Gleichheitsfiktion der Liebenden hin. – Und das ist mehr
als nur ein Gleichheitsversprechen; es ist die Praxis romantisch zu Lieben.
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– Bella Donna –
I. Köhler-Terz
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VII. Den Sex lieben
Geht Sex ohne Liebe? Und geht Liebe ohne Sex? So ist man versucht
grundsätzlich zu fragen, wenn man sich mit der Liebe der Gesellschaft aus-
einandersetzt, wie sie mit der funktional differenzierten Gesellschaft ent-
standen ist. Man muss dann feststellen, dass Sex ohne Liebe sehr wohl und
wohl auch nicht allzu selten vorkommt. Soll Liebe aber im romantischen
Code kommuniziert werden, dann ist sie ohne Sex kaum vorstellbar.
Das mag überraschen, wenn man sich Romantik als gefühlvolle Inner-
lichkeit der Liebenden denkt. Ist Liebe nicht die innige Kommunikation
der umfassenden Wertschätzung des oder der anderen sowie der Ausgangs-
punkt von Partnerschaftsperspektiven der Zweisamkeit, die Gemeinsames
den alltäglichen Statusspielchen, der Hetze und der Gier entrücken?
Hier scheinen Hardcore-Tatsachen, das Begehren und die Begierden der
Körper auf den ersten Blick den erwarteten Gleichklang liebender Aner-
kenntnis der Liebespartner zu stören. Sexualität ist Körperlichkeit der di-
rekten, unmittelbaren Art, eine Körperlichkeit, die nicht fragen will, ob es
harmonisch opportun ist, wenn man Lust am Haben haben will.
Tatsächlich scheint vor allem in der Idealisierung der romantischen Lie-
be, wie sie uns in der symbolischen Steigerung der Annahmezumutung
der ganzen Person des Geliebten oder der Geliebten gegenübertritt, ein Pa-
thos des “reinen Begehrens” auf. Es mag sein, dass es sich dabei um eine
Sichtweise in einer deutschen Tradition handelt, Empfindsamkeit und
Zärtlichkeit der romantischen Liebe moralisch aufzuladen, um sie so als
eine Art “höhere” Vernunft von den “niederen”, den tierischen, Trieben
der Sexualität abzugrenzen (vgl. Luhmann, 1982: S. 145). Es erinnert zu-
gleich an die noch stark vernunftbetonte Motivation der ehelichen Liebe
im 19. Jhr., die sich als verständige Gefühlsgemeinschaft versteht (vgl. Ro-
senbaum, 1982: S. 264).
Im romantischen Liebeskitsch der Romane, Serien, Popsongs und der
Massenware der Valentinstagsdevotionalien wird dieses Pathos der innerli-
chen Liebe dann sogar bis ins Absurde trivialisiert. Man hat den anderen
aufgrund seiner einmaligen Persönlichkeit zu lieben, man liebt sie, weil sie
so ein “wundervoller Mensch ist” (viel wundervoller, als alle anderen!) und
nicht, weil man so gierig, um nicht zu sagen “geil”, auf den sexuell attrakti-
ven Körper ist.
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VII. Den Sex lieben
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VII. Den Sex lieben
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VII. Den Sex lieben
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VII. Den Sex lieben
und wir fügen hinzu: auch als Teil der körperlichen Affekte und Reaktio-
nen.
Die Form der Liebes-Intimität erlaubt dann die umfassende Interpene-
tration der Liebenden in die Gesellschaft. Realisiert wird das auf paradoxe
Weise. Die Form der Sozialität schließt höchst Persönliches sozial ein, in-
dem sie das höchst Persönliche anderer ausschließt. Das liegt an der spezi-
fischen Form, besser: an der Art, der Formbildung der Intimität der Inter-
penetration. Sie verlangt ein individuelles Bestätigungsverhalten, das per-
sönlich durch Zuneigung zur einzigartigen oder Abneigung gegenüber der
unmöglichen Person bestimmt und damit nur schwer extern zu kommuni-
zieren ist (O. c.: S. 25) – oder eben nur mit der Begründung, man sei in die
oder den verliebt oder nicht verliebt, kommuniziert werden kann. In die-
ser formbildenden Operationsweise des Codes der Liebeskommunikation,
mit dem das individuelle Fühlen des Begehrens und nicht dessen gesell-
schaftliche Ideologie sozialisiert wird, liegt die Ursache für die Exklusivität
der Liebes-Intimität.
Soll die Interpenetration von ganzen Personen im Intimsystem gelingen
und so auch die Körper mit interpenetrieren, dann steigert das gleichzeitig
die Unwahrscheinlichkeit der intimen Kommunikation. – Man stelle sich
die Anforderung vor, die die Identität dieses sozialen Systems belastet,
gleichzeitig und fühlend in das Erleben und die Sinnlichkeit eines Frem-
den, einer Fremden einzudringen und sie zum Maßstab des eigenen Emp-
finden und Handelns mit einem davon überzeugten Körper zu machen!
Alles andere als die Exklusion, als der Ausschluss der Intimitätszumu-
tungen anderer, würde sowohl die Interpenetrationsleistung als auch die
Identitätsanforderung des sozialen Systems der Liebes-Intimität gefährden.
Alles andere würde zur destabilisierenden Herausforderung der umfassen-
den und eindringlichen Bezugnahme im Erleben und Handeln der körper-
lich Liebenden werden.
“So liegt es nahe, ins Modell der Intimkommunikation sexuelle Bezie-
hungen einzubeziehen, um sie nicht zur Irritation werden zu lassen:
Als Umweltbeziehungen eines der Partner des Intimsystems würden
sie zur permanenten Störquelle.“ (Luhmann, 1982: S. 149)
Und als Umweltbeziehungen beider Partner würden sie die Identität des
Intimsystems in Intimitäten auflösen – so wäre zu ergänzen. Eine solche
Konstellation von Intimitäten würde die soziale, sprich: kommunikative
Anschlussfähigkeit der Intimität, also das, was in der Liebeskommunikati-
on als intim zu verstehen ist, in Hinblick auf den individuellen Weltbezug
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VII. Den Sex lieben
eines fühlenden Körpers, auf den man sich selbst fühlend beziehen will,
richtungslos werden lassen.
In dieser paradoxen Konstellation der Interpenetration durch Exklusion
– und angesichts der komplexen Problemlage versteht man, dass sie nicht
anders als paradox sein kann – leistet das SGKM Liebe etwas höchst Un-
wahrscheinliches. Es macht Körper und Körperlichkeit sozial anschlussfä-
hig. Im Grunde müsste man sogar noch weiter gehen und davon sprechen,
dass Liebe sogar die verkörperte Psyche des Begehrens sozial anschlussfä-
hig macht. In der Liebe der Gesellschaft wird unser Körper mit all seinem
Begehren zum “Körper der Gesellschaft”.
Nun kann man dagegenhalten, sexuelle Intimität kenne auch ande-
re “Orte”, “Personen”, “Gelegenheiten”, als sie in der Intimität des Sich-
fühlenwollens der romantischen Liebe gegeben sind – evtl. haben sich die-
se anderen Möglichkeiten sexueller Intimität sogar vermehrt (vgl. Maasen,
1998: S. 213). Konkreter noch wird der Körper in der medizinischen oder
künstlerischen Kommunikation vergesellschaftet. Beide Funktionssysteme
beziehen sich in ihren Kommunikationen auf Körperlichkeit sowie auf die
Körper von Personen in konkreten Ausprägungen.
Das ist zunächst nicht von der Hand zu weisen. Allerdings fällt sowohl
für die Medizin als auch für die Kunst auf, dass hier Körper zu Objekten
werden. Deren Bezug zur Psyche der Individuen, denen diese Körper gehö-
ren, wird auf eine diagnostisch/therapeutische oder handwerklich/artifizi-
elle Weise geradezu verfremdet. Man mag sich nur die Darstellungen ana-
tomischer Wachspuppen sowie von Präparaten in medizinischen Schau-
sammlungen oder Plastiken und andere künstlerische Darstellungen von
Personen ansehen, um zu verstehen, was damit, über den rein professionel-
len Umgang mit den Körpern hinaus, für Medizin und Kunst gemeint ist.
In der Medizin erscheint der Körper in seiner Darstellung als Funktions-
zusammenhang der Organe. Oder er erscheint in den Beispielen der Patho-
logie geradezu ins abstoßend Absurde verfremdet und jeden Gefühls ent-
kleidet:
“Es entsteht eine obszöne Bilderwelt ohne Innerlichkeit, in der der
Körper als Ding erscheint (…). In der Medizin wird der Körper zur
bildlichen Norm erhoben, der der Entregelung, Entartung, des Häßli-
chen [sic!] unterworfen ist.“ (Hervorhebung im Original, Schmidt,
1998: S. 56).
