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Heikki Ikäheimo

Anerkennung
Grundthemen Philosophie

Herausgegeben von
Dieter Birnbacher
Pirmin Stekeler-Weithofer
Holm Tetens
Heikki Ikäheimo

Anerkennung

Aus dem Englischen übersetzt von Nadine Mooren


ISBN 978-3-11-025412-9
e-ISBN 978-3-11-025414-3

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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Danksagung
Ich danke Arto Laitinen für viele Jahre philosophischer Diskussion und Zusam-
menarbeit, Jussi Kotkavirta, Michael Quante, Ludwig Siep, Axel Honneth, Pirmin
Stekeler-Weithofer, Nicholas Smith und Paul Redding für ihre großzügige Unter-
stützung in unterschiedlichen Stadien meiner Arbeit und ihnen allen, wie auch
Andrew Chitty, Jean-Philippe Deranty, Carl-Göran Heidegren, Volker Heins, Mat-
thias Iser, Simon Lumsden, Emmanuel Renault, Hans-Christoph Schmidt am
Busch, Italo Testa, Ariane ten Hagen, Titus Stahl und Andreas Wildt für ihre Ins-
piration, Kollegialität und philosophische Unterweisung. Auch wenn ich über-
rascht wäre, wenn irgendeiner von ihnen mit allem, was ich in diesem Buch sage,
einverstanden wäre, kann jeder von ihnen Spuren seiner eigenen Ideen darin
wiederfinden. Es geschieht sehr selten, dass man den Dank überschätzt, den man
Anderen für das, was man von ihnen gelernt hat, schuldet und sehr leicht, dass
man ihn vergisst oder unterschätzt. Darüber hinaus danke ich Nadine Mooren
für die ausgezeichnete Arbeit, die sie bei der Übersetzung des ursprünglich eng-
lischsprachigen Manuskripts ins Deutsche geleistet hat und für ihre Hilfe bei
der Bewältigung der besonderen Herausforderung, die sich daraus ergab, dass
ich auf Finnisch nachgedacht, auf Englisch geschrieben und dabei immer einen
deutschen Leser im Sinn hatte. Gertrud Grünkorn verdient Dank und Lob für ihre
Geduld und die Aufmunterung, die sie während der Abfassung und Fertigstel-
lung dieses Buches gespendet hat. Ich möchte auch dem Australian Research
Council, der Macquarie University und der UNSW Australia für ihre finanzielle
Unterstützung danken, ohne die dieses Buches nicht hätte realisiert werden
können. Schließlich danke ich meiner Frau Ming-Chen Lo für ihre unermüdlichen
Ermutigungen und Anregungen und dafür, dass sie alles lohnenswert macht.
Inhalt
1 Einleitung  1

2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen  7


2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ –
zwei bzw. drei Familien von Bedeutungen  7
2.2 Anerkennung von Personen – eine oder mehrere Formen?  10
2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete
interpersonale Verhältnisse, soziale und institutionelle
Sphären  11
2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen
der Anerkennung  14
2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv
oder ist sie konstitutiv für ihre Objekte?  18

3 Fichte über Auffordern und Anerkennen  29


3.1 Aufforderung und Anerkennung  30
3.2 Die Aufforderung zur Freiheit  31
3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts  40

4 Hegel über Anerkennung  63


4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist  65
4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen  69
4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung  73
4.4 Hegels Ambiguitäten  78
4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?  91

5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie:


Charles Taylor und Nancy Fraser  101
5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“  103
5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung  116
5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?   131

6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma  135


6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens basierend auf dem
Begriff der Anerkennung  136
6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung  139
6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth  154
VIII   Inhalt

7. Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher


Personen   163
7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung
und ihre Bedeutsamkeit  165
7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform
und die Rolle intersubjektiver Anerkennung  168
7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches
Ideal  177

Anhang  211

Literatur  213

Namensregister  219

Sachregister  221
1 Einleitung

Jeder, der dieses Buch liest, weiß aus persönlicher Erfahrung, wie gut es sich
anfühlen kann, von Anderen anerkannt zu werden und wie schmerzhaft es
sein kann, wenn eine angemessene Form von Anerkennung ausbleibt – dies ist
unabhängig davon, ob er jemals explizit über diese Sachverhalte nachgedacht
hat oder nicht. Wir erwarten von Anderen, dass sie unsere Präsenz im geteilten
sozialen Raum anerkennen, wir erwarten Anerkennung für unsere Erfolge und
unsere Leistungen und wir haben die Erwartungshaltung, dass unsere Rechte
gebührende Anerkennung erfahren. Auf politischen Schauplätzen bringen eth-
nische, religiöse, sexuelle und andere Minderheiten Forderungen nach Anerken-
nung ihrer Existenz, ihrer besonderen Eigenheiten, Bedürfnisse bzw. Rechte zum
Ausdruck. Doch was genau ist Anerkennung und warum ist sie so bedeutsam?
In den letzten zwei Jahrzehnten ist Anerkennung zu einem der am intensivsten
diskutierten Themen der Politischen und Sozialphilosophie geworden. Viele
unterschiedliche Antworten sind auf diese beiden Fragen gegeben worden. Die
mit diesem Buch verfolgte Absicht ist es, einen selektiven, zugleich historischen
und systematischen Überblick über diese Antworten zu geben: historisch in dem
Sinne, dass ich sowohl die Ansichten der Pioniere des Anerkennungsdiskurses,
J. G. Fichte und G. W. F. Hegel, diskutieren werde als auch einen Vergleich und
eine Gegenüberstellung mit den Konzeptionen von drei Autoren der Gegenwart,
Charles Taylor, Nancy Fraser und Axel Honneth anstelle. Systematisch ist dieser
Überblick deswegen, weil ich mich auf die Klärung der Fragen konzentriere, was
genau das Phänomen bzw. die Phänomene kennzeichnet, die diese Autoren mit
dem Ausdruck „Anerkennung“ bezeichnen, was diese ihres Erachtens so bedeut-
sam macht und welche philosophischen Probleme mit ihren jeweiligen Ansätzen
einhergehen. Darüber hinaus beginnt und endet das Buch mit Kapiteln, die rein
systematischer Natur sind und in denen Fragen diskutiert wie auch begriffliche
Unterscheidungen eingeführt werden, die über die Ansichten der fünf erwähn-
ten Autoren hinaus als nützliche Mittel für die Reflexion und Ausarbeitung
des Anerkennungsthema dienen sollen. Der Überblick ist selektiv, insofern ich
mich lediglich auf eine geringe Anzahl zentraler Autoren der Vergangenheit und
Gegenwart konzentriere1 und in jedem der Fälle entweder nur einen repräsentati-
ven Text (so im Fall von Fichte, Hegel und Taylor) oder eine überschaubare Zahl
von Texten diskutiere (so bei Fraser und Honneth). Die Fokussierung auf eine
relativ begrenzte Auswahl repräsentativer Texte ist durch die Tatsache begrün-
det, dass so eine recht gründliche Betrachtung im Hinblick auf den darin jeweils
wirksamen Begriff bzw. Begriffe von Anerkennung möglich ist. Ich möchte dazu
ermutigen, sich unter Zuhilfenahme dieses Buches selbst mit diesen Texten aus-
2   1 Einleitung

einanderzusetzen und hoffe, dass es als sekundäre Lektüre auch zu Seminaren,


in denen die Primärtexte gelesen und diskutiert werden, einen Beitrag leisten
kann. Unabhängig davon kann das Buch aber auch als eigenständige Einführung
zum Thema Anerkennung gelesen werden, insofern ich eine Übersicht über die
wichtigsten Aspekte der diskutierten Primärtexte gebe. Die begrifflichen Unter-
scheidungen, die in diesem Buch entwickelt werden, sind darüber hinaus so
angelegt, dass sie auch in praktisch jedem anderen Text, der von Anerkennung
handelt, angewendet werden können und einen differenzierten und systemati-
schen Zugriff auf das Thema ermöglichen.
Das Buch beginnt im 1. Kapitel mit der Klärung einer Reihe von terminologi-
schen und begrifflichen Fragen, die die generelle Idee von „Anerkennung“ betref-
fen. Jedem dieser Zusammenhänge kommt spezifische Relevanz zu, wenn es
darum geht, die Konstellation von Phänomenen, die im Hinblick auf Bedürfnisse,
Forderungen und Diskurse der Anerkennung zur Diskussion stehen, auf klare
und differenzierte Weise zu behandeln. Die Unterscheidungen, die ich in diesem
Kapitel einführe, werden in den nachfolgenden Kapiteln fruchtbar gemacht, um
die Texte von Fichte, Hegel, Taylor, Fraser und Honneth zu verstehen und auch
im abschließenden systematischen Kapitel zur Anwendung kommen.
Der erste dieser Texte, der in Kapitel 2 behandelt wird, ist der erste Teil von
Fichtes Grundlage des Naturrechts. Hier werde ich das Augenmerk auf den Begriff
der „Aufforderung“ legen, inwiefern diesem im Zusammenhang der Entwicklung
von individuellen menschlichen Wesen zu „freien Vernunftwesen“ oder „Per-
sonen“ eine notwendige Bedeutung zukommt und darauf, was genau er unter
„Anerkennung“ versteht, die er als notwendige Bedingung dafür erachtet, dass
ein solches Auffordern überhaupt stattfinden kann. Unter Zuhilfenahme einiger
der in Kapitel 1 etablierten Unterscheidungen werde ich eine Reihe zentraler
Ambivalenzen von Fichtes Behandlung des Themas in den Blick nehmen. Diese
Ambivalenzen sind nicht nur Probleme, die mit Fichtes Behandlungsweise ein-
hergehen. Sie zu verstehen, ist auf eine allgemeine Weise aufschlussreich, wenn
es die Phänomene, über die Fichte spricht, auf kohärente Weise zu hinterfragen
gilt.
In Kapitel 3 wende ich mich Hegel zu, der Fichtes Arbeiten über Aufforde-
rung und Anerkennung gekannt hat und in dessen eigener Konzeption man eine
Antwort auf ein zentrales Problem findet, mit dem Fichtes Ansatz belastet ist: Wie
ist Freiheit mit der Vorstellung zu vereinbaren, dass man im Rahmen von Aner-
kennung durch andere Personen affiziert und somit „bestimmt“ wird? Hegels
Begriff „konkreter Freiheit“ stellt einen Versuch dar, die notwendige Abhängig-
keit menschlicher Wesen voneinander sowie die wechselseitige Bestimmung des
jeweils Anderen in einen sinnvollen Begriff von Freiheit zu integrieren. Dieses
Kapitel analysiert Hegels Überlegungen zu den vielfachen Bedeutungen von
1 Einleitung   3

Anerkennung sowie deren Verknüpfung mit dem Begriff der konkreten Freiheit
und des „Geistes“ anhand des „Selbstbewusstseins-Kapitels“ seiner Enzyklo-
pädie der philosophischen Wissenschaften. Nach meiner Lesart steht „Anerken-
nung“ in diesem Text für einer Reihe miteinander zusammenhängender Phäno-
mene, die zusammengenommen auf spezifische Art und Weise eine „geistige“
Lebensform von einer bloß „natürlichen“ Lebensform unterscheiden; oder mit
anderen Worten: die Lebensform menschlicher Personen von einfacheren tieri-
schen Formen des Lebens. Nach Hegel kommt Anerkennung eine entscheidende
Rolle bei der Verwirklichung dessen zu, was er als die normative Essenz dieser
Lebensform begreift, nämlich die konkrete Freiheit.
Mit Kapitel 4 wenden wir uns historisch und begrifflich einem ganz anderen
Kontext zu, in dem das Anerkennungsthema in den letzten zwei Jahrzehnten
intensiver Diskussionsgegenstand gewesen ist. Hier sollen die teilweise konfli-
gierenden Auffassungen untersucht werden, die die gegenwärtigen Politischen
Philosophen Charles Taylor und Nancy Fraser zur Rolle von Bedürfnissen und
Forderungen nach „Anerkennung“ vertreten, die ethnische, sexuelle und andere
Minderheiten in der politische Sphäre artikulieren. Damit einhergehend sollen
ihre Antworten auf die Frage betrachtet werden, wie diese Bedürfnisse und Forde-
rungen sowie ihr Verhältnis zu anderen politischen Angelegenheiten am Besten
in Begriffe zu fassen sind. Viele der ursprünglichen Einsichten in das Wesen und
die Bedeutsamkeit von Anerkennung, wie wir sie bei Fichte und Hegel finden
werden, fehlen in den Theorien von Taylor und Fraser. Stattdessen bieten diese
Theorien neue Elemente für ein umfassendes Verständnis der Phänomene, auf
die der Begriff „Anerkennung“ verweist. Kurz gesagt: Während man bei Fichte
und Hegel wichtige Erkenntnisse zur konstitutiven Bedeutsamkeit von Anerken-
nung für das, was wir sind, findet, nämlich menschliche Personen, lenkt Taylor
die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Anerkennung für die Frage, wer
jemand ist, bzw. auf die qualitative Selbstauffassung von Personen.
Nancy Fraser kritisiert in ihren Arbeiten genau diese Betonung von „Iden-
tität“ und „Selbstidentität“, die sie in der Konzeption Taylors und ähnlichen
Anerkennungskonzeptionen findet. Fraser zufolge verstärken diese Konzep-
tionen eine unglückliche Tendenz westlicher politischer Diskurse der letzten
Jahrzehnte, indem sie Probleme, die mit „Anerkennung von Identitäten“ zu tun
haben, überbetonen, während sie Fragen der gerechten Verteilung von materi-
ellen und anderen Ressourcen ignorieren. Frasers eigener Beitrag zur Anerken-
nungsdebatte kreist daher um die Vorstellung, dass Anerkennung neben Vertei-
lungsgerechtigkeit eines von zwei Elementen darstellt, um eine „Inklusion“ von
Individuen und Gruppen als gleichberechtigt Partizipierende am sozialen Leben
zu ermöglichen.
4   1 Einleitung

In Kapitel 5 wird mit der Arbeit von Axel Honneth der in meinen Augen bislang
ambitionierteste Versuch diskutiert, den Begriff der Anerkennung im Rahmen der
Politischen und Sozialphilosophie zur Anwendung zu bringen. Seine Arbeit wird
heutzutage häufig mit einem neuen, anerkennungstheoretischen „Paradigma“
des kritischen sozialen und politischen Denkens in Verbindung gebracht. Ich
werde den Schwerpunkt auf Honneths ursprüngliche programmatische Fassung
seiner anerkennungstheoretischen Annäherung an die soziale und politische
Wirklichkeit in seiner 1992 erschienenen Monographie Kampf um Anerkennung
legen, auf einige interne Spannungen zu sprechen kommen und erläutern, auf
welche Weise sich diese Spannungen in Honneths Folgearbeiten zum Thema
Anerkennung ausgewirkt haben. Eine der innovativsten Einsichten Honneths
besteht darin, Anerkennung in drei ihr zukommende Formen bzw. Dimensionen
auszudifferenzieren. Diese Vorstellung organisiert teilweise auch die Auseinan-
dersetzung mit den anderen Autoren, die in diesem Buch behandelt werden, so
beginnend mit Fichte, der ausschließlich eine der drei von Honneth benannten
Dimension von Anerkennung in den Blick nimmt – ich nenne diese die „deonto-
logische Dimension“. In ihr geht es um Normen, Gesetze, Autorität und Respekt.
Bei Hegel begegnen wir dann, neben der deontologischen Dimension, einer
zweiten Dimension von Anerkennung, die von mir so genannte „axiologische
Dimension“, die von Wertschätzung, der Sorge um sich selbst und um andere wie
auch von Liebe handelt. Schließlich werden wir bei Taylor etwas entdecken, das
der dritten Dimension, wie Honneth sie bestimmt, zumindest recht nah kommt.
Diese nenne ich die „kooperative bzw. kontributive Dimension“, in ihr geht es
um Leistungen und Beiträge zum Wohl Anderer sowie um die Wertschätzung, die
man dafür erfährt.
Das abschließende 6. Kapitel nimmt ein entscheidendes Problem in den
Blick, das Fichtes und Hegels Anerkennungstheorien von denen der drei Gegen-
wartsautoren unterscheidet. Während es für Fichte und Hegel unproblematisch
war, Anerkennung als etwas zu begreifen, das wesentlich zur Verfasstheit „freier
Vernunftwesen“, „Personen“ bzw. „Menschen“ im allgemeinen gehört, neigen die
Autoren gegenwärtig zur Vorsicht im Umgang mit solchen Generalisierungen und
tendieren dazu, sich auf weniger ambitionierte Behauptungen über die Bedeut-
samkeit von Anerkennung in ihren jeweils eigenen oder ähnlichen Gesellschaften
(d.h. moderne, westliche, demokratische, liberale, kapitalistische Gesellschaf-
ten) zu beschränken. Auch wenn in diesem Zusammenhang sicherlich Grund zur
Vorsicht besteht, sollte diese Bedachtsamkeit dennoch nicht mit einer unkriti-
schen Ablehnung jeglicher Annahmen über eine mögliche universale Bedeutsam-
keit von Anerkennung für ein gutes und gelingendes Leben verwechselt werden.
Im Abschlusskapitel arbeite ich mit begrifflichen Werkzeugen, die in den
vorangegangenen Kapiteln des Buches eingeführt wurden, um so die begriffli-
1 Einleitung   5

che Landschaft zu beleuchten, innerhalb derer Behauptungen für bzw. gegen die
universale Bedeutsamkeit von Anerkennung für den Menschen vorgebracht und
bewertet werden. Das Ziel ist es, eine Reihe potentieller Verwirrungen und Miss-
verständnisse aufzuklären, die einer unbefangenen Beurteilung von Annahmen
und Argumenten zur Relevanz von Anerkennung (in ihren vielfachen Bedeutun-
gen) für das menschliche Leben im allgemeinen, unabhängig von kulturellen oder
anderen Unterschieden, hinderlich sein können. Abschließend skizziere ich eine
mögliche Weise, wie eine immanente Sozialkritik mit übergreifender interkultu-
reller Anwendbarkeit ausgehend von einer Konzeption des „vollwertigen“ Per-
sonseins und der Bedeutung, die Anerkennung dabei spielt, begründet werden
kann. Diese Skizze ist eine rationale Rekonstruktion alltäglicher ethischer und
moralischer Intuitionen und Annahmen zur Frage, was die menschliche Koexis-
tenz wahrhaft „menschlich“ bzw. „unmenschlich“ macht. In ihr werden einige
der grundlegenden sozialontologischen Thesen Fichtes und Hegels über die
menschliche Lebensform, eine differenzierte Konzeption dessen, was es heißt,
eine Person zu sein, sowie im weitesten Sinne Honneths drei-dimensionale Inter-
pretation von Anerkennung fruchtbar gemacht.
Es ist eine diesem Buch zugrundeliegende Überzeugung, dass das volle
Potential des Begriffs bzw. der Begriffe von Anerkennung, das diese für ein Ver-
ständnis der Struktur und Dynamik des sozialen, politischen und individuellen
menschlichen Lebens sowie für deren Evaluation und Kritik haben könnten,
bisher nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, muss
eine Vielzahl von Perspektiven und Einsichten aus der älteren und neueren Lite-
ratur zum Thema Anerkennung zusammengetragen und philosophisch systema-
tisiert werden. Das Bestreben dieses Buchs ist es nicht, die umfassende Synthese
all dieser Perspektiven und Einsichten zu leisten, sondern vielmehr Klarheit und
ein gewisses Maß an systematischer Einheitlichkeit in die verschiedenen Debat-
ten um Anerkennung zu bringen und so vielleicht Anderen dabei zu helfen, sich
einer solchen Synthese anzunähern. Vor allem aber richtet sich das Buch an
jeden wissbegierigen Leser, der ein ernsthaftes Interesse für die philosophische
Untersuchung der Frage mitbringt, wonach wir eigentlich begehren, wenn wir
nach Anerkennung verlangen und warum genau es uns ein so dringliches Anlie-
gen ist, dieses Bedürfnis befriedigt zu sehen.
2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen
Was also ist Anerkennung? Das Ziel dieses ersten Kapitels ist es, einige begriff-
liche Zusammenhänge, die mit dem Anerkennungs-Begriff einhergehen, zu
klären. Dem Leser soll auf diese Weise einerseits eine angemessen differenzierte
Einstiegsvorstellung des Themas geboten werden. Andererseits werden auf
diese Weise Unterscheidungen eingeführt, die dann auch in den anschließen-
den Kapiteln zur Anwendung kommen werden. Mit Blick auf zwei Sprachräume,
die besonders wichtig sind für die Geschichte und die gegenwärtigen Debatten
unseres Themas, beginne ich (in Abschnitt 2.1.) mit einigen Beobachtungen zur
Bedeutung des Titelwortes: „Anerkennung“ im Deutschen und „recognition“ im
Englischen. Zweitens (in Abschnitt 2.2.) werde ich auf die Vorstellung zu spre-
chen kommen, dass es mehr als eine Form von Anerkennung geben könnte und
drittens (in Abschnitt 2.3.) einige Zusammenhänge voneinander unterscheiden,
die nicht miteinander verwechselt werden sollten, sofern man adäquat über
dieses Thema nachdenken und diskutieren will. Hierbei handelt es sich um Ein-
stellungen, Einstellungskomplexe und andere psychologische Zusammenhänge,
konkrete interpersonale Verhältnisse sowie soziale und institutionelle Kontexte
bzw. Sphären. Ausgehend von der These, dass Einstellungen in vielerlei Weise
das Grundelement einer angemessenen Analyse von Anerkennung darstellen,
werde ich viertens (in Abschnitt 2.4.) Verknüpfungen von anerkennenden Einstel-
lungen zu „Anerkennungsakten“ und „Ausdrucksweisen von Anerkennung“ dis-
kutieren. Fünftens thematisiere ich (in Abschnitt 2.5.) die Frage, ob Anerkennung
von Subjekten oder Personen etwas ist, das responsiv auf Personen oder einen
Aspekt des Personseins eingeht oder ob sie konstitutiv für Personen oder einen
Aspekt des Personseins ist. Dabei werde ich die vielen konzeptuellen Möglichkei-
ten zusammenstellen und erläutern, was genau es für den Begriff der Anerken-
nung bedeutet, wenn diese oder jene Alternative zutrifft.

2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ –


zwei bzw. drei Familien von Bedeutungen

Es ist ein Merkmal der Debatten über „Anerkennung“, dass die Bedeutung dieses
zentralen Ausdrucks von den verschiedenen Autoren häufig sehr unterschiedlich
aufgefasst wird. Darin spiegeln sich zumindest teilweise seine mannigfaltigen
außerakademischen Gebrauchsweisen wider. Wie von einigen Autoren bemerkt
wurde (Margalit 2001), vermag die Bedeutungspluralität die Quelle für eine
fruchtbare Fusion von Einsichten zu sein, sie kann aber auch zu Konfusionen
führen, die dem wissenschaftlichen und philosophischen Vorankommen, dem
8   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

kollektiven Selbstverständnis und politischen Debatten abträglich sein können.


Es ist daher wichtig, einige Bemerkungen zu den verschiedenen Bedeutungen, die
dem Titelwort dieses Buches im alltäglichen wie auch im theoretischen Sprachge-
brauch zukommen, zu machen und darüber hinaus einen kurzen Blick über die
deutsche Sprache hinaus zu werfen. Obwohl Fichte und Hegel, die für das Thema
wegbereitenden Autoren, auf Deutsch geschrieben haben und viele der wichtigen
Arbeiten zu Anerkennung in den letzten Jahren von Autoren vorgelegt wurden,
die auf Deutsch schreiben, werden die meisten internationalen Diskussionen
über dieses Thema (wie über die meisten philosophischen oder wissenschaftli-
chen Themen) heutzutage auf Englisch geführt. Es ist daher wichtig, sowohl im
Hinblick auf die deutsche „Anerkennung“ als auch die englische „recognition“,
die in der Literatur wechselseitig als Übersetzungen dienen, ein angemessenes
Verständnis ihrer semantischen Eigentümlichkeiten zu gewinnen.1
Der englische Ausdruck „recognition“ hat einen weitergefassten expliziten
Bedeutungsumfang als der deutsche Ausdruck „Anerkennung“ und diese rela-
tive Vielzahl an Bedeutungen von „recognition“ führt leicht zu Mehrdeutigkei-
ten und unkontrollierten Verwechslungen ihrer unterschiedlichen Bedeutungen.
Diese gehen zudem im Übersetzungsprozess ursprünglich englischsprachiger
Texte ins Deutsche leicht verloren, was Verständnisschwierigkeiten auf Seiten
des deutschen Lesers zur Folge haben kann.
Wenn Autoren explizit die Bedeutungen oder Gebrauchsweisen des engli-
schen Ausdrucks „recognition“ diskutieren, dann organisieren sie diese gewöhn-
lich in drei Bedeutungsfamilien. Auch für uns ist es nützlich, dieser Methode
zunächst zu folgen. Eine der Bedeutungsfamilien von „recognition“ wird vom
deutschen Ausdruck „Anerkennung“ nicht geteilt, zwei andere sind jedoch
beiden gemeinsam.
Erstens gibt es einen Sinn des englischen Wortes „recognition“, in dem es
mehr oder weniger synonym mit „Identifizierung“ oder „Erkennen“ im Deutschen
ist. In diesem Sinne kann man etwas oder jemanden numerisch als das Indivi-
duum anerkennen, d.h. identifizieren, das es, er oder sie ist (z.B. als den Fluss
Rhein oder als Michael), man kann es qualitativ als Träger einer bestimmten Qua-
lität oder bestimmter Qualitäten (z.B. als groß oder freundlich), oder gattungs-
mäßig als zu einer bestimmten Klasse oder Gattung gehörig erkennen (z.B. der
Flüsse oder Menschen). Dabei ist zu beachten, dass „recognition“ sich in diesen
Bedeutungen von numerischer, qualitativer und gattungsmäßiger Identifikation
im Prinzip auf jedes mögliche Objekt beziehen kann – Personen, materielle Dinge
wie auch auf abstrakte Entitäten.
Die zweite Bedeutungsfamilie des englischen „recognition“ ist diejenige,
nach der das Wort mehr oder weniger ein Synonym für „akzeptieren“ oder „zuge-
stehen“ im Deutschen ist bzw. für „acknowledging“ im Englischen. Während alles
 2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“   9

ein Objekt der Identifikation sein kann, betrifft diese zweite Bedeutungsfamilie
nur das, was wir evaluative und normative Entitäten nennen können. „Anerken-
nen“ im Sinne von „to acknowledge“, „akzeptieren“ oder „zugestehen“ kann man
nur Dinge wie Werte, Normen, Prinzipien, Regeln, Gründe, Verantwortlichkeiten,
Verpflichtungen, Sünden, Schuld usw.
Während „recognition“ als Identifikation im Prinzip auf alles Erdenkliche
bezogen werden kann und „recognition“ als „acknowledging“ oder „akzeptie-
ren“ sich auf evaluative und normative Entitäten bezieht, gibt es noch eine dritte
Familie der Bedeutungsverwendung von „recognition“, die sich allein auf Perso-
nen, individuell oder im Kollektiv, bezieht. Im Rahmen dieser ausschließlich Per-
sonen-bezogenen Bedeutungsverwendung kann man bspw. sagen: „Anerkenne
Klaus für seine Arbeit oder seine Beiträge!“ oder denken, dass man „den Mut der
Bürger von Kairo im Arabischen Frühling anerkennen sollte“.
Die Semantik des deutschen Ausdrucks „Anerkennung“ unterscheidet sich
in gewisser Weise hiervon. Ihre Bedeutung scheint grob die zwei zuletzt genann-
ten Bedeutungen des englischen „recognition“ abzudecken. Wie im Englischen,
so kann man auch im Deutschen Personen (die dritte Bedeutungsfamilie) und
evaluative und normative Entitäten (die zweite Bedeutungsfamilie) anerkennen.2
Der Hauptunterschied ist der, dass die Oberflächenbedeutung des deutschen Aus-
drucks „Anerkennung“ nicht die erstgenannte Bedeutungsfamilie miteinschließt,
nach der das englische „recognition“ ein Synonym für „Identifikation“ ist.
Schaut man allerdings unter die Oberflächenstruktur, dann fällt auf, dass der
deutsche Ausdruck „Anerkennung“ doch auch ähnlich wie der englische Aus-
druck „identification“ funktioniert. Dies hängt damit zusammen, dass die Kluft
zwischen dem Erkennen oder Identifizieren von etwas als etwas und dem Aner-
kennen, dass etwas in bestimmter Weise beschaffen ist (bzw. dass etwas der Fall
ist), leicht zu überbrücken ist. Man kann hier etwa an Fälle denken, in denen
jemand eine Tatsache von praktischer oder moralischer Relevanz zunächst
ableugnet, sie dann aber schließlich doch anerkennt. Damit will ich sagen, dass
das scheinbar nicht-normative Phänomen des Identifizierens bzw. Erkennens
von etwas als ein Normativität involvierender Fall von Anerkennung beschrie-
ben werden kann, sobald die Aufforderung dazu gegeben wird, dass man etwas
als das, was es ist, identifizieren sollte.3 Hierbei geht es nicht nur um einen epi-
stemischen Sinn von Normativität, demzufolge man Objekte, Ereignisse etc.
korrekt identifiziert bzw. daran scheitert – Normativität in dieser epistemischen
Bedeutung ist bei Identifikationsakten notwendigerweise beteiligt. Vielmehr
geht es hier um eine Art des praktischen Sollens. Wenn jemand dazu ermahnt
wird, „die Tatsachen anzuerkennen“, dann geht es dabei normalerweise nicht so
sehr (oder zumindest nicht ausschließlich) darum, keinen epistemischen Fehler
zu begehen, in dem Sinne, dass er etwas anderes für wahr hält, als der Fall ist.
10   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

Entscheidend ist vielmehr, dass er den Anforderungen begegnen soll, die die in
Frage stehenden Tatsachen an ihn stellen.

2.2 Anerkennung von Personen – eine oder mehrere Formen?

Die verschiedenen Themen, die unter dem Titel „Anerkennung“ oder „recogni-
tion“ firmieren, sind letztendlich in vielerlei Weise miteinander verknüpft und
sobald man tiefer in eines der fraglichen Phänomene eindringt, beginnen die
sauberen Unterschiede zwischen den zwei (bzw. drei) Bedeutungsfamilien ihre
Offensichtlichkeit zu verlieren. Nichtsdestoweniger ist es hilfreich, zumindest
anfänglich mit diesen Unterscheidungen zu arbeiten. Tut man dies, dann kann
man sagen, dass der explizite Fokus der gegenwärtigen Debatte in der Politischen
und der Sozialphilosophie mehrheitlich auf dem Thema der Anerkennung von
Personen liegt. Dasselbe gilt für den überwiegenden Teil der älteren Literatur zu
unserem Thema. Allerdings war Anerkennung von Personen schon bei Fichte
und Hegel, die in den nächsten beiden Kapiteln diskutiert werden, eng mit einer
Art Anerkennung (bzw. Akzeptanz) von Institutionen verbunden, und wie wir
noch sehen werden, hängt dies mit einer Ambivalenz der institutionellen und
nicht-institutionellen Bedeutung im Begriff des Personseins zusammen.
Im Hinblick auf Anerkennung von (bzw. für) Personen ist es eine wichtige sys-
tematische, aber häufig nicht thematisierte Frage, ob hierbei eine oder mehrere
Formen anzunehmen sind. Oder um dies anders auszudrücken: Es stellt sich
die Frage, ob „Anerkennung für Personen“ eine Familie mit vielen Mitgliedern,
oder traditioneller verstanden eine Gattung für verschiedene Arten bezeichnet,
oder ob es vielleicht doch nur eine Art und Weise gibt, eine Person oder Perso-
nen anzuerkennen. Wie wir später sehen werden, hat sich nicht einmal Hegel,
unser zentraler klassischer Referenzautor, eindeutig zu dieser Frage verhalten.
Auch heute noch wird die Anerkennungsthematik manchmal ohne ein ausdrück-
liches Bewusstsein, das in diesem Zusammenhang überhaupt eine Problematik
besteht, diskutiert.
Grundsätzlich schwankt die Beantwortung dieser Frage, sei es explizit oder
implizit, zwischen eindimensionalen und multidimensionalen Konzeptionen von
Anerkennung. Während es multidimensionalen Konzeptionen zufolge zwei, drei
oder mehrere Formen bzw. Arten von Anerkennung gibt, existiert den eindi-
mensionalen Konzeptionen zufolge nur eine einzige Art. Es ist selbstverständ-
lich möglich und tatsächlich auch häufig der Fall, dass ein Autor auf der expli-
ziten Ebene eine eindimensionale Konzeption vertritt, sich implizit jedoch auf
eine multidimensionale Konzeption verpflichtet. Mit anderen Worten: Er gesteht
nicht ausdrücklich zu, dass die Art und Weise, wie er über Anerkennung spricht,
 2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse   11

ihn in Wahrheit darauf festlegt, dass es mehr als eine Weise der Anerkennung
gibt. Hierbei muss es sich nicht zwangsläufig um ein Problem handeln, denn es
muss möglich sein, sich auf der Gattungsebene auf das zu konzentrieren, was
allen Arten oder Formen gemeinsam ist und von dem zu abstrahieren, was sie
unterscheidet. Ein mangelndes Bewusstsein von dieser Problematik mag aber
dennoch zu der Annahme verleiten, dass etwas in Bezug auf Anerkennung im
Allgemeinen wahr ist, obwohl es in Wahrheit nur im Hinblick auf einige ihrer
besonderen Arten zutrifft (vorausgesetzt es gibt mehr als eine Art).
Die bekannteste und einflussreichste ausdrücklich multidimensionale Kon-
zeption der Anerkennung von Personen stammt von Axel Honneth, der − indem
er sich teilweise auf eine rationale Rekonstruktion der Anerkennungskonzeption
des jungen Hegel, teilweise auf aktuellere Theoretiker bezieht − drei Formen bzw.
Arten unterscheidet. Diese nennt er „Liebe“, „Respekt“ bzw. „Achtung“ und
„Wertschätzung“ (Honneth 2003) (vgl. 6.2.).

2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete


interpersonale Verhältnisse, soziale und institutionelle
Sphären
Man kann sich dem Anerkennungsthema aus verschiedenen Perspektiven annä-
hern, die allesamt wichtige Aspekte dieses Themas beleuchten. In einer Perspek-
tive kann man sich auf die wechselseitig aufeinander bezogenen Handlungen der
Subjekte bzw. Personen konzentrieren. Dieser Perspektive werden wir im nächsten
Unterkapitel nachgehen. In einer anderen Perspektive stehen die Einstellungen,
die Subjekte bzw. Personen zueinander einnehmen, im Vordergrund, und in vie-
lerlei Hinsicht sind Einstellungen die grundlegenden Elemente, anhand welcher
man eine große Anzahl der für unser Thema relevanten Phänomene am besten
analysieren kann. Im Rahmen dieser Perspektive, die sich auf Einstellungen kon-
zentriert, ist es wichtig, klar zwischen den folgenden Aspekten zu unterscheiden:

(a) Einstellungen,
(b) komplexen Gefügen von Einstellungen und anderen psychischen Zuständen,
(c) konkreten interpersonalen Relationen und
(d) sozialen und institutionellen Kontexten bzw. Sphären.4

Der Ausdruck „Anerkennung von Personen“ lässt noch offen, ob sowohl der
Anerkennende und der Anerkannte Personen sind. Ohne weiteres Wissen könnte
der eine oder der andere z.B. auch für eine Institution stehen. Wir wollen uns hier
aber auf den besonderen Unterfall der Anerkennung von Personen konzentrie-
12   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

ren, demgemäß es sich sowohl beim Anerkennenden als auch beim Anerkannten
um eine Person handelt: auf interpersonale bzw. intersubjektive Anerkennung.5
Wir wollen des Weiteren zum Zwecke eines vereinfachten Zugangs solche Fälle
fokussieren, in denen es um individuelle Personen und nicht um Kollektive oder
Gruppen von Personen geht. Es ist die intersubjektive Dyade eines einzelnen
menschlichen Anerkennenden und eines einzelnen Anerkannten, die die Imagi-
nation der Theoretiker seit Fichte und Hegel am stärksten gebannt hat und in den
meisten Fällen implizit oder explizit als das Kernphänomen intersubjektiver bzw.
interpersonaler Anerkennung angesehen wurde.
Sich allein auf Einstellungen zu konzentrieren  – besonders zwischen nur
zwei Personen bzw. einer intersubjektiven „Dyade“ – beinhaltet naturgemäß eine
Abstraktion von der unendlich subtilen Komplexität des sozialen Lebens. Es ist
jedoch nichts Schädliches an einer solchen methodologischen Abstraktion, wenn
man den größeren Kontext, in den Einstellungen eingebettet sind, im Hinterkopf
behält. Legt man den Fokus auf Einstellungen des Anerkennens (wie z.B. Liebe
oder Respekt), dann muss bereits die simple Tatsache mitberücksichtigt werden,
dass es für eine Person kaum möglich ist, nur eine Einstellung oder auch nur Ein-
stellungen einer Art bzw. eines Typs gegenüber einer anderen Person zu haben.
Anerkennende Einstellungen (a) sind immer Teil eines komplexeren Gefüges
von Einstellungen (b), die eine Person gegenüber einer anderen hat und dieses
ist wiederum Teil des noch weiteren Gefüges, das die Einstellungen beider Par-
teien zueinander umfasst. Dieses beidseitige Gefüge ist darüber hinaus Teil eines
übergreifenden Zusammenhangs all derjenigen Einstellungen, die sie gegenüber
dritten Personen, sich selbst und der Welt in einem weiter gefassten Sinne ein-
nehmen. Die Einstellungen, die Menschen zueinander, zu sich selbst und zur
Welt einnehmen, sind keine isolierten, bloß äußerlich verbundenen Atome,
sondern beeinflussen, bedingen und konstituieren einander auf vielerlei Weise.
Anerkennende Einstellungen stellen in diesem Sinne keine Ausnahme dar.
Wir wollen unsere Aufmerksamkeit jetzt allein den Einstellungen und Ein-
stellungskomplexen zwischen Personen widmen. Man denke etwa an Liebe als
eine Form von Anerkennung. Es besteht ein großer Unterschied darin, ob man
sich unter Liebe zwischen Personen eine bestimmte Einstellung vorstellt, die
einer oder beide Beteiligten zueinander einnehmen oder ob man sich darunter
ein Gefüge bzw. eine Kombination von Einstellungen vorstellt, die einer (oder
beide) der Beteiligten zum anderen oder zueinander einnehmen. Miteinander
kombinierte Einstellungen oder Einstellungen, die die Form eines komplexeren
Gefüges annehmen, sind die Grundlage von Emotionen (bspw. ist Lisas Sorge
um Karls Gesundheit konstituiert durch Lisas Liebe zu Karl in Verbindung mit
ihrer Überzeugung, dass Karl sich ungesund ernährt) und sie werden häufig
von verschiedenen Arten von Empfindungen und anderen nicht-intentionalen
 2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse   13

Zuständen begleitet (z.B. sexueller Erregung oder Niedergeschlagenheit). Über


Einstellungskomplexe zu sprechen bezieht somit zahlreiche psychologische Phä-
nomene mit ein und zwar nicht nur Einstellungen, sondern auch Emotionen und
Empfindungen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass etwa Psychologen oder andere
Theoretiker Liebe mit solchen Gefügen psychologischer Zustände und Prozesse
identifizieren. Da diese aber eine immense Variation erlauben und da jedes
solcher komplexen Gefüge einer dauernden, manchmal turbulenten Verände-
rung unterworfen ist, erzeugt die Diskussion solcher Phänomene auf der Ebene
der Gefüge, wenn die individuellen Elemente nicht genauer betrachtet werden,
endlose Möglichkeiten der Vagheit und Mehrdeutigkeit.
Einstellungen sind genauso wie Einstellungskomplexe und andere psycho-
logische Zustände Teil der inneren Verfasstheit von interpersonalen Beziehungen
(c). In der Forschungsliteratur trifft man häufig auf die Vorstellung von „Verhält-
nissen der Anerkennung“ (oder „Anerkennungsbeziehungen“). Ohne nähere
Erläuterung erlaubt dieser Ausdruck eine Vielzahl von Interpretationen, so dass
es möglich und wahrscheinlich ist, dass er bei unterschiedlichen Menschen die
unterschiedlichsten Assoziationen hervorruft. Man könnte etwa meinen, dass
die Existenz einer anerkennenden Einstellung einer Person zu einer anderen als
solche schon ein „Verhältnis der Anerkennung“ zwischen Personen etablierte.
Oder man könnte auch annehmen, dass es eine Wechselseitigkeit anerkennen-
der Einstellung geben muss, damit ein Anerkennungsverhältnis existiert. Im
diesem Sinne gibt es kein Anerkennungsverhältnis zwischen zweien, wenn A
B anerkennt, aber B nicht A anerkennt. (Ein solcher Gedanke mag von der Idee
herstammen, die gewöhnlich Hegel zugeschrieben wird, dass einseitige Aner-
kennung in gewissem Sinne keine wirkliche bzw. keine genuine Anerkennung
darstellt.) Da Anerkennung von Personen im Allgemeinen – ähnlich wie Liebe im
Besonderen − auch leicht mit Gesamtkomplexen intersubjektiver Einstellungen
und den begleitenden Gefühlen und Empfindungen identifiziert werden kann,
ist dies eine dritte mögliche Lesart von „Verhältnissen der Anerkennung“. Die
zugrundeliegende Intuition könnte hier die sein, dass selbst dann, wenn es in
Ordnung sein mag, sich auf Einstellungen des Anerkennens zu konzentrieren, die
Gesamtbeziehung des Anerkennens nur dann angemessen ins Auge gefasst ist,
wenn auch andere psychologische Faktoren miteinbezogen werden.
Selbstverständlich deckt der Gedanke einer „Beziehung“ zwischen Perso-
nen mehr als nur psychologische Aspekte ab. Das, was wir „konkrete interper-
sonale Beziehungen“ nennen können, besteht nicht nur aus psychologischen
oder „subjektiven“ Elementen, sondern auch aus all den „objektiven“ Elementen,
die auf sinnvolle Weise als wesentlich bzw. als wichtig für eine Beziehung zwi-
schen Personen verstanden werden können. Eine konkrete Beziehung zwischen
engen Freunden oder Ehegatten ist z.B. ein höchst kompliziertes Gefüge und es
14   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

gibt keinen offensichtlichen Weg, definitiv zu bestimmen, was genau zu dieser


Beziehung als derjenigen Einheit, die sie darstellt, dazu gehört und was gewisser-
maßen ihre Bedingungen der Möglichkeit oder mehr äußerliche Bestimmungen
sind. Aus einer Perspektive kann man bspw. sagen, dass verheiratet zu sein und
somit bestimmte institutionell definierte Rollen sowie deontische Machtbefug-
nisse zu besitzen, Teil der konkreten Beziehung ist, in der Eheleute zusammen
leben. Aus einer anderen Perspektive lässt sich aber auch dafür argumentieren,
dass die Institution der Ehe und die Partizipation an ihr nur ein Teil des größe-
ren sozialen und institutionellen Kontextes (d) darstellen, in den diese konkrete
Beziehung eingebettet und somit nicht Teil der Beziehung selbst ist. Je nach dem,
welchen Zugang man wählt, werden Institutionen eine größere oder eine gerin-
gere Rolle bei der Bestimmung der konkreten Beziehung spielen.
Insgesamt ist es entscheidend, (a) individuelle intersubjektive Einstellungen,
(b) Einstellungskomplexe (und andere sie begleitenden psychologischen Phäno-
mene), (c) konkrete interpersonale Beziehungen und (d) umfassendere soziale
und institutionelle Kontexte und Sphären als analytisch distinkte Themenberei-
che zu erkennen. Sie können auf zahllose Weisen miteinander verknüpft sein,
indem sie sich gegenseitig beeinflussen und einander auf die verschiedensten
Weisen konstituieren. Allerdings sollte dabei immer ein Bewusstsein darüber vor-
handen sein, welche Ebene des Redens über Anerkennung zwischen Personen
oder über Anerkennungsbeziehungen jeweils gemeint ist.6

2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen


der Anerkennung

Wie ich bereits erwähnte, kann man sich dem Thema der Anerkennung von Per-
sonen  – als Ergänzung zur Annäherung über Einstellungen − auch aus einer
anderen Perspektive annähern, nämlich indem man das Augenmerk auf Akte
und Handlungen legt.7 Diese Alternative wird nicht nur durch den oft gebrauch-
ten Ausdruck „Akt der Anerkennung“ nahegelegt, sondern auch durch die häufig
geäußerte Intuition, dass bloße Einstellungen ohne Handlungen nicht im eigent-
lichen Sinne als Anerkennung angesehen werden können. (Man denke etwa an
den Satz: „Wenn Du mich nicht respektvoll behandelst, dann respektierst Du
mich auch nicht wirklich“.) Doch selbst in dieser Perspektive sind Einstellungen
von zentraler Wichtigkeit, weil Handlungen durch die Einstellungen, die sie zum
Ausdruck bringen bzw. die sie motivieren, als genuine Akte der Anerkennung
identifiziert werden. Da man von Handlungen sprechen kann, die Einstellungen
„zum Ausdruck bringen“ und da man das „Zum-Ausdruckbringen von Anerken-
nung“ auch als eine bestimmte Art von Handlung verstehen kann, ist es am ange-
 2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung   15

messensten, wenn man Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen von


Anerkennung gemeinsam diskutiert.
Es ist ein Allgemeinplatz der philosophischen Handlungstheorie, dass Hand-
lungen sich dadurch von natürlichen Ereignissen unterscheiden, dass wir sie als
Wirkungen, Externalisierungen, Verkörperungen oder „Ausdruck“ von Einstel-
lungen (bzw. Absichten) begreifen. Wir „lesen“ unsere wechselseitigen Einstel-
lungen und andere Dinge in unseren jeweiligen Handlungen.
Ein besonderer Fall von Handlungen sind solche, die vollzogen werden, um
die eigenen Absichten oder Einstellungen anderen Personen gegenüber zum Aus-
druck zu bringen. Konzentrieren wir uns auf anerkennende Einstellungen, dann
können wir als „Akt der Anerkennung“ in einem weiten Sinne all diejenigen Akte
oder Handlungen bezeichnen, die auf die eine oder andere Weise durch Anerken-
nung motiviert sind. In einem strikteren Sinne sind aber nur diejenigen Handlun-
gen von A, die A vollführt, um seine Anerkennung gegenüber B auszudrücken,
„Akte der Anerkennung“. Es ist wichtig, nicht die immense Mannigfaltigkeit
sozialer Handlungen und Praxen, in denen Einstellungen der Anerkennung eine
motivierende Rolle spielen, mit „Akten der Anerkennung“ in diesem strikten
Sinne zu identifizieren.8 Gesteht man zu, dass anerkennende Einstellungen fun-
damental für jede (zumindest nicht zutiefst pathologische) Form menschlicher
Interaktion, für alle interpersonalen Verhältnisse und indirekt auch für Selbst-
verhältnisse sind – eine Vorstellung, die wir bei Fichte und Hegel finden −, dann
ist eine solche Reduktion der Bedeutsamkeit von Anerkennung auf eine lediglich
kleine Unterklasse von Handlungen ernstlich irreführend.
Was ist aber nun dafür erforderlich, damit jemandem (man nenne ihn B) ver-
ständlich werden kann, dass eine andere Person (man nenne sie A) eine anerken-
nende Einstellung ihm gegenüber hat? Es scheint klarerweise nicht notwendig zu
sein, dass A B explizit sagt, dass sie B z.B. wertschätzt, um B dies klarzumachen.
Allgemeiner gesagt ist es nicht notwendig, dass A in irgendeiner Weise absichts-
voll mit dem Motiv handelt, ihre Einstellungen gegenüber B zum Ausdruck zu
bringen. „Akte der Anerkennung“ im strikten Sinn sind nicht notwendig, damit
für B deutlich wird, dass in As Einstellungsgefüge ihm gegenüber Anerkennung
involviert ist.
Die Handlung einer Person vollständig zu verstehen beinhaltet ein Verständ-
nis der Motive bzw. der motivierenden Gründe für die Handlung. Die Motive oder
Gründe, die die Handlungen einer Person motivieren, geben uns im Prinzip ihre
Einstellungen gegenüber allem zu verstehen, was für die fragliche Handlung rele-
vant ist. Warum hilft A B, wenn B schwierige Zeiten in ihrem Leben durchmacht?
Es gibt selbstverständlich viele mögliche Motive dafür, warum A dies tut, aber
ein Kandidat ist, dass A B liebt. Im Prinzip ist es keineswegs notwendig, dass
A dies B auch sagt, damit B dies wissen kann. Oder was sagt es B über As Ein-
16   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

stellungen ihr gegenüber, dass A B immer dann um Hilfe bittet, wenn es eine
besonders schwierige Aufgabe in der Arbeit zu bewältigen gibt? Es gibt vielerlei
Möglichkeiten, aber eine von ihnen ist, dass A B für ihre Fähigkeiten und Erfolge
in ähnlichen Situationen wertschätzt. A muss B keinen Orden oder eine goldene
Uhr „als Anerkennung für“ Bs Leistungen überreichen oder andere „Akte der
Anerkennung“ im strikten Sinne vollziehen, damit B ihr Einstellungsgefüge, das
eine anerkennende Einstellung der Wertschätzung enthält, versteht.
Natürlich mag es manchmal einen großen Unterschied ergeben, ob A ihre
Einstellungen gegenüber B absichtsvoll zum Ausdruck bringt bzw. kommuni-
ziert oder nicht. Nehmen wir an, dass A und B Kollegen sind und dass A B nicht
für ihre Fähigkeiten und Leistungen schätzt, da aus ihrer Sicht das, was B tut,
größtenteils nutzlos oder sogar schädlich ist. Sagt A dies zu B, dann mag der
Grund dafür sein, dass sie B nichtsdestoweniger als jemanden respektiert, der es
verdient, kritisiert zu werden und der fähig ist, aus Kritik zu lernen. Es ist auch
möglich, dass As Kritik an B explizit durch die Tatsache motiviert ist, dass A sich
ernsthaft um B sorgt und somit auch darum, wie sie in ihrem Leben und in ihrer
Arbeit zurechtkommt. Macht A sich nicht die Mühe, ihren Mangel an Wertschät-
zung gegenüber B zu kommunizieren, wird B dies aber anhand ihres Verhaltens
verständlich, dann mag B sich wundern, ob A sie eigentlich respektiert, oder ob
A sich überhaupt um B kümmert usw. Der springende Punkt hierbei ist, dass auch
Unterlassungen Einstellungen „kommunizieren“ können und die Wahl zwischen
expressiven Handlungen und Unterlassungen manchmal einen fühlbaren Unter-
schied ausmachen kann.
Es scheint kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass Menschen ihre Einstellun-
gen nicht immer aufrichtig zum Ausdruck bringen. Was als ein „Akt der Anerken-
nung“ im strikten Sinne erscheint, stellt klarerweise keinen genuinen Akt des
Anerkennens dar (zumindest nicht im strikten Sinne), wenn es kein ernsthafter
Versuch ist, seine wahren Einstellungen zu kommunizieren: eine „respektvolle“
Verbeugung kann unaufrichtig sein, genauso wie die Vergabe einer goldenen Uhr
„als Anerkennung“ für die unersetzbaren Dienste eines Arbeiters, der sich in den
Ruhestand begibt. Selbst in Fällen wie diesen kann es B noch gelingen, an As
Handlungen abzulesen, ob und in welchem Maße A sie wirklich anerkennt. Sie
mag schließen und dies möglicherweise zurecht, dass der vorgetäuschte „Akt des
Anerkennens“ in Wahrheit As Mangel an angemessener Anerkennung ihr gegen-
über offenbart. 9
Es ist auch möglich, dass A anerkennende Einstellungen gegenüber B
hat, aber dass diese A zu keinerlei Art von Handlung führen, durch die sie für
B erkennbar würden. Es sind in diesem Zusammenhang zwei Arten von Fällen
denkbar. Erstens kann As anerkennende Einstellung gegenüber B in As moti-
vationalem Gesamthaushalt bzw. „Motivationenset“ eine solche Rolle spielen,
 2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung   17

die A zu einer bestimmten Handlung führte, wäre A nur nicht aus irgendeinem
Grunde unfähig, diese Handlung auszuführen. A könnte z.B. an einer körperli-
chen Lähmung leiden. Zweitens könnte A anerkennende Einstellungen gegen-
über B haben, doch diese Einstellungen spielen in As motivationalem Haushalt
keine solche Rolle, dass sie A dazu anleiteten „aus Anerkennung“ gegenüber B
zu handeln, selbst wenn sie physisch dazu in der Lage wäre. A könnte stärkere
Motivationen haben, anders zu handeln. Nehmen wir mal den Extremfall an, in
dem A vor die Wahl gestellt ist, entweder B zu retten, den sie innig liebt oder die
Welt zu retten und A die letztere Alternative wählt. Wenn es aus einem unerfind-
lichen Grund so wäre, dass die Rettung der Welt von A verlangte, ihre Einstellung
der Liebe gegenüber B nicht auszudrücken (z.B. indem sie sagte oder auf andere
Weise zeigte, dass es ihr sehr leid tut), dann zeigte sich As Liebe gegenüber B
nicht einmal in As Handlungen.
In beiden Arten von Fällen könnte B immer noch in der Lage sein, As aner-
kennende Einstellungen ihm gegenüber in As Emotionen (z.B. Trauer oder Angst)
zu erkennen, in dem Maße nämlich, in dem sie sich auf eine andere Weise als in
As Handlungen zeigten. Es ist häufig von vitaler Wichtigkeit zu wissen, dass man
von jemandem geliebt oder auf andere Art und Weise anerkannt wird, selbst wenn
es für diese Person keinen Weg gibt, diese Einstellungen in Handlungen zum Aus-
druck zu bringen. Insgesamt gilt daher, dass selbst dann, wenn anerkennende
Einstellungen ihr Subjekt mit der Motivation ausstatten, auf eine bestimmte
Weise zu handeln, nicht einmal „Akte der Anerkennung“ in diesem weiten Sinne
notwendig sind, damit Andere in der Lage sind, anerkennende Einstellungen in
größeren Einstellungsgefügen zu erkennen. Darüber hinaus ist es selbstverständ-
lich nicht notwendig, aus Anerkennung zu handeln – weder im strikten noch im
weiten Sinne −, um anerkennende Einstellungen zu haben. Auch wenn es solche
Einstellungen sind, die Subjekte zum Handeln disponieren, können sie Handlun-
gen keineswegs garantieren.
In der Deutung der Einstellungen Anderer kann man klarerweise immer auch
fehlgehen und man kann sich leicht ernsthaft darüber täuschen, was die aner-
kennenden Einstellungen Anderer gegenüber einem selbst betrifft – bspw. indem
man aufrichtiges Lob als Sarkasmus interpretiert oder Sarkasmus als Lob, oder
auch einfach dadurch, dass man die Handlungsmotive des Anderen missversteht.
Egal auf welche Weise sich Einstellungen des Anerkennens in den Handlungen,
Körperhaltungen usw. einer Person zeigen, ist es daher immer möglich, dass es
Anderen nicht gelingt, diese adäquat zu interpretieren oder dass sie sie miss-
verstehen. Das heißt auch, dass selbst dann, wenn A B „Anerkennung zu geben
hat“, B nicht notwendig auch „Anerkennung empfängt“ (vgl. Laitinen 2010).
Andererseits kann B glauben, dass sie Anerkennung von A empfängt, obwohl A
18   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

ihr in Wahrheit keine Anerkennung gegenüber aufbringt bzw. zumindest nicht so


sehr oder in der Art, wie B glaubt.
An diesem Punkt ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass diese Details der
innersubjektiven und intersubjektiven Psychologie von Einstellungen und ihrer
Verbindung zu Handlungen und Ausdrucksweisen ohne weitere Erläuterungen
nur auf das anwendbar sind, was ich unten nicht-institutionelle bzw. rein inter-
subjektive Anerkennung zwischen Personen nennen werde. Diese ist dem ent-
gegengesetzt, was ich institutionell vermittelte Anerkennung zwischen Personen
nennen werde, bei der es wesentlich um Handlungen und Unterlassungen geht,
während die motivierenden Einstellungen nicht zentral sind. Worauf diese Unter-
scheidung hinausläuft, wird in Kürze (in Abschnitt 2.5.) klarer werden und im
Rahmen meiner Auseinandersetzung mit Fichte (Abschnitt (3.3.4) und Hegel (4.2
und 4.4) noch detaillierter dargestellt werden.

2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv


oder ist sie konstitutiv für ihre Objekte?

Eine der Fragen zur Anerkennung von Personen, die gegenwärtige Autoren
beschäftigt, ist die, ob es sich bei ihr um eine Antwort auf vorgegebene Objekte
oder einen Aspekt dieser Objekte handelt, oder ob sie in irgendeiner Weise kons-
titutiv für ihre Objekte bzw. einen Aspekt an ihnen ist.10 Doch was genau bedeutet
das Zutreffen des einen oder des anderen für das Phänomen der Anerkennung?
Da präzise Definitionen dessen, was genau die unterschiedlichen Autoren unter
„Anerkennung“ verstehen wollen, rar sind, läuft es hier mindestens so sehr,
wenn nicht noch mehr, auf eine Frage der begrifflichen Spezifikation hinaus, was
(d.h. welches Phänomen oder welche Phänomene) genau mit diesem Ausdruck
gemeint ist, sowie auf die empirische Frage des Auffindens von Fakten zu einem
begrifflich bereits gut abgegrenzten Phänomen. Es ist wahrscheinlich, dass sich
die unterschiedlichen mit dem Begriff „Anerkennung“ bezeichneten Phänomene
dadurch unterscheiden, ob und wie sie entweder in responsiver Weise auf ihre
Objekte ansprechen oder konstitutiv für sie sind, oder auch beides.
Des Weiteren können sowohl das responsive „Ansprechen auf“ etwas als
auch das „Konstitutiv-Sein für“ etwas ganz unterschiedliche Bedeutungen
haben. Die grundsätzliche Idee, dass Anerkennung von Personen von responsi-
ver Art ist, kann in zwei Versionen vorliegen – einer kausalen und einer normativ
verstandenen. Nach der kausalen Version ist Anerkennung „kausal responsiv“
in dem Sinne, dass sie durch einen Aspekt ihres Objekts verursacht, ausgelöst
bzw. hervorgerufen wird und somit zumindest in einem gewissen Maße durch
dieses erklärbar ist. Der normativen Version zufolge ist Anerkennung „normativ
 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv?   19

responsiv“ auf etwas, das ihrem Objekt angehört und damit der Mangel bzw. die
Abwesenheit von Anerkennung in dessen Namen kritisierbar.
In ähnlicher Weise kann auch die Idee, dass Anerkennung konstitutiv für
etwas ist, in zwei Versionen auftreten – einer kausalen und einer ontologischen
Variante. Während Anerkennung der kausalen Version zufolge „kausal konstitu-
tiv“ bzw. wie man auch sagen könnte, in Bezug auf ihre Objekte oder einen Aspekt
von ihnen eine „generierende“ Funktion hat, ist Anerkennung gemäß der onto-
logischen Version „ontologisch konstitutiv“ für ihre Objekte oder einen Aspekt
dieser Objekte (vgl. hierzu auch Laitinen 2002). Mit anderen Worten: Während
Anerkennung im Rahmen der ersten Version eine wichtige kausale Rolle im
Werden ihrer Objekte zukommt, ist sie im Rahmen der zweiten Version gewisser-
maßen Teil ihres ureigenen Wesens.
Bis hierhin habe ich recht unspezifisch von „Objekten und Aspekten der
Objekte“ gesprochen. Dabei erlaubt der Ausdruck „Aspekt der Objekte“ zwei Les-
arten: erstens, dass es sich bei einem solchen „Aspekt“ um wesentliche Merkmale
oder Eigenschaften handelt, ohne die das Objekt nicht das wäre, was es ist und
zweitens, dass es sich dabei um unwesentliche bzw. akzidentelle Eigenschaften
des Objekts handelt, ohne die das Objekte immer noch dieselbe Art von Objekt
wäre. Wenn wir über Personen als den Objekten der Anerkennung sprechen,
dann geht es der ersten Option zufolge um wesentliche Merkmale von Personen,
die sie überhaupt zu Personen machen, oder anders gesagt: um Konstituenten
ihres Personseins überhaupt.
In diesem Zusammenhang gilt es jedoch auch eine Ambivalenz hinsichtlich
des Begriffs des Personseins zu gewärtigen. In vielen alltäglichen Verwendungs-
weisen wird „Person“ mehr oder weniger als ein Synonym für „menschliches
Individuum“ gebraucht. Die Reflexion darüber, was jemanden tatsächlich zur
Person macht oder was „eigentümliche Merkmale des Personseins“ sind, fördert
jedoch schnell zwei distinkte, wenn auch miteinander zusammenhängende Sets
von Intuitionen und korrespondierenden theoretischen Konzeptualisierungen zu
Tage. Man kann entweder der Auffassung sein, dass es eine bestimmte psycho-
logische Konstitution oder Fähigkeiten (etwa Selbstbewusstsein oder Vernunft)
sind, die Personen in spezifischer Weise von Nicht-Personen unterscheiden.
Alternativ kann der Unterschied, der Personen im Wesentlichen von Nicht-Per-
sonen abgrenzt aber auch ein bestimmter Status sein (paradigmatisch der, ein
Rechtsträger zu sein). Nach der ersten Auffassung, wir wollen sie den psycho-
logischen Begriff des Personseins nennen, ist man eine Person, wenn man über
eine Personsein-stiftende („person-making“ im Englischen) psychologische Kon-
stitution verfügt, während man nach der zweiten Auffassung, diese wollen wir
den Begriff des Personseins qua Status nennen, dann eine Person ist, wenn einem
ein Personsein-stiftender Status zukommt.11 Beide Auffassungen spielen in der
20   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

Literatur zum Personsein eine wichtige Rolle und den meisten Theorien zufolge
kommt sowohl den psychologischen Kapazitäten wie auch dem Status eine aus-
schlaggebende Rolle fürs Personsein zu. Die Auffassungen treten aber auch häufig
getrennt voneinander auf, so etwa in dem Gedanken, dass Sklaven unabhängig
von ihrem Status selbstbewusste, denkende und kommunizierende Wesen sind
und somit Personen wie jeder andere auch (der psychologische Begriff); oder in
dem Gedanken, dass Menschen, die an ernsthaften intellektuellen Beeinträchti-
gungen leiden, unabhängig von ihren Fähigkeiten bzw. einem Mangel derselben,
ein Recht auf Leben besitzen und damit Personen sind, wie jeder andere auch
(der Begriff des Personseins qua Status). Egal ob man Anerkennung als ein res-
ponsives Ansprechen aufs Personsein (bzw. die Tatsache, dass x eine Person ist)
begreift oder als konstitutiv für dieses oder beides, es ist wichtig, sich explizit
dazu zu verhalten, ob man das Personsein in seinem psychologischen oder im
Sinne des Status oder in beiderlei Sinn verstanden wissen will.

2.5.1 Anerkennung als Antwort aufs Personsein12

Wir wollen als nächstes die allgemeine Idee, dass Anerkennung von Personen
responsiv auf ihr Personsein als solches bzw. auf ihre Personsein-stiftenden Merk-
male oder sie als Träger solcher Merkmale anspricht, näher betrachten. Kombi-
niert man die unterschiedlichen Lesarten der kausalen und normativen Res-
ponsivität auf der einen Seite sowie die Differenzierungen des psychologischen
Personseins und des Personseins qua Status auf der anderen Seite, dann erhalten
wir vier verschiedene Versionen dieser allgemeinen Idee:

I. Anerkennung ist kausal responsiv in Bezug auf die Personsein-stiftende psy-


chologische Konstitution des Objekts (KRP),
II. Anerkennung ist kausal responsiv in Bezug auf den Personsein-stiftenden
Status des Objekts (KRS),
III. Anerkennung ist normativ responsiv auf die Personsein-stiftende psychologi-
sche Konstitution des Objekts (NRP) und
IV. Anerkennung ist normativ responsiv auf den Personsein-stiftenden Status
des Objekts (NRS).

Nach der ersten Version (KRP) wird Anerkennung auf irgendeine Weise durch die
psychologische Personsein-stiftende Verfasstheit des Anderen ausgelöst, verur-
sacht oder hervorgerufen, etwa durch seine rationalen, kommunikativen oder
anderen Fähigkeiten, seine Sorge ums Wohl oder andere Belange, die gemäß
einer überzeugenden Konzeption sein Personsein konstituieren. Man kann sagen,
 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv?   21

dass A gemäß dieser Lesart durch Bs psychologisches Personsein auf eine Weise
dazu bewegt wird, B anzuerkennen. Nach der zweiten Lesart (KRS) wird die Aner-
kennung eines Anderen auf irgendeine Weise durch den Personsein-stiftenden
Status des Anderen ausgelöst, verursacht oder hervorgerufen. Dieser Auffassung
zufolge ist es also ein solcher Status von B, der A (zumindest im Normalfall) dazu
bewegt, B anzuerkennen. Nach der dritten Lesart (NRP) liegt es an der psycholo-
gischen Konstitution einer Person, dass sie anerkannt werden soll bzw. Anerken-
nung „verdient“. Wenn A sich nicht zur Anerkennung von B veranlasst sieht, ist
A daher durch Rekurs auf die Tatsache, dass B eine psychologische Person ist,
kritisierbar. Schließlich ist nach der vierten Lesart (NRS) der normative Status
einer Person der Grund dafür, dass sie Anerkennung verdient bzw. anzuerkennen
ist. Wenn sich A hier nicht zur Anerkennung von B veranlasst sieht, kann A durch
Rekurs auf die Tatsache, dass B aufgrund ihres Status eine Person ist und dass ein
solcher Status Anerkennung verlangt, kritisiert werden.
Klarerweise sind hybride Interpretationen, die zwei oder mehrere dieser vier
Sichtweisen miteinander kombinieren, möglich. Diese können nicht nur in dem
Sinne Kombinationen darstellen, als Anerkennung ihnen zufolge (im Normal-
bzw. Gelingensfall) sowohl kausal responsiv aufs Personsein qua psychologischer
Verfasstheit oder qua Status als auch normativ responsiv (und somit in von der
Norm abweichenden Fällen kritisierbar durch den Bezug) aufs Personsein ist. Sie
können auch dadurch Kombinationen darstellen, dass sie zwei Auffassungen des
Personseins kombinieren und damit implizieren, dass sowohl die psychologische
Verfasstheit als auch der normative Status ein Teil dessen ist, was es heißt, eine
Person zu sein. Damit wird zudem zum Ausdruck gebracht, dass während es in
der Regel eines dieser Elemente des Personseins des Objekts ist (möglicherweise
das psychologische), das andere Personen normalerweise zur Anerkennung
bewegt, das andere Element (möglicherweise der Status) begründet, warum sie
− egal ob andere auf diese Weise bewegt sind oder nicht − in jedem Fall Anerken-
nung aufbringen sollten.
Eine weitere Quelle der Komplexität und der potentiellen Konfusion hängt
mit der Tatsache zusammen, dass der Ausdruck „Status“ in zwei ganz unter-
schiedlichen Bedeutungen verwendet werden kann: Einerseits ist ein Status
etwas ontologisch Objektives, andererseits aber auch etwas ontologisch Subjekti-
ves. Dass etwas ontologisch objektiv ist, bedeutet, dass seine Existenz nicht von
den Einstellungen bzw. der Intentionalität irgendeines Subjekts abhängt; dass
etwas ontologisch subjektiv ist, heißt hingegen, dass seine Existenz von den
Einstellungen oder der Intentionalität eines oder mehrerer Subjekte abhängt.
„Ontologisch objektiv“ ist somit synonym mit „Intentionalitäts-unabhängig“ und
„ontologisch subjektiv“ mit „Intentionalitäts-abhängig“.13 Der „Status“ Jupiters
als dem größten Planeten im Sonnensystem ist bspw. ontologisch objektiv, weil
22   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

er unabhängig von den Einstellungen existiert, die irgendjemand ihm gegenüber


hat. Der Status von Euro-Noten als Geld ist im Gegensatz dazu ontologisch sub-
jektiv, weil Euro-Noten nur dann Geld sind, wenn sie von den relevanten Subjek-
ten als Geld behandelt oder für ein solches „gehalten“ werden.
Was den „Status einer Person“ angeht, so kann dieser im Prinzip als etwas
angesehen werden, das ontologisch objektiv ist und somit als etwas, das einigen
Entitäten unabhängig von irgendjemandes Gedanken, Auffassungen oder Ein-
stellungen zukommt. Alternativ kann er auch als etwas ontologisch Subjektives
konzipiert werden und damit als etwas, dessen Existenz von bestimmten Ein-
stellungen abhängt. Dies gilt auch für Aspekte, die oft als ein Teil oder als der
Hauptaspekt des Personseins qua Status verstanden werden: Meint man, dass
Anerkennung in irgendeiner Weise responsiv auf einen solchen Aspekt anspricht,
dann ist immer noch die ontologische Frage zu beantworten, ob der Aspekt selbst
ontologisch objektiv oder subjektiv ist.14
Des Weiteren beinhaltet die ontologisch subjektive bzw. Intentionalitäts-
abhängige Konzeption des Status zwei verschiedene wichtige Ideen, die leicht
miteinander verwechselt werden können.15 Eine von ihnen ist − in einem Sinn,
den ich noch erläutern werde – institutionell, die andere nicht-institutionell bzw.
rein intersubjektiv. Bezogen auf den Status einer Person können wir entsprechend
zwischen dem institutionellen und dem nicht-institutionellen oder rein intersub-
jektiven Konzept des Personenstatus unterscheiden. Ein Beispiel für einen nicht-­
institutionellen Status ist etwa, jemandem am Herzen zu liegen. Dies ist ein
Status, den ein Objekt einfach kraft der Tatsache besitzt, dass jemand bestimmte
Arten von Einstellungen ihm gegenüber hat, durch welche ihm das „am Herzen
liegen“ zugeschrieben wird. (Diese Einstellungen können kausal responsiv sein,
indem sie auf bestimmte an der Objekt-Person wahrgenommene Eigenschaften
eingehen. In diesem Fall sind diese Eigenschaften kausal konstitutiv bzw. gene-
rativ für die Einstellungen, die dann wiederum ontologisch konstitutiv für den
Status sind.) Für das nicht-institutionelle oder rein intersubjektive Konzept des
Personenstatus gilt analog, dass Personsein heißt, Objekt der personifizieren-
den Einstellungen eines Anderen zu sein, durch die einem in seinen Augen ein
Personsein-stiftender Status zugeschrieben wird. Durchschnittliche Erwachsene
dürften einen solchen Status in der alltäglichen Interaktion in den Augen Anderer
besitzen, in der sie einander fundamental anders denn als „bloße Dinge“ sehen
und behandeln.16
Der institutionelle Status beinhaltet demgegenüber Rechte oder andere
„deontische Mächte“ (um einen Ausdruck von John Searle zu übernehmen17), die,
obwohl sie nicht von den Einstellungen irgendeiner Person abhängig sind, von
den Einstellungen eines relevanten Kollektivs von Menschen abhängen. Nehmen
wir etwa den Sachverhalt, dass etwas als Geld „zählt“. Diese institutionelle Tat-
 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv?   23

sache hängt nicht von den Einstellungen irgendeiner Einzelperson ab; allerdings
hängt sie vom System der Normen und Institutionen ab, von dem sie ein Teil ist
und die im Allgemeinen von den relevanten Personen bzw. einem Kollektiv von
Personen als gültig anerkannt wird. Analog gilt, dass Personsein im Sinne des
institutionellen Statuskonzepts bedeutet, bestimmte Personsein-stiftende Rechte
oder andere deontische Machtbefugnisse zu besitzen, die den institutionellen
Status einer Person innerhalb eines Institutionensystems (wie einer wirksamen
staatlichen Verfassung) ausmachen, das vom relevanten Kollektiv (den Bürgern)
generell als gültig anerkannt wird.
Bisher sollte klar geworden sein, dass die scheinbar unschuldige Idee, dass
Anerkennung responsiv auf das Personsein ihres Objekts anspricht, eine ganze
Reihe unterschiedlicher Bedeutungen haben kann. Durch die Einführung der
Idee des Personsein-stiftenden Status als einem ontologisch subjektiven Phäno-
men und somit als etwas, das von Intentionalität und bestimmten Einstellungen
abhängt, nähern wir uns bereits der Idee an, dass Personsein in einem gewissen
Sinne von anerkennenden Einstellungen abhängig sein könnte, bzw. mit anderen
Worten, dass diese konstitutiv fürs Personsein in dem einen oder anderen Sinne
sind. Wir wollen daher im Folgenden versuchen, die verschiedenen Versionen
dieser allgemeinen Idee genauer voneinander zu unterscheiden.

2.5.2 Anerkennung als konstitutiv fürs Personsein

Indem wir die Unterscheidungen zwischen dem „kausal“ und „ontologisch“ Kon-
stitutiven, wie auch zwischen dem psychologischen und dem Statusbegriff des
Personseins hinzunehmen, können wir zunächst die folgenden Varianten der all-
gemeinen Idee, dass Anerkennung von Personen konstitutiv fürs Personsein ist,
auflisten:
I. Anerkennung ist kausal konstitutiv (bzw. wirkt „erzeugend“) für die Person-
sein-stiftende psychologische Verfasstheit (KKP),
II. Anerkennung ist kausal konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status
(KKS)
III. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psycho-
logische Konstitution (OKP) und
IV. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status
(OKS).

Die Dinge verkomplizieren sich allerdings noch ein wenig mehr, sobald wir auch
die Möglichkeit miteinbeziehen, dass Anerkennung nicht nur für das Personsein
(sei es im psychologischen oder Statussinn) des Objekts, sondern auch des Sub-
24   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

jekts der Anerkennung (im kausalen oder ontologischen Sinn) konstitutiv ist.
Während der Fokus der Gegenwartsdebatten oft, vielleicht sogar überwiegend,
auf der Wichtigkeit von Anerkennung durch Andere für den Anerkannten liegt
(vgl. Kapitel 5), betont zumindest Hegel (wie wir in Kapitel 4 sehen werden)
genauso die Wichtigkeit des Anerkennens Anderer für den Anerkennenden
selbst.
Wir wollen als Nächstes einen Blick auf die möglichen Varianten des allge-
meinen Gedankens, dass Anerkennung konstitutiv fürs Personsein ist, werfen,
indem wir auch die Subjekt-Objekt-Unterscheidung fruchtbar machen. Hieraus
ergeben sich die folgenden Möglichkeiten:
I. Anerkennung ist kausal konstitutiv für bzw. generiert die Personsein-stif-
tende psychologische Konstitution (KKP) des
(1) Objekts der Anerkennung (KKPO) oder
(2) des Subjekts der Anerkennung (KKPS),
II. Anerkennung ist kausal konstitutiv für bzw. generiert den Personsein-stiften-
den Status (KKS) des
(3) Objekts der Anerkennung (KKSO) oder
(4) des Subjekts der Anerkennung (KKSS),
III. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psycho-
logische Konstitution (OKP) des
(5) Objekts der Anerkennung (OKPO) oder
(6) des Subjekts der Anerkennung (OKPS),
IV. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status
(OKS) des
(7) Objekts der Anerkennung (OKSO) oder
(8) des Subjekts der Anerkennung (OKSS).18

„Kausal konstitutiv“ und „generierend“ sind hier in einem sehr weiten Sinne zu
verstehen, der jede wichtige Funktion umfasst, die Anerkennung für das Werden
bzw. die Genese des Personseins zukommen kann oder für die Prozesse, durch
die Individuen sich zu Personen entwickeln und durch die ihr Personsein auf-
rechterhalten wird. Der Unterschied zum „ontologisch Konstitutiven“ in allen
seinen Varianten besteht darin, dass die Tatsache, dass etwas kausal konstitutiv
für x ist, nicht beinhaltet, dass es selbst ein Element oder Konstituent von x ist,
während dies genau das ist, was die ontologische Konstitutivität von etwas für
x beinhaltet. Nach der ersten Lesart (KKPO) spielt Anerkennung eine wichtige
Rolle im Werden der psychologischen Personsein-stiftenden Charakteristika oder
Fähigkeiten des Objekts der Anerkennung, sei es, dass das Anerkanntsein selbst
Bestandteil des Personseins ist oder auch nicht. Es lässt sich entlang der zweiten
Lesart (KKPS) auch dafür argumentieren, dass die Anerkennung für Andere eine
 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv?   25

wichtige kausal-genetische Rolle in der Entwicklung oder Aufrechterhaltung der


Personsein-stiftenden Fähigkeiten des Anerkennenden spielt. Möglicherweise ist
das Anerkennen Anderer etwas, das ihre Entwicklung veranlasst oder auch lau-
fende Entwicklungsprozesse unterstützt, wodurch diese erneuert oder aufrecht-
erhalten werden.
Gemäß der dritten Lesart (KKSO) kommt Anerkennung eine kausale bzw.
erzeugende Rolle im Werden des Personenstatus des Objekts zu und gemäß der
vierten Interpretationsweise (KKSS) im Werden des Personenstatus des anerken-
nenden Subjekts. Die dritte Lesart könnte zutreffend sein, wenn Anerkennung
dafür sorgte, dass dem Objekt der Status einer Person zukommt (egal, ob für das
Bestehen dieses Status auch kontinuierliche Anerkennung erforderlich ist oder
nicht). Die vierte Lesart könnte wahr sein, wenn jemand durch die Anerkennung
Anderer dazu tendierte, ihrerseits eine Antwort auszulösen, durch die ihm selbst
der Status einer Person zugeschrieben würde. Nach der sechsten Lesart (OKPS)
ist es Teil des psychologischen Personseins, Anderen Anerkennung entgegenzu-
bringen. Die fünfte Lesart (OKPO) könnte dann wahr sein, wenn es (a) der Fall
wäre, dass psychologische Vorgänge, die für Personen wesentlich sind, in dem
starken Sinn sozial wären, dass sie zu erhalten die Teilnahme an sozialen Praxen
erfordert und wenn (b) solche Teilnahme notwendigerweise beinhaltete, von
Anderen in einem relevanten Sinne anerkannt zu werden. Solche stark sozialen
bzw. „externalistischen“ Auffassungen der psychologischen Verfasstheit von Per-
sonen werden gegenwärtig von einigen Neo-Hegelianischen Philosophen vertre-
ten, die allesamt von der Annahme ausgehen, dass diese Auffassung auf Hegel
zurückgeht (vgl. Brandom 2009 und Pippin 2011).
Folgt man der siebten Lesart (OKSO), dann besteht der Personenstatus (zum
Teil oder insgesamt) darin, Objekt von Anerkennung zu sein. Wie wir noch sehen
werden, ist dies eine wichtige Variante der allgemeinen Idee, dass Anerkennung
konstitutiv für Personsein ist: Wenn Personsein einen Status darstellt (sei dieser
intersubjektiv oder institutionell) und wenn Anerkennung konstitutiv für diesen
Status ist, dann ist es ontologisch konstitutiv für mein Personsein, dass ich aner-
kannt werde. Die achte Lesart (OKSS) läuft auf die Annahme hinaus, dass mein
Personenstatus (zum Teil oder zur Gänze) darin besteht, jemand zu sein, der
Andere anerkennt, also Anerkennender zu sein. Der Ausdruck „Anerkennender“
besitzt in dieser Formulierung jedoch eine andere Bedeutung als die bisherigen
Verwendungsweisen (i.e. als Bezeichnung für eine psychologische Fähigkeit);
er steht hier vielmehr für einen bestimmten Status. Die Doppeldeutigkeit dieser
beiden Bedeutungen von „Anerkennender“ zeigt sich manchmal in dem häufig
Hegel zugeschriebenen Gedanken, dass B „A als einen Anerkennenden anerken-
nen“ muss, damit As Anerkennung von B wirklich als Anerkennung von B zählt
(vgl. Laitinen 2010). Darin spiegelt sich die generelle Ambivalenz der zwei Les-
26   2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

arten des Ausdrucks „etwas als x anerkennen“ wider: Man kann Anerkennung
entweder als eine Antwort auf das x-Sein des Objekts deuten (in diesem Fall
werden die psychologischen Fähigkeiten des Anerkennenden betrachtet) oder
auch als etwas verstehen, das das Objekt zu x macht (in diesem Fall wird der
Anerkennende qua seines Status betrachtet). Es ist genau diese Ambivalenz des
Antwortens (bzw. Respondierens) und des Konstituierens, die geklärt werden soll
und dabei zeigt sich auch ihre enge Verbindung zur Ambivalenz von Status und
Fähigkeit. Als Status verstanden kann Anerkennender zu sein als Teil des Status
einer Person aufgefasst werden: Nur dann, wenn mir dieser Status zugeschrieben
wird, „zählt“ meine Anerkennung und ich als Anerkennender. Wird die Tatsa-
che, dass ich Anerkennender bin, hingegen als eine Fähigkeit begriffen, kann sie
diese Rolle nicht spielen. Sie kann dann aber als eine „Adäquatheitsbedingung“
verstanden werden, so dass „B als einen Anerkennenden qua Status anzuerken-
nen“ (was Teil ihres Personseins qua Status sein kann) nur dann adäquat ist,
wenn B der (potentiellen oder tatsächlichen) psychologischen Fähigkeit nach
Anerkennender ist.
Was die allgemeine Idee anbelangt, dass Anerkennung in einem gewissen
Sinne aufs Personsein antwortet, gilt wiederum, dass es hybride Auffassungen
geben kann, die zwei oder mehrere der diskutierten Versionen der Konstitutivi-
tät von Anerkennung fürs Personseins kombinieren. Bezieht man zudem mit ein,
dass dem Begriff des „Status“ recht unterschiedliche Bedeutungen zukommen
können, dann wird die Liste möglicher Kombinationen der letztgenannten Idee
noch länger. Diskutiert man die Vorstellung, dass Anerkennung in einem gewis-
sen Sinne konstitutiv für das Personsein qua Status ist, dann ist der ontologisch
objektive bzw. Intentionalitäts-unabhängige Begriff des Status offensichtlich
nicht Teil des Bildes. Implizit sind jedoch beide Versionen des ontologisch sub-
jektiven bzw. Intentionalitäts-abhängigen Statusbegriffs − die institutionelle und
die intersubjektive – relevant und sollten nicht miteinander verwechselt werden.
Damit will ich sagen, dass Anerkennung sowohl (kausal oder ontologisch) kons-
titutiv für das intersubjektive Personsein qua Status als auch (kausal oder onto-
logisch) konstitutiv für den institutionellen Personenstatus sein könnte. Wie wir
in den nächsten Kapiteln sehen werden, sind beide Vorstellungen in den Konzep-
tionen von Fichte und Hegel präsent. Sie beinhalten zwei recht unterschiedliche
Bedeutungen von „Anerkennung“, wie sie am Ende von Abschnitt 2.4. erwähnt
wurden: eine institutionell vermittelte und eine rein intersubjektive.
 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv?   27

2.5.3 Anerkennung von „Identitäten“

In Abschnitt 2.5. habe ich darauf hingewiesen, dass die Rede von einem „Aspekt“
im Rahmen der Frage, ob bzw. in welchem Maße Anerkennung für ihre Objekte
oder einen „Aspekt ihrer Objekte“ konstitutiv ist bzw. auf sie antwortet, zwei
Lesarten erlaubt: Erstens kann es sich bei dem „Aspekt“ um wesentliche Eigen-
schaften handeln, ohne die das Objekt nicht mehr das wäre, was es ist. Zweitens
können damit auch unwesentliche oder akzidentelle Eigenschaften des Objekts
gemeint sein, ohne die das Objekt nicht aufhörte, das zu sein, was es ist. Ich fuhr
dann fort, die erste Option der wesentlichen bzw. Personsein-stiftenden Eigen-
schaften und ihr Verhältnis zu Anerkennung zu diskutieren.
Ein großer Teil der gegenwärtigen Debatten über die Anerkennung von Per-
sonen handelt allerdings von Eigenschaften, die nicht wesentlich im Sinne einer
Personsein-stiftenden Bedeutung sind, sondern vielmehr qualitative Eigenschaf-
ten darstellen, die von einer Person oder einer Personengruppe zur nächsten vari-
ieren können. So lässt sich zumindest ein Großteil der Rede über die „Anerken-
nung der „Identität“ bzw. „Anerkennung der Differenz“ verständlich machen, die
in etwa auf dasselbe hinauslaufen, da es in diesen Diskursen paradigmatisch um
diejenigen Aspekte der „Identität“ von Personen bzw. Personengruppen geht, die
diese von anderen Personen bzw. Gruppen unterscheiden, z.B. ihre bestimmten
ethnischen, kulturellen, linguistischen, religiösen oder sexuellen Eigenheiten.
Auf die Verknüpfung von Anerkennung mit den Identitäten von Personen werden
wir in Kapitel 5 zurückkommen. In den nächsten beiden Kapiteln liegt der Fokus
hingegen zunächst auf dem Verhältnis von Anerkennung zu dem, was Personen
in erster Linie zu Personen macht.
3 Fichte über Auffordern und Anerkennen
Nachdem im vorangegangenen Kapitel einige grundlegende begriffliche Mittel
eingeführt wurden, die hilfreich sind, wenn es um diejenigen Konstellationen
von Phänomenen geht, die in den Diskussionen über Anerkennung entschei-
dend sind, ist es nun Zeit, einen Blick auf einige der tatsächlichen Diskurse zu
werfen. In diesem und im nächsten Kapitel werde ich mit J.G. Fichte und G.W.F.
Hegel zwei klassische Referenzquellen diskutieren. Hegel ist zweifellos die zen-
trale klassische Referenz zum Thema – so dass praktisch jede Abhandlung über
die Ursprünge des Themas auch eine Diskussion über Hegel, seine berühmten
Figuren des Herrn und des Knechts und über ihre „Dialektik der Anerkennung“,
beinhaltet. Allerdings wird es weithin akzeptiert, dass Hegels Denken über dieses
Thema direkt von Fichte beeinflusst wurde und dass Fichte darüber hinaus auch
als erster den Begriff „Anerkennung“ in einem Kontext und in einer Weise ver-
wandte, die der Hegels teilweise sehr ähnlich ist.1 Dies macht Fichte zu einem
guten Ausgangspunkt für das Unternehmen, die Ursprünge der expliziten Dis-
kussionen über Anerkennung aufzuspüren.2
Mit Fichte zu beginnen hat zudem noch andere hervorstechende Vorteile.
Zuallererst gibt es einen relativ kompakten Text von ihm, der das Thema aus-
drücklich und ausführlich diskutiert – nämlich die §§ 1 – 7 seiner Grundlage des
Naturrechts von 1796 – 1797 (ab hier als Grundlage bezeichnet).3 In diesem weg-
bereitenden Text spricht Fichte viele Fragen und Probleme der Anerkennung
an (oder ist zumindest mit ihnen konfrontiert), auf die Hegel so nie ausführlich
in seinem Werk reflektiert hat, von denen aber begründeterweise angenom-
men werden kann, dass sie ihm aufgrund seiner Fichtelektüre vertraut waren.
Viele dieser Fragen und Probleme beruhen auf Unterscheidungen, die wir im
vorherigen Kapitel eingeführt haben und antizipieren Unklarheiten, mit denen
Diskurse über Anerkennung seit jeher behaftet sind; manche von ihnen kann
man auch in Hegels Werk finden. Mit Fichte anzufangen bietet so einen guten
Zugang zum Verständnis bestimmter zentraler Ambiguitäten und Probleme, die
auftauchen, sobald man sich mit dem Thema systematisch auseinanderzusetzen
beginnt. Zweitens ist Anerkennung im Rahmen der Fichte’schen Anerkennungs-
Konzeption  – die eng verbunden ist mit seiner Konzeption der Aufforderung −
von ausdrücklicher und grundlegender Bedeutung für das Dasein vernünftiger,
freier Wesen, oder in seinen Worten für Personen, sowohl was ihr individuelles
als auch was ihr kollektives Dasein betrifft. Ein Blick auf Fichtes Reflexionen über
Anerkennung erlaubt es uns daher, relativ tief in die zu diskutierende grundle-
gende Bedeutsamkeit von Anerkennung für die Lebensform menschlicher Perso-
nen einzudringen. Im Folgenden werde ich weniger versuchen, einen Überblick
über Fichtes Gedanken über Anerkennung zu geben, als eine Fallstudie seiner
30   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Behandlung des Themas in der Grundlage präsentieren und mich dabei auf einige
der Schlüsselprobleme konzentrieren. Ein Überblick hätte nicht nur eine Reihe
von Texten Fichtes zu berücksichtigen, sondern auch etwaige Verschiebungen
und Veränderungen in seinem Denken, die es im Rahmen einer kurzen Behand-
lung verhinderten, ins Detail zu gehen. Dabei sind es die Details sowie die Prob-
leme, die mit ihnen einhergehen, über die wir uns Klarheit zu verschaffen haben.4

3.1 Aufforderung und Anerkennung

Der Kontext von Fichtes Diskussion über Anerkennung in der Grundlage ergibt
sich aus dem Gesamtziel seines Buches, das darin besteht, ein System von
Rechten und institutionellen Strukturen aus den notwendigen Bedingungen
des Selbstbewusstseins, genauer noch des Bewusstseins seiner selbst als freies
Vernunftwesen, zu deduzieren (d.h. deren Notwendigkeit zu erweisen). Da man
nach Fichtes Auffassung kein freies Vernunftwesen sein kann, ohne dass man
sich seiner selbst als solches bewusst ist bzw. ohne dass man sich als solches
interpretiert, kann man alternativ auch sagen, dass Fichte zu zeigen versucht,
dass bestimmte Rechte notwendig sind, damit es überhaupt freie und vernünftige
Wesen geben kann. Dies ist ein radikales wie auch ambitioniertes Programm für
eine Rechtstheorie, doch meinen die meisten Interpreten, dass Fichte letztendlich
daran scheitert, es zufriedenstellend zu realisieren. Da unser Hauptaugenmerk
auf Fichtes Behandlung des Anerkennungs- und Aufforderungs-Themas liegt
und was wir daraus im Rahmen unseres hiesigen Erkenntnisinteresses lernen
können, werden wir uns nicht ausführlich mit dem allgemeinen Ziel des Buches
beschäftigen. Dennoch wird sich zeigen, dass das Problem von Fichtes Versuch,
sein Programm durchzuführen mit der in 2.5.1. vorgenommenen Unterscheidung
von Personsein im institutionellen Sinn (d.h. „Personsein-stiftende“ Rechte zu
besitzen), im psychologischen Sinn (d.h. Fähigkeiten und oder Eigenschaften zu
haben, die das Personsein ausmachen) und im intersubjektiven Sinn (d.h. in den
Augen Anderer eine fürs Personsein konstitutive Signifikanz zu haben), sowie
auch mit verschiedenen korrespondierenden Bedeutungen dessen, was es heißt,
„als Person anerkannt“ zu sein, zusammenhängt.5
Die Fichte’sche Vorstellung, die für uns die größte Bedeutung besitzt, ist die,
dass die Bewusstwerdung seiner selbst als frei und vernünftig es erfordert, Inter-
aktionen mit anderen freien Vernunftwesen einzugehen, welche zu vernünftiger
Freiheit „auffordern“. Wir wollen versuchen zu klären, was es heißt, in Fichtes
Sinn aufgefordert zu werden und wie er das Konzept der Anerkennung in enger
Beziehung zu dem der Aufforderung begreift.
 3.2 Die Aufforderung zur Freiheit   31

Das Erste, was es in diesem Zusammenhang zu verstehen gilt, ist die Tat-
sache, dass sich seiner selbst bewusst zu sein nach Fichte nicht bedeutet, dass
man sich etwas bewusst ist, das schon unabhängig von dieser Bewusstseins-
haltung bestand oder bestehen könnte. Es gibt kein vorher-gegebenes „Selbst“
oder „Ich“, dessen sich das Selbstbewusstsein bewusst ist und das unabhängig
von der Tatsache, dass es ein Bewusstsein von ihm gibt, existierte. Die Art des
Bewusstseins von sich selbst, die Fichte meint, ist vielmehr ein notwendiges
und konstitutives Element des Ich-Seins. Nach Fichtes Terminologie „setzt“ sich
das Ich selbst, wobei dem „Setzen“ sowohl der epistemische Sinn des sich selbst
Bewusstwerdens als auch der praktische Sinn des sich selbst Hervorbringens
zukommt. Nach einer ungenerösen Lesart könnte dies nach einem unplausiblen
metaphysischen Münchhausen-Trick aussehen – sich selbst zur Existenz bringen,
indem man sich als existierend annimmt; wenn man aber versteht, was dies bein-
haltet, verschwindet dieser Eindruck zugunsten einer viel plausibleren Einsicht.
Was in diesem Zusammenhang entscheidend ist, ist ein freies Vernunftwe-
sen – welches Fichte, beginnend mit § 5 der Grundlage, kurz als „Person“ bezeich-
net. Damit sich dieses seiner selbst als es selbst bewusst wird, muss es sich seiner
selbst als ein freies Vernunftwesen bewusst sein, oder wie Fichte schreibt, als
„freie Tätigkeit“. Es ist nichts sonderlich Gewagtes oder offenkundig Problemati-
sches daran, zu meinen, wie Fichte dies tut, dass man kein freies Vernunftwesen
sein kann, ohne sich als ein solches zu begreifen. Was aber ist mit dem Gedanken,
dass man ein freies Vernunftwesen wird, dadurch dass man sich als ein solches
auffasst, ein Gedanke der eindeutig auch zu dem gehört, was Fichte sagen will?
Diesbezüglich ist es wichtig, wenigstens darauf hinzuweisen, wie bereits gesche-
hen, dass Fichte die Selbstbewusstwerdung als freies Vernunftwesen oder als
Person nicht als etwas darstellt, das das Subjekt allein mit seinen eigenen Mitteln
vollbringen könnte. Ganz im Gegenteil kommt das Selbstbewusstsein als freies
Wesen – kraft dessen man ein freies Wesen ist − durch die Interaktion mit einem
anderen freien Vernunftwesen zu Stande. Warum ist das so?

