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Rechtfertigt die Dringlichkeit der Klimadiskussionen zivilen Ungehorsam?

Die fortwährende Regelmässigkeit der „Friday for Future“- Proteste, als auch die
Zunahme an gewaltfreien Aktionen verschiedener Klimabewegungen, die sich selbst als
„die letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ -um nur einige Beispiele zu nennen-
bezeichnen, gibt einen konkreten Anlass, den Diskurs über die Legitimität zivilen
Ungehorsams erneut zu erö nen. Damit ich mich jedoch der Erläuterung dieser Frage
widmen kann, ist der Versuch, eine Begri serklärung zu unternehmen, unentbehrlich.
Dabei wird sich meine Begri serklärung auf genaue zwei Begri e beziehen: „der zivile
Ungehorsam“ und „die Gewalt“.

Begri serklärung
Meinen Ausgangspunkt für die De nition des Begri es des „zivilen Ungehorsams“ wird
das folgende Zitat aus John Rawls, „eine Theorie der Gerechtigkeit“ darstellen. Darin
de niert er den zivilen Ungehorsam nämlich als:"eine ö entliche, gewaltlose,
gewissensbestimmte, aber politische gesetzwidrige Handlung, die gewöhnlich mit der
Absicht unternommen wird, eine Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik
herbeizuführen.“1

In einer Demokratie, in der alle Souveränität in den Händen des Volkes liegt, kann ziviler
Ungehorsam dazu benutzt werden, entweder direkten oder auch vorerst indirekten
Ein uss auf politische Entscheide zu verüben. Dabei besteht der indirekte Ein uss darin,
die Ö entlichkeit bzw. das Volk auf ein Unrecht-das es als ein solches noch nicht erkennt-
aufmerksam zu machen, um ferner dieses Gedankengut in die darau olgenden
politischen Wahlen ein iessen zu lassen. Dabei ist von grosser Wichtigkeit, dass die von
dieser, zivilen Ungehorsam betreibenden, Minderheit geteilten Werte in Einklang stehen
mit einem wenn nicht objektiv gültigen so doch in dieser Gesellschaft geläu gen
Gerechtigkeitsverständnis. Um die Aufmerksamkeit des Volkes so gut wie möglich zu
erreichen, wird zwar auf "gesetzwidrige Handlung{en}“ bewusst zurückgegri en, es wird
jedoch auf gewalthaftes Handeln verzichtet, um deutlich zu machen, dass diese
Minderheit sich nicht gegen die Gesellschaft, sondern vielmehr zu ihr hin wenden möchte.

Der zweite Begri , der einer genaueren Bestimmung bedarf, ist der Begri der „Gewalt“.
Denn der Begri der „Gewalt“ umfasst eine zahlreiche Reihe von teils gar sich
widersprechenden Bedeutungen. So kann beispielsweise im Duden, sowohl die
physische Schaden zufügende und somit rechtswidrige Gewalt als auch das Recht über
andere zu herrschen unter den Begri der „Gewalt“ fallen. Ferner sind auch von
Philosoph:innen wie Hannah Arendt, Walter Benjamin, Michel Foucault und feministischen
Denkern neue Formen von Gewalt identi ziert worden, die dem Begri der „Gewalt“ einen
zunehmend unbestimmten Charakter verleihen. Nimmt man Rücksicht auf eine
weitverbreitete Sprachregelung, nach der „jeder Akt der Opposition, durch den positive
Gesetze verletzt werden, als gewaltsam bezeichnet wird“2, stellt sich die Frage, wie
„gewaltlos“, ziviler ungehorsam tatsächlich ist. Fügt der zivile Ungehorsam durch seine
Handlungen Individuen weder physischen noch psychischen Schaden zu, so wird
höchstens die Beschädigung ö entlichen Eigentums in Kauf genommen, aber auch nur in
dem Masse, als dass sie keine Bedrohung für Individuen darstellt. Dennoch fügt er
Gewalt im dem Sinne zu als, dass er gewisse Rechte der Bürger unterminiert, indem er
beispielsweise Strassen und anderes blockiert oder „Sit-ins“ in Restaurants verübt. Dieser
erweiterte Begri der Gewalt, birgt jedoch die Gefahr in sich zwischen verschiedenen
Formen von Gewalt nicht di erenzieren zu können. Da, der für zivilen Ungehorsam
plädierende, sich nicht mehr auf die Gewaltlosigkeit dessen berufen kann, wird er

1 John Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 1971


2 Handbuch Politische Gewalt, Hrsg. Birgit Enzmann, S. 70
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gezwungen, auf andere Formen von Gewalt aufmerksam zu machen und dafür zu
argumentieren, dass die durch den zivilen Ungehorsam aufgewandte Gewalt aus dem
Grunde gerechtfertigt ist, dass sie zwecks höher stehenden Rechten (wie dem Erhalt
unseres Planeten!) ausgeübt wird.