Die Körperdarstellungen der Kunst transzendieren hingegen den Körper
im Diesseits. Er wird Ausdrucksmittel für die Vermittlung archetypischer
oder prototypischer Wahrnehmungsmöglichkeiten potenzieller innerer
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VII. Den Sex lieben
Fraglich erscheint dann, ob man den Geliebten oder die Geliebte (noch)
vollumfänglich in ihrem auch körperlichen Erleben erfasst. Tritt diese Irri-
tation ein, dann ist sie, entsprechend der symbiotischen Kopplung von
Code und Körper, umfassend. Sie erfasst die soziale, sachliche und zeitli-
che Sinndimension der Kommunikation gleichzeitig, in dem unsicher
wird, ob man den anderen so will, wie er ist und das von Anfang an und
bis ans Ende aller Zeiten.
Die Operationsweise des symbiotischen Mechanismus, der die liebenden
Körper an den Code der Liebe koppelt, hat demzufolge seinen Vorteil
nicht in der Explikation der körperlichen Fundierung des Begehrens –
dem anscheinend auch die (behauptete) Sprachferne der Sexualität (vgl. et-
wa Lautmann, 2002: S. 238) entgegen zu stehen scheint. Der Vorteil liegt
eher darin, das Diffuse kommunikabel und die Kommunikation diffus,
nämlich vom Spüren und Fühlen abhängig zu machen. Das plausibilisiert
wiederum die Möglichkeit, körperlich ungleich zu empfinden, ungleich
bedürftig und gerade darin wechselseitig als gleich, nämlich mit “Haut
und Haaren” liebend, wahrnehmbar zu sein. Diese Ungleichheit der Kör-
perlichkeit ist damit ebenso wie die Gleichheit des Begehrens Normalitäts-
erwartung der sexuellen Liebe und kein Makel der Ungerechtigkeit.
“Auch relativ unbalancierte Beziehungen können dank dieser Diffusi-
tät des sexuellen Kontakts noch als gleich und als gleich begünstigend
und als unvergleichbar erlebt werden. (…) Deshalb kann auch in
einem Maß, das sonst kaum erreichbar ist, unterstellt und erwartet
werden, daß [sic!] das eigene Erleben auch das des Partners ist.“ (Luh-
mann, 1982: S. 33).
Nicht nur ungleiche körperliche und psychische Bedürfnisse können so im
Code der Liebe aufeinander bezogen werden. Das körperliche Begehren
als Ausdruck der Liebe zur ganzen Person ist auch weitgehend unabhängig
von der sexuellen Orientierung der Liebespartner, sofern sie für beide ge-
nau das kommunizierbar macht: die ganze Person mit ihrer Körperlichkeit
zu wollen.
Bisexuelle, Homosexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle mögen gesell-
schaftlich Diskriminierung erfahren, indem ihnen Handlungschancen
oder Rechte aufgrund der sexuellen Orientierung vorenthalten sowie ein-
geschränkt werden. Verlieben können sie sich trotzdem. Sie können gera-
de auch wegen ihrer Orientierung geliebt und, ebenso wie die heterosexu-
ell orientierten Liebenden, zur Vorlage romantischer Trivialisierung wer-
den (vgl. Burston, Richardson, 2005). Für die Kommunikation im SGKM
der romantischen Liebe spricht nichts dagegen, dass mit diesen Formen
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VII. Den Sex lieben
formung definiert (Lepsius, 1993: S. 304f.; 310f.). Das trägt dazu bei, den
Ehevorstellungen romantische Ideen, vornehmlich aus der Literatur, zu in-
jizieren. Diese kulturelle Aufladung der Semantik der Ehe mit dem roman-
tischen Liebescode (vgl. Kuckhohn, 1966: S. 343ff.) lässt das Eheideal der
romantischen Selbstverwirklichung als Dauerbestätigung und Dauerher-
ausforderung auch der körperlichen Zuneigung ab dem 19. Jh. als (an-
spruchsvollen) Normalfall der bürgerlichen Ehe erscheinen (Rosenbaum,
1982: 285ff.). Die außereheliche Sexualität hingegen wird eher als charak-
teristisch für die nicht bürgerlichen Milieus verstanden (Segalen, 1990:
S. 165f., 172ff.).
Für die Ehen selbst, die sich über den Partnerwahlmodus der romanti-
schen Liebe anbahnen, also unter Berücksichtigung der gemeinsamen Se-
xualität der potentiellen Ehepartner, suggeriert ihre Romantisierung, dass
der leidenschaftliche Moment, in dem Amors Pfeil in den Körper fährt,
auf Dauer gestellt werden könne. Zumindest sind die Ehepartner gehalten,
ihre Sexualität im Sinne eines gemeinsamen Erlebens des (andauernden)
Ausnahmecharakters ihrer Intimbeziehung zu pflegen und ihre Liebe da-
mit immer wieder neu zu bestätigen (Luhmann, 1982: S. 178). – Und man
kann für die Ehepartner nur darauf hoffen, dass sich diese Anforderung als
Entwicklungsgeschichte geteilter Intimität kommunizieren lässt (vgl. O. c.:
S. 170).
Darin sollte die Ehe etwas Besonderes sein, schon um in der Ehe auch
dem Gebot der Selbstverwirklichung als Motivation der Selbstbestimmung
(und nicht umgekehrt) der individuellen Ehepartner zu genügen. – An-
dernfalls droht die Scheidung, nicht nur vom Tisch, sondern auch vom
Bett. Mit der romantischen Aufladung der Ehe zu einer dauernden Liebes-
beziehung wird also auch die Sexualität in der Ehe zur gesellschaftlichen
Normalität. Die Verbindung von Sex und Ehe erscheint sogar so normal,
dass es trotz allem, was neben und über die Ehe hinaus an sexuellen Begeg-
nungen möglich ist, irritiert, würde man die Ehe nicht mit Sexualität iden-
tifizieren.
“Die Frage, ob man Sexualität in der Ehe richtig/weniger richtig/falsch
fände, ist noch nie gestellt worden, so absurd scheint sie zu sein. Wohl
aber wird danach gefragt, ob glückliche sexuelle Beziehungen für eine
gute Ehe wichtig seien.“ (Lautmann, 2002: S. 344).
Zugleich ist unschwer zu erkennen, dass diese Fassung der Liebe, bei der
die Interpenetration von Individuen mit ihren Körpern in die Liebes-Inti-
mität und der Wahlmodus von Geschlechtspartnern Ausdruck individuel-
ler Selbstverwirklichung sein soll, eine beträchtliche Herausforderung für
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– R.I.P. –
Ich sag' "Ruhe in Frieden!"... zu dem Mädchen, das du bisher immer in mir
gesehen hast.
Ihre Tage sind vorbei, Baby, die ist Vergangenheit!
Ja, ich hab’ mich entschieden, dir alles von mir zu geben. Also komm näher,
Baby, komm näher!
Ich bin bereit für dich.
Alles was früher war, hab’ ich über den Haufen geworfen.
Hab’ mich völlig umgekrempelt, hab ein neues Kleid übergezogen und den
Reißverschluss hochgezogen.
Und jetzt, jetzt warte ich nur noch drauf, dass mein Parfum deinen Pullover
durchnässt.
Also komm schnell her, je eher, umso besser!
Und keine Ausreden, ein 'Nein' lass ich nicht gelten!
Das hier ist mein Spiel, und die Rolle, die du darin spielst, die bestimme ganz
allein ich.
Folge gefälligst meinen Anweisungen! Worauf wartest du noch?
Ja, ich hab’ drüber nachgedacht und entschieden: Heute Nacht, das wird deine
Nacht!
Rita Ora
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VIII. Das Leiden lieben
Mit der Umstellung des Modus der Partnerwahl auf die individuelle,
durch Gefühle, Neigungen und Begierden begründete, romantische Liebe,
ist viel geschehen, was zur sozialen Realisierung individueller Persönlich-
keitsaspekte und zu dem beigetragen hat, was der Begriff “Selbstverwirkli-
chung” abbilden will. Die solcherart in die Gesellschaft interpenetrierten
Individuen zahlen jedoch auch einen hohen Preis für die Sozialisierungsfä-
higkeit ihrer höchst persönlichen Idiosynkrasien. So fordert die romanti-
sche Liebe von jedem Einzelnen, Leidenschaft zu zeigen. Das sprachliche
Kompositum deutet es schon an, damit ist nicht nur rückhaltloses persön-
liches Engagement im Erleben und Handeln gemeint. Man hat sich dem
Leiden auszusetzen, das die Liebe mit dieser Forderung schafft, wenn man
im Liebescode sozialer Beziehungen kommuniziert.
Die Positionierung der romantisch Liebenden als Begehrende, die das
Innerste ihrer Persönlichkeiten gegenüber fremden Anderen entäußern
müssen, ja geradezu danach suchen, hat eine längere Vorgeschichte. Diese
soll an dieser Stelle nicht nochmals nacherzählt werden. Schlaglichtartig
lässt sich aber erhellen, worin die Wandlung der Semantik, der kulturell
bewerteten Erzählung dessen liegt, was Partnerwahl sein soll und wie da-
mit das Leiden in die Liebe kam, das es jetzt zumindest “mit” zu lieben
gilt.