3.2 Die Aufforderung zur Freiheit

Eine zentrale Prämisse von Fichtes Argumentation ist der Gedanke, dass man
sich selbst nur dadurch als ein von der Welt unterschiedenes Subjekt freier Tätig-
keit oder Wirksamkeit begreifen kann, dass man die Welt als etwas erfährt, das
der eigenen Tätigkeit Widerstand leistet. Auch die epistemische Relation zur
Welt – wahrnehmen, erkennen, etwas für wahr halten etc. – beruht auf der Sub-
jekt-Objekt-Unterscheidung, die auf diese Weise zu Stande kommt.6 Wichtig ist es
indes zu bemerken, dass Fichte in der Grundlage die These aufstellt, es sei unmög-
32   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

lich, sich allein dadurch seiner selbst als freier Tätigkeit bewusst zu werden, dass
man den Widerstand gewöhnlicher Objekte gegen die eigene Tätigkeit erfährt.
Warum ist das so? Dies ist deshalb so, weil ein Bewusstsein von Objekten als
Objekte, die von einem selbst verschieden sind und der eigenen Tätigkeit Wider-
stand leisten, bereits präsupponiert, dass man sich seiner eigenen Tätigkeit in
Bezug auf sie bewusst ist. Sich seiner eigenen Tätigkeit bewusst zu sein, setzt
aber wiederum voraus, dass man bereits ein Bewusstsein von Objekten hat, die
diesen Widerstand leisten. Und so weiter. Kurz gesagt argumentiert Fichte dafür,
dass der Versuch das Zustandekommen von Selbstbewusstsein über die prak-
tische Begegnung mit gewöhnlichen natürlichen Dingen zu erklären, zu einem
infiniten Regress führt und daher misslingt.
Fichtes gewagte und an dieser Stelle vielleicht überraschende Behauptung
ist, dass die eben erwähnte Zirkularität nur durch die Annahme vermieden
werden kann, dass das Subjekt sich seiner selbst bewusst wird, dadurch, dass es
mit etwas konfrontiert ist, das sowohl eine unabhängige Andersheit ist, die sich
auf das Subjekt auswirkt oder von diesem als Widerstand wahrgenommen wird,
als auch die eigene Tätigkeit des Subjekts ist. Die Henne-oder-Ei-Frage, ob zuerst
das Selbstbewusstsein oder ein Bewusstsein von unabhängiger Objektivität da
sein muss, lässt sich vermeiden, wenn beide auf irgendeine Art verknüpft werden
können (SW III, 32). Wie aber könnte dieses merkwürdige Bewusstseinsobjekt
aussehen, ein Objekt, das sowohl vom Subjekt verschieden als auch das Subjekt
selbst ist? Das Objekt, an das Fichte denkt, ist – oder besser gesagt: beinhaltet −
eine spezielle Form der Repräsentation der freien Subjekttätigkeit, die ihm von
außen präsentiert wird. Es gibt drei wichtige miteinander zusammenhängende
Bedingungen, die dieses Phänomen erfüllen muss (siehe Beiser 2002, 340 – 343).
Erstens (a) muss die Repräsentation so verfasst sein oder dem Subjekt in
einer solchen Weise gegeben sein, dass das Subjekt sie als etwas von ihm Unab-
hängiges erfährt, das sich auf es auswirkt oder es beeinflusst.
Zweitens (b) kann diese Auswirkung oder Beeinflussung nicht von gewöhn-
licher kausaler Art sein, da das Subjekt dadurch in eine bloße Kette von Ursache
und Wirkung eingesetzt und als bloßes Ding behandelt würde. Als bloßes Ding
kausal bewegt zu werden, würde nicht dabei helfen, ein Bewusstsein von sich
selbst als freies Vernunftwesen hervorzubringen. Ganz im Gegenteil muss die
Wirkung oder Beeinflussung das Subjekt auf irgendeine Weise als ein freies Wesen
beeinflussen. Alternativ kann man auch den Begriff verwenden, den Fichte selbst
beginnend mit § 5 seiner Grundlage verwendet: Um sich seiner selbst als Person
bewusst zu werden, und so eine Person zu werden, muss man erfahren, wie auf
einen selbst als eine Person und nicht wie auf ein bloßes Ding eingewirkt wird.
Dass der Inhalt der Repräsentation das Subjekt als ein freies Wesen ist, heißt
drittens (c), dass der Inhalt radikal unbestimmt sein muss. Frei zu sein, heißt,
 3.2 Die Aufforderung zur Freiheit   33

nicht durch irgendetwas bestimmt zu sein, und daher kann das Subjekt nicht
durch eine Beschreibung mit fest umrissenem Gehalt oder endgültiger Bestim-
mung repräsentiert werden.
Die Art der Repräsentation, die in Fichtes Augen alle diese Bedingungen
erfüllt, ist eine „Aufforderung“ zu Freiheit oder freier Tätigkeit durch ein anderes
freies Vernunftwesen. Man kann sich die Aufforderung gut als einen kommunika-
tiven Akt mit repräsentationalem Gehalt und einem bestimmten Modus, in dem
dieser präsentiert wird, vorstellen. Der repräsentierte Gehalt in all seiner Unbe-
stimmtheit ist die Freiheit oder die freie Tätigkeit des Adressaten der Aufforde-
rung. Aber es ist der Modus, in welchem dieser präsentiert wird und durch den
der Adressat angesprochen wird, der darüber entscheidet, ob er auf die richtige
Weise beeinflusst wird. Eine Aufforderung zur Freiheit repräsentiert den Adressa-
ten nicht als aktuell frei (schließlich soll er erst durch den besagten Prozess frei
werden), und sie präsentiert die Freiheit des Adressaten auch nicht nur als eine
bloße, noch nicht aktualisierte Möglichkeit (auch wenn sie das auch tut). Eine
Aufforderung zur Freiheit repräsentiert die Freiheit des Adressaten vielmehr „als
etwas, das im künftigen seyn soll“ (SW III, 33), und darüber hinaus als etwas, das
der Adressat selbst realisieren soll. Es ist der „fordernde“ Modus der Repräsen-
tation, die normative Erwartung bzw. der Anspruch, mit dem das auffordernde
Subjekt den Adressaten konfrontiert, der sie beeinflusst und auf diese Weise die
erste Bedingung erfüllt (a). Die Aufforderung zur Freiheit bewegt den Adressaten
somit nicht mittels einer gewöhnlichen kausalen Einwirkung und sie behandelt
den Adressaten auch nicht wie ein gewöhnliches Objekt. Sie fordert oder lädt ein,
aber sie zwingt das Subjekt nicht dazu, seine Freiheit oder freie Tätigkeit auszu-
üben (etwas, das unmöglich wäre). Obwohl es noch immer etwas unklar ist, auf
welche Weise genau die Aufforderung das Subjekt beeinflusst, behandelt sie es
klarerweise als freies Wesen und scheint auf diese Weise die Bedingung (b) zu
erfüllen.
Gleichzeitig ist der repräsentationale Gehalt der Aufforderung radikal unbe-
stimmt: Er ist nicht nur keine Repräsentation einer bestimmten Weise zu handeln,
die der Adressat umzusetzen hätte, Fichte meint auch, dass der Adressat der Auf-
forderung frei ist zu handeln, „aber es ebensowohl auch unterlassen kann“ (SW
III, 34). Fichte bringt eindeutig zum Ausdruck, dass beide Weisen angemessene
Antworten auf die Aufforderung darstellen und damit Weisen sind, die eigene
freie Tätigkeit auszuüben. Was auch immer das genau heißt, Bedingung (c)
scheint hiermit erfüllt zu sein.
Aber was meint oder könnte Fichte mit der Ausübung freier Wirksamkeit
meinen, wenn diese etwas ist, das genauso gut durch Handeln wie durch „Nicht-
handeln“ (SW III, 34) ausgeübt werden kann? Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir verstehen, was nach Fichte in einem umfassenderen Sinne dazu
34   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

erforderlich ist, um ein freies Vernunftwesen zu sein. Die Hauptstoßrichtung


seiner Argumentation ist es, die notwendige Sozialität freier Vernunftwesen zu
betonen und damit ist die in Frage stehende Ausübung freier Wirksamkeit etwas,
das in einem sozialen Kontext stattfindet. Hierbei kommt der Vorstellung eine
zentrale Bedeutung zu, dass die Aufforderung notwendigerweise als Aufforde-
rung durch ein anderes freies Vernunftwesen erfahren wird. Dadurch, dass das
Subjekt sich auf diese Weise zur Freiheit aufgefordert erfährt, erfährt es sich
zugleich als Gegenüber eines anderen freien Vernunftwesens. Die Aufforderung
zu vernünftiger Freiheit als das, was sie ihrem Wesen nach ist, zu erfahren, heißt
nach Fichte in der Tat, sich als eingeladen oder dazu aufgefordert zu sehen,
neben der anderen Person Mitglied einer „Gemeinschaft freier Wesen“ (SW III,
72 – 73) zu sein.
Wichtig ist, dass eine Gemeinschaft freier Wesen im Fichte’schen Sinne nicht
einfach eine Pluralität oder ein Aggregat von Subjekten ist, die unabhängig von
der Gemeinschaft frei wären. Im Gegenteil können Subjekte nur dadurch, dass
eine Gemeinschaft in einem ganz bestimmten Sinne geformt wird, als freie und
vernünftige Wesen existieren. Es ist wesentlich für eine solche Gemeinschaft
und folglich für die Zugehörigkeit zu ihr, dass die Subjekte zueinander in einer
Beziehung stehen, die Fichte „Rechtsverhältnis“ SW III, 40) nennt. Ein Rechts-
verhältnis zwischen zwei Parteien zeichnet sich dadurch aus, dass beide ihre
„Freiheit so“ „beschränke[n]“, dass der andere auch frei sein kann (SW III, 89),
oder dass beide ihre Freiheit begrenzen „durch (…) [die] Möglichkeit [der] Freiheit
[des Anderen]“ (SW III, 52). Fichte beschreibt die wechselseitige Begrenzung der
Freiheit mithilfe der Möglichkeit (oder dem „Begriff“ (SW III, 10)) der Freiheit der
anderen Personen als ein Kennzeichnen von wechselseitig exklusiven „Sphäre[n]
[der] Freiheit“ (SW III, 46). Fichtes Argument ist, dass man nur dann frei sein
kann, wenn man über eine Sphäre der Freiheit verfügt, in die Andere nicht ein-
greifen und er meint, dass man dies nur erwarten kann, wenn man selbst nicht in
die Freiheitssphären Anderer eingreift.7
Unglücklicherweise beinhaltet die Metapher der sich wechselseitig ausschlie-
ßenden Freiheitssphären aber ein ernsthaftes Problem für Fichtes Konzeption
der Selbstbewusstwerdung freier Wesen qua Aufforderung. Diese Konzeption
steht ganz im Geiste des modernen liberalen politischen Denkens, das sich auf
Rechte konzentriert, die Individuen voreinander und vor dem Staat beschützen,
und scheint daher gut zu Fichtes Projekt einer Theorie der Rechte zu passen. Das
Problem damit ist allerdings, dass sie viel zu simpel zu sein scheint, um die inti-
meren Verhältnisse zu begreifen, deren Hervorgehen sich mit den ersten Andeu-
tungen von so etwas wie dem Bewusstsein seiner selbst als frei nahelegt.
Fichte schreibt auf einem relativ abstrakten Niveau und sagt nicht viel über
die empirischen Instanziierungen des Aufforderns. Jedoch ist empirisch gesehen
 3.2 Die Aufforderung zur Freiheit   35

die menschliche Kindheit klarerweise der paradigmatische Schauplatz für die-


jenigen Vorgänge, über die Fichte spricht. Obwohl die Vorstellungen von sich
wechselseitig ausschließenden Sphären und der Nichteinmischung in die per-
sönliche Sphäre durch Andere einige Aspekte der Beziehungen zwischen dem
auffordernden Erwachsenen und den kindlichen Adressaten solcher Aufforde-
rungen zu erfassen vermögen, sind sie kaum zureichend für ein umfassendes
Verständnis solcher Beziehungen. In diesem Zusammenhang gilt es auch, ein
potentielles Missverständnis bezüglich des Aufforderungs-Begriffs aufzuklä-
ren. Fichtes Formulierungen erwecken häufig den Eindruck, als handle es sich
bei einer „Aufforderung“ um ein singuläres Ereignis, durch das ein vollständig
bewusstloses Wesen plötzlich zur Bewusstheit seiner selbst als frei erwachte und
dadurch sogleich eine freie Person würde − ein einmaliges Ereignis, das man
sicherlich nur schwerlich im wirklichen Leben ausfindig machen könnte. Tat-
sächlich hat Fichte kein solches einmaliges Ereignis im Sinn, sondern vielmehr
einen Prozess – den Prozess der Erziehung. An einer Stelle im Text stellt Fichte
ein wenig abrupt fest: „[d]ie Aufforderung zur freien Selbstthätigkeit ist das, was
man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden,
ausserdem würden sie nicht Menschen.“ (SW III, 39).8
Fichte expliziert nur in geringem Maße, was genau er mit der Identifikation
von „Auffordern“ und „Erziehen“ im Sinn hat. Es lässt sich aber aus dem Kontext
erschließen, dass das Wesentliche der Erziehung für Fichte die Förderung der
kindlichen Entwicklung zu einer vernünftigen und freien Person ist. Kurz gesagt:
Auffordern ist das Element der Erziehung, kraft dessen das Kind in die Lage
gebracht wird, sich zu einem freien Vernunftwesen zu entwickeln und d.h. zum
Mitglied einer Gemeinschaft solcher Wesen.
Das Problem von Fichtes Ansatz lässt sich nun besser charakterisieren: Seine
zentrale Metapher ist ungeeignet dafür, mit der prozessualen und stufenweise
fortschreitenden Natur wirklicher Erziehung sowie den großen Differenzen zwi-
schen den frühen und späten Phasen dieses Prozesses zurechtzukommen. Von
„sich wechselseitig ausschließenden Sphären der Freiheit“ zu sprechen, mag
passend sein, wenn man eine politische Ordnung beschreibt, die sich auf den
durch Rechte vermittelten Schutz der Individuen voreinander konzentriert und
so auf diejenigen Rechtsverhältnisse, in die eine Person als junger erwachsener
Bürger eintritt. Als Beschreibung elementarer Beziehungsverhältnisse zwischen
Kindern und Erwachsenen, mit denen der Prozess der Erziehung einsetzt, wirkt
eine solche Beschreibung hingegen seltsam entfremdet bzw. atomistisch. Und in
der Tat weist Fichte es in seiner später im Buch ausführlich stattfindenden Dis-
kussion der Familie ausdrücklich zurück, die Beziehung zwischen Eltern und
Kindern primär rechtlich zu verstehen.9 Somit besteht zum Teil eine Diskrepanz
36   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

zwischen dem, was Fichte zu sagen versucht und dem, was seine Metaphern zum
Ausdruck bringen.
Wir können anfangen, die zu beschreibende Situation aufzuklären, indem
wir eine Unterscheidung thematisieren, die Fichte selbst nicht explizit macht,
nämlich die zwischen institutionellen und nicht-institutionellen bzw. rein intersub-
jektiven Beziehungen oder Beziehungsfaktoren. Während das Ziel der Grundlage
darin besteht, die Notwendigkeit eines bestimmten institutionalisierten Rechts-
systems und somit eines Systems von darauf beruhenden menschlichen Bezie-
hungen zu erweisen (hier soll der junge Erwachsene schließlich ankommen),
handelt seine Diskussion der notwendigen sozialen Bedingungen der Selbstbe-
wusstwerdung von einer grundsätzlich intersubjektiven und nicht-institutionali-
sierten Form der Interaktion (damit beginnt das Kind seinen langen Weg in Rich-
tung Erwachsensein).
Konzentriert man sich auf die Frühphase des Aufforderungsprozesses im
Sinne der Erziehung, dann ergibt es wenig Sinn, sich die Aufforderung des
Kindes als seine Einführung in eine Gemeinschaft vorzustellen, die sich etwa
durch exklusive Eigentumsrechte auszeichnet, durch die jeder eine exklusive
Freiheitssphäre genießen und mit seinem Eigentum ungestört tun kann, was er
will.10 Noch allgemeiner gesehen ist es keine angemessene Beschreibung dessen,
was Auffordern in der frühen Kindheit bedeutet, wenn man sagt, dass es darum
geht, das Kind dazu einzuladen, Mitglied eines Systems institutionalisierter
Rechtsbeziehungen irgendeiner Art (sowie korrespondierender Pflichten) zu
sein. Fichte wird kaum ernsthaft gemeint haben, dass Kinder erst dadurch, dass
man sie mit ihren Rechten bekannt macht und dazu ermuntert, diese auszuüben,
zum Bewusstsein ihrer selbst als freie Vernunftwesen erwachen.
Es gibt eine Möglichkeit dieser Kritiklinie mit dem Verweis auf einen ver-
mittelnden Begriff in Fichtes Werk zu begegnen, den ich bisher noch nicht
erwähnt habe: dem Begriff des „Urrechts“. Fichte unterscheidet zwischen einem
„Urrecht“, d.h. vor-institutionellen oder natürlichen Rechten auf der einen Seite
und „wirkliche[n]“ (SW III, 122), d.h. institutionalisierten Rechten auf der anderen
Seite. Angewandt auf die Interaktion von Kind und Erwachsenem bezieht sich
das „Rechtsverhältniss“ (SW III, 52) hauptsächlich auf Urrechte. Nach Fichte
beinhalten die Urrechte das „Recht auf die Fortdauer der absoluten Freiheit und
Unantastbarkeit des Leibes“ und das „Recht auf die Fortdauer unseres freien Ein-
flusses in die gesammte Sinnenwelt“ (SW III, 119).11 Aber selbst dann, wenn man
zugesteht, dass Fichte die Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind nicht im
Sinne von institutionalisierten Rechten, sondern im Sinne dieser nicht-institutio-
nalisierten oder Urrechte auffasst, bleibt eine fundamentale Inadäquatheit seiner
Darstellung bestehen. Die Berufung auf solche Urrechte, die dem Kind hypothe-
tisch zugeschrieben werden, stellt eine ziemlich leblose, abstrakte und unpas-
 3.2 Die Aufforderung zur Freiheit   37

sende Beschreibung der Art von Interaktion dar, die das Kind bei der Entwick-
lung eines Verständnisses seiner selbst als rationalem und freiem Wesen (in der
spezifischen Weise, in der alle rationalen Wesen frei sind) unterstützt. Die Meta-
pher der „einander ausschließenden Sphären“ der Freiheit, innerhalb welcher
jeder absolut frei d.h. unbehindert ist, findet hierin ihren Nachhall.
Ich möchte versuchen, das Problem mit dieser Metapher noch etwas besser
zu veranschaulichen. Schaut man sich die frühen Arten der innigen Interaktion
von Kind und Mutter bzw. Umsorgendem an, dann ist es alles andere als offen-
sichtlich, wie die „Sphären“ der Freiheit voneinander abzugrenzen sind und
was man genau tun kann oder sollte (bzw. nicht tun sollte), um dabei nicht den
Körper des Anderen in seiner Freiheit oder seinen Einfluss auf die sinnliche Welt
zu beeinträchtigen. Sollte dies unklar oder unbestimmt sein, dann ist der einzige
sichere Weg, sich der Interaktion insgesamt zu enthalten, denn fast jede Art der
Interaktion kann in irgendeiner Weise die Freiheit oder den Einfluss auf die Welt
des anderen körperlichen Wesens behindern. Man denke nur an das Halten des
Säuglings. Aber wie Fichte selbst feststellt, reicht es nicht, dass ich lediglich „das
Handeln unterlasse“, das der Freiheit des Anderen zuwiderläuft. Ich muss „ihm
wirklich gemäss handel[n]“, und „mich wirklich auf eine Wechselwirkung mit
[dem Anderen] einlassen“, denn „[a]usserdem12 bleiben wir geschieden und sind
gar nichts für einander“ (SW III, 45). Es muss eine wechselseitige Interaktion zwi-
schen dem Kind und dem Erwachsenen geben, damit die Entwicklung des Kindes
zu einem freien und vernünftigen Wesen positiv vorangehen kann. Daher kann
Nichteinmischung – ein „sich Heraushalten“ und „gewähren Lassen“ – hier nicht
die Lösung sein.13 Was aber ist dann die Lösung?
Ich möchte keine vollständige Revision, aber eine Art Nachabstimmung des
Fichte’schen Vokabulars vorschlagen, die es besser auf die strikt intersubjektiv
verfassten Phänomene abstimmt, die entscheidend für die Frühphase des Erzie-
hungsprozesses sind. Das Erste, was in dieser Hinsicht zu tun ist, ist, dass wir
den Begriff des Rechts von der zentralen Position, die Fichte ihm zuweist, auf
eine etwas nebensächlichere Position verlegen und die zentrale Stellung statt-
dessen dem Begriff der Autorität geben.14 Dies bedeutet, dass wir die primären
Formen sozialer Beziehungen, die am Beginn des langen Aufforderungsprozesses
qua Erziehung wesentlich sind, in der Hauptsache nicht als „Rechtsverhältnisse“
charakterisieren sollten, da dadurch der Eindruck vermittelt wird, die Haupt­
sache sei hierbei, dass das Kind ein Träger von Rechten unter anderen wird.
Die „Gemeinschaft freier Wesen“, in die einzutreten das Kind aufgefordert wird,
wird treffender charakterisiert, wenn man sie als „Verhältnisse der Ko-Autorität“
bestimmt. Damit soll gesagt werden, dass Mitglied einer Gemeinschaft freier
Wesen zu werden bedeutet, dass man Autorität teilt, bzw. eine „Ko-Autorität“ ist,
die mit den relevanten Anderen unter den Bedingungen und Normen der Koexis-
38   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

tenz lebt. Fichtes Rede vom Begrenzen der eigenen Freiheit durch die Freiheit
Anderer ist auf dieser grundlegenden Ebene der Sozialität darüber hinaus besser
als Ausdruck des Phänomens zu verstehen, dass wir Andere als Autoritäten für
die Normen der Koexistenz und somit für uns selbst erachten. Ich werde durch
die Autorität, die Andere für mich darstellen, begrenzt bzw. begrenze mich selbst,
indem ich ihre Autorität anerkenne.
Frei zu sein heißt hier weniger, eine exklusive Sphäre zu haben, innerhalb
welcher ich tun kann, was ich will, als vielmehr Autorität bezüglich der Normen
der Gemeinschaft, in der man mit den relevanten Anderen lebt, zu besitzen und
zu teilen oder mit anderen Worten: an dem regierenden Leben in der Gemein-
schaft als ein maßgebliches Mitglied neben anderen zu partizipieren. Fichtes
Metapher der einander ausschließenden Sphären der Freiheit kann neu interpre-
tiert werden, als metaphorisierender Versuch, die schwierige Frage zu adressie-
ren, was es heißt, Autorität mit anderen zu teilen. Kurz gesagt: In einem solchen
Sinne Autorität und somit Freiheit zu teilen bedeutet, dass keiner, um Fichtes
Formulierungen aufzugreifen, „alle Freiheit“ haben kann, sondern nur „einen
Theil“ davon (SW III, 8). Jeder stellt ein ursprüngliches Zentrum von Autorität dar,
dessen Autorität nicht abgeleitet oder reduzierbar auf die irgendeines Anderen
ist.
Ausgestattet mit diesem neubestimmten Vokabular können wir nun noch
einmal nachfragen, was die Ausführung „freier Tätigkeit“ ist, wenn sie genauso
gut durch Handeln wie durch Unterlassen vom Handeln realisiert werden kann?
Wir können dies als Ausführung der eigenen Autorität über die Normen der
Koexistenz mit anderen interpretieren, durch die man zugleich aktives Mitglied
einer Gemeinschaft freier Wesen ist. Genau dies ist es, wozu die Aufforderung
zur Freiheit bzw. zur Ausführung freier Tätigkeit ihren Adressaten einlädt. Ob
die Ausübung von Autorität bzw. Ko-Autorität über die Normen und Regeln, die
die Koexistenz strukturieren, Handeln oder Unterlassen vom Handeln erfordert,
hängt ganz von der jeweils gegebenen Situation ab. Jede Weise, diese Normen zu
unterstützen, geltend zu machen, in Frage zu stellen, neu auszulegen oder zu ver-
ändern ist eine Weise, seine freie Tätigkeit als Mitglied einer Gemeinschaft freier
Wesen auszuüben und dies kann man sowohl durch Handeln als auch durch das
Unterlassen desselben „tun“.15
Die Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Gemeinschaft freier Wesen
„Rechtsverhältnisse“ zu nennen, wie Fichte dies tut, ist allerdings auch hier auf
der nicht-institutionellen Stufe nicht gänzlich deplatziert, wo die Erziehung zur
vollgültigen Person ihren Anfang nimmt. Denn Normen legen fest, was jemand
in einer bestimmten Situation befugt und berechtigt ist, zu tun (oder nicht zu
tun) und was er verpflichtet ist, zu tun (oder nicht zu tun). Dies ist eine andere
Art, wie die Rede von „ausschließenden Sphären“ auch im Rahmen des neube-
 3.2 Die Aufforderung zur Freiheit   39

stimmten Vokabulars Sinn ergibt: Rechte, wie informell auch immer, etablieren
gewissermaßen Sphären desjenigen, das nicht verletzt werden soll („wir einigen
uns darauf, dass ich dazu berechtigt bin, so zu handeln und dass Du kein Recht
hast, mich dabei zu behindern“). Mit dem neu gewonnenen Vokabular können
wir sogar Fichtes Idee der nicht-institutionellen Urrechte auf „Freiheit und
Unantastbarkeit des Leibes“ und „freien Einfluss in die gesammte Sinnenwelt“
Rechnung tragen. Entscheidend ist, dass diese in Bezug auf die eigentliche kon-
krete Interaktion eine Konkretisierung erfordern. Der einzig gangbare Weg, dies
zu erreichen, besteht in einer konstanten Berichtigung und Aushandlung der
Bedingungen, Regeln und Normen der Interaktion, die selbst Teil der Struktur
der Interaktion sind.
Zur Diskussion stehen die unzähligen informellen Bedingungen, Regeln und
Normen, die die menschliche Interaktion strukturieren, soweit diese nicht vom
Instinkt allein geleitet ist; Normen, von denen es zu viele gibt und die sich zu
sehr im Fluss befinden, um sie jemals auflisten zu können, die fortwährend ver-
handelt, neu definiert, neu ausgelegt und auf diese Weise von genau den Indi-
viduen, die in die konkrete Interaktion involviert sind, legitimiert werden. (Man
bemerke, dass dies keineswegs außerhalb der Interaktion oder in einem expli-
ziten reflexiven Diskurs geschehen muss. Es finden die meiste Zeit über, ohne
die Interaktion zu unterbrechen, Aushandlungen etc. in der Interaktion selbst
statt; nämlich durch die zahlreichen, oft kaum bewussten Weisen, in denen Men-
schen  – einschließlich Kleinkinder und ihre Mütter  – einander durch Körper-
haltung, Mimik, Stimmlage usw. Zustimmung oder Missbilligung, Einigkeit oder
Dissens, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit signalisieren.) Kraft dieser Normen
und der Tatsache, dass beide Autorität über diese ausüben und somit übereinan-
der, belässt die Interaktion leiblicher Wesen beide in ihrer Freiheit, auch wenn
sie sich als leiblich-verfasste Wesen im endlichen Raum und in konkreter Interak-
tion unausweichlich gegenseitig beeinflussen und in ihren Handlungsmöglich-
keiten behindern. Das Ziel kann es hierbei, wie ich vorschlagen möchte, nicht
sein, nicht beeinflusst und so durch den Anderen behindert zu werden, sondern
auf eine Weise beeinflusst und behindert zu werden, die man billigt und akzep-
tiert.16 Hierin wird anschaulich, was es für den eigenen Körper bedeutet, „frei
und unverletzlich“ zu sein und für einen selbst „freien Einfluss“ auf die Welt zu
haben. Rechte sind deswegen Teil der Darstellung. Zentral dafür, dass man auf
dieser grundlegenden Ebene Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen ist, ist es,
Autorität bezüglich der Normen, die die Interaktion regeln und damit auch der
informellen und nicht-institutionellen bzw. der Urrechte einer jeden Person zu
haben und zu teilen.
Rekonstruiert man Fichtes Gedanken auf diese Weise, dann kann nun zusam-
mengenommen gesagt werden, dass die Aufforderung zur Freiheit auf der grund-
40   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

legendsten Ebene für jede Interaktionsweise bzw. -qualität steht, durch die der
Adressat eingeladen wird, Autorität bezüglich der Bedingungen bzw. Normen der
Interaktion zu teilen und auf diese Weise zusammen mit dem Auffordernden eine
Ko-Autorität der Normen zu sein. Indem der Erwachsene mit dem Kind auf eine
Weise interagiert, die es als Einladungen oder Aufforderungen zur Übernahme
von Verantwortung für ein gemeinsames Leben begreifen kann, macht er das
Kind mit Repräsentationen seiner Freiheit bzw. seiner selbst als frei (in der obigen
Bedeutung) bekannt – im Sinne einer Potentialität, die es zu verwirklichen hat.17
Tatsächlich frei wird man dadurch, dass man sich selbst als frei begreift, in dem
praktischen Sinne, dass man sich mit dem verantwortlichen und freien Ideal
seiner selbst identifiziert, folglich Verantwortung übernimmt und mit Anderen
Autorität auszuüben beginnt.

3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts

Was hat dies nun alles mit „Anerkennung“ zu tun und was versteht Fichte unter
diesem Begriff? Wir befinden uns jetzt am Anfang der expliziten Diskurse über
Anerkennung und können bereits hier eine Reihe von Ambiguitäten feststellen,
die seit jeher in den Diskursen zu finden sind. Fichtes Schwierigkeiten im Umgang
mit diesem problematischen Begriff und sein Schwanken zwischen verschiede-
nen, wenn auch verwandten Bedeutungen, sind besonders aufschlussreich für
jeden, der versucht, ein Verständnis des hier in Frage stehenden Komplexes von
Phänomenen zu gewinnen.
Fichtes Text enthält, um ein wenig vorauszugreifen, eine gewisse Unschlüs-
sigkeit bzw. schwankt begrifflich hin und her zwischen
(I.) einem Verständnis von Anerkennung als bloß epistemischer oder theoreti-
scher Einstellung auf der einen Seite und als praktischer Einstellung auf der
anderen Seite, und
(II.) einer Konzeption von Anerkennung als einer Einstellung oder einem menta-
len Akt (sei es theoretisch oder praktisch) einerseits und als einem Akt oder
einer „Behandlungsweise“ andererseits.

Wir wollen das erste die Theorie-Praxis-Oszillation und das zweite die Einstel-
lungs-Handlungs-Oszillation nennen.
Darüber hinaus gibt es zwei unterschiedliche Arten konkreter Beziehungen,
mittels welcher Fichte in der Grundlage über Anerkennung nachdenkt, ohne dass
er klar zwischen ihnen unterscheiden würde.
(A) Die eine ist die rein intersubjektive Beziehung zwischen dem erwachsenen
Auffordernden und dem kindlichen Adressaten der Aufforderung. Fichte
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   41

meint sowohl, dass der Auffordernde den Adressaten zuerst als freies Ver-
nunftwesen „anerkennen“ muss, um ihn zu Freiheit und Vernünftigkeit auf-
zufordern, als auch dass der Adressat den Auffordernden als freies Vernunft-
wesen „anerkennen“ muss, um die Aufforderung als Aufforderung verstehen
zu können und angemessen auf sie zu reagieren.
(B) Der andere thematische Komplex betrifft die spezifische Art der Beziehung
zwischen Individuen, die gemeinsam an einer „Gemeinschaft freier Wesen“
teilhaben. Diese ist nach Fichtes Beschreibung eine Beziehung, die durch
institutionalisierte Rechte vermittelt ist. Nach Fichtes Konzeption spielt
„Anerkennung“ auch in dieser Beziehung eine zentrale Rolle.

Obwohl diese thematischen Zusammenhänge insofern miteinander zusammen-


hängen, als das Kind ausgehend von der ersten Beziehungsart in Beziehungen
der zweiten Art eintreten soll, sind sie von ganz unterschiedlicher Art und wie
wir sehen werden, hängt ein Teil der Differenz damit zusammen, dass sie unter-
schiedliche Anerkennungs-Konzepte so wie auch unterschiedliche Begriffe des
Personseins involvieren.

3.3.1 Die „Anerkennung“ des Adressaten der Aufforderung


durch den Auffordernden

Wir wollen mit der Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten
der Aufforderung beginnen (A). Fichte meint, dass der Auffordernde etwas bzw.
jemanden als freies Vernunftwesen „anerkennen“ muss, um ihn zu vernünftiger
Freiheit aufzufordern. Die scheinbare Zirkularität dieses Gedankens – immerhin
soll das Objekt einzig durch den Prozess des Aufforderns ein freies Wesen werden
− lässt sich leicht auflösen, wenn man Freiheit und Rationalität vor der Aufforde-
rung als Potentiale versteht, deren Verwirklichung eine Aufforderung erfordert.
Die erste Aufgabe des Auffordernden besteht daher darin, im Adressaten der Auf-
forderung ein Potential für rationale Freiheit zu erkennen.
Es stellt eine etwas schwierigere Angelegenheit dar, dass Fichte bezüglich der
Haltung des Auffordernden zum Adressaten vor dem Auffordern zwischen zwei
unterschiedlichen Konzeptionen schwankt. Einerseits stellt er dies oft als einen
rein epistemischen Sachverhalt des Erkennens oder des Identifizierens (siehe
1.1.) eines Adressaten als potentiell rationalem Wesen dar und bezeichnet diesen
epistemischen Akt oder Zustand als „Anerkennung“.18 In bestimmten anderen
Textpassagen hat Fichte jedoch etwas anderes im Sinn als eine bloß epistemi-
sche Identifikation, nämlich eine praktische Einstellung oder einen praktischen
mentalen Akt, etwas, das er an einer Stelle als „Respekt“ (SW III, 84) bezeichnet.
42   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Diese zwei unterschiedlichen Vorstellungen gründen in zwei unterschiedlichen


Problemen, und der Hauptgrund für Fichtes Unentschiedenheit bzw. die Theorie-
Praxis-Oszillation (1) ist, wie wir sehen werden, noch ein drittes Problem, das mit
Freiheit zu tun hat.
Welches sind die beiden erstgenannten Probleme, die Fichte zu diesen zwei
unterschiedlichen Vorstellungen von der Haltung des Auffordernden gegenüber
dem Adressaten der Aufforderung führen und die er teils als Angelegenheit theore-
tischer, teils als Angelegenheit praktischer Einstellungen konzipiert? Zunächst ist
hier Fichtes Version des sogenannten Problems des Fremdpsychischen zu nennen.
Fichte fragt: „Denn wie weiss ich denn, welches bestimmte Object ein vernünf-
tiges Wesen sey?“ (SW III, 80). Im Rahmen unseres Themas besteht das Problem
in der Frage, wie der Auffordernde wissen kann, ob etwas möglicher Adressat
einer Aufforderung ist. Fichtes Antwort auf diese Frage ist eine Geschichte über
das Zustandekommen eines gut begründeten epistemischen oder theoretischen
Bewusstseinszustandes, nämlich den Glauben oder das Wissen, dass der Andere
tatsächlich ein dem Potential nach rationales Wesen ist. Mit anderen Worten:
Fichte beantwortet das Problem des Fremdpsychischen mit einer Konzeption,
derzufolge die „Anerkennung“ eines potentiellen Adressaten eine Angelegenheit
epistemischer Identifikation ist.
Fichte hat aber zweitens noch ein anderes Problem vor Augen. So führt die
Vorstellung, dass Rationalität abhängig ist von der Aufforderung eines Anderen,
auf die folgende Möglichkeit: „Meine Vernünftigkeit hängt demnach ab von der
Willkür, dem guten Willen eines Anderen, von dem Zufalle; und alle Vernünf-
tigkeit hängt ab von dem Zufalle.“ (SW III, 74). Dies würde, nach Fichtes Auffas-
sung, die Unabhängigkeit der Person beeinträchtigen: „So kann es nicht seyn:
denn dann bin ich als Person zuerst doch nicht selbstständig, sondern nur ein
Accidens eines anderen, welcher wieder ist ein Accidens eines dritten, und so
ins Unendliche.“ (ebd.). Vernünftige Freiheit als etwas in dieser Weise Kontin-
gentes zu begreifen, ist etwas, das Fichte nicht akzeptiert. Die Antwort auf dieses
Problem – wir können es als das Problem der Kontingenz bezeichnen – ist eine
Theorie, der gemäß der Auffordernde zur Aufforderung „genötigt“ (SW III, 74, 85)
wird. Anders gesagt beantwortet Fichte das Problem der Kontingenz mit einer
Theorie, in der die „Anerkennung“ eines potentiellen Adressaten durch den
Auffordernden einen praktischen oder motivationalen mentalen Akt darstellt –
einen solchen der Nötigung.
Was beim Leser Verwirrung stiften könnte, ist die Tatsache, dass Fichte zu
versuchen scheint, beide Probleme  – das Problem des Fremdpsychischen und
das Problem der Kontingenz – im selben Zuge zu beantworten (SW III, 64 – 73).
Dabei gelingt es ihm jedoch nicht, eine konsistente Konzeption zu entwerfen, weil
ihn die Probleme auf unterschiedliche Wege führen, die ihn beide nicht vollkom-
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   43

men zufriedenstellen. Auf der einen Seite ist es gerade die Art und Weise, in der
die Haltung des Auffordernden zum Adressaten (oder anders gesagt: die Haltung
des Erwachsenen zum Kind) im Sinne des Problems des Fremdpsychischen aus-
gearbeitet ist  – nämlich in epistemischen Begrifflichkeiten des Wissens oder
Glaubens, dass letztgenannter potentiell rational ist (oder als solcher erkannt
werden kann) –, durch die das Problem der Kontingenz entsteht: Gegenüber der
Annahme, dass A im epistemischen Sinne des Glaubens oder Annehmens dahin
geführt wird, B als ein potentiell rationales Wesen und somit als einen geeigne-
ten Adressaten der Aufforderung „anzuerkennen“,  – oder B als einen solchen
zu identifizieren −, ist es aber noch eine völlig andere Frage, ob A B tatsächlich
auffordert und auf diese Weise die Verwirklichung ihrer Potentiale ermöglicht.
Vielleicht hat A einen Beweggrund dies zu tun, vielleicht hat sie diesen aber auch
nicht.
Auf der anderen Seite sieht die Vorstellung, dass der Auffordernde auf eine
gewisse Weise zur Aufforderung genötigt ist, wie eine Lösungsmöglichkeit für das
Problem der Kontingenz aus. Dies würde es Fichte auch erlauben, das Problem
des Fremdpsychischen zu reformulieren und zu sagen, dass die ursprüngliche
Beziehung zwischen Aufforderndem und Adressaten keine des Wissens, Glau-
bens, Annehmens und Identifizierens ist, sondern eine des motivationalen Affi-
ziertseins.19 Anders gesagt würde dies Fichte die Aussage ermöglichen, dass das
Entscheidende an der Haltung des Auffordernden zum Adressaten keine moti-
vational neutrale, epistemische oder theoretische Einstellung ist, sondern eine
motivational wirksame praktische Einstellung der „Anerkennung“, durch die der
Auffordernde zum Auffordern genötigt wird.
Allerdings ist auch dies eine Lösung, die Fichte letztendlich nicht akzeptie-
ren kann, weil sie die Freiheit des Auffordernden aufs Spiel setzte. Hier kommt
das oben erwähnte dritte Problem ins Spiel. Fichtes Besorgnis, die Freiheit des
Auffordernden zu beeinträchtigen, ist, so mein Vorschlag, der Hauptgrund für
seine Theorie-Praxis-Oszillation. Auf dem Spiel steht hier nicht Freiheit in dem
Sinne, dass man in der Lage ist, in der Außenwelt ohne die Behinderung durch
Andere zu handeln – Fichtes Rede von den ausschließenden „Sphären der Frei-
heit“ bezieht sich im Wesentlichen hierauf −, und auch nicht Freiheit im Sinne
der Autonomie, d.h., dass man unter selbst autorisierten Bedingungen handelte
und behandelt würde – im Rahmen meiner Rekonstruktion war dies das Wesent-
liche des Aufforderns als Erziehung. Was hier im Gegenteil auf dem Spiel steht,
ist Freiheit in einem innerlich-mental kausalen Sinn, d.h. dass die Handlungs-
absichten eines Subjekts nicht durch irgendetwas anderes als das Subjekt selbst
verursacht sind. So wie Fichte nicht akzeptiert (wie wir in 2.2. gesehen haben),
dass das Auffordern die Ursache dafür ist, dass der Adressat der Aufforderung in
einer bestimmten Weise handelt, akzeptiert er es auch nicht, dass der potentielle
44   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Adressat der Aufforderung, oder irgendetwas in ihm, die Ursache für einen moti-
vationalen Zustand des Auffordernden ist, der zum Auffordern führte.
Fichte wendet mehrere Seiten dafür auf, dieses dritte Problem zu lösen, indem
er eine Theorie entwickelt, die erklären soll, wie jemand durch einen anderen
affiziert werden kann, ohne dass die eigene Reaktion durch die Wirkung verur-
sacht wäre. Das Herzstück dieser Theorie, die in ihren Details recht problema-
tisch ist, ist die Idee, dass Andere mich nicht wirklich auf eine Weise affizieren,
die mein Handeln zur Folge hat Ihre Rolle ist gewissermaßen nur, dass sie mich
dazu bringen, solche Effekte innerlich zu „imitieren“ (SW III, 61 – 73).20 Daher ist
es nicht der Fall, dass das potentielle Vernunftwesen, oder etwas in ihm, den
Auffordernden in irgendeiner Weise affiziert und dass der Auffordernde dadurch
dazu veranlasst oder bewegt wird, Ersteren aufzufordern. Der Auffordernde „imi-
tiert“ vielmehr innerlich eine Wirkung des Anderen und bringt sich dadurch
selbst dazu, so zu handeln (SW III, 66). Dieser innere Akt der Imitation ist in dem
geforderten Sinn absolut frei, insofern er durch nichts, was dem Subjekt selbst
äußerlich ist, verursacht wird (SW III, 64 – 65).21
Während Fichte hier eine schwierige Frage zu bewältigen sucht – denn wie
kann ich von Anderen affiziert werden, ohne dass meine Freiheit dadurch beein-
trächtigt wird−, eliminiert seine Antwort darauf dasjenige, was eine Lösung für
das Problem der Kontingenz darstellen könnte. Folgen wir diesem Gedanken-
gang, dann ist es letztendlich nicht der Fall, dass der potentielle Adressat der
Aufforderung den Auffordernden in irgendeiner Weise zum Auffordern „nötigt“,
sondern vielmehr so, dass der Auffordernde dies selbst tut. Ist dies der Fall und
der innere Akt der Imitation tatsächlich frei in dem kausalen Sinn, dass er nicht
durch irgendetwas anderes als das Subjekt ausgelöst wurde, wie Fichte insistiert,
dann werden wir zum Problem der Kontingenz zurückgeführt, nur jetzt auf einer
tieferen Ebene: Vielleicht hat das Subjekt ein Motiv dafür, innerlich eine Wirkung
des Anderen zu imitieren, vielleicht aber auch nicht.
Es gibt noch eine andere, hiermit eng verbundene Weise, in der Fichtes
Zögern bzw. Schwanken zwischen der epistemisch-theoretischen und prakti-
schen Vorstellung der „Anerkennung“ des Adressaten der Aufforderung durch
den Auffordernden zum Ausdruck kommt. Diese hängt mit der Frage zusam-
men, von was für einer „Nötigung“ Fichte primär spricht: Ist sie von praktischer
oder von theoretischer Art? Dass sie von theoretischer Art ist bedeutet, dass das
Subjekt den Anderen epistemisch als ein potentielles Vernunftwesen identifiziert
und dass es dadurch logisch dazu genötigt ist, den Anderen zur Verwirklichung
seiner Freiheit aufzufordern.22 Ob das Subjekt den Anderen tatsächlich auffor-
dert, bleibt ihm vollständig selbst überlassen, wenn es dies aber nicht tut, kann
es als logisch oder theoretisch inkonsistent kritisiert werden.23 Es ist nicht ganz
einfach zu sehen, worin genau die logische Inkonsistenz liegt, die man begeht,
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   45

wenn man ein Kind, das man für ein potentielles Vernunftwesen hält, nicht auf-
fordert. Fichtes Diskussion dieses Themas (SW III, 74 – 80) gibt darauf keine wirk-
lich stimmige Antwort, da sie zwei Problematiken nicht klar auseinanderhält:
den mentalen Akt bzw. die anerkennende Einstellung gegenüber dem Anderen
als einem (potentiellen) Vernunftwesen auf der einen Seite, und die tatsächli-
che Behandlung des Anderen als ein solches Wesen auf der anderen Seite, was in
diesem Fall bedeutet, es zur Verwirklichung seiner Freiheit aufzufordern.
Wir nähern uns hier dem an, was ich oben Fichtes Einstellungs-Handlungs-
Oszillation genannt habe. Fichtes Argument läuft auf den Gedanken hinaus, dass
es unmöglich ist, den Körper eines menschlichen Wesens konsistenterweise als
etwas anderes als den eines – wenn nicht tatsächlichen, dann zumindest poten-
tiellen  – Vernunftwesens zu begreifen,24 und schließt mit der Behauptung ab,
dass, weil dies so ist, „jeder Mensch innerlich genöthigt [wird], jeden anderen für
seines Gleichen zu halten“ (SW III, 80). Auch wenn das Kind noch kein eigentli-
ches Vernunftwesen ist, ist es für Andere unmöglich, sein körperliches Dasein
als etwas anderes denn als dasjenige eines Wesens, das potentiell rational ist,
zu begreifen. Obschon dies ein interessantes Argument ist, steckt der Teufel in
einem scheinbar unschuldigen Detail: nämlich in der Idee des etwas für etwas
„halten“, die zwischen einem mentalen Akt bzw. einer Einstellung und einem
tatsächlich vollzogenen Akt oder einer Behandlungsweise changiert. Fichte stellt
sich selbst die Aufgabe, zu zeigen, dass der Auffordernde aus Gründen der Kon-
sistenz dazu genötigt ist, das Kind im Sinne einer auffordernden Interaktion für
frei und vernünftig zu halten, aber tatsächlich argumentiert er nur dafür, dass er
aus Gründen der Konsistenz dazu genötigt ist, es im Sinne eines (epistemischen)
mentalen Aktes oder einer Einstellung für ein potentiell freies und vernünftiges
Wesen zu halten. Egal ob Fichte mit dem Vorschlag Recht hat oder nicht, dass es
eine theoretische oder logische Nötigung gibt, den Körper eines menschlichen
Wesen als den eines freien Vernunftwesens zu identifizieren  – da er auf keine
andere Art widerspruchsfrei aufgefasst werden kann25 –, vollständig unberührt
bleibt hierbei die Frage, ob der Andere auch wie ein solches Wesen zu behan-
deln ist. Kurz gesagt: selbst dann, wenn es logisch inkonsistent wäre (und auf
diese Weise nicht einfach nur falsch), ein freies Vernunftwesen, mit dem man
bewusst konfrontiert ist, für etwas anderes als ein solches Wesen zu „halten“
in dem Sinne, dass man es als ein solches Wesen identifiziert, wäre es einfach
eine andere Frage, ob irgendetwas inkonsistent daran ist, es nicht für ein solches
Wesen zu „halten“ in dem Sinne, dass man es wie ein solches Wesen behandelt
(was in diesem Kontext bedeutete, es aufzufordern).
Fichte bietet aber auch eine andere, praktische Version dessen an, was es
bedeutet, dass der Auffordernde zum Auffordern „genötigt“ ist  – eine Version,
die so aussieht, als könnte sie als Antwort auf das Problem der Kontingenz
46   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

dienen. Nach einer weiteren Diskussion der Erfahrung eines anderen Wesens,
dem genuin menschliche Merkmale zu eigen sind – wie z.B. die Augen, die Intel-
ligenz zum Ausdruck bringen, die aufrechte Haltung, der Mund und „das ganze
ausdrückende Gesicht“ (SW III, 84)  – schließt Fichte mit der Aussage ab, dass
dies „jeden, der menschliches Angesicht trägt, nöthigt, die menschliche Gestalt
überall (…) anzuerkennen und zu respectiren [Betonung H.I.]“ und dass die „Men-
schengestalt (…) dem Menschen nothwendig heilig“ ist (SW III, 84 – 85).
Fichte scheint hier darauf hinweisen zu wollen, dass es so etwas wie eine
normale Reaktion auf einen menschlichen Körper (im Rahmen meines Argu-
ments vor allem den eines Kindes) gibt, die nicht allein eine epistemische bzw.
theoretische Angelegenheit ist; es geht nicht nur darum, Überzeugungen zu
bilden und den menschlichen Körper als Körper eines (potentiell oder tatsäch-
lich) freien Vernunftwesens zu identifizieren, mit anderen Worten: es ist nicht
allein ein theoretisch mentaler Akt oder eine Einstellung, die als solche keine
Motivation involvierte. Entscheidend ist im Gegenteil ein motivational wirksames
Phänomen. Den anderen menschlichen Körper als „heilig“ anzusehen, ihn oder
seinen Besitzer „anzuerkennen und zu respektieren“ schließt klarerweise eine
motivationale Veränderung ein, einen Grad des Affiziertseins, durch den man die
Bereitschaft erlangt, auf eine angemessene Art und Weise zu handeln und das
andere Wesen auf eine angemessene Art und Weise zu behandeln. Ein paar Seiten
früher hat Fichte einen Hinweis gegeben, was dies genauer beinhalten könnte.
Als Antwort auf das Problem des Fremdpsychischen  – „wie weiss ich denn,
welches bestimmte Object ein vernünftiges Wesen sey“ (SW III, 80) − präsentiert
er die folgende bemerkenswerte Textstelle:

Die Natur hat diese Frage längst entschieden. Es ist wohl kein Mensch, der bei der ersten
Erblickung eines Menschen, ohne weiteres, die Flucht nehme wie vor einem reissenden
Thiere, oder Anstalt mache ihn zu tödten und zu verspeisen, wie ein Wild; der nicht viel-
mehr sogleich auf wechselseitige Mittheilung rechnete. Dies ist so, nicht durch Gewohnheit
und Unterricht, sondern durch Natur und Vernunft (SW III, 81)

Zusätzlich zu der Aussage, dass die normale Reaktion auf ein anderes menschli-
ches Wesen unmittelbar ist, im Gegensatz zu etwas, das wir uns erst angewöhnen
und erlernen müssten, sagt er, dass sie ein Rechnen auf bzw. die Erwartung wech-
selseitiger Mitteilung beinhaltet. Man könnte dies als einen rein epistemischen
oder theoretisch-mentalen Akt der Voraussicht oder Vermutung verstehen, dass
es wahrscheinlich zur Mitteilung oder Kommunikation kommen wird. Bestimmte
Beobachtungen sprechen aber für eine andere Interpretation: nämlich dafür, dass
das, was hier entscheidend ist, eine Art der praktischen Einstellung ist, die eine
Bereitschaft oder Motivation beinhaltet, sich an einer Kommunikation zu beteili-
gen. Immerhin erfordert Kommunikation, dass zwei beteiligt sind und deswegen
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   47

gibt es ohne die Motivation zur Kommunikation mit dem Anderen keinen Grund
für die Erwartung oder die Annahme, dass eine Kommunikation bevorsteht.
Im hiesigen Kontext – der Beziehung von Kind und Erwachsenem − liegt es
nahe, dass es um die Motivation geht, das Kind zur Kommunikation aufzufor-
dern, wobei dies selbst schon eine kommunikative Handlung ist. Das Bild von
der Beziehung des Auffordernden zum Adressaten vor dem Auffordern würde
demnach folgendermaßen aussehen: Der Auffordernde ist durch die Erfahrung
der schieren Präsenz des Adressaten in einem gemeinsamen Raum zum Auffor-
dern „genötigt“; genauer noch: diese Nötigung ist (bzw. ist Teil) einer prakti-
schen Einstellung „der Anerkennung oder des Respekts“ gegenüber dem Kind
als potentiellem freien Vernunftwesen und somit als einem möglichen Kommu-
nikationspartner.
So vielversprechend dieser Interpretationsweg auch aussehen mag, Fichte
kann ihm schlussendlich nichtsdestoweniger nicht beipflichten, da er wiede-
rum die innere kausale Freiheit oder „Selbstursächlichkeit“ des Auffordernden
aufs Spiel setzte. Selbst wenn so etwas wie „Respekt“ den Auffordernden zum
Auffordern motivierte, darf dieser Respekt  – Fichtes Prämissen gemäß  – nicht
durch das Objekt (den Adressaten) oder durch die Begegnung mit ihm verursacht
sein; im Gegenteil müsste er ein Produkt der spontanen inneren „Imitation“ des
Auffordernden von einer solchen Wirkung sein. Dies aber würde bedeuten, dass
der Respekt vollständig der freien Willkür des Auffordernden überlassen ist, und
damit stehen wir wieder vor dem Problem der Kontingenz.

3.3.2 Die „Anerkennung“ des Auffordernden durch den Adressaten

Fichtes Konzeption der Beziehung des Adressaten der Aufforderung zum Auffor-
dernden ist in gewisser Weise weniger komplex als seine Konzeption der Bezie-
hung des Auffordernden zum Adressaten. Dies ist deshalb so, weil das epistemo-
logische „Problem des Fremdpsychischen“ hier in einer Weise Gestalt annimmt,
die Fichte als nicht wirklich problematisch ansieht. Während der Auffordernde
vor einem epistemischen Problem des „Anerkennens“ steht, insofern er in Bezug
auf jemanden, der noch kein tatsächlich freies Vernunftwesen ist, das Poten-
tial, ein solches Wesen zu werden, identifizieren muss, ist die Frage, wie solche
Potentiale zu erkennen sind, für den Adressaten der Aufforderung kein Problem.
Schließlich ist der Auffordernde bereits ein tatsächlich freies Vernunftwesen und
muss vom Adressaten nur als ein solches identifiziert werden. Da er dies nicht
einmal als Problem zum Thema macht, scheint Fichte es schlicht für selbstver-
ständlich zu erachten, dass Kinder zu einer solchen epistemischen Weise der
„Anerkennung“ bzw. Identifikation fähig sind.
48   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Aber auch wenn Fichte das Problem des Fremdpsychischen im Falle der
Beziehung des Adressaten zum Auffordernden nicht zu interessieren scheint,
seine Präsentation dieser Beziehung ist dennoch mit der Ambivalenz zwischen
dem Epistemischen bzw. Theoretischen auf der einen Seite und dem Praktischen
auf der anderen Seite belastet  – also mit dem was ich oben (1) Theorie-Praxis-
Oszillation genannt habe. Wie wir in Abschnitt 3.2. gesehen haben, meint Fichte,
dass die Aufforderung den Adressaten auf eine adäquate Art und Weise affizie-
ren muss und dies muss klarerweise etwas anderes als eine bloß „epistemische
Wirkung“ in dem Sinne sein, dass das Subjekt einen Zustand des Glaubens,
Annehmens etc. ausbildet. Aufgrund der obigen Beobachtungen und Überlegun-
gen könnte man nun annehmen, dass (auch) die „Anerkennung“ des Auffordern-
den durch das Kind einer Art „Respekt“ ähnelt und dass dieser das Kind dazu
bewegt, in adäquater Weise auf die Aufforderung zu reagieren. Genauer noch
könnte man die Anerkennung in der Form des Respekts, den der Adressat gegen-
über dem Auffordernden empfindet, als eine praktische Einstellung verstehen,
die ihn als solche motiviert bzw. dazu bewegt, den Auffordernden angemessen zu
„behandeln“, d.h. auf seine Aufforderung zu reagieren.
Faktisch bestimmt Fichte die Beziehung des Adressaten zum Auffordern-
den die meiste Zeit über mithilfe eines epistemischen Vokabulars und scheint
die „Anerkennung“ des Auffordernden als eine Angelegenheit des Wissens,
Annehmens und Identifizierens zu verstehen (vgl. zum Beispiel SW III, 43 – 4.).
Der Grund für die Unklarheit seiner Bestimmung des Wesens der Anerkennung
des Auffordernden durch den Adressaten könnte aber auch damit zusammen-
hängen, dass Fichtes Formulierungen einfach etwas salopp sind. Als ein tiefe-
rer Grund könnte sich dahinter aber auch eine Art Beunruhigung im Hinblick
auf die Selbstursächlichkeit des Adressaten verbergen: Wenn die Anerkennung
des Auffordernden durch den Adressaten beinhaltete, dass der Adressat durch
den Auffordernden zu einer Antwort bewegt wird, würde dies die Freiheit des
Adressaten durch einen äußeren kausalen Einfluss beeinträchtigen. Im Gegenteil
dazu scheint die Auffassung von Anerkennung als einem bloß epistemischen Akt
weniger beunruhigend: Selbst dann, wenn das Kind nicht anders könnte, als den
Auffordernden als freies Vernunftwesen und die Aufforderung als Aufforderung
zu identifizieren, bliebe es zumindest seiner eigenen freien Entscheidung über-
lassen, ob es in einer bestimmten Weise reagiert bzw. ob es überhaupt regiert.26
Diese Unklarheit bezüglich der Frage, ob die „Anerkennung“ des Auffordern-
den durch den Adressaten von theoretischer oder praktischer Natur ist, (sc. die
Theorie-Praxis-Oszillation), hängt auch mit einer gewissen Vagheit in Bezug auf
die Frage zusammen, ob es sich hierbei überhaupt um mentale Akte oder Ein-
stellungen handelt (seien sie theoretisch oder praktisch), oder doch eher um
Handlungen bzw. Verhaltensweisen (Einstellungs-Handlungs-Oszillation). Fichte
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   49

zufolge bleibt ein fremdes Bewusstsein unzugänglich, wenn es sich nicht in Form
von Handlungen realisiert und manifestiert. So schreibt Fichte:

[Ein] Begriff bleibt im Innersten meines Bewusstseyns nur mir [dem Adressaten der Auf-
forderung, H.I.], nicht dem ausser mir, zugänglich. Nur Erfahrung giebt dem Individuum
C [dem Auffordernden, H.I.] etwas, und diese errege ich lediglich durch Handeln. Was ich
denke, kann der Andere nicht wissen. (SW III, 45)

Hier wird dafür argumentiert, dass der Auffordernde die Antwort des Adressa-
ten nur dann erfahren kann, wenn sie sich in irgendeiner Art von Handlung des
Adressaten zeigt, der in einer Weise „auf ihn“ einwirkt (ebd.). Der Adressat muss
sich auf irgendeine konkrete Art und Weise zum Auffordernden als einem freien
Wesen verhalten, damit dieser wissen kann, dass die Aufforderung die erwar-
tete Antwort hervorgerufen hat. Fichte ist der Auffassung, dass es tatsächlich
so etwas wie eine rein mentale Anerkennung („vor seinem eigenen Gewissen“,
SW III, 44) gibt, aber er ist auch davon überzeugt, dass ein offenkundiges (oder
wie er es nennt: ein „gemeingültiges“ (SW III, 47)) Anerkennen entsprechende
Handlungen erfordert und dies meint eine angemessene Art, sich zum anderen
zu verhalten.
Dies betrifft ein wichtiges Thema, nämlich den Aspekt der Wechselseitigkeit
von Anerkennung. So meint Fichte: „Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen
nur insofern anmuthen, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen, inwie-
fern ich selbst es als ein solches behandele.“ (SW III, 44). Ein Anderer wird mich
nicht anerkennen – bzw. er wird nicht fortfahren, mich anzuerkennen −, wenn er
nicht die Erfahrung macht, dass ich ihn anerkenne und er kann dies nur vermit-
telt meiner auf ihn bezogenen Handlungen erfahren. Mit Fichtes Metapher der
wechselseitig ausschließenden Freiheitssphären ausgedrückt, entspricht dies
der Idee, dass ich nur dann erwarten kann, dass Andere mich als frei anerkennen
und mich nicht in meiner „Sphäre“ behindern, wenn ich ihnen gegenüber das
gleiche tue. Mit dem von mir im Abschnitt 3.2 vorgeschlagenen Vokabular ausge-
drückt, entspricht dies der Idee, dass ich nur dann von Anderen erwarten kann,
mich als mündiges Subjekt und als Ko-Autorität gemeinschaftlicher Normen (und
damit als Mitglied einer „Gemeinschaft freier Wesen“) anzuerkennen, wenn ich
sie in gleicher Weise anerkenne. Jemand, der die Autorität Anderer nicht aner-
kennt und sie auf Weisen behandelt, die sie nicht akzeptieren können, ist kein
mündiges Mitglied einer solchen Gemeinschaft.
In Bezug auf die Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem kindli-
chen Adressaten der Aufforderung ist Fichte der Auffassung, dass der Auffor-
dernde begründete Zweifel daran haben darf, ob der Adressat ein vernünftiges
Wesen ist und ob eine Aufforderung überhaupt sinnvoll ist, wenn der Adressat
50   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

auf die Aufforderung nicht in angemessener Weise reagiert. Die für den Adressa-
ten angemessene und erwartungsgemäße Weise zu reagieren, besteht darin, dass
er den Auffordernden auf eine Weise behandelt, die seine Anerkennung für ihn
als einem freien Vernunftwesen zum Ausdruck bringt. Hierin findet die Anerken-
nung, die der Auffordernde dem Adressaten entgegengebracht hat, retrospektiv
ihre Bestätigung bzw. Rechtfertigung.
Legt man meine in Abschnitt 2.4. eingeführte Terminologie zugrunde, dann
zielt Fichte auf das Argument, dass sich anerkennende Einstellungen nur in aner-
kennenden Handlungen zeigen und dass die Wechselseitigkeit von Anerkennung
daher Handlungen erfordert. Was hier allerdings nicht relevant sein muss und
auch nicht ist, sind (die in Abschnitt 2.4. von mir so genannten) Handlungen der
Anerkennung im engen Sinne, d.h. Handlungen, deren vorrangiges und vorsätz-
liches Ziel es ist, Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Sind dann hier Hand-
lungen der Anerkennung im weiten Sinne entscheidend, also Handlungen, die auf
die eine oder andere Weise durch anerkennende Einstellungen motiviert sind?
Angesichts der Unklarheit in Fichtes Position können wir an dieser Stelle keine
großen Folgerungen mehr anstellen. Wenn die anerkennende Einstellung allein
in epistemischer Identifikation bestehen soll, dann wird sie allein jedenfalls nicht
motivieren (auch wenn sie eine notwendige Bedingung für das Entstehen einer
Motivation darstellen könnte). Auf der anderen Seite gilt, dass wenn die anerken-
nende Einstellung als eine praktische Einstellung (z.B. des Respekts) aufgefasst
wird, Probleme in Bezug auf die Freiheit der Person die Folge sind. Trotz dieser
Schwierigkeiten ist der von Fichte beabsichtigte argumentative Punkt klarerweise
der, dass die Tatsache, dass der Adressat den Auffordernden als ein freies Wesen
behandelt, dem Auffordernden zu verstehen gibt, dass der Adressat ihn als ein
solches anerkennt (ganz egal, ob damit ein Identifizieren, Respektieren oder ein
anderes relevantes psychologisches Phänomen gemeint ist).
Fichtes Vorstellung, dass der Adressat der Aufforderung sowohl durch
Handeln als auch durch Unterlassen angemessen auf eine Aufforderung reagieren
kann, stellt aber eine weitere Herausforderung dar. Das Problematische daran ist
Folgendes: Wenn es wirklich stimmen sollte, dass Anerkennung sich nur in Form
von „Behandlungsweisen und Handlungen“ zeigt, dann können Unterlassungen
keine adäquate Antwort auf Aufforderungen darstellen, da sie dem Anderen
gegenüber keine Anerkennung zum Ausdruck bringen. In diesem Fall gäbe es
für den Auffordernden keine Veranlassung, im Anerkennen und Auffordern des
Kindes fortzufahren, und damit wäre die weitere Entwicklung des Kindes zur
Freiheit gefährdet.
Im Rahmen der eigenen Formulierungen Fichtes gibt es keine explizite
Lösung für dieses Problem. Es kann aber mithilfe des von mir in Abschnitt 3.2.
vorgeschlagenen Vokabulars gelöst werden. Für diese Lösung ist es entscheidend,
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   51

dass Fichtes irreführende Identifikation von „Behandlung“ und „Handeln“ auf-


gebrochen und deren Verflechtung präzise bestimmt wird. Ich habe in Abschnitt
3.2. vorgeschlagen, dass ein aktives Mitglied einer Gemeinschaft freier Vernunft-
wesen zu sein – hierzu fordert die Aufforderung den Adressaten auf −, bedeutet,
dass man gemeinsam mit den anderen Mitgliedern Ko-Autorität über die gemein-
schaftlichen Regeln und Normen ausübt. Des Weiteren habe ich vorgeschlagen,
dass jede Weise, in der jemand diese Normen unterstützt, bekräftigt, in Frage
stellt, herausfordert, neuinterpretiert oder Vorschläge zu ihrer Veränderung
macht, eine Weise ist, Ko-Autorität (bzw. „freie Wirksamkeit“) als ein Mitglied
einer solchen Gemeinschaft auszuüben und dass dies etwas ist, das man sowohl
durch Handeln als auch durch Unterlassen „tun“ kann.
Es ist wichtig für die gegenwärtige Problematik, dass die Ausübung von Ko-
Autorität es erfordert, die relevanten Anderen für Ko-Autoritäten zu halten und
zwar in beiden Bedeutungen, die diesem Ausdruck zukommen  – im Sinne der
innerlich-psychologischen Bedeutung, einer psychischen Einstellung oder Dispo-
sition und im Sinne der angemessenen Behandlung Anderer. Jemanden auf eine
Weise zu behandeln ist jedoch nicht einfach das Gleiche wie zu handeln. Jeman-
den als Ko-Autorität zu behandeln kann je nach Situation auch (und dies wird
häufig der Fall sein) die Form einer Unterlassung annehmen: Ich behandle Dich
als jemanden, dem Autorität über mich zukommt, indem ich es unterlasse etwas
zu tun, das Du missbilligst.
Für die Beziehung der Ko-Autorität ist es entscheidend, dass B sowohl As
Handlungen als auch seine Unterlassungen (mit hinreichender Verlässlichkeit)
als den äußeren Aspekt von As Haltung gegenüber B interpretieren kann, der
den inneren Aspekt (eine entsprechende psychische Einstellung oder Disposition
gegenüber B) zum Ausdruck bringt. Es ist dieser innere Aspekt – die Einstellun-
gen −, den wir wechselseitig in den sichtbaren Emotionen, Gesichtsausdrücken,
Körperhaltungen, Stimmlagen der Anderen etc. (in den unzähligen Weisen, durch
die Menschen, meist ohne klare Absicht, ihre Anerkennung füreinander (oder
einen Mangel derselben) zum Ausdruck bringen) lesen bzw. zu lesen suchen. Nur
in dem Maße, in dem ich glaube, dass diese Ausdrucksweisen den richtigen psy-
chologischen Zustand zum Ausdruck bringen, glaube ich auch, dass der Andere
mich angemessen „behandelt“ – egal, ob er in der jeweiligen Situation bestimmte
Handlungen ausführt oder unterlässt.27
52   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

3.3.3 Worin besteht die Anerkennung zwischen dem Auffordernden


und Aufgeforderten?

So wichtig die Rolle von Anerkennung für Fichtes Konzeption der Beziehung zwi-
schen dem Auffordernden und dem Adressaten der Aufforderung ist, es ist bisher
auch eine gewisse Unklarheit in seinem Verständnis von Anerkennung deutlich
geworden. Wir wollen als nächstes versuchen, seine Position und ihre Ambiva-
lenzen mithilfe der Unterscheidungen, die in Kapitel 1 eingeführt wurden, zusam-
menzufassen. Zuallererst haben wir gesehen, dass Fichte zwischen verschiede-
nen Konzeptionen von Anerkennung, wie ich sie in Abschnitt 2.1. unterschieden
habe, hin und her schwankt, insofern er Anerkennung manchmal als eine rein
epistemische Einstellung, manchmal als eine praktische Einstellung oder Hand-
lung versteht. Die erste Alternative können wir als „Identifikation“ bezeichnen.
Die zweite Alternative ist dasjenige, was Fichte gelegentlich „Respekt“ nennt. Im
Rahmen meiner rationalen Rekonstruktion von Fichtes Überlegungen bestand
mein Interpretationsvorschlag darin, die Aufforderung als Aufforderung des
Kindes zur Ko-Autorschaft über die Normen der Interaktion zu verstehen, an
welcher es gemeinsam mit den auffordernden Erwachsenen teilnimmt, um auf
diese Weise ein Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen zu werden. Anerken-
nung im Sinne von Respekt kann verstanden werden als die praktische Einstel-
lung, jemanden als eine Autorität bezüglich der Normen der freien wechselseiti-
gen Interaktion anzusehen.
Wie wir gesehen haben, ist dies aber ein Gedanke, dem Fichte − aufgrund
seiner Sorge um dessen Vereinbarkeit mit der inneren kausalen Freiheit des Auf-
fordernden − nicht konsequent nachgeht. Sind wir jedoch bereit, diese Sorge
beiseite zu stellen, ergibt sich das folgende Bild: Der Auffordernde ist aufgrund
seines Respekts gegenüber dem Kind als einem potentiell autonomen bzw. freien
Vernunftwesen dazu motiviert, mit dem Kind auf eine Art zu interagieren, die
eine Aufforderung zur Autonomie enthält. „Respekt“ meint hierbei nichts Erha-
benes oder feierlich Aufgeladenes, sondern einfach den Zustand, durch die
Präsenz eines anderen Wesens affiziert zu sein, das über Eigenschaften verfügt,
die sich von solchen eines bloßen Dinges oder eines trieb- und instinktgeleiteten
Tieres eindeutig unterscheiden. Es ist der natürliche und „automatische“ Cha-
rakter dieser affektiven Reaktion auf ein anderes (potentielles oder aktuales)
Vernunftwesen, den Fichte durch die Wendung, dies ereigne sich durch „Natur
und Vernunft“ (SW III, 81) zum Ausdruck bringt. Die Frage, wie man im Sinne
gerechtfertigten Glaubens wissen kann, dass etwas ein Vernunftwesen ist, wird
hierbei nicht auftreten, wenn es der Fall ist, dass diese Reaktion tatsächlich Teil
der vernünftigen menschlichen „Natur“ ist, deren Fähigkeiten zum Teil wiede-
rum zur Definition des psychologischen Personseins gehören.28
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   53

Bezüglich der in Abschnitt 2.2. gestellten Frage, ob Anerkennung zwischen


dem Auffordernden und dem Adressaten in einer oder in mehreren Formen auf-
taucht, ist zu sagen, dass Fichte es nicht ausdrücklich in Erwägung zieht, dass es
mehr als eine Form geben könnte, und was im Text den Anschein einer Vielzahl
von Formen hat, ist allein der Ambiguität seiner Position zuzuschreiben. Lassen
wir seine Verwendung von „Anerkennung“ als Synonym von „epistemischer
Identifikation“ außer Acht, dann spricht er von Anerkennung als Respekt. Im
nächsten Kapitel werde ich auf zwei „Dimensionen“ der Anerkennung bei Hegel
zu sprechen kommen, eine, die ich die „deontologische Dimension“ nenne, in der
es um Normen, Autorität und Respekt geht, sowie auf eine von mir so genannte
„axiologische Dimension“, in der es um Werte, Sorge und Liebe geht. Fichtes
Rede von Anerkennung als Respekt gehört vor dem Hintergrund dieser Untertei-
lung zur deontologischen Dimension.
Im Sinne der in Abschnitt 2.3. vorgenommenen Unterscheidung zwischen
Einstellungen, Einstellungskomplexen, konkreten zwischenmenschlichen Bezie-
hungen und institutionellen Sphären oder Kontexten geht es hier vor allem um
eine einzelne Einstellung innerhalb einer besonderen Art konkreter zwischen-
menschlicher Beziehungen, nämlich der eines Auffordernden zu einem Adres-
saten. Stellen wir uns dies als die Beziehung zwischen einem Kind und seinen
Eltern oder Fürsorgenden vor, dann ergibt sich die Einbettung in einen bestimm-
ten institutionellen Kontext: die Familie.29 Für die Frühphasen des Aufforderns
sind die institutionellen Dimensionen der Beziehung  – die Rechte und Pflich-
ten der Eltern oder des Kindes, vorgestellt als institutionelle Rollen − allerdings
irrelevant, denn Aufforderung und Anerkennung zwischen Aufforderndem und
Adressaten betreffen ihre Objekte nicht als Träger bestimmter institutioneller
Rollen oder deontischer Machtbefugnisse, sondern als freie Vernunftwesen und
somit als Ko-Autoritäten geteilter Normen. Auffordern und Anerkennen zwischen
Aufforderndem und Adressaten sind rein intersubjektive Phänomene. Wenn die
Eltern allerdings vom Kind erwarten, dass es ihre Rechte als Eltern „respektiert“
(oder ihre „Autorität“ im Sinne des Rechts, dem Kind innerhalb des institutionel-
len Rahmens der Elternschaft etwas anordnen zu dürfen), dann fließt ein insti-
tutioneller Aspekt in die Beziehung ein. Respekt und Anerkennung stehen nun
für ein institutionell vermitteltes Phänomen – Anerkennung wird jemandem als
einem Träger institutionell definierter Rechte oder anderer deontischer Mächte
entgegengebracht. Ich komme auf Anerkennung in diesem Sinne in Abschnitt
3.3.4. zurück.
Im Hinblick auf die in Abschnitt 2.4. diskutierten Zusammenhänge – Einstel-
lungen, Handlungen, Ausdrucksweisen von Anerkennung – hält Fichte die Ein-
stellung für das zentrale Phänomen. Das Augenmerkt ist hier ein psychologisches
und das zentrale Argument besteht darin, dass das Kind ohne bestimmte psychi-
54   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

sche Zustände und Vorgänge  – nämlich Einstellungen − nicht die fürs Person-
sein geforderte psychische Selbstbeziehung ausbilden wird. Allerdings muss die
anerkennende Einstellung anhand der Weise, wie er „behandelt“ wird, vom Aner-
kannten festgestellt werden können. Jemanden auf eine Weise zu behandeln ist
dennoch nicht einfach mit „Handeln“ zu identifizieren, da man jemanden sowohl
durch Handlungen als auch durch Unterlassungen adäquat behandeln kann.
Auf die in Abschnitt 2.5. diskutierte Frage, ob Anerkennung in responsiver
Weise aufs Personsein anspricht oder konstitutiv fürs Personsein ist, lautet Fichtes
Antwort schlicht und umfassend: „sowohl…als auch“. Da Fichtes Anerkennungs-
konzeption allerdings interne Spannungen enthält, gibt es keine einfache und
unproblematische Antwort darauf, was dies im Einzelnen genau bedeutet. Ich
möchte hierzu nur andeutungsweise einige Bemerkungen machen. Zuallererst
geht es hier nicht um Personsein im institutionellen oder juristischen Sinne.
Fichtes Aufmerksamkeit richtet sich auf das Werden einer Selbstbeziehung – das
Bewusstsein seiner selbst als frei −, die konstitutiv ist für Personsein im psycholo-
gischen Sinn. Fichtes Hauptthese ist, dass das, was er Auffordern nennt, notwen-
dig für das Zustandekommen dieses zentralen Elements psychologischen Person-
seins ist. Und da Auffordern Anerkennung beinhaltet, spielt auch Anerkennung
eine Rolle beim Zustandekommen bzw. der Verwirklichung des psychologischen
Personseins des anerkannten Kindes. Allgemein gesagt ist Anerkennung im
Rahmen von Fichtes Ansatz daher kausal konstitutiv für die Personsein-stiftende
psychische Konstitution des Objekts der Anerkennung (KKPO). Es ist aber wichtig
darauf hinzuweisen, dass dies nicht heißt, dass Anerkennung im strengen Sinne
die Ursache dafür ist, dass das Kind eine freie und vernünftige bzw. eine psycho-
logische Person wird, betont Fichte doch, dass Freiheit nicht verursacht werden
kann. Es ist jedoch seine Auffassung, dass sich das Kind ohne die Aufforderung
und die damit einhergehende Anerkennung, nicht zu einer psychologischen
Person entwickeln würde und daher gilt in einem weitgefassten Sinne KKPO.
Fichte sagt nicht, dass Anerkennung auch ontologisch konstitutiv für das psy-
chologische Personsein des Objekts der Anerkennung ist (OKPO); ob sie dies in
gewisser Weise ist, bleibt somit der Überlegung Anderer überlassen.
Da auch das Kind den Auffordernden auf eine Weise zu behandeln hat, die
Anerkennung gegenüber dem Auffordernden als einem freien Wesen zum Aus-
druck bringt – denn ohne dies, bliebe der Auffordernde im Ungewissen darüber,
ob das Kind ein geeigneter Kandidat für die Aufforderung ist −, können wir sagen,
dass Anerkennung Fichte zufolge auch (im angegebenen weiten Sinne) kausal
konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologische Konstitution des Subjekts
der Anerkennung (in diesem Fall für das Kind) ist (KKPS).
Fragt man nach der möglichen konstitutiven Rolle von Anerkennung im Hin-
blick auf den Status, dann geht es hier wiederum nicht um Personsein im Sinne
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   55

eines institutionellen Status. In Bezug auf Personsein qua intersubjektiven Status


habe ich vorgeschlagen, dass das Wesentliche an der Beziehung und der wechsel-
seitigen Interaktion, zu denen das Kind aufgefordert wird, darin besteht, dass die
Subjekte einander als Autoritäten respektieren. Wenn wir zugestehen, dass für
eine Person gehalten zu werden (ganz oder zum Teil) darin besteht, von Anderen
als Autorität respektiert zu werden, dann ist Anerkennung diesem Ansatz zufolge
offensichtlich ontologisch konstitutiv für einen intersubjektiven Personsein-stif-
tenden Status des Objekts (OKSintersO). Sie ist (teilweise oder in Gänze) dasjenige,
was erforderlich ist, um in den Augen Anderer und folglich in der konkreten sozi-
alen Interaktion den Status einer Person zu besitzen.
Wie steht es in Fichtes Konzeption der Beziehung von Aufforderndem und
Aufgeforderten um den responsiven Aspekt von Anerkennung? Personsein im
institutionellen Sinn ist auch hier nicht entscheidend: Anerkennung antwortet in
diesem Kontext weder kausal noch normativ auf einen institutionellen oder juris-
tischen Status; solche Status sind irrelevant für die psychologischen und inter-
subjektiven Details der in Frage stehenden Beziehung. Relevant ist hingegen das
psychologische Personsein. Betrachten wir die Anerkennung des Kindes durch
den Auffordernden (im Sinnes des Respekts vor diesem als einer Ko-Autorität),
dann beinhaltet die Tatsache, dass das Kind nur durch die Interaktion mit dem
Auffordernden eine psychologische Person wird, dass die Anerkennung des Auf-
fordernden auf das Kind anfänglich weniger als eine tatsächliche Person, denn
als potentielle psychologische Person eingeht.
Wie wir gesehen haben schwankt Fichte zwischen einem Verständnis von
Anerkennung (zwischen Aufforderndem und Kind) als epistemischem Akt oder
als Einstellung und einer praktischen Einstellung, die er „Respekt“ nennt. Als epi-
stemische Einstellung wäre sie normativ responsiv auf das potentielle psycholo-
gische Personsein des Kindes (NRP) in dem epistemischen Sinn, dass es inkonsis-
tent wäre, den menschlichen Körper als etwas anderes denn als den eines freien
Vernunftwesens aufzufassen. Als eine praktische Einstellung wäre sie kausal res-
ponsiv in Bezug auf das potentielle psychologische Personsein des Kindes (KRP).
Im Falle der Anerkennung des Auffordernden durch den Adressaten unter-
scheidet sich die Situation nur insofern, als der Auffordernde bereits eine aktual
freie und vernünftige Person ist und das Potentialitäts-Aktualitäts-Problem daher
nicht auftaucht. Die Ambivalenz, ob Anerkennung eine epistemische Einstellung
(der Identifikation) oder eine praktische Einstellung (des Respekts) ist, ist hier
allerdings gleichermaßen vorhanden, wie auch die Herausforderung, die mit
dem Problem der inneren kausalen Freiheit einhergeht.
Es ist erwähnenswert, dass Fichtes Diskussion der Anerkennung zwischen
dem Auffordernden und dem Adressaten überhaupt nicht von solchen Eigen-
schaften von Personen handelt, die über das Personsein als solches hinausgin-
56   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

gen, vor allem nicht von solchen Eigenschaften, die bestimmte qualitative (seien
es individuelle oder kollektive) „Identitäten“ ausmachen. Auch geht es in seiner
Auseinandersetzung mit der Anerkennung freier erwachsener Personen, der wir
uns jetzt zuwenden werden, nicht um die „Anerkennung von Identitäten“.30