Ziviler Ungehorsam und Klimawandel


Nun soll die Frage nach der Rechtfertigung des zivilen Ungehorsams bezüglich der
Dringlichkeit der Klimadiskussionen angegangen werden. Ziviler Ungehorsam geschieht
im Namen der Gerechtigkeit. De niert man Gerechtigkeit nun aber durch den Konsens
Freier und Gleicher, wie man es tut wenn man die Demokratie legitimiert, stelle der zivile
Ungehorsam zweifellos einen Widerspruch in sich dar. Eine Demokratie lässt sich folglich
als die Verkörperung der Frage, „Was ist für alle am besten?“ darstellen. Nimmt man für
die Beantwortung dieser Frage, die Äusserungen und Handlung aller in dieser
Gesellschaft enthaltenen Mitglieder oder die von ihnen als Repräsentanten Gewählten zur
Grundlage, muss davon ausgegangen werden, dass alle zum Einen klare Einsicht in ihre
wahren bzw. vernünftigen Interessen haben, zum Anderen genug Willenskraft haben, sich
für diese wirklich einzusetzen, insbesondere, wenn wahre Interessen in Kon ikt geraten
mit Bedürfnissen, welche keinen vernünftigen Charakter inne haben. In Bezug auf die
Klimadiskussion ist es fraglich, wie sehr das Interesse an einer strengeren Klimapolitik
sich tatsächlich in den Menschen spürbar macht, da sie mit der Restriktion vieler anderer
Bedürfnisse einhergeht, wie beispielsweise, der Wunsch uneingeschränkt iegen, fahren
und Fleisch essen zu können. Wieviel darf vom Menschen erwartet werden? Kann dem
Menschen wirklich diese starke Gebundenheit an die Vernunftgesetze zugesprochen
werden, oder muss nicht vielmehr zugegeben werden, der Mensch handle nach
denjenigen Bedürfnissen, die sich am meisten bei ihm spürbar machen? Noch schwächer
wird das Bedürfnis nach einer strengeren Klimapolitik, wenn man bedenkt, dass die
Konsequenzen, die der Klimawandel mit sich bringen wird von einem Grossteil der
Gesellschaft und der Mehrheit derjenigen, die in der Politik tätig sind, nicht mal in ihrer
Gänze getragen werden. Nicht nur wird vom Menschen erwartet, er könnte für das
einstehen, was für ihn am besten ist, sondern darüberhinaus muss er seine Bedürfnisse
zurückstecken um der Interessen zukünftiger Generationen willen.

Darf man denn überhaupt von einer gerechten Ausgangslage sprechen, wenn die
demokratisch gefällten Entscheidungen einer Gruppe von Menschen in einer solchen
Situation von Statte gehen, dass sie zwangsläu g über die Existenz aller zukünftigen und
gegenwärtigen Generationen, kurz: das Leben an sich, bestimmen. Hat diese
Ausgangslage wirklich dasjenige Mass an Gerechtigkeit erreicht, um bedingungslos und
mit allen Mitteln an ihr festzuhalten?

Dazu kommt, dass die Klimabewegungen mit der Zeit ringen. Jeder Tag, der den
Klimawandel nicht vollständig ernst nimmt, bringt unrevidierbare Folgen mit sich und
stellt ein Schritt in die Richtung des Niedergangs der Erde dar.

Auch darf die Tatsache nicht unbeachtet bleiben, dass die Klimaaktivisten sich nicht auf
bloss verschiedene Werturteile berufen, wie man es den von Ideologien geleiteten
Bewegungen zuschreiben könnte, sondern auf wissenschaftlich bewiesene Tatbestände.

Ist es jedoch durchaus einsehbar, dass gewaltloser Widerstand im Allgemeinen das


demokratische System und die damit eng verbundene Kompromiss ndung entwertet, so
ist dieser Nachteil notwendigerweise akzeptierbar, bedenkt man die enorme Bedeutung
und Reichweite der Umweltpolitik. Ja zugespitzt formuliert, stellt sie nämlich die
Bedingung der Möglichkeit einer sich erhaltenden Demokratie, ja eines menschlichen
Daseins überhaupt dar.

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Fazit
Ich plädiere für eine Erweiterung des Gerechtigkeitsbegri s, der den zivilen Ungehorsam,
insbesondere in Bezug auf die Klimadiskussionen in sich aufnimmt, da zum Einen nicht
allen Menschen eine ausreichende Urteilskraft zugesprochen werden kann, um der Frage
von solcher Reichweite und Bedeutung mit den vernünftigsten Antworten entgegen zu
kommen. In der Hinsicht berufe ich mich auf einen pragmatischen und realistischen
Ansatz, um die Frage nach der Legitimität von zivilen Ungehorsam zu beantworten.

Ferner vertrete ich die Meinung, dass der in der Demokratie geltende Begri der
Gerechtigkeit, aus einem weiteren Grund nicht unbeschränkte Geltung haben darf. Das
Ideal der Gerechtigkeit, auf das die Demokratie meint, einen Anspruch zu haben, kommt
nicht unbedingt zum Ausdruck, wenn über Fragen diskutiert wird, von denen die
anwesenden Teilnehmer nur zu einem minimalen Grade betro en sind. Die Demokratie ist
gerecht, weil alle Interessen, das Potential haben, einen Ausdruck zu nden. Sie ist
jedoch ungerecht, wenn sie dadurch bewirkt, dass die Interessen der jüngsten und aller
zukünftigen Generationen derart ignoriert werden, dass deren ganze Existenz riskiert wird.

Dazu kommt auch die Dringlichkeit der Klimadiskussion, aufgrund derer, schon allein die
zeitliche Dimension legaler Proteste ihr schadet.

Schliesslich hat es einen zutiefst ironischen Charakter, würde man, um das Recht
derjenigen zu gewährleisten, die im Strassenverkehr problemlos Auto fahren möchten,
die Erhaltung unseres Planeten aufs Spiel setzen, was man tatsächlich tut, wenn man die
Strassen-Boykotts der Klimabewegungen als verwer ich abstempelt.
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