So war es notwendig, um die Beziehung von Individualität, Höchst-
schätzung der Idiosynkrasien (von anderen und dadurch der eigenen!) und
höchstem (auch körperlichem) Engagement im Medium Liebe kommuni-
zieren zu können, die gesellschaftlich gültige Semantik der Partnerwahl
mit ihrem Bezug zu Herrschaft und Besitz aufzubrechen. Die hier einset-
zende Umorientierung gewinnt ab dem 18. Jhr. in Europa an Boden.
Folgt man Luhmann, dann war es bis ins 18. Jhr. hinein gesellschaftli-
che Normalität, die Gattenwahl auf die Reproduktionsnotwendigkeit
einer über Generationen fortbestehenden Familie zu beziehen. Die Gatten-
liebe selbst erschien als ehrfürchtiges Anerkenntnis der Herrschaftsord-
nung eines patriarchal ausgerichteten Haushalts. Dem korrespondierte die
Liebe des Hausherren, aber weniger zu den Eigenheiten der Mitglieder des
Haushalts, als zu seinem Eigentum, also: “Haus und Besitz, Frau und Kin-
der” (1982: S. 164).
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VIII. Das Leiden lieben
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VIII. Das Leiden lieben
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VIII. Das Leiden lieben
gleichen Handlungen liegt. Dies ist nur möglich, wenn die Zeit ausge-
schaltet wird, wenn jeder dem folgt, was der Moment ihm eingibt.“
(O. c.: S. 176).
Um die Interferenz mit den anderen Sinndimensionen im Blick zu behal-
ten, denn das Medium wirkt auf alle Sinndimensionen, und für uns Beob-
achter zeigt sich daran die Steigerung der Unwahrscheinlichkeit von Moti-
vation und Erfüllung, wenn geliebt wird, ist für die Sachdimension zu no-
tieren, dass dieser Stillstand im ewigen Augenblick nur dann möglich
wird, wenn die Liebenden auch in den Themen der Liebeskommunikation
die Rationalität zu Gunsten der Leidenschaft zurücktreten lassen. – Es ist,
wie es ist und da es Liebe ist, ist es gut. In der Sozialdimension schließlich
sind die Liebenden fortan darauf konzentriert, die eigenen Ausnahmecha-
raktere, in ihrer liebenden Bezogenheit aufeinander als “Einheit der Zwei-
heit” (Fuchs, 2003: S. 43) zu verstehen.
Man versinkt beim Lieben aber nicht nur im Moment des Glücks, um
sich selbst in der Zweiheit ganz zu erleben. Man wächst gleichzeitig im Er-
leben der anderen oder des anderen über sich hinaus, erschließt sich –
durchaus auch schmerzliche – neue Dimensionen der Selbsterfahrung. So-
ziologisch wäre festzuhalten, dass man die Interpenetration des eigenen In-
dividuellen ins gemeinsame Soziale der Liebes-Intimität am eigenen Leib
als Grenzüberschreitung der Identität, zumindest aber der Identitätsmög-
lichkeiten, erlebt und dass dies weitere Handlungen motiviert.
Das allerdings kann nur schwer kalkuliert werden, auch wenn gerade
die Realisierung von Liebesbegegnungen Vorbereitungen der Liebenden
erfordert. Die Liebe ist so unsicher wie das Glück und zumindest darin er-
wartbar. Und darin, dass man das weiß und dass beide, die lieben, das wis-
sen und doch auf dauerndes Glück hoffen, liegt ein weiterer Grund dafür,
dass wir mit der Liebe, wenn wir lieben, auch unser Leiden lieben. So kön-
nen wir der Paradoxie der Leidenschaft nicht mehr entkommen: Wir erlie-
gen dem Liebesleiden selbst und steigern es in der Liebesbeziehung sogar
noch, wenn wir leidenschaftlich lieben.
“Wehrlosigkeit in bezug [sic!] auf die eigene Passion und Raffinesse in
bezug [sic!] auf die des anderen treten in einen Steigerungszusammen-
hang – je mehr Leidenschaft, desto mehr Umsicht und durchdachte
Verhaltensplanung, und dies auf beiden Seiten, wenn beide der Passi-
on des anderen noch unsicher sind und die Situation insofern als
asymmetrisch erleben.“ (Luhmann, 1982: S. 76).
Dennoch kann es bei aller Verhaltensplanung bei der Darstellung von Lei-
denschaft in der Liebe, für die Liebe selbst keinen geplanten, keinen arran-
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VIII. Das Leiden lieben
gierten Startpunkt und noch nicht einmal ein zeitliches Ziel geben (für
Ehen und Partnerschaften hingegen schon). Auch ihre Entwicklung bringt
nur die Gewissheit, dass alles auf der Unwägbarkeit der Gefühle basiert. –
Gerade die ausgeprägte Emotionalisierung der romantischen Liebe plausi-
bilisiert diesen Zug der Liebeskommunikation und macht ihn schmerzlich
bewusst. Es bleibt nur, auch daran lustvoll zu leiden, dass die Liebe voraus-
setzungslos wie ein Zufall beginnt und ihr Verlauf Schicksal ist.
Luhmann hebt in diesem Zusammenhang die Absolutheit der Liebe
hervor:
“Die Kombination Zufall/Schicksal besagt dann: daß [sic!] das voraus-
setzungslose Beginnen die Bedeutung der Liebesbeziehung nicht be-
einträchtigt, vielmehr als Unabhängigkeit von jeder Außenprägung
diese Bedeutung gerade steigert, sozusagen verabsolutiert.“ (1982:
S. 181).
Mit anderen Worten, die Liebenden haben nur sich selbst, ihre Gleichzei-
tigkeit und ihre Themen. Sie sind gefangen im Sinnhorizont der Intimität,
der der Ereignishorizont ihres Handelns und Erlebens im Angesicht der
ungeheuren Gravitation ist, die von der Singularität ihrer einzigartigen
Liebe ausgeht.
Sich von dieser Singularität einfangen zu lassen, ist wohl das Einzige,
was den Liebenden bleibt, wenn nicht die Selbstwidersprüchlichkeiten des
Liebescodes von dauerndem Zufall (Zeitdimension), Einheit der Zweiheit
(Sozialdimension) und unaussprechlichen Themen (Sachdimension) offen-
sichtlich werden sollen. Wenn die Unmöglichkeit der Absolutheit der Lie-
be in all diesen Sinndimension nicht die Form der Liebes-Intimität spren-
gen soll, dann bleibt nur das Ergeben. Es bleibt nur der Fatalismus der Ek-
stase, das unbedingte einander Wollen, egal wie lange und womit.
Im Zusammenhang mit dem Ideal der romantischen Liebe war schon
einmal angesprochen worden, dass die Liebe im Versprechen der völligen
Akzeptanz eigener Individualität durch einen an sich Fremden, die Para-
doxien plausibilisiert, die mit dem SGKM nicht nur in der Steigerung der
Unwahrscheinlichkeit der Motivation zu Erleben und zu Handeln in Er-
scheinung treten, sondern die Ausdruck der komplexen Sozialbeziehun-
gen sind, die entstehen, wenn Individualität über Fühlen begründet und
sozial kommuniziert werden soll.
Hier nun ist hinzuzufügen, dass diese Plausibilisierung nicht nur als
Selbstverständlichkeit daher kommt und sozusagen als “Kollateralscha-
den” der blinden Vernunft der Liebe unausweichlich erscheint. Die Blind-
heit ist nicht nur die notwendige Folge gefühlsbegründeter Interpenetra-
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VIII. Das Leiden lieben
tionen. Sie ist zugleich als “sehende Blindheit” (Luhmann) die Belohnung
für die Akzeptanz des Kontingenten.
Sie erscheint als süße Lust an einem Begehren, das bedingungslos zu
sein hat, in seinem sich einlassen, auf alles, was der Begehrte bedeutet. –
Die Liebe verlangt gleichsam eine paradoxe, eine blinde Selbstreflexivität,
blinder Beobachter, wenn sie sich selbst im Gegenüber erkennen wollen.
Anders gesagt, die Liebe verlangt das bedingungslose Fühlen des Soseins
im Moment, in dem beide aufeinandertreffen, um das Dasein zu rechtferti-
gen.
Über diese sozusagen persönliche oder sollte man sagen: intime Dimen-
sion des lustvollen Leidens, das die Singularität der Paradoxien im Innern
des sozialen Systems der Liebes-Intimität stabilisiert, gewinnt die Passion,
als auch heute noch wirksamer Teil des romantischen Liebescodes, gesell-
schaftliche Bedeutung. Man könnte sagen, sie gewinnt eine Außenwir-
kung, die in der Plausibilisierung kontingenter Ordnung liegt.
Erkennbar ist das an der von Luhmann für die Ausdifferenzierung des
SGKM Liebe und seines Kommunikationscodes beschriebene Verände-
rung der Perspektivierung von Leidenschaft. Die Passion wird vom passi-
ven Erdulden zu einer Bedingung sozialer Systembildung, in der die Un-
wägbarkeit als das Erwartete ausgegeben werden kann und sogar der Zu-
fall erwartbar wird (siehe 1982: S. 73 Anm. 8).