3.3.4 Institutionell vermittelte Anerkennung in der Gemeinschaft freier Wesen

Wie ich in Abschnitt 3.3. gesagt habe, gibt es zwei Arten von Beziehungen anhand
welcher Fichte in der Grundlage seine Konzeption von Anerkennung darlegt. Bei
der ersten (A) handelt es sich um die Beziehung zwischen dem erwachsenen
Auffordernden und dem kindlichen Adressaten, die in den vorangegangenen
Unterabschnitten diskutiert wurde. Die zweite Art der Beziehung (B) ist diejenige
zwischen mehr oder weniger erwachsenen Personen, die bereits zu vernünftiger
Freiheit aufgefordert bzw. erzogen wurden und die jetzt Mitglieder der „Gemein-
schaft freier Wesen“ sind, in der jeder über seine eigene „Freiheitssphäre“ verfügt.
Obwohl diese beiden Beziehungsarten insofern miteinander zusammenhängen,
als das Kind von der einen Art der Beziehung in die zweite hinübergehen soll, sind
sie ganz unterschiedlich beschaffen. Eine der vielen Differenzen zwischen diesen
beiden Kontexten ist die, dass die Beziehung in A asymmetrisch ist, da einer der
Beteiligten bereits ein freies Vernunftwesen bzw. eine Person ist, während dies
für den anderen nicht gilt, während die Beziehung in B als Beziehung zwischen
zwei vollentwickelten Personen im Prinzip symmetrisch verfasst ist. Noch wich-
tiger ist die Tatsache, dass die relevanten Aspekte der Beziehung zwischen dem
Auffordernden und dem Adressaten der Aufforderung in A „rein intersubjektiv“
sind, während sie in B durch institutionalisierte Rechte und Pflichten festgelegt
sind. Wie wir noch sehen werden unterscheidet sich das, was Fichte in diesem
zweiten Kontext (ab § 8) mit „Anerkennung“, als auch mit „Personsein“ und
„Freiheit“ meint, signifikant von dem, was er damit im Rahmen des ersten Kon-
textes bezeichnet. (Sollte Fichtes Programm der Deduktion eines Systems von
Rechten tatsächlich gescheitert sein, wie viele gemeint haben, dann scheint dies
einiges damit zu tun zu haben, dass die Bedeutungen zentraler Begriffe – nicht
nur „Anerkennung“, sondern auch „Personsein“ und „Freiheit“  – im Verlauf
seiner Ausführungen ohne irgendeine ausdrückliche Bemerkung wechseln.31)
Der Begriff „Freiheit“, − um mit diesem zu beginnen – steht immer noch im
Zentrum von Fichtes Argumentation, jedoch nicht mehr in dem Sinne innerer
Kausalität, der die in Abschnitt 3.3.1. diskutierten Schwierigkeiten bereitete.
Dies hat mit der Tatsache zu tun, dass bei der Diskussion dieser zweiten Art von
Beziehung die meisten psychologischen Details, die bei der ersten Art relevant
waren, ihre Wichtigkeit verlieren. Die hier entscheidende Bedeutung von Freiheit
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   57

ist die Freiheit, ohne Behinderung kausale Wirkungen in der Außenwelt herbei-
zuführen. Freiheit in diesem Sinne beinhaltet so notwendigerweise Handlungen
in Bezug auf andere in der Welt befindliche Objekte, womit Konflikten zwischen
Subjekten, die ihre Freiheit in Bezug auf dieselben Objekte auszuleben bzw. zu
verwirklichen suchen, der Boden bereitet ist. Fichte ist der Auffassung, dass dies
die Notwendigkeit aufzeigt, einer jeden Person ein exklusives Recht auf eine
begrenzte Sphäre von Objekten einzuräumen, in Bezug auf welche sie absolut
frei darin ist, ihre Wünsche und Absichten zu realisieren – mit anderen Worten
kommt hierin die Notwendigkeit von Privateigentum zum Ausdruck. Das Privat-
eigentum eines jeden Individuums ist die exklusive „Freiheitssphäre“ dieser
Person und innerhalb dieser kann diese Person allein und niemand sonst seine
äußere kausale Freiheit ausüben. Dies ist der Punkt, auf den hin Fichtes Meta-
pher der einander ausschließenden Freiheitssphären die ganze Zeit über ange-
legt war, eine Metapher, die so seltsam unangemessen schien, um die Anfänge
des Aufforderungsprozesses, der Erziehung, begreiflich zu machen, die aber in
diesem Zusammenhang Sinn ergibt.
Für unser Thema ist es wichtig, dass Fichte Eigentum dadurch von bloßem
Besitz unterscheidet, dass jemandes Besitz nur dadurch zu seinem Eigentum
wird, wenn es von Anderen als solches „anerkannt“ wird. Die exklusive Frei-
heitssphäre einer jeden Person im Sinne ihrer Sphäre des Privateigentums wird
durch „wechselseitige Anerkennung“ zwischen Personen in ihrer Rolle als Eigen-
tümer sichergestellt (SW III, 129 – 130). Was heißt „Anerkennung“ dann in diesem
Zusammenhang genau? Es gibt eine potentiell irreführende Ähnlichkeit zu dem,
was der Begriff in Kontext A bedeutet, da Anerkennung in beiden Kontexten
für die Anerkennung eines Anderen als frei steht. Da nun aber „Freiheit“ etwas
ganz Anderes als in Kontext A bedeutet, hat auch „Anerkennung“ eine andere
Bedeutung angenommen. Diese hat fast nichts mehr mit den psychologischen,
intra- und intersubjektiven Zusammenhängen zu tun, die in Kontext A entschei-
dend waren, insofern sie sich nun einfach auf die Freiheit des Anderen bezieht,
hinsichtlich einer exklusiven Sphäre von Objekten ungehindert durch Andere zu
tun, was auch immer er will. Die zugrundeliegende Vorstellung ist grob gesagt
die, dass ich Dich als frei anerkenne, indem ich mit meinen Handlungen nicht in
Dein Eigentum eingreife.
In seiner Diskussion von Kontext B fasst Fichte sogar zwei Arten von Aner-
kennungsbeziehungen ins Auge, wobei es bei der ersten misslingt, die Stabili-
tät der wechselseitig ausschließenden Freiheitssphären als Sphären des Pri-
vateigentums sicherzustellen. Im Sinne der ersten Beziehung, die Fichte im
Rahmen einer Art von Gedankenexperiment in Betracht zieht, steht „gegensei-
tige An­erkennung“ für die Verpflichtung, nicht in das Eigentum des Anderen ein­
zugreifen. Diese gegenseitige oder „wechselseitige Anerkennung“, auf die sich
58   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

„[a]lles Eigenthum gründet“ ist bedingt durch „gegenseitige Declaration“.32 Um


sich selbst zur Nicht-Einmischung zu verpflichten, muss man wissen, dass der
Andere in gleicher Weise verpflichtet ist, und dies setzt voraus, dass beide ihre
Verpflichtung offen erklären. Fichte zufolge kann der Inhalt der Erklärung (bzw.
Deklaration) – was auch immer ihr tatsächlicher Wortlaut ist oder ob sie über-
haupt in Worten ausgedrückt ist − rekonstruiert werden als „nur dies soll mein
seyn“, was zugleich heißt: „das Ausgeschlossene mag dein seyn“ (SW III, 129).
Diese Beziehung beinhaltet noch einen anderen Sinn von „Anerkennung“,
auch wenn Fichte den Ausdruck „Anerkennung“ dafür in diesem Kontext selbst
nicht benutzt. Damit meine ich die wechselseitige Anerkennung des Rechts, dass
jeder der Beteiligten das Recht hat, darüber zu urteilen, wann Rechte verletzt
wurden (SW III, 95). Während der zuerst genannte Sinn von Anerkennung in
Kontext A überhaupt nicht auftaucht, kommt diese zweite Bedeutung dem ziem-
lich nahe, was ich in meiner Nachbestimmung des Fichte’schen Vokabulars als
die primäre Bedeutung von Anerkennung vorgeschlagen habe: Anerkennung des
Anderen als Richter oder Ko-Autorität über die Bedingungen oder gemeinschaft-
lichen Normen.
Beide dieser Anerkennungsweisen können immer noch als „rein intersub-
jektiv“ bezeichnet werden, weil sie frei sind von jeglicher Beeinflussung oder
Vermittlung durch einen „dritten“ institutionellen Faktor. Selbst dann, wenn
man meint, dass durch die wechselseitige Anerkennung als der gegenseitigen
Erklärung über exklusive Freiheitssphären oder Privateigentum eine Institution
zustande kommt, nämlich die des Privateigentums, ist Anerkennung dabei doch
immer noch ein „vor-institutionelles“ oder „rein intersubjektives“ Phänomen, da
sie selbst nicht durch Institutionen, die unabhängig von der Anerkennung vor-
handen wären, beeinflusst oder vermittelt ist.
Fichte meint allerdings, dass es dieser rein intersubjektiven Beziehung der
Anerkennung in Wirklichkeit nicht gelingen kann, eine dauerhafte Institution
des Privateigentums hervorzubringen und Freiheit im erstrebten Sinne abzusi-
chern. Dies sei deshalb so, weil Individuen sich der tatsächlichen Einstellungen,
Absichten oder „inneren Gesinnungen“ (SW III, 100) des Anderen nicht sicher
sein können. Die eigene Verpflichtung, seine Freiheit auf eine begrenzte Sphäre
von Objekten zu beschränken und sich nicht in die des Anderen einzumischen,
ergibt nur dann Sinn, wenn man selbst glaubt, dass der Andere sich ernsthaft
auf dasselbe verpflichtet. Aber da man sich niemals der wahren Absichten des
Anderen sicher sein kann, ist eine solche Verpflichtung letzten Endes extrem
riskant: Absichtserklärungen können betrügerisch sein und selbst dann, wenn
sie es zum Zeitpunkt der Erklärung nicht sind, gilt, dass Meinungen sich ändern
können.
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   59

Wir können ergänzen, dass für die „Anerkennung“ bzw. Akzeptanz der Autori-
tät des Anderen oder seines Urteils darüber, ob jemandes Rechte verletzt wurden,
auch ein Vertrauen in die Aufrichtigkeit oder die Verpflichtung des Anderen zu
Fairness im Urteil erforderlich ist und ein solches Vertrauen ist ebenso vernünf-
tigerweise nicht zu erwarten. Insgesamt wäre ein System des Privateigentums,
das allein auf wechselseitiger intersubjektiver Anerkennung beruhte, allenfalls
eine höchst instabile Einrichtung und in dem Maße, in dem Individuen sich auf
ihr eigenes Interesse besinnen, ist dies nichts, auf das sie sich voraussichtlich
verpflichten würden.
Um dieses Problem zu lösen, führt Fichte ein „drittes“, unabhängiges insti-
tutionelles Element ein und damit auch eine neue Art von Anerkennungsverhält-
nis, das nicht mehr rein intersubjektiv, sondern institutionell vermittelt ist. Die
Beteiligten sollen die Autorität über ihre Beziehung (das schließt deren Gehalt,
das Urteil darüber, ob ihre Rechte respektiert oder verletzt wurden und das Recht,
Rechtsbrecher zu nötigen oder zu strafen, ein) nun einer unparteiischen und
zuverlässigen dritten Instanz anvertrauen. Diese dritte Instanz ist keine dritte
Person, sondern das positive Recht bzw. ein Staat, dem ein System von Normen
zugrunde liegt, die als Gesetze niedergeschrieben sind. Fichte glaubt, dass das
positive Recht so detailliert sein kann, dass es die Gerichtsurteile im Voraus fest-
legt und auf diese Weise jede Möglichkeit von Parteilichkeit ausschließt (SW III,
101 – 104).
Es ist jetzt der Staat, der sich auf Gesetze gründet, die von den Bürgern akzep-
tiert werden, dessen „Anerkennung“ des Eigentums aller individuellen Bürger
es im Rahmen des Rechtssystem zu ihrem Eigentum macht und auf diese Weise
die jeweiligen Freiheitssphären sicherstellt. Darüber hinaus muss jeder Staat das
Eigentum jedes unmittelbar benachbarten Staates „anerkennen“. Dadurch, dass
jeder Staat das Eigentum seiner eigenen Bürger und auch das Eigentum jedes
Nachbarstaates (d.h. deren Autorität über ihre Bürgerschaft und deren Eigentum)
anerkennt, anerkennt das „ganze menschliche Geschlecht“ jedermanns Eigen-
tum. Fichte zufolge wird auf diese Weise letztendlich jedermanns Freiheit im
äußerlich kausalen Sinn sichergestellt (SW III, 131).
Wofür aber steht „Anerkennung“ dann in diesem Kontext? Klarerweise muss
sie etwas ganz anderes bedeuten als in Fichtes Diskussion der Beziehung zwi-
schen dem Kind und dem Auffordernden. Sie ist jetzt am besten als eine mit
bestimmten Rechten und Pflichten einhergehende Statuszuschreibung zu verste-
hen, die der Staat in Bezug auf seine individuellen Bürger vornimmt. Eigentü-
mer und im relevanten Sinne frei zu sein, beinhaltet, Träger des Rechts auf eine
unverletzliche Sphäre materieller Dinge zu sein sowie die Pflicht, sich nicht in
die jeweiligen Sphären Anderer einzumischen. Damit ist auch gesagt, was es in
60   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

diesem Kontext heißt, Person zu sein – es bedeutet, einen institutionellen Status


innezuhaben.33
Der Staat anerkennt seine Bürger zudem nicht einfach und ein für alle Mal als
freie Personen. Im Gegenteil beschützt und wahrt der Staat im praktischen Sinn
von „Anerkennung“ fortwährend ihren (institutionellen) Status als Personen,
indem er diejenigen straft und denjenigen Strafe androht, die ungesetzlicher-
weise in das Eigentum anderer eingreifen  – mit anderen Worten: indem er die
Bürger zum Gesetzesgehorsam zwingt. Die Drohung mit Nötigung ist daher Teil
der fortwährenden Anerkennung der Bürger als freier Personen durch den Staat.
Obwohl Fichte dies selbst nicht tut, können wir an dieser Stelle zwei weitere
Bedeutungen einführen, in denen so etwas wie Anerkennung notwendiges
Merkmal der Fichte’schen Gemeinschaft freier Wesen als einer Gemeinschaft von
Individuen ist, denen der institutionelle Status freier Personen zukommt. Auf
der einen Seite müssen die Bürger im umfassenden Sinn die Legitimation des
Staates „anerkennen“, das System institutionellen Personseins aufrechtzuerhal-
ten, dessen Kern die Institution des Privateigentums ist. Auf der anderen Seite
müssen die Individuen wechselseitig ihren Personenstatus „anerkennen“, der in
ihrer Anerkennung des Staates gründet.
Verglichen mit der Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn, die in Kontext
A entscheidend ist, sind alle der drei erwähnten Bedeutungen von „Anerken-
nung“ in Kontext B (im Rahmen ihrer zweiten, nach Fichte nun erfolgreichen
Auslegung)  – die Anerkennung der Individuen als freie Personen durch den
Staat, die Anerkennung des Staates als legitime Autorität durch die Individuen
und die wechselseitige Anerkennung des freien Personenstatus durch die Bürger
(was vom Staat anerkannt und somit hervorgebracht wird) − durch und durch
institutionelle Angelegenheiten, die ein komplexes institutionelles System mit
einschließen, das größtenteils unabhängig von einem bestimmten Individuum
oder bestimmten Individuen besteht.
Was zeichnet „Anerkennung“ in diesem Kontext (B) im Lichte der Unter-
scheidungen des 1. Kapitels aus? Im Hinblick auf die verschiedenen Bedeutun-
gen von „Anerkennung“, die in Abschnitt 2.1. unterschieden wurden, können wir
zunächst festhalten, dass es hier nicht um epistemische Anerkennung im Sinne
des „Identifizierens“ geht. Alle drei von mir gerade diskutierten Bedeutungen
können vielmehr als unterschiedliche Varianten der „Anerkennung“ („acknow-
ledgement“ auf Englisch) von evaluativen bzw. normativen Entitäten verstanden
werden. Die „abwärts gerichtete“ vom Staat vollzogene Anerkennung der Bürger
verleiht ihnen Rechte und andere deontische Machtbefugnisse; die „aufwärts
gerichtete“ Anerkennung, die Bürger dem Staat gegenüber vorbringen, ent-
spricht im Wesentlichen der Anerkennung der Gesetze und Normen, die ihn als
Institution konstituieren. Die „horizontale“ Anerkennung der Bürger untereinan-
 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts   61

der schließlich betrifft ihre jeweiligen Rechte und geht sie weniger als einzelne
Individuen, denn als Träger von Rechten an.
Wir können nun festhalten, dass die einfache Unterscheidung zwischen
Anerkennung („acknowledgement“) evaluativer und normativer Entitäten auf
der einen Seite und Anerkennung von Personen auf der anderen Seite nicht so
unproblematisch ist, wie sie anfänglich schien: Es gilt, eine „rein intersubjek-
tive“ Anerkennung zwischen Personen und eine institutionell vermittelte Aner-
kennung (oder „acknowledgement“) zwischen Personen voneinander zu unter-
scheiden. (Ab dem nächsten Kapitel werde ich auf Letztere mit „Anerkennung*“
Bezug nehmen.) Bezüglich der in Abschnitt 2.2. gestellten Frage, ob es eine oder
mehrere Formen von Anerkennung gibt, ist zu sagen, dass in Kontext B keine
neue Form rein intersubjektiver Anerkennung eingeführt wird, dass aber insti-
tutionell bzw. institutionell vermittelte Bedeutungen von Anerkennung relevant
werden. Diese beiden sind nicht miteinander zu verwechseln.
Ein relevanter Punkt ergibt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidungen
aus dem Abschnitt 2.3.: Während Einstellungen in Kontext A das zentrale Phäno-
men darstellen, sind sie in Kontext B relativ irrelevant. Genauer gesagt sind sie
nur im Rahmen der strikt intersubjektiven Konzeption der Entstehung und Exis-
tenz von Privateigentum relevant, − eine Konzeption, die Fichte als unhaltbar
zurückweist. Wie wir gesehen haben, beinhaltet Anerkennung in diesem imagi-
nären Arrangement eine offene Erklärung, einen intentionalen Akt des Ausdrucks
von Anerkennung. Das Problem dabei ist, dass es niemals Gewissheit geben kann,
ob ein solcher Ausdruck aufrichtig ist und ob er tatsächliche Einstellungen bzw.
„innere Dispositionen“ zum Ausdruck bringt, die die erforderlichen Handlungs-
weisen bzw. Unterlassungen (oder zumindest deren Wahrscheinlichkeit) durch
die jeweils Beteiligten garantierten. Diese Ungewissheit von Einstellungen soll
durch die institutionelle Konzeption des Privateigentums beseitigt werden. Dass
der Staat die Bürger „anerkennt“, ist keine Angelegenheit bestimmter Einstellun-
gen, sondern meint ganz einfach, dass bestimmte Rechte und Pflichten in Geset-
zesform vorliegen und durch die einschlägigen Staatsbeamten (Polizisten und
Richter) gemäß den ihnen gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten geltend gemacht
werden. Gleichermaßen ist die von den Bürgern vollzogene „Anerkennung“ des
Staates wie auch ihres (institutionellen) Personenstatus bloße Sache ihrer Hand-
lungen und Unterlassungen. Es spielt keine wirklich entscheidende Rolle, wie
ihre Einstellungen gegenüber dem Staat und zueinander genau beschaffen sind,
so lange sie die Legitimität des Staates und ihren jeweiligen Personenstatus prak-
tisch „anerkennen“, indem ihre Handlungen und Interaktionen zum Ausdruck
bringen, dass sie dem Gesetz gehorchen. Obwohl wir auch in diesem Zusammen-
hang von „Akten und Ausdrucksweisen der Anerkennung“ (vgl. 1.4.) sprechen
können (das geschriebene Recht ist in der Tat eine Art Deklaration und auf diese
62   3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Weise in einem relevanten Sinn Ausdruck von Anerkennung), müssen diese


anders als in Kontext A nicht als Expressionen bestimmter zugrundeliegender
Einstellungen verstanden werden.
Mit Bezug auf die Frage aus Abschnitt 2.5., ob Anerkennung, wie sie in Kontext
B verstanden wird, responsiv aufs Personsein eingeht oder konstitutiv für es ist,
haben wir gesehen, dass die „Anerkennung“ durch den Staat ontologisch konsti-
tutiv für den institutionellen Personenstatus der Bürger als Objekte der Anerken-
nung ist (OKSinstO). Auf der anderen Seite geht die gegenseitige Anerkennung der
Bürger in diesem Kontext zumindest normativ responsiv auf den jeweiligen insti­
tutionellen Personenstatus (NRSinst) ein; unterlassene Anerkennung wird ent-
sprechend kritisiert und bestraft. Vorausgesetzt, dass die Furcht vor Strafe durch
den Staat eine gewisse motivierende Rolle bei der Anerkennung eines Bürgers
durch einen anderen spielt, bedeutet dies, dass Anerkennung in diesem Sinne
auch kausal responsiv auf den institutionellen, vom Staat geschützten Personen-
status der Anderen anspricht (KRSinst): Ich bin geneigt, Dich und Deinen Status
anzuerkennen, denn Dich nicht anzuerkennen, bedeutet, gegen das Gesetz zu
verstoßen und mich strafbar zu machen.
4 Hegel über Anerkennung
Obwohl es in vielerlei Hinsicht aufschlussreich ist, Fichtes Überlegungen zum
Auffordern und Anerkennen nachzugehen und zu rekonstruieren, findet Fichte
in gegenwärtigen Debatten über Anerkennung, − zumindest außerhalb von Spe-
zialistenkreisen − kaum Erwähnung. Im Gegensatz dazu stellt Hegel die Stan-
dardreferenz dar und zwar in einem Maße, dass seine Erwähnung oft (explizit
oder implizit) zur ostensiven Definition dessen gebraucht wird, was mit „Aner-
kennung“ gemeint sein soll: Man spricht dann über das, was Hegel mit diesem
Begriff in Verbindung gebracht hat. Die Klarheit, die durch diese Referenz
erreicht werden soll, ist allerdings trügerisch, wie der Umgang mit Hegels Text
gleich zeigen wird.
Ein erstes Hindernis, mit dem man beim Studium Hegels konfrontiert ist,
hängt mit seiner Methode und seiner Art zu schreiben zusammen. Auch wenn
Fichte wahrscheinlich nicht zu den Philosophen gehört, die am leichtesten
zugänglich sind, erreicht Hegels Art zu Schreiben einen noch viel höheren
Grad der begrifflichen Abstraktion, die oft viel mehr selbständiges Nachdenken
und Ergänzen von Details seitens des Lesers erfordert, als dies bei den meisten
anderen Philosophen der Fall ist (auch bei Fichte). Die positive Seite hieran ist
aber, dass Hegels Texte sich für Philosophen und Denker, die geduldig genug
waren, sich eingehender mit ihnen zu befassen, als unerschöpfliche Inspirati-
onsquelle erwiesen haben – wobei Hegels Ideen vermittelt durch die jeweiligen
philosophischen oder politischen Anschauungen häufig auch eher frei interpre-
tiert, rekonstruiert oder reformuliert worden sind. Die Kehrseite hiervon ist, dass
die Frage „Was hat Hegel selbst über x gedacht?“ dabei oft übergangen worden
ist.
Eine erschöpfende und vollständig unvoreingenommene Darstellung von
Hegels Gedanken über Anerkennung zu bieten, wäre eine nur schwer zu leistende
Aufgabe und sie ist auch nicht mein Ziel in diesem Kapitel.1 Stattdessen werde
ich einen Schlüsseltext in Hegels Werk analysieren, der explizit von unserem
Thema handelt und versuchen zu klären, was genau Anerkennung diesem Text
zufolge beinhaltet und auf welche Art und Weise sie sich vollzieht. Ich werde
mich nicht zur Entwicklung von Hegels Gedanken über Anerkennung äußern
und auch Hegels Rezeption von Fichtes Gedanken über Anerkennung und ver-
wandte Themen nicht ausdrücklich diskutieren. Solcherlei Vorhaben würden es
unmöglich machen, den Begriff der Anerkennung selbst im Detail zu betrachten
und dabei sind es wieder die Details, die für uns am aufschlussreichsten sind.
Dabei sollten dann aber auch viele Ähnlichkeiten mit und Kontraste zu Fichtes
Anerkennungskonzeption in der Grundlage deutlich werden.
64   4 Hegel über Anerkennung

Ein großer Teil der Aufmerksamkeit in Bezug auf „Anerkennung“ bei Hegel
hat sich auf seine so genannte Jenaer Zeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts konzentriert, die mit dem Verfassen der berühmten Phänomenologie des
Geistes (Werke 3), die Hegel 1807 veröffentlichte, endete. Bis vor kurzem war
es eine weit verbreitete Annahme, dass das Thema innerhalb des Hegel’schen
Werks mit Abschluss dieser Periode seine Relevanz verloren hätte (vgl. Haber-
mas 1999). Obwohl diese Ansicht mittlerweile in Frage gestellt wurde (Williams
1992, 1997), ist der meistgelesenste Text Hegels über Anerkennung immer noch
das „Selbstbewusstseins“-Kapitel der Phänomenologie des Geistes, in dem Hegel
seine Gedanken anhand der Figuren von „Herr und Knecht“ (Werke 3, 196 – 210)
illustriert.
Auch der Text, auf den wir uns in diesem Kapitel konzentrieren werden,
enthält die Figuren des Herrn und des Knechts, er stammt allerdings aus der
letzten Periode des Hegel’schen Werks und findet sich innerhalb der Darstellung
seiner reifen systematischen Gedanken in der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften, deren endgültige Fassung im Jahr 1830 erschien. Es handelt
sich um das Kapitel „Das Selbstbewußtsein“ im ersten Teil seiner Philosophie
des Geistes, die den Titel „Der subjektive Geist“ trägt.2 Der wesentliche Vorteil
dieser Textversion im Vergleich zur Version aus der Phänomenologie des Geistes
von 1807 ist der, dass er frei ist von einer Komplikation, die unvermeidlich jede
Lektüre der Phänomenologie belastet. Damit meine ich die Tatsache, dass Hegel
die Phänomenologie des Geistes als eine Einleitung in sein philosophisches
System geschrieben hat und dass es manchmal recht schwierig zu bestimmen
ist, ob das, was Hegel in diesem Text sagt, eine neutrale Beschreibung der jeweils
relevanten Phänomene darstellt oder dem spezifischen Ziel und der Methode des
Buches dient.3 Solche Komplikationen fehlen in der Enzyklopädie, die keine Ein-
leitung zu Hegels philosophischem System darstellt, sondern selbst das System
ist. Dies bedeutet, dass auch das Kapitel, in dem die Figuren des Herrn und des
Knechts sowie der so genannte Kampf des Anerkennens präsentiert werden, nicht
mit irgendeinem externen Ziel oder einer Vorgehensweise belastet ist, sondern
einfach Hegels Konzeption der in Frage stehenden Phänomene bietet.
Eine weitere bedeutsame Differenz liegt darin, dass die Paragraphen, die
in der Phänomenologie des Geistes explizit von Anerkennung handeln mit einer
Beschreibung der Ungleichheit der Beziehung von Herr und Knecht enden, was
manche Leser und Autoren zu der Annahme verleitet hat, dass es in Hegels Aner-
kennungskonzeption wesentlich um Herrschaft geht4. Die Enzyklopädie-Version
beschreibt indessen auch (wenn auch sehr kurz) einen Zustand der wechselseiti-
gen Anerkennung, in dem einseitige Herrschaft überwunden wird.
Ein dritter Vorteil der Enzyklopädie-Version ist der, dass sie Teil von Hegels
reifem philosophischen System ist, das sein Denken in der elaboriertesten Form
 4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist   65

präsentiert und wichtige Elemente beinhaltet, die in der einleitenden Phäno-


menologie des Geistes vollständig fehlen, für ein Verständnis der umfassenden
Bedeutung von Anerkennung für Hegel jedoch unabdingbar sind. Dazu gehört
vor allem die Philosophie der Natur, mit ihrer abschließenden Diskussion der tie-
rischen Lebensform, wie auch ein Abschnitt über Anthropologie, die in der Enzy-
klopädie beide der Diskussion von Anerkennung vorangehen.
Obwohl die Version der Phänomenologie des Geistes die berühmtere ist und
sich ein Großteil der Sekundärliteratur auf diese konzentriert, hat die Enzyklopä-
die-Version insgesamt einige Vorteile, die sie zu einem besseren Ausgangspunkt
für eine Auseinandersetzung mit Hegels Gedanken über Anerkennung machen.
Trotz der Differenzen zwischen den beiden Texten, ist das, was Hegel darin über
die berühmten Figuren Herr und Knecht sagt, im Wesentlichen miteinander kom-
patibel. Die Enzyklopädie-Version zu studieren stellt somit auch eine gute Grund-
lage für ein Studium der Phänomenologie-Version und damit zusammenhängen-
den Diskussionen dar.

4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist

In einer ersten groben Annäherung kann man sagen, dass Anerkennung im


Selbstbewusstseins-Kapitel der Enzyklopädie eine analoge Rolle zukommt, wie
der Aufforderung und der interpersonalen Anerkennung in Fichtes Grundlage.
In beiden Texten stellt interpersonale bzw. intersubjektive Anerkennung ein zen-
trales Element der Bildung von Subjekten zu reifen menschlichen Personen dar.
Eine der Differenzen zwischen diesen Texten liegt darin, dass Fichte im Rahmen
eines Modells voranschreitet, in dem ein bereits freies Vernunftwesen, eine
Person, einem noch nicht freien Vernunftwesen ermöglicht, durch Anerkennung
und Auffordern ein solches zu werden, während es im Rahmen des Hegel’schen
Aufbaus zwei Subjekte sind, die sich anfänglich beide in einem prävernünftigen
Zustand befinden und diesen durch einen Prozess des Anerkennens überwin-
den werden.5 Eine weitere Differenz liegt darin, dass Fichte die Verwirklichung
von vernünftiger Freiheit bzw. Personsein durch Auffordern und Anerkennen als
einen durchweg friedlichen Prozess präsentiert, während Hegels Konzeption ein
starkes Konflikt-Moment enthält. Ein dritter, signifikanter Unterschied besteht in
der Weise, wie Hegels Konzeption von Freiheit von derjenigen Fichtes abweicht.
Hegels originelle Freiheitskonzeption stellt zugleich einen Schlüssel dafür
dar, seine Gedanken über Anerkennung zu verstehen und ist für uns somit ein
guter Ausgangspunkt. Um zu verstehen, wie Hegel Freiheit begreift, müssen wir
uns allerdings auch seinen Begriff des Geistes näher ansehen und das, was ihm
zufolge als die drei grundlegenden Prinzipien des Bereichs des Geistes gekenn-
66   4 Hegel über Anerkennung

zeichnet werden kann. Den Begriff „Geist“, wie er im Titel der Philosophie des
Geistes vorkommt, versteht man am besten als einen allgemeinen Begriff für
all dasjenige, dass die menschliche Lebensform oder die Lebensform mensch-
licher Personen von bloß tierischen Formen des Lebens unterscheidet. Hegels
Philosophie der Natur endet mit einer Strukturbeschreibung des animalischen
Lebens (Werke 9, §§ 350 – 376) und der Subjektive Geist, der erste Teil seiner Phi-
losophie des Geistes, beginnt mit einem Abschnitt über Anthropologie (Werke 10,
§§ 388 – 412). Dadurch ist der Übergang von der Philosophie der Natur zur Philo-
sophie des Geistes thematisch ein Übergang von der animalischen Lebensform
zu einer Lebensform, die genuin menschlich ist. Hegel räumt allerdings ein, dass
Menschen einen Teil ihrer Konstitution mit nicht-menschlichen Tieren teilen.
Dies kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass die Präsenz und Aufhebung
bloßer Animalität ein wiederkehrendes Thema innerhalb des Subjektiven Geistes
ist. Das gilt auch für das Selbstbewusstseins-Kapitel, in dem es in zentraler Weise
darum geht, wie Menschen bloße Animalität oder eine bloß natürliche Lebens-
form durch Anerkennung überwinden bzw. aufheben. Obwohl Hegel den Begriff
„Person“ im Selbstbewusstseins-Kapitel nicht benutzt, geht es darin in grund-
legender Weise um die Entwicklung von a-rationalen Wesen, die an natürliche
Imperative gebunden sind, zu − um Fichtes Terminologie zu verwenden − freien
Vernunftwesen, bzw. um die Entwicklung zu Personen, sowohl im Sinne der psy-
chischen Fähigkeiten als auch im Sinne des Status.
Worin besteht nun die Verbindung zwischen „Geist“, Freiheit und den drei
allgemeinen Prinzipien, die ich erwähnt habe? Und worin bestehen diese Prinzi-
pien? Hegel diskutiert den „Begriff des Geistes“ in der Enzyklopädie am Anfang
der Philosophie des Geistes und sagt, dass das „Wesen des Geistes […] die Frei-
heit [ist] […] [oder] die absolute Negativität“ (Werke 10, § 382). Was hier etwas
rätselhaft klingt, erklärt Hegel ausführlicher in seinen Vorlesungen von 1827/8
über die Philosophie des (subjektiven) Geistes. Dort schreibt er: „Der Mensch
ist natürlich, aber als Mensch […] auch Geistiges“ (EW, 4). Und weiter heißt es:
„Geist sind wir selbst“, womit Hegel meint, dass wir zwar als Menschen sowohl
natürlich als auch geistig sind, dass aber im Geist unser Wesen zum Ausdruck
kommt. Da unser Wesen der Geist ist und das Wesen des Geistes Freiheit, liegt
es Hegel zufolge in unserem Wesen, frei zu sein und dies ist, wie er sagt, auch
unsere „Bestimmung“.6 Indem er die Freiheit als unsere Bestimmung bezeichnet,
bringt Hegel zum Ausdruck, dass dies etwas ist, zu dessen Realisierung wir nicht
nur eine innewohnende Tendenz bzw. einen Trieb7 besitzen, sondern dessen Rea-
lisierung auch unsere Aufgabe ist (EW, 6). Kurz gesagt meint Hegel damit, dass
Menschen sowohl „Tiere“ als auch Personen sind, dass aber das Personsein ihr
Wesen ist, zu dessen Verwirklichung sie tendieren und verpflichtet sind, wobei
diese Verwirklichung im Wesentlichen bedeutet, frei zu werden.
 4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist   67

Genau wie in der veröffentlichten Ausgabe identifiziert Hegel in den Vorle-


sungen Freiheit als das Wesen des Geistes und damit unser Wesen mit „abso-
luter Negativität“, oder wie er auch sagt mit der „Negation der Negation“ (EW,
139). Was haben diese Formulierungen zu bedeuten? Hegel erklärt, dass Freiheit
in dem „konkreten“ Sinne, den er meint, „abstrakter“ oder „formaler“ Freiheit,
womit er die Freiheit von Bestimmung durch Anderes meint (EW, 14), entgegenge-
setzt ist. Obwohl Hegel sich hier nicht kommentierend auf Fichte bezieht, sind die
zwei Konzepte von Freiheit, mit denen Fichte in der Grundlage operiert – innere
kausale Freiheit als Freiheit von äußerlicher Beeinflussung der eigenen Hand-
lungsabsichten sowie äußere Freiheit, in der Welt ungehindert durch Andere
handeln zu können  – Beispiele für das, was Hegel mit „abstrakten“ Freiheits-
auffassungen meint. Man kann Hegel so verstehen, dass solche Auffassungen
unnütz sind, da sie den Begriff der Freiheit für etwas Unmögliches in Anschlag
bringen: Nicht-Beeinflussung oder Nicht-Determinierung durch etwas, durch das
man notwendig beeinflusst und bestimmt wird. Es gibt keinen Weg zu vermei-
den, dass die eigenen Absichten durch verschiedene Faktoren, die nicht vollstän-
dig im Bereich der eigenen unmittelbaren Kontrolle liegen, beeinflusst werden,
auch werden Andere auf irgendeine Weise immer meine Handlungsmöglichkei-
ten beeinflussen. Das heißt aber nicht, dass wir deswegen nicht frei sein können,
sondern dass wir Freiheit auf eine andere Weise konzipieren müssen.
Statt auf „abstrakte“ oder „formale“ Freiheit zielt Hegel auf „konkrete Frei-
heit“ ab. Dies bezeichnet er metaphorisch als „bei sich selbst sein“ in dem, was
einen bestimmt, beschränkt oder „negiert“.8 Konkrete Freiheit hat formal die
Struktur von absoluter Negativität bzw. die Struktur der Negation der Negation
oder wie Hegel auch sagt, die Struktur „gedoppelter Negation“ (Werke 6, 404).
Die erste „Negation“ meint hier die Beschränkung oder Bestimmung durch eine
Andersheit; die zweite Negation  – die die „absolute Negation“ vervollständigt
und konkrete Freiheit mit sich bringt – bedeutet die Überwindung der Äußerlich-
keit, Fremdheit oder Feindlichkeit dessen, durch das man beschränkt wird.
Das erste der drei Prinzipien, die ich erwähnt habe, ist genau dieses Prinzip
der absoluten Negation bzw. der konkreten Freiheit, oder wie Hegel es oft aus-
drückt, des im Anderen bei sich selbst sein. Auf rudimentäre Art und Weise ist
dieses Prinzip Hegel zufolge auch in der Natur instanziiert, wobei gilt, dass je
mehr ein natürliches Phänomen es verwirklicht, umso näher ist seine Seinsweise
der eines „geistigen“ Phänomens.9 Während allerdings die Natur das Prinzip der
absoluten Negation oder konkreten Freiheit nur in sehr begrenztem Maße verwirk-
lichen kann, realisiert es der Bereich des Geistes bzw. der Bereich des Menschen
in maximalem Grad. Der Grund hierfür ist, dass Menschen bewusste Wesen sind
bzw. Wesen, die mit Bewusstsein ausgestattet sind. Wichtig ist, dass Hegel mit
„Bewusstsein“ eine intentionale Beziehung meint, durch die ein Subjekt etwas
68   4 Hegel über Anerkennung

als (ein ihm gegenüberstehendes) Objekt erfährt. Diese intentionale, in Subjekt


und Objekt differenzierte Form des Gegebenseins und der Weltbeziehung steht
in Kontrast zu vor-intentionalen Formen des Gegebenseins bzw. des Weltbezugs,
d.h. zur bloßen Empfindung und zum Gefühl, über die nach Hegels Konzeption
auch nicht-menschliche Wesen verfügen. Hegel diskutiert die vor-intentionalen
Formen der Empfindung und des Gefühls in seiner Anthropologie (dem ersten
Hauptabschnitt des Subjektiven Geistes), während die intentionalen Formen des
Bewusstseins Hauptthema der Phänomenologie sind (dem zweiten Hauptab-
schnitt, in welchem auch das Selbstbewusstseinskapitel zu finden ist).10
Ein hierbei zentraler Punkt ist, dass das Prinzip der absoluten Negation
bzw. des „im Anderen (oder in der Andersheit) bei sich selbst sein“ im Men-
schen als bewusstem Wesen die konkretere Form des Bewusstseins seiner selbst
im Anderen annimmt. Bewusstheit oder Bewusstsein seiner selbst im Anderen
ist das zweite der drei von mir erwähnten Prinzipien. Dadurch, dass sie sich im
Anderen ihrer selbst bewusst sind, sind Menschen geistige Wesen und auf diese
Weise in einem viel höheren Grade im konkreten Sinne frei als jedes nur natürli-
che Wesen. Entscheidend ist, dass etwas als ein von mir selbst unterschiedenes
Objekt erfahren wird, jedoch in einer solchen Weise, dass das Objekt nicht als
etwas mir Fremdes oder Feindliches erfahren wird, sondern vielmehr auf eine
Weise, die mich selbst oder einen Aspekt von mir widerspiegelt. Es ist besonders
wichtig, dass das Wort „Selbst-Bewusstsein“ im Titel des Kapitels, das wir ana-
lysieren wollen, nicht (zumindest nicht hauptsächlich) so zu verstehen ist, wie
es meistens in der Philosophie verstanden wird, nämlich als Bewusstsein der
eigenen mentalen Zustände, sondern als Bewusstsein meiner selbst – oder eines
Aspekts meiner selbst – in dem, was mir selbst ein anderes ist. Hierin besteht eine
sichtliche Anspielung auf Fichte, denn wie Fichte, nimmt auch Hegel eine enge
Verknüpfung zwischen Selbstbewusstsein und Freiheit an und begreift darüber
hinaus beide aus ihrem Verhältnis zur Andersheit. Nichtsdestoweniger versteht
er dies alles etwas anders als Fichte. Was genau hat Hegel also im Sinn?
Dem Prinzip des „Bewusstseins seiner selbst im Anderen“ kommen verschie-
dene Weisen der Realisation bzw. der konkreten Instanziierung zu. Auf der allge-
meinsten Ebene gibt es theoretische (bzw. epistemische) und praktische Dimen-
sionen seiner Realisation. Alle epistemischen Tätigkeiten beinhalten zuallererst,
dass etwas als ein mir äußerliches Objekt aufgefasst und ich so als Subjekt von
ihm bestimmt werde. Dies ist die erste Negation, oder wie wir auch sagen können:
das Moment des Unterschieds. Wenn dies erfolgreich ist, beinhalten sie zweitens
einen Wissenserwerb und ein Verständnis von dem, das als Objekt gesetzt ist,
dessen Fremdheit auf diese Weise überwunden wird. Dies ist die zweite Nega-
tion, oder wie wir sagen können: das Moment der Identität. Indem sie mithilfe
von Begriffen, mit denen sie auch in Gedanken operieren können, Strukturen
 4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen   69

der Wirklichkeit (seien sie natürlich oder geistig) erkennen und verstehen, sind
Menschen in der Lage „sich selbst zu finden“ oder genauer ihre Gedanken in der
Realität, wodurch sie sich zumindest in bestimmten Hinsichten in der Welt zu
Hause oder mit ihr versöhnt fühlen können und in diesem Sinne im Verhältnis zu
ihr „konkret frei“ sind.11
Praktische Tätigkeiten können in ähnlicher Art menschliche Weisen die Welt
zu domestizieren sein, dadurch dass sie Weisen der Entäußerung ihrer Anliegen,
Interessen und Gedanken in der Welt sind und auf diese Weise Wirklichkeiten
hervorbringen, die ihnen notwendig eine Art von Zuhause schaffen, das sie
selbst widerspiegelt oder es ihnen ermöglicht, darin „ihrer selbst bewusst“ zu
sein. Dies soll bedeuten, dass Menschen mittels solcher praktischer Tätigkeiten
oder „Arbeit“ die äußere Natur bzw. eine bloß animalische Umgebung ein Stück
weit als Kollektiv hinter sich lassen und zum Teil damit beginnen, sich in einer
Welt des objektivierten oder „objektiven Geistes“, den sie selbst hervorgebracht
haben, aufzuhalten. (Ich sage „zum Teil“, weil Menschen auch verkörperte Tiere
sind, die durch die Naturgesetze bestimmt sind und die die Natur daher niemals
vollständig hinter sich lassen können.)
Unter all den Weisen, in denen Menschen sich ihrer selbst bewusst werden
oder sich selbst im Anderen „finden“ können, um so im Umgang mit dem, was
sie bestimmt, konkrete Freiheit zu erlangen, gibt es in Hegels Konzeption eine
ganz besonders hervorzuhebende Eigentümlichkeit in Bezug auf die Weise, in
der sie sich selbst im jeweils Anderen finden können. Dieser besonderen Instan-
ziierung des zweiten Prinzips kommt eine zentrale Rolle zu, nicht nur innerhalb
einer harmonischen sozialen und politischen Ordnung, sondern auch innerhalb
der Entwicklung von Menschen zu psychologischen Personen sowie im Hinblick
auf deren spezifische Konstitution. Damit spreche ich von der Struktur bzw. dem
Prinzip der (wechselseitigen) Anerkennung, die das dritte der drei Prinzipien dar-
stellt.12 Aber was genau ist Anerkennung gemäß dem Kapitel der Enzyklopädie −
dem Selbstbewusstseins-Kapitel −, das explizit von diesem Thema handelt?

4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen

Was genau „Anerkennung“ im Selbstbewusstseins-Kapitel von Hegels Enzyklo-


pädie bedeutet, ist nicht viel leichter zu sagen als im Falle von Fichtes Grund-
lage.13 Zuallererst ist der Text relativ kurz und schreitet auf einem sehr hohen
Abstraktionsniveau voran, das es für den Leser mehr oder weniger notwendig
macht, viele Details, die Hegel selbst oft nur andeutet, eigenständig herauszuar-
beiten. Obwohl die Tatsache, dass Hegel den Text mit den berühmten Figuren von
„Herr und Knecht“ (bzw. „Sklave“, denn Hegel benutzt beide Ausdrücke14) illus­
70   4 Hegel über Anerkennung

triert, eine willkommene Konkretisierung dessen bietet, was ansonsten eine sehr
abstrakte Lektüre darstellte, bringt diese Illustration zweitens auch ihre eigenen
Probleme mit sich. Das Hauptproblem, das mit dieser metaphorischen Darstel-
lungsweise einhergeht, ist die Tatsache, dass sie den Leser leicht dazu verführt,
Anerkennung allein im Lichte realer Weltherren und Knechte zu betrachten,
während man diese Figuren am besten lediglich als eine spezifische Illustration
allgemeiner Intersubjektivitäts- und Sozialstrukturen versteht, wie sie innerhalb
der Lebensform menschlicher Personen in den unterschiedlichsten konkreten
Instanziierungen vorkommen.
Um sich dem anzunähern, was genau im Selbstbewusstseins-Kapitel passiert
und was „Anerkennung“ darin bedeutet, ist es notwendig, einige Unterschei-
dungen einzuführen, die Hegel selbst nicht explizit vornimmt. Einige von diesen
haben wir bereits bei der Analyse von Fichtes Text verwendet, andere sind Hegel
eigentümlich.
(1) Erstens gibt es eine Unterscheidung, die wir bereits im Rahmen der Diskus-
sion von Anerkennung im institutionellen Kontext (B) bei Fichte berührt haben
(vgl. Abschnitt 3.3.4.). Ich erwähnte dort die „abwärts gerichtete Anerkennung“
der Bürger durch den Staat, in dem Sinne, dass der Staat den Bürgern Rechte
und einen Schutz dieser Rechte garantiert, während die Bürger für ihren Teil den
Staat „aufwärts gerichtet“ als legitim „anerkennen“. Diese beiden Bedeutungen
von „Anerkennung“ (die an sich schon recht verschieden sind) kontrastieren
nicht nur mit intersubjektiver Anerkennung, wie sie für die Beziehung des Auffor-
dernden und des Adressaten der Aufforderung einschlägig ist (A), sondern auch
mit der Anerkennung zwischen Bürgern im institutionellen Kontext des Staates,
die im wechselseitigen Respekt ihre jeweiligen Rechte zum Ausdruck kommt.
Die hier relevante Unterscheidung wird in der Hegel-Forschung manchmal als
die von „vertikaler“ und „horizontaler“ Anerkennung (ursprünglich in Siep
1979) beschrieben. Die Ausdrücke „intersubjektive“ und „interpersonale“ Aner-
kennung beziehen sich auf horizontale Anerkennung, und in dieser Weise wird
der Begriff auch in vielerlei Hinsicht in Debatten über Hegel und Anerkennung
gebraucht. Was nichtsdestoweniger das horizontale und vertikale Verständnis
von Anerkennung bei Hegel verbindet, ist, dass sie als Instanziierungen des Prin-
zips des „Bewusstseins seiner selbst im Anderen“ verstanden werden können.
Wie ich in Abschnitt 4.4. zeigen werde, ist die Unterscheidung der vertikalen und
der horizontalen Bedeutung eng verbunden mit einer Unterscheidung von „dya-
dischen“ und „triadischen“ Weisen, Anerkennung im allgemeinen zu begreifen
(vgl. auch Siep 1979, 53ff.).
(2) Wie wir sehen konnten, gestaltet sich horizontale Anerkennung zwi-
schen Individuen zweitens im Wesentlichen auf zwei Weisen aus. Wir konnten
dies bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit Fichte beobachten. Auf der
 4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen   71

einen Seite gibt es rein intersubjektive Anerkennung, die mit keiner internen oder
begrifflichen Beziehung auf die institutionellen Rollen des Anerkannten ein-
hergeht und sich auf diesen allein als Träger einer bestimmten psychologischen
Verfasstheit bezieht. Auf der anderen Seite steht die „institutionelle bzw. institu-
tionell vermittelte (horizontale) Anerkennung“, bzw. die Anerkennung eines Sub-
jekts als Inhaber institutioneller Rollen, die in bestimmten deontischen Macht-
befugnissen wie Rechten und Pflichten bestehen. Beide Varianten horizontaler
Anerkennung instanziieren bzw. realisieren das allgemeine Prinzip des Bewusst-
seins seiner selbst im Anderen, genauer noch: in einem anderen Subjekt. Aller-
dings stehen sie für ganz verschiedene Phänomene. Ich werde diese Differenz
von nun an dadurch kennzeichnen, dass ich „Anerkennung*“ (und „Respekt*“)
zur Bezeichnung der institutionell vermittelten Bedeutung horizontaler Anerken-
nung verwende.
(3) Drittens und eng verbunden mit den vorangegangenen zwei Unterschei-
dungen ist zwischen rein intersubjektiven bzw. nicht institutionalisierten sozialen
Normen und Normsystemen einerseits und institutionalisierten Normsystemen
bzw. tatsächlichen Institutionen andererseits, zu unterscheiden. Gemäß meiner
rationalen Rekonstruktion von Fichtes Konzept des Aufforderns als Erziehung
stellt das Auffordern eine rein intersubjektive Interaktion dar, innerhalb welcher
das Kind dazu aufgefordert wird, Verantwortung zu übernehmen, um auf diese
Weise an der Autorität über die sozialen Normen teilzuhaben. Dies suggeriert
ebenso wie Fichtes Gedankenexperiment, das Privateigentum auf eine rein inter-
subjektive Vereinbarung zu gründen (Fichte präsentiert dies, bevor er das genuin
institutionelle Konzept des Privateigentums entwickelt, das durch den Staat gesi-
chert ist), auf ein System von Normen sowie korrespondierenden Rechten und
Pflichten, die allein von der Autorität der beteiligten Parteien abhängen. Dass die
Individuen, die die Beziehung bilden, die alleinigen Autoritäten und Verwalter
der Normen und Regeln ihrer Interaktion sind, bedeutet aber, dass den Normen
keine wirkliche Unabhängigkeit zukommt.
Im Gegensatz dazu kommt den institutionalisierten Normen und Normsyste-
men bzw. den tatsächlichen Institutionen, etwa dem Staat bei Fichte (zumindest)
ein (gewisser) Grad von Unabhängigkeit von jedem einzelnen Subjekt bzw. einer
intersubjektiven Dyade zu. Die institutionalisierten Normen bilden eine relativ
unabhängige „dritte Instanz“, die nicht nur von diesem oder jenem Individuum
oder Individuenpaar autorisiert und verwaltet wird, deren Leben sie regeln,
sondern auch (und im Extremfall fast ausschließlich) von einer dritten Person
oder Personen – sei es ein Tyrann, eine bestimmte herrschende Klasse oder das
Kollektiv als Ganzes. Im Sinne des Prinzips des Bewusstseins seiner selbst im
Anderen stellen so institutionalisierte Normen tatsächlich eine Andersheit für
diejenigen Individuen dar, deren Leben sie bestimmen (dies instanziiert die erste
72   4 Hegel über Anerkennung

Negation bzw. das Moment der Differenz).15 Aus der Perspektive konkreter Freiheit
ist die zentrale Frage hinsichtlich dieser Normen, ob bzw. in welchem Grade die
Individuen sie oder die Institutionen als Widerspiegelungen ihrer eigenen aufge-
klärten Interessen und Urteile über das Richtige und Gute erkennen und sich so
in den Institutionen „ihrer selbst bewusst“ sein können (darauf spielt die zweite
Negation bzw. das Einheitsmoment an). Dass Individuen sich in der Beziehung
auf Institutionen ihrer selbst bewusst sein können  – dass sie in diesem Sinne
von den Institutionen „anerkannt“ sind − bedeutet, dass sie die Institutionen von
sich aus als legitim „anerkennen“ können.
(4.) Viertens besteht ein sehr wichtiges im Gegensatz zu Fichte neues Element
von Hegels Behandlung des Anerkennungsthemas in dem Gedanken, dass Aner-
kennung im rein intersubjektiven Sinn zwei Dimensionen hat. Ich werde diese die
deontologische und die axiologische Dimension nennen. Während die deontologi-
sche Dimension rein intersubjektiver Anerkennung Themen wie Normen, Autori-
tät, Gehorsam und Respekt betrifft, geht es bei der axiologischen Dimension um
Themen wie Werte, Sorge, Fürsorge und Liebe.
(5.) Damit einige der Schwierigkeiten der Hegel’schen Diskussion im Selbst-
bewusstseins-Kapitel Sinn ergeben, ist es fünftens wichtig − sowohl im Hinblick
auf rein intersubjektive Anerkennung als auch auf institutionell vermittelte hori-
zontale Anerkennung* −, Weisen, die in einem bestimmten Sinne nicht genuin
interpersonal oder personifizierend sind, von solchen abzugrenzen, die es sind.
Was ich mit nicht genuin personifizierender institutionell vermittelter horizon-
taler Anerkennung* meine, ist die Anerkennung* von jemandem als Träger einer
institutionellen Rolle oder eines institutionellen Status, der nicht der der Person
ist, sondern bspw. der eines Sklaven. Im Gegensatz dazu beinhaltet der genuin
personifizierende oder interpersonale Anerkennungsmodus, jemanden als
Träger „Personsein“-stiftender deontischer Machtbefugnisse, z.B. das Recht auf
Leben und Eigentum anzuerkennen – mit anderen Worten: jemanden als Person
im Sinne des in den Kapiteln 2.5.1. und 3.3.4. diskutierten institutionellen Status-
Begriffs des Personseins anzuerkennen*.
Mit der Rede von der nicht-personifizierenden bzw. nicht genuin interper-
sonalen Weise rein intersubjektiver Anerkennung will ich darauf abheben, dass
jemand auf eine Art und Weise anerkannt wird, durch die ihm der Anerken-
nende die Zuschreibung des vollständigen Personseins vorenthält, er erscheint
dem Anerkennenden bspw. vielmehr nur als nützlich. Demgegenüber beinhaltet
intersubjektive Anerkennung im genuin interpersonalen bzw. personifizierenden
Sinn, den Anderen im Lichte einer „genuin Personsein-stiftenden intersubjekti-
ven Bedeutsamkeit“ zu betrachten und d.h. als eine Person im Sinne des inter-
subjektiven Status-Begriffs, der in Kapitel 1.5.1. eingeführt wurde. Wie ich zeigen
werde, gilt diese Unterscheidung sowohl für die axiologische wie auch für die
 4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung   73

deontologische Dimension von Anerkennung, wie sie sich in Hegels Text darstel-
len.
(6.) Es gilt, eine weitere Unterscheidung explizit zu machen, auch wenn diese
weniger direkt mit der Bedeutung des Ausdrucks „Anerkennung“ zu tun hat als
vielmehr mit der speziellen Architektur bzw. Struktur des Textes. Die Philosophie
des Subjektiven Geistes (und wahrscheinlich die gesamte Hegel’sche Realphilo-
sophie bestehend aus der Philosophie der Natur (Werke 9) und der Philosophie
des Geistes (Werke 10)) kann nämlich aus zwei einander entgegengesetzten Pers-
pektiven bzw. „Richtungen“ gelesen werden. In der hier so genannten bottom-up-
Perspektive beschreiben die aufeinander folgenden Unterkapitel des Textes aufei-
nander folgende Stadien eines Entwicklungsprozesses. Tatsächlich existierende
Entitäten können dabei ein bestimmtes Stadium realisieren oder instanziieren,
ohne auch die späteren, weiterentwickelten realisieren oder instanziieren zu
müssen. Im Gegensatz dazu beschreiben die aufeinander folgenden Kapitel aus
Sicht der top-down-Perspektive jeweils intern miteinander verknüpfte Momente
des vollständig entwickelten oder ausgebildeten Ganzen, das die vollständig
„geistige“ oder freie menschliche Person ist. Es sieht so aus, als hätte Hegel beim
Verfassen des Textes beide Perspektiven beabsichtigt. Wie wir sehen werden hat
dies (nicht nur, aber auch) Konsequenzen für den Versuch, seine Anerkennungs-
theorie zu rekonstruieren.

4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung

Bevor ich das Selbstbewusstseins-Kapitel mithilfe der genannten Unterscheidun-


gen analysiere, möchte ich zuerst noch kurz die Struktur und die Hauptereignisse
des Textes skizzieren. Ich werde dabei allein die bottom-up-Perspektive einneh-
men und jeden Unterabschnitt als Auseinandersetzung mit einem bestimmten
Entwicklungsstadium verstehen. Diese „Lese-Richtung“ bzw. Lesart fügt sich
besser zur illustrativen Geschichte von Herr und Knecht und erlaubt auf diese
Weise einen immanenteren Zugang zum Text.

4.3.1 Das primitive Subjekt der „Begierde“

Das Kapitel besteht aus einer kurzen Einleitung (Werke 10, §§ 424 – 425) und drei
Unterabschnitten: Die Begierde (§§ 426 – 429), Das anerkennende Selbstbewusst-
sein (§§ 430 – 435) und Das Allgemeine Selbstbewusstsein (§§ 436 – 437). Im ersten
Unterabschnitt Die Begierde beschreibt Hegel eine primitive Weise der prakti-
schen Intentionalität bzw. des Objektbezugs, der allein durch die unmittelbar
74   4 Hegel über Anerkennung

gegebenen und gefühlten physiologischen Bedürfnisse des Subjekts bestimmt


ist sowie durch die Begierde nach Objekten, die – wie auch immer sie beschaf-
fen sein mögen – der Instinkt heraushebt, weil sie unmittelbare Befriedigung zu
versprechen scheinen. Die Objekte erscheinen dem begehrenden Subjekt somit
ausschließlich im Lichte von Kriterien wie „begehrenswert“ oder „zu vermei-
den“. In seiner Perspektive haben sie keine anderen Eigenschaften.16 Obwohl
das Subjekt die Objekte seiner Begierde als von seinem eigenen Körper unter-
schieden erfährt, ist ihre Bedeutsamkeit für das Subjekt vollständig durch sein
eigenes Wesen bestimmt – Hegel bringt dies zum Ausdruck, indem er sagt, dass
sie als unabhängige Objekte als „ein Nichtiges“ bestimmt sind (Werke 10, § 426).
Im Sinne des Prinzips des Bewusstseins seiner selbst im Anderen instanziiert die
Begierde auf diese Weise ein Bewusstsein ihrer selbst im Objekt (dies entspricht
der zweiten Negation bzw. dem Moment der „Identität“), sie instanziiert aber
keinen adäquaten Sinn von Andersheit des Objekts (dies wäre die erste Nega-
tion bzw. das Moment des „Unterschieds“).17 Man könnte daher sagen, dass sich
das Subjekt seiner selbst nur im Objekt bewusst ist.18 Dies ist in aller Knappheit
Hegels Beschreibung des Subjekts vor der Anerkennung, und sie weicht in wich-
tigen Aspekten deutlich von der korrespondierenden Beschreibung bei Fichte ab.
Eine Differenz besteht darin, dass Hegels Subjekt bereits vor der Anerkennungs-
begegnung in praktischen Beziehungen zu den Objekten in der Welt als Objekten
steht, auch wenn es diesen noch an vollständiger Andersheit bzw. Unabhängig-
keit mangelt, während Fichtes Subjekt jeden Sinn von unabhängiger Objektivität
allein durch die Begegnung mit dem auffordernden und anerkennenden Anderen
gewinnt.19 Mit anderen Worten: Während Fichtes Subjekt vor der Anerkennung
noch überhaupt kein intentionales Subjekt ist, das sich selbst als ein Subjekt
gegenüber Objekten begreift, ist Hegels Subjekt vor der Anerkennung bereits ein
solches, wenn auch in einem sehr primitiven bzw. unentwickelten Sinn.20

4.3.2 Bildung durch einen „Prozeß des Anerkennens“

Der Übergang zum nächsten Unterkapitel Das anerkennende Selbstbewusstsein


geschieht durch die Einführung eines neuen Objekts, genauer eines anderen Sub-
jekts, das der Reduktion auf diejenigen Bedeutsamkeiten Widerstand leistet, in
deren Licht das primitive und begehrende Subjekt die Welt sieht. Hegel schreibt,
dass, während das Objekt der Begierde ein „selbstlose[r]“ Gegenstand ist und
daher „keinen Widerstand leisten“ kann (Werke 10, § 427), das andere Subjekt ein
„freie[s] Objekt“ (Werke 10, § 429) ist, das einer solchen Reduktion widersteht.
In partieller Analogie zu Fichte begreift Hegel das andere Subjekt als das para-
digmatische Objekt, das dem ersten Subjekt als erstes die Welt in ihrer genui-
 4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung   75

nen Unabhängigkeit enthüllt. Und ähnlich wie bei Fichte ist es ein wesentliches
Element dieser Überlegungen, dass das erste Subjekt sich selbst als ein Objekt der
Intentionalität des anderen Subjekts erfährt.
In diesem Unterkapitel begegnen wir den berühmten Figuren von „Herr“ und
„Knecht“. Im Gegensatz zu Fichte stellt Hegel die intersubjektive Begegnung alles
andere als friedlich dar. Für beide Subjekte – und beide sind als gleichermaßen
primitiv zu verstehen  – stellt der Andere gerade aufgrund seines Widerstands
gegen die Tatsache, allein im Lichte von Bedeutsamkeiten des unmittelbaren
Bedürfnisses gesehen und behandelt zu werden, ein Problem dar. Während die
begehrende Beziehung zu Objekten durch eine Identität ohne hinreichenden
Unterschied gekennzeichnet war (bzw. die zweite Negation ohne die erste), ist
die Begegnung mit dem anderen Subjekt durch einen Unterschied ohne ein hin-
reichendes Maß an Identität charakterisiert (bzw. die erste Negation ohne die
zweite). Keines der Subjekte kann sich seiner selbst in dem Widerstand leisten-
den Anderen bewusst sein. Die Entwicklung bzw. der „Prozeß des Anerkennens“,
der in diesem Unterkapitel beschrieben wird, ist hauptsächlich ein Fortschritt
der Weisen und Grade, in dem Subjekte in der Lage sind, sich so zueinander zu
verhalten, dass sie sich sowohl wechselseitig Unabhängigkeit gewähren als sich
auch im Anderen ihrer selbst bewusst sind. Das Telos dieser Entwicklung ist das
wechselseitige Bewusstsein seiner selbst in einem anderen freien Wesen und
somit eine „konkret freie“ Beziehung. Erreicht wird dies durch die graduelle Ent-
wicklung von Intentionalitätsstrukturen, die eine Affirmation des Anderen durch
Anerkennung beinhalten. Das andere Subjekt oder eine andere Person anzuer-
kennen heißt in einem bestimmten Sinne, sie zu affirmieren; und sich seiner
selbst im Anderen bewusst zu sein, heißt, sich bewusst zu sein, dass man selbst
durch ihn affirmiert wird.
Der erste und primitivste Versuch, Freiheit in Bezug auf andere Subjekte zu
verwirklichen, ist allerdings noch sehr weit von diesem Telos entfernt: es ist der
wechselseitige Versuch, die Andersheit und Unbeugsamkeit des Anderen voll-
ständig zu eliminieren und führt auf diese Weise zu einem „Kampf“ (Werke 10,
§ 432). In dem Maße, in dem beide tatsächlich unbeugsam sind, ist es ein Kampf
„auf Leben und Tod“ (ebd.). Soll sich jedoch eine soziale Beziehung ergeben,
dann müssen beide Subjekte am Leben bleiben. Die einfachste Lösung für
dieses Problem, innerhalb welcher beide Subjekte am Leben bleiben und eine
soziale Beziehung ausprägen, besteht darin, dass ein Subjekt sich der Perspek-
tive bzw. dem Willen des anderen beugt. Der sich Unterordnende wird dadurch
zum Sklaven bzw. Knecht und macht den unbeugsamen Anderen zum Herrn.
Der Herr ist sich nun seiner selbst als affirmiert bewusst bzw. als „vom Ersten als
dem Unterworfenen anerkannt“ (Werke 10, § 433). Der Knecht, auf der anderen
Seite, wird vom Herrn zunächst nicht anerkannt und kann sich daher nicht seiner
76   4 Hegel über Anerkennung

selbst durch dessen Affirmation bewusst sein. Was die Bildung von Subjektivi-
tät betrifft, so hat der Knecht eine bloß Begierde-bestimmte praktische Orientie-
rung bereits dadurch hinter sich gelassen, dass er „die Erhaltung seines Lebens“
(Werke 10, § 432) der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung vorzieht, während der
Herr scheinbar genau deswegen überlegen zu sein scheint, weil er weniger um
sein Leben besorgt sein muss.
Die Beziehung von Herr und Knecht prägt allerdings auch die Subjektivität
des Herrn, indem sie ihn zwingt, ebenfalls die unmittelbare Begierde-Orientie-
rung hinter sich zu lassen. Wie Hegel ausführt, muss „das Mittel der Herrschaft,
der Knecht, in seinem Leben gleichfalls erhalten werden“, und dies schafft eine
„Gemeinsamkeit des Bedürfnisses und der Sorge für dessen Befriedigung“ (Werke
10, § 434). Dadurch, dass er für das Leben und Wohl eines anderen Subjekts zu
sorgen hat, nämlich den Knecht (der dem Herrn tot, zu schwach oder zu krank,
um arbeiten zu können, nichts nützt), kann auch der Herr nicht am Standpunkt
der unmittelbaren Begierde festhalten, die durch „die rohe Zerstörung des unmit-
telbaren Objekts“ (Werke 10, § 434) gekennzeichnet ist. Was sich nun stattdes-
sen einstellt, ist, „Erwerbung, Erhaltung und Formieren“ des Objekts (Werke 10,
§ 434), „eine die Zukunft berücksichtigende und sichernde Vorsorge“ (ebd.).21 Mit
nur wenigen inhaltlich dichten Sätzen beschreibt Hegel das Werden einer völlig
neuen praktischen Orientierung, die sich nicht nur um die unmittelbare Befriedi-
gung sorgt, sondern um das Leben als Ganzes und so um zukünftiges Wohlerge-
hen – und bedeutender Weise nicht nur um das eigene Leben und Wohl, sondern
auch um das eines Anderen. Der Knecht ist derjenige, der Objekte „erwirbt, erhält
und formiert“, oder mit anderen Worten: derjenige, der arbeitet, um in konkreter
Weise sowohl für seine eigene als auch für die Zukunft seines Herrn zu sorgen.
Doch auch der Herr ist besorgt um das zukünftige Wohlergehen beider und auch
er hat daher eine psychische Verfassung ausgebildet, die von der des primitiven,
solipsistisch begehrenden Subjekts radikal verschieden ist. Was den Knecht
betrifft, so hat seine Arbeit für den Herrn weitere Effekte in Bezug auf die Bildung
seiner Subjektivität bzw. psychischen Struktur: so meint Hegel, dass der Knecht
„sich im Dienste des Herrn seinen Einzel- und Eigenwillen ab[arbeitet und] (…)
die innere Unmittelbarkeit der Begierde auf[hebt]“ (§ 435). Dies versteht man am
besten als Beschreibung der neuen zukunfts-bezogenen Einstellung des Knechts,
der die unmittelbare Befriedigung zugunsten zukünftigen Wohlergehens auf­
opfert und dem Knecht in ihrer Eingewöhnung zur „zweiten Natur“ wird.22
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Geschichte von Herr und
Knecht zwar mit dem wechselseitigen Versuch, die jeweilige Andersheit voll-
ständig zu vernichten und somit mit einer Anfechtung des Anderen beginnt,
dass sie sich aber zunehmend zu einer Situation entwickelt, in der beide sich
zum Anderen als einem Anderen verhalten, sich aber im Anderen ihrer selbst
 4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung   77

bewusst sein können bzw. bewusst, dass der andere sie in irgendeiner Art und
Weise affirmiert. Der Herr kann im Gehorsam des Knechts die „Anerkennung“
bzw. Affirmation seines Willens durch den Knecht erkennen und der Knecht kann
in der instrumentellen Sorge des Herrn um sein Wohlergehen zumindest in einem
gewissen Grad eine „Anerkennung“ oder Affirmation seines Interesses an seiner
Selbsterhaltung und seinem Wohl erkennen.

4.3.3 Die konkret freie Beziehung wechselseitiger Anerkennung

Hegel nennt den Zustand, der das Ende vom „Prozeß des Anerkennens“ darstellt
das „Allgemeine Selbstbewusstsein“. Im dritten und letzten Unterkapitel des
Selbstbewusstseinskapitels, das den Titel „Das allgemeine Selbstbewußtsein“
trägt, beschreibt Hegel kurz den in Frage stehenden Zustand im Sinne der Kon-
zeption von konkreter Freiheit als dem Wissen seiner selbst in einem unabhängi-
gen Anderen und präsentiert, ebenfalls sehr knapp, einige Gedanken bezüglich
seiner konkreten Realisationsformen. Er schreibt:

Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im andern Selbst,
deren jedes als freie Einzelnheit absolute Selbständigkeit hat, aber, vermöge der Negation
seiner Unmittelbarkeit oder Begierde, sich nicht vom Andern unterscheidet, Allgemeines
und objektiv ist und die reelle Allgemeinheit als Gegenseitigkeit so hat, als es im freien
Andern sich anerkannt weiß und dies weiß, insofern es das Andere anerkennt und es frei
weiß. (Werke 10, § 436)

Beide Subjekte „wissen“ sich bzw. sind sich ihrer selbst jetzt in dem Sinne im
Anderen bewusst, dass der eine durch die Anerkennung des Anderen affirmiert
wird. Beide sind füreinander „absolut selbständig“ und versuchen nicht, den
anderen der eigenen egozentrischen Perspektive unterzuordnen (dies war die
erste Negation bzw. das Moment des Unterschieds); in einem gewissen Sinne
„unterscheiden“ sie sich jedoch auch nicht vom Anderen (dies ist die zweite Nega-
tion bzw. das Moment der Identität). Hegel meint, dass dies aufgrund der „Nega-
tion“ bzw. der Überwindung der „Begierde“ so ist, aber diese „Negation“ muss
nicht nur als Abwesenheit der primitiven Einstellung unmittelbarer Begierde ver-
standen werden, sondern positiver als das Einschließen der neuen Form der sub-
jektiven Orientierung, in der die Anerkennung des Anderen eine zentrale Rolle
spielt. Durch die Anerkennung affirmiert und übernimmt der Anerkennende
Elemente der Perspektive des Anerkannten in seine eigene Perspektive; wird der
Anerkannte sich dessen bewusst, so „weiß“ er sich selbst „affirmativ“ im Aner-
kennenden.
78   4 Hegel über Anerkennung

Hegel führt weiter aus, dass das „allgemeine Selbstbewußtsein“ als wech-
selseitiges Wissen seiner selbst in einem freien Anderen die „Substanz“ der ver-
schiedenen Weisen des sozialen Lebens, wie etwa „der Familie, des Vaterlandes,
des Staats; sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre,
des Ruhms“ ist, die diesen ihre wesentliche „Geistigkeit“ (ebd.) verleiht. Diese
Liste mutet wie eine bunte Mischung von Phänomenen an und Hegel scheint
ersichtlich nur eine sehr allgemeine Aussage zu machen, der gemäß alle diese
Phänomene Instanziierungen des „Geistes“ und damit der konkreten Freiheit
sind, in dem Sinne des wechselseitigen Wissens seiner selbst als anerkannt durch
freie Andere.23
Warum aber soll man sich nur dann als durch ein anderes freies Wesen aner-
kannt wissen können, „insofern [man] das Andere anerkennt“? Die Antwort ist
einfach und hängt mit dem Wort „frei“ zusammen: Derjenige, der mich anerkennt
ist in seiner Beziehung auf mich nur dann konkret frei, wenn ich ihn anerkenne
und ihm dadurch ermögliche, sich in mir seiner selbst bewusst zu sein, weil ich
ihn durch meine Anerkennung affirmiere.24

4.4 Hegels Ambiguitäten

Alles in allem illustrieren der Herr und der Knecht die simultane Subjektivitäts-
entwicklung von der Animalität zum psychologischen Personsein sowie von rein
natürlichen Beziehungen zu Beziehungen „geistiger“ Natur. Das Innersubjektive
bzw. Psychologische und das Intersubjektive entwickeln sich Hand in Hand, und
Hegel ist der Auffassung, dass die Entwicklung ein Telos hat, das er im Sinne des
Konzepts konkreter Freiheit begreift.
Obwohl Anerkennung bei all dem eine zentrale Rolle spielen soll, bleibt der
Begriff der Anerkennung selbst innerhalb von Hegels Diskussion nichtsdestowe-
niger relativ vage. Im Folgenden werde ich mithilfe der Unterscheidungen aus
Abschnitt 4.2. eine Reihe von Themen analysieren, die Hegel bei der Verwendung
dieses Begriffs im Sinne gehabt zu haben scheint, die er selbst jedoch nicht klar
voneinander unterscheidet.25 Wie kommen die Unterscheidungen im Text zur
Anwendung und was sagen sie uns über das dabei wirksame Konzept bzw. die
relevanten Konzepte von Anerkennung?

4.4.1 Vertikale und horizontale Anerkennung

Ich beginne mit der Unterscheidung zwischen dem vertikalen und horizonta-
len Sinn von Anerkennung: Hegel artikuliert diesen Unterschied selbst nicht.
 4.4 Hegels Ambiguitäten   79

Zudem gibt es im Text eine gewisse Ambivalenz in Bezug auf die Frage, ob die
illustrativen Figuren von Herr und Knecht „horizontal“ oder „vertikal“ zueinan-
der in Beziehung stehen. Auf der einen Seite vermittelt ein Großteil des Textes
den Eindruck, dass das Herr-Knecht-Verhältnis der Illustration einer horizonta-
len Beziehung zwischen zwei Individuen dient, die eine intersubjektive Dyade
bilden. Es ist dies zunächst die primitive Dyade zweier begehrender Subjekte, die
einander begegnen; auf der nächsten Stufe ein Kampf zwischen zwei Subjekten
auf mehr oder weniger gleichem „horizontalen“ Grund, der dann zum Verhältnis
von einem Herrn und einem Knecht führt. Außerdem begreift Hegel das Ende der
Entwicklung im Unterkapitel „Allgemeines Selbstbewusstsein“, wie ich bereits
bemerkte, in einer Weise, die die horizontale Lesart unterstützt, als eine Bezie-
hung zwischen „Selbsten“.
Doch auf der anderen Seite spricht Hegel in § 433 wie auch in den Vorlesun-
gen über den empirischen Beginn von Staaten durch Gewalt und Unterwerfung
und interpretiert die Figur des Herrn als Fürst, König bzw. Tyrann, der regierend
„über“ einer Menge anderer steht. In den Vorlesungen spricht er vom Tyrannen
Peisistratus, der den Athenern die Gesetze Solons auferlegte und assoziiert die
Figur des Herrn ganz deutlich mit Peisistratus und die des Knechts mit den Athe-
nern (vgl. Werke 10, § 435Z.; EW, 173; GK, 345). In diesem Zusammenhang thema-
tisiert Hegel dennoch nicht die horizontalen Beziehungen zwischen Individuen –
oder wie er schreibt das „Zusammenleben der Menschen“ (Werke 10, § 433) – die
Gesetz oder Autorität unterworfen sind, sondern versteht die Individuen als
vertikal auf den „Herrn“ bzw. Tyrannen Bezogene, während jener sie als externe
Autorität beherrscht, aber nicht von ihnen beherrscht wird.26 Anders formuliert:
Während Hegel das Herr-Knecht-Verhältnis die meiste Zeit als eine dyadische
Beziehung zu verstehen scheint, die kein „drittes“ Element beinhaltet, operiert
er in § 433 und an manchen Stellen in den Vorlesungen mit einem triadischen
Modell, das sowohl horizontale Beziehungen zwischen Individuen als auch ver-
tikale Beziehungen zwischen ihnen einerseits und einem Herrscher oder „Herrn“
andererseits beinhaltet. Hegel überlässt es schlichtweg dem Leser, die Details des
triadischen Modells zu durchdenken.
Es ist zunächst sehr überraschend, dass Hegel das allgemeine Selbstbewusst-
sein allein mithilfe der horizontalen Begrifflichkeit begreift und jegliche Bezug-
nahme auf vertikale Anerkennung unterlässt, selbst dann, wenn er vom „Staat“
spricht. Warum erwähnt er dabei keine vertikalen Anerkennungsbeziehungen
zwischen den Bürgern und dem Staat? Die Diskussion der nächsten Unterschei-
dung wird eine Antwort auf diese Frage liefern.
80   4 Hegel über Anerkennung

4.4.2 Rein intersubjektive und institutionell vermittelte horizontale


Anerkennung

Wie für die erste Unterscheidung zwischen der vertikalen und horizontalen
Bedeutung von Anerkennung, so gilt auch für die zweite Unterscheidung zwi-
schen dem rein intersubjektiven und dem institutionell vermittelten Sinn von
horizontaler Anerkennung, dass Hegel diese als solche im Text nicht explizit
artikuliert. Der Text verhält sich im Hinblick auf diese Unterscheidung allerdings
ambivalent. Um die Beziehung zu verstehen, die im „Allgemeinen Selbstbewußt-
sein“ als eine rein intersubjektive Beziehung beschrieben wird, muss man den
„Herrn“ und den „Knecht“ als intersubjektive Rollen deuten, die allein durch die
Weise bestimmt sind, in der die fraglichen Individuen sich zueinander verhal-
ten: Ich betrachte Dich als meinen Herrn und mich selbst als Deinen Knecht, Du
betrachtest mich als Deinen Knecht und Dich selbst als meinen Herrn, und dies
allein ist es, was Dich zum Herrn und mich zum Knecht macht. Anerkennung im
rein intersubjektiven Sinn bzw. ihr Fehlen ist hier das entscheidende Element für
die Art, in der wir uns zueinander verhalten und daher konstitutiv für Herrschaft
resp. Knechtschaft als relationale bzw. intersubjektive Rollen.
Im Gegensatz dazu erfordert die Lesart des Verhältnisses von Herr und
Knecht als institutionell vermittelter (bzw. „institutioneller“) Beziehung, dass
man den „Herrn“ und den „Knecht“ als Rollen, Positionen oder als Status in
einem institutionellen System versteht und daher als relativ unabhängig von der
Art und Weise, wie die Individuen in diesen Positionen sich selbst betrachten.
Natürlich müssen sie einander als Träger ihrer institutionellen bzw. institutionell
vermittelten Positionen anerkennen* bzw. als Träger institutionalisierter Rechte
und Pflichten. Doch besitzen sie diese institutionellen Rollen nicht allein auf-
grund ihrer wechselseitigen Anerkennung* und die Institution von Herrschaft
und Knechtschaft ist als solche auch nicht in irgendeinem signifikanten Maße
davon abhängig.
Da vieles von dem, was Hegel im Selbstbewusstseins-Kapitel sagt, ein streng
horizontales bzw. dyadische Modell nahelegt, das keine Bezüge auf eine „dritte“
institutionelle Instanz beinhaltet, scheint es ein weitestgehend angemesse-
nes Vorgehen zu sein, den Text im Sinne einer rein intersubjektiven Lesart zu
rekonstruieren. Das bedeutet allerdings auch, dass man die Ausdrücke „Herr“
und „Sklave“ oder „Knecht“ metaphorisch verstehen muss, denn normalerweise
bezeichnen wir damit keine isolierte intersubjektive Dyade, sondern Individuen,
die Positionen innehaben, die durch die institutionelle Gesamtstruktur der
Gesellschaft bestimmt sind. Sklaverei in einem nicht-metaphorischen Sinn ist
eine soziale Institution der tatsächlich existierenden Welt.
 4.4 Hegels Ambiguitäten   81

Diese Ambivalenz zwischen dem rein intersubjektiven und dem institutio-


nellen Sinn von horizontaler Anerkennung besteht auch in Hegels Kurzdarstel-
lung des „Allgemeinen Selbstbewußtseins“ und im Hinblick auf den Zustand der
wechselseitigen Anerkennung. Man fragt sich, was genau Hegel im Sinn hatte mit
seiner eher wahllosen Liste von Phänomenen, deren „Substanz“ das „allgemeine
Selbstbewußtsein“ darstellen soll, die ihre „Geistigkeit“ begründet und sie so zu
Instanziierungen von konkreter Freiheit macht. Bei diesen handelte es sich, zur
Erinnerung, um die „Familie, das Vaterland, de[n] Staat, sowie alle Tugenden, der
Liebe, der Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, und des Ruhms“. Es erscheint wei-
testgehend richtig, zu sagen, dass die Rollen wenigstens von Freunden oder Men-
schen, die einander lieben, wesentlich intersubjektiver Natur sind und dass der
für diese Beziehungen einschlägige Sinn von Anerkennung der intersubjektive
ist.27 Im Gegensatz dazu beinhalten die den Staat konstituierenden Verhältnisse
selbstverständlich auch institutionelle Rollen und Beziehungen. Wenn Hegels
These daher lautet, dass horizontale Anerkennung die Substanz der „Geistigkeit“
des Staates ist bzw. einer konkret freien Gemeinschaft, dann ist es schwierig zu
glauben, dass er nicht auch an institutionell vermittelte horizontale Anerken-
nung denkt bzw. an Anerkennung zwischen Bürgern als Inhabern der verschie-
denen sozialen und institutionellen Positionen, die der Staat in sich fasst.
Es gibt allerdings mindestens einen möglichen Grund dafür, warum Hegel
besonders die rein intersubjektive horizontale Anerkennung betont wissen wollte.
Wie ich in der Auseinandersetzung mit Fichte (in Abschnitt 3.3.4.) herausgestellt
habe, besteht eine signifikante Differenz zwischen rein intersubjektiver Anerken-
nung und institutionell vermittelter Anerkennung* in der psychologischen Tiefe,
die erstere besitzt und der letzteren fehlt. In Bezug auf die institutionelle Form
von Anerkennung ist es von geringer Relevanz, worin genau die Einstellungen
des Anerkennenden und des Anerkannten zueinander bestehen, denn Anerken-
nung* ist primär eine Sache von Handlungen und Unterlassungen, weniger von
Einstellungen. Rein intersubjektive Anerkennung ist demgegenüber in erster
Linie eine Angelegenheit, die mit Einstellungen zu tun hat sowie mit verwandten
psychischen Zuständen und Prozessen. Hegel zufolge vermittelt rein intersubjek-
tive Anerkennung (deren Formen ich weiter unten diskutiere) die Intentionalität
bzw. die subjektiven Perspektiven der Subjekte miteinander, so dass der Anerken-
nende sich einen Teil der Perspektive des Anerkannten aneignet und die Welt auf
diese Weise zum Teil aus dessen Perspektive betrachtet. Anders ist dies im Fall
der institutionell vermittelten Anerkennung*, bei der der Anerkennende* durch
seine Handlungen und Unterlassungen lediglich auf den institutionellen Status
des Anzuerkennenden antwortet, ohne notwendigerweise in einer bestimmten
Weise auf dessen Weltsicht anzusprechen. Mit Hegels Worten: Nur rein inter-
subjektive Anerkennung „vereinigt die Menschen auf innerliche Weise“ (Werke
82   4 Hegel über Anerkennung

10, § 431Z.), während institutionelle Anerkennung* die Subjekte in einer wich-


tigen Hinsicht als einander Fremde belässt und daher das Moment der Einheit
von konkreter Freiheit nicht im selben Maße realisiert. (Ich werde in Kürze auf
dieses Thema zurückkommen, wenn ich die fünfte Unterscheidung der „nicht-
personifizierenden“ und der „personifizierenden“ Weise von intersubjektiver und
institutionell vermittelter horizontaler Anerkennung diskutiere. Es ist nämlich
die personifizierende Weise rein intersubjektiver horizontaler Anerkennung,
die in größtem Maße eine innere Verbindung zwischen Menschen herstellt.) Die
Annahme scheint nichtsdestoweniger unplausibel, dass Hegel nicht auch ins-
titutionell vermittelte horizontale Anerkennung* im Sinn hatte, zumindest im
Zusammenhang seiner Überlegungen zum Staat. Auch wenn rein intersubjektive
Anerkennung in der Tat die ideale Instanziierung von konkreter Freiheit ist, sind
Rechte und damit wechselseitige Anerkennung* zwischen Bürgern als Rechtsträ-
gern sicherlich auch in Hegels Augen ein zentrales Element des Staates.
Die Bestimmung des allgemeinen Selbstbewusstseins im Sinne von Anerken-
nung* lieferte auch eine Erklärung dafür, warum Hegel in diesem Kontext jede
ausdrückliche Erwähnung vertikaler Anerkennung unterlassen kann, obwohl
vertikale Anerkennung zwischen Bürgern und dem Staat klarerweise wesent-
lich für das soziale Leben innerhalb eines Staates ist. So kann man die verti-
kale, „aufwärtsgerichtete“ Anerkennung des Staates durch die Bürger und deren
wechselseitige horizontale Anerkennung* einfach als zwei Perspektiven dersel-
ben Sache betrachten. Den Staat anerkennen heißt, seine Gesetze und Instituti-
onen als gültig bzw. legitim anzuerkennen und zu akzeptieren, und dies bedeu-
tet wiederum, seine Mitbürger als Träger von Rechten und anderer deontischer
Machtbefugnisse, die die Gesetze ihnen zumessen (bzw. die sie aufgrund ihrer
„Anerkennung“ durch den Staat besitzen), anzuerkennen*. Spricht man explizit
über horizontale Anerkennung* zwischen Bürgern als Träger von Rechten und
Pflichten, dann spricht man implizit auch über vertikale Anerkennung zwischen
den Bürgern und dem Staat.

4.4.3 Nicht-institutionelle bzw. rein intersubjektive Normen und


institutionalisierte Normen bzw. tatsächliche Institutionen

Im Hinblick auf die dritte Unterscheidung von nicht-institutionellen bzw. rein


intersubjektiven Normen und institutionalisierten Normen bzw. tatsächlichen Ins-
titutionen besteht ein Problem des Hegel’schen Textes darin, dass Hegels einzige
explizite Bezugnahme auf Normen im Selbstbewusstseins-Kapitel wie auch in
den Vorlesungen sich im Kontext der Diskussion um Solon, Peisistratos und die
Athener findet, wo sie sich auf institutionalisierte Normen bzw. „Gesetze“ bezieht.
 4.4 Hegels Ambiguitäten   83

Solche Normen passen jedoch nicht zum dyadischen bzw. rein intersubjektiven
Modell, das auch (und vielleicht sogar überwiegend) in Hegels Text relevant ist,
denn es beinhaltet keinerlei Referenz auf eine institutionelle „dritte“ Instanz. Im
Rahmen des dyadischen Modells spielen nur solche Normen eine Rolle, die aus
dem Wechselspiel der Subjekte, die diese intersubjektive Dyade bilden, selbst
hervorgehen und von diesen gehandhabt werden.
Will man Einsichten, die sich aus Fichtes Behandlung des Themas ergeben
haben, fruchtbar machen, indem man auch Hegels Anerkennungskonzeption
innerhalb des Herr-Knecht-Verhältnisses (allein oder hauptsächlich) in einer
deontologischer Lesart von Normen, Autorität und Anerkennung entweder als
(rein intersubjektive) Zuschreibung von Autorität über Normen oder als (institu-
tionell vermittelte) Antwort auf einen deontischen Status rekonstruiert, dann ist
es wichtig, sich dieses Unterschiedes zwischen dem dyadischen und dem tria-
dischen Modell und damit auch der Differenz zwischen einem intersubjektiven
und einem institutionellen Konzept sozialer Normen bewusst zu sein. Anders als
in Fichtes Grundlage, in der wir zumindest im Prinzip getrennte Diskussionen
der nicht-institutionellen und institutionellen Beziehungen finden und entspre-
chend zwei Konzeptionen von Normen rekonstruieren können − eine rein inter-
subjektive und eine institutionelle −, werden diese im Selbstbewusstseinskapitel
der Hegel’schen Enzyklopädie überhaupt nicht voneinander unterschieden.