“Dann wird die Semantik der Passion verwendet, um institutionalisier-
te Freiheiten zu decken, das heißt abzuschirmen und zugleich zu ver-
decken. Passion wird zur Handlungsfreiheit, die weder als solche noch
in ihren Wirkungen gerechtfertigt zu werden braucht. Aktivität wird
als Passivität, Freiheit als Zwang getarnt.“ (O. c.: ebenda).
Diese seltsame Konstruktion von Kontingenzspielräumen, die erst dadurch
eröffnet werden, dass sie sich im Leiden der Hingabe zumindest an die Lie-
be, wenn nicht gar an den Geliebten, verstecken und damit durch Ausliefe-
rung und Preisgabe der Kontrolle erreicht werden, liegt eine fast
schon “postrational” zu nennende, innovative Möglichkeit sozialer System-
bildung. Die “institutionalisierten Freiheiten”, die für einen durch persön-
liche Gefühle, Neigungen, Zuneigungen und Begierden begründeten Part-
nerwahlmodus nichts weniger vorgeben, als die Institutionalisierung von
Unwägbarkeit zur Grundlage sozialer Systembildung werden zu lassen,
weisen auf die besondere Stellung der Liebe als gesellschaftlichem Inklusi-
onsprinzip hin.
Die romantische Liebe stellt gerade in ihrer Kapazität, Komplexität in
Paradoxien einzufangen und durch Leidenschaft am Unwägbaren aufzulö-
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VIII. Das Leiden lieben
sen, eine neue Antwort für das Problem der Selbsterzeugung sozialer Ord-
nung unter Bedingungen der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von an
sich kaum integrierbaren Abweichungen der Individualität(en) dar. Das
meint, dass die Paradoxien für die Wirklichkeit der Liebes-Intimität nor-
mal werden können, weil die doppelte Kontingenz, der in der Liebe so un-
mittelbar aufeinander bezogenen Individuen nicht auf das psychische
Empfinden, sondern auf die soziale Systembildung bezogen sind (O. c.:
S. 76).
In seiner paradoxen Konstruktion ist die leidenschaftliche Liebe demzu-
folge als ein komplexitätstaugliches Inklusionsprinzip anzusehen, mit dem
kontingente persönliche Bedürfnisse und Gefühle vergesellschaftet wer-
den. Dieser Sachverhalt weist weit über die Fragen hinaus, wie sich Ge-
schlechtspartner finden und ob Liebe als Grundlage der Ehe taugt, wie ro-
mantisch romantische Partnerschaften heute noch sind oder wie gleich sie
sein müssten, um dem Ideal der Homonormativität zu genügen.
So weist die romantische, leidenschaftliche Liebe als gesellschaftlicher
Inklusionsmodus des eigentlich nicht Inkludierbaren nicht nur über die
Frage hinaus, wie der soziale Einbezug von Individualität durch leiden-
schaftliche Liebe die Vorstellungen von Gleichheit in ihrer normativen
Fassung als Gerechtigkeit beeinflusst. Sie suspendiert ebenso die kausal-ra-
tionalistischen Annahmen reziproker, materieller und gefühlsmäßiger
Tauschbeziehungen.
Als postrationaler Inklusionsmodus bedarf die romantische, leiden-
schaftliche Liebe der Rationalität von Vertragsverhältnisses als Maßstab für
die soziale Geltung der individuellen Wahl von Geschlechtspartnern nicht.
Liebe operiert auf der Grundlage von Konsens nicht von Dissens, der die
Aushandlungsversuche von (Vertrags-)Partnern motiviert (vgl. Leupold,
1983: S. 320).
Gerade die selbstwidersprüchliche Figur eines nicht nur ertragenen, son-
dern sogar lustvoll gesuchten Leidens an der Liebe verdeutlicht, dass man
die moderne, funktional differenzierten Gesellschaft kulturell nicht mehr
einfach mit Rationalität und Rationalismus identifizieren kann. Das wird
besonders dann problematisch, wenn alle Individuen als fühlende Perso-
nen mit sehr eigenartigen Bedürfnissen und nicht mehr nur als wert- oder
zweckrational und allenfalls noch als traditional handelnde Akteure, auf-
geklärte Subjekte oder Leistungsempfänger beschrieben und damit inklu-
diert werden.
Die kulturelle Beschreibung der modernen Gesellschaft als rationale Ge-
sellschaft muss man wohl ohnehin als Verkürzung einer wesentlich kom-
plexeren Sinnformation lesen. Die Verkürzung resultiert daraus, dass man
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VIII. Das Leiden lieben
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VIII. Das Leiden lieben
kationsform antwortet, die so viel Leiden gerade für die in ihr kommuni-
zierten Individuen schafft.
Die Liebe der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft gibt
mit der Forderung nach Leidenschaft für das Unwägbare eine kontingenz-
sensible Antwort, auf die sich aufdrängenden Fragen der Einheit der Diffe-
renzen des Individuellen. Sie gibt sehr eigenartige Antworten auf Fragen,
die mit der Wahrnehmung der paradoxen Gleichheit der Individualität
verbunden sind, die besagt, dass wir als Individuen nur darin alle gleich
sein können, dass wir ungleich sind.
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dein körper noch immer eine schelmische
formel
[…]
klaus lage ist schlimm, aber mit dir zu ertragen
Stefan Heuer
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IX. Die Zukunft lieben
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IX. Die Zukunft lieben
Am Ende unserer Reise zur Liebe der Gesellschaft stehen daher Überle-
gungen zur Entwicklung ihrer Codierung von Intimität. Obwohl dies zu
Teilen ein spekulatives Vorhaben bleiben muss – die Zukunft findet eben
noch nicht statt – erscheint es schon deshalb geboten, weil das SGKM Lie-
be selbst erst in gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen entstanden
ist. So lässt sich begründet vermuten, dass das SGKM Liebe mit seinen
Kommunikationsmöglichkeiten höchstpersönlicher Individualitätsaspekte
auch in Zukunft Veränderungen durch die Evolution gesellschaftlicher
Differenzierung erfahren wird.
Diese Zukunft scheint nicht unproblematisch für den Bestand der ro-
mantischen Codierung der Liebe zu sein. Schon Luhmann hatte gegen En-
de seiner Reflexionen über die historische Genese des Liebescodes festge-
stellt:
“Die Form des Codes scheint sich vom Ideal über das Paradox zum
Problem hin gewandelt zu haben, und das Problem wäre dann ganz
einfach: einen Partner für eine Intimbeziehung finden und binden zu
können. Skepsis gegenüber Hochstimmungen jeder Art verbindet sich
mit anspruchsvollen, hochindividualisierten Erwartungshaltungen.
Die Alternative des Abbrechens und des Alleinlebens wird als Lebens-
plan ernst genommen und verstanden.“ (1982 S. 197).
Gesellschaftlich korrespondieren die Wandlungen der Liebe vom durch
Leidenschaft plausibilisierten Paradox hin zum plausiblen (!) Problem mit
der Entwicklung der Differenzierungsbedingungen der modernen Gesell-
schaft. Namentlich sind damit die Umstellungen der Erwartungen an die
normale Individualität von sozialer Ähnlichkeit auf originelle Abweichung
gemeint. – “Man” sollte in dieser Massengesellschaft eben alles, nur
kein “Massenmensch” sein (vgl. etwa Schimanck, 2002: S. 163ff.).
Für eine Gesellschaft, die sich kulturell als “modern” beschreibt, d. h. an
Variation und Innovation und nicht mehr an Anpassung und Tradition
orientiert ist und die von der Unbeständigkeit des Bestehenden ausgeht
(Luhmann, 1991: S. 89, mit Bezug zu Novalis: S. 104), bedeutet das am In-
dividualitätsproblem die Unterscheidung von Person und Rolle zu schär-
fen.
Es bedeutet weiter, eine kulturelle Definition der Individualität für nor-
mal zu halten, die subjektiv, also in ihrer Begründung nur sich selbst un-
terworfen ist, nur im Selbstbezug definiert werden kann (vgl. Luhmann,
1995: S. 126) und so die Abweichung zur Gesetzmäßigkeit der Identität er-
hebt. Letzteres hat Rousseau so paradigmatisch, wie literarisch auf den
Punkt gebracht, wenn er bekennt:
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IX. Die Zukunft lieben
“Je ne suis fait comme aucun de ceux que j’ai vus; j’ose croire n’être
fait comme aucun de ceux qui existent. Si je ne vaux pas mieux, au
moins je suis autre.“ (1765–70: S. 3) ["Ich bin wie niemand, den ich
sonst kenne; ich wage zu glauben, daß ich wie niemand bin, der sonst
existieren mag. Wenn ich auch nicht besser bin, so bin ich wenigstens
anders."]
Im Zusammenhang der gesellschaftlichen Kommunikation geht das mit
einer Schärfung der Differenz von Persönlichem und Unpersönlichem ein-
her bzw. der Öffnung oder Schließung von Kommunikation für Aspekte
persönlicher Identitäten.
„Die Radikalität der Veränderung, verglichen etwa mit dem Zeitraum
1780–1830, läßt [sic!] sich nicht an der Radikalisierung von Themen,
am Übersteigern von Idealisierung, von Kritik usw. ablesen. Sie ergibt
sich aus sozialstrukturellen Entwicklungen und besteht letztlich darin,
daß [sic!] die moderne Gesellschaft die Unterscheidung von persönli-
chen und unpersönlichen Beziehungen radikalisiert.“ (Luhmann,
1982: S. 205)
Im gleichen Maße aber, wie anonyme Kontakte in der modernen Gesell-
schaft zum Normalfall und Unpersönlichkeit zur Alltagserfahrung wird
(vgl. mit weiteren Verweisen Reuter, 2002: S. 111ff.), schwindet auch die
Selbstverständlichkeit des Erkennens und Anerkennens, aber auch des ge-
ordneten sozialen Inbeziehungsetzens von Individuen. Die Verbindlich-
keit von Lebensorientierungen nimmt ab, wie sie etwa noch für dörflichen
Gemeinschaftsbeziehungen mit ihren eingeschränkten Spielräumen der
Individuierung (vgl. Chassé, 1996: S. 17; am Beispiel der Jugendkultur vgl.
Neurath, 2012: S. 106ff.), zumindest aber für die Lebenserfahrungen, Eti-
kette und den kulturellen Habitus von Angehörigen gleicher sozial-morali-
scher Milieus gegolten hatte (vgl. für das katholische Sozialmilieu, Lepsius,
1993: S. 39f.).
Hinsichtlich des Wandels der Liebe als Kommunikationscode, Aus-
gangspunkt sozialer Formbildung und als Interpenetrationsmodus von Ab-
weichung bedeutet das, darauf zu achten, was als Individualität gesell-
schaftlich möglich ist. Es meint danach zu fragen, wie Individualität gesell-
schaftlich entworfen und als normal erwartet werden kann? Und “man”
fragt sich damit konkret: Wie konform, wie abweichend, wie ähnlich, wie
einzigartig, wie askriptiv, wie deskriptiv, wie synthetisch usw. dürfen diese
Individuen sein, um als Personen sozial handhabbar, also erwartbar zu er-
scheinen?
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würde. Die Tauglichkeit der romantischen Liebe als Code zur Inklusion
der individuellen Wahl von Geschlechtspartnern stünde auf dem Prüf-
stand sozialer Akzeptanz.
Das muss jedoch nicht zwangsläufig das Ende der Liebe bedeuten. Die
Erwartungsirritationen könnten vielmehr als Motivation für Suchbewe-
gungen nach einem gesellschaftlich zutreffenderen, postromantischen,
vielleicht “faktischen” (im Sinne einer individuell designten oder gemach-
ten) Code der Liebe dienen.
Eine solche Entwicklung würde soziologisch zugleich auf umfassendere
Veränderungen der sinnhaften Differenzierung der Gesellschaftsstruktur
hindeuten. Es ginge nicht nur darum, inwiefern die romantische Liebe für
die, die lieben wollen und lieben und für diejenigen, die das bewerten,
heute noch einen tragfähigen Code darstellt, um die individuelle Partner-
wahl plausibel kommunizieren zu können.
Allerdings erscheint es eher unwahrscheinlich, dass sich einzelne SGKM
und ihre Codes spontan verändern und so in Widerspruch zum primären
Differenzierungsprinzip aller Sinnunterscheidungen der Gesellschaft gera-
ten. Würde etwa die Liebe eine solch singuläre Veränderung erfahren,
dann müsste, wer liebt, es auf sich nehmen, in Konflikt mit allen Normali-
tätserwartungen funktionaler Inklusion zu geraten. Liebende würden mit
ihrem Erleben und Handeln im Widerspruch zur Repräsentation von or-
ganisatorischen Entscheidungen, zur persönlichen Partizipation über Rol-
len, zur Nachrangigkeit von Stratifikation und Verwandtschaft für die so-
zio-kulturelle Orientierung usw. stehen. Obwohl man Liebenden sozial
viel Ungewöhnliches zutraut und sie deshalb wohl auch für “blind” hält,
wäre das ein hoher Preis für die Selbstverwirklichung durch leidenschaftli-
che Partnerwahl.
Ein tiefgreifender Differenzierungswandel von Sinnunterscheidungen
in der Gesellschaft würde wahrscheinlich alle generalisierenden Medien
gleichermaßen betreffen. Und “betreffen” meint dann, ihre Möglichkeiten
kritisch werden lassen, den Erfolg sinnhafter Form- und sozialer Systembil-
dung zu erhöhen. Die Codierungen der SGKM müssten andere Schwer-
punkte aufweisen, andere Paradoxien plausibilisieren, um Erleben und
Handeln weiterhin motivieren zu können. Anders würde man sich nicht
mehr verstehen. Der “Erfolg” der “Erfolgsmedien” (Luhmann) bliebe un-
gewiss.
SGKM, die kommunikativ so operieren, dass sie Unwahrscheinlichkei-
ten nur manchmal generalisieren und Unterscheidungen nur zufällig
strukturieren, sind für eine Absicherung von Anschlusskommunikationen
wertlos. Wenn mal das kontingente Begehren, mal die Vorbereitung mit
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vice versa? Als welche Liebe würde das gesellschaftlich kommuniziert wer-
den – als tugendhafte, passionierte, romantische, rationalistische Liebe?
Neben fundamentalen Veränderungen dessen, was ein SGKM und wie
es etwas symbolisiert, sind im Zuge der Medienentwicklung auch Modifi-
kationen in den Vermittlungsmöglichkeiten der SGKM, etwa der Codie-
rung, vorstellbar.
So weist bereits die Differenzierungsgeschichte Übergänge von einer
Liebe der Tugenden zu einer Liebe der Passionen und weiter zur Liebe ro-
mantischer Leidenschaften auf (Luhmann, 1982: S. 49ff.). Dabei hat die
Funktion an Bedeutung gewonnen, die eigene Individualität zum Zen-
trum leidenschaftlichen Begehrens werden zu lassen (O. c.: S. 169) und
deshalb immer auch Selbstverwirklichung zu meinen, wenn man
sagt: “Ich liebe Dich!“.
Der Code von Geld zeigt analoge Veränderungen, etwa bei den Codie-
rungen von Zahlungen. Diese haben sich von Zahlungsweisen, die materi-
elle Werte codieren und so das konkrete Vermögen von Geld – zu zahlen –
symbolisieren, zu Zahlungsweisen entwickelt, die überwiegend als Be-
schreibungen von “Wertstellungen”, eben als “Gut-“ oder “Lastschriften”
auftreten. Deren Wert liegt letztlich nur noch darin, dass und wie man
ihrer Geltung vertraut (vgl. Luhmann, 1997: S. 394).
Betrachtet man schließlich noch Macht als Beispiel für Codeevolution,
so fällt eine Entwicklung von öffentlicher Gewaltausübung hin zur Sym-
bolisierung von Macht in Insignien und Institutionen der Disziplinierung
oder sozialen Ordnung auf. – Und erst das lässt Machtausübung “panop-
tisch” werden (vgl. zur Disziplinierung Foucault, 1976: S. 173ff.). Die Co-
dierung verweist jetzt nicht mehr auf die Gewalt selbst, sondern auf das
Potential und die Techniken, Macht auszuüben und koppelt sie an Legiti-
mitäts- oder gar an Rechtsfragen, wie Macht verliehen, kontrolliert oder
entzogen wird.
Die Codierung der Macht kommuniziert also die Relativität der Macht-
ausübung mit. Man kann das als Tribut an dem Beteiligungsprimat der
funktional differenzierten Gesellschaft und die nur relative Priorisierung
ihrer Funktionssysteme – auch der Politik (vgl. Luhmann, 1981: S. 22f.) –
verstehen. Daran wird zugleich die erhöhte Wahrscheinlichkeit der Moti-
vation deutlich, der Durchsetzung von Macht Folge zu leisten (Luhmann,
1997: S. 204), wenn sie sich etwa als “gesatzte”, d. h. qua Satzung sortierte
und beschränkte Macht darstellt (vgl. Weber, 1972: S. 124ff.).
Die Veränderung medialer Kommunikationsbedingungen geht demzu-
folge mit der Entwicklung gesellschaftlicher Strukturbedingungen einher.
Sie werden von diesen Strukturbedingungen irritiert oder stabilisiert und
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wirken selbst wiederum irritierend und stabilisierend. Man kann diese ver-
schränkte Irritation als Komplexitätsdynamik charakterisieren (Thiedeke,
1997: S. 177), die nicht auf SGKM beschränkt bleibt.
Mit den differenzierten Problemlagen gesellschaftlicher Kommunikati-
on formen sich auch differenzierte Medien aus. Ein Reichweitenproblem
der Kommunikation kann man medial z. B. nicht dadurch lösen, dass man
noch heftiger liebt, mehr Vermögen zum Zahlen hat oder befielt, lauter zu
schreien. Hier helfen wohl eher Schrift, Telefon oder die Massenmedien
weiter.