4.4.4 Die axiologische und die deontologische Dimension


rein intersubjektiv verfasster horizontaler Anerkennung

Das Vorangegangene führt uns zu einer vierten Unterscheidung zwischen dem,


was ich die axiologische und die deontologische Dimension horizontaler intersub-
jektiver Anerkennung genannt habe. Im Rahmen einer rationalen Rekonstruk-
tion, die sich sowohl auf Hegels Text einstellt als auch begrifflich angemessen ist,
um das darin diskutierte Gesamtphänomen zu begreifen, kommen Anerkennung
zwei Dimensionen zu: einerseits ist sie eine Art Sorge um das Leben und Wohler-
gehen des Anderen, andererseits besteht sie in der praktischen Einstellung, den
Anderen an der Autorität über die Normen, die die Interaktion und das Leben
insgesamt organisieren, teilhaben zu lassen.
In „Das anerkennende Selbstbewußtsein“ spricht Hegel zuerst über die axio-
logische Dimension, wenn er das Bedürfnis des Herrn hervorhebt, den „Knecht,
in seinem Leben [zu] erhalten“ (Werke 10, § 434) und damit impliziert, dass der
Herr eine Art Sorge für das Wohl des Knechts zu entwickeln hat. Er handelt dar-
aufhin von der deontologischen Dimension, wenn er den Dienst und den Gehor-
sam des Knechts gegenüber dem Herrn diskutiert (Werke 10, § 435). Der durch den
84   4 Hegel über Anerkennung

Text hervorgerufene Eindruck ist somit, dass der Herr im Sinne der axiologischen
Dimension der Sorge um das knechtische Wohl Anerkennung gegenüber dem
Knecht zu entwickeln hat, während der Knecht Anerkennung im Sinne der deon-
tologischen Dimension einen Gehorsam gegenüber den Befehlen, Regeln und der
Autorität des Herrn auszubilden hat.
Ungesehen dieses Eindrucks ist es allerdings klar, dass auch der Knecht sich
um das Wohl des Herrn sorgen muss. Immerhin hängen sein Leben und Wohl zu
einem großen Teil davon ab, wie gut er für den Herrn sorgt, dessen Bedürfnisse
befriedigt und sein Wohlergehen sichert. Andersherum gesehen lässt sich leicht
dafür argumentieren, dass auch der Herr Anerkennung gegenüber dem Knecht
ausprägen muss, indem er auch ihm Autorität innerhalb der Beziehung zuweist.
Warum ist dies so? Dies ist deshalb der Fall, weil jede Norm oder Regel, die er dem
Knecht auferlegt, es erfordert, dass der Knecht sie in konkreten Fällen befolgt. Da
keine Regel oder Norm alle konkreten Anwendungsmöglichkeiten und jeden Fall,
in dem ihr zu folgen wäre, vollständig bestimmen kann, muss der Knecht mittels
seiner eigenen Urteilskraft bestimmen, wie eine gegebene Norm im konkreten
Fall anzuwenden ist. Ist der Inhalt einer Norm bspw. „Bereite angemessene Spei-
sevorräte für den Winter vor!“, dann hängen die genauen Erfüllungsbedingun-
gen, unter den je besonderen Umständen, von verschiedenen Faktoren ab, die in
geschickter Weise das ganze Jahr über berücksichtigt werden müssen.
Es mag sogar Umstände geben, in denen der Knecht den Herrn kritisieren
muss. Hegel deutet dies in seinen Vorlesungen durch die Betonung an, dass wirk-
sames Befehlen es erfordert, vernünftig zu befehlen und sinnlose und absurde
Befehle zu vermeiden.28 In einem Fall, in dem die Befehle oder Regeln des Herrn
inkonsistent oder unrealisierbar sind, ist der Knecht angesichts der Gefahr, diese
nicht ausführen zu können, genötigt, dies explizit zu machen. Auf das Versagen
des Herrn, vernünftig befohlen zu haben, nicht hinzuweisen und ihn somit nicht
zu kritisieren, würde dessen Befehle bzw. Regeln unrealisiert lassen und den
Knecht in die Gefahr der Bestrafung bringen. Da der Knecht besser damit vertraut
ist, was genau sein Wohl fördert oder schädigt, gilt auch für den Fall, dass der
Herr darin scheitert, sich angemessen um den Knecht zu kümmern, dass er im
Prinzip vom Knecht unter Berufung auf die Sorge des Herrn um sich selbst kriti-
siert werden kann.
Zusammengenommen gilt Folgendes: Wenn der Herr seinem Eigeninteresse
als Herr wirklich nachgehen will, dann muss er in der Praxis nicht nur für das
Wohl des Knechts sorgen, sondern diesen auch als eine Autorität innerhalb ihrer
Beziehung ansehen und entsprechend behandeln. Im Sinne einer rationalen
Rekonstruktion kann man daher sagen, dass sowohl der Herr als auch der Knecht
ein gewisses Maß an Anerkennung für den Anderen aufbringen müssen, sowohl
 4.4 Hegels Ambiguitäten   85

im axiologischen Sinn der Sorge um das Wohl des Anderen als auch im deontolo-
gischen Sinn der Berücksichtigung ihrer jeweiligen Autorität.29

4.4.5 Der nicht-interpersonale bzw. nicht-personifizierende und der genuin


interpersonale oder personifizierende Modus von Anerkennung

Für ein volles Verständnis des Anerkennungsthemas im Selbstbewusstseinska-


pitel fehlt allerdings noch immer ein entscheidender Aspekt. Wir können dieses
fehlende Element mithilfe der Unterscheidung dessen artikulieren, was ich in
Abschnitt 4.2. die nicht genuin interpersonale bzw. nicht genuin personifizierende
und die genuin interpersonale bzw. personifizierende Weisen horizontaler Aner-
kennung genannt habe – sowohl in ihrer intersubjektiven als auch in ihrer insti-
tutionellen Bedeutung. Zum Zweck der besseren Vereinbarkeit mit Hegels eigener
Terminologie können wir dies als die Unterscheidung von nur unvollständig
geistigen Weisen horizontaler Anerkennung einerseits und vollständig geistigen
Weisen andererseits reformulieren. Wiederum gilt aber, dass Hegel diese Unter-
scheidung selbst nicht explizit macht; auch aus Interpretationen ist sie mir nicht
bekannt.
Eine Standardvariante, die Entwicklung des Herr-Knecht-Verhältnisses zu
betrachten, besteht in der Ansicht, dass es sich dabei um eine Entwicklung von
einer einseitigen, extrem ungleichen bzw. asymmetrischen Anerkennungsbezie-
hung zu einer vollständig gleichen bzw. symmetrischen Beziehung handelt. Eine
Weise, diese Idee zu formulieren ist die, dass am Beginn einer der Beteiligten der
Herr und der andere Knecht ist, während am Schluss der Entwicklung beide Par-
teien gewissermaßen sowohl Herr als auch Knecht sind (Pinkard 2002, 283). Aber
diese bloß strukturelle Weise, die Entwicklung zu begreifen, ignoriert etwas, das
von fundamentaler Wichtigkeit ist.
Wir wollen uns nochmal vor Augen führen, worin genau die Anerkennung
zwischen Herr und Knecht bestand, soweit wir sie bisher beschrieben haben,
indem wir uns zuerst auf die Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn kon-
zentrieren. Was genau bedeutet es für den dienstbaren Knecht, den Herrn im
intersubjektiven Sinn anzuerkennen, wenn man die zwei Dimensionen horizon-
taler Anerkennung berücksichtigt? Im Rahmen der deontologischen Dimension
scheint es darum zu gehen, dass der Knecht den Befehlen des Herrn und somit
dem Herrn als Autorität über die Regeln und Normen ihrer Beziehung aus Furcht
gehorcht (wobei es sich im Wesentlichen um eine Furcht um sein eigenes Leben
handelt) (vgl. Werke 10, § 435). Die deontologische Einstellung der Anerkennung
des Knechts gegenüber dem Herrn ist daher so etwas wie furchtsamer Gehorsam.
Im Rahmen der axiologischen Dimension geht es darum, dass der Knecht sich
86   4 Hegel über Anerkennung

in instrumenteller Weise um das Leben und das Wohl des Herrn kümmert. Moti-
viert ist er durch die (nicht-instrumentelle) Sorge um sein eigenes Leben und
Wohlergehen, die von denen des Herrn abhängen. Die axiologische Einstellung
der Anerkennung, die der Knecht gegenüber dem Herrn einnimmt, handelt also
von der instrumentellen Sorge um Leben und Wohl des Herrn. Kraft der Tatsache,
dass der Knecht den Herrn durch seinen furchtsamen Gehorsam und die instru­
mentelle Sorge um dessen Wohl anerkennt, kann der Herr sich seiner selbst
(wie auch seiner Autorität und seines Wohls) bewusst sein, da ihn der Knecht
darin bekräftigt. Wie wir gesehen haben, ist auch der Herr dazu angehalten, eine
­instrumentelle Haltung der Sorge um das Wohl des Knechts auszubilden sowie er
die Tatsache zu berücksichtigen hat, dass auch dem Knecht zumindest ein gewis-
ses Maß an Autorität innerhalb ihrer Beziehung zukommt. Aufgrund dieser Ein-
stellungen des Herrn kann auch der Knecht sich durch die Affirmation des Herrn
in einem gewissen Maße seiner selbst bewusst sein.
Hegel vollzieht im Text gleich nach seiner Diskussion des knechtischen
Gehorsams gegenüber dem Herrn (in § 435) einen Übergang zum „Allgemeinen
Selbstbewußtsein“.30 Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob Hegel wirklich
meint, dass die wechselseitige Anerkennung zwischen Freien, die er im letzten
Kapitel „Das allgemeine Selbstbewußtsein“ diskutiert und die durch die konkrete
Freiheit vollständig verwirklicht sein soll, einfach in der wechselseitigen instru-
mentellen Sorge um den Anderen und der beiderseits widerwilligen Zuschrei-
bung eines gewissen Maßes an Autorität besteht, wobei beides eher durch Furcht
oder praktische Notwendigkeit motiviert ist. Wenn alles das, was im „Prozeß
des Anerkennens“ geschieht, darin besteht, das Anerkennung wechselseitig
bzw. symmetrisch wird, dann scheint dies die Implikation zu sein. Als Bild einer
Gemeinschaft von sich wechselseitig anerkennenden freien Wesen macht dies
einen eher zynischen oder enttäuschenden Eindruck und ist nur schwierig mit
Phänomenen wie Liebe oder Freundschaft in Einklang zu bringen, die Hegel als
Instanziierungen des „allgemeinen Selbstbewußtseins“ und konkreter Freiheit
erwähnt. Bei näherem Hinsehen macht Hegel jedoch deutlich, dass dies keine
korrekte Auslegung von wechselseitiger Anerkennung als der vollständigen Rea-
lisierung von konkreter Freiheit ist.
Im Zusatz zu § 436 des „Allgemeinen Selbstbewußtseins“ sagt Hegel: Der
„dem Knecht gegenüberstehende Herr war noch nicht wahrhaft frei; denn er
schaute im Anderen noch nicht durchaus sich selber an“ (Betonung H.I.) (Werke
10, § 436 Z.). Dies bezieht sich auf einen Satz aus § 431 Z., den ich bereits kurz
erwähnte: „[die] Freiheit des Einen im Anderen vereinigt die Menschen auf inner-
liche Weise; wogegen das Bedürfniss und die Noth dieselben nur äusserlich
zusammenbringt“. Ich habe oben vorgeschlagen, den Unterschied zwischen rein
intersubjektiver Anerkennung und institutionell vermittelter horizontaler Aner-
 4.4 Hegels Ambiguitäten   87

kennung* darin zu sehen, dass nur erstere „die Menschen auf innerliche Weise“
„vereinigt“. Im Falle der nicht genuin personifizierenden Anerkennung zwischen
Herr und Knecht ist so etwas allerdings noch nicht vollständig gegeben. Hegel
selbst erklärt dies nicht weiter. Man kann sein Argument jedoch auf die folgende
Art und Weise rekonstruieren: Wenn A sich um Bs Leben und Wohl auf bloß ins-
trumentelle oder bedingungsmäßige Weise sorgt – aufgrund von „Bedürfniss und
Noth“ wie Hegel sagt −, dann sorgt er sich nicht in der gleichen Weise darum, wie
B sich selbst darum sorgt, nämlich intrinsisch. Personen sorgen sich im Gegensatz
zu Tieren um ihr Wohl oder Leben als ein Ganzes und es ist ihnen wesentlich,
sich darum nicht (zumindest nicht ausschließlich) auf instrumentelle Weise oder
zum Zweck von etwas anderem zu sorgen, sondern sie sorgen sich (zumindest
auch) intrinsisch bzw. „um ihrer selbst willen“. Wenn A sich um Bs Wohl nur in
einem instrumentellen Sinn sorgt, dann heißt dies, dass er es dadurch nicht in
einer Weise affirmiert, die die Wichtigkeit, die B selbst empfindet, vollständig
widerspiegelte. Anders ausgedrückt: Axiologische Anerkennung im Modus der
instrumentellen Sorge um das Wohl eines Anderen weist dem Anzuerkennenden
oder seinem Leben und Wohl nicht dieselbe Bedeutung zu, die sie für den Anzu-
erkennenden als psychologische Person selbst besitzen. Instrumentelle Sorge ist
keine vollständig personifizierende bzw. vollständig interpersonale Weise inter-
subjektiver Anerkennung, weil sie ein wesentliches Element des praktischen
Selbstbezugs psychologischer Personen nicht vollständig affirmiert, nämlich die
intrinsische Sorge um sich selbst bzw. die Selbstliebe.
Etwas annähernd Analoges scheint auch mit Blick auf die deontologi-
sche Dimension zu gelten: Wenn A dem Willen von B nur konditionaler Weise
gehorcht, weil er ihn fürchtet oder aus einem anderen bloßen Klugheitsgrund
(aufgrund von „Bedürfniss und Not“), dann affirmiert oder spiegelt seine Einstel-
lung gegenüber B nicht vollständig das Verhältnis wider, in dem Personen zu ihrer
eigenen Autorität stehen. Wenn A Bs Autorität nur bedingterweise gehorcht bzw.
anerkennt – insofern die Autorität, die B in As Augen hat, einfach verschwindet,
sobald die Bedingung, wie etwa Todesdrohung oder -furcht nicht mehr gegeben
ist oder insofern als B für A lediglich Autorität in der technischen Ausführung
fremder Zwecke besitzt, aufgrund welcher er die von A vorgeschriebenen Normen
anzuwenden vermag, aber keine unabhängige oder unbedingte Autorität über
die Normen, nach denen A und B leben –, dann nimmt er B niemals vollkommen
als Autorität ernst. In dem Maße, in dem Autorität über die Normen oder Bedin-
gungen der Interaktion zu haben auch ein wesentliches Element des Personseins
ausmacht, stellt Anerkennung im Sinne des Gehorsams, der aus Not, Notwen-
digkeit oder irgendeiner anderen konditionalen Zuschreibungsform von Autorität
geboren ist, keine vollständig personifizierende bzw. interpersonale Weise inter-
subjektiver Anerkennung dar. Sie affirmiert auch ein wesentliches Element der
88   4 Hegel über Anerkennung

praktischen Selbstauffassung nicht, das für psychologisches Personsein konsti-


tutiv ist, nämlich sich selbst als irreduziblen Ursprung von Autorität anzusehen –
eine Selbstauffassung, die normalerweise Selbstachtung genannt wird.
Keine dieser unvollständig personifizierenden Weisen der Anerkennung
erlaubt es dem Anerkannten, sich durch die Affirmation des Anerkennenden
vollständig seiner selbst bewusst zu sein und somit vereinigt keine von beiden
die Individuen innerlich vollständig miteinander. Was heißt es aber dann, jeman-
den im horizontalen und intersubjektiven Sinn auf eine vollständig „personifizie-
rende“ oder vollständig „geistige“ Weise anzuerkennen, die es dem Anerkannten
ermöglichte, sich im Anerkennenden vollständig seiner selbst bewusst zu sein
und die die Individuen innerlich „vollständig“ vereinigte? Im Rahmen der axiolo-
gischen Dimension beinhaltet dies, kurz gesagt, sich um den Anderen in der glei-
chen Art zu sorgen, wie man sich um sich selbst sorgt, nämlich intrinsisch und
um „ihrer selbst willen“. Sich um den Anderen auf eine Weise zu sorgen, die seine
Sorge um sich selbst und seine Selbstliebe widerspiegelt, wird gewöhnlich Liebe
genannt. Ähnlich gilt es im Rahmen der deontologischen Dimension die Autorität
des Anderen in der gleichen Weise wie die eigene aufzufassen, als nicht abgleitet
von der Autorität eines anderen, sondern als „unbedingt“. Wenn wir diese Selbst-
auffassung „Selbstachtung“ nennen, dann kann man die anerkennende Einstel-
lung, die dies vollständig widerspiegelt, als Achtung bezeichnen. Dabei geht es
nicht allein um furchtsamen Gehorsam, noch darum, dem Anderen bezüglich der
Interpretation und Ausführung von Zwecken lediglich technische Autorität zuzu-
schreiben, sondern um eine praktische Einstellung, die den Anderen als Subjekt
mit unabhängigen Zweckvorstellungen betrachtet und Autorität über die Normen
und Prinzipien der Koexistenz in einer von mir unabhängigen Sichtweise zulässt.
Es bedarf noch der Erklärung, wie genau Liebe und Achtung, anders als ins-
trumentelle Sorge und bedingte Formen der Zuschreibung von Autorität, „Men-
schen innerlich vereinigen“. Man kann dies verständlich machen, wenn man
das Wesen der infrage stehenden praktischen Einstellungen betrachtet. Wenn
Selbstliebe bedeutet, dass mir intrinsisch am Guten und Schlechten für mich
selbst gelegen ist, dann bedeutet Liebe zu Anderen, deren Selbstliebe tatsächlich
widerzuspiegeln und dass der liebenden Person intrinsisch etwas an dem liegt,
was gut und schlecht für die geliebte Person ist. Das Wohl, die Hoffnungen und
Ängste der geliebten Personen bestimmen somit partiell mit, was positiven oder
negativen Wert für die liebende Person hat, unabhängig davon, welchen Wert
(wenn überhaupt einen) dieselben Dinge oder Angelegenheiten anderenfalls für
sie hätten. Wenn Selbstachtung darüber hinaus bedeutet, für die eigenen Urteile
über das Richtige und Falsche irreduzible Autorität zu beanspruchen (zwar nicht
in dem Sinne, dass man notwendigerweise immer recht hat, aber in dem Sinne,
das man nicht von der Autorität eines anderen abhängt), dann bedeutet Achtung
 4.4 Hegels Ambiguitäten   89

für den Anderen, nachzuempfinden, dass den Urteilen der respektierten Person
subjektiv empfundene Verbindlichkeit zukommt, die sich weder aus den Urteilen
des Respektierenden (oder Anderer) noch aus ihren Klugheitserwägungen oder
Kalkülen ableiten lässt. Die Urteile der respektierten Person machen auf diese
Weise einen Teil dessen aus, was die respektierende Person für das Richtige oder
Falsche hält.31
„Triangulation“ ist ein Begriff, der oft benutzt wird, um eine subjektive Per­
spektive auf die Welt mit der Perspektive eines Anderen zu vermitteln, und folgen
wir der Terminologie der „axiologischen“ und „deontologischen“ Dimension von
Anerkennung, dann können wir die Weisen, in denen Liebe und Achtung die Per-
spektiven der liebenden oder respektierenden Personen untereinander vermit-
teln, „axiologische“ und „deontologische Triangulation“ nennen. Hierbei geht es
nicht um ein vollständiges Verschmelzen der Perspektiven, so dass meine eva-
luative Perspektive komplett durch das bestimmt würde, was gut oder schlecht
für denjenigen ist, den ich liebe, oder dass im Respektieren eines anderen meine
eigenen unabhängigen Urteile überhaupt keinen Einfluss hätten. Die axiolo-
gische und deontologische Perspektive des Anderen wird im Gegenteil ein Teil
meiner eigenen Perspektive und „dezentriert sie“ somit teilweise.32 Ich sehe die
Welt, was das Gute und Böse, das Richtige und Falsche angeht, gewissermaßen
aus meiner eigenen und aus der Perspektive des Anderen; beide sind meine Per­
spektiven. Die geliebte oder respektierte Person kann sich daher ihrer Perspektive
durch deren genuine Affirmation meiner Anerkennung bewusst sein und gleich-
zeitig auch der Tatsache, dass meine eigene Perspektive von ihrer irreduzibel
unabhängig bleibt.
Was institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* betrifft, so scheint
dieser im Vergleich mit rein intersubjektiver Anerkennung jetzt eine eher margi-
nale Rolle zuzukommen, denn sie ist nicht in der Lage, Menschen in demselben
Grad innerlich zu vereinigen bzw. sie zu einem vollständigen Bewusstsein ihrer
selbst im Anderen zu befähigen. Es scheint schlichtweg nicht dieselbe psycho-
logische Intimität involviert zu sein, wenn jemand als Träger von Rechten oder
anderen deontischen Machtbefugnissen anerkannt* wird, wie auch die eigene
subjektive Perspektive nicht mit der des anderen vermittelt wird. Die Unterschei-
dung zwischen nicht-personifizierenden und personifizierenden Weisen horizon-
taler Anerkennung gilt aber trotzdem auch für institutionell vermittelte horizon-
tale Anerkennung*. Darüber hinaus lässt sich der Unterschied, ob man jemanden
einerseits als Träger deontischer Machtbefugnisse anerkennt*, die ihn nicht zur
Person im institutionellen Sinne machen, oder ob man ihn andererseits als Träger
Personsein-stiftender deontischer Machtbefugnisse anerkennt* in der Geschichte
von Herr und Knecht leicht ausmachen: Die Differenz besteht darin, dass man
den Anderen einmal als jemanden anerkennt*, der besessen werden kann, aber
90   4 Hegel über Anerkennung

selbst nicht besitzen kann (als Sklaven, der keine Person im institutionellen
Sinne ist) und dass man den Anderen ein anderes Mal als jemanden anerkennt*,
der besitzen, aber selbst nicht besessen werden kann (als einen Herrn, der in der
institutionellen Bedeutung Person ist). Diese Unterscheidung ist von zentraler
Wichtigkeit, wenn man den „Prozeß des Anerkennens“ im Selbstbewusstseins-
kapitel nach institutioneller Lesart als eine Darstellung der Entwicklung sozia-
ler Institutionen rekonstruieren möchte. Gemäß dieser institutionellen Lesart
besteht das „allgemeine Selbstbewusstsein“ in wechselseitiger Anerkennung*
oder Achtung* zwischen Individuen als Trägern von Rechten und anderer deon-
tischer Machtbefugnisse, die jeder Person als institutionelle Person zukommen.

4.4.6 Bottom-up und top-down Perspektive

Was die letzte Unterscheidung zwischen der bottom-up und der top-down Perspek-
tive des Hegel’schen Textes betrifft, so habe ich den Text nur aus der bottom-up-
Perspektive betrachtet, nach der er als eine höchst stilisierte Bildungsgeschichte
sozialer und psychologischer Strukturen zu verstehen ist, durch die Menschen
in ihren eigenen und in den Augen anderer zu vollwertigen Personen werden.
Die komplementäre top-down Perspektive versteht „Begierde“, ungleiche und
bedingte Anerkennung sowie vollständig personifizierende Anerkennung hin-
gegen als Elemente oder Momente des vollentwickelten konkreten Ganzen, das
die freie und vernünftige menschliche Person darstellt, die in Gemeinschaft mit
anderen freien und vernünftigen menschlichen Personen lebt. Weniger vollstän-
dig ausgebildete Intentionalitätsstrukturen, psychologische Profile, interperso-
nale Beziehungen und institutionelle Strukturen werden in jeder menschlichen
Gesellschaft immer eine gewisse Präsenz behalten. Dies ist nicht nur deshalb so,
weil sie mit jeder neuen Generation aufs Neue auftreten, sondern auch weil Phä-
nomene wie etwa der Drang nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung oder ego-
istische Motivationen normaler Bestandteil des Lebens von Erwachsenen sind.
Bei entwickelten erwachsenen Personen sind allerdings die Ebenen, die in
der idealisierten Entwicklungsgeschichte „früher“ auftreten, durchdrungen von
Phänomenen, die zu den „späteren“ oder weiterentwickelten Ebenen gehören:
Die unmittelbaren Bedürfnisse eines Erwachsenen sind nicht die eines Tieres
oder eines menschlichen Kindes, und die ungleichen oder strategischen Aner-
kennungsbeziehungen zwischen Erwachsenen nehmen äußerst selten die
brutale Form von Herrschaft und Knechtschaft an. Dennoch liegt der Vorteil der
top-down Lesart in der Betonung, dass Natur sowohl in der Form physiologischer
Bedürfnisse und Begierden als auch in Gestalt der „halb-geistigen“, instrumenta-
lisierenden bzw. strategischen Beziehungen und Einstellungen niemals gänzlich
 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?   91

überwunden oder eliminiert werden, sondern auch im wohlgeordneten und kulti-


vierten Leben, das konkrete Freiheit im höchsten Maße realisiert, verschiedenste
Funktionen besitzen. In Hegels Staatstheorie, wie sie in der Philosophie des
Objektiven Geistes präsentiert wird, geht es zentral um die ideale institutionelle
Struktur, innerhalb welcher jede dieser Ebenen des Menschseins  – die natür-
liche, die „halb-geistige“ und die vollständig geistige  – in einer solchen Weise
koexistieren können, dass sie ein soziales Leben konstituieren, das in jeglicher
Hinsicht und im größten Maße konkrete Freiheit ermöglicht.

4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?

Wie wir gesehen haben, verweist die Frage, was genau „Anerkennung“ im
Selbstbewusstseins-Kapitel beinhaltet, auf eine recht komplexe Thematik. Wir
wollen als nächstes versuchen, größere Klarheit in diese zu bringen, indem wir
sie im Licht der in Kapitel 1 erarbeiteten Unterscheidungen betrachten. Anders
als Fichte oszilliert Hegel in seiner Darstellung nicht zwischen einer lediglich
epistemischen und einer praktischen Bedeutung von Anerkennung, wie sie in
Abschnitt 2.1. besprochen wurden, sondern fasst Anerkennung durchgehend
und konsistent in ihrer praktischen Bedeutung. Dies gilt sogar in Bezug auf die
Architektonik des „Selbstbewusstseins“-Kapitels, das insgesamt von prakti-
schen Aspekten der Intentionalität bzw. der Subjekt-Objekt-Beziehung handelt
(während die theoretischen bzw. epistemischen Aspekte allgemeiner Gegenstand
des thematisch parallelen Kapitels „Das Bewußtsein als solches“ sind). Hegels
Diskussion von Anerkennung enthält jedoch ein epistemisches Element, da er
Anerkennung als Instanziierung des allgemeineren Prinzips des Bewusstseins
seiner selbst im Anderen deutet. Hegel zufolge erlangt man dadurch konkrete
Freiheit in Anerkennungsbeziehungen, dass man sich als anerkannt „weiß“ bzw.
seiner selbst als anerkannt bewusst ist.
Obwohl Hegels Diskussion nicht zwischen dem Epistemischen („identifica-
tion“ auf Englisch) und dem Praktischen oszilliert, schwankt sie, wie wir gesehen
haben (bzw. unterscheidet zumindest nicht explizit) zwischen der zweiten und
der dritten Bedeutungsfamilie von „Anerkennung“, d.h. zwischen Anerkennung
im Sinne der Anerkennung normativer Entitäten („acknowledgement“ auf Eng-
lisch) wie Normen und Institutionen einerseits und Anerkennung von Personen
andererseits. In der Diskussion der Hegel’schen Texte wurde allerdings deutlich,
dass diese Unterscheidung selbst nicht ganz unproblematisch ist, da „Anerken-
nung von Personen“ in zwei Varianten auftritt, die ich rein intersubjektiv und
institutionell vermittelt genannt habe. Es hat jetzt den Anschein, als sei nur die
rein intersubjektive Form von Anerkennung klar von der Anerkennung norma-
92   4 Hegel über Anerkennung

tiver Entitäten zu unterscheiden, während institutionell vermittelte horizontale


Anerkennung* als ein Aspekt an ihr auftritt. Individuen (horizontal) als Träger
von Rechten und anderer deontischer Machtbefugnisse anzuerkennen*, meint
schlicht den Gehorsam und somit die (vertikale) Anerkennung der Gesetze, die
durch jene Rechte bestimmt werden.
Die Frage, die in Abschnitt 2.2. formuliert wurde, ob Anerkennung von Per-
sonen in einer oder mehreren Formen auftritt, möchte ich hier spezifizieren und
lediglich auf Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn beziehen. Obwohl Hegel
solche Formen selbst nicht explizit differenziert, können wir im Sinne einer rati-
onalen Rekonstruktion sagen, dass Hegels Konzeption im Selbstbewusstseins-
Kapitel zwei Formen beinhaltet bzw. genauer: zwei „Dimensionen“ von Anerken-
nung: die axiologische und die deontologische. In Bezug auf beide Dimensionen
können wir dann weiter zwischen einer nicht genuin „personifizierenden“ und
einer „personifizierenden“ Form unterscheiden: im Hinblick auf die axiologische
Dimension zwischen instrumenteller oder in anderer Weise konditionaler Sorge
und intrinsischer oder unbedingter Sorge um den Anderen (bzw. Liebe); im Hin-
blick auf die deontologische Dimension zwischen bedingter und unbedingter
Zuschreibung von Autorität (bzw. Achtung). Eine Gemeinsamkeit des personifi-
zierenden bzw. genuin interpersonalen Anerkennungsmodus in beiden Dimen-
sionen liegt darin, dass der Anerkennende den Anzuerkennenden im Lichte von
Bedeutsamkeiten betrachtet, die identisch sind mit den Bedeutsamkeiten, in
deren Licht eine normale Person sich selbst betrachtet: als jemand, dessen Leben
und Wohl intrinsische Wichtigkeit besitzen, und als jemand, der über unbedingte
Autorität verfügt.
Wir können des Weiteren eine Reihe von Überlegungen vor dem Hintergrund
der Unterscheidungen aus Abschnitt 2.3 in Bezug auf Einstellungen, Einstel-
lungsgefüge, konkrete interpersonale Beziehungen und institutionelle Sphären
oder Kontexte anstellen. Ob im Text irgendwelche bestimmten institutionellen
Sphären abgerufen werden, hängt davon ab, ob man ihn im Sinne der rein inter-
subjektiven bzw. der institutionellen Lesart versteht. Im Sinne der Letzteren
bezieht sich Hegels Illustration überwiegend auf den institutionellen Kontext
der Sklaverei. Aber er diskutiert auch die „Geburt“ von Staaten aus Herrschaft
und hat also auch diesen institutionellen Kontext im Sinne. Beide dieser insti-
tutionellen Kontexte versteht man jedoch am besten als bloße, aber paradigma-
tische Beispiele dafür, wie die Strukturen, über die Hegel spricht, in die soziale
Realität übersetzt werden können. Im Prinzip können ungleiche Rechte und
Pflichten in den unterschiedlichsten institutionellen Kontexten bestehen. Liest
man das Kapitel hingegen als eine Darstellung rein intersubjektiver Strukturen,
dann erscheinen Institutionen und institutionalisierte Normen als größtenteils
irrelevant oder nur äußerlich mit den Hauptargumenten verbunden. (Natürlich
 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?   93

hindert aber nichts an einem Interpretationsversuch, der sowohl die rein inter-
subjektiven als auch die institutionellen Aspekte in ein Bild zu integrieren sucht.)
Egal ob man die Beziehung von „Herr“ und „Knecht“ rein interpersonal oder
als durch Institutionen vermittelte interpretiert, sie ist sicherlich eine konkrete
Beziehung mit verschiedenen Elementen, die durch Einstellungen und andere
mentale Zustände, die die Subjekte in Bezug aufeinander oder im Allgemeinen
haben, keineswegs erschöpfend begriffen wird. Eine wichtige Problematik, die
Hegel in diesem Zusammenhang erwähnt, ist die Arbeit bzw. die praktische Akti-
vität, die sich die Natur aneignet und dadurch das zukünftige Leben und Wohl-
ergehen des Arbeitenden und seines Herrn sicherstellt. Um ein vollständiges Bild
von der konkreten Beziehung zu zeichnen, die Hegel zur Illustration seiner philo-
sophischen Argumente verwendet, wäre daher viel mehr als bloß psychologische
oder interpersonale Phänomene diskutieren. Der ausdrückliche Fokus des Selbst-
bewusstseinskapitels – wie des ganzen Abschnitts „Phänomenologie – Bewusst-
sein“  – liegt allerdings auf den intentionalen Strukturen und ihrer Entwick-
lung zum vollständig ausgebildeten psychologischem Personsein. Für Hegel ist
hierbei, wie klar geworden sein sollte, ein Komplex von Einstellungen zentral, der
einerseits aus Einstellungen der Anerkennung, andererseits aus einem bestimm-
ten Bewusstsein bzw. der Überzeugung auf Seiten des Anerkannten besteht, dass
der Anerkennende ihm gegenüber solche Einstellungen hat.
Vor dem Hintergrund der Themen, die in Abschnitt 2.4. diskutiert wurden –
Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen von Anerkennung  – ist fest-
zuhalten, dass Handlungen und Ausdrucksformen von Anerkennung (in den
unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe) für Anerkennungsbeziehungen
in vielfacher Weise relevant sind. Unter anderem deswegen, weil ohne sie Indi-
viduen nicht in der Lage wären, wechselseitig die Einstellungen des anderen
festzustellen und sich in ihm ihrer selbst bewusst zu sein. Aus der Perspektive
konkreter Freiheit sind es tatsächlich die Einstellungen selbst, die das Kernthema
darstellen und kraft welcher Individuen „innerlich“ vereinigt und zu einem wirk-
lichen Selbstbewusstsein im Anderen gelangen können.
Die meisten dieser psychologischen Feinheiten gelten allerdings nur für
Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn. Wie ich auch in Abschnitt 3.3.4. im
Fichte-Teil herausgestellt habe, spielt der Gehalt der Einstellungen des Anerken-
nenden* zum Anerkannten* als einem Individuum nur eine geringe Rolle. Die
Hauptsache ist die, dass der Anerkennende* sich auf eine Art und Weise verhält,
die dem institutionellen Status bzw. den deontischen Machtbefugnissen des
Anzuerkennenden* gemäß ist. Aufgrund ihrer psychologischen „Oberflächlich-
keit“ kann institutionell vermittelte Anerkennung* daher keine so starke kultivie-
rende Wirkung auf Subjektivitäts- bzw. Intentionalitätsstrukturen haben wie rein
intersubjektive Anerkennung, was mit ein Grund dafür ist, sie gegenüber rein
94   4 Hegel über Anerkennung

intersubjektiver Anerkennung als eine weniger zentrale Bedeutung von „Aner-


kennung“ innerhalb des Selbstbewusstseinskapitel zu betrachten.
Wie steht es mit der Frage, die in Abschnitt 2.5. gestellt wurde? Spricht Aner-
kennung gemäß der Konzeption des Selbstbewusstseinskapitels responsiv auf
einen Aspekt ihres Objekts an, ist sie vielmehr konstitutiv für dieses Objekt oder
trifft vielleicht sogar beides zu? Es scheint klar zu sein, dass eine detaillierte
Antwort auf diese Frage aufgrund der Vielzahl und der Komplexität der Phäno-
mene, die der Begriff „Anerkennung“ in diesem Text abdeckt, eine schwierige
Aufgabe darstellt. Zuallererst kommt Anerkennung darin, genau so wie in Fichtes
Grundlage, eine rein intersubjektive und eine institutionell vermittelte Bedeutung
zu; zweitens besitzt die rein intersubjektive Anerkennung zwei Dimensionen, die
axiologische und deontologische, und drittens macht Anerkennung innerhalb
des dargestellten idealisierten Entwicklungsprozesses in beiderlei Bedeutungen
und in beiden Dimensionen eine Transformation durch. „Anerkennung“ zwi-
schen Herr und Knecht ist nicht dasselbe wie „Anerkennung“ zwischen genuin
freien Personen. Es ist, um die Dinge noch etwas komplizierter zu machen, sogar
denkbar, bereits die erste Begegnung der begehrenden Subjekte als eine erste
widerwillige Form von „Anerkennung“ zu verstehen, der Anerkennung eines
Anderen als etwas, das der Reduktion auf Bedeutsamkeiten der unmittelbaren
Bedürfnisse und Begierden widersteht.
In Bezug auf rein intersubjektive Anerkennung können wir die Frage nach der
Responsivität resp. Konstitutivität von Anerkennung daher gemäß den drei Ent-
wicklungsstadien von Hegels Bewusstseinsgeschichte differenzieren: (a) die erste
Realisation durch den Widerstand des anderen Subjekts, (b) die noch nicht ganz
vollständig personifizierende und noch nicht vollständig „geistige“ Anerkennung
zwischen dem Herrn und dem Knecht und (c) die vollständig personifizierende
und vollständig geistige bzw. freie Anerkennung. Für die institutionell vermittelte
Form von Anerkennung sind nur die Entwicklungsstadien (b) und (c) einschlägig.
Die erste Realisation oder Anerkennung des Anderen als einem unabhän-
gigen Wesen, das Widerstand leistet ist kausal responsiv auf etwas, das dem
anderen Subjekt zugehört, nämlich die von ihm geleistete Widerständigkeit. Da
der Andere dadurch als widerständig erfahren wird, dass er ein anderes Subjekt
mit einem unabhängigen Innenleben und einer eigenen Perspektive auf die Welt
ist, antwortet diese erste Form von Anerkennung in kausal responsiver Weise auf
die psychologische Konstitution des Objekts der Anerkennung. Hierbei ist bereits
eine rudimentäre Form sozialer Normativität mit im Spiel: Beide Subjekte fordern
eine bestimmte Art der Behandlung (nämlich eine solche, durch die sie nicht auf
ein bloßes Objekt der Begierde reduziert werden) und würden bereits (auf grobe
Art und Weise) versuchen, dasjenige Verhalten zu „kritisieren“ oder zu „bestra-
fen“, das dieser Forderung nicht gerecht wird.
 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?   95

Im Fall (b), der Anerkennung zwischen Herr und Knecht, ist die rein inter-
subjektive Anerkennung des Herrn durch den Knecht auf eine ähnliche Weise
normativ responsiv: Das Verhalten, das der Herr vom Knecht erwartet, stellt das
normative Kriterium dar, auf dessen Grundlage der Knecht vom Herrn kritisiert
oder bestraft wird, wenn der Knecht darin fehlgeht, ihn in der geforderten Weise
„anzuerkennen“ (d.h. kein Interesse für sein Wohlergehen zeigt und seinen
Befehlen und Regeln nicht gehorcht). Da Furcht vor Strafe das einzige Motiv des
Knechts ist, den Herrn auf diese Weise anzuerkennen, ist die Anerkennung des
Herrn durch den Knecht auch kausal responsiv auf die Absichten und die psycho-
logische Konstitution des Herrn.
Wie sieht es mit der (rein intersubjektiven) Anerkennung des Knechts durch
den Herrn aus? Sie scheint augenscheinlich weder normativ noch kausal in der
gleichen Weise responsiv auf den Knecht anzusprechen wie es die Anerkennung
des Knechts in Bezug auf ihn tut. Der Knecht stellt keine unabhängigen Normen
oder Kriterien auf, anhand welcher er den Herrn kritisieren könnte. Er kann ihn
nur kritisieren, indem er an Regeln und Normen appelliert, die der Herr selbst vor-
geschrieben hat, (z.B. wenn dieser nicht bedacht hat, was es erfordert, bestimmte
Befehle in konkreten Fällen anzuwenden), oder an das Wohl des Herrn (wenn
der Herr sich nicht in adäquater Weise um das Wohl des Knechts kümmert und
damit um dessen Fähigkeit, für den Herrn arbeiten zu können). Der Knecht befin-
det sich darüber hinaus auch nicht in einer Lage, aus der heraus er den Herrn
bedrohen könnte, um ihm so auf „kausale“ Weise eine anerkennende Reaktion
zu entlocken.
Bei sorgfältigerer Betrachtung ist die Differenz zwischen der Anerkennung
des Herrn und des Knechts letzten Endes vielleicht aber doch nicht so signifikant.
So gilt nämlich für beide, dass ihr letzter Zweck und Bezugspunkt ihr eigenes
Wohlergehen ist. Auch der Knecht gehorcht dem Herrn nur deswegen (bzw. das
Wohl des Herrn hat nur deswegen Wert für ihn), weil er sich um sein eigenes
Leben und Wohlergehen sorgt. Es ist allein die Sorge des Knechts um sich selbst,
die den Befehlen des Herrn „Autorität“ bzw. dem Wohl des Herrn Wichtigkeit
verleiht. Ähnliches gilt für die Kausalitätsproblematik: Nur weil der Knecht sich
um sich selbst sorgt, ist der Herr in der Lage, ihn zu motivieren bzw. den Knecht
überhaupt auf irgendeine Art und Weise zu „bewegen“.
Es ist genau dieser Egoismus bzw. diese letzte Selbst-Bezüglichkeit der nicht
vollständig personifizierenden bzw. nicht vollständig „geistigen“ (rein intersub-
jektiven) Anerkennung (des Knechts und des Herrn), die sie von der vollständig
personifizierenden geistigen Anerkennung unterscheidet, wie sie im Kapitel „All-
gemeines Selbstbewusstsein“ beschrieben wird. Anerkennung in Form von genu-
inem Respekt und Liebe (c) bezieht sich nicht auf die Sorge des Anerkennenden
um sich selbst und daher wäre es unmöglich, sie durch eine Drohung oder durch
96   4 Hegel über Anerkennung

die Berufung auf das Wohl des Anerkennenden hervorzurufen. Respekt und
Liebe können weder erzwungen noch durch Bestechung erlangt werden. Antwor-
ten sie aber dann in irgendeiner Weise normativ oder kausal responsiv auf etwas,
das den Anzuerkennenden ausmacht? Wenn Liebe oder die intrinsische Sorge für
den Anderen bedeutet, dass man dessen Wohl als genauso wichtig ansieht wie
das eigene, dann scheint die Liebe zum Anderen schlichtweg durch den Anderen
als singuläre menschliche Person motiviert zu sein, dessen Leben gedeihen und
zerstört werden kann, der mal glücklich ist und mal leidet. Respekt wird demge-
genüber − da die Sorge um sich selbst hier ausgeschlossen ist – wie auch nach
Fichte dadurch ausgelöst, dass man im Anderen einem (mehr oder weniger) ver-
nünftigen Wesen begegnet.
Sieht man sowohl in der Vernunft als auch in der Glücksfähigkeit Merkmale,
die das Personsein ausmachen, dann suggeriert dies, dass genuiner Respekt und
Liebe kausal responsiv in Bezug auf die Personsein-stiftende psychologische
Konstitution des Adressaten der Anerkennung sind (KRP). Da Hegels Konzeption
sich, anders als Fichtes, gegenüber dem Begriff der inneren kausalen Freiheit
neutral verhält, gibt es keine Prämisse, die seine Akzeptanz der Konklusion ver-
hinderte, dass genuin personifizierende oder geistige Anerkennung eine Affizie-
rung durch das Objekt der Anerkennung beinhaltet.
Spricht rein intersubjektive und genuin personifizierende Anerkennung bei
Hegel dann normativ responsiv in Bezug auf das Objekt der Anerkennung an? Die
Antwort hierauf ist „Ja“ und „Nein“. Da Anerkennung in der genannten Bedeu-
tung von den potentiellen Rechten und anderen deontischen Machtbefugnissen
des Anerkannten absieht, kann sie nicht durch die Berufung auf Normen, egal
ob diese intersubjektiver oder institutionalisierter Natur sind, kritisiert werden.
Es gibt kein Recht darauf, geliebt zu werden und daher auch keine korrespondie-
rende Pflicht, zu lieben. Im Falle des Respekts besteht ein wichtiger Kontrast zur
Herr-Knecht-Beziehung darin, dass die Normen der Interaktion von sich wechsel-
seitig respektierenden Individuen beiderseitig autorisiert und bekräftigt werden,
so dass die Urteile beider Subjekte über das, was angemessen bzw. unangemessen
ist, zählen. Nichtsdestoweniger ist Respekt selbst nichts, was auf solche Normen,
die von beiden autorisiert wurden, antwortete, denn solche Normen existieren
nur dann, wenn die Individuen einander als Ko-Autoritäten respektieren. Tun sie
dies nicht, gibt es auch keine Norm bzw. kein Recht, mittels dessen man einen
Mangel an Respekt kritisieren könnte.
Doch selbst wenn Liebe und Respekt als rein intersubjektive Phänomene
nicht normativ responsiv in Bezug auf die sie implizierenden deontischen Macht-
befugnisse oder Normen derjenigen antworten, können sie immer noch als nor-
mativ responsiv in Bezug auf eine Art basale Forderung oder normative Erwartung
verstanden werden, mit denen Personen sich in der Interaktion konfrontieren.
 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?   97

Anders als das Leben nicht-personaler Tiere, das durch natürliche Instinkte orga-
nisiert wird, wird das Leben von Personen in einem großen Maße durch soziale
Normen organisiert. Aus Sicht einer Person läuft etwas fundamental falsch, wenn
sie (in jeweiliger Übereinstimmung mit dem Entwicklungsniveau ihrer psychi-
schen Fähigkeiten) von anderen nicht wie jemand behandelt wird, dem Autori-
tät über diejenigen Normen zukommt, gemäß denen die Anderen, deren Hand-
lungen auf mich zurückwirken können, leben sollen.33 Wenn es zudem Teil der
Personsein-stiftenden psychologischen Konstitution von Individuen ist, sich auf
intrinsische Weise um ihr Leben und Wohl sorgen, dann ist es ein fundamentales
Übel, von Anderen (deren Handlungen mich in Mitleidenschaft ziehen können)
nicht wie jemand behandelt zu werden, dessen Leben eine intrinsische Bedeut-
samkeit zukommt. Angesichts dieser sozusagen „proto-normativen“ Bedeutung
ergibt es Sinn, zu sagen, dass rein intersubjektive personifizierende Anerken-
nung auch normativ responsiv in Bezug auf die psychologische Konstitution des
Anzuerkennenden ist (NRP).
Ist rein intersubjektive Anerkennung, wie sie im Selbstbewusstseinskapitel
präsentiert wird, dann konstitutiv fürs Personsein bzw. für etwas, das Personen
zugehört, und wenn dies der Fall ist, wofür ist sie konstitutiv und wie gestal-
tet sich dies genau aus? Wir müssen hier nicht nur die drei Stadien von Hegels
idealisierter Geschichte unterscheiden, sondern auch zwischen der potentiel-
len konstitutiven Wirkung von Anerkennung auf das Subjekt der Anerkennung
einerseits sowie auf das Objekt der Anerkennung andererseits differenzieren.
Anders als Fichte in der Grundlage und anders als die zeitgenössischen Autoren,
die in den nächsten beiden Kapiteln dieses Buches diskutiert werden, sagt Hegel
nichts Explizites über die Möglichkeit, dass Anerkennung auf irgendeine Weise
konstitutiv für das psychologische Personsein des Objekts der Anerkennung sein
könnte. Seine Betrachtung impliziert jedoch eine Vielzahl von Weisen, wie Aner-
kennung kon­stitutiv für den Personen-Status des Anerkannten sein kann. Schon
bei der ersten primitiven Begegnung (a) wird das andere Subjekt im Lichte einer
Bedeutsamkeit bzw. eines „Status“ betrachtet, die es von bloßen Objekten der
Begierde radikal unterscheiden. Als rein intersubjektive Beziehung verstanden
sind (b) der „Herr“ und der „Knecht“ nichts anderes als bestimmte Status, die
den Individuen in der Perspektive des Anderen zukommen. Diese Status werden
durch die Einstellungen konstituiert – seien es anerkennende oder andere −, die
die Subjekte gegenüber einander und gegenüber sich selbst haben. Im Rahmen
von genuin personifizierender Anerkennung, die konkrete Freiheit im größten
Maße realisiert (c), sieht schließlich jeder Anerkennende das Objekt seiner Aner-
kennung wie sich selbst im Lichte praktischer Bedeutsamkeiten  – liebend als
jemand, dessen Leben und Wohl von intrinsischer Wichtigkeit ist, respektierend
als eine irreduzible Quelle von Autorität. Während der intersubjektive Status einer
98   4 Hegel über Anerkennung

Person bei Fichte lediglich in der deontologischen Bedeutsamkeit bestand, die


durch Respekt zugeschrieben wird − nämlich der unbedingten Autorität über die
Normen der Koexistenz −, beinhaltet er bei Hegel auch die axiologische Bedeut-
samkeit, die durch Liebe zugeschrieben wird und darin besteht, dass Leben und
Wohl eines Individuums von unbedingter Wichtigkeit sind. Beide Formen der
intersubjektiven Anerkennung sind auf diese Weise ontologisch konstitutiv für
den intersubjektiven Personen-Status des Objekts der Anerkennung (OKSintersO).
Genau dieser Sachverhalt, dass das andere Subjekt im Lichte dieser intersub-
jektiven Bedeutsamkeiten gesehen wird, ist es, der die psychologische Konstitu-
tion des Subjekts der Anerkennung transformiert und bildet. Ich sprach darüber
bereits oben mithilfe der Begriffe des „Dezentrierens“ und der „Triangulation“,
und wir können jetzt die genannten drei Stadien der idealpsychologischen Ent-
wicklung anhand dieser Begriffe weiter analysieren. Die ursprüngliche Begeg-
nung (a), in der das Subjekt die Existenz eines anderen Subjekts als Subjekt durch
die von ihm eingenommene Perspektive realisiert, transformiert bereits den
natürlichen Solipsismus des ersten Subjekts und etabliert eine primitive Form
der Dezentrierung der eigenen Perspektive, die diese neben eine andere stellt und
sich von ihr herausfordern lässt. (Wie wir gesehen haben, ist diese Herausforde-
rung keine friedliche Herausforderung, wie sie in Fichtes Aufforderung Gestalt
annimmt, sondern ein ernsthafter Konflikt.)
Im nächsten Stadium der Idealentwicklung, nämlich der Beziehung, die
durch die Figuren von Herr und Knecht illustriert wird, (b) überwinden die Sub-
jekte ihre unmittelbare Begierde-Orientierung, indem sie sich selbst und einan-
der als Subjekte mit zeitlich ausgedehntem, aber endlichem Leben begreifen. Sie
entwickeln auf diese Weise zunehmend eine intrinsische Sorge um sich selbst,
auch wenn die Sorge um einander weiterhin instrumentell verfasst ist. Obwohl
sie keine Solipsisten im unmittelbar animalischen Sinne mehr sind, sind sie trotz-
dem auf grundlegende Weise egoistisch. Beide sehen die Welt zwar auch aus der
Perspektive der Sorgen und Urteile des Anderen, doch der letzte Bezugspunkt
ihres Handelns bleiben ihre je eigenen Sorgen und Ziele, so dass eine Sorge um
und die Autorität des Anderen nur unter der Bedingung zählen, dass sie für sie
selbst relevant sind. Obwohl wir hier bereits von einer Dezentrierung oder Tri-
angulierung von Perspektiven sprechen können, handelt es sich hierbei daher
noch um keine vollständige Dezentrierung oder Triangulierung, wie sie genuin
personifizierende Anerkennung kennzeichnet.
Im Rahmen von genuin personifizierender Anerkennung (c) besitzen die
Sorgen und die Autorität des Objekts der Anerkennung die gleiche unbedingte
Wichtigkeit wie die eigenen. Was gut und was übel, was richtig und falsch ist,
wird somit zugleich aus zwei Perspektiven begriffen, von denen keine auf die
andere reduziert werden kann. Nur Subjekte, die über solche strukturell dezen-
 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?   99

trierten praktischen Perspektiven verfügen, für die das Wohl Anderer nicht zu
zählen aufhört und für die, die Autorität anderer nicht ihr Gewicht verliert, wenn
der Andere aufhört, von instrumenteller Bedeutsamkeit für das eigene Wohl zu
sein, können in Hegels Verständnis auf vollständig freie Art und Weise zusam-
menleben und eine im höchsten Grade „geistige“ Gemeinschaft freier Wesen
bilden.
Jede der drei idealisierten Sozialisationsstufen bringt also eine Weiterent-
wicklung der psychologischen Struktur mit sich, durch die zunehmend der Unter-
schied zwischen menschlichen Personen und „begehrenden“ bzw. instinktgelei-
teten Tieren deutlicher wird. Sie stellen Weisen dar, in denen rein intersubjektive
Anerkennung ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologi-
sche Konstitution der Subjekte der Anerkennung ist (OKPS) und sie korrespon-
dieren mit dem Personsein-stiftenden intersubjektiven Status der Objekte von
Anerkennung (OKSintersO). Es besteht keine Notwendigkeit, eine strikte zeitliche
Reihenfolge zwischen diesen Stadien anzunehmen. Die top-down-Lesart des
Hegel’schen Textes legt nahe, dass sie als gleichzeitige Elemente der psycholo-
gischen Verfasstheit menschlicher Personen verstanden werden können. Im voll-
ständig personifizierenden Anerkennungsmodus kommt nach Hegel allerdings
die „höchste“ Weise zum Ausdruck, weil sie konkrete Freiheit vollständig reali-
siert und daher das „Wesen“ des Geistes bzw. der Lebensform menschlicher Per-
sonen ausmacht. Als höchster bzw. fortentwickeltster Form kommt ihr darüber
hinaus eine moralische bzw. ethische Qualität zu, die auch in der Formulierung
impliziert ist, dass sie die Form ist, durch die Personen einander vollständig als
Personen erachten.
Was Personsein als einen institutionellen Status angeht, so ist dies nichts,
was Hegel im Selbstbewusstseinskapitel ausdrücklich diskutierte. Um seine Auf-
fassung zu diesem Thema zu ermitteln, wäre seine Philosophie des Objektiven
Geistes beginnend mit dem Abschnitt „Recht“ (Werke 10, §§ 488 – 502) sowie der
korrespondierende Abschnitt „Das abstrakte Recht“ in seiner Philosophie des
Rechts (Werke 7, §§ 34 – 104) zu konsultieren. Eine Auseinandersetzung mit diesen
Texten liegt zwar außerhalb meiner Erkenntnisziele, doch möchte ich die Auf-
merksamkeit auf die Potentiale lenken, die Hegels Konzept konkreter Freiheit
für ein Nachdenken über institutionelle Anerkennung zu bieten hat. Im Hinblick
auf die vertikale „aufwärts gerichtete“ Anerkennung des Staates erlaubt dieses
Konzept die Annahme eines Kontinuums von weniger freien zu freieren Relati-
onen zwischen Individuen und Institutionen. Eine bloße Strafandrohung kann
Individuen dazu motivieren, den Staat im Sinne des Gesetzesgehorsams „anzu-
erkennen“ und damit auch dazu, die durch die Gesetze geregelten Rechte der
Anderen zu respektieren*. In dem Maße allerdings, in dem ein Individuum „sich
seiner selbst im Staat bewusst ist“ und ihn als rechtmäßig anerkennt, ist seine
100   4 Hegel über Anerkennung

Anerkennung* Anderer als Träger von Rechten und anderer deontischer Kräfte
(sowohl „Personsein-stiftender“ wie auch anderer) zumindest nicht ausschließ-
lich durch die Furcht vor drohender Strafe motiviert. Doch der Anerkennung des
Staates und der Anerkennung* anderer Rechtsträger liegt nichtsdestoweniger
eine wirksame Motivation zugrunde, am wahrscheinlichsten die Sorge um sich
selbst und bestimmte Andere sowie das Urteil, dass der Staat und seine Gesetze
zum eigenen Wohl und dem Wohl Anderer beitragen.
Eine weitere wichtige Frage ist es dann, in welchem Grad die Anerkennung
der staatlichen Legitimität durch die Bürger lediglich auf der Sorge um das eigene
Wohl beruht und inwieweit auch auf der Sorge um Andere. In dem Grade, in dem
Letzteres gegeben ist, ist rein intersubjektive Anerkennung im Sinne der instru-
mentellen oder intrinsischen Sorge um Andere zumindest ein Aspekt, der Bürger
zur vertikalen Anerkennung des Staates und damit auch zur horizontalen Aner-
kennung* Anderer als Träger deontischer Machtbefugnisse motiviert (vor allem
der fundamentalen Rechte, die fürs Personsein als institutionellem Status kons-
titutiv sind). In dem Maße, in dem ein Individuum Andere als Autoritäten bezüg-
lich der Regeln und Normen der Koexistenz respektiert, bieten ihm die Zustim-
mung der Mitbürger und deren vertikale Anerkennung des Staates unabhängige
Gründe dafür, den Staat in gleicher Weise zu akzeptieren bzw. anzuerkennen und
somit auch dafür, die entscheidenden deontischen Machtbefugnisse anzuerken-
nen*. In diesem Sinne trägt Hegels höchst differenziertes begriffliches System
dem Verständnis Rechnung, dass sich hinter rechtlichen Verhältnissen in unter-
schiedlichem Grade genuin ethische Motive verbergen.
5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen
Philosophie: Charles Taylor und Nancy Fraser
Angesichts der Tatsache, dass Hegel kaum zu den Philosophen gerechnet werden
kann, die besonders einfach zu lesen und zu verstehen wären, kann man sich
fragen, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Thema, das fast überall mit seinem
Namen assoziiert wird, auch außerhalb von Spezialistenkreisen auf so großes
Interesse gestoßen ist. Eine Erklärung hängt zum Teil damit zusammen, dass sich
andere Philosophen und Denker das Thema bei Hegel aus der Perspektive ihrer
eigenen Erkenntnisinteressen angeeignet haben, und zwar gewöhnlich auf eine
viel zugänglichere Weise als bei Hegel selbst. Besondere Erwähnung verdient in
diesem Zusammenhang Alexandre Kojève. Seine berühmten Pariser Vorlesun-
gen über Hegel in den 1930er Jahren, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden,
haben besonders in Frankreich (aber nicht nur dort) in wahrscheinlich größe-
rem Maße dafür gesorgt, dem Thema allgemeine Aufmerksamkeit zu verschaffen
als irgendetwas, das Hegel selbst geschrieben hat.1 Das Thema und die Figuren
von Herr und Knecht in Hegels Auseinandersetzung mit Anerkennung erlauben
vielerlei Anspielungen auf Deutungen, die das Thema innerhalb der marxisti-
schen Tradition erfahren hat und von denen Kojève ebenfalls beeinflusst wurde.
Und auch wenn man sich die moderne Entwicklungspsychologie ansieht, ist es
leicht Strömungen zu entdecken, in denen dem Begriff bzw. dem Thema wichtige
Rollen zukommen.2 Kurz gesagt: Obwohl Hegel die einschlägige philosophische
Referenz für die unterschiedlichen Zugriffsweisen auf das Thema ist, hat es im
Denken des 20. Jahrhunderts ein Eigenleben gewonnen, das relativ unabhängig
von allem ist, was Hegel jemals geschrieben hat.
Anerkennung ist jedoch nicht allein ein Thema der akademischen Diskus-
sion zwischen Philosophen und anderen Theoretikern. Sie ist auch außerhalb
der akademischen Welt präsent, da das Wort „Anerkennung“ sowie seine Ent-
sprechungen in anderen Sprachen Teil des alltäglichen Diskurses sind, in dem
Phänomene von großer existentieller, sozialer und politischer Bedeutsamkeit
zum Ausdruck gebracht werden. Praktisch jeder Erwachsene besitzt ein gewisses
Verständnis davon, was es heißt, von Anderen „anerkannt“ zu werden bzw. dass
einem eine solche Anerkennung vorenthalten wird, und die meisten Menschen
können die Schmerzlichkeit bestätigen, keine hinreichende Anerkennung erfah-
ren zu haben. Obwohl der genaue Inhalt der Anforderungen von „Anerkennung“,
wie sie von den unterschiedlichen unterdrückten oder Minderheitengruppen in
der politischen Sphäre gefordert wird, variiert3 und nicht immer ganz klar sein
mag (vgl. Thompson 2006 und Seymour 2010), beziehen sie sich alle auf etwas,
102   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

das verständlich genug ist, um auch ohne ausgearbeitete philosophische Analy-


sen politische Wirkungen erzielen zu können.
Sowohl die offensichtliche Bedeutsamkeit von Anerkennung für den Common
Sense als auch die Attraktivität der Idee von Anerkennung für diejenigen, die sich
in politischen Bewegungen und Kämpfen engagieren (seien es marxistische Klas-
senkämpfe, Anti-Kolonialismus-Bewegungen, Anstrengungen für die Emanzipa-
tion von Frauen, Kämpfe um die Anerkennung von sexuellen, ethnischen oder
religiösen Minderheiten o. ä.), stellen wichtige Aspekte der Entwicklung dar, die
das Thema in den letzten zwei Jahrzehnten in die Aufmerksamkeit von kritischen
Sozial- und Politischen Philosophen gerückt hat. Die drei Gegenwartsautoren, die
in diesem und dem nächsten Kapitel diskutiert werden − Charles Taylor, Nancy
Fraser und Axel Honneth – haben auf je unterschiedliche Weise die explizite wie
implizite Präsenz der Anerkennungsidee in der gegenwärtigen Tagespolitik und
im alltäglichen Diskurs ausgewertet und darauf reagiert.
Taylor und Fraser sind Schlüsselautoren der Diskussionen, die unter dem
Titel „Politik der Anerkennung“ firmieren. Insbesondere Taylor kommt eine
zentrale Stellung unter den Autoren zu, die diesem Begriff zu größerer Aufmerk-
samkeit verholfen haben. Fraser kritisiert einige der Ideen, die sie als grundle-
gend für dieses Konzept ansieht und Honneth geht in kritische Distanz zu einem
exzessiven Fokus auf nur solche politischen Bewegungen, die explizit in Bezug
zur „Politik der Anerkennung“ stehen. Seine Arbeit zehrt jedoch stark von der
existentiellen Bedeutsamkeit, die der Erfahrung von ausbleibender Anerken-
nung zukommt.
Mein Ziel besteht im Folgenden in der Klärung des Inhalts und der Rolle des
Anerkennungsbegriffs in den einschlägigen Arbeiten dieser drei Gegenwarts-
autoren. Es soll gezeigt werden, wo ihre Verständnisse des infrage stehenden
Begriffs und Phänomens voneinander oder von Fichte und Hegel abweichen,
welche Ideen dieser Pioniere in ihren Arbeiten möglicherweise fehlen und welche
fruchtbaren neuen Elemente sie zu einer umfassenden Konzeption der Bedeut-
samkeit von Anerkennung für die Lebensform menschlicher Personen in ihren
unterschiedlichen Bedeutungen hinzufügen. Um ein wenig vorauszugreifen:
Obwohl die Auseinandersetzung mit Fichtes und Hegels Gedanken über Aner-
kennung uns mit einem reichhaltigen Fundus von Weisen bekannt gemacht hat,
in denen Anerkennung für die psychologischen und sozialen Strukturen bedeut-
sam ist, die die personale menschliche Lebensform ausmachen, ist ein äußerst
wichtiges Element bisher unbeachtet geblieben. Damit meine ich die Bedeut-
samkeit von Anerkennung nicht nur für das, was Personen in erster Linien zu
Personen macht, d.h. für ihre „Personsein-stiftenden“ Eigenschaften, sondern
auch für das, was Personen voneinander unterscheidet, mit anderen Worten: für
ihre qualitative „Identität“ bzw. ihre „Selbstidentität“. Die damit zusammenhän-
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   103

gende Vorstellung, die diese Autoren explizit machen, ist eine dritte Dimension
von Anerkennung im Sinne der Wertschätzung bestimmter qualitativer Eigen-
schaften einer Person oder von Personen. Ein drittes neues Thema, dem wir in
der Arbeit dieser Autoren schließlich begegnen werden, ist die Anerkennung von
Gruppen oder Kollektiven.

5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“

Der wichtigste Beitrag Charles Taylors zu unserem Thema ist sein Aufsatz „Die
Politik der Anerkennung“ (Originaltitel: „The Politics of Recognition“), der seit
seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1992 wahrscheinlich zum meistgelese-
nen und meistzitierten Text über Anerkennung in den gegenwärtigen Debatten
der Politischen und Sozialphilosophie geworden ist. Dieser Text, der zu einem
großen Teil die terminologischen Grundlagen für die Debatten gesetzt hat, die
auf ihn folgten, soll im Folgenden diskutiert werden. In Abschnitt 5.1.1. gebe ich
zuerst eine Übersicht über die zentralen Inhalte. In Abschnitt 5.1.2. folgen Beob-
achtungen zum Anerkennungskonzept, wie es ausdrücklich oder auch implizit
im Text präsentiert wird.

5.1.1 Ein thematischer Überblick

Taylor beginnt seinen Aufsatz mit dem Hinweis darauf, dass eine Reihe von
Strömungen der Gegenwartspolitik es „[u]nter vielerlei Vorzeichen (…) mit dem
Bedürfnis, ja mit der Forderung nach Anerkennung zu tun“ hat. Er bemerkt dann
weiter, dass der Dringlichkeit der Forderungen nach Anerkennung die „Annahme,
es bestehe ein Zusammenhang zwischen Anerkennung und Identität“ (Taylor
2009, 13) zugrunde liegt. Taylor deutet an, dass das Bedürfnis nach Anerkennung
der Identität bzw. bestimmter identitätsstiftender Merkmale eine der treibenden
Kräfte von nationalistischen Bewegungen, politischen Bewegungen von Minder-
heitengruppen, von einigen Formen des Feminismus wie auch von dem ist, was
unter dem Namen „Politik des Multikulturalismus“ auftritt.
Obwohl Taylor nicht behauptet, dass Forderungen nach Anerkennung den
einzigen Faktor darstellen, der solche Bewegungen antreibt, assoziiert er deren
Dringlichkeit mit dem Gedanken, dass „Identität“  – womit er „das Selbstver-
ständnis der Menschen bezeichnet, ein Bewusstsein von den [sie] bestimmen-
den Merkmalen“ (ebd.) – zum Teil durch Anerkennung durch Andere bzw. deren
Abwesenheit geprägt wird. So schreibt er: „Wir bestimmen unsere Identität stets
im Dialog und manchmal sogar im Kampf mit dem, was unsere „signifikanten
104   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Anderen“ in uns sehen wollen.“ (Ebd., 20). Die Anerkennung, die Andere den-
jenigen Eigenschaften entgegenbringen, die für die eigene Identität (aktual oder
potentiell) wichtig sind, bzw. ihr Mangel ist von wesentlicher Bedeutsamkeit, da
dies Einfluss auf die Identifikation oder Evaluation dieser Merkmale und somit
auf die Selbstidentität haben kann.
Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Abhängigkeit, die nach Taylor zwischen
der Identität bzw. Selbstidentität und Anerkennung besteht, in besonderer Weise
ein Produkt der Moderne ist. Die These lautet nicht, dass Selbstidentitäten nicht
auch in vor-modernen Gesellschaften von den Auffassungen Anderer abhingen.
Die Moderne, wie Taylor sie begreift, beinhaltet vielmehr zwei Faktoren, die die
Identität unseres Selbst allererst als Problem thematisch werden lassen und auf
diese Weise auch Anerkennung bzw. deren Mangel für moderne Individuen zu
einer dringlicheren Angelegenheit machen als es bei ihren vormodernen Vorfah-
ren jemals der Fall war. Der erste der erwähnten Faktoren ist der Zusammenbruch
der stabilen sozialen Hierarchien, die zuvor die Position jedes Individuums inner-
halb der sozialen Ordnung angaben und damit ihre „Identität“. Dem liegt der
Gedanken zugrunde, dass die eigene Identität in vormodernen Gesellschaften –
sowohl in den Augen Anderer als auch in der eigenen Perspektive – in großem
Maße durch die soziale Position definiert war, in die man hineingeboren wurde.
Auch der eigene Wert bzw. die eigene „Ehre“ war somit größtenteils durch die
angeborene Position bestimmt sowie durch die damit einhergehenden Erwartun-
gen. Während „Ehre“ in diesem Sinne „eng mit Ungleichheit verknüpft war“, ist
das Konzept der „Würde“, das diese im Zuge des Zusammenbruchs der rigiden
vormodernen Sozialordnung zum Teil ersetzt, universalistisch und egalitaristisch
angelegt. Die neue Vorstellung besteht darin, dass jedes menschliche Wesen nun
allein aufgrund der Tatsache, dass es ein menschliches Wesen bzw. eine Person
ist und somit unabhängig von seiner sozialen Position, Rolle oder seinem Status,
„Würde“ besitzt (ebd., 15). Zusammen mit dieser Entwicklung wird die Forderung
nach „gleicher Anerkennung“ für jeden geboren – Anerkennung ist nun die ange-
messene Antwort auf den universalen Status eines jeden menschlichen Wesens
als Person mit gleicher Würde.
Der zweite Faktor der Artikulation personaler Identität und deren Anerken-
nung als explizitem Problem ist allerdings, dass einhergehend mit dem universa-
listischen und egalitaristischem Ideal der Würde von Personen eine weitere neue
Idee entsteht – die „individualisierte Identität“. Taylor hebt hier die besondere
Rolle von Johann Gottfried Herder hervor, der die damit verbundene Vorstellung
von „Authentizität“ zum Ausdruck gebracht hat, dass man dem je eigenen „Maß“
gemäß ist, das die individuellen Weisen des Menschseins definiert (ebd., 32).4 In
diesem Zusammenhang ist Taylors Betonung wichtig, dass die Vorstellung bzw.
das Ideal der Authentizität in Bezug auf die eigene einzigartige Identität miss-
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   105

verstanden wird, wenn man übersieht, dass keiner seine einzigartige Identität
alleine, d.h. „monologisch“ findet bzw. definiert, sondern dass jeder dies nur im
„Dialog“ mit Anderen, seien sie gegenwärtig oder erinnert, tun kann. Taylor ver-
weist in diesem Zusammenhang auf den Sozialpsychologen George Herbert Mead
und seine Idee der „signifikanten Anderen“. Diese stehen für diejenigen Men-
schen, deren evaluative Vorstellungen von mir und deren Anerkennung meiner
Person, die wichtigste Bedeutung sowohl für die Entstehung als auch den Erhalt
meiner Identität bzw. Selbstidentität zukommt (ebd.). Taylor will hier darauf
hinaus, dass das moderne Individuum, dem seine Einzigartigkeit sowohl zum
Problem als auch zum Ideal geworden ist, sich nun ganz besonders um die Aner-
kennung durch solche signifikanten Anderen bzw. um deren Ausbleiben sorgt.
Ein großer Teil von Taylors Aufsatz ist bezogen auf die spezifisch moderne
Spannung zwischen der universalistischen Vorstellung gleicher Würde auf der
einen Seite und der Vorstellung von einer einzigartigen Identität auf der anderen
Seite. Basierend auf diesen zwei Vorstellungen oder Idealen rekonstruiert Taylor
zwei unterschiedliche „Politiken der Anerkennung“. Obwohl sie für zwei ganz
unterschiedliche Stoßrichtungen zu stehen scheinen, versucht Taylor dafür zu
argumentieren, dass sie zumindest partiell miteinander versöhnt werden können.
Er schreibt:

Aus dem Übergang von der Ehre zur Würde ist eine Politik des Universalismus erwachsen,
die betont, dass Würde etwas ist, das allen Bürgern in gleichem Maße zukommt, und die
ihrem Inhalt nach auf die Angleichung und den Ausgleich von Rechten und Ansprüchen
zielt. Sie will um jeden Preis einen Zustand vermeiden, in dem es Bürger „erster“ und
„zweiter“ Klasse gibt. (ebd., 24)

Dies kontrastiert auf folgende Weise mit der „Politik der Differenz“:

Während die Politik der allgemeinen Würde auf etwas Universelles zielt, auf etwas, das für
alle gleich ist, auf ein identisches Paket von Rechten und Freiheiten, verlangt die Politik der
Differenz, die unverwechselbare Identität eines Individuums oder einer Gruppe anzuerken-
nen, ihre Besonderheit gegenüber allen Anderen. Dem liegt das Argument zugrunde, dass
gerade diese Besonderheit bisher verkannt und verdeckt und einer dominierenden oder von
einer Mehrheit gestützten Identität assimiliert wurde. (ebd., 25)

Taylor stellt heraus, dass interne Verknüpfungen zwischen diesen zwei „Politi-
ken“ bestehen: Erstens soll auch die Forderung bzw. das Prinzip nach Anerken-
nung der einzigartigen Identität allgemein für jeden gelten; in diesem Sinne ist
es universalistisch. Zweitens kann hiermit einhergehend die Forderung bzw. das
Prinzip der Anerkennung der „gleichen Würde“ aller und damit auch die Gleich-
stellung der Rechte und Ansprüche auf Bereiche ausgedehnt werden, die in
direkter Weise die einzigartige Identität von Individuen und Gruppen betreffen.
106   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

So wie eine sozioökonomische Benachteiligung einer Bürgerschaft zweiter Klasse


gleichkommen kann, die mit personaler Würde unvereinbar sei, kann Identität,
wenn sie negativ gewertet oder ausgelegt wird, dieselben Effekte haben.
Die von Taylor in seinem Aufsatz in Angriff genommene Kernfrage ist, ob
bzw. wie eine liberale Gesellschaft, die sich auf das Prinzip gleicher Würde und
gleicher Rechte gründet, mit den möglichen Benachteiligungen umgehen sollte,
die aus dem Umstand erwachsen, dass bestimmte Weisen der Identität gegen-
über anderen benachteiligt oder zu ihren Ungunsten gewertet werden. Dabei
fokussiert er den konkreten Fall der französischsprechenden Quebecer im von
der englischen Sprache dominierten Kanada. Die Frage ist, ob ein liberaler Staat
„blind gegenüber Differenzen“ sein sollte, in dem Sinne, dass er auf sich allein
gestellte linguistisch-kulturelle Minderheiten gedeihen bzw. vergehen lässt, oder
ob er diese aktiv unterstützen sollte, indem er dem Prinzip folgt, dass Sprache
und Kultur wichtige Elemente der Identität dieser Bürger darstellen. Im letzteren
Fall wäre ihr Untergang als etwas zu werten, das sie schädigt und schließlich
dazu verurteilte, Bürger zweiter Klasse zu sein. Taylor unterstützt kurz gesagt
diese letztere Auffassung.5
Es gibt aber noch eine andere Strömung der „Politik der Differenz“, die anders
als der rechtlich umgesetzte Schutz und die Unterstützung bestimmter „Identi-
täten“ keine Implikation der „Politik gleicher Würde“ darstellt und auch nicht
ohne weiteres damit in Einklang gebracht werden kann. Dies ist die Forderung,
dass bestimmte kulturelle oder andere Eigenschaften, die für die Selbstidentität
bestimmter Menschen wichtig sind bzw. sein könnten, nicht nur durch Rechte
geschützt und unterstützt, sondern auch positive Wertschätzung erfahren sollten
(ebd., 58ff.). Hinter dieser Forderung steht eine ernsthafte Motivation, die mit
der Annahme verbunden ist, dass es in multikulturellen Gesellschaften nicht zu
rechtfertigen ist, die Überlegenheit von Praxen und Gewohnheiten einer Kultur –
in der westlichen Welt paradigmatischerweise die europäische Mehrheitskultur –
als selbstverständlich anzunehmen und dass es da, wo dies nichtsdestoweniger
getan wird, von denjenigen, die einen anderen kulturellen Hintergrund mitbrin-
gen, legitimerweise als Kränkung erfahren wird. Besonders einschlägig ist dieser
Gedanke vor dem Hintergrund des europäischen Kolonialismus, der u.a. in dem
Versuch bestand, den kolonialisierten nicht-europäischen Völkern ein Selbstbild
der eigenen kulturellen Minderwertigkeit aufzuzwingen. Da, wo die Unterjoch-
ten die herablassenden und verächtlichen Anschauungen ihrer Kolonialherren
als ihre Selbstanschauung verinnerlichten, funktionierte dies als ein psycholo-
gischer Mechanismus ihrer Unterdrückung. Die Abwertung bzw. der Mangel an
Anerkennung gegenüber nicht-europäischen Minderheitengruppen in multikul-
turellen westlichen Gesellschaften – sei es durch den kulturellen Mainstream, die
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   107

staatlichen Institutionen oder durch beides − verweist somit auf ein ernsthaftes
politisches Problem.
Eine „differenz-politische“ Antwort auf dieses Problem, die einfach nur
gleiche Wertschätzung oder positive Wertschätzung für alle Kulturen oder kulturel-
len Praktiken forderte, stellt in Taylors Augen jedoch keine vernünftige Antwort
dar. Ihm zufolge ist „[e]in positives Urteil, das auf Verlangen abgegeben wird, (…)
ein Unsinn“ und ein solches Urteil auf Verlangen zum Ausdruck zu bringen „ein
Akt von atemberaubender Herablassung“ (ebd., 57). Evaluative Urteile können
wie alle Urteile nicht auf Abruf bestimmte Schlussfolgerungen liefern,6 und posi-
tive Wertschätzung für jemanden zum Ausdruck zu bringen, obwohl man ihn
nicht wirklich wertschätzt, ist ein Akt der Unaufrichtigkeit. Im schlimmsten Fall
wird er als Verachtung der eigenen Intelligenz erfahren und damit als ein Akt der
Herablassung oder der Demütigung.
Es gibt allerdings eine Modifikation der Forderung nach Wertschätzung von
Kulturen bzw. kulturellen Praktiken, die nach Taylor nicht nur kohärent, sondern
auch als sinnvoller Ansatz zu empfehlen sei. Dies ist der mit der Annahme einher-
gehende Grundsatz, dass jede Kultur etwas für alle menschlichen Wesen Wert-
volles aufweist oder etwas leisten oder beitragen kann, und dass Werturteile über
ihre Gewohnheiten und Praxen nur nach ernsthafter Prüfung dieser Annahme
abgegeben werden sollten. Was eine solche ernsthafte Prüfung erfordert, ist die
Offenheit gegenüber der Möglichkeit, dass die beurteilende Perspektive selbst,
oder die von ihr zugrunde gelegten Kriterien der Beurteilung, sich im Verlauf der
Prüfung ändern können, weil man mit der anderen Kultur vertraut wird. Es lohnt
sich hier, Taylor ausführlich zu zitieren:

Hier muss das eintreten, was Gadamer „Horizontverschmelzung“ genannt hat. Wir lernen,
uns in einem erweiterten Horizont zu bewegen, in dem wir das, was uns vorher als die
selbstverständlichen Koordinaten unserer Urteile erschien, nun als mögliche Koordinaten
neben denen der uns bislang nicht vertrauten Kultur wahrzunehmen vermögen. Die „Hori-
zontverschmelzung“ wird wirksam, indem wir ein neues Vergleichsvokabular entwickeln,
mit dessen Hilfe wir solche Gegensätze artikulieren können. Finden wir schließlich eine
inhaltliche Bestätigung unserer anfänglichen Annahme, so geschieht dies auf der Grund-
lage eines Wertverständnisses, das uns anfänglich nicht zu Gebote stand. (Ebd., 54)

Was Taylor hier eigentlich in die Diskussion der Frage von Anerkennung als
Wertschätzung einer anderen Kultur oder ihrer Praxen einführt, ist eine Form des
Respekts in dem Sinne, dass die andere Kultur als möglicher Inhaber von Krite-
rien und Normen der Beurteilung aufgefasst wird, die es wert sind, von ihnen zu
lernen und sie als Teil der Kriterien oder Normen anzueignen, anhand derer man
selbst wichtige Themen evaluiert, einschließlich der Praxen der infrage stehen-
den Kultur wie auch der eigenen Kultur. Insgesamt interpretiert Taylor die Strö-
108   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

mung der Politik der Differenz, die auf die Wertschätzung von Kulturen fokus-
siert ist, somit in einer Weise, dass sie als Implikation der Politik gleicher Würde
verstanden werden kann. Er tut dies genauer gesagt auf zweierlei Weisen: Auf
der einen Seite gilt die Annahme eines möglichen Wertes gleichermaßen für alle
Kulturen und damit für alle Personen als Träger kulturell spezifischer Eigenschaf-
ten. Auf der anderen Seite scheint die Idee der Verschmelzung von Horizonten
zu implizieren, dass diejenigen, deren evaluativen Horizont man (zumindest der
Möglichkeit nach) bereit ist, mit dem eigenen Horizont verschmelzen zu lassen,
auf diese Weise als vernünftige Wesen respektiert werden, denen Autorität über
die Kriterien oder Normen der Evaluation, und damit der Interaktion, zukommt.
Es erscheint sinnvoll, beide Wege – die Annahme eines möglichen Wertes und
die Annahme der vernünftigen Einsicht in die Kriterien der Evaluation – als Ele-
mente dessen zu interpretieren, was es heißt, Menschen mit unterschiedlichem
kulturellen Hintergrund als Personen mit der gleichen Würde wie man selbst zu
behandeln, ohne dass von deren kulturellen Besonderheiten bzw. „Differenzen“
abstrahiert würde, weil es diese gerade im Auge zu behalten gilt.

5.1.2 Beobachtungen zu Anerkennung und Identität in Taylors Text

In seinem Aufsatz behandelt Taylor ein weites Feld von Problembezügen, deren
genauer Zusammenhang untereinander nicht ohne weiteres erschlossen werden
kann. Im Folgenden werde ich einige Beobachtungen dazu darlegen, worin
der Vollzug von Anerkennung seinem Aufsatz zufolge besteht und in welchen
Punkten Taylor sich von der Vorstellung der Bedeutsamkeit von Anerkennung
absetzt, die wir bei Fichte und Hegel entdecken konnten bzw. was er deren Kon-
zeption hinzufügen kann. Obwohl Taylors Anerkennungskonzeption in dem
genannten Aufsatz oft als hegelianisch aufgefasst wird – wie wir sehen werden
auch von Nancy Fraser –, spielt Hegel in seinem Essay eigentlich nur eine neben-
geordnete Rolle. Dabei ist es vielleicht am wichtigsten, dass er Hegel nicht expli-
zit mit der Idee der Anerkennung von „Identitäten“ in Verbindung bringt.7

Die kontributive Dimension von Anerkennung


Ein eindeutig neues Element, das mit Taylors Essay zu unserer Darstellung von
Anerkennung hinzukommt, die ich mithilfe von Fichtes und Hegels8 Texten
rekonstruiert habe, ist Anerkennung im Sinne der Wertschätzung bestimm-
ter Eigenschaften von Personen, genauer noch: bestimmter kultureller Praxen
und Schöpfungen des Menschen. Da es in dieser Dimension von Anerkennung
um Wertungen und Wertschätzungen geht, könnte sie „axiologisch“ genannt
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   109

werden. Um sie aber nicht mit der Dimension zu verwechseln, die von Sorge und
Liebe handelt, werde ich sie mit einem anderen Namen versehen, der später auch
etwas abdecken kann, das in Axel Honneths Anerkennungsmodell eine wichtige
Rolle spielt. Taylor macht Gebrauch von der Vorstellung, dass jede noch so unter-
schiedliche Kultur etwas Wertvolles zur Menschheit im Allgemeinen beizutragen
hat bzw. zur „Geschichte der Menschheit“ (ebd., 60). Er spricht von „ein[em] Uni-
versum, (…) in dem verschiedene Kulturen einander mit unterschiedlichen Arten
von Leistungen ergänzen“ (ebd., 66, Anmerkung 41). Es ist diese Leistung, die
kulturelle Praxen beisteuern und damit ihr Wert für die Menschheit als Ganze,
der Kulturen (und damit die Gruppen und Individuen, aus denen sie bestehen)
nach Taylor zu möglichen Objekten von Anerkennung im Sinne einer positiven
Wertschätzung macht. Ich werde dies daher im Folgenden als die „kontributive
Dimension“ von Anerkennung bezeichnen. Werden die beiden Dimensionen, die
wir bei Hegel entdeckten, sowie diese Dimension als Dimensionen desselben
Sachverhalts zugestanden, nämlich der horizontalen Anerkennung, dann haben
sich für diese Form der intersubjektiven Anerkennung nun also insgesamt drei
Dimensionen ergeben.

Würde und die deontologische Dimension von Anerkennung


Neben der kontributiven Dimension beinhaltet Taylors Diskussion auch ein Ver-
ständnis von Anerkennung als Respekt, der zur deontologischen Dimension von
Anerkennung gehört und die wir sowohl bei Fichte als auch bei Hegel fanden.
Taylors Essay zeichnet sich insbesondere durch die enge Verbindung aus, die
zwischen dieser Dimension und der Idee der Würde angenommen wird, wobei
letztere insbesonders durch Immanuel Kant bekannt geworden ist:

Die Politik der allgemeinen Menschenwürde beruht auf der Idee, dass alle Menschen glei-
chermaßen geachtet werden sollen. […] Für Kant, der den Begriff der Würde in diesem
Zusammenhang schon sehr früh und mit nachhaltiger Wirkung verwendete lag das Ach-
tunggebietende an den Menschen darin, dass sie zu vernünftigem Handeln fähig sind,
dazu, ihr Leben von Grundsätzen leiten zu lassen. (28)

Dies steht in Zusammenhang mit Taylors Rede von der „Verschmelzung der
Horizonte“ und des Respekts in dem Sinne, dass die andere Kultur ernsthaft
als möglicher Inhaber vernünftiger Kriterien bzw. Normen des Urteilens aufge-
fasst wird, die man sich selbst auch aneignen sollte. Gemäß der Lesart, die ich
im Rahmen der Auseinandersetzung mit Fichte und Hegel vorgeschlagen habe,
heißt Respekt, den Anderen als eine Autorität über die Normen, Regeln oder
„Prinzipien“ des gemeinsamen Leben zu erachten. Taylors Formulierung dieser
Dimension unter den Bedingungen des Konzepts gleicher Würde bringt jedoch
110   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

ein ernsthaftes moralisches und philosophisches Problem mit sich, das er mit
vielen Debatten über Würde teilt. Einerseits ist der Gedanke der, dass alle Men-
schen gleiche Würde besitzen und daher den gleichen Respekt verdienen. Ande-
rerseits wird jedoch gesagt, dass Menschen, die als rationale Akteure „zu ver-
nünftigem Handeln fähig sind, dazu, ihr Leben von Grundsätzen leiten zu lassen“
(ebd.), Würde zukommt.
Die offensichtliche Spannung gründet hier in der Tatsache, dass nicht alle
menschlichen Wesen in gleichem Maße vernünftige bzw. rationale Wesen sind
(man denke etwa an Kleinkinder). Noch problematischer ist, dass manche
menschliche Wesen überhaupt keine rationalen Wesen sind, nicht mal dem
Potential nach (bspw. Menschen, die mit schwerwiegenden mentalen Beein-
trächtigungen geboren worden sind).9 Manchmal versucht man dieses Problem
dadurch zu lösen, dass man zwischen dem Begriff eines menschlichen Wesens
und dem einer Person unterscheidet und sagt, dass nur diejenigen menschlichen
Wesen, die auch Personen im Sinne von rationalen Wesen sind, Würde besitzen
und aus diesem Grunde Respekt verdienen. Doch die Schlussfolgerung dieser
Überlegung – dass nicht alle Menschen Würde besitzen bzw. Respekt verdienen –
wird in der Regel als zutiefst besorgniserregend betrachtet. Taylor spricht dieses
Problem in seinem Aufsatz nicht an. Da es sich jedoch um ein Problem von großer
philosophischer und moralischer Bedeutsamkeit handelt, das auch (wenn auch
nicht ausschließlich) Theorien der Anerkennung betrifft, werde ich darauf im
letzten Kapitel nochmal zurückkommen.

Ungeklärte Verbindungen intersubjektiver und institutioneller Anerkennung


Taylors Konzeption kennzeichnet es, recht rasch zwischen der horizontalen
Anerkennung zwischen Individuen und der vertikalen Anerkennung des Staates
hin und herzuwechseln und es zum größten Teil dem Leser zu überlassen, die
genauen Verbindungen zwischen beiden zu erschließen. Auch wenn man zuge-
steht, dass Taylors Gedanken zur Relevanz von Anerkennung im Sinne der posi-
tiven Evaluation bestimmter Merkmale für die personale Identität alles in allem
korrekt ist, ist immer noch nicht ganz klar, wie dies mit der vertikalen „Anerken-
nung“ bestimmter kultureller Merkmale durch den Staat im Sinne ihres gesetzli-
chen Schutzes zusammenhängt. Man könnte sogar meinen, dass der staatliche
Schutz von Kulturen bzw. bestimmten kulturellen Eigenheiten nicht notwendig
eine positive Wertschätzung zum Ausdruck bringt  – dass er schlicht durch die
Anerkennung der Bedeutsamkeit motiviert ist, die diejenigen empfinden, die
diese Kulturen verkörpern. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass
ein gesetzlicher Schutz tatsächlich eine positive Wertschätzung derjenigen zum
Ausdruck bringt, deren Ansichten die Legislative widerspiegelt – in einer Demo-
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   111

kratie standardmäßig die der Mehrheit −, doch er kann genauso gut Ausdruck
bloßer Toleranz sein. Das Entscheidende hierbei ist, dass bloße Toleranz eigent-
lich eine negative Evaluation impliziert: Positiv evaluierte Entitäten sind nichts,
das toleriert werden müsste.10 Das Gleiche gilt für horizontale Anerkennung* im
Sinne der Nicht-Verletzung der Rechte kultureller oder anderer Identitäts-Grup-
pen durch die Mehrheit: Diese ist keineswegs notwendig auch ein Anzeichen für
genuine intersubjektive Anerkennung.
Nur so viel scheint klar zu sein: Wenn etwas durch die staatliche Gesetzge-
bung geschützt ist, kann es zumindest nicht als so schlecht beurteilt werden,
dass es von denen, auf deren Autorität der Staat beruht, für intolerabel gehalten
würde. Da der gesetzliche Schutz bzw. die „rechtliche Anerkennung“ einer Kultur
kompatibel mit einer negativen evaluativen Beurteilung dieser Kultur ist, trägt er
aber nicht notwendig viel aus, wenn es darum geht, denen, die eine bestimmte
Kultur für ihre Identität als bedeutsam ansehen, Anerkennung im Sinne der posi-
tiven Evaluation zu garantieren. Das Bedürfnis nach Anerkennung in diesem
Sinne scheint nur von der zweiten Strömung der Politik der Differenz direkt und
unzweideutig adressiert zu werden, die die Evaluation von Kulturen und kulturel-
len Eigenheiten ausdrücklich thematisiert.