Entwicklungen medialer Kommunikation betreffen deshalb nicht nur
eine einzige mediale Kommunikationsform. Sie geschehen in einem Netz
von Interferenzen analog zum Differenzierungswandel von Sinnbedingun-
gen, der in seinen Konsequenzen ebenfalls nicht nur eine Sinndimension
berührt.
Kommen beispielsweise massenmediale Kommunikationsmöglichkeiten
hinzu, dann ändern sich nicht nur Formen des Gesprochenen oder Ge-
schriebenen, sondern auch die Formen von Zahlungen oder von Herr-
schaft und ebenso die Form der Liebes-Intimität, was die Bedeutung von
literarischen Romanvorlagen, etwa für das “Erlernen” paradoxer Passionen
(vgl. Luhmann, 1982: S. 80f.), und mit der Massenpresse dann von trivia-
len Romanen (vgl. mit weiteren Verweisen Nusser, 1991: S. 21ff.; 45ff.) für
die Romantisierung der Liebe anzeigt.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Auftreten und die Entwick-
lung neuer Aufmerksamkeitsmedien, wie von Computern und Computer-
netzen (etwa des Internets), die als kybernetische Interaktionsmedien operie-
ren (Thiedeke, 2012: S. 251f.), die Operationsmöglichkeiten und Operati-
onsweise der SGKM, d. h. auch der Liebe, beeinflusst. Versteht man Medi-
en als sozio-technische Mechanismen zur Strukturierung kontingenten Sinns (O.
c.: S. 145), dann ist zudem davon auszugehen, dass ein solcher Einfluss um-
fassend ausfällt und dass er im Symbolkomplex der Liebe eben nicht nur
die Art der kommerziellen Ausbeutung oder Methodiken der Partnerwahl
– die “Technologien der Wahl” (Illouz) – betrifft.
Bei der Beobachtung der Entwicklungsmöglichkeiten der Liebe geht es
also nicht um einen Exkurs zum Online-Dating im Rahmen einer wie im-
mer gearteten “Romantik 2.0” (vgl. Schuldt, 2013). Es geht gerade mit
Blick auf die Liebe der Gesellschaft um die gesellschaftliche Etablierung
kybernetischer Interaktionsmedien, weil die Kommunikation mittels sym-
bolgenerierender Maschinen einen erheblichen Einfluss auf die Genese
und Generalisierbarkeit von Symbolkomplexen der sozialen Motivation
von Erleben und Handeln der Individuen vermuten lässt.
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gen und Köcher, wenn es darauf ankommt, dass das Herz erbebt, wenn
sein Pfeil trifft.
Die Bedeutung der “Kontaktmärkte” (Illouz) des Online-Datings im In-
ternet für das Finden und Wählen einer Geschlechtspartnerin oder eines
Geschlechtspartners wird zudem offenkundig sowohl von der Presse als
auch von den Liebesuchenden selbst deutlich überschätzt. Online-Dating-
und Casual-Dating-Plattformen werden für die Liebesanbahnung gegen-
über Social-Media-Plattformen wie Facebook oder anderen interessenba-
sierten Treffpunkten im Internet mehr Bedeutung zugemessen, als sie em-
pirisch haben. Wirksam für das Entdecken des Begehrens ist also weniger
dessen perfekte technische Systematisierung. Stattdessen muss auch hier
dem Zufall des Kennenlernens durch zwanglose Begegnungsmöglichkei-
ten Raum gegeben werden. Burkart fasst dazu zusammen:
“Etwa ein Drittel aller Paare kommt im Freundes- und Bekanntenkreis
bzw. in der Nachbarschaft zustande. Etwa zwanzig Prozent der Paare
haben sich am Arbeitsplatz oder im Bildungssystem kennengelernt.
Ein Viertel bis ein Drittel der Paare lernte sich in Freizeitinstitutionen
kennen. (…) Angaben zu Kontaktanzeigen oder Heiratsvermittlungen
lagen in älteren Studien bei zwei oder drei Prozent. Etwa fünf Prozent
der Paare, so neuere Studien, haben sich über das Internet kennenge-
lernt – allerdings nicht primär über Online-Börsen und Agenturen,
sondern eher im Rahmen sozialer Netzwerke, deren primärer Zweck
nicht unbedingt die Partnersuche ist. (Das bestätigt die alte These, dass
man leichter einen Partner findet, wenn man keinen sucht). Bei Paa-
ren, die noch keine fünf Jahre zusammen sind, ergeben sich für das In-
ternet noch etwas höhere Anteile: 6 Prozent der Paare gaben an, sich
auf Online-Börsen kennengelernt zu haben, und sogar 10 Prozent über
soziale Netzwerke (Allensbach 2012).“ (2018: S. 71).
Die Codierung von Liebe unter interaktionsmedialen Kommunikationsbe-
dingungen ist demnach nicht nur von einem technologischen Wandel ge-
trieben, bei dem es darum geht, überall erreichbar zu sein, die Paarprofile
beim Data Mining kommerziell abzuschöpfen oder Verpaarungsbedürfnis-
se algorithmisch zu steuern. Wenn Medien sozio-technisch operieren und
wenn sie dabei Sinn kontingent strukturieren, dann hat das Auftreten neu-
er Medientechnologien immer auch soziale Sinnwirkungen (vgl. Thiedeke,
2012: S. 107f.). Es hat Auswirkungen darauf, wie man unterscheiden kann,
was man meinen und tun kann und welche Sozialität man daher für mög-
lich und normal erwartet (zu Normalitätserwartungen vgl. O. c.: S. 151).
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In unserem Fall bedeutet das, dass die Verwendung von Computer und
Internet als neue Kommunikationsmedien möglicherweise dazu beiträgt,
Individualität anders wahrnehmen zu müssen und die Persönlichkeitsas-
pekte der damit verbundenen Identitäten auch bei der Liebe gesellschaft-
lich anders einzubetten. Bei der Beobachtungen zur Zukunft der Liebe der
Gesellschaft liegt der Fokus also weniger auf der Liebe oder den Paarbezie-
hungen selbst. Im Zentrum der Beobachtung stehen vielmehr die Sinnbe-
dingungen der gesellschaftlichen Kommunikation individueller Identität.
So ist davon auszugehen, dass sich mit der Kommunikation im Interface
einer gesteuerten und steuernden Interaktion, in der Menschen mit Men-
schen, aber auch Menschen und Maschinen sowie Maschinen und Maschi-
nen miteinander interagieren, das individuelle Erleben von Welt als kom-
munizierbares Ereignis ändert. D. h. Es verändert sich die Beobachtung
(das Unterscheiden von Unterscheidungen) der idiosynkratischen Beob-
achter von System-Umwelt-Beziehungen.
Da damit das Interpenetrationsproblem von Individualität berührt ist,
geht es allerdings nicht nur um das Problem der Individuen, über die
Identität mit sich selbst, soziale Anschlussfähigkeit zu gewinnen. Das
Problem taucht sozusagen als “andere Seite der Medaille” in der gesell-
schaftlichen Variante auf, wie in einer modernen Gesellschaft soziale Ord-
nung möglich sein kann, wenn die Individuen als Subjekte nicht selbstver-
ständlich in gesellschaftlichen Strukturen aufgehen, weil sie auch sozial
nicht zuerst über ihre Beziehungen, sondern ihre Eigenschaften definiert
sind.
“Wenn wir ein Individuum in seiner Individualität charakterisieren
wollen, charakterisieren wir es nicht durch seine Beziehungen zu anderen,
sondern durch seine Beziehung zu sich selbst und, da dies tautologisch
ist, durch seine auf Grund dieser Selbstbeziehung erworbenen Eigen-
schaften.“ (Hervorhebungen UTh.; Luhmann, 1995: S. 126)
Wie aber ist soziale Ordnungsbildung in einer Gesellschaft möglich, die
sich mit der Inklusion des Abweichenden in Form von subjektivierter In-
dividualität auseinandersetzen muss, wenn die “riskanten Freiheiten” (vgl.
Beck, Beck-Gernsheim, 1984) eben nicht nur für die Individuen selbst, son-
dern für alle anderen ebenso riskant sind? Letztlich scheint sich diese Pro-
blemlage zumindest soziologisch auf die Frage zuzuspitzen, „(...) in wel-
cher Weise die Gesellschaftsstruktur Beliebigkeit einschränkt.“ (Luhmann,
1980: S. 17).
Tatsächlich ist davon auszugehen, dass sich das Problem sozialer Ord-
nung als Integrationsproblem individueller Identitäten mit dem Anwach-
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schaftlich, über die Einzelfälle hinaus, einordnen. Mit Bezug auf den Staat
als Organisationsform der Politik merkt Maren Lehmann dazu an:
„(...) der mediatisierte Staat ist eine Organisation bzw. genauer ein Ge-
flecht von Organisationen, das den Einzelnen in ein moderates, näm-
lich durch Entscheidungen vermitteltes Verhältnis zur Gesellschaft
bringt. Die Organisation ist eine Zweitversion der Gesellschaft in der
Gesellschaft, ein Parasit ihrer Variabilität, ein Parasit auch ihrer Fun-
dierung in Differenzen (...)“ (2015: S. 325f.)