Anerkennung von Individuen, Gruppen und Kulturen


Hiermit werden wir jedoch auf eine Reihe komplexerer Fragen verwiesen. Wenn
wir mit Taylor annehmen, dass ein zentrales Element der Bedeutsamkeit von
Anerkennung in ihrer Wirkung auf (a) die Selbstidentität von Individuen besteht,
dann müssen wir fragen, wie genau die „Anerkennung“ von (b) Gruppen und
(c) Kulturen damit zusammenhängt, diese beeinflusst oder ihr förderlich ist. Um
diese Zusammenhänge zu klären, müssen wir das komplexe Zusammenspiel von
Identifikation und Anerkennung klären − Phänomene, die in englisch-sprachigen
Debatten aufgrund der Mehrdeutigkeit des englischen Wortes „recognition“
leicht miteinander vermischt werden. In Abschnitt 2.1. unterschied ich zwischen
der numerischen Identifikation von etwas als demjenigen Individuum, das es ist,
der qualitativen Identifikation von etwas, als demjenigen, dem eine bestimmte
Qualität bzw. bestimmte Qualitäten zukommen und der generischen Identifika-
tion von etwas als einer bestimmten Klasse oder einer bestimmten Art zugehörig.
Diese epistemischen Operationen können im Prinzip auf jedes Objekt angewandt
werden, einschließlich Menschen bzw. Personen. Die Identifikation von Personen
stellt allerdings einen besonderen Fall dar, weil Personen in diesem Fall nicht nur
Objekt, sondern auch Subjekt der Identifikation – ihre Selbst-Identifikation ein-
begriffen – sind.
112   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Mehr als um die numerische Identifikation und Selbst-Identifikation einer


Person als ein und dasselbe Individuum11 geht es hier aber primär um qualitative
und generische Identifikation sowie um Selbst-Identifikation. Der Unterschied
zwischen qualitativer und generischer Identifikation wird traditionell so gezogen,
dass qualitative Identifikation sich auf akzidentelle Eigenschaften bezieht,
also auf Eigenschaften, die eine Entität verlieren und dennoch dieselbe Entität
bleiben kann, während generische Identifikation sich auf wesentliche Eigen-
schaften bezieht, deren Verlust oder Veränderung bedeutet, dass das fragliche
Individuum zu existieren aufhört oder zu einem anderen Individuum wird. Ein
Beispiel für eine akzidentelle Qualität ist etwa lockiges Haar zu haben, während
ein Beispiel für eine wesentliche Qualität etwa die Qualität ist, ein Mensch oder
eine Person zu sein (bzw. jede andere Qualität, kraft welcher man Mensch oder
Person ist).
In den meisten Fällen, die für die „Politik der Identität“ oder der „Differenz“
relevant sind, geht es jedoch nicht zentral um eine Entweder-Oder-Unterschei-
dung von qualitativer und generischer Identifikation und damit zwischen akzi-
dentellen und wesentlichen Eigenschaften – wobei Letztere definieren, „was“ die
infrage stehende Entität ist. Vielmehr geht es um Qualitäten, die Andere oder die
Person selbst als mehr oder weniger wichtig dafür erachten, „wer“ sie ist. (Indem
man in Bezug auf etwas fragt, „wer“ es ist, ist die Frage nach seiner „Was“-heit
implizit mitbeantwortet: Es ist eine Person und damit jemand.) Darin ist ein Kon-
tinuum von mehr zu weniger wichtigen Qualitäten enthalten. Etwas umgangs-
sprachlicher können wir auch sagen, dass je näher eine Qualität dem ersten Ende
des Kontinuums kommt, desto mehr „definiert“ sie die Person bzw. Personen.
Zwei oder mehr Personen können natürlich eine unbegrenzte Anzahl von
Qualitäten teilen und damit Kriterien, anhand welcher sie im Prinzip als ähnlich
oder qualitativ identisch angesehen werden können. Sie bilden auf diese Weise
eine Gruppe, die durch die jeweils gegebene Qualität definiert ist. Doch werden
einige solcher Ähnlichkeiten als vollkommen unwichtig angesehen (werden) und
die korrespondierenden „Gruppenbildungen“ deshalb auch als gänzlich trivial
(bspw. die Gruppe der Leute mit kürzlich geschnittenen Zehennägeln). Andere
Ähnlichkeiten werden hingegen als wichtiger erachtet. Aus Sicht einer dialo-
gischen Auffassung der Konstitution von Identität ist das Zusammenspiel, die
wechselseitige Beeinflussung und die Spannung zwischen Selbst- und Fremdi-
dentifikationen (also Identifikationen durch Andere) ein zentrales Thema. Die
„Anderen“ können sowohl diejenigen sein, die das relevante Merkmal teilen
(oder meinen dies zu tun) als auch diejenigen, die es nicht teilen (oder glauben,
es nicht zu teilen). Die eigene Auffassung davon, was wichtige oder das eigene
Selbst kennzeichnende Aspekte sind, kann durch beide Arten der „Fremd-Identi-
fikation“ beeinflusst sein oder mit diesen in einem Spannungsverhältnis stehen.
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   113

Wie wichtig es bspw. ist, französischsprachig oder homosexuell oder eine


Person mit einheimischen Ursprüngen zu sein und wie wichtig es demzufolge
für einen selbst ist, diese Merkmale mit Anderen zu teilen, kann in signifikanter
Weise von der Relevanz abweichen, die Andere darin sehen – egal, ob auch sie
diese Merkmale teilen oder nicht. Mit anderen Worten: Die Rolle bzw. Wichtig-
keit, die bestimmten Merkmale für einen selbst und daher für die eigene Identität
zukommt, kann sich signifikant von der Einschätzung der eigenen Identität durch
Andere unterscheiden. Eine Weise, einer Person Gewalt anzutun, besteht offen-
sichtlich darin, ihr Selbstdefinitionen aufzuzwingen und sie im Lichte solcher
Bestimmungen zu behandeln, die sie selbst vernünftigerweise nicht teilen kann.
Allgemeiner gesagt: Man kann einer Person dadurch Gewalt antun, dass man
ihre Selbstbestimmungen nicht ernst nimmt. Jemand könnte es schlichtweg für
nicht besonders wichtig halten, dass er französischsprachig, schwul oder jemand
mit einem einheimischen Ursprung ist und es als unangenehm und kränkend
empfinden, wenn Andere ihn vornehmlich im Lichte dieser Qualität betrachten
und ihn zusammen mit Anderen, die dieses Merkmal auch besitzen, in dieselbe
Gruppe „einsortieren“.
Diese Überlegungen verhalten sich als solche, das gilt es zu beachten, jedoch
vollständig neutral zu der Frage, ob eine bestimmte Qualität positiv oder negativ
bewertet wird. Selbst im allgemeinen positiv ausfallende Evaluationen, etwa in
Bezug auf eine ethnisch definierte Gruppe, könnten von einem Individuum mit
der relevanten ethnischen Herkunft als bedrückend empfunden werden, wenn
sie von anderen nicht primär in diesem Licht gesehen zu werden wünscht. Es
lassen sich daher zwei kritische Punkte gegenüber der ungeklärten Verbindung
zwischen der Anerkennung von Individuen und der Anerkennung von Gruppen
bei Taylor erheben:
Erstens ist es möglich, dass Anerkennung im Sinne der positiven Wertschät-
zung einer Gruppe von Menschen für die Selbstidentität einer Person selbst nicht
besonders entscheidend ist, wenn sie das Merkmal, das sie mit den anderen in
der Gruppe teilt, als nicht wichtig oder ausschlaggebend dafür ansieht, wer sie
ist.
Zweitens kann es sein, dass Anerkennung im Sinne der positiven Wertschät-
zung einer Gruppe in Wahrheit einen Mangel an Anerkennung im Sinne des Res-
pekts gegenüber Individuen darstellt, da deren eigene Selbsteinschätzungen
nicht ernst genommen werden und damit die individuelle Autorität, ihre eigene
Identität zu bestimmten, nicht respektiert wird.12 Je nach gesetzlich ergriffe-
ner Maßnahme kann das Problem im Rahmen rechtlicher Anerkennung noch
schlimmer ausfallen: Der gesetzliche Schutz einer ethnischen Gruppen kann
auf die Unterdrückung oder Geringschätzung bestimmter Individuen hinaus-
laufen, wenn eine Regel auf alle Individuen mit einem ethnischen Hintergrund
114   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

angewandt wird, ganz unabhängig davon, für wie bedeutsam sie diesen für die
Frage ansehen, wer sie sind. Auch wenn Maßnahmen positiver Diskriminierung
hilfreich sein können, um Minderheitengruppen in den Arbeitsmarkt zu inte­
grieren, mag das jeweilige Individuum selbst nicht wegen seines ethnischen
Hintergrunds, sondern wegen seiner persönlichen Fähigkeiten angestellt werden
wollen. Und auch wenn es aus Sicht des dauerhaften Bestands einer Sprache und
der engen Verbindung einer Kultur mit dieser Sprache nützlich sein mag, gesetz-
lich zu regeln, dass alle Kinder von Muttersprachlern in der Schule die Sprache
ihrer Vorfahren lernen, kann dies für einige Kinder und ihre Eltern auch eine Ein-
schränkung bedeutsamer Optionen der Selbstentfaltung und damit eine Gering-
schätzung ihrer Autorität darstellen, ihre Identität selbst zu definieren.
Dieser Problemaufriss wird selbstverständlich noch durch den Gedanken
verkompliziert, dass die Art und Weise, wie man sich selbst wahrnimmt und
beurteilt immer auch auf irgendeine Art dadurch beeinflusst ist, wie Andere
einen wahrnehmen und beurteilen. Das heißt, dass selbst der Standpunkt, von
dem aus man gegen etwas Widerstand leistet oder die Evaluationen Anderer kri-
tisiert, niemals einen gänzlich souveränen Bereich darstellt, der vollkommen iso-
liert von sozialen Einflüssen wäre. Andererseits gilt, dass auch die Einschätzung
meiner Identität durch Andere von meinen Selbsteinschätzungen und wie diese
sich in meinen Handlungen und Kommunikationen zeigen, nicht gänzlich unab-
hängig sein muss. Taylors Vorstellung, dass Identität – sowohl als Selbstidentität
wie auch als Identität in den Augen Anderer – dialogisch verfasst ist, kann auch
als ein Ideal verstanden werden: Wie Andere eine Person bestimmen, sollte ihrer
Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung angemessen sein und umgekehrt.
Wir haben nun feststellen können, dass (b) die „Anerkennung einer Gruppe“
sich keineswegs automatisch in (a) die Anerkennung von Individuen überset-
zen lässt, in dem Sinne, dass sie positive Bedeutung für deren Selbstverständ-
nis hätte. Wie aber verhält es sich mit (c) der „Anerkennung“ einer Kultur bzw.
ihrer Praxen und Weltanschauung? Auch hierbei hängt viel davon ab, in welchem
Maße ein Individuum die fraglichen Praxen und Weltanschauungen für ihre
eigene Identität als wichtig erachtet. Die vielleicht größte Kränkung in diesem
Zusammenhang besteht darin, einfach anzunehmen, dass Individuen mit einem
bestimmten kulturellen Hintergrund durch ihre Kultur „definiert“ sind, in dem
Sinne, dass sie unreflektiert den Praxen folgten und in die Weltanschauungen
versunken wären, die man als charakteristisch für diese Kultur ansieht. Wie wir
in Abschnitt 5.2. sehen werden, gehört dies zu den Problemen, die Nancy Fraser
bei Taylor und in ihren Augen vergleichbaren Ansätzen von Anerkennung gefun-
den zu haben meint.
 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“   115

Der Schwerpunkt liegt auf der Identität der Objekte der Anerkennung,
weniger auf dem Personsein der anerkennenden Subjekte
Ich möchte die Diskussion von Taylors Konzeption damit abschließen, dass ich
das Augenmerk auf zwei wichtige Aspekte lenke, durch die sich Taylors Ansatz
von Hegels und Fichtes unterscheidet. Erstens ist deutlich geworden, dass Aner-
kennung in Fichtes und Hegels Fassung in erster Linie das „Was“ einer Person
betrifft – ihr Personsein im allgemeinen −, während es bei Taylor zum Teil auch
um die qualitativ bestimmten Identitäten von Personen − also die Frage „Wer“ sie
sind – geht.13 Einerseits bedeutet dies, dass die ontologische Gesamtbedeutung
von Anerkennung, wie wir sie bei Fichte und Hegel finden, − also die Weise, in
der Anerkennung konstitutiv fürs Personsein ist – in Taylors Aufsatz nicht direkt
thematisiert wird. Auf der anderen Seite führt Taylor eine nützliche Ergänzung
zum Gesamtbild der vielfältigen Bedeutsamkeit von Anerkennung für Personen
und ihre Lebensform ein.14
Darüber hinaus gilt, dass obwohl die qualitativen Merkmale, die Personen
individuell oder kollektiv von anderen Personen unterscheiden, als solche nicht
wesentlich für ihr Personsein sind (Menschen sind ungeachtet ihrer qualitativ
verschiedenen „Identitäten“ Personen), die Anerkennung dieser Merkmale, bzw.
ihr Fehlen, aber trotzdem kausal relevant sein kann für die Entwicklung Person-
sein-stiftender Fähigkeiten und Eigenschaften der Anerkannten. Im schlimms-
ten Fall können Verletzungen des qualitativen Selbstverständnisses, die durch
das Fehlen von Anerkennung durch relevante Andere verursacht sind, sogar die
Entwicklung oder Ausübung Personsein-stiftender psychologischer Fähigkeiten
schädigen. Fehlt jemandem aufgrund geringen Selbstwertgefühls die Fähigkeit
oder der Mut, sich in der sozialen Interaktion auf eine Weise zu präsentieren, die
Andere dazu anregt, ihn als Ko-Autorität und damit auch als Person im intersub-
jektiven Sinne anzuerkennen, dann kann dies die Chancen der Ausübung und
dadurch auch der Entwicklung der entsprechenden Fähigkeiten vermindern. Ich
werde auf diese Themen zurückkommen, wenn ich Axel Honneths Auffassung
von Anerkennung diskutiere.
Zweitens konzentriert sich Taylor − anders als Fichte und Hegel − fast aus-
schließlich auf die Wirkung, die Anerkennung auf die Objekte der Anerkennung
hat, und sagt relativ wenig über die Wirkung auf die anerkennenden Subjekte.
Dieser Fokus auf die Objekte und der damit verbundene Mangel an Aufmerk-
samkeit für die anerkennenden Subjekte sind relativ typisch für die gegenwärtig
stattfindenden Diskussionen über Anerkennung in der Politischen und Sozial-
philosophie. Am nächsten kommt Taylor einer Thematisierung der konstitutiven
Bedeutsamkeit von Anerkennung für das anerkennende Subjekt im Rahmen
seiner Diskussion der „Horizontverschmelzung“: Ein Teil der Wirkung von Aner-
kennung besteht dort darin, dass sie den Horizont des Anerkennenden mit dem
116   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

des Anerkannten vermittelt. Man kann dies als eine Reformulierung von Hegels
Gedanken ansehen, dass Anerkennung den vor der Anerkennung bestehenden
Solipsismus bzw. Egoismus des Anerkennenden überwindet. Obwohl Taylor dies
nicht explizit im Rahmen der ontologischen Ebene seines Aufsatzes diskutiert,
stellt sein Argument eine fruchtbare Anwendung dieses Gedankens dar: Die „Ver-
schmelzung“ bzw. die wechselseitige Vermittlung von Perspektiven muss auch
in den interkollektiven und interkulturellen Verhältnissen beständig „am Laufen
gehalten“ werden, sollen diese durch unausgesöhnte Differenzen und drohende
Konflikte nicht übermäßig belastet werden.

5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung

Nancy Fraser ist eine weitere zentrale Autorin, die sich in der letzten Zeit mit der
besonderen politischen Anstrengung der „Politik der Anerkennung“ auseinan-
dergesetzt hat. Ihr Zugang zu dem Thema unterscheidet sich allerdings in signi-
fikanter Weise von dem Taylors und stellt in großen Teilen eine Kritik seines und
(in Frasers Augen) ähnlicher Ansätze der Politik der Anerkennung dar. Fraser
betrachtet das gesamte Thema aus einer ganz anderen Perspektive und gibt dem
einschlägigen Begriff Bedeutungen, die in vielerlei Weise von dem abweichen,
was wir bei Fichte, bei Hegel und auch bei Taylor kennengelernt haben. Fraser
hat ihre Kritik an Taylor und anderen sowie ihre Alternativkonzeption von Aner-
kennung und deren Bedeutung für die Politik der Gegenwart in einer Reihe von
Aufsätzen und Büchern vorgelegt, einschließlich ihrer „Tanner Vorlesungen“ an
der Universität Stanford im Jahre 1996 (Fraser 1998), und sie hat zusammen mit
Axel Honneth ein Buch verfasst, in dem beide versuchen, ihre Position durch
die kontrastierende Bezugnahme auf die Position des Anderen zu formulieren
(Fraser & Honneth 2003).
Fraser kritisiert in diesen Texten eine Überbetonung des Themas der „Iden-
tität“ in der gegenwärtigen politischen Debatte sowie in Theorien der Anerken-
nung  – im zuletzt genannten Werk zielt ihre Kritik insbesondere auf Honneths
Ansatz. Indem sie die an „Identität“ und „Selbstverwirklichung“ orientierten
Modelle von Anerkennung kritisiert, die sie bei Taylor und Honneth findet, bringt
Fraser als ihre eigene Alternative das „Statusmodell“ der Anerkennung in die
Diskussion ein, das als ein Rahmen dienen soll, innerhalb dessen Probleme der
Anerkennung sowohl von politischen Akteuren als auch von Theoretikern ver-
standen werden sollen.15
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   117

5.2.1 Frasers Kritik des „Identitäts-“ und „Selbstverwirklichungsmodells“


der Anerkennung

Was meint Fraser mit der Rede vom „Identitätsmodell“? Es lohnt sich, ihre Rekon-
struktion der dem Identitätsmodell zugrundeliegenden Leitidee ausführlicher zu
zitieren:

Die Annäherung an die Politik der Anerkennung  – ich werde dies als „Identitätsmodell“
bezeichnen  – geht gewöhnlich von der Hegel’schen Vorstellung aus, dass Identität dia-
logisch verfasst ist und durch einen Prozess der wechselseitigen Anerkennung etabliert
wird. Nach Hegel bezeichnet Anerkennung eine ideale wechselseitige Beziehung zwischen
Subjekten, durch die jedes den Anderen sowohl als Gleichen wie auch als Selbständigen
begreift. Dieses Verhältnis ist konstitutiv für Subjektivität: zum Individuum wird man nur
dadurch, dass man ein anderes Subjekt anerkennt und von diesem anerkannt wird. Die
Anerkennung durch Andere ist somit wesentlich für die Entwicklung der Selbstwahrneh-
mung. Die Verweigerung von Anerkennung  – bzw. mangelnde Anerkennung  – bedeutet
sowohl eine Verzerrung des eigenen Selbstverhältnisses als auch eine Verletzung der Iden-
tität. (Übersetzt nach Fraser 2000, 109)

Fraser zufolge übertragen die Befürworter des Identitätsmodells der Anerkennung


dieses „Hegel’sche Anerkennungsschema auf den kulturellen und politischen
Kontext“ und vertreten die Vorstellung, dass „die Zugehörigkeit zu einer Gruppe,
die eine Abwertung bzw. mangelnde Anerkennung erfährt, dem Erleiden einer
Verzerrung des Selbstbildes gleichkommt“ (übersetzt nach Fraser, ebd.). Bevor
ich mich der näheren Klärung von Frasers Kritik und ihrem alternativen „Sta-
tusmodell“ von Anerkennung zuwende, ist es angebracht, ihre Rekonstruktion
„der Hegel’schen Vorstellung“ von Anerkennung näher zu betrachten. Anders als
Taylor, der, wie wir gesehen haben, recht vorsichtig ist, die Vorstellung der inter-
subjektiven bzw. anerkennungsbezogenen Verfasstheit von Identität nicht allzu
sehr mit Hegel in Verbindung zu bringen,16 schreibt Fraser die Vorstellung, dass
„Identität dialogisch verfasst ist“ dem Ursprung nach Hegel zu. Darüber hinaus
identifiziert sie diese Vorstellung mehr oder weniger mit dem Gedanken, dass
die Beziehung der Anerkennung „konstitutiv für Subjektivität“ ist und dass Ver-
weigerungen von Anerkennung das eigene „Selbstverhältnis“ (Kursivierung H.I.)
verzerren. Dieses Hin- und Hergleiten zwischen Begriffe wie „Identität“, „Subjek-
tivität“ und „dem Selbst“ bzw. „Selbstverhältnis“ ist recht typisch für viele der
gegenwärtigen Texte zum Thema Anerkennung, und für viele Erkenntniszwecke
ist ein solcher Mangel an begrifflicher Präzision auch nicht allzu folgenreich.
Folgenreich ist er allerdings, wenn man sich dafür interessiert, worin genau die
konstitutive Rolle von Anerkennung (in ihren unterschiedlichen Bedeutungen)
besteht oder was genau sie nach Hegel ausmacht. Ich gehe an dieser Stelle nicht
auf solche Probleme ein. Unabhängig von der Frage, ob Frasers Kritik am Identi-
118   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

tätsmodell der Anerkennung stimmig ist oder nicht, genügt es hier zu sagen, dass
ihre Anwendbarkeit auf Hegel fragwürdig ist.
Für Frasers eigene Zwecke sind Fragen einer angemessenen Hegeldeutung
wie auch systematische Fragen, die die Ontologie des Personseins betreffen,
allerdings bestenfalls von marginalem Interesse. Sie interessiert sich hauptsäch-
lich für „Anerkennung“ als eine Dimension von sozialer Gerechtigkeit und damit
als etwas, das in Bezug auf Forderungen und Kämpfe für Gerechtigkeit im politi-
schen Raum relevant ist. Fraser stellt die allgemeine Beobachtung auf, dass For-
derungen und Kämpfe um ökonomische Gerechtigkeit im Sinne der materialen
Umverteilung seit den 70er Jahren zunehmend in „kulturelle“ Kämpfe überge-
gangen sind, bei denen es um die „Anerkennung“ der unterschiedlichsten Min-
derheitengruppen geht, seien diese durch die Sexualität, das Geschlecht oder die
ethnische Herkunft bestimmt.17 Dies hat zu einer neuen „Grammatik politscher
Forderungen“ (übersetzt nach Fraser 2000, 108) geführt, deren Konsequenzen
zum Teil höchst problematisch sind. Erstens wurden ökonomische Verteilungs-
fragen größtenteils an den Rand der politischen Diskussion gedrängt. Denn der
marxistische „Ökonomismus“ wurde durch einen „Kulturalismus“ ersetzt, der
Ungerechtigkeit im öffentlichen Diskurs und kulturellen Raum überwiegend,
wenn nicht ausschließlich im Sinne der „erniedrigenden Repräsentation“ der
verschiedensten Gruppen begreift. Soziale und ökonomische Strukturen sind
qua ihrer Verbindung mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit größtenteils ins Ver-
gessen geraten – und all dies geschah genau in der Zeit, in der ein sich aggressiv
ausdehnender Kapitalismus immer drastischere ökonomische Ungleichheiten
produziert hat (übersetzt nach Fraser, ebd., 110 – 111).
Das zweite Problem, das aus dem Fokus auf die Anerkennung von Identi-
täten folgte, ist eines, das ich bereits in meiner Auseinandersetzung mit Taylor
erwähnt habe: Forderungen nach Anerkennung von Gruppenidentitäten tendie-
ren dazu, Druck auf Individuen auszuüben, sich der jeweiligen Gruppenkultur
anzupassen und schrecken vor gruppenwidrigem Verhalten wie auch vor Versu-
chen der individuellen Selbstbestimmung der eigenen Identität unabhängig von
der Gruppe ab; sie tendieren dazu, Gruppenidentitäten zu vereinfachen und zu
„verdinglichen“ und ermuntern zu „Konformismus, Intoleranz und Patriarchalis-
mus“ wie auch zu „Separatismus und Enklavenbildung“ (übersetzt nach Fraser,
ebd., 112 – 113).
Fraser schreibt sowohl Taylor als auch Honneth eine theoretisch elaborierte
Form des Identitätsmodells zu, die sie selbst als „Selbstverwirklichungsmodell“
bezeichnet. Diesem Modell zufolge besteht das Unrecht mangelnder bzw. fehlen-
der Anerkennung darin, dass sie zu einer „beeinträchtigte[n] Subjektivität und
beschädigte[n] Selbstidentität“ des Objekts der Anerkennung führen kann, seine
psychische Fähigkeit zur vollständigen Selbstverwirklichung beeinträchtigt und
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   119

auf diese Weise die Fähigkeit, ein „gutes Leben“ zu führen (Fraser & Honneth
2003, 44f.). Das erste Problem, das Fraser in Bezug auf dieses Modell diagnosti-
ziert, ist sein Rückgriff auf das Konzept des guten Lebens. Sie vertritt die liberale
Auffassung, dass jede Bezugnahme auf die Idee des guten Lebens unter moder-
nen und postmodernen politischen Bedingungen, die durch eine Pluralität von
Vorstellungen des Guten bzw. des guten Lebens gekennzeichnet sind, fragwürdig
ist:

Unter diesen Bedingungen gibt es weder eine Konzeption der Selbstverwirklichung oder
des guten Lebens, die von allen geteilt werden müsste, noch eine solche, die als maßgeb-
lich veranschlagt werden könnte. Daher entpuppt sich jeder Versuch, die Forderungen nach
Anerkennung dadurch zu rechtfertigen, dass man sich auf eine bestimmte Weise der Selbst-
verwirklichung oder des guten Lebens beruft, als sektiererisch. Für diejenigen, die die dabei
theoretisch vorausgesetzte Konzeption des Ethischen nicht teilen, kann kein derartiges Ver-
fahren derlei Forderungen verbindlich festsetzen. (Ebd. 46 – 7)

Fraser greift hier wahrscheinlich eher Honneth als Taylor an. Ich werde auf ihre
generelle Behauptung, der zufolge jeder Versuch, sich im Rahmen einer Aner-
kennungstheorie auf eine Konzeption der Selbstverwirklichung oder des guten
Lebens zu beziehen, notwendig sektiererisch ist, noch zurückkommen, wenn ich
Honneths Ansatz diskutiere. An dieser Stelle ist es hinreichend, zu bemerken,
dass ihre Skepsis gegenüber jeder inhaltlichen Annahme über das gute Leben in
der politischen Theorie damit zusammenhängt, dass sie sich einem „liberalen“
Zugang „Kantischer“ Provenienz verschrieben hat – im Gegensatz zu einem kom-
munitaristischen Zugang „Hegel’scher“ Provenienz, den sie Taylor und Honneth
zuschreibt. Während die zuerst genannte Position die Auffassung vertritt, dass
der Staat sich neutral gegenüber unterschiedlichen Konzeptionen des guten
Lebens zu verhalten hat, besteht der zuletzt genannte Standpunkt, wie Fraser
ihn versteht, auf der Gültigkeit der Annahme, dass jede politische Gemeinschaft
auf eine geteilte Vorstellung vom guten Leben angewiesen ist.
Für Fraser besteht ein hiermit eng verwandtes Problem des Selbstverwirkli-
chungsmodells in seinem „Psychologismus“. Einerseits mache das Modell „alles
nur noch schlimmer“ („[it] add[s] insult to injury“), indem es das Augenmerk
auf die „Deformierungen (…), die das Selbstbewußtsein der Unterdrückten erlei-
det“ (ebd., 47) lege und damit nur einen kleinen Schritt davon entfernt sei, den
Opfern selbst die Schuld für ihre Unterdrückung und die fehlende Anerkennung
zuzuschreiben. Dabei ist nicht ganz klar, warum genau der Fokus auf die psy-
chischen Schäden der Opfer durch mangelnde oder falsche Anerkennung dazu
führen sollte, dass sie selbst dafür angeklagt werden. Möglicherweise meint
Fraser aufgrund der Annahme des Identitäts- bzw. Selbstverwirklichungsmodell,
der zufolge die Identität des Selbst und die Selbstverständnisse im Dialog mit den
120   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Ansichten Anderer konstituiert werden, dass das Subjekt zum Teil auch selbst
Verantwortung für die Resultate zu tragen hat. Fraser scheint, wie auch immer
dies im Einzelnen begründet ist, davon auszugehen, dass es problematisch ist, zu
tief in die Psychologie des nicht anerkannten Objekts einzudringen. Andererseits
dringt das Selbstverwirklichungsmodell ihrer Meinung nach aber auch zu tief in
die psychologische Verfasstheit der Subjekte der Unterdrückung und fehlenden
Anerkennung ein. So schreibt sie: „wenn mangelnde Anerkennung mit Voreinge-
nommenheit vonseiten der Unterdrücker gleichgesetzt wird, scheint es zu ihrer
Überwindung nötig zu sein, deren Überzeugungen zu überwachen – was seiner-
seits autoritär und wenig liberal wäre“ (ebd., 48).
Drittens geht das Selbstverwirklichungsmodell nach Frasers Auffassung mit
der absurden Implikation einher, dass Gerechtigkeit es erfordere, „daß mora-
lisch gesehen jedermann einen Anspruch darauf erheben kann, gesellschaftli-
che Achtung zu genießen“ (ebd., 49), weil es bei sozialer Gerechtigkeit wesent-
lich um Formen der Anerkennung geht, die die psychischen Fähigkeiten des
Objekts erhalten, die es für seine Selbstverwirklichung und damit für sein gutes
Leben braucht. Überraschenderweise erwähnt Fraser nicht Taylors Argument
für die Unmöglichkeit einer positiven Evaluation „auf Abruf“, doch sie ist, was
die Absurdität dieser Idee betrifft, mit Taylor ganz offensichtlich einer Meinung.
Infolgedessen trifft dieser Aspekt ihrer Kritik am „Selbstverwirklichungsmodell“
Taylor nicht. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, trifft sie auch Honneth
nicht, da das Empfangen von Anerkennung in ihrer relevanten Bedeutung  –
Wertschätzung in Honneths dreigliedriger Unterteilung von Formen der Anerken-
nung – bei Honneth abhängig von den Leistungen des Anzuerkennenden bzw.
seiner Fähigkeit dazu ist und damit klarerweise kein moralisches Recht darstellt,
das jedermann zukommen würde.
Eine vierte ernsthafte Schwäche des Selbstverwirklichungsmodells besteht
nach Fraser darin, dass dieses die Chancen, Ansprüche auf Anerkennung theo-
retisch und praktisch mit Ansprüchen auf die Umverteilung von Ressourcen und
Wohlstand zusammenzuschließen, schmälert. Der Grund hierfür ist der, dass das
Selbstverwirklichungsmodell Anerkennung als eine ethische Frage des guten
Lebens auffasst, was sie inkommensurabel mit Fragen der Verteilungsgerech-
tigkeit macht, die neutral gegenüber den unterschiedlichen Vorstellungen vom
guten Leben sein sollen (ebd., 33).

5.2.2 Frasers Statusmodell

Was aber sind nun die Hauptbestandteile von Frasers eigenem „Statusmodell“
der Anerkennung? Die zentrale Idee Frasers besteht darin, Anerkennung nicht
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   121

psychologisch, sondern im Sinne des „Status“ zu beschreiben. Dies bedeutet


nicht, dass Fraser notwendigerweise die psychologische Bedeutsamkeit von
Anerkennung verneinen würde. Ihrer Ansicht nach ist dies vielmehr nicht das,
worauf eine politisch nützliche Konzeption der Anerkennung sich konzentrie-
ren sollte. Fraser schlägt vor, dass man Forderungen nach Anerkennung am
besten als Forderungen nach Gerechtigkeit rekonstruiert und dass man sich eine
gerechte Ordnung am besten als eine solche vorstellt, in der jedem der Status
eines „vollwertigen Partners in der sozialen Interaktion“ (ebd., 44) zukommt
sowie die Fähigkeit, „ebenbürtig“ (ebd., 46) an den unterschiedlichen Bereichen
des sozialen Lebens zu partizipieren. Innerhalb ihres Ansatzes müssen zwei eng
miteinander zusammenhängende Bedingungen erfüllt sein, damit jedem ein
solcher Status und damit auch die Fähigkeit zu einer ebenbürtigen Partizipation,
zukommen. Die erste ist eine „objektive Bedingung“. Sie beinhaltet, dass die Ver-
teilung von materiellen Ressourcen sicherstellen muss, dass alle Teilnehmer hin-
reichend unabhängig sind. Diese Bedingung schließt soziale Arrangements aus,
die „Verelendung, Ausbeutung und schwerwiegende Ungleichheiten in Sachen
Wohlstand, Einkommen und Freizeit institutionalisieren“ und damit einigen
Menschen die Mittel verweigern, mit Anderen im sozialen Raum als Ebenbürtige
zu interagieren (ebd., 55).
Zweitens gehört zur Gerechtigkeit auch eine von Fraser so genannte „inter-
subjektive Bedingung“. Danach ist es erforderlich, wie sie schreibt, „daß institu-
tionalisierte kulturelle Wertmuster allen Partizipierenden den gleichen Respekt
erweisen und Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Achtung
gewährleisten“. Ausgeschlossen werden auf diese Weise „institutionalisierte
Wertschemata (…), die einige Leuten den Status eines vollberechtigten Partners
in der Interaktion vorenthalten – sei es, indem ihnen in übertriebenem Maße eine
„Andersartigkeit“ zugeschrieben wird, sei es, indem man es versäumt, ihnen ihre
Besonderheit zuzubilligen“ (ebd.). Während Forderungen nach „Umverteilung“
beinhalten, dass die objektive Bedingung erfüllt wird, verlangt die Verfasstheit
von Forderungen nach „Anerkennung“ die Erfüllung der intersubjektiven Bedin-
gung. Gerechtigkeit als partizipatorische Gleichheit erfordert insgesamt die Erfül-
lung beider Bedingungen und die Betonung hiervon stellt Frasers Versuch dar, die
Diskurse und Forderungen nach Umverteilung und Anerkennung miteinander
zu verknüpfen. Dieser Ansatz erfordert keine psychologischen Komplexitäten,
er impliziert nicht die problematische Anforderung der gleichen Wertschätzung
für jeden und es wird keine Haltung bezüglich des Inhalts des guten Lebens ein-
genommen. Dem Statusmodell der Anerkennung gemäß bedeutet „anerkannt“
zu sein schlicht, dass einer der beiden Aspekte gegeben ist, der dafür erforder-
lich ist, den Status eines vollständig Ebenbürtigen im sozialen Leben und der
Interaktion zu besitzen. Frasers Anspruch ist es, mit diesem Modell sowohl eine
122   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

bessere theoretische Fassung realer Kämpfe um Gerechtigkeit zu bieten als auch


dem Selbstverständnis und damit den Praxen der politischen Akteure dienlicher
zu sein als das Identitäts- bzw. Selbstverwirklichungsmodell es vermögen.
Fraser vertritt im Weiteren die Auffassung, dass jeder gegenwärtige Kampf
um Gerechtigkeit implizit oder explizit sowohl Ansprüche auf Umverteilung als
auch auf Anerkennung enthält und daher entsprechend analysiert werden kann
und dass nahezu jeder Anspruch für das eine auch Implikationen bezüglich
des anderen hat. Einerseits können „institutionalisierte Wertmuster“, in deren
Licht einige partikuläre Merkmale, − wie zum Beispiel eine bestimmte sexuelle
Orientierung oder ethnische Herkunft – eine negative Wertschätzung erfahren,
wodurch den Trägern dieser Merkmal ein gleicher Respekt bzw. eine gleiche Wert-
schätzung vorenthalten wird, negative Auswirkungen auf das Ansehen solcher
Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben und damit auch auf ihren materiellen
Wohlstand. Andererseits übersetzt sich relative materielle Armut in der Regel in
einen geringeren Respekt und geringere Wertschätzung für die, die davon betrof-
fen sind. Ein weiterer Aspekt dieses Ineinandergreifens von Anerkennung und
Umverteilungsfragen besteht darin, dass Versuche, Ungerechtigkeiten innerhalb
der einen Dimension zu bekämpfen, manchmal größere Schwierigkeiten inner-
halb der anderen Dimension nach sich ziehen. Beispielsweise können Umver-
teilungsmaßnahmen, mit denen beabsichtigt wird, materiell Benachteiligten zu
helfen, dazu führen, dass diese Menschen als faule Trittbrettfahrer angesehen
werden und ihnen in der öffentlichen Vorstellung weniger bis gar keine Wert-
schätzung entgegengebracht wird (ebd., 90).
Darauf bestehend, dass Probleme der Anerkennung und der Umverteilung
eng miteinander verflochten sind und nicht einfach sauber getrennt werden
können, nennt Fraser ihre Position einen „perspektivischen Dualismus“ (ebd.,
88): Soziale Gerechtigkeit aus der Perspektive von Anerkennung oder Umvertei-
lung zu betrachten, bedeutet, dass man sich denselben Bereich von Problemen
aus sich einander wechselseitig ergänzenden Perspektiven ansieht. Fraser eta-
bliert zudem eine erhellende Unterscheidung zweier unterschiedlicher politischer
Strategien zur Bekämpfung von Ungerechtigkeit und wendet diese Unterschei-
dung sowohl auf den Aspekt der Umverteilung als auch auf den der Anerkennung
an. Während „affirmative Strategien“ darauf abzielen, „den Konsumanteil der
Benachteiligten zu erhöhen, während er die zugrundeliegende Wirtschaftsstruk-
tur intakt läßt“, wollen „transformative Strategien“ korrigierend auf „ungerechte
Verteilung [einwirken] (…), indem der Rahmen, der sie hervorbringt, neu abge-
steckt wird“ (ebd., 102f.). Ein klassisches Beispiel für eine affirmative Strategie
innerhalb der Umverteilungsdimension ist der liberale Wohlfahrtsstaat, der ver-
sucht, materiellen Wohlstand mithilfe von Besteuerung und anderen Maßnah-
men auszugleichen, während er die zugrundliegenden ökonomischen Strukturen
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   123

intakt lässt. Im Kontrast dazu stellt der Sozialismus ein klassisches Beispiel für
eine transformative Strategie in Bezug auf Umverteilung dar, da er darauf abzielt,
den gesamten ökonomischen Rahmen als Ursprungsursache der ungerechten
Verteilung von Ressourcen zu verändern.
Innerhalb der Dimension von Anerkennung präsentiert Fraser den „Main-
stream-Multikulturalismus“ (ebd., 103) als Beispiel für eine affirmative Strate-
gie, da er das Ziel verfolgt, „ungerechterweise abgewertete Gruppenidentitäten
wieder [aufzuwerten] (…), während weder der Gehalt jener Identitäten noch die
ihnen zugrundeliegenden Gruppendifferenzen angetastet werden“ (ebd., 104).
Anders gesagt: Innerhalb der Anerkennungsdimension fordert eine affirmative
Strategie Anerkennung für Individuen mit bestimmten Merkmalen, ohne dass
die Identifikation oder Gruppenzugehörigkeit der infrage stehenden Individuen
sowie das fragliche Merkmal oder die fraglichen Merkmale in Frage gestellt
würden. Es ist aus diesem Grunde genauer besehen die affirmative Strategie, die
dazu neigt, Gruppenidentitäten zu vereinfachen bzw. zu „verdinglichen“ sowie
„Konformismus, Intoleranz und Patriarchalismus“ (übersetzt nach Fraser 2000,
112) und „Separatismus und Enklavenbildung“ (übersetzt nach ebd., 113.) beför-
dert. Transformative Strategien innerhalb der Politik der Anerkennung „destabi-
lisieren“ bzw. stellen demgegenüber existierende Identifikationen und Gruppie-
rungen in Frage und somit die zwischen ihnen bestehenden Differenzierungen.
Solche Strategien werden überall dort gebraucht, wo die Identifikationen bzw.
Unterscheidungsmerkmale selbst in irgendeiner Weise eine Be- bzw. Unterdrü-
ckung von Individuen mit sich bringen.
Während Taylors Aufsatz sich hauptsächlich mit affirmativen Strategien
beschäftigt, ohne die damit einhergehenden Probleme zu diskutieren, wartet
Fraser mit einer deutlich differenzierteren Sichtweise für die Debatte auf: Je nach
Fall mag es oft angemessener sein, eine bestimmte Zugehörigkeit oder Gruppie-
rung zu problematisieren als die fraglichen Individuen als Träger der bestimm-
ten Qualität oder Qualitäten „anzuerkennen“ (sei es durch die Zuschreibung von
Rechten oder eine Weise der positiven Wertschätzung), wodurch die äußerliche
Identifikation und Gruppierung nur weiter bestärkt wird.

5.2.3 Beobachtungen zum Modell Frasers

Frasers einschlägige Schriften bieten einen Detailreichtum sowie ein vielfalti-


ges Arsenal an empirischen Beispielen, anhand derer sie ihre Auffassung nahe-
bringt. Für uns am relevantesten ist allerdings die Art und Weise, wie sich die
Vorstellung von Anerkennung innerhalb ihrer Behandlung verändert bzw. entwi-
124   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

ckelt, welche für ein umfassendes Bild nützlichen Elemente sie einführt und an
welchen es ihr mangelt.

Institutionen, Einstellungen und repräsentative Darstellungen


Ein Unterschied, der Fraser zufolge zwischen ihrem eigenen Modell der Anerken-
nung und dem von Taylor und Honneth besteht, ist, dass sie Anerkennung und
fehlerhafte Anerkennung nicht nur im Sinne von intersubjektiven Einstellungen
begreift, sondern im Sinne eines komplexen Gefüges, das sich aus Einstellungen,
sozialen Interaktionsweisen und „institutionalisierten Wertmustern“ zusammen-
setzen soll:

Mangelnde Anerkennung bedeutet dieser Auffassung zufolge nicht allein, schlecht von
jemandem zu denken, auf jemanden herabzusehen oder ihm gegenüber abwertende Ein-
stellungen oder Überzeugungen zu besitzen. Es heißt vielmehr, dass jemandem aufgrund
bestimmter institutionalisierter kultureller Wertmuster, die ihm vergleichsweise weniger
Respekt und Achtung zubilligen, der Status eines vollwertigen sozialen Interaktionspart-
ners und die ebenbürtige Partizipation am sozialen Leben versagt wird. Wenn solche
Muster der Geringschätzung und Missachtung institutionalisiert werden, erschweren sie
partizipatorische Gleichheit so sicher wie Verteilungsungerechtigkeiten. (Übersetzt nach
Fraser 1998, 25 – 26. Betonung H.I.)

Fraser scheint in dieser Textpassage eine Art von Idealtypus zu konstruieren, in


dem Einstellungen, Interaktionen sowie kulturelle Wertemuster und Institutio-
nen derart übereinstimmend zusammenwirken, dass einige Menschen systema-
tisch von einer vollständigen Partizipation als Ebenbürtige am Sozialleben aus-
geschlossen werden. Sie scheint so etwas wie das Folgende im Sinn zu haben:
1) Die relevanten Anderen (die Mehrheit oder Menschen in Schlüsselpositio-
nen) schließen einige (z.B. Frauen oder Menschen mit einer anderen ethnischen
Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung) von einer gleichen Partizipation
am sozialen Leben durch konkrete Interaktionsweisen aus (z.B. dadurch, dass
sie nicht mit ihnen reden, sich nicht mit ihnen anfreunden, sie nicht zu sozia-
len Ereignissen einladen, sie nicht einstellen, sie nicht als Mieter akzeptieren
usw.); 2) diese exkludierenden Weisen der Interaktion (bzw. der Vermeidung von
Interaktion) sind motiviert bzw. gründen auf bestimmten Einstellungsgefügen,
die keinerlei bzw. vergleichsweise wenig Respekt oder Wertschätzung gegen-
über den fraglichen Individuen beinhalten; 3) die Einstellungsgefüge gründen in
bestimmten kulturellen Wertemustern bzw. mit Werten aufgeladenen Darstellun-
gen, in deren Licht diese Menschen als eines gleichen Respekts bzw. der gleichen
Wertschätzung „unwürdig“ angesehen werden (etwa wenn Menschen mit einer
bestimmten Hautfarbe als weniger vernunftbegabt dargestellt werden, Frauen als
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   125

weniger produktiv als Männer, Homosexuelle als moralisch fragwürdig usw.); 4)


die Wertemuster bzw. Darstellungen schweben nicht einfach frei im diskursiven
Raum, im alltäglichen Gespräch, der populären Kultur oder Kunst usw. umher,
sondern sind in einer gewissen Weise institutionalisiert bzw. der institutionellen
Struktur der Gesellschaft immanent.
Wenn Interaktionen, Einstellungen, Wertemuster und Institutionen eine
solche eng-verbundene Totalität der Exklusion bilden, können die Konsequen-
zen für diejenigen, die ausgeschlossen werden, in der Tat schwerwiegend sein.
Frasers Art der Formulierung neigt allerdings dazu, Fälle, in denen nicht alle diese
Elemente nahtlos ineinandergreifen, Menschen jedoch nichtsdestoweniger von
einer gleichberechtigten Partizipation ausgeschlossen werden, herunterzuspie-
len. Es kann aufgrund von Handlungen, die durch negative Einstellungen ihnen
gegenüber geleitet sind, klarerweise unterschiedliche Grade der Exklusion von
Individuen bzw. Gruppen aus dem sozialen Leben geben, auch wenn keine Exklu-
sion auf der Ebene der Institutionen vorliegt  – zumindest wenn man mit „Ins-
titutionen“ die expliziten bzw. formalisierten Regeln, Normen und Gesetze einer
Gesellschaft meint. (Ich werde in Kürze auf die Frage zurückkommen, wie Institu-
tionen bei Fraser zu interpretieren sind.) Gesetze und Grade können vollständig
„blind“ gegenüber „Differenzen“ sein, etwa gegenüber der ethnischen Herkunft
oder sexuellen Orientierung und sie können sogar Maßnahmen der positiven
Diskriminierung einer bestimmten Gruppe verordnen, während weitverbreitete
negative Einstellungen gegenüber den Individuen dieser Gruppe ihnen nichts-
destoweniger gleichberechtigte Partizipation in den unterschiedlichsten Sphären
des Soziallebens versagen. Was auch immer die Gesetze beinhalten, die Mehrheit
bzw. die dominierende Gruppe mag Menschen mit einer bestimmten ethnischen
Herkunft oder sexuellen Orientierung in überwiegend negativem Lichte sehen
und mit ihnen entsprechend umgehen: Sie sind in der konkreten Interaktion
schlicht nicht willkommen und haben auf diese Weise keinen gleichen Zugang
und Rang innerhalb der unterschiedlichen Sphären des Soziallebens. Im Sinne
des „Status“-Modells formuliert haben diese Individuen zwar einen gleichen
(oder vielleicht sogar erhöhten) institutionellen Status, doch sie besitzen in den
Augen ihrer potentiellen Interaktionspartner aus der Gruppe der Mehrheit keinen
gleichen intersubjektiven Status. Die Gefahr, die mit Frasers Sorge um eine Psy-
chologisierung und ihrer konsequenten Neigung, eine unabhängige Bedeutsam-
keit von Einstellungen herunterzuspielen, einhergehen könnte, besteht darin,
dass solche alltäglichen nicht-institutionellen Formen der Exklusion  – etwa
Sexismus oder Rassismus in Alltagsinteraktionen und Einstellungen – vollstän-
dig aus dem Katalog sozialer Schädigungen verschwinden. Auch wenn diese in
der Tat schwierig direkt durch institutionelle Veränderungen zu adressieren sind,
126   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

ist dies sicherlich nicht Grund genug, sie als soziale Probleme nicht mehr ernst
zu nehmen.18
In gleicher Weise müssen auch „Wertemuster“ bzw. wertegeladene Darstel-
lungen nicht in formalen Institutionen verkörpert sein, um schädlich oder ein
Grund für das Leid derjenigen zu sein, die sie betreffen. Egal wie fair, gleichheits-
bestrebt oder unterstützend die Institutionen sein mögen, vorurteilsbeladene,
verhöhnende oder fremdenfeindliche Dar- bzw. Vorstellungen  – im Alltagsge-
spräch, der Populärkultur, der Kunst, in Radiosendungen mit Zuhörerbeteili-
gung, in Diskussionsforen im Internet usw.  – können beklemmend und ernie­
drigend sein und besonders bei Kindern und Jugendlichen im schlimmsten Fall
psychische Schäden verursachen. Obwohl Sexismus, Rassismus, Homophobie
usw. doppelt schlimme Auswirkungen haben, wenn sie institutionalisiert sind,
stellen ungerechte oder stereotypische kulturelle Negativdarstellungen sicher-
lich ein Problem dar, dass eine Sozialkritik auch „unterhalb“ der Institutionali-
sierungsebene an der Basis des Alltagslebens zu kritisieren und zu analysieren
in der Lage sein sollte. Immerhin ist dies der Ort, an dem die potentiell gefähr-
lichsten und schädlichsten Formen der Exklusion bevor sie in die politischen und
institutionellen Sphären eintreten in der Regel zu gären beginnen und an Kraft
gewinnen.19
Aus der umgekehrten Perspektive betrachtet kann es aber auch aufgrund von
Gesetzen und Institutionen Weisen der Exklusion von Individuen und Gruppen
geben, sogar wenn Negativdarstellungen oder -einstellungen ihrer Interaktions-
partner ihnen gegenüber fehlen. Wenn das Gesetz eine bestimmte Gruppe aus
einem bestimmten Berufsfeld ausschließt, ist es wahrscheinlich, dass sie davon
ausgeschlossen wird, ganz egal wie die Einstellungen ihrer Interaktionspartner
beschaffen sind: denn Individuen dieser Gruppe einzustellen, würde bedeu-
ten, gegen das Gesetz zu verstoßen. Mit anderen Worten: Menschen können aus
bestimmten Bereichen des sozialen Lebens durch einen ungleichen institutio-
nellen Status ausgeschlossen werden, auch wenn sie in den Augen ihrer Inter-
aktionspartner einen mehr oder weniger gleichgestellten intersubjektiven Status
besitzen.20
Trotz dieser Beobachtungen trifft Fraser ohne Zweifel einen zentralen Aspekt
des Problems sozialer Exklusion, wenn sie es im Sinne der Verflechtung von
Einstellungen und Institutionen begreift. Nicht nur stellt die Kombination von
intersubjektiver und institutioneller Exklusion ein größeres Übel dar, als wenn
nur eine von beiden vorläge. Darüber hinaus beeinflussen Einstellungen und
Institutionen einander wechselseitig. Einerseits internalisieren Individuen im
Rahmen ihrer Sozialisation die impliziten und expliziten Werte und Wertemus-
ter, die in den gesellschaftlichen Institutionen verkörpert sind und obwohl sie
im Idealfall eine kritische Distanz zu ihnen gewinnen, hinterlassen diese Werte
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   127

und Wertemuster in der Regel zumindest eine Spur in ihren Einstellungen etwa
gegenüber anderen Leuten. Natürlich beeinflussen auch nicht-institutionelle kul-
turelle Repräsentationen die Einstellungen der Menschen und damit ihre Denk-,
Wahrnehmungs-, Reaktions- und Interaktionsgewohnheiten, doch diejenigen,
die in institutionalisierter Form vorliegen, erhalten aufgrund dieser Verfasstheit
eine zusätzliche Portion subjektiver Autorität und Plausibilität: Dass das Gesetz
eine bestimmte ethnische Gruppe aus dem öffentlichen Dienst ausschließt,
scheint die Geschichten zu bekräftigen, die man von Familienmitgliedern, Nach-
barn oder in den Massenmedien über ihr betrügerisches Wesen hört. Es erfordert
oft mehr als ein durchschnittliches Maß selbstständigen Denkens, besonders in
jungen Jahren, um etwas ernsthaft in Zweifel zu ziehen, das sowohl die instituti-
onellen Strukturen als auch die öffentliche Vorstellung der eigenen Gesellschaft
als Wahrheit präsentieren. Im Hinblick auf Anerkennung formuliert bedeutet
dies, dass die staatliche Verweigerung von vertikaler „abwärts gerichteter“ Aner-
kennung für eine bestimmte Gruppe von Menschen der Verweigerung intersubjek-
tiver Anerkennung Berechtigung verleiht.
Auf der anderen Seite hängt die Legitimität, Stabilität und schließlich die
Existenz von bestimmten Normen, Gesetzen, Institutionen und dem Staat als
dem umfassenden System der Institutionen davon ab, in welchem Maße sie Werte
verkörpern, die weithin von denen geteilt werden, die jenen zuallererst Autori-
tät verleihen. (Selbst nicht-demokratische Systeme können nicht allein mittels
Zwang überleben. Zumindest diejenigen, die es aufnötigen, müssen dem System
etwas abgewinnen können, wenn sie ihr Leben dafür riskieren, es aufrecht zu
erhalten.) Auch wenn sich institutioneller Wandel nur langsam vollzieht, kann
sich eine Situation, in der die Institutionen eine bestimmte Gruppe von Menschen
auf eine Weise behandeln, die für die Mehrheit oder diejenigen, die im Besitz von
Macht sind, inakzeptabel ist, langfristig nicht halten. Institutionelle Exklusion
muss im Großen und Ganzen von denen akzeptiert werden, deren Willen und
Autorität die Institutionen aufruhen. Dies impliziert gewisse Einstellungen ihrer-
seits gegenüber denen, die ausgeschlossen werden. Bezogen auf Anerkennung
bedeutet dies, dass die vertikale „aufwärtsgewandte“ Anerkennung des Staates
durch seine Bürger zum Teil davon abhängt, in welchem Maße seine „abwärtsge-
wandte“ Anerkennung bestimmter Gruppen die Sichtweisen und Einstellungen
der Mehrheit oder der Einflussreichen gegenüber diesen Gruppen widerspiegelt:
Institutioneller Sexismus oder Rassismus wird bspw. nicht lange aufrecht erhal-
ten werden können, wenn er nicht durch intersubjektiven Sexismus bzw. Rassis-
mus mitgetragen wird. Wie ich oben sagte, kommt ein institutioneller Wandel,
der die Inklusion von Minderheitengruppen beeinflussen könnte, gewöhnlich an
der Basis intersubjektiver Beziehungen und Einstellungen in Gang  – sei es ein
Wandel zum Schlechteren oder zum Besseren.
128   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Wir können nun genauer nach den Implikationen fragen, die sich aus der
Verflechtung des Intersubjektiven und Institutionellen im Hinblick auf die Unter-
scheidung rein intersubjektiver von institutionell vermittelter horizontaler Aner-
kennung ergeben, wie ich sie im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit Fichte
und Hegel eingeführt habe. Während institutionell vermittelte Anerkennung*
meiner Explikation zufolge die Anerkennung von jemandem als Träger einer
bestimmten institutionell definierten Rolle oder Position beinhaltet, die sich
aus bestimmten Rechten und anderen „deontischen Machtbefugnissen“ ergibt,
sieht rein intersubjektive Anerkennung im Gegenteil dazu von solchen Rollen
bzw. Positionen ab. Motiviert durch die obigen Beobachtungen zu Frasers Aner-
kennungskonzeption möchte ich in Bezug auf diese Unterscheidung drei weitere
Aspekte erläutern.
Erstens schließt die Tatsache, dass rein intersubjektive Anerkennung keine
Anerkennung von jemandem als Träger einer institutionell definierten Rolle bzw.
Position involviert, als solche nicht aus, dass sie in irgendeiner Weise durch Insti­
tutionen beeinflusst ist. Eine solche Beeinflussung kann sich in maßgeblicher
Weise genau dadurch ergeben, dass Wertemuster bzw. wertegeladene Reprä-
sentationen, wie sie bspw. die Einstellungen gegenüber bestimmten Menschen
betreffen, durch die Fixierung in Gestalt von formalen Institutionen (Gesetzen,
Verordnungen und expliziten Normen) an zusätzlicher Plausibilität gewinnen
und affektive Verstärkung erfahren.
Zweitens thematisiert Frasers explizite Einführung von wertegeladenen
Repräsentationen bzw. „Wertemustern“ anders als bloße Einstellungen die Dif-
ferenz und das Verhältnis von Anerkennung in der Vorstellung und Anerkennung
in der realen Begegnung. Damit wird auf einen sehr komplexen Sachverhalt ver-
wiesen, der auf die wichtige Tatsache aufmerksam macht, dass, obwohl tatsäch-
liche zwischenmenschliche Begegnungen oft Einfluss auf die wechselseitigen
Einstellungen haben können – man respektiert oder schätzt jemanden z.B. mehr
als man das Bild, das man von ihm hatte, respektiert bzw. geschätzt hat −, stereo-
typische Darstellungen oder falsche Bilder Individuen auch gegen solche Verän-
derungen „immunisieren“ können, auch dann, wenn sie sich tatsächlich begeg-
nen sollten. Verachtung, mangelnder Respekt oder Hass gegenüber dem Bild, das
man von Anderen hat, kann die Aufmerksamkeit so lenken, dass man nur die
negativen Aspekte sieht und blind gegenüber all dem bleibt, was in der tatsäch-
lichen Begegnung dazu führen könnte, den Anderen als jemanden zu erkennen,
der Respekt und Wertschätzung verdient.21 Wenn jemanden zu lieben heißt, sich
bedingungslos um sein Wohl zu sorgen, dann schließt dies in gewisser Weise
ein, dass man von ihm als einer singulären, sterblichen und verletzlichen Person
gerührt wird. Auch wenn Liebe (ein Thema, das Fraser überhaupt nicht berührt)
als die nicht-instrumentelle Sorge um jemand anderen nicht bedeutet, dass man
 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung   129

sich um ihn als Träger dieser oder jener Merkmale sorgt, sondern schlicht als
ein Wesen, das fähig ist, glücklich und unglücklich zu sein, kann sie nichtsdes-
toweniger durch die Einstellung gegenüber diesen Merkmalen beeinflusst sein.
Wenn man sich daran gewöhnt hat, sich Menschen einer bestimmten Gruppe
auf eine solche Art und Weise vorzustellen, die starke negative Gefühle hervor-
ruft, dann kann die eigene Aufmerksamkeit auf eine Art beeinflusst sein, die es
unmöglich macht, sie als singuläre verletzliche Individuen anzusehen und in der
tatsächlichen Begegnung mit einem Individuum dieser Gruppe eine Erfahrung zu
machen, die zu nicht-instrumenteller Sorge oder Liebe motiviert.22
Drittens ist nicht ganz klar, was genau Fraser mit der Institutionalisierung
von Wertemustern meint. Ich habe dies bisher als Kodifikation offizieller bzw.
expliziter Normen, Gesetze oder Verordnungen des Staates als der institutionel-
len Totalität interpretiert und damit als Verkörperung dessen, was ich im voran-
gegangenen Kapitel als die „eigentlichen Institutionen“ bezeichnet habe.23 Was
ich mit diesem Ausdruck meinte, sind Normensysteme, die relativ unabhängig
von den Einstellungen irgendeines bestimmten Individuums sind, dessen Leben
sie regeln. Während nicht-institutionelle bzw. informelle Normen der Interak-
tion, die nur durch die Akteure selbst vollzogen und verwaltet werden, sich eher
verändern, wenn deren Einstellungen zueinander bzw. ihre Interaktionsmuster
sich wandeln, verändert ein Mentalitätswandel als solcher nicht die institutio-
nellen Normen oder Gesetze des Landes oder die „eigentlichen“ Institutionen, die
darüber hinaus das Leben und die Interaktion strukturieren.
Man kann sich diesen Zusammenhängen selbstverständlich auch ausgehend
von einem weiter gefassten bzw. weniger strikten Begriff von „Institution“ nähern,
der mehr informelle Normen und Regeln umfasst, die direkt von den Einstellun-
gen derer abhängen, deren Leben sie regeln bzw. die durch sie ihr Leben struk-
turieren.24 Versteht man „Institutionalisierung“ ausgehend von einem solchen
weiter gefassten Begriff von Institution, dann muss diese nicht mehr als die wer-
tegeladenen Darstellungen bzw. Wertemuster umfassen, die sich in den infor-
mellen Normen der alltäglichen Interaktion und den sozialen Praxen widerspie-
geln, ohne dass diese irgendwo kodifiziert wären oder durch irgendeine äußere
Kraft (paradigmatischerweise den Staat) bekräftigt würden. Es ist denkbar, dass
Immigranten nicht nur im Allgemeinen als faul, weniger verlässlich oder weniger
ordentlich als die Durchschnittsbevölkerung vorgestellt werden, sondern dass,
sich mit ihnen anzufreunden, sie zum Weihnachtsessen einzuladen, sie einzu-
stellen oder sie als Mieter zu akzeptieren usw. auch bedeutet, gegen eine unge-
schriebene soziale Norm oder Regel zu verstoßen. Das bedeutet, dass solche kon-
kreten Akte der intersubjektiven Inklusion nicht nur als unklug, sondern auch als
moralisch falsch erachtet werden und somit etwas darstellen, aufgrund dessen
130   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

man möglicherweise einer sozialen bzw. intersubjektiven Sanktionierung ins


Auge sehen muss.
Obwohl „Institutionalisierung“ in Gestalt von informellen Normen und deren
Bekräftigung durch soziale Sanktionen die Exklusion umso schlimmer macht,
sind es wiederum die Einstellungen und Wertemuster, die das Kernproblem aus-
machen, da die informellen Normen vollständig auf ihnen beruhen. Problema-
tisch ist hierbei wieder Frasers Widerwille, von Sachverhalten zu sprechen, die
die psychische Struktur der Individuen betreffen: Auch wenn die Kontrolle von
Einstellungen sicherlich nicht erstrebenswert ist, erscheint eine Beeinflussung
der informellen, die Interaktion leitenden Alltagsnormen kaum möglich, wenn
man nicht auch die Einstellungen und Repräsentationen, die sie konstituieren
und durchdringen, in irgendeiner Weise beeinflusst. Ein rechtliches Verbot von
Exklusion durch informelle Normen des Sozialen, das vom Staat (oder den Ins-
titutionen im eigentlichen Sinne) geltend gemacht wird, hat häufig eine indirekt
hilfreiche Wirkung, da es die Menschen zur konkreten Auseinandersetzung mit-
einander zwingt und so Vorurteile und Stereotypen in Frage stellt, die die infor-
mellen Normen stützen. Intersubjektive Probleme können zwar, wie bemerkt,
nicht immer und überall auf der Ebene der formalen Institutionen gelöst werden,
doch dies stellt keinen hinreichend Grund dafür dar, sie im Rahmen einer kriti-
schen Sozialphilosophie als soziale Probleme nicht ernst zu nehmen.

In Absehung von Ethik und „Hegel’schem Kommunitarismus“


Eine abschließende und damit zusammenhängende Beobachtung, die ich im
Hinblick auf Frasers Modell erläutern möchte, betrifft ihr Misstrauen gegenüber
allen substantiellen Behauptungen, die das gute Leben innerhalb der Politischen
Philosophie betreffen. Fraser assoziiert Hegel mit dem „Kommunitarismus“, der
die Wichtigkeit der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv für das individuelle Wohler-
gehen betont, dessen Mitglieder eine gemeinsame Auffassung vom guten Leben
teilen, und kontrastiert dies mit einem Kantischen Liberalismus, der von Konzep-
tionen des guten Lebens abstrahiert, indem er die Aufmerksamkeit auf universale
Rechte legt (vgl. Fraser 2001, 22f.). Obwohl eine solche Sichtweise auf Hegel nicht
ungewöhnlich ist, verdeckt sie einen wesentlichen Aspekt der Hegel’schen Auf-
fassung von Gemeinschaft (wobei Hegel einige Elemente von Fichte geerbt hat).
Damit meine ich seinen Gedanken, dass eine wahrhaft „geistige“ menschliche
Gemeinschaft eine Gemeinschaft freier Wesen ist. Wie wir im vorangegangenen
Kapitel gesehen haben, enthält der Gedanke konkreter Freiheit als der Substanz
und dem telos dieser Lebensform keinen Bezug auf irgendeine bestimmte Auffas-
sung vom guten Leben, sondern stellt vielmehr ein recht abstraktes Prinzip dar.
Dies ist das Prinzip des „Sich-Findens“ in seinen Mitmenschen und den Instituti-
 5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?   131

onen der eigenen Gesellschaft – im Grunde genommen ist dies das Prinzip eines
sozialen Lebens, das sowohl von Herrschaft als auch von Entfremdung frei ist.
Sogar die bloße Erwägung der Möglichkeit, dass Hegels Ideal nicht nur eine
kulturell spezifische Ansicht des Guten widerspiegelt, sondern etwas, das von
allgemeinerer menschlicher Natur ist, wird a priori durch Frasers Diktum ausge-
schlossen, dass alle Bezugnahmen auf das guten Leben „zwangsläufig sektiere-
risch sind“ (übersetzt nach: ebd., 21). Was Frasers eigenes Modell betrifft, so führt
die Tatsache, dass sie psychologische, ontologische und ethische Erwägungen
a priori zurückweist, schlussendlich zu einer seltsamen Inhaltsleere des obers-
ten Ziels ihres eigenen Modells – der Partizipation als Ebenbürtiger am sozialen
Leben. Obwohl ihre Schriften voller politischer Einsichten sind, sind diejenigen,
die meinen, dass Philosophen zumindest versuchen sollten, etwas mehr darüber
zu sagen, was das soziale Leben gut oder schlecht macht, als dass es die Men-
schen entweder als „Ebenbürtige“ „inkludiert“ oder ausschließt, dazu angehal-
ten, sich bei anderen Autoren umzusehen. Die Frage nach der Möglichkeit einer
nicht-sektiererischen bzw. „formalen“ Konzeption des guten Lebens, die sich
sowohl durch ihre psychologische als auch ihre sozial-diagnostischen Analysen
auszeichnet, begegnet uns im Rahmen der Auseinandersetzung mit Axel Hon-
neths Arbeit über Anerkennung, der ich mich in Kapitel 5 zuwenden werde.

5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?

Wie können wir Taylors und Frasers Anerkennungskonzeptionen mithilfe der uns
zur Verfügung stehenden Unterscheidungen aus den vorherigen Kapiteln zusam-
menfassen? Geht man von den Unterscheidungen aus Abschnitt 2.1. aus, dann
ist es wahrscheinlich richtig zu sagen, dass beide Autoren sowohl von Anerken-
nung im epistemischen Sinne der „Identifikation“ als auch von Anerkennung
in ihren praktischen Bedeutungen sprechen. Wie ich in Abschnitt 5.1.2. gezeigt
habe, ist Taylors Auffassung von der Wirkung, die die Anerkennung bestimmter
qualitativer Merkmale auf die Selbstidentität von Individuen hat, eng mit dem
Thema der qualitativen und generischen Identifikation verbunden, d.h. mit der
Identifikation von Menschen als Träger bestimmter Qualitäten und ihrer Zuge-
hörigkeit zu bestimmten Klassen oder Arten, durch die sie mit Anderen, die die
Merkmale teilen, in eine Gruppe zusammengefasst werden können. Frasers Kritik
am „Identitätsmodell“ richtet sich gegen die von ihr bezeichnete Tendenz, die
so verfassten generischen Identifikationen und Gruppierungen im Rahmen der
theoretischer Entwürfe, die sich − einschließlich Taylors − dem Identitätsmodell
verschrieben haben, noch zu verstärken.
132   5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Es ist wichtig festzuhalten, dass die enge Verbindung, die sowohl bei Taylor
als auch bei Fraser zwischen interpersonaler Anerkennung und qualitativer
bzw. generischer Identifikation angenommen wird, darin gründet, dass beide
Autoren – Taylor in affirmativer, Fraser in kritischer Weise – sich insbesondere
auf die Anerkennung bestimmter qualitativer Merkmale von Individuen und
Gruppen konzentrieren. Es ist eine gängige Fehlannahme der gegenwärtigen
Debatten, dass dies auch das sei, womit Hegel sich auseinandergesetzt habe
(und vielleicht auch Fichte, wenn er auch in den gegenwärtigen Diskussionen
viel seltener erwähnt wird). Wie wir im Abschnitt 5.2.1. sehen konnten, schreibt
Fraser das Identitätsmodell auch Hegel zu und meint, dass dieses vermeintlich
Hegel’sche Modell von Anerkennung anfällig sei für die Übel der gewaltsamen
bzw. ungerechten und äußerlich vorgenommenen (generischen) Identifikationen
von Individuen. Wie wir allerdings in dem vorangegangenen Kapitel herausar-
beiten konnten, setzt Hegel sich mit einem ganz anderen Set von Problemen aus-
einander als Taylor und Fraser, die die Anerkennung von Identität diskutieren.
Die Schwierigkeit, festzulegen, was genau Taylor und Fraser mit Anerken-
nung meinen, hängt damit zusammen, dass beide in einer Weise schreiben, die
sich in Bezug auf die Unterscheidungen, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4.
expliziert habe, nicht eindeutig einordnen lässt. Keiner von beiden differenziert
explizit zwischen „vertikalen“ und „horizontalen“ Lesarten von Anerkennung
(siehe Abschnitt 4.4.1.) und beide überlassen es auf diese Weise ihren Lesern,
herauszufinden, was mit dem Gedanken von Anerkennung geschieht, wenn man
ihn aus dem interpersonalen „horizontalen“ Kontext in ein „vertikales“ Setting
überträgt, mit anderen Worten: wenn Anerkennung zwischen Individuen und
Gruppen ersetzt wird durch eine Weise der Anerkennung, die vom Staat bzw.
seinen Institutionen ausgeht. Aufgrund dessen bleibt in ihren Schriften auch die
Unterscheidung von „rein intersubjektiver“ und „institutionell vermittelter“ hori-
zontaler Anerkennung (siehe Abschnitt 4.4.2.) unerwähnt. Vor dem Hintergrund
der unterschiedlichen Dimensionen (Abschnitt 4.4.4.) bzw. „Formen“ (Abschnitt
2.2.) von Anerkennung unterscheidet Taylor zwischen zweien  – der Evaluation
bestimmter identitätsrelevanter Merkmale und der gleichen Zuschreibung von
Rechten −, während Frasers Modell ein Amalgam von Gedanken darstellt, ange-
sichts dessen es schwieriger ist, klar zwischen unterschiedlichen Dimensionen
oder Formen von Anerkennung zu unterscheiden. Weder Taylor noch Fraser
erwähnen irgendetwas, das der Unterscheidung von „nicht vollständig personifi-
zierenden“ Weisen horizontaler Anerkennung, die sich allein aus Klugheitserwä-
gungen ergeben und „vollständig personifizierenden“ Weisen horizontaler Aner-
kennung gleichkäme, wie ich sie oben in der Auseinandersetzung mit Hegels
Konzeption diskutiert habe (siehe Abschnitt 4.4.5.).
 5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?   133

Aufgrund des relativen Mangels an begrifflicher Differenzierung in den Aner-


kennungskonzeptionen von Taylor und Fraser ist der Versuch, sie im Hinblick auf
die Unterscheidung von Einstellungen, Einstellungsgefügen, konkreten interper-
sonalen Beziehungen und sozialen bzw. institutionellen Kontexten aus Abschnitt
2.3. wie auch die Unterscheidung von Einstellungen, Handlungen und Aus-
drucksweisen aus Abschnitt 2.4. zu betrachten, nicht ganz einfach und vielleicht
auch nicht sonderlich interessant und fruchtbringend. Das heißt aber nicht, dass
es nicht fruchtbar sein könnte, die von ihnen diskutierten Themen und Ansich-
ten ausgerüstet mit den von ihnen bereitgestellten begrifflichen Unterscheidun-
gen weiter auszuarbeiten. In Bezug auf die Frage, ob Anerkennung responsiv auf
eine (wesentliche oder akzidentelle) Eigenschaft des Personseins anspricht oder
konstitutiv für dieses ist (siehe Abschnitt 2.5), konnten wir bspw. herausstellen,
dass Taylors Aufsatz das Augenmerk mehr auf die Beziehung von Anerkennung
zu personaler Identität als auf deren Verhältnis zum Personsein legt.
Frasers Modell sieht insgesamt von ontologischen Fragen ab und kann damit
wenig zur Beantwortung dieser Fragen beitragen. Die Verknüpfung, die sie zwi-
schen Anerkennung und sozialer Inklusion nahelegt, ist allerdings etwas, das
im Hinblick auf den Statusbegriff des Personseins nähere Aufmerksamkeit ver-
dient. Es ist wohl keine Form sozialer Exklusion so schwerwiegend wie die, vom
Personsein ausgeschlossen zu werden. Da das Personsein als Status darüber
hinaus etwas darstellt, das von der Anerkennung durch Andere abhängt, kann
ein Mangel an Anerkennung die schwerwiegende Form der Exklusion von voll-
ständigem Personsein zur Folge haben. Ich komme im abschließenden Kapitel
auf diese Thematik zurück.
6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma
Axel Honneths Werk steht für den bisher wahrscheinlich ambitioniertesten
Versuch, Anerkennung zum expliziten Kernbegriff der Philosophie zu machen.
Bei Honneth wird Anerkennung in den Mittelpunkt dessen erhoben, was manche
Kommentatoren bereits als ein neues „Paradigma“ der kritischen Sozial- und
Politischen Philosophie bezeichnen. In der Tradition der Kritischen Theorie der
„Frankfurter Schule“ stehend, ist es Honneths Ziel, Elemente und Gedanken
früherer Generationen der Frankfurter Schule  – von Theodor Adorno und Max
Horkheimer bis zu Jürgen Habermas – mit einer Konzeption der sozialen Wirk-
lichkeit zu verschmelzen, die die sich darin ereignenden sozialen Kämpfe her-
ausarbeitet. Er kritisiert die Denker der ersten Generation der Frankfurter Schule
dafür, dass es ihnen an einer angemessenen Konzeption sozialer Interaktion
mangelt, und versucht, ein reichhaltigeres und antagonistischeres Bild von Inter-
aktion einzuführen, das unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung und
des Konflikts auf angemessenere Weise Rechnung trägt als dasjenige, das in der
sprachzentrierten Theorie von Rationalität, Moralität und Politik bei Habermas
zu finden ist. Er stützt sich auf Aspekte der Gesellschaftskonzeption Michel Fou-
caults, demzufolge Gesellschaften Arenen strategischer Kämpfe zwischen Indi-
viduen und Gruppen sind, zeigt sich allerdings zugleich kritisch gegenüber Fou-
caults letztlich vorgenommener Reduktion dieser strategischen Interaktion auf
anonyme Prozesse der „Macht“. In einer von Foucault deutlich verschiedenen
Weise begreift er die sozialen Kämpfe auch nicht (zumindest nicht ausschließ-
lich) als strategische Kämpfe um Macht und Eigeninteresse, sondern als mora-
lisch motivierte „Kämpfe um Anerkennung“.1
Honneth hat seine Konzeption der Rolle von Anerkennung und des Ringens
um Anerkennung im sozialen, politischen und individuellen Leben ursprünglich
in dem 1992 erschienenen Buch Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Gram-
matik sozialer Konflikte (Honneth 2003) vorgelegt. In der Folge hat er viele seiner
Gedanken überarbeitet und reformuliert, eine Vielzahl von Aufsätzen geschrie-
ben, in denen er u.a. die Konzeptionen derjenigen Denker rekonstruiert, die er als
wichtige Vorgänger bzw. Verbündete für sein eigenes Projekt ansieht, und seine
Anerkennungstheorie im Rahmen der Analyse bestimmter Entwicklungen der
kapitalistischen Gegenwart fruchtbar gemacht.
Seit dem Werk Kampf um Anerkennung stellt Hegel eine wichtige Bezugsgröße
für Honneths Arbeit dar. So entwickelt er die Konzeption moralisch motivierter
Kämpfe um Anerkennung und ihrer Auswirkungen auf soziale Prozesse das erste
Mal anhand einer Rekonstruktion der Politischen und Sozialphilosophie Hegels –
allerdings nicht des Hegels der Enzyklopädie, wie er in Kapitel 3 diskutiert wurde,
sondern des jüngeren Hegel der so genannten Jenaer Zeit zwischen 1800 und
136   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

1807. Honneth arbeitet Hegels Gedanken über das Wesen und die Bedeutsamkeit
von Anerkennung und Anerkennungskämpfen schließlich weiter aus, indem er
sich auf die Sozialpsychologie George Herbert Meads und neuere Strömungen der
Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie bezieht.
Im Folgenden werde ich nicht Honneths Hegeldeutung diskutieren,2 sondern
die Grundzüge seiner eigenen Theorie der Bedeutsamkeit von Anerkennung für
die menschliche Lebensform präsentieren, wie sie im Kampf um Anerkennung
vorliegt. Dabei werde ich insbesondere auf einige unaufgelöste Spannungen und
Ambivalenzen Bezug nehmen, die auch in späteren Weiterentwicklungen seines
Ansatzes zum Tragen kommen und die ich gegen Ende dieses Kapitels diskutie-
ren werde. Wie auch bei den anderen Autoren, die an früherer Stelle in diesem
Buch diskutiert wurden, geht es mir bei der Fokussierung auf die Probleme bzw.
Ambivalenzen des Honnethschen Ansatzes nicht darum, seine Bedeutsamkeit
oder Fruchtbarkeit in Frage zu stellen. Mein Ziel besteht vielmehr darin, größt-
mögliche Klarheit über das Konzept bzw. die Konzepte von Anerkennung zu
gewinnen, die darin zur Anwendung kommen und Themen herauszuarbeiten,
die einer weiteren Klärung oder Ausarbeitung bedürfen.3

6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens basierend auf dem


Begriff der Anerkennung

Honneth hat sich im Kampf um Anerkennung die Bearbeitung einer anspruchs-


vollen Aufgabe zum Ziel gesetzt. Er möchte soziale Entwicklungen als Gescheh-
nisse begreifen, die sich durch soziale Kämpfe bzw. Bewegungen vollziehen und
die durch die moralische Mangelerfahrung adäquater Anerkennung motiviert
sind. Honneth möchte dies darüber hinaus mit dem Entwurf eines „formale[n]
Konzept[s] des guten Lebens“ verknüpfen, das nicht nur ein Kriterium für die
kritische Evaluation unterschiedlicher sozialer Ordnungen liefert, sondern auch
das implizite Telos genuin emanzipatorischer bzw. fortschrittlicher sozialer
Bewegungen darstellt. Sein Projekt ist sowohl für die Politische, für die Sozial- als
auch die Moralphilosophie von Bedeutsamkeit – dieses Merkmal unterscheidet
ihn von Frasers Engführung auf die Politische Philosophie.4
Ein wichtiges Leitprinzip von Honneths Unternehmen ist die im weitesten
Sinne Hegel’sche Vorstellung immanenter Kritik: Die kritische Sozialphiloso-
phie soll nicht von Maßstäben der Kritik ausgehen, die den Lebensformen, die
sie kritisiert und bewertet, äußerlich sind, sondern solche Maßstäbe stattdes-
sen innerhalb dieser Formen selbst auffinden. Diese Forderung besitzt sowohl
eine epistemische wie auch eine praktische Dimension. In epistemischer Pers-
pektive besitzt die Sozialphilosophie als endliche menschliche Tätigkeitsweise
 6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens   137

keinen privilegierten Standpunkt oder Maßstab, anhand dessen sie die relative
Leistung unterschiedlicher sozialer Ordnungen in einer Weise beurteilen könnte,
die über das hinausginge, was Menschen, die innerhalb dieser Ordnung leben,
qua Reflexion im Prinzip auch selbst akzeptieren könnten.5 In praktischer Per-
spektive muss die Sozialphilosophie sich auf explizite oder implizite Überzeu-
gungen, Intuitionen oder Zugeständnisse normaler Menschen berufen können,
wenn sie etwas in der Wirklichkeit verändern will. Sie muss diese Überzeugungen
auf eine Art und Weise artikulieren, die dabei hilft, rudimentäre Motivationen
zu emanzipatorischen und politischen Bewegungen zu entfesseln. Für Honneth
bietet die Vorstellung des konstitutiven Bedürfnisses nach Anerkennung einen
Ankerpunkt für eine solche immanent kritische, epistemisch gerechtfertigte und
politisch wirkmächtige Form der Kritischen Theorie.
Warum brauchen Menschen Anerkennung? Honneth spürt die Vorstellung,
dass menschliche Personen ihre Identität bzw. ihr Selbstverständnis der Aner-
kennung durch Andere verdanken, in einer unausgereiften Form schon beim
jungen Hegel auf sowie später in weniger „metaphysische“ Begriffe gegossen
auch bei George Herbert Mead. Honneth hat sich später von einigen Details der
Meadschen Konzeption distanziert,6 doch die Grundidee ist erhalten geblieben:
Die Selbstkonzeption eines Subjekts wird zuallererst durch die Internalisierung
evaluativer und normativer Konzeptionen über es selbst aufgebaut, die mit der
Anerkennung bzw. dem Mangel an Anerkennung durch relevante Andere ein-
hergehen. Obwohl Honneth oft den Begriff der „Identität“ verwendet, bezieht er
sich damit überwiegend nicht auf qualitative Merkmale, die ein Individuum von
Anderen unterscheidet – so wie Taylor und Fraser dies tun −, als vielmehr auf drei
praktische Selbstverhältnisse bzw. „Selbstbeziehungen, wie sie weiter unter in
Abschnitt 6.3. diskutiert werden.7
Trotz dieses Unterschieds geht Honneths Ansatz mit einer ausgeprägten
Betonung des Psychologischen einher, insofern er die Motivation für emanzipa-
torische Bewegungen und die Kriterien für eine gute Gesellschaft hauptsächlich
anhand von psychologischen Begriffen ausbuchstabiert. Nur dadurch, dass ich
mich selbst als Objekt der Anerkennung Anderer erfahre, kann ich (in der Kind-
heit und Jugend) ein positives Selbstverhältnis ausprägen und (im Erwachse-
nenleben) aufrechterhalten, das eine bedeutsame psychische Ressource für eine
gedeihliche Lebensführung ist. Erfahrungen von fehlender Anerkennung können
zutiefst schmerzen, sie können aber auch eine potentielle Motivationsquelle dar-
stellen, die – wenn sie angemessen artikuliert und kollektiv organisiert werden –
zu politischen „Kämpfen um Anerkennung“ führen.
Solche Kämpfe um Anerkennung sind moralisch motiviert, da eine angemes-
sene Form von Anerkennung der zentrale moralische Anspruch ist, mit dem Per-
sonen einander in ihren Interaktionen wechselseitig konfrontieren. Das implizite
138   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Telos dieser Kämpfe  – das denen, die sich in solchen Kämpfen engagieren, oft
nicht ausdrücklich bewusst ist, das der Sozialphilosoph jedoch als solches rekon-
struieren kann – ist eine gute Gesellschaft, d.h. eine Gesellschaft, in der Ansprü-
che auf Anerkennung in adäquater Weise erfüllt werden und so die Entwicklung
und den Erhalt positiver Selbstbeziehungen sowie ein gedeihliches individuelles
Leben ermöglichen. Es ist bemerkenswert, dass, obwohl Honneth die psycholo-
gische Konstitution der menschlichen Person als zutiefst soziale begreift, sein
evaluativer Standard für eine gute Gesellschaft von entschieden individualisti-
scher Natur ist. Der Maßstab, anhand dessen die unterschiedlichen bestehenden
Gemeinschaften und Gesellschaften kritisch evaluiert werden können und sollen,
ist das Maß, in dem sie soziale Rahmenbedingungen und dadurch angemessene
psychologische Ressourcen für das individuelle Wohlergehen bereitstellen.
Ein zentraler Anspruch des Honneth’schen Projekts besteht darin, auf diese
Weise eine bloß „formale Konzeption des guten Lebens“ (Honneth 2003, 275) zu
bieten, die nicht an irgendein bestimmtes kulturelles oder historisches Set von
Werten gebunden ist. Er bezieht sich lediglich auf die „strukturellen“ Bedingun-
gen derjenigen sozialen Relationen, die die individuelle Selbstrealisation in jeder
Gesellschaft unterstützen. Honneth meint darüber hinaus, dass dies ein implizi-
tes Ideal aller Gesellschaften darstellt, bzw. − wie er es ausdrückt −, dass man es
„von der Vielfalt aller besonderen Lebensformen normativ ablesen kann“ (ebd.,
276) als ein implizites normatives Kriterium der Gutheit sozialer Relationen und
Interaktion, mit dem die Individuen, die in diesen Gesellschaften zu Hause sind,
im Prinzip einverstanden sein können.8
Wenn es Honneths Konzeption des guten Lebens und einer guten Gesellschaft
wirklich gelänge, in diesem Sinne „formal“ zu sein, wäre damit Frasers a priori
Einwand widerlegt, dass jeder Bezug auf Vorstellungen des guten Lebens not-
wendigerweise Ausdruck einer partikularen, anfechtbaren Vision ist und daher
keine universelle Gültigkeit beanspruchen kann. Viele Kommentatoren haben
Honneths Anspruch, dass sein Modell des guten Lebens von „allen partikularen
Formen des Lebens“ geteilt wird, allerdings mit dem Einwand angegriffen, dass
das Ideal der individuellen Selbstverwirklichung spezifisch für die europäische
Moderne ist und keineswegs von allen Kulturen geteilt wird.9 Anstatt zu versu-
chen, den Universalitätsanspruch seiner formalen Konzeption des guten Lebens
systematisch zu verteidigen, hat Honneth im Hinblick auf dieses Problem inter-
essanterweise in seinen Veröffentlichungen seit dem Kampf um Anerkennung mit
deutlicher Zurückhaltung reagiert. Dies mag teilweise mit dem fallibilistischen
Geist seines Projekts und seiner Offenheit gegenüber Kritik, empirischer Falsi-
fikation, Verbesserung und Reformulierung zusammenhängen.10 Wie ich zeigen
werde, spiegeln sich darin aber auch unaufgelöste Spannungen wider, die sein
Programm seit der Ursprungsformulierung enthält. Kurz gesagt strebt Honneths
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   139

Position in zwei entgegengesetzte Richtungen, eine universalistische und eine,


die historistischer bzw. relativistischer Art ist; einige seiner Formulierungen
weisen in die erste Richtung, andere in die zweite. Diese Ambivalenz bzw. Oszil-
lation hängt eng mit einer zweiten Ambivalenz zusammen, die er mit Fichte und
Hegel teilt – nämlich die Ambivalenz, Anerkennung einerseits als ein rein inter-
subjektives Phänomen und andererseits als ein institutionell vermitteltes Phäno-
men zu betrachten.

6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung

Eine der originellsten Einsichten, die Honneth zur Bestimmung des Anerken-
nungsbegriffs beisteuert, ist seine explizite Differenzierung von drei Dimensio-
nen der Anerkennung. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich bereits alle drei
Dimensionen erwähnt  – zuerst die deontologische Dimension des Respekts bei
Fichte, zweitens die axiologische Dimension der Liebe in der Auseinandersetzung
mit Hegel und schließlich die kontributive Dimension der Wertschätzung bzw. der
positiven Bewertung, die ich aus Taylors Aufsatz herausgearbeitet habe. Obwohl
Honneth zur Kennzeichnung der Dimensionen selbst nicht die Ausdrücke „deon-
tologisch“, „axiologisch“ und „kontributiv“ verwendet, war meine Verwendung
dieser Begriffe in den vorangegangenen Kapiteln bereits durch Honneth geprägt.
Die Differenzierung der drei Dimensionen in Honneths eigenen Schriften
funktioniert in den Grundzügen folgendermaßen: Ausgehend von Hegel, Mead
und anderen theoretischen Quellen nimmt Honneth an, dass es drei grundle-
gende Dimensionen der positiven personalen Selbstbeziehung bzw. des perso-
nalen Selbstverständnisses gibt, die die grundlegenden psychologischen Res-
sourcen für eine erfolgreiche Selbstrealisation darstellen und somit auch für die
individuelle Entwicklung notwendig sind – nämlich Selbstvertrauen, Selbstach-
tung und Selbstwertgefühl. Diese werden durch drei korrespondierende Formen
der Anerkennung – Liebe, Respekt und Wertschätzung – aufrechterhalten, die im
Rahmen der modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften als zentrale
Normen bzw. moralische Erwartungshaltungen institutionalisiert sind. Sie sind
darüber hinaus konstitutiv für drei entsprechende Sphären des sozialen Lebens,
für die Familie und persönliche Nahbeziehungen, den Bereich des Gesetzes und
den Bereich der Arbeit.11 Personen bedürfen hinreichend viel Anerkennung in
allen drei Ausprägungsweisen, um die geeigneten psychologischen Ressourcen
für ein gelingendes individuelles Leben aufzubauen.
140   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

6.2.1 Liebe als Anerkennung

Die erste Dimension, die Honneth in seinem Buch erörtert  – eine Dimension,
die seiner Konzeption zufolge im Leben eines Individuums für gewisse Zeit die
grundlegendste ist − ist die (axiologische) Dimension der Liebe (Honneth 2003,
153 – 172.). Honneth zehrt in diesem Zusammenhang stark von der psychoanalyti-
schen Tradition der Objektbeziehungstheorie wie auch von der experimentellen
Entwicklungspsychologie. In seiner Diskussion der frühkindlichen Beziehung
zur Mutter müssen beide nach einer anfänglichen Phase ihrer relativ ununter-
schiedenen Einheit, zunehmend lernen, die Unabhängigkeit des anderen zu
akzeptieren. Dabei bezieht er sich explizit auf Hegels Konzeption des Bewusst-
seins seiner selbst im Anderen (bzw. „Seinselbstsein in einem Fremden“ (ebd.,
154)), wenn er den gelingenden Fall der psycho-sozialen Kindesentwicklung im
Sinne einer „Balance zwischen Selbstständigkeit und Bindung“ begreift (ebd.).
Da es mit der vollständigen Unfähigkeit, alleine zurechtzukommen, in die
Welt geboren wird, kommt es nicht nur bei der physiologischen, sondern auch
bei der psychologischen Entwicklung des menschlichen Kindes wesentlich auf
eine kontinuierliche Fürsorge und die Erfahrung des Umsorgtwerdens an. Einige
Aspekte in Honneths Beschreibung der frühesten Beziehungsphase zwischen
Kind und Mutter ähneln Hegels Beschreibung der praktischen Beziehung des pri-
mitiven begehrenden Subjekts zu seiner Umwelt: Für das Subjekt ist die Mutter
bzw. die Brust als unmittelbares Objekt der Begierde nur zur Befriedigung seiner
Bedürfnisse da. Darüber hinaus muss das Kind in Analogie zu Hegels idealisier-
ter Entwicklungsgeschichte auch im Rahmen der individuellen Realentwicklung
lernen, die Mutter als ein unabhängiges anderes Subjekt zu akzeptieren. Dies
kann ein möglicher Grund für eine Krise sein, in der das Kind in aggressiver
Weise versucht, die Mutter, die es verzweifelt braucht und zu verlieren fürchtet,
zu dominieren.12
Dadurch, dass das Kind lernt, die Selbstständigkeit der Mutter zu akzeptieren
und die Erfahrung macht, dass es nichtsdestoweniger von der selbstständigen
Mutter geliebt wird, entwickelt es einen grundlegenden Sinn von Sicherheit und
Selbstvertrauen, bzw. die Fähigkeit, ohne erdrückende Todes- und Verlassens-
ängste allein zu sein. Dieser grundlegende Sinn von Sicherheit und Selbstver-
trauen, der den Kern einer gesunden Psyche ausmacht, erlaubt es dem Indivi-
duum im späteren Leben nicht nur, mit Anderen vertrauensvolle Beziehungen
einzugehen, in denen es sich zu Hause fühlen kann, ohne das Bedürfnis zu
verspüren, die Anderen zu dominieren, sondern in einem allgemeineren Sinne
auch, hinreichend viel Selbstvertrauen zu besitzen, um sich in allen Bereichen
des Lebens verwirklichen zu können. Es empfindet Zuversicht dabei, seine indi-
viduellen Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen und ihnen gemäß zu handeln,
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   141

da es durch die Sorge und Liebe Anderer (der Mutter oder eines Erziehers) früh im
Leben eine Affirmation seiner eigenen Bedeutsamkeit erfahren hat. Es fürchtet
sich zudem nicht davor, seine eigenen Ansichten vorzutragen, da es die grund-
sätzliche Zuversicht ausgebildet hat, dass die Differenz oder Unabhängigkeit
von Ansichten nicht bedeuten muss, dass sich die Anderen vollständig von ihm
abwenden (ebd., 167, 211).
Auch wenn sich die ursprüngliche Konstellation des Umsorgt- und Geliebt-
werdens durch einen selbstständigen Anderen auf die Beziehung zwischen dem
Kind und seiner Mutter bezieht, besitzt diese Dimension von Anerkennung nach
Honneth Bedeutsamkeit für jede „primäre Beziehung“, die „aus starken Gefühls-
bindungen zwischen wenigen besteh[t]“ (ebd., 153). Beziehungen zwischen
engen Freunden wie auch zwischen Liebespartnern stellen Konstellationen dar,
in denen gegenseitige Liebe erwartet wird. In der modernen kapitalistisch-bür-
gerlichen Gesellschaft bildet allerdings die Kernfamilie den primären institutio-
nellen Kontext der Liebe; in diesem stehen liebevolle Beziehungen als konstitu-
tive Norm im Zentrum.
Vor dem Hintergrund der Unterscheidungen, die ich in Kapitel 2.3. zwischen
Einstellungen, Einstellungsgefügen, konkreten interpersonalen Beziehungen
sowie sozialen und institutionellen Sphären vorgenommen habe, kommt der
Liebe im Kampf um Anerkennung die Bedeutung einer konkreten intersubjektiven
Beziehung zu, die idealerweise sowohl Aspekte der Einheit als auch der Differenz
aufweist. Sie tut dies kraft der Subjekte, die geeignete intentionale Zustände bzw.
Einstellungen zueinander ausprägen. Es geht also um ein Gefüge von Einstellun-
gen: auf Seiten des Kindes darum, die Selbständigkeit der Mutter zu akzeptieren
sowie die Überzeugung auszubilden, dass die selbstständige Mutter es nichtsdes-
toweniger liebt; auf Seiten der Mutter darum, die Selbstständigkeit des Kindes zu
akzeptieren, (ohne die die Mutter nicht in der Lage wäre, ruhig und fürsorglich auf
den anfänglichen Ärger des Kindes zu reagieren, wenn dieses mit der Selbststän-
digkeit der Mutter konfrontiert wird) sowie um eine liebevolle und fürsorgliche
Einstellung gegenüber dem Kind. Auch wenn die Einstellungen im Rahmen der
Mutter-Kind-Beziehung somit zum Teil durch eine Asymmetrie gekennzeichnet
sind, gilt, dass es das Ziel der später im Leben einzugehenden Liebesbeziehun-
gen ist, mehr oder weniger symmetrisch verfasst zu sein, indem sie auf beiden
Seiten Akzeptanz für die Selbstständigkeit des Anderen, Liebe, ein Wissen um
die Akzeptanz, die der andere gegenüber der eigenen Selbstständigkeit aufbringt
und Zuversicht, vom Anderen geliebt zu werden, aufweisen.
Es ist allerdings bemerkenswert, dass Honneth, obwohl er sich auf die Ideal-
struktur der konkreten Beziehung konzentriert und das Gefüge von Einstellungen
diskutiert, aus dem sie besteht, im Kampf um Anerkennung eigentlich nicht klar
macht, worin genau die Einstellung der Liebe an sich besteht. Was heißt es denn
142   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

genau, dass die Mutter das Kind liebt oder dass Freunde einander lieben, zusätz-
lich zur Akzeptanz der Unabhängigkeit bzw. Selbstständigkeit des Anderen (die
allein klarerweise noch keine Liebe ist)? Honneth bestimmt den Begriff der Liebe
ausführlicher in dem Artikel „Liebe und Moral. Zum moralischen Gehalt affekti-
ver Bindungen“ (Honneth 2000), wo er das Wesentliche der Liebe im Sinne von
Handlungen bzw. Akten fasst, „Akte […] die wie die bedingungslose Fürsorge
oder das verständnisvolle Verzeihen zu erkennen geben, dass sie allein um des
individuellen Wohlergehens eines konkreten Anderen willen geschehen“ (ebd.,
235 – 236) mit anderen Worten: Akte, deren Motiv eine nicht-instrumentelle bzw.
„bedingungslose“ Sorge um das Wohlergehen des Anderen ist. Abstrahieren wir
von den Akten und konzentrieren uns allein auf die motivierenden Einstellun-
gen, dann sind wir mit dem Anerkennungskonzept der Liebe konfrontiert, das
wir implizit bereits in Hegels Entwicklungsgeschichte fanden: die nicht-instru-
mentelle oder unbedingte Sorge um das Wohl des Anderen.
Honneths Ausführungen im genannten Artikel sind allerdings nicht völlig
stimmig, insofern er die so verstandene Liebe ab und an mit der Wertschätzung
der qualitativen „Einzigartigkeit“ des Anderen, der „einzigartige[n] Weise, in der
jene Eigenschaften in ihr zusammentreffen“ (ebd., 222) vermischt. Der Haupt-
grund für diese gelegentliche Unstimmigkeit scheint das Fehlen einer deutlichen
Unterscheidung von Einstellungen, Einstellungsgefügen und konkreten Bezie-
hungen zu sein. Auch wenn eine konkrete Beziehung ohne die einfache Einstel-
lung der Liebe als unbedingter Sorge um den Anderen es wohl nicht verdiente,
als „Liebesbeziehung“ bezeichnet zu werden, beinhalten auch Liebesbeziehun-
gen zwangsläufig noch viele andere intersubjektive Einstellungen. Die wechsel-
seitige Wertschätzung der qualitativen Merkmale ist gewöhnlich entscheidend
dafür, dass Freundschaften oder Lebenspartnerschaften entstehen und damit
eine wichtige Komponente der Einstellungen, die an solchen Beziehungen betei-
ligt sind. Allerdings hängt die Einstellung der Liebe als bedingungsloser Sorge
um das Wohl des Anderen nicht von dessen qualitativen Eigenschaften ab. Um
der Komplexität konkreter interpersonaler Beziehungen Rechnung zu tragen
und den spezifischen Beitrag dieser Einstellungen auch im Hinblick auf das
subjektive Wohlergehen zu begreifen, ist es hilfreich, die einstellungsbezogenen
Aspekte von Liebesbeziehungen deutlicher auseinanderzuhalten als Honneth
selbst es oft tut.13

6.2.2 Respekt als Anerkennung

So wie die axiologische Dimension der Liebe ist auch die deontologische Dimen-
sion des Respekts in Honneths Konzeption wesentlich für die positive Entwick-
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   143

lung psychischer Fähigkeiten als notwendige Bedingungen der individuellen Rea-


lisation des Selbst. Während die Erfahrung des Geliebtseins das Selbstvertrauen
stärkt, unterstützt die Erfahrung des Respektiertwerdens die Selbstachtung. An
Honneths Erörterung des Respekts sticht die enge Verknüpfung von Respekt und
institutionalisierten Rechten hervor. Obwohl er es nicht wie Fichte darauf anlegt,
ein System von Rechten zu deduzieren und eher Hegel als Fichte Honneths klas-
sischer Referenzautor ist, besteht die Grundidee der Honnethschen Diskussion
von Respekt und Rechten in der seit Fichte bekannten Idee, dass der Besitz von
Rechten die Bedingung für eine bestimmte Art der Selbstbeziehung ist, die für
individuelle Freiheit konstitutiv ist. Während Fichte versuchte, dafür zu argu-
mentieren, dass es wesentlich für das Selbstbewusstsein eines freien Wesens
ist, als Träger von Rechten respektiert zu werden, sieht Honneth die wesentliche
Bedeutung von Respekt in seiner Stützung der Selbstachtung, die die zentrale
Ressource erfolgreicher Selbstverwirklichung ist. Honneth zitiert Joel Feinbergs
Beschreibung der psychologischen Wirkungen, die mit dem Besitz von Rechten
einhergehen: Von Anderen als Träger von Rechten respektiert zu werden „ermög-
licht uns, ihnen „aufrechten Hauptes“ und „auf Augenhöhe“ zu begegnen wie
auch, dass wir uns allen Anderen auf fundamentale Art und Weise ebenbürtig
fühlen können“14.
Honneth folgt Rudolph von Ihering, T. H. Marshall und Anderen bei seiner
Rekonstruktion der spezifischen Natur des modernen Gesetzes und der Rechte.
Während Rechte oder Privilegien in traditionellen Gesellschaften an eine
bestimmte angeborene soziale Position gebunden waren, genießen Individuen
im Rahmen der modernen Gesetzesordnung als Rechtspersonen mit gleichen
Grundrechten und Pflichten fundamentale Gleichheit, die vollständig unabhän-
gig davon ist, welche gesellschaftliche Rolle oder Position sie besitzen. Ein Indivi-
duum, das sich selbst als jemanden versteht, der allen anderen rechtlich gleichge-
stellt ist, achtet sich selbst und empfindet, dass es Anderen „aufrechten Hauptes“
begegnen kann. Honneth zitiert darüber hinaus T. H. Marshalls einflussreiche
Interpretation der drei Entwicklungsstadien moderner Rechte, der zufolge grob
skizziert gilt, dass die Bürgerrechte, die Individuen einen grundlegenden Schutz
ihres Lebens und Eigentums bieten, im 18.  Jahrhundert entstanden, dass die
politischen Rechte zur Partizipation an der politischen Willensbildung (zumin-
dest für männliche Erwachsene) im 19.  Jahrhundert geboren wurden und dass
soziale Rechte, die die materiellen und Ausbildungsbedingungen sichern, um so
die politischen Rechte unabhängig von der sozialen Herkunft auch ausüben zu
können, im 20.  Jahrhundert entstanden (ebd., 187 – 191). Jede „Generation“ der
Rechtsentwicklung bedeutete eine verstärkte Inklusion und Gleichstellung von
Bürgern hin zu vollwertigen Gesellschaftsmitgliedern. Nach Marshall stellt dies
„eine Bereicherung des Stoffes dar, aus dem der Status der Rechtsperson gemacht
144   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

ist und ein Zugewinn im Hinblick auf die Zahl derer, denen ein solcher Status
zukommt“15.
Problematisch ist allerdings, dass auch Honneths Darstellung, wie schon
Fichtes und Hegels, durchtränkt ist mit der Ambivalenz von rein intersubjekti-
vem und institutionell vermitteltem Respekt*. Dies hat zudem Konsequenzen
in Hinblick auf Honneths These von der psychologischen Bedeutsamkeit, die
dieser Dimension von Anerkennung zukommen soll. Während Honneth Liebe als
eine intersubjektive Angelegenheit zwischen konkreten Personen interpretiert,
die einander psychologisch gesehen nahe stehen, versteht er Respekt auf eine
unpersönlichere Weise, die die Unterscheidung zwischen dem Intersubjektiven
und dem Institutionellen, mit allen Vor- und Nachteilen, weniger deutlich erken-
nen lässt. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich sowohl die vertikale Aner-
kennung der Individuen durch den Staat im Sinne der Zuschreibung von Rechten
als auch die institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* zwischen Indi-
viduen als Trägern von Rechten den rein intersubjektiven Formen von Anerken-
nung gegenübergestellt und den Mangel an psychologischer Tiefe betont, der in
den Fällen der nicht-rein-intersubjektiven Formen vorliegt. Honneth meint aller-
dings, wie seine Zustimmung zum Zitat Feinbergs zeigt, dass es eine bedeutsame
Verbindung von Rechten auf der einen Seite und psychologischen bzw. positi-
ven praktischen Selbstbeziehungen der Rechtsträger auf der anderen Seite gibt.
Worin aber besteht diese Verbindung?
Honneth artikuliert diese Verbindung mithilfe einer Idee, die man in George
Herbert Meads Theorie der Entstehung des sozialisierten Subjekts oder „Selbst“
(ebd., 114 – 147) finden kann. In Meads Theorie beinhaltet die Sozialisation, dass
man lernt, sich selbst aus der Perspektive seiner Interaktionspartner zu sehen.
Eine entscheidende Dimension dieses Prozesses besteht darin, sich aus der Sicht
ihrer normativen handlungsbezogenen Erwartungshaltungen zu betrachten.
Hierbei geht es nicht um Erwartungen im Sinne von Annahmen oder Hypothe-
sen darüber, wie man handeln wird, sondern um normative Erwartungen, also
darum, wie man den Anderen zufolge handeln sollte. So wie der Bereich an Inter-
aktionspartnern des Kindes sich ausweitet, lernt es, sich selbst aus der normati-
ven Perspektive von immer mehr Individuen zu betrachten und kann schließlich
aus der Erfahrung dieser Vielzahl von konkreten Anderen die Perspektive eines
„generalisierten Anderen“ (ebd., 125 – 129) abstrahieren.
Honneth erklärt, dass die normativen Erwartungen des generalisierten
Anderen die sozialen Normen sind, „denn jene verinnerlichten Normen sagen
ihm sowohl, welche Erwartungen es an alle anderen legitimerweise richten darf,
als auch welche Verpflichtungen es ihnen gegenüber berechtigterweise zu erfül-
len hat“ (ebd., 125) und dass man darüber hinaus durch die „Verinnerlichung“
dieser Erwartungen zu einem „sozial akzeptierten Mitglied seines Gemeinwe-
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   145

sens“ (ebd., S, 126) wird. Ein entscheidender Zug in Honneths Argument hängt
damit zusammen, dass er dieses Mead’sche Modell auf die moderne Rechtsord-
nung anwendet und in spezifischer Weise interpretiert. Honneth hebt die Vor-
stellung hervor, dass Rechte innerhalb der modernen Rechtsordnung jedem
menschlichen Wesen „als freiem Wesen“ (ebd., 179) oder als moralisch „zurech-
nungsfähige Person“ (ebd., 178) zugeschrieben werden und dass das moderne
Recht Respekt gegenüber der „Willensfreiheit der Person“ (ebd., 180 – 181) zum
Ausdruck bringt. Mit „Freiheit“ bezieht Honneth sich auf Freiheit in dem spezi-
fischen „moralpsychologischen“ Sinne Kants als der Fähigkeit, Handlungen aus
der Perspektive verallgemeinerbarer moralischer Prinzipien (im Gegensatz zu
empirischen Motiven wie etwa Gefühlen, die Menschen Kant zufolge ins Reich
der Kausalität verweisen) zu beurteilen und ihnen entsprechend zu handeln. Der
von Kant inspirierten Interpretation des modernen Rechts bei Ihering folgend,
kommt Honneth zu einer Deutung, der gemäß Rechte zu haben bedeutet, „als
eine Person“ respektiert zu werden.
So ansprechend diese Formulierung auch klingen mag, ist sie doch unkla-
rer, als Honneth anzuerkennen scheint. Der Begriff der „Person“, wie Honneth
ihn in diesem Kontext verwendet, schwankt nämlich zwischen dem von mir so
genannten Personsein im Sinne eines institutionellen Status, dem zufolge Person
zu sein einfach heißt, institutionell garantierte Rechte zu besitzen und Person-
sein wie auch Freiheit in der moralpsychologischen Bedeutung nach Kant, die
vor allem die Fähigkeit meint, Handlungen (die eigenen wie auch die Anderer)
nach Maßgabe ihrer Verallgemeinerbarkeit und moralischen Vertretbarkeit zu
beurteilen. Während „als Person“ respektiert zu sein im ersten Fall bedeutet, als
Rechtsträger respektiert* zu sein bzw. auf Weisen behandelt zu werden, die mit
den eigenen Rechten und dem eigenen Status als Rechtsträger vereinbar sind,
heißt es im zweiten Fall, als jemand respektiert zu sein, der die (aktuale oder
potentielle) psychologische Fähigkeit zu moralischem Personsein besitzt, so dass
Andere z.B. beschämt sind, wenn man sie für etwas kritisiert, das man als mora-
lisch inakzeptable Handlung ansieht. Zwischen diesen beiden Bedeutungen
nicht explizit zu unterscheiden hat den rhetorischen Effekt, dass sie entweder
wie die gleich Sache dastehen, was sie klarerweise nicht sind, oder dass Respekt*
für jemanden qua Rechtsträger gewissermaßen notwendigerweise auch Respekt
für ihn als jemand mit den psychologischen Fähigkeiten des moralpsychologi-
schen Personseins nach Kant impliziert, wobei überhaupt nicht offensichtlich ist,
warum dies so sein sollte.
Man betrachte auch die folgenden beiden Einwände bezüglich der zuletzt
genannten Vorstellung. Erstens besitzen, wie ich im Rahmen der Auseinanderset-
zung mit Taylor herausgestellt habe, tatsächlich nicht alle Menschen gleicherma-
ßen die Fähigkeit moralischer Urteilskraft, oder um dies in Meads Terminologie
146   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

auszudrücken, nicht gleichermaßen die Fähigkeit, Handlungen und Ansprüche


aus der Perspektive des „generalisierten Anderen“ zu beurteilen. Von Kindern
erwartet man nicht das gleiche Maß „moralischen Verantwortungsbewusstseins“
wie von Erwachsenen. Und noch wichtiger ist es, dass manche Kinder niemals
die psychologischen Fähigkeiten ausbilden, die Kant als moralpsychologische
Fähigkeiten von Personen ansieht bzw. die Fähigkeiten, die notwendig wären,
um die Perspektive des generalisierten Anderen bei Mead einzunehmen.
Nichtsdestoweniger meint man gewöhnlich, dass dies kein Grund ist, ihnen
den Schutz von Grundrechten vorzuenthalten. Worauf ich hinauswill, ist, dass
der Vorstellung, die Zuschreibung von Rechten impliziere Respekt vor den ent-
sprechenden Individuen als Personen im moralpsychologischen Sinne Kants, in
Wirklichkeit durch den praktischen Rechtsgebrauch widersprochen wird: Dass
man jemandem Rechte zuschreibt und ihn als Träger dieser Rechte respektiert*,
impliziert nicht notwendigerweise, dass man ihn auch als frei und autonom im
Kantischen Sinne respektiert. Da die konsistente Anwendung dieses Prinzips in
der Tat bedeutete, Menschen mit schwerwiegender mentaler Behinderung vom
Rechtsschutz auszuschließen, würden viele seine konsistente Anwendung als
vollständig inakzeptabel erachten.
Zweitens: Obwohl der Besitz mancher Rechte, etwa das Recht auf politische
Partizipation, von einem hinreichenden Maß rationaler Fähigkeiten abhängt (nur
psychologisch mehr oder weniger normalen Erwachsenen werden sie gewährt)
und obwohl diese Rechte somit im Prinzip als Ausdruck der Idee gedeutet werden
können, dass die Zuschreibung von Rechten Respekt gegenüber den Rechtsträ-
gern als moralpsychologische Personen zum Ausdruck bringt, ist es immer noch
eine empirische Frage, ob einzelne Rechtsträger es tatsächlich so sehen, dass sie
diese Rechte aus dem Grunde besitzen (oder ob sie diese Zusammenhänge über-
haupt kennen bzw. verstanden haben). Das heißt, dass Rechte zu haben und im
juridischen bzw. institutionellen Sinne Person zu sein im Verständnis der Rechts-
träger keineswegs notwendig mit der Selbstauffassung verknüpft ist, eine psy-
chologische Person zu sein, die die Fähigkeit besitzt, Normen und Prinzipien der
Koexistenz zu beurteilen oder eine Person, die von Anderen im intersubjektiven
Sinne als eine Autorität bezüglich dieser Normen respektiert wird.16
Das Fazit, das aus diesen beiden Überlegungen folgt, ist, dass institutionel-
les Personsein, das Subjekte mit der gleichen Menge von Rechten ausstattet, es
Individuen ohne Zweifel in einem wichtigen Sinne erlaubt, Anderen „aufrech-
ten Hauptes“ zu begegnen und sich ihnen in fundamentaler Weise ebenbürtig zu
fühlen („in some fundamental way the equal of everyone“). Der Gedanke aber,
dass dies es ihnen standardmäßig erlaubte, sich als gleichberechtigte Autorität
bezüglich des Inhalts akzeptabler Normen  – seien es moralische oder Normen
anderer Art − zu fühlen, ist sowohl begrifflich als auch empirisch nicht haltbar.
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   147

Respekt* für sich selbst in der ersten Bedeutung und Respekt für sich selbst in der
zweiten Bedeutung sind schlichtweg zwei verschiedene praktische Selbstverhält-
nisse, und das erste führt keinesfalls notwendig zum zweiten. Obwohl Honneth
insgesamt zweifellos einen ganz wichtigen Punkt vor Augen hat, wenn er die
Bedeutsamkeit für die individuelle Selbstachtung und für die gelingende Ent-
wicklung des Individuums herausstellt, die mit der Erfahrung einhergeht, dass
Andere dem Individuum Respekt zollen, und obwohl die Erfahrung des Mangels
von Respekt zweifellos eine starke Motivation für politische Bewegungen liefern
kann, leidet seine Auseinandersetzung mit diesem Thema im Kampf um Anerken-
nung an einem gewissen Differenzierungsmangel. So wie sie dasteht, vermischt
sie die institutionell vermittelte Form von Respekt* mit rein intersubjektivem
Respekt und in der Folge auch die Selbstachtung*, die jemand als anzuerken-
nender Rechtsträger besitzt, mit der Selbstachtung, über die jemand als Autori-
tät bezüglich gemeinschaftlicher Normen, eigener und fremder Rechte verfügt.17
Auch wenn die psychologische Tiefe im Prinzip eine herausstechende Tugend
von Honneths Anerkennungstheorie ist, fehlt es ihm doch bei der Diskussion der
deontologischen Dimension, die er ausschließlich im Kontext institutionalisier-
ter Rechte begreift, an einer Ausarbeitung dessen, was bereits Fichte zu artikulie-
ren versuchte: die Rolle von rein intersubjektivem Respekt für die Entwicklung
von Individuen zu „freien Vernunftwesen“ bzw. Personen im psychologischen
Sinne.18

6.2.3 Wertschätzung als Anerkennung

Während Liebe sich nach Honneth auf ihre Objekte als verletzliche singuläre
Wesen bezieht und Respekt auf diese als moralisch verantwortliche Wesen mit
gleichen Rechten, bezieht sich Anerkennung als Wertschätzung auf ihre Objekte
als Träger bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten. Und während Liebe das
grundsätzliche Selbstvertrauen des Anerkannten unterstützt und Respekt seine
Selbstachtung, befördert Wertschätzung sein Selbstwertgefühl, d.h. die positive
Einschätzung bestimmter persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten (Honneth
2003, 196 – 210). Es sind allerdings nicht alle Arten von Eigenschaften und Fähig-
keiten relevante Gegenstände der Wertschätzung: nur diejenigen, die andere als
etwas begreifen können, das einen Beitrag zu ihrem Leben leistet oder zu etwas,
das sie als wertvoll ansehen. Warum nur solche Eigenschaften? Eine dementspre-
chende Leitidee findet man bei Hegel wie auch beim jungen Karl Marx – nämlich
die, dass Menschen ihrer Natur nach kooperative Wesen sind bzw. Wesen, deren
Existenz von Kooperation bzw. der beiderseitigen Kontribution zu geteilten
Zwecken abhängt. Daher ist es eines der wichtigsten Merkmale eines vollwertigen
148   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Mitglieds der menschlichen Gemeinschaft, fähig und motiviert zu sein, etwas zu


den geteilten Zwecken oder der gemeinsamen Vorstellung des Guten beizutragen,
wie auch immer diese definiert sind.19
Wie auch bei der deontologischen Dimension von Anerkennung betont
Honneth die historischen Veränderungen von Wertschätzung und der damit
bezeichneten kontributiven Dimension. Er skizziert zwei idealisierte histori-
sche Stadien der Letzteren  – das „traditionelle“ bzw. „traditionale“ und das
„moderne“ Stadium – sowie einen „historischen Strukturwandel“ von dem ersten
zum zweiten Stadium (ebd., 198 – 199). Während die Gesellschaft im kollektiven
Selbstverständnis traditionaler Gesellschaften eine Ständeordnung beinhaltet,
deren Mitglieder bestimmte Rollen und Aufgaben im sozialen Ganzen besitzen,
das von Gott oder durch die ewige Ordnung der Dinge vorherbestimmt ist, verlie-
ren solche meta-sozialen Erklärungen und Legitimationen der sozialen Ordnung
im Übergang zur Moderne zunehmend an Glaubwürdigkeit.
Dieser Übergang geht mit zwei wichtigen Veränderungen der kontributiven
Dimension von Anerkennung einher. Erstens: Während Individuen in vormo-
dernen Ordnungen entsprechend ihrem jeweiligen Stand „geehrt“ (ebd., 199)
werden, wie es scheint en masse, und Unterschiede der Ehre zwischen Individuen
eines Standes nur den Grad widerspiegeln, in dem diesem oder jenem Indivi-
duum die Verwirklichung der Werte zugeschrieben wird, die seinen Stand ausma-
chen, wird die an Stände gebundene „Ehre“ mit dem Aufstieg des Bürgerstandes
mehr und mehr durch individualisierte Formen der „Wertschätzung“ ersetzt, die
sich von der vorgegebenen sozialen Rangordnung zunehmend ablöst. Während
der kriterielle Rahmen zur Bewertung der Leistung, die bestimmte Rollen, Per-
sönlichkeitsmerkmale und Tätigkeiten zum sozialen Ganzen beitragen, in der
vormodernen Welt nicht in Frage gestellt wird, wird dieser im Zuge der Moderne
zunehmend zum Gegenstand von Aushandlungsprozessen.
Es wird jetzt zumindest im Prinzip für jedes Individuum möglich, unabhän-
gig von seinem sozialen Hintergrund Wertschätzung für seine individuellen Leis-
tungen zum gemeinsamen Wohl zu erfahren. Zur gleichen Zeit aber verliert die
inhaltliche Bestimmung des gemeinsamen Guten und damit auch das, was als
relativer kontributiver Wert bestimmter individueller Fähigkeiten und Tätigkeiten
zu diesem Guten aufgefasst wird, seine Selbstevidenz und wird zu einem Feld
der Anfechtung und sozialer Kämpfe. Honneth versucht hier einen Mittelweg zu
finden, der zwischen der Akzeptanz, dass soziale Wertschätzung von der Existenz
eines „intersubjektiv geteilten Wertehorizont“ (ebd., 196) abhängt auf der einen
Seite bzw. einer hinreichend geteilten Vorstellung von den wichtigsten gemein-
samen Bedürfnissen, Zwecken und was einen Beitrag zu diesen darstellte – ein
Zugeständnis, das politische Liberalisten wie Nancy Fraser, die auf der Bedeut-
samkeit eines Wertepluralismus beharren, unmittelbar beunruhigen muss − und
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   149

der von ihm betonten Offenheit des modernen Wertehorizonts für Anfechtun-
gen und Kämpfe auf der anderen Seite, vermitteln kann. Eine gute Gesellschaft
erlaubt Individuen Weisen der Selbstverwirklichung, für die sie kontributive
Wertschätzung erfahren können, um auf diese Weise ein hinreichendes Maß an
Selbstwertgefühl zu entwickeln. Und auch wenn es immer möglich ist, dass die
vorherrschende Konzeption des gemeinsamen Guten und das, was als wertvoller
Beitrag zu diesem gilt, parteiisch ist, so dass ungerechterweise bestimmte Tätig-
keiten und Gruppen anderen vorgezogen werden, lässt eine gute Gesellschaft im
Prinzip Raum für die konstante Anfechtbarkeit und Neubestimmung des Inhalts
des gemeinsamen Guten. Im Grunde bietet sie damit jedem jenseits von unfairer
Bevorteilung die Chance, für seine Leistungen und Beiträge zum gemeinsamen
Guten wertgeschätzt zu werden und sich als wertvolles Mitglied der Gesellschaft
zu erfahren.
Wie wir in Abschnitt 5.2.1. gesehen haben behauptet Fraser, dass nach Hon-
neths Modell „moralisch gesehen jedermann einen Anspruch darauf erheben
kann, gesellschaftliche Achtung zu genießen“ (Honneth & Fraser 2003, 49).
Dies ist jedoch klarerweise nicht, was Honneth zum Ausdruck bringen will. Er
versucht vielmehr Bedingungen und Umstände zu bestimmen, anhand welcher
Leistungen fair beurteilt werden und jeder, unabhängig von seinem sozialen
Hintergrund oder anderen äußerlichen Faktoren, die Chance hat, wertgeschätzt
zu werden – natürlich unter der Bedingung, dass er etwas geleistet hat, das der
Wertschätzung würdig ist.
Eine der Fragen, die Honneths Diskussion der kontributiven Dimension von
Anerkennung und der formalen Auffassung des guten Lebens im Kampf um Aner-
kennung allerdings nicht vollständig bzw. eindeutig beantwortet, ist die Frage,
worin Wertschätzung besteht. Was genau heißt es, jemanden für eine Leistung
zum Wohl der Anderen bzw. zum allgemeinen Wohl zu schätzen? Ein Problem
sticht hier besonders hervor: Wertschätzung bzw. kontributive Wertschätzung
sieht verdächtig danach aus, den Anderen nur instrumentell wertzuschätzen
bzw. ihn für das allgemeine Wohl zu „instrumentalisieren“. Honneth betont
jedoch, dass Erwartungen von Anerkennung moralische Erwartungen sind. Die
Frage einmal beiseite gestellt, ob es ein unumgänglicher Bestandteil mensch-
licher Beziehungen ist, dass Andere instrumentalisiert werden und ob wir dies
für menschliche Beziehungen erwarten wollen, klingt die Vorstellung, dass es
eine moralische Erwartung verletzte, von Anderen nicht instrumentalisiert zu
werden, seltsam. Der junge Marx meinte, dass der Sachverhalt, dass sowohl
Arbeiter bzw. Produzenten wie auch diejenigen, die ihre Produkte konsumieren,
dazu gezwungen sind, einander (und auch sich selbst) instrumentell zu verste-
hen ein wesentliches Element der „entfremdeten“ Natur des Lebens unter kapi-
talistischen Bedingungen ist und etwas, das diesem einen unmoralischen Cha-
150   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

rakter verleiht.20 Es ist nicht klar, wie Honneths Ansatz mit der möglichen Kritik
umginge, dass Wertschätzung nur eine instrumentelle Weise der Wertschätzung
darstellt und somit nichts Moralisches, das Menschen wechselseitig voneinander
erwarteten, sondern vielleicht eher etwas, dass sie wie einen unumgänglichen
Lebensumstand akzeptierten.
Aber gibt es – so kann man fragen – eine Weise, wie man jemanden für seine
Leistungen anders denn instrumentell wertschätzen kann? Ich glaube, dass dies
möglich ist. Man denke an Dankbarkeit. Wenn A B für seine positiven Leistungen
zu etwas wertschätzt, das für A von Wert ist, A aber B gegenüber keine Dankbar-
keit empfindet, neigen wir dazu, zu denken, dass A B nur instrumentell wert-
schätzt. Vielleicht „instrumentalisiert“ oder „benutzt“ A B nicht in dem konkre-
ten Sinn, dass er ihn dazu zwingt, zu tun, was A will, doch nichtsdestoweniger
ist As Einstellung gegenüber B eine der instrumentellen Wertschätzung und damit
eine Einstellung des „Instrumentalisierens“: A wertschätzt B als Mittel zu einem
Zweck. Manchmal kann instrumentelle Wertschätzung ohne Dankbarkeit eine
angemessene Einstellung darstellen, manchmal aber auch nicht. In dem Maße,
in dem B tut, was er tut, weil er etwas dafür zurückerhalten möchte, etwa eine
finanzielle Belohnung, will er gerade, dass A seine Tat instrumentell wertschätzt,
nämlich als Mittel, das einem Zweck von A dient und dass dieser daher eine Ver-
gütung auszahlen will. Damit kontrastiert das Folgende: Wenn B nicht handelt,
weil er etwas dafür zurückerhalten möchte, also nicht „um seiner selbst (Bs)
Willen“, sondern vielmehr „um As willen“ handelt, also aufgrund eines intrin-
sischen Interesses an As Wohl, erwartet er gewöhnlich etwas anderes: nämlich
Dankbarkeit. Das heißt nicht, dass B handelt, weil er As Dankbarkeit erwartet,
denn dann würde er nicht um As willen handeln und somit auch keine Dank-
barkeit verdienen. Nur uneigennützige Handlungen verdienen Dankbarkeit; sie
verleihen einer aufrichtigen Erwartung von Dankbarkeit ihren besonderen mora-
lischen Charakter.21 Und es ist diese besondere moralische Logik, die altruistische
(oder liebende) Leistungen, deren angemessene bzw. erwartungsgemäße Antwort
Dankbarkeit ist, von der ökonomischen Logik des Handelns unterscheidet, das
auf eine Entlohnung kalkuliert und dessen angemessene bzw. erwartungsge-
mäße Antwort in instrumenteller Wertschätzung − einem Lohn − besteht.22
Das Augenmerk von Honneths Diskussion der kontributiven Dimension
von Anerkennung liegt auf der institutionellen Sphäre der sozialen Reproduk-
tion und Arbeit und sein zentrales Argument lautet, dass Kämpfe um eine faire
Entlohnung der Arbeit, wie auch Kämpfe um die Anerkennung bestimmter
Aktivitätsformen, wie etwa die Anerkennung von Hausarbeit als in erster Linie
sozial nützliche „Arbeit“,23 keine strategischen Kämpfe um materielle Vorteile
sind (zumindest nicht nur), sondern (wenigstens partiell) durch die moralische
Erwartung einer angemessenen bzw. kontributiven Wertschätzung durch die
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   151

anderen Gesellschaftsmitglieder motiviert sind. Das Medium allerdings, in dem


diese Wertschätzung zum Ausdruck gebracht wird, ist Honneth zufolge das Geld.
Hierbei stellt sich die schwierige Frage, inwiefern Erwartungen auf Entlohnung
von Arbeit als moralische Erwartungen begriffen werden können. Die moralische
Logik des Geschenks und der Dankbarkeit scheint dem nicht angemessen zu
sein, da sie Forderungen nach Entlohnung ausschließt und Entlohnung auch als
die falsche oder unangemessene Antwort ausweist.24 Wenn dies aber der Fall ist,
inwiefern kann Erwartungen, Forderungen und Kämpfen für einen fairen Lohn
dann überhaupt ein moralischer Charakter zukommen?
Es gibt zwei Wege, die man einschlagen kann, um dieses Problem zu lösen.
Der erste führt uns auf ein Thema, dass in Honneths intellektuellem Austausch
mit Nancy Fraser, der Koautorin des gemeinsamen Buches Umverteilung oder
Anerkennung? in den Vordergrund rückt, nämlich das „Leistungsprinzip“ (vgl.
Fraser & Honneth 2003, 147 – 159). Dies ist das Prinzip der modernen Bürgerlich-
keit, dem zufolge die Fähigkeiten und Leistungen des Individuums je nach ihrem
Wert für das gemeinsame Gute und unabhängig vom sozialen Hintergrund des
Individuums wertgeschätzt und entlohnt werden sollten. Auch wenn der Sachver-
halt der instrumentellen Wertschätzung sich an sich durch nichts moralisch Ehr-
würdiges auszeichnet, gewinnt er solcherlei jenem Gedanken zufolge dadurch,
dass man nach Maßgabe eines fairen und von ihm anerkannten Prinzips instru-
mentelle Wertschätzung erfährt. Ergänzt man hierzu die Erfahrung des Respek-
tiertwerdens als jemand, der zusammen mit anderen Autorität über den Gehalt
und die korrekte Anwendung des kontributiven Prinzips besitzt, dann ergibt sich
ein Aspekt, der als moralisch charakterisiert werden kann: Selbst dann, wenn der
Forderung nach Entlohnung, so lebenswichtig sie für den Arbeiter ist, keine posi-
tive moralische Qualität zukommt, die implizite Forderung, als eine beteiligte
Autorität hinsichtlich des Entlohnungsprinzips respektiert zu werden, besitzt
eine solche moralische Dimension. Diese zuletzt genannte implizite Forderung
beinhaltet schlichtweg als Person im Sinne einer Ko-Autorität über die Normen
der Koexistenz respektiert zu werden und sie impliziert (in dem Maße, in dem sie
aufrichtig gemeint ist) die Verpflichtung, andere gleichermaßen zu respektieren.
Man beachte allerdings, dass dieser Gedankengang die spezifisch moralische
Qualität der Anerkennung von Leistungen de facto von der kontributiven Dimen-
sion in die deontologische Dimension von Normen, Autorität und Respekt über-
trägt. Es ist jetzt in Wirklichkeit die deontologische Dimension, die Forderungen
nach fairer Entlohnung ein moralisches Element verleiht, während die erwartete
Weise der Wertschätzung des Arbeiters für seine Beiträge zur instrumentellen
Wertschätzung abgestuft wird. Wenn dies bedeutet, dass diese Form der Wert-
schätzung selbst keine Form von Anerkennung darstellt – da Anerkennung nach
Honneth etwa ist, dessen Erwartung eine moralische Erwartung ist −, dann hat
152   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Honneth in Wirklichkeit überhaupt keine dritte unabhängige Form oder Dimen-


sion von Anerkennung eingeführt.
Es gibt allerdings noch einen zweiten Ansatz, um über den moralischen
Charakter von Erwartungen, Forderungen und Kämpfen um einen fairen Lohn
nachzudenken, nämlich den, dass man die moralische Logik von altruistischen
oder liebevollen Beiträgen wie auch der Dankbarkeit als einen ihnen in Wahrheit
zugehörigen Aspekt begreift. Folgt man dieser Überlegung, dann ist Dankbar-
keit eine dritte Einstellung der Anerkennung, die der kontributiven Dimension
als Anerkennungsdimension eine gewisse Eigenständigkeit verleiht.25 So wie die
meisten menschlichen Handlungen und Interaktionen kann auch Arbeit durch
die verschiedensten Motive geleitet sein, die sich unter anderem hinsichtlich
ihres moralischen Charakters voneinander unterscheiden. Eine naheliegende
Motivation der Arbeit ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen (und den seiner
Angehörigen), eine Motivation, die von einer Entlohnung abhängt und somit
„eigennützig“ ist. Es gibt aber auch noch andere Motivationen zu arbeiten, eine
von ihnen stellt die aufrichtige und uneigennützige Sorge um Andere dar, der
Wunsch, (über die eigene Familie hinaus) zum Leben seiner Mitmenschen oder
Mitbürger etwas beizutragen. Für den jungen Marx bestand ein wesentlicher
Unterschied zwischen entfremdeter und nicht-entfremdeter Arbeit darin, dass
sich unter entfremdeten Bedingungen (im Kapitalismus) sowohl der Arbeiter
als auch der Konsument instrumentell zueinander verhalten und lediglich aus
Sicht ihrer eigenen Bedürfnisse, während nicht-entfremdete Arbeitsbedingungen
(wie sie im Kommunismus gegeben sein sollen) es dem Arbeiter – wie Honneth
es formuliert− erlauben, gegenüber den Konsumenten seiner Produkte und
deren Bedürftigkeit „eine Art von liebevolle Bejahung“ zum Ausdruck zu bringen
(Honneth 2003, 237).26 Mit anderen Worten erlauben sie dem Arbeiter, ein intrin-
sisches Interesse gegenüber anderen Menschen als Konsumenten seiner Arbeits-
produkte aufzubringen, wodurch die Arbeitstätigkeit zumindest teilweise einen
altruistischen bzw. liebevollen Beitrag zu deren Wohl darstellen kann. Honneth
weist darauf hin, dass Marx dieses Modell der altruistischen Kooperation später
aufgegeben hat, wodurch die Verknüpfung zwischen seinem Modell und Hegels
Begriff der Anerkennung verlorengegangen sei (ebd.). Soweit ich dies einschät-
zen kann, gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass Honneth diese Idee ver-
wenden würde, wobei unklar bleibt, warum nicht.
In den großen modernen Gesellschaften, in denen die Verbindung von
Arbeitstätigkeit und Konsum wie auch das Verhältnis von Arbeiter und Konsu-
ment in den meisten Arbeitsbereichen normalerweise zu entfernt und abstrakt
sind, was es dem Arbeiter schwierig macht, überhaupt irgendeine klare Vorstel-
lung vom Konsumenten auszubilden und irgendeine z.B. liebende Einstellung
diesem gegenüber einzunehmen, könnte man die Marx’sche Konzeption als
 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung   153

eine romantische Utopie kritisieren. Und doch gilt dies sicherlich nicht für alle
Formen von Arbeit. Insbesondere in Bezug auf die innerfamiliäre Hausarbeit,
aber auch in den Professionen der Pflegearbeit und Grundschulausbildung gibt
es die starke Erwartungshaltung, dass der Arbeitende zumindest ein gewisses
Maß an intrinsischer Sorge für das Wohl derjenigen aufbringt, die die Nutznießer
seiner Arbeit sind. Auch wenn es unrealistisch sein mag, sich von solchen Moti-
vationen in vielen anderen Arbeitskontexten allzu viel zu erwarten, wäre auch ihr
vollständiger Ausschluss von allen anderen Arbeitsformen unnötig und in unge-
rechtfertigter Weise zynisch. Es würde bedeuten, dass man a priori ausschlösse,
dass Arbeiter außerhalb dieser Sektoren jemals das Gefühl hatten, sie täten ihren
Mitmenschen durch ihre Arbeit etwas Gutes oder trügen etwas zur Gesellschaft
bei – und zwar nicht nur aus persönlichem Interesse. Es würde auch bedeuten,
dass man a priori ausschlösse, dass es außerhalb der genannten Bereiche jemals
genuine Gründe der Dankbarkeit für bestimmte Arbeiten gibt. Es scheint somit
der Fall zu sein, dass nicht alle Erwartungen von „Anerkennung“ für bestimmte
Leistungen im Bereich der Arbeit ausschließlich Erwartungen finanzieller Vergü-
tung sind, sondern dass einige von ihnen auch in Erwartungen von Dankbarkeit
bestehen und dass die moralische Logik, die in Letzterem enthalten ist, ihnen
einen spezifisch moralischen Charakter verleiht.27
Kombinieren wir nun die beiden Überlegungen zum moralischen Charakter
von Forderungen nach gerechtem Lohn, so erhalten wir im Resultat ein nuan-
cierteres Bild von den möglichen Motivationen und Erwartungen, die involviert
sein können, wann auch immer Individuen oder Gruppen „Anerkennung“ für
gesellschaftlich bedeutsame Leistungen fordern bzw. dafür kämpfen. Da wir über
Lohnarbeit sprechen ist ein zentraler Bestandteil selbstverständlich die Erwar-
tung instrumenteller Wertschätzung der eigenen Leistung, d.h. ein angemessener
Lohn.
Zusätzlich aber könnte es zwei weitere Bestandteile geben, die anders als der
erste klarerweise eine moralische Qualität besitzen und die (folgt man Honneth)
charakteristisch für genuine Anerkennungsphänomene sind: Erstens ist dies die
Erwartung, dass man selbst bzw. die eigene Peergroup im Hinblick auf den Inhalt
und die gerechte Anwendung des Kontributionsprinzips als Ko-Autorität respek-
tiert wird; zweitens, die Erwartung der Dankbarkeit, in einem Maße, dass die
Motivation zu arbeiten auch die uneigennützige Sorge um diejenigen einschließt,
die durch die eigene Arbeitsaktivität begünstigt werden oder deren Produkte kon-
sumieren. Obwohl bloße Entlohnung ohne Dankbarkeit keine adäquate Antwort
auf das zuletzt genannte Motiv darstellt, besteht augenscheinlich kein Grund, die
Möglichkeit auszuschließen, dass eine Entlohnung in manchen Umständen von
Dankbarkeit begleitet wird oder zumindest von den Empfängern so interpretiert
wird.28
154   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Es gibt allerdings noch ein Problem: In Anbetracht der Tatsache, dass in


großen Gesellschaften die Arbeiter wie auch die Konsumenten der von ihnen pro-
duzierten Produkte oft bis überwiegend keinen persönlichen Kontakt miteinan-
der haben und wenig bis gar kein Wissen übereinander als individuelle Personen
besitzen, scheint es recht problematisch, überhaupt davon zu sprechen, dass sie
irgendwelche Einstellungen zueinander haben. Ich werde auf dieses Problem im
letzten Kapitel (7.3.5.) zurückkommen, wenn ich die Rolle der Vorstellungskraft
innerhalb von Anerkennungsbeziehungen zwischen Individuen thematisiere, die
einander wenig bis gar nicht kennen.

6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth

Am Ende von Abschnitt 6.1. erwähnte ich Honneths Zögern bezüglich der trans-
kulturellen und transhistorischen Gültigkeit seiner „formalen Konzeption“ des
guten Lebens. Diese Thematik hängt eng mit der Ambiguität bzw. Spannung zwi-
schen seiner Konzeption von Anerkennung als rein intersubjektiver Angelegen-
heit einerseits und seinem Verständnis von Anerkennung als vermittelt durch ins-
titutionalisierte Normen und Prinzipien andererseits zusammen. Wie ich gezeigt
habe, ist diese Ambiguität bereits im Kampf um Anerkennung vorhanden, sie tritt
jedoch erst in Honneths folgenden Arbeiten mehr in den Vordergrund. Ich nutze
den restlichen Teil des Kapitels dazu, der Rolle und der Wirkung dieser Spannung
in den späteren Arbeiten nachzuspüren. Viele wichtige Aspekte von Honneths
Arbeiten seit dem Kampf um Anerkennung werden dabei nicht im Detail disku-
tiert werden. Da die infrage stehende Ambiguität jedoch den Kern von Honneths
Gesamtprojekt betrifft, verdient sie eine nähere Betrachtung.29 Insofern Honneths
Arbeit bisher den wohl ambitioniertesten Versuch darstellt, Anerkennung zum
zentralen Organisationsprinzip in der Politischen, der Sozial- und Moralphilo-
sophie zu machen, kann sich der Hinweis auf einige darin enthaltenen Probleme
für jeden als hilfreich erweisen, der an den Potentialen dieses Begriffs und den
Möglichkeiten, diese weiter zu entfalten, interessiert ist.

6.3.1 Anerkennungsprinzipien

Eine der Neuheiten in Honneths Ansatz, wie er ihn im gemeinsamen Buch mit
Nancy Fraser zum Ausdruck bringt (Honneth & Fraser 2003) ist die relative
Deemphase der psychologischen Aspekte von Anerkennung, wie sie im Kampf
um Anerkennung präsent waren, sowie die zunehmende Betonung der „Anerken-
nungsprinzipien“, die zentral sind für das, was der Gesellschaft in den Augen
 6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth   155

ihrer Mitglieder Legitimität verleiht und anhand welcher sie zu jeder Zeit deren
aktuellen Zustand wie deren Funktionsweise beurteilen. In der kapitalistisch-
bürgerlichen Gesellschaft orientiert sich die Kernfamilie am „Anerkennungs-
prinzip der Liebe“ (Fraser & Honneth 2003, 173), Rechtsverhältnisse orientieren
sich am „Prinzip der Rechtsgleichheit“ (ebd., 181) und die Sphäre der Arbeit am
bereits erwähnten „Leistungsprinzip“. Honneth hebt nun recht energisch hervor,
dass diese Prinzipien das Werk der europäischen Moderne und somit nicht von
universal menschlicher Natur sind. Allerdings spricht er nichtsdestoweniger an
manchen Stellen des Buches in einem „anthropologischen“ und universalisti-
schen Ton, wenn er im Hinblick auf das Bedürfnis nach Anerkennung von „quasi-
transzendentalen Interessen“ der menschlichen Gattung“ spricht, wobei „Erwar-
tungen sozialer Anerkennung“ „ihrer Form nach“ als „eine anthropologische
Invariante“ (die von historisch veränderlichen „Gehalten“ abhängt) angesehen
werden könnten (ebd., 206) und hervorhebt, dass Kämpfe um Anerkennung auf
„unabgegoltene Ansprüche der menschlichen Gattung“ (ebd., 280) verweisen.
Honneths Denken wird so in zwei gegensätzliche Richtungen gezogen: eine
historistische, die betont, dass Anerkennungsprinzipien, auf denen die Legiti-
mität der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufruht, jeweils spezifisch für
diese Gesellschaft sind und eine universalistische, die demgegenüber suggeriert,
dass Bedürfnisse nach Anerkennung universal menschlich und unabhängig von
Zeit, Ort und kulturellem Kontext sind. Das Problem mit dem ersten Gedanken-
gang ist Folgendes: Wenn Anerkennungsprinzipien wirklich spezifisch für die
europäische Moderne bzw. die kapitalistisch-bürgerliche Sozialordnung sind und
wenn eine Sozialkritik sich auf diese und keine anderen immanenten Prinzipien
berufen muss, dann ist Honneths Behauptung, dass die normativen Standards
seiner „formalen Konzeption des guten Lebens“ sich „von der Vielfalt aller beson-
deren Lebensformen normativ abheben lassen“ (Honneth 2003, 276), falsch. Er
spricht genau genommen nicht von Standards, die überall gültig sind, sondern
von Standards, die einer bestimmten Gesellschaftsform immanent sind.
Honneth scheint darauf hinauszuwollen, den historistischen und universa-
listisch-anthropologischen Gedankengang miteinander zu versöhnen bzw. zu
verbinden. Es ist allerdings nicht klar, wie diese Vereinigung funktionieren kann.
Eine zentrale Schwierigkeit rührt von der Tatsache her, dass die universalistische
Rede von Anerkennung und das Bedürfnis nach dieser als einer „anthropologi-
schen Invariante“ sich auf Anerkennung in der rein intersubjektiven Bedeutung
zu beziehen scheinen, während die sich historisch verändernden „Anerken-
nungsprinzipien“ auf institutionalisierte Prinzipien und Normen Bezug nehmen.
Da Honneth diese Unterscheidung zwischen dem intersubjektiven und instituti-
onellen Aspekt nicht explizit macht, bleibt die Spannung zwischen ihnen, statt
versöhnt zu werden, als ein unartikuliertes internes Problem seines Modells
156   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

bestehen. Das Problem besteht zusammengefasst darin, dass rein intersubjektive


Anerkennung streng genommen nicht durch Normen oder Prinzipien geregelt
werden kann; bzw. um ganz genau zu sein, kann die „vollständig geistige“ bzw.
„genuin personifizierende“ Weise, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4.5. cha-
rakterisiert habe, dies nicht leisten. Und doch scheint es so, dass die universalis-
tischen Bemühungen Honneths sich, wenn überhaupt, auf Anerkennung im rein
intersubjektiven Sinn und auf die genuin personifizierende Weise stützen.
Gemäß den „Anerkennungsprinzipien“, wie Honneth sie formuliert, soll
man sich in der Familie und in engen persönlichen Bindungen um Personen
kümmern, im rechtlichen Bereich sollen Personen Gleichheit genießen und im
Bereich der Produktion und der Arbeit sollen sie entsprechend ihrer Leistungen
Wertschätzung erfahren. In dem Maße, wie diese Sphären ihren „Prinzipien“ oder
„normativen Maßstäben der Anerkennung“ gerecht werden, können Individuen
die Erfahrung machen, dass die Gesellschaft ihre fundamentalen Bedürfnisse
nach Anerkennung befriedigt und somit legitim ist. Im Hinblick auf die axiolo-
gische Sphäre besteht allerdings ein Problem darin, dass es zwar institutionali-
sierte Normen, Prinzipien und Gesetze geben mag, die vorschreiben, dass Eltern
sich um ihre Kinder kümmern sollen, ein Gesetz, das vorschreibt, dass sie sie
lieben sollen, jedoch wenig Sinn ergibt, da die Einstellung der Liebe nichts ist,
was vorgeschrieben werden könnte. Das Gleiche gilt für die kontributive Dimen-
sion: Obwohl es institutionalisierte Normen bzw. Prinzipien geben kann, die faire
Methoden vorschreiben, wie Leistungen zu evaluieren und dotieren sind und
auch wenn es sogar institutionalisierte Verfahren geben kann, wie vorliegende
Evaluationen angefechtet werden können, kann die Einstellung genuiner Dank-
barkeit nicht verordnet werden, genauso wenig wie die Motivation zu arbeiten,
um sich auf diese Weise der Dankbarkeit würdig zu erweisen.
Man könnte meinen, dass diese Unmöglichkeit von der Irreduzibilität der
axiologischen und kontributiven Dimension von Anerkennung auf die deonto-
logische Dimension herrührt, die es mit Normen zu tun hat. In Wirklichkeit hat
dies seinen Grund jedoch in der Irreduzibilität rein intersubjektiver Anerkennung
im vollständig personifizierenden Sinne in jeder der drei Dimensionen; sie lässt
sich nicht auf irgendetwas reduzieren, dass durch Normen oder Prinzipien vor-
geschrieben werden könnte (seien diese institutionalisierter oder informeller
Natur). Demzufolge gilt dies auch für die deontologische Dimension. Obwohl
Gesetze, die Individuen oder Gruppen Rechte zuschreiben, von ihnen fordern,
einander als Träger von Rechten zu respektieren*, bzw. sich auf eine Weise zu
verhalten, die diese Rechte nicht verletzt, können von Individuen bzw. Gruppen
gesetzlich keine Einstellungen des genuinen Respekts gefordert werden (denn
solche Einstellungen zu haben, bedeutet, durch die Autorität des Anderen über
mich auf die unmittelbare Weise, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4.5. erläu-
 6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth   157

tert habe, motivational „affiziert“ zu sein). Genauso wie es im Fall, dass ich liebe
oder Dankbarkeit empfinde, weil es eine entsprechende Norm gibt, keine genuine
Liebe bzw. Dankbarkeit ist, stellt der Fall, dass ich Andere aus demselben Grund
für Autoritäten halte, keine Form des genuinen Respekts dar.
Innerhalb jeder der drei Dimensionen verträgt sich das, was am wichtigsten
für die psychologische Entwicklung und das Wohl ist  – nämlich die anerken-
nenden Einstellungen zwischen Individuen  – nicht gut mit der Vorstellung von
„Prinzipien“, „Normen“ und „Befehlen“ der Anerkennung. Ich habe allerdings
noch nicht erklärt, warum genau man annehmen soll, dass es gerade die rein
intersubjektiven Einstellungen der Anerkennung in ihrer unbedingten Weise
sind, in denen die universalistischen Ansprüche von Honneths Modell verankert
sind bzw. verankert sein sollten und damit auch, warum man annehmen sollte,
dass Honneth diese Ansprüche gefährdet, wenn er die Rolle dieser Einstellungen
innerhalb seiner Theorie aufs Spiel setzt.
Obwohl die Psychologie in Honneths Diskussion mit Fraser eine verhältnis-
mäßig geringere Betonung erfährt als im Kampf um Anerkennung, weist er der
Psychologie im Rahmen der anthropologisch-universalistischen Ausrichtung
seines Arguments dennoch eine zentrale Rolle zu. So spricht er von „der Struktur
der menschlichen Interessenlage“ (Honneth & Fraser 2003, 281; Betonung H.I.),
die er in enger Verbindung mit „der Struktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit“
(ebd., 282, Betonung H.I.) sieht und die normative Kriterien für die Kritik an
„alle[n] gegebenen Organisationsformen von Gesellschaft“ (ebd., 281) zur Verfü-
gung stellen soll – augenscheinlich sowohl in Bezug auf die Moderne als auch auf
die Vormoderne. Honneth schreibt:

Im Kern läuft meine Vorstellung auf die Hypothese hinaus, daß jede soziale Integration von
Gesellschaften auf geregelte Formen der wechselseitigen Anerkennung angewiesen ist, an
deren Unzulänglichkeiten und Defiziten sich stets wieder Empfindungen der Mißachtung
festmachen, die als Antriebsquelle gesellschaftlicher Veränderungen gelten können. (Ebd.,
282)

Es sind Gefühle der „Demütigung und Missachtung“ (ebd.), verursacht durch


einen Mangel an Anerkennung, die (in schlimmen Fällen) zur Zersetzung von
Gesellschaften bzw. (in positiven Fällen) zu emanzipatorischen Bewegungen und
damit zu einem Fortschritt hin zu einer besseren Gesellschaft, tendieren. Es ist
wichtig, dass Honneth auch in diesem Zusammenhang die Ansicht wiederholt,
dass Erwartungen und Erfahrungen von Anerkennung bzw. fehlender Anerken-
nung, auf denen seines Erachtens jegliche Form sozialer Integration zurückge-
führt werden kann, „moralische“ Erwartungen und Erfahrungen sind (ebd., 186,
201 – 203). Es gilt daher zu fragen, wie Anerkennung auszusehen hat, wenn die
diesbezüglichen Erwartungen und Erfahrungen bzw. deren Fehlen moralische
158   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Erwartungen und Erfahrungen sind. Da Honneth sich noch immer dem verpflich-
tet zu fühlen scheint, was er im Kampf um Anerkennung über die psychologi-
sche Bedeutsamkeit von Anerkennung gesagt hat, stellt sich darüber hinaus die
Frage, wie Anerkennung verfasst sein muss, wenn ihr eine solche Bedeutsamkeit
zukommen soll.
Ich habe oben die Vorstellung nahegelegt, dass institutionell vermittelte Aner-
kennung* bzw. die Anerkennung von jemandem als einem Träger von Rechten
(die in diesem Fall durch „Anerkennungsprinzipien“ verordnet werden), keine
so direkte Verbindung zu den Selbstverhältnissen der Objekt-Personen beinhal-
ten, wie dies im Falle der rein intersubjektiven Anerkennung gegeben ist – bzw.
genauer gesprochen, wie dies im Rahmen ihrer genuin personifizierenden Weise
der Fall ist. Dasselbe gilt für die vertikale Anerkennung der Individuen durch
den Staat, in dem Sinne, dass diesen Rechte garantiert werden, was eine Vorbe-
dingung für den horizontalen Respekt* zwischen Individuen qua Träger genuin
institutionalisierter Rechte darstellt. Der moralische Charakter sowohl der verti-
kalen Anerkennung von Individuen durch den Staat als auch der horizontalen
Anerkennung* zwischen Individuen scheint darüber hinaus alles andere als auf
der Hand zu liegen, denn Rechte können aus den unterschiedlichsten Gründen
beansprucht, gewährt und respektiert* werden, wobei offensichtlich nicht alle
moralischer Natur sind.30 Letztlich schließt die Beschränkung, dass Erwartungen
der Anerkennung moralische Erwartungen sind auch intersubjektive Anerken-
nung in ihrem konditionalen Modus aus  – im Sinne der bloß instrumentellen
Sorge um das Wohl Anderer, der bloß bedingten Zuschreibung von Autorität und
der lediglich instrumentellen Wertschätzung Anderer für ihre Leistungen.
In Anbetracht der Tatsache, dass Honneth weiterhin der Auffassung ist, dass
Anerkennung im relevanten Sinne entscheidenden Einfluss auf die Psychologie
ihrer Empfänger hat, und angesichts der Tatsache, dass er daran festhält, Erwar-
tungen und Erfahrungen von Anerkennung wie deren Fehlen als moralische
Erwartungen und Erfahrungen zu begreifen, scheint es zusammengenommen
so zu sein, dass Liebe, Respekt und Dankbarkeit, oder etwas Ähnliches (ange-
nommen es gibt ähnlich relevante Formen der bedingungslosen intersubjektiven
Anerkennung), diejenigen Gegenstände darstellen, über die wir zu reden haben.
Ihr Verhältnis zu den institutionalisierten Prinzipien und Normen wäre dann eine
Frage, die genauer auszuarbeiten ist. Vorausgesetzt, dass solche Einstellungen
im strengen Sinne nicht durch Normen angeordnet werden können, schließt
sich die Frage an, ob es andere Arten gibt, wie sie durch Normen affiziert werden
können und wenn ja, welche. Dies ist eine Frage, die ich in Abschnitt 5.2.3. im
Zusammenhang mit Frasers Modell bereits kurz berührt habe, doch sie erforderte
sicherlich eine genauere Untersuchung, die bestimmte, ob und wie die Vorstel-
lung von sich historisch und kulturell verändernden „Normen der Anerkennung“
 6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth   159

und von „Anerkennungsordnungen“ mit der Vorstellung von bedingungsloser


intersubjektiver Anerkennung vereinbart werden kann.
Eine andere Frage und Richtung, ausgehend von welchen man diesen Pro-
blembereich fruchtbar ausarbeiten könnte, ist die nach den Bedingungen, auf
Basis derer institutionalisierte Normen und Prinzipien als Ausdruck oder Verkör-
perung von genuin personifizierender intersubjektiver Anerkennung zwischen
Ko-Autoritäten (in Demokratien zwischen Gesellschaftsmitgliedern) erfahren
werden können. Die Aufgabe läge hierbei in einer genaueren Untersuchung der
unterschiedlichen möglichen Motive von sozialen und politischen Prozessen,
die zur Institutionalisierung bestimmter Prinzipien oder Normen führen bzw.
diese unterstützen. Solche Prozesse können klarerweise sowohl rein strategische
Kämpfe zwischen egoistisch motivierten Parteien (die zum Teil ideologischen
Rückhalt erfahren, der ihre Interessen als gemeinschaftliche Interessen ver-
schleiert) wie auch moralische und ethische Motive in Gestalt bedingungsloser
bzw. genuin personifizierender Anerkennung zwischen den Gesellschaftsmitglie-
dern involvieren.
Am Ende von Abschnitt 4.5. habe ich herausgestellt, dass der von Hegel
bereitgestellte begriffliche Rahmen im Prinzip die Vorstellung einer Vielzahl von
moralischen und ethischen Motiven als dem Hintergrund rechtlicher Relationen
erlaubt. Obwohl andere Gesellschaften andere Institutionen oder institutiona-
lisierte Prinzipien umfassen als die kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaften,
ist in dieser Perspektive für die moralische und ethische Qualität jeder Gesell-
schaft und damit ihre Fähigkeit, die positiven Selbstbeziehungen ihrer Mitglie-
der zu unterstützen, das Maß ausschlaggebend, in dem die Prinzipien Ausdruck
der bedingungslosen intersubjektiven Anerkennung der Mitglieder sind und
somit als ein bedeutsamer Ausdruck derselben erfahren werden können. Wir
haben hiermit einen Standpunkt der Kritik gewonnen, der nicht von irgendei-
nem bestimmen Rahmen institutioneller Prinzipien abhängt und der somit einen
Standpunkt darstellt, ausgehend von dem man, wie Honneth schreibt, „alle
gegebenen Formen der Organisation von Gesellschaft“ (ebd., 281), kritisch evalu-
ieren kann. In dem Maße, in dem bedingungslose intersubjektive Anerkennung
eine moralische Erwartung darstellt, die über kulturelle und Epochengrenzen
hinweg geteilt wird, da sie im Allgemeinen auf „der Struktur der menschlichen
Interessenlage“ beruht bzw. auf der universellen menschlichen Abhängigkeit von
genuin personifizierender Anerkennung, ist dies darüber hinaus ein immanenter
Standpunkt der Kritik, insofern er sich nicht einfach auf vom Philosophen aus-
gedachte Kriterien bezieht, sondern, um noch einmal mit Honneth zu sprechen,
auf universale Bedürfnisse und „Ansprüche der menschlichen Gattung“ (ebd.).
160   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

6.3.2 Die zunehmende Kluft zwischen den Ebenen

Honneths Werk seit Publikation seiner Debatte mit Fraser im Jahre 2003 ist
umfassend, daher werde ich nur einige allgemeine Beobachtungen dazu anstel-
len, inwiefern die eben diskutierte Spannung eine Rolle darin spielt. In seiner
Monographie Verdinglichung aus dem Jahre 2005 verfolgt Honneth das Ziel,
das „Verdinglichungs“-Konzept zu rehabilitieren, das durch Georg Lukács und
andere Autoren der marxistischen Tradition berühmt geworden ist. In Anlehnung
an Adorno und Horkheimer arbeitet Honneth die Konzeption aus, dass die Ver-
dinglichung anderer Personen eine Form des „Vergessens“ darstellt und schlägt
vor, dies noch genauer als Vergessen einer „elementaren“ Form der Anerkennung
der anderen Person zu verstehen. Es geht hier um eine emotionale Einstimmung
auf den Anderen, die in der frühen Kindheit die Perspektive des Kindes auf die
Perspektive der Mutter oder eines anderen Fürsorgenden hin öffnet, es dem Kind
so ermöglicht, sich selbst „in die Perspektive des Anderen“ (Honneth 2005, 51)
hineinzuversetzen und auf diese Weise an einer Welt der geteilten Bedeutungen
teilzunehmen. In der Perspektive des konkreten Anderen „gewinnt“ das Kind
„eine Ahnung von der Fülle an existentiellen Bedeutungen (…), die situationale
Gegebenheiten für den Menschen besitzen können“ und wird sich „eine[r] Welt
[von] bedeutungsvollen Qualitäten“ bewusst, in der es sich praktisch zu invol-
vieren gilt (ebd., 52). Mit anderen Worten: Das zunächst hilflose Kind muss die
praktische Bedeutung der Dinge, Qualitäten, Ereignisse und Umstände aus der
Perspektive des Erwachsenen erlernen, und die elementare Form der Anerken-
nung des Erwachsenen, die emotionale Einstimmung auf diesen, ermöglicht es
dem Kind, einen Zugang zur Perspektive des Erwachsenen zu gewinnen.
Honneths Idee ist es nun, dass das „Vergessen“ oder die Unterdrückung
dieser ursprünglichen emotionalen Einstimmung der Grund für emotional kalte
Beziehungen zu Anderen, rein „beobachtende“ oder „verdinglichende“ Weisen
ist, innerhalb welcher die Anderen anstatt als Subjekte oder Personen als bloße
Objekte oder Dinge erscheinen. Die Details dieses interessanten Vorschlags
können hier nicht diskutiert werden, doch der Hauptgedanke im Hinblick auf
den Begriff der Anerkennung ist der, dass diese „elementare“ bzw. „existentielle“
Form der Anerkennung „allen anderen, gehaltvolleren Formen der Anerkennung
zugrunde liegt“ (ebd., 60, Anm. 19). Mit Letzteren meint Honneth offensichtlich
die drei Formen der Anerkennung Liebe, Respekt und Wertschätzung, wie sie aus
dem Kampf um Anerkennung bekannt sind. Dabei evoziert diese Formulierung
die Erwartung, er denke über diese Formen der Anerkennung nun im Sinne von
unterschiedlichen Weisen, in denen das Subjekt die Welt aus der praktischen Per-
spektive des anderen Subjekts betrachtet und Dinge, Qualitäten, Ereignisse und
Umstände nun im Lichte der praktischen Bedeutsamkeit erblickt, die sie für den
 6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth   161

Anderen haben. Die „elementarere“ Form der Anerkennung und der „emotiona-
len Einstimmung“ – so scheint Honneth zu suggerieren – ist etwas, wodurch dies
möglich wird.
Diese höchst interessante Art und Weise, die drei Dimensionen der intersub-
jektiven Anerkennung verständlich zu machen, ist zumindest im Hinblick auf
Liebe und Respekt sehr plausibel: Wie ich im Zusammenhang der Hegelanalyse
(in den Abschnitten 4.4.5. und 4.5.) vorschlug, beinhaltet oder bedeutet Liebe
als eine Form der Anerkennung, die Welt aus der Perspektive des Anderen zu
betrachten, aus der Perspektive dessen, was gut oder schlecht für ihn ist, und
Respekt als Anerkennung bedeutet, die Welt aus der Perspektive der Urteile des
Anderen über moralisch Richtiges und Falsches zu betrachten. Unglücklicher-
weise ist dies, wie wir gesehen haben, nicht die Art und Weise, wie Honneth
diese Formen der Anerkennung in seinen früheren Werken meistens beschreibt.
Streng genommen ist es auch nicht die Art und Weise, wie er sie in Verdinglichung
beschreibt. In Verdinglichung begreift Honneth die „substantielleren“ Formen der
Anerkennung wieder anhand der Rede von Prinzipien bzw. der „internalisierten
Normen der Anerkennung“. Dem Werk Verdinglichung zufolge gilt, dass diese
„kulturell spezifischen Anerkennungsnormen regulieren, wie sich Subjekte in
den unterschiedlichen sozialen Beziehungen auf legitime Weise zueinander ver-
halten“ und welche „Pflichten“ ihnen wechselseitig zukommen (übersetzt nach
Honneth 2008, 153).31
Gemäß dieser Beschreibung stellen die drei substantielleren Formen der
Anerkennung somit keine rein intersubjektiven Phänomene dar, sondern viel-
mehr etwas, das durch die institutionalisierten Normen einer „Anerkennungs-
ordnung“ organisiert wird. Da die Übernahme der Perspektive eines Anderen
eine Angelegenheit von Einstellungen und anderen psychologischen Phänome-
nen ist und da diese im strengen Sinne nicht durch Normen angeordnet werden
können, entsteht eine Kluft zwischen Honneths Vorschlag, dass die drei Formen
der Anerkennung die Übernahme der praktischen Perspektive des Anderen bein-
halten einerseits und der Tatsache, dass er sie im Sinne von Normen der Anerken-
nung beschreibt andererseits. Da er den Unterschied wie auch das Verhältnis zwi-
schen Anerkennung im intersubjektiven Sinn und im institutionell vermittelten
Sinn nicht klar artikuliert, behalten seine Formulierungen im Hinblick auf diese
beiden Formen ihre Ambivalenz.
Was die Spannung zwischen der universal-anthropologischen und der his-
toristischen Perspektive auf Anerkennung betrifft, so mag man vermuten, dass
die Einführung der „elementareren“ Formen von Anerkennung in Verdinglichung
zumindest teilweise durch den Wunsch motiviert ist, auf den Vorwurf des histori-
schen Relativismus zu antworten. Es ist jetzt die elementare Form, in der Honneth
die universalistischen Ambitionen seines Projekts verankert: Während die drei
162   6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

„substantielleren“ Formen der Anerkennung bzw. die Prinzipien, durch die sie
organisiert werden, spezifisch für die kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaften
der Moderne sind, ist die „elementarere“ Form und ihre Bedeutsamkeit etwas
universal Menschliches. Trotz Honneths Annahme, dass Letztere die „Grund-
lage“ der zuerst genannten ist, bleibt es jedoch, wie wir gesehen haben unklar,
in welchem Verhältnis die beiden genau zueinander stehen sollen. Aufgrund
dieser Unklarheit scheint Honneths Strategie in Verdinglichung keine erfolgrei-
che Lösung im Hinblick auf die Spannung zwischen den universal-anthropolo-
gischen und den historistischen Motiven seines Projekts darstellen zu können.32
Honneth hat das in Verdinglichung umrissene Projekt (zumindest bisher)
nicht weiter ausgearbeitet und in seiner zuletzt erschienenen Monographie Das
Recht der Freiheit (Honneth 2011) den Leitbegriff der Anerkennung durch den
Leitbegriff der Freiheit ersetzt (in einer Weise, die stark von Hegel beeinflusst ist,
demzufolge Freiheit bedeutet, „sich selbst im Anderen zu finden“). Rein intersub-
jektive Anerkennung spielt in diesem Buch im besten Fall noch eine nebensäch-
liche Rolle, und Honneth scheint auch seine früheren universalistischen Aspira-
tionen weitestgehend aufgegeben zu haben, wenn er den Geltungsbereich des
Projekts in Das Recht auf Freiheit explizit auf eine Rekonstruktion der normativen
Prinzipien beschränkt, die in seiner eigenen Gesellschaft institutionalisiert sind.
Eine Ausarbeitung des Zusammenhangs zwischen dieser jüngsten Entwicklung
seiner Politischen und Sozialphilosophie und der in Verdinglichung noch sehr
präsenten Konzeption der rein intersubjektiven (und intrasubjektiven) Dynamik
der Anerkennung, steht allerding noch aus.33 Da Honneths Werk zum Zeitpunkt
der Abfassung dieses Buches in weiten Teilen eine work in progress darstellt, ist
zu erwarten, dass er sich den oben herausgestellten Problemen in seinen zukünf-
tigen Ausarbeitungen noch widmen wird.34
7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform
menschlicher Personen
In den vorangegangenen Kapiteln habe ich Verknüpfungen, Ähnlichkeiten und
Unterschiede in den Anerkennungstheorien von fünf zentralen Autoren heraus-
gearbeitet. Es besteht jedoch zwischen den Pionieren des Anerkennungsdiskur-
ses, Fichte und Hegel, einerseits und den gegenwärtigen Autoren Taylor, Fraser
und Honneth andererseits ein weiterer, grundlegenderer Unterschied. Damit
meine ich die relative Ungezwungenheit, mit der Fichte und Hegel über die
Verfasstheit „freier Vernunftwesen“, „Personen“ und „Menschen“ im allgemei-
nen und die Bedeutung, die Anerkennung dabei zukommt, geschrieben haben.
Taylor, Fraser und Honneth verhalten sich demgegenüber, wie die meisten
gegenwärtigen Politischen und Sozialphilosophen, was solche Generalisierun-
gen betrifft viel zurückhaltender. Es zeichnet die Haltung gegenwärtiger Autoren
der Politischen und Sozialphilosophie aus, dass sie aufmerksam sind gegenüber
der historischen und kulturellen Varianz des menschlichen Lebens, der Situiert-
heit des Philosophen oder Theoretikers und dem Risiko, aus einer bestimmten
(westlichen) Erfahrungswelt Verallgemeinerungen für die ganze Menschheit zu
ziehen. Das Risiko, so meint man, bestehe darin, etwas als ein universales Modell
oder eine Norm des menschlichen Lebens zu präsentieren, was in Wahrheit nur
eine bestimmte Weise des Menschseins oder einer gesellschaftlichen Organisa-
tion darstellt, so dass andere Weisen des individuellen und kollektiven Lebens,
schlichtweg aufgrund ihrer Andersartigkeit für abnormal bzw. weniger vollkom-
men gehalten werden.
Es ist allerdings auch keiner der drei Gegenwartsautoren gewillt, sich dem
Extrem einer relativistischen Position zu verschreiben, d.h. einer Position, die
sich von allen Versuchen abwendete, etwas von allgemeiner Gültigkeit darüber
zu sagen, was das menschliche Leben zu einem guten Leben macht oder mensch-
liche Beziehungen und Institutionen gerecht. Auf je eigentümliche Weise und
motiviert durch teilweise unterschiedliche Interessen versucht jeder von ihnen
sowohl die kulturelle und historische Varianz des menschlichen Lebens und ent-
sprechende normative Auffassungen anzuerkennen als auch einen mutwilligen
Relativismus zu vermeiden, der auf jegliche Ansprüche allgemeinerer Natur ver-
zichtet. Taylor unterscheidet in seinem Aufsatz zwischen der Politik der Diffe-
renz und der Politik der allgemeinen Würde und versucht, so viel wie möglich
von Letzterer in Erstere zu integrieren. Fraser weist jede Art der Bezugnahme auf
eine Vorstellung des guten Lebens in der Politischen Philosophie zurück, denn
ihrer Auffassung zufolge, sind diese notwendigerweise sektiererisch bzw. spie-
geln zwangsläufig eine bloß partikulare Sicht des menschlichen Lebens wider.
164   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Ihre Strategie, mit der sie sowohl Sektierertum als auch Relativismus vermeiden
will, besteht in der Konzentration auf das ganz abstrakte bzw. allgemeine nor-
mative Prinzip der gleichberechtigten „Teilnahme als Ebenbürtiger am sozialen
Leben“, wobei sie so wenig wie möglich über das soziale Leben selbst sagt bzw.
darüber, was dieses besser oder schlechter macht. Honneth scheut nicht davor
zurück, über das gute Leben zu sprechen, doch versucht er dabei auf einer Ebene
zu bleiben, die abstrakt bzw. „formal“ genug ist, um nicht-sektiererisch zu sein.
Wie wir gesehen haben ist sein ambitioniertes Projekt der Vermittlung bzw. Ver-
söhnung von universalistischen und partikularistischen Motiven jedoch mit einer
Reihe begrifflicher Spannungen und Unklarheiten belastet.
Nach der Diskussion all dieser unterschiedlichen Konzeptionen von Aner-
kennung bleibt die ungeklärte Frage bestehen, was an der Bedeutsamkeit von
Anerkennung (bzw. den unterschiedlichen Phänomenen, die darunter gefasst
werden) eigentlich genau von universalistischer Natur ist und was daran der his-
torischen und kulturellen Varianz zuzuschreiben ist. Dies ist die Frage, auf die ich
in diesem abschließenden Kapitel eingehen werde. Ich werde als erstes (in 7.1.)
einige begriffliche Probleme klären, die auf dem Spiel stehen, wenn es um die
entweder universalistische oder historisch kulturelle Varianz von Anerkennung
sowie deren Bedeutsamkeit für das menschliche Leben geht. In den Abschnitten
7.2. und 7.3. werde ich zweitens einen möglichen Weg skizzieren, wie eine univer-
salistische bzw. „anthropologische“ Interpretation der gleichzeitig ontologischen
und ethischen Bedeutsamkeit von Anerkennung zu rehabilitieren ist. Diese
Skizze zehrt von Hegels Ideen der Menschheit, des „Geistes“ und der „konkreten
Freiheit“, wie auch von Honneths mehrdimensionaler Anerkennungskonzeption.
Sie entwirft ein Ideal – im besten Fall das Ideal – des menschlichen Lebens mit
all seinen individuellen, sozialen und politischen Aspekten im Sinne der man-
nigfaltigen Elemente des von mir sogenannten „voll ausgebildeten Personseins“.
Das allgemeine Kriterium, das dabei vorgeschlagen wird, um die Gutheit einer
Gesellschaft zu ermessen, wie auch immer diese institutionell beschaffen sein
mag, oder einer menschlichen Beziehung bzw. eines Netzwerks von Beziehun-
gen, wie auch immer der kulturelle Kontext beschaffen sein mag, ist das Maß, in
dem diese die Verwirklichung der unterschiedlichen Elemente des menschlichen
Personseins im vollwertigen Sinne unterstützen bzw. damit kompatibel sind.
Egal ob es mithilfe dieses bestimmten Modells gelingt, ein Ideal zu artiku-
lieren, das in den unterschiedlichsten Gesellschaften und Kulturen auf Akzep-
tanz stößt, es ist in jedem Fall wichtig zu fragen, ob das anerkennungstheoreti-
sche Paradigma in der kritischen Sozialphilosophie (oder einer ihrer Versionen)
Relevanz besitzt, nicht nur für die Minderheit der menschlichen Gattung, die in
liberalen und kapitalistischen Gesellschaften lebt (bzw. im „Westen“), sondern
auch für den Rest der Menschheit. Positiver formuliert: Sollte irgendeine Weise,
 7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit   165

eine universalistische Konzeption der Bedeutsamkeit von Anerkennung für


das menschliche Leben zu rehabilitieren, gangbar sein, dann stellte sie einen
Standpunkt für eine immanente kritische Prüfung einer jeden Form der sozialen
Organisation des menschlichen Lebens zu Verfügung bzw. einer jeden mensch-
lichen Beziehungsform und damit eine Plattform des interkulturellen und inter-
sozialen Dialogs, Vergleichs und der Kritik. Die folgenden Überlegungen sollten
mindestens für jeden hilfreich sein, der sich weiter mit der Frage beschäftigen
möchte, was genau an Anerkennung und ihrer Bedeutsamkeit eigentlich univer-
sal menschlich ist und was nicht.1

7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre


Bedeutsamkeit

Die erste Herausforderung, der sich jede These über die mögliche universale
Bedeutsamkeit von Anerkennung zu stellen hat, ist die Leugnung, dass das Phä-
nomen selbst – also Anerkennung – etwas historisch und kulturell invariantes
ist. Eine einfache Version dieses Skeptizismus geht von der Alltagsbeobachtung
aus, dass es von einer Kultur und einer Epoche zur nächsten verschieden ist, was
genau solche Begriffe wie „Liebe“ oder „Respekt“ (sowie deren Äquivalente in
anderen Sprachen) bedeuten.2 So gesehen scheint etwa die These über die uni-
versale Bedeutsamkeit der Liebe bei der Entwicklung einer positiven Selbstauf-
fassung schon allein deswegen verworren zu sein, weil es nichts gibt, auf das sich
der Begriff „Liebe“ bzw. seine Entsprechungen zu unterschiedlichen Zeiten und
Orten gleichermaßen beziehen könnte.
Diese Variante des Skeptizismus gegenüber universalen Behauptungen
über die Bedeutsamkeit von Anerkennung in irgendeiner ihrer Formen lässt sich
jedoch leicht durch den Hinweis entschärfen, dass man nicht darüber redet,
worauf sich dieses oder jenes Wort in den unterschiedlichen Sprachen und histo-
rischen wie kulturellen Kontexten bezieht. Es wird vielmehr ein bestimmtes Phä-
nomen als universal bedeutsam behauptet – sei dies angemessen oder nicht –,
und welches Wort auch immer dafür gebraucht wird, ist dabei nebensächlich.
Es geht um die Phänomene, nicht um die Worte. Das bedeutet auch, dass man,
wenn man irgendwelche Thesen über die universale Bedeutsamkeit von etwas
aufstellen will, das man „Anerkennung“, „Liebe“, „Respekt“ etc. nennt, genau
beschreiben muss, welches Phänomen man damit meint und in welcher Bedeu-
tung man die entsprechenden Ausdrücke verwendet.
Eine Problematik, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist,
stellen die Unterscheidungen dar, die ich in Abschnitt 2.3. eingeführt habe. Will
man behaupten, dass Anerkennung oder eine ihrer besonderen Formen eine
166   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

bestimmte Bedeutsamkeit für das menschliche Leben über verschiedene Kultu-


ren oder Epochen hinweg zukommt, dann gilt es zu spezifizieren, ob man (a) über
eine bestimmte Art der Einstellung, (b) ein bestimmtes Gefüge von Einstellungen
und andere psychologische Zustände, (c) über eine bestimmte Art der konkreten
interpersonalen Beziehung oder (d) über eine bestimmte Institution redet.
Nehmen wir als Beispiel das Leben der modernen westlich-bürgerlichen
Familie. Die bürgerliche Familie im Allgemeinen ist einerseits (d) eine Institution,
für die bestimmte Normen konstitutiv sind, die zum Teil als Gesetze niederge-
schrieben sind, zu einem anderen Teil auch nicht niedergeschrieben sind, aber
von den Mitgliedern einer Gesellschaft durchgesetzt werden. Diese Normen defi-
nieren die deontischen Machtbefugnisse bzw. bestimmte Rechte und Pflichten,
die mit den ineinander verflochtenen Rollen innerhalb der Familie einhergehen.
Jede individuelle Familie ist aus institutioneller Sicht eine bestimmte Instanziie-
rung der allgemeinen Institution der bürgerlichen Familie und jede Frau, jeder
Mann und jedes Kind, das Teil dieser Familie ist, ist Träger einer Rolle und damit
Träger bestimmter Rechte und Pflichten als Ehefrau, Ehemann bzw. Kind.
Die institutionelle Perspektive bildet das Leben innerhalb einer Familie
jedoch nur in begrenzter Weise ab: Familienmitglieder stehen (c) in konkreten
interpersonalen Beziehungsverhältnissen zueinander und ihre institutionali-
sierten Rechte und Pflichten, die sie gegenüber einander und gegenüber der
Gesellschaft besitzen, sind nur ein Element dieser Beziehungen neben im Prinzip
unendlich vielen anderen Elementen.3 Eine offensichtlich zentrale Klasse von
Elementen der konkreten interpersonalen Beziehung bestimmter Familien-
mitglieder stellen die Einstellungen, Emotionen und anderen psychologischen
Zustände oder Dispositionen dar, die sie in Bezug auf die Anderen besitzen. Diese
psychologischen Phänomene gehen (b) in Gefüge bzw. Verbindungen ein, die von
sehr komplizierter Natur sein können. Einstellungen der Anerkennung (a) sind
ein, aber ein recht zentraler Bestandteil innerhalb solcher Gefüge.
Fragt man nach der historischen oder kulturellen Invarianz oder Varianz
der Rolle oder Bedeutsamkeit von Anerkennung bzw. nach der Invarianz oder
Varianz von Anerkennung selbst, dann hängt alles davon ab, auf welcher Ebene
man Anerkennung genau verorten will. Institutionen (d), wie die bürgerliche
Familie, sind selbstverständlich historisch und kulturell spezifisch und obwohl
die institutionalisierten und informellen Normen, die in anderen Kulturen und
zu anderen Zeiten die sexuellen Beziehungen und die Fürsorge des Nachwuchses
strukturieren, wichtige Elemente mit ihr teilen mögen, weichen sie im Detail doch
auch stark von ihr ab. Akzeptiert man um des Arguments willen Honneths Idee
von „Anerkennungsordnungen“, die aus institutionalisierten „Normen der Aner-
kennung“ bestehen, dann fasst man sie ähnlich wie andere soziale Normen, die
die menschliche Interaktion regeln, leicht als kulturell und historisch variante
 7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit   167

Phänomene auf. Identifiziert man Anerkennung mit Institutionen oder institutio-


nalisierten Normen bzw. Prinzipien, dann variieren diese selbstverständlich von
einem historischen und kulturellen Setting zum nächsten aufgrund der entspre-
chenden Variation der Rechte und Pflichten von Vätern, Müttern und Kindern,
die die kleinste reproduktive Einheit der Gattung darstellen.
In Bezug auf (c) die konkreten interpersonalen Beziehungen gilt Folgendes:
Auch wenn bereits jede Beziehung innerhalb derselben Gesellschaft und dersel-
ben Zeit sich in vielerlei Hinsicht von jeder anderen Beziehung unterscheidet, so
unterscheiden sich die unterschiedlichen Kulturen, Gesellschaften und histori-
schen Epochen doch durch für sie jeweils typische Beziehungsmuster voneinan-
der. Kommt durch diese auch eine gewisse Uniformität im Hinblick auf bestimmte
Instanziierungen desselben Beziehungstyps innerhalb einer Gesellschaft ins
Spiel, so unterscheiden sich diese Muster im Vergleich der Kulturen und Epochen
miteinander natürlich immens. Selbst dann, wenn man akzeptiert, dass diese
Varianz nicht grenzenlos ist (aufgrund so universaler anthropologischer Fakten
wie etwa dem, dass menschliche Kinder in der Kindheit hilflos und der Fürsorge
und Aufmerksamkeit durch Erwachsene bedürftig sind), impliziert die Identifika-
tion von Anerkennung mit konkreten interpersonalen Beziehungen bzw. „Aner-
kennungsverhältnissen“ im Vergleich der Gesellschaften, Kulturen oder Epochen
eine große Varianz.
Betreffs (b) der Gefüge von Einstellungen, anderen psychologischen Zustän-
den und Dispositionen sind die typischen Muster konkreter interpersonaler
Beziehungen teilweise durch typische Einstellungsgefüge konstituiert, die die
beteiligten Individuen zueinander einnehmen und beide sind durch zahlreiche
andere Faktoren geprägt – geographische, historische, ökonomische, kulturelle,
religiöse, die Bildung betreffende etc. −, die in den unterschiedlichen Gesell-
schaften und Epochen variieren. Auch wenn die Varianz aufgrund relativ stabiler
oder sich zumindest nur langsam verändernder Tatsachen menschlicher Wesen
und ihrer Bedürfnisse hier wiederum nicht endlos ist, scheint eine große histo-
rische und kulturelle Varianz, wenn man Anerkennung mit solchen psychologi-
schen Gefügen identifiziert, offensichtlich.
Betrachtet man Anerkennung auf der Ebene von Institutionen, konkreten
interpersonalen Beziehungen oder Einstellungsgefügen, dann lässt sich insge-
samt der Schluss nicht umgehen, dass Anerkennung selbst nichts darstellt, das
in allen kulturellen und historischen Kontexten oder allen Gesellschaften von
gleicher Art wäre. Doch diese − fast schon triviale – Folgerung lässt eine tieferge-
hende Frage bezüglich Einstellungen der Anerkennung leicht aus dem Blickfeld
geraten. Das ganze Buch hindurch habe ich betont, dass es gerade die anerken-
nenden Einstellungen sind, die nicht aus dem Blick geraten dürfen, will man die
Konstellation von Phänomenen, um die es in den klassischen und gegenwärtigen
168   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Texten über „Anerkennung“ geht, klar erfassen. Gibt es einen unwandelbaren


Kern in den Einstellungen der Anerkennung und etwas universal Gültiges in
ihrer Bedeutsamkeit für menschliche Wesen, das unabhängig von bestimmten
Kulturen, Epochen und den Besonderheiten institutioneller Strukturen ist? Und
wenn ja, könnte dies vielleicht einen Standpunkt für eine immanente Sozialkritik
liefern, der die Chance böte, quer durch die Kulturen anwendbar zu sein?
Wofür ich im Folgenden argumentieren werde ist erstens (in 7.2.1.), dass jede
der drei Dimensionen von Anerkennung, die in den vorangegangen Kapiteln
diskutiert wurde, aufgrund bestimmter allgemeiner struktureller Tatsachen der
menschlichen Lebensform, ein notwendiges Element jeder menschlichen Gesell-
schaft darstellt; zweitens (in Abschnitt 7.2.2.), dass der entscheidende Faktor
der ethischen oder moralischen Qualität sozialer Beziehungen und damit des
menschlichen Lebens in seiner wesentlichen sozialen Ausgestaltung der Modus
der intersubjektiven Anerkennung ist.