Der Attributionsspielraum der Erwartungen an eine Person kann aber
auch deutlich erweitert sein. Das ist etwa an der Codierung der Erwartun-
gen der romantischen Liebe ablesbar. Hier wird die Person überhaupt erst
dadurch erwartbar, dass sie ihr Innerstes in Form von Gefühlen, Wün-
schen, Begierden als Teil ihres idiosynkratischen Weltzugangs zu erkennen
gibt. Genau diese Innerlichkeit sollte sie gegenüber dem geliebten Gegen-
über möglichst nach Außen kehren und darf das dann wiederum ebenso
erwarten, wenn die Liebe erwidert wird. Aus der Perspektive ihrer gesell-
schaftlichen Einordnung wird die liebende Person damit gleichzeitig
zum “Experten” oder zur “Expertin” und zum “Fall”, den es zu “behan-
deln” gilt. Man denke etwa an die Gleichzeitigkeit von Publikums- und
Leistungsrollen für die Beteiligten von Intimbeziehungen in der funktio-
nal differenzierten Gesellschaft (Stichweh, 1988: S. 272f.).
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass es nicht über-
rascht, dass diese sozial “explosive” Form der gefühlsorientierten und so-
mit “innerlichen” Personenattribution für die gesellschaftliche Interpene-
tration von Individuen bei der Liebe sozial sowohl kommunikativ, als
auch semantisch im “Containment” der exklusiven Paarbeziehung einge-
schlossen ist.
Individuelle Identität wird also ganz entsprechend der Möglichkeiten
der Repräsentation auch in der Praxis des Umgangs mit Personen als sozia-
le Abstraktion behandelt. Als Zurechnung ist sie formal begrenzt oder ent-
faltet sich erst in den Exklusionsbereichen der Gesellschaft, wie etwa im
Spiel (vgl. Thiedeke, 2010: S. 17ff.). – Und erst diese sind dann gesellschaft-
lich inkludiert.
Als Indikator für diese Inklusion des Exklusiven können nicht zuletzt
die umfangreichen, teilweise ideologisierten “Diskurse” über Paarbezie-
hungen und ihre Verbindung zu Liebeskonzepten dienen (vgl. Burkart,
2018: S. 245ff.). Die Synthesemöglichkeiten der Individuen, sich selbst zu
erfinden und darüber in der Gesellschaft zu verwirklichen, bleiben struk-
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Auf der Basis der derzeit verwendeten Digitalcomputer bedeutet das, al-
les, was digital kommuniziert, wird digitalisiert. Alles, was digitalisiert ist,
wird berechnet. Alles, was berechnet wird, wird zum Material einer gestal-
teten und gesteuerten Synthese. Im Kontext der Computernetze wie dem
Internet vollzieht sich diese Synthese zudem paradox, nämlich massenhaft
individuell (Thiedeke, 2012: S. 281ff.), in mittelbarer Unmittelbarkeit (O. c.:
S. 274f.) der mittels Berechnung verknüpften, berechnenden Individuen.
Erstmals verwirklicht sich das Diktum von Marshall McLuhan “the me-
dium is the massage” (1968: S. 17). Es besagt, dass das Medium selbst in sei-
ner Art zu kommunizieren und nicht das, was “darüber” vermittelt wird
(“die Inhalte”), den sinnstrukturierenden Unterschied der Kommunikati-
on bedingt. Eigentlich müsste man angesichts der Kommunikation in ky-
bernetischen Interaktionsmedien sogar sagen, dass das Medium jetzt die
Welt (der Weltsichten) geworden ist: “The medium is the world!“
Ein Indikator für diese Entwicklung mag die Umstellung der individuell
unterscheidbaren Identität von Personen sein. Sie wandelt sich von der At-
tribution einer einheitlichen, über unterschiedliche Handlungssituationen
hinweg konsistenten, Identität zu einem Arrangement von Identitätsaspek-
ten, deren Expression je nach sozial-thematischem Kontext der interakti-
onsmedialen Kommunikation variiert, wodurch z. B. “Konsistenzlücken”
(“contextual gaps” vgl. Hull et al., 2011) im erwarteten Verhalten auffällig
werden oder “unpassende” Identitätsaspekte den gerade kommunmikativ
aktiven sozialen Kontext stören können (“context collapse” vgl. Marwick,
boyd, 2011). Kommunizierte Identität wird so aspektgetrieben zur Kompo-
sition einer Art “Multität”, wobei andere jeden kommunizierten Aspekt als
bewussten Identitätsausdruck wahrnehmen können (vgl. Baym, 2010:
S. 120). Der Zusammenhalt einer als authentisch verstandenen Identität er-
fordert dann ein aufwendiges Identitätsmangement (vgl. Maireder, Ausser-
hofer, 2013: Online).
Das mündet jedoch nicht zwangsläufig in die Katastrophe dissoziierter
Identitäten, die sozial nicht mehr anschließbar sind, weil sie in ihrem Sta-
tus des Weltbezugs (wer ist die Person, wer will die Person sein, worauf be-
zieht sie sich in ihrer Persönlichkeit?) nicht mehr erwartbar wären.
Die Identitätsaspekte der Form Person werden bei ihrer Kommunikati-
on im Interface interaktionsmedialer Kommunikation vielmehr durch ein
Netzwerk aufeinander verweisender Bezüge gesteuerter (eben: kyberneti-
scher) Gestaltung wieder integriert. Das Prozessieren von Kommunikation
durch kybernetische Interaktionsmedien, das als Berechnung beliebiger
Variablen zu beschreiben ist, lässt die hier kommunizierten Identitäten
synthetisch werden, weil auch sie berechenbar sind – was etwa in den Fi-
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sie sich etwa über das “Privacy Paradox” (Barnes, 2006: Online) wundern,
das im Grunde nur ein einfacher Widerspruch zwischen der Kenntnis
mangelnden Datenschutzes und der Lust an Selbstoffenbarung in den So-
cial Media (genauer Taddicken, 2014: S. 265ff.) ist.
Findet diese selbst- und fremdreflexive Vernetzung von Identitätsaspek-
ten als Karneval unmöglicher Möglichkeiten statt, dann ist die Beobach-
tung und Kontrolle von individueller Identität und damit die kyberneti-
sche Vernetzung synthetischer Personen aber nicht mehr pan-, sondern
nur noch multioptisch zu erfassen. Die Matrix der durch Computer als
Medien ermöglichten Erwartungen – der Sinnhorizont des “Cyberspace” –
erscheint nicht nur fremd-, sondern auch selbstkonstruiert (vgl. Thiedeke,
2004: S. 133ff.).
So kann eine synthetische Identität entstehen, deren Individualität
durch Vernetzung von Synthesemöglichkeiten definiert wird und deren
Regelmäßigkeit zumindest anhand der Projektförmigkeit vermutet wer-
den kann, in der sich die synthetischen Identitäten ähneln. – Das alles
muss man sich als Geschehen vorstellen, das sich niederschwellig fast “ne-
benbei” realisiert. Man kommt in der Regel ganz ohne Programmierkennt-
nisse aus. Die Synthese geschieht einfach dadurch, dass man sich “ins
Netz” begibt und dort kommunikativ “bewegt”.
Damit ist also mehr und anderes gemeint als nur die Anhäufung, Ver-
knüpfung und Auswertung von Daten zu den vernetzten Individuen. De-
ren Identitätsprobleme unter Bedingungen der sog. “Digitalisierung” las-
sen sich nur unzureichend als Personalisierung durch Algorithmen (vgl.
Napoli, 2014; Schweiger, 2017) und Probleme des Datenschutzes (vgl. Gay-
ken, 2016: Online) beschreiben. Auf diese Weise werden die Erwartungen
zum Entgrenzungspotential der kybernetischen Synthesemöglichkeiten
unterschätzt. Gemeint sind Erwartungen, überall eingreifen zu können,
nichts mehr als gegeben hinnehmen zu müssen, Effekte eigener Eingriffe
sofort und nicht erst nach Abwarten zu realisieren, selbst die Regeln zu de-
finieren, sich vielleicht sogar omnipotent zu fühlen.
Der Prozess, in dem sich solche Entgrenzungserwartungen formieren ist
allerdings nicht per se als Demokratisierung zu begreifen – was durchaus
enttäuschte Erwartungen nach sich ziehen kann (symptomatisch Augstein,
2017). Sie sind zumindest auf den ersten Blick auch nicht anhand von vor-
dergründigen Strukturvariablen wie sozialen oder “digitalen” Ungleichhei-
ten oder von Strukturkonflikten, etwa um politische Partizipation, zu er-
fassen.