7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform und die


Rolle intersubjektiver Anerkennung

Ich beginne mit einer Erörterung von drei universalen Tatsachen über menschli-
che Wesen bzw. die menschliche Lebensform, die offensichtlich unabhängig von
der Kultur, der Epoche und den institutionellen Details von Gesellschaften sind
und von direkter Relevanz für die Frage nach der möglichen universalen Bedeut-
samkeit von Einstellungen der Anerkennung sind.
Erstens ist das instinktgeleitete Verhalten beim Menschen, anders als bei
weniger komplexen Tierarten, in einem großen Maße der Organisation des
Lebens durch geteilte Normen gewichen.
Zweitens leben Menschen im Gegensatz zu weniger komplexen Tieren nicht
allein in der Gegenwart; und im Rahmen ihrer subjektiven Erfahrung suchen sie
nicht allein die unmittelbare Befriedigung ihrer Wünsche und Bedürfnisse. Sie
sorgen sich vielmehr um ihr zukünftiges Wohl und im umfassendsten Sinn um ihr
Leben als Ganzes sowie um alles, was dazu einen positiven oder negativen Beitrag
leisten könnte. (Hierbei ist die spezifisch menschliche Fähigkeit involviert, sich
mögliche zukünftige Zustände und Ereignisketten vorstellen zu können.)
Drittens sind Menschen abhängig von Kooperation oder zumindest von den
Handlungen vieler, die zu gemeinsamen Zielen beitragen und so das individuelle
Überleben und die kollektive Reproduktion des Lebens ermöglichen. Koopera-
tion oder kontributive Handlungen zwischen Menschen sind durch die erwähn-
ten geteilten Normen bzw. die normativen Erwartungen geregelt und motiviert
durch die „zukunftsbezogenen“ Sorgen um Leben, Glück und Wohlergehen.
 7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform   169

Evolutionär gesprochen hat sich jedes dieser drei ineinander verflochtenen


spezifisch menschlichen Merkmale schrittweise entwickelt. Wäre man in der
Lage, weit genug in die ferne Vergangenheit zurückzublicken, würde man beob-
achten können, wie Menschen allmählich zu „einfacheren Tieren“ werden. In
evolutionärer Perspektive stellt kein Faktum über den Menschen eine vollstän-
dig unveränderliche „anthropologische Konstante“ dar. Doch die drei Merkmale
können offensichtlich in Bezug auf alle existierenden menschlichen Gesellschaf-
ten Gültigkeit beanspruchen, wie auch in Bezug auf alle vergangenen mensch-
lichen Zivilisationen, die in der Lage waren, Aufzeichnungen über ihre Lebens-
form zu hinterlassen. Um diese Kulturen oder Zivilisationen von früheren Stadien
der menschlichen Evolution abzugrenzen, wollen wir spezifizieren, dass wir uns
nur auf die menschliche Lebensform konzentrieren, insofern sie „mehr als eine
bloß animalische Lebensform“ ist, mit anderen Worten: dass unser Interesse der
Lebensform von „Menschen als Personen“ bzw. „menschlichen Personen“ gilt.4
So konkretisiert besteht die Behauptung darin, dass die eben erwähnten drei
allgemeinen Merkmale oder Tatsachen für alle „menschlichen Gesellschaften“
gelten, mit denen ich im Folgenden genauer noch „Gesellschaften menschlicher
Personen“ meine: Sie alle sind Spezifikationen bzw. bestimmte Instanziierun-
gen der allgemeinen Lebensform menschlicher Personen oder kurz gesagt der
„menschlichen Lebensform“, die sich durch die drei zusammenhängenden Tat-
sachen auszeichnet.5

7.2.1 Die drei Dimensionen der Anerkennung als wesentliche Bestandteile der


menschlichen Lebensform

Worin besteht aber nun die Relevanz dieser drei universalen Fakten über
menschliche Gesellschaften für die Frage nach der universalen Bedeutsamkeit
von Anerkennung bzw. von anerkennenden Einstellungen für die menschliche
Lebensform? Als erstes ist zu beobachten, dass eine grobe Korrespondenz zwi-
schen den drei Fakten und den drei Dimensionen der Anerkennung besteht, wie
sie in den vorangegangenen Kapiteln erörtert wurden: Organisation des Lebens
mittels geteilter bzw. sozialer Normen innerhalb der deontologischen Dimension,
Sorge um Leben und Glück innerhalb der axiologischen Dimension und Koopera-
tion oder kontributives Handeln innerhalb der kooperativen bzw. kontributiven
Dimension.
Worin aber besteht genau der Zusammenhang zwischen den Fakten und
den Dimensionen von Anerkennung? Ich möchte dies im Hinblick auf jede ein-
zelne der drei Dimensionen erläutern. Erstens ist irgendeine Form oder irgendein
Modus deontologischer Anerkennung (im Sinne der Zuschreibung von Autorität)
170   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

aufgrund der Erfordernisse, die mit der Organisation und Regelung des Lebens
durch geteilte Normen einhergehen, klarerweise ein notwendiges Element der
menschlichen Lebensform und damit jeder menschlichen Gesellschaft. Die Vor-
stellung, dass die Orientierung an Normen ein spezifisches und konstitutives
Merkmal der menschlichen Lebensform ist, wurde in den letzten Jahren nach-
drücklich von einer einflussreichen Strömung Hegel-inspirierter Philosophie
vorgetragen, die wir, aufgrund ihrer vornehmlichen Beschäftigung mit Fragen
von Normen, Autorität und kollektiver Autonomie „deontologischen Neo-Hege-
lianismus“ nennen können. Zu ihren Leitfiguren gehören die Amerikaner Robert
Brandom und Terry Pinkard.6 Einer ihrer zentralen Gedanken ist ganz allgemein
gesagt der, dass der Unterschied des nach Hegel „geistigen Bereiches“ von der
Natur, bzw. der Lebensform menschlicher Personen von einer bloß natürlichen
Lebensform darin besteht, dass wir als Personen mittels kollektiv autorisierter
und verwalteter Normen die Welt organisieren und diese als entsprechend struk-
turiert erfahren. Diese sozialen Normen regeln alle spezifisch menschlichen
Tätigkeiten, einschließlich der Tätigkeit der sprach-basierten Kommunikation
und des Denkens. Die Sprache selbst wird durch semantische Normen konstitu-
iert, die die korrekte und inkorrekte Verwendung von Worten bestimmen sowie
die Urteile und Schlüsse, in die sie involviert sind.7 Dies bedeutet, dass die Ver-
wendung einer Sprache zur Kommunikation und im linguistisch strukturierten
Denken die Anwendung dieser Normen erfordert. Da die menschliche Lebens-
form durch soziale Normen organisiert ist und da es keine anderen „Verwalter“
für die Gehalte dieser Normen gibt wie auch keine andere Quelle ihrer Autorität
als die menschlichen Wesen selbst, sind Menschen kollektiv gesprochen selbst-
bestimmte bzw. autonome Wesen.
Doch wieso stellt Anerkennung ein notwendiges Element für die normen-
geleitete Struktur der Lebensform dar? Der Grund hierfür ist, dass Menschen
als Personen einander als an Autorität Teilhabende „anerkennen“ müssen, mit
anderen Worten als „Ko-Autoritäten“ der Normen. Das eigene Verhalten wäre
nicht von sozialen Normen geleitet, hielte man keinen seiner Mitmenschen für
eine Autorität, die über die Richtigkeit oder Falschheit der eigenen Handlungen
und Gedanken urteilen darf. „Anerkennung“ meint hier also primär die horizon-
tale Zuschreibung von Autorität sowie den Sachverhalt, dass man Andere als Ko-
Autoritäten erachtet, sowohl in Bezug auf die Normen der Koexistenz, wie auch
in Bezug auf jede Form der gemeinsamen Aktivität (eine davon ist die sprachliche
Kommunikation) und des individuellen Handelns, die sich auf andere auswirken.
Dass sich normengeleitete Strukturen sogar auf Aktivitäten sprachlicher Kommu-
nikation und damit auf das Denken, insofern es sprachlich strukturiert ist, erstre-
cken, zeigt an, wie tief soziale Normen der Verfasstheit individueller Sprecher
und Denker, d.h. menschlicher Personen, immanent sind. Dies heißt darüber
 7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform   171

hinaus einerseits, dass es eine notwendige Bedingung der Personsein-stiftenden


Verfasstheit überhaupt ist, Andere als Autoritäten anzuerkennen. Andererseits
ist es eine notwendige Bedingung für die Partizipation an der gemeinsamen Aus-
übung von Autorität über Normen, dass man selbst von Anderen anerkannt wird
und in deren Augen als Ko-Autorität gilt. Sollte der deontologische Neo-Hegelia-
nismus mit diesen allgemeinen Ideen auf der richtigen Spur sein, wovon ich über-
zeugt bin, dann ist Anerkennung in irgendeinem Modus der Zuschreibung von
Autorität in der Tat eine notwendige und zentrale Komponente der menschlichen
Lebensform.8
Da Menschen sich als Personen zweitens um ihr zukünftiges Wohl sorgen
und sich dessen Abhängigkeit von der Existenz und dem Wohl wenigstens einiger
anderer Personen bewusst sind, ist irgendeine Form bzw. irgendein Modus axio-
logischer Anerkennung von (zumindest einigen) Anderen im Sinne der Sorge
um deren Leben und Wohlergehen eine weitere notwendige Komponente der
menschlichen Lebensform und damit einer jeden menschlichen Gesellschaft.
Es gibt eine lange philosophische Tradition, die Differenz zwischen Personen
und Tieren, die keine Personen sind, mithilfe der axiologischen Begrifflichkeit
des Wertschätzens und Sorgens zu begreifen. Beginnend mit Aristoteles᾽ Ausfüh-
rungen in der Nikomachischen Ethik, der von den Menschen schreibt, dass sie
ein nicht-instrumentelles bzw. „intrinsisches“ Interesse an ihrem guten Leben
bzw. der eudaimonia nehmen (Aristoteles 2009), über John Lockes Überlegun-
gen zur zentralen Fähigkeit von „Personen“, „die glücklich oder unglücklich sein
können“ (Locke 1981, 435f.) im Versuch über den menschlichen Verstand bis zu
Harry Frankfurts zeitgenössischer Unterscheidung von Personen und Subjekten,
die keine Personen sind, mittels der Fähigkeit ersterer, sich von den unmittelba-
ren „first order“ Motivationen bzw. Begierden distanzieren zu können (Frankfurt
1971), bestand der Gedanke darin, dass das, was wesentlich für Menschen als Per-
sonen ist, in einer besonderen Struktur von Sorgen, Sorgen um sich selbst und
Wertungen besteht. Wie ich in Kapitel 4 gezeigt habe ist dies auch ein Aspekt von
Hegels idealisierter Konzeption der Überwindung eines lediglich animalischen
Modus der Intentionalität (den Hegel im Selbstbewusstseinskapitel „Begierde“
nennt) und damit des Werdens psychologischen Personseins.
Man muss zu diesem allgemeinen Bild nur das Faktum ergänzen, dass
menschliche Individuen konstitutiv unfähig sind, ihr zukünftiges Wohlergehen
als Einzelne zu sichern und es wird klar, warum sie sich notwendigerweise auch
um das Leben und adäquate Wohl Anderer sorgen: Mich um mein eigenes Leben
zu sorgen impliziert die Sorge um diejenigen, von denen mein Leben abhängt.
Die Anerkennung Anderer in irgendeiner Form bzw. in irgendeinem Modus der
Sorge um ihr Leben und Wohl ist eine logische Konsequenz der Sorge um sich
172   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

selbst  – und damit klarerweise ein notwendiger Bestandteil der menschlichen


Lebensform.9
Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit menschlicher Personen vonei-
nander ist drittens eine Form der kontributiven Anerkennung Anderer ein not-
wendiger Aspekt der menschlichen Lebensform und damit auch jeder menschli-
chen Gesellschaft. Diese dritte These hängt eng mit der zweiten zusammen. Das
zukünftige Wohl zu sichern erfordert konkrete Handlungen und da individuelle
Handlungen zu dessen Sicherung allein nicht hinreichend sind, ist irgendeine
Art von Kooperation oder sind zumindest Handlungen Mehrerer gefordert, die
ineinandergreifen und einander unterstützen. Der Grund dafür, warum die Sorge
um sich selbst zur Sorge um das Leben und Wohl Anderer führt, ist derselbe, der
auch bei Hegel im Verhältnis des Herrn zu seinem Knecht zum Tragen kommt:
Man sorgt sich um das Leben und Wohl Anderer, weil man ihrer Leistungen,
Beiträge oder ihrer Unterstützung zum Erhalt des eigenen Lebens und Wohlerge-
hens bedarf. Axiologische Anerkennung als eine Form der Sorge um das Leben
und Wohl anderer folgt mit anderen Wort logisch aus der kontributiven Form
von Anerkennung, die den Anderen dafür wertschätzt, dass er etwas zum Leben
Notwendiges zur Verfügung stellt. Infolgedessen gehört auch kontributive Aner-
kennung, in welchem Modus auch immer, als ein notwendiger Bestandteil zur
menschlichen Lebensform.
Insgesamt kann man ohne allzu große Probleme behaupten, dass die mensch-
liche Lebensform aufgrund der drei unkontroversen, oben genannten Fakten not-
wendigerweise die erwähnten drei Dimensionen von Anerkennung (bzw. die drei
Arten anerkennender Einstellungen) beinhaltet: Andere als Autoritäten zu erach-
ten, sich um das Leben und Wohl Anderer zu sorgen und Andere im Hinblick auf
die eigenen Bedürfnisse und Werte als (potentiell oder aktual) Beitragende wert-
zuschätzen. Dies sind schlichtweg unterschiedliche Manifestationen der konsti-
tutiven Abhängigkeit, die zwischen menschlichen Personen besteht.
Obwohl wir nun zu dem Schluss gekommen sind, dass jede der drei Dimen-
sionen von Anerkennung ein notwendiges Element der ontologischen Verfasst-
heit der Lebensform menschlicher Personen darstellt, ist dies aus Sicht dessen,
was in den vorangegangenen Kapiteln über Anerkennung gesagt wurde, doch
eine eher bescheidene Schlussfolgerung, die etwas Wichtiges außer Acht lässt.
Um es mit Hegel’schen Begriffen zu sagen: Alle oben genannten Weisen sind
lediglich Weisen, in denen Menschen durch „das Bedürfniß und die Noth“ (E3,
§ 431Z; vgl. oben Abschnitt 4.4.5.) aneinander gebunden sind und wie bereits in
der Diskussion des Hegel’schen Ansatzes deutlich wurde, gilt es mehr über die
ethische Bedeutsamkeit von Anerkennung für den „Geist“ bzw. die menschli-
che Lebensform zu sagen. Dies bringt uns zurück zur wichtigen Problematik des
Anerkennungsmodus, den ich in Abschnitt 4.2. eingeführt und in Abschnitt 4.4.5.
 7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform   173

im Hinblick auf die deontologische und axiologische Dimension bei Hegel und in
Abschnitt 6.2. im Hinblick auf die kontributive Dimension bei Honneth diskutiert
habe.

7.2.2 Der Anerkennungsmodus und das gute Leben innerhalb der


menschlichen Lebensform

Wofür ich im Folgenden im Anschluss an meine frühere Diskussion von Hegel


und Honneth argumentieren möchte ist, dass der Modus von Anerkennung unab-
hängig von der jeweiligen Kultur, Epoche und den Einzelheiten der institutio-
nellen Struktur eine zentrale Determinante der ethischen Qualität des menschli-
chen Lebens und menschlicher Beziehungen darstellt. Auf dem Umweg über die
Betrachtung eines Vokabulars, das der Umgangssprache nähersteht, möchte ich
mich dem annähern.
Sucht man nach tiefverwurzelten moralischen oder ethischen Intuitionen, im
Hinblick auf die gute Aussicht besteht, sie in den unterschiedlichsten Kulturen,
vielleicht sogar durchgängig wiederzufinden, dann scheinen Intuitionen in Bezug
auf die Frage, was es heißt, „als ein menschliches Wesen“ gesehen und behandelt
zu werden und was es heißt, dass das Gegenteil der Fall ist, also „unmenschli-
che“ und „entmenschlichende“ Verhaltensweisen zu erfahren, sehr gute Kandi-
daten zu sein. Sie rekurrieren auf die Vorstellung, dass es einen fundamentalen
Unterschied zwischen akzeptablen Behandlungs- und Verhaltensweisen gegen-
über Menschen und akzeptablen Verhaltensweisen gegenüber Entitäten, die
keine Menschen sind, gibt. Menschliche Wesen sind keine „bloßen Dinge“ und
daher sollten sie nicht wie bloße Dinge behandelt bzw. „verdinglicht“ werden.
Doch obwohl die Vorstellung von einer menschlichen Behandlungsweise in
weithin geteilten und tief verwurzelten moralischen bzw. ethischen Intuitionen
widerhallt, ist sie als Vorstellung in vielerlei Hinsicht nichtsdestoweniger sehr
vage. Denn was bedeutet es konkret, „als ein menschliches Wesen erachtet und
behandelt“ zu werden, welche Anschauungs- und Behandlungsweisen können
unter diesen Begriff gefasst werden? Ist beispielsweise die Instrumentalisie-
rung eines Anderen in der Weise, wie Hegels Herr seinen Knecht behandelt eine
menschliche Behandlungsweise des Knechts oder bedeutet dies im Gegenteil, ihn
auf „unmenschliche“ oder „entmenschlichende“ Art und Weise zu behandeln?
Um etwas erfolgreich als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck zu verwenden,
muss man selbstverständlich in der Lage sein, es generisch als die Art von Entität
zu identifizieren, die es ist und qualitativ als eine Entität, der im Hinblick auf den
jeweiligen Zweck bestimmte Eigenschaften zukommen. In diesem Sinne muss der
Herr seinen Knecht „als ein menschliches Wesen“ ansehen und behandeln. Doch
174   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

geht es bei der ethischen oder moralischen Vorstellung, wie ein menschliches
Wesen betrachtet und entsprechend behandelt zu werden, klarerweise um etwas
Anderes. In ihr geht es nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, darum, als
menschliches Wesen korrekt identifiziert zu werden.
Worum aber geht es dann? Könnte es darum gehen, als ein menschliches
Wesen identifiziert zu werden und gemäß einigen fundamentalen Menschenrech-
ten behandelt zu werden? Im Hinblick auf Anerkennung formuliert: Könnte es
darum gehen, als ein Mensch identifiziert zu werden und als ein Träger solcher
Rechte anerkannt* zu werden? In der Tat können es wohl teilweise Rechte sein,
um die es den Intuitionen einer menschlichen Behandlungsweise geht; zumin-
dest stellen sie einen wichtigen begrifflichen Rahmen dar, innerhalb dessen
solche Intuitionen in der westlichen Welt artikuliert und institutionalisiert
werden – man denke an die Ideen der „Menschenrechte“, „Verletzungen der Men-
schenrechte“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ (insofern man die letztge-
nannten als Rechtsverletzungen versteht). Doch gibt es sicherlich noch mehr über
diese Intuitionen zu sagen als in der Idee von Rechten zum Ausdruck kommt.
Betrachten wir das folgende Beispiel: B hat alle, die sie liebt und allen irdischen
Besitz bei einem fürchterlichen Unfall verloren und ist nun zutiefst verzweifelt;
A erwägt Bs missliche Lage in allen Einzelheiten und behandelt B gemäß der ihr
zukommenden Rechte, ist jedoch emotional vollkommen unberührt von ihrem
Leid. A identifiziert B also nicht nur korrekt als ein menschliches Wesen, sondern
er respektiert* B auch als Rechtsträger. Trotzdem scheint etwas Fundamentales
zu fehlen, dessen Mangel die Aussage intuitiv richtig erscheinen lässt, dass As
Verhältnis zu B etwas „Unmenschliches“ bzw. „Entmenschlichendes“ zukommt.
Das Problem (sofern man zugesteht, dass hier eines besteht) liegt in As Mangel an
rein intersubjektiver Anerkennung gegenüber B im Sinne der Sorge um ihr Wohl.
Wir wollen dem Szenario noch ein weiteres Element hinzufügen: A identifi-
ziert B nicht nur als ein menschliches Wesen und behandelt sie gemäß ihrer (Bs)
Rechte, A ist von Bs Elend auch emotional berührt. In diesem Szenario identifi-
ziert A B also als menschliches Wesen, anerkennt* sie als einen Träger von Men-
schenrechten und anderen Rechten und bringt B darüber hinaus Anerkennung
im Sinne der Sorge um ihr Wohl entgegen. Stellen wir uns jedoch vor, dass A
sich nur wegen der negativen Effekte, die Bs Lage in Bezug auf ihn selbst (A) hat
oder haben könnte, um Bs Lage sorgt bzw. wegen der emotionalen Kosten, die für
ihn aufgrund der Situation angefallen sind oder noch anfallen könnten. Sobald
A realisiert, dass es solche Kosten nicht gibt, kehrt er zu einem Zustand der voll-
ständigen emotionalen Gleichgültigkeit gegenüber Bs Schicksal zurück. Wenn es
unter diesen Umständen immer noch Sinn ergibt, zu sagen, dass As Beziehung
gegenüber B „unmenschliche“ Kälte zum Ausdruck bringt, oder dass seinen Ein-
stellung ihr gegenüber etwas „Entmenschlichendes“ zukommt, dann hat dies
 7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform   175

nichts mit As Mangel an Sorge um B zu tun, sondern damit, dass seine Sorge nur
in einem konditionalen Modus vorliegt.
Es mangelt klarerweise an etwas von zentraler ethischer Relevanz, wenn
Individuen sich nur im konditionalen Modus, wie wir ihn am Anfang von Hegels
Herr-Knecht-Verhältnis kennengelernt haben, um das Leben oder Wohl Anderer
sorgen, d.h. insofern die Anderen notwendig oder nützlich für ihr eigenes Leben
oder Wohlergehen sind. In ähnlicher Weise fehlt etwas von fundamentaler ethi-
scher Wichtigkeit, wenn sie einander nur konditionalerweise oder instrumentell
als Beitragende zu ihrem eigenen Leben und Wohl wertschätzen, ohne dass das
geringste Maß an Dankbarkeit vorläge (vorausgesetzt, dass die Anderen zumin-
dest zum Teil selbstlos handelten und somit Dankbarkeit verdienen). Schließlich
fehlt etwas von fundamentaler Natur, wenn Individuen einander nur im konditi-
onalen Sinn als Autoritäten bezüglich der gemeinsamen Normen erachten, – so
wie Hegels Knecht und Herr sich anfänglich begegnen – dem Anderen nur aus
Sorge ums eigene Leben gehorcht wird oder weil es nur möglich ist, dem Anderen
erfolgreich Befehle zu erteilen, wenn man ihm ein Minimum an „technischer“
Autorität zuschreibt oder auch weil es aus anderem Grunde nützlich ist, d.h.
eigentlich ohne den geringsten echten Respekt füreinander.
Die ethische Problematik, die mit solchen Fällen einhergeht, erkennt man
leicht daran, dass sie sogar mit der vorsätzlichen Verletzung oder Tötung des
Anderen ohne jede Scham und Reue kompatibel sind. Wenn die einzige Art und
Weise, in der der Andere für einen „Autorität“ besitzt, dadurch bedingt ist, dass
er in der Lage ist, einem selbst Furcht einzuflößen (so wie dies bei Hegels Herrn
gegenüber dem Knecht der Fall ist) oder dass er sich in irgendeiner Weise als
nützlich darstellt, dann könnte man den anderen ohne ihm gegenüber irgendeine
Art von Schuld zu empfinden, ernsthaft verletzen oder sogar töten, sobald die
Bedingung nicht mehr gegeben ist.10 Das Urteil des Anderen stellt schlicht keinen
unbedingten oder unbedingt motivierenden Anspruch dar. Und wenn die einzige
Art, in der man sich um das Leben und Wohl des Anderen sorgt oder seine Leis-
tungen wertschätzt, von instrumenteller Natur ist, wird man sobald er aufhört
nützlich zu sein kein Mitleid empfinden, wenn sein Leben in eine missliche Lage
gerät. Ethisch oder moralisch macht es die Situation nicht besser, wenn solche
Einstellungen wechselseitig oder symmetrisch vorliegen, denn dies bedeutet
lediglich, dass „unmenschliche“ affektive Kälte auf beiden Seiten gegeben ist.
Selbst dann, wenn Individuen einander letztendlich nicht verletzen würden oder
einander sogar wechselseitig Hilfe anböten, doch dies nur, weil es von ihnen auf-
grund der einschlägigen Rechte und Pflichten (bzw. der ihnen übergeordneten
Normen oder Gesetze) gefordert wird, behielte ihre Beziehung auf der Ebene rein
intersubjektiver Anerkennung noch immer ihre „unmenschliche“ Gefühlskälte
und Gleichgültigkeit.
176   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Ich halte die Vermutung für recht plausibel, dass ein Bild von sozialen Bezie-
hungen, das nur konditionale Formen von Anerkennung beinhaltet – so diese mit
der (gegen seine Einwilligung vollzogenen)11 Verletzung und Tötung des Anderen
ohne Scham und ohne Mitleid für das Leid und den Tod des Anderen vereinbar
sind − in den unterschiedlichsten Kulturen, historischen Epochen und unab-
hängig von den unterschiedlichen institutionellen Strukturen der Gesellschaf-
ten intuitiv als genuin „menschlichen“ bzw. „menschenwürdigen“ Beziehungen
widersprechend aufgefasst werden würde. Anders gesagt: Die Annahme scheint
plausibel, dass es eine sehr breite Übereinstimmung bezüglich der „Unmensch-
lichkeit“ gäbe, die einem Bild des menschlichen Lebens und des Sozialen ohne
unbedingte Einstellungen intersubjektiver Anerkennung anhaftet.
Worin aber besteht der Gehalt der Vorstellung von „Unmenschlichkeit“ in
diesem Zusammenhang? Im Prinzip kann er auf zwei unterschiedliche Weisen
rational rekonstruiert werden. Erstens kann man sich vorstellen, dass Bezie-
hungen, die nur konditionale Formen von Anerkennung involvieren, in dem
Sinne „unmenschlich“ sind, dass sie die Reproduktion des Lebens innerhalb der
menschlichen Lebensform verunmöglichen. Diese Vorstellung würde bspw. dann
der Wirklichkeit entsprechen, wenn Kinder das Erwachsenenalter nicht erlebten
oder sich nicht zu gut-funktionierenden erwachsenen Mitgliedern menschlicher
Gesellschaften entwickeln könnten, weil die sie umgebenden sozialen Beziehun-
gen nur konditionale Weisen der Anerkennung beinhalten. Aus evolutionärer
Perspektive wäre diese Vorstellung auch dann zutreffend, wenn es der Fall wäre,
dass menschliche Gesellschaften, die nur (oder zum größten Teil) aus Beziehun-
gen konditionaler Anerkennung bestehen, weniger robust und weniger fähig
sind, in schwierigen Zeiten und unter Wettbewerbsbedingungen mit anderen
Gesellschaften zu überleben, als Gesellschaften, für die das nicht gilt. Zweitens
kann man sich aber auch vorstellen, dass Beziehungen, die lediglich konditionale
Anerkennung beinhalten, das Ideal der „Menschlichkeit“ nicht realisieren, oder
um es mit Hegel zu sagen, dass sie das Wesen des Menschen nicht verwirklichen
bzw. so weit davon entfernt sind, es zu verwirklichen, dass sie sich den unklaren
Grenzen dessen annähern, was überhaupt noch als menschlich gelten kann.
Obwohl es Argumente und empirische Belege geben mag, die den ersten
Gedankenstrang unterstützen, bzw. den Gedanken, dass unbedingte Anerken-
nung in irgendeiner Weise notwendig ist, damit sich menschliches Leben repro-
duzieren kann (dass also die ethische Differenz, die mit dem Modus der Anerken-
nung einhergeht, auch ontologisches Gewicht besitzt),12 werde ich mich auf eine
rationale Rekonstruktion des zweiten Gedankenganges konzentrieren, also den
Gedanken, dass unbedingte Anerkennung in irgendeiner Weise das Ideal oder
Wesen des Menschen ausmacht oder eine Komponente desselben darstellt.
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   177

Hierbei geht es um das umgangssprachliche, alltägliche Äquivalent dessen,


was Hegel in seiner Philosophie des Geistes in philosophischer Terminologie for-
muliert hat. Wie ich in Kapitel 4 gezeigt habe, besteht das „Wesen“ des menschli-
chen Seins nach Hegel im „Geist“, das Wesen des Geistes in „konkreter Freiheit“
und Anerkennung stellt ein zentrales Element der Verwirklichung von konkreter
Freiheit und damit des menschlichen Wesens dar. Genauer ist es die rein intersub-
jektive Anerkennung im unbedingten bzw. „genuin personifizierenden“ Modus,
die konkrete Freiheit als Selbstbewusstsein in einem selbstständigen Anderen
realisiert und damit das menschliche Wesen im größten Maße (vgl. Abschnitt
4.4.5.). Überträgt man Hegels „Geist“-Terminologie, wie ich vorgeschlagen habe,13
in die Terminologie des „Personseins“, dann steht die vollständige Realisierung
des Geistes bzw. von „Geistigkeit“ durch diese Weise von Anerkennung für die
vollständige Verwirklichung des Personseins. Diesem Gedankengang folgend
sind Beziehungen, denen es an unbedingter intersubjektiver Anerkennung
mangelt genau aus dem Grunde „unmenschlich“ oder „entmenschlichend“, weil
sie das menschliche Wesen oder Ideal, nämlich das Personsein, nicht adäquat
realisieren. Zum Teil ist dies auch der Grund dafür, warum ich konditionale
Einstellungen der Anerkennung als „nicht genuin personifizierend“ bezeichnet
habe.

7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein


als menschliches Ideal

Doch was genau ist Personsein, was genau kann es heißen, dass voll ausgebilde-
tes Personsein das menschliche Wesen ausmacht und wie genau wird dies durch
Anerkennung realisiert? Dies sind die Fragen, die ich auf den verbleibenden
Seiten dieses abschließenden Kapitels zu klären versuche. Das erste Problem,
mit dem es sich zu befassen gilt, ist die Tatsache der Pluralität von Konzepten
des Personseins und damit die Pluralität der Vorstellungen, was es heißt „eine
Person zu sein“. Ich habe bereits in Abschnitt 2.5. darauf hingewiesen, dass es
drei verschiedene Konzepte des Personseins gibt und diese Unterscheidung in
den nachfolgenden Kapiteln fruchtbar gemacht für die Diskussion der Frage,
worauf Anerkennung antwortet bzw. wofür sie gemäß den Ansichten der unter-
schiedlichen Autoren konstitutiv ist. Wie gesagt können diese Auffassungen auf
der basalsten Ebene in zwei Hauptvarianten geteilt werden − die psychologische
und die Status-bezogene Auffassung. Dem psychologischen Konzept des Per-
sonseins zufolge heißt eine Person zu sein, eine bestimmte Personsein-stiftende
psychologische Konstitution oder Fähigkeiten zu besitzen. Nach dem Statuskon-
zept des Personseins heißt Personsein hingegen einen bestimmten Personsein-
178   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

stiftenden Status oder verschiedene Status des Personseins inne zu haben. Das
Statuskonzept des Personseins untergliedert sich darüber hinaus in zwei weitere
Begriffe – das institutionelle Statuskonzept und das intersubjektive Statuskon-
zept. Im Rahmen des institutionellen Statuskonzepts des Personseins besitzt man
als Person bestimmte Personsein-stiftende Rechte oder andere deontische Macht-
befugnisse und somit den Status einer Person innerhalb eines in­stitutionellen
Systems von Normen und Gesetzen.14 Gemäß dem intersubjektiven Statuskonzept
des Personseins besitzt man als Person eine Personsein-stiftende Signifikanz in
den Augen relevanter Anderer; man besitzt also den Status einer Person, der in
diesen Bedeutsamkeiten besteht, die in den konkreten interpersonalen Bezie-
hungen und Interaktionskontexten zugeschrieben werden. Ich werde als Nächs-
tes erklären, wie es angesichts dieser Pluralität möglich ist, von Personsein als
dem menschlichen Wesen oder Ideal im Singular zu reden und welche Bedeutung
Anerkennung dabei zukommt.

7.3.1 Die Elemente vollständig ausgebildeten Personseins


und ihre Beziehung zu Anerkennung

Als erstes gilt es festzuhalten, dass jedes dieser drei Konzepte des Personseins
wichtigen philosophischen und Alltagsvorstellungen in Bezug aufs Personsein
Rechnung trägt. Der Mangel oder die Einbuße eines jeden – der psychologischen
Fähigkeiten, der Bedeutsamkeit in den Augen der Anderen und des eigenen
Status als Rechtsträger  – kann sinnvollerweise als Mangel oder Einbuße eines
Aspekts oder Elements des vollausgebildeten Personseins beschrieben werden.
Im Rahmen eines Entwurfs, der beabsichtigt, den ethischen Intuitionen des
Alltags gerecht zu werden, sollte daher auch keine dieser Auffassungen igno-
riert werden. Die beste Art und Weise, diese Pluralität systematisch zu begreifen
besteht, wie ich vorschlagen möchte, darin, jedes der drei Konzepte als Auffas-
sung bestimmter Elemente, oder wie ich sagen werde, Ebenen des „vollständig
ausgebildeten“ Personseins zu verstehen. Im letzten Kapitel habe ich bereits über
Weisen gesprochen, in denen Anerkennung (in den unterschiedlichen Bedeutun-
gen des Wortes) auf solche Ebenen bezogen ist. Nun ist es Zeit, diese Ausführun-
gen zu systematisieren.
In Entsprechung zu den drei universalen Tatsachen über die Lebensform
menschlicher Personen (vgl. Abschnitt 7.2.) und den drei damit verbundenen
Dimensionen von Anerkennung (vgl. Abschnitt 7.2.1.), schlage ich darüber hinaus
vor, dass wir in ähnlicher Weise auch das vollwertige Personsein als bestehend
aus drei Dimensionen – eine deontologische, eine axiologische und eine kontribu-
tive − begreifen sollten. Diese Ebenen und Dimensionen und somit die Elemente
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   179

vollständig ausgebildeten Personseins, wie auch die Formen von Anerkennung,


die für die jeweilige Dimension am Wichtigsten sind, können schematisch in der
folgenden Tabelle dargestellt werden.

Tabelle 1: Die Elemente vollständig ausgebildeten Personseins

Ebene Deontologische Dimension Axiologische Dimension Kontributive Dimension

Psychologische Fähigkeit, Ko-Autorität Fähigkeiten der Sorge Fähigkeiten und Motiva-


Ebene über Normen auszuüben und Wertschätzung tion, etwas beizutragen

Intersubjektive Bedeutsamkeit einer Bedeutsamkeit von Bedeutsamkeit eines


(Status)Ebene ­Ko-Autorität jemandem, dessen wertgeschätzten
Wohlergehen wichtig ­Beitragenden
ist

Institutionelle Personsein-stiftende
(Status-) ­deontische Machtbefugnisse
Ebene (paradigmatischer Weise
basale Rechte)

Formen von Auf der intersubjektiven Entweder instrumen- Entweder instrumentelle


Anerkennung Ebene: entweder konditi- telle Sorge ums Wohl Wertschätzung oder
onale Zuschreibung von oder genuine Liebe genuine Dankbarkeit.
­Autorität oder genuiner
Respekt
Auf der institutionellen
Ebene: vertikale abwärts
gerichtete Anerkennung und
horizontaler Respekt*

In jeder Dimension geht intersubjektive Anerkennung in irgendeiner Weise res-


ponsiv auf die entsprechenden psychologischen Elemente des Personseins des
Anzuerkennenden ein und ist zugleich in gewissem Maße konstitutiv für die ent-
sprechenden psychologischen Elemente seines Personseins. Darüber hinaus geht
institutionell vermittelte (horizontale) Anerkennung* oder Respekt* in irgendei-
ner Weise auf die institutionelle Ebene des Personseins des Anerkennenden ein,
mit anderen Worten: auf die Personsein-stiftenden deontischen Machtbefug-
nisse, die er als Person besitzt. Diese Machtbefugnisse sowie der institutionelle
Status, den sie konstituieren, sind das Werk eines Kollektivs von Individuen, die
im psychologischen Sinne und dem intersubjektiven Status nach Personen sind
(sie sind zumindest im Rahmen der deontologischen Dimension Ko-Autoritäten
in Bezug auf die relevanten Normen bzw. Gesetze). Die genaue Beschaffenheit
der Prozesse oder politischen Formen, durch die Institutionen und deontische
Status zustande kommen und durch die sie in den verschiedenen Gesellschaf-
180   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

ten in Stand gehalten werden, müssen uns an dieser Stelle nicht interessieren.
Im Allgemeinen jedoch wird jemandes Personsein qua institutionellem Status
durch die Status-Zuschreibungen konstituiert, die eine einschlägige Instanz, die
die Macht dazu besitzt, garantiert und behauptet („vertikale abwärts gerichtete
Anerkennung“), − paradigmatischer Weise ist dies der Staat.
Es ist ein wichtiges Merkmal der Tabelle, dass diese sich neutral gegenüber
dem jeweiligen Modus intersubjektiver Anerkennung verhält.15 Der Modus spezi-
fiziert in jeder Dimension, worin genau die intersubjektive Bedeutsamkeit liegt,
die für die intersubjektive Ebene des Personseins konstitutiv ist. Im Rahmen der
deontologischen Dimension des Personseins sieht der Anerkennende das Objekt
der Anerkennung als jemanden an, dem Autorität zukommt und der mit ihm eine
„Ko-Autorität“ darstellt. Doch während dies im Rahmen von bedingter Anerken-
nung lediglich „Autorität unter Vorbehalt“ ist (dies ist die Art, die der Herr dem
Knecht und der Knecht dem Herrn zugesteht), beinhaltet unbedingte Anerken-
nung bzw. Respekt die Zuschreibung „unbedingter Autorität“. Letztere ist, wie
ich in Abschnitt 4.4.5. vorschlug, etwas, das eine Person, die über Selbstachtung
verfügt, in ihren eigenen Augen besitzt. Im Rahmen der axiologischen Dimension
des Personseins sorgt sich der Anerkennende um das Leben und das Wohl des
Objekts der Anerkennung, doch während dessen Leben und Wohl gemäß der
Logik bedingter Anerkennung für den Anerkennenden nur bedingte und instru-
mentelle Bedeutung besitzt, sind sie für ihn im Rahmen von unbedingter Aner-
kennung, der Liebe, von intrinsischer Wichtigkeit. Letztere kommt dem eigenen
Leben und Wohl zu, wenn eine Person der Eigenliebe fähig ist. Im Rahmen der
kontributiven Dimension schließlich wertschätzt der Anerkennende das Objekt
der Anerkennung als jemanden, der etwas leistet oder beiträgt. Im Hinblick auf
bedingte Anerkennung besitzt der Anerkannte jedoch lediglich instrumentellen
Wert für den Anerkennenden, im Rahmen von unbedingter Anerkennung sieht
der Anerkennende den Anzuerkennenden hingegen als jemanden an, der seine
Dankbarkeit verdient. Letzteres beschreibt, wie eine Person sich normalerweise
sieht, wenn sie am Leben, Wohlergehen bzw. Glück Anderer absichtsvoll und
in intrinsischer Sorge um deren Leben und Wohl mitwirkt – so erweist sie sich
nämlich deren Dankbarkeit als würdig.
Man beachte, dass sowohl der bedingte als auch der unbedingte Modus von
Anerkennung die Identifikation des Anderen als jemand, der mit Personsein-
stiftenden psychologischen Fähigkeiten und Merkmalen ausgestattet ist, invol-
viert und damit dessen generische Identifikation als psychologische Person.
Allerdings kann der konditionale Modus vom Anerkannten nichtsdestoweniger
gerade deswegen sinnvoll als erniedrigend, „entmenschlichend“, „entpersoni-
fizierend“ oder „verdinglichend“ dargestellt und erfahren werden, weil er dem
Anerkannten keine vollständige oder genuine Personsein-stiftende intersubjek-
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   181

tive Bedeutsamkeit bzw. den entsprechenden Status zuschreibt, d.h. eine Bedeut-
samkeit oder einen Status, den eine Person in ihren eigenen Augen besitzt. Es
ist nicht notwendig festzusetzen, dass die vom konditionalen bzw. nicht genuin
personifizierenden Modus der Anerkennung zugeschriebenen Bedeutsamkeiten
überhaupt nicht Personsein-stiftend sind, sondern nur, dass sie nicht genuin oder
vollständig Personsein-stiftend sind. Das heißt, dass einem Individuum auf allen
drei Dimensionen etwas zum vollwertigen Personsein Notwendiges vorenthalten
wird, nicht nur dadurch, dass die relevanten Anderen es an der entsprechenden
Form von intersubjektiver Anerkennung fehlen lassen, sondern auch dadurch,
dass sie ihm diese Form der intersubjektiven Anerkennung nur im bedingten
Modus, also nur unter Vorbehalt entgegenbringen.
Ein unmittelbarer Vorteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass sie
es ermöglicht, in angemessener Differenziertheit über Personifikation einerseits
und Ent-Personifikation bzw. Verdinglichung andererseits nachzudenken und
zwar der Art, dass diese in Graden und Dimensionen auftreten. Es ist kaum je
der Fall, dass jemand vollständig entpersonifiziert oder verdinglicht wird, aber
sehr häufig der Fall, dass jemand in einem gewissen Grade in Bezug auf eine
oder mehrere Dimensionen von Anerkennung de-personifiziert oder verdinglicht
wird.16 Es ist das allgemeine Ausmaß der Personifikation bzw. De-Personifikation
von Individuen und Gruppen und damit das Ausmaß der Realisierung von inter-
subjektivem Personsein, das, wie ich vorschlagen möchte, der entscheidende
Maßstab für die ethische oder moralische Qualität von Gesellschaften, institu-
tionellen Strukturen, sozialen Arrangements, interpersonalen Beziehungen und
Einstellungsgefügen darstellt.
Eine weitere Folge dieses Modells ist, dass es die Unzulänglichkeit von beding-
ter Anerkennung für ihre Objekte in gewisser Weise vereinfachend erklärt. Dies
hängt mit der fundamentalen Diskrepanz zusammen, die zwischen dem Selbst-
verhältnis einer normalen Person und der Weise, wie ein Anerkennender sich
qua konditionaler Anerkennung zu ihr verhält, besteht. Anders als bei Honneth
(besonders in seiner Debatte mit Fraser) ist dies keine Diskrepanz zwischen Aner-
kennung und institutionalisierten Prinzipien oder Normen, die von einer Gesell-
schaft zur nächsten verschieden sein können, sondern vielmehr zwischen Aner-
kennung und fundamentalen moralischen Erwartungen, die Personen allein
aufgrund ihrer psychologischen Konstitution in Bezug aufeinander haben, bzw.
kraft derjenigen Arten der Selbstbeziehung, die zum Teil die Voraussetzung dafür
darstellen, ein Leben als vollausgebildete Person führen zu können. So verstan-
den ist diese Diskrepanz und die auf Seiten des Anerkannten empfundene sub-
jektive Unzulänglichkeit daher – im Prinzip − etwas universal Menschliches. Sie
bietet somit einen Standpunkt, um das soziale Leben einer jeden menschlichen
182   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Gesellschaft unabhängig von der historischen Epoche, Kultur oder den Einzel-
heiten der institutionellen Struktur zu evaluieren und immanent zu kritisieren.
Mithilfe dieser Herangehensweise kann auch Fichtes wichtiges Konzept der
„Aufforderung“ wieder in die Diskussion eingebracht werden, doch nun aus-
gehend von einer differenzierteren Auffassung von Anerkennung und Person-
sein, als wir sie bei Fichte vorfanden. Es sind die Erwartungen, die sich aus den
erwähnten, für die psychologische Ebene des Personseins konstitutiven Selbst-
beziehungen ergeben, die Anderen gegenüber Ansprüche bzw. Aufforderungen
darstellen, die Bedeutsamkeiten, die eine Person für sich selbst besitzt, zu affir-
mieren, indem man sich ihr gegenüber in einer Weise verhält, die von denselben
Bedeutsamkeiten getragen ist. Sie stellen mit anderen Worten „Ansprüche auf
Anerkennung“ bzw. „Aufforderungen zur Anerkennung“ dar, auf die unbedingte
oder genuin personifizierende intersubjektive Anerkennung die erwartungsge-
mäße Antwort ist und die durch konditionale Anerkennung enttäuscht werden.17

7.3.2 Einige Komplikationen, die mit der Konstitutivität und Responsivität


von Anerkennung im Hinblick aufs Personsein einhergehen

Ich möchte im Folgenden zwei naheliegende Probleme ansprechen, die mit der
Annahme der Responsivität und Konstitutivität von Anerkennung im Hinblick
auf die verschiedenen Elemente des vollwertigen Personseins, wie ich sie soeben
dargelegt habe, einhergehen. Erstens: Gesteht man zu, dass Anerkennung in res-
ponsiver Weise auf die psychologische Ebene des Personseins bzw. auf die eben
erwähnten Selbstbeziehungen des Anerkannten eingeht, ist es dann nichtsdesto-
weniger möglich, der sehr plausiblen Vorstellung, die wir bereits bei Fichte und
später besonders bei Honneth fanden, Rechnung zu tragen, dass Anerkennung
eine irgendwie beschaffene kausale Rolle im Werden dieser Strukturen zukommt?
Kurz gesagt: Wie kann Anerkennung eine Antwort auf etwas darstellen, das sie
selbst erst zustande bringt? Die Beantwortung dieser Frage ist relativ einfach. Sie
erfordert lediglich die Annahme, dass die fraglichen Selbstbeziehungen bereits
in der Kindheit in unausgereifter Form oder als Potentiale existieren. Dies erlaubt
es dann widerspruchsfrei anzunehmen, dass es bereits in der frühen Kindheit
etwas gibt – nämlich Ansätze zu bestimmten Fähigkeiten oder Potentialen −, das
der Anerkennende wahrnehmen und auf das er mittels Anerkennung reagieren
kann, womit er zu deren Weiterentwicklung bzw. Realisierung beiträgt. Sieht
man von der Uneindeutigkeit seiner Formulierungen ab, dann ist dies sehr wahr-
scheinlich das, was Fichte im Rahmen seiner Überlegungen zur „Anerkennung“
des Objekts der Aufforderung durch den Auffordernden bereits im Auge hatte
(siehe Abschnitt 3.3.1.).
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   183

Im Hinblick auf die zwischen konditionaler Anerkennung und den Person-


sein-stiftenden Selbstbeziehungen bestehende Unstimmigkeit können wir nun
ergänzen, dass die Intensität der Erfahrung eines solchen Missverhältnisses auf
Seiten des Anerkannten, sein „Unrechts“-Empfinden, zum Teil vom Entwick-
lungs- bzw. Verwirklichungsgrad abhängt, den seine Personsein-stiftenden psy-
chologischen Strukturen erreicht haben. Ein Individuum, das über eine robuste
Form der Selbstachtung verfügt bzw. sich selbst als eine gleichberechtigte Ko-
Autorität neben Anderen begreift, wird ein solches Missverhältnis sehr intensiv
empfinden, während ein Individuum, das vielleicht aufgrund von mangelnder
Erfahrung von Respekt in der Kindheit und Jugend, über eine weniger ausge-
prägte Selbstachtung verfügt, es weniger stark oder vielleicht auch gar nicht emp-
finden wird.18 Doch auch in letzterem Fall kann ein Anerkennender nichtsdes-
toweniger in der Lage sein, nicht-aktualisierte Potentiale auf Seiten des Objekts
der Anerkennung wahrzunehmen und auf diese einzugehen. Alles, was benötigt
wird, damit dieser Prozess in Gang kommt, sind Ansätze der Erwartungshaltung,
bereits in früher Kindheit wie jemand behandelt zu werden, der Autorität über die
Normen oder Bedingungen der Koexistenz besitzt.19
Ein zweites Problem besteht in der offensichtliche Inkompatibilität der
Vorstellung einer kausalen Responsivität von intersubjektiver Anerkennung im
unbedingten Modus auf die psychologische Ebene des Personseins des Anzu-
erkennenden mit dem Gedanken, dass Anerkennung aufgrund von normativer
Responsivität auf diese Elemente des Personseins eingeht (vgl. Abschnitt 2.5.1).
Ausgehend von meinen Ausführungen zu Respekt und Liebe bei Hegel und dem
Thema der Dankbarkeit bei Honneth, möchte ich hier nahelegen, dass es sich bei
jeder dieser drei unbedingten Einstellungen von Anerkennung um unmittelbar
motivierende Einstellungen handelt. Sie gegenüber einem Anderen zu besitzen
bedeutet, von ihm motivational affiziert oder „berührt“ zu sein, ohne dass diese
Motivation von Klugheitserwägungen oder der Sorge um sich selbst herrührte.
Ein Mangel an unbedingter Anerkennung steht somit für eine mangelnde Moti-
vation dieser Art. Im Extremfall kann ein fehlendes Berührtsein durch die Autori-
tät des Anderen, sein Wohl oder seine selbstlosen Beiträge, als „unmenschliche“
affektive Kälte empfunden werden.
Akzeptiert man jedoch, dass der Anerkennende im Rahmen von unbedingter
bzw. genuin personifizierender Anerkennung unmittelbar durch den Anerkann-
ten affiziert wird, dass eine solche Art der Anerkennung in kausaler und respon-
siver Weise auf etwas, das dem Anerkannten zugehört, anspricht (nämlich die
„Ansprüche“ seiner Personsein-stiftenden Selbstbeziehungen), dann bedeutet
dies, dass Anerkennung in diesem Sinne, wie auch ihr Fehlen, nicht der Frei-
willigkeit des Anerkennenden untersteht.20 Wenn sie dies aber nicht tut, scheint
die Abwesenheit von unbedingter Anerkennung nichts zu sein, für das man den
184   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Anerkennenden verantwortlich machen und kritisieren könnte und somit auch


nichts, das negative moralische Gefühle oder „Unrechts“-Empfinden auf Seiten
des Anzuerkennenden hervorrufen könnte. Hiermit scheint die wichtige, ins-
besondere für Honneth bedeutsame Vorstellung außer Kraft gesetzt, dass das
Fehlen von Anerkennung eine mögliche Quelle moralischen Unrechtsempfin-
dens ist, die unter geeigneten Umständen explizite Forderungen oder Kämpfe um
angemessenere Formen von Anerkennung motivierte. Anders gesagt: Wie kann
unbedingte intersubjektive Anerkennung in normativer Weise auf etwas im Anzu-
erkennenden eingehen, wenn sie eine kausale Antwort darauf darstellt?
Eine Lösung für dieses scheinbare Problem ergibt sich, wenn man akzeptiert,
dass Personen eine gewisse Kontrolle über die subjektiven und objektiven Fak-
toren zukommt, die es mehr oder weniger wahrscheinlich machen, dass sie in
einschlägigen Situationen durch andere Personen affiziert werden, selbst dann,
wenn die Affizierung qua Liebe, Respekt oder Dankbarkeit nicht der unmittelba-
ren Kontrolle der Person untersteht.21 Man kann sich selbst eine Unempfindlich-
keit gegenüber den Urteilen, den Schicksalen oder der Selbstlosigkeit Anderer
angewöhnen, genauso wie die entgegengesetzten Eigenschaften der Sensibilität
und Offenheit gegenüber den Ansprüchen und „Aufforderungen“ Anderer. Des
Weiteren kann man mehr oder weniger Kontrolle darüber haben, ob man an sozi-
alen Praxen partizipieren möchte oder nicht, in denen es eine Voraussetzung
der erfolgreichen Teilnahme darstellt, gegenüber Anderen Kälte und emotionale
Unempfindlichkeit zu zeigen  – seien dies ganz bestimmte Andere oder Andere
im Allgemeinen −, wobei eine längerfristige Praxis den eigenen Charakter wahr-
scheinlich entsprechend formte. Jede Übernahme von Rollen oder Funktionen,
die es erfordern, sich Anderen gegenüber kühl, kalkulierend, instrumentalisie-
rend, manipulativ oder in anderer Weise „verdinglichend“ zu verhalten, kann
zur habituellen „zweiten Natur“ werden und die eigenen typischen Reaktions-
muster und Einstellungsgefüge gegenüber Anderen (im Besonderen oder im All-
gemeinen) beeinflussen.22 Ob es sinnvoll ist, ein Individuum als verantwortlich
für einen Mangel an unbedingter, genuin personifizierender Anerkennung anzu-
sehen und ob es von Anderen sinnvollerweise als moralischer Affront erfahren
werden kann, hängt von dem Maß der Kontrolle ab, die dem Individuum über die
Prozesse seiner Persönlichkeitsentwicklung zukamen, einschließlich der Partizi-
pation an Praxen und der Übernahme von Rollen, die entweder der Sensibilität
oder der Unsensibilität gegenüber Anderen förderlich waren.
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   185

7.3.3 Personifizierende Anerkennung und das Personsein des Anerkennenden

Im Rahmen der Diskussion der Frage, auf welche Weise Anerkennung die ver-
schiedenen Elemente vollständig ausgebildeten Personseins realisiert bzw. für
diese konstitutiv ist, habe ich in diesem Kapitel bisher nur das Personsein des
Anerkannten ins Auge gefasst. Zur Erinnerung: Intersubjektive Anerkennung ist,
wie oben herausgestellt, sowohl kausal als auch normativ responsiv im Hinblick
auf die psychologische Ebene des Personseins des Anerkannten (KRP und NRP),
kausal konstitutiv im Hinblick auf diese (KKP) und ontologisch konstitutiv für
die intersubjektive Ebene des Personseins des Anerkannten (OKSintersO). Wie aber
steht es um das Personsein des Anerkennenden? Die Frage, die hierbei vielleicht
am Wichtigsten ist, ist die, ob es gute Gründe für die Annahme gibt, dass der
Modus der Anerkennung in irgendeiner Weise Relevanz für die Entwicklung oder
Konstitution der psychologischen Ebene des Personseins des Anerkennenden
besitzt, mit anderen Worten: für seine Personsein-stiftenden psychologischen
Fähigkeiten und Strukturen? Ist die Neigung zur unbedingten Anerkennung
Anderer lediglich ein akzidentelles Persönlichkeitsmerkmal oder ist sie Teil
dessen, was jemand zur Person im psychologischen Sinne macht?
Die Beantwortung dieser Frage ist kompliziert. Hiermit zusammenhängende
Aspekte haben in den Abschnitten 4.4.5. und 4.5. im Zusammenhang mit der „Tri-
angulation“ bzw. intersubjektiven Vermittlung der Perspektive des Anerkannten,
die durch intersubjektive Anerkennung, besonders in ihrem unbedingten oder
genuin personifizierenden Modus zustande kommt, bereits Erwähnung gefun-
den. Der zugrunde liegende Gedanke war dort der, dass eine Person nur dadurch,
dass sie genuin personifizierende Einstellungen intersubjektiver Anerkennung
gegenüber Anderen hat, sich selbst im eigentlichen Sinne als eine Person neben
anderen Personen begreifen kann. Dies stellte sich als entscheidend für die Ver-
wirklichung vollständiger Freiheit im Rahmen zwischenmenschlicher Bezie-
hungen in ihrem „konkreten“ Hegel’schen Sinne heraus, weil auf diese Weise
das realisiert wird, was Hegel als das Wesen oder Ideal des Menschen begreift.
Dieser Auffassung zufolge heißt Person im vollgültigen Sinne zu sein also zum
Teil, sich selbst auf konkrete, motivational wirksame Weise als eine Person unter
vielen anderen Personen zu verstehen. Hierfür ist es erforderlich, sich zu Anderen
qua unbedingter intersubjektiver Anerkennung zu verhalten. Im Folgenden soll
diesem Zusammenhang eine Konkretisierung hinzugefügt werden.
Wenn man zugesteht, dass zumindest ein Teil der mentalen Störungen,
die unter dem Namen „Psychopathie“ firmieren, Defizite Personsein-stiftender
Fähigkeiten darstellen und wenn man sie durch eine permanente Verminderung
affektiver Ansprechbarkeit gegenüber anderen Personen im Sinne der verminder-
ten Fähigkeit zu unbedingten Einstellungen der Anerkennung korrekt beschreibt,
186   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

dann stellt die Psychopathie ein Phänomen dar, an dem man die Rolle der Fähig-
keit zu unbedingter intersubjektiver Anerkennung (neben anderen konstituti-
ven Fähigkeiten des Personseins) in erhellender Weise studieren könnte.23 Die
psychologischen Profile von Individuen, die als Psychopathen beschrieben und
diagnostiziert sind, werden aufgrund ihres Mangels an Ansprechbarkeit für die
Urteile, Bedürfnisse, Leiden und die Selbstlosigkeit anderer Personen, sowohl
von Laien wie auch von Experten, häufig als „menschlich kalt“ oder „nicht voll-
ständig menschlich“ charakterisiert − was es Psychopathen erschreckend leicht
macht, andere ohne Gewissensbisse und Mitleid auszunutzen und zu verletzen.
Zu untersuchen wäre daher, ob oder wie genau ihre permanent verminderte
Fähigkeit zu unbedingter Anerkennung  – dazu, sich unmittelbar von Anderen
als Autoritäten, der intrinsischen Bedeutsamkeit ihres Wohlergehens oder ihrer
Uneigennützigkeit ansprechen zu lassen − zu einer allgemeineren Einschrän-
kung der psychologischen Fähigkeiten, die zum Personsein gehören, beiträgt,
z.B. der Fähigkeit ein Leben zu führen, das an sozialen Normen orientiert ist,
längerfristige Sorgestrukturen, die das unmittelbare Begehren übersteigen, aus-
zuprägen und positiv zum Leben oder den Zwecken Anderer beizutragen. Eine
weitere Frage, die von direkter sozialkritischer Relevanz ist, wäre, in welchem
Maße soziale Strukturen oder Praxen, die genuin personifizierende Anerkennung
demotivieren oder behindern, genau die Strukturen, die uns zu Personen im psy-
chologischen Sinne machen, verletzen, indem sie „Psychopathie-ähnliche“ Defi-
zite des Personseins produzieren.24

7.3.4 Die relative Unabhängigkeit der institutionellen Ebene des Personseins

Die vorangegangenen Überlegungen führen uns zu einem Problem zurück, das


ich bereits in früheren Kapiteln berührt habe. Wir sind nun tatsächlich in ein
schwieriges ethisches und politisches Fahrwasser geraten, insofern begründete
Besorgnis besteht, dass die Rede von Menschen mit begrenzten Personsein-
stiftenden Fähigkeiten, einer nur eingeschränkt ausgeprägten psychologischen
Ebene des Personseins, impliziert, dass ihnen in gewisser Weise auch nur in
vermindertem Maße ein Personsein-stiftender Status zukommt bzw. zukommen
sollte. Um dieser Sorge angemessen zu begegnen, ist es wichtig, das Wesen der
institutionellen Ebene vollwertigen Personseins in seiner Eigenheit zu erkennen,
genauer: ihre Unabhängigkeit von der psychologischen und der intersubjektiven
Ebene zu begreifen. Die institutionelle Ebene des Personseins bzw. Personsein
als ein institutioneller oder rechtlicher Status ist eine institutionelle Schöpfung,
d.h. dass es von konkreten Gemeinschaften abhängt, zu bestimmen, welche
Rechte und darüber hinausgehende deontische Machtbefugnisse zu ihr gerech-
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   187

net werden sollen, wie auch die Träger eines solchen Status zu bestimmen. Mit
diesem Sachverhalt geht unvermeidlich die Macht politischer Gemeinschaften
einher, Individuen und Gruppen von dieser Art des Personseins und dem damit
einhergehenden institutionellen Schutz auszuschließen.
Die moderne Philosophie ist reich an Argumenten dafür, dass grundlegende
Rechte und institutionelles Personsein für jeden Gültigkeit besitzen sollten.
Jedoch haftet vielen dieser Argumente eine Schwierigkeit an, wie ich bereits im
Zusammenhang mit Taylors Gebrauch der Kantischen Vorstellung von der glei-
chen Würde aller menschlichen Wesen, die „zu vernünftigem Handeln fähig
sind“ (Taylor 2009, 28; siehe oben Abschnitt 5.1.2.) herausgestellt habe.25 Worin
dieses Problem besteht wird deutlich, sobald man die Tatsache in Betracht zieht,
dass menschliche Wesen sich in ihren psychologischen Fähigkeiten nicht glei-
chen und wichtiger noch, dass manche menschliche Wesen nicht einmal dem
Potential nach sinnvoll als rationale Akteure aufgefasst werden können. Wenn
man beispielsweise Individuen mit extrem psychopathischen Neigungen nach
irgendeiner einschlägigen Definition nicht als „rationale Akteure“ einordnet,
heißt das, dass der Schutz Personsein-stiftender Grundrechte nicht auf sie auszu-
dehnen ist? Man kann dieselbe Frage im Hinblick auf jede ernsthafte und dauer-
haft bestehende mentale Störung oder Behinderung stellen.
Die positive Seite der Tatsache, dass das Personsein als institutioneller Status
eine institutionelle Schöpfung ist und damit etwas, das politische Gemeinschaf-
ten nach ihrem Gutdünken gesetzlich ausgestalten können, ist allerdings, dass
es auch in ihrer Gewalt liegt, allen menschlichen Wesen in ihrem Einflussbereich
unabhängig von ihren sich individuell unterscheidenden psychologischen Fähig-
keiten bestimmte Grundrechte und den Status institutionellen Personseins ein-
zuräumen. Angesichts des Schreckens der eugenischen Programme des 20. Jahr-
hunderts, in der Menschen als lebensunwerte „Untermenschen“ angesehen und
ausgelöscht wurden, scheint es eine sicherere Strategie zu sein, rechtlich fest-
zuschreiben, dass alle menschlichen Wesen unabhängig von ihren psychologi-
schen Fähigkeiten oder Besonderheiten Personen im institutionellen Sinne sind
bzw. Träger von Grundrechten – vor allem des Rechts auf Leben.26
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Unabhängigkeit der institutionellen Ebene
des Personseins ist ihre Unabhängigkeit von der intersubjektiven Ebene. Wie
deutlich geworden sein sollte, hängt das intersubjektive Personsein vollständig
vom intersubjektiven Kontext ab, insofern man es nur dann besitzt, wenn (bzw.
in dem Grade, wie) die relevanten Anderen einem selbst Einstellungen intersub-
jektiver Anerkennung entgegenbringen. Intersubjektives Personsein stellt aus
diesem Grunde ein fragiles Phänomen dar. Man kann in einem sozialen Kontext
in besonderem Maße als Person „zählen“, in einem anderen Kontext jedoch nur
in ganz geringem Maße oder überhaupt nicht.27 Da Einstellungen sich wandeln
188   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

können, kann sich darüber hinaus auch das eigene intersubjektive Ansehen als
Person in demselben Kontext, derselben intersubjektiven Beziehung oder dem-
selben Beziehungsnetzwerk verändern. Diese Fragilität und Unvorhersehbarkeit
intersubjektiver Beziehungen und Einstellungen macht Fichte zufolge ein genuin
institutionelles System von Grundrechten erforderlich, durch welches das Per-
sonsein als ein institutioneller Status staatlich geltend gemacht wird. Wie auch
immer die Einstellungen bestimmter Individuen zueinander beschaffen sein
mögen, die institutionelle Ebene des Personseins garantiert ihnen den Schutz der
Grundrechte und stabilisiert und befriedet ihre Beziehungen und Interaktionen
auf eine allgemeine Weise.

7.3.5 Intersubjektive Anerkennung und moralische Vorstellungskraft

Was ich insgesamt vorschlagen möchte ist eine differenzierte Konzeption der
unterschiedlichen Weisen, in denen Anerkennung konstitutiv ist für diejenigen
Beziehungen, die „wahrhaft menschlich“ bzw. „genuin personifizierend“ sind,
in dem Sinne, dass sie die Realisierung der unterschiedlichen Dimensionen
vollständig ausgebildeten Personseins ermöglichen. Mängel im Hinblick auf die
relevanten psychologischen Fähigkeiten, an intersubjektiver Bedeutung in den
Augen anderer sowie ein Mangel an Grundrechten können allesamt als Fehlen
oder Defizit vollwertigen Personseins erfahren und gedeutet werden. Darüber
hinaus hängen alle diese Elemente des vollausgebildeten Personseins auf ver-
schiedene Weise von den unterschiedlichen Bedeutungen von Anerkennung ab.
Das dadurch nahegelegte universale Kriterium für die Evaluation und Kritik der
ethischen Qualität von Formen menschlicher Koexistenz ist somit das Maß, in
dem sie die unterschiedlichen Weisen von Anerkennung, in ihrer Konstitutivität
für die unterschiedlichen Dimensionen des Personseins, beinhalten, unterstüt-
zen bzw. mit diesen vereinbar sind.
In Bezug auf dieses Modell müssen wir uns noch mit einer weiteren Frage
befassen. Ich habe einen starken Akzent auf rein intersubjektive Anerkennung,
ihre Differenz zur institutionell vermittelten Form der Anerkennung* und die
Bedeutung des genuin personifizierenden Modus rein intersubjektiver Aner-
kennung gelegt. Die Frage ist nun, ob dieser zentrale Aspekt des Modells über-
haupt jenseits von persönlichen Nahbeziehungen Gültigkeit beanspruchen
kann. Wenn nicht, stellt sich die Frage, inwiefern das von mir vorgeschlagene
Modell einer Evaluation und Kritik sozialer Beziehungen im weitesten Sinne
dienen kann. Reduziert es sich im Hinblick auf soziales und politisches Leben
jenseits der Sphäre von engen Beziehungen darauf, lediglich an die Bedeutung
von Rechten, institutionell vermittelte Anerkennung* und somit ans Personsein
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   189

im institutionellen Sinne zu appellieren? Eine mögliche Antwort wäre zu sagen,


dass neben Rechten der Grad, in dem Gesellschaften enge persönliche Beziehun-
gen (Familien, Freundschaften, kollegiale Arbeitsverhältnisse etc.) unterstützen
oder zumindest mit Beziehungen kompatibel sind, die genuin personifizierende
Einstellungen intersubjektiver Anerkennung involvieren, für die ethische Qua-
lität von Gesellschaften entscheidend ist. Auf diese Weise läge der Fokus der
ethischen Evaluation und Gesellschaftskritik stark auf persönlichen Nahbe-
ziehungen, während die ethische Evaluation anderer, weniger intimer sozialer
Beziehungen nur in dem Maße interessierte, wie sie diese Beziehungen unterstüt-
zen, ermöglichen oder (mindestens) damit vereinbar sind.
Tatsächlich habe ich aber bereits nahegelegt, dass intersubjektive Anerken-
nung auch eine direktere Bedeutung im Hinblick auf entferntere soziale Bezie-
hungen zukommt. Gestützt auf Hegel am Ende des Abschnitts 4.5. und in der
Auseinandersetzung mit Honneths Konzeption am Ende des Abschnitts 6.3.1.
habe ich gesagt, dass Institutionen bzw. institutionalisierte Normen, die eine
Gesellschaft organisieren, ethisch beurteilt werden können, indem gefragt wird,
in welchem Grade sie als angemessene Ausdrucksweisen unbedingter intersub-
jektiver Anerkennung zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft angesehen
werden können. Die Herausforderungen, die sich einem solchen Ansatz stellen,
liegen dann selbstverständlich darin, ob der Vorstellung von intersubjektiven
Einstellungen zwischen Personen, die einander kaum oder gar nicht kennen,
überhaupt ein plausibler Sinn abgewonnen werden kann. Wenn nicht, ergibt es
wenig Sinn, über große Gesellschaften nachzudenken, in denen sich die meisten
Mitglieder entweder gar nicht oder nur vage kennen.
Es besteht in diesem Zusammenhang ein zweifaches Problem. Erstens muss
A sich gedanklich auf B beziehen, um gegenüber B Einstellungen irgendwelcher
Art zu haben und dies ist selbstverständlich unmöglich, wenn B A vollständig
unbekannt ist. Zweitens ist intersubjektive Anerkennung im Falle von genuin per-
sonifizierender intersubjektiver Anerkennung  – zumindest im Hinblick auf die
deontologische und axiologische Dimension – selbst gegenüber jemandem, den
man nur vage kennt, höchst problematisch. Dies ist deshalb der Fall, weil die spe-
zifischen Formen von intersubjektiver Anerkennung – genuin personifizierende
Sorge um das Wohl des Anderen (Liebe) und genuin personifizierende Zuschrei-
bung von Autorität (bzw. Respekt)  – die von mir sogenannte axiologische und
deontologische Triangulation beinhalten, also den Sachverhalt, dass man die
Welt (einschließlich der eigenen Handlungen) auf motivational wirksame Weise
aus der Perspektive der Autorität und der Angelegenheiten des Anzuerkennen-
den betrachtet. Wie aber ist es möglich, Zugang zur Perspektive von jemandem zu
haben, den man gar nicht richtig kennt und seine eigene Perspektive mit dessen
Perspektive zu vermitteln?28
190   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Die Antwort hierauf ist, kurz gefasst, dass dies unmöglich ist. Doch gibt es
etwas, dass praktisch gesehen in etwa dasselbe leistet: nämlich die Vorstellungs-
kraft. Genauer denke ich hier erstens an Einstellungen gegenüber anderen Gesell-
schaftsmitgliedern qua Vorstellung, bzw. an imaginierte Andere, die als gedank-
liche Platzhalter derjenigen realen Anderen dienen, die man nicht näher kennt
sowie zweitens an das Phänomen, dass man sich die Einstellungen vorstellt,
die andere Gesellschaftsmitglieder (seien sie reale oder vorgestellte) gegenüber
einem selbst und gegenüber Anderen haben. In Abschnitt 5.2. wies ich bereits
kurz auf die Wirkung hin, die mit der Vorstellung negativer Stereotypen im Hin-
blick auf die Qualität der wirklichen Begegnung mit Individuen einer bestimmten
Gruppe einhergehen kann, hier geht es nun um die Bedeutsamkeit der Vorstel-
lungskraft und der Anerkennung von Menschen, denen man vielleicht niemals
persönlich begegnen wird.
Dieser Zusammenhang verweist auf ein umfängliches Thema, das mit vielen
komplizierten Fragen verbunden ist, die hier nicht diskutiert werden können.29
Ich werde lediglich andeutungsweise einige Bemerkungen zur Bedeutsamkeit
dieser Phänomene für das soziale und politische Leben machen, die an anderer
Stelle näher zu untersuchen wären. Angesichts der deontologischen Dimension
intersubjektiver Anerkennung, die die vertikale („aufwärts“ gerichtete) Anerken-
nung von Institutionen oder institutionalisierten Normen so analysiert, dass sie
horizontale Anerkennung im Sinne der Anerkennung der Autorität anderer Indi-
viduen über diese Normen enthält, ist es nicht erforderlich, sich die genannten
Phänomene ausschließlich als Beziehungen zwischen Individuen, die einander
persönlich kennen, vorzustellen. Individuen gehorchen oder „respektieren“
Normen auch in einer weniger konkreten Bedeutung der Anerkennung anderer
Mitglieder einer Gesellschaft als Ganzer, die sie zum größten Teil nicht persönlich
kennen und somit für sie nur oder hauptsächlich in der Vorstellung existieren.30
Zugestanden dies ist so, besteht eine wichtige Frage darin, ob Individuen den
vorgestellten Anderen, die stellvertretend den Platz von wirklichen aber unbe-
kannten Anderen einnehmen, nur bedingterweise Autorität zuschreiben, so wie
Hegels Knecht dem Herrn, oder auch unbedingte Autorität zuerkennen, d.h., dass
sie sich diese (egal wie vage) im Sinne von genuinem Respekt vorstellen. Ist mein
Respekt gegenüber anderen Mitgliedern meiner Gesellschaft, wie ich sie mir vor-
stelle lediglich konditional, dann folge ich den Normen und Gesetzen unserer
Koexistenz nur in dem Maße, als dies meinen Interessen dienlicher ist als die
Normen zu brechen. Wäre ich der Auffassung, es sei vorteilhafter für mich, gegen
sie zu verstoßen und glaubte ich, dass ich damit davonkäme, dann würde ich
gegen sie verstoßen. Gleichermaßen wichtig ist die Frage, ob die Mitglieder einer
Gesellschaft meinen, dass andere Mitglieder (einschließlich derjenigen, die sie
nicht kennen) ihnen gegenüber und/oder gegenüber anderen („dritten“) Gesell-
 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal   191

schaftsmitgliedern (überwiegend oder ausschließlich) bedingte oder unbedingte


deontologische Anerkennung empfinden. Wer von Anderen nur bedingterweise
Anerkennung erwartet, hat Grund dazu, im Umgang mit ihnen misstrauisch zu
sein. In dem Maße, in dem ein solcher Vertrauensmangel zwischen Gesellschafts-
mitgliedern ihrer Motivation und Fähigkeit zur Kooperation und kollektivem
Handeln abträglich ist, stellt die ethische Schlechtigkeit des Mangels an genui-
nem Respekt zwischen ihnen, wie sie sich einander vorstellen, klarerweise auch
eine funktionale Schlechtigkeit dar, die das objektive Funktionieren der Gesell-
schaft negativ beeinflusst.31
Ähnliches können wir auch im Hinblick auf die axiologische und die kon-
tributive Dimension feststellen. (Diese drei „Dimensionen“ hängen in diesem
Zusammenhang eng miteinander zusammen.) Es ist gegenwärtig eine mehr oder
weniger gängige Annahme unter Philosophen, dass Liebe im Rahmen zwischen-
menschlicher Beziehungen nur dann ein Platz zukommen kann, wenn die betei-
ligten Personen einander psychisch nahe stehen, wie etwa Familienmitglieder,
Freunde oder Liebespartner. Ähnliches gilt für Dankbarkeit. Ein etwas anderes
Bild entsteht jedoch, wenn man die Wichtigkeit von Einstellungen gegenüber
imaginierten Anderen zugesteht wie auch die Bedeutsamkeit ihrer von mir vorge-
stellten Einstellungen. Für eine realistische Konzeption des eigenen Lebens und
des Sozialen im Allgemeinen ist es erforderlich, dass man sich seiner Abhängig-
keit von den Leistungen und somit auch der Existenz anderer Personen bewusst
ist. Darüber hinaus ergibt es einen wesentlichen Unterschied, ob oder in welchem
Maße Individuen und Gruppen andere Gesellschaftsmitglieder für sich lediglich
als instrumentell wertvoll ansehen, ohne dass eine intrinsische Sorge um deren
Wohl damit einherginge oder ob ihre Vorstellungen von den Anderen (zumindest
in einem gewissen Maß) mit einem intrinsischem Interesse einhergehen. In ähn-
licher Weise ergibt es einen wesentlichen Unterschied, ob oder in welchem Maße
sie die Leistungen anderer Gesellschaftsmitglieder, die etwas zu ihrem eigenen
Wohl oder zum Gemeinwohl beitragen, lediglich unter instrumentellen Gesichts-
punkten betrachten oder (mit einer gewissen) Dankbarkeit. Darüber hinaus
beeinflusst es zwangsläufig Einstellungen, Motivationen und damit auch Hand-
lungen, inwiefern die Mitglieder einer Gesellschaft sich vorstellen, dass Andere
im Hinblick auf die axiologische und kontributive Dimension nur konditionale
oder auch unbedingte Einstellungen der Anerkennung gegenüber ihnen und
gegenüber Anderen haben.
Sofern dem Begriff der Solidarität zwischen Individuen, die einander kaum
oder gar nicht kennen, also in Bezug auf große gesellschaftliche Gesamtzusam-
menhänge, irgendeine moralische oder ethische Bedeutung zukommt, sind
nicht-instrumentelle Sorge und Dankbarkeit gegenüber anderen vorgestellten
Mitgliedern der Gesellschaft sowie die Annahme, dass Andere ähnliche Einstel-
192   7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

lungen haben, für dessen Sinngehalt mit Sicherheit zentral.32 Auch in diesem
Zusammenhang ist ethische Gutheit eng verbunden mit funktionaler Gutheit,
insofern Solidarität bzw. die für sie konstitutive Motivation, uneigennützig etwas
zum allgemeinen Wohl beizutragen, dem kollektiven Handeln und objektiven
Funktionieren der Gesellschaft förderlich sind.
Eine weitere Anschlussfrage ist, inwiefern das von mir vorgestellte Modell
auch über die gesellschaftlichen und nationalen Grenzen hinweg anwendbar ist,
d.h. auf Individuen und Volksgruppen, die physisch und kulturell weit vonei-
nander entfernt sind, die aber nichtsdestoweniger unvermeidlich in konkreten
Beziehungen zueinander stehen, weil sie einander auf dem begrenzten Planeten
durch ihre Handlungen, Praxen und politischen Entscheidungen affizieren. Die
Berücksichtigung der Vorstellungsdimension kann dabei helfen, auch im Hin-
blick auf internationale und globale Beziehungen die Bedeutung von intersub-
jektiver Anerkennung in ihren verschiedenen Modi zu erfassen.33
Sollte mein Modell sich als tauglich erweisen, dann sollten sowohl die oben
angesprochenen Alltagsintuitionen und Ausdrucksweisen, wie auch die Weise,
wie ich sie philosophisch rekonstruiert habe, hinreichend unabhängig von der
kulturellen und historischen Varianz der Normen, Prinzipien, Weltanschauun-
gen und Werthierarchien sein – zumindest in dem Maße, dass sie den Ausgangs-
punkt für einen ernsthaften Dialog bieten können. Obwohl institutionelle Struk-
turen und konkrete Interaktions- und Beziehungsmuster von einer Gesellschaft
zur nächsten sehr verschieden sein können, besteht mein Vorschlag darin, dass
sie alle demselben Standard verpflichtet sind, der auf diese Weise einen Ansatz-
punkt für eine immanente Kritik und Evaluation des sozialen Leben wie auch
sozialer Beziehungen bietet, sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch im
Hinblick auf zwischen ihnen bestehende Zusammenhänge. Die vorrangige Frage
einer Gesellschaft ist nicht, ob sie modern, bürgerlich, kapitalistisch etc. ist,
sondern der Grad, in dem sie die unterschiedlichen Aspekte des vollständig aus-
gebildeten und vollwertigen menschlichen Personseins fördert bzw. integrieren
kann. Im Hinblick auf die Verhältnisse zwischen Gesellschaften ist das Ausmaß
entscheidend, in dem „wir“ (wer auch immer wir sind) in der Lage sind, uns „die
Anderen“ auf eine genuine und motivational wirksame Weise als Mitmenschen
vorzustellen, bzw. als Personen mit genauso unbedingten „Ansprüchen“ wie
unsere eigenen – somit der Grad, in dem wir fähig sind, uns und sie als Teil eines
umfassenden „Wir“ von Mitmenschen der personalen Lebensform zu erleben.
Anmerkungen
Kapitel 1
1 Die in dieser Hinsicht wichtigsten Auslassungen sind die vier Folgenden. Erstens werde ich
Alexandre Kojève und die französische Tradition nur erwähnen (vgl. den Anfang von Kapitel 4)
und die generelle Anerkennungskonzeption, die sie ausgehend von Kojéve zur Anwendung ge-
bracht hat, nicht weiter diskutieren. Zweitens beziehe ich mich nur relativ knapp (in Kapitel
7.2.1.) auf eine wichtige Strömung der gegenwärtigen anglo-amerikanischen Philosophie, die
dem Begriff, bzw. Begriffen der Anerkennung zentrale Rollen zuweisen und zu deren promi-
nentesten Befürwortern Robert Brandom, Terry Pinkard und Robert Pippin zählen. Drittens gibt
es Philosophen, wie zum Beispiel Aristoteles (vgl. Williams 2010 und Ikaheimo 2012a), Rous-
seau (vgl. Neuhouser 2008 und 2009), oder auch Marx (vgl. Quante 2009 und Brudney 2009),
in deren Arbeiten der Begriff der Anerkennung auf weniger ausdrückliche Weise präsent ist, die
aber wichtige Einsichten zum Thema beizutragen haben und kürzlich aus anerkennungstheo-
retischen Perspektiven interpretiert wurden. Darüber hinaus gibt es Kritiken an verschiedenen
Aspekten des anerkennungstheoretischen Denkansatzes, die in diesem Buch nicht diskutiert
werden (Oliver 2001, Markell 2003, McNay 2008, Bedorf 2010). Um sich auf produktive bzw. er-
hellende Art und Weise mit solchen Kritiken auseinanderzusetzen, sind zuallererst eine gründli-
che Analyse und ein Verständnis des Gegenstands dieser Kritiken erforderlich.