Man muss vielmehr die Verschiebungen von Haltungen und Praxen als
Expressionen dieser Erwartungen beobachten, die sich konstruktiv oder
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Auf dem Prüfstand stehen ebenso die Leistungen des SGKM Liebe, Un-
wahrscheinlichkeit nicht nur zu absorbieren, sondern als Ziel und Erfolg
der Liebe zu propagieren. Ist es inzwischen nicht so, dass aus der Unwahr-
scheinlichkeit, die eigene Abweichung als Ausgangspunkt für soziale
Formbildung, also für Vernetzung, ansehen zu können, mit den interakti-
onsmedialen Verknüpfungsmöglichkeiten eine Wahrscheinlichkeit gewor-
den ist?
Damit wird auch die Formbildung des SGKM Liebe selbst in Frage ge-
stellt. Ist etwa die Form der Vergemeinschaftung des Höchstpersönlichen
in der Liebes-Intimität, die ein exklusives soziales System für die Lieben-
den begründet, noch zeitgemäß? Bietet der Exklusionsraum der Liebes-In-
timität weiterhin die bevorzugten Bedingungen der Möglichkeiten, um
die eigene Individualität als Welterleben einer idiosynkratischen Identität
darzustellen, die von einer oder einem ausgewählten anderen in einem Be-
reich “sozialer Sicherheit” erlebt und erhandelt werden kann?
Das wirft die Frage nach der Formüberschreitung auf. Vielleicht macht
es die Entgrenzung sinnhafter Beschränkungen der Körperlichkeit und der
sozialen Einordnung in der virtuellen Wirklichkeit möglich, jede Wahl,
auch die einer Geschlechtspartnerin oder eines -partners, mit beliebigen
individuellen Vorlieben und Vorstellungen öffentlich und nicht mehr ex-
klusiv zu begründen. Oder macht sie es sogar wahrscheinlich, ein solch be-
gehrtes Gegenüber aus vernetzten Identitätsaspekten selbst zu erzeugen?
Schließlich und endlich stellt sich die Frage, worin die Selbstverwirkli-
chung der Individualität(en) fortan begründet ist: etwa in Selbst- statt in
Fremdkontrolle? Vielleicht muss man sich bei der Orientierung im Cyber-
space, dem Sinnhorizont interaktionsmedialer Kommunikation, weniger
darauf verlassen, zur Selbstverwirklichung als Individuum von jemand an-
derem gewollt und akzeptiert zu werden, weil mehr Anreize der Bestäti-
gung des Selbst darin liegen, ein (selbst-)erzeugtes und (selbst-)gestaltetes
Individuum zu sein.
Möglicherweise liegt die Antwort auf all diese Fragen im jetzt vermittel-
baren Unmittelbaren individueller Identitäten begründet. Man könnte ver-
muten, dass die pseudonyme Kommunikationssituation des Internets es
denen, die nach Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung suchen, leich-
ter macht, ihre Körperlichkeit selbst auszuspielen, in dem sie z. B. ihre
ganz eigene Sexualität netzöffentlich ausleben (vgl. Eichenberg, Döring,
2006: S. 151). Eine Vermutung, die sich, über die Pseudonymisierung hi-
naus, etwa an der Grenzpraxis des “Outings” sexueller Orientierung und
ihrer Entwicklung von der “moral panic” zur “Sichtbarkeitspolitik” verfol-
gen lässt (Bruns, 2017: S. 136).
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Die Verführung liegt hier wohl darin, das eigene Begehren absolut zu
setzen und zum Maßstab jeder weiteren Begegnung zu machen. Das Netz
scheint es nicht nur zu erlauben, aus der sozialen Deckung heraus zu kom-
munizieren, sondern auch genügend Raum dafür zu bieten, ähnlich Ge-
sinnte zu finden. So wird man bestärkt die Schranken festgelegter Rollen
bei der Expression eigener Obsessionen und Fetische gar nicht erst beach-
ten zu müssen, was dann zumindest das Beginnen von “Affären” erleich-
tern kann.
Damit ist wieder die individuelle Seite der gesellschaftlichen Interpene-
tration von Individualität angesprochen. Hier wird sichtbar, was das
SGKM in der Verallgemeinerung von zugespitzten Unwahrscheinlichkei-
ten leistet, nämlich die Motivation zur individuellen und nicht nur zur so-
zialen Selektion von Erleben und Handeln. – Auf diese Weise fällt aller-
dings auch das auf, was jetzt aus dem Kommunikationsbereich des SGKM
Liebe auswandert.
Unter den Bedingungen des Cyberspace kann eine individuelle Persön-
lichkeit als “Persona”, also als eine Art selbstgestaltete und selbst gespielte
Identitätspuppe und nicht mehr nur als Person in Erscheinung treten, die
eine Form fremder Attributionen darstellt (vgl. Thiedeke, 2005: 81f.). Die-
se Persönlichkeit muss nicht in erster Linie von einer anderen Persönlich-
keit oder sozialen Gruppe, noch nicht einmal durch ihre sozialstrukturelle,
soziokulturelle oder sozialstatistische Zuordnung, in ihrem Selbstsein be-
stätigt werden, um motiviert zu sein, zu wählen und so sozial anzukom-
men.
Die generalisierte Motivation, die bei interaktionsmedialer Kommunika-
tion für alle gilt, die ans Interface angeschlossen sind, wird für diese Per-
sönlichkeit durch die (Selbst-)Kontrolle über die Steuerungs- und Gestal-
tungsmöglichkeiten der eigenen Identitätsdarstellungen vermittelt. Und
sie bietet jetzt jenen Raum für affektive und körperliche Selbstvermittlung,
den bislang die Liebes-Intimität der romantischen Liebe versprochen hat-
te.
Ihre soziale Bestätigung als “anerkannte Abweichung” oder sogar
als “Originalitätsvorbild” erfährt sie nicht mehr durch wechselseitige Über-
nahme des Welterlebens durch die Liebenden. Die Motivation zur Interpe-
netration in die Gesellschaft resultiert jetzt aus der Vernetzung mit ande-
ren selbst erzeugten und gesteuerten Identitäten, die “das gleich wollen
und machen”. Ihre soziale Bestätigung ergibt sich aus den Protokollen so-
zialer Anerkenntnis und automatischer Verortung im Netz (vgl. Bennett,
Segerberg, 2012: S. 752) der Vorlieben und Abneigungen, Fähigkeiten und
Beschränkungen, Routinen und Exzesse.
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All dies lässt sich noch weiter auf die Motivation sich individuell über
das Netz “einzubringen” zusammenziehen, weil jetzt die eigenen Ansprü-
che als individuelle Äußerungen, individuell bedingter Erwartungen spon-
tan und unmittelbar selbst kommuniziert werden können. Zumindest ver-
meintlich können sie so gesellschaftlich, aber unter selbstgesetzten Bedin-
gungen, “zu Gehör” gebracht werden. Die Kommunikation von Ansprü-
chen, das stellte Luhmann bereits vor der massenhaften Verfügbarkeit von
Internetzugängen fest, ist der Modus in dem Individualität in Unterschei-
dung zur Welt selbstreflexiv wird – was “damals” in der gesellschaftlichen
Dimension jedoch allenfalls punktuell in Intimbeziehungen sowie reprä-
sentativ etwa im Roman oder der Sozialforschung möglich war.
“Der Anspruch Individuum zu sein, ist nicht jene differentia indivi-
dualis der Scholastik, nicht einfach die Festlegung der Diesheit des In-
dividuums durch einen Unterschied zu allem anderen. Er ist der An-
spruch auf Ansprüche, ist ein Ansprüche generierendes Prinzip, mit
dem man Informationen gewinnen, die Welt testen und sich dabei zu-
gleich selbst bestimmen kann.“ (1995: S. 136)
Da es um individuelle Perspektiven auf die Interpenetration von Indivi-
dualität(en) geht, ist man versucht, diese Entwicklung psychopathologisch
als Selbstbestätigung eines algorithmisch verstärkten Narzissmus zu deu-
ten (zur Forschungssituation vgl. McCain, Campbell, 2016: Online). Zu-
mindest muss man dann aber einen recht paradoxen, weil vernetzten Nar-
zissmus diagnostizieren und der romantischen Liebe die Selbstbestätigung
eines sozial verstärkten Narzissmus bescheinigen.
So oder so kommt man möglicherweise nicht um die soziologische Ver-
mutung herum, dass die romantische Liebe unter Sinnbedingungen ge-
wandelter medialer Kommunikationsbedingungen an Exklusivität für die
Inklusion von individuellen Abweichungen und an Exklusivität für die
Selbstverstärkung narzisstischer Persönlichkeiten einbüßen könnte.
Angesichts der Unmöglichkeiten, die Paradoxien der romantischen Lie-
be auf Dauer auszuhalten und ihr Versteckspiel mitzuspielen sowie ange-
sichts der Möglichkeit, romantische Liebes-Beziehungen fortan als Aus-
nahmepassionen statt als Regelfall der individuelle Partnerwahl gesell-
schaftlich wertzuschätzen, mag es dahingestellt bleiben, ob das für die Lie-
be der Gesellschaft einen Verlust an Liebesfähigkeit, sprich an emotional
begründetem Einbezug individueller Ansprüche, die Welt zu deuten, be-
deuten würde.
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Ich beiße Dich zum Abschied ganz zart.
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