Kapitel 2
1 Zu den Bedeutungen des korrespondierenden Ausdrucks im Französischen, „reconnais-
sance“, die dem englischen „recognition“ sehr nahe sind, vgl. Ricoeur 2006.
2 In diesem Sinne bietet das Duden Synonymwörterbuch (4. Aufl., Mannheim 2007) zwei weit-
gefasste Bedeutungsfamilien von Synonymen für „Anerkennung“ an. Die erste beinhaltet: Ach-
tung, Ansehen, Auszeichnung, Beifall, Belobigung, Belohnung, Bewunderung, Ehre, Glanz und
Gloria, Hervorhebung, Hochachtung, Honorierung, Lob, Respekt, Würdigung, Anerkenntnis,
Ehrerbietung, Wertschätzung, Ästimation, und Belobung. Die zweite Familie hat zwei Unter-
gruppen, deren erste beinhaltet die Wörter: Beglaubigung, Bekräftigung, Bestätigung, Erlaubnis,
Genehmigung, Justifikation, Legitimation, Absegnung, Rekognition, und die zweite beinhaltet:
Akzeptanz, Annahme, Befürwortung, Beipflichtung, Beistimmung, Bejahung, Berücksichti-
gung, Billigung, Duldung, Einverständnis, Einwilligung, Gutheißung, Tolerierung, Verständnis,
Zubilligung, Zugeständnis, Zustimmung, Mutualismus und Sanktion. Es gäbe vieles angesichts
dieser Auswahl zu analysieren, der für uns wesentliche Punkt ist aber, dass der Duden die Exis-
tenz zweier Bedeutungsfamilien von „Anerkennung“ bestätigt. Obwohl Wörterbücher immer
auch Ausnahmen zu allgemeinen Regeln angeben, scheint es in Bezug auf die meisten Wörter,
die als zur ersten Familie zugehörig genannt werden, wahr zu sein, dass sie überwiegend für
Akte oder Einstellungen gegenüber Personen verwendet werden, während die Vorkommnisse
der zweiten Bedeutungsfamilie überwiegend für Akte oder Einstellungen verwendet werden, die
mit „normativen“ Entitäten oder Tatsachen zu tun haben.
3 Andreas Wildt (2009, 187) nennt dieses „widerstrebende Akzeptieren von Tatsachen“ „propo-
sitionale Anerkennung“.
194   Anmerkungen zu Kapitel 2

4 Vgl. auch Carl-Göran Heidegrens Unterscheidung zwischen Einstellungen, zeitlich ausgedehn-


ten Beziehungen und sozialen wie institutionellen Strukturen in seinem sehr hilfreichen Buch
Heidegren 2009.
5 Ich verwende „interpersonal“ und „intersubjektiv“ hier als austauschbare Begriffe. In Kapi-
tel 4 wird eine terminologische Unterscheidung zwischen ihnen eingeführt, um einige Details
von Hegels Anerkennungskonzeption zu diskutieren.
6 Verwechslungen zwischen (a), (b), (c) und (d) sind in der Literatur nicht selten und in einem
gewissen Maße kann man sie bis zu Aristoteles’ Diskussion der philia in der Nikomachischen
Ethik zurückverfolgen. Vgl. Ikäheimo 2012a.
7 Dieser Abschnitt beruht auf Abschnitt 2.4. von Ikäheimo & Laitinen 2007. Ich danke Arto Laiti-
nen für seine Erlaubnis, diesen Text zu verwenden.
8 Axel Honneth fasst Anerkennung dieser Anschauung gemäß zu eng, wenn er schreibt, „ob in
Gesten, Sprechakten oder institutionellen Vorkehrungen, stets haben wir es in solchen Äußerun-
gen oder Maßnahmen nur dann mit einem Fall von „Anerkennung“ zu tun, wenn ihr primärer
Zweck in irgendeiner Weise affirmativ auf die Existenz der anderen Person oder Gruppe gerichtet
ist.“ (Honneth 2004, 55 – 56)
9 „Anerkennung“ wird auch im Rahmen der Literatur zum Firmen-Management thematisiert.
Die dahinterstehende Idee besteht im Wesentlichen darin, dass die Anerkennung, die von Seiten
des Managements gegenüber den Arbeitern gezeigt wird, deren Motivation hebt und somit die
Produktivität steigert.
10 Vgl. Markell 2000, Laitinen 2002, Honneth 2002 und Ikäheimo 2007. Diese Debatte hat auch
historische Bezugspunkte, da es weithin anerkannt ist, dass zumindest Hegel Anerkennung als
etwas aufgefasst hat, das Menschen als Personen von einfacheren Tieren unterscheidet bzw. in
einem gewissen Sinne konstitutiv für sie als nicht bloß natürliche Wesen ist. Die Deutungen
weichen jedoch in den Details voneinander ab.
11 Michael Tooley zufolge ist Personsein bspw. schlicht gleichgesetzt mit „having a serious right
to life“. Vgl. Tooley 1972. In Ikäheimo 2009 habe ich den psychologischen und den Statusbegriff
des Personseins als eine Reaktion auf teilweise konfligierende Intuitionen bezüglich bestimm-
ter Härtefälle wie sehr junge Kinder, kognitiv schwer beeinträchtigte oder irreversibel komatöse
Menschen verständlich zu machen gesucht.
12 Dieser Unterabschnitt ist genauso wie Abschnitt 2.5.2. von relativ technischem Inhalt. Um das
auf diese Abschnitte Folgende zu verstehen, ist es aber nicht notwendig, alle Details verinner-
licht zu haben. Auf die meisten Problematiken, die in diesen Unterkapiteln eingeführt werden,
komme ich an späterer Stelle des Buches zurück und der Leser kann dann, wenn nötig, auch auf
diese Abschnitte zurückgreifen.
13 Zu diesen Unterscheidungen vgl. Searle 2011, Kapitel 1.
14 In Hegel’scher Terminologie formuliert bedeutet die erste Option, dass der in Frage stehende
Status Teil des Bereichs der Natur ist, die zweite, dass er Teil des Bereiches des „Geistes“ ist. Man
beachte, dass die Idee eines Status, der von Gottes Intentionalität oder Einstellungen abhängt –
etwa wertvoll, liebenswert, in „Gottes Augen“ gleich zu sein oder „Gott-gegebene Rechte“ zu be-
sitzen –, hier eine potentielle Quelle für Konfusionen darstellt. Die Konfusion tritt zutage, wenn
die theologische Quelle solcher Vorstellungen vergessen oder nicht explizit reflektiert wird und
auf diese Weise das, was ursprünglich als abhängig von göttlicher Intentionalität gedacht war,
als vollständig Intentionalitäts-unabhängig verstanden wird. Die Linkshegelianische Religions-
philosophie Ludwig Feuerbachs und Anderer geht davon aus, dass die Vorstellung von Gottes
Intentionalität nur eine entfremdete Repräsentation der menschlichen Intentionalität ist. Viele
Interpreten würden dafür argumentieren, dass auch Hegel dies im Grunde so gesehen hat.
 Anmerkungen zu Kapitel 2 und 3   195

15 Searle 2010 unterscheidet diese beiden Ideen nicht klar voneinander.


16 Die Analogie kommt an ihre Grenzen, da es klarerweise von fundamentalerer Wichtigkeit ist,
von Anderen als eine Person statt als ein bloßes Ding angesehen zu werden, als die Tatsache,
dass man diesen am Herzen liegt.
17 Searle verwendet den Ausdruck „deontic power“ als einen Allgemeinbegriff für „Rechte,
Pflichten, Verpflichtungen, Forderungen, Genehmigungen, Ermächtigungen, Ansprüche und
so weiter“ (Searle 2012, 20). Er deckt eine Unterklasse dessen ab, was ich an früherer Stelle in
diesem Kapitel „evaluative und normative Entitäten“ genannt habe, nämlich die deontologische
Dimension (im Gegensatz zur axiologischen Dimension). In den Abschnitten 4.2. und 4.4. sage
ich mehr zur Unterscheidung der deontologischen und der axiologischen Dimension.
18 Man beachte die Tatsache, dass dieselbe Person sowohl Subjekt als auch Objekt von Aner-
kennung sein kann und dass dies im Rahmen von wechselseitigen Anerkennungsprozessen per
definitionem der Fall ist.

Kapitel 3
1 Zu Fichtes Einfluss auf Hegel und Hegels Fichtekritik, siehe Siep 1979, Wildt 1982, Düsing 1986
und Williams 1992. Diese Arbeiten sind auch in einem allgemeineren Sinn empfehlenswerte Lek-
türen zum Thema Anerkennung bei Fichte und Hegel.
2 Es besteht immer Diskussionsspielraum im Hinblick auf die Frage nach dem Anfang des Nach-
denkens und Schreibens über ein bestimmtes gesellschaftlich und psychologisch relevantes
Thema. Die Phänomene, auf die sich die Diskussionen über Anerkennung konzentrieren, sind
selbstverständlich nicht erst zur Zeit von Fichte und Hegel entstanden und deren Ideen über
Anerkennung sind auch nicht, unbeeinflusst von früheren Gedanken über diese Phänomene, in
einem Vakuum geboren. Doch ist es vor allem Fichte und Hegel wie auch späteren Diskussionen,
die von ihnen beeinflusst sind, zu verdanken, dass man heute ähnliche Ideen in früheren Phasen
der Philosophiegeschichte identifizieren kann. Zu Aristoteles und Anerkennung, vgl. Williams
2010 und Ikaheimo 2012; zu Rousseau und Anerkennung, vgl. Neuhouser 2008 und 2009.
3 SW III.
4 Für eine bündige Gesamtrekonstruktion von Fichtes Gedanken über Anerkennung, siehe Dü-
sing 2000.
5 Sowohl Fichte als auch Hegel verwenden den Begriff „Persönlichkeit“, wo ich von „Person-
sein“ spreche. Der Ausdruck „Personsein“ ist für unsere Zwecke geeigneter, da er sich eindeu-
tiger auf die allgemeine Eigenschaft „Person zu sein“ bezieht und weniger auf die besonderen
qualitativen Eigenschaften, die die Persönlichkeiten von Personen voneinander unterscheiden.
6 In § 1 der Grundlage argumentiert Fichte dafür, dass die Subjekt-Objekt-Unterscheidung
notwendig die Aktivität des Subjekts erfordert sowie für die wechselseitige Abhängigkeit bzw.
„nothwendige Wechselwirkung“ von „Wollen und Vorstellen“ (SW III, 21).
7 Für eine klare Formulierung dieser Idee, siehe auch SW IV, 292.
8 SW III, 39. Man könnte meinen, dass Fichte nicht nur an die individuelle Entwicklung des
Kindes zum Erwachsensein denkt, sondern auch an eine Art phylogenetische Geschichte der
graduellen Entwicklung der Menschheit. Dies widerspricht allerdings dem Gedanken, den Fich-
te in der Grundlage vorbringt, dass „das erste Menschenpaar“ von „[e]in[em] Geist“ erzogen
wurde (SW III, 39). Fichte hat hier keine graduelle Entwicklung der Menschheit im Sinn, sondern
eine Generationenkette, deren jede durch eine vorangegangene, bereits freie und vernünftige,
196   Anmerkungen zu Kapitel 3

zur Freiheit aufgefordert werden muss, so dass die Frage nur die ist, wer die erste Generation
aufgefordert hat.
9 Vgl. SW III, 356: „Vom Rechte ist hier noch gar nicht die Rede. Man kann ebensowenig sagen,
das Kind habe ein Recht, diese physische Erhaltung von der Mutter zu fordern, als man sagen
kann, der Ast habe ein Recht, auf dem Baume zu wachsen; und ebensowenig, die Mutter habe
die Zwangspflicht, ihr Kind zu erhalten, als man sagen kann, der Baum habe die Zwangspflicht,
den Ast zu tragen. Es ist Naturgesetz, jedoch in Verbindung mit der Vernunft.“
10 Für die Beschreibung eines solchen Rechtszustandes, vgl. auch SW IV, 292.
11 Für eine Verteidigung Fichtes, in der diese Differenz betont wird, vgl. Bernstein 2009. Die ge-
nannten Rechte sind Spezifikationen der allgemeinen Form des Urrechts: „Das Urrecht ist daher
das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu seyn (schlechthin nie Bewirk-
tes)“ (SW III, 113).
12 Fichte verwendet „außerdem“ hier in der älteren Bedeutung von „ansonsten“.
13 Fichte selbst bemerkt, dass das Konzept des Urrechts nur eine notwendige methodologische
„Fiktion“ seiner Wissenschaft der Rechte ist. In Wirklichkeit gibt es keine „Urrechte“ oder natür-
lichen Rechte, die dem gemeinschaftlichen Leben mit Anderen vorausgingen (SW III, 112).
14 Dass eine solche Änderung dem gerecht wird, was Fichte auszudrücken versuchte (der die
Sprache des Rechts vielleicht zum Zweck der Deduktion des Rechtssystems in unzulässiger
Weise ausgedehnt hat), lässt sich bspw. durch SW III, 50 belegen: „(…) indem ich mich gegen ihn
auf jenes gemeinschaftliche Gesetz berufe, lade ich ihn ein, mit mir zugleich zu richten“.
15 In der einfachsten Form kann man dies so verstehen, dass die Aufforderung dem Kind auf
irgendeine Weise sowohl die Möglichkeit als auch die Einladung und das Erfordernis mitteilt, auf
jede mögliche Interaktionsweise zustimmend oder ablehnend zu reagieren, wobei die jeweilige
Haltung darüber hinaus eine angemessene Antwort auf die zustimmende oder ablehnende Ein-
stellung des Auffordernden bzw. Interaktionspartners sein muss.
16 Nedim Nomer entwickelt teilweise eine ähnliche Interpretation von Fichtes Argument, in
der er die Notwendigkeit einer dauernden Berichtigung und Aushandlung der Regeln der „my-
riad interactions“ (Nomer 2010, 484) aufzeigt, denen Fichtes Gesellschaft freier Wesen aufruht.
Nomer scheint mir aber ein wenig zu nachsichtig zu sein, wenn er meint, dass man solche Ideen
tatsächlich in Fichtes Texten finden kann. Eine textliche Stützung dieser These ist nur in schwa-
cher Form gegeben (wenn auch nicht vollständig inexistent; siehe SW III, 50: „indem ich mich
gegen ihn auf jenes gemeinschaftliche Gesetz berufe, lade ich ihn ein, mit mir zugleich zu rich-
ten“). Ich sehe eine solche Interpretationslinie eher als Rekonstruktion eines Aspektes an, den
Fichte zwar im Sinn hatte, den er aber selbst nicht richtig ausdrücken und mit den von ihm
verwendeten Metaphern und Begriffen auch nicht richtig durchdenken konnte.
17 Es wäre nicht schwierig, dies als einen Zirkel und somit als einen gescheiterten Versuch an-
zusehen, Selbstbewusstsein durch die Konfrontation mit alltäglichen Gegenständen zu explizie-
ren (vgl. das Ende von Abschnitt 3.1.). Kurz gesagt: Sich selbst mit einer Repräsentation seiner
eigenen Freiheit konfrontiert zu sehen, scheint bereits eine Art Selbstbewusstsein vorauszuset-
zen, durch das man etwas als Repräsentation seiner selbst begreifen kann. Aber mit der Annah-
me, dass man über keine relevante Form von Selbstbewusstsein verfügen kann, ohne dass man
aufgefordert wird, befinden wir uns in einem explanatorischen Zirkel. Der naheliegende Ausweg
scheint zu sein, dass man Minimalformen von Selbstbewusstsein zulässt, die es ermöglichen,
sich selbst als Adressat der Aufforderung aufzufassen, aber selbst nicht von der Aufforderung
abhängig sind. Zum Problem der Zirkularität bei Fichte, vgl. Henrich 1966 und 1970.
18 Vgl. SW III, 46: „Aber das Individuum C kann nicht auf die beschriebene Weise auf mich
gehandelt haben, ohne wenigstens problematisch mich anerkannt zu haben; und ich kann es
 Anmerkungen zu Kapitel 3   197

nicht, als so handelnd, setzen, ohne dies (dass es mich wenigstens problematisch anerkenne)
zu setzen.“
19 Ein solcher Zug wird gewöhnlich mit dem späten Wittgenstein in Verbindung gebracht und
mit denen, die mit seinen Ansätzen weitergearbeitet haben, wie zum Beispiel Stanley Cavell.
20 Einige fragwürdige Details von Fichtes Theorie, die hier nicht weiter diskutiert werden sollen,
gründen auf der Unterscheidung von „niederen“ und „höheren“ Organen, die aus „gröbere[r]
und subtilere[r] Materie“ bestehen sollen (SW III, 73). Fichte versucht eine Art physiologischer
Instantiierung der Fähigkeit zu selbstursprünglicher Handlungsfreiheit ohne vorausgegangene
Ursachen einzuführen – eine „höhere“ Instanz aus „subtilere[m]“ Stoff, die gegen kausale Vor-
gaben geschützt ist.
21 Um genau zu sein, affiziert der Andere das „höhere Organ“ des Subjekts und das Subjekt
imitiert eine Wirkung des Anderen auf seine „niederen Organe“ (die in Wirklichkeit nicht statt-
findet); dies veranlasst seine Handlung. Vgl. SW III, 71.
22 Vgl. SW III, 74: „als vernünftiges Wesen genöthiget, d.i. durch Consequenz verbunden sey,
mich als ein vernünftiges Wesen zu behandeln”.
23 Vgl. SW III, 49 – 50, wo Fichte die allgemeine Version einer solchen Kritik vorstellt: „Seine
Handlung X widerspreche seiner eigenen Voraussetzung, dass ich ein vernünftiges Wesen sey:
er sey inconsequent verfahren.“
24 SW III, 77: „Ich kann die Erscheinung eines menschlichen Leibes nicht begreifen, ausser
durch die Annahme, dass er der Leib eines vernünftigen Wesens sey“.
25 Möglicherweise stützt Fichte sich hier auf eine Prämisse, die man in Frage stellen kann:
nämlich die, dass jeder menschliche Körper der Körper eines zumindest potentiell vernünfti-
gen Wesens ist. Da dies nicht zutreffend ist (man denke etwa an Kinder mit schwerwiegenden
geistigen Behinderungen), kann es konsistenter Weise nicht der Fall sein, einen menschlichen
Körper einfach mit dem Körper eines vernünftigen Wesens gleichzusetzen. Fichte erwägt diesen
Einwand leider nicht.
26 Hier ist zu bemerken, dass die Beunruhigung in Bezug auf die Entscheidungsfreiheit des
Adressaten mit Fichtes Vorstellung, dass die Aufforderung es der Entscheidung des Adressaten
überlässt, mit einer Handlung oder einer Unterlassung zu reagieren, eigentlich nicht beseitigt
ist, denn beides sind Weisen des Reagierens. Das Problem liegt tiefer, insofern es die ganze Idee
des Zum-Reagieren-Bewegtsein berührt – sei es durch Handeln oder Nicht-Handeln.
27 Man denke an einen Fall, in dem A bestimmte Handlungen ausführt oder unterlässt, um B
zu dem beruhigenden Gedanken zu verleiten, dass A B als Ko-Autor gemeinsamer Regeln aner-
kennt (vielleicht mit der Absicht des zukünftigen Irrglaubens von B). Hierbei wird B nicht als
eine Ko-Autorität angesehen, da es an einem innerlichen Aspekt mangelt; ohne den innerlichen
Aspekt ist der äußere Aspekt dessen, was A tut (oder unterlässt) keine ernstgemeinte Weise, B als
Ko-Autorität zu behandeln. Jemanden als Ko-Autorität zu behandeln erfordert es nicht nur, be-
stimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen, sondern ihm gegenüber auch das Haben
einer angemessenen psychischen Einstellung.
28 Eine solche Auffassung erforderte selbstverständlich einen wissenschaftlichen Nachweis.
Ein in dieser Hinsicht einflussreicher Ansatz handelt von den so genannten „Spiegelneuronen“.
Vgl. Gallese 2013.
29 Fichte diskutiert die Familie an einer späteren Stelle in seinem Buch. Vgl. SW III, 304 – 368.
30 Vgl. hierzu dennoch die ergebnisreiche Interpretation von Fichtes Anerkennungskonzeption
bei Andreas Wildt, der eine starke Betonung auf die Signifikanz von Anerkennung für die mora-
lische „Ich-Identität“ legt (Wildt 1982).
198   Anmerkungen zu Kapitel 4

31 Für eine Interpretation, die die Grundlage nicht als ein vollständig gescheitertes Unterneh-
men ansieht, vgl. Siep 1992b.
32 SW III, 129: „Alles Eigenthum gründet sich auf wechselseitige Anerkennung, und diese ist
bedingt durch gegenseitige Declaration.“
33 Fichte identifiziert Personsein mehr oder weniger mit Freiheit. Vgl. SW III, 94: „was gehört
dazu, dass jemand überhaupt frei oder Person sey?“

Kapitel 4
1 Für eine Übersicht über Hegels Gedanken zum Thema Anerkennung, vgl. Williams 1992 und
1997. Zu Hegels Kritik an und Aneignung von Fichte, vgl. Siep 1979, Wildt 1982, Düsing 1986 und
Williams 1992.
2 Hegel hat drei Versionen der Enzyklopädie veröffentlicht, in jeder neuen Version mehr Ma-
terial ergänzt und Details weiter ausgearbeitet; die erste erschien 1817, die zweite 1827 und die
dritte 1830. Ich beziehe mich auf die weithin gebräuchliche letzte Version des Textes („Werke 10“)
sowie auf zwei frühere Vorlesungsmanuskripte von 1825 („GK“) und 1827 – 8 („EW“), die dassel-
be Material behandeln. Die Enzyklopädie von 1830 besteht aus drei Hauptteilen − Logik, Philo-
sophie der Natur und Philosophie des Geistes. Die Philosophie des Geistes hat wiederum drei
Teile – den Subjektiven Geist, den Objektiven Geist und den Absoluten Geist. Die Philosophie des
Subjektiven Geistes unterteilt sich in drei Hauptabschnitte: Die Anthropologie – Die Seele, Die
Phänomenologie des Geistes – das Bewußtsein, und die Psychologie – Der Geist. Die Phänome-
nologie enthält schließlich auch drei Kapitel: Das Bewußtsein als solches (Werke 10, §§ 418 – 423),
Das Selbstbewußtsein (Werke 10, §§ 424 – 437) und Die Vernunft (Werke 10, §§ 438 – 439). Unser
Fokus liegt auf dem Kapitel Das Selbstbewußtsein.
3 Das Ziel der Phänomenologie des Geistes war es, die rationale Notwendigkeit der fundamen-
talen Annahmen von Hegels philosophischem System dadurch zu erweisen, dass gezeigt wird,
inwiefern alle alternativen Konzeptionen des Verhältnisses von Realität und Geist scheitern müs-
sen. Gemäß dem Plan, den Hegel für das Buch entworfen und in seiner Einleitung präsentiert
hat, werden alle grundlegenden Alternativkonzeptionen der Relation von Realität und Geist bzw.
„Gestalten des Bewußtseins“, wie Hegel sie nennt, thematisiert, indem jede von ihnen an von ihr
selbst aufgestellten Kriterien gemessen wird. (Vgl. meine Diskussion des Konzepts „immanenter
Kritik“ in Abschnitt 6.1.) Die unterschiedlichen Kapitel des Buches diskutieren solche Bewusst-
seinsgestalten jeweils aus der Perspektive dieses methodischen Gesamtziels. In dem Maße, in
dem Hegel tatsächlich dem Programm gefolgt ist, das er ursprünglich für sein Werk entworfen
hat, gilt dies auch für das Kapitel der Phänomenologie des Geistes, in dem er das Herr-Knecht-
Verhältnis und den „Kampf des Anerkennens“ darstellt. Zur Phänomenologie des Geistes insge-
samt, vgl. Siep 2000. Zum Thema Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes, vgl. etwa
Canivez 2011.
4 Ein solches Missverständnis ist in vielen Deutungen verbreitet, die durch Alexandre Kojèves
berühmte Pariser Vorlesungen über Hegel in der 1930er und 40er Jahren beeinflusst worden sind
(vgl. Kojève 1975), dies schließt die Deutungen von Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und
das Nichts (Sartre 1993) und von Emmanuel Levinas in Totalität und Unendlichkeit (2003) ein.
Für eine Kritik an Sartres und Levinas’ Deutung der Hegel’schen Anerkennungskonzeption, vgl.
Williams 1992, 290 – 301.
 Anmerkungen zu Kapitel 4   199

5 Hegels unterschiedliche Weisen, diese Problematik zu fassen, besitzen einen unmittelbaren


Vorteil: Er ist nicht mit der unliebsamen Frage konfrontiert, die da lautet: „aber wenn es ein
bereits vernünftiges Wesen erfordert, um jemand anderem zur Vernünftigkeit zu verhelfen, wer
half dann dem ersten vernünftigen Wesen vernünftig zu werden?“, eine Frage, die Fichte zu be-
antworten hatte. Hegels Modell erlaubt die Annahme primitiver Subjekte, die sich durch An-
erkennung gemeinsam zu fortschrittlicheren Zuständen entwickeln. Aufgrund dieses Aspekts
erweist sich Hegels Modell im Hinblick auf die angemessene Abbildung der graduellen Evoluti-
on der menschlichen Lebensform im Vergleich mit Fichtes Modell als empirisch angemessener.
Hegel selbst schrieb vor Darwin und glaubte auch nicht an prä-Darwinsche Theorien natürlicher
Evolution. Dies verunmöglicht es jedoch nicht, ausgehend von seiner Entwicklungskonzeption
von Anerkennung über Evolution nachzudenken. Für eine solche Anknüpfung, vgl. Ikäheimo
2010.
6 „Wenn gefragt wird, was der Geist ist, so ist der eigentliche Sinn dieser Frage: was ist das
Wahrhafte des Geistes, und das ist gleichbedeutend damit: was ist die Bestimmung des Men-
schen? – Bestimmung sagt einen Unterschied aus, ein Ziel, einen Zweck, der erreicht werden
soll, zu was soll der Mensch sich machen, was soll er sein, was in sich durch seine Freiheit her-
vorbringen? Bestimmung heißt aber auch auf der anderen Seite ebenso das Ursprüngliche, was
der Mensch an sich ist. Der Mensch soll sich hervorbringen, aber er kann sich zu nichts anderem
machen, kann keinen anderen Zweck haben, als was er ursprünglich an sich ist.“ (EW, 6)
7 „Trieb“ ist Hegels allgemeiner Ausdruck für den teleologischen Drang der menschlichen Le-
bensform. Er spricht von dem Trieb des Geistes, die Objektivität zu erkennen (Werke 10, § 416
Zusatz), dem Trieb des Selbst-Bewusstseins, das zu realisieren, was es implizit ist (Werke 10,
§ 425), dem Trieb zum Wissen (Werke 10, § 443 Zusatz), dem Trieb zum Guten und Wahren (Werke
8, § 225), etc.
8 Hegel drückt sich im Hinblick auf diesen Punkt manchmal missverständlich aus und es ist
auch möglich, dass seine Studenten ihn in ihren Vorlesungsmitschriften nicht immer richtig
verstanden haben. Vgl. EW, 14: „[D]ie konkrete Freiheit ist, das ich in der Bestimmtheit mei-
ner – Schranke, Negation – nur bei mir selbst bin, das andere annihiliere.“ (Ferdinand Walters
Mitschrift, die in einer Fußnote in EW, 14 reproduziert ist, ist in diesem Punkt sogar noch ver-
wirrender.) Dies ist eine irreführende oder zumindest unnötig dramatische Formulierung der
hier interessierenden Idee. Das Entscheidende im Hinblick auf konkrete Freiheit ist nicht die
Annihilation des Anderen, sondern eine Versöhnung mit ihm, die allein die Überwindung oder
Aufhebung seiner vollständigen Äußerlichkeit, Fremdheit oder Feindschaft beinhaltet.
9 Der tierische Organismus als der „höchste Punkt der Natur“ (Werke 9, § 350 Zusatz) weist intern
„konkrete Freiheit“ auf, insofern jedes seiner Organe jedes andere Organ affiziert bzw. bestimmt
(erste Negation), allerdings in einer solchen Weise, dass sie alle zur Ermöglichung der Existenz
und dem Funktionieren jedes anderen beitragen (zweite Negation). Das Tier weist zudem einen
gewissen, wenn auch minimalen Grad an konkreter Freiheit im Hinblick auf die äußere Welt auf,
insofern es Teile davon als seine eigene Umwelt zu behandeln vermag, was zu seiner Lebenser-
haltung dient. (Siehe Werke 9, §§ 353 – 366.)
10 Hegels Gedanke, dass Tiere nicht über Bewusstsein bzw. Intentionalität verfügen, bringt Pro-
bleme mit sich, die ich in Ikäheimo 2010a diskutiere.
11 Hegel diskutiert dies im Kapitel „Das Bewußtsein als solches“ (Werke 10, §§ 418 – 421), das
dem Kapitel „Das Selbstbewußtsein“ in der Enzyklopädie vorausgeht. In all dem gibt es keinen
Hinweis auf einen subjektiven Idealismus, denn alle Strukturen, mit deren Hilfe Subjekte erfolg-
reich die Welt begreifen sind für Hegel tatsächliche Strukturen der Welt (das heißt, sie sind nicht
bloß Strukturen, wie die Welt als durch Subjektivität organisiert erscheint) und sie werden nur in
200   Anmerkungen zu Kapitel 4

der Interaktion mit der Welt zu Strukturen des Denkens eines Subjekts. Anders als Kant ist Hegel
begrifflicher Realist. Vgl. Halbig 2002.
12 Leider macht Hegel selbst nirgendwo klar, wie diese drei Prinzipien miteinander zusammen-
hängen.
13 Ich würde dafür argumentieren, dass diese Aufgabe auch angesichts jedes anderen Textes, in
dem Hegel über „Anerkennung“ spricht, nicht einfacher ist.
14 Vgl. z.B. Werke 10, § 433Z, und EW, 171.
15 Man beachte allerdings, dass sogar nicht-institutionalisierten Normen ein Minimum an Un-
abhängigkeit von jedem einzelnen Individuum zukommt, da mindestens zwei Individuen erfor-
derlich sind, um überhaupt soziale Normen zu besitzen. Zudem hängt jedes Individuum, das
unter den Bedingungen solcher Normen lebt, zu einem gewissen Grad von der Autorität eines
anderen Individuums als Ko-Autorität der gegebenen Normen ab. Ich allein kann keine Normen
erlassen, die uns beide binden.
16 Robert Brandom (2007) nennt dies „erotic significances“, Robert Pippin (2011) „orectic sig-
nificances“.
17 In Hegels höchst unkonventioneller Terminologie kann man auch sagen, dass die Begierde
zu viel Selbstbewusstsein und zu wenig Bewusstsein instanziiert.
18 Auf der anderen Seite gilt, dass alles, was für die physiologischen Bedürfnisse des primitiven
Subjekts nicht als unmittelbar relevant gegeben ist, ihm unbekannt bleibt. Daher ist das voll-
ständige Bild der intentionalen Beziehung des begehrenden Subjekts zur Welt eine Mischung
aus einem extremen Mangel an Unabhängigkeit von der Objektivität innerhalb einer sehr be-
grenzten Sphäre und einer extremen Fremdheit in Bezug auf den Rest der Welt. Dies vollstän-
dig zu rekonstruieren, würde nicht nur eine Bezugnahme auf Hegels Diskussion der tierischen
Weltbeziehung in der Philosophie der Natur (Werke 9, §§ 353 – 366) erfordern, sondern auch auf
das Anfangskapitel des „Sinnlichen Bewußtseins“ (Werke 10 10, §§ 418 – 419) des Kapitels „Das
Bewusstsein als solches“ (Werke 10, § 418 – 421), das dem „Selbstbewusstsein“ vorausgeht. Für
eine solche Rekonstruktion vgl. Ikäheimo 2010a.
19 Eine detailliertere Analyse der Struktur der begehrenden Objektbeziehung hätte zwischen
der raum-zeitlichen Andersheit des Objekts und der Andersheit im Sinne der Signifikanz des
Objekts für das Subjekt zu unterscheiden. Vgl. ebd.
20 Dies heißt unter anderem, dass Hegel nicht anfällig ist für ein Zirkularitätsproblem, das Fich-
tes Konzeption belastet: Wenn das Subjekt vor der intersubjektiven Begegnung unfähig ist, ir-
gendetwas als ein von ihm unterschiedenes Objekt zu begreifen, wie kann es jemals den Auffor-
dernden oder Anerkennenden als ein von ihm unterschiedenes aufforderndes Wesen erfahren?
Hegel umgeht dieses Problem, indem das Subjekt vor der Anerkennung seines Erachtens bereits
zu einer primitiven Weise der Subjekt-Objekt-Unterscheidung fähig ist.
21 „Dies Verhältnis ist […], da das Mittel der Herrschaft, der Knecht, in seinem Leben gleichfalls
erhalten werden muß, Gemeinsamkeit des Bedürfnisses und der Sorge für dessen Befriedigung.
An die Stelle der rohen Zerstörung des unmittelbaren Objekts tritt die Erwerbung, Erhaltung und
Formierung desselben als des Vermittelnden, worin die beiden Extreme der Selbständigkeit und
Unselbständigkeit sich zusammenschließen; – die Form der Allgemeinheit in Befriedigung des
Bedürfnisses ist ein dauerndes Mittel und eine die Zukunft berücksichtigende und sichernde
Vorsorge.“ (Werke 10, § 434)
22 Hegel diskutiert die Habitualisierung als ein wichtiges Moment des Subjektiven Geistes, bzw.
des psychologischen Personseins, gegen Ende der Anthropologie (Werke 10, §§ 409 – 410).
23 Nach Vorlesungsmitschriften von 1825 sagt Hegel: „die Formen gehen uns nichts an, es sind
die des Gefühls, Neigung, Wohlwollen, Liebe, Freundschaft“ (GK, 347). Hegel spricht hier auf
 Anmerkungen zu Kapitel 4   201

einem sehr hohen begrifflichen Abstraktionsniveau und fokussiert die Struktur konkreter Frei-
heit als Bewusstsein seiner selbst in einem anderen freien Wesen, die er als die „Substanz“ all
dieser konkreteren Phänomene begreift.
24 Zu Anerkennung als „Freigabe“ vgl. Williams 1996, 21. Williams ist beeinflusst von Siep 1992a.
25 Die verschiedenen Themen hängen in vielfacher Weise miteinander zusammen, um aber ent-
scheiden zu können, wie sie genau miteinander zusammenhängen, muss man zunächst in der
Lage sein, sie voneinander zu unterscheiden.
26 Vgl. Werke 10, § 433: „Der Kampf des Anerkennens und die Unterwerfung unter einen Herrn
ist die Erscheinung, aus welcher das Zusammenleben der Menschen als ein Beginnen der Staa-
ten, hervorgegangen ist.“ Und § 435Z.: „So war es zum Beispiel notwendig, daß, nachdem Solon
den Atheniensern demokratische, freie Gesetze gegeben hatte, Peisistratos sich eine Gewalt ver-
schaffte, durch welche er die Athenienser zwang, jenen Gesetzen zu gehorchen. Erst als dieser
Gehorsam Wurzel gefaßt hatte, wurde die Herrschaft der Peisistratiden überflüssig.“
27 Liebende und Freunde mögen auch in institutionellen Relationen zueinander stehen, doch
dies ist nicht das, was sie als Liebende und Freunde ausmacht. Ihr wesentliches Merkmal sind
die einschlägigen Weisen wechselseitig vollzogener intersubjektive Anerkennung.
28 GK, 342: „Wer befehlen will muss vernünftig befehlen, nur wer vernünftig befehlt dem wird
gehorcht […] Zum Befehlen gehört Verstand, um nichts albernes Abgeschmaktes vorzubringen
[…]“.
29 Viele zeitgenössische Lesarten tendieren dazu, Anerkennung bei Hegel primär und manch-
mal ausschließlich im Sinne der deontologischen Terminologie von Normen, Autorität und Re-
spekt zu betrachten und lassen die axiologische Dimension der Werte, Sorge und Liebe außer
Acht. Vgl. z.B. Brandom 2009, Kapitel 1 und 2; Pinkard 2002, Kapitel 11.
30 In den Vorlesungen fügt Hegel einige Details hinzu, die den Übergang weniger abrupt er-
scheinen lassen. Er wird auf diese Weise der Prozessualität bzw. der graduellen Veränderung
gerecht, auf die er hinaus will: „Das Instrument dient dem Herrn daher auch mit Willen, bleibt
an sich freies Selbstbewusstsein und dieser Wille des Knechts muss den Herrn geneigt gemacht
werden, er muss für den Knecht als Lebendiges sorgen, ihn schonen als an sich freien Willen,
so wird der Knecht in die Gemeinsamkeit der Vorsorge aufgenommen, so wird er auch Zweck, er
gilt, er hat seine Ehre, ist Glied der Familie.“ (GK, 342) Obwohl dies nur studentische Mitschriften
zu Hegels Vorlesung sind, die nicht immer vollständig verlässliche Quellen darstellen, lassen
sich anhand dieser Passage zwei wichtige Momente ausmachen: (1) Der furchtsame Gehorsam
des Knechts gegenüber dem Herrn wird zur Klugheitserwägung, ihm zu dienen. Der Herr wird
zu jemandem, der den Knecht zumindest nicht mehr ausschließlich durch unmittelbare Todes-
drohungen zu motivieren sucht, sondern auch durch positive Anreize (so verspricht der Herr
etwa, sich um den Knecht zu sorgen, sofern dieser für ihn arbeitet). Dies ist ein Übergang von
einem „Sklav” zu einem „Knecht“. (2) Eine Beziehung wechselseitiger Instrumentalisierung wird
zu einer Beziehung, die auch durch wechselseitige nicht-instrumentelle Sorge charakterisiert ist
und durch „Ehre“. Dies ist der Übergang des Knechts zu einem „Glied der Familie“. Hierbei rückt
nicht nur die nicht-instrumentelle Sorge (oder Liebe) in den Vordergrund, sondern auch die Ehre
und gegenseitige Dankbarkeit für die Beiträge zur Familie als einer „Gemeinschaft der Vorsorge“.
Somit ist auch so etwas wie Anerkennung oder Wertschätzung für die geleisteten Beiträge (dies
ist in Axel Honneths Arbeit zu Anerkennung wichtig) in dieser Passage präsent.
31 Ein guter „Lackmustest“ genuinen Respekts besteht darin, zu schauen, ob man sich vor
einem anderen wirklich schämen kann, bzw. ob man auf seine negativen Urteile über einen
selbst mit Scham antwortet.
202   Anmerkungen zu Kapitel 4 und 5

32 Von „Teilen“ zu sprechen klingt so, als würde das Phänomen im Sinne von äußerlichen Be-
ziehungen aufgefasst werden. Dies ist zum Teil der Fall: Meine unabhängigen Urteile und die
Urteile derer, die ich respektiere, können sich in Harmonie zueinander befinden oder auch
konfligieren, was zu einem Konflikt innerhalb meiner selbst führt. Eine solche Art des Konflikts
ist zentral für das, was moralisches Lernen, die Justierung moralischer Urteile und die Bildung
moralischer Vorstellungskraft antreibt, aber sie kann auch zu einem (zumindest zeitweiligen)
unversöhnlichen innerlichen Konflikt des Subjekts führen. Um dies noch anders zu formulieren:
Integration ist das Ideal, aber es handelt sich um eine Integration von teils unabhängigen Ele-
menten oder Teilen, die auch unintegriert bleiben können. Für Hegel ist ein Mangel an innerer
Integration charakteristisch für psychische Pathologien, von denen er einige im Anthropologie-
Abschnitt der Philosophie des Subjektiven Geistes diskutiert.
33 Vgl. Rainer Forsts Diskussion zum „Recht der Rechtfertigung“ in Forst 2008.

Kapitel 5
1 Kojèves Vorlesungen wurden von vielen zukünftigen Hauptakteuren der Französischen Intel-
lektuellenszene besucht und hatten auf diese Weise großen Einfluss auf die Französische Philo-
sophie der Nachkriegszeit. In Kojèves recht freier Interpretation von Hegel ist die menschliche
„Begierde nach Anerkennung“ die treibende Kraft der Geschichte und steht als solche im Zen-
trum der gesamten Hegel’schen Philosophie. Vgl. Kojève 1975 und zu Kojèves Einfluss auf die
Französische Philosophie der Nachkriegszeit Descombes 1979.
2 Vgl. Benjamin 1990, Wildt 2010 und Honneth 2003, 153 – 172.
3 Vgl. Thompson 2006 und Seymour 2010.
4 Für eine erhellende Darstellung zum Verhältnis von Taylor und Herder, vgl. Markell 2003,
Kapitel 2.
5 Für eine Kritik an diesem Aspekt von Taylors Aufsatz vgl. Appiah 1994.
6 „Bei unserer Beschäftigung mit einer Kultur werden wir etwas entdecken, das großen Wert
besitzt, oder nicht. Aber zu fordern, daß wir etwas finden müssen, ist genauso unsinnig, wie zu
verlangen, wir müßten herausfinden, daß die Erde rund oder flach oder daß die Lufttemperatur
hoch oder niedrig ist.“ (Taylor 2009, 56)
7 Die längste explizite Bezugnahme auf Hegel, die man im Text findet, bringt ihn vielmehr mit
der Politik der gleichen Würde in Zusammenhang. Vgl. Taylor 2009, 36 – 7.
8 Wenn ich von einer „Ergänzung“ spreche, meine ich nicht, dass Taylor der Erste ist, der daran
gedacht hat. Ganz im Gegenteil ist die Vorstellung von Anerkennung für individuelle Leistungen
wahrscheinlich die paradigmatische Bedeutung von „Anerkennung“ im umgangssprachlichen
Diskurs. Sie ist auch ausdrücklich eine der drei Dimensionen von Anerkennung, die man in der-
selben Zeit bei Axel Honneth findet und die ich im nächsten Kapitel besprechen werde.
9 Vgl. Fußnote 25, S. 197 zu einem ähnlich gelagerten Problem bei Fichte. Man beachte, dass Tay-
lors Formulierung mehrdeutig ist, da er von „unserem Status“ als rationale Akteure und weniger
von unserer Fähigkeit zu rationaler Akteurschaft spricht. Diese Ambivalenz von Fähigkeit und
Status tendiert dazu, das Problem, auf das ich aufmerksam machen möchte, zu verdecken. Sie
ist in Diskursen über Würde und Personsein unglücklicherweise aber recht häufig anzutreffen.
10 Zum Thema der „Toleranz“ vgl. Forst 2003.
11 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von „personaler Identität“, vgl. Quante, 2007.
 Anmerkungen zu Kapitel 5   203

12 Neben Anderen hat Anthony Appiah (1994) kritisiert, dass Taylor diese Spannung zwischen
individuellem Selbstverständnis und Fremdbeschreibung übersieht und damit die Tatsache,
dass Individuen auf Gruppen reduziert werden, mit denen sie selbst sich möglicherweise nicht
besonders stark identifizieren können.
13 Ich verwende den Ausdruck „teilweise“, weil Taylors „Politik der gleichen Würde“ einen an-
deren Aspekt von Personen betrifft: nämlich ihre Würde als Personen unabhängig von bestimm-
ten Differenzen. Taylor diskutiert die mögliche konstitutive Bedeutsamkeit dieses Phänomens
fürs Personsein nicht explizit.
14 Ich stelle damit keine Thesen über die Originalität von Taylors Essay auf, sondern weise nur
auf das hin, was wir mit der Lektüre seines Aufsatzes vernünftigerweise zur bisher erarbeiteten
Gesamtvorstellung der Bedeutsamkeit von Anerkennung hinzufügen können. Taylor selbst an-
erkennt andere Autoren, wie z.B. Rousseau, Herder und G.H. Mead als Quellen der von ihm ins-
gesamt formulierten Auffassung. Darüber hinaus kannte Taylor beim Verfassen seines Aufsatzes
bereits Honneths Arbeit, die mit teilweise ähnlichen Ansätzen aufwartet. Taylor war einer der
Gutachter von Honneths Habilitationsschrift, die einen Teil seiner bahnbrechenden Monogra-
phie Kampf um Anerkennung ausmacht, welche im nächsten Kapitel diskutiert wird.
15 Vgl. besonders Fraser 2000.
16 Anders als viele Autoren, die sich an den aktuellen Debatten über die Politik der Anerken-
nung beteiligen, hat Taylor, genauso wie Honneth, ernstzunehmende Arbeiten zur Hegel-For-
schung beigetragen. Zu Taylors Interpretation von Hegel, vgl. Taylor 1975 und 1979.
17 Als Amerikanerin denkt Fraser hauptsächlich an die jüngste Geschichte und die gegenwärti-
ge Situation der US-Politik. Sie stellt allerdings heraus, dass Identitäts-Probleme nach dem Ende
des Kalten Krieges auf der internationalen Bühne in den Vordergrund getreten sind und ergänzt
das Folgende: „Mit der Jahrhundertwende sind die Themen der Anerkennung und der Identität
noch zentraler geworden […] [V]on Ruanda bis zu den Balkanstaaten haben Fragen der „Iden-
tität“ ethnische Säuberungen und sogar Genozide angeheizt − wie auch Bewegungen, die sich
angeregt sahen, dagegen Widerstand zu leisten.“ (Übersetzt nach Fraser 2000, 107)
18 In Fraser & Honneth 2003, 29 reformuliert Fraser die oben zitierte Passage auf eine Weise,
die Einstellungen eine noch geringere Rolle inn Bezug auf soziale Exklusion zuweist.
19 Für eine teilweise ähnlich gelagerte Kritik an Fraser vgl. Zurn 2008, 156 – 159.
20 Frasers terminologische Entscheidung, von der „intersubjektiven Bedingung“ partizipatori-
scher Gleichheit zu sprechen, verdunkelt diese Unterscheidung.
21 Fraser versteht Respekt und Wertschätzung auf die folgende Weise: „An dieser Stelle setze
ich die  – in der Moralphilosophie mittlerweile gängige  – Unterscheidung zwischen Respekt
und Achtung voraus. Ihr zufolge wird Respekt allgemein und jeder Person des gemeinsamen
Menschseins halber geschuldet; Achtung hingegen wird entsprechend den persönlichen und je
eigentümlichen Merkmalen, Fertigkeiten oder Leistungen in unterschiedlichem Maße verteilt.
Daher ist die Vorschrift, jedem den gleichen Respekt zu zollen, vollkommen vernünftig, dieje-
nige aber, jedem die gleiche Achtung zu gewähren, ist ein Oxymoron.” (Fraser & Honneth 2003,
49, Anm. 32; Fraser 2001, 39, Anm. 6) Frasers Begriff von Respekt unterscheidet sich also von
demjenigen, den ich in der Diskussion von Fichte und Hegel eingeführt habe.
22 Ich werde im abschließenden Kapitel aus einer anderen Perspektive auf die Bedeutung der
Imagination für Anerkennung zurückkommen.
23 Vieles, was Fraser schreibt, scheint diese Interpretation zu stützen. Vgl. zum Beispiel: Fraser
& Honneth 2003, 18, wo sie über die Institutionalisierung von heterosexuellen Wertemustern
spricht, die Heterosexualität „allerorten institutionalisiert“, „die rechtliche Konstruktion von Fa-
204   Anmerkungen zu Kapitel 5 und 6

milie, Intimität, Privatsphäre“ etc. prägen und „auf zahlreichen Feldern politischer Regulierung
(…) verwurzelt“ sind (ebd., 30).
24 George Herbert Mead definiert „Institution“ auf die folgende Weise: „[E]ine Institution [ist]
letztlich nichts anderes als eine Organisation von Haltungen, die wir alle in uns tragen; die orga-
nisierten Haltungen der anderen, die das Verhalten kontrollieren und bestimmen.“ (Mead 1973,
255)

Kapitel 6
1 Für eine kurze Übersicht über Honneths Rekonstruktion von Horkheimer, Adorno, Foucault
und Habermas, vgl. das Nachwort zu Honneth 1988. Eine exzellente Darstellung von Honneths
Denken und seiner Gesamtentwicklung bietet Deranty 2009. Zum Verhältnis zwischen Honneth
und Habermas, vgl. Iser 2008. Zu Anerkennung als zentralem Prinzip der Kritischen Theorie
insgesamt, siehe Schmidt am Busch 2011.
2 Zu seiner Deutung des Jenaer Hegel, vgl. Honneth 2003, Kapitel 1 – 3. Zu seiner späteren Deu-
tung von Hegels Philosophie des Rechts, vgl. Honneth 2001.
3 Beim Verfassen dieses Kapitels profitierte ich von Diskussionen über Honneth mit Loughlin
Gleeson.
4 Zu Honneths eigener Auffassung der Unterscheidung einer Kritischen Sozialphilosophie
von der Politischen Philosophie, vgl. Honneth 1994.
5 Honneth schließt sich Habermas Kritik an, dass es den Vertretern der frühen Frankfurter Schu-
le an kritischer Reflexion auf die Begründung ihrer eigenen kritischen Maßstäbe fehlte. (Vgl.
das Nachwort zu Honneth 1988). Die Vorstellung einer immanenten Kritik findet sich bereits in
der methodologischen Einleitung von Hegels Phänomenologie des Geistes. Hegel versucht darin
zu erklären, wie es möglich sein kann, den Common Sense bzw. „das natürliche Bewusstsein“
auf die Ebene des philosophischen Begreifens der Wirklichkeit zu heben und zwar durch eine
Argumentationsmethode, die sich allein auf die eigenen Voraussetzungen des Common Sense
bezieht, d.h. ohne Wahrheiten oder Kriterien vorzugeben, durch die er aus der Perspektive eines
epistemisch privilegierten Standpunkts beurteilt würde.
6 Vgl. das Nachwort, das der zweiten Ausgabe des Kampf um Anerkennung (Honneth 2003)
beigefügt ist.
7 Vgl. auch Deranty 2009, 431.
8 Vgl. Kauppinen 2002 zu den vielfachen Weisen, in denen etwas als normatives oder evalu-
atives Kriterium einer Kultur oder Gesellschaft implizit sein kann und somit etwas darstellt, auf
das sich eine immanente Sozialkritik beziehen kann.
9 Vgl. insbesondere Zurn 2000.
10 Zu Honneths „fallibilistischer“ Methodologie, vgl. Deranty 2009, besonders 277 – 2 86.
11 Vgl. das Schema in Honneth 2003, 211. Dieses Schema ist unglücklicherweise etwas verwir-
rend, insofern es Einstellungen und soziale institutionelle Sphären (vgl. 2.3.) ohne Differenzierung
gemeinsam unter dem Titel „Anerkennungsformen“ fasst.
12 Honneth stützt sich hier stark auf Donald Winnicott, wie auch auf Jessica Benjamins (1990)
psychoanalytische Studie der frühen Interaktion, die ausdrücklich das Hegel’sche Modell von
Begierde und Anerkennung nutzt.
13 Für nähere Ausführungen zur Liebe als einer Form der Anerkennung, vgl. Ikäheimo 2012a.
 Anmerkungen zu Kapitel 6   205

14 “Having rights enables us to ‚stand up like men‘, to look others in the eye, and to feel in some
fundamental way the equal of anyone” (Feinberg 1980, 151 zitiert nach Honneth 2003, 194).
15 “[A]n enrichment of the stuff of which the status [of a full citizen or legal person] is made and
an increase in the number of those on whom the status is bestowed” (Marshall 1963, 87, zitiert
nach Honneth 2003, 191).
16 In einem kürzlich erschienenen Aufsatz diskutiert Honneth eine negative Entwicklung, die
damit zusammenhängt, dass sich „infolge der siegreichen Kämpfe kultureller Minderheiten um
rechtliche Gleichstellung die aktive, ermächtigende Bedeutung der Bürgerrechte weitgehend
abgenutzt [hat], so dass sie häufig nicht länger als symbolische Zeichen einer wechselseitigen
Achtung, sondern privatistisch als Instrumente der individuellen Leistungsabsicherung gedeu-
tet werden“ (Honneth 2011b, 42). Honneth legt auf diese Weise die Annahme nahe, dass es eine
Zeit gegeben hat, in der Individuen gleiche Rechte als ein Symbol der „wechselseitigen Achtung“
vor moralischer Autonomie „gedeutet“ haben und argumentiert, dass diese Lesart sich durch
genau diese politischen Anstrengungen abgenutzt hat, durch die gleiche Rechte auf immer mehr
Menschengruppen ausgedehnt wurden.
17 Im Falle politischer Rechte fallen Rechte und Autorität selbstverständlich zusammen, da
diese Rechte die Ausübung von Autorität in politischen Auseinandersetzungen darstellen. Doch
selbst der Besitz politischer Rechte stellt keine Garantie für intersubjektiven Respekt dar: Men-
schen beschweren sich häufig über die Rechte anderer, die sie im Rahmen der Partizipation an
politischen Entscheidungen nicht der vernünftigen Urteilsbildung für fähig erachten.
18 Zu Honneths Versuch im Kampf um Anerkennung, Freiheit im Sinne der subjektiven Sponta-
neität auf der vor-sozialen Ebene von Subjektivität zu verorten – oder um Meads Terminologie zu
borgen, dass Honneth sich auf das vor-soziale „Ich“ im Gegensatz zum sozial verfassten „Mich“
bezieht  – vgl. Honneth 2003, Kapitel 4. Zu Honneths späterer Abwendung von diesem Mead-
schen Modell, vgl. ebd., 312.
19 Zu Anerkennung und Arbeit beim jungen Marx, vgl. Brudney 2009 und Quante 2011.
20 Vgl. Quante 2011.
21 Da Taten, die zu dem Zweck ausgeführt werden, beim Empfänger Dankbarkeit hervorzuru-
fen (dies könnte dem Akteur in vielerlei Hinsicht nützen) keine Dankbarkeit verdienen, müssen
sie unter dem Deckmantel genuin nicht-instrumenteller Sorge um den Anderen ausgeführt wer-
den und sind daher zwangsläufig unaufrichtig.
22 Zu zwei konfligierenden Auffassungen der Beziehung von Anerkennung als Wertschätzung
und der ökonomischen Logik, siehe Ikäheimo & Laitinen 2010.
23 Vgl. Honneths diesbezügliche Diskussion in Fraser & Honneth 2003, 182 – 183.
24 Es wäre aus zweierlei Gründen unangemessen, auf „egoistische“ Leistungen mit Dank-
barkeit zu antworten. Erstens verdienen egoistische Taten keine Dankbarkeit und zweitens ist
Dankbarkeit nicht das, was der Akteur erstrebt (angenommen, dass sein Ziel nicht darin besteht,
von fehlgeleiteter Dankbarkeit zu profitieren). Entsprechend wäre es unangemessen, auf „altru-
istische“ Leistungen lediglich mit instrumenteller Wertschätzung zu reagieren, etwa dadurch,
dass man gegenüber anderen auf ihre Nützlichkeit verweist und keine Dankbarkeit zeigt oder
dadurch, dass man einen Lohn anbietet. Solcherlei Verwechslungen der moralischen Logik des
Schenkens und der Dankbarkeit mit der ökonomischen Logik werden häufig als kränkend oder
beleidigend interpretiert (wenn nicht als Missverständnis).
25 Da Dankbarkeit die erwartungsgemäße Antwort auf Leistungen darstellt, die (zumindest par-
tiell) durch die unbedingte Sorge um das Wohl Anderer motiviert sind, hängen die kontributive
und die axiologische Dimension nichtsdestoweniger eng miteinander zusammen.
206   Anmerkungen zu Kapitel 6

26 Für eine gründliche Analyse des Marxschen Modells nicht-entfremdeter Arbeit aus Sicht des
Anerkennungsbegriffs, vgl. Quante 2009, 275- 300. Vgl. auch Brudney 2009 und Ikäheimo 2012a.
27 Diese zwei Elemente im Hinblick auf Erwartungen zu unterscheiden – das klugheitsbezogene
und das moralische – hilft einem auch dabei, die eigentümliche Schwierigkeit besser zu verste-
hen, die etwa mit den von Hausfrauen gestellten Ansprüchen auf angemessene „Anerkennung“
ihrer Arbeit und gesellschaftlichen Leistung einhergehen, wie auch mit den Ansprüchen auf ad-
äquate Anerkennung, die Berufstätige aus dem Pflege- und Bildungsbereich einklagen. Da von
diesen Gruppen erwartet wird, zumindest teilweise aufgrund von nicht-instrumenteller Sorge
um einen unmittelbaren Nutzen ihrer Arbeit etwas zum gesellschaftlich Wohl beizutragen, kann
man ihren Forderungen nach besserem Lohn, oder im Falle der Hausfrauen die Forderungen
nach einem Lohn überhaupt, leicht mit einer moralischen Rüge ihrer Eigennützigkeit begegnen.
Wann auch immer beide, sowohl die ökonomische Logik des Arbeitslohns und die moralische
Logik der Dankbarkeit im Hinblick auf dieselbe Aktivität Anwendung finden, neigen beide An-
sprüche auf adäquate Anerkennung dieser Aktivitäten wie auch die Antworten darauf, zu Am-
bivalenzen und potentieller Verwirrung der Beteiligten. Es ist die Aufgabe des Theoretikers, zu
versuchen, die unterschiedlichen Probleme auseinanderzuhalten und zu klären.
28 Ich sehe hier von der von Fraser und anderen (in Fraser & Honneth 2003) gestellten He­
rausforderung ab, dass Honneth den unpersönlichen „ökonomischen Mechanismus“ nicht Ernst
genug nimmt, der die Marktpreise von Produkten und der Arbeit unabhängig vom Gebrauchs-
wert und damit von der instrumentellen Wertschätzung beeinflusst. Ob es Honneth gelungen ist,
dieser Herausforderung in angemessener Art und Weise zu begegnen, ist eine komplexe Frage,
die ich hier nicht versuchen werde zu beantworten.
29 Für eine umfassende Studie zu Honneths Arbeit, vgl. Deranty 2009.
30 Honneth anerkennt dies in der Passage, in der es heißt, dass sich „infolge der siegreichen
Kämpfe kultureller Minderheiten um rechtliche Gleichstellung die aktive, ermächtigenden Be-
deutung der Bürgerrechte weitgehend abgenutzt [hat], so dass sie häufig nicht länger als sym-
bolische Zeichen einer wechselseitigen Achtung, sondern privatistisch als Instrumente der indi-
viduellen Leistungsabsicherung gedeutet werden.“ (Honneth 2011, 42) Offengelassen bleibt hier
jedoch die Frage, was genau die Bedingungen sind, unter denen Rechte als seine moralische
Angelegenheit erfahren werden (und damit nach Honneths Theorie in der Vergangenheit auch
wurden) anstatt nur als Objekt konkurrierender egoistischer Interessen.
31 Diese Sätze entstammen Honneths Erwiderung („Rejoinder“) auf kritische Fragen von Ju-
dith Butler, Reymond Geuss und Jonathan Lear, die nur in der englischen Version des Buches
zu finden ist.
32 Honneth hat auf andere Art und Weise durch die Einführung des Konzepts „moralischen
Fortschritts“ (vgl. Fraser & Honneth 2003, 219) versucht, zwischen einem universalistischen und
einem historistischen Verständnis der Kriterien des guten Lebens zu vermitteln. Die durch diese
Strategie angebotene Lösung ist allerdings nicht zufriedenstellend, da sie das Problem lediglich
verschiebt: Die Frage ist jetzt, ob die Kriterien dafür, was als moralischer Fortschritt zählen kann,
selbst universal akzeptierbar sind oder nicht?
33 Vgl. Honneth 2011, 86, wo Honneth zwischen dem „Intersubjektiven“ und dem Institutionel-
len unterscheidet und „Sozialität“ mit Letzterem identifiziert. Auf derselben Seite spricht Hon-
neth bemerkenswerter Weise auch von der „Anerkennung der Komplementarität von Zielen und
Wünschen“, bzw. von der Anerkennung wechselseitiger Abhängigkeit. Dies scheint die zentrale
Bedeutung von „Anerkennung“ in Das Recht der Freiheit zu sein. Wie sich dieses Phänomen,
das gemäß den von mir in Abschnitt 2.1. eingeführten Unterscheidungen zur zweiten Bedeu-
 Anmerkungen zu Kapitel 6 und 7   207

tungsfamilie von „Anerkennung“ gehört (im Englischen als „acknowledgement“ bezeichnet),


zu intersubjektiver Anerkennung verhält, wird in seinem Buch allerdings nicht vollständig klar.
34 Da der Begriff der Anerkennung sich in Honneths Werk durch eine so durchweg zentrale und
ausdrückliche Präsenz auszeichnet, wurden die meisten der Eigenheiten dieses Konzepts bei
Honneth wie die Probleme, die mit seiner Behandlung desselben einhergehen bereits diskutiert
oder zumindest erwähnt. Ich verzichte daher auf eine separate Erörterung dessen, was Anerken-
nung nach Honneth genau ausmacht.

Kapitel 7
1 Während ein westlicher Akademiker sich in den frühen 90er Jahren, als Honneth und Taylor
ihre ersten bahnbrechenden Schriften über Anerkennung verfassten, noch relativ problemlos
vorstellen konnte, dass sein Publikum fast ausschließlich aus Lesern der westlichen Welt mit
einem relativ homogenen sozialen Erfahrungsraum besteht, vollzogen sich in der globalen Kom-
munikation und Migration in der Zwischenzeit so rapide Entwicklungen, dass dies heute, nur
20 Jahre später, nicht mehr der Fall ist. Will die kritische Sozialphilosophie über die Belange der
Gegenwart sprechen, muss sie diese Abgeschiedenheit durchbrechen können und sich bewusst
an einen globalen bzw. globalisierten Adressaten wenden.
2 Man beachte, dass mit „Liebe“ verschiedene traditionelle Worte übersetzt werden sollen, so
etwa eros, filia oder auch agape, wobei mit jedem eine komplexe Geschichte unterschiedlicher
Bedeutungen einhergeht.
3 Vgl. Kapitel 2.3.
4 Von „weniger komplexen“ oder „bloßen Tieren“ zu sprechen soll kein Werturteil implizieren,
sondern lediglich diejenigen Tiere, die auch Personen sind von den Tieren, die keine Personen
und somit im logischen Sinne „bloße Tiere“ sind, unterscheiden. Meine Ausführungen erlauben
im Prinzip auch die Möglichkeit, dass es nicht-menschliche Tiere geben könnte, die Personen
sind.
5 Zum Verhältnis von „Menschen“ und „Personen“ vgl. Quante 2007. Zur Identifikation einer
Lebensform vgl. Stekeler-Weithofer 2011, 96 – 97 sowie Thompson 2008, 25 – 82.
6 Vgl. Brandom (2000) und Pinkard (2002). Robert Pippin (vgl. Pippin 2008) ist ein weiterer
wichtiger Autor, dessen Ansatz dem von Brandom und Pinkard ähnelt, jedoch nicht so sehr auf
die deontologische Dimension fokussiert ist. Pinkard (2012) kann als eine Erweiterung von Pin-
kards früherer ausschließlich deontologischer Perspektive angesehen werden.
7 Zu Brandoms „inferentialistischer“ Semantik, vgl. Wanderer 2008.
8 Meine Ausführungen zur Interaktion des Kindes und des Auffordernden bei Fichte, wie
auch zur deontologischen Dimension von Anerkennung bei Hegel stützen sich bereits auf diese
grundlegenden Vorstellungen des deontologischen Neo-Hegelianismus.
9 Könnte es Personen geben, die für ihr Überleben nicht auf Andere angewiesen sind? Wesen,
die einander nicht bedürfen, würden, dies scheint eine plausible Mutmaßung, überhaupt keine
soziale Lebensform bilden und es würde ihnen daher an all den Eigenschaften fehlen, die mit der
Sozialität einhergehen, wie etwa sprachliche Kommunikation und auch sprach-basiertes Den-
ken. Darüber hinaus wären sie ohne sprach-basiertes Denken auch unfähig, sich Vorstellungen
von ihrer Zukunft zu machen und sich in einer Weise, die die Begierde transzendierte, um sich
selbst zu sorgen – was insgesamt darauf hinaus läuft, dass sie im psychologischen Sinne keine
Personen sein würden.
208   Anmerkungen zu Kapitel 7

10 Man könnte sich dennoch gegenüber Anderen schuldig fühlen, deren unbedingte Autorität
man aufrichtig respektiert. Man könnte Schuld dafür empfinden, dass man die Rechte von B
verletzt hat, die ihm kraft der Normen zukommen, die von denen autorisiert wurden, die man
respektiert, während man zugleich nicht von B selbst gerührt wird (als jemand, der unbedingte
Autorität besitzt oder als jemand, dessen Wohlergehen von intrinsischem Wert ist).
11 Ich sage „gegen seine Einwilligung“, da es denkbar ist, dass bspw. ein Krieger einen anderen
Krieger ohne Scham und Mitleid tötet, doch ohne den Anderen auf eine Weise zu behandeln, die
als „menschenverachtend“ oder demütigend aufgefasst würde.
12 Wie bemerkt, stützt Honneth sich auf psychoanalytische und entwicklungspsychologi-
sche Studien zur Bedeutsamkeit von Liebe für die kindliche Entwicklung (vgl. Honneth 2003,
148 – 172). Zum Argument, dass den zwischenmenschlichen Einstellungen unbedingter Anerken-
nung eine entscheidende Rolle dabei zukommt, warum Menschen und keine anderen Primaten
zu vorsprachlichem kommunikativen Zeigen (mit dem Zeigefinger) und somit zu allen anderen
komplexeren Kommunikations- und Erkenntnisweisen in der Lage sind, für die die vorsprachli-
che Kommunikation die Voraussetzung darstellt, vgl. auch Ikäheimo 2010b.
13 Zur Konzeption des „Geistes“ im Sinne des Personseins vgl. Stekeler-Weithofer 2011. Meine
Rede vom Personsein als dem Wesen des Menschen ist von Stekeler-Weithofer stark beeinflusst,
auch wenn ich nicht erwarte, dass er mir in allen Details meiner Ausarbeitung dieser Idee zu-
stimmte.
14 Ich nehme an, dass es so etwas wie einen Personsein-stiftenden Status, der vollständig un-
abhängig von Intentionalität ist, nicht gibt. Theologisch motivierte Auffassungen gehen häufig
davon aus, dass es einen Status „vor Gott“ gibt (etwa, den Status der Gleichheit aller oder den,
„vor Gott“ von unschätzbarem Wert zu sein). Selbst in Bezug auf solche Weisen des Status meint
man, dass sie abhängig von Intentionalität sind, nämlich der Gottes.
15 Im Hinblick auf vertikale abwärts gerichtete Anerkennung und auch im Hinblick auf hori-
zontale Anerkennung* ist die Tabelle selbstverständlich nicht neutral. Hier ist nur der „perso-
nifizierende“ Modus dieser Formen von Anerkennung relevant, weil nur diese konstitutiv für
den Status des Personseins im institutionellen Sinne sind. Hier geht es allerdings nicht um die
spezielle Bedeutung von „personifizierend“ im Sinne von „unbedingt“, wie sie für rein intersub-
jektive Anerkennung einschlägig ist.
16 Ich schlage also eine andere Strategie als Axel Honneth vor, der schlussendlich meint, dass
„Verdinglichung“ von Personen ein so extremes Phänomen darstellt, dass man es in der sozialen
Wirklichkeit kaum antrifft (vgl. Honneth 2008, 148 – 149) – was in meinen Augen im Hinblick auf
seine eigenen philosophischen und sozialkritischen Ziele kontraproduktiv ist. Die unglückliche
Folge von Honneths Vorschlag besteht darin, dass er den Begriff der Verdinglichung für Sozial-
kritik praktisch nutzlos werden lässt, da er etwas fassen soll, was kaum jemand je erfährt.
17 Vgl. auch Honneths Diskussion von Stanley Cavells Konzept der „Forderungen“ bzw. „Auf-
forderungen“ des Anderen in Honneth 2005, 57.
18 Auf der anderen Seite wird jemand, der über eine robuste Form der Selbstachtung verfügt, in
der Lage sein, Missachtung durch Andere leicht und ohne psychische Schäden „achsel­zuckend
abzutun“. Jemand mit fragiler Selbstachtung wird wahrscheinlich sehr sensibel auf die Behand-
lung Anderer reagieren. Eine hierbei wichtige Unterscheidung ist die zwischen der Erfahrung
von etwas als „Unrecht“ einerseits und dem Sachverhalt, dass man sich emotional verletzt fühlt
andererseits. Die Robustheit der Selbstachtung ist sowohl die Voraussetzung dafür, mangelnden
Respekt als Unrecht zu erfahren wie auch eine Art von Schutz davor, sich oder das eigene Selbst-
bild dadurch verletzen zu lassen.
 Anmerkungen zu Kapitel 7   209

19 Der Primatenforscher und Evolutionäranthropologe Michael Tomasello bestätigt ausgehend


von seinen empirischen Erhebungen, dass es solche Erwartungshaltungen ab der frühen Kind-
heit gibt: „Kinder folgen sozialen Normen nicht nur aktiv, sondern beteiligen sich schon fast
ebenso früh an ihrer Durchsetzung.“ (Tomasello 2010, 41) Wir müssen hier nur ergänzen, dass
die Durchsetzung sozialer Normen die Erwartung gegenüber Anderen impliziert, dass sie meine
Autorität anerkennen, dies tun zu dürfen.
20 Besteht ein Unterschied zwischen dem Gehalt der Behauptung, dass „man zur Anerkennung
durch etwas, das dem Anzuerkennenden eigen ist, bewegt ist“ und der Behauptung, dass „ihn
(im unbedingten Modus rein intersubjektiver Anerkennung) anzuerkennen heißt, dass man von
ihm bewegt ist“? Ich nehme an, dass es hier keinen relevanten Unterschied gibt.
21 Man beachte, dass ich hier nicht über die Verantwortung für Handlungen und Unterlassun-
gen spreche, sondern über die schwierigere Frage der Verantwortung dafür bestimmte Einstel-
lungen zu haben. Zum Verhältnis von anerkennenden Einstellungen und Handlungen vgl. Ab-
schnitt 2.4.
22 Vgl. auch Honneth 2005, 94ff. zu den sozialen Ursachen der Verdinglichung.
23 Für eine klassische Untersuchung der Psychopathie vgl. Cleckley 1988. Obwohl Cleckley
seine Theorie der Psychopathie nicht ausdrücklich mithilfe dieser Begriffe formuliert, stimmt
sie nach meiner Lesart in großen Teilen mit der Vorstellung überein, dass eine verminderte Fä-
higkeit zur unbedingten und genuin personifizierenden Anerkennung Anderer ein wesentliches
Merkmal dieser Störung darstellt.
24 „Psychopathie“ wird häufig als eine angeborene Veranlagung von sozial verursachter und
„erworbener Soziopathie“ unterschieden. Ich blende solche Fragen der psychopathologischen
Taxonomie hier aus.
25 Vgl. hierzu auch meine Ausführungen zur Ambivalenz des Personbegriffs in Honneths Dis-
kussion der deontologischen Dimension in Abschnitt 6.2.2.
26 Hieraus ergeben sich allerdings komplizierte Anschlussfragen in Bezug auf Anfang und Ende
des menschlichen Lebens, genauer sind dies Fragen zum Thema Abtreibung und Sterbehilfe. Für
eine ausführliche Behandlung dieser Probleme vgl. Quante 2002. Wie steht es mit nicht-mensch-
lichen Tieren? In dieser Rücksicht ist zweierlei zu bemerken. Erstens ist es im Prinzip möglich,
dass andere Tierarten Elemente der psychologischen und intersubjektiven Ebene des Person-
seins teilen. Ob sie dies faktisch tun, stellt eine empirische Frage dar. Zweitens spricht insbe-
sondere im Hinblick auf die institutionelle Ebene vollausgebildeten Personseins grundsätzlich
nichts dagegen, auch einigen nicht-menschlichen Tieren den Schutz basaler Rechte zu gewäh-
ren, wenn die Gründe dafür die Einwände überwiegen. Darin ist die Möglichkeit impliziert, dass
die personale Lebensform mehr einschließt als die Lebensform menschlicher Personen.
27 Vgl. Ikäheimo 2009 zur Rekonstruktion der Erfahrung von Menschen mit solchen Behinde-
rungen.
28 Vgl. hierzu auch Brudney 2009 und dessen Argument gegen die Möglichkeit von Liebe zwi-
schen Produzenten und Konsumenten, wie dies für den jungen Marx wichtig ist. In Ikäheimo
2012a findet sich meine Erwiderung auf Brudney.
29 Die vielleicht wichtigste Frage ist die Folgende: Wie genau unterscheiden sich ethisch bzw.
moralisch wertvolle Vorstellungsweisen von der Welt aus der Perspektive Anderer von bloßen
Projektionen oder egoistischen Phantasien? Die Anerkennung der universalen Tatsachen über
die personale Lebensform des Menschen ist ein Schritt in Richtung einer Auseinandersetzung
mit diesem Problem. Doch gäbe es hier noch viel mehr zu sagen.
30 Eine sehr hilfreiche weiterführende Lektüre zu diesem Thema ist Steve Elder-Vass’ Unter-
scheidung zwischen „proximate“ und „imagined norm-circles“ in Elder-Vass 2010, Kapitel 6.
210   Anmerkungen zu Kapitel 7

31 Soziologen sprechen häufig von Vertrauen als einer Art von „sozialem Kapital“, das für „so-
ziale Integration“ und die Reproduktion von Gesellschaften erforderlich ist.
32 Vgl. Honneths Auseinandersetzung mit „Solidarität“ in Honneth 2003, bes. 278ff.
33 Vgl. Heins 2008, der die Anerkennungstheorie auf Fragen der globalen Solidarität und Ge-
rechtigkeit ausdehnt sowie Lindeman 2010 zur Relevanz vorgestellter und realer Einstellungen
der Anerkennung im Verhältnis zwischen Nationen. Lindeman zeigt, dass moralische Gefühle,
die durch „unsere“ Einstellungen gegenüber „den Anderen“ ausgelöst werden, wie wir sie und
ihre Einstellungen „uns“ gegenüber vorstellen, einen Unterschied zwischen Krieg und Frieden
ausmachen können. Die Erwartung ökologischer Katastrophen und ernsthafter Knappheit an
natürlichen Ressourcen im globalen Maßstab in relativ naher Zukunft sowie die Gefahren, die
darin im Hinblick auf Überlebenskriege, Vernichtung und die psychologische Vorbereitung von
Gewalt durch die „Entmenschlichung“ und „Entpersonifikation“ realer oder vorgestellter Feinde
stecken, machen diese Fragen heute zu dringenderen als je zuvor.
Anhang
„Anerkennung von Personen“

vertikal horizontal

abwärts aufwärts institutionell rein


gerichtet gerichtet vermittelt intersubjektiv

deonto- axiologisch kontributiv


logisch

bedingte Respekt Instrumentelle Dankbarkeit


Zuschreibung von Wertschätzung
Autorität

bedingte Liebe
Sorge ums
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Namenregister
Adorno, Theodor 135, 160, 204, Honneth, Axel 1, 2, 4, 5, 11, 102, 109, 115,
Appiah, Anthony 202 116, 118, 119, 120, 124, 131, 135-162, 163,
Aristoteles 171, 193, 194, 195 164, 166, 173, 181, 182, 183, 184, 189,
Bedorf, Thomas 193 194, 201, 202, 203, 204-207, 208, 209,
Beiser, Frederick 32 210
Benjamin, Jessica 202, 204 Horkheimer, Max 135, 160, 204
Brandom, Robert 25, 170, 193, 200, 201, 207 von Ihering, Rudolph 143, 145
Brudney, Daniel 193, 205, 209 Ikäheimo, Heikki 193, 194, 195, 199, 200,
Cavell, Stanley 197, 208  204, 205, 208, 209
Cleckley, Herbert 209 Iser, Matthias 204
Deranty, Jean-Philippe 204, 206 Kauppinen, Antti 204
Descombes, Vincent 202 Kojève, Alexandre 101, 193, 198, 202
Düsing, Edith 195, 198 Laitinen, Arto 17, 19, 25, 194, 205
Elder-Vass, Steve 203, 209 Levinas, Emmanuel 198
Feinberg, Joel 143, 144, 204 Lindemann, Thomas 210
Fichte, Gottlob 1, 2, 3, 4, 5, 8, 10, 12, 15, 18, Locke, John 95, 171
26, 30-62, 63, 65, 66, 67, 68, 69, 70, Margalit, Avishai 7
71, 72, 74, 75, 81, 83, 91, 93, 94, 96, 97, Markell, Patchen 193, 194, 202,
98, 102, 108, 109, 115, 116, 128, 130, Marshall, T.H. 143, 205,
132, 139, 143, 144, 147, 163, 182, 188, Marx, Karl 147, 149, 152, 193, 205, 209
195-198, 199, 200, 202, 203, 207, McNay, Lois 193
Forst, Rainer 202 Mead, George Herbert 105, 136, 137, 139,
Foucault, Michel 135, 204 144, 145, 146, 203, 204, 205
Frankfurt, Harry 171 Neuhouser, Frederick 193, 195
Fraser, Nancy 1, 2, 3, 102, 108, 114, 116-133, Nomer, Nedim 196
136, 137, 138, 148, 149, 151, 154, 155, 157, Oliver, Kelly 193
158, 160, 163, 181, 203, 205, 206 Pinkard, Terry 85, 170, 193, 201, 207
Gadamer, Hans-Georg 107 Pippin, Robert 25, 193, 200, 207,
Habermas, Jürgen 64, 135, 204, Pisistratus 82
Halbig, Christoph 199 Quante, Michael 193, 202, 205, 207, 209
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1, 2, 3, 4, 5, Ricoeur, Paul 193
8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 18, 24, 25, 26, Rousseau, Jean-Jacques 193, 195, 203
29, 53, 63-100, 101, 102, 108, 109, 115, Sartre, Jean-Paul 198
116, 117, 118, 119, 128, 130, 131, 132, 135, Schmidt am Busch, Hans-Christoph 204
136, 137, 139, 140, 142, 143, 144, 147, Searle, John 22, 194, 195
152, 158, 159, 161, 162, 163, 164, 170, Seymour, Michel 101, 202
171, 172, 173, 175, 176, 177, 183, 185, Siep, Ludwig 70, 195, 198, 201
188, 189, 190, 194, 195, 198-202, 203, Solon 79, 82, 201
204, 207, Stekeler-Weithofer, Pirmin 207, 208
Heidegren, Carl-Göran 194 Taylor, Charles 1, 2, 3, 4, 101, 102, 103-116,
Heins, Volker 210 117, 118, 119, 120, 123, 124, 131-133, 137,
Henrich, Dieter 196 139, 145, 163, 187, 202-203, 207
Herder, Johann Gottfried 104, 202, 203 Thompson, Michael 207
Thompson, Simon 101, 202
220   Namenregister

Tomasello, Michael 208, 209 Wildt, Andreas 193, 195, 197, 198, 202


Tooley, Michael 194 Williams, Robert R. 64, 193, 195, 198, 201
Wanderer, Jeremy 207 Zurn, Christopher 203, 204
Sachregister
Achtung 11, 88−90, 92, 109, 120, 121, 124, 154–158, 161, 162, 174, 175, 177, 188,
149, 194, 203, 205, 206 208, 209, 211
Aktualität, Aktualisierung 33, 52, 55, 104, Arbeit 16, 69, 76, 93, 95, 114, 122, 139, 149,
145, 172, 183 150–156, 158, 189, 201, 205, 206
Anerkennung Aufforderung 2, 9, 30–45, 47–57, 59, 63, 65,
− als konstitutiv 3, 7, 18–27, 30, 54, 55, 70, 71, 74, 98, 182, 184, 196, 197, 200,
60, 62, 80, 94, 97, 98, 99, 115, 117, 133, 207, 208
138, 168–172, 179, 180, 182–184, 185, Autonomie 43, 52, 146, 170, 205
188, 194, 203, 208 Autorität, Ko-Autorität 4, 37, 38, 39, 40, 43,
− als responsiv 7, 18–26, 54, 55, 62, 49, 50, 52, 53, 55, 58– 72, 79, 83–88,
94–97, 133, 179, 182, 183, 185 92, 95–100, 108, 109, 111, 113, 114, 115,
− Dimensionen von Anerkennung 116, 120, 127, 146, 147, 151, 153, 156–159,
− axiologische Dimension 4, 53, 72, 169–172, 175, 179, 180, 183, 186, 189,
83–89, 92, 94, 98, 108, 139, 140, 142, 190, 197, 200, 201, 205, 208, 209, 211
156, 169, 171–173, 178, 179, 180, 189, Bedürfnis 1, 2, 3, 74, 75, 76, 83, 84, 86, 87,
191, 195, 201, 205, 211 90, 94, 103, 111, 137, 140, 148, 152, 155,
− deontologische Dimension 4, 53, 72, 73, 156, 159, 167, 168, 172, 186, 200, 207
83–85, 87–89, 92, 94, 98, 109, 139, 142, Begierde 73–77, 79, 90, 94, 97, 98, 99, 140,
147, 148, 151, 156, 169, 170, 171, 173, 171, 186, 200, 202, 204, 207
178–180, 189, 190, 191, 195, 201, 207, Deontische Macht/Machtbefugnis/Kraft 14,
209, 211 22, 23, 53, 60, 71, 72, 82, 89, 90, 92, 93,
− kooperative/kontributive Dimension 4, 96, 128, 166, 178, 179, 186, 195
108, 109, 139, 147, 148, 149, 150, 151, Dezentrierung 89, 98
152, 156, 168, 169, 172, 173, 178, 179, Einstellung 7, 11–18, 21, 22, 23, 40, 41, 42,
180, 191, 205, 211 43, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55,
− Horizontal vs. Vertical 70, 78–79, 100, 58, 61, 62, 76, 77, 81, 83, 85–88, 90, 92,
110, 132 93, 97, 124–130, 133, 141, 142, 150, 152,
− horizontal 60, 70–72, 78–82, 83–86, 154, 156, 157, 158, 161, 166–169, 172,
88–89, 92, 100, 110, 128, 132, 144, 158, 174–177, 183, 185, 187–191, 193, 194,
170, 179, 190, 208, 211 196, 197, 203, 204, 208, 209, 210
– vertikal 70, 78–80, 82, 92, 99–100, 110, Einstellungskomplex, Einstellungsgefüge 7,
127, 132, 144, 158, 179, 180, 190, 208, 11–17, 53, 93, 124, 133, 141, 142, 166,
211 167, 181, 184
− rein intersubjektiv vs. institutionell Ethik, ethisch 5, 99, 100, 119, 120, 131, 159,
vermittelt 18, 22, 26, 36, 40, 53, 56, 164, 168, 172, 173, 174, 175, 176, 178,
58, 59, 60, 61, 71, 72, 80–83, 85, 86 181, 186, 188, 189, 191, 192, 209
− institutionell vermittelt  18, 26, 35, Freie Vernunftwesen 4, 30, 31–37, 41, 45–56,
53, 56, 58, 59, 61, 63, 71, 72, 79, 65, 66, 147, 164
80–83, 86, 89, 91, 92, 93, 94, 128, 132, Freiheit 2, 31–60, 65–69, 73, 77–78, 96, 130,
139, 144, 147, 154, 158, 161, 179, 188, 143, 145, 146, 162, 195–196, 197, 198,
211 199, 201, 205
− nicht-institutionell bzw. rein − Freiheit, abstrakt  67
intersubjektiv 18, 22, 26, 36, 40, 53, 56, − Freiheit, konkret 2, 3, 67–69, 72, 75,
58–61, 71, 72, 80–83, 85, 86, 89, 91, 92, 77−78, 81, 86, 91, 93, 97, 99, 131, 164,
93–97, 99, 100, 128, 132, 139, 144, 147, 177, 185, 199, 201
222   Sachregister

Freund, Freundschaft 13, 78, 81, 86, 124, Motivation 16−17, 42, 43−44, 46−47, 50, 90,
129, 141, 142, 189, 191, 200, 201 100, 137, 147, 152, 153, 156−157, 171, 179,
Gerechtigkeit 3, 118, 120−124, 210 183, 185, 189, 191−192, 194
Herr und Knecht/Sklave 29, 64−100, 101, Norm 4, 9, 23, 37−40, 49, 51, 52, 53, 58, 59,
172, 173, 175, 180, 190, 198, 200, 60, 84, 85, 87, 88, 91, 95−98, 100, 107,
201 108, 109, 125, 127, 128, 129, 130, 141,
Identifizierung, Identifikation 8, 9, 13, 41, 144, 146, 147, 151, 155, 161, 168, 169,
42, 43, 45, 46, 47, 48, 50, 52, 53, 55, 60, 170−171, 175, 179, 186, 192, 201, 208,
91, 104, 111, 131, 132, 174, 180 209, 210
Identität, Selbstidentität 3, 27, 56, 102−106, − institutionalisierte 71−72, 82−83, 92,
108, 110−119, 122, 123, 132, 133, 137, 139, 154−159, 161, 166−167, 178, 181,
197, 202, 203 189, 190
Institution (sehe auch ‚Anerkennung, − nicht-institutionalisierte bzw. rein
institutionell vermittelt‘; ‚Norm, intersubjektive 71, 82−83, 183, 200
institutionalisierte‘; ‚Personsein, Personsein 5, 7, 10, 19−26, 29−32, 34, 38,
institutionell‘) 10, 11, 14, 23, 30, 36, 41, 56, 65−66, 73, 96, 102, 104, 110, 115,
53, 58, 59, 61, 70, 71, 72, 80, 81, 82−83, 118, 133, 145, 151, 163−192, 194, 195,
90−93, 99, 107, 124−130, 132, 154−156, 198, 202, 203, 207, 208, 209
158−159, 161, 163, 166−168, 173, 176, − psychologisch 19−25, 30, 52, 54, 55, 69,
178, 179, 181, 182, 186−190, 192, 194, 78, 87, 88, 97, 99, 145−147, 177−186,
201, 204 200
Intentionalität 21−23, 26, 67−68, 73, − intersubjektiv 22, 26, 55, 72, 97−98,
74, 75, 81, 90, 91, 93, 141, 171, 194, 199, 177−186
208 − institutionell 22−23, 26, 30, 54, 55, 60,
Kampf 64, 75, 79, 102, 103, 118, 122, 61−62, 72, 89−90, 99, 100, 145−147,
135−138, 148, 149, 150, 151,152, 153, 155, 177−179, 186−188
159, 184, 201, 205, 206 − Dimensionen von Personsein 179−181,
Konkrete interpersonale Relation/Beziehung/ 188, 209
Verhältnis 7, 11−14, 92 Pflicht, Verpflichtung 9, 36, 38, 53, 56, 57,
Lebensform, Form des Lebens 3, 5, 29, 65, 58, 59, 61, 66, 71, 80, 82, 92, 96, 143,
66, 70, 99, 102, 115, 130, 136, 138, 155, 144, 151, 158, 161, 166, 167, 175, 195, 196
168−172, 176, 178, 192, 199, 207, 209 Potentialität 26, 40−47, 52, 55, 104, 110, 147,
Leistung 1, 4, 16, 109, 120, 137, 148−151, 153, 172, 182, 183, 187, 197
156, 158, 175, 191, 202, 203, 205, 206 Recht 1, 20, 22, 23, 30, 34, 36, 37, 39, 41,
Leistungsprinzip 151, 155 53, 56−61, 70, 71, 72, 80, 82, 92, 96, 99,
Liebe 4, 11−13, 17, 53, 72, 78, 81, 86−89, 100, 105, 106, 111, 113, 120, 122, 123,
92, 95−98, 109, 128−129, 139, 140−142, 128, 130, 132, 143, 145, 146, 147, 156,
144, 147, 150, 152, 155, 156, 157, 158, 160, 158, 166, 167, 174, 175, 178, 179, 186,
161, 165, 179, 180, 183, 184, 189, 191, 187, 188, 189, 194, 195, 196, 202, 203,
200, 201, 204, 207, 208, 209, 211 205, 206, 208, 209
Menschenrecht 174 Rechtsverhältnis (Fichte) 34, 35, 36, 37, 38
Missachtung 124, 157, 208 Rechtsträger 19, 82, 89, 90, 100, 144−147,
Moral, moralisch, Moralität 5, 9, 99, 110, 120, 157−158, 166, 174, 178
125, 129, 135−137, 139, 145−146, 147, Respekt 4, 11, 12, 14, 16, 41, 46, 47, 48, 50,
149, 150−153, 157, 158, 159, 161, 168, 52, 53, 55, 59, 70, 72, 89, 95, 96, 97, 98,
173, 174, 175, 181, 184, 188, 191, 199, 100, 107, 108, 109, 110, 113, 121, 122,
202, 205, 206, 209 124, 128, 139, 142−147, 151, 153, 157,
Sachregister   223

158, 160, 161, 165, 175, 179, 180, 183, Solidarität 191, 192, 210
184, 189, 190, 191, 193, 201, 202, 203, Status 19−26, 54−55, 59−62, 66, 72, 80, 81,
205, 208, 211 83, 93, 97−100, 104, 116−126, 133
Respekt* 71, 99, 144−147, 156, 158, 174, 179 Triangulation 89, 98, 185, 189
Selbstachtung 88, 139, 143, 147, 180, 183, Verdinglichung 118, 123, 160−162, 173, 180,
208 181, 184, 208, 209
Selbstbeziehung 54, 87, 137−139, 143, 144, Wertschätzung 4, 11, 15, 16, 103, 106, 107,
159, 181, 182, 183 108, 109, 110, 113, 120, 121, 122, 123,
Selbstbestimmung 113, 114, 119, 170 124, 128, 139, 142, 147−154, 156, 158,
Selbstbewusstsein 19, 30−32, 34, 36, 160, 171, 172, 175, 179, 180, 193, 201,
64−100, 119, 143, 177, 196, 200 203, 205, 206
Selbstliebe 87, 88 Würde 104−106, 108−110, 163, 187, 202, 203
Selbstwertgefühl 115, 139, 147, 149 Urrecht 36, 39, 196, 208

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